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Princeton Universilj 







Eine Alonatsiärift 


gegründet und geleitet von 


KR. Boſegger. 


Drei und Perlag von „Lenkam“ in Gray. _ fe 
BZ Hefe) 3. 60 7 Mm. 20 Bf, mit fra — 
Fe. Bm Zw. * N 





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4 »urt oder revolı * 
me Spazierfahrt in. 







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= Schnabel o'wachſen. utz⸗ 
Alpen >, — —— 

er Herberge für arme Neifende, Ein Zeitbild von R. 
15 Malart und Kronprinz Rudo 


berraſchendes aus dem Reiche 


Der Baba et 
Gedichte von Sophie v, hu 


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öl, Bett, Tisch- u. Küchen-Mäsehe R 
>& Bettdecken — 
Kinder-Kleidchen e 


etc, empfiehlt 


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Er + 


Eine Monatsfchrift 


gegründet und geleitet 


von 


R- R. Rofegger. 


XV. Jahrgang. 


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Grng. 


Drud und Derlag von „Ceytam*, 


1891. 








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Inhalts-Berzeihnis 


Heimgarten, X. Jahrgang. 


Hovellen und Erzählungen. 


Der Abdlerwirt von Kirchbrunn. ine Torfgeihichte von BP. K. Roſegger 
1, 81, 161, 
Was man fih in Venedig erzählt. Nah italieniihen Cuellen von Robert 
BENErLINE. 2 8 005 on we en ee a Rn 17, 
Ehre. Eine Geſchichte aus unferen Tagen von Hans Malier ; : 
Freie Fahrt. Humoreste von U. Oslar Klaußmann ..... 
„Der böhmiſche Balg.“ Eine Kindergefhichte von P. K. Roſegger 
Grinnerungsbilbder. Bon ©. dv. Berlepid . .. 2... 
Das Mädchen unter dem Fichtenbaum. Ein Märden für große Kinder. von R. 
Wenn Einer es zu ſchlau macht. Eine ſchwänkige Geſchichte von Ludwig 
—I ee Be Ss 
Sie will nicht. Eine Geſchichte, wie der Hans die Chriſtel nimmt, Bon ©. Smreker 
Meine erite Fifenbahnfahrt. Jugenderinnerung von Ferdinand Pfeiler. 
Karl der Große. Ein Wunderlies aus dem Dorfe von P. K. Nofegger 
Das Wunderfind. Ein novelliftiiches Sittenbild von Olga Wohlbrüd 
Das verlorene deal, Novellette von Albert Schniiter.. . . . 
Gin Frauenihidfal, Nah dem Italienijhen von Robert Da merling. 
Dismas. Eine Legende von P. KH. Roſeggee.. 
Der „Gaft*. Ein Bild aus der Theaterwelt von Julius Freund. .... 
Tem Anderl fein Tabalgeld. Eine Erinnerung aus der REEL von En K. 
MORE 22.0 000 u eek 
Der hohe Rath von Abelsberg. Ein erbauliches Zeitbild von N. — — 
Frühling. Ein ländliches Bild aus Winterszeitt.. 
Der Katechet. Bild aus einer Gebirgsſchule. —— von P. K. Rofegger 
Die Anti zu WUbelsberg. Eine Zeitglofle . . . 
Der Traum eines zum Tode Berurtheilten. Von A rm ando Balacio v a { dv e 8 
Das Nojenfräulein. Eine Skizze aus dem Poetenleben. Bon Hans Maljer 
Als ich den Himmliſchen Altäre Bun Eine Erinnerung aus der Waldheimat 
von P. R. Roſeggere. Er RE TE Sr i 
Doctor Rumpf. Gine Erzählung aus der Theaterwelt von Ban Malfer 
Lenzgemitter. Bon ©. v. Berlepid . . 
Nufienipielen. Ein Bild aus dem oberländijchen Vollsleben von 2. 8 Nofegger 
Eine gute Kameradſchaft. Bild aus dem ſteiriſchen Vollsleben von P. . Roſe gger 
Ein Mord auf Entfernung Merlwürdiger ——— URN von Caroline 
von Scheidlein-Wenrid . 


ir 


(RECAP) 459519 NEAR 


’ — * 


N 56 





IV 
Eeite 

Das Fegefeuer des Pfarrers auf dem Berge. Von 3. B. Richter ..... 766 
Die Nordpolfahrer. Fine Erzählung von Hans Malier . . . . 801, 898 
Tas Ständen. Eine mufilaliihe Dorfgeihichte. Bon P. K. Rofjegger. . . 812 
Des Herrn Baters Hochzeit. Eine finftere Geſchicht - > 2 2 2 2 m nen. 825 
Die Abbrandler. Eine Gejhichte aus dem Dorfleben . 2 2:2 zn 2 u nen 885 
Wie ih dem Herrn Bermwalter 'was gepfifien hab’. Eine Erinnerung von 

BREI a a a ee a 908 
Der dreifüßig' Ehriftl. Ein Bildchen aus dem Volle der Alpen von P. K. 

DOREEN a nen BR ee, Br ar are Ka een 938 


Dramatifches. 


Vor'n Euppn efjen. Ländliches Gemälde in einem Ace von Carl Morre . 321 
Um Tage des Gerichts. Ein Bollsihaufpiel in vier Aufzügen von P. K. 


ET A N ET 481, 561 
Der gefoppte Geizhals. Ein dramatiiher Schwant aus dem Volke. Mitgetheilt 
ven ARIeN Balsitat 3 3,35 0% ee re a 689 


Ein fräftiger Junge. Schwank in einem Aufzuge von Sophievon Khuenberg 721 


Alpines und Bolksthümliches aus den Alpen. 


Bergfrieden. Eine Spazierfahrt in den Alpen von P. K. Rofegger... 50 
Wie ihnen der Schnabel g'wachſen. Truß: und Lieb’sgjangeln aus dem Voll⸗ 
BEIDE Tee en ad 56 
Zwei Todtenlieder aus dem Volle. Mitgetheilt von Karl Hilber .... 128 
Mit meinen Jungen auf die Rax. Eins aus dem Tagebuche von P.K.Nojegger 140 
Sunn’ und Monjdein. Bon Hans Graungruber 1 Pe are nen 155 
In Luidl fer größti Verirrung, und wiar er jein oagni Schond af da Stroßn 
DOREEN a 2 ea en 222 
Fin STIBWERTRD re des Fe 224 
Ein Anwalt des Bauernſtandes. Bon Roſegger... — 286 
Der Thalerlogel. Gin Spaziergang in der Heimat von R,. . x: 2.2... 294 


Mit Berlaub! Gedichte in niederöfterreihiiher Mundart von Moriz Schade 304 
Jahrmarlt im bairiihen Hochland. Gin Lebensbild von Karl Stieler . . 358 
Auf der Primiz. Ein Bildchen aus dem fteirifchen Bolksleben von Karl Reiterer 9365 
Das Scil’n. Ein Bildchen aus dem jteirifchen Wollsleben von B. J. Krones 391 


Das Lied von Nudel und Sterz. Bon R. Burns . 2 2 2 2 nennen 506 
Das Rodeln. Eine Voltebeluftigung aus den Alpen. Bon Ludmwigv. Hörmann 532 
Die Krone des Schloſsbergee.. 8 544 
Auf dem Hodlantid. Fin Spaziergang in der Heimat von R.. . .... - 608 
Eine fteiriiche Vienenmutter. Reijeerinnerung von Joh. Ph. Glod ..... 612 
Ein Liebling der Steiermarl. Erinnerung an den Grafen von Meran, Bon 
WR Rattan en ea area 671 
Die Steuererecution. Eins aus dem Wolfsleben von Karl Neiterer . ... 684 
Die ummorbene Schöne. Gin ländliches Bildchen von BR. . — 698 
Der Gefchichtenerzäbler. Eins aus dem Alpendorfe - » 2 2 nn nenne 701 
Zwoa Luftigi Gſchichtin in fteiriicher Mundart von Hans yrauengruber . 713 
LiedIn aus dem obern Kainah: Thale. Mitgetheiit von I. ©. . ...... 715 
Die Engländer. Ein Bild aus den Alpen von P. K. Rofegger......- 771 
Der Bauer auf dem Marlte, Ein Bild aus dem Tiroler Boltsleben von Karl * 
——— ———— — 


's Hoamweh. Alkloans Bin! aus’ n fteiriichen Oberland von Franz X Freiheim 782 
Da blodagfteppadi Hons, A Schügnfigur von €. 3. Freunthaller ... 875 


Tand und Zeute, Eharakterbilder. 


Amerikaniſche Dienfiboten . - » > 2 2 nen BEITRETEN, 152 
Der Papft im neuen Rom. Gin Bild aus der ewigen Stadt von Hermann j 
J 208 


Y 

Eeite 

Anonyme Menſchen. Bon ME: 8 

Tſchumperliedin. Mitgetheilt von Agnes von der Deden. —F 476 
Gine Sommernadt im Golfe von Neapel. Aus altem " Tagebuche von *. a 

Rojegger.. . ae Baar 537 

Zwei Bilder aus Südamerifa — 759 


Geburt und Taufe. Aufzeichnungen aus der Gegend des Solinger Waldes. Bon 
Heinrih Sohnrey . . 853 
Der fFragner. Eine Dorf:Type aus Niederöfterreich. Bon E. J. greu —— 935 


Eultur: und Naturgeſchichtliches, Eſſays, Plaudereien. 


Deutiche Wiedergeburt oder revolutionäre Gedanfen eines Deutihen, Von R.. 44 


Auf der Herberge für arme Reiſende. Win Beau? 0. 0 58 
überraſchendes aus dem Neiche der Zahlen } ENTE RR 2 
Haſs. Eine Betrachtung von * R. ——— ee ee ae 
Kindermund .. 151 
Die Verwechslung der Einne. Eine Plauderei aus dem neuen Demoirii von 

E. M. Shanlta .. F ce DIS 
Die Eigarre. Bon Friedrid Hofmann REP 255 
„Bitte an den Clerus.“ Bon PB. K. Roiegger.. 2.282, 480, 550 
Über das Falten. Vom culturgefhichtlichen Standpunkte belrachtel von ———— 

Vernaleken . . . 358 
Eine Urſache, warum die Menſchen ſich nicht verftändigen tönnen. Ron N. 356 
(Fine fteiriijhe Stadt vor zweihundert Jahren . . 0 «er 
Vejeelte Saden. Belenntnifje aus den Leben. Bon p. g Rofegger. — 440 
Die Meinung anderer über uns, und was fie wert ift . 448 
Kinder-reuzzüge im Mittelalter. Gin Gegenfaß - - > 2 > 2 2 2 2 nn. 459 
„Ergögungen des Gemüthes" vor 200 Jahren . . . EEE |... 
Wie fie in alter Zeit gedichtet, gedacht und gejagt haben ee er era 
Fine Abhandlung über die Forticpritte unjeres Jahrhunderts. . . . 2... .58 
Unfer modernes Gedenihbum. Bon Yuguft Arubl. . v2 2 2 2 m nen. 529 
Mein ſocial⸗politiſches Glaubenbbekenninisz.. 2 2 2 un er 547 
Liebe ein jociales Programm! . . 548 
Zähme die Phantafie! Aus dem Bude der Lebensweishei eines deutjen Denters 551 
Wie dumm das junge Kind ift . . 552 
Die Cigarre in ihrer erziehlichen Bedeutung. "Eine « Blauderei von Briedrig 

von Dausegger.. ae ee et de 600 
Zurüd aufs Land! Zurüd in die Natur! de ee ee aa re 7 
Vom Erzherzog Johann.. 686 
Des Bauernhelden letzter Brief. Mitgetheilt von Kolom an R aifer 2.629 
Fin Geſpräch über Religion . . - ... 676 
Lehrling-Leben vor ſechzig Jahren. Gryäbtt von Sehafian Seit. + 694 
(sine Bitte an den@ultusminifier . . . ——107 
Der Nachtwächter . . 711 
Das goldene Zeitalter, Socialiftiiche Studie von Ri & ard Graf Sermage 145 
Die neue Sittenlehre, die wir erſt "friegt haben . . . 152 
Gejelligkeit. Belenntnifie aus meinem Weltleben von » a. Rofegger 1. 
An einem Strohhalm. Zur Badejaijon . . . ee SR 
Nachbarſchaft. Bon D. v. Berlepid . BERGE En; 4 | 
Da: Märchen von der claffiihen Bildung. Rach Ha n3 Frifch ©. 
Mit: und Nahmelt, Eine Citaten:Studie von Dr. E. M. Shranta 2... 859 
Ein Zwiegeipräh auf der neuen Murbrüde zu . a Le 
Ein fegter Wille. Bon Brig Mauthner. . . . el ee ee CO 
Gewitterangft. Eine Plauderei für die Sommerzzeit . Be a en nr > DEE 
Vom Eittenrihier unferes Herzens Eine Betrahtung . » 22er . 97 


Zunft und Fiteratur. Aus dem Künftller: und 
Schriftftellerleben. 
Briefe von Ludwig Anzengruber an den Herausgeber des „Heimgarten* 29, 112, 195 


Hans Malart und Kronprinz Rudolf. Eine Erinnerung von Joſef Lewinsty 65 
Unter Scheffels Banner! Eine NReijeerinnerung von Adolf Jaroih . .69, 225 








vi 
Seite 
Die Geihichte vom armen Mann in Todenburg. Von ———— — 120, 186, 270 
Über das Zeitungsweien. Von U. ©. v. Suttner. . . 137 
Bollsgefang. Von Hermann Edhübe. . - ne —146 
Marie von Ebner-Eſchenbachs ſechzigſter Geburtstag . Bee 138 
„Das vierte Gebot“ und ſeine Gegner. Bon P. K. Rofenger re an 
Um fünf Uhr morgens. Eine Erinnerung von Alerander Birardi ... 217 
Die Sreuger- Sonate. Von R. 2886 
Dem Andenken Berthold Auerbachs. Von R. 275 
Briefe von Gottfried Keller an Chriſtian Schad. Mitgetheilt durch Unton En 8 I ert 310 
Neue Kunde von Robert Hamerling. Bon R. . .. 2 22... 348 
Wie es mir als Dramatiler ergangen iſt. Belenntnis aus meinem Weltichen 
von P. K. Roſegger.. ie ee ea ar 
Mas Grillparzer über uns gedadıt hat — ea En ar Er [ 
Alfred v. Berger. Bon Moritz Neckerr 3.2 
Zwei Briefe von 3. ©. Seidl an Chriſtian Schad. Witgeiheilt dur \ Anton 
ERRIETE 2. 5 ua 434 
Eudermanns „Ehre* — Kunſtwerk oder Made? . » . 2» 2 2 2 nn nenn. 452 
Fin Brief in Berfen. Bon Otto von Keirner . ». 22 2 2 2 nenn. 465 
Hermann Daugo. Bon Guſt. Andr. Reilel . . 2. 2: 2m nun + 466 
Robert Hamerling als Bhilojoph. . ». ... - Be ae ra eu te a 
Mas man fi über Gottfried Keller erzäblit - . » 2 2 2 5853 
Mein Lebensgang. Bon Hans Grasberger. . » 2 2 2 2 nn nenn. 589 
Etwas vom Buhmader:Handwert . . . 66 
Das Buch der Bücher in einer neuartigen Ausgabe . u $ 631 
Der literarijche Beift Berlins. Eine geſellſchaftliche Studie von Otto von Leinen 663 
Zwei Briefe von Robert Hamerling. — von Ada ARE. —— — 705 
Wie Muſik auf die Leute wirlt . . —6 
Wie Victor Scheffel zu ſeinen Orden fam — Den ae a en an Yaer 99 te TR 
Der Lump in ale WIESE en a a ———— Ba erh. DER 
11 11) BE PR er RE Br RE ER .. 798 
Ein Siadidichter von Franlfuri. ENT Stolye und fine | Werte. on 
DEIEDITEB: San ae ia .... 842 
Offenes Schreiben an Herrn Denrif bien. Dr a ee ee er 57 
Was zieht Geld aus dem Beutel? . . . . 872 
Mas man dor Zeiten gerne las. Eine Studie zur Geſchmacs und Bildungs⸗ 
geſchichte unſeres Volles. Von Dr. Georg el ee er 928 
Eine Männer: Beitiche. Bon Thusnelde VBortmann . . 931 
Büder. . . : » 78, 156, 236, 315, 395, 479, 556, 638, 715, 793, 87 7, 948 
Gedichte. 
Mein Ehrgeiz. Gediht von PB. H. Rojeager. ». » » » 2 nenne 29 
Neue Gedichte von M. MR. v. Stern.. u 48 
Botenart. Bediht von Anaftafius Grün. . . : 22 nn nn na 
Gedichte von Sophie v. Khuenberg. - - - - - 2 2 2 0 0 nn nn 0. 6 
Wenn au! Gedichte von Dttilie Bibusßs.. 185 
Der Poetenwinkel: 
Im Weidicht tief... . Von Anton Rue Be: MN 
Mein Reihthum! Von Joh. Peter ... 381 
Glück. Von O. Fiſchbach.. nn — 81 
Nie will im Lied ich miſſen. Bon U. 8. Dempigti EEE EEE En. - | 
Die Lieb’ ift jenes Gut. Don MR. . . ES REN. - | 
Ich habe geträumt. Bon Ernfi Golline. - » > 2 2 mn nn. 232 
Übendfriede. Bon Hans Müdenijhnabel. . . .. 2 2 2 nun. 232 
Tes Frühlings Todtenfeier. Bon Stewa Burg... 232 
Kirhe Maria Freyenftein (in Et. vun ER —— Von wie 
von Dttenthal . . i 232 
Da Fahler. Bon Joſef Berger — nn ee ar 
Tie Epinnerin. Bon Hans Fraung ruber Ba a Ar der ee, ED 
Stimmungen. Bon € Sallburg. » . 2 2 22 2 nn nennen. 470 
Blumentraum. Bon E. Sallbure . . » > > 222m nenn. 470 & 


‚wyneornn, Fin 


6506 





he ; 
Wiar an Enger! bift. Von Johann Stelzhammet ae a 
Da PVodajögn. Bon Johann Stelzhbammer - 22 22 222... 877 
Irrthum eines Bäuerleins. Bon Hans Viihner. 877 
Trei Gedichte von 





Merteii hen Alpenvereine 


Zileine nn — — um 


Tet is ja unier Geige? a 76 





VIII 


Seite 
Drei Vögel. Eine Legende ee De ee erstere 
Wie ein Kalender zu ſeinem Ruhm gelommen iſt — Sr rare 
Das Märden von der Kornblume, Von Paul Mantegazja . 387 
Das Ehrgefühl. Eine Skizze in Wiener Art und Mundart von Ed ward 2 J 389 
Hartgebüßter Trotz. Alte Urkunde von Franz von BORN —— 469 
Sagen aus Kärnten. Erzählt von Franz Boldhann. . 5083 
Wenn man ſich Sünden ausborgt. Eine rg RR von a. Nittel. . 682 
Kaiſer Friedrih als Dorfihullehrer . . - .. 634 
Ausgenommen den Bürgermeifter . - 6 
Ein beſchämter Witzbold. Von Sole Biner PA TE TE FEr BENCHEIFERER: ı | 
Die wunderschöne Rede - . . . Re Det 
Verſchiedenes. 
— I— —1 
Voſtkarten des „Heimgarten“ 80, 160, 240, 320, 400, 479, 560, 640, 720, 800, 879, 948 
Bunte Wahrheiten, Bon Yuguft Bob! ..... 136 
Die Undeutlichleit der Nanıensunterjhrift . . . . 234 
Zehn goldene Regeln für Eheftands:Eandidaten. Bon Franz x. Breiheim . 383 
Gin Berein als Ehriftlindl. Bon Rofegger. . . £ . 306 
Freie Gedanfen, freie Worte. Bon 3. Rothbauer RE FE Ge a 66 
Der blaue Radmantel. Bon M. . . . 22... RE BR RE SEEN EI 512 
Bunte Gedanten. Bon Alerander Engel... 2.2: 2 2 2 une nnn. 387 
Goethe über die Karlsbader. . . ae ODE 
Veilden und Neſſeln. Zu einem Sträuflein gebunden ı von N. ........ A 
Ein Fragebogenn. — Br ana A 
Gloſſen. Yon Arpad Sor. heat u nr AR ne ae a A a Dahn a Fe nd 632 
Belenntnife eines Seiltänzers . . . 637 
Wie groß müjste der Mann Elbe der den  Stephansthurm als  Bapnflader 
brauden fönnte? . . 638 
Die Frau als nidis . - — 9710 
Das Grab gefallener Steirer bei Königgräg. "Bon Joſef Walrit —J— 713 
Aus dem Fremdenbuche zu ms :Sauerbrunn. N von Koloman 
Kaijler .. 784 
Hat Chriſtus ſich jetbft verleugnet?. Ds a Te re ee ee AO 
Sonntagsgedanten . nl 187 
Was große Menſchen über Thiere ſagen. Ausfprühe, gefammeltı und d mitgeeil 
von Koloman Kaiſer in Wien . . . 863 
Wie hoch die Wolfen ftehen . . - . - EN De De re 
Un die Sefer des „Beimgarlen® © » - 2» > a ea rn nr nern» DER 
«in Brief Hamerlings ar re A, Be ee ARE ee. No. ar ua a 
Die Vogelleiche als Frauenputz ae ae ugs MM 





| 1J 








* Anſer Plan. 


o ſchreiben, daſs man's leſen kann, 

So ſprechen, daſs man's verſtehen Tann, 
Erzählen, daſs man's glauben kann, 
So zeigen, daſs man's ſehen kann. 
Ein froher Sinn, der ſcherzen kann, 
Und tiefen Ernſt auch ehren Tann, 
Ein heißes Herz, das herzen Tann, 
Und fi zur Noth aud wehren fann. 
Mit Füßen ftets3 auf Erden ftah'n, 
Das Haupt gehoben himmelan, 

Das war, das ift und bleibt der Plan 
Des Heimgarten, 


Der Heimgarlenmann, 


Der Adlerwirt von Birdbrunn. 
Eine Dorfgefhidhte von P. R. Roſegger. 


; Demnach ſetzte ſich der junge 

Erſter Abſchnitt. Kutſcher nicht auf den Bock, ſondern 

Alſo vorwärts!” rief das Mann⸗ ſchickte ſich an, vom bequemen Sitze 

337 fein und fprang flinf in den | des Landauers aus die Pferde zu 

Wagen. „Wolfram, fomm an | leiten. Es waren zwei muntere Braune, 

meine grüne Seite, du Haft ganz | deren glatte Haut einen feinen Seiden— 

nett Pla neben dem alten Knaben! glanz Hatte, als ob jie wie das Riem 
Wir wollen ja ſchwatzen unterwegs!“ | zeug gewicht worden wäre. 


Kofegger's „‚Geimgarten“‘, 1. Heft. XV. 1 


tD 


Der Kutfcher war Wolfram Selten: | 
fteiner, der junge Wirt vom „Schwar— 
zen Adler“ zu Kirchbrunn. Ein froh 
und freundlich in die Welt blidender 
Blondlopf von etwa dreiundzwanzig 
Jahren. „Ein Geſicht, länglich-rund 
wie ein Tauben-Ei, Augen Hell und 
blau mie der Himmel im Mai, Naje 
ſchlank und ſtramm, rothe Oberlippe | 
fed und zahm, der Mund fo anges 
than, daſs er gut lachen und küſſen 
kann. Bom Sceitel bis zur Sehe 
hinab ein ſchlanker, hübfcher, gefunder | 
Knab'.“ 

„Junger Mann!“ rief ihm der 
Profeſſor zu, „ſtelle ja nichts an! 
Wenn du durchgehſt und ich erlaſſe 
auf dich den Steckbrief, ſo tommſt 
du nicht weit, die Weiber fangen 
dich ein!“ 

Einen Schnalzer mit der Zunge 
machte der junge Maun, da trabten 
die Röjslein fürbaſs. 

„Behüt' Gott, Herr Profeſſor! 
Kommen Sie fein wieder im nächiten 
Jahr!“ So riefen jebt die dor dem 
MWirtshaufe ftehenden Leute. Männer | 
Ichwentten die Hüte, Weiber die Sad: | 
tücher. 

Das ältlihe Herrlein im Wagen 
ftredte die offene Hand zurüd ne 
den Leuten, ala wolle er ihnen noch | 
wie Hörner die Worte hinftreuen, die 
er ſprach: „Grüß Gott das letztemal 
und gebet adht, Kinder, dafs ihr nicht , 
weniger werdet, bis ich wiederum 
fomm’, und betet manchmal ein Vater: 
unfer oder ein Schnaderhüpfel für den 
alten Brofeffor Nir!“ 

Der Wagen rollte die glatte Straße 
davon und verſchwand bald im thauen= 
den Herbſtnebel. 

„Iſt ein lieber Herr!” ſagten, jetzt 
die Zurüdbleibenden untereinander, 
„it ein Iuftiger Herr! Alleweil heiter ! 
So pudelnärriih und fo geicheit da= 
bei! Wer wird uns jebt Gefchichten 
erzählen, Liedeln lehren am Feier— 
abend! NRäthfel aufgeben, Zaubereien 
vormachen und guten Nath austheilen! 
Das ift ein lieber Schaf!” 

















ſchmied. 
die Sommerfriſche nach Kirchbrunn, 


„Er heißt nix!“ brummte einer 


der Umſtehenden. 


„Was ſagſt du! der Profeſſor 
heißt nix? Ich denk' wohl ein Biſſel 
mehr wie du! Gib acht, daſs wir 
dir dein Läſtermaul nicht mit einer 
Feigenſalbe verkleben!“ 

„Er heißt Nix!“ lachte ein Junge. 

„Nir heißt er!” lachten jet auch 
die Übrigen. 

„Wenn ich nur miüjste, woher er 
den dummen Namen hat!“ 

„Mufs ein Spitzname fein, weil 
er allemal nir antwortet, wenn man 
ihn fragt, wer er ift, was er treibt, 
was er weiß, was er hat, was er 
will! Er ift nir und treibt nir und 
weiß nir und Hat nir und will nir! 
Darauf Haben fie ihn den Profeſſor 
Nir geheigen.“ 

„Iſt nicht wahr!” rief der Nagel: 
„Seit Jahren fommt er auf 


wir fennen ihn als braven Man. 
Das ift etwas! Nachher geht er in der 
Gegend umher, Pflanzen ſammeln, 
Bäume und Hunde zeichnen, traurige 
Leut’ luſtig machen. Das ift auch 
etwas. Er weiß zu erzählen von 
Himmel und Erden, von den Ruſſen 
und Franzoſen, auch wie die Eiſen— 
ftiften gemacht werden, weiß er, und 
wie er zu mir einmal in die Werk— 
ftatt fommt, nimmt er mir das Zeug 
aus der Hand und macht den Egg— 
nagel fertig, dafs eö nur fo eine Form 
bat. Das iſt ſchon was, meine lieben 
Leut'. Wer ein Handwerk kann! 


Handwerk ift beſſer wie Kopfwerk! 


Nur fürs Nixhaben und Nixwollen 
mag ſein Name paſſen, ich hab' mir 


oft gedacht: Der lebt von der Luft 
und vom Waſſer und vom Luſtig— 
ſein.“ 


„Er hat gegeſſen und getrunken 
und ſeine Sad’ bezahlt!“ berichtete 
der alte Adlerwirt, der in Hemd— 


‚ärmeln und unter dem grünen Sammt— 
‚füppchen am Pferdetrog ftand und mit 


den furzen Worte die Ehre feines 


Hauſes und feines Gaftes rettete, 


3 


Der Wagen fuhr mittlerweile 
hinaus über Wieſen und Fluren, 
durch Dörfer und Wälder, den Bahn 
hofe in Gejsniß zu. 

„Wolfram!“ fagte der Heine hagere 
Mann, den fie den Profeſſor Nir ges 
eigen hatten, „warum rauchſt du 
heut’ feine Cigarre?“ 

„Beil ich feine habe“, antwortete 
der Burfche und zog den Leitriemen an. 

„Was ijt denn das!” fragte der 
Profeſſor und tippte an MWolframs 
Brufttafhe, aus welcher ihrer drei 
oder vier Glimmftengeljpigen hervor— 
gudten. 

„Das da?" fragte der Burfche 
Ihmunzelnd entgegen, „das find Ci— 
garren.“ 

„Knabe, du glaubſt, daſs mir der 
Rauch unangenehm ſei!“ 

„Wer ſelber nicht raucht —“ 

„Ich will dich nicht zwingen. Weiß 
nur, daſs man den Mund nicht gern 
leer ſtehen läßt. Wir Alten ſchwatzen, 
ihr Jungen wollet buſſeln oder rauchen. 
Zum Buſſeln wirft Steine im Sad 
haben. Alſo fied’ etwas anderes in 
Brand!* 

Lächelnd zündete Wolfram ſich 
Eine an. 

Als fie aus dem Gebirgsthal in 
die Fläche herausgelommen waren 
und am Dorfe Shwambah vorüber: 
fuhren, kehrten im dortigen Wirts- 
haufe, denn es war Sonntag, gerade 
vier Mufifanten ein: Ein Trompeter, 
ein Glarinetter, ein Geiger und ein 
Bajsgeiger. 

„Was denteft du darüber ?* fragte 
Profefjor Nir feinen Kutſcher. 

„Bis ich zurüdfahre, wird's ſchon 
umgehen“, antwortete diefer. „Der 
Schwambader gibt einen Freiball.“ 

„Du, da gib nur acht, dajs dir 
die Pferde nicht ſcheuen auf der Rück— 
fahrt! Ein paar feurige Thiere, die 
du Haft!" jo nmedte das magere 
Männlein. 

Auf der Hochebene, über die fie 
nachher wieder dahintrabten, kamen fie 
in einen Eihenwald, an welchem be- 


reit3 die Blätter gilbten. Manchmal 
wehte ein goldig leuchtendes Blatt 
nieder auf die weiße Straße und der 
Wald war jo ftill und feierlich, dafs 
e3 dem Profefjor wie ein Seufzer aus 
der Bruft fam: „Sa, der Herbit!“ 

Jetzt fahen fie neben der Straße 
im Laubwerf und Schlinggewächſe 
zwei Mädchen. Junge, erwachjene 
Mädchen, das eine in pußiger Bauern= 
trat, das andere bürgerlich ange— 
than ; das eine mit einem rothen Tuch 
über dem Haupt, das andere mit 
einem ſchwarzen Hütchen. Die unter 
dem Tuche hatte ein lachendes Rund— 
gefichtlein, die unter dem Hute war 
blaf3 und ernfthaft und Hatte ſchwarze 
Augen. 

„Was wollen denn Die?” fragte 
der Profeffor den jungen Kutjcher. 

„Sie haben Körblein bei Sich. 
Wahrſcheinlich Brombeer pflüden.“ 


„Wollt’ ein Madel früh aufftehn, 
Wollt Brombeer broden gehn“ — 


trillerte der Alte. „Kennſt du das ?" 


„Sa, man fingt jo“, antwortete 
Wolfram. 
„Wenn du der SJägersjohn 


wäreſt,“ nedte der Alte weiter, „mit 
welcher von den Zmeien wollteit du 
Brombeer broden 2“ 

„Weiß 's nit“, jagte der Burſche. 

„Ra, dann ift es mit die noch 
nicht gefährlich!“ achte der Pro— 
feflor, dem Burfchen auf die Achjel 
klopfend. 

„Juſt übel wär' Keine — von 
den Zweien“, ſagte der Wolfram, 

„Na, dann ift es gefährlich“, 
jeßte Jener bei. Sein frifches Ge- 
jihtlein unter dem granenden Haar 
war plöglih ernſthaft. Und die 
Mädchen waren ihren Augen ent— 
ſchwunden. 

Als der Wagen wieder aus dem - 
Walde fam, jah man in der Ferne 
die zwei weißen Thürme von Gejsniß. 
Sie leuchteten nur ſchwach durch die 
‚nebelgrane Luft. Hinter dem ſtatt— 
lichen Mearktfleden die  Berglehne 


1* 


fonnte man nicht mehr erfennen, Und 
gerade dorthin hatte Wolfram ſein 
Auge gerichtet. 

„Siehft du den Salmhof?“ fragte 
der Profeſſor. 

„Man fieht nichts “, antwortete 
Burſche. 

„Liegt ſie dir im Sinn?“ fragte 
Profeſſor. 

„Aber ich kenne ſie ja gar nicht,“ 
entgegnete Wolfram. „Das iſt wieder 
nur ſo von meinem Vater etwas. 
Weil ſie Geld hätte, meint er. Ich 
denke, es muſs nicht alles Geſchäft 
ſein, was der Menſch thut.“ 

„Brav biſt, mein Sohn!“ ſagte 
der Profeſſor, „für Geld heirateſt 
feine. Aber ganz verachten mußſst 
auch das Geld nicht, wenn ſie zufällig 
eins hat. Geld iſt Miſt, aber Miſt 
iſt Dung, und Geld iſt der Dung des 
ehelichen Glückes.“ 

„Die Salmhoferiſche wäre mir 
auch viel zu fürnehm“, bemerkte der 
Burſche, „die will höher fliegen als 
auf ein Wirtshaus, ſagen ſie. Körbe 
kann ich auch in Kirchbrunn haben, 
da brauch' ich drum nicht gar bis 
Geſsnitz zu gehen.“ 

„Junge!“ rief der Alte und hieb 
ihm die Hand auf den Rücken, „du 
bift nur zu wenig fed! Ein Kerl, wie 
du bift, verlegt jich nicht auf Korb- 
handel. Aber auch nicht dreinpatchen ! 
Ked und Hug!“ 

Der Wolfram ſchwieg. Über die 
Hochebene her ftrich ein kühler Wind, 
der brachte Regenschauer, 

„Iſt Schon gut“, rief der Profeilor 
ins Weite hinaus, „Herrgott, ich jehe 
deinen guten Willen, mir den Ab— 
Ichied von der Sommerfriſche fo leicht 
als möglich zu machen. Haft du nichts 
dagegen, Wolfram, jo machen wir den 
Wagen zu!“ 

Das war bald gejchehen, aber 
dann ſaß der Kutſcher auf dem Bod 
und der alte Herr in dem finfteren 
Lederlotter. An das hatte er mit 
gedacht. Nad einer Weile Härte fi 


ihn 
der 


der 


der Himmel wieder und da waren fie 
auch ſchon in Gejsnig auf den Bahır= 
hof. Profeſſor Nix jprang rüftig aus 
dem Wagen. „Wolfram, mein Sohn!” 
fagte er noch, „Gemeint und gelacht 
wird nicht. Höre auf zum wachen, 
bleibe munter und mad’ feine Dumm 
heit. So Gott will, im nächiten 
Sommer fomme ich wieder!“ 

Damit fprang er auf das Tritt— 
brett, denn es läutete das drittemal 
und der Sommerfriſchler dampfte ab 
in die große Stadt. 

Wolfram ſchaute dem Zuge nad 
und dachte: Der gute Profefjor Nir! 
Seinen binteigenen Oheim kann man 
nicht lieber haben. Die elf Jahre 
fommt er jhon nah Kirchbrunn und 
ift immer der Gleiche. Wenn er lacht, 
ein Kind, wenn er ſchwärmt, ein Jüng— 
ling, und wenn er guten Rath gibt, 
ein Greis. Wenn man nur eigentlich 
wüjste, wie alt! Die Leute tragen 
ihn auf den Händen, das deutet auf 
ein Kind Hin. — Und jet, Fuchſen, 
heimwärts nad Kirchbrunn. 

Der Burſche war feit fünf Mi— 
nuten anders geworden, Früher der 
faft befangene, wortkarge, dienſtwillige 
Dorfwirt, der fein Verhältnis fühlt 
dem vornehmen Gafte gegenüber; jetzt 
der aufgewedte, kech dareinjchauende 
Hausbefigersfohn don Kirchbrunn, 
jein eigener Diener und Herr, Kutjcher 
und Gavalier zugleich auf dem Wagen. 
Nachdem er im Poſthauſe etliche Briefe 
abgegeben, ein Kitchen mit Liqueuren 
in Empfang genommen und auf dem 
Kutſchbocke noch ein paar Gläfer Bier 
ausgetrunfen hatte, ließ er feine Zunge 
ichnalzen, das erjegte bei den Hugen 
Röfslein ſtets die Peitſche, und ließ 
heimwärts traben. 

Bei einer Straßenbiegung ſah er 
vor ſich an der Berglehne einen ftatte 
lihen Bauernhof liegen; der nahm 
lich Faft fchlojsartig aus, hatte ſogar 
ein Thürmchen, auf dem eben Mittag 
geläutet wurde. Es war, als ob die 
Slode zur Straße herabrief: Komm, 
fomm! Komm, fomm! — Allein der 


Wirtsſohn aus Kirchbrunn fuhr ftolz 
vorüber. — Ob, zu Der hätte ich 
weit! dachte der Wolfram, Wenn ich 
jest zur Haustochter im Salmhof 
hinauf wollte, um zu freien, da müſst' 
ich erjt willen, ob fie mich gern hat. 
Und ihr Gernhaben möchte mich nur 
freuen, wenn ich in fie verliebt wäre. 
Und verliebt in fie könnte ich nur 
jein, wenn ich mit ihre befannt wäre, 
und das ift wieder nur möglich, wenn 
man fie einmal gefehen hat. — Ich 
weiß gar nichts von ihr, als dafs 
mein Vater jagt, das wäre eine Frau 
für den „Schwarzen Adler“ zu Kirch— 
brunn. Gott, bis ſich jo ein langer 
Faden abwidelt! Und am Ende wär’ 
nachher ein Scheuſal im Knäuel. 
Hübſche Dirndln Haben fein Geld. 
Reiche ſind oft nicht recht fauber. — 
Dia, Füchſeln! Heim zu geht's! — 

Der Himmel Hatte ſich fait aufs 
geheitert, e3 ward ein jommerlich 
warmer Mittag. Als der Wagen in 
den Eichenwald kam, lederte e3 Die 
Pferde nad grünem Sraute, das am 
Wege wuchs und fie nahmen im Vor— 
beigehen mande Schnauze mit ich. 

„Wenn es euch jo jehr nach Preißel— 
beerfraut und Enzianen gelüftet“, 
jagte der Wolfram, „ich fände zwar 
nicht3 Gutes dran, aber es ſei euch 
wohl vergunnt. Spannen wir ein 
bijshen aus.“ 

Er ließ den Wagen ein wenig 
von der Straße jeitwärts auf ein 
grünes Ungerlein ziehen, löste die 
Pferde los und hieß fie fich frei er- 
gehen zwijchen den Bäumen. Er jelbit 
jchlenderte au jo dahin und da es 
gar warın und wohlig geworden war 
und die Pferde eine prächtige Gras— 
bank gefunden hatten, jo tredte er fich 
aufs Moos. Ein Stündel Rait kann 
nicht jchaden. Heute ift ja doch alles 
beim Schwambahmwirt und in Kirch— 
brunn nichts los. Da kommt man 
noch früh genug Heim, — Die Arme 
unter dem Haupte, fo lag er auf dem 
Rüden ſchlank ausgeftredt und ſchaute 
in die hohen Baumfronen auf. — 


> 


Warum im Herbſt die Vögel nicht 
fingen wollen! dachte er, fein einziger ! 
Sit es denn gar jo ſchlimm? ch 
merfe keinen Unterfchied zwiſchen Früh: 
jahr und Herbit.... 

Faſt ein wenig gejchlafen muſs er 
haben. Regentropfen wedten ihn auf. 
— Na, Knabe, es ift doch ein Unter- 
Ichied zwifchen Frühjahr und Herbit. 
— Eilig ſtand er auf, die Pferde 
waren nicht weit, ex führte fie über 
das weiche Moos Hin, gegen den 
Wagen. Jetzt erlebte Wolfgang eine 
Neuigkeit. In feinem Wagen hatten 
ih Fremde Weſen eingeheimt. Er 
hörte jchon von weiten kichern und 
laden. Die zwei Brombeermädden 
waren vom Sprühregen unter dieles 
Dad gejagt worden und der Fürwitz 
der einen Hatte alljogleih Beſitz er: 
griffen von dem herrenloſen Wagen, 
der jo mutterfeelenallein unter den 
Bäumen ftand. Der Schlag zu beiden 
Seiten gejchloffen und zugefenitert, 
jo Hodten fie num darinnen auf dem 
Lederpolfter und waren juft daran, 
in dieſem feinen Gelafje ihr mitge— 
brachtes Mittagsmahl zu verzehren. 
Brot und Käſe hatten fie, das ſchnitten 
ie auf dem Schoße Jäuberlih in 
Stüdhen, nafchten auch von den ge= 
ſammelten Brombeeren dazu. Die eine 
mit dem blaſſen Gelichtchen war ernſt— 
haft, die andere mit den blühenden 
Wangen und dem rothen SKopftuche 
darüber war voller Schalkheiten. 

„Hui, ſauer!“ ficherte dieje, „da 
wär’ mir Schon ein Buſſel lieber.“ 

„Das kannſt auch haben, Frieda“, 
fagte die andere und that, al3 wollte 
fie einen Kuſs hergeben. 

„Seh, geh!” wehrte die Frieda 
ab, „da müßsteſt exit einen Schnurr— 
bart haben!“ 

„Ah jo!“ antwortete die andere, 
„Wie fommft du mir denn vor, Jungs 
dirn?* — Da trillerte die Frieda: 


„Buſſerlgebn, buflerlgebn, 

Das is nit Siünd, 

Hat mir 3 ſchon d Muater glernt 
Als a kloans Kind!" 


6 


„Ich Tann da nicht mitreden“, | auf dem Bod ein Mannsbild I” flüfterte 


geſtand die mit dem Hütchen. die Kundel, „Frieda, was wird mit 
„Mich ärgert 's nur“, warf die) uns gejchehen ?" 
Frieda ein, „da reden und fingen fie „Daustochter, wir kommen ins 


immer davon, daſs einem ordentlich Afrifa und werden als Sklaven ver 
der Mund wäſſerig wird, und wann) kauft“, antwortete Die in dem rothen 
's Ernft werden will, ift 's verboten. Tuche mit einer Ernfthaftigfeit, in der 
Und das ift auch dumm: Heimlid) | man den Schalt kaum heranusmerkte, 
möcht’ man 's probieren, und kommt) „Ich Spring aus!“ rief die 
Einer, ſchwupps hat er Eine auf der; Kundel. 
Wange!“ „Dann bift hin!“ antwortete die 
„Wer wird denn fo lederig ſein!“ Frieda. „Ih glaube, wir bleiben 
jagte die Kundel, „das find lauter hübſch fihen. Kommen wir durch eine 
Dummpheiten.“ Ortſchaft, jo Ichlagen wir Lärm.“ 
„Weißt, von wen ich ein Buſſel „Um keinen Streich!“ verſetzte die 
möcht’ ?* gab das friſche Rundgefichtel | Kundel. „Die Schande! Eher lajs ich 
zu rathen, denn es fchien, als wollte | mich entführen bis zum großen Wafler, 


fie einlenten, dort fpringe ich hinein.“ 
„Wahrſcheinlich von einem ſchönen Die Frieda hatte mittlerweile zum 


Junggefellen“, antwortete die Kundel. Fenfter hinausgelauert und gefunden, 

„Bon einem Mannsbild mit!“ daſs der Mann auf dem Kutjchbode, 
verficherte die andere. „Von einem! fomweit man von ihm etwas erbliden 
Mannsbild möcht 's mir graufen. | konnte, nicht allzu ſchrecklich ausſehe. 
Weist du: Ein Kindel, wenn ich! Na, es wollte fie bedünken, als hätte 
hätt’, von dem möcht’ ich ein Buſſel.“ fie diefen Menſchen ſchon irgendwo 

In demjelben Angenblid machte | gejehen, ohne Furcht vor ihm zu em— 
der Magen einen Rud und rollte pfinden. Darüber waren die beiden 
davon. nun ein bifschen getröftet. 

Einen grellen Schredruf hatten die Draußen regnete es, die Tropfen 

beiden Mädchen ausgeitogen und dann | Ichlugen chart ans Fenſter und 
ein Jammergeſchrei erhoben. Das ſchwere Nebel hatten ſich wiedergelegt 
müßte nichts und ſchadete nichts, die | über die Ebene, daſs es ſchier dunkel 
Röfslein trabten flinf die Straße ent: | ward. Und der Wagen rollte unab— 
lang, der Wolfram auf dem Bode) läſſig fort und in das Ungewiſſe 
Ichnalzte tapfer mit der Zunge, und | hinein. 
jo rollte es dahin wie der Wind, die „Ach, mein junges Leben!“ feufzte 
Richtung gegen Kirchbrunn. Der die Kunde. „O diefes unglüdliche 
Wolfram hörte das Gefreifhe und Brombeerbroden.” 
Dilfegejchrei in der Stutfche, er ſchmun— „So kommt es, wenn man am 
zelte bei ſich: „Das iſt fein Schlechter Sonntag die heilige Meſſe verfäumt 
Spaſs, ich entführe fie zum Freiball und im Walde umgeht,“ ſagte die Frieda 
nah Schwambach. Zwei Fremde Brom- | Iuftig. 


beerbroderinnen, denen die Brom— „wid mich am Arm!“ bat die 
beeren nicht ſüß genug find. Na, Kundel. 
wartet!“ „Du kommſt mie wunderlich für, 


Als die gefangenen DirndIn merk | Haustodhter. Warum  foll ich dich 
ten, daſs ihre Gejchrei nichts richtete jeßt am Arm zwiden?“ fragte die 
und das Dinausipringen zum Wagen | Frieda. 
ſchlag gefährlih jei, wurden fie „Damit ih wach werde. Drei 
mänschenftifl und beriethen unter fich. | Heuſchöber verwett' ich, das ift nur 

„Zwei Röſſer find angeipannt und! ein Traum. Ich Habe vor kurzer Zeit 





eine Rittergeſchichte gelefen, wie der 
Raubritter Kuno das fehöne Burg— 
fräufein Adelgunde auf einem Rappen 
entführt hat. Das fommt mir jeßt im 
Schlafe vor. Ich bitte dich, jo mwede 
mi doch auf!“ 

Frieda kicherte. „Wenn es bei 
mir aud ein Traum follt’ fein, dann 
jei jo gut, wede mich nicht auf“, 
jagte fie. „An einer jo Fürnehmen 
Kaleſch' bin ich mein Lebtag noch nie 
gefahren und werd’ auch gewifs nicht 
mehr die Gnad' haben. Jetzt laſs ich 
mir's jchmeden und dent’ an nichts, 
Wenn er uns Hinführt, jo mufs er 
uns auch. zurüdführen, jetzt kommt 
mir die Kuraſch.“ 

„Frieda, du biſt ſchrecklich leicht— 
ſinnig!“ ſagte die andere. 

„Du biſt nicht leichtſinnig und 
muſst auch mit.“ 

„Wenn ich glücklich davonkomme, 
ſo ſtifte ich eine Kapelle im Eichen— 
wald“, betheuerte die Kundel. 

„Und ich gehe hinein beten!“ nahm 
die Frieda ſich vor. „Jetzt wollen wir 
die gnädige Frau ſpielen und Brom— 
beeren naſchen.“ 

Die Brombeeren wären großen— 
theils auf dem Kutſchboden zu ſuchen 
geweſen, auf welchem ſie zerſtreut um— 
herlagen. 

„Sind die Röſſer ſchwarz?“ fragte 
die Kundel plötzlich. 

„Fuchsbraun“, antwortete Frieda. 

„Gott ſei Lob und Dank!“ warf 
die Kundel hin. 

„Warum?“ 

„'s tunnt auch der Teufel ſein 
Spiel haben!“ 

„Ich weiß mich nicht ſchuldig. Bin 
eine arme Magd.“ 

„Schuldig weiß ich mich auch 
nicht“, ſagte die Kundel, „wenn nicht 
etwa die fürwitzigen Träume was 
machen, manchmal. Dem Ritter uno 
traue ih um feinen Preis.“ 

„Ritter machen mir wieder nicht 
geftand die Frieda, „aber wenn gerade 
jo ein fauberer Bauerntneht käm', 
da wollt ich für michts gutſtehen.“ 


zu 
2 


— 
— — ——— — —— — — — —— — —— — — — — — — — — — —— — 


„Oder ein kernfeſter Holzknecht 
aus dem Siebenbachwald!“ nedte die 
andere, 

„Laſs das gut fein, Haustohter, 
ih mag nichts hören von ihm“, fo 
antwortete die Frieda. 

Aehnliches ſprachen ſie Halb im 
Ernft, Halb im Scherz, halb in füher 
Verwirrung. Der Jungmagd Frieda 
kam es poflierlich vor, dafs fie Heute 
einmal mit der gleihen Elle wie die 
Daustochter gemefjen wurde. Plöglich 
hielt der Wagen. Ringsum jtanden, 
von düſteren nällelnden Nebeln Halb 
verjchleiert, Scheunen und Häuſer, 
und aus einem ſolchen Hang helle und 
grelle Tanzmuſik. 

„Du“, flüfterte die Frieda zur 
Genofjin, „jebt kenn' ich mich aus, wir 
find in Schwambach.“ 


Iweiter Abſchnitt. 


Der Wolfram öffnete den Wagen— 
Ihlag. „Schöne Jungfrauen“, ſagte 
er ſchmunzelnd, „da find wir. Ich 
bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn, 
ein durch und durch bösartiger Gejelle, 
und lade euch zu einem Tanzel mit 
mir beim Schwambachwirt.“ 

Die mit dem rothen Tuche wollte 
zeigen, daſs fie ſich durchaus nicht 
jo leiht ins Bodshorn jagen laſſe, 


fie machte daher, raid aus dem 
Magen fteigend, einen Knix md 
fagte: „Wird uns eine große Ehr' 


jein! Aber nimm dich inacht, Adler— 
wirt, wir find auch bösartig.” 

„Nachher ſtimmt's,“ verjeßte der 
Wolfram, Roſs und Wagen dem Haus: 
fnechte überlaffend. Er nahın die Eine 
gleich am rechten Arme, während die 
Andere ſich an feinen Linken bielt. 
Dieſe ſchwieg, dachte aber bei ih: Iſt 
er nett, jo wird's fein, und jonjt wird 
er gefoppt. 

Alfo trat zum Erftaunen der Leute 
der Schwarze Adler von Kirchbrunn 
mit den beiden hübſchen Dirndln ins 
Haus und alljogleih die Stiege 
hinan auf den Tanzboden. Einen 


funfelnden Silbergulden warf er auf]fein, flüfterte eins dem anderen zu 


den Spielleuttiich, da ſchrien die Pfeifer 
und Geiger vor Freuden auf, und 
einen „geflrampften“ Steirifchen machte 
der Wolfram mit der, welche Frieda 
hieß. Wenigftens ein Dutzend junger 
Paare reigten zugleich, die Burfchen 
mit den Händen Hatjchend, mit der 
Zunge ſchnalzend, luſtig jauchzend 
oder fede Lieblein fingend, die Mäd— 
hen ſich den Tänzern fanft anfchmies 
gend, ihre Köpflein Hingegeben an die 
Bruft der Burfchen legend; manches 
ſchloſs alfo im Arme des Trauten die 
Augen, als wolle fie die Seligfeit 
bis an die äußerſte Grenze aus» 
träumen. — Macht es nicht aud die 
Frieda jo? Liegt fie nicht Hingegofien 
an die breite wogende Bruft Wolframs, 
von feinen Armen feit umſchloſſen, 
von feinem Auge, das underwandt 
auf ihrem blühenden Gefichtlein ruhte, 
bewacht, und angemweht die heiße Stirn, 
die glühenden Wangen von feinen 
warmen Athemhauch! Wohl war's nad 
ihrer jcheinbar gelaflenen Sicherheit zu 
vermuthen, daf3 fie heute vielleicht nicht 
ganz das erftemal einer ſolchen Kopf: 
lehne fich erfreute, doch aber der Unter— 
ſchied! Ach Gott, was nicht für ein 
Unterfchied ift zwiſchen Mannsbild 
und Mannabild! — O du Herziger 
Schas! date fih der Wolfram, dich 
habe ich gefangen, wie man das 
Böglein fängt mit der Falle, und 
dich laſs ich nimmer frei, nimmer! 
mein Lebtag nimmer. Die Frieda, 
die dachte gar nichts mehr, fie fühlte, 
als würde fie Hingetragen durch die 
Lüfte, Hoch über den Erdboden, hoch 
über die Wollen — mohin? Das 
wusste fie nicht, war ihr auch ganz 
gleichgiltig. 

Endlih war der Tanz aus. Der 
Wolfram ließ feine Genoffin loderer 
und erinnerte ſich nun, daſs er deren 
zwei gehabt hatte, Wo war dem die 
Andere! — Der Schwambachwirt hatte 
Ihon Lichter aufgeftedt im Saale, 
aber die Andere war nicht zu ſehen. 
Sie wird Schon auch gut aufgehoben 


und fie machten fich nicht viel daraus, 
Mittlerweile tranten fie auch Wein, 
die Frieda mit, der Wolfram ohne 
Zuder. Die Leute ringsum wurden 
immer lauter, Iuftiger und toller, und 
Weindunſt und Menjchendunitbetäubten 
die Herzen und regten fie auf. Dort 
und da im dämmernden Winkel lauerte 
ein Einfchichtiger und fchleuderte fcheel- 
fühtige Blide auf die glüdlichen 
Pärden, wovon viele ganz in fich 
jelber verfanten und weder Auge noch 
Ohr Hatten Für die Umgebung. So 
auch der Adlerwirtsiohn von Kirch» 
brunn und feine Entführte. War nur 
erit der Abend vorgerüdt, dann wollte 
er mit ihr ein unbelaufchtes Plauder- 
ſtündchen halten und fie nad ihrem 
Herfommen fragen. Übrigens war es 
recht reizend, dafs er nicht wußſste, 
wer fie war, und fall er hätte vor— 
ausfegen fönnen, dafs auch er ihr 
unbefannt gewejen, that es ihm fait 
leid, ſich vorgeftellt zu haben. Sich jo 
weltfremd fein und fich jo innig ums 
Ihlungen halten, das war ja doch 
ein Hauptſpaſs, wie es micht leicht 
einen zweiten gibt. 

Us es draußen rabenſchwarze 
Nacht "geworden war, trat durch das 
Gedränge ein Holzknecht aus der 
Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram 
zu und fagte: „Der Adlerwirt joll 
hinaus kommen in den Hof, dort 
möcht” wer ſprechen mit ihm.“ 

Aha, fiel es dem Burfchen bei, 
die Andere! Jetzt will die Andere 
dran. Hätte fie ſich nicht einen An— 
deren ausfuchen können? Nun aber, 
da er fie ſchon mithergeführt hat, muſs 
er auch an ihr Ritterdienjte üben. 

Es war aber nicht die Andere, 
fondern ein Anderer, der im Hofe 
feiner wartete. Am  Brunnentroge 
lehnte er und vom Küchenfenſter Hinaus 
fiel das breite Licht auf feine Geftalt. 
Ein baumftarfer Kerl ftand da, in der 
Tracht der Gebirgsholzhauer, mit 
wildwuchernden Bart und tief ins 
Geficht gedrüdtem Hute. 


m 


„Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh 
nur ber! Komm nur Herüber da!“ 
Alſo lodte der ruppige Gefelle mit 
einem zarten Fiſtelſtimmlein den 
Wolfram Hinter den Brunnentrog. 

„Wer iſt's denn?“ fragte der 
Molfram. 

„Komm nur ber zu mir!” fagte 
der Andere, 

Der junge Adlerwirt erkannte in 
dem Manne jet einen SHolzarbeiter 
aus dem Siebenbachwalde, welcher 
von den Leuten der Schopper-Schub 
genannt ward. Der Mann war mehr- 
mals jhon im Aplerwirtshaufe zu 
Kirchbrunn eingefehrt, Hatte jich dort 
aber ſtets in die Hinterfte Ede gejebt, 
ein paar Gläshen Brantwein getrun— 
fen und dabei jtier vor ſich auf den 
Tiſch geblidt. Er war ein Mann von 
etwa dreißig Jahren, aber flet3 im 
Außeren jo zerfahren und ungepflegt, 
daſs es jogar den Weibern zweifelhaft 
jhien, ob das ein hübjcher oder ein 
häjslicher Mann fei. Er war nicht in 
der Gegend daheim und man wujste 
nit viel von ihm, al3 dafs er ein 
tüchtiger Arbeiter, jonft aber ein uns 
gejelliger und fonderbarer Menſch 
wäre. Jrgend jemand wollte von feiner 
Bergangenheit etwas gehört haben und 
deutete an, daſs in derjelben fo etwas 
wie Brandgeruch zu berjpüren wäre. 

„Du bit ja der Holzknecht 
Shopper“, fagte nun der Wolfram. 

„Ah, kennſt mich ſchon?“ 

„Was willſt denn von mir?“ 

„Auf ein ganz kleines Wörtel, 
Adlerwirt. Da ſtell dich her, daſs ich 
auch was ſeh' von dir. So.“ Hernach 
hob er ſeine Stimme in eine noch 
weichere Tonlage und ſagte: „Adler— 
wirt, was geht denn dich die Frieda an?“ 

„Welche Frieda?“ 

„Thu' nicht Jo, mein Lieber, liegt 
dir doch nur Eine im Kopf. Wo Haft 
fie denn ber, deine Tänzerin?“ 

„So?! Meine Tänzerin? Wen 
geht denn die was an?” 

„Die wird fchier mich was an— 
gehen, Adlerwirt.“ Dann wurde er um 


einen halben Kopf höher und jehte in 
einer feuchenden, wie vor Wuth er— 
ftidten Stimme bei: „Wenn du mir 
fie nochmal anrührft, nachher —“ 

„Nachher — ? — Nun!“ alſo jetzt 
der Adlerwirt und ftellte ſich ſtramm 
vor den Waldgejellen bin. 

„—— nachher fiehft du feine Sonne 
mehr aufgehen!“ 

Der Wolfram trat einen Schritt 
zurüd, jo dafs er über den Unter: 
balten des Troges ftolperte. Ju dem— 
jelben Augenblicke war der finftere 
Burſche ſchon über ihm, in der Hand 
das blinfende Meſſer. 

„Stehen ?!” ſchrie der Andere, 
im Hauſe gellte die Muſik, polterten 
die Tanzenden. 

„Stehen —“ fagte es der Wald- 
mensch langfam nach und ließ den Arm 
finfen. „Nein, jet noch nit. Du 
haft es vielleicht nicht willen können, 
dajs fie mein ift. Das Unband ſagt's 
ja Keinem! Aber aufgejegt iſt fie 
mir! Das Graufen, das fie haben, 
diefe Gänf’, vor einem Manne, der 
fein Neft hat und bei dem 's Weib 
jelber jein Brot mufs verdienen. Na 
freilich beſſer ilt’s fchon, wenn das 
Mandel alles zufammenjchleppt, was 
Weib und Kind noth Haben — ich 
glaub’3. Ein armer Dolzarbeiter kann 
fo was nicht leiften und desweg ift er 
der Niemand bei den Weibsbildern, Aber 
wenn eine ins Waflerfloß ſtürzt und 
unters Mühlrad kommt, da ift er gut 
genug, der Waldbär, dafs er ſich gegen 
das Rad ſtemmt, ehe die Kröt' — 
Greatur, will ich jagen — todtgedrüdt 
ift — ja freilid, da iſt er gut —“ 

Der Wolfram war wieder frei 
geworden und fo fragte er nun: „Red' 
deutlich, wie ftehft denn mit ihre?” 

„Haft es nicht gehört, im vorigen 
Minter? Am Falhingdienstag! Der 
Salmhofer läſst feine Leute zum Frei— 
ball gehen nah Geſsnitz. Die Frieda 
auch mit. Ich vor fie Hin, werb’ um 
einen Tanz. Dank ſchön! jagt fie und 
geht einem Andern nad. Sich Halb 
zu Tod tanzen und beim Heimgehen 


in der Nacht auf dem Steg jhmwindelig | der Straße gefunden oder im Mühl: 


werden — und plumps in den Mühl— 
bad. Schwimmen kann fie wie ein 
todter Spaß und fchnurgerade der 
Mühle zu, wo das Rad geht. Jeſus, 
wenn ich ihre im derfelbigen Nacht 
nicht wäre machgejchlichen! Gleich 
fpring’ ich in die Nadlaufe, ſtemm' 
mih an. Das Zeug fteht till und 
wie mein ſtolzes Schätzel daherge— 
ſchwommen kommt, zieh' ich's heraus 
und ſag': Guten Morgen! — Nach 
einer langen Weile, wie fie wahr: 


nimmt, wo und bei wem fie ift, und 


bad, der ift dein geweſen mit Seel’ 
und Leib. Das ijt anders geworden, 
Eine Dienftimagd Hat freilih auch 
ihren Deren; wenn ihr wer das Leben 
rettet, jo foll fie dankbar jein, aber 
ihr Herz kann fie verfchenten, an wen 
fie will.” 

„Nachher iſt's aus“, ſagte der 
Schopper-Schub. 

„Haft fie denn gar fo gern, Holz— 
fnecht ?“ 

„Sündhaft gern. Und ſchon lang 
ber. Und gerade die! Und juft die! 


wie fie fertig vom Wafjerfpuden, jagt | Als ob ich bejeifen wär’! Zu Walliſch— 
fie: Dank ſchön! und Läuft davon. | dorf draußen habe ich einen Vetter, 


Juft wie auf dem Zanzboden. Dank 


Ihön! jagt fie und läuft davon.“ 

„Das ift wohl brav von dir ge= 
wejen“, verſetzte jeßt der Adlerwirt. 

„Still ſei!“ knurrte der Holzhauer, 
„gelobt bin ich ſchon mehr als genug 
worden, das hilft mir nichts. Die 
Dirn will ich haben.“ 

„Hätte ich das gewuſst“, alſo der 
Molfram, „dafs du ein Necht auf fie 
haft, jo wollt’ ich mich nicht an fie, 
gemacht haben. Aber das möchte ich 
wiſſen: hat jie dich auch gern ?* 

Seht zudie der Andere zufammen, | 
tief ließ er jein Haupt ſinken, prejste | 
das Gefiht in den Ellbogen jeines | 
Armes und Hub an zu gröhlen. 

„Zur Liebe kann man niemand | 
zwingen“, fagte der Wolfram, 

„Berfauft! Ihre Knochen von den 
Würmern abgenagt, wenn ich nicht 
Hin!“ gurgelte der Waldmenſch jchluch- 
zend. „Und ihr Leben, mit dem jie 
jeßt da drinnen wie eine Mairoſe 
jteht, das hat fie von mir, das gehört 
mir! Und wenn ich zum Hohen 
Gericht gehe, jo muſs es mir zuges | 
ſprochen werben.“ 

„O du guter, armer Menjch“,! 
fagte num der Wolfram. „Leben und 
Liebe, das wird wohl ein großer 
Unterfchied fein. Dir ift gewiſs noch die 
Zeit im Kopfe, wo die Leute leibz | 
eigen gewejen find. Wen du dazumal 
gelauft oder gewonnen Haft oder auf 





der hat mir vor einem Jahre fein 
Bauerngut wollen in Pacht geben, es 
wär’ mir beſſer gangen, als wie da 
oben im Siebenbahwald, — Ich habe 
nicht fort fönnen — ihretwegen nicht. 
Alle Sonntage gehe ich Hinaus in die 
Gejsnigerfiche und ftehe Hinter dem 
Thurmpfeiler und ſchau' Hin auf den 
Pla unter der Slanzel, wo jie jißt. 
Und geh’ dann wieder in den Wald 
zurüd. — Wenn ich wüſst', wer mir 
diefe Lieb’ hat angethan!* Er knirſchte 


mit den Zähnen, al& wollte er den 


Miffethäter zermalmen. 

Eine Magd, die mit dem Waſſer— 
zuber zum Brunnen fam, unterbrach 
diejes Geſpräch. Der Schopper-Schub 
padte den jungen Adlerwirt am Arm 
und rannte ihm zu: „Hüte dich“, 
dann ſchritt er rajch über den dunklen 
Hof dahin. 

As der Wolfram in einer recht 
mwunderlihen Stimmung zurüd ins 
Haus Fam, hörte er don mehreren 
Seiten zugleich, dafs die Salmhofer- 
tohter von Geſsnitz da ſei! — Die 
Salmbofertochter ! da horchte der junge 
Adlerwirt einmal auf. Und die Er- 
regung im Wirtshaus war leine ges 
ringe. Das iſt Schon eine bejondere 
Anszeihnung des Freiballes beim 
Schwambachwirt, das ihn die Salm— 
hofertochter befuht. Die Fürnehmite 
in der ganzen Gegend, die von den 
Burſchen heimlich Begehrte und doc 


| 


nur wenig Ummorbene, weil jie ftolz 
und unnahbar. Iſt fie mit ihrem 
Water da? oder mit einer Gefelljchaft 
von Gejsniger Bürgern und Bürgerin— 
nen? oder gar mit einem Bräutigam, 
der jie heute das erſtemal al3 Braut 
aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein 
joll fie jigen drin im Extrazimmer, 
nur die Schwanbadhwirtin bei ihr, 
welche ihr Geſellſchaft leiften zu müſſen 
glaubt, troßdem jie draußen in der 
Küche alle Hände voll Arbeit hätte, 
Will denn niemand ins Stübel, die 
Salmdofertochter zu unterhalten? — 
Dadte der Wolfram: Kennen lernen 
möchte ich fie doch, diefelbige, von der 
es immer beißt, fie wäre die richtige 
Adlerwirtin. Was kann mir gejchehen, 
wenn ich fie zu einem Tanz auffor= 
dere? Meist fie mich ab, jo drehe ich 
mich vor ihrer Naje mit der Anderen 
um und um, 

Mie nun aber der Molfram ins 
Ertrazimmer trat, ſah er am weiß— 
gededten, mit feinem Backwerk bejegten 
Tiſche neben der diden Wirtin das 
Ihwarzbraune Mädel fiten, welches 
er mit der Anderen, der Frieda, in 
jenem Wagen kecklich dem Walde 
entführt und nah Schwambach ges 
bracht hatte. Und dad — das wäre 
die Salmhofertochter, die ſtolze Kundel? 

Er brauchte ſich nicht erſt nach 
einer Anſprache zu beſinnen. 

„Da iſt er ja, der tapfere Ritter“, 
fo redete fie ihn ſchier ernſthaft und 
gelajlen an. „Schön ift es nicht vom 
Adlerwirt, daſs er fih um die zweite 
Entführte gar nicht mehr umfehen 
will, bevor er die erite zu Tode ges 
tanzt.” 

Der Wolfram ſtammelte eine Ent: 
Ihuldigung. Die Kundel ſah recht 
gut ein, daſs es das beſte ſei, das 
Abenteuer, welches ihr nun gar nicht 
geheuer ſchien, ins Scherzhafte zu 
ziehen. Sie rückte daher ein wenig 
auf der Bank und ſagte: „Setzen Sie 
ſich nur willig her zu mir, es wird 
Ihnen nichts mehr anderes übrig 


— — — — — — — — — —— —— —— —— — — — — — 


Nachtmahl, tanzen Einen mit mir 
und führen mich dann wieder nach 
Hauſe.“ 

Das war alles ſo ernſthaft kühl 
geſprochen, als ob ſie zu einem Diener 
redete. Er ſetzte ſich hin neben ſie 
und that, wie fie befohlen hatte. All— 
jogleih ward es im ganzen Daufe 
fund: der ſchwarze Adler von Kirche 
brumm und die Salmhofertochter von 
Geſsnitz ſitzen beieinander, effen und 
trinken miteinander wie ein Braut» 
paar. Und als die beiden gar Arm 
in Arm auf den Tanzboden traten, 
da wichen die Leute nur jo in Staus 
nen und Ehrfurcht zurüd, daſs das 
Ihöne junge Baar faft allein den 
Reigen tanzte im Saale. In der Ede 
hinter dem Stiegenverfchlag ftand die 
Frieda, ein großer Schred hatte ihr 
Antlitz blaſs gemadt. — Er iſt ver— 
ſpielt! fo fonnte fie noch denken, meine 
Daustochter hat ihn, da iſt er ver— 
jpielt für die arme Magd. it das ein 
Tag, dieſer Heutige Sonntag! 
Wie das Paar in der Nähe vorüber— 
veigte, trafen fich die Blide des Wolf— 
vam und der Frieda. In dieſem 
Augenblid war ihm, er tanze mit 
einem Stüd Holz. Faſt plötzlich, be— 
vor der Tanz aus war, ließ er die 
Kundel los und machte vor ihr eine 
höfliche Verbeugung. 

Es half ihm aber nicht3, er hatte 
für den Abend ihr Ritter zu fein 
und war recht froh, als die Kundel 
den Wunſch ausſprach, nah Haufe 
zu fahren, Endlich ſaßen die beiden 
Mädchen wieder im gejchlofjenen Wa— 
gen und der Wolfram auf dem Kutſch— 
bod. Als fie aus dem Hofthor des 
Schwambaher Wirtshaufes fuhren, 
noch zum Abſchiede mit hellem Muſik— 
Hang begrüßt, Jah der Wolfram, wie 
hinter dem Pfoften fich der Wald- 
mensch dudte — dann gieng e3 fort, 
hinaus in Nacht und Nebel. 

Die beiden Mädchen im Wagen 
führten nicht die angelegentliche Unter— 
haltung miteinander, wie auf der Her— 


bleiben. Sie zahlen mir jegt ein feines fahrt. Die Kundel war mürriſch und 


12 


breitete fich jo fehr aus, daſs die An— 
dere völlig in die Ede gedrüdt war. 
Wohl auch die Frieda war nicht auf: 
gelegt zum Spreden, fie hatte zu 
denfen genug, und zu thun genug, 
ihre Gedanken nicht zu verrathen. 
Wie erichroden war fie daher, als die 
Haustochter mit einemmale den Mund 
aufthat: „Eine wahre Schand’ ift’s, 
wie du dich heute aufgeführt Haft!“ 

Es Hatte ſchon den Anſchein, als 
wollte die Magd nichts entgegnen, 
endlich Jagte fie aber do: „Kann ich 
etwas dafür, daſs er zuerft mit mir 
gegangen iſt?“ 

„Du Haft dich ihn ja angeklettet! 
Männerfüchtige Raſſel, du!” 

Nun ſagte die Frieda nichts mehr. 

„Ich werd’ mir’ merken“, ſetzte 
die Kundel noch bei, und damit war 
das Geſpräch zu Ende, 

Der Hutiher Wolfram ſah träu— 
meriich auf die Bäume, Büjche und 
Megplanten hin, die im Scheine der 
Magenlaternen geipenftiich auftauchten 
und verſchwanden. Die Laternlichter 
warfen im dichten Nebel eine Art 
Heiligenfchein um die Kutſche. — Ein 
jauberer Heiligenſchein, das! dachte 
der Wolfram; wenn id heute nicht 
fündige, fo geſchieht's einzig nur, weil 
die Gelegenheit dazu fehlt. Jet kann 
ich in der ödweiligen Nacht den langen 
Weg dahinradeln und nachher wieder 
zurüd, Ein hübfches Vergnügen. Bis 
ih nah Kirchbrunn komme, ſtehen 
ſchon die Leute auf. Das hat man 
von ſeinem Übermuth. Sonſt nichts. 
— Hia! den Braunen wird's auch 
ſchon zu dumm. 

Endlich waren ſie auf dem Markt— 
platz zu Geſsnitz. Der Wolfram wollte 
halten, aber die Kundel rief zum 
Wagenſchlag heraus: „Vorwärts! Zum 
Salmhof hinauf!“ 

Und nach einer weiteren Weile 
hielten ſie vor dem großen Hofe, der 
mit ſeinen weitläufigen Gebäuden wie 
leblos dalag. Nur ein gewaltiger Hund 


nicht der Mühe wert, ſich weiter um 
das herangerollte Gefährte zu bes 
lümmern. 

Die Kundel wartete im Wagen, 
bis der junge Adlerwirt abgeſtiegen war 
und ihr den Arm zum Ausſteigen bot. 

„Und was wird jetzt mein Vater 
ſagen?“ fragte das Mädchen. „Wenn 
ich ihm nicht gleich nach der Ankunft 
in Schwambach einen Boten geſchickt 
hätte, daſs er weiß, wo ich bin — 
Sie hätten ſeiner Angſt nicht geachtet.“ 

Jauchzen wollte der junge Mann 
über dieſes Wort, es war ein Herzens— 
wort gewejen, das erite, welches er 
von ihr gehört. Ein gutes Kind kann 
wohl auch ein gutes Weib fein... 
Ei ja, mein Vater kann doch recht 
haben! Wer Die einmal heimführt! 

„Anläuten, geh'!“ Haftete die 
Kundel der Jungmagd zu, die fhier 
fopflos dageltanden; und während 
diefe nun an die Hausthür eilte 
und den Glodenitrang zog, flüfterte 
die Salmdofertohter zum Wolfram: 
„Seien Sie ſchön bedankt, kühner 
Ritter! Aber wie böje ih auf Sie 
bin, das ſollen Sie noch erfahren. 
Warten Sie nur! Schnell hinweg! 
Gute Nacht!“ 

Diefen raſchen Abſchied erklärte 
der Udlerwirt ſich jo, als follten die 
Hausbewohner das nächtliche Gefährte 
nicht wahrnehmen; das war aber ein 
wenig anders, die Haustochter wollte 
es verhindern, daſs er der Jungimagd 
gute Naht jagen konnte. Und den 
Molfram wurmte es richtig den ganzen 
Weg heimwärts, dafs er ohne einen 
Händedrud, ohne ein einziges gutes 
Wort von Frieda hatte jcheiden müſſen. 


Dritter Abſchnitt. 


Seht würde männiglich rathen, 
dafs am anderen Tage der alte Adler: 
wirt zu Kirchbrunn feinem Sohne 
ein arges Wetter gemadt hätte, Au— 
ftatt am Sonntagnahmittage, war der 


redte fih mitten im Hofe und der | Wolfram mit den Röflern am Mon— 
fnurrte ein wenig, Ichien ihm aber tag früh nachhauſe gefommen! 


a8 - 


Männiglich Hätte aber ſchlecht ge— 
rathen. Als am Montag nach zwölf 
Uhr mittags der Wolfram erwacht 
war und die KHüchenmagd ihm den 
Kaffee and Bett brachte, fam auch 
der alte Adlerwirt herein, er brachte 
das Semmellörbchen, ſchaute ſchmun— 
zelud auf den Burſchen Hin, der 
ferzengerade ausgejtredt no da lag 
und gähnend ſich noch ein weiteres 
jtredie. 

„Geſchlafen Haft nicht fchlecht”, 
ſagte der Wirt. 


Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, | aupaden. 


it! — Oh, gibt der Weidknecht Ant— 
wort, dem jungen Deren fehlt nichts, 
der jißt draußen beim Schwanbad- 
wirt im Crtraftübel und thut mit 
der jungen Salmbofertochter aus Geſs— 
nitz Nachtmal eſſen. Wär nicht Tchlecht ! 
lage ih. Ya Freilich nicht, meint der 
Knecht und erzählt mir die ganze 
Geſchichte, wie du jie mit dem Magen 
zum Zanz geholt hättet. Teufel! dent 
ich, der geht's fcharf an! Der kennt 
ih aus. Je Schwerer man an Eine 
herankann, deſto kecker muſs man fie 
— Jetzt Haft gewonnen, 


und er hat ganz recht, ich verdien' Wolf, und ich kann dies nicht ſagen, 


ſchon eine Portion. 

Uber es kam nicht. 

„Zein® ihn, jo lange er od 
heiß iſt“, rieth der Alte, auf die 
Kaffeetaſſe dentend, „was Warmes 
thut immer gut nach einer foldhen 
Nacht.“ 

Der Wolfram richtete fi, auf den 
Ellbogen geftüßt, Halb empor, der 
Hemdfragen war abzubinden vergeljen 
worden, er lag noch um den Dals; 
durch die Spalte de3 weißen Hemdes 
ſah man einen heil der nadten 
Bruft; das Geficht des jungen Mannes 
war ein wenig bläſſer als jonft, alfo 
daſs der junge Bart um fo dunkler 
Ichattete. Die wirren feuchten Haare 
hiengen in braunen Tagen und Rin— 
gen über die Stirn herab, Der Wirt 
ſchaute nicht ohne Wohlgefallen auf 
feinen Sohn. So ein hübſcher Junge 
ift auch ein Capital. Nur mu man 
ihn verjilbern oder vergolden laffen, 
Sind ja auch in der Kirche die größten 
Heiligen vergoldet. 

„Trau' Einer noch einmal jo einem 
Dudmäufer!* ſprach mun der alte, 
Wirt mit ſchwerem Wiegen des Haup— 
tes und im Tone des Vorwurfs. „Mo 
unſereiner erſt hindenkt, ift der ſchon 


geweſen. — Aber,” fuhr er fort, „lachen ! 
babe ih auch müfjen geftern abends. | 


Mie der MWeidfnecht heimkommt, ag’ 
ih: Wo denn Heute der Wolfram 
fteden mag mit den Pferden! Dajs 


dm am Ende fein Malheur paſſiert 


wie mid das freut, Wirft jeden, jebt 
ftehft auf einmal ganz anders da. 
Neider wirft genug haben, ich glaub’s! 
Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl 
jagen: wir brauchen eine reiche Heirat 
jo nothwendig, wie der Fiſch den 
Schluck Waſſer. Seit die neue Eifen- 
bahn drüben geht, fteht’s nicht gut 
mit uns Wirtsleuten auf der Kirch— 
brunnerſtraße. Zu harter Noth, daſs 
es mir bisher gelungen ift, unfer 
Unfehen aufrecht zu Halten, lange 
wär’ das nicht mehr möglich gewejen. 
Wir fteden tief in der Schlamais, 
mein Bub’, wir fteden tief!“ 

Der Wolfram mar von dieſer 
Mittheilung nicht gerade erbaut, er 
fagte aber nichts darauf, fondern war 
von Diefem bitteren Augenblide an 
entſchloſſen, das Abenteuer mit der 
Salmhofer'ſchen ernſthafter aufzu— 
faſſen, als er es bisher gethan. 

„Schau nur dazu, Wolf, dafs 
ihr bald Hochzeit macht!” mahnte 
der Ute noch. „Sit gut, dajs dem 
Profeſſor fein Zimmer leer geworden, 
das laſſen mir jebt gleich Herrichten. 
Wird euh ch am liebſten fein, ift 
hübſch groß und ruhig.“ 

„sa ja!“ fagte der Wolfram 
ziemlih barſch, um dieſes Geſpräch 
abzubrechen, welches ihm durchaus 
nicht heimlich war. Er ſah ſein Ver— 
hältnis zur Salmhofertochter lange 
nicht ſo roſig, als ſein Vater, und 
wenn etwas Roſiges für ihn dabei 


war, jo fonnte es nur das blühende 
Gejichtlein der — Anderen fein. 

Auf gar feinen Fall war es zu 
leugnen, dafs Wolfrans Sinn nad 
dem Salmhofe in Geſsnitz fand. Und 
es ereignete jich auch, dafs er nun 
häufig nach Geſsnitz fuhr, immer in 
Gejichäften, wie es hieß. Einige Wo— 
hen vergiengen jo, da Hatte der alte 
Adlerwirt die feinste Brautwerberfahrt 
veranftaltet. 

Rollte eines Tages das forgfältig 
aufgewichfte Geführte die Straße ent- 
lang gegen Gejsnig. Auf dem Bod 
ſaß heute der Pferdefnecht, aber hübſch 
mit flatterndeın Hutbande. Im Wagen 
faßen der alte Adlerwirt und fein 
Schwager, der Herr Amtscontrolor 
aus der Hreisftadt. Beide im ſchwar— 
zen WUnzuge, mit Seidenhut und 
bunten Halsmaſchen. Dem Aodlerwirt 
war befonders im den weißen, ſtramm 
um die fleifchigen Finger gefpannten 
Handſchuhen höchſt unbehaglih, er 
war nicht imſtande, den einfachiten 
Handgriff zu thun, jelbft den UÜber— 
rod muſſte — als es gegen Geſsnitz 
hin ſchwüler wurde — der Herr 
Schwager ihm auffnöpfen, und als fie 
zur MWegmaut kamen, fanden die 
eingepferchten Finger in ben Taſchen 
fein Geldſchnäppchen, jo daſs wieder 
der Schwager aushelfen muſste. Trotz— 
dem war der Adlerwirt guten Muthes 
und hieb dem Genofjen ein» ums ans 
deremal die breite Hand auf den 
Dberjchentel: „Na, was meinit, 
Schwager, wirft fteden bleiben bei der 
Anrede ?" 

„Du wirft dir noch die Hundes 
ledernen zeriprengen!“ mahnte der 
Schwager fürſorglich. 

Der Aıntscontrolor war ein dürres 
Herrchen, dem auch die Kampfluit, 
das heißt die Brautwerbeluft aus den 
Augen bligte. Der Adlerwirt Hatte ihn 
eigens für Ddiefen Zweck aus der 
Kreisftadt verfchrieben. Es fährt ich 
doch ganz anders auf mit einer Auto— 
rität aus der Stadt, die Schid kennt 
und Vornehmheit Hat. Das Amt, in 


welchem der Herr Schwager ſaß, oder 
vielmehr aufs und abjprang, beitand 
in einer Fahrlartencontrolorftelle auf 
der Pferdeeiſenbahn. 

Nun alfo, im Bemufstfein voller 
Ehrenhaftigkeit fuhren fie den Hügel 
hinan gegen den Salmhof. Da fielen 
ihnen die zahlreihen arınen Kinder 
auf, die — obzwar ſchon zur Aller— 
heiligenzeit — barfuß und in jchlechten 
Gewändlein den Meg hin- und her— 
liefen. Durch das weit offenftehende 
Thor roflte der Wagen jo raſch in 
den Hof, daf3 es mit einem der Kleinen 
Ichier ein Unglüd gegeben hätte. Allſo— 
gleich ſtand auch der dienftbare Burjche 
da, der die beiden Pferde in Obhut 
nahm, während die beiden Herren ſich 
an einen Mann wandten, um fo 
gleihjam wie im Borübergehen ein 
wenig die Mirtfchaft beguden zu 
fünnen, Der Angelprochene führte fie 
bereitwilligft durch verfchiedene Ge— 
bäude, und überall war es erſtaun— 
ih. Diefer Wohlftand, diefer UÜber— 
fluſs in allem. Die Hausthiere in 
Ihönften Raſſen, die Vorräte an 
Teldfrüchten, an Heu, an Werkzeug, 
an Wagen und Schlitten, an Häuten, 
Pelzwert und Wolle, an Edelholz, 
furz an allerlei, woran die meilten 
Leute gar nicht deufen, gejchweige es 
beſitzen. 

Nach einem ſolchen Rundgang im 
Hofe kamen ſie zum Eingange in das 
stattliche Wohnhaus; das Untergeſchoß 
desfelben war gemauert und weiß 
übertündht, der obere Stod aus Holz 
gezimmert. Es Hatte viele Fenſter, 
die größer waren al3 ſolche bei an— 
deren Bauernhöfen, und mit zierlichen 
Holztäfelungen ausgeſchlagen. Auch 
an den Dachvorjprüngen waren Holz— 
Ichnißereien, das Dach ſelbſt war aus 
Schindeln und über demfelben ragten 
mehrere weiß überkünchte Schornfteine 
empor, Neben der Dausthür an der 
Wand hieng eine ſchwarze Tafel, auf 
welcher Kundmachungen lebten, dent 
der Salmhofer war Borftand der 
Landgemeinde Gejsnig, die fich einen 


15 


eigenen „Bürgermeiſter“ wählte, jeite 
dem der Ort Gejsniß jelbit eine Markt— 
gemeinde geworden war. Als die 
beiden Gemeinden fich trennten, wollte 
jede den Salmhof für jich haben, der 
lag jo gut bürgerlich als bäuerlich, 
allein der Salınhofer mochte gedacht 
haben: Lieber der erfte Bauer, denn 
der letzte Bürger, und hatte fich zur 
Landgemeinde geſchlagen, was ihm 
jeine Nachbarn gar nicht Hoch genug 
aurechnen konnten. 

An der offenen Hausthüre war 
in der unteren Weite ein zierliches 
Holzthörchen, wie ſolche an vielen 
Banernhöfen üblih find und dazu 
dienen, dafs vom Hofe das Fleinvieh 
nicht ind Daus laufen kann. An 
diefem Thörchen grunzten heute aber 
weder Schweine, noch mederten Lämmer 
oder Ziegen, es war umdrängt bon 
armen Kindern, dreijährigen bis etwa 
zwölfjährigen, die ihre Händchen auf— 
hoben und mit Hellen Stimmen 
fchrien: „Bill! gar ſchön um ein 
Allerheiligenbrot!“ 

Und hinter dem Thörchen ftand 
ein feines, etwas blafjes ernſthaftes 
Mädchen in dunfelblauem, Faft ſtädtiſch 
geihnittenem Anzug, am Halſe ein 
weißes Sträglein, wie es Männer 
tragen. Diejes Mädchen nahm aus 
einem großen Korbe, der neben ihr 
ftand, geihnittene Brotjtüde und ver— 
theilte fie an die Kinder, Die vorne 
ftanden, denen gab fie es in die Hand, 
den hinteren, vergeblih nach vorne 
drängenden warf fie die Stüde über 
den Köpfen zu und kümmerte fich 
nicht weiter um das Gebalge, welches 
darüber entitand. 

„Das ift ſie!“ flüfterte der alte 
Udlerwirt dem Herrn Amtscontrolor 
zu und fie zogen ehrerbietig vor ihr 
die hohen Hüte. Das Mädchen dankte 
dem Gruße mit einem faſt unmerf- 
lichen Neigen des Hauptes, jcheuchte 
mit einer lebhaften Handbewegung 
die Kinder auseinander und unſere 
beiden Männer traten in das Daus, 

Nah den „Derren Eltern“ erkun— 


digten fie fich bei der Kundel. „Bitte 
nur die Treppe hinauf, Mutter wird 
in der Küche fein!“ Alſo in höflichem, 
aber entjchiedenem Tone der Bejcheid. 
Der Adlerwirt nidte dem Genojjen 
vieljagend zu. Der Kundel war ihr 
erheuchelter Gleichmuth ganz ausge— 
zeichnet gelungen, nun aber huſchte 
fie rafch unter die Stiege hin und 
jpähte nah. Es ſchwante ihr etwas, 
al3 gehe diefer Befuch fie an. Für 
das Austheilen des Allerheiligenbrotes 
war nun alle Neigung dahin, fie ftellte 
den Kindern den Korb mit dem Reſte 
der Brote dor die Thür und ſchlich 
die Treppe hinan. 

In der Küche waren zwei Weiber, 
welche mit langen Meſſern die Kohle 
fopfitengel zerfchnitten und die Scheib— 
hen in einen Keſſel warfen. Beide 
waren wie Mägde angezogen, nur 
dajs die ältere, eine magere und fait 
fümmerlih ausfehende Perſon, ein 
weißes breites Schürzenband Hatte, 
an welchem ein Schlüffelbund hieng. 

„Können wir mit der Fran Salm— 
hoferin reden ?* ſprach dieſe der alte 
Adlerwirt auf gut Glüd an, 

„Was wird’3 denn fein?“ fragte 
das Weib in faſt ſchüchterner Weife 
entgegen und wilchte ihre Hände an 
der Schürze ab. 

„Wir find von Kirchbrunn“, 
fagte num der Herr Controlor, „und 
fommen in einer wichtigen Angelegen- 
heit, wie ſich's ſchon mandmal fo 
fügt auf diefer Welt.“ 

„Dann müſſen Sie Schon zu meinem 
Manne gehen. ch weiß nichts“, jo 
antwortete die Salmboferin, wies fie 
über den Gang bis zur legten Thür 
ins und gieng wieder au die Bes 
reitung des Schweittefutters, 

Bei der legten Thüre links klopf— 
ten die Männer böflih an. Drinnen 
huftete jemand. Nach einem Weilchen 
Hopften fie zum zweitenmale, und 
drinnen Huftete es zum zweitenmale. 
Nah dem dritten Klopfen ſchnarrte 
es im Zimmer: „Zum Satan, ja 
hab’ ich gejagt!“ 


16 


Es war barſch, doch der Adlerwirt 
Hielt das Ja im vorhinein für ein 
gutes Zeichen. Sie traten ei. 

Es war eine ſchmale Längliche 
Stube mit zwei Fenftern und einem 
großen Kachelofen. Zwiſchen den 
Fenſtern Stand eine lange Lehnbant 
und daneben ein braunangeftrichener 
Tiſch. Auf der Lehnbanf lag ein 
alter Mann, der nur mit Soden, 
einem ſchwarzen Beinkleide und einen 
grauen, loder um Bruft und Arme 
flatternden Wollenhemde bekleidet war. 
Der Mann Hatte auf dem Haupte faft 
fein Daar, hingegen einen üppigen 
ſchneeweißen Bart. Das Gelicht war 
geröthet und hatte eine lange wul— 
ftige Naje. Auf dem Schoß hatte der 
Mann ein weißes Kätzchen, das er 
fortwährend ftreichelte und mit Brot— 
krümchen fütterte. Auf dem Zifche 
lag ein blaues zujammengefnülltes 
Sadtud, ein paar Brillen und ein 
Bad mit Schriften. Daneben ftand 
ein grünglafierter Krug, aus welchem 
er häufig einen Schlud nahm. 

Diefer Mann war der Salınhofer. 
Der alte Adlerwirt verleugnete feine 
Befangenheit und grüßte ihn wie einen 
Belannten, denn der Salmbofer war 
ja oftmals eingefehrt bei ihm in Kirch— 
brunn. 

„Au!“ ſagte der Alte und richtete 
ſich ein kleinwenig auf. „Das iſt 
ſeltſam. Was ſeid ihr denn ſo närriſch 
aufgeſtiefelt?“ 

Da ſtellte ſich der Herr Controlor 
vor und begann ſo zu reden: „Hoch— 
achtbarer Herr! Die Schichſale der 
Menſchen jind mannigfach und uns 
erforſchlich. Sie hätten wohl aud 
nie gedacht, daſs wir einmal an Ihres 
Hauſes Schwelle ftehen würden, und 
zwar in einer Angelegenheit, die — 
in einer Angelegenheit, welde —“ 
Da ſtak er. 

„as wollt’3 denn?” fuhr der 
Salmhofer mit feiner breiten, röcheln— 
den Stimme drein, 

„Daſs wir 


au Ihres Daufes 


Schwelle ftehen werden, und zwar in der Salmbofer ab. 


einer Angelegenheit, die —“ Troß 
des neuen Anrandes fonnte er nod) 
nicht weiter. Kalter Schweiß ftand 
ihm auf der Stirn. 

„Still ſei, Miſtvieh!“ ſagte der 
Salmhofer zum Kätzchen, welches 
miaute, und gab ihm mit dem Finger 
einen zärtlichen Klapps. 

„Bitt' euch, macht's feine Faxen!“ 
hierauf zu den Ankömmlingen, „kann 
mir's ja eh denken. Meiner Tochter 
die Fahrgelegenheit zum Schwan: 
bachwirt ſoll ich zahlen. Was koſtet 
ſie denn?“ 

Jetzt lachten die beiden und mein— 
ten, nun wären fie ſchon bei der 
Stange. „Billig fahre der junge Adler— 
wirt nicht bei Nacht und Nebel, leicht 
fojte e3 den Paſſagier jelber.“ 

Der Salmhofer hob von der Habe 
die Hand und machte damit einen 
Schlag in die leere Luft. War das 
die Antwort ? War das nicht gerade, 
als ob er jagen wollte: Fort mit 
Schaden ? 

„Dafür ftehe ich gut“, fprad nun 
der alte Adlerwirt, „einen braven 
Mann befommt fie. Und Lieb haben 
fih die jungen Leut’, wie Tauben.“ 

Der Salmbofer that aus dem 
Kruge einen langen Schlud und, auf 
jeinem Barte noch die Tropfen fchnarrte 
er: „Mein Geld willft, Adlerwirt.“ 

„Aber! Aber!“ rief der Adler— 
wirt, „Wer denkt denn an fo was? 
Geld macht nicht glüdlih, fage ich 
alleweil. Daſs fie zufammenpaffen, 
ift die Hauptſache. Das andere wird 
fich alles geben.“ 

„Losgehen kann's, wann’s will”, 
fagte der Salmhofer und trank wieder, 
Während er trank, ſprang das Kätz— 
hen auf den Fuhboden hinab; da 
fuhr der Alte empor, fieng es ein und 
jeßte es wieder ſachte auf jeinen 
Schoß. 

„Nachher könnten wir vielleicht 
jegt mit der Kundel reden“, meinte 
der Adlerwirt. 

„Weiß Schon, weiß ſchon“, wehrte 
„Das Mädel ift 


a 17 .r 


ja ſchon ganz dumm dor lauter Vers 
liebtheit. — Da bleibjt, Vieherl.* 

Den beiden Männern kam es ſchier 
vor, der Alte fei micht recht bei Troft. 
Der grüne Krug! Auf jeden Fall 
reihte der Adlerwirt ihm nun die 
Hand und jagte in feierliher Stim— 
mung: „Alfo abgemacht, Schwieger ! 
Bruder! Gott ſegne unfere Kinder!” 

„Iſt Schon recht, 
murmelte der Alte, und jeine Dand- 
bewegung deutetean, fie fönnten wieder 
geben. 

„Er hat zwar einen martialifchen 
Rauſch“, fagte der Herr Controlor 
vor der Thür, „aber richtig ift’s. 
Er Hat mehr geftanden, als er im 


iſt Shon gut!“ | 


nüchternen Zuftande beigegeben hätte, 
und das kann uns recht ſein.“ 

Auf der Hausflur begegneten fie 
‚der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt 
ihr die Hand Hin und fagte weich: 
müthig: „Det made ich nicht viel 
Umftände mehr. Zöcterl, ich darf 
wohl einen Gruß ausrichten beim 
jungen Wolerwirt zu Kirchbrunn?“ 

„Bitt' ſchön“, antwortete das 
Mädchen und ſenkte das Aug’, 

„Und wanı darf die Hochzeit 
jein ?* fragte kühnlich der Herr Con— 
trolor. 

„Je eher, deſto beſſer“, antwortete 
das Mädchen. Da wußsten die Braut— 
werber einftmweilen genug. 


(Fortfegung folgt.) 


Was man fid in Benedig erzählt. 


Nach italieniichen Quellen von Robert Hamerling. 


I. Bie Riva di Biafio. 


a jogenannte Riva di Biafio ift 


eine der langen ſchmalen Ufer- 

= jtreden, die mit venezianischem 

Ausdrud auch „Fondamenta“ genannt 

werden. Sie liegt im Pfarrbezirf von 

San Simeone, gegenüber der Kirche 

San Geremia, von welcher die Breite 
de3 Canal grande fie trennt. 

Der Name diefer Riva fchreibt ſich 
von einer düſteren Begebenheit her, 
deren Schauplatz vor langer Zeit Tie 
war. Es gebt nämlih im Munde 
des venezianischen Volles die Sage, 


ein. Er veritand ſich insbeſondere 
darauf, ein gewilfes Ragout zu be= 
reiten und jo zu würzen, daſs man 
nicht unterfcheiden konnte, welche Art 
von Fleiſch dazu verwendet worden jei. 
Der Geſchmack desjelben war ausge: 
zeichnet, der Preis mäßig, und die 
Schüſſel dampfte immer friſch: fo hatte 
er denn eine große Kundſchaft und 
verdiente vieles Geld. 

Nach Verlauf einiger Zeit, während 
welcher Freund Biafio zu allgemeiner 
| Zufriedenheit fein leeres Ragout aus: 
zukochen fortfuhr, verlautete bald in 
\diefem, bald in jenem Stadttheile 


ein gewilfer Biafio habe auf jener! Venedigs die Hunde don einem ver— 


Riva eine Schente gehalten, und mit |lorenen Knäblein oder Mädchen, 


dem Gefchäfte des Wirtes habe er zu— 
gleich das eines Ausfochers verbunden. 
Gondolieri, Matrofen, 


Bofegger's „Beimgarten’‘, 1. Geft, XV. 


Handwerks-⸗ 
leute u. dgl. ſprachen zahlreich bei ihm 


von 
welchem, des fleißigſten Suchens uns 
‘geachtet, feine Spur mehr aufgefunden 
werden konnte. Die Fülle mehrten fich, 
und man durchſuchte auf Anordnung 
5) 


er 


18 


der Behörden die Kanäle, ob die 
Kinder nicht etwa im Waſſer umge— 
kommen ſeien. ber alles war ver— 
gebens. Das Gerede unter den Leuten 
und der Schreden der Familien wuchs 
nit jedem Tage; die einen wollten 
die Sade auf einen geheimen Frevel 
zurüdführen, andere meinten, es fei 
wohl gar eine ruchlofe Zauberkunft im 
Spiele; für eine beftimmtere Ver— 
muthung aber, die einige Wahrjchein 
lichkeit für ſich gehabt hätte, wollte 
ih nicht der geringfte Anhaltspunft 
ergeben. 


Unter ſolchen Umftänden fam eines 
Tages ein Gondolier in die Taverne 
Biaſios, um dort, wie er es jeit 
längerer Zeit gewohnt war, fein Früh— 
mahl einzunehmen. Der Mann fore 
derie einen Zeller des mehrerwähnten 
Nagout und machte ji, nachdem er 
es erhalten, mit vielem Appetit darüber 
her. Während er nun jo fich’s wohl 
behagen ließ, da kam ihm plößlich 
etwas Hartes und Scharfes zwischen 
die Zähne, wovon er ji) nicht gleich 
zu deuten wuſste, was e& fein möchte. 
Demnach nahın er bejagten Gegenftand 
nit dem Finger aus dem Mund, md 
als er ihn vors Auge gebracht — was 
findet er? Einen Fingernagel, einen 
ganz Heinen Fingernagel, der augen= 
ſcheinlich nur vom Finger eines Kindes 
ſtammen konnte. Wiewohl entſetzt, 
ſchweigt der Mann und durchſucht 
unbemerkt den Teller genauer; ſiehe 
da! ein zweiter, ein dritter Fund von 
gleicher Art — kein Zweifel, es ſind 
menschliche Fingernägel. 


Mehr vor Entſetzen, als aus Über— 
zeugung ſchweigend, bezahlt der Gon— 
dolier den Wirt und entfernt fich. An 
jeinem Standort angefommen, erzählt 
er den Vertrauteſten feiner Genofjen, 
was ihm begegnet, und weist ihnen 
das Gefundene zur Bekräftigung feiner 
Ausſage vor. 

Es treifen fofort vier don den 
Männern eine geheime Verabredung. 
Zur gewohnten Stunde begeben fie 


ih, Scheinbar in ganz harmlofer Ab» 
licht, in die Taverne Biaſios. 

„Guten Morgen, Freund Biaſio!“ 

„Buten Morgen!“ 

„Mas gibt es Nenes ?" 

„Steigt euch nicht Thon der Duft 
in die Naſe? Das ift heut’ ein Stüd, 
wie ihr noch feines gekoftet habt. Ein 
wahres Manna des Himmels!” 

„Sp gib uns nur gleich für acht 
Perſonen; es find unjer nur vier, aber 
wir wollen uns Heute einmal gütlich 
thun. Laſs in der oberen Sammer 
anrichten; wir möchten gerne für ums 
fein und volle Freiheit haben.“ 

„Sogleich follt ihr bedient fein“, 
rief der geihäftige Wirt, und eilte, 
den Auftrag auszurichten. Als nun 
nad) kurzer Friſt die Gondolieri das 
dampfende Geriht vor fih auf dem 
Tiſche hatten und fich allein ſahen, 
ſchloſſen fie die Thür von innen ab, 
und nachdem fie folchergeftalt ſich ge— 
ihert vor Uberrafchung oder Bes 
obachtung, giengen fie daran, den In— 
halt der ihnen vorgejegten Schüſſel 
aufs forgfältigfte zu durchſuchen. 
Nicht blog Fingernägel fanden fich 
diesmal, jondern auch Heine Knochen— 
und Gliederjtüde von Fingern, ja fogar 
ein Kinderzahn wurde herausgefifcht. 

Der Entjchlufs der Gondolieri war 
bald gefajst. Sie riefen den Wirt zu 
ich Hinauf, und kaum war er einges 
treten, jo verriegelten fie hinter feinem 
Rüden die Thür, und einer von ihnen 
redete ihm mit anfcheinender Kalt— 
blütigfeit folgendermaßen an: 

„Biaſio, dein Gericht ift heute fo 
ausgezeichnet, daj8 wir dir deswegen 
wohl einige Ehre anthun müſſen. Du 
jolljt bei unferem fröhlichen Mahle den 
Vorfig führen. Wohlan! Th’ nicht fo 
Ipröde; Hier ift der leere Plab für 
dich. Laſs dich nieder und greif’ als 
der erfte zu. Es lebe die Geſellſchaft!“ 

Biafio war betroffen; er wollte ſich 
losmachen, aber es half nichts ; feine 
Gäſte möthigten ihn auf die Bant 
nieder und forderten ihn von neuen 
auf, fih’s wohl ſchmecken zu laſſen. 








Zuleßt ergriff er, dem Zwange weichend, 
eine Gabel, und jpießte einen Biſſen 
damit auf; aber er betrachtete ihn erft 
noch von allen Seiten, drehte ihn recht 
und drehte ihn links und jchien nicht 
recht zu willen, wie er ihn im den 
Mund jteden jollte, 
„Run“, rief einer von den Mäne 
nern, „haft du feine Luft, zu eſſen?“ 

„Sollen wir glauben“, fiel ein 
anderer ein, „daſs du das Ragout 
vergiftet haft?“ 

„Dder daſs du es mit Menſchen— 
fleiſch gewürzt haft ?* fuhr ein dritter 
heraus. 

Bei diefen Worten fiel dem Wirte 
die Gabel aus der Hand. Bor den 
Bliden der Gondolieri, die durch— 
dringend auf ihn gerichtet waren, ſchlug 
er die Augen nieder, erbleichte, und 
fieng am ganzen Körper an zu zittern, 

Zu Wuth entflammt durch Diele 
deutlihen Zeichen feines Schuld— 
bewufstjeind, fprangen einige don den 
Männern auf und wollten den Ver— 
ruchten ſogleich zu Boden fchlagen. 

„Barmperzigteit!* ächzte dieſer, 
während ihm die Augen vor Todes— 
angſt aus ihren Höhlen traten; „Barm— 
berzigfeit! ermordet mich nicht! Lajst 
mich nicht mit einer Todjünde auf dem 
Gewiſſen fterben! Last mich nur erft 
beiten...“ 

„Belenne zuerft uns“, rief man 
ihm entgegen ; „ist diefes Fleisch nicht 
Menſchenfleiſch? Sind das nicht die 
Glieder unfchuldiger Kinder, wie du 
fie ſeit Monaten in den Keſſel zu 
werfen und deinen Gäften vorzufegen 
pflegteft?“ 

„Ah“, winjelte der Verbrecher (bei 
welchen, wie das immer der Fall ift, 
die Feigheit mit der Verruchtheit 
gleichen Schritt hielt), ad), die Noth 
trieb mich anfangs dazu... eben heute 
hatte ih mir felbft gefchworen, dafs 
ich es nie wieder thun würde ...“ 

„Eben Heute ?* rief ein Gondolier. 
„D du elender Heucler und Lüg— 
ner! — Steh’ auf, du Hund“, fuhr 
er fort, indem er ihn am Halſe 


fafste und vom Boden emporrijs, 
„Nun wirft du uns ohne Verzug an 
den Ort führen, wo du dein greus= 
liches Schlächterhandwerk getrieben 
haſt; wir wollen ihn ſehen!“ 

Damit ſchleppten die Männer den 
Zitternden die Stiege hinab, und als 
fie unten angelangt waren, wo eine 
Menge von Neugierigen, durch den 
Lärm herbeigelodt, offenen Mundes 
das ihnen unerklärlide Schaufpiel an— 
ftarrten, da rief ein Gondolier mit 
lauter Stimme: 

„Kommt, kommt mit uns! hr 
follt Jehen, womit der wadere Biafio 
uns ſeit Monaten bewirtet hat!“ 

Bon allen Seiten durch fürchter— 
lihe Drohungen gedrängt, wies Biaſio 
zuleßt feinen Begleitern eine Fallthür, 
die fih in einem Winkel der Küche 
befand, verdedt durch einen Haufen 
Holzes und durch anderes Geräth. 
Man öffnete diefe Thür, und es wurde 
im Duntel eine nach abwärts führende 
Stiege fihtbar. Neugierig drängten 
alle Anweſenden ſich dahin, ftiegen die 
Treppe hinab und gelangten in ein 
finfteres, unterirdifches Gemad... 

Hier aber fträubt fich die Feder, 
das Gräfstiche zu jchildern, das den 
Bliden ſich darbot... 

In der Mitte des Raumes ftand 
eine breite Tafel, über welcher von 
der Wölbung eine eiferne Lampe nieder- 
hieng, die unter dichten, ftinfenden 
Rauchwirbeln ein düfteres Licht ver— 
breitete. Die Tafel war von Schmuß 
bededt, von den Seiten tröpfelte Blut 
auf den Boden nieder, und inmitten 
auf derjelben lag der Leichnam eines 
zwei- bi$ dreijährigen Kindes, an 
welchem bereits Kopf und Arme fehlten. 
Ein blutbejudeltes Meſſer lag in der 
Nähe, neben dem Zijche, auf dem 
Boden, ftand ein Gefäß, beitimmt, das 
Blut aufzufangen: in der That ent: 
hielt es davon eine ſchwarze, geronnene 
Maſſe. Unter dem Tiſche lag ein häſs— 
liher Hund, der an den vom Tiſche 
gefallenen Knochen nagte. Die einge: 
ſchloſſene Luft dieſes unterirdiſchen 


2* 
- 


20 


Ortes verbreitete einen faſt unerträg- | fteht, und daf3 jedermann im vene— 


lihen Todtengeruch. In einiger Ents 
fernung vom Tiſche ſah man eine 
Vertiefung, die in einen Kanal aus— 
lief: dorthin pflegte der Unmenſch die 
unbrauchbaren UÜberreſte jeiner Schladht- 
opfer zu werfen. 

Nah wenig Augenbliden machte 
der Schauder dor diefem Anblid ſich 
in einem Schrei de3 grimmigften Un— 
willen: Luft. Unter Flüchen und 
Mifehandlungen wurde der Verbrecher 
aus dem Haufe hinaus und durch die 
Gaſſen gefchleppt, die in einem Augen- 
blid von der fürchterlichen Neuigkeit 
erfüllt waren. Zuleßt den Händen 
der Gerechtigfeit überliefert, geftand 
Biafio alles: mehr als zwanzig Kinder 
hatte er in wenig Monaten gefchlachtet, 
und einige Hundert Perfonen hatten 
von der gräfslihen Speife genoſſen. 
Als feine Helferin bezeichnete der Aus— 
focher ein verworfenes altes Weib, das 
im Rufe der Giftmifcherei und Zan— 
berei ftand. Diefe war es, von welcher 
der teuflifche Rath und die Anleitung, 
ein Ragout mit beigemischtem Menfchen- 
fleifch zuzubereiten und zu würzen, 
herftanımte. Man gieng nah ihr aus, 
um fie in den Kerker zu werfen, aber 
fie war der öffentlichen Gerechtigkeit 
zuborgefommen, Sie wurde erhängt 
am Thürpfoften ihres MWohngemaches 
gefunden. 

Dem Brauche jener Zeiten gemäß, 
wurde Biafio zuerft auf unterschiedliche 
Meife gemartert und zuleßt zwiſchen 
den Säulen der Piazzetta an den 
Galgen gehängt. Sein Leichnam wurde 
den Flammen überliefert und feine 
Aſche in die Winde gefreut. Sogar 
das Haus, das er zum Schauplaße 
feiner Frevel gemacht hatte, wurde von 
Grund aus niedergerifien. 

Diefe Geſchichte gilt als eine be— 
glaubigte Thatſache. Es gibt Perſonen, 
die noch das Todesurtheil Biaſios in 
einem Verzeichniſſe von Dingerichteten 
aus alter Zeit geleien Haben wollen. 
So viel ift gewiſs, daſs der Name 
der Niva di Biafio fort und fort be— 





zianifchen Volke die Geſchichte von dem 
Auskocher Biafio zu erzählen weiß, 
der an jener Riva Heine Kinder ſchlach— 
tete und aus ihren Gliedern den Gäften 
ein köftlich gewürztes Ragout vorſetzte. 


II. Ber Raub der Benezianerinnen. 


Es war der 31. Jänner des Jahres 
943, oder 936, wie andere wollen, 
unter der Regierung des Dogen Pietro 
Gandiano II., als eine Schar an— 
muthiger Jungfrauen mit Körbchen in 
den Händen, in welchen jich goldene 
Schmudjahen und andere Gegenftände 
bochzeitliher Ausſtattung befanden, 
verjammelt und neben einander ge= 
reiht in der Kirche San Pietro ſtanden, 
angethan mit Feierkleidern, auf den 
Wangen züchtiges Roth und das Herz 
bewegt durch die Borftellung des heran 
nahenden Augenblides, der ihr harm— 
loſes Mädchenleben in den halberſehn— 
ten, halb gefürchteten Frauenſtand ver- 
wandeln follte. 

In einem anderen Theile der Kirche 
waren Jünglinge verſammelt, die 
Blide voll Zuneigung und Hoffnung 
nah ihren Auserwählten Hinüber- 
jandten, während zitternde Mütter und 
betagte Väter, auf ihren Knien liegend, 
aus der Tiefe des Herzens heiße Ge— 
bete und Miünfche für das Glüd ihrer 
geliebten Kinder zum Himmel empor— 
Ihidten. Auf dem Altar und an den 
breiten Wänden der Kirche brannten 
hellleuchtende Wachsterzen und der 
Biſchof Ichidte jih an, umgeben von 
feinen Domberren, die Stufen des 
Altares hinanzufteigen und die allge= 
meine Dochzeitsinefle zu lejen... 

Mit den Perſern und Babyloniern, 
von welchen Herodot und Strabo be- 
richten, hatten die ältejten Benezianer 
die Art und Weile gemein, die Hei— 
raten zu Schließen. Sie betrachteten 
nämlich die Mädchen als Töchter des 
Gemeinweſens und zu einer gewillen, 
feftbeitimmten Zeit pflegte man alle 


7 


ze 


21 


Heiratsfähigen in einer Kirche oder 
einem anderen, hierzu erwählten Orte 
zu bereinigen. Dorthin famen dann 
auch die heiratsluftigen jungen Männer, 
hielten, jo zu fagen, Mufterung über 
die Bräute und wählten jeder für fich 
diejenige aus, die nach feinem Her: 
jen war. 

Im 9, und 10. Jahrhundert fand 
diejer Öffentliche Vorgang jedesmal in 
der Kathedrale von San Pietro d’ Dli- 
veto flatt, wie der Ehronift Paurentius 
de Monacis und andere bezeugen. 

Der geneigte Lejer begreift nun— 
mehr die Scene, mit deren Schilde— 
rung wir diefe Erzählung eröffnet 
haben. 

Ein heiliges Schweigen herrjchte 
im Gotteshaufe, alles athinete feierliche 
Sammlung und Andadt... 

Plöglih wurden mit ungeheuerem 
Getöſe von außen die Thürflügel weit 
aufgeriffen und ein Schwarm von 
Männern mit iroßigen Gefichtern, nach 
Seemannsart gelleidet, Dolche zwischen 
den Zähnen und verſchiedene Waffen 
in der Hand, drang mit wilden Un— 
geftüm hHerein und ftürzte fich auf die 
Inienden Mädchen nicht anders als ein 
Schwarm räuberifcher Adler auf einen 
Zug weißer Tauben. Diefe, beftürzt, 
erbleihend, flohen flehende Rufe aus; 
aber die Räuber fallen fie mit den 
fräftigen Armen an und fchleppen fie 
mitfammt den Körbchen, die ihre 
Schätze enthalten, ſchönungslos und 
eilig zur Kirche hinaus. 

Die jungen Männer und das ge— 
ſammte, in der Kirche vereinigte Volt 
fielen, nachdem fie von der erjten Be— 
ſtürzung ſich erholt, über die Räuber 
ber. Es entſpann ſich ein wildes Hand— 
gemenge, von allen Seiten aber er— 
liegen die Wehrloſen dein ſchlagfertigen 
Gegner, und es gelang diefem, mit 
feinem Raube die bereit ftehenden Fahr— 
zeuge zu erreichen. Die weißen Schleier 
vom Blute der Ihrigen beſpritzt, jtreden 
die Jungfranen mit herzzerſchneidendem 
Gefchrei die Arme zum Himmel aus. 
Die Räuber aber, der Ohnmacht des 


unbewaftneten Haufens fpottend, ſetzen 
die Schiffe in Bewegung und fahren 
zum Hafen hinaus, den Schauplak 
ihrer Unternehmung in eiliger Fahrt 
verlaffend. 

Es war dies eine Horde iftrianifcher 
Piraten, welche, ſeit langer Zeit ge= 
Ichworene Feinde des venezianischen 
Namens, dieſe Gelegenheit benüßen 
wollten, die Jungfrauen ſammt den 
Mertfahen, die fie in den Körbchen 
trugen, in ihre Gewalt zu bringen. 

Zu diejem Zwede waren fie mit 
einer Galeere und einer Brigantine 
gegen Venedig gejegelt, und nachdem 
fie diefe Fahrzeuge zu Tre Borti, einem 
Ort am Meer in der Nähe der Stadt, 
vor Anker gelegt, waren fie nach Be- 
nedig gelommen und Hatten ſich, 
mwährend der Nacht, die diejem ver— 
hängnisvollen Tage vorangieng, in 
einem Berftek gehalten. Aus diefem 
brachen fie nun im bejtimmten Augen 
blid Hervor und erreichten burch Ver— 
wegenheit und Schlauheit ihren Zweck 
volljtändig. 

MWiewohl im eriten Augenblicke 
beftürzt und ratlos, waren die Ve— 
nezianer doch al&bald entjchloffen, den 
Biraten nachzueilen. Bon allen Seiten 
erichallt der Ruf zu den Waffen, man 
jeßt Fahrzeuge im Bereitſchaft; die 
Männer fluchen, die Frauen jammern ; 
der legte Tag der Republif ſchien an— 
gebrochen, 

Der Doge ſelbſt beftieg ein Schiff, 
und ihn umgab eine tüchtige Schar 
Soldaten, verjtärkt durch eine Anzahl 
Männer aus der Zunft der Keſſel— 
macher, die eine Gaſſe des Bezirkes 
von Santa Maria Formoja bewohnten. 
Unter den Leuten aus dem Wolle 
nämlih,, welche auf den Alarmruf 
berbeieilten, hatten jich die Stefjelmacher 
als die erften und eifrigften gezeigt; 
jei es, dafs ein befouderes Interefje 
die angeſehenſten unter ihnen mit 
einigen der geraubten Mädchen ver— 
band, oder dajs fie zufällig in größerer 
Anzahl bei dem Ereignis anweſend 
waren, Diefe Männer aljo zerichlugen 


die Kefjel, welche fie eben verfertigten 
oder Schon vorräthig Hatten, und 
madten fih in aller Eile Schilde 
daraus. Sie bewaffneten fih mit den 
Zangen, den Hämmern und allen 
Werkzeugen ihres Gewerbes, welche 
zum Angriff oder zur BVertheidigung 
tauglich waren, und ſchloſſen mit dem 
Rufe: „Tod den Narentinern!“ fich 
dem Dogen an. 

So machte ſich denn dies Häuflein 
von Tapferen, nachdem es den Segen 


| hatten die Übermacht, und nad) er— 
bitterter Gegenwehr, aufgerieben bis 
auf Wenige, mufsten die Piraten den 
Siegern Sowohl ihre Fahrzeuge als 
ihre Beute überlafjen. 

Am 2. Februar, dem Tage von 
Mariä Reinigung, während die Abend- 
ſonne bereit3 ihre Strahlen auf die 
blaue Adria warf, fahen die in dichten 
Scharen herbeigeeilten Benezianer am 
fernen Horizont die Flaggen ihrer 
heimfehrenden Fahrzeuge flattern. Von 


des Bischofs empfangen, zur Berfolgung | welchen Freuden» und Segensrufen 
der Räuber auf, während ein jeder erſcholl in diefem Augenblide das ſonſt 
von ihmen fortwährend den Hilferuf | einfame Ufer! In der raſchen Heinz 
der Unfchuldigen zu Hören glaubte, kehr der Ihrigen erblidten alle ein 


die gegen die rohen Barbaren fich ver— 
gebens zur Wehre fegten. 

Nach ihrer eiligen Flucht fich voll— 
fändig fiher glaubend, waren die 
Narentiner nah Tre Porti zurückgekehrt. 
Sie theilten dort ſowohl die Mädchen 
als die Beute unter ſich und überlieken 
fih forglos ihren Vergnügungen. 

Dan denke fih den Zuftand, in 
welchem die armen Geraubien fich be= 
fanden, entrifien ihren Lieben, in der 


ficheres Zeichen des errungenen Sieges, 
und Schon tönten zur Beftätigung vom 
Meere her die Begrüßungen und Jubel 
rufe der Kommenden. 

Mir verzichten darauf, die Freu— 
denbezengungen der Menge zu ſchil— 
dern, die da ftattfanden, als der Doge 
von feinem Schiffe herabftieg, begleitet 
von den zwölf wiedereroberten Mädchen 
und den tapferen Keſſelmachern, die 
‚am Berdienfte des Sieges den größten 


Gewalt roher, verworfener Menschen, | Antheil hatten. 
auf fremden Boden — ſchüchterne, Nun dachte man aber auch daran, 
ſittſame Jungfrauen, auferzogen im dieſe Braven für ihre geleiſteten Dienſte 
Frieden und in der Unſchuld des väter- |zu belohnen. Der Doge berief die 
lien Haufes ! | Vertreter ihrer Zunft zu ſich und ver— 
Beraufcht vom Weine, machten die ; fündete ihnen, er fei bereit, jede Gnade, 
Narentiner ſich auf, ihre Fahrzeuge | die fie von ihm erbitten würden, zu 
wieder zu befteigen, al3 ıman in weiter |gewähren, Die waderen Männer ver= 
Entfernung auf dem Meere, von der langten nichts anderes, als daj3 der 
Seite Benedigs, einmweißes Segelglänzen | Doge, zum ewigen Andenken an jene 
fah, dann ein zweites und ein drit= | Unternehmung, ſich jährlih in Bes 
tes — „die DBenezianer! die Vene gleitung aller Würdenträger der Re— 
zianer!* erſcholl es in den Reihen der publik in die Kirche ihres Pfarrbezirkes, 
Piraten, „wir find verfolgt!" So ſehr S. Maria Formoſa, begebe, und zwar 
als möglih, beichleunigen fie ihre gegen Abend — denn zu diefer Zeit 
Flucht, aber die Venezianer bleiben war der Sieg erfämpft worden — 
fortwährend auf ihrer Spur, verfolgen ‚um dort dem Herrn ein Danfgebet 
fie einen ganzen Tag lang und er- für den verlichenen Sieg über die 
reichen fie zulegt in den Gewäflern von | Piraten darzubringen. 
Gaorle. Mit Löwenmuth greifen fie Mit Freuden fjagte der Doge zu 
den Gegner an, ein heftiger Kampf und der venezianifche Kalender war 
entipinnt fi, aber die DBenezianer um einen Feſttag reicher. 





(Fortjegung folgt.) 





Ehre. 


Eine Geſchichte aus unjeren Tagen von Yans Malfer. 


9 
5 err Kreisrichter, ich bitte auf 
ein Wort!“ 

= „Nun, nun, lieber Herr 
Seelader, was bringen fie mir denn 
noch jo ſpät?“ 

„Auf ein Wort!“ 

„Und ſo aufgeregt?“ 

„Es iſt etwas Wichtiges. Sie 
werden erſtaunen, Herr Kreisrichter. 
Ich mußs bitten, daſs Sie mich feſt— 
nehmen laſſen!“ 

„Aber, Seelader! Solche Späſſe!“ 

„Es iſt kein Spaſs. Bei Gott 
nicht. Sie müſſen mich einſperren. 
Sogleich! Ich habe einen Freund er— 
mordet. Den Johann Hallſteiner. Den 
Sohn der alten Hallſteiner, die heute 
geſtorben iſt.“ 

„Was? den Johann Hallſteiner 
haben Sie ermordet? Aber lieber Freund, 
was fehlt Ihnen denn? Der Johann 
Hallſteiner iſt ja ſchon ſeit Jahren 
todt.“ 

„Sch habe ihn erſchoſſen. Ich werde 
alles beweifen. Ich zeige es jetzt an. 
Es ift die Zeit gekommen. Herr 
Richter, Sie Haben einen Schuldigen 
vor fih. Einen Mörder!” 

Nun war der Sreisrichter in der 
That erjchroden, denn der junge Dann 
fah in diefem Augenblide wirklich aus 
wie ein Mörder. Ganz verftört, blafs, 
wire. Der Richter Hingelte und befahl 
dem eintretenden Diener: „Schnell 
zum Doctor Grohbach. Er foll jofort 
fommen !* 

„O nein, Herr Richter“, fagte 
Seelader, „Frank bin ich nicht. Ach 
bin ja ruhig, fehen Sie mich nur an, 
es iſt die Wahrheit, was ich ſage.“ 

„So fommen Sie”, fprad der 
Kreisrichter freundlich und juchte den 


jungen Mann am Arm zu nehmen, 
„Ic werde Sie in Ihre Wohnung be= 
gleiten. * 

„Sie find immer gut gewejen gegen 
mich und find es auch jetzt“, jagte 
Seelader. „Aber e3 iſt anders ges 
worden. Ich darf nichts mehr an— 
nehmen. Sch werde diefe Nacht noch 
in meinem Zimmer zubringen, wen 
Sie mich nicht in den Arreft thun 
wollen, morgen jedoch zum Landes» 
gericht gehen. Der Verantwortung 
wegen follten Sie mich aber jogleich 
da behalten. Es wäre beijer, Herr 
Kreisrichter!“ 

Unter warmem Zureden brachte 
dieſer den jungen, aufgeregten Menſchen 
in fein Dachzimmerchen, empfahl ihn 
angelegentlih der Miethefran und 
Ihidte den Arzt. 

Dann eilte er nahhaufe. 

„Denkt euch, Kinder!” fagte der 
SKreisrichter bei dent Abendefjen zu 
feiner Familie, „mein Antsfchreiber, 
der Seelader, ift erfrantt.“ 

Die ältefte Tochter, Fräulein Lud— 
milla, horchte auf. 

„Und das ſchwer, unheimlich er— 
krankt“, fuhr der Richter fort. „Ein 
Gehirnleiden. Ich muſs nur erſt zu 
Doctor Grohbach ſchicken, was er an 
ihm gefunden hat. Kommt der Arme 
heute abends — eben erjt vorhin — 
zu mir amd bittet mich im höchſt auf- 
geregter Weife, ich folle ihn feſtnehmen 
laffen, er habe feinen Freund Hall: 
fteiner erſchoſſen.“ 

Fräulein Ludmilla legte Meſſer 
und Gabel weg. 

Die Frau Richterin fagte: „Du 
ſcherzeſt doch, Mann!“ 

„Ich weiß wohl, daſs der Selbſt— 


24 


mord feines Freundes ihm nahege- 
gangen ift damals“, jagte der Richter, 
„aber nad Jahren — es mag ja fünf 
oder jechs Jahre feit jener Gejchichte 
mit dem Halljteiner ber fein — könne 
doch, meint man, aus diefem Grunde 
eine Gehirnſtörung nicht mehr zum 
Ausbruche kommen. — Wie war das 
nur glei, damals ?* 

„Der Poſtbeamte Johann Hall— 
feiner”, jagte num die Frau, „hatte — 
jo viel ich mich erinnern kann — ſich 
eine Beruntreuung zuichulden kommen 
laffen und in dem Augenblid, als man 
ihn feftnehmen wollte, ſich eine Kugel 
durch den Kopf gejagt.“ 

„Richtig, und ich entiinne mich, 
wie fein Freund Seelader, der war 
damals noch Student, am Grabe des 
Verſcharrten einen lauten Schwur 
gethan haben foll, die Ehre des Freun— 
des zu retten, feinen Tod zu fühnen, 
oder fo etwas.“ 

„Dann haft du ihm ja zur Heinen 
Stelle verholfen, die er Heute nod | 
einnimmt.“ 

„Er wird demnächſt avancieren. 
Einen fleißigeren und gewiſſenhafteren 
Schreiber habe ich nie gehabt. Dazu 
ein ftiller, eingezogener Menſch, be= 
ſcheiden und liebenswürdig —“ 

Fräulein Ludmillas Wangen blüh- 
ten wie Rojen im Mai. 

„As Student foll er's ja flott 
getrieben haben, bis die Heine Erb— 
Ihaft feiner Eltern dahin war“, bes 
merfte die Frau Kreisrichterin. „Man 
glaubt nicht, wie vortheilhaft ein 
Menſch ſich ändern kann, wenn er 
in das Geleife der Arbeit kommt. 
Und rührend war e3, wie er die armen 
Eltern feines unglüdlichen Freundes 
unterftügte, ſich jelbft alles verfagte, 
um bon feinem geringen Gehalte die 
liechen, verlaflenen alten Menfchen zu 
verjorgen. Als vor einigen Monaten 
der alte Halliteiner ſtarb und heute 
die Frau, Habe ih mir gedadht: Jetzt 
wird der gute Seelader auch auf— 
athmen können und feinen Gehalt für 
ſich ſelber auwenden.“ 








„Es mufs ihn doch der Tod der 
alten Frau fo jehr erfchüttert haben“, 
meinte der Kreisrichter. 

„Wahrlich, ein Leibliher Sohn 
fann nicht beſſer, nicht liebreicher gegen 
jeine Eltern fein, als der Amtsjchreiber 
es gegen die alten Halliteiner- Leute 
gewejen. Nur fällt mir jegt ein Wort 
auf, das er vor einigen Tagen, als 
er bei uns fpeiste, gejagt Hat. Als 
er hörte, daſs das Befinden der Frau 
HDallfteiner ſich verfchlimmert Hatte, 
Iprad er plöglih: Mir fcheint, nun 
werde ich bald Feierabend bekommen.“ 

„Am Ende ift doch etwas dahin= 
ter“, meinte der Richter und beganı, 
dieweilen er feine Pfeife ftopfte und 
in Brand jtedte, über mancherlei nach— 
zufinnen. 

Und alfo hatten fie zufammen ſich 
über den jungen Mann unterhalten, 
der fih als Mörder geftellt Hatte. 
Fräulein Ludmilla war völlig fill 
dagejejlen und allmählih auch recht 
blaſs geworden. Sie hatte ſich ſchein— 
bar in ihre Häfelarbeit vertieft. Auf 
einmal jtand fie auf und gieng raſch 


zur Ihür hinaus. 


Die Frau ſeufzte. Der Richter 
jagte: „Morgen früh fogleich will ich 
die Geſchichte unterſuchen. Am Ende 
ift doch etwas dahinter.“ 


* * 


> 


Die Naht war jchlaflos vergangen. 
Mar Seelader hatte ſich ſammt feinen 
Kleidern ins Bett gelegt. Seine paar 
Sachen hatte er ſchon geftern in einen 
Sad gethan und fie nicht mehr aus— 
gepadt. Nur eine Heine Photographie 
war aus der Taſche hervorgeholt und 
auf das Tifchchen neben feinem Lager 
geitellt worden. Ein liebliher Mädchen- 
fopf, das Original haben wir jchon 
gejehen. 

Zur Stunde, als der Kreisrichter 
im Amte zu erjheinen pflegte, gieng 
der junge Mann bin zu ihm und 
fagte: „Da Sie mir mein Recht vor— 
enthalten wollen, fo reife ich jet zum 
Landesgeriht, dal ih um Strafe 


bitte, theurer Herr! Vor Ihre Familie 
Darf ich nicht mehr treten. Ich danke 
allen für alles Gute, ich fage Ihnen 
Vebewohl. Verzeihen — 

Er ftodte. 

„Jetzt laſſe ih Sie aber nicht mehr 
fort, lieber Seelader,“ ſprach der 
Richter, „dajs bei Ihnen etwas nicht 
richtig iſt, jehe ich nun. Seßen Sie ſich 
zu mir und erzählen Sie mir ruhig das 
Anliegen, weldes Sie drüdt.“ 

„Ih danke Ihnen. Aber Beichte 
und Freundeszuſpruch können mir nicht 
viel nützen. Es wird beſſer fein, wenn 
auch Ihre Herren Adjuncten anweſend 
jind. Und der Arzt, Damit jicherge- 
jtellt wird, dafs ich nicht geiftestrant 
bin.” 

„Sie wollen alfo ein fürmliches 
Verhör. Gut, es foll gefchehen.“ 

Nah wenigen Minuten ftand der 
junge Mann vor dem Gerichte und 
nah einigen einleitenden Borfragen 
begaun er alfo zu ſprechen: 

„Meine Eltern waren Gewerbs- 
leute in N., fie wollten, nachdem ich 
das Gymnaſium abfolviert, auch mich 
für ihren Stand abrichten. Als fie 
ftarben, war ich frei und bemüßte die 
Erbſchaft, um in die Stadt zu gehen 
und zu ftudieren. Nicht jo ſehr 
wiſſensdurſtig war ich, aber nad dem 
Iuftigen, ungebundenen Studenten— 
leben plangte es mir. Und ein folches 
habe ich geführt, fünf Jahre lang. 
Die Commerfe, die Kneipen, die 
Menfuren und dergleichen machten mir 
viel Spass, ja nahmen mein ganzes 
Weſen in Anſpruch. Für einen wirfs 
fihen Gewinn hielt ich das Bewuſst— 
fein und das Hochhalten der Ehre, 
wie folhes außer bei den Soldaten 
und Studenten in feinem Stande 
eigentlich entjchieden und leidenſchaft— 
lich genug gepflegt wird. Ich will mich 
weiter darüber nicht auslaffen, e3 iſt 
etwas Echönes, wenn ein junger 
Menſch feine Ehre höher wertet, als 
alles auf der Welt. Schon im zweiten 
Jahre meiner Studentenfchaft hatte 
ih einen Collegen aus der hiefigen 


“ 


25 


Stadt fennen und achten gelernt, und 
bald entmwidelte ſich zwiſchen uns eine 
innige Freundichaft. Er war der Sohn 
armer Eltern, mufste freilich mehr 
ans Lernen denken, al3 ans Burfchen- 
leben und einer Stellung zutrachten, 
in welcher. er ſich und feine Eltern 
ernähren fonnte. Das Hinderte den 
waderen Johannes nicht, die Studenten 
ideale zu hegen und zu pflegen, und 
befonderd die Wurfchenehre gieng 
ihn über alles. Auf mehreren Men— 
furen bewies er feinen Muth, und in 
einem Duelle trat er für die beleidigte 
Ehre eines Freundes ein, Dieſer 
Freund war ih. ES handelte jih um 
nichts weiter, als um einen boshaften 
Spott, den ein mir milsgelinnter 
Burſche in meiner Abweſenheit mir 
angethan. Johannes forderte ihn auf 
Piltolen. Am zerrilfenen Sinnbaden 
trug er zeitlebens ein Merkmal feiner 
tapferen Freundfchaft. Natürlich ſchloſs 
uns Ddiefer Dandel noch enger und 
unzertrennlicher aneinander und ic 
Ihwor ihm, über feine Ehre ebenfo 
zu wachen, als er über die meinige 
gewacht und als ich über meine eigene 
wachen kann. Und folten wir vom 
Schidjal einmal voneinander getrennt 
werden, und follten wir in was immer 
für eine Lage verjegt werden, unjere 
gegenjeitige Ehre wollten wir behüten 
wie unfer Leben, ja unendlichnal 
muthiger und glühender, als unfer 
Leben. — Was fonft an Studenten- 
angelegenheiten, Ehrenfahen und 
Freundſchaftsbeweiſen war, fann über- 
gangen werden. Ach weiß, was hier 
zu erzählen ift. Johannes Hatte feine 
Studien vollendet und erhielt eine 
Anftellung als Poſtbeamter. Trotzdem 
brach er nicht mit den luſtigen Kreiſen, 
in welchen er ſich früher bewegte, ja, 
er erſchloſs ſich noch neue. Man hielt 
ihn auch feſt in denſelben, denn er 
war ein heiterer, angenehmer Ge— 
ſellſchafter und nad) den langweiligen 
und verantwortlichen Stunden in der 
Amtsftube hatte er Zerftreuung nö— 
ihiger als je. Es gab Kleine Gelage 


mit Minnejcherzen, mit Glüdsfpiel 
und anderen Lufibarkeiten. Wir bes 
wohnten zufammen ein Zimmer und 
es fiel mir auf, dals er häufig in 
jpäter Naht nachhauſe kam. Einmal 
babe ich ihm etwas darüber gejagt, 
er antwortete, daſs weder feine Berufs— 
noch jeine Kindespflichten darunter 
Schaden litten, wie ich auch that» 
fählih nie eine Klage über ihn hörte 
und wie ich auch wuſste, dafs feine 
alten mühjeligen Eltern, die damals 
auf dem Lande lebten, in ihrem Jo— 
hannes den Ernährer und Beſchützer 
anbeteten. Alſo gieng es eine Weile 
und plöglic war das Verhängnis da.“ 

Seelader unterbrach ſich und trock— 
nete mit dem Tajchentuche jeine Stirn. 

Nah einer Weile jagte der Richter: 
„Nun, erzählen Sie weiter,” 

„Schon ſeit einiger Zeit Hatte ich 
bemerkt“, jo fuhr der junge Mann 
fort zu ſprechen, „daſs mein Freund 
Johannes einen Keinen, ſcharfgelade— 
nen Revolver bei ich trug. — Wozu 
denn jo etwas? fragte ich ihn einmal. 
— Man kann nicht wiflen, antwortete 
er, ob man nicht plößlich in die Lage 
kommt, feine Ehre zu retten. — Das 
war mir dunkel. 
Scherze geſprochen und dachte: er hat 
amtlih mit Geldfahen zu thun, es 
fann ja eine Waffe vorgefchrieben fein. 
Im ganzen gefiel mir aber an Jo— 
Hannes etwas nicht mehr fo recht, und 
ih konnte mir doch feine Rechenſchaft 
darüber geben, was eigentlich an ihm 
unangenehm, oder vielmehr unheimlich 
war. Bei Allen, die ihn kannten, ftand 
er im hoher Achtung und von Jeden, 
der mit ihm umgieng, ward er ge= 
ihägt als guter Kamerad, — Und 
nun fam diefe Nacht.“ 

„Wünſchen Sie vielleiht ein Glas 
Waſſer?“ unterbrach einer der Ad— 
juncten den Erzähler, weil dieſer er- 
regt zu fein fchien. 

„Ich weiß wohl, was ich thue“, 
fuhr Seelader fort. „Mit dem, was 
ih jetzt zu bekennen babe, vernichte 
ih mich. Und das will ich auch, da= 


Ich bielt «3 im | 


vum ftehe ich da. — Sie ſehen, ich 
bin nicht aufgeregt, bin meiner Sinne 
vollfommen mächtig und es wird fich 
feiht weijen, dajs jedes Wort, was 
ich ſpreche, richtig ift. So etwas merkt 
man ſich ganz genau, — E3 war in 
der Naht von elften zum zwölften 
Februar 1885. Johannes war wieder 
jpät nad Haufe gelommen und Schlief 
ſehr feſt. Ich ſchlief nicht jo feit und 
hörte es fogleih, wie jemand an 
unfere Thür Hopfte. Da es wiederholt 
pochte, jo ftand ich auf, nachzufehen, 
was es gäbe. Bor der Thür ftand der 
Hausherr in flüchtig übergeworfenem 
Mantel und theilte mir flüfternd mit, 
dafs erAuftrag habe, den Herrn Johannes 
Halljteiner zu wecken. Es jcheine etwas 
Bejonderes dran zu fein, im Vorſaal 
jet ein Gerichtsbeamter und auf der 
Treppe ftünden zwei Gendarmen, — 
Faſt zu Tode erfchraf ih umd dann 
dachte ih: Was erjchridft du denn? 
Ein Irrthum liegt vor, dem wollen 
wir glei aufklären. Doch als ic 
drangen mit dem Gerichtsbeamten re— 
dete und den Verhaftäbefehl ſah, gab's 
feine Ausflucht mehr und ich machte 
mich erbötig, den Gejuchten zu weden 
und vorzubereiten, ohne dafs mir auch 
nur eine Ahnung dämmterte, um was 
es ſich handeln könne. Ihn im Schlafe 
überfallen, das würden ſie doch nicht 
wollen. Als der Beamte vom Haus— 
herrn ſich die Verſicherung geben ließ, 
daſs die Fenſter unſeres Zimmers ver— 
gittert wären und auch ſonſt eine 
Möglichkeit des Entkommens nicht 
denkbar ſei, durfte ich ins Zimmer 
zurückreten. Die Thüre hinter mir 
legte ich ins Schloſs, zündete Licht an 
und weckte den Freund. — Johannes, 
ſage ich, du ſollſt aufſtehen, es fragt 
jemand nach dir. Er war ſonſt keiner 
von denen, die ſich ſchnell aus dem 
Schlafe aufzuraffen vermögen, aber 
jetzt ſchießt er empor und wie ich ihm 
die Art des nächtlichen Beſuches au— 
deute, wird er todtenblaſs. — Jo— 
hannes, um des Himmelswillen, was 
iſt das? frage ich. — Du ſiehſt es 





27 


ja, antwortet er ganz heifer. Hierauf kannſt nicht, Johannes, du bift ehr» 
ſtürzt er in den Wintel hinter meinen | los, verflucht, verloren! Wette dich! 
Schrank, reißt etwas aus der Tasche] Nur einen Funken Wille, nur einen 
feines Rodes, kauert fich nieder, wim= | Funken! Schliege die Augen, denke 
mert, wehrt mit einer Hand mich, nichts, denke es ift ein Traum, drüde 
den Hinzueilenden, ab und fchleudert;los! Du mujst, Johannes, du 
endlich den Revolver von fi. Ich hebeſmuſst! — Ih kann nicht! ftöhnt 
die Waffe auf und fage heftig: Was er. O Gott, ich kann nicht, ich kann 
daft du getan? — Er fällt mir um nicht! — Draußen machen fie bereits 
den Hals: Hilf mir, Freund, es iſt Anftalt, die Thür einzubrechen. Mein 
alles aus. Schulden, Spielfchulden. | einziger, mein liebſter Menſch! flehe 
Meine Ehre! Die Ehre musste ich lich, bei allem, was uns heilig war 
retten. Geld unterfchlagen. — Ohn- auf diefer Welt, laſs dich nicht fort- 
mächtig muſs ich geworden fein im| treiben wie einen gemeinen Dieb. 
demjelben Augenblide, denn als ich Mach’ ein Ende! Ich zwinge dich! — 
mich finde, ift er angezogen und macht! Er will den Revolver auf den Boden 
fich bereit. Un der Thür pocht e3 uns; fallen laſſen, ich drüde ihm zurüd 
geduldig. — Noch einen Augenblid,| in feine Hand, will die Mündung 
bitte ich! ft mein Ruf, dann zum|gegen ihn wenden, feinen Finger 
Freunde: Johannes, Fo gehft du nicht) frümmen auf den Hahn — wir 
fort. In diefer Begleitung nicht! —|ringen, die Thür Fracht unter dem 
Dann rette mich, fagt er und blidt) Zwängeifen. Wir ringen heiß, da 
hilfefuchend um ſich. — Du Haft in; knallt der Schuſs und Johannes finkt 
deinem Amte Geld veruntreut? ſage zu Boden. — Die Ehre ift gerettet! 
ih und es focht in mir, wild, raſend Ich habe mein Wort gehalten! das ift 
wild ein unbefchreibliher Aufruhr, da, | mein Gedanke, denn ich — ich Habe 
das ift deine Rettung! und drüde) losgedrüdt! Ich Habe ihn erjchoflen. 
ihn den Revolver in die Hand. Er Die Kugel drang unter dem Stiefer 
ſchaudert zurüd und lacht Hohl auf:| hinein nahe an der Narbe, die er bei 
das Habe ih ja auch fo gemeint.) jenem Duell meinettwegen davonges 
Seit einem Jahr trage ih ihn bei mir tragen. Kaum es gejchehen ift, ftürzen 
in der Taſche. Wenn's zum äußerften | fie zur zertrümmerten Thür herein, — 
fommt, einen Fingerdruck. Und jetzt, Zu fpät, fage ich, er Hat fi er- 
jeßt fehlt mir der Muth! OH, zer: ſchoſſen! Ich Habe vergebens mit ihm 
tritt mich, die feige Beftie, fpeie mich | gerungen um den Revolver, — Dann 
an! Auf den Schufs Habe ich gerechnet, ! haben fie ihn in die Todtenfammer 
für den jchlimmften Fall, mitten im} getragen, — Und ich, wie ich allein 
Luft und Freuden Habe ich auf den bin und vor mie die Blutlache ſehe, 
Schufs gerechnet, und jeht fehlt mir da jchreit es plößlih in mir: Was 
dazu der Muth! Haft du ein folches | haft du gethan ? der Ehre wegen ein 
Scheujal Schon gejehen? — Als er jo | Mörder, ein Lügner geworden! Welcher 
ruft, mir geht’3 durch Mark und Bein.) Ehre wegen! Sage, verdammter Wicht, 
Schred, Zorn, Mitleid gräbt in mir. was entehrt denn? Entehrt das 
Ich preſſe feine Fauſt zuſammen, dafs | Stehlen amdertrauter Gelder, oder 
ihm die Waffe nicht entfallen kann. | entehrt erjt der Gendarn? Nicht was 
Bebend an allen Gliedern, jchluchzend |; dein Gewiſſen jagt, iſt die Haupt— 
bitte ich ihr: Freund, geliebter, ein= | jache, jondern was die Leute jagen! 
ziger Freund, verlafle dich jelber nicht Bon folcher Art ift die «Ehre», der du 
zu diefer Stunde. Sühne deine Schuld, | bisher alles geopfert haft, deine Zeit, 
reite deine Ehre, ich beichwöre dich! dein Studium, deine Begeilterung, 
du kannſt nicht mehr weiterleben, du! deinen Freund, deine Seele. — Alſo 


— — — — — — — — — — — — ——— — — —— 








28 


rief es in mir, aber diefer Ehrbegriff, 
diefer verfluchte Ehrgeiz war noch 
nicht todt in mir, er rang mit meinem 
Gewiflen, wie ich vorher mit dem 
Freunde gerungen. Du mufst dich ala 
feinen Mörder nennen und deine Strafe 
leiden, mahnte das Gewiſſen. — O 
Schande! Schande! rief der Ehrgeiz, 
ein Meuchelmörder, ein Lügner, ein 
Schurke zu ſein! — Höllifche Beinen 
litt ich im jenen Tagen. Dann ward 
mein Freund von Profeſſoren zer— 
ichnitten, dafs fie die Urfache feiner That 
fünden. In einer Anwandlung von 
Geiftesverwirrung, fagten fie. Damm 
ward mein Freund Hinausgetragen 
hinter das Lazareth und unter der 
Mauer eingefcharrt. Als ich feine 
alten, nun ganz verlaffenen Eltern ſah, 
und wie die Mutter an feiner Grube 
ohnmädtig zufammenfant und fein 
Bater au der Krüde und mit fehnees 
weißem Haar faſt ftumpffinnig auf 
den Sarg ftarrte, da wufste ich, was 
zu thun war. Ein Ausgleich wurde 
geſchloſſen zwifchen meinem Ehr— 
begriff und meinem Gewifjen. Zur 
Stunde fajste ich den Entſchluſs, mich 
nicht anzuzeigen, jondern mein Leben 
und Streben Denen zu widmen, 
melden ich den einzigen Sohn geraubt 
habe. Und erft wenn fie geftorben fein 
werden und meiner nicht mehr be= 
dürfen, danı will ich hingehen und 
mich dem Gerichte Stellen. Alfo ſchwur 
ih es und das auszuführen war nun 
meine Ehrenſache. Es war das eine 
andere Ehre und ein anderer Ehrgeiz, 
mein Gewiſſen war damit einveritans 
den, Mein kleines Vermögen war er- 
ſchöpft, den fetten Reſt ſchickte ich den 
Eltern meines Freundes. Ohne mein 
Studium vollendet zu haben, trachtete 
ih nach einer Stellung, um Brot zu 
erwerben. Endlich befam ich die 
Schreiberftelle hier bein Kreisgerichts— 
anıte, und da ich nebenbei in freien 
Stunden jüngeren Schülern Un— 
terricht gab, jo ward es mir möglich, 
außer für meine perjönlichen Be— 
dürfniffe, die ja nicht groß find, für 


das Oreifenpaar zu forgen. Unerträglich 
war ed mir, wenn ich gelobt wurde 
deswegen, daſs meine Treue zum une 
glüdlihen freunde jo groß wäre. Es 
war, al3 ob man einen am Galgen 
Baumelnden lobte, daſs er es jo hoch 
gebracht habe. — Seine Eltern jelbit 
lebten ſtumpfſinnig und freudlos dahin 
und nahmen das, was ich ihmen geben 
fonnte, wie der Bettler ein Almoſen 
nimmt, als das, was es ja au ift, 
als etwas Selbftverftändliches. Mein 
Gewiſſen war nie zur Ruhe gefommen 
und nur wenn ich darbte, um den 
alten Leuten umſo mehr jchiden zu 
fönnen, wurde es für den Augenblid 
milder geſtimmt. Zroft gab mir der 
Himmel auch an guten Menfchen, die 
er mich finden ließ ud e& waren Ans 
zeichen vorhanden, dafs ich einmal 
glüdlich, ſehr glüdlich werden könnte, 
Aber ih durfte das Glüd nicht an— 
nehmen. Es war Ehrenjache, ich durfte 
es nicht annehmen. Sp unausftehlic, 
jo Häjslih war ich mir geworden, 
daſs ich willig die Buße trug, um 
mich mit mir zu berföhnen, um mich 
einst jelbft wieder achten zu können. 
Nah Fremder Achtung, nad fremder 
Leute Meinung über mich hörte ich 
nicht mehr aus, für ſolche Ehre bin 
ih unempfindlich” geworden, — Das 
alles fage ich zu meiner Vertheidigung, 
damit man jehe, wie es mir ernit 
war, — Nun ſind die zwei alten 
Leute geftorben. Ich habe feine Ver— 
pflichtung mehr. Und nun ift e8 an 
der Zeit, meine That einzubelennen und 
mich dem Urtheile der Gerechtigkeit zu 
übergeben.” 

Mar Seelader ſchwieg. 

Die Richter blidten einander an. 
Ein folcher Fall war ihnen noch nicht 
vorgelommen. Zum Glüde brauchten 
jie darüber nicht abzuurtheilen. Feucht 
waren des alten Kreisrichters Augen, 
als er aufitand, dem jungen, jebt auf 
jeinem Plate ſchier zuſammengeknickten 
Menihen die Hand auf die Achjel 
legte und ſprach: „Haben Sie nod) 
etwas zu beftellen, fo thun Sie es. Ich 


= 29 


will dann mit Ihnen zum Landes= alle haben müſſen, wenn wir ftarl« 
gerichte fahren. Ihre Gefchichte ge= |müthig fein und im Herzen Frieden 
hört vor die Geſchworenen.“ haben wollen. 

Alfo Hatte Einer aus miſsverſtan— Uber Mar Seelader findet dem— 
dener Ehrbegier feine Ehre verloren nächſt im Landesgerichte die Haupt» 
und alſo rang er heiß, um durd |verhandlung ftatt. Lieber Leſer, ſollteſt 
Buße und Aufopferung die wahre | du dabei einer der Geſchworenen jein -— 
Menjchenehre zu gewinnen, die wir welches Urtheil würdeſt du fällen ? 


* Mein Ehrgeiz. 
®: Ehr’ ift jenes Gut, \ Der äußeren bunten Zier, 


w Das mir am hödften frommt, — Dod fonft au nicht viel mehr. 
8 Doch nicht die flüchtige Ehr', Wenn einſt ich ſterben muſs, 
Die nur von außen lommt. Soll keine Trauerſchar 
Ein großer Dichter, traun, Von Gleisnern folgen mir 
Das hört ſich ſüß und fein, Zu meiner ſtillen Bahr. 
Doch höher ftünd’ mein Stolz: Nicht Nekrolog, nit Stein, 
Ein großer Menſch zu fein. D Gott, man fennt die Weis, 
Die Ehre, flach gemalzt Eie ehren Todte bloß 


Hin über Länder weit, 
Iſt nichts glei eines Menſchen 


Zu ihrem eigenen Preis. — 
Nur Eines wollt’ id, dajs 





Tiefer Dankbarleit. ‘Ein Braver jagen kann 
Wer nur um Ehre jchafft, An meinem jhlidhten Grab: 
Der ift zwar wert der Ehr', ‚Er war ein braver Mann. 


P. R. Rofegger. 


Briefe von Pudwig Anzengruber 


an den Herausgeber des „Heimgarten“. 


R. In den achtzehn Jahren ums welche die Discretion freigibt und die 
ſerer freumdfchaftlichen Beziehungen | für den Verfaſſer in irgend einer 
zu einander hat der große Dramatifer, Weiſe charakteriſtiſch find. 
den vor Jahresfriit uns der Tod ges | Es wird auffallen, wie heiter und 
nommen, mir an 150 Briefe geſchrie- übermüthig die eriteren Briefe find und 
ben. Don diefen Briefen joll hier wie ernft die leßteren. So war es 
ein Theil veröffentlicht werden, und mit dem ganzen Menſchen: im den 
zwar eine Auswahl folder Schreiben, |erften Jahren jeiner Erfolge voller 


30 
Humor und Bummelwigigfeit, dann | ertheilen mir da einen legalen Paſſier— 
nach herben Erlebniffen, bitteren Ent= |fchein für alle Gharaftere meines 
täufhungen ein allmähliches Zurück- Stüdes und fchiden mir ihm auf 
ziehen im fich ſelbſt; er kehrte ſich ab die liebenswürdigfte Weile ſogar ins 
von aller Welt, wurde verichloffener | Haus, Laffen mich dabei in Ihr offenes 
fogar gegen feine Freunde; immer Herz mit dem ganzen, vollen Puls— 
feltener, aber dann um jo lebhafter, ſchlag für das Volk und die heilige 
fam fein tiefes, treues Gemüth zum Sache der Humanität blicken .. . .. 
Ausdrude. und fprehen dann zum Schlufle vom 
Die meiften diefer Briefe werden | „kühnen VBordrängen, freundlicher Nach— 
ohne weitere Erklärungen einem grö= ſicht und gelegentlih paar Zeilen 
beren Kreiſe verftändlich fein. Briefe) ſchreiben“ — gehen Ste mir doc! 
oder Stellen, die mur Privates behan= | nd Hätte ich Kopf und Hände 
def, oder zu freimüthig noch lebende | noch zehnmal mehr von Arbeit voll, 
Perſonen oder Zuftände ftreifen, find als es der Fall ift, das mufsten Sie 
weggelaffen. Ja feldft jolche in diefen doch willen, dafs mir mit Ihrem 
Blättern abzudruden, welche ſich oft) Schreiben die Feder in die Hand ge— 
wohl zu fchmeichelfaft mit meinen | zwungen wird, oder glauben Sie 
eigenen Leiftungen befaſſen, durfte ich | denn, ich ſei ſolch ein Philifter, dafs 
mir nicht erlauben. Hingegen flehei mein Puls nicht Hüpfender, meine 
ih nicht an, die wohlwollend charafz | Gedanken nicht Fprühender werden, 
terifierenden und tadelnden Ausſprüche wenn eine freie, frohe Seele, glei 
wiederzugeben, zu denen manches mei- der meinen, mir jagt: „Sch nehm’ 
ner Bücher ihn veranlajst hat. Die; dein ehrlih Wollen für ein ganzes, 
Bezeihnung: Briefevon Ludwig Anzenz | volles Können, denn wir verftehen 
gruber „an den Herausgeber des uns?!“ — O nein, mein Derr, da 
Heimgarten“ ift nur imfoferne nicht | mag der Teufel, bekanntlich der Gott 
ganz zutreffend, als die Correfpondenz | der Philifter, das Maul Halten, ich 
Schon im Jahre 1871, der Empfänger | aber grüße Sie, Herzens= und Zeit: 
feiner Briefe aber erft von 1876 an genoije! 
Herausgeber des „Heimgarten“ gewore : u 
den if. Nach diejer nebenfächlichen Be⸗ — — —— 
merkung möge der bedeutende Geiſt 
und prächtige Menſch gleichſam im 
Schlafrocke, darum aber nicht minder 
interefjant und adhtunggebietend vor 
uns treten. 


Da haben Sie paar Zeilen und 
nehmen Sie nur freundlich zur Er— 
innerung mit in Empfang, was ic) 
Ihnen mitzufhiden mir erlaubte, 
erftens: das allerdings uoch nicht 
gedrudte und verlegte Buch, jondern 
blos als Bühnenmanufeript vorhan— 
dene Wert „Der Pfarrer von Kirche 
feld“, und zweitens meine Photographie. 
Und wenn e3 fein unbejcheidenes Vor— 
drängen ift, jo machen Sie mir wohl 
die Freude und ſenden mir gelegentlich 
eitlen Menſchen und Schriftjieller, \auch ein paar Zeilen und Ihre Photo- 
ohnedies jchon zu viel gelobt, durch graphie dazu?! Sie fehen, ich bin jo 
Ihr Lob noch eitler machen! Und wie | bejcheiden wie Sie, o id kann das 
binterliftig Sie das anftellen! Sie thun auch, nur verlange ich gleich etwas 
gar nicht, al3 wären Sie der B. K. dafür, Sie wären mit einer einfachen 
Rojegger, unfere Specialität für Volks- Auskunft zufrieden gewefen, ich will 
haraktere des deutſchen Dochlandes, Sie! Sie dazu, wenigitens im Gonterfei! 


Wien, den 11. Februar 1871. 


Werther Herr! 


Das haben Sie recht ſchlau gemacht 
und ich follte Ihnen darum nicht vecht 
trauen! Wie mögen Sie nur einen 


— ee — —— —— ——— ———— 


—— 


1 


Das thut mie recht leid, dafs Sie 
in Mien mich nicht gefunden Haben. 
Eo will ich's Ihnen denn hier jagen; 
was ich Ihnen auch gejagt hätte, 
wenn ich Sie geiprochen hätte. Ahnen 
Sie e3 wohl, wie zagend ih auf 
mein fertiges Stüd die Charafteris 
fierung „Volksſtück“ ſetzte? Und doc ! 

Wenn wir, die wir uns empors 
gerungen aus eigener Kraft über die 
Maite, Heraus aus dem Wolf, das 
doh all unjere Empfindungen und 
unser Denlen großgeſäugt hat, wenn 
wir, fage ich, zurädbliden auf den 
Weg, den wir mühvoll fteilauf ge— 
flettert in die freiere Luft, zurüd auf 
alle die taufend Zurüdgebliebenen, da 
erfafst uns eine Wehmuth, denn wir, 
wir willen zu gut, im all diefen 
Herzen fchlummert, wenn auch unbes 
wujst, derjelbe Hang zum Licht umd 
zur Freiheit, diejelbe Kletterluſt, und 
diejelben, wenn auch ungelenfen Kräfte, 
und jo oft wir bei einer Wegkrünmmung 
das Thal zu Gejicht kriegen, jo thun 
wir, wie und eben ums Gerz ilt, 
Inftig hinabjuchzen. Kimmt rauf, do 
geht da Weg! oder weinend zuwinken 
— o mie oft unverjtanden! das war 
auch meine Furcht, aber fiehe da — 
plötzlich wimmelt's auf meinem Weg 
herauf vom Thal, ich ſeh' mich ganz 
verftanden, jeh’ mich eingeholt, um— 
rungen und fteh’ dem Volke gegenüber, 
gehätjchelt wie ein Kind oder ein 
Narr — die befauntlih die Wahrheit 
fagen. Gott erhalte uns das Bolt fo, 
wir wollen gerne feine Kinder fein 
und jeine Narren bleiben. 

Erhalten Sie mir Ihre freund 
Ihaftlihe Gefinnung, der Ihre 


2. Anzengruber. 


Wien, den 1. März 1871. 


Werther Herr! 

Eine Dicht-Ausſchnaufungs-Pauſe 
benüße ih dazu, Ihnen meinen Dant 
für Ihren freundlichen lebten Brief 
auszusprechen. Jedoch Haben Sie es 


in demjelben wie jene kluge Sultanin 
in „1001 Naht“ gemaht und da 
abgebrodhen, wo es am ſpannendſten 
wird. Sie jagen, der „Pfarrer“ Habe 
Ihnen Sorge, Herzleid und fchlaflofe 
Nächte gemacht! 

Sie hätten mir beinahe auch eine 
jolche bereitet, ich fuchte nach in meines 
Bufens Tiefen, was da für eine Ahn— 
lichkeit mit jenen finfteren Mächten 
des Dafeins ſchlummern möge, die 
den Menſchen Sorge, Herzleid und 
ſchlafloſe Nächte bereiten fünnen, was 
mich in Eine Linie Hellen könnte mit 
Tyrannen, ſchwarzem Kaffee „z'nächt— 
lings“ unangenehm regſamen Inſecten— 
volk!! Wie geſagt, Sie haben mir viel 
Kopfzerbrehen gemacht! 

Spass beifeite, ih bin ſehr be— 
gierig, wie Sie mir dieſes Räthſel 
löfen werden, uud da bitte ih Sie 
denn, ſich ganz auszufprehen, damit 
ih Sie ganz verftehe, und ich glaube 
wir können uns verftehen, unfere 
Wurzeln haften in Einem Boden, 
mitten im Bolt! Und was mir ges 
worden find, beide in unſerer eigenen 
Art, wir wurden es aus eigener Kraft. 

Sie haben mir ja verjprocdhen, mir 
das feinerzeit zu erzählen, ich erwarte 
das und ich will Ihnen dann gewiſs 
auch wieder antworten, damit Sie fehen, 
dafs ich Sie verftanden habe. 

Für heute verbleibe ich denn auch 
mit treuem Gruße Ihr 


2. Anzengruber. 


P. 8. Ich habe ein älteres Drama 
von mir nah Graz gefchidt, es heißt 
„Der Verſuchte“, follten Sie davon 
zu hören befommen, jo denken Sie 
einitweilen davon das Beſte! 


Wien, den 12. Mat 1871. 


Mertefter Freund! 


Nun zur Ruhe gelommen nad 
aufregenden Tagen, grüße ih Sie 
von meinen Daheim und danke Ahnen 
für die freumdlichen Stunden, die Sie 
mir in Graz bereitet haben, ferner 


auch Für die, die Sie mir bier in 
Wien durch Ihr Buch bereiten noch 
zur Stunde. 

Der Schreiber diefer Zeilen — 
nämlich diefer (beigelegten) ZTagblatt- 
zeilen, F. Schlögl, ein geachteter Jour— 
nalift und im Umgange jehr liebenswür— 
diger Menjch, ift ein Verehrer ſowohl 
meiner als Ihrer Mufe und hat gelegent— 
lich unferer legten Zuſammenkunft den 
Wunſch geäußert, Sie kennen zu lernen, 
falls Sie nah Wien kämen, — der 
Mann ſchätzt Sie wirklich hoch und 
ſchon mir wäre es höchſt angenehm, 
Sie wenigſtens einen Abend in Wien 
wieder zu ſehen. Ferner haben wir 
bier einen Alpenſteiger, Schum glaub 
ih nennt er ſich, ein Naturinenjch, 
der Sie ebenfalld hochſchätzt, und der 
Ihnen aus lauter Verehrung ich glaube 
jein Bett — weiß nicht mit oder 
ohne feine Beilage — abtreten will; 
— verabjäumen Sie e3 nicht, dieſe 
Männer zu jehen, denn wie e3 dem 
Dichter wohlthut, anerfanıt zu fein, | 
fo ift es dem Lejer ein Bergmügen, | 


wenn Sie Wien berühren, damit ich 
alle, die ſich für Sie intereffieren, 
rechtzeitig davon verftändigen kann 
— dieſes mein Auftrag ! 

Um auf Ihr Werk wieder zurück— 
zufommen, Ihr Buch ift gut 
aber Sie find beſſer — in Ihnen 
ftedt noch mehr, viel mehr, das muſs 
heraus — und darum werde ich Sie 
von Zeit zu Zeit ärgern — — hr 
mögt dad Gleihe an mir thun. 

Sie jehen, was das für ein Mords— 
brief geworden iſt, ich mufs ſchließen, 
ſonſt müjste ich vielleicht einen welt» 
bewegenden Gedanken wegen Mangel 
an Raum kurz in der Mitten ab» 
brechen. 


Ihr Verehrer und getreuer auf— 
richtiger Freund 


2. Anzengruber. 


Wien, den 20. September 1871. 


Mertefter Freund! 
Umſonſt babe ich gewartet und 


mit dem Dichter perfönlich zu ver- gewartet auf Ihr „baldigit” verjpro= 


fehren, und Sie können es ja leicht 
thun, Sie enttäufchen niemand, denn 
Ihre Erfcheinung it von jo liebens- 
würdiger Einfachheit, wie Ihre Werke. 

Es iſt auch wegen der Nachwelt, 
denn ein Freund arbeitet oder bereitet 
wenigftens ſchon ebenjowohl für den 
rühmlichen Bergfrarler Schum, ſowie 
für meine Wenigleit die Nefrologe 
vor, im meinen kommt hinein, daſs 
ih 3. B. Wurft mie ſchäle, fondern 
mit der Haut efje, dajs ih noch nad) 
Mitternacht Anfechtungen der Eitel- 
feit erliege und Glacéhandſchuhe an— 
ziehe. 

„Sonſt ein ſehr lieber Menſch!“ 

Ich freue mich ſchon ordentlich 
darauf, all dieſes als Abgeſchiedener 
zu leſen. 

Alſo Sie werden von dem Nutzen 
für Zeit und Ewigkeit, den Ihnen 
der Beſuch dieſer Geſellſchaft bringt, 
überzeugt ſein und ich hoffe Sie werden 
mich alſo in die Kenntnis bringen, 


denes Schreiben, in banger Sorge 
war ich ſchon, was etwa Ihnen oder 
Is Ihnen geichehen fein könnte — 
da begibt ſich Freund Sclögl auf 
Entdeckungsreiſen und fiehe da, Sie 
ſitzen wohlbehalten in Graz; ruhig 
bauend und vertrauend Habe ich zu— 
gewartet, hätte ich gewufst, wo Sie 
wären, ich hätte Sie wenigitens mahnen 
fönnen, aber konnte ich denn an eine 
jolde haarſträubende Pflichtvergeſſen— 
heit, an eine ſolche immenſe Wort— 
brüchigkeit denken!? Nein, meine reine 
Seele ſchaudert zurück vor den Brand— 
mälern der Ihrigen. Ich habe nur 
feine Seufzer. So jung und ſchon 
ſo verderbt! Schlögl kann Ihnen ge— 
wiſs nicht das „Winden des Jungfern— 
kranzes“ in der „Hebmutter“ verzeihen, 
‚es iſt cyniſche Verſündigung am höch— 
ſten Gut der Frauen, — und ich 
werde Ihnen nie verzeihen können, 
daſs Sie, wie Liebe, ſo auch Freund— 
ſchaft geringſchätzend behandeln 








3 


Herr, Sie find aller Gefühle, die die 
Menſchenbruſt in ihrer Action er- 
weitern und zufanımenziehen (beſon— 
ders das leßtere bei der „Liebe“) — 
aller diejer Gefühle find Sie bar. 
— Sie find ein Troglodpte, den nur 
die Athmungsnothwendigkeit nach den 
Bergen treibt, während ich, die hei— 
teren Bergeshöhen ſelbſt im Buſen 
tragend, ruhig ſtubenhocken kann, o, 
mehr noch — — eigentlich genug. 
Was helfen alle Worte, Sie ſtreichen 
Schlögl zuliebe nicht die Stelle aus 
der „Hebmutter“ und Sie haben mir 
feinen Brief geſchrieben, Sie ſind 
nicht zu rühren, Sie find Hart wie 
Ihre Felfen und au hnen gleitet 
moraliihe Entrüftung, fo wie ges 
fräntter Freundfchaft Vorwurf ab wie 
der Fuß an den tannennadelbefäeten 
Boden Ihrer Wälder — So ziehe 
denn Hin, Ungeheuer, und erwache 
im Lande der Ideale, umgejchaffen 
zu einem lieblihen Prinzen. 





3 


noch vorkommt und führt vor meinem 
geiftigen Auge eine Komödie auf, tie 
diejelbe in derlei Natur und Naturen 
ih abjpielen mag — ſie ſpielt zwar 
im bairiſchen Hochlande, iſt jedoch im 
Dialekte allgemein verftändlich gehalten, 
wie auch der Stoff ein alle diefe Ge: 
müther anregender if, — 


Das andere alles, Zitel x. iſt 
noch Geheimnis. — 


Sie jehen, ich Hettere im meiner 
Stube auf die Berge, ich ſchlage die 
Blätter, die Tagebuchblätter meines 
Herzens nah, und da tauchen fie auf, 
die Geitalten die Euch in den 
Bergen, auf den Gehöften, bei ein— 
jamen Weilern u, j. w. begegneı. 


Wertefter! Hier Haben Sie johin 
ein ſehr Fchlecht gefchriebenes Epiitel 
— entziffern Sie es und ſchreiben 
Sie wieder ein paar Zeilen, fo werden 
Sie mich jehr erfreuen — id ver- 


zeihe ſodann, — ſchreiben Sie aber 


Jedoch da ich höre, daſs Sie nach nicht, ſo fürchten Sie (leſen Sie den 


Neapel ziehen, ſo erſuche ich Sie Anfang des Briefes, damit etwas 
dennoch, ſchon aus chriſtlichem Bieder- | Furcht in Sie hineinfährt) meinen 
finn, ſich das Sprichwort: Neapel Groll. So lange alfo, bis dahin grofle 


jehben und dann fierben! 
Herzen zu nehmen und hübjch leben 
zu bleiben — ich könnte den Gedanken 
nicht ertragen, wenn Sie fo Hinführen 
in Ihren Sünden, deren wahrſcheinlich 
eine ſchreckliche Anzahl ſich noch auf 
Ihrer warmen Reife zu den übrigen 
gejellen wird. | 

Sie haben Schlögl einen Brief 
geichrieben, den er mich Hat leſen 
laffen, worin Sie Nr. 1 auf die 
Schneebergpartie hinweiſen, die 
hätte arrangiert werden jollen — Wer 
hat Sie angeregt? — Ih nid. 

Nr. 2 beinzichten Sie mich der 
Stubenhoderei — gut aber wo 
fol man denn Hoden, wenn man 
ſchreibt — ? 

Gegenwärtig liegt vor meinen 
Augen Gebirgsland und vor mir be= 
wegt ſich der alpinifche Menichenichlag, 
— pie er in Tirol, Steiermark, Bai— 
ern und wie er auch in Oberöfterreich 





— 


Rofenaer’s .Getimgatten““, l. Heft. XV. 


nicht zu | 
|ditto) 


ih nicht und bin noch dermalen Sie 
herzlichſt grüßend (von meiner Mutter 
Ihr aufrichtiger Freund 


L. Anzengruber. 


Wien, den 26. September 1871. 


Allerwerteſter! 


Hahaha! Iſt das ein luſtiges 
Schreiben, das ich heute von Ihnen er— 
hatten habe! — die erſten 2 Seiten reine 
Satans (FrT) Sophilterei; — hätte 
mir nicht Die augenblidliche Entrüftung, 
um mir nur Luft zu machen und die 
Erbarmnis mit Ihrer gejunfeniten 
Gefuntenheit, diefe Zeilen, die ich hier 
niederjchreibe, Herausgeprejst — wer 
weiß, ob ich je die Feder angeſetzt, 
Ihnen auf die greulichen Unbilden zu 
antworten, die Sie auf meine engel: 
reine Seele überwälzen wollen! 


* 


Herrrr! Mie können Sie denn 
reden vom Bruders: Splitter, da Sie 
Ihren 6—6° Balken, Ihren Augen— 
Tram- und Dippelboden ruhig mit 
fremden Fehlern (vide Splitter) ſtuk— 
fatoren wollen ?! Herrrrrr! Wie können 
Sie es wagen, mir — der, wie Sie 
doch willen, ein Bauer tft und nur 
für ſolche Perfonen ſich interejliert, 
die ſich alfo naturmenjchlich geben, — 
wie können Sie mir von den Aufor— 
derungen des „Bon-Ton“ reden ?! 

Heiliger Chrifoftomus, erbarıne dich 
feiner! 

Übrigens fühle ich mich in etwas 
milder geftimmt, Ddieweilen Sie jo 
raſch geantwortet, und ich will 
nich alfo mit Ihnen in ein Geſpräch 
mit geichriebenen Worten einlaſſen, 
bei welchem ich wenigitens das Bene 
babe, daſs ich ohne Abwehr von Zeit 
zu Zeit einen Lichtitrahl der Gnade 
in Ihre ftodrabennachtfinjtere Bruſt 
binabbligen laffen kann, durch welche 
Bligerei der höflifche Feind (FFF), der 
in Selber bereits fJichtbarlich feinen 
Sit aufgefchlagen Hat, gezwungen 
wird zu blinzeln und ich dann wenig— 
tens von Ihrem Schönheitsſinn er: 
warten kann, dafs Sie den „Ichean= 
Haten Teixl“ hinausjagen werden. 

Hier haben Sie 2 Seiten, für 
die 2 Ihres Briefes, die mir mit 
Ballen, Splitiern und Steinen ent— 
gegentraten, wie demolierende Bau— 
arbeiter, diefe 2 Seiten war ich meiner 
Ehre ſchuldig — „es war ein heroiſcher 
Wahnſinn“ wirde General Trochu 
fagen, denn Paris war nicht zu retten 





Ih hätte was darıım gegeben, Sie 
in Krieglach als „Wurzelfepp“ gejehen 
zu haben — weniger interefjierte mich 
der lungenſüchtige, doppelbrüchige 
Wurzel-Joſef, obwohl derſelbe als 
mediciniſches Curioſum Beachtung, 


und als armer Elender Mitleid ver— 


dient. 

Sie beklagen ſich, daſs ich Ihnen 
fein 2te3 Exemplar des „Pfarrers“ ge— 
ſchenkt, — Undankbarer, der Sie ſchon 
in dieſer Anklage eingeſtehen, daſs ich 
Ihnen überhaupt Eines geſchenkt, 
während ich jetzt (hören Sie) nicht 
Eines für Freund Schlögl, ja ſelbſt 
kein einziges Exemplar für mich habe 
— und Ungerechter, wiſſen Sie, daſs 
ich trotzdem an Sie denke?! Nächſtens 
erſcheint mein „Pfarrer“ in Druck (Sie 
werden in der Vorrede auch erwähnt 
und auch das Lied abgedruckt — haben 
Sie was dagegen? So bitte ich tele— 
graphiſch einzufchreiten!) Dieſen alſo 
bald erſcheinenden, in urſprünglicher 
Geſtalt hergeftellten „Pfarrer“ Habe ich 
Ihnen Schon zugedadt ! 

Was Sie aber von der Verleugnung 
des Titel3 meiner neuen Komödie jagen, 
haha — Sie Schlauer, Ihnen werde 
ich's jagen, daſs Sie mir die Komödie 
gleich vorweg ſchnappen, wie Sie e3 
ja gewollt haben beim „Pfarrer“, was 
aber der Herr in jeiner unerforſchlichen 
Weisheit verhütet Hat, ſo daſs ich der 
Gerechte jiegte. Ihnen vertrauen! ich 


bin nur frob, dafs Sie vom „Mein- 


eidbauer“ fo wenig wien; — ben 
Titel hätte ich Ihnen ſchon nicht fagen 


ſollen, dafür habe ich mich bei der 
dritten Komödie vorgejehen, juftament, 


und Sie find nicht zu beifern ? derraihe ich Ihnen den Titel, — 

Jh Freue mich aber vecht Fehr |machens aus dem was — die Ge— 
auf Ihre Novitäten und verjpreche schichte Heißt „Der gelbe Hof“*) 
Ihnen ferner, daſs ich Ihnen, da der) — hahaha willen Sie jebt was?! 
„Meineidbauer“ von mir im Druck Sie jehen, das Papier geht zu 
gelegt wird, vielleicht no dor Aus= Ende — ich mufs Schließen, jedoch 
führung, jedenfalls aber jeinerzeit ein erſuche ich Sie, ſchreiben Sie bald 
Exemplar einjenden werde. wieder, — damit mein Zorn, meine 

Mir müflen einander leſen! ch |beleidigte Freundſchaft ꝛc. 2c. wicht 
freue mich ferner, dafs Sie nad Wien | 
fommen werden, — aber auf wie lange? | 





*) „Die Kreuzelſchreiber“. Die Red, 


7 


39 


jo lange ſchweigen müſſen -— und da= 
mit es mir duch fortgeſetzte Bekeh— 
rungsverjuche gelingen möge, Sie auf 
den rechten Weg zu bringen. 

mir ein rechtes Anfehen das!“ 


Für diesmal mit herzlihem Gruß 
(auch von meiner Mama). 


Ihr Freund 2. Gruber 


Dramatiider Bauernkerl. 


1 


geſündigt — aber umzubriugen war 
er nicht. 
Ich ſagte es oben, und ich würde 


„Gäbe Ihnen zu tiefſt dafür» danken, wenn 


dafür zu danken wäre, die höchſte 
Freude macht es mir, mich von Ihnen 
verftanden zu ſehen. 


Ich habe den Schmerz erlebt, 
mich von einem Manne, den wir 


beide ſchätzen, nicht verſtanden 
zu ſehen. — Sie errathen, daſs ich 
von * rede! Ih Habe ihm das Stüd 


zum Lefen gegeben und er ift nicht 


Wien, den 23. November 1871. 


Gütiger Freund! 


Ihr letztes Schreiben mit Ihrem 
jo überaus wohlwollenden Urtheil über 
den „Meineidbauer“ Hat mich tief! 
erfreut — es ift ein Glüd für den 
Schriftfteller, von einem neidlofen, | 
der Sade jo um ihrer ſelbſt willen | 
hingegebenen Collegen erinuntert zu! 
werden, ein größeres Glüd jedoch, 
wenn diefer Goflege bei aller freunds | 
ſchaftlicher Barteilichkeit, die man feiner 
Liebenswürdigfeit zutranen mufs, jo 
ohne Falſch, jo voll Geradheit iſt, 
wie Sie, daſs er in gegentheiliger 
Anſchauung gewiſs nicht ſchmeicheln 
würde, — Ihr Uriheil gilt mir viel, 
die Competenz über derlei Lebensver— 
hältniffe, der Charaktere, wie fie ſich 
im Stüde „Der Meineidbauer” her— 
umtreiben, kann Ihnen niemand bes 
ftreiten, und in die tiefſte Seele hinein 
erfreute es mid, mich don Ihnen 
verftanden zu ſehen — was Sie! 
bewujät erfajlen, das werden Die 
Zaufende, Für die ich jchrieb, in— 
ſtinctiv herausfinden, und ich Darf 
einen Erfolg erwarten! 

Ihn erwarten um der Sade 
willen — Belter Freund! Geld machen 
it leichter als man denkt, — aber! 
den Erfolg an die gute Sache knüpfen 
— mein Gott, wie ſchwer! 

Ihre Furcht dor dem Kothitift 
theile ih und theile ih auch mich. 
Man Hat auch viel an dem „Pfarrer“ 











durch fremde Gewiljenlojigfeit. 


auf eine Intention, auf eine Cha— 


rakterzeichnung desſelben eingegan— 
gen. — 
Franz, der einfache, ſchlichte, 


nur durch die eigenthümlichen Schuld— 


verhältniſſe verſchrobene, eigenthüm— 
liche Charakter — der das Elend der 
Nachkommen der Schuldbewuſsten re— 
präſentiert, iſt ihm ein wirklicher 
Schuft, der am Schluſſe bloß darum 
geſund wird und aufathmet, nicht 
weil eine corrupte und corrumpierende 
Vergangenheit im Zauber der Liebe 
erlifcht, Jondern weil er nun doch — 


‚den Kreuzweghof behält! „Er hat feine 
Phraſen 


im Gaje Grünſteidel und 
im «Tagblatt» (?!) zuſammengeleſen, 
er hält eine «Rede!» über die Berge 
u. ſ. w. Die Life redet zu viel und jo 
jpricht feine Bäuerin“ — Der Jakob, 
der als Zuchthäusler kommt, hat ihn 
verlegt der ſollte Wildſchütz 
oder Brandleger aus Rache ſein. — 
Nicht faſſte er den rührenden Ges 
danfen, den diefer arme, verkom— 
mene Sohn des Volles im Sich 
trägt — den Verderb Unjchuldiger 
Der 
Gedanke an die Heimat und Die 
Seinen führt ihn feinen leßten Leis 
densgang, und beim Klange hei— 
matlicher Lieder, angelichts feiner 
Berge jtirbt dieſer Menſch den ver— 


jöhnlichjten Tod, ſeine Vergangen— 
heit macht ihm nicht mehr des Lebens 


wert, aber die beiten Seiten jeines 
Charakters, die Liebe zur Heimat 
und zu den Seinen, die er zum 


“ 
3* 


Lebten noch herausfehrt, verklären den | 
— Zuchthäusler, den Verlorenen! 

Das verlehte *! Gefungen joll 
auch nicht dabei werden. — Zweite 
Verlegung, eigentlich ſchon Empörung 
if ihm die Scene, wo Toni die 
Vroni noch einmal bejucht, u. ſ. w. 
u. ſ. w. u. ſ. w. 


So ſaß Gruber eine halbe Stunde 
vor *, wie ein Schulbub, dem ein 
Profeſſor das Penſum corrigiert. So 
ließ er mich ſitzen — eine peinvolle 
halbe Stunde. Mich immer verſichernd, 
wie er mich hochſchätze, und nur dieſe 
Hochſchätzung veranlaſste ihn, mit mir 
umzugehen, wie mit einem literarischen | 
Bettler. 

„Eben weil ih Sie Hocdhadte, 
nenne ih Sie Haderlump!* Fänden 
Sie darin eine Logil?! Diejes Ein 
jtiirmen auf mein Werk, wo jede neue 
Einwendung mich aufs neue über: 
zeugte, nicht verjtanden zu fein 
— es war mir peindoll, 


Da kam Ihr Schreiben wie ein 
Lichtſtrahl in mein verftimmtes Ge— 
müth — da jauchzte ich auf: Ver— 
ſtanden! Ihr Urtheil gilt mir in 
einem und allem für maßgebend, mag 
der äußere Erfolg dieſes Stückes wie 
immer ſein aus Ihrem Munde 
habe ich es — ich habe doch das 
Beſte gewollt! 

Meinen Sie nicht, ich könnte 
keinen Tadel vertragen — aber erſt 
will ich verftanden fein — und dann 
verlange ich doch ſelbſt vom Tadeln— 
den die Rückſicht, dafs er mich nicht 
in einen Topf wirft mit „Muß— 
Producenten*. Gerne ertrage ich es, 
fage man mir auch — das Wollen fei 
diesmal über das Können gegangen. 
— Mber jo mergelmd! ſelbſt beim 
„Schwärzermarfh“ machte * die Be— 
merfung: Ob die eine eigene Bande 
(Mufitorgel) mitführten, wie die 
„Entreprije“ oder „Pietät“ oder die 
Dienftmänner ? 

Tas iſt eben nit Tadel, das ift Mit, 
Der fih wohlfeil luſtig madt. 


ı& 


Das bat an mir * gethan, der 
nich jo hoch ſchätzt — er, der ein 
paar Tage vorher eine Komödie 
Elmard, „Das neue, freie Bürgers 
thum“ (übrigens ein ganz gutes Stüd), 
nicht nur lobte, ſondern den Verfaſſer 
als Poeten des Volles heraus: 
ftrih! Und, befter Freund, gerade von 
Poeſie fommt in diefem Stüd wenig 
bot. — 
So, nun Hätte ih denn mein 
Herz vor Ihnen ausgefchüttet, hat 
Sie's gelangweilt, fo entfchuldigen 
Sie. Es ift aber vielleicht auch für 
Sie gut, zu wiffen, wie weit Sie fi) 
durch das Urtheil eines Yreundes für 
künftig zu beeinfluffen lafjen haben — 
oder wie weit Sie das kränken darf. 

Seither habe ih * aber nod 
nicht wieder aufgefucht — er jcheint 
das ehr übel zu nehmen und hält 
mih matürlih für feinen Feind, 
während ich doch ſein Freund zu 
bleiben tradhte, indem ich vorher mein 
„beengt’ Gemüth“ zur Ruhe fommen 
laſſen will. Sollte er Sie mit diejen 
Neuigkeiten überrafchen, jo können Sie 
e3 ihm über Graz fchreiben, daſs ich 
mich dagegen verwahre, ihn übel zu 
wollen. Meinungen habe ich wicht zu 
verzeihen. Alſo ftehen wir ganz gut 
zu einander, Sie aber, Beſter, 
Liebfter, Schreiben Sie recht bald 


Ihrem getreuen 
L. Anzengruber. 


Wien, den 20. Nänner 1872. 


Geehrteſter Herr SKalender-Redacteur ! 


Sie beginnen Ihren Brief vom 
10. d. M, mit dem ſchönen Empfin- 
dungslaunte „Ah“ und ich empfieng 
ihn mit „Weh“ — da Haben Sie 
AH und Weh! Und jo möchte ich 
denn auch Schreien, — dafs ich zu 
jpät fomme!! 

Der heilige Peter, Ihr Namens» 
patron, bat Sie wahrſcheinlich ob 
Ihres Fündhaften Wandels ganz ver— 


- 


laffen und dem Hedenaft in die Hände 
gegeben! Um 300 fl.*) — wovon Sie 
etwa noch Honorar geben jollen, oder 
wollen. — 

Dös zahlt ſich Frei nit aus! 


EL 





As Curioſum ſende ich Ihnen 


eine Benrtheilung eines Stüdes, 
„Das Kronenhaus“. Diejelbe 
war im „Zageblatt*, Rubrik: 


„Vom Leſetiſche“, zu lejen, be= 


Übrigens geht mich nichts mehr merken Sie die unten gegen meine 
an, Sie follen Ihre (refpective meinte) | „Banernkomdödie* gerichteten 


Heine Erzählung im Monate März d. %. | Zeilen. — 


haben. ber 
Beiter!! Volksbuch!! Robert Ha- 
merling, aller Ehren wert, ge= 


nialer Dichter, aber jo wenig populär | 


wie Hebbel. Und Bacano und 
Pederzani — zwei Elemente, die 
dem volfsthümlichen diametral ent— 
gegengejegt find. Ein Buch wird’s 
— mohl ein intereffantes Buch, aber 
fein Volksbuch! Werden's jchon 
einjehen und mir dann recht geben. 

Schreiben Sie mir doch, was 
macht „Die Wahrheit"? Pederzanis 
Mahrheit nämlich. 

Ih dante Ihnen fehr für die 
ThHeaterberichte. 


bar urtheilt, — ich weiß nicht, wo 
geſchrieben ſteht, daſs der Groß— 
bhnecht die Vroni heiraten 
will!! Doch in der Recenſion iſt 


dieſe Behauptung aufgeſtellt. Herrjeſes! 


Wenn man Dinge hört und ſieht, 
die nicht ſind, kann man denn da ein 
Urtheil abgeben, das ſich hören und 
ſehen laſſen kann?! 

Sie müſſen wiſſen, beſter Freund, 
daſs ich jetzt in übler Stimmung bin, 
„Der gelbe Hof“ wird wahrſchein— 
lih das Opfer derjelben werden und 
vorläufig unvollendet bleiben. Sie 
tennen das, was an dieſem Stüde 
fertig ift, — fagen Sie ſelbſt, Hand 
aufs Herz, — iſt's nicht beſſer, ich 
laffe ihn noch ein wenig liegen ? Sie 
werden zugeben müſſen, das Sie fich 
wenig mehr an diefen Act erinnern, 
und damit ift feine vorläufige Siſtie— 
rung Hinlänglich begründet. 


) Gehalt für die Herftellung eines 
Bolfstalenders. Die Red, 


Der Herr Recenfent | 
ift mir fürchterlich, mweil er jo jonder= | 





Nun Habe ich Dieles 


Volksbuch“, liebſter Stüd gelefen (micht gelauft, denn es 


foftet 2 l.), was jagen Sie aber 
dazu? Es ift eine ganz talentlofe, 
Ichredliche Mache! 


Sehen Sie, das ift Kritik! 


Etwas Toben, das, wenn die 
Kritik ein ernftes Amt fein joll, gar 
nicht beiproden werden 


durfte, und dabei einen Stein nad 
einem Autor werfen, der nicht weiß, 
wie er dazır kommt — hübſch, das! 

Schreiben Sie mir doch recht 
bald, ich freue mich, jo oft ich einen 
Brief von Ihnen erhalte. 


Schreiben Sie mir aud, find Sie 
wirklich etwas ungehalten auf *? — 


Er ſcheint ſich's einzubilden. Ich Habe 


ihm einen Brief geſchrieben, worin 
ih ſeine häusliche Miſere bedaure 
und erhielt darauf wieder von ihm 
ein Antwortſchreiben, das mit den 
brüsken Worten begann: „Daſs Sie 
ſich um meine Familienangelegenheiten 
bekümmern, ſetzt mich in Erſtaunen, 
ich danke Ihnen dafür — ıc. —“ 

Seither habe ich ihn allerdings 
nicht mehr geſehen, fuche ihn auch nicht 
auf — ein eigener Menſch! — — 

Schreiben Sie! Und wenn ſich 
Ihr Mitarbeiter in Puncto des Ka— 
lenders zu ftart übernommen hat, jo 
jeien Sie nicht zu ftrenge, Derr Re— 
dacteur! 

Hoffe, dafs Sie geiftig und leiblich 
wohl find, meine Mutter läſsſt Sie 
grüßen, umd ich grüße Sie mit Herz 
und Hand. 


Ihr aufrichtiger 
2. Anzengruber. 


Wien, den 22. Jänner 1872. 


Theurer Freund! 


Ihre legten wenigen Zeilen, in 
denen Sie Ihren jchmerzlihen Ver— 
luft meldeten, fielen mir jchwer auf 
das Herz. Sie erlauben, daſs id 
mich dem gerechteiten Schmerze auf 
Erden gegenüber auch kurz fajle. 

Die Zeit heilt die Wunde, laſſen 
Sie es Frühling und wieder Früh— 
ling werden und unfere Todten feiern 
in unferem Herzen ihre Auferjtehung, 
in freundlichem Gedenken, ihre Heinen 
Schwähen ganz aus dem lieben Bilde 
binmweggetilgt, ftehen fie vor uns. Im 
Frühlingsſonnenſchein ſchwebt ihr Bild 
mit allen Kindheitserinnerungen über 
der Heide, im Sommer lugt es aus 
den wogenden Ahren, plößlich fteht 
es am Rain und lächelt uns zu, — 
im Herbſte geht es mit raſchelndem 
Tritte neben uns durch das fallende 
Laub — und es will uns gar weh— 
miüthig werden aber wenn es 
Winter wird, zu Allerſeelen, da tritt 
e3 gar in unfer Stübchen 

„Grüß Gott, lieb’ Kind, 
Grüß Gott, lieb’ Mütterlein.* 

Unfere Todten find nicht todt, fo 
lange wir leben, und fterben wir, da 
nehmen wir fie nur mit aus einer 
Welt, die fie nun nimmermehr ver— 
ſtünde! 

Für unſere heißen Thränen und 


38 


Wien, den 21. Februar 1872. 


Beſter Freund! 

Sie ſchweigen und das macht mich 
beforgt, — ich hoffe, daſs Sie doch 
wohl find. — Die Novelle, „Gänſe— 
liejel” benamfet, für Ihren Kalender 
liegt bereit, ich erwarte nur ein paar 
Zeilen von Ihnen, um diefelbe zu 
überichiden. 

Hoffe nur, dafs Sie Geichäfte 
gehindert, die Feder zu ergreifen und 
erwarte, von Ihrer Hand durch ein 
paar Zeilen erfreut zu werden. 


Ihr getreuer 
2. Gruber. 


Mien, den 23. Februar 1872. 


Wertefter Freund! 


Anbei fende ich Ihnen die „Gänſe— 
lieſel“ für Ihren Kalender. Sie füllt 
wohl einen halben Bogen, bejonders 
wenn ihr durch eine oder die andere 
Jlluftration nachgeholfen wird. Eine 
Bitte hätte ich betreff3 derjelben an 
Sie. Sie würden mich ſehr verbin- 
den, wenn Sie diejelbe abjchreiben 
ließen und mir das Manufcript res 
tournierten, Sonft wünſche ic) 
Ihnen, dafs Sie diefelbe gefund ver— 
brauden, denn Sie jchreiben mit, 
dafs Sie unwohl feien, ich erwarte 
den verſprochenen Brief von Ihnen 
mit für Ihre Perſon guten Nach— 


bitteren Schmerzen tauſchen wir uns| richten. 


Wehmuth und Sehnſucht ein, dieſe 
beiden ſind die Geburtswehen unſerer 


Welt, durch die ſie edlerer Geſchöpfe 


Bin ſehr beſchäftigt und froh 
darüber, ich habe lange gefaulenzt, 
meine Mutter läfst Sie grüßen und 


genejen will! Zu diefer janften, ftillen |es grüßt Sie in treuer Freundſchaft 


Welt, die ahmungsvoll wie fternen= 
helle Winternaht uns auf der Seele 
liegt . . . leiht ihr uns den Schlüffel, 
ihr lieben Geftorbenen ! 


Ich Hatte ein Großmütterlein, das 
vor vielen Jahren ftarb, ich Hatte es 
recht lieb, darum ſchreibe ich fo. 
Meine Mutter läjst Sie grüßen, 
— ich aber verbleibe der Ihre allzeit 
getreu 2. Anzengruber. 





ſehen 


Ihr 
L. Gruber. 


Wien, den 21. Mai 1872. 


Werter Herr in Mur-Athen!* 
* Dais ih net lach'!! 
Ahr wertes Schreiben vom 3.d. M. 
beantworte ich heute zwar exit, Sie 
aber, ih babe mir frijches 


39 


Briefpapier dazu gefauft, erſtens be— 
ginne ich jedoch mit der Trage nad 
Ihrer Gefundheit, wie geht es Ihrer 
geihätten Leber und was macht Ihr 
liebenswürdiges Herz? (Diesbezüglich, 
wann gehen Sie nad) Haußenbühel?) 
Bringen Sie mir über beides beruhi— 
gende Nachrichten. 

Den im Strahle der Diogenes: 
Laterne verklärten * Habe ich leider 
jeither noch nicht zu Gefichte gekriegt, 
konnte ihn daher nicht grüßen, er geht 
jegt auf Entdedung noch unbefuchter 
Höhlen aus, 
ausgedrüdt heißt das Jungfernlöcher 
juchen, daher er zeitlich für die Ober- 
welt ganz verjchollen bleibt. 

Was die „Sreuzelfchreiber”* an— 
langt, jo ſind Diefelbigen bis zum 
dritten (umd legten) Acte vorgejchritten 
und habe ih heute dieſen letzteren 
jelbjt begonnen. Die werden fertig. 

Holdjeligiter! Was mollen Sie, 
dafs ih mich für Ihre Gefundheit 
bergjteigend zu Zode ſchwitze?! Ich 
war immer der Meinung, Sie machten 
ohne Schaden für unfer beiderjeitiges 
Leibeswohl infonderheit noch dazu Be— 
mwegung für mic! 

Aber ich merke Ihre Abficht und 
werde verftimmt. Seit Sie Jhr dra— 
matiſches Dingelchen da, das Mirfadl 
— oder Mirafl*) geſchrieben haben, das 
man gar nicht zu jehen Friegen kann, 
jeitdem Sie mit einem Wort Drama= 
tifer geworden find, fehen Sie in mir 
mehr al3 je den Goncurrenten und 
wünſchen wahrſcheinlich, dafs ich mich 
in Ihren Heimatlihen Bergen der— 
fugel’!? Wie gejagt, diefe menſchen— 
freundliche Abficht verſtimmt mich etwas. 

Ich verfichere Sie, es ift in Schön— 
brunn auch eine wunderbare Luft, 
dahin promeniere ih alle Tage — 
und arbeiten muj3 ich ſchon jetzt im 
Sommer — warum — weil ich leben 
will und weil ich den Winter über 
jo faul war. 

Meine Mutter grüßt Sie herz: 


*) „Das Miralelkreuz“. Die Ned. 


ih glaube, touriftifch | » 


lichſt, ih auch, und bitte jchreiben 
Sie nah Maßgabe Ihrer Zeit bal- 
digit Ihrem getreuen 

L. Anzengruber. 


Mien, den 27. October 1872, 


Liebwertefter Freund! 


Sie werden doch im Beſitze der 

„Kreuzelſchreiber“ fein, die ich Ihnen 
am 14. d. M. zugefandt habe? Auch 
Martinelli, der mich darum erfuchte, 
erhielt ein Exemplar. 
Dur die Einfendung Ihrer Ge- 
Ihichte „In der Einöde“*) haben Sie 
mich fehr erfreut. Ein tüchtiges Stüd 
Arbeit das! Sie machen einem übri— 
gens das Amt eines Kritilers recht 
jhwer, aud wenn man Sie nicht 
perfönlich kennen würde. Durch das 
ganze Buch zittert warmer, lebendiger 
Blutſchlag. 

„In der Einöd'“! Es geht etwas 
wie Entwicklung (andere würden's 
freilich „Tendenz“ heißen) durch die 
Geſchichte. Der alte, verſtoßene Schul— 
meiſter legt den Keim, „daſs die Ein— 
öden auf einmal keine Einöden mehr 
iſt“. — Kurz, das Ganze iſt ſehr er— 
freulich, daſs man nicht nach dem 
Einzelnen viel Umſchau hält. — 
Ahan, denken Sie, jetzt wird mein 
Freund, der Kerl, gleich zum nergeln 
anfangen, beim Einzelnen ift er ſchon. 
Sp find fie alle, erft das Ganze 
hübſch loben, dann das Werk hübjch 
in Charaktere und einzelne Gapitel 
zerlegt umd darüber Losgezogen, jo 
daſs ein dritter Unbetheiligter, der 
zufällig zuhörte, ſich denken müſste: 
„Himmel, das iſt doch gegen alle 
Rechenkunſt, daſs eine Liſte von Feh— 
lern und Schwächen ſummiert nur Vor— 
züge und Vortrefflichkeit ergeben ſollte.“ 

Aber Sie täujchen fih in Ihren 
üblen, hämiſchen Autorgedanten, — 
feine Entjchuldigung, ich weiß, Sie 
haben mich oben heimlich „Kerl“ ges 
nannt, feine leeren Ausflüchte von 


*) Später „Heidepeters Gabriel". 


10 


literarifcher Unempfindlichleit — ich 
lenne Sie, denn ich kenne mich, wir 
Autoren nehmen fein Urtheil übel, 
außer ein — tadelndes, und wenn 
wir derlei wiltern, fo werden wir 
gleih toll, begegnen jedem Schimpf 
und Glimpf, indem wir das Präves 
niere Spielen und — wie oben — 
zuerft unjere Freunde verunglimpfen. 

Wir find ſchon fo, wir Autoren! 

Spafs bei Seite! Ich gratuliere 
Ihnen. Viele fchöne Gedanken, reiche 
Beobadtungen. Was ich aber einft 
Ihnen gejagt Habe, dabei bleibt es, 
nad der Lectüre diefes Ihres Buches 
ift e8 mir zur Gewijsheit geworden, 
dafs Sie no in voller Entwidlung 
ftehen, daſs ſehr Bedeutendes von 
Ihnen in weiteren Jahren zu er— 
warten fteht, wenn Sie mit mehr 
mitten in Ihren Werfen, fondern ganz 
und voll darüber ftehen werden, und 
jo freue ich mich Ihres jugendfräf: 
tigen Schaffens, erwarte Ihre Reife 
und als perfönlicher Freund hoffe ich, 
dafs Sie Ihren Niedergang erft im 
die Zeit der weißen Haare verlegen 
werden. Diefer Zeit wolle das Ge— 
ſchick Sie auf freundlichen Wegen zu— 
führen und verbleiben Sie auch mit 
diefer Daarcouleur und Stoppelbart 
mein Freund, wie ich der Ihrige 
verbleibe, ih grüße Sie herzlichft und 
Schreiben Sie auch einmal wieder 

Ihrem getreuen 
L. Anzengruber. 


Meine Mutter läſst Sie grüßen. 
Für Ihren Kalender werde ih „Die 
Märchen des Steinklopferhanns“ näch— 
ſtens beginnen. 


Mien, den 3. December 1872. 
Mertefter Freund! 


Ihren Brief vom 29. dvd. M. mit 
jeinen verfchiedenen Einlagen habe ich 
empfangen, und danke Ihnen herz: 


Ich fühle mich umſo mehr gerührt 
durch dieſe Ihre That, als ich mich 
ſchon vergejjen glaubte, ich weiß heute 
noch nicht, Haben Sie das Bud „Der 
Frrichreiber“ empfangen oder nicht ? 
Ihre Tegte Freundliche Sendung, „In 
der Einöde“, Ihren Roman, der mir, 
je länger ih ihn im mie trage, je 
befjer gefällt, und den ich bei nächfter 
Mufe wieder vornehmen werde, — -- 
Ihre letzte Sendung bejagte nichts, 
ob Sie meine auch erhalten haben. 

Umfo mehr bin ich, wie gejagt, 
gerührt, als Sie fi) während diejer 
Zeit dem Sreuzfeuer, wie Sie jelbit 
geitehen, „wunderfam ſchöner Augen“ 
ausgejegt haben, im denen man gerne 
verſinkt, wie in einem tiefen, Haren 
See, um in der Nirenftadt unten für, 
wunderſam ſüß zu träumen. Daſs 
Sie bei der Verunglimpfung meiner 
doch ſehr proſaiſchen „Frrichreiber“ 
unter ſothanen Umſtänden geharniſcht 
aufwachten, das iſt viel, das iſt mehr 
als ein Freund verlangen kann, das 
iſt für die Sache des Volkes in Puncto 
des Volksſtückes mit geſchehen, eine 
Sache, die uns beiden nahe geht, die 
Sade des Volkes, und die und beide 
zu Freunden gemacht — mich wenig» 
ftens aufrichtigft zu dem Ihrigen. 

Bei Gott, ich wünſche Ihnen, Sie 
mögen all’ das Glüd finden, das ich 
in diefem Falle für mich hoffe und 
vom Geichid erbitte. 

Ih für meine Perfon habe Ihnen 
wenig neues zu vermelden. „Elfriede“ 
ift beendet, wird wieder eingereicht — 
jonft bin ih mit Arbeit überhäuft 
und Habe auch für einen gewillen 
Kalender geftern Hand angelegt, um 
die „Märchen des Steinklopferhanns“ 
anzufangen, bitte aber um recht viel 
Geduld. 

Meine Mutter läjst Sie freunde 
lichft grüßen, die arme Frau, die Sie 
recht ſehr ſchätzt und liebt, iſt von 


lichſt für Ihr ritterliches Einſtehen einer ſchlimmen chroniſchen Krankheit 


für meine, wie Sie ganz richtig dem 


ſtanden verunglimpfte Sache. 


befallen und leidet ſehr. 
H. 3. gegenüber bemerlten, unver— 


Ich hoffe, daſs ich bald ein 


Schreiben, wenn auch nur ein paar 


Zeilen, erhalte, ich werde Ihnen dann 
umftändlicher bei mehr Ruhe und 
Muße jchreiben, jetzt wollte ich Sie 
nicht länger warten laffen auf Ant— 
wort und Dank für Ihren lebten 
lieben Brief, wolle es Gott Ihnen fo 
wohl jein laſſen, al3 dies winfcht 
Ihr treuergebener 
L. Anzengruber. 
P. S. H. J.'s Recenſion ärgert 
mich ſo wenig, wie etwa einen Maler 
das Urtheil eines Blinden über ſein 
Gemälde. 


Wien, den 3. März 1873. 


Lieber werter Freund! 


Ihr letztes Schreiben mit der 
„Offenbarung Ihrer kleinen Verbitte— 
rung“ hat mir große Angſt für Sie 
eingejagt. Ih hoffe, Sie haben ſich 
bereit3 „ausverbittert“. Wundern Sie 
jich vielleicht, dafs **’3 Buch jo gelobt 
wird? DO, thun Sie es nicht, Sie prä- 
fentieren fich fonft in dem Lichte einer 
gar wundervollen Naivetät. ** iſt 
Journalift Ne. 1, hat einen Verleger 
Nr. 2, dem es auf etliche Freiexem— 


41 





der Schöpfung der „Einöde“ einer 
aufregenden Arbeit unterzogen, einer 
Gefumdheit untergrabenden, um des 
Himmelswillen, guter, beiter Freund 
und berjlieber Menfch, thun Sie das 
num und nimmermehr, bleiben Sie 
falt und ruhig, Schaffen Sie ſich zur 
Luft und Sie werden auch zur Luft 
der anderen gejchrieben haben, bleiben 
Sie ums gefund an Seele und Leib, 
lafien Sie ſich nicht die Blüten Ihres 
herrlichen, Ihres erquidenden Talentes 
in der Treibhauswärme des forcierten 
Producierens verderben, laſſen Sie 
ih nicht vom Ehrgeize in Ihr Tinten 
fajs ſpucken, daſs Sie mehr Tinte 
zu verjchreiben haben. Es ift in der 
„Einöde“ ein etwas bizarrer Zug, 
ein leidender Zug, der durch das 
Ganze geht, Ihre eigenen Worte haben 
mir die Erflärung davon erfchloffen. 
Befter, um was man fich Frank jchreibt, 
das leidet felbit mit. Sie aber haben 
ein fo eigenthümliches, ausgeiprochen 
jelbftändiges Talent, daſs Sie nur 
ruhig fortzufchreiben brauchen, daſs 
Sie langſam die Meifterfchaft ſich er: 
Ichreiben werden. Mein Beiter und 
Guter, Sie haben gar fein Recht, 


plare nit anlommt, der inferiert : 
| 


Reclame macht, der mich 3. B. er- ſich auf Ihrem Wege umzuſehen, in 
fucht Hat, ihm einen Artikel über das |der Zukunft liegt für Sie Ehre und 
Buch zu fchreiben und der ihn dann! Wohlergehen und Anerkennung, alfo 


in das „Fremdenblatt“ brachte und 
im „Belter Journal“ noch einmal 
abdruden ließ. Ich habe den Artikel 
ſehr gerne für unferen gemeinſamen 
Freund gefchrieben, all’ das Lob war 
ein verdientes, ich habe feinen Groſchen 
Honorar dafür verlangt, aber ich 
muſste doch wiflen, dafs er — und 
in weldem Journal — placiert wurde. 
Liege fih Hedenaft die Geſchichte eben— 
jo angelegen fein, Sie hätten genug 
Artikel erleben können, jo jchweigt er 
jeinen Verlag jelbit todt. Wenn die 
gewöhnlihen Schreiber nur notizeln, 
jo müſſen eben die Freunde der Ver— 
fafler her, diefe müſſen jchreiben ! 
Etwas Hat mich in Ihrem letzten 
Schreiben ſchwer beforgt gemacht. 
Ihr Geftändnis, daſs Sie fih mit 





„allweg vorwärts“. 

Ich Habe Ahnen schon dazumal, 
als ih Ihnen den Eindrud Ihrer 
„Einöde“ auf mi mitgetheilt, ge= 
jagt, daj Großes in Ihnen ruht, 
dafs ich von Ihrer Zukunft alles er— 
warte; — nicht fertig, nicht abge— 
rundet fteht Ihr Roman „Die Ein 
öde“ dor und, und doch viele Tefen 
ihn mit Vergnügen, es ift derjelbe 
Nojegger, der ihnen fchon mit feinem 
Genius zu Herzen geſprochen; ad, 
glauben Sie nicht, mein lieber Rofegger, 
daſs diefer Nofegger recht daran thut, 
auf diejes Werk all’ feine Karten zu 
jegen! Gehn Sie mir, feit wann ift 
er denn ſo ftolz oder jo Heinmüthig 
geworden ? ich kann Ihnen micht Jagen, 
wie ich dieſen Schriftitellee liebe und 


Thäße, ich möchte ihm mit feinem 
Worte wehe thun, nicht um die Melt, 
aber wenn Sie mir meinen Zufunfts- 
Rojegger verderben mwollen, das greift 
mir ans Herz und ich kann danı 
den gegenwärtigen gar nimmer leiden. 
Yu diefem Gegenwärtigen ſchlummert 
noch fo viel unentwidelt, er weiß es 
wohl jelbft nicht, und wenn ich mir 


“2 


= - 


Ich werde jeht diefe Seite noch 
herunterfchreiben, daſs Sie fih nicht 
betlagen, daſs ich dieſes Fleckchen 
Papier nicht mehr für Sie aufwenden 
will, aber neues ſollen Sie von mir 
nicht erfahren, vielmehr frage ich Sie, 
heiraten Sie im Mai — und wenn 
das, wie können Sie jetzt „raunzen“? 
Wirſt luſtig fein, Du Sakra! Bei 


denke, wie ſich das nach und nach Gott, dem Allmächtigen, Höchſtgütigen 


klärt, bildet und feſtigt, und ich denke 
mir den ganzen fertigen Roſegger, — 
da möchte ich des Teufels werden, 
wenn ich in Betracht ziehen ſoll, daſs 
auf einmal das nicht ſein ſoll, daſs 


und Weiſen, ich wünſchte, er hätte 
uns die Aushängebogen der Schöpfung 
zufommen laſſen, ftatt daſs der ſchuf— 
tige Metteur en pages, der Satan, 
das Ganze nah Gutdünfen hat durch— 


Rofegger ftehen bleiben jollte, dafs er ſchießen dürfen, ich ſage Ihnen, es 
num daran denfen joll können, er iſt eine Laufewelt, font gäbe es feine 
werde nichts mehr jchreiben — ac leidenden kranken Gejchöpfe darin, 
pad, raften Sie ji nur etwas aus | feine Rohheit. Die armen Wefen hoffen 
und gehen Sie dann wieder friſch auf eine verbeſſerte, durchgeſehene 
ans Werk, und die nächſte größere zweite Auflage, deren Ausgabstermin 
Arbeit, überſchauen Sie wie von oben, |der jüngfte Tag fein follte, den Sie 
von darüber ber, das thun Sie — mir auch gütigft als Termin geftellt 
heute aber fönnen Sie ſchon jeden ;haben, um Ihr Schreiben zu beant- 
einen Lumpen heißen, der es anders 'worten. Sie fehen, ich thue das 
jagt, al3 daſs ich die „Einöde“ fo ſchneller, nicht etwa des Zweifel an 
gut finde, dafs ich fie wohl jelbit ge= dem jüngften Tage wegen, fondern 


jchrieben Haben möchte. 

Sagen Sie das dem Roſegger, 
er wird ſich's gewils zu Herzen 
nehmen, da es vom Herzen kommt. 

Nun erlauben Sie, daſs ih ein 
wenig bon mir rede, es ift mir zwar 
nicht befonders darım zu thun, denn 
ih habe von mir nicht viel zu jagen, 
das etwas zu jagen hätte. Neues 
gar nicht, „Elfriede“, das willen Sie, 
kommt nächitens daran, Eine „Tochter 
des Wucherers“ habe ich eingereicht. 
Ich arbeite jegt jehr viel, und wenn 
Sie einmal des Sommers ein paar 
Tage fommen wollen, jo finden Sie 
mich immer bereit, Ihnen etwas vor— 
zufefen, denn ich habe ja vieles, das 
Sie gar nicht Fennen. 

Meine Mutter, der e3 übrigens 
recht übel ergeht, haben Sie auch 
durh Ihren Brief bejorgt gemadt, 
die Frau verjteht etwas und Hatte 
auch an der „Einöde* ihre Freude — 
fie läjdt Sie grüßen. 


‚weil bejjer bewahrt als beklagt iſt 
| und weil Sie nicht beflagen und immer 
wohl bewahrt wiſſen will 


Ihr Sie jhäkender und liebeuder 
L. Anzengruber, 


Wien, den 5. Mai 1973. 
Merter, liebjter Freund! 


Im Anfchluffe fende ih Ihnen 
meine „Friedl“, ferner gratuliere zu 
Ihrem Mirafellreuz: Erfolg, er war 
ein berbienter, dann gratuliere zu 
Ihrer Berheiratung und vertraue 
Ihnen an, dafs es bei mir al&baldig 
auch losgehen wird und ich ebenfalls 
bald Ehemann fein werde. Weitere 
Nachrichten behalte ih mir für jpäter 
vor, — 

Was nun Ihr „Mirakelkreuz“ 
anlangt, und ferner, was ih von 
Martinelli hörte von einem Gelegen: 
beitsftüdhen zur Vermählung der 
ı Erzherzogin Giſela — jo ift das erſte 





43 


fo hübſch gerathen, der Stoff des Ich mufs für heute ſchließen, habe 
zweiten, nad Hörenfagen, fo originell, Beſuch, folglich feine Ruhe. 

daſs ich im Intereffe unferes ledernen Herzlichen Gruß von mir und 
Repertoires wünſchte, Sie möchten von Mama. 

Zeit zu Zeit das Publikum mit ſolchen Ich verbleibe Ihr getreuer 
netten Holzſchnitzereien erfreuen. | 2. Unzengruber. 


Diejes „Mirakelkreuz“ ift eine ſo 
nette, liebe Bluette — pah, was ſoll Lieber Freund! 
ich die Zeitungen ausſchreiben? Sie Sö fein mir an Brief fchuldig. 
haben Sclefingers Recenfion gelejen, | Flütterwochen gelten niama als Ente 
der Mann ſagte, was viele meinten. ſchuldigung. Ihr 

Lieber Freund, ſchreiben Sie mehr L. Anzengruber. 
dergleichen. Breitenfurth Nr. 72. 


(Fortfegung folgt.) 





Aeue Gedidte 


von M. R. v. Btern.*) 


7) ; Und wo ein gold’ner Gottesfunfen 
@v Der wandernde Geiſt. Zur Erde nimmt den lichten Lauf, 


E ift ein Gold dahingegoffen Da jeufzt und athmet jhlummertrunfen 
. Aus Gottes Fullhorn in das Thal; Ein liebes Leben ſchluchzend auf. 


Nun ſchimmert es, von Licht 

ſch —— ER \ Das liebt und leuchtet hold auf Erden 
ühthaubeftäubt im M lJ. Und ſprüht dahin wie gold'ner Schaum — 
—— — Urewig ift das Sein und Werden 
Mie es auch gähnt und nächtlich duntert, Und alle Form iſt nur ein Traum! 
Wie e8 verwest, verwelft und kreißt, 
Aus allenı Erdenleben funfelt | 
Unwandelbar ein ewiger Geift. 


N F 


Alpentraum. 


Bon Thongefäß zum Goldkrug ſchaumend Mondſchein rieſelt von den Zweigen, 
Und in die Schale von Kryſtall, Silberduft ſpinnt in dem Moos. 
So perlt das Leben wonneträumend, Es ſchweigen 
Gin rauſchend ſchöner Waſſerfall. Die Sterne; 

Es neigen 
Das füllt in wunderhellen Gluten | Sich ferne 
Urlebenquellend Bild um Bild, | Wollen in der Berge Schoß. 


Wenn es in keuſchem Überfluten 
Von einer Form zur andern quillt. 


Bon einer Schale zu der andern 
In immer wedhjelvollem Schein; 
Urewig iſt des Geiftes Wandern, 
Jedoch beftändig ift das Sein. 


So raufht von Bergeshöh'n zu Thale 
Ein friiher, Harer Murmelquell ; 


Wenn ihimmernd jhöpft die gold'ne Scale, 


Eo fprühen Tropfen funfenhell. 


*) Höhenraud, (Zürich. Berlagtmagazin, 





Funkelnd, ftrahlend, tief und groß 
Ruht die Nat. 


Silberglängend ſprüht die Quelle; 
Mondtlar über Kieſel ſchäumt 
Die Welle. 

Bon Gletſchern 

So helle, 

Da plätjchern 

Thalwärts, perlentlar umfäumt, 
Murmelbäde. — Und es träumt 
Still der See. 


44 
Auf der Alpen ew’gem Throne | Spiegelung. 
Gligert heil der Mondenſchnee. — | 
Die Zone ' Meiner Hoffnung rofiges Erwachen 
Der Wahrheit, tarrt erjhredt in Fäulnis, Blut umd 


& 

Roth. — 
Uh! In wie viel elelhaften Laden 
Spiegelt jih das gold’ne Morgenroth! 


e | 
Die Krone | 
Der Klarheit, | 
Sirahlt auf fteiler Bergeshöh’, | 
Weit von Wonne und von Weh', | 
Kalt wie Eis, | 


Zugendflucßt. Auch ein Programm. 


Was treibt mid jo ruhelos hin und ber, Das „Chriſtenthum“, mein Befter, 

Was padt mid am Herzen jo ahnungsſchwer, Iſt „alter Schwamm“; 

So greiſenhaft⸗ traurig und trübe? Kaufen Sie und ftudieren Sie | 

65 ift das allen der Blüten vom Straud, Die „Grundzüge der National: Öfonomie* 
Es ift wie entjhwindender Jugendhaud, Bon E. A. Schramm! 

Es ift wie geftorbene Liebe. | 


Ja, ja, in puncto der Wiſſenſchaft 


Noblesse oblige. Sind wir gut auf dem Damm; — 
Noblesse oblige, der Adel verpflichtet: Recht jhön, Freund Wlerander, 
So hat man lange genug gedichtet. — Uber „Liebet eu unter einander!* 


Das ftintend = ftolzge Wort gefältt mir nicht — Iſt — auf ein Programm. 
Nein, umgelehrt! Es adelt uns die, 


Pflicht! | 
adicafeur. 
Rathokiſch. ® 
Ich bin kein Proteftante — Mittel gibt's auf Erden 
Fort mit dem fhalen Mein! Gegen alle Bein. 


Die Kunft iſt erzfatholiich 
Und wird es ewig fein. 


Laſst uns befier werden, 
Gleich wird's beffer fein! 


Deutſche Wiedergeburt 


oder 
tevolutionäre Gedanken eines Deutſchen. 

— 
=: Siege von 1870 haben das | hat fich militärifiert, er muſs fih nun 
6, deutiche Bolf politifch groß, aber auch civilifieren. 

3 geiflig Hein gemadt. Das geiz Soll e3 beſſer werden, jo muſs 
ftige Leben der Deutfchen ift gegen= der Profeffor zuriidweichen und der 
wärtig im Zuftande des Berfalles. Künſtler in den Vordergrund treten. 
Die heutige deutiche Bildung ſchaut Rückkehr zur Lebensfreudigkeit, Innig— 
nah rüdwärts, fie fieht weniger dar= keit und Innerlichkeit. Heute ift das 
auf, neue Werke zu ſchaffen, als alte deutſche Voll an Bildung Fo überreif, 
Werke zu regiftrieren ; fie iſt willen= | daſs es fürs Leben unreif ift. Und 
ſchaftlich, darum micht ſchöpferiſch. UÜbercultur ift Schlimmer, roher, häſs— 
Die Deutſchen haben ſich als Staats- licher, als Uncultur. Die Deutſchen 
bürger entdedt, ſo ſollten ſie ſich auch ſtehen gegenwärtig, mit Ausnahme 
als Menſchen entdecken. Der Deutſche des politiſchen Lebens, auf einer fal— 


45 


fhen Eultur. Leifing, der Gelehrte, 
Ichrieb für den Menſchen, Goethe, der 
Künftler, lobte den Menfchen. Eine 
Geitalt, welche das Volt vor Augen 
dat, bedeutet hundertmal mehr, als 
zehn Theorien. 

Kritiler! Ein Kunſtwerk wird nicht 
nach Recepten gemadt; Sunftrecepte 
gibt es nicht, wohl aber Kunſtgeſetze, 
und dieſe beitimmt nicht der Gelehrte, 
jondern der Menſch. Jeder Dichter 


joll fingen, wie ihm der Schnabel ges 


wachſen ift, und jeder Künſtler, nach 
Goethe, ſchaffen, wie jeine Natur es 
verlangt. 
duell fein, er kann nicht perjönlich, 
nicht local genug fein ; ſogar ein gewiſſes 
ſpießbürgerliches Gefühl ift ihm nöthig, 
an der Erde muſs er jaugen, auf der 
er steht. 
heist Seele haben, eine gejchlofjene 
Individualität haben, heißt Stil haben. 
Da gibt es eine „Kunſt“, welche 
den Römermarmor ebenjo ficher trifft, 
als fie den römischen Geift verfehlt. 
Außerlich, decorativ, falſch. 


Natur! Anſtatt die Empfindungen | 


wiederzugeben, welche Naturgegen— 


ſtände im menſchlichen Auge hervor: | 
rufen, will man die Natur ſelbſt 
Das ift unmöglih und, 
wäre es möglich, fo würde es über— 
flüffig fein. Mit der Natur kann die, 
Kunſt nicht comcurrieren, wohl aber, 
Goethe 


wiedergeben. 


mit der menfchlihen Seele. 
jagt: Wenn ich den Mops meiner 
Geliebten zum Verwechſeln ähnlich 
nadhgebildet habe, jo Habe ich zwei 
Möpfe, aber noch fein Kunſtwerk. 


Was engherzige Gorrectheit! Wie Liebe, 


mebr iſt als Gorrectheit, jo iſt Leben 
mehr als Gorrectheit. 
Kunft ijt fein Leben. Schiller jagt: 
Natur aus, dur Unnatur und wieder 
zur Natur zurüd, 

Der Philoſoph ift weniger Ge— 
lehrter, als Künftler. Philoſophieren 
heißt, vom Weltganzen ſich eine An-— 
ſchauung, ein Bild machen. Und wer 


Der Künſtler muſs indivi— 


Eine Individualität haben, 


Bilder macht, iſt ein Künſtler. Bis— 
her hat die Philoſophie den Volksgeiſt 
verleugnet, darum verleugnet der die 
Philoſophie. Je mehr verſchiedene 
Philoſophien, Weltanſchauungen, deſto 
beſſer für ein Volk. Echte Philoſophie 
muſs individuell ſein, fie iſt eine 
Feindin jeder Bildungsſchablone. Wer 
nicht individuell iſt, wenig Perſön— 
lichkeit beſitzt, iſt nur der Bruchtheil 
eines Menſchen, kein ganzer Menſch. 
Wer keine Eigenart beſitzt, iſt eine 
Null. Es gibt Millionen Nullen, aber 
ſie bedeuten nicht mehr, als eine einzige. 

Und wenn nur im Individuellen 
die Kraft und Größe liegt, jo muſs 
wohl auch Gott jelbjt ein Individuum 
'jein — eine Berfon! 

In der MWetterfunde kommt man 
oft wieder zu den Bauernregeln zurüd, 
jo wird’3 auch in der Philojophie 
‚jein müſſen. Philofophie, Poeſie, Re— 
ligion, Politik haben den gleichen 
| Quell: Echtheit der Gefinnung, Treue 
‚gegen fich ſelbſt, Wuhrheitsliebe. 
Das vorige Jahrhundert des Idea— 
lismus fah die Welt aus der Vogel— 
perjpective an, diefes Jahrhundert des 
Materialismus und Specialismus fieht 
fie aus der Froſchperſpective an, das 
nächte Jahrhundert des Individua— 
lismus wird fie aus der menschlichen 
Berjpective anjehen, und das wird das 
Richtige fein. Die Wilfenfhaft in 
Specialitäten! Hundert angefammelte 
Specialitäten, ganz äußerlich neben— 
einandergeftellt, geben noch Feine Uni— 
verlität. Der Specialift hat feine 
Seele Hingegeben. Ein Menſch, der 








Ein rechter 
Menſch ift unerihöpflich, denn feine, 
scheidet. 
Der Weg aller Bildung geht von 


außen 


nicht individuell ift, iſt nicht exiſtent. 
Logik ift viel, aber Ethik ift mehr als 
Logik, darum bedeutet und leiftet fie 
auch mehr. Kritik fcheidet, Ethik ent- 
Das römische Recht ift auf 
Selbftfudt, das deutſche auf Treue 
gebaut. Das Recht ſoll ſich nicht von 
hinein, jondern von innen 
‚heraus entwideln. Aber Profefjor 
Zhering ſagt: „Die Entwickelung von 
innen heraus beginnt erſt bei der 
Leiche!“ Echte Profeſſorenweisheit, 


welhe nur Mechanismus oder Leiche 
keunt, und der das Lebendige entgeht! 
— Aber Gefege werden geboren und 
nicht gemacht. 

Geſchichtsforſchung iſt Wiſſenſchaft, 
Geſchichtſchreibung iſt Kunſt. 

Und den Glauben, was verachtet 
ihr ihn? Es gibt nichts ſo Gewiſſes, 
als Empfundenes oder Geglaubtes. 
Das Wiſſen erzeugt Pygmäen, der 
Glaube erzeugt Heroen. Glaube und 
Kunst, bei beiden ift der Myſticismus 
der dunkle Hintergrund, Myſticismus 
it ſchöpferiſcher als Wiſſenſchaft. 
Wiſſenſchaft ift das Auge des Volkes, 
in der Mpftit Schlägt fein Herz. Der 
echte Künftler fteht immer im Wolfe, 
der Gelehrte außerhalb desjelben. Heine 
fonnte fagen: ich bin Volk! Bismard 
fonnte jagen: die Regierung ift auch 
Volk, der Gelehrte kann es nicht jagen; 
er ift zuviel Kopf und zu wenig Herz, 
um echter Menfch zu fein. Der erite 
herrfchende Pla im Geiftesleben ge— 
bührt der Kunſt. Und ein einziges 
Gemälde Rafaels it mehr wert, als 
alles, was über Rafael gejchrieben 
worden. 

Verſtand ift weniger, al3 Vernunft. 
Veritand kommt von verjtehen, Ver— 
nunft fommt von vernehmen, von 
erfahren , erleben. Und probieren ift 
beijer, als ftudieren. Der Profeſſor ift 
die deutſche Nationalktrantheit; die 
jeßige deutfche Jugenderziehung iſt 
eine Art bethlehemitischer Kindermord. 
„Wäre ich der heutigen Schulbildung 
anheimgefallen, jo wäre ich Teiblich 
und geiftig zugrunde gegangen“, ſagte 
Alerander von Humboldt. Und Leiling 
fagte einmal, er babe zuviel Bücher 
gelefen, um das Ziel reiner Menſch— 
lichkeit zu erreichen. Leſſing war es 
nicht gegeben, mit dem gemeinen 
Manne zu fühlen und zu denken. 
Viele Gelehrte verftehen alles, nur 
den Menschen nicht. Profeſſor Dubois— 
Neymond tadelt Goethe allen Ernites, 
dafs er den „Fanuſt“ micht Schließlich zu 
einem Umiverfitätsprofeifor gemacht hat. 
Ein Brofefjor glaubt unter Umjtänden 


an nichts, unter Umftänden an alles ; 
unter feinen Umftänden aber an feine 
eigene Fehlbarkeit. Die Welt ein 
Mehanismus! It fie nicht vielmehr 
ein Organismus? Dat fie nicht eine 
Seele? Liebe, Ehre, Frömmigfeit, find 
das Dinge, die man mit dem Zoll— 
ftabe meſſen kann? 

In den heutigen gelehrten Goethe— 
geſellſchaften würde es jedem eher 
behagen, als — Goethe. Er mied 
einſt Berlin, die Stadt des Profeſſoren— 
geiltes, er würde e3 heute tdun. Es 
gibt eine bejondere Berlinerbildung, 
die des falten Verſtandes — ſie iſt 
nicht dentſch. Bismarck hat Berlin eine 
Wüſte von Ziegelſteinen und Zeitungen 
genannt, Berlin iſt Deutichlands poli— 
tiſche Dauptitadt, aber es iſt nicht zu 
winfchen, daſs es feine geiftige Haupt— 
jtadt werde. Wie jelten im heutigen 
Deutihland ein wirklich menjchliches 
Dafein nah höheren Anforderungen 
zufrieden it, weiß jedermann. In 
Berlin gewiſs noch am jeltenften. Die 
Nüchternheit Hat den preußiichen Stuat 
groß gemacht, fie kann ihn auch wieder 
Hein machen, Preußen muſs germas 
nijiert werden! hat Bismard verlangt. 
Es iſt nicht gut, wein im Parlamente 
zu viele Berliner jißen. Der Schwer— 
puntt des deutſchen Bollscharafters 
liegt zwischen dem Rhein und der 
Elbe, Aber auch diefer hat gelitten, 
Bis jetzt hat Jena die Deutichen 
mehr gefördert, als Sedan. Das Uns 
glück ift ein herber Freund, das Glück 
ein falſcher. 

Kunft und Menſchenthum! Mon— 
taigne jagte: Ich will nicht wegen 
meiner Schriften, Jondern meiner jelbit 
willen geichäßt fein. Jeder echte Künſt— 
lermenjch müjste jo ſprechen. Haupt— 
bedingung eines Genies ift, daſs es 
natürlich bleibt; Jeinem Genius folgen 
heigt, jeinem inneren Drange folgen, 
Und Dauptbedingung des Genies it 
die Sittlichfeit, alles Große wurzelt 
in der Sittlichleit. Wehe dem Künitler, 
der nicht größer iſt, als feine Werke! 
Was wollen wir von der griehiichen 


> u 


47 


Kunſt? Sie kann uns nicht Vorbild 
fein, jte ift Document. „Der Hauptwert 
der griechischen Kunſtwerke beiteht darin, 
dajs fie uns lehren, es babe einmal 
Menſchen gegeben, die ſolche Dinge 
ſchufen“, jagt Schiller. Unſere Kunſt 
Hat ſich zu individnaliſieren, auf un— 
ſere Weſenheit ſich zu begrenzen. Dia— 
lektdichtung, wo fie wahr und tief 
auftritt, ift in gewiſſer Hinſicht der 
Kunftvihtung immer überlegen, denn 
jie jteht dem Herzen eines Volkes um 
eine Stufe näher, als diefe. 

Es gibt auch eine Dialettmalerei, 
e3 liege ſich vielleicht auch eine Dialelt- 
plaftif, eine Dialektmuſik denken — 
individuell im volksthümlichen Sinne. 

Die meiften Genies entſtehen aus 
dem Bolfe und viele gehen im Wolfe 
zugrumde,. ohne gejehen worden zu 
fein. Nur dort, wo der augenblidliche 
Bedarf dafür da ift, wird es ihm 
leiht gemadt, ſich zu entwideln. 

Ein starkes Volk ift Here feiner 
Geſchicke. Was ein Volk im tiefiten 
Inneren feiner Seele erfehnt, das er— 
füllt ih auch, es fei früher oder 
jpäter. Umſo mehr, wenn dasfelbe auch 
die Nachbarsvölker wollen. Geficherter 
Friede. Vielleicht findet man fich fogar 
einmal zufammen zu den „Vereinigten 
Staaten von Europa”. 

Bon einer richtigen Erziehung und 
Bildung darf die Zukunft viel — 
alles erwarten. Aufgabe aller Erzie— 
hung ift es, den Menfchen dasjenige 
nit vollem Bewuſstſein und möglichiter 
Uberlegung thun zu lehren, wozu das 
Beite und Eigenite und Tiefſte feiner 
Natur ihn ohnehin ſchon inftinctiv 
treibt. Einzelerziehung iſt beiler als 
Mafienerziehung, und diefe ohne jene 
gar nichts wert. Das größte Problem 
der Gegenwart ift, die Kluft zwiſchen 
Gebildeten und Ungebildeten zu über: 
brüden; mit Halbbildung geht das 
nicht, dieſe wird von beiden Seiten 
zurüdgeltogen und ift auch Für fich 
jelbft nichts wert. „Jetzt Jucht man 
überall Wiſſen auszubreiten, wer weiß, 
ob es in ein paar Hundert Jahren 


nicht Univerfitäten gibt, wm die alte 
Unwiſſenheit wieder Herzuftellen !* ſagte 
Lichtenberg, und er bat es mit Ernſt 
gejagt. Charakter ohne Bildung iſt 
beifer, als Bildung ohne Charafter; 
der Schein gelte nicht mehr, als das 
Weſen, die Reliquie nicht mehr, als 
der Heilige. Einzelwilfen ohne Ge— 
ſammtempfindung ift todt; es wirft 
auf den Juhaber menfchlich wie ſitt— 
lich genommen nur nachtheilig. 

Phariſäer heißt wörtlich ein Se— 
paratiſt, in unſerem Sinne alſo ein 
Specialiſt. Die heutigen Deutſchen, 
welche auf das Gutachten der Specia— 
liſten ſchwören, find nicht beijer daran, 
als jene früheren Deutjchen, welche 
Tetzels Ablafszettel kauften. Das Pha— 
rijäerhafte liegt auch im Hochmuths— 
dünkel, im Unfehlbarkeitswahne. Der 
Specialismus iſt die Grimalfe der 
Individualität. Dubois-Reymond, 
Mommſen — Phariſäer. Ranke als 
Geſchichtſchreiber! Als er in ſeinem 
Werke zur Beſchreibung des Chriſten— 
thumes fommt, fagt er: er werde von 
der eigentlihen inneren Bedeutung 
desjelben abjehen und nur von der 
„grogen Combination der welthiitori= 
Ihen Momente, in welcher e3 er— 
ſchienen iſt“, reden. Alſo das iſt der 
gelehrte Geſchichtſchreiber, der über 
das Außere den Geiſt vergiſst, oder 
vielmehr verleugnet. Der Geſchichts— 
forſcher muſs Wiſſenſchafter, der Ge— 
ſchichtſchreiber muſs Künſtler ſein, 
das heißt, auf unſer Gemüth zu wirken 
ſuchen. 

Dieſe „deutſchen“ Gelehrten haben 
ſich auch gegen den Gebrauch der 
deutſchen Schrift ausgeſprochen; Bis— 
marck ſtand für die deutſchen Lettern 
ein, ohne viel zu fragen, ob ſie hiſto— 
riſch, ob ſie praktiſch wären; ſie ſind 
individuell deutſch, volksthümlich, das 
war ihm genug. 

Das Volk der Forſcher mußs ſich 
in ein Voll der Künſtler verwandeln 
und auch Bismards Straße wird ein— 
münden in das Bereih Schillers und 
Goethes. 


Miffen ift nicht Weisheit. Willen: 
ſchaft ift Modelache geworden, und Mode 
geht vorüber. Wird auch die Kunſt 
Modejadhe, dann geht fie unter. Unſer 
Bauſtih! Gott hat die Sprachen der Bau— 
leute verwirrt, wie einst zu Babel, fie 
ſprechen griechiſch, gothiſch, japanisch, 
aber nicht deutſch. Sie glauben, wenn 
fie den griechiſchen Stil wählen, jo 
haben fie griechische Bildung. Nicht 
der Alten Werke, fondern ihre Ge— 
jinnung wäre nachzuahmen. Gebäude 
wollen gedichtet jein, heute werben fie 
zumeiit nur gereimt, und darum fehen 
fie oft fo ungereimt aus. Das Bolt 
baut zwedmäßig, aljo ſoll ſich der 
Gebildete auch im diefer Sade immer 
wieder dem Volke nähern, anftatt ums 
gefehrt. Wir wühlen zu jehr im Echutte 
der Alten. Eine Eultur, die jo viel 
gräbt, gräbt ſich zuletzt ihr Grab. 

Ehrlichkeit ift edler als Wiſsbe— 
gierde, Schwermutb edler als Genuſs— 
fucht. MWiffen führt zum Peſſimismus, 
und Peſſimismus ift Altersſchwäche. 
Zurüd zur Natur, zum Bauer, zur 
Jugend! Banernfeele ift Volksſeele. 
Luther, Scharnhorit, Bismard, Moltke 
— jie waren Bauernnaturen. Der 
Bauernftand liefert die beften Soldaten, 
jei es für den wirklichen oder für den 
geiftigen Krieg. 

Der Deutjche ſoll vornehm fein, 
nicht vornehm thun. - Volle Sinnlich— 
feit ohne Gemeinheit ift immer vor- 
nehm; Prüderie mit heimlicher Sinn- 
lichteit immer gemein. 

Alles Ariſtokratiſche ift angeboren. 
Eine Willens: und eine Geldariſto— 
fratie kann es nicht geben, wohl aber 
eine förperliche, eine geiftige, eine fitt: 
liche Ariftofratie. Willen und Geld 
kann man eriverben, perfönliche Eigen 
jchaften werden felten erworben, öfter 
ererbt. 


„adelig“ etwa den Sinn des heutigen 





‚eine ideale Natur. 
Im Alterthume hatte das Wort | Deimatsgeift. 





Menn der Adel eine künſtleriſche 
Geſinnung bezeugt, dann wird dem 
Künftler die adelige Gefinnung nicht 
mangelt. Im Adel, dem der Herricher 
entjpringt, muſs die Individualität 
des Volkes ſich ebenmäßig ausprägen. 
Die Dohenzollern werden dem deut— 
ſchen Volke erſt dann ganz angehören, 
wenn fie etwas Hohenſtaufen geworden 
ind. 

Deutich, thiutisco heißt urfprüng- 
ih: vollsthümlich. Der Ausprud 
„Boll“ kommt von Gefolge; Fürſt 
bedeutet wörtlich der Vorderſte. War 
ursprünglich der Vorderſte, der Führer, 
gewählt, jo ward der Nachkomme von 
ihm ſchon als Führer geboren. Die 
Kraft der Vorfahren ſummiert ſich im 
legten Gliede. Man glaubt an Erb- 
fünde, man follte auch an Erbtugenden 
glauben. 


Auch der erbgejeflene Bauer iſt 
Arifiofrat, er fißt wie ein König auf 
feinem Hofe und fein Volt ift das 
Gefinde. Schiller war in Leitungen 
und Gelinnungen ein Ariftofrat und 
iſt doch der volfäthümlichite aller deut— 
ihen Dichter. Der Volksgeiſt ijt eben 
ariftofratifh. Das Bauernthum iſt 
patriarhalifh organifiert, aus ihm 
nur fann die Monarchie hervorwachſen. 
Möchte man nicht aus demokratischen 
Gründen mit dem Bauernthume co— 
fettieren, jondern aus ariftofratifchen 
Gründen es wirklich lieben! Der 
Bauer fteht Gott und der Natur nahe. 


Ein gottlofer Städter läjst ſich allen— 
|falls ertragen, der Bauer aber muſs 
fromm fein; 
etwas Abjcheuliches. 


ein gottlofer Bauer ift 


Des Bauern mie des Königs 
deal heißt: die Heimat. In diefem 
Sinne ift der Deutfche vorzugsweiſe 
Banerngeift ift 


Die Preupen haben ftets Staats: 


„Ideal“. Adel kommt von edel, und | gefühl gehabt, aber das Heimatsgefühl 
der Edle ift kein Gegner des Niedrigen, | hat ihnen zumeilen gefehlt. Eine Ver— 
nur des Gemeinen. Gemeinheit ift Uns | bauerung Preußens ift jehr wünſchens— 
natur, Natürlichkeit ift Vornehmheit. wert. Immer auf das Gleichgewicht 


muſs gejehen werden. Ein confervativ 
angelegtes Volt foll liberal, ein liberal 
angelegtes conjervativ regiert werden. 
In eine geiftig Hochausgebildete Be— 
völferung muſs Bauernthum, und in 
ein Bauernland geiftige Eultur drin— 
gen. Nicht „Menjchenrechte vom Him— 
mel holen“, jondern Menfchenrechte 
aus der Erde graben ift die Aufgabe 
der Gegenwart — Erde ift Bauern— 
thum. Die angenehmifte, die jchönfte, 
die befte politifche Perjpective, welche 
fih dem Deutſchen eröffnen kann, ift 
die auf einen liberalen Ariftofratis- 
mus. Das Baueruthum will und 
braucht eine ariftofratiiche Regierung, 
eine Monardie. Jener ſchwäbiſche 
Baner im Jahre 1848 fagte: „mer 
wollen d Republik mitem Großherzog 
an der Spitz'!“ Schwaben! das Heißt 
Sueven, die Schweifenden. Sadjfen, 
das Heißt Saffen, die Sejshaften. 
Das gibt zu denken. 

Sit der Deutfche gefund, jo ift er 
gut. Wer ein rechter Deutjcher ift, 
der ift auch ein rechter Menjch. Keines— 
wegs umgekehrt. Aus Erde ſchuf Gott 
den Menjchen, aus dem Bauern könnte 
man den Deutjchen machen. 

Wenn das Bauernvolf nur mand- 
mal um feine Meinung befragt würde. 
Vollsmeinung ift eine andere, als die 
fogenannte öffentliche Meinung. 

Es ift ein alter Glaube, dafs 
Geifter wieder lebendig werden, wenn 
fie Blut trinfen. Der Geift der deut: 
ſchen Bildung kann erft wieder lebendig 
werden, weın er wieder Blut — 
Voltstdum in fih aufnimmt. Aus 
alten Hufeifen jchmiedet man die 
beiten Zoledoklingen, aus alten Volks— 
anſchauungen die beiten Geifteswaffen. 

Die Inſtincte des Volkes find 
tlüger, als die Sprüche jeiner Weifen. 
Man kann Har und feicht fein, man 
fan dunkel und tief fein. Dubois— 
Reymond geht, Goethe bleibt. 

Das Außere. In der Tracht der 
Deutſchen muſs das Zwedmäßige und 
das Buntfärbige wieder zu Ehren 
lommen. Der Chlinderhut ift das 


Rofegaer’s „Grimgarten‘‘, 1. Geft, XV. 


Symbol der heutigen deutſchen Bil— 
dung: farblos, hohl. Der Eylinderhut 
ift unnatürlich, unkünftlerisch, ordinär, 
Er ift, wie der Frad, Bediententracht, 
der Deutſche muſs Mann fein. Der 
Soldat, der Künſtler, der Bauer haben 
noch zweckmäßige, jchöne, farbige 
Tradt. So zeigt äußere Form inneren 
Gehalt an. 

Chriſtenthum! Die bisher höchſte 
fittlihe Leiftung des Menſchenthums 
beiteht darin, daſs Chriſtus aus Liebe 
fein Blut vergojs. Boltaire fomnte 
den Namen Ehriftus nicht ausſprechen 
hören, ohne in moraliiche Krämpfe zu 
verfallen. So auch das Merkmal einer 
untergehenden, greijenhaften Gultur, 
die allem kindlich Großen verſtänd— 
nislos gegenüberſteht. Das Chriſten— 
thum iſt in ſeinem letzten Grunde 
Menſchlichkeit. Das Deutſchthum iſt 
in ſeinem letzten Grunde Streitbarkeit. 
Kreuz und Schwert! die Menſchlich— 
feit will das Beſte, die Streitbarkeit 
leiſtet das Beſte, wenn ſie jene ver— 
theidigt. 

Richard Wagner! Ihm fehlt der 
Zug des Schlichten, Beſcheidenen, er 
hat alles, nur keine Ruhe, er weiß 
Leidenſchaften darzuſtellen, aber das 
ſchöne Maß, welches Shakeſpeare und 
die Griechen aufweiſen, iſt ihm ver— 
ſagt. Seine Gefühle find raffiniert. 
Shafejpeare war im Leben ein munz 
terer Gejelle, Wagner war der „Mei- 
ſter“. Einfalt und ftille Größe bietet 
Wagner nicht, und doch ift diejes der 
Kern aller Kunft und alles Volt3- 
thums. Wagner fühlt ji perfönlich 
mehr zu Schopenhauer, als zu Shafe- 
jpeare hingezogen — das charakteri= 
fiert. Wagner ift Romantifer, fein 
Claſſiker. Er arhailiert, und zwar 
weil er moderniliert, nämlich das 
deutiche Alterthum. Jenes betäubende 
und beraufchende Element, welches die 
Wagner'ſche Kunſt jo jehr charakteri- 
fiert, ift befonders undeutjch. Stein 
echt deutjcher Künſtler hat es in feinen 
Merken. Wagner kann troß jeines 


Abſcheues vor dem Judenthum einen 


4 


gewiflen Zufanımenhang gerade mit 
Meyerbeer nicht verleugnen, aber er 
hat größere Fähigkeit als diefer, er 
hat Meyerbeer übermegerbeert. 

Unfere Wiſſenſchaft Hat ſich ver— 
ſchachtelt in unzählige Specialſtudien. 
Theilung der Arbeit, wo jeder das 
Ganze thun, ſehen, fühlen müſste! 

Natürlichkeit, Beſcheidenheit, Ein— 
ſamkeit, Ruhe, Individualismus, Ari— 
ſtokratismus, Volksthum — das find 
die Heilmittel, die der Deutſche auf 
ſich anwenden muſs, wenn er der 
geiſtigen Miſere der Gegenwart ſich 
entziehen will. — 

Dieſe und ähnliche merkwürdige 
Gedanken finden ſich in einem Werte, 
welches unter dem geſuchten und un— 
paſſenden Titel: „Rembrandt als Er— 
zieher“, von einem Deutſchen, zu Leipzig 
erſchienen iſt. Wir machen zu den 
angeführten Ausſprüchen keine Bemer— 
kungen, der Leſer möge ſich darüber 
ſelbſt denken, was er will. Die kühne 
Verworrenheit, im welcher die ver— 


50 


Werkes an. Das MWerf erregt in 
Deutihland großes Aufjehen, der Ver— 
fafler ift ein Norddeuticher, welcher 
die Deutfchen des Nordens überaus 
boch ftellt, die des Südens aber weder 
berührt noch kennt. Am Liebften find 
ihm die Holländer, Rembrandt nennt 
er, wenn micht den größten aller 
Deutſchen überhaupt, fo doch den 
Typus der Deutfchen. Hätte der Ver— 
fajjer ſich auch die Oberdeutſchen in 
Schwaben, Baiern und Oeſterreich ein 
wenig angejehen, er würde in mans 
chem anders geurtheilt haben, vielleicht 
wäre ihm fogar der deutiche Profeijor 
in etwas günftigerem Lichte erfchienen, 
al3 dies im Norden, befonders in 
Berlin, der Fall war. Das Buch ent— 
hält Paradorismen auf jeder Seite 
und zugleich Herrliche Gedanken auf 
jeder Seite. Es ift eine neue refor- 
matorijche, wenn nicht revolutionäre 
That. Deutſche Wiedergeburt! Diefer 
Titel würde dem Bude fiten. Erd— 
geruch wie auf einem frifchgepflügten 


fchiedenartigften Gedanken bier zu- Felde fteigt auf aus dieſem Buche, 
fammengeftellt find, deutet wohl auch | und ein ganzer tapferer Kerl iſt's, der 
die etwas falope Schreibweife des es gejchrieben. R. 


Bergfrieden. 


Eine Spazierfahrt in den Alpen von P. R. Rofegger. 


6 


9} 
3} 
Er 


J 


geladen, 


553 


<A" Juni d. 3. wurde ich ein= |wohlangebautes Thal, das viele Ort» 
einen berühmten 


Ichaften Hat und ſanft auffteigende, 


© vGreund zu beſuchen, der weit mäßig bohe Berge zu beiden Seiten. 


oben im Gebirge wohnt. 


ı Dann ein ftattlicher, ftahlgrauer Fluſs, 


Alſo machte ich mich eines Schönen | dem man eine halbe Stunde lang ent= 
Morgens auf. Ihr kennt fie, die'gegenfährt. Auf diefer Strede zwei 
rollenden Reifen mit den Engels- | blühende Landftädte. Bald biegt die 


flügeln, die ungeheuerliche und zu— 
gleich glückliche Berfinnbildlichung des 
eilenden Dampfwagens. Auf fol 
beflügelten Rädern flog ich davon. 
Anfangs gieng's dur ein Tonniges, 


Eiſenſtraße nah rechts in ein Thal, 
deſſen Berge ſchon höher auffteigen zu 
glatten Almen oder zu kahlen, braunen 
Kuppen und einzelnen Felsriffen. Im 
Thale ſelbſt geht auf dem Höhepunkt 


5 a A { u 
an 
: ⁊ 





einer Waſſerſcheide der Ackerboden in 
moorigen Wieſengrund über, Her— 
nach wieder ein anderes breites Thal, 
das ſich von Morgen gegen Abend 
zieht. Da ſtehen in lichtem Höhen— 
rauche die felſigen Berge, wovon einer 
ſich wuchtig und ſchroff in die Wolken 
erhob. Die Ortſchaften können nicht 
mehr mitten im Thale ftehen, weil 
fie dort im Moore verfinten müſsten, 
fie ſchmiegen fich lieber an die Berg— 
ſohle. Auf Moorgrund weitum zer— 
ſtreut zahlreiche Heuhütten. Ein ſchöner 
großer, grünlich ſchimmernder Fluſs, 
dem mir ſtundenlang entgegenfahren, 
bis er fih im Alınbereiche fachte ver- 
liert und wir in ein anderes Waſſer— 
gebiet gelangen. Die Bauernhäufer 
find bier ſchon nad) Schweizerart ge— 
baut, mit flachen, fteinbefchwerten 
Schindeldächern und Glodenthürme 
hen. An einer Stelle Ausblid auf 
Gletſcher. Der Zug rollt über Brüden, 
durh Zunnele in ein tieferes Thal 
nieder, da gibt’3 ein großes, lehm— 
graues MWaffer, da gibt's die ſchlanken, 
jpigen Tiroler Kirchthürme, da gibt 
e3 ſenkrecht auffteigende, zerriſſen— 
wändige Felsberge. Die Richtung 
geht gegen Abend, an einer alten, 
aber noch immer wie drohend ſtar— 
renden Bifchofsvefte vorüber, dem to= 
jenden Waſſer entlang in eine groß- 
artig wilde Schludt, eingeengt zwischen 
bimmelanfteigenden Wänden, eine 
Wildnis, die fih ſchwer auf unfer 
Herz legt. Endlih ift anders nicht 
mehr vorwärts zu kommen, da durch— 
bohrt die Bahn einen Berg und nad 
langem unterirdifchen Rollen gelangen 
wir hinaus in ein breiteres Thal, 
wo neben Eijenbahn und Fluſs auch 
wieder Matten, Felder und Schöne 
Ortichaften liegen. Vom Fuße eines 
Berges herüber rauscht es wie ein 
Wafjerfall. Das Dampfrojs eilt weis 
teren, lichteren Gegenden zu, die 
Berge werden niedriger und niedlicher, 
zur linfen noch ein zerrifjenes Ge— 
birge mit reichjtem Sagenkranze; 
rechts eine janfte Bergfuppe, auf 


51 


ZU — — — — — — — — 


— — — — —— — — 


deren Spitze ein leuchtendes Gebäude 
ſteht, zu welchem keck und friſch eine 
Eiſenbahn emporſteigt. Zwiſchen dieſen 
beiden Alpenausläufern liegt am 
grauen Fluſſe eine Stadt, mit ihrem 
Bergcaſtell maleriſch wie das tempel— 
gekrönte Athen. 

Hier verlaſſe ih die Eiſenſtraße, 
welche hinausgeht ins Dügelgelände, 
in die Ebene gegen den großen Strom. 
Auf einer Keinen Seitenbahn, deren 
verfäumter Dampfwagen nöthigen— 
falls mit einem flinfen Einfpänner 
einzuholen ift, durchraſſele ich Die 
Stadt, berühre auf weiter Fläche 
Dorf um Dorf, Schloſs um Schlofs, 
auch einen herrlichen Garten, in wel— 
chem Neptun feine Taſchenkünſte treibt, 
und komme endlih an den Fuß des 
wilden Berges mit der Sagenmeihe. 
Hier fteige ich in einen Stellwagen, 
der in das bewaldete Engthal biegt 
und aufwärts führt an einem fchönen, 
Haren, breiten Alpenwaller. Zu einem 
Flecken fomme ih, der im Engthale 
liegt und der vor etlihen Jahren in 
einen See verſinken musste. Solder 
See hatte jih eines Tages gebildet, 
weil, durch einen Bergfturz unterhalb 
des Ortes gehemmt, das Waller nicht 
abfliegen fonnte. Im Hintergrunde 
des anfteigenden Thales dämmern 
finfterblaue Bergriefen, denen ich zus 
fahre. Das Thal weitet ſich, aber 
der Abend ift augebroden und der 
große, weitberufene Ort, der zerfireut 
auf Hügeln und Höhen liegt, winkt 
mir in feinen Lichtern zu. 

In dieſem Orte erwartet mich der 
Freund mit feinem Wagen. Wir 
fahren noch ein halbes Stündlein in 
die Naht hinein; manchmal raufcht 
der Fluſs, manchmal noch blinkt eine 
Felätafel nieder und das Abendroth 
verglost langſam Hinter den finiteren 
Baumwipfeln, die über unferen Häup— 
tern find. Am Wege ein blaſſer Holz— 
pfahl, an welchem es vor Jahren ver— 
findet worden tar, dafs der Freund, 
der nun geruhig an meiner Seite 
fit, nach romantifchen Stürmen fein 

4* 


az 
- 


Meib gefunden. Wir fahren in Schlafgemadh. Bevor er mich ver— 


düfteren Wildnis und die ſchwarzen ließ, ſagte er: „Freund, morgen, 
Wuchten der Berge engen immer mehr | wenn du aufgeſtanden fein wirft, thue 
den Sternenhimmel ein. mir den Gefallen und tritt dur 

Plögliih Hält der Wagen. Wir |diefe Thür auf den Söller hinaus.” 
fteigen aus, und don einer Anhöhe — In meinem Sclafgemahe war 
herab winken bunte Lichter. „Damit trauliher Behaglichkeit finfterer 
oben fteht fie, meine Klauſe“, ſagte Ernſt gepaart. llber dem Bette ein 
der Freund. Wir fteigen hinan, Im | Raphael’icher Engelskopf, vor dem 
Scheine der Lampen tritt aus der) Bette das Chriftushaupt vom „Lebten 
Duntelheit ein ftattlihes Haus mit |Abendinahle* des Leonardo de Vinci. 
fteilen Dacgiebeln und Thürmen. | An der Wand mit gothiichen Buche 
Über dem Eingange das Wort: „Berg |ftaben tieffinnige und lebenablehnende 
frieden“. Am Söller fteht livrierte | Gedenkſprüche. Alfo: „Ich will allein 
Dienerihaft mit Lichtern, und die ſein.“ „Werde ftarr, wie dort vor 
Quaderſtufen nieder fteigt eine ſchlanke, dir der troßige Feld.“ „Und fiehe, es 
herrliche Frauengeltalt, den Ankömms war die Stimme eines Predigers in 
ling zu begrüßen, Ich werde Hinein= [dev Wüſte.“ „Ruhm ift eine Quelle 
geleitet in die mit Teppichen üppig |von Leiden, Dunkelheit eine Quelle 
bededten, mit jchwellenden Ruheſitzen von Glück.“ „Den Gößen ftürze, den 
beftandenen, Hell erleuchteten Räume, Gott gib dir ſelbſt.“ — Bald glitten 
bin anfangs geblendet von der Farben- die ſchweren Gedanken ab von meiner 
pracht, die überall ihre bunten Guten |frohen Seele und ich fchlief. 
jpielen läjst. An den Wänden kunſt— Am nächſten Morgen, als mein 
voll gefchnigtes Getäfel, Gemälde, | Auge aufgieng, badete ich im einem 
Seltjamteiten aus verjchiedenen Län- hellen, goldigen Lichte. Wo kam es 
dern und Zeiten, weiße Marmorge- |her? denn das Gemach hatte fein 
bilde clafjifscher Kunft. Der würdige Fenſter. Es kam vom Dache herab, 
Zeus und die erhabene Ballas Athene, durch einen rothen Borhang janft ges 
die finnenwedende Aphrodite und der |dämpft, jo dafs alles, was um mich 
Ichalthafte Amor — fie alle find da war, in Roſen blühte. Ich öffnete 
in Geftalt und im Geifte. Daneben Jeine Thür und trat auf den Söfler 
prangende Palmen, darüber duftendes | hinaus. — O Sommermorgens= Herr: 
Tannengewinde, davor Alpenrofen und lichkeit! Auf grüner, thaufunkelnder 
Edelweiß. Das alles und vieles an ! Matte, nad dem Berge hin in einem 
dere ift jo berüdend, überwältigend | Halbkreis don mächtigen Ahornen und 
und gemüthlich zugleich, das ich es Fichten umgeben, ſtand das Haus. 
am beften bezeichne mit dem Worte: | Da unten ein weites Thal mit Wald- 
Ein Neft der Schönheit. Schluchten und Hochebenen, beftanden 

Und im dieſem Hauſe, genannt von Banernhöfen und Herrenhäufern, 
„Bergfrieden“, herricht ein moch ju= Jim Hintergrunde Waldhöhen, Almen 
gendlihes Paar, deſſen Haupt mit und graue Feldwände, dazwiſchen eine 
einem Lorbeerzweige gekrönt ift. Auf tiefe Thalſcharte hinaus ins ebene 
unferer Wanderung duch die Räume Land. Gerade vor mir über Buchen⸗ 
des Hauſes kamen wir endlich in ein und Ahornkronen, hinter einem ein— 
Gemaͤch, in welchem der Tiſch gedeckt zigen Vorberge ſteigt ein zweihörniges 
war zum Abendmahle. Beim Rubine Felsungethüm in die Himmelbläue an, 
des Meines feierten wir unſer Wieder- und unterhalb der Hörner, wovon das 
ſehen. kleinere ſcharf und ſpitzig, das größere 

Um Mitternacht führte der Haus- maſſig und ſtumpf iſt, ein blinkendes 
herr mich hinan die Treppe in mein Eisfeld. 


| 


Diefes Felſenungethüm ift der 
Watzmann. Ih bin im Thale von 
Berchtesgaden, in der nächſten Nähe 
des Königsſees. — Wenn du, mein 
Leſer, verlangft, daſs ih dir die 
Schönheit diefes Morgens und diejer 
Gegend bejchreibe, jo mufs ich lachen. 
Das geht nicht, Freund. Hundert 
Federn und taufend Pinfel haben fich 
Thon abgenüßt im diefem Vorhaben, 
und doch rollen da unten die glatte 
Straße im Sommer täglih zahllofe 
Wagen don Leuten, die aus aller 
Melt herbeikommen, um, mijstranisch 
gegen Wort und Bild, mit eigenen 
Augen zu fehen. 

Meine Stimmung wurde aud 
noch durch Auperordentliches gehoben. 
An jenem Morgen um zehn Uhr be= 
gann eine Sonmnenfinfternis, die aus 
dem urgewaltigen Feuerrade ein freunde 
lich leuchtendes Mondkipfel machte. 
Ein klein bifschen wällerig und 
mattfarbig mar das Licht im Ge- 
birge; doch wer die Sounenfinſternis 
nicht aus dem Kalender wufste, in der 
Natur Hätte er fie kaum bemerkt; und 
dennoch war die Sonne — durch dunkle 
Gläſer beſchaut mehr als zur 
Hälfte dahin. So viel UÜberfluſs hat 
fie noh an Licht und Wärme. Und 
das ift mir ein rechter Troſt, troß 
mancher Verfinfterung: „Die Sonne 
Homers, fie leuchtet auch uns.“ 

Gegen Abend mit dem Freunde 
einen Spaziergang zum Königsſee. 
Die Straße glatt, wie mit Asphalt 
gepflaftert, duch ſchattige Waldſchachen 
und über Miefenpläne, auf welchen 
mancher hausgroße Felsblock liegt, 
der don hohen Bergen einft mit 
Rieſenſchritten Herabgejprungen ſein 
mag. Am See links entlang einen 
Waldſteig bis zur Stelle, wo eine 
Bank zum Sitzen iſt und der See ſich 
in ſeiner düſteren Pracht aufthut bis 
nach dem Jagdſchloſſe von St. Bar— 
tholomä. Das Plätzchen, wo wir 
ftehen, Heißt der Malerwinfel. Hier 
it der Ursprung der 


53 





unzähligen | 
Königsfeebilder mit den fleilen Bergen 


an beiden Seiten des Sees, mit der 
zjweithirmigen Kirche in St. Bartho— 
lomä, mit den Vorwänden des Waß- 
mann, des Gotzen, des großen Hundes 
tod, des Steinernen Meeres und des 
Horn. Eines der großartigjten, dü— 
ſterſten Landjchaftsbilder der Erde, 
vorwiegend die finjterblanen Schatten 
des Seefpiegels, der bewaldeten Berg 
hänge, der flarrenden Felswände. 
Aller Glanz des Himmels, alles 
Wolkenleuchten, alles Alpenglühen der 
Hochzinnen vermag es nicht, die blaue 
Dämmerung zu bredden, die über diefer 
Ihaurigen, mit Waller gefüllten Ge— 
birgsipalte herrfeht. Hie und da das 
Toſen eines Wafjerfalles, der Piſtolen— 
fnafl eines Schiffers und der Wieder- 
ball im den Wänden, das Krächzen 
des Geiers, vielleicht au das von 
Gemſen  Tosgetretene Steinbrödeln 
unterbrechen die Stille des Sommer— 
tages. Ein anderes Lied, wenn e3 
Sturm gibt! Da wird der fonft 
fpiegelglatte See jelbft zu einem Ge— 
birge mit hohen Wogen und Giſcht— 
fämmen, deren weiße Fetzen don der 
Moge losgerifjen in den Lüften fliegen, 
Mein lieber Genofje erzählte mir von 
einem Fährmann, der von Bartho- 
lonä nah SKönigsfee herüberfahren 
wollte auf feinem Boote. Da kam 
von den Gebirgen ein Sturm nieder- 
gefahren, der lieh das Schifflein nir- 
gends landen; von den wenigen 
Landungsplägen, wo es anfahren 
wollte, warf er es zurüd in den wild— 
brauenden See, auf welchem der Fähr— 
mann eine lange, jchredlihe Nacht 
zubringen mujste. A’ fein Anſtrengen 
war vergebens auf den rajenden, 
frahenden Waffern, Nebel, Regen und 
Nacht, alſo dreifah war er einge: 
wölbt in fein Verderben. Er ließ die 
Ruder aus der Hand ſinken, denn 
die armſelige Menfchentraft war 
fächerlich gegenüber den entfeilelten 
Urgewalten. Er legte fih der Länge 
nad in das Boot, umabläflig begofjen, 
geſchaukelt, hin- und hergeworfen im 
fellerfinfteren Chaos; und troß des 


va 
rn 


54 


wahnſinnigen Getöſes — ſo hat er 
nachher erzählt — hörte er die Engel 
in Himmel ſingen. Aber das Fahr— 
zeug wurde nicht umgemworfen, micht 
an die Klippe geichleudert, es ver— 
ſank nicht und es barft nicht. Als 
der Morgen fam, gelang es dem Marne, 
am Fuße des Gobenberges zu landen 
und einem Almer rief er zu: „Sch 
dent’, Alter, heut’ bin ich um einen 
Ihaler mehr wert, als geitern !“ 

Im Malerwintel, zwiſchen ftrups 
pigem Gebüfche und fantigem Ge— 
völle fahen wir auf einem Steinblod 
und blidien hinein über den dunklen 
Geejpiegel in die zerrilfenen Berge, 
die drinnen beim noch wilderen Ober- 
fee aufftiegen. Wir faßen da und 
Ihmwiegen. Wir fchwiegen lange. Zwei 
arme, bilflofe Menfchenwejen in der 
grauenhaften Wildnis, zwei heiß— 
pochende Derzlein zwiſchen ungeheuren 
Steinwuchten. Denn dieſe Wild- 
landfhaft am Königsfee ift nur ein 
Gleichnis für die große Wildnis diefer 
Melt. Selbit das leidenfchaftlichite 
Weſen mujs zu folder Stunde feine 
Fahne fenfen und capitulieren... 

Auf dem hohen Göll lag ſchon 
das Alpenglühen, als wir unferen 
Heimweg antraten, und vom Thurme 
zu Berchtesgaden Hang leife die Ave: 
glode herüber, al3 wir die Anhöhe 
hinaufftiegen zu dem  dreigiebeligen 
Haufe, das mit jeinen Sprüchen und 
aus Holz gefchnigten Emblemen, mit 
feinen Epheuranken und Rofen ein 
architeltonifches Gedicht ift, genannt: 
„Bergfrieden“. 

Auf einem der Dachgiebel hockt 
ein hölzerner Kater und ſinnt. Dar— 
unter an der rechten Ede iſt ein 
hölzernes Herz und in der linfen ein 
Bündel Pfeile. Und der Kater Hidi— 
geigei ſinnt darüber nad), wie es wäre, 
wenn das Herz plößlid von Amors 
Pfeilen getroffen würde. O du lieber 
Skater Didigeigei, wenn das Herz von 
Amor: Pfeilen getroffen wird, jo iſt 


das eine ganz eigene Sad’! Mander, | 


der im Bergfrieden geraftet, weiß da— 





von ein Liedel zu fingen, Einer, der 
darin Haust, darüber eine Tragödie 
zu Fchreiben, und wenn die Tragödie 
aufgeführt wird in Berlin oder Wien 
oder Graz, jo beben Weiber und 
Ihluchzen Männer... 

Wer an den tiefen Ufern des 
Königsfees geftanden, der möchte wohl 
auch auf einer Berghöhe ftehen in der 
Berchtesgadener Gegend, um die groß— 
artige Alpenlandichaft auch von oben 
zu ſchauen. Wohlan, folge mir. An 
Ichattigen Waldwegen führe ich dich 
hinan und immer binan, bis dort, 
wo die Fichten aufhören und die 
Legföhren anheben. Auf der Alm— 
matte, 1000 Meter hoch, ſozuſagen 
auf dem Schoße des hohen Göll, fteht 
ein ftattliches Hoſpiz, eine großartige 
Herberge für Zouriften, Sommer: 
frifchler und Luftcurgäfte. Die Pen— 
ion Moriz, auch das baieriſche St. 
Moriz genannt, Bon diefen Hauſe 
ans welch ein Bild! Da unten in 
dem reichgegliederten Thale das über- 
aus malerifhe Berchtesgaden, dort 
drüben das langgezogene Lattengebirge 
bei Reichenhall, und gerade vor uns 
— Brut an Bruit Steht er uns 
gegenüber — der ftarre, graue, zer— 
tifjene Untersberg, in welchem Kaiſer 
Rothbart geſeſſen bis zu dem Tage, 
an dem im Schloſſe zu Verſailles 
auf das Haupt des Kaiſers Weißbart 
die deutſche Kaiſerkrone geſetzt ward. 
— Und rechts hinaus, am Unters— 
berge vorbei, liegt die Ebene mit der 
ſchönen Stadt Salzburg. 

Doch nicht allein der Ausblick, 
auch der Einblick iſt intereſſant bei 
der Penſion Moriz. Ein verein— 
ſamtes Weib aus dem Volke, welches 
Schiffbruch gelitten hat an ſeinem 
Glücke, beſchließt, auf unwirtlichem 
Berge den Boden urbar zu machen 
und ein Hoſpiz zu gründen für 
Fremde, Kranke und Naturfreunde, 
Sie ift arm und ohne Einflufs, 
hunderterlei Widermärtigfeiten ſtellen 
ih ihr entgegen, aber fie hat einen 


ſicheren Blid, eine fefte Hand, ein 


5 


ſtarkes Herz, fie iſt eine Brigitta-raſch niedergefloſſen über das Eisfeld. 


natur nah Adalbert Stifter, und es 
gelingt ihr, die Matten zu ent— 
fteinern, die Moore zu entwäſſern 
und auf hohem Alpenplan eine Ans 
ftalt zu gründen, welche hunderte von 
Bewohnern Fast und troß des Furzen 
Beſtehens ſchon weit und breit be= 
rühmt if. — Der Förfter Mayer zu 
Reichenhall, jo wird erzählt, hatte in 
feinen späteren Tagen Anmwartichaft 
auf einen Sproffen befommen. Er hatte 
gar Fräftigen Willen und bejchlofs, 
den Snaben, wenn er erfchiene, auf 
den Nanıen Moriz taufen zu lalfen. 
Aber ftatt des Knaben erjchien ein 
Mädchen, alfo taufte er — weil fein 
Wille galt — das Mädchen: Moriz. 
Und dieſes Mädchen Moriz Mayer 
ift die tapfere Gründerin der großen 
Penfion geworden, welche auf dem 
grünen Mattenſchoße des hohen Göll 
fteht und freundlih Hinausleuchtet 
über Berg und Thal. Die ftattliche 
Jungfrau don achtundvierzig Jahren 
führt die Zügel der Wirtſchaft mit 
jiherer Hand, ſtramm und urwüchſig 
in ihrem Weſen macht fie nicht viel 
Aufheben: von den Vorzügen der An— 
ftalt; freundliche Zimmer, gute Betten, 
Fichtennadelbäder, herrliches Quelle 
waſſer, nahrhafte Koft verfpricht fie, 
Luft und Sonnenjchein gibt der 
Herrgott vom Himmel dazu, und fertig 
iſt's. Stein befradter Stellner, feine 
franzöfiiche Speifelarte, fein Clavier! 
Wohl aber Kugelbahn, Schützenſtatt, 
und wer mit der Welt fhwahen will, 
Fernſprecher nad Berchtesgaden und 
jo weiter. Mancher ftieg hinan auf 
einen Tag und blieb wochenlang 
oben. 

Mir zog ſich leider die Nebel- 
haube zu früh über Augen und Naje 
herab, da kroch ich thalwärts zum 
lieben, einfamen „Bergfrieden“. Dort 
vom Söller aus war num zu beob= 
achten, wie ein Weltuntergang ans 
hebt. Zwifchen den Hörnern des Waß- 
mann hatte ſich anfangs ein bleigrauer 
Nebelballen hervorgedrängt und war 


Ebenjo ſanken die Wollen herab 
an den Hängen des Jenner, des Hoch— 
falter, des Lattengebirges. Der Unters— 
berg war gar nicht mehr da, nur jeine 
Sohle ſah man noch als finfterblauen 
Streifen. Ganz dunfel war e3 ge= 
worden, und doch erjt Frühnachmittag. 
Regungslos jeder Halm auf der 
Matte, jedes Blatt am Epheu der 
Hauswände. Bon der Schludht her 
ein dumpfes Braufen. Soll das der 
See fein? Plötzlich ſpringen aus 
finftergrauer Nebelfläche weiße eben 
hervor, wie ein Gifchten der Wolfen 
malen ift es. Da heben dort drüben 
die Wipfel an zu wanken, heftig an— 
einander zu Schlagen. Die Diener: 
Ichaft des Haufes eilt, alle Läden zu 
Ichliegen, Lichter werden angezündet 
wie am Winterabende, und jchon ift 
es da. Laut ftöhnt der feite Bau, 
als die erfte Sturmmoge anprallt, die 
Fugen der Läden entzünden ſich grell 
— der erfte Blisfchlag, und nun 
geht der Tanz los. Als ob taufend 
Fäſſer Sandes niedergejchüttet, ange— 
chleudert würden ans Haus, jo raufchte 
und prafielte es, von den Blitzen mur 
der Schein, nicht der Donner, denn 
der erjticdt in dem Getöfe des Regens 
und des Dagels. 

Meines Freundes Geliht war 
blaf3, als wollte e$ jagen: Morgen 
fan diefes Haus eine Ruine fein, 
Hatte er es doch auch in feinen 
Romane „Bergafyl” fo aufgefchrieben, 
und die Denkſprüche diefes Hauſes 
find fo düſter wie der Wetterhimmel. 
— Eine Stunde jpäter fchien Die 
Sonne. Emfig floffen die Gießbäche 
ab, an den Dachtraufen lagen Schichten 
von Heinen Hagelkörnern, aber die 
Matte war grün geblieben. Leichte 
Wolken ftiegen auf, und vom Unters= 
berg über das Salzahthal hin jpannte 
fih ein Regenbogen. 

„Richard“, jagte ich zu meinem 
Freunde, „To gebt es oft in dieſem 
Leben. Manchmal glaubt man, alles 
ſei verloren, aber das Leben ſiegt und 


die Sonne fiegt. Du fagft es jelbft, | ©, re a — * 

a Fr 1 'Mie haft zur Natur aud die Kunft gepaart, 
er ke re u —— Zum Himmel die Erde, zum Walde die Welt, 
rant und Die Ak iche Maria- Grüner Sn deiner Klauſe ein Weib dir gejellt. 
Sonne bei Graz wieder gefund gemacht. | Ein herrlies Weib im trauten Nefte 
Die Sinnfprühe auf deinem Haufe für —— — 
flimmen nicht. Sie taugen nicht zum | 1m tm Derzen, Im Sinn, Vor zwei, 
Leben, nicht zum Schaffen, nicht zum al BE nn 


Glücklichſein. Laſs fie ftehen an der 
. n Freund Richard legte lächelnd 
Wand als ein Denkmal wetterfhwohler | nen Kom um den Naden ber Stau 


Zeiten, und von mun an jchreibe A j 
deine Gedanken auf die grünen Blätter] Velanie und im ben Zweigen ber 
Buche fang ein Fink. 


der Bäume, auf die bunten Blätter 

der Blumen, da erfcheinen fie neu Am nächſten Morgen wanderte id 
mit jedem Frühling wieder. Ei fiehe, | unter ZTücherjhwenfen davon. Auf 
was fieht denn auf dem Stamme | Wiederfehen, wenn die Trauben reifen! 


diefer Buche gefchrieben ? 


Auf Wiederfehen im lieblihen Graz ! 


Wie ihnen der Schnabel g’wadfen. 


Trutz- und Lieb’sgfangeln aus dem Volle der Alpen. 


Al ? 
wa Iuftger Buab bin ih, 
If Trinf ah gearn an'n Wein 
S5y Bin überall ſchuldig, 
s Darf nirgends recht 'nein. 


Beim Lambl oan'n Guldbn, 
Beim weißen Nojs zween, 
Wia wiard's m'r afn Sunndag 
Beim Hirſchnwirt gehn? 
* ⸗ 
* 
Dais die Bauern Bauern fein, 
Des macht da Pfluag, 
Und dajs die Buabn raufhig wern, 
Machts Bier in Kruag. 
[3 * 
* 
An der Schneid hat's ma nia gfehlt, 
Aber öfter an Geld; 
Is ma liaber, loan Geld, 
Als koa Schneid auf der Welt. 


+ * 
* 


Wan ib an Übderl hätt, 

Das fih net rührt, 

Des lieh ih mer ausjchneibn, 
Dais 8 mih nit irrt. 





Wann ih ins Zillerthal eini geh, 
Leg ih mein Gamshoin an, 
Und wann mih mei Diandel in der Kirchen 


ſicht, 
So ſchaut fie loan Heil'gen mehr an. 


v * 
* 


Wenn dein Herz a ſo treu wär, 
Und ſo wahr, wia das mein, 
So müſste dei Schweſta 

Mei Schwagerin ſein. 


* * 
* 


Den Schnee an der Sonn dörrn 
Und den Wind in a Kiſten ſperrn. 
Und ein’ Kahlkopf glatt jcheern, 
Des Ta feiner erlern’'n. 
* 3— 
* 


Und der Türk und der Ruſſ', 
Die zwoa gehn mi nir on, 
Wann ih no mit mei Diendl 
Koan Kriegshandel bon. 


* * 
* 


Mei Schatz is a Schneider, 
Is ſchön, aber klein, 

Der fiel uns bam Eſſen 

An die Suppenſchüſſel nein. 


Da lag er in der Suppen, 


Mir han nit dergudt, 


Da bat n met Pater 


Mit hinuntergeſchluckt. 


Mi dauert mei Schneider, 


Mei Grant ift net 3 
Y bob n im Herzen 


tragen, 


Un mei Vater im Magen. 


Luftig madt durftig, 

Macht n Geldbeutel leer, 
Ah, wenn dod mei Geldbeutl 
A Kälberfub wär. 


* * 


* 
Und 8 Bier und ih jelber, 
Ih jelber und 8 Bier, 
Mir fein Kameraden, 

Die Iufligften vier. 


* * * * 


* 
Mei Diendel is zu jehr betrilabt, 
Sie jagt, ih hätt's zu ſehr geliabt, | 
Sie ftedt ihr Fürtuch hin und her, Wenn d’ abbreden thätft, 
Doch hilft derweil kein Steden mehr. | MWärft zum Antnüpfen 3 furz. 
%* 


* * * 


“ * 
Allweil luſtig, allweil frifch, Schön bin ih nit, reich bin ih wohl, 


* 
Hör auf a ſo z ſingen, 
Du ſpannlange Wurz, 


Luſtig, wer noch ledig is; 


Zankt loa Mann und ſchreit foa Find, 


| 
Ledig jein is a loa Sünd, | 
l 


* * 
* 


Wan's regnt, do wird's naſs, 
Und wan's ſchneit, do wird's weiß, | 


Und was die Sterzing 


er ärgert, 


Des thua ih mit Fleik. 


* * 
* 


| 
Da droben auf der Alm 
Hab ih Buſſerln gejät, | 
Is an anzigs aufgangen, 


MWenn’s nur reifen nit thät! 


* * 


r 
Weiß ift die Holderblüch, 


Alte Liab roftet nia, 
Noftet fie ah bei Tag, 
Bei der Nacht nia. 


* * 
* 


Mei Diandel is kloan 
Wie ein Zirbelnüſſel 





Und ſo oft als ih's halſ', 


So lacht's a biſſel. 


* * 
* 


Wans Diandel zum fFenfter geht 
Und fragt, wer draußen fteht, 


Muck e8 mehr Buabn 


* 
Die Liab is a Diende 


Der Verſtand is a Bua, 


So gſcheidt er ah is, 


Sie foppt ihn doch gnua. 


* * 


* 
Der treuefte Freund, 


Ten ans hat af der Welt, 


Das is gar oft der, 


| 
| 
| 
babn, 
Sunft thäts nit viel fragn. 
I, 


Der im Hof drunien belt. 


's Liadel i8 aus, 


Hab ganzn Beutel voll, 
Gehn m’r drei Kreuzer ab, 
Dass ih an'n Groſchen hab. 


* a 


* 
Mei Vater hat gſagt, 
Biſt a rechter LuUmmel, 
Brauchſt alls zwenig Geld, 
Wird alles voller Schimmel. 

* * 

Manchmal a biſſel luſtig ſein, 
Manchmal a biſſel bein; 
Aft woaß unſa Herrgott ſchon, 
Wie mir's gern hättin. 


* * 


* 
Hab zweierlei Flaſchn, 
33 an jede von Glas, 
Yür die Freud ane, fürs Leid ane, 
Haltet jede a Maf. 


* * 


* 
Wan's regnet und ſchneibt 
Und Laubblätter treibt, 
Wan's ſtark gwittern thuat, 
Sein die Hausmenſcher guat. 


* * 


* 
Je höher der Thurm, 
Je ſchöner das Geläut, 
Je älter die Weiber, 
Je zäher die Häut! 


= 


* 
Papiermünz wird gmadt, 
Müaſſens nehma für Geld, 
Derfen Erz foans mehr grabn, 
Send zuviel Lumpn auf der Welt, 

* * 

* 
Sie nir ſchön, er nir ſchön, 
Wia wird's da amal gehn? 
Er nir nuß, fie nix nutz, 
Als wird verpußt. 


’& wird neamma länger, 
Der’3 länger will habn, 
Muſs's zan Nagelſchmied tragn. 


Auf der Herberge für arme Reifende. 
Ein Zeitbild. 


5) 
nr 
Hr der Abenddämmerung zogen 
5— die Straße entlang zwei arme 
3 Reijende. Der eine, ältere, war 
über und über braun wie ein Mailäfer, 
auch der vom ſchmierigen Rod ſchlecht 
verdedte Hemdfragen war braun und 
am linfen Bein endete die Hoje all- 
mählich in Franſen, ehe fie noch herab— 
reichte zum ftaubigen Stiefeltift. Unter 
dem Arm trug er ein Bündel, das 
gar feine ausgejprochene Farbe befannte. 
Im jonngebräunten Gefichte war jelbft 
das Weiß der Augen dunkel unters 
laufen. An der Hand einen Snippel: 


„Ich denke, die Berpflegsftationen 
find doch nichts Schlechtes für reifende 
Handwerksburſchen“, wendete der An— 
dere ein, „da weiß einer, wo er hin— 
zugehen bat, fein Eſſen und feine 
Liegerftatt findet und nicht zu betteln 
braucht.“ 

Der Braune warf dem aljo 
Spredenden einen Blid zu, in welchem 
die tiefite Verachtung lag; fo namenlos 
verädhtlich kam ihm dieſer Menjch vor, 
daſs er feine Auslaſſungen keiner 
Entgegnung würdigen wollte. Endlich 
aber ſiegte die Barmherzigkeit, welche 


ſtock, das war ſein Um und Auf. Der dem Chriſten vorſchreibt, Irrende zu 


andere, der jüngere, war beſſer bei— 
fammen und trug auf dem Rüden ein 
Felleiſen, wie ſich's gehört. 

Als fie gegen ein Dorf kamen, 
blieb der Braune ftehen und fagte: 
„sh gehe nicht weiter. Dort fteht er 
wieder, der verdammte Galgen. Ich 
mach’ mich da bequem.” Und er legte 
jih in den Straßengraben. 

An der Straße fand ein Pfahl 
mit einer Tafel, auf welder Folgendes 
zu lefen war: „Das Betteln ift nad) 
8 2 des Vagabundengeſetzes bei Strafe 
von acht Tagen bis zu drei Monaten 
Arreſt verboten. Arme Reiſende er— 
halten in der hieſigen Natural-Ver— 
pflegsſtation Aufnahme und Unterkunft, 
woſelbſt auch Dienft und Arbeit zu 
erfragen ift.” 

Und das 
Galgen“. 

„Berpflegsftation, natürlich wieder 
Berpflegsftation!“ brummte der Braune, 
„Iſt auch wieder jo was Neumodisches, 
wo der arme Handwerksmann nieder— 
gezogen wird; deswegen fage ich, für 
die armen Leut wird's alleweil Schlechter 
anf der Welt.“ 


war der „verdammte 


belehren. Er richtete fi daher ein 
wenig auf, wendete das Haupt gegen 
den unfeligen Sameraden, weldher an 
der Straßenplanfe lehnte, und jprad: 
„Edler Weber, du bift dumm wie ein 
junger Hund. Eſſen und Liegerftatt 
finden! Nicht bettelm müfjen! Und 
glaubjt damit weiß Gott was Herr— 
lihe3 gefagt zu Haben. Sei fo gut, 
drüde der löblihen Gemeinde Staus 
bing das Straßengeländer nicht zu 
ſchanden mit deiner windſchiefen Weber- 
figur. Müde bift? Ach glaub’ dir's, 
ſchöne Seele. Gehe nur hinein im die 
Berpflegsftation und raſte dich aus 
nach dem weiten Mari. Geh’ nur 
in die Leidensftation, Hi hi, mehr als 
zwölf überdauert feiner. Das erfte ift, 
das dich der Verwalter anjchnauzt 
nach den Papieren. Nachher padeit fie 
halt aus, deine heiligen Schriften und 
Dffenbarungen. Unfereins wird für 
einen Lumpen und Gauner gehalten, 
jo lange fie nicht das Gegentheil leſen 
auf dem Papier. Dem Lumpenblatt 
glauben fie mehr, als unſerem ehr— 
lihen Gefichte. Hundertmal könnt’ man 
fie gerichtlich verklagen wegen Ehren 





beleidigung. Nah dem Vagabunden— 
gejeß werden wir behandelt, wir reis 
ſenden Gewerbsleute, wir, der künftige 
Bürgerftand! Ich ſag' dir's, Weber, 
es iſt eine Bagaſch!“ 

Der Weber blickte den Entrüſteten 
völlig verblüfft an. 


„Höre“, jagte er zum Braunen, 
„ich weiß nicht, Habe ich fo fchlechte 
Augen oder einen ſo kurzen Berftand, 
denn offen gejagt, wie du jeßt vor 
mir daliegft, Drachsler, kommſt du mir 
wirffih mehr wie ein VBagabund vor, 
al3 wie ein Bürger.” 


Der Braune lächelte gutmüthig und 
jprad: „Das fommt von deinem fur- 
zen Verſtand. Aber mach’ dir nichts 
daraus, e3 muſs auch dumme Leute 
geben. Kommft umfo leichter in den 
Himmel. Und jebt geh’ in die Ver— 
pflegsitation, dich ausraften. — Wie 
du alfo in deinen Papieren für brav 
befunden worden bift, und du denkſt: 
gottlob, jet Krieg’ ich mein gutes 
Nachtmahl und mein Bett, gibt dir 
der Herr Verwalter die Säge in die 
Dand und heißt’3 zwei Stunden lang 
Holz jchneiden. Denn die chriftliche 
Wohlthätigleit, die fie nachher jpäter 
an dir üben, die wollen fie qut be= 
zahlt Haben. Der Menſch — heißt es 
in den Statuten jo hübſch — ſoll nicht 
beijchämt werden, daj3 man ihm was 
ſchenke, er foll ſich's redlich verdienen. 
Holz jchneiden, pfui Teufel!“ 


„Mir iſt's aber doch lieber, als 
Schnallen drüden und fi allerhand 
Grobheiten jagen laſſen müſſen.“ 


„Lamm Gottes!“ rief der Braune 
aus feinem Gras herbor, „die Grob— 
heiten bleiben dir auch in der glor= 
würdigen Berpflegsftation nicht aus. 
Aber nach dem Holzichneiden kommt's 
Nachtmahl. Wünſche wohl zu jpeifen, 
meine Herrſchaften! Schwarze Bohnen 
und ein Stüdel Brot. Geſtern Sauer: 
fraut mit Brot, heute Bohnen mit 
Brot, morgen Sauerfraut mit Brot, 
übermorgen Bohnen, und jo fort bis 
zum jüngften Tage. Gelobt und ge— 


50 





benedeit jei der Magen, der da fein 
Loch kriegt!“ 

„Iſt die Bettelkoſt viel beſſer?“ 
fragte der Weber. 

Der Braune richtete ſich noch höher 
empor und eine wahre Würde um— 
ftrahlte jein Wefen, als er nun fagte: 
„Die Bettelloft ift ein Chriſttagseſſen 
gegen fo was! da gibt’3 auch Knödel— 
biffen und zFleiichrefteln, da gibt's 
MWurftzipfeln und Gefchlader! Und 
wenn eine Hausfrau juft ihren from— 
men Zag bat, oder gar eine arıne 
Seel’ zu erlöfen im Fegfeuer, jo be= 
handelt fie dich wie einen Heiligen 
mit Zalglichtjchein, und du brauchft 
nichts zu verſprechen, als fleißig beten. 
Und erſt gar die Kreuzer! Kann ins 
Wirtshaus gehen, wie ein Freiherr! 
Kriegft Schnaps in der Verpflegs» 
ftation? Zum Kraut frijst er dich, 
der Verwalter, wenn du auch nur 
dentit an Schnaps. O wohlgeborner 
Weber, jage jelbft, was iſt das für 
ein Leben!“ 

„Man ift ja nur auf der Durch: 
reife“, wendete der Weber ein, „man 
bleibt gefund, Hat keine Anftände mit 
der Polizei, die Dausthüren fliegen 
einem nicht vor der Naje zu, wenn 
man durch ein Dorf geht, ſogar die 
Hunde heben einen nicht mehr aus, 
als anftändiger Menjch geht man über 
die Straße, und wenn irgendiwo Arbeit 
zu haben ijt, da findet man fie." 

Als er das Wort Arbeit ausſprach, 
machte der Braune einen Rülpfer. 

„ZTheurer Freund und Webergefell’, 
du bift ein Philifter!“ rief er dann 
aus, „Seit wann arbeitet ein reifender 
Handwerksburſch'? Wenn er arbeitet, 
ift er fein reifender Handwerksburſch'. 
Unfereiner hat feine liebe Müh' und 
Noth, dafs man durchs Yand kommt, 
ohne einem Meifter "reinzufallen, weicht 
den MWerfflätten aus wie einer Peſt— 
grube, und du bift die liebe Einfalt 
und fragft ihnen nad, ſuchſt fie auf! 
Geh’ her, Heiliger Webergefell’, und 
laf3 dir die Schuhipigen küſſen. So 
etwas Holdjeliges habe ih Schon lang’ 


60 


nicht mehr gejehen. — Haft deine 
Bohnen endlih unter Dach gebradt, 
alsdann nachher jchlafen gehen. Auf 
einer PBritjchen euer zehn oder zwanzig 
neben einander. Alle haben Nahtmahl 
gegellen. Vergiſs nicht, die Fenſter 
aufzumachen, Freund, ſonſt fteigt in 
der Nacht die ganze hochlöbliche Ver— 
pflegsjtation auf wie ein Quftballon.” 

„Drachsler, du übertreibft.” 

„Da bin ich dir ein Kerl!“ fuhr 
der Braume fort, „die Nacht über 
unter einem Heufchober, friſche Luft, 
feine Hausordnung. Nicht des Mor— 
gens Bettaufräumen müſſen, wie die 
alten Weiber.“ 

„Und im Winter?“ fragte der 
Weber. 

„a, Thor! gibt's denn feine 
barınherzigen Leut’ mehr auf der Welt? 
Steine DOfenbänfe, feinen Heuftadl ? 
Fröſtelt's Heute, jo Habe ih dafür 
morgen zwei Deden und manchmal 
noch einen Bolfter uud allerlei Sonſti— 
ges. In der Station immer unter der 
Zucdtruthe wie ein böjer Schulbub, 
ewig dasjelbe, die Bräuche und Ein— 
rihtungen überall gleich, als wären 
fie in der Fabrik gemacht worden. 
Süßer Junge, das ift langweilig!“ 

„Railonnier’ nicht, Drachsler, und 
heb' did. Es finftert ſchon.“ Aljo 
fagte der Weber, der andere aber 
rüdte jih im Straßengraben zurecht, 
hub an, ſachte ein Kicchenlied zu 
pfeifen und that, als ob er in folcher 
Lage zu mächtigen gedente. 

„Run, jo behüt’ dich Gott!” ſagte 
der Weber und gieng fürbajs in das 
Dorf hinein, der Braune blidte ihm 
mitleidig nad. 

Leute, die dem Weber auf der 
Straße begegneten, grüßte er artig 
und fie dantten feinem Gruße freund- 
(ih, jegt mujste er jich feine „Land— 
plage“ mehr ſchimpfen laſſen. 

In der Verpflegsſtation zu Stau— 
bing waren ſchon mehrere Reiſende 
beiſammen. Die einen hatten ihre 
auf den Rüden zu jchnallenden Tor— 


nifter, die anderen bargen ihre Habe! 








im Handkoffer, welchen fie auf dem 
Stode über der Achſel zu tragen 
pflegten, wieder andere hatten Seiten= 
tafchen, oder auch gar nichts bei jich. 
Sie verrichteten verfchiedene Arbeiten, 
einer jcheuerte den Fußboden, ein 
zweiter fegte draußen auf der Gajle 
den Staub weg, ein dritter kraute 
aus dem Dorfbah den Wildwailer- 
Ihutt hervor, ein vierter zerkleinerte 
Brennholz für das Armenhaus, weil 
für die Verpflegsftation der Bedarf 
Ihon gededt war. 

Unfer Webergejelle ftellte fi dem 
Verwalter vor und überreichte ihm die 
Papiere, welche diefer in Ordnung 
fand. Der Berwalter fragte ihn noch, 
wie viel Geld er in der Taſche habe. 

„Fünf Gulden“, antwortete der 
Meber. 

„Dann bedaure ich“, fagte der 
Verwalter, „unfere Anftalt ift micht 
für Kröfuffe, jondern für arme Leute, 
die weniger als fünf Gulden haben. 
Diefer Mann Hier zum Beifpiel Hat 
nicht einen Sreuzer in der Taſche. 
Für ſolche find wir da.” Damit wies 
er auf einen alten Halbkrüppel, der er= 
Ihöpft in einem Winkel kauerte. 

„Nachher machen wir’s jo“, jagte 
der Weber, „diefem guten Freunde 
ichente ich zehn Kreuzer. Da nimm. — 
So, und num gehöre auch ich nicht 
mehr zu den Kröſuſſen, fondern zu 
den armen Leuten, die nicht fünf 
Gulden Haben, und ich bitte um Her— 
berge für die Nacht.“ 

Der Verwalter lächelte, denn einen 
Mann, der nicht fünf Gulden bejißt, 
hatte er nicht das Recht, abzumweifen. 
Hingegen wurde ein meueingetretener 
Reijender abgewieſen, der innerhalb 
von drei Monaten jchon das zweitemal 
vorſprach. 

„Für Sie habe ih momentan nicht 
einmal eine Arbeit”, jagte der Ver— 
walter zum Weber, die Hängelampe 
anzündend, 


„Das macht nichts“, antwortete 
diefer. „Sleine Arbeit ift mir eh zu 


6] 


wenig. Große, wenn Sie hätten für 
mich.” 

„Sie jind Weber ?* 

„Zu dienen.“ 

„Der Webermeifter zu Sanct Joſef 
braucht einen Gehilfen. Wollen Sie 
Arbeit nehmen, jo können Sie morgen 
früh hinüber gehen, es iſt eine Weg— 
ftunde Hin.“ 

„Ih werde hingehen.“ 

Alſo hätte ich heute den zweiten. 
Einen Schneider habe ih juft vorhin 
bier im Orte angebradht. Jetzt habe 
ich auch den Weber, und nun brauchte 
ih noch einen Dreher,“ 

„Ein Dreher läuft draußen herum“, 
berichtete der Burſche. „Wird ſich aber 
nicht gerne abfangen laſſen.“ 

Mittlerweile war es Nachtmahls— 
zeit geworden. Ganz wie es der er= 
fahrene Braune vorausgejagt Hatte, 
ed gub Bohnen und Brot. Aber die 
Gäfte Liegen ſich's fchineden. Ein Sei» 
lergejelle war dabei, der machte aller= 
Hand Späfle, unjer Weber wujste auch 
Etwelches anzubringen, und jo war es 
ein ganz vergnüglicher Abend. 

Da gab’s ihrer, die fortwährend 
Allotria treiben, aber auch foldhe, die 
ein verbifjenes Geſicht hatten und über 
alles jchimpften. Es gab ganz cava— 
liermäßige Jungen darunter, aber auch) 
unjaubere Kumpane. Beim Nachtmahl 


geflidt hätte, Der Berwalter Hätte 
aber die Fliderei für nicht wohl an— 
ſtändig erklärt und dadurch das junge 
und hoffnungsvolle Verhältnis leider 
untergraben. In der Station Ö gäbe 
es Jagdſport wie bei Gavalieren, 
Mäufe und Rattenjagden mitten in 
der Naht; und in der Station D, 
da wille man’s eh! Ein vazierender 
Tiichler ift, der weiß von einer Sta— 
tion zn erzählen, wo der Berwalter 
eine Bücherfammlung hergerichtet hat 
für feine Gäfte und ihnen an den 
Abenden daraus DBorlefungen Hält. 
Befonders gegen die ſocialcommuniſtiſche 
Bewegung ſucht er zu wirken und 
erklärt das Heiligthum von Mein und 
Dein. Einmal nah langem Sermon 
befragte er einen Bäderjungen über 
das DVorgelefene und der Prüfling 
gab zur Antwort: „Ich verſteh's Halt 
fo: Was mein tft, ift mein, und was 
dein ift, ift mein.“ Ein anderer, ein 
reifender Böttcher, ſuchte diefe Lehre 
praftifch auszuüben, beftahl aber dabei 
ſich ſelbſt. Er wollte in der Nacht, 
während im Saale alles ſchlief, aus 
dem Beinkleid feines Bettnadhbars, 
das auf der Bank lag, das Geld- 
täſchchen ftibigen und jelbes im den 
Sad feiner Hofe prafticieren ; vergriff 
ih aber fo unfelig, daj3 er aus 
feinem eigenen Beinkleide die Geld» 


wurden Tauſchgeſchäfte betrieben, der taſche in das des Nachbars ftedte und 


eine taufchte für Brot Bohnenrefte, 
der andere für Pfeifentabat Eigarren 
ein. Mancher Erfahrene erzählte Aben— 
teuer aus der Fechtzeit, wie er Die 
Bauern beihwagt und die Polizei 
geprellt habe. Ein weiterer padte 
Erlebnifje aus von anderen Verpflegs— 
ftationen und ift jo Hug, Die gegen 
wärtige, in der er fißt, als die beite 
zu preifen, was der Verwalter nicht 
übel vermerkt. So erzählt ein Schufter, 
in der Stativu A habe er müljen 
Kinder loden ; in der Station B habe 
er mit einem Stameraden aus ber 
weiblihen Abtheilung Freundſchaſt ge— 
ihlofjen, indem er der Dame Die 
Schuhe, die Dame ihm das Hemd 


den Irrthum erft am nächſten Tage 
einſah, als nichts mehr zu machen war. 

Bei ſolchem Geplauder wurden 
Belanntfchaften geichloffen. Da aud 
ein paar reifende Weibsbilder da 
waren, jo mufste der Verwalter end— 
lih mit Nahdrud abfondern in Die 
unterfchiedlihen Kammern und laut 
die Mahnung geben zum Nachtgebet 
und zum Schlafen. 

Das Nadhtlager war wefentlich 
beſſer als der Braune draußen es 
dem Weber gefchildert hatte. Da gab's 
Strohfäde, Strohkiſſen und Wollen- 
deden. — Der König liegt aud nicht 
beſſer, wenn er jchläft, dachte unfer 
Weber, da jchlief er auch fon. 





Am nächſten Morgen fragte der] auf dem Lande. Wir find der Bettler 
alte Halbfrüppel (er hatte einen Erumz ledig und haben uns nicht zu fürchten 
men Fuß), beim PBerwalter böflih | vor unzufriedenen und rachgierigen 
an, wie weit es bis zur nächſten Gefellen. Die Heine Steuererhöhung, 
Station wär? Ja dahin wäre es die wir für die Verpflegsanftalten 
fünfzehn Kilometer, fo viel als vier) leiften, fteht in gar feinem Verhält— 
gute Stunden. Dierauf die Bitte des | nifje zu den Auslagen, die uns das 
Alten, ob er nicht noch einen Tag | Bettelmefen verurfacht hat. Und die 
auf der Station bleiben dürfe, wenn | Reifenden Haben noch den größten 
er dafür die zehn Kreuzer zahle, die Vortheil; fie werden befreit von den 
er vom Weber zu fchenfen befommen | Bagabunden, denen das Handwerk 
habe. Das konnte nun aber der Ver- | nun gelegt worden ift, fie finden auf 
walter nicht zufagen, fogleih war der ihrer Arbeitjuche Pflege und Hut und 
Weber da und fagte, weil er fo glüd= | auf kürzeſtem Wege Arbeit, ſowie auch 
lich ſei, Arbeit zu finden, jo bezahle! der Urbeitgeber auf kürzeſtem Wege 
er für den Alten die Herberge auf 
drei Tage, was einen Gulden und 
fünfunddreigig Kreuzer ausmachte. 
Alſo könne der gute Mann ſich ein— 
mal ein wenig ausruhen. Der Alte 
bedankte fich taufendmal und meinte, 
er werde ja ohnehin das lebte Biel 
jeiner Wanderfchaft bald erreicht haben. 
Er ſei Maurer, aber feit ihn ein 
rollender Stein zum Krüppel gefchla= 
gen, fönne er feinem Brote nicht 
mehr recht nachgehen. die Bezirke, oder die Landesverwal— 

Ein Schneider war vorhanden, | tungen, unter denen die Anftalt fteht, 


der mollte es ſich nicht machlagen ſich vielleiht auch bewogen finden, 


Arbeitskräfte finden Tann. Es ift ein 
neuer Arbeitsmarkt errichtet für An— 
gebot und Nachfrage. Schon jetzt ſieht 
man weniger Schnapsſchänken, man 
wird auch bald merfen, dafs es weniger 
Diebftähle, Einbrüche, Raubanfälle, ju 
jelbit Schadenfeuer gibt, als ehedem. 
Der große Nußen, den die Naturals 
verpflegsitationen nad vielen Seiten 
hin gewähren, wird erſt allmählich 
ganz erfannt werden. Danı werben 


laffen, dafs die Weber großherziger | denfelben gegenüber weniger zu knau— 
wären, als die Kleidermacher, er ſern, wohl bedenfend, dafs für une 
Ichenfte daher dem Alten einen Ziwans | nüßere Zwecke mehr Geld ausgegebeu 
iger. Das fahen drei ammwejende| wird, als für die Naturalverpflegs= 
Schufter und fie übertrumpften den| ftationen, dafs aber diefe ihre Koſten 
Schneider mit einem ganzen Gulden, | vielfach abjtatten. Meine Herren, ich 
den fie dem Armen fpendeten. Diejer| fage Ihnen das, danıit Sie Ihr gutes 
war voller Freuden und Dankbarkeit; | Recht jehen und den Bortheil, den 
der Verwalter ſchlug mit geihtiger jegt jeder hat, der ein ordentlicher 
Miene in feinen Statuten nad, ob Menſch ift. Den Bagabunden wird’3 
e3 wohl erlaubt jei, auf der Verpflegs- unmöglih gemacht. Wir bedauerı, 
ftation Almofen zu geben. Erlaubt war| Sie heute auf unferer Landestafel 
es in den Statuten nicht, aber auch! nur mit Brot und Gemüſe bemirten 
wicht verboten. Nun, jo nannte der) zu fönnen, Vegetariſche Nahrung it 
Verwalter die Wohlthäter brave Leute, | zwar überaus gefund, doch hoffen wir, 

Der Gemeindevorſteher erſchien, um anſtändigen Leuten, wenn ſie als Ar— 
die Anſtalt in Augenschein zu nehmen. beiter reifen, dereinſt — wenigſtens 
Auch ihm gefiel der Sinn der Anweſen⸗ an Sonntagn — auch ein Stück 
den und er nahm nachher Gelegen= Fleiſch aufwarten zu können. So viel, 
beit, Folgendes zu fagen: „Selten iſt was mit vollem Recht der gewöhnliche 
etwas jo Gutes erfunden worden, Soldat hat, wird für den braveı 
als die Herberge für arme Reiſende Gewerbimann, wenn er auf Arbeit— 


Bi 


ſuche ift, auch noch aufzutreiben fein. 
Glückliche Reife, meine Herren!“ 

Ja gewiſs, das waren höflichere 
Anipraden, als früher vor den Haus 
thüren, wenn es über die „Stroldhe*, 


das „Landitreichergelindel”, die „Tages | 


und andere Diebe“ hergieng, während 


mancher arıne brave Burfche ſich unter 


Fauſt 


den Erdboden hineinſchämte, daſs er 
bitten muſſte um ein Stück Brot, 
welche dem Hungernden wohl der 
Ginzelne verfagen kann, nicht aber 
der Staat, 
feine Kinder zu forgen hat. 

Bevor die Neifenden ihren Weg 
unter die Füße nahmen, gab es in 
den Papieren noch einzufchreiben, zu 
beftätigen, anzumerken, jo daſs der 
Burſche nicht allein in feiner eigenen 
Taſche, fondern auch auf allen Sta— 
tionen nach allen feinen Dimenfionen 
und Abfichten feft und genau bejchries 


63 





ben ift und gar nicht in Berluft ge= 
rathen kann. 

US der MWebergefelle auf dem 
Wege war nah Sanct Joſef, wo er 
Arbeit nehmen wollte, führte auf der 
Straße ein Gendarm den Braunen 
dahin. Der gute Dreher Hatte das 
Handwerfsburjchenleben auf eigene 
nah alter Weife fortführen 
wollen, und das war dem Gendarmen 
nicht recht gewejen. 

„Kamerad“, fo redete ihn nun 


der jo oder fo für allejder Weber an, „dir war in der Vers 


pflegsftation das Zimmer zu dunftig 
und die Koft zu ſchlecht, wird's im 
Stotter beſſer jein ?* 

Der Braune ließ fein allzugroßes 
Leidweſen merken, jo daſs der Weber 
auf die tröſtliche Vermuthung kam, 
das Land blide auf den Stotter mit 
mindeftens jo großer Mütterlichkeit, als 


‚auf die Herbergen für arme Reifende. 


R. 


Hans Makart und Rronprinz Rudolf. 


Ss 


’ d 
3 war im Jahre 1873, zur Zeit 
der Wiener Weltausftellung. 
= Nach zwolfjahriger Trennung 
hatte ich mich mit meinen Jugend— 
freunden Hans Makart, Eduard‘ 
Kurzbauer, Gabriel Mar, Adolf 
Weiß und Ludwig Barnah in der! 
öfterreichiichen Kaiſerſtadt wieder zu— 
fammengefunden. Makart und Kurz— 
bauer, damals gerade in der Fülle 
ihrer Schaffensfraft, waren zu Ruhm 
und Anſehen gelangt, nicht minder 
— und a (Baris) und auf 


*) Aus dem Werlchen: 
(8. Fiſcher. Berlin 1890.) 








„D dieſe Künitler!“ 


Eine Erinnerung von Dofef Lewinsky.“) 


anderem Gebiete Ludwig Barnay, feit 
wir uns zuleßt gejehen; doc das 
Band innigiter Freundſchaft, das uns 
in Sturm und Drang wie in Luſt und 
Scherz zuſammengehalten, Hatte ſich, 
ob wir auch räumlich von einander 
geſchieden waren, in der Zwiſchenzeit 
nicht gelodert. Bei jo harmoniſcher 
Grundftimmung konnte es nicht fehlen, 
daſs wir, unfer Wiederfehen in der 
berzlichiten Weife feierten und im 
öfteren Beilammenfein jene Stätten, 
an denen wir in unferer Jünglingss 


Von Hofef Lewinsfy in Berlin. 


| 
1. 


zeit fo gerne geweilt, mit befonderer 
Vorliebe wieder auffuchten. In der 
weiteren Umgebung der Kaijerftadt 
hatten der Kahlenberg und der Leo- 
pold&berg in jener Zeit zu dem von 
uns bevorzugten Ausflugsorten gezählt. 
Eine Fußpartie „hinauf“ galt uns als 
der Gipfel unferer touriftifchen Freu— 
den. Und wieder unternahmen wir an 
einem herrlichen Julimorgen eine 
„Partie“ nach jenen Höhen — dies— 
mal Freilich nicht „zu Fuß“. Waren 
wir doch mittlerweile faſt ſämmtlich 
vornehmere und ſämmtlich — be— 
quemere Herren geworden. Auch der 
Vorratd an Speiſ' und Trank, den 
wir im Magen Mafartö, von diefem 
gefpendet, mit uns führten, unter— 
ſchied fich nicht unmefentlich von dem 
frugalen, aus einer gemeinfamen Bei— 
fteuer hHerborgegangenen, einer de— 
fecten Reifetafche anvertrauten Munde 
vorrath, womit wir auf derartigen 
Ausflügen ung einjt gern begnügten. 

Und wieder fanden wir auf jenem 
entzüdenden Ausſichtspunkt, der uns 
den Anblid des wunderbarſten Pano— 
ramas gewährte — die alte Staifer- 
ftadt mit ihrem Hänfermeer, mit ihren 
Kirhen und Baläften, mit ihrem 
mächtig emporftrebenden Wahrzeichen, 
dem alles überragenden Stephans— 
thurm und dem majeftätifchen Strome, 
der im Glanze der Morgenfonne doppelt 
„Ihönen“ blauen Donau. Ein Städte: 
bild, umvergleihlih und einzig im 
feiner Art. 

Und auf dem wiebdergefundenen 
Lieblingspläghen im Schatten des 
Waldes uns lagernd, riefen wir im 
Austausch unferer Erinnerungen die 
alte, troß mancher Entbehrungen 
freudenreihe Jugendzeit zurüd, jene 
Zeit, die nur Ideale, Thorheiten und 
noch Feine Enttäufchungen kennt ... 
Und beim lange der Gläfer ließen 
wir auch die alten lieben Weiſen er- 
tönen und aud die alten lieben, noch 
underjährten Scerze wurden vorges 
bradt — wie einft! 


— r — — — — —— — — — — 


ſein Gaſtſpiel mit den „Meiningern“ 
in Berlin als Marc Anton kurz zu— 
vor „ſich ſelbſt entdeckt“ Hatte, ließ 
ſich zur Declamation jener Hebbel'ſchen 
Ballade („Der Haideknabe“) bewegen, 
durch deren Vortrag der hoffnungs— 
volle Mujenjünger den Freunden feinen 
Beruf zur Bühne an derfelben Stätte 
einft dargethan. 

Mir ftanden noh im Banne der 
mit echter Leidenschaft wiedergegebenen 
Dichtung, als plöglid Kurzbaner aus— 
rief: „Wir haben Zuhörer, Freunde!“ 

Wie elektrifiert jprang Makart auf 
und rannte uns zu: „Der Kron— 
prinz!...“ Schnell erhoben aud 
wir uns, während Makart nun dem 
jugendlichen Prinzen entgegeneilte, der 
in Begleitung eines älteren Gavaliers 
in unferer Nähe ftand und jebt mit 
freundlichen Lächeln dem Declamator 
applaudierte. Makart, deifen Ruf, troß 
vieler Gegner feiner künſtleriſchen 
Richtung, damals ſchon feit begründet 
war, und der bei Hofe in hohem An— 
fehen ftand (war er doch einer per— 
fönlichen Einladung des Saifers zu 
dauernden Aufenthalt in Wien ges 
folgt), erfreute ſich der befonderen 
Gunſt des jugendlichen Thronfolgers. 
Mit Herzlicher Lebhaftigkeit rief Erz— 
berzog Rudolf dem Meifter zu: „Aber 
das ift ja ein reizendes Zuſammen— 
treffen, lieber Makart, bier mitten im 
Walde. Wir haben unferen Wagen 
vorausgeſchickt, um uns bei dem präch— 
tigen Wetter den Genufs einer Fuß— 
partie nad Klofterneuburg zu vers 
ihaffen, und nun fommen wir uns 
verhofft zu einem Kunſtgenuſs im 
freien.“ 

„SKaiferliche Hoheit, wir feiern ein 
frohes Wiederjfehen, und das Tann 
man wohl nicht beffer, al3 in Gottes 
Schöner Natur. Geftatten Hoheit, daſs 
ih Ihnen meine Jugendfreunde vor— 
ſtelle ?“ 

Und mit der ihm eigenen Wärme 


präſentierte Meiſter Hans dem kaiſer— 


lichen Jüngling jeden einzelnen ſeiner 


Ludwig Barnay, welcher durch | Freunde, Einige derſelben waren dem 


kunſtſinnigen Prinzen aus ihren 
Echöpfungen bereit3 bekannt. Mar 
batte durch feine erften größeren Werke, 
die „Löwenbraut“ und „Julia“, die 
allgemeine Aufmerkfamfeit bereits auf 
fich gelenkt. Kurzbaners jeitdem po— 
pulär gewordenes Gemälde „Die er- 
eilten Flüchtlinge“ war von der 
Kaiſerlichen Galerie im Belvedere an— 
getauft worden, und Barnay hatte 
jüngft an der „Burg“ gaftiert. Kron— 
prinz Rudolf, eine jugendlich elaftifche 
Geftalt von etwa fünfzehn Jahren, 
blond, mit geiftfprühenden, freund 
lichen Augen, wuſste jedem der ihm 
vorgeftellten Künftler etwas Verbind— 
liches zu jagen. Aus jedem feiner 
Worte gab fih eine jo urfprüngliche 
Friſche und Lebensfreudigfeit, eine 
allen Etifettenzwange abgeneigte Natur 
fund, dafs man nicht den Erben eines 
der mädhtigften Reiche, fondern einen 
Jüngling aus vornehmen Bürgerhanfe 
vor ſich zu ſehen glaubte. 

„Bier iſt's jo Schön, meine Herren, 
dafs ih mich am liebften bei Ihnen 
niederlaffen möchte“, rief der Kron— 
prinz mit jugendlichem Enthufiasmus 
aus. „Nicht wahr, lieber Graf, wir 
wollen hier ein wenig raften ?* wandte 
fih der Erzherzog an feinen Gouver- 
neur, den Grafen Latour, der fich 
bisher etwas abjeits gehalten. „Das 
heißt”, bemerkte der Kronprinz, ſich 
zu uns twendend, „wenn's die Herren 
erlauben.” 

Wir gaben matürlid  unferer 
Freude, den jungen Prinzen in unſerer 
Mitte zu ſehen, lebhaften Ausdruck. 
„Aber nur unter einer Bedingung, 
meine Herren”, jagte der Prinz. „Sie 
verjprechen mir, fich unjeretwegen kei— 
nen Zwang aufzuerlegen und ums 
als zu Ihrer Gefellichaft gehörig zu 
betrachten.“ Und mit ergöglicher Neu— 
gier die lukulliſchen Herrlichkeiten 
prüfend, die mittlerweile von Matarts 
Diener auf einem weißen ZTafeltuche 
ausgebreitet waren, fügte er Hinzu: 
„Das muf3 Hier im Freien prächtig 
Ichmeden !* 


Bofeager's ‚Grimgarten‘‘, 1. Geft. XV, 


65 


„Wenn kaiſerliche Hoheit uns 
die Ehre erweilen wollen, mit dem 
Heren Grafen an unferem befcheidenen 
Mahl theilzunehmen . . .*, ſagte Mas 
fart etwas zögernd. 

„D, mit Vergnügen, lieber Mei» 
fter“, ermwiderte Kronprinz Rudolf, 
„Wir Haben von unferem Marſch 
Appetit bekommen, nicht wahr, lieber 
Graf?” 

Da unfer hoher Gaft fihtlih in 
unferer Geſellſchaft ſich recht behaglich 
fühlte, jo ſchwand auch unfererfeits 
bald der legte Reit von Befangenheit, 
und rüdhaltslos gaben wir uns der 
feöhlichften Stimmung Hin. Bei dem 
heiteren Austausch unferer Jugend— 
erinnerungen lag es nahe, daſs mir 
auch jenes Tages gedachten, den wir 
zulegt an diefer Stätte zugebradt. 

„Wiſst ihr euch noch des luſti— 
gen Streiches zu entjinnen, den uns 
unfer lieber Freund Makart damals 
auf dem Wege nach dem Leopoldäberg 
gejpielt ?” fragte Kurzbauer. „Kaiſer— 
‚liche Hoheit müſſen wiffen, dafs unfer 
Makart, der ein jo ernfter, ſchweig— 
jamer Herr geworden ift, damals zu 
den heiterften in unferem Bunde 
zählte... .Sengend brannte die Hitze; 
die Laft unferer mit Proviant ges 
füllten Reifetafche Hatte ein jeder von 
uns bereit3 ſchwer empfunden, fein 
Wunder, dafs wir uns ſämmilich auf 
halbem Wege fchon ermattet fühlten, 
Da, mit einemmale — wir waren 
im Begriff, mit Stöhnen und Achzen 
die fteil auffteigende Höhe dort zu 
erflimmen — erklärte Freund Makart: 
„Hört Kinder, ich kann nicht mehr 
weiter, meine Füße find ganz wund 
gerieben; wenn ihr mich nicht tragen 
wollt, muſs ich in der Sonne bier 
liegen bleiben.“ Da uns Freund Hans 
die Alternative mit dem vollfommenften 
Ernft ftellte, was blieb unſerer Col— 
legialität übrig, als zu Zweien ab» 
wechjelnd uns mit ihm zu beladen! 
j Und jo langten wir jchweißtriefend 
und erfchöpft von der Durchführung 
unſerer Rollen als Laftthiere auf dem 


5 


66 


Leopoldsberge an, und melde Er— 
Öffnung machte uns der Heine Schelm? 
„sh danke euch, Kinder“, rief er, 
mir und Barnay munter vom Arm 
herunterfpringend. „Ich wollte bloß 
eure Mustellraft prüfen, habe mich 
aber überzeugt, daſs ihr ſämmtlich 
Athleten jeid.“ 

Der Kronprinz lachte Herzlich. 
„Sold’ junges Künſtlerleben mag 
wohl manches Abentenerliche im Ge— 
folge haben“, meinte er. 

„Ich kann's nicht leugnen, kaiſer— 
liche Hoheit“, ſagte Freund Weiß, 
„bei aller Begeiſterung für unſere 
künſtleriſchen Ideale, und bei mancher 
Entbehrung, waren wir doch zugleich 
das leichtlebigſte, luſtigſte Völkchen, 
deſſen glückliche Weltvergeſſenheit eben 
nur auf dem Boden der heiteren Kaiſer— 
ſtadt gedeihen konnte.“ 

„Wir waren damals auch beſſere 
Menſchen, kaiſerliche Hoheit, als wir 
heute ſind“, ſprach Max, mit dem ihm 
eigenen Sarkasmus. „Es gab eine 
Zeit, wo wir ſämmtlich aus der Aka— 
demie ausgetreten waren, im Beſtreben, 
uns ſelbſt weiter zu bilden, aber leider 
die Modellkoſten nicht erſchwingen 
vermochten. (Später giengen wir ja 
zu Piloty nach München.) Mit welcher 
rührenden Opferwilligkeit war da 
unſer Freund Lewinsky bereit, im 
heißen Sommer oft mehrere Stunden 
und «Met» zu ſtehen! Mit welcher 
fammfrommen Geduld war der herr— 
fihe Jüngling da noch fähig, einen 
mit den Gejegtafeln vom Berge Sinai 
heruntergelommenen Mofes, oder einen 
aus dem Bauche des Malfifches eben 
frisch ausgefpieenen Propheten Jonas 
für naturgetreu darzuftellen!* 

„Mofes und die Propheten, kaifer- 
liche Hoheit, das waren die Sujets, 
nach welchen wir alle damals ftrebten“, 
bemerkte ich offenherzig. 

Wenn Sie Ihr 


u 


fünftlerisches 


„D, ſie war oft ſchlimm genug, 
Excellenz“, rief Barnay. „Heute, wo 
wir jo mancher Jugendthorheit ent» 
rüdt find, lachen wir freilich darüber.“ 

„In welcher Weife haben Sie Ihre 
Laufbahn begonnen, Herr Barnay ?“ 
fragte der Sfronprinz den Bühnen 
fünftler. 

„Die eriten «Bretter», welche meine 
«Melt» bedeuten, waren in Meidling 
bei Wien aufgefchlagen“, erwiderte der 
zufünftige Iheaterdirector. „Leider 
war es mir nicht vergömmt, dieſe 
Bretter zu beitreten, denn vor meinen 
erften Debut als Karl Moor wurde 
ich wegen Pafslofigkeit aus Meidling 
ausgewieſen.“ 

„Das iſt allerdings ein wenig er— 
muthigender Anfang“, warf der Kron— 
prinz lachend ein. 

„Und wiſst ihr euch noch des 
Abſchiedsſchmauſes zu entſinnen, den 
wir unſerem Freunde Barnay gegeben 
haben?“ fragte Kurzbauer. 

„O gewiſs“, betheuerte Weiß. 
„Wir feierten an dem Abend gleich— 
zeitig den Namenstag unſeres Freun— 
des Max. Der 24. April war's. Wiſst 
ihr noch, Gabriel bezahlte die Zeche.“ 

„Aber des Nachipieles werdet ihr 
euch nicht zu erinnern willen“, fagte 
Mar vor ſich Hin fichernd. „Daran 
waret ihr freilich nicht betheiligt. Bei 
Namenstags: und Abſchiedsſchmäuſen, 
faiferliche Hoheit, geht es nicht immer 
ftreng puritanifch zu, und Die viel- 
fahen Toafte derartiger Feſte werden 
in der Regel nicht mit Waſſer aus— 
gebracht”, wandte jih Mar halb ent— 
Ihuldigend zu dem jugendlichen Thron 
folger. „Nun bewohnte ih damals mit 
einem Afademiegenofien in der Alſer— 
vorjtadt gemeinfan ein Zimmer, Beim 
Nahhaujegehen in ſpäter Naht — 
fußhoch lag der Schnee auf der 
Straße — bleibt mein College plötz— 
lih vor mir ftehen und jpricht in 


Martprium fo leichtgefinnt zu tragen feierlich bewegtem Tone: „Hör mal, 


vermochten, muſs die Sache nicht fo 
gang ſchlimm geweſen fein“, meinte 
Graf Latour lächelnd. 


‚Gabriel, ich weiß, du bift mein Freund, 


mein Bruder. Kanuſt du mir bis zum 
Erſten einen Gulden pumpen? (Er 





TR 


67 


drüdte ſich inbezug auf den „Erſten“ | gemeinden & fünfzig Kreuzer bis zu 


immer etwas unbeftimmt aus.) 


einem Gulden das Stüd zu malen. 


„Du närrifcher Kerl, wozu brauchſt Da erfuhren wir einft, Kurzbauer und 


du einem Gulden ?* fragte ich. 

„Ja hau, Brüderl“, ermwiderte 
Wilhelm, „mir fällt halt eben ein, daſs 
mir der Holzer... (jo hieß der in 
feiner außeramtlichen Stellung einen 
Heinen Handel mit Malerrequiliten 
treibende Diener der Akademie), weißt, 
dafs mir der Holzer den Gredit ge- 
fündigt hat.“ 

„Aus welchem Grund ?* 

„Na Schau, Gaberl, weil ich jchon 
mit elf Gulden bei ihm an der Kreide 
ſtehe. Sirt, wenn ih dem Kerl nicht 
wenigiten® mit einem Gulden den 
Mund ftopf', dann gibt er mir morgen 
weder Leinwand noch Farben zum 
Malen.” 

Die ſämmtlichen Taſchen meiner 
Kleider durchfuchend, fand ich eben 
no einen Gulden, der mir von der 
Zeche des Abends übrig geblieben war, 
und diefen Gulden zählte ich in zehn 
Silberfehferln in die Hand des neben 
mir im Sidjad durh den Schnee 
watenden Freundes. 

Als wir aber am folgenden Morgen 
mit jchweren Köpfen erwachten und 
zur Alademie gehen wollten, machten 
wir eine luſtige Entdeckung: Mein 
Freund hatte die zehn Sechſerln gar 
nicht von mir erhalten. Ich hatte fie — 
in den Schnee gezählt.“ 

Die Gefellichaft lachte und der Kron= 
prinz rief vergnügt: „Da muſs es 
freilih an dem Abend ziemlich neblig 
gewejen jein.” 

„Die Erwähnung unferes Freun— 
des Wilhelm G. ruft auch in mir 
die Erinnerung an ein heiteres Er— 
lebnis wach“, ſagte Adolf 
„Wer ihn ſah, den wackeren G. mit 
feinem offenen, ehrlichen Vollmonds— 
geliht, der mujste unwillkürlich an 
lukulliſche Mahlzeiten denten ; und doc) 


litt der arme unge oft die bitterjte | 


Noth und war genöthigt, um nur das 
Leben zu friften, Kreuzwege, Marter: 





Mei. 


ich, dafs eine alte Dame ſich porträ— 
tieren laſſen wolle. Sofort waren wir 
entjchloffen, die Arbeit dem bedürfti- 
geren Kameraden zuzumenden. Nun 
war diefer aber im Verkehr mit Frem— 
den von einer unbefiegbaren Blödig- 
feit. Zu einem Beſuch einer mild» 
fremden Frau würde er nicht um eine 
Melt zu bewegen gewejen jein; da 
fonnte nur Lift zum Ziele führen. 
Unter irgend einem Vorwande wurde 
der ahnungslofe ©. zu einem Spazier- 
gang eingeladen, bis an das Haus der 
porträtluftigen Dame geleitet und ihm 
der Zwed unjerer Promenade hier er— 
öffnet. Kaum aber hatte dieſer Er: 
jeuger von «Martertaferin» vernom— 
men, welches Martyrium von feinen 
ungerathenen Freunden ihm jelbit zu— 
gedacht jei, als er mit heillofem Ent— 
jegen Reißaus nehmen wollte. Wie 
der Blik waren wir ihm jedoch auf 
den Ferſen, ergriffen ihn an Händen 
und Fühen und trugen den Wider: 
ftrebenden die Treppe hinauf, klingelten 
an der Thür der Dame und jchoben 
ihn ins Zimmer, worauf wir, froh 
über das Gelingen unferer Lift, die 
Treppe Hinunteritürmten. 

«Mas wollen Sie?» fragte angit- 
erfüllt die allein anwejende Dame den 
hereinpolternden Fremdling, der mit 
jeinem hochgerötheten Antlig allerdings 
wenig vertrauenerwedend vor ihr ſtand. 
Verlegen den Hut in der Hand drehend, 
ftotterte der arme Junge einige unvers 
jtändliche Phrajen von «Porträtmalend, 
«Schöne Empfehlung» und «Herge— 
Ichiett worden». Die gute Frau, deren 
Phantafie angefichts des verdächtig um 
ſich blidenden Eindringlings, in Er— 
innerung eines vor kurzem an einer 
alleinftehenden Dame verübten Mordes 
in Aufregung gerathen war, ſah aber 
in jenem einen Menjchen, der auch 
gegen fie nichts Gutes im Schilde 
führe. «Entfernen Sie ſich augen 


taferln, Heiligenbilder für arme Dorf- blicklich!» rief fie mit zitternder Stimme 


5” 


von der äußerften Ede des Zimmers 
dem noch immer an der Thür ftehen- 
den, kläglich dreinblidenden «Räuber» 
zu; und als diejer, jelbit nach Faſſung 
vingend, der Aufforderung nicht gleich 
Folge leiſtete, riſs fie das Fenſter auf 
und ſchrie nach dem Hof um «Hilfe!» 
Jetzt war für den jo graufam ver= 
fannten Porträtierer allerdings der 
geeignete Moment, ſich zu «entfernen» 
gefommen, denn auf dem Hofe wurden 
bereits Stimmen laut. Athemlos langte 
er auf der Straße an, wo wir, auf 
das Nefultat feines «Befuches» be— 
gierig, ihm  entgegenriefen: «Mun 
Wilhelm, wird ſich die Alte von Dir 
malen laflen ?» — «Der Teufel foll 
die Alte malen, und euch foll er 
holen !» entgegnete er, jeinen ſtürmi— 
ſchen Gefühlen in draftiicher Weile 
Luft machend, war aber viel zu gut— 
müthig, um nicht in das Gelächter der 
Freunde über feine «Näubergeichichten 
ſchließlich ſelbſt einzuftimmen.“ 

Die Erzählungen unſerer Gefährten 
hatten den Prinzen und ſeinen Be— 
gleiter ungemein beluſtigt. Nun aber 
mahnte Graf Latour feinen hohen 
Zögling zum Aufbruch. Offenbar nur 
ungern folgte dieſer der Aufforderung. 

„Meine Herren“, jagte der Kron— 
prinz, fich erhebend, „ich Dante Ihnen 
für die heiteren Stunden, die ih in 
Ihrer Gejellichaft verleben durfte; fie 
haben mich erfriſcht und angeregt. 
NRevandieren Tann ich mich Freilich 
nicht durch Erzählung meiner Jugend— 


und mit einem Seufzer feßte er hinzu: 
„Ach, lernen, ftudieren und — ent- 
behren muſs ein Kronprinz auch, nur 
it jeine Jugend dabei minder luftig 
als die des Künſtlers.“ 

„Der Beruf Enerer Taiferlichen 
Hoheit ift aber auch ein ungleich er— 
habenerer als der des Künſtlers“, ſprach 
Makart mit Wärme, „Wir dürfen nur 
hoffen, Durch die Gebilde unjerer Kunſt 
Taufende zu erfreuen. In die Hände 
des dereinftigen Herrſchers ift aber das 
Glück von Millionen gelegt.“ 

„Das allein ift e8, lieber Malart, 
was mir meine Arbeit verfüßt und 
mich auf manchen Genuſs, der anderen 
natürlich erfcheint, gern verzichten 
läjst“, rief der kaiſerliche Jüngling, 
indem feine Augen im feurigem Glanze 
aufleuchteten ... . 

Nah freundlichem Abjchiede ver— 
ließ er das trauliche Plägchen, an dem 
wir fo fröhlich geplaudert Hatten. 
Schweigend blidten wir der langjam 
entſchwindenden Jünglingsgeltalt nad), 
und erniter, als wir gelommen, vers 
liegen wir die Stätte. Wir hatten in 
ein geiftig reged, dem Idealen zuge: 
wandtes Gemüth geihaut. Der Ge- 
Dante, wie dieſer lebensfrohe, blühende 
Jüngling einjt das Land feiner Väter 
beherrichen, wie er auf dem Staifer- 
throne mit den neuen Forderungen 
der modernen Zeit ſich abfinden würde, 
befchäftigte uns noch lange, und frohe 
Hoffnungen wurden laut auf die Zus 
funft Oſterreichs und feines künftigen 


erlebniſſe“, jagte dev Erzherzog lächelnd; Herrichers. . . 


T 


Unter Sceffels Banner! 


Eine Reifeerinnerung von Adolf Jaroſch. 


„Und vergnügt jchlug ihm das Herz, 
al3 er einfam fürbajs zog!“ — Diefer 
jo jhlichten und ſchönen Worte aus Schef- 
fels „Elklehard“ gedachte ih, als ich das 
ſchöne Iſchl verließ, um mich nach dem 
lieblichen Aberjee zu wenden. 

Es war früh morgens und meine 
Bruft hatte fih den Gefühlen geöffnet, 
die das Herz gefangen nehmen beim An- 
blid der herrlichen Frühlingspradt und 
beim Laufen des fröhlichen Gejanges 
der munteren Böglein, deren Gezwitjcher 
fh in das Iuftige Plätjchern der Traun 
mengte, die dem Wanderer am ganzen 
Wege bald zur Rechten, bald zur Linken 
entgegenfliebt. 

Nah 2'/,ftündigem, rüftigem Aus- 
jchreiten war ich im maleriſch gelegenen, 
fremdenbelagerten, jaifonfähigen St. Wolf- 
gang, von wo aus, nad kurzer Rait, 
der weges- und Scheffelefundige Bürger- 
meifter, Hotelbefiger Peter, mich zum Schef- 
felblid geleitete. Und die herrlichen Land» 
Ichaftsbilder, die unterwegs ſtückweiſe mein 
Auge ergößten, boten ſich nun vereint 
meinen Bliden dar, Es war unvergeislich 
Ihön! Wahrlid, der beutjch-öjterreichiiche 
Alpenverein hätte feinen würdigeren Platz 
für den Dbelist mit dem Gedichte der 
Erzherzogin Balerie: „Dank an Scheffel* 
finden fönnen. — 


Die Welt der Mäcenaten ift aus- 
geftorben, Stein Kröſus fliht dem Mimen 
und Dichter Kränze und läjst Tekteren 
Geiftestinder abjhreiben, beziehungsmeife 
druden. Die Erde hat bereit3 da3 vom 
alten Propheten vorhergejagte Loch be- 
fommen und Die erfte, die durch dasjelbe 
fiel, war die Kunſt. Ein großes Ver— 
dienft gebührt daher dem Alpinijten, der 
feinen Mitmenjchen nicht nur Brüden baut 
und Wege bahnt, jondern auch dem Dichter 
Dentmäler errichtet. Und doppelt Dant 
verdient der deutich-öfterreihiiche Alpen- 
verein, der dem Sänger der „Berg— 
pialmen” an den Geftaden bes St. Wolf- 
gangjees gleich zwei Mementos in den Stein 
geichrieben. 

Und beſonders das zweite, das mir 
auf der Rüdfahrt von St. Gilgen, nad 
welder Seite wir abgeftiegen waren, 
jahen, iſt es, das jo wirkungsvoll auf 
den herabſchaut, der auf urzeitlichem Ein- 
baum fih ihm nähert. Ich meine die 
Inſchrift auf abgrunddräuender Wand 
des Falkenſteines. Sie iſt wahrlich der 
gewaltigite Ruf: Te saxa loquuntur! 
— Der viellefende Ferge erzählte mir 
nun, was ich längft wujste und mir als 
nächſtes Ziel meiner Fahrt beitimmt 
hatte. Es war eine Freude, zu hören, 
wie der biedere, ſchlichte Mann mit dem 
Thurme heransrüdte, den man dem gleichen 
„G'ſchichtenſchreiber“ zu Ehren in Mattiee 
errichtet, und eine Thräne der Rührung 


fam mir ins Auge, al3 unjer wacdere 
Fahrmann aus zottigem Wams ein arg 
abgegriffenes Eremplar der „Bergpjalmen“ 
bervorzjog und meinte: „Dös müaſſen's 
lejen, da ſteh'n jchöne Sachen drin.” — 
Vor uns die thürmende Felswand, vom 
blaugrünen Seeſpiegel benetzt; dunkle 
Fichten, vom Glutenſchein der ſinkenden 
Sonne vergoldet, und geſpenſtiſche Schatten 
hin- und herhuſchend auf dem ſtarren 
Felſen, als ſuchten ſie den alten Freund, 
der hier auf Jagd- und Fiſchweid zog, 
den tapf'ren Biſchof von Regensburg, der 

„Aus Kaiferfehde und Fürſtenſtreit 

Entflieht zur Alpeneiniamteit.“ 
Unbeweglich laujchte unjer breitjchultriger 
Genoffe, wallenden Bartes, jelber ein 
beiliger Wolfgang, auf die Märchen des 
Sees. 

Anderen Tages zog es mich nad 
den Gefilden des Salzburger Hügellandes. 
An den Mattjeen wollt! ih Einkehr 
halten und das ſowohl monumental, als 
auch literariich intereflante Erinnerungs- 
zeihen an Joſef Victor von Sceffel be 
fihtigen: den Sceffeltburm mit dem 
Sceffelmufeum in der Villa Preitner. 

Ich bin ſonſt ein ausgeiprochener 
Feind von Privatiammlungen, denn 
man muß bei Befihtigung einer jolchen 
oft unverdienter Weiſe loben, um ſich 
gegen den Befiger nicht unhöflich zu zeigen 
—  conventionelle Lügen beberrichen ja 
die Welt — was bei öffentlichen Samm- 
lungen wegfällt. Bei diejen zahlt man 
jeinen Obulus und kann nad Herzens- 
luft ſchimpfen und nöthigenfall® mit dem 
Guftos — grob jein. 

Ah ließ mich, zwar von alten Vor— 
urtheilen getragen, doc durch meine Neu— 
gierde, das vielbeiprochene Scheffelmufeum 
zu jehen, bezwingen und jchlug den Weg 
dahin ein. 

Ich follte gleich, wenigſtens ſchon an 
der Schwelle, von meinem Vorurtheil über 
Privatiammlungen geheilt werden. 

Der Befiser des Mufeums, der Ver- 
faſſer von „Vindobonas Roſe“, jelbit 
ein gottbegnadeter Poet, empfieng mich 
und machte den liebenswürdigſten Cicerone, 
den man ſich nur begehren kann. Überaus 


70 





entzückt, einen ſo wackeren Freund des 
dahingegangenen Ekkehard-Dichters zu 
kennen, erhob ich den Willkommbecher, 
gefüllt mit duftigem Maitrank, und brachte 
ihn den Manen des Dichters. Nun gieng 
es an die Beſichtigung. 

Eine Stiege, über welcher in gol— 
denen Lettern die Inſchrift: „In honorem 
Victoris Scheffel“ glänzt, führt uns in 
ein altdentſches Gemach, durchweht vom 
Hauche eines Dichtergenius. Die herr- 
lihen Glasmalereien bringen in finniger 
Meile die Muſen, die „neun antilen 
Tanten“, wie fie Scheffel in leichtem 
Scherze nennt, zur Darftellung und lafjen 
das Licht in eigenthümlicher Färbung in 
das traulihe Gemah dringen, wo uns 
vor allem eine Kolofjal-Bülte Scheffels 
in die Augen fällt; es ift dies nicht die 
einzige, andere fleinere ftehen auf Ge 
fimfen und in Niichen, darunter eine bes 
fonder$ wertvolle, von dem berühmten 
Stuttgarter Steinkünftler Reinede,. Am 
meiften intereffierte mich da3 Autographen- 
fäjtchen, aus dem mir die jchönen, wohl» 
befannten Schriftzüge Scheffel& durch den 
Glasverſchluſs entgegenleuchteten. Die ein- 
gehende Befichtigung der zahlreichen, zum 
Sceffelftudbium äußerft wertvollen Auto» 
graphe ſparte ih mir für die folgenden 
Tage auf, die ih im Haufe als Gaſt 
zubringen jollte. Unter dem Autographen« 
ſchrein befindet fih im Negal das Ardiv 
des „Scheffelbundes in Öfterreih“, der 
bier jeinen Sit hat. Die Wände des 
Thurmzimmers find geihmüdt mit Photo: 
graphien und Bildern, welde uns Die 
herrlichen Geftalten aus Scheffels Wer- 
‘fen kunſtvollendet vorführen. In einer 
Ede ſteht ein Heiner Tiih, bededt mit 
einem weißen Dedchen, das, von funft- 
finniger Damenhand geitidt, uns Yung 
Werner zeigt, der jein Abjchiedslied weh— 
müthig zum Sclofje entjendet, wo jeine 
Liebjte weilt. Darauf ftebt ein Pokal, 
eine Spende ſangesfroher Männer der 
Salzjtadt Hallein. In einem geräumigen 
Glasſchrank finden wir alle Ausgaben 
Scheffel'ſcher Werke, ſowie die ſechs bis 
jetzt erfchienenen Biographien des Dichters, 
die Überſetzungen jeines „Trompeter von 





71 


Sällingen” ins Italienijche, die befonders |jchon mancher Scheffelverehrer ſich ver— 
gelungen genannt werden fann, ins Eng« |ewigt und theilweije jehr finnige Sprüche 
liſche und Plattdeutſche, alle in zuvor: | und Gedichte eingetragen bat; jo trifft 
fommendfter Weile von den betreffenden | man 8. Foglars bereit3 durch die ganze 


Berlegern dem Eigenthümer der Sceffel- 
ftube zur Verfügung geitellt. — Nebenbei 
verdient es betont zu werben, daſs die 
ganze wertvolle Sammlung lauter frei- 
willigen Beiträgen von Scheffelverehrern 
und Scheffels beften Freunden, wie 
Staatöratd von Eifenhart, Juſtizrath 
Schmwanik, Profeffor Ebers, U. von Wer- 
ner, Alberta von Freidorf u. ſ. f. ver 
dankt wird. Über die Entftehungsgeichichte 
de3 „Trompeters“ gibt uns ein Büchlein 
von Herford und ein Manufcript ähn— 
lihen Inhaltes von Pomezny Aufſchluſs. 
Natürlich fehlt auch das vom Scheffel— 
bunde herausgegebene Gedenkbuch nicht, 
wie ja alle Bücher, die auf Sceffel Be- 
zug haben, vorhanden find, 

Auh der Humor findet jeine Ver 
tretung; es fehlen micht die verjchieden- 
ften Warodien auf Scheffeld Gedichte, 
beionder8 auf das unvermeibliche, aber 


„Behüt' dich Gott“. Ein luſtiges Stu— 
dentlein hat zur Erinnerung an den flotten 
Gorpsftubenten Scheffel jeinen Bummler 
mit den Zeilen gewidmet: 

DO Bummier, der mein Liebling war 

In mandem Bebenäfturm, 


Der mi geibmüdet mandeß Yabr, 
Ehmüd’ nun den Scheffelthurm. 


Preffe gewandertes Gediht „An der 
Scheffelſtube“ und die trefflichen Verſe 
von R. Haas: 

Und lebend bleibt er und erhebt 

Hoch fi) empor aus Schmerz und Schwächen — 

Die find jeht tobt: jein Genius lebt 

Und nur von ihm wird man einft ſprechen. 
ſowie 


Tief war fein Weſen und Gedicht, 

Bom Kerzen fam’s, zum Herzen drang ed, 

Ins Breite gieng fein Schaffen nicht; 

Tod was er ſchuf, war eriten Ranges. 

Herr Dr. Aberle wünſcht in luſtigen 
Reimen, der Scheffelthburm möge — mit 
Anjpielung auf den von Petrefacten er- 
füllten Felſen des Wartfteins, auf dem 
er fteht — auf den lebten Ichthyoſaurus 


‚gebaut jein. 


Ein Spruch lautet, und damit will 


ich die Reihe der Gitate jchließen: „Lats 





Sehr intereffant ift eine Fünftliche, ſich 


bewegende Eidebie als Ichthyoſaurus, 
welche fein Geringerer als der Nordpol» 
fahrer sFregatten-Gapitän Emil Gdler 
von Wohlgemuth direct ans Japan 
jandte; derjelbe bat auch das Sceffel- 
mujenm vor fünf Jahren eröffnet. 

Ih will ganz abjehen von den zahl- 
Iojen, auf Scheitel bezüglihen Zeitungs- 
blättern u. dgl. Die geneigten Leſer werben 
mir gerne glauben, dajs ich nicht alles 
erwähnen kann, was das Mujeum bietet. 
Es wäre ja auch nicht recht möglich, den 
ganzen Katalog der Sammlung zu geben ; 
dazu gehört viel Raum, Zeit und Mühe. 


Für die Beſucher des Scheifeltburmes | 


liegt ein Fremdenbuch auf, in melchem 





dich den Tod nicht reuen, Scheffel! Dein 
unverbienter Weile jo oft milshanbelte | 


Name lebt hoch.” 

Hat man nun gejehen und gejtaunt 
vor der Liebe und Berehrung, die Meijter 
Sceffel jo alljeitig gefunden bat und 
findet ; hat man dem Fleiße des Beſitzers 
gedanft, der den Scheffelthurm erbaut 
und jo Vieles in zwangloſer Weiſe zur 
Schau jtellt, ohne daſs man durch Num— 
mern und Abtheilungen an eine trodene 
projaijche Alltagsausftellung erinnert wird: 
jo jchweift der Blid durch die Thurm— 
fenfter auf die im Sonnenjchein freudig 
wiederftrahlenden Mattjeen. Freundlich 
liegt der Markt jelbit da, umraufcht von 
dunfelblauen Waflern, anmutbig das 
gegenüberliegende Seeham, das zur grau« 
famen Hunnenzeit manchen Mattjeer Flücht- 
ling gaftlih aufnahm, und im janft ver- 
jchleierten Hintergrunde heben die Salz 
burger Berge träumend die dunklen Häup— 
ter in die Lüfte und hinter dem jagen- 
umfränzten Untersberg winken die jchneeigen 
Spitzen des Watmannes berüber zum 
Dentmal des Sängers der im bunten 
‚yarbenjpiele deutiher Sage ſchimmernden 
Frau Aventiure. 


2 


Im Nu waren die Wochen vergan- 
gen, die ih mir zum Studium bier be 
ftimmt Hatte; ich lebte im immerwähren- 
den „Genuſsſtrudel“ — wie der jelige 
Klausner vom Wartjtein jagte, wenn er 
feine Freunde in einer Anwandlung von 
Mijstrauen über Berg und See jagte 
und fich des Erfolges herzlich freute, — 
Nun wars auch bier zum Abjchied. 

Ergriffen jchieb ich von dem reizen« 
den Dichterheim, geleitet von dem Sänger 


— 


Und Schloſs und Stall verlodert' im Wind, 
Dazu das ganze Hausgeſind! 

Nur mich hat das Schichſal aufgefpart, 
Euch's vorzubringen auf gute Art.“ 


Hberrafdjendes aus dem Heide 
der Bahlen. 


Es iſt eine ergötzliche Zulammen- 
ſtellung ſtatiſtiſcher Curioſitäten, die wir 


der „Roſe von Vindobona“ und deſſen in dem „Neuen Demokrit“ von E. M. 


liebenswürdiger Hausfrau mit zwei mun— 
teren Kindern, die mich in ihrer ergötz— 
lihen Urfprünglichleit an Audifar und 
Hadumoth gemahnten. 


Botenart. 


Don Anaftafins Brün. 


Der Graf kehrt heim vom Feſtturnei, 
Da wollt’ an ihm fein Knecht vorbei. 
„Hola, woher des Wegs, fag’ an! 
Wohin, mein Knecht, geht deine Bahn?" 


„Ich wandle, dajs der Leib gedeih’, 

Ein Wohnhaus ſuch' ih mir’ nebenbei." — 
„Ein Wohnhaus? nun, ſprich grad’ heraus, 
Was ift geſcheh'n bei uns zu Haus?“ — 


„Ridhts Sonderlis! Nur todeswund 
Liegt euer Heiner, weißer Hund!“ — 
„Mein treues Hündchen todeswund! 
Sprich, wie begab fidh’s mit dem Hund?" — 


Schranta (Berlin, Hans Lüſtenöder, 
1890) finden. In der Abſicht, unjere 
lieben Lejer einmal ein wenig zu ver- 
blüffen, entnehmen wir berjelben folgende 
Stüdden: 

Eine der erften, älteften, oft genannten 
ftatiftiichen Curioja hängt mit der Er- 
findung des Schachſpieles zufammen. 

Der über die geiftreihe Erfindung 
entzüdte König Schadhram, jo wird er- 
zählt, erlaubte dem Erfinder, dem Brah— 
minen Siſſa (die Gefchichte jpielt 400 
Jahre v. Ehr.), eine bejondere Gnade als 
Belohnung. 

Der Brahmine begehrte nicht3 mehr, 


als daſs man ihm für das erſte Feld 


ein Weizenkorn, für das zweite zwei, 
für das dritte vier, für das vierte acht 
Weizenkörner und ſo fort in geometriſcher 
Progreſſion die Körner bis zum 64. Feld 
verdoppelt geben und den ganzen Betrag 
ſchenken möge. Dieſe Forderung ſchien 


‚Im Schred Eu’r Leibroſs auf ihn ſprang, anfangs unbedeutend, doch wie groß war 
D’rrauf lief’s in den Strom, der es ver: das Erjtaunen des Königs, als er ver- 


ſchlang.“ 
„Mein ſchönes Roſs, des Stalles Zier! 
Wovon erſchral das arme Thier?“ — 


Beſinn' ich recht mich, erſchral's davon, 


nahm, daſs alles Getreide der Erbe die ver- 
langte Zahl Körner nicht liefern würde. Sie 
betrug 18,000,000,000,000,000.000 
Körner, welde beinahe 15 Billionen 


Als von dem Fenfter ftürzt' Eu’r Sohn." — Cubilfuß oder 14. Billion engliider 


„Mein Sohn! Doch blieb er unverlekt? 


Scheffel ausmacht, die eine Fläche von 


Wohl pflegt mein fühes Weib ihn jegt?* — 9900 Quadratmeilen, auf denen das 


„Die Gräfin rührte ftrals der Schlag, 
Als vor ihr des Herrleins Leichnam lag.“ — 


Korn 30 Fuß hoch läge, einnehmen 
würden, oder das gefammte Feſtland ber 


„Warum bei folhem Jammer und Graus, Erde ließe fih damit zwei Zoll hoc 
Du Schlingel, hüteft du nicht das Haus?“ — | bededen. 


„Tas Haus? Ei, welches meint Ihr wohl? 
Das Eure liegt in Aſch' und Kohl’! 

Die Leihenfrau ſchlief ein an der Bahr’, 
Und Feuer fieng ıhr Kleid und Haar. 


Da erft begann man fih einen De 
griff von der Bedeutung der Zahl zu 
machen. 

Es Quadrillionen 


wird von ger 


— 


ſprochen, indes es ſchon ſchwierig iſt, 
ſich einen richtigen Begriff von einer 
einzigen Million zu machen. Legt man 
z. B. eine Million Fünfmarkſcheine auf 
einander, jo erhält man einen Pad von 
250 Fuß, und doc ift dabei augenom— 
men, dajs 100 Fünfmarkicheine ein 
Pädchen von Ys Zoll ergeben; 1000 
Stüd würden 2% Zoll ausmaden, 
100.000 Stüd 25 Fuß, 1,000.000 
Stück 250 Fuß. 

Aber nehme man nun au, ein Menſch 
hätte jede Stunde jeines Lebens, von 
feiner Geburt an, Tag und Nacht gleich 
Durchgerechnet, einen Thaler zu verzehren, 
jo würde diefer Menſch, wenn er das 
jeltene Alter von 100 Sahren erreichte, 
bei weitem feine Million in diejer langen 
Zeit verbraudt haben; denn 1 Stunde 
1 Thaler, macht 1 Tag 24 Thaler, 
1 Jahr 8760 Thaler, und 100 Jahre 
876.000 Thaler. 

Eine intereffante Aufgabe ift Die 
Frage, zu welder Summe ein Pfennig 
anwächst, der zu 5% zu Ebhrifti Geburt 
auf Zinjeszinfen ausgeliehen wäre. 

Im Jahre 1870 würde der Pfennig 
auf eine Zahl angewadien fein, die 
38 Stellen hat und mit 30 Sertillionen 
beginnen würde. 

Millionäre können eigentlih gar nicht 
verarmen. Nehmen wir beijpieläweife das 
Bermögen des Hauſes Rothſchild. R. 
Meyer berehnet das Anwachien des 
Rothſchild'ſjchen Gapitales folgender— 
maßen: Der Pariſer Rothſchild ſtarb 
1875 und hinterließ 1000 Millionen 
Francs. 

Man darf das Vermögen des Ge— 
ſammthauſes Rothſchild alſo auf 5000 
Millionen Francs ſchätzen. Die Roth— 
ſchilds machen nun mehr als 5% Zinſen. 
Rechnen wir indes, daſs dieſes Plus 
für ihren Unterhalt daraufgehe und ihr 
Gapital nur alle 15 Jahre verdopple. 

So unanfehtbar aber, jo logiich auch 
die Zahlen find, fo fönnen fie doch, ita- 
siftiisch angewendet, auch ad absurdum 
führen, 

Ein jolcher hochinterefjanter Fall iſt 
folgender: Wenn ein rbeiter eine 


3 


Mauer in 12 Tagen erbaut, fo bauen 
diejelbe Mauer doch 12 Arbeiter in einem 
Tag. Gut; dann bauen fie aber 288 
Arbeiter in einer Stunde, 17.280 in 
einer Minute, und fallen gar 1.036,800 
Mann an, jo fteht fie in einer Secunde 
da, d. h. ehe noch einer einen Stein hat 
hinlegen fönnen. 

Der Bodenjee ohne den Unterjee bat 
8% Quadratmeilen oder 5682 Millionen 
Quadratfuß; es hätten jomit jämmtliche 
Demwohner des Erdballes zur Zeit jener 
Berehnung, auf rund 1430 Millionen 
veranjchlagt, auf dem Bodenſee Platz, 
indem für einen jeden 3794 oder rund 
ein Qnadratfuß Raum bliebe. Der See 
müjste natürlih überfroren jein, und 
zwar did genug. Würde die Eisdede ein- 
breden und die ganze Menjchheit ver— 
jhwinden, jo würde der Waflerjpiegel 
faum um einen halben Fuß fich heben. 
Um die ganze Menjchheit einzupöfeln, 
brauchte man aljo nur ein Faſs, das 
balb joviel Wafler hält, als nothwendig 
ift, um den Bodenjee um einen Fuß fteigen 
zu machen. 

Bei all diefen Berechnungen mujs 
man freilih immer wiederholen : „Wer's 
nicht glaubt, mag nachzählen oder die 
Probe machen.“ 

Die Gelammtbevölterung der Erde 
zu 1455 Millionen angenommen und 
dazu in Betracht ziehend, dajs die jähr- 
lihe Zunahme ih auf etwa 16 Millionen 
Seelen beläuft, jo bat fih die Gejammt- 
ziffer jeit dem Untergang des römiichen 
Reihes um etwa die Hälfte vermehrt. 
Ferner: Wären jämmtliche bemwohnbare 
Länder der Erde jo dicht mit menſch— 
lichen Niederlaffungen bejegt, wie England 
und Belgien, Indien und China, jo 
würden etwa 10 Milliarden Menjchen 
auf der Erde Plag gefunden haben. 

Zwei Factoren, Geburt und Tod, 
ändern beftändig an der Bevölkerungs— 
ziffer, die Oberhand behält aber die Ge— 
burt, denn nah den Sterblichkeitäfällen 
genau befannter Länder iſt berechnet 
worden, daſs die jährliche Anzahl von 
Todeställen auf der ganzen Erde 35 Mill. 
693.350 beträgt, oder in anderen Worten 


— 


ausgedrückt, daſs täglich 97.790 Per— 
fonen ſterben. Doch wird das Gleich— 
gewicht der Bevölkerung durch die Ge— 
burten, deren täglich 104. 800 ftattfinden, 
mehr als aufrecht erhalten. In jeder 
Minute der 24 Tagesſtunden kommen alſo 
70 Kinder auf die Welt. 

Eine ſehr oft ventilierte Frage iſt 
die nach der Lebensdauer. Die Frage: 
„Wer lebt am längften?“ bat folgende 
intereffante Zufammenftellung der Lebens— 
dauer der den verſchiedenſten Berufs 
geichäften Angehörigen ergeben. Darnad 
erreihen im Durdichnitt Gärtner, | 
Schiffer und Fiſcher ein Alter von 58 
Jahren ; ihnen folgen zunächſt die Bäder, 
Dierbrauer und Mepger mit 54 Jahren, 
dann bie Zimmerleute, Maurer und An« 
ftreiher mit 49, die Schloffer und 
Schmiede mit 47, Schuhmader und 
Schneider mit 44, Steinmeße, Bildhauer, | 
Schriftſetzer, Lithographen mit 41, endlich 
die Taglöhner und Lohnarbeiter mit 
32 Jahren. Bei den Kaufleuten ſchwankt 
die mittlere Lebensdauer in weiten Ören- 
zen. Unter den afabemijchen Ständen | 
erfreut fich die Geiftlichkeit des längiten | 
Lebens, deſſen durchichnittliche Dauer 
67 Jahre erreicht. Ihr zunächft ftehen | 
die Philologen und Lehrer mit 57, die‘ 
Juriſten und Rameraliften mit 54, und 
endlich die Ärzte mit 49 Jahren. 

Im allgemeinen werben die Per: | 
heirateten älter als die Junggefellen. 
Ad notam, ihr Hagejtolge! Man bat 
übrigens auch berechnet, dajs je ein! 
Hageſtolz auf je 

21 Männer in Deutichland, 
17 in England, 

16 in Frankreich und 

14 in Amerifa kommt. 

Umgelehrt hat der Statiftifer Dr. | 
Schwabe jeine Unterjuchungen über : 
Heiratsgejuche bejonder3_ in den Heiz 
tungen angeftellt. Er fand, daſs faft 
dreimal joviel Männer als Frauen auf 
dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege des 
Heiratögejuches in den Hafen der Ehe 
einzulaufen verſuchen. Merkwürdigerweiſe 
machen die Frauen an das Alter des 
erfebnten Zulünftigen weniger Aniprüde 








als die Männer ; denn während 81 Pro- 
cent ‚Frauen gegen 56 Procent Männer 
vom Alter ganz abſehen, machten 
32 Procent Männer und bloß 6 Pro— 
cent Frauen Anjpruch auf die Eigenſchaft 
„jung“. Betrachtet man die Eigen- 
ihaften, jo gibt man von männlicher 
wie von weiblider Seite in dem Heirats— 
antrage, rejpective Geſuche, am meiften 
auf Intelligenz, am wenigiten auf die 
Eonfejlion. 

Das ift fein übles Leihen, denn 
ohne Antelligenz find auch die fittlichen 
Eigenſchaften weniger wert. 

Die Angabe eines beftimmten Ver— 


mögen findet fih bei 7 Procent heirats- 
‚Iuftiger Männer, dagegen bei 41 Pro» 


cent heiratälnftiger Frauen, jo daſs die 
Frauen entichieden überzeugt zu fein 
icheinen, daſs auch in Ehejchließungs- 
fahen das Geld der nervus rerum ſei. 
Über den Beruf ift nicht viel zu jagen, 
aber auffällig ift die große Zahl der 
Kaufleute, Bankiers und Fabriksbeſitzer, 
welche 53 Procent ausmachen. 

Schwieriger zu berechnen und baber 
auch ein wohl nit genaues Reſultaät 
erzielte jener Engländer, melder be— 
bauptet, daſs die Zahl der jeit der 
Schöpfung in Kriegen umgelommenen 
Menſchen 14.000 Millionen jeien. 

Wer dieſe im Kriege Gefallenen 
zählen mollte und täglih dazu 19 
Stunden verwendete, würde 336 Jahre 
brauden. 

So hätten wir den Menſchen in 
feinen drei Hauptjtationen, Wiege, Altar 


‚und Grab, jtatiftijch verfolgt. 


Das Herz des Menfchen joll in der 


Minute 75mal jchlagen und die Lunge 


fol 15mal in der Minute Athem holen. 

Über die Herzichläge hat wieder der 
bekannte Londoner Arzt Dr. Richard— 
ſon jtatiftiiche Unterfuchungen angejtellt. 


‚Er forderte feine Schüler auf, ihm den 
Puls zu fühlen, während er dabei ftand — 
wie geht er? „74“. Hierauf fette ſich 


Dr. Ridardion auf einen Stuhl: Und 
nun? — „70“, und als er fi gar auf 
das Ganapee niedergelalten, war ber 
Puls auf 64 beruntergegangen, Nun 


mm — zu Fee... EB = SEEN 


75 


fagte Dr. Rihardion: „Wenn Sie fih| burg, jtellte in dem anf dem Balle zum 
des Abends niederlegen, jo gejchieht dies, | Deften der Berliner Bühnenangehörigen 
weil das Herz der Ruhe bedarf. Wenn ausgegebenen Autographen: Album die 
Sie in diefer Weife ruhen, jo macht das | folgende Preisaufgabe: „Während meiner 
Herz zehn Schläge in der Minute wer | Laufbahn babe ih an 3481 Abenden 
niger. Multiplicieren Sie da3 mit 60,| 3481 Damen 3481mal meine Liebe 
fo gibt das 600, folglich in aht Stun: | geftanden und fand 348 1mal Erbörung. 
den einen Unterjhied von etwa 5000) Angenommen nun, ich hätte diefe 3481 
Schlägen. Da da3 Herz mit jedem) Damen mwirflih geheiratet — wie groß 
Schlage ſechs Unzen Blut ausftößt, fo; müfste mein Bermögen fein, um die 
madt das einen Unterſchied von 30.000| Dalltoiletten meiner israuen bezahlen zu 
Unzen während ber Naht. Lege ich mich | können?“ 
des Abends ohne Alkohol zu genießen Nun noch eine drollige Berechnung. 
nieder, ſo iſt das die Ruhe, welche der Wenn ein Briefträger bei dreimaliger 
Menſch gewinnt. Nehmen Sie aber Wein Poſtausgabe vormittags drei und nach— 
oder Grog, ſo ſtören Sie dieſe Ruhe, mittags abermals drei Stunden zu gehen 
denn die Wirkung des Alkohols geht hat, ſo macht dieſer Briefträger in 360 
dahin, die Schlage zu mehren und, anſtatt Tagen einen Weg von 1080 Meilen. 
dieſe Erholung zu genießen, vermehren Da nun der Erdumfang am Aequator 
Sie die Herzbewegung um etwa 15.000 5400 geographiſche Meilen beträgt und 
Schläge. Die Folge ift, Sie ftehen ermüdet | 1080 in 5400 genau fünfmal enthalten 
und für die folgende Tagesarbeit un— iſt, fo macht ein Vriefträger, der 35 Jahre 
tauglih auf, bis Sie wieder ein Quane | jeinen Dienft verfieht, einen Weg, ber 
tum von dem jtarfen Getränfe zu fich | jo lang ift, dafs, wenn er immer gerade» 
genommen, das Sie als die Seele und | aus gegangen wäre, er fiebenmal um bie 
das Leben des Menſchen fälſchlich an- Erbe zu Fuß gelommen wäre. 
preiſen.“ Ein Analogon zu den Briefträgern 

Da hat ein Pariſer Arzt gerechnet: ſtellen in einer gewiſſen Beziehung die 
Ein fünfzigjähriger Menſch bat 6000 Damen. Man hat berechnet, daſs eine 
Tage gejhlafen, 6000 Tage gearbeitet, | Dame in einer Ballnacht, bei den jetzt 
800 Tage Bewegung gemacht, 1500) gebräuchlichen Tänzen, wenn fie biejelben 
Tage gejeffen, 4000 Tage fi unter- | alle mittanzt, nah Schritten gerechnet, 
balten und ift 500 Tage franf gelegen. | einen Weg von vier Meilen zurüdlegt. 
Während diefer Zeit hat er zu fich ge Ein origineller Kauz hatte die bee 
nommen 70.000 Pfund Brot, 20.000 | gehabt, die Küſſe zu verzeichnen, bie er 
Pfund Fleiih, 5000 Pfund Gemüje und | mit feiner Frau in einem Zeitraum von 
32.000 Liter verjchiedene Getränke, die) 20 Jahren gewechſelt hat. Im erften 
zujammen einen See von 3000 Fuß Ober» | Jahre erreichten die Küſſe die koloſſale Zahl 
flähe und drei Fuß Tiefe geben würden.) von 36.500 oder 100 Küſſe pro Tag. 

Weiter in Zahlen, Der ältefte Schau» | Im zweiten Jahre verminderten fie fich 
Ipieler war wohl Jean No&, der im) ihon um die Hälfte. Im dritten Jahre 
Sabre 1829 zu Paris, 118 Jahre alt, | waren es durhichnittlih nur mehr zehn 
ftarb. Er hatte vom achten Jahre an pro Tag. Nach fünf Jahren zählte man 
die Bühne betreten und 92 Jahre lang | nur noch zwei Küſſe täglich, den Guten» 
auf ihr, allerdings nicht mit großem) morgen- und den Gutenachtkuſs. Noch 
Ruhm, aber doc mit fteter Brauchbarkeit, | jpäter wird oft mur bie und da noch ein 
gewirkt. 28.010mal war er aufgetreten, | Kuſs ausgetaufcht. Referent macht hierbei 
1040mal geitorben, 230mal König, | die Randgloſſe: „Das ift das Los des 
920mal ein ehrliher Mann und 23.500» | Schönen auf der Erbe,” 
mal ein Böjewicht geweſen. 

Ein anderer Actenr, Herr Kadel— — 





Gedichte. 


Don Sopbie von Rhuenberg. 


Sommeraßend. 


Blätternd ſpät in Goethes Liedern 
Frag’ ih mid: wie denft er dein? 
Plötzlich jhwirrt ein weißer Falter 
Zu den Fenfter mir herein, 


Wlattert in verwirrten Kreiſen 

Um der Lampe heikes Licht, 

Ruht und taumelt, glanzgeblendet, 
Und warum — er mweik e8 nidt. 


Deine Ecerze, meine Träume 
Gaufeln fo ans End’ der Welt, 
Bis verbrannt von greller Wahrheit 
Wahn und Luft in Staub zerfällt! 


Drei Dinge. 


Bon allem Glüd, das je mein Herz befeffen, 
Bon allem Weh, das nagend es durchwühlt, 
Drei Dinge fann id ewig nicht vergefien, 
Mie bunt des Leben: Welle mich umſpült. 


Den Duft der erften, dunfelrothen Roie, 

Die mir die Liebe gab zur Frühlingszeit, 
Des Schmerzes dumpfe, zitternde Narloje 
Als ih durdftürmt von übergroßem Leid. 


Dem Todeswimmern meinesßtnaben laufchte- 
Und dann, nad Jahren, jene Winternadt, 
Wo meine Seele träumend fih berauſchte 
An legter Liebe mondenheller Pracht! 


An die Meugierigen. 


Sudt nicht im jedem Liede, das euch der 
Dichter fingt, 

Den Urquell des Gefühle, das euch zu 
Herzen dringt. 

Zerrt nicht den legten Schleier von jeinem 
tiefften Sein 

In feinem Menihenthume lafst ihn 
allein, allein! 


Was frommt es euch, zu willen, wen all 
fein Jauchzen gilt, 

Um wen jein Herzblut ſtrömet und feine 
Thräne quillt! 

Was eine Dichterleele im Fluge träumend 
ftreift, 

Unbeilig wird’3 und wertlos, wenn ihr's 
mit Händen greift! 





Det is ja unfer Tribe! 


Eines Tages, als der Kronprinz 
Friedrich Wilhelm (der nachmalige Kaiſer 
Friedrich) in etwas lälfigem Jagdanzuge 
durh die Straßen Berlins jchlenderte, 
ab er vor dem Schaufenfter einer Kunſt— 
handlung eine Menge Volks ftehen, meijt 
Handwerker und Zandleute aus der Um- 
gegend, die ſich die ausliegenden Bilder 
der föniglihen Familie betrachtete. Er 
fajste einen der derben fonnenverbraunten 
Männer aufs Korn und jprab ihn an: 

„Kennen Sie denn die alle: Kennen 
Sie den da?” 

Er deutete auf jein eigenes Bild, 

Der Angeredete jagte jchmunzelnd : 
„J, wo werd id denn den nich fennen ? 
Det is ja unſer Write.“ 

„om, ja“, machte der Kronprinz und 
fügte jo beiläufig Hinzu: „Ich müfste ihn 
eigentlih auch kennen, denn man jagt 
immer, ich ſähe ihm äbulich.* 

Da nahm der biedere Märler feine 
Pfeife aus dem Munde und ſah den 
Kronprinzen von oben bis unten mit un— 
williger Verachtung an: 

„J, Sie unjewalchener langer Laban, 
det bilden Se ſich doch man ja nich in, 
dat Sie unſen Fritzen täten änlich ſehen!“ 

Und es folgten noch einige derbe 
Erklärungen, die des ehrlichen Kron— 
prinzenverehrer3 entrüftetes Herz erleich- 
terten, denen aber, aufs Höchſte ergößt, 
der Kronprinz ſich dur die Flucht ent» 
zog. Keiner bat herzlicher über jein 
drolliges Abenteuer gelacht, als der hohe 
Herr jelbit, da er es am jelben Abend 
einem vergnügten Kreiſe erzählte, 

Alfo zu lejen in dem Schriftchen : 
„Unjer Fritz“ von Agnes von der Deden. 
(Hirſchberg, Vollsarztverlag.) 


Luftige Zeitung. 


Ein deutſcher Gelehrter paſſierte die 
Eiſenbahnſtation Bodenbach. Natürlich 
wurde bier ſein Gepäck unterſucht und 
natürlich fand ſich in feiner Handtaſche 
ein höchſt verfänglicher Gegenſtand 


— 





77 


ein Todtenichädel. Die Beamten fchüttelten | Korb ſchaufeln und zur weiteren Unter 
ihre Köpfe und riethen bin und ber, in juchung in das Gemeinde-Arhiv über- 
welche Rubrik von Verzollungsgegenjtänden | tragen folle. 

dieſes Ding eingereiht werden mülfe, bis | 


Einer — um den Erwägungen ein Ende | 6 a * — re 
u machen — vorſchlug, den Schädel zu | Concertiaa ragte in einer kleinen 
— ala — Ist —— Stadt ein Mitglied des Gemeinderathes 


‚den eben angekommenen Opernſänger. 

Ein ſtrenger Profeſſor auf der Wiener „Recht gut, recht hübſch!“ antwortete 
Univerſität verlangte, daſs bei Vorzeigung dieſer, „aber, wie ich merke, die Aluſtit 
eines Menſchenknochens der Studierende iſt ſchlecht!“ — „Die Akuſtik?“ ſagte der 
nach Befichtigung desjelben genan die | andere und fchnupperte mit der Naie, 
Rafie, das Gejhleht, das Alter u. ſ. w. „wahrhaftig, ich rieche auch jo etwas!“ 
angeben tolle. Dei einer ſolchen Gelegen- | Eine neue Liszt Anekdote erzählt die 
heit lam one en ‚uns | „Neue Muſikztg.“: Auf einer feiner Reijen 
jagte zu einem Prüf ing: „Herr Canbibat, | ; 5 fi der Meifter genöthigt, in einer 
nehmen — dieſen Knochen ie: nach | feinen Stadt Aufenthalt zu nehmen, 
——— — Sie — — > Kaum war jeine Anweſenheit bekannt 

as Indivi Un gebeißen und wo es geworben, als fi aud eine Schar von 
gewohnt hat, Verehrern, unter ihnen der VBürgermeifter 

Zell und Genée pflegten befanntlich des Ortes, zuſammenthat, um ihn zu 
miteinander für Operetten den Text zu begrüßen und ihn zu einem Feſtbankett 
ſchreiben. Da las man eines Tages in einzuladen, Schon hatten die Teilnehmer 
einem Wiener Blatte: „Herr Zell beab- Flat genommen, als ber Pürgermeifter 
ſichtigt nächſtens jelbjt einen Operntert bemerkte, dajs Dreizehn am Tifche ſaßen. 
zu ſchreiben, diesmal ohne Genie.“ (Geuée „Beunruhigen Sie ſich deswegen nicht ®, 
hätte es heißen jollen.) ſagte Liszt gelafien, „ih ejfe für 
Zwei!” 

Ein böjes Eheweib ward daran er 
innert, daſs es am Altare dem Prieſter 
laut nachſagend ihrem Mann „Treue und 
Gehorſam“ geſchworen habe. „Oh nein!“ 
ruft die Xantippe aus, „ich habe meinem 
Manne vor dem Priefter und allem Wolke 
laut Irene, Ungehorjam gelobt !“ 


In einer Vorftadt von Czernowitz 
wurde kürzlich ein Inftiges Hochzeitäfeit 
gefeiert. Der Ortsrichter, der demjelben 
bis jpät in die Nacht angewohnt und 
den unterſchiedlichen Getränfen fleißig 
zugeſprochen hatte, verließ das Feſt in 
höchſt weinjeliger Stimmung, in Beglei- 
tung jeine® Sohnes Franz und eines 
‚anderen Mororterichterd, Dem armen 
Franz war eine ſehr ſchwierige Aufgabe 
zugefallen, benn die beiden ehrwürbigen 
Väter wankten und jchwanften gar 
bedenflihb und die „Fälle“, daſs bie 

Nichts geht über einen pfiffigen Ge- biederen MWürdenträger in intime Ber 
meindevorjteher. Als vor einigen Jahren | rührung mit der feuchten Erde geriethen, 
in den Oberabelsberger Gemeinde-Wein- | wiederholten ſich in immer kürzeren Inter 
keller eingebrochen war und der Dieb im vallen. „Franzi“, begann nun plößlich 
Lehmboden jeine Fußipuren binterlafien | der brave Ortsrichter zu jeinem Sohne, 
batte, es aber zu fchneien begann, bevor | „Franzi, tel mi da an den Baum, 
die Gerichtscommiſſion anlangte, verordnete und bring 'mal erſt das bejoffene Schwein 
der Gemeindevorfteher, dab der Gemeinde: | nah Haus!“ 

Diener die Fußfpuren vorfihtig in einen — 





„Wie können Sie mich duzen?“ 
ſchnauzte auf dem Brandplag ein Beam- 
ter einen Bürger an. — „Blauben Sie, ich 
babe bier lange Zeit, um Sie zu jagen ?“ 
gab der andere zurüd, 


Bücher. 


auf das feinſte ausgenützt find, Der erfte 
Theil ift jo ureigen und großartig, dais 


Gin zeitgemäher und deutfamer Roman. id) dem Roman fein modernes Werl an 


In den Sarpathen ftand 
Dorf, Namens Piatra. 


ein uralte | die Seite ftellen Tönnte; leider fällt der 
In diefes kamen | zweite Theil ſtark ab, die anfangs fo wun— 


eines Tages ander&wo verjagte Juden ans | derbar Maren und plaftifeen Geftalten ver: 
gerüdt und baten mit allen Rünften der | wirren fih und man hat Notb, fie zu bes 


Schmeihelei um eine Wohnftätte. Der) 
Priefter von Piatra hatte einen Todfeind, 
- Michael Cibula, der im Dorfe ein einflujß: 
reiher Mann war, und ein unverjöhnlicher 
Feind der Yuden, Diefem Manne zu troß 
jegte der Priefter es durch, daſs die Juden 
fih anjäffig machen fonnten bei Piatra, 
unter der Bedingung, daſs fie den Chriſten 
eine Kirche bauten. Die Kirche ward gebaut, 
die Judenftätte gedich zu einem blühenden 
Dorfe, zu einer Stadt jogar; die Chriften 
verfauften den Juden Land, heimatlicdhen 
Boden für eitel Gold, und die Juden lichen 
fih von den Ehriften das Ehrenwort geben, 
daſs fie für alle Zeiten unangefocdhten in 
ihrer neuen Stadt wohnen dilrften. Da fam 
aus fernem Lande der gewaltige Biſchof, 
und anftatt die neue Kirche einzumeiben, 
legte er das ChHriftendorf Piatra in den 
Bann, der Yuden wegen. Michael Cibula, 
ein harter, wilder, aber ftreng rechtlicher 
Mann, lonnte das Elend feines uralten 





Heimatdorfes nicht mehr länger aniehen, er 


gründete fi in der Wildnis eim neues 


Heim und fuchte die Übrigen Bewohner von | 
Piatra ebenfalls zu bewegen, auszumwandern, | 


da man den Juden, die jeder leidenschaftlich 
hafste, da8 gegebene Wort nit brechen 
fonnte. Uber fie waren nicht zu bewegen, 
ihr angeitammtes Dorf zu verlafien, ſon— 
dern lebten in dem unwürdigften Verhält— 
nifje mit den hebräiſchen Nachbarn jo dahin. 
Mittlerweile hatte auch der Priefter feinen 
verhängnispollen Irrthum eingefehen, und er 
fuchte im Bereine mit Michael Cibula gut: 
zumaden, was gutzumachen war, Weil alles 
nichts half, die Ehriften von den Juden zu 
erlöfen, fo gieng Midael Cibula hin, züns 
dete das Dorf Piatra an und veranlajste 
alio die Bewohner, auszjumwandern und in 
der Wildnis ihren neuen Wohnſitz zu 
gründen, während Die 
Etätie blieben und ſich ausbreiteten, 


des Romanes „Michael Cibula“ von Richard 
Voſs (Stuttgart, U. Bonz & Gomp.). Ein» 
gewanderte Juden das Berderben eines 
ganzen Porfes, und die Chriften, die alt: 
angeltammten Bewohner, werden ſchmählich 


verdrängt von den Hebräern. Gin gewaltiger | 
7 ® E :. beiden Welten von Hermann Riegel. 


antiiemitiiher Gedanke, wie jo recht für die 
Zeit gedacht. Wer es wiſſen will, in welcher 
Tendenz er ausgeführt ıft, 
Wert. Nicht einer Tendenz zuliebe fcheint 
es geichrieben zu fein, fondern der wunder: 


Juden an ihrer, 
ſchick möchte ich dem Buche „Michael Eibula* 
Tiefer großartige Stoff ift der Inhalt 





der leſe das! 


licher Seelenconflicte wegen, die aus der, 
Situation ſich ergeben und bie dichteriſch Funftliterariichen Schriften find Doc befannt. 





greifen. Daſs die Juden endlih Sieger 
bleiben, nicht bloß materiell, fondern aud 
moraliſch, lann nicht jedem behagen, der 
für die alten Bewohner von Piatra ſich ein— 
mal fo gründlich intereffiert hat, als es hier 
geihehen mujste. Uber das eine Wort ſchreit 
ununterbroden aus dem Bude: Sie, die 
fonft Gerechten, mufsten weichen und fallen, 
weil fie hajsten. Weil fie hajsten! 

In vieler Beziehung ıft „Michael Ei: 
bula* ein merfwürbiges Bud. Es feſſelt 
troß feiner Schwächen von der erften bis zur 
legten Seite. Diefe marligen, ftarren, jor: 
nigen, racdhgierigen, bigotten, abergläubi— 
jhen und doch ftreng rechtlichen Menſchen 
haben es uns angethan, Man fann jie 
nicht Lieben, aber bewundern mujs man 
fie. Es find troß ihrer marligen Erſchei— 
nungen Sdealmenfchen, Grundjagmenicen. 
Faſt will es mi bebünfen, daſs die 
Schilderung der Juden und Die der 
Ehriften nit ganz mit der gleichen Liebe 
gemacht wäre. Die Juden, im erften Theile 
treu mit allen ihren Eigenthümlichleiten 
ausgeftattet, werden jpäter fo edel und groß: 
herzig, daj3 man den unverjöhnlichen Hais 
ihrer Verfolger pfychologiich gar nicht be- 
greifen fann; wie verrüdt und wahnfinnig 
erſcheinen die Antifemiten von Piatra. 
Sollte das auf heutige Ericheinungen ge: 
münzt fein? 

Der Eindrud, den im ganzen dieſes 
Bud auf mich gemacht hat, wird lange 
haften bleiben; es ift fo, daſs man es nidt 
mehr vergiist, wenn man’ einmal gelejen 
bat. Es behandelt ernft und tief eine wich: 
tige Gulturfrage. 

Dem Dichter Anzengruber iſt von uns 
befannter Seite einmal eine Summe Geldes 
angeboten worden, wenn er den zweiten 
Theil feines Romaned „Der Schandfled“ 
änderte. Er hat's gethan. Ein ſolches Ge: 


wünſchen. Wenn der zweite Theil dem erften 
entipridyt, dann haben wir bier ein epode: 
macendes Wert. R. 


Unter dem Birih. Bunte Bilder aus 


(Berlin. Hans Lüflenöder 1890.) 
Hermann Riegel! Das ifl der verdienft: 
volle Begründer des deutihen Spradver: 
eines? Der iſt unter die ſchöngeiſtigen Schrift: 
iteller gegangen? Ch, jhon lange, feine 





ee — 


Dier fommt er als Reifejchriftfieller, als 
Bollsſchilderer, als philoſophiſcher Plau— 
derer unter dem Strich, als „Feuilletoniſt“, 
würden wir jagen, wenn wir ihn fränfen | 
wollten, Der ffremdwörter: Feind! nun wollen 
mir doc einmal jehen, wie er ohne Fremd: 
wort durhfommt, denn er hat ſich oft jagen 
lafien müfjen, e3 gienge nidt und der 
Schriftfteller folle fein Mittel, auch den 
Ausdrud einer fremden Sprade nit ver: 
Ihmäben, um genau das zu jagen, waß er 
fagen will. In der Sammlung „Unter dem 
Strich“ zeigt und Hermann Riegel, dajs 
es recht gut geht. Natürli find in den 
Neifeaufjägen jene Fremdworte nicht ausge— 
Ihlofien, die eine fremde Sade, Stadt, 
Gegend, Namen, Einrihtung u.j.w. aus: 
drüden oder in Geſprächen mit fjremden 
vorfommen, doc find fie zum Zeichen, das 
fie nit der deutjhen Sprade angehören, 
mit lateiniſchen Buchftaben gedrudt und 
oft mit Anführungszeihen verjehen. Der 
deutiche Tert, als folder, ift frei von frem= 
den Wörtern, injoferne fie nicht in unjere 
deutijhe Sprache eingebürgert find. Die 
Schreibart ift rein und flar, und aljo bietet 
Hermann Riegel in feinem Werke ein 
muftergiltiged Borbild, wie man deutſch 
ihreibt. Der Inhalt befteht aus Meile: | 
ſchilderungen und Erinnerungen au3 Eng: | 
land, #ranfreih und Italien und aus| 
philoſophiſchen Stüden, wie „Was ift Bil: 
dung?“ „Etwas von Kunſt und Sunft: 
freunden“ (befonders ſchneidig und treffend), | 
„Arbeit und Glüd* u.f.mw. und harmloſe, 
aber ftet3 geiftreihe Blaudereien. Den Auf: | 
jag: „Der Papft im neuen Rom“ theile ich 
demnädft zum größten Theile mit; ihn ganz | 
zu bringen, dürfte vielleicht der Staatsanwalt 
nicht gerne jehen. Der Aufſatz: „Was ift 
Bildung?“ dünft mid etwas zu niedrig 
gehalten, der Berfafler gebt weniger auf 
Gharalter: oder fittlihe Bildung ein, er| 
meint unter Bildung beiläufig die Wohl: | 
anftändigfeit im geſellſchaftlichen Verkehr. 
Die Lanze, die er mit Recht für die Rein: 
Iihfeit und Sauberkeit überhaupt bricht, | 
ift diefelbe ſcharfe, die er auch für die Rei— 
nigung und Sauberhaltung unjerer Mutter: 
jprade ins Feld zu führen pflegt. Es ift 
ein prächtiges deutfches Buch, das man von 
der erften bis zur legten Zeile liest, und 
zwar mit Vergnügen und mit Nutzen. 











© diefe Rünſtler! Heitere und ernite 
Epiloden aus der Bühnen:, Mufil: und 
Malerwelt. Erzählt von Jojeflemwinsty. 
(Berlin. ©. Fiſcher. 1890.) 

Das Vorwort zu diefem Büchlein rührt | 
von Julius Stettenheim. Derjelbe ſchreibt 
unter anderem folgendes: 


i 





Geehrter Herr Lewinsky! 


Als Sie ſo liebenswürdig waren, ſo 
grauſam zu ſein, mir zuzumuthen, Ihr 
ziemlich umfangreiches Manuſcript zu 
leſen, und zugleich das ſchmeichelhafte 
Erſuchen hinzufügten, ihm einige ein— 
leitende Worte an den Leſerkreis auf den 
dornenvollen Weg mitzugeben, wur ich 
jo leihtfinnig, Ihnen nit nur dieje 
Begleitzeilen, jondern aud die Lectüre 
des Manufcriptes zuzujagen, Denn es 
war eben nidt nur ein Manujcript, 
jondern obendrein eines voll Erzählungen 
aus dem Leben der Pirtuoien, Mauern: 
weiler und fonftiger Künſtler beiderlei 
Geſchlechts. 

Mich überlief's. Anekdoten, in denen 
‚die Bühnenmitglieder eine Rolle jpielen, 
find bis zum Überdrujs befannt. 

Aber ebenfo reumüthig als dankbar 
geftehe ich ein, mich auf das angenehmſte 
getäufcht zu ſehen. Ihr Bud ift fein 
landläufiges. Wer den gejchilderten Per: 
fönlichfeiten (wie ich mehreren) nahe fteht 
oder nahe geftanden hat, oder wer fie 
oberflählich oder gar nur dem Namen 
nah fennt, wird fie im ihrer ganzen 
Eigenthümlichleit und Bedeutung wieder: 
erfennen oder Überhaupt kennen lernen. 
Sie haben Ihre Heldinnen und Helden 
mit jharfem Auge, „das in der Weſen 
Tiefe trachtet“, beobachtet, und was Sie 
mittheilen, wird in Ihrer feflelnden Dar: 
ftellung zu frappant ähnlichen Photo: 
graphien, wie fie nur die Feder eines 
Kundigen zu jchaffen vermag. 

Wir lönnen diejes Urtheil gutheiken, 
uns hat die Sammlung, von welder diejes 
Heft eine Probe bringt, viel Spajs gemadt. 


il. 


Der neue Demokrit. Bon Dr. Eduard 
Maria Schranka. (Berlin. Hans Lüften: 
öder. 1890.) 

Der neue Demofrit! Ein ftolzer Titel! 
Aber in der That, nit ohne Beredhtigung. 
Die große Belejenheit erinnert vielfah an 
den ladenden Philofophen €. 3. Weber, 
deſſen Manen das Werk gewidmet ift. Der 


uns vorliegende erfte Band des „Neuen 


Demofrit* führt den Titel „Kaleidoilop“. 
Er enthält eine Reihe theils mehr, theils 
weniger witziger Plaudereien, in welche zahl: 
loſe Gedanten, Gedichte, Sprüde, Anel: 
doten aus allen PBölfern, Ständen und 
Literaturen geſchickt zuſammengetragen und 
mit einander verbunden find. Aber au aus 
eigenem Leben, aus unjerer Zeit weiß der 
Verfaſſer vielfach zu ſchöpfen. Über ſcheinbar 
ganz unbedeutende Gegenftände, als eiwa 
über Fußſtapfen, Tintenklexe, Bleiftifte, 
über „Du“ und „Und*, über die Buchs 
ftaben „K. K.“, über Zahnſtocher, Knochen, 


Gedantenftrihe u, ſ. w. weiß er hödft 
anregend und munter zu fprecdhen, jo dajs 
ed immer ein Vergnügen gibt, jo oft man 
das Buch auffchlägt. M. 


Höhenraud). Neue Gedichte von Maus: 


rice Reinhold von Stern. (Zürid. 
Verlagsmagazin, 1890.) 

Höhenrauch? Diefer Titel ift mir doch 
etwas zu dunftig für jolde Porfien. Man 
müſste nur jagen, daſs durd den Höhen: 


rau ein fhöner Stern ſchimmert. Ein 


Stern, der mandmal fo hell leuchtet, daſs 





man ihn für einen Stern erfter Größe halten | 


fönnte an dem gegenwärtigen deutſchen 
Dichterhimmel. 
habe ih in dieſen Blätlern Gelegenheit 
genommen, darauf hinzuweiſen, dajs jchon 
die erften Poeſien von M. R. v. Stern, 
welche mitgetheilt wurden, ein nicht ge: 
wöhnliches Talent befunden. Die neue 


Sammlung „Höhenraud” rechtfertigt ſolche 


Meinung volllommen, ja fie übertrifft noch 
die Erwartung. Gin glühendes Herz iſt's, 
das bier lodert, jet voller Zorn über Ber: 
fhrobenheiten und Niedertracht, jekt voller 
Natur: und Gottfreude. Das Büchlein ift 


Schon vor einiger Zeit 


(Straßburg. 
' Berlagsanftalt.) 





diinn! es würde befjer fein, die allmählich | 


entftehenden Poeſien nit in jo zarten 


Heften verzettelnd herauszugeben, jondern | 


in einem mäßigen Bande, der aud Außer: 
lich etwas nachdrücklicher Buchhandel und | 


Zejewelt auf ſich aufmerkſam madte. R. 


Entgötterte Welt. Philoſophiſche Blau: 
derei von U. dv. Sommerfeld. (Zürid. 
Verlagsmagazin. 1890.) 

Warum ſolche Bücher geſchrieben werden, 
ift mir unflar, Nichts Altes beweiſen fie, 
nichts Neues jagen fie, niemand erbauen 
fie, niemand ergößen fie, niemand befrie: 
digen fie. Ergo: Niemand Faufe fie. 

R. 


Dem „Heimgarten” ferner zugegangen: 

Culturbilder aus Steiermark. (Graz. 
Verlagsbuhhandlung „Leylam*.) 

Agamemnon,. Traueripiel von Guftav 
Kaftropp. (Hannover. Hans Waflerlampf 
& Gomp.) 

Doctor Berh. Schauspiel in 4 Acten 
von Lundwig Rohbmann. (Münden, 
M. Preßl. 1890.) 

Dorfgeldidten aus dem Böhmerwalde von 
Sohann Peter. (Leipzig. Guſtav Körner.) 

Dofta von Drontheim. Fine wunderiame 
Geihichte von Paul Maria Laccroma, 
(Dresden. €. Pierjon.) 





Aus beweglem feben. Erinnerungen aus 
dreißig Kriegs: und Friedensjahren von 
Hans Wachenhuſen. Lieferung 4—6. 
Straßburger Druderei und 


Deutſchlands Weltftellung und Stellung 
und Aufgabe der Deutihen im Yuslande. 
Bon Ernft Bart. (Zürid, Verlags» 
magazin. 1890.) 


Das ſtarke Yahr. Bon Sohn Henry 
Maday. (Zürich. Verlags: Magazin. 1890.) 

Bur Philofophie der ZRinderſprache. Ge: 
reimtes und Ungereimtes. Bon Agathon 
Steber. Zweite vermehrte Auflage. (Leipzig. 
(Leipzig. Th. Griebens Verlag. 1890.) 


Elend und Bufriedenheit. über die Ur- 
jahen und Mbhilfe der mirtjchaftlichen 
Noth. Bon Leopold Heller. (Dresden. 
€. Pierjon. 1890.) 

Zwölf Polkslieder aus Steiermark für 
eine oder zwei Zithern mit unterlegtem 
Tert eingerihtet von Alois Dietrid, 
Ghormeifter des Mürzthaler Sängerbundes. 
(Leipzig. U. Kabatek.) 


Deutſcher Yational»Aalender für 1891. 
Jahrbuch zur Pflege deutſchen Vollsthums. 
Herausgegeben von Karl Pröll. (Berlin. 
Hans Lüftenöder.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


Vegetus R., Palparaifo: Brief uns jehr 
lieb: Gedichte anmuthig und geſinnungs— 
tüchtig, allein zu wenig Urfprünglicteit. 
Treuen Gruß aus deutſcher Heimat. 

©. 3., Wien: Ein anftändiger Menſch 
meidet das Spiel nicht aus Furcht vor dem 
Verlieren, jondern aus Furcht vor dem 
Gewinnen, 


Dr. med. 8. 3., Mannheim: Sie fragen, 
welder Glaube die Menichheit erhält? Wir 
antworten mit dem Philojophen: der Glaube 
an die Menichheit. 


A. ®. in Freyenfein: Beften Danf. Er: 
ſcheint bei nädfter Gelegenheit. 


An die Zeitungen: Wir unter 
laflen es, über jeden Auffag die Elaufel zu 
fegen: „Nahdrud verboten“, weil das ge: 
radefo wäre, als ob man über jeden Schrein 
im Haufe den Sat jchriebe: „Das Stehlen 
ift verboten“. — Der Nachdruck von Stüden 
aus dem „Deimgarten* ift nur nad vor: 
bergehender Bereinbarung mit uns be: 
ziehungsweife mit der Verlagshandlung 
geftattet. Unfere Bedingungen find loyal. 

— Manujscripte ohne vorherige Anfrage 
nicht einzuſchicken. 











Für die Redaction verantwortlib F. A. Bofegger. — Druderei „Leylam“ In Graz. 





being 


November 1890. 





X⸗ 


—4— 
—9— 


XV. Jahrg. 


a Ir 





Der Adlerwirt von Rirdhbrunn. 
Eine Torfgefhichte von P. R. Kofegger, 
(Fortjehung.) 


of Bierter. Abſchnitt. 
Winter war mit viel Schnee 
%5 gelommen. Das wirlſchaftliche 
= Leben des Dorfes nahm eine 
neue Geftalt an, vom Walde wurden 
auf Sclarpfen*) große Neifigfuhren 
gezogen, aus den Berggräben mächtige 
Holzblöde gejchleift, von den Zeichen 
ber jchwere Eisladungen geführt. Wer 
einen Bau vor Hatte im nächſten 
Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und 
Steine zufammen ; der Schnee — von 
welchem micht Unterrichtete glauben, | 








mit feinen Infaflen an im Kirhbrumm 
beim Aodlerwirt auf ein Glas Wein. 
Seit es laut geworden, dafs die ein— 
zige Tochter des Großbauern zu Geſs— 
nitz bald einfahren werde in das Adler— 
wirtshaus, war dieſes den Leuten 
neuerdings anziehend geworden. Einzig 
nur das Weibervolk betrachtete nun 
diefes Haus nicht mehr ganz mit den 
wohlwollenden Augen als ehedem, aber 
das verdirbt nicht viel; Weibsbilder, 
meinte der alte Wirt, find ohnehin 
nicht die beiten Gäfte. 

Um dieje Zeit fehrte eines Tages 


daſs er die Wege verjperre — hatte; der Schopper-Schub ein im Adler: 
die Bahnen gefchaffen, auf welchen | wirtshaufe. Er hatte immer denjelben 
die ſchwerſten Laften leicht weiter be= verwilderten Bart, der nie gefchnitten 
fördert werden konnten, Die Straße wurde und der auch wicht eigentlich 
entlang ſchellte manch leichtes Sälitten- | in die Länge wuchs, ſondern mehr 
zeug luſtig fürbaſs und hielt wohl | Neigung Hatte, ſich zu kräufeln und 
zu filzen, was dem Waldmenſchen 
*) Aus zwei Baumflänmen gebaute Mh reht war. Mit dem Haupthaar 





MWaldidlitten. 
Kofegaer's „Heimgarten‘‘, 2. Heft. XV. 


ſtand es wahrfcheinlih auch ähnlich, 


6 


man Jah es aber nie, weil der Mann 
den Hut immer aufhatte und Die 
ſchweren ſchwammigen Krempen zu allen 
Seiten tief herabhiengen. Das matt: 
braune Lodengewand Hatte einige 
Flicken, doch ſah man es an ihrer 
Ungefügigkeit, daſs ſie nicht von 
ſchlichtender Weibeshand herrührten. 
Eben faſt fo unbehelflich war der 
Verband, den er am Linken Arme 
trug. Daſs der Schopper mitten im 
der Woche Feiertag hatte, kam daher, 
weil er ih mit der Holzart unver: 
jehens die Hand gejipalten Hatte. 
Meiter war es nichts. Ein Kamerad 
hatte ihm ein Harzpflaiter gemacht 
und den Berband angelegt; ſomit iſt 
die Sade in Ordnung, nur dafs der 
Mann einftweilen nicht arbeiten kann. 

Alſo ſaß der Holzfneht da am 
dämmerigen Winkeltiſch und tranf 
etlihe Gläschen Brantwein. 


„Wo ift denn der Jungherr?“ 
fragte er auf einmal kurz und jcharf. 


„Wo wird er denn fein!“ aut 
twortete der alte Mdlerwirt, „in Gej3- 
nig wird er fein. — Daft was mit 
ihm?“ 

„Will ſelber mit ihm reden“, 
ſagte der Schopper. „Ich kann ihm 
ja nachgehen. Hab' eh Zeit dazu. 
Mas macht's!” 

„Dreimal drei macht neun”, rech— 
nete der Wirt die drei Gläschen zu— 
ſammen. „Bekommſt von zehn einen 
Kreuzer heraus.” 


„Schentt ihn einem Bettler“, 
fagte der Schopper. Da lugte der 
Mirt einmal. — Seit wann geben 


denn die Derren vom Siebenbachwald 
Trinkgeld? Wahrſcheinlich, feit fie ich 
jelber die Knochen entzweihauen. 

„— Soll einmal ein Vaterunſer 
dafür beten“, ſetzte der Holzknecht 
bei, während er Sich raſch von der 
Bank erhob und, den Stod feſt auf 
den Boden ftohend, davoneilte. 

„Kür einen Kreuzer ein Vater: 
unfer“, murmelte der Wirt, die kleine 
Münze in der hohlen Hand ſchüttelnd, 


„viel Andacht wird 
verlangen können.“ 

Der Schopper-Schub wanderte die 
Straße entlang gegen Geſsnitz. Der 
Weg war wohl für den Schlitten ein— 
gerichtet, aber nicht für ungelenkige 
Füge. Das glitt immer nach rechts 
oder nach links und brachte den Mann 
in Gefahr, auf feine wunde Hand zu 
fallen. Trotzdem jeßte er feinen Stod 
feft ein und fam vorwärts. Er ſann 
unterwegs, wie er es machen werde 
auf dem Salmhof. Das waren ja 
zwei triftige Gründe, wesweg er jegt 
hinausgieng. Ein fast leidenjchaftliches 
Dantgefühl Hatte ihn vom Sieben— 
bachwald heransgetrieben. Der in jein 
enges Weſen zutiefft eingefponnene, 
und doch vielleicht gelegentlich einer 
Selbitentäußerung fähige Waldmenſch 
glaubte, daſs der junge Adlerwirt 
rein ihm zuliebe von der Frieda 
abgeitanden fei und, damit aller Zwie— 
ſpalt aufhöre, raſch die andere hei— 
raten wolle; dem es war ihm micht 
möglich zu denken, dafs unter allen 
jungen Weibern der Welt nicht die 
Jungmagd Frieda die Begehrenäwer- 
teite fein ſollte! — Adlerwirt! wollte 
er Jagen und ihn um den Hals paden, 
für mein Pebtag bin ich dein Knecht! 
Wenn du einmal in Noth follteft jein, 
fo rufe mich! Du bift mein treuelter 
freund auf der Welt! Du hätteſt das 
Mädel Haben können und Haft es mir 
überlaffen, Halt dich einer Fremden 
angeſchmiedet, die dir gleichgiltig iſt, 
hölliſch gleichgiltig. Gott geb's, daſs 
ſie dich recht lieb hat! Und wenn du 
einmal wen brauchen ſollteſt, Wolf— 
ram, der für dich lebt und ſtirbt, ſo 
laſs mich holen! — Alſo wollte der 
Schopper zu ihn Äprechen, dafs feinem 
beißen, in Zorn wie in Freude über- 
ihwänglichen Herzen Genüge gethan 
werde. Daun wollte er aber auch 
ernftlih an ſie Herantreten und am 
heutigen Tage die Sache endgiltig 
machen, — Hopp! jegt lag er im 
Schnee. 

Wenn es jo fortgebt 


man da micht 


auf der 





83 


Rutſche, jo wird das müheſam bis 
Geſénitz. Ein feines Scellen hörte 
er Hinter ſich. Mit flinkem Röfslein 
jagte und auf leichtem Schlitten ſaß 
der Grog-Grübinger von Kirchbrunn, 
er fuhr auch gegen Gejsnig. Ei, 
dachte der Holzinecht, dem iſt's ein 
Leichtes, dafs er mich mitnimmt. Als 
der Schlitten vorüberfchliff, rüdte der 
Schopper manierlih den Hut, aber 
der Grübinger that nichts deögleichen. 

„Del“ rief nun der Holzknecht 
dem Gefährte nach, zog fein blaues 
Sadtuh aus der Taſche und hielt 
es hoch in die Luft, „be, Vetter! 
Vetter Grübinger!“ 

Der Bauer hielt an: 
denn ?* 

„Ihr habt Euer Sadtuch verloren!“ 
rief der Holzknecht. Die Liit gelang; 
während der Bauer jeine Taſchen 
durchſuchte, kam der Scopper zum 
Schlitten heran umd legte jeine Hand 
ihon an das Jod. 

„Dir gehört er nicht, der Fetzen!“ 
brummte der Bauer und wollte es 
wieder vorwärts gehen lajien. 

„Nachher muj3 er wen andern 
gehören“, meinte der Holzknecht und 
ftedte das Tüchel in feinen Sad. 
„Aber gelt, Better Grübinger, hr 
jeid fo gut und Habt nichts dagegen, 
wenn ih mich da Hinten auf die 
Kurfe Stelle. Ih will nach Gejsnig 
und e3 geht jo Häglich auf den Füßen. 
Euer braver Rappen — * 

„Kunnt mir einfallen!“ lachte der 
Bauer grell auf, „Dia!“ Und der 
Schlitten glitt rajch dahin, kaum hatte 
der Schopper Zeit, das Joch auszu— 
fallen, ſich an denſelben haltend, ftol= 
perte er eine Weile hinten drein, bis 
der Bauer ihm mit dem Peitichenftod 
eins auf die Finger gab. Da ließ er 
los und ftand wieder allein mitten 
in Schnee und Nebel. 

„Die Leute find Hart“, murmelte 
er vor fih Hin, um jo weicher ift der 
Schnee, in welden er feine Ferſen 
wieder fräftig einjegte. Es gieng lang= 
jam fürbais. 


„Was ift 


As er nah Stunden durch den 
Markt Gejsnig ſchritt, war es finjter, 
was ſich gar nicht übel traf. Schon 
einmal Hatte ihn Hier der Gendarm 
feſtgenommen, obſchon auch bald wieder 
losgelafien, nachdem es ſich Heraus 
gejtellt, daj3 Hinter der verwilderten 
Hülle ein gewöhnlicher Holzknecht 
ftedte. — Auf dem Thurme läutete 
die Abendglode. Er zog feinen Hut 
vom Kopf und betete: „Der Engel 
des Herrn brachte Maria die Bots 
ſchaft. . . .“ Der junge Adlerwirt 
war ihm nicht begegnet, alſo mujste 
er wohl noch im Salmhofe fein. Der 
Shopper gieng den Hügel Hinaı, 
aber nicht nach dem breiten Fahrweg, 
fondern Hinterwärt3 auf dem Rain— 
fteige. Den Wirtfchaftzgebäuden trach— 
tete er zu, er wujste wohl die Futter— 
fammer, in welcher die Jungmagd 
um diefe Zeit ihre Arbeit zu ver— 
richten pflegte. -— „Heut' nimm dic) 
zufammen, Schopper-Schub*, jo er- 
mahnte er fich ſelbſt. „Denk' nicht 
immer dran, daſs du verachtet biſt. 
Denk', daſs du auch ein Menſch biſt, 
wie alle anderen, und ſei herzhaft. 
Geſund und ſtark zum Arbeiten, nie— 
mand kann dir was ausſtellen im 
Holzſchlag, du veritehjt dein Gejchäft. 
Niemand fann dir was nachjagen ; 
was du dein Lebtag Haft angeftellt, 
das ift nur dein eigener Schaden ges 
weit. Die neue Riejen wird jich machen 
im MWaldichlag. In ein paar Jahren 
biſt Holzmeilter, da kannt Weib und 
Kind erhalten jo yut wie ein Graf. 
Warum ſoll fie dich nicht gern Haben ? 
Menn ihr dein Gewand nicht gefällt, 
jo wirf’3 weg, der inwendige Kerl wird 
nicht zu schlecht fein für eine brave 
Dirn. In Gottesnamen, Schopper!” 

Der junge Adlerwirt Hatte ſich im 
Laufe desjelben Nachmittages in der 
großen MWirtihaft des Salmhofes 
berumgetrieben. Anfangs that er ſol— 
ches in Begleitung ſeines künftigen 
Schwiegervaters, dieſer wurde aber 
bald zurückgerufen, er hatte in Ge— 
meindevorſtands-Geſchäften zu thun. 

6* 


84 


Der Wolfram fpähte überall umher 
und fpielte mit dem Gedanfen, was 
mit all dem gejichehen werde, wenn 
einmal Vater und Mutter mit Tod 
abgeben ſollten. Gegen Abend ins 
Haus zurüdgelonnen, gab's eine Jaufe, 
aber eine etwas zerrifiene. Die Salm— 
hoferin trank ihren Kaffee in der Küche, 
der Salmhofer trant feinen Weinkrug 
auf der Stube aus, die Haustochter 
Kundel Schlürfte ihren Thee im Küchen 
zimmerchen und Imufperte füßes Bad 
wert dazı. Der Wolfram, welcher 
neben ihr ſaß, dankte für den ihm 
gebotenen Imbiſs, er jei nicht gewohnt, 
eine Jauſe zu nehmen, aber eine Zi— 
garre, wenn er ſich anzünden dürfte! 
Dieranf beiprachen ſie die Hochzeit. 
Die Kundel gejtand vielleicht mehr 
unwillkürlich als abjichtlih, daſs es 
ihr manchmal fchrediih ſei auf dem 
Salınhofe, daſs fie froh fei, dieſem 
Orte zu entfommen. Eiternliebe, wo— 
von andere Leute jprechen, Habe fie 
ja doch nie kennen gelernt. Der Vater 
habe fie ein paar Jahre lang in ein 
Inſtitut geitedt, fie nachher zu einer 
Zierpuppe herrichten wollen, um ſich 
mit ihr zu praßlen, bei der Mutter 
wäre überhaupt nicht3 zu ſuchen, dieſe 
verrichte in der Küche ihre tägliche 
Arbeit, die gerade jo gut auch eine 
Magd bejorgen fönne, und ſei dann 
zufrieden. — Dem jungen Adlerwirt 
jchmeichelte diejes Vertrauen der Braut 
und es fam ihm faſt gemüthlich vor 
im Stübchen, bis die Kundel plößlich 
und ziemlich raſch das Fenſter aufs 
machte. Der Tabakrauch gieng Freilich 
binaus, aber die kalte neblige Winter: 
luft gieng herein. Endlich verabſchie— 
dete der Bräutigam fich, und während 
die Pferde eingefpannt wurden, ſtand 
er draußen in der Thür der Heu— 
fammer und plauderte ein wenig mit 
der Jungmagd. Er lehnte an dem 
einen Pfoſten der Thür, fie an dem 
andern, weiter ließ fie ihm mit der 
brennenden Zigarre nicht in die Kam— 
mer. Sie that’ aber nicht des Rau— 
ches, fondern der Feuersgefahr wegen. 


Ihr Gefpräh wurde ganz leiſe 
geführt. „Frieda“, fagte der Wolfram, 
„du wirft doch auch bei der Hochzeit 
fein ?* 

„Weiß es nicht“, antwortete fie, 
„ich werde wohl müſſen haushüten. 
Die Haustochter hat ſchon jo etwas 
gejagt.” 

„Hat fie?“ fragte flüfternd der 
Präutigam. „Nein, Frieda, ich will's 
haben, daſs du bei meiner Hochzeit 
die erſte Kranzljungfrau ſein follit. 
Es geht doch!“ 

„Ja, gehen thät's ſchon“, meinte 
die junge Magd, „aber ſein darf's 
nicht.“ 

„Wer ſagt das?“ 

„— ſie.“ 

„Das möchte ich wiſſen. Ihr ſeid 
ja immer gut geweſen miteinander? 
Und kameradſchaftlich.“ 

„Früher, ja“, ſagte die Frieda, 
„aber jeit dem Tanz beim Schwam— 
bachwirt ift fie arg auf mich.“ 

„Laſs es gut fein, Dirndel“, ent= 
gegnete der junge Adlerwirt. „In das 
Gapitel werde ich auch etwas drein— 
zureden haben. Sie mag zur Hochzeit 
laden wen jie will, ich werde e3 auch 
thun. Und verhoff's, daſs wir uns 
bei der Hochzeit nicht das letztemal 
ſehen werden, Dirndel. Gib mir die 
Hand drauf!” Und er jchnalzte mit 
der Zunge, was fo feine Gewohnheit 
war, wenn er Muth und Ubermuth 
in ſich fühlte. „Dirndel, die Hand 
drauf!“ 

„Auf dag gebe ich Feine Hand“, 
war ihre Antwort, „der Menſch weiß 
nicht Zeit und Stund.“ Zögernd und 
zagend hatte fie das geſprochen. 

„Und auch zum Abſchied willſt 
mir die Hand sicht geben?“ fragte 
er nicht ohne Beklommenheit. 

„Zum Abichied — ſchon gar nicht“, 
antwortete das Mädchen. 

„Frieda!“ erſcholl es in dieſem 
Augenblicke von der Stallwand her. 
Die beiden toben auseinander, Eine 
männliche hbohle Stimme war es ge— 
wejen. Der junge Adlerwirt fprang 


Te 


in den Schlitten und vorwärts gieng's 
durch Nacht und Winter gegen Kirch— 
brunn. 

An demſelben Abende war's, als 
die Jungmagd Frieda die Thür ihrer 
Sammer verfchloffen hatte und nun 
vor einem Muttergottesbildchen, welches 
an der Wand Hebte, ihre Nuchtgebet 
ſprach, al3 auf einmal wie ein Ges 
ſpenſt der Holzknecht vor ihr ſtand. 
Der Schred war fo groß, dafs ihr 
zum Schrei die Stimme verjagte. 
Beide Hände ans Herz gebrüdt, jo 
fant fie mit einem Hauch auf den 
Schemel hin. 

„Geſchehen thut dir nichts“, alfo 
ſprach num der Schopper. „Aber das 
Leutrufen laj3 fein. Sie brauchen es 
nicht zu wiſſen, was wir zwei mit— 
einander zu reden haben.” 

„Wir Haben nicht3 miteinander 
zu reden“, konnte jebt die Frieda 
jagen. „Geh fort! Dir Haft dich wie 
ein Dieb hereingefchlichen! Geh fort!” 

„Haft wohl vet, Dirndel, wie 
ein Dieb!" entgegnete der Schopper. 
„Meil ich deinetwegen jchlecht werden 
mufs. Uber daran fchuldig bift dur. 
Zu einem Engel hätteſt mich machen 
fönnen. Und jet — jeßt kann ein 
Zeufel draus werden.” 

„Sort geh!“ rief das Dirndel und 
Iprang zur Thür, wm fie zu öffnen. 
Er fieng fie auf, hielt ihr die Hand 
feft und fagte: „Frieda. Sei barm— 
herzig. Schau, ih bin ein armer 
Burſch'. Glaubt hätt' ich’3 nimmer, 
daſs einen die Lieb’ jo kunnt zus 
richten. Zwingen kann ich dich nicht, 
Frieda. Jh jag’ dir nur das: Wenn 
du mich nicht nimmt, jo erleben wir 
was. Mit mir und mit dir! ch 
ſpring' ind Berderben und du in dein 
Unglüd. Der junge Adlerwirt! Unter: 
wegs ber bin ich noch voller Vertrau 
gewejen zu ihm. Und was ich jebt 
hab’ gehört!” 

„Bas Haft demm gehört ?“ 

„Mehr, als er geredet hat, meine 
liebe Dirn! Daf3 der jo ſchlau iſt, 
das hätte ich mir nicht gedacht. Die 


eine heiraten, die andere gern haben! 
Bift denn du blind, Frieda! Oper 
bift wirklich jo Schlecht ?“ 

„Holzknecht“, verjeßte jet das 
Mädchen ruhiger, „laſs mich aus, 
dam will ich reden.“ 

Im Augenblick ließ er ihre Hand 
los. 

„Für mich“, ſo redete ſie nun, 
„wär' es auch beſſer, du hätteſt mich 
zerdrucken laſſen vom Mühlrad. Ich 
dank' dir's nicht, daſs du mich haſt 
herausgezogen. In der Unſchuld wäre 
ich geſtorben und wie es jetzt ſteht, 
ſeh' ich vor mir nichts, als lauter 
Sünd' und Elend.“ 

„Den Adlerwirt mufst vergeſſen!“ 
ſagte der Schopper. 

„Vergeſſen! Weißt du, was du 
redeſt? Kannſt du vergeſſen? So ver— 
giſs mich, ich geh' dich ja nichts an. 
Bin nicht deine Schweſter und nicht 
dein Geſchwiſterkind. Such' dir eine, 
die beſſer für dich paſſt und mid) 
laſs in Gottesnamen zugrunde gehen, 
wenn es mir fehon aufgejeßt it, daſs 
ich jeinetwegen zugrunde gehen joll.“ 
Sie weinte. 

Der Waldmenfch fand wie eritarrt 
vor ihr. Endlich antwortete er: „Um 
das von dir zu hören, bin ich Heute 
weit aus dem Siebenbachwald heraus: 
gelommen. — Du Frieda! Flennen 
darfjt mir wicht! Flennen kaum ich 
dich wicht ſehen!“ Faſt wie drohend 
ftieg er die legten Worte heraus und 
danıı fuhr er mit den Fingerſpitzen 
über ihr Haar Hin, als ob er fie 
ftreicheln wollte. „Frieda!“ fuhr er 
milder fort. „Vor neun Jahren anı 
Magdalenatag, wie fie deine Mutter 
haben in die Erden gelegt, Habe ich 
dich zum erjtenmal gejehen. Wie du 
dazumal geweint haft, du liebes Kind, 
du arıne Waife, Jo verlaflen auf der 
Welt, — wie du dazumal jo gemeint 
haft, das geht mir nimmer aus dem 
Kopf, gar nimmer.“ 

„Mein Gott“, flüflerte jet die 
Frieda, „du bift ja ein guter Menjch, 
ein herzensguter Menfch. Aber jetzt 


86 


muſst du fortgehen, du armer Burſch, 
fhau, es kann nicht anders fein, Ach 
habe ja nichts gegen dich, wen ich 
nur könnt', wie wollt’ ich dich lieb 
haben mit Freuden, dich ganz allein. 
Und es hätt! eine gute Wendung. 
Wie es jebt jteht, ich weiß mir ja 
nicht zu rathen und nicht zu helfen.“ 

„Solljt ſchuldiger Weis fo reden ?“ 
fragte er. 

„Bott Lob und Dank, nein!” 
antwortete die Jungmagd, „aber fürch— 
ten thu' ich mich, jo oft ich ihn ſehe. 
Bei der Hochzeit will ich nicht fein, 
nah Kirhbrumm auch mein Lebtag 
nicht gehen. Jh will mich ja hüten, 
joviel es menjchenmöglih iſt. An 
meine Mutter Haft mich gemahnt, 
Shopper. Ihr letztes Wort zu mir 
ift gewejen: Frieda, wenn du dir nicht 
ausweißt, jo knie' hin und thu’ beten. 
Ich will's thun, Holztnecht, und will 
jo lange beten, bis ich dich recht lieb 
dab, und nur dich allein.“ 

Das fagte fie mit ſolcher Innig— 
feit, al$ wäre die Liebe zu ihm be= 
reits da. 

„O glüdjelige Stund'!“ wimmerte 
der Waldmenſch und drüdte ſein bär— 
tiges Geſicht an ihre Schulter, in ihr 
Haar, „du herzliebe Dirn, ich geh' 
ſchon, ich geh' gern. Beten! Beten! 
Gute Nacht, du herzliebe Dirn!“ 

Alſo ſtürzte er wie raſend vor 
Glück davon, hinaus im die tiefe 
Winternacht — den jauchzenden Him— 
mel im Herzen, ſeinen fernen Wäl— 
dern zu. 


Fünfter Abſchnikt. 


Ganz Geſsnitz war in Aufruhr. 
Bald nah Mitternacht ſchon Hatten 
fie angefangen mit den Böllern zu 
fnallen, und zwar nicht bloß auf dem 
Salmhof, wo hinter dem Hanſe ein 
großes Feuer brannte, jondern auch 
bei anderen Bauernhöfen der Umgegend, 


ftändigen Gemeindevorftandes,. Und als 
über den Dunftichichten der große 
rothe Sonnenball heraufitieg und die 
Hochzeitsgäfte gegangen, gefahren 
famen von allen Seiten ber, du 
firatterten auch die Piftolen drein, das 
Kleingewehrfener zu den Kanonen— 
Ihüflen, daſs es jchier zu hören war, 
ald würde eine große Schlacht ge— 
Schlagen im Thale von Gejsnig. Wo 
der Weg vom Salmhofe in den Markt 
hineinmündet, war jogar ein Schwib- 
bogen gebaut aus Fichtenreifern. Bon 
der Gärtnerei der Herrſchaft Kloben— 
ftein war ein großer Brautjtrauß ge— 
fommen als Dochzeitigabe, denn der 
Klobenfteiner Baron und der Salm— 
hofer ftanden miteinander in reger 
Gejchäftsverbindung. 

Übrigens Hatte die Hochzeit des 
jungen Wodlerwirte® mit der Salm— 
hofer-Tochter etwas Städtilches. Es 
gab dabei Herrichaften in Frack und 
mit hohen Seidenhüten, worunter der 
Herr Schwager Amtscontrolor eine 
der würdigſten Erſcheinungen war. 
Auch der Salmbofer trug einen ſehr 
langen rad, einen ſchwarzen Röhren: 
Hut, einen hohen, aufgefteiften Hals— 
fragen mit zwei an beiden Seiten 
des Kinnes Hervorftehenden Spigen, 
eine ſchneeweiße Weite, die über den 
halben Bauch hinabgieng, ein ſchwarzes 
Beinkleid und tadellofe weiße Hand— 
Ihuhe. Die Salmdoferin an feiner 
Seite Jah dagegen ganz bäuerlich und 
faft ärınlid aus, Der Bräutigam war 
in ſchwarzem, dorfebürgerlihem Ans 
zug, der fih nur auszeichnete durch 
das Myrtenſträußchen am linken Bruſt— 
flügel. Diefes Schwarze Gewand gab 
dem jungen Manne ein überaus interz 
ejfantes Ausſehen, fein Geſicht ſchien 
blaſſer als ſonſt, und in ſeinem großen 
Auge war ein ſeltſamer Schmelz, wer 
es nur hätte jagen können, ob mehr 
auf friſchen Muth oder auf weich 
müthige Rübrfeligkeit hinweiſend. Seine 


die da zeigen wollten, welch freudigen natürliche Deiterfeit ſchien er heute 


Antheil fie nähmen an dem Feſt- und 
Ehrentage der Familie ihres große 


daheingelaffen zu haben beyn All— 
tagsgewand, ernjthaft, gejeßt, wie es 


87 ” 


einem Bräutigam anfteht, war jein 
Weſen und man fah gleich, dajs die 
Würde des Großbauernhofes jich auf 
ihn zu vererben begann. Die Braut 
Kunigunde trug ein ſchweres weihes 
Seidenfleid mit Schleppe und auf 
dem funfivoll geflochtenen, fait ſchwarz— 
glänzenden Haar ein Myrtenkränzlein. 
Ihr Schönes Geſicht war jebt, wie fie 
vor dem Altar ftanden, als ob es von 
reinſtem weißem Marmor gemeipelt 
wäre. Man hatte zu Geſsnitz nie eine 
Braut gejehen, die jo würdig und 
ernft war, und nie eine, die am 
Hochzeitstage nicht einmal ein wenig 
gelächelt und nicht einmal ein wenig 
geweint hätte. Aber die Kunigunde 
war eine jolde. Manche behaupteten, 
das märe ein tiefes Waſſer, aus— 
wendig eine Mutter Gottes, inwen— 
dig —. Ein Glücksmenſch ſei diefer 
Adlerwirt! Die Braut jo jchön, fo 
adhtunggebietend, jo reih! — Ob jie 
für eine Wirtin am Ende nicht doch 
ein wenig zu vornehm it! Wirtinnen 
können nicht artig genug fein. — Oho, 
MWirtinnen können nicht zurüdhaltend 
und ernfthaftig genug fein! — Ein 
Glücksmenſch, diefer Adlerwirt! 

Als das Brautpaar vor dem Altare 
ftand, al3 der Molfram ihre zarte 
kleine Hand in der feinen hielt, als der 
Prieiter die Stola darüber wand, da 
machte der junge Adlerwirt im Herzen 
ein Gelöbnis. — Ich will ein treuer 
Mensch fein. Junge, lebluftige Weiber 
gibt es genug, auch foldhe, die 
Ehrenhaftigfeit verkaufen! Nein. Ich 
habe jet mein Weib. Und ift fie 
gleichwohl noch froſtig wie ein März« 
tag, ich will jo viel Sonnenjchein auf 
lie legen, bis die Blume aufblüht. 
Durch die Liebe fann man alles über: 
winden, jagt mein Profeſſor Nix, auch 
die ſchlimmen Weiber. Schlimm aber 
ijt fie gar nicht, nur ein wenig herb. 
Und herbe Trauben geben den halt- 
barften Wein. Mein liebes Weib, 
du! — Er drüdte ihre Band, fie 
wujste freilich nicht, was er dachte. 


üppig bis zum Tiſchbrechen. Auch 
dabei gieng es jo vornehm zu, daſs 
alle Kellner von Geſsnitz anweſend 
waren, um an der Tafel die Speiſe— 
ſchüſſeln herumzutragen von Gaft zu 
Soft. Die Braut wintte fait jedes 
Gericht mit einer Dandbewegung ab, 
fie aß nichts, fie trank nichts, fie Sprach 
nur wenig, ließ aber ihr wachſames 
Auge ftet3 in die Runde gehen, um 
die Ordnung des Dienervolfes zu über= 
wachen und etwaige Verſtöße desjelben 
mit einem ftrafenden Blick, mit einem 
tadelnden Worte zu rügen. Der 
Wolfram fuchte mit der nebenſitzenden 
Schwiegermutter ein Gefpräh zu 
unterhalten; e3 war jedoch mit der 
einfachen, bejcheidenen Frau nicht viel 
anzufangen. Umfomehr fröhlichen Lärm 
machte der Salmhofer, bejonders wenn 
das weiße Kätzchen, welches er bei ſich 
auf dem Schoß hatte und mit Leder- 
bifjen fütterte, auf den Tiſch ſprang 
und ungebührli ward. Alſo dachte 
der Wolfram, werden wir uns nur ans 
Eſſen und Trinken hatten, diejer Tag 
wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht 
ewig dauern. 

Am Abende, al3 die Lichter ge= 
kommen waren und die Mufitanten, 
Hub die Hochzeitigejellihaft einen 
anderen Takt an. Es ward laut und 
Iuftig, die Leute wogten durcheinander, 
aber die Braut zog fich zurüd auf ihr 
Stübchen, weil ihr die Aufregung 
und der Lärm des Tages ein wenig 
Kopffchmerz verurfacht Hatten. 

Der Wolfram gieng Hinaus in 
die Friiche Luft. Ein klarer Sternen— 
himmel flimmerte, der Adlerwirt ſah 
ihn faum, er war in verfchiedenerlei 
Empfindungen verfunfen und auf ein— 
mal that er einen tiefen Athemzug 
und jagte halblaut: „Alfo wäre ich 
verheiratet!” 

Dann fam ihm zu Sinn, was er 
am Altare gedaht und dajs er nun 
von jemanden Abjchied nehmen müſſe 
mit allen Ernft. 

Im Wirtichafttgebäude war Die 


Die Mahlzeit im Salmhofe war Gefindeftube heil beleuchtet, da drinn 


88 


gieng’3 fröhlich zu, der Wolfram trat 
ein, Mit heflem Gefchrei hoben fie ihm 
die Gläfer entgegen und tranfen auf 
feine Gefundheit. Er ſetzte ſich ein 
bijächen zu dem Gelinde an den Tiſch, 
da erfchien die Aufträgerin mit friſchem 
Teller und Glafe, legte ihm Krapfen 
vor, und einfchenfen, meinte fie, würde 
er ſich wohl jelber können. 

„Sa, Frieda!“ lachte der Bräuti- 
gam der jungen Aufträgerin zu, „eine 
ſchenken, das fann ich, aber austrinfen 
muſst du. Auch von dir will ich eine 
Gejundheit Haben.“ 

Die Jungdirn nahm das Glas, 
ſchwenkte es ein wenig gegen ihn: 
„Zur guten Gefundheit!“ und nippte, 

„Seht iſt's recht!“ rief der Wolfram 
fuftig mit der Zünge ſchnalzend und 
fafste fie an der Hand und blidte ihr 
frisch ins Auge, „trink' noch einmal, 
Frieda!“ 

„Dank' ſchön!“ antwortete fie 
ſchmunzelnd, „es möcht’ zu viel fein.” 

„So gib her!“ er nahm ihr das 
Glas aus der Hand und während er 
ihr feſt ins Ange blidte, leerte er es 
auf einen Zug. 

Als er nachher wieder über den 
Hof Schritt, ward ihm bedenklich. — 
Ein Abjchied das? — 

Alſo das war die Hochzeit ges 
weien. 

Und nun kam das Siedeln. Der 
Möbelfuhren von Geſsnitz nah Kirch— 
brumm waren fo viele, dafs die Leute 
Ihon fagten: „Mein Gott, wie wird 
denn das alles Platz haben beim 
Adlerwirt, es zeriprengt ja das Haus!“ 

Frau Kunigunde ward eingerichtet 
wie eine Gräfin. Alles nagelneue 
Saden. Rococo war Mode. Rococo! 
Man wufste zwar nicht, was das war, 
beitellte eS aber. „Koften thut auch 
ein Trödel was“, hieß es, „alfo am 
beften, ſich gleich ordentlich einrichten.“ 
Es gab Überrafhungen, als die Sachen 
anfamen. Frau Kunigunde war micht 
jo leicht zufriedengeftellt von den Ars 
beiten der Tiſchler und Tapezierer 


aus der Kreisſtadt, fie meinte, das 
plumpe Zeug fei gar nicht anzufehen 
und e3 wäre am Hügiten, ſolche Dinge 
geradeswegs aus Paris zu beitellen. 
Mit diefem Sinn für die feinfte Vor— 
nehmheit jeßte die junge Frau ganz 
Kirchbrunn in Erſtaunen. 

Ungefähr eine Woche nach der 
Hochzeit war der Salmhofer ange— 
fahren gekommen, um ſich das neu— 
eingerichtete Neſt der jungen Leute zu 
beſehen. 

„Nur ſo zu, Wolf!" ſchnarrte er 
den Schwiegerſohn an. „Meine Tochter 
hat Erziehung genoſſen. Halt’ fie fein! 
Laſs ihr nichts abgehen! Für die 
Kühe nimm dir eine Köchin, mein 
Kind hat Nerven, die nicht für deu 
Küchendunft find.“ 

Der Molfram nahm diefe Ver— 
haltungsmaßregeln ganz ruhig hin. 
Nah einem Imbiſs, der dem Schwie— 
gervater vorgejeßt worden und wobei 
der Salmhofer einmal jeinen würdigen 
Bart ftreihelte, und das anderemal 
feinen Oberfchenfel, obzwar heute das 
weise Kätzchen nicht darauf ſaß — 
bat der alte Adlerwirt ihn auf ein 
Wort in feine Stube. Der alte Wirt 
war vor langem Zuwarten auf eine 
gewilje Unterredung ſchon ganz aufs 
geregt geworden. Und weil der 
Schwieger auch heute wieder nichts 
desgleichen that, als wäre eine ſolche 
an der Zeit, jo machte der Wirt nun 
feine Umftände mehr. 

„Schwieger“, jagte er, ihm einen 
Seſſel hinfchiebend, „must ſchon ent- 
Ihuldigen, es ift, dafs man ſich ein— 
mal ausredet von wegen Lebens und 
Sterbend. Wir find nimmer jung 
und mein Sohn weiß, was er von 
mir zu erwarten hat. Es iſt, dajs er 
weiß, wie er dran ift und die Wirt— 
Ihaft einrichten kann.“ 

„Daft ganz recht, Adlerwirt, nur 
alles in Ordnung machen“, antwortete 
der Salmhofer. „Weiß auch, dafs mein 
Kind bei euch gut geſtellt iſt. Iſt ein 
gutes Kind, wer es zu behandeln ver: 
fteht, ein herzensgutes Kind.“ 





„Und eine rechtichaffen ſtolze Na— 
tur”, Ienktte der ſchlaue Adlerwirt 
über, „Jo dajs ich mir ſchon gedacht 
habe, ob jie nicht etwa gedrückt ift, 
wenn... Das möchte ich ihr nicht 
wünſchen! Sie wird auch auf was 
pochen wollen, und Hat ganz recht. Ich 
meine, Schwieger, du — jollft was 
jchreiben laſſen.“ 

Der Salmhofer Hatte ſich kaum 
gejeßt, fo fand er jetzt wieder auf, 
vahm Hut und Stod; aber nod an 
der Thür wendete er fih um und 
ftieß ſprudelnd die Worte hervor: 

„Ih glaube, die Ausftattung ift 
wicht zu gering ausgefallen. Hat mich 
baare zweitaufend Gulden gefoftet. 


mern mich die Gäſte!“ war ihre Ent- 
gegnung. 

Der Wolfram mwufste wohl, was 
darauf zu jagen war, doc) er wollte 
nicht ftreiten. „Junge Hausfrauen 
find ſchon ſo“, tröftete ihn der Vater, 
„und fie wird ſich die Hörner jchon 
abſtoßen.“ 

Auch mehrere Dienſtboten, die 
ſich nicht gleich in die neue Haus— 
ordnung ſchicken konnten, wurden ent— 
laſſen und neue aufgenommen. Und 
gerade wenn eins recht brauchbar war 
und ſchon lange im Hauſe, gerade das 
mufste fort. Die Frau Kunigunde 
wollte nicht, dafs ein Dienftbote im 
Haufe jei, welcher beſſer Bejcheid 


Nah meinen Ableben — wenn ich wußste, als fie felber. 


um ein Eichtel Geduld bitten darf! — 
wird fie friegen, was da if. Wer 
denn ſonſt?“ 

Ohne ein weiteres Abſchiedswort 
gieng der Großbauer zur Thür hinaus 
und fuhr davon. 

Etwas Heinlaut theilte der alte 
Adlerwirt dem jungen diejes Gefpräd 
mit und fügte bei: „Heißt's halt jo 
weiter fretten derweil. Wie lang wird 
er’3 denn machen! Er trinkt zu 
viel.“ 

Der Frau Kunigunde war es nad 
ihrem Einzuge ins Wodlerwirtshaus 
vor allem darum zu thun gewejen, 
jedermann zu zeigen, daſs jie Hier 
die Frau ſei. Alles wurde ge— 
ändert, ſchon in den eriten Tagen. 
Kein Möbelftüd blieb an feinen Plaße 
ftehen, und wenn der Wolfram eins 
wendete, das ſei ſchon bei feiner 
Mutter Lebzeiten jo geweſen, gab fie 
zur Antwort: „Liebes Kind, aljo 
hat’3 deine Mutter geftellt nach ihrem 
Belieben, und ich werde es auch thun.“ 
Im Salmbofe war um zwölf Uhr 
Mittagszeit, alfo mujste auch im 
Adlerwirtshaufe die Suppe um zwölf 
Uhr auf dem Tiſche ftehen. „Kundel“, 
gab ihre der Wolfram zu bedenken, 
„in den Wirtshäufern macht fich eine 
jpätere Mittagsftunde befjer, wenn die 
Gäſte gefpeist Haben.“ — „Was küm— 


„Daſs dir die fremden Gefichter 
nicht zunvider find!” ſagte einmal der 
Wolfgang zu feiner Frau. 

„Mir find die einen wie die 
anderen fremd“, war ihre Antwort. 

„So möchte ich an deiner Stelle 
wenigjtens ſolche nehmen, die ich ſchon 
kenne. Dein Bater wollte dir gewiis 
gerne ein paar Leute von feinem Dofe 
abtreten, die deiner Art und Weiſ' 
leichter nahlommen könnten. Bejon- 
ders MWeibsleute jollteft verläfsliche um 
dich Haben.” 

„Meinſt?“ gab fie lauerud zurüd. 

„Wir haben jegt feine ordentliche 
Küchenmagd und feine Weidmagd.“ 

„Wie foll jie denn heißen?“ 

„Heißen kann fie wie fie will, 
aber brav und fleißig mujs fie fein.“ 

„Soll fie nicht Frieda heiken ?* 
fragte fpißig die Frau Kunigunde. 

Der Wolfram that überlaut einen 
Lacher. „Wie du jebt auf die Frieda 
fommft!* Er brach ab und gieng 
hinaus. 

Bon diefem Tage an war er eine 
Meile wortlarg. Und damit Frau 
Kunigunde die Urſache nicht merken 
jollte, warf er ihr unverhohlen vor, 
daſs das nicht ſchön wäre von ihr, 
dem alten Vater die liebgewordenen 
Gewohnheiten zu vergällen, ihm fogar 
die Mittagszeit nach ihrem Gutdünten 


zu verlegen. Über die Speifen felbit 
rede man ohnehin nichts, diefe würden 
zubereitet nicht nad) feinem, jondern 
nah ihrem Geijhmad, und der fei 
nicht allemal der befte. 

„Einen bejjeren haft du“, gab ſie 
raſch wie immer zur Antwort, „weil 
du deiner eigenen Frau ſchon jebt, 
wenige Wochen nad) der Hochzeit, das 
Eſſen miſsgönnſt und dich nach einer 
Stalldirne umſehen möchtelt.” Da 
weinte fie auch ſchon heftig im ihr 
Spitzentuch. 

„Aber Kunigunde!“ rief nun der 
Wolfram und wollte koſend begütigen, 
ſie ſtieß mit dem Ellbogen heftig nach 
ihm, da gieng er zum Herde, zündete 
ſich eine Zigarre an, ſtieg in die Gaſt— 
tube und unterhielt fi mit den 
Gäften. 

Ein Fleiſchhauergeſelle aus Geſs— 
nig war da, den fragte der junge 
Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich 
marjchierte der drohende Krieg auf, 
der in den Zeitungen ftand, dem er 
fteht immer drin. Aber dem Wolfram 
war das zu wenig. Als braver Schwie— 
gerjohn fragte er dem Salmhoſe nad, 
ob dort alles gejund jei, oder ſonſt 
beim Alten? Ja, der Salmhofer liege 
auf feiner Holzbank, ſchäkere mit den 
Katzen und Habe jo manchmal fein 
Räuſchchen. Man merkte es dem 
Tleifchergejellen an, welche Gewalt er 
ih anthun musste, um die ganz 
unverhältnismäßige Verkleinerung zus 
wege zu bringen, aber anders mochte 
er mit dem Schwiegerfohne doch nicht 
iprehen. — Und was die Mutter 
mache ? wollte der Wolfram willen. — 
„D Gott!” jagte der Fleischer. 

„Dafs fie nicht am Ende mehr 
Sorgen zu tragen Hat, jet, weil die 
Tochter fort iſt!“ Fürchtete der junge 
Adlerwirt. „Sie wird fi doch von 
den Dienſtmägden eine abrichten fürs 
Haus oder jo.“ 

„sm Gegentheil”, erzählte der 
Gefsniger, „verjagen thut fie eins 
ums andere. Geſtern ift bei der Jung: 
magd die Dienftzeit aus worden.“ 


90 


„Bei der 
Wolfram. 

„Wird fo geheigen haben. Bin 
juft mit einem Kalb vorübergefonmen, 
wie fie mit ihrem Bündel den Hof 
verlaffen bat. Und Augenwafler, dafs 
ih fie noch frag’: Was hat's denn, 
Dirndel? Wandern mufst? Ja, wohin 
denn jegt im Winter? Wille es jelber 
nicht, hat fie gejagt, und fort nach 
der Straßen.” 

Nun wujste er’3, der Adlerwirt, 
was er millen wollte. Daſs er jet 
aber noch mehr wiſſen wollte, und 
was alles, das fonnte er niemandem 
jagen. 


der Frieda!“ fragte 


Sechſter Abſchnitt. 


Endlich war der Winter vorbei. 

Und eines Tages in dem Maien 
fam der junge Adlerwirt zu feiner 
Frau mit einem erbrocdhenen Briefe 
und fagte froh erregt: „Dies Yahr 
fommt er früh. Er kann es ſchon 
faum erwarten, die junge Adlerwirtin 
fennen zu lernen, fchreibt er. Der 
Profeſſor Nir.“ 

„Wer ift denn der?“ fragte Frau 
Kunigunde gleihmüthig. 

„Ich Habe dir ja erzählt von dem 
Herrn, der alljommerlich zu uns kommt 
und bei uns bleibt, und der mich fo 
mancherlei gelehrt hat. In dieſem 
deinem Zimmer bat er immer ge= 
wohnt.“ 

„Sp joll ih wohl jebt ausziehen 
und den Deren Profeſſor Nir herein» 
lafjen ?“ 

„Kundel”, ſprach der junge Adler= 
wirt und machte einen vorwurfsvollen 
Bid. „Kundel, du bift immer jo 
boshaft. Wie kann denn vom Aus— 
ziehen die Rede fein! Der Profeſſor 
befommt das Stübchen gegen den 
Baumgarten hinaus, er wird damit 
zufrieden jein. Es ijt ein netter Herr, 
du wirft ihn gewiſs liebgewinnen.” 

„Da3 Baumgartenzimmer Tann 
ich ihm nicht abtreten, ich Habe meine 
Garderobe drin.” 


„Bielleiht wollteft du deine Klei— 
der bier in der Nebentammer unters 
bringen, es wäre bequemer für dich.“ 

„Geh, geh, Wolf“, entgegnete fie, 
„meine Bequemlichkeit! das ich nicht 
lachen muſs! Nur um deinen Herrn 
Profeſſor geht’3 dir. Nein, das Baum— 
gartenzimmer belommt er nicht.“ 


RK 


Mit der Stube war der Profeijor 
vecht zufrieden, da Hatte er Platz 
genug für alle feine Bücher und 
Schriften und Ledertafchen und Bo- 
tanifierbüchfen und Staffeleien, und 
er breitete ih behaglih aus. „Ein 
Herzensferl bift du!“ rief er dem 
Wolfram zu, „gut meinft du mir's. 


„So werde ih ihm das große) Wenn ich einmal fterbe, jo bedente 


Zimmer über der Gaftitube einräu— 
men“, fagte er, aber in einem Zone, 
der auzeigte, dafs er nicht gewillt jei, 
weiter mit ſich handeln zu laſſen. 
„Das kannſt du tun“, antwor— 
tete Fran Kunigunde. „Ich kümmere 
mich micht um deine guten Freunderln. 
Nur bitte ich dich, auch mir nichts 
dreinzureden, ich will Ruhe haben.“ 
Und eine Mode nah Ankunft 
eines Briefes, kam er jelber. Es war 
noch ganz der Alte wie im vorigen 
Sahre. Dem Wolfram fiel er mit den 


ih dich in meinem Zeftament. Du 
jollft das ganze Firmament haben 
mit allen Sonnen und Sternen. Nur 
der Halbmond iſt ein Legat für die 
Türken. Ein charmantes Zimmer 
das!* 

Der Wolfram jagte nichts auf 
diefe Ergießung. Und bald machten 
ih zwei Heine Nachtheile fühlbar in 
der Schönen großen Stube. Tagsüber 
war’3 der Rauch des ſcharfen Bauern 
tabats, deilen Düfte von dem Gaſt— 
zimmer durch die Fugen in des Pro— 


Worten: „Junge! Hat die Liebe noch | fejjors Stube drangen. Aber das war 


ein Stüddhen 


laffen für den alten Nir?* in die) 
Pfeife ſog fo ein unjauberer Gejelle, 


Arme. 


Die Artigfeiten, welche der Adler: | 
wirt ftoiterte, unterbrach er ſofort: 


„Iſt Thon recht. Laſs die Thorheiten, 
dein Weibchen will ich fehen.* 

Er ftürmte in die Gaftitube, in 
die Küche, da war fie aber nicht. 
As er ſpäter Hinaufitieg zu feiner 
neuen Stube, begegnete ihm auf der 
Treppe eine Dame, die er flüchtig 
grüßte, weil er fie für eine fremde 
hielt. Es war aber Fran Kunigunde. 
Als er das gewahr wurde, eilte er 
ihr nad: „Frau Mdlerwirtin! So 
wollen wir zwei micht beginnen, ſelb— 
ander. Einen herzhaften Händedrud, 
oder jo etwas! Mit meinem Segen 
für den heiligen Eheſtand komme ich 
wohl jpät! Aber nie zu Spät! Nie zu 
jpät! 
Frau Adlerwirtin!“ 

„Guten Morgen!“ entgegnete die 
Frau ruhig. 

Profeſſor Nir war hübſch abge— 
kühlt und ſie wechſelten einige höfliche 
Worte. 





Gottes Gruß zu tanſendmal, 





Wolfram übrig ges | nicht das Schlimmfte, am Bauerntabat 


war auch noch eine Pfeife, und an der 


der bis in die Nacht hinein ſitzen 
blieb und mit anderen ähnlichen Ges 
jellen lärmte, jo daj3 der gute Pro— 
feſſor Nir oben fein Auge ſchließen 
fonnte. Aber er that nichts desgleichen, 
jondern tröftete fih damit, daſs ſol— 
ches zur Sommerfrifche gehöre. 

Bei einer nächſten Gelegenheit 
jagte er zu jeinem jungen Wirte 
folgendes: „Wolf! Jh muſs dir 
nur gejtehen, du Haft ein ſchneidiges 
Weib. Das Hat mir alle Kuraſch ab» 
gekauft. Eine ſolche Hausfrau wird 
ganz gut fein, fie erfpart den Ketten— 
Hund. Die Diebe und die Betrüger 
und die Heuchler und Schmeichler 
wirt du nicht zu fürchten brauchen, 
Frau Kunigunde hält fie alle fern. 
Einer Untreue wirit du bei ihr aud 
ficher fein, ſie läjst feinen an ſich 
heranfommen. Wenn fie dir jo recht 
ift, nachher biſt du geborgen, nachher 
kann dir nichts mehr geichehen.* 

Der Wolfram wußste nicht recht, 
waren dieſe Bemerkungen ein Xob 


auf feine Fran, oder etwas anderes. 
Er nahm’s in Oottesnamen fürs er— 
ftere und war's zufrieden. 

Der Profeſſor gieng, wie es 
in den früheren Sommern geichehen, 
feinen Bergnügungen nah in Wald 
und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn 
ift fo recht das, was man freundlich 
nennt. Mittelhohe Berge mit ſauften 
Kuppen und Muldungen und alles 
was nicht im Thale Feld und Wieſe 
war, hübſch bededt mit Hellgrünenden 
Buchenwäldern, in welden dunklere 
Fichtenbeftände eingejprenfelt waren. 
Aus den ſchattigen Engthälern kamen 
Bäche hervor, zwijchen den Wiejen 
gab es Teihe und Heufhoppen und 
Getreidemühlen. Profeffor Nir kannte 
alle Wege und Stege und die meilten 
Bewohner des Thales. Mit dem einen 
ſprach er ernfthaft, mit dem anderen 
jcherzte er. Wenn er aber in Regen 
tagen an das Adlerwirtshaus gebannt 
war, da kam's ihm — fojehr der 
Regen draußen auch riefeln mochte — 
in der Stube nicht mehr ganz fo 
gemüthlich vor wie jonft. Häufig ſaß 
er in der Gaftitube, doch es fehlte 
auch Hier mandmal an Gejellichaft. 
Der alte Wirt war mifslaunig, der 
junge wortfarg und die Wirlin gar 
nicht zu jehen. 

Eines Tages war der Wolfram 
davon. Am erjten Tage kümmerte fich 
um jeine Abwejenheit niemand; am 
zweiten Zage meinte der alte Wirt, 
jein Sohn müfje auf einen Viehein— 
fauf gegangen fein, aber man wun— 
derte ſich doch, daſs er weder jeiner 
Frau, noch jeinem Vater davon etwas 
gejagt hatte, Als er am dritten Tage 
immer noch nicht zurück war, wurde 
dem alten Wirte bang und wurde 
dem Profeflor bang. — Wen der 
Wolf nichts gejagt Hat, wohin, jo 
dachte letzterer ſich, und in der Nach: 
barſchaft weiß auch niemand etwas 
von ihm, und es iſt ſonſt nicht ſeine 
Art, daſs er ſo davonläuft, ſo ſieht 
das ja aus wie ein Unglück! Frau 
Kunigunde hub an zu zanken. Der 


92 


Profeſſor ſtellte ihr vor, daſs dem 
Wolfram etwas zugeſtoßen ſein könne. 

„Ja natürlich, der Leichtſinn iſt 
ihm zugeſtoßen!“ rief fie. „Gott weiß, 
two er umberzigeumert! Ich Taufe ihm 
nicht nach. Meinetivegen mag er fort= 
bleiben über Jahr und Tag. Wenn 
ih nicht will, da friegt mich feiner 
mit Lieb’ und feiner mit Trutz.“ — 

Der Wolfram war unter dem Vor— 
wande, vorjährigen Apfelmein zu kau— 
fen, die Gejsnigergegend abgegangen 
bis hinaus nad) Niederleuth und Sanct 
Magdalena; in allen Bauernhäufern 
hatte er zugeſprochen, ſich nebenbei 
auch um Zuchtkälber umgejehen; er= 
fanden jedoch hatte er nirgends etwas. 
Daun war er im großem Umkreis 
gegen das Gebirge gewandert, Hatte 
dort anftatt nach Apfelwein nah Bau— 
holz gefragt, aber auch Hier michts 
gekauft. Endlich rüdte er feiner Ab— 
ficht näher und erkundigte fih nad 
Dienftboten für die Sommerarbeiten, 
vor allem nach Heuheberinnen und 
Schnitterinnen — e3 war vergebens, 
die er fuchte, fand er nicht. 

Und als er rathlos ſchon auf 
dem Heimwege war, fiel es ihm ein: 
fie ift im Siebenbahwald bei den 
Holzleuten. Er mufste e$ aber wiſſen. 
Er wanderte in die Wälder und fam 
zu den Siebenbahhhütten, weldhe in 
einem engen Waldthale jtanden, von 
zerrifjenen Bergen umgeben. Hoch von 
einen Bergichlag nieder gieng eine 
neue Holzriefen, in deren Rinne glatte 
wichtige Blöde berabglitten. Saufend 
und dröhnend kam das niederwärts 
auf fteiler Riefen, die in großen Bo— 
gen fih wand, über Hänge und 
Schluchten gebrüdt war und fo ſorg— 
fältig und wohlberechnet gemuldet, 
daf3 fein Blod ausfpringen konnte. 
So kam das herab bis zu Thale, wo 
die Rieſen jachte ſich ebnete und die 
ſchwerſten Blöde faſt janft aufs Erd— 
reich warf, um dann bon etlichen Män- 
nern zur Kohlitatt gejchafft werden zu 
können. Bei diefen Männern war jie 
nicht. Der Wolfram fragte dem Schopper« 





03 


Schub nah. Der ſei auf dem Berge 
au dem oberften Ende der Rieſen. 
Der Adlerwirt jtieg hinauf, der Berg— 
bang war fteil und vielfach von 
Schluchten und Gräben durchfurcht. 
Da ſah man erſt die ganze Kühnheit 
des Baues der Holzleitung. Strecken— 
weiſe ſtrich ſie in ſchönen Curven an 
dem ſteilen Hang dahin, dann ſetzte 
fie, auf ſchlanken Stämmen wie auf 
Strohhalmen geftüßt, über Waldmwipfel 
und Abgründe, in deren Tiefen Wäſſer 
rauſchten. 

„Seit Menſchengedenken“, ſo er— 
zählte der Holzknecht, welcher den 
Adlerwirt hinanfbegleitete, „hätte man 
es nicht für möglich gehalten, daſs 
wir den Zagelwald herabkriegen könn— 
ten. Zu Hunderten und zu Zaufenden 
ind fie vermodert und verfallen, obeı, 
die jchönften Tannen und Lärchen, 
und fein Menjch Hat fie nugen können, 
weil fie nicht herabzubringen geweſen 
find. Debt geht's pielend. Und haben 
ihn zuerſt alle ausgeladht, den Schop— 
per, wie er gejagt, er baut die Rie— 
fen. Dat aber den Holzmeilter jauber 
überzeugt, daſs es geht, hat fie mit 
dreigig Holzknechten in vier Monaten 
gebaut, und jeßt lacht niemand mehr. 
Der Schopper iſt Vorknecht geworden.“ 

„Alſo der Schopper = Schub hat 
diefes Merk gebaut!" Der Adlerwirt 
hätte es ihm nicht angejehen. Der 
Mann, der ſolches kann, darf Jich 
am Ende doch keck um die Herzliebite 
bewerben. 

Auf der Höhe gab es eine jchöne 
Ausjiht hin in die Waldberge, aber 
dem Wolfram gieng ed nicht um das. 
Rings um ihn lag der geichlagene 
Urwald in vielen taufend Stämmen, 
welche von den Holzhauern entichält, 
zu Böden gejchnitten und an Die 
Einmündung der Riefen gebradht wur— 
den; dem Wolfram gieng’s auch nicht 
um Holz. Inmitten der Leute jtand 
der Schopper in braunen Hemdärmeln 


und barhaupt. Er hielt einen langen | 
Maßſtab in den Boden geſtämmt und der weiten Welt? 


traf Anordnungen, 


hatte ihn erkannt an dem üppigen 
Barte und gieng mim, über Stämme 
und Rindenwälle Hletternd, auf ihn zu. 

Die beiden Männer fanden ich 
ein Weilchen gegenüber und ſchauten 
ih an, bevor das erſte Wort geſpro— 
hen wurde, 

„Dich ſuche ich“, ſagte endlich der 
Adlerwirt. „Wenn ich den weiten 
Weg her mache zu dir, jo kannſt dir 
denken, daj3 es etwas Michtiges wird 
jein. Willft jo gut fein, Shopper, 
und mit mir ein wenig auf die Seite 
gehen ?" 

„Das kann ih Schon thun“, ante 
wortete der Holzknecht und fie giengen 
gegen einige Schirmtannen Hin, die 
man stehen gelafien hatte. 

„Schopper“, bemerkte der Wolf: 
ram, „deine Riefen ift ein Meiſter— 
wert.“ 

„Daſs du mir das ſagſt, des— 
wegen bift du nicht gekommen“, ent— 
gegnete der Holzknecht. „Adlerwirt, 
thu’ nicht lang’ um und jag’, was 
du willit.“ 

„Schopper“, Sprach nun der andere 
int vertraulichen Tone. „Du kannſt 
dir's denken, es iſt der Frieda wegen. 
Du bift offenherzig mit mir geweſen 
und ich will es auch fein. Daft du 
das Dirndel noch im Kopf?" 

Der Schopper ftarrte den Fra— 
genden an und entgegnete: „Was 
geht das did an? Du Haft dein 
Weib.“ 

„Das wohl, Schopper, das habe 
ich, und juft deswegen kann ich offen 
mit dir Sprechen. Die Frieda ift eine 
Jugendfreundin meiner Frau und wir 
wollen nicht, dafs fie follte verderben 
müffen. Vielleicht, daſs ihr meine 
Frau einen Platz verfchaffen könnte.“ 

„Hat fie denn feinen?“ fragte 
der Scopper. 

„Du wirft doch wiſſen, dajs fie 
nicht mehr im Salmbof ift.” 

„Ei freilich weiß ich das.“ 

„Wo fie nur mag umherirren auf 
und hat feinen 


Der Wolfram Menſchen, der ihr's gut thät meinen!“ 


94 


„Adlerwirt!“ ſagte der Schopper jläuft, ohne dem alten Bater, ohne 
ganz leiſe aber nachdrudsvoll, „ſie dem Weibe zu jagen, wohl, das 
hat einen!“ fünnen Sie fih denten. Und eine 

„Heirateſt fie, Schopper ? Haft ſie Urfache hat es. — Sie wohnen ge= 
bei dir?“ Ohne dafs er es recht müthlich in Ihrer großen Stube, Derr, 
wollte, waren ihm diefe Worte über ‚ärgern fich vielleicht ein wenig iiber Den 
die Lippen gefprungen, denn e3 war | Lärm der Gäjte am fpäten Abend, 
ein großer Sturm in ihm und das haben aber freilich feine Ahnung, was 
Herz pochte fo heftig in feiner Bruſt, zwiſchen uns vorgeht. Sie ijt hart. 
dafs es nachklang in den Schläfen. Sie ift herzlos, dafs ich's nicht Jagen 

Der Schopper fagte: „Mein lieber fan. Sie macht mid ganz ver— 
Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, |zagt...“ 
dafs ich dir fie verrathe. Geh’ nur „Ra, na!“ beichwichtigte der Pro— 
ruhig heim nach Kirchbrunn und füns feſſor und neigte jich über den jungen 
mere dich um deine Let’, die Frieda Mann, denn diejer prefste feine Hände 
geht dich nichts an.“ ‚ins Geficht und jchluchzte. 

Damit wendete er ich feiner Ars „Ih habe mir's gedacht“, fagte 
beit zu und dem Adlerwirt blieb der Alte gedämpft, „ich habe mir's 
nichts übrig, al3 den mühevollen Weg | wohl gedacht.“ 
wieder zu Thale zu ſteigen. Duaun ſchwiegen beide eine lange 

„Wenn Sie bis zum Feierabend | Zeit und ftarrten in das Hare Waller, 
warten wollen“, rief ihm einer der wo langjam die Krebſe krochen und 
Arbeiter zu, „jo können Sie auch ſtets nad rüdwärts — nad) rüdwärts. 
hinabfahren. Wir rutichen alle hinab, „In den erſten Wochen“, fo fuhr 
Mit dem Brettel ift man in fünf) Profeffor Nir endlich fort, „da habe 
Minuten zu Thal. Aber jebt geht's ich vorgehabt, dir Troft zuzuſprechen, 
nicht, jetzt Haben die Holzblöcher das | habe fie wohl für eine herbe Natur 
Vorrecht.“ —“ aber wer den Schlüſſel findet 








Dem Adlerwirt kam aber die ganze zu ſolchen Naturen, der hat's gut. Sie 
Gegend ein wenig unheimlich vor und zeigen und feilen ihr Derz und Ge— 
er gieng angeftrengt drei Stunden müth nicht auf der Gaſſe umher, jie 
lang, bis er den Thurm von Kirch- | geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte, 
brunn jah. um ja recht viel davon aufzuhäufen für 

Us er hinaus über die MWiejen |den einen und einzigen, den fie felig 
Ichritt, Jah dort an einem Waller: machen wollen. Sp eine goldene, habe 
tümpel der Profeſſor Nix und ſchaute ich gemeint, hätteſt du dir auserwäßlt. 
den Srebjen zu. Der Alte erhob ein Freilich ift mir nach und nad) anders 
Treudengefchrei, al3 er feinen Dause |zu Muthe geworden. Ganz krampfig 
herrn ſah und wollte allfogleich willen, jift mir zu Muthe geworden, mein 
was die Nolerwirtshausbewohner ver= lieber Wolf! Aber reden! Wenn er 
brochen hätten, dafs er fie über drei nicht vedet, ich bin auch ftill. Wenn 
Tage lang im Fegfeuer zappeln laffe. \einer zum jungen Ehemann hingeht 

Der Wolfram ſetzte jih hin auf und jagt: Du, dein Weib pajst nicht 
den Rajen und jeufzte: „Ach ja, lieber für dich! jo iſt das ein ſchlechter 





Profeſſor!“ Kerl, den man mit einem Ratten— 
„Junge, dir gefällit mir nicht!“ Schwanz erdrofieln fol. Aber dir ſage 
jagte der Profeſſor. ih es doch, Wolf, und du erdroffelit 


Der Wolfram fchaute befümmert | mich nicht, wenn ich dir jage: Sie 
in den Zümpel, dann ſprach er: |pajst nicht für dich!“ 
„Das es feine Urfache haben muſs, Der Wolfram murmelte: „Ih 
wenn einer wie Halbverrüdt davon- erdroſſele Sie nicht.“ 








> 
A 


„Bon der muſst du los, Junge! “| fo lang miſst dein Unglück. Wo das 


rief der Profeſſor. 

„Aber wie?“ 
Mann. 

„Scheidung! friſch! raſch! Heute 
beifer al$ morgen.“ 

„Eheſcheidung!“ ſagte der Adler» 
wirt. „Das geht nicht. Diefes Auf: 
ſehen!“ 

„Wenn ſie dich in die Strafan— 
ſtalt führen, das wird auch ein Auf— 
ſehen ſein!“ 

Der Wolfram ſprang empor. 

„Berzeihe!“ begütigte der Pro— 
feſſor. „Das Wort war ſchlimm. So 
endet's bei dir nicht, ſo nicht. Du biſt 
ein weicher Menſch, du wirſt verderben 
und vergehen, und wer dich umbringt, 
der kommt auch nicht ins Zuchthaus, 
weil du dich vor Gram und Jammer 
jelber verzehrit. Und der, welcher dich 
mit fleinen Dojen täglich vergiftet, hat 
noch den Triumph, als Leidtragender 
an deiner Grube zu ftehen. — Wolf, 
wenn du bisher alle fieben Todſünden 
begangen, die eine mujst du jühnen, 
auf der Stelle, ohne Säumnis fühnen: 
daſs du diejes Weib genommen haft!“ 

„Ih hätte mir ja leicht eine 
andere gewufst.“ 

— „Eine andere!“ ſprach nun der 
Profeſſor. „Wolf, eine andere lajs 
einſtweilen aus dem Spiele! Das 
ganze Firmament, habe ich gelagt, ver= 
mach’ ich dir, nur den Halbmond 
nicht, der gehört den Türken. Und 
Türke wirft du feiner jein wollen. 
Jetzt eine andere! Das wäre hübjch! 
Erit jcheiden, dann wieder binden!” 

„Richt mir zulieb’ Habe ich fie 
genommen,“ 

„Man merkt es wohl, unge. 
Wäre auch nur ein bijschen Neigung 
da, e3 müfste ſich anders zeigen.“ 

„Mein Vater wollte e8 jo haben“, 
geitand mun der junge Adlerwirt, 
„ihn zuliebe bin ich hineingeſprungen. 
Wir ftehen Schlecht, wir müſſen uns 
mit ihrem Gelde aufhelfen.“ 

„Wolf“, jagte Hierauf der Pro= 
feflor. „So lang dein Weib mijst, 


ſeufzte der junge 


Meib aufhört und das Gelb anfängt, 
fängt.in dir der Wicht an. — Schelm, 
armjeliger! Das Geld! — Adlerwirt!= 
john. Ich Habe dich als Kind auf den 
Armen getragen und dabei gefungen: 
Lieber Engel, werde ein braver Menſch! 
Hernach der mijsbegierige Knabe! 
Der warmherzige Jüngling! Es war 
eine Freude. Er wird's! habe ich oft 
gejauchzt. — Na, und wie der Mann 
fertig ift, von dem man glaubt, dajs 
er edle Früchte wird tragen — ſteht 
der heißhungerige Geldwolf da. Irr 
und tofl könnt’ einer werden!“ 

Da der Adlerwirt bei dieſen herben 
Morten Sich abgewendet Hatte, fiel 
der alte Heine Profefjor vor ihm auf 
die Knie, umfajste feine Beine und 
rief: „Muſst mir’ zugute Halten, 
Wolf, mir thut deinetwegen das Herz 
jo weh, dafs ich ſchreien muſs. Dem 
Vater zulieb’! E3 war ja gut gezielt, 
aber es iſt Schlecht getroffen. Mein Wolf, 
glaube mir! Folge mir! Gehe heute 
noch ins Amt md lajs dich jcheiden!“ 

„Dann bin ich ein Bettler!“ rief 
der Adlerwirt. 

Der Profeffor ftußte. Als er jeiner 
Verblüffung einigermaßen Herr ges 
worden, jagte er in fingendem Zone: 
„So, jo. Alſo nur eine Ausrede iſt 
der Herr Bater. Du jelber willſt 
Geld haben, Du willft lieber ein elen— 
der, verächtlicher Bauch fein, von deines 
MWeibes Grofchen zehrend, unter eines 
Weibes Fuß wimmernd, dich windend 
wie ein zertretener Wurm, anſtatt 
mit geſunden Armen mannbar dir 
dein Brot zu verdienen! — Adlerwirt, 
ich mag dich nicht mehr.“ 

Er erhob ſich raſch und gieng 
quer über die Wieſe hin durch das 
lange Gras, daſs kaum ſein Kopf 
manchmal hervorragte über den Ger— 
men und Riſpen. — 

Als der Wolfram nach Hauſe 
fam, gab's von Vaters Seite ein arges 
Wetter. Erertrug’s gleihgiltig. Frau 
Kunigunde blieb drei Schritte vor 
idin ftehen und fragte: „Bilt denn 


jhon da, Wolfram? Haft dir die 
Soden lochig getreten, oder hat did 
der Hunger nah Haufe getrieben ? 
Die Köchin foll dich nur fattfüttern, 
daſs du wieder gehen kannſt.“ 

In der heißen Wuth über ſolchen 
Hohn that der Wolfram ſchon den 


Mund auf, um fie zu fragen: Wenn) 
eins gehen müſſe, welches von beiden? | 


% 








fett am Arm und raunte ihm zu: 
„Um Chriſtiwillen, ſchweig ſtill! Wir 
müſsten vom Haus ziehen wie ein 
paar Zigeuner. Kein Nagel auf dem 
Dad ift mehr unfer Eigentgum. Nur 
Haft du's 
Ihon gehört? Der Salmhofer liegt 


noch kurze Zeit Geduld! 


auf den Tod!“ 


Der Wolfram hat fih die Lippen 


— Aber der alte Adlerwirt Hielt ihn | blutig gebiffen und gejchwiegen. — 


(Fortſetzung folgt.) 


Treie 


Fahrt. 


Eine Humoresfe von A. Oskar Alaufmann.*) 


scan höchiten Grade erregt gieng 
5 der Berliner Maler Willmann 
in feinem Atelier auf und ab. 
Er focht mit den Händen in der Luft 
herum, und bin und wieder ftieß er 
etwas aus, was leider wie ein Fluch 
Hang. Er war jo aufgeregt, daſs er 
das Klopfen an der Thür mehrmals 
überhörte, bis endlich ein ungefähr 
gleichalteriger, d. 5. Ddreigigjähriger 
Mann eintrat, welcher mit Willmann 
gut bekannt zu fein ſchein, denn er be= 
trachtete den heftig gejticulierenden und 
vor ih Her brummenden Willmann 
ruhig und ſetzte ſich dann an den Tiſch, 
der in der Mitte des Ateliers ftand 
und mit Farbentuben, Binfeln, Spi— 
ritus- und Ladgläjern beſetzt war. 

Der Neuangekommene rauchte jeine 
Zigarre und fagte endlich: 

„Du ſcheinſt heute jehr guter Laune 
zu fein.“ 

Willmanı machte in feinem Auf: 
und Ablaufen halt und ftarrte den 
Nenangelommenen erftaunt an. 

„Ah! du biſt's, Börner“, jagte 
er. „Du bifts. Du kannſt mir aud 


Pr 
* 


nicht Helfen. O, ich möchte vor Wuth 
den Mond pintertsblau anftreihen und 
ihn dann auf die Erde herabwerfen.” 

„Die Idee ift nicht übel“, jagte 
Börner phlegmatifch, „aber was würde 
fie dir helfen? — Ih glaube nicht 
einmal, dafs ſich jemand fände, der 
dieſe Mondanſtreicherei honoriert, und 
das Honorar ift doc bei der Malerei 
|die Hauptſache. Die Kunſt geht nach 
Brot!“ 

„sa, du Halt recht“, entgegnete 
Willmamı mit furchtbarem Pathos, 
„das Honorar ift die Hauptſache! Wenn 
du das anerkennt, jo wirft du auch 
‚begreifen, wie es mir geht. Jch habe 
‚mein Bild, — du weißt ja, Dorn: 
röshens Erwachen, an dem ich jo lange 
arbeitete, nach Dresden an einen Kunfte 
händler gejchidt, weil ich es dort los— 
zumerden hoffte, und nun erhalte ich 
heute einen Brief, in dem mir der 
Mann fchreibt, dafs ihm das Bild 
außerordentlich gefällt, daſs er es 
auch bereits ausgeftellt Habe, und 
dafs er es auch ohne mweiteres an— 
nimmt und fofort honoriert, wenn ein 








*) Aus: „Humoresien* von U. Oslar Klaußmann. (Berlin, J. 9. Scorer.) 
Gin Iuftiges Buch, allen Trübfinnigen beftens zu empfehlen. 





fleiner Schaden, der unterwegs an dem 
Bilde durch den Transport entitanden 
it, weggebracht wird. Es handelt ſich 
darum, daſs eine thalergroße Stelle, 
die leider beſchädigt worden ift, über- 
malt wird; dann ift da& Bild von dem 
Kunitdändler angenommen, und ic 
erhalte mein Honorar.“ 

„Run“, entgegnete Börner, „das 
it do fein Unglüd! So fahre nad 
Dresden, übermale die Stelle, nimm 
das Geld und komm wieder zurüd.“ 

„Fahre nah Dresden, du Hohl— 
fopf!” jagte Willmann entrüftet. „Um 
nach Dresden zu fahren, dazu brauche 
ich Geld; Geld Habe ich aber nicht, um 


„Die Sade ift die: jagte Börner. 
„Unfer Bureau-Chef bei der Eijen- 
bahnverwaltung, bei der ich als Vo— 
lontär befchäftigt bin, ift der Aſſeſſor 
Meyer, ein jehr liebenswürdiger, netter 
Herr. Derjelbe wollte heute nad 
Dresden und hat ſich dazu einen Frei— 
fahrtſchein bejorgt, den er natürlich 
gratis von der Verwaltung erhält. 
Jetzt Hat er aber Familien-Abhaltung, 
und heute kam er ganz wüthend ins 
Bureau, warf mir den Freifahrtſchein 
auf den Tisch, weil ich ihm denfelben 
beforgt hatte, und jagte zu mir: 

„Maden Sie mit dem Zettel, 
was Sie wollen. Ih kann micht 


nah Dresden zu fahren, Geld fann | fahren.“ 


ich aber nur befommen, wenn ich nach 
Dresden fahre. So ilt denn mein 
Schidjal eine dreifah gemwundene 
Schlange, die fih in ihren höchſt— 
eigenen Schwanz beißt, und ich finde 
fein Auskommen aus der ganzen Sadıe. 
Hier, —“ ſagte Willmann entrüftet 
und öffnete ſein Portemonnaie. „Diefe 
Groſchen ſind alles, was ich beſitze, 
und daſs du nicht mehr haſt, iſt ſelbſt— 
verſtändlich. Ich will dir nicht erſt 
durch eine Frage, ob du mir aushelfen 
kannſt, zu nahe treten.” 

„Das ift fehr vernünftig von dir, 
aber die Sade ift ſehr komiſch.“ 

„Komiſch? —“ fuhr Willmann 
auf uud fuhr ſich zuerſt durch feine 
fraufen Haare, worauf er eine ver— 
dächtige Bewegung machte, als wolle 
er auch feinem Freund Börner in die 
Haare fahren. „Komiſch findet du das, 
elender Bureaufrat ?* 

„Mifsverftehe mich nicht“, ſagte 
Börner. „Deine Situation ift ja recht 
unangenehin, wenn fie auch nicht zum 
Verzweifeln ift, aber ich jagte nur, die 
Sade ſei komiſch, weil du nad) Dresden 
fahren willft und nicht fahren fannft, 
und umgekehrt unfer Aſſeſſor Meyer 
fahren kann und nicht fahren will.“ 

Willmann ftierte Börner an und 
fagte endlich: 

„Du redeft Blech, ich veritehe fein 
Wort davon, was du jagen willſt.“ 


Kofegger's ‚Geimgarten‘‘, 2. Heft, XV. 


Im nächſten Augenblid ſtürzte jich 
Willmann auf den nichtsahnenden 
Börner los und ſchrie: 

„Gib mir den Schein heraus, 
wenn du ihn bei dir haſt, oder ich 
ermorde dich!“ 

„Was willſt du denn mit dem 
Schein ?* fragte Börner erftaunt. 

„Was ih damit will, ſchwer— 
fälligiter allee Begriffsftügigen? — 
Nach Dresden will ich auf den Schein 
jahren! — Ih pade mein Malzeug 
in eimen Saften, ſetze mich auf die 
Eiſenbahn, fahre Hin, übermale mein 
Bild, und alles ift in Ordnung.“ 

„Aber erlaube 'mal“, jagte Börner 
jest jehr lebhaft, „du kannſt doch den 
Freifahrtichein gar nicht benügen. Ders 
jelbe ijt ja auf den Aſſeſſor Meyer 
ausgeſtellt.“ 

„Das iſt mir ganz gleichgiltig. Wer 
weiß denn auf der Bahn, dafs ih nicht 
der Aſſeſſor Meyer bin? — Und dann 
fann es der Bahn doch ganz gleich- 
giltig fein, ob fie den Aſſeſſor Meyer 
oder mich befördert; ich glaube, ich 
bin nicht einmal ſchwerer, als der 
Aſſeſſor Meyer, eine Extra-Locomotive 
brauchen ſie alfo deshalb nicht vor— 
zufpannen, weil ich mitfahre.“ 

„Aber“, entgegnete Börner, „das 
geht doch nicht, du Haft doch nicht die 
Berechtigung.“ 

„Menſch!“ ſagte Willmann, „bringe 

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mich nicht in Verzweiflung! — Du 
erzählft mir doch ſelbſt, der Aſſeſſor 
Meyer habe dir gefagt: Machen Sie 
mit dem Schein, was Sie wollen.“ 

„Das hat er gejagt. Aber er meint 
damit, ich foll ihn zerreißen oder ver= 
brennen.“ 

„Zerreißen oder verbrennen?" 
ſchrie Willmanı mit fürchterlichem 
Pathos. „Deine Burreaufratenfeele freut 
fih darüber, wenn du das einzige 
Mittel vernichteft, mit dem du deinen 
Freund retten kannſt? Wo ilt der 
Schein ?* 

„Hier ift er“, ſagte Börner, und 
jog aus feiner Taſche eine grüne 
Karte, „und wir wollen fie augen 
blidlih vernichten, um nicht erſt in 


unnüße Streitigkeiten darüber zu 
fommen. * 
Im nmüächſten Augenblick hatte 


Willmann ſeinem Freunde die Karte 
entriſſen und zu ſich geſteckt. 

„So!“ ſagte er. „Damit du gar 
feine Bedenken haft, werde ich Die 
Starte vernichten.“ 

„Du wirft fie vernichten ?* fragte 

Börner. 
„Ja wohl!” entgegnete Willınann 
mit ironiſchem Lächeln. „Ich werde 
fie vernichten, damit du gar feine 
Gewiſſensbiſſe haft.“ 

„Uber daſs Du fie ja nicht etwa 
benußeft“, fagte Börner. „Du könnteſt 
mich im Teufels Küche bringen.” 


er damit eigentlich garnichts jo Schlims 
mes begehe. Der Freifahrtichein war 
doch nun einmal ausgeftellt, und wenn 
er benußt wurde, fo hatte die Bahn 
davon feinen Schaden; fie hatte aber 
auch feinen Schaden, wenn der Aſſeſſor 
Meyer ihn nicht benußte. Und danı 
hatte Willmann zu dieſem verzwei— 
felten Auskunftsmittel ja nur gegriffen, 
um nah Dresden zu fommen. Zu 
der Rückfahrt wollte er für fein eigenes, 
ehrliches Geld ein Billet löfen. 

Er philofophierte noch eben von 
heiligen Rechten, die der Menſch fich 
vom Dimmel berabbolt, wenn er ich 
nicht zu helfen weiß, von zwingenden 
Thatfachen u. f. w., als der Zug in 
Falkenberg hielt, und ummittelbar 
darauf ein Herr ins Coupe trat und 
jagte: 

„Darf ih Sie um Yhr Billet 
bitten ?” 

„Redilion des Herrn Oberinſpec— 
tors!“ fügte der Schaffner erflärend 
Hinzu, 

Willmann wurde etwas verlegen 
und holte aus feiner Taſche den Frei— 
fahrticheint hervor. 

„Aſſeſſor Meyer von der Verwal 
tung der N. N. Bahn“, las der Ober: 
inspector. 

„AH! Freut mich außerordentlich, 
Sie kennen zu lernen, Herr Aſſeſſor. 
Mein Name iſt Reiberg, Oberinfpector 
bon der Bahn, auf der wir uns be- 


„Fällt mir gar nicht ein! Warnm | finden. Wir haben jchon oft dienftlich 





follte ich denn deine Bureaufraten» | miteinander zu thun gehabt, allerdings 
jeele mit einem ſolch' furchtbaren Ver- nur ſchriftlich; ich Freue mich außer— 
brechen belaften ?* — — — — — |ordentlih, Sie perfönlih kennen zu 
Der Schnellzug jagte durch den | lernen.“ 
frifchen Morgen dahin und ſchien gar Willmann machte ein wenig geift- 
feine Luft zu haben, anzuhalten, In | reiches Geficht, murmelte einige liebens— 
einem Coupe zweiter Claſſe ſchaukelte wirdige Worte, und dann gieng der 
ih behaglih Willmann und philofo= | Oberinfpector weiter, um die außer: 
phierte noch immer darüber, ob er ein ordentliche Revilion des Zuges fort— 
Unrecht begehe oder keins, und ob das zuſetzen. 
Unrecht ein kleines oder großes fei, As er fort war, athmete Will- 
wenn er do, gegen den Willen feines | mann auf. 
Freundes und ohne deſſen Willen, den „Zaufend nod einmal! da wären 
rreifahrtichein zur Fahrt nach Dresden | wir hart an einer böfen Sache vor— 
benußte, aber er ſagte ſich jelbit, dafs | übergefommen !“ 


- 


As zum  drittenmale 


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geläutet |Fönne, jondern auch auf das liebens— 


war, und der Zug fih in Bewegung |würdigite behandelt wiirde, 


jegen wollte, riſs der Schaffner die 
Thür des Goupes auf, im welchen 
Millmann ſaß, und herein ſprang der 
Oberinſpector Reiberg. 


„Ich Fahre auch nach Dresden“, 
fagte Dderjelbe, „und ich kann mir 
das Vergnügen mit verfagen, Ihnen 
bis dahin Gejellichaft zu leiften, um— 
Jomehr, als Sie allein fahren. Hoffent: 
lich nehmen Sie mir meine Ungeniert— 
beit nicht übel.“ 

Willmamı war wie vom Donner 
gerührt. Er Hatte die feite Überzeu— 
gung, dafs jeßt eine Kataftrophe un— 
vermeidlich fei, da fein Quiproquo 
jofort an den Tag kommen mufste, 
wenn der Herr Oberinfpector ſich auf 
eine Ddienftlihe Unterhaltung einliep. 

Zum Glück aber war der Ober- 
inſpector Reiberg ein fehr liebenswürs 
Diger und gebildeter Mann, der jich 
nicht auf eine Fachſimpelei einliek, 
Jondern Millmann in ein jo inter— 
eſſantes Geſpräch über allgemeine Ver— 
hältniſſe zog, daſs dieſer ſchon nach 
einigen Minuten mit dem lebhafteſten 
Intereſſe daran ſich betheiligen konnte, 
Wie im Fluge verſtrich nun die Zeit 
bis zur Ankunft in Dresden. 

Hier verabjchiedeten fich der angeb— 
liche Atteffor Meyer und der Ober- 
in}pector WReiberg auf das herzlichite 
und verficherten ſich gegenjeitig, bon 
dem Vergnügen ihrer Belanntichaft 
ganz entzüdt zu jein; dann ftürzte 
fich der Oberinſpector Reiberg in eine 
Droſchke, um nah Haufe zn fahren, 
und Willmann juchte den Kunfthändler 
auf, den er auch bald auffand, 

Mährend er hier den Schaden an 
jeinem Bilde mit Geihidlichkeit und 
Schnelligkeit wiederheritellte, mujste 
er unmoillfürlih über das Abenteuer 
laden, das ihm begegnet war, md 
auch daran dachte er, wie nett man 
es doch eigentlich als höherer Eiſen— 
bahnbeamter Habe, indem man nicht 
wur umſonſt im Lande umberfahren 


Um Nachmittag zahlte der Kunſt— 
händler das Donorar au Willmann, 
dem dieſes ſelbſt jo groß vorlam, 
daſs er ſich ein Heiner Kröfus düntte, 
und Willmann beſchloſs unmittelbar, 
und zwar in MWirklichfeit für fein 
eigenes Geld ein Billet zu löſen und 
nach Berlin zurüdzufahren. 

Da es aber noch Zeit bis zur 
Abfahrt des Zuges war, fo fuchte er 
vorher noch Dresdens jchönftes Local 
an der großen Auguftusbrüde auf, 
die Elbterrafje genannt „das italieni- 
Ihe Dörfchen“, wo er fih nach allem 
gehabten Schreden und Erftaunen zu 
erholen gedadıte. 

Hier beobachtete er mit den Augen 
des Malers das Bild des lebhaften 
Zreibens und des Verkehrs, welches 
ih von jenem Platze aus bietet. Über 
das mächtige, koloſſale Bauwerk der 
Anguftusbrüde ſtrömt ununterbroden 
der Zug der Fußgänger von der Alt- 
nah der Neuftadt und umgelehrt, 
Droſchken und Equipagen fahren Hin 
und ber, und am meiiten fallen die 
fanariengelben Ommibuffe und Die 
fanariengelben Pferdebahnwagen auf, 
welche mit ihrer hellen Farbe noch an 
die dereinftigen gelben Röcke der ſäch— 
fifchen Briefträger erinnern. Auf der 
Elbe ziehen jtromanf und ſtromab die 
weißen, Schlanfen Dampfichiffe mit 
dem grünen Streifen unter Ded, die 
Schleppzüge und die Züge der Stetten- 
Ichleppfchiffahrt, welche ihre Ankunft 
durch fürchterliches Gehen! anzukün— 
digen pflegen. Dazu der große Ver— 
fehr in dem ſchönen Local ſelbſt, — 
das alles verfegte Willmann in Ent: 
züden und eben wollte er jein Skizzen» 
buch aus der Taſche ziehen, um wenige 
tens einige Momente des lebhaften 
Bildes Feitzubalten, als ihm jemand 
auf die Schulter Hopfte und jagte: 

„Das iſt ja herrlich, Herr Aſſeſſor, 
daſs wir uns hier noch einntal wieder: 
jehen.“ 

MWillmann fuhr erjchredt empor 


rn“ 
‘ 


100 


und ſah Hinter ſich den jchredlichen 
Dberinfpector, der ihn auch hier wieder 
getroffen hatte. In demjelben Augen- 
blit verfluchte er diefen Mann, der 
fih wie das böſe Gewiſſen an feine 
Ferſen Hieng; im nächſten Augenblid 
aber bat er ihm alles ab, al3 der 
Oberinjpector auf zwei junge, erröthende 
und Anicdjende Damen hinwies und 
ſagte: 

„Geſtatten Sie mir, Herr Aſſeſſor, 
Ihnen meine beiden Töchter vorzu— 
ſtellen, Amélie und Martha.“ 

Willmann verbeugte ſich tadellos 
und murmelte die üblichen unverſtänd— 
lichen Worte, die man bei Vorſtellun— 
gen von ſich zu geben pflegt. Sein 
Geſicht aber hellte ſich auf, als der 
Herr Oberinſpector jagte: 

„Beitatten Sie, Herr Aſſeſſor, 
dafs wir bei Ihnen Plak nehmen? 
— worauf MWillmann natürlich von 
dem ungeheuerlichen Vergnügen und 
Ehre ſprach und dann ſofort lebhaft 
nach dem Kellner rief, um ſeine Ver— 
legenheit zu verbergen. 

Während der Papa Oberinſpector 
die Bierſorten auswählte und die 
Damen in die Lectüre der Speiſekarte 
vertieft waren, hatte Willmann Gele 
genheit, über feine Situation nach— 
zudenfen, aber auch Gelegenheit, die 
Damen zu beobachten. 

Seine Situation war mehr lächer: 
lich als gefährlih. Er konnte ſich ja, 
wenn er wollte, jchon mach einer 
Stunde unter dem Borwande drüden, 
daj3 er nah Berlin zurüdfahren 
wollte. Es galt alſo jegt nur vecht 
dreift die Rolle des Aſſeſſor Meyer 
weiter zu jpielen. 

As Willmanı aber die beiden 
Damen, Die, nebeneinander gelehnt, 
die große Speifelarte durchſahen, be= 
trachtete, war fein Gedantengang etwa 
folgender: 

„Das Sprichwort hat doch recht, 
ebenjo wie der Reim, wenn es bes 
hauptet, dafs in Sachſen die ſchönen 
Mädchen wachſen. — Die Jüngere, 
ich glaube sie heißt Martha 






ift eine Blondine und gar nicht übel; 
aber die MWltere, die Brünette — 
Amelie Heikt fie, glaube id —, ift 
ein Staatsmädchen. Teufel noch ein 
mal, it das ein hübſches Gejiht! — 
Und dieſe fchöne Figur, und Diele 
Kindlichleit und Schücdhteruheit in 
der Erjcheinung. Und ein paar Augen 
hat das Mädchen —“ | 
„sa wohl, Bere Oberinfpector, 
id habe meine Gejchäfte erledigt“, 
jagte jetzt Willmann auf die Frage des 
Vaters der beiden hübjchen Mädchen. 
Da Willmann jebt eine Mords: 
angft davor Hatte, daſs der Oberin— 
jpector ibn in ein technisches oder 
Eijenbahnverwaltungsdinge betreffen= 
des Gejpräh verwideln könnte, fo 
wendete er jich jofort wieder an die 
Damen, um fie zu fragen, ob fie auch 
gern an diefen Ort kämen, von wo 
aus man ein fo intereflantes Verkehrs— 
bild genieße. 
Die Frage wurde bejaht, und in= 
nerhalb jehr kurzer Zeit war ein eifri— 
ges Geipräh im Gange. Willmann 
kannte die Kunſtſchätze Dresdens und 
ftand nicht au, mit Begeifterung da= 
von zu ſprechen. Dabei ftellte es ſich 
bald heraus, daſs er eigentlih auch 
an Fräulein Amelie eine Kollegin 
hatte, denn unter Erröthen geitand fie 
ihm, dafs fie in ihren Mupeftunden 
auch male, und wenn fie jelbft auch 
nur bejcheiden von ihren Berfuchen 
ſprach, jo lobte doch Martha bedeutend 
die Kunſtfertigkeit ihrer Schweiter. 
Nun hatte Willmann mit Fräu— 
fein Amelie ein Thema, auf dem fie 
ih nah Herzensluſt herumtummeln 
fonnten, und die Folge davon war, 
dafs ſich ein jo Tebhaftes Gefpräd 
zwiichen ihnen entmwidelte, daſs Will- 
mann gar nicht mehr daran dachte, 
dafs es immer jpäter wurde, daſs er 
ih jogar freute, als er nach der Uhr 
Jah und bemerlte, dafs es längft zu 
jpät fei, um noch nach dem Bahnhof 
zu lommen. 
Selbft dem Oberinjpector fiel es 
auf, dafs der Eiſenbahn-Aſſeſſor Meyer 


Be.) 


ih jo Tebhaft für die Malerei und 
für die Kunſt interefjierte, aber Will- 
mann log tapfer drauf los, daſs er 
auch Dilettant in der edlen Malerei 
jei und fie feit Jahren zu feinem 
Dergnügen betreibe, und damı that 
er wieder, al3 ob außer Fräulein 
Amelie niemand weiter auf der Elb— 
terraffe und auf der ganzen Welt wäre. 
Er unterhielt ſich jo lebhaft mit ihr, 
daj3 auch die junge Dame ganz aus 
ihrer Reſerve heraustrat und etwas 
überraſcht jchien, als ihr Papa be— 
merfte, daſs es elf Uhr fei und daſs 
man ans Nahhanfegehen denken müſſe. 

Auch Willmann war jehr über- 
rafcht, dafs es Schon fo jpät fei und 
drüdte fein Bedauern darüber jo leb— 
haft aus, dafs man ihm wohl an— 
jehen konnte, jein Bedauern fei ein 
jehr aufrichtiges. 

„Sie reifen wohl morgen früh 
wieder ab, Herr Aſſeſſor?“ fragte der 
Dberinjpector, und Willmann wollte 
eben erklären, daſs er mit dem erjten 
Zuge Dresden zu verlafjen gedenfe, 
al3 fein Blick ganz zufällig den des 
Fräulein Amelie traf. 

Fräulein Amelie ſenkte allerdings 
jofort die Augen und erröthete ein 
Hein wenig über dieſes Blickekreuzen, 
und Willmann erklärte: 

„Nein, ih Fahre morgen noch 
nicht. Ich Habe meine Gejchäfte zwar 
erledigt, will mich aber noch zu meis 
nem Bergnügen einen Tag hier aufe 
halten. Vielleicht Habe ich das Ver— 
gnügen, Sie, Herr Oberinipector nebit 
den Fräulein Töchtern wiederzuſehen. 

„O gewifs, Herr Aſſeſſor!“ ent— 
gegnete der Oberinſpector; „und wenn 
es Ihnen nicht läftig wäre, jo möchte 
ih Sie ſogar bitten, mit bon der 
Partie zu fein, die wir morgen nach— 
mittag nah Meigen machen. Wir 
fahren Hier nebenan um zwei Uhr 
ab, und wir treffen uns ficher vorher 
hier; denn ich Habe gerade morgen 
auch einmal einen dienftfreien Tag, 
und ih habe meinen Töchtern dieſen 
Ausflug ſchon längft deriprochen.” 


Willmanı beiheuerte, dafs er ſich 
unfehlbar zu der Partie einfinden 
werde, mit einem Eifer, und er warf 
dabei einen jo eigenthümlichen Blid 
auf Fräulein Amelie, daſs diefe noch 
mehr erröthete al3 vorher und ganz 
verwirrt war, als jie ſich verabſchie— 
deten und auch fie dem angeblichen 
Aſſeſſor die Hand reichte. 

Der Oberinfpector entjernte ſich 
mit feinen Töchtern, und Willmann 
trank noch ein Glas, um feines Rau: 
ſches Meifter zu werden. Es war fein 
gewöhnlicher Rauſch, der ihn ergriffen 
hatte, ſondern eine Urt ſeeliſchen 
Dpiumraufches, mit einem Wort, — 
Herr Willmann Hatte ſich bis über 
beide Obren verliebt. 

Willmann ſetzte ſich in eine Droſchke 
und fuhr nach einem Hotel, damit jein 
Einzug nicht gar zu ärmlich ausjähe, 
wenn er zu Fuß mit dem geringen Ge— 
päd ankam. 

Er lieg fih ein Zimmer geben, 
auf welches er fich fofort zurüdzog, 
und in dem er noch lange auf und 
ab lief, biz er fih zu einem Schlaf 
niederlegte, in dem liebliche Träume 
ihn umgaukelten, Er trauk mit Engeln 
Bier, malte mit Engeln gemeinſam 
Speifefarten= Bignetten und machte 
mit Engeln Landpartien. Und alle 
dieje Engel hatten das Geſicht don 
Fräulein Amelie Reiberg. 

As Willmann am nächſten Mor— 
gen erwachte, Hatte ſich ſeine Liebesglut, 
die ſo plötzlich entfacht worden war, 
noch nicht abgekühlt, im Gegentheil, 
ſie war noch größer geworden, und der 
Vormiktag, den er fern von dem ver— 
ehrten Mädchen verbringen mufste, 
entzündete feine Yeidenjchaft nur noch 
heftiger. 

Er gieng nach dem Grünen Gewölbe 
und verließ es bald wieder, denn die 
alten Raritäten und Kunſtwerke inter: 
ejlierten ihn gar nicht, und jelbit im 
Juwelenzimmer ſahen alle die Loltbaren 
Diamantknöpfe und Brillanten aus, 
wie Amélies Augen. Er jeßte fich dann 
auf die Pferdebagn und machte eine 


102 


Wallfahrt Hinaus nah den Wald- ! hänge, die altertHümlichen Städtchen, 
Ihlöjschen. Aber jelbit das vortrefflisge | die Heinen Bergmwerfe, die Wälder 
Bier der berühmten Brauerei machte | und Berge, er ſah mur ein Gejicht, 
ihm feine Freude, bei ihm gewifs einer hörte nur eine Stimme. 
jehr bemerlenswertes Zeichen. Auch Fräulein Amelie ſchien don 
Bon zwölf Uhr ab ſteckte er fait. deimjelben Zauber befangen zu jein, 
die Taſchenuhr nicht mehr ein, ſon- | und aud fie ſah und hörte nur den 
dern behielt ſie umunterbrochen im angeblichen Aſſeſſor, mit dem fie ſich 
der Dand, um zu jehen, ob es noch | die wichtigiten, nichtigiten Sachen zu 
nicht Zeit ſei, um fich wieder auf| erzählen hatte. 
der Elbterraſſe einzufinden, und «3 Während der Papa Oberinjpector 
war faum ein Uhr, da ſaß er natürlich | nichts an dieſem auffallenden Verkehr 
auch ſchon dort und wartete mit|zu finden ſchien, zeigte ih Schweſter 
Hopfendem Herzen und zitternd vor Martha mit echt weiblichen Feingefühl 
einer Aufregung, über die er ſelbſt Hüger, ja, fie erlaubte jich ſogar einige 
außer fih war, auf den Augenblid, | ironifche Bemerkungen über die Theil- 
in dem er wieder in ein paar dunkle nahmsloſigkeit ihrer Schweſter und über 
Mädchenaugen blicken durfte. Kr Gefeljeltfein an den Begleiter, jo 
Selbit die Stimme verfagte ihm daſs Fräulein Amelie ganz außer fi 
vor frendigem Schred, als ganz plöß- | vor Berlegenheit gerieth und ihr Die 
ih die jungen Damen vor ihn ſtan- Thränen in ihre Schönen Augen traten. 
den und ihm mittheilten, daſs der Dafür Hätte Willmanı aber au 
Papa erit etwas ſpäter nachkomme beinahe einen Mord an Fräulein 
und gleich direct zur Landungsſtelle Martha begangen, und nur die Er— 
geben würde. innerung an den Staatsanwalt und 
Die Faſſungsloſigkeit Willmanns | der Gedante an alle traurigen Folgen 
wurde noch erhöht, als er entdedte,| hielt ihn davon ab, fie über den Rad— 
dajs Fräulein Amélie ebenjo verwirrt | kaſten ins Waller zu kürzen. 
als er jelbit war, dafs fie erröthete, Man fam nah Meigen und flieg 
als fie ein leuchtender Blid aus jeinen | natürlich ſchleunigſt auf die Albrechts— 
Augen traf, und dajs ihre Fingers | burg hinauf, um vom jogenannten 
jpigen zitterten, als fie ihre Hand Burgkeller aus die herrliche Ausſicht 
in die jeinige legte. — über Die ladhenden gefegneten 
Der Taumel, welcher Willmann Fluren — zu genießen, über ein 
am Abend vorher erfaſst Hatte, kam fruchtbares Land, durch welches ſich 
jetzt von neuem, und in verſtärktem die Elbe wie ein Silberſtreifen windet, 
Maße über ihn. Wie in einem Traum und welches ganz bedeckt ſchien mit 
gieng er mit den jungen Damen über Ortfchaften, mit Städten und Dörfern, 
die Veranda entlang bis zur Lanz | deren rothe Dächer und Thürme ji 
dungsſtelle, wie im Traume begrüßte | leuchtend abhoben von den grünen 
er den Oberinjpector und traumbefane | Ebenen und von den dunklen Bergen 
gen fuhr er dann mit dem Dampfer | des Meißener Dochlandes. 
die Elbe hinunter, nah Meißen zu, Dann bejihtigte man die Burg 
unbekümmert um das rege Leben und | und die Kirche, und Willmann zeigte 
Treiben auf dem Dampfer ſelbſt und ſich jehr ängſtlich, wenn es ſich für 
um alle Stationen, wo gehalten und Fräulein Amelie darum handelte, 
Güter und Ballagiere eingenommen  jelbft nur wenige Zreppenftufen zu 
wurden. erſteigen, und er fajste ſtets Fräulein 
Er ſah kaum die einzelnen Schön- Amélies Hand, um ſie zu leiten, und 
heiten der Landſchaft, die ſich hin und wenn auch die zuckenden Finger ſich 
wieder zeigten, die bewaldeten Ab- anfangs dagegen ſträubten, feſtgehalten 








— — 
7 


108 





zu werden, jo gewöhnten jie fich doch 
allmählih daran, und es kam jogar 
vor, daſs die beiden Hände ineinan- 
der lagen, wenn gar feine Treppen 
ftufen zu fteigen waren und went 
man fich auf ebenem Fußboden befand. 

Dann wurde noch ein Imbiſs 
genommen, noch ein Stündchen in 
einem benachbarten Local geſeſſen, 
von wo aus man ebenfalld die herr— 
lihe Ausfiht über Stadt und Land 
hatte, dann wurde der Rüdweg an— 
getreten. 

Der Oberinfpecdor mit Martha 
Schritten voran, und ziemlich dicht 
Hinter ihnen folgte ihnen wiederum 
mit Fräulein Amelie Willmann, 

Der Originalität halber führte 
der Dberinjpector die Töchter mit 
dem fremden durch den unterirdijchen 
Gang, der unterhalb der Burgmaus 
erung hindurch geht, und der mur 
Durch die beiden Thüren am Anfang 
und am Ende erleuchtet wird. Wie 
ein Burgverließ ſieht dieſer dunkle, 
gewölbte Gang aus, und man würde 
ſich gar nicht wundern, hier auf Ge— 
rippe, die noch mit Ketten an die 
Wand angeſchloſſen ſind, zu ſtoßen. 

Solche und ähnliche Gedanken 
tauſchten wohl Fräulein Martha und 
der Papa Oberinſpector aus, aber 
Willmaun ſchien der Eintritt in die 
Scenerie eines vergangenen Jahr— 
hunderts vollſtändig um den Verſtand 
zu bringen. Nicht mehr ſeiner Ver— 
nunft und ſeinem klaren Deuken ge— 
horchend, ſondern einer höheren Macht, 
legte er plötzlich ſeinen Arm um die 
neben ihm ſchreitende Amélie, und 
drei Worte flüſterte er ihr ins Ohr, 
vor denen er ſelbſt erſchrak. Daun 
hörte er ein leiſes Schluchzen, eine 
zitternde Mädchengeftalt ruhte einen 
Augenblid an feiner Bruft, und jeine 
Lippen brannten noch von einem ge= 
raubten Kuſs, als er wieder ans 
Sonnenliht trat und auf die Strape, 
die er jet mit wankenden Knien 
und zitterndem Herzen verfolgte, um 
angeblich die anderen Sehenswürdig— 


feiten der Stadt in Augenschein zu 
nehmen. 

Zum Slüd wendete jich weder der 
Vater noch Fräulein Martha um, jo 
dajs Fräulein Amelie ſich ſammeln 
konnte, und nicht nur die junge Dame, 
jondern auch Willmann bedurfte der 
Sammlung dringend, denn er fühlte, 
wie eine Scene don wenigen Secunden 
genügt hatte, um ihn bis in das In— 
nerjte feines Herzens zu erſchüttern. 

Stundenlang ließ er ſich weiter 
führen und die Sehenswürdigfeiten 
zeigen, das Rathhaus und die Fürſten— 
Ihule und die Kirche u. j. w., und 
ſtumm fchritt er immer neben Amelie 
hinter dem Oberinfpector mit feiner 
Tochter Martha über die mächtige, ge= 
wölbte Brüde nad dein Bahnhofe, und 
ſtumm war er, ebenjo wie Amelie, auf 
der Rüdfahrt nach Dresden. 

Die beiden Liebenden Sprachen kein 
Wort, fie fühlten jih unangenehm ges 
ftört, wenn der Oberinjpector oder 
Fräulein Martha fie anfpradhen, nur 
ihre Blide trafen fich Hin und wieder, 
und die langweilige Eijenbahnfahrt, 
auf welder man jich vollftändig vom 
Fluſſe entfernt, ſchien den beiden wie 
eine Fahrt durch das Paradies, 

Willmanı hatte erklärt, dajs er 
abends abreifen müſſe, und fo fand man 
denm nichts Sonderbares darin, dafs 
er ſich bald nah der Ankunft im 
Dresden empfahl, um fein Gepäd zu 
holen und ſich nah dem Bahnhofe 
zu begeben. 

Er nahm mit einem Dandjchlage 
Abſchied von dem Oberinjpector, fühlte 
ih empört und verlegen gemacht durch 
das ironifche Lächeln der Schweiter 
Martha, und genoſs noch einen Augen 
blit der Seligteit, al3 ihm Amélie 
die Hand zum Abjchied reichte, als er 
in ihren Augen eine Thräne leuchten 
ſah, als er jah, wie ihre Mundwinkel 
zudten, und das arıne Kind nur müh— 
ſam feine Erregung beherrſchte und 
den Trennungsſchmerz bemeilterte. 

Zwei Stunden jpäter trug der 
Erprefszug Willmann wieder als Maler 


104 


Willmann und nicht als Aſſeſſor Meyer 
nah Berlin zurüd — — — — 

Die große Veränderung, die mit 
Willmann vorgegangen war, fiel allen 
feinen Bekannten auf. Er, der lebens— 
Iuftige, übermüthige Kiünftler, war 
jest ein ernfter, ſtets finſter vor ſich 
binblidender SKratehler geworden, der 
mit der geringften Außerung zu ver- 
legen war, und den man eigentlich 
in feiner Geſellſchaft mehr ordentlich 
gebrauchen konnte. 

Er ſchien das auch ſelbſt zu wiſſen, 
denn er mied den Umgang mit Men— 
Shen und wurde dadurch natürlich 
nicht gemüthlicher, fondern umfomehr 
verbittert und verfchloffen. 

Selbit fein Freund Börner wufste 
feine Erflärung für das fonderbare 
Betragen Willmanns, trotzdem er nicht 
mit Unrecht vermuthete, dafs dieſe 
jonderbare Weränderung durch Ddiefe 
Dresdener Reife hervorgerufen fei. 

Als Börner am Tage nachdem er 
Willmann den Fahrſchein, angeblich 
zum Verbrennen, ausgehändigt, das 
Maleratelier Willmanns auffuchte und 
dort erfuhr, daſs jein Inhaber ver- 
reist ſei, da ahnte er fofort, daſs 
Willmann gegen die Verabredung den 
Fahrſchein bemußt habe, und Börner 
beſchloſs deshalb, bei feiner Rückkunft 
eine ganz großartige Scene zu machen, 
die aber dennoch unterblieb. — Als 
Börner nämlich, geladen mit einer 
Strafpredigt, nah einigen Tagen 


er war ein anderer geworden; ja, er 
war unglüdlih, und zwar durch feine 
eigene Schuld! 

Er kam fih vor gleichzeitig wie 
ein Verbrecher und wie ein gefallener 
Engel, wie ein Verbrecher, weil er es 
gewagt hatte, fi in die Yamilie des 
ehrlichen Oberinfpector3 einzudrängen 
und dem unfchuldigen Mädchen bon 
Liebe zu jpredhen und demjelben wahr— 
Iheinlih das Herz ſchwer zu machen. 
Er kam fi vor wie ein Verbrecher, 
weil er in betrügerifher Weife den 
Freifahrtſchein benußt hatte, und er 
faın ſich vor wie ein gefallener Engel, 
weil es ihm fchien, al$ wäre er für 
einen Augenblid im Himmel gewejen, 
um für fein Vergehen für immer aus 
demſelben geſtoßen zu werden. 

Unter der Maske des Aſſeſſor 
Meyer Hatte er ſich die Liebe Amélies 
und wohl auch die Achtung des Ober= 
infpectord erworben. Yeider gab es 
fein Mittel, um dieje Maske in irgend 
einer anftändigen Weile abzuwerfen 
und al3 Maler Willmann aufzutreten. 
Sowohl die Geliebte, wie auch deren 
Vater mufsten ihn gleihmäßig ver— 
achten, wenn fie erfuhren, dajs er ein 
Schwindler fei, den nur ein unglüde 
fiber Zufall in ihre Gejelljihaft ge— 
bracht Hatte. Der Vater Amäéälies 
mufste den frechen Bahndefraudanten 
ohne weiteres zur Beltrafung anzeigen, 
und fie, die Dohe, Herrliche, Himm— 
liſche kounte feinen Menjchen achten, 


wieder in dem Atelier Willmanns er- welcher mit einem falſchen Freifahrt— 


ſchien, erfchraf er ordentlich über den 
düfteren Ernft, den Willmann zur 
Schau trug, und bald überzeugte er 
fih, dafs eine Strafpredigt bei ihm 
gar nicht am Plage fei. Er fühlte 
Mitleid mit dem Freunde, der ihm 
jehr unglüdlich ſchien. Willmann er: 
theilte ihm aber auf feine Fragen gar 
feine Antwort, und er verbat fich alles 
Intereſſe an feiner Perſönlichleit. 
Sa, er ſaß einfam in feinem 
Atelier und blidte auf die Staffelei, 
auf welcher eine leere Leinwand in 
unberührter „Weißheit“ glänzte. Ja, 


ler befürchten lie. 


jchein nach dem Orte gelommen war, 
an dem er fie fennen gelernt. 

Wenn Willmann daran dachte, 
daſs Amelie ihn verachten könnte, fo 
überfam ihn ein grenzenlojes Elend, 
das ſich gewöhnlid in einen Horn 
verwandelte, welcher die ſchlimmſten 
Ausbrüche bei dem heigblütigen Künſt— 
Jetzt eben Hatte 
er einen ſolchen Anfall von ohnmäch— 
tiger Wuth, und er überlegte, ob es 
nicht zu feiner Abkühlung dienen 
würde, wenn er fein gefammtes Mo— 
biliar und alles, was ſich im Atelier 





105 


befand, zertrümmmerte, al3 die Thür 
geöffnet wurde, ohne dafs vorher ge— 
Hopft worden war, und Börner her— 
einftürzte, um jofort auf Willmann 
mit den Morten loszufahren : 


„Da Haft du's! Das war voraus» 
zuſehen. Jetzt babe ih die Berante 
wortlichkeit für deine Dummheiten. 
Ich komme um meine Stellung und 
wahrfheinlih in's Zuchthaus, wenn 
nicht noch etwas Sclimmeres ger 
ſchieht! — Aber ich weiſe jede Ver— 
antwortlichleit von mir. ch Habe 
deinen Namen bereits genannt, denn 
dur Haft gegen meinen Willen und 
gegen alle Verabredung den Freifahrt: 
Ichein benußt, den du mir abgeliitet 
halt unter dem Vorwande ihn verbren= 
nen zu wollen, — O, hätte ich dir 
doch nicht getraut! O, Hätte ich dir 
doch dieſen unglüdjelign Schein nie= 
mals gegeben! — Ich bin verloren. 
Ih werde mit Schimpf und Schande 
aus dem Dienit gejagt!” 

Willmann wurde natürlich durch 
diefe furchtbare Tirade Börners nicht 
abgekühlt, er fürzte vielmehr auf 
ihn zu und begann ihn jo zu ſchüt— 
tel, daſs dieſer wie ein Bündel 
Flicken Hin und ber wankte und ihm 
der Kopf abzufallen drohte. 

„Was willſt du?“ schrie ihn 
Willmann an, „Was willft du mit 
deinem ewigen Freifahrtſchein? Willſt 
du mich jegt endlih in Ruhe lafjen 
damit, oder, weiß Gott! ich begehe 
ein Berbrehen an dir. Was willft 
du don mir?“ 

Er Hatte wenigftens jo viel Ver— 
nunft, Börner einen Augenblid nicht 
zu jchütteln, jo dafs diefer zu Athen 
kommen amd ihm zufchreien fonnte: 

„Schöne Geihichten Haft du in 
Dresden gemacht! Liebjchaften Halt 
du angelnüpft auf amderer Lente 
Namen! Und ich joll jetzt die ganze 
Geſchichte ausbaden !” 

Kraftlos glitten die Hände Will 
manns don Börner ab, den fie joeben 
noch Fo feſt gehalten Hatten. Willmanı 


erbleichte "und ſtieß nur ftotternd die 
Worte Hervor: 
„Liebſchaften angeknüpft! — Ich 


— in Dresden! — Wer ſagt 
das?“ — 
Als Börner den Eindruck ſah, 


den feine Worte auf Willmann mach— 
ten, befam er natürlich wieder Ober- 
wafler, und rief jeßt: z 

„Du ſollteſt dich ſchämen, mich 
in ſolche Ungelegenheiten zu bringen, 
unſchuldigen Mädchen das Herz zu 
brechen! — Heut früh kam der Aſſeſſor 
Meyer ins Bureau, mit einem jo 
furchtbaren Geficht, dajs wir alle vor 
ihn erſchraken. Dann ließ er mich jo= 
fort in fein Privatzimmer fommen und 
fragte mich, was ich mit dem Freifahrt— 
Ichein gemacht hätte, den er mir da= 
mals gegeben. Jh mufste nicht, um 
was e3 ſich Handelte umd konnte mich 
nicht duch eine Lüge in noch größere 
Berlegenheiten bringen, al3 ich ſchon 
war. Sch erzählte ihm daher, wie 
du Hinter meinem Rüden den Schein 
benußt hätteft. Darauf befam ich na— 
türlih von dem Aſſeſſor eine fürch— 
terlihe Strafpredigt zu Hören, und 
Schließlich lieferte er mir dieſen Brief 
aus, den ich Dir übergeben jollte, und 
auf Grund deilen er eine Unterredung 
von dir verlangt, in welcher du ihm 
Auge in Auge eine Erklärung darüber 
geben ſollſt, was du unter feinem 
Namen verübt haſt.“ 

Börner hatte kaum den Brief her— 
ausgeholt, als ih Willmann auch 
ſchon auf diefen ftürzte. Er riſs ihn 
auf und ſah nach der Unterjchrift. 
Diefelbe war diejenige des unglüd- 
jeligen OberinfpectorS aus Dresden, 
der Brief felbjt aber lautete: 


„Werter Herr Aſſeſſor! 

Ich Habe nicht geglaubt, daſs 
Ihre perfönliche Belanntichaft, über 
die ich mich fo gefreut, Unglüd in 
meine Familie bringen würde, und 
bin, offen gejagt, empört über Die 
Art und Weife, wie Sie meine Gaſt— 
freundichaft miſsbraucht zu haben 


Iheinen. — Seit Ihrem Weggange 
hat fich bei meiner Tochter Aınelie 
eine Schwermuth eingeitellt, die von 
Tag zu Tag Tchlimmer wird, und 
die mich das Schlimmfte befürchten 
läjst. — Vergeblich juchte ich von 
meiner Tochter zu erfahren, was 
ihr begegnet ſei. Sie verweigerte 
mir jede Auskunft, bis mich meine 
Tochter Martha darauf aufmerkfam 
machte, daſs nad ihrer Beobach— 
tung troß der Kürze der Zeit 
zwiſchen meiner Tochter und Ihnen 
ih Beziehungen entwidelt hätten, 
welche äußert intimer Art jeien, 
und daſs Sie wahrſcheinlich nur 
in einem Scherze dem armen Finde 
Gedanken in den Kopf gejeßt haben, 
durch welche fie auf die Vermuthung 
fommen ımufste, dajs fie von Ihnen 
geliebt werde, troßdem Sie id 
wahrſcheinlich nur einen höchſt un— 
paſſenden Scherz mit ihr machten. 

Sie werden es unter ſolchen 
Umſtänden nicht ſonderbar von mir 
finden, wenn ich eine Aufklärung 
von Ihnen fordere, und wenn ich, 
der ſchwergekränkte und beleidigte 
Vater, von Ihnen eine Genug— 
thuung verlange, indem Sie mir 
wenigſtens offen mittheilen, was 
zwiſchen Ihnen und meiner Toch— 
ter geſchehen iſt. 

Sie haben durch Ihre Leichtfer— 
tigkeit und Ihren übel angebrachten 
Spafs Kummer und Sorge über 
eine ganze Familie gebracht und 
meine arme Amélie vielleiht auf 
Monate Hin unglüdlih gemacht. 
Zum mindeiten hat diejelbe durch 
Sie die erite bittere Lehre über die 
Falſchheit und Doppelzüngigfeit der 
Welt gewonnen, und ich bedauere 
nochmals auf das lebhaftejte, daſs 
ich jelbit jo thöriht war, Sie in 
meine Familie eingeführt zu haben. 


Einer umgebenden Erklärung ent» 
gegenjehend, achtungsvoll 
Reiberg.“ 


— 


106 


Willmann las dieſen Brief, und 
wir wollen zu feiner Ehre gleih an— 
führen, daſs Thränen feinen Augen 
entitürzten, al3 er ihn gelefen Hatte, 
und dajs er fi auf den Stuhl nie= 
derwarf, um zu fchluchzen, bis jelbit 
der aufs höchſte gereizte Börner fo 
ergriffen war, daſs er dem Freund 
umarmte und ihn fFlehentlich bat, ſich 
zu beruhigen umd ihm Meittheilung 
zu machen, was denn geschehen jei. 

Es blieb Willmann nun natürlich 
nichts anderes übrig, als jetzt mit 
einen vollen Geſtändnis heranszurüden, 
welches ihm außerdem ſehr viel Er— 
leichterung verjchaffte, und zu dem er 
auch in feiner jetzigen Stimmung nur 
zu jehr geneigt war, 

Börner hatte, bald lächelnd, bald 
ernſt, dieſem Geftändnis zugehört, 
und al3 am Schlujs Willmann wies 
der mit feinem Selbftanflagen begann 
und den Fluch des Himmels auf ich 
herabbeſchwor, weil er das edelite, beſte 
Mädchen unglüdlih gemacht Habe, 
da war jelbjt bei Börner aller Zorn 
und alle Angit wegen des Gefchehenen 
verflogen, denn er begann jebt, Wille 
mann auf das eifrigite zu tröften. 

Er ſchlug ihm vor, dem Wunjche 
des Aſſeſſors nachzukommen und Dies 
jen über alles aufzuklären. Der Aſſeſſor 
war nur deshalb jo withend, und zwar 
mit vollem Recht, gewefen, weil er 
annahm, dafs irgend welche jchlechte 
Streihe auf feinen Namen verübt 
worden feien. Börner behauptete in— 
dejien, daſs er ganz anders über die 
Sache denfen würde, wenn er erführe, 
um was es ſich handle, und daſs er 
ein viel zu humaner Mann fei, um 
nicht auch in dieſem Falle liebens- 
würdig zu denken und zu handeln. 
Gewiſs fiel es ihm auch micht ein, 
wegen des Mifsbrauhs des Fahr— 
jcheins irgend welche Umftändlichkeiten 
zu machen. Aber jedenfalls wäre es 
das Beite, mit der Wahrheit heraus» 
zurüden. 

Willmann wollte zwar das nicht 
einfehen, er behauptete vor allem, 


107 





dafs cr jeine Liebe nicht profanieren !beiwerbe, wenn diejer nur zur Strafe 


fönme, indem er fie dem Aſſeſſor vor— 
trug, lieber wollte er fterben. — Nach 
einigen Stunden jedoch dachte er au— 
ders über die Angelegenheit und ſchob 
das Sterben auf, zu dem ihm ja 
immer noch Zeit blieb, wenn er jich 
mit dem Aſſeſſor unterredet Hatte. 
Am nächſten Morgen fand dieſe 
eigenthümliche Unterredung ftatt, bei 
welcher Börner zugegen war, und bei 
welcher in der That der Aſſeſſor ſich 
als ein ebenfo liebenswirdiger, wie 
böfliher Mann zeigte Er verzieh 
wicht nur den Miſsbrauch mit dem 
Fahrſchein, welcher 





todtgejchwiegen | ihn 
werden jollte, fondern er war auch 


und Buße der Tochter ein Jahr laug 
fern bliebe und dann feine Bewer- 
bung erneuere. Damit die Strafe 
aber nicht gar zu ſchlimm wäre, ges 
ftattete der Papa Oberinjpector eine 
Gorrefpondenz, die natürlich äußerſt 
lebhaft wurde und welche troßdem 
Willmanıı nicht von feiner Kunſt ab- 
hielt. Denn von dem Augenblid an, 
in dem er einfah, dafs feine Liebe 
auch Erfolg habe, widmete er ſich 
jeiner Malerei mit einem Feuereifer, 
der das Beite von ihm erwarten lieh. 
Er hat auch glänzende Früchte für 
getragen, jelbit in materieller 
Beziehung. 


jo durch den anfrichtigen Schmerz | Nah einem Jahre konnte er vor 
Willmanns gerührt, dafs er dieſem feinen zukünftigen Schwiegervater tre- 
verſprach, Sich bei dem beleidigten |ten und dieſem betheuern, daſs feine 
Oberinfpector zu verwenden, bon defjen | Liebe zu Amelie nicht geſchwunden, 
Auffaflung der Sachlage allerdings ſondern im Gegentheil noch gewachſen 
die Entiheidung über die Angelegenz | fei, und da Fräulein Amölie von fich 
heit abhieng. dasſelbe behauptete, ſo blieb dem 
Der Brief des Aſſeſſors, welcher Papa nichts anderes übrig, als die 
ſehr humoriſtiſch war, und doch am Hände der Liebenden zu vereinen und 
Schluſs darauf hinwies, daſs es ihnen den landesüblihen Segen zu 
falfd wäre, wegen eines thörichten | ertheilen. 
Streiches zwei Menfchenherzen une | Bei der bald darauf folgenden 
glüdlih zu machen, mus doch jehr! Hochzeit fehlte natürlich der Aſſeſſor 
wirlſam gewejen fein, denn der Ober: | Meyer nicht, auf deijen Conto ſich ja 
infpector verzieb nicht nur den Bes der dreifte Willmanı eigentlich verlobt 
trug, den Willmann gefpielt hatte, hatte, und die Liebenswürdigfeit des 
weil er ja wohl auch einjah, daſs er Aſſeſſor Meyer erhielt auch dadurd) 
doch dazu einigermaßen gezwungen !ihren Lohn, daſs er auf diefer Hoch— 





gewefen war, fondern er richtete auch 
einen Brief mit fanften Vorwürfen 
an Willmann, in welchem er dem— 
jelben kurz auseinanderjegte, daſs er 
ihm verzeihen wolle, und daſs er 
auch nichts dagegen Habe, wenn Will: 
mann fih um die Hand AUmelies 


zeit Fräulein Martha kennen lernte, 
die er jpäter jelbit als Gattin heim— 
führte, fo den Scidjal folgend, wel— 
bes in feinem Buch die Notiz vers 
merkt Hatte, dajs der Oberinjpector 
Reiberg noch einmal der Schwieger- 
vater des Aſſeſſor Meyer werden jollte. 


108 


„Der böhmiſche Balg.“ 


Eine Kindergefhihte von P. R. Rofegger. 


a! jagte fie friſch und laut, da | „dafs wir gleid) auch den Kleinen zu 


x 
; hatte jie einen Mann und ein 
= Kind. Demm es war ein fchöpfes 

riſches Ja, wie Gott es geſprochen, 

als er die Welt erſchuf, es war das 

Ya vor dem Altare. 

Endlich Hatte fie es erreicht, die 
gute Therefa, welche eine der Ge— 
ringen war, eine bom jenen, die ihr 
gutes Menſchenrecht durch viele beſon— 


müſſen. Endlich war der Tag da, an 


und für immer die Hand reichen durfte, 
Streng genommen war e3 bereits um 
etlihe Sabre zu ſpät, aber ihr Dtto 
war nicht früher fertig geworden mit 
der Gründung des Meftes. 
friſche Scloifergejellen können wohl 


prächtig lieben, aber die Liebite heiraten, 


das kann erſt der wohlbeitallte Schloſſer— 
meiſter. Otto war’ geworben, alfo 
hatte er fich eines Abends unter Die 
Hausthüre geftellt, und als die Thereja 
mit dem Bierfruge vorüberfam, in 
welchem jie ihrer Herrfchaft den Abend 
trunk Holte, Sprach er fie an und 
jagte: „Du ſollſt nicht mehr oft fremde 
Leute jpeifen und tränfen, ſondern 
deine eigenen. ch zeige dir an, dafs 
ich jebt mein Wort Halten kann. Ich 
habe draugen im Vororte eine Werts | 


Junge | 





uns nehmen. Schon auch darum ift 
es ein großes Slüd, dafs wir zuſammen— 
fommen können. IH muſs dir jagen, 
Therefa, manche Nacht habe ich nicht 
gut gejchlafen, des Heinen Wilhelm 
wegen. Das arme Kind jo unter 
fremden Leuten —” 

„Und wenn exit ich wollte reden“, 


'fagte jet das Mädchen, „was ich zu— 
dere Klugheit und Geduld erreichen | 
Ich kann's 
welchem fie ihrem Freunde öffentlich 


ſammengeweint habe in den Nächten, 
gar nicht jagen, wie mir 
jegt ift! So glüdjelig !” 

Denn das Kind war ihr entrüdt, 
jeit fie e$ hingelegt in fremde Arıne, 
vierzehn Tage nad) der Geburt. 

Freilich jeßte es jet, als die Therefa 
zurückkam zu ihrer Herrſchaft, ein arges 
Donnerwetter, wo Tie denn wieder jo 
lange geftedt jei! Diefe Nachläfjigkeit 


‚werde ſchon zu arg, es fei ja nicht 


mehr auszuhalten mit ihr! — denn 


die Herrfchaft war durflig und hatte 





feine Ahnung davon, dafs eben ihrer 
Dienitmagd Glüd  befiegelt worden 
unter der Hausthür. Die Thereſa war 
von den Vorwürfen auch nichts weniger 
al3 niedergeichmettert, Jondern machte 
ein jo fröhliches, feliges Geſicht, dafs 
die Empörung der „guädigen Frau“ 
nur noch zunahm. Am nächſten Tage 
wollte fie der Magd den Dienft kün— 


tätte erworben, bin jelbjtändig und, | digen, aber die Thereja kam ihr zuvor, 
wenn du willſt, ſo heiraten wir noch ſie bitte unterthänigſt, ſie wolle aufſagen. 


in dieſem Monate.“ 


In der größten Gefahr dieſes Augen— 


blickes war der Bierkrug. 
Thür war es dunkel, ihr Arm begann 
zu zittern, doch außer daſs ein paar 
Mundvoll herausſchwupperten, geſchah 
nichts. 


„Und denke ich“, fuhr Otto fort, 


Unter der 


So! Was ihr nicht recht ſei? Ob 
fie einen beiferen Platz wiſſe? 

Das nicht, aber heiraten wolle fie. 

„Heiraten !” rief die guädige Frau 
aus. „Natürlich, heiraten! doch merk— 
wiirdig, daſs jede, der es gut geht, 
ſich's Schlechter machen will! Was fehlt 
dir denn? Haft deine Koft und Pflege, 


deinen ordentlichen Lohn, dein Bett, 
an Sonntagen deinen Ausgang. Was 
feblt dir denn?“ 

— Gnädige Frau haben leicht 
reden. Gnädige Frau am wenigjten 
wollten ſich mit Koft und Lohn und 
Ausgang zufrieden geben, Gnädige 
Frau willen vecht gut, dafs der Menjch 
auch noch was anderes will auf der 
Welt. Gnädige Frau haben einen fo 
guten Mann, fo liebe Kinder... Sie 
jagte es nicht, die Thereja, bei Leibe 
nicht! So etwas darf ein armer Dienft- 
bote der Herrſchaft nicht entgegenreden, 
wäre groß gefehlt! Nein, ſie dachte es nur. 

Und mas hatte fie fich nicht alles 


gedacht, die Zeit her! Wenn die Kinder | 


der Herrschaft verhätſchelt und über- 
jchüttet wurden mit feinen Kleidern, 
fojtbaren Spielzeugen, Eifen und 
Leckereien in Überfluſs, da dachte die 
Magd an ihr armes Kindlein, welches 
unter vielleicht vxoher Leute Hände 
wohl gar Kälte und Hunger leiden 
muſs und mifshandelt wird. Wie wäre 
fie glüdlich, die Abfälle dieſes üppigen, 
wähleriichen Lebens ihrem Würmlein 
zumenden zu dürfen! — Aber der 
Heine Wilhelm ift weit von ihr. Weiß 
fie denn wo ? In jenem Haufe, welches 
die Zuflucht ift, wenn die Stunde naht, 
hat man ihr das Kind weggenommen. 
Ein Blatt Papier mit Name und 
Nummer ift alles, was ihr in der Hand 
verblieben. Manche ift damit vollauf 
zufrieden und will nichts weiter, führt 
ihr leichtjinniges Leben fort und dentt 
nicht mehr an Vergangenes, Hinweg— 
genommenes. 

Bei der Thereſa iſt das wohl anders 
und öfter als einmal iſt es geſchehen, 
daſs ſie nächtig plötzlich aus dem 
Schlafe fuhr, weil ihr war, als hätte 
fie ihr Kind fchreien gehört... 

Und num, Gottlob! war die Zeit 
gekommen, in welcher ihr trauter Freund 
ſprach: Wir nehmen den Kleinen zu 
uns! Nun war die Zeit gefommen, 
in welcher fie neben ihm am Altare 
fand und „ja“ ſagte. Da hatte fie 
einen Mann und ein Kind. 


109 


Nur musste fie das Kind erft ſuchen. 

Daher gieng fie am nächften Tage 
in die Anftalt, wies Schrift und 
Nummer vor und begehrte ihr Kind. 
Dasjelbe war auf dem Lande in der 
Koft bei einem Banernmweibe. Oft hatte 
‚fie es wollen auffuchen, aber der Weg 
| war weit, ihre Caſſe gering, ihre ftrenge 
Herrſchaft wollte nicht Urlaub geben 
und fagte: Gethan, gelitten. Man 
muſs folchen Liebhabereien nicht zu 
ſehr nachgeben, ſonſt wiederholen 
ie ih. Wohl waren die beiten 
Nachrichten bisher eingelaufen, der 
| Heine Wilhelm ſei gefund und gedeihe. 
Nun, als die Mutter ſich meldete, 
mujste erjt wieder die Adreſſe nachge— 
Ihlagen werden. Und jebt erfuhr die 
Therefa, dafs der Knabe weit im 
Böhmerlande drin fei. Das ift Hübjch, 
wie befommen wir nun den Wilhelm 
aus dem Böhmerlande hervor? 

Dinreifen, zufammenpaden, her— 
vorholen! meinte der junge Schloifer> 
meilter, und am nächiten Morgen ſaß 
er Schon auf einem Wagen der Franz 
Joſephsbahn und reiste nach Böhmen. 
Er wird auf der Reife nicht viel Be- 
jonderes erlebt haben, weil er nachher 
nicht viel Bejonderes erzählt Hatte. Am 
dritten Tage kam er Heim, brachte 
einen hübſchen vierjährigen Knaben 
mit. Aber der Knabe hatte rothe Augen 
und war ganz erjchöpft vor lauter 
Meinen. Da war er umbergelaufen tm 
grünen Garten, der Vater hatte dom 
Baum Powidln gefchüttelt, und die 
Mutter daneben auf dem Acker Kar: 
toffeln ausgegraben, — kam ein frem— 
der Menjch, fieng den Knaben ab, that 
mit ihm zärtlich, ſchenkte ihm Leder- 
biffen und führte ihn endlich mit Ges 
walt davon. Nicht bloß das Kind hatte 
berzbewegend geweint, auch die zwei 
Bauersleute, die — felbit kinderlos — 
den Knaben fehr lieb gehabt Haben mujs- 
ten. Datten fie ihn doch aus Ehriiten- 
liebe von der Anftalt genommen, wie 
ein Waiſenkind. Und alfo war es: anftatt 
daſs Meiſter Otto dem Stleinen Eltern 
gab, nahm er ihm Eltern. Und er kam 





ih vor mie ein Sindesräuber, er 
brachte den Wilhelm Heim, und zus 
gleich ein betrübtes Herz. 

Fran Therefa ftürzte auf das Kind 
hin, riſs es an die Bruft und erhielt 
vom zarten Händchen einen Schlag 
ind Geficht, der ihre weher that, als 
alle Schidjalsichläge zuſammen, die fie 
in ihrem Leben je erdulden mußste. 
Troßig wendete der Knabe ſich von 
ihr ab, verkroch fich in einen Mintel, 
Ihwieg, wenn man ihn freundlich ans 
redete und ſchluchzte, oder kehrte 
feine Oberzähnchen hervor. Als es 
Abend ward und der Stleine ins Bett 
gebracht werden follte, jagte er etwas, 
aber die Mutter veritand es nicht. Und 
nun ftellte es fich heraus, dafs ihr Find 
die Mutterfprache nicht veritaud, daſs 
e3 eine fremde Sprache redete, daſs 
es eine fremde Seele hatte. 

„Seins!“ rief fie plötzlich aus, 
„das iſt ja nicht mein Kind, das ift 
ein anderes |” 

Meifter Otto erjchraf fehr. Er 
wujste num zwar, dafs dem ihm vor— 
liegenden Documenten nach ein Zweifel 
nicht zuläffig war, daſs es dasjelbe 
Kind fein mufste, welches Thereia vor 
vier Jahren geboren hatte, das es aber 
feine Möglichkeit gab, die Mutter da= 
von innerlich zu überzeugen, wenn’s 
das eigene Herz nicht that. Sie Jollte 
nun das Find um fich haben und er= 
ziehen und fich für dasfelbe opfern, 
die Qual des Zweifeld in der Bruſt: 
Wie, wenn ed ein fremdes Kind ift? 
— Die Weibesnatur weiß ſich mit 
ſolcher Vorſtellung noch weniger abzu— 
finden, als die Mannesnatur. Es gehen 
Männer umher auf Gottes Erdboden, 
welche äußerlich heiter und freudig für 
das Kind arbeiten und ſorgen, welche 
das Kind lieben, und doch gepeinigt 
werden von der MWahnfrage: Iſt es 
mein Kind? — Die Mutter wird 
im allgemeinen von folder Bein frei 
jein, um fo fchwerer leidet jie, wenn 
doch das Geſchick einmal jo fpielt, als 
es hier mit der armen Thereſa der 
Fall war. 


Eines Tages, al3 fie liebesinnig 
den Snaben auf ihren Schoß ge— 
nommen Hatte, um ihm zu Herzen und 
zu küſſen, und als das Sind gleich- 
giltig, faft ftumpfiinnig war und Worte 
der fremden Sprache vor fih hinlallte, 
ftieß fie es plößlich von fich, rang die 
Hände und ſchrie laut: „Gott, o Gott, 
wo ift mein Kind! Mo ift es? Haben 
fie es umgebracht? Oder lebt es unter 
fremden, herzlofen Menſchen, gequält, 
milshandelt, zum Krüppel gejchlagen ? 
Kauert es in dunkler Kammer, auf 
feuchten Stroh, wimmert e3 vor Hun— 
ger? Bon der Mutter weit, jo weit!” 
— Gräjstih, gräfslich rächt ſich der 
Leichtſinn, ſein Kind hinzugeben in 
fremder Leute Hände. 

— Und jelbit in diefem günftigiten 
alle, fo dachte Meifter Otto, wo das 
Kind zu guten Menjchen gekommen 
war, mo e3 Sorgfalt und Liebe ges 
nofjen, wo es gefund und wohlgepflegt 
in die Hände der Eltern zurüdgelegt 
worden iſt, jelbit in diejem Falle rächt 
es jih. Ein Kind, das die Mutter 
nicht gefäugt, nicht gehegt hat in dei 
Windeln, an deſſen Wiege die Mutter 
nicht bangend, hoffend, jelig leidend 
ichlaflofe Nächte zugebraht — ein 
jolches Kind entfremdet und wächst der 
Mutter nie mehr, nie mehr traut 
ans Derz. 

Meifter Otto hatte den Knaben 
natürlich nun auch gefeglich zu feinem 
Sohne gemacht, und ihm den Namen 
gegeben. In ihm war kein großer Zwie— 
ipalt; er, der ſich nicht allein durch 
die Empfindung, jondern auch ein 
wenig durch die Vernunft leiten ließ, 
juchte fein Weib zu beruhigen, wen 
es troftlos war über den „böhmijchen 
Balg“, wenn es den Knaben von fidh 
haben wollte, wenn es behauptete, zwi— 
ſchen Mutter und Kind jei ja fonft eine 
untrügliche Stimme der Natur, aber 
fie höre nicht davon. Sie molle in 
das Böhmerland reifen und von den 
Pflege-Eltern Wilhelms Rechenjchaft 
verlangen! 

Otto legte feinen Arm um ihren 





re 


111 


Naden und jagte: „Mufst dich nicht 
jo quälen, Thereſa.“ — „Ih mag ihn 
nicht, den böhmischen Balg!“ fchrie 
das Meib. 

„Sage das Wort nicht mehr! das 
Kind hat uns Schon zu verzeihen genug. 
Bedente, Weib, es ift hier wie überall, 
will man ernten, jo muſs man gejäet 
haben. Die Mutter muſs den Anfang 
machen mit der Liebe. Welche Mutter 
wird dom nmeugebornen Kinde ver— 
langen, daj3 es fie liebt? Und jchau, 
auch unjer Wilhelm, gleichwohl er ſchon 
vier Jahre zählt, ift für uns ein neu» 
gebornes Kind, e3 ift auch noch ſtumm 
für uns, mufs erſt Sprechen lernen, erſt 
feine Mutterfprache Hören, erſt den 
fügen Klang des Muttermundes er— 
fahren, danı wird es zu dir kom— 
men.“ 

Das mar Hug geſprochen, allein 
Therefa dachte: Und wenn es aud 
wäre, umd wenn auch! Ein neuges 
bornes Kind iſt ein unbejchriebenes 
Blatt, in dieſes junge Herz aber 
hat ſchon wer anderer gejchrieben, die 
erften Gindrüde find nicht mehr zu 
verwiichen und zwifchen ums gibt's 
feinen Steg. 

Sie ſagte aber nichts mehr, fie 
opferte ihren Kummer der Mutter 
Gottes auf, hegte und pflegte den Kleinen 
mit aller Sorgfalt. Diefer lernte deutſche 
Worte und Sprach fie aus, doch wenn 
er allein war, in fein Spiel ver— 
tieft, da murmelte er immer noch die 
fremden Laute und fang Liedchen in 
fremder Sprache. Störrifch gegen feine 
Eltern war er nicht, aber auch nicht zu— 
thunlich, er war in fich gekehrt; übri— 
gens zeigte er ich gutmiüthig. Körper— 
lich gedieh er und die Leute nannten 
ihn einen hübſchen Knaben. Oftinals 
war es, daſs rau Therefa an feinem 
Bette ſaß, wenn er fchlief, und in dem 
jungen frifchen Gelichtchen nad einem 
Zuge ihres Mannes juchte, oder nad 
einer Ahnlichleit mit ihr jelbit oder 
ihren Eltern. Das einemal glaubte fie 
derlei zu entdeden, das anderemal 
ſchien ihr wieder alles fremd. Am une 


heimlichhten waren ihr an dem Knaben 
zwei unter der Oberlippe hervorjtehende 
Zähnchen, welche an und für fich durch— 
aus nicht entitellend, vielmehr ganz 
reizend wirkten; allein weder bei ihr 
noch bei ihrem Gatten, noch bei einem 
ihrer Blutsverwandten war diefe Eigen 
thümlichkeit zu finden. 

Der Heine Wilhelm wuchs in die 
Schule hinein. Er ſprach bereits gut 
deutfch, mit nur ganz leifen An— 
Hängen an das Böhmische. Er war 
ein ftiller, fleißiger Schüler, fein Lehrer 
und feine Kameraden hatten ihn lieb, 
jeine Eitern hatten ihn auch lieb, und 
doch kam immer wieder der Argwohn, 
und Frau Therefa meinte manchmal 
ſtill in fich hinein: Es ift nicht mein 
Kind! Es ift nicht mein Kind! 

„Seien wir ihm treu“, ſagte Meifter 
Otto einmal, „ich habe die feſte Zu— 
verjicht, Gott wird uns auch noch ein= 
mal überzeugen. Es wird etwas ge: 
ſchehen, er wird etwas vollbringen, 
woran wir ihn erfennen, und dafs 
feine bisher vielleicht noch unbewufste 
Kindestiebe zum Ausbruche kommt. 

„Was foll denn gefchehen!“ fragte 
Frau Therefa. „Daſs er gut ift, daſs 
er und auch anhänglich ift, jehen wir 
ja, dass er uns lieb haben und vielleicht 
fogar einmal Opfer bringen kann, hoffe 
ih auch, aber all das überzeugt mich 
nicht. O mein Gott, wenn die Leute 
wüjsten, was es für ein Unrecht iſt, 
für ein großes Elend geben fan, 
wenn die Mutter ihr meugebornes 
Kind hingibt!“ 

Da dachte Meifter Otto: Armes 
Meib! du wirst nie mehr glüdlich auf 
diefer Welt, du büßeſt den Fehler Hart 
und ich ſehe auch Fein Mkittel, wie 
dein unfeliger Zweifel von dir ge— 
nommen werben fünnte, 

Und als es fih nah Jahren zu— 
trug, dafs Frau Therefa wieder gejeg- 
neten Leibes ward, da war wohl ein 
anderes Glüd vor der Thür, doch der 
Meiiter ſah darin feinen Vortheil für 
den guten Wilhelm. Nun wird das 
Mutterherz, welches in Liebe und Angit 


112 


und Zweifel bisher fih an den Knaben 
geklammert hatte, plößlich von ihm los | 


laſſen, wird fich ganz dem jungen ſtinde 


zuwenden und wird etwa gar anfangen, | 
den Knaben aus dem Böhmerlande | 
zu haſſen. | 

Und es ſchien auch thatſächlich jo 


zu werden. hr ganzes Der; vers 
ſchwendete Fran Thereja an dem jungen | 
Spröfsling, ihrem „eigenen Kind“, wie 
fie jagte. Diefes war auch ein Knabe 
und auf der Namen Otto getauft. 
worden, aljo daſs Vater, Mutter und 
Sohn für fih einen feiten Ring zu 
bilden fihienen und der arme Wilhelm 
außerhalb desjelben ftand. Der Heine 
Otto war ein ſchwächliches Kind und 
um die Zeit des Zahnens fiel er in eine 
Krankheit mit Friefel und Fraifen, ſo 
als wollte der liebe Gott den Eltern 
ihren Liebling ftreitig machen: hr 








findifchen Menjchen, was Hanget ihr 
denn jo leidenſchaftlich an der Frucht 
eueres Leibes ? Jedes Kind, es werde 
geboren von wen immer, iſt mein 
Kind, ich kann es geben wann und 
wem ich will, ih kann es nehmen 
wann und wie ich will, machet feinen 
Unterfchied, Tiebet, was ich euch zu 


lieben gejandt und ergebet euch in 
meinen Willen! 

In derfelben Naht, als der Arzt 
das Sterben des Kindes befürchtete, 
wendete es fi zum Beſſeren. Die 
Zähne kamen Hervor, und wenige 
Wochen jpäter war das volle Glüd da. 
Dttos Oberzähnchen waren geradejo 
zart und weis und fanden geradejo 
hervor, als die Wilhelms. Die Eltern 
ſahen es faft gleichzeitig und faft plötz— 
lich, wie eine Erleuchtung. Frau Thereja 
that einen Schrei, Hürzte hin auf ihren 
älteſten Knaben und bededte ihn mit 
Küſſen und mit Thränen. Als hätte 
fie ihm erſt jetzt gffunden, jo war ihr. 
— Der „böhmiſche Balg“ wurde auf- 
gewogen mit den glühendften, ins 
brünftigiten Koſenamen, die je ein 
Mutterherz erdaht, ein Muttermund 
geſprochen. Bon nun an kehrte ihre 
Bangnis, ihr Zweifel nicht wieder. Sie 


‚fühlte den Dang, ihren Alteſten, fo 


lange Mifslannten, jet noch mehr zu 


‚lieben, als den Jüngeren, — doch in 
ſtillen 


Weiheſtunden hörte ſie die 
Stimme: Machet keinen Unterſchied. 
Liebet, was ich euch zu lieben geſandt, 
und ergebet euch in meinen Willen. .. . 


Briefe von Pudwig Anzengruber 


an den Herausgeber des „Heimgarten“, 


(Fortjegung.) 


Breitenfurth, 27. Mai 1873. | und liest ein vortrefflihes Bud, näm— 


Theurer Freund! 


— 


lich Roſeggers „Geſtalten“. 
Und hier ſitze ich und denke an 


07 Bir in Breitenfurth (bei Wien), ; Sie, und wünjche Ihnen, als Neuver- 


ol 


rings von dicht bewaldeten | mähltem, alles Glück und allen Segen 


2 Hügeln umgeben, fiße id, | mit aufrichtigem, getreuem Herzen! 


rauche eine kurze Pfeife, und draußen | 
am Balcon ſitzt meine Kleine rau 


Ih bin kanm ſechs Tage bier, 
das Wetter hat jich dabei grenlich an— 





gelaflen, nichts als Wegen und aber= 
mals Regen, und zur Abwechslung 
ein wenig Tröpfeln! Doh war ic 
Ihon dreimal im Wald; und werde 
ihn öfter und öfter auffuchen und 
tiefer und tiefer hineingeben, „jo tief, 
wie fein Menſch noch geweſen iſt, und 
da werde ich eine wilde Roſe — — — 

Ja ſo, dieſe wilde Roſe in tiefſter 
Waldeinſamkeit ſuchen ja Sie; der 
Zukunfts-Roſegger hat ſich keine blaue 
Blume der Romantik vorbehalten, er 
ſucht die wilde Roſe und er wird fie 
finden, gewiſs, ſicher, nicht heute, 
nicht morgen, aber eines ſchönen, 
ruhigen Tages, tief im Walde, auf 
dem reichen Mooje, rings umgeben 
von hohen Stämmen, in deren Blät- 
tern das Sonnenlicht jpielt; und bis 
er jie findet, geht fein yreund Anzen— 
gruber in den Wald, um in Blätter: 
dust und Kühle den künftigen Fund 
recht verftehen zu lernen, und ihn 
freudig begrüßen zu können. 

Lieber Freund Rofegger, mir if 
leiht um die Seele und weh um das 
Derz; leicht um die Seele, in der 
lieben weiten Natur, weh um das 
Derz, weil mitten in dieſer prangen= 
den Natur ein Weſen, mir über alles 
thener, leidet, jchmerzlich leidet, und 
langjam vergeht — meine arıne Mutter 
iſt jehr frank, recht jehr. 

Es gibt Lagen, wo einem der 
Muth finkt, wo man an das Geſchick 
nicht einmal die Bitte zu Stellen wagt: 
„Erhalte mir die Lieben“, denn die 
Bitte wäre graufam eigenfüchtig, und 
fo zwijchen Relignation und dem dro= 
henden Berlujte geprejst, wird einem 
weh um das Herz. 

Sollten Sie einmal im Laufe des 
Sommers nah Wien kommen, fo 
geizen Sie nicht jo mit der Zeit, 
daſs Sie uns nicht einen Tag ſchenken 


wollen, fommen Sie und beſuchen Sie 
uns. 
Man fährt per Südbahn bis 


Liefing und von dort per Wagen circa 
eineinhalb Stunden bis Breitenfurth. 


Die Gegend lohnt den Ausflug. Nadte | 


Kofegger’s „Örimgarten‘‘, 2 Geft, XV. 


113 





Berge, Schroffen, hat fie zwar nicht, 
aber freundliches Grün und Wälder 
rings umber. 

In Erwartung einer freundlichen 
Antwort Ihr allzeit getreuer 


2. Anzengruber. 


Wolkersdorf, den 20. Februar 1374, 


Mein ſehr geehrter Freund und Herr! 


Sö fein einer! Warum fchreiben’s 
denn nit? Sein Sö bös? Oder faul? 
Oder ſonſt was? Meinetwegen alles, 
nur hoffe ich, daſs weder Sie, noch 
die werten Ihren franf feien. Denn, 
wenn Sie bös wären, fo fag’ ich 
meinetwegen: weil ih Ahnen alles 
Recht dazu abipreche, vonwegen: meil 
Sie feine Urfache haben. Margerlt Sie 
etiwa das ſehr wohlgemeinte, meiner» 
jeit$ genügend motivierte, Ihnen jedoch 
alle Bertheidigung freiftellende Wort 
über Ihren „Wagnerfaltl”? Hab’ ich 
mich nicht zufrieden gegeben, wenn 
Sie es ganz einfach beim alten laſſen 
und über meinen Einwurf zur Tages— 
ordnung übergehen wollten!! Han? 
Bitt' Ihnen, können's mehr verlangen? 
Der gift’ Sie's vielleicht, daſs ich 
age: Sie werden immer bejjer, die 
Literatur Hat noch Hoffnung auf Sie 
zu feßen und iſt noch lange mit 
Ihnen micht fertig und es ift eine 
Paſſion, Sie auf Ihren Etappen zu 
begleiten ? Gift’ Sö dös? 

Na hörn's, da müfst ih mich 
aber giften und ſchon wie! 

Und wenn Sie nichts margerlt 
und nichts gift”? — warum jchreiben 
Sie denn nicht? Den F. ©. haben 
Sie auch giftig gemadt, — die Ur— 
ſache aber iſt mir nicht befannt. — 

Sie müſſen's jchon aber arg ge= 
trieben haben. Bor etwa vier Wochen 
jagte er: „Es gibt noch Menfchen auf 
der Melt, der eine wohnt in Graz 
und der andere in Wien!“ Sehn's, 
das jind wir zwei. Nun haben Sie 
ihn bös gemacht, jet bin ich nur 
mehr der einzige Mensch (wohne 
zwar in Wien, Halte mich aber in 


8 


— 


Wollkersdorf auf) und es iſt nicht gut, Bitte mir Folgendes klarzuſtellen: 
dafs der Menſch allein je. Unter Schupfen verjtehe einen ge— 
Aber ich plaudere da gemüthlich, deckten Raum, welder aber oft nur 
weiß nicht, was in Ihrem Buſen vor» auf Balken ruht, fohin etwa unten 
geht, kurz und gut, für heute gar ganz frei oder oft nad) drei Seiten 
nichts, feine Zeile weiter, als daſs |frei, an der vierten gejchloffen erſcheint. 
ich war, bin und verbleibe Iſt dem fo? 
Ihr getreuer Iſt Scheuer und Scheune das— 
8. Anzengruber. Dee Und mo hebt vorlommenden 
Srub an Sie und die Ihren von a der Landwirt fein Arbeitsgeräth 
den Meinen. Wie ich nicht al3bald ’ Val u 
einen Schreibebrief von Ihnen erhalte fur — N Be ve Stabi 
— fo järeiben Sie fih bie Folgen Ich bitte Sie um alsbaldige Er— 
eher ud: ee er — rettung aus dieſen bangen Zweifeln. 
i In vollem Ernfte, ich laſſe mid 


bon mie mehr und ich weiß micht, A A 
was ich dann noch alles thw”. Krigie gerne über ſolche Dinge belehren, fo 


türfen! Schreib’n!! nebenſächlich fie auch eriheinen mögen, 
weil ich nicht gerne ſolche Verſtöße 
. mache, welche, wenn fie einmal ge= 
Wolfersdorf, den 21. April 1874. ſchehen find, von einer Faulheit Her, 
Merter Freund! die nicht einmal eine Frage daranz 
Andem ich Sie und die Ihren in jegen will, um ins are zu fommen. 
beftem Wohlſein hoffe, erlaube ich mir, Natürlich werden Sie mir auch 
Shnen, als Sacverftändigen, einige ſchreiben, wie es Ihnen, Ihrer werten 
Fragen vorzulegen, deren Beantwor— ‚dran Gemalin und dem feinen Sepp 
tung mich bewahren foll, in meinem geht. Ich Hoffe recht wohl! Meiner 
neneften Werte etwa Verſtöße gegen |Mutter geht es beſſer, meine Frau 
landwirtfchaftliche Terminologie zu be |war auch frank, ift aber ditto auf 
geben. dem Wege der Beſſerung — mir geht 
Diefes neuefte Opus ift eine Banern= |e$ wohl. 
komödie, ſohin Iuftiger Natur, im In der Hoffnung, das Gleiche don 
Genre der Kreuzeljchreiber, und betitelt !Dbnen und den Ihren zu hören, 





„Der G'wiſſenswurm“. grüßen Sie die Meinen und „Ich“ 
Alfo, Verehrtefter, ich erſuche Sie, ſelbſt herzlichſt. 
mir alsbaldigit Auskunft freumdlichit Ihr Sie reiht ſchätzender 
ertheilen zu wollen: 
1. Wenn das Heu auf den Wiejen | L. Anzengruber. 


zuſammengerecht wird, wie heißen danu 
die Heinen Heukegel (etwa mannshoch 
oder etwas höher) „Heumandel“? oder Wolkersdorf, den 18. Juni 1874, 


an BIS IE GELBEN son. Verehrter Freund! Fühle bloß das 
(DB Ss MEINE IR) Reine Bedürfnis, Sie in der Ferne zu grüßen. 
zur alsbaldigen Uberführung auf die uns geht’s paffabel. Wie Ihnen 
——— ——— BIN len. den Ihren ? Mas nacht der Heine 
2. Zweitens find mir bange Zweifel —_  ',., de nenlke ebadht, mad er 
aufgetaucht, Ideenvermiſchungen und | 0b) > - Sa fer a 
Verwirrungen, ein Begriffscancan zwi— wohl machen möge. Schlafen 


- Seeli Ians! 
ichen ten Worten: Schupfen, Scheuer krinken. Seeliges a 
und Scheune. Herzlichfte Grüße L. A. 








Wien, den 9. November 1874. 


Verehrteiter! | 


Es mag beiläufig 300 Jahre! 
ber fein, ja ich dent’ fo weit liegt 


es zurüd, und das entſchuldigt doc) 
wahrhaftig, wenn einer auf ein Ber: 
Iprechen vergiſst g'wiſs, wer 
b'ſinnt fich gleich jo weit zurüd. Es 
mag aljo beiläufig dor 300 Jahren, 
bleiben wir dabei, gemwejen fein, als 
ein Literat janımt Fran einem andern 
Literaten zuliebe nad M*) fuhr. (Sie 
willen, wir Männer der Feder be= 


daun geht es Ihnen und den Ihren 


wohl, was aufrichtig wünſcht 
Ihr getreuer 
2. Anzengruber. 


Haben’3 in Graz den „Wurm“ 
geſehen? 


Wertgeſchätzter Freund! 
1. Anbei erhalten Sie das be— 
wuſste Abendblatt. 
2. Bedaure lebhaft, daſs Sie nicht 
nah Wien kommen. 





guügen uns, wie die Mathematiker, 
oft einen Buchſtaben ftatt einer unbes | 
fannten Größe oder auch einer be- 
fannten zu ſetzen) alfo, es hieng oder 
vielmehr lag damals der Himmel | 
regenſchwer über der Landſchaft und 


zum Troſte für die erduldete Mühſal 


und in Ausſicht ſtehende Trübſal ver— 
ſprach der Literat aus K, dermalen in 
G, dem ihn beſuchenden Literaten aus 
W ein fürtreffliches Wert zu jenden, 
auf dajs er jein Gemüth daran er= 
quide. 

Nachdem alfo, bleiben wir dabei, 
300 Jahre vergangen waren, da trat 
der Büchermaher aus W in einen 
Bırchladen dajelbit und da jahe er vor 


lich liegen ein dides Büchlein und da 


jagte er freudiglich: Ahan! 
Darüber vergieng wieder ein Jahr— 
“ Hundert, und der Büchermacher fagte 


nicht mehr: ahan! was fo viel hätte: 


heigen follen, als: ah, da ift ja dus 


3. Wenn Sie meinen, betreff3 
Hand und Herz, daſs eine Auflös- 
lichleit der Ehe nicht die Darmonie 
mehr heritellen könnte, To haben Sie 
recht, ich aber auch, wenn ich behaupte, 
daſs eben dann vor Eingehung der 
zweiten Ehe das erjte Band mit dem 
‚widerlihen Pumpen getrennt worden 
‚wäre und dadurch das Verbrechen der 
Bigamie entfiele, Johin alle aus ſelbem 
‚refultierenden Peinlichleiten und Qua— 
len. — Dajs Ihnen das Stüd nicht 
gefällt, d. h. trotz Sie ihm im künſt— 
leriſcher Hinſicht Gerechtigkeit wider— 
‚fahren laſſen, das ſchadt nix. — Seit 
wann ſind Sie Peſſimiſt geworden, 
fragen Sie, ſeit wann ſind Sie Op— 
timiſt geworden? frage ich. 

Mehr kann ich Heute, durch Arbeit 
zur Eile verhalten, nicht und jo ver— 
‚bleibe ich mit den beiten Grüßen 


Ihr getreuer 
L. Anzengruber. 


Buch Schon erfehienen, die nächte Volt 


°C. %. 


Ja, daſs wir alfo wieder in unfere | 


Zeit zurüdtehren, wie geht e3 deun 
Ihnen, was macht Ihre werte, liebe 
Frau Gemahlin? — ich Hoffe, es geht 
Ihnen allen wohl. Wir alle grüpen 
auf das bejte. Meine Mutter befindet 
fich recht übel mit ihrer Krankheit, ich 
habe gegenwärtig einen böſen Huſten. 
Hoffe, dajs Sie von feinerlei Leiden 
und Kümmerniſſen bedrängt find, denn 


) Mürzzuichlag. 


Wien, den 23. April 1875. 


Mein wertgeichäßter Freund! 

Indem ich mich Hinfege, an Sie 
‚zu ſchreiben und Ihre Aufforderung 
‚bedenke, längere Briefe zu entwerfen, 
'gerathe ih in einige Berlegenheit, 
‚welches Thema joll ich denn anichlas 
‚gen... Gar feines, das wird Das 
‚beite jein, wenn ich abipringe von 
einem zum andern, Springen Sie viel- 
leicht mit, und das dürfte Sie etwas 
zerftreuen und das iſt das Richtige. 


8* 


116 


Die Brüder Müller waren ver— 
gangenen Sonntag bei mir, Haben 
einen Fehr guten Eindrud auf mich 
gemacht, was für einen Eindrud ich 
auf fie, das weiß ich nicht. Bei erften 
Begegnungen bin ich nicht ſehr mit» 
theilfam, ich bin recht höflich, ich rede 
von allem, vom Wetter, von Theater, 
von Striegladh, von Wurzeljepp des 
Rofegger ꝛc. 2c., aber warm werde ich 
nicht. 

Der alte Schumm war bei mir, 
er wird am 30. d. Mts. wegen volls 
endetem 70. Jahre als ältefter „Banı“= 
PBardon „Berglrarler“ vom Touriſten— 
club gefeiert, wozu ich höflichſt ein— 
geladen wurde. 

Mären Sie 14 Tage in Wien 
geblieben, wie Ihnen ja Ihr guter 
Dämon momentan den glüdlichen Eins 
fall zuflüjterte unter der tröftlichen 
Berfiherung: „Es kann d'r nix 
g'ſcheh'n“ — was hätten Sie alles 
bis jebt ſchon mitgemacht und erfahren! 
Abgelehen davon, daſs Sie im Tou— 
riftenelub an jenem Feſtſtage als ſtei— 
riſcher Schutzpatron im irgend einer 
Niiche augebetet worden wären: 

O, heiliger Rofegger bitt' für uns, 


Und gib uns deine Aus- oder Umſchau in 
der Natur! 





all dem Herrlichkeiten=Aufzählen, noch 
Sie mit dem Anhören diefer Aufzäh- 
lung. Sie find eben nicht in Wien 
geblieben, Sie haben es vorgezogen, 
nah Graz zurückzukehren, um dort 
die Selbftpeinigung auf das rationellfte 
zu betreiben. 

Ic Hätte Gelegenheit genug, mich 
darüber auszulafen, ich könnte ein 
hübſches Stüd diefes Papiers, das 
ich mir ernſtlich vorgeſetzt Habe, bis 
zur legten Zeile zu bejchreiben, damit 
anfüllen, ich thue es aber nicht. Ich 
überlafje es der Zeit, mit Ihrem wie 
mit meinem Schmerze fertig zu werden, 
wird fie es ja auch mit ums felbit. 

Sch will daher lieber mid auf 
gefchäftlihe Themen werfen, ein or— 
dentliher Geſchäftsmann Hagt immer 
— unſere Wiener Gejchäftsieute Hagen 
gewöhnlich den ganzen Tag, vormit— 
tags im Wirtshaufe, nachmittags im 
Staffeehaufe, und abends auf derjelben 
Stätte der Thränen und Seufzer wie 
vormittags — warum joll ein uns 
ordentliher Geſchäftsmann, wie der 
Dichter ja doch immer ift, nicht ohne 
Platzwechſel in jeiner Stube Hagen 
dürfen, 

Denten Sie ih aljo: mit Mai 
Ihließen in Wien drei Theater, wie 
viele davon im Herbſte wieder ihre 


Wenigftens jiebenmal hätten wir | Pforten öffnen, fteht noch in Frage. 


Ihon die Zahnradbahn befucht und 
wären ficher doch einmal hinaufge— 
fahren auf den Kahlenberg, wenn Die 
Bahıı nicht gerade fürchterliches Zahn: 
radıveh gehabt hätte, was auch mög: 
li wäre, bei dieſem ewig wechſeln— 
den Wetter. 

O! Sie haben viel verläumt; ich 
habe diefer Tage meine Erzählung 
„Dieb = Annerl* Für dem deutfchen 
Reichskalender abgeichlofien, ich hätte 
lie Ihnen vorgelefen. 

Ih hätte Ihnen vorlefen können 


die erfte Verwandlung des erften Actes 


von „Da Onkl“ (ein Voltsftüd, das 
nur fertig zu werden braucht, um 
jofort verboten zu werden). Kurz und 
gut, ich will mich nicht ermüden mit 





Ob Steiner nicht gleich ſchon dieſen 
Herbit in die Komiſche Oper über: 
liedelt? Ob das Stadttheater wieder 
zu Laube zurüdtehrt? Niemand weis 
es noch zur Stwide zu jagen. Da 
das MWiedner Theater aber definitiv 
ſchließt bis September, fo entfällt jede 
Doffnung auf irgend eine Repriſe 
meiner Stüde und auf jede noch jo 
kleine und doch ſehr wohlthätige Tan 
tieme. Als noch ungebornem Familien: 
vater kann mir das nicht ganz gleich— 
giltig ſein. 

Beinahe Hätte ich vergelfen, in 
dem Umphertappen nah Stoff, nicht 
aus UÜberſehen, daſs ih Ahnen Ihre 
Frage nah Schlögl auf das befrie= 
digendfte dahin beantworten kann, daft 





117 


er gefund, wie er fchreibt, angelangt 
ift. Aber jedenfalls dürfte ec Sie ſchon 
jeldft davon in Kenntnis gejeßt haben, 
und ich post festum fommen, aber 
Sie jehen, daſs ich damit wieder acht 
Zeilen gewonnen habe. 

Ih kann mir nun Ddiefen hier 
noch übrigen Raum herzhaft eintheilen 
und mit gemeilenen Schritten dem 
Schluſſe zueilen. Wie lange ih aud 
die Kunſt des Schreibens milsbraucht 
babe — ich meine nur bier in vor— 
liegendem Schreiben — um Ahnen 
plaudernd zu geftehen, dajs ih Ihnen 
eigentlih nichts, wenigitens nichts 
Neues zu jagen habe, jo dürfen Sie 
mir doch aud glauben, daſs mir defto 
Schwerer zu ſchließen wird, ich möchte 
nicht, dafs Sie diefe Epiftel verfennen, 
die der Gleichgiltigfte an einen Gleich: 
giltigen gejchrieben haben fönnte, um 
einfah eine Briefihuld abzutragen, 
ich möchte, dafs Sie in dem gelegent— 
lihen Schwäßer den bejtändigen 
Freund herausfinden, einen Brief und 
einen langen babe ich verjprocen, 
daſs ich diejes Verſprechen bdergejlalt 
erfülle, hat eben jeinen Grund darin, 
daſs ich nicht gerne mit meiner Feder 
wie mit einer Sonde in frifhe Wunde 
fahre, die ich gerne geichloffen ſähe, 
nachdem fie einmal gejchlagen wurde, 
Und jo Hätte ich eigentlich es mit 
einer Zeile richten fönnen, indem ich 
Sie beitens von uns grüße und Sie 
verlichere, dajs ich verbleibe 

hr Freund 
2. Unzengruber. 


Wien, den 1. Mai 1875. 
Sehr werter Freund! 
Geftern war im  öfterreichifchen 
Touriſtenclub die eier von Schumms 
Geburtstag, Telegramm und Starte 


von Ihnen kamen zur Berlefung. Die 


Karte, d. h. die paar einfachen Fchlich- 
ten Worte, hörte ich ſelbſt ablejen, es 
kann Ihnen zur Genugthuung ges 








und daſs man den Antheil merkte, 
den dieſe Elubmitglieder an Ihnen 
und Ihren Geſchicken nehmen; unter 
Schumms Verdienften wurde aud das 
gebürend mit aufgezählt, dajs er Sie 
dent Vereine geworben. 

Auch ich habe Schumm mit und 
duch ein paar Zeilen gefeiert, die 
ih, da es an einen VBortragendeit 
fehlte, jelbit fprechen muſste. Diejes 
Opus will ich, ohne Eitelkeit, ſondern 
weil ich denke, daſs Sie vielleicht 
eine Heine Neugier dafür haben, hier 
in Ddiefem Briefe einfihalten; indem 
ih mir wieder vorgenommen Habe, 
Ihnen feinen kürzeren Brief als das 
Papier lang ift, zu jchreiben, und das 
Gedicht 24 Zeilen zählt, jo verbinde 
ich Hier auch das mir Angenehme mit 
dem mir Nüßlichen, Fülle eine Menge 
Raum aus. — Sie erlauben, daſs 
ich mich vorher im Geifte räuſpere 
und dann beginne, wie folgt: 


An Chr Schumm. 


Zur Erinnerung an die Feier jeines 
70. Geburtstages. 


Du haft wohl kaum no finna jareln, 
Da haft du wohl a ſchon ang’hebt 

Af d Berg rundumi auffiz’frareln — 
Und no, haft fiebzgi Jahr derlebt! 

Wann ma dð Höchen z'jammazählet, 

Dö vielen taufend da von Füßen — 

Dö d auffifrallt bift — no was fehlet, 
Du Hätt’ft im Himmel ſchon fein müſſen! 
Und dafs dös no nöt is der Fall, 
Woran no mag denn dös wohl lieg'n? 
No fiehft, du bift a jedesmal 

Von d Berg a wieder obig'ſtieg'n. 

Dem Himmel bringen Ein’ — 8 is wahr — 
Biel naheter als d Berg dö Jahr. 

Dö Berg, dö findt’ft di ſchon herunter, 
Und wann did nur dö Jahr nöt plag’n, 
So bleib nur luftig und nur munter, 
Nah dir wird nöt der Himmel frag'n; 
Denn wie im Katachismus fteht, 

So fragt er um dö Keher nöt, 

Doch führetens dd Duldung ein 

In jener beijeren der Melten, 

Und follt amal a Nachfrag jein, 

No weißt, jo thu dich Halt nöt melden! 


Prächtig! das heißt, ich fee durch— 
ans nicht voraus, daſs Sie „prädtig” 
jagen werden, ich aber finde es prächtig, 


reichen, dafs nur Ihr Name genannt, hiemit ganz ſachte der Hälfte der 
den Saal in lautlofe Stille verjete, |dritten Seite diefes Schreibens herab: 


ns 3 
J r > 
. 
* 


118 


gerücdt zu fein, und imden ich much 
ernitlich davor verwahre, dafs ich das 
obige Beiwort irgendwie in Bezug 
auf meine Dichtung genommen und 
gemeint Haben will, füllt ſich ganz 
ohne Anftand die andere Hälfte aus, 
wieder ein Beweis, dal3 man mit 
Beicheidenheit weiter fommt, als mit 
Selbjtüberhebung — nämlich mit der 
eriteren jogar auf die vierte Seite. 

Indem ich mich meines Hierſeins 
— nämlich daſelbſt auf der lebten 
Seite — erfreue, verlichere ich Sie 
nur, daſs mir nicht das Schreiben 
an Sie etwa zumider ift, jondern nur, 
dais die Stoffarmuth mich heute etwas 
quält. Bedenken Sie, geſtern, pardon, 
heute früh halb vier Uhr zubaufe 
gelommen, jet, denn Strafe muſs 
jein, etwas Kopfweh, dazır wird das 
Haus, im welchen ich, wohne, von 
unten bis oben mit Olfarbe ange: 
ftrihen, ich habe ſonach den Geftanf 
in meinen Zimmern, und ein Gerüſt 
von Yeitern und Brettern dor meinem 
Fenſter, und auf dieſem Gerüfte einen 
anftreihenden Sterl, der Melodien dazu 
brüllt, wie ein muſikaliſcher Ochſe. 
Mit Mühe unterdrüde ich den un— 
chriſtlichen Wunſch, daſs er von 
irgend einem Stockwerke, zur Siche— 
rung der wohlthätigen Folge nehme 
ich gerne das dritte an, auf die Straße 
fallen möge. Aber trotzend dem Ge— 
ſchicke habe ich meine Aufgabe ſoweit 
gelöst, daſs mich das farbenver— 
quiſtende Scheuſal nicht mehr beirren 
ſoll, und daſs ich beſänftigenden Ge— 
müthes Sie von uns allen auf das 
beſte und herzlichſte grüßen kann, 
bleiben Sie hübſch wohlauf und ſchrei— 
ben Sie bald 

Ihrem treu ergebenen Freunde 

L. Anzengruber. 


Wien, den 12. Februar 1876. 


Werter Freund! 
Auf Ihr liebes Schreiben vom 
2. d. Mts. komme ich erſt heute dazu, 
antworten zu können. 


— — — — — —— — — — — — —— — — — en — —— 


Daſs Sie mich der Mitarbeiter— 
ſchaft am Kalender entheben, danke 
ich Ihnen in Rückſicht auf meine der— 
malig geringe Arbeitskraft, die in 
Rückſicht auf alle Nachfragen und An— 
bote mir faſt bange macht. 

Verſtimmend wirkt auch, dafs 
diesmal bei meiner neuen Komödie 
mich das Publicum und die Direction 
vollſtäudig ſitzen ließ, hingegen ich 
allerdings die Behandlung, welche die 
Journaliſtik mir angedeihen ließ, im 
dankbaren Gemüte bewahren werde, 
aber das geſchätzte Publicum blieb 
einfah weg, und die Direction ftrich 
vor dem ungünftigen Gafjaerfolge, ohne 
Verfub, das Stüd zu forcieren, die 
Segel. Iſt mir zum Schluſſe die 
„wohl aufzumerfende*“ Frage: Wozu, 
rejpective für wen jchreibt man dann 
eigentlich Volksſtücke? 

Die Directionen verlangen Gaffa= 
ftüde, und ein Volk, das fih um die 
„Volksſtücke“ befümmert, gibt es hier— 
orts nicht — alſo wozu der Liebe 
Müh'? 

Was nun Ihren „Heimgarten“ 
anlangt, ſo ſoll es mich recht freuen, 
wenn es in ſelbem blüht, grünt und 
gedeiht; etwas Gartenarbeit, wenn 
Sie meinen, daſs ihm das förderlich 
fei, will ich gerne leiften. Bis Juli 
haben Sie gejagt — bei meiner ges 
genwärtigen Stimmung wage ich noch 
nicht? zu jagen, aber bei mir hält 
dergleihen micht lange an, wird's 
daher wohl auch diesmal nicht. Ich 
habe daher heute nur die Feder er= 
griffen, um Ihnen zu antworten und 
Sie nicht gar zu lange warten zu 
laſſen. J 

Meine Frau Hat zu allem Über— 
fluſſe ih auf eine Woche lang ins 
Bett gelegt, es war eine Nippenfell- 


entzündung gerade im ſchönſten Anz 


zuge, die ich mit ärztlicher Hilfe noch 


‚ rechtzeitig zu minder gefährlichem Aus— 
trage brachte. 


4 


Bon ihr und mir nehmen Sie 
daher die beiten Grüße in Empfang 
und Tchreiben Sie bei Zeit und Muße 


1 


infonderheit wie Graz den Doppel- 
ſelbſtmord fich anfieht 
Ihrem freundſchaftlich gelinnten 
L. Anzengruber. 


Wien, den 5. November 1876. 


Verehrter Freund! 


Meinen beiten Dank für die wei— 
tere Freundlichkeit, die Sie meinem 


„neuen“ Stüd in Ihrem „Heime 
garten“ erweilen. Ich habe Ahnen 
eben über diejes hr Unternehmen 


Ichreiben wollen, die Ausftattung findet 
nicht die Zuflimmung aller, die meine 
gerade auch nicht, aber wie Sie leicht 
denfen fönnen, lege ich fein Gemicht 
auf diejelbe, das können Sie auch 
mit dem nächſten Jahrgange ändern, 
wenn Sie wollen, oder, wenn der 
„Heimgarten“ in feiner engeren Hei— 
mat, in Steiermarf jo gefällt, erft 
recht dabei bleiben. 

Was nun das Gebotene anlangt, 
Jo finde ich ſchon das zweite Heft — 
bitte bei dieſem Urtheile die erjten 
fünf Blätter nicht miteinzubeziehen*) — 
reiher und mannigfaltiger an Inhalt 
als das erſte, das mir etwas raſch 
zufammengeftellt erichien; eines aber 
witrde ich Ihnen zu bedenfen geben, 
willen Sie, welche Qual es für einen 
Leer einer Wochenschrift ift, von 
Woche auf Woche auf eine Fortjegung 
warten zu müjlen ? 

Aber vier Wochen, das ift Ver— 
danımnis! Ich jehe, dafs das Schlojs 
der Böjen nicht ganze ſechs Seiten 
mehr beanfpruchte; waren die wirklich 
nicht mehr aufzubringen im erſten 
Heft? 

Aber ih glaube, daſs Sie das 
wohl bald abftellen werden; fobald 
das Unternehmen unter die Leute 
fommt, werden die e3 Ihnen jchon 
jelbft jagen. 

IH wünſche Ihnen vor allen 
Dingen Erfolg — Erfolg madt alles, 


*) Auf melden eine Arbeit Anzen: 
grubers ftand. 


19 


wo der fehlt, da ſetzt die Luft aus 
und der Muth — ich erwarte mit 
einer gewillen Spannung das dritte 
et. — Denn ich möchte mir Elar 
| werden, wohin Sie mit manchen Ihrer 
kurzen populären Abhandlungen hin— 
zielen. Manches iſt ganz vortreitlich; 
jo bringen Sie das in Ihrem Kalender 
angeregte Thema „Schule des Ster- 
bens“, jo wirkſam und padend in „Es 
reigt in Luft ein Liebespaar”, es iſt 
ganz vet und ich finde es höchit 
praktiſch, daſs Sie in Ihren beiden 
Organen die nämliche Sade anregen, 
warum? — Man kann das Rechte 
nicht oft genug jagen, damit doc 
irgendwo etwas hängen bleibt. 
Freilich ift das Ding „EI reigt 
in Luft —“ etwas peflimiftifch aus— 
gefallen, aber da finde ich den B. am 
Plage, das Graufige muſs die Leute 
bom grauſigen Thun abjchreden, ſowie 
ja über das unabwendbare Mijäge- 
ſchick der Optimismus hinweghelfen 


muſs. 
In Ihrem Kalender fand ich auch 
„Halbverklungene Heldenkunde“ — 


recht gut — ich weiß, Sie ſind ſelig, 
wenn man Ihnen ein höochdeutſches 
Gedicht lobt; Sie haben's jelbit ein— 
mal zugeftanden, aber nicht „deſſert— 
wegen“, es iſt gut, warum aber ohne 
Reime und nicht pollsthümlicher? Es 
wär’ ein Lied, jo iſt's nur ein Ges 
dicht. 

Da Sie ſich jegt auf Ihre Monats— 
Ihrift und Ihren Stalender zurück— 
ziehen können, ich hoffe, daſs Ihnen 
das möglich iſt, jo ift mir gerade nicht 
bange um die beiden Dinge, früher 
wär's mir gewejen, man braucht feine 
Zeit vollauf für jo was, wenn es 
etwas Rechtes werden joll. Der „Heime 
garten“ ift vechtichaffen billig, der Sta= 
lender aber jcheint mir doch etwas 
theuer. 

Wenn ich nur wüſste, was mir 
bisher am Kalender und jet auch am 
„Heimgarten“ immer abgeht? Stabilität 
möcht’ ich’3 nennen, aufichlagen müſste 
man Jahrgang und Heft fünnen, und 


— J 


120 


gerade da auf der einen Seite müjste höchſtens an die Form der „Mefter- 
ein Gedicht ftehen und auf der ans mann'ſchen Monathefte“ gedacht, an 
deren da ift eine lehrreiche Geſchichte mehr nicht, und ſehen Sie, das be— 
— auf der gleihen Stelle im jedem kommt ihm gut. 
Sahrgange und Hefte — und wenn Wenn Sie einmal Zeit finden für 
ich noch weiter fchreibe, fo reichen feine ein paar Zeilen für mich, fo wird 
bier Seiten. mich's recht ſehr Freuen, ich hoffe, Sie 
Alſo wünfhe ich Ihrem „Heim- haben von Ihrem Wohlfein und von 
garten” das Allerbeite, jehen Sie, der dem Ihrer Kleinen zu berichten, und 
dat einen großen Borzug, er hat | vom Gedeihen alles und jedes, Kinder 
meines Wiſſens in feinem Genre, jo- und literariiche Producte — meine Frau 
weit bisher erfichtlich, feinen Concur- läſsſt ſich Ihnen empfehlen, fie und 
renten, es exiftiert fein Volksblatt, der Junge find wohl, der Alte auch, 
nennen wir's ganz ungeniert jo, das und der grüßt Sie herzlichſt als 


feines Zeichens wäre, forgen Sie, | 

dajs ich jeder auch für die Zukunft Vr gelten Freund 

die Concurrenz vergehen laſſe. Aus L. Anzengruber. 
dem Unternehmen wird etwas 
nicht gleih auf der Stell’, auf die 





P.S. Winter fommen Sie dod 


Weiſ' ift noch nie etwas geworben, 
aber das Zeug wäre da. Machen 
Sie nah und nah aus dem Kalen— 
der auch etwas fo Alleindaftehendes, 





denn beim „Heimgarten“ haben Sie 


wieder aus dem Süden nach 
Wien? Wann denn, auf wie lange, 
auf 48 Stunden weniger 26? Mit 
den befannten Refrain: „Da wär’ ich 
gern, aber fort lieber!“ 


(Werden fortgejegt.) 


Bie Geſchichte vom armen Mann in Tockenburg. 


Von Rihard Dof. 


'ftürzen, Yelsblöde löfen ſich, aber oft 
I. ‚tönen auch Kirchenglocken, Kuhreigen, 

er war Ulrich Bräter? Wenige | Pilger» und Hirtenlied; manchmal 
te; „ werden es willen, und doch gellt der Todesjchrei eines vom Sturze 
ſollte jeder ihn kennen, diefen | Getroffenen, von den Fluten des Berg— 
armen, reihen Mann, mit den von ftroms Grfajsten — aber immer ift 
Arbeit rauhen Händen, und der ftarfen, dieſes Leben voll Schönheit, immer 
freien, begeifterten Dichterfeele, deſſen | voll einfacher, ernfter, erhebender Größe. 
Leben und Eein war wie die Alpenz | Wie das Land, jo der Mann, 
natur, im der feine Wiege ftand, die Ulrich Bräfer, der arme Weber, der 
jebt jein vergefienes Grab umgibt: da „jeitwärts* im Hüttchen auf dem 
einfam, öde, weltabgejchlofjen, menjchen= Keinen Alpenfeld unter Mühfal und 
verlafjen, oft erftarrt und traurig, nicht  Noth fein Leben niedergefchrieben, und 
immer voll Sonnenſchein, wicht immer was er in diejen Leben gedacht und em— 
voll Stille und Frieden. Lawinen pfunden, jo einfach, liebenswürdig und 


FE 


inmig erzählt, dafs man die harmlofe 
Geſchichte, die oft jo kindlichen und 
oft wieder jo menjchlich-weilen Auf— 
zeichnungen, wie ein Gedicht liest. Von 
Diejem Gedichte, und von dem, der es 
gedichtet, möchte ich Sprechen. 

Urih Bräfers Heimat ift das 
Zodenburg in der Schmeiz; die 
Alpen engen es ein, die Thur durch— 
raufcht es, Wald und Wieſen auf den 
Bergen, Wald und Miefen im Thale 
und Dörfer, Höfe und Hütten. Auf 
Den Wiefen meiden Herden, auf der 
Landſtraße an dem reißenden Fluß ziehen 
Manderer und Yuhriverle dahin und 
daher; jo Haft du um dich Stille und 
Leben, Einjamteit und Welt, Felſen 
und liebliche Matten — „beichreiben 
kann ich es nicht” — rufteraus, als er 
in feiner Lebensgeſchichte von dieſer 
Heimat erzählte. — „Aber mir war 
ſchon oft, ich ſei verzüdt, wenn ich 
all diefe Herrlichkeit überfchaute, und 
fo in Gedanfen vertieft, den Vollmond 
über mir, diefer Wiefe entlang hin 
und bergieng, oder an einem jchönen 
Sommerabend dort jenen Hügel beitieg, 
die Sonne finlen, die Schatten fteigen 
ſah, mein Häuschen ſchon in blauer 
Dämmerung fand, die ſchwirrenden 
Mefte mich umfänfelten, die Vögel ihr 
fanftes Lied anhuben — o! wie da 
mein Herz in ſüßer Wehmuth zer: 
ſchmolz, und ich alles rings um mich 
ber, Himmel und Erde hätte umarmen 
mögen. —* 

Im Jahre 1735 ift in diefem Thale 
Ulrich den jungen Eltern geboren, etwas 


Bräfers war die Armut Familiengut, 
fie gehörte zu diefem Namen mie die 
Striche über deffen a. Aber Ehrlich» 
feit und Redlichkeit gehörten auch dazır, 
und die redliche Armut feiner Vorfahren 
it der Stolz und Ruhm des Helden 
diefer Bergidylle gewejen. 

Uri kommt ganz als Bräfer auf 
die Welt — in tiefiter Armut, und 
man fann ficher fein, in tiefiter Armut 
wird er auch ferben. Aber auch ſonſt 
ift er der Sohn feines Waters. Und 
er denkt viel darüber nad, wie die 
Eltern in den Kindern leben, wie die 
lange Geftorbenen und Begrabenen in 
jpäten Nachkommen wieder geboren 
werden. Er fühlt die Kraft feines 
Vaters in feinem Mark und dejjen 
Leidenschaften im feiner Seele, mit 
denen er ringt, die er bezwingt, und 
die dann zur wahren Begeijterung, 
zur glühenden Empfindung werden, 
mit der er alles in fein Herz auf: 
nehmen und darin feithalten möchte, 
Himmel und Erde, Menjchen und Welt. 

Und nun erzählt er uns fein Leben 
von der Wiege an bi$ zu der ernſt— 
haften Zeit, wo es unter Armut und 
zufriedener Beſchränkung müde zu Ende 
geht. 
| Er hat Rüderinnerungen bis in die 
frühefte Jugend und weiß zu erzählen, 
| wie feine arme Mutter des Nachts 
heimlich aufſaß und jpann, und er, 
ein zweijähriger Bube, im bloßen 
Hemden auf den Dielen ſitzt, und 
| mit großen Augen in das Licht Schaut. 
Als er jechs Jahre alt iſt, ſchleppt ihn 











früher, als es hätte fein follen, wie) feine fromme Gropmutter in die Bet— 
man ihm ſpäter erzählte. Aber er meint: | ſtunden; die waren gar langweilig. 
e3 könnte auch jein, daſs er ſich im Mit dem Großvater war er lieber. Da 
Mutterleibe jchon zu ſehr nach dem | ging's auf die Berge zu den Kühen, 
ZTageslichte geiehnt Habe, und dieſes und der Alte zeigte ihm Vögel, Stäfer 
nah Licht Sehnen jei ihm danı ſein und Blumen, die frenen den Knaben. 
ganzes Leben geblieben. Sein Vater! Bald blieb er für immer dardroben. 
war ein armer Mann, fein Großvater) Sein Vater hat ein Gut getauft, einen 
war ein armer Mauın — alle Brälers Einödhof in hoher Alpenwildnis, wo 
hatten als arme Männer gelebt und die Herbitwinde brausten wie Föhn— 
waren als arme Männer geftorben.! wind, und im Frühling der Schnee 
Das mujste fo fein, fie wären ſonſt viele Tage länger liegen bleibt als 
feine echten Bräfers gewejen. Bei den unten im Thale. Da hauste nun Die 


12: 


Bräker-Familie Sommer und Winter. | 
Im Haufe war Unfrieden, und dem | 
Stnaben war's wohler im Tannenwald 
und auf Berghöh! Wenn der Bater 
die Herde austrieb und weidete, da 
war der Junge der Handbub. Das 
war ein Vergnügen, ſich mit den Gaiſen 
in Bush und Wieſe zu tummeln, den 
Kühen nachzulanfen, und ſo recht nach 
Derzensluft Jugend und Leben ges 
nießen zu können! Manchmal mujste er 
zu der guten, frommen Großmutter 
ins Thal Hinab. Da gab's Leckerbiſſen 
und erbaulihe Reden. Die erfteren 
ließ ex ſich jchmeden, von den Er 
mahnungen behielt er nur wenig. Nun 
jollte er in die Schule, doch daraus 
wurde nicht viel. Im Sommer war 
feine Zeit, und im Winter ſaßen ſie 
oft Monate lang eingeſchneit auf ihrer 
Alp; da hatte das Abe gute Weile. 
Aber die Bräfer = Armut Hatte! 
ih dem Vater zu feit auf den Naden | 
gejeßt; der wulste vor Sorgen md 
Noth nicht, wo aus noch ein: Es gab, 
viele Mäuler zu füttern, dazu franfes 
Dieb, Schlechte Jahre und mehr Franken 
Schulden, als Tannen im Wald. Die 
Kinder follten nun anfangen, ihre 
Suppe ich ſelbſt zu verdienen, und 
Hein Ui musste Hanf brechen, 
Strümpfe firiden und Baummolle 
kämpeln. Aber du glüdjelige Kinder— 
zeit! — „Alle Tage dacht’ ich dreimal 








2 


feinen Worten entgegen, dafs man 
meint, die Tannen rauschen zu hören, 
unter denen der Knabe jeine Herde 
dahintreibt, und den Sonnenſchein in 
der Seele zu fühlen, der über die Berg— 
wieje fich breitet, wo flein Wirich im 
Heidelraut Hingeftredt liegt, in den 
blauen Dimmel bineinftarrt, und dabei 
feine wunderlichen Anabenträume bat, 
und jeine beionderen Gedanten. 

Des Morgens zieht er aus mit 
feinen Gaifen, und des Abends jpät 
fommt er heim, Iſt er durftig, fo melkt 
er feine Lieblingsgais, iſt er Hungrig, 
ſucht er fich Beeren, und iſst dazu fein 
Stüd trodenes Brot, und fühlt ſich 
fo glüdlich, al3 ſei er Herr der Berge, 
König der Welt. 

Und wie kennt er fein Reich! 

In der wilden Bergeinfanfeit 
| fpricht die Natur ihr ernſtes, geheimnis— 
volles Lied zu dem Knaben, und der 
veriteht es. Er erlaufcht die heimliche 
Meile im Naufchen des Waldes, im 
Murmeln der Quelle, im Toſen des 
Waſſerfalls; er erlaufcht fie, wenn die 
Lawinen in die Schluchten fürzen, 
und der Donner durch die Thäler rollt. 
Er ſieht die Natur in ihrer wunder— 
baren, ewig wechjelnden, ewig neuen 
Schönheit: wenn die Sonne glühend 
aufgeht und Hinter dem Berggipfel in 
Flammen verfinkt, wenn die Nebel aus 
‚der Tiefe aufbrauen, die Wollen um 





ans Eſſen, und damit aus.“ Wenn's | die Telszaden hängen, wenn die Blüten 
nur feine Arbeit in der Welt gäb’, knoſpen und die Blätter verwelken — 
wozu auch Arbeit? Die Kühe geben | immer ſtaunt der einfame Knabe und 
die Milch ja von jelber. Alfo wo er nimmt die Bilder, die an feinem Auge 
nur fonnte, lief er dem Vater fort, und | vorübergleiten, in jeine Seele auf. 
dann gieng’s hinaus in den Wald, auf) Wind abends, wenn er dann fort mufs, 


die Bergbalde ; und den Bögeln nad: 
gejagt, Neiter gejucht, Blumen abges 
riſſen und blinkende Kiefel aus dem 
Alpbach geholt. Wieder nach einem 
Jahre wurde er des Vaters Gaisbub, 
und nun gieng das freie fröhliche Yeben 
erſt an. 

Man mufs es felbft lefen, wie der 
Mann über jeine Knabenzeit fchreibt 
und an fie zurüddentt: Der friiche 
Hauch des Waldes weht einem aus 





fann er ich kaum losreigen von feiner 
freien, luftigen Höhe. Er möchte wie die 
Sonnengluten leife vergeben, ſich aufs 
löjen ins A. Aber er iſt auf der Erde, 
es dunfelt, der Knabe zieht fort. 
Schatten legen ſich über die Thäler, 
Nebel verhüllen die Berge, die Vögel 
verftummen, in den Tanuen rauſcht 
traurig der Nachtwind, dem Knaben 
wird es da oft ſo weh ums Herz, daſs 
er weinen muß. 


— — — — — — 
—8 


123 


Aber welch Vergnügen gibt ihm und dem ſcheute er auch — er wulste 
jeder neue Tag, jeder neue Morgen!|jelbit nicht warum! und feine Mutter 
„Wenn jeßt die Sonne die — Uli weiß uns nicht viel von feiner 
Hügel vergoldete, denen ich mit meiner | Mutter zu jagen. So litt er dem 
Herde entgegenftieg, dann jenen hal- | jein ganzes junges Leiden allein. Aber 
digen Buchenwald und endlich die weſſen Leben die geſunde Natur it, 
Wiefen und Weidplätze beſchien: tau= in defjen Seele können ſchlimme Reden 
ſendmal denk ich dran, und oft dünkts | nichts Frank machen. So kam auch für 
mich, die Sonne fcheine nicht mehr jo | Hein Ali wieder die Zeit des Froh— 
Ihön. Wenn dann alle Gebüjche von ſinns und heitern Geniehens. 
jubilierenden Bögeln ertönten, und dies — „Bisweilen fieng ich wieder an 
jelben um mic berhüpften, o! was zu janchzen und zu johlen, ud troflte 
fühlt’ ich da. — Ich weiß es nicht — aufs neue wieder forglos durch Die 


halt ſüße, führe Luft!“ — Berge. Dann dacht’ ich: So alles, alles 


So gieng es au drei Jahre und verleugnen, 
ſchnitzelten, hölzernen Kühe — fei doch 


nod länger; da war er nicht mehr 
allein. Er bat Kameraden befommen, 
andere Gaizbuben, wilde, rohe Gefellen, 
und der Knabe erfährt zum eritenmale, 
daſs es auch noch einen anderen 
Schmutz gibt, als den, der fich an feine 
nackten Fußſohlen hHeftet, noch einen 
anderen Staub, als den, der ſich auf 
fein armes Bmwilhrödden legt. Da 
befam auch um ihn die Natur häſs— 
liche FFleden, und mit dem Singen 
und der Fröhlichkeit war es vorbei. 
Non feiner Großmutter hatte er ein— 
mal ein altes, vergriffenes, frommes 
Büchlein befommen, darin las er jebt, 
wenn er im Herbſt dann wieder allein 
war. Uber den frommen Sprüchen, 
die er fih aus dem Buche zuſammen— 
buchftabiert, Fallen ihm feine armen, 
jungen Sünden ein. Er betet und büßt, 
er wird traurig und bleich ; und wenn 
er's einmal bei feinem Beten und 
Büren nicht aushalten kann, und die 
Welt ihn gar zu ſchön dünkt, und er 
jeine Luft darüber ausjauchzen möchte, 
dann mußs er plößlich der Schredlichen 
Sprüche in dem Buche der Großmutter 
gedenken, die den ſündhaften Menfchen 
zur Rene und Umkehr mahnen — und 
der Fröhliche Jauchzer wird von bitteren 
Thränen erſtickt. 

So lebt dieſer merkwürdige junge 
Büßer eine ganze Zeit. Kein Menſch 
fonnte ihn von feiner Bürde befreien, 
denn feinem konnte er davon jagen. 
Sein Vater hatte andere Sorgen genug, 


bis auf meine jelbitge: 


ein traurig, elend Ding." — 

Die Hirtenjahre waren vorüber. 
Ulrich war groß und Stark genug, um 
den Bater den Knecht erjegen zu 
föünnen. Es gab Harte Arbeit und 


ſchwielige Hände. Das war eine traurige 


Zeit für den im Freiheit und Wald» 
einfamfeit aufgewachſenen Burſcheu. 
Er konnte ſeine Berghöh' nicht ver— 
ſchmerzen, ſeine ſonnigen Halden und 


ſchattigen Wälder. Um ſein mühſeliges 


Leben zu vergeſſen, träumte er ſich ein 
anderes zuſammen: darin war er 
wieder der Gaisbub, der über Fels 
und Stein mit zerriſſ'nem Rock und 
blutigen Füßen ſeine Thiere zuſammen— 
trieb, Vögeln und Schmetterlingen 
nachjagte, und im Waldichatten lag, 
jo jelig, fo felig! 

Er wünſchte ſich fort, in die Welt 
hinaus. Seine Welt in den Bergen 
war ihm ja doch verichloflen, und, To 
dachte er, für immer genommen. Da 
fällt ihm wieder ein Buch in die Dände, 
umd wieder ift es ein frommes, er— 
baufihes Buch. Er liest es, es paſst 
zu feinem verzweifelten Weſen; und 
er wird zu einem chriftlichen Eiferer, 
der die Siindhaftigleit der Greatur, das 


Weltgericht und den Untergang predigt. 
Er heuchelt, und weiß, dafs er heuchelt. 


Es war ein Rüdfall in jene Kinder: 
franfheit, aber diefesmal war das bel 
ernfter, da er nicht mehr jo ganz wie 
damals die Natur hatte, die ihn gefund 


124 


machen konnte. Es war ein Glüd für 
Uri, dafs der brave Paftor von 
Kyrnau, der ihn für das Chriiten- 
thum vorbereitete, ihm nicht in dem 
Tone des „flüchtigen Paters“ die Offen 
barung Johannis ins Herz donnerte, 
ſonſt hätte ſich damals leicht ein häſs— 
licher Wurm in die junge, frifche 
Alpenblume einniften können. Da kam 
für die Bräkers ein großer Schlag: 
Die Familie muſste den Einödhof ver- 
lafjen, der Vater als bankerotter Mann. 
Sie ziehen wieder ind Thal Hinab 
und bewohnen dort eine arınfelige 
Hütte. Hier kommt Ulrich mit ver— 
kommener Frauengemeinheit in Be— 
rührung. Was er erfährt, erſchüttert 
ihn ſo, daſs er krank wird; er liegt 
auf den Tod, uud wie fein Körper 
dann doch langjam genest, ift auch 
feine Seele gejundet. 

Ulrich nähert jich ſeinem zwanzigiten 
Jahr. 

Es bewegt, zu leſen, wie ſpäter 
der Mann auf die Zeit ſeiner erſten 
Liebe zurückblickt, wie er die Jung— 
fräulichkeit feines Weſens, Die er— 
röthende Schüchternheit ſeines Be— 
gehrens, die jauchzende Wonne ſeines 
Empfindens noch als ernſter, einſamer, 
ſorgenvoller Mann zu ſchildern weiß. 
Man mußs es ſelbſt leſen, wenn er 
erzählt, wie er ſeinem Annchen begegnet 
und neben dem Mädchen hingeht, ohne 
den Muth zu haben, es anzureden, 
nur mit den Augen ſeine Liebe ver— 
rathend, und mit ſo ſchüchternen Augen. 
Wie er dann auf dem Tanzboden ihr 
zuſchaut, ſich über das holdſelige 
Madchen freuend, ſeine Liebe zu ihr 
wie einen Hochmuth und Frevel em— 
pfindend. Da tritt Ännchen zu ihm: 

- „Wit führ' du mich auch eins 
herum!“ Ich feuexroth erwiderte: 
„Ich kann's nicht, Annchen; gewiſs, 
ic kann's nicht.” — „So zahl’ mir 
eine Halbe“, verjeßte jie, ich wuſst' 
nicht, ob im Schimpf oder Ernſt. „Es 
it dir nicht Ernſt“, erwidert’ ich drum. 
Und fie: „Mi See, 's ift mir ernft.“ 
Ich todtenblajs: „Mi See, Annchen, 


ih darf Heut’ nicht! Ein andermal. 
Gewiſs, ich möcht’ gern, aber ich darf 
nicht.” 

Sie läſst ihn ſtehen, und dann 
auf dem Heimweg: „Uli! U! 
Jetzt find wir allein. Komm’ noch mit 
mir und zahl’ mir eine Halbe.“ 
— ,Unnchen! Ännchen! ich muſs dir's 
num grad Jagen, ich hab’ fein Geld. 
Der Atti gibt mir keins in Sad, als 
etwa zu einem Schöppli, und das hab’ 
ich Schon im Städtli verpußt. Glaub’ 
mir, ich wollt's Herzlich gern — und 
dich dann hHeimgeleiten. Gewiſs, 
Anuchen! 's war das erſtemal. Noch 
nie hätt' ich mich unterſtanden, ein 
Mädle zum Wein zu führen, und jetzt, 
wie gern ich's möcht', und auf Gottes 
Welt keine lieber als dich, glaub' mir's, 
kann und darf ich nicht. Gewiſs ein 
andermal, wenn du mie nur warri'ſt, 
bis ich darf und Geld hab'.“ — „Ei 
Pofjen, Närrli! verſetzte Annchen, — 
weiß ſchon, wo der Has läuft. Geld? 
Mitſammt dem Geld! 's iſt mir nicht 
ums Trinken und nicht ums Geld 
— und damit griff fie ins Säckli. 
Mir wär's ein Ding, ih wollt’ lieber 
für dich zahlen, wenn's jo Mod’wär.” 

Und als er nun weiß, dafs Snnden 
ihn wieder liebt, diefe geheime Selig» 
feit! dieſe fchnellen, heimlichen, ſüßen 
Begegnungen! — — Doch der Bater 
will noch feine Schwiegertochter, am 
wenigften das zierliche Annchen, und 
Ulrich ift ein gehorfamer Sogn. Er 
foll fort, in die Welt hinaus, um ſein 
rojige3 Lieb zu vergeflen; und es 
fonımt der Abſchied. „Wer nie 
geliebt, kann's und ſoll's wicht willen, 
und wer geliebt hat, der weiß es.“ Als 
der Mann das jchrieb, mögen ihm mod) 
die Thränen im Auge gebrannt haben, 
die er damals um Annchen geweint. 

Sie geht mit ihm ein Stüd ſeines 
Weges, und trägt ihm den Ranzen. 

— „Mußs es denn ſein?“ ſagte 
ſie. „Iſt auf Himmel und Erden nichts 
dafür? Nein! Ich laſs dich nicht, geh 
mit dir, ſoweit der Himmel blau it. 
Nein, in Ewigkeit lajs ich dich nicht, 


125 





mein alles, alles auf der Welt!“ Und Lieutenant Markoni iſt ein Infliger 
ih: „Sei doch ruhig, liebes, liebes | Herr. Er liebt guten Wein und jchöne 
Herihen! Den! einmal ein wenig! Frauen, Luftfahrt und Masteraden ; 
hinaus, was für Freude, wenn wir er wirft Händevoll Geld — wohl- 
uns wiederſehen und ich glüdlich ! gemerkt, Löniglich preußiſches Werbegeld 
bin!“ — — — — auf die Strafe. Er zecht und jagt, 
„Der blaue Himmel dann ob uns, küſst und ſchwelgt; und Ulrich Tebt 
mit allen jeinen funfelnden Sternen, | das alles mit, und weiß gar nicht, 
dieſe ftille Mitternacht — dieſe Straße | was er eigentlih lebt. Es ift ein 
da ſollen Zeugen jein —“ Und ſie: Schlaraffenleben! Ein Tag wie der 
— „Sa! Ja! Hier meine Hand und andere: Feſt und Freuden, und er 
mein Herz, fühl' meinen Hopfenden | denft, das muf3 immer jo währen. Er 
Buſen, Himmel und Erde feien Zeugen, iſt ein hübfcher Burjche, und fein guter 
dafs du mein bift, daſs ich dein bin, | Herr kann ihn wohl leiden, und manch 
daſs ich dir unveränderlich getren, till! ein rothwaugiges Mädchen wird traurig 
und einjam deiner harren will, und und bleich, denn Uli trägt jein Annchen 
wenn's zehn und ziwanzig Jahre dauern, | vom Todenburg gar treu im Herzen 
wenn unfer Haar drüber gran werden | Über fein gutes Leben vergijst er falt, 
jollte, dafs mich fein männlicher Finger | dafs um ihm eine ſchöne, ſonnige Welt 
berühren, mein Derz immer bei dir iſt: in der ferne die Berge, zu ſeinen 
jein, mein Mund dich im Schlaf füllen | Füßen der hefle wogende Bodenfee. Du 
ſoll, bis“ — hier erftidten ihr die fteht er einmal am Rheinfall, und da 
Ihränen alle Worte — „— — E35 |läfät er Jich die Größe der Natur wieder 
muſs, es muſs doch ſein!“ Dann noch | fo recht in die Seele donnern: — „Ich 
einen, einen einzigen Kuſs, aber einen, | hatte mir’3 wie jo viele ganz anders, 
wie's in meinem Leben der erite und | aber jo furchtbar majeſtätiſch nie ein: 
der lebte war: „Leb' wohl! Leb’ wohl!‘ gebildet. Was ich mir da für ein Hein 
Vergiſs mein nicht!“ — „Nein gewiſs | winziges Ding jhien! Nah einen 
nicht, nie, in Ewigkeit nicht!" — Sie! ftundenlangen Anftaunen kehrt' ich 
geht — — „Zwei Heine Sterne gegen | ordentlich beſchämt nachhaus. —“ 
Mittag ſah ich, wie mir's däuchte, jo Ebenſo erichüttert fühlt er Sich 
nahe beijanımen, ald wenn fie ſich | einmal durch die Größe des Menſchen— 
küſſen wollten, und der Himmel fchien | wert. Er kommt nah Strapburg 
mir doll liebender Wehmuth zu jein. — “ und jieht dort den Münfter: „die 
Anncen iſt fort. Noch einen letzten erſte Kirche, bei deren Anblick ich nicht 
Gruß, noch eine letzte Thräne, und lächeln muſſte, wenn man fie einen 
dann den Blid vorwärts, in die neue, | Tempel nannte —“ aus ſolchem 
unbekannte Welt hinein, und die Welt! Munde gewiſs ein merkwürdiges 


it auch nah Trennung und Abjchied 
noch Ihön. Dieje weiten Ebenen, Felder 
und Fluren — wie groß die Welt 
iſt! 
dämmert in ihm. Er wandert mit einem 
Landsmann, der dem Vater verſprochen, 
für jung Uli einen Herrn zu ſuchen. 
Dieſer Herr iſt ein preußiſcher Werbe— 
officier in der guten Stadt Schaffhauſen 


am Bodenjee, und diefem Herrn wird | Ende. 


Die Ahnung der Unendlichkeit | 
| febt, 





Mort. Diefer Mann trug das Gefühl 
für Größe, das Verftändnis für Größe 
in feiner Seele: wer mit offenen 
Augen und offenem Geifte in den Alpen 
den kann wohl manches Hein 
ericheinen, mas andere al3 groß und 
prädtig beftaunen. Dort ift die große 
Natur der Mapftab für Größe. 

Doh die herrliche Zeit geht zu 
Dem Inftigen Herrn Marloni 


der gute Junge aus dem Todenburg für | ift des Königs Geld aus den Tajchen 
den Soldatenfönig don Potsdanı verz | geflogen und fie werden ihm von den 
tauft. Berliner Sparern nicht wieder gefüllt, 


u 126 


Uli muſs feinen guten Herrn und 
jein glüdliches Leben verlaſſen. Er 
iſt noch immer abnungslos, noch immer 
der ehrliche gläubige Junge. Es geht 
nach Berlin, und noch dazu wird zu 
Fuße marſchiert, eine mühjelige Reife. 

Endlich kommt er an, und er 
findet nicht Worte, um die Größe 
und Herrlichkeit der preußiſchen Haupt: 
ſtadt zu Schildern. Berlin verwirrt 
ihn. Diefe Häuſermaſſen erdrüden 
ihn; er kann fich in dieſem Menſchen— 
wirrwarr nicht finden, und alles Sol— 
daten — alles Soldaten! Er mill 
zu jeinem guten Herrn Marloni, und 
man führt ihn im die Saferne. Und 
nun kommt es heraus! Du armer 
gefangener Vogel, e3 Hilft dir michts, 
du Haft deine Schöne Freiheit verloren! 
Halte jtill! Dein angftvolles Flattern 
hilft die michts, du Bift im einem 
Käfig! — — 

Man zmwängt ihn im eine Uni— 
form, ſtößt ihm die Musfete in den 
Arm, er muſs den Fyahneneid ſchwö— 
ren, und dann marſch hinaus aufs 
Feld! und ererciert exerciert — 
cxerciert, bis er halbtodt in dem 
Sande zuſammenbricht. Aber der Cor— 
poral gibt ihm einen Fußtritt, und 
wieder ererciert — ererciert — exer— 
ciert. Es geht ihm recht jchlecht, un: 
jerem Uli. Er will fliehen, Tag und 
Nacht denkt er's und grübelt er's: 
fliehen! fliehen! frei fein — frei! 
Aber er fieht andere, die wie er ge— 
dacht, und die gethan, was fie dach» 
ten. Er ſieht ſie durch die Straßen 
Spießruthen laufen, bis das Fleiſch 
in Feen vom Yeibe herabhängt — 
und er bleibt. 

Es ward endlich Krieg. Preußens 





Deere zogen aus in die Schladt, und 


auch jung Ulrih zog mit, um „für 
Gott, König und Vaterland“ fein 
Leben in die Schanze zu Schlagen. 
Er dachte freilich bei ih: was gehen 
mich eure Kriege an? — Aber es 
koöommt zur Schladt; und als Wi 
ih einmal an SKanonendonner und 
Kartätichenhagel gewöhnt hat, vergiist 


er, daſs er ein Schweizer ift, und 
fümpft mutbig Für das preußiiche 
Vaterland mit. Das Heißt: er ſchießt 
jeine Mustete ab in die Luft, bis der 
Büchſenlauf glüht. Er blidt um ich, 
und ſieht Niedergefchoifene, Zufammen- 
gehanene, Sterbende, Todte — ein 
blutiges, furchtbares, ein entjegliches 
Schlachtfeld! Menſchen zu Beſtien 
geworden, Menjchen jcharenmeije nie= 
dergeniegelt, mit Büchjenfolben Die 
Gehirne eingejchlagen, von den Hufen 
der Pferde zertreten, Stöhnen und 
Sterbegewimmer, Jauchzen, Sieges- 
geſchrei, Pulverdampf, Kanonenge— 
donner, Trommelgewirbel, und überalt 
Leichen und Blut! 

Ulrich packt das Entſetzen — er 
eniflieht — 

Heimkehr! Heimkehr! 

Der müde Wanderer fteht auf der 
Berghöh’, zu feinen Füßen das Hei— 
matsthal mit dem Kirchthurm feines 
Dorfes; vor ihm die Deimatsberge, 
heute fhöner, erhabener, wunderbarer, 
als er fie jemals geſehen. 

Uli steht und fieht, und das Herz 
geht ihm auf, umd die Augen gehen 
ihm über, und über feine Berge 
ſcheint fich ein verhüllender Schleier 
zu legen feine Thränen. Dann 
eilt er den Hügel hinunter, und lobt 
ſchon das jelige Wiederjehen mit El— 
tern und — Annchen — Annuchen, 
die er niemals vergellen. Vor dem 
Dorfe begegnet ihm ein Mann, diejer 
erfennt ihm und erzählt ihm: fein 
Annchen jei zur Dirne geworden. Die 
bolde Mädcenfnofpe, die Uli kaum 
mit dem Hauch ſeines Mundes zu 
berühren gewagt hatte, war von einer 
anderen Hand gebrochen, und die junge 
Blüte war darüber verweitt. Wunden, 
fein Annchen eine Dirne!! Das gebt 
dem Burschen ins Herz. Er fühlt 
den Schmerz in jeiner Seele, aber 
das Wort, das er gehört, erftidt alle 
Liebe. Annchen ift Für ihn eine 
Todte. 

Die Geſchwiſter kennen den brau— 
nen, bärtigen Geſellen nicht, ſelbſt 





dein Mutterauge ift er ein Fremder Milch und Blut, ein ſchönes, lieb— 


geworden. Er muſste es der vergräme 
ten, alten Fran zurufen: ich bin ja 
dein Sohn! 


Er findet bitt’re Noth. Die Zei- 
ten find nicht beffer, aber die Schulz | 


denlaft ſchwerer und ſchwerer. Sein 
Bater ift ein alter Mann geworden, 
nicht durch die Jahre, jondern durch 
die Sorge um das tägliche Brot. 
Uli arbeitet für Eltern und Geſchwi— 
ter, und er arbeitet anders als da= 
mals, mo ihm die Sehnfuht nad 
der Freiheit der Berghöh’ das Mark 
in den Gliedern aufgelöst. Er arbeitet 
wie eim kräftiger Mann, aber der eine 
fann nicht jchaffen für alle, und es 
wird um nichts beſſer. Der Bater 


will, Uli foll heiraten, eine „Reiche“, | 
Not | 


das würde ihnen aus aller 
beilfen, aus allem Elend. Uli ift in 
den preußifchen Jahren der ftattliche 
Burfche geblieben und den blöden 
Jungen von damals hat die Soldaten: 
zeit zı einem anderen gemadt. Er 
gefällt den Mädchen jeines Dorfes 
gar wohl, und die Mädchen gefallen 
dem Burjchen. Bon einem Mädchen 
erzählt er, das habe ihn fo Herzlich 
geliebt, aber er liebte es nicht wieder. 
Darüber brach dem Mädchen das Herz 
und es ftarb. Noch eine andere trau— 
tige Frauengeſtalt geht till und bleich 
an Wis innerem Gejichte vorüber. 
Käthchen war weiß und roth, wie 


liches Kind. Ulrich erzählt uns viel 
von ihr und wir erkennen in diejer 
anmuthigen, Später Jo erniten Geftalt 
ein Grethen. Auf einer Wanderung 
bei einem fröhlichen Feſte lernt Uli 
‚fie kennen, und Käthchen ist ihm gut, 
und er iſt's ihr auch. Er bleibt welt— 
vergeſſen ganze Tage in dem fremden 
Dorfe und ſie kommt alle Tage zu 
ihm und bringt ihr kleines Schweſter— 
ſchen mit, und die dreie leben ein 
wunderſames, glückſeliges Leben zu— 
ſammen, einen jener Träume, wie 
‚ihn das Leben nicht oft hat. Endlich 
reißt er Sich los, er trennt ſich von 
‚ihr, und Käthchen geht von ihm jo 
‚rein und gut, wie fie zu ihm ges 
fommen. 

Uli ift Schon lange verheiratet und 
er ift fein allzuglücklicher Mann. Da 
fommt er eines Abends auf einer Ge— 
‚Ichäftsreife durch das Gebirge in ein 
Wirtshaus, wo er niemals geweſen. 
'Die Wirtin ift eine ftille, traurige 
Frau, ſehr ſtill, ſehr traurig, und die 
Bleiche iſt Käthchen. Er erkennt ſie, 
und ſie ihn. Und in der einſamen Nacht 
ſitzen die beiden Menſchen zuſammen, 
und fie erzählt dem Jugendgeliebten 
[ihre Geſchichte, und der ernſte Mann 
weint, und wie er am Morgen weiter 
zieht, küßt ihm die bleiche, traurige 
Fran, und er geht, und fie haben nie 
mehr von einander gehört. 








(Fortiegung folgt.) 





Zwei Todtenlieder aus dem Bolke. 


Mitgetheilt von Rarl Yilber.*) 


— 
AR 1. 
” uſs ich denn allein davon, 
DHL Und weih nicht, welche Strafen, 


5% Ins Grab bin idy gerichtet ſchon, 
Tie Welt mujs ich verlafien; 

Ih mad’ ein’ Reif”, 

Tie niemand weiß, 

Gott weiß, wie mir’3 wird gehen, 

Herr Jeſu Chriſt, 

Mein’ Zuflucht bift, 

Mir tröftlih woll'ſt beiftchen. 


Von Tag zu Tag 

Mehrt fih mein’ Plag’, 

Der Tod dringt mir zu Herzen, 
Ach Weh, ad Leid, 

Ah Bitterkeit, 

Was leide ih für Schmerzen. 
Der Todtenſchweiß 

Macht mir gar heiß, 

AM’ Glieder mir erlalten. 

Wer iſt da, der mir helfen fann? 
Mein, laist mid all’ ermatten. 


Ihr, meine Freund’, 

Tie lieb mir feind, 

Von euch mufs ich abſcheiden, 
Gedentet mein, 

Wann ich werd’ fein 
Vielleicht dort in den Leiden; 
Wann id werd’ jein 

In großer Bein, 

Thut fleißig für mich beten. 
Ahr werd’t den Lohn 
Belommen jchon, 

Wann ihr mid werd’t erreiten, 


Behüt' euch Gott, 

Ihr, meine Freund’, 

Mein’ Nahbarn und Belannten, 
Zumal jogar 

Das Hausgejind' 

Und alle Blutsverwandten, 

Hab ich euch Unreht auch gethan, 
Ach thut mir doch vergeben, 
Tentt nicht mehr dran, 

Mas ih gethan, 

Wünjht mir das ew'ge Leben. 


*, @iche „Geimgarten* IV. Yahrg., 


Die bier allda beiſammen jein, 

Und mir das G'leit thun geben, 
Mein’ Freundihait und Geſchwiſter, 

ı Mein Bater und Mutter eben, 

Hab’ ih euch aud) etwas Leids gethan, 
Ach thut's mir doch verzeihen, 

Bei't all’ für mid, 

' Glaubt fiderlid, 

Gott wird euch nad’ verleihen. 


Ich nimm Urlaub von euch allhier, 
Ihr Alten und aud Jungen, 

Der Tod hat g’wart’t vor meiner Thür, 
Bis er mid hat belommen. 

Von allen g’liebten Freunden mein, 
Die ih jekund verlaſſe, 

Maͤcht euch bereit, 

‘Gebt mir das E'leit, 

‚Auf meiner Rubeftrabe. 





11. 


‚Ih ach’ herum in weiter Welt, 
Sud’ meinen Raub zujammen 

‘Und nimm Hinweg, was mir gefällt, 
Sei hoch und niederen Stammen, 
Auch Yung und Alt, 

Von ſchöner Geitalt, 

Laſs niemals mich erweichen, 

Der reichſte Mann, 

Der Bettler dann, 

Iſt alles meinesgleichen. 


Mein Bauerämann, lais von dem Pflug! 
Komm mit, wir wollen wandern, 

Ich will dir eilends ſchaffen Ruh, 

Die Arbeit lajs ein’ anderen. 

Haſt joviel Tag’ 

‚Mit großer Plag’ 

Dein’ Lebenszeit gefunden, 

Für deinen Schweiß 

Im Baradeis 

Wird dir ein franz gemunden. 





Was ftehft, mein’ Jungfrau, pflanzeft dic, 
Ich mill dich gleich erjchlaffen, 

Die du gepußet, bald vor mid, 

Ich brauch' fein’ roihe Maſchen. 


Seite 124 und Heimgarten“ XIII. Yabrg., Seile 184, 





129° 


Komm mit ins Grab, 

Alldort id hab’ 

Berborgen Kröt’ und Schlangen, 
Die werden did, 

Staub’ ſicherlich, 

Bezieren nad Berlangen, 


Ad, weih’ von mir, ergrimmter Mann, 
Es ift fein’ Zeit zum Sterben, 

Du triffft wohl Alt’ in Kummer an, 
Die jhier vor Angft verderben. 

Eich dod von eh’, 

Wie ich jeht ſteh', 

In blühend jungen Jahren, 

Wie roth mein Mund 

Und fol jegund 

Den firengen Tod erfahren, 


Was weineft du, mein Heine Rind, 
Und fannft mit Ruh nidt jchlafen, 
Komm nur mit mir, will dir geihwind 
Ein’ jihern Frieden jchaffen, 

Obſchon da jchreit 

Bor aller Leut’ 

Dein’ Mutter voller Schmerzen, 

Zu leiner Seit 

Barmberzigleit 

Gib ih betrübten Herzen. 


Was mahft bu, Reicher, zahleft Geld, 
Ich braud feine Ducaten, 

Der Ort, der ift für dich beftellt, 

In voller Würm’ und Maden, 

Leg’ ab die Sorg’, 

Kein’ Stund’ ich borg, 

Die Wohnung fteht jhon offen. 

Die Zeit ift aus, 

Muist aus dem Haus, 

Tas Los hat dich getroffen, 


Ad weh’, ah Gott, graujamer Tod, 
Mas willft mit mir anheben, 

Was zwingeft mich mit folder Noth? 
Laſs mid ein’ Zeit noch leben. 
Mujs ih denn nun in befter Blüh’ 
Gleich jet mein Leben laſſen, 
Urplötzlich bald, 

Durch dein’ Gewalt 

Geh'n eine fremde Straßen. 


Komm ber, Soldat, mein Kamerad, 

Ter Feldzug ift vorüber, 

Bei mir ift fein Pardon no Gnad’, 

Ich ſchieß' mit Veit und Fieber. 

Dein’ Tapferkeit macht mir fein’ Freud’, 
Des ftärkften Rieſen Glieder 

Reiß' ih voll Gram 

Auf einmal z'ſamm', 

Mein’ G'walt jhlägt alles nieder. 


Rofegger's „„Gelmgarten“‘, 2. Heft, XV, 


Scher' did heraus, Tod, aus dem Haus, 
Du jollft mid nicht genieren, 

Dein Pfeil maht mir gar feinen Graus, 
Wil glei mit dir marjdieren. 

Ich bin viel Jahr’ in Lebensg’fahr 

Vor einem Feind geftanden, 

Bor meiner Fauft 

Hat vielen graust, 

Du machſt mich nicht zu fanden. 


©, mein Soldat, dein Disputat 

Wird mid da nicht aufhalten, 

Du mujst mit mir, 

Ich nehme hier 

Die Jungen wie die Alten, 

Du mujst mit mir, hilft nichts dafür, 
Die Uhr ift ausgeloffen, 

Eine andere Beut’, 

Fine größere Freud’ 

Haft du ewiglich zu hoffen. 


Was madhft du denn, mein Edelmann, 
Allhier in deinem Garten, 

' Ergögeft dich ganz janftiglic 

An Blümlein aller Arten, 

Komm’ aud mit, ich warte dir, 

Kein’ Stund’ thu’ ich verjchonen, 
Seh’ gar nit an des Königs Thron, 
| Des größten Kaiſers Kronen. 








Ich bin's, der alles Leben end't, 
Drum fürcht't euch all zuſammen, 
Mein Urtheil iſt ſchnell und behend, 
Wo ich thu' heut nicht kommen, 
So lomm ich morgen ganz gewiſs, 
Du kannſt dich drauf verlafien. 
Thu' Buß' nod heut’, 

Es möcht's die Zeit 

| Hiefür nicht mehr zulaffen. 


Darum, o Menſch, jei ſtets bereit, 

' Thu Di zu Gott erheben, 

Du bift fein’ Stund’ von mir befreit, 
Ich nimm allen daS Leben. 

Wenn ih dann fomm’, 

So reiß ih nun 

; Den Mann von beften Jahren 

Und thu alsbald 

| Mit großer G'walt 

Mit ihm in d’ Erden fahren. 


Wenn dann herfommt die letzte Zeit, 
Daſßs gleich dein’ Seel’ ſoll jcheiden, 
Jeſus, Maria, alle beid’ 

Wird dih mit großer Freuden 
Begleiten in das Paradeis, 

Den Höllenhund verjagen, 

Der dir jonft maden würde heiß 
Und bringen in VBerzagen. 








Hals. 


Eine Betrachtung von P. A. Kofegger. 


sl 


& 


uf der Stirn unferer fonft vom 
eng jehr begünftigten Zeit 

ſteht das SKainszeihen des 
öffentlichen Haſſes. Der Hafs ift jene 
Thierpfote, die am Menſchen, dur 
Erziehung und Sitte ftets abgeftußt, 
immer wieder von neuem hervorwächſt. 
Man fuchte ſonſt diefe Pfote möglichſt 
zu verdeden, man ſchämte ſich ihrer; 
heute ift es anders geworben. Der 
Hafs ift, wenn ſchon nicht eine Tugend, 
jo doch faſt eine Modejache geworden. 
Nicht bloß der Hass gegen Feinde, auch 
der Hass gegen Genofjen, nicht blof der 
Dass gegen fremde Völker, auchder gegen 


Stammesbrüder wird verkündet im Bar- | 


lamente, wird gepredigt in der Preile, 
wird genährt in den Parteien, wie man 
eine Beftie nährt im Käfig. Die Beſtie 
Ihnaubt und rüttelt an den zarten 
Käfigfpangen der Bildung — gebt acht! 
Nächſtens ſoll der Hafs auch eingeführt 
werden in die Schule, und jelbit vom 
Dichter wird verlangt, daſs er Rache— 
lieder brülle, und nicht bloß die Laute, 
fondern auch die Leute ſchlage. Wer! 
ſanftmüthig ift, der wird roh angefafst, 
wer nicht haffen kann, der wird gehafät. 
Alſo haſst man felbjt die Weihnachts- 
und die Oftergloden, weil ihr Erz 
nicht Kanone ift. Es iſt eine häfsliche 
Zeit! 

Es geht.die Meinung um, daſs der 
Haſs etwas Tüchtiges, Männliches, 
Muthvolles, ja fogar, dafs er etwas 
der Ehre, dem Patriotismus oder Nas 
ttonalismus Angehöriges fei, daſs es 
zum Öffentlichen Gewiſſen gehöre, die 
Gegner glühend zu Hallen, eine er=| 
fahrene Unbill ſtramm zu rächen, 

Der Haſs ift ein angeborenes, 
durchaus natürliches Gefühl, aber er 





ift dem Einzelnen wie dem Ganzen, 
dem Haffer, wie dem Gehafäten ge— 
fährlih. Er ift deshalb zu befämpfen, 
wie ja ſchon fo vieles Natürliche, 
Thierifche in uns befämpft und bejiegt 
worden ift. Niedrigen Völkerſchaften 
ift es ganz natürlich, daſs Kinder ihre 
Eltern aufeffen; wer weiß denn, ob 
die Urftämme, von denen wir ab= 
ftammen, nicht auch einmal diejelbe 
Liebhaberei getrieben haben? Wenn 
der Menfch ſich abgewöhnen kann, jeine 
Mitmenschen körperlich zu veripeifen, 
jo wird er fich auch abgewöhnen fünnen, 
fie moraliſch zu verzehren. 

Wenn wir an der Hand eines 
‚italienischen Denters*), zu eigenem 
| Denten angeregt, einen Spaziergang 
machen durch die Welt des Halles, jo 
werden wir den Haſs allmählich ſehr 
bälslih finden. „Der Haſs“, ſagt 
Mantegazza, „verhält fich zur Liebe wie 
der Schmerz zur Luft. Luft erzeugt 
Liebe, und Schmerz erzeugt Haſs. Und 
umgekehrt. Wer dir aljo einen Schmerz 
verurfacht, den mufst du halfen, fo 
will es die thierifche Natur, und wen 
du Hafleit, dem willft du einen Schmerz 
verurfachen. Der Hass ift nämlich der 
Drang in uns, jemanden, der unſerem 
Wohlſein zuwider ift, von uns zu eut— 
femen, ihn dafür zu trafen und ihm 
zu ſchaden. 

Indem wir einige Gattungen des 
Haſſes Ichattenhaft an uns vorüber- 
gleiten laſſen wollen, erbliden wir 
zuerſt den Zwitterhaſs. So wie es 
‚ Empfindungen gibt, in welchen Luft 


D Paul Mantegazja: „Die Phyfio- 
logie des Haſſes.“ Ins Deutfche überſetzt 
von R. Teuſcher. Jena 1889. Hermann 





| Goftenoble. 


—— 


181 


und Schmerz gemischt ift, ebenfo gibt| vernichten könnte, jogar, dafs der Be— 


es ſolche, die ein Gemisch von Liebe 
ud Haſs find. „Aus Liebe jemanden 
frefjen mögen”, jagt das Volkswort. 
In manchem Menfchen ſchlummert der 
Hang, gerade einer geliebten Perſon 
bisweilen etwas Leides zu thun. 

Der Grade des Haſſes find ja un— 
zählige. Daſs der Haſs durdaus nicht 
fo unbedingt wild und unbezähmbar 
auftritt, beweijen die verfchiedenen 
Grade des Hafles bei verjchiedenen 
Perſonen in einer und derfelben Sache. 
Von dreien Menſchen wird jedem z. B. 
ein Pferd geftohlen: der eine erjagt 
den Ränber und tödtet ihn; der andere 
ist in ſeinem Lehnftuhl und liest mit 
großem Gleihmuth im der Zeitung, 
dafs der Dieb ergriffen und auf drei 
Monate lang eingefperrt wurde. Der 
dritte, wenn er den Schuldigen ent= 
dedt bat, hält ihm eine Predigt über 
die Schmach zu ftehlen und entläfst 
ihn zufrieden. Und wie verfchieden it 
der Haſs in einer und derjelben Per- 
fon gegen verfchiedene Feinde! Als 
vor furzem in mein Sominerhaus 
eingebroden und mir dadurch ein 
wejentliher Schaden zugefügt wurde, 
empfand ich feinen bejonderen Haſs, 
der Dieb juchte nach Brot, nach warıner 
Kleidung für den Winter, er war 
hungrig, er fror. Wie mich aber zur 
jelben Zeit ein gewifjenlofer Partei— 
menſch in der frechſten und zugleich 
feigſten Weife öffentlich verleumbdet hatte, 
da fühlte ich einen flammenden Haſs, 
wie man das Schurkifche hajst. Doc 
e3 gelang mir, das Häfsliche Gefühl 
zu bejiegen und e3 gieng vorüber. Viel— 
leicht iſt's Uberhebung, wenn id 
glaube, ſtark genug zu fein, ſelbſt 
meinem größten Feinde die Hand zu 
reihen, jollte er ihrer bedürfen zu 
feiner Rettung in höchfter Noth. Wenig: 
ftens übe ich mich im Wunſche: es zu 
fönnen. 

Andererſeits gibi e3 einen Grad von 
Haj3, der einer Beleidigung wegen nicht 
allein den Beleidiger, jondern auch 


feidigte fähig iſt, feine eigene Familie, 
jeine Ehre, alles, was er beſitzt und 
erjtrebt, endlich vielleicht ſich ſelbſt aufs 
zuopfern, um Sich zu rächen. Dem 
gegenüber fenne ich edle, wohlwollende 
Menjchen, die unter der größten Be— 
leidigung nur till vor ſich hinweinen, 
in deren Sauftmuth das ſchwerſte Leid 
und erfahrene Unrecht bald verlijcht 
und vergeſſen ift. Dieje gropmüthigen, 
erhabenen Charaktere find wohl ein 
Beweis, daſs es ſchon gelungen ift, die 
Klaue des Tigers oder der Hyäne im 
Menschen ganz verfümmern zu lafien, 
dajs Hingegen in ihm die Kraft gewedt 
wurde, die zarte weiße Bruderhand 
hinzuhalten zur Bergebung. Um in 
diefer Welt des beitändigen Streites 
von jedem Groll frei zu bleiben, muſs 
man einen Ddiamantenen Charakter 
haben, den äßende Gifte nicht anzu— 
greifen vermögen. Den Feind nicht 
zu haſſen, das ift die denkbar größte 
Heldenhaftigfeit: den Feind zu lieben, 
ift nicht mehr menfchlich, das ift gött- 
ih. Und feine herrlichere Rache kenne 
ich, al dem Feinde Gutes zu thun. 

Wie fteht es mit dem Halle gegen 
die eigene Perfon? Sich jelbit kann 
der Menſch nicht Hallen, wohl aber 
feine eigenen Fehler, eine begangente 
That, was wir damı Reue nennen. 
Unrecht Hätten jene, welche den Selbſt— 
mord al3 eine That des Hafjes gegen 
ſich jelbit anjchen wollten; eher kann 
er eine Art von Rache gegen andere 
fein. Beſſer bezeichnen wir ven Selbit: 
mord al3 eine That niedriger Eigen 
liebe, wir wollen uns duch ihn von 
Schmerz befreien, vor Schmerz be= 
wahren. Mander Hat aus dieſem 
Grunde, nämlih um von Noth und 
Leid zu befreien, jeinen liebſten Men— 
ſchen getöbdtet. 

Ein entfernter Bilutsverwandter 
des Haſſes ift der Neid, Diejer blajie 
Gejelle ift der Schmerz der unabjicht- 
lich verlegten Eigenliebe. Die armen 
Neidischen find boshaft, aber felten 


deſſen Yamilie, ja deilen ganzes Volk ftarle Hafer, jie kranken au Dabgier, 


9* 


Hoffahrt, Übelwollen. Der Hafs fehrt 
jich gegen das, was er für böjer hält, 
als der Haſſende es ift, der Neid gegen 
das, was befler ift, höher, geachteter, 
reicher ald er. Der lahende Philoſoph 
Meber vergleicht den Neidifchen mit 
einem Silhonettenmacer: zuerſt ver- 
tleinert ex, dann ſchwärzt er an. Und 
den Neidischen müſste Gott zur ewigen 
Strafe in den Dimmel aufnehmen, 
weil die Freuden der Auserwählten 
ihm jolchen zur Dölle machen würden, 
In der That, es gibt feinen Ärmeren 
Schluder als den Neidiichen, ihm wird 
zum nagenden Leide, was andere er: 
freut; tanjend oft ganz unbedeutende 
Dinge beleidigen ihn jeden Tag und 
er kann feinen Schmerz, feine Ver: 
zweiflung niemanden mittheilen, wenn 


132 





größten Liebe, in der höchſten Luft 
gerne einmal ein wenig mijshandelt jein 
und eine Feinſchmeckerin miſcht ſich 
die Liebe oft mit ein biſſschen Haſs; 
fie muf3 einen Augenblid Hafen, um 
dann wieder dejto glüihender lieben zu 
‚können. Doch gibt es eher rauen 
als Männer, melde des Haſſes ganz 
‚unfähig find. Mancher Mann glaubt 
| grundfäglid halfen zu müſſen, er will 
roh fein, damit er muthig erjcheine, 
und meidet es, ſanftmüthig zu fein, 
weil er fürdtet, für feige gehalten 
zu werden. Wuch gibt es Männer, 
bei denen das Bedürfnis zu Hafen 
jo groß ift, daſs, wenn fie feinen Feind 
haben, Sich einen ſolchen mit aller - 
Umſtändlichkeit machen, bloß um je- 
mand Hafen zu können. Man liebt 





er nicht als der armſelige Gauch, der den Haſs und Hafst die Liebe. Ein ge- 
er ift, erlammt werden will. Wie reich, | waltiger Haſſer kann gefährlich werden 
wie mächtig, wie glüdli, wie groß | für ganze Völfer, weil alles Hafjende 
ift doch der, welcher die Fähigkeit ſich ihm Leicht anschließt und er aljo 


befißt, fih am den Reichthum, der 
Macht, dem Glüd, der Größe anderer 
zu erfreuen! Wahrlich, wenn jemand 
zu beneiden ift auf Erben, jo iſt es 
der, welcher niemanden bemeidet. 

Mannigfaltig it der Haſs in ver- 
Ichiedenen Yebensaltern. 


den zeritreuten Haſs von Millionen 
zu einem vereinigten, elementar ges 
waltigen macht. 

Zum Glüd ift als beſchützender 
Gegenſatz in den meiften Menfchen das 
heiße Bedürfnis immer jemand zu 
lieben vorhanden, ift es ein Würdiger 


nicht, jo kann es auch ein Unwürdiger 
Lebensalter etwas anderes liebt, jo ſein. Aber ganz nebenbei und ins 
bajst erauch in jedem Lebensalter etwas | geheim müflen jie auch wen Hafen. 
anderes. Nehmt — jagt unfer Denker | Findet ich ein ſolcher nicht, jo werben 
— dem Kinde das Naſchwerk, dem ſie jahrelang nur lieben, wenn fie doch 
Stnaben den Ball, dem Jüngling die) endlich einen finden, denfelben um fo 
Geliebte, dem Manne die Ehre, dem | heftiger halfen, als fie des Haſſes lange 
Alten das Geld, jo werdet ihr euch die | entbehren mujsten. Würde dieſes Haſs- 
reichſten Onellen des Haſſes eröffnet | bedürfnis, jo Hein es auch fein möge, 
haben. Das Kind ift ganz Bauch, nicht manchmal fich entladen können, 
der Knabe ganz Spiel, der Jüngling ſo müjste es allmählich die Liebe ver: 
ganz Liebe, der Mann ganz Stolz, |giften. Mancher füttert den Haſs künſt— 
der Greis ganz Habſucht. lich, wendet allerlei Mittel an, um ihn 
Ebenſo verjchieden ift der Haſs im lebendig zu erhalten. Er ruft die Be- 
den Gefchlechtern. Der Mann Hast leidigung fih ins Gedächtnis zurüd, 
nicht Fo ſchnell, aber beitändiger, als |er hält das Bild des Beleidigers ſich 
das Werb, weil bei ihm auch ein vor Augen, jogar recht oft ihm zu 
Schmerz tiefer und anhaltender wirkt. ſehen trachtet er und ſchwelgt in der 
Das Weib iſt raicher im Halle wie | Wolluft des Hafles. 
in der Liebe, im Schmerze wie in der’ Dengrößten perfönlichen Has finden 
Luft. Manche will mitten in der wir bei Nebenbuhlern im der Liebe. 


So wie der Menih in jedem 


133 

Diejes Feuer ift fo wild, daſs es eine |dermag ebenſo geiftig zu verwunden, 
Welt in Brand fteden könnte. Der zu tödten. 
Dass zwiſchen Völkern ift durch einen Zwiſchen Künftlern einer gleichen 
einzigen blutigen Strieg zu dämpfen, |oder verwandten Kunſt pflegt anftatt 
aller Groll bleibt auf dem Schlacht- Zuneigung die Abneigung vorzuherrs 
felde zurüd. Der Hals des Buhlers |jhen. Wenn wir in den Seelen 
ift unauslöſchlich. Nachſichtig iſt das Michelangelos und Rafaels hätten lefen 
Sericht, wenn ein betrogener Ehegatte | können, welch ein Meer von Anti— 
feinen auf der That ertappten Neben= |pathie mag in beiden Männern gegen 
bubler ermordet. So furchtbar am |einander gewüthet haben! Wir wiſſen 
feiner treulofen Frau wird ſich aber nichts davon. Sie waren entweder jo 
jelten jemand rächen, ala jener Ehe= | heldenhaft, den Neid, den Dafs zu be= 
mann, der nach entdedten Ehebruch |zähmen, oder fo göttlich, die Beſtien 
mit feiner Frau zujammenblieb, nach |gar nicht empfunden zu haben, Eben 
jeder Zärtlichkeit ihr aber ein Fünf- | folche Helden oder Götter waren Schiller 
Guldenſtück auf den Nachttiſch legte. |und Goethe. Unſere Heinen Künſtler— 
Eine ſolche Rache kann das Gericht und Dichterfeelen geben ſich gar feine 
nicht beftrafen, und doch ift fie die Mühe, die abjcheulihen Thierpfoten 
zermalmendſte, die jich denken läfst. zu verbergen und ihre Pfuftern und 

Eine leichte Auferung des Haffes Kragen gegen einander wird oft zur 
oder Zornes ift das Schimpfen oder | Beluftigung der Menge, vor der jie 
Fluchen. Um den Beleidiger wieder zu doch ftet3 in der würdigen Toga des 
beleidigen, heißt man ihn einen Efel | Gottesgnadenthums daftehen möchten 
oder ein Schwein oder einen Ochfen, und jollten. 
um zu jagen, dafs er ein Dummkopf Eine Form uneingedämmten, ſo— 
oder ein Wüftling ſei, oder aıt feiner zuſagen volksrechtlichen Haſſes ift die 
Geſchlechtskraft gemaßregelt worden Blutrache, die bei vielen halbwilden 
wäre. Wenn der Beihimpfte der Klü- Völkern Heute noch befteht. Sie wird 
gere ift und ſchweigt, jo iſt die Sache als Heilig und als religiöje Pflicht 
gewöhnlich abgethan. In Fluchen und | betrachtet. Die Mexikaner jchreiben ſich 
Gottesläftern find die Südländer Mei= das Recht zu, die zum Tode vers 
jter, die Nordländer fluchen Häufig nur | dammten Verbrecher ihren Göttern zu 
zur ſcharfen Bethätigung der Sprach- ‚opfern. Wir find doch weiter, Weun 
werfzeuge, und um Zunge und Gau- unſere heilige Meife auch das Symbol 
men tüchtig anzuftrengen, wählen fie eines blutigen Opfers ift, fo verlangt 
Worte, in welchen möglichft viele „re“ |doh das Chriſtenthum, Böfes mit 
vorkommen. Ein Krruzi-Krreuz-Sa- Gutem zu vergelten. Alle Menjchen zu 
fererinent bejchäftigt mehr die Zunge ‚lieben, darin liegt die Göttlichfeit des 
als das Gemüth. Ernſter gemeint mag Chriſtenthums, und wer dem Halle 
e& fein, wenn der Pole flucht: „Hundes nicht entfagen kann, der hat nie und 
john, leer ſei dein Neft und dein nimmer das Recht, ſich Chriſt zu 
Magen!” oder der Ruthene: „Koche | nennen. 
deinen Großvater!“ Berfchiedene Raffen Haflen ver— 

Während der Hass zum Theile in |fihieden. Ich ſtehle dem Auftralier 
unferer Macht liegt, ift Zuneigung |feinen Hund, er wird rafend; id 
und Abneigung unwillkürlich. Wenn |fchneide dem Chineſen den Zopf ab, 
ein Mann und ein Weib gegenjeitig er wird raſend; ich ſage dem Deut» 
jich mit Wohlgefallen anbliden, jo ver- ſchen, daſs Roſſini größer jei als 
mählen fie fich mit den Augen und | Wagner, erwird rafend. Was geichieht? 
fönnen in ſolchem Augenblide geiftig | Der Auftralier tödtet mich, der Chineſe 
fich befruchten. Der Blid des Hafjes ſpuckt mir ins Geficht, der Deutiche 





134 


ſchreibt gegen mich einen befchimpfenden 
Zeitungsartifel. Je ungebildeter eine 
Raſſe ift, deito wilder und grauſamer 
bajst fie. In Europa das graufamite 
Volk find die Spanier, aber auch das 
feigfte; in Europa das fanftefte Bolt 
find die Deutſchen, aber aud das 
muthigſte. Im perfönlichen Haſſe iſt 
es ebenſo; je ungebildeter, thieriſcher, 
deſto roher, rückſichtsloſer, boshafter 
und feiger. Der Völker- und Raſſen— 


freie Menſchenſtirn brandmarken mit 
dem offenbaren Kainszeichen der Bru— 
derrempelei! Sie ſollen ſich ſtählen für 
die Stunde der Gefahr; fie ſollen ſich 
üben im Muthe, die Wahrheit zu be= 
fennen, in der Ritterlichleit, das Recht 
zu hüten, in der Zapferkeit, dem 
Feinde zu verzeihen. Wenn fie das 
fönnen, dann find fie Mannes genug. 

Die Ichredlichite Forın des Haſſes 
ift der Krieg. Die Folge langjähriger, 


haſs, vor dem uns Gott behüte! iſt oft ja zumeift künſtlich erzeugter Ab— 
ebenſo natürlich und thieriſch und fo neigung zwiſchen Völkern ift der Krieg. 
unfittlich, wie rüdjichtslofe Ichjucht und | Noch heute im hellen Lichte der Ge— 
perjönlicher Hafs, wie das gewiſſenloſe fittung verläfst der Mann fein Weib, 
Beitreben, zu eigenem Vortheile den | jeine Kinder ſchutzlos, um fremde 
Mitmenschen zu ſchädigen. Was im | Menjchen, die ihm nichts gethan haben, 


Heinen und einzelnen ein Lafter ift, 
wird im großen und allgemeinen feine 
Tugend! 

Sn meinem Tagebuche finde ich 
die folgenden Zeilen: 


„Nicht Miſswachs und nicht Peſt, 
Nur tiefer fFrieden lebt, 

Und Friedensſehnſucht webt 
Und bangt in Oft und Met. 
Und doch die rohe Zeit 

Und doch die heiße Gier 

Nah Miſſethat und Streit, 
Und dod das wilde Thier! — 
Am dunklen Himmelsjaal 

Gin einz’ger Stern noch ftand 
Als letztes Ideal: 

Die Lieb’ zum Baterland. 
Sie ftrebten auf zu ihm, 

Als zu der Liebe Bahn, 

Und zündelen an ihm 

Des Haſſes Fadel an.“ 


Eine weitere Form des Haſſes ift 
das Duell. 
bei Halbwilden vor, es vereinigt im 
ih Die Rachgier der Wilden und die 
Heucelei der Givilifation, Man hat 
das Duell entjchuldigen wollen als 


Auch dieſes kommt nur 


‚umzubringen. Die Religion weiht die 
‚Waffen und die Fürften fühlen mit 
‚dem Blute der Völker ihren perſön— 
lihen Groll. Der Haſs des Soldaten 
gegen den Feind ift fein natürlicher, 
jondern ein künftlicher, um jo furcht— 
barer die Verantwortung derer, die 
ihn erzeugen und nähren ! 

Es gelingt oft lange Zeit, im Ein— 
zelnen jowie in Völkern den Hafs zu 
bezähmen, zu berdeden, als wäre er 
gar nicht mehr vorhanden in der 
menschlichen Natur. Plöglich bridt er 
wieder hervor in jeiner Urjprüng- 
lichkeit, wie beim wüthenden Thiere. 
Doch, die Zwijchenräume der Ver— 
‚träglicheit werden immer länger und 
die Sataftrophen der Rache geben 
rafcher vorüber als einft. Auch ſind 
wir troß mancherlei jo weit, dals 
niemand gern zugibt, er haſſe; man 
behauptet bloß, feinen Feind zu ver— 
achten, weil das edelmüthiger, erhabener 
peingl. Des Haſſes ſchämt man ji 
doh ein wenig. Man wird fi in 














eine ſchmerzliche Nothwendigteit, die |einfamen Stunden auch der Verhee- 
uns aber vor noch größerem Übel rungen bewufst, die der Haſs in un— 
bewahrt. Damit ift das Duell auf die |jerem Herzen anrichtet, er liegt — 
gleiche Höhe geftellt mit der Proſti- ſagt Goethe, wie ein Grabftein jchwer 
tution. Meinen heranwachjenden Söh- Jauf unferen Freuden. All das find 
nen werde ich jagen: „Hütet euch | Anzeichen, dafs wir durch zunehmende 
vor der Proftitution der Liebe!“ Aber Erkenntniſs den Haſs immer mehr hafjen 
nicht minder warnen werde ich jie vor /werden, dafs wir demnach auf dem 
der Proftitution der Ehre. Wozu die) rechten Weg zum Reiche Gottes find. 


135 





Schon heute pflegt der Rachedurſt der 
meiften Menſchen fi damit zu bes 
gnügen, den Gegner zu beſchimpfen, 
ein bijschen zu verleumden, aber bei- 
leibe nicht jo ungejchidt, dajs man 
deswegen eingejperrt werden könnte. 
Doc ſelbſt gegen diefe Art der Rache 
wehrt ji der Anftändige, und — abge— 
jehen von einzelnen Epochen der Roheit, 
wie die gegenwärtige — mehrt all= 
mählich jene Gattung von Menfchen 
ih, die von Wohlwollen durhdrungen 
find, die niemals Böfes tiber Ab— 
wejende reden, feien folche Freund oder 
Feind, und denen das Blut jich empört, 
wenn der Boshafte ſiegt und der 
Schuldloſe verhöhnt wird. 

Wir dürfen aber den Haſs nicht 
ausrotten. Wir müflen hafjen, glühend 
haſſen, unverföhnlich haſſen, aber nicht 
den Menſchen, ſondern feine Nieder— 
tracht, wir müſſen haſſen ſeine Roh— 
heit, ſeine Falſchheit, ſeine Bosheit, 
ſeine Habſucht, ſeine Geilheit, die 
häſslichen Geiſter alle, von denen er 
beſeſſen iſt. Dem Menſchen zuliebe 
ſeine Laſter haſſen. So verächtlich der 
perſönliche Haſs iſt, jo erhaben iſt der 
allgemeine, der gegen das Böſe ſich 
wendet. Das Schlechte zu haſſen 
kräftigt den Mann. 

Die Quelle des Haſſes iſt der 
Schmerz. Glückliche Menſchen haſſen 
nicht. Und ſo läuft unſere, durch 
Mantegazza angeregte und durch uns 
ſelbſt weitergeführte Betrachtung dar— 
auf hinaus: Wer den böſen Trieb 
ausrotten will, der muſs mitthun, das 
menſchliche Leben ſo einzurichten, daſs 


es für alle möglichſt glücklich werde. | 
geſucht Hat. 


Die Anfhauung, dafs der Schmerz 





dienothwendigfte Bedingung des Erden 
lebens jei, ift eine verhängnisvolle 
Irrlehre. Es iſt ja wahr, an jeden 
unferer Genüfje grobfinnlicher Natur 
fnüpft ſich Schmerz. Aber es gibt 
unzählige Eriftenzen und Daſeins— 
formen, welche die längften Wegftreden 
ihres Lebens dahinwandeln, ohne bes 
Jonderem Leide zu begegnen. Die 
größten Schmerzen find ja nicht jene, 
welche die Natur verurfadht durch Ele— 
mentarereigniffe, Krankheit, Sterben, 
jondern vielmehr jolche, die der Menſch 
in jeinem Wahne ſich jelber bereitet. 
Verfolgungen, Kriege, gejellfchaftliche 
Miisftände, Völlerei, Eiferfucht, Neid, 
Habſucht, Falfchheit, Haſs, Rache — 
das ſind die Henkersknechte unſerer 
Zufriedenheit. Dieſe Urſachen unſeres 
Elends auszurotten, läge größtentheils 
in unſerer Möglichkeit. Bekämpfen 
wir den Schmerz und die Urſachen 
desſelben überall, wo wir ſie antreffen: 
im Körper mit Chloroform, in der 
Seele mit dem Guten und Schönen. 
Geben wir Liebe, bereiten wir Freude 
überall wo wir können, ohne Zag— 
haftigkeit, ohne falſche Scham. Be— 
deutſam genug hat es die Natur ein— 
gerichtet, daſs wir die, denen wir 
Ubles gethan, zu halfen, und jene, 
denen wir Gutes erzeugt, zu lieben 
bereit jind. Haſs erzeugt Schmerz — 
zurüd davon! Liebe bringt Freude — 
an dieſen einen einzigen goldenen 
Faden müſſen wir uns halten, wenn 
wir aus fchweren Finfternifen den 
Meg finden wollen, den die glüd- 
durftige Menfchheit voll herzverjen- 
gender Sehnfucht feit jeher vergeblich 


en. 
= 


136 


Bunte Wahrheiten. 


Bon Auguſt Yohl.*) 
Aa 


ie Freundſchaft gibt vom Ülberfluis, | Wie war voll Ungerechtigleit 
2 = Die Liebe, wenn fie darben mujs, Die Menſchheit doch in jeder Zeit! 


Drum mögt ihr denn entjeiden, | Dem Starten greift fie unter'n Arm, 
Mas * * von beiden. Herzt wie ein liebend Kind ihn warm, 
Den Shwädling aber und dem Tropf 
Gibt Schlag um Schlag fie auf den Kopf, 
‚Und Ihippt und ſtößt ihn, bis er fintt 
Und in des Elends Flut ertrinft. 


Der Bauer, der in Schweiß des Angeſichts 
Mit feinen Stieren pflügt die Flur, 
Der Philoſoph, der auf der Weisheit Spur | 


Sid müht beim Schein des Lampenlichts: | — 
In dem, was wahrhaft wiſſenswert allein, | 
Wird feiner Hüger von den beiden fein. Kchre ſtets heraus das Befte, 
* Willſt du auf Erfolge Hoffen, 
RAN. | Haft du eine neue Weite, 
Ich hab's erkannt jeit vielen Jahren: | : ' 
Nichts Schlimm’res kann dir widerfahren, — eg den Ai 
Als das, „originell* zu fein; * * 
Die Welt wird's nimmer dir verzeih'n. Bei dem Becher 
Sie tritt herum fo lang auf dir, Schäumt das Blut, 
Bis glatt du bift und flach gleich ihr. Was die Becher 
* Da für Muth! — 


* 
Thut man dir ein ſchreiend Unrecht, 
Knick nicht wie ein Rohr zuſammen, 
Lodern laſs in deinem Innern 
Der Entrüſtung heil'ge Flammen; 


Wenn ſie nüchtern, 
Gott geklagt, 
Wie ſie ſchüchtern, 
Wie verzagt. 


Aus dem Zorne, dem geredten, | u 
Mufst du jo viel Kraft gewinnen, . j 
Um erfolgreich mit dem Schlechten De en, 


Kühn den Wettitreit zu beginnen. Die Meinung, bie du hegfi von bir, 





I ' Wird immer doch zu groß nod fein. 
Muist büken du für ein Perjehen, 2 
Das du nit haft begangen, * * 
Bedent, daſs du für mand Vergehen Wenn dir das Töchterlein behagt, 
Auch feine Straf’ empfangen; Wirft du der Mutter ſchmeicheln, 
Nimm eins fürs andre fo in Kauf Wer ſucht Bekanntſchaft mit der Kindermagd, 
Und wäge Recht mit Unrecht auf. Fängt damit an, das Kind zu ftreicheln. 

u 

* 4 “ 
Da wundern fi fo mande Leut’, = = 
Dais große Männer oft zerftreut. Willſt du recht vernünftig leben, 
Und doch wie einfah! — Wer recht reich, | Mujst du, Freund, nad Weisheit ftreben! 
Weiß nicht, wieviel er bat, ſogleich Willſt du Weisheit, jederzeit 
Und fann nicht ſtets beiſammen haben Strebe nah Zufriedenheit; 
Die ihm verlieh'nen Glüdesgaben. Willſt du recht zufrieden fein, 
Tod wer da lebet im Beſitz Sorge, daſs Geſundheit dein. 
Bon wenig Geld und wenig Witz, Diefe Drei in ſchönſtem Bunde 
DO, der hat jederzeit zur Hand Als des Lebens holde Sterne, 


Sein bifschen Geld, fein Gramm Berftand. Halten dir das Glüd nicht ferne. 


*; Mein Bermähtnis. Dibtungen von Auguſt Pohl. (Neiſſe. F. Hud. 1890.) 


137 


Über das Beitungswefen. 


Von A. 6. 


6, 


a 
sh Hatte Schon einmal Belegen= 
= heit, von dem WUnfehen zu 


ſprechen, da3 die Barifer Jour— 
naltiten allerortS genießen. Selbftver- 
fändlich gilt dies auch nur von den 
Vertretern jener Blätter, weche im Zu: 
fammenhange mit dem Worte „Res 
volver“ micht genannt werden können 
nnd Dürfen; da Sich aber letztere 
in verſchwindender Minderzahl finden, 
jo bat ſich ihr übler Ruf auch niemals 
auf die ganze Zunft ausdehnen können, 
während im unſerer Gejellichaft der 
„Zeitungsfchreiber” faſt ohne Aus— 
nahme mit ſcheelen Augen angefehen 
wird. Woher kommt das? Unter diejen 
Männern der Feder findet man doc 
genug liebenswürdige, gebildete, ehr— 
lide — oder, um einen beliebten 
Sammelnamen zu gebrauchen — ans 
ftändige Männer, die ihr beftes Können 
und Willen einjehen, um zur Verede— 
lung der Menjchheit, zur Beſſerung der 
Zuftände beizutragen. 

Der Urſprung diejes merkwürdigen 
Abicheues, dieſes oft unbegründeten 
Miſstrauens ift deshalb vielleicht weni— 
ger in der Perſon des Einzelnen zu 
fuchen, als in dem Blatte felbft, an 
dem er mitarbeitet. Damit fei nicht 
die Behauptung aufgeftellt, daſs es bei 
uns feine wirklich) vornehmen, über 
allen Verdacht erhabenen Blätter geben 
mag, wenn auch ihre Zahl jedenfalls 
verhältnismäßig jehr gering iſt — 
aber jelbft das anfcheinend unab— 
bängigfte Blatt ift keineswegs un— 
parteilih, ſomit von Natur aus jchon 
feindjchaftlich gegen alles geftellt, was 
mit feiner „Färbung“ im Widerjpruche 
fteht. Bei uns gibt die „Gefinnung“ 
den Ausſchlag, um Einlafs zu finden 


v. Zuttner, 


— in Paris Hingegen ftehen dem 
„Zalente” alle Thüren offen. Drüben 
giebt es ebenfo erbitterte Barteilämpfe, 
wie hüben, Rüdjchrittler und Fort— 
Ichrittler, Friedens» und Kriegsfreunde 
gehen auch nicht zart miteinander um, 
aber wenn fie fih auch in den Ver— 
Jammlungsfälen Schimpfworte und 
Gläſer an die Köpfe werfen, jo wird 
diefer Ton und diefes Gebaren nicht 
in die Blätter befferer Gattung Hinz 
über getragen. In unferen Zeitungen 
Hingegen — ei, da gibt es oft Kämpfe, 
wo jchlieglich die Fäuſte nahe daran 
find, zu entfcheiden; erſt unlängit 
fonnte man fo ein Schauspiel zwiſchen 
Dem und Dem genieen — und die 
Lefer, die Scharen ſich dann lachend, 
böhnend, hetzend, ſchadenfroh um die 
Balgenden, wie müßige Leute eben 
auf der Galle einer Schlägerei zu: 
Ihauen und, nachdem fie ſich zur 
Genüge ergögt, mit einem Achjelzuden 
und dem Ausrufe „Gefindel“ wieder 
ihrer Wege gehen. 

Den Untergrund dieſer Wort— 
Ichlägereien bildet immer ohne Aus— 
nahme die leidige Politif, welcher in 
unferen Zagesblättern der Ehrenplaß 
eingeräumt ift und wodurch eben die 
Lejerwelt zum Sannegießern erzogen 
wird. Das geheimnisvolle Wejen, „wir" 
benamjet, eröffnet den Reigen — zer— 
gliedert, erläutert, verdammt oder be- 
jubelt die Tagesereigniffe und jpricht 
al3 einer für alle (derſelben Partei 
nämlich), ohne dafs jedoch dieſe alle 
eigentlich recht das Bedürfnis Fühlen, 
ihre Anſichten und Eindrüde da durch 
eine Stimme aus den Wolken fund» 
gegeben zu jehen. Da nun aber be— 
fanntlih Deutſchland und Diterreich 


138 


in unzählige Parteien zerfplittert ſind, 
jede Partei ihr Blatt und jedes Blatt 
feinen „wir“ hat, der zu dem, Zwecke 
bezahlt ift, zwei oder drei Spalten für 
oder gegen Wehrgefeßvorlagen, Brannt— 
weinftenern, Schulfragen und andere 
unliebjame Angelegenheiten zu jchreiben, 
fo gibt ih wohl niemand dem ws 
Ihuldigen Glauben Hin, dafs dieſe 
Stimme über den Parteien erhaben 
fei, Sondern jeder Menfch weiß: der 
gute Mann jchreibt das, was ihm fein 
Brotherr, heiße er nun Gonjerdativer, 
Treifinniger oder Regierung, in die 
Feder dictiert — das heißt: er ift um 
gutes Geld zu haben. 

Wem bringt aber dieje endlofe 
Kannegießerei eigentlich Nugen? Läfst 
jih etwa ein Gegner befehren, jobald 
er weiß, daſs der Prophet keineswegs 
eine unabhängige, unbefangene Per— 
fönlichkeit it? Und ift es überhaupt 
notwendig, daſs die große Maffe mit 
Staatswifjenfchaft geipeist werde ? Be- 
fördert das die Bildung, jchärft es 
den Geift, läutert es den Geſchmack, 
dämpft es die Leidenjchaften? Ich 
glaube kaum. Und bringt fie dem 
Beranftalter Ehre oder Anerkennung ? 
Ich glaube, das Gegentheil, denn jene, 
deren Anfichten den feinen entgegene 
gejeßt find, jorgen ſchon dafür, dajs 
jeine „Frechheit“, feine „Unverſchämt— 
heit”, jeine „Dummheit“, jeine „Feil— 
heit“ an den Pranger geftellt uud jo 
der ganze Stand in Verruf gebracht 
werde, J 

Ein zweiter Übelſtand iſt das 
feindliche Verhältnis, in welchem die 
gegneriſchen Blätter zu einander ſtehen; 
die „ſchärfere Tonart“ iſt von den 
öffentlichen Verſammlungen in die 
Spalten der Zeitungen übergegangen, 
und mo eimer dem anderen einen Dieb 
verjegen, eine Blöße aufdeden fan, 
da thut er ed mit MWonne und Bes 
dagen, Napoleons Worte uneingedent: 
„Man fol feine ſchmutzige Wäſche in 
der Familie wachen.“ Der fogenannte 
esprit de corps fehlt alfo in ber 
Journaliſtik ganz — ebenfo wie leider 


auch im deutſchen Schrifttfuume, wo 
das jo heikle Aınt des Kritilers Heute 
zutage oft in einer ſolchen Weife und 
in einer folden Sprade ausgeübt, 
und wo der Angriff in einem Zone 
beantwortet wird, daſs e3 einen nicht 
Wunder nehmen darf, wenn die Menge 
an den gegenwärtigen Erzeugniffen der 
Literatur mit Gleichgiltigkeit, ſelbſt mit 
Beratung vorbeigeht und wenn unjere 
Dichter mit Geringſchätzung behandelt 
werden. 

Eine bedauernswerte Sade iſt es 
endlich noch, daſs die Tagespreſſe, 
die doch eigentlih eine literarifche 
Unternehmung ift, ih um die Lites 
ratur im firengen Sinne des Wortes 
jo gut wie gar wicht bekümmert. 
Bücherliften werden hie und da wohl 
angeführt, aber zumeift nur jolche, 
welche der Buchhändler oder Verleger 
auf feine Koſten einrüden läfst, und 
Beiprehungen finden fich alle Heiligen 
Zeiten irgendwo als Lückenbüßer unter— 
gebracht. Wenn man einem Blatte die 
Beiprehung eines Buches, das Bes 
ldanutmachung verdient, anbietet, jo 
heißt es im der Regel: „Nur dann, 
wenn die Sade iu äußerſter Knapp— 
heit gefaßt ift.“ Dagegen findet ſich 
aber für politiiche und Börſenachrichten 
immer mehr Raum als genug. Wenn 
irgend ein Abgeordneter oder Stadt— 
berordneter einem Genoffen ein paar 
Kraftworte ins Geficht gefchleudert hat, 
wenn irgend ein Sriegerverein in 
irgend einem Landftädtchen eine Fahnen— 
weihe begeht, wenn der König der 
Sandwichsinjeln fi im Wiener Prater 
betrintt, oder jener von Serbien feine 
häuslichen Zwiftigfeiten auf die Straße 
binausträgt, da füllen ſich raſch die 
Spalten ſämmtlicher großen und Heinen 
Blätter; — aber wenn ein Hamer— 
ling, ein Schad, ein Lilienkron, ein 
Büchner, ein Hädel, ein Raden— 
haufen und andere Männer von hoher 
Bedeutung ein neues Buch in die Welt 
enden, fo hüllt fich alles in tiefes 
Schweigen; es iſt wie wenn man jich 
Ihämte, dajs ein Deutjcher etwas 


anderes als Politik, Börfenfpiel oder 
— Sfandal treiben kann! 

Sehen wir uns einmal im Gegen— 
Tage zu unferer Jonrnaliftit die unferer 
Nachbarn jenjeits des Rheins an und 
nehmen wir befpieläweife den „Figaro“, 
auch eine täglich erfcheinende Zeitung, 
zur Hand: Es dürfte befannt fein, 
dafs der „Figaro“ fi an die legi— 
tintiftiiche Partei lehnt, — aber wie 
maßvoll und fachlich ift in diefer Be— 
ziedung fein Auftreten! Bor allem ift 
das unperſönliche „wir“ aus feinen 
Spalten entfernt: Ich, Albert Wolf, 
oder Saint Geneft, oder Octave Mir: 
beau, oder Jules Lemaitre u. ſ. w., 
ich finde das gut, jenes ſchlecht, dieſes 
lächerlich, ich handelte fo, es ift meine 
perfönliche Anficht, die ich hiermit offen 
äußere, ohne dabei die Anmakung zu 
haben, dir, Lejer, diefe meine Anficht 
aufzudrängen. 

Und jeder Lefer, welcher Richtung 
immer er angehört, iſt ficher, heute 
oder morgen einen Leitartikel zu finden, 
der feinen eigenen Gedanken Ausdrud 
gibt, der einen Gegenftand zum Vor— 
wurf bat, für welchen er fich inter- 
ejliert, demm jedem Talente ohne Aus— 
nahıne, ob Monardift oder Republi« 
faner, ob Deift oder Atheift, ob Ehrift 
oder Jude, ftehen die Spalten offen; 
was durch Geift und Sprade zu 
glänzen weiß, braucht nicht zu fürchten, 
daſs ihm die Aufnahme verweigert 
werde, der Leiter fteht Hoch über allen 
Parteien und kann mit Stolz auf die 
jtattliche Lifte feiner Mitarbeiter herab: 
jeben, welche mehr als eine Berühmt— 
beit aufweist. 

Die AbtHeilung „innere“ Politik 
fommt erft an zweiter Stelle an 
die Reihe und nimmt in der Regel 
böchftens 40 bis 50 Zeilen, oft aud) 
weniger, in Anſpruch; es ift meilt 
eine kurzgefaſste fachliche Darftellung 
der wichtigften Begebenheiten, manch: 
mal mit ein paar geiftreihen Wiß- 
worten gewürzt, die wohl bier und 
da ftechen mögen, mie aber Beulen 
Schlagen, und für welche der Heraus 


139 


geber jederzeit die Verantwortung zu 
tragen bereit ift, da er jeinen Namen 
darunter jegt. Nicht viel mehr Raum 
ift der äußeren Politik gewährt, wäh- 
rend Kunſt, Literatur und Wiſſenſchaft 
hier immer zu ihrer vollen Geltung 
zu kommen Gelegenheit finden. 

Wie fehr unterfcheidet fich demzu— 
folge auch der Franzöfiiche Zeitungs 
fefer von unſerem einheimischen ! Wie 
vollkommen iſt er in feiner Literatur 
zu Haufe, wie trefflich weiß jelbit der 
Heine Mann die Schönheit des Stils, 
der Sprade, die Feinheit, den Geiſt 
herauszufinden und zu würdigen. 
Savourer nennt es der Franzoſe, .. 
ja, es ift ihm ein Labjal, nach des 
Tages Mühe und Arbeit feinen Dich- 
ter und Denker zu — jchlürfen! Und 
jie jelbit, die Meifter von der Feder, 
fie bliden einander nicht mit jcheelen 
Augen an, fie liegen ſich nicht in den 
Haaren, weil ihre Gejinnungen nicht 
die gleichen, ihre Ziele nicht diejelben 
find, oder weil der Ruhm des einen 
plögli zu fteigen beginnt; im Gegen— 
theil, jeder zollt dem anderen die ges 
bührende Bewunderung und jeder thut 
mit einem gewiflen Gefühle der Zus 
jannmengehörigfeit das Seine, um die— 
fen Ruhm noch fleigern zu machen. 
Über Mifsgunit, Neid und Eiferfucht 
ijt der echte Dichter erhaben. 

Nicht, dafs der franzöſiſche Dichter 
parteilich wäre und für feine Belannten 
oder Freunde nur immer Lob fünde; 
er Spricht wie er denkt, aber in der 
Literatur denkt er vornehm und da= 
rum ift die Wiedergabe diefer Gedanken 
nie brutal und verlegend. Dem Lejer 
theilt fich ganz unbewufjst diefe gegen 
jeitige Achtung der Scriftiteller mit 
und die folge ift, daſs in feinen Augen 
jene Männer Leute von Bedeutung 
find, die über ihm jtehen, von denen 
er lernen, aus deren Schriften er 
Nugen und Bildung ziehen kann. 
Diefem Beijpiele follten auch wir 
nadeifern; wir brauchen nicht auf alles 
zu ſchwören, was ein anderer jagt 
und fchreibt, wir können ihm ganz 


gut entgegentreten, wenn feine Anſich⸗ Auch unfere Tagespreſſe follte im 
ten und die unferen fich freuzen oder die Literatur fördernd eingreifen und 
wenn fein Erzeugnis im ganzen ges ſich im diefer Dinfiht den „Figaro“ 
nommen wertlos ift, aber makvoll und | dor Augen Halten, der nicht allein 
gewiſſenhaft follen wir zu Werke geben, | die Erjtlingsgaben der anerkannten 
nicht vergeſſend, daſs unfere Worte | Meijter feinen Leſern bietet, jondern 
in die Menge dringen und dafs wir troß | oft auf Entdedungen ausgeht, um fo 
„pommer’scher Grenadiere“ der erfte und | manch verborgenes Talent ans Tages» 
wichtigſte Stand in Staate find, dem licht zu bringen und zu einer Größe 


140 


früher oder jpäter der ihm gebührende, 


Plag eingeräumt werden mufs. 


eriten Nanges heranzuziehen. 
(Magazin.) 


Mit meinen Jungen auf die Rax. 


Eins aus dem Tagebuche von P. R. Hofegger. 


“g 

SW nein, Habt acht! Wir geben 
Sfr auf die Rar. In zwanzig 
3 Minuten fährt der Zug!“ 


„Ah!“ riefen nad dieſer Ordre 


die beiden Stnaben, denn der Ent-— 
Ihlufs war urplößlih und undorhers | 


gejehen. Das Vorbereiten langer Hand 
auf eine Partie taugt bei uns nicht, 


da wird in den Snaben zwar das 
Plangen darnah don Tag zu Tag! 


größer, aber noch zu rechter Stunde 
ift ein Meines Aſthma da, oder eine 


große Bolt, ein guter Freund oder, 
ein böſes Wetter, und verjchoben wird 


die Partie „auf ein andermal*. 

Oh dieſes leidige „auf ein anbermall"‘ 
oder „aufgeſchoben iſt nicht aufgehos | 
ben!" ift ein Blünmel- Blamel 
Teufels. Ganz plöglih und fühn 
ftehlen mufs man dem Himmel feine, 
Shönften Tage, darum: „Dabt act, 


Burschen, wir gehen auf die Rax!“ 
Klein Grethen hub fogleih au, 
des 


zu ſchluchzen. 


Diefer graue finftere 


Berg, der über die grünen Walphöhen | 
'ein leeres Coupe an, doch als wir 


herüber droht in das Thal, und von 





des | 


‚Nur feine Wandergenojien! 


dem die Mutter immer in den Zei— 
tungen liest, dajs an jeinen Wänden 
Leute abftürzen! Diefe Rar! Und da 
hinauf wollen Vater und Brüder? 
Natürlih war nicht mehr Zeit, 
um Steigeifen, Alpftod und Ruckſack 
hervorzujuchen ; der Eifenbahnzug pfiff 


ſchon, und faft ganz fo, wie wir zu 


Haufe im Garten herumgiengen,. ganz 
jo ausgerüftet, machten wir uns auf 
zur verruchten Rar. Die Fahrkarten 
für zweite Claſſe benüßten wir für 
die dritte; mit Lederkiffen begimut 
man nicht, Burichen, und am wenig: 
‚sten, wenn man auf die Alpe will. 
In zwanzig Minuten waren wir 9— 
‚dem Bahnhof in Mürzzuſchlag, bier 
ein Trubel von Sommerfrischleen, 
| teifenden Gigerln und martialiich bis 
auf die Zähne bewaffneten Touriften, 
flehten 
meine Jungen zu Gott, wir wollten 
miteinander allein fein. Der Schaffner 
Neubergerzuges kaun geläufig 
Mienen lefen, er wies uns fofort 


141 


in dasfelbe ftiegen, drängte eine Heine 
Völkerwanderung don Wienern uns 
nach, und ein paar poetenfreundfiche 
Fräulein juchten fofort mit uns ein 
Geſpräch anzuknüpfen. Da träfferte 
der Heine Dans das SKärntnerlied: 
„Ich aber mir — ih aber nir — 
ich aber mir g’red’t mit ihr —“ und 
Sepp flüfterte mir weifen Rath zu, den 
Kopf nur ja recht zum Fenfter hinaus— 
zubalten, weil er aus Erfahrung 
wusste, wie auftrengend für mich ein 
Gejpräh mit Fremden im  rollenden 
Eifenbahnwagen war. 

Abfahrt im Mürzzufchlag um 
1 Uhr 20 Minuten. Mein Angeficht 
wendete ich der Schneealpe zu, Die 
aus dem Hintergrunde des Thales 
herüberblaute, meine Ohren verfchafften 
mir nebenbei die Überzeugung, dafs 
an dev Unterhaltung, die im Gelafje 
geführt ward, nicht viel verloren war, 
„Was Baterland!* rief ein alter 
Spiepbürger, „theures Vaterland, 
das ja, es foftet ung Steuern genug! 
Ich tenne fein Vaterland, mein Vater: 
land ift überall, wo es mir gut geht!” 
Beifall lohnte den Medner; mein 
Dans blidte mit unausſprechlicher 
Verachtung aufden Mann, und Sepp 
murmelte falt lauter al3 gut war: 
„Zigeuner: Batriotismus, ” 

Um 2 Uhr in Kapellen. Heiße 
Sonne, jtellenweife der Himmel mit 
Wolfen bededt; lebhafter Dftwind, 
luſtiges Staubaufwirbeln auf der 
Straße. Nach einer eingenonmenen Er= 
friihung beim Baumgartnerwirt und 
einigem Umfragen fanden wir einen 
Magen. Der Bürgermeifter des Ortes 
jelbjt führte ung mit einem  flinten 
Braunen und einem leichten Steirer— 
wäglein bald am Raxenbach entlang 
gegen Norden, wo hinter MWaldbergen 
ftarr und hoch das Felfengebirge auf: 
ragte, das mir erklimmen wollten. 
In Sapellenleiten, wo links die Straße 
nah Altenberg und über den Naſs— 
kamm abzweigt, und wo der Alten— 
bergbah zum Raxenbach ſtößt, Hat 
man über ſich bereit3 ein echtes 


Apenbild. Die vielgegliederten, umd 
von tiefen Gräben durchichnittenen 
Borberge find reih an Wald und 
MWiefen, im Thale Banernhäufer und 
Getreidemühlen. Im Hintergrunde ſte— 
hen grau und kahl die Bergriejen der 
Schneealpe, des Ameisbühel, des Gupf 
und der Hohen Rar auf. Wir fuhren 
weiter in die Raxen, Schulkinder 
begegneten uns, wovon jedes fein 
artiges „Grüß Gott!" fagte. Das 
Schulhaus in der Karen fteht ganz 
einfam zwiſchen Bad und Berglehne, 
rings don Wald umgeben; wenn auf 
jenem zu Kapellen der ſtramme Spruch 
fteht: „Pflicht über alles!" jo er- 
gänzt der Spruch auf dem Schulhauſe 
in der Naren: „Stets vorwärts, nie 
rüdwärts!” 

Bor Jahren fand ich im diejem 
Thale ein Holzkreuz mit dem Bild- 
niffe der don Engeln und Heiligen 
umgebenen Dreifaltigkeit. Darüber 
war folgende Infchrift angebradt: 
„18 liebe Engel und 49 Heilige 
‚Gottes, bittet für uns!" Mancher 
Wanderer dürfte über diefe pedantiiche 
'Zahlenangabe der Fürbitter den Kopf 
geſchüttelt haben, der es nicht wujste, 
dal3 das Landvolf bei den ne 
Ichriften auf Kreuzen, SKapellen und 
Hänfern die Jahreszahl der Errichtung 
mit dem Texte zu vermengen pflegt, 
freilich weniger aus Abjicht, als aus 
Ungeichid. 

Unfer Thal Hat ſich verengt zu 
einem Graben, in welchem mehrere 
Nebengräben recht3 von der Kamp— 
alpe, linf3 von den Hängen der Rar 
herab auslaufen. Um 3 Uhr 45 Mi: 
nuten waren wir dort, wo der Weg 
zum Gſcheid fo ſtark anzufleigen be= 
ginnt, dafs unfer Fuhrmann meinte, 
hier müfje er umkehren und uns uns 
ſeren Füßen überlaffen. Das war uns 
auch recht, und jo ftanden wir bald da 
im Hochthale allein; um uns Wiefen 
und Wald, riefelnde Waller, und über 
uns in Schwindelnder Höhe die Zinnen 
der Rax. Der Sonnenſchein hatte 
ſich verzogen, die zeitweilig jilberweiß 


⸗ 


ſchimmernden Ahorne, die oben an den !oft den Einbruch in die Steiermark 


Lehnen fanden, deuteten an, dajs 
auf der Höhe der Wind gieng, was 
unjeren ein wenig wetterbangenden 
Herzen ein gutes Zeichen war. Als 
wir ein Biertelftiindchen angeftiegen 
waren, begann es aber zu tröpfeln, 
Das wird nicht gut! dachte ich, 
doch feiner jagte ein Wort der Stlage. 
Ein hölzernes Kapellden mit einem 
Muttergottesbilde fand am Wege, 
in das feßten wir uns hinein, wm 
abzuwarten, was nun der Himmel 
über uns verhängen wolle. Kaum 
eine Minute, das Regnen hatte aufs 
gehört, es lichtete ſich, und zwiſchen den 
eilenden leichten Wölklein blaute das 
Firmament. — „Wenn die Wolken— 
lücke auch nur ſo groß iſt, daſs man 
den Kopf durchſtecken kann, dann 
bleibt es ſchön Wetter!“ Dieſes Wort 
hatte mein Vetter Franz oft geſagt, 
doch den Kopf hat er nie durchge— 
ſteckt. 

Neuen Muthes voll ſchritten wir 
an durch dunklen Wald. Um 4 Uhr 
15 Minuten waren wir auf dem 
Gſcheid, wo das Waſſer der Mürz 
und dad der Schwarzan jich Fcheiden 
und wo die Grenze iſt zwiſchen 
Steiermark und Niederöfterreih. Na— 
türlih lief Hans mit ein paar Schrit- 
ten raſch über die Grenze, damit er 
jagen fonnte, er ſei in Niederöfter- 
reih. Bruder Sepp übertrumpfte den 
Witz dadurch, dajs er mit einem 
Fuß in Öfterreich, mit dem anderen 
in Steiermark ftand. Dans rief ihm, 
auf die Landesfarben anjpielend, zu: 
„So, jeßt kannſt du dir das rechte 
Bein weißegrün, das linke blausgelb 
anftreichen laſſen.“ An Bummelwißig- 
feit waren fie ſtets unerfchöpflich, und 
ih ſchritt langſam und ſchweigſam 
und ſtill vergnügt hinter ihnen drein. 

Am Gſcheid ſtehen mehrere Tou— 
riſtentafeln mit Wegweiſern und Rath» 
Ichlägen, ferner eine fehr alte ſteinerne 
Denkſäule, erinnernd an yeindesgefahr 
vergangener „Jahrhunderte. Ungarn 
und Osmanen hatten an dieſem Paſſe 


| Diefer 


verſucht. 

Von Kapellen her waren wir an 
400 Meter geſtiegen und ſtanden nun 
1070 Meter über der Meeresfläche. 
Vom Gſcheidſattel ſenkt der Weg ſich 
ſteil hinab in die Prein. Von dieſem 
Thale kommt aus Payerbach eine 
Telephonleitung herauf, deren weiße 
Stangen num durch Wald und über 
Matten emporfteigen in das graue 
Kaltgewände der Rar. Diefen folgen 
wir gemachen, bedächtigen Schrittes. 
Sefprochen wird nicht während des 
Anftieges. Ein fteiniger Alpenweg 
führt teil durch Wald und Geſchläge. 
Rechts vor uns fteht der mit Knie— 
holz und einzelnen verfnorrten Fichten 
beitandene Warriegel, weiter hin ragt 
die wüſte Felspyramide der Preiner— 
wand mit ihren ſenkrecht in das 
Preinthal niederftürzenden Abgründen. 
Wir fommen zur SHalterhütte der 
Siebenbrunnerwieſe und fleigen über 
den grünen Matten zwilchen nieder- 
gebrochenen Felsblöden und den erften 
Knieholzgruppen au. Bier ift jchon 
ganz Almboden und Hart vor uns 
ftehen endlich die zerriffenen Wände, 
an denen wir hinauf müſſen. Das 
Mort Rar joll von rauh kommen und 
joviel heißen, als vauhes Gebirge. 
Name trifft. Im Sieben 
brunnertgal jahen wir die erſte An— 
tilope. Die Jungen zuerjt bemerkten 
das Rudel von Gemſen, weldhe auf 
der Matte grasten. E3 waren graue, 
braune und weiße mit hübfchen Hörn- 
lein; fie hatten nur den einen Fehler, 
dafs fie auf uns zufamen und uns 
eine Strede traulich nadliefen, bis 
der Halter fie zurüd rief, um fie zu 
melten. Am Fuße der Wände rafteten 
wir und genoffen Brot und Käſe, jo 
Sepp von Kapellen mitgetragen hatte. 
Ih machte die Jungen aufmerkſam, 
es jei mir lieber, wenn fie nicht trän— 
fen, wenn fie jedoch jehr Durft hätten, 
jo wäre hier eine Quelle in der Nähe; 
weiter hinauf wäre an derlei Koſt— 
barfeiten nicht zu denken. „Ich 





143 


babe zwar ein bifschen Durſt“, meinte 
Sepp, „aber wenn es dem Bater 
lieber ift, jo trinfen wir nicht.“ 
Hierauf fliegen wir ſachte den Schlan= 
genweg hinan zwifchen den Wänden. 
Das ift ein gar bequemer Weg; von 
Oſten Her ftrich ein Fühler Wind, die 
Sonne war jhon Hinter den Wetter— 
fogel gezogen, der ftarr vor uns aufs 
tagte zur linfen, während zur rechteu 
die graufen Hänge des Predigtituhls 
und der Preinerwand auf ung nieder- 
ftarrten. Der Weg fteigt zwiſchen 
Steinblöden, Knieholz, fteilen Matten 
und eingeiprenfelten Wänden in meh 
reren großen Windungen empor, ins 
wilde Gewände kommt man nie eigent- 
li, aber ſachte zwiſchen demfelben 
hinauf. Im Süden und Often hat 
fich bereits eine ſchöne Ausſicht er— 
ſchloſſen hin über die bewaldeten 
Berge der Kampalpe, des Semmering, 
des Sonnmwenditein und weit hinaus 
über Gloggnitz bis zum Leithagebirge. 
Im HDintergrunde des Südens ftehen 
die Alpenzüge des Stuhled und des 
Wechſel in gefättigten Schatten. 

Der vorjpringenden, mit einem 
Geländer verjehenen Tyelszinne des 
Metterfogel find wir endlich nahe 
gefommen, eine Wegbiegung um einen 
Kamm, und wir ftehen auf dem Pla— 
teau mit dem Einblide auf die karſt— 
artige, von Berg und Thal durchzo— 
gene Steinwildnis des Wargebirges, 
bei deren Aublid Hans ausrief: „a, 
auf Diefem Berge ſtehen ja eine 
Menge Berge!“ Kahle Kuppen, Wände, 
Schluchten, Schutthalden, Kare mit 
Schneelagern, dunkelnde Zirnflächen, 
Matten mit Sennhütten, baumlos, 
waſſerlos das iſt der Charakter 
des 2875 Geviert-Kilometer weiten 
Hochplateaus der nach allen Seiten 
ſchroff abſtürzenden Rax, auf welchem 
ganz Wien mit allen ſeinen Vor— 
Hädten Platz hätte, Weil hieroben ſich 
neuerdings Berge und Wände erheben, 
die von unten nicht gejehen werden 
fünnen, jo it die Ausſicht in den 
Hochböden eine befchränkte, und gleich- 


wohl bier an 1800 Meter über dem 
Meere ſtehend, Hat man nicht die rich 
tige Empfindung von diejer beträcht— 
lihen Höhe, zumal man jo allmählich 
emporfam und der prächtige Anjtieg 
auf dem Schlangenweg und gar nicht 
angeitrengt hat. 

Haus ift der erite, weldher das 
Karl Ludwig-Haus entdeckt; es fteht 
in nächſter Nähe am  füdöftlichen 
Kamme des Plateaus, fo daj3 man 
von Seinen Fenſtern behaglih ins 
Thal von Prein, nah Reihenau, ins 
Seinmeringgebiet, und weit ins Ungar- 
land Hinausfhauen kann. Als wir 
dem Zouriftenhaufe nahten, war es 
5 Uhr 45 Minuten, wir hatten vom 
Fuße des Gfcheid her bei einer Stei— 
gung von etwa 860 Metern aljo 
genau 2 Stunden gebraucht. Plötzlich 
erhob Hans ein Freudengeſchrei, er 
hatte ums Haus herum Kaninchen 
entdedt, denen er nachlief, und gras 
jende Maultdiere, auf denen er reiten 
wollte; der Aufſtieg Hatte ihn aljo 
nicht erınüdet. Groß aber war der 
Durſt geworden, und der erfte Wunfch 
im Zouriftenhaufe gieng nach einem 
Glaſe Waller. „Der Liter Wafler 
10 Kreuzer“ Steht an der Wand zu 
lefen, doch war es nicht Quelle, fon» 
dern Schneewafler, weshalb wir es 
uns verfagten und durch eine Flaſche 
Sodawaſſer erjegten. Dann tranfen 
wir Saffee und waren natürlich in 
beiter Stimmung. alt gleichzeitig 
mit uns waren der Herr Pfarrer und 
faplan von Prein hHeraufgelommen ; 
der eine trank Wein, der andere 
Mih, um nah der gemüthlichen 
Jauſe auf der Rar noch an demſelben 
Abende wieder hinabzufteigen. 

Da meine Burfchen micht einen 


Augendlia raſteten, ſondern das Haus 


und deſſen nächſte Umgebung zu durch— 


forſchen trachteten, commandierte ich 
‚um 6 Uhr neuerdings zum Aufbruch. 
Über 
Knieholz ſtiegen wir zur Henkuppe 


weiche Matten und zwiſchen 
hinan. Steinnelken, Alpenroſen, Glo— 


ckenblumen, Alpenveilchen in großen 


Mengen Schmüdten unferen Weg. Bon 
den Felſen Her ſchwirrte manchmal 
eine Ulpendohle. Der Himmel hatte 
fih bedenklich verdunfelt, nur über 
den Ebenen Ungarns, die in Höhen 
rauch lagen, blaute noch das Firma— 
ment. Der Ofiwind war heftig ge— 
worden. Um 6 Uhr 30 Minuten 
Hatten wir das Heine ſchmucke, ftets 
offenftehende Schutzhaus der „Laden: 
bacher“, früher Schwefelbanda-Hütte 
genannt, erreiht, und 5 Minuten 
jpäter ftanden wir auf der 2008 Meter 
hohen Heufuppe, dem höchſten Gipfel 
der Rar. 

Über diefe Höhe waren meine 
Jungen außerordentlich entzüdt und 
fie meinten ſchon auf dem halben 
Weg in den Himmel zu fein, bis ich 
ihnen erklärte, daf3 unfer Standpunft 
nicht eben viel zu bedeuten Habe. 
2000 Meter Höhe wagerecht gelegt 
gäben eine Halbe Fußſtunde, beiläufig 
jo lang, als es in Wien von der 
Stefansfirhe bis zum Südbahnhofe 
it. Das fei die ganze Höhe der Rar 
vom Meeresjpiegel aus. 

Wir konnten aber nicht lange 
Mathematik treiben, wozu wir übri— 
gens auch gar nicht heranfgelommen 
waren. Der Wind war faft zum 
Sturme geworden. So haben mir 
drei uns hinter dem ſchützenden Stein— 
haufen der Pyramide auf den Sand 
gefeßt, den Plaid wie einen einzigen 
Mantel um uns gefhlungen und alfo 
wie ein Weſen mit drei Köpfen 
hinausgeblidt in das weftliche Land, 
das Hier erſchloſſen iſt. In blauem 
Dunfte faft erftidt Tagen da unten 
die Thäler von Neuberg und der 
Mürz, die Höhenzüge des Roſskogel, 
des Königskogel, des Teufelsitein, 
der Stangelalpe, des Hochanger, der 
Veitſch und der Schneealpe. Weiter 
bin war nichts mehr als das finftere 
Dlau eines auffteigenden Gemitters, 
welches in nächtiger Rembrandtftim: 
mung vor uns fand und nur dom 
Oſtwinde noch zurüdgedämmt wurde. 
Auch die Abenddämmerung wob ji 


144 


Ihon Hinein, um jo jchärfer fchnitten 
ih die Blite über den Gegenden der 
Veitſch und des nicht mehr jichtbaren 
Hochſchwab. Vom Gamseck her kam 
in den Lüften ein dunkler Punkt auf 
uns zu, ein Steinadler ſchwebte über 
unſeren Häuptern hin und ſenkte ſich 
nieder in das füdliche Gewände. 
Einen raſchen Blick noch nach dem 
Otſcher hin, den Bergen Niederöſter— 
reichs, den vielgeſtaltigen Formen un— 
ſerer Rax. Hinter der Scheibelwald— 
höhe und der Grünſchacheralpe ſtand 
der Schneeberg. Da alle Spitzen und 
Gipfel noch nebelfrei waren, fo be— 
eilten wir uns nicht jehr, doch jagte 
ih zu meinen Genoffen: „Sobald 
der Oftwind nur ein paar Augen 
blide nacläfst, Fällt der Wolfen 
himmel auf uns nieder und wir find 
eingeſchloſſen in Nacht, Nebel und 
Wetterſturm.“ Das wollten wir doch 
nicht abwarten. Ein Weilhen käm— 
pften wir mit dem Winde noch um 
den Plaid, den ich um mich zu wine 
den juchte, dann eilten wir hinab, 
dent Zonriftendaufe zu. Unterwegs 
noch einen flüchtigen Blid zu den 
Lichtenfternhütten Hinab, wo ich vier— 
zehn Jahre Früher eine jehr volks— 
thümliche Samstagsnadt verlebt hatte. 
(Die Schilderung derjelben findet ſich 
im „Heingarten“ I. Jahrg., Seite 50.) 
Meine Jungen liefen troß der ein— 
brehenden Dämmerung noch hinüber 
ins Kar, wo ſchmutziger Schnee lag, 
und begannen munter aufeinander 
Schneeballen zu werfen am 
5. Auguſt. 

Im Karl Ludwig-Hauſe Hatten 
ſich mittlerweile zehn Touriſten ein— 
gefunden, auch Touriſtinnen darunter, 
welche aus dem Höllenthal über das 
Gamseck, über den Reisthalerſteig 
und die Griesleiten heraufgekommen 
waren, weil ihnen der Schlangenweg 
zu bequem geweſen. Dafür hatten fie 
bereit3 ein paar Invaliden bei fi. 
Denn es will ſich nacdhgerade nicht 
mebr jchiden, dafs man — wenn 
man ſchneidiger Tourift it von 





einer Hochalpentour ganz heil nad 
Daufe fomme. Ein Derauffteigender, 
welcher auch am Reißthalerſteig ge- 
jehen worden, war im Haufe nod 
nicht angelommen, weshalb der Wirt 
fofort eine Heine Suche veranitaltete, 
bi3 der zu erwartende Touriſt endlich 
die Matten heranhintte. Es iſt ſchon 
jo eine Art Eontrole und Macht 
anfgeftellt, um eine noch größere Zahl 
an Unglüdsfällen zu verhüten, als 
dieſes rauhe Gebirge Heute aufweist. 
Es gibt hochgefährliche Auf- und Ab— 
jtiege und es gibt Tollhäusler, welche 
immer noch gefährlichere fuchen und 
entdeden und welche mit vernichtender 
Verachtung auf Alle niederbliden, 
die den Aufltieg für „Lahme und 
Gichtbrüchige“ wählen, nämlich den 
Schlangenſteig. 

Es war finſter geworden. Vom 
Semmering-Hotel funkelten Lichter 
herauf, ſo ſchickten ſich auch unſere 
wackeren Wirtsleute, ein ſchönes Alp— 
lerpaar, an, das Haus zu beleuchten. 
Der öſterreichiſche Touriſtenclub, der 
Erbauer und Eigenthümer, hat es 
verſtanden, das Karl Ludwig-Haus 
ſo einzurichten, daſs es praktiſch und 
gemüthlich zugleich iſt. Nun kam das 
einfache Abendeſſen, das Blättern in den 
Fremdenbüchern, die wie gewöhnlich 
viel Spreu und wenig Korn enthalten, 
das Geſpräch über vollführte Touren mit 
Säger- oder vielmehr Touriſtenlatein 
und Meinungsverjchiedenheiten, das 
Muthmapen über die Witterung des 
nächſten Tages u.f.w. Um 9 Uhr gieng 
ich mit meinen Söhnen in die Schlaf- 
fanımer. Diefelbe war ein mit Läden 
getäfeltes trauliches Gemach, deſſen 
drei Betten wohl zubereitet jtanden 
und deilen Fenſter gegen Oſten gieng. 
Bald war es in unferer Sammer 
duntel und fill, zum Fenſter euch: 
teten ein paar Sterne herein und 
manchmal ein Bligfchein. Da ich auf 
Reifen oder Partien fait nie fchlafen 
fann, jo pflege ich die Eindrüde des 
Tages neuerdings am meiner Seele 
vorüberzuführen, und heute hatte ich 


Bofegger’s ‚Grimgarten‘‘, 2. Heft. XV, 


Stoff genug dazu. Um 11 Uhr Hub 
draußen ein Sturm an ums. Haus 
zu rauſchen, die Blitze wurden. greller 
und das Murren des Donners kam 
näher und näher, bis über den Wän— 
den des Predigtituhles, ‚die bei dem 
Leuchten in fchwefelgrünem Scheine 
ftanden, mehrere Schläge Tanonen= 
fnallartig losgiengen. Alfo verkündete 
auf dem Predigtſtuhl der Prediger 
des Herrn Macht hinab in die Thäler 
der Reiß, der Nafs, der Schwarzau, 
der Prein und der Mürz. Das Rajen 
des Sturmes, das Praffeln des Re— 
gend, das Lohen der Blike, das 
Rollen der Donner war jo herrlich, 
das ich gerne meine Jungen gewedt 
hätte, um fie des Genufjes theilhaftig 
zu machen, allein fie jchliefen jo ftill 
und ruhig und bedurften wohl aud 
des Schlafes. Später Hat es ſich je- 
doch anders aufgeflärt; e$ war wäh— 
rend des Gewitterd Sepp wach ge= 
weſen und es war Dans wach geweſen. 
Jeder meinte, die zwei anderen ſchlie— 
fen; Sepp wollte ſie nicht wecken, 
weil er ihnen den Schlummer gönnte, 
und Dans wollte ſie nicht wecken, 
weil er meinte, jie könnten ſich fürch— 
ten, und das Fürchten wolle er allein 
beiorgen für alle drei. Als nach einer 
halben Stunde das Gewitter vorüber 
war, jagte Sepp leife: „Das war 
ſchön!“ und Dans entgegnete ebenjo 
leife: „Das war ſchrecklich!“ „Es ift 
nur gut, daſs der Vater ſchläft; ich 
fürdte, daj3 er morgen jehr milde 
wird und wieder Aſthma bekommt.“ — 
„Ich Habe ſchon gebetet, dajs er es 
nicht befommen ſoll“, fagte Hans. 
Dann ſchwiegen ſie und [chliefen baldein. 

Um 5 Uhr wedte ich jie. Die 
Wände des Predigtituhles und der 
Preinerwand fanden in einem veil— 
henblauen Ather, Aus Ungarns Dunfts 
meer war die rothe Sonnenfcheibe 
aufgeltiegen und verftedte ſich nun 
in die roftbraune Wolfenjchichte, die 
am Himmel fand, Einzelne Strahlen= 
garben durchbrachen fie und rötheten 
die Federwolken am Zenith; über die 


10 


Gegenden von Neunkirchen und von! 
Neuftadt giengen Regenfchleier nieder. 
Die Spike des Schneeberges und bald 
darauf die Kuppen des MWechjels und 
des Stuhled3 wurden von Nebeln be— 
dedt. Raſch ließen wir uns ein paar 
heiße Gläſer Thees geben, und um 
5 Uhr 30 Minuten Stiegen wir noch— 
mals hinauf zur Heukuppe. Diefer 
Morgenfpaziergang ward herrlich be= 
lohnt. Sepp, welcher der erſte oben 
war, erhob ein Jubelgefchrei. Der 
Meften war Har und rein, im den 
Thälern tief lag dichter ſchneeweißer 
Nebel, welcher ftellenweife von der 
Sonne beſchienen, goldig leuchtete. Wie 
ein Meer, aus welchem die Berghöben 
gleih Infeln ragen! Das Bild ift 
abgebraucht, aber es bezeichnet am 
beiten. Ich glaubte mich auf eine 
Höhe des Karſtes verjegt mit dem 
Ausblid auf den Quarnero. Die aus 
dem Scharf und eben abgegrenzten 
Nebel aufiteigende Schneealpe war 
der Monte Maggiore, das Hochegg und 
der langgeitredte Zug des Roſskogels 
waren die Inſeln Cherſo und Beglia. 
Das Nebelmeer des Mürzthales war 
die Bucht von Finme und die Gebirge 
des Stuhleds, des Teufelsfteines, des 
Rennfeldes, des Pantjch, des Oſſers, des 
Grazer Schödel3 waren die Bergzüge 
Dalmatiens. Aber hinter diefem Quar- 
nerobilde ragten im Morgenfirahle die 
Veitih, der Hochſchwab, die Fels— 
häupter bei Tragöfs, der Ennsthaler- 
alpen mit dem gletjchergelrönten Dach 
ſtein. Der ſchneidende Oſtwind 
gönnte uns dieſes unbeſchreiblich ſchöne 
Bild nicht lange. Wir fanden uns 
nicht genug verwahrt, und obzwar die 
freudige Aufregung der Kälte einiger: 
maßen Stand hielt, verließen wir 
bald die Hochzinne, nachdem ich im 
Herzen meinem Gefchide gedankt, dajs 
mir das Slüd, auf folder Höhe zu 
ftehen und folche Pracht zu jehen, 
noch einmal gegönnt war. 

Um 6 Uhr 20 Minuten fahen wir 
wieder im Tonriftenhaufe beim Frühe 
ftüd, das wohl jchmedte, dann nod | 


— 


—è — — — — — — — —— —— — — —— — — — — 


146 





einen Blick von der Zinne des Wetter— 
fogel3 in die Tiefe, in welche wir nun 
wieder hinabfteigen follten. Warum 
blieben wir nicht ein paar Tage oben ? 
Warum bejuchten wir nicht die zahl- 
reihen Senndörfer, die einjt zur Hoch— 
jommerszeit jtark bewohnt waren, mun 
aber großentheils entvölfert ftehen, weil 
die Jagdbeſitzer ſolchen Alpenwirt— 
ſchaften nicht gewogen ſind? Warum 
beſtiegen wir nicht die Hohe Lechnerin, 
den Kloben, das Haberfeld, den Jakobs— 
kogel und alle die anderen Berge, die 
auf dieſem Berge ftehen? Warum 
wählten wir nicht einen der in— 
terefianten Abftiege etwa im Süden 
über die Sarreralpe, oder im Weſten 
über das Gamseck nah Najswald, oder 
im Norden über das Gaisloch oder die 
Teufeldbadftube ins Höllenthal? Das 
erit wäre eine Rarpartie gewejen. Ich 
hatte Gründe, das micht zu thun. 
Meine jungen Genofjen waren für 
heiklere Streden noch wicht abgerichtet 
und ich ſelbſt Hatte feit den Jahren, 
da ich feinen hohen Berg befteigen 
fonnte, die Übung verloren. Bergferen= 
eitel waren wir aber nicht, und Groß— 
artiges hatten wir ſchon geſehen. Wenn 
wir ferner noch die Koſtſpieligkeit eines 
längeren Aufenthaltes da oben, jowie 
ein drohendes Weſtwetter erwogen, fo 
war uns die Zeit und die Stelle des 
Abftieges eigentlich vorgefchrieben. Mit 
Ihwerem Herzen ſchauten wir noch 
einmal hinein in das felfige Gebirge 
mit den MWundern allen, die dort 
walten. 

Um 6 Uhr 50 Minuten traten 
wir den Abjtieg an über den Schlan— 
genweg. 

Als wir unter der ante des Hoch» 
plateaus waren, gab es feinen Wind 
mehr; kühl und heiter war die Luft 
und wir fonnten den Anblid der groß— 
artigen, don der Sonne beleuchteten 
Felsgruppen, an und zwiſchen denen 
wir ums befanden, noch einmal mit 
aller Behaglichleit geniegen. Vom 


ı Wetterfogel herab winften uns nod 


mehrere Tonriften mit weißen Tüchern 





ee 


und ich lieg nach langem wieder ein— 
mal einen Juchezer los, der ganz leid- 
lich in den Wänden mwiederhallte. 

In das Siebenbrumnnerthal hinab— 
kommend, kroch vor uns quer über den 
Meg einer jener Heinen ſchwarzen 
Mole, wie jie, font ſehr jelten zu 
finden, eine Eigenthümlichkeit der Rax 
find. Nun hätte Hans das Kleine Un— 
geheuer gern in den Sad geitedt, doc) 
nach weiſer Berathung beſchloſſen wir: 
Wenn ſchon wir felber wieder in die 
dumpfen Niederungen hinab müfsten, jo 
wollten wir wenigitens dieſem be— 
jcheidenen Thiere feine Alpendaſeins— 
freudigfeit nicht verfümmern, Nur gaben 
wir ihm noch den Rath, in HDinblid 


ſich fo großartig dar, als im hinteren 
Reißthale, gegen welches das berühmte 
‚große Höllenthal nacdgerade niedlich 
genannt werden kann. Vom Reißthal 
ſteigt man über den Naſskamm nad 
Altenberg hinab, dann erſt hat man 
geſehen, wie groß und vielgeftaltig und 
wild diefes Gebirge ilt. 

Als das, was wir auf unferer Partie 
nicht gejehen, ſolchergeſtalt meinen Söh— 
nen in wenigen Worten bejchrieben 
worden war in der Rindenhütte auf 
dem Gjcheid *), zogen wir meiter, 
E35 kam ein zwei Stunden langer 
Marich thalwärts. Die Luft war ſchwül, 
über den Bergen ftieg ſchweres Gewölk 
auf. Bei dem Touriſtengaſthauſe Kaib— 





auf die böſe Welt fich etwas weniger 
vertrauensfelig auf breitem Wege zu. 
jonnen, jondern baldmöglichit in eine) 
Ihügende Höhle zurüdzufehren. 

- Bald hernach wanderten wir wieder 
in den Schatten des Fichten- und 
Lärdenwaldes, und um 8 Uhr waren 
wir auf dem Gſcheid. Dort jegten wir 
uns in die Rindlohhütte, welche am 
Wege fteht, und ſchauten noch einmal 
hinauf zu den über grünen Wipfeln 
niederleuchtenden Wänden. 

Wir Hatten die Rar zum Theile 
gejehen. Wer diefes Gebirge ganz kennen | 
lernen will, der muj3 auch rings um 
dasjelbe eine Reife machen. Er muſs 
das ftundenlange Höllenthal durch: | 





‚lichen 


blauenden 


linger in Kapellenleiten nahmen wir 
im Bewufstjein tapferer Leiſtung einen 
gediegenen Imbiſs ein. Vom freund 
Gartenhaufe, umraufcht don 
Mäflern, ummoben von Menſchenwerk 
und Thätigkeit des Alltags, wendeten 


‚wir noch einen lebten Blick empor zur 


hinter MWaldbergen fern aufragenden, 
Felſenkuppe, auf deren 
höchſten Spike wir fünf Stunden früher 
geltanden waren. 

Mittags 11 Uhr 25 Minuten rollten 
wir dom Bahnhofe in Stapellen ab, 
um eine Stunde fpäter zu Hauſe 
zu fein und den bejorgten Lieben 
daheim unſer Touriftenglüd zu ver— 
fünden. Wenige Stunden nachher kam 


wandern, welches fich von Hirſchwang ein wüftes Ungewitter, welches die 
zwijchen den wilden Wänden der Rar ganze Nacht, bis in den nächiten Vor— 
und des Schneeberges, ftet3 entgegen | mittag hinein dauerte. Wäre dasſelbe 
der Haren Schwarzau, dahinzieht; er einen Tag früher gelommen, fo wüjste 
muſs das freundliche Wiejenthal von ich wohl anderes zu berichten von 
Naſswald durhfchreiten und das wild unſerer Partie ins rauhe Gebirge. 
romantiſche Reißthal, welches an ale __ 

piner Schönheit in unferen Alpen — ENT 
jeinesgleihen faum hat. Rirgends |gartie yura) bas Höllentgut und über den 
ftellen die graufigen Abhänge der Rax Nafstamın wirklich gemacht. 


10* 


Kleine Saube. 





z fünfitimmig. Zu Ditern und Pfingſten 
ta nn Sc ii mit — Grauſam se 
gen, Der Menſch darf fich eben vor feinem 
Herrgott nicht lumpen laffen.“ 

Mein Tiichnachbar mochte einen wun— 
den Punkt berührt haben, Man börte 
unterbrüdtes Murmeln, dazwiſchen halb— 
lautes Lachen. Einer der älteren Männer 
jegte Fih ehrerbietig zu dem alten Herrn. 
„Sie haben ja recht mit ihrem Spott, 
Herr Gantor, Aber er ift nun einmal 
jo; er will’3 gar jo hoch mit uns treiben. 
«Mir müjsten uns ja vor den Nachbar— 
Kugeln nad, die ſich müblam auf der dörfern jchämen», jagt er. Das früber 
mit Schmugigem Kies betreuten Bahn | wäre ja auch ganz hübſch gewejen, aber 
ihren Weg nach einer Schar von Kegel | altmodifch. Ohne Kunſtgeſang gienge es 
invaliden babnten. num beutzutag einmal nicht mehr, Aber 

Ein alter Herr mit Flugen, anzies | willen Sie, Herr Cantor — id kann's 
benden Gefichtszügen ſetzte ſich an meinen | nicht jo recht von mir geben . . . aber 
Tiih. „Heda! it das wieder einmal) jo warm, wie dazumal bei Ihnen, iſt 
ein toller Lärm, bei euch!” medte er die mir’ bei all dem Kunftfingen nicht 
Männer, die bei feinem Anrufe verlegen | wieder ums Herz geworden . . .“ Und 
grüßend an ihren Mützen rüdten, „Wollt | nah einer Pauſe fügte er hinzu: „Sie 
ihr denn nicht einmal eins fingen ?* | kommen doch danı mit hinauf in den 
Eine Kunſtpauſe entſtand. Mit dumpfe | Saal zum Concert ?* 
bölzernem Miisflang Happerten draußen „Ei gewijs, lieber Freund. Bin ja 
ein paar jaumfelig fallende Kegel, „Wir | erpreis deshalb aus der Stadt gefom- 
haben die Bücher nicht unten. Der Noten« | men.“ Damit verabjchiedeten fie ſich 
wart ift noch nicht da“, jagte endlich | vorläufig. 
einer. | Der alte Herr mochte mir angejehen 

„Ah ja! Hatt’ es vergeſſen. Seid ja| haben, daſs mich das Geſpräch unterhalten 
ein gar künftlicher Gelangverein geworden. | hatte. „Sie haben da neulich zu Pfing- 
Und was die rechten Künftler find, die! ften ein Feines Malheur gehabt mit ihrer 


Es war an einem Sonntagrad) 
mittag in einem ſächſiſchen Dorfgafthofe. 
Ich ſaß unter der Linde vor dem Hauſe 
und war verdrieklih. Speis und Trank 
war ſchlecht geweien. „Ich möchte willen, 
womit man fich bier Das Leben zu ver- 
ſchönen pflegt, mit leiblichen Genüſſen 
ihut man's nicht.“ 

Nicht weit von mir ftand ein Haufe 
von Männern und jungen Burſchen; 


Bolksgefang. fingen ja nur von Noten. Vier- und 
ſtumpf und faul ſah man den riffigen 





Kirchenmuſik“, erklärte er mir lachend, 
„Site laſſen fich nicht gern daran erinnern; 
aber ich darf fie ſchon ein wenig neden, 
denn ich bin ihr alter Gantor und Ge— 
Tanglehrer. Seit ih im Ruheſtand bin, 
wohne ih in der Stadt; ein ftrebjamer 
junger Mann ift mein Nachfolger. Der 
will ihnen nun zeigen, was Muſik ift. 
Uber ich fürchte, er fajtt die Sade am 
faljihen Ende an. Wenn unjerm Landvolf 
der Gejang etwas jein joll, muſs er ihm 
bequem und vertraut jein wie ber Bauern» 
fıttel. Was ſie jeßt fingen, geht meift im 
rad und Eylinder. Und Sie willen, wie 
ungelenf und läderlih der Bauer in ſol— 
chem Aufpug ansieht. Ich mag ihn nicht 
drin jehen . . . ebenſowenig aber aud 
in der Hanswurſtjacke. Das iſt fast noch 
das Schlimmere Sehen Sie, da 
bin ich wieder ins Schwatzen gekommen 
und langmweile Sie gewiſs. Aber 's iſt 
eben ſozuſagen für mich ein Herzensthema.“ 

Als ih den Tiebenswürdigen Alten 
verfiherte, die Sache, von der er da 
ſpreche, gienge mir nahe, meinte er: „Wie 
wär's, wenn Sie dann auch mit da oben 
zubörten? Da ließe ſich mandes reden 
und wir hätten die Beijpiele dazu.“ 

Ih nahm den Vorſchlag gern an. 
Als die Zeit des Beginues gelommen 
war, juchten wir uns droben ein unge— 
ftörtes Pläschen aus und folgten auf 
merfjam den Porträgen der ländlichen 
Piedertafel. 

Der alte Herr hatte redt. Die 
Concertmuſik ſtand den Leuten nicht. 
Nicht nur deshalb, weil die Reinheit 
oft zu wünfchen lieh, jondern hauptiäch- 
{ih darum, weil man ihnen anſah und 
anbörte, dajs ihnen die Gedanfens und 
Gefühlswelt der meiſten dieſer Lieder 
fremd war. Ya, ihre Vortragsweiſe er- 
regte deshalb nicht jelten jenen Lachreiz, 


den wir fühlen, wenn etwa ein gebildeter 


Hausfnecht franzöfiich parliert. Am ſchlimm— 
iten fielen die vierftimmigen Volkslieder 
aus; daran aber war einzig der Herr 
Liedermeifter ſchuld. Somie eine gemille 
Kunft in der Gärtnerei den Birnbaum 
erft zu jchägen weiß, wenn er im regel« 


recht ftehender Haltung als Spalierobit | 


a 





jeine Urme gegen Himmel ftredt, umd 
wie in diejer Auffallung der Kunſtgärt— 
nerei die Blume erft ihren Dajeinszwed 
erfüllt, wenn jie jäuberlih aufgedrabtet 
irgend eine geometrijch Fluge Figur dar- 
ftellen Hilft — jo knetet und drecielt 
die lendenlahme Phantafie gewilfer Ger 
jangvereinsdirigenten an unjerem Volks— 
liede jo lange herum, bis, wie der Mei- 
fter mit Stolz rühmt, „etwas ganz an— 
deres draus geworden it“, — ein fläg- 
liches Zerrbild nämlich. Volkslieder, Die 
in ihrer rührend ſüßen Einfachheit dein 
Herz wie von Mutterlauten aus der 
Yugendzeit heiß emporquellen laſſen, 
werden unter dieſer Behandlung zum 
grauſamen Folterwerkzeng, das dich mit 
zwei Takten ſauſelnden Pianiſſimos jänft- 
(ih in Schlaf wiegt, plöglih aber mit 
zwei weiteren Tacten jchredhaften For— 
tiffimos in die Luft wippt, oder aber 
mit raffinirtem Nitenuto deine armen 
Glieder in die Länge zieht, um fie dann 
mit brutalem Preſto wieder zuſammen— 
ichnappen zu laſſen. Damit joll nun Geiſt 
in das Volfslied getragen werden. 
„Hören Sie“, unterbradh mein Gans 
tor dieſe meine ftillen Betrachtungen, 
„nd das noch Volkslieder ? Wie anders 
Elingen fie, wenn man den «Bortrag» 
dent unbewujsten Empfinden überläjst! 
Mit Dielen Fünftlich  bineingetragenen 
Effecten verſcheucht man noch den letzten 
Reit jenes natürlichen Nahempfindens, 
dad dem Volksliedſingen innewohnen 
mus, wie der Noje der Duft. Kein 
Drillen und Einpaufen kann jenes Ans 
schwellen und jenes leiſe Eriterben nad- 
ahmen, geihweige denn erjegen, mit dem 
das unbeobachtete naive Kind des Volkes 
die altererbten Lieder nachdichtet und nach— 
fingt. Iſt's doch ſchon ein Unding, des 
Volkes gejungene Luft und gefungenen 
Schmerz auf dem Podium zur Schau zu 
itellen. Damit verliert ja an und für 
ſich ſchon das Volkslied Sinn und Da- 
jeinszwed. Was haben fie vorhin aus 
dem alten, wunderbaren, jüßtraurigen 
Liede von den zwei Königskindern ges 
macht! Iſt dies alte Lied vom Sehnen 
und Entjagen nicht emporgequollen aus 


cchtem, natürlich-mächtigem Volksempfin— 
den? In den Geſang dieſer und ähn— 
licher Volksweiſen vermag der ſchlichte, 
unbeholiene Bauernburſch, dem ſich weder 
Weltſchmerz, noch überfeines Empfinden 
nachſagen läjst, ein jeltiam rührendes 
Gefühl zu legen — willen Sie, ein Ge— 
ſühl, das vielleicht von irgend einer trau— 
rigen Erinnerung, irgend einer zerjchla- 
genen Hoffnung ber im Grunde jeines 
Herzens verborgen ſchlummert . . . Aber 
er muſs e3 eben naiv, unbeeinflujst, ſich 
jelbft überlaflen, ausklingen laſſen dürfen. 
Es darf nicht einer mit dem Tactjtod 
vor ihm ftehen, der ihm mit allerhand 
Geberden faliches und fremdes Fühlen 
und Empfinden einzuturnen verſucht ...“ 

Die Panſe zwiichen dem erften und 
zweiten Theile de3 Programmes war zu 
Ende. Diejer zweite Theil war der bes 
rübmte, leider heute unvermeidlich ges 
wordene „bumoriftiiche”. 

Es waren die bekannten faden, plum- 
pen, witz- und geichmadlojen Männer: 
höre, die zum Vortrag famen, von denen 
ih in den fetten dreißig Jahren eine 
wahre Echredensliteratur berausgebildet 
bat. Seine Spielart dieſer traurigen 
Sumpfblumen war den Sängern erjpaıt 
geblieben, von der „Schweinstnöcelpolta“ 
und der „Madam Mullerihb und Ma— 
dam Bullerib* bis zum modernen 
„Dresdner Brezelmännermarſch“. Wie 
ſie da ſo hölzern und unbeholfen ſtanden, 
die weitergebräunten Geſtalten, und mit 
den ſchwieligen Händen die humoriftifchen 
Notenblätter hielten, wie die Begleit— 
ftimmen nach dem Willen de3 Autors 
dur ihr tactmäßige3 „Ha, ba, ha!“ 
ihrer unbändigen Lachluft Ausdruck geben 
lollten und dies nun thaten mit den 
ausdrudslojen Geſichtern und der von 
der Schwierigkeit des „Kunſtgeſanges“ 
zeugenden, ernjten tiefen Sängerfalte auf 
der Stirn — da ward mir's jo unend- 
ih bitter nnd web ums Herz, dajs ich 
leife nah Hut und Stod griff. Und mit 
bajtig beiltimmendem Niden folgte mir 
der alte Mann, der bis dahin trüb 
ichweigend, das Haupt in die Hand ge 
ftügt, vor fich hin gebrütet hatte. 


Wir giengen jtil dem Bahnhofe zu. 
Endlich brad ih aus: „Nun jagen Sie 
mir aber — wünjcht denn wahrhaftig 
unfer Volk diefen Jammertrödel zu feiner 
Erbeiterung? Haben Sie denn heute 
unter Sängern wie Hörern auch mur 
einen einzigen Menjchen gejeben, dem 
dieſe aHumoriftifan auch nur ein Lächeln 
abzwangen ?“ 

„Dals meine Bauern den Sram 
wirklich wünjchten“, jagte der alte Herr, 
„davon kann wohl faum die Rede fein. 
Aber 's it eben «Modeſachy gemorden, 
dajs der Dauer von heute die Unarten 
des Großſtadtpobels mitmacht oder wenig« 
ſtens nachahmt, weil er denkt, oder weil 
man ihm einredet, er bliebe jonft zurüd 
hinter dem allgemeinen Fortjchritt in der 
Meltgeihichte. Daſs er ſich bei jolchem 
Singjang nicht glüdlih fühlt, das weiß 
ih ganz genau! DO Sie hätten fie 
ſehen follen, wie jie damals bei Erntefeiten 
oder Hochzeiten, oder auch nur während 
der Raſt auf dem Felde, an arbeits— 
freien Sommerabenden oder bei Iuftigen 
Zufammenkünften im Winter ihre Lieder 
jangen, dajs es eine Luft war! Ih 
mag wohl ein rohes uncultiviertes Can— 
torlein gemwejen fein“, fuhr er lädelnd 
fort, „denn von Noten und Singheften 
haben fie nie etwas zu jeben gekriegt. 
Hätt! auch wahrlich nicht gemujst, wozu. 
Die Jungen jangen’3 den Alten nad, 
und die Alten den Jungen. Und ganz 
jo kunſtlos war's ja wohl auch nidt. 
Wenn ich's dahin gebradt batte, daſs 
die tieferen Stimmen fih mwaldhornartig 
in Terzen und Serten als zweite Stimme 
der Melodie anzubequemen verftanden ; 
wenn ih in Zeiten der Heuernte durd 
die Felder wanderte und da und bort 
tiefe, Hare Altitimmen an belle Discant- 
jtimmen ſich anfchmiegen hörte, — dann“, 
und dabei zitterte jeine Stimme, „dann 
hab' ich mich oft recht ftolz gefühlt. .. 
Da gab's ja wohl fein jangbares Lied, 
zu dem fie fich nicht ihre einfache Ber 
gleitftimme zurechtgelegt hätten. Und wenn 
fie beilammen waren, Männlein und 
Fräulein, da bedurft' es nicht erjt des 
lüſternen Dreitactes, um das Strenge 





| 


1 
mit dem Zarten zu paaren, — waren 
Doch die gemeinfamen schlichten Licder 


Eigentbum aller geworden — vermochte 
doch das allen vertraute Lied ein Band 
zu ſchlingen, das die ungelenle Zunge 
vielleicht nie anzufnüpfen vermocht hätte.“ 

„So lieben Sie aljo den drei- und 
vierftimmigen Gejang wohl überhaupt 
nicht ſehr?“ fragte ich. 

Da lenchteten die alten Augen. „Der 
müjste wohl ein Barbar fein, dem der 
wunderſame Drei- und Vierklang, dur 
menjhlihe Stimmen erzeugt, nicht als 
ein Ausftrom göttliher Kunſt erjchiene ! 
Wär ih wohl noch in meinen alten 
Tagen in die mir jonjt jo fremde Haupt- 
ftadt übergefiedelt, wenn nicht der Kunſt— 
gelang unjerer Oper mein altes Muſi— 
fantenberz mit allen jeinen Faſern ge 
feſſelt hielte? — Unjerem Volke im gro- 
Ben aber, dem Landvolke wie dem Stabt- 
volfe im allgemeinen, iſt jolder Gejang 
für jein Fühlen ein fremdes, unmatür- 
liches Gewand im Vergleih zur Art und 
Kraft jeiner Ausdrudsfähigkeit. Pflegen 
wir jorglich feine uriprünglihe Eigenart 
— pflanzen wir aber nicht fremde, uns 
natürliche Reifer auf den Baum unjeres 
Volksthums, dann kann wohl einſt 
unſer Volksgeſang wieder werden, was 
er früher war: die natürliche Kunſtbe— 
thätigung eines naiven Dolfsempfin- 
dene !* 

Diefer Auffag, den wir dem „Kunſt⸗ 
wart“ entnehmen, enthält viel Richtiges 
und Beherzigenswertes. Warım aber der 
Volksgeſang unter feiner Bedingung mit 
dem Dirigentenftabe berührt werden joll, 
fieht man nicht recht ein. Aus der Volfs« 
ſage haben Goethe, Schiller die berrlich- 
ften Kunftdihtungen geihaffen; aus der 


Dorfgeichichte machten Theodor Storm, 


Anzengruber die muftergiltigiten Novellen 
und Romane; 


Bauftil ; warum jollte gerade das Volks— 
lied nicht entwidelungsfähig fein? Sagt 
man nicht von Richard Wagner, daſs er 
für feine Muſik gerne volfsthümlihe Mo- 
tive wählte? Iſt denn nur das eine 


ans der Dörflichkeit ent: 
widelte fih Defreggers Malergenie; aus 
dem Bauernhaufe entjtand der nationale | 


51 
ausgeſchloſſen, aus dem Naturgejang ein 
Kunſtlied zu machen ? 


Ya, beiler wäre es freilih, wenn 
unjer Boll jeine alten Lieder ohne Noten 
gut fingen wollte oder könnte, aber das 
ift nicht mehr. Der Gebirgsbauer fingt 
noch ohne Noten, ihm nützen Noten nicht 
und jchaden Noten nicht. Der Ihal- und 
Flachlandbauer fingt nicht mehr naiv ; der 
Kleinbürger auf Dorf, Markt und Stadt 
fingt noch weniger, im bielen Streifen 
würde das Volkslied ohne Noten vergeſſen 
jein, jowie für uns der Text besjelben 
ohne Drudbucdjtaben vergeljen wäre. 

Freilich geht es auch bei uns oft 
jo zu, wie Hermann Schüge es im ſäch— 
ſiſchen Dorfe gefunden bat; manches Lied 
wird von den Noten herab ohne Ver— 
ſtändnis gelungen und jämmerlich verhunzt; 
allein für das Gegentheil gibt es auch 
Beiſpiele. Wir willen es, mit welcher 
Begeifterung die von Schmölzer, Gauby, 
Koſchat kunſtſanglich gemachten Volkslie— 
der auf dem Dorfe wie in volksthümlichen 
Kreiien der Stadt gejungen werden, wie 
marfig und friſch das bereits verloren 
gewejene Volkslied wieder aufflingt. Der 
Naturfänger verdirbt an einem nad No— 
ten gelungenen Volfsliede lange nicht jo« 
viel, al& der Kunſtſänger. 

Dais auf dem Dorfe Volkslieder 
vom Notenblatt und unter dem Tactitabe 
gejungen werben, iſt aljo noch nicht 
das größte Unglüd; aber wenn die 
Banernmufifanten in ihren Kirchen jchwies 
ige Meſſen und Veipern, in ihren Mufile 
‚abenden allerlei Opern und Üperetten- 
ſtücke aufführen, das iſt ein raus! 
Hier ftedt der Bauer im rad, hier 
parliert der Hausknecht franzönih! R. 


j 





Rindermund. 


Kinder erfinden fih zur Zeit, als 
ihnen die Sprache der Erwachſenen noch 
zu ſchwer, zu unverſtändlich und zu — 
|ungereimt ift, eine eigene Redeweiſe, in 
| der fie unter einander und mit den Großen 
ſprechen und deren Iheile manchmal recht 


merfwirdig oder zum mindeſten recht 
drollig find. Manchmal auch ift es bie 
naivfte Unbebilflichfeit des Wusdrudes, 
dann wieder das geniale Hinwegipringen 
über einen ſpröden Gegenftand, das uns 
anmuthet. Agathon Keber hat in jeinem 
Büchlein „Zur Philoſophie der Kinder: 
ſprache“ (Leipzig. Ih. Grieben. 1890) 
eine Auslefe von Kinder-Ausdrüden ge— 
boten, So bat ein Kind im Morgenge- 
bete den himmlischen Vater: 


„Und ih bitt' dich väterlich, 
Ein gutes Rind lafſs werden mich.“ 


Ein anderes Kind geitand: „Ich bin ein 
Liebling (Liebhaber) von Kuchen.“ 
Meitere inderausdrüde: „Beim Unter: 
gange von Sodom und Gomorrha regnete 
es Schwefelbölzer vom Himmel,“ 
„Bei der Sintflut regnete es vierzig 
Tage und fünfzehn Ellen lang.” 
„Die Blumen bat der liebe Gott ge 
wachjelt (wachſen laſſen),.“ „Das hat 
mich vertraurigt“ (traurig gemadt). „Er 
bat drei Finder und zwei Mädchen.“ 
„Als biblifhe Geſchichte war, 
waren die Menichen noch ſehr arm.“ 
Ein Kind fragte: „Wie viel ift 
denn ein Procent ?* Ein anderes ant— 
wortete auf die Mahnung, es jolle fih 
nicht jo im Dreck umbermälzen: „Sch 
will ja ein Drechsler werden.” Als 
eine Mutter warnte: „Lajs das, ſonſt 
ſchilt die Tante!” antwortete das Kind: 
„Sit Sie denn eine Schildfröte?” 
„Zante, du brillft ja jo!“ ſagte ein 
anderes zur alten Perſon, die Brillen 
trug. Ein Lehrer, welder da3 Wort 
„Furien“ erklärt hatte, verlangte ein 
Beiipiel. Das Kind antwortete: „Furi- 
gen Sonntag babe ich mich erfältet.“ 
Ein fünfjähriges Mädchen erzählte nicht 
bloß von Ameijen, jondern auch von 
einer Amaus. Ein anderes fragte: 
„Iſt Weihnachten zuerfter, al3 mein 
Geburtstag?” Ein anderes wollte jagen: 
„Auf dielem (in die Numpellammer ge 
jtellten) Stuhl ſitzt wohl fein Menich“, 
und jagte: „Alle Menſchen ſitzen 
wohl nicht auf diefem Stuhl.* „Der 
Etorh hat mir ein Geſchwiſter gebracht”, 


152 


erzählte ein vierjähriges Mädchen, „es 
it eine Buppe* (ein Bub). 

Nach der Überfiedelung einer Familie 
von einem Stadttheil in einen anderen 
fagte das Kind, ald es vom Fenſter der 
neuen Wohnung aus das erjtemal die 
auf dem Plate ftehende Kirche ſah: „Ach 
danke bir, lieber Papa, daſs du mir da 
draußen die Schöne Kirche herftellen ließeſt.“ 

Jeder, der jelbft mit Kindern zu 
thun bat, wird diefe Beiipiele leicht ins 
Zehnfache vermehren können. 


Amerikanifdje Bienftboten. 


Intereffant für unjere Hausfrauen 
dürfte die Schilderung amerifaniicher 
Dienfimädchen-Berhältniffe fein, welche 
dem Wrivatbriefe einer jungen, nad 
Chicago verheirateten, deutſchen 
Frau entnommen iſt. Sehr angenehm 
it, jo heißt es in dem betreffenden 
Schreiben, die Sitte, daſs einem alles 
ind Haus gebracht wird, was man in 
der Wirtichaft braucht. Es wäre jedoch 
anders auch gar micht möglid, denn 
die hieſigen Dienjtmädchen geben mit 
feinem Korb auf die Straße. Infolge 
deilen gibt es wohl auch feine Rollen 
für die Wäſche; denn die Mädchen wür- 
den fi vielfach weigern, die Wäſche zur 
Rolle Hinzutragen. Aus ähnlichen Grün- 
den beſteht bier an der Hofſeite jedes 
Mietshanfes eine äußerſt praftiiche Ein- 
richtung, welche ich euch drüben wohl 
enıpfehlen möchte. Es ift dies eine ein» 
fache, aus Striden beftehbende Hebevor— 
rihtung, an welde jeder Mieter ein 
Anrecht bat und welde Waren, leere 
oder gefüllte Eimer ꝛc. binaufe, reip. hinab- 
befördert. Dadurch wird viel mühevolles 
und zeitraubendes Treppenjteigen geipart. 
Ah, die deutjchen Dienſtmädchen! Wie 
anipruchslos find fie doch gegen die unſe— 
rigen! Hier iſſst jedes Mädchen mit am 
Tiſch; fie würde es als Beleidigung auf: 
faflen, wenn man ihr das vermweigern 
wollte. Wenn fie nach ihrer Meinung 
nicht genug zu een befommt oder es ihr 











ſonſt nicht gefällt, geht fie einfach aus 
dem Haufe, ohne dajs fie nöthig hätte, 
zu kündigen, Mir begegnete es mit mei- 
nem erjten Mädchen, daſs ihr Vater fie 
mir des Montags von der Wäſche fort: 
bolte, weil er eine Stelle in der Fabrik 
für fie erhalten hatte. Sie padte fofort 
ihre Saden und gieng, — id fonnte 
nicht3 dagegen machen. Und wenn fie 
fommen, find fie ganz die feinen Damen, 
erkundigen fich erit genau nad allen Ein- 
zeinheiten der Haushaltung, ſehen ſich ihr 
Zimmer an, bejonders daraufhin, ob ji 
ein „bureau“ darin befindet (ein unten 
aus Kommode, oben aus großem Spiegel 
beitebendes Möbel). Meiſt bleiben fie 
nicht lange, troß des hohen Lohne von 
wenigitens 2 Dollars wöchentlich, d. i. 
ca. 18 Gulden monatlihd. Die meinige 
befommt jogar 26 Gulden. Und dabei 
pugen fie nicht einmal die Stiefel für 
den Herrn ; diefer muſs jich vielmehr — 
will er fich nicht jelbit daran machen — 
fein Schuhwerk auf der Straße reinigen 
laſſen oder jich ertra einen Nigger (Neger) 
für diefen Zweck halten, Um glei noch 
ein Beiſpiel von den übrigen Lohnver— 
hältniſſen im Haushalt zu geben, jet er 
wähnt, daj3 eine Waſchfrau 4 Gulden 
den Tag erhält und dabei nicht länger 
arbeitet al3 von 8—6 Uhr. Aufmwarte- 
frauen find überhaupt ſehr ſchwer zu 
betommen und müllen ebenfalls jehr thener 
bezahlt werden. Eins ijt ganz jo wie 
bei euch: fie ftreben alle nach der Fabrik, 
weil fie dort unabhängiger find. Woher 
fie freifih fommen, weiß man nur allzu 
oft nicht, denn polizeilihe An- und Ab— 
meldung find nicht Sitte. Es kommt 
vor, daſs fie aus öffentlihen Hänfern 
direct in einen Dienſt geben, weil es 
ihnen gerade fo gefällt, und man ahnt 
nicht3 davon, wen man um jfich hat, Zeug: 
niſſe braucht ja feine von ihnen zu bejigen! 
Dft geben fie einen ganz faljhen Namen 
an, wenn fie fih ihres richtigen ſchämen. 
Die Dienftmädchennotb, welche gerade hier 
in Chicago berricht, hängt damit zuſam— 
men, daſs letteres zu weit landeinmwärts 
liegt. Wer jtellt denn das größte Contin- 


gent der amerifanijchen Dienftmädchen ? 





Die eingewanderten Deutjhen. Dieſe halten 
es jedoch meift für ficherer, in den Hafens 
jtädten zu bleiben, als aufs Gerathemwohl 
den zwei bis drei Tage langen Weg nah 
Chicago zu wagen, abgejehen davon, dajs 
fie oft nicht mehr die nöthigen Mittel hier- 
zu beſitzen. Wie viel Stoff zu Geiprächen 
über Dienftboten wir amerikaniſche Haus: 
frauen befigen, fönnt ihr euch hiernach 
denfen! Euch aber möchte ich wohl einmal 
meine Betty auf einige Wochen wünjcen, 
danı würdet ihr im jedem bentichen 
Dienftmädden ein Mujter an Einfalt 
ud Beſcheidenheit jehen ! 


Luſtige Beitung. 


Galanterie und Offenheit verband 
mit feinem Geſchick jener Sohn des 
himmlischen Neiches, der als Attaché 


der chineſiſchen Geſandtſchaft in London 
einem Gartenſeſt beiwohnte und von einer 
etwas fofetten Dame ins Geſpräch ge 
jogen wurde, Auf die Frage, was die 
Ghinefen an den Frauen am höchſten 
ſchätzten, antwortete er, ohne ſich zu be 
denken: „Die häuslichen Tugenden.“ Die 
Engländerin fuhr darauf im mitletdigem 
Tone fort: „Wirflih ! Sie haben es aljo 
nicht gern, wenn Ihre Frauen in Geſell— 
ichaft geben, um etwas zu plaudern?” — 
„Nein, gnädige rau, ein Chineſe hat 
das Net, fih von feiner Frau jcheiden 
zu laffen, wenn fie allzu geiprädig tt.” 
Die Dame glaubte hierin eine leije An— 


ipielung jehen zu müffen und fragte 
ſpöttiſch: „Ich fürchte, dajs das mein 
Los in China jein würde!” worauf 


der Chineſe mit einer tiefen Verbeugung 
erwiderte: „Sie dürfen überzeugt ſein, 
dais mit dem Tage Ihrer Ankunft in 
China die harten Geſetze gegen die Ge 
Iprächigkeitder Frauen abgeändert würden, * 


Entihuldigt. „Aber, liebes Lies» 
hen, deine Briefe an mich wimmeln ja 
von orthographiſchen Fehlern!“ — „Sa, 
Liebſter, weißt du — ich fürchte mich 
jo; von Mama ertappt zu werden, und 
da Schreib! ich dir immer im Dunfeln,* 


Bor der Gardinenpredigt. 
Frau: „Seht babe ich vier Stunden 
gewartet, dajs du aus dem Wirtshauje 
heimkehrſt!“ Mann: „Und ich 
dort vier Stunden, daſs du einſchlafen 
ſollteſt.“ 


Richter: „Sie haben alſo dieſe beiden 
Herren am Sonnabend derbe durchgebläut 
und geſtehen dies auch zu?“ — Ange— 
klagter: „Jewiſs doch, Herr Richter!“ 
— Richter: „Hm! Und wie kamen Sie 
dazu, alle beide in dieſer unverantwort— 
lihen Weile zu jchlagen ?* Ange: 
Hagter (freimüthig): „Offen jejtanden, 
Herr Richter, for eenen Eenzigen 
wären die Seile zu ville jewejen !“ 


Dem erwarteten Gerichtsvollzieher 
zum Gruß batte ein Leipziger Studio 
in jeinem Zimmer auf in die Augen 
fallendem Zettel folgende Verſe nieder 
geichrieben : 

„sch weiß, du kommſt, um mich zu pfänden, 
Du ftrammer Bote des Gerichts! 

Ich lenn' die Leute, die dich jenden, 

Doch dieie Leute Triegen nichts; 

Zwar dein Beftreben jcheint mir löblich, 
Plichteifer treibt jo früh dich her; 

Doh glaub’ mir, Freund, Du fommit ver: 


geblich, 
Denn bier ift alles öd' und leer. 


Sieh’ hier eh'mal'gen Reichthums Reſte: 

Ein Port'monnaie mit nichts darin, 

Dort an der Thür hängt eine Wefte, 

Wenn fie dir anfteht, nimm fie hin! 

Sonft bieten nichts dir dieſe Näume, 

Die fuhend jeht dein Blid durdirrt; 

Denn Stiefellneht und Gummibäume 

Gehören meinem Zimmerwirt. 

Du fiehft: hier ift nichts fortzuichleppen, 

Mich dauert, dais du di bemüht! 

Es find vier unbequeme Treppen! 

Geh’ hin, wo Pradt und Lurus blüht! 

Noch iſt es früh, — geniek den Morgen! 

Was nützt es, daſs du länger weilſt? 

Doch kannſt du, Freund, mir etwas 
borgen, 

Leg's hin, eh' du von dannen eilſt!“ 


Der Canonicus Pfaffle beſucht 
im Auftrage des Miniſteriums die Lehr— 
anſtalt des Directors Sch. Dieſer führt 
den geiſtlichen Herrn unter anderm auch 
nach dem Garten, wo zu Leckerzwecken 


— 


„Sehen Sie, Hochwürden, die Gruppe 
bier rechts, das find fleiſchfreſſende Pflan— 
zen.“ — Ganonicus (höchſt überraſcht): 
„Wie? Was?“ — Tirector (lächelnd): 
„Wie ich Ihnen jage, Hochwürden; die 
Pflanzen da freifen Fleiſch.“ — Cano— 
niens (jchnell gefajst, mit beiligem Eifer) : 
„Aber doch hoffentlih nicht an Frei— 
tagen!“ 


Marrer: „Ja, das hilft nichts, 
Schnabelbauer, das iſt nun einmal jo 
Sitte, ihr mülst Eurer jeligen Frau 
eine Grabjchrift jegen, fonit denken Die 
Leute, ihr hättet euch gar nicht ein 
bijschen lieb gehabt.” — Schnabelbauer: 
„Was das betrifft, Herr Pfarrer ... . 
Sie wiſſe, ich bin e friedfertiger Mann... 
fie hat's als gar arg mit mir getrimmwe, 
und geſchmiſſe hat fie mich auch. . . ich 
fann nun emal net gege die Wahrheit 
rede. .* — Mfarrer: „Nun, jo jegt 
auf den Grabftein: „Sie iſt mein Ste 
den und mein Stab gemejen.”“ 


Am Hofe des Königs Karl X. von 
Frankreich lebte ein geijtreicher, aber ganz 
ungewöhnlih häſslicher Prieſter. Als 
derjelbe eines Tages dur ein, kurzweg 
als „Ochſenange“ bezeichnetes Vorzimmer 
des Herrſchers in Berjailles gieng, jagten 
einige dort befindliche Höflinge ganz 
laut: „Da fommt Meiop zu Hofe.“ 
Kaltblütig erwiderte der Geiftlihe: „Yhr 
Gleihnis, meine Herren, iſt für mid 
jehr jchmeichelhaft, denn Mejop madte 
die dümmſten Thiere jpreden.* 


An der Stadt K., die an einem 
See liegt, findet fich folgende PVelannt« 
mahung angeichlagen: „Wenn man eine 
Frau aus dem MWaffer ziehen will, ſoll 
man fie an ihren Kleidern, nicht an den 
Haaren erfaflen; es hat fich gezeigt, 
dajs die legteren dem Nettenden meiſt 
in den Händen bleiben, * 


Ein anderer Menjd. Geilt- 
liher: „Hören Sie die mahnende Stimme 
eines Freundes nnd laſſen Sie ab von 
dem Genuſſe geiltiger Getränke!“ 


„Ach, Herr Prediger, det Leben is jo 


allerlei Pflanzen gezogen werden. Director: ; ſchwer. Is et mir da zu verdenfen, wenn 





ick's mir manchmal mit eenem Bittern 


zu verfüßen juche? Hab’ id Eenen jerrun« | 


fen, bin id jleih een andrer Menſch, 


man doch och wat jönnen.“ 


„Herr Pfarrer, begebe ich eine Sünde, 
wenn ich zum Tanz gebe?“ „Ja, 
liebes Kind, das kann ich dir nicht jagen. 
Ich bin ja nicht dabei!” 





Auf dem Mhonegleticher. Führer (zu 


einem engliichen Touriften, der von feiner | 


Tochter begleitet ift): „Hier, mein Herr, 
iſt die Stelle, wo der bekannte Berg: | 


fteiger Uri in den Abgrund ſtürzte.“ | 


Engländer: „Hier wäre es gewejen ? | 
Unfinn! Der Ort liegt zwei Stunden | 
von bier entiernt. Im vorigen Jahre | 
haben Sie mir ja die Abjturzitelle ger | 
zeigt 1% — Führer (zuvorfommend): „Sie 
haben recht, aber ih glaubte, für Ihr 
Fräulein Tochter würde es bis dahin zu 
weit ſein!“ 


Ein ſchwäbiſcher Pfarrer fpricht mit 
fleinen Kindern in der Neligionsjtunde 
über die Allgegenwart Gottes und 
fragt: „Wo ijt Gott?“ — Antwort: | 
„Überall.* — Frage: „Hit er auch in 
der Stube?” Antwort: „Ja.“ | 
Tarauf fragt ein Heiner Junge den! 
Pfarrer: „Iſch Gott au in üſem (unjerm) 
Cheller (Keller)?“ — MWiarrer: „Ganz 
gewiſs!“ — Schüler: „Jetzt ſieht ma, 
daſs n’ Lügner biſcht, mir han jo gar 
fein’ Cheller!“ 





Guter Troft. Vater (von der 
Reiſe zurüdgefehrt): „Weshalb heulit 
du?" — Söhnden: „Mama bat mid 
geihlagen !” „Na, jei ruhig, von 
morgen an baue ich dich wieder!“ 





In der Provinz Sachſen wurde eine 
Landſchule vom Sreisichulinipector be 
fihtigt. Als dieſer eintraf, behandelte der 
unterrichtende Lehrer gerade das Hauptitüd 
von der Gerechtigkeit Gottes. Der San | 
inſpector hörte dem Unterrichte einige Zeit 
zu, dann ergriff er das Wort und richtete | 


zwiſchen 


an die Kinder die Frage, wie ſich Gottes 
Gerechtigkeit zu ſeiner Gnade verhalte. Er 


erwartete natürlich die Antwort zu hören: 
und eenem andern Menſchen mul! 


Gottes Gnade iſt größer als feine Ges 
rechtigfeit. Nach einer Pauſe erhielt er 
die Antwort: Gottes Gerechtigkeit verhält 
fih zu jeiner Gnade wie 1 zu 250.* 
Als der Schulinfpector eine Begründung 
diefer Behauptung wünſchte, erklärte der 
Knabe Folgendes: „Gott will ftrafen 


, er bis ins vierte und wohlthun bis ins 
Ein rüdjihtspvoller Führer. 5 —— 


tauſendſte Glied. Beim Strafen zeigt er 
ſeine Gerechtigkeit, beim Wohlthun ſeine 
Gnade. Demnach iſt das Verhältnis 
Gerechtigkeit und Gnade wie 
4 zu 1000 oder 1 zu 250!“ 


Dentlid. Ein berühmter Profefjor, 
der vielfach durch neugierige Fremde ge 
ſtört ward, ließ ſchließlich an feiner 
Thür ein Schild mit folgender Auffchrift 
anbringen: „Wer zu mir fommt, erzeigt 
mir eine Ehre, wer nicht fommt, macht 
mir ein Vergnügen !* 


Galgenhumor „Bu, Adolf, 
woher haft du denn die dide Bade?“ — 
„Die? Das ift weiblihe Handarbeit.” 


Sunn’ und Monfdein, 


Hat d’Sunn zan Monſchein gjoge: 
Don a jeans Lebn; 

Kann ih den gonzn Tog 

D' Melt jhaffn jegn. 

Siag ih, wia 's Gampſal jpringg 
Hoch üba 's Gwänd, 

Siag, wia da Jaga 

Sein Stußerl obrennt. 

Siag ih, wia '3 Dirndl 

In Feld Fuata ſchneidt, 

Schau ih hin wodawöll 

Lauta Lebn und Freid; 

Und üba Berg und Thal 

Strah ih mein Sunnenftral. 
Fallt ma nit ein, 

Dais ih eppa da Monſchein medht fein! — 
Hat draf da Monjchein gioge: 
Hon a jeans Lebn; 

Kann ih die gonzi Nadt 

D' Welt raftn jegn. 

Siag ib, wia 's Gampſal ledt 
Drobn afn Schnee, 

Siag ih, wia 's Hirſcherl trinkt 
Unten ban See; 


Siag, wia da Jaga 

Van Berg obaleidht, 

Wiar er jan Fenfta 

Ban Dirndl hinjchleicht. 

Und wieviel Glüd und Ruah 

Dedt mei Glanz freindli zua! 

Kimp mar in Sinn, 

Daſs ih doh liaba da Monſchein bin. 


Gans Fraungruber, 


Marie von Ebner-Eſchenbachs 
fedgigfler Geburtstag. 


Zu Marie von Ebner-Eſchenbachs 
ſechzigſtem Geburtstag, den die Dichterin 
auf ihrem Familienſitz, Schloſs Zidslavie 
in Mähren am 13. September d. J. begieng, 
ſtellte ſich unter den Gratulanten auch 
der Verein der Schriftſtellerinnen und 
Künſtlerinnen in Wien ein, um mit einer 
ſinnigen Huldigung ſein gefeiertes und 
allverehrtes Mitglied, das zugleich zu 
den Stiftern des genannten Vereines 
zählte, zu ehren. Ein voller, von Lorbeer— 
zweigen umwundener Ährenkranz, in defjen 
Schleife eine künſtleriſch ausgeſchmückte 
Pergamentrolle ftedte, trug die folgenden, 
von Goswine v. Berlepſch verfajsten 
Widmungszeilen: 


Wie dein milder Geift 

Des Menichenherzens Tiefen und Höhen, 
Sein Fehlen und nit zum mindeften aud) 
Seine närriiden Sprünge 

Liebreich erforicht und verftanden, 

Dann jeine Menſchen gefhaffen hat 


Und in das lichte Reich der Kunſt fie er: 
hoben, — 

Tem ein Gleihnis, 2 

Winden den Kranz von gold'nen Ähren 
wir dir, 

Dem Segen der heiligen Erde, 

Und fledten den Lorbeer, 

Den hohen, 

Um die Gottesfrüchte 

Neich aufgegangenen Lebens. 


Laſſe mit zager Hand 

Zu deinen Füßen ihn legen! 
Bewunderung — Liebe 

Blicdt zu dir empor 

Und fieht in der Zukunft Gründen 
Dir — und uns -— befcheert, 
Manch' goldenes Erntejahr nod. 


Biüder. 
Reue Rovellenbüder. 


Bier Novellenbücher liegen in ſchweſter— 
licher Eintracht auf meinem Tiſche. Der 
iharffinnige Lefer, der zwiſchen den Zeilen 
zu leſen verfteht, hat es gewijs ſchon weg, 
dafs es fih um Frauenliteratur handelt. 
Wenn ih ihm noch geftehe, daſs alle vier 
Bücher gut geihrieben find und mitunter 
recht hübſche Sahen enthalten, fo wird er 
mir gern glauben, dajs mein Vergnügen 
beim Leſen ein doppeltes war, Silvia 
Andrea verientt fih in ihren Erzäh— 
lungen in „Graubündens Bergangen: 
heit”, Willig folgen wir ihrer Phantafie 
in der erften Erzählung „Ein Apoſtel“ in 
das zweite Jahrhundert unſerer Zeitredh: 
nung, in den Miderftreit des Chriſtenthums 
gegen das Heidentgum und begleiten den 
Heiden „Tello“ bis zu dem Montente, wo 
er nad) Überftehung vieler Abenteuer und 
Herzensftürme fein Heil im Chriftenthune 
judt. „Der Märtyrerftab wird von nun 
an deine Stütze jein, die Dornenfrone dein 
Schmuck.“ — „Under zog aus, nicht mehr 
Tello, der letzte Spröfsling des Stammes 
Nandorir, jondern einer von vielen, ein 
Lichtbringer auf dem Pfade des Irrthums, 
ein Bahnbrecher durch den Urwald der Un: 
wifjenheit, einer von vielen, deſſen Spur 
im Eilſchritt der Jahrtaufende vergejien 
aber nicht verloren ift, ein Wpoftel des 
Friedens.“ Wir haben es bier aljo mit einer 
jener Erzählungen zu thun, in denen der Beift 
des Ehriftenthbums zum Nachtheile des Wertes 
desjelben nicht aus dem Herzen feinen Keim 
holt, jondern durch Widerwärtigfeiten und 
Leiden von außen in das Herz geſenlt 
murde; wäre Tello in feinen Handlungen 
und Erlebniſſen zufällig glücklicher geweſen 
— er wäre ſicher ein Heide geblieben. — 
Die zweite, ftofflich wertvolfte der drei Er: 
zählungen, „Donat von Vaz“, führt uns 
in das 13. Jahrhundert und flingt in den 
begeifternden Ausruf aus: „aber fiegreicher 
als der braujende Sturm erhob fich von 
Burg Nivail auf ftrahlendem Flügel und 
ſchwang ih über die Thäler Hohenrhätiens 
‚ein gewaltiger Aar: Der Geift der Repu: 
blit!“ Die dritte Erzählung: „Dem 
Licht entgegen“ behandelt das Landsknechts⸗ 
weſen der Eidgenoſſen im ſechzehnten Jahr— 
hundert mit feinen Auswüchſen und die 
Reformation. — Ye mehr fi die Erzäh— 
lungen der Gegenwart nähern und bemnad 
aus klarerem Grunde fi erheben, wird 
die Charakterzeihnung fiherer und gelun: 
gener. Der Drang nad) Befreiung aus 
leiblicher oder geiftiger Knechtſchaft bricht 
‚fi in allen drei Novellen fiegreih Bahn. 
‚Die Geihichte der Eidgenofien bietet hiefür 
Idanfbaren Stoff und es ift der Verfaflerin 








157 


bod anzurechnen, dafs fie die ethiichen Mo: | glaubt, Heine Gefhichten müfsten aud mit 


mente in der Geihichte ihrer Landsleute 
mit feinfühligem Verſtändniſſe und begei: 
fterungövoller Hingabe an die fFreiheit zum 
Auspdrude bringt. Ein Anahronismus ift 
das „Handriihe* Tuch des Heiden Tello; 
in der zweiten und dritten Erzählung mag 
Das „fandriihe Tuch“ hingehen. Der Name 
„Flandern“ taucht erjt im fiebenten Jahr: 
bundert auf und wenn es im zweiten Jahr: 
bundert in der römischen Provinz „belgica 
secunda* auch Tuhmader gab, jo erzeugten 
dieje gewijs fein „flandriſches“ Tuch. Die 
Grzäblungen aus Graubünden 
Vergangenheit erjheinen im Commiſ— 
fionäverlage von 3. Bogel in Glarus. Ich 
bielt mich länger als jonft bei diefem Buche 
auf, weil es, wie ich glaube, das Erftlings: 





jo winzig Heinen Leitern gedrudt werden, 
jo mag fie nur einen Theil der Lejer für 
fih haben — der andere Theil wird dieſen 
Drud ein Augengift nennen. Die Gejchidhten, 
die meift Heinbürgerliches Leben anſchaulich 
und oft mit Humor jdhildern, entbehren 
rührenden Beiwerkes nicht und das Mär: 
hen „Die Ballſchuhe“ verräth geradezu 
Anderſen'ſche Schule. — tt — 


Novellen von Richard Voſs. (Berlin. 
Freund & edel 1890.) 

Geftern ein kunſtvolles Gefäß, heute 
Scherben! Das tft fonft der Lauf der Welt. 
Ich weiß einen Yal, wo das umgekehrt ift. 


' Unfangs die „Scherben“ und nachher das 
‘vollendete funftreiche Gefäh. Ich ſpreche von 
. m ‚dem Wege, den Richard Bojs zurüdgelegt 
... Die Berfaflerin der Novellen „Aus | yon jeinem erften, weltzerfahrenen Üerfe 
Oſlerreich (Deutihe Berlags-Anftalt) Joſé | „Scherben“ bis zu feinen neueiten Werfen, 
Baronin Schneider von Arno befist!,, ®, den Dramen, die gegenwärtig fieg: 
die bemeidenswerte Gabe, anmuthig umd | reich und bewundert auf der deutfchen Bühne 
furzweilig zu plaudern. Dies beweist eine | ſtehen. Hier weile ich nur auf den Erzähler 
der reizendften Humoresken, die mir jeit bin, der uns die Romane „Bergaiyl*, „der 
längerer Zeit zu Geſichte Tamen: „Luſtgas.“ | Gonvertit”, „Michael Eibula*, die „Römi: 
In den ernjten Erzählungen wird die Ber: ſchen Geſchichten“ und die „Novellen“ ge: 
fafierin gern etwas jentimental. Die zweite | fhrieben hat. Die neuefte Sammlung der 
und dem Umfange nad bedeutendjte Novelle | Novellen babe ih mit beionderem Genuſſe 
des Buches „Graue Augen“ ift in Anlage geleſen und in denjelben eine Geichichte mit 
und Turhführung ſonſt gelungen, nur Die yahrem Entzüden, Die Geſchichte heikt: 
Gharafteriftit ift nicht immer ſcharf und | „Der faule Checco.“ Es gibt nichts Liebens— 
zutreffend genug. Man glaubt beim Leſen pürdigeres, nichts Gefuͤnderes als Diele 


werf einer begabten und eine edle Richtung 
verfolgenden Schriftſtellerin ift. 


der Briefe des Helden die SGerzensergie: 
Bungen einer Gouvernante zu hören. Das 
„unphiloſophiſche Wort über die Philojo: 
phie“ hätte uns die außergewöhnlich begabte 
Tame eriparen fünnen. Das Buch enthält 





Dorfinovelle, und wenn man fie wunderswegen 


‚vergleicht mit des Berfaflers Erftlingsar: 


beiten, jo mujs man Reſpect haben vor 
einer moraliihen Kraft, der e8 gelungen 
ift, aus Jrrpfaden fi zum rechten Wege 


im ganzen außer dem Vorwort und dem | zu finden, fi in Leid und Kampf empor: 
„unphiloſophiſchen“ Nachwort ſechs Novellen, | zuringen zur freien, jonnigen Stelle, wo die 
von denen jchon die erfte, oben kurz gelenn: | Peften der Nation ftehen. Beſonders dieſe 
zeichnete Novelle „Luftgas", das Buch als Geſchichte, „der faule Checco“, könnte nicht 
gute Lectüre empfiehlt. | töftlicher jein, ſelbſt wenn fie Gottfried Keller, 
A. Godin ift eine gewandte Erzäblerin | an deijen urfräftige Muſe fie erinnert, in 
und ihre jehs Kleinen Geſchichten ſeiner beiten Zeit gejchrieben hätte, Es ift 
(®erlin. Schorr) find recht hübſch, bis auf | nicht zuviel gejagt. Voſs' Werte nun zu 
die fünfte Geſchichte „Liebeskraft“. Dieſe | harakterifieren, Fritiich zu zergliedern! Das 
Geſchichte iſt wirtlih nit hübſch. Kine iſt meines Amtes nicht. Ich will mit diejen 
Dame ſoll nit den Ehebruh zum Bor: wenigen Worten nur hingewieſen haben auf 
wurfe einer Erzählung wählen, wenn fie die erzählenden Schriften des Dichters, des 
nicht gerade mufjs, und A. Godin mußſs | weiteren mag der Leſer fich ſelber in Ver— 
nit — denn eine reiche, geläuterte Phanz | tehr jegen mit einer großen eigenartigen 
tafie ift ihr dienftbar. Dafür ift die dritte Kraft, dergleichen etwas ſehr Seltenes ift im 
Novelle „Herzklopfen“ eine originelle, präch- neuen deutichen Reiche. R. 
tige Geſchichte voll jhalthaften Humors, 
der bejonders am Lejer jein Müthchen fühlt. 
Schon dieſer Gefhichte wegen verlohnt es 


fih, das Buch zur Hand zu nehmen. ſchen. Nicht Für höhere Töchter, noch für 
Nettes in der Sleinmalerei leiſtet niedere Buben. Bon R. P. Löhn. (Züri. 

Alerandrine v. Holmblad, die eben: Berlagsmagazin. 1890.) 

falls Kleine Geſchichten (Damburg. J. „Auf! Hollaho! Ihr frommen Zions: 

F. Richter) veröffentliht. Wenn fie aber wädter! — hr, des Gefhmads priviles 


Realiſtiſche Märchen und melaphyſiſche Hiför: 


gierte Pächter. — Wuf euch pfeif' ih, ihr 
jcheinheiliges Lügnerlumpenpad. — So hab’ 
ih dreimal mehr als ihr Charakter, Die 
Schmugigen jeid ihr, ih bin ein Nadter. 
— Ihr verficht mid nicht, ihr Kakerlaken, 
das ift mir Wurft und Schnuppe, janz 
ejal.“ — 

So heißt es in Ihrem „Borruf". Aber 
warum jo ungezogen, Herr Löhn? Willen 
Eie, vor wen Sie ftehen? Vor Goethe, 
Schiller, Lefiing, Uhland, Grillparzer, Rai: 
mund und anderen „Pädtern des Ge: 
ihmads’. Wenn aud der Geihmad ji 
ändert, einen Reſpect dürften die genannten 
Männer immer noch verdienen. Meinen Sie 
nicht, ungeberdiger Herr Löhn? Der Wurm 
böhnt den Adler, weil er jelber nicht fliegen 
fann. Was Sie in diefem Büchlein zujam: 
mengeichrieben, ift mit wenigen Ausnahmen 
lächerlich, ſinnlos, brutal und abgejhmadt. 
Sie wollen fih indes Hug zu Genoſſen 
Ihlagen: „Doch euch, Naturaliften, derb 
und liederlid, ihr Söhne der Natur, euch 
grüß' ich brüderlih.* Ja ſicherlich, jchöne 
Seelen finden fid. 

Nur eines möchte ih Sie fragen, wa: 
rum Sie Ihr Büchlein „höheren Töchtern“ 
nicht in die Hand gegeben willen möchten? 
Wenn der „Naturalismus* gar jo unſchul— 
dig und fegenbringend ift, weshalb wollen 
Sie denn die höheren Töchter darum ver: 
fürzen? Oder haben Sie die Bemerkung, 
dais Sie nichts für „höhere Töchter“ find, 
nur darum auf das Titelblatt gejchrieben, 
damit Sie ein befferes Geihäft maden? 
Ei gehen Sie, licher Herr Föhn, dann han: 
deln Sie lieber mit Häuten, Knoppern oder 
anderen Naturproducten. Die Richtung, 
welche Sie und Genoſſen in der Literatur 
einichlagen, mag einzelnen Leſern Spajs 
machen, das ganze Bol, der ernſte Menich 
wird niemal® daran Geihmad finden. 
Wenn aber das deutiche Volk zu euch in 
die Schule gehen follte, dann ift es das 
deutſche Volt nicht mehr, dann wird es 
einmal heißen: Das deutiche Volt ift fittlich 
zugrunde gegangen an jeinen Dichtern. 
Ihnen gebe id den Rath, Herr Löhn, dafs 
Sie in ftiller Stunde einmal darüber nad: 
denfen wollen, was Sie mit ihren „Neali: 
ftiiden Märden und metaphyſiſchen Hiftör: 
hen“ eigentlich gewollt haben, Wahrſchein— 
lich nichts, als ein gutes Honorar. Schen 
Sie, und das haben Sie aud nicht be: 
fommen, Es ift eine elende Welt. M. 


Unfer Raifer im Liede. (ine Feſtgabe 
zum 60. Geburtstage Seiner Majeftät des 
Kaiſers franz Jofef I. Bon Dr. Wilhelm 
Shram. (Brünn, Rudolf M. Nohrer.) 


In der jhönen Sammlung wetteifern 


Poeten wie Zedlitz, Caſtelli, Friedrich Halm, 


Joſef Weilen, Friedrich Marx, Egon Ritter 
von Ebert, Cajetan Cerri, Stephan Milow, 
Ernſt Wildenbruch, Roſegger, Ant. Schloſſar, 
Emil Soffé und andere aus älterer und 
neuer Zeit, um dem geliebten Herrſcher 
des Reiches ihre Huldigung zu bringen. 
Einzelnes Weniges ſieht allerdings jo aus, 
als käme es mehr aus dem Knopfloch, 
als aus dem Herzen; die meiften dieler 
Poeſien jedoh tragen den Stempel — 
Begeiſterung und Liebe an ſich. 


Der erite Band des neuelten Wertes 
von Hans Wachenhuſen: „Aus bemweg- 
tem eben, Erinnerungen aus dreikig Rriegs- 
und Friedensjahren‘‘ (Verlag der Straßbur: 
ger Druderei und Werlagsanitalt), liegt 
jeht vor. 

Machenhufen beginnt feine Aufzeich— 
nungen mit dem Jahre 1853, der Thron: 
befteigung Napoleons III, und führt uns 
im erften Bande bis zum Jahre 1861, der 
Einigung Italiens zu einem Königreiche 
unter Victor Emanuel. Vom Balkan, befien 
Zuftände in jener Zeit er in lebendigen 
farben fchildert, führt er uns durch den 
ruffiichetürfiichen Feldzug über Konftanti- 
nopel nad Wien, von da nad) Berlin, wo— 
ſelbſt er einige Zeit der Ruhe pflegte. Uber 
lange hält er es nit aus. Bald finden 
wir ıhn auf dem Striegsfhauplage in Spa: 
nien wieder, von weldyen er, nach mancherlei 
Irrfahrten, fih nah Italien begibt, dort 
die Befreiung und Einigung Italiens mit: 
erlebend. 


In wechjelnden Bildern läfst der Vers 
fafier Land und Leute an uns vorüber: 
ziehen, weiß die Perjonen trefflich zu ſchil— 
dern, die in dem Wirrjal der damaligen 
Zeit die politiihen Fäden in der Hand 
hielten, daS Feuer ſchürten oder mit dem 
Degen in der Fauft die Knoten zerhieben, 
welche diplomatiiche Künſte geihürzt. Da: 
neben führt er uns in die Geſellſchaft, in 
das Leben der Höfe mit ihren Intriguen, 
in die Salons der Bornehmen und Reichen, 
an die Stätten, wo Kunſt und Wiſſenſchaft 
ihre Pflege haben, und zeichnet charalteriſtiſch 
Männer und Frauen, die in jenen Tagen 
eine hervorragende Rolle jpielten und deren 
Namen no in aller Gedächtnis find. 

Beſonders intereflant find die Schil— 
derungen und Beobadjtungen über das Leben 
in den großen Hauptftädten, jo namentlich) 
über Paris, das damals begann, feine heu: 
tige äußere Geftalt anzunehmen, und über 
den Hof Napoleons III, welder das Baro: 
meter fir den politiihen Wetterſtand war, 
Mit ſcharfem Blid hat Wachenhuſen mander 
der mahgebenden Perſonen befondere Züge 
abgelaujcht, die uns den GCharalter, das 


Mollen und Wirken, überhaupt die ganze 

politiiche Rolle derjelben in einem zum 

Theil neuen, eigenen Lichte erſcheinen laſſen. 
V. 


Zum fünſundzwäanfigjährigen Veſtehen 
der „Modenmweil“ 1865—1890. (Berlin. 
Franz Lipperbeide.) 

Diefes Gedentbuh enthält nebſt der 
Gejchichte der Zeitihrift „Modenwelt* eine 
bildlide und beichreibende Überfiht der 
Moden feit 115 Jahren, welche ſehr lehr— 
reich und überaus ergößlich it. M. 


Mantegasja, Prof. Paul, Blumenmärden, 
Aus dem Italieniihen von Dr. R. Teu: 
fher. (Jena. Hermann Goftenoble ) 

Diesmal befhentt und Mantegazzas 
berühmte Feder mit einem Werte, zu welchem 
feine reihe Phantaſie allein den Stoff ge: 
liefert hat, mit einer Sammlung von Ge: 
dichten in profaifcher Form, von denen 
jedes eine beijondere Blume zum Gegenstand 
bat. Bon jeher hat das Bolf jeder Blume 
einen gewillen GCharalter, einen Grund: 
gedanfen, den fie ausdrüden joll, zuge: 
fchrieben, wie dies ja ſchon die fogenannte 
Blumenipradhe andeutet. In folder, uns 
tief ergreifender, poetiiher Auffaſſung 
Ichildert uns Mantegezza die Entftehung der 
intereflanteften Blumengeftalten, der ſchönen 
und bälslichen, der beicheidenen und hoch— 
mütbigen, der jelbitjüchtigen und hingeben— ‚ B 
den, und erfindet für jede einzelne eine Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen: 
reizende Erzählung, in denen der viel: 


gereiste Verfafler uns mit föftlichem Humor Hui ; A A 
in die natürliden Urfprungsländer jeder Pradt:Ausgabe, Lieferung 10. —15. (Dam: 


Vilanze verieht und fo die glüdlichfte Ab: burg. Berlagsanftalt und Druderei:W.:&.) 

wechlelung in jeine Darftellungen einführt. Sefammelte Werke von Ludwig An: 

V. /|jengruber, Fünfter Band. Stalenderge: 

ſchichten, Gedichte, MOHN, Beſchau⸗ 

Auf Schneeſchuhen durch Grönland, jo liches, Stimmungsbilder, undartliches 

lautet der an Ar welches u. ſ. w. (Stuttgart. J. G. Cotta'ſcher Ver— 
Nordpolfahrer Dr. Fridtjof Ranſen |lag. 1890.) 

herausgibt und deſſen 1. Lieferung ſoeben Aus drei ändern. Novelliftiiche Sitten— 

in der Berlagsanftalt und DrudereisW.:®. |pifder von Olga Wohlbrüd. (Stutt« 

(vormals 3. F. Richter) in Hamburg er: gart. ©. 3. Göſchen'ſche Berlagshandlung. 


Bonentarifjeiger. (Wien, Robert Weis.) 
Derielbe enthält alle Übergangsftationen, 
vorzüglichften Badeorte und frequenten 
Stationen, aus melden bei mehr als 
4000 Gombinationen ebenio einfah wie 
ſchnell zu entnehmen ift, welchen Betrag 
man zu entrichten hat, wenn man die Sta: 
tionen der weſtlichen Staatsbahnen unter: 
einander zu befahren hat. v 


— — —— — — —— —— — — 


Hamerling, Rönig von Sion. Illuſtrierte 


IMmES ſih ber Veſchre 1890.) 
it Spannung fieht man der Beichrei: ung 5 
bung diefer abenteuerlichen Fahrt entgegen. Irma. Schaufpiel in vier Acten von 


Eine Beigabe von nicht zu unter: Adam Müller:Öuttenbrunn. (Dres: 
ſchäßendem Werte find die gezeichneten Ab: | den. ©. Pierfon. 1891.) 


bildungen und die dem heutigen Stande xriedrich Hölderlin. Fri Reuter. Von 
der Wiſſenſchaft entipredenden Kartenbei: |Y, Wilbramdt. (Führende Geifter, ber: 
lagen der Nordpolarregion. V. [ausgegeben von Dr. U. Bettelheim. 11. Bd.) 


Dresden. L. Ehlermann. 1891. 


Rinder-Garltenlaube herausgegeben von A gi Wir ee Ton Bit 
Albert Richter (Nürnberg). —— ec nn i 8 
: : : . des Univerfum. 1890.) 
Außerordentlich beliebt in der Kinder: 
welt und auch diejer Verbreitung volllom: Benfeils des Meeres, Amerikaniſche 
men würdig, ift die „Hindergartenlaube*, | Stijzen von Maurice Reinhold von 
welche bereit3 vier Jahrgänge hinter fih Stern, (Glarus. J. Vogel. 1890.) 
hat. Sie bietet eine Fülle von Stoff zur | Moltke als Denker. Goldene Worte aus 
Haas ala En ke near Ein ‚Tämmtlichen Werten, Neden und Briefen des 
und tft ein in jeiner Art einzig daftehendes — Rubst elle ©, Ger 
Unternehmen. Was dem Werte zur beſon— mann. 1890.) ü — 
deren Zierde und Empfehlung gereicht, Das | | 
find die ganz vorzüglid ausgeführten Far— Gefammelte Didlungen von Ludwig 
bendrudbilder. V. Eichrodt. Zwei Bände, (Stuttgart. Adolf 
- - Bonz & Comp. 1890.) 


160 


— — — 


Gedichte von Anton v. Schullern. 
Aus dem Nachlaſſe geſammelt und heraus— 
gegeben von ſeinen Freunden. (Leipzig. 
U. ©. Liebestind. 1890.) 


Mußeſtunden. Lyriſche Dichtungen von 
Willy Schollmepyer. (Seifhennersdorf. 
Mar Großmann. 1891.) 


Deutfche und deutſchröſterreichiſche Volks» 
lieder für vierfliimmigen Männerdor. Im 
Auftrage des deutihen Vollsgeiangvereines 
in Wien herausgegeben von Dr. Y. Bon: 
mer. Bisher 4 Hefte. (Wien. Rebay & 
Robitſchel.) 


Die Landquart-Davos-Bahn. Bon J. 
Hauri. (Pfarrer. Mit 30 Bildern, (Bü: 
tig, Orell Fuüßli & Eo.) 


Führer durch Zürich. Herausgegeben 
von der officiellen Verkehrscommiſſion. 
(Zürid. Orell Fußli & Go. 1890.) 


Soolbad und Inhalation Salzungen in 
Thüringen. (Salzungen.) 


Williom Hogarty. Portrag von Prof. 
Emil Soffe, gehalten im Mährifchen Ge: 
werbe:Mufeum am 11. November 1889. 
(Brünn 1890.) 


Brükenkunde,. Cultur- und literarshifto: 
riihe Studie von Dr. Ed. M. Schranka, 
mit einer Geſchichte der Prager Starlöbrüde 
von Theodor Hutter. (Prag. 9. Do: 
minicus. 1890 


Leitfaden der Äfhetik, Zum Schulge: 
brauche und zur Selbftbelchrung verfajst 
von Maurus Hoffmann. Berfajier von 
„Die Kunſt des äfthetiihen Genichens*. 
(Wien. Moriz Perles. 1891.) 


KRowys Humoriſtiſche Vorträge. Willen 
Freunden echt wieneriſchen Humors zuge— 
eignet. (K. Daberlows Verlag. Wien. 1890.) 


Die nalürlide Grjiehung. Grundzüge 
des objectiven Syflems, von Dr. Ewald 
Haufe. (Meran. F. W. Ellmenreichs Ber: 
gla.) 
Der Taſchen⸗Arzt. Ein treuer Nathgeber | 
in allen Krankheitsfällen, Nebit einem An: 
bang: „Wie bleibt man gefund?* Bon] 
Karl Griebel, Praltifcher Vertreter der | 
Naturheillunde. (Meran. 1890.) 


Für die Redaction verantwortlih ®. A. Roſegger. — Druderei „Leplam* in Graz. 





Deuifdyer Bolkskalender für das gemeine 
Jahr 1891, welches 365 Tage hat. 3. Jahr: 
gang. (Olmüg, Berlag des „Bundes der 
Deutihen Norbmährens*,) 


Ralender des deutfhen Schulvereines auf 
das Jahr 1891. Redigiert von U. Müller: 
Guttenbrunmn. (Wien. A. Pichlers Wim.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


X. D., Beihenberg: Nein, damit klopfen 
Sie bei uns allerdings vergebens an. Wir 
ſtehen weder mit einer literariſchen, nod 
politischen, noch irgend einer anderen Eoterie 
in Berbindung, wir ftehen ganz allein und 
befinden uns recht wohl dabei. 


3. A. Trieſt: Ein rubmreiches Andenlen 
Inüpft fih an unſere Murdampfidiffahrt 
allerdings nicht. Man mujs fih nur damit 
tröften, daſs ein Adler fein Walfiih und 
ein Steirer fein Matrofe ift. Übrigens, was 
für ein Landsmann ift Öfterreihs größter 
Seeheld ? 


x Bitten, ungebeten leine Manuferipte 
einzuſchicken. Haben dafür feine Verwendung, 
feine Zeit, fie zu prüfen, leine Anftalt, fie 
zurückzuſchicken, müjsten fie, um unter Ba: 
pierbergen nicht zu erftiden, verbrennen. 


P. N, Bwetiel. Aus Hamerlings hehren 
Dihtungen einzelne Stellen herauszureiken 
um diejelben für PBarteizwede zu benügen, 
fommt uns nicht anders vor, als zerreike 
man einen goldenen Faden, an mweldem 
Perlen und Diamanten gereibt find, um 
dieje als Kugeln in Revolver zu laden und 
loszufnallen. Das willkürliche Herausreißen 
von einzelnen Sähen aus Dichterwerken 
fann unter Umftänden eine Fälſchung be: 
deuten, Wozu fchreibt der Dichter, der 
Ethiker ein ganzes großes Werk, wenn irgend 
ein Sag ihn Schon vollfommen vertritt, ſchon 
Alles Sagen fann? Seien Sie ehrlih im 
Gitieren, jonft fann Sie eines Tages des 
Dichters eigener Geift jermalmen. 

W. 9. Prag. Ihr Manufeript ift zum 
legten Autodafe zu jpät gelommen. Erft 
am 31. October d. 3. wird wieder geheizt. 








’ we, —i ——* 
— — — 


tea as — — — 


Dece 
2 





Der Adlerwirt 


mbe 






von Rirchbrunn. 


Eine Dorfgeſchichte von P. R. Roſegger. 
(Fortſehung.) 


5) 
G 


Siebenter Abfdynitt. 


AIletzt währte es noch zwei Tage, und 


575 don Geſsnitz langte ein Bote ein. 

© Der Jungfnedht aus dem Salm— 
hofe war's. Er ftand vor dem Adler— 
wirtshaufe jo eine Weile herum, 
ftolperte dann ins Gaftzimmer und 
fieß fich einen Srug Apfelmein geben. 
Er zerrüttete fih faft den Kopf im 
Nahfinnen, wie er es angehen werde, 
dajs jeine Neuigfeit nicht tödtlichen 
Schreck hervorbringe. Fürs erfte that 
er ein paar herzhafte Züge, das machte 
ihn muthiger. Und als der alte Adler- 
wirt — grau und mager war er 
geworden die legte Zeit her — in die 


Stube trat und den allein dafikenden | 


Gaft fragte, was es Neues gäbe? 


antwortete der Jungknecht mit unbes | 


hilflichen Worten, es ſei halt fo auf 
der Welt. Er bringe gerade nichts 
Gutes. — Dann trank er wieder. 


Rofegger’s „‚Heimgarten“‘, 3, Heft. XV, 


Der alte Wirt horchte gefpannt hin. 
„Wenn ich mich nicht verfenne”, jagte 
er, „du bift ja ein Salmhoferifcher ?* 

„Wohl eh, wohl eh“, antwortete 
der Knecht und fuhr ſich mit der flachen 
Hand über das breite Geſicht. 

„Ufo wie geht's daheim, mie 
geht’3 ?* fragte der Wirt unter den 
lebhafteften Zeichen der Theilnahme. 





Gebeſtern auf den Abend ift’s halt 


gar worden mit ihm“, berichtete der 
Knecht. 

„Was ſagſt?“ fuhr der Wirt auf. 
„Der Salmhofer! Mein Schwieger! 
Wird doch nicht —“ 

„Er liegt ſchon auf der langen 
Bank“, ſagte der Bote. 

Der alte Adlerwirt ſchlug ſprach— 
los die Hände zuſammen. 

„So viel ſchnell iſt es gegangen“, 
berichtete der Knecht. „Das Blut ins 
Hirn geſprungen, jagt der Doctor, 
Morgen nachmittags ift die Leich.“ 

11 





Der Wirt jchritt mit gerungenen 
Händen die Stube auf und ab und 
konnte fihnicht faſſen. Immer fchüttelte 
er den Kopf und murmelte: „Wer 
hätte ji das gedacht!“ Aber auf 
einmal rief er mit gehobener Stimme: 
„Er hat's überftanden. Man mufs 
noch froh fein, daj3 er fein großes 
Ableiven gehabt hat. — Trink aus, 
Bub, ich füll dir noch einmal nad.“ 

Als bald darauf der Wolfram ein— 
trat, fagte der alte Wirt zu ihm; 
„Du Wolf, eine große Neuigfeit. 
Mufst aber nicht zu arg erjchreden. 
Morgen heißt's nach Gejänig fahren. 
Das Schlimmfte ift eingetroffen,“ 

Der Wolfram fchaute feinen Vater 
an, ſagte aber fein Wort, blieb ges 
lafjen, zeigte weder Trauer noch Freude. 
Dann flieg er die Treppe hinan zu 
feiner Fran. Vor ihrer Thür ftand 
er ftill und jchöpfte Athem. Es kam 
ihm fauer an, dajs er ihr jeßt einen 
großen Schmerz bereiten follte. Doch 
wer wird's fonft thun, als er? Mit 
der möglichiten Schonung will er ihr 
die Nachricht mittheilen und ihr liebe: 
voll beiftehen im kindlichen Leide. An 
die Wortheile, die durch des Schwieger- 
vaterd Tod dem Nolerwirtshaufe zu— 
fommen, fonnte er nicht denfen, es 
empörte ſich in ihm etwas dagegen. 
Ihm war der Salmhofer nie nahe 
geltanden, aber mit feinem Weibe 
fühlte er Mitleid und jebt das erſte— 
mal war es ihm, als ob er jie doch 
lieb Hätte. Endlich trat er ein. Sie 
ja; am Tiſchchen, war mit einer 
Stiderei beichäftigt und zählte juft 
die Maſchen. Er ſetzte fih ihr gegen 
über und that, als fehaue er aufmerk— 
ſam ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufs 
jtehen, er fajste fanft ihre Hand und 
fagte: „Bleib’ ein wenig bei mir, 
Kunigunde.“ 

Sie blickte ihn forſchend an. „Was 
bedeutet denn das?“ fragte ſie kalt. 

„Ich mußſs dir's doch ſagen“, fuhr 
er fort, „ein Bote iſt da vom Salm— 
hof. Mit deinem Vater ſteht's recht 
ſchlecht.“ 


„208 





„Lüg’ nicht!“ Herrfchte fie ihm zu. 
„Zodt ift er!“ 

Der Wolfram ſchwieg. 

„Zodt ift er!“ rief fie und brach 
in ein heftiges Weinen aus. 

Er Stand zu ihr, fagte ihr gütige 
Worte, ftreichelte ihr Haupt. Mit dem 
Arm ſtieß fie ihn von fi. „Deuchler! 
Ihr habt feinen Tod doch kaum er= 
warten können!“ 

„Kunigunde!* fprach er nun ſcharf 
und Herb. „Das Wort ſagſt du mir 
nicht noch einmal! Meinetwegen hätte 
er noch hundert Jahre leben können. 
Ich ſuche nichts mehr bei ihm. So Hug 
bin ich wohl geworden, meine liebe 
Kunigunde, dafs ich endlich einfehe: 
Bom Salmbof kommt mein Glüd 
nicht.“ 

Sie Hatte ihr Haupt ins Bett- 
fiffen gedrüdt und weinte. Ihm wollte 
das Herz zerjpringen darob, dafs er 
ide jeßt, gerade jeht das rohe Wort 
gefagt. Aber fo ſtand's mit ihm, je 
wärmer fein Gemüth war, defto leichter 
und plößlicher jprang es, wenn ihm 
wehe getan wurde, in das Gegen: 
theil um. Wenn er gegen jein Weib 
Sleichgiltigkeit, ja Abneigung empfand, 
da gab e3 nie etwas, da blieb er ruhig 
und überleglam; jo oft er aber mit 
einem warmen hoffenden Gefühl au 
fie berantrat und enttäufcht ward, 
jeßte e3 fajt immer einen MWetterfturz 
und wilden Sturm. 

Frau Kunigunde rüftete ſich, um 
nad Geſsnitz zu fahren. Sie fuhr 
allein davon. Der Wolfram mollte 
zum Profeſſor gehen, um ihm das 
Herz auszufhütten, aber der war nicht 
zubaufe und feine Stube verfchlofien. 
Die Stubenmagd berichtete ihm, der 
alte Herr wäre jeit einigen Tagen 
recht miſsmuthig und verlange an 
jedem Abende die Rechnung. 

Das Leihenbegängnis des Salm— 
hofers ward mit großem Pompe voll= 
zogen. Wie zu einem Jahrmarkte 
famen die Leute zufammen. Der alte 
Adlerwirt war überaus gerührt, und 
manche weichherzige Perſon mufste nur 


Rn 


103 


darum meinen auf dem Kirchhofe, weil 
ie den alten Mann fo  bitterlich 
ſchluchzen ſah. Der junge Adlerwirt 
ihien merkwürdig gefajst zu fein; 
nur als er die Großbäuerin jah, 
die gebeugt aber ergeben am Grabe 
ihres Mannes Iniete, ward ihm das 
Ange feucht. Frau Kunigunde meinte 
nur wenig, aber in ihrem ganzen 
Weſen war eine alte, fait ehrfurcht- 
gebietende Trauer ausgedrüdt. Sie 
war ftets an Seite ihrer Mutter und 
fuchte diefe damit zu tröften, dafs fie, 
ihr zum fünftigen Aufenthalte das | 
Adlerwirtshaus antrug. Der Salınhof 
joll verfauft werden und die Mutter | 
nah Kirchbrunn ziehen. 

„Das wäre ja gut“, meinte die! 
alte Bäuerin, „wenn's nur auch deis | 
nem Manne recht ift.“ 

„Meinem Manne!“ rief Frau, 
Kunigunde faſt lahend aus. „Was 
geht denn das meinen Mann an!! 
Glaubit du, Mutter, ich werde mich | 
vom Manne auch jo tprannilieren laſſen, 
wie du? Das wirft du anders erfahren, | 
bis du im Adlerwirtshaus bift. Was 
du Haft leiden müffen, Mutier! du! 


1 


bift till gewefen, aber ich weiß es, 
und ich werde es den Männern heiß: 
entgelten, das hab’ ih mir vorge- 
nommen.“ | 

„Bott tröft’ feine Seel’!* fagte die! 
alte Salmboferin mit gefalteten Hän— 
den, „ich trag’ ihn nicht nach, meinet- | 
wegen joll er nichts zu leiden haben.“ 

„Ja ja, es ſoll's ftatt feiner nur 
ein anderer büßen!“ verfegte Fran 
Kunigunde. | 

Auf den Hof zurüdgefehrt, fahen | 
die beiden Frauen mehrere fremde) 
Leute in den MWirtjchaftsgebäuden | 
umberfteigen. 

„Was wollen denn dieſe?“ fragte 
die Adlerwirtin. 

„Laſs fie umbergehen“, anmwortete 
die Mutter, „die Neugier plagt jie. 
Mir Scheint, es ift auch der Sloben= 
fteiner Verwalter dabei. Der wird) 
Vieh kaufen wollen, 











Der Großlnecht 
wird's ſchon ordnen. — Komm’, Kunz 


del, wir wollen einen warmen Kaffee 
trinken.“ 

Die erſte Zeit nach dem Tode des 
Großbauers blieb Frau Kunigunde 
nun im Salmhofe bei ihrer Mutter. 

Die beiden Adlerwirte kehrten als— 
bald nah Kirchbrunn zurück. Den 
Wolfram erwartete zuhauſe die Nach— 
richt, dajs der Profeſſor Nir ab— 
gereist fei und einen Brief hinterlaſſen 
habe. Dieſer Brief lautete: 


„Lieber Wolfram! 

Mich geht die Sache nichts an, 
aber zufehen mag ich nicht. Und 
ftill jein mag ich auch nicht. Ich 
werde unwirſch. Was Foll ich dir 
weh thun? Du Haft Schon aud jo 
dein Theil. Zu Helfen ift dir nicht. 
Afo breche ich meinen Sommer 
aufenthalt im ſchönen Kirchbrunn 
ab und gedenfe eine Reife zu machen. 
Sei bedankt für alles. Umkehren 
wirt du kaum. Dir jtehit jetzt auf 
den Bunte, wo viele Wege Tich 
zweigen. Schlimm ift jeder, aber 
wähle nicht den allerſchlimmſten. 
Gott walt's. Jofue Nir.“ 


Us der Wolfram diefen Brief 
gelejen hatte, befiel ihm ein ſolches 
Leid, dafs er zufammenbrah auf 
eine Bank und ftöhnte. est war 
diefer Mann von ihm gewichen, 
der jeit Jahren als fröhlicher Genoſſe 
und Wathgeber ſein Vertrauen ge— 
mwonnen. Er hatte einen Vater, aber 
der war oft herriſch, eigennüßig, 
launenhaft und nicht immer verläjs= 
ih. Er hatte Jugendfreunde gehabt, 
hatte viele gute Kameraden, aber fie 
waren Schmaroger, Schelme oder 
Dummiane. So redt aus Herzens— 
grumd fich geben und vertrauen glaubte 
er nur mehr diefem Manne zu können, 
der allſommerlich fich eingefunden mit 
feinem hellen Kopfe, mit jeinem hei— 
teren, treuen Herzen. Er war jelber 
Schier ein anderer geworden in diejer 
Gejellichaft, er hatte, bei aller Ver— 
ehrung für ihn, mande Schalterei, 

11* 


— 


manchen kecken Burſchenſtreich mit dem 
kleinen Alten durchgemacht, er hatte 
manchen erniten Rath desielben be= 


folgt, und er hatte es nicht ein eine, 


zigesmal zu bereuen gehabt. Und diefen 
jeinen legten Rath — Eheſcheidung! 


f 





wohl überlegt werden. Ich würde nicht 
rathen.“ 

„Wieſo? Wie meinen Sie das, 
Herr Doctor ?* 

„Außer Ihr Sohn denkt fo vor- 
nehm, dajs er die Ehre feines Schwie— 


fann er nicht befolgen, unmöglich! gervaters retten will,“ 


Wie wird das enden? 


Der alte Adlerwirt lebte ordentlich 
auf. Neue Gefchäfte Hub er an, Baus 
holz faufte er, einen Steinbruch un— 
weit des Dorfes mollte er eriteben, 
denn für das nächſte Jahr hatte er 
einen Neubau des Nolerwirtshaufes 
vor. Kirchbrunn ſoll ein Hotel bes 
lommen! ine Sommerfriih:Anftalt 
mit Luftgarten und Bädern. — Seine 
Zeit mujs man verfiehen! Die Paſſio— 
nen der Mitwelt muj3 man ergründen, 
auf die Löſung diefes Räthfels ift eine 
große Prämie geſetzt — die Million. 

Endlih kam ein Schreiben aus 
Geſsnitz vom Notar. Der alte Adler- 
wirt athmete auf, er hatte es fchon 
jeit Wochen erwartet. Der Adlerwirt 
zu Kirchbrunn wird erjucht, in An— 
gelegenheit des Salmhoferiſchen Nach— 
lafjes bei dem Notariat zu Gejsnik 
fich einzufinden. 

„Einjpannen !“ commandierte der 
alte Adlerwirt. Er felber wollte fahren, 
der Wolfram war auf einem Holz— 
einfauf aus, 

Der Notar, ein alter hagerer Mann 
mit brauner Perüde und jchwarz- 
gefärbten Schuurrbarte, empfieng den 
Adlerwirt jehr höflich, kramte hernach 
eine Weile in Papieren um und ftellte 
die Frage, ob der Adlerwirt, als 
Schwiegerjohn des jeligen Salmhofers, 
geneigt jei, dejjen Erbe anzutreten. 

Der alte Wirt war über die 
förmliche Frage in fo jelbftverftändlicher 
Sache etwas eritaunt. Er antwortete: 
„sh brauche wohl nicht zu jagen, 
daſs ih als Bevollmächtigter meines 
Sohnes Wolfram hier bin, und daſs 
ih in feinem Namen erkläre — 

„Gemach!“ unterbrab ihn der 
Notar. „Ich glaube, die Sache müfste 








„Ich veritehe nicht, Herr Doctor.” 

„Es iſt höchſt wahrscheinlich“, fuhr 
der Notar fort, „daſs in dem Nach— 
laſſe des verſtorbenen Salmhofers die 
Paſſiven größer ſind, als die Activen.“ 

Es war heiß in der Kanzlei. Der 
Adlerwirt trocknete ſich mit dem Taſchen— 
tuche die Stirn, dann lallte er mit 
grinſendem Geſichte: „Iſt ein Spaſs, 
hi hi.“ 

„Iſt kein Spaſs, lieber Adlerwirt“, 
ſagte der Notar. „Mit dem Vermögen 
des Salmhofers ſteht es ganz anders, 
als man angenommen hat. Es ſteht 
unerhört ſchlecht.“ 

„Aber, Jeſſes, man ſieht ja, was 
da iſt!“ brauste der alte Wirt auf. 

„Nichts iſt da“, verſetzte der Notar 
mit fürchterlicher Ruhe. „Alles gehört 
dem Baron Stlobenftein. Seit vielen 
Sahren bat der Baron Geld geborgt, 
den Viehſtand beigeftellt, die Steuern 
bezahlt für den Salmhof. Der Groß: 
fnecht auf dem Hof war jo viel als 
Klobenſteiniſcher Verweſer, der alte 
Salmbofer genoſs jeit einiger Zeit 
vom Baron eine Art Gnadenbrot. 
Alles, was Sie heute jehen, und mehr 
als alles, gehört der Herrichaft Kloben— 
jtein. Leider, fo ſteht es.“ 

Und jet wujste es der Adlerwirt. 
„Der Teufel hol’ eine ſolche Erb— 
ſchaft!“ chrie er in wilder Empörung. 
„Schulden! die Habe ich jelber.“ 

Betäubt war er, wie er jpät abends 
nah Haufe kam. Als ein reicher Mann 
war er ausgefahren, als Bettler kam 
er heim. In die Wuth bradte ihn 
erft der Wolfram, Als er diefem die 
jaubere Neuigkeit mittheilte, was ge— 
ſchah? Der Wolfram fuhr nicht auf, 
wurde nicht raſend, jagte gar nichts, 
zuckte nur die Achſeln. 

„Iſt das ein Hoſenlupf?“ fragte 


106 _ 


der Alte den Sohn voll giftigen Grim- nicht das Geld in ihr achte und fuche, 
med. „Nein, Freund, das ift kein wohl aber da3 warme Herz. 
Hojenlupf. Wie wir jet bingeworfen Zu feinem Vater gieng er noch 
find, da ftehen wir nicht wieder auf, einmal, der im Hofe wie wahnfinnig 
Was jagft denn dazu? Pfeif' eins, | hin- und Herrannte, und zu dieſem 
wir find ruiniert! Pfeif' eins, großer! Sprach er: „Bater! Eines merke dir! 
Geiſt, Narr, angeftedt vom alten! Sage meiner Fran, wenn jie heint« 
Narren, der gottlob zum Teufel ges | kommt, fein ungeichaffenes Wort! Ich 
gangen iſt.“ will fie refpectiert willen, verſtehſt!“ 
„Ich weiß nicht, was du willit, „sa verfteht ich“, höhnte der 
Bater“, ſagte nun der Wolfram. „Dir Alte, „eine Jolhe Frau muſs man 
mus es immer jehr gut ergangen | rejpectieren!* Dann jchlug er um: 
fein. Mas mich anbelangt, habe ich „Bettelbub! Was iſt das für eine 
ſchon Schlimmered erfahren, als was Manier?! Glaubft du Laff', weil ich 
du mir da fagft. Du Haft freilich nur) dich nicht mehr enterben kann, du 
auf das Salmhoferifche Geld gewartet) darfit mit mir umgehen, wie mit 
und nicht gejpürt, dafs ich deine Hab- | einem Landitromer ?* 
jucht im FFegefeuer büße. Und nicht Der Sohn Schritt ins Haus zurüd. 
darnad gefragt, was ich ausſtehen In der Gaftitube ſaßen ein paar 
muſs neben diefer Perfon. Den Eltern | angeheiterte Bauern und machten faule 
zu gefallen eine heiraten, das ift die Späfle über ihre Weiber. Jeder prahlte 
achte Todfünde; heute noch gehe ich jih damit, daſs die Seine daheim die 
zum Pfarrer und laffe fie im dem) Häfslichite und Unfauberfte und Zu— 
Katechismus ſchreiben.“ widerfte wäre; und der eine ftieß jein 
„Du bift ein dummer Knabe!“ leeres Glas von ſich, hieb mit der 
fchrie der Alte. Fauſt auf den Tiſch und gurgelte: 
„Der Vatername ſchützt dich, dajs| „Das weiß ih!” Er wollte etwas 
ih dir jet nicht ein anderes Wort | jagen, wujste aber nichts. 
ſage!“ jo der Wolfram, blaſs, glühen= „Wenn mich meine Alte recht 
den Auges, am ganzen Körper bebend. | fuchtig macht, fo geh’ ih ins Wirts- 
So viel Belinnung hatte er noch, haus und ſauf' mir einen Rauch!” 
daſs er merkte, es wäre die höchſte rief der andere. 
Zeit, aus der Stube zu eilen. „Ha ha, ha ha!“ achte der eine, 
In feinem einfamen Zimmer, | „und wenn du nachher Heimlonmit, 
nächtig dunkel, feindjelig fait die; jiehft du den Drachen doppelt und 
Stimmung des Raumes, in welchem | dreifah. Das mujs eine Freud’ fein!“ 
Frau Kunigunde zu walten pflegte, Der Wolfram hörte ihnen mit 
ſaß der Wolfram und ftüßte feinen) Wehmuth zu, diefen unglüdlichen Ehe— 
jhweren Kopf auf die Hand, Und männern, die fo Iuftig fein und jo 
weil in dem Menſchen etwas ift, das | tapfer trinken konnten. Auch er Hatte 
ihm nicht ganz verſinken laffen will in| das Trinken Schon verfucht, es gieng 
Verzweiflung, jo fiel es ihm ein: Viels | aber nicht. Nur in der Frohftimmung 
leicht ift diefe Wendung zum Glücke. jchmedte ihm der Wein, aber es kam 
Vielleicht ift ihr Stolz, ihre Härte| nie zu einer. 
jeßt gebrochen, wenn jie weiß, dafs Und es wird doch wieder zu einer 
fie arm ift wie ein Karnerweib, viel= | fommen! alfo ermuthigte er fidh felbit. 
leicht fommt jet ihre beffere Natur) Vielleicht nimmt’3 eine Wendung. 
zum Vorſchein. Ich will ihr's leicht) Denn dafs es jo bleiben follte fürs 
maden. Keinen Vorwurf, feine An- ganze Leben — er vermochte es nicht 
jpielung joll über meine Lippen kom- zu denken, geſchweige zu ertragen. 
men; bemweifen will ich ihr, dafs ich Ein fo hartes Weib ala er — 


166 


aljo empfand er's — hat feiner mehr 
auf der Welt. Ihre Herbheit, ja Roh— 
heit gegen ihn that ihm umſo weher, 
als Frau Kunigunde jonft manchmal 
und gegen andere Herz und Gemüth 
zeigte. So war Sie nicht farg gegen 
Arme; manchem Bettelmann, der ihr 
zu ſchmeicheln wujste, gab jie mit 
vollen Händen. Ward ein Dienjtbote 
krank, jo war fie zwar ungehalten, 
beforgte aber jchleunigit Pflege und 
Arzt; noch mehr Neigung wendete fie 
den Thieren zu, von denen fie fagte, 


fie verdienten mehr Liebe, ald die 


Menihen, Am rüdjichtsvollften und 
aufmerkjamften war fie gegen ihre 
Verwandten. So unzufrieden fie zu 
Haufe auf dem Salmhofe gewejen 
war, jo lebhaft ftrebte fie jeßt manch— 
mal nad dem Salmbofe zurüd, all ihre 
Herzenswärme verjchwendete fie dahin. 
Und nur ihrem Manne nichts und gar 
nichts, als Troß und Bitterfeit. 

Nach diefen ruppigen Tagen ftand 
es an zwei Wochen lang, da Tamen 
fie plöglich angefahren, die Frau Ku— 
nigunde md ihre Mutter. And mit 
Sad und Pad. 

Für die Salmhoferin wurde als» 
bald das Baumgartenzimmer einges 
rihtet und als der Wolfram endlich 
Gelegenheit hatte, mit feiner Frau ein 
paar Worte zu Sprechen, fagte er: 
„Ganz recht, Kundel, daſs du deine 
Mutter mitgebracht haſt. So lange 
wir ſelber in dieſem Hauſe ſind, wird 
ſie auch noch Platz haben. Es iſt recht, 
es iſt ſchon recht.“ 

„Habe ich dich darum gefragt ?* 
entgegnete fie. 

„Kundel“, 
ihre Hand fallen, was fie aber zu 
verhindern wujste, „Kundel! wie du 
hart bift auf mich! das kann micht 


dein Ernft fein. Du bift jeßt nur uns 


glüdlih, und das macht Halt bitter. 
Mich erbarmft du.” 

„Schenfe du dein Mitleid einer 
anderen, ich brauch’ es nicht!" jo ihre 
Antwort, gieng in ihr Zimmer und 
Ihlug Hinter ji die Thür zu. 


fagte er und wollte | 


Der Wolfram ftand noch eine 
Meile fo allein da, dann that er einen 
Seufzer: „Ah! das iſt ein Leben!“ 

Der alte Adlerwirt lieh ſich von 
num an felten mehr jehen. Er ſaß 
in feiner Heinen Stube neben der 
Küche und brütete vor fich Hin. Manch— 
mal gieng er, anjtatt zu jeinen weni— 
gen, verdrofjenen Gäſten fich zu ſetzen, 
zum zweiten Dorfwirte hinüber und 
trank erftaunlih viel Wein. Aber die 
Gläubiger und die Erecutionsbögen 
‚fanden ihn auch dort, und endlich war 
es nicht mehr zu vertuichen, wie es 
fand. Und eines Tages war tm 
Bezirf3-Mocenblatte die Anzeige zu 
lefen von einer großen Bergantung 
zu Kirchbrunn. 

Der Wolfram hätte fein ſchweres 
Herz gerne abgelaftet vor dem einzigen 
Menſchen, der ihm beigejellt worden 
zum gemeinfamen Tragen von Freud 
und Leid, aber die Thür ihres Zim— 
mers war verſchloſſen und blieb ver- 
ſchloſſen, wenn er auch klopfte. Alſo 
litt es ihn nicht mehr in den un— 
wirtlichen Mauern ſeines Hauſes, nicht 
mehr im Dorfe, wo er aus jedem 
Geſichte Mitleid oder Schadenfreude 
und Hohn zu lefen glaubte. Immer 
noch unter dem VBorwande, Vieh oder 
Holz einzufaufen, ftrich er im Gebirge 
um, verbrachte manche Nacht auf harter 
Bank der Schenfftuben oder in Heu— 
ſcheunen. Mehrmals ftieg er auf hohe 
Berge und blidte hinaus ins weite, 
ſchöne jonnige Land, und da ward 
er noch trauriger. — Wie ift die Welt 
ſo Schön! Und wie find die Menjchen 
ſo arg! 

In Waldgeichlägen fragte er an, 
ob man einen kräftigen Dolzarbeiter 
‚brauchen könne, er wiſſe einen foldhen. 
Denn Har und gewijs war es ihm 
endlich geworden, dafs er mit feinem 
Weibe nicht mehr weiterleben könne. 
So wollte er auch von ganz Kir 
brumm nichts mehr willen, fondern auf 
einem anderen Fleck ein neues Leben 
anfangen — fei es nod jo armfelig, 
beſſer als diefes auf jeden Fall. Es 








167 


gibt ja fo viele Millionen Menfchen, 
die Bankerott gemacht mit ihrem Glüde, 
und ſie fügen fich und leben geduldig 
dahin fo lange, bis fie fterben. Warum 
will es unjereiner bejjer haben, als 
die meiften anderen? Ne länger einer 
an jeinem Glüde baut, defto tiefer 
baut er in die finftere Erde hinein, 
defto fümmerlicher wird's. Und es ift 
ganz gut fo, 


Mie hart wäre das | 


Schritte in pendelartiger Gleichmäßig— 
feit jachte hin und ber. Aus der 
Muschel gudte ein friſch-rothes Geficht, 
und diefes Gefiht war — dem Wolf: 
ram fchofs alles Blut zum Herzen. 
Rafh warf er ein paar Münzen 
auf den Tiſch, ſtand auf und gieng 
hinaus. Die Straße zog bergmärts, 
das Dirndel ftieg tapfer an, der Adler— 
wirt duckte fih ein wenig Hinter der 


Sterben, wenn diefe Welt defto Schöner, Dausede und als ſie einen gewiſſen 
würde, je länger der Menſch daran | Vorfprung hatte, Ichnalzte er mit der 
verbeifert und verfchönert. Wenn es | Zunge und gieng ihr nad. 


dem Unſchuldigen jchon oft gottlos 
jchlecht geht, was will erſt ich jagen! 
Sch Habe das unrechte Weib genommen, 
habe es doch rechtzeitig gemerlt und 
din nicht zurüdgeftanden. Ich kann 
mich zum Theil auf meinen Pater 
ausreden, der mich in dieſe Heirat 
Hineingelodt hat, aber zum anderen 
Theil habe ih auch felber am ihren 
Reichthum gedacht und darnach ge— 
plangt. Mir geſchieht ſchon recht. 
Alſo richtete der Wolfram ſich ſelbſt, 


und dann ſaß er wieder in Straßen- 
Ihenfen und goſs Wein auf fein mehes 


Herz. 


Hauerte er einmal an einem 


heißen Sonntagsnahmittag auf dem 


Scabelberg, niemand war da als ein 
altes Weib, das im Bankwinkel nidend 
den München des Gaftes harrte. 
Zahllofe Fliegen umſummten den ein= 
ſamen Zecher und fein Glas. Er ftarrte 
durch die trübe Fenſterſcheibe hinaus 
auf die blendend weiße Straße und 
auf die halbverdorrten, graubeftaub: 
ten Halme und Sträucher, die am 
Rande hin- und Heritanden. Da 
gieng ein MWeibsbild vorüber. Diejes 
MWeibsbild Hatte, um den jchwarzen 
Spenzer, fowie das rothe Halstuch 
vor Staub und ihr Haupt vor den 


Adıter Abſchnitt. 


Die Jungmagd Frieda einft auf dem 
'Salmhofe. Ein paarmal hatte fie ſich 
ihren Dienjtgenofjen gegenüber ges 
äußert: die Ehre wäre ihr doch zutheil 
| geworden, daj3 der junge Adlerwirt 
an feinem Hochzeitätage mit ihr gute 
Gefundheit getrunfen! Und dieſes 
Prahlen Hatte ihr den Dienft gefoftet. 
Es war jchon fo etwas in der Luft 
gelegen, und der alten Salmboferin 
fogar fam es nicht ganz richtig dor. 
Ein Brieflein von der Kundel ſchlug 
dem Falle den Boden aus und Die 
Frieda wurde verjagt. 

Einen Halben Tag lang war jie 
fortgegangen auf Wegen, Stegen und 
Steigen, ohne irgendwo um Arbeit 
zuzufprechen. Und als fie ins Gebirge 
gelommen war, wo die Bauerngüter 
jeltener und die armen Waldhütten 
häufiger wurden, befann fie fih. De 
entlegener und veritedter der Berg— 
winkel ift, in dem fie bleiben wird, 
defto beſſer. Es braucht's im Salmhofe 
niemand zu erfahren, wo fie iſt, es 
braucht's im Nolerwirtshaufe niemand 
zu erfahren und es braucht's der Holz— 
knecht Schopper nicht zu wiſſen. Es 











glühenden Sonnenftrahlen zu ſchützen, wird ſich mit Gotteswillen wohl aud) 
den blauen Außenfittel jo über ihre | anders wer finden, mit dem fich gut 
Geftalt geichlagen, dafs er wie ein Freund fein laſst. Oder iſt der junge 
Schirmdäch muſchelförmig den Ober- Adlerwirt der einzige auf der Welt? 
körper einhüllte. Der graue Unterrock Gott ſei Dank, nein. 

gieng bis halb über die weißbe— In der Abachleuten beim Möſtl 
ſtrümpften Waden und ſchlug bei jedem nahm fie Dienft. Die Abachleuten 


war ein zwiſchen Berghalden ſchräge 
anfteigendes Wieſenthal mit einigen 
Heinen Kornädern und Erbäpfelgärten. 
Ein faltes Wäſſerlein raufchte durchs 
Thal und an den Wildftrüppen, die 
am Bachesrand ftanden, Hiengen auch 
an den Sommermorgen Heine Eis— 
zapfen. An der fonnfeitigen Lehne 
der Abachleuten ftand das fleine Haus 
des Möftl, das lebte hier, welches fich 
noch kümmerlich von Feld- und Wiefen« 
wirtichaft friftete. Im diefem Wald— 
haufe lebten zwei ältliche Eheleute, die 
ehr arbeitiam, ſehr häuslich und 
immer frohen Gemüthes waren. Man 
merkte gar nicht, wie viel Sorge und 
Mühſal und Beſchwerde es gab dahier. 
Der Möſtl, ein raſches, gebücktes, 
ununterbrochen thätiges, ſtets glatt— 
raſiertes Männlein, war allezeit munter 
und aufgeräumt, und machte über 
jeden Graben, den das Schickſal ihm 
zog, einen kecken Sprung und lachte 
dazu. Seinem Weibe war's auch recht. 
Beide waren etwas ſchwerhörig und 
hatten daher ſich eine laute Stimme 
angewöhnt, jo daſs man fie ſchon von 
weiten ſprechen hörte mit klingendem 
Schall. Sie hatten jich immer etwas 
zu erzählen, zu fragen, zu rathen, 
manchmal nedten fie ſich einander 
jogar, daſs ein helles Gelächter ent- 
fand. Der Ehefrieg, den auch diefe 
Leute führten, bejtand darin, daſs fie 
einander immer zu überliften fuchten: 
Beim Eſſen ſchmuggelte eines dem 
anderen möglichft unbemerkt die befjeren 
Bilfen zu, bei der Arbeit trachtete 
eines dem anderen die härteften Dinge 
abzulaften. 

Diefe Möftllente im Abachthale 
hatten aud ein Kind, eine bereit3 er= 
wachſene Tochter, die aber jchon feit 
Jahr und Tag in einem Strohfejiel 
lehnte, weil infolge eines Wetter: 
fturmes, bei dem fie unter Wafler 
gelommen, ihre Füße lahm geworden 
waren. Das Mädchen mufste in vielem 
wie ein Kind gepflegt werden, Konnte 
nur wenige Arbeiten verrichten helfen, 
hatte bisweilen Schmerzen zu leiden 


l 68 | 


und blidte trogdem mit ihrem blaffen, 
gutmüthigen Gefichte Fröhlich ins Leben 
hinein, wenn man ihr Dajein und 
ihr Geniehen überhaupt Leben nennen 
fonnte, 

Bei diefen Leuten nun hatte die 
wandernde Frieda eines Abends um 
Nachtlager gebeten, und bei diejen 
Leuten war fie verblieben. Ein guter 
Lohn, wie auf dem Salmbofe, war 
bier nicht zu Haben, die Arbeiten hatten 
‚viele Beſchwer, und doc war e& der 
|Magd, als jei fie im Himmel, Was 
war das im großen, reihen Salmhofe 
für ein Streiten, Beißen, Übervortheilen 
und Murren gewejen, der Leute ter 
einander! Und bier, welcher heitere 
Frieden, welche herzliche Einigfeit! 
Die Möftlleute machten aus der Arbeit 
eine Unterhaltung, aus jedem Werk— 
tage einen Feſttag, denn alles, was 
da war, padten fie von der eriräg- 
‚lihften Seite an und thaten, als 
machten fie ein Kurzweil daraus. Das 
hatte die Frieda auch noch nicht ge— 
jehen, dafs man laut lacht, als ob 
man gekißelt würde, wenn man ſchwere 
Schmerzen leidet am fiechen Körper. 
Die Adelheid fonnte das! Das arıne 
Mädchen lachte in den Nächten manch 
halbes Stündchen lang. Die Mutter 
that ihr alles, was in ihrer Macht 
ftand, zugute und hatte bisweilen in 
ihrem freundlichen Auge etwas Naſſes. 
Uber ein hHeiteres Wörtlein mußſste 
doc immer gejagt werden. Und went 
e3 manchmal befonders ſchlimm ward, 
jo dafs die Adelheid nicht mehr lachte, 
fondern ganz ftill war und die Zähne 
aufeinanderbil3, da Huben die Alten 
ein emſiges Beraten an, verfielen auf 
allerlei Mittel, und ergriffen jedes mit 
folder Zuverfiht und Hoffnungs— 
freudigfeit, al3 ob alles Heil vor der 
Thür wäre. 

Die Magd Frieda lebte neu auf 
in diefem Haufe; neigte doch aud ihre 
warmlebige Natur zum Frohſinn hin. 
Als ob fie wieder Eltern und Schweiter 
gefunden hätte, fo war ihr, und fie 
trachtete den Leuten nad ihren Kräften 








1 


69 


zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes 
zu thun und bejonders verftand fie 
bald, ſich als Pflegerin der armen 
Siechen jo zu erweijen, daſs der Möftl 
einmal feinem Weibe zufchrie: „Alte! 
An der Hat und der SHerrgott eine 
geichidt, dafs wir ihm dafür die große 
Zeche wegküſſen jollten, wie die Bet— 
ihweitern zu Rom dem heiligen 
Betrug.” 

Mas das Möftlweib darauf ants 
worten wollte, das durfte aber nicht 
jo herausgeichrien werden. Erft draußen 
am Feldraine theilte fie ihm ihre Be— 
denfen mit: „Dal fie dir gefällt, 
die Frieda, wäre ſchon recht. Aber: 
auweh und aumeh! möcht” ich jagen, 
fie gefällt auch anderen Mannsbildern. 
Wenn du Zehen wegküſſen willft, fo 
muſst bald anfangen, jonft wird fie 
uns früher genommen. Schon das 
zweitemal Habe ich am vorigen Samstag 
wahrgenommen, daj3 einer dor ihrem 
Fenſter fteht. Ein ganz fremder Hund 
iſt's, habe mich zuerſt ſchier gefürchtet 
vor ihm, aber geplaudert mit ihr 
hat er ganz gutmüthig.“ 

Und das Möftlweib hatte nicht 
ſchlecht beobachtet. Kaum daſs die 
Magd Frieda ein paar Wochen in 
dieſem weltverlorenen Hauſe lebte, 
war eines Abends auch ſchon der 
Schopper-Schub da. Vor dem gab's 
fein Berfteden! Eben wollte fie des— 
jelben Abends einfchlafen, als er durch 
ein leiſes Klopfen an ihrem Fenſter 
ih anmeldete. Sie war zuerſt jehr 
erihroden und jogar empört, all 
mählih jedoch kam es ihr zu Sinn, 
dafs diefer Menſch doch gar zu an— 
hänglich wäre, fait wie ein Bruder. 
Sie hatte ja ohnehin feinen Bruder. 
Sie ſetzte ih in ihrem Bette auf, er 
jegte fi draußen auf dem vorſpringen— 
den Wandſchrott und jo Sprachen fie eine 
Meile miteinander, Er jagte, dafs Tie 
ganz recht Habe mit ihrem menen 
Dienftorte, und dafs er fchon bemerkt 
hätte, wie brav fie den armen Krüppel 
pflege und die Anhänglichleit der 
Möftlleute beſitze. Das würde ihr ge= 


wifs den Segen Gottes bringen und 
ihr würde e8 noch einmal viel beſſer 
ergehen, al3 mancher reichen und hoch— 
müthigen Großbauerntodhter. Ihm — 
jo erzählte der Schopper treuherzig — 
fehle auch nichts. Er habe jebt im Sie— 
benbachwaldgraben eine große Rieſen 
gebaut, welche von allen Holzmeiftern 
gelobt wurde und melde ihn auch 
Geld und die Vorknechtſtelle einge- 
tragen habe. Bielleiht bringe er es 
doch noch einmal zu einer Eigenftatt, 
zu einer Hütte. Er wolle mit einer 
ſolchen flüger jein, al3 das erjtemal. 

„a, haft ſchon einmal eine Hütte 
beſeſſen?“ fragte die Jungmagd. 

„So groß wie das Möftlhaus”, 
antwortete er. 

„Ein Häufel Haft gehabt? Und 
haft e3 denn verthan? vertrunfen ? 
verfpielt ?“ 

„Verraucht“, fagte der Holzknecht. 

„Seas! So viel Tabak rauhen 
thuſt?“ 

„Angezündet hab' ich's, mein Haus, 
und niedergebrannt.“ 

„Nicht geſcheit biſt!“ verſetzte die 
erſchrockene Frieda. „Aber wie hat 
das können fein?“ 

„Weil ich ein rabiater Menſch 
bin“, fagte der Schopper. „Zufleiß 
hab’ ich's gethan. Und gereut hat’s 
mi auch noch nie!“ 

„Bei dir kennt man fich frei nicht 
aus“, meinte die Jungmagd. 

„Biſt neugierig?” fragte er. „Nach— 
her kunnt' ich dir’s ja erzählen. Uber 
figen thu ich Schlecht auf dem Schrotte 
fopf,“ 

„Einen anderen Plab Hab’ ich 
nicht“, gab fie fchneidig zurück. 

„Alsdann bleib’ ich jigen auf dem 
Schrottfopf“, fagte er geduldig und 
Hub an zu erzählen: „Yon Wallifch- 
dorf bin ich her. Dort hat der Schop- 
pen-Rüppel ein Gütel gehabt und zwei 
Söhne, meinen Bruder Juch, und 
mich den Schubhart. Und da geht 
einmal am Frohnleihnamstag nad 
dem Umgang, er hat noch den Himmel 
tragen helfen, der Schopper-Rüppel 





— — 


her und verſtirbt. So ſchnell iſt das und vor uns bricht das Elternhaus 
gegangen, dafs er nicht einmal Tefta= Inieder, da wird mir ganz eigen. ch 
ment machen hat fönnen, Nur fo viel |halte dem Juch die Hand Hin und 
hat er gejagt: Dem Buben gehört das |jag’: Mein Theil ift verbrannt, die 
Häufel und den anderen foll er mit Grundſtücke follen dein fein und wir 
dreihundert Gulden Hinanszahlen. wollen Fried’ machen miteinand. — 
Jetzt, weil er feinen Namen genannt, [Er ſchaut mich an im Feuerſchein 
jo bat jeder von uns zwei Brüdern und jagt: Schlecht genug bift du, daſs 
wollen der Bub jein. Denn du kannſt dir du's jelber haft getban. — Auf das 
denken, der ift im Bortheil. Und Haben |bin ich fort ins Gebirg herein und 
angefangen zu ftreiten. Der Juch hat | Holzknecht geworden im Siebenbach— 
das Gütel haben wollen und ich hab’ wald. — Jetzt weißt es.“ 

es auch haben wollen. Jit eine Wirt— „Du bift ja ein grumdfchlechter 
ſchaft mit ihrer zwölf Joch Grund: Menſch!“ fagte die Jungmagd ganz 
ſtücken. Haben uns vorher gar nicht |verblüfft. 

unlieb gehabt, der Juch und ich, aber „Neid iſt's nicht geweſen“, febte 
jet ift der Teufel los gewejen. Ges der Schopper bei, „dafs ich etwa hätte 
ftritten, wie die Bettelbuben, und gar gemeint, wenn ich das Häuſel nicht 
beim Gericht hat's jeder beweifen kann haben, fo foll’3 auch der Bruder 
wollen, er wäre der Bub, und ihn [nicht haben. Aber Trog iſt's geweſen, 
hätte der Vater gemeint, und ihm und Dummheit, und hinter mir immer 
thäte das Häuſel gehören. So währt’3 der Teufel: Nicht nachgeben, nicht 
ein halbes Jahr und länger, feiner nachgeben! — Dabei das Streit-Elend, 
von uns Hat mehr gearbeitet, jeder die Bruderfeindfchaft! Und wie ſchon 
nur ſinniert, wie er den anderen manchmal ein Sturm in mich fährt, 
möcht” hinaustauchen. Geld hat's ges daſs ich felber nicht mehr weiß, was 
foftet und Hirnſchmalz und Herzblut ich th’, Fo iſt's über mich gelommen, 
— und die ewige Seligfeit hätt's und jo iſt's geſchehen. Mit meinem 
toften fönnen, ums beiden. Und wie Bruder bin ich immer noch wicht auf 
wir einmal fo im Wirtshaus ſitzen gleich. Er hat feine Sad’, ich gönne 
und jchauderlich gegen einander ge- |es ihm und was ich gethan, hat mich 
rathen — die Leute haben uns noch noch nicht ein einzigesmal gereut.“ 
angehegt — und wie wir jchon fein Die Jungmagd fagte: „Ein jelt- 
gutes Haar aneinander laſſen, daſs einer | ſamer Menfch biit.“ Und bei fich Dachte 
wie der andere einen rechten Spitzbuben ſie: Weiß nicht, joll man ſich vor ihn 
gleihiieht vor dem ganzen Dorf und fürchten, oder was?... 

zuletzt noch unjeren verftorbenen Vater Alfo plauderten fie manchmal von 
verihandieren — da Spring ich gäh auf |diefem und jenem und der Schopper 
und davon, Nächtig Stund’ ift, ges |fam num öfter an ihr Fenſter. Won 
trunken babe ich Mark gehabt. Und allerhand redete er, aber nie von Liebe. 
wie ich zu meinem Häuſel fomm’, das | Nichts don dergleihen, Nur einmal 
wie ein Schwarzes Geſpenſt dulteht fragte er fie beicheidentlich, ob es ihr 
mitten in den Feldern, da fällt's mir wohl auch recht fei, dafs er fo manches 
ein: Niederbrennen! Das Gerümpel | Stündlein an ihrem Fenſter ſitze, er 
its nicht wert, was wir treiben. thue es halt gerne und wäre jo froh 
Im Aſchen hat der Streit ein End’. dabei. 

— Kaum gedadt, bin ich mit dem Die Frieda brachte es nicht übers 
Zündholz auch ſchon im Strohdadh. | Herz, ihm zu geitehen, dafs feine 
Wie es licht wird im Thal und die | Gegenwart fie beilemme, dajs fie ihn 
Leute zufammenlaufen und ich auf [vielleicht gerne haben könne, wie einen 
einmal neben meinem Bruder Steh’, | Bruder, aber Brüder kämen nicht ans 


170 


— a; 


NT 


Fenſter der Schweitern, und ob er 
nicht beſſer thäte, nach feiner ſchweren 
Zagesarbeit im Bette zu raften, als 
den weiten Weg zu machen im die 
Abachleuten ber. — Mehrmals nahm 
fie Anlauf, ihm das zu jagen, aber 
fie brachte es nicht übers Herz, ihn 
jo zu kräuken. Sie nahm ſogar die 
kleinen Geſchenke, als Weden, frifche 
Kaiferbirnen, welche er ihr mitzu— 
bringen pflegte — ſie nahm derlei 
und fagte Schön Vergelt’3 Gott dafür. 
Insgeheim jedoch waren ihr die Gaben 
von dieſem Menfchen zumider und 
es that ihr felber weh’, dajs fie jo 
undanfbar jein mußste. Viel 
ſchlechter, jo rief es einmal in ihr, 
viel jchlechter ift der andere MWicht, 
der nächtig meine Ruhe ftört. Was 
hat der junge Adlerwirt von Kirch» 
brunn im meinen Träumen zu thun! 
das geht ihn gar nichts an, ob ich 
mein Daar flechte oder nicht, und er 
foll nur feiner Fran Adlerwirtin die 
Augen küſſen uud nicht ein armes 
Dienftbot foppen. 

Auf der Schabelhöhe, über welche 
eine Bergftraße Führt, fand unter 
fieben alten Lärchen eine Kapelle. In 
derjelben war ein frischer Brunnen 
und ein Muttergottesbild, genannt: 
Maria unter den Sieben Lärchen, 
Diejes Bild war als wunderthätig 
befannt und bejonders von Leuten 
aufgefucht, die an heimlichen Herzweh 
litten. Der Volkswitz jagte: Wenn 
eine Jungfrau fiebenmal am Brummen 
bei Maria unter den Lärchen trinkt, 
dann befommt fie einen Mann. Ob: 
zwar diefer Ausspruch in der Gegend 
nicht gerade als Glaubensartifel be— 
zeugt war, jo ließ Sich doch nicht 
leugnen, daſs jahraus jahrein viel 
junges Frauenvolk hinaufkam zur 
Schabelhöhe, andächtig vor dem alten, 
ungefügen Bildnis betete und dann 
einen Fräftigen Schlud nahın aus dem 
Brunnen. Alfo war es auch der Magd 
Frieda Schon mehrmals zu Sinn ges 
foınmen, ob fie nicht eine Wallfahrt 
machen follte zu den fieben Lärchen ; der 


Platz war vom Abachthale aus in einer 
guten Stunde zu erreichen. Ganz fern 
ftand das Gnadenbild den menschlichen 
Liebesangelegenheiten auf feinen Fall. 
Ein heimlich Herzweh — das ftimmt 
ja. War nicht einjt der fterbenden 
Mutter letztes Wort: Frieda, wenn 
du nicht ausweißt, fo knie' Hin und 
thu’ beten! — Und Hatte die Frieda 
nicht auch dem Shopper verſprochen, 
fie wolle jo lange beten, bis fie ihn 
recht lieb habe? 

Und eines Sommerfonntags nad 
mittags gieng die Magd an den Wald— 
hängen hinan, über die jonnigen Wei— 
den fort, bis fie zur heißen ftaubigen 
Straße fam. Wie von diefen Höhen 
aus der Blid ſich weitete hin auf die 
blauen Berge, jo weitete ſich auch ihr 
Herz und eine frohe Hoffnung fan 
über fie, dafs jie nicht umſonſt den 
Mallfahrisweg machen werde zu der 
lieben Mutter Gottes. 

Endlich ftieg fie die Stufen hinan 
zur hölzernen Kapelle, die ſchon etwas 
Hinfällig ſich an eine der Lärden 
lehnte. Sie hörte das Geplätjcher des 
Brunnens, der an der Seitenwand 
aus dem Rohre in einen Steintejjel 
rann. Niemand war da, fie war ganz 
allein. Ihren Überkittel ließ ſie vom 
Kopfe Hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog 
jie aus dem Säcklein und aljo kniete 
fie nieder vor der Muttergottes mit 
dem Kinde, die, aus Holz geſchnitzt 
und mit Farben bemalt, fait in Lebens- 
größe auf dem Altare ftand. Die Maria 
hatte eine Stone auf dem Haupte, 
hielt ein Scepter in der Dand, das 
Chriftlind trug im Heinen nadten 
Händchen die Weltkugel. So viel 
Herrlichkeit und Würde lag in diejem 
Bildnis, daſs die Frieda fich dachte: 
und bier foll ih mein fündig Herz 
auspaden ? 

Mit dem Gebetbuche gieng es Heute 
gar nicht. Da find allerhand Anliegen 
darin, aber das ihre nicht. Wie joll 
fie e$ denn nur anfangen, dajs fie 
nach ihrer Meinung jegt beten kann ? 
— „Der gute arme Menſch, der Schop= 


per. Iſt er denn wirklich Jo unbegehrt? 
Iſt er denn Häfslich, To dumm, jo 
ungefüg und jelbitiih? Das iſt er 
nicht. Er iſt ein herzensguter Menjch, 
und wenn er feinen Bart kämmen und 
pflegen möchte, wer weiß, was 5 





das Buch auf, machte ſich Vorwürfe, 
daſs ſie nicht einmal mehr beten könne, 
ſie war ſich's kaum bewuſst, welch 
heißes, kindliches Gebet ſie eben ver— 
richtet Hatte. 

Und während fie fo fniete in der 
Kapelle und mit fih rang, ehrlich und 


werden könnt'l Hernach, wenn man 
bedenft, was er für ein tüchtiger | tapfer, wie noch jelten ein Weibesherz 
Mann in der Arbeit ift und bringt’s | gerungen, ftand am Eingang einer 
über furz zum Holzmeiſter. Schlecht | und beobachtete fie. Sie entfaltete ein 
fann’3 bei dem ein Weib nicht haben, weißes Handtüchlein, fuhr ſich damit 


ernähren kann er auch etwas. Und! über die eigen Wangen und erhob 


wenn er eine jo recht lieb Hat, als! 
wie er jagt, daſs er mich mag, da 
wird’3 faum einen befjeren Mann | 
geben, als dem. Ich Habe ſchon Bes 
weile genug, wie er zu mir Hält. Der 
wird ja närriſch, wenn er mich nicht 
fan haben. Alfo warum will ih ihn 
denn nicht, das möchte ich wiſſen, du 
liebe barmherzige Mutter Gottes! Ich 
bin ja gewijs nicht zu gut für ihn, 
ſchon eher zu ſchlecht. Ich weiß mir 
ja nichts auf der Welt und joll als 
arme Magd alt werden und vers 
fterben. Auf wen wart’ ich denn? Na, 
du himmlische Maria, warum will ich 
ihn denn nicht ? Sei mir doc) gnädig 
und gib mir deinen Segen. — Harte 
Anfechtungen babe ich oft, al3 müjste 
ih wohin gehen und wa3 anftellen, 
daſs es groß Unglüf gäbe für Zeit 
und Ewigkeit. O Heilige Mutter 
Gottes, führe uns nicht in Berfuchung! | 
Gib mir die Gnade, dafs ich den Holz- 
tnecht recht kann lieb haben und fein 
Meib werden. D liebes Chriſtkindel 
mit dem frauen Daar! Und wenn 
es Schon nicht möglich kann fein, dafs | 
ih ihn lieb Hab’ wie einen Herzens— 
ichaß, jo gib mir die Kraft, dafs ich 
das Opfer mag bringen, jo wie e3 für 
alle drei am beiten ift. Sch will dir, 
ja nicht zu ſparſam fein mit Wachs— 
ferzen, wenn du mir Hilft und den 
rechten Weg weiſeſt. O gegrüßt feilt 
du, Königin, Mutter der Barm— 
herzigkeit!“ 

Alſo dachte und murmelte die junge 








ſich — da ſah ſie ihn. 

„Schau“, ſagte er und ſchnalzte 
mit der Zunge — der Wolfram war 
es — „da ſehe ich eine Seltſame. 
Die will ſich auch einen Liebſten er— 
bitten.“ J 

Sie verbarg ihre Überraſchung 
hinter Trotz und antwortete: „Ja, 
das will ih auch. Aber nicht etwa, 
fo wie es der Herr Adlerwirt meint,“ 

„Das Hilft alles nichts, Frieda”, 
fagte der Wolfram. „Komm Dirndel, 
jeßen wir uns da auf die Bank, Wir 
haben ſchon lange nimmer miteinander 
geplaudert.” 

Unter dem Schatten der Pärchen, 
am Rande von jungem Fichtendidicht 
hin waren aus rohen Brettern Tiſche 
und Bänke aufgeichlagen, weil all» 
jährlih am Maria Deimjuchungstage 
ein Felt bier abgehalten und dabei 
Getränke ausgefhäntt wurden. Die 
Frieda wollte eigentlich feſt ſtillſtehen 
und den Adlerwirt keines Blickes 
würdigen, aber ihre Füße ſtiegen ſachte 
die Stufen herab und an ſeiner Seite 
über den grünen Anger zu einer Bant 


hin. 


Als fie völlig zu Sich kam, ſaß 
fie neben dem Wolfram, der, feinen 
Ellbogen auf den Tiſch geſtemmt, den 
Kopf in der Hand hielt, 

„Ach ja, Dirndel!“ feufzie er auf. 
„Seit wir zwei uns das leßtemal 
gefehen, habe ich viel durchgemacht, 


du glaubjt es nicht.“ Und nun begann 


er zu erzählen von feinem häuslichen 





Magd vor Fich Hin, manches ſprach ſie Elende, daſs er fo viel als vertrieben 
laut und traumhaft, dann jchlug fie‘ jei aus feinem VBaterhaufe, ja jelbit 


ans Kirchbrunn, und dajs er jebt auf 
dem Punkte ſtehe, wo der Menſch 
nimmer weiß, ob er noch warten ſoll 
auf den nächſten Tag oder nicht. 

„Mein Gott, Wolfram”, fagte Tie 
voller Theilnahme. „Was willft denn, 
al3 warten, bis es wieder beſſer wird! 
Sollft dich nicht jo viel fränten, Wolf, | 
was Haft denn davon, wenn du frank 
auch noch wirft!“ 

„Ich wollt, 
(ende, alles, alles!” fo rief er mit 
Ihriller Stimme und jchlug fich die 
Fauſt auf die Stirn. 

„Molf! So mufst nit. Mufst 
nicht auch noch jelber dein Feind fein.“ 
Sie legte ihre Hand auf jeine Achſel. 


Er ſchlang mit Leidenschaft feinen 


Arm um ihren Naden, fie warf diejes 
Joch heftig von fi, fand auf, um 
zu flüchten. Aber am Stamme eines, 
Larchenbaumes blieb fie ſtehen und 
ftrih wie traumhaft die lojen Haar— 
loden aus dem Gefichte. 

Der Wolfram war fauern geblie= 
ben auf der Bank, jet ſchaute er vor— 
geneigten Hauptes hin auf fie, im 
allen Enden feines Angefichtes zuckte 
es, dann lachte er auf, 

„Das gienge noch ab”, ſprach er. 
„Das Gedenken an dich ift meine) 
einzige Labnis gewejen in diefer trau— 
rigen Zeit. 
Welt, die zu mir fteht. Wenn fie auch 
weit von mir ift und ich fie nicht mag 
finden, irgendwo ift fie Doch und denkt 
an mih und mir find beiſammen. 
Und jegt —“, er ſprang auf, „jetzt 
bift auch du fo?!“ 

Sie ftand bewegungslos wie eine 
Bildfäule und fchaute ihn an. 


es hätt’ alles fein! 


Eine lebt doch auf der! 


wegen ganz verloren fein?” fprad er 
weiter, „Soll ih mein junges Leben 
jelber zertreten, wie man einen Wald» 
wurm zertritt, vor dem fich alle ent» 
jegen ? Ja, Frieda, ich thue es. Sie, 
im Adlerwirtshaus, hätte mich nie fo 
weit vermodht, fie ift mir eine Fremde, 
Aber wenn ich weiß, daſs aud du 
dich von mir wendeft, dann ift es 
aus!“ 

„Wann“, entgeguete nun das 
Dirndel zagend, „wann babe ich dir 
denn einen Beweis gegeben, Adlerwirt, 
dafs ih — dir fo gut wäre?“ 

„Leugne es nicht, Frieda!” ſprach 
er mit Nahdrud, al3 wollte er einen 
Verbrecher überweilen. „Und wenn. 
dur mir mie mas Liebes gejagt hätteſt, 
fein gutes Wort, und wenn du mir 
zehnmal weiter noch ausgewichen 
‚ wäreft, ich hätte es doch gewusst, daſs 
du mich gern haſt, und ſo gewiſs, als 
du's von mir mußst wiſſen. Du Haft 
es tapfer niedergedämpft, vielleicht 
tapferer als ih, Wir haben uns beide 
‚redlich vor einander gewehrt. Es hilft 
alles nichts. Bon jenem Tanzabende 
in Schwambach an hat's ſo geſpielt, 
| daſs wir zwei zuſammenkommen ſollen, 
wir haben's nicht verſtanden, haben uns 
ſo lange geſträubt, bis es uns heute 
* dieſem Platze ganz zornig zu— 
ſammenwirft. Iſt es nicht ſo, Frieda? 
Iſt es nicht ſo?“ 

Das Dirndel preſsſte die Hände 
ins Gefiht. „Ich Hab’ Fo gebetet da 
drinnen“, wimmerte fie, „Jo inftändig 
gebetet zu derMuttergottes. E3 tit alles 
umſonſt! Ich kann ja auch 
nicht fein, ohne deiner!“ — 








Mit dieſem Schrei ſtürzte ſie ihm an 
„Soll ih denn meines Irrthumes 


den Hals. 


(Schlujs folgt.) 


Erinnerungsbilder. 
Bon 6. v. Verlepſch. 


m 
„a 


in ſtürmiſcherSpätherbſttag neigte 
2 — 


die Scheiben meines Fenſters gepeitſcht 
worden. Nun hörte das Unwetter auf; 
der Sturm tobte allein noch fort, 
maſſiges Gewölk vor ſich her treibend. 
Im Weſten wurde es hell, plötzlich faſt 
leuchtete ein ſchreiendes Gelb in die 
dunkle Landſchaft und überflammte die 
Wolken bis weit in den Luftraum hin— 
ein, mit feinem Feuer einen wahren 
Dimmelsbrand entfachend. 


Im Garten bogen ſich die Wipfel 
unter den Stößen des Windes. Rothe, 
gelbe und noch jaftig grüne Blättter, 


die einen ſchon gefallen, die anderen 
vom Sturme abgerifjen, wirbelten in 
tollem Reigen über Wege und Rajen= 
flächen hin. Jetzt befchrieben fie tanz 
zende Kreife, dicht dem Boden nach, 
dahin, dorthin, bis fie jich emdlich in 
einer Ede verfiengen und liegen blieben 
wie todgeheßte Korybanten; dann wies 
der flog eine Schar auf, ftrads in 
die Höhe wild auseinander, über 
Däher und Straßen hinweg, weit 
von dem Orte fort, den fie zur Lenz— 
zeit mit ihrem jungen, heiteren Grün 
geſchmückt Hatten. 

Ich fah dem Treiben durchs Fenſter 
zu. Wenn man es aud noch jo oft 
gejehen hat, diejes Frühling-, Herbſt— 
und MWinterwerden, e3 wirft jeine 
Reflere doc) immer wieder bewegend 
ins Gemüthsleben und lenlt die Ge— 
danken vom Alltäglihen ab ins Weite, 
in jene Bereiche, wo das Traum— 
gewordene der Vergangenheit und die 
ichlummernden Lofe der Zutunft ruhen. 

Ich ihaute dem Todtentanz der 


1 


dem Abend zu, Regenjchauer was 
ren miedergegangen und falt, | 
ſchon wie Schnee, vom Weftwind gegen | 





Blätter zu und dachte an ein theures 
Grab in der Ferne, über das nun 
ebenjo das welfe Laub dahinjagen 
und den lebten Schmud desjelben 
mit ſich fortreißen würde in die Lüfte. 
Ich Jah den weiten Friedhof draupen 
in dem Thale liegen, jah die Cypreſſen 
windgepeitfcht fich neigen über ſtumme 


Steine umd verdorrte Kränze — ein 
Raſcheln, Klappern und Achzen und 
doch alles fo todtenſtil — — nichts 


Traurigeres, als ein Friedhof im ſpä— 
ten Herbſt! 

Neben mir in der Fenſterniſche 
ſaßen meine Stubengenoſſen, zwei 
Vögel in ihrem Bauer, ſie ſchienen 
in ähnlicher Stimmung wie ich ſelbſt. 
Froſtig, das Gefieder aufgeblaſen, blick⸗ 
‚ten fie mit ihren ſchwarzen Augelchen 
hinaus ins Freie, manchmal den Kopf 
jeitwärts neigend, gen Dimmel, als 
erwarteten fie dort oben noch einen 
‚Flug ihrer wandernden Brüder zu 
ſehen, die durh Sturm und Wetter 
‚nah der Winterheimat ziehen. Somit 
‚war da3 ein Geflatter hin und her, zwit— 
ſchernd, jingend, auch mitunter ftreis 
‚tend, wie das bei lebhaften Eheleuten 
‚ja vorfommen kann; heute hatte noch 
feiner von ihnen einen Ton gefungen. 
Nachdenklich ſaßen fie auf ihren Sproj= 
ſen; auch über fie ſchien ein melan— 
ı holifches Herbitgefühl gelommen zu 
ein. 

Mich gemahnte diefe Abendſtimmung 
‚an vergangene Zeiten. Die Geftalt des 
Vaters ftand dor mir in ihrer ganzen 
Nüftigkeit, wie er ehedem um diefe Zeit 
‚fo gerne draußen gewandert, den Kra— 
gen aufgefehlagen, den Hut feitgedrüdt. 
‚Wie oft waren wir fo miteinander 
gegangen, auf einfamen Wegen, wenn 








ee — 


die Blätter fielen, wenn der Nebel im 
Walde braute, wenn der Boden vor 
Froſt unter unſeren Tritten hallte. In 
all ihren Phaſen, ihren heiteren und 
ſchwermüthigen Reizen hatten wir die 
Natur belaufcht. Kein Wetter ver— 
mochte uns zu jchreden. Und damı, 
wenn wir beimfebrten, wie froh ger 
noffen wir oft den Abend, an Eins 
drüden zehrend, von denen ſtuben— 
figende Leute gar feinen Begriff haben. 

Meine Gedanken twandelten Die 
alten Pfade; Bilder fliegen vor mir 
auf, jo fcharf und beftimmt in allen 
ihren einzelnen Zügen, als ob ich fie 
in Wirklichkeit erblidte; Partien der 
heimatlichen Landfchaft, genau jo, wie 
fie in Ddiefem WUugenblide ausjehen 
mufsten. Ich ſah unfere beiden Ge- 
ftalten darin wandern, ja ich hörte 
unjere Stimme im Geſpräch — id 
träumte mit offenen Augen. 

Da wedien mich aus meiner Ver: 
ſunkenheit janft, kaum hörbar, lieb» 
lihe Laute. Der eine meiner Heinen 
Sänger bob noch ganz leije zu fingen 
an, ein halblaut’ Abendliedchen; faſt 
war's, ala hätte er eö, meine Gedanfen 
errathend, in der Stille erfonnen, um 
in feiner Weife daran theilzunehmen, 

Die zarten Töne berührten mich 
ganz eigen, wie die Erinnerung an 
einen vergejjenen Traum. Es iſt ſelt— 
ſam, wie die langfarbe eines Tones, 
einer Stimme, wie ein einzig Wort, 
ja ein Duft, ein Hall, oft längit Ber- 
ſunkenes vor die Seele rufen Tann. 
Diefe Laute, halb Geplauder, halb 
Gefang, hatte ich in meiner früheften 
Kindheit gehört — zauberhaft tönten 
auf einmal Waldvogelftimmen in mei— 
nem Ohre — ein verwettertes Haus 
ftand vor mir — eine niedrig däm— 
merige Stube mit mädtigem Ofen und 
tidender Wanduhr, eine Reihe Heiner 
Tenfter, durch welche Wieſen- und 
Tannengrün mehr als der Himmel 
hereinſchauten — Kindheitserinneruns 
gen! Wie märchenhaft ſich das auf— 
thut! 

Wir waren oft in das einſame 





Haus gekommen, zur Winters- und 
Sommerszeit. Eine alte Frau, die 
uns ſtets beſchenkte, wenn wir kamen, 
wirtſchaftete Hier abſeits von den Men— 
ſchen, mit ihrem Sohn und einem, wie 
uns vorkam, ururalten Verwandten, 
dem einſtmals das Heimweſen gehört 
hatte. Die Alte in ihrer Einſamkeit, 
mit den immer ſpendenden Händen, 
war für uns Kinder eine Art Fee, 
deren Bereich wir ſtets mit erwar— 
tungsvollen Empfindungen betraten. 
Das Gärtchen vor dem Hauſe mit den 
hohen Buchseinfaſſungen, den vielen 
Blumen, Kräutern und Beerenſträu— 
chern, von denen wir naſchen durf— 
ten; im Hintergrund die dicht über— 
wucherte Gaisblattlaube, in deren In— 
nevem es ftet3 feucht und dämmerig 
war; dann im Winter die warme 
Stube, deren Ofen man befleigen und 
fogar no durch eine Öffnung in 
die darüberliegende Schufterwerkitatt 
guden konnte, wo der Sohn hauste, 
die Waldvöglein in ihren hölzernen 
Käfigen, der Eremit vor dem Fenſter, 
der als Barometer das Wetter an— 
zeigte, und draußen der ftille Forſt, 
von dem beinahe eingejchloifen das 
ihindelgepanzerte Häuschen mit feinen 
grünen Holzläden lag, das alles hatte 
für uns eine geheimnisvolle Anzie— 
hungskraft. Und noch heute ſchwebt 
es mir wie die Scenerie eines Mär: 
hens vor, zumal wenn ih an die 
jpätere Geſchichte dieſes Hauſes denfe. 
Wie jo etwas verblaſſen und plötzlich 
in aller Friſche wieder im Gedächtnis 
auftauchen kann! Ich wollte ſie zeich— 
nen, Zug um Zug, dieſe drei Ge— 
ſtalten, die ſammt ihrer Umgebung für 
mich die erſten Merkwürdigkeiten meines 
jungen Lebens waren. Da ſtand allen 
voran die Herrin des Hauſes, eine 
kleine Figur mit wachsgelben ſchlot— 
ternden Wangen, über denen ein Paar 
dunkle Augen klug und ſelbſtwillig in 
die Welt ſchauten. Sie mußſste ein— 
mal nicht übel geweſen ſein in frü— 
heren Jahren, als dieſe hochaufge— 
ſchlagenen Augen nebſt ihrer Klugheit 


176 
auch noch jugendlichen Glanz befejlen ;bier oben, und jelbit zur Sommerszeit 
hatten und das dichte Haar einſt ſaßen in der Woche nur vereinzelte 
ſchwarz geweſen, das jetzt gebleicht | Gäfte an den Holztiichen auf der Wiefe. 
unter einer großen Haube ftedte. Sie | Die Sonntage der Schönen Jahreszeit 
war ein eigenthümliches Meittelding |waren die einzigen Erntetage. Darnm 
zwiichen Städterin und Bäuerin. Am | führte die Frau auch das Tleine Wirt: 
Zeigefinger ihrer eingefchrumpften Hand ſchaftsweſen allein und ließ den Sohn 
trug fie z. B. einen Ring mit rothem |droben in der MWerkitatt fein eigen 
Stein, obwohl fie die Arbeiten des | Gewerbe treiben. 

Haufes jelber verrichtete, und ihre Noch Höre ih das Schuiterhänt- 
Hauben Hatten immer einen Aufputz merchen am Waldrain Hallen und ſehe 
von bioletten und grünen Schleifen. Jam Fenſter unterm Giebel den Kopf 
Sie konnte auch auf dem ſummenden mit dem fchwarzen bujchigen Haar 
Spinett fpielen, das in der Stube und dem breiten Hals aus dem oöffe— 
ftand, that es aber nur felten, uns nen Hemde rageı. Er war ein eigener 
Kindern zum Spafs und fang dann Kauz, diefer Georg, der Sohn der 
mit verfchollener Stimme ein luftiges | Alten, ein grobknochiger ſchweigſamer 
Liedhen dazu. Diefe augenfcheinlichen | Mann, der etwas von einem zahmen 
Überbleibfel aus befieren Tagen rühr- Rieſen Hatte, Er mochte etwa fünf: 
ten von der Zeit ber, wo die rau unddreißig Jahre zählen, jah jedoch 
in der Stadt drunten Wirtin geweien älter aus, weil er einen miſsvergnüg— 
war. Man ſagte, dajs fie damals ein ten Ausdrud Hatte und die Stimme 
Ihönes Vermögen, aber auch einen immer in tiefe Falten legte, wenn er 
durftigen Mann befeilen Habe, der, |redete. Lachte er aber einmal, jo zog 
nachdem er feine Familie ins Unglüd |fih die ganze Kopfhaut zurüd und 
gebracht, eines Tages furz und gutiaus dem dunklen Bart Fehimmerten 
durch einen Schlaganfall aus diefem die vollen Reihen feiner gelblichen 
Leben gegangen fei, und dajs fie feit- | Zähne. Es gieng dann plöglich ein 
dem im Waldhaus oben die Heine eigener Schein über feine mürrifchen 
Sommerwirtfchaft führe. Uns Sins | Züge, etwas vor dem wir uns fürch— 
dern erschien fie durch die Gaben, |teten. Die Alte ftand mit ihrem Sohne 
welche jie ftets für uns bereit Hatte, auf feinem bejonders zärtlichen Fuß, 
als eine immer moch viel beliende |obwohl er von vieren der einzige war, 
Frau. Bald war e3 ein rothbadiger | der ihr geblieben. Sie ſchien den Grofl 
Apfel, bald eine Handvoll getrod= |gegen das Schidjal, das ihr gerade 
neten Obftes, die fie uns ſchenkte; den wenigft Begabten gelafjen und die 
alles mundete natürlich tauſendmal anderen genommen hatte, auf ihn übers 
befier als zu Haufe. Unſere Bekannt: |tragen zu haben, weshalb er wohl 
ſchaft rührte daher, daſs wir, etwa auch nur ein Schufter geworden war. 
zwanzig Minuten entfernt, ebenfalls | Sie dirigierte ihn in ihren alten Ta— 
auf der Höhe des Berges wohnend, gen noch mit ihrer Klugheit, er ſaß 
mit unferen Eltern oft den Spazier- Jan ihrem Tifche, nicht fie an dem 
gang nad) dem laufhhigen Waldwintel |feinigen. Wenn er zum Eſſen her— 
machten, außerdem aber manchmal mit |unterfam, aus feiner Merkftatt, jo 
dem Dienftmädchen kamen, um Eier, |waren Gejicht und Hände immer frifch 
frifchgefhlagene Butter und dergleichen | gewafchen, denn jo wollte fie e8 haben. 
zu holen. Es beftand eine Heine Hans | Der alte Vetter, der die beiden Kühe 
delsverbindung zwischen den beiden | und den Stall beiorgte, mufste es 
Häufern, welche die eigentliche Grund- | ebenfo machen, ſie führte ein aufrech— 
lage unferer Freundſchaft wurde, tes Scepter über die Männer. Manch— 

Im Winter war es unendlich ſtill mal nun im Winter, des Sonntags 





— 


177 


giengen die Eltern mit uns hinüber; thigjten gefehlt Hatte, ein unfroher 


ins Waldhaus, weil es jchön war, 
die mächtigen Tannen des Forſtes im 
Schnee= und Reiffhinud zu jehen und 
beim Gang über die Berghöhe das 
Geläute der Gloden aus dem Thal zu 
hören. Wie das da drinnen lag, wenn 
man durch den Halbverwehten Hohl» 
weg einbog, inmitten der winterlichen 
Einfamteit! So weltfern, jo geheim= 
nisvoll weihnächtlih für uns, denen 
man gejagt hatte, daſs das Ehriftfind 
durh den Wald herkäme, der glei 
dahinter, ein gejchlofjenes Heer von 
Bäumen, ftand und ftundenmweit über 
den Bergrüden ſich Hinzog. In der 
Stube mit dem großen Ofen hielten 
wir Raſt und vermweilten oft bis in 
den früh einbrechenden Abend hinein. 
Es wurde geplaudert von großen und 
Heinen reigniffen, vom Lauf der 
Welt, von Krieg und Frieden. Wir 
horchten zu, oder hatten unfere eigene 
Unterhaltung. Bon den Vögeln, die 
in der Stube waren, ließ der eine 
oder andere fo ein paar verträumte 
Hrühlingstöne zwilhen die Stimmen 
der Redenden hören. Die Bögel in— 
terejfierten uns immer ganz befonders: 
Georg muſste dieNamen und Eigenarten 
der Sänger, wie er fie gefangen, wo— 
mit er fie nährte u. ſ. mw. erklären, 
denn er war ihr Herr und Meiiter. 
Er hielt fich fonft meift abjeits, wenn 
Säfte da waren und feine Mutter mit 
diefen am Tiſche ſaß. Meinem Bater 
gegenüber thaute er jedoch zumeilen 
auf und ließ jich gern über mandes 
von ihm belehren. Er Hatte feine 
eigenen ſummariſchen Anfichten über 
diefe und jene Einrichtung der menjch- 
lihen Geſellſchaft. Er ſchalt auf die 
Großen, welche den Heinen Mann er- 
drüden, auf die Mächtigen, in deren 
Dand Glück und Unglüd der Völfer 
liege. Sein Schlagwort war „die 
Bande”, die einmal mit allen Un 
ebenheiten in der Welt aufräumen 
würde. Diefe Macht allein ſchien feine 
Sympathie zu haben. Er war, ob» 
wohl e3 ihm eigentlih nie am Nö— 


Bofegger's „‚Geimgarten‘‘, 3. Heft, XV. 


Menſch, in deflen Gedanken nichts 
Heiteres gedeihen wollte. 

Ubjeit3 auf der Ofenbank hörte 
der alte Better den Gefpräcden zu, 
wie einer, den alles nichts mehr an— 
geht, halb weiſe, Halb kindiſch. 

Braden wir dann auf, jo leuch- 
tete uns Georg mit einer Laterne ein 
Stüd Weges. Oft war aber der 
Himmel jo bligend jternenhell, oder es 
Ihien auch noch der Mond, fo dafs die 
Landſchaft vor uns flimmerte und 
glänzte. Der Schnee Mnirfchte unter 
den Füßen, jeder Laut hallte in der 
unendliden Stille. — Wir drängten 
ung dicht an die Eltern, verftohlen zu— 
rüdjpähend, ob nicht etwa am Wald- 
rand das Chriftlind oder fonft eine 
Erſcheinung zu erbliden wäre. Aber 
wir ſahen nichts als das Lichtlein 
im Waldhaus blinken, vor uns die 
Ichneebededte Flur und darüber, uns 
ermejslich weit, den Himmel mit feinen 
funtelnden Sternen, den verheißungs— 
vollen Himmel der Kindheit. 

Das Friedensbild diefer Erinne- 
rung ſchwebte in jeinem ganzen Zauber 
durch meine Gedanken. Hinterher zo— 
gen aber die Schatten der düſteren 
Sdidjale, welde das Waldhaus fpäter 
geſehen. Ih erfuhr die Geſchichte in 
der Ferne, Jahrzehnte nachdem mein 
Fuß zum legtenmale jene laufchige 
Einjamfeit betreten. 

Unfere alte Fee war eben nod 
älter geworden und vermochte dem 
Haufe nicht mehr allein vorzuftehen. 
Den greifen Better Hatten fie jchon 
längft Hinausgetragen aus dem grünen 
Revier, es war num noch um ein Leben 
jtiller hier. Da nahm die Frau ein 
junges Menſchenkind ins Haus, flinf, 
heiter, jehzehnjährig, vater- und mutter- 
lo8, ohne ein Band, das es mit den 
Menjchen draußen verknüpft Hätte, 
gerade jo, wie es die Alte brauchen 
fonnte. Sie hatte ein jo junges Blut 
genommen, um ſich recht von Grund 
aus eine Stüße zu ziehen. Das Mäd— 
den wuchs ins Haus, einer Pflanze 


12 


178 


gleih, die im jeden Boden gedeiht. |dem er num felber zur Miete war. 
Bald ſchlug fie aber tiefer Wurzeln, | Den ganzen Tag ſaß er in jeiner 
als abgejehen war. Kaum achtzehn: | Schufterwerkftatt im dumpfen Kampf 
jährig, wurde fie Georgs Weib, um ums tägliche Brot, mehr um diefes fich 
einem Kindlein feinen rechtmäßigen |fümmernd, als um die fieben Finder, 
Plag in der Welt zu ſichern. Die Ehe die e3 heifchten, — ein düſterer, vor 
war nit glüdlih und im Haufe jah der Zeit gealterter Menſch. Die Steinen 
es nicht Fröhlich aus, objhon Jahr um |trugen das fertige Schuhwerk aus und 
Sahr ein neues Stimmen im den brachten altes zum Flicken heim. Das 
Chorus der bereit3 vorhandenen ein= |gieng jo fort, Tag für Tag, bis ein 
fiel, bis beim fiebenten das arme Weib | Morgen kam, wo e3 einmal nieder— 
jein Leben aushauchte. Da ftand nun |fuhr wie ein Blitz aus brütendem 
ein Häuffein Unmiündiger, fait wie in | Gewölt. 
die Melt gejchneit und Hilflofer als es Im Walde, tief drinnen, dom 
einst ihre Mutter gewejen. Ein finfterer | Wege ab, Hatte ein Reifig ſammeln— 
Bater, vor dem fie fich alle fürchteten, |des Weib einen Fund gethan: unter 
eine Großmutter, die taub geworden, | Laub, Erde und Moos ein neugeboren, 
und nicht mehr von der Stelle Tonnte! |todtes Kind Hervorgezogen. Als das 
Das ältefte der Kinder, ein zwölf | Weib aufs Gericht gieng, das Ge— 
jähriges Mädchen, mufste fo gut es ſehene anzuzeigen, machte es am Wald- 
gieng, bei den Geſchwiſtern die Stelle |haus und an anderen Thüren Halt, 
der Mutter erjegen. Noch unreif für um das Erlebnis zu erzählen. 
fein ſchweres Amt, wurde es zur Laſt— Der Schufter wurde fahl, als er 
trägerin des häuslichen Elends. Selt- es hörte. Er, der ſich nie viel mehr 
ſamerweiſe verfrüppelte das junge Ding |um feine „Jungen“ gefchert, als in— 
nicht dabei, wenigftens nicht äußerlich. |dem er fie ernährte und ftrafte, ftand 
Es wurde ein früh entwideltes Wefen, mitten im Tag von feinem Dreibein 
der Geftalt des Vaters nachgerathend, auf und ſchloſs ſich mit feiner Alteften 
doch von anderer Gemüthsart. Es hatte [in eine Sammer. 
troß allem Luft am Leben und wäre Was drinnen vorgegangen, wujste 
am liebſten hinausgewandert aus dem |niemand, nur dajs das Mädchen dar= 
düsteren Neft in die fyreiheit. Aber das jauf wie von Verſtand gefommen aus 
ging nicht, denn inzwischen war auch |dem Haufe fort in den Wald gerannt 
die Großmutter geitorben. Schwere Iund anderen Tages als Leihe aus 
Zeiten giengen über die Familie hin; dem Waller gezogen war, das eine 
die MWirtichaft war verfommen, das | Stunde entfernt im Lande draußen 
Heimweſen vielfach verpfändet. Der | flojs. 
Dater hätte das Mädchen im Zorn halb- Bald genug ftellte ſich heraus, 
todt gefchlagen, wenn fie ihm gejagt warum fie es gethan. Der Vater felber 
hätte, dafs fie lieber in die Fremde | fagte es vor Gericht, als man ihn 
gehen, als bei ihm: das Brot der Ar- holte, um die Todte zu bejehen und 
muth eſſen wolle, als feine Tochter anzuerkennen. Selte 
Noch immer warf der Waldrain ſamerweiſe verdammte die Meinung des 
das Echo des Schuſterhämmerchens zu- | Volkes viel weniger die Schuldige, die 
rüd, das früh und ſpät fich hören lieh. |fich der Strafe entzogen, als ihn, der 
Georg ernährte ih und feine „Sum auf eigene Fauſt mit ihr Gericht ge— 
gen“, wie er fie nannte, jeßt allein | halten und dadurch fie in den Tod 
durch fein Handwerk. Mit den Wiefen | getrieben hatte. Der finftere Mann 
und dem Garten hatte er nichts mehr | war bon da an gemieden, hatte wenig 
zu thun, die gehörten einem Bauern, | Arbeit, fand fein Brot nicht mehr. 
der unten ins Daus gezogen und bei! Sollte er als alter Gejelle noch einmal 





wandern umd bei freinden Meiltern | Sie kamen fort aus der Gegend, das 
anflopfen ? Als der Bauer ihm endlich | eine wurde da untergebracht, das an— 
wegen rüdjtändigen Zinſes noch das |dere dort; fie wurden auseinander» 


Obdach kündigte, das ehedem fein eigen 


gewejen, lachte er, den man jonft nie | 
mehr lachen gefehen, und meinte ges | 


lafjen, ftatt ein gutes Wort zu geben: 
nun, jo müfle er eben ein anderes 
Unterlommen ſuchen. Droben in feiner 
Merkftatt that er darauf feinen alten 
grünen Schurz ab und nahm Rod und 


Hut. — „Ausgeichuftert !“ wollte der 


Bauer ihn noch haben rufen hören, als 
er die Thür Hinter ſich zumachte und 
mweggieng. 

Bon diefem Ausgang kehrte er 
nicht mehr Heim. Etliche behaupteten, 


gerifjen, wie Blätter vom Herbftwind. 

Ob es wohl noch fteht, das hoch— 
|giebelige einfame Häuschen mit den 
Tannen im Hintergrund, aus denen 
im Frühling der Kudud rief? Biel 
leicht ließ ein Fchlaues Bäuerlein das 
alte verwetterte Ding zu gelegener 
Zeit in Rauch aufgehen und baute aus 
der Verſicherungsſumme ein neues Hans, 
in dem er als Ehrenmann ſeines Gu— 
‚tes waltet und feine Nachkommen 
verſorgt; vielleicht auch ift alles dem 
Boden gleihgemadt, die Unglüds- 





er habe das Unglüdsneft einfach im ſtätte wie die alte Poeſie verſchwun— 
Stich gelaffen und fei fort, über die den, der Wald gefchlagen und fehon 
Landesgrenze ins Weite; andere meine | wieder Jungholz gewachſen, auf das 
ten, fort aus der Welt. Gejehen hat der Himmel mit feinen Gejtirnen her— 


ihn meines Wilfens niemand mehr. 

Seiner finder nahm ſich dann die 
Gemeinde an, in die fie zuftändig 
waren. Das ſei ihr Glüd, ſagten mit- 
leidige Seelen, der Vater hätte doc) 
nichts Rechtes aus ihnen gemacht. 
DVielleiht Hat der unfelige Manı an 
jenem letzten Tage dasſelbe gedacht. 


abſchaut, wie damals — — 

Uber meinen Träumen war der 
Schein im Weſten erloſchen; Sterne 
blitzten jetzt zwiſchen dem treibenden 
Gewölk hervor. Der kleine Sänger aber, 
der die Erinnerung ans Waldhaus 
wachgerufen, hatte längſt ſchon fein 
Köpfchen unter den Flügel geſteckt. 





Das Mädchen unter dem Fichtenbaum. 


Ein Märden für große Rinder. 


8 
BI wo eine MWeidenau zu Ende 
geht und eine Steppe beginnt, 
2 fteht ein Heiner dunkler Fichten 
wald, und unter einer der uralten 
Fichten ftand vor nicht langer Zeit 
ein Schönes fchlantes Mädchen und 
wartete, 
Die Eltern des Mädchens waren 


die weite Welt gegangen und es war 
niemand vorhanden als eine alte 
Muhme mit wirrem Daupthaar und 
langem ſpitzem Kinn. Diefe Muhme 
ſagie eines Tages zum Mädchen: 
„Dora! das Haus, in dem du wohneſt, 
gehört nicht mehr dein, das Gewand, 
‚in dem du gehſt, ift micht erworben, 


kurz hintereinander auf den Kirchhof das Brot, welches du iſſeſt, ift gewürzt 
getragen worden, der Bruder war in mit herber Nachred’, und das Lamm, 


12* 


— 


180 


weldhes wir heute fchlachten wollten, 
bat in diefer Naht der StöfleleZerg 
geholt. Wir haben nichts mehr. Dora, 
du mußſst fortgehen.* 

Da ſagte das Mädchen: „Wohin 
ſoll ich gehen? Ich habe nicht gelernt, 
ein Haus zu bauen, ich habe nicht 
gelernt, ein Tuch zu weben, ich habe 
nicht gelernt, das Brot zu erwerben.“ 

„Nicht mit dem was du kannſt, 
verdiene dir dein Leben, ſondern mit 
dem was du biſt“, alſo die Muhme. 
„Du biſt ein ſchönes Kind, Dora, 
du biſt ein ungeheueres Glück für den, 
der dich erkennt, und er wird dir all 
ſein Hab und Gut zu Füßen legen.“ 

Das Mädchen hub an zu weinen, 
denn es verſtand nicht, was die Muhme 
meinte. 

„Warum biſt du betrübt?“ fragte 
es dieſe, „du muſst ja munter ſein 
wie die Lerche im Kornfeld. Gehe nur 
hinaus an die ſchöne breite Straße, 
die fo ſchneeweiß daliegt über das 
Land hin, wie ein aufgefpanntes Lein— 
wandfah. Dort, wo die Straße durch 
den dunklen Fichtenwald geht, ftelle 
did unter einen Baum und warte 
bis er kommt.“ 

„Wer ſoll denn kommen?“ fragte 
das Mädchen. 

„Dein Bräutigam wird kommen.“ 

„Mein Bräutigam !* alfo jauchzte 
das Mädchen auf. Und danı lachte 
es ftill und heiter, wie ein Maiglödlein. 

„Er wird kommen und um dich 
werben und dich mit ſich führen. Aber 
du mußſst dich nicht an ihm irren, 
denn es werden viele borübergehen 
und dich anfchauen mit wohlgefälligen 
Augen und ich fo benehmen, als wären 
fie dein Bräutigam, Gib acht, Kind, 
der Rechte tft nur einer! ber mit 
dem geh’ und dem vertrau'.“ — 

Alfo Hatte das schöne jchlante 
Mädchen feine Sachen in ein Hands 
bündel gethan, war damit auf die 
weiße Straße gegangen und an der— 
jeiben dahin bis zum dunklen Wald, 
Dort Hatte es ſich unter eine uralte 
Fichte geftellt und dort wartete es 


nun auf den Bräutigam, — Sein 
Ichlichtes Kleid Hatte die Farbe von 
blajien Rojen, um den runden lilien— 
weißen Hals hatte es ein blaues Bänd- 
hen, an welchem ein elfenbeinernes 
Kreuz hieng — das die Mutter im 
Sterben ihm umgehangen als Ver— 
mädhtnis. Das Hichtleuchtende Haar 
war fraus und flaumlodig und um— 
floſs gleihjam wie ein Heiligenſchein 
das runde blühende Gefichtchen. Der 
Heine vote Mund war nit ganz 
geſchloſſen, es ſchimmerte ein weißes 
Zähnchen durch; die wie ein Kirſch— 
lein gewölbte Oberlippe zuckte ein 
wenig. Die runden tiefblauen Augen 
ſtanden weit offen, denn ſie ſchauten 
ja nach dem Bräutigam aus. 

Am Morgen war der Thau ge— 
hangen an den Zweigen des Baumes 
und in jedem Tropfen loderten Himmel 
und Erde in all ihren Farben und 
Feuern. Und zu dieſer Morgenſtunde 
ſchritt die Straße entlang ein junger 
Wanderburſche. Der hatte eine ſchöne 
geſchmeidige Geſtalt und einen hellen 
Blick, in welchem Frohſinn und Klug— 
heit war. Auf ſeiner Oberlippe ſchat— 
tete ein braunes Bärtchen. Das Ge-⸗ 
wand, welches er trug, war ärmlich 
und hatte Flicken an den Ellbogen 
und an den Knien, und doch ſaß es 
durchaus gut auf dem ebenmäßigen 
Leibe. Bei ſich trug er nichts als 
einen Heinen Korb mit Handwerks— 
zeug und ein feines Spazierjtödchen. 

Als er das Mädchen unter dem 
Baume erblidte, blieb er ftehen, lüf— 
tete fein graues Hütchen und fragte 
freundlih: „Was ftehft du denn da?“ 

„SH warte auf meinen Bruder, 
der Jäger ift und Faſanen ſchießt 
dort umten auf der Au*, fo log das 
Mädchen, denn das begriff es wohl, 
die Wahrheit durfte er nicht merken. 

Der Burſche aber fprah: „Ach 
bin auch ein Jäger, der nach Arbeit 
jagt, habe aber feine liebe Schweiter, 
die auf mich wartet. Darum kann ich 
weilen und dir die Zeit vertreiben 
helfen.“ 


„Es it gut gemeint“, antwortete 
fie, „doch ich vertreibe mir die Zeit 
und die Leut', die mir nicht gefallen, 
Ihon allein.“ 

Der MWanderburfche wußſsie recht 
gut, wie da3 gemeint war, dachte 
aber bei fih: die Straße ift unſer 
aller Heimat, da fanıı fie mich nicht 
binausjchaffen, und der grüne Wald 
ift unfer aller Hütte. Er ſetzte ſich 
neben fie auf den Rafen und fagte: 
„Die Sonne fteht ſchon hoch über der 
Au. Wir wollen frühftüden miteinan- 
der.“ 

Er zog aus dem Sade ein ſchwar— 
zes Stüd Brot, brach e3 mitten aus— 
einander, hielt den einen Zheil dem 
ftehenden Mädchen hinauf und fagte: 
„Nimm. So nimm doch. Ich habe 
es erſt jelber zu Schenken bekommen 
und ich meine, e3 jchmedt doppelt, 
wenn gleichzeitig zwei daran eijen.* 

Das Mädchen ließ ein wenig 
das Augenlid finlen und antwortete: 
„Schwarzbrot! Ich bin Backerk ge- 
wohnt zum Frühſtück.“ 

Der Burſche ſchwieg und af fein 
Prot allein. Nah einem Weilchen je⸗ 
doch fragte er fie, ob er ihr einen, 
friſchen Trunk Wafler bringen dürfe; 
dort am Waldrand ſei eine Duelle 
und beſſeres Waller bekäme fie auf 
der ganzen Welt nicht. 

„Brot und Waſſer!“ lachte jie 
auf, „o du armer Schluder!“ 

Darauf fagte der Burſche nichts 
mehr. Er ftand auf, Lüftete fein Hüt— 
fein und jchritt davon. 

Das Mädchen blidte ihn nad. — 
Warum er nur Schon geht? fragte fie 
ji, warum er es jo eilig hat? Was 
es für ein ſchöner Knabe ift! Einen 
jo Schönen Menſchen Habe ich mein 
Lebtag nicht geliehen. Am Ende — 
ift e8 der Bräutigam geweſen! Nein, 
das kann nimmer fein, ed war ein 
Bettelmanın. 

Sie fand unter dem Fichtenbaum 
und wartete, 

Ein mildes Lüftchen riefelte manch— 
mal in den Wipfeln, und in den Aſten 


EAU 


jubilierten die Finken und die Amjeln. 
Die Schatten der Bäume waren fürzer 
gerorden und legten ſich nicht mehr 
hin auf die weiße Straße. Auf diefer 
fam jet eine Staubwolfe heran, in 
der Staubwolke rollte ein zierlicher 
zweiräderiger Wagen, in welchem ein 
blaubefradter und bochbehuteter Kut— 
Iher ja. Auf dem Bode ritt ein 
junger Herr, welcher zwei Paar flinfer 
Pferde leitete. Drohte es chief zu 
gehen, jo griff der Kutſcher ein, und 
flog das Gefährte glatt dahin, jo wies 
der junge Herr den aufmerkfam auf 
etwelhe Gefahren lauernden Kutfcher 
zurüd: „Schweig’! Das verftehft du 
nicht.“ 

Als folder Paffagier unter dem 
alten Feigenbaum das Mädchen fah, 
riſs er jo Heftig an dem Leitriemen, 
daſs die Pferde plößlich ftehen blieben 
und falt aufbäumten. Er fprang vom 
Kutſchbock, trat mit Heinen eiligen 
Schritten Hin und rief: „He, Tchöne 
Maid! Unter dem Baum! und es regnet 
gar nicht! Über die Steppe? Höflichit 
eingeladen, mitzufahren!” 

Vier Röffer wären ihr zu wenig, 
‚gab das Mädchen zur Antwort, und 
zwei MWagenräder zu viel. Ihr Vater 
habe zehn Pferde und feinen Wagen, 
denn er weide fie auf der Steppe und 
verfaufe fie an vornehme Cavaliere. 

Der junge Herr hatte in der Fauſt 
ein Ding, mit dem er fi den Baden- 
bart Ärih und in das er jebt ein 
wenig hineingudte; das Mädchen er= 
fannte es al3 einen Taſchenkamm mit 
Spiegeldhen. 

„Möchtedie Pferde ſehen!“ ſchnarrte 
er nun. „Vornehmer Gavalier! Vater 
geadelt worden. — A propos, Kleine, 
ich liebe dich.” 

„Und ich warte eben auf meinen 
Bräutigam“, jagte das Mädchen. 

„Dh fatal!“ näfelte er, „übrigens 
— thut nichts. Holt uns nicht ein. 
Vollblut!“ 

„Ich bin zwar“, ſagte nun das 
Mädchen, „all meiner Tag in keiner 
jo fürnehmen Kutſche gefahren. Möchte 


e5 aber wohl einmal. Bei euch hätte 
ih es gewiſs gar nicht ſchlecht, nur 
hat's halt einen Hafen. Der Herr 
fommt mir etwas dumm vor, und fo 
was mag ich nicht.“ 

Der Gavalier ftieß ein paar kurz 
gebrochene Laute aus und that, was 
in diefem alle jehr Hug war, er 
jprang auf den Bod und lieh es da— 
vongehen. Das Mädchen blidte der 
Staubwolfe ſchmunzelnd nah und 
date: Der war ed mit. — 

Es blieb ftehen unter dein Fichten 
baum und wartete, 

Bald war die Schwüle und Die 
Stille des hohen Mittags. Kein Blatt 
regte fih und fein Flügel. Schwer: 
fällig und ächzend kam ein Bauern 
farren herangezogen. Zwei Hobige Och— 
jen zogen eine Ladung Getreide; auf 
dem oberiten Sade ſaß ein hagerer 
Mann und leitete mit trägem Hi und 
Hottah das Gefährte. In den Wald 
gelommen, jpannte er die Ochſen aus, 
führte fie zwifchen das Geftämme hin, 
dafs ſie ruhen konnten und Gras 
frejjen. Er jelber wollte fih in den 
Schatten jeines Karrens legen, da be— 
merkte er am Baume das Mädchen. 

„Iſt das nicht die Dora ?* fragte 
er. „Was macht denn du Hier ganz 
allein ?* 

Sie gab feine Antwort. Er trat 
hin zu ihr in den Schatten, nahm 
der Kühlung wegen den großen Filz— 
hut vom Kopf, da ſah man fein granes 
Haar, 

„Halt du ſchon zu Mittag ge— 
geſſen?“ fragte er und hub an, einen 
Heinen Pad auseinander zu thun. 
„Sieh, das langt Für zwei.“ Brot 
und Rauchfleifch und Käſe. Das Mäd- 
hen fchielte ein wenig fo darauf hin. 
Es Hätte ſchon Neigung zum Eſſen, 
und der Klaus — er war es ja, der 
wohlhabende Bauer — Hatte immer 
eine väterliche Gejinnung für fie bes 
wiefen, da fonnte fie ja etwas an— 
nehmen. Sie ſetzte fich daher ein paar 
Schritte von ihm entfernt auf das 
Moos und langte bejcheidentlich hin— 


182 


über, als der Klaus ihr ein faftiges 
Stüd entgegenbielt. 

„Wie geht es dir denn, ſeit dir 
Bater und Mutter geftorben jind?“ 
fragte er fie dann freundlid. „Ber: 
laffen wirft fein, ih glaube dir’s. An 
dich denke ich oft, Dora“, jehte er 
leife bei. Das Mädchen blidte ihn be— 
trübt an und biſs dann tapfer in das 
Geräucherte. 

„Ich komme mir auch verlaſſen 
vor, ſeit mein Weib geſtorben iſt“, 
fuhr er fort. „Mufs mich auch wieder 
um was Liebes umschauen. Allein 
geht’3 nicht auf der Welt, Meinft du 
auch jo, Dora ?* 

„Hreilich * ‚antwortete das Mädchen. 

„Auf meinem Hof ift fein Schlechter 
Ort“, Sagte der Klaus. „Wir lafjen 
uns nichts Fehlen und das da“ — er 
deutete auf die Getreidefuhr, „das ift 
wieder übrig geworden. Der dumme 
Stöſſel-Zerg wollte in der vergangenen 
Naht ein Bündel davon ftehlen, hat 
aber Statt des Kornſacks einen Sad 
mit Scheuerfand erwiſcht. Aljo habe 
ih gottlob immer Glüd und diefes 
Korn führe ih auf den Markt, gibt 
gutes Geld. Aber jetzt zu was brauche 
ih denn Geld, wenn ich dir fein ſei— 
denes Jöpplein kaufen will, Dora! 
Schon lange kenne ich did, und wie 
du Schön und ſittſam bift, habe ich 
mir oft gedacht, wäreft nicht zu ſchlecht 
zur Hanswirtin für meinen Hof. — 
Du ſagſt nichts. Warum fagft du 
denn nichts, Dora? Korn ausführen 
und ein Weib heimbringen, das wäre 
mir ein glüdlicher Tag. Ja, Mäpdel, 
e3 wäre mein heiliger Ernft. Warum 
fagft du denn heute nichts zu mir?“ 

„Ih bedankt’ mich ſchön, Vater 
Klaus“, flüfterte das Mädchen. Das 
verftand er. Vater Haus! Freilich 
war er nicht mehr jung. Seit einem 
Menichenalter hieß es immer von ih, 
er wäre ein Mann in den beiten 
Jahren. 

Troßdem er abgewieſen war, trug 
er dem Mädchen noch Käſe an; das 
dankte aber, es fei Schon fatt, 


„Willft noch bleiben da? Oder 
willit mitfahren auf den Markt?" 
fragte er. 

„Sch will noch bleiben da“, ant- 
wortete das Mädchen, 

Vater Klaus ſpannte feine Ochjen 
ein und fuhr langjam davon. Dora 
ſchaute ihm nah und murmelte: „Es 
wäre fein ſchlechter Ort, aber das 
graue Haar! Das graue Haar!“ 

Das Mädchen blieb jtehen unter 
dem Fichtenbaum und wartete, 

Es wartete, bis dem Himmel das 
Auge übergieng. Die Schatten dehnten 
fih wieder, an dem Fichtenſtamme 
Hetterte ein Eichlägchen auf und ab, 
von der Steppe ber Hallte das Bellen 
eines Thieres. Über das Firmament 
zogen Wolfen heran, theil3 von der 
Sonne beſchienen, jo daſs fie wie 
Goldſcheiben Leuchteten, theils trübe 
und roſtbraun, al3 wären fie gewitter- 
jhwer. Das Mädchen blidte unver- 
wandt auf die Straße bin. — Jetzt 
fönnte er doch ſchon bald kommen. 

Und er kam. Ein ſtämmiger Daun 
mit braunem Haar und rothem Bart 
und mit Scharfem gebieterifchem Auge, 
Er hatte um die Lenden eine weiße 
Schürze gejchlungen, er führte am 
Strid ein falbes Kälbchen und ein 
großer Hund bellte hetzend um das 
geängftigte Ihier. Dem Kalbe fnidten 
die Vorderfüße ein, als ob es kniend 
um Gnade flehen wollte, aber der Hund 
biſs es in die Schenkel und der Mann 
riſs es mit dem Stride empor. 

Da rief das Mädchen auf die 
Straße hin: „Seid doch nicht jo grau— 
Jam!” 

Der Fleifherfneht jah Hin und 
fagte: „Du Haft recht, ſchönes Wald— 
fräufein. Das Kalb ift ſchon müde, 
ih will e3 raften lafjen unter den 
Bäumen und mich zu dir ſetzen.“ 

Und als er den Strid au den 
Baumaft gebunden Hatte, und zu ihren 
Füßen ſaß, fagte er: „Du bift ja die 
Ihöne Dora, die ich Heiraten möchte.“ 

„So einen, der Kälber Schlachtet, 
nehme ich nicht“, war ihre Antwort. 


183 


„Warum?“ fragte er, „jo einer ilt 
gefund und ſtark und hat Geld. Aber 
ih will dir diefes Kalb ſchenken, du 
fannjt es aufziehen, dafs es Milch 
und Junge gibt und du einen ſchönen 
Viehſtand bekommſt.“ 

„Ich will feinen Mann, der grau— 
ſam iſt“, gab fie kurz zurüd. 

„Wenn du mich nicht woillit, jo 
werde ih noch graufamer jein und 
das Thier vor deinen Augen zu Zode 
hetzen laſſen.“ 

„Das könnt Ihr thun“, verſetzte 
ſie noch und dann ſchwieg fie beharr— 
lich auf alles was er ſagte, bis er 
verdroſſen und roh mit Kalb und 
Hund ſeines Weges zog. 

Gott behüte mich vor einem ſol— 
chen! dachte ſich Dora, blieb aber ſtehen 
unter dem Baume und blieb ſtehen. 

Nun begann der Abend zu däm— 
mern. Das Mädchen wußste, daſs es 
auf der Steppe Wölfe gab. Wo iſt 
der Bräutigam? Keiner von allen, 
die an dieſem Tage vorüber gekommen 
waren, konnte es geweſen ſein, jeder 
hatte einen ſo großen Fehler gehabt. 
Der eine war arm geweſen, der an— 
dere dumm, der dritte alt, der vierte 
roh. Der fünfte wird recht ſein. Wenn 
er nur käme! Es finſterte die 
Naht. Lange ſtanden die Fichten— 
wipfel noch ſchwarz in den Himmel 
hinein, endlich ſah man fie nicht mehr 
und es war rabenjchwarz um und 
um. Über das Mädchen war eine große 
Angſt gelommen, aber nun fonnte e3 
gar nicht mehr weiter, weil es nicht 
Meg, nicht Steg fand. Und wie e8 
über den langen Tag unter dem Fichten 
baum geftanden war, fo ftand es auch 
in der Nacht unter demfelben und ihr 
einziges Denken und Fühlen und Beten 
war: Wenn er nur fäne! 

Da hörte fie Schritte. Heftig pochte 
ihe junges Herz, vor Furt und vor 
Hoffnung pochte es, und als die ſchweren 
Schritte näher kamen, that jie einen 
Angſtruf. 

„Wer iſt da?“ fragte eine Männer— 
ſtimme. 


184 


Das Mädchen hielt den Athen 
ein, aber der Mann ftand Schon vor 
ihr und nahm fie an der Hand. Er 
hielt fie feft und als er fie an ich, 
mit fich 309, war der Widerjtand nicht 
groß. Er führte fie durch den Wald, 
er führte fie über die Steppe, e3 war 
als fliegen fie nieder in eine Schlucht 
und traten in einen underirdifchen 
Raum. Auf eine Schichte von Moos 
fant das erjchöpfte Mädchen nieder 
und ſchlief. 

Die Steinwand war ſchon grau, 
al3 e3 immer noch jchlief und genau 
in derjelben Qage, wie es hingefunfen. 
Am Eingange auf einem Haufen Sand 
ſaß ein Greis, der hatte ein Auge 
verbunden, mit dem anderen blidte er 
trübjelig auf die Schlummernde und 
erwog, mas da zu madhen wäre. — 
Ein gang einzig feiner Yang! ber 
wie ihn ausnützen? Das fchöne Kind 
verlaufen? — 

Endlich erwachte das Mädchen, rieb 
ih die Augen und ſah verwundert 
umber. In einer Felſenhöhle war fie, 
von den Wänden fielen Wailertropfen 
auf das Moos herab. Die Spalte, 
welche den Eingang bildete, war faſt 
verwachſen von wuchernden Sträudern, 
durch welche das Tageslicht fpärlich 
hereinkam. Am Eingange, neben einen 
träge glofenden euer, im welchem 
Pilze brieten, hodte ein widerlich häſs— 
fiber alter Mann in feuchte Lumpen 
gehüllt. Es mar Stöljel-Zerg, der 
Dieb. — Der bewadhte fie. Der alfo 
hatte fie hierhergeführt, dem war jie 
gefolgt al3 ihrem Bräutigam.... 

Nah dem erften Schred lachte fie 
laut auf, Ein Verzweiflungsjchrei war 
diefes Lachen. Alle anderen hatte fie 
abgemwiejen, weil jeder einen fehler 
gehabt. Sie wollte nur einen Fehler: 
lofen nehmen. Jetzt hatte fie einen, 
der alle Fehler zufammen hatte, er 
war arm und dumm amd alt und 


ſchlecht. 


Darum Hatte fie fo wild aufge— 


lacht. 


„Du lächelſt, mein Schatz“, ſagte 
der Stöſſel-Zerg. „Ich will dir etwas 
ſagen. Ein Weibsbild kann ich nicht 
brauchen. Einen Kameraden will ich 
haben in meinem Geſchäft, denn mich 
verlaſſen die Kräfte ſchon. Darum 
muſst du jetzt in dieſen Männeranzug 
ſteigen und ein kecker Burſche werden, 
daſs du in Dachfenſter kannſt kriechen, 
Schlöſſer kannſt öffnen und Schätze 
tannſt ſammeln für mich, deinen Herrn. 
Ich werde dich ſchon unterweiſen.“ 

Das Mädchen war klug und dachte, 
Männerkleider wären ein ſicherer Hort. 
Es zog daher das Gewand eines Bau— 
ernknechtes an, welches der Stöſſel— 
Zerg einſt heimlich aus einem Hofe 
geholt hatte, und als Dora in der 
Hoſe ſtak, empfand ſie auch ſchon 
Mannesmuth. Wohlgemuth aß ſie mit 
dem Greiſe die gebratenen Morcheln, 
dann machte ſie ſich bereit, auf Beute 
auszugehen, und der Stöſſel-Zerg nickte 
beifällig mit dem Kopfe. 

Alſo eilte über die Steppe ein 
flinker Bauernknabe dahin, und als 
er zur Straße kam, begegnete er zwei 
Landwächtern. Denen verriet er das 
Neſt des Stöſſel-Zerg. Dann lief er 
die Straße entlang, unermüdlich bis 
Mittag. Um dieſelbe Zeit war es, 
daſs er einen jungen Wanderburſchen 
einholte, welcher ein Gewand mit Fli— 
cken trug, eine geſchmeidige Geſtalt 
hatte, an der Oberlippe ein braunes 
Bärtchen, und im friſchen Geſicht ein 
betrübtes Auge. 

Der Bauernknabe drückte den Filz— 
hut tief über die Stirn herab und 
fragte: „Wohin gehft du denn?“ 

„Das ift einerlei”, antwortete der 
Wanderburjche. 

„Seht du nach Arbeit aus?” 

„Es iſt einerlei. Im nächften Dorfe 
beim Schmied ift mir Arbeit zugejagt, 
ih nehme fie nicht.“ 

„Warum nimmft du fie nicht?“ 

„Mich Freut nichts mehr.“ 

„Wenn di nicht arbeiteft, kannſt 
du nicht heiraten.” 

„Es ift einerlei. Geftern babe ich 





fie das eriemal gejehen und das letzte- fragte fie wie ein lieber Schelm. 


mal. Sie will mid nidt. 
fterben.” 

„Willſt jo ganz allein fterben | 
gehen?“ 


„Es ift einerlei.“ 

„Willſt du nicht auch mich mit» 
nehmen? Jh will auch fierben gehen.“ 
„Was thut denn dir weh?“ 

„Dafs mir mein Schaf ift davon— 


traurig ift. Und dajs mein Schaf 
will fterben gehen.“ 

Als der Wanderburfche folches 
Wort gehört Hatte, blieb er ftehen und 
fhaute feinen Weggenofjen an. Das 
Mädchen jchleuderte den Hut im die 
Lüfte und lachte. 





„Ich 


Ich gehe gehe recht gern mit dir — fterben 


‚oder leben mit dir, ift mir einerlei.“ 
Leben !* jauchzte der junge Manz 


|derburfche, fein Auge leuchtete in lauter 


Frohſinn. Und Hierauf ſchritten fie 
felbander dem nächſten Dorfe zu, wo 


‚Arbeit war und wo ihre Zufunft lag. 
Hurtig gieng der junge Schmiedgejelle 
‚dran, 
gegangen. Und dajs mein Schaf fo 


jeinen Fehler abzulegen. Und 
im Grunde gewöhnt fich ein fleißiger 
Mann keinen Fehler jo leiht ab, als 
den: arın zu fein. 

— Nehmt euch in act, ihr hüb— 
ſchen Dirnlein al! Nehmt euch in 
acht beim Abweifen und beim Zufagen. 
Nicht jede trifft e3 ſchließlich noch jo 
gut wie das Mädchen, das unter dem 


„Sehen wir zwei miteinander ?* | Fihtenbaume ftand. 


Wenn auch! 


& habe di jüngft auf dem Weg eripäht, 
Zur Seite dein Weib dir, fo hold; 
BE Es hatte, o Kiebfter, euch beide ummeht 


ol 


Der Abend mit flammendem Gold. 


Boll nedenden Scherzes und froher Haft, 


So wandelte fie neben dir; 


Und du — ihren Arm mit dem deinen umfajst, 
Giengft achtlos vorüber an mir. 


Wohl blieb an der Stelle ih feitgebannt, 

Als hielte der Tod mich zurüd; 

Do bald, und es hatte mein Herz fih ermannt 
Zu neuem erwärmendem Glüd: 


Bift ihr du auch eigen vor aller Welt 
Zu Sinnen und Lieben und Sein, 


Wenn ihr all dein Frohſinn zu Opfer aud fällt, 
Dein Schmerz und dein Kummer find mein! 


@ttilie Bibns. 


186 


Die Gedichte vom armen Mann in Tokenburg. 


Von Richard Yof. 


® (Fortſetzung.) 
az 
> urüd don diefer wehmüthigen | Auch ſonſt iſt er nicht glüdlih. Die 
‚„ Brauengeftalt, viele Jahre Frau hat das Regiment und hält die 
= zurück. Zügel mit ſtarker Hand ſtraff und 
Uli Hält Umſchau unter den Mäd- feſt. Sie iſt eine verſtändige Haus— 
chen des Thales, um die „Rechte“ zu frau, eine brave Mutter, ein treues 
finden. Er ſucht lange. Da eines Tages Weib, und wenn Uli von ihr ſpricht, 
ſieht er ein Mädchen mit einem geſchieht es immer mit Achtung, immer 
„Amazonengeſicht“, und dieſes iſt die mit Anerkennung, immer mit Dank— 
Rechte, und dieſes wird feine Frau. barkeit, aber niemals mit Liebe. 
Er muſs lange werben, und es ift Ui Hält einen Handel mit Baum- 
feine jelige Bräutigamszeit. Sein! wolle, er bat einen Webftuhl aufge- 
Mädchen ift nicht die „Reiche“, wie jtellt. Aber da er jelber nichts Hatte, 
der Vater fie wollte; fie ift auch nicht und aud die Frau nichts mitbrachte, 
ſchön, aber fie ift tüchtig und klug, ſo war alles mit Erborgtem anges 
eine derbe Geftalt, aus ftarfem Holze | fangen, und wurde alles mit Erborg— 
gefhnigt, die fein Sturm fo leicht tem mühjelig und mothdürftig im 
beugt; das „Amazonengefiht“ ift an | Gange erhalten. Wie hart er auch 
dieſem Mädchen für alles bezeichnend. | arbeiten mochte, wie ängitlih aud 
Er freit um fie ohne Liebe, und ohne | feine Frau im Haufe zufammenbielt, 
Liebe wird er erhört. ſparte und forgte, fie konnten kaum 
Es iſt eigenthümlich, wie diefer Mann, | die tägliche Nahrung ſchaffen; an ein 
dem das Wort „Geichäft“ fremd war, | Abzahlen der Schulden war nicht zu 
obgleich es für ihn fo viel wie „Leben“ |denten. Ulrich probierte diejes und 
bedeutete, gerade aus feiner Heirat jenes; er probierte afles, aber bei 
ein Gejchäft machte, das denn in der allem hatte er Unglück. Die alte Berg: 
That auch das einzig Gute war, was | fehnfucht kam wieder, das alte, ſchmerz— 
er in feinem ganzen Leben zuftande liche Deimmeh nah Taunenwald und 
gebradt. Die Wahl diejes Mädchens | Freiheit. Was hätte er drum gegeben, 
mit dem „Amazonengeliht“ bat bei | wieder der Hirtenbube von damals zu 
Ulrich gewiſſermaßen der-Inftinet der | fein! Sein Geichäft gedeiht nicht, jeine 
Selbfterhaltung vermittelt; und in der | Frau ſpart und zankt, und verfteht 
That, eine Heirat „aus Liebe“ wäre | ihn nicht, in feiner Regung, in feinem 
für ihn, den unprattifhen Träumer, | Gefühl. Er hält es nicht länger aus. 
fiherer Untergang gewejen. | Da er aber nichts ändern Tann, ſucht 
Uli hat ſich ein Haus aufgezim⸗ | er dem Leben zu entfliehen, in eine 
mert, und holt fih nun die Hausfrau, | ‚andere Welt fi zu flüchten, in eine 
Die junge Ehe fängt traurig genug | Traumwelt, die glüdlicher ift, als die 
an. Der Bater wird beim Holzen von wahre. Wenn er am Tage fi müde 
einem niederftürzenden Stamme ge= | gearbeitet, wenn Frau und Kinder 
töbtet, und Ulrich muſs nun ftatt des | fchlafen, ftehter auf, und beim heim— 
Vaters für die Familie Brot ſchaffen. lich erfparten Serzenlicht liest er in 





es 


187 


Büchern, die er irgendiwo ausfpioniert, 
und über diefen Büchern vergifst er 
jeine ärmliche Hütte, fein häusliches 
Elend, die Welt und jich ſelbſt. Da 
fällt ihm ein: wenn du jelbit Bücher 
Ichreiben würdeft! Der Gedanke fafst 
die ganze Seele des Mannes, und 
ftatt die Nächte zu durchlefen, durch— 
Ichreibt er fie jetzt. Er muſs jehr 
heimlich zu Werke gehen, damit feine 
Huge Dausfrau nichts merkt. Sie 
würde ihm Vorwürfe machen, das 
theuere Licht jo nutz- und ſinnlos zu 
verfchwenden. Uli aber jchreibt; er 
ichreibt jeine Lebensgeihichte: was 
hätte er anderes jchreiben jollen, er 
fennt ja nur fein Ich und das, was 
diefes Ich gedacht, gelebt und gelitten. 

Und leiden muj3 er jeht viel. 

Zwei feiner Kinder ftarben, beide 


ift nicht Schuld an feinem Elend. Diefe, 
die jo denken, find milde gegen den 
Armen. Andere aber drängen ihn, 
wollen bezahlt fein. Die Arbeit muſs 
liegen bleiben, und er läuft die Tage 
umber, Hilfe fuchend, um Nachſicht 
bittend, um Milde, Erbarmen. Das 
find Gänge, die den Mann tief de= 
müthigen, die fein Haar frühzeitig 
grau machen. 

Viele Jahre jchleppt Ulrich ſich To 
hin, immer den völligen Zuſammen— 
bruch abhaltend, den gänzlichen Ruin 
aufichiebend. Ihm ergeht es, wie 
einem, der aus hellem Zimmer plößlich 
in dunfle Nacht tritt; nichts kann er 
jeden, nicht Weg und nicht Steg; 
aber feine Augen gewöhnen fi an 
da3 Dunkel, und bald erkennt er 
Umriſſe, bald auch die Dinge, und er 


in einer Woche, jein ältefter Sohn | findet feinen Weg, und fehreitet ihn 
und jein Mädchen. Dem Sohne fchreibt ruhig und ficher. So ergieng es Ulrich 
er jelber die Leichenrede, es war fein mit ſeiner Noth: zuerſt macht ſie ihn 


Liebling geweſen. Die kleine, kalte 
Todtenhand greift in ſein warmes 
Leben, und manche ſchöne, knoſpende 
Blume eritarrt. 

Auch jein Weib Fränfelt, und er 
jelbjt, wie er gegen die Stranfheit auch 
ringt, wird don ihr niedergeworfen. 

Ulrich will beten, und fühlt zum 
erſtenmale, dajs ihm das Beten nicht 
Troft gibt; er will am Gott denen, 
und fanı Gott nicht mehr finden; er 
jieht den Tod, das bleihe Geipenit 
entjeßt ihn — wenn er jeßt ftirbt, 
wird auch fein ehrlicher Name mit 
ihm begraben. Er darf nicht fterben, 
er muſs leben und arbeiten; arbeiten, 
um jeinen Kindern wenigfiens den 
ehrlihen Namen der Bräfer ala Erbe 
zu laffen! Und fein mächtiger Wille 
zwingt feine Kranfheit, und wie er 
wieder gejund ift, arbeitet er denn 
wieder. Er arbeitet Tag und Nacht, 
jahraus, jahrein, aber es bleibt alles 
beim Alten. E3 kommt zur höchſten 
Noth, zu einer Noth, die ihn schier 
faſſungslos macht. Einige feiner Gläu— 
biger ſind menſchlich. Die Zeiten ſind 
ſo hart, daſs jeder leidet; und Bräker 





faſſungslos. Er weiß kaum woher und 
wohin; was er fühlt, iſt Verzweiflung. 
Mit der Zeit gewöhnt er ſich an das 
Elend; er taſtet und tappt ſich hin— 
duch; es wird ihm etwas Alltägliches, 
und er erträgt es. 

So lebt er fort. Die Nächte durch— 
Schreibt er jegt wieder, und es jind 
föftliche Nächte. Das trübe Licht, bei 
dem er liest und finnt, iſt der einzige 
Strahl, der in das dunkle Leben des 
armen Mannes fällt, aber er dünkt 
ihm fo Hell, wie die Sonne. Er nennt 
die Bücher feine „platonifchen Ge— 
liebten”, und in feiner Kirche war 
einem Gläubigen ein Gegenftand fo 
heilig, wie im diefem armen Haufe 
dem Ulrich Bräfer die Feder. Er 
ſchreibt hin, was ihm gerade einfällt, 
wie ihm die Gedanfen gerade kommen, 
und wie er fie denkt, jo fpricht er lie 
aus. Einmal findet er den Muth, Tich 
an eimer Concurrenz zu betheiligen. 
Er ſchickt der Geſellſchaft, die jie aus: 
geichrieben, die Arbeit ein: Eine Ab- 
handlung über Gredit und Baum— 
wollenerwerb, und feine Arbeit erhält 
einftimmig den Preis. Das macht ihn 


188 


zum glüdlihen Manne. Aber feine 
edle, ftolze Beſcheidenheit bleibt die— 
jelbe. Keine Überhebung, nicht vor ſich, 
und nicht bor anderen. Es kommen 
jet viele, die den armen Weber fennen 
lernen wollen, darıınter mancher ge= 
lehrte Herr aus der Stadt. Von den 
meiften wird er nur angeftarrt, andere 
drüden ihm Herzlich die Hand, fagen 
ihm manches gute Wort, und werden 
feine Freunde. In dem benachbarten 
Städtchen Lichtenfteig fordern fie ihn 
anf, ein Mitglied der „moralifchen 
Gejellihaft“ zu werden. Ulrich, in 
feiner Bejcheidenheit, will es nicht an= 
nehmen; man dringt in ihn, und er 
thut es. Wohin er kommt, wird er 
mit Achtung empfangen, und die ein— 
fache Würde feines Weſens beweist 
ih auch Hier. Einer der ſchönſten 
Tage feines Lebens ift es, wie er zum 
eritenmale eine Bibliothel fieht — 
dieſe Schränfe voll Bücher! Das Herz 
ſteht ihm Fast ftill. Und diefe Bücher 
darf er nun leſen; welche er will, jo 
viel er nur will; und er liest fie. 
Goldoni und Moliere, Gejsner und 
Klopſtock, Goethe's Götz und Elavigo, 
Jung⸗Stilling und Lavater, Plutarch 
und Juſtus Möſer, den Koran und 
Linne, und vor allen Shalefpeare — 
Shalkeſpeare! Welche Welt geht ihm 
auf, welche weite, wunderbare, herr= 
lie Welt! 

Seine Nahbarn zuden die Achſeln 
über den jeltjamen Mann, feine alten 
Bekannten ziehen fih von ihm zurüd, 
feine Fran hätte alle Bücher und 
Papiere der Welt verbrennen mögen, 
und vergällt ihm nach Sräften das 
Leben und jeden Genus. Die neuen 
Freunde, die er fich erworben, die 
Bücher, die er liest, das neue Dafein, 
das ihm die Kenntnis derjelben ge- 
geben, feinen Menſchen bildet es, er- 
zieht und erhebt es, aber feine Armuth 
wird nur größer dabei. Er liest und 
Schreibt noch immer nur Nachts, umd 
das Licht, das er dabei verbrennt, 
darbt er jih am Tage an feinem 
Brote ab; er ift an feinem Webftuhle 


und in jeinem Baummollenhandel 
fleißiger als jemals, aber — er kann 
fich nicht Helfen — feine Seele iſt 
nicht bei jeinem Berufe, Ddieje lebt 
nur des Nachts, und fängt ein Schein= 
leben an, fobald es wieder Tag wird. 

Es fommt wieder jene hödhite, 
Ichredlihe Noth. Diesmal find feine 
Gläubiger weniger gütig; Ulrich ift 
nicht mehr einer der ihren. Sie wollen 
bezahlt fein, oder ihm wird Haus und 
Habe gepfändet. Ulrich Hat jelbit einige 
Schuldner, Bis jebt Hat er ſich nie 
entichliegen können, von diejen armen 
Leuten zu fordern, nun thut er’, nun 
muſs er's thun. — „Ih gieng auf 
die bejtimmte Zeit mit den Schäßern 
zu ihren Häuſern, und Gott weiß! 
mir war viel bänger, als ihmen (den 
Schuldnern). In dem erjten Augen 
blid, da ich an des einen Wohnung 
trat, dacht' ih: Wer kann das thun ? 
Die Frau bat, und wies mit den 
Fingern auf das zerfeßte Bett und 
die wenigen Scherben in der Küche; 
die Kinder in ihren Lumpen beulten. 
Dh, wenn ich nur wieder weg wäre, 
dacht’ ich, bezahlte Schäher und Weibel, 
und ſtrich mit unverrichteten Sachen 
fort.“ — — „Das will ih in meinem 
Leben nicht mehr thun. Meine Gläu— 
biger mögen eines Tages unbarınherzig 
gegen mich fein, ich will's nicht gegen 
audere jein. —“ 

Nachher erfährt er, dafs das Elend 
diefer Leute nur eine Komödie ge- 
wejen. 

Aber feine Gläubiger find weniger 
milde als er. Er ſoll ſchaffen und ver— 
mag nicht zu ſchaffen, und jet lernt 
er die Verzweiflung in ihrer entjeh- 
lichten Geftalt kennen — in dem 
Spufbilde des Selbſtmordes. 

Manchmal denkt er auch an Flucht, 
an das ferne glüdjelige Amerika, aber 
er Sieht auf fein Weib, auf feine 
Kinder, und bleibt. Er will reiche 
Menichenfreunde in feiner Noth an— 
ſprechen; der edle Lavater fällt ihm 
ein. Er hat den Brief ſchon gefchrie- 
ben, aber er wird wieder zerriſſen — 


er will jelbft mit feinem Schidjale 
fertig werben, er will, wa3 er felber 
verschuldet, jelbjt wieder vetten. Und 
es gelingt ihm! Eine glüdliche Specu= 
lation macht ihn zum jchuldenfreien, 
und bald zum wohlhabenden Manne. 

Nun verdient er. Seine Nachbarn 
zuden nicht mehr die Achſeln, feine 
Frau zanft und geifert nicht mehr 
durchs Daus; aber feine Freunde aus 
der Stadt kommen felten und feltener, 
— denn der wohlhabende Bräfer 
ichreibt und dichtet nicht mehr — und 
endlich bleiben fie ganz aus. Auch das 
Licht in der Kammer brennt nachts 
nicht jo oft: Ulrich Bräfer ift ein 
„gemahter Mann“ jetzt ift die Welt 
berrlih und Schön, auch am Tage ift 
das Leben blühend und froh! es 
braucht nicht mehr einer Flucht, eines 
Vergeſſens. Und in diefem Wandel 
und Beränderlichen bleibt nur eins, 
das ift fein Selbft; und dann noch 
eins, das ift die Natur. Diefe ift 
für ihn noch diefelbe wunderbare, an— 
geftaunte, heilige Göttin, im deren 


189 


räuber, wenn es bei dir ſteht, mich 
abzurufen, fo rufe mich doch im Herbit 
ab, ehe der unhöfliche Winter kommt!“ 

Er ftarb, wie er ſich gemwünfcht 
batte zu ſterben: die Blume, die im 
Frühling gefnofpet, im Sommer ge— 
blüht Hatte, wurde vom SHerbitwinde 
welt und bleih vom Stengel geweht, 
ehe es Winter ward. Schön, wie jein 
Leben war, jo ſchön war fein Sterben, 
Und ſchön war das Leben diejes armen 
Mannes geweſen, ſchön, trotz aller 
Sorge und Noth, denn es war ein 
freies, gutes, echt menſchliches Leben 
geweſen. Als Ulrich ſtarb, glühten 
vielleicht die Gipfel ſeiner Alpen im 
Abendroth, und ſein ſterbender Geiſt 
folgte dem ſtrahlenden Lichte, nach 
dem er ſich ſchon im Mutterleibe ge— 
ſehnt, und fonnte ſich auflöſen in 
Glanz und Sonuenglut, wie es der 
Knabe auf der Berghalde geträumt. 


ll. 
Das war das Leben diefes Manz 


Gottheit er ſich mit feinem ganzen nes — das war fein Sterben. Aber 
Sein und Weſen verſenkt, die er mit von ihn felbft will ich noch reden, 
feinem ganzen Weſen anbetet und von feiner Menfchheit, feiner freien, 
feiert. ih möchte jagen künſtleriſchen Indi— 

So wird Ulrich Bräfer ein alter vidualität, von feinem einfachen und 
Mann, ud als er alt ift, wird er! einſamen und doch ſo vornehmen 
wieder arm, ſo bettelarm, daſs nie jo! Weſen, ſeiner kindlichen, und doch ſo 
ein echter Bräker gelebt hatte, wie er. wahren und tiefen — ja philo— 
Er bleibt in ſeinem Hauſe, ſeine ſophiſchen Betrachtung von Natur 
Gläubiger werfen den alten, gebroche— | und Menfchheit, von Leben und Welt. 
nen Mann nicht auf die Straße; aber Ulrich Bräfer wurde das, was er 


er hat nichts, was er fein nennt, als 
jeine Noth. Und in diefer Noth wäre 
er zugrumde gegangen, hätte nicht Die 
Hand eines edlen Mannes freundlich 
und gütig dem müden Greije die er- 
drüdende Laft von den Schultern 
genommen, und ihm fo die lebten 
Tage jeines Lebens zu einem milden 
Verföhnen, einem fonnigen Sein ges 
macht, dafs der Ton, der fo voll und 
fräftig angefchlagen, in der Stille des 
jpäten Sommerabends ſchön und feier- 
lich ausklingt. 

„Tod, du eigenfinniger Menſchen— 


war, durch die Natur und fich jelbit. 
In einer geradezu öden Einſamkeit 
aufwachſend, lernte er in ſeiner Berg— 
ſchule leſen und ſchreiben, und dann 
noch einmal ſpäter als Knabe das 
Bibelleſen und Bibeldeuten bei dem 
guten Paſtor in Kyrnau. Das iſt 
ſeine ganze Erziehung. Die ſchweren 
preußiſchen Jahre und dann die eigene 


Noth feines Lebens mufsten den 


weichen Zeig feines Weſens fneten 
und bärten, aber den Dichter und 
Philoſophen in ihm bildeten fie nicht, 
faum feinen Menſchen. Das that er 


jelbft, und er allein. Als Mann, mit 
den Nachbarn wenig verfehrend, von 
feiner Frau nicht verftanden, lebte er 
nur in fich ſelbſt. Dieſe Einſamkeit 
lehrte ihn denten, und das jhon von 
Jugend auf. Er denkt über Berg und 
Wald, Käfer und Blumen, Abendroth 
und Sterngeflimmer und auch über 
ſich ſelbſt. So lernt er die Natur 
fennen und ſich. Er beobachtet alles, 
was um ihn vorgeht und in ihm. In 
der Natur findet er alles vollfonmen, 
groß, Schön; im jeiner Seele vieles 
unvollkommen, ftleinlih und häſslich. 
Die große Natur Hat ihm auch ein 
großes Vorbild gegeben, ein zu großes. 
Die Halbheit feiner menschlichen Natur, 
die Kleinheit und Befchränttheit feines 
Willens find ihm ein nie endender 
Sram. Weil er fich ſelbſt kennt in 
jeiner Unzulänglichkeit und Stümperei, 
wie er's mennt, ift ein Sichüber— 
heben unmöglich für ihn; ſelbſt da 
nicht, als jein Erfolg gekommen, als 
Männer mit Namen jih in feine 
Hütte drängen, und ihm fchmeicheln, 
und fich mit ihm ſchmücken. Und diefes 
ernſte, raſtloſe Arbeiten an ſich felbit 
geihieht ohne Lärm, ohne Haft; er 
macht es mit fich ſelbſt ab, in aller 
Stille, ohne Stehenbleiben. Es bringt 
ihn nicht um die Shöne Ruhe feiner 
Seele, die Harmonie und Würde 
feines Weſens. 

Uri Bräler war fein Charakter, 
aber er war eine Jndividualität. In 
feinem Weſen war nichts Fremdes, 
alles darin gehörte ihm jelbit an. Als 
er dann fpäter die Welt in den Werfen 
gelehrter Männer kennen lernte, war 
er in feinem Weſen fo fertig, dafs er 
alles Große, alles Bedeutende und 
Schöne wohl empfinden konnte — und 
wie tief empfand er's! — aber nicht 
anempfinden. Selbit Shalefpeares 
gigantiſche Größe, in der er viele Jahre 
ein neues Leben fand — fie konnte 
ihn hinreißen, begeiftern, überwältigen; 
aber auch Shatejpeare gegenüber blieb 
er der Mann mit eigenem Denken und 


Fühlen, 


Nebſt Arbeiter, wie Ulrich ift, und wie 
er's noch mehr fein möchte, ift er auch 
Künftler. Er ift Künſtler durch fein 
Temperament — ein Sanguiniter vom 
reinften Waſſer: er verzweifelt und 
hofft, hofft und verzweifelt. Er glaubt: 
nun iſt's aus, und denkt: nun fängt 
es an. Heute fühlt er fein Bettlerthum 
wie ein Bettler, morgen möchte er mit 
einem Könige nicht taufchen. Wie der 
Gummiball: jet auf dem Boden, im 
nächſten Augenblide bis zur Dede 
hinauf; — ein Heiner Mr. Micamber, 
freilid Me. Micawber ins ehrliche 
Deutjch überſetzt und noch dazu ins 
biedere „Schwyzerdütſch“. Aber auch 
Me. Micamber ift in feiner Urt ein 
Künstler, oder richtiger: alle Künſtler 
find Heine Micamber. 

In feinem Freiheitsdrange und 
Freiheitsgefühle war Bräfer kein 
Schweizer, jondern nur Menſch — der 
künstlerisch Fühlende Menſch: „ſchmiedet 
mich doch um des Dimmelswillen nicht 
fo kurz ans Schiff!” ruft er irgendivo 
aus, 

Seine Wanderluft, fein Sehnen 
ins Ferne, ins Weite, fein Nichtauss 
haltenfönnen zwifchen Wänden und 
Mauern, fein Hinaus- und Hinaufs 
ftreben auf Berghöh’ und Alpen, es 
ift alles nur der Ausdrud für dasſelbe 
Gefühl, für dasſelbe Bedürfnis: Frei— 
heit! Freiheit ! 

Ein Jahr vor feinem Tode — die 
Noth im Haufe hat den faum fünfzige 
jährigen Mann zum alten Manne 
gemacht — kommt ihm noch einmal das 
Hinausfehnen der Jugend zurüd. Er 
täufcht feine ftrenge Hausfrau durch 
einen Geſchäftsgang, und zieht fort 
an den Zürichſee, um nur noch einmal 
wieder wandern zu fönnen. Sein 
jüngfter Cohn geht mit ihm; „ob, 
dürft’ ich frei gehen“, ruft der Mann 
aus. So einfach, jo findlih es ſich 
anhört, das Wort hat etwas Er— 
ſchütterndes, es ift wie ein Schmerzens- 
ſchrei: „oh, dürft” ich Frei gehen!” 

Doc ein geniehender, froher Menſch 
ift Ulrich Bräker bei all feiner Noth, 


- * 
⸗ — 
“ 
. 
- ° 


191 


in dem ſchönen Optimismus feiner | werk und Roſen die Fülle. Kurz, es 
Natur. freut mid jo wohl, als manchen 
Diefer „arme* Mann war wirfe | Fürften all feine babylonifchen Gärten. 
ih ein reiher Mann, diefes von! Sag’ alfo, Bub’! ift unfer Wohnort 
Sorge getragene Leben war wirklich | nicht jo angenehm, als je einer in der 
ein glüdliches Leben. Sein Haus iſt Welt. — Oder geh’ mir einmal im 
eine Hütte, feine Speife das Eſſen Maimond auf jenen Rafenhügel vor 
der Armen, aber ift draußen micht | unferer Hütte. Schau durchs bunt- 
die ganze reiche Gotteswelt! Berg und geſchmückte Thal hinauf; fieh, wie die 
Thal, Wiefe und Wald, Blumenduft Thur ſich mitten durch die Ichönften 
und Sonnenſchein, und alles jo Schön, | Auen fehlängelt, wie fie ihre noch 
jo voll Fülle und Glüd, und alles | trüben Schneewafjer grade unter deinen 
gehört ihm, er darf es genießen, und | Füßen fortwälzt. Sieh’ wie an ihren 
er kann e3 genießen. So ſchwelgt er! beiden Ufern unzählige Kühe mit ge— 
in dem unerfhöpfliden Born der ſchwollenen Eutern im Gras weiden. 
Natur, umd jeder Trunk aus dem | Höre das Jubelgetön der großen und 
ſchäumenden, überquellenden Becher ift | Heinen Buſchſänger — — — Ha! 
Erguidung für ihn. jagit du vielleicht, aber diefe Matten 
Am Schluſſe feiner Selbftbio: | und Kühe find nicht unfer! Närrchen! 
graphie rechnet er gewiffermapen die Freilich find fie'3 und die ganze Welt 
Leiden und Freuden feines Lebens iſt unfer. Oder wer wehrt dir, ſie 
zufammen, und erhält al3 Refultat, |anzufehen und Luft und Freude an 
dafs die Summe der Freuden die ihnen zu haben? Butter und Milch 
große Leidensfumme doh um viel befomme ich ja von dem Vieh, das 
überfteigt. Nachdem er von feinem darauf weidet, jo viel mir gelüftet, 
Dorfe geſprochen, jchreibt er: alfo haben die Eigenthümer nur die 
„Meine Nachbarn find recht gute, Mühe zum Bortheil. Was braucht es, 
ehrliche Leute, die ich aufrichtig fchäge jene Alpen mein zu heißen? Oder 
und liebe. Treilich läuft bisweilen | jene zierlich prangenden Obſtbäume? 
auch ein anderer mit unter, wie überall. —— man uns ja ihre ſchönſten 
Innige Freunde, mit denen man Ges! Früchte ins Haus! Oder jenen großen 
danken wechſeln und Herzen taufchen Garten? Riechen wir ja feine Blumen 
fann, hab’ ih in der Nähe feine. Das! von weiten! Und felbft unfer eigener 
erjegen mir meine platonifchen Ge- | Heiner, wächst nicht alles darin, was 
liebten in meinen Stübchen. Im | wir hineinfegen, pflegen und warten ? 
Frühling liegt mir der Schnee auch | Alfo, Lieber Junge! wünſch' ich dir, 
ein bifschen zu lang in meinem Gärt- daſs du bei allen diefen Gegenftänden 
hen. Aber ich fange einen Krieg mit | nur das empfinden möchteſt, was ich 
ihm an, zerfege ihn zu Heinen Stüden, | dabei fhon empfunden habe, und nod) 
und werfe ihm Aſche auf die Naſe; empfinde, dafs du neben diefer Wonne 
dann verkrieht er fich in die Erde, und Wolluſt den Höchftgütigen in 
jo dafs ih noch mit dem Frühften | allem findeft und fühlt, wie ich ihn 
gärtnen kann. Und überhaupt macht | fand und fühlte, jo nahe bei mir, 
mir dies Heine Grundftüd viel Ver: rings um mich her, und in mir, 
gnügen. Zwar ift die Erde ziemlich | wie er dies mein Herz aufjchlojs, das 
grob und ungejchlacht, obgleich ich fie er jo wei und fühlend ſchuf.“ 
ihon an die fünfundzwanzig Jahre Und an einer anderen Stelle: 
bearbeitet habe ; demungeachtet gibt das „An der Erde hangen? Freilich, 
Ding Kraut, Kohl, Erben, und was | woran jonft, wir armen Erdenwürmer ! 
ich immer auf meinem Zifch brauche, | Ja, aber den Geift zum Himmel er- 
zur Genüge; mitunter auch Blumen- heben. Kommt er doch bald zurüd 





und Hat jo ſchwache Begriffe von dem 
Himmel. Er flattert wohl oft bis an 
das blaue Gewölbe Hinauf, wo die 
holde Sonne ftrahlt, und des Nachts 
Millionen Sterne funteln, dringt zu— 
weilen auch ein Stüd weit durch, 
aber er verirrt fih in öden Gegenden, 
und ſinkt ermüdet wieder auf die Erde 
herab. Da flattert er vergnügt wie die 
Schwalben auf der Fläche herum, und 
wagt ſich nicht fo leicht weiter, als die 
Augen tragen.“ Und zuleßt, einen Monat 
vor feinem Zode, fihreibt er wieder: 

„Es ift immer mehr Gutes ala 
Böſes in der Welt! Wie ich das in 
meinem ganzen Leben behauptet habe, 
fo behaupte ih es noch in meinen 
legten Tagen, die ich zu meinen glüd- 
lichſten rechne.“ 

„Ich fang und ſprang heut’ während 
meiner Arbeit, obſchon es fonft eine 
traurige Arbeit war, denn ich machte 
meinem Zodten ein Häuslein. Ha! 
wie fanft wirft ruh'n, dacht’ ich, 
wenn du auch einmal fo bingeftredt 
daliegft. Heiße es dann Amen oder 
Bater felig, oder gar: der Lump ift 
auch geftorben. — Doch nein, das 
wird fein Biedermann jagen! — Viel: 
mehr: der ehrliche Mann ift auch den 
Weg des Fleiſches gegangen. Der 
arme Echelm hat jein Bündel ge— 
tragen. Gott hab’ ihn felig! — Und 
dann iſt's all. Vielleicht muſs ich noch 
manden Luftfprung machen, manche 
Kummerhölle, dann wieder Luftfchlöfier 
bauen! Ha nun! Unter Hunder- 
ten genießt doch kaum einer 
mein Glüd! Man ftolpert darüber 
Hin, und achtet nichts, als was neu 
oder abenteuerlich ift. Und ich ftehe 
bei etwas, dad niemand des Anz 
Ihauens würdigt, fill, bewundere es, 
freue mich bis zum Entzüden, und 
bete die wundervolle Weisheit des 
Schöpfers an. Um und um mich Stoff 
zur Freude, die fein anderer fühlt: 
Winde wirbein, Sterne funteln, jeder 
neue Tag, jedes grüne Kräutchen im 
Blumentopf mitten im Winter in 
meiner Kammer. — Eollt’ ih mid 


192 


fträuben, dann und warn auch bitt’re 
Pillen zu ſchlucken? Das Süße ift 
dann nur defto ſüßer!“ 

Diejer bäuerifhe Handelsmann ift 
in feinem Umgang mit Menjchen ein 
Ariftofrat. Er läſst nichts Plebejiiches 
an fi herankommen, jede Roheit, 
jedes Unſaubere und Zweideutige, 
jeden Pöbel hält er ſich vornehm vom 
Leibe; und man mußſs denken, ex be— 
gegnete in jeinem Leben kaum einer 
höheren Natur. Jede Stunde, die er 
gezwungen in der Gejellihaft von 
anderen zubringt, ift ihm verlorene 
Zeit. Im Wirtshaufe bei Zechgelage 
fühlt er ſich jo unbehaglich, wie eine 
Hoheit, die, incognito reijend, ge: 
miſchte Geſellſchaft trifft. 

Er weiß uns in feiner ganzen 
Lebensgefhichte nicht von einem 
Manne zu erzählen, der ihm näher— 
geftanden ; in feinen Tagebuche, das 
bis zu feinem Zodesjahre geht, nicht 
bon einem einzigen freunde, bis er, 
ihon am Rande des Grabes, dem 
edlen Manne begegnet, der ihn mit 
fanfter Hand die legten Schritte führt. 
Mit diefem Freunde beginnt ein neues 
Leben für ihn. Seine legten Tage 
gehören ganz dieſem Berfpäteten, 
jeinem Wohlthäter, feinem einzigen 
Freunde: 

„Es iſt mir in dieſem Zuſtande 
faſt alles um mich her gleichgiltig, 
und nur zwei Dinge in der Welt ſind 
mir es nicht, und werden es nie 
werden, ſolange mir ein Tropfen 
Blut in den Adern rollt. Erſtens die 
wunderbare, herrlich ſchöne Gottes— 
natur, und zweitens mein feltener, 
einziger Freund, den meine Seele bis 
zur Anbetung liebt und verehrt. In 
ihm iſt alles harmoniſch, und wenn 
ih auch alle feine Gutthaten gegen 
mich abrechnete, bliebe er doch allein 
der Mann nah meinem Wunſch und 
Herzen.” 

Und als er zum leßtenmale fein 
Tagebuch öffnet, ſchreibt die todesmatte 
Hand noch einen Namen: Girtaner 
— den Namen des Freundes. 


Als alles in ihm ſchon im Ab— 
fterben it, als feine Seele und jein 
Bewufstjein Schon Schatten und Däm— 
merung find, und er die Nähe des 
Zodes fühlt, nicht als Schmerz, ſondern 
als Erlöjung, als da feine Hand die 
Feder nicht mehr halten fann, um dem 
Freunde zu fchreiben, hängen feine 
Augen noch bewundernd und feiernd 
an der jchönen, jchönen Welt, und 
fo im Anſchauen verfunten, fallen die 
miüden Augen ihm zu, er jchläft ein — 
er jtirbt. 

Man Hat Ulrich Bräfer einen 
Naturdichter genannt. Er ift mehr als 
das; er it Naturphiloſoph. 
Gedichtet Hat er wenig, gedacht deito 
mehr, und zwar philofophifch gedacht. 
Er weiß zwar von feiner Philofophie, 
von feinem Philoſophen, von feiner 
philofophifhen Schule. Nur Jakob 
Böhme Hat er gelefen, und diefer muſs 
allerdings eine ftarfe Wirkung auf ihn 
gehabt haben, wenn er uns auch dar= 
über nichts jagt. Die Natur ift feine 
philoſophiſche Schule. Er beginnt mit 
der Beobachtung des Wurmes und de3 
Thautropfens, und endet mit Betrach— 
tungen über Unſterblichkeit. In diefer 
jeiner Philofophie — wen das Wort 
für den armen Weber in Todenburg 
zu vornehm Klingt, der nenne es 
Lebensweisheit, Betradtung, Ans 
Ihauungsgabe, nenne e3, wie er will — 
in diefem Nachdenken über Welt und 
Leben findet das Weſen diejes Mannes 
den möglichſt hohen, den vollendetſten 
Ausdend. Sein Tagebuch, das ſich 
faſt ausjchließlih mit inneren Erleb- 
niflen, mit Gedachtem und Beobachtetem 
beichäftigt, gibt uns über diefen philo- 
ſophiſchen Zug feines Weſens Auf: 
ſchlüſſe, daſs man fich oft gewaltſam 
erinnern muſs: dieſe Gedanken find 
von einem Manne ausgeſprochen, der 
in einem einſamen Alpenthal lebte 
und ſtarb, der nur die Natur kannte 
und ſich. Man legt beim Leſen oft 
das Buch aus der Hand, um über 
dieſen Mann zu grübeln, der ſo be— 
ſtimmt, ſo klar, und in gewiſſem 


Reſtgger's „Grimgarten‘‘, 3. veſt. XV. 





Sinne fo bedeutend ausfpricht, was 
er vor fich fieht und in ſich. 

Ich kann mir nicht verfagen, aus 
Bräferd Tagebuch einige Auszüge zu 
machen. Hier find jie: 

„Heute gieng mein Weib nad 
ihrer alten Deimat. Ich dachte bei 
mir ſelbſt: Wie ift die Heimat doc 
fo anziehend! Wie trachtet alles wieder 
nad Haufe, zu feinem Urfprunge Hin. 
Ale Ereaturen eilen wieder dahin, 
woher ſie entjprofien. Alle Waſſer, 
große und kleine, eilen unverdroſſen, 
bis fie in das ftille Meer kommen, 
Alles, was auf der Erde wächst, eilt 
wieder in die Erde, die unjer aller 
Mutter ift. Und mein Geift, meine 
Seele, warum ſoll die nit auch nad 
ihrem Urſprunge, nah ihrer ewigen 
Heimat eilen? ch merke in meinen 
Sinnen wohl, dafs ich Hier feine blei— 
bende Statt habe, dafs dies nicht 
meine rechte Heimat ift, denn fie 
trachten ftet3 von hinnen, und finden 
nur oft das rechte Vaterland nicht. 
Warum ift man doch jo verliebt in 
diefe Fremde, warum läjst man den 
Geiſt feinen Schwung nicht in die 
Höhe, zu feinem Urfprung, in das 
ftile Meer der Ewigkeit nehmen ? 
Man kanı eben leider nicht. Man hat 
ih ein Weib genommen, man hat jich 
Ader und Ochfen gekauft, man hat 
das Herz an dieje Welt geheftet. Die 
meilten Menfchen find einem Wafler 
gleich, das fich auf die Seite in einen 
Sumpf verlaufen bat, wo es nimmer 
mit dem Strom ins Meer fommen kann, 
wo e3 fih in Schlamm verwandelt und 
von der Sonne ausgebrannt werden 
muſs. Sie find einem gleich, der fich 
weit in die Fremde begeben hat, und 
in ewige Gaftfreundichaft gerathen ift, 
fo daf3 er feines Vaters Haus mimmer 
twiederjehen wird.“ 

„D Welt, was bift du! hätt’ ich 
doch, da ich als Knabe dies Gut baute, 
mein Glüd erkannt! Aber erſt in der 
weiten Welt mußst' ich es durch fein 
Miderfpiel kennen lernen. Wie jelig 
lebt der Mann in feinen Gebirgen, 


13 


194 


wo Zufriedenheit wohnt, der nichts 
weiß, nichts fennt, als fie, wähnt, 
dafs die Sonne Hinter ihren Bergen 
herab, unter ihren Füßen durch, und 
vorne wieder herauffomme. O Thors 
heit und Einfalt, du bift in diefem 
Wirrwarr bienieden doch immer am 
beiten daran!” 

Ein anderer Mann hatte nicht 
ganz ein Jahrzehnt früher eine ähn— 
lihe Betrachtung niedergefchrieben : 
„Ich fage dir, wenn meine Sinne 
gar nicht mehr Halten wollen, fo 
lindert all den Zumult der Anblid 
eines ſolchen Gejchöpfes, das in glüd- 
liher Gelafjenheit den engen Kreis 
feines Dafeins Hingeht, von einem 
Tage zum anderen ſich durchhilft, die 
Blätter abfallen fieht und nichts dabei 
denkt, al3 dafs der Winter kommt.“ 

Das ſchrieb Goethe im „Werther“. 

Und nod einmal — zum lebten« 
male — Ulrich Bräfer über Unfterb- 
lichkeit: 

„Beim Lejen des engliihen Zu— 
ſchauers Hatte ich heute folgende Ge— 
danken: Himmel, Erde, Mond und 
Sonne find ja wie Tag und Naht 
noch immer, was fie im Anfange waren. 
Aber don Fo zahllofen Millionen 
Menſchen, die in fo vielen Jahrhun— 
derten vor und wie wir tumultwierten, 
regt ih fein Haar mehr, und wir 
haben von ihnen feinen Bericht. Daſs 
fie zu Staub vermodert find, wiſſen 
wir; von den Jüngfiverftorbenen jehen 
wir auf unferen Gottesädern noch die 
Knochen. — Aber die Geifter! fünnten 
wir feine Zeitung von ihnen haben ? 
von den Philofophen zumal, wenn fie 
noch irgendwo vorhanden wären ? 

Bald werden wir ebenjo ftill zer— 
fließen, wie der vorjährige Schnee. 


Der ift zu Wafler geworden und doch 
no etwas. Und wir follen zu Erde 
werden, und alfo auch noch etwas 
fein. 

Aber unfer Geift? Iſt der ver— 
loſchen, wie man ein Licht auslöfcht? 
Das kann man wieder anzünden, die 
Materie dazu ift immer vorhanden. 


So ftedt denn die Seele in dem 
Moder des Leibes, wie der Funken 
im Feuerſtein? Aber wer lodt ihn 
wieder hervor ? Ich denke, der Odem 
de3 Allmächtigen. 


Oder ift fie in eine andere Welt, 
in einen anderen Körper übergeflogen ? 

Sagt mir’s, ihr Herren: — — 
Do nein, ſagt lieber nichts. Ihr 
wijst jo viel wie ih, und ich weiß 
fo viel als ihr.” 

„O, ich fühle mein Nichts; fühle, 
daſs ih nur ein Sonnenftäubchen in 
dem unermejslihen Weltall zu nichtig 
und unmürdig bin, über ein aud) 
den weiſeſten Sterblichen unbegreiflich 
höchſtes Wefen ein Wort zu verlieren, 
und lege meine Hand auf den Mund, 
anbetend in den mir von der Natur 
angemwiefenen Staub zurüdtriechend, 
zufrieden mit dem allgemeinen Loſe 
der Sterblien, von dem feine Aus— 
nahme ftattfindet.“ 


„— — Die Hand ift ſchwach und 
langfam und kann die Gedanken nicht 
mehr nachſchreiben, und aud dieje 
ftumpfen fih nad) und nad) ab, jo wie 
fi) die Lebensgeifter in allen Gliedern, 
in allen Nerven abftumpfen, abſchwä— 
hen, um fi in den Hauptgeift, und 
diejer zuleßt wieder in den Unendlidhen 
zu verlieren.“ 

Das war das lebte, was Ulrich 
Bräfer in fein Tagebuch gefchrieben. 


(Schluſs folgt.) 





Briefe von Pudwig Anzengruber 


an den Herausgeber des „Heimgarten‘*. 


(Schluſs.) 


Wien, den 2. März 1877. 
2 Liebwerter Freund! | 
ASIA nbei erhalten Sie verfprocdenen 


— Beitrag, der Eſſay, den ich 
Ihnen auch zuſagte, iſt es 
freilich noch nicht, ich muſs dieſe 
Arbeit etwas verſchieben, denn ich 
fühle mich jetzt für derlei nicht ge— 
ſammelt genug. 

Für Ihre freundliche Beſprechung 
meines Romanes*) — da Ihnen der 
Titel ſo anſtößig, will ich ihn hier 
vermeiden, jedennoch heißt er da— 
durch nicht anders — ſage ich Ihnen 
beſten Dank. Hörte gerne, was Sie 
vom „ledigen Hof“ halten. 

Es iſt jetzt eine dermaßen hunde⸗ 
elende Zeit, daſs es einen verdrießt 
zu producieren. Am Theater an der 
Wien iſt der „ledige Hof“ nur mit: 
etwas folennerem Gonducte zu Grabe 
getragen worden, wie der „Doppelz 
jelbftmord“*, dieſer lebte 4 Tage, jener 
8, mit dem nächſten Stüde habe ich 
daher Hoffnung, auf 16 nahezufommen. 
Die Direction fcheint ganz recht daran 
gethan zu Haben, denn das Publicum | 
lief darauf in das „Bligmädl“ hinein, 
da3 jedenfalls unterhaltlicher und ohne 
tragifhe Anläufe ift. 

Auch gut — eigentlih zwar — 
nicht gut — aber man mufs es da— 
bingeftellt jein lafjen. Mitfolgende „Be= 
gegnung“ **) Halte ich, für meine Perjon | 
jelbft, al3 gar nicht übel, aber Sie 
müſsten fie jedenfalls in einer Num— 
mer geben, was übrigens leicht an— 

+, „Der Schandfled.* 

“) Im „Heimgarten*, 
Seite 578. 








I. Jahrgang, 





gehen dürfte, denn das Ding ift nicht 
' groß. 


Bei mir daheim ift alles wohlauf, 
und das ift jedenfalls das Beite. Mein 
Herr Sohn befleißt fich eben den erften 
Zahn zu befommen. Küſſen Sie von uns 
den Heinen Steirer und fein Schweiter- 
hen und ſeien Sie herzlichft gegrüßt. 

Ihr L. Unzengruber. 


Wien, den 28. November 1877. 


MWerter Freund! 


Was Hilft Ihnen mir gegenüber die 
Piftole, wenn ich nichts Kleines bei 
mir habe? Ich weiß vor Arbeit nicht, 
wo mir der Kopf fteht, oder manchmal 
nur zu gut, wenn er mir weh thut, 
Ich Habe an Sie gedadt, aber es 
muſs alles liegen bleiben, ih kann 
nichts verfprechen, weil ih außer 
ftande bin, ein Verſprechen zu halten, 
was würden Sie von einem „Freunde“ 
jagen, der Sie ſitzen läfst? Wenn 
ich Ihnen, um meinen guten Willen 
zu beweiſen, ſagen würde „Ja“ und 
dann ausbliebe, das wäre für Sie 
unangenehmer, als es dies mein ehr— 
liches „Nein“ iſt. 

Wenn ich erſt aus dieſer dramati— 
ſchen Zwangsperiode heraus bin, dann 
fteh’ ich Ihnen wieder zu Dienften. 

Daſs Sie nicht nah Wien fommen, 
ift mir jehr leid, da werden Sie aljo 
meinen Jungen, den Sie fajt lieber 
fehen möchten als mid, auch nicht 
jehen, was mir ſehr lieb it, meil 
Sie derjelbe gewiſs ſehr gleichgiltig 
aufnehmen würde, denn er fennt Sie 
nicht einmal dem Namen nad. Was 


15* 


—— (m 4 





wollens denn machen? Ich grüße Sie P. S. Ich babe mich entichloflen, 
auf das bejte, erit mit Ende Januar |bei allen meinen vorurtheilsfreien Be- 
werde ih in der Lage fein, irgend |ktannten und Freunden der norbdeuts 
etwas Beltimntes verlauten zu laſſen. chen Adreſſierung mich zu bedienen, 
Nochmals beften Gruß von Ihrem laſſen Sie ſich alfo das weggebliebene 

L. Anzengruber. | „Wohlgeboren “ nicht anfechten, ſon— 

dern laſſen Sie’3 aud bei mir weg. 


Den 12. April 1878, 
DVerehrter Freund! 

Unter einem zeige hiemit an, dafs 
fich meine Familie um eins vermehrte, 
es ift ein weibliches Geſchöpf, das der— 
malen noch nicht einmal etwas heißt. 
— Dajs Ihnen die beiden Beiträge 
gefallen, freut mid), daſs Sie gerne 
im Gafehaufe mit mir fißen möchten, 
gleichfalls, es ijt dies übrigens auch 
mein Wunſch und daher gegenfeitig. 
Übrigens liegt Graz und Krieglach 
nicht fo weit ab von Wien, dafs e3 
fein Wiederfehen geben könnte. Auf 
ein folches hoffend, mit beftem Gruße 

Ihr 2. Anzengruber. 


Wien, den 10. Juli 1878. 
Verehrteiter! 

Mo bleibt das horrende Honorar 
von 5 fl.? Das ift das Gedicht unter 
Brüdern wert, und wenn wir aud) 
feine jolchen find, jo wäre das höch— 
tens ein Anlaſs für mich, mehr zu 
fordern, aber alö Bruder in Apollo, 
wie der nadte Griechenferl heißt, der 
der Kerzen-Induſtrie fo aufgeholfen 
hat, der muntere Seifenfieder, der auch 
jeden zu Geſang begeifterte, ala Bru— 
der in Apollo alſo, weilen Sie mir 
das Bedungene und Ausgeſprochene 
(bei Ihrer Berlagsbuhhandlung) an. 

Schreiben Sie mir freundlichit, 
was die Gebrüder Müller*) machen, e3 
dürfte ſich jebt bald eine Gelegenheit 
ſchicken, denfelben die lang zugejagte 
Vorleſung zu halten. Alfo unter wel— 
cher Adreſſe avifiere ich diefelben ? 

Mit berzlihem Grup 

Ihr ſehr ergebener 
L. Anzengruber. 


*) Einer derſelben der jetzige Schau— 
ſpieler Sommerstorff. 


ö— — — — — —— —— — —— —— — — — — 


Meine Freundſchaft für Sie bleibt 
die alte, wenn auch meine Briefe ein— 
facher adreſſiert ſind. 


Mein werter Freund! 


Mich fol der Zeufel holen — 
über furz oder lang bejorgt er ohne— 
dies dies Geſchäft, es ift alfo viel 
weniger Vermeſſenheit dabei, als es 
ſcheint, ihm dergeftalt aufzufordern — 
mich foll er holen, wenn ich eine 
Silbe derzeit von dem weiß, was ich 
Ihnen für den „Heimgarten“ ſchreiben 
werde. 

Rein nichts. Octoberheft — 
und Beitrag anfangs Auguft! Ge- 
radezu Unmöglichkeit. Wohl oder übel 
muſs ich jetzt erſt ein Stüd fürs 
Wiedner Theater jchreiben, eher ehe 
ich feine Feder an für irgend eine 
andere Arbeit, 

Sehen möchte ih Sie aud recht 
gerne, es wäre mir das jehr lieb, aber 
wir find denn doch ein wenig zu weit 
auseinander und ih — wie gejagt, 


‚jet an den Schreibtifh gebannt. Ich 


bin ſeit einiger Zeit ſehr gedrüdter 
Stimmung. Mir pafst vieles nidt. 
Ich babe nun neun Jahre Schrift» 
ftellertgum Hinter mir, aber nicht die 
Stellung errungen, die mir erlaubte, 
ohne Frage nad dem augenblidlichen 
Erfolge, aus dem Vollen heraus pro= 
durcieren zu dürfen. Ich werde Diele 
Stellung vorausfichtlich mie, oder erit 
dann erringen, wenn meine Sabre 
nicht mehr die find, welche eine ſolche 
Production aus dem Bollen zulaſſen. 

Ich gehe heuer wieder nah Ma: 
rienbad und ich Freue mich darauf — 
auf 14 Tage. Fremd, ich wünsche 
Ihnen, daſs Sie nie jo ganz ver— 


dammt gleihgiltig werden gegen alles, 
wie zur Zeit ih, es ift das allein 
eine artige Krankheit. 

Frau und Kinder find wenigftens 
gefund und geben mir feinen Anlajs 
zur Sorge. 

Sollte ih unterwegs ein Gedicht 
auf dem Wege finden, jo fende ich es 
Ihnen. 

Im übrigen haben Sie Nadlicht 
mit Ihrem zumideren, aber freundge= 


finnten 2. Anzengruber, 


Mien, den 14. Februar 1881. 


Verehrter Freund! 


Ich Sende Ihnen anbei den — 
ſelbſt mir — jehr intereflanten Artifel *) 
zurüd, id fand nur das wenige Neben- 
bemerkte darin zu berichtigen. Was 
das Inerflärlihe in meiner Producs 
tionsfraft anlangt, jo bin ich mir 
jelbjt dahinter gefommen, daſs ich ala 
unruhiger Geift mit ſtets abfpringender 
Phantafie immer und allzeit aus flüch— 
tigen Begegnungen und wechjelnden 
Bildern mehr Anregung zog und blei= 
bendere Eindrüde gewann, als im 
Händigen, öfteren Verkehr und dau— 
ernder gleicher Umgebung; daſs ich 
aber in folder Weife genügend oft 
mit Bauern zufammen fam und ihre 
Hauiungen bejucdhte, das ift ſicher, 
freilich verfchtwindet damit die myſtiſche 
Umbüllung **) und für Darwin’fche 
Theorien geht ein hübſcher Erweis 
verloren, aber Wahrheit über alles! 

Mehr Geleitzeilen kann ich für 
diesmal nicht beigeben, und auf eine 
fchreibjeligere Stunde wie dieje will 
ih nit warten, damit Sie ſammt 
Artikel nicht mitwarten müſſen. 

Ih grüße Sie aufs Herzlichfte 

Ihr freundgelinnter 


EHER L. Anzengruber. 
*) über Anzengruber. 

**) Daßs er die geniale Kennerſchaft für 
das Bauernthum von jeinem Vater ererbt, 
der viel mit Bauern verfehrt. 


Den 12. December 1881. 
Kimmft wida eppa amol nah Wean, 
So thu nit gar fo jchleuni, 
Sig nit um 6 ins Wirtshaus h'nein, 
Und ins Gafeh gar ihon um neuni, 
Und jelb’ is a nit lieb und ſchön 
Dass d’ jagft, wöllt’ft Zeitung löſen, 
Mer ſaß daneben grad als wia 
D’ Rab z'neb'n der Butterdböfn. 
Kimm jpota und geh’ in da Fruah, 


Da kriegſt mich a dazua. 
Der Airchſelder. 


Wien, den 2. April 1882. 


Liebwerter Freund! 


Ich wüſste wahrhaftig nicht, in 
welcher Weife mich Ihr lektes Schrei- 
ben in Bauernfprache beleidigt Haben 
jollte? Weil ich darauf nicht geant— 
wortet, noch ſonſt ein Lebenszeichen 
gegeben babe? Nun, Sie fennen mid 
doch ſchon jo weit, dajs Sie — nächſte 
Zeile darunter — einräumen, dafs 
ih Sie nie durch PVieljchreiberei über— 
rafcht habe. Dass ich die Vorlefung im 
Verein der Literaturfreunde ſchwänzte, 
bat wieder feinen Grund darin, dafs 
die Leſeabende diejes Vereines auf den 
Mittwoch fallen und ih als Gewohn— 
heitsmenſch nur unter den Zwange 
außerordentlicher Umſtände von meiner 
Mittwochsgeſellſchaft beim, Lothringer“ 


fern bleibe; ich war ſelbſt an dem 


Mittwoche unangenehm berührt, als 
Anzengruber las, aber da konnte ich 
füglich doch nicht wegbleiben. Als Sie 
zuletzt in Wien laſen, that ich, wie 
Sie wiſſen, das gleiche in Prag. 
Darüber, daſs Sie zuerſt anfangen 
müſſen, das heißt, derjenige von uns 
beiden ſind, der ſich eher als der an— 
dere zu einem Schreiben aufrafft, ſteht 
Ihnen allerdings das Recht der Klage— 
führung zu, jedoch werden Sie dadurch 
umſoweniger an dieſer meiner üblen 
Eigenſchaft etwas zu ändern vermögen, 
als ich jogar dem ſpontan erwachenden 
Triebe, einen Brief zu ſchreiben, er— 


folgreich Widerſtand zu leiſten verſtehe; 
ich konnte das in letzter Zeit in Be— 


ziehung auf Sie mehr al3 einmal be= 
thätigen, da ich Ihre ausgewählten 


PEN PER a Zu been ---. Milli 


Schriften durdlas und in mir — 
einem der krittlichſten Kerle, wie Sie 
willen, — die fefte Überzeugung er» 
wachte, daſs in diefen zwölf Bänden 
zwei Bücher fteden, die jpäteren Zeiten 
mit dem Belten aufbehalten werden, 
was unfere Tage hervorbradten. Das 
eine — die Schilderung von Leben, 
Bräuden und Sitten des fteierifchen 
Landvolkes — von bleibenden cultur= 
hiſtoriſchem Werte, das andere, — die 
furzen, Inappen Bilder voll Gemüths— 
tiefe und echten lachenden und weinen» 
den Humors — von bleibender Wir: 
fung als Mufterftüde dichterifcher Leis 
ftung. 

Da haben Sie Ihr Lob fo hölzern 
ftehen, als nur thunlich, und weil 
mir eben ſtets vorfchwebte, ich werde 
das nur fo umd nicht anders leiſten 
fönnen, jo hielt es mich ab, es nieder— 
zufchreiben; ich habe es Hier auch nur 
getban, um Ihnen die falſche Anſicht 
zu benehmen, als ob ich mich gar 
nicht mit Ihnen beſchäftigte, oder, 
was Ihre Wertſchätzung anlangt, nicht 
ganz der Alte wäre. 

Und da mußs ich denn auch, um 
jedes Mifsverftändnis auszuschließen, 
noch hinzufügen, daſs ih als Zeit- 
genofje mir von Ihrem Dubend Bände 
nicht einen nehmen ließe! 

Werter freund, dafs Sie fi fo 
leidend fühlen und nah Raſt jehnen, 
das betrübt mich aufrichtig; vielleicht 
aber hat es doch fein Gutes, dafs ver— 
mehrte Arbeit Ihnen nicht Zeit zur 
Grübelei läjst, umfomehr, da Sie 
jett eine Arbeit vor ſich Haben, die 
Sie freut; denn was Stelzhamer an— 
langt, fo bin ih Ihrer Meinung: 
Das ift einer! 

Wenn Spemann bisher die Bände 
jeiner Gollection an Sie jandte, dann 
weiß ich auch nicht, warum Sie noch 
nicht mein Buch haben. 

Sie fommen doch bald wieder nach 
Wien? Dann heißt's aber biſſerl 
aufbleiben ! 

Beiten Grup, Ihr 
2. Anzengruber. 


u 


Wien, den 9. februar 1883. 


Verehrter Freund! 


Nachdem Sie neuerzeit zu meiner 
und eines hochgeehrten Publicums 
Freude ſich wieder ſehr rege zeigen 
und in der „Preſſe“ ſowohl als auch 
in der „D. Zeitg.“ Feuilletons ver— 
öffentlichten, werden Sie ſo nebenher 
die Bitte eines Freundes, der zugleich 
Herausgeber eines Blattes*) iſt, nicht 
wohl abjchlagen können, wenn berfelbe 
Sie dringendft erſucht, auch einmal 
einen Beitrag zu leiften. Sie werben 
fi diefer Bitte umfomweniger entſchla— 
gen können, als Ihre Interefjen dabei 
vollfommen gewahrt bleiben jollen, 
wir verlangen ein Feuilleton von Ih— 
nen und verpflichten uns, ebenfoviel 
dafür zu zahlen, als die anderen, Sie 
geben uns gleich mit Überfchidung des 
Manufcriptes Ihre Honorarforderung 
befannt, dafs Sie foviel erhalten, 
als Sie von anderer Seite für gleiche 
Arbeit erhalten, das ift ſelbſtverſtänd— 
lich nicht ausschlaggebend, fondern nur 
billig, darum betrachte ih es auch 
als einen Freundſchaftsdienſt, jo Sie 
mir leiften, wenn Sie uns etwas zu— 
kommen lajjen. 


Ich erwarte denſelben aud von 
Ihnen. Genug des Geſchäftlichen! Wie 
ergeht e& Ihnen? Wann kommen Sie 
wieder einmal nah Wien? Wir wer 
den und dann wieder einmal in eine 
ftille Kneipe jeßen und vergangener 
Tage gedenfen, die mit all ihrem Sturm 
und Drang, ihrem Leid und Bejchwer, 
ja oft aller Noth und Bein doch 
Schöner, gehaltreicher, erhebender waren, 
als die jebige afchfarbene, platte, 
lederne Zeit. 


Wird's anders noch einmal? Noch, 
ih Habe die Überzeugung, liegt die 
Herabſtimmung nit an uns, ad, 
wenn es nur micht zu lange andauert, 
jo dafs wir, mit der Zeit nicht beiler, 
fondern alt geworden, von einer An— 





*) „Die Heimat.“ 





a re 


derung derjelben nichts mehr profi— 
tierten! 
Ih grüße Sie Herzlichft, 
Ihr 2. Anzengruber. 


Den 2. April 1883. 
Merter Freund! 

Vorläufig fage ih Ihnen nur 
beiten Dank. Was meinen Jungen 
anlangt, fo rebelliert er gegen dieſe 
Welt, foviel in feinen geringen Kräften 
liegt, er fcheint eine Ahnung zu haben, 
wohin er gerathen ! 

Herzlihen Gruß. Näheres bald. 

Ihr Kirchfelder. 


Wien, den 3. Mai 1888. 


Werter Freund! 


Sie haben mir durch Ihre Nach— 
richt über Aufführung des „Meineid— 
bauer“ große Freude bereitet. Es iſt 
mir doch angenehm zu wiſſen, daſs 
ich irgendwo noch als lebendig gelte 
und wirke, da ich hier augenſcheinlich 
als todt zähle. Sie fragen, was ich 
für Pläne Habe; literariſche genug, 
einen Roman jchreib’ ih, ein Schau— 
fpiel möcht’ ich fehreiben, wenn ich 
dazu komme. October und November 
reif’ ich als Vorleſer. Sonft plane ic 
nichts. 

Herzlihen Gruß, Ihr 

2. Anzengruber. 


Wien, den 2. Yuguft 1883. 
Verehrter Freund! 

Die geht's denn Ihnen ? 

Ih arbeite wie — es gibt gar 
feinen Vergleich, wie ich arbeite. Be- 
finde mi übrigens den Umſtänden 
angemefjen, es ift das einer der ſchön— 
ſten Zuftände und jelbft einer, der 
aufs Rad geflochten ift, kann den 
Umftehenden diefe beruhigende Aus— 
funft geben. 

Es grüßt Sie Ihr 

L. Anzengruber. 

Erhielt ein ſehr liebenswürdiges 
Schreiben von Hamerling, das mich 
ſehr erfreute. 


Wien, den 6. November 1883. 
Verehrter Freund! 


Beſten Dank für Ihre Freundlich— 
keit, die Sie mir in Graz erwieſen. 
Ich laſſe alle jene, welche mir fo 
freundlich entgegenfamen, die Grazer 
„Concordia“ voran, beiten grüßen. 

Wir ſehen uns ohnedies jehr bald, 
alfo werden Sie mir ja erzählen 
fönnen, was Graz von dem Vorlefer 
Anzengruber hält und aucd was der 
verehrte Poet Hamerling don dem 
Menſchen hält, den ex kennen gelernt. 

Wenn ih ihm „anfteh’“, mufs ich 
ihn einmal auf längere Zeit ſprechen. 

In der neueſten Nummer des 
„Magazins für Literatur des In- und 
Auslandes“ begann foeben ein Aufſatz 
über ihn, den ich, ſoweit er vorliegt, 
mit beiden Händen unterfchreibe. 

Auf Frohes Wiederjehen, 


Ihr 2. Anzengruber. 


Mien, den 11. November 1883, 


Verehrter Freund! 


Sie find nicht geitern unter Tages 
gefommen, abends jagen Sie nad: 
lefend in dem Wartezimmer bei Böfen- 
dorfer und wollten nicht geftört fein.*) 
Heute, Sonntags, kamen Sie nidt, 
find daher vermuthlih Früh morgens 
wieder abgereist. 

Alſo war es mit einem Wieder: 
jeden nichts. IH ſaß mit meiner 
Frau im Saale, die Hitze und das 
Gedränge ſonach war groß, auch dachte 
ih mir Sie von zahlreichen Berehrern 
und „innen“ ummorben, um Ihnen 
zu jagen „Scamer Diener“ und 
„B'hüt Ihnen God“ wollte ich mich 
nicht ertra hindurcharbeiten. 

Alles andere, was ich Ihnen aber 
etwa zu fagen hatte und was Sie 
etwa interefliert hätte, wäre für Sie 
allein gewejen, kann es aud nicht 
Schreiben, da ich Feine Abhandlung 
liefern kann. 


*) Bor einer Vorlefung. 


— 


Somit für ein anderesmal, wo 
es ſich ſchickt. 
Mit beſten Grüßen Ihr 
L. Anzengruber. 


Wien, den 22. December 1883. 
Verehrter Freund! 





geachteten Stellung in der Literatur 
u. ſ. mw. nad, zukommt, ſtillſchweigend 
acceptiert und auf den Vorwurf des 
Gewohnheits-Stadtlebens nicht gehört; 


war daher nicht in der Lage, es Ih— 
nen übel zu nehmen, daſs Sie mich 


‚dorthin wünſchten — mit wo der 


Pfeffer — fondern das Edelweiß und 


Anbei der „Meineidbauer*. — — die Alpenrofe und der Enzian wächst. 
Wenn Sie über mich jchreiben wollen, | Die Gegend liegt mir zu hoch, man 


dafs fein Hund ein Stüd Brot mehr 
bon mir annimmt, was mir, falls 
ih ein ſolches Thier bielte, die Er- 


baltungstoften für dasſelbe weſentlich 
vermindern würde, fo thut "3 mir herz- 
licht leid, dafs Sie nicht Ihre Feder, 
(die Mil, nicht das Bauchgrimmen), 


mehr in der Gewalt haben und eine 


Leiftung Hinftellen fönnen, daſs fein 
Menſch mehr ein Stüd Geld von mir: 


annehmen möchte, das käme mir jebt 
um Neujahr herum jehr zuftatten und 
ih wäre Ihnen dankbar und würde 


felbft für die weiteſte Verbreitung der 


betreffenden Nummer des „Magazins“ 
Sorge tragen. 

Aber jo! — 

F. ©. kann ſich nicht erklären, 


was da für ein Tratſch gewelen ſein 


müſſe, ꝛc. ꝛc. 
Nämlich er erhielt nichts Geſchrie— 


benes noch Gedrudtes (letztes Heft 


des „Heimgarten“ that er erwarten) 
von Ahnen, feit er Sie verlieh, nad: 
dem er einen keuſchen Kuſs auf Ihre 
Lippen gedrüdt. 

Nun, Ihrer w. Frau Gemahlin 
fan es allerdings zweddienlicher er= 
jcheinen, wenn Sie in dem Groß» 
Sodom Wien ftatt junge Mädchen 
bejahrte Männer füflen. 

Mit beften Grüßen vergmügte 
Feiertage und froh Neujahr wünſchend 

Ihr L. Anzengruber. 


Wien, den 28. Mai 1884. 
Verehrter Freund! 


Sie wollen ein Lebenszeichen von 
mir, das ſollen Sie genießen. 


Ihres Artikels, wie es mir meiner 





Ich 
babe damals die Liebenswürdigkeiten 


Hat feine faklermentifhe Mühe, da 
hinauf zu kommen, und herunter könnte 
es unter Umftänden gar zu leicht 
gehen, abgefehen davon, daſs mir die 
Milch immer Bauchgrimmen macht, und 
das iſt doch die einzige Erquidung 


die man in diefen hohen Regionen 
hat, „Pils“ Tegt feine Sennerin ein, 
ein Pfiff „G'ſpritzter“ ift auch nicht 


‚zu haben, das wirkt ſehr herabſtim— 


mend. | 
Ihre Stimmung bei einfamen 
MWaldwanderungen ift mir übrigens 


‚nicht fremd, wenn ich einmal mir 


vorſpiegeln will, diefe Welt wäre wirk— 
lich die befte, dann gehe ich auch im 
den Wald, aber allein, es ift das fehr 
ſtärlend und fräftigend, man wird im 
dem weiten, wohlhaudigen Grün zu 
einem frohbegnügten Geſchöpfe, ohne 
Wünſche, gleihfam nichts als ein paar 
freudige Augen, die in die wunder— 
ſame Waldwelt auslugen, aber man 
mufs mit diefer Stimmung haus» 
halten, eritens jpannt fie, wie jeder 
gehobene Zuftand, ſich ſelbſt wieder 
herab, und zweitens würde jie, oft 
aufgeſucht, durch die Rückkehr ins Täg 
fihe und Alltäglihfte dodh gar arg 
parodiert. 

Nenlid war ih in Gutenftein, 
doh mit zwei Freunden, habe das 
Grab Raimunds bejucht, ftieg den 
Mariahilferberg hinan und Hletterte 
dann ſpäter nad einer Ruine empor 
und in derfelben herum. 

Die Gegend ift wohl jehr jchön, 
wird in das Programm der jährlichen 
Ausflüge als Nummer eingeftellt. 

Aber die Fahrt dahin, die Fahrt 





a 


vier Stunden! Mit 1, Stunde Wartes 
zeit in Leobersdorf! 

's Reifen wär’ ſchon jehön, wenn 
nur 's Yahren nit wär’! 

Ich Hoffe, daſs Sie fih „relativ 
gejund“ fühlen, wie es im Buche „vom 
gefunden und kranken Herrn Meier“ 
beißt, es iſt dies ein ganz erträglicher 
Zuftand, auch der meine. 

Auf das beite Sie grüßend, 


Ihr 2. Anzengruber, 
Stadtpoet. 


Penzing, den 11. Juli 1887. 

Mein jehr ſchätzbarer Freund! 

Ich beneide Sie, dafs Sie von 
einem Stoffe*) gleichſam „angefallen“ 
wurden und würde mich gerne in 
gleichen Geburtäwehen winden, aber 
ih bin fteril geworden, ich bin nicht 
imftande, an da3 Schreiben zu denken, 
geichweige, mich dazu aufzuraffen. 

IH kann einfach jest nicht ſchrei— 
ben, ich befinde mid — mie Sie 
unter dem Banne des Scaffenstriebes 
— in dem der vollftändigen Erfchlaf- 
fung, ih kann daher, ob ich es auch 
wollte, Ihnen fein Manufeript zufagen. 

Was mich jo heruntergebradht, oder 
berabgeftimmt, ich weiß es micht zu 
jagen, aber dagegen läſst ſich nichts 
machen. 

Herzlichen Gruß, Ihr freundge— 
ſinnter L. Anzengruber, 
— derzeit „ohne Genius“, 

*) „Martin der Dann.“ 





Wien, den 20. September 1889. 


Verehrter Freund! 


Ihr Schreiben, jagen Sie, erfor- 
dere feine Antwort, es ſei nur als 
Händedrud vermeint, nun diefer er= 
fordert doch den Gegendrud als Zei— 
hen des vollen Verſtändniſſes. 


Seien Sie aus tiefftem Herzen 
heraus für Ihre freundfchaftliche Theile 
nahme bedankt, die ich mit gleichen 
Gefühlen für alles, was Sie betrifft, 
errwidere, und erhalten Sie mir dies 
jelbe, ſowie ich ſolche Ihnen allzeit er- 
alten will und werde. 

Mit Gruß und Dandfhlag ganz 
der Ihre 2. Anzengruber. 


* * 
* 


Diejem legten Briefe folgten noch 
ein par kurze Mittheilungen intimerer 
Natur, die legte derjelben ftammt vom 
4. December 1889, gejchrieben ſechs 
Tage vor feinem Tode, 


Bon dem etwaigen Vorwurfe, dafs 
diefe Briefe, in melden fo viel von 
mir felbft und meinen literarifchen 
Saden die Rede ift, gar aus Gründen 
der Eitelkeit veröffentlicht worden fein 
fönnten, laſſe ich mich nicht anfechten. 
Die bier abgedrudten Briefe haben 
den großen Volfsdichter einmal von 


einer Seite gezeigt, von welcher er 


font jelten geiehen wird. Und das 


wollte ich. Der Derausgeber. 


„Bas vierte Gebot“ und feine Gegner. 
Bon P. R. Rofegger. 


N 
aa: Ludwig Anzengruber im 
37 Jahre 1877 fein Drama „Das 

Y vierte Gebot“ einem Wiener 
Theaterdirector eingereicht hatte, fagte 
der Director zum Dichter: „Sie ver— 
ftehen das nicht, lieber Anzengruber. 
Bringen Sie mir ein Stüd mit dem 
Titel: «Das ſechſste Gebot», und wir 
erzielen volle Häufer. Für das vierte 
Gebot intereffiert fich fein Menſch“ und 
lehnte das Merk ab. 

Seitdem ift eine andere Zeit gefom- 
men. Die Operettenwirtihaft Hat das 
Theater, und das franzöfiiche Sitten- 
drama die deutjche Sittlichfeit an den 
Rand des Bankerotts gebracht. Man 
empfindet die Nothiwendigteit zur Um— 
fehr und erinnert ſich endlich wieder 
an die ernfte fittigende Bedeutung des 
Theaters. Wohl gibt es immer noch 
Leute, die den Höhepunkt der drama— 
tiſchen Aunft in der „Schönen He— 
lena“ oder im „Böhm in Amerika“ 
erbliden ; andere wollen nur Lufifpiele 
haben, da das Leben ohnehin jo ernft 
und traurig fei. Ich meine: das Leben 
war auch zur Zeit, als auf der Bühne 
die Tragödie vorherrjchte, ernjt und 
für Viele traurig, aber man wußste, 
dafs dad Tragiſche in der Kunſt mit 
dem ZTraurigen des Lebens verjöhnt. 
Gewaltige Menſchenſchickſale mit Schuld 
und Sühne erfchüttern uns, und wer 
erſchüttert ift, der wird erlöst. 

Zu einer ſolchen Zeit der Umfehr 
greift man mad einem Drama, das 
einft mit jenem frivolen Worte abge= 
lehnt ward und deſſen Verfaſſer mittler- 
weile ind Grab gejtiegen — und ſiehe, 
es zündet. Es erregt die Gemüther 
in mehrfahem Sinne, es erglüht die 
Herzen der naiven Zuſchauer und es 
erhigt die Köpfe der Gegner. 


208 


Im „Vierten Gebot“ ftehen zwei 
Shidjale da. In dem einen wird 
durch ein braves, ſchlichtes Elternpaar, 
das einen wohlgerathenen Sohn hat, 
der es bis zum geiftlichen Stande 
bringt, gezeigt, da die Befolgung 
des vierten Gebotes zum Segen wird, 
In dem anderen Scidjale, welches 
durch zwei liederlihe Familien in ſehr 
realiftiicher Weife zur Anſchauung ges 
bracht wird, ſehen wir, daſs es micht 
unter allen Umftänden gut ift, wenn 
Kinder ihren Eltern folgen, daſs der 
Gehorjam gegen ſchlechte Eltern zum 
Fluche werden kann. 

Gegen dieſes Drama nun erhob 
ſich ein förmlicher Kreuzzug ſeitens 
jener Partei, die Anzengruber durch 
ſeinen „Pfarrer von Kirchfeld“ ſich zum 
unverſöhnlichen Feinde gemacht hat. 
Bei der erſten Aufführung in Graz 
erhoben etliche dieſer Partei ein Ten— 
denzziſchen, wurden aber vom großen 
Publicum bei dieſer Beſchäftigung 
ſchmählich im Stiche gelaſſen. Dann 
aber ſattelten fie ihren Preſsgaul, zogen 
mit allen möglichen und unmöglichen 
Waffen gegen das Stüd, und in öffent» 
lichen Kanzelreden wurde leidenschaftlich 
gewarnt dor dem Beſuche des „Vierten 
Gebotes“. 

Hauptjählich werden von dieſer 
Seite dem Bollsdrama zwei Dinge zum 
Vorwurfe gemadt. Erſtens: dajs es 
zu crafs die menjchliche Verworfenheit 
aufzeige, und zweitens, daſs es gegen 
das vierte Gebot Stellung nehme. — 
Zwei wuchtige Anklagen, wenn fie 
begründet wären! 

Wie fteht es mit dem erften Punkt? 
Allerdings Führt uns der Dichter er— 
barınungslos die tieffte Verkommenheit 
vor Augen. Und die Gegner geben es 





Be 


zu, dajs dieſe Verkommenheit vor» 
handen ift, jagen aber, das Stüd ver— 
unglimpfe und beſchimpfe das Bolt, 
indem e3 ihm feine Sünden vorhält. 
IH frage: Wird in diefer Art das 
Bolt nicht vom jeder Kanzel „verun« 
glimpft“ vor und feit Pater Abraham 
a Sancta Clara? — Nicht alles was 
wahr ift, jagen fie ganz richtig, gehöre 
auf die Bühne, und wollen damit 
glauben machen, als ob unfer Dichter 
„Alles was wahr ift“ auf die Bühne 
brädte. Oh, da befämen wir noch ganz 
andere Sachen zu jehen, als was und 
im „Vierten Gebot“ vor Augen gerüdt 
wird. Unzengruber ftellt nicht mehr 
und nicht weniger auf die Bühne, ala 
was jeit Shafejpeare alle bedeutenden 
Realiften zur Anſchauung bringen, 
wenn e3 die Kunſt, die Idee, die 
Sade verlangt. Ob das geſchmackvoll 
jei, fragt ein Eiferer mit gut gefpielter 
Naivetät, wenn ein ehrlicher Burſche 
einer Proftituierten die Hand bietet ? 
— Wie ſagten nur glei die Phari- 
jäer, al3 Ehriftus mit Sündern ums 
gieng ? — Iſt es denn viel geſchmack— 
voller, wenn der greife Lear von feinen 
Töchtern verftogen wird, wenn Franz 
Moor feinen alten Bater in einem 
Hungerthurme verſchmachten läſst? 
Warum tritt denn der geſchmackvolle 
Mann gegen dieſe Schändlichkeiten 
nicht auf, ſie gehen ja auch gegen das 
vierte Gebot! 

Man ſolle den Schandfleck des 
Volkes nicht aufdecken, ſagen ſie, ſon— 
dern dafür durch kirchliche, geſellſchaft— 
liche und ſtaatliche Mittel Abhilfe 
ſchaffen. Was ſind denn das für kluge 
Rathſchläge? Das iſt ein Curpfuſcher, 
ein Charlatan, der vorgibt, heilen zu 
können, ohne die Krankheit unterſucht 
und fennen gelernt zu haben. Das 
Bolt muß fich ſelbſt Helfen, ſei es 
dur die Religion, fei es durch den 
Staat, fei e8 durch welch ein Mittel 
immer, und vor allem mußs es ſich 
des Abgrundes bemujst werden, vor 
dem es fteht. 

Man behauptet, das Theaterpubli« 


cum fei fo frivol, dafs es die auf der 
Bühne dargeftellte Verworfenheit be= 
juble, anftatt fich befehren zu lafjen. 
Mer aber ift es denn, der das Theater- 
publicum fo fehr verdorben hat? Das 
franzöſiſche Schaufpiel, weldes die 
Sünde ſüß und begehrenswert ſchil— 
derte, das Laſter beſchönigte, den Ehe— 
bruch feierte, den Tugendhaften, von 
elenden Wichten Betrogenen mit Spott 
übergoſs. Die Operette, welche das 
ſechſte Gebot mit Muſik verhöhnte. 
Und wer hat ſolchen Bühnenſtücken 
Protection und öffentlichen Beifall ge— 
ſpendet? Die Preſſe, und nicht zum 
geringſten jene Parteipreſſe, die heute 
gegen das „Vierte Gebot“ wüthet. 
Eine dieſer Stimmen nahm unbegreif— 
licherweiſe entſchieden Partei für die 
franzöſiſche Ehebruchskomödie gegen— 
über von Anzengrubers ſtreng mora- 
liſcher Schuldtragödie. Dieſe Leute 
goutiren ja fchlieglih alles. Doc 
wenn irgendwo im weltlichen Kunſt— 
werk ein Priefter ins Spiel kommt, 
und wäre es auch in bejter Abficht, 
wenn irgendwo eine Moral verkündet 
wird, für deren Verkündigung fie allein 
dad Privilegium zu Haben glauben, 
dann gerathen fie aus Rand und Band 
und laffen an dem betreffenden Dichter 
fein gutes Haar. Alle Gebote Gottes 
fannft du übertreten, fie verzeihen es, 
alle Todſünden kannſt du begehen, fie 
verzeihen es; nur das Eine verzeihen 
fie nicht, nämlich wenn du laut jagt, 
daſs auch der Prieſter ein Menſch jei. 
Anzengruber hat das im „Pfarrer von 
Kirchfeld“ gejagt. Alſo Feindichaft 
über Grab hinaus. 

Einer der journaliftiichen Kampf: 
hähne jener Partei findet e3 geradezu 
lächerlich, von einem Theaterftüde wirt» 
fame Heilung moralifher Schäden zu 
erhoffen. Und mit dieſer peſſimiſtiſchen 
Meinung, daſs eine künſtleriſch con= 
centrierte jinnfällige Geftaltung auf das 
Bolt nicht wirke, bejteigt man die 
Kanzel, um mit dem bloßen abjtracten 
Worte zu wirken? ch gebe ja zu, 
dajs das Wort Gottes als ſolches 


eine befondere Kraft habe, aber nicht 
immer wird auf den Sanzeln das 
Mort Gottes gepredigt, oft, jehr oft 
auch etwas anderes, das nicht weni— 
ger mweltlih ift, als ein Theaterftüd. 
Warum thut man’s denn, wenn man 
glaubt, daf3 an dem Volle Hopfen 
und Malz verloren ift? Und wenn 
das nicht verloren ift, warum follte 
nicht auch von den Brettern, die die 
Melt bedeuten, herab ein gutes Wort 
einen guten Ort finden? Daſs das 
Theater verderben kann, Haben wir 
leider gejehen, daſs es erjchüttern, 
erheben, beſſern kann, ift eine zu 
allgemein anerfannte Thatſache, um 
darüber noch ein Wort zu ver— 
ſchwenden. 

Freilich, wenn die Bühne nur in 
loſem leichtfertigem Spiele zu tändeln 
beliebt, wenn ſie dem ſchweren Ernſte 
des Lebens aus dem Wege geht und 
dem Volke immer nur heuchelt und 
ſchmeichelt, dann kann ſie keine mora— 
liſchen Schäden heilen. 

Ich bin für die Vertuſchungstheorie 
nie und nimmer. So wie das Gute, 
wenn es gethan wird, zu öffentlichen 
Ehren kommen ſoll, um als leuch— 
tendes Beiſpiel dienen zu können, 
ebenſo muſs das Schlechte öffentlich 
gebrandmarkt werden. Durch das Ver— 
ſchweigen und Verhüllen ſchafft man 
weder Elend noch Laſter aus der 
Welt; es macht die Menſchen mur 
ſorglos zutäppiſch. Das iſt das klügſte 
an einem Fiſcher, daſs er die Angel 
mit einem Köder verdeckt — ſo macht's 
der Teufel; und das iſt das dümmſte 
an dem Vogel Strauß, daſs er ſeinen 
Kopf in den Sand ftedt, um den 
nabhenden Feind nicht zu jehen, — fo 
macht's der Menſch, welcher meint, es 
gäbe feinen Jamıner, wenn er vor 
ihm Aug’ und Ohr verſchließt. 

Ich meine, daſs das moraliſch 
Schlechte gar nicht craſs genug ge— 
zeichnet werden kann, um den richtigen 
Abſcheu davor einzuflößen. Wenn nur 
auch gezeigt wird, wie furchtbar die 
Schuld ſich rächt, und wenn 


204 





Gegengewicht nur auch das Verſöh— 
nende, Erhebende nicht fehlt. 

Ich ſelbſt bin ein unverſöhnlicher 
Gegner jenes modernen „Naturalis— 
mus“, der nur das Abſcheuliche auf- 
zeigt und fich brüftet: Das ijt Die 
Wahrheit! Es iſt auch Wahrheit, 
aber nicht die ganze. Den Dinger 
bejchreiben und die Blume verſchwei— 
gen, ift das die naturwahre Schilde— 
rung eines Gartens? Nein, das ift 
eine halbe Lüge. — Das „Vierte Ge- 
bot” gehört micht zu Ddiejer naturali= 
ftiichen Schule. Wohl ift es gefchrieben, 
um den verderblichen Einflufs jchlechter 
Eltern auf ihre Kinder zu zeigen, 
aber der verdorbenen Geſellſchaft gegen— 
übergeftellt ijt eine brave, mit aller 
Märme gezeichnete Yamilie, in deren 
Mittelpunkt der junge, kindlich gute 
Prieſter ſteht. Gerade diefe Gruppe, 
die Gärtnerfamilie, haben die Gegner 
des Stüdes am meilten verläftert, 
als wären dieſe Leute wie borniert 
bingeftellt. Yit e3 denn in den Augen 
der wunderlichen Gegner borniert, went 
ein armes Ehepaar fleißig arbeitet, 
die Kinder zum Lernen anhält, mit 
aller Liebe und Sorge für fie lebt, 
ſich ſelbſt Entbehrungen auferlegt, um 
den Sohn zum Geiftlichen ftudieren 
zu laſſen? Zroß einiger naid komi— 
cher Morte, welche die Gärtnerleute 
gelegentlih jagen, werden dieſelben 
an Klugheit ſich noch meſſen können 
mit denen, die diefes Volksſtück öffent» 
ih fo ungerechtfertigt und tölpiſch 
angegriffen und fomit dafür jo große 
Reclame gemacht haben. 

Ubgefehen von dem Lichtpunkte, 
den der Dichter in der braven Gärt- 
nerfamilie aufjeßt, läjst er es auch 
in den Seelen der Schuldigen nicht 
ganz finfter. Die gewiljenlofen Eltern 
jehen zum Schluſſe ihre Schuld ein. 
Eine alte Großmutter ift da, voller 
Güte, Sorge und Liebe zu den ver— 
finfenden Entellindern, welcher aber 
der Einflufs auf dieſe entzogen ift, 
und die in der legten Lebensſtunde des 


als Enkels nochmals wie ein verföhnender 


ne a Be TTS gr — 


205 


Engel vor ihm erſcheint. Und der 
arme Menſch, der durch den Einflujs 
feiner Eltern bis zum Hochgerichte 
gekommen ift, tröjtet unter demjelben 
feine zujammenbrechende Gropmutter 
mit rührenden Morten eines nicht 
verlorenen Herzens. Wenn der Weg 
de3 Dramas durch Lafter und Ver— 
breden uns allerdings ſchaudern ge— 
macht, wenn die Wucht menschlicher 
Schlechtigkeit uns niedergedrüdt bat 
bis zum Berzagen — dieſe Kerker— 
fcene zwijchen dem unjeligen Verbre— 
her und jeiner Großmutter vichtet 
uns wieder auf, verföhnt uns. Der 
Dichter, welcher jonft voll Zorn oder 
Spott warnend in den Abgrund ger 
zeigt, Hier hebt er das Antlitz und 
weist gegen Dimmel. 

Diejes Trauerjpiel „Das vierte 
Gebot“ zeigt wieder einmal, wie heiß 
ein Dichter fein Wolf lieben Tann. 
„Sp jeid ihr!“ das ift Hier fein ge= 
waltiger Ruf des Zornes. „Dahin 
lommt ihr, wenn ihr nicht umtehret!“ 
das ift der Angfifchrei feines blutenden 
Herzend. — Dass ein folder Mann 
von jenen, die ihr Volk „auch“ lieben, 
nit Hohn und Geifer überjchüttet 
wird, ift zwar unbegreiflich, ift aber 
der Lauf der Welt. 

Ihr Feldgeſchrei Numero zwei ift: 
das vierte Gebot Gottes will er ftürzen! 

Im Stüde kommt eine Scene vor, 
in welcher die Eltern einer zu verluppeln— 
den aber ftörrifchen Tochter, den zufällig 
anmejenden jungen Priefter, den Gärt- 
nerfohn, erfuchen: „Bitte, Härten Sie 
unfere Tochter auf über die Pflichten 
der Kinder gegen ihre Eltern!“ und 
der Priefter, in Unkenntnis der Ver— 
hältniffe, jagt naiv und an und für 
ich richtig zum Mädchen: Den Eltern 
gehorchen! 

Die Ehe fällt unglüdlih aus, 
Der Sohn der zweiten unmoralifchen 
Familie, der durch das Beifpiel feiner 
Eltern zugrunde geht, läjst jeine Ver— 
gangenheit noch einmal in Erinnerung 
an ihm vorüberziehen in feiner leten 
Lebenzjtunde und ruft dann dem ihn 


befuihenden Jugendfreunde, dem jungen 
Priefter zu: „Wenn du in der Schule 
den Kindern lehrit: Ehret Bater und 
Mutter! jo ſag's auch von der Kanzel 
den Eltern, daſs fie darnach jein 
jollen !“ Diefer Scenen wegen 
legen die Gegner das Stüd jo aus, 
als wollte der Dichter jagen: Höret 
nicht auf den Briefter, wenn er lehrt, 
du ſollſt Vater und Mutter ehren! 
— Iſt diefe Unterftellung redlich ? 

Während der erjten Aufführung 
des „Vierten Gebotes“ in Graz hörte 
ih Hinter mir im Parterre folgendes 
Zwiegeſpräch: 

A. Das iſt ein ganz ſchlechtes 
Stück. Es ſollte verboten werden. 

B. Es iſt ein grandioſes Stück. 

A. Allerdings grandios, wenn den 
Kindern gepredigt wird: Ihr ſollt 
eueren Eltern nicht folgen. 

B. Wo wird das gepredigt? 

A. Oder nur bedingungsweiſe 
folgen, blog wenn die Eltern brav 
find. Nein, die Kinder müſſen ihren 
Eltern unter jeder Bedingung ge— 
horchen! 

B. Auch wenn die Mutter eine 
leichtſinnige Perſon iſt und zu ihrer 
Tochter ſagt: Thu' mir's nach! Und 
wenn der Vater ein Trunkenbold, ein 
Angeber, ein Tagedieb iſt und ſeinem 
Sohne befiehlt: Komm mit mir! — 
Auch dann? 

A. Alſo ſoll das Kind ſeine Eltern 
prüfen, ob ſie etwas taugen oder nicht, 
und erſt darnach ſeinen Gehorſam und 
ſeine Verehrung einrichten? 

B. Soviel ich weiß, macht es 
ſelbſt die Kirche den Kindern nur 
bedingungsweiſe zur Pflicht, den El— 
tern zu gehorchen. 

A. Wiefo ? 

B. Die Kirche lehrt: Gehorchet 
den Eltern in allem, was nicht 
wider Gottes Gebot iſt. 

A. Ein Ehezwang, wie er in die— 
jem Stücke vorkommt, ift aber wider 
Gottes Gebot, weil er naturmidrig if. 

8. Folglich hätte in dem Stüde 
das Kind recht, jeinen Eltern micht 


Te 


206 


zu geboren. Folglich Hat auch der 
Dichter recht, weil er durch fein Stüd 
ja nichts anderes jagt, al3 was die 
Kirche lehrt. Und folglich geben Sie 
der Kirche Unrecht, wenn Sie dem 
Dichter Unrecht geben. 

A. Die Kirche hat immer red. 

8. Und der Dichter immer uns 
recht. Und beide jagen dasjelbe. Es 
iſt doch ſeltſam! 

A. Genug davon. Ich frage nur, 
wie können kleine, unvernünftige Kin— 
der fähig und berechtigt ſein, ihre 
Eltern zu prüfen? 

B. Wie das die Kirche ſich denkt, 
weiß ich nicht. Unſer Dichter hat es 
hier im Stüde nicht mit Heinen Kindern 
zu thun, ſondern mit erwachjenen, 
die zum freien Gebrauche der Vernunft 
gefommen find und ſchon willen, was 
gut oder böſe ift. 

U. Der Dichter aber nimmt einen 
bejonderen Fall. 

B. Gefegt den Fall, ein Kirchen- 
räuber fagte zu feinem Sohne: Komm, 
du mufst mir in der heutigen Nacht 
einbrecheu Helfen! Soll der Sohn ſei— 
nem Bater gehorchen oder nicht? 

A. Sie treiben alles auf die 
Spitze. 

B. Das mußs auch der Dichter 
thun, Und Anzengruber ijt unbarm— 
herzig, er zieht aus einer Sache im— 
mer die Äußerften Folgerungen und 
zeigt fie au, damit wir uns in Dies 
jem Irrgarten des Lebens möglichit 
far werden jollen. Anzengruber jagt 
in feinem Drama nicht, dafs Kinder 
ihren Eltern nicht gehorchen jollen, 
er jagt nur, daſs die Eltern des Ge— 
horſams würdig fein müſſen. Er rüt- 
telt nicht an dem vierten Gebote Gottes, 
jondern jucht es vielmehr zu befejtigen, 
indem er ausruft: Eltern, ſeid dars 
nad, dafs die Erfüllung des Gebote: 
möglich wird. 





tens: Dichter, das iſt überflüflig, 
weil ja nicht bloß in der Schule den 
Kindern die Pflicht gegen ihre Eltern, 
jondern auch in der Kirche die Pflicht 
der Eltern gegen ihre Kinder häufig 
genug gepredigt wird. 

A. Was nüßt das Predigen in 
der Kirche, wenn die Eltern nicht 
hineingehen! die Kinder werden zur 
Schule gezwungen, die Eltern zur 
Kirche nicht. 

8. Sie denfen an Kichenzwang. 
Nicht übel. Aber wer kann zwingen ? 
Nur der Staat, und ich fürchte, wenn 
der Staat den Kirchenbeſuch obliga= 
toriſch macht, wie den Schulbefud, 
daſs er dann auch den Priefter wird 
anftellen wollen, wie er den Schulfehrer 
anftellt. Dass er am Ende nur nit 
etwa gar die Predigten wird cenjurieren 
wollen, wie er die Theater cenfuriert ? 
— Wenn e3 aber feinen Firdhen- 
zwang gibt, wenn die Leute ihre 
Belehrung fih nicht in der Kirche 
holen wollen, jo ift es ja doch gut, 
wenn es auch noch andere Orte gibt, 
wo fie Belehrung finden können. Was 
der BPriefter auf der Kanzel lehrt, 
das wird er wohl auch dem Dichter 
erlauben, auf der Bühne zu lehren. 

A. Für Sittenlehre und Erbau— 
ung ift die Kirche da. 

8. Alſo ift es unangenehm, wenn 
außerhalb derjelben der Poet durch fein 
Kunstwerk predigt: Eltern, gebt eueren 
Kindern ein gutes Beifpiel! — Ober: 
Lebt ihr in Unzucht, jo geht ihr zus 
grunde! — Der: Verzeihet eueren 
Feinden! — Man jagt dem Welt- 
lichen, er folle ſich nicht in dogmatifche 
Saden mifchen; foll er denn aud 
fein Sittenlehrer mehr jein dürfen? 

A. Es ift nicht Sache des Kunſt— 
werfes, zu moralifieren. 

B. Das gehört auf ein anderes 


Und ift das nicht in Blatt. Übrigens jagten Sie leßthin, 


Ordnung? Der Dichter ermahnt den) daſs ein Kunſtwerk auch moralisch 
Priefter zu etwas, wozu der Priefter) fein müfle. Hier haben Sie ein 
ſich ja jelbft verpflichtet fühlen muſs. ſolches. Es gibt — wie Sie jelber 
Da kann man nicht jagen: Dichter, | zugeben — Leute, die in feine Predigt 
das ift fchlecht von dir, fondern höch- | gehen wollen, ſolchen joll der freie 


2 


207 


Eintritt offen fein ins „Vierte Gebot“. 
Es würde mander zu fih fommen 
und ih fragen: Wohin geht’s mit 
meiner Familie? Welches Beifpiel 
gebe ich meinen Kindern? — Und 
mander würde jagen: Ja, der Pfarrer 
bat recht, wenn er den Eltern ftrenge 
Gottesfurdt und Zucht einfchärft; 
bier ſieht man, mohin es fommen 
lann, wenn's an den Eltern fehlt. 

A. Uber bedenfen Sie, welche 
Lehre fich die Kinder nehmen, die in 
diefes Stüd gehen! 

8. Verehrtefter! Warum foll ges 
trade Anzengruber Kinderftüde ſchrei— 
ben? Er jchreibt, wie jeder Drama 
tifer, für Erwachſene, und diesmal 
bejonders für Eltern. 

A. Das führt aber viel weiter, 
als Sie in Ihrer löblihen Harm— 
lojigteit annehmen. Wenn man jchled- 
ten Eltern nicht zu gehorchen braucht, 
wird man diejelbe Freizügigkeit nicht 
auch anderen Wutoritäten gegenüber 
geltend machen wollen? 

8, Ein zwingender Grund für die- 
felben , ihrer ehrwürdigen Stellung 
gemäß zu leben. 

A. Nun ftehen wir dort, wo ich 
behaupten kann, das „Vierte Gebot” 
bat eine jocialdemofratiiche Tendenz. 

8. Wiefo das? Oder doch viel- 
leiht im Sinne Ehrifti, der fi ers 
kühnt Hat, nicht bloß den Unterge— 
benen, fondern auch den Vorgefegten 
ihre Pflichten firenge an das Herz zu 
legen. 

A. Pad, das milfen wir ſchon 
lange, daſs die Borgejegten auch ihre 
Pflihten haben, daſs es gute und 
hledhte Eltern gibt, dafs die Schuld 
ih rächt. Alte Geſchichten, die wir 
fennen, dazu brauchen mir den Herren 
Anzengruber nicht. 

8. Alſo weil er alte Gejchichten 
auftifcht, die Sie kennen und felbjt 
ausfprehen, deshalb befhuldigen Sie 
in der Irrlehre, der Socialdemo— 
fratie? 

Am Ende, fagte U. plöglid, am 
Ende ift Anzengruber ein Jude! 


Das wird das Richtige fein! ver— 
feßte B. luftig, und darum hat uns 
mittelbar nach feinem Tode ein Haupt» 
organ der „Bereinigten Chriſten“ in 
Wien fo cannibalifch gefehrien: „Anzenz 
geuber ift unfer! Er ift unſer!“ — 
O ihre Helden! 

In diefem Augenblid erhob fich 
der Zwiſchenvorhang. 

SH dachte meinem verewigten 
Freunde nah: Anzengruber, was Tie 
doh alles aus dir machen möchten ! 
Keiner hat die Liebe des Kindes zur 
Mutter ſchöner verherrliht als du, 
z. B. im „Pfarrer von Kirchfeld“, 
im „Heimg’funden“ und in manch 
anderem deiner Werke. Und wie rüh— 
rend innig war dein perfönliches Ver— 
hältnis zu Deiner eigenen Mutter! 
Den Bater früh verloren. Auf deinem 
armen Wanderleben als fleiner Schau— 
jpieler führteft du deine alte Mutter 
mit dir, und al3 du berühmt gewor— 
den warft, mit welch froher Sorgfalt 
richteteft du ihre Leben freundlich ein 
und hiengeft an ihre mit einer Herz— 
glut, wie du fie jpäter feinem Mens 
ſchen mehr jo zugemwendet haft. 

Und du follteft das vierte Gebot 
gefährden wollen? — Risum teneatis! 
Dafs ih nit lach’! 

Ich bin überzeugt, dafs jeder, der 
Anzengrubers „Viertes Gebot“ ohne 
Vorurtheil prüft, die tiefe und ſtrenge 
Sittlihfeit desjelben erfennen wird 
und muſs. 

Für den gewöhnlichen Zujchauer, 
meinen die Gegner, jei die jchlechte 
Tendenz des „Vierten Gebotes“ freis 
lich nicht zu bemerken. Dieje für einen 
Augenblid zugegeben. Dann war's ja 
aber thöricht, die Leute darauf auf— 
merkſam zu maden! Exit das Feld— 
gefchrei der Gegner hat die Käufer 
gefüllt, und als in Wien von den 
Kanzeln gegen diejes Stüd gepredigt 
wurde, mujste an der Theatercaſſe 
die Wachmannſchaft verftärkt werden, 
um im Gedränge Unglüd zu ver— 
hüten. Die Kinder des Dichter mögen 
fi) bedanken bei den Feinden ihres 


Vaters, dafs fie ihnen jo gute Tanz 
tiemen vermittelt haben. 

Und aud wir bedanfen uns für 
eine ſolche Behandlung eines unferer 
größten vaterländifchen Dichter. Wir 
werden fie uns merfen. 

Ich bin herausgefordert worden zu 
diefem Auffage, ich fühlte mich ver- 
pflichtet, nicht bloß für den verewigten 
Freund einzutreten, jondern aud für 
die Volksdichtung, die neuerdings in 





Anzengruber ihren höchſten Ausdrud 


208 


dem „Vierten Gebot* im Nebenſäch— 
‚lien mande Bedenten gerechtfertigt; 
vielleicht 


wünſchten wir bejonders 
einen anderen Titel. Warum  follte 
jein Bedenken nicht jeder offen aus— 
ſprechen? Sogar parteiifche Einfeitigteit 
im Urtheile läfst man fich Heutzutage 
gefallen ; aber ein ehrliches und Hares 
Wert jo gründlich zu verfennen, oder 
jo bösartig zu mifsdeuten, wie es 
bier gejchehen, das ift denn doch eine 
Urt, die man auf das tieffte bedauern 


gefunden hat. Vielleicht find ja auch bei | oder auf das ſchärfſte verurtheilen muſs. 


Der Papft im neuen Kom. 


Ein Bild aus der ewigen Stadt von Hermann Kiegel.*) 


er 


er gewaltigen Umgeftaltung und 

5, durchgreifenden Neubildung 
Roms, welche ſich jeit dem 20. 
September 1870 allmählich vollzogen 
hat und Tag für Tag immer nod 
vollzieht, fteht innerhalb feiner eigenen 
Mauern ein gewilles Etwas gegenüber, 
grollend und ablehnend, fragwürdig 
und feindjelig, fih hoch und theuer 
gegen alle und jede Annäherung oder 
Ausgleihung verwahrend. Das iſt der 
Vatican. Der ehemalige Beherricher 
Roms kann den Verluſt feines König— 
reiches nicht verfchmerzen. Sich alle 
feine Rechte feierlichit vorbehaltend, | 
hat er fih im feinem Palaſte einges 
jhloffen und ſich vor aller Welt zum 
Gefangenen erklärt, — obwohl ihn 
niemand daran hindert, frei ein> und 
auszugehen, wie es ihm belieben und 
gefallen möchte. Ich glaube, dafs dies | 
allerdings nicht aus Liebhaberei oder 
Zufall gefchehen ift. Denn der Anbruch 
des neuen Zeitabſchnittes vor feinen 


*) Unter dem Strich. Bunte Bilder 
Berlin. Hans Lüftenröder. 1890, 


Hungen hat ihn naturgemäß zurüd- 
geſchreck und in ihm den Trieb ge- 
wedt, fih möglihft unberührt zu 
erhalten, jo wie er war und wie er 
wieder jein möchte. Und die Ent— 
widelung diejes neuen Zeitabjchnittes 
mufste die Neigung zur Abſchließung 
in ihm fteigern; denn er erkannte 
gewiſs, wie fremdartig fein pruntender 
Aufzug in der jechsrofligen Gold- 
futfhe auf den  vollswimmelnden 
Straßen des neuen Rom erjcheinen 
müſste. 

Zwar jene Worte: „er kann den 
Verluſt ſeines Königreiches nicht ver— 
ſchmerzen“, ſprechen und ſchreiben ſich 
leicht hin. Und mancher denkt wohl 
auch, der Beſitz des vaticaniſchen 
Rieſenpalaſtes mit der Peterskirche, 
des Laterans und einiger anderen 
Paläſte und Kirchen, ſowie der Bezug 
eines ſtaatlichen Jahrgeldes von 
mehreren Millionen ſei keine geringe 
Sade. Auch ſei ja der Papſt nieman— 


aus beiden Welten von Hermann Wiegel, 





0 ul : 


209 


des Unterthan geworden und Halte 
nad wie vor Hof wie ein Fürft. Und 
doh Hat der Papſt wahrlich allen 
Grund zum bitterften Schmerze, Denn 
die alte fürftlihe Selbſtherrlichkeit, 
die er über taufend Jahre genoſſen 
und die jich in den lebten vier Jahr» 
Hunderten zu der Macht eines König- 
reiches eınporgehoben Hatte, ift dahin. 
Alles, was in Wahrheit den welt- 
lihen Herrſcher macht, ift ihm ge— 
nommen. Was ihm davon geblieben, 
ift nur Form und Schein, und feine 
fürftlihe Stellung und volllommene 
Unabhängigkeit ift durch feine welt» 
lihen Mittel mehr verbürgt. Eine 
durch vielhundertjährige Gewohnheit 
zur Glaubensfahe gewordene Auf— 
fafjung ift aufs tiefite verlegt, und 
mit der Macht des Glaubens wird 
an der Rechtmäßigkeit der alten Ge— 
wohnheit feftgehalten. Der Gedante 
aber einer Rüdtehr und Umkehr von 
der weltlichen fFürftlichkeit zur wahren 
Natur des geiftlihen Oberhirten— 
amtes will dem Papſtthume noch nicht 
in den Kopf, weil es fich Heftig ſträubt, 
das Gejchehene als ein gefchichtliches 
Ereignis, dem man ſich fügen muſs, 
anzufehen. 

Der Papſt ift, von aller Welt 
anerfannt und von niemandem ange— 
fohten, das Haupt und der oberfte 
Dirte der fatholifchen Ehriftenheit ges 
blieben, und dieſe hohe Würde, dieſes 
heilige Amt, jo follte man meinen, 
tan nicht abhängig jein von dem 
Belie einer Scholle Landes oder einer 
Stadt, und wäre dieſe Stadt jelbit 
Rom. Aber der Papſt, von jener Auf: 
faffung geleitet, behauptet, durch die 
Einverleibung der Stadt Rom in den 
italienifchen Nationalftaat als deſſen 
Dauptftadt in der Ausübung feines 
geiftlichen Hirtenamtes aufs ſchwerſte 
behindert zu fein, er tagt über Ver— 
gewaltigung und Beraubung, er ver— 
wahrt fih und den Heiligen Stuhl 
gegen das ihm angethane Unrecht, 
er ſucht Hilfe bei den großen Mächten 
und verlangt bei allen paſſenden Ge— 

Rofegger's „Geimgarten*‘, 3. Heft. XV, 








legenheiten im feierliher Weife Rom 
und den ganzen ehemaligen Kirchen— 
ftaat zurüd. Die VBerföhnung mit 
Stalien wird al3 unbedingt ausge— 
ſchloſſen hingeſtellt. 

Der Gedankengang dieſer Politik 
iſt beſonders klar aus der Anſprache 
Leos XIII. erſichtlich, welche er am 
Weihnachtsabend des Jahres 1885 
an die verſammelten Cardinäle hielt. 
Nachdem er über eine Reihe einzelner 
Gewaltthaten Beſchwerde geführt, fuhr 
er alſo fort: „Allein, wenn auch all 
dieſes nicht geſchähe, und wenn auch 
die, welche in Rom die Gewalt haben, 
das größeſte Eutgegenkommen gegen 
die Kirche und ihr Haupt zeigten, 
jo dürfte man doch nicht glauben, 
dafs darum die jebige Lage des römi— 
jhen Papſtes eine würdige oder 
wenigjtens erträgliche würde. So lange 
es eine offenbare Thatfache iſt, daſs 
Wir in Rom nicht in Unferer, jondern 
in anderer Gewalt find, jo lange 
Unfere Freiheit und Sicherheit von 
denen, welche thatjähli in Rom die 
Herrſchaft ausüben, abhängt, und von 
Gefegen, die wandelbar jind wie die 
politiihen Zuftände, und von den 
höchſt mwandelbaren Maßnahmen der 
Mehrheiten, jo lange wird die Lage 
des Papſtes immer unerträglich fein. 
Und welche Künfte man auch immer 
anmenden möge, um fie zu mildern, 
bermöge eines inneren und wejents 
lichen Widerfpruches wird fie immer 
mit der Freiheit und Unabhängigkeit, 
die dem höchſten Haupte der Kirche 
gebührt, unerträglich fein.“ 

Um dieje Gebdanten dreht jich die 
eigenfte, innerfte Politik des Baticans, 
und fie werden immer und immer 
wieder, in dieſer oder in jener Form, 
bald fo und bald jo wiederholt. 
Nachdem der Papſt jelbit zu Weih— 
nachten 1885 in jenen geharnifchten 
Morten diefe Politik vertreten hatte, 
erhob zu Oftern 1886 der vaticaniſche 
„Moniteur de Rome“ jeine Stimme: 
„Befangener einer fremden Macht, 


Tann das Papſtthum ſich nicht mehr der 


14 


210 


Stadt und der Welt (urbi et — 
in ſeiner unvergleichlichen Herrlichkeit 
zeigen.“ 

Im Frühjahre 1887 gab man 
dann dieſer Politik die Geftalt eines 
Fühlers. Leo XIII. machte in einer 
Anſprache Andeutungen, die vielfach 
al3 ein Wunſch nach der Ausföhnung | 
mit Italien aufgefajst und von einer! 
Anzahl Zeitungen beifällig begrüßt 
wurden. Sobald dies Entgegenfommen | 
der öffentlichen Meinung deutlich wurde, | 
gab der „Osservatore Romano* jenen 
päpitlichen Andeutungen die Erläutes 
rung, dafs es fih nur um „die Rüd- 
gabe alles Geraubten, um die Wieder: 
herftellung der weltlichen Herrſchaft, 
bejonders über die Stadt Rom, wo 
der Papit feinen Sib Hat“, handeln 
fönne, „aut Roma aut nihil“. Das 
Reden im den Blättern gieng eine: 
Weile herüber und hinüber, bis ſchließ— 
lih Crispi, dem die Sache zu bunt. 
wurde, mit einer ſehr unzweideutigen 
Erklärung im Abgeordnetenhanfe dem 
Zwifchenfall ein Ende bereitete. Da 
trat der Papſt in einer Conſiſtorial— 
Anſprache zu Ende November desjelben 
Sahres mit neuen heftigen Klagen und 
bitteren Bejchwerden gegen Italien 
hervor, die er ſeitdem bei jeder Ges 
legenheit in dem herkömmlichen Zone 
wiederholt hat, und die in den ſo— 
genannten Katholikenverſammlungen 
einen ohnmächtigen Wicderhall gefuns | 
den haben. 

Un allen Thoren des Baticans , 
ſtehen die Schweizer grimmig bewarfe | 
net Wade, und beim Cingange am! 
Petersplage haben fie ihre jtarte Haupte | 
wache. Es jind in der That Schweir 
zer, Sogar deutſche Schweizer, die 
in ihren aus ſchwarz, gelb und roth 
zufammengenähten Landstnechistleis | 
dern, mit einem modernen Helme be= | 
dedt und mit einem Schiekgewehre | 
ausgerüftet, ihre ſchweren Pflichten | 
in ertödtender Eintönigleit thun, Drei 
Schritte vor der Hauptwache ſichen 
ununterbrochen zwei italienische Schutz— 
leute, jogenannte Carabinieri ober 





Guardie eivili, um bei einer etwaigen 
Ungebörigfeit jofort zum Schuße der 
Schweizerwahe und des Baticans 
jelbft eingreifen zu können. Schräg 
gegenüber am Betersplage ift in der 
dortigen Kaferne eine große Wache 
unter einem Officiere eingerichtet. 
Ridwärts, dem Palafte gegenüber, 
ftehen mehrere italieniihde Schild— 
wachen. Bei dem geringften Verſuche 
zu einem gegen den DVatican gerichteten 
Unfuge würde jofort eine ausreichende 
Macht bereit fein, um ihm im Keime 
zu erjliden. Aber äußerlich betrachtet, 
ſieht das alles fo aus, als ob die 
föniglihe Schutzmannſchaft und Friegs- 
macht den Batican und feinen Ger 
fangenen einfchließe und überwache. 
Doch kümmern fich diefe Männer 
nicht im geringiten um die, jo da 
fommen oder gehen, — folange die 
öffentliche Ordnung ungeftört bleibt. 
Sie gehen jelbit andädhtig in die 
Vetersfiche, und an Sonntagen wim— 
melt es da von Officieren und Mann— 


ſchaften aller Waffengattungen. Die 


Briefträger der königlichen Poft geben 
ihre Saden im Batican ab und for= 
ihen jelbft in den Sacrifteien der 
Betersfirhe nad Empfängern, die fie 
noch nicht feinen. Ein ganz regel» 
mäßiger, aber nicht auffallender Ver— 
kehr beiteht zwiſchen dem Batican 
und der Stadt, die ihn mit allem, 
was er braucht, verforgt, ihm alles 
vermittelt und einem grogen Theile 
der dort Bedieniteten und allen, die 
duch Gejchäfte und Obliegenheiten 
dahin geführt werden, Wohnung ges 
währt. Der Batican ift durchaus ein 
Stüd der Stadt Rom geblieben, und 
alle jeine Bewohner und Angeſtellten 
bis auf Einen bewegen ſich in der 
Stadt Frei nah ihrem Belieben und 
ihrer MWilltür, Die Cardinäle fahren 
von ihren Baläften zum Batican, 
oder fie fahren jpazieren vor die Thore, 
um frische Luft zu ſchöpfen. Alte und 
junge Briejter, einzeln und in Scharen, 
Mönche aller Gattungen: ſchwarze 
und braune, weiße und blaue, graue 


und gemilchte, ſchwarz und weiße, | bieters, beſondere Geſandtiſchaften find 
weiß und ſchwarze, ſchwarz nnd rothe, ‚Bein Batican beglaubigt, der Papſt 
weiß und rothe und wie das fo weis iſt von der alten Unterwürfigleit um: 
ter geht, ſogar rothe Nonnen wandeln | geben. Wenn er ſich eine Halbe Stunde 
und wimmeln durch die Straßen in frischer Luft ergehen will, jo wird 


Roms, untrügliche Zeichen der Gegene | 
wart des Pontifex maximus, lebendige 
Zeugen der Freiheit, die das König» 
reih Italien dem Oberhaupte der 





ein Geremoniell aufgewendet und eine 
Dienerzahl aufgeboten, wie ſie fein 
europäiſcher König, wohl jelbit Phi— 
lipp II. von Spanien nicht, je gehabt 


Kirche gewährt. Nur der Eine über: |und geduldet haben mag. Ein ganzer 
jchreitet nicht die Schwelle feines Ges langer Aufzug ift da erforderlich. 
fängniſſes. Voran ſchreiten mehrere der bunt— 

Warum aber ſollte der Papſt nicht | geihligten Schweizerſöldner im jchwar- 
einmal, ohne päpftlihen Prunf, im ‚zen, gelben und rothen Tuche, dann 
einfachen Wagen, ſchlicht und umer- ‚Folgen einige Leute der päpftlichen 
fannt in die Gampagna fahren und Palaſtwache, der jogenannten Guardia 
ih an der offenen Natur erfreuen ? | palatina, mit blanken  ritterlichen 
Niemand Hindert ihn daran, niemand | Helmen und gewaltigen Schwertern, 
hat einen Nachtheil davon, und wenn und daran Jchliegen ſich Getitliche. 
er will, braudt er es niemandem Nun aber kommt der Bapft. Der 
merken zu lafjen. Wer weiß, ob er Papſt ift ganz in weiße Seide ge— 
nicht jchon manchesmal aus jeinem | kleidet und jigt in einer rothjeidenen 
Fenſter über die weite Stadt Hinüberz | Prachtjänfte, die don zwei ausgejucht 
geihaut hat nah dem Quirinal, und großen und ftarfen Männern getragen 


ob nicht auch der König im Duirinal | 


aus feinem Fenſter hinüber geichaut 
hat zum Batican, und od dann nicht 
Papſt und König ſich verftanden und 
ih zugenidt Haben? Mit Hilfe leid» 
licher Ferngläſer könnten ſie fich jogar 
anläheln und fich Zeichen geben. Und 
wie viele jtille Boten mögen vom 
Quirinal zum Vatican und vom Ba- 
tican zum Quirinal wandern! Dean 
veriteht Sich, will ſich von Herzen 
wohl und hat ſtillſchweigend ein ganz 





wird, Rechts und links von jedem 
diefer Träger fchreiten zwei Begleiter 
von gewöhnlicher Größe. Alle ſechs 
jind mit feidenen Stleidern von dem 
nämlichen Roth wie die Säfte und 
im Schnitte des ſiebzehnten Jahr— 
hunderts bededt. Hinter der Sänfte 
wandeln wieder Geiftliche, dann folgt 
die Guardia palatina, und den Schlufs 
machen wieder die ſchweizeriſchen 
Landsknechte. So bewegt ſich der Zug 
aus den Gemächern des Papſtes durch 


angenehmes Verhältnis geichaffen, aber |die Hallen am Hofe des heiligen Da- 


dor der Welt, 


vor der fatholiichen | Imafus, die langen Gänge der Galleria 


Chriſtenheit jpielt man Gefangenen |lapidaria und der Bibliothek in deu 


und Räuber. Das wird wohl noch eine | 
gute Weile jo fortgehen, vermuthlich 
jogar eine recht lange, lange Weile, 

Auch im Inneren des Baticans 
merft man von der Gefangenschaft 
nicht die geringfte Spur. Die Schens- 
würdigfeiten des Palaſtes ftehen den 
Bejuchern offen wie ehedem, die Pracht 
und der Glanz des päpftlichen Hofes 
find unverändert Ddiefelben geblieben, 
die zahlreihen Bewaffneten befunden 
die fürftlihe Unabhängigkeit des Ge— 





päpftlichen DOREEN, und überall, 
wo er auf jeinen Wegen an Wächtern, 
Dienern, Aufſehern oder ſonſt jeman— 
dem vorbeikommt, fällt alles in tiefſter 
Verehrung auf die Knie, während 
der Papſt mit freundlichem Lächeln 
die rechte Hand ſegnend erhebt. Es 
gehört ſchon ein gutes Theil Schwär— 
merei dazu, um in diefem fegnenden 
und bon mehr als föniglihem Prunfe 
umgebenen Papſte jenen Gefangenen 
des Vaticans zu erbliden, von deſſen 


14* 


212 


Strohlager, zur Rührung der Gläus 


bigen, ſchon einzelne Halme theuer 
verfauft worden find. 

Indeſſen, man mag die Bolitif, 
welche der Batican dem Königreich 


Italien gegenüber jeit dem 20. Sep= 
tember 1870 innegehalten Hat, noch | 
zus 


jo fehr verftehen und begreifen: 
geben muſs man unbedingt, dafs die 
Entwidelung der Stadt Rom ich 


durch diefe Politit nicht hat hemmen | 
oder beeinfluffen laffen, und dajs fie 
über fie zur Zagedordnung 


täglich 
übergeht. Zugeitehen aber muſs man 
auch, daſs das Papſtthum in den 
langen Jahrhunderten aufs engite mit 
Rom verwadhjen iſt 


nahme einiger Freidenker, das Ober: 
haupt der Kirche unbedingt und innigjt 


verehrt. Aber dieſe jelbe Bevölkerung 
fühlt jich ebenfo unbedingt und innig 
als einen Theil des italienischen Volz 
lebenden : 


tes, und jie jaucdhzt dem 





und daſs bie, 
ganze Bevölferung Roms, mit Aus« 
.XIII. läfst in dem neuen Stadttheile, 


Könige jubelnd zu oder mallt aud 
dankbar und gerührt zum Grabe des 
todten Königs im Pantheon des Mar— 


cus Wgrippa, Im Herzen der Römer 


ift der Ausgleich zwischen Papftthum 
und dem Königthum vollzogen, aber 
noch ift die Formel nicht gefunden, in 
der ſich die beiden gejchichtlihen Ge— 
walten jelbjt, ohne fi etwas zu ver— 
geben, ausjöhnen könnten. Und ſchwer 
wird es fein, vielleiht unmöglich, 
dieje Formel zu finden. Aber am Ende 
geht es auch ohne Formel ganz gut 
fo weiter wie bisher. Ein fröblicher 
modus vivendi ift eine ganz unbe— 
zahlbare Erfindung. Er hat jogar dein 
Bapfte die Handhabe geboten, an dem 
neuen Rom mitzuarbeiten, denn Leo 


der fi vom Vatican längs der Tiber 
bis in die Gegend der Porta del po- 
polo hinzieht, auf feine Koften eine 
Kirche bauen. 


Die Verwechslung der Sinne. 


Gine Plauderei aus dem neuen Demofrit von E. M. Schranka. 


SS 
4 ir haben fünf Sinne, die von 
Fr rn den Piychologen und fonftigen 


theilungen gebracht wurden, 


Gelehrten in verfchiedene Einz 
ale da heute noch von den vier Elementen 


dene Sinne geben, fo viel ift ficher, 
es gebt uns mit den Sinnen wie mit 
den Elementen. Wir ſprechen ſelbſt 


beiſpielsweiſe e find: Haupt⸗ und Neben— | und willen doch aus der Chemie ganz 
fine, höhere und niedere Sinne und ‚genau, dajs die bieherige und nod 
anderweitige Claſſificationen. Manche lange nicht abgeſchloſſene Reihe von 
verſuchten ſchon einen ſechſten Sinn! Elementen nahe der Zahl 100 ſteht. 
und noch mehr binzuzufügen, und | Ebenjo bleiben wir noch bei unjeren 
Iprihwörtlich fpricht man geradezu von | fünf Sinnen. Wer nur die immer 
der Noth und auch von der Gewohn- | alle beijammen hätte! 
heit als ſechſtem Sinne. Dajs, wie gejagt, der eine dieler 
Mag e3 nun noch viele andere, fünf Sinne eine wichtigere Rolle jpielt, 
uns bisher noch nicht bewusst gewor- der andere gewiſſermaßen den höheren 


213 


nur Ddienend zur Seite fteht, ja, der 
Geruchsſinn jozujagen als das Aſchen— 
brödel der fünf Sinne angejehen wird, 
ift befannt. 

Geſichts⸗- und Gehörfinn, Ges 
Ihmads- und Geruchsfinn ſcheinen nä— 
ber verwandt zu ſein, als eine andere 
Eombination. Ein Sinn unterftügt 
den anderen, muſs ſogar, jo gut e3 
geht, oft an die Stelle des fehlenden 
treten und ihn, wenigftens theilmweife, 
zu erfeßen verſuchen. 

Bejonders in der Kunſt ſcheint oft 
ein Sinn als der wicdhtigfte. 

Welch ein Unglüd für den Maler, 
wenn er erblindet, welch troftlojer 
Zuftand für den Mufiter, wenn er 
taub wird; jeltjam, dafs manche der 
größten Compofiteure taub gewejen 
find. Umgefehrt wäre der Berluft des 
Gehörfinns für den Maler, des Ge— 
ſichtsſinnes für den Gomponiften we— 
niger empfindlich und fühlbar. Der 
gute, blinde Pfeffel mufste immer laut 
aufladen, Jo oft ihm jemand im 
eifrigen Geſpräche jagte: „Sehen Sie 
nur, mein lieber Pfeffel!“ Derfelbe 
ließ aud, als die blinde Tonkünſtlerin 
Iherefe Pardies zu ihm nah Colmar 
faın, folgende Stegreifverje in ihr 
Stammbuch jchreiben : 


„D weh’, Therefe, weh’ dem Mann, 
Der nit vor Wonne, dich zu hören, 
Wie wir des Augenlichts entbehren 
Und Ohr und Herz nur werben kann!“ 


Ferner als einft Kant den blin— 
den Profeifor von Raczko frug, ob 
ihm der Beſuch des Schaufpiels Ver: 
gnügen mache, fagte diefer: „Wenn 
nur meine Täufchung nicht durch un— 
richtige Declamation geftört wird, ſo 
malt meine Phantafie mir Schauplaß 
und Berfonen“, worauf Kant meinte: 
„Ih wünſchte, daſs ein Blinder, ein 
Tauber, und ein Mann, der die Sprache, 
in welcher das Stück gejchrieben, nicht 
verfteht, gemeinſchaftliche Kritik übten, 
fie müfste die richtigfte fein.“ 

Ein anderer Fall, wo gewiſſer— 
maßen ein Sinn der mächtigfte, der 





Hauptſinn iſt, findet fich in einer geifte 
reichen Stelle des Dr. Mijes nieder= 
gelegt. Er jagt: „Engel theilen fich ihre 
Gedanken durh Licht mit, jtatt Töne 
haben fie Farben. Ganz todte Maſſen, 
z. B. Steine, äußern ſich durch den 
Drud, alfo durch das Gefühl. Leben 
diger find in diefer Sphäre jchon die 
Salze, welche ſich durch Geihmad 
äußern. Die Pflanzen theilen ſich durch 
den Geruch mit, das Medium ihrer 
Mittheilung ift der Duft; die Thiere 
durch das Gehör. So fehen wir, daſs 
das höchſtbegabte Wefen ſich Durch das 
Geſicht mittheilt.“ 

Für jede Claſſe der genannten Ge— 
ſchöpfe ift alſo ein Sinn der Capital— 
finn. Ich fagte früher, ein Sinn müfle 
oft den anderen erfegen — ja oft tritt 
jelbft bei Vorhandenſein aller Fünf 
Sinne der eine herrichender hervor. 

Der Verliebte wird 3. B. zum 
Argus, er ſieht bei feiner Angebeteten 
alles, obwohl er fo viel überfieht. Sie 
iſt Schön, hat aber ein häſsliches Organ, 
er aber Hört fie nicht, ex ſieht fie nur 
ſprechen. Ihm wird fein Auge aud 
zum Ohr. Er kann mit dem Dichter 
jagen: 

„Wie bin ich jo ganz verändert, 

Seit dein Zauber auf mir mwaltet: 

Haft mih ganz, ja jelbft die Ohren 

Mir zu Herz und Aug' geitaltet,* 


Ja, er fieht fogar im Budel feiner 
Geliebten „einen zweiten Buſen“. 

Mie oft Hört man jagen: „Ich 
bin ganz Ohr, vom Kopf zum Fuß 
ein Ohr“, und ebenso oft wird gelagt: 
„Ich bin ganz Auge“ ; bisweilen heipt 
e3 aber auch: „Er ift ganz Aug’ und 
Ohr”. 

Ganz richtig beanftanden deu Na— 
men de3 Opernglafes die vier Verſe: 


„Ist es des Opernglaies med 
Vom Ton zu jehen eiwas? 

Der richt'ge Name fühn und Ted 
Das wäre wohl Balletglas.* 


Ein anderer nannte das Ballet 
die Oper der Tauben. 
Auch die Phrafe „die Folie des 


214 


Stadtgeſpräches“ enthält eine Ver— 


wehslung der Sinne, 

Ein anderer Fall: Ein Hungriger 
riecht eine Speife, er vertilgt fie mit 
Gier, wenn auch der Gefhmadsjinn 
mit ihrer Zubereitung nicht zufrieden 
wäre. Er verfhhlingt fie mit den Aus 
gen; man jagt, wenn er nicht mehr 
eflen fan, „Jeine Augen waren größer 
als jein Magen“. 

So tritt gar oft eine förmliche 
Verwechslung der Sinne ein; aber 
am deutlichſten tritt dieſe Verwechs— 
lung in der Sprache hervor; freilich 
wird oft ein craſſer Blödſinn daraus, 
aber umſo komiſcher wirft er. 

So ſpricht Saphir von lichttrin— 
kendem Auge und tondürſtendem Ohr; 
Heine ſagt: Sie lächeln ſüß; bei Klop— 
ſtock horchen fie mit trunkenem Ohr; 
ein anderer verſchließt ſich hermetiſch 
gegen das Licht und wieder andere 
prüfen mit neugierigen Händen, wäh— 
rend ein dritter ſich in einen chro— 
matiſchen Galopp ſetzt. 

Man kann ſich an einem Schau— 
ſpiel nicht ſattſehen und ſpricht etwas 
geſperrt gedruckt aus, und wenn man 
jemand Braun nennt, der Roth heißt, 
jo entſchuldigt man ſich, daſs man 
farbenblind iſt, ſo wie jener Franzoſe der 
Magd, die beim Kehren zu viel Lärm 
machte, zurief: halten Sie das Maul 
mit Ihrem Beſen. 


Wie oft hört man den Unſinn 
ausſprechen: „Siehſt du, was ſie ſagt?“ 
Freilich liegt hier in dem „Siehſt du“ 
ein Aufmerkſammachenwollen, man kann 
aber doch nur hören, was man ſagt. 
Als Gegenſtück dazu hörte ich ſchon 
im Dunkeln jagen: „Sprich, damit 
ich Dich jehe“ ; gerade wie jener Eng: 
länder jagte: Speek, that I may see 
thee. 

Zu dumm iſt doch die Sinnes- 
verwechslung in der Rede jenes So— 
craliften, der fih in feinem Eifer zu 
den Worten binreißen ließ: „Meine 
Herren! Thun Ser, wat See thun 
müflen, aber vergeſſen See nid, dals 


—— —————— —— —— LE SS fee 





die Augen des ganzen vox populi auf 
Ihnen gerichtet find,“ 

Man wird eimmenden, das War 
ein ungebildeter Menſch, der feine 
Rede mit dem aufgegriffenen lateinie 
ſchen Broden jpiden wollte, ohne zu 
wiſſen, was diefer Ausdrud bedeute. 

Gut, ich will einen Gebildeten vor— 
führen. Ein Student der Medicin gab 
jeinem Brofeffor beim Examen auf die 
Frage, was ein Stethoflop fei, die 
droflige, gewiſs verftändlihe und doc 
phramidal dumme Antwort: „Das 
Stethoftop ift eine Brille, vermittelt 
deren man dem Patienten mit dem 
Ohre in die Bruft fieht.* Das ilt doch 
eine herrliche Blüte für diejes mein 
Sträußchen. 

Endlich kann in Haſt und Unbe— 
dachtſamkeit der Zorn derlei Unſinn 
hervorbringen, z. B.: 

Vater (wüthend): „Sieh mich 
nicht ſo an mit der Stimme.“ 

Sohn: „Ich habe ja noch kein 
Wort —“ 

Vater (noch heftiger): „So laſſe 
mich keine Silbe weiter ſehen.“ 

Eine übliche Phraſe lautet: „Tau— 
ben Dunſt machen“ für „aufs Ge— 
rathewohl“. Nun, der Dunſt iſt doch 
für das Geſicht und für den Geruch, 
und nicht für das Gehör da. 

Ebenso Spricht man von einer tauben 
Nufs, wobei doch der Geihmad bedroht 
ift. Seltfam, die Engländer ſprechen 
von einer blinden Nuſs (nut blind). 
Hier Scheint ih taub und blind nicht 
auf des Fehlen des Geſichts- und Ge- 
hörſinnes, fondern auf das Fehlen des 
Mefentlichen zu beziehen. Hier ſieht 
man, dafs eine Nuſs taub ift. Daher 
ift der Pleonasmus: „mit Mugen jehen, 
mit Obren hören“ nicht gar jo ent— 
jeglih. Eine eigenthümliche Sinnes— 
verwechslung der Sprache liegt wohl 
auch in der Kritik Hartmanns: „Die 
Bach'ſche Fuge riecht etwas nad Liszt.“ 

In ein kleines Neft an der Sieg 
fam ein Kölner Mufilmeiiter zu con» 
certieren. Ein Mitglied des Gemeinde: 
raths führte den Dirigenten zum Tanz— 





Taale des Ortes: „No, wie gefällt üch 
dä Saal?“ — „OD, ganz gut”, meinte 
der Mufifverftändige, „aber die Akuſtik 
iſt Sehr Schlecht.“ — „De Aluftil ?”, 
meinte der andere und gloßte den 
Spreder anfangs berftändnislos an, 
dann aber nidte er und wie ein Jagd— 
bund mit aufgehobener Nafe umher: 
ſchnuppernd, meinte er: „De Aluſtik? 
Jo, ih rüchen et oh!“ (Ja, ich rieche 
e3 auch.) 

Das erinnert an den Geruch der 
Stimme; man jagt ja von jemand, er 
ftehe in gutem oder ſchlechtem Geruche. 
Auch der vielfach lächerlich gemachte 
Profeffor Jäger mufste berhalten. 
Seine Außerung „Die Anwendung 
muſikaliſcher Bezeihnung für Düfte 
it in der Parfümerie-Tehnit längft 
üblich, wie man ſich in den betreffenden 
Lehrbüchern überzeugen kann. Dafs die 
Seele des Gefanges riechbar iſt, wird 
die neue Ausgabe meiner Entdedung 
der Seele theoretiich darlegen und don 
meiner diesbezüglichen praftifchen Er— 
findung machen viele Leute ſchon längft 
Gebrauch“ veranlafste die witzige Bes 
merlung: „Da wird’3 fein Wunder 
fein, wenn irgend ein für den bel 
canto ſchwärmender Berliner bei einer 
Begegnung ausruft: Liebfter Wachtel, 
dHun Sie mir den eenzigiten Jefallen 
und laſſen Sie mir en bisfen hohes 
C riechen !* 

Auber ſagte einft bei einer Pauſe 
von Blasinftrumenten: „Es ift ein 
Glück, daſs diefe Concerte geruchlos 
find, * 

Aber am marfanteiten ift wohl die 
Fufion des Geruchs- und Gehörſinus 
in der Sprache ausgedrückt durch das 
Acceptieren des vom Geruch entlehn— 
ten Ausdrucks „Potpourri“ für Muſik— 
piècen. Dieſer Ausdruck ſtellt alſo auch 
einen Beitrag zu den Homonymen. 

Endlich gehört im dieſe Stategorie 
der Schiller'ſche Vers: „Ich bin ein 
Mann, das könnt ihr Schon an meiner 
Leyer riechen.“ 

Mas Gefiht und Geruch anbe— 


„beangenjcheinigen“ ſchon den Neo— 
logisinus „benafenfcheinigen“ getroffen, 
und obwohl die Stimmung urſprüng— 
li für den Gefihtsfinn berechnet ift, 
jo kann es auch eine Fata morgana 
der Naje geben. Man befragt Augen 
und Obrenzeugen, es gibt aber aud 
ftille Nafenzeugen. Umgekehrt wendet 
man den Ausdruck hermetiſch ver— 
ſchließen zumeiſt nur gegen den Luft— 
zutritt an, obwohl er ſich auch ganz 
gut dem Lichte gegenüber anwenden 
ließe. Geſicht und Geſchmack erſcheinen, 
in der Phraſe confundiert, „ein Bild 
mit den Blicken gewiſſermaßen aufs 
trinfen“. 


Und Geficht oder auch Geruch und 
Geihmad finden wir vermischt in Hugo 
Littauers Epigramm, worin es heißt: 


„Beim Biere jpridt der Trinfer von der 
Blume, 
Beim Meine aber lobt er das Bouquet * 


Geruch und Geſchmack werden gar 
oft geradezu identificiert; wir reden 
vom ſüßen Duft der Rofe; man jagt 
von den Schwaben, jie hätten mur 
vier Simme, weil fie „riechen“ mit 
„ſchmecken“ bezeichnen, und in manchen 
Gegenden wird die Naje vom Volks— 
mund Fpöttiih „Schmeder“ genannt. 
As ein Officier zu einem anderen 
Gafte fagte: „Warum haben Sie meinen 
Hund geſchlagen, er hat Sie ja nur 
beſchnüffelt?“ entgegnete diefer: „Soll 
ich vielleiht warten, bis ich ihn 
ſchmecke?“ Er befürchtete, daſs der 
Geruchlinn des Hundes fich zum Ge— 
ſchmackſinn jteigern könnte. 

Mie oft können wir einen Menjchen 
nicht ſchmecken, und reden andererjeits 
vom Obrenichmaus. 

Wohin joll ih die Romanphrafe, 
ih habe fie leider nicht illuſtriert ge— 
jehen, „der leichten Füße Triller— 
jprung” oder die Bezeihnung „ein 
feiner Celloſchlag“ oder „die Friedens 
paufe ſchlagen“ einrangieren ? 

Das größte Gontingent für unjere 


langt, jo habe ich neben dem Verbum | Betrachtung aber ftellen unbedingt die 


Gombination und Gonfufion des Ge— 
ſichts- und Gehörfinnes. 

Sean Paul nannte die Muſik eine 
Poeſie der Luft, und Schlegel nannte 
die Baufunft eine gefrorene Muſik, und 
Görres in feinen Aphorismen über 
Kunft nennt die Kochkunſt die Plaftik 
des Flüffigen und die Parfümerie die 
Mufit der Düfte, 

Ahnlich nannte H. Heine einen 
falten Sommer einen grün angeſtri— 
denen Winter, 

Neben der dummen Romanpbraje 
„Heinrich ſtarrte ftumm in die Pa— 
piere* und dem Opern-Kalauer „Mein 
Fräulein, jest fommt ein Adagio!“ 
„„Wo denn? Ich fehe ja nichts !*“ 
begegnen wir einem Novellentitel Ot— 
tilie Wildermuths: „Taube Blü— 
ten“, dem Spridwort vom „blins 
den Lärm“ und dem geiftreihen Tro— 
pus „Die Malerei ift eine ſchweigende 
Dichtkunſt und die Dichtkunft ift eine 
redende Malerei.“ 

Auch eine Stelle „Die Künftlerin 
Mutter“ von Julius Kehlheim, der 
geiftreihen Prager Romanciere, möge 
hier ihren geeigneten Plab finden: 
„Wie würde Wagner entzüdt fein, 
fein großes herrliches Gralmotid jo 
verballhornt zu jehen!“ Der Aus: 
drud „verballhornen“ bezieht ſich doch 
auf die Orthographie, alfo das Auge, 
und wird in diefem Falle au für 
das Gehör in Anſpruch genommen, 

Auch die Gelehrten gebrauchen den 
fcheinbar als nonsens klingenden Ter— 
minus „Schallſchatten“ und die pfy— 
hologiich = phnfiologifche Frage vom 
Farbenhören und Töneſehen ift eine 
in nenerer Zeit oft ventilierte. „Far— 
bentöne und tönende Farben“ betitelt 
fih unter anderem ein intereilanter 
Aufſatz von Julius Stinde, 

Auch der große Piychologe Volk— 
mann fam in feinem Werke darauf 
zu sprechen. Er erzählt von einem 
Blindgeborenen, der als zwanzigjäh— 
tiger junger Mann glüdlid operiert 
und fehend wurde und der fich beim 


216 


ben die Ohren zuhielt; er Hatte Ge— 
hördempfindungen, und beim Anblid 
von Burpurroth glaubte er Poſaunen— 
ſtöße zu vernehmen. 


Mieder bei anderen entjprach der 
Flöte die blaue, der Oboe die gelbe, 
dein Horn die grüne farbe, der Trom— 
pete — Scharlach. Auf Schwingun— 
gen beruht Licht wie Schall, und 
unfere Sinne find nur verfchiedene 
Thore unferer Perception. Es gibt 
heute bereit Leute, welche die Saiten 
der GStreihinftrumente je nah dem 
geftrichenen Ton in verſchiedenen Far: 
ben fibrieren jehen, und einft dürfte 
dies Vermögen, anerzogen und danıt 
angeboren, allgemein werden. 

Auch die Vocale entſprechen Far— 
ben: a blau, o gelb, e hellgrau, u grün, 
und was die Theorie noch erhärtet, 
ift der Umftand, dafs mit den Diph— 
thongen die Mijchfarben correſpon— 
dieren. 

Die Ausdprüde „Farben hören und 
Töne ſehen“ find alfo durchaus nicht 
fo lächerlih, wie manche gebildet jein 
MWollende glauben. 

Das komiſche Moment erhält aber 
wieder die Oberhand, 3. B. in jenem 
falle, wo fih zwei Zaubftumme 
in ihrer Geberdenſprache unterhielten, 
wobei der eine derart in die Diße 
gerieth, daſs fih der andere die Au- 
gen zubielt und dem Freunde in ber 
ihönften Pantomime zurief: „Schrei 
doch nicht fo, ich bin ja nicht blind.“ 

Eine tüchtige Ohrfeige läſst alle 
Farben fehen, und Schmerzen laſſen 
alle Engel fingen Hören, welch in— 
tereffante Verwechslung des Gefühls- 
mit dem Geſichts- und Gehörfinn. 

Nicht vergeſſen darf ih auch das 
befannte Studentenlied, in welchem 
mit gelungener Abſicht, um jo recht 
die totale Sinneabſens zu zeichnen, 
der Dichter dem bereit beraufchten 
Studenten die Worte in den Mund 
legt: 

„Das Auge laflt, die Naf’ wird jchwer, 


eriten Anblid befonders ſchreiender Far-— Und meine Zunge fieht nichts mehr.“ 


Bagger 
> 
m 


217 


Da find doch die Sinnesfunctionen 
ſchon total durcheinandergemwürfelt. Und 
Ichlieglich wäre noch zu erwähnen, daſs 
bisweilen Sinnesverwehslungen auch 
im tropiihen Sinne angewendet wer— 
den, welche Fälle dann wohl unter die 
Metongmie zu rangieren find. Hieher 
gehört 3. B. der gute Vergleich Grill— 
parzer&, welcher, beim Lefen des Chry- 
ſander'ſchen Werkes „Händel“ betroffen, 
auf die frage, was er davon halte, 
fagte: „Bejchriebene Muſik ift wie ein 
erzähltes Mittageilen.“ 

Börne jagt einmal von Paris, „es 
jei der Telegraph der Vergangenheit, 


das Mikroſkop der Gegenwart und das 
Fernrohr der Zukunft." Das ift doch 
optiſch gefchildert. 

Beſonders oft ift e3 die Brille, 
welde gern zu allgemeinen Bildern 
verwendet wird; ein Beifpiel möge hier 
feinen Platz finden: 





„Berjentet eure Griffen 

Im perlend rothen Wein! 

Dann ſeht dur Roſenbrillen 

| Ihr in die Welt hinein. 
Drum, wenn das bloße Auge 
Nicht rofig ſchauen Tann, 

| Ein jeder trin!’ und ſauge 

i Sich jolde Brillen an.* 


Am fünf Ahr morgens. 


Gine Erinnerung von AÄlerander Girardi.*) 


SE 
sch hätte für mein Leben gern 
375 Ihon einmal einen Sonnen— 

3 aufgang gejehen. Man jagt mir, 
fo etwas ſoll allerliebit fein, bejonders 
in der Schweiz wegen der in Purpur 
getauchten Bergipigen und der ſchönen 
Engländerinnen, die man dabei im 
Morgen MNeglige zu Gelicht bekommt. 
Alfo ich hätte das für mein Leben 
gern auch ſchon einmal mitgemacht. 
Aber es war bisher unmöglid,. Und 
zwar lag die Schuld weniger an mir, 
als an der Sonne. Diejes Geftirn 
capriziert fich mit einem mur bei weib— 
lihen Firfternen beobachteten Eigen— 
finn fortwährend darauf, zu den une 
möglichften Tageszeiten feine Laufbahn 
anzutreten. ch ſehe wirklich nicht ein, 


warum die Sonne um bier, fünf oder 


ſechs Uhr morgend aufgehen muſs, 


hat. Und da ich wieder wohl den 
ganzen Tag über Zeit hätte, mir einen 
Sonnenaufgang zu Gemüthe zu ziehen, 
um vier, fünf oder ſechs Uhr morgens 
aber wichtigeres zu thun habe, jo Hat 
die Sonne bisher die Bergipiben ſtets 
ohne meine Mitwirfung in Purpur 
getaucht und wird dies wohl auch 
noch fpäterhin thun müſſen. Ich gebe 
nämlich nicht nad, denn ich habe das 
nicht nöthig; und die Sonne wird 
wohl ebenfalls nicht nachgeben, da fie 
‚es ſchließlich auch mit nöthig hat. 

Damit foll aber durchaus nicht 
gejagt fein, daſs ich ein Gegner der 
frühen Morgenftunde bin. Im Gegen— 
theil — die frühe Morgenftunde ift, 
meiner Anſicht nad, eine der ſchätz— 
barften Tageszeiten; nur darf man 
‚nicht gezwungen fein, aus dem Bette 











da fie doch den ganzen Tag dazu Zeit | aufzuftehen. Hinwieder wird fie jeder— 


*) Aus „Wiener Künftler:Defamerone.* Ein Geſchichtenbuch der Wiener Künftler 
und Schriftfteller. Herausgegeben von Rudolf Wittmann, redigiert von Moriz 
Band. (Wien, J. Rothenthurmftraße 23.) Siche „Heimgarten*, XV., Seite 239. 


218 


zeit einen großen Genuſs gewähren, 
wenn man, ums Morgenroth ans den 
befaunten jchweren Träumen empors 
fahrend, ſich allmählich mit dem Be— 
wujstfein durchdringt, dafs es ja noch 
viel zu früh jei, ſich von neuem feſt 


in feine Dede widelt, fih auf die meine Zuflucht. 


andere Seite feines Kopfkiſſens legt 
und langjam ji wieder in das 
Traumland zurüdbegibt, aus dem man 
gelommen. Das ift meine Art, die 
Morgenftunde zu genießen. Ich glaube, 
daſs das auch vieler anderer Art ift. 
Und ich meine, dafs, um dieſe für 
Leute von gutem Geſchmack außer: 
ordentlih werthvollen „Freuden der 
Frühe“ zu bezeichnen, irgend ein 
Meifer vor Zeiten das befaunte Sprich— 
wort erfand: „Morgenftunde hat Gold 
im Munde* — ein Spridwort alſo, 
das bisher in lächerlicher Verkennung 
feines wahren Sinnes al3 eine Mah- 
nung zum Frühaufſtehen gedeutet wor— 
den ift! 

Ya wohl — den höchſten Genufs 
hat man von der Morgenftunde, wenn 
man Sie verfchläft. Es ift das eine 
der eriten Wahrheiten, die ich über: 
haupt erfannt habe. Schon in früher 
Jugend habe ih ihr gehuldigt. 

Das war dazumal — zur Zeit, 
ala ih noch in der Schloſſerwerkſtatt 
zu Graz in der Leonhardftrage am 
Amboß ftand und den Hammer ſchwang. 
Es iſt ja bekannt, dajs die Objecte, 
mit denen ſich meine erite künſtleriſche 
Thätigkeit befajste, nicht Rollen, fon- 
dern Eifenjtangen ware. Einen Vor— 
theil hatte meine damalige Wirkfamteit 


vor der, heutigen jedenfalle voraus: 
es mangelte nie an Stoff. Denn der 
Himmel bat es in feiner unerforfche | 


lihen Weisheit jo eingerichtet, daſs 
es in der Welt mehr gutes Eifen als 
gute Operetten=Libretti gibt. 

Damals aljo hieß es jeden Mor— 
ger um fünf Uhr in der Merfitatt 
fein. Zu diefer Stunde mufsten bes 
reits die Hämmer auf das Eifen Hingen, 
das ift alter Schloſſerbrauch. Mit 
wie geringer Sympathie ich dieſem 





alten Brauche gegenüberftand, wird 
man nad) dem Gefagten leicht begreifen. 
Ich machte auch fein Hehl aus diejer 
Abneigung. Jh wagte zwar feine di— 
recte Revolution, aber ih nahm zu 
dem jo beliebten paſſiven Widerftaud 
Der paſſive Wider: 
ftand ift ja die Revolution der Schwa- 
hen. Der Meifter und die Gefellen 
ließen dem alten Brauche getreu um 
fünf Uhr morgens jchon die Hämmer 
auf das Eifen klingen. Ich aber lag 
um diefe Zeit in der Regel noch ruhig 
in meinem Betle, das in einer Kam— 
mer oberhalb der Werkftatt ftand, und 
ihlief. Erſt dur das Gehämmer 
unten wurde ich gewedt. Dann fuhr 
ih raſch in die Kleider und eilte auf 
meinen Bolten am Amboß. Der Weg 
dorthin führte mih am Standplat 
des Meifters vorbei. Und fobald ich 
in die Nähe desjelben Fam, fügte es 
ih immer, daſs irgend ein Theil der 
Außenſeite meines Körpers, eines mei— 
ner Ohren oder ein Büſchel Haare, 
dem würdigen Manne in die Finger 
gerieth, mit deren Hilfe er ſich einige 
Minuten lang in einer Weiſe damit 
beſchäftigte, die ſeinem Wohlbefinden 
jedenfalls zuträglicher war als dem 
meinigen. Seitdem habe ich eine Ab— 
neigung gegen die alten Bräuche, nicht 
bloß im Schloſſergewerbe, ſondern 
überhaupt; und immer, wenn ich von 
einem ſolchen höre, verſpüre ich Schmer— 
zen in den Haarwurzeln. 

Das alles iſt jetzt anders ge— 
worden. Kein Meiſter zieht mich mehr 
an den Ohren, wenn ich ſpäter als 
um dreiviertel fünf aufſtehe. Und 
ſelbſt wenn ich, meiner Gewohnheit 
getreu, zu fpät auf die Probe komme, 
werde ich niemals dom Director ge— 
'beutelt. Man erjieht daraus, welche 
‚Vorzüge der fchanfpieleriiche Beruf 
‚vor dem Schlofjergewerbe hat. Dieje 
Ertenntnis hat fih auch in den Kreiſen 
dieſes letzteren Gewerbes ſchon ſeit 
‚langem Bahn gebrochen. Alle Augen— 
blicke kommt ein Jünger der eifernen 
Kunſt zu mir und macht mich zum 





— 











219 


Vertrauten feines Entichluffes, Tieber 
fein Schlofiergejell, Jondern erfter Hel— 
dentenor an der Großen Oper oder 
Burgſchauſpieler oder vielleicht auch 
Operetten-Komiker werden zu wollen, 
letzteres allerdings nur in dritter Linie, 
da er mir, al3 altem Collegen, feine 
Concurrenz madhen will. Wenn das 
jo fortgeht, wird es bald feinen Hamlet 
mehr geben, der nicht in feiner Jugend 
überdrehte Thürſchlöſſer repariert hat. 

Aber recht haben fie, die guten 
Leute. Und ich freue mich ja aud 
rechtſchaffen, dafs ih nicht mehr 
Schloſſer, ſondern Schaufpieler bin. 
Ein Mann, der fo lange Schlafen Tann, 
wie er will! Freilich — mein jeßiger 
Stand hat wohl noch einige andere 
Vorzüge vor meinem früheren. Aber 
das iſt doch eine Hauptſache. Und 
ih erinnere mich, gerade das einmal 
befonders ftarf empfunden zu Haben. 

Es war in einem der eriten Jahre 
meiner Schaufpieler- Laufbahn. Ich 
gehörte damals dem Enjemble des 
Salzburger Theaterd an. Die Salz: 
burger Schauspieler agierten zu jener 
Zeit während der Saifon auf der 
Bühne des Iſchler Sommertheaters. 
Das dauerte bis zum Scluffe des 
September; ſelbſt wenn Iſchl bereits 
von feiner Tebensluftigen Sommerbe- 
völferung faſt ganz verlaſſen war, 
wurde im Theater immer noch Abend 
für Abend munter gefpielt. Denn für 
diefen letzten Monat zahlte der Erz— 
berzog Franz Karl, der damals ftän- 
diger Sommergaft in Iſchl war, die 
Sagen der Schauspieler. Die Saiſon 
in Salzburg begann am 1. October; 
die lebte Vorſtellung in Iſchl fand 
am 30. September ſtatt. Sogleich 
nach dem Schlufje der Vorftellung wurde 
die ganze Geſellſchaft in Stellwagen 
gepadt, nnd fort gieng’s in derfelben 
Nadt en pleine carriere nad Salz— 
burg. Der Theaterdiener war jchon 
am Tage vorangefahren und hatte 
Quartiere beforgt. So fand man denn, 
wenn man mitten in der Nadt in 
der Stadt anfam, fein Zimmer bereit 





und hatte nichts zu hun, als aus 
dem Stellwagen heraus und in fein 
Bett Hineinzufteigen. Am Morgen wurde 
dann raſch eine Probe abgehalten, und 
am felben Abend hob ſich in Salzburg 
der Vorhang zur Eröffnung der meuen 
Saijon, nachdem er in Iſchl am Abend 
vorher über der alten gefallen war. 

Un jenem 30. September nun, 
von dem ich Hier erzählen will — an 
die Jahreszahl erinnere ich mich micht 
mehr genau — Hatten wir wieder 
einmal die nächtliche Parforcefahrt 
nad Salzburg gethan. Die Stellmagen 
rajjelten über das Pflafter und hielten 
an der verabredeten Stelle das Rendez— 
vous, wo der Theaterdiener wartete. 
Diefer gieng don Wagen zu Wagen 
und bezeichnete jedem fein Daus, in 
dein er einquartiert war. Dann klet— 
terte man jchläfrig über den Tritt. 

„Es ift kalt“, ſagte der erite Lieb- 
haber und redte unter fürdhterlichem 
Gähnen feine Fäufte zum Bollmonde 
empor. 

„Sehr kalt“, bemerkte die fomifche 
Alte und fuchte durch Stampfen auf 
dem Pflafter einen eingejchlafenen Fuß 
wieder zur Raiſon zu bringen. 

„Wei Gott — es ift kalt“, con— 
ftatierte jeinerfeit3 der Intriguant und 
ſchlug fi die Arıne mehreremale wm 
den Leib, dajs es ſchallte. 

„Nein, aber wie das kalt iſt“, 
flötete die Naive und hüllte ſich frö— 
ſtelnd feſter in ihren grauen Reiſe— 
mantel. 

„Eine Bärenkälte!“ äußerte tref— 
fend der komiſche und Heldenvater 
und ſtärkte ſich nach dieſer oratoriſchen 
Anſtrengung aus einer geheimnisvollen 
Flaſche, die verführeriſch glückste. 

Und: „Kinder, iſt euch nicht 
kalt?“ fragte ſchließlich vollkommen 
überflüſſigerweiſe der Director, nach— 
dem er mit vieler Mühe ſeine Ehe— 
hälfte mit ſämmtlichen zu ihr gehörigen 
Hutſchachteln aus dem Wagen geladen 
hatte. 

Und da man inſoweit in ſeinen 
Anſichten übereinſtimmte, ſich alſo kein 


SEE 


220 


Grund zu meiteren Verhandlungen 
bot, taufhte man einige Händedrüde 
aus und zerftreute ji im den an— 
grenzenden Gallen. 

„Sinder, vergejst nicht: morgen 
um zehn Uhr ift Probe!“ rief der 
Director noch den Davoneilenden nad. 
Dann nahm er die Frau Directorin 
unter den rechten Arm, die Hutſchach— 
teln in den linten, und bewegte jich 
auch feinerfeit3 vorwärts, während der 
Theaterdiener der impofanten Gruppe 
mit einer Laterne voranleuchtete. 

Der Kapellmeifter und ich — wir 
blieben allein zurüd. Es war der 
Kapellmeifter Anger, ein ſehr tüch— 
tiger Mufiter und mir ein lieber 
Freund; jebt ift er, wenn ich nicht 
irre, am böhmischen Theater in Prag 
thätig. 

Alfo wir blieben zurüd. Denn das 
Haus, in dem wir Wohnung erhalten 
hatten, befand ich gegenüber von der 
Stelle, wo wir angekommen waren. 

„Du, was thun wir jet?“ fragte 
der Kapellmeiſter. 

„Jetzt geh'n wir jchlafen, e8 wäre 
Zeit, dächt' ich.” 

„Aber ich möchte gern noch etwas 
thun. Die Nacht ift jo ſchön.“ 

„Nun, jo kannft du ja noch auf 
den Untersberg kraxeln. Nimm dir 
aber eine Landlarte mit, damit du im 
Dunkeln den Weg nicht verfehlft. Ich 
gehe inzwiſchen ſchlafen.“ 

„Ich möchte ja auch ſchlafen gehen, 
aber ih bin nod gar nicht müde.“ 

„Komm’ nur mit herauf. Ich fing’ 
dir ein von dir componiertes Schlum— 
merlied. Da wirft du ſchon einschlafen. 
Oder nein, doch nicht. Denn der ein— 
zige Menſch auf der Welt, der bei 
deiner Mufit nicht einjchläft, bift du 
jelber.“ 

Inzwifchen waren wir bereits auf 
das Haus zugegangen. Sch läutete 
an, und wir ftiegen hinauf, nachdem 
der Dausmeilter uns gejagt hatte, 
dals unfer Zimmer im erften Stod 
belegt ſei. 

„Ich gedenke einen langen Schlaf 


zu thun“, jagte ih in der Poſe des 
Mallenftein und zog mir Dabei die 
Stiefel aus (eine neue Nuance das, 
auf die ih Sonnenthal hier aufmerk— 
ſam made). 

„Wird nicht jo lange werden“, 
bruummte der Kapellmeifter, der Schon 
im Bette lag. „Morgen früh ift Probe.“ 

„Aber erſt um zehn Uhr. Ich 
ichlafe jedenfalls bis fünf Minuten 
vor zehn.“ 

„Sch werde dich Schon Früher weden. 
Menn du nicht früher aufftehen willit, 
gieße ich dir einen Krug Wafler über 
den Kopf. Wahrjcheinlih werde ich 
jowiefo die ganze Naht wachbleiben. 
Ih bin gar nicht müde”, fagte der 
Kapellmeifter, drehte fih auf die ans 
dere Seite und war eine Minute [päter 
eingeſchlafen. 

Auch ich that bald darauf das 
Gleiche. Es war zuerſt ein feſter, 
traumloſer Schlaf. Dann aber begann 
mir allerlei tolles Zeug durch den 
Kopf zu ſpuken. 

Ich war wieder Schloſſergeſell und 
ſtand in der Werkſtatt. Da kam ein 
Diener herein: „Die Frau Gräfin hat 
ſich den Schlüſſel zu ihrem Schreib— 
tiſch gebrochen; ſie läfst bitten, daſs 
jemand kommt und ihr das Schloſs 
aufſperrt.“ 

„Alexander, geh' du!“ ſagte der 
Meiſter. Es war das eine große Nieder— 
tracht. Denn die Fran Gräfin hatte 
mich erſt kürzlich in Iſchl fpielen fehen, 
und ih war ihr auf ihren Wunſch 
vorgeftellt worden, weil ich ihr jo ge= 
fallen hatte. Der Meifter muſste wohl 
wiſſen, wie peinlich mir diefe Miflion 
fein würde; aber dennoch zwang er 
mich dazu, der Schuft! Und ich mujste 
geben, ſonſt befam ich wieder nur 
Erdäpfel, und fein Fleiſch zu Mittag. 
IH padte mein Werkzeug zufammen 
und gieng. 

Die Frau Gräfin empfieng mich 
perfönlid im Salon. Es war mir 
außerordentlich peinlich, jo vor ihr 
jtehen zu müfen, in Demdärmeln und 
mit vorgebundenem Schurzfell. Ein 


221 


Süd, dafs ih mir mwenigftens ein 
paar weiße Handſchuhe angezogen. 

„Alſo Sie find auch Schloffer- 
geſell“, fagte fie erjtaunt. „Das wufste 
ih ja gar nicht.“ 

„Ja“, ftammelte ich verlegen, „Hm 
... dm... in meinen Mußeftunden 
... ein Heiner Sport...“ Da id 
aber jehr roth dabei wurde, bat ich 
jte, fie ſolle mir nur rafch den Schreib= 


tiſch zeigen. 


und Geklopfe. Noch vollitändig von 
dem Wahne de3 Traumes befangen, 
jprang ich aus dem Bett und ftürzte 
nad dem Stuhl, auf dem meine Kleider 
lagen. Hiebei ſtieß ih an einen Waſch— 
tijeh, ein auf demfelben ftehender Krug 
fiel um und ergoj$ feinen geſammten 
Inhalt über den Kopf des Kapell— 
meifters, deſſen Bett daneben ftand. 

„Himmel und Hölle!“ brüflte dieſer, 
aus dem Schlafe auffahrend. „Bilt 


Ich mühte und mühte mich an du verrüdt geworden ?“ 


dem Schloſſe ab, aber e3 gieng nicht auf. 

„Nun, das iſt ja ganz natürlich“, 
jagte die Gräfin, „Mit weißen Hand» 
ſchuhen kann man doc feine Schlöffer 
aufiperren... Willen Sie was: Laſſen 
Sie das fein, und declamieren Sie 
mir lieber etwas vor!“ 

Sch ſtellte mich vor jie Hin und 
begann den letzten Act aus „Wallen= 
jtein“ zu citieren. Die Worte: „Ich 
gedenfe einen langen Schlaf zu thun“, 
ſprach ich jo gefühlvoll, dafs ich ſelbſt 
dabei einjchlief. „Aber zu lange dürfen 
Sie nicht ſchlafen“, rief mir noch die 
Gräfin ins Ohr. „Um fünf Uhr müfjen 
Sie in der Werkitatt jein, ſonſt wer— 
den Sie gebeutelt.“ Und rihtig — die 
Kuckudsuhr ſchlug Fünf, und unter 
mir begann es zu hämmern und zu 
Hopfen. Kalter Angſtſchweiß trat mir 
auf die Stimm. „Um Himmelswillen, 
die Leute unten find Schon an der Ar— 
beit. Das wird eine ſchöne Gejchichte 
werden,“ 

Mit einem lauten Schrei erwachte 
ih. Der Tag dämmerte ſchon durch 


Das brachte mid zur Belinnung. 
Ich drüdte die Hand tiefaufathmend 
auf das klopfende Herz. Gott ſei ge— 
dankt — ih war ja kein Schloſſer 
mehr, ih war ja Schaufpieler, Schau— 
jpieleer — und fein Meifter der Melt 
hatte mir etwas zu jagen. Unten aber 
dauerte das Gehämmer fort. Der 
Theaterdiener hatte uns, ohne daſs 
wir es mwujsten, in einem Haufe ein= 
quartiert, in deſſen Erdgeſchoſs ſich 
eine Schloſſerwerkſtatt befand. 

Nachdem ich den wüthenden Ka— 
pellmeiſter mühſam getrodnet und be— 
ſchwichtigt — ich ſagte ihm, ſo müſſe 
es allen böſen Menſchen ergehen, die 
ihren Mitmenſchen Waſſerkrüge über 
den Kopf ſchütten wollen — legte ich 
mich wieder ins Bett — mit einem 
ganz unſagbar glückſeligen Gefühl der 
Erleichterung. So gut geſchlafen wie 
an dieſem Morgen, habe ich nie wie— 
der in meinem Leben. Und zur Probe 
fam ich nicht zurecht, was auch wicht 
leiht gewejen wäre, da diejelbe auf 
zehn Uhr morgens angejeßt war und 


die Scheiben. Wahrhaftig — unter ich erit um — drei Uhr nachmittags 


mir hörte ich das ominöſe Gehämmer 


| aufwachte. 


— 


ko 


In Puidl fei größti Derirrung, 


und wir er fein ongni Schond af da Stroßn dazählt. 


PL 
SIT da Londitrogn loandln drei 


Notürler wird mar ausgluadht wir 


"337 Hondwerchsburſchn daher und a Schelm, klewa daj3 ma die Thür 
* 


dazöhln oanonder eaneri Roas— 
gſchichtn. Die zwen jüngern wiſſn 
nit gor viel, ober der älteri, der Teich— 
grober Luidl, der pockt ſädi aus. 

Ongfongg hot er miten Räſoniern. 
— Na, ſogg er ſchneidi, na wan ſchon 
amol 3 Betteln verbotn is, do hört 
ſih Schon olles auf! Natural=Verpflegs= 
ftazionen, notürla! MartereisBerpflegs= 
ftattonen full ’3 hoafin — war gſchei— 
ter. Hulzſchneidn wir a Bauer! Stubn— 
auframen wia die oltn Weiber! Boh- 
nen und Sauerfraut ſchlompn, dafs 
ma nochher kunt af d Höch gehn wir 
a Luftbalon! Und däs hoafins a 
Wuhlthätigkeits-Onſtolt — Zan Lohn 
3 8! Luſti ſchnollndruckn, fechtn, 
untern Heuſchöbern liegn ba da Nocht, 
wo ſein die gnatn Zeitn! Drum ſog 
ih jo, für die ormen Leut wirds olla— 
weil ſchlechter af der Welt. 

Und daſs ba de neugmodiſchn 
Wuplthätigkeitsonftoltn fa Segu Got: 
tes dabei is — nit um am Krenzer 
oana! — Düs lon ih beweiſn, ih, 
der Teichgrober Luidl, gebürti 3 Lotzu— 
dorf, Bezirk Hoberftodt. Loßts enks 
gſogg ſei, Kamerodn! An ovanzigi 
Berirrung, an vanziger Fehlgriff, und 
der Menſch iS unglüdla. Vaſpielt is 
3! — Nau olßa, hiaz fons füri gehn. 

Af der Martereis Berpflegsitazion 
Grabeljtoan Hobns über die Ihür in 
oltn Spruch hingſchriebn: Gott jegne 
den Ein= und Ausgong! — 3 guat, 
dent ih ma, wir id am Obnd eini— 
geb, Heint hon ih drei Silbergulon 
in mein Geldtafchl, wir ih an urdent— 
liher Menſch bin, a ſporſumer, ja 
fon3 ma ba den Sprud nit fahlır. 


aufmocht. Wera wirtfchäftlicher Menich 
i8 und fünf Gulon in Sädel hot — 
auſſi mit eahm! 

Nau, ih hon nur drei, Gott Lob 
und Donk, und wan da Segn dazug 
kimbb — nochher wern ma 5 Holt 
ſechn. 

A Schuaſtagſell is do und der 
kafft mar a Pfeifn Tabal oh. Dabei 
ſiah ih ſei gipidts Geldbeuterl, däs 
er in Dofnfädel ſchiabb. Haggera, 
dent i ma, däs war a Gufta! 

Aftn gehn ma ſchloffn. Wia die 
Gorbn afn Tenn, a ſo liegn ma noch 
der Reih afn Stroh, unſerer Dutzad 
ehrſami Hondwerchsburſchn, na gleich 
zan Ausſuachn. Ih hon mei Neſt 
in untern Egg und nebn mir ſchlofft 
da Schuaſtagſell. Und wir ih hiaz 
hör, daſs foana mehr brodlt, und wir 
ih ſiach, daſs ja ſchön kuhlfinſter is 
in da Stubn, denk ih ma: Hot ſcha 
recht, da Verwolter, daſs er mitn 
Nochtliacht ſport, ſporn und ſommeln 
muaß der Menſch, wan er 5 zu wos 
bringa will. Mei Nochbar Schuajta 
ſchnorcht als wir a Breterfoog. Sei 
Hoſn liegg gonz ſtill af da lonkun 
Bonk, wo mar unſer Gwond ban 
Schloffngehn hingflontſcht hobn. Mei 
Gedächtnus is mit ſchlecht und mit 
undonftbor, nau, fa follt ma s Geld- 
beuterl ein, va den ma da Schuaita 
3 Tabafgeld auffazäblt hot. Is Holt 
doh a Lump, da Schualta. Sei Geld 
verrachn — 13 3 nit Sünd und Schod 
drum? MWettn will ih nir, er is ab 
a Schnopstrinfer! Won er van friagg. 
Ober do kriagg er foan. Kortnſpieln 
am End ah? Er jhaut ma gonz das 


wu — — — 
. 
.. 2 
. 


noch aus mit fein ſchworzu Ranzne jund rihti: Mei Taſchl is wei. — 


bort, a3 wia wan er ah that fortn= | 
ſpieln. Is ſchon a vahöllter Nixnutz, 


der Schuaſta. — Geldbeutel, denk ih 
ma, ih will da z Hilf kema. Daſs 
du an Lumpn ſullſt onghörn müaſſn, 
däs leid ih nit. Zu mir kimſt, ba. 
mir hoſt as mit Schlecht, ih holt dih 
in Ehrn. Ober ftill fein, daſs & nit 
auffimbb. Da Schuaſta war grob gnua 
und verlongad3 wieder zrugg, der, 
Schondkerl, der verdädhtigi! — Das 
weil ih ba mir a jo roat, — exit 
wägn, aftn wogn, däs is mei Grund— 
jo! — fteigg mei rechter Fuaß ſchon 
auſſi afs folti Fletz; da rechti Yuap 
ollamol zerſt, daſs ma Glück hot, da 
linggi bleibb nit long zrugg, loßt ſein 
Komerodn mit alldan umgehn ba da 
Not. Und af jo und na fteh ih ba 
da Bont und juah in Schuafta ſei 
Hoſn aus. Hudri wudri, wo is 3 
dan? Gſchwind muaſs ma jei, as möcht 
vana gach munter wern und Liacht 
mohn, funt ma mit ſchönſter Manier | 
um fein guatn Nom fema. Gleih bon 
ihs ghobb, 5 Geldtaſchl, flurti auſſa 
van Schuaſta ſeiner Hoſn und eini 
in die meinigi, de gleim danebn ligg. 
— Aftn wieder ins Bett, Schön zua= 
bülln, Nochtgebet betn und in Gottes= 
nom jchloffn. | 

A guats Gwilin id a woachs 





verroth did mit felber! 


‚Mei Geld hobns ma gftuhln! will ih 
gleih ausjchrein, oba der Schußengel 
wiſchbelt ma zua: Luidl, Holts Maul, 
— Ob meint 
liabu Freund und BZmejchbnröfter, 
denkts enks: Hon ih in meiner Un— 
ſchuld mei Geldtaſchl aus meiner 


Hoſn podt und in ſeini eimi gitedt! 
Oes Leut, ih ſog enks, däs is a Bein 


gwen! Win da Schuaſta lacherlad 
meini drei Silberguldn aus mein 
Taſchl thuat und däs wedichmeißt, 
weils Schon über und über meama 
gonz neug iS gwen, wir er meini 
Silberguldn in fein Zeugl thuat, wir 
er aftır jei Felleiſn nimbb und jein 
Stedn, in Radezkimarſch wiſchbelt und 


‚davon marjchiert — mit meini Silber: 


guldn, de ih eahm ſelber zuagitedt 
bon in aner .unbegreiflichn Verblen— 
dung ba da Nodt, davonmarſchiert 
— däs is a Pein gwen! — Dera— 
wegn jog ih, Kinder, an vanzigi Ver— 
irrung, an ovanziger „Fehlariff, und 


'gfahlt iS 3! Und do hoaßts, ba de 


dummen Berpflegsitagionen war der 
Segn Gottes dabei! — Däs fints 
ma glabı, in febin Früamorgn, wia 


‚ma der böllafhi Schuafta davon gebt 


mit mein bluatoagnan, ehrlichn Silber— 
geld, in ſebin Früahmorgn hon ih a 
heilig Fürnehma gmocht: Stehln 


Ruakiſſn, ſei Lepper is s wohr, däs thuar ih neama. Won ſa ſich ober 
Sprichwort, weil ma ſelm noh nix wieder amol ſchickt, unſer liabi Frau 
Schlechts z Sinn gongen is. Scha woaß s! ja ſtell ih 3 gſcheiter on! 
hellliacht is gwen, wir ih munter — Schond und Spott kunt ma noh 
bin worn. Drauf noch der Krautfuppn hobn, wegn a ſo Dummheit! 

greifft da Schuaſter a weil ſo uma⸗ 

nond in fein Gwond und brumelt im | Erklärungen: Quidl: Ludwig; loan: 
jein Bort: Ih woaß nit — zwoa din: langfam, träge geben; jädi: aus 
Geldtafchler hon ih heint in meina dem Bollen, jättigend; jhlompn: eilig 


Ani __ &r? & : ; ; und unmanterlich hineinefjen; Flewa: faum; 
ae Gr? da Schuafta in feiner hingflontſcht: unordentlich hingemorfen. 
Ranynbort: Badenbart. Liaba Freund 
und Zweihbnröfter (ſprichwörtlich). 


Doin zwoa Geldtajchler ?! Kloau da= 
Ihrodn fohr ih in meini Hoſnſäck, 





Kleine Saube. 


Ein Krippenlied. 

Ein eigenartiges und deswegen inter 
ejlantes Bauerntrippenlied wird dem | 
„Heimgarten“ aus Miejenbach (bei Birk» 
feld) geihidt. Der Dichter iſt nicht be 
fannt; das Lied foll in jener Gegend | 
zur Weihnachtszeit noch häufig gelungen | 
werden. Es lautet: | 

Lost's, lost's, liabi Buama, | 

35 ſog ent hiazt an Gſpoaß. 

Wir ih heint Not will jhlofn | 
In Bett, wird ma recht hoak. 

| 
| 
| 








Is a feuriger Schwob ! hergflogn, 
Er bat mih recht derichredt, 
Hon d Hüll gihmwind auffa zogn, 
Und jchliaf unter die Deck'. 


IH, zittern gleih und ſchnelln 
Bor Ongft unter da Hüll, 

Wos wird der Schwob onftelln? 
Dent ih in oller Stil. 

Fongt er on zan gogazn? 

Js n 5 Maul aufgleint ® 
Thuat gor liablih gogazn: 

Bin dei guata Freund! 


Endla thua ih n frogn: 

He, Käfer, fog, wer biſt? 

Aft thuat er ma gleih jogn, 
Dais er da Streisbot is. 

Hot an Buſchn Briaff herzoagt, 
Mocht gleih draus a Gfong, 
Ih mul Hin und ber bon groadtt | 
Los und los gor long. | 


Er — mitn Händn gobeln, 
Und fchlogt ma ſchier ins Gfriß, 
Und ollweil auffa krobbeln, 
Ih woaß nit, wos dos is! 





!Echwabentäter, *gackern. RNaufgethaut. gedacht. 


Aft wir er mirs erklärt, 

Do bon ih wul brav glocht, 
Mei Load in Freud verlehrt, 
Weil er die Botſchoft brodt. 


Hot gioad,! es war geburn 
Zu Wetlahem in Stoll, 

A Kind, wul auserfurm, 
Uns zu erlöjen oll. 

Unfer Herrgott is da Boda, 
Die Muada Maria rein, 
Und Joſef hoaßt da Giota ? 
In Stoll ban Vieh julns fein. 





Wir er drauf fuat will gehn, 
Will er mih ah mitnehm, 

Ih thua holt 3 nochts nir ſehn, 
Hon gſogt, wurd nochhi fem, 
Kaum is er naus zur Thür, 
Do fluigt er flurs davon, 

Dis muaß an Engel jein, 

Weil er jo ſchön fluign Ton. 


Diaz gehts na, meini Buam, 
Gebt: nehmts ab enla Bipiel, 
Mir renen wir a Burn? 

Mir braudn jo mit viel. 

Ih nimm a por Pfund Feign, 
Da Lippel nimt in Bob, 

Da Schneider! nimt die Geign, 
Leicht gfollt in Kinderl dos. 


Gegrüßt fei, Jeſu Ehrift, 

Du Gott und Mensch zugleid, 
Zum Heil uns fommen bit, 
Führ uns ins Himmelreich. 
Mein Budellorb voll Sünd! 
Berzeihen thuſt mir dod. 
Verzeih, o göttlichs Kind, 
Nur dasmal, dasmal nod! 


! gelagt. "Oevatter, *Laufendes Rad. 





Und wan ih mei Berlob N 


Wul eppa gach vergiß, 

So loß ma gebn, und grob, 
A Waiſchn in mei Gfriß. 
Will leiden in der Zeit 
Recht willi Noih und Rein, 
Lab nur in Emigfeit 

Mich nit verloren jein. 


Unter Sceffels Banner! 


Eine Reifeerinnerung von Adolf Jaroſch. 
weiter Artilel. 

Es iſt oft wunderjam, wie die Reiſe— 
muje dem Fahrenden den Weg vorjchreibt. 
Der gute Aventin bat recht geiprocen, | 
wenn er meint: So einer in Die meite 
Melt fahren will, häng' er jeinen Ranzen | 
um, die guten Beifter leiten ihm felban- | 
der jeinen Weg. | 

Sp war aljo auch ih auf diefe Art 
unter der „Öueten Geift“-Leitung von 
einem Scheffel geweihten Ort in den andern | 
gelommen, und der war nicht der letzte. 

Nachdem ih von Mattjee geichieden, 
trug mich das eilende Dampfroj3 durch 
die ſchöne Mozartitadt an der Salzad, 
an den präcdtigen Käufern mit den feen- 
haften Königsichlöffern vorbei, nach der 
Kunftitadt Münden, in der Scheffel viel 
Süßes, aber auch viel Bitteres erleben 
mujäte. 

Hier bejuchte ih gleih am erjteu 
Zage Scheffels bejten Freund, Staats— 
rath v. Eiſenhart, mit dem er auch jeine 
Fahrt ins Salzkammergut gemadt, aus 
welcher ums Meilter Joſephus als poe- 
tiiche Beute den Entwurf und die theil- 
weile Ausführung der „Bergpjalmen* 
mitbracte, 

Neben diejen tieferniten Lauten er- 
fangen auf derjelbeu Reife auch wieder | 
im Zone der Carmina burana, genujs- | 
freudige und weltverlahende Gantilenen | 
der fahrenden, wie: 


„Hier trink' id befümmernislebig 
Lenzlüfte und fonnigen dein, 
Und wär’ ich der fFürft von Benebig, 
Mir könnte nicht wohliger fein.“ 


Und es folgt dann das befannte und 
viel citierte: 


„Richt neld' ih der Welt ihre Wonnen, 

Noch allen neunfarbigen Dunft, 

Etill liegen und einlam fih fonnen 
Iſt auch eine tapfere Aunft.” 


| 
i 
| 








Rofegger's „„Grimgarten‘‘, 3. Seft, XV. 


Meine Aufnahme bei Staatdrath v. 
Eifenhart war eine jo liebensmwürbdige, 
dafs ich mich während meines Münchener 
Aufenthaltes öfters einfand, und mit 
größter Bereitwilligfeit legte er mir nicht 
nur jeinen umfangreichen, hochintereſſauten 
brieflihen Verkehr mit Scheffel und deſſen 
familie vor, jondern verſprach auch das 
Mufenm in Mattjee mit Autographenſpen— 
den weiter zu bereichern. So hatte ich auch in 
Münden reichliche Anregung, meine Sceffel- 
forjchungen fortzujegen. Hiebei darf ich 
nicht vergefien, des  jcheffelfreundlichen 
Vereinsbankcajjierd Herrn Mar Friedl 
und jeiner liebenswürdigen Hausfrau zu 
gedenken, welche mich auf viel Scheffel- 
bezüglihes aufmerfjam machten, jo auf 
das herrliche Bildhauerwerf in der Kunſt— 
vereins » Ausstellung, darſtellend „Ekke— 
bard, Frau Hadmwig über die Klofter- 
jchwelle tragend”, in weißelten Marmor 
gearbeitet von Profeſſor Erlen, auf das 
Café Gijela in Münden, meldes durd 
prachtvolle Olasmalereien aus dem „Trom— 
peter von Säklingen“ Scheffeld Andenken 
ehrt, und vieles andere. 

Ein Ausflug von Münden führte 
mib nah dem wunderſchönen Starn- 
berger See, mojelbft ich den Dampfer 
beftieg und an dem geihmad- und jtil- 
(ofen -Denfmal der Unglüdsitätte des 
funftfinnigen Königs Ludwig II. vorbei 
nah Tußing fuhr, um den im Sommer 
bier weilenden Freund Scheffels, Uni— 
verfitätsprofeffor und Dichter Dr. Georg 
Ebers, zu bejuchen. — In denkbar jchönfter 
Lage, dicht am Ufer des Sees, der eben 
blühte, mit der mächtig wirkenden Aus— 
fiht auf die jchneebededten Berge von 
Chiemſee bis ins Algäu, liegt, vom Land- 
wege ganz verjtedt, die Billa Ebers auf 
der Nojeninjel. Mit wenigen Schritten 
vom Landungsplatze hatte ich fie erreicht. 
Durch eine Allee von Roſenbäumchen, die 
alle in volliter Blüte ftanden und mit 
ihrem beraujchend ſüßen Duft auf mich 
eindrangen, Ichritt ich dem Haufe zu und 
ein günftiges Omen, des Hauſes fchöne 
Toter blühenden Ausſehens, jelber ein 
Röslein, oder beſſer gelagt der Rojen 
Königin, übernahm freundlichit meine Mel— 


15 


dung bei Rapa. Bald darauf befand ich 
mich vor dem berühmten Ägyptologen, 
welcher — jeit längerer Zeit dur Krank— 
heit beläftigt mit einem ſchwarzen Tuche 
umbült, damit die durch das offene 
Fenſter wehende frifche Seeluſt ihm nicht 
ihade, — in einem Lehnſtuhle ſaß. 

Irog der Beichwerlichkeit, die das 
Spreden dem Dichter, deſſen Antlig 
gejundheitsjtrogend ausfieht, bereitet, er: 
zählte er mir mit einer Liebenswürdigfeit, 
die ihresgleichen jucht, viel Intereſſantes 
und Neues über jeine Beziehungen zu 
Scheffel, jo insbejonders die näheren 
Details über den jeinerzeit Aufjehen er 
regenden Fall Scheffel « Hieronymus Lorm. 
Faft eine Stunde dauerte unfere Unter. 
haltung, während der ich nur einige 
Fragen ftellte, der Freundliche Bejuchs: 
empfänger aber faft immer die Koſten 
der Unterhaltung trug. Mit neuem Willen 
und danfbaren Herzens verabjchiedete ich 
mid und bald darauf beitieg ih das 
Dampficiff, Ein nohmaliges Hutichwenfen 
im VBorüberfabren, und das herrliche 
Dichterheim entihmwand meinen Bliden. 

Zwiſchen üppigen, wohlgepflegten 
Jungwäldern — königliches Gejaid — 
in denen die Rehe rudelweis längs des 
Bahndammes grasten und beim Vorbei— 
fahren des Zuges, den ich in Etarnberg 
mit dem Dampfer vertaufchte, verwundert, 
aber ohne Scheu die Köpfe hoben und 
mit ihren treuberzigen großen Augen, Die 
mich an die jchönen blauen Mugen der 
Rojenkönigin in Tuging mahnten, dem 
raſch davoneilenden Train nacblidten, 
fuhr ih nah Münden zurüd, um von 
dort über Kempten weiter nad Rabolfs- 
zel am Bodenſee zu fahren, jene geweihte 
Stätte, die auserlejen war, dem Dichter 
des Eklehard den Lebensabend zu ver: 
ſchönern. 

Blitzſchnell trug mich das Dampf— 
roſs durch das Gebiet des burggekrönten 
Schwabenlandes und des Schwarzwaldes 
an mein Ziel. Während ſich meine Ge— 
danken mit dem jüngit QDurchlebten be— 
Ichäftigten, waren die Reifeftunden ſchnell 
dabingeflogen, — In Kempten lieb mich 
ein glüdliher Zufall mit dem beftbefann- 


226 





— — 





ten Scheffelbiographen und Leiter der 
Abtheilung Baden des Scheffelbundes in 
Ofterreih, Profeſſor Johann Stödle, zu— 
lammentreffen, der als Stneippgenie von 
Wörishofen — wo er des alljeits befannten 
Pfarrers Kaltwaſſercur gebraudte — 
fommend, meinen Weg theilte. 

In Radolfszell angelangt, konnten 
wir der jpäten Abenditunde wegen Scheffels 
Heim nicht mehr aufjuchen und begnügten 
uns daber, im Gaſthofe „zur goldenen 
Sonne” Sceffeld zu gedenken. War es 
doch hier, wo er gar heitere Stunden ver- 
lebte; denn wollte manchmal fein Sonnen» 
ftrahl der freude jein Herz erwärmen, 


„Dann dachte Meifter Scheffel Hug: 
KAömmt fie nicht ber zu mir, fo ſuch' 
Adı felber mir die Sonne auf — 
Und griff nah Hut und Stab darauf. 
Zu Etein am Rhein 
Da fehrt er fein 
Am Wirtshaus „zur goldenen Eonne* ein. 


Und der MWirtin blondzöpfiges Töch— 
terlein jang ihm feine eigenen Lieder vor, 
jo Ihön und rein, dajs fich des Meijters 
Herz baß daran erfreute. 


Und was ift nun? Der Dichter rubt; — 

Kalt war im Grab erit ded Herzens Blut. 

Die Maid einem Pfählein zum Weibe ih gab, 
Der jchnitt ihr die golpblonden Böpfe ab. — 


Des nächſten Tages gieng's an die 
Beihtigung von Scheffels Beſitzungen. 
Zuerit betraten wir das ältere Gebäude 
„Seehalde*. FEs war im Jahre 1871, 
als Scheffel mit dem Bürgermeilter von 
Radolfszell im Unterjee badend, zu diejem 
fagte, indem er auf ein Stüd Yand am 
Ufer zeigte: „Wollte man fi bier einen 
Wohnſitz bauen, dies wäre wahrlich der 
einzige noch freie Platz dazu,“ Der 
Pürgermeijter erwiderte, daß diefer Grund 
anderen Tags verfteigert würde, Scheffel 
faufte ibn und baute die Villa darauf, 
die er mit den Worten jchmüden lieb: 
„Seehalde, Gott malte.” — 

Einige Jahre ſpäter erwarb er fich 
dazu noch die mabegelegene Mettenan, 
eine zu Zeiten theilweiſe überſchwemmte 
Halbinjel im Unterjee, und ließ an das 
dort befindlihe alte Wohnhaus einen 
geihmadvollen Poetenthburm bauen, Auf 
der Mettenau, im damaligen Herrenhaufe 
ber Halbinjel, war im Jahre 973 Wolf— 
gang Graf von Nellenburg geboren worden, 


— —“ — u 
-'» 
= * 


der ſpätere Biichof von Regensburg, den 
Scheffel die herrlichen Bergpialmen in 
dın Mund legte. 

Faſt ein jedes Stüd, jo ſich unſerem 
Auge bot, war mit des Dichters Leben 
eng verbunden. — Selbit das Waſſer in 
der Küche hatte jeine Gejchichte. E3 war 
ein Geburtstagsgejhent der Stadt Ra— 
dolfszell. Sceffel hatte beim Erbauen 
der Villa au nach einem Brunnen graben 
laſſen, doch wahrjcheinlich wegen des auf 
der Höhe gelegenen Kirchhofes war das 
erbohrte Waſſer ungenießbar geweſen. Man 
hatte ihn wieder zuwerfen müjjen. - „Aber, * 
jo erzählte Scheffel jeiner freundin Alberta 
von Freidorf bei ihrem Bejuche einmal, 
„eine Rechnung habe ich doch zugejchidt 
befommen, als ob der Meijter Brunnen» 
macher mir da eine heilkräftige Geſund— 
heitsquelle hergejtellt hätte, Aber Mann, 
babe ih ihm geantwortet, wir haben ja 
accordiert für trinkbar Waſſer. — Ja 
Brunnen jei Brunnen, meinte diejer und 
gieng vor Gericht und bat mich verklagt. 
Ich legte meinen Accord vor und jagte 
ju den Herren: «Bin gerne bereit, die 
ganze Rechnung zu zahlen, wenn der 
Meifter Brunnenmacder da fich dazu ver— 
ſteht, das erjte Glas jelber auszutrinfen.» 
Der jchüttelte gewaltig mit dem Kopfe 
und fachte mit den anderen. — Aber 
ihlimm war's, die Dienftleute mujsten 
ſehr beihmwerlihb das Waſſer weit her- 
holen.” — Defto angenehmer die Über: 
raihung, als bei der nächſten Ankunft 
des Dichters in feinem Sommeraufenthalte 
auf einmal aus der Küche ein Iuftig 
Plaͤtſchern vernehmbar wurde. „Hätt' nie 
gedacht, daſs ich mich ſo über pures Waſſer 
freuen würde“, damit ſchloſs er ſeine 
Erzählung. 

Mit bejonderem Stolze itellte Scheffel 
jtet3 bie großen Fäſſer jelbjt gefelterten 
Meines vor: 

„Seewein, nicht gerade mit hochfeiner 
goldgedrudter Etiquette zu petichieren, aber 
ein recht gutes leichtes Tijchgetränf, haupt« 
jädhlih bei großer Hige zu genießen, von 
wegen feiner leichten Säure und zur 
Bowlebereitung vorzüglich.“ 

Abgejehen von dem Streite mit den 


T—— (rn 


eigenfinnigen Neichenauer Fiſchern, mit 
welden der etwas allemanijch hartköpfige 
Effeharbdichter wegen des Fiſchrechtes 
ihmwere Kämpfe auszufechten hatte, die 
jahrelang dauerten und endlich durch 
ein berubigendes [Wort des Herrn der 
Meinau, Se. fönigl. Hoheit des Groß— 
herzogs von Baden, beigelegt wurden, war 
Sceffel der Aufenthalt auf jeinem 
Sommerfite ein angenehmer und jein 
Gemüth erheiternder gemejen, wozu haupt- 
ſächlich die herrliche Lage beitrug. Ronnte 
er doch von dieſem Plate aus den Unter- 
ſee, die Reichenau, den Hohentwiel, Kon— 
jtanz und die Schweizer Berge bis zum 
Sänti3 überfehen, 

Er zog daher alljährlih im Herbite, 
wo fein Sohn Ferien hatte, auf das 
Landgut. Vielfach ſchweifte er dann nad) 
alter Gewohnheit im benachbarten Hegan 
oder der nahen Schweiz herum, Man 
traf ihn jelten zuhaufe, und auch wenn 
er wirflih daheim war, gelang es nicht 
immer, zu ihm zu fommen. Es hatten 
ſich vielfach Unberufene zu ihm gedrängt 
und ihn miſsbraucht oder beläftigt. So 
fonnte es denn pajfieren, dafs, wenn er 
einen jolden Zudringlichen von weitem an 
der Gartenthür bemerkte, er jelbit zu 
einem fleinen FFenfterchen heraus, wo er 
nicht gejehen werden fonnte, mit fräitiger 
Stimme rief: „Herr Doctor find nicht 
zuhauſe.“ 

Es gehen eine Menge Sagen in 
Radolfszell über solche Heimſchickungen. 
Ich will nur eine erwähnen. Eines 
Abends, ſpät neun Uhr, kamen ein paar 
Engländer ins Gaſthaus „zum Schiff“, 
Ichickten noch den Abend den Kellner auf 
die „Seehalde” und ließen Scheffel er- 
ſuchen, ins „Schiff“ zu fommen. Ohne 
eine Miene zu verziehen, klopfte diejer 
dem ihm woblbelaunten Stellner auf die 
Schulter und jagte ganz ernithaft: „Sag' 
er den Herren, die Fütterung jet morgens 
zwiihen 11 und 12 Uhr, aber neuer: 
dings nur gegen erhöhtes Entree.“ 

Auch unverſchämte Autograpben- 
ſammler ließ er mitunter herablaufen. 
Einer Engländerin, die ihm eine Bitte 
um ein Autograph unfranfirt zugeichidt 


15* 


228 


hatte, bemerkte er per Karte kurz und hat auch die deutiche Polizei das Ihre 
treffend: „Bildung macht frei.“ Einer | gethan, indem fie das Werk verboten hat. 
anderen, die willen wollte, ob der Es wurde auch wieder freigegeben und jo 
„Zrompeter“ oder „Ekkehard“ zuerſt er- iſt amtlich alles geichehen, um ein Buch 
ichien, malte er auf das erfte Wort ein zu fördern, das an revolutionärem Geiite 


großes 1, auf das zweite ein 9. Bon einer 
Penſion aus hatte er die Anfrage befommen, 
wie er die Stelle Goethes auffaſſe: 


„Alles in der Welt läfst ſich ertragen, 
RNur nicht eine Reibe von ſchönen Tagen.‘ 


Seine Antwort war kurz, derb aber 
ſchlagend: 


„Alles in der Welt läſet ſich ertragen; 
Rur nicht eine Reihe von dummen Fragen!” 


Ob die Wiener Inftituts3dämchen diejes 
Autograph wohl viel werden herumgezeigt 
haben ? — Beljer gieng es einer Dame, 
die ihn in Verſen um ein Autograph 
erjucht hatte. Er jchrieb ihr: 

„Hidigeigei ſpricht der Sater, 

Eonderbares Welttheater; 

Schrecklich find die Menichenfreiter, 

Schrechlich ift der Folter Kal, 

Eelbh der Autonraphenpreiier 

Ubt Graulamteiten ohne Jahl. 

Tennod lei's, ſagſon halb geſchunden 

Duld ich auch noch dieſe Wunden.” 

Gar manche dieſer Einzelheiten ver— 
danke ich meinem trefflichen Reiſecumpane 
Profeſſor Stödle, welcher ſie mir nad 
unſerer Beſichtigung von Scheffels Gütern 
im Gaſthauſe „zum Schiff“ erzählte und 
damit die Spaune Zeit, die noch bis zu 


unſerer Abreiſe und Trennung übrig blieb, 
fürzte. — Dankbar drüdte ih dem Ge | 
jcheiden | 


jährten die Hand, als mir 
mufsten und vom Bahnhofe das Gloden- 
zeichen zur Heimreiſe mahnte. 

Noch ein letzter Gruß dem traten 
Dichterheim, der Wiege jo vieler berr- 
liher Gedanken und ſchönen Pläne; noch 
ein Abſchiedswiuker vom Hohentwiel zum 


ſeinesgleichen ſucht. 

Nun, und was ſteht denn in dieſer 
„Kreutzer ⸗Sonate“ ? In dieſer „Kreutzer⸗ 
Sonate“, welche die Form einer Erzählung 
hat, ſteht erſtens, daſs der Mann ebenſo 
ſtreuge verpflichtet iſt, jungfräulich rein 
zu leben, als die Frau, und daſs auch 
fie das Recht hat, am Hochzeitstage von 
ibm zu verlangen, dajs er unjchuldig ſei. 
Und das iſt in Ordnung. Zweitens ſteht 
in der „Sreußer- Sonate“, dajs ein 
Menſchenpaar and in der Ehe jungfränlich 
bleiben ſollte, daſs es nad Chriftus ein 
Ehebruch jei, ſchon wenn ein Mann fein 
‚eigenes Weib mit begehrendem Blide an— 
fieht, dafs zwei Eheleute neben einander 
leben jollen wie Bruder und Schweiter. 
Endlich fteht in der „Hreußer- Sonate“, 
daſs die Geichlehtsliebe überhaupt nit 
von Natur aus nothwendig ift, dajs jie 
unterdrüdt werden könne und mülle, und 
dajs auf diefe Weiſe die Auflöfung des 
Menichengeichlechtes vor fich zu geben habe. 
Neben diejen Hauptgedanfen wird im 
Buche die Geihichte einer unglüdlichen 
Ehe erzählt, wie ſolche Geſchichten ſchon 
taujendfach erzählt und auf den Bühnen 
zur Darjtellung gebracht worden find. 

Es wäre ganz verdammt, wenn man 
dem Dichter aufjähe und etwas, das er 
ironisch gemeint, für puren Ernjt nähme! 
Man könnte ſich unſterblich blamieren. 
Aber dem Dichter iſt es mit ſeiner Lehre 
bitterer Ernſt, man fühlt den fieberhaften 


| 
| 
I 





projaiichen Coupefeniter berein; noch ein. A 
Bliger der ftahlblauen Flut des ſchwä- Pulsſchlag, der durch das ganze Buch tobt. 


biihen Meeres, und ich war dem Voden | zolftot gehört ber naturaliſtiſchen 


freundſchaftdurchſonnter Tage entrüdt. 


Die Rreuber- Sonate, 


Da madt ein Buch von fich Iprechen, 
das die „SHreuger- Sonate“ genannt ift 
und von dem rufliichen Dichter Tolitoi 
herrührt. 


Zur Verbreitung ſeines Rufes 


Richtung an, er ſchreibt fein Kunſtwerk 
im hergebrachten Sinne. Der naturaliſti— 
ſche Dichter wirft Probleme auf, ohne 
ſie zu loſen; er ſteigert Conflicte bis 
‚aufs aäußerſte, ohne einen Abſchluſs zu 
geben — immer eine gefüllte Wurft, die 
nicht gebunden iſt. Er Hagt und weiß 
feinen Troſt, er Hagt an und weiß feine 
Abhilfe. Ja, das können wir alle, dazu 
bedürfen wir feiner Dichter. Und wenn der 


were % 


2 


Naturalift etwas vorichlägt, wie unpraktiſch! 
Doch jeltiam, daſs hier der Naturalijt 
fih in einen Idealismus verfteigt, der 
märdenhaft ift, oder beifer, mie er nicht 
einmal in Märden vorfommt. Das na— 
türliche Verhältnis zwiſchen Mann und 
Meib aufheben zu wollen, weil ed mand- 
mal Unheil anridtet. Man joll das 
Ihmusige Bad einmal ausgießen, gut, 
aber man joll nicht das Kind mit dem 
Bade ausgieken, und am wenigften das 
Kind mit der Ehe ausrotten. — Die Liebe 
abbringen wollen! Wahrlich, das ift etwas 
Neues. Der Rufe hat den Drientalen 
und den Romanen an Rhantafie über: 
trumpft, aber er beruft fih auf Schopen- 
bauer, Nun find wir plan, Unſer 
Dichter jagt, finnliche Liebe wäre ber 
Menichheit zumider, ſowie die Ehe dem 
Chriſtenthum. Der Chrift müjäte die Che 
vermeiden! — Das werden fi unjere 
jungen Männer nicht zweimal jagen lafien 
und nur etwas frappiert jein, wenn fie 
nah Tolſtoi auch die Liebe vermeiden 
jollen. — Es iſt jonit taftlos von einem 
Recenjenten, wenn er einem Dichter vor» 
wirft, er wäre alt geworben. Dem ruſſi— 
ihen Grafen Leo Tolitoi darf man das 
getroft ins Geficht jagen, umjomehr, als 
man ihn gleichzeitig erinnern fann, dajs 
er auch einmal jung gemejen ift, die Liebe 
verherrlicht und fich ein glüdliches Familien- 
leben gegründet hat. Was er da in der 
„Kreußer-Sonate“ jagt, iſt nur geijtreiche 
Schrulle des jpeculativ gewordenen Greiſes 
— milder fann man e3 nicht verurtheilen. 

Das Buch hat aber eine Seite, die 
weniger harmlos ift, al3 die philoſophiſche. 

Nun denn noch ein Wort über jeine 
Erzählung. Zolftoi jchildert eine Che 
zwilchen zwei Menjchen, bei welden der 
Mann nur grob finulih, das Weib herz— 
los iſt. Die Ehe ift natürlich in höchſtem 
Grade unglüdlih und endet mit einem 
Morde. Es fommt vor. Allein, wenn 
der Dichter meint, daſs dieſe Ehe eine 
Durchſchnittsehe it, die Regel, das Ge- 
wöhnliche, jo beleidigt er die Menjch- 
beit, oder vielmehr, er jagt einen ihrer 
tollſten Irrthümer. Das iſt ja die ver- 


9 


daſs man meint, zwei Leute verſchie— 
denen Geichlehtes heiraten zujammen 
nur aus dem einen Grunde, um ihre 
finnlihen Bebürfnilfe normal befriedigen 
zu können. Dazu hätten mir wahrlich 
die Ehe nicht nöthig, dieſem Bedürfnifie 
gerecht zu werden gibt e8 eine Unzahl von 
Mitteln, die der Staat ja Janctionieren 
fönnte, wie er thatſächlich außer der Ehe 
Ihon mande ſolche Mittel janctioniert 
bat. Gibt es denn nicht auch andere, 
weit triftigere Gründe zur Eingehung 
einer Ehe? Die Sympathie zweier Men- 
ſchen zu einander, die harmoniſche Seelen- 
gemeinschaft, das Bedürfnis nah einem 
Gemüthe, dem man fich volllommen an« 
vertrauen fann, mit dem man bes Lebens 
Freude und Ungemach leichter erträgt 
als allein, mit dem man Intereſſen— 
gemeinjchaft hat, bei dem man fürs ganze 
Leben fich geborgen fühlen fann — das 
find die eigentlihen und maßgebenden 
Gründe zur Verehelihung. Der Boshafte 
wird bier einwenden: dann fönnten ja 
auch zwei Männer zujammenheiraten, 
oder zwei Weiber, dann jei die Ehe 
nicht3 als ein Freundihaftsbündnis. Und 
ich werde ben Boshaften auslachen, weil 
er jelber in die Schlinge geſprungen ift. 
Ya freilich muſs die Ehe ein Freundſchafts— 
bündnis jein; wenn fie das nit iſt, 
dann iſt fie unſittlich im tiefften Ab- 
grunde, Wenn du dir aber einen Freund 
erfiefeft, mit dem du Freud und Leib 
bis ans Ende theilen jollit, mit dem du 
ganz für euch beide eine Welt bilden 
fannft, jo wirft du dazu einen Menjchen 
wählen, der dir alles jein fann, der 
dir auch deine ſinnlichen Wünſche jtillt, 
mit dem du Nachkommen haben fannit 
und ber gemeiniam mit bir für Diele 
Nachkommen lebt und forgt. Die geichlecht- 
lihe Seite der Ehe, zwar an fih bie 
Hauptjadhe, wird alſo menſchlich und 
geſellſchaftlich zu einer Nebenſache, und 
die Hauptjache bleibt das ſittliche Ver— 
hältnis in der Che. 

Was ijt denn die Treue? Verſteht 
man unter ihr blok das ſich fürperlich 
Bewahren für den Geliebten? Sch nenne 


hängnisvolle Auffaſſung der heutigen Ehe, seinen Freund untreu, der mich belügt, 


230 


hintergeht, anderen zurüdjegt, mein Ver— 
trauen miſsbraucht, auf meinen Nachtheil 
binarbeitet, überhaupt unverläjslih und 
falſch iſt. Alſo kann auch ein Weib untreu 
jein, ohne fich mit einem anderen zu ver— 
geben, und ſolche Untrene kann unter 
Umftänden jehr jchlimm fein. 

Die „Kreutzer-Sonate“ hat für den 
Moment halb Europa berauſcht, von 
nachhaltigem Werte aber können jolde 
Bücher nicht jein, weil ihre Ideen ganz 
unpraltiich find und der menjchlichen Ge— 
fittung nicht Rechnung tragen. 

Es iſt nacdgerade roh von einem 
Dichter, wenn er — wie Toljtoi in jeiner 
„Sreuger- Sonate“ — die fittliche Anlage 
und Kraft im Menjchen jo ganz vergejjen 
ann oder abfichtlich verſchweigt! Zwiſchen 
jeinen zwei Ebeleuten, die er uns als 
Beijpiel der modernen Ehe hinitellt, 
berrjcht nichts als thieriſche Sinnlichkeit 
und teufliicher Hals. Zwei dumm heuch— 
leriiche Leute ohne Herz und Gemüth, 
ohne Wohlwollen und Mitgefühl, ohne 
geiftiges Leben, faſt ohne jedes Menſch— 
liche, das find jeine Helden, mit denen 
er etwas Rechtes beweiſen will! 

Hätte Tolſtoi jeine Ehejtandsgejchichte 
nicht verallgemeinert, jondern nur als einen 
Tall für fich dargeftellt, jo würde er damit 
eine große Wirkung erzielen. Denn diele 
zwei Leute find als Individuen mit einer 
Naturwahrbeit und Klarheit geichildert, 
die bewundernswert ift. Die Eiferjucht 


Mehrzahl meiner Mitmenichen! Oder — 
wäre es wirflih jo arg? 

Ich frage euch, Leſer, ift es wirklich 
jo arg? Steht es wirflih jo ſchlimm 
mit der modernen Che, daſs fie, anftatt 
nach Gottes Abficht den Menfchen zu ver- 
vollflommnen — ihn zu einem jchändlichen 
Heuchler, zu einem niedrigen Thiere macht ? 
Iſt es jo? Dann bitte ich auf den Knien 
dem Dichter Toljtoi das obengejagte berbe 
Wort ab und beihmwöre ihn, nädjtens 
womöglich eine noch viel jchärfere Peitſche 
zu Schwingen über eine Brut, deren Abfchen- 
lichfeit ohne Grenzen iſt. — Ich aber 
pade dann meine Siebenfadhen zufammen 
und mwandere dahin, woher ich gefommen 
bin. Zwar auch bei den Bauern gibt es 
Scheufale, aber die find? — wie Tolitoi 
jelbit zugibt — Ausnahmen. Denn bie 
Bauern find zu herb eingeipannt und zu 
hart gebettet, um jo jchlecht zu fein, „Die 
da”, jagte mir einft ein alter Bauer, 
auf fein Weib deutend, „die ift mein guter 
Kamerad !* und hat mit diefem jhlichten 
Worte eine ewige Wahrheit gejagt, wie 
fie in Zolftois welthaffendem Werke nicht 
zu finden ift, und eine Kritik geübt, Die 
fich entweder die modernen Eheleute oder 
der Verfaſſer der „Kreutzer-Sonate“ hinter 
den Spiegel jteden können, 

Indem ich nun etwas unwirſch ab- 
treten will, zupft mich noch der Leſer am 
Armling: Er möchte doch gar zu gern 
willen, warum dieſes Buch die „Kreutzer⸗ 


des Mannes und ihre tragische Folge Sonate“ heißt! Nun — offen geitanden, 


fann nicht padender dargeſtellt werben. 
Durch das Herz des Leſers gebt ein er 
jchütterndes Gewitter, Wenn er ſich aber 
jagen lafien muſs: Leſer, du bift auch 
von diefer Gattung, du bift in deiner 
Jugend auch ſolch ein niederträdtiger 
Wüftling gemweien, du fauftejt dein Weib 
auch, wie man eine Sclavin fauft und 
bältjt fie, wie man eine Sade, ein Ge. 
nujsmittel halt, und peinigft fie mit der 
unfinmigften Eiferfucht und wirft fie eines 
Tages noch umbringen wenn Der 
Leier fihb das jagen laſſen mus, jo 
ichleudert er das Buch dem PVerfafjer ins 


das weiß ich jelber nicht. Bei dem Titel des 
Buches fängt die Schrulle au, und bei 
dem Nachwort bört fie auf, R. 


Poetenwinkel, 
Im Weidicht tief... 


Im Weidicht tief, im Laubgeheg' 

Da fieng ſich ein fröhliches Vögelein; 
„Du Fürwitz, wer wird denn jo thöricht ſein 
Und täfst fi fangen ?" 

So droht und lat und jpringt vom Steg 
Zum Böglein, zum bangen — 


Geſicht und ruft a Wer gab dir das Recht, Das Mägdlein, riſch! durch Binf’ und Buſch, 
mich jo zu beſchimpfen! Mid und die Machi's Vöglein frei, und fort iſt's, huſch! 


Sn —— — 


Im Weidicht tief, im Laubgeheg’ | 
Da haſchte ein Anabe das Mägpdelein; | 
‚Du Fürwitz, wer wird denn fo thöricht fein | 
Und läjst fi fangen!“ 
So zwitihert aud und fingt vom Steg | 
Das Böglein ohn’ Bangen . | 
Da jpringt davon das Mägdlein, huſch! — 
Allein — e3 fing fih doch im Buſch!. 
Anton Augaft —9— J 


Mein Keichthum! 
Sonett. 


Ich tauſche nit mein Los mit all den 
Großen, 

Die ihren Gott nur ftet3 im Beutel tragen. | 

Sie mögen irdifhen Befis erjagen — 

Mir bat das Reich der Schönheit fidh er: 
ſchloſſen! 


Hier zeigt ſich mir das Leben lichtum— 

Hofien, | 
Wie ſich's gezeigt mir hat in Jugendtagen — | 
Und wenn die Sorgen auch am derzen 
nagen: 


Hier werden ſie mit Stolz zurüdgeftoßen!| 





Die Kunft allein nur ift daS wahre Leben! 

Ein hold’ Gediht in Warben, Worten, 
Klängen — 

Mir ift es lieber als das Bold der Großen! 





Drum gilt der Kunſt mein ganzes Thun 
und Streben. 
Es mag die Welt nah Mammons a 


drängen: 
Mir hat das Rei der Ehönheit fih er: 
chloſſen! 
Joh. Peter. 
Glück. 


Das Glüd ift wie ein Schmetterling: 
Er flattert vor dir ber; | 
Du haſcheſt nah dem fleinen Ting, 
Doch fängft du's nimmermehr; 


Es eilt und nedt und lodt dich mit 
Durch Wieſen und durch Au'n, 

Mit jedem Schritt, mit jedem Tritt | 
If's hübjcher anzuſchau'n. | 


Du fühlſt die heiße Sonne nicht, 
Springft über Stod und Stein — 
Denn endlih dann der Sonne Licht 
Erblajst, ftehft du — allein! 





Bom nahen Baume blidt auf di 
Der Schmetterling und ladt: | 
„Der bat für nichts und wieder nichts | 
Biel Mühe fih gemadt!* | 

©. Aiſqbach. 


Mie will im Lied ich milfen. 


Nie will im Lied ich miffen, 
Mas Dichterbruft durchzieht, 
Denn alle follen willen 

Des Sängers Herzenslied; 
Umdräut ihn Sorg’ und Plage, 
Erfült ihn ſel'ge Luft, 

Ein Lied für all die Tage 
GErtön’ in feiner Bruft. 


Wenn es auch manchmal tojet 
Zur öden Winterszeit, 

Des Lenzes Zephyr koſet — 

Wo bleibt dann noch das Leid? 
Der holde Frühlingsmorgen 

Mit ſeiner Luſt und Pracht 
Verſcheucht die trüben Sorgen, 
— Das Glück fommt über Nacht. 


Nur Alltagsmenſchen blendet 

Das unbeſtänd'ge Glück, 

Der wahre Dichter wendet 

Darob doch nicht den Blid, 
Denn jeine Lichtgedanten, 

Die formen ein Gedicht, 

Das Glüd mag ihn umfhwanfen, 
— Ihm lächeln oder nit... 


Drum mag im Lied erflingen 
Mas Dichterbruſt durdzieht, 
Dass alle fünnen fingen 

Des Sängers Herzenslied, 
Denn eines Dichters Leben 
Das jei wie ein Gedicht, 

In feinem ganzen Streben 
Sei er uns Bild und Licht. 


A. ©. Dembigki. 
Die Lieb' iſt jenes But. 


Die Lieb’ ift jenes Gut, 
Das mir am hödften frommt; 
Doch nicht die flüchtige Lieb’ 
Die nur von außen fommt, 
Die Liebe, die durchdringt 
Das ganze Weltenrund 
Und, eine Perle, ruht 

Im tiefften Herzensgrund, 
Die, ſelbſt in Ketten frei 
Und an dem Sreuzespfahl, 
Das ärmfte Los madht rei 
Durd ihren Himmelsftrahl. 


Die, ftärler als der Tod, 
Eich nährt von ewiger Glut, 
Die nie erlöfchen kann 

In aller Waller Flut. 

Die einer Flamme glei 
Hinauf zum Himmel fliegt 
Und all was finfter ift 

Und talt und ftarr, befiegt, 
Die niemals Arges dentt, 
Die fih der Wahrheit freut, 
Die alles weiß und lann, 
Sich aus fi jelbft erneut. 


Das eine, ewige Wort, 
Das war von Anbeginn, 
Das einzige, das löst 
Des Weltenräthiels Sinn, 
Und das in fih beſchließt 
Eo winzig es auch jei, 
Vollzahl der Tugenden 
Geſetz und Bücherei. — 


O Liebe, höchſtes Gut, 

Du einziges Gefühl, 

Des Lebens, Leidens wert, 
Erhab'nes Dajeingziel! 

Was wäre ohne did 

Denn Glüd? Ein leerer Schall. 
Was wäre doch daS ganze, 
Große, weite All? 

Ein finnreih Räderwerk 

In riefenhaftem Stil. 

Des Lebens Luft und Leid? 
Armſelig Poſſenſpiel. 

Der Geiſt? Erkenntnis, Schauen 
So ohne Himmelslicht, 

Dem es, ein Gott zu ſein, 

Am Höchſten ja gebricht — 
Du nur biſt ſchöpferiſch, 

Biſt frei, biſt wert allein 

Auch ewigen Lebens Ziel 

Und ewiger Preis zu fein. 


ZB Babe geträumt, 


Sch habe geträumet 

Von Liebe und Glüd, 

Und fand aus dem Traume 
Mich nicht mehr zurid, 


Es quält mid im Schlafe 
Ein nächtlich Geſicht, 
Sein bittendes Auge 

Das Herz mir zerbricht. 


Ernſt Soling. 


Abendfriede. 


Der Abend naht, der Klang verhallt 
In Feld und Wald, 

Nur einzeln mildes Singen: 

Die Lerche, froh den Tag durdhlebt, 
Leistrilleend ſchwebt 

Zur Saat mit matten Schwingen. 


Die Amſel fingt vom Wipfel hod 
Ihr Liedchen nod 
Sie will den Abend loben; 

Die Grille zirpt, noch zwitſchert's leis 
Ringsum jo leis, 

Auch flimmt ein Sternden oben. 


Das Blümchen ſchließt fein Auglein zu 
Zur jühen Ruh’, 

Bewegt von frifhem Wehen; 

Das Männden huſcht jo jelig traut 
Ins Neſt der Braut, 

Sein Pläschen zu bejchen. 


Jetzt Hingt des Glödleins heller Schall 
Durchs ftille Thal, 
Ins Herz der Schlummermüden, 
Und wie der fFeierflang verhallt, 
Ruht Feld und Wald, 
Das Dörfhen jhon in Frieden. 

Sans Mükenfhnabel. 


Des Frühlings Todtenfeier. 


Kaum war die Halde blütenneu, 
Kaum prangte bunt die Wiefe: 
Hat aud ſchon abgemäht das Heu 
Der Lorenz und die Lieſe. 


Die Senje gibt der Flor' den Ref, 
Es regt fih Senn’ und Meier. 
Die Heumahd ift fein frohes Feſt, 
Iſt eine Todtenfeier. 


Es trauern fill in düftrer Ruh’ 
Die Weiden und die Erlen; 
Weihwaſſer fprengt der Thau dazu 
In jonnenhellen Perlen. 


Es fingen leis ein Todtenlied 

Die Grillen und die Unten 

Den Blumen, die auf Flur und Ried 
So früh dahingejunfen. 


Wehklagend wie ein Trauerdor 
Die Blumengruft fie hüten; 

Und füher Weihraud fteigt empor, 
Der Duft von taufend Blüten, 


Woher die file Trauer ftammt 
Im faum verjüngten Jahre ? 
Wen halten fie das Todtenamt ? 
Der Lenz liegt auf der Bahre, 
Stewa Surg. 


Rirche Maria SKrepenftein 
(iin St, Peter nächſt Leoben). 


Du liebes Kirchlein auf der Höhe, 
Wie freundlih ſchmückeſt du das Thal, 
So oft nad dir empor ich jehe, 
Fühl' ih erbaut mich jedesmal. 


Und wenn den Felfen ich erfliegen, 
Der did auf feinem Scheitel trägt, 
Und jeh’ zu meinen fFühen liegen 
Das Thal vom Walde rings umbegt; 


Das Dorf umrahmt vom Grün der 
Wieſen 

Und — wo die Sonne niedergeht — 

Den weiten Kreis der Bergesrieſen 

In ihrer ſtillen Majeſtät: 


Da fühl’ ih andachtsvoll erhoben 
Die Bruft, es drängt mich zum Gebet, 
Wo von der Dämmerung umwoben 
Tas Bild der Muttergottes fteht. 








Das Schwert im Bufen, blidet milde 
Herab die hohe Dulderin, 

Und vor den: hehren Gnadenbilde 
In tiefer Wehmuth ſink' ih hin. 


Mer bier auf feinen Knien lieget. 
Dem iſt die Tröftung auch gewiſs, 
Bon der Erhab’nen Schmerz bejieget 
Erftirbt die eig'ne Kümmernis. 


Darum in jedem neuen Leiden 
Schn’ ih mi nad dem Fels zurüd 
Und nad dem Bild der Benedeiten 
Mit jeinem janften Troftesblid, 

Du liebes Kirchlein auf der Höhe, 
So hilfreih mir und wohlvertraut, 
Dich lieb' ich, bis ich einft vergehe, 
Und jegne den, der di erbaut. 


Alfred u, Oltenthal. 


Da Fabler. 


Heint is der Kiritag, 

Alli Buab'n ſchau'n mir nach, 
Denl'n fi: „O vaflirt, 

Der is heint feſch zſammagwigſt!“ 


Hab a neigs Nödl a, 
Boanani Anöpf vura, 
Am Leibl Röfarl drauf 
Und a jhöns Hüatl auf! 


Alas das pafst ma guat, 
D'Fedarn ftedt ah am Huat! 
Hab ah a Tajdhenuhr 

Und Zwanzga mehr wie gmua! 


Dans nur fehlt zu da G'ſchicht, 
Dass in mein Millig’ficht 

Koa Schnurrbort wadj'n will, 
Das gifft mi in da Still! 


Heint frag i d’ Margareth, 
Obs mit mir tanzen geht? 
Dö ſchaut mi an ganz ed, 
Endli jagts: „Gehft ma weg! 


Muaßt jho no moarten bis 
Ubars Jahr Kirtag is, 
Willſt jein a ganzer Burn, 
Ghört a Bort ah dazua!“ 


Iofef Berger. 


Die Spinnerin. 


Ih fit und fpinn 

Und da fimpt mir in Sinn, 
Daſs ih glüdla funnt fein, 
Bann du mein warft, mein! 


Doh groß is die Welt, 
Und die Welt regiert 's Geld, 
Und a reis Dirndl is 
An fhean Buam ollmol gwiſs. 


Wann ih 's jo betragt — 
D Reihthum und Pradt — 
Wia viel hat das Guld 

Nit vadorbn und vaſchuldt! 


Dös fimp mir in Sinn 
Mal i dafis und fpinn, 
Und woaß nar i alloan, 
Wiar i bitterli woan. 
Haus Fraungruber, 


Drei Bögel. 


Eine Legende 


Es war an jenem jchrednisvollen 
Freitage, als unjer Herr in Tobespein 
am Kreuze bieng. Und es war um die 
jechite Stunde, und es ward eine Finſter— 
nis über das ganze Sand, bis an die 
neunte Stunde; und die Sonne verlor 
ihren Schein. Da kamen drei Vögel ge 
flogen vom Aufgang gegen Untergang 
und erreichten die verruchte Stätte von 
Golgatha. Zuerit fam Vibe, der Kibitz, 
und al3 er ſah, was da verbrocden, 
umflog er das Kreuz und freilchte mit 
böslihem Rufe: „Pin ham! pin ham! 
Peinigt ihn! Peinigt ihn!“ Darum ift 
der Kibig für ewig verflucht und findet 
nimmer Ruhe noch Raft, Er ift verdammt, 
jein Neſt immer in angitvoller Klage zu 
untfreifen, denn feine Eier auf dem Moos 
werden jtet3 geraubt. Nad dem Kibit 
fam Storf, der Storch, und bejammerte 
und beflagte die Unthat. „Styrk ham! 
ıstyrk ham! Stärkt ihn! ftärkt ihm!“ 
| Tautete jein dringendes Mahnen. Des» 
‚halb ift der Storch gefegnet und überall 
| willlommen, wo immer er fich niederläist, 
und jein Neit auf dem Firſte bleibt 
bewahrt und behütet. Zuletzt erichien 
Spale, die Schwalbe, und rief, als fie 
gewahrte, was da Entjeßliches geichehen, 
mit lebender Bitte: „Sval ham! sval 
ham! Labet ihn! labet ihn!“ Darım 
ı wird die Schwalbe von allen geliebt, 
| und fiber baut fie ihr Neſt unter dem 
Dache der menſchlichen Behaufung, gudt 
vertraulich durch das Fenſter und nimmt 
Antheil an dem ftillen Glüd des fried- 
lihen Heims. Ungeftört und bejchügt 
wohnt fie im ſtolzen Palaſt mie in ber 
ärmiten Hütte, 


| — 





Die Undenflidkeif 


der Namensunterfchrift. 


Man erzählt, dajs ein des Schreibens 
unkundiger türfiiher Sultan einjt, als 
man ihm einen wichtigen Erlaſs zur 
Unterſchrift vorlegte, mit drei Fingern 
in das taftlojerweife ihm vorgebaltene 


bei erjteren beionder3 da, wo der Name 
jhon oben auf dem Recept gedrudt jteht. 
Zweifellos iſt es wohl, daſs der bier 
bejprochene Fehler am meiften bei den 
Subalternbeamten fih findet, beionders 
bei der Poſt und im Gerichts. und Ma- 
giſtratsweſen. 

Den Vorwurf mangelnder Gewiſſen— 


Tintenfaſs gegriffen und durch eine kühne, —5— kann man nicht erheben, da 


auf dem Papier vollzogene hakenförmige 
Figur ſeine allerhöchſte Beſtätigung ge— 
geben habe. Bekanntlich iſt dieſes Zeichen 
noch heute als großherrliche Unterſchrift 
auf Siegeln und Münzen, ja ſogar auf 
türkiſchen Teppichen und Muſtern vielfach 
zu ſehen, und jedermann kennt oder er— 
fährt leicht ſeine Bedeutung. Wenn nun 
ein Nachfolger Mohammeds mit Recht er— 
warten durfte, daſs alle Welt dieſe aus 
augenblidlicher Eingebung hervorgegangene 
Hieroglyphe verftehen und fih damit be— 
gnügen würbe, jo ijt eine ſolche Erwar— 
tung bei anderen, tiefer jtehenden Sterb- 
fihen doch noch feineswegs berechtigt. 
Wie verbreitet aber dieſe ftolze Annahme 
zu fein fcheint, geht aus der täglichen | 
Beobachtung hervor, dajs viele Männer — 
die frauen zeichnen fih auch in dieſer 
Dinficht wieder rühmlih aus — ihre 
Namensunterjchrift jo undeutlich vollziehen, 
daſs das geübteite und mühlamfte Auge 
fie unmöglich zu entziffern vermag. Das 
häufige Vorkommen dieſes Unfugs 
wird gewiſs niemand beſtreiten, es muſs 
ſich dasſelbe doch alſo auf beſtimmte Ur— 
ſachen zurückführen laſſen. In welchen 
Kreiſen finden wir nun am häufigſten 
die umdeutliche, ja unlesbare Namens» 
unterſchrift? Nicht in denen der Kauf— 
leute, weil die Deutlichleit der eigenen 
Adreſſe ſchon im Gejchäftsinterefle Liegen 
mag und der Firmeninhaber das Gegen- 
teil vielleiht — und mit Recht — als 
ein Unrecht gegen feine  weltberühmte 
Firma anſehen würde; ebenfo find bie 
Namen der Geiftlihen und Lehrer mit 
geringen Ausnahmen recht leſerlich ge— 
fchrieben, bei letzteren wohl hauptfächlich 


aus pädagogiihen Rüdfichten; häufiger ! 


jedoch ijt die Undentlichleit und Unleſer— 


lichkeit Schon bei den Ärzten und Juriſten, | 


über dieſen unſer Beamtenftand erhaben 
ift; es bleibt alſo als Urſache nur übrig: 
eine gewiſſe Bequemlichkeit in der Voll- 
ziehung der Unterfchrift, oder die Annahme, 
daj3 eine von der gewöhnlichen Hand» 
ſchrift abweichende Eigenthümlichkeit der 
Schriftzüge der Unterichrift etwas Wür— 
diges, Ausdrudsvolles und Männliches 
gebe, und gerade das lektere fcheint in 
der That recht häufig der Fall zu fein; 
denn wir jehen oft, daſs gerade Männer 
mit recht gut lesbarer, ja jchöner Hand» 
ichrift ihren Namen aufs unlejerlichite 
jchreiben. Ja jollte nicht vielleicht jogar 
ein Kleines Theilchen Eitelkeit zumeilen 
dabei jein, indem man Sich jchmeichelt, 
dafs gerade diejes monjtrös bingeworfene 
Schriftbild eben durch diefe Verzerrung 
bald ein allgemein bekanntes oder gar 
berühmtes fein werde? Für dieſe An« 
nahme jpricht auch der Umſtand, dajs 
in jolcher Unterjchrift nicht nur die rich— 
tige Form der Buchjtaben, jondern auch 
ihre Richtung in der Zeile verkehrt, d. b. 
der Name nicht von links nad rechts, 
jondern direct von oben nad unten oder 
mindeftens ganz ſchräg geichrieben ift, was bei 
den Urhebern dieſer Schreibräthjel bei au— 
dern Wörtern nie vorfommt. ine folde 
Eitelkeit ijt, wenn wirklich vorhanden, 
ihon an und für fich zu milsbilligen ; 
wie aber ſteht es mit der Berechtigung 
obiger Urjachen, und darf überhaupt die 
Undentlichteit und Unlesbarfeit der pri— 
vaten oder amtlichen Namenzunterjchrift 
in Urkunden, Atteften u. j. mw. geduldet 
oder muſs ihr im allgemeinen Intereſſe 
ernjtlich entgegengetreten werden? Wir be 
haupten ganz entichieden das letere, und 
es jei gejtattet, dies durch einzelne Bei— 
fpiele zu begründen. 

Wenn jemand unter irgend ein Schrift- 





ftüd feinen Namen ſetzt, jo fann dies 
doch nur den Sinn haben, dafs er 
für den Anhalt des Gejchriebenen mit 
jeiner Perſon, ob einfach, feierlich, ſtreng 
amtlich oder jonftwie genommen, voll ein- 
tritt. Dies fann ter Umftänden ganz 
gleichgiltig fein, 3. B. wenn mir ein 
Freund die Geburt jeines jo und jo vielten 
Kindes, eine weit entfernte Tante ihre 
Abreife ins Bad, ein College die glücklich 
angelommene Gratulation zu einer längjt 
erwarteten Beförderung oder ähnliches 
mittheilt. In jolchen Fällen läjst man 
gewöhnlich wicht bloß die Unterichrift, 
jonderu jchon die legten, beinahe phrajen- 
haft gewordenen Zeilen ungelejen. Ganz 
anders verhält es fih mit Schriftſachen, 
die unter Umftänden ſehr wichtig werben 
fönnen. Es dürfte 3. B. wohl zu ben 
Seltenheiten gehören, dal3 man den Na- 
men eines Rojtbeamten leſen fann, der 
die Aufgabe eines gejchriebenen Briefes 
oder einer Geldjendung auittiert, und ift 
die3 zu dulden? Kann man die Forde— 
rung einer durchaus lejerlichen Unterjchrift 
mit dem Hinweiſe darauf zurüdweijen, 
dai3 man die Perjon des Beamten ja 
nöthigenfalls von der vorgejegten Behörde 
leiht erfahren könne? Dann hätte dieſe 
Unterschrift überhaupt feinen Wert, und 
e3 würde ein Kreuz wie das des Wallen- 
ftein’ihen Generals bei der Tafelicene 
ebenjo genügen. Die Schnelligfeit bes 
Unterjchreibens und die hieraus fich er— 
gebende Undentlichkeit mit dem Mangel 
an Zeit zu entichuldigen, iſt deshalb un— 
ftatthaft, weil für einen geübten Beamten 
fih die Schnelligkeit jehr leicht mit ber 
Deutlichkeit verbinden läſst. Soll weiter 
ein ärztliches, vielleicht jehr wichtiges 
Atteſt, deſſen Ausfteller ich abſolnt nicht : 
zu entziffern vermag, für mich als den 
Enticheidenden trogdem ohne weiters giltig 
jein, bloß weil ih mit Mühe ein Dr, 
und ſonſt nichts weiter lejen fann, oder | 
joll ih nun erit — man bedenfe bie, 
Unannehmlichkeiten — ein neues mit les— 
barer Unterichrift fordern ? Der Vorſtand 
einer Religionsgemeinde — ein kürzlich 
erjt vorgefommener all — fordert zur | 
Bewerbung um ein Stipendium und zur 





235 


Meldung an einen der Unterzeichneten 
auf, und es bedarf dazu erjt eines ſorg— 
fältigen Nachlefens im Worejsfalender, 
wer wohl dieje beiden Unterzeichneten jein 
mögen, einer Arbeit, die auch dann erft 
durch genaue Vergleihung mit den räthjel- 
haften Schriftzügen zum Ziele führt. 
Solcher Beifpiele gibt es gewijs hunderte, 
und wir fragen: ift das erlaubt? Soll 
in unjerer phrajenreichen Zeit auch noch 
die Unterjchrift zur Phraje und ihr erſt 
durch oft mühevolle, vielleicht gar zu jpät 
zum Reſultate führende Nacforfchung 
Sinn und Wert verliehen werden, bloß 
weil ihre Urheber zu bequem waren oder 
aus irgend einem andern Grunde ihren 
Namen unlejerlich jchrieben ? Mir fallen 
uns furz dahin zufammen: Die unlejerliche 
Namensunterfchrift ift unter Umftänden 
Ihädlih, aber vermeidlih, daher ſtets 
unftatthaft, und die daraus folgernde 
Yorderung lautet: die vorgejeßten Ber 
hörden jollen bei ihren Untergebenen auf 
eine durchaus beutlihe Namenszeihnung 
auf das entichiedenjte dringen und das 
Publicum das Gegenteil nicht unbean- 
ftandet hinnehmen, und im furzer Zeit 
werden wir bieje Unart zum Wohle und 
im Intereſſe aller ausgerotiet jehen. 

Bei uns in Öfterreih ift das wie 
in Deutjchland, und in Deutjchland wie 
bei uns, weshalb die „Deutſche Revue“ 
die obigen mannhaften Worte für deutliche 
Namensunterichriften einſetzt. Wir ſchließen 
uns diefer Kundgebung lebhaft an. Die 
Sade kann unter Umſtänden wichtiger 
fein, als ſie jcheint. 


Zehn goldene Kegeln 
für Ebeftands : Gandidaten, 
Don franz X. freibeim. 


I. 
Willſt du ein Eh’glüd gründen dir, 
So folge meinem Rath, 
Sieh bei der Braut nicht bloß aufs Geld, 
Ob fie ein Herz auch hat. 
Ein gut Gemüth allein nur fann 
Verſüßen dir das Leb’n, 
Das Geld jedod kann für das Glüd 
Nie fefte Bürgihaft geb’n. 


II, 
Tas ewig Weibliche beglüdt 
Ten Mann dur alle Zeit, 
Ein Mannsharakter bei der frau 
Führt oft zu Zank und Streit, 
Denn was fie für Charakter Hält, 
Und fie fih dünft fo groß, 
Das ift gar oft, wie viel erprobt, 
Der Eigenfinn nur bloß, 


II. 


Vor Mädchen, die nervös aud find, 
Sci Vorfiht jehr empfohl’n, 

Eonit fannft ftatt einen Engel du 
Dir einen Teufel hol’n; 
Empfindlichkeit und Launen fann 
Nicht jeder Mann ertrag’n, 

Wer da nicht Vorficht walten läjst, 
Dat tief es zu beilag’n. 


IV. 
Niht Schönheit fol beftechen dich, 
Dass fie den Ausihlag gibt, 
Eich wohl, ob fie, die dir gefällt, 
Die Häuslichkeit auch Tiebt. — 
Vergnügungsfuht und Modetand 
Eind feine Himmelsgab’n, 
Serftören oft des Glüd's Bilanz 
Dir zwiſchen Soll und Haben. 


V. 
Gelehrte Frau'n find zu empfehlen, 
Tem Mann von gleicher Art, 
Denn wichtig ift, dafs Gleiches nur 
Zum leihen da fid paart; 
Denn wo der Bildungsgrad der Frau 
Den Eh’mann überragt, 
Das letzte Wort gern immerdar 
Die Frau im Haufe jagt. 


VI, 
Die Frau, die Reinlichkeit auch liebt, 
Doc fie nicht übertreibt, 
Iſt für den Mann ftets ein Gewinn, 
Der vortheilbringend bleibt; 
Tod von den Fexen jei gewarnt, 
Eonft mujst du did bemüh’n, 
Noch vor der Thür, wenn heim du 

fonmft, 

Tie Stiefel auszuzieh'n. 


VII. 


Die Küche iſt der Hausaltar 

Für jedes brave Meib, 

Liebt fie den Mann, fo findet fie 
Tort ihren Zeitvertreib; 

Beſorgt die Kliche zwar die Magd, 
Tie Frau hat nachzuſeh'n, 

Und ſoll die edle Kochkunſt do 
Zum mindeften verſteh'n. 


...r 
Au 


VII, 


Zemperamente gleicher Art 
Sind nit empfehlenswert, 
Bejonders bei Koleritern, 
Wie die Erfahrung lehrt. 
Ein Spridwort jagt, wie allbekannt, 
Und ging noch niemals fehl: 

„Zwei harte Steine mahlen nie 

Ein brauchbar gutes Mehl.“ 





IX. 
Trifft eine Witwe deine Wahl, 
So ſäume früher nicht, 
Zu forschen, was von ihrer Treu 
Und Häuslichleit man jpricht. 
Iſt da ihr Ruf nicht malellos 
Als gute treue Frau, 
So nimmt fie'3 dann beim zweiten 

Dann 

Wohl auch nicht jehr genau. 


X, 
Da nit zu finden allvereint, 
Was zu der Eh’ gehört, 
So ift do einzeln Mandes oft 
Wohl der Beachtung wert. 
Drum fei ja nicht ein Rigorift, 
Eonft haft dirs zuzuſchreib'n, 
Tajs du, all zu pedantifch ftreng, 
Ein Junggefell mujst bleib’n, 


Bücher. 

Heue Weiſen. Lieder und Naturgedichte 
‚von Bictor von Andrejanoff. (Riga, 

‚a. Stahl.) j 
| Die ruffiiche Literatur weist tüdhtige 
Lyrifer auf, gewifs, aber ebenfo gewiſs ift 
es aud, dafſs die ruffiiche Literatur im 
ganzen eine verneinende Richtung verfolgt, 
ob nun der Literat in deuticher, ruififdher 
oder in einer anderen Sprache des Rieſen— 
reiches ſchreibt. Diefer Zug ift ihm viel: 
leicht in demielben Make eigen, wie dem 
fterreicher ohne Unterſchied feiner Nation 
der warme Herzenston — eine Eigenthüm— 
lichleit der Literatur und, da ih hier nur 
von der ruffiihen reden möchte, insbeſon⸗ 
dere der ruſſiſchen Literatur, die nicht in 
der Eigenthümlichkeit des einzelnen Stam— 
nes, jondern wohl wo anders liegen dürfte. 
Den anderen Örund hier zu erörtern, dazu 
fehlt es mir an zwei Dingen: an Raum 
und an — Luft. — Der ruffiihe Boden 
ift troß des eingangs erwähnten zufälligen 
und glücklichen Umftandes für reine Lyrif 





nicht ſehr empfänglich; er fördert mehr Re: 





flerions: Poefie zutage. Victor von Ans 
drejanoff behauptet zwar im Vorworte 
zu feinen „Neuen Weiſen“: er habe bei 





Zujammenftellung der vorliegenden Aus- iſt es ihm, und wichtig, zu erfahren und 
wahl ängftlih alles vermieden, was gar zu beobadien, wie die Vorfahren geiftig 
zu Sehr „nad Meflerionspoefie geſchmeckt gelebt, gedacht und gedichtet haben, Der 
hätte“; trogdem wage ih zu behaupten, | Gefechte haben fie Poefie gegeben in der 
dafs das Gehaltvollere, das feine Samm- | Sage, dem heimifhen Boden haben fie 
lung enthält, nah dem ängfllih Ge- | Seele gegeben durch die Sage, Ereignifien 
miedenen „Ihmedt“. SEonderbar, was er und Ortüchkeiten haben fie in der Sage 
als | Empfindungspoefie niederzufchreiben ideale Denkmäler errichtet, welche die Werte 
glaubt, wird oft dur den Neihthum von Menihenhand weit überdauern. Hei: 
jeiner fi drängenden Gedanfen, ihm wohl miſcher Sagenſchatz ift eine goldene Stette, 
jelbft unbewufst, zur „Bedanten-Dichtung“. welche uns geheimnisvoll verbindet mit un: 
Dabei vertieft er die Gedanken und feilt ſeren Voreltern und mit der heiligen Scholle 
fleißig an der form. Hervorragend ift das | des Vaterlandes. Iene Weltanihauung der 
Gediht: „Die Schule des Lebens“, in wel: | Bergangenen, deren urgermanifcher Orund: 
chem er uns den Philifter, den Skeptiker, zug Myſtik, Tapferkeit und Gerechtigleit 
den Frommen, Goethe, Shelley, Schopen: |war: in der Vollsjage dämmert fie uns 
bauer, den Realiften, den Idegliſten und noch herüber wie Nordlihtichein, zu dem 
den Dichter in harakteriftiichen Außerungen | wir bewundernd, begeiftert aufbliden, ohne 
vorführt. Im Streite zwiichen dem Idea: daſs es uns zwar als Leuchte dienen fönnte 
liften und dem Realiften läjst er den Dichter | auf unjeren Wegen. Auch dort, wo die Sage 


jagen: ſcheinbar frei von aller Tendenz ift, wo fie 
Der freie Menich ergreift dad Leben ganz troden und ernfthaft erzählt, was 
Und nüht ed, wie er fann umd mag. \uns als finnlos und grundlos erjcheint, 
Se a een aud dort und gerade dort muſs man tiefer 
Gr mübt ſich, Dauer zu verleihen bliden! Was fih jahrhundertelang erhält 
Dem fücht'gen Bild der ſchnellen Zeit, und lebendig fortpflanzt von Mund zu 
ar con Munde, in dem liegt gewijs etwas, das 
Das rechte Bild berausjuficten der menſchlichen Natur nahegeht; iſt es an 
an * in . ift — der Oberfläche nicht, ſo liegt es in der 
J [4 e „sorm e u verdichten 4 3 3 
Bleibt, mein’ ri — ideal! — | Tiefe. Die Form der Sage und maß jie 


‚ Wir haben es jedenfalls mit einem 104 —— ist ke — 
in einer langen Schule geläuterten dich— | ohne dafs wir fie im Sinne der Alten 
terifchen Talente zu thun. — glauben. Aber der Gehalt der Sage, ihr 
— Geiſt bleibt wahr, weil er immer wieder 

die menſchliche Artung und die menſchlichen 

Sagen aus der grünen Mark. Von Leidenſchaften aufzeigt und weil er, mit 
Hans von der Sann. Illuſtriert von Vorliebe die poetiſche Gerechtigleit walten 
Georg Weineiß. (Graz. Leyfam. 18%.) laſſend, dem Sittengejete dient. 

Diejes wahrhaft prädtig ausgeftattete Das ftimmt wohl für die große Mehr: 
Werk, welches der Kronprinzefjin-Witwe zahl der Sagen, und in diefem Sinne möge 
Stephanie gewidmet ift, mag furz charal- die gegenwärtige Sammlung verftanden 
terifiert jein, indem wir das Vorwort des: | werden. 
jelben abdruden. j e | Wenn cin Dichter fi der Sage be: 

Eines einführenden Begleitihreibens mächtigt, jo macht er mehr aus ihr, oder 
bedarf diejes Buch nit. Der es verfajst auch weniger, als was fie von Haus aus 
bat, ift in den fteiriichen Landen längft iſt. Mander hat auf Grund der Vollsſage 
befannt, als Schilderer des Volkslebens | unfterbliche Dichterwerle geihaffen. Mancher 
geachtet und als heimijcher Sagenforſcher freilich hat die Sage dur „Bearbeitung“ 
hochverdient. Er ift der hervorragendfte nur verwäflert und entftellt. Hans von der 
Vertreter der fteiermärfijchen Sagentunde. | Sann erzählt, wie man Sagen erzählen 
Sein großes Material ift in den „Mythen ſoll, ſchlicht, gedrängt, ohne Zuthat umd 
und Sagen aus dem ſteiriſchen Oberlande* | ohne MWeglafiung, ohne Betrachtung und 
bisher nur zum Theile veröffentlicht worden, | ohne Deutelung; wie er fie dem Bolfsmunde 
zum größeren Theile bereitet es ſich noch abgelauſcht, jo bringt er fie treu und une 








— von Tag zu Tag wachſend — auf den |verfäljcht wieder. Nojegger. 
Trud vor, 

Diefe gegenwärtige Sammlung ift eine | 
gewählte Ausgabe für das Roll. Dem | Gulturbilder aus Steiermark. (Graz. 
Volke, was des Volkes ift! Nicht, als ob Verlag Leylam.) 
das heutige Geſchlecht der Sage, der Mythe, | Dies Werk, das feine Entftehung der 


Landesausftellung 1890 verdanft und unter 
Mitwirtung hervorragender Fachmänner 
herausgegeben wurde, ift beftimmt, ein ums 


der Legende, dem Märchen mit jener kind: 
lihen Ginfalt gegenüberftünde oder ftehen 
follte, wie in alten Zeiten, aber interefiant 





238 


faſſendes Bild der wirtichaftliden und culs 
turellen GEntwidelung der Steiermark zu 
geben. — Aus dem Inhalt heben wir die 
einzelnen Wrtifel wie folgt heraus: Der 
Boden Steiermarfs und jeine Benützung. 
— Der Weinbau, — Der Branntwein. — 
Die foreftalen Berhältnifie in Steiermart 
im legten Decennium 1880/90. — Stein: 
brüde in Steiermarf, — Über die Dampf: 
mafhinen in Steiermart, — Die Bier: 
production in Steiermart, — Steiermarfs 
Eiſeninduſtrie. — Die Zündwarenfabri- 
cation Steiermarls. — Die Tertilinduftrie 
Steiermartds. — Die Kunftinduftrie in 
Steiermarl, — Der Bronzegujs und deſſen 
Meifter in Steiermark, — Kirchliche Bau: 
funft in Steiermark. — Die italienischen 
Baumeijter in Steiermarf im 16, und 17. 
Sahrhundert. — Die Förderung des Frem— 
denwejens. — Gin Namens: und Orts: 
regifter. — Das Werf behandelt jonad 
viele wichtige Zweige des wirtſchaftlichen 
und Gulturlebens und zwar, dies jei aus— 
drüdlih bemerkt, in populärfter Weiſe; es 
enthält ein jo reiches culturgeihichtliches, 
volfswirtihaftliches, techniſches und ſtati— 
ftiiches Material, daſs es nicht nur für die 
Steiermarf allein, jondern für alle, welche 
fi mit dem geiftigen und materiellen Leben 
dieſes Kronlandes vertraut maden wollen, 
ein wichtiges Hilfsmittel iſt. Wir fönnen 
dies Merl auf das angelegentlichite em: 
pfehlen und wünſchen demfelben die weitefte 
Verbreitung. K. 


Märden, Für die Jugend ausgewählt 
und bearbeitet von Hermine Möbius. 
(Dresden, Wlerander Köhler.) 

Mer fih zur Weihnachtszeit für feine 
lieben Kinder nah Märchenbüchern umſieht, 
der darf mir ja diejed genannte Werfchen 
nicht überſehen. Dasielbe enthält erjtens 
die beliebteften deutſchen Kindermärden, 
zweitens find diefe Märchen jo fein und 
überaus reizend erzählt, und drittens hat 
das Buch einen guten Drud und ſechs 
hübſche Bollbilder. Die Märden find mit 
großem Schide bearbeitet, nachgedichtet oder 
wieder gedichtet und für den jehigen Ge: 
ihmad eingerichtet, die Sprade ift voll: 
fommen rein und gefällig, aljo ein gutes 
Vorbild für die jprechenlernende Jugend. 
Die Verfaſſerin, die Gattin eines bewährten 
Schulmannes, ift ja ſelbſt als eine treff— 
liche Pädagogin befannt — aljo wir gehen 
fiher, wenn wir unieren flindern die Mär: 
heniammlung von Hermine Möbius im die 
Hand geben. 


Bugendheimat. Iluftriertes Jahrbuch 
für die Jugend im Alter von 10—15 Jahren. 
Herausgegeben von Hermine Proſchko. 
(Graz. Berlag Leyfam.) 


Zum fünftenmale erfheint nun dies all— 
jeitig anerfannte und beliebte Jahrbuhd — 
wir conftatieren mit wahrer freude, Ddais 
fi Diejes erſte inländiihe Jugendalbum 
von Jahr zu Jahr, jowohl was den Inhalt 
anbelangt, wie auch den Bilderfhmud, reich: 
baltiger und fchöner geftaltet und den ſchön— 
ften derartigen Ericheinungen des Auslandes 
würdig zur Seite geftellt werden kann. 
Hermine Projchko, die öfterreihiiche Jabella 
Braun, hat aud diefen Jahrgang in forg: 
fältigfter Weile redigiert, fie verſtand es, 
einen großen vortrefflihen Mitarbeiterfreis 
heranzuziehen, wodurd jeder Mifsgriff der 
Yugend gegenüber ausgeſchloſſen iſt. Alte 
Beiträge find Driginalien und darf deren 
Inhalt, da folde den {Federn der eriten 
Jugendicriftfteller und Schriftſtellerinnen 
entjtammen, als jehr wertvoll bezeichnet 
werden. Aus dem 411 Seiten ftarlen In: 
halt fer erwähnt: Drei Capitel aus dem 
Lebensbucdhe Rudolfs von Habsburg, von 
Ferdinand Zöhrer, — Ein halber Robinjon. 
Grzählung aus dem Seeleben von Dr, Yfidor 
Proſchko. — Waldbart. Ein Weihnadtsmär: 
Ken von Eliſe Ris. — Ein Tirolerfind. Erzäh: 
lung aus der Zeit des fFrangoieneinfalls in 
Tirol, Bon Hermine Proſchko. — Die flügel: 
lojen Bögel, Naturwifienihaftliches Bild aus 
Neu:Sceland von Andreas Reiſchel. — Die 
gerettete Fahne. Epifode aus den bosni— 
ichen Feldzug 1878. Von Kurt von Felau, 
— Aus Mozarts Yugendjahren. — Die 
unterirdiiche Stadt (Wieliczta). Bon ler. 
Dalla. — Kindesliebe. Aus dem Boll: 
leben Alt-Wiens. Bon Dr. Iſidor Proichto. 
— Die Königsfamilie unferer Wälder. 
Naturbild von Helene Stödl. — Das bren: 
nende ſtirchlein. Bon Carola v. Schierding. 
— Der redende Schimmel. Bon W. Popper. 
— Trußröschen. Märdenfpiel in 3 Acten 
von Emma Laddey zc. Dazwiſchen find cin: 
geitreut Bere, Räthſel in Wort und 
Bild, Spiele, Sprüde, Stammbudblät: 
ter, Nechenaufgaben :c., furz die „Jugend: 
heimat“ bringt eine jolde Fülle des Unter: 
haltenden und Belehrenden, wie es faum 
ein zweites Buch dieſer Art bieten fann. 
Selbftverftändlich zieren wieder viele colo: 
rierte und ſchwarze DOriginalzjeihnungen 
von Emilie Proſchko, Ernit Peſsſsler und 
Georg Weineiß diefen Band, Auch fei nicht 
vergefien, dajs die „Nugendheimat* mit 
der in öfterreihiichen Schulen vorgeſchrie— 


benen Rehtihreibung verjehen if. Wir 
find überzeugt, daſs diefes Buch überall 
große Freude bereiten wird, K. 





In Bamerlings Belbiibiographie wird 
der Lyriler Albert Möfer in Dresden 
unter denjenigen genannt, mit welchen der 
Dichter in „regem Briefwechſel“ geftanden. 
Diefe Briefe Hamerlings an Möfer werfen 





239 


nit nur die intereflanteften Schlaglichter 
auf die Entftehung jeiner eigentlichen Meifter: 
werte, jondern enthalten aud die eigens 
artigften und treffendften Urteile über viele 
Eriheinungen der deutichen Literatur. Nicht 
minder zeigen fie Damerling als Menſchen 
von der liebenswürdigften und edelften Seite, 
Wir fommen auf das bei Lüftenöder in 
Berlin erichienene Werkchen nod —— 


Im Verlag von Hans Lüſtenöder in 
Berlin erſchien ſoeben in 5. Auflage: Carl 
Pröll, Moderner Kodtentanz. Der bedeu— 
tende Erfolg, dajs eine Sammlung feiner 
Skizzen innerhalb dreier Jahre die 5. Auf: 
lage erlebt, beweist, dajs Form und In— 
halt diefer Skizzen fi über das Gewöhn— 
liche und Alltägliche erheben müſſen. Die 
5. Auflage ift durch einen neuen Beitrag 
„Der Granatjplitter* bereichert, wel: 
her im gleichzeitig realiftifher und ſym— 
bolifcher Weiſe die Frage der durd Kaifer 
Wilhelm 11, in Flufs gerathenen ſocialen 
Schuggefegbung ftreift und den Nüdtritt 
des großen Kanzlers berührt. V. 





Wiener Rünſtler⸗ Dekamerone. Soeben er: 
ſchienen die erften Lieferungen diefes Wertes, 
das von Moriz Band redigiert und von 
Rudolf Wittmann (Wien, I., Rothenthurm: 
firaße 23) herausgegeben wird. Un der 
Spige fleht der Senior der Wiener Kunft: 
feitifer, Emerih Ranzoni, mit einem präch— 
tigen einleitenden Gedichte, ihm folgen mit 
Erzählungen und Porträts Marie Renard, 
Alerander Girardi, Alfred Grünfeld, Frie— 
derife Goßmann, Mar Kalbeck, Julius 
Wittels, Thereie Biedermann, Ludwig Mar: 
tinelli, Bertha von Suttner, Theodor Herzl, 
Emil Marriot, Garl Grengg, Katharina 
Abel, Felix Schweighofer, Sebaftian Stel: 
jer, Ifidor Fuchs, Wilhelm Anaad, Dr, 
Rudolf Tyrolt, Guſtav Walter, Thomas 
Koſchat u. ſ. w. Das Werk ift elegant aus: 
geftattet, T 


Der fiebenundvierzigfte Jahrgang des 
von Friedrih Per herausgegebenen 
„Zluftrierten öferreihifhen Bolkskalender‘‘ 
1891 (M. Perles, Wien) bringt an der 
Spike feines literarifchen Theiles eine ge: 
miüthstiefe Erzählung von Ludwig Anzen— 
gruber: „Der Verſuchung unterlegen,* Man 
fünnte fie gewilfermaßen einen Gruß aus 
dem Grabe bezeichnen, Alois Greil hat 
meifterhafte Bilder hiezu gezeichnet, wie 
überhaupt zu allen Erzählungen dieſes Volks— 
buches. Der ganze Inhalt des Vollskalen— 
ders ift reihhaltig und abwechslungsvoll 
jowohl in feinem unterhaltenden, als aud 
in dem praltifhen und belehrenden — 


Phantaſien und Märchen von Guſtav 
Kaftropp. Mit einem Titelbilde von 
Dito Seit. (Hannover. Hans Waſſerkampf 
& Comp. 1891). 

Der frei erfundene Inhalt diefes Buches 
lehnt fih nit an PVorhandenes an und 
bereichert daher die Märdenliteratur um 
eine eigenartige Erfcheinung. Diefe Phan: 
tafien und Märchen in ihrer duftigen kry— 
ſtallkllaren Vollendung, in dem ſchlichten, 
naiven Ton, führen fih als wahre Bolts: 
märden ein und werden insbefondere auch 
der heranwachſenden Jugend eine ebenio 
bildende wie unterhaltende 2ectüre gewähren. 

V. 


Die Arbeiter-Partei und der Bauern 
fand. Ein ernftes Mort in ernfter Zeit von 
Carl Morre. (Graz. Verlag „Leykam“. 
1890.) Eine Beiprehung diefer ausgezeich— 
neten Brojhüre folgt im nädften Hefte. 

R. 


Die „Büngerhalle in Leipzig veröffent: 
liht in ihren Nummern 45 und 46 einen 
von Heinrich Waftian fein und klar geſchrie— 
benen Auffag über das Schmölzer-Dentmal 
in Rindberg, welches befanntli von unferem 
genialen Meifter Branpdftetter ausgeführt 
wird, 


Dem „Heimgarien“ ferner zugegangen: 


Gefammelte Werke von Ludwig Un: 
jengruber, Sechſster Band: Der Pfarrer 
von ſtirchfeld. Der Meineidbauer. Die 
Kreuzelichreiber. Siebenter Band: Der 
G'wiſſenswurm. Doppeljelbftmord, Der Ile: 
dige Hof. (Stuttgart. J. G. Cotta'ſche Ver: 
lagshandlung. 1890.) 

Hamerling, Rönig von Bion, Illuſtrierte 
Pradt:Ausgabe, Lieferung 18 u. 19. (Ham: 
burg. Berlagsanftalt und Druderei:W.:G.) 

£otte, Die Geichichte eines jungen Mäd— 
hens von Einar Ehriftianfen. Deutſch 
von Ernft Braufewetter. (Berlin.Y. 9. 
Scorer.) 

Die neue Bitarde, oder Hermann Die: 
derichs des Jüngeren verfehlter Beruf. No: 
velle von Heinrich Steinhaufen. (Wit: 
tenberg. R. Herroſé. 1890.) 

Aufzeichnungen eines Danziger Rlofter: 
bruders, Bon Anna Conwentz. (Weimar, 
Yüngft & Comp. 1891.) 

Don der Strecke. Ernſte und heitere Ge: 
fhichten aus dem Eifenbahnleben von Lud— 
wig Eifenberg. (Wien-Leipzig. Heinrich 
Brodhaufen. 1891.) 

Der Lebende oder der Fodte? Don Ame— 
lie Rives. Ins Deutſche übertragen von 
Henry Kod. (Frankfurt a, M. €, Kor 
nitzer. 1890.) 


240 


Aus Both-Rufsland, Berfplittert., Zwei 
Novellen von Hermann Mentes, (Dres: 
den €, Pierjon. 1891). 

Die Pfidt. Sociales Drama in fünf 
Acten. Bon Gottfried Doeher. (Berlin. 
2. Fontane 1890.) 

Epiſche Pihtungen von Nitolaus Les 
nau. (Reihenberg. D. H. Weichelts Verlag.) 

Ausgewählte Gedidhte von Nilolaus 
Lenau. (Reihenberg. D. H. Weichelts 
Verlag.) 


Lyriſche Hhtungen von Edward Sam: 
haber. (Laibach. Jg. v. Kleinmayr & Fed. 
Bamberg. 

Ueue Gedichte von Marie v. Naj— 
mäjer. (Stutigart. Adolf Bonz & Comp. 
1890.) 

Bum Licht. Gedihte von Hermann 
Hango. (Stutigart, Adolf Bonz & Comp. 
1890.) 

Herr Servin, Ein Minnelied von Paul 
Albers, (Groſſenhain. Baumert & Ronge. 
1890.) 

Im Windesraufgen. Epiſche Dichtungen 
von Helenevon Engelhardt. (Grojien: 
hain. Baumert & Ronge. 1890.) 


Bamenkörndhen, 100 Gedichte für fin: 
der von 4d— 8 Jahren für Sindergarten, 
Schule u. Familie von Erneftine Ber: 
ger. (Wien. Sallmayer’iche Buchhandlung.) 


Deutſche Volkslieder. In Niederheſſen 
aus dem Munde des Volles geſammelt, mit 
einfaher Glavierbegleitung, geihichtlichen 
und vergleihenden Anmerkungen. Heraus: 
gegeben von Johann Lewalter. (Ham: 
burg. Guſtav Fritzſche. 1890.) 

Mit Yerlaub. Gedicht in niederöfterreis 
hifher Mundart von Mori; Schadel. 
(Wien. Earl Konnegen. 1891.) 

Bauernfeld, Gin Dichterporträt mit pers 
fünliden Grinnerungen von Bernhard 
Stern. (Leipzig. Literariſche Anftalt. 1890.) 

Giacomo Meyerbeer. Bon Dr. Adolph 


— — nn nn nd 


Baden-Baden, u. V. F. Schirmer, Bfarrer 
in Düfjeldorf. (Emil Sonmermeyer. Baden: 
Baden.) 


Trowihſch's verbefferter u. Alter Aalen: 
der auf 1891. Mit iluftrierten Erzählungen, 
(Berlin. Trewigih & Sohn.) 


Bur Bee. Herausgegeben von v. Kent 
und Niethe. Lieferung 1. (Hamburg, Ber: 
lagsanftalt und BDruderei:4.:G.) 

Der junge Bürger, Nr. 1. III, Jahr: 
gang. (Dornbirn 1890.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


£. M. Bafel. Einen Menſchen wie Hein: 
rih Heine, dem alles für einen Wig feil 
ift, vergleiden Sie an Dichtergröße mit 
Goethe! Und das jollen wir abdruden? 

3. O., Braunfcdmweig. Wir glauben, dafs 
Ihnen Klaußmanns feinfinnige Qumoreste: 
„Freie Fahrt“ gefallen hat. Die Humo— 
reslen diefes Autors finden Sie im Verlage 
des beftbefannten Schorer’fhen Familien: 
blattes in Berlin. 


„Dolksblatt‘‘Freund, Linz: Sparen Eie 
fh Ihren Geift und Ihre FFünffreuzer: 
Marlen für befiere Zwecke; anonyme Briefe 
legen wir ungeleſen in den Ofen. 


©. H., Wien. Wiſſen Sie denn nid, 
daſs Herr Sch. in feiner uneigennütßigen 
Meife den „Figaro“ ohne Gehalt redi- 
giert? 

2 A. M., eili, Die Auslaffungen in 
der „Deutihen Wacht“ Nr. 91 bedauern wir. 
Die Schwächen eines Schriftitellers mit dem 
Aufwande aller Mittel lächerlich machen, die 
Vorzüge vollends verjchweigen, diejes Ver: 
fahren trägt zufehr den Stempel perjönli: 
her Gehäffigteit, als daſs es gelten könnte, 
Anton Schloſſars Werte: „Inneröfterreis 
chiſches Stadtleben vor hundert Yahren“, 
„Erzherzog Johann von Defterreih und 
jein Einflufs auf das Eulturleben der Steier: 


Kohut,. (Leipzig. Philipp Reclam jun.) mark“ u. j. w., ſowie feine große Samnı: 


Aus bewegtem Leben. Erinnerungen aus | 


lung deutiher Bollslieder in Steiermarf, 


dreißig Kriegs: und Friedensjahren, von | Feiftungen, die das deutſche Volf in Eid 
Hans Wahenhufen. Lieferung 1-9. | und Nord zu ſchätzen weiß, find Verdienfte, 
(Straßburg i. E., Straßburger Druderei | die ein gewiffenhafter Kritiler nicht überſehen 


u. Berlagsanftalt.) 


Ernfle Gedanken. (Leipzig. Otto Mir 
gand. 1890.) 

Das geiflige Wien. Künſtler u. Schrift: 
ſteller-Lexilon. Herausgegeben von Ludwig 
Gilenberg u. Richard Groner. Jahr: 
gang 1890. (Wien. Heinrih Brodhaujen, 
1890.) 

Altkatholifher Bolkskalender. 1891. Her: 
ausgegeben von H. Bommer, Pfarrer in 





ſoll. Wenn übrigens Schloſſar fih darüber 
wundert, daſs er gerade in einer Stadt fo 
behandelt wird, der er in feinen Schriften 
mit Wohlwollen oft gedadt, fo fennt er 
den Weltbrauch nicht. Indes fteht über 
jenem Aufſatze ein hochachtbarer Name, und 
wir zweifeln nicht, daſs der Träger desſelben 
die vom Zaune gebrochenen Feindſeligkeiten, 
welche ihr Entfichen vielleicht fremdem Gin: 
fluffe verdanfen, gelegentlih weit maden 
wird, 


Hür die Redaction verantwortlib F. A. Bofegger. — Druderei „Leplam* in @raj. 








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XV. Jahrg. 


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Was man fid in Benedig erzählt. 


Bon Bobert Hamerling. 
(Fortjegung.) 


1II. Ber ponte della donna Bi Überlieferung verfchweigt, erblidte 
onesta. bei Gelegenheit eines Öffentlichen 

Schauſpiels in der Volksmenge die 

n jener Zeit, als die Benezianer ſchöne Ginevra und wurde von hefti— 

noch nicht die gutmüthigen, | ger Leidenſchaft für ſie ergriffen. Über— 
— wohlgeſitteten Leute waren, die müthig, wie er war, und nicht ge— 
ſie heutzutage ſind, ſondern ein rauhes, wohnt, ſeinen Neigungen einen Zügel 
in blutigen Fehden faſt verwildertes anzulegen, verfolgte er von jenem 
Voll, wie die Bewohner von ganz  Augenblide an das ſittſame Weib auf 
Italien in den kriegeriſchen Zeiten des allen Wegen und Stegen, ſo frech, daſs 
Mittelalters, in jener Zeit geſchah es, feine Begegnung ihr die Schamröthe 
daſs in einem jeßt verfchtoundenen ins Geficht trieb. Und dennoch konnte 
Haufe, welches gegen den fpäter jo ge= fie fich nicht entjchliegen, ihren Gatten 
nannten ponte della donna onesta davon zu benachrichtigen, denn fie 
gewendet war, ein ehrlicher Schwert= | fürchtete mit Recht, dafs Giovanni bei 
feger ſeine Werkftatt aufgejchlagen diefer Nachricht ſich zu einem unbedach— 
hatte, Meifter Giovanni — dies war ten Schritte gegen den mächtigen PBatri- 
jein Name — beſaß ein ſchönes und | zier hinreißen lafjen und ein verderb— 
ſehr tugendjames Meib, namens liches Unheil heraufbejchwören fönnte. 
Ginevra, das er erſt vor kurzem ſich Meiſter Giovanni war im übrigen, 
angetraut hatte. wiewohl auf Wahrung ſeiner Ehre 
Ein junger Edelmann von alter, mit Eifer bedacht, nicht eben eifer— 
einfluſſsreicher Familie, deſſen Namen füchtig; im Gegentheil, er hatte ein 


Koſegget's „‚Heimgarten“‘, 4. Geft. XV. 16 





beinahe blindes Vertrauen auf bie 
Tugend des Weibes, in welchem er, 
und nicht mit Unrecht, einen Engel 
an Tugend und Züchtigfeit erblidte. 

Der Edelmanı fieng an, feinen 
Bedarf an Waffen von Meifter Gio- 
danni zu nehmen, und unter anderen 
Beltellungen, die ihm einen Vorwand 
boten, die Werkitatt des Schwertfegers 
öfters zu befuchen, trug er dieſem 
eine3 Tages die Anfertigung eines 
furzen Dolches auf, der von feinften 
Stahl und mit cifeliertem Griff ver- 
jehen fein ſollte. Dies Waffenſtück 
foftete dem Meifter eine lange und 
angeftrengte Arbeit, und er feßte jeinen 
Stolz darein, bei diejer Gelegenheit 
ein Meifterwerf zu liefern, geeignet, 
den guten Ruf feines Namens weit: 
hin zu verbreiten, 

Ginevra leiftete oft in Mußeftunden 
ihrem Manne bei feinen Arbeiten 
Geſellſchaft. Als fie ihn nun fo eifrig 
und lange mit der Vollendung jenes 
Dolches beichäftigt Jah, fo fragte fie 
arglos um den Namen des Beltellers, 


AS nun der Meifter ihr den Namen | 


des Edelmannes nannte, da erbleichte 
Ginevra und fie wußste ſelbſt ſich nicht 
Rechenſchaft zu geben, welche Unglücks— 
ahnung wie ein mörderiſcher Stich in 
jenem Augenblicke ihr Inneres durch— 
drang. 

„Die Waffe ift vortrefflich“, ſagte 
Meifter Giovanni, „und fo fein, als 
nur ein Fürft fie verlangen kann. Ich 
bin Holz darauf. Nur die Spike will 
mich noch nicht ganz befriedigen; ich 
möchte fie jchärfer haben... .“ Damit 
ergriff er ein Werkzeug, um feiner 
Arbeit die gewünſchte Vollkommenheit 
zu geben. 

Ginevra betrachtete inzwifchen den 
Mordftahl mit einem eigenthümlichen 
Schauder. 

„Ich wette“, ſagte ſie zu ihrem 
Gatten mit erzwungenem Scherz, „ich 
wette, dafs man fich mit diefem Dolche 
den Zod geben kann, ohne Schmerz 
zu empfinden, fo blank ift er und 
jo Scharf!“ 


„Ganz richtig", verjeßte der Meifter. 
„Wenn man diefe Spiße an die Bruft 
anfegt, fo dringt fie von felbit ein; 
befonders“ — fügte er mit fchalt- 
after Galanterie hinzu — „wenn es 
eine fo zarte Bruft ift wie die deinige.“ 

Dabei drüdte er einen Kuſs auf 
die Stirn feines Weibes und bemerkte 
nicht, daſs fie denfelben mit einem 
Seufzer erwibderte. 

Wenige Augenblide nad dieſem 
Zwiegeſpräche trat der Edelmann ein. 
Ginepra erhob fi und wollte das 
Gemach verlafjen. 

„Bleibt doc, bleibt, Schönes Weib— 
hen“, rief der galante Gavalier, in— 
dem er einen flammenden Blid auf 
Ginevra warf. „Ich bin ja kein Türfe, 
dafs Ihr mich fürchten ſolltet . . Da 
jeht nur einmal“, fuhr er zu Meifter 
Giovanni gewendet fort, „Eure Ehe— 
frau fürchtet fih vor mir!“ 

„Ei, Ginevra,“ fagte diefer, „fei 
doch nicht prüde; der gnädige Herr 
erlaubt, daj3 du Hier bleibſt.“ — 
„Verzeiht“, ſetzte er hinzu, „fie ift ein 
wenig jchüchtern, ein wenig verwirrt; 
fie hat noch etwas von einem Mädchen 
an fi, aber es ift eine Perle von 
einem Weibe!“ 

Das Geſpräch wendete fi danır 
auf den Dolch, den der Edelmann vor- 
trefflih gelungen fand und über die 
Mapen lobte. Auch bezahlte er den— 
jelben fehr großmüthig. Er befeftigte 
ihn hierauf an einem fammtenen, mit 
Gold verzierten Gürtel, den er unter 
dem Oberkleide um den Leib trug, 
und während er felbitgefällig die ſchöne 
Wirkung bemerkte, die der glänzende 
Stahlgriff auf dem blauen Sammt 
des Wammſes machte, rief er aus: 

„Schade, dafs die Waffe nicht hier 
auf der linken Seite frei herabhängt; 
es würde einen ſchönen Anblid geben, 
wenn er beim Gehen baumelte und in 
der Sonne ſchimmerte. Zwei Kettchen 
würden ihn wohl leiht am Gürtel 
feithalten ? Was meint Ihr?“ 

„Ich dente wohl.“ 

Darauf nahın der junge Gavalier 





243 


eine goldene Kette, die ihm über die 
Brut hieng, zerbrah ſie in zwei 
Hälften und reichte fie dem Meiiter 
mit den Morten: 

„Da nehmt! befeftigt fie an der 
Scheide des Dolches; ich laffe Euch 
auch den Gürtel hier, damit Ihr die 
Sade in Ordnung bringt. Gegen 
Abend komme ich wieder, um alles 
abzuholen.“ 

— „Gegen Abend werde ich nicht 
zuhauſe ſein“, verſetzte Meiſter Gio— 
vanni; „ich muſs eines Geſchäftes wegen 
ausgehen; aber ich kann ja meinem 
Weibe alles übergeben, damit Ihr es 
aus ihren Händen empfanget.“ 

Ginevra warf einen ängftlichen 
Blid auf ihren Gatten, aber fie wagte 
feinen Widerfprud. So blieb es bei 
der getroffenen Übereinkunft, und der 
Edelmann entfernte fid. 

Als der Abend herannahte und 
Meifter Giovanni da3 Haus zu ver— 
laſſen ſich anfchidte, bat ihn feine 
Gattin, er möge fie mit ſich nehmen. 

„Warum nit gar?“ ermiderte 
diefer. „Haft du denn vergeſſen, dajs 
der Edelmann fich einfinden wird, um 
jeinen Dold und feinen Gürtel ab- 
zuholen? Er ift ein freigebiger und 
grogmüthiger Herr; Kundjchaften wie 
diefe muſs man rüchſichtsvoll be— 
handeln.“ 

„Aber wann gedenkt Ihr heim— 
zukommen?“ 

„So raſch als möglich.“ 

„Macht Ahr einen 
Weg?" 


„Bas kümmert dich das?“ 

„Ih möchte nur erfahren, ob 
Ihr bald wieder zurüdfehren werdet.” 

„Höre, wenn ih mich zufällig 
ein wenig beripätele und du nicht 
gerne allein bleiben wollteft, jo würde 
wohl die Nachbarin Marinetta bereit 


weiten 


fein, dir ein wenig Geſellſchaft zu 
leiften ?* 

„Auh ih Habe ſchon daran 
gedacht.“ 


„Auf Wiederſehen alſo!“ 
„Auf Wiederſehen!“ 


Damit entfernte ſich der Meiſter 
in vollfter Gemüthsrube. Ginevra da= 
gegen, in mühſam verhehlter innerer 
Aufregung, gieng ihre Nachbarin ein— 
zuladen. Unglüdliherweile traf ſie 
diefelbe nicht zuhaufe. Diefer Um— 
ſtand fteigerte ihre Verlegenheit auf 
einen peinlihen Grad. 

Der MWeiberjäger hatte inzwifchen 
im Berborgenen auf den Augenblid 
gelauert, wann der Schwertfeger fein 
Haus verlaffen würde. Saum war 
eine Viertelſtunde verfloffen, feit er 
diefen aus der Thüre des Hauſes hatte 
treten jehen, jo ftand er felbit bereits 
vor dieſer und verlangte pochend Einlajs. 
Ginevra mag nicht wenig erichroden 
fein und noch eine Zeitlang in äußerfter 
Berlegenheit geihwantt Haben — end— 
lich aber mochte fie erfannt haben, das 
ihr feine Wahl bliebe; die Thür öffnete 
jih und der Edelmann trat ein. — 

Die Abenddämmerung war bereits 
angebrodhen, als der junge Mann das 
Haus Giovannis ſcheu um Fich blidend 
und in überflürzter Eile wieder verließ. 

Erſt viel fpäter, als es fchon tiefe 
Naht geworden, kehrte der Meifter 
beim, in beiter Stimmung, denn Die 
Angelegenheit, um derentwillen er aus— 
gegangen war, hatte die erwünſchteſte 
Erledigung für ihn gefunden, Er 
freute ji darauf, feiner Ginevra da— 
von zu erzählen und ihr die volle 
Geldbörfe zu zeigen, die er mit nad) 
Haufe bradte. Er podhte — niemand 
öffnete; ſchon vorher war es ihm auf— 
gefallen, dafs das Fenſter des Wohn: 
gemaches umbeleucdhtet war, und daſs 
Ginevra nicht wie ſonſt, nachdem 
fie feine Rüdkunft am Fenſter erfpäht, 
ihn Schon an der Thür entgegenfan. 
Er Hopfte ſtärker ein zweites=, drittes— 
mal, immer ohne Erfolg. 

Da kam ihm ein Gedanke. Sie 
mag wohl, jo ſprach er zu fich ſelbſt, 
zu Marinetta Hinübergegangen fein, 
da dieſe vielleicht nicht zu ihr fommen 
fonnte. Eiligſt begab er fih ins Haus 
der Nachbarin und war nicht wenig 
‚ betroffen, feine Gattin auch hier nicht 


16* 





244 


zu finden. Auf ſeine Einladung folgte 
ihm Marinetta; beide pochten wieder— 
holtund riefen den Namen Ginevras, aber 
im Junern des Hauſes regte ji) nichts. 

Es blieb nun kein anderes Mittel 
übrig, als die Thüre zu jprengen. Als 
Meilter Giovanni in das gewaltfan 
geöffnete Haus eintrat, traf er in feiner 
Merkitatt Leine lebende Seele. Zur 
oberen Kammer Hinaufiteigend, Fand 
er auf der Treppe zu feiner wicht 
geringen Verwunderung den Gürtel 
des Edelmannes. Mit beſchleunigten 
Schritten erreicht er die Thür der 
Kammer. Er öffnet ſie raſch, und beim 
Schein des Lichtes, das Marinetta 
hinter ihm hertrug, Tieht er fein Weib 
in der Nähe des Bettes auf dem Boden 
ausgeftredt, das Haupt auf die Pfoften 
desjelben gelehnt, rings um fie her 
verbreitete jih eine Blutlache. 

Einen furchtbaren Schrei aus: 
ftoßend, ſtürzte Meifter Giovanni ich 
zur Entjeelten nieder. Sie war kalt 
und ſtarr und im ihrer Brust jtedte 
derfelbe Dolch, von dem fie vermuthet 
hatte, dafs er in die Bruft eindringen 
wide, ohne Schmerz zu verurſachen. 

Als die Hunde von diefem Er— 
eignis ſich im Volke verbreitete, da 
wurde eö allgemein al3 unzweifelhaft 
angenommen, dafs das edle, züchtige 
Meib Giovannis fein anderes Mittel 
gefunden, ihre Tugend und Ehre zu 
retten, als dafs fie ihrem Bedränger 
den Dolch entriſs und ich denjelben 
in die Bruft ſtieß. Den ehrlojen Ver— 
jucher Schütte fein adeliges Blut und 
der Einflufs feiner Familie, aber nad 
Jahren befräftigte fein reumüthiges 
Bekenntnis den Glauben des Volkes, 
für deſſen warmen Antheil an der 
heroiſchen That Ginevras der fort= 
während ſich erhaltende Name des 
„ponte della donna onesta* ein 
Ihönes Denkmal ift. 


IV. Ber ponte delle maraviglie. 


In der contrada de’ Santi Ger- 
vasio e Protasio befindet fi eine 


Heine Brüde, die den Namen der 
„Wunderbrücke“, ponte delle mara- 
viglie führt, Wollt ihr willen, woher 
diefer Name ſich jchreibt? Der Vene— 
jianer gibt in einer äußerſt finnigen 
Erzählung darüber Auffchlufs. 

Am Ausgange des gedachten 
Brückchens ftand vor Zeiten ein Haus, 
in welchem eine Familie wohnte mit 
jieben Töchtern, eine fchöner als die 
andere, nur eine einzige darunter, 
Rofina genannt, war häſslich. Ein 
braver junger Gondolier kam oft in 
diejes Haus, und ohne in eine der 
ſechs hübſchen Schweitern verliebt zu 
fein, machte er doch allen ein wenig 
den Hof. Vielleicht that er unrecht, 
aber die Strafe ereilte ihn aud bald. 

Während er nämlich Früher als 
der gejündefte und kräftigſte Burſche 
in der Nachbarschaft gegolten, fieng er 
jetzt allmäglih an zu kränfeln. Bon 
Tag zu Tag vermehrte ſich feine Mager- 
feit, er verlor die Farbe, feine Augen 
zogen ſich immer tiefer in ihre Höh— 
nungen zurüd, er fühlte eine Schwere 
im Kopfe, in den Beinen, und bald 
war er auch nicht mehr ftark genug, 
da3 Ruder zu handhaben, was ihn 
amt meilten betrübte, denn er war im 
Rufe geftanden, auf fein Handwert 
fich meifterlich zu verftehen, und fein 
glühendftes Verlangen war, bei der 
in einiger Zeit bevorftehenden Regatta 
(fo nennt man eine öffentliche Wett- 
fahrt der venezianifchen Gondoliere) 
ih einen ehrenvollen Preis zu er— 
ringen. 

Der Kranke fragte bald diefen, 
bald jenen Arzt um Rath, verfuchte 
bald diejes, bald jenes Heilmittel, aber 
jein Ubel wurde nur immer ärger. 
Da brachte ihn zuleßt eine alte Fran, 
die er ebenfalls um Rath gefragt hatte, 
auf den Gedanten, es fei ihm irgendivo 
ein böjer Zauber angethan worden. 
Da er nun fat mit niemand als mit 
der erwähnten Familie in Verkehr 
ftand, fo konnte fein Verdacht nur auf 
diefe fallen und nach langem Grübeln 
wurde in ihm die Vermuthung rege, die 





245 


häſsliche unter den fieben Schweltern, 
Rofina, mit welder er, eben ihrer 
Häjslichfeit wegen, fich niemals abge— 
geben, habe dieſer Zurüdjegung wegen 
jih an ihm rächen wollen, indem fie 
ihn beherte. &3 fiel ihm nun erſt auf, 
was er früher faum bemerkt Hatte, 
daſs Roſina jeit längerer Zeit ſich 
immer zurüdzog, wenn er kam, md 
feine Gefellichaft ängftlih mied. Der 
Gedanke, daſs Rofina eine Here und 
das Siehthum feines Leibes ihr Werk 
jei, bemächtigte fih allmählih ganz 
jeines franten Gemüthes und wurde für 
ihn zur firen dee, in deren Gewiſs— 
beit er nicht mehr den geringften 
Zweifel jeßte. 

Inzwiſchen fam der Tag der Re— 
gatta immer näher und der junge 
Sondolier fühlte jih immer fiecher und 
fraftlofer. Ausgeichloffen von dem 
MWettlampfe, in welchem er fich einen 
gewillen Triumph verjprochen hatte, 
verfiel er immer mehr in düſtere 
Schwermuth und gab fi ganz den 
bitteren Empfindungen bin, die fein 
Herz beherrfchten. Insbeſondere aber 
wuchs fein heimlicher Ingrimm gegen 
das weibliche Wejen, das er für die 
feindjelige Urheberin feines Elendes 
hielt. Ein ſchwarzer Rachegedanke er— 
wachte im ihm und reifte zum Ent— 
ihluffe. Zur Stunde, wo er Rofina 
allein im Haufe wujäte, wollte er jie 
überfallen und blutige Rache an ihr 
nehmen. Eine böfe Zauberin aus dem 
Wege zu Schaffen, ſchien ihm faft eine 
verdienſtliche That. 

E35 war Charfreitage Abend und 
jene, dem Gondolier befreundete Fa— 
nilie war mit Ausnahme Roſinas 
ausgegangen, die heiligen Gräber in 


die ſchmalen Canäle meift in einem 
hohen Bogen und find treppenartig 
abgeftuft — eine Weile till und lehnte 
ih an das Geländer derjelben, denn 
‚er fühlte ſich Schwach und feine Knie 
| zitterten. 

| Bon dem Standpuntte aus, auf 
dem er ftaud, fiel fein Blid auf die 
Tenfter des Häuschens, welches das 
Ziel feines Ganges war. Eines diefer 
Fenſter war zufällig offen und ber 
junge Gondolier fonnte einen Blid 
in das Innere der Wohnftube werfen, 
Da bot fich ihm ein Anblid dar, den 
er nicht vermuthet hatte. Roſina lag 
auf den Knien vor einem Bilde des 
Gelreuzigten. 

Eine Zauberin und beten? Diefe 
Wahrnehmung machte auf jein Gemüth 
einen eigenthümlichen Eindrud. Es 
war inzwilchen Abend geworden und 
einzelne Sterne tauchten aus der Tiefe 
des Abendphimmels hervor, Als nun 
‚der Gondolier, von jeltfamen Empfin— 
‚dungen ergriffen, feinen Blid wie zu— 
fällig nad) oben richtete, da zeigte ji 
ihm ein nened Wunder. An einer 
Stelle des Himmels, fo berichtet die 
| Überlieferung, fah er ſechs leuchtende 
Sterne zu einer Gruppe vereinigt, 
und daneben einen jiebenten Stern, 
der Hein und ohne Glanz war. Als 
mählich aber erblajsten die ſechs hellen 
‚ Sterne, der fiebente dagegen fieng an 
mit wunderbarem Scheine zu leuchten, 
und fein Glanz wuchs dergeftalt, dafs 
er alle übrigen Sterne verdunfelte 
und zulegt allein, groß und ſchimmernd 
wie eine Sonne, am Himmel ſtand. 

Diefe Wundererſcheinung, die 
feinem aufgeregten Gemüth ſich zeigte, 
tilgte alle Rachegedanken aus jeiner 








den zahlreichen Kirchen ihrer Nachbar= | Seele hinweg. Doc ergriff ihn ein 
Ihaft zu befuchen. Diefe Zeit wählte | unmiderftehlicher Drang, in das Haus 


der junge Mensch zur Ausführung einzutreten. 
wurde ihm geöffnet. 


1 


jeines Vorhabens. Das Wohnhaus der 
Familie lag, wie gelagt, am Ausgange 
einer Keinen Brüde. Als nun der 
Gondolier über letztere hinſchritt, ſtand 


Brückchen ſchwingen ſich nämlich über 


Er klopfte an, und es 


Als Rofina ſeiner anſichtig wurde, 
färbten fich ihre blaffen Wangen und 


ein leiſes Zittern durchlief ihre Glieder. 
er auf der Höhe derjelben — dieſe 
‚der Hand, zog fie mit ſich fort, und 


Der junge Gondolier fajste fie an 


9 
ii 


führte fie geradenwegs vor das 
Erucifir, das, von brennenden Kerzen 
feierlich umgeben, auf dem Tiſche ſtaud, 
und vor weldem er Rofina knien ge- 
fehen Hatte. 

„Rofina”, fagte er ohne Um— 
fchweife, „blid’ auf diefes Grucifir, 
angelichts defjen fein fterblicher Menſch 
eine Züge auszufprehen wagt! Mau 
hat mir gejagt, daſs du eine Here 


allein käme, wiürdeft du noch immer 
vor mir fliehen %* 

Die Züge Rofinas überflog ein 
Freudenſtrahl. 

„Wie wäre das möglich?“ fagte 
fie. Erg „Ach“, fuhr ſie fort, „Ihr 
haltet mich alſo nicht mehr für eine 
böfe Zauberin ?* 

„Berzaubert Haft du mich, Ro— 
fina*, verfeßte der junge Gondolier, 


bift, daf3 du mir einen böfen Zauber | „aber erjt am heutigen Tage, und mit 


angethan haft, und dafs ich deinet— 
wegen fterben mufs. Gib Antwort 
und fage, ob es jo iſt?“ 


einem Zauber, der nicht aus der Hölle 
ſtammt.“ 
Ein neues, ganz verändertes Ver— 


Das Mädchen wurde bleich vor hältnis zwiſchen den beiden jungen 
Schrecken und Unmillen über dieſe | Leuten, die ſich früher gemieden, ent» 


Worte; ihre Augen füllten ſich mit 
Thränen. Mit einem Blid zum Him— 
mel rief fie aus: 

„Ich eine Here? Ich hätte Euch 
den Tod gwünfht? — O Her 
im Himmel“, fuhr fie fort, „du willſt 
es, dafs ich noch vor wenig Augen 
bliden dich auf den Knien um nichts 
anderes bat, als — mid für ihn 
fterben zu laffen!* 

Nah diefen Worten bededte fie ihr 
Gefiht mit den Händen, und brad 
in ein heftiges Schluchzen aus. 

„Wie, Rofina“, rief der Gondolier, 
„du Haft für mich gebeiet ? du Haft 
an meiner ftatt fterben wollen? du 
bift alfo nicht übelgefinnt gegen mich?“ 

„Ih übelgefinnt gegen Euch?“ 

„Warum aber entfernteft du dich 
immer, wenn ich zum Beſuch kam?“ 

„Warum? Warum? Weil ich 
häſslich bin, und... . weil Ihr ja doch 
nicht meinetwegen kommt . . .* 

„Rofina“, rief der junge Mann 
nach einer Heinen Pauſe, von einer 
plöglihen Ahnung durchzuckt — „Ro- 
fina, liebſt du mich vielleicht ?* 

Das arme Kind verdoppelte fein 
Schluchzen und Sprach fein Wort. 

„Wenn ich aber feine von deinen 
Schweſtern liebte“, fuhr der Gon= 
dolier fort, dem die in ihrer Demuth 
rührende Geftalt des Mädchens wic 
verflärt erfchien, „wie, wenn ich von 


jebt an nur beinetwillen, deinetwillen durch 


widelte fich feit diefem Zwiegeſpräch. 
Das Mitleid mit dem verfannteı, 
ftillen und edelmüthigen Mädchen 
verwandelte fih in der Bruft des 
jungen Maımes in eine herzliche Zu— 
meigung, und diefe Wendung Hatte 
auf feinen Gemüthszuftand, ja auf 
fein ganzes Weſen den mwohlthätigiten 
Einflufs. Er fühlte bald feine Jugend» 
ftärfe zurüdgelehrt, die Spannkraft 
jeiner Glieder neu belebt. 

Und als num der Tag der feier 
lichen Regatta herankam, da war unfer 
junger Gondolier unter den Wett- 
fämpfern und trug unter allgemeinem 
beifälligem Zuruf den erſten Preis 


'babon. 


Das flatternde Fähnchen, fein 
Siegeszeichen, in der Hand ſchwingend, 
hielt er dor Roſinens Haus, brachte 
den errungenen Preis der Liebften dar 
und begehrte fie von den freudig er— 
ftaunten Eltern zum Eheweibe. 

Dies die Gejchichte von der Wun— 
derbrüde, auf welcher der Jüngling 
die fieben Sterne ſah, von denen einer 
erft mit unfcheinbarem Glanze leuchtete, 
dann aber alle auderen überjtrahlte 
und, wie eine Sonne groß, am Himmel 
ſtand. 


V. Ber Montag des Lido. 


In Venedig lebte vor Zeiten ein 
jeine Häfslichleit berühmtes 





247 
Frauenzimmer; fie war ſchielend,zu einem Heinen Feſtmahl nieder, das 
trumm und budlig. dort für fie bereit war. 
Wie nun aber die Schönheit Ein paar Stunden hatten fie ſich's 


unferer Welt eben in ihrer Mannigs 
faltigfeit befteht und im übrigen die 
häſslichen Mädchen ebenſowohl als 
die wohlgebildeten geheiratet zu werden 
wünſchen, jo verlangte denn auch be= 
fagtes Frauenzimmer, den Weg des 
Lebens nicht allein zu gehen, und 
machte wirklich einen Verzweifelten 
ausfindig, der, voll Hunger und voll 
Schulden in die Alternative verſetzt, 
ſich in einen Canal zu ftürzen, oder 
jenes Weib zu heiraten, das letztere 
wählte. 

Als das Gerücht von diefem bevor- 
ftcehenden Ehebunde fi in der Stadt 
verbreitete, da gab es vielen Spafs 
und die Gafjenjungen fannen auf einen 
luftigen Schabernad, um dem liebens— 
würdigen Paare die Hochzeitfeier zu 
verleiden. 

Aber die Verlobten ahnten etwas 
dergleichen, und beſchloſſen, die Ver— 
mählung in aller Stille auf dem Lido, 
wo ſich auch eine Kirche befindet, zu 


bereits recht wohl fein laflen, als 
plöglid vor den Yenftern der Oſteria 
fich ein erfchredliches Gejohle und Ge— 
pfeife, ein wahrer Zeufelslärm vers 
nehmen ließ. 

Brautpaar und Gäfte erbleichten 
und gar manchem blieb der Biſſen im 
Munde fteden. Beſtürzt eilen fie ans 
Fenſter und jehen draußen eine bunte, 
tofle, lärmende Menge verſammelt ... 

Leider war das Geheimnis der 
Berinählung am Lido durd) einen Ber: 
räther ausgeplaudert worden. Die 
Kriegslift der Verlobten diente nur 
dazu, den Übermuth der Spötter noch 
mehr aufzuftacheln. So kam e3, dafs 
bald nad vollzogener Trauung einige 
eigens gemiethete Barken einen 
Schwarm von jungen Leuten ans Ufer 
braten, die in einiger Entfernung 
von jener Ofteria ausftiegen, dann fi) 
in aller Stille derjelben näherten und 
endlich unverfehens das  greulichite 
Eoncert anftimmten, das jemals eine 


feiern. So dachten fie fich der hämiſchen Hochzeitsfeier verherrlicht hat. 


Vollslaune zu entziehen; fie machten 
aber damit das Übel nur noch ärger. 

Eines frühen Morgens, ein Mon- 
tag war es, beftiegen Braut und 
Bräutigam, Eltern, Verwandte und 
Zeugen eine Barke und ließen fich 
zum Lido rudern. Auf dem Wege 
dahin blidten fie Hinter ſich mit der 
Genugtduung von Leuten, die don 
einem feindlihen Strande ſich glüdlich 
weggeflüchtet haben. Sie freuten fich, 
dafs jeder Ruderſchlag fie weiter von 
Denedig Hinwegführte, und wie fie 
am frühen Morgen unbemerkt ſich 
aus der Stadt hinweggeſtohlen, fo 
hofften fie au am fpäten Abend un— 
bemerkt und unangefochten wieder 
heimzufehren. 

Am Lido gelandet, betraten fie die 
Kirche, wo der Geiftliche den Segen 
über das Paar ſprach; ſodann ver— 
fügten fie ſich in eine benachbarte 
Ofteria, und fegten fich in befter Laune 


Die Beftürzung der Vermählten 


und ihrer Gäſte erreichte den höchſten 


Grad. Was war zu thun? Sich un— 
willig zeigen, das hieß den Feind noch 
herausfordern. Es galt alſo, zu böfem 
Spiel gute Miene zu machen. 

Ungeſäumt erhielt der Wirt den 
Auftrag, Wein, Brot und anderes 
Eſsbare den Strolchen auszutheilen, 
die bei diefem Beginnen im nod 
größeren Jubel mit ftürmifchen Evvivas 
ausbrachen. Sie tranten, apen, und 
berauſchten fih aufs Wohl der Ver: 
mählten und ruhten nicht früher, bis 
‚das PBrautpaar zu ihnen herauskam 
und ihre ausgelaffene Freude theilte, 

Es war eben die ſchöne Jahres» 
zeit. Die Iuftige Menge zeritreute ſich 
auf nahen Graspläßen, etliche Pfeifer, 
Guitarrefpieler und Geiger miſchten fich 
darein, und nun gieng es an ein 
Singen und Springen und Zanzen, 
was da3 Zeug halten wollte, 





— 


Lange nach Einbruch der Nacht 
erſt beſtieg man die Barlen wieder 
und die Neuvermählten wurden wie 
im Triumphe nach Venedig zurück— 
geleitet, und zwar bis zur Thüre ihres 
Haufes, unter Saitenſchall und lauten 
Evpivas. 

Das luftige Ereigni3 gab der Eitte 


Der Adlerwirt 


den Urſprung, die Montage des Mo— 
nates September mit Heinen Volks— 
feften auf dem Lido zu feiern. Noch 
bis auf den heutigen Tag ſieht man 
an den Montagen des genannten 
ı Herbftmonates deu Strom der Spazier- 
gänger nach der Gegend des Lido hin 
'jeine Richtung nehmen, 


von Rirchbrunn. 


Eine Dorfgefhidhte von P. R. Kofegger, 
(Schluſs.) 


och, Heunter Abſchnitt. 
@ 
9 om Schopper- Schub wiſſen wir, 
TE daſs er jeit Jahren die Jungs 


>  magd Frieda nicht mehr aus 
den Augen ließ. Er verfolgte immer 
ihre Spuren und oft war er in ihrer 
Nähe, ohne dafs fie es ahnte. Beim 
Möftl in der Abachlenten war «3 
ihm gar bequem, da konnte er ſich aus 


du in die Abachleuten kommen! den 
haft in deinem Siebenbadherwald weit 
bejjer. Wirt den meiten Weg heut 
wohl umfonft gemacht haben. Sie ilt 
zu den jieben Lärchen hinauf wall— 
jahrten gegangen.“ 

„So“, antwortete der Schopper 
ganz gleichgiltig. „Da hat fie ſchon 
recht. Das Beten jchadet niemandem.” 

Und wenn das Beten niemandem 








feinen Holzichlag an den Samstags ſchadet, dachte er für ſich weiter, jo 
abenden und manchmal auch an den wird's ja auch mir nicht ſchaden. Und 
Sonntagnahmittagen einfinden, um stieg an gegen die Schabelhöhe. Er 


mit ihr.zu plaudern. Die ganze Woche 
hindurch freute er fih auf das Stünd- 
fein, an welchem er nahe bei ihr, 


wenngleich durch eine Wand getrennt, | 


fißen konnte. Es waren zumeift die 
allergewöhnlichiten Dinge, über die ges 
ſprochen wurde, aber dem. Holzknecht 
war wohl, wenn er ihre Stimme hörte 
und wenn er ſah, wie jie manchmal fo 
tindlich lachte. 

Alſo war er auch an diefem Sonn— 
tagnachmittag in die Abachleuten ge— 


fommen, beim Möſtlhaus zugefehrt, 


hatte fih auf die Stubenbant hin— 
gejebt und gejagt, er müſſe doch ein 
wenig in den Scatten gehen. 


„sa,“ hatte das Möftiweib nedend | 
geantwortet, „Schattend wegen wirft, 


'gieng nicht den guten Fahrweg, er 
wählte die fteileren aber fürzeren 
Steige; Bergesmühfal gibt's für den 
Holzknecht feine und duch den Wald 
hinauf mag er fih das Schlagholz 
anjehen. Als er auf die freien Weiden 
fam und auf die weiße Straße hin 
überbliden konnte, fah er fie dort gehen, 
er erfaunte fie ja ſchnell. Und einen 
Büchſenſchuſs Hinter ihr eilte ein Mann 
drein. Der Schopper ſchärfte fein Auge 
‚und erfannte den jungen Molerwirt 
von Kirchbrunn. — Bor Überraſchung 
wie gelähmt, blieb er einen Augen— 
blid ftehen. — Was tft das? — 
Was iſt das? — Steht es fo mit 
der Wallfahrt zu den fieben Lärchen ? 
Ei, da wollen wir ihnen doch einen 





ee 


Baum über den Weg werfen. „it 
denn ſchon alles falſch auf der Welt? 
Gut, aladann will ich's auch fein. — 
So jeine Gedanten. Neuerdings zog er 
fh in den Wald zurüd und lief 
durch denjelben an der rüdwärtigen 
Berglehne der Sapelle zu. Er kam 
früher hinauf al3 die anderen. Dinter 
der Kapelle froh er in das Fichten— 
didiht und kauerte fih an die Holz— 
wand, um durch eine Spalte in das 
Innere der Kapelle Iugen zu können, 
während durch das Gezmweige hin der 
Anger mit den Tiſchen fihtbar war, 
So beherrfchte er den Schauplaß nad) 
beiden Seiten. Er langte mit der Hand 
in feinen Sad, ob er das Meſſer bei 
fih habe. — Sa, mein lieber Adler— 
wirt, ich habe dir’ gejagt und du 
haft es nicht geglaubt. Des Herrgotts 
Mühlen mahlen langfam aber fiher! — 

Er hatte gejehen, wie die Frieda 
beflonmen in die Kapelle getreten war, 
und als er merkte, dafs ihr Gebet ihm 
galt, da Töste fi von feinem Auge 
ein jalziger Tropfen los und rann 
über die rauhe Wange, dur den 
fruppigen Bart bis an die Lippen. 
Dann ftand plöglic an der Thür der 
junge Adlerwirt mit heißbegehrendem 
Bid. Der Holzknecht erfajste die 
Hirſchhornſchale ſeines Mefiers. Als 
er hernach vernahm, was draußen ge= 
ſprochen wurde an den Tiſchen, jedes 
Wort des armen Burjchen voller Un— 
glück und voller Liebe, und wie das 
Dirndel dagegen anfämpfte, bis doch 
in beiden die wilde Allgewalt Siegerin 
ward — da loderte in ihm Wuth 
und Rachgier auf, dajs der fliegende 
Athen glühte an feinem Munde. Und 
er ftürzte mit gezücktem Meſſer Hin auf 
da3 Baar, Die Frieda that einen Schrei 
und wollte jih ſchützen unter dem 
Breite eines Tiſches. Der Wolfram 
jedod ftand wie ein Baumjtanım da 
und fragte: „Holzknecht! Was willft 
du?“ 

Diefe ftarre Ruhe lähmte den 
Shopper für den Augenblid, denn er 
war auf Gegenwehr gefafst gemwelen 


und in einem Zweikampfe wollte er 
fiegen oder fallen. 

„Bilt dur da, um mich zu tödten ?* 
fragte der Wolfram. „So ftoße zu. 
Ih Habe mein Leben verjpielt und 
wehre mich nicht. Willft aber ihr etwas 
zuleide thun —!* Er ballte die 
Fäuſte. 

Dem Schopper ſank der Arm mit 
dem Meſſer. Plötzlich wendete er ſich, 
ſtürzte in das Dickicht und haſtete 
davon durch den Wald hin. — Halb 
betäubt war er und feine Gedanken 
wurden wirr. — Warum haft du e3 demu 
nicht gethan ? fragte er fich ſelbſt. Und 
er jelbft antwortete: Er hätte einen 
Bankbalken losreißen müflen. Nicht 
davonlaufen wollen und ſich auch nicht 
wehren, wer kann denn da zuftopen? 
Einen Baum fällt man fo, aber einen 
Menihen —. Und hernad, weiß ich 
denn, welches fort muſs? Soll der 
Adlerwirt fterben? Iſt er nicht der 
Ehebrecher und Berführer und der 
Räuber derer, die mir Gott gegeben 
Hat? — Oder foll fie fterben ? Iſt 
nicht fie die Urfache feiner Treulofig- 
feit, die den Sünder anlodt und einen 
treuen Menschen verſchmäht, verachtet, 
in Verzweiflung treibt? — Oder joll 
ein Dritter fterben? Soll er jelber 
fterben, weil alles aus ift, und freiwillig 
iterben, bevor er zum Mörder wird? 
Mir kommt's nur auf den Schuldigen 
an. — Denn das ſah er nun wohl, 
es war die unbändige, rajende Liebe, 
in welcher das junge wehrloje Menſchen— 
paar hinſchmolz, wie Wachs im brüllen 
den Feuer eines brennenden Hauſes. 
Armer Holzknecht, fo wie du jelber 
wehrlos bift gegen diefe Macht, To 
find auch fie es. Was können fie da= 
für!” — Du Haft dir vorgenommen, 
Schopper-Schub, für die Frieda alles 
zu wagen und zu opfern, um fie 
glüdlih zu machen. Sieht du es 
denn micht, jetzt ift fie glücklich! 
— Mas mwillft du denn noch? — 
Einmal Haft du dein eigenes Haus 
"angezündet, weil es böfe Urſach' ift 
geweſen. — Kannſt du rechnen, Holz» 


250 


knecht ? Wenn du ein bilschen rechnen 
fannft, jo fage, was mehr ift, eins 
oder zwei. Wenn zwei mehr find, 
als eins, fo ift einer meniger, als 
zwei. Laſs die zwei fein, und den 
einen fireihe weg. — 

Alſo dahte der arme Menſch und 
ging — ah wie traurig! — den 
Holzhütten feines Thales zu. 


Zehnter Abſchnitt. 


Mer genug Zeit und ZTiefblid hat, 
um die Urſachen und Wirkungen zu 
betrachten, der wird — ſei es zu 
feinem Schred, ſei es zu jeinem 
Troft — finden, daſs alle Fehltritte 
und Verſtöße des Menfchen gegen Sitte 
und Geſetz, gegen das Gute und Nechte 
überhaupt, ſich faſt allemal ftrafen, 
und zwar an derjelben Perjon oder 
an demfelben Gefchlehte. Schade nur, 
dafs die Strafe nicht unmittelbar genug 
folgt, um ftet3 als Strafe für Sünde 
und Vergehen empfunden zu werden. 
So mander, der fein Elend felbft ges 
ſchmiedet, hält fich für den Unſchul— 
digften von der Melt und ift geneigt, 
die Urſache dieſes Elendes anderen 
indie Schuhe zu ſchieben. SoldesMifs- 
tennen führt ihn zu weiteren Fehlern 
und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle 
des eigenen Sturzes ſucht er aud 
andere mit ſich zu reißen. Leichter 
fehrt der um, welcher ein ſchweres 
Verbrechen begangen, als einer, der 
taufend Fehler Hat und dem Mits 


Und je mweher ihr ward, um jo höher 
ftieg ihre Verbitterung gegen die ein— 
gebildeten Feinde. Und das Schidjal 
nahm feinen Lauf. 

Bei dem Adlerwirtshaufe zu Kirche 
brumm Hatte fich veges Leben entfaltet 
wie Schon langenicht. Aflerhand Wägen 
famen angefahren von oben und von 
unten und Spaunten aus, Bauern, Bür- 
ger und Herren waren da, Schader 
und Händler, und die Wirtsftube war 
viel zu enge, au im Vorhauſe und 
im Hofe ftanden Tiſche, und die Kell— 
nerinnen liefen über die Galle hin 
und ber. Das gab doch wieder ein: 
mal ein Geſchäft. 

Meint ihr? 

Da müjste man erſt noch die Wirts— 
leute fragen. Der alte Adlerwirt lag 
bei einem Nahbar im Sceunenftroh 
und bat mit lafleuder Stimme fort: 
während um Branntwein. Er wolle 
nie mehr müchtern werden auf diejer 
verdammmten Welt. Der junge Adler— 
wirt war feit Wochen verfchollen. Im 
Siebenbahmwald, jo hieß es, wäre er 
einmal gefehen worden, aber ganz 
jeltjam aufgeregt, er müfje etwas Be— 
londeres im Sinne haben, man werde 
noch merkwürdige Geſchichten von ihn 
hören. So kam es, dajs auch Frau 
Ktunigunde nicht ruhig fißen bleiben 
fonnte in ihrem Zimmer, Sie lieh 
ihre Mutter, der ja alles gleichgiltig 
war, allein, und als fie auf einem 
Steirerwäglein und in ihrer tadellojen 
Trauerkleidung hübjch fein gepußt aus 





menfchen täglich im Heinen taufend= Idem Hofe fuhr, Klang in demjelben 

mal unrecht thut. Doch ift letzterer das erftemal der Ganthammer. Alles 

eben jo Verbrecher, als exfterer, mur wurde verfteigert im Adlerwirtshaufe, 

jhreit er Beier und Mordio, wenn nur nah den AJufaffen war feine 

endlih auch an ihn die Nemefis Her- | Nachfrage. 

antrıtt ımit dem Richtfchwert. Frau Kunigunde fuhr in das Ge- 
Frau Kumigunde hatte kaum eine birge hinein. Sie hieß auf das Pferd 


Ahnung davon, dafs fie eine der 
Haupturfahen an dem Niedergang 


dreinhauen, fie bewarf den Pferdeinecht 
mit Schimpfnamen, denn fie wufste 


ihres Haufes und die einzige Urfache ihrer Galle kein Ende. Was fie dem 


an ihrem und ihres Mannes Unglüd 
war. Sie mar immer nur geneigt, 
alles auf ihren Mann, auf feinen 
Vater, auf alle andere zu jchieben. 


Knecht und dem Pferde anthat, das 


war alles ihrem Manne vermeint. 
Dem Flüdtling! dem gewiflenlofen 
Ausreißer! Solange er Geld erwartet 





251 


von ihrem Vater, hat er den Haus |fie frage, ob er, der Ndlerwirt von 
herren gejpielt, jegt weil nichts ift, weil | Kirchbrunn, nicht etwa hier herum 
alles in die Brüche geht, verläfst er |gefehen worden fei. 

fein armes Weib in Noth und Schande „Seid Ihr die Adlerwirtin ?“ fragte 
und firommert in allen Weiten um, das Holzerweib. „Nachher glaub’ ich's 
man weiß nicht wo und mit wen. gern, daj8 er bei den drei Brüden 
Aber warte, Schelm, wir werden dich nicht gefommen ift, Bon Euch ift er ja 
noh einfangen. Du follft Gott er= [eben davongelaufen, fagen die Leute.” 
fennen lernen! Du ſollſt mir firre Frau Kunigunde warf eine Münze 
werden ! Hinwärts zieht mich noch das hin und machte fich entrüftet auf die 


jpottfchlehte Roſs, es ift aber viel/Mander zu den Köhlerftätten. 


taujendmal befier als du; herwärts 
jollft du den Bettellarren ziehen, und 
dafs du zahm wirft wie ein Pfründner- 
Ihaf und mir Brennefleln aus der 
Hand frijst, das foll meine Sorge 
fein. — 

Unter ſolchen Liebesgedanten fuhr 
Frau Kunigunde auf die Sude nad 
ihrem Manne. Sie ſprach bei manchen 
Hänfern zu, ſchämte fich aber, gerade= 
hin zu fragen: Habt ihr meinen Mann, 
den Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht 
irgendwo gejehen? — Ya, Frau Adler— 
wirtin, ift Euch Euer Mann durch» 
gegangen? — Da3 wäre eine hübfche 
Unterhaltung geweſen. 


Bei der Kohlenbrennerei fragte fie 
wieder an. 

„Der Adlerwirt?!“ ſchrie der alte 
Köhler, denn er war fehwerhörig, da— 
ber hielt er auch andere dafür. „Weiß 
nichts davon. Aber der Vorknecht ſoll 
legt’ Zeit her alleweil vom Adlerwirt 
reden.” 

„Mo ift denn diefer Vorknecht?“ 

„Der ift jetzt nicht da, der ift oben 
im Zagelwald. Für ein Weibsbild nicht 
gut hinaufzufteigen.“ 

„Ih will hinauf!“ fagte Frau 
Kunigunde. 

„Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen 
wird“, meinte der Kohlenbrenner, „letzt 


Alſo faſste fie es jo: „Hat nicht Zeit her iſt der Schopper — fo heißt 


mein Mann hier zugefragt ?* — „Wiffen der Vorknecht — nicht recht im Kopf, 
nichts, dor einer Woche oder wann | ganz tleinfinnig oder was lauter. Iſt 
haben wir ihn vorbeigehen geſehen.“ — | nichts Rechtes von ihm bherauszubringen. 
„Sollte er nah mir fragen, fo weifet Vom Adlerwirt redet er nächtig im 
ihn, ich bin vorausgefahren im den ; Traum,” 
Siebenbaherwald, wegen des Holz. Die Frau dingte fi einen her- 
taufes.* umlungernden Knaben und flieg mit 
Bei den Holztnehthütten im Sieben= |diefem hinan gegen den Zagelwald. 
bachwald ließ fie ausſpannen und bes | Mehrmals gieng es in tiefen Schluch— 
gehrte etwas zu eſſen. |ten über Sand, Gerölle und wuch— 
„Ja“, meinte ein refches Holzer: tige Steinblöde dahin an braujenden 
weib, „fein Wirtshaus ift Halt bei uns | Wäfjern, mehrmals unter einem ſchwin⸗ 
nicht. Gaismilch mit Schotten, wenn's |delnd hohen Holzgerüfte durch. 


recht wäre ?* 


„Was das für ein hoher Steg 


Bom Herzen gern hätte Fran Kuni- wäre?“ fragte die Aolerwirtin. 


gunde geantwortet, daſs fie Schweine= 
futter nicht gewohnt jei, wäre nur 





„Das ift fein Steg”, antwortete 
der Knabe, „das ift die neue Holzriejen, 


ihr Hunger nicht gar zu groß ges wo die großen Blöcher herabrutjchen 
wejen. Während fie die Milch trank, und zum Feierabend die Holztnechte 
erzählte fie, dafs mit ihrem Mann |felber. Wie viele Kreuzer krieg' ich 
eine Zufammentunft draußen bei den denn dafür, daſs ich mitgeh’ ?* 

drei Brüden verabredet gewejen jei, Nah einer Stunde waren fie auf 
daſs fie ſich aber verfehlt hätten. Und, der Höhe bei dem Holzfchlag. Die Leute, 


25 


welche hier arbeiteten, blidten einander 
nur jo an, als ſie vernahmen, die 
junge Frau wolle mit dem Vorknecht 
jprechen. Der Vorknecht jei aber gar 
nicht auf dem Schlag, der liege auf 
dem Buchenanger im Graſe; er jage, 
er arbeite nichts mehr und das liebe 
Ehriftenvolf möge gefund bleiben und 
ihm an den Budel guden. „Wollt Ihr 
das, jo könnt Ihr ihn ja auffuchen“, 
ſetzte der Berichterftatter bei. 

Da ift etwas dahinter! dachte Frau 
Knunigunde und ließ fich zum Buchen 
anger führen. 

Der Schopper, als er ſah, wer) 
daherkam, ſprang raſch vom Raſen 
auf. Er ſah wirklich wild und wirr 
aus. Ohne viele Einleitung fragte ſie 
in firengem Tone nach ihrem Manne, | 
dem Adlerwirt. 

„Was weiß ih?“ knurrte der! 
Holzknecht. „Habt Ihr mir ihn zum: 
Aufgeben geichidt ?* | 

„Du weißt, wo er it!“ ſprach jie 
ſcharf. 

„So? Na, wenn ich's weiß, dann 
muß ich's freilich ſagen. Den Adler-⸗ 
wirt hat ſein Weib verlaſſen, da iſt er 
zu einer anderen gegangen.“ 

„Bo er ift, will ich willen!“ 

„Bor etlihen Tagen“, antwortete 
der Holzfnecht gottlos ruhig, faft träge, 
„hat er jih auf der Schabelhöh’ 
aufgehalten, oder im Wirtshaus dort 
herum. Jetzt kann's jein, dajs er 
drüben in der Abachleuten ift.“ 

„Ein Schandmenſch! Ein Schande | 
mensch!“ Feuchte fie, und faft ver— 
gieng ihr der Athen vor Wuth. „Der, 
joll das hölliſche Feuer beizeiten | 
lennen lernen, dafür flehe ich gut!“ 

„Dieweilen fißt er im Himmel“, 
jagte der Schopper. „Und ich wäre der! 











5) 
— 


„Mein Gott, mich verlaſſen ſchon 
die Füße.“ 

„Wenn die Frau ein Stündlein 
wartet, fo kann fie mit mir auf dem 
Brettel hinabrutſchen“, fagte der Holz» 
knecht. 

Ja, ſie wolle warten. Und der 
Schopper dachte: Herrgott im Himmel, 
was iſt das für ein Schick! Ich 
rutſche mit ſeinem Weib auf der 
Rieſen hinab. Und ganz plötzlich fuhr 
es ihm durch den Kopf: Wenn er 
mir die Meine nimmt, ſo nimm ich 
die Seine. Wert iſt ſie's, daſs ſie 
mit mir kommt. Es geht nichts über 
die Ordnung. Und nachher iſt Fried. — 

Dieweilen Frau Kunigunde er— 
ſchöpft auf dem Baumſtock ſaß und 
miſsmuthig den Holzhauern zuſah, die 
immer Blöcke an die Rieſen ſchleppten 
und hinabgleiten ließen, ſtrich der 
Schopper wie halb verloren auf dem 
Schlage um. Manchmal blieb er ftehen 
und ftarrte auf den Erdboden, dann 
hob er das krauſe Haupt gegen Himmel 
und Jchnappte nach Luft. Dann lachte 
er hell auf und einer der Männer 
hörte ihn jagen: „Beſſer kunnt ſich's 
nicht mehr reimen. Wer ungeſchickt 
ift, der muſs hinab, dajs er anderen 
nicht im Wege fteht.“ 

„Dun Franzel*, redete er, als die 
Abenditunde fan, einen Arbeiter an. 
„Wenn di einmal beim Möftl in der 
Abachleuten vorbeigehit, gelt, jo bift jo 
gut und gibt das Ding dort ab. 
Es ift für die Magd Frieda.“ Damit 
gab er ihm ein rothes zuſammenge— 
fnulltes Züchlein. „Und jet, Leute!“ 
rief er laut hinaus über den Schlag: 
„Jetzt ift Feierabend. — Fahrt ihr 
nur voraus hinab, wir, ich und die 
Frau Adlerwirtin, rutſchen Hinten 


Meinung, wer fo feſt drin ſitzt, den drein.“ 


lajst man ſitzen.“ 

Fran Kunigunde hatte fich nieder 
gelaffen auf einem Baumſtock, ihr, 
zitterten die Beine, 

„Wie weit iſt's bis in die Abadh: | 
leuten ?" fragte Sie. 

„Zwei Stunden, wer gut antaudht.“ | 


Die Werkzeuge brachte man in 
Sicherheit, die Yodenröde hieng man 
ih über die Achſeln und da war's 


| fertig. 


Wuldenförmige, vorn ein wenig 
aufgefurite Bretter wurden im die 
Rinne der Riefen gelegt und auf je 





2 


einem ſolchen Fahrzeuge glitten ein 
oder auch zwei Mann hinab. In der 
Hand hatten fie lange Stöde, mit 
weichen fie ſich möthigenfalls Leiten, 
anſtemmen oder weiterjchnellen fonnten. 
Auf etwa Hundert Schritte Zwiſchen— 
räume wurden jie abgelaffen. Anfangs 
glitt es gemächlich dahin, allmählich 
tam's im raſcheren Lauf, und auf 
ſteileren Strecken ſauste es unheimlich 
ſchnell dahin, manchmal an Erdein— 
ſchnitten und zweimal über grauenhaft 
tiefe Schluchten, aus welchen Schutt 
und Geftein und Ichäumendes Waſſer 
beraufleuchtete. Uber den ſchwin— 
delndſten Stellen jauchzten einige, An 
den Rinnbäumen der Niefen dröhnte 
noch lange das Rollen herauf, felbit 
als die Bretter ſchon den Augen ent— 
Ihwunden wareıt. 

Als die Holzknechte dermaßen alle 
angefahren waren, gieng der Schopper 
zur Frau Kunigunde, die noch immer 
auf dem Stode ſaß, machte eine Heine 
Berbeugung und fagte: „Alſo, Adler- 
wirtin, jet iſt's an und zweien.“ 

„St wohl doch Feine Gefahr da= 
bei?* fragte fie. 

„Ihr ſeht ja, wie fie jauchzen 
unterwegs. In die ewige Seligfeit 
fann man nicht Iuftiger hineinfahren, 
Im Siebenbahwald gibt's halt feine 
jo feinen Eifenbahnzüge wie in Gejsniß. 
Wir Haben das lange Brettel mit zwei 
Sitzen. Ich ſetze mich voran, Ihr habt 
hinterwärts Platz. Nur friſch dran, 
Frau Adlerwirtin!“ 

„Es ift grauenhaft!“ ſagte dieFrau. 

„Nichts iſt grauenhaft“, lachte der 


Shopper. „In fünf Minuten find 
wir unten, Kommt nur, Prächtig 
wird's.“ 


„Ich will heut' ja noch weiter— 
fahren.“ 

„Freilich, Adlerwirtin. Nur hübſch 
anhalten. Sitzen wir feſt ?“ 

— ch fie.“ 

„Alfo, im Gottesnamen!* Mit 
diefem Worte ſtieß der Schopper aus, 
und das Schifflein begann zu gleiten, 
Erſt Hielt der Mann mit beiden Händen 


53 


den langen derben Stod in die Luft. Vor— 
wärts gieng's rafd und rafcher. Steiler 
wurde die Bahn und da fauste das 
Breit pfeifend dahin. Es ſchoſs über 
den erften Abgrund, es jchofs durch 
den Erdeinſchnitt, es ſchoſs dem zwei— 
ten großen Abgrunde zu, und als es 
hoch über der Schlucht raſend jchnefl 
dinglitt, ſenkte ganz plötzlich der 
Schopper den Stod, ſtemmte ihn vor 
ih in die Riefen, da jprang das 
Fahrzeug Hinten empor, ſchlug über, 
und die beiden Menjchen flogen in 
weiten Bogen dur die Luft — 
ſtürzten in die Tiefe. 

Ein ganz kurzer Schrei gellte durch 
die abendlichen Lüfte, und danı war 
nichts mehr zu hören, als das rauſchende 
Waſſer in der Schludht. — — 


„Du Altel* schrie der Möftl in 
der Abachleuten feinem Weibe zu, als 
er von der Heuarbeit heimlam, „das 
s 


“ 


wird nicht gehen, mit der Frieda, 
ift ſchad', aber fortichiden mufst fie. 
Das Umziehen mit einem verheirateten 
Menjchen können wir ja nicht leiden. 
Hab’ fie juft wieder auseinandergejagt 
allzwei.* 

„Beh!“ entgegnete das Weib, „bit 
doch nicht g’icheit! Schon wieder da- 
gewejen ift er?“ 

„Soll ganz Kirchbrunn im Stich 
gelafien haben, ſitzt jet da draußen 
im Zeilinger-Hammer als Kohlenver- 
meſſer.“ 

„Das iſt ſauber“, ſagte ſie, „da 
hätten wir ihn alle Tag in der Hütten. 
Recht hart iſt mir um die Magd, aber 
wenn ſie's ſo macht, ſoll ſie gehen, 
lieber Heut’ als morgen.“ 

„Ein Plangen Haben die zwei 
zu einander, rein, als ob's ihnen wär’ 
angethan worden. Der Vorknecht Schop- 
‚per foll ganz toll jein drüber, ich 
glaub's. Wenn nur da fein unlieb- 
ſamer Handel herausfommt. Alte, der 
Schopper, wer ihn kennt, das tft ein 
gefährlicher Menſch!“ 


Elfter Abſchnitt. 


Noch Sprachen fie fo, als ein Holz— 
knecht aus dem Siebenbachwald herein 
ftolperte. „Abraften muß ich“, ſagte 
er als Gruß und ſetzte fich gleich auf 
die Bank. „Bift ed daheim, Möſtl, ift 
mir recht. Habt es ſchon gehört? das 
groß’ Unglück im Siebenbahmald ? 
Geftern auf dem Abend. Beim Ab 
rutfchen. Bon der neuen Niefen in 
die Karwaſſerſchlucht geftürzt!” 

„Mutter Anna!“ rief der Möftt 
aus. „Wer denn ?“ 

„Er — der Schopper und ein 
fremdes Frauenzimmer!“ 

„Was fagit ?“ 

„Die Adlerwirtin von Kirchbrunn 
joll’3 geweſen fein.“ 

„Was ſagſt?“ ſchrie der Möftl 
und lachte auf. 

„Na ich danke, wer bei jo was 
lachen kann!“ fagte der Holzknecht. 

„Iſt nicht Schlecht gemeint“, redete 
das Möftlweib drein. „Der lacht alle- 
weil, hat's Meinen und's Lachen in 
einem Sadel beiſammen.“ 

„Der Schopper und die Noler- 
wirtin!“ murmelte der Möftl und 
faltete die Hände. „Aber Herr himm— 
licher Vater, ift das dein Ernſt?“ 
Er lachte wieder, 

„Wir können es uns auch gar 
nicht denken, wie es geſchehen ift,“ 
berichtete der Bote. „Es kaun was 
dahinterfteden. Wird ſchon auflonmen. 
Schauderlich, wer's gejehen hat! Bon 
ihr ift fein Knocherl ganz verblieben. 
Bei ihm fehlt nur der Kopf.“ 

„Uber mein Bott!” rief das Möfltl- 
weib, „wie ſoll ſich denn ein Ehriften= 
menih fo was zujammenreimen !* 

„Ist nicht eine Magd Frieda bei 
euch da?“ fragte der Holzknecht. „An 
die hab’ ich ein Tüchel abzugeben. Ich 
weiß nicht, mir hat’ der Schopper 
zugeltedt, gerade vor dem Unglüd. 
Wir fennen uns nicht aus, Ein Knoten 
iſt im Tüchel und ein Papierl ift 
drinnen, aber wir können feiner leſen. 
Weil ich's verſprochen Hab’, dajs ich 
der Magd Frieda die Sad’ über: 
geben will.“ 





Alsbald wurde die Magd von der 
Wieſe heraufgerufen. 

„Du Frieda”, redete der Möſtl 
jie an, „der da, der Hat was fir dich.“ 

Mit Haft löste fie den Knoten, 
mit zitternden Fingern entwirrte fie 
das Papier, es war ein abgerifjenes 
graues Streifchen, und darauf ſtanden 
mit grobem Bleiftift ungefüg ges 
Ichrieben die folgenden Worte: 


„Liebe Friederifa ! 

Bin überflüfjig, mach mich da= 
von. Nehm auch eine andere mit, 
die euch im Weg möchte ſtehen. 
Mehr kann ich nicht thun Für dich. 
Sei glüdlih mit ihn. 

Schubhart Schopper.” 

Alſo Hat ſich's zugetragen. Und 
was wird jetzt geſchehen fein? Alles 
Menſchengeſchick fteht in Gotteshand, 
alles vollzieht fich nad) feinem Rath» 
ſchluſſe und fast nichts nach dem Sinne 
der Menſchen. 

As die Magd Frieda in dem 
DOpfertode des armen Waldmenſchen 
ſeine unermefsliche Liebe zu ihr be— 
ſiegelt ſah, als das lebte Hindernis 
gefallen war zmwijchen ihr und dem 
Adlerwirt, dafs fie ſich nun vor Gott 
und der Welt hätten können die Hände 
reichen — fand fie, dafs ihre heiße Leiden: 
Ichaft für Wolfram anfieng zu ſchwin— 
den. Was war das für ein Unterfchied ! 
Was find die gewöhnliden Männer 
für zage, gemeinfinnliche, engherzige 
Schelme gegen diejen einen einjamen, 
heldenhaften! Won diefem allein war 
fie geliebt worden, mit einer Liebe, 
wie wenigen Weibern auf Erden Jie 
zutheil wird, mit einer Liebe, die 
ftärfer ift als der Tod. — ber ge: 
fannt hat er es nicht, das Weibes— 
herz, ſonſt hätte er in voraus willen 
müſſen, dafs jein Opfer umfonft if. 

An demſelben Tage, als die Reite 
der beiden Berunglüdten auf einem 
Heinen Alpenkirchhofe ftill beftattet 
worden waren, jchrieb die Frieda einen 
Brief an den Adlerwirt: 


IS 


„Lieber Wolfram! 

Weil das geſchehen ift, muſs 
e3 aus fein und gauz aus fein 
bei und zweien. Er thät’ immer 
zwifchen uns stehen mit feinen 
bintigen Wunden. ch Habe wohl 
einmal gemeint, ich kunnt dich 
glüdlih machen, jegt nimmer. Und 
im Unglüd bift Schon genug ge— 
wejen. Du bift frei geworden vor 
drei Tagen, ich Habe geheiratet. 
Sein Sterbetag ift der Hochzeitstag 
zwiichen ihm und mir geworden. ch 
bin ein, und du wirft auch wieder 
eine andere finden. Ich wünſche 
dir alles Gute, und was vergangen 
ift, das ſoll vergeflen fein.“ 


* * 


* 
Hadywort zu dieſer Geſchichte. 


Weil unſer Daſein ohnehin über— 
reich au Drangſal und Leid iſt, ſo 


wollte ich — beginnend mit heiterem 
Liebesabentener des jungen Adler— 


wirtes don Kirchbrunn — in dem 
ſüßen Herzensleben junger Menſchen 
eine Idylle ſchreiben, mir und anderen 
zur Ergötzung. Allein es iſt anders 
gekommen. Wie es im Leben ſich jo 
häufig fügt, dafs alles ganz anders 
wird, als der Menſch gehofft Hat, 
tommt ſolches bisweilen jogar auch in 
der Dichtung vor. Nicht das erftental 
— ich geftehe es — ift es mir bier 
pajfiert, dafs während der Entwide- 
lung einer Geſchichte ganz von dem 
uriprünglichen Blane abgewichen wurde, 
weil ſich folgerichtig andere Dinge 
ereignien mufsten, ald im Plane aus» 
gehedt waren, Den Plan macht der 
Kopf, den ijt im Übermuth und Fürs 
wis alles möglich, der hat Hundert 
Leitern, um dem Erdboden zu ent— 
fonmen und in mwillfürlichen Zonen 
jeine Luftichlöffer zu bauen. Wenn 
nachher aber das Herz anhebt, dich— 
teriich zu Schaffen, nah Borbildern 
der Wirklichkeit ſinnlich zu geftalten, 
nach göttlihen und dämoniſchen Ge— 
jegen des Gemüthes zu handeln, da 





rt 


wird die Luftlinie verlaffen und je 
nad der Bodenbeichaffenheit voran— 
gegangen. Da ift es am beften, wenn 
der Dichter feiner Geſchichte nicht vor— 
angeht, fondern ihr folgt, wenn er 
fie nicht leitet, ſondern von ihr geleitet 
wird, das heißt, wenn er der Ent» 
widelung nicht Gewalt anthut, jondern 
diefelbe nad) gegebenen Verhältniſſen 
ich ſelbſt frei vollziehen läſst. 

So habe ich e3 auch hier gehalten. 
Meine Geftalten — beftimmt veran— 
lagte Menfchen — ſah ih vor mir. 
In harmloſem Spiele führte ich fie 
durcheinander, wie der Zufall oder 
das Geſchick uns jelbft durcheinander 
wiürfelt. Sie gewannen eine beſtimmte 
Stellung zu einander, und nun war 
die Lage gegeben; im Augenblide be: 
gann eine Entfaltung und eine Ent: 
widelung, die ſachte vom gezogenen 
Plane abwich, immer weiter und uns 
heimlicher, bis zu jener letzten Folge, 
bor der ich ſelbſt erfchrat. Aus der 
lockenden Idylle tft ein tragifcher Roman 
geworden, der nicht beabjichtigt war. 

Es wird einem auch oft recht 
langweilig auf dem Zummelplaße des 
gewöhnlichen Lebens. Der Alltags: 
menschen Begierden und Thaten find 
lächerlich fchnöde, man wird mit ihnen 
weder warın, noch kalt. Wenn aber 
unvermutbet irgendwo ein ftarfes Herz 
auftaucht, ſei es im woildwetternder, 
zerftörender Leidenfchaft, ſei es in 
heldenhaftem Opfermuth, alsbald reißt 
es des Dichters Aufmerkſamkeit auf 
ſich und läſst fie nicht wieder los, 
und jo lange nicht wieder, bis e3 an 
einer großen Tugend zugrunde gebt. 

Als anf dem Freiballebein Schwan. 
bahwirt mein Held plöglih Hinaus- 
gerufen wurde zu einem halbver- 
fommenen Holzknecht, da ahnte ich 
noch nichts. Als diejer Holzknecht aber 
vom Adlerwirt verlangte: Laſs' ab von 
der Dirn! Sie ift mein, und wenn 
du fie noch einmal anrührft, fo wirjt 
erftohen! — Da war ih in jeinem 
Banne. As ich hernach der weiteren 
Entwidelung meiner Geſchichte mit 


doppeltem Intereſſe folgte, war ich 
überzeugt, dajs der Schopper-Schub 
den Adlerwirt ganz gewiſs ermorden 
würde. Es kam anders, der weich— 
müthige Wdlerwirt ward zu eimem 
beklagenswerten Dulder, feine Liebe 
zu Frieda juchte er redlich zu dämpfen, 
bis er endlih vom Zufall unbarme 
herzig mit dem Mädchen feiner heim 
lihen Leidenschaft zufammengeführt 
wurde. Jetzt fanden die Dinge fo, 
daſs der Schopper-Schub wohl ans 
Meſſer griff, aber nicht mehr zuzu— 
ftogen vermochte. Denn durd lange 
Entjagung war in feinem warmen 
treuen Herzen die Liebe zum Weibe 
weit und hoch über die finnliche Leiden- 
Ihaft hinausgewachſen, und mächtig 
erfüllte ihn der eine Gedanke: Glücklich 
machen das geliebte Wejen um jeden 
Preis. 
Rechtsſinn des Naturmenfchen: Wenn 
die zwei fi in der That lieben, jo 
follen fie fih Haben. — In dem 
Augenblide, als ich den armen Menfchen 





Ein zweites Wort ſprach der 


that, jo fiel mir doch ordentlich ein 
Stein vom Herzen, als das gräfsliche 
Unglüd auf der Holzriejen geſchehen 
war — jetzt endlich! jet können die 
zwei jungen Leute, die wirklich für 
einander gefchaften zu fein foheinen, 
zuſammen heiraten ! Und da 
thut ih mir eine ungeahnte Tiefe 
des Meibesherzens auf: Jetzt, da 
Solches ſich zugetragen, mag ſie 
feine Liebſchaft mehr, und am wenigſten 
eine mit dem, der ihr ſo lange im 
Wege geſtanden, deſſentwegen ſie den 
treueſten Menſchen auf der Welt miſs— 
kannt und abgewieſen hat. 

Wenn meine heiteren Geſchichten 
auf ſolche Art enden, daun will ich 
mich zweimal beſinnen, ehe ich wieder 
einmal eine Idylle anfange zu ſchreiben. 
Und vielleicht thut auch jeder andere 
wohl daran, ſich zweimal zu beſinnen, 
bevor er — ſei es mit einer armen 
Magd, oder ſei e3 mit einer feinen 
Großbauerntochter — ein Liebesver« 
hältnis anhebt. Iſt die Dichtung ſchon 


in weher Verzichtung dahingehen ſah, ſo ſchlimm, um wie vielmehr erſt die 


wujste ich freilich, daſs da noch etwas 
geſchehen würde. 
recht, daſs der Schopper ein Opfer, 
nur halb vollbringt, und dafs er jelbft 


nicht mehr würde weiterleben wollen, | jchnell. 


das fürchtete ich. 


Ich glaubte nicht | | 


‚Wirklichkeit . 

Don den wenigen Belannten, die 
noch leben, haben wir uns gar nicht 
verabſchieden köͤnnen. Es gieng zu 
Wenn der Chroniſt dieſer 
Ereigniſſe ſich ſchließlich ſelbſt als einen 


Als Frau Kunigunde von dem alten Bekannten vorſtellen wollte, als 





der Gant verfallenen Adlerwirtshaus den kleinen Profeſſor Nix, ſo wäre uns 
auf dem Steirerwäglein fortfuhr, ließ damit nicht ſehr gedient. Der Frieda 
ich ſie ſehr ungern in den Sieben- und dem Wolfram hätten wir noch 
bachwald ziehen. Aber ihre Rachſucht gerne die Hand gedrückt. Wenn ſchon 
gegen den durchgegangenen Mann war die Jungdirn ſchrieb, daſs, was ver— 
ſo groß, daſs ſie keine Macht der gangen iſt, vergeſſen ſein ſoll, ſo 
Melt zurüdgehalten haben würde, ſeine möchten wir ihnen doch für das, was 
Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts , klommen wird, alles Gute wünjchen, 
Gutes, als fie dem Schopper-Schub| vor allem ein Starkes Herz, weldes 
nachfragte und leider — meine Ahnung | die trotzdem undergejslichen Erfahruns 
bat mich nicht betrogen, gen der Vergangenheit in der Zukunft 
So leid es mir um den Schopper ſich zunutzen mache. 





LO 
— 


Wenn Einer es 
Eine ſchwänkige Geſchichte 


as Trauerjahr der verwitweten 
Wirtin „zum blauen Stern“ 


* 
8 
5 


— 


o 


nach ihres Mannes Tod zwei Stinder, 


einen Buben und ein Mädel, zu er= 
ziehen und das große gangbare Eine 
tehrwirt&haus zu führen; das war 
wohl Uberlajt für eine afleinftehende | 
Frau, und im Orte war man übers 
zeugt, „dajs fie nicht alles miteinander 
werde dD’ermachen können”, und bald 
trachten müjle, wieder unter die Daube 
zu kommen, und niemand zweifelte 
daran, dafs fie um Freier micht zu 
jorgen brauche, denn ihre Verfon, die 


einer ftattlichen Dreißigerin, war ganz | 


darnach angethan, mehr als einen an— 
zuloden, alle Laſt mit ihr zu theilen. 

Es war natürlich, daſs feiner, der 
anf die ſchmucke Wirtin oder das gute 
Geſchäft, oder auf beide Abfichten hatte, 


die ganze Trauerzeit verftreichen ließ, 


ohne der Witwe merken zu laſſen, wie 
gut er ihr fei, und wie lieb es ihm 
wäre, wenn ihm von ihrer Seite 
Gleiches widerführe. Kurz nach dem 
Todesfalle, der die Frau zum Herrn 
des „blauen Sternes“ machte, hatten 
die beiden anderen Galtgeber im Orte 
den Verdruſs, manchen ihrer Stamm— 
gäſte plößlich zu verlieren, fie wussten 
aber recht gut, wo derſelbe zu finden 
war; bald jedoch kehrten die Treulofen | 


wieder zurüd, nicht wenig erbost über‘ 


den Empfang, den fie bei der trauern: 
den Witwe gefunden, die in rüdhalt- 
lofer Weije zu verftehen gab, es möchte 


in Oberndorf war um, fie hatte | 


nur jeder bleiben, wo er jich bei Yeb= 


zu Schlau mad. 


von £udwig Ansengruber.*) 


|zeiten ihres Seligen verhalten hätte, 
und fie gebe nichts auf „Jo 'neu Kal— 
fakter“. Sie geftand nur ihren Stamm— 
gäften das Recht zu, fie zu tröften 
und ihr zu rathen; dafür erhielt fie 
von ihren zwei Concurrenten den Titel 
‚eines Ehrenweibes, und es ward ihr 
von denſelben nichts im den Weg 
| gelegt. 

| Mit Troft und Rath trifft es eben 
nicht jeder gleih, und jo fonnte es 
nicht fehlen, dajs einige ihrer Stamm— 
gäſte den anderen den Rang abliefeit. 
| Bemühung, die feinen Dant findet, 
verdrießt befanntlich bald jedermanı, 
und fo überliegen nach wenigen Wochen 
all jene, die das Manlwerk nicht To 
„bei der Hand“ Hatten, den aljo be- 
vorzugten das Feld. Eigentlich waren 
es, nah Zahl der guten Dinge, nur 
drei, denen die MWirtin für derartige 
Theilmabmsbezeigungen ein freund 
liches Geficht zeigte; der erjte war der 
„NRäuberferdl*, Stand aber durchaus 
nicht im Verdachte, daſs er „ein freies 
Peben Führe“, und nur höchſt aus: 
nahmsweiſe, wenn er jehr jpät vom 
Wirtshaufe Heimgieng, „war ber 
Mond feine Sonne“, und er hieß 
eben: Ferdinand Räuber, war ein 
verwitibter Winzer, ohne Kinder; er 
beſaß ein weiches Gemüth, daher er 
| e3 am beſten traf, der verlaffenen Witwe 
in Stunden, wo fie ihre Bereinfamung 
eınpfand umd beklagte, nach dem Herzen 
zu reden; an ZTröften war er allen 
anderen über, es kam ihm ja auch der 
Iympathifch ſtimmende Umſtand zugute, 





) Diefe meifterhafte Humoreste entnehmen wir dem vierten Bande der „Be: 


fammelten Werke von Ludwig 


Anzengruber. 


Stuttgart. 3. G. Cotta'ſcher 


Verlag. 1890. Wir werden auf diefe höchſt verdienfivolle Ausgabe des Näheren zurüd: 


fommen. 
Rofegger's „„Geimgarten'‘, +. Geft, XV, 


Die Red, 
17 


258 


durch ein gleiches Leid geprüft worden | oder jonft daheim wo „fartelte*, trieb 
zu fein. Es hieß zwar, er ſei en Pe es Geſelligkeit halber und um wenige 
dem Trunke ergeben, aber das be= Groſchen. 

haupteten nur etliche Nachbarsleute, | Es kann nicht geleugnet werden, 
die ed von feiner Seligen gehört haben | daſs die Frau Wirtin fchon lange für 
wollten, und denen er zu oft in den ſich im ftilfen ebeudasjelbe dachte, was 
Keller ftieg und zu lange in demfelben | alle Leute im Orte dachten, nämlich, 
blieb ; wer nicht jelbit Hauer ift, hat daſs ſowohl der Tröſter, wie der Be— 
ja feine Ahnung davon, wie der Wein! rather ein Auge auf fie habe, und 
auch noch im Faſs betreut und ger | 8 fann weiters nicht geleugnet werben, 
pflegt werden will, und wie nicht dafs fie ſich beide ſchon eine Weile 
allein der Menſch den Wein, fondern auch daraufgin angefehen hatte und 
auch der Wein den Menichen braucht! ſich mit der Antwort auf die Frage: 
Im MWirtshaufe, überhaupt unter Wen nehm’ ich? trug, doch war hier 
Leuten, hat man den „Räuberferdi* | die Mahl mit feinerlei Qual verbun— 


nie betrunfen gejehen. 

Der zweite war der Fleiſchhauers— 
fohn im Orte, ein geriebener Burjche, 
wie das fein Gefchäft mit fich brachte, 
denn er trieb ſich jahrüber in allen 
vier Bierteln des Landes auf Ochſen— 
und Kälberkauf herum. Er kannte fi 
in der Welt aus und wußste mit den 
Leuten umzugehen, denn um zu feiner 
Mare zu fommen, mufste er an diefen 
vorüberdrängen und richtete das ftets 
jo geſchickt ein, dafs nicht er es war, 
der dabei blaue Flecke abbekam. Wenn 
die Witwe häusliche oder gejchäftliche 
Sorgen drüdten, wujste er ihr nad 
dem Kopfe zu reden und war ihr befter 
Berather. Man mufste ihm im Orte 
weder Gutes noch Üübles nachzuſagen, 
da er, wie bemerkt, feine Zeit wohl 
öfter auswärts wie daheim zubrachte, 
indem er nicht nur jeines Baters, 
ſondern auch anderer Gejchäfte im 


Viehhandel beforgte. Nur einige Übel— | 


gefinnte, die leicht an jedem was zu 
tadeln fanden, wollten gehört haben, 


Wanderungen mach gethaner Arbeit 
nicht ruhe, fondern ſich nach ge— 
ſchloſſenem Handel aufs Kartenſpiel 
lege und das jo undhriftlich treibe, 
daſs es Schon mehr als einmal vorge— 
fommen fein Toll, dafs er einen eben 
gelauften Ochſen veripielte, wieder ge 
warn und abermals verjpielte. Ge: 
ſehen hatte e3 aber noch feiner, und 
wenn der Waltl im 





„blauen Stern“ | Bauer nad — verftand er fich, 


‚den, denn der Perfon nach waren 


weder ber Ferdl noch der Waftl „une 
eben“, und ins Geſchäft pajste der 
Winzer wie der Fleifcher, da konnte 
fie nicht fehlgreifen, wohin fie auch 
langen mochte, und ganz nad ihrer 
Laune handeln. 

Sp eben und glatt wäre die Ge— 
ſchichte geftanden, hätte fie es nur mit 
den zweien zu thun gehabt, fo aber 
war da noch der dritte, der „Buch 
felder Dieter“, der machte die Sade 
etwas verwidelt, der war erft kurz 
nad dem Tode des „blauen Sternen 
wirtes“ nach Oberndorf gelommen, und 
zwar als Pfleger auf das Gut des 
älteren, kränkelnden Kleehofbauern; 
er hatte als Cavalleriſt gedient und 
als Wachtmeiſter feinen Abſchied be— 
kommen, ſeine Eltern ſollten „da 
drüben irgendwo“ ein großes Anweſen 
beſitzen; dieſer „Dieter“ war nun ein 
gar ſtattlicher Mann und trotz ſeines 
nun doch ſchon etwas geſetzten Alters 


ein rehter Schnurribus und wuſste 
dajs der „Fleiſcherwaſtl“ auf feinen 


die Leute lachen zu machen, fie mochten 
dazu aufgelegt fein oder nicht. 

Kurz, der Dieter war das Züng— 
lein an der Wage zwijchen dem Ferdl 
und dem Waftl, und fam die ins 
Gleichgewicht, Fo fand er oben auf! 
Das ftand feit, Geld, wenn er welches 
beſaß, hatte er nicht fo viel wie einer 
von dei beiden anderen, aber auf die 
Wirtſchaft — das fagte ihm fein 
und 





ungleich angenehmer war e3 doch, Statt 
ſich von Ferdi mit mitleidigem Gethue 
und jammeriger Stimme tröften zu 
laſſen, wenn einem der närriſche Menſch 
die Bangigkeit hinweglachen machte, 
daſs die Wugen, die anfangs vor 
Ihränen feucht waren, zulegt voll 
Lahthränen fanden, und angenehmer 
war es auch, ftatt den Waftl feine 
Findigkeit überlegen ausframen zu 
hören, durch einen als Scherz hinge— 
worfenen Kniff und Pfiff über Sorg’ 
hinmweggetragen zu werden. Was gäb’ 
der Mann für einen leutluftigen Wirt ? 
Und ſchließlich jäubrer wie der Ferdl 
und der Wajtl war er auch! 
Trogdem fam die Wage nicht zur 
Nude, die Schalen für Ferdl und 
Waſtl ſchwankten beftändig, und das 
Zünglein fam dabei immerfort chief 
zu ftehen, denn der Fleiſchhauersſohn 
brachte nicht nur was ins Gejchäft, 
jondern verdiente noch außerdem, der 
Winzer fam auch nicht mit leeren 
Händen und Hatte volle Keller und 
tragende Weingärten; die Wirtin ver— 
mied felbft in ihren eigenen Gedanken 
jede Entſcheidung und jchob fie hinaus 
bis auf die Zeit, wo fie eben nimmer 
zu umgehen fein werde, dann würde 
ih ja alles ſchicken, der Zufall follte 
enticheiden, wer es bon den dreien 
über die beiden anderen davontrüge, 
fie gieng ja für alle Fälle ficher, da 
ihr alle gleich anftändig waren! So 
zeigte fie fich denn jedem gleich gut. 
Diefes Verhalten der MWirtin aber 
machte es den drei Stammgäften voll. 
tommen flar, wie die Sache für jeden 
von ihnen ftand. Den beiden Neben 
buhlern die Wirtin zu verleiden, daran 
fonnte feiner denken, denn jeder mufste 
darauf aus jein, von ihr nur Gutes 
verlauten zu laſſen und ernftlich bös 
zu thun, wenn nur ein zweideutig 
Wort über jie fiel; jo blieb nichts 
über, als der Wirtin die beiden Neben— 
bubler zu verleiden, und da das ſchlaue 
Weib es darauf abgejehen hatte, es 
mit feinem vorzeit zu verderben, fo 
war das ein hartes Stüd Arbeit. 


259 





Die dreie bewachten fich gegen— 
ſeitig; ſie waren ſich ſtets auf der 
Spur, wie es, der Redensart nach, 
die Poliziſten den Verbrechern ſein 
ſollen, und ſtets voreinander auf der 
Hut, wie es, leider thatſächlich, die 
Spigbuben vor der Polizei find. Trat 
der eine in die Gaftftube, fo kam der 
zweite jchon um die nächite Ede, und 
der dritte — ſaß jhon am Tijche. 
Sie ſetzten ſich allabendlich zufammen. 
Menn ich zwei zufällig, was freilich 
außerordentlich jelten geſchah, Früher 
zufammenfanden, jo hätte ein frommer 
Chriſtmenſch, dem e3 vergönnt geweſen 
wäre, ihr Geſpräch mit der Wirtin zu 
belauſchen, die auferbauliche und tröſt— 
liche Bemerkung machen können, dafs 
Gott in ſeiner Weisheit das ſchwache 
menſchliche Herz fo einzurichten wujste, 
dajs es jelbit in Laftern und Un— 
tugenden das anftreben muſs, was die 
Tugend vorfchreibt, denn jo oft jich 
von den drei Nebenbuhlern ihrer zwei 
trafen, jo war es doc) nur die Feind— 
ſchaft gegen den dritten, welche fie die 
gegenjeitige Abneigung fiegreich über— 
winden und Freundſchaft ſchließen 
ließ, und wenn fie auch dann den 
Abwefenden zufammen nad Kräften 
verleumdeten, jo ftrebten fie ſchließlich 
damit doch nur die Erfüllung des 
Gebotes an: Liebe deinen Nächiten, 
denn der war die Wirtin, Die neben 
dem Tiſche ſtand. 

Schade nur, daſs dieſe mit Redens— 
arten, wie „Hinter dem Rücken ſagt 
man ein'm oft viel nach“, und „'s is 
nit alles z' glaub'n, was d'Leut' 
reden“ — ſich immer des Abweſenden 
annahm. Mit dieſem Hinhalten ver— 
gieng die Zeit, und es war ſchließlich 
ganz erklärlich, daſs es den drei Ge— 
ſellen vor ungeduldiger Erwartung 
in ihren Jacken ſchier zu enge ward, 
als eines Abends die Wirtin, früher 
wie ſonſt, den Keller ſchloſs und aus 
der Gaſtſtube gieng, nachdem ſie zuvor 
geſagt: „Heunt iſt der erſte Gedenk— 
tag von mein'm Mann ſein'm Ver— 
ſterben. Da ſchickt ſich doch, daſs ich 


17* 


feiner armen Seel’ im Gebet gedenk' 
und die Kinder dazu verhalt'. Jemerl, 
wie die Zeit vergeht! Mein’, ich hätt’ 
nit gedacht, dafs ein Jahr in der 
Trauer fo ſchnell um wär’, wie ein 
anderes. Bin nun meigierig, was mir 
das jetzige bringen wird? Na, wie 
Gott will! Gute Naht, Leuteln !“ 
„Sapperment, jebt kann mer doch 
reden!“ dachten der Ferdl und der 


braucht nit erft aufz'ſtehn, und wer 
gleih am Ort bleibt, erſpart ſich 'n 
Gang danach?“ Da hatte er die beiden 
anderen auf ihren Sigen feitgenagelt 
und feiner dachte mehr daran, ich 
davon zu heben und zu gehen. 

Das war ed, was der Dieter wollte 
Das Gehen Hatte er ihnen verleidet 
und das Bleiben gedadte er ihnen 
jo einzuträufen, dafs fie fich daraufhin 


Waſtl und der Dieter, „Früher wär's des Kommens zu ſchämen Hätten! 


nit ſchicſam g’weien und hätt’ können 
übel aufg’nommen werden, aber mor— 
gen ſchon is's erlaubt, und Eil’ zeigen, 
it da beſſer, als fih Weil’ laſſen!“ 

Und jeder date: „Morgen red’ 
ih, und es gilt nur, früher aufzuftehen 
al3 die anderen zwei.“ 

Der Ferdl und der Waſtl zogen 
eilends ihre Geldbeutel und riefen nad) 
der Sellmerin, um die Zeche zu bes 
gleichen, der Dieter aber bejtellte eine 
Flaſche vom „Beten“, und ſich be— 
haglich auf dem Sitze reckend, ſagte 
er: „Leuteln, ſo dumm ſind wir wohl 
keiner, daſs wir nit wüſsten, wie es 
mit jedem von uns beſtellt is, ich 
mein' im Abſehen auf ſelbe mudel— 
ſaubre und kreuzbrave Wirtin. So 
jung wie heunt kommen wir nimmer 
zuſammen und wohl auch nit ſo zu— 
günſtig und unneidig, denn hitzt muſs 
ſich ja doch bald weiſen, wer der Hahn 
im Korb is. So woll'n mer denn den 
Wein da gemeinschaftlich trinken — 
zahl'n thu' ich 'n — auf der Wirtin 
ihr Wohlſein und auf dasjelbe vom 
lünftigen Wirten von „blauen Stern“; 
noch willen wir mit, wer derjelbe jein 
wird, und kann fich jeder denken, er 
laſſt dabei fich ſelber hochleben!“ 

Als die Flaſche leer war, und 
Dieter noch feine Anftalten zum Heime 
gehen traf, ſondern nad einer zweiten 


Wer als Wirt auf den Gafthof 
„zum blauen Stern“ zu fißen ge— 
fommen wäre, wenn an jenem Abende 
der Dieter ſich feinen Streih gegen 
feine Nebenbuhler ausgejonnen hätte, 
das vermochte wohl niemand zu jagen, 
aber hintennach konnte jeder die Wirtin 
verlichern hören, daſs ihr der „Buch 
felder Dieter” damals einen rechten 
Dienit getan. 


Als am anderen Morgen die Wirtin 


die Treppe herabftieg und, wie es ihre 


Gewohnheit war, vorerft im Hofe 
Umſchau hielt, da Jah ihr im den 
heilen braunen Augen und auf den 


vollen rothen Lippen der Schalt, dem 
das gottlofe Weib dachte gerade daran, 
dafs es duch die geſtern gethane 
Außerung drei Mannleute in all die 


Unruhe, Eiferfüctelei und Schmadt- 


Inppigfeit gejtürzt habe, welche jo eine 


Werbung, mit anderen um die Wette, 
zur Folge hat. 
Die alte Stalldirne, weldhe eben 


die Milcheimer fcheuerte, rief vom 
Brunnen ber den Morgengruß. 
Die Frau MWirtin dankte mit 


freundlichem Niden und jchrie dann 


heil und gell nach der Kellnerin, der 
Nandl. 


„Darauf hört die heunt wohl nit, 


vollen Flaſche rief, da wurden der yerdl | Wirtin“, fagte die Alte, „wirft j’ 
und der Waſtl ftußig, und als gar) jchier ſelber aufbeuteln müſſen.“ 


der ehemalige Wachtmeifter der Dirne, 
als fie den Wein brachte, zuraunte, 
aber jo, daſs es auch die Nebenfigenden 
leicht hören konnten: „Was meinft, 
Nandl, wer fih gar nit niederlegt, 





„Ra, wär nit übel“, meinte die 
junge rau. 

„Mein’*, ſagte die alte Magd, 
„muſst's nur willen, daſs ſ' von 
geſtert abend bis heunt fruh nit weiter 





261 


3 bringen waren und da g'ſeſſen je, 
und alles aufg’effen haben, was ſie 
wit iſst, und alles getrunfen, was fie 
nit trinkt.“ 

„Io, wer denn?“ 

„No, der Räuberferdl, der Fleiſch— 
bauerwafll und der Buchfelder Dieter.” 

„Eo?* fagte die Wirtin und 
runzelte die Augenbraunen. „So?“ 
wiederholte fie. „Da muſs ich doc 
gleich die Nandl drüber befragen.” 

Sie gieng rafh nad der Wirtö- 
tube und quer durch diefe nach der 
Schlafkammer des Mädchens und hatte 
alle Mühe, diejes zu erweden und bis 
zur vernünftigen Red’ zu ermuntern. 
Da belam fie denn zu Hören, dafs 
das faubere Kleeblatt vor anderthalb 
Stunden erft weggegangen, der Dieter 
aber noch wicht heim fei, fondern nur 
ein wenig in der freien Luft ſich herum— 
treibe, um der Wirtin, wenn jie wach 
wäre, über all das während der Nacht 
Vorgefallene Beſcheid zu fagen. 

Die Wirtin jehüttelte den Kopf, 
aber der Unmuth wid) aus ihren Zügen, 
jie trat an das Fenfter und blidte 
durch die Scheiben hinaus auf den 
Pla, da ſah fie auch den Dieter wie 
eine Schildwache längs der Häuſer— 
zeile dahinschreiten, als er aber näher 
fam und ihrer anfichtig werden fonnte, 
da war er in wenigen Sprüngen 
Wegs herüber und Höpfelte an die 
Scheiben und pochte an der Thüre. 
As ihm die aufgethan ward, trat er 
ein und jagte: „'n Morgen herein, 
jo Schön wie du jelber bift, Wirtin, 
und wenn dir mein’ fruhe Kundſchaft 
lieb und recht ift, Jo gibjt mer ſchnell 
ein Stamperl Sträutergeift.“ 

Da blidte die Wirtin ſchon wieder 
etwas unfreundlicher und ließ den 
Kräutergeift durch die verſchlafene Nandl 
herbeifchaffen. 

„Wär’ mir lieber g’weit“, ſagte 
der Dieter, „dur hätt'ſt mir eing'— 
goffen, jchmedet mer dreimal fo gut! 
Biſt mir wohl gar harb, weil ich 
heunt Naht von da gar nit heim= 
g’funden hab’! O, Wirtin mein, dös 


war’ ja mein Traum und mei’ Leb'n, 
dafs ih von demjelben Haus nie 
draus müſst' und drein verbleiben 
kunnt'.“ 

„No, wer weiß, was g'ſchieht“, 
ſagte die Wirtin. 

Der Dieter machte dazu ein ſo 
rundes, leuchtendes Geſicht, wie der 
Vollmond, wenn er hinter den Bergen 
aufſteigt. „So allein, wie ich hitzt 
daſteh'“, fuhr die Wirtin fort, „ver— 
mag ich eh' mit der Wirtſchaft nit 
aufz'kommen, und gib ich ſ' weg, 
magſt ſie ja kaufen.“ 

Wie jetzt der Dieter betrübt den 
Knopf neigte und zur Seite ſah, war 
er im letzten Viertel. „Haſt du's noth, 
z' verkaufen? Haft du's noth, allein 3’ 
bleiben?“ murmelte er. Nach dem 
Mittel, zu dem er griff, um feine 
Betrübnis zu lindern, ſchien diejelbe 
jedoch nicht jo ernftlich, denn er goſs 
den Sträutergeift darüber. „Dein Wohl, 
Wirtin!“ 

„Dank ſchön! Du meinſt alſo, ich 
ſollt's wieder mit 'm Heiraten ver— 
ſuchen?“ 

„G'wiſs! A Weib wie du, Wirtin, 
braucht nur die Hand ausz'ſtrecken, 
ſo hat's af jed'n Finger a paar 
hängen! Für a Weib, wie du, wär 
's Ledigbleiben völlig a Sünd'!“ 

„Seh mehr zu! Aber wann d’ 
meinft und glaubft und weil d’ mein 
Freund bift, jo fag nur auch, zu 
welhem möchtet mir vathen, zum 
Räuberferdl oder zum Fleiſchhauer— 
waſtl?“ nedte fie. 

Der Dieter ftügte den Kopf auf 
den rechten Arm und zog ein jehr 
ernfihaftes Geficht, das nur bon den 
fuftig blinzelnden Augen Lügen ge— 
ftraft wurde. 

„Wen ich dir vermein’, wenn 
ich dir's gut mein’, meint?" fragte 
er. „Jo freilich, jo leicht geht das 
nit zu jagen, das will überlegt fein 
— ’n NRäuberferdl, den wirft mohl 
fauın mehr mög'n —“ 

„Ei, warum denn nit?” fragte die 
MWirtin dazwiſchen. 


Uber der Dieter redete, ohne darauf 
zu achten, weiter. „Doch wann dir 
der Fleifhhauerwaftl recht fein thät’, 
fo wünfchet i mir nix Beſſer's.“ 

Die Wirtin machte große Augen, 
dann fagte fie ſpöttiſch: „Dat er did 
leicht zu ſein'm Freiwerber b’ftellt 
und iS dir um ein’ Kuppelpelz?“ 

„Wirtin, o du mein’, Wirtin du !* 
rief der Dieter luſtig. „Wie Fannft 
nur jo ein’ Frag thun? Eh’ ließ ich 
mir ja d'Zähn ausbrechen und d'Zung' 
abjchneiden, eh’ ich ein’m andern 's 
Wort bei dir redet’ und nahın’ da 
fein’ Kuppelpelz und wann er gleich 
jo groß wär, daſs mer mit ihm a 
oh Land zudeden kunnt' und an 
jed’n Haarl a Ducaten hänget !” 

„Dalt, du“, lachte die Wirtin, 
„das kannſt leicht verſchwör'n, denn's 
gibt gar fein Vieh nit, was in jo 
'n Pelz drinftedt. Aber ſag ernftlich 
— denn neugierig Haft mich g’nug 
g'macht — wieſo möcht'ſt dir mir 
Beſſer's wünſchen, als daſs ih 'n 
Fleiſchhauerwaſtl nähm’? Und warum 
ſollt' ih 'n Räuberferdl nit mehr 
mögen mögn? Darauf bift mer a 
noch d'Antwort ſchuldig.“ 


Darauf begann der Buchfelder 
Dieter gar lieblich zu improviſieren, 
denn er hatte die Gabe, ſeine Reden 
zu reimen: „Darum, Wirtin, thu 
mir's gewährn, — ſetz dich nieder, 
mih anzubörn, — fo will ich dich 
wohl aufflärn, — mas fi geltern 
zutrag'n hat von Ungefähr'n, — und 
dann laſs reden mit dir in Zucht und 
Ehr'n! — Ich hab’ g’glaubt, ich werd’ 
a Narr, — wie d’ g’fagt Haft, um 
is 3’ Jahr — und dö Trauer gar, 
— und ſiech da neben mir das Paar, 
— das a in dich g’ihojlen war; — 
vor Lieb’ ganz krank, — Font’ ich 
mich nit erheb’'n von der Bank, — 
und bis zum Morg'n war d’Zeit mir 
3 lang, — und mei’ Herz mir bang, 
— dafs einer mir z’vorfäm’ mit 'm 
Gang, dafs einer mir z’vorfäm’ aın 
heutigen Tag, — an dich mit der 


Frag’, — an did mit 'm Wurt, — 
mir war frei nit guat!“ 

„Reit’ dich der Gangerl?“ Tachte 
die Wirtin bellauf. „Wirft gleich reden 
wie a vernünftiger Menſch!“ 

„O, Wirtin, du weißt mit, wie 
vernünftig Reden jhwar*) is, 
wann der Menfch vor lauter Lieb a 
Narr is, — weil aber, dich falſch 3’ 
machen, hitzt die G'fahr is — no, fo 
eripar’ i's, und red’ nur, wie's 
wahr is.“ 

„Und ich renn’ dir gleich davon, 
wann's nit bald gar is!“ reimte luftig 
die Wirtin. 

„Aber wann d’ dich auf dös Reden 
verfteht, was thuft denn mit lieber 
mit?“ 

„Na, nir da. Laſs amal ordentlich 
hör'n, was's eigentlih geb’n hat.“ 

„No, fo Hör, Wirtin, — 0, du 
MWirtin mein, wann ih dich fo be= 
tracht', mein’ ich, daſs mer zu dir 
gar mit reden kann wie zu andere 
Leut’, und daſs a andere Sprach' und 
a Mufit in der Stimm’ dazu g’höret’ 
aber ſchau nit harb **), ich 
fang’ Schon an! Mir war geftert nad 
deiner Red’ wirflih bang, dajs mer 
der Ferdl oder der Waſtl bei dir zu— 
vorlam’, und da Hab’ ich mir denkt, 
wann d’ hitzt ſitzen bleibit, jo gebt 
dir auch feiner von dö andern fort, 
und mann ſö fih da im Wirtshaus 
verhoden, g’lingt’3 dir vielleicht doch, 
fö in ein'm Zuſtand heimz'ſchick'n, 
wo ſö 's Nachtleibel für a Unter: 
ziehhojen anſchau'n und bevor d'Sunn' 
nit bei dö Fenſter H’reinbrennt, an 
der Jacken fein Ärmelloch finden. 

„Es is noch weit beijer kommen, 
wie ich erwart’t hab’, und dö Nandl 
fann ſag'n, dafs ich dir nur d’ reine 
Wahrheit bericht’, denn fie war dabei, 
und dafs du’s nit warft, das is recht 
g'ſcheit g’weit, denn in dein'm Beifein 
hätt’ mer fich nit jo 3’ trinken g’traut, 
wie mir g’trunlen hab'n, — g’mifcht, 








*) Schwar = ſchwer. 
**) Harb = böfe. 





— hitzt weiß, dann roth, dann ein’ 
Schilcher*) mörderiſch ſag' ich Dir, 
— und der Räuberferdl hat af kein' 
Trunk 'n B'ſcheid verweigert, 's is 
mir warm g'nug word'n dabei! Neben— 
her hab' ich auch g'merkt, wie ſich 
der Waſtl auf 'n Schlauen h'naus— 
ſpielt und ſo oft mer 'n aus 'n 
Augen laſst, a Reſtl Wein nach 'm 
andern auf 'n Fußbod'n ausgießt. 
Einer nach 'm andern, denk' ich mir, 
dich verſpar' ih mir af 'letzt, ich 
weiß ſchon, womit ich dich Fang’! 
„Mitten im fchönften Schluden 
und Füllen Schaut mich af amal der 
Ferdl von der Seit’ an und darauf 
lat er mir ins G'ſicht. »Gauner— 
vogel,« jagt er zu mir, »meinft, ich 
mer!’ nit, wo d’ h'naus willft, untern 
Tiſch möcht'ſt mich trinken? Das bift 
aber du nit imfland und niemand 
im Ort da. Den Wein aus mein’'m 
Keller und wieviel davon ich alle Tage 
vorm Schlafengeh’'n trink’, vertragt 
jo feiner von euch!« Darauf jauft er 
wie a Loch, und ich thu mit, obwohl 
ih ſchon 3’ fürchten ang’hob’n hab’, 
's kunnt' am End’ doch fchief gehn. 
A Weil danach jagt er zu uns zwei’n, 
zum Wafll und mir: »Os feids 
Narren, dafs ihr mir d'Wirtin nit 
vergunnt! Thät’ ich der Herr da fein, 
möcht'n mer alle Täg' jo luftig wie 
heunt beifamm’fißen, nur mit ein'm 
weit bejjeren Tropfen. Halt ja! Gilt's?« 
Der Waltl Hat ’n Kopf beutelt und 
ih ag’, — nur um was 3’ reden, 
Wirtin, nit, dafs ich ihn auf dö Ned’ 
hätt’ bringen woll'n — ich jag’ aljo: 
»Dös war’ fein Dandel net, Ferdl, 
da hätt” mer leicht 's leere Nachſchau'n, 
denn d'Wirtin leidet das in d'Nacht— 
Hneinfigen g'wiſs nit.« — »Was dentit? 
jagt er drauf. Mufst mir nit bös fein, 
daſs ih feine unb’schaffenen Wort in 
n Mund nimm, aber d'Nandl kann's 
bezeugen, daſs er g’fagt hat: »Pap- 
perlapa,« Hat er g’fagt, »mir foll 
fein Weib 's Trinken verleiden, das 





*) Schilder ſchillernder Wein. 


bat die erfte nit können und die zweite 
ſoll's a nit! Solang ein'm um eine 
18, hat man wohl Heimlichkeiten vor 
ihr, fobald mer aber amal der Mon 
is, hör'n fih dö auf. Laſst's mic 
nur erſt 'n Wirten da fein, jo huſten 
mer af dö Wirtin!« Da hat der Waftl 
glaht und af d'Nandl deutt, was 
daneb’n g’itand’n is. No is der Ferdl 
noch röter word’n, wie er eh’ ſchon 
g'weſen is, wie a Folioblattl af d’ 
lebzelternen Cigarren, was mer 3’ 
Kirchweih' 'n Kindern beim Standl 
fauft, hat fein Gicht g'leucht't. A 
paarmal hat er dumm g’laht und 
„G'ſpaſs, G'ſpaſs“ H’rausg'würgt, und 
dann Hat er fchleunig wieder zum 
Glaſel griffen und ang’fangt, n’ Wein 
gach h'nunterz'ſchütten, hitzt Hab’ ich 
Kuraſch kriegt. »Thu mer das nach 
und das!« und ein Trunk Hat 'n 
andern g’jagt, und da is er bald 
fertig g’west. Af amal rappelt er ji 
vom Seffel auf, Halt’t ſich am Tiſcheck 
an und zudt und ruckt jo mit der 
rehten Seiten, als wollt’ er fein’ 
Körper zur Thür H’nausziel’n, und 
richtig, wie er loslajst, ſchießt er a 
quer über d’Stuben und fliegt af 
v’Straßen, da is er ung’fähr a ſechs 
Schritt weit af alle viere fortg'krochen, 
dann is er mühjelig in d'Höh', und 
wie er jo dag’ftanden is, mit borge- 
bohrtem Kopf, h'naufg'zogene Schultern 
und dd langabehängenden Arm’, da 
hat er ausg'ſchaut wie dö g'wiſſen 
haareten Bamkraxler in der Dienagerie, 
was fi, ohne d'Füß' aufz'heb'n, 
fommod dö Wadeln kratzen können, 
wan ſö's jucken. Dann hat er zun 
torkleln ang'fangt, und daſs er an 'n 
Häuſern d'Eck ſtehn laſſen und kein' 
Maner eindrudt Hat, iS nit ſein' 
Schuld. No, und wie er in d'Nacht 
h’nein verſchwunden iS, hab’ ich mir 
denkt, der fan heimbleiben, den nimmt 
dö Mirtin nit.“ 

Die Wirtin ſah ziemlich ernft zu 
dem Auftigen Erzähler hinüber und 
fragte: „Na, und wie ſteht's denn 
nachher mit 'n Waftl?* 


„Nah 'm Waſtl fragft? Nach ‚m [bein Einſatz?« — Sagt er: »Dieter, 
Maftl fragft ?* fragte, wie ein Papagei |warın der Teufel d’Hofen holt, brauch’ 
Ihwäßend, der Dieter dagegen; denn ih 'n Gurt a nöt, der mir 'n Leib 
die Art, wie die Wirtin feine Gefchichte | z'ſammenhalt't. Ich ſetz' die Wirtin.« 
aufnahm, behagte ihm nicht und ihn — No, no, Wirtin, braucht feine jo 
befchäftigte eben der Gedante: Mas |finftern Mugen z' machen. Wirft’s ja 
das Donnersweib nit dazu lacht? „Sa, | bit wohl verftehn, dafs ich g’fagt 
richtig”, jagte er, fich mit beiden Hänz | Hab’, wär’ dir der Waſtl recht, wünjchet 
den durch fein krauſes Haar fahrend, ich mir nix Beſſer's, denn der mist’ 
„da will ja aud noch erzählt fein. did mir ausfolgen, dem hätt’ ich 
Alſo, dafs ich jag’, wie wir dem Ferdl dich abg’wonnen, aber feel'udergnügter 
los waren, las’ ih ein Spiel Karten |macdet mid) do, wann d’ von fein’m 
hergeben ; den!’ mer noch, g’trunfen von dö zwei was willen wollteſt . . .“ 
wär’ ſchon mehr als 3’ viel, und der Die Wirtin hatte fi nach diefen 
Waſtl Haltet’ da eh’ mit mit, ihm zu | profaischen Auseinanderfegungen haflig 
ein'm Zeitvertreib, dent’ ich, denn dafs |von dem Stuhle erhoben, auf dem fie 
er jo ein Spielraß *) wär’, wie fich | vorhin, der poetifchen Einladung Dieters 
naher H’rausg’ftellt Hat, das konnt’ | folgend, fich jo bedächtig niedergelafien. 
ih mir mit denken, Wirtin! No, gut, „'s is ſchon gut“, jagte fie rau und 
der war gleich dabei, und wir ſpiel'n, ſtrenge, „'s weitern verlang’ ich mir 
erſt um die Zeh’, aber ich hab’ mein’ |nichts zu hören. Ich bin dir zwar 
MWiderpart gleih d'erkannt als ein’, | Dank jhuldig dafür, daſs du auf 
den der G'winn hitzig macht und der g'wieſen haft, in welch' Elend ich mit 
Verluſt ganz unbelinnt ; fo lafs ich ihm Jein’'m wie dem andern von dö zwei 
denn die Freud’, folang mir die arten |g’rathen wär! —“ 
ſchlecht g’fallen jein, mich nach Herzens» „Na, ſiehſt, ma ſiehſt“, fagte der 
luft ausz’fadeln, mit 'm erften guten verdutzt dareingloßende Dieter, „'n 
Blatt in der Hand heb' ich aber an, | Dank follt!ft eb'n bedenken!“ 

'n Einjaß z' verdoppeln, ich g'winn' „Aber in Wahrheit muſs ich dir 
einmal und wieder und ein anders: doch jagen“, fuhr die Wirtin fort, 
mal, jetzt hätt'ſt 'n Waſtl ſehn jol’n!|„dals auch du mich in der heutigen 
Bor Wuth und Haft kennt fich der mit | Nacht vertrunfen und verfpielt haft.“ 
aus, mit Blättern, worauf d’Sau fein’ „No, jei g’icheit, Wirtin! Warum 
Eichel gäb’, dupliert er, und endlich | denn?“ Der Ercavallerift fuchtelte rath— 
fißt er da, nachdem er fein’ alten |los mit beiden Armen in der Luft 
Leuten 8’ Dad überm Kopf und 'n herum. „Das waren doc döfelben — 
Boden unter 'n Füßen und s Vieh ich mit — döfelben !* 

aus 'm Stall verjpielt Hat und ihm Die Wirtin trat ganz an ihn 
jelber Hut, Rod und Stiefel vom heran. „Ja, fragft du das im Ernſt, 
Leib, fo dajs ich ihn in Haar, Hemd warum? Haft du dich nit den beiden 
ärmeln und Strümpfen hätt’ h'naus- |überlegen gezeigt, daſs du dich noch 
jagen können. Weiß iS er g'weſen |beifer wie die zwei aufs Saufen und 
wie d'Wand, und der Schwit is ihm | Spielen verftehft ?* Hierauf fehrte fie 
von der Stirn g’loffen, d’Zähn hab'n ihm den Rüden zu und gieng aus 
g'knarrt, wie er ſ' auf'nand' g’biffen der Stube, ohne auf dieje doch jehr 
hat, und jein G'ſchan war völlig [eindringlich geitellten Fragen eine Ant» 
Ihredhaft, aber noch hat's ihm mit wort abzuwarten, und falls fie nicht 
ruhn laſſen. »Nir oder alles!« jchreit | Zeit verichwenden wolle, that fie ganz 
er. — »Jo«a, fag’ ich, »aber was is recht daran, denn dem Buchfelder Dieter 
hatte es die Rede gründlich verfchlagen. 
*) Spielrag = Epielratte. Er Stand lange wie verdonnert, 














wer Rem - — — — 
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[2 


205 


erit das ſchallende Gelächter der Nandl 
brachte ihn wieder zu fih. „Himmel— 
freuzfternelement!* fuhr er auf. „Was 
lachſt? Mit Luft gäb’ ich dir paar 
Ohrfeigen, boshaftes Menſch! — Ber: 
zwiejelte Dummheit! Hitzt weiß ich's, 
mer is a nit ſchlau, wenn man fchlaner 
ſein will wie ſchlau!“ 

Ehe er aber — und zwar für 
immer — aus dem „blauen Stern” 
binweggieng, erinnerte er ji, was er 
jeiner Reputation ſchuldig fer und 
begieng in aller Eile, wie er jpäter 
oft eingeltand, zu der vorhergeleifteten 
eine neue — Dummheit. 

„Naudl“, ſagte er, „laſs dir jagen, 
du magſt's glauben oder nit, mir war 
eigentlich wenig an der Wirtin g'leg'n.“ 

„Wann d' mir's Schon freiftellit“, 
entgegnete die Dirne ſchnippiſch, „fo 
glaub’ ich's nit.“ 

„Laſs dir jagen“, fuhr er gewichtig 
fort, „lieber wie dös hochnaſete, aus— 
ſucheriſche Weibsbild wärjt mer fchon 
du. Schau, könnt'ſt "3 Maul halten 
über d' heutig’ Naht, — 's fän’ mir 
drüber unter d'Leut', denn die anderen 
zwei werd'n fich hüten, davon z' reden 
— jo nähm’ ih dich zum Schatz.“ 

„Ei, mein Jegerl, was frag’ ich 
nah fo ein'm. — Schäß’ g'nug!“ 

„I heirat' dich. Das macht auch 
die Wirtin irre’ am Glauben und nimmt 
ihr die Luft, was drüber z' verlauten.” 

„Ernſt?!“ 

„Wann d’ verſchwiegen biſt!“ 

„'s gilt, Dieter, von mir kriegt 
fein Menſch a Sterbenswörtel davon 
3 bören, und auch für die Wirtin 
ſteh' ich dir, die lajst "3 Berühmen fein, 
wenn ich jag’, wir wären längſt bevor 
ihon handeleins g’wejen. Aber, wann 
d’ nit Wort halt’ft, Dieter, Spajs ver- 
ſteh' ich fein’, jo ſchrei' ich dir d’ 
ganze G'ſchicht af offenen Platz aus!“ 

Ein leifer Schauer fuhr dem Dieter 
über den Rüden, al3 er jeine auf: 
richtigen Abfichten wiederholt betheuerte, 
dann gieng er und mälzte fih in 
feinem weinſchweren Kopfe den zweifel- 
trädhtigen Gedanken herum: ob es wohl 


„Thlau* gehandelt war, nur damit 
andere nichts zu lachen Hätten, ſich 
durch ein Weib, daS feinen Spaſs 
verfteht, in die Lage zu bringen, dafs 
man felbft nichts zu lachen hat? 


* * 
* 


Hier wäre eigentlih der Schwan 
zu Ende; da fih aber unter den ges 
neigten Lejern ſicher manche befinden, 
die der fchwergeprüften Wirtinwitwe, 
welche auf einen Schlag drei Freier 
verlor, ihr Mitgefühl nicht verjagen, 
jo ſoll noch in aller Kürze erzäglt 
werden, durch welchen raſchenEntſchluſs 
dieje rejolute Frau allen weiteren 
traurigen Erfahrungen vorbeugte. 

Am felben Tage no, nach Tiſche, 
jaß fie über einem langen Schreiben 
an einen entfernten Verwandten, der 
fern auf einem feinen Anweſen mit 
einem zweijährigen Dirndl, deſſen 
Mutter unter der Geburt ftarb, ver— 
einjamte. Sie berief ihn zu fi, als 
Tröfter und Berather, ala Geſchäfts— 
leiter für den „blauen Stern.” 

Und während fie jo langjaın Zeile 
für Zeile niederfchrieb, tauchte in ihrer 
Erinnerung immer leibhaftiger das 
Bild deſſen auf, an den der Brief 
gerichtet war. — — In einem Dorfe 
mit ihm aufgewachlen, hatte jie als 
muthrwilliges Mädel oft mit dem etwas 
Ihüchternen, unbeholfenen Jungen herz 
umgetollt, al& mannbare Dirne empfand 
fie die Überlegenheit des Burfchen, 
welche ihm feine Tüchtigkeit zur Arbeit 
und fein ernftes, vechtichaffenes Denken 
verlieh, aber der anfängliche Wider: 
wille diefer Anerkennung ihrerjeits 
ſchwand, als fie merkte, dajs er ihr 
gut fei, und jchließlich befriedigte dieſe 
ftille Neigung ihren Stolz, als fie fah, 
wie er fie in Ehren hielt und auf ihre 
Ehre hielt. 

Noch erinnerte fie fi) genau, wie 
er dor ihre Stand, als fie mit dem 
Wirte vom „blauen Stern” dom Altare 
weg zu dem bereitjtehenden Wagen 
gieng, um den Heimatsort für immer 
zu verlaſſen. Wie brad, wie treu, 


266 


ehrlih und aufrichtig er ihr alles |fagte fie, „möcht's wohl wieder ein’ 


wünſchte, und wie er niemand die 


Thräne ſehen ließ, die ihm, als er 
‚die kleinere Mirzl ftedt behufs reif- 


fi) abwendete, über die Wange lief, 
niemand als feiner alten Mutter, die 
es erit nah Jahren, als er ſelbſt 
Hochzeit machte, erzählte. 

Das war aber nicht die lebte Er— 
innerung an ihn. 
lächelte, als fie daran dachte, fie könnte 
etwa noch darauf rechnen, ihn als 
kraushaarigen, rothbackigen Burjchen 
wieder zu ſehen. Nein, vor paar 
Jahren hatte er fie ja auf paar Tage 
beimgefucht, ein rüftiger, vielleicht ein 


bijächen zu ernfter Mann, hätte ihn | 
nicht das grumdehrliche, Frifchhlidende | 


Ange freundlicher erfcheinen laſſen. 
Seither wird ih wohl wenig an ihm 
geändert haben. 

Ei, fie Hätte ſchon früher daran 
gedacht, ihn zu rufen. Aber eben, dajs 
fie ihn rufen follte! Hielt ihn als 
Mann der Stolz zurüd, den eriten 
Schritt zu thun, weil ihm der des 
Eigennußes verbädtigen konnte, jo 
bielt jie als Weib die Schen davon 
ab, „nachläuferiſch“ zu  erjcheinen. 
Sie mujste wieder lächeln, wenn jie 
dachte, wo nun er, nachdem fie die 
Scheu verwunden Hatte, mit feinem 
Stolz wohl bleiben werde? 


Und da ftreicht ſich die Wirtin 
über die Stirne, denn ein Gelärme, 
das die in der Stube jpielenden zwei 
erinnert fie an dieſe 


Kinder machen, 
ihre Kleinen. „No, Hansl und Mirzl*, 


‚dafs ein 
— Die Wirtin | 





braven Vater hab'n?“ 
Der Hans fteht überlegend und 


licherer Erwägung den Finger in den 
Mund. Bermuthlid war aber die 
Frage in fo einladendem Tone geftellt, 
„braver Vater“ als ein jehr 
begehrenswerter Gegenftand erſchien, 
und fo entfchlugen ſich denn die Kinder 
im nächſten Augenblide des Dentens 
und jagten beide: „Ya!“ 

„No, vielleicht kriegt's 
Vetter.“ 

Da tauchte auch in den Kinder— 
föpfen das Bild des großen Manıres 
mit den freundlichen Augen auf, der 
jo ſchöne Gefchichten zu erzählen wufste, 
der gar lieb zu ihnen war, ja mehr 


'n Loisl 


als die Mutter, die, wenn fie lärmten, 


jie gleih hinausſchicken wollte, aber 
der Loisl Better behielt ſie dann immer 
da und ließ fie micht weg. 

Als der Brief geichloffen war, 
gieng die Wirtin, beide Kinder an der 
Hand führend, über den Pla nad 
dem Boftfaften, die Heine Mirzl trug 
das Schreiben, und die warb empor— 
gehoben und ſchob den Brief durch 
den Spalt. 

„G'ſegn's Gott“, fagte die Wirtin. 

Wo der Menſch aus reinem Sinne 
und vollem Herzen heraus etwas unter= 
nimmt, da Hat er den Segen ſchon 
vorweg Hinzugethan. libers Jahr 
batten fie im „blauen Stern“ den 


Loisl Vetter als braven Bater. 





267 





Sie will nid. 


Eine Beihichte, wie der Hans die Chriftel nimmt. 


Bon 8. 


E 5 Hang ſehr entſchieden und ein 


trogige: Ich will nicht! 


weiches Müllers Ehriftel den Borfteflun- ‚gegend; 


Hein wenig eigenfinnig das |calculierte fie weiter. 


Smreker. 


Und was fehlt mir denn jebt? 
Ich bin das 
Hübfchefte Mädchen in der ganzen Um— 
fann tanzen, jpringen und 


gen ihres Vaters entgegenfeßte, als er | fingen, wie es mir gefällt, und brauche 


fie zu beftimmen jucdhte, Hans Dorn= | 
reih Hand und Herz zu geben. 

„Aber Kind, du wirft nie mehr 
eine jo vortheilhafte Partie machen“, 
ſprach Bater Müller eindringlich. „Sage 
mir wenigftens, was du gegen den 
armen Hans einzumenden haft ?” 

Da warf Ehriftel trogig die Un— 
terlippe auf, zog das hübſche Geſicht— 
chen jchief und erwiderte: „Er ge= 
fällt mir nicht!“ 

Ahfelzudend verließ der Vater 
das Zimmer, und Chriftel dachte ein 
fein wenig nad, warum ihr Dans 
nicht gefalle? Ürgerlich ftampfte fie 
nit dem Fuße, dafs fie an dem 
Ihönen jungen Mann fo gar nichts 
zu tadeln finden konnte, und doch 
mochte fie ihn micht, weil — mun 
weil er ſich nicht getraute, ihr feine 
Liebe zu geftehen und weil er geglaubt, 
er könne die Heirat wie eine Ge— 
Ihäftsfache mit ihrem Vater abmachen. 

Freilich wäre es jchön, dachte 
Chriſtel, wenn mich meine Freundinnen 
Frau Aſſeſſorin hießen und mich um 
den ſchönen Mann beneideten, Wie 
ſtolz und glüdlih würde ich an feiner 
Seite einhergehen und wenn wir abends 
nah Haufe, in die behaglich einge— 


und Kuchen unfer warten. 

Thee und Kuchen! ach, wie würde 
mir das jchmeden! Als Frau Aſſeſſo— 
tin könnte ich mir wohl foldhen erlau— 
ben, fogar auch mandhmal die Pfar- 
rer'ſchen dazu einladen. 








‚nicht erft ängftlih nah Wunfh und 
Willen des geftrengen Eheherrn zu 
fragen. O nein, ich Heirate nicht — 
ih will nidt. 

Damit ſchien die Sache abgethan. 

Vater Müller bemühte fih durch— 
aus nicht weiter, das berzogene, eigen- 
finnige Töchterhen eines beſſeren zu 
belehren, obgleich Ehriftel nicht ungern 
gehabt hätte, wenn der Bater nochmals 
auf das Gapitel zu ſprechen gelommen 
wäre. 

Der Tag vergieng und abends 
kam der Aſſeſſor zu Müller, um fich die 
Entſcheidung zu holen, und völlig ver— 
nichtend trafen ihn die Worte: Sie 
will nit. 

Hans Dornreih ſenkte den Kopf 
und hatte Mühe, den Schmerz über die 
getäufchten Hoffnungen zu befämpfen. 
Stumm drüdte er Vater Müller die 
Hand und fchlich zum Thore hinaus. 

Er ſchaute fih nicht um, that 
auch Leinen Blid nah Chriſtels Fen— 
fter, und flüfterte nur: „Sie will 
nicht.“ 

Und doch ftand Ehriftel Hinter den 
ſchneeweißen VBorhängen und zupfte jo 
energiſch an den Spitzen bderjelben, 


daſs die dünnen Fäden nacheinander 
richtete Wohnung kämen, würde Thee 


entzweiriſſen. 

Nicht einmal einen wehmüthigen 
Abſchiedsgruß Hatte er zu ihr hinauf— 
gefandt, das war doch abſcheulich! 

Und das follte Liebe fein? — 

Ehriftel verhüllte das Geficht mit 
den Händen und fchluchzte, weil — 


268 


Hans Dornreich gegangen war und nicht 
wieder fommen werde. 

Dennoch Hoffte Ehriftel von einem 
Tag auf den anderen, daſs Haus vor— 
jprehen und fie um Verzeihung bitten 
werde. 

Sie wufste zwar nichts zu ver— 
zeihen, und, um einen Grund zu haben, 
Ihalt fie ihn einen Hochmuthspinſel, 
der geglaubt, fie werde ſich nur gleich 
eine Ehre daraus machen, Fran Aſſeſ— 
forin zu werden. — Nun, damit hatte 
e3 feine guten Wege! 

Chriſtel lachte laut auf und nahm 
ih vor, an Hans Dornreich nicht mehr 
zu denken. 

Es war ein fehr heißer Tag, an 
dem die Julifonne glühend nieder- 
brannte, wo Chriſtel aus dem Dorfe 
jenfeil$ des Berges ins Städtchen und 
nad Haufe zurüdkehrte. 

Sie war bei einer alten Muhme 
gewejen, welche die arten zu legen ver= 
ftand, wie feine andere, und diefe hatte 
ihr prophezeit, heute noch werde fie 
ihrem zufünftigen Mann begegnen. 

Wenn ihr Hans Dornreich begeg— 
nete? — Na, dem gienge ich hundert 
Schritte weit aus dem Wege, dachte 
Chriſtel, und lenkte den Waldweg 
ein, der eine gute Strede aufwärts 
führte. 

Wie oft war fie diefen Weg ſchon 
gegangen, aber nie hatte er ihr jo 
lange geſchienen, wie heute. 

„Ad, die umerträglihe Hitze!“ 


erweden, denn fie fieng an fich zu 
ftreden und zu gähnen. Als aber ein 
Blitzſtrahl faſt ſenkrecht niederfuhr, 
dem unmittelbar ein krachender Don— 
nerſchlag folgte, da war fie, von un— 
ſichtbarer Macht emporgeriſſen, plöß- 
ih auf den Füßen. 

Rathlos ftarrte ihr entſetzter Blid 
nah allen Seiten, um ein Schutzdach 
zu erfpähen. Allein vergebens. 

Nachhauſe zu fommen war uns 
möglich, der Weg ins Dorf zurüd 
ebenfo lange — alfo, was thun ? 

Bereits fiengen einzelne große 
Tropfen vom Himmel und aus den 
Augen der armen Ehriftel zu fallen, 
und och wußste fie fich nicht zu Helfen. 

Endlih fieng fie an zu laufen, 
aber nun fam der Sturm mit feiner 
Algewalt und hemmte ihre Schritte. 
Dennoch ftrebte fie vorwärts, und als 
fie um die Ede bog, ſah ihr die er— 
jehnte Nettung entgegen. 

Ein winzig Heines Stapellden ftand 
am Wege, an das ChHriftel in Angſt 
und Schreden nicht gedacht hatte. 

Mit wenigen Schritten war fie 
nun dort, Shwang Sich behend über 
da3 niedrige Gitter und danfte Gott 
aus dem Innerſten des Herzens für 
dieſen unverhofften Schuß. 

Diefes beruhigende Gefühl dauerte 
aber nicht lange, denn nun brad) das 
Gewitter mit all feinen Schreden los. 

Bei jedem Blitzſtrahl befreuzte ſich 
das ſchluchzende Mädchen, bei jedem 


murmelte Chriftel, und machte Anftals | Donnerſchlag ſchrie es laut auf. 


ten, fi auszuruhen. 

Sie firedte ſich behaglich auf das 
weiche Moos hin und durchdachte noch— 
mals die Prophezeiung der guten alten 
Muhme; dabei fielen ihr die Augen 
zu und fie träumte jchlafend weiter, 

Chriſtels Schlaf wurde immer 
feiter; fie gewahrte nicht die drohen 
den Wolken, die, langſam heraufziehend, 
den Wald in dunkle Schatten hüllten ; 


auch hörte fie nicht das ferne Rollen | 


des Donners. 
Erft das Raufhen und Braufen 
des nahenden Sturmes ſchien fie zu 





Dann rief Chriftel wieder um 
Hilfe, allein die Stimme verhallte im 
Saufen des niederftrömenden Regens. 

Sn diefer ihrer peinlichen Noth 
dachte fie an Hans Dornreih. Hätte 
fie vor wenigen Tagen micht jo eigens 
innig beharrt auf dem: „Ich will 
nicht”, Hätte fie nicht allein gehen 
müfjen und fähe nun ſchon längft mit 


Hans Dornreich zuhaufe. 


Wenn diefer blöde Menfch aber 
auch nur ein Wort gejagt — eine 


Bitte an fie gerichtet, wer weiß, was 


dann gefchehen wäre; er hätte viel— 





leicht nicht nöthig gehabt, jo traurig 
jeinen Korb nah Haufe zu tragen. 

Auch ihrem Vater grollte Chriftel, 
der von Hans fein Sterbenswörtchen 
mehr gejprochen, troßdem fie ihm mehr— 
mals hiezu Anlaf3 gegeben hatte. 

Über diefe, theils vorwurfsvollen, 
theil3 grollenden Gedanken, vergaß 
Chriſtel Für Momente Angſt und 
Schrecken, und erjt als umweit ein 
Blitzſtrahl in einen Baum ſchlug, 
wurde fie von neuem Entjeßen erfajst 
und ſank laut jammernd am Boden 
nieder. 

Zufammengefauert lehnte fie den 
Kopf an die Wand, und jchlojs die 
Augen in der feiten Überzeugung, dajs 
nun ihre legte Stunde gejchlagen. 

Ya, ja, der Tod nahte, ſie fühlte 
es — jetzt fafäte er fie an! — Ein 
gellender Aufichrei übertönte das Toſen 
de3 Sturmes. 

Die arme Chriſtel lag wirklich 
Ichredensbleih da, aber nicht in den 
Armen des Todes, jondern in den 
Armen Hans Dornreichs. 


Es brauchte eine Weile, bis der 


Aſſeſſor fie joweit berubigte, daſs Tie 
die Augen zu öffnen getraute und ihn 
mit dem dunklen Sternen anblidte, 


269 


daſs es ihm ganz wonnevoll durchs 
Herz 309. 

Und nun feßten fie fih auf die 
Stufen des Altares und Hans berich— 
tete, wie Vater Müller th begegnet 
jei und ängftlich mitgetheilt habe, dafs 
Chriſtel möglicherweife vom Gewitter 
überrafcht werden könnte. 

Da habe er, Hans, es nicht aus: 
gehalten, es habe ihn gedrängt, das 
Ihuglofe Mädchen aufzufuchen, und 
num möge ihm Chriftel nicht zürmen, 
dafs er es gewagt, ihr entgegenzu— 
gehen, 

Chriſtels Blid glitt gar wohlwol- 
lend über die Geftalt des gänzlich durch— 
näfsten Mannes, der ihretwegen nicht 
Sturm und Regen ſcheute; — und 
da follte fie zürnen ? 

Zögernd legte fie ihre Fingerfpigen 
in die dargebotene Hand, dann lieh 
fie ich einen Kuſs darauf drüden und 
endlich rüdte fie näher. 

Am Ende war es do Hans Dorn- 
‚reich, von dem die alte Muhme ge: 
ſprochen? 
| Und er war es wirklich, denn, als 
er ihr jo recht treuherzig in die Augen 
Ihaute und fragte: „Willft wirklich 
nicht, Chriſtel?“ flüfterte fie ver— 
ſchämt: „Ich will doch!“ 





Drei Gedidte 


von Hermann Rienzl. 


%: EBarfreitag. 
Sf harfreitag war's; die Frühlingsionne 
4 Betrahlte glüdlih Stadt und Land, 


Sn Zu heiliger Auferfiehungswonne 


—Die fromme Chriftentrauer ſchwand. 


Das iſt der Seele Recht im Lenze, 

Tais fie die kranken Sorgen flieht 

Und felbft am Shmud der Todtenfränge 
Nur deren Blumen blühen jieht. 


Ich ichritt an eines Mädchens Seite — 
So jrühlingsfrob — daher, dahin, 
Und in der Nähe, in der Weite 
Bracht' alles fröhliden Gewinn. 


Das alte Haus mit jhwarzen Dielen, 
Ya, Hund und Kate, Stod und Stein, 
Sogar die — Menjden, fie gefielen 
Mir in des Lenzes Sonnenjdein. 





270 





Noch mufst’ ich nicht, woher der Wandel, | Rolf, dein Vater fährt auf dem Schiff, 


Noch kannt' ich nicht die fühe Macht, Rolf, es ſcheitert das Schiff am Riff — 
Die meines Alltags Stundenhandel Rolf, gnade Gott deinem Bater! 
Mit Märdenfreuden angeladht. 
Doch fühlte ich, daſs mir, je länger Die Scheideftunde, 
Ich in ein dunkles Auge fah, No einmal — o letzter Frühlingstag! — 
Die Pruft ftets enger ward und enger, Eind wir zuſammen gegangen; 8 
Als preiste fie s: Halleluja! Noch einmal durfte jo fühn und zag 

5 nr Mein Auge an deinem bangen; 
Doch mufste ich, dafs nie im Leben Noch einmal jog id den ftillen Duft 
Mir je ein Weg ſo lieblich ſchien Von deiner heiligen Nähe — 
AS diefer, den id; eben neben Darüber aber mob Grabesluft 
Dem lieben Mädden ſchritt dahin. ; Und Scheidens tiefftes Wehe. 
Der Sommer ift ein Lenz-Entlauber, Nod einmal — o letzte goldene Stund', 
Der freude Tod ift Liebespein: Da du zogft, mein Lieb, mir zur Seite, 
Du heiliger Charfreitagszauber, Noch einmal lächelte hold dein Mund — 
In treuer Sehnſucht dent’ ich dein! O ſchmerzliches Wandergeleite! 

Noch einmal, einmal in langer Zeit 
Roff. Wohl ftanden wir Hand in Handen; 


Nun liegt das ſchon drei Monde weit, 


Ei, ftreicht der Wind heut’ übers Land Und id bin in fernen Landen. 
Und rüttelt des Waldes Glieder E j 
Und fammelt die Wollen am Iuftigen Band |! No einmal hat mir das Leben geladit, 
Noch einmal — wie oft hab’ ich deſſen gedacht 
In der Mitternacht ichlaflojem Sehnen! 
Noch einmal — verfinfender YAugenblid, 
O hätteft du, wollengeboren, 

Mich erlöst, barmherziges Flammengeſchick, 
Ich Hätte das Glück nicht verloren! 


Das ift fo wadere Yugendluft, 

In Wind und Wetter zu laufen, 
Barköpfig, mit kindiſcher Heldenbruft, 
Zu troßen des Himmels Traufen, H 
Seefahrers Rolf, der Heine Jung’, Und wie wir ftanden noch unter dem Thor, 
Mit hui! aus ber trodenen Stube! Ich mit bredendem Herzen und Muthe, 
Und jagt nun im Winde mit luſtigem Da quol aud dir die Thräne hervor: 

; . Sprung Sei gejegnet, du Gültige, Gute! 

Über Tümpel, Graben und Grube .... Deine Hände füfst’ ich in lautloſer Flag’, 
"Dann ein rafjches, zerreißendes „Wende*! 
Rolf, der Wind lommt von Süden her, Da draußen aber lag ſchimmernder Tag, 
Rolf, dort wüthet der Sturm übers Meer, | Nur in mir eine Nacht ohne Ende. 








Die Geſchichte vom armen Mann in Tokenburg. 


Von Kihard Dof. 
(Schluſs.) 


— —— 


2 III. gangenheit Bräfers Erwähnung gethan. 
Kon ‚Der erfte Herausgeber der Schriften 
He „arme Mann von Todenburg“ | des armen Mannes ift der Ziüricher 
je3s— das ift der Titel von Ulrich Buchhändler Füfjli gewejen. Dieſem 
"s Bräfers „geiammelten Werken“ — Manne ſchickte Ulrich Bräter, von ver- 
iſt im Buchhandel ziemlich vergriffen. | ſchiedenen Seiten dazu ermutbigt, 
Neuerdings hat Guſtav Freytag in was er gefchrieben, und Füſſli ließ 
feinen Bildern aus Deutſchlands Vers | dann zuerft Bruchitüde indem „Schweis 


1 


271 


zerischen Muſeum“ abdruden. Da diefe 
Veröffentlihungen von Erfolg waren, 
kam fpäter von Füſſli redigiert und 
„verbefjert* das Ganze heraus. Ein 
Schüler Chodowidis, auch Schweizer, 
illuftrierte die Ausgabe. 

Nah Füſſli bearbeitete mehr als 
50 Jahre jpäter Eduard Bülow bie 
Sugendgeijhichten Bräfers als Idyll, 
das unter einer Sammlung von No= 
vellen und Erzäflungen 1841 in 
Braunschweig erihien; bald darauf 
gab Profeſſor Sceitlin in St. Gallen 
Bräfers Schriften als Volksbuch her— 
aus, 

Das Inhaltsverzeichnis des Buches 
vom armen Manne gibt uns erftens: 
Selbitbiographie, zweitens: Tagebuch, 
und zulegt „Etwas über Shakeſpeare“. 
Diefes letzte darf nit unerwähnt 
bleiben. 

As Ulrich Bräfer Mitglied der 
„Moraliſchen Geſellſchaft“ in Lichten- 
jteig wurde, erhielt er die Erlaubnis 
zur freien Benützung der Bibliothef 
der Geſellſchaft. So fam Shalefpeare 
in die Hütte des Webers, um faft 
zwanzig Jahre dem armen Manne ein 
Freund zu fein, wie er es wohl nie 
einem anderen Menjchen gewejen. 

— „Großer Genius, göttlicher 
Dichter! Du übertrifft all deines» 
gleihen. Alle Dichter, alle Schrift: 
jteller, alle Menjchentenner und gelehrte 
Schwäßer müfjen vor dir verftummen, 
alle Phyſiognomiker mit ihren läppi— 
ihen Schlüffen erblinden. Kein Här— 
hen entgeht deinem durchdringenden 
Blid, nie wird man müde, deine Ge— 
mälde zu beſchauen, und bei jedem 
jagt man: das ift das ſchönſte! Unter 
Taufenden wollt’ ich deine Züge, und, 
wenn ich blind wäre, deine Gejchöpfe 
unter Zaujenden am Ton erkennen. 
Tauſend Menſchenmacher machen folche, 
die nirgends unter der Sonne da find: 
mijsgeborene, verſtümmelte Greaturen, 
von zufammengerafftem Stoffe. Du 
ahmit die Natur nad, und wer trifft 
fie, wie du! Wo ift der Anatom, der 
jo zergliedert und jo weiß, in welchem 


Mintel die Krankheit ftedt, jede 
Fiber am rechten Orte findet, und 
ihm den eriten Namen gibt? Une 
fterblicher William! Du Haft mir mehr 
gejagt, als alle Bücher der Welt mir 
jagen fönnten, du haft mich in Ge— 
jellfchaft deiner Gejchöpfe geführt, wo 
ich mehr hörte, als in allen Gejell: 
Ihaften der halben Welt. Du halt 
mid böfe, zornig, ergrimmt, oft faft 
raſend gemacht, du Haft meine Brujft 
aufgerifien, in Mitleid Schmelzen laſſen, 
haft mich traurig, betrübt, melaucholiſch 
gemacht, und alles wieder geheilt. 
Du Haft mich ergößt, Tuftig und fröh— 
ih gejtimmt. Du bijt mein Arzt. 
Menn Sorgen und Unmuth meinen 
Geift umbüllten, traf ich im deiner 
Gejellichaft Leute an, die mir fo tref- 
fend ans Herz redeten und allen Gram 
mwegpredigten, Leute, die den geheimften 
Schmerz von der Bruft wegfcherzten, 
und mich gefund und muthig machten. 
Daftig beforgte ich meine Arbeit, dann 
flog ich wie ein Pfeil auf die Bühne, 
um auf die ruhevollite Art den lehr— 
reihften Scenen zuzufchauen. Halbe 
Nähte verihwanden wie Minuten, 
und fein Schlaf fam in meine Augen. 
Jakobs Dienft um Rahel konnte nicht 
jo geihwind und ammuthiger vorbeis 
fliegen, als mir die Zeit bei deinen 
Spielen, wenn deren aud noch tau— 
jende wären. Andere Schwäßer, die 
neu und gelehrt fein wollten, jchlä= 
ferten mich ein. Das Haft du nie ges 
than, du immer munterer Geift; du 
läſsſt immer erwarten und betrügft nie. 
Nie wird man müde, Dich reden zu 
hören. —“ 

Urih Bräfer liest Shafejpeares 
Werke, und als er fie zu Ende gelefen, 
liest er fie wieder, und dann noch eins 
mal, und würde fie jicher zum vierten 
male gelefen haben, hätte ihm nicht 
der Tod den Dedel des Buches vor 
den müden Augen geichloffen. Shake— 
ſpeares Werle ſelbſt zu beſitzen, erjchien 
ihm als Gipfel alles menſchlichen 
Glückes, ein Gipfel, den der tüchtige 
Bergſteiger niemals erreichte. Er liest 


272 


und jchreibt nieder, was er beim Lefen !befreunden kann, grübelt er nad, wie 
empfunden; Drama für Drama. Manche es kommen mag, dafs diejelbe Feder, die 
mal ift es nicht mehr, als eine halbe | „Hamlet“ fehrieb, „Love’s labour lost“ 
Seite, oft das kaum. Er jchreibt nieder, |fchreiben konnte. Es thut ihm wech, 
was er empfindet —- d. h. jeine Zunge nicht alles gleih groß und gewaltig 
verfuchtnahzuftammeln, was jeine Seele |zu finden, und er legt es ſich auf 
durchſchauert wie Sphärenmelodie, fie feine Weiſe zurecht, um ja feinen 
mehr erſchüttert, als alle biblifchen | Flecken in der Gloriole feines Heiligen 
Tonner des Sinai fie zu erfhüttern zu jehen. 

vermochten. Wo Shafeipeare ihn nicht — „Dein Geift jagt mir, dafs du 
bejinnungslos macht, ift er ruhig, ges zuweilen dein Pferd Genie gejpornt 
lafjen, objectiv; überfhaut die Hand» | haft, zumeilen gieng’3 von jelbft einen 
lung, verfolgt ihren Lauf durch alle guten Trab, zuweilen galoppiert es jo 
Mendungen, in allen Geftalten, hebt hitzig und feurig daher, daj3 man 
it Sicherer Hand das Bedeutende |lieber wollte, e3 gienge janfter, damit 
heraus, läfst das Unbedeutende fallen, |man Zeit fände, feine Geftalt und 
und manchmal fogar wird William ſeinen Gang zu beobadhten. Hier halt 
Shakeſpeare von Ulrich Bräfer kritifiert, |du mir wieder ein Stüd in die Secle 
und das mit vollem Bewuſstſein. In | „gemacht“. — Er meint „Eymbeline“. 
den Meifterwerken, von den Donnern Und eben bei „Love’s labour lost“, 
gewaltiger Leidenschaft wird fein Ems dem er feinen Gefallen abgewinnen 
pfinden von Shafejpeares Größe wie kaun, meint er: 

von den Fluten eines Bergſtromes „— Berzeihe mir, großer Mann, 
hinweggerifien, daſs er faſt beſinnungs- ich dachte allerlei über diejes Stüd; 
los ift; und alles, was er in folchen |oft, dein Lehrjunge habe e3 gemacht, 
Augenbliden zu jagen vermag, ift ein und fo einige Strophen von dir ges 
Auffchrei des Entjegens und Grauens, | borgt, oft, du habeſt e3 etwa in 
des Erjtarrens vor dem WRiefengeift, | müßigen Stunden, bei übler Laune, 
dem er gegenüberſteht; es iſt überall | irgend in einem Bierhaufe im dein 
der Auffchrei, der fich bei dem „zu ſpät“ Taſchenbuch niedergefchrieben, in dem 
Othellos feiner Seele entreißt. du eine jpibfindige Liebeszänferei be: 

Liest man das „Etwas über Sha- horchſt. Hernach jei es, weil von dir 
feipeare“, fo gefteht man fich, nie jaufgefchabt worden, mie von jenem 
eiwas Ahnliches gelefen zu Haben. Könige der Abgang zu Schnupftabat. 
Man Hat ein halbes Lächeln auf den | Oft dacht" ich wieder, irgend ein Pa— 
Lippen, aber tiefen Ernſt im dem pagei, ein Nachſchwätzer hab’ es irgend 
Herzen, in deinem Namen gemacht. 

Für Ulrich Bräfer lebt Shake— Wenn ich gewils wüſste, dafs du 
jpeare, ift da, ijt bei ihm. Er ſpricht es gemacht, und als etwas Erhebliches 
nit ihm, wie mit einem alten, guten |für die Nachwelt gefchrieben habeſt, 
Belannten; jo einfach kindlich würde [jo würd’ ich es dir zu gefallen ver— 
er zu feinem Gott reden, fo redet erjehren. Ich will aber glauben, du 
wohl zu Gott in feinen Gebeten. babejt es nicht gemacht, und wenn du 

Zum erſten Theil des vierten es doc gemacht, jei es dir nicht in 
Heintih redet er Shalefpeare an: den Sinn gelommen, dafs alle Welt 
„— Großer Mann! Mujst du deine | Freunde dran haben möge, — — — 
Menjchen immer wieder umbilden ? oder | Haft du es wirklich gemacht, William, 





thun fie es — — — wie gerne folgt |fo freut es mich, daſs dein Geift auch 
dur der Natur — — — ja, das ift der |fo niedrig fliegen Tonnte. ch weis, 
Menjchen Art. —“ dies Stüd bat dir mehr Mühe ge— 


Wo er fich mit einem Stüde nicht macht, als all deine jchönften Werte 





— 


— aber warum ſollte dein Geiſt 
nicht auch einmal ſchlummern? So 
lommt es, wenn man etwaus erzwin— 
gen will! —“ 

Er begreift ſchwer: wie man! 
jchreiben fann, was man nicht jelber, 
gelebt hat. Wenn er auch nicht meint, 
Shakeſpeare habe Desdemona ermordet, 
und jei als Lear verftoßen und ver— 
jagt im Wahnfinn herumgeirrt, er ſei 
Machetd und der dritte Richard ge= 
wejen, jo verfteht er wohl, daſs 
Shalejpeare alle feine Geftalten in 
fi erlebt haben müſſe. Er ahnt die 
Macht des Geiftes, dem nichts Menſch— 
liches fremd ift, der in feinem Menjchen 
die Menſchheit erlebt. Aber was nicht 
geradezu gigantisch, übermenjchlich oder 
fürchterlich ift, alles das, jo meint Bräter, 
müſſe von Shalefpeare als wirk— 
liches Leben gelebt ſein. Sp padt 
ihn die Deenfchenmalerei diefes Pin— 
jel3; anders begreift er ihre Möglich- | 
fett nicht. | 

Die Heiterkeit im erſten Theile 
des vierten Heinrich erfajst ihn jo, 
dajs er meint, Shalejpeare müfle ein 
glüdlicher Zecher geweſen fein, ſonſt 
hätte er nicht den göttlichen Falſtaff 
zu jchreiben vermodt. Und er, der 
Wirtshaushaſſer und Schelmenfeind, 
er ſelbſt fühlt fich in der Gaftftube 
der Frau Quickly jo behaglich, To 
ſchmachvoll behaglich, daj3 er meint, 
es jei eigentlich eine Schande für ihn, 
fih in folcher Geſellſchaft fo grimmig 
gerne herumgutreiben, und mit Serien 
wie Falftaff und Genofien ſozuſagen 
Bruderihaft zu trinken, und ſich's 
wohl jein zu lafjen. 

Als er im „Kaufmann von Benedig“ 








Schönheit beitrahlt. 


Hütte wird zum Palafte der englifchen 
Könige, fein mattes Ölflämmchen zur 
Soune Mirilas, die Sleopatras 
Er fühlt nicht 
mehr die Härte des Holzſchemels: 
er dehnt ich auf orientalifchen Polftern, 
er ruht auf einem Königsthron. Bei 
Macbeths Mordmahl hebt er den gol— 
denen Becher, er läfst jih den Per— 
lentranf der ägyptiſchen Königsſchlange 
credenzen; die Linden von Posperos 
Hütte umraufchen ihn, und er athmet 
den Blumenduft auf den Fluren, wo 
Perdita tanzt. Er wankt mit dem 
wahnfinnigen Lear durch die Sturm— 
naht, jchreitet neben Macbeth über 
die Heide, und zieht mit Gortolan in 
die Verbannung. Er fpricht mit Horatio 
und Marcellus dem edlen Königsgeijt 
den Schwur nah und fchreit auf, 
wenn das Beil des Henfers die un— 
glüdlihen Opfer der englifchen Könige 
trifft. „O, id Hab’ auf der Seite 
Malcolms greulih um mich gehauen“ 
— er mochte dabei an feine Schlacht 
bei Lowoſitz gedacht haben. Und als 
er den dritten Theil des ſechſten Heinrich 
gelejen, jchreibt er: „Mordet immer, 
ihr beitifchen Helden. ch will meine 
Bruft hart mahen — — der edle 
Gloſter, Rutland und diefer Heinrich 
haben mein Herz geitählt, jo daſs es 
für euch andre nichts mehr fühlt.“ 
„Wenn ich dort gewejen wäre, hätte 
ich meinen Theil auch redlich beiges 
tragen, jeßt er dann Hinzu. Doch er 
ift froh, wie mit dem achten Heinrich 
die hiſtoriſchen Schaufpiele zu Ende 
find. Wenn man liest, wie er mit 
Leib und Seele in diefen Stüden ge— 
lebt hat, Jo begreift man das, er mufs 


die Scene zwifchen Lanzelot ud Gobbo | unter dem gewaltigen Eindrude don 
liest, ift er überzeugt: Shakeſpeare Mord und Greuel phyſiſch gelitten 
müfe in der Schweiz geweſen fein! haben. Das Entjeglichite für ihn war, 
und einen Bauernjungen gejehen haben, daſs er fie glauben mufste. Bei ans 
den fein alter Vater bejuchte mit; deren Trauerjpielen, jo meint er, 
einem Präſent für den Deren. hatte er doch denken fönnen: das ift 

Wenn er nachts aufligt und gebiätet; aber von diefen Königs— 
Shafejpeare liest, dann verfintt um) dramen weis er: das ift geichehen; 
ihn feine ärmlihe Welt, und eine) und die Wirklichkeit der Dinge padt 
andere fteigt Herrlich empor. Seine| ihn. 


Kofegger’s „„Grimgarten’‘, 4. Heft, XV. 18 


274 


Die gewaltigfte Wirkung haben 
auf Bräfer die Zitanen unter den 
Shakeſpeare'ſchen Geftalten 
Macbeth, Richard III., 





feinen heiligen und göttlichen Freund, 
und niet huldigend zu jeinen Füßen, 


gehabt: |demüthig und anbetend und doch wieder 
Goriolan, Jin jo rührender Menſchlichkeit: — 


König Pear. „Richard III.“ ift ihn das | „Stoße mich nicht zurüd. Beſorge 


graufamfte, verhajstefte Stüd. 

Er dankt dem überſetzer, daſs er's 
nit in Profa, in der ihn „jo rüh— 
renden, lieben Echreibart“ gefchrieben, 
fonft Hätte „Richard ILL." ihn krank ge= 
madt. Bei „König Lear“ ift feine ganze 
Seele wieder Mitleben und Mitleiden: 
— „Ich war ganz im jenen Zeiten, 
in allen Gegenden. ch verfolgte die 
heuchleriichen Deren Goneril und Re— 
gam, und zupfte den eigenliebigen, 
leichtgläubigen Lear aus allen Kräften 
gleih anfangs am Armel,” 

Den „Julius Cäſar“ kennt er aus: 
wendig; er hat darin gelefen, wie in 
jeiner Bibel, und kann gar nicht los 
von dem Stüd. Aber Marcus Brutus 
hätte es heißen follen. Brutus ift 
der Held, der edle, herrliche Held — 
bier merft man den Schweizer! Er 
hält jeinem Brutus eine Rede, wie fie 
nicht ergreifender — ergreifender in 
Uri Bräter Sprade — Antonius 
den Cäſar Sprit. Wie kommt der 
Mann zu diefem Gedanken! ALS er 
liest, wie Brutus Cäſar niederftößt, 
denft er feines eigenen Waterlandes: 
— „Getroft, ihr Todenburger! Wenn 
Brutus, der edle Brutus, den beiten, 
größten Römer um des allgemeinen 
Wohles willen morden durfte, jo durften 
eure Väter auch Rüdlinger und Seller 
als Verräter todtjchlagen.“ Und nun 
„Hamlet“! 

Er will nit ruhen, bis er wenig» 
tens „Hamlet“ unter feinem foftbaren 
Bücherſchatz hat. Er möchte das herr= 
liche Werk aufgeführt jehen, und möchte 
e3 wieder nicht: wie das Drama fich 
in jeinem Innern abfpielt, jo lebhaft 
und erichütternd kann feine Bühne 
der Welt das Stüd geben. Bier em— 
pfindet er wie ein frommer Bühler 
nah langem Kafteien und Martern: 
er iſt in Verzückung. Und in Ddiejer 
begeifterten Erregung tritt er vor 


nichts, ich will nichts ausſchwätzen, 
dir nur wie dein Hündchen nach— 
ſchleichen.“ 

Er verſteht „Hamlet“ nicht, aber er 
erräth ihn. Vielleicht, jo meint er, 
hat jelbit Shakeſpeare ſich nicht deut— 
licher ausdrüden können. Gibt es doch 
Dinge, die man eben nicht ausſprechen 
fann, auch ein Shakeſpeare nidt. 
Nicht nur das Göttliche hat feine Ge— 
heimniſſe, nein! auch das Menjchliche. 
In einer Seele gibt es Abgründe, die 
ſich nicht ergründen laffen, eine Seele 
hat nächtliche Dunkel, die feine Sonne 
erhellt, eine Seele hat jo viel des 
Unerforfhlihen und Unbegreiflichen, 
dafs man es nicht jagen kann, nicht 
einmal ahnen, nicht einmal fühlen — 
und jo eine Menfchenjeele ift Hamlet 
für Bräfer. — — 

Beltie, — ich glaubte gerade jeine 
Ansicht über die jentimentale Julie 
und die finnliche große Kleopatra jei 
ungemein charakteriftifch für unferen 
Mann?! — 

Begreift er aber — das heißt, 
überjeßt er jich die meiften der Shafe- 
jpeare’ichen Geftalten in jeine Menſch— 
heit, mit zwei Geftalten will es ihm 
durhaus nicht gelingen, und dieſe 
| beiden find feine anderen als — Ro— 
Imeo und Julie. Das tragifhe Ende 
der Liebenden erſchüttert Bräter durch» 
aus nit. Er nennt Romeo einen 
Heuler, der „von Anfang an alleweil 
mit Gewalt fterben will“, und die 
holde Julia wird nicht viel Höflicher 
von ihm behandelt: „Kaum hat jie 
Romeo gejehen, jo jammert fie jchon, 
das Grab fei ihr Brautbett!“ 
Die Bedienten behagen ihn hier bejier 
als die Herrfchaften, und die Amme 
kommt ihm wie eine Frau Gevatterin 
vor, die feinem Weibe abends lang 
von Nachbars Peter erzählt, und, weil 
er einen Flecken auf der Hofe hat, den 


ganzen Jungen in Schmuß ftedt.! handelnden Perfonen des Dramas. 
Beier noch als die Amme gefällt ihm | Die Liebe und das Schidfal der bei- 
Merkutio, der Iuftige Merkutio; auch den hält ihn fo in Erregung, dafs er 


den Pater Lorenzo hört er gern zu, 
ließe ihn nur diefer Schreier von Ro— 
meo zu Wort kommen. 

Aber nicht die Liebe ift es, die 
unſerem Uli „Romeo und Julia“ ver- 
leidet. Gewaltige Frauenliebe erſchüt— 
tert ihn; ja, ſogar Leidenfchaft, ſinn— 


liche, elementare Leidenjchaft empfindet | 
er nad, und fieht darin durchaus feine 


Teufelin, die den frommen Chriften 
zur jeligen Luft und ewigen Ber: 
dammmis in den Venusberg lodt. 
Mas er über Antonius und Kleo— 
patra fchreibt, liest ſich gar eigen— 
thümlih, wenn man denkt, wer es 
geichrieben.. Er begreift: 


nichts weiß als nur fie. Stleopatras 
Liebe legt ihr in feinen Augen eine 
Gloriole ums Haupt, daſs fie für ihn 
zur Heiligen wird. Er empfindet ftart 
und leidenſchaftlich, daſs ein Weib, 
da3 für feine Liebe ftirbt, wie dieſe 
Kleopatra für Nırtonius, ihrem Leben 
eine Weihe gibt. „Um hier zu ſie— 
gen", jchreibt Bräker, „braucht es 
Joſephs.“ 

Dieſes Wort über Kleopatra iſt 
eines der merkwürdigſten, die wir von 
dieſem Manne vernommen, 

Othello und Desdemona jind die 
beiden letzten Gejtalten, über die 





Antonius | Bräfer in feinem „Etwas“ gefchrieben. 


musste in den Armen Kleopatras ent: | Er kommt aber hier mit dem Betrach- 


mannt werden und untergehen; und. 
Antonius hatte fih an die Bruft der 
Ihönen Frau ftürzen müflen, wen 
er auch zehnmal gewujst, daſs er von! 


‚ten micht weit. Othellos „Zu jpät“ 
erſtarrt ihn. Was er dabei denkt und 
fühlt, drängt er in dem Einen Wort 
zujammen : „DO, das geht über alle 


den Lippen der bacchantiſchen Königin | Faſſung hinaus. . 


tödtendes Gift küſste. 
die Zugend Octavia iſt 
en gegen die egyptiſche Buhz | 





Und Kleopatra | 





Und dann fchliegt er fein Bud; — 


ein | ein einfacher Schluſs, einfach, wie alles, 


was wir aus Ddiefem Munde gehört, 





















































Dem Andenken Berthold Auerbad)'s. 


ei 
J 
A vergangener oder halbvergan⸗ 
gener Zeit die Rede iſt, ſo 
fann man oft das Wort Hören: Der 
it abgethan! oder: Der hat fich über» 


lebt! Und man jagt das nicht etwa 
im Zone des Bedauern, als vielmehr 


in einer Art von Genugthuung und 
Befriedigung, in einer gewillen Ge— 
reiztheit gegen den, der abgethan iſt, 
der ſich überlebt Hat. Die Welt sit 
undaukbar, aber gegen niemanden iſt fie 


enn bon einem Dichter aus | 


undanfbarer, als gegen ihre Dichter. 
Ich ſpreche Hier nur von der Würdi— 
gung oder Entwürdigung ihrer Werke 
und ich ſpreche nicht von den Aus— 
nahmen, jondern von der Kegel. 
Einmal hörte ich eine Dame fol: 
gende Worte jagen: „Ah, der N. N. 
war mein Lieblingsdichter, wie habe 
‚ich ihn verehrt, vergöttert! Ich lonnte 
nichts lefen, als nur ihn! Aber jeit 
er fein meueftes Buch geschrieben hat, 
mag ich ihn micht mehr. Ich will 
18* 


nichts mehr von ihm Hören, er iſt 
mir unausftehlich geworden.“ — Und 
was war denn enthalten im „neueſten 
Buche“? In einer Humoresfe be= 
handelt der Dichter fatirifh die 
falfhen Haare der Frauen, und — 
ob weh! — die betreffende Dame 
trug einen Chignon. — So geht's. 
Und fo ijt es nicht bloß bei Frauen, 
fondern auch bei Männern, bei Co— 
terien und Parteien — Solange ein 
Scriftiteller in ihrem Sinne, nad 
ihren Paſſionen fchreibt, ift er groß; 
fobald er einmal widerhaarig ift und 
fie jelber bürftet, wird die Verehrung, 
die Liebe für ihn zum Haſſe. Alles 
iſt vergejfen, was er ihnen früher 
gewejen, es ift vergeſſen, wie er fie 
wıterhalten, belehrt, ergößt, erbaut 
bat, wie er fie wahrhaft gefördert 
hat an Geift und Gemüth, und fachte 
wird die Neigung wach, von ihm 
Ungutes zu veden, ihm zu Schaden, 
ihn abzuthun. 

Zu bedanern ift daher ein Dichter, 
der feine Karte auf die Gunst der Menge 
jeßt, der dem Geſchmack der Menge 
huldigt und der fein Giüd von dem 
Beifall der großen Maſſe abhängig 
jein läjst. Er wird bitter enttäufcht 
werben. 


Heute noch auf hohen Roſſen, 
Morgen dur die Bruft geichofien, 


Der echte Poet Ddichtet, als ob es 
feine Lejer gebe und feinen Lorbeer 
auf Erden, und auch Feine Dornen 
und fein Darben! er dichtet, weil 
er muſs, Für ſich ſelbſt, ohne an 
Erfolg zu denken, ohne Abjicht, auf 
die Menge zu wirken. Die Odyſſee, 
das Nibelungenlied ift gedichtet wor— 
den, als die Preſſe noch nicht er— 
funden war. Wer ſie gedichtet, die 
loſen Sagen in eine Geſtalt gebracht, 
der erfüllte damit ein Verlangen ſeiner 
Natur, und heute iſt der Dichter 
mythiſcher als das Gedicht. An Ruhm 
bat er nicht gedacht, und hat er ihn 
nun, jo müßt er ihm michts. Der 
Dichter Hat fein Theil dahin, 


276 








zug 


hat fein Gedicht gelebt, geichaffen, 
genofien; daſs auch andere daran 
Antheil nehmen, ift Zufall, und ein 
recht windiger Zufall. Für den 
Dichter gibt es nur zwei vernünftige 
Gründe, fein fertiggewordenes Wert 
dur Vortrag oder Preſſe oder Bühne 
der Welt zugänglid zu machen: 
eritens die wohlwollende Abjicht, auch 
andere des Genuffes theilhaftig zu 
machen, deſſen er an dem Werke jich 
jelbft erfreute; zweitens um durch ein 
mit der Beröffentlichung erzieltes 
Einfommen fein Leben zu friiten. Wer 
e3 aus dem dritten Grunde thut, um 
Ehre und Ruhm einzuheimjen, der 
ſpekuliert Schleht. Ja gewiſs, er kann 
mit Ehre überjchüttet werden, er 
kann in der meiten Welt berühmt 
fein — aber auf wie lange? In 
wenigen Jahrzehnten ift zumeijt alles 
verraufcht, und der Bergefjene iſt dann 
um jo unglüdlicher, je mehr er früher 
in dem Genuffe des Beifalls und 
Ruhmes gejchwelgt Hat. Denn wie 
er ſich früher viel zu jehr gejagt 
hat nach guter Nachrede, jo kümmert 
er ſich nun viel zu ſehr um die 
ſchlechte; er hat feine Ruhe, fein Heil 
auf den Wankelmuth der Leute ges 
baut und ift verloren, 

Aber ſolches vor Augen müjste 
der Dichter ja Menfchenfeind werden! 
Warum? Die Leute find wie fie find, 
und er gehört auch dazu. Er jelbit 
macht's gelegentlich gerade fo. 

Wenn ich meine eigene Erinnerung 
frage: Recht viele Dichter weiß ich, 
die in meiner Jugend nod in weitelten 
Schichten mit Begeifterung gepflegt 
wurden, jet aber „abgethan“ Sind, 
darunter Namen wie Walter Scott, 
Sean Paul, Heinrich Heine, Berthold 
Anerbad. 

Bei letzterem will ich mich jeßt 


aufhalten. Berthold Auerbach iſt 
ein Geift, der im dem Vierziger-, 
Fünfziger- und Sedhzigerjahren im 


deutschen Volke, ja ſelbſt in fremden 


Culturvölkern, jeher Wejentliches ges 


wirkt Hat. Heute jagt man, in jeineu 








Torfgeihichten wären lauter unwahre, 
idealifierte, Spinoziftifche Bauern, und 
glaubt ihn damit zu richten. Ja, weiß 
man denn nicht, dafs jede Zeit nur 
ſolche Dichter trägt, die fie brauchen 
kann, die ihr nothwendig find! Wie 
bätte ſich denn der llbergang vom 
romantiſch angehaudten Idealismus 
des philoſophiſchen Jahrhunderts der 
Humaniſtenzeit zum Realismus unſerer 
Tage vollziehen ſollen, als durch 
Dichter, die mit dem einen Fuße noch 
dort, mit dem anderen ſchon hier 
ſtanden? Und betrachtet man das un— 
vertilgbare Bedürfnis der Volksſeele, 
in der Literatur höhere Bereiche, als 
die des Alltagslebens zu finden, be— 
deutendere Menſchen mit ſeltener That— 
kraft, ſei es zum Guten oder Schlechten, 
hochgemuthe, opferfähige Herzen — 
jo wird man begreifen, daſs Auerbach 
jeine Sendung hatte und erfüllte, 
ja daj3 man ihm felbft die Berechtigung 
auf die Gegenwart nicht abjtreiten 
fan, 

Auerbad war fein naiver, jondern 
ein Zendenzdichter, er wollte nicht 
allein äfthetiih wirken, und er Hat 
nit feinen außerordentlich verbreiteten 
Schriften viel Gutes geftiftet, er bat 
Zudt und deutſche Sitte gepredigt, 
er bat die Humanität gefeiert, er war 
Miterweder des deuiſchen Batriotismus. 
Sein immer wiederfehrendes Sehnen 
und Rufen nach einem einigen Deutjch- 
land find echte Herztöne und feine 
tindlihe Menjchengläubigleit, die frei— 
ih der pure Gegenfab war zu dem 
gegenwärtigen verbitterten Peſſimis— 
mus, Hat zum mindeften nichts ver= 
dorben, 

Man ift Heute geneigt zu jagen, 
bei Auerbach fei alles gemadt, be- 
rechnet, und feine Natur fei eine ganz 
andere geweſen, al& die bon ihm zur 
Schau getragene. 

Wer in diefer Sade Wahrheit 
haben will, der leſe Berthold Auer— 
bachs Briefe an feinen Freund Jakob 
Auerbach. (Frankfurt 1884.) Diefe 
Briefe umfafen einen Zeitraum von 


mehr als fünfzig Jahren (1830 bis 
1882), find reine Brivatbriefe, in 
welchen fi der Dichter volllommen 
offenherzig gibt mit jeinen Vorzügen 
und feinen Fehlern. Zu feinen Vor— 
zügen gehört das unverwüſtliche Wohl— 
wollen, das Auerbach allen Menfchen, 
auch feinen Gegnern entgegenbrachte. 
Hunderte von Perſonen führt er in 
den Briefen vor, an jeder weiß er die 
befte Seite zu beleuchten, jo daſs 
man glauben könnte, e3 gibt mur 
lauter gute, edle, weile, hochbedeutende 
Menfchen auf der Welt. Und wo er 
tadeln, rügen, fich wehren mujs, da 
thut er es in jener vornehmen Weiſe, 
die in unferer mit Zaunfteden polemi— 
jierenden Zeit kaum mehr verftändlich 
it. Wenn ihm manchmal gegen jeman— 
den ein ftrengeres, tadelndes Wort 
entfuhr, jo war ſchon am nächſten 
Tage fein Beftreben, es wieder zu 
verwilhen; vor dem Unrechtthun 
fürdhtete er ſich noch mehr, al3 vor 
dem Unrechtleiden, Er wollte gute 
Kameradſchaft mit aller Welt, ver— 
ftand es aber, jeden anderen nad) 
dejjen Eignung, Artung und Stand« 
punkt voll gelten zu laſſen, auch 
wenn es jeiner Natur nicht immer 
entiprah. Als Auerbachs größte 
Schwäche bezeihne ich unbedenklich 
feine perſönliche Eitelkeit. Er weiß 
3, daſs man ihn für eitel hält, ver— 
wahrt ſich dagegen, aber ich kann ihm 
nicht helfen, er ift es doch. Allein 
diefe Eitelkeit ift eine jo Harmlofe, 
findliche, treuherzige, daſs fie manch— 
mal eher anmuthet, als abſtößt. Und 
fie entjpringt feiner Menſchenachtung. 
Er war für fi jehr zaghaft, er war 
feiner jener Stolzen, die wohl wifjen, 
was fie bedeuten, die aber den Bei— 
fall der Menſchen verfchmähen. Er 
hatte die Leute fo lieb, dafs er ohne 
Gegenliebe nicht leben fonnte, dafs er 
jeden Tag das Bedürfnis hatte, bon 
irgend einem Menſchen irgend ein 
Lob einzuheimfen. Und wie dankbar 
war er für jede Auszeichnung, wie 
glüdjelig machte e3 ihn, wenn man 


208 


ihm eines ſeiner Bücher pries, ihm 
ein Ständchen brachte, wenn er unter 
dem Volke als der Auerbach erlannt 
und beftaunt wurde! Und wie zu— 
gänglid war er andererfeitS wieder | 
für Rathichläge, Anderungsvorfcjläge, 

jeine Werte betreffend! Er war eine, 
weiche, biegjame, liebesdurftige Natur. | 
Auerbach hat Auszeichnungen erfahren, 
wie jelten ein deutfcher Dichter. Zahl- 
los waren die Widmungen aller Art, 
die don allen Ständen ihm gemacht 
wurden. Man benannte Pläße, Berges» 
höhen, Bäume nach jeinem Namen, 
man veranstaltete ihm Feſte, Bantette, 
wohin er fam. Die Berliner Arbeiter: | 
ftände umjubelten feine Reden, während 
die Minifter und Fürften ihn zu Tiſche 
luden. In mehreren deutfchen Höfen 
ward er wie ein Hausfreund gehalten, 
am Berliner Hof wurde er befonders 
ausgezeichnet, von vielen regierenden 
Fürſten mit Orden gefhmüdt. Seine 
Werke wurden überfegt in das Eng- 
liche, Franzöſiſche, Italienische, Un— 
gariihe u. ſ. w. In Holland gab es 
Wandkalender mit dem Bilde Auer— 
bachs, unzählige Bilder und Büſten 
wurden von ihm gemadt, ja in einem 
Wachsfigurencabinet ftand er Iebens= 
groß in Wachs geformt neben Bismard | 
und Napoleon. Und über folde Popu— 
larität ſchrieb erdann an feinen Freund: | 
Lieber Jakob! Ich bin doch glüdlich, 
ich lebe nicht umfonft, ich meine, ich 
hätte nie mehr das Recht, unzufrieden 
zu fein, da ich folches erfahre. 

Sp umbefriedigt Auerbach oft mit 
jeinen Werfen war, und er gejtand 
das ſtets offen, jo Hatte er doch 
manchmal Träume von feiner litera= 
rischen Nachhaltigkeit im deutſchen 
Volke für künftige Zeiten. Acht Jahre 
ift er nun todt und es ift gut, daſs 
er nicht mehr fehen kann, welche 
Richtungen der deutfche Geiſt litera= 
riſch und ethifch nimmt und was aus 
feinem Andenten geworden. Das geht 
rafh. Berthold Nuerbah, der den 
Zeitgenofien feiner DON BER 
als literarifcher Revolntionär, als ein 

















| rüttle, 


Plebsdichter erfchien, wird von dem 
heutigen Realiften, Materialiften und 
Naturaliften — belädelt. 

Aber jein Todtenlied ift noch nicht 
gepfiffen. Ein Mann, der je einmal 
jeinem Bolfe etwas bedeutet bat, der 
ift und bleibt ein Bauftein in dem 
Gebäude diejes Volles; wenn man 
ihn auch nicht mehr jucht, er ift da, 
und nicht zu bejeitigen, und wer ihn 
ausbrechen wollte, weil er nicht die 
weithinleuchtende Giebelrofe, jondern 
bloß ein verborgenliegender Grund: 
ftein ift, der würde dem ftattlichen 
Haufe feinen guten Dienft leiften. 

Verſchiedene Ausſprüche, die mir 


‚in feinen Briefen beſonders aufge- 
‚fallen find, die feine Art zu denken 
und zu empfinden bezeichnen und die 


auch. Für fih allein recht gut ver— 
ſtändlich find, will ih bier anmerken. 
Alfo jagte er unter der Klage, daſs er, 
auf dem Höhepunkt feiner Individualität 
ftehend, nichts mehr an fich ändern 
fönne, zu Jatob: Ich habe vielleicht un— 
reht, aber du weißt, ich habe mich 
jeher gern, und Hätte ich das nicht, To 
wäre ich ſchon längſt total zugrunde 
gegangen. Wenn ih nur das 
machen könnte, was mir im Geilte 
ruht, ich meine: die Naturwahrheit 
ftilifieren, die Realiſtik folgerichtig in 
reine Kunſthaltung bringen. — Ich 
erfahre, daſs meine beherrfchende Kraft 
in der Ausführung nicht feit genug 
ift, jedes Merl wird mir unter der 
Feder größtentheils ein anderes, als 
ih anfangs gewollt. Mir fehlt es in 
meinem Schaffen wie in meinem Leben 
an ftrenger Methode. — Mir ift nie 
im Leben etwas ganz gelungen, im 
Schaffen nicht und im Sein nidt. — 


Ri war oft glüdlih oder unglüdlic, 


aber nie zufrieden. Ich bin nie jo heuch⸗ 
leriſch geweſen, daſs ich mir und 


anderen eingeredet hätte, Lob und Tadel 


wäre mir gleichgiltig. — Eben weil 
ich oft ſo verzagt bin, an mir ſelber 
bedarf ich eines ermunternden 
Zurufes von außen. Und warum ſoll 
ich der Wirkung meiner Werke nicht 


8 


. — — 
7 


279 


nachgehen? Jeder Schütze ſieht an 
der Scheibe nach, ob ſein Schuſs ge— 
troffen. Mir fehlt es an der Klugheit, 
die auch Tugend iſt, jo gut wie Güte, — 
Sich feindjelig von den Menſchen ab» 
wenden heißt, ſich bejiegen laſſen. 
Mer bift du demm, der du der Beite 
fein willft, um ein Menjchenfeind fein 
zu dürfen ? 

Das klingt liebensmwiürdig, befchei- 
den, und erklärt feine Eitelkeit auf das 
menſchlichſte. 

Rührend iſt mir ſein Geſtändnis, 
mit welcher Glücksempfindung er ſchuf. 
Während der Arbeit ftand es in ihm feſt: 
das wird gut; das wird bedeutſam; 
das kann ein großes Werk werden. 
Der Optimismus trug ihn manchmal 
empor über die Wolken. War das 
Werk fertig, kamen die Kritiken, dann 
kam auch die Abkühlung, er fand den 
Tadel jehr oft für gerechtfertigt und 
hielt nicht viel auf fein Werf, bis es 
die Begeifterung des Volkes wieder 
emporhob. In verjchiedenen Lebens: 
epochen verfuchte er es mit dem Drama, 
und wiederholt muſste er ſchwere 
Enttäufhungen erleben, bis er zur 
endgiktigen Überzeugung kam, dafs 
dramatifierende® Zalent ihm verjagt 
war. — So find die Dichter, und 
nur der Poet verfteht ſolche Belennt- 
niffe des Poeten im vollften Maße. 

Auerbach war eine pathetifche, lehr- 
bafte Natur, und doch erfannte er, 
daſs die meiften Leute von Erhebung 
und Andacht nichts willen wollen, 
dafs fie den Dichter nur nach äſthe— 
tiſchem Schulmeifterftabe beurtheilen, 
oder nad dem, wie er den Philifter 
unterhält. „Die Welt,“ fo rief er troß 
feiner außerordentlihen Erfolge ein— 
mal aus, „thut immer jo ſchön umd 
entzüdt, aber fie läſst mich verdorren 
wie jeden Poeten.” 

In mehrfacher Hinficht intereilant 
war fein Verhältnis zum preußiichen 
Hofe, über welches bier ein bezeich- 
nendes Schreiben an Jakob vom 
26. März 1881 plabfinden mag. 

Ih muſs dir von geftern erzählen. 


wolle, und fo jelbft jchreiben. 
fuhr aljo vor fieben Uhr nad dei 


Sch lege dir einen Brief des Groß— 
herzogs von Baden bei, den er mir 
durch einen Lakaien ſchickte, der auf 
ntwort wartete. Das ift ganz gegen 
ofform, fragen, ob man kommen 


Ich 


niederländiſchen Palais, wo der Groß— 
herzog wohnt. Er war noch bei Tafel 
beim Kaiſer, kam aber bald. Und 
nun glückwünſchte ich ihm nochmals 
zur Verlobung ſeiner Tochter, und er 
dankte mir herzlich für den Gratu— 
lationsbrief, den ich ihm geſchrieben 
hatte. Natürlich ſprachen wir auch 
viel von dem Ungeheuerlichen, der 
Ermordung des Kaiſers Alexander. 
Ich ſagte, dafs die Art, wie die In— 
denheße fort und fort infcenirt wird, 
auch ein Werfen von Dynamitbomben 
ift. Aber der Großherzog hofft, daſs 
das bald wieder vorüber ſei, obgleich 
er die tiefe Schädigung, die das Bolt 
damit erleide, vollfommen erkenne, 
Die freie reine Seele des Großherzogs 
leuchtete immer dur, und er freute 
fih, mich wieder frifcher zu finden 
als vor drei Wochen, als ich damals 
bei ihm war. Ich war damals ehr 
bedrüdt, und der Großherzog jagte, 
er fönne mir eine befondere Freude 
machen, denn er habe veranlafst, daſs 
meine Volksbücher in allen Schul» 
bibliothefen des badischen Landes atı= 
geichafft werden, er Hoffe, daſs ſich 
das auch in den Nachbarländern und 
weiter hinaus werde bewirken lafjen. 

Die Stunde verftrih, und nad 
jeiner lieben, wahrhaft innigen Urt, 
mich als den alten Herrn beirachtend, 
gieng er mit in das Vorzimmer und 
gab mir einen Lakai mit, der mid 
durch die bededte Halle hinüber in 
das Palais der Großherzogin führen 
jollte. Dort traf ich die Großherzogin, 
natürlih in Trauer um den ruſſiſchen 
Kaiſer, und fie dankte mir ebenfalls 
für meinen Glüdwunfd, den ich ges 
ſchrieben. Sie fagte mir, fie habe 
„Brigitta“ wieder gelefen, und wenn 
ich es nicht übel nehme, fo müſſe Tie 


mir Sagen, es ſei ihr das Tiebite 
meiner Bücher. „Ja“, jagte fie, „die 
Brigitta quält fi, dafs fie das Ge— 
bot: Liebet eure Feinde! nicht erfüllen 
fonnte, und jie erfüllte e8 doch, denn 
was man den Feinden Gutes thun 
kann, das thut fie ja, und das ift 
doch die Liebe, die verlangt wird, 
denn die Liebe als Neigung kann man 
ſich nicht gebieten, aber die That.“ 

Ih konnte natürlich in voller 
Mahrhaftigkeit jagen, wie warm und 
Ihön diefe Auffaffung. Als wir uns 
eben geſetzt hatten, kam die Saiferin. 
Sie erzählte dann der Großherzogin, 
wie fie mih anno 1845 in Weimar 
fennen gelernt, und die Großherzogin 
fügte Hinzu: „Und meine Schwieger- 
mutter fannte Sie ja auch gut.“ Die 
Kaiferin fragte mich, was ich arbeite; 
ih fagte, daſs ih eine Erzählung 
Schreibe, auf die ich eigentlich nichts 
Rechtes Halte. „Da laffen Sie fie ja 
nicht druden“, fiel die Großherzogin 
ein. „Sie find gewiſs Ihr bejter Kri— 
tifer. Thun Sie das ja nicht! Sie 
dürfen nichts herausgeben, was man 
tadeln kann.“ Ich fagte, daſs man 
immer getadelt werde, und fie ent= 
gegnete ſehr freundlih: „Dann kann 
man den Tadel gut ertragen, wenn 
man weiß, man verdient ih micht.“ 
Ih legte nun dar, wie tief ich im 
Gemüth geitört jei durch die Juden» 
hetze; es ift fein Geringes, daſs man 
ih jagen lafjen muſs, man gehöre 
nicht zu den Deutſchen und fei ohne 
Vaterland. Das mufs id noch mit- 
erleben, der ich bereits ſechsundvierzig 
Jahre nad) beiter Kraft für das deutfche 
Volk arbeite und im Patriotismus 
niemand nachitebe. Das murde 
mir beftätigt, und die Großherzogin 
fagte: „Glauben Sie mir, dieje häls- 
lihe Sache ift nur in Berlin.“ „Und 
auch bier ift fie nur vorübergehend“, 
fiel die Kaiferin ein. „Berlin treibt 
über Nacht, man weiß nicht woher, 
eine Bflanze auf, am anderen Tag if 
fie wieder vergangen und fie hat feine 
Wurzel. Und Sie jehen ja, die Sadıe 


pur oe. 


ift eigentlich Thon vorüber, aber ganz 
gewijs im Verfhwinden.* ch mujste 
das beftreiten und miederholte, daſs 
man am Hofe wahrfcheinlich von diejer 
Berwüftung der Gemüther und der 
Berfehrung alles geraden Sinnes nicht 
genugfam unterrichtet ſei. Die Kaiferin 
fagte mir: „Wir, wir haben unfere 
alten Beziehungen zu den alten Freun— 
den — ich ſehe von Ihnen ab, denn 
Sie find nicht nur ein Freund, jondern 
auch ein Dichter — immer aufrecht 
erhalten und werden e3 auch immer 
jo zeigen.” Die Kaiferin wiederholte, 
wie unabläſſig wohlthätig die Juden 
ih bewähren, und wie fie jelber vor 
furzem das jüdische Alterverforgungs= 
Haus bejucht Habe, mie fie nächſtens 
das jüdische Krankenhaus befuchen 
wolle, und jo folle ih nur ruhig fein, 
es wird fich alles wieder ſchön aus— 
gleichen. Die Großherzogin lenkte über 
und erzählte mir, daſs fie und der 
Großherzog meiner gedachten und, 
wenn ihnen etwas begegnete, oft jagten: 
„Da jollte der Auerbach dabei fein, 
er muſs es willen.“ Sie erzählte mir 
von einem alten Töpfer in andern, 
den ich fennen lernen müſſe, das ſei 
fo ein glüdliher und arbeitfamer 
Menſch, bald achtzig Jahre alt, und 
er mache jegt durch die Anftalten des 
Kunftgewerbes Majolica; fie jagte mir, 
fie werde mir die Adrefje des Mannes 
aufichreiben. Dann fagte fie: „Da 
hätten Sie auch dabei fein follen; 
aber ich habe mir's für Sie gemerlt. 
Mir waren in Rippoldsau und früh 
ftüdten unter den Tannen. Da waren 
zwei alte Weiber, die jede Woche 
zweimal kommen, um Sauerwafler zu 
holen. Man fagte ihnen, daſs das 
der Landesvater und die Landesmutter 
feien, und fie kamen herbei; fie wur— 
den dann auf unſer Zimmer beftellt, 
und der Großherzog gab ihmen eine 
Gabe, indem er fagte: «Sie haben 
doch ſchwer zu tragen an den vielen 
Krügen über die Berge.» — «Jap, 
fagte die eine Frau, «aber wir haben’s 
noch gut, wir können doch manchmal 





= 2 — — — 
Er 


Bl 


unjere Laft ablegen. Aber der Regent 
kann jeine Laft nie ablegen!» — Da 
haben wir dann bald gejagt, das iſt 
etwas für Auerbach.” 

Gerne miſchte fih Auerbach manch— 
nal in das jociale und politische 
Leben, denn das Gefchid feines Volkes 
gebt jedem Dichter nahe, und er möchte 
mitraihen, mitthaten nach beſtem 
Willen und Können. Allein, da konnte 
er manchmal hören: Auerbach, davon 
verftehft du nichts. Bleibe du bei 
deinen BDorfgefchichten und anderen 
Dichterwerfen und kümmere du dich 
nicht um Politik. — Das waren die= 
jelben Stimmen, die anderen Poeten 
wieder zurufen: Zretet heraus aus 
euren Idyllen, aus den Geleijen einer 
vaterlandslofen Äſthetik, dichtet Kampf. 
gefänge, Streitrufe für euer Volk. — 
Ein Thor, der auf die Stimmen des 
Bublicums Hört, das Publicum weiß 
jelbft mit was e3 will, der Dichter 
muſs es befjer willen, was die Leute 
wollen, als fie jelber, 

Unferem Dichter ift es verhäng— 
nisvoll geworden, daſs er der Menge 
doch zu viel zuliebe gethan hat. „Ic 
vermag es nicht,” ſagte er, „mich von 
der Welt zurüdzuziehen." Daum ift er 
manchmal wohlredneriih geworben, 
wollte es allen recht thun, und fein litera= 
riſcher Charakter verfandete fich in die 
taufend Gedanken des Gollaborators. 
Aber ſelbſt, als er dieſe herausgab, 
bangte er, daj3 man ihn damit miſs— 
verftehen, ihm Eitelfeit vorwerfen 
würde, al3 halte er fich für einen 
MWeltweifen, während es doch mur 
flüchtige Gedanfen wären, die er gebe 
und die nicht die Prätenjion hätten, 
geglaubt werden zu wollen. 


überhob fih nie. Gegen alle, die ihm 
nabten, war er wohlmwollend; er nüßte 
zahllofen jungen Schriftjtellern in 
Rath und That, und wohl feiner 
dürfte fein, der es ins Land rufen 
fünnte: mir hat er ablichtlich gefchadet. 
Er war ein guter Menſch, und auf 
dieſem Grunde leiftete fein Zalent 
Hocherfpriehliches für das Ddeutjche 
Volk. 

Gegen Ende ſeines Lebens iſt 
Auerbachs Menſcheninnigkeit ſtark ge— 
trübt worden durch den in Deutſch— 
land einreißenden reactionären, brutal 
unduldſamen Geiſt. Auerbach war 
einer jener Juden, die bei der anti— 
ſemitiſchen Bewegung unſchuldig leiden. 
Aber nicht allein das, ihm gieng das 
Schickſal all ſeiner Stammesgenoſſen 
zu Herzen. Er hielt Großes von dem 
Judenthum, deſſen Vorzüge er beſaß 
und deſſen Schattenſeiten er nicht ſah, 
weil er überhaupt bei allem und jedem 
nnr das Beſte herausfand. Er Hat 
nie ein Hehl daraus gemacht, daſs 
er Jude war, immer aber auch den 
Chriſten begriffen, und war tief dank— 
bar für alle Toleranz, die ihm oft 
von katholiſchen Geiſtlichen entgegen— 
gebracht wurde. Den Katholiken traute 
er überhaupt mehr Duldſamkeit zu 
als den Proteſtanten, deren chriſtliches 
Gefühl ſeit dem Kriege verroht wäre. 
— ZVergebens gelebt und gearbeitet”, 
ſchreibt der fiebzigjährige reis am 
29. November 1880, „es bleibt die 
entjegliche Thatfache, daſs ſolche Roh— 
heit, ſolche Verlogenheit, ſolcher Haſs 
noch möglich iſt. Und da ſoll man 
wieder Tag und Nacht drauf ſinnen, 
um Reines und Schönes zu geſtalten!“ 

Er hat von diefer Zeit an aud) 


Im ganzen war Berthold Auerbach | nichts mehr geftaltet; ein Jahr und 
gerade fo eitel, um die Eitelfeit feines | zwei Monate noch, dann ift er ins 


eigenen Strebens zu erkennen, 


Er) Grab geitiegen. 


Eine Bitte an den Clerus. 
Von P. R. Rofegger. 


5* 


ga mir waltet eine faſt elementare 


*8* Nothwendigkeit, alles öffentlich 
2 auszjufpreden, was in Sachen 
des Volksthums mein Denken ift und 
mich lebhaft bewegt. Das ift nicht 
zu ändern. BDafs ich jedoch unter 
ſolche Aufſätze und Betrachtungen ftets 
meinen vollen Namen ſchreibe, das 
iſt unklug. Dadurch ſtelle ich mich per— 
ſönlich gleichſam mit offener Stirn 
und unbededter Bruft vor ein Heer von 
Gegnern, die hinter der Parteiflagge ver- 
borgen, unter Anonymität verhilft mit 
hundert Pfeilen auf mich ſchießen können. 

Wenn die Pfeile ſtecken blieben, 
jo müßſste ich ſchon längſt dem heiligen 
Sebaftian ähnlich ſehen, während ich jo 
mich in meiner oberländijchen Bären= 
haut durchaus nicht als Märtyrer fühle, 

Das Bemwufstjein meiner redlichen 
Abfiht, duch ſolche Kundgebungen 
Gutes zu ftiften, gibt mir den Muth, 
jedem Gegner, fei er eine mächtige 
Perfon, ſei er eine unfajsbare Partei, 
offen vors Gejicht zu treten, gibt mir 
auch die gute Laune, leidenschaftliche 
Anwürfe und hochmüthige Abfertigun— 
gen zu belächeln. 

Heute berühre ich wieder einen 
Punkt, an welchem mande Leute ganz 
bejonders empfindlich find. Die Volks— 
ichule. Und hier habe ich es mit einer 
Partei zu thun, welche fich die clerikale 
nennt, die aber doch zum Glüde jich 
nicht ganz mit den ehrmwürdigen Tra— 
ditionen der katholiſchen Kirche deckt. 

Unsere Boltsjchule hat wohl mande 
Fehler, die aber leicht verbefiert wer- 
den fünnen, weil ſie feine Cardinal— 
fehler find. Was aber ift dem Glerus 
an unferer Bollsfchule recht? Nichts. 
Seine Hauptflagen find, daſs dieſe 
Schule zu koſtſpielig und nicht hriftlich 


— — a — — — — — — —— — — — — — — 


genug wäre. Iſt es ihm mit dieſen 
Klagen wirklich ernſt? Zahlt der Clerus 
mit an den Koſten der Schule? Pflegt 
er ſich immer ſoſehr zu bekümmern um 
das materielle Wohl des Volkes? Pre— 
digt er diefem doch jelbit fortwährend, 
nicht nach irdiſchen Gütern zu trachten! 
— Und zu wenig Chriſtenthum. Ver: 
bietet das Schulgefeg dem Glerus, in 
der Volksſchule Religion zu lehren? 
Im Gegentheile, das Geſetz gebietet 
es ihm, es jtellt ihm eine genügende, 
vom Katecheten oft nicht ausgemüßte 
Stundenzahl zur Verfügung, es ftellt 
den Religionsunterricht vollkommen frei, 
e3 mischt ſich in Religionsjachen garnicht 
ein, es verlangt vom Statecheten feine 
Rechenſchaft, jo dafs der Religions- 
unterricht heute eigentlich unabhängiger 
ift als je. Er liegt ganz in den Hän- 
den der Kirche. 

Wenn die Schüler aber trogdem 
in der chriftlichen Religion zu mangels» 
haft unterrichtet werden und der reli= 
giöfe Sinn nicht genügend ausgebildet 
wird, mer fann dann jchuld fein 
daran, als jene, die den Religions: 
unterricht zu bejorgen haben ? 

Wie wird in unferen Volksſchulen 
Religion gelehrt? Ach konnte es lange 
nicht glauben, bis ich endlich vielfach 
davon überzeugt wurde. Won unzähligen 
Lehrern lieg ich es mir berichten, von 
Schulinſpectoren, von Schultindern und 
ihren Eltern, von meinen eigenen Kin— 
dern, welche die Volksſchule befuchten, 
endlich von Katecheten jelbit. 

Das Haupt = Um und = Auf des 
Religionsunterrichtes ift der katholiſche 
Katehismus. Wenn noch Zeit bleibt, 
wird auch Bibel gelefen, zumeift 
nur aus dem Alten Teſtamente. Ach 
habe als Katholik gewiſs nichts gegen 





u u —— — 
® 


283 


den Fatholifhen Katechismus, es ift 
das nothwendige Buch der confeſſio— 
nellen Satungen, es fajst in jich auch 
fozufagen das Gerippe der Religion 
und der Sittenlehre. Auch gegen das 


es auch jetzt noch einzelne Katecheten 
gibt, welche den Religionsunterricht 
in dem oben angedeuteten Sinne 
führen; ja ich wüſste ſogar einen oder 
zweie zu nennen, die ihre Borjchrift 


Alte Teſtament ift im allgemeinen | dahin übertreten, daſs fie etwas weniger 
nichts einzumenden, obzwar ich nicht | Katechismus büffeln und etwas mehr 
weiß, wie mit den unbeftraften hebräi= | Evangelium leſen laſſen, und denen 


ihen Kniffen und Laſtern eines Jakob, 
eines David, 
derer das hriftliche Kind fich zurecht- 
finden foll. Und das Neue Teſtament? 
Im beiten alle wird es gleichgeftellt 
dein Alten. Wo aber bleibt in unferen 
Religionsitunden der eingehende Unter: 


riht über das Leben und die Lehre, 


Jeſu, das Evangelium? 


E3 kommt einem mandmal gerade 
als gejchehe die VBorenthaltung | 


bor, 


abjichtlich, 


um dann behaupten zu 


fönnen, die Neufchule erziehe religions= 
Gewifs, das war in 
In der Schule, 
wurde an 
jedem Samstage und Borabende der | 
Feſttage von den Schülern, und zwar 


loſe Menichen. 
der Altſchule beſſer. 
welche ich beſucht habe, 


der Reihe nach durch die Bank, jener 
Theil des Evangeliums geleſen, der, 
am darauffolgenden Tage auf der 
Kanzel vorkam. 
Härt, mit finnigen Beifpielen belegt, 
wendet, furz das Evangelium auf dem 
Wege des Gemüthes zur Sittenlehre 
gemacht. 
für uns damals die ſchönſten Stunden, 
fie erwärmten, 


in der Wüſte des Rechnens, der 
Spradlehre, des Schreibunterrichtes. 


Damals hörte man auch noch von einer 
hriftfatholifchen Religion, Heute gibt 


e3 nur mehr eine Fatholifche. 
Warum ift es heute micht mehr 


jo? Iſt etwa das Voltsjchulgeieh daran 


ſchuld? Wir willen jhon, dafs diejes 


eines Simjon und an— 





Hierauf wurde der 
Tert beiproden, vom Statecheten er= 


Die Religionsitunden waren 


‚mit dem Gedrudten, 





e3 gelingt, an den Schülern Interefie 
zu erweden für unferen Heiland, für jein 
Leben und feine Lehren, und doch auch 
Intereſſe für die Verordnungen der 
Kirche. Im ganzen ift das nicht, im 
allgemeinen, in der Stadt wie auf dem 
Dorfe, herrſcht in der Religionsitunde 
eine troftlojfe Ode. 

Wie fieht in unferer Volksschule 
der Religionsunterricht aus? Mechani— 
ſches Aufgeben von Abſchnitten aus 
dem Katechismus, mechaniiches Aus— 
wendiglernen desſelben Abſchnittes, 
mechaniſches Prüfen desſelben Schü— 
lers, mechaniſches Herſagen des Memo— 
rierten, mechaniſches Anmerken der 
Religionsclaſſe. So geht man zumeift. 
ohne weitere Erklärung des Tertes von 
Abſchnitt zu Abjchnitt; der Schüler 
: quält ſich ab, Seiten um Seiten ohne 
Berftändnis und Intereſſe ſich einzu= 
büffeln. Anfangs fragt das unſchuldige 
Kind, was dies und das Heike, da 


‚jedoch jelten eine Antwort eriheilt wird 
auf unfer menjchliches Leben ange: 


oder wenigitens feine befriedigende, 
dem Alter des Kindes angemefjene, jo 
gewöhnt das Sind fih endlich das 
ragen ab, lernt gedantenlos die Sätze 


' auswendig, plappert fie gedantenlos her 
begeifterten uns für, 
Ideales, fie waren wie Oaſen mitten, 


und befommt eine gute Neligionsnote. 

Mancher Katechet begnügt fich nicht 
er Dictiert den 
Schülern auch noch allerhand aus der 
Dogmatik und der Liturgie zum Aus— 
wendiglernen. Es werden die kirch— 
lichen Einrichtungen, Geräthe, die prie= 
ſterlichen Kleider, die vorgejchriebenen 
Gebräuche zu verichiedenen Feſten und 
bei firchlichen Handlungen erörtert, und 


in den Religionsunterricht nichts drein« | alles mufs wörtlich auswendig gelernt 


redet. 


werden. Bei der Behandlung der 


Zwar nehme ich als gewiſs an) Sacramente wird das HDauptaugenmert 


und laſſe es mir nicht nehmen, 


dafs auf Formen und Formeln gewendet. 


TR ner — 


Auswendig gelernt wird die Aufzählung 
der Hriftlihen Tugenden fowie die der 
Sünden. In dem Abichnitte über 
chriftliche Gerechtigkeit heißt es: Thue 
das Gute und meide das Böſe. Sünde 
ift die Übertretung des göttlichen Ge— 
jeßes u. ſ. w. Es ift alles da, es fehlt! 
in der Theorie nichts zu einem chriſt— 
lihen und jittlichen Leben. Aber wie 
jeelenlos, wie handwerksmäßig wird 
das falte dürre Wort abgehafpelt! Und 
jene Theile der Religionslehre, die 
den Geift befchäftigen, das Herz warm 
machen könnten, fie fommen nicht zur 
Geltung. 

Es könnten bier Beifpiele ange— 
führt werden von anderen Unzukömm— 
lichkeiten in dem Katecheſen-Unter— 
richte. Wozu das? Einzelne Unzu— 
kömmlichkeiten kommen in jedem Berufe 
vor, ſie gehen die Behörden an. Ich 
habe das Ganze im Auge, die Ein— 
richtung als ſolche und die allgemeinen 
Gepflogenheiten. Und aus vielfacher 
Erfahrung weiß ih und ſpreche ich, 
daj3 der vorwiegende und jeelenlos 
betriebene Katehismusunterricht jenen 
religiöfen Sinn nicht auszubilden ver— 
mag, der für ein fittliches Volksthum 
vonnöthen wäre, 

Mir find zehn», zwöltjährige Kinder 
begegnet, die vorzüglide Claſſen in 
Religion Hatten, von der Gejchichte 
Jeſu, von der Bergpredigt aber joviel 
al3 nichts wussten. Wie hiengen ihre 
hellen Augen an meinem Munde, wenn 
ich ihnen erzählte von dem GChriftlinde 
zu Bethlehem, von der Flucht nach Egyp— 
ten, vom herodianifchen Kindermorde, 
von der Taufe am Jordan, von den 
Wundern, dein Leiden und Sreuztode 
und bon der Auferftehung emdlich! 
Rafcher gieng uns der Puls, dem Er— 
zähler wie den Zuhörern, höher ſchlugen 
unfere Herzen dem Göttlichen entgegen 
und mit Begeifterung wurden Vorjäße 
gefafst, jo zu leben, daſs wir Lieb» 
linge des Heilandes würden. 

Es ift, als ob der gegenwärtige 
Ratechefenunterricht dazu angelegt wäre, 
dem Menjchen jchon von früher Jugend | 








284 


an die religiöie Welt zu verleiden. 
Die meiften Thränen der Kleinen 
Schüler werden des Katechismus wegen 
vergofien. Und die jahrelange, ge= 
danfenlofe, freud- und willenlojfe Be— 
ihäftigung mit einem Gegenftande 
muf3 endlich gleichgiltig gegen denjelben 
machen, eine Gleichgiltigkeit, die vom 
Katehismus auf Kirche und Gottes— 
dienjt übertragen wird und das Herz 
für alle religiöjen Empfindungen nad) 
und nach verledert. Ich verlange Ver— 
innerlihung in der Religion und Ber: 
innerlihung im Religionsunterrichte. 

Ich frage: Warum wird bei dent 
Religionsunterrichte in unferen Volks— 
ſchulen das Evangelium fo jehr über- 
gangen? Ich wundere mich, dafs jolches 
nicht auch andere fragen, dafs Jolche Frage 
nicht der Staat ſelbſt mit Ernft Stellt. 
Warum wird das Evangelium Ehrifti 
vernachläſſigt, warum aller Schwer— 
punkt nur auf den Katechismus gelegt? 
Der ern und Inhalt des Chriſtenthums 
liegt im Evangelium, in den heiligen 
Schriften des Neuen Teftamentes. Mit 
diefen vor allem muſs der Schüler 
vertraut werden, dann erjt wird der 
Katehismus, die Liturgie, der Eultus 
ihm verjtändlich ſein. 

Gibt es Ausflüchte? Gibt es Ein- 
wände? Vielleicht. Aber meine ber: 
jeugung fteht feſt, daſs es ein großer, 
underantwortlicher Fehler unjeres Res 
ligionsunterrichtes ift, das Evangelium 
beijeite zu ſchieben. Und ſelbſt wenn 
es „auch“ gelehrt würde, wäre e3 
mir noch zu wenig, es muſs vor 
allem gelehrt werden! Ich bin Ehrift, 
ich habe Kinder, die hriftlich erzogen 
werden ſollen. Ich ftelle mich vor die 
Katecheten, ih ſtelle mich vor die 
Biſchöfe, ich ftelle mich dreift vor den 
Papit und frage: Warum wird in 
unferen Volksſchulen das Buch der 
Kirche, der Hatehismusvporgezogen 
dem Buche Jeſu, dem Evangelium ? 
Warum wird das Neue Teftanent jo 
auffallend vernachläfiigt ? 

Pädagogiſche Rückſichten können 


unmöglich die Urſache ſein, denn das 





u „_. — — 
m 


285 


Evangelium ijt für das Kind zehn 
mal pafjender und verftändlicher, als 
der Katechismus mit feinen oft ver— 
fünglihen Ausdrüden und Darſtellun— 
gen, die man dem Kinde nie aus— 
legen faun und darf. 

Oder jollte die Zeit dazu fehlen, 
mit dem Evangelium ſich abzugeben ? 
danı weniger von dem anderen, und 
die Hauptſache voran. 

Dder jagt man, das Evangelium 
befämen die Kinder ja von der Kanzel 
herab zu hören? Das ift zu wenig, 
gehört Haben ift noch wicht in fich auf: 
genommen haben, ſonſt fünnte man 
wohl auch die anderen Lehrgegenftände 
den Schülern nur bloß vorlefen, das 
wäre bequem, 

Oder meint man, das Aut des 
Katecheten fei nur der Katechismus, 
und die Vorführung des Evangeliums 
müſſe er weltlichen Lehrern überlafjen 
fünnen? Das wäre ein unverantwort— 
liches Preisgeben des Belten an pro= 
fane Hände. 

Man kann es aber nur fehwer 
glauben, daſs es ihr Eruft ift, wenn 
lie jagen: Den Vortrag des Evans 
geliums ſoll der Schullehrer beforgen. 
Sie begeben fich damit des Religions 
unterrichtes in dem wichtigiten Punkte 
und es könnten Leute fein, welche da 
jagen, wenn jchon der weltliche Lehrer 
das Chriſtenthum lehrt, jo wird der 
Katechet in der Schule entbehrlich. In 
Deutfhland, in der Schweiz bejorgt 
in der That der Volksjchullehrer den 
Neligionsunterricht, die Kirche ſetzt 
erſt im zwölften Lebensjahre des 
Schülers ein, um ihn zur Konfirmation 
vorzubereiten. — Ich glaube, dajs 
eine ſolche Einrichtung ſich unſere 
Clerikalen nicht wunſchen, ja dafs fie 
den Weligionsunterriht eines micht 
dogmatiſch gebildeten Lehrers mit 
Milstrauen überrwahen würden, Alfo 
warum nicht jelbit auch in der Volks— 
jchule das Evangelium lehren, wie 
lie von Chriftus den Auftrag haben! 


Sollte ſich's herausſtellen, daſs der 
Clerus aus irgend einem Grunde 
ſeiner fürnehmſten Pflicht in der 
Volksſchule nicht nachkommen will, 
dann allerdings müſsten alle Bekenner 
des Chriſtenthums und alle Freunde 
des Volkes darauf hinwirken, daſs der 
weltliche Lehrer ſich der Lehre Jeſu 
annehme und ſie den Kindern ver— 
mittle. 


Wenn unſerer Volksſchule ſchon 
fo manches fehlt, was allmählich ver— 
beſſert werden muſs, ſo fehlt ihr vor 
allem ein rationeller, herzerwärmender 
Religionsunterricht. Solange dieſer 
verweigert wird, iſt die Klage wahr: 
lich nicht unbegründet, dafs unſereVolks— 
ſchule zu wenig chriſtlich-religiös ſei. 

Ich bin nicht rechthaberiſch, mir 
iſt nicht um Streit und Gegenpart 
zu thun, ſondern nur um die Sache, 
ich wäre froh, wenn ich mit dem 
heutigen Vorwurfe unrecht hätte, wenn 
ich eines beſſeren belehrt und über— 
zeugt werden könnte. Wenn nicht, ſo 
müſsſste ih zu folgendem Schluſſe 
kommen: 


Dem Clerus iſt bei unſerer Volks— 
ſchule nicht zu thun um Religion und 
Chriſtenthum, ſondern um die Herr— 
ſchaft. Nicht ſoſehr zwiſchen dem Meſſias 
und den Menſchenkindern will er ein 
unzerreißbares Band flechten, als viel— 
mehr zwiſchen Kirche und Volk. Der 
Clerus will ſich aus ſocialen und 
politiſchen Gründen der Menſchheit 
bemächtigen. Aber das ſoll er offen 
eingeſtehen, dann wird man ihn achten 
wie jede andere weltlihe Macht und 
auch alfo mit ihm rechnen. 


Heute denke ih nur an die Religion 
Ghrifti, deren Reich hoch über dieſer 
Welt fteht, und was ich einfältigen 
Derzens bon dem Clerus verlange, 
um was ich bitte, um was ich flebe, 
it das: Lehre unſeren Schulkindern 
Religion. Gib ihnen das Evangelium 
Jeſu! 


Ein Anwalt des Bauernflandes. 


2 
8 


— 

Pr mmer wieder kann man die Er: 
>25 fahrung machen, dajsder Bauern— 
I hand in der modernen Gefells 

ſchaft eigentlich Feine Freunde hat. Den 

Vorwärtshaftenden ift dieſer Stand 

zu alttändig; den Speculationsſüch— 

tigen ift er zu arbeitſam; den Luxus— 
verbreitern iſt er zu bedürfnislos; den 

Emporföümmlingen ift er zu jchlicht; 

der Induſtrie ift er zu wenig conſu— 

mierend; der Wiſſenſchaft ift er zu 
gleihgiltig für geiftige Intereffen, und 
jo geht das fort. Zwar ranfen fich die 

Parteien um den Bauern, aber nicht 

um ihm zu nüßen, jondern um ihn 

ih dienftbar zu machen. Nur der 

Staat weiß diefe Urquelle der Steuern, 

der Rekruten, zu ſchätzen, aber er thut 

es ftillfchweigend, fägt tapfer darauf 

[08 an dem Afte, auf welchem er fißt. 


Schöne Worte Hört man für den 


Bauernftand in den Alpen, der heute 
am Rande des Unterganges fteht, im 
runde aber ift und bleibt man gleich» 
giltig gegen ihn und fein Scidjal. 

Wenn die Gejellichaft dem Bauern 
ihon nicht aus Liebe zum Bauern 
hilft, jo follte fie ihm wenigitens aus 
Liebe zu fich felbft Helfen. 

Bon diefem Gedanten geht Karl 
Morre aus, der in feiner bei „Ley: 


kam“ zn Graz erfchienenen Brojchüre : 


„Die Arbeiterpartei und der 
Banernfland, ein ernfles Wort in 
erniter Zeit“, jachverftändig und her— 
zensfrisch für den Bauernftand eintritt. 

Cr weist bin auf die heute be= 
reits furchtbar drohende Arbeiterbewe— 


gung, gegen welche gegempärtig nur 


noh ein einziger Wall fteht, der 


die gejellfchaftlihe Ordnung ſchützt. 
Diefer Wall ift der Bauernftand. Das, 
Bürgerthum ſchützt uns nicht; Städte, 


jind leichter zu erobern und zu zer— 


286 





ftören, als die bäuerlichen Ländereien 
und Gemeinden. Der conjervative, pa= 
triarchaliſche, arbeitsfreudige, bedürf- 
nisloje, vechtäfefte, alte Bauernitand 
ift ed, an dem die hohen Wogen der 
Socialcommuniſten ſtauen und ſich 
brechen, dieſer Stand iſt es, der ſich 
nie und nimmer der Arbeiterbewegung 
anſchließen kann und wird, fo lange 
er für fich beftehen kann. — Aus 
Selbfterhaltungstrieb, jo ruft Karl 
Morre der Gefellihaft, dem Staate 
au, aus Selbiterhaltungstrieb ſchütze 
den Banernftand, damit er dich wies 
der ſchütze! — Es ift fein idealiftiich 
oder doctrinär aufgebautes Gedanken— 
ſyſtem, was Morre entwidelt, das iſt 
der herben, unbeftreitbaren Wirklich: 
feit unferer Tage entnommen und 
wenn dieſe Schrift nicht überzeugt, 
dann weiß ich nicht, was jonit über: 
zeugen kann. 

Der Kern der Morre'ſchen Bro- 
Ihüre ift das Gapitel: Der Bauer 
und ſein Elend. Er jchildert die ge— 
genwärtigen troftlofen Zuftände jchlicht 
und wahr, er erhärtet mit Ziffern und 
Beifpielen: es iſt leider, leider uns 
möglich, ihm zu widerſprechen. Er 
| zägıt die Urſachen auf, warum es jo 
fommen mufste; einen großen Theil 
der Schuld an dem Niedergange des 
Bauernitandes trägt der Bauer felbit, 
aber einen noch größeren tragen andere ! 

Wenn unjer „Deimgarten“ in der 
Banernichaft viel gelefen würde, fo 
wollte ih dem Bauern hier den Spie— 
gel feiner Schuld vorhalten, wie wir 
das übrigens jchon des öfteren ver— 
ſucht Haben. Die da leſen, find aber 
„die anderen“, und Ddiefen wird es 
nicht ſchaden, aus Morre's Brojchüre 
vorläufig einige, nur einige! der Zu— 
Hände und Einrichtungen zu betrach— 








ten, die den Bauern allmählich zu— 
grunde richten. 


Die erfte Urjache der Verſchul— 
dung des bänerlihen Beſitzes — jagt 
Morre — ftammt in Ofterreich ſchon 
aus dem Jahre 1848 und jchreibt fich 
daher, daſs die Belißungen damals 
ganz ungerechtfertigt Hoch bewertet wor= 
den ſind. Nach diefen Werten hat der 
Staat faſt dur 40 Jahre die Steuern 
und Beligübertragungs- Gebühren be— 
rechnet und nachden die zu hoch be= 
werteten Objecte die Zinfen für die 
erlegten oder entlehnten Anlage-Capi— 
talien nicht einbrachten, Jo wurden die 
Beliger in zweifaher Richtung geſchä— 
digt, und dieſes Fchleichende Übel Hat 
gar viele Bauern beſitzlos gemacht. 
Unzählige Bauernhöfe find auch durch 
die vormals üblihe Theilung der 
Gründe unter die Geſchwiſter entwertet 
worden, und feit mehr als 15 Jahren 
betreibt die Güterjchlächterei das Aus— 
ſchrotten von Beligen, ganz unbeküm— 
mert darum, ob die hiedurch gejchaffe- 
nen Zwergmwirtichaften beftehen können, 
oder nicht. 


Höchſt beflagenswert ift die That» 
jache, dafs die wenigiten Bauern mehr 
in der Lage jind, ſich ordentliche Wert: 
zeuge oder praktiſche Maſchinen anzu— 
ſchaffen; Kinderſpielwaren, Nippſachen, 
Luxusgeräthe werden aus Stahl und 
Eijen angefertigt, umd mancher arıne 
Bauer adert wieder wie dor zweihun— 
dert Jahren mit hölzernem Pfluge und 
hat einen Wagen mit hölzernen Achſen. 
Ein Zeichen der Zeit! Nicht die ge: 
änderte Erzeugungsweije, jondern das 
überhandnehmende bäuerliche Elend ift 
die Urfahe, weshalb in den legten 
zwanzig Jahren jo viele Hadenfchmiede 
und Zeughämmer in Kärnten, Steier« 
mark und Oberöfterreich, welche land— 
wirtichaftliche Geräthe erzeugt Hatten, 
betriebölos geworden find. 

Ein mächtiger Grund der Ber: 
armung des Banernitandes ift in den 
ſchweren Laften zu fuchen, welche dem— 
jelben vom Staate, vom Lande, vom 





| | 


wur. 


Bezirke, von der Gemeinde, von Schule 
und Kirche auferlegt werden. 

Der Staat hat eben, um Arbeit 
und Auslagen zu erjparen, den autos 
nomen Körperjchaften jo viele Gejchäfte 
übertragen, dafs die Autonomie fait 
nur als eine indirect eingehobene er— 
höhte Grundſteuer zu betrachten ift 
und mit Rüdjiht auf diefen Umſtand 
erfcheint der Grundertrag übermäßig 
hoc befteuert. Die Dienftleiftungen, 
welche die Gemeinden für die verfchie- 
denen Behörden und Amter zu voll 
ziehen haben, vermehren Sich derart, 
dafs es ſchon fait jeder Grundbefiger 
am Lande al3 Strafe anfieht, wenn 
er zum Gemeindevorſtand gewählt wird, 
denn er ift weniger der Borftand der 
Gemeinde, als der vielbeichäftigte Die— 
ner aller vorgejegten Behörden. Bon 
nachtheiliger Wirkung find auch die 
großen Steuern, welche auf vielen 
landwirtichaftlihen Producten haften, 
während an dem Rüdgange fo vieler 
Weingärten, welche nur leichte und 
billige Weine geben, zunächſt die Ver— 
zehrungsftener Schuld iſt, welche für 
ſchwerſten Bouteillenwein und den 
leichteften Landwein den gleichen Steuer: 
ja hat. Gewijs könnte fein einziger 
Induftriezweig beftehen, deſſen Erzeug— 
nifie im Innern des Landes jo hoch 
beſteuert wären, wie Wein und Fleiſch. 

Sehr empfindlich treffen den bäuer— 
lichen Beier die Ubertragungs- und 
Erbgebühren, weil fie juft in jene 
Zeit fallen, im welcher der Überneh— 
mer durch die Abfertigung der Ge— 
ſchwiſter, durch Bezahlung des fundus 
instructus, durch Erlag des Kaufſchil— 
lings u. dgl. ſich ohnehin in bedräng- 
ter Lage befindet. 

In früheren Zeiten konnte ſich 
mancher Anfänger durch eine glüdliche 
Heirat heraushelfen, allein derzeit it 
das Landvolf durchweg jchon jo ver— 
arınt, daſs eine reiche Banerstochter 
zu den Geltenheiten gehört. Wenn 
auch einzelne Mädchen Anwartichaft 
auf ein Heines Vermögen haben, jo 
haftet dasjelbe gewöhnlich am elter- 


288 


lichen Belige, und fobald es gefündet | trieben werden, vollends ruiniert. — 
wird, kommt diefer Belig in Gefahr. Wie groß mag erft die Summe aller 
Die wenigen wirklich vermöglichen |vermeidlihen und unvermeidlichen 
Bauerstöchter, die noch zu finden find, Erecutionstoften im ganzen Reiche fein 
nehmen feinen Bauer, jondern heira- |umd wie viel Schmerz, wie viel Thrä— 
ten einen Wirt oder einen Gewerbs= nen verurfahen gerade dieſe Koſten 
mann in der Stadt, weil jie das füm= dem unglüdlihen Landvolle! Möch- 
merliche und freudenleere Los, welches ten doch die clerifalen, ja alle Ver— 
einer Bäuerin am Lande befchieden ift, |treter der Landgemeinden von Haus 
aus der Erfahrung kennen und fürch- zu Daus gehen und fi den Janımer 
ten. So tief ift der einft auf ſich ſo anſehen, damit fie bei allen Abſtim— 
ftolze Bauernftand Schon gefunfen, dafs | mungen das Elend des Landvolkes 
jelbft vermögensloje Dirnen lieber in die | vor Augen haben und der Lehre Ehrifti 
Stadt dienen gehen, al3 auf dem Lande | gedenken, die da jagt: Was ihr den 
Bäuerin jein wollen. Diefe traurige | Armen thut, Habt ihr mir gethan! 
Wahrnehmung muſs jeden Wiſſenden Es find gar ſchwere Laften, die 
mit banger Sorge erfüllen, ih Schon aufgezählt Habe, allein ich 
In arger Weile wird die Noth- |bin weitaus noch wicht damit zu 
lage der bäuerlichen Befißer durch die Ende. Im gleichen Verhältniffe, in 
ESteuer-Erecutionen, insbejondere aber !weldhem die Zahl der vermöglichen 
duch die Höhe der gerichtlichen Exe- | Befiger ſich vermindert, vermehrt fich 
eutionskoften verjchlimmert. die Zahl der Armen, welche verjorgt 
Iſt es nicht unbarmberzig, den werden follen. In äußert wenigen 
armen Bauer, der ſchon nicht mehr !Ländern, und auch da nur in einzels 
imftande ift, das Geld für die Steuer nen, merkwürdigerweiſe juft in den 
aufzubringen und ohnehin für jeden abſeits von den Eifenbahnen gelege- 
Tag der Säumnis die Verzugs- |nen Gegenden oder im nächſten Um: 
zinjen zahlen muſs, auch noch mit kreiſe großer Städte, findet man noch 
Grecutionskoften zu belaften? Wie einen halbwegs wohlhabenden Bauern— 
ſchade, dafs man bei der Berathung |ftand. Der übergroßen Mehrheit nach 
der Frage über die Aufftellung der |ift das Landvolf bereits überall ver- 
Steuer-Erecutoren nicht mach den armt, dajs man ſich manchmal die 
Urſachen geforfht hat, welche eine | Frage vorlegen mufs, wer mehr zu 
jolde Zwangsmaßregel erfordern! bedauern ift, der Arme, der um ein 
Und nun erjt gar die gerichtlichen | Almofen bittet, oder der Beſitzer, der 
Grecutionstoften ! jelbft nichts Hat und noch den Armen 
Das derzeit bejtehende gerichtliche [erhalten ſoll. Die Noth ift zur Regel, 
Klage- und Erecutionsverfahren ift der Wohlftand zur Ausnahme gewor« 
jo mweitwendig, jo verwidelt und ſo den, und deshalb bereitet den Land— 
foftjpielig, dajs der Erecut, wenn er |gemeinden das Armenweſen die ſchwerſte 
wirklich das Geld aufbringt, um die Sorge. — Mbgejehen davon, dajs 
Schuld zu begleichen oder durch Theil- die bäuerlichen Steuerträger ohnehin 
zahlungen zu jtunden, in gar vielen |durcch die Bezirks- und Landesum— 
Fällen die für Klagſchriften, Tag: lagen zur Tragung der Armenlaften 
fagungen und Urtheilsfhöpfungen anz |und zur Erhaltung der öffentlichen 
wachſenden Stenpele und Expenſar- | Krantenhäufer, Irrenhäufer und ſon— 
foften nicht mehr beftreiten fann, da= ſtiger Humanitätsanftalten herangezo- 
her immer wieder in neue Klagen ver= gen werden, hat man die Sorge für 
fällt, bis ihn endlich die Höhe der die Gemeindearmen ausſchließlich den 
Klagelojten und die umerbittliche Gemeinden auferlegt. Die Anfprüche 
Strenge, mit welder diefelben einge- ſolcher Perfonen, welche durch Alter, 





289 
durch Krankheiten oder Gebrechen Auch duch die Militäreinguars 
arbeit3unfähig geworden find, die|tierung und Borfpannsleiftung wird 


Koften für die Erhaltung der Pfleg— 
linge in den Siehenhäufern und der 
verwaisten oder von den Eltern ver- 
lajjenen Kinder, die Auslagen für 
Krankentransporte, für Arzt, für Apo— 
thefe u. dgl. wachſen derart, daſs 
durchſchnittlich 30 bis 50 Procent, in 
manchen armen Land und Gebirgs— 
gemeinden jogar 60 bis 100 Procent 
der Steuer, bloß für Armenerhaltung 
aufgebraucht werden. Dabei geht es 
den Armen ſchlecht genug, insbejon= 
dere denjenigen, welche angewielen 
find, von Haus zu Haus zu wan— 
dern, und auf diefer Wanderung oft 
zu Leuten fommen, die felbit nichts 
zu efjen haben. Es ift eine rohe, une 
barınherzige Art der Armenverforgung, 
aber der Bauer tft zu arın, er fann 
nichts daran ändern, denn die Bars 
auslagen würden in vielen Gemeinden 
abjolut unerfchwinglich werden, wenn 
man plöglih daS landesüblide Ein- 
legerwejen aufheben und den Beſitzern 
die Möglichkeit benehmen würde, ſolche 
Arme durch Naturalverpflegung zu 
erhalten, welche nodh von Haus zu 
Haus gehen können. Für die Lande 
armen zahlt niemand zu, die muſs 
der Bauer allein verjorgen, für die 
brotiojen Handwerker und Fabriks— 
arbeiter muſs aber wieder der Bauer 
die Naturalverpflegsftationen erhalten 
helfen, oder, was noch ſchlimmer ift, 
fih von diefen reifenden Burfchen 
mehr drohend als bittend, die Almoſen 
abzwingen lajjen. 

Unerhört drüdend für die Lands 
gemeinden find die Zuftändigfeitöver- 
hältniſſe. Menfchen, die niemand in 
der Gemeinde kennt, die 30 bis 40 
Jahre in den Städten und in den 
Fabriken gearbeitet haben, kommen, 
wenn fie gebrechlich werden, ins Dorf. 
Die Fabrik und die Stadt, welche den 
Nuten von der Arbeit hatte, windet 
ih los, der arme Bauer aber muſs 
Leute erhalten, die ihm nie gedient 
und nie geholfen haben. 


Rofegger's „„Heimgarten’‘, 4. Heft, XV, 


das flache Land arg mitgenommen. 
In den grogen Städten baut man 
Kafernen, der Bauer aber mufs fein 
Zimmer und feinen Stall räumen, 
und Pla machen. 

Nachdem der Landwirt, mit Zaften 
aller Art überbürdet, unter dem Hoch 
drucke derjelben feufzend und ftöhnend 
daherfeucht, wäre e3 gewiſs nur recht 
und billig, wenn man ihn die Mög- 
lichkeit bieten miürde, dem fchweren 
Verpflichtungen durch entsprechende 
Verwertung ſeiner Erzeugniſſe nach— 
fommen zu können. Aber auch das 
it nicht der Fall. Wer die triften 
Verhältniſſe der Landwirtfchaft genau 
fennt, der würde fehr in Berlegenheit 
gerathen, wenn er fi darüber be= 
ſtimmt ausſprechen follte, ob der Bauer 
deshalb nicht auflommen kann, weil 
er zuviel Zahlungen bat, oder deshalb, 
weil man feine Erzeugniffe durch alle 
möglichen Kunſtgriffe entwertet und 
ihn zahlungsunfähig madt. 

Bringt der Bauer fein Vieh auf 
den Markt, jo wird nicht durch die 
Güte oder Schwere desjelben, jondern 
duch den Zufall der Preis beftimmt, 
ob juft mehr oder weniger Käufer den 
Markt befuchen. Derfelbe Zufall fpielt 
mit den PBreijen für Heu, Stroh und 
Holz. In vielen Fällen verkauft der 
Bauer nur, weil eine undermeidliche 
Ausgabe oder Zahlung ihn dazu 
drängt, oder weil der Steuererecutor 
vor der Thüre fteht, kurz, weil er 
muſs. Diefes „Muſs“ ift in der 
Regel den richtigen Käufern befannt, 
welche dann, die Noth ausbeutend, dem 
armen Bauer feine Ware zu Spott» 
preijen abjagen. Wir haben zwar ein 
Wuchergeſetz, allein einer gewiſſen Gat- 
tung von Patentwucherern fanıı man 
damit nicht zuleibe, 

Der Gebirgsbauer, der ſich über: 
haupt viel jchwerer fortbringt, weil 
er nur von feinem Walde und aus der 
Viehzucht eine Einnahme Hat, Fand 


‚früher an den vielen reichen Hammer 


19 


werfsbefigern, die ihm Holz und Kohle 
abgefauft Hatten, einen feiten Halt. 
Den Hammerherren von damals gieng 
das Geld noch micht über alles, fie 
hielten auch auf ihre Ehre, und der 
eigennüßigfte Werksherr hatte fo viel, um 
fich nicht nachſagen zu lafjen, dafs durch 
feinen Drud ein Bauer vom Gebirge 
herabgetrieben wurde. Diefe für den 
Bergler glückliche Zeit einer gefunden 
Goncurrenz und NRüdfihtnahme auf 
feine Erhaltung Hat längft aufgehört. 
Die Mehrzahl aller Eifenwerte ift in 
den Beſitz von Actiengefellfchaften über: 
gegangen, und die Herren Directoren 
und Verwaltungsräthe kümmern fich 
wenig, ob der Bauer bejtehen kann, 
oder nit. Nur wenn die Arbeiter 
aufrührerifch werden, dann rufen fie 
das Militär zu Hilfe, und dann find 
die Bauernſöhne wieder gut, um Leben 
und Befiß zu vertheidigen und die 
Aufftände niederzuhbalten. 

Die Nachtheile des Zwiſchenhan— 
dels! Wenn man den Wert des Fut— 
ters, die Mühen und Gefahren berech— 
net, welche mit der Rindviehzucht ver— 
bunden find, und wenn man den Vieh: 
preis mit den Fleiſchpreiſen vergleicht, 
dann kann man leicht herausfinden, 
daſs der Bauer bei einem Stüd Rind, 
das er aufgezogen Hat, in vier bis 
fünf Jahren kaum mehr verdient, als 
der Fleiſcher, der es ſchlachtet und 
ausjchrotet, in vier bis fünf Tagen. 

Nicht zu unterfhäßen find die Ge— 
fahren, denen der Bauer durch die 
zunehmende Unsicherheit auf dem Lande 
ausgejegt ift. Einbruch und Diebftahl 
ind an der Tagesordnung. Bis der 
Thäter entdedt wird, hat er längft 
das geftohlene Gut vergeudet, und der 
Beichädigte erhält daher in den jel- 
tenften Fällen einen Erfah. Dazu 
kommt der ſchwere Ubelftand, daſs die 
Zahl der verheirateten oder im Con— 
cubinate lebenden ZTaglöhner, welche 
feinen bindenden Dienft eingehen 
wollen, im fteten Wachſen begriffen 
ift. Den ganzen Winter hindurch boden 
dieje Familien arbeitslos in ihren Hüt— 


290 


ten und nähren fih und ihr Vieh 
größtentheil3 von dem, was fie im 
Sommer und Herbfte den Bauern aus 
Gärten, Feldern und Fluren entwen- 
det haben. Das Einwohnerwejen ift 
zur Laudplage geworden, die jede 
Luft am Bejige verbittert. 

Gemwaltig und einjchneidender als 
bei allen übrigen Ständen find die 
Anfprühe, melde die Einrichtung 
der ſtehenden Heere an die länd— 
lihe Bevölkerung Stellt. Die Ber 
laftung durch inquartierung und 
Vorfjpannleiftung erſcheint kaum der 
Rede wert, im Bergleihe zu den 
perfönliden Dienften, welde das 
Landvolk in der Armee leiftet und 
leiften mujs. Die Söhne des Adels 
und der bevorzugten Claſſen dienen 
als DOfficiere, und auch die jungen 
Leute aus dem Bürgerftande werden, 
ob der größeren Vorbildung, bald und 
mindeltens zu Unterofficieren beför- 
dert, beziehen daher beilere Löhnung 
und Jind förperlih nicht jo ange— 
ftrengt, wie der gemeine Soldat. Von 
den Kindern der Arbeiter bleiben viele 
wegen mangelhafter Nahrung, ver— 
nachläſſigter Obforge, Aufenthalt in 
ungejunden Wohnungen, jhwächlic 
und früppelhaft, oder werden durch 
frühzeitigen Genuf3 von geiftigen Ge— 
tränfen oder durch liederliche und un— 
jittliche Lebensweife zum Militärdienfte 
untauglich, und dadurch erhöht fich dus 
Gontingent, welches die ländliche Be— 
völferung zu ftellen hat. Wie ſtati— 
ftijch erwiefen, bilden die Bauernjöhne 
und die auf den Bauernhöfen aufges 
zogenen Kinder der Dienftboten bei 
den meilten Regimentern den eigent— 
lien Mannſchaftsſtand, und jo trägt 
denn der Bauer auch in der Armee 
den jchwerften Theil der Laſt. Nach 
erfüllter Militärdienftpflicht wendet fich 
wohl der gewerbliche Arbeiter wieder 
jeinem Gefchäfte zu, auch der Stu— 
dierende hält ſich an die begonnene 
Laufbahn, nur Knecht und Bauern— 
john kehren in den jeltenjten Fällen 


lauf das Land zurüd,. Sie haben das 











i 


bequemere, mehr Freiheit und Ver- den wert und feinen Pfennig mehr. 


gnügen gewährende Leben in den Städ— 
ten kennen gelernt, finden leichtere 
Arbeit und erhalten mehr Lohn, ver= 
bleiben alfo in der Stadt. Der Bauer 
verliert demnach ſchon bei der Aſſen— 
tierung feine bejten Arbeitsfräfte für 
immer, Nur wenn fie invalid oder 
arbeit3unfähig werden, fommen fie 
wieder in das Dorf zurück und der 
Bauer muf3 fie dann erhalten. Sind 
das nicht jonderbare Verhältniſſe? 

Und nun erft die Getreidepreije ! 

Diejelbe Aufgabe, welche bei dent 
ſpaniſchen Stiergefehte dem Matador 
zufällt, vollzieht an dem mit Getreide= 
bau bejchäftigten Landvolke die Frucht» 
und Mehlbörje, denn fie gibt der zu 
Tode gehegten Landwirtichaft den Gna= 
denftoß mitten in die Bruft. 

Der Bauer düngt, pflügt und eggt 
Heinen Acker, jäet im Herbite das Ge» 
treide und deckt es mit Egge und 
Walze ein. Den ganzen Winter hin— 
durch hält ihn die Sorge, ob nicht 
zu tiefer Schnee, Froft oder Näſſe die 
Anfaat verdirbt. Sind dieſe Gefahren 
glüdlih überjtanden, die Frucht üppig 
in die Halme gefchoflen, dann macht 
ihn jede Schwarze Wolfe erzittern, die, 
Hagel verfündend, feine Hoffnung in 
die Erde zu ſtampfen droht. Bleibt 
er auch von diejem Unglüde verichont, 
war die Erntezeit günftig und hat er 
endlich die ausgedrojchene und gerei= 
nigte Frucht in den Süden, dann 
fährt er damit zum Getreidehändler. 
Am Wege dahin Hat er ausgerechnet, 
wie viel das Saatkorn, der Dünger, 
die Hands» und Zugarbeit ausmachen, 
und jo findet er denn, dafs ihm felbit 
100 Kilogramm Weizen auf mehr als 
neun Gulden zu ftehen fommen. Für 
jeine Mühe und Gefahr, für Zinjen, 
für den Unterhalt feiner Familie will 
er doch auch ein paar Gulden verdie= 
nen, und jo fchäßt er den Metercent- 
ner auf elf Gulden. Der Getreide: 
händler jchüttelt den Kopf und jagt 
lähelnd: Mein lieber Bauer! jo geht 
es nicht. Dein Weizen ift heute 8 Gul— 





Damit der Bauer ſich überzeugen kann, 
hält ihm der Händler den Curszettel 
vor, und auf dieſem jteht jchwarz auf 
weiß gedrudt, daſs die Börje in Wien 
den Preis für 100 Kilo mit 8 Gulden 
feftgefeßt hat. Um neun Gulden 
dat der Bauer den Weizen erzeugt, 
um acht Gulden foll er ihn verkaufen ! 
Iſt das möglih? Nun ja, die Noth 
zwingt, was will er thun? Er mufs, 
und verfauft! Traurig und gefenkten 
Hauptes fährt er zurüd und bringt 
die Überzeugung mit nachhaufe, daſs 
er unter folhen Verhältniſſen zus 
grunde gehen muſs. 

Nun frage ih: Wer jind denn 
die Herren, welche auf der Getreide- 
börje die Preife beitimmen ? Land» 
wirte? Mit nichten! Ein paar Bäder, 
ein paar Müller, und was darüber, 
lauter Leute, die wicht viel mehr kön— 
nen al3 fchreiben, rechnen und ſpecu— 
lieren, und fonft nichts wollen als 
viel verdienen, gut und vornehm leben, 
weshalb fie im Volksmunde die Bör- 
jianer heißen. Fragt man nun diefe 
Herren, wie jie es wagen fönnen, ohne 
Nüdfiht auf die Erzeugung, Preiſe 
zu bejtimmen, welche die Yandmwirt- 
ſchaft erdrüden müſſen, dann erhält 
man die bodenlos freche Antwort: 
„Was kümmert uns die Landwirt» 
ihaft! Amerika und Rufsland liefern 
zu diefem Preife. Wenn der inländis 
ihe Bauer micht beftehen kann, jo 
mag er den Getreidebau aufgeben.“ 
Wenn das jo fortgeht, wird der Bauer 
bald mehr aufgeben, als bloß den Ge— 
treidebau. 

In den Gebirgsgegenden find es 
die Servitutsverhältnifje, durch welche 
viele Beliger Heinerer Grundcomplere 
in den Fällen der Verweigerung oder 
Beſtreitung des Streu= und Holzbezu— 
ges und des MWeiderechtes im ihren 
Rechten verfürzt und im Beſtande ge= 
fährdet oder in koſtſpielige Proceſſe 
verwidelt werden und dadurch im un— 
verichuldete Nothlage gerathen. 

Von ganz unberechenbarer Trag— 


19* 


Euer, 


292 


weite find die Schäden, welche die 
Sandwirtihaft, das Volt und der 
Staat durch die übertriebene Ver— 
hätſchelung der Jagd erleiden. Die 
Jagd, welche man gar fo gerne noch 
immer zu einer ernſten, wichtigen Be— 
ſchäftiguug aufbauſchen und als Be- 
rufszweig in Ehren bringen möchte, 
ift Heute, wie jeder andere Sport, 
ein bloßes Vergnügen, welches in 
wirtichaftlicher Beziehung eher Schaden 
als Nupen bringt. Damals, als der 
Jäger noch mit Keule, Schwert und 
Speer den Kampf mit den Raub 
Ihieren aufnehmen und Leben für 
Leben wagen mujfste, um die Menfchen 
und ihr Nußvieh von den gefährlichen 
‚yeinden zu befreien, damals gehörte 
Kraft, Übung und perfönlicher Muth 
zum Waidwerf. Die Jagd war eine 
Nothwendigkeit und ftand deshalb in 
hohem Anſehen. Diefe Zeit aber ijt 
längit vorüber, das Raubwild aus— 
gerottet, der culturelle Zwed der Jagd 
erfüllt und eine Gefahr von Raub: 
thieren nie mehr zu bejorgen, weil 
jeder Bauernknecht beim Militär zum 
Schützen ausgebildet wird. Die Thiere, 
welde Heute gejagt werden, fliehen 
ängftlih und furchtſam den Jäger. 
Es ift fein ampf mehr, ſondern ein 
Nachlaufen oder Zutreiben, und wenn 
nicht etwa ein Schütze den anderen 
anfchieht, vor dem Wilde ift jeder 
licher. Deshalb ift die Jagd in unferen | 
Ländern zu einer bloßen Unterhaltung 
berabgefunfen, an der khatſächlich 
Frauen, Knaben und Greije theil- 
nehmen, und die fich jeder vergönnen 
fann, der Zeit und Geld dazu bat. 
Wenn es ſich bloß um den Wert 
des WildbretS und um das Erlegen 
des Wildes Handeln würde, jo könnte 
der Berufsjäger, der den Wildjtand 
ausfpäht, auch das Wild zum Schuſſe 
bringen. Das darf aber nicht jein, 
denn um das Mildbret, um den 
eigentlihen Nuten der Jagd handelt | 
es ſich gar nicht, ſondern ausſchließ— 
ih nur um das Jagdvergnügen, und 
eines bloßen Vergnügens wegen foll 





und darf nicht die Eriftenz unzähliger 
Familien, welche ſich durch ernſte 
Arbeit ihr Brot verdienen, gefährdet 
werden. 

Es fällt mir nicht ein, der Aus— 
rottung des Wildes das Wort zu 
reden. Der Hirſch war auch früher in 
den Wäldern, und die Bauern konnten 
beſtehen. Jagdinhaber und Grundbe— 
figer wujsten ſich zu vergleichen und 
fein Bauer wurde ausgetrieben; allein 
jeit zwanzig Jahren bürgert fich die 
Mode ein, daſs Grundcomplere bloß 
zu Jagdzwecken aufgefauft und die 
Bauern ſyſtematiſch verdrängt werden. 
Es erfcheint daher zur Erhaltung des 
Bauernſtandes dringend geboten, diefen 
Übergriffen des Gapital® einen wirt: 
jamen Riegel vorzufchieben, weil es 
ein ſchweres Unrecht wäre, wenn man 
die mit unjägliher Mühe der Wild- 
nis abgerungenen Felder und Wieſen 
wieder verwüften und die Wohnge— 
bäude der Bauern dem Verfalle preis 
geben würde, bloß um die über» 
triebene Jagdpaſſion einzelner Geld— 
männer zu befriedigen. 

Für Gegenden mit ausgebreiteter 
Obſtbaumzucht ift zwar aud der Hale 
ſchon ein gefährlicher Feind, und ſo— 
wohl der Haje als auch der Faſan 
richten auf den Feldern vielen Scha— 
den an. Trotzdem will id noch ab- 
jehen von der Niederjagd, denn des 
Dafen kann fi der Bauer noch er— 
wehren, aber nicht des Hirfchen, denn 
juft jowie die Börfe den Getreidebauer 
auf dem Flachlande zugrunde richtet, jo 
best der Hirfch den Gebirgsbauer aus 
feinem Geböfte. 

Mit welher Müh' und Plag' er— 
kämpft ſich der Alpler ſein armſeliges 
Dafein! Am Rüden oder mit Seilen 
ſchleppt er den Dünger auf Feld und 
Wieſe. Wie anftrengend ift der Anz 
bau der fteilen Yehne, und jprofst die 
Frucht hervor, dann ftürzt das Hoch— 
wild in Rudeln daher, frijät die Halme 
und Frucht vom Felde und die Futter: 
gräfer von der Wieſe. Was nod 
bleibt, wird zerſtampft und zertreten. 





Wehmüthig blidt der arme Bergbauer | 
auf die Verwüſtung, ihn fchredt der 


lange, Harte Winter. Wo wird er 
Brot hernehmen für fih und fein 
Gefinde und womit joll er fein Vieh 
erhalten? Man wird Hinweijen auf 
die Wildſchadenvergütung. O ja, ganz 
richtig, wenn ed nur nicht gar fo 
ſchwer wäre, mit großen Herren Kirſchen 
zu effen. Die paar Gulden, die der 





Bauer bekommt, fann er allerdings ver= | 
wenden, um Deu und Stroh zu kaufen, 
aber derlei Ware 
Ebene verfäuflih, und wie bringt er 


it nur in der‘ 


nur die Schäden der Jagd, ſondern 
daj3 auch alle übrigen beklagens— 
werten Zuftände im der Wirklichkeit 
noch viel ſchärfer herbortreten, als fie 
hier geſchildert find. 

So Morre. Dann ergeht ſich unser 
unbarmberziger Berichterftatter über die 
Dienfibotenverhältniffe, die mit ein 
Hauptgrund in dem Niedergange des 
Banernftandes find, und er bejpricht 
noch vielerlei, welches vielleicht noch 
intereflanter ift, al3 daS wenige hier 
Mitgetheilte. 

Allein unfer Autor ift feiner von 


größere Mengen auf den fteilen ums | denen, die nur Hagen und anflagen und 
fahrbaren Wegen ins Hochgebirg hinauf? ſelber nicht wiffen, auf weldem Wege 
Was bleibt ihm übrig, er mufs den es befjer werden fünnte. Morre ſchlägt 
Viehftand vermindern, und da die Mittel zur Abhilfe vor, Rathichläge, 
Viehzucht fein einziges ficheres Er⸗ | welche wohl wert find, dafs man fie genau 


trägnis bildet, jo macht er den Anfang 
von feinem Ende. In wenigen Jahren 
geht jein Belik in der Regel um einen 
Spottpreid an den Jagdher:n über, 
und traurig feufzend wandert der aus 
jeinem Erbe verdrängte Bauer mit 
Weib und Kind thalab. Der fremd— 
ländifche Förfter, dem auch jedes Ge— 
fühl und jede Rüdjicht für das Berg- 
volf fremd und jeder Bauernhof ein 
Dorn im Auge ift, freut ſich hämiſch 
darüber, weil er ja weiß, daſs danı, 
wenn nur einmal der erite Bauer 


loder wird, bald ein Nachbar dem 


anderen nachfolgt. 

Die Zweifler mögen nur perſön— 
lich den BVerhältniffen der Landwirt: 
ſchaft nahforfchen, in welchem Lande 
oder in welcher Gegend es ihnen be= 
liebt, oben im Hochgebirge, oder in den 
Meingärten oder auf dem Flachlande; 
überall werden fie finden, daſs nicht 


u —— 


und unverkürzt vor ſich habe, deshalb 
verweiſe ich dich, mein Leſer, wenn 
du im der Sache guten Willens bift, 
lauf die Broſchuͤre. — Lies fie, lies 
‚fie genau, du wirft mandes Merk— 
‚würdige erfahren. Und wenn dir 
‚dabei das Herz nicht anhebt zu blu— 
‚ten aus Mitleid für den Bauern, jo 
‚wird dir wenigſtens der Schweiß auf 
die Stirne treten aus Angſt, dajs 
hier eine Kataſtrophe bevorfteht, wenn 
es nicht gelingt, den Baueruftand zu 
retten. 

Und dir, Freund Morre, der du 
als Schriftiteller, als Dichter und als 
Redner troß mancherlei Widerſacher 
‚dein Manneswort erhoben Haft für 
unſeren wichtigften und ärmſten Stand, 
dir rufe ih Dank für diefe Schrift, 
und Glüdauf! — Möge dein Wort 
"Gehör finden, folange es nicht zu 
ſpät ift! Rojegger. 


Pe 


Der Ihnlerkogel. 


Gin Spaziergang in der Heimat von R. 


ram Fünf Uhr wurden wir ges 
a wedt. Der Abend war lang 

.  gewejen, die Nacht kurz, und 
die Sinne taumelten gleichſam noch 
in Schlaftruntenheit. Draußen lag 
eine graue Naht. Schwerer Nebel 
über dem Alpenthale. Trotzdem war 
Trofaiah ſchon munter und rüftete 
ih zur Bergpartie. Auf den Thaler- 
fogel! hieß die Lofung. 

Bald darauf ſchleppten zwei ſchwere 
Laftpferde einen großen Leiterfarren 
dahin, der vollbepadt war mit Wei— 
bern, Kindern und faulen Männern. 
Der größte Theil der Gefellichaft, zu— 
meift aus jungen Leuten beftehend, 
war uns zu Fuße ſchon voraus. Unſer 
Schwerfälliges Gefährte ächzte das Rötz- 
thal hinan, durch welches ein eisfaltes 
und friftallliares Wafler herablam aus 
dem Felſengebirge des Hochthurm. Das 
Thal war eng, hatte grüne Wiejen, 
jonft konnten wir nichts jehen von 
der Gegend, der Nebel verhüflte alles, 
und anftatt daf3 er ins Silberweihe 
gieng, hub er an in das Stahlgraue 
zu jpielen, und anftatt er feuchten 
Thau legte auf die ftehenden Bäume 
und fahrenden Menjchen, fiel hie und 
da ein größeres Tröpflein. Das Baro— 
meter war hochgemuth und wollte 
oben hinaus. „Mag fein“, fagte ein 
Genoffe, „es gibt auch optimiftifche 
Barometer! Und warum foll ſich das 
Quediilber in der Röhre nicht geradefo 
irren fönnen, als der Phosphor im 
menschlichen Schädel!“ - 

Nahden mir eine Stunde lang 


gefahren waren, wurde das Thal eng 
und der Nebel noch finfterer, weil; 








einen Waldweg hinan. Jebt ſah man erft 
die Größe der Schar, die ſich gerüftet 
Hatte, um mit mir den Berg zu befteigen. 
Zumeift Sommerfrifchler, Studenten, 
Mädchen, Frauen, Lehrer, Künftler, und 
da3 war ein lautes Treiben, ein hei— 
tere Emportänzeln, ein Neden, Lachen, 
und auch ſtillſinniges Courmachen man— 
ches ſchwärmeriſch angelegten Gym— 
naſiaſten. Raſch hatte jeder ſich eine 
Huldin ausgeſucht, der er entweder 
Blumenſträußchen pflückte, oder Erd— 
beeren, oder der er Steine und an— 
dere Hinderniffe aus dem Wege räumte, 
oder ritterlich aus der Schlucht einen 
Trunk Waller Holte. Ich ließ die 
junge, frohe, blühende Welt voran- 
flattern, und ſchritt ftill Hinter ihr 
drein, manchmal den Blid gegen Him— 
mel richtend, doch weniger aus Fröm— 
migfeit, als aus meteorologifchen Grün- 
den. Der Nebel jchien wie fejtgefroren 
an den Hängen. 

Wir kamen Hinan zum lebten 
Bauernhaufe, dem Thalerbauer, wir 
famen zu einer Almerei, wir kamen 
zu einer Köhlerhütte — immer leid» 
licher Weg, der durch Wald und über 
Matten gieng, und immer Nebel. Als 
wir faft zwei Stunden fo gegangen 
waren, ftanden wir auf hohem Alm— 
boden und vor uns ftürzte der Berg 
faft gröblih ab in ein anderes Thal. 
Auch in diefem die finftergraue Nacht. 
Trotzdem fliegen wir links Die letzte 
Kuppe binan, und al® wir auf der 
(1656 Meter hohen) Spibe des Ber— 
ges waren, lag rings um uns umd 
über uns das undurchdringliche Feuchte 
Weiß, jo dajs etliche der Nachdenk— 


überall der ſchwarze Wald durchſchim- | lichen fragten: Warum find wir her— 


merte. Wir ftiegen aus und giengen rechts | 


aufgeftiegen ? Die meiften fragten das 





" = MR | —— — 


nicht. Es gibt ja außer der Ausſicht 
Genüſſe genug bei einer Bergwande— 
rung; ſchon das Wandern jelbit ift 
einer, die nächſten Wegbilder find einer, 
der Duft der Pflanzen ift einer, das 
Dünnerwerden der Luft ift einer, das 
Bewuſstſein überwundener Schwierige 
feiten ift einer. Und erft gar die junge 
Melt, die in Nebel, Wind und Regen 
oft noch ihr bejonderes Vergnügen 
findet, weil für luftige Wejen alles, 
auch das Widerwärtige, als Anlafs zur 
Bethätigung der Kraft und der Schalt: 
heiten dient. — Und nun padte jeder 
die Schäße aus, die er mit fich ge— 
tragen hatte: Brot, Käſe, falten Bra— 
ten, Wurft, Sardinen, Obſt, Badwerl, 
Wein, Liqueur, Cigarren, alles auf 
den gemeinfamen Tiſch eines großen 
Steines legend — alſo daſs ein ſchar— 
fes Eſſen und Trinfen anhub, bei dem 
jeder und jede nahm, mas beliebte. 

Plötzlich, als wir mitten in fröh— 
liher Mahlzeit waren, that jemand 
einen hellen Schrei. Wind war ges 
lommen, hatte im Nebel ein Lo 
gerifjerm, dur das, von der Sonne 
beleuchtet, wilde Wände zu un her— 
blinkten. Wenige Minuten jpäter ſchien 
die Sonne auch herab auf unjere 
heitere Zafelrunde, die Nebelfegen 
waren in ordnungslojer Flucht theils 
in die Tiefen mieder, theils au den 
Wänden Hin, theils in den blauen 
Himmel empor gefahren, bis fie jid 
ganz verflüchtigt Hatten und mur der 
zarte bläulihe Dunft da war, vom 
hellſten Sonnenlichte durchwoben. Das 
Jubelgeſchrei kann man Sich denken. 
Die Überrafhung war auch zu fein 
gelungen. Wir orientierten uns kaum, 
wie in eine ganz fremde Gebirgswelt 
verjegt famen wir ums dor, mitten 
in den heimischen Bergen. Der Hoch— 
Ihurm fand und am nächften, dann 
recht3 Hin die gewaltigen unabjehbaren 
Wuchten der Hochſchwabengruppe, vor 
welcher tief unten und enge ins Fels— 
gebirge geteilt das Alpenthal Tragöſs 
liegt. Lints vom Hochthurm, zwiſchen 
diejem Gebirgsftot und dem Reichen: 


295 


ftein, die tiefe Scharte des Prebüchels, 
durch welche man hinaus ins Eifen- 
erzerthal blick. Das Wildfeld, der 
Reiting jehliegen die Reihe der uns 
am nächften ftehenden Felsrieſen. Das 
ift gegen Norden hin. Gegen Weiten, 
gegen Süden, gegen Often fruchtbare 
Thäler mit bewaldeten Bergen, meit- 
dinziehenden Almen, Hinter welchen 
hie und da in grauer ferne ein 
hoher Felsberg emporſteht. Alle Be— 
ſchreibung des Gebirgsbildes wäre 
überflüſſig, wer auf Bergen war, dem 
genügt die Andentung; wer nicht auf 
Bergen war, dem kann man's un— 
möglich ſchildern, wie es iſt. Entweder 
er fſieht Worte, Hört Begriffe und 
langweilt ſich dabei, oder er hat Phan— 
talie und baut fi die Bergwelt ins 
Ungeheuerlihe auf: die Wände „hints 
melhoch“, die Abgründe nächtig finfter 
und wo möglich bi zum Mittelpunkt 
der Erde tief. Iſt ja fo einer immer 
enttäufcht, wenn er nach vielem Hörenf 
jagen und Lejen das erjtemal aus 
leichten Wegen ins Gebirge komme 
und alles fo hübſch regelmäßig, zahm 
und niedlich findet. Erjt wenn er die 
Gebirgsmwelt näher kennen lernt, fteis 
gert fich jeine freundliche Anerkennung 
zur Achtung, jeine Achtung zur Ehr— 
furdt. Iſt die Alpennatur nur erft 
entfefjelt, dann übertrifft fie an Effect 
alle Erwartungen. — An diefem Tage 
war fie don ausgejuchteiter Freund— 
lichkeit und bewirtete und mit Sonnen 
ſchein, Windftille, Blumenduft und 
föftlicher Fernſicht. Die Großartigkeit 
der Fernſicht fteht mit dem müheloſen 
Aufftieg in feinem VBerhältniffe und 
das jo reih mit Naturſchönheiten ges 
jegnete Trofaiach Hat an dem Thaler» 
fogel einen Rigi, wie man ji ihn 
faum günftiger denfen fann, 

Nnun waren die Fehlen wach und 
Heimatslieder erlangen in einzelnen 
Stimmen und in Ehören. Wie ein 
allgemeines Aufjauchzen war es bei 
den Worten: 


Diefes jhöne Land ift mein Steirerland, 
Iſt mein liebes, theures Heimatsland! 


296 





Mogender Freude voll fprang nun] dem fchönen Lande Weſtfalen komme. 
ein Mann auf den Stein, Hob fein) — Als ob das rothe Weftfalen jhöner 
volles Glas und rief mit heller Stimme) wäre, als die grüne Steiermark! 


den Sängern zu: 


„Singet, jauchzet eure Lieder, 

Hochgemuthe Steirerlehlen! 

In der Steirer Herzen wieder 

Hallt der Jubel eurer Seelen. 

Deuticher Heimat fühe Sänge 

Klingen in den blauen Lüften, 

Schlagen an die Felſenhänge, 

Mehen über Seen und Triften. 

Auf der weiten Gotteserden 

Wird fein ſchöneres Land gefunden, 

Durch weiß-grüne Bande werden 

Mit dem Himmel wir verbunden. 

Auf die Scholle finlt der Sänger, 

Dass er fromm das Erdreich küſſet: 

O geliebtes, heilige Waldland 

Steiermarl, ſei ung gegrüßet! — 

Heimatöfreude ift getragen 

Bon des Liedes gold'nen Schwingen, 

Unjere Luft ift nicht zu jagen, 

Darum mülſen wir fie fingen.“ 

Er trank das Glas aus und 
jchleuderte e3 hinab den Hang, dajs 
e3 in taufend Scherben zerjchellte. Die 
Frohſtimmung hatte num den höchiten 
Grad erreicht und ich mufste mich ein 
wenig abjeit3 halten, um meine Bes 
wegung verbergen zu können. 

Nach zweiftündigem Aufenthalt auf 
der Bergeshöhe gieng es an den Ab- 
ftieg. Die Gefelfehaft war in eine 
faft ausgelaffene Bergfreudigfeit ge— 
rathen, die mir zwar gefiel, an der 
ich aber nicht theilzunehmen vermochte. 
Ich ſchlug einen befonderen, ftilleren 
Meg ein über blühende Matten und | 
genofs im Schauen und Sinnen die) 
füßefte Heimatsfeligleit. Mit jedem 
Schritte, den ich thalwärts that, gab 
ih Theile des Bergrundes preis, 
welches immer mehr verfant Hinter 
Vorbergen, oder hinter Bäumen des 
Waldes, in den ich gelommen war. 

Zu einer Thalwieje gelangt, fah 





„Kleidermader“, verfegte ich dem 
Burfden, „und Weſtfalen, das ift 
ja jenes Land, wo man die Schneider 
in Eifentäfige ſperrt und auf Kirch— 
thürme hängt!“ 

„Johannes von Leyden“, mur— 
melte er, ohne weiter auf meinen 
Spaſs einzugehen, „o, das ſchöne 
Münfter! Wie weit, wie weit!“ 

„Sie haben wohl Heimweh?“ 
fragte ih ihn. 

„Fällt mir nicht ein”, antwortete 
er wegwerfend, „nur die Berge hier, 
die hohen Berge, die drüden mid 
ganz abſcheulich. O, du ſchönes MWeft- 
fälerland! Ich mollte bis in Die 
große Stadt Graz reifen, will aber 
früher umfehren und ins MWeftfalen 
zurüd.. * 

Urmer Junge! Aber 
hatte er nicht“, 

„Man Hat fo viel wunders von 
diefen Gegenden gejagt“, fuhr er fort. 
„Alſo wollte ich den fteirifchen Erzberg 
jehen, und Tragöſs und das Schwa- 
bengebirge. Mag ja recht ſchön fein 
für einen, dem’3 gefällt, mir thut die 
Luft nicht gut. Im Weftfälerland 
iſt's trodener, fonniger. Und die ſchö— 
nen xothen Heiden mit dem Erifen- 
fraut! Und der Sonnenuntergang 
dort, den jieht man auf der ganzen 
Melt nicht wieder jo. Jh kann aud 
in Münfter Arbeit nehmen, oder in 
Hamm, oder in Dortmund, mufs nicht 
gerade nad Graz an der Mur.” 

Dierauf bat er mich, ihm die 
fürzeften Wege zu weiſen zurüd nad 
jeiner Heimat, Noch ertheilte ih ihm 
filbernen Rath auf ein Glas Herzens» 
ſtärkung, den er dankend annahm, und 


„Heimweh 





ih, wie unter dem Schatten eines dann gieng er feines Weges. 

Ahornbaumes ein reilender Burſche Ich ſtieg vollends hinab zum Berg— 
ſaß und die wunden Füße in einem | pajs Diefelegg, wo der Weg hinüber 
Zümpel wuſch. Er jchien ein wenig | führt ins Thal der Laming. In 
abgehärmt und betrübt zu fein und| diefem Thale hatte ih eine andere 
auf meine Fragen ſagte er, daſs ec Begegnung, Auf einer trodenen Sand= 
ein Kleidermachergehilfe wäre und aus halde der Laming lagerte ein Rudel 





— 


Zigeuner. Die Kleider, welche ſie ge- durch ſeine Reife zum Bewufätjein 
wajhen haben mochten, lagen ausge- gekommen ift von dem unſchätzbaren 
breitet auf Steinblöden, um zu trodnen. | Werte der Heimat. Und wie namenlos 
Sie jelbft, groß und Hein durch- elend find diefe, die Finder des wan— 
einander, lagen oder wälzten fich faft | dernden Stammes, die von der Ge— 
ganz nadt auf Sand und Schutt burt bis zum Grabe nirgends daheim, 
umher; fupferbraune, ſchwarzhaarige überall fremd find, vor deren Nahen 
Geftalten mit weißen Zähnen. Die fi jede Thür verfchließt, die ihren 
Männer lagen faul da, die Weiber ; Lebensunterhalt, den kümmerlichſten 
frählten mit Fingern ihr Haar oder der fümmerlichen, ergaunern uud er= 
tauchten aus Pfeifen, die Kinder balg- lijten müfjen, die vor jedem Land- 
ten ſich, zerrten einander an den wächter fliehen wie ein gehettes Wild, 





Gliedern oder warfen fih Sand ins, 
Geſicht. Ein paar Jungen fliegen im 


Bahe umber, um etwa nach Fiſchen 
oder Srebjen zu fahnden. 


einander, um die Gewänder zufammen- 
zuraffen, und liefen zwifchen Weiden 
und Erlen davon. Ein Jäger mi 
Gewehr und Hirfchfänger war des 
Weges gekommen, der hatte die Bande 
verſcheucht. — Gar jeltfamlih Hatte 
mich das geftimmt. Ich, der Heimat- 
geniegende, dort der Heimatjuchende, 
und bier die Heimatlofen. Wie felig 
bin ich mitten in dem geliebten Vater: 
lande, wo alles mir freundlich und 
traut iſt, deſſen Wälder und Berge 
daftehen wie Denkmäler an die Jugend, 
an die Vorfahren; auf deſſen geheilig— 
tem Boden wir die Spuren unſeres 
Seins und Wirkens den Nachkommen 
binterlaffen können. Wie glüdlich bift 
du, der im wenigen Wochen jein ge— 
liebte Weſtfalen wieder fieht, 


Plöglich 
ihhredten fie auf, huſchten wire durch | 


die nie und nirgends Fuß fallen kön— 
‚nen zu einer gedeihlichen Arbeit, zu 
einem gefelligen Leben und frohen 
Genüffen, das des Dafeins fich ver- 
lohnte. 

Gegen Abend ſtieß ich wieder zu 
meinen Bergfahrtsgenoſſen, die jo 
harmlos luftig und übermüthig waren. 
Wie lachende, ftrampelnde Kinder in 
der Wiege, jo kamen jie mir dor, die 
no nicht wiſſen, was das heißt: 
heimatslos fein. Ich erinnerte fie auch 
nicht daran, und jo wanderten wir 
munter durch den Rößgraben hinaus 
und zogen ein in Trofaiach, viel fri— 
fher und hochgemuther, als wir des 
Morgens im finfteren Nebel ausgezogen 
waren. Die blauenden Wände des 
Reiting, des Wildfeld, der Vordern— 
bergerinauern fchauten ernft herab, und 
dort über den Waldbergen ber grüßte 
uns die grüne Kuppe des Thalerkogels, 
auf welcher wir fo unvergejslich ſchöne 


der , Stunden genofjen Hatten. 


298 


Meine erfte Eifenbahnfahrt. 


Jugenderinnerung von Ferdinand Pfeiler.*) 


* 
= ein Geburtsort ift ein rein 


sy deutjches Dorf mit mehr als 
300 Häufern, in einer feucht» 
baren Gegend an der öfterreichifch- 
mährischen Landesgrenze. Dasjelbe 
liegt auf einem romantischen Hügel 
und ift gegen Süden und Weſten von 
einem ſchönen Weingebirge, im Often 
und Norden von fruchtbaren Feldern 
umgeben. 

Hreudiger und frifcher fühlt man 
das Herz in der Bruft fehlagen, wenn 
man zur Sommerszeit, von welchem 
Punkte des Dorfes aus es auch ge= 
ſchehen möge, das Auge in der Runde 
ſchweifen läjst. Richtet man den Blid 
gegen Welten, jo bleibt derjelbe auf 
den nahen, kaum zwei Stunden ent» 
fernten Polauerbergen haften, und 
unmwillfürlih fommt uns beim Ans 
blide der beiden Ruinen, die fich dort 
oben befinden, der Gedanke, wie es 
wohl dort zu jener Zeit geweſen fein 
mag ,. ehe die Scharen des unglüd- 
jeligen Magifters Johannes Hufs ihre 
zeritörende Fauſt an die 
jeßten. 

Die Thaja, die am Fuße dieſer 
Berge vorüberzieht, Fchlängelt ſich uns 


zur Linken, einem Silberbande gleich, | 
in vielen Windungen durch Wiefen | 


und Wälder, an mandem bübjchen 
Dorfe, deffen Kirchthurm zwiſchen den 
Kronen der hohen Eichen hervorlugt, 
vorbei, bis diefelben bei Eisgrub im 





Süden vor unferen Augen auf, 
Schloſs Liechtenftein mit feinen hun— 
derten von Thürmen und Thürmchen, 
die alle mit dem Zeichen des Kreuzes 
geihmüdt, vom Sonnenftrahle geküſst, 
über den jchlanfen Baummipfeln des 
Parkes zu uns herüber jchimmern. 

Im DOften und Norden erblidt 
man endlos jcheinende, im Winde wie 
Mellen eines Meeres hin- und here 
wogende Meizenfelder, durd die von 
Zeit zu Zeit ein Zug der Nordbahn 
raſch dahineilt, Wohl mehr als zwanzig 
Dörfer liegen in der Runde friedlich 
vor ung, ein ſchönes, freundliches Bild, 
zu dem im Süden und Weſten der 
dunkelgrüne Wald, im Norden und 
Dften eine Hügelfette, mit mehreren 
Windmühlen bejegt, den Rahmen bildet. 
Und bier auf dieſem gottgefegneten 
Fleckchen Erde, verbradhte ich die Schönen 
Tage der Kindheit und meine Schuls 
jahre. Und wann vergijät man dieje 
Zeit! — Selbſt der Schlaf bringt 
uns oft im Alter in einem Traume 


Schlöſſer | die Schönen Bilder der Kindheit wieder. 


Man ift wieder jung, fliegt über den 
Köpfen der Schulfameraden in der 
Luft, man verübt in ihrer Gemein» 
Ihaft irgend einen loſen Streih und 
wird verfolgt; man will entfliehen 
und bringt die Füße nicht weiter; 
jo, jeßt ftürzt man noch dazu in einen 
tiefen Brummen und erwadt. Oder, 
man will mit der Mutter in die 


Fürſtlich Liechtenftein’schen Parke unz | Kirche gehen und wird mit dem An— 


jeren Bliden entſchwindet. 


Doch ein | Heiden nicht fertig; doch auf einmal 


neues, herrliches Bild taucht dort gegen ifteht man im der Kirche, ohne daſs 


*) Der „Heimgarten“ hat jchon wiederholt hübſche Gedichte von dem Eifenbahn: 
Wächter Yerdinand Pfeiler veröffentlicht. Heute ftellt uns der jchlichte, ideal angelegte 
Mann „ipafiespalber* Erinnerungen aus feiner Jugend zur Verfügung, die wir ihrer 


anmuthenden Natürlichkeit wegen gerne wiedergeben. 


a a — 


Die Ned. 


man weiß, wie man dabingefommen 
it. Aber aus der Kirche ift ein Jahr— 
marft geworden, wo und nun die 
Mutter etwas Gutes oder Schönes kauft, 
und uns aufbietet, es ja feftzubalten, 
damit wir es nicht verlieren. Wir 
werden wach, und wirklich halten wir 
noch etwas feit in der Hand, den — 
Bolfterzipf. So träumt man im reifen 
Alter no von der Jugend, und fo 
enttäufht ums wohl auch oft ein 
Ihöner Jugendtraum im Alter. 

Nicht wieder kehrt die Jugend mehr im Leben, 


Doch überbrüdt der&chlaf den w:iten Raum! 
Und was die Wirflichleit nicht mehr !ann 


geben 
Das bringt im Alter uns zurüd ein Traum. 


Fünfzehn Jahre war ich alt, als 
ih aus meiner Heimat jchied; und 
obwohl ih das Heimmeh, das ſich 
fhon in der zweiten Woche nad 
meiner Abreife einflellte, nicht über— 
winden zu können glaubte, trug mich 
das Geihid doch an einen fernen, 
fremden Ort, wo ich mein bejcheidenes 
Auskommen fand, und Haften blieb. 
Doch mit Freuden denke ich noch 
immer an die Heimat und an die 
ihönen Tage der Jugend zurüd, die 
ih dort verbradgte. Und wenn dann 
diefe Jahre im Geifte an mir vorüber— 
ziehen, jo denke ih wohl aud oft 
noh an meine erfte Eifenbahnfahrt. 

Mein Bater, der, als ih kaum 
acht Jahre zählte, jchon geftorben war, 
Ihien ein Pechvogel geweſen zu fein; 
wie es ja zu jeder Zeit deren jo viele 
gibt. Mehrere maßgebende Berfönlich- 
teiten wollten (wie mir erzählt wurde) 
an ihm in feinen Kindesjahren ein 
außergewöhnlichesTalent entdedt haben, 
und mein Großvater ließ ihn deshalb 
tudieren. Da derjelbe aber nur der 
Diener der Gemeinde war, der mit 
jeiner Trommel von Zeit zu Zeit die 
ſäumigen Steuerzahler an ihre Pflicht 
ermahnen mujste, fo gieng ihm das 
Geld aus, oder viel richtiger wicht 
ein, und mein Vater mujste auf hal— 
bem Wege ftehen bleiben. inige 
wollten wieder willen, er hätte das 


Lehrer-Eramen wirklich gemadt, und 
fei dabei durch — gefallen. Nun, es 
ift eines fo wahrjcheinlih wie das 
andere. Doch mein Vater raffte fich 
auf, und lernte allen noch nicht durch— 
gefallenen Studenten zum Trotz die 
Maurerei. Um Meifter zu werden, 
wie er vielleicht gehofft hatte, hemmte 
ihn aud bier wieder das alte UÜbel, 
was ein Erbfehler in der Familie zu 
fein ſcheint: er Hatte nämlich fein 
Geld, Mich dünkt jedoch, daſs er zu 
dieſem Handwerke aud feine rechte 
Luſt hatte; denn ich erinnere mich 
noch lebhaft an unfere alte Hofmauer, 
die ganz dieſelbe Neigung mie der 
Thurm zu Piſa Hatte, was ihm nie 
aufgefallen zu fein ſchien. Was aber 
mein Vater wirflih und ganz war, 
da3 .ift ein guter Sänger und ein 
guter Muſiker. Er jpielte oft, wenn 
der Schullehrer krank, oder ſonſt 
irgendwie verhindert war e3 zu thun, 
in ber Kirche auf der Orgel, er jpielte 
auch jedes Blasinftrument, und war 
überhaupt Meifter auf der Geige. Ich 
erinnere mich noch oft an unfere große 
Stube, wo er ftet3 mehreren aus der 
Schule ſchon ausgetretenen Jünglingen 
in den Abendftunden Mufitunterricht 
ertheilte. Auch fungierte er an Sonu- 
tagen bei einem mufifaliichen Hoch— 
amte, auf dem feinen Chore unjerer 
Stiche, ſtets al3 Dirigent. Da die 
Proben dazu ſtets in den Schulräumen 
abgehalten wurden, wo nebjt dem 
Schullehrer auch Pater M. oft ans 
wejend war, fo lernten fich diefe drei 
Männer, mein Vater, der Schullehrer 
und der Pater näher fennen, und 
mein Vater zählte, fo lange er noch 
lebte, dieje beiden dann ftetS zu feinen 
beiten Freunden. 

Der Schullehrer war ein Mufter 
feines Standes. Er gab fi alle er— 
denklihe Mühe, aus uns Dorfjungen 
etwas DOrdentlihes zu machen, was 
ihm auch theilweife gelungen iſt; 
denn die meiften feiner Schüler er- 
hielten eine Anftellung. Viele beflei= 
den einen verantwortlichen Poſten beim 


Verkehrsweſen, einige auch im Lehrer» 
ftande. Schon während meiner Schul: 
zeit wurde diefem wackeren Manne 
der Titel eines Mufterlehrers ertheilt, 
(worauf wir, feine Schüler, nicht wenig 
ſtolz waren) und als er nach fünfzig— 
jähriger Dienftzeit, die er in unſerem 
Dorfe zugebracdht hatte, in den Ruhe— 
ftand trat, wurde ihm von Sr. Majeftät 
dem Kaiſer da& goldene Verdienſtkrenz 
verlieben. 

Ich mag wohl fein bravfter Schüler 
nicht gewejen fein; denn ich erinnere 
mich an das damals noch übliche Rohr: 
ftäbchen unferes Lehrers, mit dem ich 
jo oft in unliebfame Berührung kam. 
Sch lernte zwar gut, doc konnte ich 
nie ruhig fißen, und faſt täglich 
wussten meine Mitſchüler unjerem 
Lehrer etwas über einen Schabernad 
zu Hagen, den ich entweder ihnen felbft, 
oder irgend jemand anderem zugefügt 
hatte, und da3 trug mir jo viele wohl— 
und feharfgemeinte Hiebe ein, wovon 
im vollften Sinne des Wortes einer 
jo jaftig war wie der andere. Denn 
unfer Lehrer hatte die Gewohnheit, 
wenn er erregt war, an dem einen 
Ende des Stäbchens zu fauen, und 
da er, ehe er einmal jchlug, lieber 
früher zehnmal in das Stäbchen bijs, 
jo gli dasjelbe au der Spihe jtets 
einer naſſen Bürfte. Wenn dann meine 
Mutter zufällig von diefen Strafen 
erfuhr, jo lauteten ihre Troftworte für 
mid ftet3: Schade um jeden Streich, 
der daneben geht. Und daraus fchließe 
ih, dafs ich diefelben jedenfalls auch 
verdient hatte. Sei es nun, dafs auch 
Bater M. deshalb auf mich aufmerk— 
jam wurde, oder jei ed, daſs er die 
Freundſchaft, die er meinem Vater ftets 
gewährte, nun, da derjelbe geitorben 
war, auf mich übertragen wollte! 
furz, er erflärte mir eines Tages, 
dafs ich von nun an fein beftändiger, 
tägliher Miniftrant ſein müſſe. Was 
dies zu bedeuten Hatte, wujste ich. 
Pater M. war ein ftrenger Priefter 
und Hatte viele Eigenheiten. Beim 
Miniftrieren konnte es ihm aber unter 


Bio 


den vielen Schülern nicht ein einziger 
rechtmachen. So hatte er 3. B. beim 
Meilelefen ein hölzernes, mechanisch 
zufammenlegbares Geftelle, worauf, 
anftatt auf dem Altarpolfter, das Meſs— 
buch Tiegen mufste. Und mit dieſem 
Beftelle hatte ich die erften Tage meine 
liebe Noth. Ih war damals erft neun 
Sabre alt, und für mein Alter ohne 
hin Kein zu nennen und reichte mit 
meinen furzen Armen faum auf den 
Altar. Und erwifchte ich dieſes Ge- 
ftelle nicht gerade an den richtigen 
dazu beftimmten Punkten, jo erfolgte 
ein Geklapper, worüber ich heftig er— 
ichraf, und das Geftelle lag mit dem 
Buche flach am Wltarpolfter. Was 
nun! meine Arme waren zu kurz, um 
dasjelbe wieder aufzurichten ; ich wurde 
blutroth im Gefichte, und die Schul— 
finder, die in der Nähe des Altars 
ftanden, lachten mich heimlich recht 
aus. Pater M., ebenfalls biutroth im 
Gelihte, aber nicht wie ih, aus 
Angft, ſah meinen fruchtlojen Be— 
mühungen eine Weile zu; dann gab 
er mir mit der Hand ein Zeichen, 
woraus ich veritand, daſs ih mich 
von ihm entfernen foll, was ich jtet3 
jehr gerne that. Nun legte er das 
Buch beifeite, richtete dieſes Un— 
glüdsgeftefle jelbjt auf, legte dann das 
Buch wieder darauf, und ich! ich war 
um eine Hoffnung ärmer geworden, 
die Hoffnung auf den üblichen Kreuzer, 
den ich ſonſt täglich zu erwarten Hatte. 

Einmal, als ich zur Frühmeſſe 
miniftrierte, wollte ich eben dieſes Ge— 
ſtelle ſammt dem Meſsbuche von der 
Epiſtel- auf die Evangeliumfeite tragen. 
Als ich jedoch damit Hinter dem 
Priefter auf der unteriten Altarſtufe 
angelangt war, ſchnappte dasjelbe laut 
Happernd zuſammen und fiel mir 
jammt dem Buche aus der Hand, 
Damals konnte ſich aber der gute 
Pater nicht zurüdhalten. Er blidte 
ih um, und als er ſah, dajs außer 
einigen alten Frauen wenig Andächtige 
in der Kirche waren, wie es zur 
Sommerszeit oft der Fall war, fajste er 


301 


mich bei den Ohren und ſchüttelte mich 
ordentlich. Und als ich mit Beihilfe 
eines alten Mütterchens die loſen 
Blätter wieder geſammelt hatte, las 
er die Meile ruhig weiter, als 
ob nichts gejchehen wäre. Daſs ih 
aber damal3 nah der Meſſe den 
üblichen Kreuzer erhielt, hat mich fehr 
gewundert. 

Als ich jedoch einige Tage dieſe 
Ehrenjtellen betleidete, wurde ich praf= 
tiſch; der Pater lernte meine Fehler 
fennen und gab jih Mühe, mir dies 
jelben durch Wort und That nad 
und nad auszutreiben, und fo kam es, 
daſs ich dann drei volle Jahre, bis der 
Pater aus unferer Gemeinde fhied, bei 
der heiligen Mefje fein beitändiger, 
täglicher Diener war. Auf dieſe Weife 
war ich während meiner Schuljahre 
nebft dem alten Kirchendiener faft täg— 
lih der erſte in der Kirche, und ver- 
füumte auch nie eine Stunde des 
Umterrichtes in der Schule. Und dieje 
Pflicht wurde mir jo zur angenehmen 
Gewohnheit, dafs es ſelbſt in den 
Ferien meine größte Freude war, wenn 
ih manchmal mit dem Sohne meines 
Lehrers, der etwas jünger als ich, je— 
doch felbitverjtändlich Schon reicher an 
Kenntniffen war, das Schulhaus be— 
treten durfte. Eine geheime Anziehungs— 
kraft übte dort auf mich das Zimmer 
ſeines Vater. Hier ftand ein Globus, 
woran ein Heiner Mond gejchraubt 
war, Landkarten von allen Ländern 
der Erde, und viele, viele Bücher. 
Und was ftand da alles darin! mie 
glüdlich, jo dachte ich mir oft, muſs 
derjenige ſein, dem je ſolche Lehr— 
bücher zur Verfügung ſtehen; und wie 


glücklich erſt derjenige, der alles, was aufs Feld.“ 


höflich zu erſcheinen, dasſelbe zu ver— 
laſſen. 

Nur im erſten Jahre meines kirch— 
lichen Ehrendienſtes, wo ich dieſe für 
mich jo wertvolle Bekanntſchaft noch 
nicht gefnüpft hatte, wollte mir in den 
Ferien die Zeit lange werden ; doc, 
meine Mutter war ftet3 darauf be= 
dacht, Abhilfe zu ſchaffen. 

Das Korn war zum Schnitte reif, 
die Ernte begann, und die von uns 
Kindern ſchon fo lange erjehnten Fe— 
rien waren gefommen, Diefelben waren 
in meiner Heimat den dortigen Ver— 
hältniſſen angepajst, da es zur Ernte— 
zeit auch für halbwegs erwachjene Kin» 
der Arbeit in Hülle und Fülle gab. 
Das Getreide wurde zu jener Zeit 
mit Ausnahme der furzhalmigen Gerfte, 
die theilweife gemäht wurde, noch ge— 
Ihnitten, da man dadurch ein reines 
res Stroh erhielt und auch nicht jo 
viele Körnlein verftreute. Ich war da— 
mals wohl zu einer ſolchen Arbeit 
noch zu jung, doch beim Aufbinden 
unſeres eigenen Getreides durfte auch 
ich nicht fehlen. 

Um drei Uhr morgens ſtanden 
meine Mutter und meine Schwelter 
auf, nahmen fih ein Stüd Brot, Fülle 
ten jich beim Brunnen im Dorfe ihren 
Waſſerkrug, und giengen auf das Heine 
Feld, das unjer Eigenthum war. Bei 
ihrem Fortgange rüttelte mich die 
Mutter ſtets etwas unfanft aus dem 
Schlafe und rief: „Ferdl, hörſt du! 
verſchlaf dich nicht, du weißt, daſs 
Pater M. auf dich angewieſen ift. 
Dort am Tiſche liegt dein Frühſtück— 
brot, Nach der Meſſe verichliegeft du 
gut das Daus und kommſt zu uns 
Kaum dajs ich wieder 


er aus diefen Büchern ſchöpft, auch |einfchlief, kam der Kirchendiener, den 


wirfiih im Kopfe behält. ch Tas 
und las, dafs mir der Schweih 
auf der Stirne ftand, und vergaß 
dabei oft auf mein Stüd Schwarz: 
brot, das ich im der Taſche hatte, bis 
mich das Geklapper der Teller aus 
der Küche des Schulhaufes erinnerte, 


daſs es nun Zeit fei, um nicht uns 


fein Weg, wenn er zur Meile läuten 
gieng, an unferem Hauſe vorbeiführte. 
Er war Schon ein alter Mann mit 
weißen Haaren und Hatte ji wäh: 


'rend feiner ganzen Lebenszeit jeden» 


falls Schon lange jattgeichlafen. Darum 
kam er ojt ſchon um eine Stunde 
früher als es nothwendig gewesen 


wäre, und pocdte mit der Fauſt ſo bald gefüllt gewejen; aber ſammt den 
ſtark und fo lange an das Mitttelholz | Stengeln, o weh. Ich gab die Kir— 
unferes Fenſters, bis ich aus dem ſchen jammt den GStengeln in das 
Bette jprang und mich ihm am Fen- | Körbihen, und jene, die mir ohne 
fter zeigte. Konnte man da verſchla- Stengel in der Hand blieben, ftedte 


fen? gewiſs nicht; und ich verfchlief 
auch nie. Nach der Meſſe that ich, 
wie mir meine Mutter befohlen, und 
gieng dann zu den Meinen aufs Feld. 
Doch unfer bifschen Getreide war bald 
geichnitten und aufgebunden, und 
meine Angehörigen giengen unn irgend 
wohin zu einem Großbauern, nm ich 
etwas zu verdienen. Und ich! nun ich 
hatte unterdeffen nichts zu tbun. 
Ferdh! ſprach deshalb meine Mut— 
ter eines Tages zu mir: Das Herum— 
lungern den ganzen lieben Tag heißt 
nichts. Schon ein altes Spridwort 
jagt: Müßiggang ift aller Lafter An— 
fang! und ich will nicht haben, dafs 
ih, wenn ich abends müde von der 
Arbeit nahhaufe komme, auch noch 
über ſchlechte Streihe lagen höre, 
die du etwa gemacht haft. Geh’ des— 
halb morgen früh in den Weingarten, 
und ſieh nad, ob auf dem großen 
Schwarzkirſchbaum die Kirchen ſchon 
reif find. ft dies der Fall, jo pflückſt 
du dir gleich morgen, und jo täglich 
vormittag, ein Körbchen voll, und gehft 


118 in den Mund. Solange mir nun 
‚die Kirfchen ſchmeckten, verbrojs es 
mich noch nicht auf dem Baume; als 
ich jedoh ſatt war, ſchien mir das 
Pflüden eine mir von meiner Mut— 
ter auferlegte Schwere Strafe zu fein. 

Doc der halbe Tag ift lang, und 
bis Mittag Hatte ich richtig meinen 
Korb vol. Meine Mutter, die ftets 
zu Mittag auf eine Stunde nachhaufe 
kam, Teerte nun denjelben auf dem 
Tiihe aus, nahm eine SKaffeefchale 
und maß ınir damit nun wieder die 
Kirihen in den Horb hinein. Sie» 
benundzmwanzig! zählte fie bei der letz— 
ten Schale; macht, die Schale zu zwei 
Kreuzer, vierundfünfzig Kreuzer; jo 
viel, fprach fie, bringst du mir, und 
um feinen Kreuzer weniger. Auf dieſe 
Weiſe waren meine Kirfchen jetzt ge— 
‚zählt, und id) durfte nun ſelbſt keine 
mehr davon effen. Nur gut, dafs ich die 
meinen jchon ungezählt im Magen hatte. 

IH nahm mir alfo ein Stüd Brot 
mit auf den Weg und gieng mit mei: 
nen Kirschen auf den Bahnhof. Der» 


nachmittags damit auf den Bahnhof, |felbe war eine halbe Stunde weit vom 
um diefelben bei den dort Aufenthalt Dorfe entfernt, und ich mufste daher 
nehmenden Zügen zu verkaufen. Mit | mit meinem ſchweren Korbe einigemale 


dein daraus gelösten Gelde zahlit du 
mir dann die Hofe, die ich dir zu 
Pfingiten gekauft habe, und die, wie 
ich ſehe, ohnehin jchon wieder ein Loch 
am Knie bat. 
Prlüden nicht, dajs du zum Werfaufe 
auch an jeder Kirſche einen Stengel 
haben mufst, 

So gieng ih denn am nächſten 
Tage nad der heiligen Mefje in den 
Weingarten, und richtig, die Kirſchen 


Vergiss aber beim 


im Straßengraben raften. As ic 
endlih die Station erreichte, ſaßen 
dort ſchon einige alte Weiber, die 
ebenfalls, wie ih, Kirſchen zu ver— 
faufen hatten; doch ſchienen die ihrigen 
Ihon den Tag vorher gepflüdt worden 
zu fein, und ſahen deshalb nicht mehr 
‚jo friſch aus wie die meinigen. Wer 
‚daher kaufen wollte, kam nur zu mir, 
‚und als der erite Perfonenzug in der 
Station anlangte, hatte ich mein Körbe 








waren reif und ſchon kohlſchwarz. Ich | chen bereits über die Hälfte leer; und das 
ftieg auf den Baum und begann zu erregte den Neid der übrigen Verkäufer. 
prlüden: doch, wie mühevoll fam mir „Du Schlingel!* raunte mir ein 
diefe Arbeit vor! ja, wenn ich nicht altes Mütterchen, eben als der Zug 
an jeder Kirſche auch einen Stengel | anbielt, ins Chr! „wage es nicht, mit 
haben mifste, wäre mein Körbchen | deinen Kirſchen auch noch zum Zuge 


nn 


zu gehen. Denn weißt,“ ſprach fie 
begütigend, „in einem jolchen befinden 
ſich oft auch Zigeuner, die jchon jo 
mandes hübſche Kind mitgenommen 
und abgejchlachtet haben.“ Und ich blieb 
zurüd; nit aus Angſt dor den 
Zigennern, ſondern ich wollte es mir 
mit dieſen alten Frauen, die mir 
ohnehin Schon fo manchen giftigen Blid 
zumwarfen, doch nicht ganz verderben. 

Als dieſelben jedod auf dieſer, 
den Stationsgebäuden zugefehrten Seite 
des Zuges mit den Paſſagieren im 
vollen Handel begriffen waren, und 
auf mich wie es ſchien nun ganz ver— 
gefien Hatten, ſchlich ich mich Hinter 
den letzten Wagen des Zuges auf die 
andere Seite desjelben. So, hier war 
alles leer, alles jo till und ruhig, 
und was das beite war, ich nun der 
einzige Verkäufer. Da aber die meiften 
Paſſagiere des Zuges auf der anderen 
Seite binausfahen, jo mujste ich mich 
erit mit dem Rufe: „Schöne Kirchen!” 
bemerkbar machen. Und mun ftedten 
die Leute auch hier die Köpfe heraus, 
und der Handel begann. „Was koſten 
diefe Kirchen?“ rief eine Hübjch ge— 
Hieidete Fran, die mindejtens, wie ich 
meinte, die Pfarrerlöcin eines Biſchofs 
jein müffe. „Zwei Kreuzer die Schale”, 
ſprach ich. „Alſo gib ſchnell“, ſprach 
ſie; warte wie viel. Eins, zwei, drei, 
vier, alſo ſechs Schalen herauf. „Jetzt 
bemerkte ich erſt, daſs ſich auch einige 
Kinder im Coupé befanden, die ſich 
vergeblich bemühten, unter den Armen 
dieſer Frau, die ihre Mutter zu ſein 
ſchien, auch ein bifschen aus dem 
Fenſter zu bliden. Und wie beneidete 
ih dieſe Kinder, die, einige noch 
Heiner al3 ih, ſchon auf der Bahn 
fahren durften, was mir noch nie 
vergönnt war! Da ich num mit meinen 
turzen Armen nicht hinauf, die Frau 
mit den ihrigen auch nicht bis zu mir 
herunterreichen konnte, jo ftieg ich mit 
meinem Korbe auf das Terittbrett, 
und maß mun eine Schale nad) der 
anderen voll, die danır von diefer rau 
in Empfang genommen wurden. Ich 


dachte dabei an die glüdlihen Kinder, 
die in dem ſchönen Coupe vielleicht 
gar bis in die Stadt fahren dürfen, 
wo fie dann gewijs allerlei ſchöne 
Sadhen jehen und auch bekommen 
werden. Doch auf einmal wurde ich 
aus meinem Gedantengange geſchreckt; 
denn als ich eben die jechste gefüllte 
Schale zum Fenfter hinein reichte, 
gab ein Stationsdiener mit der Glode 
das Zeichen zur Abfahrt des Zuges, 
von der Locomotive ertönte ein Fchriller 
Pfiff, und die Frau gab mir ein 
Zwanzigkfreuzerftüd. „So, Stleiner“, 
ſprach fie; „gib fchnell acht Kreuzer 
heraus.“ Und ich! ich Hatte fein 
Stleingeld. „Liebe Frau”, ſprach ih; 
„ih Habe bloß drei Zehnerl in der 
Tafche; vielleiht wäre es Ahnen 
möglih, im Wagen das nöthige 
Kleingeld aufzutreiben“; und gab 
ihr das Geldftüd wieder zurüd. 
Sp, jebt feßte fih der Zug in Be- 
wegung. Und ſieh, wie jchön das 
gieng! da gab mir die Frau das 
Zwanzigfreuzerftüd wieder zum Fenſter 
heraus und fagte: „Auch Hier Hat 
niemand Stleingeld, ich jchenfe dir 
das übrige; gib nur jebt acht beim 
Dinunterfteigen, daſs dir nichts ge= 
ſchieht.“ Ich dankte, und die Frau 
jchloj8 das Fenſter. Der Zug bemegte 
ih langfam aus der Station und 
mir ſchien, als ob es immer jchöner 
und ſchöner gienge. ch konnte, da 
ih nun einmal fuhr, dem Drange 
nicht widerftehen, noch ein bijächen 
hier zu verweilen; ich war ja jo noch 
nie mit dem Zuge gefahren, was 
Ihon lange mein jehnlichiter Wunſch 
gemwefen wäre, umd heute bot ſich mir 
jo unverhofft dazu die Gelegenheit. 
Immer jchneller und jchneller gieng 
es; hei! wie flogen jeht die Tele— 
graphenjtangen an mir vorüber; Die 
aufgeſchichteten Getreidejchöber, ja ſelbſt 
die Felder Schienen fih alle um 
mich zu drehen. Der Zug hatte nun 
jeine gewöhnliche Gejchwindigfeit er- 
reicht, das erſte Wächterhaus, das auf 
der anderen Seite der Bahn jtand, 


hatten wir ſchon längit pafliert und 
ſchnell rollte der Zug dem zweiten 
Mächterpoften entgegen. Nur ein biſs⸗ 
chen noch, dachte ich; doch da nahte ſich 
ſchon die Nemeſis. Ich fühlte einen 
heftigen Schlag auf meine dünnen 
Waden, blickte ſeitwärts, und hier 
ſtand ein Bahnwächter, der mich jeden— 
falls von ferne bemerkt haben mußſste, 
und nun, al& der Zug an ihm vor= 
überfuhr, mit der Signalfahne nad 
mir geſchlagen hatte. Doch jegt fand 
der Wächter Schon wieder mweit Hinter 
dem Zuge und ich ſah nur noch, wie 
er die Signalfahne vom Boden aufs 
bob und dann mit derjelben in der 
Luft herumfuchtelnd dem Zuge nad): 
lief. Da ich befürchtete, daſs er durch | 





"me. 


lieg es ruhig geſchehen; ſchmerzten 
mich doch die Naſe und die Knie noch 
viel mehr, Als der Mann glaubte, 
daſs es genug fei, zog er mich aus 
dem Graben. Und jetzt mujste ic) 
felbit auch ihm erbarmt Haben; denn 
er nahm mich mit ſich in das Wächter- 
haus. Sein Weib wuſch mir, mic 
bedauernd, das Geſicht und die Hände, 
die fie mir dann auch noch mit einem 
weißen Lappen verband, und mun 
wünjchten mir die guten Leute Glüd 
auf den Weg nachhauſe zu meiner 
Mutter; ihr Jechzehnjähriges Töchter: 
fein mufste mich begleiten. Das Geſicht, 
das meine Mutter machte, als fie mich 
ohne Korb, die Hoje zerriffen, die 
' Hände verbunden, auf der Naje ein 


diefe Zeichen vielleicht den Zug zum | Pflafter, anfommen fah, fpottet jeder 
Stehen bringen wollte, fo wagte ich! Befchreibung. Zuerft wurde fie blajs, 
einen Sprung, und hoffte über die als fie jedoch erfuhr, auf welche Weiſe 


Felder zu entkommen. 

Doch der Luftzug riſs mir den 
Korb aus der Hand, die Räder des 
Zuges giengen darüber Hinweg und 
ich lag, die Kirſchen um mich herum 
zerftreut, mit zerfehundener Naſe und 
blutenden Händen, worin ich Leine 
Schotterförnden fteden hatte, im 
Wafjergraben. Meine Hofe hatte auf 
beiden Knien einen großen Riſs, 
woraus die aufgerigte Haut Hervorfah, | 
und der Leibriemen des Bahnwächters | 
tanzte nun auf meinem Rüden. Ich 





ich jo zugerichtet worden war, griff 
ſie nad dem zweijährigen Hafelzweig, 
der ftet3 unter ihrem Bette lag und 
für mid gewachſen zu fein fchien, 
und, — mun ich will darüber ſchwei— 
gen. Aus meiner Begleiterin wurde 
eine Fürbitterin; doch als Diejelbe 
meinte, daſs das an einem Tage wohl 
zu viel jei, gab ihr meine Mutter zur 
Antwort: „Wie! Für den jchönen 
Korb, und für eine ſolche Eifenbahn- 
fahrt ? Schade noch um jeden Streid, 
der daneben gieng.“ 


Mit Berlaub! 


Gedichte in niederöfterreihiicher Mundart von Moriz Schadek.“) 


EN Ködern. | 
si o gehſt denn hin, dafs d — 
—— jo wild?“ 

a ° Fragt d Kathlmoam n Beitern. | 


„Ah“, jagt er, „hab an’n zwidern 
Gang, 
Zun Nazen geh ih, födern.* 


*, Diele berzigen Gedichte find entnommen dem neueiten Büchlein bed Verfaſſers: 


Sö bfirten fih, — er wandert fort. — 
Da fleht den Naz fer Keuſchen, 

San d Fenſter offa, — hört ma drin 
U Menge Kinder kreiichen. 


q ihöne Mufi zum Gmpfang, 

Ma muaß fih ja frei jhreda; 

„Na, macht nir, einigeh'n hoakt 3 doh, 
Eunſt bring ih d Sach nöt wegga.“ 


“Mit Berlaub !* 


Gedichte in nicderöfterreichiiber Diundart. (Wien, Garl Aonegen. 1891.) Die vorftehenden Broben find 


gewijs die befle Empfehlung für das anmuthige Werten. 


Die Red. 





Er klopft. — „Herein!“ Jatzt is er drin. — 
D5 Niadern und dö Näken! 

Und finder in den Kotterlod 

Bon alle Fahr und Größen! — 


Der Ray, der wird ganz blaſs: — er moaf 3 
Wegn was er fimmt, der Bauer. 

»Ia, mei Dann, jhau dih um a weng, 
Da wird van’ $ Zrudzahln ſauer.“ 


„Seid's aber Leut! — Wia's d8 da hauf'ſt's, 
Win 3 ausjhaut in den Lückerl, 
drei nie herin — und — Jeſſas na! — 
Da a nu foa ganz's Stüderl.” 


Damweil der Bauer predigt fo, 

Wer'n die Kinder wieder läuter; 

Der Hunger plagt | — da moanen f halt, 
Mit n Schrein da gang er meiter, 


„Rir 3 beißn a? Seid 8 guat beinand“, — 
Aft greift er gſchwind ins Weftel. — 
„Da haft a weng wos — bring der Bruat 
A Fuater da in's Neftel.“ 


Der Raznimmtd Hand und woant reht drauf, 
Dö Kinder aber laden. 

Der Hanfel thuat fih ertra ſchön 

Zun Bauer zumi maden. 


„Was willft denn, Büabl? fragt n der, 
„Wilft reiten auf der Ledern'n?“ 
„NRa*, jagt der Bua, „ih hätt a Bitt:, 
Geh, fimm bald wieder födern.“ 


Vergeltung. 


D Muater thuat fürs kloane Kind 

All's verwenden, 

Schaut recht drauf, dafs cam nir ageht, 
Tragt's aufn Händen. 


Siah, Kind, dös ſollſt nöt vergeflen, 
Dös ſollſt denken, 

Wann dir fpäter nacher d Zeiten 
Kräften ſchenken. 


Faihln j der Muater da jho kloanweis 
Auf alln Enden, 

Da thua ihr, was dir fie than hat: — 
Tragjaufn Händen. 


„Rühr di, jagt ſ, 
Mad 


| D Prinzeffin. 

Sie friagt amal a Buad in d Hand, 
Do ſtuahdirn von Kloangſtetten, 

Da leſ't j von dd Prinzeſſinnen, 

Wia guat als s dö halt hätten. 

Legt 8 Büadhl weg, und tramt halt iatzt, 
Wann 3 ihr a mal that gratben, 

Wann ih, moant f, a Prinzejfin wurd, 
Es that mir ah nöt ſchaden. 


Und was ih that?! No, in der Frua 
That ih a Weil zerft Inogen 

Und nader d Haar recht ſchmiern mit Salbn 
Vo ledi Almer-Bogen. 





An jeidern’ Kittel nahm ib um, 

A Fürta voller Spiten. 

Recht moade Schlapfa, gringe Strümpf, 
Daſs d Füaß nöt jo viel ſchwitzen. 


ı Ins Miader gab’ ih Bleameln hin, 
hön friſche — koane welten, 

An Weichbrunn fprigat ih ins Gficht 

Und nader — gang ih mellen. 


In der Freud. 


Moring, Leut, fimmt mei Bua, 

Ghört hübſch a Geld dazua, 

Uber er fann 8 redt, 5 Sparn, 

Seht 8, und da tragt 5 eam 8 Fahrn, 
Dat mih halt gern! 


So rennt j zu alle Leut, 
Muak 5 der ganz Ort hörn d Freud, 
Dais tagt auf DOftern bitimmt 
Wieder der Suhn hoam fimmt, 

MWeit aus der fremd! 


| gel fie 8 bat alln iatzt gjagt, 
Wia ihr halt 5 Herz froh ſchlagt, 
Sagt fie 8 ihrn Katzeln und 
Draußen den Kettenhund, 

Dais fih ſö gfreun. 





Und dafs | auf neamd vergifst, 
Der 8 eppa a gern miljst, 
Geht j gar zun Sauftall Hin, 
Is a Bagoner drin, 

Eh ſcho hübſch foaft. 


nutſch a weng, 


dir a Poſt zun Gſchenk, 


Morgn kimmt der Bua hoam, ſchau, 
Gfreu di, Sau, gfreu di, Sau — 
Agſtocha wirſt.“ 


Roſegger's „‚Heimgarten‘‘, 4. Geft, XV. 





Kleine Saube. 


EEE EN 


Sylvefter - Mitternadt. 


Vom Schlojsbergihurm der Stundenidlag 

Bringt Eud von neuem Jahr und Tag. 

Doc gebt die Schuld nit ſchlechtem Jahr, 

Wenn rein nit Euer Handeln war, 

Die größte Luft, den weh'ſten Wahn 

Thun fih die Menſchen felber an. 

Ein treues Herz und Tapferkeit 

Führt glücklich auch durch fchlimme Zeit. 
Bofegaer. 


Fin Berein als Ehriftkindl.*) 


Franzerl. 


Auf dem alten Sopha in Lappen ge— 
wickelt und zuſammengekauert wie eine 
Raupe lag das Ding. Und als es ſich 
regte und als es ſich hob und entwickelte 
aus ſeinen fahlfarbigen Hüllen, war es 
ein Menſchenkind. Ein etwa ſiebenjähriger 
Knabe im zerflickten Hemde, aber mit 
leuchtenden Äuglein kauerte, auf die Nor 
derpfötlein geftügt, und rief: „Mutter, 
ift ihon Tag?“ 

Die blafje Frau war jelbit kaum 
mit dem Ankleiden fertig in der froftigen 
Stube; am Öllämphen entzündete fie 
einen Span für den eilernen Ofen und 
rief: „Bleib’ im Neft, ſonſt erfrierft !* 

„Heute ift der Gewandtag, Mutter?“ 





Es war fein Halten. Das Hnäblein 
jchlüpfte in die Hojen, drei- oder viermal 
ichlüpfte es hinein, ehe es das rechte Loch 
fand. Eine Wonne heute, in dieſes jhlechte 
Kleid zu fahren, ift es doch das lehtemal, 
dann wird's verworfen. Wir friegen vom 
Golonievereine ein neues Gewand ! 

In den Eichelfaffee legt die Mutter 
um ein Stüdlein Zuder mehr als jonft, 
fie will ihrem Franzel einen Feſttag machen, 
er hat deren ohnehin jo wenige, jeit der 
Vater geftorben iſt. 

Aber der Kleine will von einem Früh— 
ftüde heute nichts hören, ihm fättigt die 
Erwartung. Nahbars Peter — der wird 
auch betheilt — holt ihn ab. „Alfo gebt 
in Gottesnamen! Schön danken und Hand 
küſſen, wenn ihr's befommen habt! Und 
achtgeben auf das neue Gewand, nicht 
raufen unterwegs!” 

Die Knaben eilen davon und die arg 
zerflidten Höslein fhlottern um die hüpfen- 
den Beinen. Heute friert fie nicht mehr 
drinnen, in den Heinen Herzen brennt die 
Freude, 

Als die Mutter allein ift, faltet fie 
die Hände. Sie iſt jo glüdlih, wenn 
ihrem Kinde eine freude wird. Bei dem 
Elende, das über fie — die Witwe eines 


| Heinen Beamten — gefommen, hätte fie 


„Freilich iſt er. Bete — Morgen | nicht gedacht, daſs noch Stunden des 
gebet, Franz, und ein Vaterunſer für | Gfüdes auf fie herniederthauen könnten. 


deine Moblthäter !* 


*) Der Berein „Colonie“ in Graz. 


Der Königsſohn, wenn er ausfährt im 
goldenen Wagen zum Feſte, kann fich 


307° 


nicht inniger freuen al3 der fleine Franz, 
der in den Verein „Eolonie” gebt, mo 
heute arme brave Rinder mit neuem Ge— 
wande betheilt werden. Das Schulzeugnis 
mit der Bittjchrift ift Schon vorausgeichidt, 
alle Belannten beglüdwünjchen die Mutter 
zu einem ſolchen Kinde. 

Nah Stunden, als die Frau zum 
Fenſter emporjchaut, das aus ihrer Keller— 
wohnung einem Schornfteinihlaudh ähnlich 
auf die Gaſſe geht, fieht fie Dort Nachbars 
Peter vorbeilpringen im neuen, braunen 
Anzuge — friſch „aufgeftiefelt“ vom Fuß 
bis zum Kopf. Dem folgt ein zweiter in 
der neuen „Wichs“. Ihr Herz hebt an 
zu pochen, jetzt wird auch der Franz bald 
johlend zur Thüre hereinftürmen. Freilich, 
der Knabe kommt, aber er jtürmt nicht 
und johlt nicht, auf Ummegen hat er fi 
bergeihlichen in jeinem alten armjeligen 
Anzuge. 

„Jeſus, Kind, was iſt denn das? 
Wo haſt du das neue Gewand?“ ruft 
die Mutter. 

Da wirft ſich der Knabe auf den 
Ziegelboden nieder und bricht in Weinen 
aus. Freilich war er dort. Viele ſind 
betheilt worden, er aber nicht, und er 
weiß nicht warum. Ein ſchöner Herr 
habe ihm geſagt, er ſolle ruhig nachhauſe 
gehen und brav bleiben. Vielleicht könne 
er im näditen Jahre was befommen, 

Die tiefe Detrübnis der beiden ver- 
lajjenen Menſchen juche ich nicht zu be- 
ichreiben. Leſer, wenn du Water oder 
Mutter bift — ob arm, ob reich — du 
fannft dir's denken. 

Am nädften Tage befam die arme 
Witwe folgendes Schreiben von einer dem 
Vorſtande „Colonie“ naheftehenden Per- 
jönlichkeit : 


„Liebe Frau Müller ! 


Da geftern bei der Gewandver— 
tbeilung für arme brave Schulkinder 
auch Ihr Söhnlein gejehen worden it, 
jo vermuthe ich, daſs Ahnen der. Be: 
icheid des Vereinsausichuffes aus irgend 
einem Zufalle nicht zugefommen fein wird. 
In demjelben theilten wir Ihnen mit, 
daj3 mir auch in diefem Jahre nicht 


mehr al3 200 Kinder bekleiden fönnen, 
weil dem Vereine die Mittel dazu fehlen. 
Mehr als 400 Bittiteller, ebenjo be- 
dürftig als würdig, muisten abgemwiejen 
werden; daſs auch Sie, liebe Frau, 
das gleiche Los traf, bedauern wir recht 
jehr. Doc hoffen wir, daſs eine ſtets 
lebhaftere Betheiligung der hochherzigen 
Bewohner von Graz den Verein „Eo- 
lonie* injtand ſetzen werde, fünftighin 
auch den übrigen armen Bittftellern 
gerecht zu werden. Die Traurigfeit 
Ihres Anaben, als er von allen Glüd- 
lichen fich gejtern übergangen ſah, hat 
mir ans Herz gejtoßen, und meine 
Frau, der ich davon erzählt, will den 
Knaben mit beiliegendem Betrage ent- 
jhädigen. Neichen Sie im nächſten Jahre 
nur mieder ein, Gott wird bishin 
unjerem wohlthätigen Vereine neue 
Freunde zugeführt haben, 

Ihr ganz ergebener 

N. N.“ 


Graz, im December 1889.“ 


Wieder Glück in der Kellerwohnung! 
Ob aber die Frau Müller den „beiliegen— 
den Betrag“ für einen neuen Anzug ver— 
wendet hat ? Kinder, wenn fie ſtark wachſen, 
wollen ſich täglich auch einmal jattefjen. 
— Dieſes Geichichthen wollte ich euch 
erzählen, ihr lieben Mitbewohner von 
Graz, Und jo wie dem feinen Franz, 
ergeht es vielen armen, braven Kin— 
dern; troß allen guten Willens konnte 
ihnen nicht geholfen werden, Eben wieder 
jendet der Verein „Colonie“ jeine Tauben 
aus, Diejer Verein bat jeit jeinem neun- 
zehnjährigen Beitehen an 40.000 fl. zur 
Belleidung armer Schulkinder zuſammen— 
gebracht und ausgegeben. Wie viel Freude, 
wie viel Glück das bedeutet, fann freilich 
nur die Armut ermeflen. Einen einzigen 
Gulden, Lejer, und du haft theil an 
dieſem Himmelreih! Ich weiß nun wohl, 
du haft im Laufe des Jahres viele ſolch 
einzelner Gulden an Vereine zu zablen. 
Doc) denke nad, Freund, ob's dich jemals 
gereut hat. Man fann unmirjch werden, 
wenn die Eincaffierer kommen, einer nad 
dem anderen, ich weiß es, uns fliegt das 


20° 


Geld wohl auch nicht zum Fenſter herein, 
wie die Müden — aber ich jage e3 noch— 
mals, gut jein bat noch niemand gereut, 
und den, ber ſich wirklid arm gegeben, 
noch am wenigften. Du kennſt das Wort 
des Heilandes: Wer zwei Röde hat, der 
gebe... So ftreng meinen wir's nidt. 
Du jollft deinen Frühjahrs-, Sommer» 
und Herbſtrock behalten und auch ben 
Winterpelz; aber dieje Röde haben Säde, 
und in einen biefer Säde greife hinein, 
Denke, der Franz, der Heine liebe Kerl, 
fommt in dieſem Jahre wieder zur Ge 
mwandvertheilung des Vereines „Colonie*. 


* * 


* 


Das Körbchen. 


„Was habt Ihr denn da für einen 
Korb hängen?“ fragte ich meinen lieben 
Freund Hans Malſer, eben im Begriffe, 
ſeine Wohnung zu verlaſſen. Denn an 
der Thüre dort, wo unſere Altvordern 
das Weihbrunnkeſslein gehabt hatten, 
hieng ein zierlich geflochtenes Körbchen, 
welches dadurd, daſs es mit einem Stahl» 
ſchlöſslein neckiſch verfchloffen war, nur 
noch reizender warb. 

„Ja“, antwortete mein freund, „das 
ift eben ftatt des Weihbrunnens, es tt 
unfer Segen zum Aus- und Eingang. 
Der Unterjchied iit nur folgender: Unjere 
Morfahren haben aus dem Gefäße den 
Meihbrunn genommen, wir geben ihn 
hinein. * 

„Wie ift denn das zu verftehen ?* 

Mein Freund nahm das Körbchen 
von der Wand, „es fann jelber ſprechen“, 
fagte er, uud das Ping antwortete, wie 
aus phonographiſcher Infpiration: „Der 
Verein Golonie zur Bekleidung armer 
Schuffinder in Graz bittet durch Kindes— 
band für die frierenden Kleinen.“ — 
„Und ſiehſt du bier“, jo ſetzte mein 
Freund bei, „die hübſche Feine Spalte ?” 
dabei jchüttelte er das Körbchen, daſs 
es in demjelben gar fein raſſelte. 

„Denn ih ein Sind wäre”, war 
hierauf meine Entgegnung, „jo würde 
ih alliogleih — ” 

„Rur ber damit !” lachte der Freund, 


308° 


„Du bift ja ein altes Kind. — Und 
‚wir alle“, jo jette er ernjthaft bei, „find 
Kinder Gottes, fobald wir unferer armen 
| Mitbrüder gedenken.“ 

„Bon wen beflommt man denn jo 
etwas?“ war meine frage, denn ein 
folder Zimmerſchmuck dünkte mir gar 
nicht übel. 

„Bon der Golonie*, berichtete der 
Freund, „fie gibt ſolchen Zimmerjhmud 
ſehr gerne, jchidt ihn ſogar bereitwillig 
in? Haus, und das ganz umjonft.” 

Hierauf jagte ih: „Liebe es zwar 
ſonſt nicht, von einer Dame einen Korb 
zu befonmen, aber den von der Mutter 
| Golonie nehme ih mit Vergnügen.“ 
| „Der ift auch feine Schande“, ſprach 
der Freund, „er bringt viel Freude und 
Segen — dem Nehmenden wie dem Ge— 
benden. Meine Kinder find allemal voller 
Glüdjeligkeit, wenn fie etwas hineinfteden 
können für irgend einen armen elternlojen 
verlafienen Franzerl. Anftatt um einen ge- 
ſchenkten Kreuzer fich Najchereien zu kaufen, 
wahlt mein älterer Knabe etwas weit Sü— 
ßeres uud ſchenkt ihn ins Körbchen. Zu Ge- 
burt3tagen und Namensragen, wenn die 
Kinder Sachen befommen, rufen fie gleich: 
Der arme Franzerl, der joll aud mas 
haben! Und im Herbſte, wenn der 
| Scneiber das nagelneue Gewand bringt 
für die Stleinen, bei, welch Stolzieren 
die Zimmer auf und ab! — und ſehen 
das Körbchen. Der Franzerl, der muſs 
gewijs frieren und hat fein ſolches Tuch, 
‚feine zitternden Gliederlein zu verhüllen, 
‚Wie mandes berzige Kind doch jo arm 
und verlaffen fein fann auf diejer harten 
Welt! In den Opferftod mit dem Daten! 
— Endlich kommt das heilige Chriſtfeſt. 
Alles, was die Kleinen ſich gewünſcht 
haben, und noch weit mehr! hängt am 
und liegt unter dem Lichterbaume. Da 
— umgeben von Liebe, Glüd und Glanz, 
| mitten in jeligfter Luft, fällt der Blid 
des Mädchens auf das Körbchen an der 
Thüre. Es ift, als ob eine unfichtbare 
| Hand das Gefäß leiſe jchüttelte: Bitte, 
bitte, für den feinen armen Franzerl! 
Erſtürmt wird das Körbchen, und 

fie in der Eile an Silbergeld 








was 








(Kupfer gibt es heute nicht!) auftreiben 
fönnen, da3 wird in die Spalte gejtedt. 
Iſt es doch niemand anderer al3 das 
Ehrijtfind ſelbſt, welches für jo viele 
Gnaden und Gaben, die e3 heute aus: 
geihüttet über das Haus, bier die leeren 
Händchen herhält : Vergefiet der verlafjenen 
Kinder nicht, das iſt mir der liebjte Dank! 
— Dann Neujahr. Sie kommen. Einer 
gibt die Thürklinke dem anderen in die 
Hand, denn die Thürklinke ift ihnen zu 


wenig. Schöne, höchſt ſchwungvolle Ge, 
dichte, ſehr wohlgeſetzte Glückwünſche! 
Lebhafte Betheuerung von Lieb’ und 


Ireuen nnd die alten zu bleiben auch 
im Neuen !? Und dabei wird die tüdi« 
Ichefte Fauſt zur offenen Hand, die fich 
ein klein wenig höhlt. Das Körbchen 
drüdt fi gar beicheiden an die Wand 
und ſchweigt. „Na wart, Franzerl, gerade 
dir! Einen Silberidilling auf ein glüd- 
liches Jahr!" — Alſo geht's von Feſt 
zu Feſt, und wenn alles recht froh iſt, 
erinnert man fi der armen Kiinder im 
Körbchen. Wenn ein unverfhämter Bettler 
abgemiejen wurde und es einem nachträg- 
(ih leid thut, jo ftedt man das Almofen 
dafür ins Körbchen, und das Gewiſſen ift 
beruhigt. Wo ein vacierender Kreuzer 
umberlungert, oder ein Silberzehner, der 
fih nicht auf der Stelle über feine Be— 
fimmung ausweiſen fann: Hopp, ins 
Lob mit ihm! — Mar vor furjem der 
Cheim Joſef bei uns. Wie gewöhnlich 
nimmt er jeinen Liebling, den Rudolfel, 
aufs Anie und jchaufelt ihn. Der ſtleine 
zupft an feinem Bart; recht bat er! 
jagt der Oheim, zupft an jeiner Uhrkette; 
recht bat er! jagt der Oheim und thut 
mit einem Ledertäſchchen um und bringt 
etwas Glänzendes zum Borjchein. Der 
Knabe erhebt ein YJubelgejchrei über den 
ſchönen Kreuzer und nachdem er denjelben 
jattiam bewundert hat, fällt es ihm ein: 
Die Kreuzer gehören ins Körbchen. Was 
treibjt denn, Nubolfel, nicht hineinfteden ! 
jchreit die Mutter ; 
Ducaten ift in der Spalte ſchon ver« 
Ihmwunden. Aus war's, denn das Schlüſ— 
jelein haben wir nicht dazu. Net bat 
er! jagt der Oheim, und dem Franzerl 


aber zu jpät, der 





wird’3 auch recht geweſen fein.“ Alſo 


erzählte mein Freund Malijer. 
„Und wie”, jo fragte id, „fommt 
denn der Franzerl zu feiner Sache?“ 


„Der kann fich freilich jelber nicht 
helfen“, beiehrte mein Freund, „feine 
Eltern, wenn er deren noch bat, find 
biutarm. In einem feuchten Kellergimmer 
oder in einer Luftigen Dachfammer, oder 
wo weiß id, wohnt er jet. Sein 
beiter Aufenthalt ift noch die Schulitube. 
Fleißig lernen ! Brav fein! Auf der Gaſſe 
anftändig jein! Das wird ihm jIcharf 
aufgetragen. Immer brav fein! Natürlich, 
wenn arme finder nicht braver find, als 
reiche, jo find fie jchlimmer. Daſs ihn 
bungert, den Kleinen, dajs ihn friert, 
darnad fragt fein Menſch. — Vielleicht 
doch. Der fleine Franzerl hat gute 
Freunde: die Mitglieder des Colonie- 
vereined, Das find gar ſchlaue Herren ! 
Diefe Herren haben uns die niedlichen 
Körbe in Haus gejegt. Die Spalte iſt 
offen, das Schlofs zu. Aber nad Jahres» 
frift kommen fie mit ihrem Schlüfjel. 
Kommen, jperren ſchmunzelnd auf, zählen 
vor unferen Augen das Geld, welches 
bei uns im Wandel der Geſchicke reif 
geworben ift, bedanken ſich freundlich, 
tragen es fort und kaufen warme Kleider 
für arme Kinder. Das leere Körbchen 
haben fie wol verſchloſſen wieder hübſch 
an die Wand gehängt, damit wir aud 
im nädjten Jahre Gelegenheit haben, 
unjere Kinder im Wohlthun zu üben 
und uns ſtets zu erinnern an das Elend, 
welches außerhalb der traulichen Wände 
herrſcht.“ 

Als ih am ſelben Tage nachhauſe 
fam, berichtete meine Muhme, daſs jemand 
eine Zierat gebraht habe. Sie war 
eben daran, das gebrachte Coloniekörbchen 
hoch an die Wand zu nageln. 

„Niedriger, Muhme, niedriger !? rief 
ich ihr zu. „Man mujs armen lindern 
den Brotforb nicht zu hoch hängen !“ 


Rojegger. 


— 


Freie Gedanken, freie Worte, freundliche Aufforderung benutzend, Ihnen 

., |binnen 2--3 Moden einige Beiträge 

Das Geſet muje ih * ben Zeit- für Ihren Muſenalmanach einjenden, da 
verhältniffen herausbilden, nicht aus den ih mir die paar Gedichte, welde feit 
Köpfen. J der legten Sammlung entſtanden find, erſt 


— noch ein wenig näher beſehen muſs. 

Wird ein Geſetz auf einen unrichtigen Mein Porträt betreffend, welches in 

Zeitpunkt gejegt, jo wird es wie durch der Zukunft zu geben Sie die für mic 

eine Gährung ausgeſchieden. ſchmeichelhafte Abfiht fund zu thun To 

ce gütig find, jo müſste ich, dies zu recht- 

Je freier ein Staat, dejto ftrenger | fertigen, mir erft noch das dazu gehörige 

müffen die Gejege gehandhabt werden. Verdienſt erwerben, und ftatte ich Ihnen 

ER; aljo für ihre wohlmwollende Meinung bis 

drei ift, wer andere frei machen |auf weiteres meinen Dank ab. Mit der 

kann. Hingegen, wer andere fnechtet, Verfiherung meiner volllommenen Hoc» 
muſs jelbjt eine Sclavenſeele haben. achtung mich Ihnen empfehlend 


* 

Geifter werden nicht einererciert, | Ihr ——— gell 
ſondern nach Geſetzen der Freiheit zur | ottfr. Keller. 
Reife ausgebildet. Verehrteſter Herr und Freund! 

Me at, Da Sie mir gar jo freundlich und 

Die Gejhichte iſt der Spiegel der höflich - galant ſchreiben, jo muſs ic 
Menſchheit. endlich meine Läſſigkeit gegen Sie einiger- 

————— maßen bezwingen und meine Geſinnung 

Religion eint, Confeſſionen trennen, | mehr zur Geltung kommen laſſen, obgleich 

Trip en leider mehr in Morten als mit Thaten. 

Geld Führt ins beſchränkte, Ideal Warum ih Ihnen für den Mufen- 

ins unbeſchränkte Leben ein. almanach, deſſen Fortgang ich jeither mit 
3. Rothbauer. |Vergnügen und Intereſſe verfolgt habe, 

nichts mehr gejandt, geihahb aus dem 
allereinfachſten Grunde, weil ich nichts 
gemadt habe. Ich bin durch die leidige 
Buchichriftitellerei, die ih handwerklich 
nicht beberrjche, aus aller Lyrik heraus- 
gelommen; denn das jugendliche Be— 
Berlin, den 19. April 1852. dürfnis häufiger momentaner Stimmungs- 
ergülle ift halt vorbei, und zu einer 

Hochgeehrter Herr! erneuten reiferen und füuftleriichen Periode 
Ih habe mit Vergnügen Ihr ver» abſichtlichen lyriſchen Hervorbringens ge- 


Briefe von Gottfried Keller an 
Chriſtian Schad.*) 


Mitgetheilt duch Anton Englert. 


bindliches und geehrtes Schreiben vom Hört eine faſt gänzliche tabula rasa von 
11. d. M. erhalten und werde, Ihre [allen bejchwerenden Abhaltungen, ein 
— glückliches Vierteljahr gänzlicher Freiheit. 
Seit ich wieder in meiner Heimat bin, 
ee En ae ipeculiere ih darauf, da ih eigentlich 
ung vor. e zabllofen Briefe und Originalmanur .e R . 

—— —3 — — als Herausgeber des | etwas unzweifelhaft Gutes in Liederſachen 
„Deutichen uſenalmamach“ (1850, 1852 —59) von ’ N 1 
Dichtern aus allen Theilen Deutichlands zugiengen, erſt noch zu leiſten habe, wenigſtens 9 
werden don feinem Sohne Herrn Dr. G. Schad in 
Schweinfurt aufbewahrt, welcher mir in liebent- 
würdigfter Weije die Durbfibt und Benutzung ber» 
felben geitattete. An diefer Brieffammlung befinden 
fih die Originale der bier abgedrudten Briefe von 
Gottfrieb Seller, welcher für mehrere Jahrgänge des 


„Deutihen Muſenalmanach““ 11858, 58, 50) Beiträge 
lieferte, 


*) Chr. Echad, geb. 1821 in Schweinfurt, geit. 
1871 in ſtigingen. Bon feinen durch Schönheit der 
tr und Ziefe der Empfindung ausgezeichneten 

edichten liegt leider noch feine volftändige Eamm« 


einem charakteriftiihen Enjemble. Ich 
wollte Ihnen nichts mehr jchiden, bis 
ih etwas derart bätte, will nun aber 
doch für dieſen Jahrgang wenigſtens 
einige Späne zuſammenſuchen, damit ich 











ee 


nicht ganz in Vergeſſenheit gerathe. Dieje 
werde ih Ihnen bis anfangs Juni zu« 
jtellen oder, wenn e3 ſich länger hinaus— 
ziehen jollte, nah Ihrem Wunſche das 
Gehörige anzeigen, 

Ih leſe immer mit einem Haupt— 
vergnügen Ihre friichen und frohen Dich: 
tungen, mit welden Sie jo trefflich ben 
Beweis leiften, daj3 immer noch etwas 
Neues und Eigengehöriges auszubeden 
ift, und denke, Sie werben uns nun 
bald wohl mit einer Sammlung erfreuen ? 

Ich dankte Ihnen herzlichft für Ihren 
freundliden Gruß und wünſche Ihnen 
gleihfalls das befte Wohlergehen, das 


Sie um Ihrer treulichen Pflege unjerer 


Mujen willen jo jehr verdienen. 


Mih Ihrer guten Gefinnung ferner 


empfeblend, verbleibe ich mit freund- 
ſchaftlicher Hochachtung 
Ihr ergebener 
Gottfried Keller. 
Hottingen bei Zürich, 30. April 1857. 


P.S. Die Benennung „Maler“ bitte 
ich fünftig meglaffen zu wollen, ba fie 
mir längjt nicht mehr zufommt ! 


DVerehrtefter Freund! 

Anliegend der verjprodene Beitrag 
für den Mujenalmanad. Sollte er zu 
umfangreich fein, jo lafjen Sie weg, was 
Ihnen beliebt. Sch Habe einige jchwei- 
zeriiche Gelegenheitägedichte dazu gethan, 
in der Meinung, daj3 dergleichen Übung, 
wenn fie Ländlich-fittliches zum Gegen— 
ftande bat, in einem deutſchen Mufen- 
almanach wohl zuläjfig jei! 

Indem ih Ahnen und Ihrem Wein- 
berge einen guten und glüdhaften Jahr— 
gang wünſche, verbleibe mit alter Ge- 
ſinnung Ihr ganz ergebenſter 

Gottfried Keller. 


Zärich, den 27. Mai 1857. 


Verehrtejter Freund ! 

Ihrer wiederholten freundlichen Auf: 
forderung kann ich leider nur mit zwei 
oder drei Gelegenheitägedidhten nad 
tommen, da mir jonft nicht eine Zeile 
bereit liegt. Ein reiferer lyriſcher Nach. 


frühling ift mir allerdings im Anzuge 
und ich verjpüre ihn öfter, muſs ihn 
aber der „Berhältniffe” wegen immer 
noch vor der Thüre ftehen laſſen. Hof— 
fentlich wird er doch nicht erfrieren. 

Den Sängergruß werden Sie bei— 
gelegt finden. In der „A. A. Zeit“ war 
nur die mittlere Strophe weggelaſſen. 
Ob ſie anſtoßerregend ſei, überlaſſe Ich 
Ihnen zu beurtheilen. Sie iſt indeſſen, 
in der zweiten Hälfte, durchaus nicht 
perſönlich, ſondern allgemein principiell 
gemeint. 


Freundſchaftlich grüßend 
Ihr achtungsvoll ergebener 
Gottfried Keller, 


Züri, den 16. Auguft 1858. 


Ber Älpler in der Stadt. 
Don ferdinand Pfeiler. 


Möcht' jehen, was die Städter treiben, 
Die hier nun wie verfhwunden find! 
So fpridt vor den gefrornen Scheiben 
Der Dirt, ein ſchlichtes Alpentind, 


Wohin nur felten Menſchen dringen, 
Dort hat er Edelweiß gepflüdt, 

Das wollt’ er jet den Städtern bringen, 
Die fo ein Sträußchen hoch beglüdt. 


Nun füllt er fih zu feiner Reife 

Den Rudjad jhon beim Morgenroth, 
Statt Sterz, des Älplers Lieblingsjpeife, 
Begnügt er ih mit Sped und Brot. 


Die Hofe kurz — von Hirjchenleder, 

Die Strümpfe grün und grob die Schuh’, 
Den Hut geziert mit einer Feder, 

So fhritt der Stadt er freundlich zu. 


Schon brannten dort die vielen Lichter, 
Als er am Thore halten muſs, 

Gelobt jei Jeſus Ehriftus, fpricht er, 
Doch niemand jagt den Gegengruß. 


Sein treues Auge blidet büfter, 
Wie fragend fih im reife um, 
Und nochmals, jo wie früher grüßt er, 
Doch bleibt die Menge ftill und ſtumm. 


Und eh’ er wußste, wie's gejchehen, 
Ward ihm der Rudjad abgejchnallt, 
Sein Brot und aud jein Sped beichen, 
Auch Geld verlangt man mit Gewalt, 


— 


Er hielt die Männer nun für Räuber, 
Die ihm den Rudjad aufgeſchlitzt, 
Schämt Euch, jprad er zum diden Schreiber, 
Der hinterm Gitterfenfter figt. 


Da tönet rings das Aveläuten 

So herrlich klingend an fein Ohr, 
Und er vergaß der Zmiftigleiten, 

Und ſchritt fill betend dur das Thor. 


Dabei nahm er den Hut vom Haupte, 
Worauf ein Alpler nie vergijst, 

Doch niemand that es jonft; er glaubte, 
Dafs ſchwerhörig die Menge ift. 


Drum ſchrie er, was er fohreien fonnte, 
Ein zierlic feines Herrchen an, 

Herr! läuten thun fie. Und mie lohnte 
Die Mahnung ihm der ſtolze Mann! 


Wie! fprad er, bier vor allen Leuten 
Soll beten ih! Ihr feid verrüdt. 

Man würd’ mit Fingern auf mich deuten, 
Und laden, wo man mid; erblidt. 


Doc betend geht der Älpler weiter, 
Bis rings verhallt der Glocken Klang, 
Die rege Menge flimmt ihn heiter, 
Drum folgte er dem innern Drang, 


Und fang ein Lied von jenem Lande, 
Wo herrlih jhön die Alpen glüh'n, 
Mo auf dem jchmalften fyelfenrande 
Die muntern Gemjen weidend zieh'n. 


Da fühlt er unfanft fi ergriffen. 
Was treibt Ihr! fpricht ein Polizift, 
Geſungen nit und nicht gepfiffen 
Wird hier, wenn’s einmal dunkel ift. 


Dann zeigt mir, Herr, nur ſchnell die Gaſſe, 
Sprad tief gefränlt der Alpenjohn, 

Die aus den Mauern führt. Die Straße 
Zur Heimat find’ ich jelber ſchon. 


Dort hört’ ih dann die Grüße wieder, 
Auf die Ihr Euch zu danfen jhämt, 
Dort fingt man aud im Dunfeln Lieder, 
Mas Ihr mir bier jo übel nehmt. 


Zu ſpäh'n, was ih im Nudiad trage, 
Dat dort fi niemand noch erlaubt, 
Do bei dem Aveglocenſchlage 
Entblößt dort jeder noch das Haupt. 


B'hüt Gott, Sprach er dann noch beim Scheiben, 
Dich jeht Ihr nun und nimmermehr. 
Dann ſchritt er, um die Stadt zu meiden, 
Für immer aus dem Häujermeer, 


Knapp auferm Thore fand am Wege 
Ein Kreuz; des MWelterlöjerd Preis, 
Ganz ohne Shmud und ohne Pflege; 
Das jhmüdt er nun mit Edelweiß, 


Und als der helle Morgen graute, 
Blieb außerhalb der Stadt er ſteh'n 
Und fprad, indem er rüdmwärts ſchaute: 
DO, wär'ſt du aud fo gut als ſchön. 


Ber blaue Radmantel, 


Vor einiger Zeit gieng in Wien ein 
Mann um, der nmächtlicherweile von 
Haus zu Haus jhlih und an den Thor— 
gloden zog. Wenn hernach der Haus- 
meifter fam und das Thor öffnete, gab 
er dieſem bie üblichen zehn Kreuzer und 
gieng weiter. Der Mann hatte ein hageres 
blaſſes Gefiht, einen ſchwarzen, Furzge- 
ſchnittenen Bollbart und trug einen duntel« 
blauen Rabmantel. Mehr mwujste man 
nicht von ihm, aber unter diejer Geftalt 
war er bei vielen Hausmeiftern aller 
zehn Bezirke befannt. Die meiften waren 
mit ihrem Sperrzehnerl zufrieden, ließen 
den Mann gehen und baten: muſs man 
doch auch folhe gehen lafien, die aus 
Übermuth anläuten und gar nicht mehr 
da find, wenn das Thor geöffnet wird. 
Einmal aber, al$ der Radmantel wieder 
davongehen wollte, padte ihn doch der 
Hansmeifter am Arm und jagte: „Herr, 
jo fommen Sie doch herein !* 

„Ib habe darinnen nichts zu thun“, 
antwortete er in einem fremdklingenden 
Zone, „Ihr Geld haben Sie, jo laſſen 
Sie mih doch!“ Da hatte er fih durch 
eine kühne Wendung aud ſchon befreit 
und ſchritt am Trottoir langfam die 
Gaſſe entlang. — 

In eine renommierte Buchhandlung 
Budapeſts trat ein Mann und verlangte 
ein Buch unter dem Titel: „Der große 
Schaupla Luft und lehrreicher Geſchichte 
von Johann Michael Dilherz.“ Gedrudt 


um das Jahr 1648. Der Buchhändler 


bemerkte, daſs dieles Werk nicht mehr 
im Buchhandel jei, daſs er aber bei 
Antiquaren darnach forfchen laſſen wolle, 


J— 


— —·— 


Am nächſten Tage ſchon kam der Fremde der Eiſenbahnſtrecke zwiſchen Graz und 


wieder und fragte nach, ob der „Große 
Schauplatz luſt- und lehrreicher Geſchichte“ 
ſchon aufgetrieben ſei? — „Ja, Herr, 
das geht nicht ſo ſchnell, bitte ſich wenigſtens 
drei bis vier Tage zu gedulden.“ So 
der Buchhändler. Der Fremde war ein 
blaſſer Mann, hatte einen ſchwarzen 
Bart und einen blauen Radmantel an. 
Er war faft Fleinmüthig, ala er hörte, 
das Buch jei noch nit da, es mujste 
ihm ſehr viel an bemielben gelegen jein. 

Am dritten Tag nad diejer Anfrage, 
morgens, als faum die Ladenthür geöffnet 
war, jtand der Blaumantel ſchon in ber 
Buchhandlung. E3 wurde ihm mitgetheilt, 
daſs bei den Antiquaren von Bubapeft 
da3 begehrte Buch leider nicht aufzu« 
treiben jei, daſs es in der Buchhändler. 
zeitung auögejchrieben werden müffe, wenn 
man darauf reflectiere, daſs es vielleicht 
überhaupt nicht mehr aufgetrieben werben 
fönne. 

Der Fremde erflärte fih bereit, alle 
Koften zu beftreiten, und wenn das Bud 
aufgefunden werde, noch bejoubers er» 
fenntlich jein zu wollen. 

Von mun an erfchien er allmöchent- 
ih, um nah dem Buche zu fragen, 
Mittlerweile wurden durch das buch— 
händleriiche „Börjenblatt* alle Antiquare 
Deutihlands beunruhigt, und richtig, 
nach zwei Monaten konnte der Budapeſter 
Buchhändler dem Fremden den „Großen 
Schauplaß luft: und lehrreiher Geſchichte“ 
vorlegen, 

Der DBlaumantel bezahlte die Un- 
fojten von ſechzig Mark, händigte einen 
gleichen Betrag dem Buchhändler für die 
gehabte Mühe ein und gieng zur Thür 
hinaus. 

Man rief ihn zurüd, daſs er jein 
Buch mitnehme. Das brauche er nicht, 
jagte er, verließ das Haus und ward 
nicht mehr gejehen. 

Gr hatte das alte Bud, nad dem 
er monatelang mit höchſter Spannung 
gefahndet, kaum aufgeichlagen, um den 
Titel zu ſehen, des weiteren nicht im 
geringften beachtet. — 

Im jelben Jahre war es, daſs auf 


Mürzzujhlag der Conducteur ins Coupe 
fragte, obman in Mürzzuſchlag Table d'höte 
zu ſpeiſen wünſche? 

Im Coupé ſaß ein einziger Herr, 
der beſtellte Table d'höte für zwei Per— 
ſonen. 

In Mürzzuſchlag angekommen, trat 
ein blaſſer Mann in langem blauen Rad— 
mantel in den Speiſeſaal, ſah dort die 
für ihn bereiteten zwei Gedecke, gieng 
wieder hinaus auf den Perron und 
fragte einen Dienſtmann, was er für die 
Stunde verlange. 

„Sechzig Kreuzer, gnädiger Herr.“ 

„Gut, kommen Sie mit mir!“ Der 
Radmantel führte den Dienſtmann in den 
Speijefaal, hieß ihn dort neben ſich 
niederfigen und efjen. Der Dienftmann 
wuſste nicht, wie ihm geſchah, doch war 
er nicht blöde und griff fleißig zu. Der 
Radmantelmann fümmerte fich nicht weiter 
um ihn. Als zum Einfteigen geläutet 
ward, zahlte er die zwei Gebede, fertigte 
den Dienjtmann mit ſechzig Kreuzern 
ab und fuhr davon. 

Das Bahnperfonale und der ganze 
Ort lief zum Dienftmann zujammen, um 
das MWeltwunder zu jehen, mie einer 
dafür, dais er ein gutes Mittagsmahl 
verzehrte, bezahlt worden war. — 

Ungefähr um jene Zeit erhielt ein Herr 
Mavyer-Hoit in Gmunden folgendes, mit 
feinem Poſtſtempel verjehenes Schreiben: 


„Geihäßter Herr Mayer-Hoig ! 


Ich erlaube mir, in einer Ihnen 
vielleibt nicht ganz unintereflanten 
Ungelegenheit Ihre Erinnerung aufzu— 
friſchen. Es war vor circa zwei Jahren, 
als Sie eines Morgens in Ihrer 
Villa ein Fremder bejuchte, um mit 
Ihnen eine Dachjteintour zu beiprechen, 
die indes nicht zujtande gekommen iſt. 
Während ich noch bei Ihnen ſaß, trat 
der Pojtbote ein, Sie repidierten die 
Pot und, einen Brief eröffnend, ſchleu— 
derten Sie ein gedrudtes Blatt mit 
dem Ausruf: Pfui Teufel! zu Boden. 
Es war die Einladung zu einer Dam» 
burger Xotterie. Da ih ſah, mit 


welder Verachtung Sie das Blatt 
behandelten, bat ich e3 mir zu meinem 
Gebrauche aus und verließ bald darauf 
Ihr Haus. 

Nun ſehe ih mich veranlajst, 
Ahnen mitzutbeilen, dajs ich auf jene 
Einladung hin, die an Ihre Adreſſe 
gerichtet geweien, ein Los gekauft und 
bei der legten Ziehung 150.000 Mark 
gewonnen habe. Wenn Sie geitatten, 
möchte ich zwei Drittel dieſes Betrages 
nah meinem Outdünfen verwenden. 
Das dritte Drittel glaube ih Ihnen 
offerieren zu jollen, falls Sie über 
diejes Ihr Eigenthum verfügen wollten. 
Da ih Ihrer gegenwärtigen werten 
Adreffe niht ganz ficher bin, jo er 
faube ich mir dieje vorläufige Anfrage, 
bittend, daſs Sie ſich zu Ihrer Willens» 
äußerung innerhalb eines Monats des 
Injeratentheiles der Linzer „Tagespoſt“ 
bedienen möchten, worauf jofortige Zu— 
ftellung erfolgen wird, 

Ihr ganz ergebener 
”» #4 Bu 

Man mag fihb das Erftaunen des 
Herrn Mayer-Hoit vorjtellen. Bor allem 
begann er jein Gedächtnis zu malträtieren. 
In „feiner Vila“ hatte er nie gewohnt, 
weil er eine ſolche nie beſeſſen hatte. 
Wohl aber wohnte er vor zwei Jahren 
über den Sommer in einem Landhäuschen 
bei Gmunden, und erinnerte fih auch 
an das Zujammentreffen mit einem Tou— 
riften, welcher das Höllengebirge und den 
Schafberg befteigen zu wollen vorgab. 
Dom Dadjftein war feine Rede gemeien. 
Der fremde trug ein für Touriften ganz 
jeltjames SKleidungsftüd, nämlich einen 
blauen Rabmantel, Weiter wujste Mayer- 
Hoi von diejer Sade nidhts. In der 
genannten Zeitung ließ er folgendes In— 
jerat einrüden: „M. H. in Gmunden 
bittet * * * um die Angabe feiner Adreſſe.“ 
Die rätbjelhafte Ehrlichkeit ift heutzutage 
faft noch unheimlicher, als ein frecher 
Betrug. 

Dis heute hat Herr Mayer» Hoik 
von ber Sache nichts mehr gehört. 

Zur jelben Zeit fand bei Landshut 


SIE _ 


einen großen blauen Radmantel. In der 
Tajche dieſes Mantel3 war ein Bapierballen 
von Tauſend Marf-Sceinen im Betrage 
einer viertel Million. Trotz aller Nach— 
forfchungen hat fich weder für den Mantel 
der Mann noch für das Geld der Eigen- 
thümer gemeldet. 

Es gibt Unbegreiflichleiten, bei deren 
Erwägung einem der Verſtand ſtehen 
bleibt im Kopfe. M. 


Wie ein Kalender zu feinem 
Auhm gekommen ift. 


In den dreißiger Jahren war es. 
Dem Buchbinder, Gebetbücher- und Amu— 
letenhändler eines deutſchen Landſtädtchens 
fiel es ein, einen Kalender herauszugeben. 
ge nu, das Herausgeben ift feine Kunſt, 
aber das Berfaufen. Schlechtes Papier, 
rothbe und ſchwarze Buchſtaben, einige 
Bilderder Himmelszeichen, Thierkreijeu.f.m. 
Den Kalender bezieht man von der aftro- 
nomiſchen Auftalt, läſst etwelche Wetter- 
regeln dazudruden, thut ein paar Haus— 
mittel bei, ftempelt jeine Firma drauf 
und der Kalender ift fertig. Zehntauſend 
Käufer dafür aber find viel jchwerer zu— 
jammenzubringen, und der Verfuch unſeres 
Yuhbinders, Gebetbücer- und Amuleten- 
bändler$ war eine gewagte Sad. 

Zudem hatte er jeinen neuen Kalender 
auch ganz mangelhaft zujammengeftellt. 
Kam eines Tages der Seherjunge aus 
der Druderei in die Wohnung des Ver- 
legerd. Diejer jaß gerade mit ein paar 
Nachbarn beim Kartenipiel, verlor Grojchen 
um Groſchen und war daher nicht gut 
aufgelegt. 

„Herr Principal!“ flüfterte der Schrift- 
jeger hinter dem Rüden des Bud 
händlers. 

Dieſer hörte es nicht und verlor 
einen Groſchen um den anderen. 

„Herr Principal“, jagte der Junge 
aus der Druderei etwas lauter, „der 
Kalender — für die zweite December- 
mode ift fein Wetter da. — Was joll 


in Baiern ein Landmann auf dem Felde | ich denn hineinjegen ?* 








„Ei, Donnerwetter hinein!“ rief der 
Buchbinder, „ift denn heut’ mehr gar 
feine Ruh'!“ 

Der Junge war ſchon zur Thür 
hinaus und im die Druderei gerannt: 
„Donnermwetter fommt hinein.“ 

Und als das Büchlein fertig war, 
ftaunten die wenigen Käufer bajs über 
die finftere Donnerfeule, welche in der 
zweiten Decemberwode mitten in Schnee 
und Eis drohend prangte und fie achten 
über den Berftoß, der dem neuen jchlechten 
Kalenderden pajjiert war. — Was aber 
geihah? Das Jahr gieng um; einmal 
bielt fih das Wetter an den Kalender, 
das anderemal nicht. Anfangs December 
war großer Schneefall — er jtand nicht 
im Kalender; und in der zweiten Woche 
eines Abends gab es Blik und Donner, 
daſs e3 gerade flunferte und bebte. 

Jet gieng’3 los. Das ijt einmal 
ein Kalender! Im Sommer Sonnenjdein 
und im Winter Schnee vorauszujagen, 
das ift feine Kunft, aber im Ehriftmonat 
ein Donnermwetter maden, das fann nur 
der wahre Prophet. Diejer Kalender iſt 
goldeswert. — 

Seitdem find von dem ſchlechten 
Büchlein an die vierzig Jahrgänge er- 
jhienen. Ein» ums anderemal traf’3 mit 
dem Wetter zu, unzähligemal wieder 
nicht — wie eg den Salendern ſchon 
gebt ; aber dad Ponnerwetter im 
Ehriftmonat vergeſſen fie ihm nicht mehr. 
Hunderttaufende von Käufern bat der 
Kalender jedes Jahr und der Buchbinder 
ift ein reicher Buchhändler geworben und 
jagt es gerne, daſs er bei feinem Spiele 
jemals jo viel gewonnen, als bei jenem 
Kartenjpiele, wo er Groſchen um Grojchen 
verloren hatte. 


Büder. 


Ludwig Angengrubers geſammelte 
Werhe. 

Ein Lieblingswunih Robert Gamer: 
ling war ſtets: eine einheitlihe Ausgabe 
feiner gefammelten Werte. Bei feinen Leb— 
zeiten ift diefer währlich gerechtfertigte 
Wunſch nit in Erfüllung gegangen, und 


315 


es ift leider jet noch feine Ausfiht vor: 
handen, dajs er jobald in Erfüllung gehen 
werde, Ludwig Unzengruber, der in jeinen 
Jahren weder mit den Theaterdirectoren, 
noch mit den Berlegern ein befonderes Glüd 
gehabt hat, war nahe daran, dieſe hübjche 
Sade zu erleben. Doch fieng jein ſchriftſtel— 
lerifches Glüd erft nad feinem Tode an — 
und faft Inapp danach. 

Sofort nad dem Tode des Dichters 
hatten fi in Wien mehrere feiner fFreunde 
zufammengethan, nit bloß um Anzen— 
grubers Nachlaſs zu ordnen und diejen für 
feine Kinder zu fidhern, fondern auch um 
eine wohl jhon vom Dichter veranlajste 
Ausgabe feiner gefammelten Werte, die bis: 
her bei verjchiedenen Berlegern zerftreut, 
in unterfchiedblihem Format und nur für 
erfledlich hohe Preife zu haben ware , aus» 
führen zu helfen. An der Eotta’jhen Ber: 
lagsbudhhandlung in Stuttgart war ein 
Berleger gewonnen, der für Anzengrubers 
Werke ein jehr anftändiges Honorar bezahlt 
und eine würdige Gefammtausgabe derjelben 
in fürzefter Zeit realifiert hat, Die Redaction 
diefer Unternehmung hatten Dr. Anton 
Bettelheim, Bincenz Chiavacci und ®. K. 
Schembera übernommen, bejonders in den 
Händen des Erftgenannten lag die literari— 
ihe Durdhführung, die wohl eine äuferft 
geihidte und glüdlihe genannt werden 
mujs. Kaum ein Jahr nad des Dichters 
Tode liegen aljo die „Geſammelten Werte“ 
von Ludwig Anzengruber in zehn Bänden 
vor und, und nun erft tritt ung ein ein: 
heitliches Bild des Dichters vor Augen; 
diefe Ausgabe zeigt erft recht, was Anzen— 
gruber ift. Ich deute den Inhalt der Aus: 
gabe furz an: der erite Band enthält 
nebft der Einleitung und den Beiträgen zur 
Selbftbiographie die Dorfgeſchichte „Der 
Sternfteinhof". Den zweiten Band füllt 
Unzengrubers Hauptroman „Der Schand: 
fled*. Im dritten und vierten Bande finden 
wir die „Dorfgänge“, eine Reihe Dorfge: 
ihichten ernften und humoriſtiſchen Inhaltes, 
auch „Großſtädtiſches“, ſowie „Befabeltes 
von irgendwo und nirgendwo“. Der fünfte 
Band bringt die „Kalendergeihichten“ und 
„Bedihte und Aphorismen“. Mit dem 
jehsten Bande beginnen die Dramen „Der 
Pfarrer von Kirchfeld“, „Der Meineid- 
bauer“, „Die Ereuzeljchreiber‘. Im fieben: 
ten Bande werden fie fortgelegt: „Der 
G'wiſſenswurm“, „Der Doppeljelbfimord“, 
„Der ledige Hof". Neunter Band enthält: 
„Der Fled auf der Ehr'“, „Die umkehrte 
Freid'“, „Eifriede‘, „Bertha von Frank— 
reih", „Hand und Herz“. Endlich zehnter 
Band: „Das vierte Gebot“, „Alte Wiener“, 
„Heimg'funden“. 

Dieſe Werke ſind während der neun— 
zehnjährigen literariſchen Thätigkeit des 


| Dichters (von 1870— 1889) entſtanden; aber 


viele derielben kamen im Publicum nicht 
zur vollen Geltung. Die Zeit, in melder 
Ludwig Anzengruber leben mujste, war eine 
ſehr frivole, fie fand wenig Geihmad an 
dem tiefen Ernft diejes Dichters, an der 
rüdfihtslofen Darftellung des moralifchen 
Elends, in welchem die Menſchen voll cyni— 
fhen Ubermuths oder voll empörender 
Heucdelei oder in dumpfer Gleichgiltigkeit 
verfinten. In der Epoche des franzöſiſchen 
Unfittendramas, der Operette, ein Anzen— 
gruber! Er rijs ja zeitweilig das Publicum 
bin durd feine gewaltige Kraft, aber daſs 
er jo rajh und volllommen fiegen jollte, 
das fonnte nicht jein. Für Unzengruber 
werden die Leute erft allmählich reif. 

Es iſt ja begreiflih, dais man vor 
dem oft fo finfteren Titanen erſchrak, wie 
er im „Meineidbauer*, im „Vierten Gebot”, 
im „Sternfteinhof” u. j. w. hervortrat. Es 
ift ja nicht zu leugnen, dafs diefer Did: 
ter mit Vorliebe die menſchlichen Schat: 
tenjeiten darftelltee Doch ift Unzengruber 
noch lange feiner jener „Naturaliften“, die 
nur das Abſcheuliche aufzeigen. 

Nicht weniger bedeutend als der tra: 
giihe ift der humoriſtiſche Anzengruber. 
Als dieſer letztere hat er ſich bisher die 
meiften freunde erworben. Anzengrubers 
Humor ift ſcharf und ftets ein wenig ten- 
denziös, er tritt uns am draſtiſchſten ent: 
gegen in den Bollsftüden „Die Kreuzel— 
Schreiber", „Der G'wiſſenswurm“, „Der 
Doppelielbfimord*. In diefem Humor vers 
einigt fi) die Naivetät des Volkes mit dem 
Witze des Gebildeten, und die Frage, ob 
eine jolde Vermählung zwiihen zweien fo 
verjhiedenen Racen unter allen Umftänden 
zuläjfig ift, fann ih nit beantworten. 

Als Dramatiler ift Ludwig Anzen— 
gruber ein Stern erfter Größe. Ich ſtehe 
niht an, ihn über Ferdinand Raimund 
(den ih jehr verehre) und nahe an Shafe: 
jpeare (dem ich ehrfurdtsvoll bewundere) zu 
ſtellen. Daſs er Dialeltdichter ift, mit Vor: 
liebe locale Stoffe behandelt und der „Ten: 
denz* Huldigt, verdirbt gar nichts; jchreibt 
er die Mundart doc fo, daſs fie allgemein 
verftanden wird und dabei Erpfriihe ath: 
met; wählt er doc ſtets ſolche Stoffe, die 
ein allgemein menſchliches Intereſſe bean: 
ipruchen fönnen. Und feine Tendenz tit die 
ewige: den Menfchen zu flären und zu 
erheben. Man jteht heute ihon, wie Unzen: 
grubers Öfterreihtiche Bolfsftüde ſich die 
deutihe Bühne in Süd und Nord erobert 
haben, fie zeigen den Weg, welcher zwiſchen 
der jentimentalen Volfsdihtung und der 
„naturaliftiichen* Schule der richtige und 
dauernde ıft. liberall, wo Anzengruber auf: 
tritt, gibt es über ihn heftiges Hin und 
Wider, er läist niemanden gleihgiltig, die 
ihn nicht lieben können, müſſen ihn haſſen. 
Das beweist am beiten das Außerordentliche 


— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — 


dieſes Geiſtes. Der Einfluſs, den Anzen— 
grubers Dramen auf das Vollsgemüth üben, 
fann ein bedeutender werden. 

Denielben Erfolgen, welde die Stüde 
auf der Bühne erzielen, mögen aud feine 
Bücher enigegengehen. Wir haben alle 
Urſache, an der Befammtausgabe der Werfe 
Ludwig Anzengruber® uns zu freuen und 
den Herausgebern wie der Berlagshandlung 
dafür dankbar zu fein. Was Anzengrubers 
Freunde, das jogenannte „Anzengruber— 
Euratorium*, in diefem einem Jahre für 
den verewigten Dichter, für feine Nad: 
fomnten und feine Werfe geleiftet haben, 
das fteht in der Geſchichte der Freundes: 
treue faft einzig da. Ehre ihnen! 

= Rofegger. 

Der Bauer auf dem Kreuzhofe. Erzäb: 
lung aus dem Berdtesgadener Lande von 
Guſtav von Prielmayer, Freiherrn 
von Priel. (Johann Ambroſius Barth. 
Leipzig.) 

Diefer Roman wurde dem Schreiber 
diejes gleich nach feinem Entftehen befannt 
und heute, da er ihm wieder vorliegt, ift 
ihm defien Inhalt, was die Handlung wie 
die Charaktere anlangt, noch jo vertraut 
und gegenwärtig, jo daſs er ihm mit ber 
Kraft eines Erlebnifles in der Erinnerung 
auffteigt. Auf einer fiheren Grundlage ift 
der unerjhütterliche Bau glanzvoll und feit 
emporgeführt, mas um jo bewunderungs: 
würbiger, als hier offenbar freie Erfindung 
gewaltet hat, und fein wirkliches Borlomm: 
nis den Stoff zu diefer volksthümlichen 
Dichtung lieferte. Dajs ein wirlſamer Ges 
brauch des Dialeltes, doch ohne die Schrift: 
ſprache zu überwucdern, ftatifindet, verjteht 
fih bei einem ebenjo natürlidhen als fein- 
finnigen Autor von jelbft. Dagegen mödten 
wir auf die Herrlichfeit der landſchaftlichen 
Gemälde, ala auf wahre Proben treuer und 
gehobener Naturbeijhreibung, noch gebüh: 
rend hinweiſen. — 

Tillier, mein Onkel Benjamin, Deutſch 
bearbeitetvon Ludwig Pfau. Dritte durch— 
gejehene Auflage (Stuttgart. Rieger’iche 
Berlagshandlung.) 

Es ift das Verdienſt Ludwig Pfaus, 
dieſes Buch des Bolfsfreundes der Ber: 
geilenheit entrifien und im die Deutliche 
Sprade eingeführt zu haben. Es ift eine 
fo frifche, Tebensluftige Erzählung, daneben 
ein jo draftiiches Sittenbild und in alledem 
eine jo eindringliche Vollsſchrift, wie wir in 
unjerer deutschen Literatur faum ein Gegen: 
ſtück mwüjsten; es bat vom erften bis zum 
legten Blatt jenen Sonnenblid unzerftör: 
barer beiterer Gentalität und Welt: und 
Menichenliebe, der dieſes Buch zu einer 
wahrhaft erquidlien Lectüre macht. V. 





317 


Der gute Kon fir die Rindermelt. Bon 
Konftanzje von Franken. Alluftriert 
von %. Burger. (Leipzig. Mar Heile.) 

Man meint, es jei nicht möglich, dafs 
bei der ungeheueren Anzahl von Kinder: 
geſchichten und Weihnachtsbüchern immer 
noch ein Buch fehlen konnte. Und doch hat 
dieſes gefehlt. Wie die Kinder fi beim 
Anziehen, Efien, Gehen, Spreden, Laden, 
Weinen, genen Erwadiene, Gäfte, Spiel: 
genofien, beim Spielen, beim Reifen u. f. w. 
verhalten follen, das ift in diefem Büch— 
lein dargefiellt und mit hübſchen Bildchen 
geihmüdt. Allerdings dürften den Kleinen 
die Bildchen bejler gefallen, als der Tert, 
den fie von Mama oder der Bonne münd: 
ih haben fönnen; zum Glüde iſt die Art 
und Weiſe, wie die Berfafferin zu Kindern 
ipricht, fo Herzig, daſs die Kleinen recht 
gerne zuhören oder jelbft leſen werden. 

R. 


Zum Meere. Feiertage in Trieſt und 
am Quarnero von Helene Stödl. (Teſchen. 
Karl Prohaska.) 


Diefes Buch der bewährten frauen: 
und Yugendichriftftellerin müjste eigentlich 
ein bijschen Aufiehen erregen, wenn es nicht 
mit derjelben ruhigen Schlichtheit in die 
Melt träte, wie alle übrigen Schriften der 
Verfaſſerin. Uns dünkt, das ift ein ganz 
bejonder8 Guten für die liebe Jugend. 
Diefe prächtige Urt zu harafterifieren, zu 
ſchildern, zu erzählen, diefer liebenswürdige 
Humor geben dem Werkchen Anrecht aud 
auf die Beahtung jener Leute, die weder 
Kinder noch Frauen find, fondern gemein: 
bin Jünglinge,, Männer u. j. w. heißen. 
Das Bud if mit nur wenigen, aber wirt: 
li guten Bildern geziert. M. 


Die Binden des Naturalismus. Afthetifche 
Unterfuhungen von Karl Goldmann. 
(Berlin. Rihard Edftein Nachfolger.) 

Es ift eine wahre freude, wie hier 
ein tapferer Dann die Bande aus dem 
Tempel jagt, diefe „Raturaliften”, denen 
das Häfsliche und Abſcheuliche in der Dich: 
tung Selbftzmed ift. Die Kritik hat dieſe 
diabolifche Richtung längft verurtheilt, aber 
mit ihr fertig zu werden, fie zu verdrängen, 
das ift Sade der ehten Dichtung. Mit 
dem bloßen Idealismus befiegt man den 
Naturalismus nicht, der Idealismus als 
folder hat auch abgewirtſchaftet; dod jener 
gefunde Realismus, welcher die Wahrheit 
höherer Zwede, der Schönheit oder der 
Moral wegen darftellt und ſich infoferne 
mit dem Idealismus verbindet, als er das 
Gute erhebt und das Schlehte brandmarft, 
diefer von allen großen Dichtern ſtets ger 
pflegte Realismus iſt ſtärker als alle übri— 


gen „Schulen“ und mwirb über fur; oder 
lang den Kehrichthaufen gänzlih aus 
dem Tempel der Kunſt fegen, mwie oben: 
genanntes Buch es in fohneidigen Worten 
thut. M. 


Der Theaterwelt und ihren Freunden 
gewidmet iſt das ſoeben erſchienene Buch: 
„Die gröfflen und berühmteſten Soubretien 
des neunzehnien Bahrhunderts.“ Mit unge: 
drudten Briefen von Joſephine Gallmeyer, 
Marie Geiftinger, DOttilie Gende, Pauline 
Lucca u. a. Bon Dr. Adolph Kohut. 
(Belir Bagel. Düffeldorf.) 

In heiterer Weife plaudert der Ber: 
fafjer über die Grazien und Eharitinnen 
der Oper, Operette, der Poſſe und des 
Schmwantes und führt uns aus dem Leben, 
dem Entwidelungsgang und der fünitle: 
rifhen wie der perjönliden Eigenart der 
berühmteften Vertreterinnen des Soubretten: 
fades in unferem Jahrhundert treffend 
pointierte Bilder vor Augen. Einen be: 
jonderen Reiz bilden neben dem reichlich 
eingeftreuten aneldotiſchen Material eine 
Menge ungedrudter Briefe ber berühmten 
Divas. Da wir die gejilderten Bühnen: 
berühmtheiten nit nur als die gefeierten 
Darftellerinnen, jondern aud von ihrer rein 
perfönliden Seite in ihren Liebenswürdig: 
feiten, Heinen Shwäden und Gapricen, in 
ihren äußeren und inneren Verhältniſſen 
fennen lernen, ift das Buch nit nur eine 
amilfante Lectüre, jondern e3 beanjprudt 
aud biographifchen Wert. V. 


Wer für ſein Gemüth eine Befriedigung 
ſucht nad des Tages Mühen, der greift 
auch zu guten Büchern aus dem Bolfsleben 
und da fönnen wir jedermann die jüngft 
bei Reclam jun. erihienenen „Geſchichten 
aus den Bergen“ von Arthur Adhleitner 
auf befte empfehlen. Adleitner fennt das 
Land und das Volk, und weiß es wahr, 
natürlih und anziehend zu ſchildern. Er 
ſchildert in jeder feiner Geſchichten ein 
urwüchſiges Stüd Volksleben und jeder 
Lefer bat jeine Freude daran, weil die 
Erzählung in ſchönſter Harmonie ausklingt. 

Marimilian Shmidt. 


Alfred Friedmann hat in der 
Guſtav Rocher'ſchen Leipziger allgemeinen 
Bücherfammlung lebender Schriftfteller ein 
Bändchen „Hieroglyphen des Sebens“‘ er: 
jheinen lafien. E3 find Novelletten ernften 
und beiteren Inhalts, welche dem belannten 
Erzähler eine Reihe neuer Freunde erwerben 
werden, ; 


Das Fälhhen von Heilbronn. Bon 
Heinrih don Kleiſt. Illuſtriert von 
Alerander Zid. (Berlin. Albert Gold: 
ſchmidt. 1890.) 

Dieſes Lieblingsdrama deuticher Frauen 
ift hier jo pradtvoll ausgeftattet, mit jo 
reizenden Bildern geziert, daſs es für den 
Meihbnadtstiih auf das wärmfte empfohlen 
werden muf3. M. 


„Leykams“ Ralender. Die Kalenderzeit 
ift da. Der Verlag „Leyfam* in Graz trägt 
ihr volle Rehnung. Vom „Mandelsftalender* 
(Neuer Bauerntalender) an, der vor lurzem 
von einem ungeidhidten Parlamentär zu 
den „clerifalen Schundſchriften“ gezählt 
worden ift, bis zum eleganten Taſchen— 
falender, viele Gattungen. Wir nennen nur 
die äußerſt praltiih eingerichteten Blod: 
lalender, Wandfalender, zierlihen Portemon: 
naiefalender, den weitberühmten „Schreib: 
falender für Advocaten und Notare* und 
den „Grazer Schreiblalender* (107. Jahr: 
gang!), welch letzterer nebft allen noth— 
wendigen Nachſchlageſachen auch hübſche 
Erzählungen und Bilder enthält. Dieſer 
Grazer Schreibkalender hat ſich nun be— 
ſonders vermöge ſeiner illuſtrierten Jahres— 
Rundſchau und überſicht über ſieiriſche 
Denkmäler und Neubauten zu einem treff— 
lihen Vollsjahrbuche ausgewadjen. 
Aljo kann der Grazer Kalenderverlag wohl 
auf daS befte empfohlen werden. M. 

„geykanıs“ Farbendrudk:Wandkalender. 
Ein Aunftblatt von dauerndem Werte 


bringt diejes Jahr die Leylam'ſche Verlags: 
d Ieb Jap y 16 8 | Tung „Styria“ in Graz ein Farbendrudbild 


anftalt in Graz auf den SKalendermarft. 
Der Leykam'ſche Wandfalender für 
1891 enthält von Künftlerhand ausgeführte 
Motive aus der reizenden Murftadt, Bilder, 
die fih jedem unauslöſchlich in die Erin: 
nerung eingeprägt haben, der einmal in 
Graz gewejen, Bilder, die er gewiß inımer 
gerne fi vor Augen führen läjst. Um das 
MWahrzeihen der fteiriihen Landeshaupt: 
ftadt, den eigenartig geformten Uhrthurm 
des Schloſsberges, gruppieren ſich in vier 
Landichaftsbildern die Jahreszeiten: Der 
Frühling, mit feinem WBlütenfranze die 
fteilen Mauerrefte des mädtigen Grazer 
Bergichlofjes und die zu Füßen liegende 


Gartenftadt bis an die Vorberge der ſchnee— 


leuchtenden Alpenhäupter jchmüdend ; der 
Sommer, jeine Strahlen durch üppiges 
Laubwerk auf die Welden:Terraffe nieder: 
jenlend, von welcher aljährlih taujende 
von Touriften ihre entzüdten Blide nad 


den Geländen des Rojenberges und Schödels | dichte von 3. E. Heer. 








drud des Kalenders zeigt neuerlih von der 
Reiftungsfähigfeit der Leylam’ihen Kunfts 
anftalt. K. 





Mufterblätter für künſtleriſche Hand» 
arbeiten. II. Sammlung, 13.—24. Blatt, 
herausgegeben von Frieda Lipper 
beide, (Berlin 1890. Franz Lipperheide.) 

Mufter wie Tert erregen unjer Inter: 
eſſe. Mit dem vollen Farbenreiz der ihnen 
zugrunde liegenden Stidereien führt die 
Sammlung uns orientalifche, jerbifche, buls 
garifche und ſpaniſche Mufter, ſowie ſolche nad 
alten Motiven vor, in denen fi uns die 
überquellende Phantafie des Orients, das 
heiter-finnige Gemüth der füdlichen Völker, 
der feine Geſchmack vergangener Seiten 
offenbaren. Yedoh fehlt es aud nidt an 
modernen Muftern. Der Tert verleiht diejen 
Blättern noch ein bejonderes Intereſſe, er 
weist auf die Eigenart der Mufter hin und 
gibt über deren Herkunft Aufſchluſs. V. 





Die II. Lieferung des Prachtwerkes 
Bur See, herausgegeben von Bice-Wdmiral 
von Henk (Verlagsanftalt und Druderei: 
A-G. in Hamburg) ſchildert die Schiffe und 
Seewaffen des Mittelalters und berüdfihtigt 
dabei alle in Frage fommenden Nationen 
jowie die Schiffe und Seewaffen der — 


Der Stolzj von Graz. Das iſt die neu: 
erbaute Herz Jeſu-Kirche, von der in diejen 
Blättern fhon mehrmals die Rede geweſen. 
Nun ift in der k. f. Univerfitätsbuhhand: 


erſchienen, bei deſſen Anblid einem das Herz 
lat. Es ftellt die Gerz Jeſu-Kirche dar, 
dieſes Meifterwert unſeres Hauberiſſer. 
Das Bild, nad dem Aquarelle J. Ober: 
bauers, aus der lithographiihen Anftalt 
U. Matthey in Graz hervorgegangen, ift 
geradezu vollendet zu nennen, und jo wie 
die neue Kirche ein Schmud der Stadt 
Graz ift, jo wird ihr Bild der Schmud 
vieler Wohnungen jein, An diefem Kunft: 
werfe nebenfählid, nichtsdeftoweniger aber 
höchſt praftiih ift der Kalender für 1891, 
welcher in einer oberen Ede desjelben einge: 
legt ift, und mwelder das Bildnis eigent: 
ih zu einem Wandfalender madt. Schade 
nur, dafs der Kalender früher ablaufen 
wird, als unfere freude an dem wahrhaft 
ihönen Wandjhmude erfalten kann. R. 


Blumen der Heimat. Schweizerifche Ge: 
(Züri. Albert 


ſchweifen laſſen; der Herbſt, verlörpert durch Miller.) 


das Idyll am einſamen Bergpfade, und 


Dieſes gemüthliche Werlchen iſt für 


der Winter, ein landſchaftliches Stimmungs- Kenner und Freunde des Schweizervölkleins 
bild, das an eine befannte Wald: und fehr zu empfehlen. =. 


Felspartie erinnert. Der gelungene Farben: 





ee 


Ueueſter Aniverfal-Brieffteller und Privat» 
ferretär für alle Btände betitelt fi eine von 
dem befannten Scriftfteller Moriz Ber: 
mann verfajäte und von A. Bauer in Wien, 
I., Wollzeile 2, verlegte, allgemein ver: 
ſtändlich gehaltene Anleitung zur Abfaffung 
aller im geihäftlichen Verkehr und im praf: 
tifhen Leben vortommenden Briefe, Aufjäße, 
Geſuche und Eingaben, für alle Borlomm: 
nifje des WYamilienlebens, des freundidaft: 
lichen und geihäftlihen Verlehres, Origi— 
nalformulare für Majeftäts: und andere 
Geſuche, für Gingaben in Gemeinde, Zu: 
Rändigkeits:, Steuer, Militär:, Gewerbes, 
Schul: und Bereinsangelegenheiten, im Ba: 
gatellverfahren, in civil: und ſtrafrechtlichen 
Fällen, ferner volllommen neue Glüchwünſche, 
ſowie Gelegenheitsgedichte, Toafte, Tiſchreden 
u. ſ. w. V. 


Ferner dem „Heimgarten“ zugegangen: 


Geſammellte Werke von Ludwig Anjen— 
gruber, neunte und zehnter (Schlufs:) Band. 
(Stuttgart. 3. ©. Cotta'ſche Buchhandlung. 
1890.) 


Neue Ausgaben von P. K. Rojegger. 
(Verlag U. Hartleben. Wien. 1890.) 
„Der Schelm aus den Alpen.‘ Wllerhand 

Geſchichten und Geftalten, Schwänte und 
Schnurren. 

„Ausgewählte Werke.“ Pradtausgabe, Le: 
zilonformat. Mit 900 IMluftrationen von 
A.Greil und Shmidhammer. 5.2b. 

P. 8. Rojegger: Bakob, den fidfte, 
En Bondenovelle fra vor Tid. Paa norſt 
ved Ingebourg v. d. Lippe Konom. 
(Bergen. Ed. B. Giertfens Vorlag. 1890.) 


Anſer gnäd’ger Herr! Noman von 
A. von Gersdorff. (Berlin. Wibert 
Goldihmidt.) 


Aus vergangenen Kagen. Erzählungen 
von Th. Juſtus. (Leipzig. U. ©. Liebes: 
find. 1890.) 

Sternſchnuppen. Erzählungen von Nas 
taly von Eſchſtruth. Dritte Yuflage. 
(Berlin. 3. H. Scorer.) 

Rlein-Wiener. Skizzen in Wiener Urt 
und Mundart von Ed. Pölzl. (Wien. 
Georg Szelinsti. 1891.) 


Deutſche Volksſchauſpiele. In Steiermarf 
gejammelt. Mit Anmerlungen und Erläu: 
terungen nebft einem Anhange: Das Leiden: 
GEhrifti > Spiel aus dem Gurfihale von 
Dr. Anton Schlojjar. Zwei Bände. 
(Halle. Mar Niemeyer. 1891.) 

Aus alter und neuer Beit. Gefammelte 
Gedihte von Mar Kalbed. (Berlin. 
Freund & Yedle. 1890.) 

Gedidte von Friedrich v. Schiller. 
Neue Ausgabe. Mit Porträt, Lebensſkizze 
und Anmerkungen. (Stuttgart. Baul Neff.) 


— — — — — 


Die zu Gerſau. Ein Gedicht von Albert 
Weftermann. (Stuttgart. Paul Neff. 


1890.) 
Renate. Eine Studentengeihichte von 


Carl Hepp. (Stuttgart. Paul Neff. 1890.) 


Weifdorn. Gedichte von Carl Hepp. 
(Stuttgart. Paul Neff. 1890.) 


Gefammelte Gedihte von Wlfred 
Berger. (Stuttgart. 3. ©. Cotta. 1891.) 


Der Braum des Glühs. Dramatijche 
Idyllendichtung von Albert Wittftod. 
(Hermann Hude in Leipzig.) 


Zabeln und Parabeln. Sprüde. Bon 
Dtto Weddigen. (Wiesbaden. R. Bech— 
tolda & Eo. 1891.) 


Drei Märden für Alt und Bung. Bon 
Georg Ebers. (Deutjhe Verlagsanftalt. 
Stuttgart. 1891.) 


Aphorismen und Apergus. Bon Georg 
von Schulze. In ungarischer u. deutſcher 
Sprade. (Prejsburg. Guftav Hedenafts 
Nachfolger.) 

Sudwig Anzengruber. Der Mann — 
fein Wert — jeine Weltanihauung. Bon 
Anton Bettelheim. (Dresden. 8. Ehler: 
mann. 1891.) 

Erinnerungen an Anzengruber. Bon 
2. Rosner (Wien. Julius Klinkhardt. 
1891.) 

Matur- und Sebensbilder aus den Alpen. 
Bon Carl Stieler. Mit einem Borwort 
von M. Haushofer. (Stuttgart. Adolf 
Bonz & Co. 1890.) 

Gaspards Hadfolger. Erzählung von 
Bictor Andre. (Stuttgart. U. Bonz & 
Eo. 1891.) 

Gotta’fcher Mufenalmanadı für das Jahr 
1891. Herausgegeben von Otto Braun. 
(Stuttgart. 3. G. Cotta'ſche Verlagsholg.) 

Hans Schreier. Der große Mime. Eine 
Buihiade von Erraths. Mit Yluftrk: 
tionen von Franz Stud. (Kunft: und 
Verlagsanftalt.) 

Das zwanzigfe Dahrhumdert, Deutjc- 
nationale Monatshefte für fociales Leben, 
Politik, Wiffenfhaft und Literatur. Her: 
ausgegeben von Erwin Bauer. Erftes 
Heft. (Berlin. Hans Lüftenöder.) 

Fiterarifhe Blätter. Zeitfehrift für mo— 
derne Poefie. Herausgegeben von Franz 
Evers und Albert Kohl. (Augsburg. 
Gebrüder Reichel. 1890.) 

Freiwillige vor! Ein Agitationd:Pro:» 
gramm zum 1. October 1890 zur fried— 
lihen Löſung der focialen Fragen. (Gebr. 
Heyde. Chemnit.) 

Ratehismus der Boilettenkunft und des 
guten Geſchmacis. Von E, von Franken. 
(Zeipzig. Mar Hefe.) 


s20 


Batehismus der Zimmergärhnerei. Bon 
Goeſchke. (Leipzig. Mar Hefie.) 

Für Wahrheil und Redt. Unpolitiſche 
Herzensergüffe eines unpolitifchen Idealiſten. 
Auguft Refiel. (Züri, Berlagsmagazin. 
1890.) 

Pie fitilid) «religiöfe Erziehung in der 
Volksſchule. Von Robert Schwarz. (Ju: 
lius Ktühkopf, Verlagsbuchhandlung in 
Korneuburg.) 

Schriften für Gefundheitspflege bon 
dem Naturarzte Carl Grübel in Meran: 
Die Herzkrankheiten, deren Entftehungsur: 

ſachen und Heilung. 

Die Lungenkrankheiten, deren Entftehungs: 
urfadhen und naturgemäße Behandlung. 

Der Magen, der gejunde und franfe, und 
defien naturgemäße Behandlung. Nebft 
Unhang: Die Trauben»Eur, 

Die menfhlide Btimme. Ihre Pflege in 
geiunden und kranken Lagen. (Meran. 
Selbftverlag. 1890.) 

Richtige Bahnpflege. Cine Nothwen— 
digleit zur Erhaltung der Zähne von 
M. Lipſchitz. (Berlin. Jul. Bohne. 1891.) 

Erſter Bahresberidt des Bheffelbundes 
in Öferreih. Zufammengeftelt von Wolf 

Yarojd. (Selbftverlag des Vereines. 1890.) 

Balender für Berg- und Yüttenlente 
für das Jahr 1891. Herausgegeben von 
der Witlowiter Bergbau: und Eijenhütten: 
gefellichaft. (Witkowitz.) 


Poftkarten des Yeimgarten. 


M. M., Prag: Der Geihichtsunterricht 
in unjeren Mittelfhulen ift jo eingerichtet, 


Die Geſchichte ſeit der franzöſiſchen Revb⸗ 
Iution iſt vor allem wichtig zum Ver— 
ftändniffe unierer Zeit, darum hat der 
deutſche Kaiſer Wilhelm II. mit feiner 
fih darauf beziehenden Forderung recht, und 
darum werfen wir Ihren Aufjah, der jenes 
Raiferwort höhnt, in den Papierlorb, 


9. v. d. Bann: Sie haben recht. Für 
einen Menſchen, der ein jo elender Eclave 
feines Neides und Hafles ift, hat man nur 
Beratung oder — Mitleid. 


Prof. 3. B,, Bena: Das Geheimnis 
des ſchriftſtelleriſchen Erfolges ift vor allem 
klarer, leihtverftändlider Stil, 
ein Runftfniff, den unfere Herren Gelehrten 
zu verfhmähen pflegen. Wer einen willen: 
Ihaftlihen Gedanken volksthümlich aus: 
drüden kann, der ift Gelehrter und Künftler 
zugleich. 


A. B., Wien: Anzengrubers „Das 
vierte Gebot” wurde 1877 für das Theater 
in der Joſefſtadt gefhrieben und dort an— 
genommen. Die von uns als Einleitung 
zum Aufjag „Das vierte Gebot und feine 
Gegner* erzählte Anekdote jcheint alfo un— 
richtig zu jein. 


x Auf Seite 225 des „Heimgarten“, 
Zeile 28 von unten, muj3 e3 anftatt „an 
den prächtigen Häufern“ heißen: an dem 
prädtigen Chiemjee. 


* Wer uns ungebeten Manufcripte ein- 
ſchidt, der läuft Gefahr, fie zu verlieren. 
Wir übernehmen feine Verantwortung. 


* Der clerifale „Sonntagsbote* macht 
in einem Aufſahe gegen den Überglauben 
einige Bemerlungen, die uns nur freuen 
fönnen. Bon folder Seite eine ſcharfe Ber: 
urtheilung von Mifsbräuden in religidfen 
Dingen ift wertvoll, und das ſchon aud 


dajs die Schüler von allen möglichen yarım, weil fie jo jelten ift. Glüdlich 


fremden Völkern mehr hören, als von | 


ihrem eigenen deutſchen Volke. Und ift 
man endlich bei diefem, fo wird im grauen 
Mittelalter fo lange berumgenebelt, bis die 


wären wir, den Clerus immer fo zu finden, 


| dais wir ihm beiftimmen könnten. 


A. Z. Wien u. M. Ried: Danten heftig! 


Schulzeit aus ift. Die Schulen thun gerade | Wir find überjchüttet mit Novellen und 
als ob uns die neue Zeit nichts angienge. | Gedichten. 





Für bie Redaction verantwortlid v5. 4. Aoſeader. — Druderei „Leptam“ in Grap 





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1891. 












Vor'n Suppn eſſen. 


Ländliches Gemälde in einem Acte von Carl Morre. 


Perſonen. 
Der alt Stutzenbauer Redl. 
Die alt Liesl, ſein Weib. 
Der Schwarzbildt Poldlbauer. 
Nandl, deſſen Weib, Redl's Tochter. 
Poldl, deren Sohn. 
Die Lärdhbäurin. 
Seferl, Kuhdirn .; 
Hiasl, Ancht J beim Poldlbauer. 
Ort der Handlung: Ein Bauernhaus 

im Hodgebirge. 

Bauernzimmer mit einer Mittel und einer Ecitenthilr 
rechts. Yints ein Fenſter. An der Nüdfeite ein Ofen, 
vor demfelben eine Ofenbant. Am Bordergrunde lints 
ein größerer Tiſch mit einer Bank und mit mehreren 
Bauernftühlen. Auf dem Tiſche fliehen zwei neue 


Koaffectannen und zwei Schalen aus Porzellan, dann 
ein großer Handkorb. 


I. Srene, 


Särhbäurin, Nandl, die alt Liest; Liest fikt 
auf der Ofenbanf, beffert einen Strumpf aus; Nandl 
und Pärhböurin jihen beim Tiſch. 


Nandl: Na, na, mei liabe Lärd- 
bäurin, dös geht mit, das nimm ih 
nit. Tragt dös Schöne Gſchirr nur 


wieder mit Euch. (Win die Kannen im den 
Korb der Lärhbäurin geben.) 


Lärchbäurin cabwehrend): Aber 


Nachbarin, liabe Poldlbäurin, thuat mir den Hab ih nit verjtandı. 


Rofegger’s „„Heimgarten“, 5. Heft. XV. 


dös nit an. Es is a Dankbarkeit, mir 
als a Dankbarkeit. 

Nandl: War nit aus, wia kumm 
ih dazua. 

Lärchbäurin ſwelche ihren Korb zurüd» 
zip: Schaut, mei liabe Nachbarin, 
id war jo unglüdlih in meiner Eh; 
und Ent alloan dankt ih’s, dajs ih 
jeit Jahr und Tag zfrieden und 
glüdlid led. «Bittend) Nehmt das An— 
denfen. 

Nandl: Mir hat d Lärchbäurin 
nie 3 danken, — Mir nit! 

Lärhbäurin: A ja wohl, dös 
woaß ih bejler. 

Nandl: Den Rath, den ih Eud) 
geben hab, den hat unjer Herr Pfarrer 
de Lärhbäurin längft ſchon früher 
gebn. 

'  Lärhbäurin: Der Pfarrer! Der 
Herr Pfarrer! Ja du mein! Freilih 
hat der mir a wohl grathn, aber der 
Herr Pfarrer Hat viel z gſcheid gred't, 
Ihr aber 


21 


liabe Nachbarin, Habt mir d rechten 
Wort und a das gſunde Beifpiel gebır. 
Durch Euch bin ih meine Fehler inne 
word, hab mein Mann fchön nach— 
gebn und bin dem Hader und Streit 
ausgwicen. 

Voldlbaner (ruft von augen: Nandl! 

Nandl irafh aufftehendd. Der Vater 
ruaft. (Eift ab Seite redts.) 

Lärchbäurin: Sakra! Aufpafjen 
thuat ſ auf ihren Mann wia a Schuler— 
deandl auf u Lehrer. Wia ſchleunig 
ſie ſpringt, wann er ruaft! Dös muaſs 
ih ihr a noh nachmochen. (Zu Liest ge 
wendet): Euer Tochter is recht a gſcheides 
Weib! Wohl gſcheid. 

Liesl igleihpiltig am Strumpf ftopfend): Ja, 
ja, is ja gſcheid — is ja wohl gſcheid, 
aber ihr Mann, der Poldibaner, is 
na liaber! Mei Schwiegerfohn is ma 
weit liaber wie fie. 

Lärhbäurin: Er kann aber 
ſchlimm a fein, wann er will, 

Liesl: A ja, dös wohl! Dös 
muafs fein, funft freſſen ihn die eignen 
Leut auf. 

Nandl tommt aus reis): Der Knah— 
handler iS draußt, der Bold! hat mid 
gfragt, wie theuerer die braune Kuah 
Ihaßen ſoll. — 

Lärhbäurin terfaun: Was? Er 
fragt Euch um dös? 

Nandl: No ja, warum nit? 
's Knahvieh is in meiner Hand. Ih 
woaß, wia viel $ wert i$ und jag 
mei Manung. — Berlauft er's dann 
wie er will — dös is fei Sad. — 

Lärhbäurin: So weit möcht ih 
mein Alten Halt a noh bringen. 

Nandl: Nur Alles ſchön in 
Güatn ausredn, damı wird's gehn. 

Lärhbäurin: Will mir's merken. 
Bittend): Aber nehmt das Gſchirr! Ih 
bitt Euch! Aus Dankbarkeit zum Ans 
denfen. 

Nandl: Um foan Preis. MRimmt 
die Nonnen und Schalen und gibt felbe in den Horb 
der Lörchtäurin. Tragt dös ſchöne Sachen 
nur mit hoam, und wann d Lärch— 
bäurin etwan amol af d Nachgiebig- 


322 


am — — mn —— — — 





teit vergifät — fo wird das Gſchirrl 
Euch auf meine Wort mahnen. 

Lärhbäurin (nimmt ihren Handtorb): 
Der Poldlbäurin is nit aufzkumma. 
— In gar mir. — Ihr jeid zu 
gſcheid. Gightet fih zum Gehen.) 

Nandl: Dafs d Lärhbäurin 
aber Heut in fo oan Unwetter ums 
gehn mag. 

Larchbäurin: Ja, dös is fo. 
Cäachetnd) Wir Haben a weng a Salz 
braucht und van Tabak für d Manns» 
leut. Wann mei Alter ins Dorf geht 
— bleibt er im Wirtshaus jigen, 
verthuat das Geld und fummt jpat: 
mädtig mit van Sturm hoam. — 
cLachelnd) Seit Ihr mih geicheid gmacht 
habt, geh jetz liaber ih. — Es bleibt 
das Geld und der Verdruſs erſpart. 
Ya. Wadct. 

Nandl: No alfo. (äheind Gſcheid 
is Schön! Nit wahr? (Matt. 

Lärhbäurin: A ja. Eägelnd, 
A ja! Das Hab ih Alles der Poldi: 
bäurin z danken. Bhüat Gott. (mo Mitte.) 

Nandl: Bhüat Gott. Ms Mitte) 

Liest: A Treffelmerh habn dö 
zwa Weibslent — nit zum jagen. 
Ih foll was ausdenkn — und bin 
ganz confus wordn. Es is was dö 
Tag, ih woaß es gewijd. Is beim 
Poldlvater was, oder iS bein Poldi» 
buabı was — es iS was. — Was 
aber is — dös fallt mir nit eim. 
Unmögli! 


II. Scene, 


Redl ommt mit Epanubholz und Meier | 

aus rechts. Im Hereingehen): Is dös heunt | 
a grauslichs Wetter draußt. — Pfui 
Teuxl! IH ſetz mih a zum Ofen. 
(Zu Liest ſprecheud) Daſs did gar jo broat 
macht; fo rud a weng doni, moanſt, 
mir is nit kalt! «Swieht Liest auf die Seite 
und fegt fih zu ihr.) 

Liesl: Schau den Zeder au, 
wie er mi doni ftoßt. Gelt, früherer 
Zeit war ih dir guat! 

Redl: Na, na Liesl, biſt jetz | 
ſchon a noh guat. Sei nur nit kritisch. 





Ih ſag dir’s, flürmen und fchneiben 
thuat 8 draußten, wia wann 3 zriffene 
Pfoada von oben abamwerfen mwollt! 

Liesl: Pfoada werden j oba= 
werfen! So a Red! Moanft dem, die 
Engel in Himmel habıı a Pfoad an? 

Redl (Nhneidet am Epannholz): Ih hon 
noh gar koan Engel gſegn. 

Liesl: Was red'ſt denn nacha, 
wannft nir woaßt? 

Redl. So möchſt fireiten, möchſt 
zwida werdn? Du! Ih ſog s gleih 
dem Poldl! 

Liest ehniſch: Ja, n Poldl wirft 
s ſagen, ha, ha, da kummſt ſchön an. 


Ta kriagſt dei Fetten! Der Poldl 


halt mit mir! Der Poldl is a Engel, 
jetz woaßt du 3. 

Redl dasend): Ya, a ſauberer 
Engel! Hat am legten Kirchtag an 
Rauſch ghabt wie der Teufel. 

Liest wormig: Du, das fagft nit 
noch amol, funft vermeld ih's ihm! 
Bedehnt) Shan! 

Redl: Geh, geh Alte, ſei guat, 
funft wirft mit deiner Arbeit mit fertig. 
Der arme Strumpf hat ma eh geitern 
vorgmwoant, daſs du ſchon vierzehn 
Tag auf ihm umſtichſt. 

Liesl: Wirft ſchon wieder bes 
leidigend? Ih kaun Strumpf vers 
ſtechen wia lang ih will, und id kann 
nix thuan wie viel ih will, der Poldl 
jagt, mir derf fa Menſch was fchaffen, 
und der PoldI iS a Engel und der 
Poldi bleibt a Engel und je woaßt du s. 

Redl: 5 muaj3 rein amal 
ihauen, wo er feine Flügerl hat? 

Liſesl uomig): Spoitu a noh, den 
beiten Menfchen, den wir auf der Welt 
haben, jpotten? Wer gibt uns denn 
die guate Koft? Von wen haben wir 
denn die warme Stubn ? Gelt, wanı 
er Sunntags vom Dorf mit n Tabaf- 
pintel hoamkummt, dann is er guat, 
dafs d mih ausradhen faunft. Du 
graußlaner Menſch! 

Redl: Liest, Liesl. Holt dih 
zruck! Wär ſchad um dei ſchöne Stimm. 

Liesl: Den Poldl ſchimpfen, an 
Man, der jo fleißig is, der auf ſei 


Gſchäft Schaut wie foaner. Wo hätt 
denn unfer Nandl jo an Mann kriagt? 
Mo denn? Yın ganzen Dorf nöt, und 
weit und broat nöt, und ninderſcht nöt! 

Redl: So? Thuat unfer Nandl 
eppa nix arbeiten? Hilfts nit fleißig 
mit ? 

Liesl: Ya freilih, zu was is fie 
denn? Möcht dö Kleantſchen vielleicht 
am Heubodn liegn und er foll alloan 
arbeitn? Übern Poldi laſs ih amol 
nir fommen, und geht 3 wia der will, 
Der Bold! is unſer Brotvater, 

Redl: Aber geh, Alte, harb dih 
nit. Ih laſs ja a nix fummen über ihn. 
Liest. Alfo willft blos mir van 
Arger mahn. (Steht auf.) 

Redl: Na, na, Alte. Sei nur 
guat. Seb dih nur wieder nieder. 

Liest cent ih nieder): Wann ih noh 
amol auf d Welt kumm, dih Heirat 
ih neama. 


1II. Scene. 


Seferl. — Vorige, 


(Seferl, einen Melftübel tranend, fommt laut wei» 
nend aus rechts.) 


Redl: No — no — mas fehlt 
denn Der, dajs fie jo fleant. 

Liesl: 8 dir was gſchehn, 
Seferl ? 

Seferl: Na! (Weint Heftig.) 

Redl: Hat dir wer was gethan ? 

Seferl: Na! (Weint Heftig.) 

Liest: Haft "leicht wieder was 
zlammgjchlagn ? 

Seferl: Na! (Weint.) 

Redl: Ja zum Dunner! Was 
woanft denn nachher ? 

Seferl weinen: Ih — ih kaun 
nit melchen. Ih kann amol nit melchen! 

Liesl: Ja, warum kannſt denn 
nit melchen ? 

Seferl weinend: Mir zerfpringt 
3 Herz. 

Redl aseny): Beim Kuahmelchen? 

Seferlustuszend: Beim Kuahmel— 
hen — beim Kuahfuttern, beim Kuah— 
wafjern, bei Allem zeripringt mir $ 
Herz. (Weint.) 
21* 


22* 


Liest: Biſt a rechter Tſchapp! 

Seferl: Ja, Tihapp! Is leicht 
glagt. Wann d Ahndlmuatter nur 
giehn hätt, wia fündla traurig mih 
die braune Kuah angichaut Hat, grad 
als ob j mir hätt jagen wolln: ſchau, 
mei liabe Seferl, hiaz treibt der 
Handler mid fort, und grad fo werdn 
j amol did fortfchiden, wann dei Zeit 
um 18. (Weint.) 

Redl: Und derawegn zerfpringt 
dir 5 Ders. 

Seferl: Ja derawegn, weil fich 
der Bold! net traut m Vatern z bittn, 
dafs wir zjammheiratn dürfn. 

Redl: Jetz ſchaut's amol dö Dirn 
an! Dan Bauernſouhn möcht ſhei— 
rathn! 

Seferl: Ja, wen denn nachher ? 
A noblicher Herr oder a Graf, der 
nimmt mid noh weniger. 


Nandl «utmüthig): Was Hilft denn 
dad. Du woaßt doh — das jih der 
Vater nir abtrußgn last. 

Jungpoldl: A ja. Wann die 
Muatter will, gibt er ſchon nad. 

Nandl: Ned mit jo einfaltig. 
(Halblaut zu Rev Ih hab eh ſchon drei— 
mal auf d Staudn gſchlagn. Er wird 
immer unwirſch. Ih trau mid mit 
mehr. 

Liest: Nandlh! Sei giheid! Red 
mit dein Mann! Du wirft doh den 
arınen Buabn nit zgrumd gehn laſſn. 

Nandl werzaad: Du mein Gott! 
Erzwingen lajst fih mir. Ih kenn 
den Water beſſer. «Traurig für nt) Is dös 
a Unglüd. Ih woaß mir nit aus, 
(Sekt ſich ſorgvoll nachſinnend zum Tiſche.) 

Sungpoldl: Ih geh vom Hof! 
Ih mag neamma lebu! 

Liesl: Sei guat, Poldi! Sei 


guat! Es wird fih ſchon machn lafin. 


IV. Srene. 
Nandl, Jungpoldl, — Borige. 


Nandliur Eefern: Mas ftehft denn 
du da um? 

Nedl: Sie hat ſih ausiwanen 
müaſſen in der Stubn, daf3 die Zacher 
(Thränen) net an der Stalltgür ans 
gfriern. 

Nandl qu Een: Schau zu deiner 
Arbeit! 

J ungpo 1d IE: (Heimtih und Herzlich zur 
Een: Sei nur guat, Seferl; fränt 
dih nit! Du wirt do die Meine und 
fa Andre, 

Seferl: Ih kann net melchen, 


mir zſpringt mei Herz. (Zaut weinen ab 
redhtö.) 


Jungpoldl ifoßtdie Binrin): Muatter! 

Os muafat’s mit n Vater redn wegn 
der Seferl. 

Nandl: Aber Poldl, was mußt 
denn s Reden; der Bater will, du 
jollit a Bauerntochter heiraten. 

Jungpoldlieietia: Ih mag fa 
Bauerntochter, ih brauch foane! Mei 
Seferl will ih habn — die Seierl 
gfallt mir. 


Jungpoldl «acht zur Liesn: Ahndl— 
muatter! Mei liabe Ahndimuatter. 
Ih bitt, nehmt Euch am um mid. 

Liest Ganz verzagu: Ja,namla wohl! 
Wann ih nur wujst, wia man $ an— 
gehn foll. 


V. Scene, 


Pold Ibauer (aus ver Mitte, jäptt Geld, 
das er dann in feine Brieftgſche gibt): Hat mir 
richtig fünf Gulden aberghandelt, der 
Lump. 

Mandl iie raſch aufitept): Mach dir 
nir draus, Vater; die Kuah is do noh 
guat zahlt. 

Poldlbauer: Ah ja — hab 
nir verlorn dabei. (Den Jungpoldl bet:amhtend) 
No — was machſt denn du für a 
Gſicht, als ob dir die Henn das Fuatter 
gfreiin hätt? 

Nandl: Is a rechts Kreuz mit 
dem Buabn. Denk dir nur, die Seferl 
möcht er heiratn. 

VBoldlbauer: Könnt mir eine 
falln! U Dirn werd ih ihm Heiratı 
laſſn, die nix hat und nix is. 








325 


Sungpoldl: Hat d Muatter a 
mir ghabt und der Voada hat ſ do 
abeirat. 

Poldlbauer (eeirisn: Jetz Schau, 
daſs du auſſi kummſt. 

Jungpold!l Gexdrichlich? Is ja 
wahr a. (Mb reits.) 

Poldlbauer: Möchtn van die 
Kinder vorfchreibn, wen man heiratn 
fol. — Wann der Bua z dumm is, 
a Banerntochter 3 friegn — aft foll 
er ledig bleibn. (3u Rand Mas moanft 
denn du, Nandl? 

Nandl: Ih gib Dir ganz redt. 

Poldlbaner: A junger Menfch, 
der heirat’, muſs a Zuhilf findn, Funft 
geht er zgrund. 

Nandl: Ja, ja — leichter is 
Ihon, wann s Weib a was zubringt. 
SH hab zwar a nix ghabt. 

BoldIbauer: AV was — du 
warit fleißig und tüchtig und verſtehſt 
was und dös iS mehr wert wie s Geld. 

Lialıne vorneigend, vernehmlich: Fleißig 
is die Seferl zwar wohl a, recht 
fleibig. 

Boldibauer (mies: No ja — 
dös is Schon wahr; aber wann der 
Bua a jede Dirn beiratn foll, dö 
fleißig is — dann bradt er viel 
Meiber zſamm. 

Nandl: Er mill aber bloß die 
Seferl und Ta andere, 


Boldlbauermusin: So! Möchft 
du vielleicht Ja jagn, wann ih Na— 
ſag? 

Nandl efänftigend: Aber Vater! 
Mas fallt dir ein. — Dein Willen 
it die Hauptſach. — 

Boldibauer: Und 
und dabei bleibt 3. 

Redl im Liest, lächelnd): 


ih fag Na 





giagt hat. 
Liesl: Moanft ? 
Nandl: Recht Haft. 
ſoll ſich dreinfindn. 
Poldlbauer: Er wird 
ſterbn drüber, fürcht dih nit. 


Bis er Ja | 
| 


Der Bıra | Füraholen müafin. 


manches überfommen. — Die jungen 
Leut, dö verliabt fein, glauben grad, 
die Welt geht zgrund, wann fie fich 
nit kriegn. 

VBoldlbaner: Amwas! Yarifari. 
(Seht fid.) 

Nandl: No, bei mir war dös 
Ihon nöt Larifari. Ih woaß nöt, was 
id mir anthan hätt, wann du mid 
verlafin häſt, und ih könnt mir mei 
Lebn heunt noh nit denfen — ohne dir, 


Poldlbauer (cerzhaft aber herzlich fie 
onblidend): Warſt wohl fo narriich ver— 
brennt in mih? 

Nandl tiherzpaft Herziih): Geh, ver— 
ftell did nit. Thu mit fo, al3 0b du 
3 vergeſſen hält. Du warſt ja felber 
nix befier. 

Poldlbauer reundlich; Moanft ? 

Nandl: Gwils anoh! — Wann 
dir damals wer gjagt hätt: Wirt doh 
mit dem Deandl nir anfangen lie 
is ja a bluatarms Ding. — Lafßs fie 
fein! — No, da hätt ih dih ſehn 
mögn. 

VBoldibaner ter): Recht haft, 
Alte! Meiner Sir — und wann ih 
heunt die Wahl hätt — fa andre 
wia did. (Grgreift ihre beiden Hände) Biſt u 
braves treues Weib — und warit 
immer der Segen Gottes in mein 
Haus. 

R eDI (der aufmertſam zuhorchte zu Lies1): 
Sie packt ihn ſchon auf der rechtn 
Seitn. 

Lies! iyalblaut zu Redn: Moanft, wird 
er nachgebn ? (Hedi nidt mit dem Kopfe): Du 
mein — da wär ih froh. 

Nandl: Haft meinetwegn viel 
Verdrufs ghabt mit dein Leutn. 

Poldlbauer: Das war nur 
anfangs, aber ih hätt a nit nachgebn 
und wann ih did aus der Höll hätt 





Nedl iu Liesn: Ih moan, dih hou 


nit ih a zuachſt der Höll füragholt. Last.) 


Liesl empört): Redl! Redl! Das 


Nand!l (reundlichn Ih fürcht mih is ma jetz zviel. «Steht auf) Jh geh ins 
eh nit. — Der Menſch muaſs gar Wetter auſſi, dös halt ih nit aus. 


Poldlbauer: Na, was habt’s 
denn da hintu? (Geht nad rüdwärte.) 


Liesl: Der Redl is Heut net 
zum ausftehn, vor lauter Bosheit. 
Sagt der alte Kräanka, er hätt mih 
znachſt der Höll füragholt. 

PoldIbauer(gutmüthig fägelnd): Was? 
So was hat er gſagt! Das ift doh 
aus der Weis! Na, ſeid's nur guat, 
Muatter, am nächſten Sunnti bring 
ib ihm an ganz patihnafin Tabak 
hoam, da wird er ziachn und fluachn. 


(Radıt.) 
Daft ſchon recht. Thu 


Liesl: 
das! (Echt fh.) 

Poldlbauer: Ihthu sa. Und 
der Muatter bring ih davor ovane 
guaten Kaffeebohnen. Ja. (Geht lächelnd vor.) 

Lies! (feelenvergnägt;: Der Boldlvater 
i8 a Engel! A Engel. 

Nandl Gcerzlich: Schau, Polbl, 
wia guat du mit meiner altn Muatter 
bift. Ih werd dir s nie vergefin, mein 
Lebtag nit. 

Poldlbauer: Na was, warum 
fol ih | denn net gernhabn, iS ja 
dei Muatter, und mei größti Freud 
is, wann die ganze Berwandticaft 
in Friedn und Liab miteianand lebt 
und fleißig mitfammen wert. Mir 
ſchmeckt alloan fa Biffn und fa Trunf. 
Nur wann ih fiah, dafs die ganze 
Bagage mitpapelt und mitpupelt, aft 
bin ih zfriedn. 

Nandl ti: Weil du jo a 
feelenguater Menſch bift, und darum 
bin ih ja fo taufendmal froh, dafs 
grad ih dei Weib bin wordn. 

Poldlbauer äsendy: Mentiſch 
zutraulich biſt heut. No ja, ih woaß 
ſchon, wo du auſſi willſt. — Du biſt 
halt vernarrt in dein Buabn wie der 
Tocker in die Geign. — 

Nandl Gexrzlich Ab an ihn ſchmiegend): 
Is ja dei Bua a! Is ja unſer Kind, 
und dir und mir thät 3 Herz weh, 
wenn wir 5 erlebn müaſſtn, daſs wir 
ihn zu aner unglüdliden Eh ge- 
zwungn habn. (Reht herztich Schau, 
Bater! ’3 Geld! 's Geld alloan macht's 
ja nit aus. Das fagit du ja jelber. 


— 


26 


Redl (aut zu Liesh: Der Dachs— 
huaber hat a reiche Bauerntochter 
gheirat' und is denna ganz zgrund 
ganga. 

Lies lcdaut zu Redih: Ja freili, weil 
| unwirtſchaftli war und die Vornehme 
gſpielt Hat. (Sehr bedeutiam) Unſer Seferl 
is aber fleißig! A ja! 

Nandl sum Potdisauen: Was wahr 
3 — 13 wahr. Wir habn noh fa 
Dirn ghabt, die am Feld und beim 
Died jo tühtig war wie d Seferl. 

PoldIlbauer (aft verbriehtih): Ih hab 
juft a fa Klag — aber muaf3 ih ihr 
deramwegn ſchon mein Suhn gebn ? 

Nandl Mertih: Du mujst ja 
nit. — (Seine Hand erfaffend, recht innig) 
Uber dent auf uns Zwa, denf auf 
unfer Lebn und du wirft dir doh 
jagn: Zu oaner glüdlihen Eh ghört 
vor allererft — a wahre, herzliche 
Liab! 

PoldIbauer (erlegen ih losmachend): 
Ihr Drei haltet zjamın wia die Wie- 
den. Mir ziemt grad, Ihr wollt mir 
früher fa Ruah gebn, bis ih Ja ſag. 

Nandl reich, win ihn umarmen):; Mei 
liaber, mei guater Alter, 

Poldlbauer causweigend: Na! 
Na! Aushaltn! So weit fein wir 
noh mit. Erft will ih mih überzeugn, 
ob s Deandl für mein Suhn a Herz 
bat und ob | für ihn taugt. 


VI. Srene. 
Hiasl. — Borige. 


Hiasl iträgt ein fehr Meines Fäfshen auf 
dem Kopfe, fommt aus der Mitt): Saumetter ! 
Hundswetter! Rabenwetter! (Stelt das 
Fäſschen auf den Tiſch und jhüttelt ih den Schnee 
von feinen Kleidern.) Patſchwetter, miſe⸗ 
rabligs! Ganz naſs bin ih wia a 
Pudel, der beim Ofen liegt. 

VBoldlbauer irn: Wo kummſt 
denn du daher? 

Hiasl trgertis): Wo foll ih denn 
herkumma, wann ih von Dorf daher« 
kumm. 


327 


Poldlbaner (rafend, ftreng): So! 
SH hab Dir gfchafft, du follft Fuatter 
jchneidn und du lauft in Dorf? 

Hiasl dehr erregh: Ih bin ja mit 
jelber gloffen. — Hat mih ja wohl 
die Seferl gſchickt! (Laut und jornig, aber 
für fi, gleichſam entſchuldigendd Sakra! Ver— 
maledeit! Ih bin ja nit bei der Seferl 
im Dienſt. 
Seferl in 8 Dorf abi z ſchicken. 
(Saut färeiend) Ih geh neamma nöt mehr. 
Ih geh nöt! Sakra! 

Voldlbauer tipn aufapeend: Schrei 
nit jo! 

Hias!l Gemüthlich ihn anblidend, im 
rubigen Zone): Ih bin kritiſch. (Sehr freundtih) 
Ja Vater, ih bin ftark kritifch. 

Poldlbauer tern: Du Haft mid 
3 fragır, wann du wohin gehn willit. 


VI. Stene. 
Seferl. — Vorige, 


Seferl (Sieht bei der Seitenthür rechts 
herein, erblidt das Fälshen und fommt raid vor, 
ſpricht ärgerlih und verbifien zu Diadl): Bilt 
wohl a rechter Tſchapp! (Bormurfsvoit und 
bite? Hab ih dir mit gfagt, du ſollſt 
das Faſsl hoamli mir gebn? (Geht 
jum Tiſch.) 


Dias! (wieder erregt und laut: Mia 
fann ih 3 denn Hoamli div gebn, 
wann du nit da bill. 

Seferl imnimmt ärgerlih das Fäſschen): 
Wärſt in die Kuchel kumma. 

Hiasl (not erregtery: Win kann ih 
denn hoamli in die Kuchel kumma, 
(herumzeigend) wann Dö alle da uma— 
ftehn. Sakra! 

Seferl Gornian: Geh zua! Du 
Toder ! (Mit dem Fälshen raſch ab rechts.) 

Hiasl (geht ihr drohend nad, ſpricht im 
erhöhten Tone): Das ſagſt nit noch amol! 

Poldlbauer dürkay: Jh kenn mid 
nit aus. 

Nandl: Was fein denn dös für 
Hoamlichkeiten ? 

Poldlbauer iu Hiasn: Was habt's 
denn mit dem Yalsl? 


Mas hat mih denn die | 


Diasl (tommt ſtolz vor, als ob er eine 
große That vollbracht hätte. ürgerlich: Sakra! 
(Mehr für ih) Ih laſs mih mit mehr 
ihidn. Ih nit. Wenn die Seferl 
hoamli van Rauſch habn will — joll 
fie jelber zum Dorfwirt gehn. Ih trag 
ihr foan Wein mehr hoam. Ih nöt. 
Safra! 

Poldlbauer rertaund: Die Seferl 
hat dih um Wein gjchidt ? 

Nandl (ho erftauny: Um Wein? 


Dias! wistig; No! Und wie | 
mih gſchickt hat. Um den beiten, den 
3 gibt. wistid Fünf Guldn Hat j 
mir mitgebn ! 

Nandl center: Fünf Guldn für 
Wein! 

Hiazl der wistig): Und laufn Hab 
ih müafjn! Mentifch! Goqwichtigh: Vor 
n Suppn eifen muaſs ih da fein, bat 
fie gſagt, jagt fie, funft geht s gfahlt. 
Wihtie) Sie is zu viel dürftig. 

Nandl inter): Ja, trinkt denn 
die Dirn hoamli Wein? 

Hiasl: No, und wia fie ihn 
trinfen wird. Sie hat gefagt, a ſchön's 
Seidntüahl foft’t a fünf Gulden, und 
Minterkittl braucht fie foan, fagt fie; 
und Sunnti-Schuah Hat | eh noh 
fefte, da kauft fie fih liaber a Faſsl 
guatn Wein. Das macht ihr mehr 
Freud, 

Mandl ie Hände zufammenfhlagend): 
Mir bleibt der Verſtand ftehn! 

P oldlbauer Wer aufmertſam zuhorchte): 
Mir a! 's Deandl is noh nöt zwanzig 
Jahr alt und trinkt ſich ſchon hoamli 
oan Rauſch an. — A ſaubre Gſchicht! 
Jetz hab ih gnua! (Geht erregt auf und ab.) 

Nandl: Um Gotteswilln! 

Liesl Gerzagh: Mufs der Tepp 
grad hiazt mit n Wein daher tramplır. 

Poldlbauer “omin: Hias! Hol 
mir den Boldt ! 

Hias!: Ja, Vater. (Mb rewts.) 

Nandl: Ih Hab die Seferl aber 
noch nia mit van Rauſch gehn. 
Meiner Seel nit! 

Poldlbauer Hämiih): Sie wird 
3 ſchon hoamli gnuag onftelln. (Zeh: jornigh 


Und is wia der will. — A Dirn, die 
ihr Geld für Wein ausgibt, is nix 
für mein Souhn. 

Nandl: Natürlih! Dös wär ja 
5 größte Unglüd. (Xraurig für fh) 3 doh 
aus der Wei. 


VIII. Scene, 
Jungpoldl. — Vorige. 


Jungpoldl (aus rests): Was jchafft 
der Bater? 

Poldlbauer fen: Die Seferl 
Ichlag dir aus n Kopf. 's darf fa 
Wort mehr gred’t werdn. 

Sungpoldl: Bater! 
liaber Bater! 

BoldIbauer: 
duld fa Einred. 

Nandl worwurfsvon zu dungporßh: Wia 
du dich nur in a Deandl verliabn 
magit, dö jo a ſchiache Leidenschaft hat. 

Jungpoldt ibefänftigend): Du mein 
Gott, was liegt denn dran, fie hat 
mih halt gern. 

Nandl: Da, weil ſ dich Jo gern 


Ih bitt, 


Still biſt. Ih 


328 


IX. Srene. 
Seferl. — Borige. 





Seferl (trägt eine große Schüſſel und 
mehrere Blechlöffel. Spricht laut): D Suppn 
13 da! Etellt die Schüſſel auf den Tiſch, legt die 
Löffel bin. Lau) Suppn efjen! Mandi, 
Redl, Liest, Jungpoldl tragen Etühle zum 
Tiſche, ſehen fih. Eeferl acht zu Poldlbauer) 
Vater, a weng wartn. Mit früher 
Suppn eſſn — bis ih kumm. 

PBoldlbauer die anfaprend): Laſs 
mid in Ruah. 

Seferl reundlich lägeind: Na! Heunt 
laſs ih den Bater nit in Ruah, heunt 
nit. äuft rechts ab.) 

Boldibauer trend: Das wird 
jih wohl weiten, ob du mid in Ruah 
lafin willft. 

Nandl iefänktigendn: Kumm, Alter! 
Seh did her — tina Suppn eſſn. 

VBoldibauer: Laſs mid. 93H 
fann die Dien nit anſchaun. Mir 
Ihmedt Ta Bilin, jo lang Die noch 
im Haus i8. 

Nandl üteht auf, geht zu Pololbauer. 
fpricht berzlih und begütigend): Bold! — ei 
guat! Sei gideid! Hör mid ar. 


hat, muaſs fie hoamli ihr Geld in Schau! Die Deanftleut müaſſn arbeitu 


Wein verthoan. 


und wer arbeit’, der verdient a ſei 


Jungpoldl: Die Seferl trinkt Koſt. Du ſagſt immer, beim Eſſn mufs 


gar van Wein, koan Tropfn. 
Poldlbauer: Der DPorfwirt 
woaß das bejler, 


Sungpoldi: Beim Dorfwirt 


war ih gar nia mit der Seferl. Wir! 


waren am Kirchtag nur beim Yebzelter 
dort hab ih ihr van fürn Meth ge— 
zahlt, weil fie foan Wein mag. 
Boldibauer: So! Du laufit 
Ihon um mit ihr. Dur zahlit ihr Meth. 








der Hund a Ruah Habn. Sei guat. 
Das Deandl muaſs eh fort; aber laſs 
nix gipiien, fo lang fie beim Efin ſitzt. 

Boldlbauer: Meinetwegn ſollſt 
recht hab. A vernünftigs Weib, die 
ihren Mann im Guatn 3 leitn verfieht. 


& | (Zeit ſich zum Tide. Nandi seht fich zum Zifche. Alle 
machen da® Kreuz, beten einen Moment fill, machen 


dann wieder das Areuz.) Gſegn Enfs Gott! 
Alle: Vergelts Gott! catte ein. 


Poldlbauer nimmt einen Vöhlel, wiſcht ihn erfi 


Ihr jeid ſchon beim Lebzelter gweſn ab, langt dann langſam in die Echäfiel.) 


mitanand! A jo weit is jhon! No 
wart's nur, ih will Euch helfn. (Streng 
zu Randı Die Dirn muſs aus n Daus. 
Sag ihr, daſs fie zſammpackt und 
geht. Deut noch! Auf der Stell! 

Sungpoldl DBater, ih bitt! 

Poldlbaner: Ha Wort mehr, 
junft wirft mih fennen lernen. 


eilt bin, eufty: ber 
Loffel aus der Hand. 


X, Scene. 


Seferl, Hiasl. — Borige. 


Seferl aus redts, bringt eine große 
Flaſche mit Wein, ficht, dafs Voldlbauer eſſen will, 
Pater! (Echtägt ihm den 
Schr wigtig) Mit Früher 
Suppn ein ! (Hiadt trägt unter dem Arm das 


een 
= 
= 


Fälshen und in beiden Händen Arüge. Stellt Fais 
und Krüge auf den Tiſch, jeht ih und ifst Suppe.) 

P old Ibau er (ipringt erregt und zornig 
auf): Himmel Satra! Was wär denn 
das? tle ftchen ängftli auf, nur Hiast bleibt 
fihen und ifst, obne ih um den Borgang zu kümmern.) 

Seferl worurfevon: Is der Vater 
gſcheid? Wichtig) Früher Suppn efin 
— ehvor ih mei Anred halt! 

Nandl centrüfe): Aber Seferl! 
Was unterſtehſt du dich! 

Seferl (eretin: Sp! Soll ih 
leicht mei Geld zum Fenſter naus— 
werfn, joll id den Wein wegſchüttn, 
wann er 3 Spat kummt. Eqmerzlich 
vormurfsvon) Ih hab mir 3 Seidentüchl 
abgipart, ih hab mir den MWinterfittl 
abgipart, ih hab mir die ſchön Schuah 
abgipart und jetz möcht der Water 
vor der Anred Suppn efin! 

Jungpoldl sans vergant: Mber 
Seferl, bift denn narriſch. 


aber du wohl. Du tragft dei Gedächtnis 

im Bruftflet drein, wann du mit 

amol woaßt, was heut für a Tag is. 
Jungpoldl: Heunt? 


Seferl cipnausfpottend): Ja, heunt! 
(Borwurfsvon) Haft mir mit am vor— 
heunt dein 
ſei fünfzigfter Geburtstag 

— aber weil er der Suhn von an 


legten Sunnti gfagt, dafs 
Vatern 
kummt? 
Nandl tihlägt die Hände zuſammen, jpricht 
iu PoldIbauer, ihn herzlich anblidend): 
fünfzigfter Geburtstag! 
Liesl ang verblüffy: Maraunfert! 





Dei | 


Redl: Selber mir beffer. Hab 
a dvergefin ! 

Jungpoldl dür ns): Safra, daſs 
aber ih nit drauf denkt hab, 

Liest wistin: Ih han wohl denkt 
drauf — aber juft heunt iS mir mit 
eingfalln, 

Seferl mimmt ein Krügel mit Wein, geht 
vor zu Poldibauer, ſpricht berzlih): Mann 
mir der Vater den Poldl a nöt gebn 
will, wann ih Euch als vanfache 
Dirn a z nicht bin, Cinnig) gern hab 
id Euch doch noh. 

Poldlbauer teilten: Seferl! 

Seferl Gernich: Ih Hab guate 
Tag im Haus ghabt, Ihr habt mih 
wia a Vater jei Sind behandelt, auf 
dös werd ih nia vergeſſn. (Immer herzliche) 
Dafür mög Euch der guate Gott 
lohnen durch nm Gſund — und durch 


recht a langs (ergriffen) glücklichs Lebn. 


24 Wijcht ſi ine Thräne aus dem Auge, gibt dem 
Sefer Ceht zornig zu Iungporn: Ih nöt, | jcht fh eine Thräne aus de ge, gi em 


Poldibauer das Krügel, ohne ihm anzufehen, 


ijchtuchzendd Da Vater, nehmt! Thuat's 
trinken! — Der Wein ghört Euch! 


Voldlbauer imimmt das Krügel, ſpricht 
jehr berztih): Seferl! Mei Seferl! 

Seferl wieder geiaſey: Wißt Ihr, 
Vater. Wegn den Pold! fein Gicht 
tauf Jungpoldl deutend) wär mir nöt lo 
viel dran, da wüjst ih mir Schönere 


Vater iS, der jo brav auf feine Leut 
haut, der jo a guater gwegner Hause 
vater is, der fei Weib fo treu und 
innig liabt, Hab ih mir denkt, der 


Jungpoldl eisängy: Meiner Sir. | Junge wird a nit weit auf die Seitn 


Is richtig wahr a. 


Seferl: Und haft mir nit afagt, | 
al sic 'mih jo, daſs den Boldl a 


ih ſoll unfern Vadern a boamliche 
Freud machn — ih foll ihn was 
bringn. 


vor n febn laſſn Suppu efin. (Swentt aus 


der Flaſche Wein in die Arügeln, wobei fie verhalten 
ſchluchzt. 


Nandl cherztich: Mei liaba Mann! | 
Verzeih mir! Ih hab auf den heutign 
Tag in die Seel eini vergeſſn. Eehnt 


fh an feine Echulter.) 


(Faft weinend;) md jeb hab ih 
mei ganz Geld für n Wein hergebn 
hr und Hiakt möcht der Vater: 


fallır. «Weinend) Und drum hab ih Euern 
Bold! jo viel gern und drum kränkt 3 
Andre 
friagn ſoll — und — mit ih. (Weint) 

Boldibaner cherztich- Alfo, Seferl! 
(Feeudig) Für mih haft den Wein kauft? 

Seferl werpriegtihr: Für wen denn 
junft? Ih mag dos Gfchlader eh nit. 
(Berdedt mit dem Fürtuch das Geſicht.) 

Nandl wie ein Krügel genommen bat, 


herzlich): Mei liaber Mann! Gott foll did 
noh lang und gſund erhalt! Etoßt an.) 
SJungpoldl: Vater! Habt a 


Einſehn! Schaut! — So wia unfere 


330 


Ahndl-Leut glüdli neben uns lebn — Alsdann, Seferl! Mir haft den Wein 
fo möcht ih habn, daſs a umfre Kinder bracht? No — ib will dir ihn nit 


Ent auf mn Händn umtragn. 


Redl Commt mit einem Arügel): Schwie⸗ | 


gerfohn! Sei guat! Gib nah! Sag 
Ja! (Etopt ann Gfundheit! Sollſt lebn! 
Sollft mih auſſiſtechn! Sollſt noh 
länger lebn! Sollſt noh älter werdn 
als wia ih! Stoßt zitlernd an.) 
Lies!l clommt jitternd vor): 
a anſtößn! Ih bitt! 
Arügel an.) 
Poldlbaner: Mei liabe Liesl— 
Muatter, Geſundheit! (Stoßt an. Innis 


Mit mir 


Stoßt mit ihrem 


bewegt) ZH danl Euch, Leut! Gu Randn | 
Ih dank dir, liabs Weib. Mir is recht 
wohl um s Herz! — (Fir is) Wer van 


jo a frohe Stund bereitn kann, (auf 
jeine Bruft Mopfend) der hat was da drein. 


lang ſchuldig bleib! (Ruf) Poldi! Am 
Sunntog geht mit ihr zum Pfarrer. 
Jungpoldlum Sefer! (rufen 
feli): Water! 
Nandl: Mei linba, guata Poldl! 
Poldlbauer däsend: Was du 
willft, das muaſs halt gfchehn. 
Nandl (reundlich: Aber nur im 
Guatn. 
Liest: Der Poldlvater is a Engl! 


H ias : «der bis dahin, ohne ſich um Die 
Vorgänge zu tümmern, unausgeicht gegeſſen bat, 
ergreift ein Arügel und ruft): Gejundheit, 
Mater! (Zrintt, bit der Borhang gefallen if.) 
| Alle (rufen): Vivat! 


| (Borhang fällt rajd.) 





Karl der Große. 


Ein Wunderliches aus dem Dorfe von 9. R. Bofegger. 


farm 


Er arl Oberbergbreitebner war fo 
groß, dajs der Wi feiner 
machen wollte, einen Langen und eimen 
Diden. Wäre noch auf einen Dritten 
etwas übrig geblieben, fo hätte ich für 
einen Klugen geftimmt. Karls Gehirn 
war enimeder jo klein, wie bei einem 
Huhn, oder jo groß, wie bei einen 
Büffel. Doch hatte er fein Lebtag nie 
etwas Dummes gejagt, denn er ſprach 
nicht viel, Hatte faum etwas Albernes 
gedacht, denn er dachte nicht, er han— 
delte blog. Er hätte aber auch das 
tollfte Zeug ſchwatzen fönnen, feine 
Körperftärte war jo groß, daſs er 
faum viel Widerfpruch erfahren haben 
dürfte. Zwei derbe Arme find eine 
doppelte Beweisführung. 
Karl war der Sohn des Dorf: 


gieng mit diefem, einem kümmerlich 
‚Heinen und hageren Männlein, auf der 
Dorfgenofjen zwei aus ihm Stör um, von Hof zu Hof. Seit fein 


Karl groß geworden war, konnte das 
Meifterlein die entlegenften Höfe auch 
zur Winterszeit bei Schnee und Sturm 
befuchen. „Bad mich, Karl!“ fagte er, 
und Karl nahm ihn auf den Rüden 
oder unter die Achjel und trug ihm 
gemächlich bergauf und thalab; doch 
mufste der Heine Alte dem großen 
Jungen fortwährend den Weg zeigen 
und ihn auf denjelben dahinleiten. 
Karl konnte nicht Kleider anmeſſen, 
‚nicht zuichneiden, überhaupt ſelbſt— 
ſtändig nichts fertig machen. „Das 
nähe!“ fagte fein Vater, und er nähte 


es, aber auch um keinen Stich mehr 
und keinen weniger. 
ſagte ſein Vater, und wenn er ihm 


„Das biegle!“ 


ſchneidermeiſters, hatte das ehrſame eine lebendige Katze hingehalten, ſo 
Handwerk des Vaters gelernt und hätte er fie gebiegelt. Wozu das Nähen 








und wozu das Biegeln? ch glaube 
nicht, dafs Karl jemals auch nur im 
Gedanken darnach gefragt Hatte. Wa: 
rum auch ? 

Aber die Leute jchäßten feinen 
Mert. Wenn irgendwo ein großer 
Dolzblod zu schleifen, ein jchwerer 
Stein zu wälzen oder eine Kohlen— 
tracht zu fchleppen oder eine andere 
Lajt zu bewältigen war, fo fhidte 
man nad dem Schneider. Eines Tages 
Hatte unten in der Engſchlucht des 
Richterbauers Kuh gekalbt. Karl Ober- 
bergbreitebner ward erſucht, daſs er 
hinabgehe und das Kalb den fteilen 
Dang herauftrage. Er nahm einen 
großen Kohlenkorb, ftieg in die Schlucht, 
und bradte das Halb und die Kuh. 
Sie wollten nicht auseinander, meinte 
er, und fo habe er fie gleich beide 
genommen. 

Da kaın eines Tages eine Stadt- 
berrichaft ind Dorf gefahren, mit der 
Abit, den Hochſtandel zu befteigen. 
Nun war aber der Hocdftandel ein 
Hattliher Berg und die Dame der 
Herrſchaft eine ftattlihe Frau, ein 
Gleich und Gleich, das ſich nicht gerne 
gejellt. Ein alter, magerer Herr und 
die zwei munteren Qöchterlein waren 
mutbig, die ftattliche Frau jedoch lieh 
Umfrage halten nah einem Wagen, 
um auf den Hochſtandel zu fahren. 
Mägen leide der Berg nicht, wurde 
ihr gefagt, Maulthiere, Ejel, oder der— 
gleichen zum Reiten ſeien auch nicht 
vorhanden, hingegen lebe im Orte ein 
Schneider, welcher die Stelle genannter 
Vierfüßler recht gern übernehme und 
die Fran auf den Schönen Berg tragen 
molle. — Ein Schneider! Die vierfältige 
Herrſchaft rümpfte die Nafe, lieh aber 
doch den Mann holen. Diejer erichien 
mit feinem riefigen Kohlenkorbe, defien 
Boden er mit Reifig bededt hatte, jo 
daſs ein gar einladendes Neſt ward. 
Als ihm dargethan ward, um was e3 
fih Handle, nahm er zuerft den großen 
Pad mit Ejswaren, legte ihn hinein, 
dann nahm er ohne Umftände die 
Dame und Hob fie in den Korb; 


nahm Hierauf eines der Fräulein und 
hob fie in den Korb, nahm hernach 
das andere Fräulein und bob fie in 
den Korb. „So“, murmelte er, „jebt 
thut ſich's, jetzt brauch’ ich nur noch 
etwas zum Feſtkeilen.“ Nahm auch den 
alten Herrn her und ſteckte ihn zu ſeiner 
werten Familie in den Korb. Danı 
padte er fi die ganze Bergpartie 
auf den Rüden und ftieg langjam aır. 

Die beiden Stadtfränlein gehörten 
zur Gattung der Badfische, fie fürch— 
teten ſich daher gleih anfangs vor 
dem Riefen und Hatten Angft davor, 
daſs er ſie unterwegs ermorden würde, 
Das Ungethüm zeigte fich jedoch über: 
rafhend Harmlos, es gieng mit dein 
Rückkorbe fachte den fonnigen Hang 
binan und pflüdte Erobeeren. Ohne 
mündliche Artigfeiten warf er zwei 
Erdbeerfträußchen Hinter fih in den 
Korb. Die Fräulein verftanden das 
fo, als ſollte es für fie eine Kleine 
Aufmerkſamkeit fein, fie nafchten daher 
die Beeren von dem Strauß und über- 
legten jedes für ſich, ob man fi in 
diejen gewaltigen und doch fo netten 
Manı nicht verlieben könne? Mittlers 
weile twinmerte die Frau Mama in 
ihrer Einpfropfung und der Herr Papa 
hielt eine Borlefung über die Natur— 
kraft. 

Nah drei Stunden waren fie dort, 
wo e3 nach allen Seiten abwärts geht, 
und wo man ftehen muſs, wenn man 
nachträglih will jagen können, wir 
ftanden zweitaujend Meter hoch über 
dem Meere. — Karl Oberbergbreit: 
ebner gieng immer vorwärts, als ob 
er ohne Säumen in die freien Lüfte 
weiter Steigen oder auf der anderen 
Bergjeite wieder hinabgehen wollte. 
Die Bergpartie im Korbe muſste ihm 
ein vierfach donnerndes Halt! zurufen, 
bis er ftehen blieb. Alſo ftellte er den 
Korb auf das Geftein, die Inſaſſen 
ftiegen mit vieler Umftändlichleit aus 
und trieben fich die Beine. Während 
Karl zurüdblieb beim Korb, juchte die 
Derrichaft den Schönften Ausſichtspunkt 
und das würdige Oberhaupt erklärte 


BR. 


die Fernſicht. Sie wäre furchtbar 
hübſch, erklärte Frau Mama, während 
die Fräulein auf Steinblöden ſaßen 
und in ihre Tagebücher frigelten, wie 
das reizend geweſen wäre auf dem 
Hochſtandel, ein junger ſchöner Mann 
habe fie alle zufammen hinaufgetragen, 
oben hätten fie dann die Ausſicht au— 
gejehen und einen guten, reichlichen 
Imbiſs eingenommen. 

Auch Fran Mama erinnerte fich 
daran, dafs es Zeit wäre zum Jmbifs, 
und fie riefen dem Karl, der Hinter 
einer Felswand gelegen war, dafs er 
mit dem Korbe herüberfommen  folle, 
Karl kam mit den Korbe herüber, 
aber e3 war nichts drinnen, als Reilig. 

„Wo ift der Pad mit den Spei- 
jen ?* fragte die Dame. 

Karl ſchaute fie mit einigem Be- 
fremden an und antwortete: „Der 
Pad? Der ift nicht mehr.“ 

„Um Gotteswillen, er war ja im 
Korbe !* 

„Ich habe ihn Herausgethan“, fagte 
Karl. 

„So hole ihn!” 

„Er ift halt nicht mehr.“ 

„Was ift mit ihm geſchehen?“ 

„Weiter nichts“, antwortete Karl, 
„aufgegeſſen habe ih ihn ſchon.“ 

„Ungeheuer!* Ein  vierfacder 


zurüdgelommen war und der Papa 
den Karl nach dem Trägerlohn fragte, 
bedeutete der Große, es fei nichts, es 
zahle ſich nicht aus. 

E3 waren fehr vornehme Leute 
aus der Stadt, und jo gering waren 
fie in ihrem Leben nicht geichäßt 
worden, als von diefem Schneider. — 

Wenn Karl ſechs Tage lang bei 
der Nadel gejeilen war, wujste er am 
Samstag nicht mehr, wohin mit jeiner 
Kraft. Da fiel es ihm ein, dafs es 
jeine ganz gute Erholung fein müſſe, 
‚wenn er am Sonntag Steine auf den 
hohen Standel tragen würde. Die 
Steine waren vom Berge ja herab— 
geloflert, weshalb follten fie micht 
wieder Hinaufgetragen werden? Als 
er jedoch mit feiner Ladung zu den 
Almen hinaufgekommen war, brach der 
Kohlenkorb, und die Steine follerten 
wieder thalwärts. Als fie in hoben 
Sätzen dahinfausten und bei ihrem 
Auffallen tief in den Boden ſchlugen, 
daſs Hier Sand emporjprang, dort 
Funken aufſtoben, erſcholl ein Heller 
Schrei. Karl blickte Hin und ſah eine 
Kleine Senmerin, die Gras ſchnitt. Das 
Dirnlein war jo niedlich und zart, 
dafs die Arbeit nur mit Mühe und 
Anftrengung von ftatten gieng. Nun 
geſchah es, daſs Karl zu ihm Hintrat, 











Schredensruf war's, gräjstich genug, aber nicht um die Kleine in den Sad 
dafs Karl der Große dor Grauen um- zu fteden, fondern um unter Stottern 
fallen konnte; aber er ſtand. Ganz und Mühen zu fragen, ob fie fein 


rubig und ſchlicht ftand er da und 
biidte fo treuherzig drein, als ob nichts 
gefchehen wäre, 

Die Fräulein fielen den Eltern 
um den Hals und riefen: „Water! 
Mutter! Wir müſſen Hunger: fterben 
auf diefem Berge!“ 

Nun war Karl fehler verzagt und 
meinte, er babe nicht gewufst, dajs 
das Eſſen fir die anderen wäre. Sie 
jollten aber nur rasch wieder in den 
Korb ſteigen, dajs er fie hinabbringen 
fönne, bevor ſie ganz verhungerten, 

Na, das war doch Hug! Und alfo 
it e& auch geichehen. Da die Herr: 
ſchaft glüdlih in das Dorfwirtshaus 


Schatz jein wolle? 

| Das Dirnlein antwortete natürlich, 
daſs er ihr für Einen zu viel fei, 
und dais fie Zwei nicht brauche. 

| Als fie hernach in die Sennhütte 
'gieng, ſchlich ihr der Große trotzdem 
nad. Aber als er zur Thür kam, da 
‚plagte es. Dieje war nicht allein viel 
zu miedrig, Jondern auch viel zu ſchmal; 
er wand ſich zwar Hinein, aber die 
Thürpfoſten ächzten. Drinnen jtand er 
mit tiefgebeugtem Haupte vor der 
Kleinen, denn aufrecht jtehend hätte 
fein Kopf duch die morfchen Boden 
breiter ein Loch gebohrt hinauf in den 
Dachraum, wo das Heu war. Alfo in 





333 


demüthiger Haltung fragte er fie noch 
einmal, und fie antwortete ihm ſpott— 
weile, ein Schneider fei ihr zu windig. 

Karl ſetzte ſich ruhig auf einen 
Schemel, da knickte diefer ein, mit 
zwei Füßen zugleih, und Starl der 
Große lag mit gefrümmten Beinen 
ungefüg auf der Erde. Die Sennerin 
war ein geicheites Dirnlein und dachte: 
Die ſchwerſten Baumſtämme können 
ihm nichts anhaben und ein arınfeliges 
Fußſchemlein bringt ihm zum Falle. 
So fteht e3 mit diefen Starten Män— 
nern. — Sie foppte ihn weiter, da 
meinte er lächelnd, er würde ihr noch 
einmal etwas Schlimmes anthun, 
wenn fie jo arg gegen ihn wäre. 

„Haſcherlein, was fannft denn du 
mir anthun ?* fragte die Kleine den 
Großen. 

„Ich?“ ſagte er, „dieweilen du ein— 
mal auf der Wieſe biſt, trag’ ich dir 
deine Hütten davon. Chriſtel, was thuft 
denn nachher, he?!” 

„sa“, rief fie, „nachher lauf’ ich 
dir mit einer Brennefjel nach, bis du 
die Hütten fallen lajst!“ 

Karl ſchwieg. Bor Brennelfeln 
hatte er immer Grauen empfunden 
und er befchlofs, das Dirnlein nicht 
mehr zu reizen. 

„Nein, ich thu' dir nichts“, ſagte 
er gutmüthig, „mich kränkt es recht, 
daſs du mich nicht magit, aber thun 
ihn' ich dir deswegen doch nichts.“ 

„Da bift du wohl brav“, ant- 
wortete fie, „und Hat auch der Elefant 
zur Mücke gejagt, die luſtig in den 
Lüften ſummt: «Müdlein, fürcht' dich 
mit, ich thu' dir michtE.» — Bill wohl 
brav, Karl!“ 

„Sie hat gejagt, ich bin brav. 
So mag fie mich ja.” — Mit diefem 
tröftlichen und wirklich logiſchen Ge— 
dankenanflug ſtieg er vom Berge herab. 

Als das Gerede umgieng, der 
Schneider Karl wolle heiraten, rief 
ſein Vater, das Meiſterlein: „Wie 
kann denn der heiraten! Kann ja fein 
Weib ernähren.“ 

„Wer eins ertragen kann, wird 


auch eins ernähren können“, antwortet: 
der Bfarrer, welchem Deiraten, Kinds— 
taufen und Todesfälle ſtets willkommen 
ſein durften. 

„Er kann nichts als tragen, ziehen 
und ſchieben“, geſtand der Baier, 

Dierauf ein Bauer: „Das it ja 
genug. Kann mein Ochſe auch mit 
mehr und baut mir doch den Ader an, 
Halt geleitet muſs er werden.” 

Wie? Der Karl Oberbergbreitebner 
will ſich beweiben? Da wollen wir 
den baumftarfen Kerl doch beſſer nutzen. 
Soldat werden! ſagt die Militärs 
behörde, Vaterland vertheidigen! ſagt 
fie. In das Feld marschieren! jagt Nie, 
Der Nede hebt an zu jagen. Im Felde 
thun fie ja Schießen und ftehen! Bit 
es nicht jo? Thun fie im Felde nicht 
ſchießen und ſtechen? Und wir find 
ja in einer biel größeren Gefahr, als 
|jeber andere, weil wir hoch und breit 
gewachfen ſehr leicht zu treffen find. — 
Und da ſage man noch einmal, daſs 
Karl nicht tieffinnig denken könne! 

Drei Wochen war er bei den Sol— 
daten, al3 endlich der Hauptmann laut 
ward: „Mit diefem Lümmel iſt ja 
nichts anzufangen! Er hat in feiner 
Montur Plab und beim Erercieren! 
Gott, beim Exercieren iſt er viel zu 
ftabil, Wo er fteht, da fteht er, und 
e3 bedarf vieler Kraft und Strategie, 
wm ihn in Bewegung zu ſetzen. Mar: 
ichiert er, fo marfchiert er und findet 
nicht leicht einen hinreiihenden Grund, 
um nach rechts oder links kehrt zu 
machen, oder gar ftehen zu bleiben. 
Wenn ſich der alte Derfules einmal 
‚penfionieren läjst, jo mag der Karl 
Oberbergbreitebner angeitellt werden 
‚zum Weltfugeltragen — bei den Sol— 
‚daten können wir ihn nicht brauchen.“ 
Nun kam Karl wieder Heim und 
klagte es feiner kleinen Sennerin: 
„Sie ſagen, ſie könnten mich nicht 
brauchen.” 

„Das will ich doch jehen!“ rief 
‚die Stleine, „Ipute dich zum Pfarrer 
und jag’, ich wollt’ dich heiraten in 
vierzehn Tagen. Marſch!“ 








334 


Die Leute fchüttelten den Kopf, 
und warum follten fie es nicht, es 
war ja der ihrige, und nicht der des 
Heinen Almdirndels, im welchem be— 
fondere Pläne mwebten. Wer pachtete 
denn das Straßenhäufel am Fuße des 
Sattelbergs? Die Heine Chriftel 
pachtete. Wer vertröftete den Eigen» 
thiimer mit dem Pachte auf das nächte 
Jahr, bis man ſich mit dem Vorſpann— 
fuhrwerk Geld verdient haben würde? 
Die Heine Chriftel vertröftete. Und 
wer hatte kein Pferd und feinen Ochien, 
al& er Vorſpann leiften follte über den 
Sattelberg? Die Heine Chriſtel hatte 
nicht. Wer aber fpannte der Kohlen— 
und der Roheiſenfuhr und den ſchweren 
Neilewagen den jungen Ehemann vor 
über den Sattelberg? Die Heine Chriftel 
ſpannte vor. Jawohl, die Heine Frau 
Oberbergbreitebner ſpannte den jungen 
Oberbergbreitebner vor und diefer zog 
im Bereine mit Pferden und Ochlen 
tapfer an; die Pferde und Ochſen 
waren höchſt verwundert, einen zwei— 
beinigen Genofjen an ihrem Geſpann 
zu jehen, und fie mujsten ſich ſehr 
zufamnmennehmen, um don ihm wicht 
bejhämt zu werben. 

Die Föhnung, welche Klein Ehriftel 
für ſolche Borfpann einzog, berechnete 
lie auf eine Pferdetraft, und fie be= 
gegnete damit feiner Oppofition. 

Hatte fie den Karl zuhaufe, jo 
hegte und pflegte fie ihn mit alleın 
Nothwendigen, damit er geſund und 
ftart bliebe. Er war ihr Capital, und 
Karl fühlte fich jehr gehoben, nun eine 
feiner Natur entjprechende Thätigkeit 
gefunden zu haben. Chriſtel mietete 
auch einen Ader, und da fonnte man 
jeben, wie fie Hinten amı- Pfluge drein- 
gieng, ihn führte und das Zuggeipann 
mit Di und Bott leitete. Das Zug— 
geſpann war ihr Karl. 

Alſo gieng es nun in Eintracht 
und gemeinmüßiger Wirkſamkeit voran. 
Da gefchah etwas Unerwartetes, Zwi— 
ihen dem Heimatsdorfe des Karl 
Therbergbreitebner, welches Lehbach 
hieß, umd dem Nachbarsorte Standels 


a nn re 


egg, war ein Streit ausgebrochen. 
Es lag nämlich zwifchen diefen Orten 
die feine Gemeinde Hüttel, deren 
Inſaſſen „lebendige Lehbacher und 
todte Staudelegger” waren. Mit ihren 
Kirhengängen, Hochzeiten, Taufen, 
Geſchäften u. ſ. w. kamen fie nämlich 
nach Lehbach herüber, ihre Leichen 
gehörten jedoh auf den Kirchhof 
des Heinen und nähergelegenen Stan» 
delegg. Als dur die Gemeindes 
Autonomie die Dörfer zum Gebrauche 
ihrer Bernunft kamen, fagten die 
Standelegger: Wenn die Hüttler 
lebendigerweife nach Lehbach neigen, 
jo brauchen wir fie auch todterweife 
nicht. Mit den Behörden ließ Jich 
nichts anfangen, dieje jagten, «3 habe 
zu bleiben, wie es bisher gewejen, 
und fo ſahen die beiden Ortjihafteır, 
fie müjsten die Angelegenheit unter fich 
enticheiden. Mit Schreien und Streiten 
gieng es nicht, das Hatten fie jchon 
erfahren; alfo ſchlug ein kluger Kopf 
vor, Lehbah und Standelegg jollten 
durch Krieg entjcheiden, wie Deutſch— 
land und Frankreich entjchieden Hätten, 
nämlich tapfer mit einander raufen, 
und der Stärkere fei der Sieger. 
Aber nicht etwa jo dumm, wie es die 
Reihe machten, wo ganze Völker an— 
eineinderpraflten und ſich gegenfeitig 
duch Mord und Brand jchredbar zu— 
grunde richteten, ſondern vielmehr jo, 
dafs jedes der beiden Dörfer einen 
Mann auf den Kampfplatz ſchicke. Die 
beiden hätten miteinander ohne Waffe, 
nur mit ihren natürlichen Gliedern 
und förperlichen Fähigkeiten zu ringen, 
und. der zuerft falle, deifen Gemeinde 
jei die beſiegte. 

Das wurde abgemadht. Alſo hielt 
die Dorfgemeinde Lehbach Umſchau 
nach ihrem ftärkjten Danne, und na— 
türlih fiel die Wahl auf Karl den 
Großen. 

„Ja, ja“, fagte diefer, „wenn ihr 
wollt, ih thus Schon. Will ſchon 
raufen.“ That aber weiter nichts des— 
gleichen, als ob die Wahl ihn freue 
oder aufrege, und ganz gleichmüthig 


— 


trottete er an dem beſtimmten Tage 
anf den Kampfplatz. Siegte Karl, jo 
gab es in der Zwifchengemeinde Hüttel 
wie biöher, lebendige Lehbacher und 
todte Standelegger. Siegte der von 
Standelegg gefandte Streiter, jo follte 
Hüttel fürderhin auch bei lebendigen 
Leibe, mit feinen Kirchgängen, Hoch— 
zeiten, Kindstaufen und Gejchäften den 
Standeleggern zu eigen fein. Der 
Standelegger Kämpfer war ein ganz 
gefüger, rühriger Zijchlergefelle, mit 
dem ein Karl Oberbergbreitebner yang= 
ball jpielt. Aber bevor die hellen Haufen 
der Zuſchauer und Zeugen fih nod 
recht verfammelt Hatten, lag der Karl 


ſchon im Sande, der Tijchlergefelle | 
ſaß feftgellammert auf feiner mächtigen | 


Bruft und zündete ſich eine Pfeife an. 

Der Karl blieb ganz ruhig liegen 
und horchte gelaffen dem Gejchrei der 
Menge, die ihn verlachte und den 
Gegner bejubelte. Erſt als Klein EHriftel 
fam, ward es anders mit ihm. Todten— 
blaſs im Gefichte, ganz leife flüfternd 
befahl fie, dafs er aufftehe. Alſo be= 
gann er mit Händen und Füßen Ans 
ftalten zu treffen, dafs er ſich exrhebe, 
und Schon nach drei Dlinuten war es 
fo weit, dafs die Kleine den Großen 
vor Sich Hertreiben fonnte gegen das 
Stragenhäufel. Die lebendigen Hüt— 
teler waren für Lehbach veripielt, alle 
Schmach entlud ſich über das arme 
Straienhäufel und es jchien fein 
Mittel mehr zu geben, die Ehre des 
Großen wieder herzuftellen. 

Da kam ein ſchwerer Winter. Der 
Schnee lag mannshoch in der Gegend 
undalle Wege waren geichloffen. Seitdem 
die luftigen Hütteler nicht mehr nad 
Lehbach famen, gieng e3 bier vecht 


Standelegg gehen könnten; fie waren 
eingemanert in ihrem Dorfe Hüttel, 
Es nahten die Faſchingstage. Zu dieſer 
Zeit fagte eines Tages Klein Chriſtel 
zu ihrem Großen: „Sarl, mach dic) 
‚auf und geh hinüber nah Hüttel. 
Geh Heute hinüber und morgen wieder 
zurück.“ 

Karl fragte nicht warum; er ver— 
zehrte eine weite Schüſſel Heidenbrei, 
dann gieng er nad) Hüttel. Der Schnee 
reichte ihn bis an die Bruft, der Karl 
ſchob ſich langjam voran und Hinter 
ihm war eine tiefe breite Furche. Am 
‚nächften Tage kam er wieder zurüd, 
und Hinter ihm her zog eine lange 
Reihe fafhingsluftiger Hütteler, Männ— 
lein und Weiblein, die bei dem frifch- 
getretenen Pfad nad Lehbach eilten, 
um im Wirtshaufe zu tanzen, zu eflen, 
zu trinken und beim Kaufmann Les 
bensmittel einzulaufen. 

Nun erſt merkten die Leute von 
Lehbach, was Karl der Große als 
Scneepflug bedeutete, und als ſolchen 
ımieteten fie ihn von Klein Chriftel, 
‚To oft im Winter die Pfade verfchneit 
‚waren zwijchen Lehbah und Hüttel. 
Alſo gewöhnten die Hütteler fich neuer— 
‚dings an Lehbach, jie waren wieder 
' „lebendige Lehbacher und todte Stan- 
‚delegger“. 

Klein EhHriftel konnte fich wieder 
‚freuen an ihrem Karl; ihr Anjehen 
und der Wohljtand ihres Haufes wuchs. 
Sie wäre in der Lage gewejen, eine 
junge Familie zu ernähren, allein dieje 
war nicht da und kam nicht, und es 
‚tft jammerjchade, daſs weder die Heine, 
fleißige und kluge Ehriftel, noch der 
große Karl fortgepflanzt werden. Die 
Zukunft könnte beide brauchen, und 








langweilig zu nnd man tröftete fich | zwar zufammen vermählt; mit Klug— 
nur mit dem Gedanken, daßs fie bei | heit allein, oder mit Kraft allein läjst 
dem großen Schnee auch nicht nad ſich doch nicht viel machen. 


336 





Das Wunderkind. 


Ein novelliftifches Sittenbild von Olga Wohlbrüc.*) 


2 
mir 


F ie Geſellſchaft beim Commerzien- 


“6, &..... befand ſich 
s geipannter Erwartung. 

Der Hausherr hatte feinen Gäften 
einen ganz befonderen Genujs in Aus» 
ficht geftellt: Der Heine Iad Pröhn 
jollte den nenen Bechftein’Tchen Flügel, 
der bare dreitaufend Mark gefoftet, 
einweihen. 


barſten aller Wunderkinder, das von 
Stadt zu Stadt zog und in allen 


Aufſehen erregte. 


hierherlommen. — Oh, ih bin über | 


zeugt, mein verehrter Herr Profeſſor, 


in 


mächtige Lorbeerkränze eintrugen. Als 
Mann von Melt, großer Bildung 


‚und jcharfem Berltande war er in 


allen Streifen der Refidenz gerne ge: 
jehen und genoſs bei einem ſorgen— 


loſen, behaglichen Leben alle Vortheile 


einer localen Berühmtheit. Nichts 
natürlicher daher, als dafs er ſich voll: 


‚fommen befriedigt fühlte umd feinen 

Wer kannte den Heinen Jad Pröhn 
mit! Seit Monaten Sprachen ſämmt- 
liche Zeitungen von diefem wunder: 


normalen Entwidelungsgang für den 
einzig richtigen hielt. Blendende Vir— 
ofen erichienen ihm unkünſtleriſch, 


‚und gegen Wunderkinder hatte er eine 
ausgeſprochene Abneigung. 
Goncerten wie Privatjoireen das größte | 


Diefe früheſten Notenjongleure, 


wie er fie nannte, betrachtete er als 

„Denken Sie fih, der Junge iſt 
faum fehs Jahre alt und fpielt und. 
improvijiert wie ein Heiner Hexenz | 
künſtler. Es war auch gar nicht leicht, | 
feiner habhaft zu werden, jpielt er 
doch eben beim Prinzen Ludwig, darum , 
fann er auch erft in fpäter Stunde 


auch Sie werden ihre Freude an dem 


Bengel Haben“, wendete fih der Com— 
merzienrath nun jpeziel an einen 


Mann in den beiten Jahren, deſſen 


kluge blaue Augen jeden durchdringend 
anblidten. 

Der Angeſprochene, 
Hünengeltalt, war ein gediegener 
Mufiter in angefehener jocialer Stel: 
lung. Er wirkte als Profeflor an der 
Hochſchule und gab alljährlich zwei 
Goncerte, die ihm von der localen 
Preſſe glänzende Kritiken, und von 
ſeinen vielen Schülern und Freunden 


eine krankhafte Erſcheinung unſeres 
überreizten Jahrhunderts. 

„Je beſſer einer ſpielt, deſto un— 
behaglicher wird mir zumuth“, ſagte 
der Profeſſor; „ich höre bei jeder 
glänzenden Paſſage förmlich jede Ohr— 
feige heraus, die der arme Knirps 
befommen, gleichwie ich im Circus bei 
jeden beklatſchten Kunſtſtück eines 
drejlierten Pudels unwillkürlich an die 


"Diebe denken muſs, die jeine Aus— 
ı bildung gefördert.“ 


Der Profeſſor hatte mit wahrem 
Ingrimm geſprochen, denn er war im 


Gegenſatz zu den übrigen Gäften nicht 


eine wahre: 


jeher entzüdt von der Ausjicht, den 
berühinten Heinen Jad zu hören. 
Eine Dame rief fcherzend: 
„Sie find doch nicht etwa eifer- 
füchtig auf unfer Wunderkind?“ 
Der Profeſſor blidte betroffen auf 
die Schöne Sprecherin. 
Der Commerzienrath drohte ihm 


*) „Aus drei Ländern.” Novelliftiiche Sittenbilder von Olga Wohlbrück. (Stutt: 


gart. ©. 3. Göſchen'ſche Verlagshandlung. 1890.) Acht ganz vorzügliche Erzählungen 
aus Franfreih, Rußland und Peutihland füllen das genannte Bud, welches als eine 


anregende und ergötzliche Lectüre auf das befte empfohlen werden fann. 


Die Red. 


F j 337 


mit dem Finger, die ganze Gejellicyaft 
lachte auf, und einige warfen Die 
Namen David und Rieje Goliath hin. 


Der Profeſſor jprang vom Stuhl 
auf und rief mit komischen Pathos: 


„Uber ich bitte Sie zu bemerken, 
meine Damen, das ich nicht gleich als 
Rieſe Goliath auf die Welt gefommen ! 
Sa, jo unglaublih es auch flingt, ich 
war gemwijs ein ebenfolch’ Heiner nied— 
licher Junge, wie Jack Pröhn!“ 

Die Damen läcelten ungläubig, 
und eine jagte vorwurfsvoll: 

„Aber Sie waren fein Wunder: 
tind!” 


„Nein, gottlob! Damals ſagte id: 
leider!” antwortete der Profeſſor und 
fuhr dann nah einer fleinen Paufe, 
während der er nachdenklich vor fich 
bingeblidt, fort: 

„Sie mögen recht haben! Vielleicht 
liegt meiner jeigen Antipathie gegen 
Wunderkinder ein Gefühl des Neides 
zugrunde, das ih als Kind — ich 
erinnere mich deutlich — thatſächlich 
in hohem Grade empfunden. Ich ſtu— 
dierte mit einem ſolchen Wunderknaben 
zufammen bei demfelben Profefjor. Ach, 
was habe ich bei unjerem gemeinfamen 
Emporitreben für Zurüdjegungen und 
Kränfungen erlitten. Wie Hafste ich 
darım den Heinen Steffi — wir alle 
tannten ihn mur unter dem Namen — 
der mit jeinen glänzenden jchwarzen 
Augen jo ſtolz auf mich berabblidte. 
Mas Half mir meine Innerlichleit, 
was half es, dafs der Brofejjor meinen 
klaſſiſcheren Stil, meine gediegenere 
Auffaffung rühmte der kleine, 
ihwarze Teufel machte doch alle durch 
jeine äußerlide Bravour, fein pri— 
delndes, tolles Spiel verrüdt. Man 
riſs fih um ihn in allen Gejellichaften, 
die Damen nahmen ihn auf den Schoß, 
füjsten ihm und fütterten ihm mit 
Confect. Mir klopfte man höchſtens 
im intimen Kreiſe auf die Schulter 
und warf mir ein kühles: Sehr brav! 
zu. Dann, als wir zwölf Jahre alt 
waren, wurde mein Heiner Kamerad 


Roleoger’s „„Grimgarten‘‘, 5. Kell, XV, 


— — — — — 
———— — —— — — — — — — — — — — — — 


von einem Impreſario engagiert, 
machte die größten Reifen und wurde 
überall wie ein Fürft empfangen. Ich 
ſaß währenddeſſen unbekannt und un: 
beachtet auf der Hochſchule und ſtu— 
dierte. Als ich Steffi nach drei Jahren 
wiederſah, begrüßte er mich mit der 
Huld eines Monarchen. Er hielt ſich 
einen Kammerdiener, bekam Blumen 
und Brillanten wie eine Primadonna 
und kokettierte mit dem Publicum wie 
eine launiſche Theaterprinzeſſin. Ich 
ſtudierte immer noch mit Vorliebe die 
alten Claſſiker auf meinem alten Pia— 
nino und erhielt mich durch Stunden= 
geben. Er ſprach fortwährend nur von 
feinen beijpiellofen Triumphen in den 
verschiedensten Weltitädten, führte be= 
ftändig die Namen der Fürften und 
Monarchen im Munde, denen er vor— 
geführt worden: ich kannte nur meinen 
Heimatsort und niemand als die paar 
Kunftmäcene, die fi in ihrem Salon 
ftundenlang von mir umſonſt vor— 
concertieren liegen, um mich zu „fürs 
dern’. 

„Als ich dann“, fuhr der Profeſſor 
fort, „meinen berühmten jungen Col— 
legen bat, mir einiges vorzufpielen, 
und er dies nad einigem Zaudern 
endlich that, da erjchraft ih und — 
ich geftehe es offen — freute mich 
auch zugleich über die Rüdjchritte, die 
er gemacht. Ich bildete mir ein, das 
Bublicum, an gute, ernfte Muſik ge: 
wöhnt, müfe ihn ablehnen, ihn fühlen 
laſſen, daſs er mit fünfzehn Jahren 
anderes, Beſſeres zu bieten habe, als 
mit zwölf... Ob, ich hätte ihn um— 
bringen mögen, als der Abend jeines 
eriten Goncertes heranfam und ber 
ganze Saal fich wie toll geberdete — als 
die Zuhörer in ungerechtfertigter Be— 
geifterung ih die Hände mund 
Hatichten und mit den Füßen jtampf: 
ten, — und als er, der Gefeierte, 
dann oben an dem jchändlich profa= 
nierten Inſtrumente fand und mit 
frecher Selbitgefälligfeit und ſieges— 
bewuſstem Lächeln jich verneigte und 
mit den Augen grüßte . . . Ich rannte 


22 


338 





wie von Sinnen auf die Strafe und | ih eine Stimme von der Portiere Her 


weinte bittere Thränen.“ 

Der Profeffor ſchwieg, eine Dame 
aber fragte nach kurzer Paufe: 

„Was ift aus Ihrem Freund ges 
worden ?“ 

Der Profeſſor 
Achſeln. 

„Ich weiß es nicht! Einige Jahre 
drang fein Name, wenn auch immer 
feltener, in die Offentlichkeit; die 
Kritifen wurden immer fürzer und 
unginftiger, die Goncertfäle immer 
leerer. Man fand, wie dies meift ber 
Fall, dafs der Mann nicht gehalten, 


zudte mit den 





vernehmen. 

Alle wendeten fih um. Niemand 
hatte bemerkt, dafs ein Heines, ſchwar— 
je3 und fehr dünnes Männchen dem 
Knaben auf dem Fuße gefolgt und an 
der Schwelle bejcheiden ftehen geblieben 
war. 

Der Eommerzienrath eilte auf den 
Mann zu. 

„ber ich bitte, Herr Pröhn, ſetzen 
Sie fih doch, verzeihen Sie meine 
Unaufmerkſamkeit . . .“ 

„Oh, das hat nichts zu jagen“, 
erwiderte Pröhn in leifem, fchüchter- 


was das Kind verfproden, und fü nem Ton und lieg ſich vorſichtig auf 


merte ſich ſchließlich gar nicht mehr 
um ihn, Deute ift er ganz verjchollen, 


vielleicht gar nicht mehr am Leben!“ | 


die äußerſte Kante des zunächft ftehenden 
Stuhles nieder. 
„Der Vater diejes Heinen Wun— 


Der Gommerzienrath, der bei der; ders!” ftellte der Commerzienrath vor, 
Erzählung des Profefjors unruhig nach! „der glüdliche, beneidenswerte Vater!” 


der Thür geblidt, ſprang jebt, als ein 
Diener ihm einige Worte zugeflüftert, 
auf und rief: 


Der Brofeflor rührte ſich nicht aus 


‚feiner Ede, aber feine Augen irrten 
erſtaunt von dem dürren, ſchüchternen 


„Er iſt da, meine Herrſchaften, er Männchen zu dem zierlichen, lebhaften 


iſt da!“ 


Knaben, der mit dem Ausrufe: „Oh, 


Dann eilte er hinaus und ließ die wie ſchön!“ an den Flügel herantrat. 


Damen und Herren in athemlofer Span- 
nung zurüd; fie alle hatten im jelben Au- 


genblid den Profeſſor, dem fie biö nun | 
mit Interefje zugebört, vergeifen, und! 


„Sa, der Ton ift pradtvoll!” 
jagte der Commerzienrath ftolz. 


„Rein, ich meinte die Verzierun— 


diefer felbft vergrub fich, um beſſer IE”, replicierte Jack aufrichtig, indem 


und ungeftörter beobachten zu fönnen, | 


in eine Sofaede. 


„Ach bitte, laſſen Sie mid nur, 


ein wenig ausruhen!“ bat ein feines, 


helles Stimmchen hinter der Portiöre. | 


Die Damen ftürzten hin, theilten Papa murmelte halb entſchuldigend: 


die ſchweren Vorhänge und zogen und 
zerrten den Heinen Wiunderfnaben, den 


er auf die goldenen Arabesten deutete, 
die ſich wirkſam von der ſchwarzen 
Bolitur des Flügels abhoben. 

Alle lachten. Die Damen riefen: 
„Oh wie entzüdend !* und nur der 


„Es ift ja doch nur ein Kind!“ 
Mittlerweile hatte man einige 


der Gommerzienrath triumphierend bei | ftarte Notenbände auf den Glavierftuhl 


der Hand hielt, vollends herein. 


jelbe vor, was Sie joeben bei Seiner 
Königlichen Hoheit gejpielt?” fragte 
der Hausherr. 

Der Knabe machte eine Grimaſſe. 


„Was, die langweiligen Saden 





| gelegt, und Jad ſchwang ſich auf den 
„Nicht wahr, Sie Spielen uns das 


erhöhten Sitz. 

„Was ſoll ich jpielen, Papa?" 
fragte er, indem er jeine ausgearbei— 
teten Heinen Finger mit einem Batift- 
tuch abwijchte. 

„Frage doch den Heren Commer— 


wollen Sie hören ?" fragte er ent | zienrath”, rieth der Papa. 


täufcht. 


„Ach, der veriteht nichts davon!“ 


„Sad, verfündige dich nicht“, lieh | erwiderte Jad freimüthig. 


Der Hausherr Hopfte ihm mit der 
Dand gutmüthig auf die Schulter. 

„Sie haben recht, Kleiner Mann, 
in dieſer Beziehung bin ich ein Igno— 
rant.“ 

„Papa, was heißt das: Igno— 
rant?* rief Jad feinem Bater zu. 

Diefer ftand auf und warf einen 
Hilfefuchenden Blid auf die Gejellfchaft. 

„Sad, du bift heute wieder ein— 
mal unausftehlih, was follen die 
Herrſchaften von dir denfen? Spiele 
als Einleitung die Bhantafie und Fuge 
in F-dur von Bad.” 


„Schon wieder eine Fuge!“ feufzte 





| „sa, aber nur, was ich mill.“ 


Der Papa nidte, und nun folgte 
ein tolles Durcheinander von eigenen 
Improvifationen, von Beethoven, Cho: 
pin und Mendelsfohn, dafs die Zur 
‚hörer wie in Elſtaſe eine Stunde lang 
athemlos lanſchten. 

Der Profeſſor, der ſich jetzt eben— 
falls dem Clavier genähert, bemerkte, 
wie des Kindes Wangen immer röther 
wurden, wie ſeine glänzenden ſchwarzen 
Augen jäh aufleuchteten und wie er 
ſiegesſtolz lächelte, wenn bei einer 
ſchwierigen Paſſage ein lautes Ah! 
der Bewunderung durch den Raum 


Jack und intonierte ein leiſes Präs ſchallte. 


ludium. 


„Ja, ja, ſo fangen ſie alle an!“ 


Der Profeſſor, der anfangs miſs- dachte er und ſah im Geiſte wieder 


muthig aus ſeiner Ecke herausgelugt, 


horchte überraſcht auf, als die erften | 


Klänge der Fuge an jein Ohr jchlugen. 


den Heinen Steffi vor ſich. 
Ihm that der wirklich augergewöhn- 
lich begabte Knabe plößlich leid, und 


Donnermetter, das ift ja wirklich gute |ein Heiliger Zorn erfajste ihn gegen 
Muſik! Und wie ernft der Feine Kerl den Vater, in dem er bloß einen ge— 
bei der Sache war, mie gewifienbaft wiſſenloſen Imprefario jah, der fein 
er jedem einzelnen Ton gerecht wurde! eigenes Kind zu egoiftifchen Zwecken 
Der Vater Hatte fi allmählich | ausbeutete. 
näher zum Flügel gefchlichen und — Er warf einen Blick der Verachtung 
befriedigt. Dann und wann überflog auf den Platz, wo eben noch das dürre 
ſein leuchtender Blick die glänzende | Männchen geſtanden, aber derſelbe fiel 
Verſammlung, und höher richtete er auf eine ſchöne Frau, die ihn, da er 
ſeinen Kopf auf, den er anfänglich nicht ihr galt, nicht zu deuten wuſste. 
ſchüchtern geſenkt. Die Augen des Profeſſors ſchweiften 
„Brad, das Haft du heute ——— in eine Niſche des Salons. 
gut gemacht.“ Dort ſaß der glückliche, ſtolze Vater! 
„Ja“, meinte der Knabe, „aber Aber er ſah in dieſem Moment weder 
es ſpielt fih auch gar zu ſchön auf ſtolz noch glüdlih aus; eine große 
dem Glavier. Wenn ich groß bin, dann | Belümmernis lag in feinen ſorgen— 
werde ih auch ein Commerzienrath vollen Zügen, und er ſchüttelte mehrere— 
und faufe mir ſolch' ein Inſtrument!“ ‚male ſein Haupt, als wollte ihm das 
„Alſo Sommerzienrath wollen Sie ‚Spiel feines Sohnes durchaus nicht 
werden, Heiner Mann?” rief der Haus | gefallen. 
herr geichmeichelt. | Der Profeſſor ſchritt auf den felt- 
„Sa“, bekräftigte Yad. „Papa ſamen Manı zu. 
will zwar, dafs ich ein Mozart werde“, | Diefer ſprang auf, als die recken— 
jeßte er nach einer Heinen Paufe jeufzend | hafte Geſtalt fih ihm mäherte, und 
hinzu. ſtotterte etwas von Übermüdung und 
Alle lachten, und der Bater rang zu viel Muſik. 
verzweifelt die Hände. | „Ihr Kleiner hat eine jeltene Aus: 
„Du follteft lieber noch etwas | dauer, ein fabelhaftes Gedächtnis und 
jpielen“, fagte er, um weiteren Rote |ein fiir fein Alter erftaunliches muſi— 
vetäten vorzubeugen. falifches Verſtändnis“, jagte der Pro— 


4* 
22 


340 


feffor, um ein Geſpräch einzuleiten, 
— „Schade um ihm!“ 

Herr Pröhn blidte ängſtlich auf. 

„Sind Sie Fachmann, mein Herr?“ 
fragte er unficher. 

„Sa, und als folder bedaure ich, 
daſs das geniale Kind dem ruhigen, 
ernften Studium und firenger, ſach— 
licher Kritik entzogen wird,“ 

Herr Pröhn nidte lebhaft. 

„Ach ja, Sie haßen ganz recht!” 

Der Profeſſor war auf Widerfprud 
gefafst gewefen, die Zuftimmung des 
Heinen Männchens befremdete ihn und 
flößte ihm Intereſſe ein. 

„Ich hoffe, es gelingt uns, fo viel 
zu verdienen und zu erfparen, dajs 
mein Kind das zu früh begonnene 
öffentliche Wirken unterbreden und 
einige Jahre forgenlos feiner gründ— 
fichen Ausbildung widmen kann. Ich 
meine nicht der einjeitigen muſikaliſchen, 
fondern jener allgemeinen, ohne die 
heutzutage fein großer Künſtler denk— 
bar. Sie glauben es nicht, mein Herr, 
wie ſchmerzlich mir der Gedanfe tft, 
dafs mein geniales Kind möglicher: 
weile auf halbem Wege ftehen bleiben 
fönnte, wo es doch, danf feinen Fähig— 
feiten, berufen ift, bei richtiger Leitung 
das Höchfte zu erreichen. Aber mir iſt 
nicht bange, gehen auch noch fo viele 
Munderlinder zu Grunde, ich hoffe, 
aus diefem wunderbaren Finde einft 
einen wunderbaren ganzen Künſtler 
zu machen!” 

Der Profeſſor fühlte fich plößlich 
jeltfjam bewegt. Der jehlihte, ernite 
Ton des Heinen Mannes hatte eiwas 
Nührendes; nur die müden, dunklen 
Augen blidten wie jiegesgewiß in die 
Zukunft — des Sohnes. 

Wo hatte er doch ſchon Früher 
diefe Augen gejehen ? 

Herr Pröhn legte feine Hand auf 
den Arm des Profellors: 

„Sehen Sie“, rief er und deutete 
auf die Gruppe von Herren und Da— 
men, die ſich immer dichter um den 
Heinen Virtuoſen drängten und ihn 
nad jedem Stüd umarmten, Tüjsten 


und Tieblosten — „jeben Sie, da3 
geht fo Abend für Abend. Ich habe 
dem Kleinen die Loden abjchneiden 
müffen, weil ihm die Damen fein 
ganzes Haar verjchnigelten. Heutzutage 
treiben fie es noch toller, als zu meiner 
Seit.“ 

Herr Pröhn warf einen unmilligen 
Blick auf die Geſellſchaft und feufzte 
tief auf. 

„Sind Sie ſelbſt Muſiker?“ Fragte 
der Profeſſor. 

Ein intenfives Roth überzog die 
hageren Wangen. 

„Ja“, ſagte Pröhn leiſe, als 
ſchämte er ſich der Antwort, „ja! Das 
heißt, jetzt ſpiele ich nicht mehr öffent» 
lich, aber als Kind Habe ich viel ge: 
jpielt, fehr viel... überall, an den 
Höfen, vor dem Kaiſer von Rußland, vor 
Napoleon dem Dritten; ja die Kaiſerin 
Eugenie hat mich fogar einmal auf 
die Stirne gelüſst.“ 

Der dürre Heine Mann ſchien bei 
den Erinnerungen an die Vergangen— 
heit förmlich zu wachlen, feine Geſtalt 
tete ſich, ſeine Augen bligten und 
ſchienen berabzufehen auf den großen, 
ftarfen Profeſſor, den plößlich die Ge— 
wiſsheit überkam, dafs er den einftigen 
Virtuoſen kenne, 

„Wo Haben Sie ftudiert?” fragte 
er haſtig. 

„Studiert? Mein Gott, ich Habe 
leider nicht lange ftudiert, bloß bis zu 
meinem zwölften Jahr, beim Bias 
niften X.“ 

Der Profeſſor prallte zurüd. 

„Dann jind Sie am Ende gar 
mein einftiger Mitjchüler, dann find 
Sie Steffi, das Wunderfind Steffi...” 

„Das war ich“, antwortete Pröhn 
leife und ſenkte den Kopf. 

Eine peinliche Stille trat ein. Der 
Salon war jet ganz leer. Die Ge» 
jellichaft, der Muſik überdrüjjig, Hatte 
jih in andere Räume zurüdgezogen, 
wo Erfrifchungen gereicht wurden und 
der Heine Jack mit taufend Kindereien 
alle Welt amüſierte. Kein Menſch 
dachte mehr an den Vater des gefeier- 





3 


41 


ten Stnaben, auch der beliebte Profefjor 
war für den Augenblid vergefjen ; und 
fo ftanden fich denn die Männer nad 
einen Bierteljahrhundert zum erftenmal 
wieder allein gegenüber. 

„Ich weiß nicht, ob Sie fich meiner 
noch erinnern“, hub der Profefjor nad 
einer Weile an. 

„Herr G...?“ 

„Ja, jetzt Profeſſor an der Hoch— 

chule.“ 

Wieder trat eine Pauſe ein. 

„Wer hätte geglaubt, daſs mir 
uns jo wiederjehen würden!“ rief 


Pröhn endlih; „Sie find jebt ein 
angejehener Mann, in großer Stellung 
und gefierter Exiſtenz; ich bin nichts 
mehr al3 ein verfommenes Genie und 
gelte nichts für mich ſelbſt. Nur der 
Umftand, dafs ich der Vater meines 
Sohnes, gibt meinem Dafein nod 
eine Sceinberedhtigung. Und dod, 
Herr Profeffor, geftehen Sie e3 offen — 
als Kind da haben Sie mich gewiſs 
ein wenig beneidet ?* fragte der Heine 
Mann mit der großen Vergangenheit, 
und man ſah es feiner Miene an, 
dafs er auf ein Ja Hoffte... 





Das verlorene Bdeal. 


Novelleite von 
4) 
u 
n jenem Theil der Neuftadt, wo 
2535 NO dor wenigen Jahren grüne 
e⸗ Wieſen und goldenes Korn den 


Albert Schnitter. 


| 


unten ftoben, und die lederbefhürzten 
braunen Gejellen mit fräftigen Schlä- 
gen da3 glühende Eifen hämmerten, 


jaftigen Boden bededten, ftanden jebt, | oder gar wenn Gertrud, das holde 
inmitten parfähnlicher, mit zierlichen | Töchterlein des Meifters, emfiglich im 
Eijengittern umfriedeter Gärten, ftolze! Hofe ſchaffend, ein fröhlich Liedlein 
Pillen mit ſchlanken Erferthürmchen |fang, dann mufste man unwillkürlich 


und biumengeijhmüdten Balkons und 
die wenigen, zum Theil nur mit 
Stroh gededten, ärmlihen Häuschen, 
welche jich noch als Wahrzeichen einer 
entſchwindenden Zeit an dieler Stelle 
erhalten Hatten, machten den Eindrud, 
als ob fie fih gar nicht mehr behag» 
lih fühlen Tönnten im dieſer unge— 
wohnten, prächtigen Umgebung und 
trauerboll der nahen Stunde harrten, 
in der auch fie dem veränderten Zeit— 
geifte zum Opfer fallen würden, 
Und dennoch, wenn man an der 


alten Schmiede de3 Meifters Konrad 


borübergieng, wo der mächtige Blaje- 
balg mit vollen Baden unabläjlig in 
die rothen Gluthen blies, daſs hell die 


‚die Schritte mäßigen, und Manchem, 
‚der um folche Zeit den Blid verglei= 
hend in dieſes einfache Stillleben 
warf, mochten dabei allerlei Gedanken 
dur den Kopf gefahren fein. 

Eben tritt das liebliche Mädchen 
in einfacher, aber forgfältig gewählter 
Kleidung, ein braunes Strohtörbchen 
am Arm, durch das offene Hofthor 
auf die Straße, um in gewohnter 
Weiſe die nöthigen Einkäufe für den 
Mittagstiih zu beforgen. Der Weg 
‚zum Marktplaße führte fie Durch einige 
der belebtejten Straßen der Stadt, 
und mandes Auge heftete fich mit 
bewunderndem oder wohl auch neidi= 
Ihem Blid auf die züchtig dahin 





342 


ſchreitende ebenmäßige Geſtalt. Gertrud 
aber ſchien von all dem keine Notiz 
zu nehmen und ſetzte ihren Weg, den 
Blick gerade nach vorwärts gerichtet, 
unaufhaltſam fort. Nur einmal, als 
eine jugendliche Männergeftalt, welche 
ihr eben den Weg durchquerte, einen 
langen, unbejchreiblich tiefen Blid aus 
jeelenvollem Aug’ auf fie warf, da 
lächelte ihr blaues Auglein ſchier un— 
bemerkbar für Jedermann, und das 
zarte Roth ihrer friſchen Wangen 
ward um einen Schatten röther, Und 
der Einzige, der dies wahrnahm, fühlte 
im Herzen unendliche Seligfeit. 

Schnellen Schrittes eilte fie ihrem 
nächſten Ziel, der Kirche des Ordens 
der Franziskaner entgegen, und als 
fie es erreicht hatte, trat fie durch eine 
Heine Seitenpforte in den geheiligten 
Raum und ftellte fih in eine dunkle 
Ede, ein kurzes Gebet zu- verrichten; 
fie war es jo gewohnt von Jugend 
auf. Allein ihre Gedanken waren heute 
nicht bei dem Bilde des Gefreuzigten 
und feiner jungfräulihen Mutter, 
Und als fie fich deshalb zu gehen 
wandte, erblidte fie tief im Hinter: 
grunde des ftillen Raumes jene Gejtalt, 
welche ihr eben früher in den Weg 
getreten war. Diejelbe faltete in dieſem 
Augenblid wie bittend die Hände und 
hob den Blid empor wie zu einer 
Heiligen. Und das mufste doch ganz 
natürlih und begreiflih erjcheinen, 
denn man befand fich ja im Gottes: 
haus. Dennoch lächelte Gertrud wieder 
faum merklich und meigte leicht das 
holde Köpfchen gegen den Boden und 
die Geftalt im Hintergrunde empfand 
ein Gefühl, fo wonnig und beglüdend, 
als ob ihr heikeftes Gebet erhört 
würde. 

Als das Mädchen zu Haufe ange- 
langt war und ihr volles Körbchen 
der Küche abgeliefert hatte, warf fie 
einen prüfenden Blid in den Wand: 
Ipiegel. Das Ergebnis desselben mochte 
wohl ein befriedigendes gewejen Sein, 
denn als fie fih von ihm wegwandte, 
entitrömte ihren Lippen ein fröhlich 


a ae ar er ir 





Liedlein, Fröhliher und Iuftiger wohl 
al3 gewöhnlich, jo dafs in der Schmiede 
ein junger Gefelle unwillkürlich von 
der Arbeit mwegblidte und neugierig 
nad) der Richtung lugte, woher der 
fühe Klang erfcholl, wobei es ſich er- 
eignete, daſs er fich mit dem jchweren 
Hammer fo unglüdlich auf die linfe 
Hand ſchlug, dafs er fih eine böje 
Verlegung zuzog. Freilich war diejelbe 
bald behoben, allein den Schmerz 
musste er lange, lange mit fich herum 
tragen, 

Derjenige aber, der die unfchuldige 
Veranlaffung zu des Gefellen Mijs- 
geihid war, unterließ es heute, feinem 
Zögling, einem jungen Bürjchlein, 
das erjt feit kurzer Zeit das Gymna— 
fium befuchte, den gewohnten, vormit— 
tägigen Wiederholungsunterricht zu 
ertheilen, denn er fühlte, daſs er nicht 
im Stande war, ſich mit der Erklärung 
trodener Regeln aus der lateinischen 
Sprade nubbringend zu befallen. 
Gottfried lenkte deshalb die Schritte 
heimwärts. Allein es litt ihn nicht 
lang in der engen, bürftigen Stube. 
Er mufste wieder hinaus in den 
goldenen Sonnenschein, hinaus im die 
freie würzige Dimmelsluft, denn in 
jeinem Herzen thronten die bejeligen- 
den Wonnen der erften heiligen In— 
gendliebe, 

Planlos wandelte der glüdliche 
Träumer durch die Straßen der Stadt 
und immer wiederholte er ſich die 
Worte: „Sie hat gelädelt, fie bat 
mir genickt!“ als wollte er fie ein— 
prägen tief ins pocdende Herz als 
ſicheren Talisman gegen jegliches Un— 
gemach. Und wie mit magiſcher Ge— 
walt zog es ihn hinaus in die Neu— 
ſtadt zur beſcheidenen Schmiede, an 
der er ſchon jo oft vorbeigegangen 
war mit jpähendem Blid und ſehnen— 
dem Herzen. Doch fein Bemühen, 
das ſüße, blonde Köpfchen hinter den 
rothen Neltentöpfen am ebenerdigen 
Fenſter zu erfehen, blieb ohne Erfolg 
— es mollte jich nicht zeigen. Und 
als er fih nach langem, vergeblihen 


— — — — — ⸗ — 





er 


> 


Darren endlich erinnerte, dafs es längft 
an der Zeit fei, den Mittagstisch auf: 
zufuchen, und einen lebten Blid nad 
der Schmiede wandte, funfelte ihn unter 
dem Thore derjelben ein Augenpaar 
jo wild und drohend entgegen, daſs 
er unwillkürlich den derben Spazier« 
ftod in der Rechten fefter in die Hand 
nahm. Und, obwohl ihm jede Furcht 
fremd war, fo fühlte er fich doch etwas 
beengt, al3 ob dieje mweiterleuchtenden 
Augen ein verheerendes Gemitter an— 
kündigten. 

Nachdem er einſilbig ſein beſchei— 
denes Mahl eingenommen Hatte und 
fich wieder unter Gottes blauem Him— 
mel befand, begann er ernftlich, jeine 
Lage zu erwägen, denn nur gefunden 
war der Schaß, aber noch nicht ge= 
Hoben. Anfängli dachte er, der Ge— 
liebten zu fchreiben, ihr feine ſehnenden 
Gefühle zu offenbaren und fie zu 
bitten, ihm einen. Weg zu weilen, 
auf welchem er ihre Bekanntſchaft vor 
der Melt machen könnte, denn ihre 
Neigung — dachte er — beſitze er 
ja: „Sie bat ja gelächelt, fie hat ja 
genidt!* Bald aber verwarf er diejen 
lan, jchmiedete manchen neuen, um 
ihn bald wieder zu veriwerfen und 
beſchloſs endlich, eine günftige Gelegen— 
heit abzuwarten, um jich ihr zu nähern. 
Und fiehe! da qudte fie zwiſchen den 
rothen Nelken heraus aus dem eben— 
erdigen Fenſter und lächelte mit den 
Angen, Und er lüftete pochenden 
Herzens den Hut, und fie nidte jo 
freundlih, daſs er an ſich halten 
mufste, um nicht zu ihre hinzuftürzen 
und ihr zu Jagen, dafs — — 

Da ſah er in der Schmiede wieder 
jenes drohende, funkelnde Augenpaar 
wild auf fich gerichtet und jah, wie 


Schritte nah der innern Stadt, im 
ſchwellenden Herzen das ſüße Jugend- 
märchen vom Glüd. Und feine jeligen 
Gedanken beſchäftigten ihn jo ange: 
legentlich, daſs er feinen Gruß feiner 
zahlreihen Belannten von der Uni— 
verjität erwiderte und mancher ihm 
fopffhüttelnd und mit verwunderter 
Miene nadblidte. 

Zu Haufe angelangt, jtopfte er 
jeine lange Pfeife mit ſchlechtem Knaſter 
und erfüllte bald die Stube nicht nur 
mit mächtigen Rauchwolfen, jondern 
auch mit den hellen Geftalten jeiner 
jugendliden Phantafie: Da jah er 
die Schöne Heine Gertrud als fein 
holdes treues Weibchen neben ſich am 
Sofa figend und lächelnd auf ſchneeige 
Gardinen weifen und mit dem Finger 
drohen, fie werde ihm den nächſten 
Kuſs verweigern, wenn er das böje 
Pfeifenrauchen im Zimmer nicht aufs 
gäbe, Und dann legte er das Schmauch— 
rohr beifeite und blidte ſinnend ins 
Leere. Und er ſah einen Kleinen 
blonden Lockenkopf, einen bausbadigen 
Jungen, der ſich bemühte, auf jein 
Knie zu MHettern. Der Träumende 
bewegte die Hände, al$ ob er dem 
Kleinen dabei behilflich fein wollte. 
Dann fieng er an, den Fuß Ichaufelnd 
zu bewegen. Und an fein Ohr Hang 
ein ſilberhelles Kinderlachen. 

Da kam die alte Aufwärterin zur 
Thüre herein und brachte ihm fein 
Abendbrot. Es war nicht reichlich. 
Und dennoch! wie gerne hätte er es 
mit ihr getheilt! Die Mleine war wohl 
nicht verwöhnt? Und auch Sartoffeln 
fönnen lieblich munden, wenn Liebe 
fie credenzt, obwohl man ihnen heutigen 
Tages Aujtern mit Champagner ges 
meiniglich vorzieht, ſelbſt wenn der 


ſich zwei Fäuſte grimmig ballten. Und kleine Gott mit den Pfeilen weit, weit 


wieder nahm er ſeinen Stock feſter in 
die Hand und wujste ſich's nicht zu 
deuten. 

Als Gertrud, nicht ohne wieder 
verheißungspoll mit dem Kopfe zu 
niden, ihren Pla am Fenſter ver— 
laffen hatte, lenkte Gottfried feine 


entfernt ift oder der Beichaffungspreis 
derſelben mit den paar Grojchen, die 
man verdient micht in Einklang mit 
ſolchen Genüſſen zu bringen iſt. 
Armer Gottfried! und du miſſeſt ſogar 
die Butter zu deinen Kartoffeln, um 


von deinem fnappen Einkommen einige 


344 


Kreuzer beifeite legen zu können und 
weißt nicht wofür? 

„O, ſeit heute weiß ich, wofür! 
Bald werde ich meiner Gertrud ein 
glattes Ringlein kaufen fönnen, ein 
goldenes Neifchen ohne Ende wie die 
Liebe. Und dazu bedarf ich des Geldes, 
und deshalb mufs ich ſparen!“ 

„Deiner Gertrud?“ raunte ihm 
wieder ein böfer Kobold ins Ohr, 
„nimm dich inacht, blöder Träumer, 
du lebſt in einer gar luftigen Zeit!“ 

„Rein, nein!“ wehrte diefer, „hier 
hat es feine Gefahr! Sie ift ein gutes, 
braves Mädchen — nicht fo wie die 
anderen jein mögen — und wird mic 
treulich, wahr und innig lieben. Solche 
Augen trügen nicht!“ 

Mit ſolchen Gedanfen gieng er 
zu Bette. Und der fanfte Bruder des 
Todes küſste freundlich feine Stirne, 

Nächften Morgens früh machte er 
ih in gewohnter Weife auf den Weg 
nad der Univerfität, um einer Vor— 
fefung beizumohnen. Als der Profellor 
jein philofophifhes Thema beendet 
hatte, ſuchte Gottfried die Straße 
auf, wo er der Geliebten zu begegnen 
hoffte. Er täufchte fih nit: Das 
Strohlörbhen am Arm, ſchritt fie 
lieblih und züchtig wie immer den 
Marktplatz entgegen. Das Herz pochte 
ihm bei ihrem Anblid beinahe hörbar. 
Ginen Augenblid überlegte er. Dann 
trat er, wie durch eine höhere Ein 
gebung geleitet, mit dem Hut in der 
Hand auf fie zu: „Mein wertes 
Fräulein, verzeihen Sie, daſs ich Ihnen 
auf offener Straße in den Weg trete, 
allein ich muſs Sie ſprechen.“ 

„Ih darf Sie hier nicht anhören“, 
errwiderte Gertrud mit faum hörbarer 
Stimme, aber nicht unfreundlich und 
ihr Schönes Auge lächelte dabei wie 
Morgenfonnenfchein, „Bedenken Sie, 
wenn uns jemand fähe!“ Und dabei 
blidte fie fich jcheu um, „Ich bin ein 
armes Mädchen und Habe nichts als 
meinen Ruf,“ 

„Ihr Ruf, theueres Mädchen, ift 
mir heilig, ebenfo heilig wie Ihnen! 


Sagen Sie mir deshalb, ich bitte, 
ich flehe Sie darum an, wie ih Sie 
fennen lernen kann, ohne daſs — —“* 

„Seht nicht! Ich werde Ihnen 
Mittheilung machen, fobald ſich hiezu 
eine pafjende Gelegenheit ergibt. Bis 
dahin auf Wiederjehen !” 

„Auf Wiederfehen!" Der Jüng— 
ling folgte, den Hut noch immer in 
der Hand, mit trunfenem Blide der 
enteilenden Geftalt, welche ji bald 
im Gewühle der gejchäftigen Menge 
verlor, um dann wieder bei einem 
Sumelenladen aufzutauchen, bei welchen 
fie eine Weile in Betrachtung der 
blendenden Schäße flehen blieb. „Auf 
Wiederſehen!“ Er hätte aufjauchzen 
mögen in namenlofer Seligfeit und 
der ganzen Welt fein Glück zurufen : 
„Auf Wiederſehen!“ 

Da mwedte ihn aus diejen ſüßen 
Traumgedanfen das Geräufch eines 
eleganten Wagens, aus der Richtung 
fommend, im welcher ſich Gertrud eben 
entfernt hatte. Zwei prächtige Schim- 
mel zogen das ſchöne Gefährte. Das 
Wappenfchild auf dem Schlage desselben 
war ftadtbefannt, denn es gehörte 
dem jungen, leichtlebigen Fürſten von 
Schwarzenegg zu. Diefer, feinen un- 
zertrennlichen Begleiter, einen eng— 
liſchen Boxer von reinfter Race, an 
der Seite, hatte fi mit dem Ober: 
förper weit aus dem Fond des offenen 
Landauers herausgebeugt und blidte 
mit eigenthümlihem Geſichtsausdruck 
nad) rückwärts. Er mujste im Vorüber- 
fahren wohl etwas gelehen haben, was 
feine Aufmerkfamfeit in hohem Grade 
erregte. 

Gottfried warf ihm einen Blid 
zu, der eben nicht gar freundlich oder 
gar ehrerbietig war, und gieng mit 
gemischten Gefühlen feiner gewohnten 
Beihäftigung entgegen. 

Unterdeffen war Gertrud in den 
Hof des väterlihen Hauſes getreten. 
Luftig Sprühten in der Werkftätte die 
hellen Funken wie Milliarden Leucht— 
fäfer durch den halbdunklen Raum. 
Und der Blafebalg blies mit vollen 


Baden in das fladernde Feuer umd 
die braunen Gefellen hämmerten emfig 
da3 rothe Eifen. Einen flüchtigen, 
beinahe übermüthigen Blid in die 
Schmiede werfend, erhob das Mädchen 
heil die Stimme und fang: 

„Rußige Hände und rußig Geſicht 


Taugen für einen Liebhaber nicht; 
Schwärzen beim Küſſen das Kleid und den 


Mund, 
Machen den Leuten das Stefldihein fund.” 


Dann hüpfte fie elaftifchen Schrittes 
in das Haus. 

Der Gejelle mit der verbundenen 
Linten hatte beim Ton ihrer Stimme 
den Hammer ruhen gelaffen und 
laujchte. Als er die höhnenden Worte 
des Kindes vernahm, krampfte ſich 
ſein Herz in übergroßem Leid zu— 
ſammen. Und in demſelben Augen— 
blick war aus einem braven Burſchen 
ein ſchlechter Taugenichts geworden. 

Dreimal Hatte die Sonne ihre 
Bahn durdlaufen, ohne dafs jih in 
Gottfrieds Herzensbeziehungen zu Ger— 
trııd etwas geändert hätte. Wenn fie 
vormittagg nah dem Marliplaße 
gieng, jo durchfreuzte er zwar jedes— 
mal ihren Weg und lüftete den Hut 
und ſchickte einen liebeswarınen Blid 
in ihr duftiges Gefichtchen, welches fie 
dann freundlich lächelnd neigte, allein 
fie nochmals anzujprechen, glaubte er 
nicht wagen zu dürfen. Heute aber 
vermochte er feiner Sehnſucht nicht 
länger zu gebieten und nahm fich vor, 
nochmals eine Annäherung herbeizu— 
führen. Doch feine Hoffunng ward 
getäufcht, fein Fuchendes Auge konnte 
fie nicht entdeden. 

Traurig und mifjsgeftimmt gieng 
er nad längerem, erfolglofen Darren 
zu jeinem Zögling und überfegte mit 
ihm lateinifche Übungssäge ins Deutfche. 
Und als er nad) beicheidener Mittags» 
tafel theilnahmslos noch einigen Vor— 
trägen an der Univerſität beigewohnt 
hatte, machte er fih auf den Weg, 
um Gertrud vielleicht an ihrem Fenſter 
zu erfehen. 


345 


Noch Hatte er die Schmiede nicht 
erreicht, als er den Gegenftand feiner 
innerften Gedanken erblidte: das Mäd— 
hen bog eben mit eilenden Schritten 
in eine Seitengaffe. Die feinigen be= 
flügelnd, war er bald an ihrer Seite. 
„Berzeihung“, redete er fie an, „dafs 
ih den Muth finde, Sie wieder an— 
zufprechen, allein Ihr heutiges Fern— 
bleiben von gewohnter Stelle hat mich 
beunruhigt. Waren Sie unmwohl ?* 


„auch nein,“ antwortete fie mit 
unverkennbar verlegenem Geſichtsaus— 
druck, „aber ich hatte anderwärts zu 
thun.“ Dabei übergoſſen ſich ihre 
Wangen wie mit Purpur. Und mit 
erzwungenem, ſchelmiſchem Lächeln 
ſetzte ſie hinzu: „Haben Sie mich 
denn vermiſst?“ 

„Wie können Sie fragen, Gertrud? 
Sagt es Ihnen nicht jeder meiner 
Blicke, daſs Sie das Licht meines 
Lebens, der Traum meiner Nächte, 
das Glück meiner Zukunft ſind? 
O Gertrud, wenden Sie nicht den 
Blick von mir, ſagen Sie mir, was 
ich hoffen darf!“ 

Gertrud, welche ihn nuruhig und 
verlegen, nur mit halbem Ohr zuge— 
hört hatte, wandte den Blick ſchen 
nach rückwärts. „Sie fragen zu viel 
nach ſo flüchtiger Bekanntſchaft“, ant— 
wortete ſie ausweichend. „Doch ich 
darf Sie nicht länger anhören, ich 
könnte — —“ 


O ſchicken Sie mich nicht wieder 
fort, ohne — —“ 

Gertrud unterbrach ihn beinahe 
haſtig: „Ih will Ihnen erlauben, 
mir zu chreiben. Wählen Sie meinen 
Taufnamen al3 Ehiffre und laſſen Sie 
den Brief poftlagern. Und nun Adieu!* 
Und in ebenjolher Eile, wie fie diefe 
Worte geſprochen hatte, verließ fie den 
erftaunt Zurüdbleibenden. „Chiffre — 
poftlagern*, ınurmelte er umlehrend. 
„Das find ja ganz erftaunliche Kennt- 
niffe, die ih von ihre faum voraus— 
gejett Hätte!” Aber ſchließlich beruhigte 


jer fih, „weiß davon heutzutage jedes 


— 


Kind. Man mufs nicht immer gleich 
das Schlimmfte — —“ 

Da fausten ihm die prächtigen 
Schimmel der wohlbelannten fürjtlichen 
Karofje entgegen. Im erften Augen 
blid ſchenkte er ihr feine Beachtung. 
Danı aber erinnerte er fih, wie nad) 
feiner erften Unterredung mit Gertrud 
der Fürſt fo auffällig mach der 
Richtung geblidt Hatte, in welcher 
fie fich bewegte. „Und ihre jegige Uns 
ruhe, ihr Erröthen, ihre haltige Eile!” 
Der hämiſche Geift milstraniicher 
Eiferſucht kletterte jich an jeine Bruft 
und flüfterte ins Ohr, der Fürſt ſei 
wohl gar im Begriff, dem Mädchen 
nahzufahren — am Ende gar zu 
einem vderabredeten Stelldihein. Das 
Schredensbild bemächtigte ſich feiner 
derart, dafs er erbleichte. Im Augen 
blide wujste er nicht, was thun? 
Dann wollte er nochmals umkehren, 
um dem Wagen zu folgen, und Ge— 
wiſsheit zu erlangen. Plötzlich aber 
blieb er ſtehen und griff ſich nach der 
Stirne. 
ſcheuliche Gedanken kommen?“ dachte 
er. „Es iſt gewiſs nur ein ganz zu— 


fälliges Zuſammentreffen von Um— 
ſtänden. Und doch — — Aber 
nein — Sie iſt erhaben über ſolchen 


Verdacht! Pfui, Gottfried, das war 
nicht edel gedacht“. Und unzufrieden 
mit ſich ſelber, ſchlug er den Weg ein, 
den er gekommen. 

Noch Hatte er feine weite Strecke 
zurücgelegt, als ihm jene Geftalt be= 
gegnete, deren unheimlich drohender 
Bid ihn Schon zweimal getroffen hatte, 
als er an Gertruds Fenſter vorüber— 
gieng. Auch jett heftete ſich derjelbe 
auf ihn, doch fchien es, als ob heute 
der Ausdrud desjelben nur giftigen 
Dohn zeigte, Und um die verwahrs 
loste Gejtalt verbreitete ſich ein eke— 
liger Fuſelgeruch, jo dajs Gottfried 
feine Schritte verdoppelte, um der 
widerlichen Atmojphäre zu entweichen. 
Sonft machte er Jich feine weiteren 
Gedanken. Da wurde jeine Aufmerk— 
jamfeit neuerdings in Anfpruch ges 


„Wie fonnte ich auf jo abe | 


‚nommen: In einem Kleinen Vorgärt» 
‚hen einer Billa Hatte ein weißes 
Käglein eine Maus gefangen und be- 
gann mit ihr jenes arge Spiel, das 
man nur mit Mitleid für dem armen 
Graurock verfolgen kann: Nachdem die 
Kate ihre Gefangene mit den Pfoten 
tüchtig zerzaust hatte, gab fie ihr die 
freiheit, welche das geänftigte Thier- 
chen in trippelnder Haft benüßte, um 
der gefährlichen Nähe zu entfliehen. 
Aber ſchnell krümmte die Feindin den 
Budel und machte die Maus mit 
jiherem Sprunge wieder zu ihrer 
Gefangenen. Und wieder zerzanste fie 
das arme Thier mit den Pfoten, 
Ichenfte ihm wieder die Freiheit, um 
es meuerdings im ihre Gewalt zu 
nehmen. Gottfried bob einen Stein 
vom Boden auf und fehleuderte ihn 
‚gegen die Hape, welche die Flucht er: 
griff. Aber das Mäuschen hatte nicht 
mehr die Kraft, den Augenblid zu 





benützen und mochte wohl elend 
zugrunde gegangen fein. 
As der Jüngling nachdenklich 


fein bejcheidenes Heim erreicht Hatte, 
ſandte die Sonne ihre legten goldenen 
‚Grüße den Erbbewohnern zu. Burpurn 
‚erglänzte der Himmel, und Heiliger 
Friede ſchien ſich über die Stadt zu 
ſenken. Gottfried blieb fange ſinnend 
am offenen Fenster ftehen. Dann nahın 
‚er Tinte und Feder, um jeiner Ger: 
trud zu Schreiben. Mit flammenden 
Worten erzählte er ihr von jeiner 
‚Liebe, erzählte, daſs fie zu befiken 
‚fein einziges Glüd, fein einziges 
Wuünſchen und Streben ſei, dajs er 
in micht allzulanger Zeit in der Lage 
jein werde, ein ſüßes Weibchen zu 
‚ernähren md dann hoffe — — — 

Da ſcholl von der Straße herauf 
ein wüfter Lärm: In raffelnder Eile 
rollten, von raſchen Pferden gezogen, 
mehrere Feuerſpritzen über das harte 
Sranitpflafter. Dazwischen erſcholl der 
grauſe Schredensruf: „Feuer, Feuer!“ 
Unheimlich fladerten die Pechfackeln 
‚im Duntel der Nacht. Dazır das ein 
‚tönige Blafen des Fenerfignales und 








— 347 — — 


das dumpfe Anſchlagen der Feuer— Blick 
glocke! Überall öffneten ſich die Fenſter, 
und die Antwort auf die hundertfäl— 
tige Frage: „Mo brennt es?“ drang 
bis an Gottfried Ohr: 
Neuftadt!” 
Ein entjeßlicher Gedanke durch— 
zuckte jein Gehirn. Im tödtlicher Angft 
riſs er den Hut vom Nagel und eilte 
in ftürmifcher Haft der geliebten 
Schmiede entgegen. Burpurroth wölbte 
ich der Himmel über ihm. Als er 
der Neuftadt näher kam, erblidte er 
eine dunkle NRauchläule. über den „Nur nicht Jo laut“, flüfterte der 
Giebeln der Häufer und Hoch empor= Geſelle. „Habe Urfache zu wünjchen, 
Ichlagende Flammen. Bald war feine daſs mar mich nicht bemerkt. Hahaha! 
qualvolle Ahnung zur fchredlichen Ge= Aber was ich dir gejagt habe, betro- 
wijsheit: die Schmiede war das Opfer Be Betrüger, fannft du mir glauben. 
des entfefjelten, ziügellofen Elementes! Ich Hatte auch gemeint, fie jei ſchon 
Mühſam bahnte er ſich duch die zurück, als fi der rothe Hahn auf 
gaffende Zufchauermenge einen Weg, die Schmiede ſetzte. Habe mich ver— 
wm zu Schauen, zu retten. Die Feuer: rechnet. Aber das andere ift fiher — 


drohenden verfolgt hatte. 
„Brauchſt nicht zu erjchreden“, ſagte 
er mit unterdrüdter heiterer Stimme. 
„Dir thue ich nichts mehr, denn du 
„In der biſt auch verhöhnt und betrogen wie 
ih. Aber jagen mufst’ ich dir das, 
Sagen will ich dir auch, dafs fich der 
Dimmel verrechnet hat. Die Herzallers 
liebte lebt, aber die anderen find todt. 
Sie ruht noch im den Armen ihres 
Liebhabers und weiß noch gar nicht, 
dafs ihr Vater — —“ 
„Schurke, du lügſt!“ 





wehr hatte anfänglid das Gebäude hahaha! 
zu retten verfucht, bald aber ihre nutz— 


Iojen Bemühungen eingefehen und ſich 
darauf beſchränkt, die umliegenden Ge— 
bäude vor den gefräßigen Feuerzungen 
zu beſchützen. Was Gottfried vor jich 
jah, war nur mehr ein rauchender 
Trümmerhaufen. Er drängt ich näher, 
bis ihm ein weiteres Vorgehen ges 
wehrt wird, In fiebernder Eile erkun— 
digt er fih nad den Bewohnern des 


vernichteten Gebäudes. Man weist ihn | — — — — — — 
ftumm auf eine Anzahl verftümmelter ) 


balbverfohlter Leichen. In wilder Ver: 
zweiflung wollte er jich auf diejelben 
Hürzen, um zu juchen, was er nicht 
zu denken wagte, Dod man drängte 
ihn zurüd. Halb ohnmächtig wurde er 
aus der entjeglichen Nähe gebracht. 
Als er ſich abfeits von dem großen 
Menſchenknäuel ſah, bemerkte er eine 
verlommene Geftalt, die fich ihm mit 
Iheuem Blick nach ſeit- und rüdwärts 
näberte. Er wollte ihr ausweichen, 
allein bald war fie an feiner Seite, 
Ein widerliher Schnapsgeruch er— 
füllte ihre Umgebung. Gottfried erfannte 
in ihr jchaudernd jenen unheimlichen 





Ein Fürſt ift freilich mehr 
werth als ein Student oder gar als 
ein Schmiedgefelle mit rußigen Händen 
und rußigem Geficht.“ 

Gottfried war wieder allein. Er 
wollte den Brandleger verfolgen und 
ergreifen laſſen, allein feine Kraft 
war zu Ende. Wankend, mit ſchwin— 
denden Sinnen erreichte er jeine Be: 
haufung. Ein heftiges Fieber warf 
ihn aufs Lager. 

Monate waren vergangen. Da 
Ichritt eines Tages eine bleiche, ab— 
gehärmte, aber noch jugendliche Geitalt 
in die Richtung gegen die Neujtadt. 
Bei einem ſchmucken, inmitten einer 
unvollendeten Parkanlage gelegenen 
vilfenartigen Kleinen Neubau, von 
welchem die Gerüfte noch nicht ent— 
fernt waren, blieb er wie gebannt 
ftehen und blidte lange ſinnend nach 
dem hübſchen Gebäude mit ſeinen 
Ichlanten Erkerthürmchen und prächtigen 
Ballons. Niemand hatte ihm gejagt, 
wer der Erbauer dieſes reizenden Hotels 
fei, niemand, wer es bewohnen werde. 
Uber er wuſste, dafs es ein Geſchenk 


Gejellen, der ihn Schon mehrmals mit des Fürften Schwarzenegg für fein 


348 _ 
Ihönes Schätzchen ſei. Er legte die Träumen, feine ganze goldene Jugend 
Dand auf den zudenden Herzmuskel. | mit all ihren Idealen, ihrem Glauben 
Und mit einem ſchweren, tiefen Seufzer |an die Menfchheit begraben lag, trat 


und einem Gefühl im Innern, als 
ftünde er auf einem Friedhof, wo all 
fein Glüd, 


fein Hoffen und ſein 


er den einfamen Heimweg an. 
Gottfried! Zum Glüde gibt es noch 
Andere, Befjere. Nur tapfer aufrecht ! 


Piebeslieder 


von Robert BHamerling. 


Merfeßmäßtes (Mittel, 
o (1858.) 
ch weiß e8 wohl, wenn ich entfernt 
dir bliebe, 
SEI? Auf lange Tage, ganze lange Wochen, | 
° Dein Herzen würde lauter für mich 


J— 


pochen 
Und durch Entbehrung wilchfe beine Liebe. | 


Doch ad, wie zähmt’ ich felbft indes die Triebe, | 


Die glühend mir in tiefer Seele kochen, 
Der ih, an deine traute Thür zu poden, 
Nicht gern um eine Stunde nur verichiebe! 


Durh meine Qual dein Sehnen anzuregen, 
Weit unbequemer ift’s, als traut und leije 
Mein Haupt an deine zarte Bruft zu legen. 


Auch dünft es mir nicht eben allzumeife, 

Entfagen wollen des Befited wegen, 

Und zu PERBENEET um den Preis der 
Speife. 


| Ja, dann! 
| (1879.) 


„Beh, geb, du bift doch aud ein Dann! 
s gibt leinen, den's nicht reute! 

Nun hängft du freilih heiß mir an, 
Doch ift verfohlt der Liebe Span, 
‘Dann jhlägft du did ins Weite!“ 


Kind, meinft ” — daſs noch bier, 
Bevor ſie mich begraben, 

Die böſe Liebe läſſst von mir? 

Ah dann wär mir erft wohl bei dir — 
Wollt’ doppelt lieb did haben! 


Bei Bott, nad jo viel Herzensdrang, 
VRach jo viel ſchlimmen Keiden, 

In meiner Freiheit Überfhwang — 

| Blieb ih dir treu mein Xeben lang, 
Erſt recht dir treu — vor Freuden! 





Neue Runde von Robert Hamerling. 


— 


5— u jenen glücklichen Meuſchen, 
*_ die Robert Hamerling Freunde 
9, genannt, gehört auch der Dichter 
Albert Möfer in Dresden. Ich fage, 
jene glüdlihen Menfchen, weil es 
überhaupt feltenes und wahres Glüd 
ift, einen treuen Freund zu befißen, 
und weil es auf Erden feinen beijeren 
Freund geben kann, als Robert Hamer- 
ling es geweſen. 


Hamerling und Möſer hatten ſich 
nie perſönlich geſehen, ſie fanden und 
erkannten ſich gegenſeitig in ihren 
Dichterwerken, was freilich nur bei 
ausgeſprochenen Dichterindividualitäten 
möglich iſt, bei welchen der Berfaffer 
als ganzer Menſch in feinen Merken 
fteht. Schreiber diefer Zeilen weiß von 
der Hochachtung und Zuneigung, welche 
die beiden Männer ſich aus der ferne 








Ser N 
— 
..* 


349 


entgegenbrachten und mehrmals hatte 
er Gelegenheit, perjönlih Einem vom 
Anderen erzählen zu können. 


Sie ftanden miteinander, bejonders 
vom Jahre 1865— 1871 in lebhaftem 


Briefwechſel, der aber jpäter, wohl zu- 
meift durch Möſers Saumſeligkeit, ins 
Stoden gerieth. Lebterer hat nun 


Hamerlings an ihn gefchriebene Briefe 


veröffentlicht und mit Erläuterungen 
verjeben, die für die Freunde der 


beiden Dichter von jehr großem Interz | 


ejje find.*) Die Briefe ſelbſt athmen, 


Zeile für Zeile, Hamerling’fchen Geift 


und das unvergleihliche Dichtergemüth. 


Einige Auszüge aus diefen wertvollen | 


Briefen, die allgemeinerer Natur find, 
mögen es beweiſen. 

Bei Gelegenheit, als Hamerling 
ſcine Meinung über Möſer'ſche Ge— 
dichte ausſpricht, thut er unter anderen, 
höchſt anerfennenden Morten, den halb 
Ichelmischen Ausſpruch: „Darauf (auf 
ein paar Heine metriiche Fehler) lege 
ich, wenn das Ohr nicht zerrifen wird, 
fein allzu großes Gewicht, bin jogar der 
Meinung, daſs der Dichter abfichtlich 
einige Formfehler, unreine Reime und 
dergl, in feinem Werke ſtehen laſſen 
oder eigens hineinjegen müſſe: Erftens, 
weil heutzutage fein Borwurf ehren 
rühriger und fataler ift, als der der 
„Formſchönheit“ und „Formreinheit“, 
und dann, weil es den Recenſenten 
eine närriſche Freude macht, wenn fie 
dem Poeten einen unreinen Reim oder 
dergl. wie einen Floh vom Stleide 
abfangen können, wodurch fie ſich ein 
geſtrenges und gelehrtes Anjehen geben, 


ſpreche nicht von Übermaß in Lob oder 
Tadel, Gerechtigfeit oder Ungerechtig— 
| feit der Beurtheilung; ich Tpreche von 
dem innerlich Widerjpruchsvollen, Une 
logiſchen, Abſurden in den Kritiken, 
von der leichtfinnigen, gewifjenlojen 
Sgnorierung oder Verdrehung des 
Thatjählihen, von der haar- 
fträubenden Borniertheit, die nament- 
ih dort zu Tage tritt, wo die Recen— 
jenten über den tieferen Geift und 
Sinn eines Dichtwerfes reden oder 
abjprechen wollen, Ich ſchrieb jchon 
als ſechzehnjähriger Jüngling, als ich 
anfieng, die PHilofophen zu lejen, im 
mein Tagebuch: «Es fommt mir vor, 
als ob alle Philoſophen Recht hätten, 
ausgenommen da, {wo jie polemilieren», 
Setzen Sie das, was ich hier über 
kritiſchen Blödfinn gefagt, wicht auf 
Rechnung einer gewillen Empfindlich- 
feit; ich Hatte dabei durchaus nicht 
fritifche Angriffe im Auge, über die 
ſich Ätreiten läfst und die an fich einen 
gewillen Sinn haben, jondern fedig- 
ih jolhe Auslaffungen und Auße— 
rungen, welche der Kritiker ſelbſt 
augenblidlih zurüdnehmen 
müjste, wenn man ihm mit Hin— 
weifung auf das Thatſächliche die 
Abjurdität derjelben Har machte. Und 
folder Auslaffungen giebt es in der 
Tagespreffe über die Maßen und zum 
Eritaunen viel! — 

In Hinblid auf feine Krankheit und 
feine lage über das Erdenelend jchreibt 
Hamerling ſchon im Jahre 1865: 

„Sie fragen in Ihrem lebten 
Briefe, ob ih leidend bin, wie Sie 








obgleih fie eigentlih von Form ſo 
wenig verftehen und jo wenig Sinn‘ 
und Chr dafür haben wie Bileams 
Eſel.“ 

In einem anderen Briefe ſagt er 
über Kritiker: „Nur wenn ich Kri— 
tiken leſe, werde ich ſtolz und fühle 
mich geſcheiter als andere Leute. Ich 


9 „Meine Beziehungen zu Mobert 
Hamerling und deflen Briefe an mich.“ Von | 
Albert Möjer, (Berlin. Hans Lüſtenöder. 
1890.) | 


einmal gehört oder gelejen. O Freund, 
da berühren Sie eben den traurigen, 
wunden Fleck meiner Exiſtenz, die 
Feſſel meiner Schwingen, den Mehl: 
than meiner Blüten, vielleicht ſoll 
ich auch ſagen: den tiefinnerſten An— 
reiz meiner Klagen. Denn ſchließ— 
ih itesdohnur der Kranke, 
‚der jih das Leid derganzen 
Welt zu Herzen nimmt.“ 

In einem anderen Briefe aus der— 
jelben Zeit ſchreibt Hamerling: 


350 


An 
„Es liegt 
Providentielles in meinem Lebens» 


gange, ih kann daran nicht zweifeln. 
Der liebe Gott hat fih immer jehr 
honett gegen mich benommen, Mein 
Leben ift ein Elend, aber es liegt 
foviel Syftem darin, es Happt alles 
jo gut, e& tritt alles jo meifterlich im 
legten Moment ein, es bält alles 
zwifchen dem Zuviel und YZumenig 
eine jo fein berechnete Mitte, es ift 
alles jo überraſchend combiniert, daſs 
ih an der Plan= und Zweckmäßigkeit 
des Ganzen nicht zweifeln kann. Ich 
fönnte Wunder davon erzählen, wie 
alle meine Erlebniſſe und Schidjals- 
wendungen immer aufs präciiefte in 
dem Augenblide eintrafen, wo fie ab» 
ſolut nöthig waren. Und doch hatten 
fie den Schein des Zufalles.” 

Über Griſebach, den jungen Dichter 
de3 „Meuen Tannhäuſer“, schreibt 
Hamerling: 

„Bott im Himmel, der jprudelt 
wieder! Der Yüngling madt mir 
wirklich Angft mit feinem „Lebens- 
drang” und feiner Schwärmerei für 
Theaterweiber. Sie jollten ihren Eins 
fluſs geltend machen, daſs er nicht 
gar bis auf den legten Tropfen aus 
der Flaſche fährt, wie entkorkter Cham» 
pagner, und jeine Kraft der ſchnöde 
Roden trintt. Er jchreibt mir: 
fühle, namentlich den Weibern gegen 


über, einiges Verwandte mit meinem 
Nero, und läfst ſich's nicht nehmen, dafs 
auch ich felbjt an derartiger VBerwandts 


Ichaft laboriere, Sie dagegen halten 
mich Ihrem legten Schreiben zufolge 


für einen Mann, der „refigniert“ hat 
und dem das „Leben“ nicht mehr in, 


erſter Reihe fteht. Vielleicht komme ich 
nächſtens einmal ausführlicher auf das 
Kapitel zurüd; für heute verweiſe ich 


Sie auf meine Lieder und Gefänge, | 


die Sie zu gut fenmen, um meinen 
„Lebensdurſt“ zu unterichäßen. Re— 
fignieren möchte ih — aber fann 
man das? ch glaube: Es gibt keinen 
Menſchen, der auf Dinge, Menjchen 
und Verhältniſſe mit jo viel theoreti= 


Er! 


außerordentlih viel ſcher Superiorität, mit fo ſcharfem 


Urtheil blidt und dod in praxi von 
der Gemüthsfeite fo fehr durch fie 
beeinflujst, beftimmt, befeligt und ge= 
martert wird, wie ich. Größeres Liebes— 
bedürfnis gibt es nicht, als das mei— 
nige ; größere Anhänglichkeit und Treue 
als ih für alles empfinde, was mir 
einmal nahe getreten, gibt es eben— 
falls nit. Nichts auf der Welt ift 
leichter, al mir unentbehrlich zu 
werden.” 

Die Sommerwohnung beim „Fuchs- 
wirt”, nächſt Graz, wo Hamerling an 
dem „König von Sion“ arbeitete, be= 
Schreibt er feinem Freunde wie folgt: 

„Seit mehr als einen Monate 
fiße ih auf meinem Zusculum, das 
beißt: in meinem ländlichen Poeten— 
ftübchen beim «erften Yuchswirt» auf 
der Ries. Wenn man die malerifche 
Vorſtadt St. Leonhard hinter fich ge— 
laflen Hat, fo befchreitet man — der 
Landſtraße folgend — eine Anhöhe, 
mit ländlichen Gebäuden bie und da 
bejeßt, deren erftes zum «erften Fuchs— 
wirt» benannt ift. Es gibt der «Fuchs— 
wirte» nämlich nod zwei längs Des 
Hanges und Rüdens diejer von ſchönen 
Nadelwäldern durchzogenen und ein- 
gefajsten Höhe, welche den Namen der 
‚ «Ries» führt und ihrer vorzüglich ger 
funden Luft wegen als Landaufenthalt 
geſucht iſt. Im oberen auf die Land- 
ftraße gehenden Zimmer, d. 5. linker 
Hand (denn rechts ift noch eine andere 
Mietwohnung) finden Sie ein Ge— 
miſch von ftädtiichem und ländlichen 
Seräth: ein Sopha, einen Tiich, einen 
Secretär, eine Bücher-Etagere, ein 
Bett, Uber dem Tiſche hängt das 
Porträt Jans von Leyden, unterhalb 
desjelben ein Bild Nero's. Uber dem 
Sopha hängt eine im alleredeliten 
Kunſtgeſchmack entworfene Lithographie 
‚der vor Jahren gefeierten Spanischen 
Tänzerin Bepita de Dliva, deren 
höhere Weihe von den Bodsaugen der 
Menge verlannt wurde. Meinem 
jugendlihen Sinne wurde durch ſie 
die erfte Offenbarung ſchönheitstrun— 











ferien Daſeins, wahrhaft geiftverklärter 
Sinnlichkeit. Seit ich fie gefehen, bin 
ich gefeit gegen das Gemeine. Die 
Ode „An eine Tänzerin“ in „Sinnen 
und Minnen“ ift an fie gerichtet. Rechts 
und links davon hängen die Photo= 
grapbien Raphael3 und feiner Forna— 
rina. „Raphael und die Fornarina“ 
ſchwebten mir feit langer Zeit als dra= 
matifher Stoff lebendig vor. An der 


Wand rechts vom Secretär hängt ein 


großer Plan von Münfter, und auf dem 
Secretär jelbft find dide und dünne 
Bücher aufgeftapelt, allevon verwandten 
Inhalt: Kerßenbroicks, Hamelmanns, 
Gresbed3 Münfteriiche Wiedertäufer- 
chroniken und dergleichen, auch mittel- 
alterliche Literaturwerfe, Eulturhifto- 


riſches u. ſ. w. Blidt man durch das | 


Fenſter, das einzige des Gemaches, fo 
bat man ein weites und reizbolles 
Panorama vor fih: Links die veizende 
Höhe des Ruderiberges, rechts weithin 
fi erjtedende Wälder, in ihrer Mitte 
die ganze weitgedehnte Stadt, in der 
Mitte und in der de& ganzen Pano— 
ramas der prächtige Schlofäberg, reich— 
umgrünt, mit mancher ragenden Zinne, 
weiterhin über dem Stromthal ver 
Mur — nur durch ein Stunde We— 
ges getrennt — ein ſchön bewaldeter 
Höhenzug, Ruinen, Kirchen und 
Schlöſſer, dahinter ferner und höher 
aufragend ehrwürdiges Wlpengebirg. 
In befagtem Kämmerlein nun wird 
der «König don Sion» ausgebrütet.“ 

Sn demfelben Briefe nahın er Ge— 
legenheit, an Möſer Folgendes zu 
Schreiben: 

„Willen Sie, dajs die «Pfaffheit» 
zu Münfter Schon in gewaltige Angſt 


gerathen von wegen des bevorſtehenden 


MWiedertäuferepos? Der in Münfter 
ericheinende «Literarifche Dandweifer», 
ein von Geiftlichen ftreng katholiſch 
redigiertes Blatt, bringt eine weite 
läufige Beiprehung des «Ahasver» 
mit warmer Anerkennung des Poeti— 
ſchen, aber ebenfo lebhafter Indignation 
dom jittlihen und religiöjfen Stand 
punkte aus, welche in dem Ansfpruche 


gipfelt: «Das muſs uns mit Angft 
erfüllen vor der bevorjtehenden Schil— 
derung des Miedertäuferreihes in 
Miünfter». Ich bedauere, dafs ich den 
im übrigen unparteiifhen und — 
wie es jcheint — ſehr ehremmerten 
Heren und feine Münfterifchen Col— 
legen durch objective Schilderung der 
Gorruption ihrer Vorläufer im der 
alten Bifchofsftadt von anno 1536 zu 
ärgern und zu betrüben nicht umhin 
fann. Ich bin durch den Stoff ge- 
nöthigt, Kirche und Elerus von der 
corrnpteften Seite darzuftellen, kann 
mir alfo denfen, weldes Argernis 
mein Werk im geiftlichen Lager geben 
wird. Das thut mir eigentlich leid. 
‚Denn wenn ich die Pfaffen ſchwarz 
male, jo gejchieht es nur aus poetifchen 
‚und Hiftorischen, nicht aus tendenziöfen 
Gründen. Die Macht der Kirche und 
des Clerus ijt Heutzutage vollitändig 
'gebrodhen,*) eine geräufchvolle, er= 
bitterte Oppofition gegen diefelbe daher 
ſinnlos. Die nenlihe Jejuitenjagd in 
Oſterreich war ein Act der Intoleranz. 
Wenn es den Schreien Ernſt it 
mit der Religionsfreiheit, jo muis es 
auch erlaubt jein, nach der Façon der 
Jejuiten felig zu werden. Unſchädlich 
machen fann fie der Staat, indem er 
ihnen den öffentlihden Unterricht 
nicht anvertraut; aber ihr Predigen, 
ihr religiöfes Wirken geht den Staat 
nichts an und mufs refpectiert werden, 
jo gut wie die Lehren Moleſchotts und 
Büchners. Wir find vom Begriffe 
wahrer Freiheit im modernen Staate 
noch weit entfernt.“ 

| Luftig find die Außerungen dom 
29. October 1867: 

„Mit Ihrer Selbftbeurtheilung bin 
ih ganz einverftanden. Sie ſind 
Lyriker und werden es bleiben, und 
al& folder müſſen Sie dereinft da— 





| ftehen in der Walhalla und im Pan— 


theon deutſcher Dichter. 
Ich meine damit nicht das «Ban 


*) Man ficht, ein Dichter ift immer 





optimiftiich, auch wenn er als Peſſimiſt gilt. 
Anm. 


theon deuticher Dichter» von Peter | unferen 


Größten faſt 


ebenbürtige 


Lohmann, deſſen neueſte Auflage mir Dichter als Menſch eine Canaille ge— 


eben heute in die Hände fiel und worin weſen. 


ih eine denkwürdige biographiſche 
Notiz über mich fand, von welcher 
jo ziemlich jedes Wort falſch ift. 
Ich bin, wie der Autor jagt, in Graz 
geboren ; wann weiß er nicht; ich lebte 
als «Beamter» in Trieft, und lebe 
jet azur Erholung» in meiner Hei— 
mat.“ — «Großen Schwung», jagt 
er, habe ich, aber feine «—Herzens— 
innigfeit». Aber ich denke: Schwung 
ift tiefe, Feurige Empfindung, und 


diefe kann freilich nicht vereinigt ſein 


mit Fröhlich =» gemüthlicher Dudelei. 


Bon feiner Geſinnungs- und 
Gharatterlofigkeit haben die wenigiten 
Menichen den rechten Begriff: Man 
muſs alle feine Werke, namentlich die 
projaifhen, und auch die gedrudten 
Briefe aufmerkſam gelejen haben, 
um darüber urtheilen zu können.“ 

Schließen will ich diefe Auszüge 
aus Hamerlings Briefen an Albert 
Möfer mit der Herzensergiegung über 
jeine treue Freundin Glotilde: 

Nur einen Troft beſitz' ih: Das 
theilnehmende Gemüth einer Frau, einer 
Frau don unvergleichlicher Natur— 


Wenn er an meinem Gemüt zweifelt, | frifche, Wärme, Innigkeit, Heiterkeit, 


jo tausche ich dasfelbe auf acht Tage 
mit ihm: Es joll ihm dabei fo heiß 
werden, daſs ihm fein Bier umd fein 
Tubad mehr ſchmeckt.“ 

Höchſt interefjant find Hamerlings 
gelegentliche Außerungen über Schiller 
und Heine: 

„Sie fragen, ob ich Ihre Bes 
geifterung für den Unflerblichen theile, 
dem fie jegt in Gohlis ein Erinnerungs- 
opfer bringen. Jh ſchwärme allerdings 
wie Sie und jeder Deutjche für ihn, 
obgleih ich ihn nicht mehr oft lefe. 
Er iſt ein Hoher Genius voll Tiefe 
und Meite, voll Berftand und Wärme, 
gedankenvoll und doch überaus ges 
ftaltungsfräftig. Vielleicht hat er mit 
Ausnahme einiger kleinerer — id 
meine lyriſcher — Poeſien nichts ab- 
jolut Klaſſiſches, Woflendetes und 
Muftergiltiges geihaften: Das thut 
aber nichts, er ragt als ein Riejen- 
gipfel in unferer Literatur empor. 

Auch was ih von Deine halte, 
wollen Sie willen? Meiner Anficht 
nah iſt er zwar nicht der größte 
Dichter, aber das größte poetische Genie 
der Deutichen nach Goethe und Schiller. 
Seine Popularität wird nicht abnehmen, 
wie die Philiſter meinen, jondern noch 
wadjen, da in ihm das innerſte 
Weſen der Zeit in der pilanteften, 
genialjten Weife ſich ſpiegelt. Vielleicht 
hängt es damit zujammen, dafs diejer 


Güte und Hingebung des Herzens. 
Aber diefe Frau ift nahe den Fünf— 
zigen. Ich bin durch nichts an ie 
gebunden, aber alles Glüd der Erde 
würde mich nicht verloden können, 
ihr wehe zu thun. Ihr Name ift 
Glotilde. Ich möchte Ihnen wohl ein= 
mal mehr von ihr erzählen. So wenige 
willen von ihr, und doch möchte ich 
feinen Deut für die Fortdauer meines 
Namens bei der Nachwelt geben, wenn 
mit diefem Namen nicht auch der des 
Weibes fortlebte, ohne deſſen treues 
Mitleben und Mitempfinden in Frende 
und Leid, ohne deren verſtändnisinnige 
Theilnahme an allen geiſtigen Inter— 
eſſen bei einer faſt kindlich naiven 
Natürlichkeit, Friſche und JInnigkeit 
des Empfindens mir die Welt und 
mein Daſein längſt zur unerträglichen 


Laſt geworden wäre... .“ 
Andere Briefe geben rührende 
Zeugniſſe von der Opferwilligkeit 


Hamerlings für Möſer, der ihm „als 
Dichter wie als Freund ins Herz ge— 
wachſen“. Wahrlich, vollberechtigt iſt 
des Herausgebers Ausruf zum Schluſſe: 
„So oft mein Auge noch auf dieſen 
Blättern ruhen wird, wird mir auch 
der Gedanke kommen, daſs Hamerling 
nicht nur ein ausgezeichneter Dichter, 
ſondern auch einer der edelſten und 
ſelbſtloſeſten Menſchen war, die es je 
gegeben Hat.“ R. 





Über das Zaften. 


Bom culturgeihihtlihen Standpunkte betradtet von &heodor Bernaleken. 


RS, 

eine zur römiſch-katholiſchen 
Ey“ Kirhengemeinfchaft gehörenden 
u I oefer erinnern ſich bei dieſer 
UÜberſchrift des dritten Kirchengebotes : 
„Du ſollſt die gebotenen Faſttage 
halten“. Mit Recht warnt Hiermit die 
Kirche vor „Fraß und Böllerei“ und 
die Vernunft fordert dasjelbe. 

Eine Zeit im Jahre nennt man 
insbejondere die Faftenzeit und diefer 
gebt der Iuflige Faſching voran. 

Was heist Faſten nah unferem 
Sprachgebrauche? Es bedeutet: ſich 
enthalten, nüchtern jein(PBaulus I. Brief 
an die Brüder in Thefjalien 5, 6). 

Die Faftenzeit oder die Faſte 
(lat. jejunium) in der fatholifchen 
Kirche umfajst auf Grund des vierzig— 
tägigen Faſtens Jeſu (Evang. Mat: 
thäus 4, 2) die vierzig Tage vor dem 
Ofterfeft, daher dverNamequadragesima 
(franzöfifch car&me). Das Wort Faft- 
nacht oder — wie die Niederdeutfchen 
jagen, ?yaftelabend bezeichnet insbe— 
jondere den Dienstag (dor Afchermitt- 
woch), die legte derb ausgenofjene 
Freſszeit vor Beginn der Faſte. 

Wie das kirchliche Falten, jo find 
auch die vorhergehenden Feſtlichkeiten 
zu Anfang des Jahres von Rom zu 
uns gelommen. Bei den Römern war 
der März der erjte Monat, deshalb 
nennen wir ihren fiebenten Monat 
jest noch September, während er bei 
uns der neunte ift. Im März feierten 
die alten Römer dem Liber oder 
Bachus zu Ehren die jogenannten 
Liberalien mit Schaufpielen und 
luftigen Scerzen. Der MWeingott 
Bachus entfpriht dem altgriechiſchen 
Dionyjos oder Bakchos, deſſen Eultus 
den Charakter Fröhlicher Heiterkeit 


Bofrgger’s „Hrimgarten‘*, 5, fell, XV. 


hatte. Die anfängliche Mäpigung ver— 
Ihwand immer mehr und man über- 
ließ fih einem ausgelafjenen Sinnen- 
taumel und zog mit raufchendem Lärme 
von Flöten, Pauken und Beden um: 
ber. Deutſche Anklänge finden wir in 
den Faſtnachtſpielen (z. B. Hans 
Sachſens) und in den Narrenbüchern 
des 16. Jahrhunderts. Im übrigen 
fteht der Deutfche den römischen Lebens 
anſchauungen und Sitten ſchnurſtraks 
gegenüber. Auch die Faſtenvorſchriften 
waren den germanijchen Völkern vor 
Einführung des Chriftentgums unbe— 
fannt; ihre Opfer und Gebräuche 
wurden allmählich verdrängt. Die Auf: 
faffung der römischen Kirche über das 
Halten fteht im Zufammenhange mit 
israelitifhen Gebräuchen und dieſe 
wieder mit denen im Syrien und In— 
dien. 

Der Buddhismus in Indien Hat 
jeit einigen Jahrzehnten bei den Ge— 
lehrten mehr Beachtung gefunden und 
in der That bietet er mande Ber: 
gleihungspunfte mit gewillen Rich» 
tungen des Chriſtenthums. Mitte des 
ſechſten Jahrhunderts vor Chriſtus 
predigte der Büßermönch Buddha (d.h. 
der Erwachte, Erkennende) in Indien. 
Er vertauſchte ſeinen Reichthum mit 
der Armut eines Bettelmönchs, und 
lebte entſagend, Erleuchtung in der 
Einſamkeit ſuchend, verſunken in Be— 
trachtungen über das Heil der Menſchen 
und dabei war er allerlei Verſuchungen 
ausgeſetzt. Wohin er mit ſeinen Jüngern 
kam, ſtrömte ihm das Volk zu. Seiner 
Lehre liegt die Anſchauung zugrunde 
vom Leiden alles Daſeins. Alles Leben 
iſt Leiden — das war die Schwarz- 
jeherei Buddhas, alſo ungefähr das» 

23 





felbe, was man heutzutage Peſſimismus werden können, um dem Menjchen die 


nennt, 


die Heimat jener düſteren Weltan— 
Ihauung und jener unfruchtbaren 
beſchaulichen Betrachtungen, welche ich 
im Laufe der Zeit über den Weſten 
unferer Erbe verbreiteten und überall 
einer heiteren Lebensanfhanung und 
gejunden Moral entgegentraten. 

In der Buddhiſtiſchen Religion 
finden wir aud den au ſich gewiſs 
löblihen Grundfaß, die Thiere zu 
Ihonen und dazu fam die Neigung 
zur Enthaltfamteit. Ähnliche Grund» 
übe hatte die Secte der Eſſener 
(Effäer) in Baläftina, Sie eritrebten 
die höchſte Stufe der Deiligfeit durch 
ftrengfte Enthaltfamfeit, bevorzugten 
die Ehelofigkeit und äußerſte Mäßigung 
im Speijengenufs, enthielten ſich na— 
mentlich der Fleiſchſpeiſen und nährten 
ih don Brot und Pflanzen, wie die 
modernen Begetarianer. 

Mit dem indiſchen Büßerweſen 
fam auch das Mitleid mit der Thier- 
welt herüber nach dem äußerſten 

Meften Afiens und nad Aghpten. In 
dem Maße, ald3 die riftliche Kirche 
fich jener Enthaltfamfeit als eines 
religiöfen Zuchtmittels bediente, ver— 
flüchtigte ih der urfprüngliche ideale 
Gehalt und es blieb nichts übrig als 
der kirchliche Wunſch, der für die 
Abendländer und für unfere heutigen 
Verhältniffe nicht leicht mehr durch— 
führbar if. Jeder, der nicht felbit 
weiß, was zu feinem förperlichen 
Wohle dient, befolgt den Rath ſeines 
Arztes, der ihm jagt: Mäpßigfeit in 
Bergnügungen, im Efjen und Zrinfen 
und eine geregelte Thätigfeit ſowie 
eine einfache Lebensmweife find ein 
Hauptinittel, um geſund zu bleiben. 
Diefer Meinung find auch alle, welche, 
wie der Verfaſſer, das achtzigite Lebens— 
jahr bei ſolcher Faſtenart erreicht 
haben. 

Der befannte Naturforfcher Carus 
Sterne jagt, dafs kaum ethifche Gründe 
von genügenden Gewicht beigebracht 





Indien mit feinem Brahmas | Ernährung don thierifher Subitanz 
nismus und Buddhismus ift überhaupt zu verleiden, 


Wenn einzelne Reli— 
gionen von ihren Belennern eine 
dauernde oder zeitweife Enthaltung 
bon einem mohlichmedenden Gericht 
fordern, feien es nun Bohnen, deren 
Genuſs die Pothagoräer für ebenfo 
Ihlimm al Mord und Todſchlag 
hielten, oder von Fiſchen, oder von 
Fleiſch überhaupt, mie bei den gebo— 
tenen Faſttagen der Mohamedaner, 
Juden und Satholifen, jo handelt e3 
fih um ganz verjchiedene Gründe, 
nämlich um ein Freiwilliges, gewiſſen 
religiöjen Anſchauungen dargebradhtes 
Entfagungsopfer. Gewif3 können wir 
Perfonen, die fih derartige Entbeh- 
rungen dauernd auflegen, weil fie 
glauben, dadurch eine höhere Reinheit 
der Gedanken und eine Befreiung don 
hemmenden körperlichen Begierden zu 
erlangen, wie es zahlreiche religiöfe 
Gemeinschaften thun, dafür unfere 
Achtung Schenken. Andererſeits wird 
man zugeben müflen, daſs die aus 
dem zeitweifen Faſtengebot bei dent 
gewöhnlichen Menjchen entjpringenden 
Übertretungen, denfelben wahrjcheinlich 
jittlih mehr ſchädigen, als die freu— 
dige Aufgabe einige Wenige adelt und 
erhebt. Solche Acte jollten daher von 
vornherein in das Belieben jedes Ein— 
zelnen geftellt und ihre Unterlaffung 
nicht als fittliher Mangel oder gar 
als Sünde betrachtet werden. 

Die Kirhenobern wiljen gar wohl, 
daf3 das Gebot auf jede mögliche 
Weile umgangen wird von denen, 
die den Schein retten wollen. Dadurch 
wird aber die gewiſs löbliche Abſicht 
wirkungslos und man leiftet den Bes 
ftrebungen Borfhub, auch weltliche 
Vorgeſetzte zu täufchen. 

Es ift auch daran zu erinnern, 
dafs das Falten als Kirchengebot erit 
jpäter entftanden ift. Jeder Zeitraum 
in der Eulturgefchichte der Menjchheit 
hat feinen eigenen Charakter und ein 
finger Regent und Geſetzgeber wird 
nicht warten, bis der Geiſt der Zeit 








über eine Saßung zur Tagesordnung ſchen Quelle fchöpfte, die uns be= 


übergeht. Ein unhaltbares Gebot dem 
Einzelnen freiftellen oder es aufheben, 
tft befier als eine lare Handhabung 
und theilmeife Erlaubungen. Die 
fünf Kirdhengebote datieren eigentlich 
aus der Zeit des Tridentinifchen 
Eoncils, wo deutfche Vertreter fehlten. 
Sie fanden Aufnahme in den ver— 
breiteten Katechismus des Jeſuiten 
Caniſius (Mitte des 16. Jahrhun— 
dert3). 

Das vierzigtägige Falten Jefu hatte 
fein Borbild im zweiten Buche Mofe 
34, 28, mo ed heißt: „Mofe war bei 
dem Herrn 40 Tage und Nächte und 
as fein Brot und trank fein Wafjer“. 
Ebenjo Elia im erften Buch der Kö— 


richtet, dafs Jeſus den Gütern des 
Erdenlebens nicht feindlich gegenüber 
trat. Jeſus kennt nur die Gefahren 
des Reihthums und ftellt den ruhm— 
redigen reihen Jüngling auf die här— 
tefte Probe (Matth. 19). Er fordert 
von den Jüngern Opfer nur um 
ihres Berufes willen und legt fie 
aus dem gleichen Grunde fi feldft 
auf. Er jelbit faftete auch nicht in 
unferer Weije; denn wenn er über das 
launenhafte Verhalten Jfraels3 fpricht 
(bei Matth. 11, 18), jagt er: „Jo— 
bannes*) ift gefommen, aß nicht und 
trank nicht. Da fagen fie: Er ift vom 
Zeufel beſeſſen. Des Menfhen Sohn 
ııft gelommen, ißt und trinkt; fo 








nige 19, 8, jowie in andern Stellen | jagen fie: Siehe der Menſch ift ein 
des N. Teſt. Troß diefer Sitten des | Freſſer und Weinfäufer, der Zöllner 
Judenthums mamentli der Effener | umd der Sünder Freund!“ Chriftus 
und der asketiſchen Richtungen des verweilt mit den Seinen jogar auf 
Heidenthums nahm Jefus feine grund- | Hochzeiten. Soll gefaftet werden, dann, 
fäglihe Stellung in den Worten (bei | meint er, wenigſtens mit fröhlichem 
Mattd. 6, 16): „Wenn ihr faftet, Antlitz und gejalbten Hauptes, damit 
follt ihr nicht fauer fehen wie die der Verdacht des gefuchten Scheines 
Heuchler; denn fie entftellen ihr Anz ſchwinde (Matth. 16); „aber wozu 
geliht, um fi den Leuten zur Schau | überhaupt diefer alte Schlauch für den 
zu ftellen mit ihrem Faften”; ferner neuen Wein? Wer deffen bedarf, ift 
bei Matth. 9, 14 fi. geringer al& der Heinfte im Himmel— 
Die Faſtenvorſchrift kam erft vor reich“. Entſprechend der güterreichen 
300 Jahren allgemein in die Ber: | Auffaffung des Himmelreiches ift auch 
ordnungen der Kirche und blieb ohne die Zugendforderung Jeſu immer 
Rüdfiht auf die veränderten Anfchaus Thatforderung auf Grund 
ungen der fpäteren Zeit. der Liebe, die fi nicht erzwingen 
Die deutſche Reformation hat diefe laſst und die durch Außerlihteiten 
Faftenart ganz befeitigt, weil fie jener nicht erfegt werben kann. 
Zeit der trübfeligen Überlieferungen) +) Namlich der Täufer, deifen Lebens 
entwachjen war und aus der bibli- | weife derjenigen der Efjener verwandt war. 








23* 





Eine Arſache, warum die Menſchen ſich nicht 
verfländigen können. 


NAT) 
Allen jemand ftarr und leiden= |tigften Argumente dagegen können 
a Ihaftlih einen einfeitigen ihn höchſtens nur in Wuth bringen. 


PBarteiftandpunft vertritt, jo Mancher reitet jeinen Ejel, bildet 
wird ihm von den Gegnern ſtets der ſich aber ein, ritterlih auf einem 
Vorwurf gemacht werden, er thue es |arabijchen Streitrojs zu fißen, in» 
aus eigenmüßigen Gründen, entweder | dem er das Neitpferd eines Gegners 
um fi Güter zu erwerben, oder eine | mit veräctlicher Miene Langohr 
gute Stellung, oder die Herrſchaft, ſchimpft. In Parteiſachen ift diefelbe 
oder irgend einen anderen Bortbeil. | Gejchichte, der Reactionär hat eine 
Das mag oft zutreffen, jehr oft! Aber |andere Art zu denken, eine andere 
doch nicht immer. Ich kann mir Leute Logik, wenn man will, als der Libe— 
denfen, die voll Wahrhaftigkeit, Red- |rale, der Antijemit eine andere, als 
lichkeit und Selbftlofigkeit find und |der PHilofoph, der Naturheilarzt eine 
ih doch arg verrennen in eine Sad: jand als der afademische Doctor der 








gafie, verbohren in einen Irrthum |Medicin, und immer fo weiter. Jeder 
und lieber das Leben lafjen möchten, hat fich jeine befondere Art von Folge— 
als jih von ihrer Richtung zu bes richtigfeit, von Borftellungen, von 
fehren. Überzeugungen und Wiſſenſchaften an— 
Daran ift viel die Naturanlage |gebildet, jich für feine Neigung und 
Urſache, und auch die genofjene ein= für feinen Bedarf fozufagen eine eigene, 
feitige Schulung, Erziehung, Bildung. |fefte Burg gebaut, in die er feinen 
Durch genannte Yactoren kann der fremden Einflufs kommen läfst, die 
Menjchengeift fyftematifch geformt und jer, je nach Naturanlage und Takt, 
in beliebige Richtungen gebracht wer= ernſt, würdig und flug, oder roh und 
den, das ift doch nicht zu leugnen. |täppifch vertheidigt. Denn jcheinbar 
Ein junger Theologe, der nur immer |begründen läjst fich alles, alles auch 
die orthodoren Lehren vernimmt, nur |auf ein wilfenschaftliches Boftamentlein 
die in jelbe einjhlägigen Schriften |jtellen und mit Schönen philojophifchen 
liest, immer in gleichgelinnten und Ausſprüchen jhmüden. Und je ein- 
gleichitrebenden Kreiſen lebt, wird ſich | jeitiger, engherziger ein Standpunkt ift, 
allmählich einen Gedankengang, einen deſto feiter läjst fich das Gedanken— 
Vorftellungstreis aneignen, der wetter: |gebäude fügen zu einem gar feiten 
hart ift und nicht durch Gegenvor= | Haufe, in welchem alle Wintel unter 
ftellungen beeinflujst werden kann. einem Dache find. Allein, die Welt ift 
Dasjelbe erreicht eine militärische, eine |fein Haus, die Welt ijt die Welt. 
ariftofratiihe Erziehung. Ein alter, | Sogar im Weiche Gottes find viele 
Handesverfnorrter Soldat, der von der | Wohnungen, um wie mehr ext ift eine 
Pile auf gedient hat, muſs der Über: Mannigfaltigkeit auf diefer Erde be— 
zeugung leben, dafs der Soldatenftand | gründet, bei den verjchiedenften Völker: 
der wichtigfte und gerechtfertigtefte aller | ſchaften, Charakteren, Bedürfniffen, 
Stände auf der Melt ift, er kaun | Neigungen u. ſ. w. 
gar nicht anders denken und die trif- In unferem Falle ift die Eng— 


ee — ö 


38587 


herzigkeit, die Einſeitigkeit der Bildung 
das trennende Element. Man befafst 
fih immer nur mit Studien, Lectüre, 
Geſprächen, die dem eigenen Stand, 
der eigenen Partei oder Neigung 
Huldigen; und wenn man fehon geg- 
neriihe Meinungen hört, liest, fo find 
es zumeift folche polemiſchen Charak— 
ters, man thut es mit Vorurtheil, 
Gereiztheit, in der Abſicht, zu wider— 
ſprechen, zu bekämpfen, und in der 
Natur des menſchlichen Trotzes liegt 
es, daſs ſolches Sichbefaſſen mit der 
gegneriſchen Anſchauung den Betreffen— 
den in feiner vorgefaſſsten, in ihm 
feit und fertigen Meinung nur beftärtt, 
anftatt ihn etwa eines Beſſeren zu be: 
lehren. 

Iſt es jo reht? Nein, fo ift es 
nicht recht. Was ſoll gefchehen ? 

Aufgabe der Erziehung, der Bil: 
dung ift e8, den jungen Menfchen 
objectiv in alle Bereiche des menſch— 
lihen Wiſſens, Denkens und Strebens 
einzuführen, ihm nah allen Richtun— 
gen Hin zu zeigen, wie es fteht, wie 
e3 ward und wo hinaus die Ziele 
gehen. Leidenfchaftsios follte der 
Menſch imftande fein, alle, auch feiner 
Perſon miderftrebende Richtungen zu 
ftudieren und zu beurtheilen, dann 
würde er hochgeſinnt und gerecht fein 
lönnen. 

Ich höre den Einwand, ein ſolches 
Syſtem würde die Leute indifferent 
machen; ein gewiſſes geiſtiges Gleich— 
gewicht, das allenfalls entſtünde, 
würde ſie gleichgiltig machen, eine 
Toleranz erzeugen, die an Trägheit 
grenzte und die Concurrenz, alſo den 
Wettſtreit im Kampf ums Daſein 
lahmlegen müjste. Das fürchte ich 
nit. Es gibt in den Individuen jo 
viele Verfchiedenartigfeit an Neigung, 
Auffaffung, Denken, Fähigkeit und 
einfeitige Leidenfchaftlichkeit, daſs eine 
allgemein gleichmäßige Ausbildung nicht 
ganz ausgleichen, die Unterjchiede nicht 
aufheben, die verfchiedenen Kräfte nicht 
lahm legen könnte. Jeder würde das 
Syſtem, die Anfhauung in fi aus— 


bilden, jo mit feiner Natur, feinen 
Beitrebungen übereinftimmte ; er wiirde 
freilih auch feinen Standpunft ver- 
treten, vertheidigen, gegnerische Auf— 
fafjungen befämpfen. Aber in welcher 
Art? Er würde über die gegnerischen 
Standpunkte ruhiger, objectiver ur— 
theilen, ex würde nicht glauben, mit 
der Darlegung feiner Lehre jo leicht 
Proſeliten machen zu können, er würde 
einjehen, dafs jeder in feiner Art ein 
bifschen recht hat und auch, dajs er 
ſelbſt manchmal ein biſschen im Uns 
recht fein Tann. 

Unfere heutigen Parteien, die mit 
rafender Leidenfchaft ſich gegenüber- 
ftehen, entbrannt falt bis aufs Meffer- 
züden, fie haben alle Objectivität, alle 
Ruhe, Folglich alle Vernunft verloren, 
Es ift erfchredend, wie viele Gewiſſen— 
lofigleit, wie viele Dummheit und 
Aufgeblajenheit und wie viele Lächer- 
lichkeit im Streite der Parteien zum 
Vorſcheine fommt. Man glaubt es oft 
faum, daſs es ſonſt leidlich vernünftige 
Leute find: fobald fie auf ihr Kampf— 
feld fommen, find fie blinde Zänter, 
Spitbuben und Thoren. Soll ih auf 
den abfcheulihen Kampf unferer Zei: 
tungen binweifen? Das Papier mwird 
diefe Schande den Nachkommen über- 
liefern. Die Nachkommen werden es 
wahrſcheinlich mit feiner der gegen 
wärtigen Parteien halten, über deren 
Gebaren doch entweder mitleidig lächeln 
oder mit Beratung zur Tagesordnung 
Ichreiten. 

Märe es denkbar, daſs man einmal 
zur Belinnung käme und fich fagte: 
Nun will ich doch einmal ganz über— 
legjam und mwohlwollend das Syſtem 
meiner Gegner ftudieren, will fehen, 
wiefo es kommt, dafs fie jo einfeitig 
denfen und handeln müflen, dajs ihnen 
der Blid für unfere VBernunftsgründe 
jo ganz und gar verfchloffen ift! Und 
wunderbar wäre es, wie viel man 
durch ein jolches überlegiames Studieren 
de3 Gegenthumes lernen würde. Da 
müfste man fehen, daſs an den Geg— 
nern micht alles ſchmutziger Eigennuß, 


35 


berechnende Böswilligkeit ift, was 
einem bisher jo fchien, jondern dafs 
andere, achtunggebietende Gründe es 
find, welche fie beftimmen. Durch diefes 
Eingehen in das Bereich der Gegner: 
[haft würde zwar felten einer feinen 
angeltammten, anerzogenen, angebil- 


en — 


alles zugrunde. Wenn es beijer werden 
ſoll, fo müfjen fi die Streitenden ſchon 
bequemen zum eingehenden, ruhigen Er- 
wägen und Prüfen der gegnerijchen 
Grundfäge und Leitmotive, Ich wie» 
derhole es: Eine Urfadhe, warum die 
Menſchen fich nicht verftändigen kön— 


deten Standpunkt verlaflen, aber er men, ift die dumme Verbohrtheit in 
würde lernen, auch andere Meinungen |die eigene Subjectivität, aus welcher 
zu achten, und damit wäre eine Brüde einerſeits brutale Rechthaberei, anderer- 
geſchaffen zu gegenfeitigem Wohlwollen, ſeits fanatifche Unduldfamteit ent— 
zu einer gewiflen Verftändigung, die | fpringt. — So lang ihr euere Augen 
für alle Theile von Bortheil fein |verfchließt gegen etwaige Borzüge, 
müjete. Denn was heute in den Ges | Tugenden und Rechte der Gegnerichaft, 
müthern der Parteien berrfcht, es ift ſo lange feid ihr unter allen Umftänden 
der Krieg! Und Sriege verzehren alle im Unrechte, und wenn man eud) des— 
Kraft, die für Anderes und Befleres | wegen böswillig, borniert nennt, jo 
beftimmt ift und richten allmählich | müfst ihr’3 auf euch fiten laffen. R. 


Iahrmarkt im bairifhen Hodland. 


Ein Lebensbild von Rarl Stieler.*) 


in) 
NO 
E— gab eine Zeit in unſerem Zwar ftanden jo manche unjerer 
2, bairischen Hochland, (wo die Berge | Gebirgepörfer an den uralten hiſto— 
zugleich die Mauern des Landes riſchen Handelsftraken, wie 5. 2. 
waren ; in tiefer Ubgejchloffenheit lebte | Partenkirchen; durch den Chiemgau 
das Volk dahin, und nur zum eigenen | führte der Weg aus dem Borland 
Bedarf nübte man damals die Herden; nad den Tauern, aber die Mehrzahl 
auf der Weide und das Korn in der der Orte lag doch in tiefer unberührter 
Scheuer. Das Wenige aber, was von | Einfamfeit. Für fie war e ein Ereignis, 
auswärts fam oder nad auswärts | wenn ihnen aus Taiferlicher oder 
gieng, trug das Saumroſs über den landesherrlicher Gnade das Marktrecht 
Bergfteig, doch allenthalben an Weg | verliehen ward; denn auf den Jahr: 
und Brüden lag harter Zoll, jo dafs |märkten, die fraft dieſes Privilegs 
das „Saumergewerf“ oft Schwere Müh- | gehalten wurden, fam der Bauer zuerit 
fat litt. mit fremden Bolt und fremder Ware 


*) Karl Stieler! Ein Liebling des deuifchen Volles. Wie viel hat er uns bereits 
geboten in feinen Dichtungen, und wie viel hat er mit fidh ins Grab genommen! Aber 
ein Nachlaſs ift da, vor Kurzem erſchien bei Adolf Bonz & Eo. in Stuttgart ein Bud: 
„Natur und Lebensbilder aus den Alpen von ar! Stieler. Mit einem 
Borworte von M. Haushofer.“ Der Begrabene macht uns noch einen Beſuch, aber als 
Lebender, als der frohe, kecke, urfrifche Älpler, als der Dichter und Voitsſchilderer 
Rarl Stieler. Unjeres Amtes ift nur, die Verehrer Stieler8 auf diefe neue Erfcheinung, 
der wir das vorſtehende Lebensbild entlehnen, aufmertjam zu mahen. Des weiteren 
wird das Bud für fich jelber ſprechen. Die Red, 


zufammen. In der Regel wurden diefe) Sein Zuhrwerk iſt längft im Staub 
Jahrmärkte nach den Heiligen genannt, | der Straße verſchwunden — da kommt 
an deren Felt fie grenzten, und faſt noch eine andere Karawane des Weges. 
ausnahmslos fanden fie an einem Es ift ein Wagen wie eine Arche 
Sonntag ftatt, wo auch der gemeine | Noah; aus den Fenftern Schauen une 
Mann freie Zeit und freie Bewegung | gelämmte Kinder mit ſchwarzem Gelod; 
hat. Hier mochte fi dann der uralte | ein lediger Pony und ein gefchorener 
Brauch des katholiſchen Vollslebens Pudel trotten Hinterdrein, und zu 


am beiten bewähren, daſs Frömmig— 
feit und Lebensluft ſich trefflich ver— 
tragen; neben der Kirche muſs das 
richtige Wirtshaus ftehen, und in den 
legten Glodenton hallt der erfte Juh— 
Schrei. 

Seitdem Hat fich freilich die Zeit 
wunderfam gewandelt, aber dieſer 
Sa, der ungeſchrieben doch zur ur— 
alten lex Bajuvariorum gehört, gilt 
nod heute, und auch heute noch ift 
der Sonntag, wo Markt gehalten 
wird, ein Feſt für die ganze Umgegend. 
Und jo möchten wir denn den freund: 
fihen Leſer auf einen jener oberbai— 
riſchen Märkte begleiten, wie fie etwa 
im Sommer in Tölz, in Miesbach 
oder in Gmund im Brauche find — 
und wir hoffen, es ſoll ihm der Tag 
nicht zu lang werden. 

Auf allen Straßen der Nachbar— 
ſchaft jpürt man ſchon einige Tage 
zubor den fremden Zuzug; Kärrner 
mit hageren Röjslein trotten des Weges, 
vor allem aber ift der Stellmagen 
Hoc geladen mit Kiſten und Koffern. 
In feinem Inneren figen zufammenz 
gepferht die diden Srämerfrauen, 
jhnatternd und fneifend, doch der 
Kutjcher macht nicht viel Federlejens; 
denn unſer Oberländer hat wenig 
Rejpect vor diefen Nomaden des 
Handels. Ihm gilt nur ein Dafein 
auf eigenem Grund und Boden als 
rühmlich. 

„Mad, daſs d' einifommft, alte 
Schachtel!“ herrſcht er die letztge— 
fommene an und ſchleudert mit einem 
Griff fie felber in den Wagen und 
ihren Reifefad auf Dad. Dann 
trinft er noch eine „Extramaß“, „weil 
der Wagen jo voll ijt”, und im ges 
mächlichen Trab geht's von dannen. 


beiden Seiten gehen Männer mit lang= 
geftredten Hälfen und fträhnenartigem 
Haar, das noch die Spuren des Stirn- 
reif3 trägt. Ein unglaubliches Neglige 
umbüllt ihre Glieder, die ſouſt im 
filberfarbigem Tricot paradieren; es 
find die Künftler, die zum Markte 
reifen, aber heute reifen fie noch — 
incognito. 

Bor einem Heinen Wirtshaufe 
im Wege machen fie Raft. Auf der 
Schattenjeite des Hauſes wird abge= 
kocht; die Kinder follern im Staube; 
die Frauen zigeunern durchs Daus, 
um Milh oder Schmalz zu erbitten, 
und drinnen, in der Wagenwohnung, 
wird unterdeſſen geflidt, gemwajchen, 
gefäugt und gehämmert, wie's eben 
die Stunde bringt. 

Kuurrend erhebt der Haushund 
Proteſt, und mit ſcheuen Augen blidt 
der Bauer auf diejes Treiben; ſein 
Mitleid ift gemischt mit Widermillen, 
aber dennoch lodt die Neugier alt und 
jung herbei aus dem Dörflein. Es 
fommt der Großvater mit feinen Enfeln; 
aus Stall und Stube fchauen die 
Dirnlein hervor, und der Schmied 
drüben legt feinen Hammer nieder 
und rüdt mit feinem Gejellen an. 

So gibt’3 im Nu eine ganze 
Geſellſchaft. 

Da meint wohl der „Herkules“, 
der die Truppe begleitet, daſs man 
das Eiſen ſchmieden müſſe, ſolang es 
heiß iſt, und ehe man ſich's verſieht, 
ſpringt er in Gala aus dem Wander— 
wagen; die Eifenftange thut ihre ver- 
blüffende Wirkung, und im nächſten 
Augenblide wird es laut verkündet: 
Zwanzig Mark Belohnung, wer den 
„bairiſchen Herkules“ (recte Mathias 
Hinterhuber) zu Boden bringt. 





360 
Eine dramatifche Spannung fafät| Sein Gegner rollt auf der Erde und 
die Gemüther; der Alte bedauert zum | ftenmt die nadten Ellenbogen ins 
eritenmal, dafs er jih Schon im Sta- Gras; zum Glüd ift feinem Körper 
dium des Großvaters befindet, und fein Leid gefchehen, aber die Rüftung 
der Schmied blidt prüfend auf feine) in diefem Zurnei, das blante Zricot, 
jehnigen Arme. trägt eine Haffende Wunde, und fein 
„sa“, meint er, „wenn i'n nieder] — Ruhmesglanz ift dahin, 
Ihlagen dürft, na wär's a leichts, Das ift der einzige Schmerz, den 
aber ringen — dös hat ja fein Wert | er empfindet, wenn er die jubelnden 
nit,* Gefichter ſieht; mit Schreden ſchauen 
„Sag lieber, daj3 du fei Schneid | die Seinigen auf den geftürzten „Her— 
halt!“ erwidert „Herkules“ im reinften! kules“. Dann erhebt er fich ſchweigend 
Altbairifh, das mit dem heflenifchen | und verfchwindet in dem großen gelb- 
Stammbaum feines Namens jeltfam | getündten Wagen. Gar oft hat der 
contraftiert. arme Mann mehr Pflichtbewufstjein 
Da ftürmt der Simei, der Ober: | ald der reihe — wortlos bietet „Her— 
knecht, durch die offene Stallthür; er fules“ dem Sieger das verlorne Gold» 
hat nur halbe Worte gehört: „Schneid, | ftüd dar. Aber der jpricht lachend: 
niederwerfen“ u. dergl., aber das ge— „Bhalt dein Geld! Du bift 
nügt, um alle Lebengsgeifter in ihm! g’ichlagen guua, dafs d’ verloren halt. 
wadhzurufen — war doch der Simei| B'hüt di’ Gott!” 
in Bairifch= Zell daheim. Keine Kränkung war damit dem 
„Wer Hat fa Schneid ?* brüflt er Gegner zugedaht; nur ein heimat— 
dem gefpreizten Gladiator entgegen, | ftolzes Selbitgefühl fräufelte die Lippen 
„probier’s, du g'ſchecketer Hansdampf!“ | des fühnen Knechtes, und dann ſprach 
Ein helles Lachen jcholl bei diefen | er fröhlich, mit einem Schelmenblid 
Morten, und unvermerkt wich auch | wider den Wirt: „Kellnerin, a Maß!“ 
der HKampfesgroll wieder dem Scherze. Mit dem Zeigefinger der Rechten 
„Zahl mir a Maßl, wenn i ’3| aber winkte er unter die Menge und 
g'winn?“ rief der Simei dem MWirt|rief ſchmunzelnd: „Gretei!“ 


entgegen. Geh, gib mir a Buflel 
4 „Geh, gib mir a Buſſe 
u Serie gern aa no’“, ſprach Und mad foa jo Giicht! 


Ich mad’ ſchon die Aug'n zu, 


„Und 's Gretei muſs mir a Buſſel Damit 3 niemand fiedt.* 


geben 2” fügte er ſchalkhaft Hinzu, 
mit einem Blid auf die Tochter des 
Daufes. 

„Jawohl, gern aa no’*, ſprach 
das Gretei. 


Auch im Dorfe jelbit aber zeigt 
bereits der „Markt“ feine lebensfrohen 
Spuren. Aufder Straße werden rechts 
und links die Heinen Bretterftände 

Da war's ein Augenblid, und| gezimmert; überall wird Platz gefchafft 
mit Sturmgemwalt waren die Leiber| für diefe Eintagsherrlichkeit, und der 
der Hämpfenden ineinander verſchlun- VBierwagen des Wirtes ift heute noch 
gen; bald war der, bald jener in den| einmal fo hoch geladen wie fonft. 
Lüften; denn die ungefüge Natur: | Morgen find’s wohl die Gäfte. 
fraft des Bauers hatte ſchweren Stand | Auch in Küche und Schlahthaus 
wider die blisfchnelle Gewandtheit des | gibt's Arbeit genug; denn man darf 
Ringers. Athemlos laufcht die Runde wohl auf taufend Fremde rechnen, und 
— da kracht der Boden von einem) mancher feiert ſchon den Abend vorher 
jähen Fall, und — von der eigenen | mit einer doppelten Abung. Samstag 
Kraft noch fortgerifien — prallt der Abend ift ja ohnedem den dunkleren 
fühne Bauer zwei Schritte zurüd. | Mächten unferer Natur geweiht, und 





— 


wenn der Bergbauer, der noch eine 
Stunde heim hat, um elf Uhr vor 
die Thür des Wirtshauſes tritt, dann 
dreht er Sich jchwindelnd um die eigene 
Achſe und lugt in die Sterne und 
brummt: „SBerrgott, aber morgen 
gibt’3 an ſchönen Markt! 

Endlih kommt die Sonne Hinter 
den Bergen hervor; die Sonntags» 
gloden Schallen durchs Thal, und überall 
herrſcht buntbewegtes Leben. Auf der 
gewundenen Straße rollen die Berner= 
wäglein einher; das braune Pferd iſt 
ſorglich geftriegelt, und drinnen fißt 
der Bauer mit feiner „Alten“ im 
Feierſtaat oder gar ein feder Burſch 
mit feiner Liebften. Das ftöht und 
ftolpert über die harten Steine, dafs 
einem wohl die Seele aus dem Leibe 
fliegen möchte, aber unfere bairiſche 
„Volksſeele“ iſt nicht fo fenfibel. De 
mehr Püffe, deito mehr Vergnügen, 
und dann iſt's doch immer noch 
„gefahren“ — denn ftärfer, als 
wir ahnen, hält ja gerade der Bauer 
aufs Repräjentieren. 

Aber auch wer zu Fuße fommt, 
trägt heute fein beſtes Gewand, vor 
allem die Mägdlein, die aus den Ein— 
ddhöfen der Nachbarfchaft herunter: 
fteigen. Da ſchmückt die breite Gold- 
Ihnur den Hut, und im Mieder prangt 
der „Buchen“ von rothen Nelken oder 
Geranium. 

Der Zudrang ift fo ftark, dafs 
gar nicht alles in der Kirche Platz 
hat; ſcharenweiſe ftehen die Männer 
vor dem geöffneten Thor, mit dem 
Hut in der Hand, nnd wenn nun 
das Hochamt verflingt, dann drängt 
die ganze geifhmüdte Schar hinaus 
auf den freien Plaß, wo die Zwieſprach 
wohl noch ein Biertelftündlein dauert. 

Hier ift ja das allgemeine „Ren 
dezvous“ der Bauernwelt; Leute, welche 
die ganze Woche Hindurd micht ins 
Dorf foınmen, weil fie im Holzichlag 
oder auf entlegenen Gehöften ihrer 
Arbeit pflegen, finden fih am Sonntag 
„vor der Kirch'““. Dann aber geht's 
mit ganzem Eifer auf den Markt, der 





heute alle übrigen Juterejlen verdrängt; 
Schon dröhnt die Trommelder, Künſtler“, 
die im Wirtsgarten ihr Seil geſpannt, 
Ihon Hört man „Kafperl” im Fiſtel— 
ton rumoren; furzum, mit jeder Mi: 
nute würde ein Wunder verjäumt. 
Aber nur langfam durchdringen wir 
diefes Gewühl; Hier und dort fallt 
lauter Gruß, wenn Bekannte jich be— 
gegen, übermüthiger Nedruf Klingt 
bon einem zum anderen, und dazwi— 
ſchen laſſen fich die treifchenden Lobes— 
hymnen der Krämer hören, die ihre 
Ware verkünden. 

Am dichteften ift das Gedränge 
indeſſen dort, wo der Sleiderteufel zu 
Markt fit; es werden Pers- und 
MWollenftoffe feilgeboten, vor allem aber 
die ſchönen feidenen „Tücheln“, die 
das eigentliche Prachtſtück des weib- 
lihen Goftüms bilden. Sie find auch 
das populärite Gejchent, das der Burſch 
jeinem Mädel bietet; fie ſchmücken die 
ahnen, die beim Schieken als Preife 
vertheilt werden, und gar mancher hofft, 
daj3 er damit den Weg von außen 
nad innen finde — vom Tüchel ins 
Herz. 

In langen Reihen ftehen die 
Mägdlein Hier vor dem verlodenden 
Laden. Es heißt wohl, dafs ſchöne 
Mägpdlein felten feien im bairiſchen 
Hochland, aber wer dort ji umlieht, 
der wird gern das Gegenteil gewahren. 
Nujsbraun fallen die Zöpfe um die 
frohen Gefichter, und die fichernden 
Stimmen klingen Hell durcheinander, 
bis das ſchönſte Stüd gefunden und 
der äußerfte Preis erzielt ift. 

Doh auch Kleider männlichen 
Geihlehtes kommen zu Markte, in 
allen Längen und Formaten, und diejer 
nichtsnutzige Import trägt meines Er- 
achtens Feine Heine Schuld an dem 
Verschwinden unſeres vollsthümlichen 
Koftüms. Den Bauer lodt das Neue, 
das Fremde und vor allem das 
fertige; er ſpürt von der Devile 
„Billig und ſchlecht“, die jeden Jahre 
markt regiert, natürlich nur den erften 
Theil, und jo kommen unvermerkt jene 


— 


grauen „Speuſer“, ſchwarzen Hüte 
und langen Hoſen ins Land, die den 
Bauer auch äußerlich dem Bürger 
gleichmachen; denn die Gedanken, die 
unter einem ſchwarzen Filzhut auf— 
wachſen, ſind nun einmal andere als 
die, ſo unter einem kecken grünen 
Spitzhütlein gedeihen; auch in dieſem 
tieferen culturgeſchichtlichen Sinne kann 
man jagen: „Kleider machen Leute“. 

Um meiften fucht natürlich das 
jüngere Gefchleht die „Mode”, und 
ſelbſt der noch ganz Kleine Filius, dem 
ſolch ein Markttag neue Hüllen Schafft, 
wird ſchon in ſchwarzes Tuch oder in 
ſymboliſches Grau gekleidet, ftatt dafs 
man ihn mit nadten Knien aufwachjen 
ließe, wie es jein Vater und „Ahnl“ 
gethan. Am längſten hält fi nod 
die Joppe (die übrigens nicht bairi= 
ſchen Urſprungs ift, fondern aus Zirol 
faın), und auch davon gibt es reichen 
Vorrath; Faft auf jedem größeren 
Markte iſt der „Sochelfchneider” ver— 
treten, der als Specialift in dieſem 
Face gilt, wie ja auch das Gewand» 
ſtüch ſelbſt „Kochler-Joppe“ genannt 
wird. 

Auch eine Feder am Hut mag der 
Baner ungern entrathen, troß aller mo— 
dernen Berfuhung, und jo gehört 
denn ein Kaufftand, wo alles erdenk— 
liche Federſpiel vertreten ift, zu den 
unvermeidlichen Artikeln eines richti— 
gen Marktes. Wer gern großthun 
will, kauft einen „Adlerflaum“ ; auch 
ein „Reiherſpitz“ findet allzeit gute 
Kunden, aber das Beliebtefte bleibt 
doch der „Gamsbart“ und die Spiel: 
bahnfeder. Mit den Händen im der 
Hoſentaſche ftehen die jungen Burſche 
vor dem Sramladen dort und muftern 
die Ware, während jo mancher achjel= 
zudend vorübergeht und denkt: „Dös 
holt man ji” droben am Berg’, mit 
berunten beim Kramer.“ 

„Herr Nachbar, a Barafol? Mor- 
gen regnet's“, ruft der Schirmfabri- 
fant einem furzgedrungenen Bauer 
zu, der eben vorüberftapft. 

„Dös is g'ſcheit; 





na’ wachſ' i 


TE 


no’ a biffel”, Tautet die Antwort, ohne 
dafs der Redende ſich umfieht. 

„Aber Schöne filberne Knöpf, dös 
wär’ ſcho' was anders für an guten 
Bauern”, tönt eine jchrille Stimme 
aus dem mächften Stand — „oder 
an Anhenker fürd Dirndl ?* (So nennt 
man das filberne Halsgeſchmeid.) 

„Da braucht ſcho' an eijerne 
Ketten zum anhängen, und nachher 
foınmen ſ' dir do’ no’ aus“, brummt 
der Alte damwider — abermals ohne 
ſich umzuſehen; der Krämer aber rafft 
mit beiden Händen feine Schäße auf 
und weist fie der lugenden Menge. 

Dier findet jih noch jo mandes 
töftlihe alte Ding an Schnürwerf 
und Geſchmeide; denn mandes Erb- 
ftüd, das Jahrhunderte lang im Be— 
fig derjelben Familie war, wird heute 
leider veräußert oder gegen modernen 
Zierat eingetaufcht. Die „Herrichaften“ 
aber, die über Sommer aufs Land 
fonımen, lieben das „alte Zeug”, und 
gerade auf fie ift hier die Speculation 
gerichtet; in dichter Menge umdrängen 
die Schönen Fräulein aus der Stadt 
die hölzerne Bude, um Knöpfe von 
Silberfiligran, oder Gürtelſchließen 
oder ein Halsgefchmeid zu holen, das 
vor dreihundert Jahren auf der vollen 
Bruft einer Bauerstochter glänzte, 
wenn fie der Jäger von Hohenwalded 


oder der Bergknapp von Hall zum 


Tanz geführt. 

Unbetümmert um diefe zarten Ge— 
ftalten und ihre alterthümlichen Paſ— 
fionen drängt dort ein breitfchultriger 
Burfche durch den engen Markt; fein 
Halsgefhmeid find ein paar breite 
Eifentetten, die er für den Zuchtitier 
daheim getauft und die er auf Diele 
Weiſe am bequemjten transportiert ; 
als holde Zuthat trägt er über der 
Schulter einige Daden und Heugabeln, 
die gleichfalls an ſolchem Tage für 
den häuslichen Bedarf erworben wer— 
ben. 

„Aufg'ſchaugt!“ ruft er phlegma— 
tiſch, fo oft fih einer an denjelben 
geſtoßen hat. 


4 


BER 


Auch ein Verkaufsſtand mit feſt- Ritter- und Räubergejchichten 


ſtechenden Meſſern gehört zu den noth— 
wendigen Attributen eines bairischen 
Marktes. Der Gebrauch derjelben ift 
zum Glück im Hochland unendlich 
jeltener al& in Niederbaiern,, wo fie 
bei jedem Streite jofort gezogen 
werden, aber als Waffe, als Zeichen 
feiner Wehrhaftigkeit will jie auch der 
Bauer in den Bergen nicht miffen. 
Ja, es ift bezeichnend genug für die 
Charakteriſtik des Stammes, dafs 
König Rudolph von Habsburg bereits 
in einem Landfrieden, der fpeciell für 
die bairiſchen Gebirgstheile galt, ein 
Verbot diefer Art für möthig hielt. 
Es heißt dort (anno 6. Juli 1281): 
„Swer ftechmezzer in den bojen trait 
(trägt), dem ful man die Hand ab» 
ſlahen.“ 

So grimmig iſt zwar die Polizei 
von heute nicht, aber an Verboten 
hat es auch im neunzehnten Jahr— 
hundert niemals gefehlt und noch 
weniger an — ihrer Übertretung. 

Ganz leer geht wohl niemand vom 
Markte heim; denn auch die Gene: 
rofität fommt an einem jolden Tage 
zu ihrem Recht, und fie ift im Bauern— 
ftande vielleicht verbreiteter, als wir 
es denfen. Das alte Spridmwort „noti’ 
is nit luſti'“ gilt vor allem, wenn 
man außer Haus geht; es ift Ehren— 
fadhe, daj3 der Burfch feinem Mäd— 
hen ein Geſchenk macht, wenn fie an 
diefem Tage zujfammentreffen; der 
Pathe mujs feiner „Godl“ (das heißt 
dem Pathentind) eine Gabe nach Haufe 
bringen, und ebenjo erwarten es die 
Kinder von den Eltern. Spielzeug 
aller Art liegt ausgebreitet, unſchuldige 
Kränzlein für den Frohnleichnamstag, 
aber den Borzug hat auch Hier das 
Eſsbare, „die eſſende Sach'“, wie der 
Baner jagt. Darum ift der Lebzelter 
der populäre Mann mit jeinen 
breiten braunen Derzen aus Pfeffer: 
kuchen, die ein geheimnisvoller Sinne 
ſpruch ziert. Noch geheimnisvoller 
freilih find die Büchlein, die auf dem 


und 
Traumdeutereien. 

„Stück für Stück zehn Pfennig“, 
kreiſcht die Megäre, die dieſe Schätze 
hütet, und traumverſunken ſteht der 
hochgewachſene Tiroler dort, der die 
Woche über als Holzknecht in den 
Bergen weilt; er hält feinen Schatz 
an der Hand, auch ein Zirolerfind 
au& dem Zillerthale, wie jchon der 
breitfrämpige Hut verrät), Das Büch— 
lein, da3 er in den ungefügen Fingern 
hält, ſoll das Recept verrathen, wie 
man unfehlbar in der Lotterie ge= 
winnen muſs — er ftreicht die Stirn 
mit dem blonden Ringelhaar und 
Schlägt die großen blauen Augen auf 
und blidt ftumm auf das fanfte und 
frifche Antliß des Mägdleins, als wäre 
nun ihrer beider Glüd geborgen. 
Mühfam Holt er den Zehner aus dem 
ledernen Beutel, und faſt verjtohlen 
birgt er das Wunderbud im Bruft- 
flet und geht mit feinem Schatze an 
der Hand fo ſchnell von dannen, dajs 
er gar nicht Hört, wie die Megäre 
zum nächſten ſpricht: „Stüd für Stüd 
zehn Pfennig!“ 

Da wirbelt wieder die Trommel: 
— rer — rrer — bumbum — und im 
Sturmfchritte drängt ſich alles den 
Seiltänzern zu; „'n Herkules, den 
müß’ ma ſehgn.“ Es ift unfer arıner 
Freund von geftern, aber zum Glüd 
ift fein Verhängnis erſt bei wenigen 
ruchbar geworden, und jo genießt ihn 
die Mehrheit noch im unverkürzten 
Nimbus. Schon den ganzen Morgen 
über war feine Eijenftange und ein 
jchwerer Feldſtein frei auf dem Platze 
gelegen, damit jeder ſich daran ver— 
fuchen könne; denn eine VBerjchleppung 
derjelben war aus guten Gründen nicht 
zu beforgen. Ein dichter Kreis Schau— 
(uftiger umgibt beitändig die gewal— 
tigen Stüde. Der und jener verfuchte 
jeine Kraft, aber nur ein achtzehn— 
jähriges Bürfchlein ſah ich, das die 
Zweicentnerftange über den Kopf hob. 
Es war ein Yutterfneht vom Bauer 


nächſten Stande ausgebreitet liegen: | im der Au. Der Zauber, den die nadte 


— | 


Kraft auf den gemeinen Mann übt, 
bleibt ihm doch ſtets ummiderftehlich, | wiederum den Wortheil, dafs es dort 
das Elementare, Sinnenfällige, das | Prügel in Menge gibt. Dieſes er- 
darin liegt, Hält ihn gefangen, und habene Schaufpiel bleibt dem Volke 
der Dann, der allein einen Fuhrwagen ‚doch immer das liebfte; die ganze 
von der Stelle zieht, imponiert ihm dramatiſche Action liegt Hier im Knüppel, 
unendlih mehr al3 der verwehende ‚den der Held des Stüdes führt, und 
Dampf, der einen ganzen Feſtzug be= |die Glanzftellen feiner Diction ver= 
flügelt. hallen auf den Köpfen von Tod und 
„Sept kimmt er, jegt limmt er“, | Teufel. Wie umvertilgbar jeit Jahr- 
heißt es von allen Seiten, wenn nun [Hunderten ift diefe deutſche Legende — 
der „Herkules“ in die umfeilte Arena trotz aller modernen Anmwandlung, ber 
tritt, ein hoher Kieshaufen, der zur ſelbſt das Landvolf unterliegt! 
Seite fteht, ericheint als günftige | der ift das nicht modern, wenn 
Tribüne; er ift im Nu erſtürmt und dicht Hinter der Bude des Hanswurſtes 
fällt alsbald im ſich zuſammen unter | ein photographifches Atelier fteht, adhoc 
der Laſt feiner neugierigen Beſteiger. für die „Heren Landleute* gezimmert ? 
Unterdeffen haranguiert ein abgefchabter In folder Stunde bringt der Bauer 
Clown die Menge und erzählt unter wohl das dünmfte Gefiht zuftande, 
Purzelbäumen die Biographie des das er jemals im Leben zeigt; mit 
„Herlules“, die im dem wichtigen | aufgerifjenen Augen und ausgeſpreizten 
Aviſo gipfelt: „Iſt noch nicht ver- | Deinen ſitzt er dort, und neben ihm 
heiratet.“ fteht triumphierend ein Maßkrug als 
Herkules — es iſt wohl der ein- voltsthümliches Ornament. 


jige Name, der fi aus der griechi— — — —— — 
ſchen Mythologie ins altbairiſche Volks— 19 Glied — 
ieben verirrt hat und der dort ſogar du reinen Milebermann Amer dem 
eine Art Hanstedht gewonnen hat: feierlihen Drude des Apparates, bie 
der prächtige braune Zuchthengit des a... mac bie on — 
Weißachmüllers heißt Herkules, wenn | Por AL DEREDEIM, [age — 


z los: „AH, Schön is er femma*, „akkrat 
auch an der Stallthür „Herluckes“ ge⸗ 3 a ' . 
föprieben lebt. wie’3 Leben“, und feiner verjäumt 


inzuzufeßen: „Siehft — an Maptru 
Und wenn nun die Production Ant Iche of — 
beginnt, da ſolltet ihr erſt die glän— Daſs der Maßkrug auch außer— 
zenden Bauernaugen ſehen, die jedes dem an Markttagen eine große Rolle 
Stüd begleiten: er läjst ſich den spielt, ift natürlich; das viele Hin und 
Oberarm mit einer ſtarken Peitſchen- Her uud befonders das „Umeinander- 
Ihnur umbinden, und durch einen Rud ſtehn“ macht müde, und Müdigkeit 
der Musleln zerreißt er die Schnur; | zeugt Durft. So find denn alle Gafte 
er wirft ein Mefjer auf den Tiſch, |ftuben überfüllt; in der Fenſterniſche 
dafs es fteden bleibt, aber von feinem umd im Winkel fien die Alten und 
Arme prallt es ab, als ob es auf pisputieren noch über diefes und jenes 
Eifen gefallen wäre. Und während | Gefchäft; jeder Bauer hat heutzutage 
noch alles in höchſter Spannung lebt, | jo a biffel a Handelſchaft“. Das 
umfreist der belannte Teller die „hoch⸗ kommt erſt morgen recht ans Licht; 
verehrte Verſammlung“, aber zuerſt denn mach dem „Leutmarkt“ wird am 
den äußerften Ring, damit feiner ent» Montag „Viehmarkt* gehalten: fo 
wiſche. lautet die traditionelle Bezeichnung der 
Mit verzweifelter Anſtrengung beiden Tage. 
macht „Kaſperl“ dem verhaſsſsten Geg— Doch während die Alten klügeln 


ner Concurrenz, und er hat hin— 

















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365 


und rechnen, dröhnt die Dede zu ihren 
Häuptern; droben im Saale ift Schub: 
plattitanz für das junge Volk; denn 
aud das ift ein hergebrachtes Privileg 


des Marktiages, daſs an deinfelben | 


Tanzmuſik gehalten wird. 

Es dämmert Schon, bis das Kleine 
Fuhrwerk wieder heimwärts trollt auf 
dem gewundenen Sträglein, wo wir 
es zuerſt gefehen. Der Bauer fiht noch 
firamm und aufrecht darinnen, und 
er fühlt mit ſichtlichem Stolz, dafs er 
troß ſchwerer Zeche jo unverſehrt da= 
vongelommen — die Bäuerin aber 
ſchaut ihm nicht ohne Argwohn auf 
die Zügel und ift froh, dafs wenigſtens 





der Bräundl jo ficher geht. Es wird 
jpät, bis man heimkommt, aber troß= 
dem find die Kinder noch auf und 
jubilieren den Alten entgegen: „Daft 


uns an Markt mitbraht?“ Auch 
das ift ein ftehender Ausdrud der 
Volksſprache. 

... Wie lind die Nacht iſt! — 
Alles gieng längſt zur Ruhe in dem 
großen Bauerngehöft; nur Mann und 
Frau ſind noch wach und ſitzen auf 
der Hausbank vor der Thür. Vor 
ihnen dehnt ſich Stall und Scheune; 
der alte Lindenbaum rauſcht und blüht, 
und wenn ſie da ſo ſchweigſam in die 
Sterne ſchauen, da mag es ihnen 
wohl durch die Seele gehen, was Erb' 
und Eigen wert iſt, und wie glücklich 
neben all dem fahrenden Volk ein 
Mann ift, der Haus und Hof in 
hundertjähriger Folge fein nennt. 
Es gibt ein altes Sprichwort: 


„Eigen Raud und Gemad 
Geht über alle Sach'!“ 


Auf der Primis. 


Ein Bildchen aus dem fteirifhen Volksleben von Karl Reiterer. 


8 
—— Hettelhuber Franz iſt ausge— 
S vweiht worden!” heißt es eines 
= Tages in Felixendorf, einer 
oberländ’rischen Alpengemeinde. 

Das ganze Dörfchen macht ih am 
„SchußengeleSonntag“, an welchem 





Tage die Primiz Franzens ftattfindet, 
auf die Beine, 
Herren Franz zu jehen, 

Es ift Sonntagmorgen. Süße 
Ruhe, beiliger Frieden ift ausgegoſſen 
über Wald und Flur, Berg und Thal. 
Kein Wölkchen trübt die Bläue des 
Firmamentes, die Schwalben zwitichern 
trauli unter den Giebeldächern oder 
jegeln mwohlgemuth durch die Lüfte, 
dem Schöpfer ihr Loblied fingend. 

Vom Kirchthurm jchlägt die neunte 
Stunde, 


um den Geiftlichen | 


er ſich zu benehmen weiß.“ 


Da ertönt Glodengeläute, | 


eine Mufikcapelle beginnt zu fpielen, 


ernst und feierlich fchreitet eine Pro— 
ceflion vom Felixendorfer Pfarrhauſe 
der Kirche zu, voran weißgelleidete 
Mädchen, die Schuljugend, dann die 
Priefterfchar, der Junggejellen-Berein, 
zulegt fommt der Primiziant im feit- 
lihen Ornate, den Blid demuthsvoll 
zu Boden heftend. 

„Hu, wie rund er fih ausgewachſen 
hat, er, der einstmals mit dem Linnen— 
höschen und dem Lodenrödlein in «die 
Studi» gieng“, liſpelt die Frauen— 
hoferin einem ergrauten Mütterlein ins 
Ohr. 

„Es ift aus der Beil, wie fein 
— Stinder 
und Frauen drängen fich heran, dem 
Geiftlihen die Dand zu küſſen. 


Franzens Mütterlein zittert vor| fchifft, trat Franz in das „Prieſter— 
Freude, eine Thräne erglänzt in ihrem haus". Die laug erhoffte Zeit, in der 
Auge. O Mutterthräne! Glücklicher das wogende Mutterherz ihren Sohn, 
Sohn, der einer Freudenthräne aus) ihre Hoffnung, ihren Stolz im langen 
dem Mutterauge theilhaftig wird, einer | Talare heimkommen fieht, war ſchließ— 
Thräne, die den unergründlichen Tiefen | lich da. 
eines See's gleicht. Nicht nur Bater und Mutter, nein, 

Sa, die heißerfehnte Zeit, in der| die ganze Deimat3gemeinde begrüßte 
dein Kind das erjtemal als Diener | mit hochklopfendem Herzen Franz, aus 
Gottes in feiner Weihe zum Altare| dem mittlerweile ein Mann geworden. 
tritt, fie ift gefommen, liebes Mutter- PVöllerfchüffe verfünden es weithin, 
herz. So mandes Gröfchlein haft du dafs fih in Felirendorf heute — am 
der Wirtfchaft abgezwadt: Für die) Schußengel-Sonntag — etwas Außer: 
Primiz, für die Ausftattung deines | ordentliches zutrage. Es will der Jubel 
Eohnes, wenn er dereinft als Priefter | fein Ende nehmen. 
heimkehrt .... Die Feier in der Kirche iſt be— 

Und dieſe ſelige goldene Zeit für endet, der wichtigſte Moment des Tages 
das ſehnende Elternherz iſt da. Der in feiner Haupttragweite abgelaufen. 
bäuerlichen Mutter größte Freude iſt's Einer Primiz beiwohnen, iſt für das 
ja, einen ihrer Knaben, der Lerneifer Seelenheil beſſer, als ſieben Meſſen 
und Talent an den Tag legt, in die Stadt andächtig zuhören! glaubt das Land— 
in „d’ Studi” zu bringen. Den Land- volk. Und recht hat man; es ſoll nur 
leuten ift, man weiß es, der Geiſtliche geglaubt werden. 
das deal eines „Gftudierten“. Run! Aus dem Gotteshaufe gezogen, 
wohl an! Damit aus dem lernbe= | wird die Dorftaverne aufgefucht. Unter 
gierigen Dalterbüblein ein Pfarrer, Elingendem Spiele geht e8 vorwärts. 
Dechant — oder gar Bilchof werde, | „So viel niedertradhtig iſt er ge= 
muſs der Knab' zum Pfarrer des | blieben, der Primiziant, jo viel g’mein!“ 
Heimatsdorfes in die „Zuaricht“ ge- raunt die MWolfenbänerin der Primiz- 
Ihidt werden. Auch des Hettelhubes | mutter ind Ohr. Diefe, die reiche und 
rischen nahm fi, vor Jahren wars, | angejehene Steghofwirtin, lächelt glüd- 
vor zwölf langen Jahren, der Orts- ſelig. Sie läjät es ſich foften, eine 
caplan liebevoll an, bereitete den Sleis ganze Weihe der ſchönſten Spenden 
nen zur Aufnahme ins „Augufteneum“ | jind für den geiftlichen Deren in Be— 
bor, weil Franzens Mütterchen meinte: | reitfehaft. Auch die Kranzeljungfrauen 
„'s Bübl ift halt frei fo viel witzig!“ laſſen ſich micht fpotten — und über- 
Ei ja, ein gewedtes Kind hatte die reichen dem „Neneingeweihten“ einen 
Hettelhuberin, ihren Franzerl, der nicht | goldenen Stel, die Junggefellen von 
nur den ganzen Katechismus aus« Felixendorf dagegen verehren ihrem 
wendig mwufste, fondern auch etliche ehemaligen Jugendgefpielen eine gold» 
Evangelien im Gedächtniffe hatte und! geftidte Stola. 
einige Stüdlein aus ber Bibel zu er=| An der Doritaverne berriht um 
zählen vermochte. Brad. Da kann es: die Mittagszeit reges Leben. 
freiliih ans Studieren gehen. Während im MWirtsftübchen eine 

Auh, acht volle Jahre mufste der herrliche Tafel gededt wird, bombar— 
Knabe in der „Lateinfchule” herum | diert man im Freien, daſs ganz Fe— 
boden, ein entjagungsvolles Leben | lirendorf in Rauch gehüllt wird. Recht. 
zwiſchen vier Wänden führen. Alle Welt ſoll es nur bören: Die 

Aus dem Anaben ward ein Jüng- Felixendorfer haben Einen, der aus 
ling. Die Klippen des Gymnafiums — | ihrer Mitte Geiftlicher geworden: den 
es gibt deren fo viele — glüdlich um- Hettelhuber Franz. 





u _ 


Die Dorfmufifanten beforgen bie 
Zafelmufit, fpielen muntere Weifen. 
Bor dem Wirtshaufe geht es zu, wie 
bei einer Kirmeſſ'. Lebzelter, Süd- 
früchtenhändfer, Galanteriewarenfrä- 
mer zeigen ſich auf dem Dorfplake, 
legtere in bumtfärbigen Buden und 
Zelten. Die Laune des Wettergottes 
ift eine ungetrübte. Angeſichts diefes 
erfrenlihen Umftandes pilgern einhei- 
miſche und fremde Bauern und Bürgers: 
leute zwischen den Buden umber. Zumal 
die freudig erregten Felixendorfer wollen 
es dem jungen Geiftlichen zeigen, dafs 
fie ihn ehren, indem fie fich recht zahl« 
reich in heiterfter Laune einfinden. 

Es perlt der ſteiriſche Schilcher gar 
verlodend in den Gläſern — und wird 
dein Primizianten zur Ehr und Preis 
in großen Quantitäten vertilgt. Ein 
Mann mit einem Wurſtkeſſelein drängt 
ih durch die Menge, mit dem Rufe: 
„Deiße — feine — Primizwürſth!“ 
Primizwürſtel will jedermann ver— 
foften, verſteht ſich. 

Eine originelle Muſikbande ſpielt 
neben einem Weinzelte fröhliche Wei— 
jen, ſorgt dafür, daſs auch außerhalb 
des Wirtshäuschens die Säfte ſich bei 
Geigen- und Hörnerllang unterhalten 
fönnen. Der Schulmeifter ift Heute 
Kapellmeifter und im dieſer feiner 
Eigenschaft vollauf beihäftigt. Die 
Ihönften „Steirifchen“ und Heimats— 
Hänge im niedlichen Stleide, der Jodler 
müſſen der Fiedel entlodt werden. 
Nur zu! 

Der Jugend werden des Lebens 
Süßigkeiten beim Lebzelter und diden 
„Heigen-Hanfel“ geboten. Für das 
Ihauluftige Bölllein bildet ein Pan— 
opticum, in den die Stadt Rom, Ge— 
novefabilder, Paſſionsdarſtellungen :c. 
augejehen werden fönnen, den An— 
ziehungspunft. Vor der Bude fpielt 
ein Drehorgeljpieler anheimelnde Volks— 
weifen und lodt viele Leute herbei. 
Nur hinein in das Panopticum. Ganz 
recht, die Stadt auf den „fieben Hü— 
geln“ ift nicht immer zu fehen, mir 
an einem Primizfeite in Felixendorf! 


Diefe Gloffen, welche der Ausrufer 
bor der Bude dem „hochgeehrten 
Publicum“ vormacht, verfehlten nicht 
ihre Wirkung. 

Alles freut Sich feines Lebens. 
Wohl begreiflih, eine Primiz ift nur 
felten. In Felixendorf war eine folcdhe 
ſchon ſeit undenklichen Zeiten nicht 
mehr. Soll ſich da nicht groß und 
klein, alt und jung des Tages freu'n? 
Natürlich! 

Die zur Primiztafel Geladenen, 
zu welden die Anverwandten des 
Primizianten, die Dorfhonoratioren: 
der Biirgermeifter, Gemeinderath, der 
Pfarrer, die Kirchenkämmerer gehören, 
fißen munter bei den Ziehen, die ſich 
unter ihrer Laſt faft „biegen. Ru, 
bei vollen Schüffeln und Gläfern läfst 
ſich's Freilich gemüthlich plaudern. Auch 
Toaſte werden ausgebradt, bejcheidene, 
naide und ſchwülſtige, jeder ſingt eben, 
wie ihm der Schnabel gewachſen ilt, 
jo auch beim „Lebenlaſſen“ und „Zus 
trinten” auf Franzens Primiz in der 
Taverne, 

Unter Scherz und Laden ver- 
ftreicht die Zeit, rüdt die Abendftunde 
heran. Beim Eintritt der mächtigen 
Stunde find auf den umberliegenden 
Höhen Freudenfeuer bemerkbar: Alle 
prangen weithin Jichtbar — dem Pri— 
mizianten zu Ehren. Eine lobenswerte 
Aufmerkjamteit. 

Nun wird wohl bald nah Haufe 
gezogen werden? Gott bewahre. Nur 
die älteren Geiftlihen, die aus der 
Nahbarjchaft Herbeigeeilt waren, kehren 
heim. Die übrigen PBrimizgäfte, mit 
dem „Gefeierten“ in der Mitte, bleiben 
im Wirtsftübchen zurüd. Was ges 
ſchieht? Tiſche und Stühle werden 
beifeite gefchoben. Weshalb ? — Es 
wird ein freier Raum zum Tanze ge— 
Ihaffen. Ei, ei, wird denn auf einer 
Primiz auch getanzt? Bi! Es foll 
freilich nicht jein. Allein was kümmert 
e5 den fidelgewordenen Kranzeljung— 
frauen und Junggeſellen, wenn die 
geiftlichen Borgefegten fagen: Bei einer 
Primiz darf der Boſe jein Spiel nicht 


son. 


haben. — „Na, na, ein Zänzlein in 
Ehren — kann niemand verwehren!“ 
meint der „Göd“ des Primizianten. 
Der Steirer will in feiner Luft tanzen, 
nur nicht engherzig fein. 

Auch der junge geiftlihe Herr 
wird gebeten, mit der erften Kranzel— 
jungfer ein Zänzlein zu „machen“. 
Ob er's tut? Alles blidt fragend 
nad dem Hettelhuber Franz. Mit der 
niedlichen Baderstochter dreht fich 
Ihlieglih der Primiziant im Reigen, 
Warum denn nit? „Er hat ja auch 
Fleiſch und Blut!“ flüftert die junge 
Köhlbergerin ihrer Sitznachbarin ins 
Ohr. Ein ergrautes Miütterchen nimmt 
der Dorfcaplan — und Hopst mit 
demfelben im Stübchen beim Stei— 
riſchen. Heiſſaſſa! Darob eine Luft! 
Welch' Seligleit. 

Der Simbartlberger Naz, der mit 
des Schulmeiſters Zöchterlein ſich 
mitten im bunten Knäuel der Tan— 
zenden im Kreiſe dreht, trällert in 
übermüthiger Laune gar: 


„Wenn's Liabn a Sünd' wär, 
Wia die Beiftlanan jagn, 

Aft därfat da Pfarrer 

Ka Kö . 


Der Schluſsſatz ift mit mehr 
vernehmbar. — Ein allgemeines Ge— 
trampel, Gepolter und Sohlen geht 
los, weil der Simbartlbergerſch' diejes 
„Staubdenliedel“ vortragen wollt’ — 
es aber nicht zu vollenden vermochte. 

„Buhe! Der geiftlihe Herr ſoll 
leben, drei Tag nah der Ewigfeit 
noch beim Gottvater daneben!“ ruft der 
Sanperlbauer, 

Die Mufilanten erwidern mit 
einem Tuſch, alles klatſcht Beifall. 
„Jeſſus, iſt's aber heut’ unterhalt- 
lich!“ — Recht fo! 

Gegen Morgengrauen wird's im 
Tanzgemach ziemlich ſchwül. Da geht 
man gern einmal friſche Nachtluft 
einfangen. 

Mährend die Altväter beim „Neu 
päuriſchen“ fingen: 


.. 1.0. * 


„Sa, ih woaß ſchon = . ih hiaz thua; 
35 laſſ' die ſchöan Biradt mit Ruah; 


ju 
Schuah und Strümpf bleib mir ganz und 
das Geld ab dazu, 
Bleib dabei a Iuftiga Bua. Jude!“ 


begeben ſich die Kranzeljungfrauen ins 
Freie. Man luftwandelt im thaufrifchen 
Gras des Schadens hinter dem Wirts— 
häushen einher. Der Mond biidt 
freundlich hernieder, taufend flim— 
mernde Sterne belaufchen die nächt— 
lihen Geftalten. Der Schmerhofer 
Kilian, ein feuriger Großbauernfohn, 
lehnt feinen Kopf an die Schulter 
der Baderstochter ... Glüdfeligkeit!.... 
Allınählich verlieren fich in der Tas 
berne die Gäfte; unter Glüdwünjchen, 
die dem Primizianten zum Abfchiede 
dargebracht werden, verlafjen die ein— 
zelnen Pärchen die trauliche, mit 
Tabafrauch geihwängerte MWirtsftube. 
Manches Mütterlein drüdt dem geiſt— 
liden Herrn Franz einen geweihten 
Hran’nbildthaler in die Hand.... 
„Bejegne es Gott, ift zwar nicht viel, 
aber vom Herzen! ...“ Vergelt's 
Gott! — Frühmorgens ziehen die 
Zurüdgebliebenen, unter ihnen der 
Primiziant, zur Dorfkirche, aud 
unferem Herrgott muſs der Tribut 
gezollt werden. 

Nah dem Kirchgange wird ein 
Hrühftüd eingenommen, hernach geht's 
heim zu: Die Mufilanten abermals 
voraus, die Jungfrauen u. ſ. w. fol— 
gend, Glarinette und Horne erklingen, 
Pöllerſchüſſe erfchüttern die Luft. 

Beim Heimatshaufe Franzens an— 
gelommen, wird auf dem grünen 
Rafen im goldenen Morgenionnens 
Ichein getanzt, gefungen und gejodelt. 
Die Hettelduberin bewirtet darauf die 
ehrenwerten Gäſte. 

Alles verwundert ſich höchlich, daſs 
die Mutter des Primizianten es ver— 
ſteht, der anſehnlichen Schar Gäſte 
mit großer Umſicht ein frugales Gabel— 
frühſtück vorzuſetzen, Speiſen, die in 
der geſchwärzten Rauchküche zubereitet 


— . 


wurden: Milchlaffee, Badhendel, Eier: | 
ftrauben, Apfelradel, Krapfen u. |. w. | 
Dass nebſtbei auch der vaterländijche | 
Schilder in den Gläſern perlt und‘ 


eine fascinierende Wirkung auf die 
nachtmüden Gemüther ausübt, ift be= 
greiflich. 

Man vermag ſich garnicht zu tren— 
nen. Glück ſtrahlt auf jedem Geſichte, 
bis endlich die gefürchtete Scheideſtunde 
ſchlägt. Jeder zieht ſeines Weges, 
nachdem man ſich zuvor auf das herz⸗ 
lihfte vom Primizianten verabjchiedet 
bat. 

Noch lange nach diefem Ehrentage | 
des Hettelhuberifchen jpricht man in 
Felixendorf, daſs es auf der Primiz | 





369 


des Franz brav 
gen ſei. 

Gott befohlen, junger Geiſtlicher, 
der du mit freiem Blick, nicht eng— 
herzig, die Welt auffajst, kugelrund, 
wie fie ift und bleiben wird, fich um 
die Sonne bemwegend. 

„Öefegnet feien deine Wege, mein 
Franz!“ betet die Mutter. 


luftig zugegan— 


Wie dih das Schidjal aud 
Durchs Leben führen ınag, 
Ertrag's mit Kraft und Muth; 
Mit fih’rem Blid ftreb’ hin, 
Hin nad des Menſchen Gut, 
Dem Glauben, Stolz, der ſich 
Des Glaubens rühmen fann — 
Und bleibt ein freier Mann! 


Wie es mir als Dramatiker ergangen if. 


Belenntnis aus meinem MWeltleben von P. R. Rofegger, 


ap 


it dem altehrwürdigen Grund— 
yon Taße, aus Beicheidenheit mög» 
°F fichft wenig von fich felbft zu 
ſprechen, habe ich befanntlih längſt 
gebrochen. Ich jehe nicht ein, warum man 
gerade davon nicht jprechen joll, was 
man am beften kennt und weiß. Zwar 
heißt es, fich jelbft erkennen, das wäre 
die ſchwierigſte Wiſſenſchaft; mag wohl 
fein, und gerade darum foll der Menjc | 
jich viel darin üben. Wenn man jid 
mit ſich ſelbſt befaſst, muſs das denn 
immer aus Eigenliebe geſchehen? Kann 
es nicht auch einen anderen Grund 
haben? 
Ja, weiß Gott, welchen Grund e | 
hat, wenn ih nun des langen und 
breiten erzähle, wie ih — verzeihen 
Sie meine Herren Kritifer das harte 
Wort! — Dramatifer geworden bin. 
In einer Winternacht des Jahres 
1890 träumte mir, der Gaugel-Blas | 
hätte den Kreuzjäger erſchoſſen, er ftehe 


Rofegger’s „„Grimgarten‘‘, 5 Geft, XV. 


6 





deswegen vor Gericht, leugne es aber. 


Da kommt die Witwe des Erſchoſſenen 
als Hauptzeugin, jagt jedoh aus Er- 


barmen mit dem armen Sünder nicht 
‚gegen ihn aus, was dieſen fo tief 


rührt, dafs er jih nun jelbft al3 den 
Thäter befennt. — Nach diefem Traume 
erwachte ich, der Herzichlag gieng mir 
lebhaft, ich war don der Erſcheinung 
ganz und gar erfüllt. Am mächiten 
Tage ſchrieb ih in Bauernmundart 
die Heine Geſchichte „der Gaugel-Blas“, 
welche hernach im Juniheft des „Heim— 
garten“ abgedruckt worden iſt. Wenige 
Tage nach dem Erſcheinen dieſes Heftes 
ſchrieb mir ein Freund, der Dichter 
Richard Voß aus Berchtesgaden: 
„Liebſter! Aus dieſem Gaugel-Blas 
muſst Du ein Theaterftüd machen, Du 
musst! Ein herrlider Stoff!" — 
Was Sollte ich thun, als ein wenig 
läheln? Ich ein Theaterftüd jchreiben! 
Und aus diefer Geſchichte, die mir jo 


24 


garnicht knetbar ſchien, um fie in fo 
und jo viel Acten flilgereht auf die 
Bühne zu bringen. Anftatt ein Stüd 
daraus zu machen, jchrieb ih eine 
größere hochdeutſche Erzählung über 
den Gaugel-Blas, und damit glaubte 
ih die ganze Sadhe vom Halfe zu 
haben. — Pier Monate fpäter, an 
einem Herbſtmorgen, ald ih noch im 
Bette liegend darüber nachdachte, was 
ich an dieſem Tage unternehmen follte, 
denn ich fühlte mich nach einer über— 
ftandenen Krankheit wieder aufgelegt 
zum Arbeiten, kam mir ganz plößlich 
der Gaugel-Blas in den Sinn und 
in dem Wugenblide ſtand auch der 
dramatiihe Aufbau für ein Theater- 
ftüd Mar vor mir, Ich ftand auf, be— 
gann zu Schreiben und an dem Abende 
desjelben Tages war der erfte Aufzug 
fertig. Fünf Tage fpäter ſah ih zu 
meiner eigenen Überrafhung, dafs ich 
ein Stüd gejehrieben Hatte, welches den 
Titel führt: „Am Tage des Gerichts.” 
Und nun Fam das Nachdenken und 
Meſſen und Fügen, ich war gerne ge— 
neigt, das Stitd zu zergliedern, anders 
zu bauen, um es biühnengerecht zu 
machen, allein es ftellte fich heraus, 
dafs die Arbeit in der urfprünglichen 
Form bleiben mufste, um einfach und 
folgerichtig zu fein, dafs fie aber in 
diejer Form Fein Stüd nad dem 
äfthetifchen Leiften war. Das madt 
nichts, wenn nur der Gehalt etwas 
bedeutet, und des Gehaltes wegen war 
mir nicht bange. — Sehr oft war id 
von Theaterdirectoren und Schau— 
jpielern angegangen worden, einmal 
ein Stüd zu jchreiben, auch unfer 
Grazer Director, Herr Alfred Schrei— 


ber, hatte mich wiederholt freundlichſt 
Diefem erprobten 


dazu ermuntert. 
Bühnenmanne jchidte ih mun halb 
im Spaſs und Halb im Ernſte das 


370 





ſchnell, fo ift es nicht Sitte in deutfchen 
Landen, wo die größten Dramatifer 
auf fangen, mühevollen Wegen und 
nur duch mannigfaltige Kämpfe zur 
Bühne gelangen. Ih Hatte auf den 
Lorbeer des Dramatifers nicht allein 
willig verzichtet, jondern war ihm 
jogar ausgewichen, er ift allzujchwer 
und — allzuleiht zu haben. Anzen— 
geuber ftarb in Armuth, Offenbach 
ward Millionär. Mich verlangte es 
nicht nad dem einen und micht nach 
dein anderen. Ich entdedte in mir 
weder dramatiſchen Beruf noch Luft, 
mein ruhiges Leben mit den Auf— 
regungen der Theaterwelt zu ver— 
tauschen, alfo ftand ich dem Antrage 
des braven Directors, der einen anderen 
Dilettanten glüdlich gemacht Hätte, län- 
gere Zeit ziemlich gleichgiltig gegen— 
über. Dann aber dachte ih: Du Halt 
ſchon jo Vieles verfucht auf diefer Welt, 
verſuche auch das. Du Haft ja immer 
bedauert, daſs bei deinen Vorlejungen 
dein geiftiges Naturell nicht recht zum 
Nusdrude kommt. Wenn du ein ſpaſſi— 
ges Stüdel vorbradteft, ein ſchelmi— 
ches Anekdotlein oder jo was, da hieß es 
ftets: Ein echter Rofegger! — Vielleicht 
ift doch diefes Schauſpiel, geſchöpft 
aus tiefften Ernſte des Lebens, ein 
noch echterer! Ich willigte zur Auf— 
führung des Stüdes und ein paar 
Moden fpäter la3 man auf dem 
Theaterzeitel: „Iheater am Stadtpark: 
Heute das erftemal: «Am Tage des 
Gerichts», Volksſchauſpiel in vier Auf— 
zügen von —“ u. ſ. w. 

Das war Samstags, den 8. No— 
vember 1890. Für diefen Tag war 
ſchon feit längerer Zeit eine Vorlefung 
von mir in Wien feſtgeſetzt; eine 
angenehme Zerftreuung dort, während 
hier die Premiere ftattfand. Schon als 
Dorfburfche hatte ich. esjogehalten : wenn 


Stüd, ihn um feine Meinung darüber | der Pöller geladen war und der Zun— 


erfuchend. Die Meinung kam poft« | 


wendend: Das einzige, was da zu 
thun, raſch die Rollen herausschreiben, 
das Stück einftudieren und aufführen ! 
— Ich war überraſcht, das geht zu 


der darangelegt, jo gieng ich weit hin 
weg, damit beim Losgehen mir nicht 


etwa ein Scherben an die Naje fliegen 
konnte. Für mein Stüd hatte ſich in 
‚der fteiriichen Hauptſtadt ein fo lebe» 


⁊ 


37 


haftes Intereſſe, eine ſo geſpannte 
Erwartung gezeigt, daſs mir unheim— 
lich wurde. Die Maßſtäbe waren 
ſchon in die Länge gezogen, um den 
erſten dramatiſchen Verſuch des Er— 
zühlers an den Meiſterdramen Anzen— 
grubers, Raimunds und Shakeſpeares 
zu meſſen, die Federn ſchon geſchärft, 
um nichtentſprechenden Falles ihres 
Amtes zu walten. Ich fand mich ruhig, 
mein Gewiſſen war gut, ich mwujfste, 
da3 Stüd hat einen Inhalt, welcher 
der Volksbühne würdig ift. Diejen 
Inhalt wird man erfennen; im Bezug 
auf die Form wird man mich umfo 
mwohlwollender entjhuldigen, als man 
cher Kritiker ſelbſt es erfahren, wie 
ſchwierig es ift, ein ordentliches Theater- 
ftüd zu ſchreiben. 

Alfo bin ich heiteren Gemüthes 
nah Wien gefahren. Zelegraphijche 
Nahriht über das Schidjal des 
Stüdes hatte ih mir verbeten, ich 
wollte für meine Vorlefung gefammelt 
jein und von nichts willen, als von 
dem, dafs es gilt, den lieben Zuhörern 
im Böjendorferfaale eine „gute 
Stunde” zu bereiten. Wir ſaßen unfer 
neunhundert Freunde und Freundinnen 
auch jo gemüthlich beifammen, das 
ih ganz und gar vergaß, wie zur 
jelben Zeit in Graz die Hände 
tlatſchen oder die faulen Äpfel fliegen 
fonnten. Nachdem id) gegen anderthalb 
Stunden gelejen hatte und das Pro— 
gramm noch immer micht alle war, 
brach ich ab, damit aus einer guten 
Stunde nicht zwei ſchlechte würden. 
Denn ih war ſchon ſehr erfchöpft, 
las von Minute zu Minute fchlechter 
und „ſchlamperter“. Doch die Wiener 
haben jeit jeher Geduld gehabt mit 
meinen Shwäden; fie ehrten mich am 
Schluſſe mit raufhendem Beifall; ob 
fürs Lefen oder fürs Aufhören, das 
weiß ich freilich nicht. 

Nach der Borlefung ein Stündchen 
mit ein paar Freunden, und dann ins 
Bett. Und nun Huben die Bedenken 
an. Wie wird's in Graz fein? Die 
Miürfel find gefallen. In der heimat- 


lihen Stadt, jozufagen vor den Feit= 
fterın der eigenen Wohnung durchzu— 
fallen, foll nad dem Zeugniſſe be— 
rühmter Zeitgenofjen nicht jonderlich 
angenehm fein. Wenn e8 gut ausgefallen 
wäre, hätten fie mir doch telegraphiert, 
troß des Verbotes. — Die Aufregung 
über das Schidjal eines neuen Buches, 
die Angft vor einer ſchlechten Aufnahme 
desjelben kenne ih nicht. Wenn nur 
ich jelbft mit dem Buche nicht allzu 
unzufrieden bin, nah der Meinung 
anderer frage ih faum mehr. So 
ſträflich leichtſinnig! Diesmal jedoch 
war es etwas anderes; dreißig Meilen 
weit von den Rampen Hatte ich hef— 
tiges Lanıpenfieber die ganze Nacht. 
Auch förperlih war ich fehr erfchöpft 
und elend. Am Morgen — e3 war 
ein frofliger Nebelmorgen — ſchleppte 
ih mich zum Sidbahnhofe. Dort jah 
ih eine Zeitung mit der Nachricht aus 
Graz des Inhalte, dafs das neue 
Voltsftüd viele Fehler habe und mit 
getheilten Gefühlen aufgenommen wors 
den ei. — Glimpflihe Anzeige eines 
entfchiedenen Durchfalles. — Alſo 
heim! zurüd in Gottesnamen zur 
Stätte des Jammers. Mit jo unbe— 
haglicher Stimmung bin ich noch nie 
in die liebe Steiermark hineingefahren, 
al3 au jenem Tage. In Mürzzujchlag 
faufte ih ein Grazer Blatt, um über 
den Spectafel ausführlicher zu leſen, 
denn auf einmal fam mir die Ge- 
ſchichte faſt luſtig vor. Ein langer 
Aufſatz ſtand da über das neue Stück, 
wenige Stunden nach der Aufführung 
ſchon gedruckt und verſendet. Was doch 
heutzutage die Federn flink und die 
Maſchinen raſch arbeiten! Im Aufſatze 
ſtand allerhand zu leſen über die Froſtig— 
keit der neuen Bühnenerſcheinungen 
im allgemeinen, über die fehlerhafte 
Mache des neuen Stüdes im befon- 
deren, über die fonftige Popularität 
jeines Verfaſſers, deſſen Freunde bei 
der Aufführung erfchienen wären und 
durch der Hände Arbeit einen großen 
Erfolg erzielt hätten. — Bon dent 
Inhalte, von dem Gehalte, von der 


24* 


* 


Tendenz des Stückes nicht gar viel. 
Das Ganze machte den Eindruck einer 
rückſichtsvoll gehaltenen Ablehnung. 
So verſtand ich's. 

Bis mein Zug nach Graz kam, 
war ich vollkommen ruhig; was müßt 
denn die Philoſophie, wenn man jie 
an ſolchen Tagen nicht vorfpannen 
wollte! — Doch am Bahndhofe kaum 
ausgeftiegen, war ich empört; mehrere 
Bekannte eilten herbei uud beglüd- 
wünjchten mich zu dem „großen Er- 
folge”. Ich hielt es für Hohn. Erft die 
Berichte, die in meiner Wohnung war- 
teten, haben mich eines anderen belehrt, 
haben mir gejagt, daſs das Volks— 
ſchauſpiel „Am Tage des Gerichts“ 
einen wirklichen Erfolg errungen hätte, 
wovon ih mich auch an demfelben 
Abende und den folgenden Ubenden, 
an welchen das Stüd bei guibefuchten 
Häufern Wiederholung fand, über— 
zeugen fonnte. 

Die Grazer Prefje behandelte mich 
mit jeltener Ubereinftimmung nicht wie 
einen Ddramatiihen Anfänger, den 
man ermuthigt, wenn auch nur halb» 
wegs Talent zu jpüren; eher war 
ihr Ton wie eine würbevoll wohl 
mwollende Zurückweiſung. Und dieſe 
das Intereſſe an dem Stüd läh— 
menden Stimmen jpraden zu Dante 
jenem in jedem Orte unvermeid— 
lihen Theile des Bublicums, welchem 
nichts zumiderer ift, als wenn in 
feiner Mitte ein Menſch ſich an 
fhidt, zur Ehre der Heimat etwas zu 
leiften. — Nun die PBrivatmeinungen ! 
Meile Rathichläge wurden mir zu— 
theil; die einen wollten den zweiten 
Aufzug ſtreichen, die anderen den 
vierten; ein weiterer meinte, noch am 
allerlangmeiligiten fei der dritte Act, 
und wieder einer fand das Stüd aus— 
gezeichnet, wenn der erjte Act mit 
dem ſchauerlichen Morde mwegfiele. All 
diefen actbaren Wünſchen Rechnung 
getragen, und es bliebe von dem gan— 
zen Stüde nichts übrig, als die Zwis | 
Ichenacte. Juridifche Herzen waren (und! 
mit Recht) empört über das Todesurtheil, | 


und Jagdbeſitzer waren außer ich, daſs 
der Bertheidiger des Wildſchützen und 
Jägermörders die Berufung anmeldete 
„auf ein höheres Gericht”. Und welches 
höhere Gericht, Jo fragten fie, fol denn 
das fein, auf daS man fich nach dem 
Verdicte des Schwurgerichtähofes be= 
rufen könne? — Wenn man den 
Dichter nicht veritanden Hat, der 
Plauderer gibt darauf feine Ant— 
wort. 

Uebrigens brach in Graz ein be= 
rufener Jurist ſtramm eine Lanze für 
die juridiſche Seite des Stüdes. 

Etlihe waren darüber ſchier auf— 
gebracht, daſs dem Stüde cin Pro— 
log vorausgeht; für jolhe möchte ich 
am liebſten auch noch einen Epilog 
ſchreiben und ihnen in demjelben er— 
zählen, was Lejfing über den Prolog 
gejagt Hat. Denn gerade die Aller- 
flügften verftehen ein einfach gehaltenes 
Dichterwerk am allerwenigften, und die 
Zwiſchenacte eines jchlichten Volks— 
ſtückes müfsten eigentlih damit aus— 
gefüllt werben, den nur auf die äußere 
Form fehenden Krittlern zu erklären, 
was der vorhergegangene Act war und 
bedeutet hat. 

Einer der literarifchen Richter be— 
hauptete, ich hätte das Stüd unge— 
jchieterweife dort begonnen, wo es 
abſchließt; ein anderer meinte, ich hätte 
unklug das Stüd dort geſchloſſen, wo 
es eigentlich erſt beginnt. Lebterer 
war ein Anhängerder „naturaliftiichen * 
Schule und feine weiteren Ausführun— 
gen Haben mich jehr belehrt. Ein 
prädtiger Stoff, fagte er zu mir, was 
hätte ji daraus machen laffen! Sie 
nahmen einen ganz guten Anlauf, 
aber gerade dort, wo das Stüd eigent= 
lih beginnen follte, dort Schließen Sie 
es ab. Ihr Stüd, wie es heute vorliegt, 
ift nichts als Erpofition. Die junge 
Jägerswitwe verzeiht dem Mörder ihres 
Gatten. Motiv: weil fie ihn liebt. Er 
iſt ja ein intereflanter Mann, Er, der 
Straisl, fieht auch raſch feinen Bortheil, 
verläfst Weib und Kind in Armut 
und flieht mit der hübſchen Jägers— 





witwe, um mit ihr ein angenehmeres 
Leben zu beginnen. Aber das ver— 
lafiene Weib des Strafsl, die Jeflel, 
zieht ihnen mit den hungernden Kin— 
dern nad, der Strajäl weik fich ihrer 
nicht anders zu entledigen, er vergiftet 
die Jeſſel, ertränft die Kinder im 
Fluſſe und lebt Luftig weiter. Das 
wäre ein Drama! Das gäbe Scenen! 
— So der Naturalift. Ich bedantte 
nich recht ſchön für diefen Entwurf, 
für den fih wohl aud unjer Theater: 
publicum bedanten würde. Bon einem 
Theil der Kritik aber dürfte ein jolches 
Stück protegiert werden. 


Im einzelnen machten mir derlei 
Stimmen Spaſs, im ganzen aber 
waren fie nicht geeignet, mich zu fürs 
dern. Dem gegenüber machte ich jedoch 
eine andere Erfahrung. Jener große 
Theil des Publicums, der noch einer 
unmittelbaren poetijchen Wirkung fähig 
ift, welcher mehr empfindet als reflectiert, 
fand an meinem Bollsjhaufpiele Ge— 
fallen. Die Leute ſaßen im Theater, 
lachten und weinten und befprachen 
das Geſchaute tagelang. Diejer vor— 
berrijchenden Stimmung entiprachen 
eingehende Beiprehungen des Stüdes, 
die von außen famen, den poetifchen 
und fittlichen Gehalt nicht ignorierten 
und in ihrer Frifche und Wärme er: 
muthigend auf mich wirkten. 


Schon waren Theateragenten an 
mich herangelommen mit dem Wunfche, 
dajs ich ihnen mein Volksſchauſpiel 
zur Aufführung in auderen Städten 
überlafjen möge. Ich erſchrak, fo 
war's nicht gemeint. Aber auf viel— 
feitiged® Zureden gab ih nad, legte 
das Stüd in die Hände eines erfah- 
renen Wiener Agenten und beſchloſs, 
mich weiter darum nicht mehr zu füm- 
mern. Diefer Beſchluſs wurde durch 
die einftürmenden Dinge ſiſtiert. 

Bald hieß es, das Stück werde, 
trotzdem es in alpiner Volksmundart 
geſchrieben, in vielen Städten Deutſch— 
lands und den meiften Städten ſier— 
reis zur Aufführung gelangen. 


33 


Die Aufführung in Wien fand 
Ihon am 20. December im Deutjchen 
Volkstheater ftatt. Ih war nicht 
dabei, ſaß an demjelben Abende 
in meiner ftillen Stube zu Graz, 
wo fhon der Tannenbaum ſtand. 
Welt und Wald, ich entſcheide mid) 
für den leßteren. Die Auße— 
rungen eines Erfolges kommen dem 
ſich abſeits Haltenden Autor in fol: 
gender Weife zu: Unmittelbar nad 
der Erftaufführung Depejche mit der 
Anzeige eines „großen Erfolges” und 
Gratulation. Dann kühlere Zeitungs 
ftimmen, hernach anerfennende Zei— 
tungsftimmen, endlich giftige, raſende 
Zeitungsftimmen, die von einem gänz— 
lien Mifserfolg ſprechen, und in— 
zwifchen begeifterte Privatbriefe aus 
den verichiedenften Gejellfchaftsclaffen, 
und jhlieglih Anfragen von Theater- 
agenten, ob nicht bald ein zweites 
Stüd fertig fei. 

Die Wiener Kritik nahm das Stüd 
ernſt. Mit Nahdrud betonte jie die 
Schmwäden und Mängel desjelben, hatte 
aber im allgemeinen warme, theils 
begeifterte Anerkennung für deſſen Vor— 
züge. Mehrere jagten, der zweite 
Aufzug (im Arreſt) fei einzig in der 
dramatifchen Literatur, der Wohl» 
wollendfte (welcher zur erſten Auffüh— 
tung nad Graz gelommen war), ſprach 
in der „Preſſe“ jogar von „Shalejpeare'- 
ſchem Genie“. Andere meinten, das Stüd 
ſei nichts als eine „monologilierte* Er— 
zählung. Andere wieder hatten nichts 
gefehen, was an dramatijcher Wirkung 
den vierten Act übertreffe. Viele famen 
auch dort in ihren Unterfuchungen über 
die Form nicht Hinaus. Sie Inufperten 
nur fo an der Scale herum und 
meinten dann, die Nujs fei nicht recht 
Ihmadhaft. Wenn fie aud noch die 
Fabel erzählten, fo glaubten jie dem 
Gehalt volltommen Genüge gethan zu 
baben. Einzelne Kritiker wollten in dem 
Stüde eine abjihtliche fociale Tendenz 
gefunden haben, auf herrjchende ges 
jellfehaftlihe Zuftände gemünzt. Nur 
wenige der öffentlichen Beuriheiler be= 


324 


rührten den Stern, fozufagen die Seele 
des Stüdes. „Die höhere Lieb’, fie 
joll die Heldin fein“, heißt e3 im 
Prologe, und das Stüd gipfelt in 
den Morten des bishin verftodten 
Mifjethäters, dem aus Menfchenliebe 
verziehen worden war: „Dem Hajs 
bin ich geftanden, die Liebe wirft mid) 
nieder!" — Ein Lied wollte ich fingen 
von der GSelbitüberwindung, das 
Echwerfte und Göttlihfte zu vollbrin- 
gen, bon der Kraft und Größe des 
Derzeihens. — Das ift freilich fein 
modernes Thema, und die Sritifer, 
die nit von Natur aus geiftreich find, 
finden bei deſſen Beiprehung blut— 
wenig Gelegenheit, e3 zu werben, 
Was die von der Kritif behaup— 
tete Überflüffigkeit des zweiten Auf- 
zuges anbelangt, freute mich der Aus— 
ſpruch einer ſchlichten Bürgersfrau, 
die mir ſchrieb: „Man foll nur ein— 
mal darüber nachdenken, um mie viel 
einem der Strajil- Toni nah dem 
zweiten Acte lieber ift, al3 nach dem 
erſten.“ Nicht übel, und liebenstwürdig 
boshaft war der Ausſpruch eines 
Wiener Kritikers: „Der zweite Act ift 
wie Sodawaſſer. Sodamafjer iſt be= 
kanntlich das befte Getränt, weil man 
e3 trinken und auch ftehen laſſen fann. 
Diefen zweiten Act kann man fpielen 
und auch weglaſſen, doch verdiente ein 
Regiffeur, der letzteres thäte, einen 
Ihärferen Arreſt, als den, der im 
zweiten Acte dargeftellt ift.“ Derfelbe 
warm humoriftifche Kritiker tadelt einen 
ungebührlich langen Zwijchenact, indem 
er jagt: „Wenn in dem Stüde über: 
haupt eine Handlung wäre, fo hätte man 
auf die VBermuthung kommen können, 
dafs aufder Bühne etwas paſſiert ſei!“ 
— Und wenn ein anderer meinte, 
daſs R. als Dramatifer noch die Farbe 
feiner grünen Steiermart habe, fo 
musste ih auch über dieſen Witz 
luftig lachen, weil daneben fehr viel 
warme Anerkennung der guten Seiten 
des Stüdes zu lefen ftand, Wie ein 
Kritiker ftrenge, liebenswürdig und 
geiftvoll zugleich fein kann, bewies 


jene eingehende und verſtändnisvolle 
Beiprehung, die in dem Ausſpruche 
gipfelte, der Autor des „Am Tage 
des Gerichts" Habe wohl die Sache los, 
aber die Made nicht, und er habe auf 
der Höhe feines Lebens noch einmal 
ein Handwerk zu lernen. 

Drollig Hingegen geberdeten ſich 
ein paar Wiener Antifemitenblätter. 
Ein Teutone flug mit gewaltigen 
Keulenhieben dad Stüd zweimal todt ; 
da e3 immer noch lebt, jo wird er 
mir wahrſcheinlich — wie ih ihn 
fenne — einmal mündlid oder in 
einem Privatſchreiben überſchwenglich 
gratulieren zum „unſterblichen“ Werke. 

Der „Figaro“-Schreiber in Wien 
gerieth aus Wuth über den Erfolg 
des Stückes geradezu in ein bedenk— 
liches Delirium. Er faſelte von einem 
Reclameapparat, den der Autor in Be— 
trieb ſetze! So ein Menſch, der mit Be— 
hagen ſein Brot den Juden aus der 
Hand ifst, ſpielte mit bärenmäßiger 
Plumpheit die Antifemitenfrage in mein 
Boltsftüd und ſchrieb den Erfolg des— 
felben meiner — Judenfreundlichkeit 
zu. — Ein netter Patron, das! 

Auf wiederholte Einladung, meinem 
Stüde in Wien beizumwohnen, geſchah 
dies zur vierten Aufführung am 27. 
December. Seltjam war mir zumutbe, 
als ich abends gegen fieben Uhr den 
Mufeen entlang Hinanfchritt und das 
weiße Haus im eleftrifchen Lichte leuch- 
tend dor mir flehen ſah. Reihlih ein 
Jahr früher bin ich zur jelben Stunde 
denjelben Weg gegangen, um der Er— 
Öffnung des Hauſes beizumohnen. 
Anzengrubers „led auf der Ehr’“ 
wurde gegeben und meinen genialen 
Freund hatte ih damals das letztemal 
gejehen. Heute ftand ein Kleiner vor 
den Augen eines Publicums, das ge— 
wohnt war, den Großen zu jehen! 
Ih kann nicht jagen, wie ſchwer die 
Bellommenheit war, die ich empfand. 
Das Haus war überfüllt, Mir war 
eine Ballonloge zur Berfügung ge— 
'ftellt worden, in der ich mich vor den 


| Augen des Publicums nur halbwegs 


ER En | . 


375 


verbergen fonnte. Die Inſcenierung Da ich die Meinung anderer über 
des Stückes war genial, das Spiel mein Stück ſo vielfach gehört habe, 
gut. Martinelli brachte den Strafsl werden es auch vielleicht andere nicht 
Zoni mit vollendeter Meifterfchaft. Das ablehnen, meine Meinung darüber 
Publicum war äußerft warın geftimmt zu hören. Denn, da nad Einiger An— 
und zollte nad jedem Aufzug: lebhaf- |ficht das Stüd nicht für den Dichter 
ten Beifall. Ich litt und war völlig 'fpricht, fo muſs der Dichter für das 
ınuthlos, warum, das kann ich mir heute | Stüd ſprechen. — Das Scaujpiel 
noch nicht erflären. Nach dem dritten | „Am Tage des Gerichts“ fteht den 
und vierten Aufzuge ward ich, immer | Kunftregeln eines Dramas nicht, dejjen 
wieder vom Publicum gerufen, faſt war ih mir ſchon bei der Wahl 
gewaltjan auf die Bühne gefchleppt, |de3 Stoffes bewusst. Der Stoff ift 
und zwar jo wiederholt, bis ich end= nicht dramatiih im gewöhnlichen 
ih die Flucht ergriff. „Wir Haben | Sinne, und doch muf3 er auf der 
gelaht und gemeint und danken Euch | Bühne wirken, weil er tief menſchlich 
für beides!” alfo raunte mir an der iſt. Gutgemachte Theaterftüde haben 
Pforte ein alter Weikbart zu. — wir genug; aber gute Made allein 
Die wärmften Stimmen über das kann nicht halten, während guter Ge— 
Stück kamen aus dem kalten Norden. Den | halt fich ſelber macht. Die fogenannten 
erften großen Erfolg hatte es eigent- | Kunftregeln Habe ich auch al3 Erzähler 
ich erft im Altonaer Theater zu Ham- |nie beobachtet; ich forme meine Ge— 
burg. Dort gefhah das Unerhörte, dafs |ftalten nicht aus carrariichem oder 
die gefammte Prefje einmüthig mit dem atheneſiſchem Marmor, fondern aus 
Publicum diejes Volksſchauſpiel auf das I heimiſchem Lehm, dafür troßen ſie 
eingehendfte und wärmfte würdigte. | unjerem ſtlima. Dean ziehe herben Na— 
Solide Nahrichten kamen mir zum |turwein in thönernem Kruge vor einem 
Schluſſe des Jahres, fie mutheten | Kunftpantih in kryſtallnem Becher. 
mid an wie ein Becher glühenden Dass ich fein geaichter Dramatiker 
Punſches nah Tauer, ſüß-ſäuerlicher bin, davon haben mich die Erfahrungen 
Limonade. — Auf folde Siegesnach- bei diefem Stüde neuerdings über: 
richt erwarte ih nun die Diobspoft zeugt. Nicht weil in dem Stüde fo 
von einer großen Niederlage irgendwo, | große Fehler vorfommen, fondern weil 
denn die Welt der Bühne liebt Ver- ich nicht imftande bin, dieje Fehler 
wandlungen. — Beftändig allein bleibt |einzufehen. Dajs der zweite Aufzug 
der Kritiker. Hat er einmal gefprochen, | überflüffig ift, wuſste ih allerdings 
dann imponiert ihm nichts mehr als ſchon, als ich ihm jchrieb. Heute nad 
dad, was er jelber gefagt hat — fo |vielen Erprobungen jagen die Theater» 
lange er fi daran erinnert. directoren, daſs dieſer überflüffige 
Das Stüd erhält fih bisher auf Act eigentlich der nothmwendigfte ſei. 
dem Repertoire, feit zwei Monaten | Was geht denn aber vor? Im erften 
ift es auf verſchiedenen Bühnen an |Aufzuge wird der Strafsl zum Mörder; 
dreißigmal zur Aufführung gelommen. |im zweiten wird nur gezeigt, daſs 
Auf weiteren Bühnen ftehen die Auf- |diefer Mörder noch lange kein Spitzbub 
führungen bevor. ift, was ihn erft auf die Höhe des tragi— 
Und alfo bin ich fait zufällig, ſchen Helden hebt; im dritten wird feine 
halb wider Willen Dramatifer gewor= |natürliche Gegnerin beftimmt, ihm zu 
den. Möge der Mangel einer ernft= |verzeihen, im vierten Act wird er be— 
lihen Abfiht als Milderungsgrund | kehrt. Man fieht, diefe Menfchen Handeln 
gelten! — nicht, fie werden vielmehr behandelt, 
Und zum Schluſſe noch ein biſs- und das ift der Fehler. Aber am 
hen Arroganz. Ende find wir auf Erden ja alle der 


— — — Un Im m — —— — — — — mama — — ann ——— — — 


20 


behandelte Theil, der leidende Theil, | Jagd zu machen nad den Fehlern des 
und ich ſehe eben nicht ein, warum | Stüdes, jondern um willig und dankbar 
man das nicht jollte auf der Bühne | dem Dichter zu folgen. Die da oben 
darftellen dürfen. Nach meiner Meinung | in den Galerien verlangen, dajs das 
befier ſolche Stüde, deren leidende Stüd einen Leib und eine Seele habe, 
Theile das Publicum zu einem han- nämlich, dafs es realiftifh und idea— 


delnden anregen, als foldhe, deren 
mandmal ungeheuerlid  Handelnder 
Theil das Publicum zu einem leiden 
den nahen, 

Obzwar mein Stüd auch mit der 
vornehmen Geſellſchaft Glüd gehabt, 
denfe ich mir im ganzen doc) Folgendes: 

Der dramatiiche Dichter jchreibe 
nie für Parquet und Logen, fondern 
für ein „höherſtehendes“ PBublicum. 
Er foll wiſſen, dajs die Herrichaften 
in den Sammtfauteuils fich viel lang= 
weilen und gähnend den Schlufs des 
Stüdes erwarten, während da3 Pub— 
licum der Galerie, wovon viele den 
ganzen Abend auf den Zehen ftehen 


liſtiſch zugleich fei. Die Kunſt des 
Volkes darf nie vergeſſen, dajs das 
Later zufchanden gemacht werde und 
der Mel im Menſchen zu Ehren 
kommen mufs. Alſo verlangt es das 
naide Publicum; und ein anderes 
wird der Fünfter, der Dichter fich 
nit wünſchen. 

Das Bollsfhanfpiel „Am Tage 
des Gerichts“ macht feinen Weg, aber 
nicht auf Shimmerndem Siegeswagen, 
ſondern zu Fuße und an einem Stode. 
— „Das zweite Stüd“, fo behaupten 
viele Kritiker, „wird ſchon befjer aus» 
fallen.“ Uber, wer jagt denn, dafs 
ich ein zweites ſchreiben will? Eher 





und lange Hälſe machen müſſen, um verlangt's mich mit den ſtrengſten der 
etwas zu jehen, lachend oder ſchluch- Recenjenten einmal die Rolle zu tau— 
zend nur das eine fürchten: das lebte ſchen; fie follen dichten und ih .... 
Fallen des Vorhanges. Die da oben Ich möchte denn doch gar zu 
find nicht ins Theater gefommen, um gerne auch einmal ganz gejcheit fein. 


Was Grillparzer über uns gedadt hat. 


5 Biler hundertſte Geburtätag des gro= | 
ben öfterreichifchen Dichters, den 


wir am 15. Jänner 1891 be= 
giengen, veranlajste uns wieder ein— 
mal, dem Geifte desjelben zu laufchen. 
Manche Feitbegeifterung für den Dichter 
war et; manche ftellten fich begeiftert 
aus verichiedenen Gründen. Ein Dich- 
ter, der nur zu feinem Seculum 
anerfannt werden will, ift immerhin 
noch zu ertragen. Hätte Grillparzer 


Nun, da er jebt mit mehr 
Schreibt, fo wollen wir heute zu feiner 
Ehr’ und zu unferer Lehr’ lefen, was 
er einft gejchrieben. 


Giographiſch. 





Am fünfzehnten Jänner geboren, 
Geſtoörben? — ih weiß noch nicht wann? 
Kömmt einſt dir das Datum zu Ohren, 
So füg's zur Ergänzung hier an. 


ſeinen hundertſten Geburtstag erlebt, 


wie ein König wäre er gefeiert wor— 
den; hätte er an demſelben noch ge— 
Ihrieben — was dann? 


Und haft du es niedergefhrieben, 
&o haft du mich ganz, auf ein Haar; 
Was etwa nod übrig geblieben, 
Wird wohl nad dem Tode erft wahr. 





Geſcheit gedadt und dumm gehandelt, 
So bin ih mein’ Tage durchs Leben ge 
wandelt, 


Selbſtbehenntnis. 


Du nennſt mich Dichter? Ich bin es nicht, 

Ein andrer ſitzt, ich fühl's, und ſchreibt 
mein Leben, 

Und ſoll die Poeſie den Namen geben, 

Statt Dichter, fühl' ich höchſtens mich Gedicht. 


* * 
* 


Will unſere Zeit mich beſtreiten, 
Ich laſs es ruhig geſcheh'n, 
Ich komme aus anderen Zeiten, 
Und hoffe in andere zu geh'n. 


* * 
* 


Was hängt Ihr Euch an mich und meinen 


auf, 

Und ſtrebt dem Höhern plumpen Dranges 
wider? 

Ich zieh’ Euch, merk’ ich, nicht zu mir herauf, 

Doch Ihr, wei Gott, mid auch zu Eud 
nicht nieder, 


* a * 
Nebenbuhler mir zu mweden, 
Zählt Ihr Dienft und Yahre auf? 
Ejel jhägt man nad den Säden, 
Aber Renner nad dem Lauf, 


Rritik. 
Bon unjern Kunftrihtern die beftgenannten 
Sind gegen mi gar ftrenge Richter; 
Sie proteftieren eben als Proteftanten, 
Und ih — bin ein fatholifcher Dichter. 


* * 
* 


„Warum gibſt deine Werke du endlich nicht 
heraus?* — 

Mein Freund, bei ſchlechtem Wetter Hält 

man fi gern zuhaus. 


Merftändkichkeit. 


War ih als Dichter gleich geboren, 

So kam's doch nie zur echten Klärung; 
Im Anfang war's nicht ausgegohren, 
Dann gieng’3 glei) in die faule Gährung. 


An 8. 
Ich ſchriebe Verſe gegen dic, 


So ſprichſt du, ärmſter der Poeten, 
Das hieße, Gott behüte mich, 


Sinem Kritiker. 


Eig'ne Gedanken ſprichſt du mir ab? Auch 
find es nicht eig'ne: 

In der Weihe Moment gab ſie die Muſe 
mir ein. 


Schmäht, ſo viel Euch beliebt, Ihr laut 
" recenfierenden Zungen, 
Über den Reihen zu Pferd ſchimpft ja 

das Volf, das zu Fuß. 


“ * 
* 


Wälz' immer dich in Schlamm und Koth, 
Und ſpritze, ſpritz' nur zu: 

Wer weiß? du liebſt mich endlich noch, 
Bin ih beſchmutzt wie du. 


Nicht fordr’ ich, daſs du gut mir heißt, 
Was du fo eifrig ſchmähſt, 

Nur dajs du's zu dem Bielen reihft, 
Wovon du nichts verftehft. 


Einem Eenfor. 


Dass du, Freund, nicht Schreiben kannt, 
Willen wir gefammt; 
Aber lejen lerne doc, 
Das gehört zum Amt. 


Kortfeßritt. 


Ich fühle wohl meine Sünden, 

Die alten, wohl gar aud neue; 

Doch wenn ih die Wahrheit geftehen ſoll, 
So fehlt mir die rechte Reue, 


An das Publicum. 


So habt Yhr mich vergefjen ? 
O fünnte Euch ich's auch; 
Doch euren Qualm von Albernheit, 
Athm' ich in jedem Hauch. 

* * 
„Mein Wiſſen iſt gegen das Eure ein Kind,“ 
Fern jei, dafs ich es leugne, 
Nur daſs Eure Gedanken fremde find, 
Die meinen aber eigne. 


* 
— 9 


Gar Viele ſind meinem Gedichte geneigt; 
Nur daſs, wie es geht beim Leſen, 

Ich bloß diejenigen überzeugt, 

Die früher bereitS es gewejen, 


Bei Empfang des Beopofdordens. 
(März 1849.) 

Gern mifste den Orden der Barde; 

Ih trag’ ihn in eignem Sinn: 

Mid mahnt er als eine Cokarde, 


Mit gold’nen Kugeln Spaten tödten. | Dafs ich des Kaiſers bin! 


Ad) rede nicht, wo jeder ſpricht, 

Mo Ulle ſchweigen, ſchweig' ich nicht; 

Weh' Euch und mir, wenn je von uns ich 
wieder ſinge, 

Ich bin ein Dichter der letzten Dinge. 


Öffentliche Anerkennung. 
Wie ſtrahl' ih nicht im Ehrenglanz ! 
Das Höchſte follte mih kaum überraiden ; 
Sie vergolden mid am Ende ganz, 


Nichts ausgenommen als die Taſchen. 
* * 


* 

Zum Schweigen fühlt der Menſch ſich oft 
geftimmt 

Dur mannigfach erwägende Betradhtung, 

Doch was die Luft zur Antwort gänzlid 
nimmt, 

Iſt tiefgefühlte, herzliche Verachtung. 


Brankenbefucße. 


(1870.)} 


— 


Laſst mich mit Eurem Publicum 

Und Euren gebildeten Leuten, 

Sonſt waren nur immer die Dummen dumm, 
Jetzt ſind es auch die Geſcheiten. 


* * 
* 
Der Fehler der Deutſchen iſt immer ge— 
weſen, 


Wie rühmlich man ſie ſonſt auch nennt, 
Dass fie verſuchen, da zu leſen, 
Wo man nod faum den Budftab fennt. 


* * 
* 


Die Poeſie und die Theologie 

Sind eben beide Phantafie; 

Nur die eine erfindet ihre Geftalten, 

Die andere jpielt mit den vorhandenen alten. 


Biteratoren. 


| Ein Buch ift ein gar ſchönes Ding, 


Ein Gelehrter ift noch viel werter, 
Doch beide vereinigt, wiegen gering, 


Gine Ähnlichleit, die ich mit Chriftus Habe: | Das Ganze heißt: Buchgelehrter. 


Nur die Weiber lommen zu meinem ®rabe. 


Was echte Poefie 

So hoch vor allem ftellt: 

Sie ift der ganze Menſch 

Und aud die ganze Welt. 
* * 


* 

Die eine Vorſchrift nenn' ich, durch die du 
alle erfüllſt: 

Habe Talent, mein Lieber, und ſchreibe, 
was du willſt. 


ÄftBetiker. 


Nah Gründen ſuchen ift Eure Schwäde, 
Die Kunſt lebt im Vollen und im Bunten, 
Der Grund ift au eine Oberfläche, 
Nur nad unten. 

* ri + 
Sie find der hödften Ideen voll, 
Zum Staunen oder zum Laden; 
Ein jeder weiß, wie man's maden fol, 
Doch feiner lann ed maden. 

Ei * 


* 
Tadeln iſt leicht, wie Ihr wohl wiſst, 
Und hochſt bequemlich, 
Doch eins gibt's, was noch leichter iſt: 
Nachbeten nämlich. 


Speeulation. 


Kritiker. 


Die Dichtkunſt, jagt man oft und jagt es laut, 
Sie fei ein treuer Spiegel alles Lebens: 
Drum wenn ein Affe in das Dichtwerk jhaut, 
Sieht er nad einem Sofrates vergebens. 


* * 
* 
Da die Deuitſchen noch beſcheiden nad) alter 
eile, 


Sagt’ ih gern ein Wort zu ihrem Preije; 
Nun aber, da fie ſich ſelber loben, 
Fuhl' ich mich fürder der Müh' enthoben. 


* ” 
* 
Nahahmer ſchilt das Ausland uns 
Und gibt uns ſpöttiſch harte Namen. 


Auf! Ahmen wir den Britten nad: 
Ron nun an nit mehr nadzuahmen, 


Die junge MPoeſie. 


Frag’ ih, was wirkſam übrig blieb 

Der deutjchen Literatur, 

So ftehen zwei zu oberft an: 

Scandal und Caricatur. 

Kein Wunder! Wo fi dein Reiz verlor, 
O heilige Natur! 


Der radikale Dichter. 
Mer Liebe fingt und Wein, 


Den Himmel hätte das Talent hienieden | Mag immer Weiberfeind und Waffertrinfer 


fhon auf Erben, 


fein, 


Könnt’ zehen Jahr nad jeinem Tod es erft | Wer fingt, mag allen nügt und feinen Fränft, 


geboren werden, 


* * 
* 


Dem ſei die Überzeugung vornherein ges 
ichentt. 


rn 
E [2 + f 


Doch wer, was zweifelhaft, ob Glüd es 
bringt, ob Schmerzen, 
Der ift ein Schuft, fühlt, was er fingt, er 
nicht im eignen Herzen. 


Therfites. 
(Frei nah Homer.) 


Die Äſthetik vor allem verpön’ ich, 
Sie fpielt ein gefährlides Spiel: 
Die gute nützt ſehr wenig, 

Die ſchlechte ſchadet ſehr viel. 


Fortſchritt. 


Ein Mittel wird dem Fortſchritt immer 


bleiben: 

Wenn er nicht übertreffen kann, zu über: 
treiben. 

Und bei der Einzelnen jhmähliden Er: 
mattung; 


Der Eultus der Nationen und der Gattung, 


Mationaftraßt. 


Der Weg der neueren Bildung gebt: 
Bon Humanität, 

Durd Rationalität, 

Zur Beftialität. 


Bißerafismus. 


Lern’ erft, was freiheit will zu Recht be: 
deuten, 


Eh Wort und Wahlipruh du entlehnft 


von ihr, 


Nicht nur, dafs felbft du dienftbar — 


zweiten, 
Nein, auch fein zweiter dir. 


* * 
* 


Juriſten: 

Schlechte Ehriften; 

Macht Ihr einen zum Miniſter, 
Wird ein guter Chriſt er. 


Deutſcher Gund. 
Der deutſche Bund war nicht ſchlecht von 
8 


aus, 

Gab auch Schutz im jeder Fährlichkeit, 
Nur ſetzt' er etwas Altmodiſches voraus: 
Die Treue und die Ehrlichkeit. 


Blauße. 


Der Ungläubige glaubt mehr als er meint, 
Der Oläubige weniger als ihm ſcheint. 


EI 


(Profelptismus. 


Warum zu ihrem Glauben 
Eie gern Genofjen nehmen? 
Vielleiht um in der Menge 
Sich weniger zu ſchämen. 


Die Schweizer. 
Man fragt, ob Ihr denn Deutjche jeid? 


Ich glaub’ es nun und nie: 


Ahr triebt die Iefuiten aus, 
Wir jhreiben gegen fie. 


Namensunterfeßied. 


Mas nennt Ihr nit von Ehriftus Euch, 
Warum mit Yefus brüften? 

Weh’! dajs Ihr Jeſuiten jeid, 

Indes wir andern Ehriften. 


Irgendwo und irgendwann. 


Das Wert von Weibern und Kindern, 
Zum Weinen oder zum Laden: 

Uns in diefem Leben zu plündern, 
Und im andern uns jelig zu maden. 


Reifeßefeßreißung. 
Zwiſchen nichts wiffen und Nichtswiſſen, 
In diefe zwei Theile ift die Menjchheit zer: 


riſſen. 
Aber Nichtswiſſen 
Iſt fruchtlos bis zum Tode befliſſen, 
Indes nichts wiſſen 
Ein gottgefälliges Ruheliſſen. 


Antwort. 


Ob es jegt no Geifter gibt? 

Je nachdem du's nun erfennit: 
Wenn du Geiſt und Fühlen trennſt, 
Bleibt nur Leib und ein Geſpenſt. 


* 


* 
Vertreibt die Phantaſie 


Nicht aus der Poeſie! 


Sie läjst den Menſchen nie 
Und flüchtet, ftört Ihr fie, 


Bis in die Nationalölonomie, 


Einem Ganquier, der die Armen 
beſchenlite. 


Im Schenlen ohne Rn — Darleih'n klug 
dacht, 

Erquidfi du Bettler —* die geſtern du 
gemacht. 


* * 


Mein Freund, Sie ſind ein Böſewicht! 
Zwar gar jo böſe find Sie nicht. 
Drum bleiben einfach wir beim Wicht. 


Jußeffeier. 


Der Mann bradt’ es auf fiebzig gar, 
Das heikt: von jeinem fiebenten Jahr 
Hat all fein Wirken, von Kind bis jet, 
Nur eine Null ihm zugelegt. — 


* 
Schüler und Schulmeifter 
Sind unf’re großen Geijter, 
Schreien im Chorus fie, 
Gibt's eine Alademie. 


* * 


” 
Ein Dummlopf bleibt ein Dummfopf nur 
Für fih in Feld und Haus, 
Doch wie du ihn zu Einflufs bringft, 
Wird gleih ein Schurke draus. 


* * 
* 


Sud’ nit nah Gründen gar fo weit, 
Mo ſchon ein Grund die Wirtlichkeit. 


* ” 


E 7 
Jeder Irrthum hat drei der Stufen: 
Auf der erflen wird er ins Leben gerufen, 
Auf der zweiten will man ihn nicht eingeftehn’, 


Auf der dritten madt ihn nichts ungejcheh'n. 


* v 


* 
Geſteh' dir's ſelbſt, haſt du gefehlt, 
Füg' nicht, wenn Einſicht kam, 
Zum falſchen Weg, den du gewählt, 
Auch noch die falſche Scham. 


* 


Der Tiefſinn wird gar leicht zum Stumpfſinn, 
Der Scharfſinn artet oft in Wit, 

Halt’ immer did an den Naturfinn, 

In ihm hat Groß und Kleines Sit. 





Antwort. 


Ich will" ift ein gewichtig Wort, 
Sprit mit fi jelbft der Mann; 
.- fteht gegenüber er der Welt, 


| 
| 
| o gilt doch nur: „Ich Tann.“ 
| 
| 


| Regel. 


Willſt die Befcheidenheit du des Beſcheidenen 
| prüfen, jo forſche, 
Nicht ob er Beifall verihmäht; ob er den 
| Tadel erträgt. 


* * 
+ 


‚ Halt’ dich entfernt, teil’ dich nicht jedem mit, 
Und flieh’ die Schwäger, Qung’rer, Shmeder, 
| Sieh’ nur, es ift ein fleiner Schritt, 
Vom Teller: bis zum Speidelleder. 


* * 


* 


Mit drei Ständen habe nichts zu ſchaffen: 
Mit Beamten, Gelehrten und Pfaffen. 





* 


Fuhlen und Denken, wenn man's erwägt, 
Sind der Blinde, der den Lahmen trägt. 


Inſchrift auf eine Sonnenuhr. 


Ihr Leuchten zeigt die Stunde, 
Mich ſelber zeigt ihr Licht; 
Mag auch das Wiſſen fehlen, 
Fehlt nur die Weisheit nicht! 








Kleine 


Saube. 


— — * 


! 


Sonnenflaub, | 
Neue Lieder von M. R. von Stern.*) | 


Sußjective Wabrheit. 


Bort mit der Wahrheit! Lajst die Schön: 
beit thauen 

Wie milden Balfam auf die franfe Welt! 

Fort mit der Wahrheit! Lafst den Himmel 
blauen, 

Die fühe Lüge, die das Herz erhellt! 

Um eine Welt von grauenhaften Qualen 

Tauſcht ihr des Herzens holde Blüte ein; 

Beraufht von Nüchternpeit, ihr feid Van— 





dalen 
Und mordet fühllos mit dem Schein das 
Sein! 


Was ift die Wahrheit? Iſt's die plumpe Tage, 
Die an dem Flügelftaub des Lebens rührt? | 
Was ift die Wahrheit? Iſt's die eitle Frage 
Des rohen Wiffens, die das Herz verführt? 
Ih fage nein! Wahr allein ift das Wähnen, 
Das meine Seele einigt und beglitdt! 
Bahr ift der Dichtung und des Glaubens 
Sehnen, 
Und Lüge ift, was unſer Sein zerftüdt! 


Mein Stoßz. 
In Wolfen weih von Pathouli umflofjen, | 
Rollt durch den Prater das gejchmintte 
Glüd; 
In füßer Faulheit, ſanft dahingegoffen, 
Lehnt es fih in den Sammetſitz zurück. 
In gold’nen Duftes Roſenhauch verfunten, 
ſtarfunkelt e8 in diamant'nem Licht — 
Du armes Weib, von Gold und Schönheit 
trunfen, 
Ich ſag' es ſtolz, nein, ich beneid’ dich nicht! | 
*) Aus defien edelgedachten und geformten Ges 
dichten „Eonnenftaub“. (Zeipzig. W. Friedrich. | 





’ 
| 


Bon öder Ungft dur alle Welt getrieben, 
Irrt heimatlos der neue Ahasver; 
Er ift verdammt, fein Menjchenbild zu 


lieben, — 

Die Tafche voll, das Herz, das Herz ift 
leer! 

Er läſst am Belt Champagnerpfropfen 
fnallen 


Und ſchlürft in Capri fühes Sonnenlicht — 


Du reicher Weltflaneur, ärmfter von allen, 


Ich ſag' es ſtolz, nein, ich beneid' dich nicht! 
Der gold'ne Lorbeer ſchmückt gemeine Stirnen 


Und tief im Elend ſchluchzt die Poefie; 
Im Wettbewerb mit anfhmiegjamen Dirnen, 


Buhlt um den Lohn die gold'ne Eoterie. 


Die Feder hnirſcht, es Himpern die Moneten, 


‚Und, defloriert, verlauft fih das Gedicht — 


Ihr Herrn der Mode, jhändliche Poeten, 


Ich fag’ es ftolz, nein, ich beneid’ euch nicht! 


Chor der Merzweifelten. 


Wir find die Alten, 
Mir find entzmeit, 
Verdammt, gejpalten 
In Emigfeit! 

Die Menjhen waren 
Von je zeritreut, 
Und mie vor Jahren 
Sind fie no heut. 
Bon Hain und Abel 
Das Bibelwort, 

Es ift feine Fabel, 
Das pflanzt fi fort. 
Den Friedensſpuren 
Mijstrauen wir, 

In den Eulturen 
Treu bleibt fi das Thier! 
Wie auch der Handel 
Die Leute treibt, 

In allem Wandel 
Der Irrthum bleibt. 


382 


m 


Wir lafien es treiben 

In Sturm und Wind — 
Die Menſchen bleiben 

So mie fie find! 


EBor der Hoffenden. 


Der ewige Friede 

Er ift fein Wahn, 

Die Welt ift müde 

Bon Streit und Spahn! 
Das ESichzeripalten 
Wird zum Verdrufs, 
Ein göttlih Walten 
Geräth in Flujs. 

Das nur Bermeintliche 
Verſchwand, 

Das ewig Feindliche 
Reicht ſich die Hand. 
Das Mannigfaltige 
Erſcheint 

Im Vielgeſtaltigen 
Herrlich geeint. 

Es trügt fein Schaumbild 
Im Ideal; 

Der Menihen Traumbild 
Iſt Gottes Wahl! 

Das Bielverhöhnte, 

Es ift fein Spiel, 

Das ſtets Erjehnte, 

Das ift das Ziel! 


Machtgebet. 
In Donnern und Blitzen, 
Auf Bergesſpitzen 
Iſt der Herr. 


Im Sonnenbrüten, 

In ſchauernden Blüten, 

In Sturmeswüthen 

Iſt der Herr. 

In Wolfen wohnt er, 

Im Frühroth thront er, 

Im Regen raufcht feine Gnade durchs Land. 


Die Erde bannt er, 

Das Al umjpannt er. 

Du Unbelannter, 

Herr Gott, ich befehl’ mich in deine Hand! 


Alfred v. Berger. 


Alfred v. Berger gehört zu dem in« 
tereflanteften Gejtalten des literarijchen 
Wien. In der kurzen Zeit von zwei Jahren 
iſt er der allgemein anerkannte Führer der 
Wiener Literatig geworden; obne in einer 
einflujsreichen Nedaction oder gar auf dem 








Throne der Burgtheater-Direction zu figen, 
gilt er als der vertrauensmwürdigite 
Kritiler in der Wiener Gejellihaft. Und 
diejes große Anjehen hat er ſich zum 
geringeren Theile durch das erworben, 
was er druden ließ (e3 ijt gar nicht viel), 
fondern zumeift nur dur die mündliche 
Mitteilung feiner kritiſchen Gedanken. 
Berger ift der beliebtefte und gejuchtefte 
Spreder von der ganzen Wiener Hod- 
ſchule, an der er Privatdocent für Philo- 
fopbie if. Wenn er allen Anfprücden der 
literariihen, humanitären und gejelligen 
Bereine nachgeben wollte, müjste er außer 
feiner täglichen officiellen Vorlefung im 
Hörfaale der philojophiihen Facultät 
ebenjo oft anderwärt3 fürs große Pub- 
licum ſprechen. An der Univerfität liest 
er heuer über praktiſche Philoſophie (Ethik), 
außerhalb derjelben nur über dramatur- 
giſche oder literariſche Ericheinungen, die 
die Menge beichäftigen. Mit zwei Bor- 
trägen über Ibſens „Geſpenſter“ und 
über desjelben Dichters „Rosmersholm“ 
bat er in den letzten Wochen wieder Auf- 
jehen erregt. Berger ift ein tieffinniger 
Gegner des revolutionären Norwegers, 
aber doch auch wieder jo gereht, im 
Dichter, defjen determiniftiihe Weltan- 
ſchauung der jeinigen vielfach widerfprict, 
die große und echte Geſtaltungskraft an— 
zuerfennen. Als Sprecder tritt Berger 
immer rubig, ohne Pathos, jhliht, na- 
türlih auf, aber er weiß es fo einzu- 
richten, ala fielen ihm die Gedanken ge- 
rade ein, obwohl das Manujcript der 
Vorlefung vor ihm liegt. Ein angenehmes 
Organ madıt ihn ſympathiſch, eine Hand- 
bewegung verräth von Zeit zu Zeit jeine 
innere Erregung; einige feine Scherze 
würzen den Ernft jeiner Rede. Doc bat 
fie ihren ganz eigenen Zauber, und das 
Geheimnis ihrer mächtigen Wirkung 
liegt nicht in der Form, jondern im In— 
halt defien, was er jagte. Berger als 
Vorleſer lälst das Publicum mit vers 
blüffender Offenberzigfeit in jein eigenes 
innere hineinjehen: darin befteht jeine 
Originalität als Sprecher wie als Denler. 
Eine Vorlefung von Berger hat mehr den 
Gharafter eines Befenntniljes, einer Beichte 





383 


über ein fünftlerijches Ihema, als den Darum fonnte e3 feinen überrafchen, 
einer wiſſenſchaftlichen Auseinanderjegung. | daſs jebt ein Band „Geſammelte 
Dazu gehört ebenfoniel Muth als Geift:) Gedihte von Alfred Berger“ 
man muf3 den Muth haben, man jelbjt zu | (Stuttgart, Cotta, 1891) erihienen ift: 
fein, und man muſs den Geift haben, es in den verfappten Dichter hat man aus dem 
einer Form zu thun, die nicht verlegen | Kritifer längjt herausgefühlt, und übri- 
faun; dies ift nur dem wahren Philo- | gens ift er jchon früher bei zwei ſehr feier- 
jophen möglich, der fich jelbft jo objectiv | lichen Anläffen mit ftarfer Wirkung als 
wie anderen gegenüberjtebt. Berger charaf- | Dichter hervorgetreten. Das erftemal mit 
terifiert in feinen Vorleſungen fich ſelbſt einem Epilog zur letzten Vorftellung im 
nicht meniger, als den Dichter, den er alten Hofburgtheater. Damals war Berger 
gerade bejpricht, er jpielt gleichſam ſein noch der im bejcheidenen Dunkel weilende 
eigenes Herz, jein ganzes Gemüth gegen | Secretär der Burgtheater-Direction. Wie 
das andere aus. Das zündet in jebem | mächtig dieſer Epilog wirkte, bemeist die 
Falle. Denn in der Poefie handelt es fich | Thatjache, dajs ein in ihm poetiſch aus— 
ſchließlich doch nur um das Herz, um geſprochener Wunich buchitäblich zur Aus» 
da3 Gemüth, um den ganzen Menjchen, | führung gebracht worden ift. Berger 
der ſich da offenbart; ihr Thema ijt ja jchrieb, was Sonnenthal ſprach: 

nicht3 anderes als die fühlende Perſön— 
lichkeit. Darum mußſs auch alles äfthetiiche 
Urtheil jo gut auf einem wahren und 
vollen Erlebnis an den Kunſtwerken be» 
rnben, auf die es fich bezieht, wie die 
dichteriichen Schöpfungen ſelbſt das Pro- 
duct eines urjprünglichen Erlebnifjes jein 
müffen. Und dies ift Bergers nicht bloß 
praktiſch befolgter, jondern auch theoretijch 
(in jeinen „dramaturgiſchen“ Borträgen) 
ausgefprochener Grundjag, und mit ihm 
bat er ben wohlverdienten Erfolg errungen, 
die literarifche Kritik, die von den finn- 
lihen und ſchauluſtigen Wienern nicht 
ſehr geihägt wird, in jeiner geliebten 
Vaterſtadt wieder zu Ehren zu bringen. 

Tas ijt fein bleibendes PVerdienit. Frei— 

ih find es dieſe Offenherzigfeit und 

Märme nicht allein, die Bergers kritiſche 

Vorträge jo beliebt und jo mertvoll ge- 

madt haben, Es fommen noch hinzu: 

jeine reiche und tiefe Einficht in das Wejen 

der Poeſie, jein umfaſſendes MWiffen, feine 

pbilojophiiche Kraft in der Dialektif und | ſchönen Rahmen, der aus jolchen Reiten 
in der eindringlicen Analyie der Did: | des alten Bühnenbodens gemacht wurde, 
tungen, und feine klare, von ſchönen Bil- | und der den Bettel der legten Borftellung 
dern und Gleichnifien durchwirkte Sprache. | („Ipbigenia“) im alten Hanſe enthielt. 
Macht der tiefe Gemüthston in allen Das zmweitemal trat Berger als 
äfthetiichen und pſychologiſchen Darlegungen | Dichter gelegentlich der Grundfteinlegung 
ſchon an und für fich einen dichteriichen zum Raimund» Denkmal vor dem Volks— 
Eindrud, jo wird dieſer noch durch ſolche theater (am 31. Mat 1890) hervor. Auch 
Anihanlichleit der Sprache weſentlich Diesmal mit durcichlagendem Erfolge, zu 
erhöht. dem au der bewundernswerte Vortrag 


... Und wie ein Dann, der von der Heimat 
ſcheidend, 

Sich eine Scholle Heimaterde mitnimmt, 

Um einſt ſein Haupt darauf zu betten, 
möcht’ ich 

Von diefen Brettern hier, die nicht nur euch, 

Die ung die Welt bedeuten, einen Splitter 

Fromm mit mir nehmen, daj er uns 
bewahre 

Das Ungedenten an die jhönen Yahre, 

Die ruhmvoll große Zeit, da unfre Kunſt, 

Ein Rind des Haufes, unter einem Dad 

Mit Öfterreichs Kaiferfrone durfte wohnen! 


Am Schluffe der Vorftellung klopfte 
fih das Publicum der Logen und der 
Galerien, von wo immer e3 nur fonnte: 
von den Bänfen, Holzverfleidungen, Bret- 
tern de3 dem Abbruch bejtimmten altehr- 
würdigen Kunſttempels Splitter ab. 
Mit Splittern von Bühnenbrettern des 
alten Burgtheaters murde noch lange 
hernach ſchwunghafter Handel getrieben, 
und erjt Fürzlich zeigte uns ein Enthu— 
fiaft des Burgtheaters triumpbierend einen 





384 


des Meifters Lewinsky micht wenig bei« 
getragen hat. Die in Verſen gefalste 
Gharakteriftif des in Raimund zur Ver— 
förperung gelangten Localgenius Wiens 
ift jo jhön und jo warm und wahr, 
daſs wir uns nicht enthalten können, 
einen Theil wenigjtend von ihr herzu— 
jegen. 


Ya, Boll und Heimat hat in ihm gefungen! 

Aus feinem Liede grüßt's wie Fiedelklang, 

Wie Malzermelodie, wie Sang und Jauchzen 

Bei jungem Wein — der blauen Donau 
Rauſchen, 

Der ſonn'gen Hügel Rebenduft, die Größe 

Der blauen Alpen, die den alten Steffel 

Von ferne grüßen — was ein Wienerherz 

Am trauten Worte „Heimat“ warm umfajst, 

Das lebt und weint und ladt in jeinem 
Liede! 

Wie eines Öfterreichers helles Auge 

Durh allen blauen Dunſt bindurd die 
Dinge 

Leibhaftig ſchaut in ihrer Wejenheit, 

So fteht’3 in Raimund kräftig hingemalt, 

In ew'ger Jugend, farbig, leuchtend, lebend: 

Das gute Herz, das in uns allen ſchlägt, 

Die offene Hand, die jedem helfen möchte, 

Der leihte Sinn, der niht nad morgen 
fragt, 

Die Treue, die fein Undanf überwindet, 

Der fromme Glaube aud), dajs eine Fee 

Buimaden wird, was wir verdorben haben, 

Dazu das alte öſterreich'ſche Glück, 

Das diejen Glauben nicht zu ſchanden macht, 

— Ein echter Wiener geht ja niemals 
unter — 

Der franle, frohe Muth, der jelbft dem 
Teufel 

Gelafien „Servus“ jagt, der Rappelkopf, 

Der in und allen fhimpft und räfonniert — 

AU unfer Weſen lebt in feinem Lied .. 

Mer hat es nicht erlebt in unferm Wien, 

Wenn in des SommerabendE Dunft und 
Schmüle 

68 in den Bergen blitt und leiſe donnert, 

Und plöglih dann der feuchte Laubgeruch 

Der Wiener Waldluft dur die Straßen 
flutet, 

Von allen Lippen dürftend eingejogen? 

So gebt ein tiefes Athmen durch die Menge, 

Ein friiher Schauer fröhliden Gejundens, 

Wenn rein und lauter auf entweihter Bühne 

Des alten Raimund keuſcher Zauber waltet... 


Die Wirkung, die Lewinsky mit diefem 
Gedichte machte, wird ums unvergejslich 
jein. Wir ſahen belle Thränen der Be 
geifterung auf vielen ernjten Männer- 
gefichtern blinken. 








Nicht ohne inneren Grund haben wir 
bier aus der Sammlung der Gedichte 
Bergers gerade dieſe zwei Stüde — 
Moefie der Poeſie — herausgehoben. 
Denn der Dichter in Berger trifft ſeinen 
tiefſten Ton doch nur dann, wenn er 
über Dichter ſpricht. Mehr noch als un— 
mittelbar naive Poeſie, bringt Bergers 
Lyrik die Sehnſucht nach Poeſie zum 
Ausdruck, und das iſt das ganz Eigen— 
thümliche in ſeiner Perſönlichkeit. Was 
ſeine Größe als Kritiker ausmacht, das 
eben hindert ihn, ein großer Dichter zu 
jein, und er weiß es, er klagt darüber, 
er ift nicht glüdlih deswegen, es gibt 
einen Zwiejpalt ihn ihm, den er jelbft 
des öfteren, am beiten in der folgenden 
„Klage“ in Worte fajst: 


Wie lang iſt's her, dajs mir fein Lied 
Zu voller duftiger Schönheit geriet! — 
Das madt: ich bin -— faum weiß ich wie — 
Erkrankt an chroniſcher Piychologie. 


Die Dämmerung lieben Geifter und Dichter, 
Dod in mir brennen zu hell die Lichter, 
Sie ftören das traulih ſchaurige Walten 
Der zarten poetifhen Duftgeſtalten. 


Zu feinen jeelentundigen Reden 
Veripinn’ ich die Gedanfenfäden, 
Gewonnen dur herzlos kaltes Zergliedern 
Von warm gefühlten, lebendigen Liedern. 


Wer mwüjst’ es nicht: ein Horcher im Haus 
Scheucht Heimlichleit und Leben hinaus; 
Ein Horder im Herzen belauert mid, 
Mit jtehenden Bliden: der Horcher bin ich 


- | Und fängt es dennod an zu feimen, 


Sid im geheimen leife zu reimen — 
Sein faltes Auge fieht mir zu — 
Jähes Berftummen, Grabesruh. 


Das ift die Poeſie der Nichtpoefie, 
die verfificterte Faſſung des Nichtdichten- 
fönnend, und man erinnert ſich unwill— 
fürlih an Grillparzers hypochondriſche 
Tagebücher und Berje, in denen er ähn- 
lih über das Fernbleiben der Mufe klagt. 
Aber über Grillparzer fam jelbft nad 
den jchlimmften hypochondriſchen Zeiten 
der heilige Wahnfinn der Poefie, in dem 
er noch immer feinen „Bruderzmwift* und 
jeine „Jüdin“ Schaffen konnte; in Berger 
ift der Horcher ftärfer geworden und bat 





en ” 


ihn zum Kritiker gemadt. Damit joll 
nicht gejagt jein, daj3 jeine Sammlung 
feine rechten lyriſchen Stüde enthält; wir 
nennen nur: „Auf dem See“, „Grundl- 
jee*, „Ein Wintermorgen“, „Beruhigung“; 
viele Liebesgedichte find von großer Schön- 
beit. Er vermag auch in vier Zeilen ein 
Gedicht zu ſchreiben, dem nichts fehlt: 
„Liebe*. Aber weſentlich zeigt ihn uns 
feine Lyrik als einen philoſophiſchen, zur 
Moftit, dem Denken mit dem Herzen 
geneigten Geift, dem die ewigen Welt- 
rätbjel, ftet3 Antwort heifchend, im Sinn 
liegen, und der an Gebanfen jedesmal 
weit reicher ift, als an Bildern. Einmal ſogar 
bat ihn die Anſchauung in Stich gelaſſen, 
im Gedichte „das goldene Schlüſſ'lein“: 
Worauf fi Liebe gründe, zu erfunden 

Vermagft du nit, was du aud läjst und 

thu 


Wer bat das gold’'ne Schlüfj’lein je gefunden, 
Auf dem die fhöne Himmelsbrüde fußt? 
Mie fih Berger das Fußen der 
Brüde auf dem winzigen Raum eines 
Schlüſſeleins vorgeftellt haben mag, ijt 
nicht zu begreifen. Oder iſt die Brüde 
unter die Seiltänzer gegangen? Das ift 
der einzige Lapſus, der uns aufgefallen 
it. Ber Wert des Buches liegt Dies- 
mal ganz ausjhließlih darin, dajs es 
das allgemein menjchliche Bekenntnis eines 
Mannes enthält, der dazu berufen it, 
als Philoſoph und Äſthetiker uns noch 
vieles von Bedeutung mitzutbeilen. 
Wien, 25. December 1890. 


Moritz Neder. 


Anonyme Menfden. 


Vor einiger Zeit hat ſich der „Heim- 
garten” über die Ulnleferlichfeit der 
Namensunterfchriften aufgehalten, und 
mit Redt; man friegt mitunter Schrift- 
jtüde in die Hand, die zwar mit irgend 
einem Kratzer unterzeichnet find, trogbem 
aber al3 anonym oder pjeubonym gelten 
fönnten, weil ja der Kratzer nicht zu 
entziffern tft. 

Nun weiß ich aber in unjerem ge- 


EA 


Rofrgger's „‚Beimgarlen“, 5. Beft. XV, 


ABS. AO 


jellichaftlichen Leben ein Gegenftüd, das 
nicht minder ſchlimm ift, wie die un— 
leferlihe Namensunterfchrift.. Ein ano» 
nymes Schriftftüd ift etwas Perfides oder 
etwas Lächerliches, was aber ift eine 
anonyme Perjon? 

Wie ih das meine? Jh will deut— 
lich jein. 

Ich bin in einer Gejellihaft. Die 
Herren find alle gleich befradt, glei 
böflih und in ihren Phraſen gleich nicht3- 
jagend. Ein fremder Herr wird mir dur 
den Gaſtgeber vorgeftellt: „Bitte, hier ! 
Herr Maier!“ 

„Ad, freut mich!“ jage ich, eine der 
dümmften Phraſen, die man thun fann, 
aber jie iſt nöthig, fie gehört zum guten 
Ton. Nahdem man fidh vorgeftellt, das 
beißt, nachdem der Name genannt ift, 
bat man fih als Bekannte zu betrachten, 
und es kann ein Geſpräch beginnen, je 
nad) Belieben, vorfihtig oder zutraulich. 
Ah ziehe es vor, einftweilen über das 
Metter zu jprechen, ſpäter über ein neues 
Iheaterftüd, dann über einen Eijenbahn- 
unfall, der im Tagblatt ſtand; aber dem 
Herrn Maier ift nicht jo leicht beizu- 
fommen, ich bringe es nicht heraus, was 
ihn interejliert, worin er Beſcheid weiß 
oder was er eigentlich bedeutet. Nachdem 
ih mich jo eine halbe Stunde mit dem 
Manne abgemüht babe (denn manchmal 
find in einer Salongejellihaft zwei be» 
ftimmte Fremdlinge aufeinander ange 
mwiejen), jchlage ich mich unbemerkt zum 
Hausherren und flüftere ihm die Frage 
ins Ohr: „Ich bitte Sie, wer ift denn 
eigentlich dieſer unglüdjelige Herr Maier? 
der Mann iſt mir rein anonym und id) 
weiß mit ihm nichts anzufangen.“ 

Nun erjt erfahre ich vielleicht jeinen 
Stand, jeine Art, feinen Charakter, nun 
erft taucht mir im ihm eine beftimmte 
Individualität auf, mit der ein Verkehr 
möglich wird. 

Was will ich fagen ? dafs die Art, 
wie wir in der Gejellihaft fremde Per- 
jonen einander vorftellen, eine alberne, 
weil gänzlich ungenügende it. Bloß den 
Namen zu nennen, genügt nicht, die aller- 
wenigjten Perfonen haben einen Namen, 


25 





der allein ſchon den Träger bezeichnet. 
Bei populären, öffentlich wirkenden Per- 
jönlichkeiten, ift letzteres allerdings der 
Tal. Banernfeld, Speidel, Schönerer — 
hört man dieſe Namen, fo weiß man 
genug. Es genügt zumeift auch nicht, die 
Stellung mit anzubeuten: Herr Doctor 
Schmiedt! Herr Profeflor Schulge! Herr 
Rath Müller! denn immer noch bleibt 
die Frage offen: ift er ein Mebicin- 
boctor, ift er Jurift, Philoſoph, oder was? 
it er Hochſchul- oder Mittelichulpro- 
feflor, oder ein Profeflor der Magie? 
Und Rath? Es gibt allerhand Räthe, 
abgejehen von meinem guten Rath; man 
möchte fih bei dem Vorſtellen deutlicher 
ausdrüden, etwa: Herr Bergrath Wiejer 
aus Leoben! Herr Profeffor Schultze, 
Vhilologe am biefigen Gymnaſium u. ſ. w. 
Taktvolle Leute ftellen auch jo vor, zu— 
meift jedoch wird die erjte Bekanntſchaft 
jo flüchtig, bloß auf einen nichtsjagenden 
Namen hin gemadt, und wenn die fich 
Vorgejtellten es auch noch verfäumen, fich 
gegenjeitig näher zu erklären, jo wird 
da im Mebel berumgefuchtelt, daſs es 
jeine Art oder Unart hat. 

Am ſchlimmſten ift man noch daran, 
wenn e3 fihb um Leute aus dem Slein- 
bürgeritande handelt, denn feiner bringt 
es über die Lippen, den Schuftermeifter 
Bacher oder den Schornfteinfeger Schwarz 
vorzuftellen; man muſs fih mit dem 
Herrn von Bader und dem Herrn von 
Schwarz allein begnügen, und aljo wird 
bier der Name zu einem Anonymus, 
weil er uns nicht? jagt uns nicht auf- 
flärt über das, was er aufflären joll. 

Ich bin etwas neugierig, mir ift es 
nicht genug zu willen, wie ein Menſch 
beißt, jondern vielmehr, was er ift. Wie 
ihön wäre es, wenn jedem auf der Stirn, 
für alle leferlich, fein ganzes Nationale 
gejchrieben ftünde! Ich würde nicht an— 
jtehen, mich folchergeftalt tätomwieren zu 
laſſen, obzwar ih nur ein Schneider bin; 
aber ich möchte auch von meinem Öegen- 
über-Manne willen, wer und was er war 
und iſt, erft dann werde ich mich be 
wogen fühlen, mit den Manne zu ver- 
fehren, ihm eine Unterhaltung zu bieten, ; 





wie fie fih für ihn ſchickt, und eine Ehre 
ju ermweifen, wie er fie verdient. Erit 
dann werbe ich auch ben richtigen Maß— 
ftab anlegen können an jein Benehmen, 
an jeine Ausſprüche, an jeine ftandes- 
gemäße Bildung. In manchem muſs mir 
der Doctor mehr wiſſen, in manchem der 
Schuſter, ſoll ih ihn für gebildet gelten 
laffen. Wenn der Univerfitätsprofefjor 
behauptet, Stiefel aus präparierter Bapier- 
pappe wären empfehlenswerter, als Stiefel 
aus Leder, jo laſſe ich es ihm hingehen ; 
wenn mir dasjelbe jedoch ein Schuhmader 
jagt, jo muſs ich ſchon bitten! 

Bei Frauen ift e8 weniger widtig, 
ihr Nationale zu fennen, die Frau ift 
in erfter Linie nicht DBädermeifterin ober 
Frau Mrofefiorin oder Gouvernante, 
jondern in erfter Linie Weib, und bar 
nach richte ich mich leicht. Die Männer 
find aber Puppen und nur Buppen allein, 
wenn man von ihnen nichts weiß, als 
den fümmerlihen Namen; dieſer Name 
bedeutet oft nicht mehr, al3 unter einem 
Briefe ein Buchftabe oder ein Gedanlen- 
ftrid, der vielleicht nicht einmal etwas 
zu denken gibt. 

Alfo nur feine anonymen Männer in 
Geſellſchaften! Hübſch den vollen Namen 
und Charakter nennen, jo gut und Elar, 
als es in furzer Zeit nur möglich tft; 
ein paar Perjonen, die man fich gegen 
jeitig vorſtellen will, befannt zu maden, 
das gehört ſich. 

Anfonjten werde ich es demnädjit jo 
machen, wie jener Mufiler; dem ward in 
der Eile ein Herr Lenz vorgeftellt. 

„Schön!“ jagte der Muſiker. „Ich 
fenne einen Lenz, der mir jehr ſympathiſch 
ist, aber der find Sie nicht.“ 

„Seine Ercellenz iſt's“, flüjterte 
dem Mufifer der Hausberr angjtvoll zu, 
„Seine Ercellenz, der Herr Minifter !” 

„Ab, Bardon, ein Minifter find Sie!” 
rief der Muſiker. „Warum haben Sie 
das nicht gleich geiagt? Sogar das 
Exce ift neidiſch verichludt worden, was 
wunder, daſs Sie mir nur Lenz hießen, 
ohne doch der liebe blumenholde Lenz zu 
jein! Ercellenz;, ich mache meine Reverenz!* 








—— 


Bunte Gedanken. 


Von Alexander Engel. 


Dem Virtuoſen ſpendet jedermann 
Beifall, dem Künſtler nur der Verſtän— 
dige. z 


Wie unfere Feinde über uns denken, 
das mwiljen wir immer, doch jelten, mie 
unjere Freunde über uns denken. 

* * 


Die Reife nah dem Glück macht man 
meift per Bummelzug. 


* * 
* 


Wer aus dem Unglüd der Menge 
die jchönften Phrajen zu machen verfteht, 
wird — Volksbeglücker genannt. 


* * 


Die moderne Kunſt zeigt die Wahr- 
beit dort, wo fie — bäjslic ift. 
* * 


* 

Wenn ſich ein Autor beſtrebt, nur 
für die Nachwelt zu ſchreiben, ſo kann 
ihm dies die Mitwelt niemals verzeihen. 

* * 


Ihre ſchönſten Vorzüge haben die 
Frauen ber Phantafie der Dichter zu ver— 
danfen. 


* * 
* 


Eine kokette Frau will von allen 
angebetet, eine gemüthvolle von einem 


geliebt werden, 
* * 
* 


Ein volles Herz! Aber ach, womit 
iſt es gefüllt? 
* * 
Das wäre die edelſte Frau auf 
Erden, welche e3 unterdrüden könnte, von 
ihrer Rivalin etwas Böfes zu jagen, 


“ * 


* 

Was wahre Liebe ift, weiß wohl 
mander Mann, uur findet er fein weib- 
lihes Weſen, dem er es jagen könnte. 

“ * 


* 

Mieviel Mühe geben ſich doch die 
Menſchen, um einen Sleinen groß zu 
maden, noch mehr Mühe jedoch, um einen 
Großen klein zu machen. 


Wie viele find Dichter, ohne einen 
einzigen Vers gejchrieben zu haben, und 
wie viele find es nicht, welche taufend 
Verſe gemadt ! 

Man träumt fo lange vom Glüd, 
bis man es ſchließlich verjchläft. 

* 


* 


* 

Im Glücke kannſt du dich deinen 
Freunden zeigen, im Unglüd können ſich 
dir deine Freunde zeigen. 

* * 


* 

Wer den Schein des Glückes nicht 
für das Glück ſelbſt zu nehmen verſteht, 
der ſtellt zu hohe Anſprüche an das 
menſchliche Glück. 

Man darf das Glück nicht zu ernſt 
nehmen, aber auch nicht das Unglück. 


* 


Das Glück macht gedankenlos, das 
Unglück macht nachdenklich. 


* 


Der Glückliche weiß nicht, was Glück 
iſt; der Unglückliche weiß immer, was 
Unglück iſt. 

Das Glück macht uns feige dem 
Leben gegenüber, das Unglück zu Helden 
des Schickſals. 

Wieviel Glück geht doch auf Erden 
verloren und ach, wie wenig wird ge— 
funden! 


Das Märchen von der Korn- 
blume, 
Don Paul Mantegazza.*) 


Ein alter indifcher Dichter hat uns 
ein Zwiegeſpräch hinterlaſſen, welches er 
ungejehen, während er im Schatten einer 
Splomore, neben einem reifenden Weizen- 
feld Sieſta hielt, anhörte. 





*) Aus „Blumenmärdben‘ von Paul Mantenaza. 
Aus dem Italieniihen von Dr. R. Zeufcber. Iena. 
Hermann Koftenoble., 


25* 


88 


Das Zwiegefpräh fand zwiſchen den 
Ühren und dem Himmel ftatt; vielleicht 
werdet ihr als Zeichen des Zweifels, 
wohl gar des gänzlichen Unglauben®, den 
Kopf ſchütteln, aber ih verfihere euch 
auf Ehre, dafs der Himmel täglih zu 
den irdiſchen Gefchöpfen jpricht, und daſs 
dieje ihm antworten. Sie ſprechen aber 
nur leife und faft flüfternd, jo daſs die 
Mehrzahl der Menjchen nichts hört, und 
nur bie Dichter, welche gerade durch die 
Schärfe ihres Gehöres zu ſolchen ge 
worden find, vernehmen diefe Stimmen 
und behalten fie im Gedächtnis, um uns 
dann neue Welten, und viel jchönere, zu 
enthüllen, als diejenige, welche ung umgibt. 

Sp lag denn unjer Dichter zwiſchen 
Schlafen und Denken; das Hin- und 
Herwogen der Ähren wiegte ihn in einen 
wollüftigen Halbihlummer, welder bald 
in wirklichen Schlaf übergegangen wäre, 
hätte nicht eine Stimme aus ber Höhe 
jeine Aufmerfjamfeit gemedt. 


* * 


Es war der Himmel, welcher zu den 
Ähren ſprach: 

„Undankbare Ähren, ich bin erzürnt 
gegen euch!“ 

„Und warum das?“ 

„Weil ihr meine Wohltbaten nicht 
mit einem Kuſſe, einem Gruße, ja nicht 
mit einem Laute der Dankbarfeit für all 
das Gute, das ih euch ermeije, beant- 
wortet. Sch bin es, der euch erwärmt, 
ih, der euch erleuchtet; ich bin es, ber 
euere Wurzeln mit erfrifchendem Regen 
badet und auf eueren Stengeln bie blon- 
den Körner zur Reife bringt, welche der 
Menſch in Brot verwandelt.” 

„Wir find nicht undankbar, o Him— 
mel, wir erfennen alle die Mohlthaten, 
die du uns erzeigft, und glauben dir aud) 
unjere Dankbarkeit zu bemweijen. Wir 
thun, was wir fönnen, ft es etwa nicht 
wahr, dajs du dih in dem Glüd der 
lebenden Gejchöpfe ſpiegelſt, daſs du aus 
der Höhe die Schönheit der blühenden 


bemühen und, die Erbe zu verjchönern, 
welche deine Tochter ift und dir deine 
Küffe und Wohlthaten hundertfach zurüd- 
gibt.” 

„Aber ich bemerfe euere Liebe für mich 
nicht, und jchweigende Liebe ift für mich 
feine Liebe. Die Blumen jehiden ihren 
MWohlgeruh zu mir herauf, die Wälder 
ihr beredtes NRaufchen, die Vögel ihren 
Gejang, aber ihr —“ 

„Wir lieben dich, fo gut wir können. 
Unfere Liebe zu dir ift voll Ehrfurdt. 
Du biſt zu weit von uns entfernt, als 
dajs wir bich glühend lieben, dir unjere 
Zuneigung ausdrüden fönnten, Die Vögel 
fönnen fich dir leicht nähern, aud die 
Blumen haben Flügel, um ihren Duft 
empor zu fenden. Wir find Elein und 
haben feine Flügel.” 

„Und doch ſeht ihr, daj3 ich euch 
jehbr lieb habe; ich babe in euch bes 
icheidene aber ftarfe Tugenden gelegt, 
welche euch zur Xieblingspflanze des 
Menichen gemacht haben. Ich Habe euch 
feine zarten Mohlgerüche, glänzende Far— 
ben ober eine hohe Geſtalt verleihen 
fönnen, denn ich mujste hohen Wert in 
feinem Raume zujammendrängen. Jede 
von euch trägt auf ihrem zierlichen Sten- 
gel das Brot, die einzige Nahrung, deren 
die Menjchen niemals überdrüjfig werden, 
und das fie jogar vergöttert haben, indem 
fie e3 auf die Altäre ihrer Tempel legen 
und einen Gott darin verbergen.” 

„sa, wir find für den Ofen und den 
Tiſch bejtimmt, aber die Blumen jterben 
ſeufzend in den Flechten ſchöner Mädchen 
oder vor Liebe jchmadhtend an ihrem 
warmen Buſen.“ 

„Ah, beneidet die Blumen nicht! 
Der Menih pflüdt fie mit Begeifterung, 
riecht einen Augehblid daran, und wenn 
fie verwelft find, tritt er fie mit Füßen 
und wirft fie in den Schmuß. hr da» 
gegen werdet mit liebevoller Sorgfalt 
von fröhlichen Bauernmädchen eingejan- 
melt, und die Ahrenernte ift das älteite 


Erde genießeſt? Wir breiten zwijchen | und ſchönſte Feſt des Menſchengeſchlechtes. 
Weinbergen und Wäldern unſere bald Ihr nehmt den beſten Platz im Hauſe 
grünen, bald goldigen Teppiche aus und ein, ihr bleibt blond und duftend, auch 





wenn ihr jchon in Brot verwandelt ſeid, 
und fogar euere trodenen Halme werden 
jorgfältig eingefammelt und bebeden das 
Haus des Menjhen, den Kopf des Mans 
nes und des Meibes,* 

„Aber das alles ift projaiih; aud 
wir hätten gern ein wenig Poeſie.“ 

„Seid nicht unzufrieden; es liegt 
jo viel Poeſie in einer Ähre, daſs alle 
Völker der Erde nicht imjtande wären, 
fie auszubrüden. Getreide und Mein find 
die beiden poetifcheften Pflanzen der Welt, 
die Pole des Guten und Böfen in der Ge- 
Ichichte der Menfchheit. Aber ſprechen wir 
jest nicht davon. Ich möchte, dajs ihr 
mich ein wenig mehr liebtet, als ihr bis 
jetzt gethan habt.“ 

„Wir wollen es verſuchen.“ 


% * 


* 


Jetzt ſchien dem indiſchen Dichter, der 
ſchon lange nicht mehr ſchlummerte, ein 
langes Schweigen einzutreten, und er hielt 
das Zwiegeſpräch zwiſchen Himmel und 
Erde für beendigt. Aber nach einiger 
Zeit ertönte von oben ein langer, zarter 
Seufzer, wie von einem um Siebe 
lebenden. 

„Ahren, liebt mich!” 

„Himmel, du bift zu fern von ung!” 

„Und wenn ih hinunterfäme und 
euch umarmte, würdet ihr mich lieben 7“ 

„Wir find zu Hein, du würbeft uns 
erdrüden. * 

„Rein, fürdtet euch nicht; ich werde 
in Geftalt blauer Blumen kommen und 
mit euch und unter euch leben, ihr werdet 
meine Blüten küffen und ich eure Ähren.“ 


* * 


* 


Von jenem Tage an wachſen auf den 
Feldern, wo der Menſch ſein Brot ſät, 
die Kornblumen, und wenn dieſe ihre 
blauen Blüten entfalten, reifen auch die 
ÜÄhren, und Blumen und Ähren küſſen 
fih und unterhalten fih, wie es Die 
blauen Augen und blonden Haare auf 
dem Kopfe eines jchönen Mädchens thun. 


Bas Ehrgefühl. 
Eine Skizze In Wiener Art und Mundart 
von Eduard Pöpl.*) 


Es ift eine jeltiame Geſchichte, die 
ih da erzählen will, ſchier unglaublid; 
aber wer mich näher kennt, weiß, daſs 
ih fein allzu läſterlicher Aufjchneider bin. 
Die Sade wird noch von fich reben 
maden; denn von allen Erlebniſſen, die 
man mit einem Wiener Einjpänner haben 
fann, ift fie entjchieden die wunderbarfte, 


Es handelt fih aljo um einen Ein- 
Ipänner. Ich hatte ihn aus einem Dußend 
ausgewählt, die auf dem Plage ftanden. 
Er überragte alle anderen, was das nette 
Ausjehen des Wagens und des Pferdes 
betraf. Das lehtere zeigte noch vier ger 
rabe Beine und war ein Brauner, was 
mi jehr für das Thier einnahm. Die 
Gomfortabelpferde leiden nämlich ſonſt 
nit ſelten an der engliihen Krankheit, 
und wenn fie Schimmel find, jo geben 
ihnen die Haare in erjchredendem Maße 
aus. Sieht man die vielen glakhäutigen 
Gäule in der Stabt herumlaufen, jo fragt 
man ſich mohl, woher diefes Übel ftammen 
mag, da doch Comfortabelpferbe insgemein 
feinen erheblichen geiftigen Anftrengungen 
ausgelegt find. Nur ihre Einbildungs- 
kraft wird täglich ftarf in Anſpruch ge 
nommen, da fie nicht aus dem Wahne 
fommen dürfen, es jei Hafer in ben 
Yutterjäden anftatt des Häderlings. Dies 
ift au der Grund, warum ihnen ber 
Futterfad über die Augen gezogen wird, 
fo dafs fie im Finſtern freffen. Denn 
jähen fie einmal, was eigentlih darin 
ift, jo würde ein fürdhterlicher Aufftand 
unter ihnen losbrechen. Vielleicht ift es 
diefe fortgefegte Suggeftion, welche meinen 
Lieblingen, für melde ich ſchon fo oft 
vergeblih eine Lanze gebrochen babe, 
Schaden bringt, fie vorzeitig altern läjst 
und ihre Haare veranlajst, jo maflenhaft 
aus der Haut zu fahren. 


Doh um auf meinen Einjpänner zu— 
rüdzulommen, muſs ich der Wahrheit ger 
mäß wiederholen, daſs er einen recht 


] *) Aus deſſen loſtlicher Sammlung: „Mlein«Wlener*, 
| (Wien. &. Eyelinsti. 1891.) 


390 


guten Eindrud machte. Namentlih das 
Plerd hatte etwas Stolzes in feinem 
Welen, das mih an Pegafus im Joch 
gemabhnte. Als es abgebedt wurde, warf 
es mehrmals den Kopf in die Höhe, 
ichnaubte und geberbete fih überhaupt 
jo zuverfihtlih, wie ih es nod nie an 
Eomfortabelpferden bemerkt babe, melde 
ja im allgemeinen als ftille Dulder in 
zaghafter Ergebenheit und wehmüthiger 
Hoffnungslofigfeit die Reife vom Stanbd- 
plage antreten. Als wir im Gange waren, 
fand ich die Schnelligkeit nicht auffallend 
groß, doch immerhin beachtenswert, und 
ih pries den günjtigen Zufall, der mir 
zu einer jo herrlichen Comfortabelfahrt 
verholfen. Plöglih aber that das Pferd 
einen Sprung und ftürmte vorwärts, fo 
daſs es der Kutſcher feft im Zügel halten 
mufste. Sch dachte, es habe ein bijächen 
geicheut und freute mic, daſs das brave 
Roſs noch Luft und Kraft zu einer jolchen 
felbftändigen Außerung befige; die anderen 
Comfortabelpferde pflegen fih, wenn fie 
ſcheu werden, bloß auf das Pflafter hin» 
zulegen und flehentlih mit den Beinen 
zu ftrampeln. Doch nad einer Weile 
wieder einen Sak, und abermals bas 
Vormwärtsjtürmen. Nun ftredte ich den 
Kopf zum Fenſter hinaus und rief bem 
Kutſcher zu: 

„Is er jo g’ihredt ober hau'n S' 
ihn vielleicht 7* 

„Gar fa Reb’*, brummte der Kut— 
ſcher, mit beiden Händen die Zügel ftraff 
anziehend, Er Hatte auch wirklich die 
Peitſche neben fich fteden. Und ohne 
jede Anfeuerung legte ſich das Pferd mit 
Macht in das Geſchirr, ſcharf ausgreifend, 
jo dajs mein Wagen einige flinke Fiaker 
überholte. Hiedurch entſtand bereits einiges 
Aufiehen in den Straßen, dur die wir 
dahinrollten. Es blieben Leute ftehen und 
blidten erftaunt dem Einfpänner nad, 
der es jo eilig hatte. Manchem ftand 
auf dem Gefichte Die Erwartung geichrieben, 
daſs das Pferd ſchon in der nächſten 
Minute fein Ungeftüm mit einem Schlag- 
flujs büßen werde. Andere riefen entjeßt: 
„Halt's den Anſpanner auf, der is narriich | 
word'n!“ Und als wir um bie Ede, 


prallten, rief gar ein nichtönußiger Innge 
in den Wagen hinein: 

„Mi Jeſſas, a ſtierer Gigerl, 
der's nur mehr anſpanni' ſchiaßen laſſen 
lann!“ 

Dieſe kränkende Redensart veranlajste 
mich, noch einmal den Kutſcher anzu⸗ 
rufen: 

„Sie, was treiben S' denn mit 
dem Pferd? Hat’s vielleicht den Koller ?“ 

Er jchüttelte ftumm den Kopf. Die 
Peitſche ftedte immer noch unberührt 
neben ihm. 

„Oder martern ©’ da3 arme Vieh 
am End’ mit irgend einem Teufelszeug, 
was ihm wehthut?“ 

„Aber naan ſag' i.“ 

„Asdann, jo halten S' es zurüd! 
Jh mag net jo mit einem Comfortabel 
herumraſen. Das ift zu unnatürlih ! Sie 
werden bob das Pferd zurüdhalten 
fönnen ?“ 

Naan, kann i net!” 

„Ja warum denn nicht 2“ 

„Weil der Krampen an Ehrg'fühl 
bat.” 

„Was jagen S'?“ 

„An Ehrg'fühl hat er. 
verftengen Sö net.” 

Während er mir diefe in der That 
unverjtändliche Auskunft gab, fuhren wir 
in jchnellem Trab über eine Straßen- 
freuzung. Der dort angejtellte Wachmann 
ſchien ſeinen Augen nicht zu trauen. Ein 
Eomfortabel und Schnellfahren! Erjt nad 
einer Weile ftarrer Verwunderung machte 
er Miene, dem Verächter der Vorſchrift 
nachzujegen, um die Nummer aufzuſchrei— 
ben. Allein der Kutſcher hatte rüdwärts 
geſchielt und merkte nicht jobald die Ab- 
fiht des Wachmannes, als er auf eine 
ganz unerhörte und abenteuerlihe Art 
jein Pferd zu toller Flucht bradte, Ich 
gewahrte nämlich, während ich mid) hinaus 
beugte, um Halt zu gebieten, daſs er 
behende auf den Hintertheil des 
Pferdes jpudte, worauf dieſes ganz 
wild den Schweif bäumte und davon— 
jagte. Die Peitjche blieb nad mie vor 
unberührt. Ich war ſprachlos. — — — 

„Was, der hat a Trabberl, gnä’ 


Aber dös 


een ——— 
— —— 


391 





Herr!“ meinte der Kutſcher beim Aus— 
ſteigen und blinzelte mich vielſagend an. 

„Sie hab'n aber auch einen eigenen 
— Zungenſchlag, um ihn anzufeuern.“ 

„Na wiſſen S', er kann's halt 
net leid'n, wann i 'n anſpiazeln thua ; 
's ganze Jahr brauch' i deſstweg'n fa 
Peitſch'n net, Nur imrings amal a bifjel 
auffiipuden und er jagt wia der Teirel, 
weil's 'n jchenirt. Da därfn ©’ weit 
geh'n, bis ©’ wieder a Roſs find’n, was 
jo a Ehrg’fühl in eahm hat. ...“ 


Das $eil’n. 


Ein Bilden aus dem fleiriihen Volksleben 
von B. 3. Rrones. 


Weihnachten iſt's. 

In Hochſtätten, und auch in den 
anderen Dörfern, fangen die Dienftboten 
an, fih zur Wanderjchaft zu rüften, denn 
am Sylveftertage, am „alten Jahrtag“, 
wird gewandert; ift ja doch ’3 Jahr 
um, Bei mandem Großbauer ſchaut 's 
aus, als ob fie 's ganze Haus gleich 
einpaden wollten. Knechte und Mägde 
ziehen fort zu anderen Bauern, wofelbft 
fie es nach ihrer Meinung beffer haben ; 
wo fie nicht jo viel zu arbeiten brauchen, 
als auf dem gegenwärtigem Plage, da- 
für jedoch eine beffere Koft und mehr 
Lohn befommen. 

Sauter jchöne Sachen! 

Sowas zieht freilih. Drum haben 
beim Harlbauer die Ancchte zu Micaeli 
auch ihren Dienft aufgeſagt und fich wo 
anders verleihlaujen lafjen, einer da, der 
andere bort; und jeder glaubt, auf dem 
neuen Plage jein erhofftes Eldorado zu 
finden. Auch die Mitterdirn, die „Rejl“ 
hat 's ihnen nachgethan. Sie fommt gar 
in die Nachbarſchaft: nad Kaindorf, 
zur Hofmühl. Obgleih fie da um 4 fi. 
mehr Lohn befommt al3 beim Harlbauer 
und noch dazu ein Paar Kirchenſchuhe 
ald Aufbefjerung, jo ift es ihr jekt, 
nachdem es Ernit ift, doch nicht alles 
eins, dafs fie fort joll. 

E3 hat beim Harlbauer eben ein 
Häkchen. Ber Harlbauer „Franzl“ ift 


in die Reſl ganz verdonnert und ver— 
jharmeriert; und auch die Nefl bat den 
Franzl nicht ungern. Hätte fie doch ein» 
mal Ausfiht gehabt, Harlbäurin zu 
werden. Und das will was gejagt haben, 
War ja doch der Harlbauer-Grund in 
Hofftätten einer der größten und jchönften 
in der ganzen Gegend, dazu jdhuldenfrei, 
mit neugebautem Wohn: und Wirtjchafts- 
gebäude. Überdies war der Franzi der 
einzige Erbe; und, was aud bei den 
Dorfihönen nicht am geringiten in bie 
Wage fiel, er war der fejcheite Burfche 
im ganzen Dorfe. Sein Wunder daher, 
dajs jo mande Augen ihn beimlih und 
offen juchten. 

Das alles gieng der Reſl durch den 
Kopf, als fie am heiligen Chrifttage 
nadhmittagd bei ihrer „Gwandtruhen“ 
berumframte und ein Stüd ums andere 
fein ordentlich hineinlegte. Es gieng ihr 
wie ein Mühlrad herum, da fie bedadhte, 
dajs fie ald armes „Dianſtmenſch“ fich 
dazumal jo „übergadt* hatte; und das 
Meinen war ihr jehr nahe. 

E3 war nämlih vor Michaeli, da 
hatte es beim Harlbauer allerhand 
Streitigfeiten abgegeben, und da gerade 
die Leihlaufszeit vor der Thür war, jo 
thaten fi die meilten Dienftboten um 
einen anderen Pla um; auch die Reil. 
Hintennach bereute fie es freilih. Sie 
wollte den Leihlauf zurüdgeben, aber 
der Hofmüller jagte: „Wos ghonbdelt is, 
is ghondelt; da is's mir mitn Um— 
fteden, Du muſst dein’ Zeit ausholtn.” 

Sylveſter iſt's. 

Am „alten Jahrtag“ kam ſchon 
beizeiten der Schlitten, welcher die Refl 
ſammt ihrer Habſeligleit zur Hofmühl 
bringen ſollte. Sie verabſchiedete ſich 
unter Thränen vom Bauer und der 
Bäuerin, ſowie von den übrigen Haus— 
leuten, und bedankte fih für alles Gute, 
was fie im Haufe gehabt hatte. Den 
Bauersleuten war ihr Fortgehen nicht 
gleichgiltig, denn die Neil war ein „an- 
ſtelligs Menſch“, auf das man fich überall 
verlaffen fonnte. 

„Und wegn dem Techtl- Medtl mit 
dem Buabn”, meinte der Harlbauer ein— 


392 


mal zu feinem Weibe, da fie gerade von 
der Reſl ſprachen, „fein a paar junge 
Leut', oll' zwoa; fein eppa mir onders 
gwen, wie ma jung warn? Und wegn 
ihrer Armutb; mein Gott, olle Menfchen 
fönnen nit reich fein. Won injer Franzi 
amol a Weib nimmt, jo bärf er juft 
Ihaun, daſs's brav und wirtichaftli is; 
is's nocha reih oder oarm. Gelt, 
Alter — — 

„Aber wo iS denn der Franzi ?* 
fragte die Neil, da fie ihn in der Stube 
nicht jah. 
Mir jcheint“, erwiderte der Bauer, 
„i bon ihn grod ehvor giehn in Stoll 
umigehn.“ 

„Do geb i jelber nochſchaun“, ſagte 
die Neil; „i muaf3 von iahm doch a 
Pfüat Gott nehm. Hobn ma oft mit. 
anond gitrittn und gmwörtlt, und i möcht 
doch mit im Unfried von iahm furt.* 
Und jogleih gieng fie hinüber in den 


Stall. „Schau, Franzl”, fagte fie, da 
fie ihn traf; hiatz muaſs i holt 
JJ — 


„Hot's fein müan?“ fragte der Franzl 
und wollte fortgehen. 

Die Neil aber nahm ihn bei ber 
Hand und ſagte: „Bift leicht harb auf 
mi, Franzi? Schau, i geh nit gern, aber 
es muaj3 holt jein. Geh, fei nit harb 
auf mi; i that mi zviel fränfen. Und 
biag pfüat di Gott!“ 

„Pfüat di Gott a!“ jagte der Franzi. 
Dann fajste er die Reſl um die Mitte 
und jprah mit weicher Stimme, die 
man ihm gar nicht zugetraut hätte: 
„Wäi boft denn dos than, Neil? J 
dent, es war für di noch Plotz gnua 
gwen ban ins da; e3 hot di jo niamd 
furtgſchofft. 3 hon di immer recht gern 
ghobt. Dos hättſt ma nit fulln anthuan !* 

„Schau, Franzl“, erwiderte Die 
Keil, „i fimm ja fo nit weit furt;“ 
und ein wenig verſchämt ſetzte fie Hinzu: 
„do wern ma ins wuhl no monig3mol 
zſehn kriagn. Wia war's denn, wonnft mi 
amol buamjucheft, that mi rechtichoffn 
gfreun.“ 

„Is's woahr! Därf i?“ fragte ganz 
erfreut der Franzl. 


Das „Pfüat Gott“ fiel ein bijschen 
fang aus. 

Bon der Zeit an vergieng felten ein 
Sonn- oder Feiertag, daſs der Harl- 
bauer Franzl nit nah Kaindorf ge— 
gangen wäre. Es fiel ihm auf einmal 
ein, baj3 der Platzwirt dafelbft einen 
viel befferen Wein ſchänkte, al3 der 
Hofftättner Dorfwirt. Sehr erwünſcht 
fam es ihm aud, daſs der Dorfmüller 
vielen Eiſes wegen längere Zeit gar 
nicht mahlen fonnte; das gab die ſchönſte 
Ausrede, in die Hofmühle nah Kain— 
dorf zu fahren und dann und wann 
nachzuſchauen, ob das Mehl ſchon ab— 
zubolen jei. Kurz und gut, an Ausrede 
fehlte es nicht, ebenjomenig an Zeit, 
diefelbe zu verwirklichen. Natürlich wuſste 
auch die Rejl es ftet3 einzurichten, daſs 
fie kurze Zeit abfommen konnte. 

Don den BDorfbuben in Kaindorf 
murben diefe Zujammenfünfte bald aus 
gefundichaftet und fehr übel vermerkt. 
Was hatte ein „ausmwärtiger Bua“ mit 
einer von den ihrigen zu ſcharwenzeln; 
denn al3 ſolche wurde die „Hofmüller 
Neil” feit ihrem Dienftantritte angejehen. 
Das gab den Kaindorfer Buben eine 
erwünſchte Gelegenheit, einen langgebegten 
Groll gegen die Hofftättner friſch auf— 
jumärmen und ſich denjelben gegenüber 
neuerdings feinblih zu zeigen, Dazu 
trugen auch die beiden Müllerburfchen 
das ihrige bei. Ihnen Tag die Neil auch 
ganz gewaltig im Herzen; fein Wunder, 
denn die Reſl war die einzige Schönheit 
in der Hofmühl, ja, ohne zu prablen, 
im ganzen Dorfe. Das zog freilich ganz 
gewaltig. Sie liefen daher feine Ge- 
legenheit vorübergehen, fih im Kerzen 
der Reil feſtzuſetzen — den Harlbauer 
Franzl aber daraus zu verdrängen. In 
Gefellihaft der übrigen Dorfbuben hekten 
fie ftet3 gegen den Franzl; der Neil 
fuchten fie jedoh glauben zu machen, 
daf3 der Franzl ſchon Tängft eine 
„andere“ habe. 

Da gab es oft heimliche Thränen. 

Am Falhingmontag war beim Plap- 
wirt in Kaindorf „Roſsknechtball“, wozu 
auch die Hofſtättner geladen waren. 


Weil dabei der Harlbauer Franzl faft 
nur mit ber Hofmüller Rejl tanzte, jo 
ward es bei den Saindorfer Buben 
beichlofiene Sade, die beiden ausein- 
anderzubringen, ober wenigſtens dem 
Franzi die Beiuche zu verleiden. 

Diefer merkte gar wohl, daſs gegen 
ihn etwas im Plane jei. Obgleich die 
Kaindorfer damit jehr heimlich thaten, 
jo fonnte es ber eine oder der andere 
doh nicht laſſen, dem Franzl einen 
giftigen Blick zuzumwerfen. Und hätte er 
Ihon das nicht wahrgenommen, jo mujste 
es ihm auffallen, daj3 die meiften Kain— 
dorfer Buben ihn mieden wie einen Aus» 
lägigen. Mitunter fieng auch einer an 
zu ftänfern, ob denn die Hofftättner feine 
„Menjher" hätten, daſs fie darum nad 
Kaindorf laufen müſſten. Das mar 
deutlih genug. Der Franzl dachte aber: 
„Redt's, wos wöllt's; i bleib meiner Reil 
deswegn no treu!” Eine Rauferei an- 
jufangen, getrauten fie fih denn doch 
nicht, denn der Franzl hatte einen An— 
bang, mit dem nicht gut Kirſchen efjen 
war; darum mufsten auch die Stänferer 
ihre Fahnen einziehen. 

Die Zeit fam und gieng. 

Der Winter war vorüber, Oſtern 
vor der Thür, und ber Franzl hatte auf 
den Vorgang beim Playmwirt ſchon längft 
vergeffen. Er gieng nad wie vor zur 
Neil, und dieſe freute fih allemal auf 
fein Kommen. 

Kurz vor Oftern iſt's. 

Es war ein ftürmifcher Frühlings» 
tag, da der Harlbauer Franzl gegen 
Abend wieder nach Kaindorf gieng. Nach— 
dem er mit der Rejl einige Zeit beifammen 
war, jchidte er fih an, wieder heimwärts 
zu gehen. Sogar bie Neil trieb heute 
dazu an, denn das Wetter wurde immer 
ungeftümer, und baun Hatte fie noch 
andere Bejorgnifje, welche fie dem Franzl 
mittbeilte. Dieſer verlachte fie deshalb 
und fagte: „Braucht deroweg'n kuan' 
Angft z'hobn; i fürdt' kuan Wetter und 
noch wen’ger die Kuandorfer Buab'n.“ 
Damit ſchied er von der Reſl. 

Er hatte erft die Abficht, jogleih nach— 
hauſe zu gehen; aber die Äußerung der 


IMejl umd ihre Belorgnifje veranlajsten 
ihn, noch ein wenig beim Platzwirt vor- 
zuſprechen und fi durch ein paar Glas 
‚Mein zu ftärfen. Dort ſaßen troß ber 
ſpäten Abendftunde noch mehrere Kain— 
borfer Buben wie auch die beiden Mühl» 
burjchen aus der Hofmühle und „Eartelten“. 
Erft machten fie große Augen, als der 
Franzl eintrat, dann fchienen fie ſich um 
ihn nicht weiter mehr zu fümmern. 

Nicht lange darauf beendeten fie das 
Spiel, leerten ihre Gläſer und verließen 
das Gafthaus. Auch der Franzi beeilte 
ſich, denn er wollte doch nicht ganz allein 
‚figen bleiben. Als er fortgieng, jagte die 
Kellnerin zu ihm: „Franzl, geb’ nit noch 
der Stroß'n; mir jcheint, die Buab'n 
hob'n wos geg'n di.” — 

„AH wos!” jagte der Franzl; „ſäi 
wer'n mi wuhl nit auffreii’n.” 

Damit gieng er hinaus in die Nacht. 
Es war finfter, daj3 man einem hätte 
in die Augen greifen können. Erſt fam 
es ihm auch etwas gruslih vor, denn 
die Bejorgniffe der Reil, die Befürch— 
tungen, welde die Kellnerin beim Plap- 
wirt ausſprach, und dann die unheimliche 
Ruhe, mit welder die Burfchen vom 
Mirtshaufe fortgiengen, machten ihn etwas 
ftugig, und er bereute ſchon faſt, micht 
den Weg über die Höhe eingeichlagen zu 
haben. Allein, je mehr er fih an bie 
Finſternis gemöhnt hatte, deſto mehr zer 
ftoben dieſe Bilder der Furcht in leeres 
Nichts und deſto zuverfichtlicher gieng er, 
ein fröhliches Liedchen pfeifend, ſich auf 
der Mitte der Straße haltend, dahin. 

Auf einmal war es ihm, als be 
füme er einen heftigen Schlag vorne auf 
die Unterfchentel. Die Füße wurden ihm 
förmlih nah rüdwärts hinausgeriſſen, 
und er fiel, mit dem Geficht nach vorne, 
zu Boden. Das geſchah jo unvermuthet 
und jo heftig, daſs er nicht mehr Zeit 
fand, fih mit den Händen zu fangen, 
und er fih auf den jpigigen Straßen- 
fteinen das ganze Geficht zerihlug. Raſch 
erbob er fich jedoch wieder. Kaum ftand 
er aber, jo erfolgte ein Schlag von rüd- 
wärt3, riſs die Füße nach vorne, und er 
fiel auf den Rüden. 


Diefer zweite Schlag belehrte ihn, 
Erft hatte er gemeint, es jei ein Baum 
aft über der Straße gelegen, welcher 
jeinen Fall verurfaht babe, Nun der 
Schlag auch von rüdmwärts fam, wuſste 
er, dajs es kein Baumaft, jondern ein 
Seil fei, weldes von den Kaindorfer 
Buben jo geihidt gehandhabt werde. 
Von den Buben jelbjt fonnte er ber 
großen Finſternis wegen nichts bemerfen, 
und zudem war zu beiden Seiten ber 
Straße auch dichtes Gebüjch, welches fie 
dem jpähenden Auge des Franzl entzog. 

Noch ein paarmal verjuchte es diefer, 
aufzuftehen, um womöglid aus dem Be- 
reihe des Seiles zu kommen, aber ver- 
geblich; kaum hatte er fich erhoben, jo 
lag er jchon wieder auf der einen ober 
auf der anderen Seite. 

Nun begann er zu ſchimpfen und zu 
jchelten, daſs es weit in die Nacht hinaus. 
ballte. AZugleih las er Steine auf und 
ſchleuderte diejelben aufs Gerathewohl 
nah rechts und links. Er mufste dabei 
bob einen von jeinen Widerjachern ger 
troffen haben, denn er vernahm ein furzeg, 
leifes Aufftöhnen. Das war aud ber 
einzige Laut, den er hörte, 

Nahdem der Franzl eine GStrede 
Weges fortgefrohen war, horchte er: 
Er vernahm jet dumpfe Stimmen und 
Schritte, welche jih von ihm immer mehr 
entfernten. Nun erft war er wieder ficher, 
Er ftand auf und gieng fo gut es gehen 
mochte nachhauſe. Daſelbſt begab er 
fih fogleih in jeine Kammer, reinigte 
fih vom Blut und Schmuß, jchlug feinen 
wunden Kopf und die jchmerzenden Beine 
in naffe Tücher und legte fih aufs Ohr, 

Anderen Tages früh fam fein Franzi 
in den Stall, und auch zum Frühſtück 
erihien er nicht. Die bejorgte Mutter 
gieng in feine Kammer und — jchlug 
jammernd die Hände über den Kopf zufam- 
men. Da lag ihr Franzl mit geröthetem, 
aufgedunfenem Gefichte und fieberte. — 

Seine ftarfe Natur und die treffliche 
Pflege braten ihn jedoch bald wieder 
auf die Beine. 

Den Kaindorfer Buben hätte dieſer 
Spajs bald schlimmer angeſchlagen. 


8 


Hätten der Harlbauer und deſſen Sohn 
ſich nicht ausdrücklich gegen jede gericht- 
liche Verfolgung verwahrt, jo würden die 
Räbelsführer nah einer langwierigen 
Unterfuhung jedenfalls auf längere Zeit 
eingenäht worden jein, wofelbft jie daun 
Zeit genug gehabt hätten, über die ganze 
Geichichte Fromme Betrachtungen anzuftellen. 

Als der Franzl dann wieder voll- 
fommen bergeftellt war, giengen er und 
jein Vater in eitlem Sonntagsjtaat ge— 
fleidet an einem hellen Werktage nad 
Kaindorf, geradewegs in die Hofmühle. 
Was dajelbit alles geiproden wurde, 
weiß ich nicht, aber das weiß ich, daſs 
die Neil zum Hofmüller jagte: 

„Müller, müaſst's Ent jhon um an 
ondere Dirn umſchau'n, i fann mei Zeit 
nit mehr ausholt'n!“ — 


Bemerkung zur vorflehenden Geſchichte: 


Der bier geſchilderte Gebrauch des 
„Seilens“ beitand thatjählid — oder 
befteht noch. Mir ift diefer Gebrauh in 
KRaindorf bei Hartberg befannt geworben. 
Läftige Nebenbuhler und andere Feinde 
wurden in ſolcher Weile tractiert. Zur 
Ausführung mujsten mindeftens zwei jein. 
Sie nahmen ein dides, jehr ſchweres 
Seil, ftellten fih (natürlich nachts) zu 
beiden Seiten des Weges, melden der 
Betreffende fommen jollte, möglichft ver- 
ftedt auf. Kam mun derjenige, dem e3 
zugedadt war, jo wurde das Geil ger 
ſchickt und Eräftig geihmwungen, jo dafs der 
ahnungslos Daherfommende möglichft tief 
an den Unterjchenkeln getroffen und da» 
durh zu Falle gebradht wurde. Nicht 
jelten geſchah es auch, daſs er obendrein 
noch mit Stöden arg zugerichtet wurde. 
Auch Unrehte wurden oft das Opfer 
diejes derben Spaſſes. Mander wurde 
dabei jogar lebensgefährlich beſchädigt. 


£uftige Zeitung. 
Junge Ärzte. „Du Frig, id bin 
gerettet, ich babe heute einen Patienten 
befommen.” — „Wirtlih? ZTheilen 
wir ihn!” 


Ein Trof. Frau: „Ad, Herr 
Foctor, mein armer Mann ijt wohl ſchwer 
trank?“ — Arzt: „Ja, aber tröjten 
Sie ſich, jeine Krankheit ijt von hohem 
wijjenihaftliden Wert.“ 


Ein berühmter franzöſiſcher Arzt 
und Profeſſor verfocht die Anſicht, dajs 
jede Krankheit einen Entzündungsproceis 
darftelle. Beim Secieren eines jeiner ger 
ftorbenen Patienten fand fib nun von 
Entzündung feine Spur. Da erflärte er 
feinen Schülern: „Meine Herren, Sie 
ſehen, unfere Behandlung war höchſt 
wirkſam: der Patient iſt geſtorben, 
aber er iſt geheilt geftorben!“ 


In der Gegend von Meihen ift eine 
ganz„einzige*Wahlgejchichte paffiert. 
Sin einem kleinen Nahbardorfe der Stadt 
erfhien nur ein Wähler, der fich jelbjt 
wählte und jodann erklärte — die Wahl 
nicht annehmen zu können! 


Große Gejellihaft in einem 
angejehenen Haufe. Einer der geladenen 
Herren liegt in einer Ede und gähnt. 
„Sie langweilen fih wohl, mein Herr?” 
fragt ihn ein Nachbar. — „Na, entieß- 
lid. Und Sie?" — „Ab, ih lang— 
weile mih auch gräſslich!“ — „Wie 
wär’3 aljo, wenn wir uns aus dem 
Staube machten?“ — „Ich kann ja leider 
nicht — ich bin der Herr vom Haufe.“ 


Ausder Inftructionsftunde, 
Unterofficier: „Warum darf der Soldat 
nie den Kopf verlieren?“ — Rekrut: 
„Weil jonft 'n überzäbliger Helm 
zviel in der Kaſern' wär!“ 


Das fünfjährige Söhnden 
eine3 reichen Haufe gab der franzöftichen 
Gouvernante einen Schlag ins Ge- 
fit. Darauf die Mutter entrüftet; „Aber 


Willi, immer mit der linken Hand! 
Milft du dir das nicht endlih ab» 
gewöhnen ?* 

Gejud. „Jemand, der heiraten 


möchte, ſucht einen erfahrenen Mann, der 
ihn — davon abredet.” 


395 


Bider. 


Sudwig Anzengruber. Der Mann — 
fein Wert — jeine Weltanihauung. Bon 
Anton Bettelheim. (Dresden. 8. Ehler: 
mann. 1891.) 


Diejes Werk erfcheint als dritter Band der 
glänzenden Reihe: „Führende Geifter“. Es 
geht uns befonders nahe, es behandelt einen 
führenden ®eift, der mit uns gelebt, unter 
unjeren Berhältnifjen groß geworden ift und 
gelitten hat, und defjen Werke für Literatur 
und Volk von großem Einfluffe find. Das Bud 
ift geichrieben mit warmer Lebendigkeit, die 
uns anherzt. Der erfte Biograph eines be— 
deutenden Mannes hat es ſchwerer, als jeine 
Nachfolger, weil ihm noch feine vorherge— 
gangenen Bücher zur Berfügung ftehen, 
aus denen er abjchreiben könnte, und hat 
es, wenn er ein Zeitgenoffe des zu Be: 
ſchreibenden ift, leichter al8 die Kommenden, 
weil er folde Bücher garnidt braudt, 
fondern feinen Stoff unmittelbar aus dem 
Leben nehmen fann, weil ihm, perjönliche 
Erfahrungen und Eindrüde, Außerungen, 
Aufzeihnungen, Briefe des Verewigten, jo: 
wie perfönlihe Mittheilungen verſchiedener 
Art vorliegen. Es mögen ſolche Biographien 
fubjectiver, vielleiht aud lüdenhafter aus: 
fallen, als jene, die auf rein wiſſenſchaft— 
lihem Wege entftehen; hingegen gerathen 
fie realer, menſchlicher als jene, find und 
bleiben die Haupturfunden jpäterer Bio: 
graphen. Anton Bettelheim hat uns bier 
über Anzengruber ein wertvolles Bud ge: 
geben. Mit völlig fünftlerifjhem Geſchicke hat 
er es verftanden, ein Lebensbild zu ent: 
werfen, in weldem der Dichter uns mit all 
feinen Eigenfhaften leibhaftig vor Augen 
fteht. Sein eherner, reiner Charafter, feine 
literariihen und feine Lebensſchickſale 
haben wir in fiheren und marligen Stridhen 
vor und, Sein ſchwerer und mannhafter 
Kampf mit den Zeitverhältniffen erhellt aus 
vielem. 


Für ganz befonders gelungen in Bettels 
heims Wert halte ih den Abſchnitt über 
die Weltanfhauung Anzengrubers. Dieien 
Abſchnitt follen alle diejenigen lejen, welche 
unjeren Dichter zu den Naturaliften zählen. 
Hodinterefjant find die Beilagen mehrerer 
Urkunden, darunter ein rührendeinniger 
Brief von des Dichters Pater an jein 
Weib, 


Das Bud wird zum Berftändnifie und 
zur richtigen Wertihägung Ludwig Anzen— 
grubers wejentlid beitragen, und ſchon da= 
rum müſſen wir es dantbarft begrüßen. 


R. 


396 


Neue Gedidtenbürker. 


Khwarz: Gelb. Soldaten:Lieder von ©. 
Hermann, (Wien. Georg Szelinsti.) — 
fiebestraum. Lieder-Eyflus von Sandor 
Barinkay. (Münden. ©. Franz.) — 
Syrifhe Bidtungen von Frit Hoelder. 
(Heidelberg. E. Burom.) — Sadrach A. $. 
Onego, ein babyloniſcher Keilfchriftlehrer. 
Bon Frit Treugold. 4. Aufl. (Stutts 
gart. R. Lug.) — Ausgewählte Pidtungen 
von Adolf Bartels. (MWefjelburen. 3. 
Groth.) — Prama. Welt- und Selbſtſchmerj. 
Bon Ada Klein. (Prag. 9. Mercy.) — 
Yaterländifhe Romanzen von Sof. Jorda. 
(Oberhollabrunn. J.Wais.) — Borfrühling. 
Ausgewählte Dichtungen von Ostar Pach. 
(Wien. U. Umonefta.) — Gedidte von 
Francis Boyes, Dr. phil. (2inz.) — 
Bud der Siebe von Mar Hochſtädt. 
(Berlin. Kemper.) 


SchwarpGelb von S. Hermann find 
flott und gewandt gejchriebene „Soldatens 
lieder” öfterr.:patriotifhen Inhaltes. Viele 
darunter erinnern dur ihre Form und 
ihre leichte Sangbarfeit an ältere befannte 
Lieder. Zu den befjeren der Sammlung find 
u rehnen: „Die drei Musketiere“, „Die 

berfahrt* und , Jung-Janos“. Einzelheiten 
find tadelnswert, wie der unlogiſche Saf: 
„Dem Barte fehlten die Haare“ und die 
ungebräudlihe Wortbildung „drübige*. 
Das Adverb „drüben“ für „darüben“ ift 
faum älter als zweihundert Jahre und 
wurde aus „drüber“ für „darüber“ gebildet; 
e8 ann wohl mit dem Genitiv und ſub— 
ftantivifch, aber nicht als Adjectiv gebraudt 
werden und verträgt in jeiner neueren Form 
wohl feine weitere Ausbildung. — Übrigens 
wird im militäriichen Streifen das hübſch 
ausgeftattete Büchlein gewiſs Verehrer fin: 
den, die es auch verdient. 


„Gin Liebestraum. — „Aber Kind 
unferes verfintenden Jahrhunderts, diejes 
ſchrecklichen Jahrhunderts mit dem rauhen 
Athen und der ſchlechten Bruft jeiner Indu— 
firie:Großftädte, den heiferenCommandorufen 
feiner Niefenerercierpläße, den gellenden 
Schaderlauten jeiner®eltmärkte, den Wifchi: 
wajdireden feiner Parlamente und eis 
tungen, dem bunten Lärm feiner Ausſtel— 
lungen, der Lieblofigfeit und Roheit feines 
Parteilebens, dem Nihilismus in allen 
wahrhaft jhönen Dingen — —“ fo ſchreibt 


M. 6. Conrad (gut gebrüllt, Löwe!) im | 
Geleitswort zum Lieder-Eyflus Fiebestraum | 


von Sandor Barinkay. Der Dichter 
wendet ein, e8 jei ihm doch bang zumutbe, 
„der dort am Wege flieht, hochaufgerichtet, 
mit düfteren Mienen, das ift, ſchier fürdt’ 
ih mich, wohl gar mein erfter Criticus?!“ 
Darauf Conrad: „Das ift ein Pappel: 
baum, gar alt und morſch. Heraus mit 


I pappeln. Doch eine Vorfiht no: den Zarn- 
helm eines Pjeudonygms je’ auf dein 
ichönes, junges Haupt.” — Nun, junger 
Dichter (oder Dichterin?), haft du ſchon die 
Blätter eines Baumes im Winde raujden 
gehört? Wenn du ein Liebling der Mufen 
| bift, fo verftehft du aud, was die Blätter 
der Pappel flüftern: Träume nur zu, von 
echter, treuer Liebe! Aber nit nur von 
Riebesleid, auch vom Glüde treuer Liebe 
follft du träumen. Das dunfle Leid ift un- 
frudtbar — die Frucht reift nur an ber 
hellen Sonne. 


Ich frug die file Maiennadt, 

Wo denn mein Glück geblieben? 

„Ein Engel trug ed fternenwärts, 

Dein Glüd und all dein Lieben!“ — — 
O Glüd, o Liebe flernenwärts, 

Steigt nimmer ihr bernieder ? 

„Glüd, das zum Himmel fi gewandt, 
stehrt nie zur Erbe wieder!“ 


Ich jelbft glaube, daſs das Glüd fternen: 
wärts — aber wer fich emporheben fann — 
jo hoch — der findet es. 


Fritz Hoelder, der Berfafler Lyriſcher 
Dichtungen, jehreibt mitunter gute Berje und 
fönnte bei mehr Sammlung und geläuterter 
Phantafie Belleres, ja vielleiht Hervor— 
ragendes leiften. Gern fingt er von treulos 
verlaffenen Mädchen, und nicht jelten ftreifen 
feine erotijchen Lieder an ein unſchönes 
Gebiet. 

Im Zodtenfaal ein junger Arzt 

Das bleihe Haupt fügt in die Hand, 

Auf eines Kindes Leiche harrt 

Sein dunfles Auge unvderwandt. 

Die eigne Mutter hat's erftidt, 

Ein Sprung ſchied fie vom Sonnenlidt, 

Und ein Geheimnis nahm fie mit, 

Man kennt des Kindes Bater nicht. 

Aus dumpfem Brüten jhridt der Arzt 

Und faföt fein Meſſer; „Muth, nur Muth, 

Es mufs ja fein, o Gott, wie fhmerzt 

Ein Schnitt ins eig'ne Fleiih und Blut!* 


Mehr fittliden Ernft, wenn ſchon in 
humoriſtiſcher Faſſung, zeigt Frik Treu: 
gold in feinem Badrad, der bereits in 
4. Auflage erfhien. Die Leiden des babi: 
lonifhen SKeiljchriftlehrers, die wir in 
120 „entzifferten und umgedichteten“ In— 
ſchrifien verzeichnet finden, jpiegeln wohl 
moderne Zuftände ab. Der Verfaſſer reiste 
„mit dem Grabjdeit auf der Schulter — —“ 
durch die Euphratländer und blieb vor einer 
Platte ftehen: 

„Dargeftellt war drauf gar zierlid 

Gine Kinderſchar, vor welder 

Stand ein Meifter mit dem Etabe. — — 

„Ganz gewifs ein Herr Gollega.* — — 


Er grub nun und ftieß auf die Grab: 
fammer und fand 


‚Mann und Frau und Kind beifammen.” — 
„us ich Scharf befah die Platten, 

So die Ruhekammer dbedten, 

Fand id fie mit Keilſchriftverſen 

Von des Meifters Hand beſchrieben.“ 


Dieje Platten erzählen nun vom Leben 








deinem Lied und laſs den Baum dort — | des Keiljchriftftellers — einem Leben vol 


— — 


397 


Entbehrung, Verfolgung und treuer Pflicht: 
erfüllung. Schon in der Schule gieng es 
ihm ſchlecht, fein „Beift befam viel Broden”, 
Doc der Leib mujste fih mit „Waſſer“ be: 
gnügen und von allen Leidensbrüdern warf 
er den „allerfhmalften Schatten“. Endlich 
wurde er Lehrer in einer Kreisftadt. 
Als ih ſaß in meinem Erüblein, 
Aonnt ih nicht umbin zu fagen: 
Weihe Ehr', daſs ich in biefer 
Stadt am Hungertud darf nagen! 
Doch aud ihm kam jene Zeit: „Nimm 
mein Serze, nimm alles, alles hin!“ 
Du Engel meines Lebens, 
Der Ew'ge fegne dich! 
Du bift bei mir neblichen, 
Als alles von mir wid. — — 
Dann 


Leben fan in unf’re Hütte, 

Denn der Klapperſtorch bat jchon 

Uns gebradt ein feines Kindlein. — — 
Über jhon auf der 62. Platte lejen wir: 
Immer fteiler wird die Etraße, 

Und die Yafl wird immer Schwerer! 

Ad ja, wen die Götter baflen, 

Machen fie zum Keilichriftlehrer. 

Die 63. Platte fpridt von „Krankheit, 
Mangel, Rahrungsforgen, Roth und bitt’rer 
Seelenpein, Kummer, Täufhung“. Auch von 
der Kaſte der Priefter, den „Magiern“, 
hatte er viel zu leiden. Aber das alles ver: 
mag jeine ftarfe Seele nicht zu beugen: 

Die heil'ge Flamme mufst du ſchüren, 
Willft, Lehrer, du die Schüler führen 
Auf fteiler Bahn zu jenen Höh’n, 

Wo reine Beiftesaugen ſchauen 

Auf Lichten, blumenreihen Auen, 

as wahr und gut ift und was jhön. — — 


Auf der 120. Platte, die zugleich jeine 
Grabſchrift enthält, gibt er noch die Lehre: 
Geh ohn' Menſchenfurcht durchs Leben, 

Uecht als ein grani'ner Mann, 

Der dem Redt, der Wahrheit bienet: 

Selig ift dein Enbe dann. 

Der Leſer wird den Schlufsworten in 
den Ausgewählten Pidtungen von Adolf 
Bartels: 

En. fabrwohl, mein dumpfer Zinn, 

ahrt wobl, ihr trüben Lieder! 
beiftimmen, denn mandes wird ihm unver: 
ftändlich geblieben fein. Es fehlt den meiften 
Gedichten an Klarheit. Wenn das Leben, 
wie der Dichter meint, nur ein Traum ift, 
der nichts zurüdläjst, jo ift es eben feine 
Sade, die Geftalten des Traumes feitzus 


halten und ihnen Leben einzubauden. Das 


dramatische Gedicht „Lope de Vega“ enthält 


einen hübſchen Grundgedanten, aber in nicht ! 


ganz tadellofer Form. Wenn der Dichter 
mit etwas mehr Lebensfreudigfeit wieder: 
lehrt, wird er mehr Erfolg finden — er 
wird dann auch an Wahrheit gewonnen 
haben. 

Ida Klein führt in ihrem Buche mit 
dem etwas jonderbaren Titel Drama, Welt: 
und Belbfifhmerz als Einleitung Worte an, die 
Hans Rembert in feiner „Revolution* 








gebraudt: „Denken ift Leben. Auch Leſen 
ift nit nur Surrogat des Lebens; es ift 
das Leben ſelbſt. — — Die Erfüllung des 
Lebens finden wir allein im Werfe des 
Dichterdenters u. |. w.* Es ſcheint mir in dieſen 
Worten mehr Wortjpielerei als tiefe Weisheit 
zu fteden und es ließe ſich vieles dagegen 
einwenden; jelbft die Dichterin wideripricht 
ihnen im aflegorijhen Drama „Das Herz“. 
Es joll damit nicht gejagt fein, als vertrüge 
„das Herz“ keinen Widerſpruch — es ift 
eben nichts vollkommen auf der Welt, weder 
Hans Remberts Sprucdmeisheit, no der 
Dihterin Verſe. Das Herz wird überall 
zurüdgewiejen, zulegt ſelbſt vom Dichter — 
ermattet fintt e8 zu Boden und ftirbt. Wir 
leben alfo in einer herzlofen Zeit — aber 
auch in einer Zeit der „Surrogate“: 
Dass wir ben Geſtorbnen Tieben, iſt Beweis, 
Dafs uns ein Etrahl von feiner Böttlichkeit verblieben. 
Der Weltihmerz der Dichterin gipfelt 
in den Verſen: 


O Geift der Welten, nimm dafür mein tiefftes rollen, 
Daſs ih bin! 


Berbrechen ift’d, uns ungefragt ein Dafein geben, 
Das vergeht, 

Auch der nicht ohne Geift gefchriebene 
Anhang: „Aus meinem Tagebuche* enthält 
mande Abfonderlichleit. So nennt fie es 
eine „Gedantenroheit” Leſſings, dajs er 
„Emilia Galotti* in der 7. Scene des 
legten Actes jagen läjst: „Ich habe Blut, 
mein Pater, jo jugendlihes, fo warmes 
u. ſ. f.“ Ob die Dicterin weiß, warum 
Leſſing gerade diefe Worte jeiner Emilia 
Balotti in den Mund legte? Leifing wog 
jeine Worte auf einer jo empfindlichen Ge: 
danlenwage, wie fie weder vorher noch nad: 
ber einen deutihen Denker zu Gebote ftand. 


Gin Büchlein, was weder befonderes 
Lob noch Tadel herausfordert, ift der Jor⸗ 
frühling von Ostar Bad. Die Lieder find 
meift harmlojen, oft_frommen Inhaltes, 
mande athmen auch heitere Lebensfreudig— 
feit. Doc dünlt mid, daſs die Stärfe des 
Dichters mehr nad) der epiſchen Seite hin 
liegt, wie das wohlgelungene längere Ge: 
dit „Der Tod Chriſti“ darzuthun ſcheint. 


Obwohl die Romanze jhon das epische 
Gebiet ftreift, jo will ih an dieſer Stelle 
doh der Daterländifhen Komanzen von Joſ. 
Jorda gedenken. Der Dichter führt in 


einem Lieder:Eyflus die Hauptmomente der 
Geſchichte Ofterreih8 vor und nimmt dabei 


den deutſch-nationalen Standpunkt ein. 
Umſo befremdlicher wirft auf den Leier das 
Gedicht „Kolin“ mit dem Refrain: 
‚DD mein lieber, guter Friß! 
Heute nüpt dir nichts dein Wih!* 
Inhalt und Form erheben fich ſelten 
über das Mittelnaß. 


Was an den Gedihten des Francis 
Boyes, Dr. phil., wirklich hübſch und ge— 
Diegen iſt — das ift die Ausftattung des 
Werlchens. Leider fällt diefe bei der Beur— 
theilung nicht ins Gewicht. Der Beurtheiler 
fuht Perlen und Edelfteine auß dem Ges 
rölle des Büchermarltes an den Tag zu 
fördern. Der „Riejenohinor*, mit dem 
das Auge der Beliebten verglihen wird, ift 
aber nur Straj8, und wenn der Berfafjer 
ingt: 

h — „Hörteft du ſchon Philomele 

In Gedanken leiſe flöten?” 
ſo bilde ich mir wohl Gedanken dabei, er— 
laube mir jedoch Zweifel an den Gedanken 
der Philomele. 


Zum Schluſſe hätte ich noch des JZuches 
der Siebe von Mar Hohftädt zu gedenten. 
Einnlide Glut Tann man den Gedichten 
nicht abſprechen, aber einen bejonderen 
poetiihen Wert dürfen fie nicht für fi in 
Anipruh nehmen. Zu den befleren der 
Sammlung gehören: „Parias Glüd“ und 
„Schnöde Abweiſung“. — tt 


Alein-Wiener. Skizzen in Wiener Urt 
und Unart von Ed, Pötzl. (Wien. Georg 
Ezelinsti. 1891.) 

ber ein eigenartiges Völkel, wie die 
Wiener find, läfst ſich leicht ein eigenartiges 
Büchel jhreiben, wenn — man’s ann, 
Eduard Pötzl, nebſt Schlögl und Ehiavaccı 
der berufenfte Schilderer des Wiener Volls— 
lebens, hat das richtige Zeug dazu. Seinen 
früheren Schriften reiht fih obengenanntes 
Büchelchen gar hübſch an und wir finden 
wieder den „Niderl* in verjchiedenen Le: 
benslagen, immer der echte Klein Wiener 
mit feinen Schwächen, Schmwänfen und 
Schnalen, der manchmal in feiner unges 
zügelten Gemüthlichleit aber aud ein recht 
ungemüthlier Patron werden fann. Mir 
2. die neue Sammlung Pögls wieder viel 
Spass gemadt; der Spafs ift gut und nicht 
theuer, M. 


Wiener Rünftler-Dekamerone. 4. und 5 
Lieferung. (Wien, I., Rothenthurmftraße 23.) 

Gollin, Ludw. Aug. Frankl, Lindau, 
Abendroth, Ferd. Groß, Roſé, Lacroma, 
Ganghofer, Natler, Gende, Millöder, Del 
Negro, Robert Fuchs, Martin Klein, Wald: 
ftein, Fiſcher, Franz Müller, Karlweis, 
Gerale, 3. J. David, Schönthan, Felix, 
Groner 2 find mit zumeift ce ” 
Ihichten darin vertreten. 


Deutfhe Schriften für Literatur und 
Aunf, herausgegeben von Eugen Wolff. 
Die „Deutihen Schriften für Literatur 
und Kunſt“ widmen bedeutjamen literariichen 


und Lünftlerifden Fragen der Gegenwart 
und Bergangenbeit fachliche und ſachkundige 
Betradtungen, um die Entwidelung der 
deutfhen Literatur und Kunſt durd engere 
Beziehung zwiſchen fhöpferifcher Thätigteit 
und Forſchung zu fördern. Als erjtes Heft 
diefer Sammlung liegt vor: Sarbou, Ibſen 
und die Zukunft des deutjhen Dramas 
von Eugen Wolff. In diefer Schrift prüft 
der Herausgeber Sardou und Ybjen als 
Beherricher und Tonangeber des heutigen 
deutfchen Theaters und meist ohne Ber: 
fennung ihrer Vorzüge nad, daſs der Ein: 
fluj8 Ddiefer fremden Dramatiler auf die 
deutfche Bühne als unheilvol und von der 
echten, eigentlihen Kunſt abführend be: 
zeichnet werben Be Me 


Bas Rind und feine Pfiege im gejunden 
und franten Zuftande. Bon Dr. 2. Fürſt. 
Vierte, umgearbeitete und bereidherte Auf: 
lage. Mit Abbildungen. (3. I. Weber in 
Reipzig.) 

Soeben ift dieſes beliebte, zum Ge: 
jchent für die junge Frau ganz befonders 
geeignete Werk in neuer Bearbeitung er: 
jhienen. Der Verfaſſer hat in diefem ums 
fangreichen Werte die Fülle von Erfahrungen 
niedergelegt, die er während jeiner lang: 
jährigen XThätigfeit als Kinderarzt und 
Leiter einer Kinder-Poliklinik an mehr als 
30.000 Kindern zu jammeln Gelegenheit 
fand. So ift ein dem neueften Standpunftte 
der Wiffenihaft und Praris entſprechendes, 
aber dennoh angenehm zu lejendes und 
leichtverftändliches Werk entftanden, das für 
Mütter und Pflegerinnen eine unerſchöpfliche 
Duelle der Belehrung bietet und fi jedem 
mit Kindern gefegneten Haufe als ein zu— 
verläffiger Rathgeber in guten und böjen 
Tagen bewähren wird. Die Darftellung 
alles deſſen, woburd man das find vom 
erften Tage feines Lebens bis zum Abſchluſs 
feiner Eniwidelung geſund erhalten kann, 
jowie alles defien, was bei der Beobadtung 
und Pflege des erkrankten Kindes in Frage 
fommtt, ift ſchon früher von der Kritik ein: 
ftimmig als meifterhaft bezeichnet worden. 


‘/ 5 darf in dieſer Neugeftaltung als das 


gründlichfte, bemährtefte Lehrbuch der Kinder: 
hygiene warın empfohlen werden, 


Im Manz'ſchen Verlage in Wien ift 
eine Brojhüre erfchienen unter dem Titel: 
Der Wiener Pialect und feine hochdeutſche 
Stiefſchweſter, welche die Betrachtung diefer 
Mundart vom grammatilalifhen Stand» 
punfte aus zum Gegenftande hat. V. 


Trommes Ralender 1891 find für unfer 
Neujahrsheit zu ſpät gelommen. Nichts: 
dejtoweniger gibt/e$ auch im Februar immer 


| 39 


noch Leute, die fih mit Kalender noch nicht 
verforgt haben, und ſolchen empfehlen wir 
Frommes Kalender aller Arten für alle 
Stände auf das befle. Man möge nur einmal 
in irgendeiner Buchhandlung die Fromme’: 
Ihen Fade, Geihäfts:, Volls-, Tafchen- 
und Wandfalender durchſehen, und man 
wird den paffenden ganz gewifs dabei finden. 
M. 


Ferner dem „Heimgarten“ zugegangen: 


Die Brüder. Eine Bollsgeihichte in zwei 
Büchern von Joſef Joachim. Zwei Bände, 
(Bajel. Benno Schwabe. 1891.) 


Brrmwege des Herzens. Roman von Ernft 
Müller. (Dresden. €. Pierfon,) 


£eo $. Bolftojs gefammelte Werke. Bom 
Verfaſſer genehmigte Ausgabe von Ra: 
phael Löwenfeld. In ca. 95 Lieferun: 
gen. (Berlin. Rihard Wilhelmi. 1891.) 


Das Geſchichtenbuch des Wanderers. Neue 
Erzählungen aus Dorf und Birg, aus Wald 
und Welt von PB. K. Rofegger. Dritte 
Auflage. Miniaturausgabe. (Wien. U, Hart: 
leben. 1890.) 

Das Bud) der JZugend. Ein Jahrbud 
der Unterhaltung und Belehrung für unfere 
Knaben. Mit vielen Bildern, (Stuttgart. 
F. Thiemanns Berlag.) 

Beutfches Gefhichtenbud. Für die reifere 
Jugend, gewählt aus den Schriften von 
BP. KR. Rofegger. Mit 14 Farbendrud: 
bildern. (U. Hartleben. Wien.) 

Heues Zabelbuch. Originalzeihnungen 
von Otto Spedter, Gedichte von Es— 
mar, Meyer, Sclotfe (Hamburg. 
G. Epedier. 1890.) 


Helene. Pen Tod erkämpft. Zwei Er: 
zählungen von M. Kolloden. (Dresden. 
€. Pierjon.) 

Genoveva. Dramatijches Gedicht in vier 
Ücen von Franz Widmann. (Leipzig. 
Oswald Mutie. 1890.) 


Bühnenfterne. Bon Julius Freund. 
(Berlin. 3. Scorer.) 


Bonnenflaub. Neue Lieder von Maus 
rice Reinhold v. Stern. (Leipzig. 
Wilhelm Friedrich.) 

Alfred Beniers gefammelte Pidtungen. 
Nah defien Tode herausgegeben und mit 
einem Lebensbild verſehen von G. A. Reſſel. 
(Hamburg. Verlagsanſtalt und Druderei 
%.:6. 1891.) 

Zallende Blätter. Gedichte von F.Bopp. 
(Züri. Berlagsmagazin. 1891.) 

2pottdroffel - Rlänge von D. Hael. 
(Zürid. Verlagsmagazin, 1891.) 

Sieder und Fanfaren, Gedichte von F. G. 
Adolf Weib. (Zürich. Verlags-Magazin. | 


Beitraketen aus Öflerreid. (Zürich. Ber: 
lagsmagazin. 1891.) 


Bonathan Bclendrians Höllenreife, Nach— 
erzählt von Titanello. (Zürid. Ber: 
lags-Magazin. 1891.) 


Der Rönig von Bion. Epiſche Dichtung 
in zehn Gefängen von Robert Hamer: 
ling. Yluftriert von Adalbert von Roeßler 
und Hermann Dietrihs. Bis zum 24. Hefte 
erfhienen. (Hamburg. Berlagsanftalt und 
Druderei A.“G.) 


Aug’ um Auge Dramatiider Scherz 


in einem Wufzuge von Georg von 
Schulze. (Prekburg. Rubolf Drodtleff. 
1890.) 


Der Prinz. Dramatijche Kleinigkeit in 
einem Aufzuge von Georg von Schulze. 
(Prebburg. R. Drodtleff. 1891.) 


Die Rinder des Baufes. Scaufpiels 
Fragment von Friedrich v. Schiller. 
Für die Ddeutfhe Bühne bearbeitet von 
Alerander Wald. Mit einem Vorworte 
von Prof. Uli Shanz. (Rudolf Drodt: 
leff. Preßburg.) 


Die Früdte der Bildung. Quftfpiel in 
vier Aufzügen von 8. Tolftoj. Bom Ber: 
fafjer genehmigte deutfche Überjeung von 
Raphael Lömwenfeld. (Berlin. Richard 
Wilhelmi. 1891.) 


Bum Frieden. Roman aus der Gegen: 
wart von Paul Pliß. (Dresden. €. Pier: 
fon.) 

Eine ſteieriſche Stadt im 17. Bahrhun- 
dert. Bon Hans Lange. (Graz. Ulrich 
Mojers Buchhandlung. 1890.) 


Der %reiberg und Vöran bei Meran. 
Eine Monographie von Fridolin Plant. 
(Meran 1890.) 


Auf Schneeſchuhen durd Grönland. Bon 
Dr. Fridtjof Nanfen. Lieferung 3—6. 
(Hamburg. Berlagsanftalt und Druderei 
4:0.) 


Gegen Pr. R. Kochs Schwindſuchtsbehand⸗ 
lung von einem Nihtarzt. (Berlin. 
Verlag von Hugo & Hermann Zeibler. 
1890.) 


Seheimraih Roh in der „Peutſchen 
Warte“. (Berlag der „Deuifhen Warte“ 
zu Berlin.) 


Dofef Schindler als Nachfolger von 
Vincenz Prießnitz in Gräfenberg. Erinne: 
rungen von Philo vom Walde. (Berlin, 
Wilhelm Ißleib. 1891.) 


Degetarier-Ralender für 1891. Heraus: 
gegeben vom deutſchen Begetarier-Berein. 
(Berlin. Hermann Stoß.) 





Yoftkarten des Yeimgarten. 


Dr. S. A., Dresden: Bergleihen Sie Bis: 
mards vor kurzem der Strafsburger Depus 
tation gemachte Außerung, daſs der Deutiche 
den Franzoſen gegenüber um eine halbe 
Flaſche Wein zu wenig Feuer in fi habe, mit 
Rofeggers Eapitel: „Warum die Deutichen 
ſaufen“ (Bergpredigten. Wien. 1885). Sie 
finden denjelben Aufſatz aud im „Heim: 
garten“ VIII. Jahrgang (1883), Seite 59. 


* In Dielen Blättern ift wiederholt 
gejagt worden, dajs nicht alle Schriften 
Rofeggers für die Jugend paflen. Für die 
Jugend ift eine Yuswahl der Erzählungen 







Ch. £..1, Auffig: Die Koch'ſche 
dedung wird verlaufen, wie jo viele a 
medicinifhe GEntdedungen; fie geben 
Krankheiten eine andere Erjdeinungsart, 
verlängern aber im allgemeinen das menſch— 
lihe Leben nicht. 

3. A., Meuftadt: Zwiſchen einem ges 
lehrten Meteorologen und einem alten Weibe 
ift denn doch noch ein Unterſchied, lieber 
Freund! Das alte Weib erräth die bevor: 
ftehende Witterung nur jelten, der Meteoro: 
loge nie, 

M. £., Graz: Hätten es Ihnen ſchon 
im vorhinein rathen mögen, in ftiller Stube 
Menih zu bleiben und nit im großen 





dieſes Autors in drei Bänden ericienen: Saale — Publicum zu werden. Welt madt 
„Aus dem Walde”, „Waldferien* und | Kaßenjammer, e8 geht au anderen jo. — 
„Neues Geſchichtenbuch fiir die deutiche Yu | Und Ihr fonderbarer Strupel? — Was 


gend". Auch dagegen glaubt Rojegger pro» 
teftieren zu müſſen, wenn er nur als Volls: 
fchriftfteller tariert wird. Das iſt zwar Die 
höchſte Tare, doch läſst ſich nicht leugnen, 
daf3 manderlei aus R.'s Feder mehr für 
jpecielle Literaturfreunde, als für den naiven 
Leer fi eignet. Er hat diefes ja mit den 
meiften Wutoren gemein, fie bieten eben 
das, was fie haben, ohne ſich viel darum 
zu fümmern, für wen fie fchreiben oder in 
welche Branche fie eingejhadtelt werden. 


Lehrer W. St., Potsdam: In Berlin 
wird das Vollsjhaufpiel „Am Tage des 
Gerichts“ vor nächſten Herbſt nicht aufge: 
führt. 

M. B., Wien: Das nette Sprüdlein: 

.D Wien, o Wien! 
Wer dort, will fort, 
Wer fort, will bin, 
O Wien, o Wien!* 


ift von F. Hacd. 

M. F., Brünn: Gerade dur das Wohl— 
wollen für alle Menſchen (au für Nicht: 
deutjche) offenbart fi das deutiche Gemüth 
am jhönften. — Diejes Wohlwollen ift eine 
nationale Tugend, weil es beiträgt, die 
Deutſchen in der Welt geadhtet und beliebt 
au maden, während der Troß gegen fremde 
Völker ein nationales Lafter ift, denn es 
Ichajit der Nation ringsum Feinde, dem auf 
die Länge auch ein ftarfes und muthiges 
Volk unterliegen muſs. — Das ift (nebenbei 
bemerkt) nicht politiſch, jondern menſchlich 
geiproden. 

a. $., Sing: Sehr richtig. Aber woher 
follen die Eltern den hriftliden Sinn zur 


Kindererziehung nehmen, als don denen, 


die da find, um ihn zu fördern? 


Für bie Mebaction verantwortiib F. A. 


Ihnen nicht einfällt! 


&h. 3d., Gray: Ein neues Blatt, defien 
eriter Kinderſchrei nad ftrengerer Genfur 
ruft, ift vielverfprehend. Wir mwünfden, 
daſt der Kunft und dem neuen Blatte die 
ı Nedefreiheit gewahrt jet. 

*FE. M., Gras: Das erjte Urtheil über 
das preisgefrönte Stück „Heimg’funden® 
in der Grazer „Zagespoft“ (1886) lautet 
unter anderem wie folgt: „Es geſchehen 
noch Zeichen und Wunder! Wer konnte 
| ſich nady alledem, was man über das Anzen— 

gruber'ſche Stüd ‚Heimg’funden‘ gehört 
und gelefen hatte, von der Aufführung 
auf unferer Bühne mehr erwarten, als einen 
 Adtungserfolg? Und fiehe da, dem Stadt: 
theater bat dieje Novität den größten Er- 
folg in diefer Saiſon gebradt, einen Erfolg, 
der fid ungezwungen aus dem Werte der 
Dichtung und den Borzügen ihrer Dar: 
ſtellung ergab* u. ſ. w. Der Referent findet 
es unbegreiflid, „daſs ein Stüd von Anzen— 
gruber, und gerade ein jo bühnenwirkjames, 
von jo gejunder Tendenz getragenes, von 
jo Löftlihem Humor belebtes Ungengruber’: 
ſches Stüd in Wien bisher noch nicht zur 
Aufführung gelommen iſt“ und bezeichnet 
‚Heimg’funden‘ als „einen echten Anzen— 
gruber, alles Fleifh vom Fleiſche und Blut 
vom Blute unferes erften Volfsbühnen: 
Dichters.“ — Jener Berliner Aufjag bezieht 
ſich demnach nicht auf diefes Blatt. 


„Einer“ in Übelbach: Gerührt über die 
finnige Sendung. Freundlichſten Dant, 


| 3. C. Badavalva: Zuſehr nachempfun— 
den. Bitten ohne Aufforderung nichts zu 
ſchicken. 








Roſegaer. — Druderei ‚Leytam“ in Graz. 


6. Heft. 


— — — 


März 


. Ar 








r 





1591. 


Ein Erauenfhidkfal. 


Nah dem Italienifhen von Robert Yamerling. 






eonardo Battrico aus Pavia war 
im Alter von ungefähr fünfzehn 
Jahren von feinem Vater nad 
Venedig gejendet worden, um dort das 
Handwerk eines Seidenmwebers zu er= 
lernen. Nachdem er die von den 
venezianischen Gejegen vorgefchriebene 
fünfjährige Lehrzeit zurüdgelegt hatte, 
und feine Eltern inzwifchen geftorben 
waren, ohne ihm ein Vermögen zu 
hinterlaffen, jo bejchlofs er, in Venedig, 
das er als zweite Vaterjtadt jo lieb- 
gewonnen hatte, ſich dauernd nieder= 
zulafjen. Da ihm aber zur Gründung 
einer eigenen Fabrik die möthigen 
Geldmittel fehlten, und er überdies 
nicht imftande war, den Nachweis 
zu liefern, ‚dafs jeine Eltern minde- 
tens zehn Jahre lang in Venedig an- 
ſäſſig geweſen, ohne welchen Nachweis 
es in Venedig nicht erlaubt war, ein 
Handwerk auszuüben oder einen Ver— 
faufsladen zu eröffnen, fo blieb ihm 
nichts übrig, als in der Eigenſchaft 


Rofegger's „Heimgarten‘‘, 6. Heft. XV. 


eines einfahen Arbeiters dem Meifter 
zu dienen, bei welchem er jeine Lehr- 
zeit zurüdgelegt hatte. 

Als Leonardo jein fünfundzwan— 
zigftes Jahr erreicht hatte, machte er 
ih allmählich mit dem Gedanten ver— 
traut, eine Lebensgefährtin zu fuchen 
und einen häuslichen Herd zu gründen. 
Marcella, die Tochter feines Meifters, 
ein gutes, verjtändiges Mädchen, war 
ihm nicht abgeneigt, und als er bei 
ihrem Vater um fie anhielt, fo wurde 
die Gewährung feines Verlangens nur 
an die Bedingung geknüpft, dajs er 
fih verpflichte, als Gehilfe jeines 
Schwiegervaters, der ihn als ſehr ge— 
Ihidten Arbeiter jchäkte, fortwährend 
im Haufe desjelben zu verbleiben. 

Nicht lange Zeit darauf aber trat 
im Haufe des alten Proſpero, fo nannte 
jih der Schwiegervater, ein folgen» 
ſchweres Ereignis ein. 

Profpero empfieng von einem Ge— 
ſchaflsfreunde in Conſtantinopel ein 


26 








ur — 9— 


402 


Schreiben, in welchem er aufgefordert 
wurde, beſtimmte, ſehr große Vorräthe 
von Sammt innerhalb einer gegebenen 
Friſt nach der Hauptſtadt des türkiſchen 
Reiches abzuliefern. Er habe, ſo ſchrieb 
der Geſchäftsfreund, die Lieferung der 
Bekleidungsſtoffe für die Angeſtellten 
des Serails und für das Janitſcharen— 
corps übernommen, und brauche unter 
anderem auch Sammt in großen 
Mengen. Der Brief ſchloſs mit der 
Hindeutung auf den außerordentlichen 
Gewinn, deſſen Proſpero bei dieſer 
Geſchäftsunternehmung ſich verſichert 
halten könnte. Große Freude erregte 
der Antrag im Hauſe Proſperos, der 
ſich beeilte, das, was er von Sammt— 
vorräthen auf dem eigenen Lager hatte, 
vereinigt mit dem, 
anderen Sammtwebern größtentheils 
gegen Wechſel an ſich gebracht Hatte, 
zur Verſendung in Bereitſchaft zu 
ſetzen. 

Mit dem nächſten Schiffe, das zur 
Fahrt nach Conſtantinopel die Anker 
lichtete, gieng die ganze wertvolle 
Sammtlieferung Projperos von Bes 
nedig ab. Als das Fahrzeug die Höhe 
von Navarin erreicht hatte, brach ein 
gewaltiger Sturm los. Bald waren 
die Schiffsleute genöthigt, zur Rettung 
ihres Lebens einen großen Theil der 
Fracht über Bord zu werfen. Nichts- 
defloweniger jcheiterte das Schiff im 
Angefihte des Hafens und verjant 
mitſammt der Mannfchaft, von welcher 
nur einige durch Schwimmen müh- 
jelig das Ufer erreichten. 

Die Nachricht von diefem Unfalle 
brachte Jammer und Verzweiflung in 
die Familie Projperos. Der Termin 
zur Einlöfung der Wechfel nahte heran 
und der Unglüdliche ſah ſich genöthigt, 
all feine Habe zu verfaufen. Um nur 
zu leben, muſste er als Arbeiter bei 
einem anderen Yabrilsherrn eintreten, 
Auch Leonardo war infolge deſſen ge— 
nöthigt, bei einem anderen Meifter 
Urbeit zu fuchen. 

Dieje unerwartete traurige Schick— 
fal&wendung brachte den alten Proſpero 


was er bon! 


nah wenigen Monaten ins Grab. 
Zur jelben Zeit fühlte Marcella vie 
Zeichen einer herannahenden, und zwar 
verfrüßten Entbindung. Unter großen 
Schmerzen brachte fie ein Mädchen 
don äußert ſchwächlichem Anſehen zur 
Melt, dem niemand ein langes Leben 
prophezeite. Fünf Tage nad ihrer 
Niederkunft erlag die Mutter einem 
Kindbettfieber, Ahr letzter Seufzer 
war: „Armes Sind, was wird aus 
dir werden ?* 

Als abhängiger Arbeiter, der ſchon 
am frühen Morgen fi in feiner 
Merkftatt einfinden und dort den ganzen 
Tag verweilen mufste, Jah ſich Leonardo 
‚in die Unmöglichkeit verjegt, fein Töch— 
terchen jelbft zu pflegen und aufzu— 
ziehen. Er mujste die Heine Natalia 
— ſo war das Kind getauft — den 

Händen fremder Leute übergeben. 
Das Mädchen wuchs heran, aber 
es Fränlelte fortwährend. Die halbe 
Zeit brachte es auf dem Schmerzens— 
lager zu. Bon Geburt an jchien es 
zum Unglüde beftimmt. Kindliche 
Spiele, an denen Natalinens Alters— 
genofjen ſich ergößten, wurden ihr, 
wenn ſie daran theilnehmen wollte, 
jedesmal in irgendeiner Weile ver— 
bängnisvoll, ſchlugen zu ihrem körper— 
lihen Schaden oder zu ihrer Kränkung 
aus. Kein anderes Kind ftürzte und 
verlegte jich häufiger;  Feinem wurde 
häufiger von anderen, wenn auch un— 








bedachterweife, ein Leid zugefügt. 
Keine Frucht, keine feltenere Speije 
fonnte fie genießen, ohne das kurze 
Vergnügen mit förperlihen Schmerzen 
und Beichwerden zu bezahlen. Sauft 
von Natur und duch ihre Schwäche 
wehrlos, diente fie übermüthigen Ge— 
jpielinnen zur Zielfeheibe des Spottes 
und behielt immer Unrecht von Seiten 
ihrer Erzieher und Lehrer, wenn jie 
bei ihnen Schuß gegen ſolche Verfol— 
gungen ſuchte. 

Die Züge ihres Gefihtes waren 
regelmäßig, aber Bläſſe bededte fie, 
und nur Überrafhung oder Schmerzen 
thränen zauberten auf dieſelben ein 


. 








flüichtiges Roth. Ihr ſchwarzes, glän- 
zendes, und dabei do fanftes Auge 
zeigte von Aufrichtigkeit, Beſcheiden— 
heit und Herzensgüte, doch machte die 
fünmerliche, jchüchterne Erfcheinung 
des Mädchens im allgemeinen feinen 
gewinnenden Eindrud. 

Jene Sympathie und Antipathie, 
die nun einmal, bewujst und unbes 
wujst, im Berlehre der Menjchen fich 
geltend macht, nnd für welche man 
ji meift vergebens bemühen würde, 
beftimmte Gründe aufzufinden, fpielte 
auh im Leben Natalinens eine jehr 
bedeutende Rolle. Die Lehrerinnen der 
Erziehungsanftalt, welcher man fie 
übergeben hatte, gaben ihr niemals 
einen Beweis von Zuneigung. Sie 
hatten Schmeicheleien, Lieblojungen 
für andere junge Mädchen, niemals 
für Natalina,. Nur eimen Kußſs Hatte 
jie in ihrer ganzen bisherigen Lebens 
zeit erhalten: denjenigen, den ihre 
fterbende Mutter ihre auf die Lippen 
gedrüdt hatte. 

Und doc zeigte Natalina ein an— 
Ipruchslofes, gefälliges Benehmen gegen 
jedermann, aud fehlte es ihr weder 
an Geift noh an Gemüth. Sie war 
voll des Mitgefühls für Leidende, 
Schmerzlih empfand fie den Mangel 
freundlien Entgegenkommens, und 
während fie an geiftigen und körper— 
lihen Leiden frankte, mufste fie von 
ihren Erzieherinnen Vorwürfe wegen 
allzugroßer Empfindlichkeit hinnehmen, 
und ihre Beſchwerden wurden als ein- 
gebildet oder als übertrieben betrachtet. 
Wollte Natalina von einer Speije 
nicht eſſen, weil fie diefelbe nicht gut 
vertragen fonnte, jo beftanden ihre 
Erzieherinnen darauf, dajs fie davon 
eſſe, um ſich, wie fie fagten, an dies 
jelbe zu gewöhnen. 

Natalina Hatte das zwölfte Jahr 
erreicht. Leonardo wünschte fehr, jeine 
Tochter bei fich zu haben, da ihm die 
Ausgaben für ihren Unterhalt immer 
bejchwerlicher fielen. „Wie glüdlich”, 
jagte er zu fich jelbft, „wie glüdlich 
würde ich mich ſchätzen, wenn ich ein 


— — — — — — — —— — — — — — — — — — — — — — — — 


— 


verſtändiges, nicht allzu junges Mäd— 
chen oder Witwe mit einem kleinen 
Vermögen fände, die ſich meiner und 
meines Kindes annehmen wollte!“ 
Leonardo hatte die Hälfte der 
dreißiger Jahre kaum überfchritten ; 
er war ein Mann von gefälligem Außern 
und befaß die Gabe, ſich angenehm zu 
maden. Aber die venezianischen Mäd— 
hen werden in großer Zurückgezogen— 
heit gehalten, und die ftrengen Eltern 
geitatten jungen Männern, Verwandte 
etwa ausgenommen, den Zutritt in 
ihrem Hauſe nicht leiht. So bleibt 
denjenigen, die auf eine Brautwahl 
ausgehen, fait feine andere Gelegen= 
heit, junge Mädchen zu jehen und fich 
ihnen zu nähern, als wenn dieſe die 
Kirche befuchen. Leonardo fah ſich ge— 
nöthigt, den Landesbrauch mitzumachen 
und bemerkte, indem er an Sonntagen 
fein Augenmerk auf die aus der Kirche 
fommenden Mädchen richtete, zu wieder: 
holtenmalen ein Frauenzimmer don 
etwa dreißig Jahren, deſſen Geftalt 
ihm gefiel und defjen fittfame Haltung 
ihm Vertrauen einflößte. An einem 
Finger ihrer Linfen bemerkte er, als 
fie an der Sirchenthüre nach dem 
Weihwaſſer griff, das goldene Ring» 
fein, welches die Berheirateten kenn— 
zeichnet; aus dem Umftande aber, daſs 
fie fih immer allein zeigte, jchlojs er, 
dafs fie wohl Witwe fein möge, und 
diefe Bermuthung wurde ihm beftätigt, 
al3 er ihr heimlich bis zu ihrer Woh— 
nung folgte, und ji dann bei den 
Nahbarsleuten erfundigte. Ihr Gatte 
war Gapitän eines Kauffahrers ge— 
wejen und hatte vor zwei Jahren auf 
einer Fahrt nach Alexandrien jeinen 
Tod gefunden. Er hatte ihr jo viel 
Hinterlaffen, dafs fie, kinderlos wie fie 
war, nothdürftig leben Konnte. 
Leonardo war mit den Rejultaten 
diefer Erfundigungen zufrieden und 
entſchloſs jih zu weiteren Schritten. 
Seine einzige Beforgnis war, Nata— 
lina möchte ein Hindernis in dieſer 
Sade für ihn werden. Er faſste da— 
ber den Plan, der Witwe jeine Ber: 


26* 


208 


bältnifje vorderhand zu — Eleonore gieng. Natalina hatte ſich 
und ihr von feiner Tochter erſt dann Hoffnung gemacht, ſie würde bon ihrer 
zu Sprechen, wenn er fich ihrer Neir | Verwandten, denn dafür hielt fie 
gung verfichert habe. Eleonoren, zum Abſchied einen freund— 

Die Witwe fand in der That Ge- lichen Kuſs erhalten, wie fie es bei 
fallen an Leonardo und fehien einer anderen Geſpielinnen fah, die von ihren 
Verbindung mit ihm nicht abgeneigt. | Bermanbien befucht wurden. Aber die 
Es währte jedoch nicht lange, ſo erfuhr Witwe fühlte durch das tränklich⸗ 
ſie zufällig durch einen Verwandten, blaſſe Geſicht des jungen Mädchens 
was ihr Leonardo verſchwiegen hatte. gewiſſermaßen ſich abgeſtoßen und reichte 


Eleonore, fo nannte fi die Mitwe, 
war über Leonardos Mangel an Offen 
beit jeher ungehalten und gab ihm den 
eriten Beweis ihres ziemlich heftigen 
Naturells, indem fie ihm unter vielen 
Vorwürfen erklärte, daſs fie von feinen 
Anträgen nichts willen wolle. Leonardo 
war nicht wenig beftürzt, ermannte 
jich aber doch zuleßt und geftand die 
volle Wahrheit, indem er binzufügte: 
„Schreibet es nur der großen Liebe 
zu, die ich für Euch hege, wenn ich 
Euch jene Umſtände verſchwieg. Ich 
fürchtete, meine arme Natalina werde 
für mich das einzige Hindernis Eures 
Beſitzes jein, nach welchem ich jo großes 
Verlangen trage." Diefe Erklärung 
beihwichtigte Eleonoren infoweit, dafs 
fie ihre beftimmte Entjcheidung noch 
verfchob, bis fie Natalinen perfönlich 
geſehen Hatte. 

Am Folgenden Tage begab fie ſich 
in die Anftalt, in welcher das Mäd— 
hen erzogen wurde und gab fi für 
eine Verwandte derjelben aus. Natalina 
wurde "herbeigerufen. Eleonore be— 
trachtete fie vom Kopfe bis zu den 
Füßen eine zeitlang, ohne ein Wort 
zu Sprechen und ohne das ſchüchterne 
Mädchen auch nur dur eine freund 


Natalinen zum Abjchiede bloß die Hand, 
auf welche Ddieje einen ehrerbietigen 
Kuſs drüdte, 

Bald darauf that Eleonore ihrem 
Freier zu willen, fie jei geneigt, ihm 
ihre Hand zu reihen, unter der 
Bedingung, dajs Natalina in der Er— 
ziehungsanftalt bleibe. Aber Leonardo 
‚machte mit allem Nachdrud geltend, 
daſs die Koften für den Unterhalt des 
heranwachſenden Mädchens in jener 
Anſtalt ihm immer befchwerlicher fielen, 
daſs fie dagegen am häuslichen Herde 
ihr in der Führung des Hausweſens, 
ſowie in den Arbeiten mit der Nadel 
behilflich fein könne; endlich erinnerte 
er fih an den Spruch, daſs an dem 
Tiſche, an welchem drei Perſonen eifen, 
auch die vierte eſſen könne, 

Eleonore gab zulegt ihre Einwilli— 
gung, weniger aus Rüdjiht auf dieſe 
Gründe, al3 in der geheimen Vorauss 
jegung, das kränkelnde Mädchen werde 
ihr nicht lange zur Laft fallen. Leo— 
nardo juchte eine pallende Wohnung 
für feine neugebildete Familie und 
nachdem er fie gefunden, auch ſonſt die 
nothwendigen Vorkehrungen getroffen, 
wurde zur VBermählung geichritten. 

Bei der Trauungsfeitlichleit war 





liche Miene aufzuheitern. Zulegt fragte |Natalina nicht anweſend, da der alte 
fie die Erzieherinnen, wie fie mit venezianiſche Brauch ſowohl Heine als 
Natalina zufrieden feien. Dieſe erwi- erwachſene Mädchen von der Theil: 
derten, Sie hätten feinen bejonderen | nahme an Dochzeitägelagen ausschließt. 
Grund zur Klage, nur fei das Mäd- Am Tage nah der Vermählung aber 
hen von äußerft zärtlicher Natur und | holte Yeonardo feine Tochter zu nicht 
meist kränklich. Mit einem Winfe geringer Freude derjelben aus der 
gaben fie Eleonoren hinterm Rücken Anſtalt ab und führte fie in feine 
Natalinens zu verfichen, das ſchwäch- Wohnung. 

lihe Geſchöpf Habe ſicher nicht auf Zwei Jahre verfloffen der Kleinen 
ein langes Leben zu rechnen. | Familie in leidlihen Frieden — ich 





- 


Je u 


405 


jage leidlichen, denn theils die öf- 
teren Erkrankungen Natalinens, theils 
das leicht erregbare Naturell Eleonorens 
verurſachten doch zumeilen eine vor— 
übergehende Störung. Das junge 
Mädchen ertrug die Ausbrüche des 
lebhaften Temperamentes feiner Stief- 
mutter mit größter Gelaſſenheit, ob» 
glei fie jede Kränkung innerlich ſehr 
jchwer empfand, jedes flüchtige Wort 
ih zu Herzen nahm und den Schmerz 
darüber die längfte Zeit nicht verwin— 
den fonnte. So war fie denn auch im 
väterliden Haufe weit entfernt, ſich 
glüdlih zu fühlen. 

Nun jollte aber ein neues, für fie 
höchſt ſchmerzliches Ereignis eintreten. 

Leonardo pflegte am frühen Mor- 
gen, bevor er fi in feine Werkſtatt 
begab, eine Taſſe Kaffee in der Straße 
S. Pantaleone zu trinten. Eines Tages, 
als er dort eben wieder fein Frühſtück 
zu fi) nahm, hörte er nebft den übri— 
gen Anweſenden plößlich von der Gafje 
ber Tumult und vermwirrtes Gefchrei. 
Er eilt in Begleitung einiger anderen 
zur Thüre, um zu fehen, was es gebe. 
Kaum ift er dort angelommen, fo 
empfängt er, eh’ er fich defien verfieht, 
einen tödtlichen Mefjerftih in die 
Bruſt. 

Ein Menſch aus der unterſten 
Volksclaſſe war am Morgen jenes Tages 
wahnfinnig geworden und durchrannte 
mit einem gropen, jcharfgejchliffenen 
Mefler die Strafen. Er verwundete 
alle, die ihm unvorfichtigerweife nahe 
famen, oder ihm nicht ausweichen 
konnten. Nicht wenige Opfer fielen 
unterdem Mordwerkzeuge des Tobenden, 
ohne dafs man gewagt hätte, fich ihm 
in den Weg zu merfen und ihn zu 
entwafinen. Erſt nachdem er aud 
Leonardo niedergeftoßen, dann in feinem 
vermwirrten Zaufe den ponte della donna 
onesta hinabeilend, gegen einen zus 
fällig dort ftehenden Karren angerannt 
und zu Boden geftürzt war, konnte 
die Menge fih über ihn hermachen, 
ihm Hände und Füße binden und ihn 
in fiheren Gewahrjam bringen. 


Leonardo hatte indeijen, wenige 
Augenblicke nachdem er den Todesſtoß 
empfangen, jeinen legten Seufzer aus— 
gehaucht. Groß war bei diefem Un— 
glück der Jammer Eleonorens; Nata= 
Itinen warf der Schmerz aufs Kranken— 
lager, an welches fie fait einen Monat 
lang gefejjelt blieb. 

Traurig war die Lage, in welce 
der plößlide Zodesfall die Familie 
Leonardos verſetzte. leonoren blieb 
zum Unterhalte nichts, als was jie 
von ihrem früheren Manne befaß, fauın 
hinreichend für fie ſelbſt. Und nun 
jollte fie auch Natalinen ernähren, die 
ohne das geringfte Bermögen, ohne 
alle Stüße, verlaffen in der Welt fand. 
Sp konnte es denn nicht fehlen, dafs 
Eleonorens Unmut, geſchürt durch ihre 
dürftige Lage, ſich Häufig in bitteren 
Worten und Berwünjhungen gegen 
ihren zweiten Ehebund Luft machte. 
Natalina begriff den Sinn Diejer 
Worte und meinte im Stillen. 

Nach einiger Zeit erhielt Eleonore 
bon einer Freundin die Mittheilung, 
daſs ſich eine Gelegenheit darbiete, 
Natalinen vortheilhaft im Haufe einer 
bejahrten Dame unterzubringen, „Nas 
talina“ jagte die Freundin, „wird 
dort nur jehr leichte Verpflichtungen 
zu übernehmen haben. Die Dame ift 
allein: e3 wohnen mit ihr im Palaſte 
nur zwei alte Sammerfrauen und 
einige andere Hausbedienten. Natalia 
wird mehr die Stelle einer Gejfells 
ſchafterin als einer Zofe bei der alten, 
'hinfälligen Frau vertreten.“ 

Eleonore begab ſich perfönlich zu 
der Dame und empfahl ihr Natalinen 
angelegentlih. Die Dame fand Wohl- 
gefallen an dem jungen Mädchen, als 
es ihr vorgeftellt wurde und nahm es 
ohne Bedenken in ihren Dienft. Sehr 
leicht würden Natalinen die Verrich— 
tungen dieſes Dienſtes gefallen ſein, 
wenn ſie nicht mehr von den beiden 
alten Kammerfrauen als von ihrer 
Herrin felbft abhängig geweſen wäre. 
Diefe beiden Frauen Hatten ſeit vielen 
Jahren in dem Hauſe gedient und 





406 


es zuleßt dahin gebracht, dajs fie fait 
unumſchränkt in demfelben Herrichten. 
Sie kümmerten fih wenig mehr um 
die Anordnungen der alten Dame, 
und führten den Haushalt wie es 
ihnen beliebte. 

Die janfte, fügfame, ihrer Gebie= 
terin mit größter Verehrung begeg- 
nende Natalina gewanı die volle 
Sympathie der leßteren. Da fie zugleich 
einen aufgewedten Geift bejaß, jo 
unterhielt ih die Dame jehr gerne 
mit ihr und ließ fie zuleßt kaum mehr 
bon ihrer Seite. Diefer Umftand ver— 
urfachte, wie man fich denken kann, 
den beiden alten Kammerfrauen ein 
entjchiedenes Mifsbehagen, welches aufs 
höchſte ftieg, als die Dame eines Tags 
in ihrer Gegenwart die Hand auf 
Natalinens Schulter legte und freund: 
lich zu ihr fagte: „Fahre nur fo fort, 
mein Kind, fei brav und redlich, und 
ich werde bei meinem Tode deiner nicht 
vergejjen. “ 

Es mufs hier erwähnt werden, daſs 
dieſe ſehr reiche alte Frau feine Kinder 
und nur entfernte Verwandte bejaß. 
Ihre gefammte Dienerfchaft Schmeichelte 
ih aljo mit der Hoffnung auf be- 
trächtliche Vermächtniſſe. Sie felbit 


| 





jondern ihren eigenen Launen folge. 
Aber diefe Beichuldigungen machten 
auf die Dame feinen bejonderen Ein- 
drud. Eines Tags fertigte fie jo: 
gar die Hlägerinnen mit den Worten 
ab: „Ihr habt doch alle nicht die Liebe 
und Aufopferung für mich wie Natalinal“ 

Borfichtig und ſchlau wie fie waren, 
verbargen die beiden Angeberinnen für 
den Augenblid ihren Unmuth, aber 
Natalinens Verderben war von da an 
eine beſchloſſene Sade . . . 

Sechs Monate waren verflofien, 
feit das Mädchen in die Dienfte der 
alten Dame getreten war. Da kam 
eines Morgens Natalina in großer Bes 
ftürzung ins Gemac ihrer Herrin. 
Sie erzählte, dafs fie bei der Bejor- 
gung eines häuslichen Gejchäftes unter 
dem Silberzeuge, das vor furzem ihrer 
Auffiht übertrageu war, ein Belted 
vermiffe, und dafs dasfelbe, wiewohl 
von ihr und anderen im ganzen Haufe 
gefucht, nicht wieder aufgefunden 
werden konnte. 

„Iſt denn etwa eine fremde Per— 
jon im Haufe geweſen?“ fragte die 
Dame. 

„Ich wüſste nicht“, erwiderte Na— 
talina. „Das Beſteck fehlt exit ſeit 


nährte diefe Hoffnungen durch öftere| geftern abend, In die oberen Gemäder 


Dindentung auf ihr großes Vermögen, 
über welches fie ohne irgendwelche 
Rückſichten verfügen könne. 
Insbeſondere hatten die beiden Kam— 
merfrauen ſchon angefangen, ſich als 
die muthmaßlichen Univerjalerben der 
Dame zu betrachten. Darum konnten 
ihnen Worte, wie fie ihre Herrin an 
Natalina gerichtet Hatte, nicht gefallen. 
Als fie nun die Neigung der Dame 
für Natalinen von Tag zu Tag wachen 
jahen, jo thaten fie alles Mögliche, 
um dieſe bei ihr in Mifscredit zu 
bringen. Sie gaben dem Mädchen 
Schuld, dafs fie ihr Morgen= und 
Abendgebet verfäume, dafs fie in den 
Tag hineinſchlafe, und endlich, dafs 
fie, übermüthig gemacht durch die Liebe 
und Nahficht ihrer Herrin, nichts mehr 
auf Befehl oder Ermahnung gebe, 





pflegt außer mir und den beiden 
Kammerfrauen niemand zulommen...“ 

Die beiden legtgenannten waren 
eben anmwefend. „Wie?“ rief eine der— 
jelben, „will das Mädchen vielleicht 
uns beide in Verdacht bringen ? 
Dreißig Jahre haben wir in dieſem 
Haufe gedient, und nicht eine Sted» 
nadel ift während diefer Zeit abhan- 
den gelommen !* 

„Aber, ich jeße fein Mifstrauen im 
euch” jagte die Dame, und die er— 
ſchrockene Natalina wollte die gehäflige 
Auslegung ihrer Worte abwehren; 
aber die beiden Kammerfrauen eiferten 
weiter: 

„Nur wir beiden oder Natalina, 
können die Schuldigen fein. Wir be= 
ftehen darauf, dafs unfere Zimmer 
und Schränte durchfucht werden. Wir 





407 


verlangen eine ftrenge Unterfuchung, 
welche allein uns von dem Werdachte 
reinigen kann, den diejes übermüthige 
Geſchöpf auf uns zu werfen wagte.” 

Die Dame zeigte wenig Luft zu 
einer folden Durchführung, verftand 
fih aber endlich doch dazu, nur um 
dem dringenden Begehren ihrer Diene- 
rinnen zu entjprechen. Faſt ungehale 
ten erhob fie fih von ihrem Armſtuhl, 
und flieg in Begleitung der leteren 
ins obere Stodwerf empor. Nachdem 
man das Gemach der Kammerfrauen 
betreten, fiengen diefe ſogleich an, ihre 
Schränke zu öffnen und ihre Habjelig- 
leiten vor den Augen der Gebieterin 
auszubreiten. „Ach, lajst es doch,“ ſagte 
dieſe nach einem flüchtigen Blide auf 
das vor fie Hingelegte; „es iſt nichts 
weiter nöthig — gehen wir.“ Damit 
wollte fie jich entfernen. 

„Wie?“ fuhr eine der beiden 
Kammerfraueu auf, „find wir viel» 
leicht schlechter als Natalina? Wir 
haben uns einer Unterfuchung unter 
worfen und fie fol frei ausgehen ?* 

Nur aus Rüdjiht auf Natalina, 
damit Fein Verdacht auf ihr haften 
bliebe, verftand fi die Dame zuletzt 
dazu, auch Natalinens Gemad zu be= 
treten. Mit freundlichem Lächeln ſagte 
fie zu dem jungen Mädchen: „Gib 
uns den Schlüfjel zu deinem Schrante, 
Natalina! * 

„Mein Schrant ift nie verfchloffen, * 
jagte diefe, öffnete die Thüre desſelben 
und forderte die Kammerfrauen auf, 
ihre Sleider zu durchſuchen. Diefe 
ſchickten ſich haſtig an, die dort auf» 
bewahrten Kleidungsſtücke herauszu— 
nehmen, und ſiehe da! im Hinter— 
grunde des Schrankes, eingefüllt in 
ein altes Unterkleid, fand ſich daS ver— 
miſste Beſteck. 

Natalina erbleichte, die Dame ſtand 
in Erſtaunen verſunken da, und die 
beiden Kammerfrauen hielten ihr das 
Vorgefundene mit triumphierenden 
Bliden vor die Augen. 

„Was foll das heißen ?* fragte die 
Dame zulegt, zu Natalina gewendet. 


— — — — — — — — — — — — — — — — — 


„Ich weiß von nichts“, erwiderte 
dieſe in tiefſter Beftürzung über das 
Vorhandenjein des Silberbeftedes in 
ihrem Schranke, das fie auf feine 
MWeife ſich zu erflären wufste, 

„Schäme did“, rief die Dame; 
„ich Hatte dich wie eine Tochter be— 
handelt... .“ Nun ergriff eine der 
Kammerfrauen das Wort und fiel mit 
wüthenden Schmähungen über Nata= 
lina her; fie ſchalt fie eine Diebin, 
eine Nichtswürdige, und fügte Hinzu: 
„Wenn du nicht augenblidlih das 
Haus verlafjeft, jo bleiben wir feine 
Stunde länger... .“ 

„sh kenne meine Pflicht”, ſagte 
die Dame; „Jogleih jehnüre dein 
Bündel, Natalina. Den Diebjtahl würde 
ich dir vielleicht verziehen haben, aber 
daj3 du diefe Unfchuldigen verdächtig 
machen wollteft, während du felbft die 
Schuldige warft, das beweist, dafs ich 
meine Gunft einer durhaus Unwür— 
digen gejchentt hatte.“ 

Natalina wollte jich rechtfertigen, 
aber die Dame ſchnitt ihr das Wort 
ab, „Schweig’*, rief fie, „die That— 
jahe ſpricht ummiderleglih. Mein 
Gondolier wird dich augenblidlih zu 
deiner Stiefmutter zurüdführen.* 

Das unglüdlihe Mädchen brach in 
heiße Thränen aus und mollte die 
Hand ihrer Herrin küſſen. Diefe aber 
wies fie ſtrenge zurüd. Die beiden 
Kammerfrauen führten Natalinen zum 
Gondolier, dem fie den Vorfall mit 
vielem Aufwande von Worten erzählten, 
inden fie ihm zugleih den Auftrag 
der Dame fundmadten. 

Der Mann falste fchweigend bald 
Natalinen, bald die beiden Frauen ins 
Auge. Dann führte er daS junge 
Mädchen fort, welhem die Kammer— 
frauen noch Spott» und Schmähreden 
nachjandten. 

Auf dem Wege ftrömten häufige 
Thränen über die Wangen Natalinens. 
Der Gondolier blidte fie von Zeit zu Zeit 
an und fagte zuleßt: „Du Haft nicht 
recht gethan, Mädchen!“ 

„sch bin unschuldig!” rief diefe aus. 


408 


„Ei“, verjeßte der Gondolier, „das 
jagen alle Diebe. 
dich doch lieb gehabt, fo viel ich weik ?* 

„Mehr als ich verdiente.“ 

„Dann Haft du eine große Thor: 
heit begangen. Lange fann die alte 
Frau nicht mehr leben und fie hätte 
dir ohne Zweifel etwas hinterlaſſen.“ 

„Sie hatte es mir jogar ver— 
Iprochen. “ 

„WBufsten das diegammerfrauen?“ 

„Sie ſprach davon in ihrer Gegen= 
wart.“ 

„Wille, Kind, das find ein paar 
Harpyien, ein paar neidifche Klätſche— 
rinnen, und du bift nicht die erfte 
Dienerin, die ihretiwegen den Dienft 
verlaſſen mufste.“ 

Während dieſes Gefprähs waren 
fie vor den Haufe Eleonoren3 ange— 
langt. Diefe zeigte fih nicht wenig 
betroffen über die unerwartete Er- 
ſcheinung Natalinens, und als nun 
der Gondolier ihr nmothgedrungen die 
Urſache diefer Heimkehr andeutete, da 
gerieth fie, wie man ſich wohl denken 
mag, in nicht geringen Zorn und 
mar nahe daran, das unglüdliche Mäd- 
hen von ihrer Thüre zu jagen. Aber 
der Gondolier fagte ihr einige beruhi— 
gende Worte und entfernte ſich micht 
früher, als bis fih ihre Aufregung 
einigermaßen gelegt hatte. 

Zum Abſchied flüfterte der Gon- 
dolier Natalinen noch die Worte zu: 
„Mein liebes Kind, du haft deinen 
Schrank often gelaffen und jene beiden 
Betteln haben vielleiht . . . doch ge: 
nug, ich darf nicht reden, wie ich 
wollte; man könnte mich alten Mann 
ebenfalld aus dem Haufe jagen. Faſst 
Euch und bedenkt, dafs Ihr nicht das 
erite verfolgte und unfchuldig ver— 
läumdete Geſchöpf ſeid.“ 

Eleonore, welcher es trotz ihres 
aufbrauſenden und heftigen Tempe— 
raments doch weder an menſchlichem 
Gefühl noch an geſundem Verſtande 
fehlte, fam nach einiger Überlegung 
bald zu der inneren Überzeugung, dafs 
Natalina, deren Charakter fie kannte, 


Deine Herrin hat 


eines Vergehens, wie das ihr zur Laſt 
gelegte, nicht fähig fei. Sie verfügte 
ih einigemale in das Haus der alten 
Dame, erhielt aber immer den Bejcheid, 
dafs dieſe fie nicht empfangen wolle. 
Hierdurch wurde der Verdacht, den 
Eleonore gegen die beiden Sammer: 
frauen hatte, noch gefteigert, und fie 
zweifelte nicht, dafs ihr dieſe Abwei— 
fung ohne Vorwiſſen der Dame 
widerfahre. 

So blieb denn Natalina für jegt 
wieder im Haufe ihrer Stiefmutter, 
mit weiblichen Arbeiten fich den färg- 
lien Unterhalt verdienend. 

Nur felten gieng fie aus, um fich 
zu erholen, doch beſuchte fie täglich 
zur beftimmten Stunde die Meile. 
Ernft und ſittſam legte fie den Weg 
zur Kirche San Barnaba zurüd, die 
nicht weit von ihrer Wohnung entfernt 
war. So verflofs eine geraume Zeit. 

Eines Tages, als fie eben wieder 
von der Meſſe zurüdlehrte, bemerkte 
Eleonore auf den Wangen des Mäd« 
chens eine ungewöhnliche Röthe. Ver— 
wundert fragte fie diefelbe, was ihr 
begegnet jei. 

Noch tiefer erröthend, geitand Na— 
‚talina, daſs ihr ein junger Mann ges 
‚folgt fei, als fie die Kirche verlieh, 
‚und einige freundliche Worte an fie 
| gerichtet habe. 

„Wie?“ rief Eleonore, „du gibit 
Ps Männern Gehör?“ 








„Durchaus nicht“, verjegte Nata— 
‚lina, „aber wenn der liebe Gott Euch 
von der Laft befreien wollte, die ich 
Euch) verurjache, könnte er es nicht viel— 
leicht dadurch, daſs er mich eine Belegen 

heit zur Verheiratung finden ließe?“ 

„Zur Berheiratung? Albernes 

Mädchen! Die Männer jehen heutzu— 
tage nur auf die Mitgift. Ich weis, 
was mir mit deinem Vater begegnet 
if. Du bift eine Elende und Haft fein 
Glück dein lebenlang.“ 

„Ah ja, Ihe Habt nicht unrecht. 
IH bin nur zu Unglüd geboren. Ber: 
zeiht mir, ich will jede eitle Einbil« 
dung diefer Art fahren lafjen.” 








Fe 
Br ”Y ' u 
Eu i 


400 


Den nächſten Tag gieng Natalina ! 


‚er auch, nad venezianischer Sitte, des 


in Begleitung ihrer Stiefmutter zur Abends unter ihr Fenſter, um mit ihr 


Meile. Sie bemerkte denjelben jungen 
Mann an der Thür der Kirche. Als 
ſie in dieſe eingetreten war, wendete | 
fie fich verftohlenerweije um, begierig 
zu wiſſen, ob der Jüngling ihr gefolgt | | 
fei. Uber er hatte die Schwelle der 
Kirche nicht überfchritten. Bei der, 
Rückkehr nah Haufe aber bemerkte fie 
ihn wieder auf der Straße Hinter fi. 

Viele Tage lang wiederholte jich 
das nämliche. 

Eines Tages aber faſste der Uns 
befannte Muth und übergab Natalinen 
einen Brief mit der befcheidenen Bitte, 
ihn nicht ungelejen zu laffen, worauf 


ein jcheinbares ; 
‚ein menes Unheil für mich daraus 





er ſich eilig wieder entfernte, Der 
Brief enthielt in wenigen und ein— 
fachen Worten eine Liebeserklärung. 
Es war jedoch fein Name unterzeichnet. 

Natalina war außer fich vor Freude 
und zeigte den Brief Eleonoren. Am 
nächſten Morgen gieng fie allein zur 
Kirche. Der junge Mann näherte ſich 


eine Antwort auf fein Schreiben. 

Natalina fragte ihn um feinen 
Stand und feine Herkunft. 

„SH bin aus Peſaro gebürtig”, 
erwiderte er. „Meine Eltern haben 
nich nach Venedig gefandt, um hier 
den Handel zu erlernen.“ 

„Wiſſet Ihr denn aber au”, 
fragte Natalina, „daſs ich ein ganz 
armes Mädchen bin?“ 

„Ich weiß alles; auch ich bin 
nicht reich.” 

„Ich möchte nicht gerne getäufcht 
werden.“ 

„Ihr Habt ganz recht.” 

„Darf ih Euch bitten, mir Euren 
Namen mitzutheilen ?* 

„Erlanbt mir, daſs ich ihn für 
jet noch verſchweige.“ 

„Aber ich begreife nicht ...“ 

„Zu ſeiner Zeit, wenn Ihr den 
Grund meines Schweigens erfahren, | 
werdet Ihr mich entjchuldigen.“ 

Von da an ſah Natalina ihren 
Geliebten jeden Tag; zumeilen kam 





‚zu ſprechen. Er zeigte fih von jo 
herzlicher, ja leidenfchaftlicher Liebe für 
fie ergriffen, daj3 das Mädchen im 
Gefühle ihres Glüdes, an welches jie 
faum glauben fonnte, zumeilen aus— 
‚rief: „Ah, ich war immer unglüdlich 
— gewiſs ift auch diefes Glück nur 
wer weiß, was für 


hervorgehen wird!” 

Der junge Manır begleitete Nata= 
linen regelmäßig zur Mefje, aber er 
trat nie mit ihr ein. Natalina fragte 
ihn einmal um die Urſache. 

„Ich will es dir jagen“, verſetzte 
er; „ich habe ein Vorurtheil, das dem 
Hiefigen Brauche entgegen ift. Diejes 
Liebeln an heiligen Orten gefällt mir 
nicht. Wenn ich mit dir in die Kirche 
einträte, jo würde ich dich in deiner 
Andacht ftören.“ 

Nutalina ehrte 


diefe Fromme 


Rüchſicht. 
ihr, grüßte ſie höflich und erbat ſich 


Ein anderesmal drang ſie in ihn, 
er möge ihr doch ſeinen Namen nicht 
länger verſchweigen. Nach einigem Zö— 
gern ſagte er ihr, dafs er ſich Gabriel 
Alfierini nenne. Natalina fragte ihn 
nach feiner Familie, feiner Wohnung. 

„Ich wohne“, verjeßte er, „zu San 
Marziale. Ich erlerne den Handel bei 
einer ifraelitifchen Familie.“ 

„Wie? bei einer jüdifchen Fa— 
milie ?“ 

„Jawohl, die aus durchaus braven 
und ehrwürdigen Leuten beiteht.” 

Natalina war durch das Gehörte 
nicht ganz beruhigt. Sie theilte es 
erſt Eleonoren, und dann ihrem Beicht— 


vater mit, der auch Eleonoren perſön— 


‚lich kannte und beiden Frauen ſchon 
‚oft ein Tröfter und Berather in Drang- 
‚falen gewejen war. Der würdige 
Prieſter verſprach ihr, über dem jungen 
Dann genauere Erklundigungen ein« 
zuziehen. 

Inzwiſchen verdoppelte der unbe— 
fannte Liebhaber die Beweiſe feiner 
Zärtlichkeit für Natalina. Er madte 


— 


ihr auch einige kleine Geſchenke, die 
Natalina mit einer zierlichen Hand— 
arbeit erwiderte. Die unverkennbare 
Aufrichtigkeit der Zuneigung, welche 
der junge Mann für Natalina kund— 
gab, machte auch auf Eleonoren einen 
jo guten Eindrud, dafs jie ihm zuleßt 
den Eintritt in ihr Haus geftattete. 
Er machte getreulih Gebrauch von 
diefer Erlaubnis, doch immer exit in 
fpäter Abendftunde, wenn er feine Be— 
rufsgeſchäfte verrichtet Hatte. 

Eines Tages befuchte der oben er= 
wähnte Geiftliche das Haus Eleonorens 
und erzählte den beiden Frauen, dajs 
er Nachforſchungen über den jungen 
Mann angeftellt Habe, dafs diefelben 
jedoch vollkommen erfolglos geblieben 
feien. Der Name, den der junge Mann 
als den jeinigen bezeichnet babe, ſei 
in der Contrada S. Marziale gänz— 
lih unbelannt. 

„Bielleiht weil er ein Fremder 
ift und noch nicht lange dort wohnt“, 
verjegte Natalina mit jchlechtverhehlter 
Unruhe. 


„Wiſſe“, ſagte der Geiftlihe zu 
Natalina gewendet, „der Mann, den 
du liebft, der dir jo Schöne Verfpehunz 
gen machte, von dem du meintelt, 
dafs er dich zum Altare führen würde 
— er iſt ein Jude!” 

„Berechter Himmel!” rief Eleonore; 
„wer hätte das geglaubt ? Nun begreife 
ih, warım er niemals die Kirche be= 
treten wollte!“ 

Natalina brach in einen Strom 
bon Thränen aus. 

„Er wird diefen Abend wie ge= 
wöhnlich Hieherlommen“, fuhr Eleonore 
fort; „mir wollen ihm für fein ver- 
rätherifches Benehmen den Text lejen 
und ums feiner für immer entledigen!“ 

„Arme Natalina“, jagteder Priefter, 
„möge Gott dir Kraft geben, dieſen 
Menichen aus deinem Andenken zu 
verbannen !* 

Schludzend und wortlos vor 
Schmerz ftand das junge Mädchen da, 
während der Prieſter, bevor er fid 
entfernte, nicht ohne Rührung feine 
Hand auf ihr Haupt legte und mit 


„Haft du mir nicht gejagt“, fuhr einem Blide zum Himmel um den 
der Geiftlihe fort, dafs er dich zu= Beiſtand des Höchſten für fie zu flehen 


weilen bis zur Kirche begleitet?” 

Allerdings, auch morgen verſprach 
er es zu thun.“ 

„But, ich werde eine Perfon dort 
aufftellen, die ihn im Auge behalten 
und ihm unbemerkt bis in jeine Woh- 
nung folgen ſoll.“ 

Am nächſten Tage erjchien der 
Unbelannte zur beftimmten Stunde 
und begleitete Natalina zur Kirche, 
wo der Geiftliche Schon eine verläfsliche 
Perſon aufgeftellt Hatte. 

Zwei Tage jpäter kommt der Geift« 
lihe zu Eleonoren in heftiger Auf: 
regung. Die beiden Frauen erjchreden 
vor feiner unglüdverheißenden Miene. 

„Run weiß ich“, ruft der Priefter, 
„nun weiß th, wer der junge Mann 
it! O der Unmürdige! Arme Nata- 
lina! arme, immer unglückliches 
Mädchen!” 


ſchien. 
Mit Einbruch der Nacht klopfte, 


wie man erwartet hatte, der Liebhaber 
Natalinens an die Thüre, Eleonore 
hatte ſich kaum überzeugt, daſs er es 
jei, als fie die Geſchenke, die er Na— 
talinen gemacht hatte, zufammenraffte, 
die Stiege damit Hinabeilte, und fie 
dem jungen Manne, nachdem jie die 
Thüre geöffnet, in ihrer gewohnten 
leidenschaftlihen Weife vor die Füße 
warf. Sie begleitete dieſes Thun mit 
einigen Erklärungen von fehr unfanfter 
Art, und ſchloſs dem Berblüfften zus 
legt die Thüre vor der Naje zu. Na— 
talina hatte ſich indeſſen weinend auf 
ihr Lager geworfen. 

Am nächſten Tage erhielt Eleonore 
folgendes Schreiben: „Ih geſtehe 
meine Schuld; ich habe die Wahrheit 
verichwiegen, aber ich that es nur aus 


„D Himmel, was ift gefchehen?“ inniger Liebe, die ich für Natalinen 


fragten die Frauen. 


hege und immer hegen werde. Aber 






all 


glauben Sie nicht, daſs ich ein ganz 
Unmwürdiger bin... Seien Sie ver- 
Jichert, dafs ich feit langer Zeit, ſchon 
bevor ich Natalinen kaunte, mich mit 
dem Gedanken trug, ein Belenner des 
Evangeliums zu werden.“ 

Dieje legten Worte überrajchten 
Eleonoren , und fie theilte den Brief 
ihrem undRatalinens geiftlihemtyreunde 
mit. Diefer las ihn aufmerkſam und 
fagte: „Wenn es ſich wirklich fo ver— 
bält .. . wenn er in Wahrheit die 
Abſicht Hätte... ich will ihn per- 
ſönlich ſprechen.“ Eleonore theilte ihm 
mit, dafs der junge Mann noch jeden 
Abend ſich unter ihren Fenftern zeige. 

„So will ih um dieſe Zeit zu 
Euch kommen“, verſetzte der Geiftliche, 
„und jobald er erfcheint, gehe ich zu 
ihm Hinab und laffe mich mit ihm in 
eine Unterredung ein.“ 

Gefagt, gethan. Traurig und lang« 
jam gieng Jakob (dies der wahre Name 
des Jünglings) zur gewöhnlichen 
Stunde am Haufe Eleonorens vorüber. 
Der Priefter trat aus der Thüre und 
ſprach ihn an. Mit großer Ehrerbie- 
tung fand ihm der junge Mann Rede 
und wiederholte im Laufe des Ge— 
ſprächs feine Erklärung, daſs er feit 
zwei Jahren damit umgehe, den fa= 
tholifchen Glauben anzunehmen. „Uber 
ih babe die fefte Überzeugung“, fügte 
er Hinzu, „dafs, Jobald ich dies thue, 
mein ftrenggläubiger Vater mir feinen 
Fluch gibt, und dafs ihm meine Re— 
ligionsänderung eine tödtliche Kränkung 
verurſacht.“ 

„Was gedentt Ihr alſo zu thun?“ 

„Mein Vater iſt hochbetagt ... 
nach ſeinem Tode werde ich nicht zö— 
gern, ein Anhänger des Kreuzes zu 
werden. Dann wird Natalina mir 
angehören. O ehrwürdiger Herr! ich 
liebe dieſes Mädchen, wie man nur 
ein menſchliches Geſchöpf auf Erden 
lieben kann. Ihr entſagen müſſen, 
das wäre mein Tod.“ 

„Könnt Ihr mich aber als Ehren— 
mann verſichern, daſs Ihr nicht bloß 
um Natalinen zu beſitzen, ſondern aus 





Überzeugung den Glauben Eurer Väter 
abzufhmwören und Ehrift zu werden 
bereit jeid ?* 

„Sch beſchwöre es vor Gott, daſs 
ih ſchon bevor ich Natalina kannte, 
diefen Entichlufs faßte. Die Liebe zu 
ihr ift nur ein neuer Antrieb, dieſen 
Entſchluſs auszuführen.“ 

„Ich will es glauben, Tür jept 
aber muſs alle Gemeinſchaft zwijchen 
Euch und Natalina aufhören.“ 

„Warum, ehrwürdiger Herr?“ 

„Es darf nicht fein... Sobald 
Ihr ein Belenner des Evangeliums 
geworden, dann wird ſich alles finden.“ 

Jakob empfahl ſich mit dem Aus» 
drude der tiefiten Betrübnis. „Hier 
weilen und Natalina nicht jehen, nicht 
ſprechen“, rief er aus, „wie kann ich 
das ertragen ?* 

Die beiden Frauen waren fehr be= 
gierig zu erfahren, was der Prieſter 
mit Jakob gefprochen hatte. Bald hatte 
der erftere fie davon unterrichtet. 
Natalina überließ fi einem tiefen 
ſtummen Schmerze. Ungefähr einen 
Monat Später erhielt Eleonore einen 
neues Schreiben von Jakob, welches 
folgendermaßen lautete: 

„In diefem Augenblide ruft ein 
Brief mich in meine Heimat, wo mein 
Vater auf dem Sterbebette liegt. Der 
Himmel weiß, ob ich ihn noch lebend 
finde. Sagen Sie Natalinen, dafs ich 
niemals mein gegebenes Wort brechen 
werde. Ihre oder Natalinend Briefe 
treffen mich ſicher in Peſaro.“ 

Das junge Mädchen wollte dieſen 
Brief ſogleich erwidern. 

„Laſs es gut ſein“, mahnte Ele— 
onore; „wenn er dich wahrhaft liebt 
und dich nicht betrügen will, jo wird 
er bald von neuem jchreiben, “ 

Diefe Muthmaßung verwirklichte 
fi bald. Jakob beftätigte in einem 
zweiten Briefe, daſs fein Vater dem 
Tode nahe fei und wiederholte die 
Verfiherung feiner unveränderlichen 
Liebe zu Natalinen. Diefe antwortete 
ihm auf Eleonorens Rath mit weni» 
gen und zuridhaltenden Worten. 


Ein ganzer Monat verflofs ohne 
weitere Kunde von Jakob. Endlich 
fam ein neues Schreiben von ihm, 
in welchem er folgende Nachricht gab: 

„Das Befinden meines Vaters hat 
ih unermwarteterweife um vieles ge— 
befiert. Ich kann nicht anders, als dem 
Himmel dafür danten ... Geduld, 
theure Natalina! Mein Vater hat Ber: 
dacht geſchöpft, dafs ich meiner Reli- 
gion abſchwören wolle. Welche Vor: 
würfe mufste ich hören! Ach, ich bin 
der unglüdjeligfte aller Menſchen!“ 

Natalina las dieje Zeilen mit an— 
Iheinender Ruhe. Einige Tage fpäter 
aber wurde fie von einem Fieber be= 
fallen, . das fich als ſehr hartnädig er- 
wies. Jalob ließ von Zeit zu Zeit 
Briefe ähnlichen Inhaltes folgen, die 
aber allmählich feltener wurden. Zus 
legt verflojs ein halbes Jahr, ohne daſs 
von ihm eine Nachricht kam. Das 
Siehthum und der Trübfinn Nata— 
linens nahm inzwifchen fortwährend 
zu. Der Name Jakobs kam jedoch nie= 
mals über ihre Lippen. 

Endlich traf von dem Schwerver— 
mifsten folgende Botfchaft ein: 

„Mein Vater ift nicht mehr. Strafe 
mich der Himmel, wenn ich diefen 
Augenblid herbeigewünfcht habe. Du 
aber, Natalina, magft num den Schmerz 
und die Ungeduld deines langen Harrens 
vergefjen. Noch find nicht zwei Stun 
den verfloffen, feit mein Haupt mit 
dem Waſſer begofjen wurde, das die 
Erbfünde hinwegwäſcht. Ich bin nicht 
mehr Jakob, ich bin Giovanni. Wieder: 
geboren bin ich, o Natalina, für mich 
und dich! Niemand Hat mehr über 
nich zu gebieten, und ich befiße jo viel 
al3 Hinreihend ift, für uns beide ein 
beſcheidenes Lebensglüd zu gründen. 
Heute zählen wir den vierzehnten, am 
einundzwanzigften bin ich in deinen 
Armen, und wir gehören einander für 
immer an!“ 

Welche Überrafchung bereitete Eleo- 
noren diefer Brief! Aber fie fagte zu 


fich jelbft: Soll ich ihn Natalinen über: | 


geben ? Sie ift in einem ſolchen Zur 


— 


ſtande von Schwäche ... ich möchte 
nicht, daſs das unerwartete Glück ihr 
eine zu heftige Erſchütterung verur— 
ſache ... Vielleicht aber könute ſie 
dieſe Freudenbotſchaft vom Rande des 
Grabes zurückreißen, an welchen ſie 
ſchon gelangt iſt. Ich will mich mit 
unjerem geiftlichen fyreunde bejprechen. “ 

Der würdige Priefter theilte die 
Freude Eleonorens über den Brief und 
nahm es auf fi, Natalinen mit dem 
Inhalte desjelben befanntzumachen. 

„Liebe Tochter”, ſagte er, indem 
er ſich dem Bette der Kranken näherte 
und jeine Hand auf ihre Stirn legte, 
„hoffſt du noch auf Gottes Beiſtand?“ 

„Ich hoffe und vertraue auf ihn“, 
verjeßte jie mit matter Stimme. 

„Und worin beitehen deine Hoff: 
nungen 2“ 

„Dajs er mich bald im feinen 
Schoß aufnehme.“ 

„Hoffſt und wünſcheſt du nichts 
mehr auf dieſer Erde?“ 

„Die Güter der Erde ſind trü— 
geriſch. Ihr ſelbſt habt es mir oft 
geſagt, ehrwürdiger Vater! Jakob hat 
mir einſt geſchworen, daſs er mich 
liebt; auch er hat mich betrogen.“ 

„Betrogen? wer weiß? Natalina, 
gib nicht alle Hoffnung auf!“ 

„Ich Hoffe nichts mehr.“ 

„Biſt du stark genug, eine gute 
Nahricht zu vernehmen ?“ 

„Ich glaube an keine freudige Bot— 
ſchaft. Der Unglüdsftern, der über 
meiner Wiege fland, wird mich bis 
zu meinem Grabe begleiten!“ 

„Sage das nit; Gott ift all: 
mächtig; mit feinem Willen kann ſich 
alles ändern. Doch zur Sade. Wille, 
Jakob Hat wieder von fich hören laſſen.“ 

„Ah, ich werde nie die Seinige 
werden.” 

„Tale Muth, Natalina. Lies diefen 
Brief und überzeuge dich von den 
Wirkungen der göttlihen Gnade.“ 
| Natalina erhob fih mühſam im 
‚ Bette, unterftüßt von Eleonoren. Ihre 
Augen waren flarr auf das Blatt ge— 
heftet, das der Priefter ihr darreichte. 








Cie las die Zeilen langjam vor ſich 
hin und fieng dann wieder von vorn zu 
tefen an, als hätte fie den Sinn noch 
nicht verftanden. Als fie den Brief das 
zweitemal durchgelejen, lächelte fie bitter 
und fragte: „Ihr Hintergeht mich 
vielleiht? Ihr wollt mich tröften ?“ 
„Siehit du denn nicht”, fragte Ele— 
onore, „es iſt Jalobs eigene Schrift... 
oder vielmehr Giovannis...“ 
„Biovannis? Ach ja, Giovannis! 
Gejegnet ſei mir der Name! Giovanni 
alſo . ..“ 
„Wird in kurzem bei dir ſein!“ 
„Bei mir?“ — Hier ſank Nata— 


lina, von einer Ohnmacht überwältigt, 


zurück. Aber faſt augenblicklich erholte 
ſie ſich wieder, lächelte und rief: „Den 
Brief, den Brief! lajst ihn mir, ic) 
will ihn nocheinmal leſen!“ 
„Da, da, jagte Eleonore.“ 
„Welches Datum trägt er?” 


„Er ift vom vierzehnten diejes 


Monats.“ 

„Und Heute Haben wir?“ 

„Den achtzehnten.“ 

„Noch zwei Tage, und er wird 
bier jein!“ 

Natalina verbradte die Nacht in 
ſeltſamen und lebhaften Träumereien, 
Sie ſprach mehrmals laut und ihre 
Reden waren verwirrt. Am folgenden 
Morgen verfuchte fie aufzuftehen und 
brachte es auch mit einiger Anftrens 
gung zuftande, 


„Es find viele Monate“, jagte fie, 


„daſs ih nicht nach meinen Stleidern 
gejehen habe. Was wird Giovanni 
jagen, wenn er mich jo vernachläfligt 
findet? Ih will doch den Schrank 
durhmuftern und alles Schadhafte in 
guten Stand ſetzen. O Eleonore! 
meine gute Mutter! bald will ih Euch 
von der Laft befreien, die Ihr jo lange 
getragen habt. Aber ich werde nicht 


undantbar fein. Vielleicht können wir | 


auch zuſammen wohnen. Übermorgen 
wird Giovanni hier fein, und dann 
halten wir Hochzeit... ich will, dafs 
es jo bald als möglich gejchehe.“ 
„Das freut mich jehr, erwibderte 


Eleonore, doch war in dem Blide, mit 
welchen fie Natalinen mufterte, nichts 
weniger als volle Beruhigung und 
ungetrübte Hoffnung zu leſen. 

„Man mußs doch auch die Stube 
ſcheuern und das ganze Haus“, fuhr 
Natalina fort. So bradte fie den 
ganzen Tag in aufgeregter Geſchäftig— 
feit zu und erhielt jich zur Uberraichung 
aller bei ungeſchwächten Kräften. Auch 
ſchlief fie in der darauffolgenden Naht 
leidlich. 

So kam der zwanzigſte heran. 
Schon am frühen Morgen wollte Na= 
talina aufftehen, aber es fiel ihr 
jchwerer al3 den Tag zuvor, Bald 
mufste fie in großer Ermattung ſich 
‚wieder auf einen Stuhl niederlaffen. 
Dennoch jagte fie: „Sch befinde mich 
wohl.“ Ein paarmal fragte jie: „Wer 
Hopft? Vielleicht er? Doch mein, erjt 
morgen hat er verfprochen zu fommen.* 

Der befreundete Geiſtliche kan. 
„Ah, jeid mir willkommen!“ rief Na— 
talina. „Ahr feid es ja, der mir die 
große Freudenbotſchaft gebracht hat. 
Daſs Euch der Himmel dafür fegne! 
Morgen wird jih alſo alles entſchei— 
den! Ich werde endlich glüdlich ein. 
Und vielleiht... Gott verzeihe mir 
‚diefen Hochmuth . . . vielleicht ver— 
diene ich nad fo vielen Leiden es zu 
ſein . . . aber, ehrwürdiger Bater, 
wie fomınt es doch, dafs e3 fo duntel 
wird? Beginnt es vielleicht zu regen ?” 

„Nein, liebes Kind, die Sonne 
ſcheint im ihrer vollen Reinheit.” 
„Dann weiß ich nicht .. . mir 
iſt ganz dunkel dor den Augen... 
ich jehe Euch nicht mehr... . 

„Fühlſt du dich leidend?“ 

„Ich weiß nit... . eine ges 
wiſſe Beängitigung, die immer mehr 
zunimmt . . . o Gott, o Gott... 
Euren Segen, ehrwürdiger Bater. . .“ 

Natalina ſank zurüd. Sie gab fein 
Lebenszeihen mehr von fih. Der 
Prieſter bejprengte jie mit geweihten 
Waſſer und ſprach die Sterbegebete 
‚über jie. Eleonore ließ in größter Eile 
den Arzt rırfen. Diefer kommt, unters 








“ 








jucht den Körper Natalinens und er: | 


Härt: „Sie ift todt.* 

Unter Thränen rief Eleonore aus: 
„Was wird Giovanni jagen, wenn er 
morgen fommt und fie todt findet?” 

„Ich mache mich auf Schlinmes 
gefaſst“, verfeßte der Pfarrer. „Diefer 
junge Mann, der Natalinen jo leidene 
Ichaftlich liebte, der vielleicht nur ihret= 
wegen feinen Glauben abſchwur, er 
wird fich gewiſs der Verzweiflung hin= 
geben, wenn er fie todt findet.” 

„Mas Liege fih thun“, fragte 
Eleonore, „um ihm micht gleich im 
erſten Augenblid durch die traurige 
Wahrheit zu erfchreden ?* 

„Ich weiß es nicht, erwiderte der 
Prieſter; 
beſten, da er morgen kommt, noch 
dieſen Abend den Leichnam Natalinens 
in die Kirche zu bringen und morgen 
frühzeitig zu beſtatten.“ 

Eleonore war damit einverftanden, 
Alle Anftalten wurden jogleich getroffen, 
den Vorſchlag des Pfarrers auszu— 
führen. Natalina wurde in weißes 
Linnen gefleidet und ein Kranz bon 
Rojen um ihr Haupt gejchlungen, 
Tann wurde fie mitten im einer 
Kammer auf einen grünen Teppich 
gelegt. Viele Frauen der Nachbarschaft 
famen, theil® aus Frömmigkeit, theils 
aus Neugierde, um dem Leichnam eine 
Eprenge geweihten Waſſers zu geben 
und Gebete darüber zu ſprechen. 

Die Naht kam heran. Wenige 
Fadeln und das murmelnde Gebet 
zweier Briefter begleiteten das junge 
Mädchen zur legten Ruheſtätte. In 
der Kirche S. Barnaba wurde fie aus» 
geftellt und bei ihrem Leichnam wurde 
die üblihe Nachtwache gehalten. Bei 
Sonnenaufgang, noch vor Beginn der 
erjten Meſſe, wurde ein Grab eröffnet. 
Natalina wurdeindasjelbe hinabgelaſſen 


„Doch iſt es vielleiht am 


beſchreiben. Das Haus Eleonorens 
wiederhallte von feinen Klagen. 
„Warum“, rief er aus, „warum Habt 
ihr fie fortgetragen? Meine Gegen» 
wart, meine Liebe, meine Küſſe hätten 
fie ind Leben zurüdgerufen !* 

Dank der VBermittelung des mit— 


‚leidvollen Priefters, erwirfte Giovanni 


zuleßt die Erlaubnis, das Grab Na— 
talinens öffnen zu laffen, damit er 


‚die Geliebte nocheinmal jehen könne. 





Man eröffnete aljo das Grab und 
fand... o Schauder!.... man 
fand das unglüdlihde Mädchen jetzt 
et wahrhaft todt — auf den 
Knien liegend, die Augen aus ihren 
Höhlen getreten, das Geficht verzerrt 
vom Ausdrucke der entjeglichiten Ver— 
zweiflung . . .. fie war lebendig 
begraben worden. 

Damit endet unjere einfache Er- 
zählung. Niemals in ihrem Leben 
fonnten Eleonore und der Prieſter ſich's 
vergeben, dafs fie, wenn auch im der 
beiten Abjiht, die Veranlaſſung zur 
übereilten Beerdigung der Scheintodten 
gewejen waren. Man fuchte die Schauer: 
lihe Thatſache geheimzuhalten, aber 
Giovannis Leid kannte feine Grenzen 
und die Ausbrüche feiner Verzweiflung 
machten die Wahrheit bald überall 
offenkundig. 

Der treffliche Priefter aber ermans 
gelte nicht, jo lange er lebte, in jeinem 
täglichen Gebete unter Seufzern und 
Thränen auch für die Ruhe der Seele 
Natalinens den Himmel anzuflehen. 
Oft rief er dabei aus: „Ich lebe für 
fie, und doch bedürfte vielmehr ihres 
Gebetes ih armer Sünder, der id 
ihren Tod veranlajste. Möge fie im 
Himmel für mich Fürbitte leiften. Ihr 
Platz kann nur im Schope de3 ewigen 
Friedens jein. Denn einmal und 
irgendwo muſs doch das irdifche 


und der Gruftftein ſchloſs ſich über ihr. Schickſal fih ausgleichen, und mur 
Denjelben Morgen kam Giovanni an. | zeitlich verbüftert, aber nicht ewig aus» 

Die Verzweiflung, mit welcher er | gelöfcht werden kann der Gnadenftrapl 
die Trauerfunde vernahm, ift nicht zu | der ewigen Liebe.“ 








Dismas. 
RN Eine Legende von P. R. Roſegger. 
4 erne ſinne ich über der heiligen ten. Alſo dachte Joſef, man könne 


Urkund. Und dort, wo die Bots nicht willen, was der gewaltige Hero— 

shaft zur Mythe geworden, des im Sinne habe. Lange blidte er 
jpinnt meine Seele der Dichtung Fäden ‚auf fein liebes junges Weib und auf 
an und lebt felig träumend die Zeiten das Knäblein, die fo ſüß ſchlummer— 
wieder, da der Himmel fih wob über ten im ihrem gemeinfamen Bette, als 


das Geheimnis der Krippe und des 
Kreuzes. 

Die heilige Urkund erzählt nus 
von jener Nacht. Joſef war aus dem | 


fe fein Feind auf Erden. — Wohin 
ſoll ich euch denn führen? jo Dachte 
er. Nach Nazareth zurüd? Dort haben 
wir die Heimat ſchon verloren und 


Schlafe gefahren und horchte. Es war |der König würde uns gerade dort zu 


in der Kammer dunkel und ſtille, und 
doh Hatte er deutlih eine Stimme 
gehört, die alfo ſprach: „Joſef, fteh 
auf, wede die Deinigen und fliehe. 
Der König will das Sind tödten 
lajjen. * 

Da Hatte der Mann in feinem 
Herzen eine große Bangigfeit. E3 war 
eine unheimliche Zeit im Judenlande. 
Der König, fonft hochmüthig und 
graufam, war von einer Reife nad 
Rom zurüdgelehrt und zeigte eine 
janfte, freumdlihe Gefinnung. Alle 
Knaben der Stadt Bethlehem und 
Umgegend, welche im Alter von zwei 
Jahren und unter zwei Jahren waren, 
wollte er bejchenken laffen. Die Müt— 
ter wurden eingeladen, ſolche Kinder 
in den Hof zu bringen, der umgeben 
war don dem Haufe der Soldaten, 
um einen Gnadenpfennig in Empfang 
zu nehmen für ihre Knäblein. Des 
freuten fi die Weiber und riefen: 
„Deil unferem König, der ftrenge und 
gütig if. Er lebe noch lange!” 


finden willen. Oder nad der Gegend 
hin, wo die Sonne aufgeht? Dort find 
die Männer der Wüſte und lauern 
dem Wanderer auf. Oder nad der 
Gegend, wo die Somme untergeht ? 
Dort find die unendlichen Waller, und 





wir haben fein Fahrzeug, um nad 
jenen Zauden zu fegeln, wo die Heiden 
leben, die milderen Herzens jind, als 
die Kinder des großen, finfteren 
Sehova. 

„Wede fie auf“, ſprach die Stimme 
das zweitemal, „und führe fie nad 
dem Lande der Pharaonen. Dort woh- 
nen die Völker der Gottlojen; ihr 
Glaube ift Wahn, aber ihr Wille ift 
gerecht. Dort, wo die Wellen des Nil 
alljährlich die Fluren bejegnen, dort 
wirft du Erwerb finden für dich, 





Sicherheit für dein Weib und Lehre 
für das Kind. Und auf denjelben 
Pfaden, auf welchen einſt Moſes und 
Jofua die Juden zurüdgeführt aus 
Egypten, wird euch Gott heimgeleiten 





ins Land der Bäter, wenn der Tag 


In der Naht mun, die diefem | gefommen iſt.“ 
Tage vorausgieng, hatte Joſef im Joſef wußste es nicht, wer jo ge— 
Schlafe das Wort gehört. Er erinnerte ſprochen Hatte, er forſchte auch nicht, 
ih, dafs ſchon vor zwei Jahren, bei |denn feine Seele ruhte vertrauend in 
der Geburt des Kindes, der König |den Armen des Herrn. Er legte nun 
ihm heimlich nachftellen ließ, weil die | feine Hand auf die Schulter der Ge— 
Weifen aus dem Morgenlande den |liebten und jagte: „Maria! Wade 
neugeborenen Knaben für den erwar= auf und erfchrid nit. Sammle die 
teten König der Juden angebetet hät- wenigen Dinge, die wir befiten, in 


Säcke, ih pade fie auf das Laftthier. 
Dann nimm das Kind. Wir wollen 
abreifen.* 

Maria ftrih das lange, feiden- 
weiche Haar aus dem blafjen Gefichte, 
jo dafs es mar, al3 ſchiene der 
Vollmond hervor zwiſchen Olbäumen. 
Ein wenig befremdlih war ihr der 
plögliche Entjchlufs des Eheheren, der 
Aufbruh um Mitternacht, aber fie 
jagte nichts. Sie that, wie Hofer be— 
fohlen hatte, nahm nachher das ſchlum— 
mernde Knäblein in die Arme und 
jeßte fih auf das Yaftthier, welches 
die Ohren jpißte darauf hin, was 
das für ein Tagewerk werden follte, 
weil e3 fo grauſam früh beginne. Noch 
einen Blid that Maria auf das Kleine 
Daus, wo fie zwei Jahre lang im hei— 
ligen Mutterglüd gelebt hatte, dann 
nahm Joſef Stod und Riemen und 
gieng leitend einher neben dem Thiere, 
das feine ganze Welt trug und feinen 
Himmel, und — den Himmel der 
ganzen Melt. 


Unter einem ſchwülen, bleigrauen 
Molfenhimmel lag die Wüſte. Ihre 
gelben, welligen Saudflähen waren 
wie ein erftarrtes Meer, das fein Ende 
hat und fern im Gefichtsfreife mit 
Icharfer Linie an die dunkle Himmels— 
jcheibe grenzt. An manden Stellen 
dieſes Sandmeeres ragten graue, zer— 
klüftete Felslegel hervor, und ſtumpf— 
kantiges Steingeſchiebe mit Höhlun— 
gen, oder auch vereinzelte Blöcke und 
Platten, die entweder in ſchiefer Lage 
oder eben wie ein Tiſch waren. 

Zwei ſolche Platten lagen faſt 
nahe nebeneinander, die eine war zum 
Theile mit gelbem Flugſand bedeckt, 
die andere ragte etwas aus dem Bo— 
den hervor. Auf jeder dieſer grauen 
Steinplatten lag ein Mann ausge— 
ſtreckt. Der eine, ein redenhafter, derb— 
jehniger Körper, lag auf dem Bauche 
und ftüßte mit den Fäuſten feine 
ihmwarzbärtigen Baden, dajs er halb 
gehobenen Gefichtes Hinftarren konnte 


über die öden Flächen der Wüſte. Der 
andere, Heiner don Geftalt, lag auf 
dem Rüden, bediente ji der Arme 
als Kopfkiſſen und richtete fein Ant» 
li dem düfteren Himmel zu. Beide 
waren in Gewandung der Beduinen 
und mit mancherlei Waffen verjehen, 
die in den Stleidern taten oder an 
denjelben hHiengen. Uber das Haupt 
mit dem wolligen Haar hatte jeder 
tein Tuch gelegt. Die Farbe des Ge- 
ſichtes war braun wie die Rinde der 
Pinie, die Augen waren groß und 
glühend, die Lippen wulſtig und roth 
und don ſchütterem Bartwuchſe ums 
Ichattet. Des einen Naje war jlumpf 
und plump, die des andern lang, dünn 
und Scharf gebogen. 


„Dismas“, jagte der mit ber 
Stumpfnafe, „was ſiehſt du am 
Himmel?” 

„Juſuf“, verſetzte der ambdere, 


„was ſiehſt du in der Wüſte?“ 

„Du bift ein wahrer Säulenbeili= 
ger geworden feit einiger Zeit”, jagte 
Juſuf. „Warteft du auf Mana, dus 
vom Himmel fallen fol? Mir krachen 
die Eingeweide, ih will jeßt zur Ka— 
rawanenſtraße hinab.“ 

„So geh. Ih will nad der Oaſe 
von Scheba“, jagte Dismas. 

„Dismas, ich Hafje dich“, mur— 
melte der andere. 

Dismas ſchwieg und ſchante un— 
verwandt in den Himmel hinein, der 
jo mild jonnenlos wie heute jchon 
lange nicht gewejen war. 

„Seit du mir nicht beigeftanden 
bift, da ich den Zug der Morgenläns 
der anhalten wollte mit meinen Knech— 
ten, ſeitdem Haffe ich did. Sie hat— 
ten viel des Näucherwerles und der 
foftbaren Specereien mit ſich geführt 
und Gold. Mit einem Zuge hätten 
wir eine Habe gewonnen für manches 
Jahr und du —“ 

„Fromme Pilger, die in fremde 
Lande ziehen, um den Meſſias zu 
juhen! An ſolchen vergreife ich mich 
nit. Suche ich doch jelbit den Mei: 
ſias.“ Alſo ſprach Dismas, 








” 417 


„Da, da, hal“ lachte der Stumpf— 
naſige auf und bohrte ſein ſpitzes 
Kinn in die Fauſt. „Den Meſſias! 
du glaubſt noch das Märchen der 
traumſeligen Ahnen. Schwärmeriſcher 
Schwächling, der du biſt. Siehſt du 
es denn nicht, daſs Keiner mehr Zeit 
hat, um auf den Meſſias zu warten, 
daſs alles haſtet und ſtreitet, um ſei— 
nen Theil zu erlangen von den Schätzen 
und Freuden der Erde?“ 

„Alſo Habe ich's auch gehalten, 
mandes Jahr”, antwortete Dismas 
wehmuthsvoll. „Meine Herde hatte 
ich verlaffen, um dir zu folgen. Seide 
und Gejchmeide hatte ich erobert in 
der Wüſte, und die Tage ſchwanden 
trogdem. Mit allen Schätzen fonnte 
ih mit eine einzige Stunde auf— 
halten; im Mohlleben ſchwanden die 
Tage nurnoch rafcher. Nicht erkämpfen 
wollte ich das Erdenleben, aber feit- 
halten möchte ich es mir, denn es ilt 
eine Wonne zu fein. O, vergebens, 
vergebens! die Tage ſchwinden. Alſo 
babe ich mich entfchloffen, mein Leben 
und Gewiffen nicht auf eine Zeit zu 
ftellen, die fo vergänglich ift, ſondern 
auf eine Zeit, die in Ewigkeit währt. 
Eine jolhe Zeit kam mur der Mef- 
ſias bringen.” 

Juſuf that, als prejie er fein An— 
gefiht in den Stein und fagte mit lü— 
ferner Selbfibefriedigung: „Wir Haben 
nur das eine Leben, das wir haben, und 
ein anderes finden wir nimmermehr.“ 

„Wenn es jo wäre, wie du ſagſt“, 
verfeßte Dismas, „jo müjsten wir 
dieſes eine Leben erſt recht groß und 
heldentreu verbringen,“ 

„Wenn es jo ift“, fagte der an— 
dere, „das fein anderes Leben mehr 
zu finden, jo müfjen wir diefes eine 
Leben geniehen. Unſerer Natur ges 


mäß! Entfagung ift Sünde, Genufs Juſuf mit höhnendem Lade, 


iſt Pflicht, weil die Natur uns Sinne 
gegeben Hat, um zu genießen.“ 
„Sp denten fchlehte Menfchen”, 
ſprach Juſuf. 
„Es gibt keine ſchlechten Menſchen“, 





Genoſſe, betrachte das Lamm, es thut 
niemand etwas zuleide, es läſst ſich 
lieber vom Löwen zerreißen, als es 
den Löwen zerriſſe. Iſt es deshalb gut? 
Nein, es iſt bloß ſchwach. Und der 
Löwe, der das Lamm tödtet, um es 
zu verzehren, ift er deshalb böje? 
Nein, er ift ftarl, und darum Hat er 
recht, den Schwachen zu verzehren. 
Die einzige Tugend ift die Stärke, 
das einzige gute Werk ift, die Schwa= 
hen auszurotten.“ 

Als dieſer Menſch alſo geiprochen 
hatte, wendete der andere ſein Auge— 
ſicht herüber und ſagte: 

„Was ſind das für unerhörte 
Reden? Derlei Reden habe ich noch 
nie gehört. In weſſen Herzen ſind 
fie geboren?“ 

„Nicht im Herzen ſind ſie gebo— 
ren“, ſagte Juſuf, „denn das Herz 
iſt dumm und das Herz iſt ſchwach. 
Im Haupte ſind ſie geboren, wo die 
Klugheit iſt und die Stärke. — Dis— 
mas! Wenn ich in den Höhlen der 
Wüſte wohne und thatlos ſein muſs, 
da ſinne und forſche ich. Ich zer— 
ſchlage die Steine, um ihr Weſen zu 
ergründen. Ich zerpflücke die Pflanzen 
der Dafe, um fie zu erforſchen. Ich 
betrachte das Innere der Thiere und 
ich zerftüde den Menfchen, den ich ge= 
tödtet Habe auf der Straße und er- 
forſche ſein Fleiſch. — Ich finde, daſs 
es anders iſt, als die alten Schriften 
ſagen. Der menſchliche Leib iſt dem 
thieriſchen an Geſtalt ähnlich, an 
Stoff gleich. Eines wie das andere 
iſt elende Creatur.“ 

Durch Dismas' Körper gieng ein 
Schaudern. Er richtete ſich auf, hob die 
Arme gegen Himmel und rief: „O Derr 
in den heiligen Höhen, rette mich !* 

„Rufe nur die Sterne an!“ fagte 
„da 
fommft du an die Rechten! Sie wiljen 
nichts don dir und willen nichts don 
deinem Gott. Sie find aus gemeinem 
Staube und Stoffe, der feinen Geift 
hat. Sie felber und alles auf ihnen 


jagte Jufuf. „Und auch feine guten. leben in dem fchredlichen ſchmutzigen 


Rofeuger’s „„Heimonrien‘‘, 6. Üeft. XV, 


27 


wis __ 


Streite wie unfere Erde und alles auf 
Erden. Ha wille, die ganze Welt ift ein 
Kehrichthanfen mit Ungeziefer, font 
nichts.“ 

Dismas jap mit gefalteten Händen 
auf feinem Stein und war blaf3 wie 
ein Leichnam, 

„Juſuf, mein Genofje”, jagte er 
endlich, „aus dir fpricht der böfe Engel. * 

„Warum lobit du ihn nicht, Dis- 
mas, warum jauchzeft du nicht? — 
Meine Votjchaft Hat dich erlöst. Der 
du argloje Wanderer überfallen, ges 
tödtet und beraubt Haft, die ewige 
Hölle wäre dein Gewinn. Meine Bot: 
Schaft ift ftark und reißt die Hölle ein.“ 

„Sch hörte einen Profeten in der 
Wüſte, der fprah: Einer von Gott 
verhängten Berdammmis kann man 
entfliehen durch die Buße. Deiner 
Verdammnis kann man nicht entfliehen. 
Dafs wir feinen allmädtigen Herrn 
hätten! — Dass wir wie ein Kehricht— 
haufen verloren jein jollten — wie 
furchtbar, furchtbar!“ — 

„Benofie Dismas, dein Stlagen 
unterhält mich nicht“, fagte der au— 
dere und ftand, auf Knien und Ell— 
bogen ſich ftügend, wie ein Vierfüßer 
da. „Was Wichtigeres liegt mir jebt 
au. BDunger habe ich.“ 

Dismas jprang von feinem Stein 
und ſchickte fih an zu fliehen. — 
Wenn er Hunger bat, alfo dachte 
Dismas, jo wird er mich nad feinem 
neuen Glauben tödten und verzehren. 

Juſuf hatte eine lauernde Stel- 
lung angenommen und flarrte mit 
Adleraugen hinaus in die Wüſte. — 
Port zwifchen Felsklötzen war ein 
rothes Flämmlein fichtbar geworden, 
Tas bewegte fih und famı näher. Das 
Hlämmlein war das rote Gewand 
einer rau, die auf einem Laflthiere 
ſaß und ein Kind am Arme trug. 
Mebenher jchritt ein Mann, welcher 
au einem Stabe mühſam Hinfte und 
das Thier leitete, 

„Dismas, da gibt’3 Leute!” ſprach 
Juſuf mit ſcharfem Zifchlaute und 
fafäte den Griff feiner Waffe. „Ver: 


bergen wir uns Hinter dem Stein, bis 
fie heraukommen.“ 

„Aus dem Hinterhalte willft du 
diefe waffenlojen Leute überfallen ?” 
jagte der andere. „Dafür follft du 
dih ſchämen.“ 

„Du wirft michelfen, fie zu faljen !“ 
befahl Juſuf mit drohender Geberde. 

„Wenn du das Beil nicht ziehft 
gegen fie, jo werde ich dir Helfen,“ 

Mittlerweile war die kleine Gruppe 
nähergefonmen. Der Mann und das 
Laſtthier wateten tief im Sande, der 
ftellenweife über den fahlen, ruppigen 
Geftein fortgefegt, ftellenweife in Hohen 
Schichten zujammengeweht war. Der 
Führer hatte die Gruppe in einen 
haftigeren Lauf gebracht, al$ es für 
die noch vorhandenen Kräfte gut war, 
denn er Hatte die Straße verloren, 
hielt e3 aber geheim, um die Frau 
nicht zu ängftigen und ließ feine 
Augen in den Weiten umherſchweifen, 
um den Weg wieder zu enideden. 
Bis zur Dafe von Deicheme follte es 
noch gehen an diefem Tage. Dort wollte 
er mit den Seinigen unter einem Dattel- 
baume Raft halten und Nahrung ſam— 
meln. Nun ſah er bier oben auf den 
Steinblöden zwei Männer ftehen, die 
Hoch Hineinragten in das Firmament. 

„Gelobt ſei Gott!“ ſagte der 
Manı, genannt Yofef der Nazarener, 
„diefe Männer will ich fragen nad 
der Straße, die gen Dejcheme führt. 

Jedoch bevor er fragen konnte, 
fliegen fie raſch herab. Der eine fajste 
den Riemen des Laftthieres, der an— 
dere ergriff den Arın Joſefs und ſagte: 
„Was ihr bei euch Habt, das müſſet 
ihr uns geben.“ 

Joſef erjchrat, das junge blaſſe 
Weib auf dem Laſtthiere ſandte einen 
flehenden Blick zum Himmel empor; 
das Knäblein, welches auf ihrem Schoße 
ſaß, ſchaute mit ſeinen großen klaren 
Augen treuherzig drein und fürchtete 
ſich nicht. 

„Wenn ihre Brot mit euch führt, 
fo gebt uns davon“, ſprach Dismas, 
der das Thier hielt, zu Joſef. 





+19 


„Thor“, jagte Hierauf Juſuf, der 
Stumpfnafige, zu feinem Genojjen, 
„alles, was da ift, gehört unjer. An 
uns liegt e&, ob wir ihnen etwas 
geben wollen. Des ſchönen Weibes 
willen jchenfe ich ihnen das Wert 
vollite — das Leben.” 

Und nun begannen fie die Säde 
vom Laftthiere zu löfen; Juſuf nahm 
dem erfchöpften Wanderer den Mantel 
weg, langte nach dem Tuche, welches 
die Frau über fi) und das Kind ge— 
ihlagen hatte, wie ein Schirmdad). 

„Seht eilet hinweg! Eilet raſch 
hinweg!” jagte Dismas zu den armen 
Leuten. 

„Oho!“ rief Jufuf. „Wir bleiben 
beilammen bis morgen, wenn der Sa: 
mum fireiht. Set gegrüßt, jchöne 
Magd, du follft Heute ruhen in une 
jerenn Haufe.“ 

Er riſs dem Dismas den Riemen 
aus der Hand, führte das Thier mit 
Mutter und Kind zwifchen den Stei- 
nen hinab gegen eine Höhle. Joſef 
ihaute auf die ſchweren Waffen der 
Männer und folgte mit Betrübnis, 
Dismas folgte widerwillig, aber er 
blieb nicht zurüd. 

Als die Schatten de3 Abends 
famen, alfo, daj3 die gelbe Sandwüſte 
fahl ward und der Himmel duntel, 
als die Steinblöde und Felskegel da— 
fanden, wie finftere Ungethüme, waren 
die Wandersleute verwahrt in den 
Tiefen der Höhle. Bor derjelben ſaß 
das Maulihier, legte jein großes Haupt 
in den Sand und ſchlief. Daneben 
fauerten die beiden Räuber und ver— 
zehrten, was fie jenen hatten abges 
nommen an Wegzehrung. 

Dismas hatte einen jchmalen, 
irdenen Krug in feinem Mantel ge= 
tragen, der jorgfältig verftopft war 
am Hals, Als Juſuf jolchen bemerfte, 
firedte er die Hand darnach aus, ent— 
torkte das Gefäß und goſs welches von 
dem Inhalte in feine Gurgel hinab. 
Der Eigenthümer hinderte ihn nicht 
daran, griff aber um fo lebhafter zu 
bei den Datteln und Feigen. 


„Die Gäfte wollen wir ebenfo red— 
ih teilen“, fagte Juſuf. „Genoſſe, 
du Jollft den Mann und das Find 
haben.“ 

„Es find Baterr, Mutter und 
Kind“, antwortete Dismas, „fie ge= 
hören zufammen und wir wollen jie 
Ihonen,“ 

„Ufo ift meine Meinung nicht“, 
ſagte Jufuf. 

„Dann werde ich fie vertheidigen.“ 

„Alfo wollen wir um fie ringen“, 
ſagte Juſuf. 

Denn er ſaß feſt im Sattel ſeines 
neuen Glaubens, dafs die Stärke das 
Recht jei. Dismas aber ſchwieg und 
wartete, bis der Genofje noch einige- 
male getrunten hatte aus dem irdenen 
Gefäß. Und als Juſuf oftmals ge- 
trunfen Hatte und heiter ward, jagte 
Dismas zu ihm: „Bruder, jet wäre 
ich gelaunt zu einem Spielchen.” 

„Genofje, das ift ein guter Ge— 
danke”, lallte Juſuf, aus feinem Sade 
die Würfel Holend, „um mas ſpie— 
fen wir?“ 

„Um den Ejel.“ 

Juſuf Schleuderte die achtedigen 
Steinden, fie fielen auf den ausge— 
breiteten Mantel. Der Ejel war jein. 

„Um was geht’3 aufs Zweite?“ 

„Um den alten Mann und den 
Knaben.“ 

Die Würfel fielen, Yufuf johlte 
fröplih auf; der Gewinn war des 
Dismas. 

Zum Dritten galt es die junge 
Frau, welche arglos in der Höhle 
Ihhlief, an ihren Bufen gebrüdt das 
jüße Kind, 

Sie ſchleuderten die Würfel und 
prüften beim legten Dämmerjtrahle 
des Tages die Augen. Dismas Hatte 
deren neun geworfen, Juſuf deren 
eilf. Der lebtere ſtieß einen Schrei 
des Entzüdens aus. 

„Willſt du nicht mehr trinken?“ 
fragte Dismas, die Hand nad den 
Kruge ausftredend. 

„3a, ich will noch trinken“, gröhlte 
der andere und riſs das Gefäß wieder 

27* 


420° 


an fih. Er trank den Neft in einemjund That belehrte, wie man lebt von 
langen Zuge aus. Hernach wollte er dem, was andere erwarben, und wie 
aufftehen und in die Höhle treten, tau= | man, anftatt jelber zu verhungern, 
melte aber auf den Sand zurüd, blieb | andere für fich fterben Täjst. Arglos 
liegen und fchlief ein. folgte er dein redegewanbdten und that= 
Dismas blieb ein Weilchen ruhig | bereiten Meifter und mit Schreden 
fißen zwiſchen den beiden Thieren, mufste er eines Tages inne werden, 
wovon er das vierfühige einigermaßen | dafs er weiter war, als alle Mit- 
für Hüger und vornehmer hielt, als jchüler, die er in feiner Jugend ver- 
das zweifühige. Dann gieng er leifen | achten gelernt. Er hatte nicht die Art, 
Schrittes in die Höhle und mwedte die] fi zu betäuben wie fein Genofje, er 
drei Menfchen aus dem Sclafe. Er hörte die Anklage feines Gewiſſens, 
hatte damit mohl feine Noth, denn | aber lauter als dieje ſprach die Stimme 
die Müdigkeit und Erfhöpfung hiel- | der Selbfterhaltung und die Verlockung 
ten ihnen die Augen Schwer verfchloffen, | der Wüftenbrüder, mit denen er fi 
die Glieder feft gebunden. Doch gelang | zeitweilig verband, Allen anderen war 
es ihm, fie wach und bereit zu machen | bei ihrem räuberiſchen Handwerfe ganz 
zu neuem Wandern in der tiefen Nacht. | wohl zummthe, allein er litt, denn er 
Als Mutter und Kind auf dem Laft wuſste, dafs feine Thaten mit ſei— 
thiere jagen, fagte Dismas zu Joſef, nem Willen nicht übereinftimmten. 
er möge fih mit der Hand enge an| Oft Hatte er fich vorgenommen, Um— 
den Eattel halten, damit er nicht! Fehr zu halten, aber er war zu ſchwach. 
ftrauchle; er ſelbſt leitete das Thier,, — Alſo war diefer Tag gekommen 
und fo zogen fie leife hinweg von der| und diefe Naht, da er die arme 
Höhle, an deren Eingang Juſuf, der Wanderfamilie von großer Gefahr be= 
Stumpfnafige, in die Betäubung ſei- hütete und dur die Wüſte führte. 
ner Völlerei verſunken, ausgeſtreckt lag. Als fie ſtundenlang durh Sand 
Die MWolten des Himmels Hatten) gewatet, über Steine geflettert waren, 
fih aufgelöst, ein fternenhelles Zelt | leuchtete im Oſten der goldene Strei— 
ſpannte fi über die Wanderer. Eins | fer des aufgehenden Tages, und im 
tönig trabten fie dahin; feines ſprach diefem Streifen fanden die dunklen 
ein Wort. Dismas war in Gedanken | Büfhe und Bäume der Dafe von 
verfunten und dabei war ihm jo wohl! Dejcheme. 
und jelig ums Herz, wie es ihm in Hier überlieg Dismas die Wan 
jeinem Leben bisher nie geweſen. Ver- |; derer ihrer fiheren Straße, um zurüd- 
gangener Tage gedadhte er da er ebenfo| zufehren zu feinem Genofjen. Als er 
wie dieſer Knabe, im Schoße feiner! mit einem Segenswunſche für ihre 
Mutter gejeffen, fern in der arabijchen | weitere Reife ſich wendete, traf ihn 
Wüſte. Mand heiliges Wort der Väter) von den leuchtenden Nuglein des Kna— 
trug er noch in feinem Herzen; es ben ein Blid, vor dem er heftig er= 
fladerte nur mehr wie ein Amplein, ſchral. Ein Schred der Wonne war 
wen das DI zu Ende geht. Später) es. Nie bisher hatte ihm ein Kind, 
war er zu den Söldnern des Königs ein Menjch, mit jo herzinnigem Auge, 
Herodes gegangen. Aber den römiſchen jo dankbar, fo Liebreih und jo treu 
Hochmuth konnte der freie Sohn der, angeblidt als diejes Knäblein, das 
Wüſte nicht ertragen, er floh wieder] im Schofe des armen Weibes ſaß, 
in die fleinigen Oden feines Mutter: | das holde, lodige Haupt nad ihm 
fandes und weidete Herden. Dann ‚ gewendet, die Ärmchen ausgeftredt in 
fiel er in die Hände jenes Gejellen, | Sreuzesforn, ald wollte es ihn um— 
deſſen Sinn noch wüſter war als die) armen. — Die nie wollten ihm 
Wüſte jelbft, und der ihn mit Wort brechen, ftöhnend, als jet ein Blitz— 








42] 


ftrahl niedergefahren au feiner Seite, \er verzweifelte. Bon einer Räuber— 
mit beiden Händen den Kopf haltend, | bande hatte er gehört, die ſich um 
jo floh er davon. Er wujste aber nicht, ‚einen wilden, herriſchen Mann ges 
warum er floh, denn am liebften wäre | chart hatte, die Wüſte durchzog und 
er bingefallen vor. diefes wunderbare | die Karawanen anfiel. Nachdem Dis» 
Kind und hätte gefleht, es begleiten mas noch mancherlei Wege gegangen 
zu dürfen al3 Hüter auf allen Wegen. | war und ihn fchließlich jeder immer 
Aber wie ein Gericht war es, das ihn | wieder zu Raub und Mord geführt 
fortſtieß von dieſer Stätte und zurück hatte, ſuchte er die Bande auf, um 
in die — der Wüſte. ich mit ihr zu vereinigen. Unheim— 
liche Gefellen, wie er fie noch nie ge= 

Dismas war gr mehr zurüd= ſehen, waren da beijammen, alle er— 
gelehrt zu feinem Genoſſen Jufuf. — | denflihen Lafter und Verbrechen vers 
Faſt noch geblendet von dem Kindes» übten fie mit der Einfalt und Herz— 
auge hatte er die Richtung eingefchla= haftigkeit eines Menjchen, der gute 
gen nah der Daje Scheba, um dort! Werke verrichtet. Ihren Hauptmann 
ein ehrliches Leben zu juchen. Doch, vergötterten fie, denn lieb war ihnen 
es ließ ihn nicht lange bleiben auf! feine Lehre, dafs alles erlaubt jei, 
der Oaſe, er hatte Heimmeh nach der was die Sinne verlangen und die 
Wüſte. Er Hatte feit jenem Morgen | Stärke vollbringt. Als Dismas vor 


ein Menjchenauge gefucht, das an Huld 
und Liebe gleich wäre dem Blide 
des fremden Kindes. Er hatte feines 
gefunden. So dachte er, vielleicht finde 
er es wieder in der Wüſte. Daſs er 
ein Straßenräuber nimmer fein werde, 


das war fein Vorſatz. In einer Höhle | 


wollte er als Einfiedler leben, fich 
nähren von Heufchreden und wilden 
Honig und ein Büßer fein. 

In friedfamer Beſchaulichkeit lebte 
er num dahin und jedem Pilger, der ihn 
aufjuchte, blidte er dürftend nad) jenem 
wunderfamen Blid vergeblich in's Auge. 

Jahr um Jahr wohnte er in der 


Höhle, doch einmal war es, dafs die, 


den Hauptmann geführt wurde, er= 
fannte er an ihm feinen ehemaligen 
Genofien Juſuf, den das Alter nur 
noch wüſter und finfterer gemacht 
hatte. Der Hauptmann aber erkannte 
ihn nicht, weil Dismas im Elende 
gar verfommen, gebrechlich gewor— 
den war. 

| Darum fagte auch der Haupt— 
mann: „Fremdling, dich foll ich auf: 
nehmen in meine Schar? Mit einem 
hinfälligen Klumpen foll ich mich be= 
laden? Bift du Hug, willſt du dir 
und anderen einen Dienft leiften, jo 
lege dich auf einen Stein und laſſe 
dich verzehren von den Geiern. Denn 








Heufchreden ausblieben und er nicht du biſt allen zur Laft. Die Vögel des 
wilden Honig fand. Die Betrachtun- Himmels aber werben durch dein Fleiſch 
gen, wie Profeten und andere Weijen | gejättigt und gefräftigt fein und aljo 
fie ihm vorgedacht, Halfen nicht viel, nügeft du der Creatur.“ 

er wurde Hungerig bis zur Wajerei. Auf ſolche Rede fagte Dismas: 
Und als eines Tages ein Laienbruder „Starter Hauptmann! Ic, der Schwäch— 
fam, um bei dem frommen Einſiedler ling, habe eine Stärke, die du nicht 
Erbauung und Troft zu fuchen, tödtete haft. Auf der Oaſe Scheba ruht zur 


ihn Dismas, um die Nahrung zu nehe 
men, die jener bei ſich getragen. 


Nach diefer Unthat und nach der, 
Stillung des Hungers ſchrie Dismas 


auf, als wäre er ein Wahnfinniger 


geworden. Er ſchrie vor Schmerz über 
jeine verlorene Seele. Er verzagte und. 


Zeit ein Fürft, der unermejsliche Reich— 
thümer mir fi führt. Ich weiß Bes 
Icheid und kann dich einmweihen und 
dich leiten, wie du mit deiner tapferen 
Schar diefe Beute gewinnft.“ 

Nun nahm der Hauptmann den 
Fremdling auf, ſättigte ihn, erwies 





ihn Ehren, und kurze Zeit hernach 
bewegte fich der Räuberzug gegen die 
Daje von Scheba. 

Dismas dachte bei fih: Starker 
Hauptmann, nun wirft du bald finden, 
was dir gebührt. Wir alle werden fine 
den, was und gebührt. — Denn auf 
der Dafe lagerten zur Zeit Legionen 
von römischen Soldaten. Dismas lei— 
tete die Bande alfo, daſs fie in der 
Hoffnung, einen großen Raub zu thun, 
mit Mann und Hauptmann in die 
Gewalt der Legionen fiel. 

Als der Hauptmann ſah, dafs er 
gefangen war, begann er zu rafen 
gegen Dismas. Solder aber antwor— 
tete: „Was willft du denn? Bin doch 
auch ich gefangen. Sie find eben die 
Stärleren und werden alſo wohl recht 
haben.” 

„Du bift ein Spion, den die Söld- 
ner ausgefandt Haben, um uns zu 
verderben!“ 

„Hauptinann, da irrſt du!“ ſprach 
Dismas. „Ich bin wirklich einer der 
deinen und bin zu dir in die Schule 
gegangen. Sollteft du mich in der 
That nicht wieder erkennen?“ 

„Dismas!“ rief der Hauptmann 
nun aus. 

„a, Dismas, den du verführt 
haft. Du führteſt mich, den ſchuld— 
lojen, vertrauenden Jüngling, einft 
in die Mördergrube, ich dich jet an 
das Hochgericht. Du follft erfahren, 
was noch ftärker ift als deine Stärke — 
die Gerechtigkeit.“ 

Nah folhen Reden Hätte Yufuf 
den Mann erdrofjelt, wenn ihm nicht 
die Hände wären gebunden geweſen 
mit fchweren fetten. 

Die Miffethäter wurden im die 
Hauptftadt des Judenlandes gebradt. 
Dort im tiefen Kerker lag Dismas 
und hielt Rückſchau auf fein verlore= 
nes Leben. — Gelobt fei Gott, daſs 
es vorüber ift! fo fann er in feinem 
zerfnirfchten Gemüthe. Nur eins, ein 
einziges möchte ich noch einmal erle= 





ben von diefem unfeligen, finfteren 
Sein, einen Augenblid! den Heiligen, 
troftreichen Bid jenes Knaben in der 
Wüſte möchte ich noch einmal jehen, 
bevor ich ſterbe ... 

Die Raubhorde war zerftreut und 
an verfchiedenen Orten Hingerichtet 
worden. Die beiden Hauptperjonen 
wurden vorbehalten für das Ofterfeft, 

Und al3 die Tage der ungeſäuer— 
ten Brote kamen, ward Dismas eines 
Morgens aus dem Kerker geführt und 
hinauf zur Schädelftätte. Er wußſste 
wohl, was es bedeutete und gab ji 
bin in ftumpfer Hoffnungslofigkeit. 
Sie entblöhten ihn der Kleider, war- 
fen ihn auf den Holzbalfen und ſchlu— 
gen ihn ans Kreuz. Als fie ihn auf: 
richteten, fab er, dafs mit ihm noch 
zwei andere gefreuzigt wurden, Jufuf 
der Hauptmann, und ein noch junger 
Menſch, den fie den Profeten, den 
Zauberer, und fpottend den Gottes— 
ſohn nannten. Juſuf wand fih am 
Kreuze knirſchend und läfterte ſchreck— 
bar verzerrten Gefichtes Erd’ und Him— 
mel, wie er es tm Leben gethan. — 
Er hieng zur Linfen des Profeten, 
Dismas zur Rechten. Der Profet rich» 
tete fein Haupt gegen Himmel und 
betete für feine Feinde. 

Das hörte Dismas und wendete 
fih nad ihm, 

Der Profet neigte fein Haupt und 
blidte auf den Mörder zur Rechten. 
Ein heißer, feliger Schauer gieng 
dur das Herz des Miffethäters; wie 
der Gefreuzigte jo auf ihn hinſchaute, 
brechenden Auges, das war jener uns 
vergefsliche heilige Blid des 
Knäbleins in der Wüfte. Dismas 
hub zu weinen an und rief: „Herr, 
du bift vom Himmel, Gedente mein!“ 

Und der zur Mitte ſprach: „Beute 
noch wirft du bei mir fein im Paradiefe!“ 

Da geihah es, dafs die Erde 
bebte, die Sonne auslofh am Himmel. 
Und während diefe Schauer durch die 
Natur giengen, ift Dismas geflorben. 








Der „Halt“. 


Ein Bild aus der Theaterwelt von Yulius Freund. *) 


€ r foınmt! Er kommt!“ Endlich, höchſte geftiegen, „läjst er alle Bedenken 
endlich hat das Kreisblatt die fallen, folgt dem innigen Herzensbe— 
CH) definitibe Mittheilung gebracht | dürfnis, die lieben Triefelwiger wieder 
— die kunſtliebende Bevölkerung | einmal begrüßen zu fönnen“ und — — 
des Städtchen: athmet freudig auf kommt ſchließlich doch! 
— — er kommt! Was für wider— Bon jetzt an berichtet das Kreis— 
ſprechende Notizen hat man aber auch | blatt nicht mehr kalt und förmlich don 
während der legten Wochen in der! Herrn Pofert, mein — es legt ihm 
Kunftrubrit leſen müſſen; „Unſerer das künſtleriſche Adelsprädicat „unſer“ 
Stadt ſteht eine freudige übertaſchung bei: „Unſer Poſert wird als erſte 
bevor. Der große Charakterdarſteller Rolle den »Lear« ſpielen.“ — „Unſer 
Poſert wird auf der Nüdreife von Poſert trifft übermorgen bei uns ein.“ 
Petersburg wo er natürlich wieder! — „Unfer Pofert weilt feit geftern 
mit Ehren und Gejchenten überhäuft in unferen Mauern.“ 
worden ift, für einige Tage bei ung Ganz Triefelwig ift in Aufregung, 
eintehren und ein kurzes Gaftfpiel ab: |an allen Eden prangen innmenfe Plas 
folvieren. Poſert hat dem Director cate, man ftürmt den Vorverkauf, der 
des Stadtiheaters unter anderem ge» | Director reibt ſich vergnügt die Hände, 
ſchrieben, dafs er nirgends lieber ſpiele und nur eine Heine ärgerliche Gemeinde 
al3 gerade bei uns, jeit den erften nimmt an der allgemeinen Freude 
Anfängen feiner Künftlerlaufbahn achte | feinen Antheil, jondern fieht mit recht 
und ſchätze er befonders das feine Ver- mürrifchen, ungaftfreundlichen Mienen 
ſtändnis, den durchgebildeten Kunft= |dem Ankömmling entgegen, mit dem 
ſinn des hieſigen Publicums.“ Poſert | jie— leider! während der nächften Tage 
Ichreibt dieje Phrafe an jeden Director, | in fehr intime Berührung treten mufs, 
er weiß genau, dafs fie im Stadtblatt | die Heine Gemeinde — der Schaufpieler. 
abgedrudt wird und ſtets einer vor— Den Herrſchaften Fehlt augenſchein— 
trefflihen Wirkung fiher if. Dann |lih das Organ für die Erkenntnis 
beginnt Pofert die „Kunſtrubrik“ in der Poſert'ſchen Größe. Sie fennen 
fteigende Aufregung zu verjegen, mor- | ihn zu genau, den ruheloſen Wanderer, 
gen „verlängert er vorläufig, dem|den „Ahasver der Bühne“, der es in 
ftürmischen Berlangen der Bevölkerung | feinem geregelten Engagement auf die 
nachgebend, jein Gaftjpiel in Peters- Dauer aushält, weil er feine anderen 
burg, übermorgen „Stellt er jein Gaſt- Götter neben ſich dulden mag. 
ipiel in Trieſelwitz überhaupt infrage“, Ihm der Applaus, ihm der Lor— 
nad einer Woche läfst er fi „von den | beer, ihm die guten Rollen, die Act— 
beforgten Ärzten eine Erholungsreife ſchlüſſe, die Kraftitellen — er würde 
nah dem Süden verordnen“, nad) vier= | am liebften die claffiichen Dramen als 
zehn Tagen erklärt er die Gaſtſpielver- „Solojcherze” bearbeiten. 
bandlungen „für endgiltig gejcheitert” Wie ein Riefe will er über die 
und d enhlid, wenn die Erregung aufs | Collegen Hinausragen, in einfamer 


*) Aus deſſen prädtiger Sammlung: „Bühnenfterne*. Berlin. 3. H. Scorer. 


424 


Hoheit, — „Naht muſs es fein, wo 
Boferts Sterne ftrahlen”, hat einmal 
ein fatirifch veranlagter Ehargenipieler 
citiert, mit Bezug auf die befannten 
drei Sterne (*,*) hinter dem fettge- 
drudten Namen des Gaftfpielvirtuojen. 

Seit Jahren kennen die Herren 
und Damen von der Bühne all die 
fleinen pikanten Anekdoten und Hiftör- 
hen, die jedesmal den Gaftjpielen 
Poſerts vorausflattern, fie fennen den 
foftbaren Pelz, „das Gefchent des 
Czaren“, und haben aus zuverläffiger 
Quelle erfahren, dafs derfelbe in 
Berlin in der Potsdamerſtraße gekauft 
worden ift, fie willen genau, wie der 
jilberne Kranz ausfieht, den ſich Poſert 
nad) der Abjchiedsvorftellung vom Or— 
hefter aus auf die Bühne reichen läſst, 
und copieren die Handbewegung, mit 
welcher der gerührte Gaft fich bei dem 
jubelnden Bublicum zu bedanken pflegt 
— erſt nah dem Herzen und dann 
nach den feuchtichimmernden Augen — 
in geradezu täuſchender Weile. Die 
guten Lentchen Haben übrigens recht, 
wenn fie jehr ärgerlich find, eine Hetz— 
jagb von Proben ftedt ihnen bevor, 
die Bewältigung eines enormen Rollen— 
materiales wird ihnen zugemuthet, 
jeden Abend wird ein neues Stüd 
„herausgebracht“, dabei müſſen fie fich 
ſclaviſch unterordnen und dürfen faum 
den Verfuh machen, irgendwie ihre 
eigene Individualität wirken zu laffen. 
Die beiten Stellen werden ihnen ge= 
ftrichen, alteingelernte, feftfißende Rollen 
müſſen fie „umftudieren“ nach der ſpe— 
ciellen, mitunter höchft eigenthümlichen 
Bearbeitung Poferts, und wehe ihnen, 
wenn fie einmal ein wichtiges Stich— 
wort nicht bringen, — der Vorwurf, 
„dafs fie den Abend geworfen haben“, 
ift dann der gelindeite, den fie von 
den Lippen des erzürnten Bühnen 
gottes zu hören befommen, Nur ein 
paar naiven Anfängern und Anfän- 
gerinnen jchlägt das Herz höher in 
freudiger Erwartung, fie erhalten durch 
das Gaftjpiel endlich ein paar claffifche 
Rollen, fie hoffen die Aufmerkſamkeit 


— —— — — — — — — —— — — — — —— —— — — — — —  — — — —— — — 





des großen Mannes zu erregen, ſeine 
Protection zu gewinnen und durch ihn 
endlich in den Beſitz des heißerſehnten 
Hoftheatercontractes zu gelangen. 

Es iſt ein eiſig kalter Wintertag. 
Auf den Straßen liegt hoher Schnee, 
die Bärte gefrieren zu Eiszapfen, 
Trieſelwitz macht einen furchtbar öden 
Eindruck und nur hie und da rennt 
ein durchfrorener Bürger, deſſen Ohren 
und Naſenſpitze ziegelroth aus dem 
aufgeftülpten Mantelkragen hervor— 
leuchten, den allerdringlichſten Geſchäf— 
ten nach. 

Jener blutjunge Mime, den ſeine 
übelbeftellten Garderobenverhältniſſe 
dazu zwingen, in Sommerröckchen und 
Lackſchuhen nach dem Theater zu wan— 
dern, würde überall Senſation erregen, 
wenn die Straßen und Gäjshen nicht 
gar jo menjchenleer wären. 

Der junge Mime überjchreitet den 
Hof des Theaters, klimmt die enge, 
dunkle Bühnenftiege Hinan und erftaunt 
ungemein darüber, dafs er die Probe 
noch nicht in vollem Gange findet. 
Er Hat erſt im dritten Act zu thun 
und fürdhtete beinahe zu jpät zu 
fommen. In erregter Converſation 
ftehen die Gollegen und Colleginnen 
bei einander, aus dem Stimmengewirr 
Hingen einige kurze, energijch betonte 
Sätze mit befonderer Deutlichkeit her— 
vor, z. B.: „Das ift eine ganz ſtraf— 
würdige Rüdjichtölofigfeit ; glaubt der 
Mann etwa, wir ließen uns zum 
Narren haben!“ 

„Ich warte höchſtens noch Fünf 
Minuten, dann gehe ih nad Haufe.“ 
— „Wo ift der Theaterdiener? Ich 
Ihide dem Director meine Rolle zus 
rüd.“ Die Naive markiert einen Hu— 
ften, der Heldenvater geht mit Rieſen— 
Ihritten auf der Bühne umher, wie 
ein gereizter Löwe, die komische Alte 
beflagt fih im den bitterften Worten 
darüber, daſs nicht einmal im one 
verfationgzimmer eingeheizt worden fei, 
und der grollende Charafterfpieler, 
dem Poſert die beften Rollen vor der 


— — — — 
ee 


_428 


Naje wegnimmt, lächelt farkaftifch: |der Profpect muß tiefer hängen, der 


„IH Hab’3 ja immer gejagt, wozu 
brauden wir Gäfte? Das machen wir 
uns alles alleine viel hübjcher, ohne 
ftundenlang für nicht3 und wieder 
nichts hier auf den Eisbrettern herum— 
ftehen zu müffen.“ Und der Grund 
des gewaltigen Mifsvergnügens ? Po— 
fert hatte gebeten, die Probe ftatt für 
10 Uhr, bereits für 9 Uhr anzufeßen, 
it jedoch — — um 11 Uhr nod 
nicht erſchienen. Selbit die phlegma- 
tiſchen Theaterarbeiter fangen an, un» 
ruhig zu werden; fie fchlagen mit den 
Armen, um fi ein wenig zu erwär- 
men. — Die Souffleuje unten im 
Kaften, die durch ihr enges Futteral an 
der Ausführung diefer Heilfamen Be— 
wegung gehindert ift, Happert vor Kälte. 
Da rollt ein Wagen vor, die 
Bühnenthür knarrt in den Angeln, 
ein gemädlicher Schritt ftapft langjam 
die Treppe herauf, mit einem müden 
„Guten Morgen, meine Herrfchaften!” 
betritt der Gewaltige die Scene. Er 
ift feſt eingehüllt in das „Gefchent 
de3 Czaren“, ein tadellos gebügelter 
Eylinder bededt feine merkwürdiger— 
weile noch immer rabenſchwarzen Loden, 
init der rechten Hand prejät er ein 
feines Batiſttaſchentuch an die Lippen. 
Ein Blid auf die Uhr. „DO — id 
habe Sie warten lafjen, meine Herr— 
Ihaften ? Bitte taufendmal um Ver: 
gebung dafür, dajs ich meiner ſprich— 
wörtlihen Pünktlichkeit einmal untreu 
geworden bin; eine Unterredung mit 
dem X.'ſchen Hoftheaterintendanten, 
der momentan hier anmwejend ift, hat 
mich jo lange aufgehalten. Ich habe 
Seine Excellenz veranlafst, der mor— 
gigen Borftellung beizumohnen. “ 
Poſert weiß, daſs diefe Mitthei- 
lung höchſt verjöhnend wirft, vor den 
Augen eines jeden Mitgliedes ſchwebt 
nunmehr verlodend der Hoftheater- 
contract — lebeuslängli, mit hoher 
Penfion; die Stimmung wird augen— 
blidlich beſſer. 
Vorerſt conferiert der „alt“ 
längere Zeit mit dem Theatermeiſter; 


Thronfefjel unbedingt um mehrere 
Stufen erhöht werden. Bis zu Pojerts 
Auftreten muſs die Bühne im Halb— 
dunfel bleiben, erſt bei feinem Er- 
iheinen darf das Licht voll auf- 
leuchten, gleihfam als ob die Sonne 
aufgienge. 

Nachdem er dem ärgerlihen Theater- 
meifter die Erfüllung einer Unzapl 
ähnlicher Wünfche abgenöthigt Hat, be= 
ginnt die Probe. — Poſerts Blau 
ſtift wüthet fürchterlih in den Rollen 
der Mitwirfenden, er gruppiert fie wie 
Statijten, jo dafs er immer und immer 
im Mittelpunkt des Bildes fteht, er 
liebt e3, dafs die Collegen dem Pub— 
lium den Rüden zumenden und 
ftreiht ihnen confequent jeden Satz, 
der geeignet ift, den Beifall des Pub— 
licums herauszufordern. Mehrere jol= 
her Effectftellen hat er jogar, in be— 
gründetem Vertrauen auf die litera= 
tische Unerfahrenheit des großen Pub: 
licums, in feine eigene Rolle hinein— 
escamotiert. 

„Er ſelbſt markiert“ nur, er ſchont 
fih und leiert die Rolle ohne jede 
Betonung in monotoner Weife herun— 
ter, aber alle übrigen müffen unbe= 
dingt mit voller Stimme probieren; 
Poſert will wifjen, ob nicht etwa einer 
darımter ift, der ihn bei der Vor— 
ftellung an Kraft und Wucht des 
Organes zu überbieten vermag. — 
Erbarmungslos drejliert er die eifrigen 
Movizen, die es fih zur Ehre ans 
rechnen, mit dem „großen Poſert“ zu 
fpielen, die noch nicht den leifeften 
MWiderfpruch gegen feine Anordnungen 
zu erheben wagen und allen Fleiß, 
allen‘ Enthufiasmus aufbieten, nur 
um beim Schlufs des Gaſtſpiels durch 
die bewusste Photographie „mit eigener 
Namensunterfchrift“ köſtlich belohnt 
zu werben. 

Der Heinen, zierlihen Cordelia 
fließen ſchon die hellen Thränen über 
die Mangen. Sie möchte ihre Sade 
gern recht, recht gut machen, und doch 
ift ihr Gehirnchen kaum imftande, die 


426 


complicierten Weifungen Lear-Poſerts mit der Miene eines Selbſtmörders 


in fich aufzunehmen und zu behalten. 

„Und wie ein Fremdling meiner Bruft 
und mir 

Sei du von jeßt auf ewig!“ 

(„Bier müflen Sie, verehrtes Fräulein, 

ein paar Schritte auf mich zugehen 

— damit ih Sie dur eine Hand: 

bewegung zurüdweijen kann.“) 

„Der rohe Scythe und der Kannibale“, 

(„Legen Sie, bitte, erfchroden die Hand 

aufs Herz.”) 

„Der die eignen Kinder macht zum 

Fraß“, 

(Schaudern Sie gefälligſt — id 

brauche das nothwendig für mein Ge— 

genſpiel.“) 

„Soll meinem Herzen ſo benachbart 
ſein“ 

(„Werfen Sie mir hier einen langen, 

jhmerzvoflen Blid zu — ih made 

nämlich unter dem Eindrud desjelben 

eine Heine Pauſe, um mich gleich 

darauf deito emergijcher wieder auf— 

zurichten.“) 

„Und gleiche Liebe, gleichen Troſt em— 
pfah'n“ 

(„Ringen Sie die Hände, Verehrteite! 

— Gtärler, wenn ich bitten darf!”) 

„Wie du!“ — — — 

(„Dier erfuche ich ſämmtliche Herr— 

ihaften um Zodtenftille, ih mache 

eine lange Baufe, man darf nur mein 

Gewand rafheln und meine Zähne 

uieigen hören.” 

— —— Mein weiland Kind!“ 
‚Hier bricht Cordelia in die Knie — 
mit dem Rüden zum Bublicum, meine 
Liebe! Den „Kent“ bitte ih mit den 
Worten: „DO edler König!” zu warten, 
bis der Applaus vorüber iſt.“) 

Und fo geht die Probe graziös 
weiter — dreiviertel Poſert, einpiertel 
Shaleipeare! „Kent“ mußſs feine Rolle 
wieder hergeben, er iſt ein großer, 
ftarler Menſch, und der Gaft jpielt 
nicht gern mit Collegen, die ihn kör— 
perlich bedeutend überragen. 

Ein junges Bürſchchen, friſch vom 
Gonjervatorium, dem man die Rolle 
des „Narren“ übertragen bat, jchleicht 


hinter den Couliſſen umber und beißt 
ih wüthend die Unterlippe. 

Wie Hat er fich gefreut, als ihm 
der Theaterbiener den „Narren“ ins 
Haus bradte, wie hat er Tag und 
Naht darüber ftudiert und nach neuen 
Nüancen gegrübelt — ein wahres 
Gabinetftüthen wollte er „hinlegen“, 
Was aber ift auf diefer mörberijchen 
Probe aus der Prachtrofle geworden ? 
Ein Popanz, ein Nichts, eine Stich— 
wörterpuppe — „Narr“ ift nur nod 
der Schaufpieler, der fie jpielt. Die 
wehmüthigenärriichen Weisheitsworte 
— geſtrichen, die Heinen, ſpitzigen 
Schelmenlieder — geſtrichen! Nicht 
einmal „Und der Regen regnet jegli— 
chen Tag!“ laſſen ſie ihn ſingen, trotz 
der wunderſchönen Melodie, die er 
ſich ſelbſt dazu componiert hat. — 

Merkwürdig, ganz beſonders merk— 
würdig iſt das Gewitter auf der Heide 
inſceniert — ein vollkommenes Natur- 
wunder. 5 

Die Winde heulen, die Ate Split» 
tern, der Donner rollt unaufhörlic, 
jo dajs ſelbſt die gewuchtigen Stim— 
men der lungenfräftigften Mimen ver» 
geblich gegen die Gewalt der Elemente 
anlämpfen ; nur wenn Bofert jpricht, 
beruhigt ſich dieſer Aufruhr in der 
Natur, die Winde fäufeln nur nod, 
der Donner rollt discreter und zuhl« 
reihe Blitze find fo Tiebenswürdig, 
ſtets genau die Stelle zu beleuchten, 
auf welcher Poſert fteht, mit wallene 
dem Bart und flatternden Loden, ge— 
ſchmückt mit Blumen und Stroh— 
balmen, auf einen Inorrigen Aft ge— 
ſtützt jeder Zoll ein Bang! 

Um halb drei Uhr ift die Probe 
zu Ende. 

Pojert informiert fi an der Ta— 
gescafje über den Stand des Vorver— 
faufes. Dann fährt er ins Hotel. 

„Sind Briefe für mich ange: 
fommen ?* 

Er empfängt einen ganzen Stoß. 
Gaftfpielanträge der Agenten, Bettel« 





briefe, Epifteln von Autographen | 
ſammlern und dergleichen. Einige un— 
reife Bengel, die einen „unbezähmbaren 
Drang zum Theater“ in ſich fühlen 
und ihren Eltern durchgehen wollen, 
bitten um Audienz, ſie beabſichtigen, 
dem „innig verehrten Meiſter“ ein 
paar Monologe vorzubrüllen und fich 
von ihm dramatiich auscultieren zu, 
laffen. 
Drei Photographen bitten um die 
Ehre, fein Bild aufnehmen zu dürfen, 
im Civil und Eoftüm. Und da — ein 
rojenfarbenes Briefchen, zierlich, duf— 
tend! Poſert ſchneidet das Convert auf 
und liest lächelnd die wenigen Zeilen: 
„AUngebeteter Meifter! — jhmwär- 
meriſch — voriges Gaftjpiel — — 
nicht Muth genug — Zufammenkunft 
— ewiger Dant — — zitternde Er= 
wartung.“*  Unterzeichnet find die, 
ſchmerzlichen Worte „Einellnglüdliche*. | 
Der „angebetete Meifter” rafft ſeine 
Correſpondenz zuſammen, läſst aber 
— ſo ganz zufällig — das duftende 
Roſabriefchen auf die Treppe fallen. 
Er weiß, dafs es der Porlier finden 
wird und dafs die Portiers in Kleinen 
Städten ſchwaätzhaft und imdiscret find. 
Nah dem Diner madt der „Saft“ 
eine Rundfahrt zu jämmtlichen Kris | 
tikern. Einer wohnt im vierten Stod 
— aber was tut da3? Er würde 
ihn befuchen, auch wenn das Haus 
die Höhe des Eiffelthurmes hätte. 
In den Stuben der Kritiker bes 
fleigigt ſich Pofert einer rührenden 





Beicheidenheit. 
„Erwarten Sie nicht“, jo lautet 
hier eine feiner Lieblingsphrajen, 


„irgend ein Virtuolenftüdchen von mir 
vorgeführt zu befommen,. ch ordne 
mich ftet3 dem Enfemble unter. Ich 
halte es für meine heilige Pflicht, die 
Darftellung immer nur als ein Mittel 
zum Zweck zu betrachten, nirgends den 
Dichter zu fälſchen, das Werk vor) 





allem ganz und voll durch fich jelbit 
wirken zu laſſen.“ Er zudt vejigniert 
die Achſeln. „Mögen andere mit feder 
Hand nad einem niedriger hängenden 
Lorbeer greifen, — ich werde niemals 
von dem Wege abirren, auf dem ich 
feit dem Tage meiner früheften künſt— 
lerifchen Jugend dahinwandle, fern 
jedem Egoismus, im Dienfte einer 
wahren und edlen Kunſt!“ Schon 
halb im Gehen, wendet ji” Poſert 
no einmal um und wirft nachläſſig 
die Worte hin: „Sie würden mich 
jehr verpflichten, verehrter Doctor, 
dur eine kurze Nachricht im Kunſt— 
theil, welche mittheilt, daſs mir der 
Großherzog von .. . ingen feinen 


Hausorden am Bande verliehen hat. 


Man trägt ihn um den Hals.“ — — 

Der Abend ift da. Müde und ab— 
geipannt fißt der Gaft Hinter den 
Couliſſen, feines Stichwortes harrend. 
Er denkt an alles Mögliche, nur nicht 
an die Rolle. Einigen Freunden, deren 


Karten ihm auf die Bühne gebracht 


worden ſind, hat er jagen lafjen, „er 
fönne am Abend miemand auf der 
Bühne empfangen, er fei ſchon ganz 
und gar don feiner Rolle umfponnen, 
mehr Lear, als Poſert“. 

Und nun tritt er auf, gebüdt und 


doch kraftvoll, auf jenes prächtige 


Schwert geftüßt, das er von Bogumil 
Dawijon geerbt haben will. Rafender 
Beifall dröhnt ihm entgegen. Mit 
einem Ausdrud, der den nahen Aus— 
bruch des Wahnſinnes gleihjam ſchon 
anzudeuten fcheint, läjst er die Blide 
langfjam von Rang zu Rang, von 
Loge zu Loge gleiten und — — be= 
rechnet dabei mit wunderbarer Ge— 
nanigfeit die Einnahme des Abends. 

Das Haus ift nahezu ausverkauft, 
über Poſerts Mienen fliegt ein 
Schimmer freudiger Verklärung. 

Er wird heute Abend vorzüglich 
jpielen. 


Dem Anderl fein Tabakgeld. 


Eine Erinnerung aus der Waldheimat von P. R. Kofegger. 


Be) 


A 
*5 Einleger Anderl hatte auf die- acht ganze Kreuzer heraus und bring 
fer Welt jhon mit allem ab: |mir alles fein und fleißig heim. Nach» 
= gewirtſchaftet. Er Hatte einmal her biſt dafür brav eine ganze Wochen 
einen großen Bauernhof gehabt, der lang.“ Damit gab er mir einen Sil— 
war verproceſſiert worden. Dann hatte, berzwanziger, den er am heiligen 
er ein Meines Häufel befeflen, das Abend vom Armenvater als feinen 
war vertrunfen worden. Dann hatte | Theil des eingegangenen Armengeldes 
er noch eine filberne Uhr gehabt, die erhalten Hatte. 
war berfpielt worden. Hernach hatte Ich war natürlich gerne bereit, 
er fi) auf das Bauerndienen verlegt, | mein Brapfein auf eine ganze Woche 
dabei war er alt geworden. Alt, müh- | lang zu verſichern, übernahm den Auf— 
ſelig und arm. All das Bedürfnis und trag und gieng in die Kirche, wo ich 
Glück des einſt ſo herriſchen, anfpruchs« | hübfeh noch zum Roſenkranz zurecht 
vollen Mannes hatte jeßt im einer kam. Ich war ſchon zur felben Zeit 


Tabakspfeife Plab — jo gut Hatte 
ihn das Leben erzogen. Schwerhörig 
und halbblind, den Krampf in den 
Händen und die Gicht in den Füßen! 
Menn’s nur in der Pfeife gloste und 
er am Rohre ſog, jo machte er feinen 
Einwand und war fhhier in fänerlich 
füßer Laune, 

In die Kirche 
er manchmal, 
ſich vor, er Habe fein Lebtag hübſch 
hriftlich gelebt, und jo mochte er den 
guten Brauch in den alten Tagen nicht 
gerne abkommen laſſen. Aber die Gicht, 
das war ein höllifch gottlofer Kamerad, 
die hinderte ihn an dem Bejuche des 
Amtes und der Predigt, und jo wim— 
merte der Alte manchmal in einer 
fronımen Sehnſucht: Wenn ich mur 
wenigftens ins Dorf zum Tabakfrämer 
funnt fommen! Auch das war ihm 
verfagt, und jo wendete er fich eines 
Tages zu mir, der ih ein zehnjähri« 
ger Knabe war in demjelben Dauje. 

„Heut' ift der Heilige Ehrifttag 
ſchon wieder“, jagte er. „Gehſt du in 
die Kirchen, Peter, fo jei Halt jo barm— 
herzig und trag mir mein. Vermögen 
mit. Kauf’ damit beim Kramer drei 
Packeln Tabak — ordinären — kriegſt 


gehen 


Herz gelegt worden, 





manchmal ſehr andächtig, und ſchon 
zur ſelben Zeit manchmal gegen die 
unrechte Seite hin. Alſo erinnere ich 
mich, daſs an jenem Chriſttage in der 
Kirche während des Roſenkranzgebetes 
mir allerhand Scrupel kamen, was 
man ſich nur unter den Roſenkranz— 
‚ geheimniffen: „Den du, o Jungfrau, 


wollte | vom heiligen Geift empfangen haft!“ 
denn der Anderl ftellte| „ 


Den du, o Jungfrau, im heiligen 
Leib getragen haft!“ vorzuftellen Habe. 
Denn andädhtig beten, dad war 
mir vom Pfarrer oft und oft ans 
Heute fam id 
aber zu nichts Rechtem und da dachte 
ih: Iſt das wieder einmal ein läſſi— 
ges Daliken in der Kirche, an einem 
jo heiligen Tage! Ich bin eigentlich) 
doch ein fpottjchlechter Kirchengeher! 

Als hernach das Hochamt fan, auf 
dem Chore die Pauken und Trompeten 
Ihallten, am ferzenumftrahlten Altare 
der Pfarrer ſtand und die Meile las, 
huben die Leute plöglih an in ihren 
Stühlen aufzuftehen und begannen 
(nicht bloß die Weiber, auch die Män- 
ner) im Gänſemarſch durch die Kirche 
zu wandeln, um den Hodaltar herum, 
und dann wieder zurüd in die Stühle. 
Der Opfergang. An hohen Feſttagen 





pflegten nämlich die Lente während 
des Amtes einen folhen Rundgang 
zu machen, um an dem Wltare im 
Angefichte des Pfarrers auf einen da— 
für bereitftehenden Ziunteller Kleine 
Geldgaben für die Kirche Hinzules 
gen. Ich Hatte mich an ſolchem Opfer: 
gange jedesmal betheiligt, um ent» 
weder im Auftrage meines Vaters, 
oder aus eigenem Antriebe einen oder 
ein paar Kreuzer auf den Zeller zu 
legen. Machte dabei auch allemal eine 
gute Meinung, fei das Opfer num zur 
Erlangung eines fruchtbaren Jahres, 
oder zur Genefung eines Kranken, 
oder um Segen für ein anderes, 
irgend etwas wollte ich für meinen 
Kreuzer haben; hatte doch der Pfar- 
rer einmal gepredigt: „Es wird alles 
vergolten. Geſchenkt braucht der Herr 
des Himmel! und der Erde nichts 
von euch.“ 

Natürlich erhob an diefem Ehrift- 
tage auch ich mih und ſchloſs mic 
der Reihe an, in welcher jeder und 
jede unterwegs zum Mltar in den 
Sad griff und aus dem Geldtäfchlein 
die Münze berborneftelte. Auch ich 
fuhte nach meiner Gabe und nun 
ftellte es fich Schredbar Klar heraus, 
dafs nicht ein einziger Kreuzer in der 
Taſche war. Der Silberzwanziger des 
Einlegers Anderl war das ganze Um 
und Auf, Font nicht ein Pfennig 
und nicht ein Knopf! — Was war 
zu tun? Wieder umkehren zu mei— 
nem Stuhl? Sie hätten mich heiden— 
mäßig ausgelacht. Ruhig in der Reihe 
bleiben und ruhig am Zinnteller vor— 
beitrotten, als ob er mich nichts an— 
gienge? Der Pfarrer ftand aber da= 
neben und fonnte jedem auf die Fin— 
ger jehen. Meine Finger unter dem 
Rod wollten fich bereit3 an einem 
Hojenfnopfevergreifen, aberdieje Knöpfe 
waren nicht mehr von Mefling, wie 
einft in der guten, alten Zeit, ſon— 
dern bon ſchwarzem Hornbein, alio 
für den Teller volltommen unmöglich. 
Vor Gott Hätte ich mich nicht gefürd)- 
tet, einer, der den Willen für's Werk 


nimmt, hätte auch einen Hoſenknopf 
für den Grofhen genommen — aber 
der Pfarrer! — In folder Bedräng- 
nis flüfterte ich dem Nachbar Veitel- 
brunner zu, der juft vor mir gieng, 
ob er mir nicht um Gotteswillen einen 
Kreuzer borgen wollte? — „Ab, du 
wäreft ſchlau!“ flüfterte der Veitel— 
brunner zurüd, „ausgeliehenes Geld 
opfern! Damit wäre es freilich feine 
Kunft, ih den Himmel zu kaufen.“ 
Und fchaute ſeitab. — Alſo fein an— 
deres Mittel mehr, als ſich vergreifen 
an fremden Gut! Ehe ich mich der 
Gefahr ausfeße, dajs der Pfarrer, auf 
mich deutend laut rufen könnte: 
„Was läufſt denn du mit, wenn du 
nichts gibſt!“ und die Leute alle ihre 
Hälſe reckten, um den zu ſehen, der 
mitläuft und nichts gibt — ehevor 
opfere ich das Tabaksgeld des alten 
Anderl. Länger zu überlegen war 
überhaupt nicht mehr Zeit; ſo himm— 
liſch langſam die Reihe ſich auch voran— 
bewegt hatte, endlich war ich doch am 
Zinnteller. Den Silberziwanziger er— 
krabbelte ich raſch im Sack und legte 
ihn drauf. Nachher gieng's wieder zu— 
rüd zu meiner Bank. — Seht war— 
tete ich auf ein Wunder, Der Herr 
hat's gefehen, wohin der Zwanziger 
gelegt worden ift, er weiß auch, daſs 
der alte Anderl feine Freud bat auf 
der Melt, als das biſſerl Rauchen, 
und endlich kann ſich's jeder denken, 
was mir bevoriteht, wenn ich ohne 
Tabak und ohne Geld heimkomme. 
Das Wunder braucht ja nicht jo groß 
zu fein, wie etwa die Speifung von 
fünftanfend Mann in der Wüſte — 
nur ein ganz Kleines Wunderlein, in der 
Größe eines Silberzwanzigers!— Nein, 
nichts. Der Sad war leer und blieb's. 

Gut, dente ich, wie das Ant aus 
ift und wir vor der Kirche fo ein 
Meilen umherſtehen, ohne zu wiljen 
warum: wenn Gott fein Wunder wir= 
fen will, jo muſs der Menjch eins 
verfuchen. Zum Krämer gieng ich 
hinein, hauchte mehrmals recht ſtark 
auf die Fingerſpitzen, weil fie froren, 





430 


und als man fragte, was ich wün— 
fche, antwortete ih: „Drei Padeln 
Tabak — ordinären!“ und ala ich fie 
hatte: „Dank jchön, bezahlen werde 
ih fie am nächſten Sonntag“ — und 
zur Thüre hinaus. Der Krämer mochte 
mir wohl ein wenig verblüfft nachge— 
ſchaut haben, weiter war aber nichts, 
und das Wunder war gejchehen: 
Einem zebnjährigen Leder hatte der 
Dann drei Padeln Tabak geborgt. 

Gut. Als ich nachhauſe kam, ward 
ih Schon mit Spannung erwartet vom 
alten Anderl. „Zu Meihnachten find 
ja die Rauchnächte*, feifelte er, „wenn 
der Menſch nichts zu rauchen Hätt’, 
das wär’ jo was!” 

Mit einer ganz niederträchtigen 
Ruhe gab ich den Tabat ab — das 
erite Padel — das zweite — und das 
dritte. Der Alte hielt aber immer noch 
eine hohle Hand her. 

„Drei Haft gejagt ſoll ich brin— 
gen, da find fie.“ 

„Drei, wohl wohl, drei“, jagte 
er, „geht ſchon aus, drei Padeln. Und 
was du Herausfriegt haft?” 

— Jeſſes, die acht Kreuzer! — 
Wie nah einem Donnerichlag, jo war 
mir die Zunge gelähmt. Natürlich, 
wenn man nicht weiß, was zu jagen 
ift! Eingefallen wär's mir im Augen— 
blid: Theuerer ift er worden, der 
Tabak! Oder: Einen ordinären haben 
fie nicht gehabt, da hab’ ich einen bej- 
feren genommen! Uber — fiel mir 
noch rechtzeitig ein — mit einer Lüge 
macht du dein Ehriftopfer nicht wett; 
die Mahrheit kannſt zwar auch nicht 
jagen, wenn du nicht als ein uner« 
hört dummer Junge daftehen willft. 
Da lajs es lieber auf ein zmeites 
Wunder anlommen. 

„Anderlh!“ jagte ich ſehr laut, „die 
acht Kreuzer möchteft mir wohl ſchen— 
fen zum Botenlohn * 

„sh werde dir ſchon einmal was 
ſchenken“, antwortete der Alte, „meine 
Gicht, wenn du magft. Aber die acht 
Kreuzer brauch’ ich felber. Gib fie 
nur ber,“ 


„Anderl, ich Hab’ fie nicht, mein 
Sad hat ein Loch.“ 

„Ah jo, verzettelt Haft fie”, ſagte 
der Alte, „na, nachher kannſt mir fie 
freilich nicht geben.“ Er klopfte jich 
die Pfeife und abgethan war's. 

Ein Loch Hatte mein Sad frei= 
lich, ſonſt könnte man nichts aus: und 
einthun, aber redlich war's nicht von 
mir und mein feſtes VBornehmen war, 
dem Einleger feine Sad) zu vergüten, 
jobald als möglich. 

Eobald als möglih! Woher denn 
nehmen? Wie ein Stabsofficier, To 
Hat ich jet mitten in Schulden und 
der Silberzwanziger lag im Kirchen: 
Ihaß und rührte ſich nicht. 

Nah Neujahr Hub wieder die 
Schule an, allein ich gieng nicht auf 
geradem Mege zu ihr, jondern auf 
weiten Umfchlichen durch die Obitgär- 
ten. Der gerade Weg führte nämlich 
am Krämer vorbei. Diejer ftand wohl 
einmal vor dem Schulhaufe, als id 
eintrat, ſchaute mich auch jo ein wenig 
frumm an, ſagte aber nichts, und ich 
tradhtete, dafs ih ihm aus den 
Augen kam. 

Da war es eines Tages nach der 
Schule, daf3 mir der Lehrer auftrug, 
ih jollte in den Pfarrhof gehen, der 
Hohmürdige hätte etwas mit mir zu 
ſprechen. 

— Jetzt! dachte ich, jetzt geſchieht 
das Wunder! — Er gibt das Geld 
zurück. 

Doch der Pfarrer, als ich vor 
ihm ftand, machte nicht jenes Geſicht, 
wie man es hat, wenn man Geld zus 
rüdgeben will. Sehr ftrenge blidte er 
mich an, dafs ich gleich wie ein armer 
Sünder meine Augen zu Boden jchlug. 

„Peter“, jagte er endlich mit einem 
Gemiſch von Ernft und Güte, denn 
er war mir fonft nicht ſchlecht gewo— 
gen. „Peter, mache jet feine Ge— 
Ihichten. Gib die Pfeife her!” 

„Die Pfeife?” fragte ich ganz 
treuberzig. 

„Bib fie nur her und leugne nicht! 
Du rauchſt!“ 


PT mtv 


431 


„Nein, Herr Pfarrer!“ 

„SH Habe einftweilen deinem Va— 
ter nichts gejagt. Wenn du das Zeug 
willig hergibſt und mir verjprichit, 
das Lafter jein zu laſſen, jo braucht's 
das Schlagen nicht.“ 

„Ich thu' aber nicht rauchen !” rief 
ih laut. 

Da hob er den Finger und fagte: 
„Aufs erſte ein zweites Lafter! Mich, 
deinen alten Satecheten, belügen? — 
Tu bift verrathen,“ 

„Wer Hat’ gejagt ?* 
ih auf. 

„Der Krämer jelber, bei dem du 
den Tabak Holft und jehuldig bleibſt.“ 

Hell aufgeladht Habe ich jegt, und 
nachher jachte angefangen zu weinen. 

„Alſo, fiehft du? Sieht du's 
jebt ein?“ fragte er faſt freundlich. 

Nun musste freilich alles Heraus. 
„Den Tabak bein Krämer habe ich nicht 


begehrte 


für mich gekauft, jondern für den, 


Einleger Anderl, der bat mir wohl 
einen Silberzwanziger mitgegeben.” 

„Und was Haft du damit gemacht?” 

Ich wollte etwas erwidern, ftotterte 
aber nur. 

„Heraus mit der Farbe!” rief der 
Pfarrer. „Was haft du mit dem Sil- 
berzwanziger gemacht ?* 

„Am Ehrifttag — auf — auf den 
Zinnteller geworfen.“ 

„Auf den Opfertellee? du? du 
wärft es gemejen, der den Silber- 
zwanziger hingelegt hat? Und Geld, 
das nicht dein eigen war! Was fiel 
dir denn ein?“ 

„Weil ich feinen Kreuzer hab’ im 
Sad gehabt. Und Jo viel geſchämt ...“ 

„Flenne nicht, Peter”, jagte nun 
ruhig der Pfarrer. „Wenn e3 jo ift, 
ändert ſich die Geſchichte.“ 

„Hab' den Tabak müſſen ſchuldig 
bleiben und bin auch dem Anderl 
noch ſchuldig davon“, ſchluchzte ich, 


„Narrl, Narrl!“ lachte der Pfar— 
rer. „Dem lieben Herrgott Haft du 
das Geld gegeben. Und er Hut dich 
ſitzen laſſen.“ 

„Ja!“ deutete ich mit dem Kopf. 

„Das ſcheint nur ſo, mein Junge“, 
ſagte er und ſtrich mit der Hand mir das 
Haar aus der Stirn, „der liebe Herr— 
gott läjst feinen ſitzen. Beſſer ver— 
zinst keiner als der! Peter, mich hats 
nach der Durchſicht der Opfergaben 
ohnehin gewundert, daſs in meiner 
Gemeinde einer iſt, der um einen 
ganzen Silberzwanziger Vertrauen zum 
lieben Gott hat. Konnte mir's aber 
nicht denfen, wer. — Jetzt haben wir 
ihn. Und da Haben wir noch 
einen!“ 

Der Pfarrer machte feine Geld- 
tafhe auf, nahm mit zwei Fingern 
zierlih einen Silberzwanziger hervor: 
„Es ift zwar nicht der nämliche. Dem 
Heren wollen wir dad Seine laſſen, 
es wächst fi bei ihm auf höhere 
Zinſen aus, wenn du brav bleibft. 
‚Den da, den mimmft von mir und 
bezahlſt deine Schulden. Und wir zivei, 
die wir heute nähere Befanntfchaft mit— 
einander gemacht haben, wollen gute 
Freunde bleiben. So, jet kannſt zum 
Krämer gehen.“ 

Der Srümer fand es ganz ſelbſt— 
verftändlih, dafs ich meine Schuld 
beglich, nicht jo aber der alte Anderl. 

„Du willſt mir da die acht Kreu— 
zer erftatten!“ rief er barſch aus, als 
ih ihm die Münzen vorhielt. „Lump, 
fleiner, du wirft es weit bringen, wen 
du allemal deine Schulden bezahlen 
wilft! Ja, ja, ih nehm’s jchon. So 
was kann ich brauchen. Aber für ein 
andermal jei gefcheiter!* 

Schulden habe ich fpäter noch oft 
gehabt, aber „geſcheiter“ wie es ber 
alte Anderl gemeint, bin ich nicht ge- 
weſen. Er jelber war mir ein zu 











wahrfcheinlich mit dem Ärmling über | fchlimmes Beijpiel von dem Erfolg 
die Augen fahrend, weil fo ein zehn- feiner Grundſätze. Dafs ihm nichts war 
jähriger Junge jelten ein anderes |geblieben, als ein bifschen Tabat — 
Taſchentuch Hat. und ordinärer! 


432 


Vaterländiſche Arabesken. 





Gedichte aus Steiermark von Hans Grasberger. 


Der von Schrottenbach. 


n jenen ſchwülen Tagen, da Kaiſer 
Ferdinand 

—8 Bekämpfte Luthers Lehre mit Acht, 

mit Schwert und Brand, 


Da wog die Sonntagsmette nach römiſchem 
Ritual 

Gewiſſen auf und Freiheit und Mannes: 
muth zumal, 


Ton Schrottenbach den Grafen beſchlich die 
MWeidmannsluft 

An eine® Sonntags Morgen zur Seit der 
Meile juft; 

Ein Hirfh war's, was ihm aufflieh, der 
lam ihm hoch zu ftehn, 

Mit hundert Goldducaten faum fühnt’ er 
das Bergehn. 


Bald Hielt darauf des Kaiſers katholiſche 
Majeftät 

Zu Graz ein Hofgelage mit Pomp und 
Prunfgeräth; 

Da durfte der nicht jäumen, den Säumnis 
jüngft geftraft, 

Gr hauste dort auf Göfting in nächſter 
Nahbarichaft. 


Doch als der Graf dem Lehnsherrn in 
jhuldiger Ehrfurdt naht, 

Was flüftern da die Pfaffen im glänzenden 
Ornat? 

Was fragt des Kaiſers Auge fo triib mit 
einemmal? 

Terwunderung, Gemurmel durdzieht den 
ganzen Saal. 


Erſt that der Herr von Göfting, als merkt’ 
er nichts davon, 

Doch als die Neugier lauter und bifjiger 
der Hohn, 

Da ſprach der Graf mit Lächeln, frei hob 
fih feine Bruft, 

Der Kaiſer konnt' e8 hören, hatt’ er zu 
hören Luft: 


„Hochwürden! Edle a ich merle ſchon 
den Spa 
Es ſieht wohl bettelletz' * "old 
an, 
Doch kann ich's euch beeiden, es ift ein 
wertvoll Stüd 
Und läjst an Preis und Koſten Talar und 
Wams zurüd. 


Lederzeug 


Sagt an, wer zahlte hundert Ducaten bis 
ur Stund’ 

Für einen Sechzehnender, erlegt auf eigenem 
Grund? 

Das foftet mi die Hofe, weil Sonntags 
auf der Birſch 

Mih Frömmler ausgewittert, da Sonntags 


fiel der Hirſch.“ 
Nicht Tange trägt fi „irchen“, jo hoch er's 


au erftand, 

Der edle Schrotienbader im grünen 
Steirerland; 

Er mujs die Heimat lafjen — man halte 
leichtes Spiel, 


‘Denn wo die Kutte mädtig, ift ja der 
Mann zuviel. 


Im Felbergrund. 


Die Mutter warnt: „Im Felbergrund, 
Da rennt des Nachts der jhwarze Hund, 
Da tommt ein bredelmwarmer Wind 
Und wimmert aus dem Schilf ein Rind; 


Da geht der Pierdefuß, der krumm', 


Und die verwunſch'ne dran geht um, 
Und von der Habergeis ein Blid 
Verdreht den Kopf dir ins Genid!“ 


„Lieb Mütterchen, was fällt dir ein, 

Wie kann denn krumm der Jäger jein? 
Sein „Waldauf* däucht mir zu geſcheit, 
Der thut dem Lenchen nichts zuleid. 
Es ift das Flüftern, was erhißt, 

Der Schmatz, davon das Wänglein jhwigt: 
Verrüdte ſind's verliebter Weil’ 

Und nicht vonweg' der Habergeis.“ 


In der Bartberger „Grübhb“. 


Im Schlenderſchritt in die Klauſe; 
Braunaugig glotzt die Nacht, 

Der Bach gebahrt, dajs er brauſe, 
Der Fels iſt zu dräuen bedadt. 


Es find nur gelinde Schreden, 
Was da die Schludt erbringt, 

So grimm aud die Wellen bleden, 
So dumpf es aus Tiefen dringt. 


Und fieh, die Wipfel entlohen, 

Schon jprenfelt Licht den Pfad, 

Schon endet das Drängen und Droben, 
Wo's faum noch begonnen hat. 





Dort tritt aus des Tages Gefuntel 
Ein Weib und trippelt gefhmwind 
Hernieder ins raufchende Duntel, 
Am Arm ein Widelfind. 


Gar jhimmernd ift er gefleidet, 

Der winzige Lebensgaft, 

Und däudt ihm der Weg jhhon verleidet? 
Das Händden, das ballt er faft! 


Er wandert, an Herz und Obren 
Noch Heide, zum Tauf’:Empfang, 
Und, faum erft ans Licht geboren, 
Betritt er den dunklen Gang. 


O Slleiner, und trübt fi dein Leben, 
So ſei nit jhlimmerer Art 

Die Plag, als welche umgeben 

Dich hier auf der erften Fahrt! 


Und ball’ mir nicht die Hände! 
Die Fauſt begegnet der Fauſt; 
Drum langt nach dem beſſeren Ende, 
Wer mild und friedlich haust. 


Hochwaſſer. 


Noch geſtern die Welt ſo frühlingsſchön, 
Und Neuſchnee heut', und ſchwüler Föhn! 


Die grünen Wieſen verwandelt in Teiche, 
Wie nur ich Ufer auf Ufer erreiche? 


Voraus mit den Schuhen zum nächſten Rain! 
Ich Hole watend fie wieder ein. 


Die Brüde fort, o Hohn und Verdruſs! 
Rein Fährmann wagt zu queren den Fluß... 


Zur Linken über'n Bah nod ein Steg, 
Mit Warnern zur Stel’ — o lajst mid 
"hinweg! 


Yhr braunen Fluten, ftaut euch dort oben, 
Und Treibholz du, vom Sturme gefloben! 


Sieh, Steg, ih werfe voraus die Schuh’, 
Halt aus, es geht ja der Mutter zu! 


Der Beimifeße Rirchthurm. 


Mas ift mit unjerem Thurm geſcheh'n? 
Hier grüßte mich fonft ſein Schimmer; 
Gin Knauf, ein rother, ift dort zu jeh'n, 
Er jelbft? — fo kenn' ih ihn nimmer! 
Er lobte jo ſtolz im Sonnenftrahl, 
Sein’ögleihen beſaß nicht jedes Thal. 


Zwar blieb er vor Roſt nicht ganz gefeit, 
Fr ftand nit da zum Behagen, 

Auch toj’te mand arges Wetter feit 

Der großen Raijerin Tagen, 

Und doch — trägt blanferen Nitterhelm 
Ein leidig, ein frifchgeadelter Schelm? 


Rofeaner’s Geimaarten““, 6. deft. XV. 


O Thurm, wo fam dein Silber hin? 

O Heimatftolz des Knaben, 

Was wollteft, nun ih bald filbern bin, 
Du rothe Baden haben? 

Mich höhnt der dumme, der Farbanſtrich, 
Genug, daſs Glanzes mir viel verblich! 


Judenburger Waßrzeichen. 


3’ Judnburg bei da Poſt 
An an bjundaren Fleck 
385 a Jüdel jan jechen, 
Wia's Schaut über Ed. 


8’ Koi rödts d’r für 

Und groaß ſchaugts dih an, 
Um d’ Mittn an Reahm 
Mit der Schnalln voran. 


In'en Seitn di Händ, 

U fo fpreizt as fih frei — 
Mitajst ſcho jhäbiger fein, 
Aber gwandt ham ſ'as neu. 


Hat a greans Rödl an 
Mit an umglögtn Rragn 
Und a jhwarzfrausta Bart 
35 ban eahm zan dafragn. 


Muajs wol überbliebn jein, 

Oder ausfemm’ is gwiſs, 

Als jö d’ andern dawürgt hamt, 
Mia no de Röd is, 


Hat a Spishüatl auf, 

Hat d'r junjtr foan ram, 
Und ſchachern kann's nöt, 
Wal fa8 angmauert ham. 


Der Sonntagsjäger. 


In Herrgottsfrüh’, auf frifhem Schnee 
Der Yäger zieht feldein, 

Und mwechjelt weder Hirih noch Reh, 
So mag's der Haje jein. 


Was trübt dem muntern Jägersmann 
Den Blid von ungefähr? 

Des Städtleins Gloden fie jhlagen an, 
Bon Betern lommt's daher; 


Und ad, dahin ift Weidmanns Heil, 
Der ganze Tag verhert! 

Ihm freuzt den Pfad in trippelnder Eil’ 
Gin altes Weib zunächſt ... 


Was brummt er denn jo grimm und rauf 
Dem armen Weiblein nad? 

Weit liegt vor ihm und offen der Gau, 
Die „Lichter“ auf und wach! 

Das mujs ein Sonntagsjäger fein, 

Ein Häslein folgert jo; 

Das jeht vor ihm wohl Über den Rain 
Und iſt des Lebens froh. 


28 


An der Feldkapelle. 


Die Feldlapelle blidt vom Bühl 
Schneeweik in die grüne Weite, 
Das Bäntlein dran beſchatten fühl 
Kaftanien, ihr zur Seite, 


Du ſchauſt hier im Borüberziehn 
Im Bild nur Graus und Kummer: 
Der Mutter auf den bebenden Knien 
Den Heiland im Todesſchlummer! 


Doch horch, ertönt's von Klängen nicht, 
Bon heitern, bei der Kapelle? 

Der Frevler, der ift ein Frohgeſicht 
Und Zither fpielt er zur Eielle, 


434 


— — 





— 
rn * 


Gedenlt er tröſtend mit feinem Lied 

Die Schmerzensreihe zu grüßen 

Und fol was hell die Saiten durchzieht, 
Den Schlaf des Dulders verjühen ?! 


Ei, ſchattig ift das Plätzchen und ſchön, 
Der Burſch hat Feierſtunde, 

Vom Bühl entjhwebt das fühe Getön 
Freiluftig in die Runde. 


Vielleicht foll's doch auch Andacht jein? — 
Zu ſpielen behagt ihm eben; 

Mit nichten denft er an Sühn’ und Pein, 
Denn leicht noch trägt er am Leben. 


Dwei Briefe von 3. ©. Leidl an Chriſtian Schad.“) 


Mitgetheilt dur Anton Englert. 


Verehrteſter Freund! 


Ihr wertes Schreiben vom 16.d.M. |fegentlih Ihren 


macht mich einigermaßen verlegen, da 
es auf Vorausſetzungen beruht, denen 
zu entſprechen ich micht im der Lage 
bin. Sie fheinen nämlich der Meinung, 
dafs unter uns Wiener Poeten eine 
Art innigeren Verhältniſſes herrſche; 
das ift leider! durchaus nicht der Fall. 
Menu nicht bisweilen der Zufall auf 
der Straße uns einander entgegen» 
geführt, jo fehen wir uns das ganze 
liebe Jahr lang nicht. So bin id 
denn mit feinem der genannten Herren 
(Halm, Grün, Hebbel, Zed— 
liß, Grillparzer u. d. ü.) aud 
nur in der entfernteften Berührung 
und niemand hat mir Beiträge für 
Ihr fo Löbliches und dankenswertes 
Unternehmen übergeben. Bin ich doch 
jelbft für mein eigenes Taſchenbuch 
„Aurora“, fo alt eingebürgert es 
ift, nicht imıftande, von diejen Herren 
etwas zufammenzubringen, Die lei— 
dige Politik Hat alles abjorbiert, und 
die arme Poeſie ift vor die Thüre 
gewiejen. Daher auch dieſe Indolenz 
gegen jede noch ſo freundliche Ein— 
ladung. 

Herrn A. X. Schurz, dem en— 


Eiche die Anmerkung Seite 310. 


thufiaftifchen Verehrer feines erklärten 
Schwagers Lenau, werde ih ge= 

herzlichen Dank 
melden. 


Das junge Öfterreich ift mir gänz- 
lich ferngerüdt; diefe Herren mit ihren 
Negationsgelüften können, troß Ihres 
unbefirittenen Talentes, fo wenig mich 
erwärmen, daſs ich Feine Neigung 
fühle, mich ihnen aufzudrängen. 

Leider verliert man bei folder 
"Stimmung jede Luft zum Schaffen, 
und verfumpft täglih mehr in pro= 
ſaiſcher Abjpannung. 

Berzeihen Sie mir diefe Jeremiade 
und entfchuldigen Sie damit meine 
Unfähigkeit, Ihrem ſchönen Zwede 
mehr zu widmen, als meine herzlich- 
ften Wünſche. 

Mit wärmſtem Gegengruß und 


Handſchlag 
Ihr ergebenſter 
Joh. Gabr. Seidl. 


Wien, 22. Yänner 1851. 
Hochverehrter Herr! 


In Erwiderung Ihrer werten 
Zufehrift vom 9. d. M. erlaube ih 
mir, Ahnen  beifolgende poetijche 
Arbeit von Hammer-Purgftall („Das 


ge 


Archiv der Liebe” *) einzufenden, 
und zwar mit den nachitehenden Ber 
merfungen, aus denen Sie für eine 
etwaige Redactionsanmerfung (wenn 
Ihnen eine jolche nöthig fcheinen follte) 
benüßen können, was Ihnen beliebt. 
Auf die Repräfentation meines 
Namens im deutihen Mufenalmanade 
habe ih ſchon im vorigen Jahre, ich 
geitehe es, nicht ohne ſchmerzliches 
Gefühl, verzichtet; allein die ganz 
veränderte Richtung meiner Thätigkeit 
nöthigt mich, nicht nur mit meiner 
poetiſchen, ſondern wahrſcheinlich auch 
mit meiner literariſchen Theilnahme 
an der Offentlichkeit überhaupt, unter 
Vorbehalt eines ganz kleinen Gebietes, 
abzuſchließen; immer troſtvoller, ſich 
der Täuſchung hingeben zu können, 
dafs man durch ſeine Pflicht an 
etwas gehindert wird, was man gerne 
noch könnte und thäte, als ſich offen 
ſagen zu müſſen: „Die Zeit des Kön— 
nens iſt vorüber!“ 

In Betreff Hammer-Purgſtalls 
verhält es ſich folgendermaßen. Der 
berühmte Verewigte, mein alter ver— 
ehrter Freund und College, hat mir 
feinen literariſchen Nachlaſs 
teſtamentariſch vermacht, mit dem aus— 
drücklichen Wunſche, daſs ich um die Her— 
ausgabe desſelben mich bemühen möchte. 
Ich wendete mich daher an einen der 
rennommierteſten Buchhändler Deutſch— 
lands, den Verleger einer der erſten 
literariſchen Publicationen Hammers. 
Zweimal um den Gratis-Verlag drin— 
gend erſucht, lehnte er zweimal ab. 
Mehrere mündliche Anfragen bei hie— 
figen Buchhändlern blieben ebenfalls 
reſultatlos. Das werte Vermächtnis 
Icheint daher beftimmt, zu liegen, bis 
es früher oder jpäter mit meinem 
eigenen Nachlaſs in den Käſeladen 
wandert, Duum! — sed ultra posse 
nemo tenetur. Der Hammer'ſche Nach— 
laſs umfasst folgende Piecen: 1. Anka 
7 Deutſch. Muſ.⸗Alm., 8. Jahrgang 
(1858), ©. 230 ff. 


4 


oderdie Weiäheitdes Dftens. 
Ein moslimiſches Lehrgedicht in jieben 
Nachtfeiern. 2. „Der Schiffbruch 
des Falconett.“ Poetiſche Erzäh— 
lung aus dem Engliſchen. 3. „Die 
Affaffinen.” Trauerfpiel in fünf 
Aufzügen. 4. Eine große Anzahl von 
DOriginalgedidten und von 
poetijhenBearbeitungenaus 
den meilten lebenden Spraden, ja 
jelbft Originalpoefien in franzöfijcher, 
englifcher u. j. w. Sprache. Alles in 
allem dürfte vier ftaatlihe Bände 
mindeftens füllen; bei ftrenger Aus— 
wahl liege jih das Gharakteriftifche 
auf zwei ſtarke Bände reducieren. 
Bon den Driginalgedidten 
wollte ich Ihnen feine Proben für den 
Muſenalmanach mittheilen, weil dieſe 
einzeln bereits ſämmtlich ge— 
drudt waren und nur einer Samm— 
lung entgegenjehen. Scenen aus einem 
Tranerfpiele herausreiken, erinnert 
mich immer an den Hausbeſitzer, der 


als Probe jeines Haufes einen 
Stein zur Schau bot. Die Über» 
ſetzung aus dem Englifchen bietet 


zu wenig Charakteriſtiſches. Ich wählte 
daher ein ziemlich abgejchlofjenes Frag⸗ 
ment aus einen Gedichte, das zunächit 
dem Boden angehört, auf dem Ham— 
mer theils ſelbſtwirkend, theils anre— 
gend das Bedeutendſte geleiſtet Hat. 
Auch enthält dieſes Bruchſtück wahr- 
haft poetiſche Stellen. 

Mit dem Wunfche, Ihren Erwar- 
tungen entjprochen zu haben, erjuche 
ih Sie nur, mir feinerzeit, falls das 
Eingejendete benüßt wird, für Die 
Tochter des Herrn Barons, Freiin 
Tonder-Trenf, ein Eremplar des 
Almanachs zugehen laflen zu wollen. 

Mit freundſchaftlicher Hochachtung 


Ihr ergebenſter 


Johann Gabriel Seidl 
t, k. Schatzmeiſter. 


Wien, am 20. Auguſt 1857. 


28* 


- 


Kine fleirifhe Stadt vor zweihundert Iahren. 





m Often von Mittelfteiermarf, , Sitten ablegen und ſich ehrbarer ver- 
Rynahe der ungariſchen Grenze, liegt halten wird.“ Hinwiederum ließ der 
* die alte Stadt Fürftenfeld. Wie es | Rath ſich nicht ungern beſtechen, ſowie 
in —— Stadt vor zweihundert Jahren |er höhere Behörden zu Graz und Wien 
bergegangen ift, das berichtet eine mit Wein, Wildbret, ſelbſt mit barem 
genaue, und duch Hans Lange ver: | Gelde zum Wohlwollen für das „arınbe 
mittelte Urkunde im deſſen Buche: | grenzftadtl” anzuregen pflegte. Wurde 
„Eine fteierifhe Stadt im 17. Jahr: | vom Richter oder Rath eine Hobe 
hunderte” (Graz, U. Mofers Buch- | Geiftlichkeit beleidigt, fo unterjagte fie 
handlung). Dieſe Urkunde ift höchſt in der Stadt die Abhaltung des 
wertvoll, fie gibt uns ein Sittenbild | Gottesdienftes. Sonft aber wurden 
jener Zeit überhaupt. Alſo wie in die firchlichen Geremonien auf das 
Türftenfeld, wird es auch in anderen |allerftrengfte durchgeführt. Während 
fteierifschen und deutichen Städten zu |des Gottesdienfls an Sonn- und 
jener Zeit gewefen fein. Dans Lange | Feiertagen durfte in der Stadt fein 
hat feine Schrift aus alten amtlichen | Wagen fahren, fein Wirtshaus offen 
Aufzeihnungen und anderen Urkunden | ftehen. Wer zur beftimmten Zeit micht 
zu Fürſtenfeld gezogen, er ſtellt z. B. beichten wollte, wurde zu Leibes- oder 
dar, wi + Geldftrafen verurtheilt. 1666 ließen 
genommen, der Rath und der Stadt: ‚die Fürſtenfelder Auguftiner= Mönche 
richter gewählt, die Stadt verwaltet | eine Beichte nicht gelten, die ohne 
wurden; er gibt ein interefjantes Bild ihre Einwilligung anderswo verrichtet 
von dem Gerichtswefen, von Kirche wurde. Daſs Anderigläubige katholiſch 
und Schule, der Landwirtichaft, dem | werden oder fofort auswandern mufsten, 
Gewerbe und dem Handel, von der, verfteht ſich von ſelbſt. Außer in der 
Wehr, vom Steuerwefen, Armenwefen, | Kirche ſah es mit der Pietät nicht 
Sanitätsweſen, vom gejellihaftlichen , bejonders gut aus. Der Leutfriedhof 
Leben, von der Tracht und dem Aber: hatte keine Grabmal und feine Um— 
glauben. Die Thatjahen kurz und zäunung, „jo daſs die Schweine und 
bündig zufammengeftellt ift das Bich- | Hunde die todten Körper (der Men— 
lein lehrreicher, als manches große ſchen) umberzerrien”. 
gelehrte Geſchichtswerk. | Ledige Knechte und Mägde, die 
Wir fehen eine Zeit der Strenge | nicht dienen wollten, mujsten die Stadt 
und der Ehrjamfeit, der Willfür und verlaſſen. Die Dauer der Arbeitszeit 
Gewaltherrſchaft, des feftgeichloffenen war ſehr einfah: „Yon der. Früh bis 
Gemeinmwefens, der Lebenseinfachheit auf die Nacht.“ Die Gemwerbsmeifter 
und der — Gorruption. Alfo: Mer |und Bürger liebten aber am Nach— 
in der Stadt Gewerbe und Handel | mittag nicht mehr zu arbeiten, ſondern 
treiben wollte, mujste ein Bürger der | in den Wirtshäufern der Stadt oder 
Stadt fein, aber zum Bürger nahm der Nachbarorte Wein zu trinken. 
man nur den ehrbaren Bewerber. Dem | Waren fie befoffen, fo gab's viele Rauf- 
Sohne eines Bürgers, der 1677 fich Händel. Sole wurden im ganzen 
um die Bürgerihaft bewarb, wurde ‚nicht ſtrenge geahndet; wer aber am 
der Beſcheid eriheilt: „Wenn der | Tage Johannes des Täufers, als am 
Supplicant vorher feine bübifchen : Tage der größten Hirchtagsfreiheit, in 

















einen Raufhandel jemanden verlehte, | Ungarn aufgehalten und als 
der mujste 32 Gulden zahlen ober 


die rehte Hand hergeben (1689). 


Nah adt Uhr abends, oder nad) ger | 


läuteter Sperrglode durfte in den 
Wirtshäufern fein Wein mehr ge- 
Ihänft werden; aber es gab Ummege. 


Bier wurde wenig getrunfen und hatte 


der einzige Brauer der Stadt noch 
Zeit, das „Wetterfchießen“ zu bejorgen. 
Der Aberglaube war in manchem 
unglaublich entwidelt. „Zauberiſche“ 
Leute wurden ohne viel Uinftände 
abgefangen und verbrannt. Gegen Un— 
redlichleiten gab e3 ſtrenge Maßregeln. 
Der Bäder, welcher zu geringes Ge⸗ 
bäck machte, konnte mit einem Brot— 





Bürge 
feſtgenommen. Im umgekehrten Falle 
machten es die Fürſtenfelder jo. 
Bejonders intereflante Daten über: 
liefert und 9. Lange von dem Ger 
richtsweſen. Etliche derſelben wollen 


wir hier anziehen. 


Klagte in Civilſachen — beſonders 
wegen Schuldforderungen ein 
Fremder einen Fürſtenfelder Bürger, 
ſo wurden die Termine ſo weit als 
möglich hinausgeſchoben; klagte ein 
Bürger einen Bürger, ſo war das 
Verfahren ein weit kürzeres. 

Klagte ein Bürger einen Inmwohner, 
einen Nichtbürger, jo war das Ver— 
fahren das kürzeſte: er wurde jo lange 


laib um den Hal3 gebunden an den in Arreſt gejebt, bis er bezahlte. 


Pranger geftellt werden. 


Menn ein: 


Gewöhnliche Schimpfereien unter 


Schneider einem Bürger das Kleid der Bürgerſchaft wurden „Greinhandel“ 
vermachte, jo hatte die Zunft es dem genannt. (1625.) 


Bürger zu vergüten. 
Berjchönerungsvereine gab es da= 


mals noch nicht, jeder Unrath, auch | gerichtlich belangen wollte, 


Menn ein Bürger einen anderen 
wegen angethaner Ehrenbeleidigung 
jo mujste 


der „Unduft* der Aborte wurde auf| der Kläger den Beklagten erjt befhiden, 


die Gaſſe geworfen. Feindesüberfälle, 


d. 5. er lieb letzteren durch zwei 


Peſt und andere Seuchen drohten | Männer um Satisfaction erfuchen ; 


immer, troßdem wurden in Fürſten— 
jeld, das in 238 Häufern etwas über 


1000 Einwohner zählte, innerhalb 


zehn Jahren (1653 — 1663) um 203 
Perſonen mehr geboren, als in dieſer 
Zeit ftarben, Die Stadt hatte feinen 
Arzt, zumeift nur einen Bader, 
Mijstrauifh waren die Bürger 
von Fyürftenfeld gegen den del, her— 
rich gegen den Bauer, der damals 
no unfrei war. Die Stadt war arm, 


erhielt jih aber ſtets jelbjtändig und 


Hand in Verkehr mit Graz, Billa), 
Rottenmann, Wien, Nirnberg und 
vielen anderen Handelsorten. Viele 
Bürgerfamilien ftammten aus Baiern 


Baden, Würtemberg, und jelbit aus 
Preußen. Vom nahen Ungarn fiedelte | 


ih felten jemand hier an, mit diefem 


Lande lebte die Stadt vielmehr im, 
Wenn ein Bürger | 
jemandem in Ungarn Geld jchuldete | 
fo wurde ber, 
in 


einer Art Fehde. 


und er zahlte nicht, 
nächftbefte Fürftenfelder Bürger 





erft dann, wenn diefe verweigert wurde, 
fonnte die Klage bei Gericht mündlich 
oder ſchriftlich vorgebracht werden. 
Bei Klagen wegen Ehrenbeleidigungen 
gegen Frauen war die erite Juſtanz 
der Mann; der Släger mufste erit 
den Mann bejhiden und konnte erjt 
nach verweigerter Genugthuung bei 
Gericht Klagen, ſonſt wurde die Klage 
Unordnung halber abgewiefen. 

trauen bejaßen fein Redt, bei 
Gericht jelbft Hagend zu erfcheinen; fie 
fonnten ihre Klagen nur duch Männer 
‚ anbringen lafjen. Ein Weib war aud 
al3 Fundamentalzeuge „nicht genug“. 
(1670.) 

Der Untertdan konnte nur dur 
feinen Deren oder deſſen Stellvertreter 
Hagen. 

Das Beihiden, auch gütliches Er— 
juchen genannt, und das lagen durfte 
niht am gleihen Tage gejchehen; 
dies war „Unordnung“. 

Wenn nun ein Bürger den an— 


— 


deren an ſeiner Ehre angriff, ſo muſste 
er dies beweiſen; der Überwiefene, 
weil er den Anwurf nicht erweiſen 
kann, ſoll aus der Stadt geſchafft 
werden, lautet ein Beſchluſs der Bür— 
gerſchaft im Jahre 1618. Nennt einer 
den anderen einen Schelm, und er faun 
es nicht beweilen, jo ift er jelbit ein 
„Schelmb“. 

War bei Gericht die Weifung un— 
gleich, d. h. wurde bei gegenfeitigen 


1 — 9— 


habe wider ſeinen Willen dienen 
müſſen, welches manchem redlichen 
Soldaten widerfahren ſei. Nun ſind 
alle ſolche Dienſte vom Kaiſer par— 
doniert und für redlich angenommen 
worden. Strafe des Acermaun: 
10 Reichsthaler. (1658.) 
1625: Der Beklagte hat ſich 
(wegen Ehrenbeleidigung) auf dem 
freien Platz oder vor dem Pranger 
öffentlich auf das Maul zu ſchlagen, 


Beleidigungen durch die Zeugen —— für einen untüchtigen und unehr— 


Hargeftellt, wer eigentlich Beleidiger 
oder wer der Beleidigte war, ſo wurden 
Kläger und Geflagter beſtraft. 

MennBirgereinander beihimpften, 
ohne die gethanen Scheltworte erweifen 
zu können, und fie verglichen fich 
außergerichtlih, 3. B. beim Weine, 
fo wurden beide beftraft. Auch wurde 
das Greifen in den Bart beitraft. 
(1626.) 

Zwei Bürger, die ſich gegenfeitig 
„bös“ beichimpften, wurden jo lange 





liden Mann zu balten und ift dann 
von der Stadt zu jchaffen. 

1626: Zwei Bürgersfrauen be= 
leidigten fich gegenfeitig. Urtheil: Die 
Männer werden ihre Weiber zu züd- 
tigen willen, „und weilen fie ihren 
Weibern jelbften nicht Herr fein können, 
follen fie an ihrer Statt jeder zween 
Reichsthaler zur Straf erlegen.” 

1626: Ein Bürger ‘redete über 
einen Rathsbürger Üble. Urtheil: 
Er Hat ſich in Gegenwart der ver— 


ihrer bürgerlichen Pflicht entſetzt und fammelten Bürger auf das Maul zu 
hatten ſich der Gemein zu enthalten, ! ſchlagen und der Stadtrichter wird 
bis ſie die Injurien und Scheltworte ihm eine Geldſtrafe zu geben wiſſen. 


„einer auf den anderen darthun“. 

Strafen bei Ehrenbeleidigungen 
waren: Offentliche Abbitte, Geldbußen 
und Arreſt; 
gergewölb“, Bürgerzimmer, am Rath— 
hauſe abgeſeſſen. — 


Im Folgenden führe ich einige 
Ehrenbeleidi= 


erfolgte Strafen 
gungen an. 


für 


Dans Hauber klagt den Rathsherrn | 


Adam NAdermann, daſs er ihn einen 
Schelm, einen Dieb und Rauber ge= 
nannt babe. Adermann verantwortete 
fih: Hauber habe bei den Schweden 
(im Dreißigjährigen Kriege) gedient, 
was nicht redlich war, ergo fei er ein 


leßterer wurde im „Bürs | 
und fein Weib fjolde muthwilligen 
‚und jchlimmen Reden einftellen und 





Schelm, und weil er vom faifer feinen 
Abjchied habe. Ferner habe er des 
Kaifers Länder ausrauben helfen, ergo | 
jei er ein Dieb und Rauber. Hauber 
ſpricht: Er habe dem Herzog aus 
Tirol gedient und fei bei Landau am 
Bodenſee von den Schweden gefangen, | 

aber nicht mehr ausgelöst worden, 


1632: Einem Gellagten wird vom 
Gerichte befohlen, damit das Gericht 
wegen feiner und feines MWeibes nicht 
Urſachen zu ftrafen habe, jo foll er 


joll er fih und feinem Weibe das 
Maul verbinden. 

1645: Eine Bürgerin bejhimpfte 
einen Bürger: der Rath befahl ihrem 
Manne, er jolle ihr ein „beilres Bijs 
ums Maul legen“, 

1684: Ein Bürger beleidigte eine 
ledige Bürgerstocdhter. Strafe: Es 
fol dem Bellagten wegen feines uns 
gewajchenen Maules ein guter Verweis 
gegeben werden. 

1689: Eine Bürgerin beſchimpfte 
den Stadtwachtmeiſter. Es wurde ihr 
gerichtlich damit gedroht, dafs fie im 
Wiederholungsfalle mit einer Fidel 


‚um den Hals in der Stadt herum— 


geführt werde. 
1690: Der Stadtrichter Hagte 


eine Rathsbürgerin, dafs dieſe feine! 


‚ 439 





1661: Eine Bürgerin ſchnitt ihrer 


Frau beleidigte. Der Rathsbürger ver= | Magd wegen „eines böfen Verbachtes 


theidigte feine rau, dafs dieſe nur 
in der Hißigfeit jo geſprochen, weil 
die Stadtrichterin feiner Frau einſt— 
mals „Stillſchweigen“ geheißen, denn 
es gebühre einer Stadtrichterin nicht, 
jeiner Liebften ſtillſchweigen zu heißen, 
weil diefe und die Stadtrichterin fo 
weit don einander wären, als wie 
Himmel und Erde, denn feine Liebfte 
wäre eine geborene Gräfin (was aber 
nicht wahr war). Urtheil: Der Raths— 
bürger joll fein Weib in den nächſten 
drei Tagen wohl empfindlichft ftrafen, 
widrigenfalls fie eine fchärfere Strafe, 
die ſich der Rath referviert, unfehlbar 
erhalten würde, mit Erwiderung, dafs 
man mit ihr nicht wie mit einer 
Gräfin, als für welche man fie der— 
zeit nicht erkennt, fondern wie mit 
einer Bürgerin verfahren wird. 

1626: Ein Inmwohner fagte, die 
Fürftenfelder Bürgerſchaft ſei zu 
Kriegszeiten zu den Stadtthoren hinaus- 
gelaufen. Beichlufs des Rathes: Der- 
jelbe Hat der ganzen ehrfamen Bürger: 
Schaft abzubitten; er foll niederfnien 
und ſolche „ausgegofjene Red wiederumb 
zu fih nehmen.“ 

Schlägereien. 1657. Strafe: 
1 Reihsthaler oder 4 Tage Wrreft, 
„was er lieber thun will“. Iſt im 
Urreft verblieben. 

1677: Ein Bauer jchlug einen 
Bauern in der Freiung. Decisio: Der 
Geflagte ſoll 32 fl. oder die rechte 
Hand hergeben und ſich mit dem Be— 
leidigten vergleichen; wenn er aber 
bittet, joll es auf 8 Thaler gelafjen 
werden. 

1678: Ein Fleifhhauer verwuns 
dete im Naufhandel einen Bauern. 
Strafe: Ein Dutzend geſelchte Zungen 
für den Rath. 

1695: Ein Bürger ließ feine 
Dienftmagd in Urreft fegen und ſchlug 
fie dort. Strafe: Weil er dem Gerichte 
vorgegriffen, zahlt er demjelben 4 Tha— 
ler, der Dienftmagd 2 Thaler und 
den Baderlohn. 


mit ihrem Mann“ ein ab. 
Strafe: 6 fl. 


Gefährliche Drohung. 1645 


Ohr 


bedrohte der Stadtrichter mit dem 


Degen einen Rathsbürger. Der Ma- 
giftrat beſchloſs: Der Stadtrichter Hat 
bei Pön von 100 Ducaten fo lange 
in jeinem Haufe zu verbleiben und 
joll feinen Fuß mehr daraus feken, 
bis die Sache zwiſchen den Parteien 
gejichlichtet fein wird. Der Stadtrichter 
mujste zwei Rat3herren und zwei 
Bürger als Bürgen ftellen, daſs er 
dem Bedrohten nichts thue. — 

Gottesläfterung. 1657 fagte 
ein Bürger: Wie fann unjer Herrgott 
fo närriſch fein und ſolche Thiere er— 
jhaffen, die dem Menſchen jchaden. 
(Die Spagen fragen feinen Hirs am 
Felde.) Urtheil: Er hat zur Strafe 
ein fteinernes Kreuz bei feinem der 
zu errichten. 

Betrug. Ein Bürger ließ bei 
einem Meſſerſchmied die Betjchaft eines 
anderen Bürgers „nacdhgraben“. Strafe: 
Er foll duch 24 Stunden an der 
Kette gehängt bleiben und dem bes 
treffenden Bürger eine Abbitte thun; 
auch Hat der Vater des Thäters für 
feinen Sohn Bürgfchaft zu leiften. 

Diebftahl. Diebftähle von Ge— 
genftänden geringeren Wertes wurden 
vom Gerichte oft gar nicht geahndet, ſon— 
dern Kläger und Geklagter jollten ſich 
vergleichen; 3. B. beim Diebjtahle eines 
Salbes, von Getreide, von Gras. 

ZTafchendiebftähle wurden durch 
Geldftrafen gefühnt. 

1658: Ein Bürger ftahl Schanz— 
zeug, als die Stadtwälle ausgebeflert 
wurden. Strafe: Y, Tag lang foll 
er auf dem Ejel in der Schanz ſitzen 
und eine Haue und einen Krampen 
bei fi tragen. 

1677: Einer ftahl ein „Stückl“ 
Leinwand. Urtheil: Er foll um 3 fl. 
geftraft und foll ihm das Land bis 
auf Wohlverhalten verwiejen fein. 

1678: Zwei junge Zaglöhner 


ftahlen Ketten, Pflüge, Eggen, Nägel 
und Rosmarinftöde. Sie wurden den 
ſpaniſchen Werbern nad Graz über: 
geben. 

Undere ftrafbare Hand: 
lungen. 1633: Eine Magd, welche 
ihr Kind gleih nad der Geburt ges 
tödtet haben foll, was aber nicht er= 
wiefen war, erhielt folgende Strafe: 
Sie fol zur Buße drei Sonntage in 
der Kirche fnien, mit der Rute und 
brennenden Kerze in den Händen, auch 
darüber Reue und Leid tragen und 
zur Beichte gehen; außerdem foll fie 
die Atzung während ihrer Unterſuchungs- 
haft zahlen, 

1688: Eine Magd zieh ihren 
DienftHeren fälſchlich des Diebftahls. 
Strafe: Sie wurde an den Pranger 
geftellt und mit Ruthen beim Stabtthore 
hinausgeftrichen. 

1701: Eine Landjtreiherin er- 


— 


hielt vom Abdecker die Fidel umge— 
hängt und wurde zur Stadt hinaus— 
geführt. *) 

Manchmal trat man an den Ma= 
giftrat mit Geſchenken heran, damit 
eine anhängige Rechtsſache gefördert 
werde. 1632 bot ein Verwalter in 
einer ſolchen Angelegenheit Richter und 
Rath ein Frühftüd an. Rathſchlag: 
Seine Rechtsſache wird befördert, „die 
Frueſtuck aber nit begert werden, dem 
Einen Erfamen Magiftrat wenig daran 
gelegen it“. 

Schon in diefen wenigen Aus— 
zügen treten uns die Zuftände jener 
Zeit plaftifch und draftifch entgegen; 
um wie viel voller, einheitlicher und 
farbenreicher ijt das ganze Bild, das 
eine verdienftliche Feder uns in dem 
Werke: „Eine fteieriihe Stadt im 
17. Jahrhunderte” gegeben hat. 

M 


Befeelte Saden. 


Belenntniffe aus dem Leben. 






Bon P. R. Rofegger. 


u den vielen Schwächen, welche] oder ein Felſengebirge, jo kann die 
Im Kampf ums Dafein mir) höchft natürliche Urjahe im Schön: 
2 ein wenig abträglich find, ges | heitsgefühl 


liegen. Liebt man ein 


hört meine Anhänglichteit an lebloſe Bild, ein Blatt Papier von theuerer 
Dinge. Wenn man fein Herz an ein) Hand, eine Haarlode, einen Ring, jo 
Pferd, einen Hund, eine Habe, einen| fpielen da die mächtigen Gewalten des 
Bogel hängt, fo begreift fich das; wir) Herzens mit. Schließt man jih an 
willen in dem Thiere ein Gefühl, jehen | ein Feld, an einen Wald, an einen 
in demfelben eine Gegenneigung, ahnen | Garten, fo kann das der Nüßlichkeits- 
an ihm fogar etwas wie Liebe und | finn maden. Wenn man im Gemüthe 
Dankbarkeit. Hat man eine Blume gerne, | aber an einem alten Kleidungsftüde, 
oder einen Fluſs, oder einen See, | an einem halbvermoderten Schranf, an 


*) Anführungswert ift folgende Strafe aus dern Jahre 1777: Clemens Wallis wird 
angellagt, daſs er fein Weib mijshandle, ftreitjüchtig ſei und auf die geiftlihe und 
weltliche Obrigfeit fhimpfe. Strafe: Der Gellagte hat im Winter bis längftens 
7 Uhr abends zuhauſe zu fein, feinen ehelichen Gegentheil bejheidentlich zu halten, 
das übermäßige Trinfen und Spielen zu meiden, am freitag und Samstag fih des 
Bleifheffens zu enthalten, bei Aufnehmung einer Dienftmagd feiner Frau die freie 
Wahl zu laſſen und ihr diesfalls nicht im mindeften etwas einzureden, täglih eine 
heilige Meſſe anzuhören und in Zukunft mit feiner Frau und den Hausleuten in 
Ruhe und Frieden zu leben. Alles bei Strafe von 25 Prügeln und breitägigem 
Faſten bei Wafler und Brot. 








441 


beftimmter Ede eines Zimmers hängt, 
jo jcheint das wohl zweck- und ſinn— 
08 und eine manchmal fogar lächer— 
liche Schwäche zu fein. 

Ich ſchäme mich diefer Schwäche 
faum, fie bedeutet für mich ein Ta— 
lent, mit Dingen glüdlih zu fein, 
mit denen viele andere nichts anzu» 
fangen willen. Zudem, feelenlofe Ge- 
genftände kann man ja befeelen, faft 
zu einer lebendigen Perſon machen, 
oder, jie bejeelen fih im Laufe der 
Zeit und der Geſchicke felbit. Jedes 
der alten Möbel, die in meinem Zim— 
mer ftehen, hat für mich eine beftimmte 
Phyſignomie befommen, mit der es 
entweder ernft dreinſchaut, wie der 
Uhrkaſten mit der Uhr, oder einneh- 
mend lächelt, wie die Schublade, oder 
Ihalthaft blinzelt, wie der Spiegel, 
oder beſchaulich dalehnt wie der Seſſel, 
oder bereitwillig mitarbeitet wie der 
Schreibtiſch, oder friedlich ſchlummert, 
wie das Belt, oder ein dummgut— 
müthiges Bebdientengefiht macht, wie 
der Stiefelfnedt. 

Mein alter Schreibtiich, an welchem 
ich meine Erſtlingswerke verfajst, die 
reinften literarifchen Freuden genofjen, 
die erflen Erfolge erfahren, er ſteht 
ſehr unbeholfen und ungefüg da in 
der Stube, er zerftört den „Stil“ der 
Einrichtung ; gute Belannte befhwören 
mich, diefes Möbel zu entfernen. Ich 
fann es nicht, ich will es nicht. — 
Manchmal, wenn ich in traulich einfamen 
Stunden in der Stube auf» und ab— 
gehe, trete ich zu dieſem Schreibtifche, 
und wie ein alter Krieger fein inva— 
lides Pferd fireichelt, mit dem er 
Schlachten geichlagen, fo ftreichle ich 
das alte Möbel, das ich lieb Habe, 
aus Dankbarkeit als ein Denkmal 
glüdlicher Stunden der Vergangenheit. 

Trete ich eine Reife an, jo verab— 
ihiede ich mich förmlich von einzel= 
nen Einrihtungsftüden und Bildern, 
wenn ich hereinkomme, grüße ich jie 
ebenfo Herzlich. Und bin fogar eifer— 
ſüchtig. Die Wanduhr darf in meiner 
Abwejenheit nicht ihre Zil»Tat ſchla— 


— — — Ten 


gen, ich ſtelle ſie früher ab, ziehe ſie 
aber auf, damit ſie bei meiner Rück— 
kunft ſofort in Gang geſetzt werden 
kann. Mir iſt auch nicht darum, daſs 
der Zeiger richtig die alltägliche Zeit 
anzeige, ſie mag Mitternacht haben, 
wenn ich mein Morgenbrot einnehme, 
oder Abend, wenn ich Mittag eſſe, 
ganz wie es ihr beliebt, ſie wie ich 
richten uns nach keiner Stunde. Ich 
brauche auch ihr aufdringliches Aus— 
rufen der Stunde nicht — ſie ſei die 
richtige oder unrichtige — darum habe 
ich ihr den Mund verboten, das heißt, 
das Schlagwerk geſperrt. Nur ihren 
ernſtgemüthlichen Pendelſchlag will ich 
ſtets hören, der des Tages mir das 
Gefühl der Einſamkeit verſcheucht und 
in der Nacht manchen unwirtlichen 
Traum löst, Wenn ih fremd im 
Eifenbahnzuge fie, mein Gepäd, 
meine Yahrfarte nicht weiß, höchſt 
jpärlich bekleidet bin und im nächiten 
Augenblid ausfteigen joll, jo iſt das 
eine unangenehme Sache, aus der 
den Träumenden das Tik-Tak der 
Uhr endlich wedt. Alſo if es 
auch, wenn ich auf hohem Gebirge, 
auf einem Felsvorfprung liege, jeden 
Augenblid in Gefahr, in die Tiefe zu 
ftürzen, meine Sameraden verloren 
babe, fie für verunglüdt Halten muſs, 
da jagt die Uhr: Tik-Tak, wach’ auf, 
du bift daheim mwohlgeborgen in deiner 
Stube. 

Der Gewandfaften, der Bücher: 
ſchrank, der verräucherte Kupferſtich 
an der Wand, das Kreuz aus Lär— 
chenholz meines Heimatswaldes, ganz 
ſchlecht geſchnitzt, es find nichts weni— 
ger als Zierden, ſie machen die Woh— 
nung nicht ſchön, aber ſie machen mir 
ſie lieb. Sie ſind bei mir geweſen in 
den Zeiten großer Armuth, in den 
Tagen des Leides, in Jahren anſpruchs— 
loſer Jugendluſt — und jetzt, da es 
mir beſſer geht, ſoll ich ſie verabſchie— 
den? In die Rumpelkammer ſtecken 
oder gar dem Trödler verkaufen? So 
undankbar mag ich nicht ſein. Der 
Menſch darf ſich auch gegen lebloſe 


ur a ne 


Fe U 


=. 


Dinge einer Art von Dankbarkeit bes 
fleißen, damit er fie um fo leichter 
übe gegen lebendige Wejen, gegen 
Thiere, die ihm gedient, gegen Men— 
ſchen, die opferwillig ihm Gutes ge— 
than haben. Die Pietätlofigkeit gegen 
Eaden, welche auf langen Lebens 
wegen uns begleitet haben, iſt das 
Zeichen eines eigennüßigen, dankloſen 
Herzens. Auch ich Habe mich anzukla— 
gen in manden. Ein Edtäfihen aus 
meinem Baterhaufe, in welches der 
Vater einft die geweihte Wachskerze, das 
Steuerbüchel und den Bauernkalender 
gethan, in welches die kranke Mutter ihre 
Medicinen, ihr Eislöffelhen, ihr Gebet- 
buch zu legen pflegte, war mir viel 
zu rußig und wurmftichig geweſen für 
die Stadtwohnung, ich verfchentte es. 
Nah einiger Zeit wollte ich das alte 
Käftchen zurüdfanfen, aber es war nicht 
mehr zu finden, e8 war wohl von 
fremden Händen mit Verachtung zer- 
trümmert und in den Ofen geworfen 
worden. 

Ih kann mir ohne Herzweh vor- 
ftellen, wenn fie einft meinen geftor- 
benen Leib ohne viel Umftände hin— 
austragen und irgendwo vergraben 
werden; aber wie nach meinem Tode 
die Trödler fommen und meine „Sachen“ 
verjchleppen, auf den Fetzenmarkt wer— 
fen, die Leute darum ein bifschen feil— 
Shen und dann mit MWegwerfung vor» 
übergehen werden, das darf ich mir 
nicht lebhaft vorftellen, ohne in Trau— 
rigfeit zu verfallen. Und es ift ja 
wahr, ein Menfchenleib, der geitorben, 
ift ganz feelenlos, kann nichts mehr 
wirken, kann niemandem mehr gefäl« 
lig fein und niemandem zur Freude; 
ein Kaften, ein Bild, ein Tiſch, für fo 
leblos es auch gilt, kann immer wieder 
etwas leiften, den Menjchen dienen, 
ihnen Behaglichkeit oder Vergnügen 
bereiten. Alfo lebt mancher „lebloje” 
Schrank Jahrhunderte lang, erlebt eine 
Meltgefhichte und eine eigene, eine 
Schrankgeſchichte, könnte feiner treuen 


Dienfte wegen in den Adelsſtand er— 


hoben werden, wie das ja gleichſam 


der Fall ift in ariftofratiichen Häu— 
fern, wo ſolche Gegenjtände forgfältig 
bewahrt werden von Gefchlecht zu Ge— 
ihleht und ihre Wappen aufgedrüdt 
haben, und endlich, wenn fie ganz un 
brauchbar geworden, in einem alten 
Schloſſe ihre Benfion genießen, bis fie 
vollends in Moder zerfallen. 

In einem Hauſe, das ganz 
nach der Mode eingerichtet iſt, wo 
man kein altes Stück und nicht die 
geringſte „Stilloſigkeit“ findet, leben 
Parvenus, und noch dazu ſolche, die 
nicht gemüthlich ſind, nicht herztreu, 
denn ſonſt müſste ſich ein oder das 
andere Andenken an Eltern, Geſchwi— 
fter oder Familienereigniſſe immerhin 
finden. Ganz fo gleichgiltig, wie fie 
die Saden angekauft, fünnen fie die- 
jelben wieder weggeben, fie bleiben 
fremd in ihrer eigenen Wohnung, oder 
mit einem praftifcheren Worte, fie blei— 
ben unabhängig gegenüber den Cana— 
pees, Fauteuils, Commodeurs, Eta— 
geres, Secretärd u. |. w. — Und es 
ift ganz Hug, das. 

Ya, lächerlich mag es jein, das 
Schifflein des Lebens mit unprafti- 
ſchem Ballafte zu füllen, für den der 
Name „Gerümpel“ manchmal nicht viel 
| gut if. Auch ich lache mit, aber 
aus Vergnügen über die guten Geifter 
meines Hanfes, die in Holz, Papier 
und Bein wohnen. 

Im Speifezimmer meines Som: 
merhaufes fteht ein ungeſchlachter Tiſch. 
Er ift alt, mafliv, jo jchwer, dafs 
zwei Perfonen dazu gehören, um ihn 
von der Stelle zu rüden, und hat 
bloß Platz für acht Perfonen. Unſer 
find zwölf und oft noch mehr, aber 
wir müſſen uns an den Tiſch zwän— 
gen und allerlei Unbequemlichkeit 
leiden; doch, die einfache Koſt, die 
daraufgefeßt wird, jchmedt, denn es 
ift der Tiſch aus meinem alten Vater: 

| hauſe, auf weldem ich den erften guten 
Knödel gegefien und den erften ſchlechten 
| Vers gejchrieben habe. 

In meinem Bücherlaften befindet 
ſich eine alte Scharteke, didbaudig 





eu 


und unförmig, die Blätter vergilbt, der 
Einband von abgeftandenem Schweing- 
leder, welches jeit den vierzig Jahren, 
da ich es Femme, riecht, wie ange— 
branntes Horn. In diefem Buche — 
es ift mehrere hundert Jahre alt — 
ftehen curiofe Sachen, aber ich brauche 
gar nit darin zu lefen, ſchon durch 
fein Dafein erzählt e& mir allerhand 
Geihichten; ich wüſste feine Verbin» 
dung herzuftellen zwiſchen dem zwei 
Dingen. Thatſache aber ift, dafs, fo 
oft ich diefes alte Buch anfehe, mir 
mein erfted — wohl ziemlich harm— 
loſes — Liebesabenteuer einfällt. 

In einem fehr geheimen Fache 
verwahre ih ein paar Ducaten. Sie 
find das ZTaufpathengeichent für mei- 
nen älteften Sohn. Nun follte ich euch 
einmal bejchreiben fönnen, was dieje 
Goldmünzen für Augen machen! — 
Genau ſolche, wie ein Heines Sind, 
welches mit kirſchrunden, munteren 
Auglein in die Welt blidt. Wenn 
ih eines dieſer Ducatlein vorwitzig 
einmal ein wenig in den Rand knei— 
pen wollte, ih bin überzeugt, dafs 
es aufjchriee, wie ein gefneiptes 
Kind. 

Im Winkel hinter meinem Bücher: 
ſchranke lehnt ein altes Stüd Holz. 
Es fieht aus, wie ein wmorfchender, 
halbentrindeter Baumaft. 


5 


Ein neues Stubenmädchen, welches 
wir ins Haus genommen, traf ich ge— 
rade, wie ſie im Begriffe war, dieſen 
dürren Aſt übers Knie abzubrechen 
und in den Ofen zu ſtecken. Noch zum 
Glücke konnte ich es verhindern; hätte 
ſie mir dieſes Holz vernichtet, ſo 
würde ich fie wahrfcheinlich ermordet 
haben. Es ift ein Stod, den ich mir 
einst al3 junger Menſch in den Ur— 
wäldern der Inſel Rügen gefchnitten, 
mit dem ih damals meine Reifen durch 
die germanischen Länder gemacht Hatte, 
mit welchem ich alljährlich froh erreg- 
ten Herzens den Ehriftbaum anzünde 
und den fie mir einft in den Sarg 
mitgeben müſſen, weil unfereiner halt 
auch noch im Sarge fein Plaiſirchen 
haben will. 

Eine befondere Einfeitigfeit in 
jolher Alterthümer = Liebhaberei und 
foldem Erhaltungsfinne mödte ich 
aber nicht empfehlen. Wefentlih un— 
ſympathiſcher als etwa ein Urgroß— 
vaters-Spucknapf war mir jener Mann, 
welcher das Gebetbuch ſeiner Mutter 
in köſtlichem Schrank verwahrte, ſelbes 
mit allerlei Ehrenbezeigungen über— 
häufte, es manchmal unter den Aus— 
drücken gerührter Kindesliebe ſeinen 
Freunden zeigte, — die alte Mutter 
ſelbſt aber unter fremden Leuten dar— 
ben ließ. 


Die Meinung Anderer über uns, 
und was fie wert ill. 


ie Leute — bejonderd die der 


Demzufolge ift es wohl an der 


jogenannten gebildeten Stände | Zeit, die Ehre, oder den Wert defjen, 


® — pflegen viel zu wenig Wert 
zu legen auf das, was fie find, und 
zu diel auf das, was fie bei anderen 


vorftellen. Man opfert den, was man 


unter „Ehre“ verfteht, Glüd und Ge— 
willen. 


was andere von uns Halten, des 
näheren zu betrachten, 

Schopenhauer ift font nicht unfer 
Mann, allein feine Betrachtungen über 
diefen Gegenftand deden fih mit 


unferer Anſchauung fo genau, dafs 


fie Hier zum Theile plabfinden mögen. 
Schopenhauer jagt: 

Unfer Dafein in der Meinun 
anderer wird, infolge einer bejonderen 
Schwäche unjerer Natur, durchgängig 
viel zu Hoch angefchlagen; obgleich 
Ihon die leichteſte Beſinnung lehren 
könnte, dajs es an fich jelbit, für unfer 
Glück unweſentlich ift. Es iſt demnach 
kaum erklärlich, wie ſehr jeder Menſch 
ſich innerlich freut, ſo oft er Zeichen 
der günſtigen Meinung anderer merkt 
und ſeiner Eitelkeit irgendwie ge— 
ſchmeichelt wird. Oft tröſten ihn über 
reales Unglück oder über die Kargheit, 
mit der für ihn die beiden bis hierher 
abgehandelten Hauptquellen unſeres 
Glückes fließen, die Zeichen des frem— 
den Beifalls: und umgekehrt iſt es 
zum Erſtaunen, wie ſehr jede Ver— 
letzung ſeines Ehrgeizes, in irgend 
einem Sinne, Grad, oder Verhältnis, 
jede Geringſchätzung, Zurüchſetzung, 
Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und 
oft tief ſchmerzt. Sofern auf dieſer 
Eigenſchaft das Gefühl der Ehre be— 
ruht, mag fie für das Wohlverhalten 
vieler als Surrogat ihrer Moralität 
von erjprießlichen Folgen jein; aber 
auf das eigene Glüd des Menjchen, 
zunächſt auf die dieſem fo wejentliche 
Gemüthsruhe und Unabhängigfeit, 
wirkt fie mehr flörend und nachtheilig 
als förderlich ein. Daher ift es, von 
unferem Gejichtspunft aus, rathſam, 
ihr Schranken zu ſetzen und mittelft 
gehöriger Überlegung und richtiger 
Abſchätzung des Wertes der Güter jene 
große Empfindlichfeit gegen die fremde 
Meinung möglichft zu mäßigen, ſo— 
wohl da, wo ihr geichmeichelt wird, 
als da, wo ihr wehe gejchieht: denn 
beides hängt am felben Faden. 

Der Ort deifen, was wir für andere 
find, ift das fremde Bewufstjein: es 
iſt die Vorftellung, unter welder wir 
darin erfcheinen, Dies nun ift etwas, 
das unmittelbar gar nicht für uns 
vorhanden ift, fondern bloß mittelbar, 
nämlich jofern das Betragen der an— 
deren gegen uns dadurch beſtimmt 


wird. Und auch diejes ſelbſt kommt 
eigentlih nur in Betradht, ſofern es 
Einfluj3 hat auf irgend etwas, wo— 
dur das, wa mir in und für 
uns jelbft find, mobdificiert werden 
fann. Außerdem ift ja was in einem 
fremden Bemwufstjfein vorgeht, als 
joldhes, für uns gleichgiltig, und auch 
wir werden allmählig gleichgiltig da- 
gegen werden, wenn wir bon Der 
Oberflächlichkeit und Futilität der Ge- 
danken, von der Beſchränktheit der 
Begriffe, von der Sleinlichkeit der Ge— 
finnung, von der Berfehrtheit der 
Meinungen und von der Anzahl der 
Irrthümer in den allermeiften Köpfen 
eine hinlängliche Kenntnis erlangen, 
und dazu aus eigener Erfahrung 
lernen, mit welcher Geringſchätzung 
gelegentlih von jedem geredet wird, 
jobald man ihm nicht zu fürchten bat, 
oder glaubt, es komme ihm wicht zu 
Ohren; insbejondere aber nachdem 
wir einmal angehört Haben, wie vom 
größten Manne ein halbes Dugend 
Schafstöpfe mit Wegwerfung fpridt. 

Auf der Bühne fpielt einer den 
Fürſten, ein anderer den Rath, ein 
dritter den Diener oder den Soldaten 
oder den General u. ſ. f. ber 
diefe Unterschiede find bloß im Aus 
Bern vorhanden, im Innern, als ern 
einer ſolchen Erſcheinung, ftedt bei 
alleu dasfelbe: ein armer Comödiant 
mit feiner Plage und Noth. Im Leben 
ift es aud jo. Die Unterjchiede des 
Ranges und Reichthumes geben jedem 
jeine Rolle zu jpielen; aber keines— 
wegs entjpricht diefer eine innere Ber: 
Ichiedenheit des Glüdes und Behagens, 
ſondern auch hier ftedt in jedem derjelbe 
arme Tropf mit feiner Noth und 
Blage, die wohl der Form nach bei 
jedem eine andere ift, aber dem Stoffe, 
d. 5. dem eigentlihen Weſen nad, 
jo ziemlich bei allen diefelbe; wenn 
auch mit Unterfchieden des Grades, 
die fi aber feineswegs nah Stand 
und Reichthum, d. 5. nach der Rolle 
richten. 

Jedenfalls ift der auf eine küm— 








merliche Reſſource hingewieſen, der 
fein Glück nicht in fich findet, ſondern 
es bier ſuchen muſs, alfo nicht in dem, 
was er wirklich, jondern in dem, 
was er in der fremden Borftellung 
ift. Unſere Wohlfahrt, Gewiſſen, Ges 
fundheit ift das Weſentlichſte, dann 
die Mittel zu unferer Erhaltung, alfo 
ein ſorgenfreies Auslommen. Ehre, 
Glanz, Rang, Ruhm, jo viel Wert 
auch mancher darauf legen mag, können 
mit jenen wefentlichen Gütern micht 
competieren, noch fie erfegen: vielmehr 
würden fie, erforderlichen Falles, uns 
bedenklich für jene hingegeben werden. 
Dieferwegen wird es zu unferem Glücke 
beitragen, wenn wir beizeiten die ſimple 
Einſicht erlangen, daſs jeder zunächft 
und wirklih in feiner eigenen Haut 
lebt, nicht aber in der Meinung an— 
derer, und daſs demnach unfer realer 
und perfönlicher Zuftand, wie er durch 
Gefundheit, Temperament, Fähigkeiten, 
Einkommen, Weib, Kind, Freunde, 
Mohnort u. ſ. w. beftinmmt wird, für 
unfer Glüd Hundertmal wichtiger ift, 
als was e3 anderen beliebt, aus uns 
zu machen. Der entgegengejegte Wahn 
macht unglücklich. Wird mit Emphaje 
ausgerufen „über® Leben geht nod 
die Ehre”, jo befagt dies eigentlich: 
„Dafein und Wohlſein find nichts; 
jondern was die anderen bon ums 
denken, das ift die Sache“. Wenn 
man jieht, wie faft alles, wonach Men 
hen ihr lebenlang mit raftlofer An— 
ftrengung und unter taufend Gefahren 
und Mühſeligkeiten unermüdlich ftreben, 
zum leßten Zwede hat, ſich dadurch 
in der Meinung anderer zu erhöhen, 
indem nämlich nicht nur Amter, Titel 
und Orden, fondern auch Reichthum, 
und ſelbſt Wiſſenſchaft und Kunit, 
im Grunde und Hauptfächlich deshalb 
angejtrebt werden, und der größere 
Reſpect anderer das lebte Ziel ift, 
darauf man hinarbeitet: jo beweist 
dies leider nur die Größe der menfch- 
lichen Thorheit. Viel zu viel wert auf 
die Meinung anderer zu legen, ijt ein 
allgemein herrſchender Itrwahn: mag 


445 


er num in unferer Natır ſelbſt wurzeln, 
oder infolge der Geſellſchaft und Civi— 
lifation entftanden fein; jedenfalls übt 
er auf unſer gefammtes Thun und 
Laſſen einen ganz übermäßigen und 
unferem Glüde feindlichen Einflujs 
aus, den wir verfolgen können. Diejer 
Mahn bietet allerdings dem, der die 
Menſchen zu beherrichen oder jonft zu 
lenten hat, eine bequeme Handhabe 
dar; weshalb in jeder Art von Men— 
ſchendreſſierungskunſt die Weifung, das 
EHrgefühl rege zu erhalten und zu 
Ihärfen, eine Hauptitelle einnimmt: 
aber in Hinficht auf das eigene Glüd 
des Menſchen, welches hier unfere Ab— 
ficht ift, verhält fih die Sache ganz 
anders, und ift vielmehr davon abzu— 
mahnen, daſs man nicht zu viel Wert 
auf die Meinung anderer lege. Wen 
es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, 
dennoch geichieht, wenn die meiften 
Menjchen gerade auf die Meinung an— 
derer bon ihnen den höchſten Wert 
legen und es ihnen darum mehr zu thun 
it, als um dad, was, weil es in 
ihrem eigenen Bewufstjein 
vorgeht, unmittelbar für fie vorhanden 
ift; wenn fie alſo das Abgeleitete und 
Secundäre zur Hauptſache machen und 
ihnen mehr das Bild ihres Weſens 
im Kopfe anderer al3 diejes Weſen 
jelbft am Herzen liegt; jo ift Diele 
unmittelbare Wertſchätzung deſſen, was 
für uns unmittelbar gar nicht vor» 
handen ift, diejenige Thorheit, welche 
man Eitelkeit, vanitas genannt Hat, 
um dadurch das Leere und Gehaltlofe 
diefes Strebens zu bezeihnen. Auch 
ift aus dem Obigen leicht einzufehen, 
dafs jie zum Vergeſſen des Zmedes 
über die Mittel gehört jo gut wie 
der Geiz. 

In der That überjchreitet der 
Mert, den wir auf die Meinung an— 
derer legen und unfere beftändige Sorge 
in betreff derjelben, in der Regel, fait 
jede vernünftige Bezwedung, jo daſs 
fie als eine Art allgemein verbreiteter, 
oder vielmehr angeborener Manie an— 
gejehen werben kann. Bei allem, was 


446 


wir thun und laſſen, wird, faſt dor der Ehrfucht, den Zod in jchredlichiter 
allem anderen, die fremde Meinung Geſtalt, nebft der Ewigfeit dahinter, 
berüdlichtigt, und aus der Sorge um |vor Augen, feine andere Sorge zu 


fie werden wir, bei genauer Untere 
ſuchung, faft die Hälfte aller Beküm— 
merniſſe und Angfte, die wir jemals 
empfunden haben, hervorgegangen jehen. 
Denn fie liegt allem unferen, fo oft 
gefräntten, weil jo franfhaft eınpfind- 
lichen Selbftgefühl, allen unſeren Eitel— 
feiten und Prätenfionen, wie auch 
unferem Prunfen und Großthun, zus 
grunde. Ohne diefe Sorge und Sucht 
wiirde der Lurus kaum ein Zehntel deſſen 
fein, was er ift. Welche Opfer heifcht 
fie nicht oft! Die Eitelkeit zeigt fich Schon 


haben, als die, um den Eindrud auf 
den zufammengelaufenen Haufen der 
Gaffer und die Meinung, welche man 
‚in deren Köpfen zurüdlaffen wird! — 
Und doch war ebenfo der in Frank— 
reich wegen verjuchten Königsmordes 
bingerichtete Lecomte bei feinem Pro- 
ceſs hauptſächlich darüber verdrießlich, 
daſs er nicht in anſtändiger Kleidung 
vor der Pairskammer erſcheinen konnte, 
und ſelbſt bei ſeiner Hinrichtung war es 
ihm ein Hauptverdrufs, daſs man ihm 
nicht erlaubt Hatte, ſich vorher zu ra— 


im Finde, jodann in jedem Lebensalter, ;fieren. — An folden Zügen können 
jedod am ftärkjten im ſpäten; weil fie wir jelbft uns fpiegeln; denn kolofjale 
dann, beim Berfiegen der Fähigkeit Fälle geben überall die deutlichite Er— 
zu finnliden Genüffen, Eitelkeit und jläuterung. Unfer aller Sorgen, Küm— 
Hochmuth nur noch mit dem Geize/mern, Wurmen, Argern, Angitigen, 


die Herrichaft zu theilen hat. 
Beifpiel: Hinrichtung des Thomas 
Mir, eines Dandwerkögejellen,, der 
aus Rache jeinen Meifter ermordet 
hatte. An dem zur Hinrichtung feſt— 
gejegten Morgen fand ſich der hoch— 
würdige Gefängntiscaplan zeitig bei 
ihm ein. Allen Wir, obwohl fi 
ruhig betragend, zeigte feinen Antheil 
an jeinen Ermahnungen; vielmehr 
war das einzige, was ihm am Herzen 
lag, dafs es ihm gelingen möchte, vor 
den Zuſchauern feines ſchmachvollen 
Endes fih mit recht großer Bravour 
zu benehmen. — — — Dies ift ihm 
denn auch gelungen. Auf dem Hof— 
raum, den er zu dem hart am Ge— 
fängnis errichteten Galgenſchafott zu 
durchſchreiten hatte, jagte er: „Wohlan 
denn, wie Doctor Dodd gejagt Hat, 
bald werde ich das große Geheimnis 
wiſſen!“ Er gieng, obwohl mit ge= 
bundenen Armen, die Leiter zum Scha= 
fott ohne die geringfte Beihilfe hinauf; 
daſelbſt angelangt, machte er gegen die 
Zuſchauer rechts und links Verbeu— 
gungen, welche denn auch mit dem 
donnernden Beifallsruf der verſammel— 
ten Menge beantwortet und belohnt 
wurden. — Dies iſt ein Prachtexemplar 


Anſtrengen u. ſ. w. betrifft, in viel— 
leicht den meiften Fällen, eigentlich die 
fremde Meinung und ift ebenfo abfurd, 
wie das jener armen Sünder, Nicht 
weniger entjpringt unfer Neid und Haſs 
größtentheil$ aus befagter Wurzel. 
Um jene allgemeine Thorheit los- 
zjumerden, wäre das alleinige Mittel, 
fie deutlich als eine ſolche zu erkennen, 
und zu diefem Zwecke ſich klarzu— 
machen, wie ganz falſch, verkehrt, irrig 
und abfurd die meilten Meinungen 
in den Köpfen der Menjchen zu fein 
pflegen, daher fie an fich ſelbſt feiner 
Beahtung wert find; jodann, wie 
wenig realen Einfluf auf uns die 
Meinungen anderer, in dem meiften 
Dingen und Fällen, haben kann; 
ferner, wie ungünftig überhaupt fie 
meiftentheils ift, jo daſs faft jeder ſich 
frank ärgern würde, wenn er vernähnte, 
was alles von ihm gejagt und in 
welchem Tone von ihm geredet wird; 
endlich, daſs ſogar die Ehre felbit doc 
eigentlih nur von mittelbarem und 
und nicht von unmmittelbarem Werte 
ift u. dgl. m. Wenn eine joldhe Bes 
fehrung von der allgemeinen Thorheit 
uns gelänge, fo würde die Folge ein 
unglaublih großer Zuwachs an Ge- 


aM 


müthsruhe und Heiterfeit und eben— 
falls ein fefteres und ficheres Auftreten, 
ein durchweg unbefangeneres und na= 
türlicheres Betragen fein... Der fo 
überaus wohlthätige Einflufs, den eine 
zurüdgezogene Lebensweife auf unjere 
Gemüthsruhe hat, beruht größtentheils 
darauf, daſs eine ſolche uns dem fort— 


währenden Leben vor den Augen ans 


derer, folglich der fteten Berüdjichtie 
gung ihrer etwaigen Meinung entzieht 
und dadurch uns jelber zurüdgibt. 
Imgleichen würden wir fehr vielem 
realen Unglück entgehen, in welches 
nur jenes Streben, jene heillofe 
Thorheit und zieht, würden auch viel 
mehr Sorgfalt für jolide Güter übrig 
behalten und dann auch dieſe unges 
flörter genießen. 

Die Ehre! Die Ehre ift das 
äußere Gewiflen, und das Gewiſſen 
die innere Ehre, 


Zutrauen zu ihm alfo eine gewille, 
gute Meinung von ihm zu hegen haben, 
entjtehen mehrere Arten der Ehre. 

Die weiteite Sphäre hat die bür= 
gerlide Ehre: ſie befteht in der 
Vorausſetzung, daſs wir die Rechte 
eines jeden unbedingt achten und da= 
her ums nie ungerechter oder gejeßlich 
unerlaubter Mittel zu unſerem Vor— 
theile bedienen werden. 

Die bürgerliche Ehre hat zwar 
ihren Namen vom Bürgerftande, allein 
ihre Geltung erjtredt ſich über alle 
Stände ohne Unterfhied, ſogar die 
allerhödhften nicht ausgenommen; fein 
Menſch kann ihrer entrathen, und es 
iſt mit ihr eine gar ernſthafte Sache, 
die jeder ſich hüten ſoll leichtzu— 
nehmen. Wer Treu und Glauben bricht, 
hat Treu und Glauben verloren, auf 
immer, was er auch thun und wer 
er auch fein mag: die bitteren Früchte, 


Die Wurzel und der Urfprung = welche diejer Verluſt mit fich bringt, 
jedem nicht ganz verdorbenen a werden nicht ausbleiben. 


eimvohnenden Gefühles für Ehre und 


i 


Sie ift die Bedingung zur Theil: 


Schande, wie auch des hohen Wertes, nahme an allem friedlichen Verkehr. 


welcher erfterer zuerkannt wird, liegt 
in Yolgendem. Der Menſch für ſich 
allein vermag gar wenig und iſt ein 





Sie geht verloren durch eine einzige 
offenbar und ſtark dawider laufende 
Handlung, folglih auch durch jede 


verlaffener Robinfon; nur in der Ges Criminalſtrafe, wiewohl nur unter 
meinſchaft mit den anderen iſt und ver⸗ Vorausſetzung der Gerechtigkeit der— 


mag er viel. Darum entſteht in ihm | 
das Beitreben, für ein taugliches Mit- 
glied der menschlichen 
zu gelten. 
dadurch, dafs er erftlich das Teiftet, 
was man bon jedem überall, 
ſodann das, was man von ihm in 
der bejonderen Stelle, die er einge- 
nommen bat, fordert und ermartet, 
Eben jo bald aber erfennt er, das 


es hiebei nicht darauf ankommt, dafs abgehen ſollen. 


| 


Keſellſchaft einen negativen Charakter, näm— 
Ein ſolches iſt er nun lich im Gegenſatz des Ruhmes, der 





ſelben. 
Die Ehre hat in gewiſſem Sinne 


einen poſitiven Charakter hat. 


und Denn die Ehre ift nicht die Meinung 


von befonderen, diefem Subject allein 
zulommenden Gigenjchaften, jondern 
nur bon den der Regel nach voraus» 
zufegenden, als welche fie auch ihm nicht 
Sie bejagt daher nur 


er es in feiner eigenen, ſondern dafs | dajs dies Subject feine Ausnahme 
er es in der Meinung der anderen jei. | mache; während der Ruhm bejagt, 


Hieraus entjpringt demnach fein eif: | 
riges Streben nah der günftigen 


Meinung anderer und der hohe, 


Wert, den er auf diefe legt. 

Aus den verjchiedenen Beziehungen, 
in denen der Menſch zu anderen ftehen 
fanıı, und in Dinfiht auf welche fie 


dafs es eine made. Ruhm muſs da= 
her erft erworben werden; die Ehre 
Hingegen braucht bloß nicht verloren 
zu gehen. 

Nun gibt es noch eine von jener 
allgemein und überall giltigen gänzlich 
verjchiedene Gattung der Ehre, bon 


— mt 4 


welcher weder Griechen noch Römer 
einen Begriff hatten, jo wenig wie 
Ghinefen, Hindu und Mohammedaner 
bis auf den heutigen Tag irgend etwas 
von ihr willen. Deun fie ift erft im 
Mittelalter entjtanden und bloß im 
hriftliden Europa einheimifch gewor- 
den, ja ſelbſt Hier nur unter einer 
äußerſt Heinen Fraction der Bevöl— 
kerung, nämlich unter den höheren 
Ständen der Geſellſchaft, und was 
ihnen nacheifert. Es iſt die ritterliche 
Ehre oder das point d'honneur. 

1. Dieſe Ehre beſteht nicht in 
der Meinung anderer von unſerem 
Wert, ſondern ganz allein in den 
Außerungen einer ſolchen Mei— 
nung, gleichviel ob die geäußerte 
Meinung wirklich vorhanden ſei oder 
nicht, — geſchweige, ob ſie Grund 
habe. Demnach mögen andere infolge 
unſeres Lebenswandels eine noch ſo 
ſchlechte Meinung von uns hegen, uns 
noch ſo ſehr verachten; ſo lange nur 
keiner ſich unterſteht, ſolches laut zu 
äußern, ſchadet es der Ehre durchaus 
nicht. Umgekehrt aber, wenn wir auch 
durch unſere Eigenſchaften und Hand— 
lungen alle anderen zwingen, uns ſehr 
hoch zu achten (denn das hängt nicht 
von ihrer Willkür ab): ſo darf den— 
noch nur irgend einer, — und wäre 
es der ſchlechteſte und dümmſte — ſeine 
Geringſchätzung über uns ausſprechen, 
und alsbald iſt unſere Ehre verletzt, 
ja fie iſt auf immer verloren, wenn 
fie nicht wieder hergeftellt wird. — 
Ein überflüjfiger Beleg dazu, dafs es 
feineswegs auf die Meinung ans 
derer, jondern allein auf die Auße— 
rung einer folchen ankomme, ift der, 
daſs VBerunglimpfungen zurüdges 
nommen, nöthigenfall3 abgebeten 
werden lönnen, wodurd es dann ift, 
als wären fie nie gefchehen ; ob. dabei 
die Meinung, aus der fie entfprungen, 
fih ebenfalls geändert habe, und wes— 
halb dies geſchehen fein follte, thut 
nichts zur Sache; nur die Außerung 
wird anmulliert, und dann ift alles 


abgefehen, Reſpect zu verdienen, ſon— 
dern ihn zu ertroßen. 

2. Die Ehre eines Mannes berubt 
nicht auf dem, was er thut, fondern 
auf dem, was er leidet, was ihm 
widerfährt. Wenn nad den Grund» 
fägen der allgemein geltenden Ehre 
diefe allein abhängt von dem, as 
er felbft jagt oder thut: fo 
hängt hingegen die ritterliche Ehre ab 
bon dem, was irgend ein anderer 
jagt oder thut. Sie liegt ſonach im 
der Hand, ja hängt an der Zungen- 
[pie eines jeden, und kann, wenn 
diefer zugreift, jeden Augenblid auf 
immer verloren gehen, falls nicht der 
Betroffene durch einen bald zu erwäh— 
menden Deritellungsproceis jie wieder 
an ſich reißt, welches jedoch nur mit 
Gefahr feines Lebens, feiner Gefund- 
beit, feiner Freiheit, feines Eigenthunts 
und feiner Gemüthsruhe gejcheben 
fan. Diefen zufolge mag das Thun 
und Lafjen eined Mannes das recht- 
ichaffenfte und edelfte, fein Gemüth 
das reinfte und fein Kopf der emi- 
nentefte fein: jo kann dennoch jeine 
Ehre jeden Augenblid verloren geben, 
jobald es nämlich irgend einem, — 
der nur noch nicht diefe Ehrengeſetze 
verlegt hat, übrigens aber der nichts- 
würdigjte Lump, das ſtupideſte Vieh, 
ein Tagedieb, Spieler, Schuldenmadder, 
furz ein Menſch, der nicht wert ift, 
daſs jener ihn anfieht, fein kann, — 
beliebt, ihn zu Shimpfen Man 
ſieht, wie jehr viel gerade die mife- 
rablen Leute dem Ehrenprincip zu 
danlen haben; da es fie mit denen 
mivelliert, welche ihnen ſonſt in jeder 
Beziehung unerreihbar wären. — Hat 
num ein folder Gauch gefhimpft, d. h. 
dem anderen eine fchlechte Eigenschaft 
zugeiprodhen: fo gilt dies vorderhand 
als ein objectiv wahres und gegrün— 
detes Urtheil, ein vechtsträftiges Decret, 
ja es bleibt für alle Zukunft wahr 
und giltig, wenn es nicht al&bald mit 
Blut ausgelöicht wird: d. h. der Ge— 
ihimpfte bleibt (in den Augen aller 


gut. Hier ift es demmach nicht darauf „Leute von Ehre“) das, was der 





Schimpfer (und wäre diefer der lebte 
aller Erdenjöhne) ihn genannt hat; 
denn er bat es (dies ift der terminus 
technieus) „auf fich ſitzen laſſen“. — 
Soviel, was das Schimpfen betrifft ! 
Nun aber gibt es jogar noch etwas 
Argeres als ſchimpfen, etwas jo Er— 
jchredlihes, daſs ich wegen deſſen 
bloßer Erwähnung in diefem oder 
der ritterlihen Ehre die „Leute von 
Ehre“ um Berzeihung zu bitten habe, 
da ih weiß, daſs beim bloßen Ger 


449 


Beſorgnis vor daraus entftehenden 
Unannebhmlichkeiten,, diefen Schritt 
vermeiden möchte, oder wenn man bloß 
ungewiſs ift, ob der Beleidiger fich 
den Geſetzen der ritterlichen Ehre unter- 
werfe oder nicht, hat man ein PBalliativ- 
mittel an der „Avantage“. Dieje be— 
fteht darin, daſs wenn er grob ge= 
wejen ift, man noch merklich gröber 
fei, geht dies mit Schimpfen nicht mehr 
an, jo jchlägt man drein, und zwar 
ift auch hier eine Klimax der Ehren— 


danken daran ihnen die Haut ſchau- | rettung: Obrfeigen werden durch Stod- 
dert, und ihr Haar fich emporfträubt, | Schläge curiert, dieſe durch Hetzpeitſchen— 


indem e3 das summum malum, der 
Übel größtes auf der Welt, und ärger 
als Tod und Berdammnis if. Es 
fann nämlich einer dem anderen einen 
Klaps oder Schlag verjeßen. Dies 
ift eine entjegliche Begebenheit und 
führt einen jo completen Ehrentod 
herbei, dafs, wenn alle anderen Ver— 
legungen der Ehre jhon durch Blut— 
laſſen zu heilen find, dieje zu ihrer 
gründlichen Heilung einen completen 
Todſchlag erfordert. 


3. Die Ehre hat mit dem, was 


der Menſch an und für fich fein mag, 


oder mit der Frage, ob jeine morali« | 


Ihe Beichaffenheit fich jemals ändern 
fönne, und allen ſolchen Schulfuchje= 
veien, ganz und gar nichts zu tun; 
jondern wenn fie verlegt, oder vorder— 
band verloren ift, kann fie, wenn man 


volltommen 
durh ein einziges Univerfalmittel: 
das Duell. Iſt jedoch der Verletzer 
nicht aus den Ständen, die fich zum 
Goder der ritterlichen Ehre bekennen, 


oder hat derjelbe diefem jchon einmal 
zuwider gehandelt: ſo kaun man, zus | 


mal wenn die Ehrenverlegung eine 
thätliche, aber auch wenn fie eine bloß 
wörtliche gewejen fein follte, eine 
fihere Operation vornehmen, indem 
man, wenn man bewaffnet ift, ihn 
auf der Stelle, allenfalls auch noch 
eine Stunde nachher, niederfticht ; wo— 
durch dann die Ehre wieder heil ift. 
Außerdem aber, oder wenn man, aus 


Rofegaer’s eimgarten““, 6, Heft. XV. 


| 


| 
| 





I 





hiebe; jelbft gegen le&tere wird von 
einigen dad Ausipuden als probat 
empfohlen. Nur wenn man mit diefen 
Mitteln nicht mehr zur Zeit kommt, 
mus durhaus zu blutigen Opera— 
tionen gejchritten werden. Dieje Bal- 
liativmethode hat ihren Grund eigent- 
lich im der folgenden Maxime, 

4. Wie Gefchimpftwerden eine 
Schande, jo iſt Schimpfen eine 
Ehre. 3. B. auf der Seite meines 
Gegners ſei Wahrheit, Recht und 
Vernunft, ich aber ſchimpfe: jo müfjen 
diefe alle einpaden, und Recht und 
Ehre ift auf meiner Seite; er hin- 
gegen hat vorläufig feine Ehre ver- 
loren, — bis er jie herſtellt, nicht 
etwa durch Recht und Vernunft, ſon— 
derndurh Schießen und Stehen. Dem: 


nach ift die Grobheit eine Eigenschaft, 
nur ſchleunig dazu thut, recht bald 
wiederhergeitellt werden | 


welche — im Punkte der Ehre — jede 
andere erjeßt oder überwiegt; der 
Gröbſte hat allemal recht: quid multa ? 
Zeigt etwa in einer Discujfion oder 


ſonſt im Gefpräh ein anderer richti- 


gere Sadfenntnis, firengere Wahr: 
heitsliebe, gejünderes Urtheil, mehr 
Verftand als wir, oder überhaupt 
läjst er geiftige Borzüge bliden, die 
uns in Schatten jtellen: jo können 
wir alle dergleichen 1berlegenheiten 
und unſere eigene durch fie aufges 
dedte Dürftigfeit fogleich aufheben und 
num umgefehrt jelbjt überlegen fein, 
indem wir beleidigend und grob wer— 
den. Denn eine Grobheit befiegt jedes 
Argument. Daher werden „Leute von 


29 


450 





Ehre”, jobald jemand eine Meinungs; Weder Griechen, noch Römer, noch 
äußert, die von der ihrigen abweicht die Hochgebildeten afiatifhen Völler 
oder auch nur mehr Verftand zeigt alter und neuer Zeit willen irgend 
als fie ins Feld ftellen können, fogleich |etwas von diefer Ehre und ihren 
Miene machen, jenes Kampfrojs zu Grundſätzen. Bei ihnen allen gilt 
bejteigen. der Mann für das, wofür fein Thun 
5. Der oberfte Richterſtuhl des und Laſſen ihn fund gibt, nicht aber 
Rechts, an den man in allen Diffe- |für das, was irgend einer loſen 
venzen, don jedem anderen, joweit es Zunge beliebt von ihm zu jagen. Bei 
die Ehre betrifft, appellieren kann, iſt ihnen allen kann, was einer jagt oder 
der der phyfiichen Gewalt, d. 5. der /thut, wohl feine eigene Ehre ver- 
Thierheit. Denn jede Grobheit ift nichten, aber nie die eines anderen. 
eigentlih eine Appellation an die Ein Schlag ift bei ihnen allen nur 
Thierheit, indem fie den Kampf der ein Schlag, wie jedes Pferd und jeder 
geiftigen Kräfte oder des moralijchen Eſel ihn gefährlicher verſetzen lann; 
Rechts für incompetent erklärt und er wird, nach Umſtänden, zum Zorne 
an deren Stelle den Kampf der phy- reizen, auch wohl auf der Stelle ge— 
jifchen Kräfte ſetzt. Dieſe Grumds rächt werden; aber mit der Ehre hat 
marime wird bekanntlich mit einem er nichts zu thun, und keineswegs 
Worte dur den Ausdrud Fauſt- wird Buch gehalten über Schläge 
recht, welcher den Ausdrud Aber oder Schiimpfwörter, nebſt der dafür 
wiß analog und daher wie diejer |gewordenen, oder aber einzufordern 
ironiſch ift, bezeichnet: demnach jollte |verfäumten „Satisfaction*. An Zapfer- 
ihm gemäß die ritterliche Ehre die keit und Lebensverachtung ftehen fie 
Fauſt-Ehre heißen. den Völkern des chriſtlichen Europas 
6. Hatten wir weiter oben die nicht nach. Griechen und Römer 
bürgerliche Ehre ſehr ſerupulös ge= waren doch wohl ganze Helden; aber 
funden im Punkte des Mein und | jiewufsten nichts vom point d’honneur. 
Dein, der eingegangenen Verpflichtun- Der Zweikampf war bei ihnen nicht 
gen und des gegebenen Wortes: jo Sache der Edlen im DBolfe, jondern 
zeigt hingegen der hier in Betrachtung |feiler Gladiatoren, preisgegebener Skla— 
genommene oder darin Die nobelfte | ven und verurtheilter Verbrecher, welche 
Liberalität. Nämlih nur ein Wort mit wilden Thieren abwechjelnd auf 
darf nicht gebrochen werden: das Jeinander gehegt wurden zur Beluftis 
Ehrenwort, d. h. das Wort, bei gung des Volles. 
dem man gejagt hat „auf Ehre” — Daſs den Alten jenes Vorurtheil 
woraus die Präſumtion entfteht, dajs |völlig fremd war, bezeugen eine Menge 
jedes andere Wort gebrochen werden uns aufbehaltener Züge. Als 3. B. 
darf. Sogar bei den Bruch diejes ein teutonischer Häuptling den Mas 
Ehrenmwortes läſst fich zur Noth die rius zum Zweilampf herausgefordert 
Ehre noch reiten durch das Univerfal- |hatte, ließ diefer Held ihm antworten: 
mittet, das Duell, hier mit denjenigen, | „Wenn er feines Lebens überbrüjjig 
welche behaupten, wir Hätten das wäre, möge er fi aufhängen”, bot 
Ehrenwort gegeben. — Ferner: nur ihm jedod einen ausgedienten Gla— 
eine Schuld gibt es, die unbedingt |diator an, mit dem er fich herum: 
bezahlt werden muſs, — die Spiels ſchlagen könne, 
Ihuld, melde auch demgemäß den Sofrate3 iſt infolge feiner häu— 
Namen „Ehrenſchuld“ führt. Um alle figen Disputationen oft thätlich miſs— 
übrigen Schulden mag man Juden handelt worden, welches er gelaffen 
und Ehriften prellen: das jchadet der \ertrug; als er einft einen Fußtritt 
ritterlihen Ehre durchaus wicht. ‚erhielt, nahın er es geduldig hin und 


— —ñ — — — — a 


jagte dem, der fich hierüber wunderte: 
„Würde ih denn, wenn mich ein 
Eſel geftopen hätte, ihn verklagen ?” 
Als ein andermal jemand zu ihm 
jagte: „Schimpft und ſchmäht dich dem 
jener nicht?“ war feine Antwort: 
„Nein, denn was er jagt, pajst nicht 
auf mich.“ 

Näher betrachtet ift der Kern der 
Sache diefer: wie die bürgerliche Ehre, 
welde den friedlichen Verkehr mit 
anderen im Auge hat, in der Meinung 
diejer von uns befteht, dafs wir voll— 
fommenes Zutrauen verdienen, weil 
wir die Rechte eines jeden unbedingt 
achten, — fo beiteht die ritterliche 
Ehre in der Meinung von ums, dafs 
wir zu fürchten feien, weil wir 
unfere eigenen Rechte unbedingt zu 
vertheidigen gefonnen find. Aber im 
Stande der Eivilifation, wo der Staat 
den Schuß unferer Berfon und unſeres 
Eigenthums übernommen bat, findet 
diefer Grundfag feine Anwendung 
mehr und fteht da wie Burgen und 
Warten aus den Zeiten des Fauſt— 
rechtes, unnütz und verlaffen, zwijchen 
wohlbebauten Feldern uud belebten 
Landftragen oder Eijenbahnen. Dem— 
gemäß bat denn auch die ihn feit- 
haltende ritterlihe Ehre ſich auf ſolche 
Beeinträhhtigungen der Perfon gewor— 
fen, welche der Staat nur leicht oder 
gar nicht beftraft, indem es unbeden- 
tende Kränkungen und zum Theil 
bloße Nedereien find. Sie aber hat 
in Hinſicht auf diefe ſich hinaufge— 
Ichroben zu einer der Natur, der Be— 
Ihaffenheit und dem Lofe des Mens 
ſchen gänzlich unangemellenen Über— 
ſchätzung des Wertes der eigenen Per— 
jon, welchen fie bis zu einer Art 
von Heiligkeit fteigert und demnach 
die Strafe des Staates für Heine 
Kränlungen derfelben durchaus unzu— 
länglich findet, ſolche daher jelbit zu 
ftrafen übernimmt und zwar ſtets am 
Leibe und Leben des Beleidigers. 
Offenbar liegt hier der unmäßigſte 
Hochmuth und die empörendſte Dof- 
fahrt zugrunde, welche, ganz ver— 


4 


51 


geſſend, was der Menfch eigentlich ift, 
eine unbedingte Unverleglichkeit, wie 
auch Tadellofigkeit für ihn in Auſpruch 
nehmen. Allein jeder, der diefe mit 
Gewalt durchzufegen gejonnen ift und 
demzufolge die Marime proclamiert: 
„Ber ſchimpft, oder gar mir einen 
Schlag gibt, joll des Todes jein“ — 
verdient eigentlich Thon darum aus 
dein Lande verwiefen zu werden. Da 
wird denn, zur Beihönigung jenes 
vermefjenen Übermuthes, allerhand vor— 
gegeben. Bon zwei unerjfchrodenen 
Leuten Heißt es, gebe feiner je nad. 
Nun aber ift der Grundſatz felbit 
falſch; bei Sachen von geringerer 
Wichtigkeit (die von großer "bleiben 
ftets den Gerichten anheimgeſtellt) gibt 
von zwei unerjchrodenen Leuten aller— 
dings einer nad, nämlich der Klügſte, 
und bloße Meinungen läfst man auf 
fih beruhen. Den Beweis hiervon 
liefert das Volk, oder vielmehr alle 
die zahlreichen Stände, welde ſich 
nicht zum  vitterlichen Ehrenprincip 
bekennen, bei denen daher die Streitig- 
feiten ihren natürlichen Verlauf haben ; 
unter diefen Ständen iftder Todtſchlag 
hundertinal feltener, als bei der viels 
leicht nur Eintaufenditel der Geſammt— 
heit betragenden Fraction, welche 
jenem Brincipe huldigt, — und felbit 
eine Prügelei ift eine Seltenheit. — 
Sodann aber wird behauptet, der 
gute Ton und die feine Sitte der 
Geſellſchaft hätten zum legten Grunde 
pfeiler jenes Ehrenprincip, mit ſeinen 
Duellen, welche die Wehrmaner 
gegen die Ausbrüche der Roheit und 
Ungezogenheit wären. Allein in Athen, 
Korinth und Nom war ganz gewils 
gute, und zwar ſehr gute Geſellſchaft, 
auch feine Sitte und guter Ton an— 
zutreffen, ohne dafs jener Propanz 
‚der ritterlihen Ehre dahinter geftedt 


‚hätte. Der „ritterliche“ Muth ift eine 
‚bloße Unterofficierätugend, 


ja eine, 
in welcher fogar Thiere uns über: 
treffen, wesbalb man 3. B. jagt: 
„muthig wie ein Löwe.“ Sogar iſt 
das ritterlihe Ehrenprincip oft das 
29° 


” | 


— 


ſichere Aſyſum, wie im großen ber 
Unredlichkeit und Schledhtigfeit, jo im 
tleinen der Ungezogenheit, Rüdjichts= 
Iofigteit und Flegelei, indem eine 
Menge ſehr läſtiger Unarten ſtill— 
ſchweigend geduldet werden, weil eben 
leiner Luſt hat, an die Rüge der— 
ſelben den Hals zu ſetzen. 

Der altdeutſche Grundſatz „auf 
eine Maulſchelle gehört ein Dolch“ iſt 
ein empörender ritterlicher Aberglaube. 
Jedenfalls iſt die Erwiderung oder 
Vergeltung von. Beleidigungen Sache 
des Zorns, aber keineswegs der Ehre 
und Pflicht, wozu das ritterliche Ehren 
princip fie ftempelt. Vielmehr ift ganz 
gewijs, dafs jeder Vorwurf nur in 
dem Make, als er trifft, verlegen 
fann, welches auch daran erlichtlich 
ift, daſs die leijefte Andeutung, welche 
trifft, viel tiefer verwundet, als die 
ſchwerſte Anfchuldigung, die gar keinen 
Grund hat. Wer daher wirklich fich 
bewujst ift, einen Vorwurf nicht zu 
verdienen, darf und wird ihn getroft 
verachten. Dagegen aber fordert das 
Ehrenprincip von ihm, dafs er eine 
Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht 
hat, und Beleidigungen, die ihn nicht 


Budermanns „Ehre“ — 


> 
99 


Pinen unbefangenen Beobadter 
mußste die Erfcheinung aufges 
fallen fein, dal8 Sudermann’s 
„Shre* mit lärmendem Siege über 
unfere deutichen Bühnen gieng, vom 
größten Theile der Kritik vergöttert, 
vom Publicum bejubelt. 
Einzelne jchüttelten dazu den Kopf 
und fragten ih: Wie fommt das? 
Die Erſcheinung ift wert, daſs 
man ſich des näheren mit ihr befaile, 
und in der That hat es ein muthiger 


S 


verletzen, blutig räche. Der aber muſs 
ſelbſt eine ſchwache Meinung von 
ſeinem eigenen Werte haben, der ſich 
beeilt, jeder denſelben anfechtenden 
Außerung den Daumen aufs Auge 
zu drücken, damit ſie nicht laut werde. 

Die letzte Vertheidigung des rit— 
terlichen Coder wird aber ohne Zwei— 
fel lauten: „Ei, da könnte ja, 
Gott fei bei uns! wohl gar einer dem 
anderen einen Schlag verſetzen!“ worauf 
ich kurz erwidern könnte, dafs dies 
bei den neunhundertneunundneungzig 
Taufendfteln der Gefellichaft, die jenen 
Eoder nicht anerkennen, oft genug der 
Tall gewefen, ohne dajs je einer da— 
von geftorben fei, während bei den 
Anhängern desjelben in der Regel 
jeder Schlag ein tödtlicher wird. 

Nachdem heutzutage Juſtiz und 
Polizei es fo ziemlich dahingebradt 
haben, daſs nicht mehr auf der Land— 
trage jeder Schurke uns zurufen 
kann: „Die Börfe oder das Leben!“ 
jollte endlih aud die gejunde Ver— 
nunft es dahinbringen, daſs nicht 
mehr mitten im friedlichen Verkehr 
jeder Schurfe uns zurufen könne: 
„Die Ehre oder das Leben!“ 


Runftwerk oder Made? 


Mann unternommen, dem Stüde „Die 
Ehre“ etwas genauer zu Leibe zu 
gehen und feinen Befund im ein 
Büchlein druden zu laflen. 

Das Büchlein betitelt ih: „Su— 
dermanns Ehre — Kunſtwerk oder 
Mache? Eine zeitgemäße Betrachtung“ 
von Ernſt Traumann, und erichien 
in der Univerfitätsbuchhandlung Georg 
Weiß zu Deidelberg (1891). 

Mir find unverſöhnliche Gegner 
diefer maturaliftiichen „Poeſie“ und 





jtelen uns der Hauptſache nach ent» 
jhieden auf die Seite genannter 
Schrift. Sie fuht auf dem Boden 
der Claſſiker, vertheidigt jenen allge= 
mein menſchlichen Idealismus, der 
war, ift und jo lange jein wird, 
als es leidende, ftrebende, jehnende, 
boffende Menfchen gibt. Im Idealis— 
mus liegt nicht allein unfere geiftige 
und jittliche, jondern auch unjere 
materielle Kraft; geben wir den Idea— 
Hr auf, Fo geben wir uns ſelbſt 
auf. 

Wir geben uns aber nicht auf, 
wir weiſen Kunſt und Literaturpro= 
ducte, die ſich im Leben breit machen, 
um den Menfchen öffentlich zu ſchmähen, 
zu Shänden, ihn in das Bereich des 
IThieres zu zerren, auf das ent- 
jiedenfte zurüd. Das fiegreiche Laſter 
wird nie eine abjchredende Wirkung 
üben. Sudermanns „Ehre“ nicht 
als ſolcher wollen wir die Ehre er- 
zeugen, ihrer bier zu gedenfen, der 
Gattung gilt ed, wenn wir die Trau— 
mann’sche Sennzeihnung des Stüdes 
der Hauptſache nah wiederholen. 

„Dieje jüngſtdeutſchen Literaten“, 
jo jagt Traumann, „wie treten fie vor 
uns hin? Laut und vordringlich ge— 
berden fie jih als Stürmer und 
Dränger. Ohne Pietät tragen fie das 
jtille, Heilige euer der Kunſt in den 
politifhen Kampf unferer Tage, nicht 
um damit die Herzen zu erleuchten 
und zu erwärmen, nein, um den 
immer bereit liegenden Zündſtoff des 
Glafjenhafjes zur Flamme zu ent» 
fadhen. Und, wie die rothe Inter— 
nationale jelbft, find fie vaterlandslos. 
Sie brüften ſich mit einer Afterlunft, 
die fie an den unrühmlichen Vorbil— 
dern unſerer politifhen Nachbarn, ja 
Gegner, in Norden, Weiten und Often 
fümmerlih nähren. Und ihr eigenes 
Belenntnis ift es, einer Kunſt des 
Realismus und Naturalismus zu 
huldigen. 

Der Schauplatz dieſer Beſtrebun— 
gen iſt vornehmlich die junge, raſch 
zur Großſtadt emporgeſchoſſene Metro- 


pole des deutſchen Reiches. Wie dort auf 
jedem Gebiete praktiſcher Arbeit eine 
taftlofe Thätigfeit entfaltet wird, jo 
zeigt ſich auch im literarifchen Leben 
Berlins eine fieberhafte Production. 
Zahllofe Theater jeglicher Gattung find 
emporgeſchoſſen, um der hochgefteigerten 
Schauluft der Millionenftadt zu ge= 
nügen. Dort ift auch auf einer Bühne, 
die den Namen Leſſings trägt, unter 
dem Pauken- und Zrompetenjchall 
einer raffinierten Reclame nnd dem 
frenetifchen Beifall des Publicums 
das Schauſpiel eritmals in Scene ge— 
gangen, dem unfere Betrahtung gilt. 
Die Kritik, ſoweit fie ſich micht in 
leiſetreteriſchen Floskeln bewegte, be= 
zeichnete die Aufführung als ein her— 
vorragendes literariſches Ereignis, 
verkündete in dem Werke eine bedeut— 
ſame Erſcheinung und erblickte im 
Dichter eine ſtarke dramatiſche Kraft. 

Der Fabriksbeſitzer Mühlingk zu 
Charlottenburg-Berlin hatte zur Feier 
ſeiner Ernennung zum Commerzien— 
rath eine Feſtlichkeit veranſtaltet, wobei 
einer ſeiner Arbeiter, der Buchbinder 
Heinicke, unter die Räder einer Equi— 
page gekommen und zum Krüppel 
geworden war. Ihm und ſeiner Fa— 
milie ward vom reichen Brotherrn im 
Hinterhauſe der großſtädtiſchen Woh— 
nung eine Freiſtätte gewährt, auch 
hatte dieſer dem Sohne des Prole— 
tariers, Robert, eine kaufmänniſche 
Erziehung angedeihen laſſen und dem 
begabten jungen Manne ſchließlich die 
Stellung eines Procuriſten an der 
indiſchen Filiale des Handlungshauſes 
gegeben. 

Robert kehrt in die deutſche Hei— 
mat zurück, begleitet von ſeinemFreunde, 
dem Grafen Traſt, dem angeſehenſten 
und reichſten Handelsherrn des indi— 
ſchen Archipels, an deſſen Rath er 
zum Manne gereift und deſſen Ein— 
fluſs er ſeine Erfolge verdankt. Das 
Herz iſt ihm geſchwellt von ſtürmiſcher 
Sehnſucht, ſeine Familie und ſeine 
Wohlthäter wiederzuſehen. Aber furcht— 
bar ſind die Entdeckungen, die er nach 


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454 
furzer Begrüßungsfreude zuhanfe| Mutter, die Habgier der älteren 
madhen muſs. Seine heißgeliebte | Schweiter und die Roheit des Schwa- 


Schweſter Alma ift die Maitrefje des 
Sohnes jeines Wohlthäters geworden. 
Die Eltern dulden in dumpfer Ges 
wifjenlofigfeitdas ſchändliche Verhältnis, 
das die ältere Tochter und deren trunk— 
ſüchtiger Ehemann kuppleriſch begün— 
ſtigen. Jede neue Ausſprache mit den 
Seinen ftöht den Cohn tiefer im 
Verzweiflung. Er findet in der 
Schweſter feine Gefallene, mein, eine 
Verlorene. Als er vom Berführer Ge- 
nugthuung fordert und fie deſſen Vater 
in Geftalt eines Abfindungsgeldes dem 
Hinterhauſe bringt, als diejes jubelnd 
angenommen wird, da muſs Robert in 
troftlofem Schmerz bekennen, dafs ihn 
eine unüberbrüdbare Kluft von allen 
irennt, was ihm lieb und heilig war. 
Noch eine kurze Abrechnung mit dem 
Chef des Haufes, der ihn aus feinem 
Dienft entlaffen, und er kehrt mit 
der geliebten Tochter des Kaufherrn, 
die, wie er ſelbſt, dem mitleidslofen 
Elternhauſe entfremdet, dem Jugend— 
freunde als fein Weib folgt, und an 
der Eeite jeines väterlichen Freundes 
der berlorenen Heimat den Rüden, 
Vorderhaus und Hinterhaus ihrem 
Schickſal überlafjend. 

Dies die Fabel des Stüdes. Mer 
wollte verfennen, dafs fie eine Tra— 
gödie im ſich ſchließt? Und num dieſer 
Ausgang! Über zertrümmertem Glück 
und vernichteten Idealen beruhigt ſich 
der Held, der Dichter und ein plattes 
Publicum, wie im Luftfpiel, bei der 
Heirat der Liebenden. Woher dieje 
pofjenhafte Löfung? Wie führt fie der 
Dichter herbei? 

Er vertheilt die vier Acte der 
Handlung gleichmäßig auf Vorder und 
Dinterhaus. Zwei gehören dem Pro— 
letariat, zwei der Bourgeoiſie. Die 
ſittliche Verkommenheit der Arbeiter: 
familie tritt, im Gegenfaß zu den 
lauteren Anſchauungen und Gefühlen 
des heimgefehrten Sohnes, grell her— 
vor. Die tölpelhafte Würdelofigkeit 
des Vaters, die rührfelige Einfalt der 


gers laffen den um das Schidfal feines 
Liebling vor allem bejorgten Bruder 
noch weit Schlimmeres ahnen, als er 
Schon gejehen. Dann das Vorderhaus. 
Hinter der biedermännifchen Redeweiſe 
des Kaufherrn verftedt ſich die Falte, 
Ihnöde Berechnung. Das gedantenlofe 
Genuſsleben des Sohnes zeigt fein 
freundfchaftlicher Verkehr mit hohlen 
Lebemännern, einem blafierten Geden 
und dem Rejerveofficier Brandt, dem 
Mann der Schneide und äußerlichen 
Gorrectheit. In diefe Scheinwelt, von 
deren Lüge fih nur die unglüdliche 
Tochter Leonore angewidert fühlt, tritt 
Graf Traft, der vorurtheilslofe, zum 
ſelbſtgemachten Manne gewordene 
Ariftofrat und rüttelt an den be— 
quemen Überlieferungen der Gefell 
Ihaft und an dem Gewiſſen des Ver: 
führers. So erfährt der Bruder Als 
mas das Schredliche. Im Hinterhaufe 
folgt die Auseinanderjeßung des Sohnes 
mit den Eltern und der Schweſter. 
Er will feine Familie aus der deutjchen 
Heimat ins ferne Indien verpflanzen, 
die Wirfung des Sündengeldes auf 
die Seinen aber bringt ihn davon 
zurück. Ja, man weist dem unbeque= 
men Sittenprediger die Thür. Den 
Verzweifelten erfüllt nur noch der 
Gedanke der Nache am Urheber all 
feines Elendes. Er ift zum Mord ent— 
ſchloſſen. Nun der legte Act. Der Graf 
bringt Robert von feinem verzweifelten 
Vorhaben ab, indem er ihm die Thor: 
heit feines Beginnend dartdut und 
eine andere Genugthuung verfpricht. 
Als fie Traft für feinen Freund bon 
Kurt beansprucht, mwird fie ihm ver— 
jagt, ja, wie er felbit, dieſen brüs— 
fierend, für Robert eintreten will, da 
Ipricht Brandt dem geächteten Arifto- 
fraten die Nechte des Gavalierd ab. 
Robert gibt das Abfindungsgeld zus 
rüd, er wird von Kurt des Unter— 
Schleifs verdächtigt — da, als er dem 
Buben an die Kehle fpringt, wirft 
ih ihm Leonore an die Bruft umd 


4 


der Graf ernennt ihn zum Erben feiner 
Reihthümer. „Warum haben Sie das 
nicht gleich gejagt?“ fragt der Vater, 
Und Traft abwehrend: „Ihren ge- 
ehrten Segen erbitte ſchriftlich.“ 

So klingt die Tragödie in dem 
Witzworte des Grafen aus. Mit dieſer 
Figur ſteht und fällt das Stück. In 
Traſts Hand laufen die Fäden der 
Verhandlung zufammen, er allein ent— 
wirrt fie auch. Er erkennt in der 
Schweſter des Freundes das gefallene 
Kind wieder, das ihm am Abend zu: 
vor im Ballfaale der Halbwelt begegnet 
ift, und dann in Hurt den Verführer. 
Durch ihn erfährt Robert die Wahr: 
heit. Er entdedt zu guter Stunde die 
Mordgedanten feines Freundes und 
redet fie ihm aus. Wie er den Pro— 
letarierfohn mit feiner eigenen Perſon 
deden will, jo tritt er mit feiner Habe 
für ihn ein, damit das Geld zurüd- 
gegeben werden könne. Sein ect 
ſchließt, ohne dafs diefe Erfcheinung 
die Handlung wieder ins Rollen 
bringen müjste. So ift er der deus 
ex machina de3 Dramas. Mber er 
ift noch mehr, er ift auch der reflec— 
tierende Chor, er ift die Stimme des 
Dichters. Dur den Mund des Gra— 
fen verfündet diefer feine Unfchauungen, 
Überzeugungen, feine Moral und 
Philoſophie. 

Und es ſind keine typiſchen Ge— 
ſtalten im Sinne des Dramas, dieſe 
Erſcheinungen des Hinterhauſes. Sie 
haben nur Geltung für einen ver— 
ſchwindenden Theil unſerer räumlichen 
Welt. Sie ſind localiſiert. Die Luft, 
die ſie athmen, entſtrömt einem be— 
ſonders gearteten Boden, die Sprache 
— ſie reden ja Dialect — gilt nur 
für einen enge umgrenzten Bezirk. 
Auch das Verhältnis der Arbeiterfa— 
milie zum Kaufherrn, ihre ganze Lage, 
in der ſie ihre Selbſtbeſtimmung ver— 
lieren und zu Hörigen des reichen 
Bürgers werden, iſt ſo beſonderer, 
zufälliger, ſo wenig typiſcher Art, daſs 
eine Erhebung dieſer Perſönlichkeiten 
und Zuſtände ins Dramatiſch-Allge— 


5 


5 


meine zur Unmwahrheit führen muſs. 
Wir fönnen uns jehr wohl mit der 
Erjheinung eines pflichtvergeſſenen 
Vaters, wie mit der einer gewiſſen— 
ofen Mutter abfinden, aber nur, wenn 
der Dichter beftimmt erkennen Iäfst, 
dafs über dieſen Verirrungen der 
Menjhennatur das heilige Gejeb der 
Familienwürde unvergänglich fort— 
waltet. Nur ſo beſtehen derartige Cha— 
raktere die Prüfung vor unſerem ſitt— 
lichem Bewuſstſein. Auch Schiller hat 
der Mutter der Luiſe Millerin einen 
Anflug von Kuppleriſchem gegeben, 
aber wie klar und zweifellos erhebt 
ſich das Bild bürgerlicher Sittenſtrenge 
vor uns durch das Gegengewicht des 
ehrenfeſten prächtigen Vaters. Und 
wie iſt dem menſchlichen Sittlichkeits— 
gefühl Rechnung getragen, wenn Goethe 
ſeinem Klärchen, das er mit allem 
Liebreiz des ewig Weiblichen umwoben 
hat, die philiftröfe Mutter gegenüber— 
ftellt. Diefe Naturformen des Men— 
ſchenlebens find jedem Dichter heilig. 
Und es find folde. Hat nicht ein 
Philoſoph, wie Hegel, die ewigen 
Rechte der Familie gleihjfam in den 
Dimmel gejchrieben, unveräußerlich 
und unzerbrechlich, wie die Sterne 
ſelbſt? Darum ift eine Geftalt wie 
Ama ein künftlerifches Unding. Ges 
wis ift der Typus der Gourtifane 
dichterifch zu verwerten. Aber nur im 
Gegenfaße zur Norm des Meiblichen. 
Die Gräfin Orfina und die Lady 
Milfort find völlig glaubwürdige Er— 
Iheinungen. Doc wie Scharf halten 
Lefling und Schiller, die Schöpfer 
diefer Figuren, auseinander, was groß 
und was niedrig in ihnen if. Da— 
gegen welche Unmahrheit begeht Suder— 
mann mit diefer Alma! Iſt es Selbſt— 
täuſchung oder Betrug, daſs er fi 
oder uns glauben machen will, es träte 
da jo etwas wie „naide Verdorben— 
heit“ vor uns Hin? Man wäge diefen 
Begriff! Er möchte damit diefem Ge- 
ſchöpf jeglihe Schuld und Verdammmis 
nehmen, ihm unjere Sympathie un= 
getheilt erhalten wifjen, das verlorene 


456 


Kind, wie der Gott die Bajadere, mit 
feurigen Armen zum Dimmel empor— 
heben, aber ohne daſs es geliebt, ohne 
dafs es Reue empfindet, ohne dafz 
es Buße gethan. Es hat ja im Blute 
gelegen! Diefe naide Verdorbenheit, 
welche gegen die Schweiter ihres Ga- 
lan, die ihre Verachtung nicht zu 
verbergen weiß, einen fo bitteren Groll 
hegt, die vor dem geftrengen Bruder 
zittert, und den um ihre Schande 
wiflenden Grafen bittet, nicht auszu— 
plaudern — alles dies doch wohl im 
Bewujstjein ihrer Schuld! Nein, noch 
ift man in Deutfchland nicht naid ge= 
nug, um foldhe Verdorbenheit naid zu 
finden. 

Das logisch Richtige entbehrt des 
warmen, unmittelbaren Gefühlslebens, 
um fittlih wahr zu fein. Doch folgen 
wir dem Dichter einmal auf das Ge— 
biet der Reflerion, das er mit feinem 
Grafen Zraft fo oft und gerne be= 
ſchreitet. Der Ariftofrat, der an jeiner 
eigenen Perſon die Beſchränktheit der 
Anſchauungen feines Standes erfahren 
und in jelbjtgewähltem Berufe über: 
wunden bat, fühlt die Berechtigung 
in fi, über die Wahrheit eines Be— 
griffes, wie des der Ehre, zu ent— 
ſcheiden. Und die Ehre ift ihm nur 
ein jolcher! Die Ehre in jeglicher Ge— 
ftalt. In jeder Form, im die fie fich 
hüllt, lädt er fie vor feinen Richter— 
ftuhl, die perfönliche Ehre des Mannes 
und der Jungfrau, das innere Gefühl 
und das äußere Gut der Ehre. Hören 
wir ihn! 

Dem Rejerveofficier Brandt, der 
mit ſtets gezüdtem Degen vor dem 
Ehrencoder Wache hält, der ihm gerade 
ein Privatiſſimum daraus gelefen, und 
defjen Freunden ertheilt der Graf ein 
Publicum und erflärt: Es gibt feine 
Ehre. Und wie begründet er diefen 
Ausspruh? Er erzählt: Auf einer 
Reife durch Mittelafien kam ich in das 
Haus eines tibetanischen Großen. Ich 
war beftaubt und wegemüde. Er em— 


pfieng mid, auf feinem Thronſeſſel — 


reizendes Weib. Ruhe aus, Fremder, 
jagte er, mein Weib wird dir ein 
Bad rüften und hierauf wollen wir 
Männer uns zum Mahle ſetzen. Und 
er ließ mich den Händen des jungen 
MWeibes. Wenn ich je im Leben Ge— 
legenheit hatte, meine Selbitbeherr- 
ſchung zu erproben, jo gejhah es in 
jener Stunde. Ws id in die Halle 
trat, was fand ih da? Die Gefolg- 
Ihaft in Waffen, dröhnende Stimmen, 
halbgezückte Schwerter. Du mujst 
fterben, ruft mein Gaftfreund. Du 
haft die Ehre meines Haufes tödtlich 
beleidigt, denn du Haft das Wertvollfte, 
was es dir bot, verſchmäht. Sie ſehen 
meine Herren, ich lebe noch, denn 
ſchließlich entſchuldigte man mich mit 
den mangelnden Ehrbegriffen der eu— 
ropäiichen Barbaren. — Ya, wir find 
verblüfft, faft ebenjo wie die geiftvollen 
Lebemänner, weldhen der Graf fein 
Erlebnis mittheilt. Doch unfer Er- 
ftaunen weicht bald der Entrüftung. 
Iſt diefe Erzählung ethnologiſch wahr? 
So viel aber ift gewiſs: Es ift ein 
erbärmliches Mätzchen, diefe Erzählung! 
Und hier nageln wir ihn feit, diejen 
vielgereisten Odyffeus und feinen 
Sänger. Nun wird ed uns Har, dajs 
der Dichter ebenjo vaterlandslos ijt 
wie diefer MWeltbürger, durch den er 
uns feine Weisheit verfündet. Nein, 
diefer Talmigraf mit feiner Halbfran- 
zöſiſchen, halbengliſchen Redeweije hat 
niemals eine Heimat gehabt, in ber 
er nit feinem Denken und Fühlen 
gewurzelt, wie er nie eine finden wird, 
fo ſehr er uns das glauben machen 
will, 

Und was will Trajt an die Stelle 
der Ehre jegen? Die Pflicht. Doc 
wohl deshalb, weil diefe ein Realeres, 
Beſtimmteres fei. Aber hat die Pflicht 
nicht ebenfo wie die Ehre ihre ſubjec— 
tive und objective Seite? Iſt fie nicht 
ebenfo abhängig von Anſchauung und 
Sitte? Der Graf vergleihe doch gnä— 
digft die — freilih etwas rigoriftiiche 
Auffafjung des BPflichtbegriffes 


figend. Neben fich fein junges, lieb» | feines ehemaligen Landsmannes Im— 





mannel Kant mit der eines Buddhiſten 
oder Moslem. Ehre und Pflicht find 
Mechjelbegriffe. eines ohne das andere, 
alfo nicht durch einander zu erjehen. 
Es find Gejchwilter, beide vom mora— 
lifhen Gefeg in uns erzeugt. Sa, 
es ließe fih hören, wenn er dieſes, 
wenn er das unvermittelte Gewiſſen 
zum Richter berufen wollte. Dieſes ift 
abfolut und rein objectiv und — was 
er jo jeher jhägt — auch interna= 
tional: 

63 ſagen's aller Orten 

Alle Herzen unter dem himmlifchen Tage, 

Jedes in feiner Sprade. 

Aber es ift ja dem Herren nicht 
Ernft mit diefen Dingen. Wenn er 
auch mit Wichtigkeit verfihert, den 
Räthjeln der Gefittung nachzuſpüren, 
jei fittlih an und für ji, wir glau— 
ben ihm nicht. Meint er doch auch, 
das größte Verbrechen auf Erden fei 
Inconjequenz, und dennoch jpricht er, 
dem die objective Ehre nichts ift ala 
der Schatten, den wir werfen, wenn 
die Soune der Offentlichkeit uns er— 
jheint, davon, er wolle gegen ben 
Gommerzienrath, falls diefer Robert3 
Verdienfte um die Firma Mühlingk 
nicht anerkenne, eine Haufe herauf— 
beſchwören. (Aflerdingg nur im 
Scherze, aber ein Reformator follte 
in folhen Dingen nicht feherzen.) Wie 
will der Huge Mann dies anders be= 
wirken als durch feine Geltung in 
der Handelswelt, durch feinen Eredit, 
durch feine kaufmännische Ehre? Möge 
der kühne Neuerer, wenn er doch ein= 
mal die Ehre aus der Welt jchaffen 
will, mit der gefährlichften und be= 
denklichften aller den Anfang machen! 

Und er ift ein treffliher Kauf— 
mann. Wie genau berechnet er dem 
Bruder die Ehre feiner Schmelter: 
Welchen anderen Sinn hätte die Jung— 
frauenehre, um die es fich bier hans 
delt (!), als dem künftigen Gatten 
eine gewiſſe Mitgift vom Herzens— 
reinheit, don Wahrhaftigkeit und 
Neigung zu verbürgen? Denn nur 
zum Zwecke der Heirat iſt fie da. 


407 


Hier, wo er dem heiligften Gut 
des Meibes einen Tauſchwert gibt, 
e3 nach feinem materiellen Nutzen be= 
mifst, jehen wir den Verfaſſer der 
Ehre auf der niederften Stufe des 
moralifhen Denkens und Empfindens. 
Es ift der Utilitarismus, und zwar 
der gemeinfte, zu dem er Jich befennt. 
Eben jo groß wie hier jein Cynis— 
mus it die Leichtfertigleit, mit der 
Traft-Sudermann das Ehrgefühl des 
Mannes abhandelt. Dem im Innerſten 
verwundeten Robert beweist er: Das, 
was du deine Ehre nennft, dieſes 
Gemiſch aus Scham, aus Taktgefühl, 
aus Necdtlichkeit und Stolz, was du 
dir durch ein Leben voll guter Ge— 
fittung und ftrenger Pflichttreue an— 
erzogen haft, kann dir durch eine 
Bubenthat ebenjowenig genommen 
werden, wie etwa deine Herzens— 
güte oder deine Urtheilstraft. Ent— 
weder ſie if ein Stüd von Dir 
jelbft oder gar nicht. — Nicht doch, 
Herr Graf! Die jubjective Ehre ift 
weder ein Gemiſch, noch ein Stüd. 
Sie ift ein lebendiges Ganzes. Sie 
ift, wenn dieſes Wort geftattet ift, ein 
Gefammtgefühl: der unmittelbare Aus— 
drud, die Blüte der Perfönlichkeit. 
Und fie ift fo natürlich, jo wenig an— 
erzogen und erfünftelt, wie das Indi— 
piduum ſelbſt. Sie erwächſt aus dem 
Hochgefühl des Eigenlebens. Wie 
fann dies gerade der ausgeprägteite 
Menſch, der Dichter, verkennen? 

Schon durh die Willlür, womit 
Sudermann ſich über eine gewichtige 
Regel der Technik hinwegſetzt, ver— 
ftößt er gegen das Grundgeſetz des 
Dramas: die Einheit der Handlung. 
Uber er geht noch weiter, er tritt es 
zu Boden. Es ift ja au ein aus— 
gelebtes, veraltetes Ding! Wir willen 
e3 wohl, wir kämpfen hier gegen die 
Barbareı , gegen das Element der 
Verneinung und der Vernichtung. Was 
fümmert den VBandalen der kunftvolle 
Bau, was den Nihiliften eine ehr- 
würdige Geſchichte! 

Wie müſste die Formel des Su— 


458 


dermann’shen Schaufpiels lauten ? 
Der Bruder eines Entehrten — hei— 


einer, der aus der Noth eine Tugend 
macht“, jagt Robert, worauf Traſt 


ratet die Schweſter des Verführers, großartig erwidert: „Jede Tugend ift 


Hier haben wir die Fratze, das die 
märiſche Unding, zur einen Hälfte 


von der Noth gefchaffen.“ Und gegen 
die chevaleresfe Ethik, die der Herr 


brüllender Löwe, zur anderen friedliche | Graf hier aus feinen modischen Ärmeln 


Ziege. Wie macht aber Sudermann 
diefes Gebilde glaubhaft, wie zwingt 
er es in eine Yorm ? Wie kommt diefe 


jchüttelt, findet Robert feinen Schatten 
von Widerſpruch, er beugt ſich blind 
border „ſouveränen Liebenswürdigkeit“ 


Löſung zu dieſem Conflict? Sehr Traſts. (So will ihn ja der Dichter 


einfach. Der an Ehrgefühl erkrankte 
Robert wird von ſeinem Freunde, dem 
Grafen Traſt, geheilt. Aber zwei 
inhaltsfhwere Fragen drängen fich 
hier jedem BVerftändigen auf: Empfin— 
det der Held fein Leid wahr, in feiner 
vollen Tiefe, und ift er überhaupt zu 
heilen, ift er noch durch irgend etwas 
in der Welt mit ihr zu verſöhnen? 

Eine ungeheuere Tragödie ift das 
Schickſal des Bruders einer Gefallenen, 
Entehrten, au wenn fie feine Vir— 
ginia. fein Gretchen, keine Magdalene 
ift, ein furchtbares Schidjal das eines 
Sohnes, der eine andere Sprache als 
die der Eltern ſpricht. 

Und darım kann ihn niemand 
von feinem Schmerze befreien und 
nichts mit diefem Leben mehr ver: 
föhnen, aud die Liebe nicht. Denn 
wer vermöchte uns nach dem Ges 
jhehenen den Glauben an ein Glüd 
in der Ehe und in der Familie wies 
derzugeben ? So empfinden wir es 
efelhaft, unfer innerftes Gefühl lehnt 
fih dagegen auf und unfere Bernunft 
erhebt fih, wie Hamlet wider den 
Volonius, gegen den gemeinen Men— 
Ichenverftand, wenn diefer, wenn Traſt 
hier die Entfcheidung trifft, wenn er, 
nach feinem eigenen Bild, den jeelen- 
wunden Freund von jeiner Familie 
amputiert; „Die Zehe jchmerzt noch, 
aber das Bein ift weg.“ Ya, wenn 
diefe Operation an einem Gemüths— 
menfchen jo leicht zu vollziehen wäre! 


gejpielt wifjen.) Auf diefe Weije ver— 
liert Robert nach und nad) jedes In— 
tereffe und jedes ernfte Mitgefühl. 
Er finkt zum ſchwatzenden, erbärm- 
lien Weichling herab. 

Und nun der Schlufs des Stüdes, 
wo wir die beiden Liebenden ihre 
Tamilien, wie die Ratten das fin- 
fende Schiff, verlaſſen fehen. 

Uns aber beſchleicht nah all dem 
Erlebten eine troftlofe quälende Em- 
pfindung und ein nagender Zweifel 
bleibt in uns zurüd. Und der Ges 
bildete wird fich fodann der Denk— 
weiſe diefer Menfchen und diejes Dich: 
ters bewufst. Er wird in ihr den 
baltlofen , niedrigen Individualismus 
erfennen und ihn mit jener Moral 
des Nutzens verächtlich zur Seite wer— 
fen. Auch wird er hinter der Behag- 
lichkeit, mit der hier die fenjationellen 
Vorgänge ausgemalt find, fein jittlich 
ſtarles Dichtergemüth finden, jondern 
ein faunifches Antlitz hervorblicken 
jehen. Hab’ doch meine Freude dran! 
Uber der jchlihte Mann aus dem 
Volle, der immer noch gläubig die 
Hallen der Kunſt betritt, wird ihn 
das Gefhaute in diefem Vertrauen 
beitärlen? Wird es ihn belehren, 
beijern, ihm davon überzeugen, daſs 
die, welchen er bier feinen Spar— 
pfennig gebracht, nicht bloß die glüd- 
liheren, fondern auch beſſer find als 
er, der Arme im Geift? Wird es ihn 
ehren, wie das große, gigantiſche 





Bezeihnend ift bier auch wieder die Schickſal, das den Menſchen erhebt, 


Logik Trafts, die er im der Über: 
zeugungsfcene entwidelt. Man beachte 
3. B. die platte Sophiftif einer Wen— 
dung, wie diefer: „Du fprihft wie 


wenn es den Menfchen zermalmt ? 
Nein, hier that eines noth: Es 

mufste geftorben werden. In ihrer 

Sünden Maienblüte hätte der Bruder 





die Schweiter und den 
hinſtrecen müflen. Und er felber 
musste ſodann in die gähnende Kluft, 
welche ein beifpiellofer Frevel in der 
Natur vor uns aufgethan, wie jener 
Römer, Springen, damit fich der 
Schlund wieder ſchließe und die Gott» 
heit wieder verjöhnt werde. 

Bor den Leichen ihrer Kinder hätte 
fih in dem reihen und im dem armen 
Manne fo etwas wie ein Gewiljen 
geregt, ihr gemeinjames Leid hätte fie 
an ein Ausgleichendes, Gerechtes, 
Strafendes erinnert, wie e8 durch 
dieje Welt jchreitet und fehreiten wird. 
Und von der Bühne aus wäre zu den 
ergriffenen Zuſchauern, von den Gründe 
lingen in Parterre bis hinauf zu dem 
Marne des vierten Standes und Ran 
ges ein Gedankenfunke übergefprungen, 


En were um —i 


Verführer [fo etwas wie Löſung der großen ſo— 


ctalen Frage. 

Aber freilih, damit ein Dichter 
jeinen Helden fterben laſſe, verlangt es 
ein Starkes Herz, einen tiefen, fittlichen 
Ernſt und eine jchöpferiiche, das Leben 
der Erſcheinung weit überfliegende 
Phantaſie. Denn der wahre Dichter 
erlebt dieſen Zod. 

Wenn wir jet die Wechsler im 
Tempel der Kunſt erbliden, jo über- 
fommt es uns Epigonen wie Sehu— 
ſucht nad einem Kämpen wie Lefling, 
nach wahren Dichtern, die die wahren 
Menſchen find, weil fie aus dem Drang 
und Streit und Willensqualm des 
Alltagslebens zu ſich emporheben in 
ihr Reich, wo der Menjch feine gött— 
fihe Einheit wieder findet: in das 
Reich der dee.” 


Kinder-Kreuzüge im Mittelalter. 


Ein Gegenfag. 


S Kar 


8 


Gar gen manchmal die Seelen der 


Menſchen erfaffen können wie 
eine anftedende Krankheit, davon 
fpriht WU. Biermer in feiner Vor— 


lefung über Pſychiſche Volkskrankheiten | 


(Deutsche Revue, Dresden, 1890). Sei— 
nen Darftellungen jei jener Theil 
entnommen, der von der religiöjen 
Schwärmerei handelt, welche im 13. 








elch unbegreifliche Bewegun- zens III. allen feinen Einfluſs auf, 


um einen neuen Kreuzzug zuſtande 
zu bringen. Seine Abgefandten ver— 
ordneten überall Bittfahrten und Pro— 
cejlionen, die Kreuzprediger durchzogen 
alle Länder, aber fie fanden menig 
Anklang. Höchſtens das gemeine Volt 
und darunter vorzüglich die Weiber 
liegen jich begeijtern, während Fürſten 
und Ritter nicht zu gewinnen waren, 


Jahrhunderte die Kinder erfafst, fie Jauch Junozens vergebens den König 


durch viele Länder und die meilten 
fogar in ihre Verderben gejagt hat. 
Als der IV. oder fogenannte las 
teinische Kreuzzug unter Bonifacius 
von Montferat und Balduin von 
Flandern verunglüdt war, rejpective 
mit der Eroberung Gonitantinopels 
und die Gründung eines lateinischen 
Reiches dortjelbft feinen Ausgang 
gefunden Hatte, bot Papſt Inno— 








Philipp II. zur Theilnahme aufforderte. 

Mitten in diejer Agitation trat 
in Hranfreih ein Hirtenknabe 
al3 Kreuzprediger auf und entflammte 
die Jugend zu jenem tHörichten Un— 
ternehmen, welches unter dem Namen 
des Knaben-Kreuzzuges be— 
kannt geworden iſt. Der prophetiſche 
Hirtenknabe, welcher ſich Etienne 
(Stephanus) nannte und im Dorfe 


Cloies bei Vendome an der Loire ge— 
bürtig war, gab vor, der Heiland fei 
ihm (Juni 1212) in der Geftalt eines 
armen Pilgers erjchienen, Habe Brot 
von ihm genommen und einen Brief 
an den König von Frankreich über- 
geben, in welchem er als Prediger 
des Streuzes bevollmädhtigt jei. Er 
verfammelte zunächſt die Hirtenfnaben 
feines Alter um jich, bald aber folg- 
ten ihm große Scharen von Kindern, 
welche ihre Eltern verließen und mit 
ihm weiter pilgerten. Unter dem 
Gefang: „Herr Jefu Chrifte, gib uns 
das wahre Kreuz zurüd!“ folgten fie 
ihm zu Tanjenden und überall wurden 
fie vom Volke mit heiliger Ehrfurcht 
aufgenonmmen. Die Wunder, welche 
Etienne zu St. Denis verrichtet haben 
fol, verſchafften ihm noch größeren 
Zulauf und allgemeines Anſehen. Auch 
in anderen Gegenden Frankreichs 
wirkte das Beiſpiel anſteckend, alle 
kindlichen Kreuzfahrer betrachteten aber 
den Hirtenknaben von der Loire als 
ihren Herrn und Meiſter, unter deſſen 
Führung ſie die Sarazenen beſiegen 
würden. Die Eltern ſcheinen an 
dieſer Extaſe theilgenommen und 
viele ihrer Kinder zur Fahrt ins hei— 
lige Land ausgerüſtet zu haben. Kin— 
der, welche zurückgehalten wurden, 
ſollen an heftigen Nervenzufällen 
gelitien oder der ſchärfſten Bewachung 
ſpottend entflohen ſein, um ſich dem 
heiligen Hirtenknaben anzuſchließen. 
Auch Mädchen in Knabenkleidung und 
erwachſene Perſonen beiderlei Ge— 
ſchlechts ſchloſſen ſich den Kinderfahrten 
an. Der König ſuchte auf den Rath 
der Geiftlihen die Bewegung zu er— 
ftiden und gebot den Knaben, in 
ihre Heimat zurüdzufehren. Es ſcheint 
aber diefer Befehl nicht ernfthaft voll« 
zogen worden zu fein, denn viele 
Taufende zogen in feierlichen Pro— 
ceffionen nad Marfeille ans Meer, 
von dein fie glaubten, es würde vor 
ihnen zurüdweihen und fie würden 
trodenen Fußes ins heilige Land ges 
langen. Viele jcheinen fchon unter: 


wegs zugrunde gegangen zu fein, 
und diejenigen, welde bis Marfeille 
famen, fielen größtentheil® in Ver— 
rath. Zwei Kaufleute, deren Namen 
die Geſchichte aufbewahrt hat, Hugo 
Ferrens und Guilelmus Porcus, er= 
boten ſich nämlich, unentgeltlih um 
Gottes willen das jugendliche Heer 
auf ihren Schiffen nah Syrien zu 
führen. Don den jieben Schiffen, 
welche die Knaben füllten, jcheiterten 
zwei bei der Inſel S. Pietro in der 
Nähe von Sardinien und giengen zu— 
grumde, die fünf übrigen landeten im 
Bugia (Algier) und Wlerandrien, wo 
ſämmtliche Kreuzfahrer den Sarazenen 
als Sklaven verlauft wurden. Die bei= 
den Stlavenhändfer fanden ſpäter ihren 
Lohn, als fie mit Mirabelli, dem Emir 
von Sicilien, eine Verſchwörung gegen 
Friedrich II. eingiengen und deshalb 
den Tod am Galgen erlitten. 

Don Frankreich aus Hatte fich die 
franthafte Sehnfucht nach dem heiligen 
Grabe auch unter den Kindern don 
Burgund und Deutjhland 
verbreitet. Allenthalben, bejonders in 
den Rheinlanden, erjtanden Kinder— 
prediger und erregten den Wander- 
trieb. Viele Taufende don Knaben 
und Mädchen, darunter auch die Kin— 
der aus edlen Geſchlechtern, denen ſich 
aber mehr als bei den franzöfifchen 
Zügen auch Erwachſene uud lieder- 
lihe Weiber angejchloffen Hatten, 
nahmen das Kreuz und wallten in 
Pilgerkleidern mit Stab und Bettel- 
fad von Dorf zu Dorf. Überall ver— 
nahm man die Hymnen ihrer Kreuzes— 
andadt, und unaufbaltfam, wie die 
Schwärme der Zugvögel, eilten fie 
dem Meere zu. Die Anregung zu 
den deutjchen Kinderfahrten wird von 
Ehroniften einem Knaben Niko— 
laus aus Köln zugefchrieben. Es 
foll derjelbe geweſen fein, deflen per— 
jonificiertes Andenken noch jebt als 
Nitlas in den Sinderfiuben eine 
Rolle fpielt. Unter diefem Führer 
Nikolaus zog eine große Schar den 
Rhein hinauf, dann über den Mont 





Cenis nah Genua, wo fie, nachdem 
viele unterwegs zugrunde gegangen 
waren, no 700 Köpfe ftark (24. Au— 
quft) anfamen. Die Genuejen wollten 
fie nit aufnehmen und verjchlofjen 
ihnen die Thore, weil fie, wie an— 
gegeben wird, fürchteten, den Papſt 
zu beleidigen, der zwar anfangs gejagt 
hatte: „Diefe Knaben befhämen uns, 
da fie zur Wiedereroberung des hei— 
ligen Landes ziehen, während mir 
ichlafen“, der aber fpäter doch Die 
Kinderfahrten mifsbilligte und ihnen 
Gardinäle entgegenfchicdte, um fie zur 
Nüdkehr zu bewegen. Als fie nad 
längerer Berathung des Senates in 
Senna eingelaflen wurden, zerjtreuten 


Der hohe Bath 


Ein erbauliches 


Ro 


N 


az 


in altes Spridwort jagt, dafs 
guter Rath theuer it. — Den 
X Mbelsbergern kam auch ihr 
hoher Rath thener zu ſtehen. Und 
manchem, der eine Eingabe zu machen 
hatte an den löblichen Gemeinderath, 
ward die Feder bei dem Morte „Löb- 
lich“ Schon verdammt jpiepig. 

Der größte Theil im Rathe be- 
Hand aus Fortjchrittsmännern, und 
das ift vet; doch manchmal gieng es 
zu Abeläberg jo haftig mit dem „Fort— 
ſchreiten“, daſs es fchier zum „Da— 
vonlaufen“ wurde. Nur einige Blätter 
aus der Chronik ſollen hier aufge— 
ſchlagen werden, um zu zeigen, wie 
rathſam es iſt, einen hohen Rath ſich 
genau anzuſchauen, bevor man ihn 
wählt, um ſpäter unter einem miſs— 
rathenen Rathe nicht rathlos zu ſein. 

In der Nähe von Abelsberg be— 
findet ſich ein ſchöner Berg, von welchem 
die Stadt den Namen hat. Es iſt 


Sl 


fie ih, viele kehrten zurüd, ans 
dere aber wurden dur Noth oder 
Gewalt den Bewohnern dienſtbar, 
andere fanden Gaftfreundfchaft und 
wurden Später die Gründer ange— 
jehener Familien, ein Keiner Reſt 
erreichte Brindili, wo der Bilchof 
ihre Einſchiffung verhinderte. Ein 
zweites Stinderheer hatte feinen Weg 
über den St. Gotthard genommen, 
wurde aber in der Lombardei eben- 
falls zerftreut. Die Wenigen, wel: 
hen e3 gelang, wieder in die deutjche 
Heimat zurüdzufehren, wurden mit 
Spott aufgenommen, und als man 
fie befragte, weshalb fie fortgezogen 
jeien, verficherten fie, es nicht zu wiſſen. 


von Abelsberg. 


Zeitbild von #. 


tentheils bewaldeter Hügel mit herr= 
lihen Spaziergängen und lauſchigen 
Plätzchen, mit einem Glockenthurme auf 
der Höhe. Die Ausficht über das meite 
Land Hin ift entzüdend. Im ganzen 
Lande fonnte man noch vor furzem nichts 
Lieblicheres finden, als diefen bergigen 
Wildpark in der nächſten Nähe einer 
Stadt, und mancher Fremde fam nad 
Ubelsberg, um ſich darin zu ergehen. 
Singvögel gab es auf allen Wipfeln, 
in der Stadt hatte jih ein Verein 
zum Schuße diefer Singvögel gebildet, 
und der Stadtgärtner gab ſich alle 
erdenflihe Mühe, das Ländliche und 
Idylliſche in Ddiefem Wildpark, dem 
Stolje von Abelsberg, zu erhalten, 

Da ſtand eines Tages im Hohen 
Rathe ein Mann auf, der hielt fol= 
gende Rede: 

„Meine Herren! Sie alle wiljen, 
wie ſehr das Wohl unjerer Stadt mir 
am Herzen liegt. Uber Ddiefes Herz 


eigentlich ein mäßig anfteigender, größ= blutet, jo oft ich eines Punktes ge= 


denke, dem ich Füglich als den Krebs— 
Schaden dieſer jonft jo ſchön aufftre- 
benden Stadt bezeihnen möchte. Ach 
meine den Wbelsberg. Können Sie 
uir eine moderne Stadt nennen, bor 
deren Thoren eine Wildnis liegt ? — 
Das kann man vielleicht bei halbwil- 
den Völkern finden, aber unferer Zeit 
ift es geradezu unwürdig, wie der 
Abelsberg ausfieht. Wer Bäume jehen 
will, der ſoll ins Gebirge gehen, in 
die Stadt gehören Häuſer. Welcher 
Grund eignet fich beſſer für Neubau: 
ten, als die Flächen des Abelsberges ? 
Wenn der Gemeinderath ſolche Stellen 
brach liegen Läjst, jo ift er — ver— 
zeihen Sie! — ein Verſchwender, denn 
er läfst vor feiner Stadt Millionen 
unbenüßt liegen. Alfo fort mit Stamm 
und Strupp vom Abelsberge, fort mit 
den krummen Schleichwegen, die heute 
duch Did und dünn binanfchlängeln. 
Der gerade Weg ift der beſte. Auf 
der Spitze des Berges elegante Ver— 
gnügungs-Etabliſſements und eine 
Drahtjeilbahn Hinauf! — Meine Her- 
ren, in diefen wenigen Worten liegt 
der Plan zur künftigen Größe der 
Etadt Abelsberg. Ih beantrage die 
Devaltierung der Wildnis und den 
- Bau einer Eifenbahn auf den Abels— 
berg.“ 

Die übrigen Räthe waren geradezu 
verblüfft über die Großartigkeit der 
dee, und als fie fich wieder ernannt 
hatten, wurde der Antrag mit Begei— 
fterung angenommen. — 

Bei einer nächſten Sitzung des 
hohen Rathes trug ſich folgende De— 
batte zu. 

Die Hansfrauenſchule von Abels— 
berg, welche junge Mädchen befonders 
in den häuslichen Wiſſenſchaften und 
Tertigleiten unterrichtet, aber nicht 
jeher gut fundiert war, bat den 
Rath um eine Subvention. Der Mann, 
welcher das Gefuch einbrachte, unter: 
fügte jelbes mit warmen Worten und 
wies auf die große Bedeutung der 
Anftalt hin. — Na, dem wurde heim— 
gelenchtet! 





„Hausfrauenſchnle!“ rief der Gegen— 
redner aus. „Leben wir in einer Stadt 
von Philiſtern, daſs mau ſich nicht 
entblödet, einen ſolchen Antrag ein— 
zubriugen? — Als ob unſere Töchter 
zu Schuſtersfrauen und Hausmeiſters— 
weibern hergerichtet werden ſollen. 
Kochen! Flicken! Waſchen! Glät— 
ten! das ſind ja doch die vier Facul— 
täten einer Hausfrauenſchnle! Die 
Bürgerstöchter von Abelsberg Köchin— 
nen, Nähmamſellen, Waſchweiber! Und 
einer ſolchen Auſtalt eine Subvention? 
Ich will nicht näher auf das geradezu 
beleidigende Auſinnen eingehen, ſon— 
dern ſtelle den Gegenantrag, daſs eine 
Subvention für die Hausfrauenſchule 
für jeßt und alle Zeiten abgelehnt 
werde, Dingegen, daſs ein Beitrag 
für unfere höhere Töchterfchule bewil— 
ligt werde, denn die höhere Töchter: 
ſchule fördert die wahre, die moderne 
Bildung, und Bildung macht frei!” 

„Und darum bleiben die meilten 
Dlauftrümpfe auch frei", entgegnete 
der erite Antragfteller, „aber, joweit 
ih das weibliche Gejchleht kenne, 
wünscht es nicht frei zu bleiben, 
fondern wünſcht ſich beizeiten einen 
Freier. Mein geehrter Herr Gegenred— 
ner hat fünf Töchter, für die er gerne 
die Höhere Töchterſchule protegieren 
möchte. Ich jedoch erlaube mir, fünf 
Söhne zu haben, und es ift möglich, 
dafs dieſe ihre Augen auf die fünf 
Töchter werfen möchten, Aber ıneine 
Söhne find nicht reich, müſſen fich für 
den Beamtenftand oder auch für den 
Lehrftand entfchliegen, oder für ein 
Gewerbe. Damen aus der höheren 
Töchterſchule können fie nicht brauchen, 
fie müfjen ihre Frauen beziehen aus 
der Dausfranenshule, wo man nicht 
franzöfifch parlieren, nicht über Kunſt 
und Literatur Hochnafig urtheilen 
lernt und nicht im die tiefſten Ge— 
heimniſſe der Naturgefchichte dringt 
mit jener Leichtigkeit, wie in die Tie— 
fen eines Stridjirumpfes, ſondern, wo 
man lernt, wie man einen einfachen 
Haushalt Führt, die Kinder in Ein 


468 _ 





fachheit und Arbeitjamfeit erzieht, dem Das Gejuh wurde im Nathe vor— 
Manne fparen und ihm die Eorgen ;gelefen und die älteren Käthe, welche 
tragen hilft. Wenn unfere jungen |bie Tradition des Mbelsberger Thea— 
Männer, die ih nah Familie und ters hoch hielten und dieſer Anftalt 
Däuslichkeit fehnen, folche Frauen nicht | viele jchöne Abende und edle Anre— 
mehr finden, dann müſſen fie halt ſel- gungen zu verdanken glaubten, nickten 


ber fodhen, nähen und waſchen lernen, 
damit wir in Zukunft den Kohl nicht 
roh verzehren, nicht zerriffen und nicht 
— ſchmutzig in die Rathsverfamm- 
lung gehen müſſen. Verweigert ihr, 
meine Herren, den Beftand der Hauss 
frauenjchule für Mädchen, jo bean- 
trage ich die Gründung einer Haus» 
frauenjchule für Männer.“ 

Der frühere Redner gab fi nun 
ein jehr würdiges Anfehen und fagte 
ganz ruhig: „Ich glaube micht, dafs 
bier der richtige Ort ift, um wohl— 
feile Späfje zu machen. Ich wieder: 
hole, daſs es unſerer Stadt un: 
würdig ift, zum Nachtheile der höhe- 
ren Töchterſchule eine Plebejeranftalt 
zu unterftüßen.* 

Die claffifsche Ruhe wirkt immer, 
auch wenn man in derjelben etwas 
nicht ſehr „Claſſiſches“ jagt. Das 
Gefuh um Unterftügung der Haus: 
frauenjchule wurde abgelehnt. — 

Der Theaterdirector von Abels— 
berg, war ſchon lange in der Stlemme 
weil die Abelsberger immer ein gutes 


Theater haben, aber keine guten Ein- | 


trittspreife bezahlen wollten. Sein 
Theater konnte fih in der That mit 
denen der Reſidenz meflen, ja es 
gab Leute, melde dem wirklich 
fünftlerifchen Beftreben des Abelsberger 
Theaters den Vorzug gaben, gegenüber 
den mehr durch Ausstattung und Thea- 
iereffect wirkenden Großftadtbühnen. 
Aber mit der Ehre allein zahlt man 
feine Gagen. Alſo dachte ſich der 
Abelöberger Thespis: Wenn unfer jo 
ideal angelegter Gemeinderath jchon das 
Praltiiche ignoriert, jo wird er gewiſs 
die Kunſt protegieren, und das um 
jo ficherer, als das Theater ja Eigen 
thum der Stadt if. — Er ſchrieb 
ein Gefuh an den hohen Rath um 
Begünftigungen für das Theater. 


beiſtimmend ihre grauen Häupter. Die 
Kurzfihtigen! Ein jüngerer Mann 
ftand auf, ein echter Sohn feiner Zeit, 
und hielt folgende Rede: 

„Meine Herren! Wir leben in 
‚einer wirklichen, im einer ernsten Welt, 
unjere Loſung ift Wahrheit, und nicht 
Schminfe. Wir müſſen endlich den 
Muth Haben, alles Komödiantenthum 
über Bord zu werfen. Bildungsan— 
ftalt! Das Theater! Wiefo? Wozu? 
Wir find ohnehin jchon ſehr gebildet. 
Geben fie claſſiſche Stüde, jo geben 
wir nicht hinein, weil wir ohnehin 
ſchon gebildet find. In die ſchlechten 
Stücke gehen wir freilich hinein, aber 
die verderben uns. Es iſt unmwahr, 
daſs an uns nichts mehr zu verder— 
ben iſt; wir können ganz eurios ver— 
dorben werden! Mancher iſt geradezu 
fertig, ſage ich euch. Ich zum Bei— 
ſpiel gehe ſchon lange in kein Thea— 
ter mehr und erlaube es auch meinen 
Kindern nicht, dieſe Schule der Ver— 
ſtellung zu beſuchen. Von dem Gelde, 
das ein einziger Sperrſitz koſtet, fann 
eine ganze Familie ſich einen gemüth— 
lichen Abend im Gaſthauſe beim Bier 
gönnen und läuft nicht Gefahr zu ver— 
brennen, wie im Theater. Zudem hat 
man auch im Wirtshaufe Gelegenheit, 
gute Komiker zu fehen und hübſche 
Sängerinnen zu Hören! Wozu aljo 
ein koſtſpieliges Inſtitut, das nicht 
leben und nicht fterben kann, jolange 
es die Gemeinde unterftüßt. Unters 
| fügen wir es nicht mehr, laffen wir 
es ruhig ſterben.“ 

„Und die Kunſt?“ rief ein an— 
derer drein, ohne um das Wort erſucht 
zu haben. 

Der Redner fuhr fort: „Der hohe 
Rath von Abelsberg hat ſeinen Kunſt— 
ſinn auf das glänzendſte bethätigt. — 
Meine Herren! Ich erinnere Sie mit 














+61 


freudigem Stolje an unferen neuen 
Friedhof! Wir haben eine halbe Million 
dafür bewilligt! Warten Sie, bis er 
vollendet jein wird, bis die impofante 
Einfahrtspforte, die architektoniſch mei— 
fterhafte Leichenhalle, der mit feinftem 
Geſchmack ausgeftattete Aufbahrungs— 
ſaal eröffnet ſein wird! Dann die rei— 
zende Anordnung der Gräberreihen 
und Gruppen, wie im ſchönſten Parke 
der Welt! Und die Arkaden, gleichſam 
Ausſtellungspavillons großartiger Grab— 
denkmäler eines nach dem andern — es 
wird ein wahres Vergnügen ſein. Und 
uns, die wir das Publicum zur Unter— 
ſtützung der Kunſt nachgerade zwin— 
gen, indem wir die obligatorifche Auf— 
babrung der Leihen in der Friedhofs- 
halle vorschreiben, uns wird Mangel 
an Kunſtſinn vorgeworfen! Warten 
Sie doch erft, bis die neue Straße, 
die Pferdebahn eröffnet fein wird zum 
Friedhofe hinaus, ein wahrer Corſo 
wird es werden, eine Promenade der 
eleganten Welt, ein Erholungsort für 
das Volt, mit einem Worte, wenn 
der neue Friedhof erft eröffnet if, 
wird fein Menſch mehr nach dem Thea— 
ter fragen. Ich verjpreche mir einen 
großen Erfolg. Unter ſolcher Perſpec— 
tive glaube ich, daſs wir die Theater» 
frage für abgethan erflären und zur 
Tagesordnung übergeben ſollen.“ 

Der Antrag wurde angenommen, 
das Geſuch des Theaterdirectors ab- 
gelehnt. — 

Bei einem fo ideal=fortichrittlichen 
Regimente darf uns um die Zukunft 
Abelsbergs nicht bange fein. Und in 
der That, wir jehen bereits die er— 
freulichften Refultate. Der Abelsberg 
ift abgeholzt, auf den jonnigen Grün 
den wachen die üppigften Difteln, die 
Schlangenwege jind verichüttet und 
eine Drabtieilbahn 


fehen wie eine ungeheuere Laterne. 
Aber die Leute find noch zopfig, möch— 
ten lieber in einem Walde jpazieren 
gehen, als auf den Berg zu fahren, 
um oben an der höheren Stelle ftatt 
des höheren VBergnügens bloß höhere 
Preife zu finden. Nur die höheren 
Töchter fahren manchmal hinauf, geben 
dort oben im der Laterne große Ala- 
demien mit Declamationen und Cla— 
vierfpiel. Davor ſitzen felige Mütter, 
ihre genialen Töchter bewundernd und 
feiernd, während daheim die Ehemän— 
ner mit den Dienſtmädchen berath- 
Schlagen, wie man die Heinen Kinder 
atzt und fich felber den Kohl wärmt. 

Der hohe Rath iſt oberfter Leiter 
der Laternenwirtfchaft, er veranftaltet 
daher in derfelben allerhand Vergnü— 
gungen, als: Bänkelſänger-Concerte, 
Kunſtreitereien, Thier-Gymnaſtiken, 
Taſchenſpielervorſtellungen, Junggeſel- 
lenabende und dergleichen, um die 
Leute reichlich und redlich zu entſchä— 
digen fürs Theater, das mittlerweile 
glücklich zugrunde gegangen iſt. Weil 
aber das vorurtheilsvolle Volk eine un— 
erklärliche Abneigung vor der Berg— 
fahrt hat und ſein Geld lieber in den 
Wirtshäuſern der Stadt verſchlemmt 
als oben, ſo will der hohe Rath 
demnächſt den Stadtwirtſchaften das 
Gaſſhausrecht entziehen, um alſo 
gemeinnützig im höheren Sinne 
zu wirken. 

Zu einem beliebten Beluſtigungs— 
orte ift der neue Friedhof geworben. 
Jeden Tag ziehen ſie mit Pompes-Fu— 
nèbres⸗Carroſſen unter Muſik hinaus; 
und draußen find alle zufrieden: Die 
Yebendigen, dafs jie wieder zurüdfah- 
ren, die Zodten, daj3 fie draußen 
bleiben dürfen. Schön ift das! Und 
wenn fich zu Abelsberg einer ein wirt: 


führt im einer jliches Vergnügen machen will, fo ftirbt 


Minute auf die Spitze des Berges. er, und ſprichwörtlich ift es bereits 


Oben fteht ein einziges, großes Ge= geworden weitum: 


in Abelsberg iſt's 


bäude, mit feinen Glaswänden anzu- am luſtigſten auf dem Friedhofe. 








Ein Brief in Berfen. 
Einem jungen Dicter. 


Junger Freund! Ich hab’ gelejen, 
Was du heute mir gefchrieben. 
Tichter aljo willft du werden 
Und von deinen Berjen leben; 
Gpen, Dramen, tleine Lieder 
Willſt du ſchaffen, und begeiftert 
Höchſten Idealen dienen: 

Tröften willft du düſtre Herzen, 
Zeigen willft du aus dem Wirrjal 
Diefes Seins den Weg zum Licht — 
Und fo weiter. Ach ich kenne 
Diefe Worte, kenn’ die Noten 
Auch, in welche fie gejegt find! 
Sehnjuht war der Töne Künftler; 
Junges Herz, e3 jhlug den Taft 
Und das Banze Hang jo lodend, 
Faſt als ob es Engel jangen — 
Und man glaubt «8, glaubt’& fo gern. 
Laſs dir etwas nun erzählen. 

In dem Haupte jedes Dichters 
Lebt verborgen eine Spinne. 

Bon Gedanten und von Bildern 
Rährt fie fih zu allen Zeiten 

Und das Herzblut ift ihr Trank. 
Phantafie nennt fi die Spinne. 
Und aus fi nun zieht fie raftlos 
Kurze Fäden, lange Fäden, 
Kleine Lieder, Epen, Dramen 
Und noch mande folde Saden. 
Kindiſch find die Herren Dichter, 
Denn fie freuen fi unendlid, 
Wenn die Zahl beſchriebner Blätter 
Sich in ihrem Schranle mehrt. 
Alfo iſt's auch mir gegangen, 
Und ich zählte ftolgen Herzens 
Da die vielen, vielen Blätter 

Und ich ſprach zu meiner Seele: 
„seo will ich nicht mehr zögern, 
In die Welt hinaus zu jenden 
Kurze Fädchen, lange Fäden, 


Kofrgger’s „„Heimgarten‘‘ 6. Heft. XV, 


Lieder, Sprüche, ernfte Epen. 
O, wie wird die Welt fi freuen, 


D, wie wird das Bud jie faufen! 
Mehr jedoch als alle Menjchen 
Wird fih freuen der Verleger, 
Denn er jehnt fih nah Gereimtem.“ 
Und ich padte nun die Blätter, 
Wie die Mutter hüllt ihr Kindlein, 
Sorgjam, liebevoll zufanımen, 
Drüdte mir den Dichterlorbeer 

Auf das ftolz erhobne Haupt — 
Und die Naſe in den Lüften, 

Alſo ſchritt ih zum Berleger. 

Und ich neigt’ mich ſtolz beſcheiden, 
Wie's geziemt dem Geiftesriiter, 
Und in wohlgejegten Worten 
Bradt’ ih meinen Antrag vor. 
Schweigend horcht' der Freund der Rede 
Und dann Hub er aljo an: 
„Zaufend Menſchen gibt's in Deutfhland, 
Welche einmal fih im Leben 
Einen Band Gedichte Taufen 
(Lieber aber ſchenken laſſen). 
Taujend Dichter gibt's für dieſe 
Taujend Iyrifhen Gemüther, — 
Jedem Dichter einen Käufer — 
Und du haft den Muth zu fordern, 
Dais ich deine neuen Lieder 

Soll in taujend Eremplaren 
Druden und dann binden laffen ? 
Eins der Bücher wird verlfauft — 
AL die andern fommen wieder, 
Halb befhmugt und angerifjen 
Und ih muj8 fie dann verhandeln, 
Lieber Freund, und wenn's jehr hoch fommt, 
Einen Pfennig für das Rilo 

Bei dem allernädften Krämer. 
Sieh, der widelt Schweizer Käſe 
Dann in deine reinften Klänge; 
Macht aus deinen Epigrammen 
Hübſche Düten für den Pfeffer 
Und in deine tiefften Hymnen 
Hüllt er einen Häring ein.“ 

Mir entrollten große Thränen, 


30 


4656 


Gr jedod, er hatte Mitleid, 

Wiſchte fie mit einem Tüchlein 

Aus den Augen mir und jagte: 

„Bring mir Proja, Ernftes, Heit’res, 

Alles will ich gern verlegen. 

Broja hat zwar manden Nachtheil, 

Aber, Theurer, wird bezahlt.“ 

Alſo iprad zu mir der Gute. 

Ich erhob mid; meinen Lorbeer 

Stedt’ ih in die tieffte Taſche 

Und gebeugt die Dichternaje, 

Schritt beſcheiden ih nad Haus. — 

Junger Freund! Den Göttern dienen 

Kann der Dichter nicht um Gold. 

Wenn dich deines Geistes Schwingen 

Zu dem Duell der Bilder iragen, 

Zu der Heimat der Gedanten; 

Wenn du Stunden nur im Leben 

Darfft im hoben Himmel atbmen: 

Dant dafür aus heikem Herzen, 

Guter, liebereiher Macht. 

Glück iſt's: Schönes ſchaffen fönnen, 

Und es trägt in ſich den Lohn. 

Spinnen lals die Spinnerin 

Ihr Geweb' aus zarten Fäden, 

Sei's zu einem warmen Jäckchen, 

Das die Seele wärmt und jchüst, 

Wenn der Froft dir in das Herz bläst, 

Sei's zu Fauſtens Baubermantel, 

Der den Geift mit Sturmesflügeln 

Uber Erden, Sterne, Sonnen 

Aus der Welt des farbigen Scheines 

Zu dem reinen Licht der Wahrheit, 

Zu dem Eik der Gottheit trägt. 
„Beitgenofe.“ to von Frimer. 


Goethe und die Karlsbader. 


In welch berzlicher Weiſe der große 
Dichterfürſt 
zugethan war, geht aus einem Briefe 
bervor, den derjelbe anlälslich einer am 
19. September 1821 
ähnlichen Überſchwemmung, wie jie den 
berühmten Gurort am 24. November 
v. J. heimgejudt, an den Grafen Starn- 
berg unterm 26. September 1821 ge 
richtet bat. 
„Unmöglich ijt mir’3 zu schließen, ohne 
meinen tiefften Antbeil an dem Karls— 
bader Unglüd auszuſprechen. Seit 40 Jah— 
ren hab’ ich dieſen Ort in einem glüde 


lich bürgerlichen Zujtande gefannt, obwohl | 


ih wohl mujäte, wie die Tegler Teiche 
als ein Schwert am 
ruhig dahinlebenden Bürgern und Cur— 
gäften über dem Daupte biengen. Nun 
iſt e3 denn höchſt lebensitörend, wenn 


den Bewohnern Karlsbad: | 


itattgefundenen , 


In diefem Briefe heißt es: 


Merdehaare den | 





‚wir das, was wir Vor» und Nachfahren 
‚allenfalls bedauerlid überweiien, nun 
jelbit zu unferer Zeit an den unjerigen — 
‚denn ih darf die guten Harls-» 
'bader wohl die Meinigen nem 
nen — unerwartet erfahren müſſen.“ 
Goethe war befanntlich nicht weniger als 
dreizehnmal zur Gur in Karlsbad und 
fühlte ſich dort jehr heimiſch. Er knüpfte 
vielfab Beziehungen mit Starlsbader 
Bürgern an und als im Jahre 1812 
die Kaiſerin Maria Pudovica nach Karls— 
bad fam, Dichtete er jelbit, indem er 
jih ſchon ganz als Karlsbader fühlte, 
eine Begrüßungs- und Abjchiedshnmne. 
Der Trinkbecher Goethes, aus dem der« 
'jelbe in Karlsbad das heilipendende 
Nails Ichlürfte, wird im Goethehauje in 


Frankſurt a. M. noch aufbewahrt. Die 
Harlsbader hielten das Andenken an 


Goethe jederzeit heilig und im Sabre 
1882 ward dem bervorragenden Freunde 
und Gönner dieſes Gurortes von den 
‚Bewohnern desjelben ein ſchönes Denk: 
mal errichtet, weldes an der Haupt: 
| promenade am Slieswege Aufitellung fand. 
In diefem Denkmale wurde der Dichter: 
fürft zum zweitenmale von einer gleich 
fürdterlichen Überſchwemmung ereilt, wie 
‚fie ihn im feinem vorangeführten Briefe 
zu jo berzlicher Theilnahme  bemegte. 
Die Wellen jchlugen von dem herrlichen, 
Profeſſor Donndorfs Meifterband ent: 
ftammenden Monumente die Bülte herab, 
welche ſich tief ins Erdreich vergrub. 
Diejelbe wurde nach der Überſchwemmung 
unverſehrt aufgefunden und wird in 
‚ fommenden Frühjahre auf hohem Poſta— 
ı mente wieder mie vordem die Bewun— 
derung aller Eurgäfte erregen, welche 
die herrliche Stadt mit ihren prachtvollen 
| Anlagen und curortlichen Einrichtungen, 
| wenn verändert, jo nur verſchönert wie- 
derfinden werden. 





Hermann Haugo. 
Seit zwei Jahren begegnen wir dieſem 
Namen in vielgelejenen Zeitichriften Diter- 
reiht und Deutichlands unter Dichtungen, 





welche durch ihre eigenartige Gedanken— 


jwer—ugr 


467 


tiefe, durch die Macht ausgereift männ: | 


Haugos Gedankentiefe jteht eine kühne 


licher Stimmungen, jowie durch tadelloje ı Gejtaltungskraft, leidenjchaftliche Glut des 


Formvollendung die Aufmerkſamkeit in 
joldhem Grade erregten, daſs maßgebende 
fritiihe Stimmen ſich bereit3 mit dem 
Dichter zu beichäftigen begannen, bevor 
noch ein erjtes Werk von ihm in Buch— 
form in die Öffentlichkeit gefommen war. 
Heute liegt uns ein jolhes: „Zum Licht!“ 
Gedichte von Hermann Haugo, 
Stuttgart, Bon; & Comp. vor 
und zeigt uns Haugo, wir zögern nicht, 
es auszuſprechen, al3 das vielleicht be- 
deutendjte lyriſche und lyriſch-epiſche Ta— 


lent, welches Oſterreich ſeit Hamerling tigen 


Empfindens, vollendete Beherrſchung der 
Sprache, ſowie ein außerordentlich feines 
Naturgefühl ebenbürtig zur Seite. 

Mit ganzer Kraft tritt der Dichter 
jederzeit für die großen, unverrüdbaren 
Ziele der Menjchheit, für den Sieg der 
Liebe über den Hajs, für die Herrichaft 
des Hohen über das Gemeine, für die 
Erziehung der Menjchheit zum reinen 
Menſchenthum ein, In ſolcher Weije klärt 
fi in jeinem treffli, überaus eigenartig 
aufgefajsten lebensvollen und bilderpräd- 
Gedihte „Sintflut“ aus dem 


erjtanden ijt. Der Titel des Buches, ſowie Dunkel der Bernichtung eine neue, Licht- 


das demjelben vorgejeßte Motto: 


Was id bringe, 

It ein Streben, 

Wie das Beben, 

Das ich ringe: 

Troß des roben Tags Gewalten 

An dem Willen feitzuhalten — 
Nährt die Wurzel aud bie Arume. 
Nur das Licht erweckt die Blume! 


tennzeichnen deutlich die Ziele 
Strebens, 

Haugos dichteriiche Geſtaltungskraft 
liegt vornehmlih in der Tiefe jeiner Ge- 
danfenlyrif, im welcher eine volljtändig 
abgeflärte Weltanihauung auf kosmiſchem 
Standpunkte nach Geltung ringe. Mag 
der Dichter auch die verjchwindende Ohn— 
macht des einzelnen zur Größe der un— 
erbittlih waltenden Natur erkennen, jo 
läjst er doch nie den Glauben au die 
Menjchheit in ihrem mächtigen Entwide- 
lungsgange, als zu jener gehörig, finten. 
Er weiß, daſs fih das Einzelne nur 
opfert, um dem Ganzen zum Siege zu 
verhelfen: 


„Sinmal brauch’ ib jeden Einen, 
Einmal nur, dod einmal ganz, 

Eo wird Gröktes aus bem Sleinen, 
Und beficht der Welten Kranz” 


verfündet er in jeinem Gedichte „Natur: 
programm“, in mweldem, jowie in den 
Beilen jeiner Dichtung „Fata mor 


ſeines 


gana“: 
„Durch alle Himmel niedertönte 
Die Funde: Menſch, es gibt ein Glüd! 


Dem einzelnen geſchieht nur Wehe, 
Damit das Eis der Eigenfucht 
Berbrede und der Menichenliebe 
Fruchtbarer Lenz erwachen kann!” 


die jelbitloje Größe feiner Dichtungen am 
ſchärfſten hervortritt. 





| umjäumte Welt: 


„Fin Reich entzüdten Lichte auf Erden lag, 
Der Liebe hulbigte der neue Tag.” 


In gleihem Sinne erjcheint ihm Chris» 


ſtus, welchen er in einer an Wereſchagin 
‚gemabnenden Schärfe der Darjtellung 


erfajst, im dem Adel jeiner Lehren als 
die bis nun weiteſtgehende Verkörperung 
reinen  göttlihen Menjchenthums. Sn 
dem Gedihte „Elytia“ kommt ber 
erlöjende Gedanke desjelben zu edelſtem 
Ausdrude. 

Eine glüdlihe Verbindung von realem 
Denken und Empfinden läjst Haugo jene 
Bahnen jchreiten, welche die befreienden 
Geiſter der Menjchheit immerdar gewandelt 
find. Er vergiist wicht die Zeit, in der 
er wurzelt, bejchäftigt jich aber nicht jo 
ehr mit den jocialen als den philofo- 
phiichen Problemen derjelben. Ein jtarfes 
epiiches Talent beweist der Dichter in 
der jcharfen Zeichnung aller jeiner Ge 
jtalten, in der finnlich-bejtridenden Macht 
der Darjtellung in jeinen erzählenden 
Dichtungen. Das Gedicht „Raphaels gute 
Stunde“, lettere in Goethe'ſchem Sinne 
genommen, zeigt, wie tief der Dichter in 
das Mejen des Genies zu bliden ver 
mag. Die claifiihe Neinheit der Form 
verdient bier bejondere Erwähnung. 

Haugo ijt eine durchaus eigenartige 
Erjheinung. Er ift ebenjo eigenartig in 
der Wahl jeiner Stoffe, wie in der Zeich- 
nung jeiner Gejtalten, wie in der Form 
des Auzdrudes. Er it eine rein jubjec- 


30* 


tive Natur, jedoch eine jolche, welche viel 
zu geben hat. Den bejonderen Ernit des 
Dichters in jeinem Streben befundet die 
vornehmeftrenge Selbſtkritil, welche der— 
ſelbe ſichtlich bei Zuſammenſtellung ſeines 
Werkes geübt, ſowie daſs er fein ein— 
jiges jeiner gewiſs gleichwertigen Liebes» 
gedichte in dieſe erſte Sammlung aufge 
nommen bat. Bebauerlich erjcheint es, 
daſs auch die in Zeitſchriften veröffent- 
lichten Erzählungen in Verſen „Sygin“ 
und „Tannhäuſer“ von der Aufnahme 
ausgeſchloſſen wurden. 

Für den männlichen Geiſt Haugos be 
jeichnend iſt es, daſs er das Bud jeinem 
„Vater“ gewidmet. Das Talent des 
Dichters fteht heute mit jenem Buche auf 
der eriten Stufe der Entfaltung. Wir 
wünjchen demjelben im Intereſſe der hei— 
mijchen Dichtkunft die reichite Ausgeftal« 


tung, fie würde einen entjchiedenen Ger | 


winn für diejelbe bedeuten. 
Buft. Andr Rejiel. 


Wie der Bater Uhein Hodzeit 
madıte. 


Wahrbaftige Mär! vom Yliederwald. Einem 
Römerglafe abgelaufht von Ronrad Scipio, 


Trüb einfam lag der Vater Rhein 
Auf feinem grünen Bette, 

Er dat’ in Lieb’ und Maienſchein, 
Wie gern die Maid er hätte, 


Jahrtaufend war dahin gerollt 
Zum Meer in grünen Wogen, 
Seitdem er ihr geweiht das Gold, 
Das feine Reben fogen. 


Doch nimmer er die Braut errang 
Mit höfiſchem Werben und Minnen: 
Zu Grund er endli finfter jant, 
Ließ thatlos Zeiten rinnen. 


In Träumen nur dadt’ er der Maid, 
Und wie fie wär’ fein eigen: 

Er träumt’ von ſtolzer feliger Zeit 
Und hehrem Hochzeitreigen. 


Dod, was der Treue ftill geträumt, 
Das haben die Wellen voll Leben 
Den Bergen rings empor gefhäumt, 
Damit getränft die Reben. 


468 


1 


— 








In denen ſtieg's durch Blüt' und Frucht 
Zu goldig klaren Thränen; 

Die haben die Herzen aufgeſucht 

Zu ihrem bangen Sehnen, 


Auf einmal zog ins Land hinein 

Ein fFlüftern, Rufen, Schreien: 

Der Grüne, der Alte, der Bater Rhein 
Der wolle doch noch freien! 


Nur wenige hatten ihren Spott: 
„Er jei vol herben Weines“, 

Toh Millionen priefen Gott: 

„Zur Brautfahrt auf, des Rheines!“ 


„Durch Hunderttauſend zudt’ es ſchnell“, 
Beim Feſte nicht zu fehlen: 

Voran ein Alter jugendhell, 
Braufführer, nicht zu zählen. 


Doc die geeilt zum grünen Hag, 
Das Herz voll Hochzeitlieder, 
Nicht alle ſah'n den Hochzeittag, 
Nicht alle kamen wieder, 


Der Rhein lieh immer Wellen noch 
Ch jeinem Haupte ſchäumen, 

Run fuhr empor er plöglih hoch 
Aus feinen alten Träumen. 


Und was er ſchaute, trug ihn weit, 
Yahrtaufend weit zurüde, 

Doch was er fah, war Wirklichkeit: 
Der Kaiſer ritt zur Brüde! 


Zur Rechten führte er die Braut, 
Erblüht in Jugendprangen; 

Hat fie dem Freier angetraut, 
Geftillt fein heiß Berlangen. 


Bepriefen waren Seel’ und Leib 
Der Holden nah und ferne: 
„Hurrah, Germania, flolzes Weib! 
Glüdauf Germanias Sterne!* 


Dort oben ift gebaut ihr Thron, 
Dais feft er ewig ſtehe: 

Germania mit Schwert und ron’ 
Dem Rhein vertraut zur Ehe. 


Hier hält am Tag fie hehre Wat, 
Weit jhauend auf die Lande; 
Beheimnisvol zur Mitternadt 
Steigt fie hinab zum Strande. 


Die Stunde iſt's der Ewigkeit: 
Der Zeiten Schleier fallen, 
Die Helden der Vergangenheit 
Zum Kaijerftuhle wallen. 


Der Borzeit Schwinge mädtig rauſcht, 
Der Ahnen GBeifter walten: 

Der große Karl bier Zwieſprach tauſcht 
Mit Kaijer Wilhelm dem Alten. 


469 
Der Rothbart und der Löwe fteh’n, ger gelebt. Geheißen hat er Hans 
Um nie fi mehr zu jheiden: Kindermann. Sein Weib war ihm jchon 


Zu Potsdam aus den Gräbern geh’n 
Die Friedriche, die beiden. 


Ans grüne Bett fie fteigt zu Thal, 
Sich jhmiegend dem Batten im Kuſſe: 
Bon Blut und Kraft fill flüftern all 
Den Reben die Wellen im Fluſſe. 


Eie tündet, was fie Tags gejhaut 
Hoch oben von der Warte: 

Wie Friede weit die Felder baut, 
Der Wein der Relter harrte. 


Dann fteigt im Liebesglanz verflärt 
Vergnügt fie auf zum Throne: 

Daist wieder feft das ſcharfe Schwert, 
Hält hoc die heilige Krone. 


So hat die Liebe denn gefiegt, 
Vereint zur Ehe die beiden: 

Und was jo Gott zujammen fügt, 
Kein Menſch ſoll's wieder fcheiden! 


Hartgebüßter Erob. 


Alte Urkunde von franz von Friedberg. | 
| 


weggeftorben, aber eine Tochter hatte fie 
ihm zurüdgelaffen, die ift fiebzehn Jahre 
alt gewejen und hat Gertraud geheißen. 
Ein anderer Bürger hat auch juſt dazu— 
mal gelebt, der bat Hartnid Kupfer 
ihmied geheißen, ift noch jehr jung und 
Ihön geweſen und bat fein Weib gehabt. 
Gertraud, jagt man, ift das jchönfte Mägd- 
lein genannt in der Stadt und jei in 
den jungen Hartnid Kupferſchmied ſter— 
bend verliebt geweſen. 

Da iſt eines Tages der junge Hartnid 
zum alten Hans Kindermann gekommen, 


‘hat ihn um die Hand der fchönen Gertrud 


gebeten und der alte Hans Flindermann 
bat nicht nein gejagt, weil er es gewuſst 
bat, daſs der junge Hartnid ein gar 
waderer Gejelle wäre und auch ein 
wenig Geld im Kaſten hätte. Dann ift 
ber jelbige yreierdmann vor dad Mägd- 
lein Hingetreten, hat ſich jogar auf ein 
Anie vor ihr niedergelaffen und fie ge 


Das ift geichehen vor gar langer beten, fie möge jein Weib werden. Der 


Zeit und niemand dent mehr daran. 
Vieles iſt damals noch anders geweſen, 
ganz anders als heute, Aber bie jungen 
Mädchen, die find fich gleich geblieben; 
ih will jagen damit, daſs fie vor drei» 
bundert Jahren juft jo verliebt gemwejen 
find in ſchöne Männer wie heutzutage, 





Gertraud ift jchier das Herz im Leibe 
gehüpft und ihr Buſen hat gebebt vor 
Wonne und Seligkeit, wie fie den jchönen 
Hartnid zu ihren Füßen hat liegen ge 
ſehen. Am liebiten wäre fie ibm um 
den Hals gefallen, aber fie bat ihre 
Liebe nicht gleich wollen verrathen, bat 


daſs fie juft jo gern geheiratet haben ſich gedacht: „Wenn er mich jo ftarf lieb 


wie jebt, daſs fie aber auch juft jo 
progig geweſen find und die närriſch 


| 


bat, wie ich ihn, jo fommt er auch ein 
zweites- und brittesmal!“ und hat — 


verliebten Männer gerade jo gemartert nein gejagt! 

haben, wie fie e3 heute noch thun, Daraufhin ift der Freiersmann 
Da liegt ganz draußen im nord» | traurig von bannen geſchlichen. Weil er 

öftlichften Theile des grünen Gteirer- | aber das Mägdlein jo ftarf lieb gehabt 

lands ein winzige Städtlein, das hat |hat, wie das Mägblein ihn, fo ift er 


jeit uralten Zeiten Friedberg geheißen | 


und beißt auch heute noch jo, wenn es 
drinnen auch nicht immer jo friedlich zu— 





wirklich ein zmweitesmal gefonmen, hat 
fihb abermals vor das Mägdlein hin- 
gefniet und hat es gebeten um bie 


gebt und zugegangen ift, wie e3 hätte Hand; und abermals hat Gertraud nein 
jein follen, jchon um des Namens willen. | gejagt. Ihr hat dies von Hartnid jo 
Vor mehr als breihundert Jahren |jehr gefallen, daſs fie an nichts anderes 
ift e8 gemwejen, gerade al3 der grimme | mehr denken fonnte als an ihn. 
Türfenfaifer Suleiman der Zweite in Dem jungen Hartnid aber hat das 
unferen Landen herumgetobt und alles | Herz darob wehe gethan, dajs es hätte 
hat wollen heidniſch machen. Zu jelbiger | berften mögen. Die Liebe jedoch iſt 
Zeit hat zu Friedberg ein reicher Bür- !unbefiegbar und folche unbefiegbare Liebe 


470 


hatte der ſchöne Hartmid Kupferſchmied 
im Herzen, darum hat er gedadt: „Aller 
quten Dinge find drei!“ und iſt noch 
einmal bingegangen, Hat ſich bingefniet 
vor das Mägdlein und bat e3 gebeten 
um feine Hand. Und wieder hat Gertraud 
nein gejagt ! Das hat dem guten 
Hartnib fürchterlich wehe gethan und er 
bat nicht mehr wollen leben! Gertraud 
aber bat ſich gedacht: „Sieben Male 
will ich ihn bitten lajjen, weil fieben 
heilige Sacramente find und das jiebente 
it die Ehe!“ — 

Dermweilen aber Gertraud Kinder— 
mann jo frevles Spiel getrieben hat mit 
dem Herzen bes guten Hartnid Nupfer: 
ſchmied, ift der Zürfenfailer vor das 
-Stäbdtlein gekommen, hat gewaltig ans 
gepocht an deſſen Thore und hat hinein— 
wollen. Die Friedberger aber find dazu— 
mal gar tapfere Leute geweſen und haben 
nicht aufgemacht, vielmehr haben fie von 
Zeit zu Zeit einen Heinen Ausfall gewagt 
und fi was zu eſſen hereingeholt. 
Hartnid Kupferſchmied iſt jedesmal 
dabei gemwejen, wenn die Friedberger ſich 
ausgezeichnet haben. 

Am morgigen Tage hätte wieder jo 
ein Ausfall jein jolen. Da bat ji 
ber junge Hartnid gedadt: „Vor dem 
Ausfalle gehſt noch einmal bin zur 
jhönen Gertraud, ein viertesmal, weil 
es vier legte Dinge gibt! Du haft dich 
jo oft ausgezeichnet, vielleicht willigt fie 
ſchon defientwillen ein! — Und richtig 
ift er bingegangen ein viertesmal, bat 
fi niedergefniet vor dem Mädchen und 
bat es gebeten um jeine Hand! Gertraud 
aber hat ſich gedacht: „Jetzt jtehen wir 
ichon bei der Buße!“ und zum vierten« 
male bat fie nein gejagt! — 

Nah der Buße folgt die Neue! 

Das aber hat dem guten Hartnid 
jo unfäglih hart gethan, er ift auf: 
geiprungen und hinaus vor das Stadtthor. 

Bald darauf haben fie ihn herein» 
getragen, den Tod im Herzen. Wie 
Schön-Gertraud das gehört hat, iſt fie 
aufgeiprungen und bin, wo man den 
Sterbenden zur Raft gelegt hatte, ift über 
ihn bingefjtürzt, hat ihn gefüjst und mit 





Thränen benegt und gejammert: „Mein 
Hartnid, mein alles! Stirb mir doch 
nicht !* 

Hartnid bat die Augen aufgethan, 
Gertraud angeblidt, gejagt: „Hätteſt 
das früher gejagt!” und ift geitorben. 

Gertraud ift alt geworden, aber 
nimmer bat fie geliebt, nimmer bat fie 
gelaht! — 


Poctenwinkel. 


Stimmungen. 


Eintagsblüten nur find fie, 
Luftige Eintagsblüten, 

Nur zu bald der entihwund’nen 
Tage fragende Mythen. 


Duftig, wie felten Blumen, 
Duftlos bälder, als and’re, 
Um Wegrand jeh’ ich fie blühen, 
Wo ich ftreife und wand're. 

€. Zallburg. 


Blumenfraum. 


Dir ift das Leben die Roje, im fonnigen 
Blätterfranz, 

Mir fei es der wilde Sturmhut, gebroden 
im Mondesglan;, 

Dir lächelt's als ſcheue Mimofe, mit Anoipen= 
wahl ohne Zahl, 

Mir jei es die herbe Mufa, erblühend ein 
einzig mal. 


Du bift die ſchlanke Lilie, ein Blatt ſchnee— 
weiß und rein, 

In deinem Kelche zittern Thauperlen im 
Sonnenfdein, 

Ich bin der fernen Berge ſehnſüchtiges 
ftolzes Sind, 
Enzianblüte, im berbftliden 
Abendwind. 


Vergefi'ne 


Die Lilie wird aufmärls zeigen, die Nofen 
werden blüh'n 

Und purpurn im Liebestuffe der Sonnen: 
braut erglüh’n, 

Die Enzianblüte wird fämpfen in Sturm 
und Schnee allein, 

Sie wird fi felbft Gebieter, Sich jelber 
Scidjal fein, 

€. Sallbarg. 


Geb' vorüßer. 


Grüßt dich ein trübes Auge 
Tieffhmerzlih auf deiner Bahn, 
Sieht du ein Herz voll Wehmuth, 
O rühre nit daran ! 





471 


Öfine die Schleufen nimmer, 
Des Stromes, der eingedämmt, 
Endlih nad langem Tojen 
Sein ſtürmiſch Raujhen hemmt! 


Geh’ vorüber und taude 
Den Blid nicht in jenen Bid, 
Du nimmft ihm die Ergebung, 
Und gibft ihm nichts zurüd! 
€. Sallburg. 


Der Kafke. 


Mädchen, dein Fall bin ich, fiehft du ihn! 
jiehn, 
Auf zu den grauenden Wollen ihn fliehn ? 
Auf zu der Sonne, wie jauchzt er jo hell, 
Badet die Schwingen in leudhtender Well’, 
Mädchen, dein jagender alte, 


Wie er auf ſchimmernder Achſel ſich wiegt, 
Wie er fi hold an den Naden dir ſchmiegt! 
Küfst er die Wang' und — wie raunt er ſo 
traut, — 
Dein roſiges Ohr, wie der Liebſte der Braut. 
Mädchen, dein jagender Falke. 


Koi’ ihn, du Mädchen, den Tag du nicht 
weißt, 

Da einft der Geier die Bruft ihm zerreißt; 

Färbt ihm die leuchtenden Echwingen fo roth, 

Stürzt dir zu Füßen, blidt an did im Tod. 
Mädchen, dein jagender Falke. 


Karl Giede. 
Muth. 


Mit einem Herzen, heiß von Sehnen, 
Ging ih durch dieſe ſchöne Welt. 

O irres Hoffen, müdend Wähnen, 

Bon ſtillem Glüd, Du tiefer Traum — 
Ih fand die Ruhe nur in Thränen, 
Mein Mühen ward zu Schmerz und Schaum. 


Gedanken hell wie frühe Sterne, 

Bon Drange hoch die Bruft gejchwellt, 

Die That jo trüb, das Ziel fo ferne, 

Entfliehend wie der Woge Flut — 

Sp ih Genügen nimmer lerne, 

O bleibe treu mir, Stolz und Muth! 
Suftau Czerny. 


Moruüßer. 


65 waren zwei Nahbarslinder, 

Die nährten jüh-fehnenden Trieb. 
Doch all ihr Fühlen und Denten 
Ginander verborgen blieb, 

Und was im Stillen ſchwur ihr Mund, 
Ward nie dem lauten Tage fund. 

So heimlih war ihre Lieb’, 


Sie fahen mit ſcheuen Biden 

Sid oft erröthend an. 

Es zwang fie zu einander 

Geheimer Zauberbann. 

Doch ſchweigend giengen ſie wieder fort, 
Und feines ſprach das erlöſende Wort — | 
is Lenz und Glüd zerrann. | 


W. Gehl. 


Beduß. 


| Man rühmet höchlich die Geduld, 

| Die ih jo oft und oft gehajät. 
Die Zögerin ift häufig ſchuld, 

| Dais mandes Gute wird verpajst. 


| Geduld, merk dir, wird ausgenüßt, 

| Wenn fie zu viel, zu lang erträgt. 
Sie wird zum Pfeiler, der nur fügt 
India Eigennutz, der ftets fi regt. 


‚Wird wie der Ejel, der die Laſt 
Bergan zu tragen fi gewöhnt, 
Im ſchleppenden Getrabe Raſt 
Kaum zur Erholung ſich vergönnt. 


Auf Gottes Erden nichts fteht ſtill, 
Es greift da eins ins andre ein. 
Wenn man etwas erfafien will, 
Heißt's flinfen Sinn’s und thätig fein. 


Gar ſchnell enteilt die Hücht’ge Zeit, 
Geicheh'nes bringt fie nie zurüd. 
Drum, wenn fie beut Gelegenheit, 
So nüte gleih den Augenblid. 
3. Bothbaner. 


| 


Zeitfliege. 

Wie fraftvoll unſ're Zeit doc it, 
In allem gleich ins Didfte ſchießt! 
Die Kunſt iſt mein! Bin Realiſt; 
Mein der Beſitz! Bin Socialiſt; 
Nur her das Al! Bin Communift; 
——— erqh all! Bin a 





und wenn der Tag zu Ende iſt — 
Sie finden ſich auf einem M. 
| A. 1. Unaf. 


Splitter. 


| Wer nüchtern bleibt, wo jeder ſich beraufdt; 
Wo alles ſpricht, nur ſchweigt und gierig 
lauſcht; 
Stets ernſthaft thut, wo jeder ſcherzt und ladt: 
Der jinnt Berrath, vor dem nimm dich in 
acht. 
Arpad Sor. 


4 
I 


In da Fremd. 
(In niederöfterreihiiher Mundart.) 


Hör i wo a Bachl rauſchn, 
Kimmt mar allwei glei in Sinn: 
Rinnt däs liabe, floane Bachl 
Eppar in mei Hoamat hin? 


Siach i obn dö Gmoilan wandern, 
Kimmt ma wieda glei in Sinn: 
Wandern leiht dö liachtn Gwoikan 
Eppar gegn mei Hütl hin? 

Siach i mo a Vögerl floign, 
Kimmt ma wiederum in Sinn: 
Floigt der liabe kloane Vogel 
Eppar zu mein Dirndel hin? 


Aoloman Aaiſer. 





D Faſtenp redi. 
Don franz X. Freiheim. 


„Du Alti!“ fag da Bergler Hans, 

3 geh in d Predi heut, 

Mei Arbat bon i all ihon g'richt, 

Drum bon i a grad Zeit. 

Drauf fagt fer Weib: „No mir is's redt. 
Kanft beten glei für mi 

Weil's regnen thuat, Tann i net geh'n, 

3 bon foa Parapli.* 


Und wia da Hans fpot hoam dann Fumt, 
Da is's fein Weib bald klar, 

Dafs bei da Faftenpredi er 

Im Gmoanwirtshaus drunt war. 

„Beh ſcham di!" ſagt's — „bift du a Chrift, 
A guata wir fi's g'hört? — 

Statt guati Lehrn, bringft 3’ Haus an Rauſch, 
„Du bift do gar nir wert!“ 

„No fei nur guat“, da Hans d’rauf jagt, 
„Und laf3 mi hiazt ungihurn, 

Weil i net bei da Predi war 

Da hon i nir valurn. — 

G'faſt bon i z'Haus als guater Chrift 
Daſs 'n Magn ma z'ſam faft ziagt, 

Und biazt bon i von dir a jhon 

A Faſtenpredi friagt.“ 


„Ergökungen des Gemüthes“ 
vor 200 Jahren. 

Mas man vor 200 Fahren als 
gelelihaftlihe Unterhaltung und erlaub- 
ten Spafs betradtete, davon bringt uns 
ein aus dem Ende des jiebzehnten Jahr: 
bundert3 jtammendes, in Schweinsleder 


gebundene „Zauberbudh“ Stunde, 
aus welchem uns Heinrihb Mar in der 
„Bohemia“ ergögliche Proben liefert. 


Laſſen wir dem Merfaller des Buches 
felbit das Wort. 

„Der Endzwed gegenwärtigen Zauber- 
buches bezielet die anjtändige Ergötzung 
derjenigen Perſonen, welche von ihrer 
verdrieblihen Berufsarbeit ermüdet, 
tbeils in beliebiger Einjamteit, theils in 
aufrichtiger und luftiger Compagnie (Ge— 
ſellſchaft) an allerhand curiöfer Kunſt 
eine Ergötzung des Gemüthes und ein 
höchſt gefälliges Belieben finden.“ 
Melde Art und Weile „das Gemüth zu 
ergögen“ der Verfaſſer für die beite 
hält, möge bier aus einigen Beijpielen 


erfichtlich jein : 





„Wenn jemand von hoher Perſon 
befiehlt unverſehens eine Fürſtellung zu 
machen, die ungewöhnlich jei, jo iſt wohl 
eine der artigften, wenn man 
Fröſche in das Zimmer bringt. Dieſes 
zu bewerkjtelligen, thue man ungefähr 
25 Fröſche im eine Schadtel und ſchiebe 
biefelbe in den Holenjad, welcher mit 
einem jubtilen Faden genäht fein muis. 
Dann öffnet man zu geböriger Zeit das 
Hojenband zujanımt der Schadtel und 
geftattet den Fröſchen den freien Marſch 
durh die Hojen, worauf die Fröoſche 
unbemerft durh das Gemach jpazieren. 
Dieje Kunſt war einft in Gegenwart des 
Königs von Spanien gemadt, worüber 
ih die jpanischen Dames ungemein ent- 
jet und würde der Künftler in große 
Gefahr als Zauberer gerathen jein, wenn 
er nicht die Kunſt geoffenbart hätte.” — 
Ueber das folgende Kunſtſtück würden ſich 
die „ſpaniſchen Dames“ wohl weniger 
entjegt haben: „Sich unfichtbar zu maden. 
Tiefe Kunſt fol dem Unwiſſenden eine 
volllommene Zauberei zu fein jcheinen, 
doch kann man fie perfect aller Orten aus« 
führen. Solches aufs kürzeſte vorzu— 
ſtellen, laſſe ein großes Faſs dicht mit 
kleinen Löchlein verfertigen, krieche darein 
und laſſe es oben wieder zumachen, ſo 
wirft du alles, was draußen paifiert, 
wohl erkennen, dich aber wird niemand 
in deinem Faſs befchauen können.” — 

Nützlich für Jäger und praftifch 
gewij3 ſehr verwendbar ift: 

„Ein artiges Jägerkunftitüäd, nimmer 
nicht zu fehlen. Diejes Kunftitüd haben 
viele Schügen geprobt und alle meiften- 
theil8 wahrhaftig befunden, weshalb ich 
um joviel weniger Bedenken trage, das— 
jelbe hier einzuverleiben. Man nimmt 
einen Nagel, womit des armen Sünders 
Kopf ift auf dem Rad angenagelt wor- 
den und läjst davon bei einem Büchien- 
ihmied ein Korn auf das Rohr der 
Büchſe Segen. Man ift damit gemiis, 
daj3 man alles Federwild durd den 
Hals ſchießt. Probatum est.“ 

Eine bejondere Vorliebe zeigt der 
verehrte Autor für „Rollen jo man 
einem guten Freunde anthun könne“. 


Mannigfach, wenn auch nicht gerade herz. 
erbebend, find die Anweilungen, bejagtem 
guten Freund einen „rechtſchaffenen Poſs“ 
zu spielen. Es muſs aber ein jehr 
guter freund jein, mit dem man fich 
Voſſen erlauben darf, wie 5. B. dieſen: 
„Semanden aus dem Korb herauszufingen. 
Befehle deinem guten Freunde, dajs er 
fih unter einem großen Korb verfteden 
jolle, und wette mit ihm, daſs du ihn 
durh Singen nöthigen wolleft, unter dem 
Korbe hervorzufrieben. Gehe aljo ein 
andädhtig Lied fingend um den Korb 
berum und giebe endlich einen 
über denjelbeu, fo wird er wahrjcheintich 
deines Singen: bald überdrüjlig werben 
und unter dem Slorbe hervorfriechen.“ 
„Wahrſcheinlich“ es ſcheint ſomit 
nicht „Probatum est“ zu ſein. Noch 
auf mancherlei Art kann der gute Freund 
„zur Ergögung des Gemüthes“ beitragen, 
und der wadere Verfaſſer des Zauber: 
buches jcheint in der Erfindung ſolcher 
Poſſen unerſchöpflich geweſen zu fein, 
So empfiehlt er unter anderem, dem 
guten Freunde ein „Brechpülverlein“ in 
die Suppe zu geben! — Wie neckiſch! 
Meiters folgt: „Ein praftiiches Kunſt— 
ipiel ift, dem guten Freunde, welcher ſich 
zu oft umgebetener Weife zu Tiſche 
ladet, den Teller mit Coroquintenſaft 
einzureiben, damit alles, was in jein 
Maul fommt, bitter jhmede.“ — Armer 
guter Freund! Doch ift dies immerhin 
ein umfchuldiger „Bois“; das büftere 
Zauberbuh enthält noch derbere Necepte 
für den unglüdlichen guten Freund. Es 
geht doch nichts über eine anftändige 
Ergößung de3 Gemüths! Dem Leer 
geht zumeilen ein Licht auf, warum das— 
jelbe in Schweinsleder gebunden tft. 

Als nette gefellichaftlihe Unterhal- 
tung empfiehlt der nette Mann eine 
Schüffel voll Waffer zu gießen und bie 
Anweſenden aufzufordern, recht aufmerf- 
jam in das Waſſer zu jehen, da jih am 
Grunde der Schüffel allerhand ſchöne 
Bilder zeigen werden. „Wann jte nun 
auf das genauefte in das Wafler Schauen, 
ihlage mit der flahen Hand in bie 
Schüſſel, damit fie alle naja werben. 


.... — 


Du kannſt fie dann wacker auslachen.“ 
Ein anderes „Poſſenwerk“ iſt, mit je— 
mandem zu wetten, daſs, wenn er eine 
Feuerzange zuſammendrücke, eine Peter— 
ſilie daraus hervorſchießen werde. Natür— 
lich wird dies ſehr bezweifelt, aber „ſo 
ſich ein dummes Schaf ſindet, welches 
darauf eingeht“, ſo ſendet man beſagtes 
Schaf für ſo lange hinaus, bis es wieder 
hereingerufen wird. Während der Zeit 
wird die Zange im Kohlenfeuer glühend 
gemadt. Hierauf wird das Schaf herein» 


gerufen und beauftragt, die Peterfilie 
aus der syeuerzange herauszupreſſen, 


wobei jich der betreffende jämmerlich „die 
Bragen“ verbrennt, „wofür er von ber 
ganzen Compagnie tapfer ausgelacht wird“. 

Barbariiche Thierquälereien find in 
dem Buche als „Beluſtigungen“ angeführt. 
So ſoll es 3. B. jehr laächer lich an- 
zuſehen ſein, wenn man eine Henne auf 
den Tiſch ſetzt und ihr den mit einem 
Meſſer durchbohrten Hopf an die Tiſch— 
platte heftet! Oder wenn man einem 
Hahn die Zunge abſchneidet, damit er 
nicht mehr krähen könne. 


Das nur wenige Beweiſe, daſs 
in der „guten alten Zeit“ neben 
Rechtſchaffenheit, frommem und uner— 


ſchrockenem Sinn auch ein gut Stück 
Roheit waltete, über deren Dahinſchwinden 
wir Menſchen von heute uns freuen 
dürfen. 


Luſtige Zeitung. 


Unbedenklich. Dame: „Aber 
lieber Fährmann, warum wollen Sie mic 
von Ihrem Jungen überjegen laäſſen! 
Das ift mir doch zu bedenflih!" — 
Fährmann: DO nei, der Bub’ fragt 
noch nir nah den Weibsleut'n !“ 


Schlagfertig. Ein Stuger tritt 
in eine Nneipe und wendet fich zärtlich 
an die Kellnerin: „O Hebe“ — „dic 
weg!” ergänzte die Schöne. 


NReifere Jugend. Arthur: „Klara! 
würden Sie — — könnten Sie 
— mödten Sie — —“ — Sllara: 


— — 


474 
„Nur Muth, lieber Arthur, was haben — „Höre, Bruder“, ſagte der eine, 
Sie denn auf dem Herzen?“ — Arthur: ! „ich ſtehle doch das Reiſig zu meinen 


„Wolltn Sie — — dürften Sie mir 
eine Cigarre von Ihrem Papa jchenken ?* 


Gine Thüringer Gejdidte. 
Der Amtmann: „Sb frage Ihn, 
Johann Ghrijtian Herold, hat Er der 
Jungfrau Auguſte Kirſch das Ehever- 
iprechen gegeben?” — Michel: „Sa, 
Herr Roath!“ Amtmann: „Will Er 
die bejagte Perſon heiraten? — Michel: 
„Ne, Herr Roath !” AUmtmann: 
„Nun, jo muſs Er fih mit ihr abfinden, 
Wil Er ihr eine runde Summe geben ?* 
— Michel: „Ne, Herr Roath!“ — 
Amtmann: „Nun, jo mujs Er ihr in 
Raten zahlen.” — Michel: „Ne, Herr 
Roath!“ — Amtmann: „Aber, mein 
Gott, was mill Er denn eigentlich ?” 
— Midel: „Ihe? — Ih mwill’s ab- 
ſchwöre!“ 


Aus dem alten Dresden. Ort 
der Handlung: Eine Brücke, die für 
Wagen und Reiter geiperrt iſt. Ein Reiter 
ift eben im Begriff, über die Brüde zu 
reiten. Schildwache (präjentiert das Ge— 
wehr): „Herr Lieutenant, härn Se, Se 
wollen über de Pride reite.“ (Der Lieute- 
nannt reitet über die Brücke.) Schild- 
wache: „Härn Se, Herr Lieutenant, härn 
Se, Se reite über de Pride.“ (Der 
Lieutenant ift himübergeritten) Scild- 
wache: „Herr Lieutenant, Herr Lieutes 
nant, Se find über de Pride geritten.” 


Das Bankgeſchäft. Zwei be 
freundete Berliner, denen man es auf 
den eriten Blid anſieht, daſs fie nicht 
den begüterten Gejellihaftsclaffen ange 
hören, treffen fihb auf dem Bahnhof, 
„Wo milljte denn Hin, Willem ?* fragt 
Ludwig. — „Nah Poſen.“ — „Was 
willjte denn in Pofen machen ?* — „Id 
will 'n Bankgeſchäft ufmachen.“ — „Du, 
'n Bankgeſchäft? Mit Deine paar Sechſer?“ 
— „Nee, — mitn Nachſchlüſſel!“ 


Zwei Bejenbinder 
fih. Der eine ruft: 
Kreuzer das Stück!“ 
„Beſen! Seh3 Kreuzer 


begegnen 
„Beien! Neun 
der andere: 
das Stüd !* 


— 


Beſen auch und kaun ſie nicht billiger 
geben; wie machſt du es denn?“ — „Ich 
ſtehle die Beſen ſchon gemacht.“ 


Ein ſonderbarer Kunde. 
Von dem bekannten Komiker Beckmann 
erzählt man ſich in Breslau folgendes 
Stückel: Eines Tages erſchien er in einer 
Eiſenhandlung, wo gerade nur der Lehr— 
ling anweſend war. — „Ich möchte gerne 
Schillers ſämmtliche Werke“, ſagte er. 
„Wir verkaufen keine Bücher“, ſagte der 
Lehrling, „dies iſt ein Eiſengeſchäft.“ 
— „Nun, ih bin nicht jehr genau“, 
jagte Beckmann, der vorgab, ſchwer— 
hörig zu fein, „mir it es gleich— 
giltig, ob es in Kalbsleder oder Juchten 
gebunden iſt.“ — „Dies iſt fein Buch— 
laden“, ſchrie der Lehrling. — „Ganz 
recht“, entgegnete Bedmann, „packen Sie 
es hübſch ein. Schicken Sie es in mein 
Hotel. Ich wünſche es einer Verwandten 
zum Geſchenk zu machen,” — „Wir haben's 
gar nicht!“ ſchrie der Lehrling, bis ihm 
das Geficht krebsroth wurde. — „Packen 
Sie es ein, als ob es für Ihre eigene 
Mutter wäre”, jagte Beckmann gelafjen. 
„Beſſer verlange ich e3 nicht. Ich wünſche 
meinen Namen hineinzuſchreiben.“ — 
„Sehen Sie nicht, daſs wir feine Bücher 
verfaufen ?* kreiſchte der Lehrling. — 
„Sehr gut, dann will ich darauf warten“, 
jagte Bedmann ruhig und jehte fich nieder. 
— Der Lehrling eilte zu dem Herrn des 
Gefchäftes mit der Meldung, es jei ein 
Hunde da, der verrüdt jein müſſe. — 
Der Herr erihien: „Was wünjdhen Sie, 
was ift Ihr Belieben ?* — „Ih wünſche 
eine Feile zu faufen, eine einfache, fünf 
Zoll lange Feile; Sie haben doch welche?“ 
jagte der Schauipieler. — „Gewiſs“, 
entgegnete der Meifter mit einem ver» 
nichtenden Blit auf den jpradlos da- 
ftehenden Lehrling, und überreichte dem 
Kunden das Berlangte, 


Beinahe. „Denken Sie, Herr Ba— 
ron, wie merkwürdig! Meine Schweiter 
Eli it am 28. Juni geboren, ih am 
1. Juli und Dora am 4. Juli, — 





Alſo beinahe Dril- 


„Koloſſal! 
linge!“ 


Gin fluges Kind. Gretden: 
„Ser doh ruhig, Hänschen; hörſt du 
denn nicht, daſs Beſuch im Nebenzimmer 
iſt?“ — Hänshen: „Woher weißt du 
denn da3? Du warit doch gar nicht 
drin!“ — Gretchen: „Aber ich höre, 
dai3 die Mama zum Papa „Schatz“ 
jagt!“ 

Ein guter Vater. „Freut euch, 
ihr Buben! Morgen i3 Sonntag, da 
fauf i mir jo an Rauſch, dajs ihr euch 
amal wieder herzlich auslachen kinnt!“ 


Sie: „Sie lieben mich aljo wirk— 
lich, Hugo?" — Er: „Ich ſchwör' es 
Ihnen bei den Roſen Ihrer Wangen, 
den Soden Ihres Hauptes —“ Sie: 
„Weh’ mir! Er jchwört einen falſchen 
Eid!” 


Boshaft. „Du, Frauchen, ſeh' ich 
jo anftändig aus?“ „Täuſchend!“ 


Die Mohkencur. „Nun wie haben 
Sie geihlafen, Fräulein?” — „Nicht 
jo gut wie geftern, Herr Doctor.” — 
„Da trinfen Sie heute einen Becher 
weniger.“ „Borgeitern habe ich 
einen Beher mehr getrunfen und jchlief 


— 


vortrefflihd.” — „So? — dann trinken 
Sie heute auch einen mehr.“ — „Aljo 
iſt das mohl jo ziemlich einerlei, ein 
Becher mehr oder weniger?" — „Ja 
wohl, mein Fräulein, — aber nur 
nicht ohne ärztliche Verord— 
nung!“ 


Ein bekehrter Sünder. Ein 
Pfarrer im Weſten der Union hatte einen 
biederen Farmer zum Nachbar, deſſen 
Gewohnheit e3 war, Sonntags auf die 
Jagd zu gehen. Auf des erjteren Zur 
reden ſchloſs jih nun letterer der Kir— 
hengemeinde an und veriprah den Sab- 
bath zu heiligen. Ein Freund beider 
Männer fragte nach einigen Wochen den 
Pfarrer: „Bemerken Sie eine mwejentlidhe 
Anderung an Freund P., jeitdem er 
Kirchenmitglied iſt?“ — „Gewiſs“, ant— 
wortete Hochwürden, „früher gieng er 


475 


mit der Büchſe auf der Schulter auf die 
Jagd — jetzt trägt er ſie unter dem 
Rochk.“ 


Ein Jagdliebhaber rechnet 
ſeinem Freunde vor, was ihm ſein Jagd— 
vergnügen fofte: Rechne ih die Pacht, 
die Rechnung beim Büchjenmader, das 
Pulver und Blei, was ich an Zeit ver- 
jäume und an den Stiefeln zerreiße, ſo 
fommt mich ein jeder Haje auf zwanzig 
Mark zu Stehen.” Darauf der andere: 
„Dann iſt's ja ein Glüd, daſs du 
jo wenig ſchießeſt!“ 


Thüringiſche Gemüthlichkeit. 
Diebe brachen neulich in das Haus eines 
AJuftizrathes in Coburg ein und binter- 
ließen im Keller eine Karte mit folgen: 
dem Inhalt: „Geehrter Herr Juftizrath ! 
Zwei Coburger haben fich erlaubt, bei 
Ihnen zu jpeifen. Ihr Wein iſt jehr 
gut, Sie haben auch gutes Bier, Ge 
itoblen haben wir Ahnen weiter nichts 
als einige Gigarren. Kellerlöcher zu— 
machen!“ 


Kein Verſtändnis. Wirtin: 
„Herr Müller, es iſt jemand da.“ — 
Student (noch im Bett, baridh): „Wer 
denn?” — MWirtin: „Der Geldbrief- 
träger.” — Student (jchreiend): „Und 
das nennen Sie einfach jemand ?“ 


Ein guter Schaujpieler. „Don 
dem Schlabigfy, der jeft am Stadt- 
theater engagiert ift, hab’ ich einmal eine 
glänzende Leiftung geliehen.“ — „So? 
Mo denn?” — „Er hat mir in Amerika 
die Stiefel gewichst!“ 

Noch vor kurzem trug eine War- 
nungstafel in Nordböhmen fol 
gende Injchrift: „Wer über dieſe Brüde 
rafcher als im Schritt fährt, zahlt 
1 fl. 10 fr. Strafe; im alle der Zah- 
lungsunfähigkeit jegt e8 12 Hiebe. Die 
Hälfte der Strafe empfängt der Angeber.* 

Ein junger Börjianer entdedt 
plöglih den Beruf zum Scaufpieler in 
fih und wendet fih der Bühne zu. 
Seine erjte große Rolle ift der Marquis 
Poſa, den er im ganzen nicht übel jpielt. 
Nur an einer der Hauptitellen kommt 


— J 


476 


des Künſtlers eigentliche Natur unver⸗ 
mittelt zum Durchbruch, da er den König 
fragt: „Sire, wie geben Sie Ge 
dankenfreiheit?“ 


Profeſſor (in der Elafie): „Es 
riecht bier jo eigenthümlich brenzlihd — 
Kiefemann, riehen Sie nichts ?” — „Nein, | 
Herr Profeffor!” — „Aber Kiejfemann, 
Sie al3 Primus jolltens doch 
riechen !” 





Die Trauerfeier. Sepp: „Sa, ! 
Herr Oberförfter! Geftern hab'n mer halt 
unjern Hans 'naustrage, (Heult): Und 
a ſchöne Red' hat der Herr Mfarrer 
g’halte — i hab’ wohl mir davo ver- 
ftande — und nah jan mir halt ins 
Wirtshaus — da hab'n mer ordentlich | 
g'freſſ'ſe — und g'ſuff'e — nachher hab'n 
mer a bijsla g’tanzt und g’junga — und 
ſpäter is noch g’rauft worn — ad, Gott, 
ja! — unjer armer Hana!“ 


Tſchumperliedln. | 


Mitgetheilt von Agnes von der Deden. 
Als Nachtrag zu den Tjchumperliedln | 


(Schlemper:, Bummelliedin) aus Thürin⸗ 
gen, Sachſen und beſonders dem Voigt- 





land, die im erſten Heft des elften Heim« | 
garten» Jahrganges mitgetheilt wurden, ſei 
es gejtattet, bier einige Tſchumperliedln 
des jächfiihen Erzgebirges aufzuführen. 


Wenn r ner fäm, 

Dofs er mieh nähm, 
Dofs ih doch endlich | 
Dun Klippelfad täm! | 


Nu is r gelumme, 

Un bot mieh genumme, 

Nu bin ich no farrner (mehr) 
Bun Rlippelfad fumme. 





Ah wenn doch mei Schazl 
E Roſenſtock wer! 

Ich ſtellt n ans Fanſtr, 
Bis r aufgeblüht wär. 


Und wie blau fiaht dr Himmel 

Und wie leuchten die Stern, 

Und wie haben die Burſchn 

Die Madin jo gern ! j 


Alle Leit jei mr gut, 

Ka Menih is mr gram, 
Morim ſoll den mei Schazl 
Ka Freid an mir ham? 


Wenn ih e fein Madl jeh, 
Dent id, 3 is mei; 

Menn ich firih Kammerle fumm, 
Lafst miech net nei. 


O du ſchwarzagete Gret, 
Wenn d in mei Herzl ſechſt, 
Ließte miech nei. 

Ließte miech nei. 


Schazl, gram diech net, 
Ich will diech wahrlid net; 
S limmt emol de Zeit, 
Dofs mr wern e par Leit. 


Wenn ih an mei Schazl dent, 
Madin alle Tiih un Bent, 

Tiſch un Bent un Fanſtrbrit, 
Dun men Schazl laß ich net. 


Dei Votr bot giaht ih fol de Roſa net liebn, 


R will mr alle Wuchn drei Zwanzger mebr 


gabn. 


Is ſchod fr deine Zwanzger, ih ma fe net 


habn, 
Ich lieb meine Roſa fu lang, als ih fa. 
Bei mir i3 noch fanr kumme, 
Bei mir fummt noch kaner fir; 
S mufs e radtr ſchienr fumme, 
Der racht tanz fa mit mir, 


Wann de imufch Bridi gift, 
Tu fei net dririnfn, 

Wann de mei Ehazl fift, 

Tu auf ihn winfn, 

Wink auf ihn, ſchrei auf ihn, 
Tu auf ihn lad! 

Muttr, wann mei Schazl fimmt, 
Wie fol ich's machn? 

Wenn ich ſchie dent, jchie dent 
Ih will dr gut fei, gut fei, 
Fallt mr mei altr Schaz 

A wiedr ei. 





‚ Denfft du denn, du Naſeweis, 
Daßs ich mid um dich zerreik ? 


Ih dreh mid um un lad did aus 


Und ſuch mr derweil ein andren aus 





Der mitn ſchwarzn Frad 
Der bot fa Geld in Sad, 
Dan mitn rundn Hut, 
Dan bin ich gut. 


| 


Bücher. 


Deutſche Volksſchauſpiele. In Steiermark 
geſammelt. Mit Anmerkungen und Erläute— 
rungen nebſt einem Anhange: Das Leiden 
Chriſti. Spiel aus dem Gurkthale in Kärnten. 
Herausgegeben von Dr. Anton Schloijar. 
Zwei Bände. (Halle, Mar Niemeyer. 1591.) 

Es ıft befannt, daſs in unferem deutjchen 
Gebirgsvolle dramatiſche Spiele vorhanden, 
die oft ein hohes Alter haben und deren 
Berfafjer nit befannt find. Solche Stüde 
werden heute noch hie und da in den Dör— 
fern, und zwar von Bauern jelbft aufge: 
führt und find merlwürdige Dentmäler naiver 
Bollsdihtung. Die befannteften (aber auch 
nur in der Bauernjhaft befannt) Stüde 
find: „Das Paradeisipiel*, „Das Schäfer: 
ipiel“, „Das Krippelipiel“, „Das Genovefa: 
ſpiel“, „Der baierifche Hieſel“. 

Solde Volksſchauſpiele, wie fie beſon— 
der3 in Steiermark vorfommen, hat nun 
U. Schloſſar gejammelt, herausgegeben und 
damit unferer Culturforſchung einen wejent: 
lien Dienft erwiejen. Nebft den oben an: 
gedeuteten Stüden enthält das Werk: „Die 
Geburt Ehrifti*, „Das Leiden Chrifti*, „Su: 
dith und Holofernes*, „Dirlanda*, „St. 
Barbara“, „Sujanna*, „Der gefoppte Geiz: 
hals“, „Ein Nadipiel mit dem Paſſions— 
jpiele aus dem Gurlthale jammt deſſen Zwi— 
ſchen- und Nachſpielen.“ — Unmerlungen 
und Erläuterungen des Herausgebers orien: 
tieren uns und geben der Sammlung aud 
einen wifjenihaftliden Wert. 

Mande der Stüde tragen wohl das 
Merkmal kirchlicher Urheberihaft an fid. 
Andere aber find ganz voltsthümlih naiv 
und derb, Bon dramatiiher Wirkung find 
die meiften dieſer Stüde, deren Berfafjer 
wohl nie eine Dramaturgie in der Hand ge: 
habt haben werden. — Un anderer Stellediejer 
Zeitjhrift wird der dramatiſche Schwant: 
„Der gefoppte Geizhals“ mitgetheilt werden. 

R. 


4 


Bühnenfterne, Bilder aus der Theater: 
welt von Julius Freund. Zweite Auf: 
lage. (Berlin. 3. F. Scorer.) Ein Gegen: 
ftand, der immer jeinen Reiz hat. Wer 
fürs Theater fi nicht intereffiert, der thut's 
wenigftens für die Schaufpieler. Diejes Buch 
hat daher jhon im vorhinein ein großes 
Bublicum. Und es ift darnach angethan, 
das Bublicum keinesfalls zu enttäufchen, 
fondern es auf die angenehmfte Weiſe zu 
unterhalten und ihm mande Erinnerung 
an liebe Theatergeftalten wieder aufzu: 

M. 


friſchen. 


77 


Aus dem Brrenhaufe, Dreizehn Erzäh— 
lungen merfwürdigerIrrfinnsfällevon@aro: 
linev. Sheidlein-Wenrid, mit einem 
Vorworte von Fridrich Schlögl. (R. 
Bauer. Wien.) Dieje merfwürdigen, pfycho— 
logijh intereffanten Erzählungen, werden 
nicht verfehlen, bei den Freunden geiftvoller, 
belletriftifcher Literatur Auffehen zu erregen. 
Der Lejer betritt in denjelben, an der Hand 
der Verfaflerin, die Behaujung der von 
einem entieglihen Schidjale zum geiftigen 
Tode Berurtheilten, und erfährt die Ur: 
ſachen, durch welche der in vielen Menichen 
ihlummernde Dämon des Wahnfinns in 
ihnen zum Leben erwedt wurde. Die Schreib: 
weiſe im Buche könnte befjer jein. — Friedrich 
Schlögl hat das Werk mit einem freund: 
lichen Geleitbriefe, in weldem er fein Be: 
fanntwerden mit der zu früh verftorbenen 
Verfaflerin jchildert, verjehen. V. 


Schopenhauer. Aphorismen zur Lebens— 
weisheit, herausgegeben von Dr. F. Rein. 
Bibliothef der Gejammtliteratur des Ins ° 
und Auslandes. (Otto Hendel. Halle a. ©.) 
Die bisher verbreitete Ausgabe der Schopen: 
bauerjhen Werke hat dur die vorliegende 
Bearbeitung eine genaue Sichtung erfahren. 
Die umfangreihen Zuſätze aus den hinter: 
laſſenen Papieren, die Schopenhauer wohl 
laum ſämmtlich anfgenommen, oder die er 
doch wenigſtens überarbeitet haben würde, 
find bedeutend reduciert worden; es find 
nur Diejenigen beibehalten, die Schopen: 
bauer zweifellos unverändert gelafjen haben 
würde. V. 


Maud Elliot. — Ein Echo von An— 
tietam. Zwei Novellen von Edward Bellamy. 
Bibliothef der Gefammtliteratur des In: 
und Auslandes. (Dtto Hendel, Halle a. S.) 
Nah dem enormen Aufjehen, welches des 
rajch berühmt gewordenen Berfajlers „Im 
Jahre 2000, Ein Rüdblid auf das Jahr 
1887* in der ganzen civilifierten Welt her— 
vorgerufen hat — man jhäßt die Verbrei— 
tung des oben genannten Werles auf über 
eine Million Eremplare — wird gemijs 
jeder das Verlangen tragen, auch die übri— 
gen Werte des Berfaflers kennen zu lernen. 
Die Berlagshandlung bietet im vorliegen: 
den Heft zwei Skizzen Bellamys, die in 
ihrer Eigenart fi über das gewöhnliche 
Maß erheben. V. 


Hedda Gabler, Schauſpiel in vier Acten 
von Henrik Ibſen. Bibliothek der Ge— 
jammtliteratur des In: und Auslandes. 


— 


8 





(Otto Hendel. Halle a. ©.) Offen geſtanden deutſchen“, die belanntlich jeden Dichter und 


halten wir dieſes Wert für nicht bedeutend 
genug, um aud nur ein Wort der Reclame 
darüber zu verlieren. M. 


Prei Märden für Alt und Buna. Die 
Nüfe, ein Weihnachtsmärchen. — Das Elirir. 
— Die graue Lode. Bon Georg Ebers, 
Mit drei Kichtdrudbildern von R. Leinweber. 
(Stuttgart, Deutihe Verlags:Anftalt.) Es 
jind feine von jenen egyptiichen Märden, 
die uns der Dichter und Gelehrte in Über: 
jegungen und funftvollen Ergänzungen kennen 
lehrte, jondern frei empfundene Poefien, die 
zum Theil auf heimischem Boden jpielen. V. 


Bur Bee. Herausgegeben von v. Hent. 
Lieferung bis Nr. 6. (Berlagsanftalt und 
DrudereisActien:Gejellihaft Hamburg.) Das 
nationale Prachtwerk unterrichtet in den 
beiden vorliegenden Lieferungen über die 
Typen der Schiffe, welde in den verjcie: 
denen Kriegämarinen geführt werden; dank 
der Haren Darftellungsweije gelingt es, die 
dem Laien ſchwer verftändlihen und oft 
kaum erfennbaren Unterjchiede zwiſchen den 
einzelnen Sciffsgattungen jo vorzuführen, 
daſs jedermann ſich einen volllommenen 
Begriff aller Schiffstypen maden lann. V. 


Der Beitgenofe. Berliner Monatshefte 
für Leben, Kritit und Dichtung der Gegen: 
wart. Herausgegeben und geleitet von Ri: 
Hard Zoozmann und Ludwig Jaco— 
bomsti. 

Diefe neue Zeitichrift bringt den Neu«- 
Idealismus. Der Alt:Fdealismus (bei: 
läufig derjelbe, dem Homer, Dante, Goethe, 
Schiller, Kleift, Körner u. j. mw. gehuldigt) 
ift durd den Materialismus glüdlid ge: 
ftürzt worden, Der Neu:Jdealismus wird 
fih ganz an die Naturwiflenfhaft halten 
und der Poefie volllommen neue Gejtalt 
geben. So meint diefe Berliner Monats: 
ihrift. — In dem uns vorliegenden Hefte 
finden wir mandes Schöne, jedoch aber 
nicht3, was uns die Art der neuen Erfindung 
andeuten wollte — und wir find jo jhredlich 
neugierig. M. 


Dämmerlidkeiten inder Münchener Schrift⸗ 
ftellerwelt. Bon Marimilian Shmidt. 
(Münden. 3. Lindauerihe Buchhandlung. 
1891.) 

Ausgiebige Rechtfertigung des Berfaj- 
jer8 gegen den ihm im Organe der joge: 
nannten „Jungdeutihen“ gemadten Bor: 
wurf, Plagiate verübt zu haben. Die „Jung: 


Schriftfteller älterer, idealerer Richtung „ab: 
ſchlachten“ wollen, haben fi bier wieder 
einmal ftarf blamiert, und ihr Fleiſcher— 
geihäft findet überhaupt wenig Kunden. M. 


Das Bud. Tehnit und Praxis der 
Sähriftftellerei. Handbub für Autoren von 
3. 9. Wehle. Zweite Auflage. (U. Hart: 
leben. Wien.) 

Das Wert hat jo mandem der jün: 
geren Generation vortrefflihe Dienfte ge: 
leiftet und wird dies in feiner neuen Ge: 
ftalt au in Zukunft thun. Die Proceiie, 
die dem Erſcheinen eines Buches voraus: 
gehen müſſen, find jo mannigfaltine und 
jo heterogene, und die Hilfsmittel der Er: 
jeugung und des Betriebes find jo zahl: 
reih und jo compliciert, dab ein einzelner 
laum das ganze Gebiet mit gleiher Eicher: 
heit beherrſchen fann. Der Verfafler hat es 
darum verjudht, eine Überſicht über das 
Ganze zu bieten, welche auf möglichſte Voll: 
ftändigleit allen Unjprud madt. Der Haupt: 
zweck der vorliegenden Neubearbeitung durch 
berufene Hand liegt darin, die bewährten 
Vorzüge von Wehles Buch durd eine jelb: 
ftändige Darftellung zu heben und die tech— 
nijhen Details nad neueren und beijeren 
Quellen zu bieten. h 


„Das Goldene Bud) der Sand- und Forfl- 
wirtfhaft in Öflerreid:Angarn.“ Herausge— 
geben von Dr. Leo Pribyl, Adolf Hoch— 
eggner, Adolf Lichtblau und Adolf 
Treulid. Mit 40 Porträts. Selbftverlag 
der Verfaſſer, V., Wienftraße 12, Wien. 

Die glänzende land: und forftwirt: 
ſchaftliche Austellung, welche im Jahre 1890 
in Wien ftattfand, erregte den Wunſch, 
durh ein umfafjendes Werk über dieſelbe 
ein bleibendes Andenten an dies Feſt der 
Bodenproduction zu jhaffen. Die obgenann: 
ten Herausgeber unterzogen ſich dieſer mühe: 
vollen Arbeit, und jo wurde ein Pradhtwert 
geſchaffen. Hervorragende Fahmänner, welde 
die Bearbeitung der einzelnen Gapitel 
übernommen hatten, lieferten ein umfal- 
jendes Bild des gegenwärtigen Standes 
der einzelnen land: und forftwirtidaft: 
lihen Betriebszweige, der damit verbunde— 
nen blühenden Induftrien oder eine Über: 
fit der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen im 
Kreife der Bodenproduction und der Lehr: 
thätigfeit auf diefem Gebiete in der öfter: 
reihiih:ungariihen Monardie. Auch das 
Ausland wurde berüdfihtigt. Eine Zierde 
bilden die 40 photographiigen Porträts 
der Männer, die theils mit diejer Ausftellung 
enge verfnüpft, theils als Mitarbeiter an 
dem Prachtwerke thätig waren. V. 





Dem „Heimgarten“ ferner jugegangen: 

£eo A. Kolfteis Gelammelte Werke, Bon 
Raphael Löwenfeld. 4. Lieferung. (Ber: 
Iın. Rihard Wilhelmi. 1891.) 

Der Pfarrer von Ahbach. Eine poetiſche 
Erzählung von Alois v. Warnus. (Linz 
a. D. Mareis. 1891.) 


Nubiamus. (Es wird geheiratet.) Eine 
röntsche Komödie in drei Acten von Ru: 
dolf Tambour. (Leipzig. U. Schulze. 
1891.) 


edlem Drama jpricht das Herz der Menſch— 

beit. Es ftehen andere da, die das Wort 
heijchen, um rohe Leidenschaft zu jchüren, 
ſolche habt ihr Urſache zu hajien. 

Dr. F. 9, Graf: Mit Recht iſt es 
Ihnen aufgefallen, daſs in dem Auflage: 
„Wie es mir als Dramatiler ergangen“ 
die vorzägliche Grazer Aufführung des Volks: 
| ftüdes „Um Tage des Gerichts" unerwähnt 
‚blieb. E5 war ein Berjehen, das umſomehr 
‘auffallen mujste, alS die Leitungen der 
| Dauptdarfteller, befonders die Arthur Bauers 


Geſchichten aus den Bergen. Bon Arthur als „Straisl:Tomi“ ganz ausgezeichnet ge: 


Achleitner. Dritter Band. Mit dem Bild: | 


nifle des Berfafjers. (Leipzig. Philipp Re— 
clam Jun.) 

Schte Gedichte von Wilhelmine Grä— 
fin Widenburg:Almäjy. Aus dem 
Nachlaſſe der Verftorbenen herausgegeben 
von ihrem Gatten. (Wien. Carl Gerolds 
Sohn. 1890 ) 

Wiener Humor. Sammlung der beften, 
meift neuen humoriftiihen Vorträge und 
dramatiichen Belegenheitsjadhen für Damen 
und Herren. Deraudgegeben von O. M. 
Friſe. Neue Serie. (Wien. EC. Daberfow. 
1891.) 

Der Rinderfreund. Kalender für 1591, 
Herausgegeben von Kaſimir Rebele. 
(Augsburg. Gebr. Reichel.) 

Schweizerifhe Rundſchau. Revue Géné- 
rale Suisse, Rivista Svizzera. Monatsidrift 
für Literatur, Kunſt und öffentliches Leben. 
Herausgegeben von Prof. Dr. Ferd. Vetter 
in Bern, (Drell Fükli, Zürich.) 

Reinmenſchliche Pindererziehung. Drei 
2orlejungen von Johannes Buttzeit. 
(Leipzig. Siegismund & Xolfening.) 

Degetarifhes Podbud. (Mit Geſund— 
heitöregeln.) Bon Charlotte Schulz. 
Unter Mitwirtung von Dr. med. Liezelt. 
Dritte vermehrte Auflage. (Berlin. Mar 
Breitfreuz. 1890.) 

Bur Impf- Frage. (Berlin 1891. Hugo 
& Herman $eidler.) 


Poftkarten des Heimgarten. 


3.3. 8., Wien: „Das verlorene Para— 
dies“ miſsfällt Ihnen gründlich? Sie meinen, 
das gegenwärtige Berhältnis zwijchen Arbeit» 
geber und Urbeiter werde und müſſe immer 
jo fortbejtehen. Wir meinen, dajs aud in 
dieſer bängften aller Fragen die Poeſie ver: 
föhnend wirlen Tann, wie es in Fulda’s 
berrlidem Stüde „Das verlorene Paradies“ 
thatſächlich der Fall ift. Möge das Drama 
im Leben nicht tragifher enden, als in 
diefem Schaufpiele! Ehret, ihr Reichen, den 
Dichter, der die Lehre des Rechtes predigt, 
und nit die der Gewalt. Aus Fulda's 


nannt werden müſſen, worüber aud bas 
Grazer Publicum einer Meinung tft. — 
Übrigens miüjste der betreffende Aufſatz jo 
genommen werden, Wie er gemeint war: 
Halb Ernft, halb Spais. Einmal die Cri— 
tiler zu eritifieren, das iſt zwar höchft frivol, 
im Grunde aber eine jehr heitere Sache. 
Ob fie uns, oder wir fie — e3 fonımt auf 
eins hinaus. 

€. 8., Gray: Ja wohl, Für Mijshand» 
lung unjhuldiger Kinder haben wir nod 
fein Geſeß, das ftrenge genug wäre. Am 
empörendften ift dieſes Verbrechen nod, 
wenn es unter dem Dedmantel pädagogischer 
Strenge auftritt, wo es doch nur mülfte 
Brutalität ift, die tiefer fteht, als alle Roh: 
beit der Thiere. Eltern, die ihr Kind roh 
mijshandeln, jollen für alle Zeit der Rechte 
an dem finde verluftig fein. Thierſchutz— 
bereine — brav! Kinderihußvereine — drei: 
mal brav! 


B. A. 8., Wien: Ya. Der Deutiche liebt 
anders, als der Slave, beim Deutſchen 
ſpielen Achtung, Mitleid, furz geiftige und 
jeelifche Interejjen mit. Der Deutjche liebt 
im Weibe den Menſchen, und nit das 
Thier. 

®. P., Breslau: Ein wahrhaft großer 
Mann muß aud das Talent befigen, glüd: 
lih zu jein. 

6. 9., Nürnberg: Begreifen nit, wie 
Sie fid jo ereifern fönnen über ein Büch— 
fein, das nichts will, al3 die Kinder Artig- 
feit und Wohlanftändigfeit zu lehren. Doc 
befier als das Gegentheil, welches der Ju: 
gend heute auch gepredigt wird! 

3.€., Honenmauthen: Auf Koſten wahrer 
Innigkeit berriht das Sentimentale zu 
ftarf vor. 

3. ®. 4., 6515: Gingefandte Briefmarfen 
zum Behufe eines Antwortſchreibens lommen 
im falle der Nichtbeantwortung dem Wohl: 
thätigfeitsverein „Eolonie* in Graz zugute. 


6. 3., Röln: Müflen Ihnen recht geben, 
auch uns behagen die mit Zwirn gehefteten 
Heimgartenhefte beffer, als die mit Draht 
genagelten und wir wollen tradıten, den 
Leſern wieder die altgewohnte Bequemlichkeit 
zu verihaffen. 





480 


„Fine Bitte an den Glerus.“ 


B Im Yanuarhefte des „Heimgarten* veröffentlichte ih einen Wuffag mit der 
Überichrift: „Eine Bitte an den Clerus“, in welchem vielfahen Erfahrungen und ge: 
willenhaften Erkundigungen gemäß behauptet wird, daſs in unſeren Bollsjchulen beim 
Religionsunterrichte auf Koften des Neuen Teftamentes der trodene Unterriht in dem 
fatholijhen Katehismus zu jehr bevorzugt werde. Die Darlegung geihah ftellenweiie 
allerdings in eiwas herber Weife, aber no lange nicht in jenem merkwürdigen, die 
Univerfität3 : Studien verleugnenden Tone, der auch bei der clerifalen Preſſe in der 
Schulfrage beliebt wird. freilich ift es ſchwer, in jo hochwichtigen Dingen immer die 
vollflommene Gemüthsruhe zu bewahren, 

Ich verfenne den Wert des Katechismus nicht, ftellte aber in jenem Aufſahe an 
den Clerus die dringende Bitte, dajs auch das Evangelium Jeſu in der Vollsſchule 
wieder fo zur Geltung lomme, wie e8 einft gewejen, und jelbft wenn ein biſschen Zeit 
dazu dem Katehismus, dem Alten Teftamente und der Liturgif abgezwadt werden müſste. 

Wie fehr dieſe „Bitte an den Clerus“ den Erfahrungen eines großen Theiles 
unjerer kathohiſchen Bevöllerung entipricht, beweijen die zahlreihen Zuſchriften, die 
das von mir Gejagte immer wieder beflätigen und manderlei draſtiſche Beiipiele 
dafür bringen. 

Elerifale Blätter, welche gegen den Aufſatz polemifierten, reden fo, als wäre 
derjelbe eine Anklage gegen die Katecheten. Diefe Auffafiung ift unrihtig. Den einzelnen 
Katecheten fann fein Borwurf gemadt werden, fie müſſen nad) ihrer Vorſchrift handeln. 
Mit Herzensfreude laſſe ih mich darüber belehren, dajs viele Katecheten in der Edule 
das Evangelium mit Fleiß und Liebe pflegen. Einer beflagt fih nur darüber, dajs 
manden Katecheten jo viele Religionsftunden „aufgehalst" würden. (In der „confeſſions— 
loſen“ Säule!) 

Übrigens gaben die Blätter, welche gegen den Aufjat; heftig auftraten, der Haupt: 
ſache nad) deſſen Berehtigung unwillkürlich felbft zu: Eine diefer Stimmen drüdt das 
Bedauern aus darüber, dajs in der Schule das Neue Teflament freilich viel zu wenig 
gepflegt werden lönne. (Eine Andeutung, daſs das Evangelium ohnehin im Katehismus 
enthalten jei, fimmt nicht, das wird jeder, der die beiden Bücher genau kennt, zugeſtehen 
müſſen. Der im Katechismus enthaltene Auszug aus dem Evangelium genügt lange 
nicht für eine religiöje Herzensbildung.) Ein Gegner nannte mein Berlangen nah dem 
Neuen Teſtamente „proteftantifierend*, war aljo unmgejchidterweife nahe daran, das 
Evangelium Jeſu für „lutheriſch“ zu erllären. Wohl unbedagt war das öffentliche 
Geftändnis eines gegen meinen Aufſatz polemifierenden „Katecheten“, des Sinnes, daſs der 
fatholiihe Katehismus das Hauptlehrbud, das Neue Teftament (aljo das Evangelium 
Jeſu nad den vier Evangeliften) bloß ein Hilfsbuch jei. Nah diefer Auffaffung wäre 
die Pflege des Evangeliums als etwas Nebenjählidhes ja jelbftverftändlid 
und meine Behauptung, dais das Evangelium Jeſu Chriſti nebenſächlich behandelt 
werde, aljo aud von Seite der Katecheten beftätigt. 

Zu berichtigen habe ih an meinem Aufjage nur die irrthümliche Bemerkung, 
als zahle der Glerus niht mit an den Soften der Schule. Alles Undere mufs ih 
leider aufrecht halten. 

Im Angefihte der drohenden SocialiftenGefahr wäre es doch zu bedenten, ob 
man mit dem Gvangeliumbude nit mehr ausrichtete, als mit dem fo vormwiegenden 
trodenen Katehismusunterrigte! — Man würde fi jehr freuen dürfen, wenn meine 
gewiis mohlgemeinte Anregung in einer jo wichtigen Sache — anftatt grobe und 
bämifche nichts bemweilende Gegenreden — eine ruhige Erwägung fände Der gute 
Wille zur ftrengen Befolgung des Gebotes Ehrifti: „Behet hin und lehret den Völlern 
das Evangelium !* wird ja gewiſs vorhanden jein. Und jo möge es mir nit allzujehr 
verübelt werden, wenn ich als Chriſt, als Bater von Kindern, die chriſtlich erzogen 
werden jollen, und als einer, der im Namen vieler Eltern ſpricht, nochmals bitte: 
Ghrwürdige Lehrer der Religion, gebt unjeren Kindern das Befte, was ihr geben 
tönnt, das Evangelium Jeju! 


®. A. Dofegger. 








Kür bie Redaction verantwortlich Y. 4. Bofegaer. = Druderei „Leplam“ in ®raj. 





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8 * — 
re Enge des Gerichts. 
Ein Bollsjhaufpiel in vier Aufzügen von P. R. Rofegger. 
(Den Bühnen gegenüber alle Rechte vorbehalten.) 


Ber Dichter an das Publicum. 


Prolog. 
(Der Rortragende als fahrender Sänger gelleidet.) 





as erftemal fteh’ ih in diefem Haus, 

Mo Dichter ihre Lorbeerzweige breden. 

Doch ſuch' ich nicht des Publicums Applaus, 

Ih will als Menſch nur zu euch Menſchen ſprechen. 


Gin kunftvoll Drama fann ih euch nicht geben, 
Der Thejpislarren fährt niht meine Bahn. 
Ein ſchlichtes Bild ift es aus ernftem Leben, 
Ein Menihenihidjal tritt an euch heran. 


Ein Menihenihidjal, wie es jeder Tag 

In unf’rem Volle reift, wo Schatten nadten. 
Weil e3 dem Kind des Glüdes frommen mag, 
Ginmal auch tiefftes Elend zu betrachten. 


Und jener, der mit Hummer jelbft beladen, 

Er fieht an diefem herben Lebenslauf: 

Der Weg der Schuld au ift ein Weg der Gnaden, 
Und Liebe mwedt die todten Herzen auf. 


Doch nicht des lojen Amors heitre Epiele 
Umgaufeln heute uns in bunten Reih'n. 

Sch lad’ euch, Menſchen, jet zu höherem Piele: 
Die heilige Lieb’, fie joll die Heldin jein. 


Ihr Stichwort heißt: Vergebung und Geduld! 

Tenn keiner wandelt noch den Weg des Lichtes, 

Für uns ıft jeder Tag ein Tag der Schuld 
Und jeder Tag ein Tag aud des Gerichtes. 


Rofegger's „Heimgnrten“, 7. Geft. XV, 31 


Perſonen. 


Ferdinand Stamhardt, Oberförſter, genannt 
der Kreuzjäger. 
Martha, ſein Weib. 
Anton Straßl, genannt der Straßl-Toni. 
Jeſſel, jein Weib. 
Everl, ihr Kind, ein Mädchen von 5 Jahren. 
Schorider, ein Bauer, Gemeindevorftand. 
Rath Berger, Vorſitzender des Gerichtes. 
Tr. Scharf, Staatsanwalt. 
Tr. Scheuerer, Bertheidiger. 
Thomas, Vorarbeiter der Holzknechte. 
Lodel, ein Becher 
Ehmwarz:Seppel, ein Ameis- 
gräber 
Maberl, eine Wurznerin MWaldleute. 
Hupfer⸗Hanſerl, ein Hirten- 
junge 
Simmerl, ein Kohlenbrenner 
Kaderer 
Greiffel 
Plümlein 
Kerfermeifter. 
Zwei Gendarmen, 
Zwei Knechte. 
Altes Männlein. 
Nichter, Geihworene, Kinder, Bolt. 


Ort der Handlung: In den Alpen; 

erjter Aufzug im Waldgebirge; zweiter und 

vierter Aufzug in der Kreisgerichtsftadt; 

dritter Aufzug auf der Straße, unweit der 

Rreisgerichtsftadt. — Zeit der Handlung: 
Gegenwart. 


Erfter Aufzug. 


Rerwilderter Hochwald. Morgendlihe Dämmerung, 
die allmählich in helles Licht Übernebt. Huf den binter 
den Wipfeln ſichtbaren fahlen Bergipiken erglübt 
ſachte die Morgenfonne. 
Am Vordergrunde ein vom Eturme geflürzter Baum, 
der, an anderen Bäumen bängend ober an jeinem 
tinenen wildfnorrigen dürren Aſtwert geftübt, auf 
Dranneshöhe auer in der Yuft hängt. Bor demielben 
auf einem wucdhtigen niedergebrodenen Alte fauert 
ber Etrafl-Toni, 


Erſter Auftritt. 


Etrafl-Toni. Ein etwa Ssjähriger Mann mit 
intereffantem Charalterkopf, mager, abgehärmt, ber 
Anzun eiwas zerfabren; zerichundene Anielederhole, 
jerſchliſſene mattgrüne Strümpfe, raube, mit Gifen 
beichlanene Bundſchuhe. Raubes bräunliches Hemd, 
Die braune Iade loſe über eine Achſel geworfen. 
Uber der wertenlofen Bruft ein alter lederner Hoſen- 
träger. Auf dem Haupte verwegen neitülpt ein ver- 
witterter Alplerhut. Geſicht gebräunt, Blick ſcharf, 
unflet; ſchwarzer verwilderter Bartanflug, auer über 
die Stirn Haarfehen herab. Die ganze Geſtalt etwas 
verfommen. Er in eben damit beſchäftigt. einen 
Doppelſtuten alter Art mit Pulver, Augel, Pfropfen 
vermittelt Labſtoch zu laden. Dabei lälöt er feine 
Augen unſtet umberichweiten. 


\ Arreftanten. 


man 


er viel: — Biel! — Noth lehrt beten 
und ſchießen. Dem dort umten (deutet 
gegen das Thal Hin), dem mag ein Rehbock 
mehr wert fein als wie eine Menſchen— 
brut, eine jämmerliche. Mir nit. — 
Hinein mit dem Blei! Wirft nit lang 
im Loch bleiben, Kugerl. So lang wie 
ih, Thon gewifs nit. Se feiter hinein 
geitopft, defto ſchärfer Heraus. Dit 
jo. — Aber gfcheiter will ich's jetzt 
angehen. Bin ja auf der Hochjchul’ 
gewejen, ſechs Wochen lang. In jechs 
Moden lernt der Menih was, mein 
lieber Kreuzjäger! In feiner Doctor- 
ſchul' fo viel Jurifterei wie im Kotter. 
— Hungern? Und das herrenloſe 
Fleiſch läuft im Wald um! Ein Lump, 
der nit zugreift. — So, das erſte 
Läufel Hat fein Theil. Jetzt noch das 
zweite. Weil wir zweilpannig fahren. 
Nobel! mir derbarmt’s, wenn's mit 
aufs erfte gut getroffen ift. Mag’s 
nit eine Weil’ leiden jehen, das un— 
Ihuldige Thier. Muſs der Menſch 
leiden genug, einer vom anderen; was 
man Nächitenlieb Heißt. Gut 
iſt's. (Dit Wohlgefallen den Kugelftugen betrachtend.) 
Der follt Halt mein jein, der! Das 
Ausborgen taugt nit. Taugt nit. Der 
Hahn fpielt ? @ätst ihn Mnaden.ı Brad 
jpielt er. — Iſt doch vielleicht gfcheiter, 
du gehörft nit mein. Ein gefährlicher 
Kamerad manchmal. Thut leicht ver- 
führen. Wenn’s nit muj3 fein, lajs 
ich’3 bleiben. Aus Unterhaltung Thier 
umbringen ift ein fchledhter Spaſs. 
Lieber holzhaden. Heißt das, wenn 
eins zu baden Hat. Andere 
Bettelleut’ bettelm um Brot, unjereins 
um Arbeit. Iſt ein Ding. Bettler iſt 
Bettler. — Ich dent’, Kamerad, jetzt 
ind wirds. — Die Luft wär’ heut 
rein. Der Jäger bat fih unten bei 
den Holzknechten anfagen laſſen, im 
Karwald. Na, die werden fich g’freuen! 
— Bir! — (Lauert gegen das PDididt bin.) 
Ic glaub’! — Ich glaub’ der Schützen— 
engel treibt mir ſchon ein Wildbret 


Straßl tür fi alein. Sie mögen Izu. — O ba, das iſt eins mit zwei 


jagen, was fie wollen. 


Ehevor der Füßen. 


Auf das zünden wir nit, 


Mensch zugrund geht, ehevor probiert ) Sonntagsjäger find wir feiner. Aber 


das Flinterl thun wir verfteden. Girgt 
da& Gewehr hinter einem Paum.) So, Toni, 
jegt wären wir wieder paljabel brav. 
— Ah, der Meifterfneht iſt's. Der 
Borarbeiter. Der geht in den Holz- 
ſchlag. — Halt, den bettle ih an! 


weiter Auftritt. 


Voriger Thomas, Bon links auftretend, ein 

älterer Mann mit blonden Vollbart, in gewöhnlicher 

Hol ztnechtiracht über der Achſel eine Holzart, Tritt 
langfam auf, die Bäume prüfend. 


Straßl. Guten Morgen, Meifter- 
knecht! 

Thomas. Wer? Der Strafl- 
Toni? Mas fuchit denn du auf dem 
Kreuzeck? 

Straß!l. Mein Gott, was werd' 
ih juhen? Was du Schon Haft. Und 
was du auch thäteft juchen, wenn du 
es nit Schon hätteſt. 

Thomas (umwilig. Das dumme 
Reden da. So viel wie ein Holzknecht 
hat gleich wer. 

Straßl. Ich nit, Thomas, ich 
nit. — Heut ift der Montagmorgen., 
Du gehft auf Arbeit aus. Friſch Holz- 
baden die Wochen. An Samstag zum 
Feierabend Löhnung fallen, heimgehen 
zu Meib und Kind, anfchaffen, was 
jie brauchen. Lebft in Frieden. Wie 
du's gut Haft, Thomas, wie du's 
gut haft! 

Thomas. Kannſt es ja auch jo 
Haben, mach mir's nad. 

Straßl. Gilt ſchon, Meiſterknecht, 
ich mach' dir's nach. Aber helfen 
muſst mir, Kennen wirft mich ja von 
Schrambah Her, wo ich vorig’ Jahr 
gearbeitet Hab. Schau, du bijt der 
Vorknecht, du brauchit gewiſs Leut 
im Holzſchlag. Nimm mich. Gib mir 
Arbeit. 

Thomas «ih befinnend. Straßl— 
Toni, dir Arbeit geben, das iſt eine 
ihlimme Sad’. Du ftehit beim Ober— 
förfter ſchlecht angejchrieben. Aber nit 
mit Kreiden. 

Straßl. Nein, mit Kohlen. Ich 
weiß es. Ich will aber nit angeschrieben 
ftehen, ich will arbeiten. Meine Leut 
ind im Noth. Aus der Hütten will 


483 


man uns werfen, Und ich, wie ich da 
vor dir fteh’, das ift. mein beites 
Gewand. Gar nit mehr unter die 
Leut traut man fih. So verfolgt’3 
mich! Meiſterknecht, nimm mich an, 
ich bitt' dich. Mir ift nichts zu ſchwer, 
will auch nit Feilfchen um Lohn. Was 
du geben magſt. — Wenn ich mir 
gar nichts kann verdienen — fo weil; 
ih nit, was gejchieht. 

Thomasd. Must Halt mit dem 
Oberförſter reden. 

Stragl. Was braucht's der Ober- 
förfter zu wiffen. Nimmft du ja auch 
andere auf. Denk dir, jeit vier 
Mochen lauf’ ih Schon um. Wie ein 
Kind um Brot, fo Hab ich gebeten 
um Arbeit. Nichts. Der hergelaufene 
Schelm! heißt's überall. — Thomas, 
du biſt ein guter Menſch, Haft auch 
die deinigen daheim... 

Thomas. Ya ja, das it alles 
reht. Aber ich Hab eh Arbeitsleut 
genug. Man nimmt doch allemal lieber 
die Einheimischen, und die mit ſchon 
einmal — 

Strafl. Nur heraus damit, dafs 
du nit dran erjtidit. 

Thomas. Ich weiß, dajs man 
einem eine abgejellene Straf’ nit vor= 
halten darf. Solche Leut Haben ein 
großes Net. — Aber ich kann dich 
nit brauchen. Helf dir Gott! 


Straßl witten. Helf dir Gott, 
fagen fie. Und wenn ich zu Gott bet’, 
der weist mich wieder an die Leut. — 
Auf dieſer Schönen, reichen Welt! Arbeit 
ift wohl eh’ das wenigfte, was der 
arıne Menſch verlangen fann. Die 
folltet ihr ihm nit verſagen. 

Thomas. Lieber Toni, das muſst 
dur mit anderen ausmachen. Mir jelber 
fann’3 morgen jo gehen wie heute 
dir. Mufst Halt weiter juchen. 
(Die Bäume betrachtend, für fih.) Das ſoll 
Ichlagbar fein? Mit fünfzig Jahren 
firbt der Menſch noch mit gern, und 
erft der Baum! Höchitens der! (Er win 
dem Baume nahen, biuter welchem das Gewehr lehnt. 


Der Straßl ſucht feine Aufmerfiamfeit vom Baume 
abzulenten.) 


31* 


484 


Stra Bl (nad rechts hin lebhaft in bie 
Luft deutend). Ah, da ſchau her! da ſchau 
ber! Haft jo was ſchon gefehen? 

Thomas. Was denn? Was denn? 

Strapl. Ein Bogel! Ein Adler! 

T h om a s litt nad der Richtungh. Mo? 

Straß (mit ven Finger deutend). Dort 
über die MWipfel Hin! Sieht? Siehſt 
ihn? Net — jebt fahrt er nieder. 
Haft ihn gefehen ? Dort in die Schlucht 
muſs er hinab fein. Du, den follt 
man fangen! 

Thomas, Nichts hab ich gejehen. 
Schauen funnt man aber doc gehen. 
Die Federn von jo einem Vieh! 

Strapl. Na, ih glaub’s! 

Thomas. Zu meiner Arbeit 
mufs ich. 

Ab.) 


Strafl ur ſich aleim. Den Vogel 
hat er nit gefehen. Und mein Gewehr 
hat er auch nit gejehen. Das wär’ 
wieder a Metten worden! Golt das Ge— 
wehr binter dem Waume hervor.) Seh ber, 
Büchſerl. Es ift mit anders, du bift 
mein einziger Freund, Aber da herum 


iſt's Heut nichts. Fahren wir ab. 
(46 ins Didicht.) 


Dritter Auftritt. 


Lodel kein Pehihaber, in aldfalben 
ſchlechtem Bauerngeiwand, verwildert, einen Teeren 
Seinwandiad umgebunden, cin langes krummes 
Meier in der Hand, läuft aus einem Didicht hervor. 


Für ſich) Jet nur geſchwind! (Gegen die 
Richtung bin, die Straßl abgegangen.) Weil nur 
der fort ilt! Der Straßl muſs e3 ge= 
weſen jein, Der hat jeßt wieder feine 
Arbeit und ftreiht im Wald um wie 
ein Spitzbub. Dem trau’ ich nit! Der 
hätt’ mich verrathen. Bon jo Leuten 
geht fein ehrlicher Menſch ſicher. — 
Der braucht auch einen Kratzer. (<würft 
mit dem Meſſer einen Baum an.) Sp, — Was 
denn das ift, dafs heuer die Yärchen 
nit rinnen wollen. Mujs ſchlecht an— 
gebohrt Haben im vorigen Herbſt. «#r 
ſchabt Harz von einem Fichtenftamme in feinen Ead.) 
Dre Fichten, das fein halt alleweil 
noch die Bravern. Kann fchon eine 
Weil Schabeln, bis ich meinen Zegger 
voll Hab. 





Pierter Auftritt. 
Voriger Der Edhwarj- Zeppel. Ameiigräber, 
in ähnlich ſchäbiger Gewandung wie der Lodel, aber 
doch verihieden an Gejtalt und Farbe. Sehr roth 
im Geſicht. Tanger ſchwarzer Bart, Huſcht mit einem 
großen Pündel auf dem Rüden und einer langitie» 
tigen Araue in der Hand von der redien Seite 

herbei. Pfauchend und ſchnaufend. 


Lodel ier bei feinem Schaben den Seppel 
plöglich bemerft, erihridt). Jeſs! — Uber fo 
ichreden, wie du einen magft! 

Schwarz-Seppel. Der Lodel 
its. Was thuſt denn du da? 

Lodel. Ih? Baum’ anzapfen. 
Was laufit denn jo? 

Schwarz-Seppel. Wirſt glei 
ſelber laufen. Der Kreuzjager! 

Lodel (auffahrendd. Der 
förſter? Wo? 

Schwarz-Seppel. Da enten 
über die Wieſe ſteigt er herauf. 

Lodel. Freunderl, nachher fahren 
wir ab. Oh, dieſer verdammte Förſter! 
Jetzt hat's geheißen, heut wär' er unten 
im Stanvaldichlag. 

Schwarz: Seppel. Nein. Heut 
heben fie da drüben im Kreuzwaldan zum 
Holzſchlagen. Er hat die Leut anges 
wiefen, muſs ihn aber nit gfrenen bei 
der Arbeit, geht lieber mit der Büchſen; 
wird gleich da fein. 

Lodel. 's ift umfonft, man Hat 
feine Ruh beim G'ſchäft. 

Shwarzj3-Seppel. Und was 
ih dir für einen Haufen hätt’ ge— 
funden! Lauter Schwarz-Ameifen. 

Lodelrropend. Den Förſter, wen 
ich einmal derwijch! (Beide tints ab.) 


Fünfter Auftritt. 


Man hört im Walde von rechts her aus der Ferne 

von einer Männer» und einer Frauenſtimme ein Yied 

fingen. Kommt näher, und endlich werben die Sänger 
fihtbar. 

Ferdinand, ein hübſcher, ftrammer Mann in 
maleriicher, alpiner Jägertracht, das Gewehr über 
der Achſel, läfſig und heiter, 

Martha, jugendlich, ſchmuck und munter, in ein; 
facher aber geihmadvoller Werktagsbauerntradt, das 
blonde Haar ſorgfältig in Zöpfe neflohten und als 
Aranz um das Haupt gewunden. Sie trägt auf dem 
Rüden einen leeren Fütlerlorb und über der Achſel 
eine Grasienie. 


(Beide treten langſam, gleihen Schritles, fingend auf.) 
Mein’ Schatz jeine Augen 
Sein alleweil blau, 
Es ift halt mein Himmel, 
Wann id eini ſchau. 


Ober: 





Wann's regnt und wann's fchneibt, 

Wann’s donnert und blitt, 

Da fürdt ih mid nit, 

Wann mein Schaf bei mir fißt. 

DJodler.) 

Denn ſchau, ſeine Augen 

Sein hell wie der See, 

Ich bin wie im Himmel, 

Wann ih mit ihm geh. 

Mein Schaf ift mein alles, 

Er iſt halt mein Leb’n, 

Kein Schönern, wie er ıft, 

ſtann's nimmermehr geb’n, 

(Jodler.) 

Martha. Nau, weiter! 

Ferdinand. Beim Berganfteigen 
fingen, wie die Narren. 

Martha. Tag und Naht funnt 
ich fingen und juchezen! 

Ferdinand. Biltaber nit gejcheit ! 

Martha. 's ift Halt gar fo viel 
(uftig auf der Melt, 

Ferdinand. Und deswegen mujst 
mit dem Gejchrei die Reh verjagen ? 

Martha wärtis) Lajs fie gehen, 
die Vieher und dent an die Leut! — 
Meint nit, Ferdel, dafs wir uns ein 
biffel zufammenjegen funnten? Da 
wär ein Plaß zum Raſten. (Huf einen 
Baumſtrunk deutend.) 

Ferdinand. Meinetwegen. Kann 
ih mir eine anzünden. Heut jieht 
man ohnehin nichts mehr. (Für ih.) Mit 
einem Frauenzimmer in den Wald zu 
gehen ift Schon auch das Stlügfte, was 
ein Jäger thun fann. 


Martha (hängt Korb und Zenfe an 
einen Baumaſt, febt fih zu ihm auf den Etrunt, 
ihren Arm um feinen Naden legend). Denkſt 


denn alleweil nur an die Hirſchen? 
Nie mehr an dein Weib? 

F erdinand (madt Anſtalt zum Stopfen 
einer Peife). Wohl, wohl, Alte. Aber 
beim Tag hab ich Halt auf mein Amt 
zu Schauen. 

Martha. So 
morgen, wie heut ift! 


ein Herrgotts— 


Ferdinand. Zur Hahnenbal;, | 
lang warten auf die Oberföriteritell’ 
und aufs Heiraten, das ilt Halt bitter 
| gewefen. Gelt! 

Und denk 
fein, wenn da nit ein Wildſchütz 


wenn man jolhe Morgen hätt’! 
Martha (vewundernd. Und der 
Wald! 
Ferdinand. Gelt! 
dir, der guädige Herr will da jchlagen 


48 


5 


laſſen. Auf dem Kreuzeck, wo der beſte 
Wildſtand iſt, den Wald verſilbern 
laſſen. Glaubt er, daſs die Böcke ſtehen 
bleiben werden auf dem abgeſtockten 
Boden? Die werden ihm was pfeifen. 
Martha deiie). Ferdinand! 
Ferdinand. Hörft du was? 
Martha. Fällt dir Heute denn 
gar nichts ein, Ferdinand? Gar nichts? 


Ferdinand. Ad, du meinft das 
Fuchseiſen, das ich geitellt hab? 

Martha. Heut früh beim Auf: 
wachen, hat dich fein Engerl bein 
Schnurrbart gezupft? 

Ferdinand. Wieſo? 

Martha. Der dreigigite Mai! 


Ferdinand. Jeſſas meiner Seel. 
Unfer Bermählungstag. Na, Alte, komm 
ber, jo einen Tag muſs man dod 
gleih mit einem Buſſel feitnageln. 
(Gibt ihr einen herzhaften Kult.) So iſt's recht? 
Nachher noch eins. Schau, mein Wei— 
berl biſt, mein liebes, mein herziges! 

Martha can feine Bruſt geſchmiegth. 
Hätt's nimmer vermeint, daſs ich auf 
diefer Welt einmal jo glüdlich werden 
funnt, als mit dir, mein Ferdinand. 
Schon ein Jahr vorbei und afleweil 
noch glüdjeliger. 

Ferdinand. Kunnt mir's auch 
nit beſſer wünſchen. — Was — iſt 
denn Das? (Wird aufmerkſam auf Fußſpuren, 
fett die Pfeife in den Ead.) 

Martha. Und das Schulmeiiter- 
dirndel einjtmals, wie es fich gefürchtet 
hat vor dem gejtrengen Förſter! Dentit 
du noch dran, wie ich die Ziegen hab 
verloren ? Und Angſt, der Förfter wird 
jie todtſchießen! Ich, wie beſeſſen durch 
den Wald, um die Ziegen, und da 
fommt er daher und Hilft ſelber ſuchen. 
Dentit no dran? 

Ferdinand fin die Spuren vertieft), 
Nit jo laut reden ſollſt! 

Martha. Aber nachher drei Jahr 


Ferdinand. Verdammt will ich 


486 


gangen ift. Schau her da! Die Spur 
im Zhau! 

Martha. Mußs es denn juft ein 
Wildſchütz geweſen fein? 

Ferdinand Sonſt Hat Fein 
Menſch was zu thun auf dem Kreuzeck. 
Meg führt da feiner. 

Martha. Holzleute. 

Ferdinand. Der Holzknecht hat 
im Didicht nichts zu ſuchen. Schau 


ber da! (Zeigt die Richtung, welde Straßl ger | 


gangen ) 

Martha. So kann's ja ein Hirsch 
gewejen jein, 

Ferdinand Weib, du magit 
wohl Hühner und Ziegenjpuren von 
einander unterfcheiden, aber Thier— 
oder Wildſchütz! Das zu beftimmen, 
überlaf3 mir. Sei fo gut. 

Martha. Geh, wer wird denn 
wegen jo was fuchtig werden! Mär’ 
wohl ſchad' um jo einen Tag. 

Ferdinand (dürft). Es ift une 
begreiflich! 

Martha. Ferdinand, ſchau den 
Ihönen Wald an! Du bift der Förfter 
und ſiehſt vor lauter Hirfchen und 
Böden feinen Wald mehr. 

Ferdinand. Es iftunbegreiflich, 
dafs wir immer noch fein Geſetz haben 
gegen die Wildſchützen. 

Martha. Wir haben ja eins, 
wenn du fie einfperren lafjen kannſt. 

Ferdinand. Lächerlich. Etliche 
Wochen im Kotter, das ift ihnen ge- 
trade recht, dieſen Halunken. Da wer: 
den fie mur abgefeimt untereinander. 
Kommen fie nachher wieder aus, trei— 
ben fie es noch hölliſcher als vorher. 
Gehenkt müſſen fie werden! 

Martha «uflachend.. Aber du bift 
Ichon gar! Anhängen, ja, das wohl; 


aber wegen ein paar Hafen oder was 


gleih aufhängen, das nit, das wär 
doch ein zu grober Spas. 

Ferdinand. Oder auf fein Leb— 
tag eingejperrt. Denn weil er's nit 
lajst, fo ein Lump! Juſt wie der 
Straßl-Toni. Seit er geſeſſen, ſoll 
er's noch ärger treiben. 


Martha Eaalthafh. Mein Gott, 
wenn der Menſch ſchön ausgeraſtet iſt. 

Ferdinand. Herrgott, der, wenn 
er mir einmal in die Hand läuft! 
Martha. Wer weiß, ob er ſich 
nit dasſelbe von dir wünſcht! 
Ferdinand. Ih glaub's, daſs 
er mir den Kotier nit vergiſst, in den 
ich ihn hab fteden lafjen. 


Martha. Ich bitt did, weich 
ihm aus! 
Ferdinand Ich? Ih ihm 


ausweichen ? 

Martha. Er joll im Wirtshaus 

gejagt haben, du wiürdeft noch ein— 
mal an ihn denken. 
Ferdinand. Ich ihm ausweichen ? 
‚Ein Jäger dem Wilddieb? Ein Sol» 
dat dem Feind? Der Jäger, mufst du 
‚willen, ift immer in Feindesland. Da 
gibt's feinen Waffenftillftand und 
feinen Friedensſchluſs. Ich dem Strap! 
ausweichen ?! 

Martha. Er foll ein milder 
Menſch fein. Niemand mag ihn. So 
einen ift alles zuzutrauen. Vergeſſen 
wird er dir's ſein Lebtag nit. Schon 
für den guten Menſchen iſt Verzeihen 
das allerſchwerſte, und erſt für ſo 
einen. 

Ferdinaud. Ich brauch 
Verzeihen nit. 

Martha. Meine Mutter hat oft 
geſagt, wenn der Menſch wo einen 
großen Feind hat, ſo ſoll er hingehen 
und ihm was Gutes thun. Dann 
geihieht ein Wunder, und der größte 
Feind wird oft zum größten Freund. 
Der Straßl, hör ich, ſoll Arbeit ſuchen. 
Gib ihm eine. 

Ferdinand Diefem Lumpen 
Arbeit geben? Weib, geh du jet auf 
deine Wiefe. Ich Hab meinen eigenen 
Meg. 

Martha indem fie ihr Werkzeug auf. 
|fafst, für fi). Mit der Büchfen umd nur 
mit der Büchſen! Vor lauter Paſſion 
zum Umbringen vergifst er aufs Leben. 
"(Zieht den dur den Pechſchaber verlegten Baum.) 
erdinand, warum ſagſt denn da 





fein 





he 


487 


niht3? Die Pechersleut, die Wald» 
rauchgraber machen dem Wald wohl 
mehr Schaden, als etwa jo ein hun— 
griger Dajendieb. 

Ferdinand (iharf gegen Marta). Geh 
du zu deinem Gras! 

Martha äGnnig und ſchallhafh. ch 
geh ſchon. 
fomm fein gut heim, und auf Mittag 
triegft dur heut was Gutes, 

F erdinand (lauert mit vorgebeugtem 
Körper gegen das Dicicht Bin). Ein Bol! 
Maas? Hinter dem Hafelbufch ftedt 
einer? Ein Schütz! 

Martha. Was Haft du, Fer— 
dinand ? 

Verdinand O du Höflifcher 
Kerl! (In gebüdter Stellung. Fährt mit dem Ger 
wehr zur Wange. Schreit. Das Gewehr weg! 
Das Gewehr weg! Na, das wollen wir 
doch jehen, wer Hier der Hausherr ift! 

Martha {farr vor Echred, hauchth. Fer—⸗ 
dinand! 

Ferdinand (äuſebereit, Halblaut). Er 
zielt? Geht das mich an? Auch gut. 
ESchleßt gegen das Buihwerk bin.) oh ‚ ber= 
dammt, das war ſchlecht. Na wart, 
Ganaille, wir haben noch eins! (Esiei 
fih an zum zweiten Schufs. Hinter dem Buſchwert 
fnalt es. Ferdinand fpringt mit einem furjen 
dumpfen Schrei auf, taumelt, Täjät das Gewehr 


finten, fährt mit der Hand frampfig nad der Bruft, 
al ob er aus berjelben mit den Fingern etwas 


hervormühlen wollte.) Mir jcheint, der Kerl 
— Hat mid — angejchoffen. 


Martha. Jeſus Maria! (Sie fpringt 
ihm bei. Er finft zu Boden.) 

Ferdinand. Gut getroffen. Höl— 
liſch gut. 

Martha. Ferdinand! Ferdinand! 
Was ift dir? Um Gotteswillen, ift 
dir Schlecht? 

Ferdinand. Ach, ich hab genug. 


Mit mir iſt's aus, (Biegt Hingeftreit, 
ein Haupt auf Marthas Schoß.) 


Martha tmit gewaltfam zurüdgedämpfter 
Aufregung). Heiliger Gott, wie das Blut 
auffpringt! Was thu ich denn? Was 
fang ich denn an, um des lieben Herr- 
gotts Willen! — Ei jchau, ei Schau, 
e3 wird jchon beſſer. Nein, Ferdinand, 
jo ſchlimm mit, Jo ſchlimm mwird’s nit 


Behüt dich Gott, Ferdel, 


jein. Nur jo viel erichredt hat's did. 
|Der Schred treibt allemal das Blut 
ber. In den Rippen wird’3 fteden, 
das Blei. Der Bader kriegt es leicht 
heraus. Es wird alles wieder gut, 
nur ein wenig ausruhen mujst dic), 
nachher — nachher — (Ferdinand richtet 
fih noch einmal empor, ballt die Fauſt gegen das 
Didiht hin, wo geidhofien worden, bridt dann zu- 
fammen, Sie ftarrt ihn an, die Worte bleiben ihr 
im Mund fieden. Plöblih ſchreit fie wild auf.) 


Was ift denn das? — Jetzt — jetzt 
Haben fie mir meinen Mann erjchofjen! 
(Eilt über die Bühne) Let! Kommt mir zu 
Hilf! O, wer ſoll mich hören im weiten 
Wald! (Wieder zu Ferdinand, leiſer, lebhaft ihn 
rüttelnd.) Mein, Ferdinand, es ijt nichts. 
Eine Ohnmacht. Sie geht bald vor— 
iiber, (Mit Moos tühlt fie feine Stirn. Schau, 
das naſſe Gras, das erfriiht. Das 
thut dir gut. — Mein, Ferdinand, 
fterben mit. Das mujst du Deiner 
Martha nit antdun, Schau, wie ich dich 
lieb hab, du mein Alles! du mein 
Alles! EGSededt ihn mit Küſſen. Fährt zurüd.) 
So blafs! So kalt! (Wräfstia aufihreiend,) 


Jeſus, er ift todt! todt! Gricht wie opn« 
mädtig jufammen ) 


Sechster Auftritt. 


Es laufen zuerſt einer, allmählich mehrere Wald 
leute zufammen von allen Eeiten: Pechſchaber, 
Nmeidgräber, Wurznerinnen, Holztnedte, 
Koblenbrenner, theild mit ihren Werkzeugen 
veriehen, Hirten, die ih in die Kunde jtellen, 
theil& rüdwärts auf den geftürzlen Baumitamın 
tlettern, um den Todten ſehen zu lönnen. Manch 
halbvertommene, verbädtige Seftalten in abenteuer« 
lien Angigen, mehrere barfuß. 


Ale machen die Gcherde des Schredend, haften in 

nervöfer Aufregung näber, flüflern jn eimander, 

Ihlagen die Hände zujammen, zeigen mit den Fin— 

gern nad verſchiedenen Richtungen bin, murmelnd, 

mit den Geſten des Mitleibes hier, wilder Drohung 

dort; auch manches Zeichen von Befriedigung, 
bunt beivegte Scene. 


Der Leihnam ift durch Gebüſch gededt, man ſieht 


nur Die Füße. 

Lodel iberanftürmend. Mas hat's 
denn? Was ift denn geichehen? 

Mart h A (auf den Todten weilend). Er— 
ſchoſſen! 

Lodel. Wer? Wer erſchoſſen? 
Der Förſter? Unſer lieber Förſter? 
Unſer guter Oberförſter? 

Schwarz-Seppel. Der Kreuz— 
jäger erſchoſſen? Aus iſt's! Aus iſt's! 


Hupfer— Hanſerl (ein Hirtenjunge. 
barfuß, Läuft über die Bilhne, wieder jurück und 
neu Antommenden entgegen.) Da geht's her! 
Da geht's her! Da hat fih ein Jager 
derſchoſſen! 

Schwarz-Seppel. Nit er ſich 
ſelber, du Dodel. Ein Raubersmenſch. 
Ein Mordlerl... 

9 an je r[ immer umberlaufend. Da 
geht's her! Ein Jager! Ein Mordkerl! 

Waberl catte Burznerin). Unſer' liebe 
Frau und alle Heiligen! Das möcht 
ich nit derleben, dajs der Herr Föriter 
— D ihr vierzig Märtyrer, ſteht uns 
bei! (Drängt ih zu Martha vor, rüttelt fie an der 
Asiel.) Frau Förfterin! Ja, was if 
denn das? Aber jo jchleht Haufen ! 
3a, wer hat denn das gethan ? 

Martha. O mein Herrgott, wer 
fann’3 jagen! (Macht immer noch Berfudhe, den 
Todten zu beleben.) 

Simmer| (Hoblendrenner, theilweiſe ges 
ſchwärzt, ift ſchwerhörig, fragt den Hanferl). Was 
fagt fie? Wer hat's gethan ? 

Hanſerl. Vom Herrgott iſt 
die Red'. 

Simmerl Gqlägt die Hände zuſammen). 
Wer hätt' ſich das denkt! 

Waberl. Aber was ſtellen wir 
denn an! Wenn ich nur mein Kräuter— 
trankel bei mir hätt'! Habt's ihm ſchon 
Ader gelaſſen? 

Lodel. Ein biſſel zu viel! 

Hanſerl cinter die Goulifien rechts 
weiten). Jeſſas, Jeſſas, dort! dort 
ſchaut's Hin! 

Schwarz: Seppel. 
er denn, der Halterbub ! 

Hanferl. Da enten! Da enten 
lauft er! Da enten lauft er abi! 

Mehrere Wer? 

Hanſerl. Der Raubmörder. Der 
Mordbrenner! Fangt's ihn, fangt's ihn! 

Schwarz-Seppel. Wahlrlich 
ja, dort rennt einer. 

(Aufruhr.) 


Waberl. Aber Leut, das iſt ja 
feiner. Das iſt ein Holzknecht. 

Schwarz-Seppel. Jebt ſpringt 
er durchs Gſtauder. Durch iſt er, 
Lump, geſehen hab ich dich doch! 


Was hat 


Lodel. Haſt ihn geſehen, wer 
iſt's geweſen? 

Schw arz3=Seppel (vortretend, wichtig 
thuend, teife). Ich Hab ihn geſehen. Nur 
einen Huſcher Hab ich ih gejehen, 
aber groß werd ich mich mit irren. 
Wenn ich jet reden wollt! 

Lodel. Beſſere Ausjicht will ich 
haben. (Rlettert rüdwärtd auf ben bürren, ge- 
ſtürzien Baumflamm, ber noch theilweiſe in der Luft 
hängt, Mehrere ihm nad, fo dafs fih amphithen- 
tralifh eine Gruppe aufbaut Hinter dem Leichnam. 
an weldem Marita niet und fihb dem vollen 

Echmerge bingibt.) 

Simmerl Gum Hanfer). 
thun's denn alle dort auffi? 

Hanſerl. So viel fürchten thun 
ſie ſich. 

Lodel Gom Stamm aus). Leut gibt's 
da, wie bei der Kirchweih. 

Waberl. Mo fie denn herkommen, 
die Leut! 

Schwarz-Seppel. Den Schrei 
hat man weitum gehört, mein du! Bis 
zum Holzſchlag. Und in der Roth Halten 
wir zjamm! Halten all zſamm! 

Waberl. Ich kenn mich gar mit 
aus, vor lauter Schroden! Der gute, 
arıne Förſter! Wir Haben viel ver— 
loren, Leit, wir friegen feinen beſ— 
jern mehr! 

Schwarz: Seppel mürend. Leicht 
erlaubt der neue das Ameijeln! 

Waberl. Und das Wurzelftechen ! 
@aut) Iſt nur ein Glüd, dafs er mit 
noch eine Weil hat leiden müſſen. 

Simmerl sum Han. Was jagt 
fie ? 

Hanſerl. Iſt ein Glüd, daſs er 
ihn jo gut troffen Hat. 


Siebenter Auftritt, 


Die Borigen. Straßl (langlam beranfommenb, 
innerlich erreat). 


Straßl dur ich. O Gott, daſs 
das hat müſſen fein! — Und haben 
mich ſchon gefehen. Jetzt heißt's geicheit 
fein. — (aut) Was habt’3 denn da? 

Waberl. Geh mur ber. Da iſt 
grad einer derſchoſſen worden. 

Straßl. Iſt's wahr? Js richtig 
wahr? 


Warum 


or 


Schwarz» Seppel. Schau, der | 


Straßl ift auch da. Biſt nahend geweſt, 
Holzknecht. 

Straßl. Weil ih grad auf dem 
Weg zum Holzſchlag bin. Auf jo ein 
Geſchrei mujs man doch ſchaun gehen, 
was gefchehen ift. Derſchoſſen foll einer 
fein? Um Gotteswillen, wo denn? 
Wer denn? 

Schwarz» Seppel mämiis), Wird 
dir eh bekannt geweien fein. Ein 


guter Freund zu dir, Im Winter ift’3 


falt. Magit wohl beten für ihn, dajs 
er dir ein warmes Quartier hat ver- 
ſchafft. 

Straß!l. Bon wem redſt? Doch 
nit dom Kreuzjäger? 

Schwarz= Seppel. Belt! Na ich 
glaub's, jo was vergijst der Menjch nit. 

Straßl etwas gedämpft. Ich trag 
ihm nichts nad. Hat's ja thun müſſen. 
Iſt ſeine Schuldigkeit geweſen, hat 


dafür ſein Brot. Eh ein harter Dienſt, | 


ein Fägerdienft. — Wenn der arıne 
Kerl wildert, jo hat er recht, und 
wenn ihn der Jäger einjperren lajst, 
jo hat er auch redt. So muſs man 
ich denen. Ich Hab meine Sad) ab- 


geſeſſen, und meinetwegen ſoll er nichts | 


zu leiden haben. Rachgierig bin ich 
mein Lebtag nit gewejen. — Iſt ſchon 
wer um den Arzt? 

Waberl. Braucht feinen, ift todt. 

Simmerl Gum Hanferl). Was 
jagt fie? 

Hanſerl. Arzt braucht ex feinen 
mehr, weil er eh ſchon todt iſt. 

Stragl. Und was fteht ihr denn 
da? Um und um hinaus, Leut, den 
Mörder juchen, ift gejcheiter! 

Lodel wom Baumſtamm her mit Icharfer, 
ihneidender Etimme). Geh, geh, Straßl, mach 
feine Gſchichten. Leicht Hätten wir nit 
weit juchen. 

Stragl (zudi merklich zufammen). Wie 
ſagſt? 

Lodel. Leicht biſt du's ſelber! 

Straßl. Pecher! Du Pecher! 
Was Haft du jetzt geſagt? Muſs 
dich nit gut verſtanden haben, ſag's 
noch einmal. 


489 


Lodel. Vielleicht haſt du ſelber 
geſchoſſen! 

Straßl. Ah, ſo meinſt. Ge— 
ſchoſſen. Natürlich, geſchoſſen hab ich 
ſchon oft, 

Lodel. Auf den Jäger. 

Straßl tet ſich verblüfft, dann zu den 
Umflehenden). Habt ihr's gehört? — Habt 
ihr's gehört? 
| Mehrere. Nau, mau, nan! Auf: 
begehren ab noch! 

Straßl. Ihr ſeid meine Zeugen, 
wenn ich ihn klagen geh. Das iſt kein 
Spaſs. Wer jo was jagt, der muſs es 
beweijen, ſonſt kommt er ins Loc, 
und leicht a bifjel tiefer hinein als 
wie der arıne Teufel, der hungers— 
‚halber einmal einen Hirſchen will 
ſchießen. Ja, mein lieber Lodel, mit 
ſo viel Reden wirft einer nit herum, 
fie foften zu viel! MWirft es jchon 
jeden. — Ihr Habt e3 gehört, ihr 
jeid meine Zeugen. 

(Die Umftchenden weichen murrend von ihm zuräd.) 

Schwarz: Seppel. Ya, ja, wir 
werden ſchon Zeugen fein, dajs wir 
dich zu diejer Stund Heroben am 
Kreuzeck haben gejehen. 

Straß!l. Was ſoll das heißen? 

Schwarz-Seppel. Ahırir, gar 
nix, als dafs du Halt heroben biſt 
geweſen. 

Straßl «ufgebrath. Daſs ich her— 
oben bin! Und ihr? Seid nicht auch 
ihr heroben? — Stund er jetzt da, 
der Oberförfter, wie er da liegt, ihr 
wäret nit zu jehen da heroben, das 
weiß ih. So gut wie mir das Wil— 
dern, Hat er euch das Ameisgraben 
und Pechſchaben und MWurzelftechen 
‚verboten. Wenn er auch nit jo ftreng 
it gewefen gegen die Waldverderber 
als gegen die Schüßen, wo er ein er= 
legtes Reh am Lliebiten mit der ewigen 
' Berdamımnis beitraft hätt? — verkrochen 
habt ihr euch dod vor ihm, vers 
frohen wie die Füchſe und Marder 
in ihre Höhlen. — est, weil er da= 
liegt ſtarr und falt, jetzt flattert ihr 
hervor wie das Unzücht aus allen 
Löchern und heuchelt Mitleid, die— 











490 


weilen ihr auffchreien möchtet vor 


Lodel, Was gehen uns jekt die 


Luft und Gier, dajs er dahin iſt. — Wildſchützen an! Wer den Jäger hat 
Damit ihr weiß ausſchauen jolltet, | auf die Deden gelegt, wollen wir willen. 


macht ihr einen andern jhwarz und | 


möchtet, wenn's möglich wär”, Unſer⸗ 
einen noch ſchlechter machen, als ihr 
ſelber ſeid — Lumpenpack! 

Lodel. Verſteht ihr dem feine 
Beweisführung? Ich nit. 

Schwarz= Seppel iihreit dem Straßl 
ins Or). Die Diebsſprache  verftehen 
wir nit. 

Straßl. Wem Hab ich was ge— 
ftohlen ? 

Schwarz- Seppel tirmiid). Ges 
ftohlen! Gott bewahr. Der Kreuzjäger 
hat dir den Hirfchen hübſch zutreiben 
laſſen und eine Bittfchrift an dich: 
Lieber Anton Sträßl! Erweis mir die, 
Ehr und brenn ihn nieder, zum Gefchent 
als bjunderes Zeichen meiner Freund: 
Schaft! Gelächter) — Iſt geſeſſen wegen 
des Diebſtahls — und jetzt leugnet's 
der Erzlump! 

Straßl. Meine lieben Leut! 
Wenn jetzt alle Wildſchützen ein⸗ 
geſperrt wären, ſo ſtund auf dieſem 
Pla niemand als die paar Weiber. 
Kein Bauernhaus und feine Hütten 
in der ganzen Gegend, wo die Büttel 
nit ein veritedtes Gewehr kunnten 
finden. Und fein Jäger auf der Welt, 
der it einmal ein heimlicher Lehrbub 
ift gewejen. Den meiften Schützen 
macht das Umbringen Freud, und 
wenn ſie einmal einen erwiſchen, der 
ſchießt, um leben zu können — 
Jeſus Maria, da iſt ihnen für ſeine 
Straf das hölliſche Feuer zu kühl und 
die Ewigkeit zu kurz. 

Simmerl sum Hanie). Was fagter? 

Hanferl. Die Ewigfeit ift zu kurz. 

Stra! däpr for. Daſs wenig— 
tens wir armen Leut thäten zuſammen— 
halten. Uber die find die Schlech— 
teften ; find aufeinander wie Hund und 
Kapen, verſchergen einander, zerbeißen 
einander, möcht aus Wohldienerei einer 


Straßl. Weiß ich's! 

Lodel. Aſchen über dein Haupt, 
Strapl-Toni! Und jet fort mit dir! 
Wir wollen dich nicht fehen. Geh 
deines Weges! 

Straßl mi erregt). Den geh ich 
auf. Und weißt du wohin? Den 
fürzeften Weg zum Gericht. Bein Ge— 
richt jehen wir uns, Pechſchaber, du 
fommft mir bald nad. Das will ich 
jehen, ob einer feinen Richter findet 
gegen Ehrabjchneider. Auf der Stell — 
ih geh zum Gericht. 

(Raſch ab. Eie ſchreien durcheinander und dem 
Straßl höhnend nad.) 
Vorhang fällt. 


Zweiter Aufzug. 


Arreitftube mit mehreren Strohpritſchen, auf welchen 
Arreftanten berumliegen und fauern. Dunlkel ge— 
halten, Eine Nahtampel. 


Etwas im Hintergrund gegen bie Mitte Liegt der 

Straßl»- Zoni in feinem Holzknechtgewande. 

Echr verlört und unruhig Ihlummernd. Nebenbin 
Blümlein in fhwargem Anzuge. 


Im Borbergrunde, rechts und linfs der Bühne, die 
Urreftanten Raberer und Greiffel in Zmilde 
fleidern. 


Eriter Auftritt. 


Kaderer (ein älterer Patron, aufgebunfen, 
mit gelbem, ſchielendem Spikbubengefiht, furz- 
geſchnittenem rothen Haar, bartlos, Eid den Schlaf 
aus den Augen reibend und ben Körper jtredend). 


N, das war ein Schlaferl! Der 
Kaiſer hat zu feinem Namenstag fein 
beijeres. Und geträumt wie der Sultan. 
Pickfein! Es geht nichts über ein 
jorglojfes Leben. 


G rei f f el (auf der BURTON Eeite, 
dumm verſchmihtes Geſicht, niedere Stirn, vorſtehende 


ainnbaden). Sorglos wär's, aber Leben 
iſt's keins. 

Kaderer. Bruder, du biſt immer 
unzufrieden. Das Schlafen muſst fürs 
Leben rechnen. Im Schlaf finde ich 
blutwenig Unterſchied zwiſchen dem 
Diebskerl Kaderer und dem Rothſchild; 


den anderen wegen eines Haſen zus nur daſs der Rothſchild ſich vor dem 
todt verhegen und verleumden — dieſe Einbrechen fürchtet und der Kaderer 
Beitien, die vermaledeiten! das Ausbrechen hofft. 


Greiffel. Du ausbrehen! Dazu 
biſt du viel zu faul. 

Kaderer. Bruderherz, du haft 
recht. Die Faulheit ift mein Schuß» 
engel. Ich fage dir, der jchredbarite 
Mordbrenner wäre ich, aber halt zu 
commod dazu. Bor lauter Faulheit bin 
ih ein guier Menfch. 

Greiffel. Der bei der Nacht die 
Leut ausraubt. 

Kaderer. Narr, weil ich beim 
Tag Schlafen will. 

Greiffel. Sag mir einmal, Ka— 
derer, wo Haft denn du die Kuraſch 
dergenommen das eritemal? 

Kaderer (acht hinkend hinüber zu Greiffel, 
tauert fih am deſſen Bettede),. Herz, es iſt ein 
reiner Zufall, Eine wahre Schaud, 
fag ich dir, was ich jahrelang für 
ein ehrlicher Kerl bin geweſt. Zum 
Verhungern, jo ehrlih. Auf einmal 
bricht's Durch, das Talent. 

Greiffel. Hei, das muſst mir er= 
zählen! 

Kaderer. Was wirft machen, 
wenn du bei der Nacht durch ein Stadt— 
gafjel gehſt, fireift eine Greatur an 
did, und wie du nachſchauſt, Halt 
deine» Uhr nit im Sad! 

Greiffel werwundert. Du bift be= 
jtohlen worden? 

Kaderer. Hat mit einmal mir 
gehört. Ausgeliehen zum Windmachen. 
Hallod, die Uhr! jchrei ich und lauf 
dem Kerl nah. Er rennt, was er 
fan, aber bei der Brüde hol ich ihn 
ein, pad ihn beim Kragen: Die Uhr 
her! — Er die Uhr aus dem Sad, 
mir fie her und davon. 

Greiffel. Prädtig! 

KRaderer. Und denf dir, Greiffel, 
wie ih auf meine Kammer komm, 
liegt meine Uhr dort uneingeltedter- 
weile auf dem Tiſch. 9a, ha, und 
raub dir auf ſolche Art einem harm— 
fofen Kind Gottes zur nachtichlafenden | 
Stund die Uhr weg! (Seht auf feinen viat 
zurüd.) 

Greiffel. O du verdammter Kerl! 

Kaderer. Kannft dir den Reſpect 
denen vor mir jelber! Nit im Traum 





wär's mir eingefallen, daſs das Leut— 
ausrauben fo leicht iſt. 

Greiffel. Lugen thuft! Das 
Geſchichtel, in der Zeitung, Haft es 
gelejen. 

Kaderer «unbeiret). Nichtig. Am 
nächſten Tag ſteht's ſchon in der Zei— 
tung, daſs bei der Nacht ein baum— 
feſter Mann einen armen Geigenlehrer 
verfolgt und ihm die Uhr weggenommen 
hätte. 

Greiffel. Natürlich Haft fie ihm 
zurüdgeichidt. 

Kaderer (mit Entrütung. Zurück— 
geihidt? Schaf, dummes. Verneppt 
Hab ich's.! Der Geigenlehrer kann fich 
twieder eine zufammengeigen. Wie aber 
joll ein Dieb leben, wenn er nit ftiehlt ? 
Und daſs der Herr Edelbert Kaderer 
ein geborener Dieb ift, hat ſich doch 
dazumal gewiefen. Hab ich mir ge— 
dacht: Schau, ans Schidjal mufs der 
Menſch glauben — ſo ſchlecht, must 
wijjen, bin ich nie geweit, dafs ich 
an nicht3 geglaubt hätt’. Sag ich mir: 
Wenn dich das Schidjal ſchon mit der 
Naſen draufitopt zum Stehlen — gut, 
jo ftiehl! Mit Eeioftoewufstiein. Und Hab 
mein Wort gehalten. 

Greiffel qu Naderer Hinübergehend). 
Bei mir ift es umgekehrt. Ich bring’s 
mit dem beiten Willen nit zu einem 
ordentlichen Spitzbuben, und wenn ich 
einmal was jtehlen will, accurat ftehl ich 
mir's jelber und ſchenk's einem anderen. 

Kaderer. O Heiligtum in 
Menfchengeitalt! 

Greiffel. Wie dazumal in der 
Herberg. Will dem Schlaffameraden 
bei der Naht die Hojen ausfuchen 
und ſeinen Geldbeutel in die meine 
prafticieren. Spielt der Teufel nit fo, 
dafs ih im Finftern das Ledertajchel 
aus meiner Hofen in die feinige jted’? — 
Und bin doch Kaule gangen.? Du 
hoͤlliſche Wildſau! 

Kaderer teilen. Anſtändig reden, 
junger Mann! (Deuter gegen Blümtein im 


1 Gaunerausdrud für: veräußert. 
? Gaunerausdrud für: bin doch eins 
geiperrt worden. 


492 


Hintergrund). Wir haben über Nacht vor» 
nehme Zimmergefellichaft bekommen. 


weiter Auftritt. 


Die Vorigen. Arreftant Blümlein. Edlanfe 

Geftalt in forgfältig gehaltenem, aber fadenfcheinigem, 

ihwarzem Anzug, mit blaſſem Gefidt, 

Shnurrbärtben. Eikt auf dem Etrobbund, sein 

Haupt auf den Ellbogen geſtützt. Nun ſteht er auf, 
gebt gegen die beiden anderen bin. 


Blümlein. Genieren Sie fi 
nicht, Freunde, und jeien Sie munter. 
Wenn ich gelöpft werde, können Sie 
zufchauen. Gratis. 

Kaderer. Geföpft?! Saferment, 
der gibt’3 nobel! 

Greiffel (aebt auf, feinen Platz zurüd). 
Na, der muſs was Ordentliches an— 
geitellt haben. Hat gewijs wo Sped 
geftohlen, daſs er eingejperrt ift worden. 


Blümlein mit Empörung). Stehlen?! 


Saunerjeele! 


Ihwarzem | 


| Blümlein umwirs). Nur zu, mit 
Ihrem dummen Späflen. Sie find ganz 
gemeine Spitbuben! 

Kaderer (gemütptig). Bruder, mit 
jo ungemüthlih! Geh Her! Sei’n wir 
du und du miteinand! Weißt, mujst 
wiſſen: im Himmel und im Arreſt 
ſind wir alle glei). 

Blümlein. Diebereien und Mord— 
brennereien, wie ihr fie treibt! Kin— 
diſch. Das muſs groß angepadt werden. 
Die gegenwärtige MWelteinrichtung ! 
Für euch alle ift gededt an der Tafel 
des Lebens. Greift zu! Greift zu! 

Greiffel. Wenn fieeinem feinen 
Löffel geben ! 

Kaderer. Zu was haft dem 
deine langen Finger? 

Blümlein disarf herausſprudelnd). Dort 
der reiche Praifer, hier der arme ge= 


Greiffel. Unjer neuer Freund ſchundene Teufel. Gefällt euch das? 


it noch in Vorurtheilen befangen. 
Kaderer. Welch eine Heldenthat, 
wenn man fragen darf, edler Fremd— 
ling, daſs fie dich jo jehr wollen ver— 
fürzen? Gar um den Kopf. Warum 
denn? 
Blümlein. Nichts weiter, als 
daſs er ihnen unbequem ift. 
Greiffel. Na, dann freilich: 
Schwips, herab mit ihm! 
Kaderer. Aber glorreicher Zeit: 
genoſſe, zahlit du denn feine Kopf— 
fteuer? Ja? Nun alfo, dann kann 
dir nichts gejchehen. 
Blümlein (mit der Geile des Nopf- 
abiäneidens). Herab mit ihm! 
Kaderer. Etwas mufst du aber 
doh Schönes vollbradt Haben! 
Blümlein Bei  unfereinem 
nahen jie es flüger als bei anderen. 
Andere werden erſt eingejperrt, wenn 
jie was angeftellt Haben; mich jchon 
vorher — und das ift jehr gejcheit! 
Kaderer. So haft du gewiſs 
etwas Feines im Sinn gehabt. 
Blümlein. Eine Kleinigkeit. Jch 
wollte bloß die Welt in die Luft 
Iprengen, 


Greiffel. Bun, das müjst a 


Kracher jein! 


Nicht? Nun aljo empor! empor! empor! 
Reißt vom Himmel euer Recht und 
ftürzet das Bejtehende! 


| Greiffel. Ah jo, von der Gat- 


tung bijt! 

Kaderer, Bruderherz! Wenn ich 
mich erft gewaschen Hab, kriegt von mir 
einen Kuſs. Aber hölliſch jchade, daſs 
fie did vor dem großen Bumperer 
haben ins Loch geftedt. 

Blümlein. Sind ſchon noch 
‚andere drangen, Wir find ein viel- 
'föpfiges Thier. Jeder Kopf wächſt 
zehnfach wieder nach. 

Greiffel. O du Rabenvieh! 

Blümlein (befinnt ib). Kameraden, 
eure Einfalt iſt rührend. Ich reiche 
euch die Hand, ſeien wir auf du und 
du miteinander. Noch lieber halt ich's 
mit den Bewohnern dieſes Hauſes als 
mit denen, die da draußen auf der Hee— 
resſtraße gehen. Schlemmer, heimliche 
Betrüger, Verführer, Ehrabjchneider, 
Schurken. Seinem kann was nade 
gewieſen werden. Lauter brave Leute! 

Greiffel dic die Hände reibend). Das 
it Schon eine Paſſion, wie der Die 
Yeut verfhandiert! Hat aber recht! 
Wenn ich nit das Glück hab und jo 
viel eingefperrt bin, jo wär’ ich längjt 











40953 


Thon verdorben — von denen da Kaderer cals Strahl. Der Pecher 
draußen. Grundſchlecht wär’ ich worden. | Lodel hat's gejagt, und der Schwarz: 
Blümlein. Grumdjchleht wäre Seppel, und die anderen auch, und 
nicht das Schlimmfte; beifer werden ich geh nimmer ficher, und ich bitt, 
kann man. Aber blitzdumm fein — daſs fie geitraft werden! 
da iſt micht zu Helfen. Greiffel cars Riten. Anton Straßl, 
(Man hört Straßl ſchwer jenfjen.) find Sie nit dor einiger Zeit im 
Kaderer. Schau, der Holzknecht Arreit geſeſſen? 
hat aud fühe Träume, Kaderercats Etrapt). Ich bitt, von 
Greiffel. Ja, von der Schlinge. | wegen einer Wilderei. Trag aber feinem 
Kaderer. Iſt ſelber ſchulid. Menſchen nichts nad. 
Warum ſpringt er hinein! Greiffel cas vietter. Sie wollen 
Greiffel. Wenn's einer halt vom Gericht Schuß haben? 
gar zu pfiffig machen will. Kaderer cas Strap. Ich bitt 
Kaderer. Ha, ha, ich feh ihn |taufendmal! Ka 
noch, wie er in den Saal ftürzt und Greiffel its Kiste). Die gericht: 
unfer Verhör unterbricht. — Geh, liche Unterfuhung wird alles auf 
Greiffel, mach den Richter, zeigen wir's klären und Sie hoffentlich rechtfertigen. 
unferem neuen Freunde, wie es war, | Allein, wie follen wir Sie einftweilen 
(Die folgende Scene muſs fi ſcharf vom übrigen ſchützen vor Ihren Gegnern? 
Spiel abheben.) Kaderer als Straf, lebhaft. Eine 
Greiffel. Gut if’s. Ich ziehe ſperren laſſen! 
den Nichtermantel an, (Hült die braune Greiffel cas Rister. Die vielen 
Beitdede über Ach, gibt ſich eine würdevolle Haltung.) | Qeute einfperren? Da wird's vielleicht 
Jetzt Achtung vor mir. Alfo, Kaderer | bejjer fein, dajs wir Sie hinaus» 
und Greiffel, ihr zwei Erzlumpen, | fperren. — Gerichtsdiener, führen Sie 
was habt ihr wieder angeſtellt? — |diefen Mann in die Zelle Nummer 
Mer ftürzt zur Thür herein? Wer |fieben, die hat ein feites Schlojs, (u 
unterbricht die Verhandlung ? ® da find Sie geſchützt. 
| 


Kaderer (ftellt ich, als wäre er der Straßl, (Beide brechen in ein Gelächter aus und hüpfen auf 
Hürzt wie rafend auf den Richter zu, vor denſelben ihre Pritſchen.) 


auf die anich Herr Richter! Herr Richter! 
Greiffel ces Kisten. Hinaus! Die— 
ner, was haben Sie da für einen 
Tollhäusler hereingelafjen ? 
Kaderer cars Etragı). Ich bin Fein 
Tollhäusler. Jh bitt um Schuß, Herr 
Richter, ich bitt, fie verfolgen mich, 


Kaderer (gegen Brümtein. Und fo, 
Freund, iſt der Herr, der dort Die 
jeligen Seufzer macht, in die Schlinge 
gegangen. Dem jein Geficht, wie ihn 
nachher der Standarm in den Flotter 
dat geführt! 

Stragl (hebt fi etwas von feinem Lager 


jie verleumden mich! empor. jeufst). Ach Gott! 
Greiffel cat Ridten. Mer find Kaderer. Biſt Schon wach, Straßl? 
Sie denn? Guten Morgen! Haben gerade von dir 


Kaderer ats Etrabt. Ich bin der geſprochen. 
Anton Straßl, den Straßl-Toni heißen Straßl. Spottet nur zu. Ihr 
fie mich und jagen, ich hätt’ den Kreuz wiſst es nicht. Mix ift Schredbar weh. 
Jäger derichofjen. Iſt nämlich Heut — Kaderer (mit höhniſcher Theilnahme). 
auf dem Kreuzeck deoben — der Jäger | Warum? Du haft ja heut, fo viel ich 
derichoflen worden, der Oberförfter weiß, deinen fürnehmen Tag. Wie 
Ferdinand, und da fagen fie, ich hätt's die Leut zufammenlaufen werden, 
gethan. deine Freunde und Bekannten, und 

——— (ala Richter) Mer jagt es die hohen Herren ſich mit dir unter— 
denn? halten — ſtundenlang. Fein! Und 





404 


—— 
2 


eine Ehrenwadht vor der Thür. Pick- Nothwehr! — Ich kann wegen Ein» 
bruch und Diebitahl verurtheilt werden, 
Strapl Galb für ns). Mir geht! das kann ich. Aber wegen Mords nie — 


fein! 
nichts Gutes zu Sin. 


Nur feft bleiben, Holzknecht. Nur recht 
leugnen, wenn du einen ehrlichen Rath 
annimmft. So lang der Menjch leugnet, 
wird er mit gehentt. Allemal. Eine 
ehrwürdige Spikbubenregel! Sollt’ fie 
jeder Wrreftant in fein 
ichreiben. Glaub es mir. 


Hab ich's denn gethan? 


KHaderer qqaelmiſch. Das wirft ſchon 


ſelber willen. 

Strafl. Undeine Menge Zeugen 
follen geladen fein. 

Kaderer. Sei froh. Je mehr, 


fliegen fie auseinander. Sind fie nit 
einftimmig, jo Haft gewonnen. 


geredet. Auf einen armen, verachteten 
Menschen geht ja alles los. Auf mich 
ihon gar wie die Teufel! Hält! ich 
mich lieber jelber derichoflen ! 
Sreiffel. Geh! Solche Gedanken! 
Eelbiimord ift eine Todſünd! 





Kaderer. Na verfteht ſich! — 


nie. Nothwehr ift erlaubt. 
Blümlein. Verzeihen, ich glaube 
diesmal werden Sie mit ihrer Nothwehr 
aufigen. Das Gejeß dürfte es ein 
bischen anders meinen. 
Greiffel mir Serastung. So, Sie 


‚wollen mir das Gefeß erklären! Sie, 
Gebetbuch 


der kaum erſt ein paar Stunden im 


Kerker ſitzt. (Muf ſeine Brut pochend. Wiſſen 
Straßl. Mein Gott, leugnen! 


Sie, wie oft wir ſchon geſeſſen ſind? 


Neunmal! Jetzt das zehntemal. 


Kaderer dadht dazwiſchenn. Jubi— 


läumsſitzen! 


Greiffel däsrt fort. Sie ungebe— 


‚tener Herlaufer oder Rojsdieb, was Sie 


‚in feinen Räuber 


Strapl. Sind ja alle zuſammen- | „per mir, der eine Bildung hat genofien 


16 — 
deſto beſſer. Je mehr Vögel, ————— ——— 


Rock an, heißen vielleicht Magiſter, 
heißen Doctor gar, wie der Schelſchbir 
ſo ſchön ſagt; 


‚und fein Lebtag nur mit Richtern, 


Geſchworenen, Staatsanwälten und 
Vertheidigern verehrt Hat — mir 


das Geſetz erklären! Sie nit, Sie. 


Kaderer. Und eine ordentliche! 
Straßl. Es wär’ das allerbefte. 


Kaderer. Und wenn fie dich: 


überweifen — was liegt dran! Noth= 
wehr, jagjt! Mit Nothivehr macht man 
auch mauchmal viel. 


Fall. Ein Schöner Fall. — Im Stödel- 
hof zu Lahndorf, da bin ich beim 
Dachfenſter hineingeftiegen. Bin näm— 
ih Schränker. Ganz Schlicht und 
harmlos fteig ich ein. Die Schränfe 


will ich räumen und weiter niemand 


ftören, denn es jchlaft alles. Nichts 
ungefünder, al3 wie die Peut jo plötz— 
ih aus dem Schlaf weden! 
euch auf einmal jo ein Ladel da mit 
der Dade, und wenn ich ihm mit noch 
zuvorfomm’ mit dem Stoßeifen, jo 


Ichlagt er mich nieder — maustodt! — | 


Zum Glück bin ich geichwinder ge— 


Gun Morgen! 

KRaderer. Finder, nur feinen 
Streit! Wir müſſen verträglich fein 
untereinand, wir find eine gejchlofjene 
Sejellichaft. — (Dem Straßl die Hand auf 


die Wehfet legend) Und thu mit jo verzagt, 


' Samerad ! 


. er i | limm, wi 5« 
Greiffel. Das iftgewifs! Mein‘ wendig mit jo jchlimm, wie er aus 


Der Gerichtsſaal ift ins 


wendig ausſchaut. — Sag, Bruder— 


herz, Haft du dich ſchon mit deinem 
Vertheidiger beiprohen? Der wird 
dir's auch jagen. Was Haft denn für 


Steht 


einen ? 

Straßl. VBertheidigr? Den 
Doctor Scheuerer Haben’s mir ge: 
nannt. 

Kaderer und Greiffel. O jet 

Straßl. Wird mir eh nix nußen. 

Kaderer. Haft heut fa Schneid, 
‚jo mad) dich franf, wird's verſchoben. 
Strap! iür ſich und ſtart marfiert). 
‚Lieber zur Einzelhaft verurteilt, als 


wejen als er. Was kann man machen? da nocd länger! 





4 


Kaderer. Kaunft dich auch taub- 
ſtumm  ftellen bei der Verhandlung, 
oder mwahnjinnig, wenn alle Strid 
reißen. 

Greiffel. Narr, wenn alle 
Strid reißen, das wär’ ja eh gut! 

Kaderer. Und vor den Richtern, 
wenn du ſtehſt, nur hübſch den Kopf 
in die Höh und feft ins Aug ſchauen, 
den Herren, recht treuherzig ind Aug 
ichauen — fo! (Mast ein einfältiges Gefiht.) 
Nur immer einen offenen Bid. Auch 
nicht vergejjen, vor dem Richtertiſch 
Ihön die Knie beugen! Sehr wichtig! 
Auch vor dem Erucifir. Nur immer 
fromm und gottesfürchtig, mein Sohn! 
(Bertrautih.) Weißt du, wie ich's ges 
macht hab, als ich noch Vorbeter in 
Karleiten bin geweit? — Schlag id) 
auf dem Dorfplaß bei der Nacht einen 
reihen, halbbeſoffenen Viehhändler 
nieder. Die Leut rennen zuſamm', 
ich natürlih auch darunter und Hilf 
tapfer jammern. Iſt aber noch) nicht ganz 
todt. Reden kann er nicht mehr, aber 
deuten — und deutet allerweil auf 
nich. IH Schon Angſt, er kunnt noch 
einmal zu Wort fommen. Aha, jag 
ih Schnell: Beten! Beten, meint er, 
ſoll ih, und heb geihwind einen 
jchreienden Roſenkranz an, bis er 
todt if. — Darum fag ich, das 
Gebet Hat ſchon manchen geholfen ! 

Strap! (ib unmwillig wegwendend). 
Unter ſolchen Leuten fein müſſen! 
Mie weit iſt es mit mir gefommen ! 

Kaderer tinderAsfiht, ihn aufjzuheitern). 
Willſt aber Lieber fingen, als wie 
beten — iſt auch gut. Biſt ja ein 
feicher Wildihüß, hör ih. — Süßes 
Bruderherz Greiffel, komm, Hilf mir, 
wir fingen unſerem chriftlichen Mit— 
bruder zu Hilf und Troſt das Wild- 
ſchützenlied. 

Greiffel. Gut iſt's, das ſoll er 
haben. 


ESingen.) 


E 
Schön ift das Wildſchützleben, 
Fin Jäger auf der Jagd; 
Kann er fein Stugerl heben, 
Hat er jein Glüd ſcho g'macht. 


Hat er recht jharfe Augen, 

A reht a fein’s Gehör, 

Das thuat dem Wildihüb taugen, 

Mas will der Burih noch mehr? 
Gamjerl jag’n, thua'n d'Leut' jag'n, 
Das wär’ nit ichledht, 
Über fein muaß ma jein, 
Nachher iſt's recht. 


Nodler. 


II. 

Schleicht ſich die Sonne unter, 
Und ſagt recht gute Nacht, 
So wird der Wildſchütz munter, 
Sein Stern am Himmel wadt. 
Ob's regnet oder jchneiet, 
Ob's donnert oder bligt, 
Er denft in feinen Träumen, 
Daſs ihn der Ch’re ſchützt. 

Gamjerl jag'n, u. ſ. w. 


{(Aobdfer.) 


Straßl (der ſich während des Eingens 
abgewendet hat). Ich bitt euch, Hört auf, 
mag nichts hören davon. Verflucht und 
vermaledeit ſei das ganze Wildſchütz— 
leben! So ſchöne Lieder haben ſie 
drauf gemacht, zum Leutlocken, und 
heißt's alleweil, für die Armen hätt' 
der Herrgott das Wild erſchaffen — 
der Teufel ſoll's holen, alles mitein— 
ander! Was das Wild ſchon für Un— 
heil Hat angerichtet auf der Welt! 
Nichts ift mir gefährlich worden. Bin 
vorbeigangen an offenen Truhen, hab 
Brot Liegen jehen drinnen, Geld — 
und nit einmal kommt mir der Ges 
danken: nimm's! — Uber wie ich im 
Wald das erite Reh Hab gejehen, da 
hat’3 gezudt in den Fingern, als ſollt 
ich losdrüden am Hahn, und hab dod) 
mein Lebtag nod fein Schießgewehr 
in der Hand gehabt. Und ift oft auch 
gleich die teuflifche Gier dabei, man 
kaun fih nit mehr helfen, denkt an 
nichts mehr, fchleicht und ſchießt und 
ftiehlt und geht zugrund. Ich ſag 
euch’3: vor Zeiten der Bär und der 
Löw und der Tiger find mit jo ges 
fährlich gewefen für die armen Leut, 
als wie heut der Das und das Reh 
und der Hirſch. 

Blümlein. Lappalien! 
ein bischen Wildern! 


Wegen 


496 


Stra ß [ Gcedeutſam). Wenn 
Wildſchütztugel aber den 


Bock trifft! 


Blümlein. Ich verftehe Sie. 


die | Dorfrichter zu Kicchbach meinem Weib 
unvechten | hat verjeßt, wie fie mit gefegnetent 
! Leib ift heimgetrieben worden in ihre 


Gemeinde. Du bift fremd dahier! bat 


Aber glauben Sie mir, Freund, es der Richter gejagt, du gehörſt dort 
werden noch ganz andere Böde ge- hin, wo dein Mann zuftändig ift. 


ſchoſſen auf dieſer beiten der Welten ! 

Strap! (für ſich Hinträumend). 's iſt 
vorbei. Schon ganz unmöglich fommt’s 
mir dor, daſs ich einmal glüdlich bin 
gewefen. Und doch ! Jeſſel, mein Weib! 
— Hätten wir uns nie gefehen, bejier 
für dich. Aber ich ohne deiner! Ich 
kann's nit ausdenken. Jeſſel, du mein 
einziger, mein herzgetreuer Kamerad... 

Greiffel. Er thut Halt fehon 
wieder jpintifieren. Den luſtig machen ! 

Kaderer. Wart’ nur, bis ihn 





Kaderer. 
du's? 

Straßl. Auf der Straßen. -- 
Die Straßen ift meine Wiegen ger 
wejen, von der fie mich als kleines 
Kind Haben aufgenommen aus Barm— 
berzigfeit. Ein armer Steinſchlager iſt 
mein Straßenvater worden, Wie er 
geftorben, hat er mich zu feinem Erben 
eingefeßt, meine Armuth don ibm, 
meinen Namen von der Straßen, auf 
der ich gefunden worden. O hätten 


Und wo bilt denn 


erſt der Strid am Hals Fißelt, da ſie mich dazumal liegen laſſen auf der 


wird er ſchon lachen. 


Erden 


und umfommen laſſen aus 


Straßl dur no). Wenn die För- Barmherzigkeit. Glauben kunnt' man's 
fteräfrau da ift, dann ift alles ver- nit, wie einen Gott verlaflen kann! 


jpielt, Alles. 


Kaderer. Weißt, Herzerl, wen 


Sreiffel. Aha, das MWeibsbild Gott verlaffen hat, der muſs es halt 


fürchtet er. 

Stra Bl (wild aufipringend). 
Hried laſsſt's mih! Was wilst ihr, 
wie mir ums Herz iſt! 
nicht3 als auf Spißbübereien ftudieren! 
Lumpen, die nichts Liebes und nichts 
Heiliges haben auf der Welt und in 
der Emigfeit. Habt ihr’3 einmal ernfter« 
weis verfucht, das Bravfein ? Ich glaub 
nit. Was wiſst ihr, wie es einem 
armen Menjchen gehen Tann, der red- 
lich arbeiten, ehrlih durch die Welt 
kommen will und überall zurüdges 
ſtoßen! Bon Kind auf verfolgt, ums 
bergeheßt auf der Welt, überall fremd 
und verachtet. Will man nit um— 
fommen, jo heißt's: was erliften, und 
nachher ift ihnen der Gauner fertig, 
meiden ihn, treten ihn, Heben ihn 
weiter, alleweil weiter, bis ins Ver— 
derben, 

Kaderer. 
lieber auf den Schub geben. 


mit dem Teufel probieren — iſt auch 


Mit manchmal kein ſchlechter Kamerad. 


Greiffel qu Raderer). Bruder, dem 


Ihr thut predigſt umfonft, der Menſch ift ja 


ganz verftodt. 

Raderer. ih geh 
Ichlafen. 

Straß! iür ſich, almählich in Afect 
tommend). Hart Hab ich gerungen — 
mit der Welt, mit mir felber. Es 
müfst fein, Hab ich gemeint, dafs 
Unfereiner anftändigerweis ins Grab 
fteigt — und es ift do nit. Wenn 
fie mir mur einmal was Gutes hätten 
gethan, nur einmal! Kein Halm im 
Busch kann durftiger jein nach einen 
Sonnenfirahl, als ich e8 gewejen bin 
nach dem freundlichen Blick aus einem 
Menſchenaug! 's iſt all umſonſt 
geweſen. Nieder muſs der arme 
Schelm, nieder mufs er! So 


Ei was, 


— 


So laſs dich doch weit er nit ſelber ſinkt, reißen ihn 
die Leut hinab. Dumm iſt der Menſch 


Straßl. Wohin? — (ars für ſch. von ſich ſelber, ſchlecht wird er durch 


Ich hab ſchon viele Stöße ausge— 
halten, aber kein Stoß hat mir ſo 


andere. Jetzt haben ſie mich dort, wo 
ſie mich haben wollen, die mich gehetzt 


weh gethan als derſelbige, den der — gehetzt haben bis zum Henker. 


(Anirihend.) Aber mein! In der 
Unschuld Hab ich vergeblih gewinjelt 
unter ihren Fäuſten, jegt ſteht's 
anders. Ins Gefiht schreien möcht 
ih dieſem heuchleriſchen, Feigen, 
ſchurkiſchen Gezüht: Nit ihm allein, 
euch allen wäre das Blei vermeint 
geweſen. (Gegen Kaderer und Greiffel mit ichwerem | 
Nedorud.) Epibbuben, am End habt 
ihr recht! — Na, na, hüte mich vor | 
ſolchen Gedanken! Nur nit ganz weich’ | 
von mir, o großer Gott! | 





Pritter Auftrift. 


Die Borigen. Der erlermeifter Eperrt von 
außen rafieind die Pforte auf, innerhalb wieder ab. 
Martialiihhed Ausichen, ſpricht ungariich»deutich. 
Trägt eine weiße Schale und ein Etüd Brot unbe 
häilflich vor ih ber. Tritt gravitätifch mitten auf die 
Pühne, bleibt bort fliehen, ſchaut ftrenge um fic. 
Aaderer nnd Greiffel geben fi eine orbnungsmäßige 
Tofition, verfpotten aber gelegentlidh den Kerlermeiſter 
hinter feinem Rüden. 


Kertermeifter. Wer hot räſon— 
niert?! Hob gehört räjonnieren, Do— 
hier wird nir räfonniert. Wem's nit 
recht is, ful kuſchen. Kerl, wos mir 
noch einmol thut räfonniren, loſs ich 
frump jchließen, dajs Seel beim Ell— 
bogen raus fohrt, veritonden! (Gegen 
den Stra) Do hoben Se Ihner Fruh— 
ſtuck! Stellt Schale und Brot auf Straßls Wett.) | 





Mochen's fchnell. Stondar wird bold | 


do fein, 

Greiffel cauf das Frügftüd hinlugend). 
Das laſs ih mir gefallen! Kaffee 
friegt er heut, Y — 

Kaderer. Die Henkerſuppe. 

Blümlein. Kein geſundes Eſſen. 

Greiffel «sum Kertermeiſter). Eine 
geiſtige Nahrung, Herr Profoß, eine 
geiſtige Nahrung hätten Sie ihm 
bringen ſollen, dem armen Teufel. 
Für den armen Sünder iſt Schnaps 
allemal geſünder. Ein altes Sprich— 
wort. Bei ſo einem Feſt muſs der 
Menſch illuminiren, ſonſt iſt's zu 
tumper. Und ich — (für fit) wenn ich 
nur den Kaffee kunnt haben! 


Kerkermeiſter iu Straf, der halb 
gebrochen vor feiner Schale kauert, ohne zu eſſen). 











Kofegger’s „„Heimgarten’*‘, 7, Beft, XV. 


' fönnen’3 


‚heimlich nehmen. 
‚drum, den Profogen, wenn du ihn 
‚haben willit, 


Mocen’s, mochen's! Zwei Trumm 
Zucker hob ich 'nein gſchmiſſen. 
Strapi traurig. Dank, 
Kertermeifter. Oh, 
denn? Sch zohl jo mir. 
Kaderer. Der IIngar zahlt nichts, 
merk dir das. | 


Stra 5 (verbedt fein Gefiht und beugt 


dan. 
für wos 


fi) tief nah vorne). Mein Weib, meine 
armen Kinder! 
Kaderer. Nur meinem guten 


Rath folgen, Holzknecht. Und follteft 
Ihon piden bleiben, jo verleg dich 
aufs Schlafen. Iſt das letzte Mittel, 
aber auch das befte. Das Schlafen 
dir nit nehmen und im 
Schlafen biſt Freiherr! 

Straß! Hürfis. Wenn fie da 
it — die Förftersfrau ! 

Grei ffe [ tauf die Schafe pfangend, leife). 
Wenn ich nur den Kaffee funnt haben! 


(Er macht Miene, ſich binzuidleichen.) 
Kaderer du Greifer). Nur mit 
Nur Schön bitten 


um alles ſchön bitten, 
Nur nix fo nehmen! 


Vierter Auftritt. 


Die Borigen. 


| An der Pforte poht es. Der Kerlermeifter 
öffnet, ein Gendarm tritt herein mit aufgepflanztem 


Gewehr, während ein zweiter vor der Pforte ſtehen 


bleibt. 


Kerlermeifter en Gendarın 
Straßl weifend). Do hoben’ä! 

Gendarm (zu Strabl, indem er Feſſeln 
hervorzieht). Hände aneinander! 

Strap! (hält die Hände gefreuzt bin. 
Gefafſter). Es muſs überjtanden wer— 
den. Jetzt hab ich Kuraſch. 


Gendarm. Vorwärts! 
Straßl vor ſich zur Pforte hinaus.) 


Grei f fe [ (zum Serfermeiiter in Frieder 
Ich bitt unterthänigit, 
Herr Profoß, das Tröpfel Kaffee, was 
er hat übrig gelaſſen! 
Kerfermeifter. Wos wollen’s 
32 


an 


(Führt 


rifhem Zone). 


498 


Greiffel. 
funnt, 


Kerkermeiſter. Gengen’s weiter. 


Wenn ich's 


fummen’s auch Kaffee! 


Grei f f el um Kerkermeiſter). 
bitt, Herr Profoß! 


haben ! 


I inter deiien Rüden die Haffreihale erhaſcht, leert fie 


Kaderer Hat. während Greiffel Hittet, 


mit einem langen Zuge, dann böhnend zu Greiffel). 


‚Nur um alles ſchön bitten! 


Loſſen's Ihnen Proceſs mochen, be— 


Vorhang füllt. 


Ich riner und vierter Aufzug im nädften 


Hefte.) 


Frühling. 


Gin ländliches Bild aus Winterszeit. 


M eber den Fluren lag ſchwerer 
—*28 Winter. Wo einſt die blühen— 

den Matten geweſen mit den 
graſenden Herden und barfuß hüpfen— 
den Hirten; die rieſelnden Bächlein, 
beſtanden von Dotterblumen und Ver— 
giſsmeinnicht, bewohnt von flink nach 
vorwärts ſchießenden Forellen und be— 
hutſam nach rückwärts ſchleichenden 
Krebſen; die wogenden Felder, belebt 
von lachenden Schnittern mit klingen— 
den Sicheln; die ſchalkhaft hin und 
her ſich ſchlängelnden Wege mit 
kollernden Karren und trillernden Hand— 
werksburſchen; die lauſchigen Gärten 
mit Nelken und Reſeda hegenden 
Dirnlein — wo das alles und noch 
vieles andere in Prangen und Prachten 
einst gewejen, da ftarrte jeßt eine un— 
abjehbare Schneeheide. Wo einſt bu— 
ſchige Fichten geſtanden, da ragten jetzt 


regloſe Schneeſchober auf; wo einſt 


Strupp und Sträucher gewuchert, da 
lagen jetzt glatte Schneehügel. Wo einſt 
ſchimmernde Teiche gelegen, da war 
jetzt das glaſige Auge des Eiſes. Etliche 
Raben flogen hin und ber, liegen ſich 
nieder auf dem Schnee, juchten vergeblich 
nah Nahrung und krächzten erbärm— 
lich. — Und wie man keine Erde ſah, 
ſo ſah man auch keinen Himmel. Unten 
weiß und oben grau und nad allen 


Seiten hin in graue Nebeldämmerung | 
verihwimmend das ganze Bild. — 


Mas war das für ein graufes Ge- 


ftöber geweſen, viele Tage lang, bis 
es jo geworden! „Graus!“ hatten die 
Leute gejagt, und ich jauchzte im In— 
nern. Hätte ich laut Hinausgejauchzt 
in das Unwetter, fo würden fie mich 
für närriſch gehalten haben, denn wie 
faın ein vernünftiger Menſch ſich 
freuen an Sturm, Schneien und wüſtem 
Schneetreiben * Alfo ftrich ich draußen 
umber, bis auf die Knie im Schnee, 
an den Wangen die eifigen Nadeln — 
und jauchzte ftill für mid. Und ale 
die Stürme fi endlich gelegt hatten, 
als die ftarre Ruhe eingetreten war, 
und aus froftigem Nebel fi nur bis- 
mweilen ein Schneefünflein hervorſpann, 
nahm ich mein längites Paar Füße 
und gieng hinaus aufs Land. Stellen- 
weife waren die Füße noch zu kurz 
und ich verſank in die Schneewehen 
bi an die Lenden, fpäter feitete ſich 
unter mir der Boden, der Schnee war 
| hart wie Stadtpflafter umd ich gieng 
darüber Hin. 

Über ein eifernes Sreuzlein ſtol— 
perte ich plößlich — ein jchmiedeeiier- 
nes, roftiges Ding mit zwei Quer— 
balten. Wer das nur in den Schnee 
geitedt haben mag! Der Schnee 
ift ja doch fein Grabhügel, vielmehr 
eine Miegendede, unter welcher der 
junge Frühling ſchläft. Mit Scharfe 
Ruck riſs ich das Kreuz heraus und 
‚trug es mit mir bis zu einem großen 
Gehöft, das Halb in den Schnee ver- 








funten und Halb aus dem Schnee 
herausgewachſen war. Der Greuthof. 

Dort waren fie in der warmen 
Stube beifammen ; eine ältlihe Frau 
ftand Hinter dem großen Ofen und 
hielt die blaue Schürze ins Geficht 
geprejst; ein paar Männer am Zifche 
jpielten Starten, wobei der eine ſchmun— 
zelte und der andere fluchte. 

Ich war in diefem Haufe nicht 
fremd, daher fragte mich der Fluchende, 
was ih ihnen denn für ein Kreuz 
ins Haus brächte? fie hätten ohnehin 
Krenz genug. Auf meinen Bejcheid, 
wie ih dazu geloimmen, jchrie der 
Mann auf: „Herr Jeſſes! So hoch 
ift der Schnee ? Bon der gemauerten 
Peſtſaäule, die am Rain fteht, bat nur 
das Giebelfreuz herausgefhaut? Und 
im Sommer funnt’3 der größefte Dann 
mit der Hand nit derlangen !" — Als 
Heiligthumſchänder hätten fie mich jebt 
paden können ; der Peſtſäule das Kreuz 
vom Scopfe zu reißen! Sofort zog 
ih mir einen Gulden Sühngeld aus 
der Taſche Für den Maurer oder 
Schmied; was weiß ich, wer's wieder 
feſtmachen Tann! 

Nun wollte ih einmal fehen, 
warum das Weib die Schürze vors 
Geſicht hielt. Sie ftand am Fenfter, 
that als Schaue fie hinaus, ſah aber 
nichts, als Urwald. Tropifchen Urwald, 
den das Eis an die Scheibe gemalt, 
gleihjam wie einen ſchwermüthigen 
Traum aus längft vergangenen Zeiten, 
da thurmhohe Schadtelhalme und 
Harrenfräuter geftanden in dieſem 
Himmelöftrihe, wo Heute der ftarre 
Winter liegt. 

So wird e5 kalt und fälter auf 
Erden. Nur das Mutterherz bleibt 
warın. 

Die Greuthoferin hatte ein liebes 
Kind gehabt, eine Jungfrau von neun 


und erzieht man ein Kind mit Noth 
und Sorgen, hängt jein Herz und 
Hoffen daran, und wenn man alt 
wird, ift man wieder allein. 

„Sie zog in ein Land, wo nicht 
Winter ift, jondern ewiger Frühling!” 
aljo tröftete der Pfarrer, denn das 
Brautpaar Hatte feine Hochzeitsreiſe 
angeblih nach Italien gemadt. Es ift 
ja jo der Braud, und obzwar die 
Braut gejagt hatte: „Guftav, was follen 
denn wir jet im dem ftodfremden 
Stalien anfangen?” drang doch der 
Bater des Bräutigams, ein Kaufmann 
im Fleden, die Vornehmheit mitzus 
machen, denn er gehörte zu den eriten 
Häuſern, und die erften Häufer fahren, 
wenn fie neuverheiratet find, nad 
Italien. 

Wenn der Pfarrer mit dem ita— 
lieniſchen Paradiefesgarten getröftet 
hatte, jo tröftete ich das trauernde 
Weib mit Heinen Kindern, Buben und 
Mädeln, Blanäuglein und Braun 
äuglein, Blondköpflein und Schwarz: 
föpflein — lauter Entellinder, die ihr 
allmählih die Stube beleben würden 
und das Herz erfüllen mit neuen Sor— 
gen, Lieben und Hoffen. — Jetzt, mie 
ih jo ſchön tröftete, weinte das Weib 
noch mehr, und wir wären beide in 
eine großartige Rührfeligkeit gerathen, 
wenn der Mann, der Greuthofer, nicht 
jo wader geflucht hätte. 

„Du Hauptfhelm!* rief er feinem 
Gegner zu, „Meine Tochter Haft mir 
ſchon abgefpielt, jetzt willft du mir 
auch noch das Haus abſpielen!“ 

Denn fein Gegner war der Eidam, 
der Bräutigamspater, Herr Wernhut, 
der gelommen, um die vereinfamten 
Brauteltern ein wenig zu zerjtreuen, — 
Laſſe ich ihn gewinnen, jo dachte der 
ſchlaue Handelsmann, danı jagt er: 
Gott, es wäre alles ſchön, wenn ich 


zehn Jahren. Ein weiged Gewand am nur auch das ZTöchterlein hätte! — 
Leibe, einen grünen Zweig um die Laſſe ich ihn verfpielen, jo ärgert er 
Stirn — fo war fie vom Eiternhaufe | fich, flucht und fchilt, und vergijät das 
fortgeführt worden der Kirche zu, wo Herzleid. Deswegen laſſ' ich ihn ver: 
die Gloden Hangen. — Darum weinte ſpielen. — Alſo der Kaufmann, und 
die Mutter ſtill vor fich Hin. Da Hegt | gewann dem neuen Schwieger Grofchen 


32° 


500 


um Grojhen aus dem Sad. Sieht 
man, wie refolut manche Leute tröften 
fönnen. 

Ach blieb im Greuthofe über Nacht, 
um am nächſten Morgen meine Winter- 
reife fortjegen zu können. Sch wollte 
ins Gebirge, jo recht in den nordifchen, 
finiteren, in den allertiefften Winter 
hinein. Den Menjchen, dem innerlich 
wohl und warm ift, verlangt manch— 
mal nach großer Raubheit, Herbheit, 
MWildheit der äußeren Welt. Und wenn 
der Schnee jo hoch iſt, daſs man über 
die Wipfel der Fichtenmwälder bin jpa= 
zieren gehen kann, fühlt man jich im 
Bereiche der Böglein der Erde fern 
und den Gräbern ganz entrüdt. 

Beim Nachtmahle gieng es Leidlich 
zu und wir plauderten natürlich von 
dem neupermählten Paare. — Beute 
wird's in Mailand fein, oder Schon 
in Florenz ? 


der auch ein biſschen friſche Eigenart 
in Sich hatte und alfo zum aufgewedten, 
Igelehrigen Großhof-Töchterlein wohl 
paſste. Ein Jahr oder zwei hatten jie fich 
heimlich gern gehabt, der Kaufmanns— 
john und das freuzfaubere Dirndl. 
Wenn ich fie an Sonntagsabenden jo 
miteinander im Garten umberfchleichen 
ſah, nicht viel miteinander plaudernd, 
umſomehr einander aber in die Augen 
lugend und ein wenig ſchälernd — 
da ward mir oft angft und bang. 
Neidiih war ich nicht, ich Hatte Die 
Meine ſchon im ZTrodenen, aber bei 
| ivei Liebenden, die gerne fcherzen, it 
immer die Gefahr, dafs fie auf ein 
| mal ihr Glüd verſcherzen können. 

Nun, jebt hatten fie ſich feit und 
ſicher, und ich fonnte mich am jelbigen 
Abend ruhig Ichlafen legen. 

Am nächſten Morgen wanderte ich 
weiter. Ein alter Sonnenſchein vers 





„Reifen fie au nah Rom?” war | mochte den dichten blauen Äther, welcher 


meine Trage. 

„Seht nicht; die Frau erſt ſpäter“, 
gab der Kaufmann Wernhut zur finnie 
gen Antwort. 

„Den Kopf kunnt ich mir berab- 


reihen“, ſchmetterte die Bäuerin auf 


einmal und riſs einen nagelneuen 
rothieidenen Sonnenschirm aus dem 
Kaſten, „bat fie vom Oheim das Dadel 
befommen für Jtalien, und dieweilen 
fie jet dort in der Sonnenhiß’ umher: 
fteigt, fteht das bluthroth' Unding da 
im Kaften! Wie ein MWeibsbild fo ver- 
liebt jein fanı! Den Schirm ver— 
geſſen!“ 

„Das iſt noch nichts“, gab ich 
drauf, „manche find jo verliebt, daſs 
fie ſich felber vergelien. Desweg iſt's 
allemal gut, wen man ordnungsmäßig 
zufammenthut, was beijammen jein 
will,“ 

„Den Sonnenſtich kann fie krie— 
gen!“ jammerte die Mutter. 

Des Meibes beiter Schirm iſt der 
Mann“, ſagte ich. Das junge Paar 
war mir ſchon lange bekannt. Guſtav 
war ein Jugendkamerad von mir ge— 
weſen, ein hübſcher, kluger Burſche, 


über der Gegend lag, kaum zu durch— 
dringen. Der Schneepfad winſelte 
unter meinen Füßen, die Schuhe 
Hangen wie Holz, der Bart war weiß 
bereift, die Ohren brannten im eiligen 
Heuer, Bor mir fand das Gebirge, 
deſſen Maldung der unteren Region 
in weißem, flimmernden Öezade prangte. 
Aus dem Engthale kam Waſſer heraus, 
das im feinem Bette zu Eis geflodt 
war. Eine Weile war es noch unter= 
halb der Eisdede mühſam fortgefrochen, 
endlich ward es ihm in ſolchem Ge— 
wölbe zu eng, es ergoſs ſich über das 
Eis, rann auf die Flächen hinaus und 
bildete dort ſulzige Tümpel. Im Eng— 
thale war Schatten. An den Waſſer— 
fällen, wo es zur Sommerszeit rauſchte 
und toste, hatten ſich in Orgelpfeifen— 
form Eiszapfen und glaſige Schäfte 
gebildet, ſtellenweiſe ganze Burgen auf— 
gebaut, und das Waſſer gurgelte dar— 
unter kaum vernehmbar. 

Der Weg war gut ausgefahren 
durch die Schlitten, welche Holz zu 
Thale beförderten. Er gieng die froſtige 
Schlucht entlang, gieng die Hänge 
hinan und kam ins Bereich von Sonnen— 





ve 





jchein, der hier heller und wärmer war, | hinterwärts und feßte mich auf einen 


als unten. In den Zweigen der Bäume 
büpften Eihhörnden und Vögel um— 
her und ſchüttelten Schneefchollen von 
den Alten. Weiter am Berge hatten 
die Fichten und Tannen ihre Schnee— 
mäntel jhon früher abgeworfen und 
fie fanden wie dunkle Segel auf 
weißem Grunde. ch Fam zu einer 
verlafjenen Köhlerei, da lagen ftatt 
Koblenmeiler große Schneewuchten zu— 
jammengetrieben, aber daneben riejelte 
aus der Berglehne ein munteres Brünn» 
lein und das Waller im Troge war 
klar wie Kryſtall und ich ſah daran 
nicht ein Kruſtlein Eis. 

Noch weiter oben auf der Holz— 
ſchlagblöße luden Männer Baumſtrunke 
auf einen Schlitten, ihre Röcke hatten 
fie an Lärdenäfte gehangen, fie jelbit 
waren in Demdärmeln. Auch ich hatte 
ſchon längſt meine Pelzhandſchuhe 
von den Fingern geſtreift und den 
Mantel aufgeknöpft. Und das war eine 
ſaubere Enttäuſchung auf meiner 
wonnigen Winterfahrt! 

Endlich waren die Wälder hinter 
mir, freie Almmatten dehnten ſich 
weithin und die weißen Flächen hatten 
ſtellenweiſe dunkle Flecken. Der Blid 
war frei ins weite Land hinaus, über 
welchem das eingefrorene Meer des 
Nebels ſtarrte. Hoch über allem die 
Himmelsglocke in unendlicher Bläue 
und der Sonnenſtern ſo prächtig lo— 
dernd, wie in Sommertagen. Um eine 
Bergkante bog der Weg in die Hoch— 
mulde der Karalm, da waren die 
ſonnigen Hänge ganz ſchneefrei, moorige 
Wieslein lachten in hellem Grün der 
Kreſſe und an den Rändern blühten 
zarte Schneeglöckchen. Auf einer Gruppe 
von Schirmtannen ſangen Finken, 
nichts ahnend vom Jänner, der im 
Kalender ſtand. Der graue Kiesweg 
lag trocken vor mir und gieng einem 
ſtattlichen Hauſe zu, das Hinter den 
Schirmtannen fand und von welchem 
helles Hundegebell herüberhallte. 

Neben dem Wege jtand ein wandir 


ger Yelshügel. 


EL Tr ———— —— —— 


Den beſtieg ich von! 


von der Sonne hübſch bewärmten 
Stein. Alſo blidte ih hinaus in die 
Melt. Auftatt föbernden Winter, den 
ich gefucht, Hatte ich im Gebirge den 
Frühling gefunden. Warm, ſonnig und 
feierlich umgab mich die milde, reine 
Luft. Auf dem fandigen Grunde blühten 
Erifen; zu meinen Füßen riefelte ein 
Eidehschen Hin und unterhalb meines 
Felſens hörte ich eine heitere Mädchen- 
ftimme, 

„Daſs doch“, Ticherte fie, 
Männer gar jo ungefcidt find!“ 

„Ich babe jchon mancherlei ver— 
ſucht“, fagte auf das Gelicher unten 
zart und ſchmiegſam eine männliche 
Stimme, „ganz mifslungen ift mir 
eigentlih noch nichts. Und juft mit 
dem MWeiberhaar follte ich nicht fertig 
werden fünnen ?* 

Ich war ganz nahe den Sprechen« 
den, ſah fie aber nicht, weil fie unten 
enge an der Felswand fißen mujsten, 
über welcher ich lehnte. Ich hätte nur 
an den Rand hinausfteigen und hinab— 
guden müſſen. 

„sa ja”, jagte nun das Mädchen, 
„im Meiberhaar, da Hat ih ſchon 
mancher verwidelt. Das ift unfer Netz, 
mit welchem wir filchen. Aber, Tſchap— 
perl, du wirft doch Zöpfe Flechten 
fönnen! Nur nicht jo feit.“ 

„Einmal ift es zu feit, dann wieder 
zu loder“, antwortete der junge Maun 
— es war gemwijs ein junger, weil 
er jo täppiich ins Garn gegangen. 
„Die Zöpfe find ja fertig, nur mujs 
ich fie an den Enden immer feithalten, 
ſonſt gehen fie wieder auf.“ 

„Närrlein, mufst fie Halt mit dem 
blauen Bändchen binden und nachher 
Hinabhängen laffen, wie es der Brauch 
ift bei einer deutjchen Jungfrau,“ 

„Bei wen ?* 

„Ei geh, du zupfft ſchon wieder 
zu arg!“ 

„Riderl“, fagte nun die männliche 
Stimme — aber da mufste ich die Ohren 
ſchon heidniſch ſpitzen, daſs ich's ver— 
ſtand — „Rickerl, das möcht’ ſich nicht 


„die 


502 


recht Schiden. Ich dent’ um das Köpferl 
winden, die Zöpfe, wie es bei einer 
deutjchen Hausfrau der Brauch ijt.“ 

„Mach' mich Halt, wie ich dir am 
beiten gefall'“, jagte fie, „wenn du 
mich garjtig herrichteft, Haft du jelber 
den Schaden.” 

Nah einem Weilchen verjehte die 
männliche Stimme: „So, jekt haft 
du wieder dein Kranzel auf dem Haupt, 
eines aus Menſchenhaar, das fteht dir 
am beiten.“ 

Länger war es mit mehr auszu— 
halten. Ich froh an den Rand des 
Felſens hinaus und Iugte hinab. — 
Wie? Was? — Ei, das ilt hübſch! 
So fteht’3? Darum hat fie den roth— 
feidenen Sonneunſchirm zuhaufe ver— 
gejien! 

Ich z0g mich zurüd und rief laut: 
„Stalien ift Dies Jahr hoch gelegen!“ 

Mar es mäuschenſtill. Ich aber 
flieg an der rüdwärtigen Seite hinab, 
und bald Hatte ich fie beide zmifchen 
mir und der Felswand. 

„Bin Entlommen iſt unmöglich”, 
fagte ich, „ergebt euch!” 

Nach dem erjten Schred ein lautes 
Aufladen: „Der Peter iſt's!“ 

„Sa, der Beter iſt's. Aber nicht 
der zu Rom in Italien!” 

„Nein“, rief Guſtav, „der auf der 
fteirifchen Alm. Bit aber doc eine 
ſchlechte Haut, Peter, daſs du uns 
nachſteigſt .. ..“ 

„Ich ſteig' euch nicht nach, aber 
ihr ſtieget mir voraus! — Nein, Kinder, 
das iſt kein Land für Hochzeitsreiſende. 
Ya, für Liebende, das laſſ' ih mir 
gefallen, für die gibt's nur auf der 
Alm fein’ Siünd, für Berheiratete 
gibt's auf der ganzen Welt feine, nicht 
einmal im heiligen Italien.“ 

Guftad reichte mir die Hand und 
ſagte: „Nicht wahr, zum Mittagsmapl 
gibft uns die Ehre und dann mach’, 
daſs du wieder fortlommift. Gegen 
Abend wird es arg froftig da heroben, 
ich verfichere dih. Und fein Menſch 
da, mufst bedenfen! Wir find Heute 
und morgen in Florenz, dann reiſen 


wir nad Piſa zum jchiefen Thurm, 
dernad) wollen wir uns in Padua noch 
aufhalten beim heiligen Antonius, und 
in Venedig bei Sanct Marco. Es kann 
noch der Tage zehn oder zwölf währen, 
bis wir heimkommen.“ 

In dieſem Augenblick gellte vom 
Jagdhauſe her ein Pfiff. 

„Mittag iſt's, Kinder, laſſen wir 
die Suppe nicht kalt werden.“ 

Alſo giengen wir zu dreien gegen 
das Haus hin, Guſtav links, ih rechts, 
Niderl in der Mitte. Was die für 
eine Gefichtsfarbe befonmen Hatte auf 
der Alm! So glühend roth Hatte ich 
ihre Wangen noch nie gejehen. 

Im Forfihaufe, in einer traulichen 
Stube, deſſen großer Kachelofen eine 
behaglihe Wärme ausftrömte, deſſen 
Fenſter in die weite Alpenwelt hinaus» 
Ihauten, war ein Tiſch gededt, freilich 
nur für zwei Verfonen, doch dem 
munteren, rothbärtigen Forftjäger und 
feiner emfigen, gelbhaarigen rau 
machte das dritte Geded feine Sorgen. 

„Im Bunde der dritte!“ Alſo 
declamierend ſetzte ich mich Hin. 

„Das ift dein Theil“, ſagte 
Guſtav und ftellte mir die Weinflafche 
hart vor die Naje hin. 

Welch ein Tropfen! 

„Bom Rhein, vom deutjchen Rhein! 
Peter, bade in ihm dein Herz.“ 

Gott, und wie es nun Frühling 
wurde in jedem Winkel der Seele! 

„Jetzt begreife ih, Kinder!“ 

„Was begreifft du?” fragte Guſtav. 
„Daſs wir nicht nad Italien gepil= 
gert find? Ha, das ift wahrlich leicht 
zu begreifen. In der wonnigiten Zeit, 
heiteren Frieden, füßeſte Seligleit im 
Herzen, werde ich mein Weibchen in 
den Eiſenbahnwaggon zerren, bon 
Hotel zu Hotel jchleppen, es den Glotz— 
augen frecher Portierd und dummer 
Kellner ausjegen, ihm unter fremden 
Klima jeden Tag eine neue Unbe— 
auemlichleit machen, hier eine jchlechte 
Fahrt, da einen ſchlechten Tiſch, dort 
ein Schlechtes Bett, ruhelos hetzen von 
Stadt zu Stadt, von Gallerie zu 


eu a a ——— 








508 


Gallerie, ohne Intereſſe dafür, bejtändig | Auch unter dem Winterpel; ift Frühe 
in den Bädeker ſchauen, jtatt einander | ling, wenn zwei junge Leute jich gern 


in die Augen — natürlich, ich werde | 
eine Hoczeitsreife machen!” 

„Und wozu habt ihr es uns denn | 
glauben machen, ihr jaljchen Leut ?* 


„sa, Alter, das wird freilich Schwer 


zu errathen fein, weshalb wir den Leuten 
aus dem Wege gehen. He? Weil wir 
für uns jein wollen. Was ift die Hodh- 
zeitsreife anders, als eine Flucht? 
Eine Flucht vor Belannten und Ver— 
wandten. Ob das Aſyl Italien heißt, 
oder Jagdhaus auf der Karalm, das 
it eins. Mit meinem alten Freunde, 
dem SKarjäger, iſt die Geſchichte ſchon 
lange abgemacht gewejen, er hat uns, 
wie du fiehft, gut eingeneftet. — Gelt, 
Rickerl, es thut's! — So wandte | 
der Schelm ſich zu ſeiner jungen Frau. 


Der ganzen Anlage nach merkte! 


ih, dajs die beiden fich fein Leid 
anthun würden, wenn jie mich eheftens 
wieder verlören. Doc gab ich ihnen 


vor meinem Aufbruche noch zu be— 


denken, daſs fie dem Jänner- Frühling 
auf dem Berge nicht zu ſehr trauen 
jollten. Schon die nächite Nacht könnte 


einen jo ſchweren Schneepelz über jie | 


werfen, dajs fie wochenlang nicht mehr 
hervorzufriehen vermöchten. 
„Schweig!“ unterbrad) mic) Guftav, 
„ih mag gar nicht daran denfen, e3 
wäre zu himmliſch!“ 
— Er mochte wohl recht haben. 


‘Haben. Alles Alpengejtöber und nor— 
|difche Eis ift nimmer imftande, das 
göttliche Flämmlein zu erjtiden, das 
im Herzen des Liebenden ift und an 
Glanz und Wärme den Maien-Sonnen- 
ſchein weit übertrifft. 

In dem Augenblide, als ich fort— 
gehen wollte, ftellte Guſtav ſich mit 
feiner ftattlihen Geftalt in die Thür 
und jagte: „Oho, Freund, fo leichten 
Kaufes fommft du mir nicht davon. 
Den jchauderhafteften Schwur, der je 
geſchworen wurde, mujst du mir jebt 
Ihmwören, daſs du uns nicht verrathen 
| wirt!“ 
| u Bedente, dajs ich Poet bin“, war 
‚mein zagender Einwand, „wie fofl ich 
fo etwas für mich behalten ?” 

„Bis wir von unferer Hochzeits— 
reiſe zurüdgefehrt find, magſt du plaus 
dern. Und nun fiehe, daſs du vor 
Abend zu Thale fommit.“ 

Din ih alfo von den jonnigen 
"Höhen wieder hinabgeftiegen in die 
froſtige Fläche, um im Greuthofe die 
Mähr zu erzählen: Auf der Karalm 
wäre die Luft jo rein, daſs man von 
dort aus mit freiem Auge bis nad 
Italien hinein fehe. Mit einem guten 
Fernrohr könne man jogar die Hoch 
zeitsreifenden erbliden, und wie der 








junge Manı feiner jungen Frau bie 
Haarzöpfe flechte. R. 


Sagen aus Rärnten. 
Erzählt von Franz Goldhann, 


Sage von den „neun Brünn‘ in der 
3irknik im Möllthale. 


AR 

2 Wlie Zirknitz ift ein wilder, reißen— 

63, der Dad, welcher bei Döllach in 
7 die Möll mündet. Zehn Minu— 

ten außer Döllah befindet ſich eine 

interefjante Klamm, durch welche die 

Zirknitz ſtrömt; die Felſen find dort— 


ſelbſt oft überhängend und bilden 
Höhlen und Grotten. Nach weiteren 
fünf Minuten gelangt man zum 
Zirknitzfall. Das romantiſche Thal 
der Zirknitz, wenn man es ſo nennen 
darf, iſt eng und ſchluchtig, hohe 
Gebirge ſchließen es ein; man würde 
kaum glauben, daſs auf dem ſchmalen 
Saumwege einſt edles Metall, und 
zwar Gold, ins Möllthal befördert 


304 


wurde. Etwa drei Stunden 





von |da Waller durch — und wehe, wenn 


Döllah entfernt — ziemlih hoch indie Häute beriten; dann fommt Die 


der Zirknitz gelegen — befindet jich |zweite Sündflut und 


die jogenannte „Goldzeche“; im vori— 
gen Jahrhunderte und zu Beginn 
diefes Jahrhundert? wurde dortjelbit 
ziemlih viel Gold zutage gefördert. 
Seit Anfang diejes Jahrhunderts bis 
zum  bergangenen Jahre ruhte der 
Bergbau, erit jebt Hat man wieder 
mit Nahforfchungen begonnen; der 
Zugang iſt eben ungemein befchwer- 
lid und lohnt ſich die Arbeit nur, 
wenn eine große Ausbeute gemacht 
werden kann. 

Die alten Stollen befinden ich 
hoch oben auf einer Felswand und 
find ſchwer zugänglid. — Hieran 
knüpft ſich nun die Sage von den 
„neun Brünn“. 

Es heißt, daſs die gottloſen Knap— 
pen vormaleinſt auch an Sonne und 


Feiertagen gearbeitet haben; als fie, 


nun an einem Marientage in ihren 
Stollen wieder fleißig klopften und 


hänmmerten, fiehe, da brach eine große 
Menge von Waller aus neun Stollen 
zugleich hervor — eine gerechte Strafe 


von Oben. Die Knappen mufsten 


mit ihr Der 


jüngite Tag. 





Sage vom Geifterlakl auf der Teuchler— 
Alpe im Möllthale. 


Die Teuchel ift ein ſchluchtartiges 
Nebenthal der Mil. Der Zugang 
in den Ort Teuchel — 1%, bis 
2 Stunden von Kolbnit entfernt — 
ift beſchwerlich und nicht ungefährlich, 
befonders ift der Weg zur Winters» 
zeit ohne Steigeifen nicht leicht zu 
machen. Fahrweg gibt e& feinen. Der 
Teuchler trägt daher ſelbſt die 
ſchwerſten Laften auf feinem Rüden 
in eigens hiezu angefertigten Kraren. 
In der Teuchel gibt es fein Pferd; 
die fteilen Felder werden mit Hilfe 
von Ochſen und Kühen bebaut. 
Sehr bedanerlih ift es, daſs ſich 
zu diefen Beichwerlichkeiten jetzt auch 
noch Elementarereigniffe gefellen ; ſeit 
zwei Jahren finden nämlich, ins» 
bejondere bei und nach Regenwettern, 
‚oft aber auch an ſchönen Tagen, Erd» 








die Stollen fogleich verlaffen, der Berg- |abrutfchungen ftatt, — ein beträchts 
werfsbefiger war zugrumde gerichtet |licher Theil Landes „fit“ hiebei mit 
und nicht allein das, — das Waſſer furchtbarem Getöje in den Bach „ab*, 
fam in jolcher Menge, dafs die Pente ; fo daſs die gegenüberliegenden Felſen 


Ihon eine Thalüberſchwemmung bes 
fürchteten. 

Da Hatte ein Bergknappe einen 
ganz merkwürdigen Traum; — «8 


erihien ihm die heilige Maria und! 


befahl ihm, die neun Stollen mit 
Ochſenhäuten zu verichliegen, damit 
das Waſſer nicht mehr Hervortreten 
könne. 

Der Sinappe machte von dem 
Traume Mittheilung — und fofort 
wurden neun der schönften Ochſen 
geichlachtet, mit deren Häuten der 
Eingang in die Stollen verfchlofjen 
wurde, worauf man Diefe noch ver— 
Hebte und vermauerte. 


Jetzt ift bereit Gras und Moos | 


darüber gewachſen, doch Jidert Hie und 


dröhnen. Der Zugang wird Daher 
immer gefährlicher und ift ganz bes 
ſonders ein Bauernhaus in Gefahr, 
e3 kann jede Nacht, ja jede Stunde 
„abſitzen“ und die Bewohner mit fich 
begraben — und doch bleiben die 
Inwohner auf ihren angeltammten 
Wohnſitze. 

Die Teuchler ſind ein ſchöner, 
kräftiger Volksſtamm, fie leben von 
Milchkoſt und eſſen Schmalz löffel— 
weiſe. Sie beſitzen ſchöne Alpen— 
wieſen in der Gaſarn, in der Pleſen 
und im Gſarnitzlen. Die Gaſarn 
liegt am Schroned (2545 m), wel— 
ches zur Streuzedgruppe gehört und 
einen wunderbaren WRundblid ges 
währt, — befonders ſchön Hat man 











—“ 


die Tauern mit ihren Schneefeldern | 


vor fih und groß ift die Anzahl der 
Alpenhütten, die man vom Schroned 
aus ſieht. 

In der Gaſarn befindet fich das 
„Geiſterlackl“, d. i. ein Heiner Teich, 
dejien Waſſer eine unheimlich Schwarze 
Färbung befigt; diefe Färbung dürfte 
wohl von einer Felswand herrübren, 
welche düfter und überhängend Die 
Dinterfeite des ZTeiches begrenzt. Auf 
einer Seite ift ein „Lahner“, d. i. 
eine fteile Geröllfläche, — die beiden 
anderen Seiten find auch vom Geröfl 
und jpärlihem Graswuchje begrenzt. 
Ober dem Lahner war vor Zeiten 
ein Bergwerk und noch heute kann man 
den Eingang in die Stollen jehen. 
Der Zugang ift nicht leicht. 

Die Sage gebt, daſs vormaleinit 
alljährlich ein Italiener hieher gekom— 
men jei und mehrere Schüfjeln reinen 
Goldes gefunden babe, welches er 
dann im feine Heimat mitnahm, um 
im nächſten Jahre wieder zu kommen 
und gleihe Ausbeute zu machen. 
Man jagt, der Böſe fei mit ihm im 
Bunde gewejen. 

As er nun einmal wieder er- 
ſchien und dann mit feiner Ausbeute 
dur den Lahner herabftieg, ift er, 
ausgerutjcht und ſammt der koftbaren 
Bürde in den Teich gefallen, worin 
er jpurlos verſchwand. 

Seit jenem Tage geiltert es bei 
diefem Teiche. Man hört oft wimmern 
und Hagen und alljährlih an dem 
Tage, an welchem der Italiener in 
den Teich fiel, wird er um Mlitter- 
nacht von dem Teufel dreimal um 
denjelben gejagt, wobei er eine gold« 
beladene Schüffel auf dem Kopfe tragen 
muſs; ift die Jagd zu Ende, dann 
ſtürzt er fih mit einem Jammerſchrei 
wieder in das Waſſer. Fände ſich 
ein Beherzter, welcher dem Italiener 
bei diefer Jagd die Schüſſel abnähme, 
jo wäre des Italieners Seele gerettet 
und der Betreffende reih. Der 
Teufel würde in das „©eilterladi” 
fahren und nie wieder fommen. 


Ber Ortenburger Schah. 


In der Ortenburg bei Spittal 
follen ungeheuere Schäße vergraben 
jein — die Schäße der Salamanta, 
welche befanntlich Beſitzerin des Spit— 
taler Schlofjes war und ihr ganzes 
Vermögen mit Hilfe ihrer Kammer— 
jofe und eines Maurerd vergraben 
ließ, morauf fie beide Mitwifler um— 
brachte. 

Viele Leute verſuchen alljährlich 
in der Ortenburg Schatz zu graben, 
und ſoll ſchon mancher Kupferhafen 
voll Goldmünzen gefunden worden ſein. 

Des Nachts ſoll ſich der Schatz 
durch ein Flämmchen verrathen, wel— 
ches durchaus nichts mit einem ſo— 
genannten Irrlichte gemein hat. 


Sage von der Todtenfahrt in den 
RBirdhöfen im Möllthale. 


Die Jagd nah Gold und Reich— 
thum wurde und wird nicht allein 
von der fogenannten „gebildeten Welt“ 
gemacht, auch „tief hinten im Ge— 
birge“ Haben die font jo genügſamen 
Alpler Stets nad) blendenden Schäßen 
geftrebt, wovon wieder folgende Sage 
Zeugnis gibt: 

Im Mölltbale kommt es vor, dafs 
ich zwei Burſche um Mitternadt in 
den Kirchhof begeben, um Ddafelbit 
„von höheren Mächten“ Gold zu 
empfangen. 

Zu diefem Zwede pflegen fie einen 
feeren Hut auf die Kirchhofmauer zu 
legen, dann holen jie eine Tragbahre 
oder au einen Schlitten. Nun jtellt 
fih der eine Burfche vor die Trag- 
bahre oder den Schlitten, im Bes 
griffe, damit jeden Augenblid um die 
Kirche zu laufen, während der andere, 
mit einer Peitſche in der Hand, Hinter 
der Bahre wartet, um dein Kameraden 
im entfcheidenden Augenblide zu folgen. 

Beim erſten Schlage der Mitter: 
nachtsglode beginnt nun in äußerſter 
Schnelligleit eine Fahrt um die Kirche, 
denn mit dem lebten Schlage der 


Mitternadhtsglode müſſen die Burfche 
dreimal um die Kirche gefommen fein, 
um den aufgerihteten Hut mit Gold 
angefüllt zu finden. 

Sind fie nicht ſchnell genug, was 
häufig vorfommt — denn es jeßen 
fih jehr viele Seelen, Geifter ꝛc. auf 
die Bahre, um an der Luftfahrt theil- 


DM: 


zunehmen , welche aber der Hinten 
laufende Burfche mit fortwährend 
geführten Peitichenhieben zu verjagen 
bemüht ift, — dann müſſen die Burſche 
beim legten Schlage der Glode eiligit 
über die Kirchhofmauer fpringen, um 
von den Geiftern nicht erfchlagen zu 
werden. 


Das Pied von Awdel und Ster. 


Von R. Burns. 


Bannocks o’ Barley. 
Engliſch. 


Bannocks o' beer-meal, 
Bannocks 0’ barley: 

Here’s to the Highlandman’s 
Bannocks o’ barley. 

Who in a brulzie 

Will first cry a parley? 
Never the lads wi’ 

The bannocks o' barley. 


Bannocks 0’ beer-meal, 
Bannock’s 0’ barley; 
Here’s to the land wi’ 
The bannocks o' barley. 
Who in his mae-days 
Were loyal to Charlie? 
Who but the lads wi’ 
The bannocks 0’ barley-! 


Berften: Nudel, 
Hochdeutſch. 


Nudel von Bierſtoff, 

Nudel von Gerſte! 

Hoch leb' des Hochlandmann's 
Nudel von Gerſte! 

Wer wär’ im Kampfe 

Zum Wehſchrei'n der erite? 
Niemals die Buriche mit 
Nudel von Gerfte! 





Nudel von Bierftoff, 

Nudel von Gerite — 

Hoch leb' das Hochland mit 
Nudel von Gerfte! 

Wer trug getreu im Leid 
Für SHarl*) das Schwerfte? 
Wer, als die Buriche mit 
Nudeln von Gerfte? — 


Mudel und Sterz. 


Steiriich, 


Pfannſterz und Nudel, 
Nudel und Sterz! 
Luſtig is's Landel mit 
Nudel und Sterz! 
Hätt’ wer jan Liaben 
Und Raffen foa Herz? 
Sicher nit Buaben mit 
Nudel und Eterz. 


Präatendent Aarl Etuart. 


Pfannſterz und Nudel, 
Nudel und Sterz! 

G'fegn' unser Herrgott uns 
Nudel und Sterz! 

Wann's für'n Kaiſer 
Soldaten begehrts, 
Taugen ent! d’ Buaben 
Von Nudel und Sterz. 


— J— 


507 


Wie fie in alter Zeit 
gedidtet, gedadjt und gefagt haben. 
My 
ee zweiundeinhalbhundert Jah- | mit dem Eijenfraut, der Habicht mit 


Ex p ren, alß mäniglich Fabelei vnd dem Kraut, das von ihm den Nahen 
> Heilfambe Lehr fhon in Drud|hat, und hieracium zu Latein, zu 
geleget worden, jchriebe man alßo: Teutſch Habichtkraut genennet wird, 
die Gänſe, Enten und Hüner arbneyen 
fid mit helxine, Windich oder Zaun— 
gloden, die He mit Lorbeer, der 
Hirsch mit Hirfchzungen, die Schwalb 
1. Die Jungfer ift die Schlange, | mit Schwalbenfraut, ꝛc. 
welche neidifh, ihre Haut, als ihr 3. Der Menfch allein verftehet von 
Kleid abjtreiffet: Sie iſt ftolg, ſtumm, Natur nichts was ihm nußet, weil er 
ftard, Schnell, und ſcheuſſet Pfeile ges | vielleicht ſolche Wiſſenſchafft durch den 
Ihwind auff den, der fie beleidigen | Sündenfall verſchertzet, und weil er 
will. Ihre Klugheit beftehet darinnen, im Eſſen und Zrinden feine Maß 
daß fie allezeit das Haupt verwahret, | Halten fan, welches doch die Thiere 
und wol weiß, dab die Wunden | meiftentheil® thun, muß er fich mit 
an dem Leibe leicht heilen, am dem schämen, von diefen undernünfftigen 
Haupt aber tödtlich find. Daß fie böfer | Lehrmeiftern zu lernen; allermaljen 
Art, und den erften Sünden-Gifft der | bereits vermeldet, daß ſolche der 


Die unvernünfftigen Lehrmeifter. 


Eva eingeblajen, if auß der 9. 
Schrifft befandt. Weil nun folgends 
von den Thieren joll gedacht werben, 
welche der Menjchen Lehrmeifter find 


gewejen, haben wir das Erempel von 


der Schlangen vorjegen wollen. 
2, Plinius klaget, daß dem Men— 


ſchen alles in dieſem Leben zuwider, 


und daß die Natur der Thiere rechte 
Mutter, der Menſch aber ihre Stieff— 
mutter jene, weil fie ihnen jo viel 
Verſtand gegeben, daß fie alles dien» 


liche erfennen, und was ihrer Unter= 


haltung ihädlich, fliehen und meiden. 
Wann die Schlange, mit den Störchen 
und Schneden ftreitet, jo nehmen jie 
das Kraut Origanum oder Wolgemut, 
und ſchützen ſich damit, weil es der 
Schlangen jehr zuwider. 


Meinrauten und Salve, die Dauben 


Der Büer, | 
wann er verwundet wird, heilt er ſich 
mit Omeijen-Eyern, das Schwein mit 
Wintergrün, das Wiejelein mit der: 


Kräuter Krafft beijer willen, als der 
Menſch, jo auf ſolche nicht ftudiret. 
Wir wollen aber hier noch weiter 
gehen un auff unſern Schauplag noch 
andere unbefannte Thiere ftellen, und 
jehen, was man von ihnen abgejehen 
und gelernet. 


4. Das Mderlaffen ift eine von 
den gebräuchlichſten und vorträglichiten 
Artznecken, wie auch die Elpitieren. 
Beedes Haben die Alten von den 
Thiere gelernet: jenes von den Pier- 
den, welche ihnen im dem Früling, 
wann fie mit der Natur die Feuchtig— 
feiten erneuren, die Ader auffbeillen: 


‚diefes don dem ſchwartzen Stord in 


Egypten, welcher mit dem Saltzwaſſer 
aus dem Nilusftrom das Gedärm auß— 
wäſchet, und ſolches wieder durch die 
Aufladung von fich läljet, wie hier- 
von Plinius, Solinus, Cicero und 
viel andere jchreiben. Bon dieſem 
Bogel Haben die Egpptier den Ges 


brauch der Elyitier lang dor Hippo— 
crate gehabt, und jolcher jich alle drey 
Monat bedienet. 

5. Das Brechen joll von den 
Hunden ſeyn abgejehen worden, welche 
Grab und das Samfraut von dem 
Korn freien, wann fie fih mit der 
Gallen oder unverdäuten Speijen be= 
ſchweret befinden, Er iſſet auch Weg— 
warten, welche ihm jehr wol befommen, 
und feine Leber erfrijchen. 

6. Etliche wollen, dag die Men— 
Ihen auch die Waffen von den Thieren 
abgejehen. Ichnevmon die Indianiſche 
Mauß walgt fih in den Koth, und 
trodnet ſich in der Sonne, joldhes 
tdut fie unterfchiedlihen mahlen, und 
aladann freitet fie mit dem Otter, 
und daher follen Pantzer und Harniſch 
tommen: Das ſpitzige Gewehr aber 
andere zu beleidigen, wollen fie von 
den Iglen hernehmen. 

7. Die Art eine Beftung zu unters 
graben, ift, nah Vegetii Meynung, 
von den Ganinihen oder Künlein, 
abgelernet, welche eine Maur folder 
Geftalt können über ein hauffen 
werffen. 

8. Das Impffen und Pelten joll 
auch von den Vögeln abgejehen worden 
feyn, daher fommet, dag man oft 
auff einem Felſen einen Kirſch- oder 
Meirelbaum jihet, welches Kern ein 
Vogel mit feinem Mift in eines 
joldes Steines Riten fallen laſſen, 
dardurch er befleibet, und erwachſen, 
weil es von dem Wegen befeuchtet 
worden, und bejagten Mift Anfangs 
zu einer Erden gehabt. 

9, Die Galeen ſoll man von dem 
Krebs abgefehen haben, welder mit 
feinen Füſſen, als Rudern, hinder ſich 
und für ſich gehet. 

10. Von der Vögel Geſang 
ſollen auch die erſten Menſchen haben 
ſingen lernen, und ſchreibet Ferdinand 
Ovieda, daß die Hiſpanier (Perillos 
ligeros) Spürhündlein, welche bellen, 
als wann ſie die ſechs Stimmen 
ſängen, und von der höchſten anfien— 
gen, La, fol, fa, mi, re, ut. 


* Pe} 
“ Lu 
2 
ei 


5038 


11. Blinius will aud den Thieren 
beymejien die Sternfündigung (l. 8. 
c. 28.) und fommet mit den Danen, 
Schwalben, Nahtigallen und dem 
Viehe, welde den Hundsſtern jpüren, 
aufgezogen, mich bedündet aber, es 
feye zu weit gegangen. 

12. Der Prophet Eſaias hält die 
Menſchen und Thiere gegeneinander, 
daß jene ihre Gebühr von diejen 
fernen jollen, fagend: Ein Ochs fennet 
feinen Herrn, und ein Ejel die Krippe 
feines Herrn, aber Iſrael fennet3 nicht, 
und mein Bold vernimmet3 nicht (c. 1. 
v. 3. und Jeremias: Ein Storch unter 
dem Himmel weiß feine Zeit, eine 
Turteldaube, Kranid und Schwalbe 
merden ihre Zeit, wann fie wieder 
fommen follen; aber mein Bold will 
das Recht der HErrn nicht willen 
89 


Ber Fürften=fuft. 


1. Das menjchliche Leben wird füg— 
fih mit einem Gefang verglichen, in 
welchem viel mehr ſchwartze, als weile 
Noten find, verjtehe viel mehr Unglüd 
als Glüd zu erfehen it. Man fihet, 
daB zu Zeiten in dem Aufiteigen und 
Abfteigen etliche Stuffen überfprungen 
werden, daß viel Kreutzlein und harte 
b. (web) darbey, daß die Stimme mit 
fan allezeit auff den oberften Linien 
bleiben, jondern muß auch auf die 
unterften fallen, Diejes findet fih auch 
in nachgehender Geſchichte, da ein 
Fürſt ſich als einen Gomponiften ers 
weifet, der ohne die Lehrſätze der 
Kunft ein gar übelflingendes Inter- 
vallum, und einen jelgamen Sprung 
gemachet. 

2. Diefe Geſchichte nennen wir 
den Fürften- Luft, weil etliche Herren 
ſich kützeln, und laden wie Nero, 
jind begierig der unmöglichen Sadeı, 
und juchen ihr Belieben in wunder— 
lichen, und ſehr nachtheiligen Händeln, 
wie man dann lieſet, dab bejagter 
Nero die Stadt Rom an zehen Orten 
anzünden laffen, zu jehen, wie etwan 





Troja in dem Teuer geftanden. Es 
vermepnen aber ſolche Herren, ihnen 
durch dergleichen unerwartete Abenteuer 
einen unjterblichen Namen zu machen, 
es ſey gleich jelbiger rühmlich oder 
nicht, wie dort Hepheftion, der den 
Tempel der Dianä zu Ephejo auge: 
zündet. 

*Nero impossibilium flagrantior. 
Taeit. 

3. Ein Italiänifcher Fürft, deſſen 
Name billich zu verjchweigen, hatte, 
als jein Gankler geftorben, einen 
wunderlihen Einfall. Zu ſolchem 
hohen Dienft Hat er außerfehen 
einen von feinen Näthen, welcher durch 
jeine Tugend und Gejchidlichkeit dieſe 
Stelle wol verdienet, und ſich dein 
Fürſten jederzeit getreu, verjchwiegen 
und gehorfam ermwiejen, wie er dann 
zu thun ſchuldig, weil er von jchlechter 
Ankunfft, durch ſeines Fürften Hülffs— 
mittel und gnädige Handbietung zu 
der bejagten Stelle befördert worden. 

4. Diefer Juftinian Hatte niemals 
feine Gedanden zu dem Sanglerdienft, 
weil ihm andere Räthe vorgiengen, 
und fein Sinn, von Jugend auff, 
fern von allem Ehrgeiß, und wolte 
lieber hoher Ehre werth, diejelbe an— 
dern überlaffen, als unwürdig folche 
betretten; wol wiſſend, daß wer hoch 
hinauf fleiget (wie in der Mufic oder 
Singkunſt) auch wieder hoch herab- 
fallen könne, und begnügte er fich in 
feinem mittelmäffigen Zuftand, in 
weldhen ihn Gott gejeget hatte. 

5. Der Fürſt war fröliches Sinnes, 
und wollte feinen Juftinian mit einem 
dendwiürdigen Pollen zu der ledigen 
Ganglersftelle befördern, und befahle 
etlihen von feiner Wachte, fie jolten 
auffwarten und thun, was er ihnen 
gebieten werde. Nach gemadhter An— 
ftellung läſſet er Juſtinian für ſich 
fommen, ſtellet ſich gantz zornig, und 
redet ihn mit folgenden, oder der— 
gleichen Worten an: 

E. Verräther, iſt das der Dienſt, 
welchen du mir zu leiſten verpflichtet 
biſt? iſt das die Danckbarkeit, mit 


509 


welcher du meine Gnade erwiederſt? 
Ich Habe dich wichtigen Gejellen auf 
dem Staub erhaben, und zu Ehren 
gemacht, ich Habe dich hoch geacht, 
und dir willfahrt in allem was du 
begehret, und Habe deine Deucheley 
für pflühtigejchuldige Treue gehalten. 
Wie hör ih nun don dir, dag du zu 
einem eydbrüchigen VBerräther worden ? 
Wann ein Fremder, der einen benach— 
barten Fürſten bedienet, dergleichen in 
meinem Lande angefponnen, wolte ich 
jo jehr über ihm micht erzörnen, weil 
er feines Herren Dienft befördert, als 
über dich, der du mir auff fo viel 
Weiſe verbunden, und fait von den 
eriten Kinds-Beinen in meinem Brod 
geweſen bift. 

7. Indem ergrimmet er gleiche 
ſam in ſich jelbiten, und als Juſtinian 
ihm einen unterthänigen Fußfall thun 
wollen, will er ihn nit anhören, ſon— 
dern befihlet, man foll ihn in das 
Gefängnüß bringen, fein Verbrechen 
jene jonnenkllar, mit Vermelden, daß 
die Obrigkeit das Schwert von Gott 
empfangen, jolche Uebelthäter nad 
Gebühr abzuftraffen. Mit diefen Wor— 
ten, welche ein Vorurtheil des Todes, 
mufte ſich der unſchuldige Juftinian 
abweijen laſſen, ꝛc. 

8. In der Gefängnüß bereitete er 
ſich zum Tod, beichtete, bekennete ſeine 
Sünden mit reuigem Hertzen, und 
erfreuete ſich, daß er die Schuld der 
Natur in Unſchuld bezahlen ſolte; 
doch entjegte er jich jeher für der 
Schande, und wolte dem Kerckermeiſter 
erzehlen, dag er bey feinem Fürſten 
müſte ſeyn verleumdet worden, und 
daß er tauſend Leben, wann es mög— 
lich, für ſeinen Herrn laſſen wolte, ꝛc. 

9. Der Kerckermeiſter antwortete 
mit vielen Scheltworten, riſſe ihm den 
langen Ehrenmantel von dem Leib, 
und ſagte, daß er Befehl, ihn folgen— 
den Morgen hinrichten zu laſſen. 
Hierauff fienge Juſtinian an zu beten, 
und ſeine Seele Gott zu befehlen, 
betraurend den elenden Zuſtand der 
Hofleute, welcher gute Dienſte Feder— 


ur 


leicht, und ihres Fürſten Ungnade 
Bleyejchwer, wie fie ftetig auf dem 
Schlüpferigen, ja, verflucht, der fich 
auf Menſchen verläft, zc. 

10. Mit anbredendem Morgen, 
als Juſtinian die Henckersknechte er— 
wartete, verkehrte ſich das Trauerſpiel 
in ein Freudenſpiel, welches doch end— 
lich einen traurigen Außgang wiederum 
erlanget. Die Edelknaben bringen einen 
ſammeten Seſſel, man kleidet ihn an 
mit Sammet und Seiden, welches er 
alles geſchehen lieſſe, wie ein Rind, 
das mit Kräntzen gezieret, zum Schladt- 
opffer unterwegs ift, 2c. Bald darauff 
bringet man ihm in eimem ſchönen 
Käftlein deß Fürſten Inſigel, und 
ſagt ihm an, daß S. F. G. ihm die 
Cantzlersſtelle ertheilet, und zu ſolchem 
hohen Ehrendienſte alles Wolergehen 
anwünſchen laſſe, ꝛc. was geſchehen, 
wäre eine Fürſtenluſt geweſen. 

11. Juſtinian erwachte von den 
tieffen Todes-Gedancken, und mußte 
fih in diefen Handel nicht zu ſchicken, 
fagend: Wann diejes fein Traum, und 


fih alles in dem Werde alfo verhält, 
wie ihr mir faget, jo werde ich meinem 
Fürſten ſchlechte Dienfte leiften können, 
in diefem Ampt, welches ich mich gant 
unwürdig achte; dieweil ich hierüber 
meine Gejundheit, au Schreden und 
Erwartung dei Ihändlihen und un— 
verdienten Todes, verlohren, das 
meines Lebens nit lang mehr fein wird. 

12. In den veränderten Stleidern 
wird er für den Fürſten geführet, 
welcher lachte, und ihn zu empfangen 
entgegen kame. Yuftinian aber fiele in 
eine Ohnmacht: Man trägt ihn auff 
das nächſte Bett, man öffnet ihm eine 
Uder, und mußte er mach drepen 
Tagen die Welt gefegnen, mit groffer 
Betrübnüß feines Fürſten, welcher un— 
geſcheut ſich vernehmen laſſen, daß er 
den Getreuſten unter allen ſeinen 
Dienern verlohren, und iſt alſo ſein 
Lachen in Weinen verändert worden. 
Hierauß erhellet, wie gefährlich es 
ſeye, Fürſten und Herren zu einem 
Schauſpiel dienen, weil ſie meiſten— 
theils gewinnen wollen. 


Pegenden und Schwänke. 


Gedihte von Wilhelmine Gräfin Wihenburg-Almafy.*) 


EBriftus in der Berberge. 


Einft gieng der Herr zur Abendzeit 

Mit Petrus und Johannes weit 

Luftwandelnd über eine Heide. 

65 hatten die Apoftel beide 

Sid an des Meifters Wort erwärmt 

Und dann nad ihrer Art geſchwärmt 

Von Weltgeriht und Heidenbefehrung, 

Von Feuer und Schwert und Tempelzer: 
ftörung 


*) Die Dihterin ift in jungen Jahren geftorben. 
Biele prächtige Lieder bat fie dem beutfchen Bolte 
geſchenlt und als fie entidhlafen, haben fih unter 
ihrem Nachlaſſe Poeſien gefunden, die ihr Gatte, 
Albreht Graf Widenburg, als ſchönes Bermädtnis 
nun herausgegeben bat. „Einnig und innig“, damit 
ift ein großer Theil diefer neuen Lieder bezeichnet, 
aber aub das Tragiſche einerjeits und das Edyalt- 
hafte andererfeits fommt in diefen Poefien zur beiten 
Geltung. Die vorfichenden Sagen und Schwänke 
find der Sammlung entnommen. Zum Ende hängen 
wir dad Gediht „Eicheres Merkmal an, als 
Pröbhben davon, welch reijende Aleinodien das Büch- 
fein birgt. Die Red. 


Und nod von andern Dingen mehr; 

Der Herr gieng lädelnd zwiſchen ber. 

„Was finnft du, Heart? — — — „Soll 
ich's dir jagen? 


„„Ich dachte: Wie man hält Gericht, 
„„Und was nicht biegen will, zerbricht, 
„Das könnt ihr wunderleicht erfaflen; 
„Doch jelbft fi was gefallen lafjen, 
„So eins dem andern fi) bequemen, 
„Die Laft von fremden Schultern nehmen 
„„Und fiebenmal fiebzigmal verzeih'n, 
„Das geht euch immer noch nicht ein !"* — 
Sanct Peter ſchweigt und hemmt den Gang, 
Der Weg erfcheint ihm allzulang: 
„Herr, es wird Naht — bift du nicht müde? 
„Wenn dir's genehm, in jener Schmiede 
„Gäb's wohl für uns ein Nadtquartier!” 
Des Shmiedes Weib fteht in der Thür: 
„Weib? — Sprit der Meifter — „lais 
uns ein — 
„Mit deinem Haus joll Friede jein!* 
Sie fieht den Meifter finnend an: 








un Ah Herr, ich fürdte meinen Dann, 
„„Und lommt er heim — mir thät’ es weh, 
„„Wenn Euch bei mir ein Leids geſchäh'!“ 
Der Herr beſchwichtigt ihre Sorgen: 
„Wir liegen ruhig bis zum Morgen 
„Und ziehen vor dem Sonnenſchein!“ 

Da läjst das Weib den Meifter ein 

Und meist ihm Stroh in einer Eden, 
Sich mit den Seinen drauf zu ftreden. 
Sanct Peter legt fih an die Wand; 

Gr wär’ nidt gerne gleih zur Hand, 
Sollt's doh am Ende Händel geben! 
Johannes legt ſich fill daneben, 

Dann ftredt der Herr fih ruhig aus. — 
Bald poltert laut der Schmied ins Haus, 
Mit ſchwerem Gang, vom Weine roth, 
Und fieht die Fremden, jhilt und droht, 
Und taumelt nah der Ed’ und jchlägt 
Nah dem, der fih zunächſt gelegt. 

Das ift der Herr! — der rührt fih nit. — 
Der Trunf'ne ftugt, dann löjcht er's Licht 
Und wirft ih auf das eig'ne Bett, 

Als ob er Blei im Leibe hätt'. 

Und als der fühle Morgen kam, 

Und der Herr Jeſus Abſchied nahm, 

Da drüdte fi der Echmied heran: 
„Berzeiht! ... der Wein! .. was ich gethan, 
„Sch that's nicht gern, bei meiner Seel'!“ — 
„„Lajs nur, fein Menſch ift ohne Fehl!““ 
Eo ſprach der Herr mit janftem Muth 
Und freute ih: „„Sein Herz ift gut!“ 


Vergangen waren mande Wochen; 

Vom Schmiede ward nit mehr geiproden, 
Da tam, als wär's von ungefähr, 

Der Herr denfelben Weg daher 

Und ihm zur Seite die Genofien. 

Mit Freuden ward ihm aufgeſchloſſen, 
Und wieder rubt er in der Hütte. 

Heut lag der Meifter in der Mitte 

Und neben ihm die andern zwei, 

Die zwölfte Stunde war vorbei, 

Da naht der Ehmied, vom Wein beſeſſen, 
Und hatte Reu’ und Leid vergeflen: 

„Da jerd ihr wieder, Mann für Mann — 
„Wart’ nur, heut lommt der zweite dran!“ 
Und wieder traf den Herrn der Dich, 
Der wieder geduldig liegen blieb. — 
Und als der Schmied am Tag erwadlt, 
Hat jhon der Herr ſich fortgemadt. 

Dem Manne ift nicht wohl zu Muth, 

Er madte gern fein Unredt gut, 

Und hegt im Stillen das Begehren, 

Der Meifter möge wiederlehren., — 

Und wahrlib fam nad einer Frift 

Mit feinen Jüngern Herr Jeſu Ehrift, 
Die Naht zu ruhen in der Schmiede. 

Da gieng's denn nad dem alten Liede: 
Der Schmied, der fiht beim vollen Glas 
Und ftürzt hinunter Mah für Maß 

Und was er eiwa Frommes denkt, 

Wird eingeihläfert und erträntt, 

Spät ftürmt er in das Haus herein: 
„Wohlan, heut ſoll's der dritte fein!“ 


11 


ee. — — — 


Und trifft mit ſeiner rohen Hand 

Denn ſtillen Schläfer an der Wand. — 

Doch als der Herr am Morgen zieht, 

Da fällt zu Füßen ihm der Schmied 

Und fleht, fie mögen in Geduld 

Ihm alle drei verzeih'n die Schuld. 

Doch Petrus, wie Johannes jpridt: 

„Did trog der Wein — du jchlugit 
nicht!“ 

„Und dennoch hieb ich dreimal drein, — 

„„So traf id, Herr, nur did allein?!““ 

Da Sieht der Herr den zagen Mann 

Ein Weilchen til und finnend an: 

„Ja“ — jpricht er drauf — „’3 ift wunder: 
lid, 

„Wer nad den Meinen zielt, trifft mich!“ 


Der Beßenstrank. 


63 war einmal vor alter Zeit — 

Die Welt war noch nicht Hug, wie heut — 
Ein König hoch in Nahren, 

Der hatt’ das Leben gar zu lieb 

Und ward aud ſchon jein Auge trüb, 

Er mochl's nicht laflen fahren, 


uns 


Er rief den Medicus heran 

Und lieh fih von dem Wundermann 
Gin Lebenstränflein brauen; 

Das trug er heimlich ftets bei ſich, 
Und tranf davon allabendlid 

Mit gläubigem PVertrauen. 


Sein Knappe war ein ſchlauer Knab' 
Der lauft’ ihm das Geheimnis ab 
Und pflegt’ vom Trank zu naſchen. 
Doch Ubermuth ift jelten Hug — 

Er lieh bei einem vollen Zug 

Sich eines Tags erhajden. 


Der König war dem Knappen hold, 
Doch lieber war, als Gut und Gold, 
Ihm dieſer Trank des Lebens. 
Gelöpft mufst’ der Verräther jein 
Und jelbjt des Königs Töchterlein, 
Sie bat und weint’ vergebens. 


Sie fajsten ihn und banden ihn, 

Da trat er vor den König bin: 

„Mir geht's nun an den Kragen — 
Dod wenn mich trifft des Henters Schwert, 
Dann hat dein Trank fih ſchlecht bewährt, 
Das mujst du jelber jagen.” 


Erſt fieht der König finfter drein, 

Dann läuft’s ihm grufelnd durchs Gebein, 
Wie leifes Todesgrauen: 

„Gebt mir den freden Burſchen frei!“ — 
Dod der, als wär's ihm einerlei, 

Thät bleih zur Erde jchauen! 


„„Und iparft du mir das Hochgericht, 
„Dein Tranf, der taugt nod immer nit — 
„Ih mujs ja dennoch fterben 


„Bor Herzeleid und Liebespein, 
„Darf ih von deinem Töchterlein 
„Ten Brautkujs nicht erwerben !“* 


Boll Ingrimm fährt der König auf, 
Schon greift er nah dem Degentnauf, 
Dann thät er fi befinnen: — 

„Ich ſeh's, mein Tränklein Wunder ihut, 
„Wo fänd’ ein Knappe jonft den Muth, 
„Ein Königstind zu minnen?! 


„Ein feder Muth ift edlen Bluts — 
„Hei! Knapp’ und Königskind, was thut's — 
„Mein Zranf, der bleibt in Ehren! 


„Spielt auf! jentt ein! und wenn Bott mag, 


„So will id erft am jüngften Tag 
„Das Ichte Gläslein leeren!” 


Wie die GKathsherren einen (Uns 
feßufdigen Benken. 


Der Herrgott hat fein Land Tirol 
Mit Berg und Burg gefeftigt wohl 
Nah Außen und nad Innen, 

Alleın die Zeit friist Berg und Thal, 
Zerlaut das Eiſen und den Stahl 
Und fegt den Staub von hinnen. 


Der Bergmwall ließ den Franzmann ein, 
Bom Burgwall brödelt das Geftein, 
Trop Schwert und Weihbrunnwedel — 
Doch was noch immer unentweiht 

Und dämm'rig, wie vor aller Zeit, 

It ein Tiroler Schädel. 


Ich weiß nit warn, ich weiß nicht wo, 
Da brannt’ es einmal lichterloh 

In allen Rathsherr'nlöpfen; 

Es ſchwitzt die ganze Schöffenſchaft, 

Um aus vereinter Weisheit Kraft 
Hilfreihen Rath zu ſchöpfen. 


Der Bürgermeifter hebet an, 

Gr redt den Kopf, jo gut er fann, 
Aus feiner Fälbelfrauje: 

„Ihr, werte Amtsgenofien, wiſst, 
„Dais dit mit Gras bewadien ift 
„Der Thurm am Gotteshauje!“ 


„In nomine sancti spiritus, 

„Wir müſſen fommen heut! zum Schlujs, 

„Wie wir's entfernen werden! 

„Entweihung liegt darin zunächſt 

„Und dann, bedenti, was drüber wädlt, 

„Entbehren unf're Serben!” 

„Ich ſag'“ — ruft einer — „mäht das 
Kraut!“ — 

„„Nein, unfer'n Schügen ſei's vertraut! 

„Ich mein’, daſs die's verftunden, 

„„Es abzuſchießen, wie es iſt —““ 

Natürlich war zu dieſer Friſt 

Das Pulver ſchon erfunden! 


512 


Da hebt ein dritter ſich bedadt: 

„Ich weiß nicht redht, wie man es madt, 
„Doch wie ich's fann ermeſſen, 

„Nath’ ich, vom Thurme lafjen wir 
„Ganz einfadh den Gemeindeftier 

„Das Gras herunterfrefien!* 


Und morgens weht ein langer Strid 

Bom Thurm herab bis ans Genid 

Dem ärniſten aller Rinder — 

„Run ſchleift ihn an!... Sol... Auf: 
gepajät!.... 

„Ihr habt nicht richtig angefafst, 

„So macht's doc, wie der Schinder!* 
„Nur zul... So redt!... Nun drauf 
und dran!” 

Die Schöffen faſſen jelber an, 

#3 dampfen alle Zungen... 

„Da jeht einmal das led’re Has, 
„Schon redt es nah dem fetten Gras 
„Heishunrig "raus die Zungen!“ 


„Nun, friist er ihon?... Zum Teufel nur, 
„Mufs man mit jolcher Greatur 
„Bottsjämmerlidh fich balgen! — 

„Raist nur nicht aus! ... Noch einen Rud!* 
Da thut der Bull den legten Zuch — 
Der Kirchthurm ward zum Galgen! 





Die Schöffen glogen dämlich drein, 

Der Bürgermeifter nur alleın 

Thät ſchnell ein Herz fih fallen: 

„Ihr Herr'n, der Himmel hat's gewollt, 
„Dais Gras dort oben wachſen jollt' — 
„Wir müflen’s wadjen lafjen!* 





Das Belößnis. 


E83 war ein Mann in Schlemmersgau, 
Der hatt’ einen Ejel und eine Frau; 
Doh was noch jonft vor mandem Fahr 
Un Hab’ und Gut fein Eigen war, 
Verzeichnet ſtund's zu jeinem Leide 

Schon längft in weißer Wirtshausfreide. 


‚Und weil denn Mann und Weib ein Leib, 
So theilte feinen Zeitvertreib 

Sein freu Geſpons und tranf, wie er, 
Bis ihre Brautihagtruhe leer 

"Und bis dem Hanımer fiel zum Raube 
Ehringelein und Spitenhaube, 


Doch eines Tages fam den Mann 
Urplöglid eine Andadt an. 

„Weib!“ — ſprach der Bauer — „hör’ 
mid nun: 

| ‚Mir wollen ein Gelöbnis thun 

„Und feierlid vor Gott veripreden, 

„Kein Stüdlein Geld mehr zu verzehen!“ 





Tie Frau, die ſtutzt, doch allgemad 
Wird auch in ihr die Andacht wad: 


„Ja“ — ſpricht fie feft und gudt ins Glas — . 


„Es wär’ denn, wir verlauften was!” — 

„„But!** — jagt der Bauer — „„ſo ſoll's 
fommen, 

Der eine Fall bleibt ausgenommen !*" 


Ta gieng ein großes Falten an, 

Nur Mil flojs aus der Branntweinlann’, 
Die Zunge jhrumpft vor Trodenheit, 
Wie Nüfe um die Weihnachtszeit — 

In Dürre will die Welt vergehen, 

Sie ftodt und will ſich nicht mehr drehen! 


Schon waren vierzehn Tag’ dahin, 

Als vor den Bauer die Bäuerin 

Hintrat und ihm drei Baten gab: 

„Sch lauf’ dir deinen Ejel ab!" — 

„„Du mir? Weib, laſs das dumme 
Schwahen!““ — 

„Mann! Wie viel Maß gibt's um Drei 
Batzen?“ — 


Da geht dem Bauer ein Lichtlein auf: 
Bei Gott! Das war ja ein Berfauf! 
„„Hör', Weib, du bift verteufelt Hug!”* 
Fort, Arm in Urme geht's zum Krug, 
Und ch’ die Woche abgelaufen, 

Thät' er von ihr den Ejel Taufen! 


Nun tanzt der Ejel hin und ber, 

Als ob's ein Glodenjchiwengel wär’; 

Am Morgen mein, am Abend dein, 

Ein Gläshen Schnaps, ein rüglein Mein — 
Und felbi der Pfarrer fann’s nicht wehren, 
Denn das Gelöbnis bleibt in Ehren, 


So gieng der Handel mandes Yahr 
Und als der Ejel geftorben war, 

Da trat die Haut an jeine Stell’! 

So wurde mit dem Eſelsfell, 

Bis dafs die zwei ins Gras gebiffen — 
"Der Durft geftillt und das Gewiſſen! 


Sicheres Merkmal, 


Ich blidte hinaus zum Fenſterlein 

Beim Morgenionnenitrahl, 

Da fah durch die Scheiben die Liebe herein 
| Zum allererftenmal! 


‚ Den lähelnden Blid, jo warn und mweid, 
Ich jah ihn noch nie vorher 

Und doch — wie fam’s? — ich mujät’ es 
| gleich, 





| Dais es die Liebe wär’! 


Doch lieh ih eine kleine Frift 
——328 das Fenſterlein, 
| 





Ich mujste, wenn e3 die Liebe ift, 
Sp ſchlägt fie die Scheiben ein! 


Robert Yamerling als Philofoph,. 


“ns 
o 


ch könnte es zur Erbauung der 
775 Fachleute wieder einmal vers 
S ſuchen, über ein Ding zu plau— 
dern, don dem ich gar nichts verſtehe. 
63 ift aber zum Glüd ein Ding, bei 
dem jeder dreinreden kann, weil es 
jeden angeht und weil es feiner fertig= 
bringt. 

Nämlih die Philoſophie. 
Bhilofophie, wie fie in ihrer doctri— 
nären Weife gelehrt wird, ift mir 
zwar zu allen Zeiten gottlos gleich- 
giltig gewejen. Wenn fie aber aufs 


ei 


drängeriſch au mich herankam, jo habe | 


ih mich über fie weidlich geärgert 
oder närriſch gewundert. Da ſoll 
bemwiejen werden, daſs ich bin, oder 


Kofegger's „Ötimgarten“* 7. Geft. XV, 


Diele | 


auch nicht bin; daſs es einen Raum 
und eine Zeit gibt, oder auch nicht 
‚gibt; daſs es eine Umendlichkeit im 
großen. und im Heinen gibt, oder 
auch nicht gibt; und fo weiter. Mit 
Verlaub, ihr gelehrten Herren, das 
ift mir alles viel zu geicheit. Bei jo 
einem Bhilofophen find mur zwei 
Dinge möglich, entweder er betreibt 
ein ſolches Studium wie ein Gejchäft, 
ohne prattiih daran zu glauben und 
'zu Halten, dann fann er troß aller 
Beweiſe für das Nichtjein fich Die 
Havanna reht wohl jchmeden laſſen; 
‚oder er nimmt es wirklich ernſt — 
dann ſchnappt er über. 

| Ih bin Halt der Meinung, ein 


33 








— 


514 


ſolches Philoſophieren Hat Für das ein bifächen von oben herab geblickt 
menjchliche Leben feinen Wert. Es auf diefen Gymnaſialprofeſſor; nun 
paſst ja nicht für unfere realen Ver- | offenbart ſich's aber, da]s der Gymna— 
hältniffe, für unfere Beltrebungen, es ſiallehrer, der zudem noch Dichter 
ift höchſtens nur geeignet, den Mens war, nicht minder grümdlich und 
ſchen miſstrauiſch oder gleichgiltig zu. wiffenfchaftlich denfen und jchreiben 
machen gegen feine geiftigen und ‚fonnte, als ein „wirklicher“ Profejlor. 
moralifhen Güter. Der vorgebliche | Der Unterfchied ijt nur, dafs Hamer— 
Drang des Menſchen nah Erforfchung | lings Stil und Ausdrudsweije einiger- 
der abjoluten Wahrheit war wohl fo maßen leichter verftändlih ift, als 
lange ein gefunder und berechtigter, | die jattfam befannte Manier, in wel— 
als man zuverjichtlich glaubte, dieſe cher unjere deutſchen Fachgelehrten 
Mahrheit einmal ergründen zu können. ihr Wiſſen darlegen, mandmal auch 
Seit dem Tage aber, als die Philo- ihr Nichtwiſſen verfchleiern. 
jophie auf den Standpunkt kam, bes Das neue Werl, an weldem 
fennen zu müllen, daſs es Für den Damerling viele Jahre gearbeitet und 
Menſchen abjolut unmöglich fei, die auf das er felbft viel Gewicht legte, 
abjolute Wahrheit zu finden, feit die- zeigt, wie der Dichter alle Bereiche 
jem Tage iſt das Streben nad ihr des menschlichen Denkens durchwandert, 
unberechtigt und unmoraliſch, weil fih mit ihnen abgefunden Hat und 
eine vergebliche Kraftverſchwendung. als urfprünglier Denker und ge= 
Ich finde es, troß Leſſings bekanntem wiſſenhafter Prüfer felbitändig ger 
Ausſpruche, einfah dumm, ein Ziel blieben ift. Alfo ift er aud nit an 
anzuftreben, von dem mir alle Ver- | jenes Ziel gelommen, an welches die 
nunft jagt: du wirft es micht er= | meiften Schüler moderner Philoſophen 
reihen, du kannſt ja auch gar nie gerathen: zum Materialismus und 
erfahren, wo es liegt oder ob es über: Pellimismus, fondern vielmehr zum 
haupt eriftiert. Die abfolute Wahre | Entgegengejeßten, des Jdealismus, der 
heit, wie alles, was der Menfch ſich Welt- und Menjchengläubigteit. 
vorftellen, wie einen Begriff bezeich- Das Werk „Atomiftit des Wil— 
nen kann, ift ja eben auch ein Ding, lens“ zerfällt in vier Bücher: Theorie 
über dejien Sein oder Nichtjein ge= der Erkenntnis. Theorie des Seins. 
firitten werden kaun. Alſo friſſt dieſe Theorie der Wirkung. Theorie des 
Art von Philofophie ſich ſelber auf. Willens. Es iſt ein vorzugsmweife pole- 
Zu ſolchen Betrachtungen Hat mich | mifches Merk, man fönntefagen, er wollte 
neuerdings ein Wert von Robert die Philofophie dur Philojophie auf: 
Damerling angeregt, welches unter | löjen. Wenn es ftellenweife der trodene, 
dem Titel: „Die Atomiftif des | rein abftract docierende Gelehrte ift, dem 
Willens.“ Beiträge zur Kritik der wir anfangs verblüfft zuhören, dann 
modernen Erlenntnis (zwei Bände) aber bewundern, jo iſt es im legten Buche 
in Damburg eben erfchienen ift. der Dichter, der Apoftel der Sittlich- 
Schon in Hamerlings Dichtungen Leit und der Schönheit, den wir lieben 
haben wirgejehen, dafs das Naive von müſſen. Scharf verurtheilt unfer Autor 
Principiellen, das Sinnliche allmählich die landläufigen Folgerungen des wiſ— 
von dem Gedanklichen überwogen wurde. ſenſchaftlichen Materialismus, 3. ®., 
Zum Dichter Hatte ih der Denker dafs der Menjch keinen freien Willen 
gejellt, und jenem wie diefem war habe, dafs er ein Thier jei und nur 
nichts Menfchliches fremd, alfo auch thieriſch Handeln könne, daſs der Be— 
nicht die Philoſophie, in welcher den | griff des Guten, des Schönen nur 
Menſchen fo viel Menfchliches paſſiert. anerzogen ſei, u. ſ. w. Mit unmider- 
Die Univerfitätsprofefjoren hatten ftets | leglichen Gründen weist er den Peſſi— 








Eee 


mismus zurüd und ſetzt den „heiligen 
Dafeinswillen“ in jein Recht. Mit 
glühender Beredfamfeit weist dieſer 
Philoſoph in dem Menfchen einen 
natürlihen Adel, einen Grad von 
Göttlichleit nad, der den Menichen 
jtrenge vom gemeinen Stoff unters 
jcheidet. Aber er fieht jelbit auch noch 
im gemeinen Stoffe die Spur einer 
ewigen, zwedbewufst leitenden Kraft. 

Bei ſolchem Standpunkte für den 
Augenblid verblüffend und leicht miſs— 
zuderftehen ift die Lanze, die Robert 
Hamerling, der Berfünder des Schönen, 
für — Zola bridt. Aber er ver- 
theidigt nicht den belannten Unflat, 
den allein Zolas Jünger mijsverftehend 
zur „naturaliftiichen Schule“ machen, 
fondern er würdigt die tiefen foctalen, 
philofophifhen und  Dichterischen 
Gründe, aus denen Zolas Werke ent- 
ftanden. Manchem wird e3 aber nicht 
möglich jein, dem Philojophen Hamer— 
ling in folder Wertſchätzung des 


| Das Wert „Atomiſtik des Willens“, 
‚welches in jeiner Art einzig daſteht, 
flingt in dem Leitmotive des „Homunz 
fulus* aus. „Wijst ihr, woran die 
Melt zugrunde gehen wird? Durd) 
das Umfichgreifen jenes vernichtenden 
Princips, da8 wir Verftand be— 
nennen. — Das Leben ift nicht auf 
Klarheit, fondern auf Dunkelheit 
gebaut. — Das geiftig wahrhaft 
Schöpferifhe, Lebendige, Göttliche 
ruht immer im Unbewufsten.” 
Durch diefe Säße zieht dermit ſchar— 
fem Berftande nad Klarheit ringende 
Philoſoph ſich Freilich das Brett unter 
den eigenen Füßen weg, aber das 
befümmert ihn nicht. Mich dünkt, 
als hätte er den weiten philofophifchen 
Meg nur unter ironischem Lächeln 
zurüdgelegt, um alle jpibfindige, un— 
praktiſche Gedanfenarbeit, die fich jo 
wichtig und weltbauend dünft, mit 
dem einen Worte zu verurtheilen: „Das 
Unglüd der Menjchheit ift der Ver 





franzöfifhen Romanſchreibers beizu- ftand; ihre Rettung ift das Ge— 


pflichten. Hat ihr doch auch der Dichter müth, 


Hamerling nicht beigepflichtet. 


ihre Seligkeit ift Die 
Myſtik“. R. 


Der Ratechet. 


Bild aus einer Gebirgsſchule. Mitgetheilt von P. R. Rofegger. 


N 


“3 
Heise und Communion waren | 


Gars borüber. Der tiefgebildte preft= 

vs Hafte Greis, welcher in feinem 
entlegenen Berghaufe die Sacramente 
empfangen, ja nun am Zifche, ftüßte 
jeinen Ellbogen jchwerfällig auf die 
Tiſchecke und ſchaute mit trüben Augen 
dem Priefter zu, der ſich labte an dem 
kleinen Mahle, welches die Leute ihm 
aufgetifcht hatten. 

Der Priefter war ein junger, hüb— 
jher Mann mit frifhem Gefichte und 
offenen, treuherzigen Augen, er ließ 
fih den Eierfuden und das Glas 
Wein wohl munden und blidte manch— 


mal auf den Greis, aber jetzt nicht 
wie ein Verzeihender auf den armen 
Sünder, fondern wie ein junger Menſch 
auf den alten, lebenserfahrenen, ge= 
prüften Mann. 

Diefer wadelte ein wenig mit 
jeinem Heinen, jchneeweißen Haupt 
und fagte "dann: „Rechtſchaffen ift’s 
mir zuwider, daj3 der geiftliche Herr 
meinetwegen fich fo oft und jo weit 
beraufplagen muſs auf den Berg, 


und jetzt gar im Winter. Aber ich kann 


halt nicht mehr Hinab, und meine 





chriſtliche Sad’ möcht’ ich doch gern 
haben.“ 


33* 


516 


„Aber, Steinbauer!” entgegnete 
der Prieiter und legte dem Alten die 
weiße Hand auf den zitternden Arm, 
„ich thue es gerne, es iſt ja mein 
Amt, und in meinen Jahren ift das 
Bergfteigen eher eine Annehmlichkeit, 
als eine Plage. Bin das gewohnt, 
ftamm’ ja auch von der Bauernſchaft.“ 

„Werden halt andere Verfehgänge 
auch jein, es ift fein gefunder Winter“, 
fuhr der Alte fort. „Denk mir oft, 
der Geiftlihe hat wohl ein ſchweres 
Amt. Zu Blatterntranten gehen, zum 
Mervenfieber! Und nachher, wenn er 
müd und matt von allerhand Gefahr 
zurüdfommt in den Pfarrhof, findet 
er die froftige Stube — niemand 
daheim! 

„Ich verftehe euch ſchon“, lächelte 
nun der Kaplan von St. Johann, „es 
iſt nicht jo ſchlimm. Daheim ift frei— 
lid niemand, fo wie Ihr meint, aber 
meine Familie habe ich doch auch, und 
eine größere als der brave Steinbauer. 
Auf langes Leben, Bater!* 

„a, ja, auf mein langes Leben!“ 
ficherte der Greis, „dafs Ihr noch recht 
oft heraufmüjst! 's ift mir halt alle» 
mal jo getröftet, wenn ich meine Sachen 
gemacht hab’ und Ihr könnt einem 
das Herz recht leicht machen mit dem 
riftlichen Zufprucd. Nicht genug fann 
ih Euch danken.“ 

Alfo ward gejprochen, bis der 
Vriefter Überrod, Hut und Stod nahm 
und ſich nach frohfriſchem Händedrud 
auf den Heimweg madte. Diejer war 
im Schnee eigentlih doch beſchwer— 
licher, als es Sich der junge Priejter 
jelber gejtehen wollte. 

Nah ftundenlanger Wanderung 
fam er im Pfarrhofe zu St. Johann 
an, hatte Zeit, ſich ein Vietelftündchen 
auszuraften, dann ſchlug die Kirchen- 
uhr Stunde zwei. Es war Zeit, in 
jene Familie zu gehen, von der er 
oben gejprochen hatte. Ein Buch nahın 
er zu ſich und Schritt wohlgemuth hinab 
zum Schulhaufe. Am Eingange be= 
gegnete ihm der Lehrer, fie begrüßten 
jich freundlih und der Lehrer jagte: 





Ich 
begreife es auch, das Rechnen und die 


„Sie freuen ſich ſchon wieder. 


Sprachlehre will unſeren Bauern— 
findern nicht immer eingehen. Kann 
ihnen nicht helfen, muj3 aud jein, 
gönne ihnen aber die Religionsitunde, 
wie Sie fie halten, vom Herzen.“ 

Als der Priefter in die Schulftube 
trat, erfcholl ein einftimmiges, helles 
„Gelobt jei Jefus Chriſtus!“ und die 
jungen Geſichter leuchteten ihm Fröhlich 
entgegen. 

„Nun, wie ſteht's, Kinder ?* fragte 
der Kaplan, indem er ſich auf feinen 
Platz jebte, „habt ihr das Hauptjtüd 
von der chriftlichen Gerechtigkeit gut 
auswendig gelernt ?“ 

„Sa, alle!“ riefen fie munter. 

„Brad, So werde ih zu Lohn 
fortfahren, euch das Leben Jeſu zu 
erzählen !* 

„Ich bitte, ich bitte!“ Hierauf viele 
Stimmen, und in der rüdwärtigen 
Bank rieb fich ein ganz Heines Mädchen 
die Hände: „Der liebe, liebe Katechet!“ 

„Wo find wir denn ftehen geblieben, 
das letztemal?“ fragte der Prieſter. 

„Wie der Herr Jefus auf einem 
Ejel in die Stadt Jerufalem einreitet!” 
gaben mehrere Stimmen an. 

„Richtig“, beftätigte der Geiftliche, 
und fuhr fort: „jebt aber, liebe Kin— 
der, fommen wir zum allermerfwürdig- 
ften Gapitel, voll Heiliger und tiefer 
Trauer. Wir haben gejehen, wie arın 
und verlaffen das Kindlein Jeſu ges 
wejen ift, wie es dom König Derodes 
verfolgt wurde —“ 

„Der falſche Herodes!“ flüfterte 
das Mädchen in der hinterſten Ban. 

„Wie feine Eltern mit ihm durch 
die heigen Wüſten ins ferne Egypten— 
land Haben fliehen müſſen, wie er 
jpäter mit zwölf Jahren ſchon ein 
recht geſcheites Büblein gewejen iſt 
und gar die hochgelehrten Männer 
überwiefen bat im Tempel. Haben 
nachher gejehen, wie der Herr Jeſus 
jich hat mit Waſſer begiegen lafjen vom 
Johannes am Fluſſe Jordan, zum 
Zeichen, daſs er reinen Herzens jei 


G (1 ed 


— 


.) 


vor Gott; wie er in der Steinwüſte | gleich einfangen und tödten laſſeſt. — 
das Hungerige Volt hat geipeist mit Der Pilatus jagt: Es wird fo ſchlimm 
wenigen Broten, wie er Kranke Hat | nicht fein, aber ich will ihn vor Ge— 
gejund gemacht und der troftlofen | richt rufen, dafs er fich ſelber verant— 


Mutter zu Naim den geftorbenen Sohn 
hat auferwedt von den Zodten. Wir 
haben gehört feine heilige Lehr, wie 
wir leben und uns gegeneinander be= 
tragen müſſen, wenn wir auf Erben 
zufrieden und nad dem Tode ewig 
jelig werden wollen. Und jehet, meine 
Kinder, diejen lieben Jejus, der vofler 


Demuth und Geduld war, voller Ges: 


rechtigkeit und Liebe zu allen Menjchen, 
und der gejagt hat: Der Armen ver: 
geſſet nicht, fie alle find eure Brüder 
und Schweitern — diefen Mann wollen 
fie jeßt peinigen und tödten.“ 

Bei diefen Worten fonnte man in 
einzelnen Bänken ein wenig ſchluchzen 
hören, und die allgemeine Aufmerkſam— 
feit war bergeftellt. 

Der BPriefter fuhr ernft und ruhig 
fort, jo zu ſprechen: „Die Wunder, 
welche Jeſus gewirkt hat, haben die 
meilten Leute für Betrug oder Zau— 
berei gehalten, weil fie es nicht glauben 
wollten, dafs er vom himmlischen Vater 
gejandt jei. Seine Lehre haben fie ges 
hajst, weil fie eine neue Lehre war 
und mit jener alten der Schrift» 
gelehrten und Hohen Priefter nicht 
ſtimmte. Und diefe Feinde haben heim— 
lich getrachtet, ihn zugrunde zu richten, 
haben es aber nicht recht anzufangen 
gewujst, weil der Landpfleger und 
Richter Pontius Pilatus nichts gegen 
die neue Lehre einzuwenden gehabt. 
Wie aber jeßt der Herr Jeſus in die 
Stadt Jeruſalem einreitet, umgeben 
bon jeinen Jüngern, wie ihm alles 
Volk zujubelt: Gelobt und gepriejen 
ſei, der da kommt im Namen des 


Herrn: und ſie Balmzweige wie Fahnen | 
in den Lüften ſchwenken — da laufen 


die Feinde Jeſu durcheinander und 


zum Pilatus: Siehft du es jeßt, wie, 


die Leute ihm folgen! Der wird ge— 
fährlich, der ftürzt dich und den Kaiſer! 
Mehe dir! Schlecht kann's dir gehen, 
wenn du den Aufrührer nicht alljo= 


worten kann. Die Freunde Jeſu haben 
gehört von dieſem Anſchlag und 
haben dem Meifter gerathen: Fliehe! 
die hohen Prieſter kennſt du ſchon, 
das find jchlimme Herren, die ruhen 
nicht, bis fie dich aus dem Weg ge= 
räumt haben werden. — Jeſus aber 
it ganz ruhig gefeilen beim Abendmahl 
mit feinen Jüngern und hat gejagt: 
‚fliehen will ih nicht, wie es ges 
ſchehen mufs, jo foll es gejchehen. Die 
grimmen Feinde fürchte ich nicht, viel 
ärger können die Freunde fein! Ach 
fage euch: Einer der Meinen wird 
mich verrathen! Da ſchauen jich die 
Sünger erfhroden an, das wäre nicht 
möglid, und einer unter ihnen, der 
Judas hieß, Thüttelte gar heftig das 
Haupt: Was das für thörichte Reden 
wären, einer der Seinen ihn verrathen! 
möchte jchon willen, wer jo jchlecht 
jein könnte! — Der jet mit mir 
in die Schülfel fährt! fagt hierauf 
Sefus, da zudt der Judas mit dem 
Arm zurüd, denn juft Hat er mit der 
Gabel ein Stück vom Dfterlamm 
aus der Schüffel ftehen wollen. — 
Bachmeier! Lajs jebt das Kribeln auf 
der Bank und pajs auf, du wirft mir 
alles wiedererzählen müſſen!“ 

Alſo unterbrach ſich der Katechet, 
und der Nachbar des Bachmeier gab 
dieſem einen kleinen Ellbogenſtoß, eut— 
rüſtet darüber, wie man nicht könne 
aufpaſſen bei einer ſo merkwürdigen 
Geſchichte! Der Bachmeier bequemte 
ſich dazu und der Prieſter fuhr fort: 

„Ein anderer Jünger, Petrus ge— 
heißen, iſt auch aufgebracht, über das 
Wort, es wäre bei Tiſche ein Ver— 
räther. — Na du, ſagt Jeſus zu 
dieſem, ſei nur demüthig! Du biſt 
auch keiner von den Berläjslichiten ! 
Ehe zur nächſten Morgenftunde der 
Hahn fräht, wirft du mich verleugnet 
haben! Petrus Hat Hierauf nichts 
‚mehr gejagt, mag aber bei jich gedacht 











5 


haben: ch erkenne ihn nicht wieder, 
jo herb ift er heute! — Jeſus bricht 
das Brot und mit freundlichem Ange— 
jicht jagt er die Worte: ch werde 
num nicht mehr mit euch eſſen und 
trinfen, bis wir beifammen an der 
Seite des himmlischen Vaters fißen. 
Wenn ihr mich haben wollt und mir 
etwas Gutes thun, jo thut es den 
Armen. In eneren armen, geringen 
Mitbrüdern und Schweitern bin ich 
immer bei eudh. Und wenn ihr zum 
Ofterfefte Brot und Wein genießet, 
jo denfet an mid. Es ift mein Fleisch 
und mein Blut. — Das haben fie 
freilih nicht verftanden. Nach dem 
Abendmahle gehen jie Hinaus auf den 
Ölberg. Es ift eine wunderſchöne 
Eternennadt und alles voller Frieden 
ringsum. Die Blumenkelche des Früh— 
lings duften, und vom Thale herauf 
rauscht der Bach Kedron. Den Jüngern 
iſt ums Schlafen und Jeſus jagt zu 
ihnen, fie möchten nur ruhen, wer 
weiß, was der nächte Tag bringen 
würde. So legen fie ſich unter Ol— 
bäumen Hin und Ichlafen ein. Der 
liebe Jeſus fißt auf einem Stein und 
fügt fein Haupt auf die Hand, er 
fann nicht Schlafen, es ift ihm bange. 
Schweißtropfen ftehen ihm auf der 
Stirn. — Er hat ja fein böjes Ge- 
willen, hat alles vollbradt, was ihm 
jein himmliſcher Vater aufgetragen. 
Alles? Das legte bleibt noch übrig, 
das Sterben. Und deswegen zittert 
jein ſchwaches Fleiih. Er fniet hin 
auf den Stein, bebt die Hände 
gegen Himmel und ruft: Vater, es 
ift hart! Ich hätte es nicht gedacht, 
dajs dieſer Menfchenleib jo heiß am 
Leben ſollt' bangen! Wenn's möglich 
ift, jo laj3 mich noch leben. Schütze 
mich mit deinen Engeln vor meinen 
Feinden, die ſchon aus find nach mir, 
Wenn's aber jein muſs, fo ergebe 
ih mich in deinen Willen, — Alles 
iſt ſtill geweſen nad diefem Gebet. 
Eine Sternichnuppe fällt nieder dom 
Himmel. — Jeſus steht auf, thut 
einen ſchweren Seufzer und jagt: Es 


| 





Zain, 2 


— 


muſs geſtorben ſein für die Sünden 
der Welt, Meine Lehre mujs ih auch 
mit den Zode befennen und mein 
unſchuldiges Blut foll ihr Merkmal 
jein. — Diemweilen Jeſus Jo ganz allein 
ift mit feiner AUngft und mit feiner 
Ergebung, Hat auch Judas nicht ges 
ſchlafen. Er jchleicht fi fort von den 
Süngern, Hin gegen die Stadt und 
denkt bei fih: Den Meifter habe ich 
recht lieb, aber Geld Hätte ich noch 
lieber. Mit dem Meifter kann man 
Unglüd haben, denn es fteht jchlecht 
mit jeiner Sache; mit Geld aber kann 
man alles faufen, was das Herz ver- 
langt, auch gute Werke damit ver— 
richten, jo gleicht ſich's wieder aus. 
Ich will Hug fein. — Aus dem Stadt- 
thore fommt eine Rotte von Kriegs— 
fnechten, jie fuchen den Aufrührer Jefus. 
Judas huſcht zum Hauptmann, der 
fie führt und zifchelt ihm zu: Ich 
weiß, wo er ift. Was wollt ihr mir 
geben, wenn ich es jage? — Dreißig 
Silbermünzen! Ganz neu geprägt mit 
dem römischen Kaiſerkopf. Der Haupt- 
mann hält jie hin in der hohlen Hand, 
die Sterne der Nacht funfeln in den 
Münzen. Judas erhafht fie mit gie= 
tigen Fingern und jagt: Kommt nur 
mit mir! Ganz leife! Auf den Olberg ! 
Es find ihrer mehrere. Einen werde 
ich füllen, der ift es. — Bachmeier!* 
unterbrach ſich der Katechet, „ich jage 
es dir zum leßtenmal, wenn du nicht 
aufmerfit, jo wirft du mir bi morgen 
aus dem Katehismus das zweite Haupt— 
ftüd auswendig lernen!” 

Diefe Drohung wirkte, und der 
Priefter konnte in feiner Erzählung 
fortfahren. 

„Der liebe Jeſus fteht noch da 
und Schaut betrübt hinab auf die Stadt 
Jeruſalem, da kommen im Dunfeln 
Leute herangeſchlichen. Einer davon 
geht zu ihn, ſagt: Spät bift noch 
wach, Meiiter! und küſst ihn auf die 
Wange. Jeſus wendet fi von ihm 
ab, den Kriegsfnechten zu, und ruft: 
Man Hat euch ausgeichidt, um mic 
zu fuchen, da bin ich. Dann haben jie 





ihm die Hände gebunden. Im Lärm 
der Waffen wird Petrus wach und 
wie er merkt, was da vorgeht, ſpringt 
er herbei, reißt einem Knecht das 
Schwert aus der Scheide und mill 
ihm damit den Kopf fpalten. Freilich 
hat er als Filher das Dreinhauen 
nicht gelernt, haut dem Knechte mur 
das Chr weg. Gibt ihm Jefus einen 
Verweis, was er fi dreinzumijchen 
habe? Wollte der himmlische Bater ihn 
befreien, jo hätte er ſchon jelber Mittel 
dazu. — Da macht ſich Petrus davon. 
Den lieben Jeſus aber haben fie Hinab- 
geführt in die Stadt zu den hohen 
Brieftern und Richtern, gar bei nacht» 
Ichlafender Stund. Der falſche Judas 
Ichleicht ihnen nad) und fragt einen: 
Was wollen fie denn mit ihm machen? 
Ja, antwortet derjelbe, der fommt 
ihnen gerade vet für das Dfterfeft, 
der wird gefreuzigt. Da ift der Judas 
freilich erjchroden, jebt ſieht er erft 
ein, was er augeftellt hat, kann's aber 
nicht mehr ändern. Er fchleudert die 
Silberftüde von ih: Ih braud es 
nicht, das verfluchte Geld! geht hinaus 
in den Hain umd erhängt jich an einem 
Baum.” 

Dem Mädchen in der Hinterjten 
Bank wurde unheimlich, es jchleicht, 
den Finger im Mund und mit er- 
Ihrodenen Augen, jebt zum Statecheten 
heran und fauert ſich vor demfelben 
auf den Boden hin. 

„Du kannſt Schon dableiben, feine 
Agnes Rainegger, muſst mir aber den 
Finger aus dem Mund thun, weil er 
nicht hineingehört.“ Alſo der Katechet, 
das Dirndl willfahrte und ſchmiegte 
ſich voll Aufmerkſamkeit und Andacht 
an die Füße des Prieſters. 

„Und wie iſt es mit dem lieben 
Jeſus weiter geweſen?“ fragte einer 
der Knaben. 

„Ja meine Kinder“, fuhr der Ka— 
techet fort, „den lieben Jeſus haben 
jetzt ſeine Feinde herumgeſchleppt von 
einem Hohen Herrn zum anderen, Und 
dieweilen dieje aus dem Bett fteigen, 
haben allerhand zufammengelaufene 


Leut, auch folche, die ein paar Tage 
früher ihm zugejubelt mit Palmzweigen, 
ihn verfpottet und verhöhnt. Bei! 
jagt einer, du bift ja der Juden— 
fönig, wie man hört! Könige müſſen 
doch eine Krone haben! Aus Dorn= 
heden flechten Jie eine Srone und 
preſſen fie ihm aufs Haupt. Das 
fönigliche Scepter auch! ſchreit ein 
anderer, und gibt ihm ein jchlechtes 
Schilfrohr in die Hand. Und gejalbt 
muſs er fein! johlt ein dritter, 
darauf fpeit er ihm ins Angelicht. 
Dann find fie über ihm Her, Haben 
ihn geftogen und gejchlagen, bi3 der 
Richter Pilatus endlich ‚Befehl gibt, 
fie follten den Angeflagten vorführen. 
Jeſus fteht mit gebundenen Händen 
demüthig vor ihm und jagt alles, was 
er gelehrt und vollbracht. -—- Wie das 
geichehen ift, Äpricht Pilatus zu den 
Anklägern: Was wollt ihr denn mit 
diefem da? Was hat er den Schlechtes 
gethan? Seht doch, wie er voller Blut 
und Wunden ift! Habt ihr ihn nicht 
Ihon mijshandelt genug? iſt euere 
Rachgier noch nicht befriedigt? — 
Oftern iſt! rufen fie, wir wollen 
nach altem Brauch einen am Kreuze 
jehen! — Gut, ſagt der Pilatus, 
da hab ich einen anderen im Kerker, 
einen Näuber und Mörder, der be- 
rüdhtigte Barabbas, den könnt ihr 
haben! Nein, nein! lärmen 
alle, den Barabbas kannſt freilaſſen, 
diejen Jeſus wollen wir am Kreuze 
jehn! Einen folhen Haſs kann nun 
Pilatus garnicht begreifen. Jetzt ſchickt 
auch jein Weib zu ihm und läjst jagen: 
Lieber Mann, thu' diefem Menfchen 
nichts zuleid, es ift etwas Bejonderes 
mit ihm, ich Hab Heut die ganze 
Naht von ihm geträumt. In leuche 
tendem Gewand ift er durch die 
dunkle Vorhölle gegangen, Hat die 
Voreltern erlöst und hinaufgeführt 
ins Paradies. — Spridt Pilatus 
wieder zum Wolfe: Ach finde nichts 
Böjes an dieſem Menjchen. Aber die 
Leutmenge lärmt: Aus Kreuz mit 
ihm! Ans Kreuz mit ihm! Und weil 


520 


fie Schredbar jchreien und wild find, 
und die Schriftgelehrten und Hohen— 
priejter das Volk immer noch aufheben, 
meint der Pilatus, es könnte ein Auf— 
ruhr entitehen, fie fönnten Feuer werfen 
in feinen Palaft. So nimmt er den 
Stab, bricht ihn entzwei und wirft 
die Stüde dem armen Jeſus vor die 
Füße. Und das bedeutet joviel: jeßt 
bift du verurtheilt zum Tode! — 
Dann taucht der Pilatus feine Hände 
in eine Schale mit Waſſer, als ob er 
die That abwaichen wollte, und ruft 
in das Bolf hinab: Ich fage euch, 
er ift unſchuldig, aber macht mit ihm, | 
was ihr wollt! — Kinder, was jagt‘ 
ihr zu einem ſolchen Richter ?” 

Von den Kindern waren nad) und 
nach mehrere aus ihren Bänken ge= 
treten und hatten ſich rings um den 
Katecheten hingeſetzt. Dort knirſchte 
nun ein Knabe mit den Zähnen: 
„Dieler Pilatus iſt noch Schlechter wie 
der Judas!“ 

„Ganz richtig“, ſagte der Katechet, 
„die anderen ſind von der böfen 
Leidenschaft verblendet geweſen, Pila— 
tus bat aus reiner Feigheit der 
Volksmenge zulieb ein ungeredhtes 
Urtheil geiprochen. Wer mit kaltem Her— 
zen jo kann jündigen, der iſt gottver- 
laffen ganz und gar. Aber jchaut, liebe 
Kinder, feiner, und wäre er noch jo 
tugendhaft, joll jich übernehmen. Pe— 
trus war gewiſs einer der frömmiten 
Jünger des Herrn, und was geſchieht? 
Wie er am Dlberg nach der Gejchichte 
mit dem Ohr, wegen der er ih arg 
geihämt haben wird, dem gefangenen 
Meiſter von weitem nachgeht, und 
jeßt im Hof des Richters heimlich jo 
herumfchleicht, ruft ihn auf einmal 
eine Magd an: Was machſt denn 
du da, fremder Menih? Gehörſt 
vielleicht auch zu Ddiefem Verbrecher , 








Jeſus, den fie Freuzigen werden ? 
Und Petrus antwortet in feiner 
Angft vor dem Weibsbild: Was 





füllt Euch ein ® Ach zu diefem Men» 
Shen gehören ? Ich kenne ihn gar 
nicht. Das Wort ift faum geſprochen, 


jo kräht ein Hahn. Da füllt dem 
Petrus das MWort des Meiſters ein: 
Du wirft mich verleugnen, bevor am 
nächſten Morgen der Hahn kräht! — 
Den geliebteften Menſchen auf Erben 
bat er verleugnet! Das ſchmerzt den 
Mann jo tief, daſs er hinausgeht auf 
die Gaſſe und anbebt, bitterlih zu 
weinen. Boll tiefer Reue ift er ge— 
wejen, hat aber nicht den Muth gehabt, 
noch einmal hineinzugehen und fich zu be— 
fennen. — Seht, meine Kinder, jo 
ſchwach find jelbft die Jünger ges 
wejen, bevor, als fie ihren Meiiter 
haben fterben ſehen. Erjt fein Tod 
hat fie aufgewedt und erlöst von den 
jfündigen Banden, Und wie joldes 
zjugieng, das wollen wir das nächſte— 
mal hören,” 

Kaum der Katechet jo geſprochen 
hatte, entitand ein Aufruhr unter den 
Kindern, und er mujste auch nod 
den Reſt der Stunde der heiligen Ge— 
ſchichte weihen. Alfo fuhr er fort: 

„Das Kreuz ift ſchon gezimmert 
gewejen, ein großes, Hohes Kreuz. 
Und ſolches Haben fie nun dem lieben 
Jeſus auf die Achjel gehoben, dafs er es 
jelber jollte hinausſchleppen vor das 
Stadtthor auf den Felshügel, wo 
die Miljethäter Hingerichtet wurden. 
Geduldig hat er das Kreuz gehalten, 
aber dreimal ift er unter der ſchweren 
Laft zu Boden gefallen und in diefem 
Jammer ift ihm feine Mutter Maria 
begegnet. Ihren gefangenen Sohn 
wollt’ jie ſuchen und Fo bat fie ihn 
wieder gefunden. Einen einzigen 
traurigen Blid wendet er nad ihr 


und Sagt: Mujst nicht weinen, 
Mutter, der himmliſche Vater will 
es 1: NER 


Meiter fonnte der Priefter nicht 
ſprechen. Denn mehrere finder Huben 
an zu Schluchzen und ihm felber wollte 
die Stimme verfagen. Nah einer 
Meile fprah er: „Man mufs auch in 
Beratung jeines Leidens und Ster— 
bens tapfer jein, Kinder, Ich will 
ganz kurz erzählen bis dahin, wo die 
heilige Ofterfreude anhebt, damit ihr 





im fühen Frieden nachhaufe gehen | det Jefus das mit Dornen gefrönte 
könnt. — Ein weltfremder Menfch | Haupt und, felber in Schmerzen ver- 
hat ihmendlich das Kreuz müſſen tragen | gehend, jagt er: Sei getröftet, reu— 
helfen. Wie fie Hinaustommen an den | müthiger Menſch, Heute noch werden 
Ort, der die Schädelftätte heißt, weil | wir zuſammen bei unferem Vater im 
immer Todtenjchädel der Hingerichteten | Himmel fein! Die Bollsmenge be— 
dort herumgelegen find, da haben ihm Tuftigt jih an feiner Bein und höhnt 
die Henkersknechte gleich das Gewand [ihn laut; er folt! nur herab 
vom Leibe gerifien. Das gehört nad) | fteigen vom Kreuz, ſchrien fie, er fei 
altem Brauch den Henterstnechten, ja der Sohn Gottes. Jeſus blidt 
aber weil ihrer ja mehrere find und empor und jagt: Hab Erbarmen 
fie den Rod nicht zerfchneiden wollen, | mit ihnen am Zage des Gerichte: ; 
jo jpielen fie ihn aus. Diemeilen | fie willen nicht, wie fchleht es iſt, 
noch die Mürfel follern auf dem Ge= was fie thun. Dann Schaut er nieder 
ftein, hört man ſchon den Hammer zu feiner ohnmächtigen Mutter und 
Hingen an den Nägeln. Der liebe 


521 





Jeſus liegt auf dem Kreuze aus 
geftredt! die langen Nägel werben 
geihlagen dur feine Hände und 
jeine Füße. Ein tiefer Seufzer aus 
feiner Bruft, eine Thräne im milden 
Aug’ ....— Weint, Kinder, weint euch 
nur aus. Diejes fein Gekreuzigt— 
werden erlebt ihr heute, daſs es euch 
ein Gedähtnis bleibe in allen Ge— 
fahren und Leiden dieſes Lebens.“ 
Denn die Kinder weinten alle. 
Nach einer Zeit fuhr der Prieſter 
fort: „Mit Stangen und Striden 
haben fie es hernach aufgerichtet, das 
hohe Kreuz, und in eine Steinkluft 
geitellt, dajs es iſt dageltanden wie 
ein Baum. Und daran hängt eine 
Menfchengeftalt, ſchön und noch jo 
jung, und von den Nägelwunden der 
Hände und Füße rinnt das Blut 
herab. Die Seinigen haben die Furcht 
überwunden, find  berbeigelommen, 


tehen herum unter dem Kreuze, find | 


ſprachlos vor Schred und Schmerz und 
die Henfersfnechte Halten Wacht. Zur 
Zeit find auch zwei Übelthäter ge= 


freuzigt worden auf der Schädelftätte, 


und jo hängt der bejte, der heiligite 
aller Menjchenjöhne zwijchen Mördern, 
wovon ihm der eine zur Linken höhnt: 
Wenn du don Gott bift, jo Hilf uns 
jet vom Marterholj! Der zur 
Rechten ift demüthiger und fagt: 
Wenn du zu Gott fommit, jo er: 
barme dich meiner! Zu diejem wen— 


ruft den Jünger Johannes: Führe 
fie weit vom Kreuze hintan, tröjte, 
füge fie wie ein Sohn die Mutter! 
Sein Leib bebt, im heißen Todes— 
fampf ift fein Gaumen troden. Dur— 
fig! Durftig! ſtöhnt er. Ein Kriegs— 
net will ihn laben, taucht einen 
Schwamm in Eſſig und langt ihn 
durch eine Stange Hinauf. Jeſus 
wendet fein todtenblaſſes Angeſicht, 
jein bredendes Auge zum Himmel, 
‚und im Ubermaße der Bein ruft er 
mit lauter Stimme: O mein Gott, 
warum haft du mich verlaffen?! — 
Wie er dieſe herzzerreigende Klage 
dat ausgeſtoßen, geht ein Zuden 
durch feinen Leib, mit ſchwerem 
Seufzer ftöhnt er noch: Es iſt 
vollbracht ! fein Haupt ſinkt 
auf die Bruſt“ .... Nach einer Weile 
ſetzte der Katechet leife bei: „Und 
ſo ift unſer Heiland Jeſus Ghriftus 
geſtorben.“ 

Die Kinder waren ſo athemlos 
‚fill, dafs man meinte, man müſſe 
die Fittiche des Engel® hören, der 
‚durch das Zimmer jchwebte. 

„Liebe Kinder“, ſagte der Geiſt— 
‚lie, „wenn für eud einmal die 
Stunde des Sterbens kommt, dann 
Hammert euer angitvolles Herz an 
‚den Gekreuzigten. Wenn ihr in treuer 
‚ Pflichterfüllung, in Geduld und Opfer— 
willigfeit, in Wahrhaftigkeit und 
Gerechtigkeit feine Lehre befolgt habt, 
‚dann braucht ihr das Sterben nicht 





> 


zu fürdten. Denn voller Glüdjeligfeit 
fann ih euch verlünden: Es gibt 
feinen Tod. Alle Entichlafenen ftehen 
wieder auf zum ewigen Leben. — 
Dafür bürgt uns dag, was ih noch 
zu erzählen habe.“ 

Die Kinder ſchauten mit gerötheten 
Wangen, mit leuchtenden Augen voller 
Spannung auf zum Briefter. Diefer 
fuhr fort: 


„Als Jefus am Kreuz verſchieden 


war, da iſt es auf einmal dunkel 
geworden über dem Erdkreis. Alle 
Zweige am Olberge haben gezittert, 
alle Blumen im Garten Gethſemani 
haben ihr Haupt geſenkt; der Bad 
Kedron Hat nicht mehr geraufcht, ift 
ftehen geblieben wie ein Ziümpel. 
Kein Vogel Hat gefungen und am 
Dimmel find trübe Sterne gejtanden 
mitten im Tage. — Da jind die Leute 
blaf3 geworden und einer hat zum 
anderen gejagt: Was bedeutet das? 
Am Ende ift er, den fie gefrenzigt 
haben, wirklih der Gottesjohn ge— 
wejen! — Jetzt hebt es an zu rollen, 
zu donnern unter der Erde, frachend 
ipalten jih auf der Schädelltätte die 
Felſen und aus den Klüften fteigen 
langjam und im weißen Gemwändern 


2 


—J 


2 
- 


Herren Jeſus geiehen. Schön und in 
der Jugendblüte, aber die Wund— 
male an Händen und Füßen, jo ſei 
er ernftfreundlich unter den Palmen 
gewandelt. — Obzwar alle Weis 
jagungen verkündet, er werde wieder 
auferſtehen, wollten fie es doch nicht 
glauben. Da, eines Abends, als jie 
beiſammen ſind und in Trauer und 
Sehnſucht von ihm ſprachen, ſteht er 
ganz plötzlich unter ihnen und ſagt 
voller Liebe: Erſchrecket nicht. Ich 
bin es. Ich bringe euch den Frieden, 
den die Welt nicht hat. Geht hinaus 
in die Länder der Erde und ver— 
fündet allen Bölfern meine Lehre 
und meine Verheißung. — Mein Leib 
geht nun zum Himmlischen Bater, 
mein Geift bleibt bei euch bis ans 
Ende der Welt. 

Alfo ift es gefchehen. Und Die 
Jünger des Herrn haben aller Orten 
jeine Lehre verkündet. Und denen, 
die fie in Demuth und mit Fleiß bes 
folgen, ift die Auferſtehung von den 
Todten und im Himmel das ewige 
Leben verheißen.“ — — — — 

— Aufden Thurme zu St. Johann 
ſchlug die dritte Stunde. Der Katechet 
erhob Sich, betete mit den Kindern 








die Leiber längit begrabener Men- langſam und feierlich das Vaterunſer 
ihen. — Raſend vor Schred laufen | und dann jagte er: „Nun nehmet 
die Leute durcheinander und föhnen: | euer Übergewand und geht ruhig nad 
Die Zodten ftehen auf. Er ift es hauſe. In der nächſten Stunde 
gewejen! — Gegen abend, als e3 | werden wir das Dauptftüd von der 
wieder geworden war auf Erden, wie | chriftlichen Gerechtigleit vornehmen aus 
es jeden Tag geweſen, ift es den Jüngern | dem Katechismus.“ 

Jeſu erlaubt worden, den Leichnam Die Schullinder giengen in Grup— 
von Kreuze herabzunehmen und ihn pen davon, theils beſprachen fie noch das 
zu begraben. Sie legten ihn im ein Gehörte und im Evangeliumbud, das 
Felſengrab, wo bisher noch fein Leich— ' lie in der Schultafche Hatten, wollten 
nam gelegen war, wälzten einen ſie noch einmal nachleſen darüber, was 
Ihweren Stein davor und als die ihnen erzählt worden war. Etliche 
Kriegsinechte famen, um das Grab Jungen Huben freilih an luſtig zu 
zu bewachen, giengen die Jünger in hüpfen — wozu denn ernthaft fein, 
ihre Häufer heim und waren unaus- da doch alles jo gut ausgegangen ift! 


ſprechlich betrübt. — Und jetzt höret 
weiter, Kinder. Als nad diefem Er— 
eigniſſe die Sonne zweimal unters 
und aufgegangen war, braten zwei 


Jünger die Botjchaft, fie hätten den 


Nur das Heine Mädchen aus der 
Hinterbant, die Agnes Nainegger, 
gieng, forgfältig in ihr großes Umhäng- 
tuch gewidelt, ganz allein und in lich 
veriunfen, hinterher, Am Wege fanerte 


age > 
Hrn 
5 * 
» 


im Schnee ein armes Weib mit einem | 
Dad | 


in Lumpen gewidelten Kinde. 
Mädchen löste raſch fein wollenes Um— 
hängtuch vom Leibe, lief Hin, warf 
e3 dem armen Weibe zu und eilte 
ftillvergnügt nachhauſe. 

„Agnes! Wo Haft du denn heute 
dein Zuch gelaffen ?* ruft ihr die 
Mutter entgegen. 

„Das Habe ich dem lieben Jeſus 
geſchenkt; antwortet die Kleine nicht 
ohne Befangenheit. 

„Was find das für Gefchichten ?" 

„sa“, jagte das Mädchen leiſe, 


Eine Abhandlung über 


„der Fetzen-Threſel habe ich's gegeben, 
Meil halt der liebe Jeſus gejagt hat: 
Was ihr den Armen gebt, das gebt ihr 
mir. Die Mutter nahm ihr Töchter» 
fein und füjste es vor Freuden. — 

AS zu Ende des Schuljahres die 
Religionsprüfung war, fragte der 
Dehant unferen Satecheten, wie er 
den Unterricht vertheile ? 

„De eine Stunde in der Woche 
Katechismus und je eine Evangelium.“ 

Der Dechant jchüttelte ein wenig 
da3 Haupt, ſagte aber nichts 
weiter, 


die Zortfhritte unferes 


Sahrhunderts. 


2 


Hs der junge, gejcheite, fleißige 
"sagund idealiftiiche Student Peter 
7, Oberleitner fich in die Hochſchule 


aufnehmen ließ, im die philofophijche | 


Facultät, Hatte ex folgende Aufgabe 
erhalten: „Es ift eine Abhandlung zu 
jchreiben über die Fortjchritte unſeres 
Jahrhundert3 und deren Wirkungen 
auf die menschliche Cultur.“ 

Der Student gieng tapfer ans 
Werk, er jchaffte daran mit gewohnten 
Fleiße mehrere Tage, indem er ein- 
Ihlägige Schriften auffehlug, deren 
Inhalt mit großem Gejchid verarbeitete 
und dann nad eigenem gründliche 
Denten die Folgerungen daraus zog, 
ji dabei weniger an die Realität des 
Lebens haltend, als vielmehr an die 
Folgerihtigkeit der Ideen, wie folche 
in feinen bisherigen Studien geübt 
worden tar. 

Die Arbeit wurde demnach auch 
ganz ausgezeichnet, der Verfaſſer ſollte 
fie im Collegium vorlefen und der 
Profeſſor ftellte denjelben ſchon im vor— 
hinein den Abdrud im „Jahresbericht“ 
in Ausficht, falls fie dafür tauge. 


Die Abhandlung lautete aljo: 

„Die Yortichritte der Menjchheit 
in dieſem neunzehnten Jahrhunderte 
jind fo enorm groß, daſs man die 
Fortichritte der früheren Jahrhunderte 
damit kaum vergleihen kann. Früher 
hat ein Jahrtaufend nicht jo viel ge- 
‚leitet, als dieſes Jahrhundert voll— 
brachte; eine einzige der modernen 
Erfindungen oder Entdeckungen wäre 
ſtark genug, um einem ganzen Jahre 
Hundert die Signatur aufzudrüden. 
Ih will von den Erfolgen der Technik 
gar nicht Sprechen ; dieſelben jprechen 
für fi. Innerhalb weniger Tage machen 
wir heute große Reifen, zu denen man 
früher monatelang gebraucht hat; in 
‚wenigen Minuten fliegt unfere Nach— 
richt, unfere Anordnung um den ganzen 
Erdball, wir erſparen aljo jehr viel 
' Zeit und können die erfparte Zeit zur 
‚Ruhe, Beichaulichleit oder irgend einem 
Seelengenufje anwenden. Und wenn id) 
die großen Humanitären Erfindungen 
der gewaltigen Zerſtörungsmaſchinen, 
‚des rauchlojen Pulvers, des Donamits 
‚u. ſ. w. erwähne, jo jeht ihr alle 














Zu. | 


524 


den ewigen Völkerfrieden ſchon gelichert. Jund wir find jeuchenfrei, ja damit 


— Und die Induſtrie der Neuzeit, 
welch erziehliche Rolle Hat fie über- 
nonmen! die Induftrie Hat neue Bes 
dürfniffe gefchaffen, und je mehr Bes 
dürfniffe ein Menſch hat, deſto mehr 
Cultur Hat er, deſto vollkommener iſt 
er. Der Wilde braucht eine Hütte 
und ein Fell und begnügt ſich mit 
roher Nahrung; je mehr er braucht, 
deſto mehr iſt er Menſch. Ein Menſch, 
der Waſſer trinkt, ſteht in der Cultur 
niedriger, als einer der Champagner 
trinkt. Ein Menſch, der auf der Holz— 
bank ſchläft, iſt unvollkommener, als 
einer, der auf Seidenbetten ruht. Mit 
den Bedürfniſſen ſteigert ſich die Ar— 
beitskraft und wer mehr braucht, als 
er erwerben kann, der macht Schulden, 
ſteht alſo auf der Stufe hoher menſch— 
licher Vollendung. Schmach dem Mittel: 
alter mit jeinem Schuldenarreit! Der 
lihten Neuzeit war es vorbehalten, 
ſolch ſchändliche Inſtitute zu zer— 
trümmern! 

Welch wunderbare Entdeckung hat 
in der Aſtronomie, in der Aſtrophyſik 
die Spectral-Analyſe gemacht! Wir 
kennen nun die Körper und Stoffe 
der Geftirne und es wird gewiſs in 
fürzefter Zeit dazulommen, diefe Stoffe 
auch praktiſch auszunützen. In der 
phyſikaliſchen Wiſſenſchaft iſt die Ent— 
deckung des großen Princips von der 
Erhaltung oder Unſterblichkeit der 
Kraft gemacht worden, alſo dafs ſozu— 
jagen der Tod überwunden ift und mit 
einiger Vervollkommnung und prak— 
tiſcher Ausnützung der Willenfchaft die 
irdischen Weſen ewig leben werden. Und 
ſollte in nächiter Zeit ſchon diefe berech— 
tigte Hoffnung nicht in Erfüllung gehen, 
fo hat die Medicin wenigftens die Krank— 
heiten und Krankheitsſtoffe kennen ge— 
lernt, an denen wir ſterben müſſen. Durch 
Abklopfen und Abhorchen der Bruſt 


faſt aller Krankheiten los und ledig. 
Die neuen Forſchungen der Geo— 
logie haben uns z. B. mit den Ur— 
ſachen der Erdbeben bekannt gemacht, 
ſo daſs wir in der Lage ſind, die ver— 
heerenden, ſo unermeſsliches Unheil 
bringenden Erdbeben zu vermeiden, 
wenn wir die Urſachen, die in den 
Geſtirnen, in der Ebbe und Flut 
oder auch im Erdinnern liegen, auf— 
heben. Die Anatomie hat durch die 
Begründung der Zellenlehre die innere 
Einheit der geſammten Lebewelt nach— 
gewieſen, dadurch auch die Urzeugung 
ſichergeſtellt; wir kennen alſo den 
ganzen Proceſs von Anfang an ganz 
genau und ſind gewiſs in wenigen 
Jahren vermittelft der Chemie in der 
angenehmen Lage, beliebige Lebewejen 
jelbft zu erzeugen und durch rationelle 
ſtunſtzüchtung raſch zu entwideln, To 
daj3 wir nicht erft warten müſſen, 
ob etwas und was auf dem lang= 
weiligen Wege, der bisher beliebt war, 
wachſen oder nicht wachſen will. 
Den unleugbar größten Fortichritt 
jehen wir in der Biologie, in der 
Entdedung des Gefeges der Vererbung. 
Mit dem albernen Sittengejeße iſt's 
num vorbei; das Mejen ift, wie es 
jein muſs, der Menſch it, wie er 
jeinen VBorbedingungen nad fein muſs, 
er fann nicht anders fein, als wie die 
unzähligen Zufälle der Borzeit ihn 
vorbereitet, gemacht haben, er hat feinen 
freien Willen, kann alfo auch nicht 
verantwortlich fein für feine Thaten, 
und die gefündefte Bethätigung feines 
Lebens ift, wenn er nur auf feinen 
perfönlihen Vortheil fieht und alles 
was ihm in feinen Kampf ums Da— 
jein etwa binderlich fein könnte, kurz— 
weg vernichtet. Durch dieſe Entdedung 
ift das Menſchengeſchlecht vorurtheils— 
los geworden und damit — ich brauche 


zum Beifpiele fann man die ichönfte | es wohl faum zu betonen — der 
Lungenſucht unwiderleglich feitftellen, | größte Sieg des menschlichen Geiftes 
und den Wert der Bacillen für die errungen. Dajs wir die Schöpfung, 
Medicin zu beweifen, braucht es wohl die Gottvorftellung, das Jenſeits in 
feiner Worte mehr. Tödtet die Bacillen, das Reich der Phantafie und Sage 








werfen fönnen, welch gewaltige Er> 
rungenjchaft des menschlichen Geiſtes! 
— Und nod) mehr: es gibt gar feinen. 
menschlichen Geift, e8 gibt nur Nerven, ' 
e3 gibt nur eine Thätigfeit der Or— 
gane, der Beſtandtheile, jo wie beim, 
Thiere, jo wie bei der Majchine. Der 
Menſch ift eine durch fich aneinander: | 
reihende Zellen und Keimbläschen ge- 
wachlene Mafchine, und er nimmt in 
dem Zeitalter der Majchinen den eriten | 
Pla: Nr. 1, ein. Weld ein erhe— 
bendes Gefühl, das unſere armen, | 
unglüdlihen Vorfahren nicht gefannt 
haben! Darum ein Hoch dem Yort- | 
Ichritte des Jahrhunderts, ein Ho 
den Erfindungen und Entdedungen, 
ein Hoch der Wiſſenſchaft!“ 

Der Student Peter Oberleitner | 





‘hatte gelejen, 


Nun wendete fich der 
Profeſſor etwas unfiher zu ihm und 
fragte: „Das ift Ihre Arbeit?“ 
„Jawohl!“ antwortete der Student 
im ftolzen Bewujstjein der Leiftung. 
, „Schön*, jagte der Profeſſor. 
„Übrigens, im Jahresbericht wird 
Ihre Abhandlung einftweilen nicht er— 
iheinen. Die Seguungen des Fort— 
Ichrittes find zwar fehr groß, aber 
es iſt doch beffer, wenn nicht jeder 
drum weiß. — Ihnen, lieber Herr 
Oberleitner, nur eine Heine Frage: 
Glauben Sie das alles, was Sie 
bier zuſammengeſchrieben haben?“ 
„Jawohl, Herr Profeſſor!“ 
„Warum ſind Sie mit Ihrem 


gläubigen Gemüthe nicht gleich beim 


alten Glauben geblieben?“ H. M. 


Die Cigarre. 


Bon Zriedrid Hofmann, 


SA 
[7 


er Jean Paul noch nicht ver⸗ 


AR geſſen Hat, kennt jeine ſchöne 
Erzählung: „Die unſichtbare 
Loge.“ Guſtav, der Sohn des Ritt- 


meiſters von Falkenberg, wird in einer 
unterirdiſchen Loge des Schloſsgartens 
ſeines Vaters das erſte Jahrzehnt 


‚hat, 
borgen bleiben. 


' geordneten Zwede zuführte, nicht lejen 
fonnte, oder ob er das Gejchriebene 
für das Gefajel eines Thoren gehalten 
das wird uns immer ver= 


Ich Halte die Auffchreibungen 
Guſtavs aber für mittheilenswert, jo 


jeines Lebens erzogen. Hierauf brachte | jonderbar feine Gedanken auch einem 
man ihn an die Oberfläche diefer von der fortgefchrittenen Civiliſation 
Erde, die ihm nun wie der Himmel | unferes Jahrhunderts erfüllten Men— 
erfchienen wäre, wenn fie nicht anftatt | fchen vortommen mögen oder müſſen 
der Engel Menjchen zu Bewohnern | und biete hier, was ich habe ent— 
gehabt hätte. Guftav Hatte über diefe | ziffern können. „am 
Bewohner und ihre Sitten feine eige- ich nicht dazu, die Menjchen, die 
nen Gedanken, die er einem geheim— dieſe Erde bewohnen, zu betrachten. 
geführten Tagebuche anvertraute. — Mein Auge war geblendet vom Glanz 

Auf dem Fetzenmarkte erſtand ich des Himmels und ſeiner Wolken, vom 
vor längerer Zeit ein altes, unſchein— Glutdall der Sonne, und mußste ſich 
bar eingebundenes Buch, deſſen Decel erſt an dieſe Helle gewöhnen. Heute 
auf den inneren Seiten mit Blättern aber zogen auch die Menſchen meine 
jenes merkwürdigen Tagebuches beflebt Aufmerkſamkeit auf ſich. Aber wenn 
waren. Ob nun der Buchbinder, der ich die Wahrheit jagen joll, fie ge— 
ſolche wichtige Blätter einem fo unter= ‚fallen mir nicht und jcheinen zu 


rt 
ID 


diefer Naturpracht, die mid rings 
umgibt — nicht recht in Darmonie 
zu ftehen, weniger jedenfalls als alle 
Thiere, die mich jo Hoch ergüßen. 

An meinem früheren Aufenthalt 
zeigte man mir Bilder don Griechen 
und Germanen, mit weldyen wir ber= 
wandt fein follen. Das waren edle, 
träftige Geftalten, der Leib von fal- 
tigen Gewändern oder Fellen verhüllt, 
Arme und Beine waren nadt und 
froßten von Kraft. Sie kommen 
mir wie Götter vor, gegen diejenigen, 
die ich bis jeßt geiehen Habe. Dieje 
haben Arme und Beine in Ofenröhren 
iteden und der Leib ift mit mehreren 
Schichten von fteifen Kleidern bededt, 
jo ähnlich wie die Zwiebel von ihren 
Schalen. Einer von ihnen hatte einen 
fingerlangen dunklen Gegenftand im 
Mund und jaugte daran, wie die 
Heinen Kinder, die ich fah, an einem 
Zußel. Bon Zeit zu Zeit fpie diefer 
Mann Rauch aus dem Munde. So 
jehr mich das entjegte, will ich den 
Mann doch fragen, warum er es thut, 
wenn ich ihm wieder begegne. 

3. Mai. Heute begegnete ich bei 
Ihönem Wetter vielen Menfchen im 
Stadtgarten. Aber faft alle hatten 
jenen brennenden Zußel im Munde 
und thaten fo, als ob fih das von 
jelbft verftehe. 

4. Mai. Sie nennen es „Raus 
hen“ und den Zußel mit einem 
Fremdnamen „Gigarre*. Der 
Dampf, den fie in die Luft ausftoßen, 
jcheint aber fein gewöhnlicher Rauch 
zu jein; er riecht abjheulih und 
wirft, in der Nähe eingeathmet, be= 
ängftigend. Er übertäubt den köſt— 
lihen Geruch der Blumenwiefe. Mit 
dem gewöhnlichen Rauch hat er das 
gemein, daſs er auch in die Augen 
beit. 

5. Mai. Ich ſetzte mich Heute zu 
einem würdig ausjehenden älteren 
Heren auf die Bank und fragte ihn, 
warum er rauche ? Er jah mich lange 
Zeit groß und erftaunt an und 
wujste feine Antwort. Endlich fagte 


£} 





er, wie mir jchien, etwas verlegen: 
„Weil die anderen rauden.“ 
Das ift gewifs fein Grund, denn 
er würde nicht ins Waller Ipringen, 
wenn ein anderer e3 thun würde. 

6. Mai. Heute habe ih ſchon 
mehr Gründe gehört,” warum die 
Menſchen ſich dieſer Sitte ergeben 
haben. 

Der eine fagte, er fchlafe beijer, 
wenn er raude; ein zweiter aber 
behauptete, er vertreibe fih den Schlaf 
damit. — Ein dritter fjagte, es er— 
rege ihm Ejsluft, wogegen ein vierter 
aber Einſprache erhob und erklärte, 
das Rauchen füttige ihn und ver— 
treibe ihm den Hunger, jo dafs er weni« 
ger zu eſſen nöthig habe. -— Ein Fünfter 
gab an, es made ihn durftig und 
das Bier Shmede ihm dazu befler, 
was wieder ein ſechſter beftritt, 
der behauptete, daS Rauchen erſetze 
ihm das Getränk. Ein fiebenter 
verſicherte, er arbeite beſſer dabei, 
während ein achter höhniſch bemerkte, 
es vertreibe ihm das Rauchen die 
Langmweile, da er nicht nöthig habe 
zu arbeiten. Ein neunter war unans 
ftändig genug, von feinem Unterleib 
zu reden und fagte, er leide an Ver: 
ftopfung, da3 Rauchen fei ein gutes 
Mittel dagegen. Der zehnte fchüttelte 
ungläubig den Kopf und gab an, er 
rauche gerade aus der gegentheiligen 


Urfade. 
So hatten fie alle Gründe genug, 
aber alle widerfprehen einander. 
Logik ſcheinen diefe Menjchen 


nicht viel zu haben. 

7. Mai. Ein Gelehrter, der Ges 
fallen an mir gefunden bat, belehrte 
mich heute, dafs die Menfchen alle 
ihre Pflichten beſſer erfüllen können, 
feit fie rauen. Dem Dichter flöflen 
die Verſe beifer, ebenfo gehe dem 
Maler feine Arbeit befjer vonftatten. 
Der Advocat ſchreibe beflere Streit- 
Ichriften, der Prediger erfinde fräftigere 
Reden; allen fielen befjere Gedanten 
ein, während ſie rauchen. 

Dem fonnte ih innerlich nicht 





beipflichten. Ich weiß, daſs Afchylos! raudhig. 


und Eopholles bei den alten Grie- 
hen, Wolfram von Eſchenbach und 
Hans Sachs bei uns ſehr 
Schönes gedidtet Haben, ohme vom 
Rauch nur etwas zu willen. Rafael 
und Albrecht Dürer Haben ihre un— 
fterblichen Werte gemalt, Luther hat 
mächtig gepredigt und eine neue Zeit 
angebahnt, es geihahen große Thaten, 
die uns immer zum Vorbild dienen 
werden, ohne dajs man diejes Rauch 
fraut gelannt hätte. 

Wahrheit liegt aljo gewiſs nicht 
in dem, was der Gelehrte jagte. 

11. Mai. Ich empfieng heute den 
Bejuch eines Vetter! von mir, der, 
obgleich er nur wenig älter ift als ich, 
doch ſchon raucht. Er lieg zwar feine 
Gigarre draußen am Borplaß, aber 
jeine Stleider rohen abjcheulich, eine 
Dunftwolte umgab ihn unfichtbar, und 
als er dom mir gieng und mir einen 
Abſchiedskuſs geben wollte, fuhr ich 
wider Willen zurüd, denn feinem 
Munde entjtrömte ein unerträglich 
übelriehender Athem. Ah mufste, 
als er fort war, die Fenſter öffnen 
und friſche Luft hereinlaſſen. 

Kann das für fein gelten, was 
jo übel riecht und ſchmeckt? 

12. Mai. Die einzigen gottähn— 
lihen Weſen auf diefer Erde find 
die Frauen. Sie rauden nicht. Was 
müflen fie aber leiden, da fie auf 
den Umgang, ja fogar auf die Küſſe 
diefer übelriehenden Männerwelt ans 
gewiejen find. Und bat je einer, der 
jeiner Geliebten verfprochen Hat, ihr 
alles, fein Leben, fein Blut u. ſ. w. 
zu opfern, ihr zuliebe aud nur die 
Gigarre fih abgewöhnt? Ich glaube 
nicht. 

13. Mai. Das Rauchen macht die 
Männer auch ungereht. Ich fuhr Heute 
im Poftwagen nah D. und ſaß in 
der Heinen Zelle, die für „Nichte 
raucher“ beftimmt ift. Unterwegs jtieg 
ein freundlicher Herr zu mir herein, 
grüßte ſehr höflich und fagte: im 
großen Coupe fei es ihm doch zu 





Wenn ih es geitatte, fo 
wolle er hier eine kleine Gigarre 
rauchen, Ruhig antwortete ich, dafs 


viel’ ich den Rauch verabjcheue und deshalb 


ihn bäte, es bier nicht zu thun, wor— 
auf er plötzlich eruſt wurde und fait 
grob etwas von „Ziererei“ und 
„Intoleranz“ brummmte. Die Eigarre, 
die er bereits im Munde hatte, 
brannte er aber nicht an und rauchte 
jo „kalt“. Mich ſah er gar nicht 
mehr an. 

(Anm. Man Sieht, dafs Guſtav 
die Noth eines Nichtraucher in uns 
jeren Eifenbahnzügen nicht kennen— 
gelernt hat.) 

15. Mai. Mein gelehrter Be— 
fannter, dem meine Zweifel an dem 
Nugen des Rauchens offenbar zu 
denfen gaben, ſagte mir Heute, ich 
hätte feine Borftellung von dem gro» 
Ben Segen diefer Gewohnheit für 
Land und Volk. Taufende von Jochen 
des beiten Bodens feien mit der 
Tabakspflanze bebaut, vielhunderts 
taufend Hände mit der Anfertigung 
und dem Berfaufe der Gigarre be= 
Ihäftigt und der Staat nehme die 
ungeheuere Sunme von über adhtzig 
Millionen Gulden jährlich als Gewinn 
der Fabrication ein. 

Auf meine bejcheidene Frage, ob 
man denn nicht diefe große Fläche 
beiten Ackerbodens zum Anbau von 
Brotgetreide und anderen unentbehr- 
lihen Lebensmitteln, an welchen die 
Menjchen doch keinen Überflufs Hätten, 
verwenden könnte, ob die Hervor— 
bringung folder nicht ebenjoviele 
Hände bejchäftigen würde, befam ich 
feine Antwort. — Zuhauſe fonnte 
ih lange wicht fchlafen; ich mujste 
immer an die ungeheuere Summe 
denken, die in Rauch aufgeht. Könnte 
man nicht, dachte ich, alle Noth der 
Zeit lindern, wenn man diefes Geld 
auf einem Haufen hätte? Und die 
Erkenntnis einer tiefen Verſchuldung 
aller, die jo viel Geld in die Luft 
blafen, wovon niemand Gewinn hat, 
während um uns herum jo viel 


Mangel an dem Allernöthigiten ift, 
fiel mir ſchwer auf das Gemiljen. 
Da verraucht oft ein einziger mehrere 
hundert Gulden alljährlih; und da— 
neben geht ein Genie zugrunde, das 
die Welt beglüdt hätte, aus weiter 
feinem Grunde, als aus Mangel 
an Brot. 

20. Mai. Ih Leibe fein Buch 
mehr an einen Raucher. ch erhielt 
ein ſolches zurüd, das von Tabak 
wie gebeizt riecht, und troß allen 
Auslüftens will der Geftant nicht 
weichen. 

21. Mai. Ein Arzt, der zwar 
auch raucht, aber nur, wie er jagt, 
des Abends in Gefellichaft, um es 
dabei aushalten zu können, fagte 
mir: Die Schäden diefer Gewohnheit 
für die Gefundheit jeien größer, als 
die Leute ahnen. Der Tabak enthalte 
ein Icharfes Gift, das, auch in klein— 
ten Dofen eingeimpft, Thieren den 
Tod bringe Ein Theil des Giftes 
miſche fich dem Speichel des Rauchen— 
den bei und bewirfe eine langjame 
Vergiftung. Es ftelle ſich beſchleu— 
nigter Puls, Herzklopfen, Magen— 
verderbnis und Nervenſchwäche ein. 
Wer zum erſtenmale rauche, erkranke 
unter allen Erſcheinungen einer Ver— 
giftung. Doch nach und nach werde 
die Natur abgeſtumpft, das heißt, ſie 
unterliege im Kampfe mit den fort— 
gejekten Eingriffen. Das nenne man 
dann „gewöhnt“. 

24. Mai. Uber den Urfprung 
diefer Unfitte unterrichtete mich ein 
chriſtlicher Prieſter. Die Spanier 
haben. wie er jagt, das Rauchen von 
den Wilden bei der Entdedung Ame— 
rikas Tennengelernt. Die Eingebore= 
nen tauchten dort, um ſich läſtige 


‚528 





und gefährliche Fliegen zu vertreiben. 
Zu uns nah Deutichland fei das 
Rauchen im 3Ojährigen Krieg gekom— 
men und babe fich als das Vermächtnis 
der unſeligen Zeit bei ung eingebürs 
gert. Der Geiftliche ſagte auch, es 
mache die ohnehin trägen Deutjchen 
thatenunluftig und genügjam. Ein 
Raucher fei, wenn feine Gigarre oder 
Pfeife glühe, mit fi, mit Gott und 
der ganzen Welt zufrieden, nnd das 
jei eine niederträchtige Behaglichkeit, 
die wirklichem, geiftigem Fortſchritt 
abhold jei. Gott Liebe aber nur 
den Raitlojen. 

Unerfättlihe Genufsfucht der Mens 
ſchen jei die Urfache der Verbreitung 
des Rauchens über alle Länder. Efien 
und trinten fönne der Menſch nicht im— 
mer, dagegen wehre fi der Magen; 
aber dem Rauchen fröhnen, das könne 
er immer, 

Mein geiftliher Belannter hat 
hierüber viel nachgedacht und wird ein 
Buch jchreiben, das er die „Rauch— 
here“ betiteln will. *) 

30. Mai. Ih Habe noch feinen 
Mann getroffen, deſſen Bruder id) 
hätte fein mögen, und wären nicht 
die Frauen, jo würde ich mich wieder 
nah meiner unterirdifchen Loge 
jehnen.“ — — — — 

Hiemit breden die Aufzeihnuns 
gen unſeres Guſtav plößlid ab — 
das Weitere iſt unbarmherzig weg: 
gefhnitten. Hoffentlich Haben die 
Frauen Guftav mit dem Menjchen- 
geichlechte noch ausgejöhnt. 


*) Dies ift inzwiſchen geſchehen. Die 
„Rauchhere*, die Heiteres und Ernftes Über 
Tabal und Eigarre enthält, iſt im Berlage 
von H. Hartung & Sohn in Wubol- 
ftadt i. Th. erfchienen, 


Unfer modernes Gekenthum. 
Von Auguf Kruhl. 


2% 


lſemal bin ich dabei! Ich bin für 
e Sypas, was Aufklärung, was Eule 

7 tur, was Fortſchritt, was irgend 
ein Ideal hervorrufen oder fördern kann. 
Ich bin für jede gefunde Kunftrichtung, 
für modernen Geihmad, für Aſthetik 
und für alles dasjenige, was mir 
unter dem Namen „Geſellſchaftswiſſen— 
ſchaft“ begreifen; ich bitte, mich ein— 
zuladen zur Theilnahme an Vereinen 
für werkthätige Liebe, für culturelle 
und künſtleriſche Beitrebungen; ich 
bitte, mich heranzuziehen zur Unter— 
juhung von Problemen, die erjt in 
fünfhundert, meinetwegen in taufend 
Jahren reif zur Einführung ins Leben 
fein werden; ich helfe die Lüneburger 
Heide in einen engliichen Park, helfe 
Lappland in einen Rofengarten um— 
wandeln; ich helfe die Spiße des 
Montblanc zu Sommerwohnungen ein= 
richten und bin ferner bereit, mich 
einer Actiengeſellſchaft anzufchliegen, 
welche es fich zur Aufgabe macht, den 
Mond zu unterfuchen, ob ich derjelbe 
nicht möglicherweife zur Feriencolonien 
eignen oder zu Bauftellen ausſchlachten 
ließe, — — zu allem und jedem bin 
ich bereit, nur eines: ſchafft mir diejes 
moderne Geckenthum fort, das fich auch 
an das Exrnftefte, an das Heiligjte und 
Höchſte im Menfchenleben herandrängt, 
um dasfelbe durch ſeine Gegenwart 
zu proftituieren. Weg mit dieſem 
Geckenthum, das ſich windbeutlig breit- 
madht in Stadt und Land, in der 
Kirche und in der Kneipe, im Luxus— 
hotel jo gut wie im Armeleuteftübel, — 
weg mit diefem Zappelmannsthum, 
das ſich ſchon findet, wo fünf oder 
ſechs faum der Schule entwachjene 
Jungen einen Verein unter dem 
Namen „Reunion“ ftiften, wie es, 


Bofeager’s „„Geimgarten‘*, 7. Heft, XV, 


” 


nit Berlaub zu jagen, an den Büffets 
der Reichs- und Landtage ich herum 
drüdt, ftatt des Volkes wahre Rechte 
zu vertreten — id wäre geneigt, 
darüber die weitgehenditen Conceſſio— 
nen zu machen. 

Auch die Worte Phraſenthum, 
Narrentgum, Hanswurſtthum oder 
ähnliche würden es gethan haben; ich 
hätte auch noch jpajshaftere und auch 
Ihärfere auf Lager, laſſen wir's bei 
dem Wort Gedenthum., 

In diefem Wort und im dieſem 
Begriff liegt die ganze Selbitgefällig- 
feit und Ichſucht des Menjchen 
ausgeprägt. Im Verein mit der Groß: 
jpurigfeit und Grofproßigfeit haben 
wir dasjenige im einzelnen Mens 
Ihen verförpet, mas zur An— 
ftedung und Vergiftung der in einer 
gewiſſen Natürlichkeit etwa noch ge= 
jund gebliebenen Volfsclaffen mit bei= 
trägt. Dundert und taufend Volks— 
lehrer und Volksbildner vermögen 
nicht gutzumachen, was zehn Phra— 
jendrejcher des modernen Gedenthums 
für Unheil anzurichten imſtande find, 
umſomehr, als dieſes Phraſenthum 
mehr und mehr Perſonen ergreift, die 
ſich ſelbſt als die alleinigen Pächter 
der Volksbildung aufſpielen. 

Ich ſoll Namen nennen; ich ſoll 
womöglich mit Fingern hinter be— 
ſtimmte Perſonen und Geſellſchafts— 
claſſen herzeigen, — — ich werde 
mich ſchön hüten, in die Rolle eines 
Phariſäers zu fallen, mit dem üblichen 
„Andiebruſtſchlagen“ und „Herrherr— 
ſagen“. Halten wir, einer wie der 
andere, mit aller ſittlichen Kraft an 
uns, daſs wir von dem allgemein 
verderblichen Strom der Zeit nicht 
mit erfajst werden und daſs wir 


34 


das don uns als wahr Erfannte auf 
alten Lebengwegen für wahr Halten | 
und vertheidigen. Halten wir nament— 
lich dieſes zu einer Zeitkrantheit ges 
wordene Gedenthum uns vom Leibe, 
dafs wir micht von demfelben mit 
durchjeucht werden. 

Überall ift das Geckenthum ver- 
treten, Kaum eine Biertelftunde darf | 
über etwas Ernftes verhandelt werden, 
wo nicht diefe Vertreter des modernen 
Geckenthums ihre HLächerlichen und 
faulen Wie reißen, — außer, e8 be- 
trifft das Gefpräh die höchſteigene 
Perſon, dann darf das Untergeord— 
netſte, das Einfältigſte, das Abge— 
ſchmackteſte verhandelt werden, es 
kann nicht breit genug getreten wer— 
den. Je ernfter, je würdiger ein 
Ort, defto auffälliger und widerlicher 
wird das Betragen eines ſolchen Ver— 
treterd des modernen Gedenthums. 
Im Rathhausfaal 3. B. wird in einer, 





‚dernen Geckenthums die Dand 


Ballſaal, 
heit, dieſelbe Dünkelhaftigkeit wie im 
‚Concert und im Theater. Ob es gilt, 


läden, auf die Lindenfeite mit den 
Promenierenden ; „wir kommen 
zum Schluj3“ ſagt der Vorſitzende; 
da hebt auch dieſe Species des mo— 
zur 
Abſtimmung, mechaniſch, bewußſst— 
los, — Gottlob! es darf zum Früh— 
ſtück gegangen werden. Alles andere 
iſt Nebenſache. 

Das Gebahren des modernen 
Geckenthums bleibt ſich überall gleich. 
Sm Gotteshaus bei einer kirchlichen 
Geremonie ein bilschen ernſter die 
Miene, Armbewegungen, Die 


die 


‚Schritte ein wenig anders wie im 


ſonſt dieſelbe Gejpreizt- 


Kunſt, 
einzuheimſen, 


Frömmigkeit und Stadtklatſch 
immer wird dasſelbe 


geckenhafte Weſen zur Schau getragen. 
„Wir hatten heut Faſan“, 


jagt die 
Frau Zuderfiedereiinipectors » Gattin 





Commiſſion über den Armen-Etat, 
über Gefuche hilfsbedürftiger Perſonen 
verhandelt. In grellen Farben Hat 
der Bezirkscommiſſär das Elend einer 
Anzahl von Familien gejchildert: in— 
mitten des Laſters und des Schmupes 
ift der Hunger zu finden; ekelhaäfte 
Krankheiten wüthen an weltverlafjenen | 
Stätten, — da werden feit geraumer 
Zeit ſchon ein paar der Stadtväter | 
jeher unruhig auf ihren Rathsftühlen, | 
denn es ift eine Viertelſtunde über 
die gewöhnliche Frühftüdszeit, — das | 
heißt „gefrühftüdt”“ haben die Herren 
Stadträtde ſchon, aber das Frühftüd 
am Siammtiſch, das alltäglich ge— 
wohnte in heiterer Geſellſchaft mit 
den obligaten Stadtnenigleiten und 
den Harlelinfpäßen, das fleht mod | 
and, — — da werden die Beine 
unter dem Rathstiſch unruhig, der 
Rathsſtuhl wippt mit der ftadträth- 
lihen Laſt hin und her: oben an der 
Dede ſitzt zufällig eine Fliege, Hat 
der Baumeifter hübſches Studwerf 
angebradt, oder der Stuhl fteht nahe 
dem Fenſter: welch prächtige Aussicht 
auf den Marktbrunnen, auf die Schaus 


Zeilig, ſobald fie von der Frau Ge— 


heimen Kanzleirathsaſſiſtentens-Witwe 


Buhrbank gehört, daſs dieſe zu Mit— 
tag Haſenbraten gejpeist. Und dabei 
ı gehen der Frau Zeifig Augen ſieges— 
gewiſs im Kreis der Damen herum, 
bis eine dritte einen weiteren Trumpf 
in der Weiſe ausſpielt, daſs in 
„ihrem“ Haushalt der Caviar direct 
vom Ural bezogen würde. 

Was Staatskunſt? was Politik? 
Der wirklich erprobte Staatsmann 
muſs erblaſſen, wenn ein Laffe des 
modernen Geckenthums ſeine Weisheit 
beim „Pilſener“ auskramt. Der aus— 
gezeichnetſte Hiſtoriker und Literatur— 
kenner muſs ſein Licht unter den 
Scheffel ſtellen, falls ſolch ein Ver— 
treler des modernen Gecken- und Lüm— 
melthums „ſeine“ Zeitung zur Hand 
nimmt und dieſe durchſtöbert nach 
Heiratsanzeigen, Gummiartikeln, nach 
Privathändeln, Meſſeraffairen u. ſ. w. 
„Pſchorrbräu“ — „Spatenbräu“ 
„Acht Kitzinger“ — gewiſs! dahinein 
werden die beſten Vorſätze, wird der 
Arbeitstrieb, wird ideales Leben und 
Streben verſenkt, und auferſtehen wird 





vom Stammtisch — der ſich ſtets ſchneider, der Studiojus, der Schuiter- 
gleich bleibende Vertreter des modernen | junge, die Näherin, — ganz gleich, 
Gedenthums. jo gut wie der Dfonomies oder Com— 
Überall find fie zu finden. Ich fagte, | miffionsrath, wie der Präfident, wie 
auch im Armeleuteftübel. Auch die) die Vorſteherin eines Erziehungs— 
Spitalbewohner willen ſich gegenfeitig | und Krankeninſtituts — alle haben 
aufzuziehen, zu foppen, zu Haran= an der Dausjchwelle zum Fortgehen 
guieren, zum Narren zu halten. Diefes | ihre capriciöfen Bewegungen zu machen, 
gedenhafte Wejen verläjst den Men— | befleiigen fich erit der Zuſtutzung ihres 
Ihen nicht, wenn eingelebt und an- Geſichts und ihrer Gliedmaßen und be= 
gelebt, bis derjelbe hart an der Grube | zupfen immer noch einmal troß oft 
herumgeht. Auch der Leichenftein hat jtundenlanger Toilette die Bändchen 
öfter no Kunde zu geben von des und Schleifchen und fühlen nach der 
Lebens Alfanzerei. Als ob der liebe | Uhrkette, ob die Baumel dafelbft auch 
Gott fh um die vom Menfchen| in Ordnung fei; betrachten ſelbſt— 
ausgehedten Thorheiten noch beküm- | gefällig immer noch einmal den Stock— 
mern jollte! fuauf, die Ringe, die Handſchuhe, 
Sie werden mehr und mehr die die Spiten und Manchetten, ſchämen 
Macher der öffentlichen Meinung, dieje ſich aber in tiefiter Seele, daj3 fie — 
Vertreter des modernen Geckenthums; zur, Arbeit zu geben haben! 
fingen fromme Lieder, patriotifche Lie= Überall hat das moderne Geden- 
der und reihen Zoten in einem Athen, | thum vom öffentlichen Leben Beſitz 
immer wie es gefordert wird. Den| genommen. Diefe Schnaps=, Bierz, 
größten Antheil wollen jie allezeit| Tabaks- und Vollsausdünftung in 
haben an den Errungenjchaften des | den meiften der öffentlichen Locale it 
Volfes und der Zeit; fie wiſſen kaum jo gefährlid, wie der fich da— 
Früchte zu pflüden, wo fie nicht ge- jelbft zufammenziehende Qualın ekel— 
jäet, willen den Schweih des Volkes hafter Borniertheit, der ſich in dem 
ih nutzbar zu machen, den fie ſelbſt mehr und mehr die Mafjen ergreifen« 
wenig zu vergießen haben, außer bei den Gedenthum ausgefprochen findet. 
ihren Tafel» und Zechgelagen, und | Und dabei fprehen wir allgemein von 
betrachten jo unferes Herrgotts Welt einer Corruption und einer Selbſt— 
als eine ertra für fie Hingeftellte | überfhägung in den mur höheren 
und im Stande gehaltene Vergnü⸗— Kreiſen! — Iſt das das Volks— 
gungsanftalt. material zum Bau eines jchöneren 
Zu allen Häufern ſehe ich fie | Zufunftsreihes? — Ich danke! — *) 
herausfommen, die Vertreter des mo | 
dernen Gedenthums, denn das Beifpiel . a 
hat anftedend gewirkt. Der Confections— —— aıe bene, — 


— — —— — — — — —— — —— — — —— —— — — — 








Das Bodeln. 


Eine Bollsbeluftigung aus den Alpen. Bon Ludwig v. Hörmann. 


iR 
std: oft bin ich ausgelacht wor— 
rn, den und werde es noch, meil 
ich in meinen „reiferen Nahe 
ren“ noch dem edlen Sport des Ro— 
delns Fröhne, ftatt im rauchigen Cafe 
bei einer Tarokpartie die Sountags— 
Nahmittage todtzufchlagen. Und doc 
kann es nächſt dem Schlittichuhlaufen 
fein geſunderes und ſchöneres Winter— 
vergnugen geben, als entweder allein 
auf einer Rodel (Knabenſchlitten) oder 
mit mehreren auf einem Haändſchlitten, 
von fiherer Hand geleitet, von einem 
höher gelegenen Orte, 3. B. vom 
Mittelgebirge Herabzufahren, bezie— 
hungsweiſe ſich herabführen zu laffen. 
Freilich gehört diefes Vergnügen, das 
je nach der Landichaft rodeln, ſchlit— 
tel, Schlittenreiten Heißt, in erſter 
Linie der munteren Schuljugend an, 
die nicht müde wird, mit ihren Hinz 
gelnden „Rodeln“, wo es nur immer 
gebt, von einer Anhöhe oder über ab— 
ſchüſſige Straßen und Fußwege herab 
zufahren, um dann zur MWieder- 
holung des Vergnügens feuchend das 
Velociped dußend- und dutzendmal 
wieder hinaufziehen zu müſſen. Doc 
nur bei uns in den Alpen iſt diejes 
Vergnügen im großen und ganzen 
auf die Jugend und bäuerlichen Kreiſe 
beihräntt. In Norwegen und Schweden 
fennt man das „Rodeln“ oder „Schlit— 
teln“ längst auch als Vergnügen der Gro— 
Ben wie der beiferen Stände. Beliebt 
iſt es auch in Amerika, und wer 
hätte nicht ſchon von den „Rutſcheis— 
bergen” in Rufsland gehört, welche 
hohe, abihülige Bahnen aus Holz— 
gerititen eigens hergeitellt werden, um 
dielen Sport der groben und „feinen“ 
Geſellſchaft zu ermöglichen ? 








Und diejes Vergnügen, das mar 
ih anderswo mit vielen Unkoſten 
verichaffen mufs, können wir in den 
Alpen unentgeltlich Haben, nebit der 
Beigabe eines großen landjchaftlichen 
Genuſſes. Fröhlichen Muthes fleigt 
man noch bei behaglihen Sonnen— 
ichein zu einem der Dörfer des Mit» 
telgebirges hinauf, umſtellt von der 
Pracht der Winterlandichaft, die in 
der ganzen Großartigkeit ſich präfen= 
tiert. Oben erfrifht man ſich mit 
fräftigem Wein und wartet, bis das 
Sonnengold, das ſich wie ein roth— 
glühendes Band um die Bergfette 
ſchlingt, allmählich verblajst und die 
blaue Flut der Dämmerung nadhrüdt. 
Dann leiht man ſich eine Rodel und 
fährt allein oder im Gefellichaft auf 
einem Handiclitten ins Thal. Dit 
der Meg gut angefahren, jo braucht 
das Gefährte kaum der Lenkung, denn 
die eifenbejchlagenen Hufen halten ſich, 
ohne auszufpringen, rutſchend im den 
Geleifen. Das ſaust dann hinab, dafs 
es eine hellichte Freude if. Noch 
ihöner geftaltet fich die Fahrt, wenn 
man diejelbe beim Mondjchein macht, 
beſonders wenn der Weg dur einen 
Tannenmwald leitet. Welch Licht» 
gefunfel zwiihen den Bäumen, 
welch gliternde Pracht blendender 
Schneelager! Fürwahr, ein Winter: 
nachtstraum mit all jeinem berüden- 
den Zauber, nur fchade, daſs er jo 
furz iſt, denn im 10 bis 15 Minuten 
iſt die Thalfohle erreicht. 

Das Rodeln ift jedenfalls ſehr 
alt, wie ja felbjtverftändlih. Als die 
„Urrodler* können, ſoweit fich die 
Geichichte dieſes Sports verfolgen 
läjst, ohne Frage die Gimbern anges 


—533 


ſehen werden, welche am Ende des 
zweiten Jahrhunderts v. Chr. durch 
die Engpäſſe der Alpen in Italien 
einfielen und bekanntlich dem römi— 
ſchen Feldherrn Catullus, der an der 
Etſch aufgeſtellt war, viel zu ſchaffen 
machten. Plutarch ſagt von ihnen in 
der Biographie des Marius, Cap. 22: 
„Letztere (nämlich die Cimbern) zeigten 
ein ſolches Ubermaß von Hochmuth 
und Keckheit gegen ihre Feinde, daſs 
ſie, mehr um ihre Stärke und Beherzt— 
heit zu zeigen, als um irgend etwas 
Nothwendiges zu thun, nackt über 
Gletſcher und tiefe Schneelager hinauf | 
die höchſten Punkte erftiegen, droben 
ihre breiten Schilde ſich unter den 
Leib ſetzten, ſich dann losließen und 
jo über die ſteilſten Anhöhen her— 
unterfuhren.“ Iſt dies nicht die 
reinſte Rodlerei? Die Cimbern 
waren eben aus ihrer nordifchen | 
Heimat das Rodeln gewohnt und| 
machten fi einen Spais, vor den 
im Lager verfchanzten Römern ihre! 
Rodlerkunftftüde zu producieren. Der! 
Eihnograph aber könnte vielleicht aus | 
diefer Scheinbar ganz bedeutungstofen | 
Stelle einen Schlufs auf die Beichafe | 
fenheit der Schilde diejer germanis 
Ichen Reden machen dürfen. Jeden: 
falls waren fie nicht mit Leder über= | 
zogen, wohl aber wahrſcheinlich mit 
Eijenbleh. Dies führt uns auf die, 
technische Seite des Nodelns und auf 
die Schon oben angedeuteten Arten 
diefes Vergnügens. 

Fahrzeug des Rodlers ift die Rodel, 
in alemanniichen Gebieten auch Reit— 
fhlitten genannt, welches Debitel 
in jeiner älteften und primitioften 
Form, wie wir willen, aus zwei 
durh die Unterkieferfnochen eines 
Pferdes geftedten Hölzern befteht, auf 
denen man rittlings ſitzt. Die jeßigen 
Rodeln haben zwei paralleljtehende, 
vorn abgerumdete und umten mit Eifen: 
beichlagene Brettchen, die durch Quer— 
hölzer oder ein Sitzbrett verbunden 
find. Die niederen, oft zwei Drittel 
Meter langen find die beiten, Unter: | 





ſchieden davon find die ſogenannten 
Böde. Diefe find Höher und haben 
das Sikbrett durch „Spreizen“ mit 
den Kufen verbunden; fie gleichen, 
fönnte man jagen, Herrichaftsjchlitten 
im Heinen. An der Seite find häufig 
Hingende Wollen angebracht, um 
ahnungsloſe Wanderer vor ihrem blitz— 
ſchnellen Erjcheinen zu warnen und 
ans Ausweichen zu erinnern. Es iſt 
nicht unmöglich, daſs die Rodel von 
dieſen Rollen ihren dunklen Namen 
hat, denn Rodel bedeutet auch Kinder— 
klapper. Gewöhnlich leitet man das Wort 
vom Spätlateinifchen rotulus und rotula 
(eartula convoluta) ab, was ich für un— 
richtig halte. Im Spanischen bedeutet 
rodela Rundjchild. Rodeln heißt über- 
haupt herabgleiten, hinabrutichen, hin— 
abrollen, *) man jagt 3. B.: der Stein 
„rodelt herab“, und es dürfte wohl mit 
dem mittelhochdeutfchen ruodern, ruo— 
deln, rodeln — rudern zuſammenhän— 
gen, da der Vorgang des Rodelus 
damit wirklich Ahnlichkeit Hat. 

Der Rodler ſitzt nämlich auf der 
Rodel, die Beine entweder vorn ges 
rade ausgeitredt oder jeitwärts über 
die Nodel hängend, um nmöthigenfalls 


mittelſt der Schuhabjäge den Schlit— 


ten Ddirigieren zu können. Gewöhntich 
aber hat man zum Lenten einen lan— 
gen und ziemlich diden Steden 
(Zremel), den man unter dem rech— 
ten Arm gepreiät hält und hinten 


nachſchleifen läjst und mittelft deſſen 


man wie mit einem Steuerruder den 
Schlitten lenkt, je nachdem man ihn 
mehr rechts oder linf3 in den Boden 
einfeßt. Auf beide Arten hat man 
die Rodel in der Gewalt und ein 
fleiner Drud mit Stod oder Schuh: 
abjat genügt, um diejelbe jofort nad 
rechts oder links zu wenden. Zum 
Überfluf3 warnt noch der hinab— 
jaujende NRodler die Leute am Wege 
mit dem lauten Rufe: 


*) In Steiermarf hat man thatiählicdh 
für dieſes Echlittenfahren der Knaben und 
Burihen das Wort „rollen”, auch „ſchan— 
dern“, Die Ned. d. „Hg.“ 


534 


„Aus der Buhn, 

Mei Rodel hat Eijen un!“ 

Ein origineller Rodelbrauch beiteht 
in der Schweiz, befonders in den 
öftlihen Gantonen, jo im Engadin. 
Da Haben die Burſchen bei ihren 
MWettfahrten ganz niedere, lange, nur 
aus zwei born ein wenig aufgeboge- 
nen und mit Querhölzern verbundes 





durcheinander. Bei Mondichein haben 
jolhe Rodelpartien etwas ungemein 
Romantifches. 


Diefes Rodeln auf Reitjehlitten 
it jowohl auf dem Lande, als in 
Städten am beliebteften und auch 
am meiften verbreitet. Selbft Bürger 
älteren Schlages von Junsbruck konnte 
man noch vor wenigen Jahren auf 


den Kufen beftehende Schlitten. Auf einer NRodel vom füdlihen Mittel: 


diejent liegt der Rodler bäuchlings, 
den Kopf na vorn, auf die beiden 


Ellenbogen aufgeftüßt, während die |den Fünfziger Jahren 


Hände fih am oberften Querholz der 
Kufen halten. Die Füße, die rück— 
wärt3 über die Model hinausliegen, 
dirigieren mit den Spiben der Schuhe, 
die oft noch mit Eiſenhaken verfehen 
find, den Schlitten. Das Lenten 
des Schlittens muſs auf diefe Weije 
äußerft leicht gehen, weniger bequem 
dürfte die Lage des abwärts gerich— 
teten Körpers erfcheinen. In Vorarl— 
berg rodeln 


Meife bei wenig fleiler Bahn; auf welche 


gebirge herabfahren ſehen; ja noch 
mehr, ein gar Hoher Herr, der in 
unter dem 
Jubel einer vieltaufendföpfigen Menge 
in die „marianifche Stadt” einritt, 
verihmähte es nicht, den prächtigen 
Schlittweg vom Schloſs Amras herab 
zu dieſem Vergnügen zu benüßen und 
auf eleganter Rodel zum freudigen 
Erſtaunen der meugierigen Amrajer 
Sugend windſchnell herabzuſauſen. 
Unten am Wege bei den mit Holz 
eingeplankten Wehrſteinen ſtanden 


die Buben auf dieſe rechts und links galonnierte Bediente, 


beim jedesmaligen Vorbei— 


einen Steilhang würde man Gefahr fahren des Hohen Herrn ehrerbietig 


laufen, den Schädel einzurennen. 
Diefes eigentliche Rodeln, näm— 


fih auf Heinen Schlitten, ift, wie 
eingangs bemerkt, die  beliebtefte 
MWinterunterhaltung nicht nur der 


Kleinen, welche die Rodel ſogar beim 
Hin= oder Herweg bon der oft weit 
entfernten Schule benüßen, ſondern 
auch der erwachſenen Burſchen und 
Mädeln, die man nicht jelten zufammen 
auf einem ſolchen Iuftigen Schnell: 
jegler findet. Das ift natürlich dann 
ein doppeltes Vergnügen, bejonders 
in hellen Mondnächten. Born auf 
der Rodel ſitzt das Mädel, dahinter 
der Burſch. Während feine linfe Hand 
an der Rodel ſich fügt, Hält die 
rechte das Mädchen um die Mitte 
feft. So faufen fie, zurüdgelehnt, 
windſchuell über die glänzende Schnee= 
bahn; Schlitten Hinter Schlitten, alle 
einfah oder doppelt beladen, fährt 
an ums vorbei. Jauchzen und Schreien, 
dann wieder helles Gelächter, wenn 
ein Baar umwirft, Hallt unabläflig 


ihre Spanischen Dreimafter Tüpften. 
Seit jener Zeit hat diefer edle Sport 
bierlands zum Entjegen aller Zimper— 
liden und Stubenhoder einen 
neuen Aufſchwung genommen. Es 
bildeten ſich eigene Rodlergefellfchaften, 
welche die Kunſt des Rodelns pflegten, 
regelmäßige Ausfahrten und Wette 
fahrten machten und um die Palme 
der Meifterihaft im Schnellrodeln 
rangen. Der beite Rodler war weit: 
aus, jo lange er noch lebte, der jo= 
genannte Sprenger Danfele, der auf 
jeiner Heinen Rodel wie angegofien 
jap und, unbelümmert um Rünſte, 
Bühel und Eisblafen, wie ein Vogel 
pfeilſchnell dahinjchojs. Ihm zum 
Andenfen hängt jein Bild im beit» 
renommtierten Biller Wirtshaus, wo 
die Rodler ihr Standquartier Haben 
und wo auch noch gegenwärtig um 
diefe Zeit in der mit Rodeln, Ems 
blemen und Inschriften reich verzierten 
oberen Stube der weitberühmte Rod— 
lexball abgehalten wird. 


= nee 
Fir ® : 
24 


535 


Die zweite Art des Rodelns iſt, 
wie ſchon eingangs bemerkt, das 
Herabfahren mit Handſchlitten. Es 
ind Dies größere Schlittengeſtelle, 
ähnlich denen, wie jie unjere Milche 
mädeln zum Milchführen Haben, und 
deren man zum Taxen- oder Stlein= 
bolzrühren im jedem Bauernhofe an— 
trifft. Diefe Art Schlitten werden 
mit den Händen geſchoben oder gezogen. 
Zu dem Zwede find die Hufen zu „Hör— 
nern“ weit hinaufgebogen, wovon fie 
auch Hornſchlitten heißen. Sind fie grö— 
Ber, aljo Bergichlitten, ſo heißen fie 
Granfer oder Granzger. Diefe haben 
dann oft noch vorn an den Kufen eiferie 
„Sperrtaßen“, die von dem zwiſchen 
den Hörmern ſitzenden Lenker zum 
Lenten und Einhalten des Schlitten 
benüßt werden. Bei dieſem Fahren 
mit Hand» und Hornjchlitten oder 
Granſen betheiligen fish in der Regel 
mehrere, die auf demfelben vertheilt 
figen, während einer lenft. Iſt der 
Schlitten ſtark belaftet und die Bahn 
abihüjlig, jo erfordert die Lenkung 
desjelben einen ftarken und im diejer 
Sade geübten Dann, befonders wenn 
die Geleife noch nicht ausgefahren 
ind. Denn der Lenker mujs, um 
dem Schlitten eine Abweihung zu 
geben, denjelben mit den Händen nad) 
rechts oder links reißen, indem er 
ih zugleih mit dem entjprechenden 


wir mit vereinten Kräften endlich 
das hinabfaujende Gefährt zum Ste- 
hen. Noch ſchlimmer gieng es bei 
derjelben Gelegenheit dem hinter uns 
auf eigenem Schlitten herabfahrenden 
Director Sch. in Linz, der ebenfalls 
das Gejpann nicht mehr zügeln 
‚fonnte. Da er natürlich von feinem 
Sitz zwiſchen den Hufen nicht heraus= 
' Springen konnte, jo warf er fih in 
fataliftiiher Anwandlung einfach mit 
dem Rüden & la Mazeppa auf den 
Schlitten und überließ denjelben feinem 
Laufe. Bei einer Biegung warf e3 
dann den Schlitten und ihn glüde 
licherweife in den Schnee. So un— 
gefährlich daher das eigentlihe Ro— 
dein iſt, jo gefährlich faun das Fah— 
ren mit Handjchlitten werden. Denn 
‚ein im vollen Schwunge befindlicher 
Handſchlitten fäjst ſich Fehr ſchwer 
aufhalten. Infolge deſſen kann 
‚auch für die auf dem Wege befind— 
Tichen Leute ein ſolches Fuhrwerk 
| gefährlich werden, beſonders went 
plöglih durch einen Dohlweg jo ein 
Gefährt geräufchlos herabgeſaust kommt 
und man nicht ausweichen kann. Auch 
in dieſer Beziehung Habe ich meine 
Erfahrungen gemacht. 

Gleihwie die Kleinen die Rodel 
auch zum Weg nah der Schule be= 
nüßen und jo das utile mit dem 
dulei verbinden, jo werden auch die 











Fuße am Boden anftenımt. Dies Ha Dandjchlitten oder Granzger 
fordert Kraft und Gefchiclichkeit, | in derjelben Weife bei verjchiedenen 
jonft gibt es Malheur. Ich Lie) Gelegenheiten, z. B. im Advent beim 
mich ſelbſt einmal mit mehreren | Roratebejuch, als Fuhrwerk bemüßt. 
Freunden auf dieſe Weiſe von der Hat man die Wahl zwiſchen den 
Vuchau im Achenthal über den Kas- Kirchen zweier Ortſchaften, ſo wählen 
berg nach Jenbach herabführen und die Ehehalten (Dienſtboten) gewöhn— 
erinnere mich bei dieſer pfeilſchnellen lich die Höher gelegene, um den Rüde 
Fahrt noch mit geheimen Schauer an weg zum Schlitten machen zu föns 
den Moment, wo dem Lenfer, einem nen. Da geht es dann oft ganz ge= 
baumftarlen Kerl, gerade an der miüthlich her, wenn bei gutem Sclitt- 
fteilften und dazu noch beeisten Strecke weg jo ein Granzger mit 10 bis 
das Sihbrett ausrutfhte und er auf 12 Leuten nad Daufe fährt. 

den Boden zu liegen fam, während Zum Nodeln wie zum Fahren 
die rechte Hand frampfhaft den Hebel mit Dandjchlitten gehört ein geeig— 
der einen Sperrtaße gefajst hielt. Nur meter Schlittweg. Dat man feinen, 
mit äußerſter Anftrengung brachten jo wird von Dorfbuben an einem ab» 


— 


536 


ſchüſſigen Rain oder an einer Anhöhe 
einer gemacht, indem man den Schnee 
mit den umgekehrten Rodeln zuerſt 
plättet und dann durch oftimaliges 
Fahren zur Bahn glattjchleift. *) In 
den Alpen, wo es abjchüjlige Straßen 
und Wege genug gibt, ijt in der 
Regel an guten Sclittbahnen fein 
Mangel. Erfordernis ift, dafs Die 
Bahn das richtige Gefälle habe, wicht 
zu gering, aber auch nicht zu ſtark. 
Erjteres gilt befonders für das Fah— 
ven mit den Rodeln, welches jtärkeres 
Gefälle erfordert, während der Hand— 
jchlitten jelbit bei mäßiger Neigung 
noch fortgleitet. Am angenehmften 
find jene Bahnen, auf denen man 
lange Zeit, ohne abzufiken, fahren 
kann. Solde find 3. B. in Tirol 
die Salzitraße im Hallthale, wo man 
in einer Tour bis zur Saline von 
Hall fährt, oder don Prarmar im 
Selrainer Thal bis Gries. Auch die 
alte Ellbögner- oder Römerſtraße, 
welde fih von Matrei über das 
Mittelgebirge bis Ball zieht, war 
vor der Eröffnung der Unter-Inn— 
thaler Bahn, als dieſer Weg noch 
mehr befahren war, ein prächtiger 
Schlittweg: ebenfo die obenerwähnte 
Strape über den Sasberg. Eine 
ganz vorzüglihe Bahn bietet noch die 
Straße vom Predil bis Raibl, wo 
man mit Bodjchlitten in einer halben 


*) Iſt der Schnee hartgefroren, fo daſs 
er den Schlitten trägt, was oft der Fall, 
dann rollt man in Steiermarl aud ohne Weg 
und Bahn fchnurgerade über die Lehne hinab. 


Die Ned. d. „Dg*. 


Stunde herabfährt. Kleinere Bahnen 
hat fait jedes Dorf und jede Stadt 
in den Alpen und ich ärgere mich 
noch, dafs man mir feinerzeit in Graz 
da3 Rodeln vom Schlojsberg herab 
unterfagte. Beſſere und bequemere 
Gelegenheit zu diefem Vergnügen 
gibt es nirgends als in Graz, wo 
man die Bahn mitten in der 
Stadt hat. 

Noch ein Erfordernis gehört zum 
Rodeln, nämlich der richtige Schnee, 
das heißt der Schnee darf nicht 
„Ipear“ (troden) fein, denn fonit iſt 
er rauh, und die Rodel gleitet nicht. 
Die beite Zeit zum Rodeln ijt der 
Februar, wo der durch viele Schnee— 
fälle feitgewordene und gleihmäßig 
gefahrene Schnee unter dem bereits 
ſtärkeren Sonnenftrahl unter tags 
aufthaut und dann machts wieder 
gefriert. Da gleiten dann felbft bei 
geringerem Gefälle die Rodeln luftig 
dahin. Zum Schluſſe will ich noch 
erwähnen, daſs bei den Bauernfindern 
dad Rodeln auch im Schwange ilt, 
indem jie auf Brettern und den großen 
hölzernen Milchſchüſſeln über die 
gemäbten Abhänge herabrutichen. Die 
berühmtefte diejer ſommerlichen Rodel— 
bahnen ift jedoh auf dem Lufcharie 
berg in Kärnten, von dem man, wie 
Maizer im den foeben erjchienenen 
trefflihen „Eulturbildern aus Kärnten“ 
beichreibt, „Über den fteilen, eigens 
angelegten Schlittenhohlweg“ in zwan— 
zig Minuten bis zu den „Hütten“ 
Ichlittelt, eine Strede, die man zu 
Fuß zu gehen dritthalb Stunden 
braucht. Preſſe.“ 





Eine Sommernadt im Golfe von Heapel. 
Aus alten Tagebude von P. A. Roſegger. 


Do 


Bris bon Neapel, auf den 


ER, Höhen der phlegräifchen Fel- ausgetrodnete Gründe von Landjeen, 


der liegt das alte Klofter Ca— 
maldoli. Ich mietete mir auf dem 
Corſo Bittorio Emannele ein Maul— 
thier und ritt an dem Dörfchen Naz— 
zaret vorüber und durch einen langen 
verſchwemmten Hohlweg im Schatten 
jaftiger Feigenbäume und Schöner hoher 
Pinien hinauf zu dem alten Stlofter 
Gamaldoli. 

Das Maulthier blieb vor dem Thore 
ftehen und machte Geſchmacksſtudien 
in dem Dleander= und Cypreſſenlaube, 
ih wurde gerne eingelaffen und ein 
Frater, ein altes, gutmüthiges Männ— 
fein mit weißen Loden, führte mich 
durch das Gebäude und hinaus auf 
die Lichtung, wo die weltberühmte 
Aussicht iſt. 

Ih Habe die Natur gejehen, wie 
ſie arbeitet und Schafft auf den Fluren 
der Wieſen und Felder, ich Habe fie 
gefehen, wie fie ruht und ſchlummert 
und träumend jpielt im Walde und im 
Haine, ich habe fie gejehen, wie fie 
trauert auf ſtillen, nebelumlagerten 
Heiden, und wie jie droht und grollt 
und wüthend die finjteren Wolken zer— 
reißt mit ihrem feurigen Speere zwi— 
ihen den Wänden der Alpen. Hier 
aber, von diejen Höhen, in einem 
bunten verklärten Kranze von Berg 
und Thal, von Städten und Gärten, 
von Wald und Waller, bier jah ich 
die Natur, wie fie liebte. Hier ift es, 
wo Gott feiner Erde am Buſen ruht, 
fie auf die Lippen Eüjst, ihr ins 
Auge blidt und lächelt. 

Hier unten belle und dunfelgrüne 
Wälder und Haine, in welchen fich 
Ihimmernde Dörfer und Landhäufer 
verjteden, und prangende Gärten und 


Ichattige Wiefenfluren. Dort ftille, 
buſchbewachſene Ajchentegel und düstere 
Kraterkeffel von VBulcanen, die längft 
ausgetobt haben. Dann Hügel mit 
Villen und Schlöffern; und das Gaftell 
St. Elmo funkelt herüber, und dort 
die Schimmernden Mauern und Dächer 
der Vorftädte und endlich, wie zur 
Ruh’ am Meere Hingelagert, einen 
fieberhaften, wülten Traum träumend, 
das große Neapel. 

Nücdwärts im NÜtherblau die 
Zwillingskegel des Somma und Bes 
ſuv. Leßterer raucht ein wenig; das 
DObjervatorium leuchtet Herüber, wie 
das ewige Lichtlein des „verwun— 
jchenen“ Waldes im Märchen. Lints 
davon ergießt jich der breite, glißernde 
Lavaſtrom des legten Ausbruches nie: 
der gegen ©. Sebaftiano. Mein geiſt— 
licher Führer machte mich aufmerkſam 
auf braunen loderen Staub zu uns 
jeren Füßen — Veſuvaſche, wie fie 
im April 1872 durch die weiten Lüfte 
herübergeflogen iſt. 

Den Gefichtsfreis begrenzen die 
Berge von Sorento, Capri, Jschia 
u.j. w., jelbit das ferne Capo Cirello 
jendet uns einen Gruß. Nun die tief 
blauen Buchten von Neapel, der grüne 
lich ſchimmernde Golf von Gaëta, das 
matte Grau der hohen See, von violet- 
ten Linien, goldiggligernden Streifen 
durchzogen, dann wieder jilberig flim— 
mernd und endend in einem bläulichen 
Braun am fernen, Haren, ſchnurgerade 
gejchnittenen Horizont. 

So jpielen Müden und Walter 
auf ungeheuren Glastafeln der Garten= 
häufer, wie hier unten die Segeljchifte 
mit ihren geblähten Wangen, Die 
Dampfer mit ihren braunen, nad» 


ziehenden Rauchſchlangen, die bunten 
Gondeln und Fiicherfähne fpielen und 
Hingleiten. Draußen, nahe dem Rande, 
wo „Dimmel und Erde mitjanmen 
vermählt find“, iſt das einzig, weiße 
Flügelchen eines großen Segelſchiffes 
zu Sehen, vielleiht kommt es von 
fernen Wegen und grüßt in Sit 
Neapels fein Heim nad) langer Tren— 
nung. Und noch weiter hin auf jemen 
jpielenden, lebendigen Höhen treibt 
vielleicht planlos und verlaffen ein 
ſchwaches Schifflein. 

Die Sonne ſank und ſchwoll und 


wurde röther, je näher fie dem Hori-— 


zonte fam. Leicht umhüllte fie ſich in 


Nebel und lächelte noch einmal zurüd | 
auf ihr Neapel und flieg ins Bad. 


Aber jiehe, als ob fie jich gleich Dido von 


Kartdago jelbjt den Tod gegeben, ſo 


flutet’3_ num in Burpurftrömen über 
das Meer, und die Nacht mit ihrem 
blaſſen Mondesangeficht fteigt auf im 
Diten. 

Nun hörte ich draußen vor den 
Thoren jhon mein Maulthier wiehern, 
das e3 Zeit fei zum Aufbruch. Der 
gute Bater ließ es ſich nicht nehmen, 
nich mit einem Zeller Trauben und 
Feigen zu bemwirten, ermahnte mich 
aber dann zur Eile, da der Weg durch 
die Büſche und Schluchten gegen Naz— 
zaret hinab zur Abendftunde nicht der 
ſicherſte ſei. 

Zwei Stunden ſpäter verabſchie— 
dete ich mich von meinem freundlichen 
Halbeſel und gieng in Haſlers deutjche 
Reſtauration. Aber als der Körper 
gelabt war, da dürſtete es die Seele 
wieder. Wohl war fie ſchon berauſcht, 
aber von Neapels Naturfchönheit kann 
man ewig trinken, ohne überjättigt 
zu werden. Wie einladend leuchteten 
die tauſend Lichter auf Plätzen, vor 
Kaffeehäufern, Theatern und Freuden— 
jälen, aber ich gieng an die Strada 
Sta. Lucia und mietete mir eine 
Heine Gondel. Ich nahm eine, an 
deren Schnabel die rothe Laterne 
brannte und bedeutete dem Führer, 
er möge mir nur über das Gewirre 


der hundert Kähne hinaushelfen, dann 
zurüdbleiben. Jh wünſchte allein zu 
jein, würde mir ſchon forthelfen; 
etwa nach einer halben Stunde möge 
er mit einem zweiten Fahrzeuge nach— 
und der rothen Laterne zurudern, 
um nich zurüdzugeleiten. Der Mann 
ſah mich anfangs jehr ſchief an. Die 
Gondel überlaffen ?_da3 war ihm 
fiher no nicht vorgelommen. Er 
weigerte fich entjchieden, es zu thun; 
da ließ ich zwei öſterreichiſche Silber- 
gulden jo im Monde blinten, und das 
gefiel dem naturſinnigen Eicerone un— 
gemein, Auf dafs er fih nach Belieben 
diejes lieblichen Spieles erfreuen könne, 
drüdte ich ihm die Silberftüde in die 
Hand, und num war er mir zuwillen. 
Durchgehen, mochte er denken, kann 
er mir nicht mit dem Fahrzeuge, in 
einer Stunde hole ich ihn zurüd und 
' habe mir dabei mehr erworben, als 
den Erwerb eines ganzen Tages. Er 
‚leitete mich zwiſchen dem Deere der 
Gondeln Hinaus, gab mir dann das 
Ruder und einige Maßregeln und 
Iprang flint über alle die Fahrzeuge 
zum Ufer zurüd. 

Ih trieb mich möglichſt ſchnell 
‘hinaus auf die einfame Fläche, zog 
dann das Ruder in den Kahn, lehnte 
mich auf den Si meiner Reifedede 
zurüd und war nunn allein auf dem 
Meere. Die Naht war jo lau und mild, 
das Waller jo glatt und ruhig, es 
wiegte mich nur ſanft, das rothe Licht 
brammte dor mir wie ein Altarlämp— 
fein. Auf den Waſſer ſchwamm jein 
MWiederfchein wie ein Tröpfchen Blut. 

Der Mond ftand hoch am Himmel 
und wob Silberperlen in das Meer 
und in den Schleier feines Athers. 
Dort lag das weit hingedehnte Lichter- 
gefunkel der Stadt und ſenkte jeine 
‚zahllojen Strahlen in das Meer. Die 
ſchwarzen Ungeheuer der Schiffe im 
‚Hafen ſchoben ſich ineinander und 
‚einzelne Flämmlein zitterten auf ihren 
Maſten. Bor ihnen und erhöht fun— 
'felte der milchweiße Stern des Leucht— 
thurmes. Unten Hin zogen Harzige 








Punten und bunte Laternen von Luſt— 
Ihiffhen, alles im Waller wieder: 
jpiegelnd. Ih hörte das dumpfe Ge- 
raljel der Stadt, das Gejohle der 
Matrojen und mand hellen Aufſchrei 
der Ausrufer am Hafen. 

Ich erfajste wieder das Ruder 
und glitt weiter hinaus und vorüber 
beim dunkeln Gaftell dell’ Ora und in 
den offenen Golf. Das Ruder plät- 
jcherte in der Flut und das Sciff- 
fein zog gemächlich dahin. Plötzlich 
hörte ich in der Nähe von mir einen 
flingenden, zarten, zitternden Ton. 
Ich lieg das Ruder ruhen und horchte. 
Eine Mundtrommel war's. Unweit 
von mir zog ein Kahn dahin, zwei 
Geſtalten tragend, die nun, als das 
Inſtrument verjtummte, ſich mehr und 
immer mehr näherten, ſich ganz zu— 
ſammenſchmiegten und — eins wur— 
den. — Kein Ruderſchlag mehr, das 
Schiffchen ſchwankte nur leiſe, wie 
eine milde Schaukel wie eine 
Wiege. Die Mondesſtrahlen zeichneten 
Herzchen und Ringe und Schlänglein 
und Blitze auf die zitternde Meeres— 
fläde ... . 

Sch trieb abjeits und freute mich 
an diefer Sommernadt. 

Auf den Uhrthürmen von Neapel 
ſchlug eseilf. Es ſchlug nur für die Stadt, 
mich Hatte niemand erinnert an den 
Verlauf der Stunde. Weiter ließ ich 
mein Fahrzeug Hintreiben — abſichts— 
los und ziellos, wie die Laune des 
Glückes. Ich träumte von den Idyllen 
der alten Zeit, e3 war dasjelbe Meer, 
da3 ihnen geflüftert und ſie begrüßt 
dat an den palmenbejchatteten Ufern. 
Vielleicht kam die Welle, die mich jeßt 
jchaufelte, den Indus herab, der Ur— 
ftätte des Menjchengeichlehtes ent— 
fprungen ; vielleicht glitt fie dereinſt 
dem Zigris entlang, nachdem fie die 
morgentlihen Haine des Paradiejes 


durchrieſelt . . . . Iſt ja doch jeder 
MWaflertropfen unſterblich und ein 


ewiger Wanderer! 
Plötzlich war ein Plätſchern, ich 
fuhr auf, fprang empor — es war das 


Ruder ins Waſſer gefallen. Erſchrocken 
langte ih über den Rand — der 
Kahn drohte umzulippen, ih fuhr 
rüdwärts, ſtieß mit dem Ellbogen die 
Laterne in Trümmer und das Licht 
war verlojchen. 

Ohne Ruder und Licht auf Hoher 
See — mitten in der Nacht! 

Mar mir denn das nicht recht ? 
war e3 mehr als ich gejucht ? 
Mir gieng's den Moment ein menig 
Heiß durch die Glieder. Das liebliche 
Meer hatte mich gelodt, gewiegt, ge= 
ſtreichelt — gefangen, ich war jein 
eigen. 

Lange verfuchte ih das Fahrzeug 
zu lenfen und mit Dilfe des Mondes 
die entfallene Ruderftange zu erlangen. 
Es war vergebens; um mit den 
Wellen zu ringen, muſs man eine 
entiprechende Waffe haben. Wie foll 
mich mein beftellter Führer mun finden 
in der Dunfelheit? Sollte ih rufen ? 
Ein Ruf von Hier erreicht feines Men— 
ſchen Ohr, und die Fiſche find taub. — 
Hören es die Fiſche nicht, hört es der 
Herr! jagt ein altes Lied beiläufig. 
Aber ich ſchwieg und dachte: Nichts 
miſche ſich ein, dem Zufalle freien 
Lauf. Ich lehnte mich refigniert auf 
meinen Sitz. Die Nacht ift heiter, 
ruhig und milde — fie ift eine Som— 
mernaht im Golfe von Neapel, ich 
will fie genießen bis zum Morgen, 
bis mich ziehende Schiffer bemerken 
und erlöſen. — Der Cicerone wird 
fluhen, wenn er vergebens nad 
dem rothen Lichte ſucht, meine Ge— 
führten in Neapel werden ftaunen, 
daſs der ſonſt jo Pünktliche Heute 
nicht zurückkehrt. Ich bin losgetrennt 
von allem, wenn die Wellen wollen, 
entführen ſie mich leicht an die jpa= 
nische stülte oder durch die Meerenge 
von Gibraltar hinaus im den atlans 
tiihen Ocean. 

Ora, ora pro nobis! jingt der 
Schiffer. 

Der Mond begann fich zu neigen, 
die zadigen Felfen von Sorento traten 
flarer hervor. Neapels Lichterfranz 


5 


war im Verblajien, nur der Stern 
des Leuchtthurmes funkelte, er war 
weit zurüd. So jtill war’, nur daſs 
zumeilen eine Welle ihr Köpfchen bob 
und zur Nachbarin flüfterte, oder ein 
Thier emporfchnappte und gurgelte. 
Einmal fähelte ein mildes Lüftchen 
vom Lande heran und vorüber, dann 
war’& wieder Hill und in dem dunfeln 
Spiegel des Waflers lag der Mond, 
lagen die Sterne. 

Ich gedachte zu dieſer ſeltſamen 
Stunde der Vergangenheit meines 
Lebens und meiner fernen Heimat. 
Aufthaute in meinem Herzen ein 
Weihegruß, wie Sehnſucht und Heim— 
weh: 

Du liebes Haus auf ſtiller Bergeshöh', 

Von weichem Mondesſilber mild begoſſen, 

Wie grüß' ich dich aus ferner, mächtiger 
See, 

Von Frühlingswehn und Todeshauch um— 
floſſen. 

Gin ſchwankend Opferſchälchen auf dent 
Meer, 

Im Eden, das ſonſt nichts mit dir gemein, 

Du arme Heide auf den Bergeshöhn, 

Als Gottes Himmel und den Mondenjcdein. 


Über dem Kegel des Veſuv flieg 
ein leichter Feuerfchein empor, Menn 
er jet losbräche! Wenn unter Donner 
und Erdbeben dort der feurige Spring= 
brunnen emporwogte in einem unge— 
heuren Quell, Millionen Wollen von 
Rauch und Aichen aushauchend, eine 
riefige PBinie, Land und Meer be— 
dedend mit ihren Schatten, mit ihren 
fahrenden Steinen, ihrem wmwogenden 
Staub. 
Hängen die glühenden Ströme, das 


furchtbare, kochende Lavameer auf die) 


lieblichen Ortſchaften im Thale, Und 
Blitz und Sturm in den Lüften aller= 
wärts, und das Rollen und Branden 
der wild aufgejchredten See... 
Ein leichtes, ruhiges Feuerband 
nur wallte empor zu dem nächtigen 
Himmel, wie eine Friedensfahne. Aber 
über die Berge von Capri gieng eine 
lichte Nebelbant Hin, und der ſinkende 
Mond hatte einen weiten Ring. Ofter 


Und miederbraufen von den ' 


40 





und öfter zifchte eine Woge lebendig 
auf und raufchte ein wenig an der 
Mand meines Kahnes. Bon Oſten 
ber wehte ein fühles, faſt ſchneidendes 
Lüftchen. IH ſchlug mich im meine 
Reijedede und ftarrte auf den ſchau— 
felnden Kahn. Zief in der Seele war 
ich beforgt. Wie hätte ich vor wenigen 
Stunden, al3 ich auf dem Klofterwall 
von Gamaldoli geftanden und hinaus 
geblidt auf das weite Meer, an eine 
jolhe Naht gedacht! Dunkler wurde 
es, und die Lichter Neapels hatten jich 
verloren. ch orientierte mich micht 
mehr, mir war, als ſtünde der Veſuv 
in Welten und im Often der unters 
gehende Mond. Es erhob fich eine 
Brife, aus dem FFlüftern des Meeres 
wurde ein Raufchen, und mein Fahr 
zeug ſchwankte Haltlos Hin und ber. 
Die Bedrängnis der Seele gieng jekt 
auch auf den Körper über, mein 
ganzes Weſen fam aus dem Gleich- 
gewicht und die Augenlider waren 
mir jchwer, ich wuſch meine Stirne 
mit jalzigem Meerwaſſer. 

Das proſaiſcheſte Sterben wäre e3 
nicht, dachte ich mir, und legte mic, 
noch in der Wollendede Fröftelnd, der 
Länge nah in den Kahn. 

Es war ein traumhafter Zuftand, 
ich richtete mich nach einer Zeit wieder 
auf, da war es Licht, und ich jah 
deutlich das ewige Wogen und Gleiten 
der Mellen, und ich hörte von Ferne 
das Wollen und Branden. ber ich 
Jah nicht mehr die Berge, nicht mehr 
den Mond, ich ſah nichts als das 
braune, lebendige Gewäfler und Grau 
— ein lihtes Grau um und über 
mich. . 

Alſo auf hoher See?! 

Ein Strohhalm fchaufelte auf dem 
Rüden einer Welle, ich wollte ihn wie 
einen Rettungsanfer erfaflen, nicht ein— 
mal diefen konnte ich erlangen. Da riſs 
ich das Sitzbrett auf und verjuchte zu 
rudern, Mohin ? In demselben Augene 
blid hörte ich einen lebhaften Gefang. 
Sch blidte um mich — jo weit das 
Auge reichte Fein menschlich Welen — 


541 
Himmel und Waſſer. Und weiter worden ſein zum Hafen; und 
johlte der Geſang und trillerte luſtig. das, was ich für die Himmels— 


— — Weh, das iſt die Sirene, die kuppel gehalten, war der brauende, 
zieht mich hinab! — Ich wollte mich jeden Ausblick verdeckende Nebel, durch 
hinwerfen auf den Boden meines welchen jetzt die aufgehende Sonne 
Fahrzeuges und die Ohren verſtopfen, brach, und was mir wie das Rollen 
da — mie das wunderbar war! — und Branden deö bewegenden Meeres 
tauchte am Horizont ein hoher, riefiger | Hang, das war der Lärm der nahen 
Mann auf, ſtramm in einem Schiffe Stadt. Ih war erfchöpft, durchnäjst, 
ftehend und mit einem gewaltigen Ruder: und hatte ftellenmweife eine Salzfrufte 
baume die Wellen jchlagend. — an den Stleidern, aber ich fang und 
Doch, jetzt war mir's auch plöglich Har: | trillerte nun um die Wette mit der 
nicht am fernen Horizont, am nahen, | Sirene. 

aus dem dichten Mlorgennebel, der Ein gefälliger Matrofe leitete mic 
auf dem Waſſer lag. tauchte De a Anterplaß von Sta. Lucia und 
Schiffer hervor. Und gleichzeitig Jah. half mir den Eigenthümer meiner 
ich einen zweiten Ruderer, und dort Gondel aufjuchen, den ich aus Sorgen 
in anderer Richtung einen dritten, riſs und mit noch zwei Silbergulden 
und ich hörte das Gefchrei und das | bedachte, damit er auch mwujste, mie 
Getöſe des Hafens von Neapel, unſere öjterreihiihen Geldjtüde am 
Mein Kahn mujste durch die Brife! Tage und in der Sonne blinfen. 
aus dem weiteren Golf zurüdgejchoben 


Bie Anti zu Abelsbero. 


Eine Zeitgloffe. 
a 

er Maurermeifter Benjamin Gerz | Abelsberg gab "es Charaktere, aljo 
Bann zu Abelsberg hatte feine Bau— waren fie Anti-Gharaktere. In Abels= 

3 thätigkeit eingeftellt und einen berg gab es Friedensfreunde, aljo 
Antir-Bund gegründet, al3 Generalftab | waren fie AntierFriedensfreunde In 
einer großen Partei. Seine Bundesge- Abelsberg gab es etlihe Semiten, aljo 
nofjien waren der Bader Teut-Hatzel waren fie Anti-Semiten. In Abels— 
und der Buchdruder Leeb-Schultz. Hr berg gab es aber auch Ehriften, alſo 
Wahlſpruch war: Anti, ihre Thätigkeit | waren unfere drei Bundesgenofjen Anti— 





war: Anti, ihr Lebenszwed war: Anti. 
Sie waren eigentlich feine Antipoden, 
gut, jo wollten fie Anti Antipoden 
fein. In Wbelsberg gab es Abels— 
berger, aljo waren die drei Bundes 
genojjen Anti-Abelsberger. In Abels— 
berg gab es Rentiers, alſo waren ſie 
Anti-Rentiers. In Abelsberg gab es 
Arbeiter, alſo waren ſie Anti-Arbeiter. 
In Abelsberg gab es Kunſtfreunde: 
alfo waren ſie Anti-Kunſtfreunde. In 


| Chriſten. 


Um Anti-Semiten zu ſein, 
war ihre Meinung, müjsten ſie ſehr 


nothgedrungen Anti-Chriſten ſein, 
maßen der Gründer des Chriſten— 
thums ein Semite gewejen ift. Und 


das war ſchön don ihnen. 

Die drei Anti zettelten eine Chri— 
ftenverfolgung an, dergleichen ſeit 
Diofletian nicht dagemwejen. Ihr Richt- 
beil, ihr Galgen und ihre Scheiter— 
haufen war die Drudpreffe des Bun— 


542 


desgenoſſen Leeb-Schultze. In den Flug— 
ſchriften, die dieſe Preſſe ausſpie, wurden 
die Chriſten geſchunden, gezwickt, ge— 
viertheilt, gehangen, verbrannt, ge— 
köpft, gerädert, gekreuzigt, auf dem 
Roſte gebraten und in Schwefel ge— 
kocht. Sie wollten die Chriſten damit 
zwingen, ihrem ſemitiſchen Bekennt— 
niſſe zu entfagen und Bundesgenofjen 
der Anti zu werden. Aber fie erreich- 
ten e3 nicht. Die verftodten Chriften 
waren Anti in ihrer Art und liegen 
Rad und Galgen und Schwefel ruhig 
über ſich ergehen. 

Nun kam es aber einem der drei 
etwas ungereimt vor, dajs die Bun— 
desgenofjen jo hübſch zuſammenhielten, 
und als echter Anti fiel es ihm ein, 
heimlich Anti Bundesgenofje zu werden. 
Diejer Treuloje war der Buchdruder 
Leeb-Schulge. Zwar ließ er feine 
ſchwarze Guillotine ununterbrochen 
fnarren und die Blätter gegen alles, 
was nicht Anti war, flatterten wie 
Raben, Eulen und Geier hinaus in 
die Welt. Nun betrieb Herr Leeb- 
Schulte neben feiner Drudpreffe aber 
noch einen Heinen Buchhandel mit 
Traum und Lottobücheln, Kalendern, 
Gebetbühern, den Heiligen Schriften 
der vier Evangeliften u. j. w. Darin 
fand nun der Ober- Anti Benjamin 
German, welcher ſchon lange mit einem 
gewiſſen Mifstrauen auf den Bundes» 
genofjen geblidt Hatte, ein Arg. Leeb— 
Schulge hatte eine große Anhänger: 
Ihaft; im dem bei ihm gedrudten 
UntieBlatte ward Schulfes Name 
taft jo oft genannt, als der Benjamin 
German's. Benjamin German hatte 
dem Blatte in uneigennützigſter Weije, 
nur im Intereſſe der Partei, eine 
Subvention gewährt unter der Be- 
dingung, daſs auf jeder Seite des 
Blatte& der Name Benjamin German 
wenigftens zehnmal vorflomme. Das 
geihah auch und war ja recht jchön ! 
Allein unter diefem Weizen wucherte 
überall üppig das Unkraut des Na— 
mens Leeb-Schultze. Das muſs 
anders werden! Alſo jchwor der 


— — — —— — —— ——— — — —— —— — — 





Ober-Anti, und bei einer nächſten 
Bundesverſammlung ergriff er ſein 
gewaltiges Wort und ſprach alſo: 
„Ich muſs gegen den Bundesgenoſſen 
Leeb-Schultze die Anklage erheben, 
dajs er in feinem Buchhandel ſemi— 
tiſche Schriften verbreitet, weshalb ich 
beantrage, ihn aus dem Bunde der 
Anti auszuſchließen.“ 

„Ich verbreite ſemitiſche Schrif- 
ten?” wehrte ſich der Angeklagte 
fragend. „Sch bitte, mir eine jolche, 
die ich verbreite, zu nennen.” 

„Mehr als eine!" jagte Benjamiu 
German, die jüdifch näfelnde Stimme 
nahahmend. „Er verfauft das Bud 
Mofis, das Buch der Richter, das 
Buch der Propheten, die Bücher der 
Evangeliften !* 

„Mit diefer Anklage dringeft du 
nicht durch, Meifter”, ſprach der Bader 
Teut-Hatzel, „denn die genannten 
Schriften des alten und neuen Teſta— 
mentes find den Chriften vorgejchrie= 
ben. Bundesgenofje Leeb-Schulbe hätte 
den ganzen Glerus auf jeiner Seite 
und gegen uns, und mit dem dürfen 
wir es einftweilen nicht verderben. 
Erft wenn wir die römischen Herren 
nicht mehr brauchen, laſſen wir die 
altgermanifchen Götter auf fie los.” 

Benjamin German war jehr ärger- 
lih, dajs es ihm auf diefem Wege 
nicht gelungen, feinen Rivalen zu 
jtürzen. Er ſann auf ein anderes 
Mittel und fand es. 

Unter den Manufcripten der Bun— 
desjchriften, die der Buchdruder Leeb— 
Schulge zu druden hatte, fand ſich 
eines Tages ein Flugblatt folgenden 
Tertes: „Ih, Benjamin German, 
Dber-Anti, thue allen werten Ge— 
finnungsgenofjen fund und zu willen, 
dafs fie bei dem Buchdruder Leeb- 
Schulge nichts druden laffen, bei dem 
Buchhändler Leeb-Schultze nichts kau— 
fen jollen. Denn dieſer Mann ver- 
breitet Schriften ſemitiſchen Inhaltes 
und ift der Unterftügung der Partei 
nicht mehr würdig. Ih, Benjamin 
German, beabjichtige jelbjt eine Buch— 


543 


drucker-Officin und einen Buchhandel 
zu eröffnen und werde beſtrebt ſein, 
den Wünſchen aller geſchätzten Kun— 
den, die mir ihr Vertrauen ſchenken, 
auf das prompteſte nachzukommen.“ 

Buchdrucker Leeb-Schultze hatte 
ſolches geleſen. „Und das“, ſo rief 
er empört aus, „und das ſoll ich 
drucken? Ich ſoll gegen mich ſelbſt 
ſprechen, meine eigene Firma verleum— 
den ? Nie.“ 

Bei der nächſten Verſammlung 
theilte Benjamin German Folgendes 
mit: „Der Buchdruder Leeb-Schultze 
hat bisher unfere Bundesjchriften 
gedrudt. Auf einmal weigert er 
ih, das zu thun. Er weist eine 
wichtige Kundmachung des Bundes 
frech zurüd; er ftellt jeinen perſön— 
lihen Bortheil höher, als die heiligen 
Interefien des AntisBundes. Der 
Buchdruder Leeb-Schulge iſt von dies 
ſem Zage an ausgejchlofjen aus dem 
Anti-Bunde, und fein Name fei ges 
brandmarft.“ 

Alſo geſchah e3. Der Ober-Anti 
triumphierte. Bon nun an beitand der 
AntieBund aus zwei Perſonen, wo— 
von die Partei aber nur eine aner— 
fennen wollte, erflärend, daſs Benja— 


min German zu eigenmädtig bor= 
nicht vet aus. Und vielleicht ſtimmt 
fie gerade darum. 


gehe, zu eitel und zu jelbitgefäflig ſei, 
zu herrſchſüchtig, zu rückſichtslos, zu 


brutal und zu wenig redlich in der 
Kampfweiſe, weshalb er als Ober: 
Anti weiter nicht mehr anerkannt 
werden könne. 

Benjamin German zog ſich ſchmol— 
lend zurück und verfluchte die undank— 
bare Welt. Das war ſchön von ihm. 

Nun beſtand der Anti-Bund, der 
Generalſtab der Anti-Partei, nur mehr 
aus einem einzigen Mitgliede, dem 
Bader Teut-Hatzel. Teut-Hatzel war 
durch und durch Anti, ein ehrlicher 
Anti, der echteſte aller Anti. Weil 
jedoch gegen ſeine Anti-Beſtrebungen 
alle Welt ziemlich gleichgiltig geworden 
war, weil ſich ſachte eine andere 
Strömung fühlbar machte, welche dem 
Schlechten und Verderblichen, den 
Feinden eines tüchtigen und gefitteten 
Volksthumes mit anderen, fittlicheren » 
und praftifcheren Waffen zuleibe zog 
— ſo beſchloſs Teut-Hatzel ein Anti— 
Teut⸗Hatzel zu werden. Schon lange hatte 
ihm heimlich eine ſchöne und reiche 
Semitin gefallen, um dieſe warb er 
nun und heiratete ſie. 

Das iſt die Geſchichte der gewal— 
tigen Anti zu Abelsberg, welche ihr 
Princip heldenmüthig durchgeführt 
hatten, bis zur Selbſtverneinung. 

Man kennt ſich bei dieſer Geſchichte 


Kleine Toube. 


Die Krone des Scdjlofsberges. 


Der Ruf des Grazer Schlojsberges 
dringt etwas weiter hinaus als der belle 
lang der „Liejel”. Der Grazer hat 
faum eine Ahnung von dem Nufe, den 
feine Alpenjtadt in der weiten Welt ge 
nießt. Dom Örazer Schlojsberge erzäblt man 
an der Spree und am Rhein, am Dniefter 
und am Tiber. Selbit aus den Geländen 
des Miſſiſſippi herüber fam jüngjt eine An— 
frage, ob er noch jtehe, der merkwürdige 
Berg mitten in der Stadt, und ob ben 
Grazern jchon der Knopf aufgegangen wäre? 

Mir verftanden die yrage nicht recht, 
obzwar wir mancherlei Anöpfe haben 
und man auf unſerem Schlojäberge 
von Fremden häufig die Außerung hören 
fann: „Merkwürdig, daj3 die Grazer 
den ſchönſten, intereflantejten Punkt, den 
fie haben, ja den ganz Steiermark hat, 
nit ausnützen!“ Sie meinen damit 
das Plateau auf dem Sclojsberg, und 
da ftußen wir doch ein bijschen. Wie jieht 
dieſes Plateau jegt aus, und wie fönnte 
es ausjehen! Wie könnte es praktiſch aus— 
genügt werden und landſchaäftlich ver— 
ihönert! das, was heute auf der Höhe 
des Grazer Schlojäberges jteht, hat weder 
hiitoriiche Bedeutung noch landjchaftlichen 
Meiz, noch praftiichen Wert. Es tit ein 
itertler Punkt, und einzig nur die Erbe 
bung über der Stadt und der Ausblid 
ins weite Land gibt ihm die Berühmt- 
heit, und den fremden fortwährend Ans 





4 











laſs zu jagen: die Grazer willen nicht, 
was fie an ihrem Schlojsberge baben, 
Die wertvollite Stelle ihrer jhönen Stadt 
lajjen fie unbenützt liegen, als läge Sie 
fernab von aller Eultur, in einer Einöde, 

Allerdings kann Graz über das 
Schlojsbergplateau heute nicht verfügen, 
deun es gehört dem rar, Allein wir 
willen, dajs das Arar geneigt iſt, das: 
jelbe gegen einen geringen Preis an bie 
Stadt abzutreten. Da bisher verfäumt 
worden ijt, für das Hocplateau des 
Sclojäberge3 etwas zu thun, jo joll 
jest viel dafür gethban werden. Es 
macht fih in Graz, angeregt durch einen 
befannten, für dieſe Stadt hochverdienten 
Mann, eine Bewegung bemerfbar, melde 
dahin gebt, das Schloſsbergplateau mit 
Ihönen Gebäuden zu krönen und es zu 
einem großartigen Vergnügungsorte zu 
machen. Die uns bereit3 vorliegenden 
Pläne der Anlage und Bilder der Ge 
bäude find wohl jo, daj3 man jagen 
mus: Wenn ſolches zuitande fommt, 
wird der Schlojsberg als Vergnügungs— 
ort einzig in jeiner Art fein und jchon 
vermöge ſeines Bildes zablloje Fremde 
berbeiziehen aus aller Welt. 

Mir haben uns uriprünglich diejer 
Unternehmung gegemüber etwas ablehnend 
verhalten, weil uns die Befürchtung nahe 
lag, als könne durch fie das landichaft- 
liche Bild unferes Schlojsberges zerftört 
werden, fie fönne dem Gemeindefädel Geld 
entziehen, das anderwärts nüßlicher ver- 





wendet werben jollte. Wir geben von den 
Schlojsberganlagen nicht einen Baum, 
von Ausfichtsterrain auf der Höhe nicht 
eine Handbreit.*) Und der Steuergulden 
der arbeitenden Claſſen bat Wichtigeres 
zu thun, al® den Wohlhabenden Der» 
gnügungs:Ctablifjements zu bauen. 

Bei näherem Einblid in die Pläne und 
in da3 geradezu genial angelegte finan- 
jiele Programm jcheinen unfere Bedenken 
nicht gerechtfertigt zu fein. Die Draht: 
jeilbahn gebt von der Saditraße an den 
fahlen Felſen jchnurgerade hinauf zum 
Plateau; an dieſer Seite it nichts zu 
verderben ; die Anlagen an den jüdlichen, 
öftlichen und nördlichen Hängen des Berges 
bleiben, wie fie heute find. Auf dem Plateau 
werden nah der Ausführung mehr 
Bäume ftehen als heute, und troß der 
drei jtattliben Gebäude, die dort fich 
erheben jollen, wird die freie Fläche eine 
größere fein ald gegenwärtig, da bejonders 
die jegt unzugänglichen Punkte ausgenükt, 
vor allem aber die Fläche der dann überwölb— 
ten Cajematten zugänglich gemacht werden. 
Jedermann kann die Ausfiht wie gegen- 
mwärtig genießen, und mer dieſen Genujs 
erhöhen will, dem fteht ein dreißig Meter 
hoher Ausfichtsthurm zur Verfügung, 
von welchem aus er ein ungeahnt anderes, 
meitere8 und interellanteres Bild ſehen 
wird, als es fihb auf dem Plateau des 
Berges bietet. 

Die Geldbeihaffung, auf die mir 
uns nicht näher einlaſſen, ſoll — wird 
verfichert — der Benölferung von Graz 
nicht wehe thun, ihr nichts foften, und damit 
find wir zufrieden. Durch freiwillige Bei- 
ſteuerung ift in Graz ſchon vieles geleiftet 
worden. Man verjpricht fich für die Ge- 
meinde al3 die Eigenthümerin des Schlojt- 
berges einen großen materiellen Gewinn. 
Der Urheber des Planes, den eine große 
Menſchenkenntnis nicht abzujprechen it, 
jagt, daj3 man nur durch das Vergnügen 
zum Gelde gelange, mit anderen Worten: 
den Leuten Vergnügen machen, das rentiere 
fh am beſten. Wenn die Zeitläufte jo 


Gine Beihreibung des Grazer Schlojs: 
berges findet fi im „Heimgarten“ VII. Jahre 
gang, Seite 192. 


Rofegger’s „„Geimgarten‘*, 7. Keft, XV. 


find, daſs die Leute fih für Ver 
gnügen was koſten laſſen können, dann 
ift der Grundſatz vollfommen richtig. 

Wir find fein Freund großer Städte, 
und Luxus ift uns im Angefichte des 
Mafienelendes überaus verhajit. Nadı- 
dem Graz fih aber zu einer modernen 
Stadt entwidelt bat, nachdem e3 auf 
großen Fremdenzuzug rechnen mujs und 
denjelben mit allen möglichen Mitteln 
fördern will, und nachdem die unvergleich- 
liche Lage diejer Stadt und die herrliche 
Umgebung derjelben fürwahr dazu bered- 
tigt, ja verpflichtet, unjer Graz aufzu- 
zeigen und es auf Grund dieſer bejon- 
deren Himmelsgaben groß und wohlha— 
bend zu madhen, jo müllen wir auch 
trachten, unjere Werte zu fructificieren. 
Mir müſſen 3. B. traten, auch in der 
Umgebung der Stadt den Anforderungen 
de3 Fremdenweſens entſprechende Gaſt— 
häuſer zu ſchaffen, vor allem aber auf 
dem ſchönſten, beſuchteſten Punkte, dem 
Schloſsberge, ein gutes und feines Reſtau— 
rant erſten Ranges herzuſtellen. 

Was außer dieſem für das Schloſsberg— 
plateau noch geplant iſt, verrathen wir heute 
noch nicht, bemerken aber nur, daſs mancher 
ob der horrenden Idee die Hände über den 
Kopf zufammenjchlagen wird. Und doch 
muſs, wenn bei der Zeiten Gunſt die Städte 
und der Fremdenverkehr fich weiter ent— 
wideln, der Tag fommen, an welchem die 
ſtolzen Bauwerke gleih einer Krone bes 
Berges hinausleuchten ind Land uud auf 
hunderttaujenden von Bildniffen der weiten 
Melt die Kunde vom Grazer Schlojsberge 
bringen. Wir haben diejen einzigen Berg 
mitten in unſerer Stadt, wir haben 
ihn, und feine andere Stadt auf dem 
Erdenrunde. Seine jtrategiiche Aufgabe 
bat diejer Schlojäberg erfüllt, jeine neue 
Miſſion ift, das menschliche Leben zu 
verjchönern, den in die Mauern verur- 
theilten Städtern Erholung zu bieten und 
fremden Pilgern, die ausbliden nad den 
Wundern Gottes und den Werfen der 
Menichen, eine angenehme Naftitatt zu jein. 

Was einit die Großen und Mäd- 
tigen geichaffen, das muſs heute opfer- 
freudiger Bürgerſinn vollbringen. Die 


35 


u. en 


Neihen werden ſich ihr Vergnügen jelber 
zahlen, und das Armere Voll wird um- 
jonft theilnehmen und fich freuen fönnen 
an dem Grbolungsorte anf dem Berge. 
In diefem, und einzig nur in dieſem 
Sinne begrüßen wir das Project. Was 
jeit zwanzig Jahren in Graz entjtanden 
iit, hat unſeren Peſſimismus in Optimis- 
mus gewandelt. Graz bat, troß allerlei 
Oppofitionen und troß aller einjt jchein- 
bar ftihhältigen Einwendungen dagegen, 
die Induftriehalle, den Stadtpark, den 
franz Joſefsbrunnen, die Mierdebahn, 
die Hilmwarte u. j. w. befommen und iſt 
dadurch nicht ärmer geworden. Und das 
nädite Große, was zu geſchehen hat — 
e3 geichieht auf der Höhe des Schlojs- 
berges. 

Nor kurzem erfchien bei „Leykam“ 
in Graz ein Büchlein: „Wie macht man 
aus Graz eine Fremdenſtadt? Die Ziele 
und Mittel zur Erreichung dieſes Zmwedes. 
Dargeftelt von 3. K.“ (Mer hinter 
dieſem J. 8. ftedt, wird der Grazer 
leicht errathen.) Das genannte Büchlein 
muſs man lejen, um zu jehen, daſs unier 
projectierter PBalaft auf dem Schlojsberge 
mehr iſt als ein Luftſchloſs. 

Hoffentlih find wir in der Lage, 
bald Näheres über das Unternehmen zu 
berichten. 

Graz iſt noch lange nicht am Ende 
jeiner Tage, und da es faum jtehen bleiben 
wird wollen, was joviel al3 Nüdihritt 
zu bedeuten hätte, jo muſs es fortichreiten, 
beionderz als Benfionopolis und Fremden— 
jtadt, Die Concurrenz wird immer größer, 
aber unjer Graz befteht fie — wenn 
wir wollen. — Der Berfafler des ge 
nannten Büchleins fieht eine Zeit fommen, 
da der in feine Familie zurückgekehrte 
Reifende Folgendes erzählen wird von 
Öraz: 

„Wie ihr wiſst, babe ih jomohl 
die landichaftlichen Neize wie die Sehens: 
würbdigfeiten der Städte Europas jo 
ziemlich kennen gelernt, aber ähnliches, 
was Graz auf jeinem Sclojsberge jchuf, 
{ft mir doch noch nicht vorgefommen, 

Ich war zwar ſchon zu wieberhol« 
tenmalen in Graz, aber vor vielen Jahren; 


nn 


damals hatte man allerliebite landichaft- 
liche Bilder ſchon von der Stadt aus, die 
jegt durch Neubauten, die bis an die Berge 
reichen, allerdings verdrängt find. Diejer 
Nachtheil bringt wieder den Vortheil, 
dajs, wenn man beute mit der Drahtſeil— 
bahn in nur 11/, Minuten auf den 
Schlojsberg gelangt, man einen geradezu 
übermwältigenden, originellen Eindrud da— 
durch genießt, dajs der 105 Meter hohe 
Derg in der Mitte der Stadt ſich be- 
findet. Eine ähnliche Stadt jah ih noch 
nie! Die Bauten und Anlagen find rei« 
zend und mahnen mich an Monte Carlo 
an der Riviera. Someit ich mich erinnere, 
war damals das Plateau am Schloi!- 
berge Hein, beſchränkt und unbejchatter, 
heute fommt es mir faft um die Hälfte 
größer vor, obgleich drei pradtvolle Neu: 
bauten entitanden find. Ein Prome— 
nadeweg umſchließt den ganzen Berg, der 
reizende Bilder zeigt, die ich damals 
nicht kennen lernte, 

Der vornehmite Bau ijt jedenfalls 
do3 jogenannte Gallerienhaus, melde: 
diejen Namen wohl verdient, weil es aus 
vier Gallerien beftehbt, wovon jene die 
größte ift, die mit der (Fläche des Daches 
des zweiftödigen Gebäudes ſich zu einer 
Terraſſe vereint. — Sehshundert Ver— 
ſonen finden auf derſelben Raum, und 
es iſt wahrhaftig ein ſeltener Genuſs, 
16 Meter über dem Plateau dort weilen 
und ſich nicht allein einer unbeichreiblich 
jchönen Rundſchan erfreuen, jondern auch 
über die feinften Genujsartifel verfügen 
zu fönnen, 

Dreimal in der Woche werden dort 
nahmittags von den fünftlerijh wirfen- 
den öjterreichijchen Militär-Gapellen Gon- 
certe gegeben, und es iſt ein wahrhaft 
großftädtiiches Bild, ſowohl auf den vielen 
Terrafien wie auf dem großen Platcau 
die elegante Welt von Graz nah Tau— 
jenden vereint zu jeben ! 

Der dreißig Meter hohe Thurm 
wird der Wusfiht wegen zahlreih be» 
jtiegen, und am höchſten Punkte macht das 
jogenannte Thurmzimmer den effectvollen 
Schluſs; ih war entzüdt, als ich da ein- 
trat! Welcher Unterjchied des Bildes, im 


Ja —- 
| 


547 





Nergleiche mit dem Plateau! Der Süd- 
often der grünen Steiermarf lag mit 
jeinen wechjelreihen Bildern zu meinen 
‚Füßen! Der Nordmweiten rollte die Alpen 
Oberiteiermarfs auf! 

So viel Schönes auf einem Punkte 
in der Mitte einer Stadt, die auch von 
diefer Höhe mit neuem Reize übergoſſen! 

Und mas dieſes Zimmerden, in 
welchem vierzig Perfonen Pla haben, 
alles in fi birgt! 

Es ift ein Heiner Salon! Journale 
liegen auf; telephoniihd mit dem Gafe 
und den Reſtaurants verbunden, kann 
in wenigen Minuten alles, was man 
wünjcht, credenzt werden: eine allerliebite 
optiihe Neuheit unterhält jehr. 

Um fih auch im Winter in diejen Tus— 
culum an einer Winterlandjchaft ergögen 
zu fönnen, ift e3 zum Heizen eingerichtet 
und mit Spiegelfenftern verjeben. 

Höchſt originell ift, dajs von dem 
riefigen Reftaurations:Gebäude mit jeinen 
großen Sälen und Zimmern, welches eine 
Bau-Area von 2570 Quadrat-Meter in 
Anſpruch nahm, auch nicht ein Zoll des 
Mauerwerfes von dem fib am großen 
Promenadeweg ergebenden Publicum ge: 
jehen werden fann, da des tiefer gelegenen 
Baues wegen das Dach zu einer offenen, 
vor Sonne gejhüsten Terraffe, in einem 
Flächenraume von circa 1500 Quadrat» 
Meter ausgenützt wird. 

Hingegen iſt ber Effect diejes Ge 
bäudes mit feinem Bogengange, von ber 
nordweitlichen Seite der Stadt aus ge 
jehen, ein äußerft impojanter! 

Auch eine Sommer-Feſthalle hat man 
geichaffen, wo durh Mufit, Gejang und 
allerlei Productionen für das Vergnügen 
des Publicums in abwechslungsreichſter 
Weije geforgt wird. Sämmtliche Gebäude 
nebft dem ganzen Berge jtrahlen abends 
in eleftrifjchem Lichte, wahrlich ein reizen- 
der Vergnügungsort ! 

Ich wollte mich eigentlih nur einen 
oder zwei Tage in Graz aufhalten, aber 
befonder3 die herrlichen Bauten, Anlagen 
und Schönheiten des Schlojäberges feſſel— 
ten mich derart, daj3 ich volle acht Tage 
blieb und beim Fortgehen den feiten Ent« 


ihluß fajste — nach Graz zu überfiedeln 
und mich in dieſer Stadt bleibend nieder: 
zulaſſen.“ 

Spottet nicht der Zuverſichtlichkeit, 
mit welcher hier über ein großes Werk 
geſprochen wird, ohne daſs eigentlich ein 
Capital dafür vorhanden. Der Optimis— 
mus iſt ſchöpferiſch! Der Gemeinſinn, die 
Liebe zu unſerer Stadt wird es voll- 
bringen. Und dann joll er nur kommen, 
der Herr Amerifaner, wir werden ihm 
ihon zeigen, daſs auch den Grazern ein— 
mal der Knopf aufgeht ! R. 





Mein focial = politifdyes 
Glaubensbekenntnis. 


Darf in diejer Zeit, wo jedermann 
öffentlih ein Programm aufjtellt, nicht 
auch der Poet eines aufftellen ? Solchen, 
welche ohne jeine Schriften zu kennen 
fih über ihn zu Gericht jeten zu dürfen 
glauben, muſs es ja angenehm fein, des 
Mannes Verhältnis zu den Tagesitrö- 
mungen, jowie jeine Grundſätze und Jdeale 
in wenigen dürren Worten zu vernehmen. 
Ohne jelbjt Politiker zu fein, geht dem 
Poeten die politiihe und gejellihaftliche 
Entwidelung jeines Volfes nahe und er 
hat wie jeder andere das Recht, vielleicht 
die Prlicht, hiezu Stellung zu nehmen. 

Jede der gegenwärtig in unjerem 
Vaterlande wirkenden Parteien bat in 
meinen Augen eine gute und eine jchlechte 
Seite, 

An der clerifalen Partei ift 
gut, dajs fie chriftliches Leben fördern 
und religiöje Güter wahren will. 

Aber ſchlecht ift an der clerifalen 
Partei, daſs fie politiihe Vortheile und 
kirchliche Formſachen dem Geiſte des 
Chriſtenthums vorzieht und daſs fie andere 
Religionsformen mit blindem Zelotismus 
verfolgt. — Deshalb kann ich nicht mit 
ihr gehen. 

Un der liberalen Partei if 
gut, daſs fie die freiheitlihe Entwidelung 
des Einzelnen und der Nölfer innerhalb 
beitehender Geſetze begünitigen will und 
eine freundin des Wiſſens und ber 
Ihönen Künfte ift, 


Aber ſchlecht iſt an der liberalen 
Partei, dais fie in wirtichaftliden Din— 
gen die Rechte der unteren Volksſchichten 
nicht genug achtet und dem Cigenmuße 
der Befigenden fröhnt. — Deshalb kann 
ich mit ihr nicht gehen, 

Under nationalen Partei ift 
aut, dajs fie die Liebe zum angeitamne« 
ten Volke heben und ſich in jeine Dienjte 
jtellen will. 

Aber ſchlecht ift an der nationalen 
Partei, dajs fie die Vorzüge und gei— 
ftigen Güter anderer Nationen verachtet 
und die Nölfer von einander tremmen 
möchte, anftatt fie zu verjöhnen. — Des— 
halb kann ich mit ihr nicht geben. 

Un der Antijemitenpartei 
ift gut, daſs fie auf geiftigem und volfs- 
wirtichaftlichem Gebiete das jüdifche Über— 
gewicht eindämmen will, 

Aber ſchlecht iſt an der Antijemiten- 
partei, daſs fie den Raſſenhaſs predigt 
und den Juden an Gut und Leben be 
drohen möchte, bloß weil er Jude tft. — 
Deshalb kann ih mit ihr nicht geben. 

An der GSocialiftenpartei 
ift gut, dajs fie die Armen aus unwür— 
diger Knechtſchaft reiben und die Rechte 
des Arbeiters zum Siege bringen will. 

Aber ſchlecht ift an der Socialiiten- 
partei, daſs fie die größten idealen Güter 
des Menſchen, die Religion, die Wiſſen— 
ihaft, die Kunft verleugnet und die Hab- 
gier nah Materiellem anftahelt. — Des— 
halb fann ich mit ihr nicht geben. 

Meine Ideale find: Förderung des 


hriftlihen Lebens, der ſittlich frei— 
heitlichen Entwichelung des Menſchen, 


Treue zum eigenen Volke, Verſöhnlichkeit 
gegen fremde Volker, deutſches Gemüth 
auf unſerem geiſtigen, deutſche Rechtlich— 
keit auf unſerem wirtſchaftlichen Gebiete, 
Befreiung der Armen aus geiſtiger und 
materieller Unmündigkeit, und für die 
ſchwerarbeitende Claſſe ein menſchenwür— 
diges Daſein. 

Daſs dieſes Programm ſich praktiſch 
anſtreben läjst, glaube ih durch mein 
Leben und meine Ecriften bisher be 
wiejen zu haben. 

P. K. Rojegger. 


48 


Liebe ein ſociales Programm! 


Der Ernſt ſteigert ſich. Zwangs— 
maßregeln und Waffen? Es iſt nicht das 
richtige Mittel. 

Nothwendig iſt Liebe, lautere Theil» 
nahme für die Niedrigen, für die Arbei— 
ter, für das Volk. 

Sobald die Gebildeten den vierten 
Stand lieben, lernt dieſer jene verſtehen 
und würdigen. Es ijt nicht gemacht mit 
Inftitutionen und Mohlfahrtseinrid- 
tungen — perſönliche Theilnahme, Wohl: 
wollen fordert das Herz des Arbeiters, 
Der vierte Stand joll dem oberen nicht 
ein Recht nach dem anderen abtroßen; 
wir wollen ihm das jeine gerne freis 
willig jofort geben, ſtatt ihm Wohl. 
thaten aufzudrängen. Mit einem Worte: 
der ideale Kern der jocialdemofratiichen 
Bewegung will anerfannt jein. 

„Es fehlt an Liebe!” Dagegen 
Iprechen nicht die MWohlthätigkeitsanftal- 
ten, die oft ein Sport, immer demüthi- 
gend find, 

Wir betrachten den Arbeiter nicht als 
politiſch gleichberechtigt, Jondern als Neben- 
menichen, als Machine. Statt uns in 
perjönliche Beziehung zum Arbeiter zu 
jegen, jehen wir mit verjchränften Armen 
dem Spiel der einichüchternden Poliziiten 
zu; man wißelt über die gutmüthige 
Dummheit des Volkes, des Gulturdün- 
gerd, Man eifert auf der Kanzel gegen 
den Giftpfuhl der Selbitiuht und ver» 
berrlicht die Bevorzugung der oberen 
Claſſen dur den bequemen Hinweis auf 
die göttliche Ordnung. 

Worin liegt der Grund hiefür ? 
In dem äſthetiſchen Mijsfallen unjerer 
zarten Nerven an der wegen mangelt: 
der Erziehung in graufiger Nadtheit und 
Craſsheit fich jpreizenden Sünde. 

„Berfehrt mit dem Volke!“ 
Macht den Anfang im kleinen, bei den 
Dienitboten in und außer dem Hauſe. 
Sucht fie in ihren Wohnungen auf, aber 
nicht vom Diener, der die Weinflaichen 
trägt, begleitet. Wie viel kann die Frau 
der Frau jein, wenn fie fich gegenjeitig 
ihr Leid jagen und tragen helfen. Da— 








durch ſchlägt fih dann die Herzenäbrüde 
zum Bertrauen, zum Verftändnis, Dann 
ihwindet der Wahn, als habe die Bour— 
geoifte einen Himmel auf Erden, als jei 
die Geijtesarbeit fein ehrliches Handwerk. 
Freilich, um die volle Würdigung der 
Kopfarbeit zu ereichen, müflen mir für 
die geiftige Hebung unferes Arbeiter: 
ftandes jorgen, in der uns England viel 
einzuholen gibt. 

Geredtigfeit gegen die 
Sünden des Volkes. Denken wir 
an die Claſſenſünden, an die unerſetz— 
lichkeit des Tamilienlebens. Ohne dies 
wird die Genufsjucht nimmer ſchwinden. 
Ye jeltener der Genuſs, deſto heißer wird 
er erjtrebt, defto blinder gejudt. Unier 
Beiſpiel bat das Voll verdor 
ben. Unfere Prunkmähler und Prunk— 
gemächer, die das Volk liefern und leiften 
muſs, reizen die Begehrlichkeit. Auch der 
Mittelftand ohne Gummiräder hat etwas 
Großes vor dem Arbeiter voraus: die 
Behaglichkeit der Familienſtube. Fan— 
gen wir mit der Selbftinzuchtnahme an; 
dann wird dort das Huhn im Sonntags— 
topf und die Zufriedenheit jchon nach— 
fonımen, 

Achtung vor ber Arbeit des 
Volkes. Sehet dem fittlihen Wert der 
Arbeit. Für uns iſt fie nicht nur Mittel 
zum Genuſs, jondern jelbjt Genufs. Aber 
weldh ein Unterichied zwiichen Beruf im 
echten Sinne, und Fabrikarbeit. Wir 
wählen uns nah Wunſch und Drang 
die Arbeit, für die wir Luft und Kraft 
jpüren. Unfere Eigenart vermebt ſich 
ganz allmählich mit unjerem Werk, dem 
wir unbewujst den Stempel unjeres Seins 
aufdrüden. Leber neue Sieg bringt 
größere Kraft und Macht; e3 wächſt der 
Menſch mit feinen höheren Zielen, es 
wählt aub das Glück und die Freude 
am MWeiterfhaffen. Wie anders beim 
yabrifarbeiter: nicht die Wahl, jondern 
der Lohn entjcheidet, nicht gejtalten, nicht 
ſchaffen gilt es, ſondern fabrizieren, 
Die Fabrik fordert vom Menjchen nichts, 
und darım alles, Cine tödtlihe Mono: | 
tonie dDurchichneidet die Lebenskraft; es gibt | 
fein Biel, fein Plus, fein Glüd im Erfolg. 











des Arbeiters. 


Soll man darım die Fabrikarbeit 
beflagen ? Das nützt nichts, fie ift nöthig. 
Aber es gilt, das ftumpf und kalt ge 
wordene Herz des zur Majchine gewor- 
denen Wrbeiter® auf das Gebiet hinzu- 
lenken, wo es wieder Menich jein darf 
und kann. Die Religion ſoll dem Volke 
erhalten bleiben, nicht weil fie es noth— 
dürftig im Zaume hält und es meniger 
gefährlich macht, ſondern weil es darin 
Muth und Kraft zur Ausdauer, und den 
Frieden mit fich und feiner Familie wie 
derfindet. Das Familienleben mit jeinem 
goldenen, verflärenden Ampelſchein iſt 
unmöglihd ohne Sonntagsruhe, mit der 
mehr und mehr Ernſt gemacht werben 
muſs. Es genügt auch nicht, dajs mir 
den Arbeiter nur bezahlen, und dod 
Intereſſe, Sparſamkeit, Aufmerkſamkeit 
für die uns zugutekommende Arbeit er— 
warten. Wir müſſen ihn unſere Achtung 
fühlen laſſen. Denken wir nur einmal 
wieder an den Dienſtboten, der immer 
bereit, nie verdrießlich, nie mit eigener 
Angelegenheit beſchäftigt ſein darf. Wie 
viel kann da oft ein nachfragendes, theil— 
nehmendes Wort, befonderd aus dem 
Munde der Frau nützen. Eine Bäuerin 
nimmt die milde Gabe der Gutsherrin 
oft gedanfenlos nnd als jelbitverjtänd- 
(ih bin; dais fie von ihr auf dem 
Kirchweg angeiproden iſt, vergiist fie 
nicht jo leicht. 

Achtung vor dem Ehrgefühl 
des Molkes. Das Rolf fordert jie; 
jonit wählt das Milstrauen. Im Drang 
nach voller Selbitändigfeit jchreit der 
Unterdrüdte jcheinbar gemein auf. Robert- 
ion jagt: „Die wildeſte Auflehnung gegen 
faljche Autorität ift nur der erite Schritt 
zur Unterwerfung unter wahrhafte Aus 
torität.*” Der Arbeiter will auf jeden 
Fall Staatsbürger und Mitarbeiter, nicht 
Nebenmenid und Maſchine jein, das 
fordert er mit dem beiligiten Recht der 
jelbftbemujsten Menjchenbruft. Die mio» 
derne Wohlthätigfeit verlegt den beijeren 
Iheil des Volkes; denn die Wohlthat 
wird ihm aufgenöthigt. Die blane Bluje 
ijt das allgemeine Ehrenzeichen, der Talar 
Tarım: der ideale 


fern diejer nach Selbitän 
digfeit jtrebenden Bewegung 
zwingt und, das Emancipatis 
onsbeſtreben bes vierten Stam- 
des zu fördern Mie hat fich der 
Vater dem mündig werdenden Sohn ge 
genüber zu benehmen ? Nicht zu gebieten, 
jondern zu bitten, nicht zu verbieten, 
jondern zu warnen. Es ift heutzutage 
Mode, zu mijsbilligen, wo man nichts 
kennt. Man redet von Pietät, wo man 
die geiftige Trägheit rechtfertigen will. 
An Stelle des Peifimismus der Trägheit 
wollen wir Liebe üben und ausüben. 
Wer's ernjt meint, der nimmt jeine Zeit 
zuſammen, um fie dafür übrig zu haben. 
„2ertraut dem Bolfe, das liebt jeine 
Idealiſten.“ 

Solche Weiſungen finden wir in einer 
Schrift „Evangeliſch-ſociale Zeitfragen“, 
herausgegeben von O. Baumgarten in 
Jena. Sie ſeien der Beachtung derer 
empfohlen, die im Vortheile des Ranges 
und des Reichthums ſtehen. Wohl immer 
deutlicher wird es ſich zeigen, daſs Liebe 
ein gutes ſociales Programm iſt. Möge 
dieſes Programm nur auch eine Partei 
finden ! 


„Bitte an den Clerus,“ 


Die Anregung läjst bereit3 wohl— 
thätige Folgen erfennen. Eine Zeitungs- 
ſehde wäre übrigens hier wohl ganz und 
gar nnangezeigt. Das hieße die große 
Sache entwürdigen, 

Von den uns fortwährend zugehen: 
den PBeijtimmungsbriefen ſei der nad» 
jtehende abgedrudt. Er bietet, wie man 
jehen wird, bejondere Bortheile. 


Hocgeehrter Herr! 


Sie werden überrafcht fein, von mir, 
einem Ihnen wohl ganz unbekannten 
Dianne, einen Brief zu erhalten. Der 
Zwed desjelben ift, Ihnen zu jagen, daſs 
ich mich herzlich freute, Ihre „Bitte 


— — — — — — — — — —— —— — — — — — — — — — — — — — — — — 


an den Clerus“ im „Heim— 
garten” für Januar und Ihre neuere 
Zuihrift im Märzbefte zu leſen. Ich 
bewundere Ihren Muth und ſpreche 
Ihnen meine aufrichtige Hochachtung aus. 
Gott gebe nur, dajs Ihre mwohlmeinen- 
den Worte bei vielen Anklang und Be— 
achtung finden! 

Das Evangelium Jeſu Chriſti iſt in 
der That das beſte Lehrbuh für die 
Hriftlihe Religion und Sitte. Alle an- 
deren Religionsbücher follten dagegen 
zurüdjtehen. Die Lehre Chrifti und der 
Apojtel jind das Herrlichſte und Er— 
babenfte, was je in Bezug auf Religion 
und Sitte gelehrt wurde. Hätten die 
Chriſten aller Zeiten und Confeſſionen das 
„Meue Tejtament“ mehr gelefen, beberzigt 
und befolgt, jo wäre viel Unheil verhütet 
worden, E3 gäbe dann feine Spaltungen 
und Secten in der Ghriftenheit, denn 
der Wille Jeſu ift, dafs alle jeine Nach— 
folger einander lieben, daſs fie „alle 
eins jeien“, wie man bdeutlih aus 
jeinen legten Reben an jeine Jünger fiebt 
(3. B. Ev. Johannis, Gap. 15, Vers 
12, 17, ſowie in Gap. 17, Ber3 21 
bis 23). Dann hätte es niemals im der 
Chriſtenheit Herenprocefje, Keperverbren- 
nungen und dergleichen Dinge gegeben, 
über melde wir Chriiten uns vor ben 
Heiden jhämen müljen. Sie haben voll- 
fommen rebt, wenn Sie jagen, ber 
Staat jollte dafür jorgen, daſs das 
Evangelium vom Wolle mehr geleien 
werde; er würde dadurch für jeine Selbit- 
erhaltung und Befeftigung ſorgen; denn 
das Evangelium ſchließt den Elafjenhais, 
Religionshajs, Nationalitätenhaid — 
überhaupt jede Art von Haſs — aus. 
Yejus lehrte: „Du jollft deinen 
Nächſten lieben wie did jelbit“ 
(Mattb. 22, V. 39), und der Apojtel 
Paulus ſchrieb an die Chriften in Coloſſä 
(Gap, 3, ®. 11), es gezieme fih nicht 
für Ghriften, Gewicht zu legen auf die 
Abſtammung, den Stand und dergleichen, 
jondern gegenjeitig „herzlides Er 
barmen, Güte, Demuth, Sanft 
mutb und Geduld“ zu beweijen. 
Ihäten alle Ghriften nach diefen Ichönen 


me 


un A — 


nn une 


Vorſchriften, dann hätten wir jegt feine 
oder doch weniger Kriege, feinen Anti« 
jemitismus, feinen Socialismus, Nihilis- 
mus und feinen Haj3 unter den ver- 
Ichtedenen Nationen und Stämmen der 
öjterreihiich-ungariihen Monardie. Wie 
viel leichter wäre dann die Aufgabe ber 
Fürſten und Staatsmänner, wie viel 
glüdlider wären wir alle! 

Bon ganzem Herzen wünjce ich des» 
halb mit Ihnen, hochverehrter Herr, daſs 
den Kindern unjeres Volfes — ja jedem 
Ghriften, der's noch nicht hat — das 
Evangelium Jeſu Chriſti gegeben werden 
möge. Sollten Sie Arme kennen oder 
fennen lernen, die es nicht kaufen können, 
to bitte ich, demjelben zu jagen, daſs fie 
da& „Neue Teftament” oder auch die 
ganze Bibel dur mich umſonſt befom- 
men können, und zwar die katholiſche. 
Auch werde ich mit Vergnügen Ihnen 
jo viele Eremplare des „Neuen Teſta— 
mentes“ in fatholiicher oder evangeliſcher 
Überfegung zujenden, als Sie an Arme 
verichenfen wollen. 

Mit dem Wunſche, daſs Gott Ihre 
lobeuswerte Arbeit, jowie auch dieſe 
meine Zeilen an Sie mit jeinem reichiten 
Segen begleiten wolle, bin ih in voll» 
fommener Hochachtung und  berzlicher 
Theilnahme Ihr ſehr ergebener 


Ph. Wilhelm Reinmuth. 


Graz, Zinzendorfgaſſe Nr. 24. Den 
23. Februar 1891. 


Bähme die Phantafie! 


Aus dem Buche der Lebensweisheit eines 
deutſchen Denters. 


In allem, was unfer Wohl und 
Wehe betrifft, jollen wir die Phan- 
tafie im Zügel halten: aljo zu« 
vörderſt feine Luftichlölfer bauen, weil 
dieje zu fojtipielig find, indem wir gleich 
darauf fie unter Seufzern wieder einzu— 


reißen baben, Aber noch mehr jollen 
wir uns hüten, dur das Ausmalen bloß 
möglicher Unglüdsfäle unjer Herz zu 
ängitigen. Wenn nämlich diefe ganz aus 
der Luft gegriffen oder doch jehr meit 
bergeholt wären jo würden wir beim 
Erwahen aus einem ſolchen Traume 
gleih willen, dafs alles nur Gaufelei 
gewejen, daher uns "der bejjeren Wirk— 
lichkeit umjomehr frenen und allenfalls 
eine Warnung gegen ganz entfernte, 
wiewohl mögliche Unglüdsfälle daraus 
entnehmen. Allein mit dergleichen ſpielt 
unjere Phantaſie nicht leicht; ganz 
müßigerweile baut fie höchſtens heitere 
Luftſchlöſſer. Der Stoff zu ihren finjtern 
Träumen find Unglüdsfälle, die uns, 
wenn auch aus der Ferne, doch einiger- 
maßen wirklich bedrohen; bie Phantaſie ver- 
größert fie, bringt ihre Möglichkeit viel 
näher, al3 jie in Wahrheit ijt, und malt 
das FFürdhterlichite aus. Einen ſolchen 
Traum fönnen wir beim Erwachen nicht 
jogleih abjhütteln, wie den beiteren ; 
denn dieſen widerlegt alsbald die Wirk— 
lichkeit und läjst höchſtens eine ſchwache 
Hoffnung im Schoße der Möglichkeit 
übrig. Aber haben wir uns den jchwarzen 
Phantafien überlafien, jo haben fie uns 
Bilder nahe gebracht, die nicht jo leicht 
wieder weichen ; denn die Möglichkeit der 
Sache im allgemeinen fteht feit, und den 
Maßſtab des Grades derjelben vermögen 
wir nicht jederzeit anzulegen; fie wird 
num leicht zur Wahrjcheinlichfeit und wir 
haben uns der Angſt in die Hände ger 
lisfert. Daher aljo jollen wir die Dinge, 
welche unjer Wohl und Wehe betreffen, 
bloß mit dem Auge der Vernunft und 
der Urtheilsfraft betrachten. Die Phan- 
tafie joll dabei aus dem Spiele bleiben, 
denn urtbeilen kann fie nicht, jondern 
bringt bloße Bilder vor die Augen, 
welche das Gemüth unnützer- und oft 
jehr peinlicherweife bewegen. Am jtreng- 
ften ſollte dieſe Regel abends be 
obachtet werden, Denn wie Die 
Dunkelheit uns furchtſam macht und 
uns überall Schredensgrftalten erbliden 
(äjst, jo wirkt, ihr analog, die Undeut— 
lichfeit der Gedanken; weil jede Unge 


952 


wijsheit Unsicherheit gebiert: deshalb 
nehmen des Abends, wenn die Abſpan— 
nung Verftand und Urtheilsfraft mit 
einer jubjectiven Dunkelheit überzogen 
hat, die Gegenftände unjerer Meditation, 
wenn fie unfere perlönlichen Verhältniſſe 
betreffen, leicht ein gefährliches Anſehen 
an und werden zu Schredbildern. Am 
meiften ift dies der Fall nachts im Bette, 
allwo der Geiſt völlig abgeipannt und 
daher die Urtheilsfrait ihrem Geſchäfte 
gar nicht mehr gewachſen, die Phantafie 
aber noch rege it. Unjere Gebanfen vor 
dem Cinichlafen oder gar beim nächtlichen 
Erwachen find meijtens faft ebenjo arge 
Derzerrungen und Berfehrungen der 
Dinge, wie die Träume es find, umd 
dazu, wenn fie perjönliche Angelegenheiten 
betreffen, gewöhnlich pebihwarz, ja ent- 
jeglih. Am Morgen find dann alle jolche 
Schredbilder jo gut wie die Träume ver: 
Ihwunden; dies bedeutet das jpanijche 
Sprichwort: „Die Nacht iſt gefärbt, weiß 
it der Tag.“ Aber auch ſchon abends, 
jobald das Licht brennt, fieht der Ver— 
ftand wie das Auge nicht jo Har, mie 
bei Zage; daher dieſe Zeit micht zur 
Meditation erniter, zumal unangenehmer 
Angelegenheiten geeignet ift. Hierzu ift 
der Morgen die rechte Zeit, wie er es 
denn überhaupt zu allen Zeitungen ohne 
Ausnahme, jowohl den geijtigen, wie den 
förperlichen, ift. Denn der Morgen ift 
die Jugend des Tages; alles ift heiter, 
friſch und leicht; wir fühlen uns kräftig 
und haben alle unjere Fähigkeit zu 
völliger Dispofition, Man joll ihn nicht 
durch ſpätes Aufftehen verfürzen, noch 
auch an unmürdige Bejhäftigungen oder 
Gefpräche verichwenden, jondern ihn als 
die Quinteſſenz des Lebens betrachten und 
gewillermaßen beilig halten, Hingegen ift 
der Abend das Alter des Tages; wir 
find abends matt, geſchwätzig und leicht- 
finnig. 

Zur anempfohlenen Bügelung der 
Phantaſie gehört auch noch, daſs mir 
ihr nicht gejtatten, ehemals erlittenes 
Unrecht, Schaden, Verluſt, Beleidigungen, 
Zurüdjegungen, Rränfungen und dergl. 
uns wieder zu vergegenmwärtigen und aus: 





zumalen; weil wir dadurd den längit 
Ihlummernden Unmillen, Zorn und alle 
gehäfftgen Leidenjchaften wieder aufregen, 
wodurch unjer Gemüt wieder verun« 
reinigt wird. Denn, nad einem jchönen, 
vom Neuplatonifer Proflos beigebradten 
Gleichnis, ift, wie in jeder Stadt neben 
dem Edlen und Ausgezeichneten auch der 
Möbel jeder Art wohnt, jo in jedem, 
auch dem edeljten und erhabenjten Men— 
ſchen das Niedrige und Gemeine ber 
menschlichen, ja thieriichen Natur, der 
Anlage nah vorhanden. Dieſer Pöbel 
darf nicht zum Tumult aufgeregt werden, 
noch darf er aus den Fenſtern jchauen, 
— da er ih häſslich ausnimmt; die 
bezeichneten Phantafieftüde find aber die 
Demagogen besjelben. 


Schopenhauer. 


Wie dumm das junge Kind if. 


Ein berühmter Naturforfcher hat num 
auch die geiltige Entwidelung des Kindes 
feftgeftellt und im Vergleiche mit den 
Thieren folgende Entwidelungsitufen an« 
gegeben. 

Das neugeborene Kind fteht geiſtig 
auf jo niedriger Stufe, wie ein Pilan- 
zenthier. Das Kind im Alter von einer 
Mode ift jo dumm wie ein Seeitern, 
Mit drei Wochen kann es an Intelligenz 
ſchon mit einem Ringelmurm wetteitern, 
Mit fieben Moden tritt das Menjchen- 
find an geiftiger Fähigkeit bereits 
in die Reihe der Weichthiere ein. Mit 
zehn Wochen Hat es die geiftige Höhe 
der Spinnen erreicht, mit zwölf Wochen 
gar ſchon die der Fiſche. Mit vierzehn 
Mocen jteht es auf dem Niveau der höheren 
Krebsthiere, und mit vier Monaten ift 
die Seele des Menjchenfindes gleich der 
eines Neptil3, Mit fünf Monaten ijt das 
Kind jo geicheit wie eine Ameiſe, mit 
acht Monaten wie ein Gimpel, und mit 
zehn Monaten an geiftiger Größe eben- 








bürtig einem Fuchs. Mit zwölf Monaten 
bat es die Seele des Affen, mit fünf 
zehn Monaten bereit3 die Seele des 
Menſchenaffen . . . . 

Weiter fommt der berühmte Gelehrte 
in jeinen Offenbarungen nidt. 


Wir 
wagen ein paar Stufen höher zu bauen 
und vermuthen nah dem Vorhergegan- 
genen, dajs das Kind mit 11/, Jahren 
doch ſchon reichlich fo vernünftig wie ein 
Menſch, und mit 2 Jahren endlich jo 


flug wie ein berühmter Naturforjcher fein 
wird. M. 


Beildien und Hefeln. 


Zu einem Sträuflein gebunden von R. 


In jedem Haus 
Vor allem wert 
Drei Dinge find: 
Gine ſtarke Fauft, 
Ein warmer Herd, 
Ein Meines Kind. 


O nein, mein freund, das will ich nicht, 
Auf Menſchenherzen ziel’ ich nicht, 

Mit Luft und Leiden jpiel’ ich nicht. 

Viel lieber mit dem eitlen Tropf; | 
Den aufgeblaj’'nen Menfchentopf, | 
Den nehm’ ih mandmal gern beim Schopf. | 


Gouvernanten, Erzieher, 
Dieie beiden 

Sind verflogen. 

Das Leben, die Kiebe, 
Das Leiden 

Hat uns erzogen. 


Dem Wählen folgt Müſſen, 
Dem Fehlen folgt Büßen. 


O Menſch, dein Zagen, 
Das fann zu nichts führen, 
Deine Pflicht ift wagen, 
Dein Los ift irren. 


Suche überall deinen Bortheil, nur! 
dort nicht, wo er der Nachtheil eines anderen 
wäre. 


Ye mehr Bedürfniſſe du dir heute be: 
friedigft, deflo mehr must du dein Ber: 
mögen für morgen fparen, denn Die ange: 
wöhnten Bedürfnifie often morgen nod 
mehr Geld, als heute, 


—— 


Die einfachſten Dinge fallen dem 
Talente nicht ein, bloß dem Genie. 


Es iſt rührend, wie mancher Menſch 
lügend und verleumdend ſeinen Feinden zu— 
liebe ein Spitzbub wird! 


Was man fid; über Gottfried 
Reller erzählt. 


Viele Geihichten, die von der derben 
Originalität Gottfried Kellers 
zeugen, find in die Öffentlichfeit gedrun— 
gen, ihnen fügt Dr. Schubert in der 
„Deutſchen Romanzeitung” die folgen» 
den hinzu. 

Es war beim Feſtbankett gelegent- 
lich des 25jährigen Jubiläums der Unis 
verfität Zürich. Ein eigens zugereifter, 
junger deutjcher Literat, etwas geſchnie— 
gelt in Wort und Bewegung, genießt 
den Borzug, Gottfried Seller vorgejtellt 
zu werden. Mitten in jeiner Rede, wie 
er die hohe Ehre zu ſchätzen wiſſe, einem 
fo berühmten Manne die Hand drüden 
zu dürfen, fährt ihn Gottfried Steller, 
einen Schritt zurüdtretend, an: „Alſo, 
Sie find au jo A verflucdhter Schmeichel« 
hund ?* 

Keller war bekanntlich nicht verhei- 
ratet; jeines Hauſes in Zeltweg quter 
Engel war jeine Schweiter. So lange 
dieje lebte, waren feine freundjchaftlichen 
Trinfgelage noch weniger häufig, als 
nah ihrem Tode. Aber immerhin, fie 
beitanden bereit? und ließen auch an 
Gründlichkeit nicht3 zu wünſchen übrig. 
Denn einmal — wie vielleicht jo manches: 
mal — machten fich zwei feiner um einen 
Grad weniger angetrunfenen Freunde an 
das jchwierige Geichäft, ihn, den völlig 
Wankenden, nachhauſe zu führen. Sie 
nahmen. ihn in die Mitte und giengen 
Arm in Arm mit ibm, indem ſich alle 
drei feit aneinander fehmiegten. So famen 
fie, unficheren Trittes, bis vor jein Haus, 
läuteten und riefen der verjiblafen aus 


dem syeniter herunterblidenden Schweiter 
zu: „Jungfer Seller, bier bringet mer 
Ahne au de Gotiried!” „Ja, wo 
hänt' ere (babt ihr ihn)?“ fragte fie 
erftaunt. Die beiden Freunde jaben ſich 
betreten an: fie hielten wohl einander 


feft im Arm, aber der Gottfried war 
ihnen unterwegs herausgerutiht. Sie 


giengen auf die Suche nah ihm und 
fanden ihn, nicht weit davon, jtill an der 
Seite der Straße liegen. 

Jedoch nicht immer ließ fich Seller 
aus der Kneipe geleiten, E3 traf ihn einft 
in früher Morgenjtunde ein gleichfalls auf 
der Heimkehr begriffener, feiner Herr, der 
den Dichter nicht kannte. Als er den 
alten Herrn irren und wanfen jab, erfajäte 
ihn Mitleid ; er gieng freundlih auf ihn 
zu und bot ihm jeine Begleitung an, bie 
der rathloje Keller annahm, Als aber 
der Fremde ihm mach jeiner Wohnung 
fragte, fuhr er auf: „Du caibe (ver- 
dammtes) Chalb, wenn i das wüſcht', 
gieng' i allei!“ 

An ſeinem letzten Krankenbette ſaß 
ſtets einer ſeiner Freunde, vorzüglich auch 
der jeit einigen Jahren in Zürich ſeſs— 
bafte Maler Bödlin. Als der kranke 
Dichter einſt eingejchlummert war, jtand 
Bödlin leife auf, jette fich hinter das 
KHopfende des Bettes ans Fenſter und 
las. Seller erwacht, ſieht ihn nicht, glaubt, 
daſs er gegangen jei und jagt laut vor 
ich hin: „Gottlob, daſs da Hagel (nicht3- 
nußiger Kerl) ämal Furt iſcht!“ Weit 
entfernt, dieſen aufrichtigen Gefühlsaus- 
drud übel aufzunehmen (Keller wurde 
überhaupt nichts und nie etwas übel» 
genommen), bat Bödling ihn harmlos 
weitererzählt. 


Oft wohl mochte Keller geplagt jein 
um jein „Autograph“, und vielleicht in 
angeärgerter Stimmung jchrieb er, ſich 
jelbit und unfere hohe Gultur verhöhnend, 
1888 inein „Sünjtler- und Selbitichriften- 
album”: 

„Die Sonne lebt, 
Die Liebe mwebt, 
Der Streber firebt, 


Tas Beh, das klebt, 
Tie Erde bebt — — 


Das Pech, das lebt, 
Der Streber jtrebt, 
Die Liebe mwebt, 

Die Sonne lebt!" 


Moderne Beridytigung 
nah $ 19. 


Es ift unwahr, dafs bei Herrn von Kramen, 

Als wir neulih dort zujanımenfamen, 

Ih beim Freundſchaftshumpen, bei dem 
vollen, 

Einen Silberlöffel hätt’ geftohlen. 


Wahr hingegen ift bei meiner Ehre, 

Dajs der Freundſchaftshumpen halb war 
leere, 

Und bei Kramen nicht, jedoh bei Kromen 

Ich den Löffel heimlih Hab’ genommen. 


x. 


Luſtige Zeitung, 


Der Poſtgehilfe Arthur Knutzel 
war das, was Frig Reuters Unkel Bräfig 
treffend mit „entfahnter Windhund“ be 


zeichnet. Beim Schönen Geichlecht, dem 
er mit ganzer Seele ergeben war, batte 
er bisher wenig Glück gehabt. Was 
halfen ihm Mouocle, Glacés, weiße 
Weite, Enlinder — man überjah ibn 
unbegreiflicherweile troß alledem, Aber 


da fam ihm ein glüdlicher Bedankte. Wozu 
hatte er auf dem väterliben „Gute“ 
(jein Bater war Holpächter und bejaß zwei 
„ehr Fromme“ Pferde) dem Reitiport 
gehuldigt ? Wenn er fi einmal hoch zu 
Roſs zeigen würde, jo muisten ihm ja 
alle Herzen zufliegen!“ So erſchien er 
denn am einem Dienfifreien Nachmittage 
geihniegelt und gebügelt, geitiefelt und 
beipornt beim Poſthalter und bat Ddiejen, 
ihm „ein anfebnliches, recht frommes 
Pferd“ auf einige Stunden zu überlaſſen. 
Der Mofthalter kannte feinen Mann, 
„Bewijs, gern, Herr Secretär! Hier habe 
ich ein schönes, ruhiges Pferd. Für ge 





wöhnlih gebt e3 im Waletbeitellmagen, 
it aljo ganz ohne Tücke. Uber mit den 
Sporen müllen Sie fih ſchon in adt 
nehmen, ſolche Dinger it das Thier 
nicht gewohnt.“ Unſer Held jtieg auf, 
und fort gieng ed. Doch die Gangart 
des edlen Poſtgauls wollte ihm gar nicht 
recht gefallen; ganz genau jo wie vorm 
Tafetwagen trabte er. Dürfte er doc 
nur die Sporen gebrauchen? Aber was 
war denn das? Sept hielt die Rofinante 
vor einer Schnapsfneipe und war 
weder durch Schmeicdeleien, noch durch 
Drohungen von der Stelle zu bringen. 
Es wurde Knutzel klar, daſs das vor— 
ſorgliche Thier ihn vor den Ort geführt 
hatte, wo der Paketbeſteller ſich regel— 
mäßig zu „ſtärken“ pflegte, und daſs 
es nicht eher würde von der Stelle zu 
bringen ſein, bis es das gewohnte Zu— 
ſchlagen der Wagenthür hören werde. 
Was war da zu machen? Schon erſchien 
eine ſehr fragwürdige Geſtalt in der 
Thür, ſich nach den Bedürfniſſen des 
„Herrn Baron“ erkundigend, ſchon wollte 
Knutzel um Hilfe bitten, das Pferd wie— 
der in Gang zu bringen, da — nabten 
zwei Damen, Töchter des Kaufmanns 
Goldſtein; der einen detjelben batte er 
ihon lange zu imponieren verjucht. Be— 
merften ihn die Damen vor diejer Kneipe, 
jo mujsten fie annehmen, er babe fich 
bier erfriicht, hier, wo nur Plebs ver- 
fehrte! Mit dem Muthe der Verzweif— 
lung, uneingedenk der Warnung des 
Poithalters, uneingedenk der Ihatjache, 
daſs er noch nie in jenem Leben mit 
Sporen geritten hatte, ftieß er dem Thier 
mit aller Macht die Sporen in die 
Weichen. Hoch bäumte es ſich auf, warf 
Fritz Triddelfig — mollte jagen Arthur 
Knutzel aufs Plaſter und trabte 
heimwärts. Da lag nun der „Herr 
Baron“, Gott ſei dank unverletzt, auf 
dem Straßenpflaſter und hörte das 
ſchadenfrohe Kichern der Goldſtein'ſchen 
Damen. Entrüſtet ſprang er auf und 
eilte mit heftig ſchmerzenden Gliedmaßen 
dem Flüchtling nach. Dieſer war ange— 
halten, und nachdem Knutzel Geſicht und 
Kleidung nothdürftig gereinigt hatte, 


vertraute er fih ihm noch einmal an, 
um ihn dem Stalle wieder zuzuführen. 
Knugel litt viel auf dieſem Ritt heim— 


mwärts: Jeder, der ihn ſah, lachte ihm 
umvilltürlih ins Geficht. Aber das 
Schwerjte ftand ihm noch bevor. Ein 


dienjttreuer Poſtgaul kennt feine Pflicht, 
er weiß, daſs es niemals mach beendeter 
Tour jofort in den Stall geht; erit zum 
Poſtamte — abliefern. Dem Reiter 
ftodte der Athem, als er die Abficht des 
Thieres merkte, aber er wagte nicht, ſich 
zu widerfegen — aus befannten Gründen, 
Sp gieng’s denn im Paletitellmagentrab 
auf den Poſthof; bald war das gefammte 
Verjonal um Roſs und Reiter ver: 
jammelt ; wa3 da an Spott dem Schaden 
Knutzels hinzugefügt wurde, erlaſſe man 
uns zu ſchildern. — ber die wohl» 
thätigen Folgen blieben nicht aus: 
Knutzel war zur Vernunft gekommen. 
Des alten Wyneken, ihres 
langjährigen Vorſitzenden, gebenft die 
weit auögebreitete lutheriſche Miſſouri— 
Synode in Nordamerifa noch heute mit 
bejonderer Liebe und Freude. Er war 
jeinerzeit, von jeinem Gewiſſen gedrängt, 
binübergegangen, um den in Nordamerika 
firhlih verfommenden Yutheranern zu 
predigen, und wurde einer ber bedeus» 
tendften amd auch originelliten Geift- 
lichen des Landes. Einmal war er auf 
jeinen Reifen in einem Gafthaufe einge- 
fehrt, jaß ruhig am Tisch und verzehrte 
jein einfaches Mabl, da trat ein junger 
Laffe herein, erblidte den Prediger und 
fragte ihn in unverihämtem Tone: „Na, 
Sie find gewiſs ein Pfaffe?“ — „Ja“, 
erwiderte W., „und dem Umjtande allein 
haben Sie es zu danken, dak ih Sie 
nicht zur Thüre hinauswerfe.“ — Wyneken 
gab jehr wenig auf jein Äußeres. Ges 
rabezu berühmt war jeine gelbe Hofe, 
welche er wegen ihrer „Unvergänglich— 
feit* bejonders liebte. Zu diejer war er 
auf folgende Weile gefommen: In dem 
Städthen Delatur kehrte er, um ver 
Ichiedenes einzulaufen, in dem Laden 
eines Mannes ein, der ein großer Säufer 
war. Der ijt gerade dabei, einem anderen 
ein Stüd jtarfes gelbes Zeug, jogen. 





englifches Leder zuzumeljen. W., deſſen ſehen“, ſagte W. Indeſſen haben ſich 
Hoſen zu jener Zeit gar jämmerlich aus- etliche zwanzig Zuhörer um beide ge— 
jaben, jchaute zu, und vielleicht verriethen | jammelt, um zu ſehen, wo da3 hinaus 
jeine Augen den Gedanken: eine Hole will. W. wendet ih an die Umitehen- 
von jolhem Stoff würde auch mir gut | den und ſpricht: „Leute, ihr alle kennt 
thun. „Willſt du aud ein Stüd haben ?* |diefen Mann ſchon lange Zeit. Was 
fragte auf einmal der Kaufmann, W. meint ihr? Wer der Meinung ift, dais 


jagte: „Nein, ich habe fein Geld.” — 
„Und wenn ich dir eine Hole ſchenlte?“ — 


„Ich will von Shnen nichts gejchenkt | 


haben.“ — „So? warum denn mit?" — 
„Weil mir dann der Mund gejtopft wäre 
und ih Ihr Saufen nicht mebr ftrafen 
koͤnnte!“ „So? Haha! iſt's das? 
Nun, bier ift das Zeug, und nun jtraf 
zu, was du Luft Haft.“ Wyneken 
nahm die Gabe als ein Geſchenk Gottes 
an. Er brachte das Zeug heim und ließ 
ſich eine Hoſe daraus machen. Als aber 


er ein Schweinigel ſei, der ſage Ja!“ 
— „Ja, ja“, ruft die ganze Verſamm— 
lung. Und der Mann? Er geht ſtill 
ſeiner Wege. W. aber eilte hinter ihm 
drein, redete freundlich und ermunternd 
mit ihm und hatte bald die Freude, ibn 
als einen anjtändigen Menjchen rühmen 
zu können. 

Ein Arzt, ein leidenſchaftlicher 
Nimrod, erlegt auf der Jagd einen 
prachtvollen Steinadler. Hocerfreut trägt 
er die Deute jorgfältig heim, da er be 





jeine Rorfteher das neue Kleidungsftüd | abſichtigt, den Vogel als Hauptſchmud 
haben, fragten fie erftaunt: „In aller seines Zimmers ausftopfen zu laſſen. 
Zelt — wo bat denn ufe Taftor de Zuhanſe angelommen, hängt er das 
gälen Bören ber?“ Sie hatten’s bald Thier in die Kammer, in welde er ftets 
heraus, wollten aber wicht, daſs JENET | ſeine Jagdbeute, Rebhühner, Schnepfen 
liederliche Saufer ſich rühmen ſolle, ihren „, ſ. w. bringt, md gebt dann ins 
Paſtor bejchentt zu haben. Sie luden Wirtshaus, mo er von feinen Jagd 
gemeinjchaftli einen Wagen voll Welſch- freunden beglüdwünfjcht und beneidet wird. 


forn. Einer fuhr vor jenes Haus und 
lud e3 da ab. Nun war das PVermwun- 
dern bei dem. „Was machſt du ?* fragte 
er erjtaunt, „ih habe dein Korn nicht 


gefauft.” Jener aber fagte: „Da bajt! 


du dein Geld für unseren Pajtor jeine 
Böre. Du — Kerl ſollſt nicht jagen, 
daſs dur unferen Baftor erhalten müjstejt. * 
— Au einer anderen Zeit hatte Wyneken 
einen Menjchen, der fich pöbelhaft betragen, 
einfach einen „Schweinigel* genannt. Das 
wurmte den Mann, und er brobte 
öffentlih, er wolle ben Paſtor dafür 
durdprügeln. Einige Tage jpäter begeg- 
nen fich beide auf der Straße. „Sieh’“, 


fagte W., „das ift gut, dais ich Sie 
treffe, Sie wollen mich durchprügeln! 


Dazu wäre nun Gelegenheit! — „Sa, 
das will ih“, entgegnete jener halb ver— 
legen, balb zornig, „Sie haben mic 
einen Schmweinigel genannt!” — „Ganz 
recht, und das find Sie ja au!” 
„Mas? Kein Menſch kann das von mir 
tagen!“ Tas wollen wir einmal 


— 


Als er abends heimfehrt, tritt ihm feine 
Köchin, eine dralle Bauerndirn, entgegen 
mit den Worten: „Aber, Herr Doctor, 
was bees nor for e Vochel is! So 
ſchwer han ich noch keen — geroppt!” 

Gebejjert. Lientenant: „Ein 
jähriger Kohn!“ — Unterofficier: 
„Kuhn, Herr Lieutenant.“ — Lieute 
nant: „Kuhn? Ih dachte Hohn... 
Nun ja, der Mann hat ih überhaupt 
in der legten Zeit ſehr gebeijert.“ 


Bider. 


Die Bethanier. Eine biblifche Geſchichte. 
Das vorliegende Heine Epos führt uns in 
‚den Kreis der Geſchwiſter Eleazar, Martha 
und Maria Magdalena. Sie harren des 
Meſſias, jedes auf ſeine Weile; Eleazar 
ſtarr ftrenggläubig, Martha rubig und 
frohen Muthes, Maria jehnjühtig aus: 
'ichauend nad dem Gotte der Milde, der 
ı die Nächftenliebe gebietet. Im diejes jchöne, 








Heilandes, um es zu verflären. Wie dies bei | Treue, die Stimmung und wiederum die 
religiöfen Epen gewöhnlih der Wall ift, Phantaſie, welche in dieſen Illuftrationen 
tritt das Iyriihe Element au hier durd; |jo mufterhaft zur Geltung fommen, heben 
das ift die Klippe, welche jelbft Hlopftod | das Werk wejentlih über die jogenannten 
und nicht einmal Milton umjdiffen konnte; | „Brachtwerke*. Der Freund von guten Holz: 
indefien ift der Bau diejes kleinen Epos |jchnitten wird fich diefe Ausgabe der groß— 
ziemlich feit gefügt und der Grundgedanke jartigen Dichtung nit entgehen laſſen 
tönt überall jcharf genug durch. Mande | dürfen. M. 

Partien, 3. B. die Verjuhung in der Wüſte 
— obwohl nicht jeder mit der Auffafjung 
eben diejer Stelle einverftanden jein dürfte, 
— find recht fräftig durdgeführt und zus 
weilen jogar von dramatifcher Lebhaftigfeit. 
Der Bers ift gut gehandhabt und flieht 
rhythmiſch dahin, zahlreiche Stellen find von 
muſikaliſchem Wohllaut. Reine Stimmung 
und zarte Poefie athmen bejonders die, 
einen jeden Gejang einleitenden Verſe. Der 
Verfaſſer (oder Berfafjerin?) hat ſich nit 
genannt; wir fönnen in ihm jedenfalls ein 
finniges, nad Edlem und Schönem ftrebendes 
Talent begrüßen. E. S. 


Der Pfarrer von Aßbach. Eine poetiſche 
Erzählung von Alois von Warnus. 
(Linz a. D. Hofbuhhandlung E. Mareis.) 

Eine ſchlichte Dichtung, ein deutjames 
Zeitbild aus Oberöfterreichs bewegten Tagen, 
erbaulich zu leſen — aber mandem ein 
Trutzlied. 


Mirtala. Roman aus dem erſten Jahr— 
hundert nach Chriſtus von Eliſe © rzeßko. 
Autoriſierte Überfegung von Malwina 
Blumberg. (Stuttgart. Deutſche Verlags: 
Anſtalt.) 

Uns nach Rom ins erſte Jahrhundert 
nach Chriſti Geburt führend, zeichnet die 
Verfaſſerin ein Bild der unter den Cä— 
jaren mehr und mehr entarteten römi— 
ihen Sitten, und läjst innerhalb dieſer 
mehr blendenden als ſympathiſchen Kreiſe 
das lautere, zum Herzen jprehende Weſen 
der jhönen Heldin und die adhtenswerten 
Seiten ihrer äußerlich bejcheidenen, inner: 
lich aber gediegenen Familien- und Stam— 
mesgenofjien zu um fo eindringlidyerer Gel— 
tung fommen., Bi 


Im Abendgold. Neue Dichtungen von 
Otto Sutermeifter. (Frauenfeld. 
3. Huber. 1891.) 

In der Literatur Otto Sutermeifter zu 
begegnen, freut uns immer, Sei es nun, 
dass er als germaniſtiſcher Schriftſteller, als 
Kinderlehrer, als Ethnograph, als Erzähler 
oder als Dichter vor uns tritt, es ift immer 
der reine, tief durchflärte und menjchenwarme 
Beift. Seine neuen Gedichte „Im Abend: 
gold“ gehören zu dem Beiten, was er uns 
geichentt hat, Neben echten Herzensklängen 
pofitive, frudhtbringende Weltweisheit. Im: 
mer jpärlidher werden die welt: und himmel: 
gläubigen Dichter; Hier fteht noch ein fol: 
her, und wenn man die bedeutendften 
Schweizer Poeten nennen will, jo mujs man 
auh den Namen Otto Sutermeifter jagen. 
In unferen Landen ift er no nicht genü— 
gend befannt, darum rechnet es der „Heim— 
garten” fich zur Ehre, ihn vorzuführen. In 
einem nächſten Hefte findet der Leſer eine 
Reihe Gedichte von Sutermeifter, die in 
ihrer jchlichten Unmittelbarfeit mehr jagen, 
als lange Beiprehungen beweijen fünnten. 


Die Maltefer. Dramatifches Gedicht in 
fünf Ucten, in freiem Bersmafße von Fries 
drih von Kalchberg. (Als Manujcript 
gedrudt. Brud. 1891.) 

Die Zeit für diefe Art von Dramen 
jcheint vorüber zu fein, umfomehr mutbet 
uns eine Dichtung an, die wieder die Bah— 
nen der Glajjifer wandelt. Doc fann der 
Wert eines dramatiihen Werkes nicht ſowohl 
durch das Lejen, als vielmehr auf der Bühne 
beurtheilt werden, Vielleicht will's ein muthi— 


ger Theaterdirector wagen! M. 
Der Rönig von Zion. Epiihe Dichtung | 


in zehn Gejängen von Robert Hamer: | — 

ling. Illuſtriert von Adalbert von Rößler 

und Hermann Dietrichs. (Hamburg. Ber: | Aus dem Wagebudre eines Preijährig- 
lagsanftalt und Druderei Actiengejellicaft.) | Freiwilligen von Heinrih Harz. (Altona. 

Diejes in dreißig Lieferungen erſchie— | Gebr. Harz.) 

nene Prachtwerk ift nun vollendet. Die in Ohne viel Bier, wahr und ſchlicht fein 
marfiger Manier fünftleriich durdgeführten | Soldatenleben erzählt! Wer es gerne willen 
Sluftrationen find dem Text eine würdige |will, wie es draußen im Reiche in der Ka— 
Zierde; einzelne der jehr zahlreichen Bilder 'jerne zugeht, der ſoll nur diejes Tagebuch 


rührende Idyll tritt die hehre Lichtgeftalt des | find wahre Pradtitüde.. Die biftoriiche 


leſen. Es ift recht liebenswürdig geſchrieben 
und findet gewiſs bei allen, die einmal 
Soldat gemweien, oder es noch find, reihen 
Miederhall, M. 


1888 bis 1891. Zoriale Briefe aus Berlin. 
Mit befonderer Berüdfihtigung der jocial: 
demofratifhen Etrömungen, Bon Otto 
von Xeirner. — Verlag von Friedrich 
Pfeilftüder in Berlin. 


— J 


Auf Schneeſchuhen durch Grönland. Bon 
Dr. Fridtjof Nanjen. Lieferung 7 u. 8. 
(Berlagsanftalt und Druderei W.:. im 
Hamburg.) 

Mit geipanntem Interefie verfolgt der 
Lofer die Schilderung der Mühjeligkeiten 
und Gefahren, mit welchen der fühne Nord: 
polfahrer und jeine unerihrodenen Begleiter 
Tag und Naht inmitten des Treibeiles an 
Grönlands Ofilüfte zu fämpfen hatten. Nur 
diefen Eharaftereigenichaften des Führers 
ift es zugufchreiben, daſs die Erpedition 


Nicht wie jonft in den meiften Schil: | nad unjäglicen Beichwerden feſten Fuß auf 


derungen Berlins, bildet das äußere Genuſs— 
leben den Stoff. Der Berfaffer führt uns 
in das innere Leben der Reihshauptitadt 
ein, fchildert die Kreiſe des Mittelftandes, 
der modernen Million, der Künſtler und 
Gelehrten, befonders der Arbeiter. Er zeich: 
net die Frauen der verſchiedenen Stände 
in ihrem Leben und Wirfen, führt uns den 
Einflufs des Gafthauslebens in einer Reihe 
von Betrachtungen vor. Wir lernen das 
geiftige Proletariat fennen, die Bewegungen 
innerhalb der Frauenwelt, den Einflujs 
fremder Länder u. ſ. w. Bon befonderem 
Werte find die Studien über das Wirt: 
jhaftsleben in den Familien verjchiedener 
Stände, von einem wohlhabenden Mdeligen 
bis zu dem Arbeiter. Der größte Wert liegt 
jedoh in den umfaſſenden Schilderungen 
aus dem eben der jocialdemofratijchen 
Arbeiterfreife, deren äußeres und inneres 
Sein no niemals bei uns fo in die Seelen 
eindringend bargeftellt worden ift. Hervor— 
zuheben find noch die Abſchnitte, die die 
religionsfeindlidhen Strömungen der unteren 
Schichten behandeln und jene, die ſchildern, 
wie Angehörige der oberen Stände zum 
Anſchluſs an die Eocialdemofratie gelangen. 
Das Werk bildet jo einen Beitrag zur 
Geiftesgeihichte der Zeit, einen Führer zum 
Verftändnis jener Bewegungen, die heute 
den Bau des Neiches zu erſchüttern drohen. 
V. 


Natur und Menſchengeiſt im Lichte der Ent⸗ 
widelungslehre. Verſuch eines Ausgleichs 
zwiihen Wiſſenſchaft und Weligion von 
Dr. R. Rod. (Paul Hüttig. Berlin.) 

In einer Zeit, in welcher fih das 
deutjche Voll, wie viele Zeichen andeuten, 
nach einer idealeren Auffaffung des Seins 
und Lebens zurüdjehnt, will diefe Schrift, 
die eine höhere und dod mit den Anforde: 
rungen der Vernunft und Wiflenichaft ver: 
trägliche Weltanſchauung bringt, viele zu 
befriedigen und ihnen inneren Halt zurlid» 
zugeben juchen. f 


Grönlands eifiger Oftlüfte, dem Ausgangs— 
punft der eigentlichen Eiswanderung, faſſen 
lonnte. Die achte Lieferung unterrichtet den 
Reier über frühere Verſuche, welche gemadt 
wurden, um in das Innere Grönlands cin: 


judringen, Verſuche, welche bislang ftets 
erfolglos verlaufen find. V. 
Die Hygiene der Haut. Bon Paul 


Mantegazza. (Königsberg,Heinrih Map.) 

Für die Pilege der Haut gibt Verfahler 
vier Grundregeln: „Erhaltet die Blutcir— 
culation in der ganzen Hautflädhe frei und 
gleihförmig. Bewirkt und erhaltet eine freie 
und harmonijche Ausdünftung. Entfernt 
von der Haut alle ihre Ausiheidungsreite. 


leiste, » die Berührung aller ſchädlichen 


Stoffe, die von der Haut aufgenommen 
werden können.“ Er gibt donn eine furze 
Geſchichte der Waſſerheilkunde, bei Priebnig 
und Fleury, den Begründern der modernen 


| Kaltwafierbehandlung, länger verweilend. 


Stalte Bäder unter 15° R. jollten nad jeiner 
Unficht im allgemeinen nur auf ärztliche 
Verordnung genommen werden, während 
er die fühlen Bäder von 15— 20° R. aufs 
eindringlichfte empfiehlt und ihre hygieni— 
ihen Vorzüge dem Lefer in jeiner origis 
nellen und anfhauligen Art ausführlich 
begründet; nur müſſe man, jagt er, das 
falte Waffer nicht als Allheilmittel betrach— 
ten. — Zu den warmen Bädern über: 
gehend, weist er auf ihre Nußen, aber aud 
auf ihre phyſiſchen und moraliſchen Gefahren 
bin; denn „im warmen Bade weht Der 
Wind immer aus dem Orient*. Die Gründe, 
weshalb viele ohne Verordnung des Arztes 
heiße Bäder von über 30° R. nehmen, 
geikelt er in überaus draftiicher Weiſe. 
Angelegentlich empfiehlt erSonnenbäder 
und Schwigcuren und gibt Mittel an, 
am einfachſten in Schweiß zu gerathen, iſt 
zurüdhaltend gegenüber den ruſſiſchen 
und türkiſchen Bädern und widmet 
den Vorzügen und Nachtheilen der Meer: 
bäder eingehende Betrachtungen. — Im 
nädften Gapitel behandelt er die Haut: 
franfheiten, überall vorbeugende, bei 





559 


Vroftbeulen auch heilende Mittel angebend, Dem „Heimgarten* ferner zugegangen: 


und ſchließt mit einer Qobrede auf die Nein: 2 e 
lichfeit jein Büchlein, das im Gemwande Otto Fudwigs gefammelte Schriften. 


einer unterhaltenden Lectüre eine Fülle von 2. Lieferung. (dr. Wilh. Orunow. 1891.) 


Belehrung bietet. u P Lydia. Blätter der Erinnerung von 
Franz Widmann. (Leipzig. R. Klaußne. 
— — 1891.) 
Aus dem Berlin Raifer Wilhelms I. 
Die „Neue Wiener Büher:Beitung‘‘ (Ver⸗ Bilder und Skizzen von Paul Linden: 
lag von 9. Bauers Buchhandlung, Wien)| berg. (Leipzig. Philipp Reclam jun.) 
beabfihtigt, dem Publicum eine gediegene aifer Beinrih IV. Geſchichtliches 
und gemeinverftändliche Literarifch = fritifche RL. fe a — von en 
Lectüre zu bieten und die Lejeluftigen über) (Dresden. E. Pierfon. 1891.) 
die neueflen literariſchen Erjcheinungen zu 
orientieren. Es wäre eine öſterreichiſche Erzwungene Baden. Bon Joſeph 
Bücherzeitung jehr zu unterftüten und wir) Joadhim. (Bajel. Beno Schwabe. 1890.) 
wollen das neue, anftändig gehaltene Unter: Ammon. Traueripiel in fünf Aufzügen 
nehmen im Auge behalten. M. |von®ernhardLömy:Lehlenyi. (Wien. 
—— 2. Bergmann & Comp.) 


Rinder-Sartenlaube. Farbig illuftrierte Aus den Sebenserfahrungen eines Bieb: 


Zeitihrift zur Unterhaltung und Belehrung Leon: (Gotha. Friedrich Andreas Perthes. 
der Jugend im Alter von 7—15 Jahren. ) j ö ü 
X. Band. (Nürnberg) Wir weifen nur furz Edelweiß. Lieder eines Bergferen von 
auf das Erſcheinen des neuen Bandes Hin., Hermann Eißler. Zweite Auflage. 
Wie viele Kindesfreude ift wieder darin | (M. Breitenftein. Wien.) 

M. 


enthalten! Über Robert Hamerlings Lyrik. Cine 
ar literarijche Studie von Dr. Ernit Onad, 
(Graz. Leuſchner & Lubensty. 1891.) 


Zür Begetarier. Wer das jchreibt, ift ; Hera, 
ein Freund des Begetarismus, aber jelbft| zur. ———— ET 
ift er noch nicht Vegetarier. Urfade: die) (Berlin. Hans Lüftenöder. 1891.) 
leidige Gewohnheit und unjere — — 
Einrichtungen, die es ſchwerer machen, Akademiſche Feſtrede zu Grillparzers 
vegetariſch zu leben, als mancher glaubt, | hundertſtem Geburtstage. Gehalten in der 
Aber das Richtige wäre es do! Und hoffent: | Aula des Garolinums. Bon Auguft 
li bringe ih es no dahin, nur folge) Sauer. (3. ©. Calva'ſche Hof und Uni: 
Nahrung zu mir zu nehmen, die dem menjch. | derfitäts-Buchhandlung. 1891.) 
lien Gedeihen am förderlidften iſt. Das Sproffende Ranken, oder Wahrheit und 
vegetariſche Kochbuch dazu habe ih jhon, | Irrthum. Grlebtes und Erdachtes von 
es ift dasjelbe von der grau Charlotte Schulz | Seh, Geift (Münden und St. Paul, 
verfafst —*— er age in un Minn. 1890.) 
erſchienen. Man jagt, es ſei bisher das befte ; 

; Ormus und Ahriman. Nadflänge von 
aller vegetarifhen Kohbüger. Wenn man der Harfe Firdufis. Cine Sammlung von 


nur aud die Köchin dazu Hätte! M. Balladen, Romanzen und poetiichen Erzäh: 
lungen. I. Das Gejchent der Hölle. Bon 
Adolf Teichert. (Berlin, Mar Breitfreuz.) 


Wiener Humor. Sammlung der beften, 
meift neuen bumoriftiihen Vorträge und 
dramatiihen Gelegenheitsjadhen für Damen 
und Herren. Herausgegeben von C. A.Frieſe. 
Dritte Serie. 11. Heft. (Wien. C. Daber: 
fow. 1891.) 


„Bur Bee.‘ Vollsausgabe. Liefg. 7-9. 
(Hamburg. Verlagsanftalt und Druderei 











„Fleiſch für alle!“ Auf Veranlafjung 
des „Allgemeinen Deutſchen Vereines für 
Kaninchenzucht und Kaninchenverwertung“ 
iſt joeben im Verlag der „Neuen Blätter für 
Kanindenzudt“ in Schöneberg: Berlin unter 
dem Titel „Fleiſch für alle“ eine Anleitung 
zur einfachſten und koftenlojeften Zucht ſowie 
Maft von Schladtlaninden von Paul 
Wajer erfhienen, welde den Betrieb der | Actien-Gefellſchaft.) 
Kanindhenzudt nad einer ganz neuen, . 
äußerft einfahen und nugbringenden Me: Deutfde illufrierte Bienenzeitung. Or: 
thode lehrt. YV, |gan für die Gefammtinterefien der Bienen: 

zudt. Herausgegeben von Gravenhorſt. 
— (Braunſchweig. C. U. Schwetſchle & Sohn.) 
Monatlich ein Heft. 


BENENNEN VE EEE — 


Iluftrierte Jühliche Blätter. Zeitichrift 
für die gefammten praftiihen Bedürfnifie 
und Interefien des täglichen Lebens, insbe: 
fondere für Gartenbau, Blumenzudt im 
Zimmer, Öejundheitspflege, Land: und Haus: 
wirtfhaft und verwandte Zweige ꝛc. ꝛc. 
Herausgeber und Redacteur: Otto Pfeif— 
fer. (Wien.) 


Ratehismus der Wäfdebehandlung. Prat: 
tiiher Nathgeber für Frauen und Töchter, 
zur rationellen Behandlung aller Wäſche— 
gegenftände in Leinwand, Baummolle, Wolle 
und Seide; nebit FFledenreinigung. Bon 
H. Shlihting. (U. Hartleben. Wien.) 


Louis Runges Internationale Eilgut- 
Tabelle und Tariffilometer: Zeiger, (Louis 
Runge. Berlin, NO.) 


Yoftkarten des Yeimgarten. 


m. S$., Gras: Antworten Ihnen mit 
Tr. Kollmanns Worten, welche man heute 
wahrlih über die Thüre eines jeden Fa— 
milienhauſes jchreiben follte: „Jahrhunderte 
hat es der Jugend nicht geichadet, ſich auf 
der Gajie zu fummeln oder mit Spielge: 
nofien durch Wald und Feld zu ftreifen. 
Jetzt foll das plöglihd mit den äußerften 
fittlichen Gefahren verbunden fein. Weil ein 
paar Bürſchchen moraliſch verlommen, jetzt 
wie in allen Zeiten, und die Freiheit miſs— 
brauden, werden alle ins Gefängnis ge: 
ftedt. — Grauſame Logik! Der nenefte Ruf 
ift: Keine Gafjenbuben mehr. Die armen 
Jungen, die fid nah der Schulzeit auf 
der Straße herumtreiben, müflen eingefangen 
und dann noch auf ein paar Stunden an 
den Kleiftertiich, den Schraubſtock, die Dreh: 
bank gefejlelt werden, um in ihnen den 
Sinn für erwerbende Arbeit beizeiten zu 
weden. — Um ®otteswillen, treibt e8 nicht 
jo weit! Laist den Buben do die Freiheit, 
durh Regen und Schlamm, glüdlih wie 
ein König und pfeifend wie eine Drofiel, 
hinaus in Feld und Wald zu ziehen, fümmert 
euch nicht um jeden Schnupfen, den er heim: 
bringt, um jede Obrfeige, die er gibt und 
empfängt. Die Sade ift gewiſs ſehr wohl 
gemeint, aber wollt ihr denn in den Städten 
lauter geiftige und förperliche rüppel heran: 
ziehen ?* 

* Spenden für die Erhaltung und Er: 


weiterung des jo wohlthätigen Knaben-Aſyls 
und Maifenhaufes „Marianum* in Graz 





560 


— 


wären zu jhiden an die Eammelitellen 
„Tagespoft*, „Morgenpoft*, „Bolfsblatt* 
undin den Pfarrhof zu St. Leonhard in Graz. 
Die Anftalt ift von Menjchenfreunden ge: 
gründet und auf deren weitere Beihilfe 
angemwiejen. 


3. 3. B., Wallenfadt: Die bewufsten 
Kärntnerlieder erfienen bei Johann Herze 
in Klagenfurt. 


8. $., Gras: Zu tendenziös,. Auch die 
Mundart mangelhaft, dem Sinne nad aller: 
dings wader. 


3. 3. B., Judenburg: Sie irren, wenn 
Cie glauben, dafs die clerilalen Zeitungen 
die Kirche find. Es find eben Zeitungen 
wie andere — nit fhlimmer und nicht 
beſſer. 


E. P., Schönwald: Die Bemerkung war 
eine Polemikt gegen die Kreutzer-Sonate“ 
von Tolftoi, welchen die Slaven gegen: 
wärtig für ihren größten Dichter halten. 
Zolftoi hat aber in jeinem genannten Werte 
die Liebe zwiihen Mann und Weib jo tief 
erniedrigt, daſs die Nation dagegen laute 
Verwahrung einlegen müjste! 


6. M. Wien: Ya, die Selbjtanpreiiung 
mancher Reichörathscandidaten war diesmal 
doch ein bilshen zu markltichreieriih. So 
machen's die Seiltänzer, Schlangenbändiger 
und Feuerfreſſer auf Jahrmärkten. 


D. W., Angarn: freilich muſs es in jenem 
Gedichte von U. v. Berger ftatt gold’nes 
Schlüfjelein: gold'nes Schüfjelein heißen. 
Damit entfällt auch die fritifhe Bemerkung 
des Mecenjenten. Der Dichter wünſchte 
übrigens, daS in einer jo jelbftverftändlichen 
Sade die Berichtigung unterbliebe. 


*Bitten, unaufgefordert Beiträge, 
welder Art immer, nicht einzujenden. 
Das gilt ein- für allemal! 


* Im vorigen Hefte hat der Drud: 
fehler:Kobold wieder allerhand Spaffetteln 
gemadt. Im Aufjage über Hermann Hango 
hat er anftatt Hango mit einer Confequenz, 
die man ihm nicht zugetraut hätte, „auge“ 
gelegt. Auf Seite 467 heißt es Zeile 13 
„treifli, überaus eigenartig,“ joll aber 
beißen: ftofflidh überaus eigenartig. 
Zeile 29 joll es heißen: Fine glüdliche 
Verbindung von realem Denken und ide: 
alem Gmpfinden u. ſ. w. Mit Vergunft, 
Herr Kobold, Yhre Mitarbeiterihaft eins 
für allemal danfend abgelehnt. 


Für Die Redaction verantwortlih P. A. Bofegger. — Druderei ‚Leytam“ in Öraj. 


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Am Tage des Geridts. 


Gin Bollsjhaufpiel in vier Aufzügen von P. R. Kofegger. 
(Den Bühnen gegenüber alle Rechte vorbehalten.) 


(Fortjegung.) 


Dritter Aufzug. 


Eirafe. Rechts von den Zuſchauern eine gemauerte, 
balb verfallene Hütte, zu deren niedriger Thür ein 
paar Etufen binanführen, Yinfs& ein großes roth- 
angeftrihened Areuz mit einem Faft lebentgroken 
Ghriftusbilde. Unter dem Sreuze eine Stniebanf, 
Am Hintergrunde freie Gegend, ſchönes, ſonniges 
Sandihaftsbild. Die Etimmung hochſommerlich. 


Erſter Auftritt. 


Der Schorſcher, ein vierihrötiger Dann in hoben 

Stiefeln, grauer Anichofe, dunfler Wefte mit einer 

Reihe von aroßen Eilberfnöpfien, in Hemdärmeln, 

mit bunter Zipfelmübe, das Geſicht breit, geröthet, 

bartlos, brutale Züge, ———— und Wimpern 
aſchfalb. 


Schorſcher (fteht mitten auf der Straße 
und betrachtet die Hütte). Sind und Schad! 
Was das für ein fauberes Häufel ift 
gewejen vor ein paar Jahren! Und 
wie ſchaut's jet aus! Das Dad) zer- 
lempert, die Fenſterſcheiben zertrüm— 
mert, der Zaun zerrifen und ver— 
brannt. Und was die Alten übrig 
lafien, das zerflören die Rangen. — 


Mofegger’s „„Heimgarten‘‘, 8. Geft. XV. 


Schad um die Hütten. Und feit zwei 
Jahren nit einen Kreuzer Zins! — 
‚Am allermeiften harb ich mich über 
mich jelber, daſs ich jo gut bin und 
es nit Schon lang nausgeſchmiſſen hab, 
‚das Glumpert! — ber jebt, jest iſt 
meine Geduld zu End. — Er ift ein— 
geſperrt, fommt eh nimmer aus, vor 
dem brauch” ich mich mit mehr zu 
fürchten. Jetzt mag er läftern wie er 
will. Lältermaul! Als Gemeindevor- 
ftand und Armenvater ift es meine 
Pflicht, dieſe Leut' zu verjagen, wir 
ı haben unfere eigenen Bettelleut’. Ich 
bin Armenvater und weiß, was meine 
Prliht und Schuldigkeit ift. (Hinaus- 
blidend.) Nau, was fteigt denn da für 
eine verdbädhtige Greatur daher! Wird 
ihnen doch der Straßl nit wieder aus— 
kommen fein! — Ab, der Ameisgraber 
iſt's. (Ihn anrufend.) Na, Seppel, ift heut 
‚Feiertag bei dir, daſs du im jchönen 
Gwand umgehit? 





36 


ee ee een Ws ea 


Zweiter Auftritt. 
Voriger Der Shwaryj«Seppel in feinem 
jerfahrenen, abentenerliben Walbanzug fommt von 

rechts die Strake heran. 


Schwarz-Seppel. Heut hat 
alles Feiertag. Heut wird der Straß 
eintunft, 


Schorſcher. Ab, zum Gericht 


gehſt. Na, ſchaut's nur, ſchaut's, daſs 
was ausricht's. Ich werd' derweil da 
drin' Ordnung machen. 

Tritt raſch in bie Hütte.) 


Schwarz-Seppel (betramtet bie | 


Hütte). Sas Maria, iS dad a Glum— 
pert, de Hütten! Ich glaub’, es wohnt 
fogar wer drinnen. Na, da möcht” ich 
nit bleiben. Da iſt's mir erit in 
meiner Wolfshöhlen noch Lieber. 


Der Borige Lodel. Ebenfalls in ärmlichem, 
aber ziemlich forgafältig gebaltenem Eonntagsgewanbde, 
mit einem tod in der Hand, kommt dieſelbe Rich⸗ 
tung wie der Eepp, dieſen einholend. 
2odel. Laſs Zeit, laſs Zeit, 
Seppel! Schon a Weil Hab ich dich 
vor mir dahergehen jehen, man meint, 
du bift mit zum derwiſchen. 
Shwarz-Seppel. Sie jagen, 
wenn man zu fpat kam, wurd' man 
geitraft. 
Lodel. Mufst gewiſs auch in die 
Stadt zum Gericht, des Straßl wegen? 
Schwarz: Seppel. Freilich ver- 
langen’3 mich, zum Ausſagen. Der 
Straßl, das ift ein Dartgefottener, 


Schwarz-Seppel. Nau? 

Lodel. Rath’ einmal, 

Schwarz-Seppel. Geh’ mit 
dem Rathen da. Wenn einer einmal 


‚Sagt: rath', da rat’ ih nit. Da 
errath't man's gewijs nit. 
Lodel wichtig thuend),. Eine Pech⸗ 


kratzen hat man bei ihm gefunden! 
Der ſchlechte Lump wär' mir noch ins 
Gei'gangen! Werd's ſchon fürbringen. 
Werd’ reden heut' — ich red’! Pech— 
kratzen wär' er 'gangen, wenn fie ihn 
nit zum Glück Früher derwiſcht hätten. 
Der miſerablige Kerl! 
Schwarz-Seppel (mit der Fauft 
niederwärts ſtoßend). Der Straßl, der 
muſs abi! 
| 2odefcin die Lüfte weifend). Auffi muſs 
‚er, auffil! Und wir müffen abi — 
in die Stadt. 's wird ſchon bald neuni. 





Pritter Auftrift. 


Die Borigen Altes Dännfein, meldes 

etwas Polfterlih-Altweibiihes an fi hat, zahnios, 

gebüdt und baflig, trippelt dieſelbe Richtung wie Die 
frügeren daher. 


Altes Männlein. Stad, Leuteln, 
fajst’s mich ah mitkemma. 

Lodel. Oh, ſchau, die zottete 
Maus ift auch da. Bit auch vor» 
geladen ? 





Altes Männlein. Borgeladen, 


‚das nit. Ich geb’ freiwillig. Will mir 
amal an guten Tag anthun. Bin neus 
mit dem g'ſchaffen's nir allein, die 


gierig, was ihm gefchieht. Ich fürcht' 


Richter. Müffen wir ihmen helfen. nur, er geiteht’8 ein, nachher wird er 


Wenn wir nur den wegbradten! hat 
unfer Gemeindevorftand gejagt. 

Lodel. Jetzt, wenn wir zuſammen— 
halten, bringen wir ihn weg. 

Schwarz: Seppel. Du jag’, 
friegen wir a Bezahlung ? 

Lodel. Fürn Gang? 

Schwarz: Seppel. Freilich für'n 
Gang, weil wir nit fahren und mit 
reiten. Der Weg vom Kreuzed her 
ist weit. 

Yodel. Umſonſt thu' ich's mit. 
Fünf Gulden für den Gang wird nit 
zu viel jein bei einem jo großen Spitz— 
buben. Und weißt, was fie gefunden 
haben bei ihm ? 


am End gar nit gehentt. 


Lodel. Die Leugner nit? und 
die Eingefteher auch nit? Ja, wer joll 


‚denn nachher überhaupt noch gehenkt 
werden ? 


Altes Männlein. Die ehrlicden 
Leut'! 

Schwarz-Seppel. Das wär’ 
ja ſchrecklich! 

Lodel em Edwarz-Ecppel auf die Adfel 
Hopfend),. Sei ganz ruhig, dir geſchieht 
nichts. 

Altes Männlein. Gehn ma, 





gehn ma, dafs ma nit z'ſpat kema. 
Bin ſchrecklich neugierig ! 


I (Ule drei ab.) 





Vierter Auftriff. 


Martha. An einfadhem, dunkelfärbigem Gewand, 
ftaubigen Schuhen, einen gebrodenen Baumait als 
Etod tragnend, fommt dieſelbe Richtung wie die 
Porigen. Steht ein wenig fill, ſchaut aus, feht 
ih dann auf die Stufe unter dem Areuze und 
trodnet fh mit einem Zuh den Schweiß vom 
Angeſicht. 
Ma rtha— (in einem ernſten Bolfsfiedtone 
balblaut vor fid hin). 
Und wenn dein Lieb geftorben ift, geftorben ıft, 
Eo graben fie ein tiefes Grub, 
Und legen ein Kreuz ihm auf die Bruft, 
wohl auf die Bruft, 
Und fenten es ftill hinab. 
So haft du dich don mir gemwend’t, 
Und ih bin blieben dein, 
Gott mit dir, Gott mit dir, du füßer Freund, 
Es hat jo müſſen fein, 


Meine jelige Mutter, wie oft hat 
fie diefes Lied gefungen! Hat fich wohl 
nie gedacht, daſs es einmal jo auf 
mich wird paflen, und das ich ein— 
mal den Weg follt’ machen müſſen, 
den ich heute geh’. Zum Gericht. Freie 
Lich wohl befjer als Ankläger, wie als 
Angellagter. Gott mög’ uns behüten — 
all’ miteinand’! Mein Weg ift hart 
genug. US Zeugen gegen den, der 
mein Alles hat zerftört. — Still ift’s 
bier wie in der ewigen Ruh’. Dafs 
es gar jo furz ift geweſen mein Glüd 
auf der Welt. Daſs es gar jo ſchreck— 
bar hat müſſen enden! Wochen und 
Moden find jeither vorbei, und ich 
kann's nit fallen und immer noch nit 
glauben. Als ob mir einer einen 
Schlag hätt’ gethan aufs Haupt — 
und betäubt. So taumle ih hin. — 
Jetzt ſoll ich ausſagen gehen, was 1“ 
weiß. Mein Gott, was weiß ich denn? 
Wer kann's jagen? Mein Glauben ift 
wohl, daf3 er's war. Geweſen wird 
er's fein, es weist fich alles jo. (Mit in- 
nerer Leidenſchaft. Jefus, ich bin nit rach— 
gierig, aber für den, der’3 gemwejen, 
ift fein Galgen zu Hoch. Gon der Ferne 
hört -man das gleihmäßige Klingen einer Rirden- 
alode. Martha horcht. Läuten thun fie. 
Was fie nur fo läuten mitten im 
Werktag? Freitag ift, die neunteStunde. 
Das Verſcheiden Ehrifti. Eie fattet auf 
dem Schoß die Hände, und mit geſenltem Haupte 
betet fie, während die Glode noch leiſe Elingt.) 





Fünfter Auftritt. 
Die Vorige Vor der Hüfte wird ein Kleines, 
etwa fünfjühriges Mädchen fihibar, Everl, mit 
wirrem Haar, in jchlehte Lumpen gelleidet, barfuf, 
mit mageren Gliedern. übſcheß Gejihthen. An 
einem Finger lutſchend, fteht fie an der Hüttenecke 
und ſchaut mit fhredigen Nugen, mifttrauiih und 
neugierig zugleih, auf Martha. 

Martha ivemerft das Mind, hebt den 
Kopf. Für ih), Mein Gott, das Kind dort. 
Arme Leut’. Überall voller Elend, wo 
man hinſchaut. (Sreundti zu Evert.) Dirndl! 
Geh her da, Dirndl, geh her zu mir. 
Komm, ich thu' dir nichts. 

Eder! imaht zögernd, 
ES chritte vor Martha fichen). 

Martha. Schau, biſt ja ein 
braves Madel, du. Magft mir nit ein 
Krügel Waſſer bringen ? Zum Trinken. 
Kriegſt nachher von mir einen Kreuzer. 
Gelt ja! 

Everl {geht um die Hüttenecke und ver; 
ihwindet.) 
(In der Hütte erhebt fh ein Lärm, Geſchrei, 

fradiende Döbel.) 


Sechster Auftritt. 


Die Vorige. Der Schorſcher. Jeſſel, noch 
jugendlih, Nicht unfichönes, aber blaſſes, ein- 
gefallenes, krankes Geſicht, ſchwarzes Haar in loſen 
Strähnen, dunkle, große, wirre Augen. Nothdürftig 
mit grauer Leinwand belleidet, eine mattfarbige 
Bertdede Hühtig um den Oberleib gewunden. 


S ch Dt j ch er (tritt mit gebaflten Fäuſten 
lebhaft gefticulierend aus der Hütte, indem er einen 
daneben ftehenden Holzſechter mit dem Fuß fortftöht. 
In die Hütte zurüdihreiend). Das will ich 
doch Sehen, ob diefe Brut nicht zu ver— 
tilgen ift! Wimmern und betteln die 
Her’, die faule! 

N [4 ij £ [ (wanft jur Thür heraus. Mit vor- 
geſtredten, fleiſchloſen. gefalteten Händen dem Schor- 
ſcher nachflehend.. Herr Borjtand! Mein 


bleibt aber einige 


| Herr Vorftand! Nur noch kurze Zeit 


Gnad' und Barmderzigfeit! Bei dem 
am Kreuz bitt’ ih, mur heut noch 
Geduld! Nur Heut noh! Wer weiß, 
wie ſich's ändert! Gott wird's ver- 
gelten an Euren Kindern. 

Schorſcher war. Hab ich ihrer ? 
Gott fei dank, nein, 

Seljel {int vor Schorſcher aufs Anie). 
Gott foll Euch fegnen an Eurem Haus 
und Stall, an allem, was Ihr lieb 
babt, Nur unfer Elend laſst Euch 
erbarmen. 


36* 


Schorſcher. Ich hab's gejagt. 
Ich bin Armenvater. Hab auf unſere 
Leut' zu ſchauen. Du weißt, was ge— 
ſchieht. Gehſt nit hinans, ſo fliegſt 
hinaus! mitſammt deiner Brut. In 
einer halben Stund wird auskehrt! 
Ich hol' meine Knechte. Hinweg da! 
EStößt dab ihm mit dem unglafierten Waſſerkrug 
über den Weg laufende Everl beifeite.) Bande, 


verbädtige! 
Siebenter Auftritt. 


Martha. Everl, Aeifel, Lebtere iſt an ber 
Etufe der Hiltenthür zufammengefunfen. 


Everl, dem bei dem Etoße der Waflertopf zu Boden 
gefallen und zerichellt ift, hebt an zu Fchluchzen. 

Martha tgütig zu Ever. Malheur 
haft gehabt mit dem Waffer. Der harte 
Mann! Der grauslihe Menſch! — 
Komm her, Kind, deinen Kreuzer kriegſt 
du doch. Seh’, greif am! (Evert naht zu- 
traufiger.) Einen weißen friegft, einen 
Schimmel. Da ſchau, dafs du dir 
eine Semmel kannt kaufen, eine recht 
große. (Gibt dem Everl eine Silbermünge.) Bil 
ja ein liebes Dirndl, du. — Die dort, 
das ift deine Mutter, gelt? 

Eder! inidt mit dem Kopf). 

Martha. Sag mir einmal, Kind, 
wie thuſt denn du heißen, han? 

Everl. Eva Straßl. 

Martha. Wie? Wie fagft? 

Everl. Eva Strahl. 

Martha. Strafl! Straßl! Und 
dein Water ? 

Everl. Eingefpertt. 

Martha dislänt die Hände zufammen. 
Für ib.) Da hat man's. Die Straßl- 


564 


| 


Toni-Leut'. — Gott, da ſchaut's aus! 


Jeſſel ür ir. Iſt das ein Leben! 

Martha échennehmend). Iſt Euch 
ſchlecht? 

Jeſſel qiets bitier und hetb). O Gott! 

Martha. Was iſt denn das mit 
Euch? 

a e ij el taufzwdend), 
Das Elend ift das. 

Martha. Ihr jeid kranf. Und 
jo allein, 


Jeſſel (auf mehrere hübſche, aber ver— 
wahrloste Ainder deutend, die in der Thür zum 
Vorſchein kommen). Yeider Gottes, nein. 


Was das ift? 





Martha. Steht Euch denn nie— 
mand bei? 

Jeſſel. Uns? Uns beiftehn? — 
Frau, bift denn du nit gefcheit ? oder 
fremd? Bift nit auch du gelommen, 
uns einen Fußtritt zu geben? Nur 
zuftogen, da find mir. 

Martha. Weib, was find das 
für Reden ? 

Seffel teren. Alfo was willſt? 


Martha. Auf dem Weg in die 
Stadt bin ich. Wollt' ein wenig raſten 
da, und — wenn dir ſchlecht iſt, und 
ſonſt niemand bei dir — 

Jeſſel Gitier). In die Stadt, da 
musst Schnell machen, fonft verfäunft. 
Iſt große Unterhaltung dort. 

Martha. Weiß nichts. Ich küm— 
mere mich um feine Unterhaltung. 

Jeſſel. Zu der ſollſt aber doch 
gehen. Dan ſieht's nit alle Tag, wie 
einer gehenft wird. 

Martha. ch weiß nur, dafs in 
der Stadt eine Gerichtsverhandlung ift. 

Jeſſel. So viel wie gehentt. Iſt 
ja der Straßl-Toni. Natürlich. Hat 
ja einen Jäger derſchoſſen. 

Martha. Iſt es doch wahr! 

Jeſſel. Natürlih! Sagen es ja 
alle. Alle ſagen's. So muſs es wahr 
fein. Da Hilft ihm nichts. — Morgen, 
wenn die Sonne unten ift — oh! 
(Birgt ihre Geſicht ſchaudernd in bie Lappen.) 

Martha Geugst fi nieder zu Jeſſel, um 
ie aufzurichten). Mufst nit, Weib, mufst | 
nit fo. Gott iſt barmherzig. Und du | 
bift ja unschuldig. 

Jeſſel. Unſchuldig? Mitſchuldig, 
muſst du ſagen. Mitſchuldig! Ich und 
die Kinder ſind ſchuld, wenn er mit dem 
Gewehr in den Wald gehen muſs. 

Wir haben ja nichts! Oh, die 
Leut’ verfolgen uns, 

Mart h a (üb gegenüber auf einen Holz 
blod jehend). Aber mein Gott, das muſs 
doch eine Urſach haben! 

Jeſſel. Freilich hat's eine! 

Martha. Thut er trinlen oder 
jpielen, oder was ? 

Jeſſel. Dazu haben wir fein 
Geld. Aber foviel fhimpfen, wenn er 


wild ift und zornig und trußig. Der 
Trutz ift fein größter Fehler. Und ſonſt 
ih Halt auch nit ſchicken können zu 
den Leuten, Aber das thät’ alles nichts 
machen, unjere größte Untugend ift, 
daj3 wir arm find. Arm und fremd, 
Haben keinen Heimgang. Jeder Bettler 
kanu heimgehen und jein Elend ab» 
laften auf der Heimatserden. — Wir 
find ander? dran, mein du. Der 
Straßl-Toni ift fahrender Leute Kind, 
hat keine Schriften, gar nichts. Überall, 
wo wir mögen jein, hätten fie uns 
gerne fort und willen mit, wohin mit 
uns. Was wir fchon Hin» und ber» 
geſchummelt worden find wie die Zi— 
geuner! Möchten gerne arbeiten und 
feftftändig werden — fie laffen uns 
nit. Nichts als getreten, nie was 
Gutes, feine Brüderlichleit bei den 
Leuten. Man muſs verzagt werden. 
Schier wild und liftig ift er worden, 
der Straßl, aber ſchlecht nit. Gewiſs 
wär's ausgebliebendamalg, daserjtemal, 
aber verführt ift erworben. Hat ihn ein 
ſchlechter Kamerad in den Wald mit- 
gelodt. Den Hirfchen Hat der andere 
geſchoſſen, erwischt und eingejperrt ift 
der Straßl worden. 


Martha. Iſt das wahr? 


Jeſſel Giebt au. Was fragft denn? 
Willſt mir glauben, jo thu's aufs 
eritemal. — Häit' er ihn verrathen 
dazumal, den Kameraden, leicht wär’ 
er früher ausfommen. — Ob Narr, 
immernoch früh genug. Hätt's drinnen 
beſſer gehabt wie heraugen! Der 
Sündenbock! Allemal, wenn in Wald 
was ift geftohlen worden: der Straß 
hat's gethan, und fein anderer als 
wie der Straßl. Um Wrbeit Hat er 
herumgebeten wie ein Menſch mur 
bitten kann, und wär’ die härteſte, 
er wollt’ ſie mit Fleiß verrichten und 
feinem Menſchen was Ubles. — Was 
hat’3 ihm geholfen? Der verdächtige 
Lump Hat er fein müſſen und aller 
weil alles hinter ihm ber. Gott, 
wie mir diefer Menfch oft hat erbarınt! 
(Eintt wieber an der Thürtreppe nieder.) 


— 


———— — — — ꝰꝰꝰ ꝰ ꝰꝰꝰꝰꝰꝰꝰ ꝰ —————— ————— — ——— — — 


Martha. Ih glaub dir's, Weib, 
dajs du verzagt bijt und verbittert, 
ih glaub dir's. Aber ſchau', jollit es 
ihnen mit fo ſchwer anschreiben, jollit 
ihnen verzeihen. 

3 4 ſſel llacht grell auf). 

Martha. Ich weiß wohl, ver— 
zeihen iſt das Allerſchwerſte, aber auch 
der größte Segen Gottes. Man erlöst 
ſich ſelber, man macht ſich ſelber ſelig, 
wenn man anderen gut iſt. 

Jeſſel. Sollen uns nit ſo ſchlecht 
machen, wenn ſie uns gut haben wollen! 
— Sie ſchlagen ihn ja in uns 
hinein, den Teufel. — Wie im vorigen 
ſtrengen Winter. — Der Toni geht 
in den Wald und klaubt Holzäſt' zu— 
ſammen — Aſtlein, wie ſie der Wind 
vom Baum bricht. Derwiſcht haben 
ſie ihn dabei und zuſchanden ge— 
ſchlagen. Dazumal hat er vor dem 
Kreuz dort die Hand aufgehoben und 
geſagt: „Herrgott, hüt' mich, daſs es 
fein Unglück gibt!“ — Durch Mark 
und Bein iſt es mir gegangen, das 
Wort. Arbeit hab ich gerucht, um 
Gotteswillen, nur Arbeit, daſs ihm 
ſolche Gedauken vergehen. Gethan hätt’ 
er nichts, aber ſchon die böſen Ge— 
danken vergiften den Menſchen. 
(In der Hülte Kindergeſchrei und Gepolter.) Everl, 
geh' hinein! Fried geben ſollen ſie! 
Everl geht in die Hütte) Der einzige Uber— 
fluf8, den wir haben, Kinder und nichts 
als Heine Kinder. 

Martha. Wie viel habt's ihrer? 

Jeſſel. Sieben thäten fein, wenn 
fie alle am Leben wären. Zwei find 
an der Auszehrung geitorben, ein 
drittes — 

Everl (von der Hütte herausſchreiend). 
Raufen thun fie jo viel, und der 
Jaderl Hat dem Micherl mit dem 
Hammer ins Geficht geihlagen. Weil 
er's Brot will haben. 

Jeſſel cineinrufend). Das Brot follen 
fie theilen! 


Everl. Ya, der Micherl Hat’s 
ſchon 'geſſen. 
Martha dürfe. 's if ein 


Sammer! 


Seffel. In Zeit und Weil bete 
ih zu unjerm Herrgott, dafs er die 
armen Würmer zu fich nehmen möcht’, 
und geſchwind darauf bet’ ich wieder 
zu unferer lieben Frau um Fürbitt', 
dafs der Herrgott doch mein Gebet nit 
erbören möcht’! Ich Hab ja jonft fein 
Leben und feine Freud auf der Welt, 
wie dieſes großes liebe Kreuz, die 
Kinder. (Sie weint.) 

Martha dest ihr die Hand auf die Adlel). 
Mein dich Hl aus, dann wird dir 
leichter. 

Se j jel (fieh wieder fammelnd, zu Martha 
aufblidend). Ich weiß nit — jo gut wie 
du ift mie Schon lang fein Menſch 
mehr gewejen, Und kenn' dich gar nit. 

Martha. Sollt's dir wohl tun, 
dafs du dich ausſprechen kannſt, jo 
thue es — thue es zu mir, Armes 
Meib «indem ihr felber der Schmerz den Hals 
zufsnürt, erbarmen thuſt mir bis ins 
Herz. — Wie hat’3 denn können fein, 
was jeßt ift gejchehen ? 

Jeſſel. Mit ihn, meinft! 
Bei der Hohwand oben haben fie einen 
Steg gebaut. Weil ſich fonft Feiner 
binaufwagt in die wilde Wand, hat 
der Straßl dort die Eijenflammern 
eingebohrt. Dafür zwei Gulden Lohn. 
Wir Shiden gleih das Dirndl hinaus 
ind Dorf zum Bäder. Woher nehmen 
denn diefe Leut’ das Geld? hat's ge= 
heißen. Sind eh’ jchuldig bei uns, 
gib’a nurher! Weinend kommt's Dirndl 
zurüd, und mit ein Krümmel Brot 
bringt's mit! Da ift der Toni ftill, 
fein Wort Hat er gejagt und geht fort. 

Martha. Erzähl’ weiter. 

Jeſſel. Den!’ ein Unglüd, Frau, 
aber dent’ nichts Schlechtes von ihm. 
Die Naht vergeht, und am Morgen 
iſt mein erfter Blid auf den Herd hin, 
wo er jonft fchlaft. Iſt nit da. Am 
Vormittag kommt der Plattel-Franz, 
jein Holzichlagfamerad von ehezeit her 
und fragt nad feinem Kugelſtutzen. 
Mir gleih ein Stih ins Herz, wie 
ih vom Schufsgewehr hör’. Wieder 
wildern, Wieder eingefperrt werden! — 
Gegen Mittag kommt er felber. Ohne 


66 





Gewehr und ohne Wildbret. Lehnt in 
den Winkeln herum und redet nicht®. 
Iſt dir was, Toni? Hab ih ihn noch 
g'fragt. — Lafst’3 mi mit Fried’! 
jchreit er auf, und nachher wieder 
nichts. — Ruft auf einmal der Weg— 
macher beim Fenſter herein: Habt es 
Ichon gehört? Der Kreuzjäger ift er» 
ſchoſſen! — Ich ftill, Schau den Toni 
an. Daft es gehört? fag’ ich, der 
Kreuzjäger! — Wegen meiner, gibt 
er Antwort, wer fo tief im eigenen 
Elend ftedt, der jieht fremdes mit mehr. 
Und geht wieder fort. Mir ift ad 
und weh’ gewefen und hab nit gewufst 
warum, Es wird Nacht, und e& wird 
Früh, und er ift nit da. Kommt die 
Nachbarin und fchreit: Gut, dafs fie 
ihn haben. «Erben fi.) Men? frag ic. 
Den Straßl-Toni. Er ſitzt ſchon, ſagt 
fie, er iſt's geweſen. — Id, gar mit 
einmal foviel erſchrocken, ſag: Na— 
türlich, allemal, wenn was geſchieht, 
iſt's der Straßl geweſen. Zum Laden 
iſt's. Gut, wenn du dir's nit 
ſchwer legſt, ſagt die Nachbarin und 
geht wieder. Und ich allein mit meiner 
Angſt. Geſchoſſen kann er haben, aber 
nit auf einen Menſchen! Auf einen 
Menſchen nit, dafür leg ich meine 
Hand ins Feuer. 

Martha. Dein Vertrauen zu ihm 
iſt brav. 

Jeſſel Guſſchreiend). Mas Hilft das? 
Er fteht vor dem harten Gericht. Die 
Zeugenfchaft lauter Feinde. Die ſtreuz— 
jägerin felber fol dabei fein. Aile 
werden fchreien: Er hat's gethan. 
Und feiner, der ihm zur Seiten fund. — 

Martha iberusigendn. Mufst dich 
nit jo aufregen. Schau, dent’ an deine 
Kinder. 

Jeffel tauftreiinend). Hei, dieKinder! 
Das wird noch Iuftig werden mit diefen 
Kindern! Wenn fie einmal fragen: 
Mo ift unfer Vater? Was werde ich 
antworten ? Soll ich warten, big fremde 
Leut' zu Schand und Spott Hinfchreien: 
Gehenkt ift er worden! — Ad, meh, 

weh, ich weiß mir mit zu Helfen! 
(Bricht an den Etufen zufammen und ftöhnt.) 


— 





Martha mit Innigkeit ihr beiftehend). 
Armes Weib. Du denkt nur an das 
Schlimmſte. E3 wird anders fein und 
bejjer als du meinft. Schau, mufst 
mit vergeſſen auf den da oben! Dft 
lange bleibt er aus und läjst den 
Menſchen ſinken, aber in der aller: 
größten Noth, wenn niemand jonft 
mehr helfen fann, fteht er da mit 
feiner Barmherzigkeit und Allmadt. 
Zu diefer Stund fanıı er Erleuchtung 
und Erbarmen legen in das Herz 
feiner Richter, Mitleid in die Bruft 
jeiner Ankläger und ſtillen Troſt in 
feine eigene. Sei in Frieden, meine 
arme, gute Schweiter, du wirft nit 
verlafjen fein. — Sonft kann ich dir 
nichts mehr jagen, ich mußs jeßt fort, 
habe einen wichtigen Gang. Da nimm, 
ich bitte dich, nimm, was ich bei mir 
habe (egt ihr die Geldbörfe in den Shoh), und 
ftärfe dih und faſſe Muth. 

J e j jel (erflaunt zu Martha aufblidend). 
Wer? Wer bift denn du? Eeibt fi) die 
Augen.) Ich kenn mich nit mehr aus. 

Eve tl (won der Thür aus aufgeregt in bie 
Gegend zeigend). Mutter! Er fommt! Er 
fommt ſchon wieder! 

Sessel «uffahrend). Mer kommt ? 

Everl. Der grausliche Menſch! 


(Stürzt in die Hütte jurüd.) 


Adıter Auftritt. 


Schorſcher mit zwei Anchten, 


Schorſcher {ju den Anechten gegen 
Deſſel weifend). Da padt an! Das ganze 
Glumpert hinaus! Weg mit der! 

Martha dur is). Jf das nit der 
Schorſcher-Bauer? Der Gemeindevor= 
ftand von Sarleiten ? 

Schorſcher «su den Ancchten). 
wird’ ?! 

Ein Knecht wögend. Die da? 
Aber Bauer, die ift ja ganz Trank! 

Schorſcher im sucht. Mas? 
Willſt vielleicht du mir Weifung geben! 
Schlingel, du fauler, gib acht, daſs 
dir nichts paffiert! — Hinaus mit 
dem Gefindel! Oder ich greif jelber 
an, und bei dir zuerft! 


Die Vorigen. 


Na 


567 





Martha {gegen den Schorſcher tretend). 
Das ift nitEuer Ernft, Herr Gemeinde 
vorftand. Leute, die in einem fo großen 
Elend fteden, wie die da, ſtoßet Ihr 
nicht auf die Straßen. 

Schorſcher. Die Bagaſch ſoll 
arbeiten! Diebs- und Mordsgeſindel! 

Martha ter.) Gebt acht auf Eure 
Red, ſie kunnt Euch ſchaden. Noch iſt 
er nit verurtheilt. 

Schorſcher. So! Und ſonſt 
nichts? — Warum iſt er denn ein— 
geſperrt geweſen? Und was ſagt denn 
das Zuſtändigkeitsgeſetz? Han? 

Martha. Blümel blamel, Bauer. 
Nit weil der Straßl-Toni eingejperrt 
ift gewejen, und nit, weil das Zur 
ſtändigkeitsgeſetz was jagt, macht Ihr 
diefe Leute obdachlos, als vielmehr, 
weil fie den Zins nit können zahlen, 


Schorſcher. Soll id, der Schor- 
Icher- Bauer, der fein Lebtag einen ehr— 
baren Rod tragt, foll ich mein Geld 
an Herlaufern und Wildſchützen ver— 
lieren ? 

Martha (leifer und bebeutfam). Mas 
den Wildſchützen betrifft, mein lieber 
Schorfcher-Bauer, jo feid Ahr jelber 
einmal jo nahe an der Arreſtmauer 
vorbeigejtreift, dafs an Eurem ehrbaren 
Rod der Armel ift weiß worden. 

Schorjcher (auffaprend). Wer jagt 
das? 

Martha. Ich. 

Schorſcher. Höll’ Teufel, Sag— 
germent! Wer! Wer lann mir was 
Schlechtes beweifen ? 

Martha. Ihr folltet das mit fo 
laut ausfchreien. Im Forfthaus oben, 
noch von früheren Zeiten her, liegt ein 
G'ſchrift vom Bauer Johann Schorfcher, 
der fih für den geftohlenen Rehbock 
nit einem Baar Ochſen ausfaufen will. 

Schorſcher. Wer? Mit einem 
Paar Ochſen? Der Johann Schorfcher? 
Ich? Hi hi — wer ift denn die rau, 
daſs fie jo viel weiß? 

Martha. Ich bin das Weib des 
verftorbenen Oberförfters. 

Jeſſel chorqt auf. Für id). Die Kreuz— 
Jägerin. 


Schorſcher (einlentend). So, ſo. 
Die Fran Oberförfterin. Iſt wohl ein 
rechtes Unglüd, das Euch getroffen hat, 
Frau. Wohl zu bedauern. Die Leut’ 
reden all jo gut von Euch. Recht der- 
barmen thut Ihr mir, 

Martha. Ich bedank' mich für 
Euer Mitleid, mir Hilft es nichts. Aber 
die da (auf Yefiel zeigend), Die braucht's. 


Schorſcher werwundert. Und der 
redet die Frau Oberförfterin das Wort? 


Martha. Ich frag Euch im guten, 
Bauer, werdet Ihr jebt diefes Franke 
Weib, diefe armen, unfchuldigen Kinder 
aus der Hütte vertreiben ? 

Schorſcher. Iſt kein Spaß nit! 
Eine alleinſtehende Frau! Iſt eh viel, 
wie die Frau Forſtmeiſterin feſtſteht, 
iſt eh viel! 

Martha Gagdrüatich. Werdet Ihr 
diefe Leute aus der Hütte vertreiben? 


Schorſch er (eutietig thuend). Ah ıra, 
na, das nit. Freilich, die Kinder, die 
Kinder ſind unſchuldig. Will ſchon 
noch ein Randel zuwarten, ah halt ja, 
halt ja. Das laſst ſich der Schorſcher 
nit nachſagen, dafs er hartherzig wär”. 
Auf die Urmen hab ich alleweil gefchaut. 
Sollen Halt noch bleiben, dieweil, ah 
freilich, jollen noch bleiben. 


Martha. Na, ich dent’ auch. — 
Und weil der Schorſcher ein fo braver 
Mann if, jo gar mir hartherzig — 
und Armenvater, fo wird er auch noch 
ein Übriges tun. Ein biffel die Hütten 
da errichten laſſen, gelt? 

Schorfcher. Was meint die Frau? 
Ah, die Hütten? Iſt ch noch paffabel, 
die Hütten. 

Martha. Hat ja kein Dach und 
fein Fenſterglas mehr. 

Schorſcher. Werden’s halt aus- 
fliden. 

Martha. Und ein Aderl dazu, 
und ein Wiejerl dazu, Herr Gemeinde- 
voritand! 

Schorſcher. Oho! Das nit! 

Martha. AH freilid. Ein Erd— 
äpfelgarterl und eine Kuh ift das beft’ 
Mittel gegen Bettelleut'. 


68 


568 


Schorſcher. Das Gejindel wollt’ 
reih machen und mid zum Bettler? 


Martha tironiig ſchmeichelnd). Nach— 
ber thut der brave Schoricher- Bauer 
noch was, wie ih ihn fenne. Dafs 
die armen Leut' da recht ſchön und 
friedfam fönnen haufen und bauten 
und ihren Zins zahlen, fo lajst ihnen 
der Herr Borftand das Gütel ver: 
ſchreiben auf zehn Jahr”. 

Schorſcher taufsegehrend. Was nit 
noch? Warum nit gleich ganz fchenten! 
Und jelber ihr Knecht werden. Nit? 
Die Hütten hergeben! Und ausfliden! 
Ader und Wieſen! Jeſſes, wer joll 
denn da d’ransfommen! Nein, ich 
thu's nit! Ich thu's nit! 

Martha. Nachher, Herr Gemeinde: 
vorftand, nachher fahren wir! 

Schorſcher. Fahren? Wohin? 

Martha. Mit ein Paar Ochfen 
in den Slotter. 

Schorſcher eht raſch über die Bühne 
auf und ab), Verfluchtes Weibsbild! 

Martha chau ihm die Hand pin). Alſo? 
— Abgemacht? 

Schorſcher. Ich geh'! Ich geh'! 
(Zu den Knechten) Kommt's, Buben! mit 
den Anechten ab.) 

Martha innen nad). Wir reden 
noch darüber. Du laufft mir nit davon, 
Die Kette, an der ich dich Hab, it 
lang, aber reißen thut fie nit. Mand 
mal einen Wildfhügen laufen laſſen, 
hat auch was Gutes. — Der geizige 
Schorjher- Bauer wird noch ein recht 
großer Armenfreund werden, — Aus 
der Wei’ iſt's, wie ich mich da ver: 
weil’. Und ſollt' ſchon lang dort fein. 
(Zu Jeſſel) Behüt' Euch Gott, beiſamm'. 
Auf dem Heimmeg meld’ ich mich 
wieder. Gefcheit fein! «mb. 

Jeſſel Ghiat ihr nad, tann fih noch 
immer nicht faſſen). Jetzt iſt das die Ober: 
förſtersfrau geweſen! Und ſo iſt eine 
zu mir, der mein Toni den Mann 
erſchoſſen haben ſoll! — Er iſt un— 
ſchuldig, jetzt weiß ich's gewiſs. 


(Vorhang fällt.) 





— Er 


569 


Bierter Aufzug. 


Gerichtsſaal. Am erhöhten grünen Tiſch mit Erucifir 
und brennenden Kerzen das Nihtercollegium, 
nebenbin der Ecreiber. Die Beihwornenbant mit 
3wölf Geſchwornen, lauter Gharaftergeitalten 
aus dem Bürger und Bauernflande, Tiſche des 
Staatsanmwalted nnd dei Vertheidigers 
in berfömmlider Ordnung. Seitwärts hinter Holz« 
Ihranten ein Theil des Gerihttfaalpublicums 
fichtbar. Die Richter in AmtsHeidung, hohe, ernfle 
©eflalten. Staatsanwalt ein ruhiger, behäbiger 
Mann, biöweilen Schriftliche Aufzeihnungen mahend, 
Bertheidiger mit dunklem Bollbart, blättert viel 
im Geſetzbuche. Anflagebant, an welder pwiſchen 
ſchwerbewaffneten Gendarmen der angeflagte 
Straßl-Toni ſteht in feiner gewöhnliden Holz 
fnedhifleidung, unbeweglih und vor fih zu Boden 
ſtarrend. 


In dem Augenblide, als der Vorhang aufgeht, ſtehen 

vor dem Richterfiuhle mehrere Zeugen, der Lodel, 

der Ehmarzj-Eceppel, der Eimmerl, die 

Waberl. Der Gerichtödiener löſcht die Kerzen: 
fichter aus, 


Erſter Auftritt. 


Richter (der Borfikende des Berichtes). 
Das Zeugenverhör ift beendet. Die 
Zeugen können abtreten. (Die Zeugen 
miſchen Ah ruhig in daB Eaalpublicum.) — Anz 
gellagter, num können Sie fpreden, 
wenn Sie noch etwas zu jagen haben. 

Straßl. Es ift nit wahr, was 
fie jagen, es ift nicht wahr! Sie 
wollen mich zugrund richten. 

Richter Warum follte man ges 
rade Sie ohne Urſache zugrund richten 
wollen ? 

Straßl. Weil fie mich nit mögen. 
Weil ih nit in den Ort gehöre, weil 
fie fürchten, daj3 wir ihnen zur Laft 
fein funnten. Geſchimpft hab ich fie 
auch, und deswegen gehen fie los auf 
mid. Bis daher Haben fie mich ge- 
hebt und jagen aus, was fie nit wifjen. 
Sie haben gar nichts gejehen und 
willen nichts, und ift alles nit wahr! 

Richter. Aljo erzählen Sie uns 
nochmals, wie es gemwejen ift. 

Straßl. Ich bin ein armer Menſch. 
Meine Familie hat nichts zu eſſen — 

Richter tunterbregend. Das haben 
wir Schon gehört. Es handelt fich um 
den Mord auf dem Sreuzed. Sie find 
an dem verhängnisvollen Morgen auf 
das Kreuzeck gegangen. 

Straf. Ih bin nit auf das 
Kreuzek gegangen, um den Jager zu 
erichiegen. 


Richter. Waswollten Sie denn 
ſchießen? 

Straßl. Ih bin in den Holz— 
Iihlag gegangen, um Arbeit zu ſuchen. 

Richter Mit demSchujsgewehr? 

Straßl. Ich Hab kein Schufs- 
gewehr. 

Richter Der Holzknecht Seba— 
ftian Ebner Hat ausgeſagt, dafs Sie 
von ihm ein Schujsgewehr entlehnt 
haben. 

Straßl. Das mag früher einmal 
gewefen fein. 

Richter. Einen Tag vor der That. 

Straß! (oweigh. 

Richter Was fagen Sie dazu ? 

Straßl. Mein Gott, Gemehre 
leihen viele Leute aus; wenn fie da 
allemal wen umbringen wollten! 

Richter. Man hat dasfelbe Ge- 
wehr im Didicht gefunden. Die Kugel, 
‚mit der gejchofjen wurde, pajst genau 
‚in das Rohr. 
| Straß!l. Was geht das mich an? 
Kann mir das Gewehr nit einer ge— 
ftoglen haben? 

Richter Ein Zeuge hat aus 
gejagt, daf3 er Sie damals auf dem 
Kreuzeck mit dem Gewehr gejehen Hätte. 
' Straßl. Kann mir's nit der 
genommen haben ? 

Lodel (aus dem Saalpublicum) Bedank 
mich ſchön! 

Richter. Das iſt keine Antwort. 

Stragl. Warum dennih? Warum 
denn juſt ih? Als ob der Förſter 
Ferdinand feine anderen Feinde hätte. 

Richter. Nennen Sie uns welde. 


Strapl. Einen Jager mag 
niemand. 
Richter Warum weichen Sie 


meinen Fragen aus? Anton Straß, 
antworten Sie mir nun deutlich und 
beftimmt, ob Sie den Oberförjter 
Ferdinand Stamhardt ermordet haben 
oder nicht ? 
Straßl. Warum fol ih den 
| Oberförfter ermordet haben ? 
Richter. Antworten Sie mit ja 
oder nein. 


Straßl ceregh. Meine Herren! 
Mir alle find Mörder! Die Sterbenden 
in den Spitälern, die Verſchmach— 
tenden auf den Straßen, die Todten 
auf den Friedhöfen, wie viele find 
denn dabei, die nicht zugrunde ges 
gangen an unferen Todſünden? Der 
Starfe würgt den Schwaden, der 
Reiche jagt den Arbeiter um Gold ins 
finftere Bergwerk zu fchlagenden Wet: 
tern, der General führt die Soldaten 
aufs Schlachtfeld, der Richter verur- 
iheilt den armen Sünder zum Tode, 
als ob wir nit alle arme Sünder 
wären! 

Richter dauy Nicht weiter! 

Straßl (mit wilder Leidenihaft). Und 
mich haben fie auch ermordet! Er- 
mordet, hingerichtet mein feines, be= 
jcheidenes Glüd, meine Ehre, meine 
arme Seel und meinen Leib, der jet 
zufammenbricht in jungen Jahren, 
morſch wie ein Baum, den der Wurm 
hat zernagt. Nichts ift mehr übrig von 
mir al3 ein böfer Geift, vor dem mir 
jelber graut und der immer noch ge= 
peinigt wird, gepeinigt von den Teu— 
feln diefer höllifchen Welt! Gniat zu- 
famınen.) 

Nichter (rubig und ernft gegen den Staats» 
anwalt. Es fragt fih, ob man nicht 
einen Arzt für Geiftestrante herbei- 
ziehen ſollte. 

Staatsanwalt. Ich jehe dafür 
feine Deranlafjung. 

Richter, Ein einziger Zeuge ift 
zur Stunde noch nicht erjchienen, 
nämlich die Frau des Ermordeten, 
welche zur Zeit der That am Thatorte 
anmejend gewejen fein foll. Es ift 
nun die Frage, ob die Verhandlung 
fortgeführt oder unterbrochen werden 
ſoll bis zum Erjcheinen diefer Zeugin, 
die allerdings einen weiten Weg hat. 

Vertheidiger (erhebt ſich. 

Richter. Der Herr Vertheidiger 
hat das Wort. 

Vertheidiger. Hoher Gerichts— 
hof! Ich ſtelle den Antrag, daſs die 
Gerichtsverhandlung eines abweſenden 
Zeugen wegen nicht unterbrochen werde, 


70 


und berufe mich auf den 8 242 der 
Strafprocefgordnung. Den Zeugen ift 
die Stunde, fowie die Pflicht, pünkt— 
lich zu erfcheinen, befanntgegeben wor— 
den, und der Frau des Verunglüdten 
läge es wohl im eigenen Intereſſe, ſich 
rechtzeitig einzufinden. Übrigens kann 
ih auf diefen Zeugen fein beſonderes 
Gewicht legen. Wir haben es ſchon 
bei der VBorunterfuchung geſehen, dajs 
die Ausfage der Förftersfrau nicht we— 
niger vage ift als die der übrigen Zeu— 
gen. Ich beantrage alfo, dafs die Ver— 
handlung fortgeführt werde. Eceht fe. 
Im Eaalpublicum Zeichen des Miftfahens.) 

Staatsanwalt teidt ein Zeiten, 
dais er ſprechen will). 

Richter. Herr Staatsanwalt, ich 
bitte! 


(Im Eaalpublicum wäbrend ber Rede des Staats⸗ 
anmaltes ſtets Grften der Beiftimmung.) 


Staatzanmwalt. Jh kann unter 
gar feinen Umftänden zugeben, dais 
mit Umgehung einer fo überaus wich— 
tigen Zeugenſchaft die Verhandlung 
fortgeführt werde. Ich verlange auf 
das entjchiedenfte, dafs die Verband: 
lung unterbrochen, beziehungsweiſe — 
fall3 Zeugin überhaupt verhindert fein 
follte, heute zu erſcheinen — vertagt 
werben muſs. — Wenn der Herr Vers 
theidiger von vagen Ausſagen der 
Zeugen zu fprechen beliebt, jo weiß 
ich nicht, was er will. Haben die bis— 
her vernommenen Zeugen nicht ein- 
ftimmig ausgefagt, daſs der Anton 
Stragl ein verlommener Menfch ift, 
der nicht arbeiten will, der wegen — 

Straß! caufgerea). Ich bitt, fie 
geben mir feine Arbeit, fie geben mir 
feine! 

Richter irenge). Angeklagter, Sie 
haben zu ſchweigen, bis Sie gefragt 
werben. 

Staatsanwalt ortiaprend). Der 
wegen Wilddiebereien ſchon einmal ges 
jeflen ift, der ſeit ſeinem Arrefte einen 
Hafs gehabt Hat auf den Oberförfter 
und fogar einmal die Außerung fallen 
ließ: Diefer Kreuzjäger wird nod 
einmal an mich denken! Es ift nicht 


1 
1 


Ben — — — 
571 


nachweisbar, dafs der Oberföriter, ein | mit Händen ertappt wurde. Verbrechen, 
braver, pflichteifriger Mann, fonft die der Thäter eingeftanden hat. Und 
Feinde gehabt, es iſt auch nicht nach- dieſe Thatſachen ſollen nicht überzeu· 
weisbar, daſs es in der Gegend auch gender ſein als der vorliegende Fall, wo 
andere Wilderer gibt als den Straßl⸗ der Verbrecher bei der That weder er— 
— * aber sh ne — nn 2 a besser — — 
na ndem er behauptet, er wäre nichts, aber auch gar nichts vorlieg 
an jenem unfeligen Morgen ruhig gegen den Angeklagten, als Vermu— 
jeinen Weg in den Holzichlag ge» thungen und Bermuthungen, (Im Pubs 
gangen, um Arbeit zu fuchen, fagen | ticum Mifsfanensäußerungen.) Meil der Anton 
die Zeugen einhellig aus, daſs er uns | Straßl einmal gewildert bat, darum 
— nach F That am gr muss er an jenem Morgen mit einem Ges 
gefehen worden iſt. Man hat jchon wehre auf dem Kreuzeck gewejen fein! 
dort mit Fingern auf ihn gezeigt, ihn | Weil er einmal gejagt haben joll: Der 
als den Mörder bezeichnet. Und, meine | Jäger wird noch an mich denfen, darum 
Herren, eine fo ſpontane, jo einmüthige | mufs er ihn niedergeſchoſſen Haben! Ja, 
Voltsftimme trügt nie! — Seit vielen kann einer, den ich getödtet Habe, an 





Jahren, da ich an diejer ernjten, ver: 
antwortungsvollen Stelle ftehe, bin ich 
nie fefter von der Schuld eines An— 
getlagten überzeugt gewejen als in 
dem gegenwärtigen Falle. Nichts 
Ipricht für den Angeklagten, nichts als 
jein hartnäckiges Leugnen, und das 
jpricht erſt reht gegen ihn, weil es 
von einem gründlich verdorbenen Ge— 
miüthe, von einem verftodten Sünder 
zeugt, der feiner Nachficht, feines Mit- 
leides wert fein kann. (Seht fh. Im Eaal- 
publicum Außerungen des Beifalls.) 

Shwarz=-Seppel wu feinen Ger 
nofien.. Das iſt unfer Mann! 





mich denken? — Und hauptſächlich ſtützt 
‚die Anklage fih auf den Umftand, daſs 
der Anton Straßl zur Stunde am 
ı Thatorte anmwejend geweſen ift. Da, 
meine Herren, ift nur diefer Mann 
allein dort anweſend gewejen? Nicht 
auch andere? Sind am Thatorte un— 
mittelbar nach dem Morde nicht auch 
‚jene Perfonen anweſend gewejen, die 
heute al3 ehrenwerte Zeugen bier ge- 
ftanden? Was haben denn die zu 
thun gehabt am jenem Morgen auf 
dem Kreuzeck? Der eine will Pech ge= 
ſchabt, der andere Ameiseier gegraben, 
ein dritter Wurzeln geftochen haben. 





Vertheidiger. Möge mir hier Ich frage nicht nach ihrem Gewerbe: 


noch eine Bemerkung geftattet fein! 
Richter. Bitte! 
Bertheidiger Die eben ger 
Iprochenen Worte des Herrn Staats» 
anmwaltes könnten mid faſt heraus» 
fordern zu einem der Sache vorgrei— 
fenden Plaidoyer. Wenn der Herr 
Staatsanwalt erklärt, er jei nie feiter 
von der Schuld eines Angeklagten über» 
zeugt gewejen als im dem gegenwär— 


tigen Falle, fo beneide ich ihn um 


jeine großartige Phantafie, welche ihm — 
Richter tunterbregend). Ich erſuche 

den Herrn Vertheidiger, perlönliche 

Bemerkungen zu unterlafien. 
Bertheidiger. Es find Ber: 


brechen verübt worden, bei welchen der. 


Thäter von vielen Augen gefehen und 


ſchein, ich frage mur, ob ſolche Yeute 
denn immer die intimften Freunde 


| eines Forſtmannes find? Wenn ich 


den Spieh umlehren wollte — 

Lodel aus dem Gerihtsfaalpublicum mit 
dünner, ſcharfer Stimme). Verdächtigen? Ver⸗ 
dächtigen? 

Vertheidiger. Ich habe nichts 
geſagt. 

Mehrere aus dem Publicum. 
Ja, ja! Er hat's geſagt! Es könnten's 
auch wir einer gewejen fein. Wider- 
rufen! Abbitten ! 


Richter. Ruhe! Echellt mit der Glode, 
e3 tritt wieder Ruhe ein, doch gährt es ftill,) 


Bertheidiger éahrt for. Ende 
(ih führt der Herr Staatsanwalt noch 
einen Beweis für die Schuld des An— 





at 
= 
to 


geffagten, der jo merkwürdig ift, daſs 
auch ich ihm nicht umgehen kann. Erft 
reht gegen den Angeklagten, jagt 
der Herr Staatsanwalt, jpredhe das 
Hartnädige Leugnen desjelben! Alſo, 
weil einer ein ihm zur Laſt gelegtes 
Verbrechen leugnet, darum muj3 an— 
genommen werden, dajs er es ber» 
übt hat!! 

Staat3anmwalt taufipringend). In 
diejem Sinne habe ich nicht geiprochen! 


Bertheidiger iertia. Ja, Fo 
muſs es verftanden werden. 

Staatsanwalt. So habe ich 
es nicht geſagt! 

Vertheidiger. Ich bitte das 
Protofoll vorleſen zu laſſen! 

Schwarz-Seppel (ars dem Pub- 
Kaum). Er verdreht alles! Er fälſcht 
alles ! 

Mehrere Stimmen aus dem 
Publicum aufgeregt. Das ift ein jau- 
berer Rechtzgelehrter, der alles ent» 
ſtellt! Mit Gaunern und Lumpen halt 
er's. Und ehrliche Leut' verbächtigen! 
Herab mit ihm! Dinaus mit ihm! 


Richter Ruhe! Ruhe! «Er ſchellt 
vergebens mit der Glode.) Gerichtädiener ! 
Säubert den Saal! 

Lodel Mh leidenſchaftlich vordrängend) 
Den werden wir ſäubern! Wir brauchen 
feine Flechputzer für die Spitzbuben! 
Hinaus mit ihm! Hinans! 

(Das aufgeregte Rublicum burdbridt die Echranfen, 
Hürzt gegen den Bertbeibiger, der fidh gegen Die 
Geihwornen flüchtet, Richter und Geſchwotne er» 


beben ih. Allgemeiner Aufruhr. In diefem Augen» 
blide tritt Martha auf.) 


Zweiter Auftritt. 
Die Borigen. Martba, eine ernſte Erſcheinung. 
Man macht ihr Pla, das Publicum drängt zurüd. 
Stimme aus dem PBublicum. 
Sie tommt! Die Förftersfrau! Ruhig 
jein! Die wird's jchon jagen ! 
(Die Maſſen berubigen Ab und nehmen wiedet 
ungefähr ihre Pläße ein.) 
Strap! (weldier während der Rebe bes 
Vertheidigers ſich Selbfibemuiäter aufgerichtet hatte, 
tnidt bei Martbas Erſcheinen wieder zufammen. 


Für ih). Aus iſt's. Ich bin geliefert. 


jelben ganz ruhig und nach Ihrem 
| 



























Richter Martga). Sie find Frau 
Martha Stamhardt, die Witwe des 
Oberföriters ? 

Martha. Ja. 

Richter Wollen Sie fih jegen. 
(Martha bleibt ftehen.) Ich muſs Ihnen 
einige Fragen ftellen und bitte die— 


Wiſſen und Gewiſſen zu beantworten. 
Pauſe. Begen den Angellagten.) Frau Stam—⸗ 
hardt, kennen Sie dieſen Mann? 
Mart h a (btidt lange und ruhig auf ben 
Etraßl). 
Richter. Kennen Sie ihn? 
Martha. Es wird der Anton 
Straßl jein. 
Richter. Woher fennen Sie ihn? 


Martha. Ich Habe ihn einmal 
geſehen. 

Richter. Wann war das? — 
Und wo? — War es nicht auf dem 
Kreuzeck? 

Martha. Es wird wohl ſein. 

Richter. Sie find bei der Unthat 
auf dem Kreuzeck anweſend gemejen ? 


Martha. Ja, ich bin mit meinem 
Mann dur den Wald gegangen. 

Richter. Und wie war es? Sie 
erinnern fich wohl noch genau! 

Martha. Wir haben miteinander 
geplaudert. Bemerkt mein Mann auf 
einmal im Bufchwerl einen Menjchen, 
der Schießen will. 

Richter. Aufwas will er ſchießen? 

Martha. Das wei ih nidt. 
Auf ein Thier glaube ich, weil mein 
Mann gefagt hat: Ein Wildſchütz. — 
Nachher geſchoſſen. 

Richter. Wer hat geſchoſſen? 

Martha. Mein Mann. 

Richter. Damufs er wohl bedroht 
gewefen fein. 

Martha. Ih weiß es nicht. 

Richter. Und weiter? 

Martha. Da hat’s auch im Buſch 
gekracht. Mein Mann fagt: Mir icheint, 
der Kerl hat mich angefchoflen! 
und ſinkt um. 

(Bermegung.) 


— 


Richter Mir fcheint, der Kerl 
Hat mich angejchofien, jagte er. Wen 
ſoll er damit gemeint haben ? 

Martha. Das weis ich nicht. 

Richter. Haben Sie früher je- 
manden begegnet ? 

Martha. Nein, 

Richter. Oder von einem be= 
ſtimmten Menfchen geiprochen ? 

Martha, Wir haben früher vom 
Straßl geſprochen. Aber ich weiß nicht, 
ob der gemeint war, 

Richter. Sie willen es nicht, 
ob der gemeint war. Und Sie jelbit, 
Sie haben wohl auch gegen den Buſch 
bingeihaut? Haben Sie jemanden 
gejehen ? 

Martha. Mein Gott, ich bin 
jo im Schred gewejen. Hab an nichts 
mehr gedacht, als nur, wie ich ihm 
das Blut kunnt ftillen. 

Richter Zu mehreren Perſonen 
haben Sie geäußert, dajs Ihr erfter 
Gedanke an den Strahl gewejen wäre. 

Martha. Ya, das habe ich wohl 
gejagt. 

Richter. Und das es Ihnen vor— 
gelommen wäre, Sie hätten durch das 
Didiht einen Mann Hufchen gefehen. 

Martha. Es ift mir wohl fo 
vorgelommen. 

Richter. Und daſs Sie in der 
Geſtalt des Fliehenden den Straßl— 
Toni erkannt zu haben glaubten. 

Martha tieweien. 

Richter. Sönnen 
wiederholen ? 

Martha (mit einem 
Es iſt jchwer. 

(Paufe). 

Richter, Spreden Sie. 

Martha. Es ift ſchwer ſprechen. 
In fo einem Schred und in der Angft 
weiß man nit, was man fieht und 
hört. Für gewiſs kann ich nicht jagen. 
Ih Tann nicht behaupten, dafs es der 
Strapl mit iſt geweien; aber — 
diefer Mann, er kommt mir heute'größer 
vor al3 die Geſtalt damals . . .. 
Mehr kann ich nit ſagen. 


(Pauſe. Im Eaal große Spannung.) 


Sie mir das 


tiefen Athemzug). 


| Richter. Liebe Frau. Sie find 
‚die Schwerbetroffene. Sie jind der 
Imatürliche Ankläger deijen, der Ihr 
Lebensglück zerftört hat. Rufen Sie 
ſich im dieſem Augenblick das Ge— 
ſchehnis auf dem Krenzeck recht leb— 
haft vor die Seele. Wenn Ihnen jetzt, 
zu dieſer Stunde, vor Gott und dem 
weltlichen Gericht freigeftellt wäre, dem 
Mann, der hier als Angellagter vor 
uns fteht, die Feſſeln abnehmen und 
nachhauſe gehen zu laſſen oder ihn 
ins Gefängnis zurüdzufhiden — was 
würden Sie thun ? 

Ma rtha (macht einen Schritt gegen den 
Richtertiſch. Fine Hand auf der Bruft, fait leife 
ipregend). Es iſt hart. Er hat ein krankes 
Weib und Heine Kinder. Sie find fo 
arm. So verlajjen find fie und fo 
jertreten. Alles iſt gegen fie, alles. — 
Wenn ich mein Gemifjen frage, ob ich 
ihn verdammen joll — (fodenp). 

Richter Würden Sie ihn ver— 
dammen ? 

Martha tisüttelt das Haupt). 

Richter. Sie würden ihn nicht 
verdammen. 


Stra BI (er mit vorgebogenem Haupte 
die Ecene verfolgt bat, flöhnt nun auf. Man merft 
an ihm ein Ringen mit fi felbit, plötzlich ſtürzt er 
aufs Anie, die gefeflelten Arme aufbebend gegen 


Martha). Du Heilige! du Heilige! Wer 
bijt denn du? Deinen liebften Men— 
Ihen hab ich umgebradht. Und du mir 
jo! Und du mir jo! 


— — — — — — — — 


(Große Bewegung.) 


Rufe im Gerichtsſaalpub— 
licum. Geftanden Hat er's! 

Murmeln der Gejhwornen. 
Geftanden hat er's! 

Richter. Eingeitanden hat ers. 

Straßl. Eingeftanden hab ich's. 
— Jetzt iſt's vorbei. — Dem Haſs 
bin ich geſtanden, die Liebe wirft 
mich nieder. — Ihr Herren Richter! 
Ja, ich hab's gethan — ich leugne es 
nimmer. 

Richter. Stehen Sie auf. Sie 
ſind geſtändig und werden nun ein 
volles Bekenntnis ablegen vor Ihrem 


irdifchen Richter, als ftünden Sie vor 
dem Richterſtuhle Gottes. 

Straßl terre. Ich weiß es wohl. 
Und ich ruf’ es zum barmherzigen Gott: 
Ich bin der Mörder! — Uber jo nit, 
wie fie gejagt haben, fo mit! 

Richter. Beruhigen Sie ſich umd 
erzählen Sie alles. Erleichtern Sie 
durch ein aufrichtiges Belenntnis Ihr 
Herz. 

Straßl. Ich bin ausgegangen 
um Wildbret. Das iſt wahr und kann's 
nit leugnen. Der Jäger ijt bei den 
Holzknechten im Karwald, hat's ge 
heißen, ſo geh ich aufs Kreuzeck. Dort 
leg ich mich hin und denk: Heut iſt's 
nichts, es gibt zu viel Leut'. Da hör 
ich ſingen und verſteck' mich hinter 
einem Buſch. Steht der Jäger dort 
und ich kann nit mehr aus. Duck 
mich nieder und denk: Joſef und Anna, 
wenn er mich jetzt ſieht! Der Menſch 
iſt grob! — Da hat er mich ſchon. 
Sein Rohr auf mich und ſchreit, ich 
ſollt's Gewehr wegwerfen. — So ſteht's! 
denk ich, und wer vor dem Feind iſt, 
wirft kein Gewehr weg. Singt mir 
ſchon die Kugel am Kopf vorbei. — 
Haben noch eins, Canaille! ſchreit er. 
Ich nichts mehr denken als wie: Mein 
Leben gilt's! Fahr zur Wange, druck 
los . . . Und fo — jo ift’3 geſchehen. 
(Nah einer Paufe auffahrend.) Hat das ſein 
müffen? Iſt's meine Schuld, wenn ich 
leben will? Iſt's meine Schuld, wenn 
ich ſchwächer bin als fie alle zufammen, 
die wider mich find! Sie haben ftarfe 
Kameraden, haben an ihrer Seiten das 
Geſetz. Ich bin nichts als ein Hilfe 
lofer Menſch. Und dajs ich leben will, 
das ift mein Verbrechen. Still hätt’ 
ich follen verhungern, die laute Klag 
funnt anderen den Appetit verderben. 
Ruhig hätt ich mich jollen todtichieken 
laffen wie ein arglojes Thier im Wald. 
Am beiten wär's für mich, ihr Herren, 
am bejten wär’s gewejen. Aber fann 
man das? Iſt einer in diefem Saal, 
der mir's lernt, wie man mit ber 
Waffe in der Hand ich wehrlos um— 
bringen läjst? — Es ift eine Frage, 


574 


wer bier zu richten hat, ihr oder ich! 
Was andere an mir haben gejündigt, 
‚an dieſem ſchuldloſen Weib Hab ich's 
vergolten — und Fie verzeiht. Ihr zu— 
lieb verzeih’ auch ich. Jeſus Chriſtus 
wird mir gnädig und barmherzig jein! 

M art ha (wanft, als wäre fie einer Ohn⸗ 
macht nahe). 

Richter qu Martha). Segen Sie 
fich doch, liebe Frau. 

Straßl. Diefes Weib! — Das 
erftenal, daſs ein Menſch den Fuß 
auf meinem Naden hat und tritt mit 
nieder. — Wenn ich fo was früber 
hätt’ erlebt, e3 funnt anders fein. Du 
heiliger Gott! Jetzt ſeh ich's. 
Diefes Weib Hat mich aufgewedt, mit 
anders, als wie der Engel die Todten 
wird weden am jüngften Tag. Barm— 
berzigfeit Hab ich erfahren. Jetzt bin ich 
wieder Menſch. OH, gar jo ſpät! — 
Sterben müffen, was liegt dran. Aber 
haſſend fterben müſſen, das hätt’ 
mi verdammt gemadt. — Selig. 
glüdjelig, daj3 ich wieder auf gleich 
bin mit euch, ihr böjen guten Leut! — 
Nur eine Gnad, nur noch eine. (Bor 
Marita mit gefalteten Händen aufs Knie nicder- 
fintend.) Sch bitt um Berzeihung! Büren 
will ich's mit Leben und Sterben, 
Nur meinem Weib thu’s nit entgelten, 
meinen Kindern — fie fönnen nichts 
dafür ou. (Hann vor Schmerz mit weiter 
ſprechen, birgt fein Beficht in die Arme.) 

Ma rtha tihm liebreich die Hand auf bie 
Achſel Tegendy. Anton Straßl, mufst mit 
verzagen. Sei ftandhaft. Das Urtheil, 
fällt e3 aus wie der Will, deine Fa— 
milie wird nit verlaflen fein. Meine 
Kräfte find freilich gering, aber wenn 
man will, kann man viel. Das 
ſchwere Kreuz, das unſer Herrgott uns 
hat auferlegt, wir wollen es geduldig 
tragen und einander alles verzeihen. 
Wir alle find arme Sünder und wer— 
den um Barmherzigkeit flehen am 
Tage des Gerichts. — Und au zum 
Troſt einer armen Seele faſs' ih zu 
‚diefer Stund ein heiliges Fürnehmen, 
‚dafs ich alles will vergefjen und deinen 
Leuten beiftehen. Die Kinder follen 


— 





575 


aufwachſen zu braven Menfchen, follen 
eine Heimat haben und nimmer ver— 
achtet jein. — Sei getröftet ! 

(Straß! bricht num in heftiges Schludhzen aus.) 


Staatsanwalt. Jh verlange 
die Berurtheilung des Mörders. 

Vertheidiger Was wir da 
eben gehört, davon bebt wohl jedem 
von uns das Herz. — Die Liebe warf 
ihn bin, jo richte Liebe ihn wieder 
auf! — Das Redt ſich zu verthei- 
Digen, diejes ewige, allgemeine Men— 
ſchenrecht — ihm ift es zur Schuld 
geworden. Diejer Angeklagte gehört zu 
jenen unſchuldigen Schuldigen, die 
fein Sinder richten darf. Mit den 





wundenfte Anklage und die einzig 


‚mögliche Bertheidigung liegt in feinem 


‚Worten des Dichters bitt’ ich für ih 


um Gnad’ und Huld. Wir wandeln 
felbft noch nicht den Weg des Lichtes. 
Auch uns iſt jeder Tag ein Tag der 


Schuld, und jeder Tag ein Tag aud 


des Gerichtes. 

Richter (eierlich Nach diejer un— 
borhergejehenen Wendung haben wir 
nits mehr zu jagen. Die unum— 





eigenen Geſtändniſſe. — Barmherzigkeit 
it ihm geworden, nun rufe ich die 
| Gerechtigkeit ! 


(Vorhang fällt.) 


An die Unduldfamen. 


Wer an fi jelber Liebe nicht erfahren 

Und ernfter Kämpfe jammervolle Bein, 

Darf fih nicht rühmen: Alle fjeid ihr 
Narren 

Und weise, tugendhaft bin ich allein! 


\Wer niemals nod im Feuer hat geftanden, 
| Der rufe nie: Die Kugel trifft mich nicht ! 
| Und wer gef hmachtet nicht in finftern Banden, 
Der lennt die Sehnſucht nach der Freiheit nicht! 


| Sophie von Ahuenberg, 


a 
0 





Der Traum eines zum Tode Verurkheilken. 


Von Armando Palario Yaldes. *) 


Mohnung verließ, ſchlug der 

ſcharfe, ſchneidende Klang einer 
Glode an mein Ohr. Ich legte die 
Hand an den Hut und meine Blide 
ſuchten den Priefter, welcher das hei— 
lige Biaticum trug, aber ich konnte 
ihn nicht entdeden. 

Dagegen fielen meine Augen auf 
einen Schwarzgelleideten Greis, welcher 
eine filberne Medaille um den Hals 
gehängt trug; ihm zur Seite gieng 
ein Mann, der in der einen Hand 
eine Heine Glode und in der anderen 
eine grüne Gafjette trug, im welch 
leßtere die meiften Worübergehenden 
fleine Geldftüde warfen. Bon Zeit 
zu Zeit wurde da umd dort ein 
Fenſter geräufchvoll geöffnet und eine 
weiße Hand warf einen in Papier 
gewidelten Gegenftand auf die Straße 
herab; alsdann büdte fih der Mann 
mit der Glode, hob den Gegenſtand 
auf, widelte ihn aus der Papierhülle 
heraus und warf ihn fofort — e3 
waren auch Geldftüde — in die grüne 
Gafjette; bis er dann die Augen zu 
dem betreffenden Fenſter erhob, war 
diejes Schon wieder geichlofien. 

SH errieth den Zufammenhang. 

Ein leichtes Zittern fuhr mir 
durch die Glieder und ich entfernte 
mich jo ſchnell als möglich von der 
Stelle. Bergebens lief ih kreuz und 
quer durch die Stadt, um den lang 
der verhängnisvollen Glode nicht mehr 
zu hören, aber allenthalben begegnete 
die gleihe Scene meinen Bliden. 

Ich bemerkte, wie die Vorüber— 
gehenden einander mit entjeßten Bliden 


2 
—* 
ER ins Morgens, als ih meine 


betradhteten und mit geheimnisvoller 
Miene leiſe geflüfterte Fragen an ein» 
ander richteten. 


Die Heinen Zeitungsverläufer 
fchrien ſich ſchon Heifer mit Dem 
Ausruf: „Das Salve, weldes Die 


Gefangenen dem Berurtheilten in der 
Kapelle fingen.” 

Seitdem ich das Alter der Ber: 
nunft erreicht habe, weiß ich wohl, 
dafs die Todesftrafe in unferem Lande 
eriftiert; troßem hatte ih, wenn ich 
daran dachte, fie immer ungefähr in 
derjelben Weife angejehen, wie etwa 
die Folter oder Scheiterhaufen- Ber: 
brennung, d. 5. wie Dinge, die zwar 
zur Gefchichte gehören, aber ebenfo 
auch zur Vergangenheit. Dies erflärt 
ih aus meinem fortgefeßten Aufents 
halte in einer Provinz, in welcher 
glüdliherweife die Todesſtrafe jeit 
Jahren nicht mehr in Anwendung 
gebracht worden war. Ich wujste von 
der Hinrihtung eines Berurtheilten 
überhaupt nur einige wenige Einzel- 
heiten, die mir Greife erzählt hatten, 
welche ich, während fie erzählten, un— 
ausgejeßt mit einem Gemifh von 
Staunen und Entjeßen betrachtete. 

Ich erinnere mi noch, wie ich 
an einem Falten, regnerischen Herbſt— 
morgen zu jehr früher Stunde meine 
Heimat verließ, um nah Madrid zu 
reifen. Ih nahm Abſchied von meiner 
Mutter und beunruhigt, erregt wie 
noch nie zuvor in meinem Leben, 
eilte ich in Begleitung meines Vaters 
die Treppe hinab. Beide waren wir 
bis zu den Augenbrauen hinauf in 
unfere Mäntel gebüllt, theils um uns 


) Die obige Skizze ift dem neuerſchienenen Buch Aguas Fuertes (Radierungen) 
des belannten ſpaniſchen Romanciers entnommen. 


vor der Kälte zu ſchützen, theils um 
vielleicht unſere Gefichter nicht jehen 
zu laſſen. Dumpf erflangen unfere 
Schritte in den einjamen Straßen; 


das matte ſchwache Morgendänmern 


ließ die noch brennenden Laternen 
faft erfcheinen wie Fadeln eines Lei— 
Henzuges und die Häufer, von deren 
Dächern einzelne Schwere Regentropfen 
berunterfielen, ſchienen gleichfam über 
meine Abreife zu weinen. 

Al wir ein Feld durchſchritten, 
welches ganz am äußerſten Ende der 
Stadt lag, jagte mein Vater: „Dies 
ift der Ort, wo die zum Tode Ver- 
urtheilten Hingerichtet wurden.“ 

Damals fühlte ih den gleichen 
Schauder durch meine Glieder riefeln, 
wie heute beim Anblid des Mannes 
mit der grünen Gafjette. Wie war in 
diefem Momente mein Herz jo weit 
davon entfernt, an jene Ecenen des 
Schredens zu denten! Den ganzen 
Tag hindurch blieb ich aufgeregt und 
unrnhig und den ganzen Tag hin: 


Wirklichkeit nichts gethan Hatte, als 
zwecklos in den Straßen umherzu— 
laufen ; ich begab mic) daher früh zur 
Ruhe. Lange konnte ich feinen Schlaf 
finden, wie das ja immer geht, wenn 
das Gehirn ſehr thätig ift, und zwei 
oder dreimal, wenn ich bereit3 am 
Einjchlafen war, wurde ih daraus 
wieder emporgerifien mit einem Ruck, 
ähnlich dem, den man empfindet, wen 
man auf den Knopf einer eleftriichen 
Batterie drüdt. 

Endlich gelang e3 mir aber doch 
einzufchlafen. Wie ich e8 im voraus 
befürchtet hatte, träumte ich natürlich 
die ganze Naht hindurch von nichts 
| als Schafott und Henkern, aber dieje 
‚Träume waren jehr merkwürdig und 
bedeutjam; und darumı Jchreibe ich ſie 
bier nieder, wie ſchwer es mir auch 
wird, Ih träumte, ich würde eines 
ſchweren Verbrechens bejchuldigt und 
die ganze Polizei don Madrid wäre 
hinter mir. Meine Liften und Ränke, 
‚fie von meiner Fährte abzubringen, 





durch verfolgte mich der düftere Ton | waren zu Ende, al3 ih im vollen 
der Unglüdsglode. In Wahrheit könnte Laufe aus der Thüre von Santo 
ich nichteinmal jagen, ob ich fie wirk= | Vincente herauskam und mir ein 
ich fortwährend hörte oder ob mir Nachtquartier in den Wäſcheſpülbän— 
nur die Ohren fangen. Ih kaufte fen am Manzanares ſuchen gieng, 
alle Berichte über die Verurtheilung wo ich mich völlig geſchützt vor mei— 
und den Beruriheilten, die man in nen Verfolgern glaubte. 
den Straßen verlaufte, und verichlaug Während ich dort aber lag und den 
ihren Inhalt mit ängftlicher Spannung. , Wäfcherinnen zuſah, wie fie ihre Wäfche 
Aber ich wagte es doch nicht, am auf die Leinen hiengen, fielen plößlich 
Gefängnis vorbeizugehen und nach der der Präfident des Minifterrathes, der 
Zelle des Berurtheilten Hinaufzufehen, | Präfident der „Katholifchen Jugend“, 
obwohl man mir gejagt Hatte, dafs der Minifter des Innern und der 
eine ganze Menjchenmenge ich dort Juftizminifter über mich ber, knebel— 
befände. Dafür gieng ich mehrmals | ten mich und führten mich ins Ge— 
an dem Haufe vorbei, in welchem, fängnis. Der Minifter des Innern 
jeine Frau fich befand. machte den Borfchlag, mich an den 
Dieſes unglückliche Gefhöpf war Füßen dorthin zu fchleifen, aber der 
weit hergekommen, um Gnade für ihn Präfident der katholischen Jugend be— 
zu erbitten, und logierte im einer merkte, daſs das meine Kleider ruinieren 
Heinen, ſchmutzigen, elenden Hütte würde, jo wurde denn der Vorſchlag 
am äußerſten Ende einer der Bor= fallen gelafien. 
Htädte von Madrid. Als es Abend Das Gefängnis war ein foloffales, 
wurde, fühlte ih mich jo ermüdet, | finfter ausfehendes Gebäude, mit einer 
als hätte ih den ganzen Tag über , großen Anzahl vergitterter Fenſter ver: 
ſchwer gearbeitet, obgleich ich doch ini sehen, was mich troß meiner Angft 


Rofegger's „Grimaarten“ 8. Heft. XV, 37 


und meines Schredens ſehr verwun- | zuerjt die dee, diefen Tag bis auf 
derte, da ich mir eingebildet hatte, | einen undefinierbaren Termin hinaus 
dafs Gefängniffe immer jehr ſchlecht zuſchieben, aber mein Zartgefühl hielt 
ventiliert fein müſſen. mich hievon zurüd, und ich bat aljo, 
Man fperrte mich in ein rundes man möge mich am folgenden Tage 
Kerkerloh, welches gar fein Fenſter | hinrichten. 
hatte, fo dafs ich mich im der denf-‘ Das mufs man zugeben — an 
bar undurchdringlichſten Dunkelheit Wirde und Stolz fehlt e8 mir im 
befand. Kurze Zeit darauf wurde die meinen Träumen nicht. Nachdem ich 
Thüre weit geöffnet und ein Schließer ſomit den Moment meiner Hinrich— 
erſchien, der eine brennende Kerze in tung fixiert hatte, blieb mir nur noch 
der Hand trug und mir mitthitt, | ein Gedanke, welcher mich völlig be- 
dafs fogleih der Richter und der Ges | herrjchte, — der, mit Seelenruhe und 
tichtsfchreiber fommen würden. Ende Feſtigkeit zu fterben. 
lich erichienen Ddieje beiden und ich Nah der Ausfage aller derer, die 
war nicht wenig überrajcht, in ihnen | mich umftanden, zeigte ih in der 
zwei Herren zu erfennen, mit denen ; That diefe Haltung während der 
ich jeden Abend im Cafe Suisse Bil- | Stunden, die ich im Gefängnis zu: 
lard zu Spielen gewohnt war. brachte. Ih ap, ich fchlief ruhig, 


578 


Sie ftellten fi natürlih, als ob 
jie mich nicht erlannten, und begans 


nen jogleich mich zu verhören, jedoch | 


nicht ohne mir vorher einige Baifers 
offeriert zu haben, welche, wie fie 
fagten, meine Stimme Hären jollten. 
Der Richter, welcher von den beiden 


und ich unterhielt mich jogar einige 


Augenblicke mit den Redacteuren von 


„La Correspondencia*. 

In diefer Unterhaltung ſuchte ich 
von Zeit zu Zeit eine hübſche Phrase 
oder eine geiftreiche Wendung anzu— 





bringen, damit fie in dem Zeitungs 


die Rüdzieher im Billard am beften berichte erwähnt würde und damit 
machte, ließ mich eine ganze Anzahl das Publicum meinen Muth bewun— 
Verbrechen eingeftehen, eines immer | derte. 
furchtbarer als das andere, und machte Endlih kam der fürchterliche Mo— 
dann feinem Begleiter ein ſehr aus- ment, da ich den Weg nad) der Richt— 
drudsvolles Zeichen, indem er Die, ftätte antreten muſsſste, und ich that 
Hand an feine Gurgel legte und zu= es mit der größten Saltblütigkeit. 
gleih die Zunge weit hHervorftredte. Was mich aber dabei genierle, das 
Sch deutete mir dies Zeichen in dem war ein ftarkes Gefühl von Schande. 
Ihlimmfimöglihen Sinne und vers Ich erinnere mich, dajs ich mich 
ſprach mir nunmehr feinen guten dicht an den Priefter drüdte, welder 
Ausgang meiner Angelegenheit. neben mir gieng, und dabei rief: 
Nah Berlauf von etwa zwei! „Ah, um Gotteswillen, dafs man mich 
Stunden öffnete fih die Thüre meines | nur nicht fieht — daſs man mid nur 
Kerfers von neuem und der Gerichts= I nicht ſieht!“ 
Schreiber kam, mir mein Urtheil zu Merkiwürdigerweife war mir bis 
verliefen, Ich war zu nichts mehr und zum Augenblid, da ich die Gefäng- 
nichts weniger als zur Erdrofjelung nisſchwelle übertrat, der Gedanke gar 
verurtheilt, aber da ich mich bei vollem nicht gelommen, daſs ich mich nun 
Beritande befand, wurde mir die einer riefigen Menſchenmenge gegen 
Gnade gewährt, den Tag meiner Hin= über finden würde, und dajs taujende 
richtung ſelbſt auszuſuchen und feit: von Augenpaaren fih mit dem Aus— 
zufeßen. Da ih mid nun eigentlich | druch der Berfpottung oder Verachtung 
für eine ſolch niederträchtige Zodes= auf mein Antlig Heften würden. 
art noch recht jung fand, Hatte ich Diefer Gedanke ließ nun meinen 








Muth finten — er war mir weitaus 
Ichmerzlicher als die Ausfiht auf das 
Schafott. Ich fühlte wohl die Kraft 
in mir, dem Tode ins Angeficht zu 
jehen, aber zugleich fühlte ich auch, 
daſs ih die auf mich gerichteten 
Blicke einer feindfeligen oder neu— 
gierigen Menge abjolut nicht ertragen 
könnte. 

Beklommenen Herzens und halb— 
todt vor Scham überſchritt ich die Ge— 
fängnisſchwelle inmitten einer Schar 
von Prieſtern, Soldaten und Schlie— 
bern. Ich wagte es nicht, meine Blicke 
vom Boden zu erheben, weil ich be= 
fürdtete, ſonſt ohmmächtig zu werden ; 
aber die wahrhaft erjchredende, laut— 
loſe Stille um mid ber veranlafste 
mich, dennoch aufzufehen. Welche 
Uberrafhung — welches Glüd! Die 
Straße war menjchenleer. Außer dem 
Zuge, der mich begleitete, war weit 
und breit auch nicht eine menjchliche 
Geſtalt zu erbliden. Die Balkonthüren 
und Fenſter der Häufer, wie auch die 
Thüren und Läden waren ſämmtlich 
feſt gefchlofjen. Die Priefter, Soldaten 
und Schließer blidten die Straße 
hinunter und wieder hinauf und ſahen 
einander dann mit dem Wusdrude 
gropen Schredens an. Der einzige 
Gegenftand, der in diefer Einfamteit 
das Auge verlehte, war der elende 
und verhängnispolle Karren, welcher 
mich erwartete. Bevor ich diejen be= 
ftieg, betrachtete ih den Himmel, Er 
erichien mir wie mit einem Wolken— 
jchleier überzogen, doch war Ddiejer 
Schleier jo leicht, dafs er den Him— 
mel nicht gänzlich verdeckte — etwa 
wie ein Spikenfaum auf lichtblauem 
Untergrunde. Der heiße Blid der 
Sonne, welcher durch) die Öffnungen 
in diefem Wolkengewebe herunterfiel, 
war der einzige neugierige Blid, der 
uns beobadtete. 

Langſam fehte das Fuhrwerk ſich 
in Bewegung. Ohne den Ermahnun— 
gen des mir beigegebenen Beichtvaters 
auch nur die geringfte Aufmerkſamkeit 
zu ſchenken, lehnte ich meine Stirn 


579 


an das feine MWagenfeniter und lieh 
meinen Blid über die Straßen, Die 
Thürme, Ballon: und enter der 


Häufer jchweifen. 
menschliches 


Nichts; nicht 
Weſen in Sit. 

Außerhalb der Stadt bemerkte ich 
zwei Kinder, die athemlos auf eine 
offene Hausthüre zurannten, von 
welcher aus die Mutter fie rief. Bis 
wir aber an dieſem Haufe vorüber 
famen, waren Mutter und Kinder 
bereit3 verſchwunden. 

Ein wenig weiter begegneten wir 
einem Manne, der einen Sad auf 
den Schultern trug; kaum erblidte er 
uns, jo ſchwenkte er rechtsum, begann 
zu lanfen und fchlug ſchleunigſt den 
Meg in eine Seitengaffe ein, wo er 
bald unferen Bliden entſchwand. 

Endlich langten wir bei der Richt- 
ftätte an. Auf einem weiten Felde 
war das Schafott errichtet. Hier 
wuchs mein Staunen. Weder um das 
diüftere Gerüft herum, noch auf dem 
ganzen weiten Felde war ein menjch- 
liches Weſen zu erbliden. Ich ſtieg 
die Stufen zum Blutgerüſt hinan, 
paufierte aber bei jeder und blidte um 
mich herum, denn ich konnte das alles 
noc immer nicht begreifen. Der Him— 
mel bot jebt einen merkwürdigen An— 
blid. Sein Woltenfchleier war dichter 
geworden ; ſein dunftiger Spitenüber- 
wurf hatte einem grauen Vorhange 
plabgemadt, welcher das Himmels» 
gewölbe gleihjam hermetiſch abjchlofs; 
die Sonne fand kein Löchelchen mehr, 
duch welches fie uns betrachten konnte. 
Aus der düfteren, traurigen Ebene, in 
welcher Madrid liegt, ftieg ein durch— 
fichtiger Dunft empor, welcher fich bis 
zu jener feinen, unbeſtimmbaren Linie 
hinzog, die den Horizont abſchließt. 
Alle Gegenftände um mich herum er= 
Schienen undeutlich und Fchwanlend, 
als hätten fie ihre Umriſſe verloren, 
und die Lichtitrahlen drangen mühſam 
aus diefem Himmel von Watte her— 
vor und verloren fich raſch wieder in 
der Schwarzen, feuchten Erde. 


37* 


ein 


380 


In diefer diden Atmofphäre, in 
der faft fein Laut zu hören war, 
athmete man wohl eine gewiſſe Ruhe 
ein, aber feine erfrifchende, ſondern 
eine erjtidende Ruhe. 

Ih wandte meine Blide der Stadt 
zu, Es jchien faſt, als glitten die 
Lichtſtrahlen über diejelbe Hinmweg, 
ohne in fie Hineinzudringen; ihre 
taufende von Heinen Thürmchen hatten 
nicht die Kraft, den dunklen Schleier, 
der fie einhüllte, gänzlich zu zerreißen. 
Indem ich noch aufmerkſamer Hinjah, 
bemerkte ich, wie aus ihrem Bufen 
heraus eine endloje Zahl Heiner Rauch— 
ſäulen langjam zum Himmel aufities 
gen, welche ſich in der Luft verbreis 
teten, vermiſchten und, immer weiter 
emporfteigend, den Schon dichten 
Schleier, der die Sonne verbarg, 
immer mehr verdichteten. Dieſe Rauch 
ſänlen veranlajsten mich, an die 
Mohnungen zu denken, welche ſich 
unter ihnen befanden, und in einem 
Augenblick ward es nun klar in mir. 

An dieſen rauchenden Herdfeuern 
lebten zahlreiche Weſen, welche weder 
die abſcheuliche Neugierde empfunden 
hatten, in die Straße hinabzukom— 
men, um mich borbeiziehen zu jehen, 
no die, jeht das Schafott zu um— 
ringen, um mich fterben zu jehen. Ich 
fühlte mich darob in tieffter Seele 
ergriffen. 

Wie ein Himmelslicht durchfuhr 
auf einmal tieffte Dankbarkeit mein 
Herz — wie ein beraufchender Balz 
jan, und die wenig irdiſchen Wünfche, 
die mich bis jetzt noch an das Leben 
gefeffelt Hatten, verſchwanden nun 
völlig. 

„O du Bolt von Madrid“, rief 
ih, mich gegen die Stadt wendend, 
„ih dankte dir! Ach danke dir, du 
großmüthiges und zartfühlendes Volk, 
dajs du nicht hHerbeigefommen biſt, 
um das Scaufpiel meines ſchmach— 
vollen Todes zu genießen! Was hätteſt 
du au dabei gewonnen, wenn du 
die Todeszudungen eines Unglüdlichen 
mitangejehen hätteſt? „Du Haft nicht 


gewollt, dajs diefer fürchterliche Moment 
mir durch die Schande und Schmad der 
Offentlichkeit noch ſchrecklicher würde! 
Du bift zu gut, um der Gehilfe eines 
Henlers zu fein! Wenn du gefommen 
wäreft, wenn du mit raffinierter Grau— 
ſamkeit meinen ſchmachvollen Tod mit- 
angejeben hätteft, jo ſchwöre ich dir, 
dajs bei deiner Heimkehr deine Blide 
nicht fo ruhig gewefen wären, wie fie 
e3 heute find, und dafs die Hülle 
deines Weibes und deiner Tochter dir 
nicht Fo für erfchienen wären. Der 
Anblid meiner Berzweiflung hätte 
deinem Herzen die Ruhe genommen, 
ja, hätte für Stunden deinen Seelen= 
frieden vergiftet! Du Haft es ver: 
mocht, dieſe brutale, graufame Neu— 
gierde zu bekämpfen, welche dich ſehr 
leicht hätte veranlaſſen können, Zeuge 
meines Todes zu ſein, weil du es 
wohl begriffſt, daſs, indem du mich 
erniedrigteſt, du dich ſelbſt erniedrigen 
würdeſt. Du biſt menſchlich und barm— 
herzig geweſen, du Haft die Achtung 
gewahrt, welche du deinem eigenen 
Herzen ſchuldeteſt. Ich dante dir, edles 
Bolt, ih danfe dir! Möge der all— 
mächtige Gott dich für dein gutes 
Werk belohnen !* 

Ein Thränenftron entjtürzte bei 
diefen Worten meinen Augen; aber 
e3 waren ſüße Thränen, wie die der 
Dankbarkeit es ftet3 find. Ruhiger 
und muthiger febte ich mich endlich 
auf die verhängnisvolle Heine Bant 
nieder und betrachtete unausgefeßt die 
Stadt, welche eben anfieng, den Nebel 
zu zerreigen, der fie umhüllte, und 
die Lieblofungen der Sonne in Ems 
pfang zu nehmen. 

Eine rauhe Hand bemädhtigte fich 
plöglich meines Kopfes, ein Schleier 
bededte meine Augen, ich empfand 
einen ftarlen Drud an der Kehle, 
und .... ich erwachte. 

Mein Hemdkragen würgte mid in 
einer fürchterlihen Weile. Schnell 
riſs ich den Knopf auf und verfant 
bon neuem in tiefen Schlaf. 





pr” m, mund 


are 


Das Rofenfräulein. 
Eine Skizze aus dem Poetenleben von Yans Malfer, 


en Raufhart hatte ein Luft: 
jpiel geichrieben, Der Mann 

255 war bisher nur als Lyriker 
befannt und gefeiert gewejen. Den 
Sünglingen hatte er von Sehnſucht, 
den Frauen von Liebe, den Männern 
von Ehre gejungen, Als er Umſchau 
gehalten nach einer Genofjin, Hatte er 
die Wahl unter den Jungfrauen der 
Stadt; fie liebten den Dichter, weil er 
ein hübſcher Mann war, und liebten 
den hübſchen Mann noch mehr, weil 
er ein Dichter war. Des Stadt» 
baumeifters Qöchterlein Hatte ihn 
herabgeholt von der Dachkammer und 
in ein ftattliches, wohlausgeftattetes 
Haus geführt. Sein Arbeitszimmer 
ward geſchmückt mit ſammtenen Siten, 
mit meilterhaften Olgemälden. Das 
Gemach der jungen Frau ward geziert 
mit einer Wiege und einem Kindlein 
drin. Und diejes glüdliche Heim war 
befchattet von Lorbeerfränzen, denn 
der Lorbeer war dem Here Fritz 
Ranſchart lieber, al3 alle Blumen 
und Sträucher des Paradiejes. 

Nun Hatte er ein Luſtſpiel ges 
Ichrieben, welches benamfet war: „Das 
Rojenfräulein.* Die Theaterdirectoren 
der Stadt Hatten ſich überboten an 
Piebeswürdigfeiten und Verſprechun— 
gen; der Dichter gab das Stüd dem, 
der die vollendetite Aufführung und 
die größten Ehren zufichern konnte. 
Die Theaterfreije waren in Aufregung 
und ſchon tagelang vor der Erſt— 
aufführung waren die Pläße ver- 
griffen. 

Rauſcharts Familienfreis beftand 
um diefe Zeit in feinem Weibchen 
und jeinem fiebenjährigen Zöchterlein 
Riderl, welches er vor Lieblofungen 
manchmal fait erjtidte. 


Diejen beiden las er eines Abends 
in frober Laune das neue Stüd vor. 
Frau Paulinga war entzüdt über das: 
jelbe und äußerte nur ein Bedenken 
über den legten Act. „Für diejen 
fürchte ich nichts“, jagte der Dichter, 
„Die Leute find derlei bereits gewohnt 
worden und je naturaliftiicher heut: 
zutage, defto ficherer der Erfolg. Der 
Hauptzwed des Dramatiker iſt die 
Wirkung, der Erfolg, alle anderen 
Ziele find nebenjächlich.“ 

„Du wirft ja rechthaben, Fri“, 
jagte fie, „ich freue mich darauf wie 
ein Kind.” Und in der That, fie 
dachte voller Glüdjeligleit an die 
Ehren, die der Abend bringen werde. 
Klein Riderl, welches in feinem Bett: 
hen Hodend dem Vorleſer zugehört 
hatte, jubelte in eitel Luſtigkeit be= 
fonders über das Rothhöfelein, wie 
der Luftigmacher hieß, der im Stüd 
vorkam. 

„Halte dich nur hübſch unter der 
Decke, Kind“, mahnte die Mutter, 
„wenn bis zur Aufführung dein Huſten 
heil iſt, darfſt du mit in die Loge 
kommen!“ 

Der Tag der Erftaufführung kam 
immer näher, aber der Huften ward 
nicht Heil umd der Arzt meinte, dem 
blaffen Mägdelein thue das Bett beijer 
als die Aufregung, die im Hauſe 
herrichte. Deshalb mujste Frau Pau— 
lina die Schneiderin und den Juwelen— 
händler in einem anderen Zimmer em— 
pfangen, deshalb konnte Herr Raufchart 
die Künſtler, mit denen er angelegent— 
lich zu thun Hatte, nicht in ſeinem 
Haufe fehen, denn die Herren Haben 
fo vernehmliche Stimmen und ein fo 
lebhaftes Gehaben. 

Beim Rider! ſaß ftets eine wohl- 





gemuthe Kindswärterin, die dem Finde 
fleine Gefchichten vorlas, frohe Lied» 
fein fang und von Stunde zu Stunde 
ein Silberlöffelhen voll Honigfeim 
ihm zwijchen die Lippen flößte. Die 
zarten Lippen waren ſchier roſenfar— 
big, — denn es gibt aud weiße 
Nojen. Aber manchmal nah den An- 
fällen des Krampfhuftens lag es auf 
diefen Lippen wie Kleine rothe Blüt— 
lein. Das Kind war in den le&ten 
Tagen fehr brav geworden, e3 vers 
langte nicht mehr jo aus dem Bette, 
es ließ die blaue Seidendede ruhig 
auf ji liegen, ſonſt jedoch war es 
überaus aufgewedt und wollte immer 
von dem „Rojenfräulein” hören, und 
wie das im Theater vorfichgehen 
werde, 

Am Tage der Aufführung, als 
an allen Straßen die großen Plakate 
angefchlagen waren, in den Blumenz 
handlungen Sträuße und Kränze bes 
ftellt wurden, die Vornehmen der 
Stadt ſich noch riffen um Pläße zum 
Feſtbankette, welches dem Dichter zu 
Ehren nah der Vorftellung gegeben 
werden follte, als in den Zeitungss 
drudereien ſchon die Beſprechungen 
des neuen Stüdes fertiggeftellt wur— 
den, jo daſs der morgige Tag noch 
ein größeres Ruhmesfeſt als der heutige 
zu werden verſprach, trat Frau Pau— 
lina tiefbelümmert in das Zimmer 
ihres Mannes und begann vor ihm 
zu ſchluchzen. 

Was das bedeute? Ob etwa gar 
die Aufführung verjchoben ſei? fragte 
Herr Raufchart erfchroden. 

Davoı Habe fie nichts gehört. 
Aber es wäre vielleicht ein Glüd, 
denn heute würde fie faum ins 
Theater gehen können. Der Arzt habe 
zur Kindsfrau eine eigenthünmliche 
Außerung fallen gelaffen. Der Abend 
fei ihr jedenfalls verdorben, und fo 
wolle fie lieber daheim bleiben beim 
franten Kinde. 

„Beim kranken Kinde?“ ſagte 
Herr Rauſchart. „Wenn Kinder, die 
im Winter huſten, deshalb ſchon krank 


wären, da liefen wenig geſunde Kin— 
der auf der Gaſſe herum.“ 

„Meinſt du, daſs es nichts auf 
fich hat?“ - 

„Natürlich nicht. Die Arzte mit 
ihrer MWichtigtäuerei und Angſt— 
macerei! Es war überhaupt über— 
flüffig, einen Arzt zu rufen.“ 

„Du beruhigft mid, Mann.“ 

„Wir wollen das Kind jelber 
fragen.“ 

Und als fie vor dem Bette der 
Kleinen ftanden, die aus dem ſchmalen 
Sefichtlein mit den großen Augen 
herichaute, und als fie fragten: „Wie 
geht es dir, Rickerl?“ antwortete das 
Mädchen leife und traurig lächelnd: 
„But geht es mir.“ 

„Nun alfo. Du bift ja unjer 
liebes, Huges Kind“, ſprach Herr 
Raufchart, anf die Saduhr blidend, 
es waren nur mehr eine Stunde und 
zwanzig Minuten bis zum Beginne 
der Vorſtellung. „Sage einmal, 
Rickerl ... Siehe, deine liebe, gute 
Mama geht fo gerne ins Theater, 
fage, iſt es dir unangenehm? Dann 
wird ſie zuhauſe bleiben.“ 

„Mama ſoll ins Theater gehen“, 
antwortete das Kind. „Es wird ſchön 
ſein! Es wird ſo ſchön ſein! Mama 
wird mir dann vom Rothhöſelein er— 
zählen, nicht wahr?“ 

„Sa ſicher, mein Kind, wir werden 
dir alles erzählen und ein anderes— 
mal wirft du auch dabei fein.” 

„Bitte“, hauchte das Riderl, 

„Bann mufs ich aber fchnell ans 
Toilettemachen geben“, jagte Frau 
Paulina, „es ift die höchfte Zeit.“ 
Ein Freudenroth blühle auf ihren 
Wangen und eine Stunde fpäter trat 
fie in weißen Seiden und Hermelin 
gehüllt in das Zimmer des Kindes. 

Die KHindsfrau deutete mit dem 
Finger: Stille! Sie ſchlummert jegt ! 
— Auf den Zehenſpitzen huſchte Frau 
Banlina davon, um bald nachher am 
Arme ihres Gatten die Treppe nieder» 
zuraufchen zum harrenden Wagen. 





| 





Als unfer Baar an der Theater» 
caſſe vorüberfam, fluchte dort ein alter 
Cavalier. Fünfzig Gulden hatte er 
für einen Plab geboten und der 
Caſſenwart hatte, den Schalter jchlie- 
Bend, für diefes jchöne Angebot nichts 
als ein bedauerndes Achjelzuden. 


Driunen rauſchte ſchon die Muſik. 
Als der Dichter in der Loge erſchien, 
erhob ſich ein mächtiger Applaus. 
Bald gieng der Vorhang auf. Laut— 
loſe Stille, ſchon die erſten Scenen 
feſſelten. — Fräulein Roſa, auch ges 
nannt das Rofenfräulein, liebt einen 
Lieutenant und verlobt ſich mit einem 
braven Kaufmanne. Der Lieutenant ift 
arm und will fie entführen, der ſtauf— 
mann ift reich und drängt zur Hochzeit. 
Fräulein Roſa fleht den Geliebten um 
Geduld an, um nur fo viel Geduld, 
daſs Jie ruhig den Kaufmann heiraten 
fönne. Man ift entzüdt über die 
liebenswürdige Schalkheit, mit der fie 
den Galan foppt, und das Nothhöfe- 
lein, der dummverſchmitzte Burſche 
des Lieutenants, bejorgt die Heiter- 
feit. — Schon nad dem erften und 
zweiten Acte wird der Dichter Hürmifch 
gerufen, er verneigt ſich in feiner 
Loge. Frau Pauline ift ſelig. Nach 
dem dritten Acte wächlt der Beifall3- 
ſturm jo gewaltig an, dafs der Director 
den Dichter Holt und auf die Bühne 
führt. Da fliegen Blumen, bunte 
Bänder und Kränze durch die Lüfte, 
das Freudengefchrei ift großartig und 
Frau Paulina, die glüdliche Gattin 
des Gefeierten, fchluchzt vor Wonne, 
als fie fieht, wie er, der ala dünnes 
ſchwarzes Geftaltlein auf der Bühne 
fteht und fih nad allen Seiten mit 
der nöthigen Ungejchidtheit eines Dich- 
ter3 verneigt, von Blumen und Rofen 
faft eingemauert wird. Die Logenthür 
geht jachte auf. — Der Director fommt, 
um auch mid auf die Bühne zu 
führen, das ift ihr erfter Gedante, ftatt 
deſſen ift e& aber ihr Stubenmädchen, 
welhes auf vieles Suchen nad) der 


Loge die Nachricht bringt, das Rider! 
habe wieder die heftigen Krampf: 
anfälle. 

„Armes Kind!“ ſagte Frau Pau— 
lina, „die Kindsfrau ſoll ihm nur 
Honigſeim reichen, ich komme bald, 
um nachzuſehen. Das Stück iſt in einer 
halben Stunde zu Ende.“ 

Das Stubenmädchen entfernt ſich 
wieder. Solche Tage, wie der heutige, 
kommen ſelten, dachte Frau Paulinga, 
man muſs fie genießen, das Sind 
werde ich noch pflegen und Tiebhaben 
genug. 

Herr Raufchart fam nicht mehr in 
die Loge, blieb hinter den Couliſſen, 
damit er am Schluffe Jofort wieder auf 
die Bühne treten könne. Der lebte Uct 
begann. — Die junge Kaufmannsfrau 
Rofa nimmt die Caſſe ihres Mannes und 
entflieht mit derfelben in Begleitung 
ihres Lieutenants. Unter einer frivolen 
Berhöhnung des Kaufmannes ſchließt 
das Stüd. — Während diejer Vorgänge 
waren im PBublicum verjchiedenartige 
Meinnngsänßerungen laut geworden, 
als der Vorhang fiel, Hub ein Hände— 
Hatihen an, das aber fofort durch 
febhaftes Ziſchen ſtumm gemacht 
wurde, um mum eimem  fchredlichen 
Spectafel Pla zu mahen. Man 
ziſchte, man pfiff, man trampelte, man 
trommelte mit Yäuften auf den Brü— 
tungen, man rief: „Dummes Stüd! 
Nichtswürdige Komödie! Wer unter» 
flieht fi, uns fo etwas zu bieten !” 
Das Gefchrei war fo ohrenzerreikend, 
dafs don der Gaffe Feuerwehrmänner 
bereineilten, in der Meinung, es fei 
ein Brand zu löſchen. — Frau Pau— 
line war zur Thüre hinausgeftürzt 
und irrte in ben Gängen umber, Als 
die Leute aus dem Theater drängten, 
wandte fie ihr Gelicht der Wand zu, 
dafs man fie nicht erkenne. Endlich 
fand fie eine Nebenpforte, nur für 
Feuersgefahr hergerichtet, durch die fie 
entlommen konnte. Wie ein gehebtes 
Wild Hufchte fie Hinter das Theater- 
gebäude in finfterer Nacht, um ihrem 
Manne zu begegnen, fie fand ihn 


nicht, fo eilte fie endlich laut weinend 
ihrer Wohnung zu, 

Die Thüren derjelben fanden 
offen, in dem Zimmer hörte fie eine 
männliche Stimme, es war die des 
Hausarztes. Das Stubenmädden fam 
der Frau ſchluchzend entgegen und 
mit dem Wusrufe: „Ach, gnädige 
Frau! ad, gnädige Frau!“ rang fie 
die Hände. 

„Wifst ihr's ſchon?“ rief Frau 
Paulina, „ah, es ift eine ſchändliche 
Niederträchtigkeit !* 

„Gehen Sie nur herein, gnädige 
Grau. Wie fie Schön daliegt, gleich 
einem Engelein! Ob weh, das liebe 
Kind!“ 

„Was ift denn gefchehen?” fragte 
jegt Frau Paulina. 

Man führte fie vor das Bett des 
Kindes und Hier lag, wie ſüß ſchla— 
fend, nimmer Huftend und nimmer 
lahend — das weiße Leichlein. 

Frau Paulina ſchrie nicht auf, 
fiel auch nicht in eine Ohnmacht, 
einen Seufzerhauch that fie und eilte 
danıı durch die lange Flucht der 
Zimmer. Im legten, wo fie nicht 
mehr weiter konnte, ſank fie hände— 
ringend zu Boden, 

Das einzige Kind tobt! Das 
Mifsgefhid im Theater war ausge— 
löſcht, nad ihrem Manne jchidte fie, 
daf3 er schnell nachhauſe komme. 
Der Bote lehrte mit der Nachricht zu— 
rüd, Here Raufchart jei nirgends zu 
finden und das Feſtbankett wäre ab— 
gejagt worden. 

Fran Paulina warf ihren Mantel 
um und gieng hinaus auf die Straßen 
und Pläße, das erftenal im ihrem 
Leben bei eitler Nacht allein. Sie 
dachte an nichts, als ihren Mann zu 
fuchen, zu begegnen; was fie zu ihm 
fagen würde, das wujste fie nicht — 
in ihrer Bruft wüthete es arg. Ein 
Belannter begegnete ihr — der Friſeur, 
der wufste zu Sagen, dafs Derr Raus 
Ihart die Niedergalle entlang geeilt 
ſei und auf Zurufe von Freunden 


feine Antwort gegeben Habe. Die 
Niedergafie führte hinab zum Fluſſe. 

Frau Paulina lief nun ebenfalls 
dieje Gaſſe entlang ; die Gegend wurde 
immer öder und büfterer und die 
wenigen Gaslaternen zeigten ärmliche 
Hänfer mit ein paar Brotläden und 
Branntweinſchänken. Durch die Glas— 
thüre einer ſolchen forfchte fie ganz 
unwillkürlich hinein, zerlumpte Männer 
und freche Dirnen trieben ihr Wejen im 
Dunftqualn, und im dunklen Wintel 
fauerte er, Glas um Glas in die 
Gurgel ſchüttend. Frau Paulina ftürzte 
hinein und ftand vor ihrem Manne. 

Er wehrte ab: „Lajs mich, ich 
will nichts mehr. Ich kann nicht mehr 
leben, ih kann mit mehr! Die 
Schmach iſt unerträglih. Sie find 
meine Feinde, alle, alle, die ganze 
Stadt ! Morgen Schadenfreude, Hohn, 
Schimpf in allen Blättern, in aller 
Leute Mund, od, gräjslich, gräfstich !” 
Die beiden Fäuſte ſchlug er ih ins 
Geſicht. 

Frau Paulina beugte ſich auf den 
Kauernden nieder, legte auf ſeine 
Achſel ihre Hand und ſagte faſt ruhig: 
„Fritz, das alles iſt nichts, das iſt 
ein Spiel, der Erfolg wäre ein Spiel 
geweſen und der Miſserfolg iſt eins. 
Das vergeht wie Theaterſchminke. — 
Fritz, ich weiß etwas anderes! — 
Unſer Rickerl iſt geſtorben.“ 

Herr Rauſchart iſt nicht hinaus— 
gegangen zum Fluſſe. Der Schmerz 
hatte die Verzweiflung überwunden. 
Seinem Heim zu wandelte ſtill und 
ernſt das Ehepaar. Auf dieſem kurzen 
Wege gieng in dem ruhmſüchtigen 
Dichter eine Veränderung vor, zu der 
andere eines halben enttäuſchungs— 
vollen Menfchenlebens bedürfen. Mit 
allen Leidenfchaften des Herzens nad 
Raufhgold gerungen und diemweilen 
das liebe Kind verloren... 

Als fie in die Wohnung kamen, 
war diefe belebt von Menjchen. Aus 
derjelben Stadt, welche vorher erbar— 
mungslos wie ein Henker das Lufte 
jpiel gerichtet, waren nun Menſchen 


gelommen, welche treue Theilnahme 
hatten für das ſchwere Familienun— 
glüd, das hier eingefehrt. Das jchöne 
blaſſe Rider! hatte die Heinen Händ— 
hen gefreuzt auf der Bruft und mar 
bedeckt mit weißen und rothen Roſen. 


Herr Raufchart, als er fo feinen 
Liebling wiederfah, that er einen 
dumpfen Schrei und unheimlich gel— 
end lachte er auf: „Das Roſen— 
fräulein!* 


Im Abendgold. 


Gedichte von Olto Sutermeifter, *) 


Mein Leben. 


O junger Liebe ſüße Luft! 

Du Gattenftolz, ihr Vaterwonnen — 
Heil mir: noch in des Alten Bruft 
Raufht ihr, ein nie verfiegter Bronnen ! 


* 
* * 


O Erdenleides bitt're Qual: 

Du Trennungsſchmerz, ihr dunklen Stun: 
den — 

Seid mir gejegnet tauſendmal, 

Dais ih auch euch, auch euch empfunden! 


* 
* * 


Was ich gejubelt, was gegrolit, 

Mas mir der Himmel auserlefen — 
Nicht um der Erde ganzes Gold 
Wollt’ ich, dafs es nicht mein gewejen. 


Erbfeßaften. 


Wir find nie völlig unfer; nie 

Der eignen Thaten ganze Thäter; 

Halb find wir nur wir jelbit, halb wie 
Uns vorgebildet unjre Väter. 

Ein jeder hat fein Ebenbild, 

Ob zart und mild, ob rauh und wild 
In einem Ahn aus fernften Zeiten; 

Und ob e8 war ein frommer Dann, 
Dder ein Schallsknecht, ein Tyrann, 

Es ſchwebt jein Geift ihm ftets zur Seiten 
Und raunt ihm, hier wie Engelston 

Und dort, als krächzt' ein alter Rabe: 
„Du bift mein Sohn, mein echter Sohn, 
An dem ih Wohlgefallen habe!“ 





Geburtstags⸗Gedenken. 


Da feiern fie mit Liebesgruß 

Mich heut, und Wiegenfeſt-Geſchenlen; 
Doch ih, o Mutter, Mutter, muſs 
In ſtillem Yubel dein gedenfen! 


Dein ift der Tag: Wohl hat dich hier 
Mein irdiſch Auge längft verloren; 
Doch tief im Herzen wirft du mir 
Mit jedem Jahre neu geboren. 


Du biſt ſchuld! 


Dais ih gern in blaue 

Mädchenaugen jchaue, 

Dran find, Liebfte, deine Augen jhuld; 
Meil die goldnen Wellen 

Dir von Haupte quellen, 

Drum nur fchent ich Blonden meine Huld. 
Hätt’ dein Kinn fein Grübchen, 

Glaube ſicher, Liebchen, 

Nicht gefiele mir’3 an andern fo; 

Wenn von Rofenlippen 

Mic verlangt zu nippen — 

Darum machten deine mich fo froh! 


Mit Bott Bab’ ich gerungen. 


Mit Gott hab’ ich gerungen 

Des Tages für und für: 

Ich will von meinem Leben 

Dir ja die Hälfte geben, 

Nur lajs mein Kind, o laſs es mir! 


) Aus der neuen gleibnamigen Sammlung Eutermeifters. Frauenfeld. J. Huber 1801. Eiche 


Heimgarten Eeite 557. 


586 


Nun Hat er doch genommen 

Mir meines Lebens Bier; 

In meines Herzens Jammer 
Klag’ ih aus ftiller Kammer: 
Mas joll, o Gott, dies Leben mir? 


Doch willſt du, dajs ich lebe, 

En leb' ich völlig dir; 

Zu meinem Rinde fahren 

Werd’ ih in kurzen Jahren, 

Tenn nimmer fommt e8, ad! zu mir. 


Aus dem alten Jahr. 


Aus dem alten Yahr, aus dem alten 
Yahr 

Klingt ein Lied ins neue hinein: 

Das was id dir war, das was ich dir war, 

Wird leins mehr fein! 


Wohl von vorne geht's, wohl von vorne 
geht's 

Wieder an mit Luft und Leid, 

Über anders flet3, aber anders flet3 

In Ewigkeit. 

Wohl die Schwalbe fingt, mohl die 
Schwalbe fingt, 

Wie fie immer fang zuvor; 

Aber anders klingt, aber anders Hingt 

Es dir ins Ohr. _ 


Wohl die Rofe blüht, wohl die Roſe 
blüht, 

Ändert Kron’ und Farbe nie; 

Aber anders fieht, aber anders fieht 
Dein Auge fie. 


Jedes junge Jahr, jedes junge Jahr 

Macht um eins dich älter ſchon, 

Und das jüngfte gar, und das jüngfte 
gar 

Trägt di davon, 


Aus dem alten Jahr, aus dem alten Jahr 

Klingt ein Lied ins neue hinein: 

Das was id dir war, das was id dir 
war, 

Wird keins mehr fein! 


“ 
“ * 


Wer ohne jegliche Beſchwer des Geiſtes 
freies Reich durchmiſst, 

Gilt darum noch bei Gott nicht mehr, als 
wer fein Brot mit Sorgen ifst. 

Die Ehwielenhand des ruß'gen Manns, 
der fonnverbrannten Bauerndirn, 

Sie ficht in ihres Schöpfers Dienft, wie 
die gefurchte Denkerftirn. 


* 
* * 


Ein jeder Reiche, der ſein Gut nicht mit 
dem braven Armen theilt, 
Trägt Mitſchuld an dem Rieſenkampf, dem 
heut die Welt entgegeneilt. 


E 
* * 


Einmal im Jahr ein reihlih Gericht 
Macht nur lüftern die Armen; 
Lieber forgt, dafs fie hungern nicht 
Und dafs fie im Winter erwarmen. 


Gleichmacher. 


Ewig beneidet ein niedriger Sinn den 
höher Begabten, 
Während ein höherer juſt ſich an dem 
höchſten erbaut. 
Großes erlennt nur, wer eiwas vom Großen 
felber an fih hat; 
Wenn nit erhaben der Geift, rührt ihn 
Erhabenes nicht. 


* 
* * 


Mögt immer euch meſſen Haupt an Haupt, 
Mögt euch auch widerſprechen; 

Nach Zweierlei trachten iſt Brüdern erlaubt, 
Nur Zwietracht iſt ein Verbrechen. 


Jugendleben. 


Bildet nur immer die Jugend fürs Leben; 
aber vergejät nicht, 

Daſs fie vom Leben ja jelbft au ſchon 
ein löſtliches Std, 

Niht um der Herbftfrudt willen allein er= 
ſchließt ſich der Lenzflor, 

Grade der duftigfte ja blüht nur, um eben 
zu blühn. 


* 
* * 

Stets ſpricht — und daran erkennt ihr 
ihn bald — 

Der Pedant in zweierlei Zungen: 

Zu den Jungen jpricht er, als wären fie 
alt, 

Zu den Alten, alt wären fie Jungen. 


Der Dutzend⸗Philologe. 


Sechs Epraden hat er gelernt und gelehrt,“ 
Doc geſprochen nichts, was der Rede wert. 


987 


* — * 
Nein, was ihr immer mir jagt von bes 
glüdendem Wiſſen und ſtönnen — 
Glücklich im Innerften ift nur, wer im 
Innerften gut. 


* 
* * 


Das Wahre ift nit wahr, bewirkt's ein 
Butes nidt; 

Das Schöne ift nit jhön, wenn’s Hohn 
dem Guten fprict. 

Spredt Wiſſenſchaft und Kunft von Zucht 
und Sitte frei, 

Und wieder neu erfteht uralte Barbarei. 


* 
* * 


Keines Menſchen Gewiſſen 

Iſt völlig heil und geſund; 
Wen es nicht quält mit Biſſen, 
Dem ſchläft es nur zur Stund. 


* * * 
Es laſſen ſich zum höchſten Ziel 
Nicht gleich die Menſchen lenten: 


Die einen haben’s im Gefühl, 
Die andern müſſen's denfen. 


„Mundus vult decipi.‘ 


Vertraue nie ganz eines Mannes Wort, 
Es Tann ih ſchmählich wenden über Nadt: 
Mit Abſcheu ſprach mir mander ſchon vom 


Mord, 
Und Hat ſich ſchließlich ſelber umgebradt. 


* 
* — 


Nicht reif iſt noch, wer nur Negierens ſich 
befleißt, 
Und kindiſch ſchwach nicht, wer demüthig 
Großes preißt. 
Nur ſeine Kleinheit zeigt, der klein das 
Große nennt, 
Und nur das eigne Nichts, der da für nichts 
entbrennt. 
* 
* + 
Wer über andrer Edelmuth von Herzen 
noch fi freuen fann, 
Iſt, was er immer jonft noch jei, jelbft 
auch noch fein verlorner Mann, 


* 
* * 


Ein Prediger jein ſchon durd fein Bei: 
fpiel nur; 
Sid Frieden ſuchen, Andern Frieden geben; 
Zum Gotteshaus erheben die Natur, 
Zum Gottespdienft fein ganzes Sein und 
Streben; 


Des Guten, Wahren, Schönen fein beflifien, 
So ohne Furt, wie ohne Falſch und Lift; 
An Demuth doc ſich hoch begnadet wiſſen — 
O weld ein Segen jold ein Leben iſt! 
* 
* * 
Die Feinde lieben heißt nicht: lieben 
Feindes Sünden, 
Nicht: ſelbſt dich geben preis und dich dem 
Feind verbünden. 
Es heißt: das Unrecht nicht ihm thun, das 
er dir thut, 
Beſiegen ſeinen Haſs durch deinen Edel— 


muth; 
In ihm des Guten Trieb, den unterdrückten, 
ſchwachen, 
Durch deines Beiſpiels Macht zum Leben 
neu entfachen. 
* 
* * 
Neue Münzen dürfen prägen 
Große nur von Rechtes wegen: 
In dem Staat die Majeftäten, 
In der Sprade die Poeten. 


* 
* * 


So iſt die Welt voll Widerſpruch 
In ihren Thaten und Zügen: 
Malt einer getreu fie in ein Bud, 
So ſcheint er tüchtig zu lügen. 


Dichten und Dieter. 


Was aufzuhellen dem Berftand 
Die Wiflenihaft umſonſt fih müht, 
Das zaubert Har mit Feenhand 
Die Boefie vor dein Gemüth. 


Stoffe. 


„Alles Vergängliche 

Iſt nur ein Gleichnis, 
Das Unzulänglicde 

Hier wird’3 Ereignis —“ 
Selber der Feinheit 
Diejer Bemerkung 

Gibt Reim-Unreinheit 
Neue Beftärlung. 





Kosmos. 


Ihr meint, der Kosmos, den ihr ſchaut, 
die Welt voll Harmonie, 

Bon jelbft hat fie fi fo erbaut, ein Zufall 
zeugte fie? 

Dann haben auch zufällig einft die Leitern 
fih gefunden 

Und aus dem Seterfaften fih zu Goethes 
„Fauſt“ verbunden. 


Beift. 


Ihr glaubt an manchen großen Geift, der 
alle andern Heut bezwingt, 

Und an den heil’gen glaubt ihr nicht, der 
ihon Jahrtauſende umſchlingt? 

Und an den ew'gen glaubt ihr nicht, der 
alle Welt und Zeit durchdringt? 


Conſequenzen. 


Gebt acht, ſo wird's in Bälde kommen: 
Aufſchreien wird die arme Herde: 

„Ihr habt den Himmel uns genommen, 
So gebt uns num dafür die Erde!” 


Wer weiß! 


Blond war mein Haupt, als einft der Arzt 
verhieß: „Die Wende 

Des Jahres naht und mit ihm, Freund, 
deines Lebens Ende,“ 

Mein junges Herz erſchrak; ſchon fühlt ich 
Todesſchweiß: 

Krank war der Leib, doch ſtark ſprach mir 
der Geiſt: Wer weiß! 


Grau iſt das Haupt mir heut und eine 
Stimme ſpricht: 

„Ein Hügel, Pilger, naht, da drüber 
fommft du nicht.“ 

Doc ruhig jhlägt mir heut das Herz bei 
dem Verheiß; 

Denn ob auch müd der Leib, ftarf ſpricht 
der Geift: Wer weiß! 

* 

* 

Nicht weil volllommen ich ſei, erhoff' ich 
unſterblichen Lohn mir; 

Nein, weil ich hier es nicht bin, hoff' ich 
und glaub' ich ein Dort. 


Mein Weg gebt weiter! 


Da brichſt du, der du taufendmal 

Auf hohem Berg, im tiefen Thal 

Mit mir gewandert auf und ab, 

Du Fieber, alter Wanderftab — 

Da bridft du endlid mir entzwei 

Und alles Wandern ift vorbei — 
alles vorbei ? 

Dir, der fo gedient mir hat, 

Wie gönn’ ich dir die Nuheftatt, 

Mein freundlicher Begleiter — 
Mein Weg geht weiter! 








Einft brichſt du, der jo mandes ‚Jahr 
In Glüd und Freud, in Noth und Fahr 
Mich treulich ſtets begleitet hat, 
Mein Erdenleib, jo müd und matt — 
Einft brichſt du endlih aud mir ein 
Und alles foll zu Ende fein — 

Zu Ende fein? 
Dir, der jo treu gedient mir hat, 
Wie gönn’ ic dir die Nuheftatt, 
Mein freundlier Begleiter — 

Mein Weg geht weiter! 


(Maß Pascal.) 


Mie Pocfie nur den bewegt, 

Der Poeſie ſelbſt in fich trägt, 
So fühlt au Gottes Liebe nur, 
Wer felber göttlicher Natur. 


* * 


Wohl mancher Doctor der Theologie 
Iſt weiter von Gott entfernt, 

Als viele, die ihr Lebtag nie 

Den Katechismus gelernt. 


Rirche. 


Und kehrſt du auch in hundert Tempel ein 
Und in dein Herz nicht, wird's vergeblich 
jein. 


* 


Es läjst des Chriſten Sonntagspflicht 
Sich in zwei Worte faflen: 

Kann er erbauen jelber nicht, 

Mußſs er erbauen fi laſſen. 


* 


* 


x t 


Er ſpricht: Bon Gloden lajs ich nicht 
Mich in die Kirche commandieren. 
Jedoch zur Tafel madt den Wicht 
Die Speijeglode flugs marjdieren. 


Daus: und Seekenapotßehe. 


Zwar liebt ein Arzt nicht, dajs im Haus 
Sic jelber helfen au die Kranken, 

Und aud der Pfarrer möchte ſich 

Für Laienpredigten bedanten. — 


Ih aber möcht’ in feinem Haus, 
Wo nur der Arzt curierte, leben; 
Und aud die Seele möcht' ih nicht 
Nur in die Cur dem Pfarrer geben. 


un —— 





580 


EBriftus. 
Kleiner nur werden, je mehr ihr fie mefjet 
die Großen der Erde; 
Toh an des Göttlichen Geift ſcheitert der 
Mefienden Maß. 


Ayoflaten. 
An taufendfält'gem Ehriftenruhm 
Gehn fie vorüber blind und ftumm; 
Doch ſchaffen Pfaffen oder Laien 
Hier etwas ſchief, dort etwas krumm, 
Gleich fangen alle an zu ſchreien: 
Seht, ſeht da euer ——— 


Perfugium humanitatis. 


"| Als verzehrt von niedrer Sinne Gluten, 


Schwand der edlen Hellas Kunſt und Ruhm, 
Nettete den Kern des ewig Guten, 
Ewig Schönen nur das Chriſtenthum. 
* 

® * 
Wenn der Yettzeit riefige Stoffgedanlen 
Münden einft in Sittenbarbarei, 
Macht den Geift von aller Stoffe Schranten 
Erſt der Geift des Chriftenthumes frei. 


Mein Pebensgang. 


Bon Yans Grasberger. *) 


% ch ericheine als am 2. Maui 1836 
aan und getauft; nach mütter— 
lihem Gedenken habe ich aber am 

1: Mai an einem Sonntage das Licht 
der Welt erblidt. Dafs ich Gras= und 
nicht Graßberger jchreibe, beruht auf 
einer Weiſung meines Vaters, der 
mir auch mittheilte, daſs dieſe Gras— 
berger einft ein Wappen geführt und 
die Werke im Thörlgraben bejeflen. 
Ich Habe diefen abweichenden Anga— 
ben nie näher nachgeforſcht. Daſs ich 
mich bald nah den Studentenjahren 
Hans ſchrieb, langes Haar trug und 
nach einem weichen, breitfrempigen Hut 
griff, hat mir für längere Zeit die 
polizeiliche Aufmerkjamfeit zugezogen. 
Mein Bater Jofef war Weihgärber, 
ein Gewerbe, das damals, als man 
ſich noch vorwiegend „irchen“ gewan- 
dete, eine ui Bedeutung Hatte 





als heutzutage; er hatte in Graz, in 
verfchiedenen Klöftern, im Salzburgis 
ſchen gearbeitet, ehe er fich in Obdach 
niederließ. Den Apotheler Grasberger 
in der jalzburgiichen Vorſtadt Mülln 
bezeihnete er mir ausdrücklich als 
nahen Verwandten, den ich auf meiner 
erften größeren fFerienwanderung 1854 
ja aufjuchen follte. Ich ftellte mich 
diefem Herren Onkel in feiner Officin 
auch vor, mit einem ftolzen Zeug: 
nis mich ausweijend; als derjelbe 
aber, wie um mich auf die Fürzefte 
Weiſe abzufertigen, in die Geldlade 
griff, zog ich mein Papier wieder an 
nich und fagte, kehrt machend: „So 
war's nicht gemeint!“ Seither hab’ ich 
mich um meine reicheren Berwandten 
nicht mehr gekümmert, wie auch fie 
nicht um mich. Um 1816 jollen meine 
Eltern geheiratet haben und nad Ob— 


4 Der deutſch-öſterreichiſche Dichter Hans Grasberger ift im Verhältnifie zu 


feinen literarischen Leiftungen bisher nod) viel zu wenig belannt. Er lebt in bejcheidener 
Zurüdgezogenheit in Wien und war erft nad wiederholten Einladungen zu bewegen, 
für den „Deimgarten* eine autobiographiiche Skizze zu jchreiben. Nach unjerer Meinung 
haben ſolche Selbftihilderungen einen größeren Wert, als fremde biographiiche Arbeiten, 
die zumeift nad) zufanımengeftoppelten Notizen handwerlsmähig gemadt werden. Jeder 
weiß jelbjt am beiten, was er erlebt hat, und der ſich jelbftfennende Schriftjteller wird 
uns in wenigen Zeilen über ſich mehr jagen, als der Literarhiftorifer in langen Auf: 
ſätzen, die oft jehr geiftreich jein mögen, aber der Individualität entbehren, zu jagen 
pflegt. Würden bedeutende Charaktere aljo fi offen und redlich jelbft beſchreiben, es 
wäre für Literatur und Leier ein großer Gewinn. Die Red. 


390 





dach gezogen fein. Sie hatten daſelbſt 
ein bürgerlihes Anweſen und ift 
mir als dasfelbe das heutige Nagel» 
ſchmiedhaus am Bach bezeichnet worden. 
Feuer⸗- und Waſſerſchäden follen fie 


aber um ihre Habe gebracht haben, | 


fo daſs fie früh verarmten, ihre Selb- 
ftändigfeit verloren und „Einwohner— 
leute” wurden. Fortan brachte ich 
der Vater als Anftreiher, Aushilfs- 
arbeiter, Taglöhner fort; dafs er aber 
gelegentlid auch Heiligenbilder auf 
Glas malte, derlei Glasbilder aus— 
bejjerte, daf3 von ihm noch Heute ein 
Herz Jelu- Aquarell vorhanden ift und 
daſs er als Erzähler oder „Lügner“ 
da und dort die langen Winterabende 


verfürzte, wie er auch Schübenjcheiben ! 


und Transparente fertigte, das darf 
vielleicht nicht unerwähnt bleiben. Er 
mag an die 60 Jahre alt geworden 
fein; ich erfuhr feinen Tod am Aus— 
gange meiner Studienzeit in Wien. 
Meine Mutter Anna war eine ge= 
borene Reinerin; fie Hatte beim 
Patrimonialgeriht Authal auf dem 
Murboden ein Heines Erbe zu erheben 
und blieb troß vieler Wanderungen 
dahin der Meinung, dafs fie nie völlig zu 
dem gelangt fei, was ihr gebührte. Sie 
ftarb mit 92, ihrer eigenen Ausſage 


nad mit 94 Jahren. Noch als Acht: : 


zigjährige ließ fie die Nadel nicht 
raften, Bettdeden abjtoppend nach Zie- 
raten, die fie ſich jelbft mit der Kreide 
auf den Stoff vorgezeichnet Hatte. Sie 
war arbeitfam, frohmuthig, geru ges 
litten, redegewandt, und ihre Laune, 
ihr Wiß Hat felbft im ihrem hohen 
Alter nicht verfagt. Wenn ich Munde 
artliches dichtete, achtete ich im Geiſte 
immer auf Sang und Klang und 


Ausdrucksweiſe meines lieben Mütter: | 


chens, das eben nur zur Noth Ge- 
drucktes leſen lonnte. Von zehn Kine 
dern war ich das vorletzte; der ältere, 
Alois, ift 1849 in Italien, der jün— 
gere, Romuald oder Roman, 1866 bei 
Chlum gefallen; von den übrigen Ge— 
ihwiftern babe ich feine Erinnerung. 

Als Knabe trieb ich mich Lieber 


beim „Birner-Bäden“, meinem 
Paten, als daheim herum, obwohl 
ih mit der Mutter oft auch in den 
Wald „Holz klauben“ gieng. Halter- 
bub war ich in den Vacanzen. Die 
Zrivial= Schule behielt mich länger 
als nöthig; im „Ehrenbuch“ ftand ich 
obenan; der Gooperator P. Mein 
rad lieh mir Bücher, und die Ritter» 
geihichten von Cramer, Spiek und 
Lafontaine verfhaffte ih mir um 
Miniftrantengrofhen aus dem nahen 
Judenburg. Der mufifeifrige Schul— 
meilter Yranz Swoboda lehrte nich, 
wie andere Finder, fingen, Triangel— 
und Tichinellenfchlagen und auch Wald- 
hornblaſen, fo daſs ih anno 1848 
und 1849 mit Rudolf Falb in der 
„Banda” der Obdacher Nationalgarde 
meinen Mann stellen Fonnte. 

Un einem Octobertage 1849, da 
gerade im Ort ein Kalb mit drei 
Hörnern zu fehen war, bejtiegen ich, 
der ältere, und Falb das Steirer- 
wagerl, da3 uns unter den Schutze 
des guten diden Herrn Schulmeilters 
al3 Süngerfnaben ins Benedictiner- 
tift St. Lambrecht brachte, Nun, 
al3 Sänger und Mufiter leiftete ich 
wohl wenig — „unficher im Treffen, 
gemüthlos im Vortrage“; aber das 
Studieren machte mir fo wenig 
Schwierigkeiten, dafs mir meine geift- 
lihen Lehrer beijpieläweife in einem 
Jahre über die dritte, vierte und 
fünfte Schule hinmweghelfen konnten. 
Nah vierjährigen Aufenthalte im 
Klofter konnte ih in Klagenfurt die 
Aufnahmsprüfung für die fiebente La— 
teinjchule beftehen. Die Convictzzeit 
ift mie eim Lichtes, freundliches Er» 
innerungsgut; Lehrern wie P. Odilo 
und P. Justus zolle ih danfbares 
Gedenken; Conrad von Forcher, Lan— 
desgerichtsrath Iberer, P. Benno, 
jest Hofmeiſter des Stiftes, find mir 
ſeither Freunde geblieben; wir Con— 
victsjungen hatten unſer eigenes Pa— 
piergeld (S 1 „Die Bank iſt eine — 
Republil*), unfere Fehden, Fehmen 
und Gaftereien; tolle Streiche, bei 














denen nichts Böswilliges mitunterlief, 
wurden gelinde bejtraft; wir befamen 
fein gehäfliges Wort gegen Welfche 
oder Andersgläubige zu Hören und 
ih durfte — Berje maden, die an 
Prüfungstagen mitunter ſogar herum— 
gezeigt wurden, auch Liebesgedichte, 
„aber nicht Früher, als bis ich wüſste, 
was Liebe ſei“. 

In Klagenfurt beendete ich 
das Gymnaſium, die Reife Prüfung 
mit Auszeihnung beitehend. Einen 
Rückhalt fand ih da an dem fiudenten- 
freundlichen Daufe des Stadtphyſicus 
Dr. Adam Birnbadher, deſſen edle 
Gattin mir in der Folge den Weg 
nah Wien bahnte. So fam ih au 
zu Freitiſchen und Lectionen. Bücher 
über den Schulbedarf hinaus liehen 
mir Brofeflor Karlmann Flor von 
St. Paul und der fpätere Fürſtbiſchof 
Beter Funder. Ich lernte das färnt- 
neriſche Volkslied fennen und lieben — 
daher jo manche Anklänge daran in 
meinen mundartlihen Schriften. 

Wien betrat ih am 3. October 
1855. Ich hörte Jus ohne fonderlichen 
Herzensdrang, doch war ich Fein 


enthalten in dem von Wiener Stu— 
dierenden herausgegebenen „Album zur 
Schillerfeier“. Nah der Drientfahrt 
fam ich zunächſt als Hofmeifter und 
Eoncipient ins Haus des Advocaten 
Dr. Wolfgang Tremmel; aber ih 
ſchickte mich ſchlecht in die Kanzlei— 
praxis, jo dafs ih bald lieber ganz 
der Tugesjchriftitellerei angehörte. Ich 
dab’ es demnach auch nicht völlig zum 
Doctor gebradt. 1865 und 1866 ge= 
hörte ich der Redaction der „Preſſe“ 
an. Ich wollte heiraten, aber ehe es 
dazu fan, war ich wieder ohne Stelle. 
Dreimal Hab’ ih mi auf Grund 
meiner „Sonette. aus dem Drient” 
und anderer jchriftitellerifcher Anläufe 
um ein Dichterftipendium beworben, 
aber vergebens. In den erjteren Mo— 
naten von 1867 beredete mich der 
mir wohlwollende Dichter Carl Bed 
zu einer gemeinfchaftlichen Fahrt nad 
Italien, Das machte ſich überrafchend 
leiht; die Regierung gab mir als 
geweſenem „Volksfreund“ = Redacteur 
‚einen Vorſchuſs von 300 fl. auf Be- 
richte, die ich für die „Wiener Zei- 
tung“ jchreiben jollte, und aud an— 


ſchlechter Student und die theoretifchen, | dere Blätter verſprachen, ihre Spalten 
die geihichtlichen Fächer Hatten viel | meinen Reijebriefen zu öffnen. Sch 
Reiz für mich. Freundliche Aufnahme | ftrebte denn auch bald weiter, als 
fand ich im den Familien des Thee- | meinem Neifegefährten lieb war; id 
händlers Carl Trau, des Oberfinanz- | trennte mich in Venedig, beſah mir 





rathes dvd. Hausegger, des PDirec- 
tor3 d. Plenter, des Kaufmannes 
Franz Breither, der in der conjer= 
vativen Welt eine hervorragende Rolle 
jpielte, und anderer Gönner. Der 
Leßtgenannte war ein Bruder des 
Lambrechter Geiftlihen P. Rudolf, 
der mich getauft hatte; er vermittelte 
meine Theilnahme („gleihjam an feiner 
ſtatt“) an der öfterreichifchen öfterlichen 
Pilgerfahrt nah Jerufalem 1859; 
er nahm meine Reiſebriefe in fein 
Tagesblatt „Ofterr. Volksfreund“ auf; 
er machte mich zum Mitarbeiter, ja 
felbft zum Leiter diefes Organes — 
ein Verhältnis, das über 1864 hinaus 
gedauert bat. Im Jahre 1859 er— 
jchienen auch meine erjten Gedichte, 


Bologna und Florenz, vermweilte in 
Rom, drang nach Neapel vor und 
blieb ſieben Monate aus. 

| Die zweite Romfahrt erfolgte ſchon 
‚im nächften October; ich weilte über 
ein Jahr in der ewigen Stadt, jchrieb 
‚für ein Halbdugend deutfcher Blätter 
‚und ließ mir’3 jauer werden. Nachdem 
‚ich fo bereits die Gentenar- und Ca— 
'nonifationsfeier, ſowie die Garibaldi- 
niſche Invafion miterlebt Hatte, traf 
ich dajelbit zum drittenmal, und zwar 
al3 Eoncilöberichterftatter der „ Preſſe“ 
‚ein. Auch das war ein anftrengender 
und heikler Dienft. Im Jahre des 
Krachs und der Wiener Weltausftellung 
war ih neun Monate lang in Italien, 
und anläjslich der ſlaviſchen Pilger: 


fahrt ſah ih die Siebenhügelitadt 
wieder. 

Dies meine italienischen Wander: 
jahre. Die freie Zeit widmete ich 
Kunftftudien; zunächſt Hatte mir's die 
Malerei, fodann die Architeltur, und 
zuletzt erſt die Plaftit augethan. Mit 
Künftlern verkehrte ich viel und gern, 
in den Ateliers war ich wohl gelitten, 
aber daS ungebundene Leben machte 
ih nur wenig mit, denn ich hatte mein 
Herz in Wien zurüdgelaffen; es ges 
hörte einer jelbjtändigen Frau, die 
nah der Wanderſchaft mir eine forg- 
jame Hauswirtin geworden und troß 
allem Wandel eine edle Freundin ge 
blieben ift bis zu ihrem lebten Athem— 
zuge. In Rom begann ich meine Nach— 
Dichtungen der„Rime diMichelangelo“, 
von Franz Lifzt ermuthigt umd 
unterftüßt. 

1871 war ich überflüffiger Kriegs— 
correfpondent der „Preije“ ; ich jollte 
mich nämlich ausschlieglich auf deut— 
chem Boden Herumtreiben. 1873 er- 
ſchien mein „Garneval der Liebe* — 
der naide Mensch Hatte ja doch auch 
Ihon manchen Tiefblid ins gejellfchaft- 
lihe Leben gethan. Ich Hatte nun 
als Kunftreferent und FFenilletonredac- 
teure der „Preſſe“ einen ruhigen Dienft. 
Da mir aber die nationale Bedrängnis 
nicht gleichgiltig bleiben konnte, ver— 
fieß ich das genannte Blatt im 
Jahre 1883, als Kunſtreferent bei der 
„Deutschen Zeitung“ eintretend. An 
förderlichem Umgang hat es mir in 
Wien nie gefehlt; Ferd. Kürnberger, 
Friedr. Uhl, E. Oberleitner, Ludwig 
Speidel, Garl v. Thaler und im 
früherer Zeit der Componift Winters 


592 


— — — — —— — — — — — — — — — — — — 





berger, der Dramatiker Schneegans, 
die „Wartburg-Brüder“ u. A. haben 
mit mir verkehrt. Deutſchland habe 
ich zumal auf verſchiedenen Aus— 
ſtellungsfahrten kennen gelernt. Was 
jetzt noch mein Leben verſchönt oder 
erfreut, gehört nicht hieher. 

An die fünfzehn Jahre hatte 
ich die heimatlichen Berge nicht wieder 
gefehen. Als in den Ferienmonaten 
1876 Steiriſches, Kärntnerifches mir 
aufs neue traut zu Ohren klang, kam 
etwas zum Durchbruch, das ih in 
mir gar micht vermuthet Hatte — 
meine Dialectpoefie, ein Tribut, den 
ich der lieben Heimat zoflte! Und auf 
diefem Gebiete ift mir Rojeggers Zu: 
ſpruch zuftatten gefommen. 

Ahnlich wollen alle meine Schriften 
aufgefafst fein: als Dank an das 
Leben, ſoweit es mich berührt, hat, 
als Dank an den Boden, darauf ich 
Gaftfreundfchaft gefunden. Die „So= 
nette aus dem Orient“, die Novellen 
„Aus der ewigen Stadt“, die Geſchich— 
ten „Auf heimatlichem Boden“ jprechen 
dies klar und offen aus. Anderes be— 
begreift ſich unſchwer daraus, daſs 
meine Denkweiſe mehr geſchichtlich als 
philoſophiſch, meine Anſchauung mehr 
realiſtiſch als idealiſtiſch und mein 
Weſen mehr Hingebend als jelbftfüchtig, 
mehr beihaulich als thätig if. Ob, 
was das Pult birgt, bei meinen Leb— 
zeiten noch ans Tageslicht gelangen 
fan, weiß ich nicht. Sch darf mich 
eines arbeitfamen Lebens rühmen, ſo— 
wie auch, meinen Namen nie feilge= 
boten oder preisgegeben zu haben. 
Das Ubrige fteht in Gottes Hand. 





Etwas vom Buhmadher-Handwerk. 


weimal fucht der gewiljenhafte | Handbuch für Autoren von J.H.Wehle”. 
Leſer nach, ob es im Titel nicht | (Wien. U. Hartleben.) In demfelben 
Tuhmacer =» Handwerk heißen wird genau vorgefährieben, wie man 
ſoll. Rein, e3 heißt Buchmacher- Hands | die Gedanken zu formulieren, die Verſe 
wert und Hat damit feine Richtigkeit. | zu ſchmieden, die Romane zuzufchneis 
In Deutfchland und Deutfchöfterreich | den, die Dramen zu bauen hat; es 
follen alljährlih an 14.000 Bücher | wird dargethan, wie das Manufeript 
gemacht werden, heißt es; nehmen | beichaffen fein mufs, wie man einen 
wir an, dafs jedes im Durchſchnitte Verleger jucht, mit demfelben und mit 
in einer Auflage von 500 Exemplaren | der Buchdruderei verkehrt. Dann fol— 
ericheint, jo wären das ſieben Milli |gen Juftructionen über das Geſchäft— 
onen Stüd Bücher. Das ift viel. | liche des Verlegers, des Büchermarktes, 
Aber, lieber Freund, Hüte, Hemden | und als Anhang die beftehenden Reichs- 
und Stiefel werden noch weit medr gejege und Verträge für die literaris 
gemacht des Jahres! Und das Buch ſche Broductian. 
ift do ein Bedürfnis geworden, fol Zwei Eapitel ftibigen wir aus dem 
gut wie dad Tafchenmefler, die Stahl- Buche heraus (der Verleger erlaubt'3 
feder, die Augengläfer u. ſ. w. Ihon!), und zwar folde, die auch für 
E3 gibt zwar auch Bücher, die wirkliche Schriftftellee und Dichter 
nicht gemacht werden, fondern die viel- paljen und unsere literaturbefliffenen 
mehr entitehen, wachſen, Werke der | Lefer und Leferinnen recht interejfieren 
Schöpfung find wie eine Blume, wie | werden. 


ein Vogel, wie ein Löwe. Das jind ; 
die Werke der Dichter, von diefen jo; Der Berkehr mit dem Berleger. 
Ein Buchwerk entjteht entweder 


bier eigentlich die Rede nicht fein. Die 
literariichen Dilettanten, die Dichter- | durch eine vom Verleger angeregte Idee 
linge aber — und folcher gibt es in | oder infolge des ſchöpferiſchen Gedankens 
Deutichland allein gegenwärtig mins | des Autors. Im erfteren Falle ift es 

der Verleger, der anregend und bes 


deitens 12.000! — müſſen wir jchon 
fruchtend auf den Wutor einmwirkt. 


niiteinbeziehen in die Gilde, von 
der hier die Nede fein fol. Sie ge: | Er findet, dafs irgend ein Werk einem 


hören, foferne fie Bücher jchreiben und | Bedürfnis entgegenfomme, oder daſs 








druden lafjen (zumeift Hauptjächlich zu |ein ſpecieller DVerlagsartifel günftige 
den Zwecke, um fich Geld zu ver- | Abjah = Chancen verſpreche. Er jucht 
dienen) zum Buchmadher » Handwerk. | dann in Jchriftjtellerifchen Kreiſen nach 
Und gerade diefe Meifter, Gejellen und | dem Mann zu der Idee, nach jenem Au— 
Lehrlinge wird es außerordentlich in- | tor, deſſen literariiche Individualität 
terejfieren, wenn wir fagen, daſs ein |fih zur Ausführung des Merfes am 
Buch erfchienen ift, im welchem man | beiten eignet, oder wenn e3 ein Sam— 
das Büchermahen lernen kann, amd melwerk it, jene Fachmänner, deren 
zwar lernen vom erften Federftriche an | Fähigkeiten und Kenntniſſe gediegene 
bis zum verfauften Eremplar. Diefes | und zwedentiprechende Durchführung 
Lehrbuch heißt: „Das Buch. Tech: | des Werkes verbürgen. In diefem Falle 
nit und Praris der Schriftitellerei. Lift es meiltens der Verleger, welder 


Rofegger’s „Geimgarten‘‘, 8. Heft, XV. 38 


in mehr oder weniger bejtimmten Um— 
riffen den Plan des Ganzen aufitellt, 
den Umfang feitfeßt u. j. w. Der 
Autor ift dann in der angenehmen 
Lage, ſich ausſchließlich feiner jchrift- 
ftellerifchen Aufgabe widmen zu kön— 
nen. Alles andere beftimmt der Ver— 
leger allein oder in gemeinfamer Bes 
rathung mit dem Autor. Den leteren 
kommt hierbei die reiche Erfahrung des 
Verlegers zugute, der ihm die einzu— 
haltende Richtſchnur angibt und im 
vorhinein die Mängel bezeichnet, welche 
bei der Ausführung zu vermeiden find. 

Anders ift es, wenn die dee vom 
Autor ausgeht. Er empfindet das Be- 
dürfnis, dem Publicum oder einem 
Ipeciellen Kreiſe desfelben, den Fach— 
genofien, Schülern u, f. w. irgend 
etwas mitzutheilen, ſei es eine Schö— 
pfung feiner Phantafie, eine neue Er— 
findung oder Entdedung, die geſam— 
melten Erfahrungen auf einem fpe= 
ciellen Gebiete der Induſtrie, der 
Wiſſenſchaft u. ſ. w. Das Ganze ift 
in feinem Kopfe fertig und braucht 
nur zu Papier gebracht zu werden. 
Uber um fein Wert dem PBublicum 


n94 





tor, der dadurdh die Sorge um den 
Vertrieb und das Rilico der Herftellung 
auf den Verleger überträgt. 

Es entjteht nun die Frage, ob 
der Autor, fobald er die dee zur 
Herausgabe eines Werkes gefalst, jo- 
fort mit dem Berleger in Verkehr 
treten fol? Wenn er am Sibe des 
Verlegers wohnt und mit demſelben 
in gejchäftlicher oder gejelliger Ver— 
bindung ſteht, dann kann eine jolche 
geſprächsweiſe Erwähnung feinesfalls 
Schaden. Der Verleger wird ihn dann 
aufmuntern, die Idee detaillierter aus— 
zuarbeiten, oder er wird ihn abmahnen, 
oder er wird fi das Urtheil vorbe— 
halten, bis ihm ein überjichtliher Plan 
des ganzen Werkes vorliegt. 

Und dies ift die wahrfcheinlichite 
Eventualität. Denn mit der bloßen 
dee weiß der Verleger in vielen Fällen 
nichts anzufangen. Es ift dies umſo 
begreifliher, als bei der hohen Ent: 
widelung der literarifchen Production, 
bei der großen Mafle von Büchern, 
die jährlich erfcheinen, eine neue dee 


ſelten ift. Meiftens wird es fich um 


die Verbefjerung von etwas ſchon Bor« 


zugänglich zu machen, bedarf er eines |handenem, um die Adaptierung für 


Mittelmannes, Mit dem Druden allein 
ift es nicht gethan. Gegen entfpre= 
hende Bezahlung übernimmt wohl 
jede Druderei die Derftellung der ge- 
wünschten Auflage. Aber dann ift das 
Merk nur vervielfältigt, nicht in Ver- 
fauf gebradt. Wenn er auch den 
Drud aus eigenen Mitteln beftreiten 
wollte, ift er noch immer zum Zweck 
des Vertriebes auf die Vermittlung 
des Derlegerd angewiejen, der das 
bejißt, was ihm und dem Druder fehlt, 
den Vertriebsapparat. Alſo jelbit dann, 
wenn der Autor das Riſico des Ver— 
lagsgejchäftes auf fih nimmt, wenn 
er die Koften des Drudes bejtreitet, 
wird er der Hilfeleiftung des Berle- 
gers nicht entrathen können. Die Thei- 
lung der Arbeit Hat ſich auch auf dem 
Gebiete der literarifchen Production 
als vortheilhaft für alle Theile ers 
wielen, namentlich aber für den Aus 


neue Kreiſe Handeln. Denn die gege— 
benen Elemente, auf welchen jedivede 
Schriftftellerifche Leiftung beruht, find 
zweierlei Art, entweder jolche, welche 
allen Menfchen zugänglich find, welche 
fozujagen auf der Straße liegen, aljo 
das menſchliche Gemüth, der Veritand, 
das Walten der Naturfräfte. Das ift 
das Feld, auf welchem ſich Dichter und 
Philoſophen unfterbliden Ruhm er— 
werben können. Oder fpecielle Kennt- 
niffe, welche nur durch ausdauernden 
Fleiß, durch Mühen und Gefahren zu 
erlangen find, das find die willen 
Ihaftlihen Entdeckungen und For— 
ſchungen. 

Von beiden Seiten gilt dasſelbe. 
Die neue Schöpfung der Phantaſie 
oder das neue philoſophiſche Syſtem, 
die letzte wiſſenſchaftliche Forſchung 
oder technische Erfindung muſs fertig 
vorliegen, bevor fich ein Urtheil über 


[4 


595 


diejelbe bilden läfst. Schriftiteller, die 
jich bereit3 einen literarischen Namen 
erworben, jind meiltens von dieſer 
Aufgabe befreit, denn die Flagge dedt 
in diefem Tale die Ware, man 
nimmt im vorhinein an, daſs ihr 
neues Product auf der Höhe des bis— 
ber Geleijteten ſich erhalten oder 
diefe noch überflügeln werde, oder man 
rechnet mit dem Kreis von Freunden 
und Verehrern, den fie ſich bereit3 er= 
warben. Uber ein homo novus — 
und für diefe ift diefer Aufſatz vorzüg— 
ich gejchrieben — muf3 feine litera= 
riſchen Sporen erft verdienen. Er muſs 
etwas vorlegen, woraus zum mindes 
ften der Plan des Werkes erfichtlich 
it. Und felbjt das genügt nicht in 
allen Fällen. Der Verleger wird mei- 
tens verlangen, daſs ihm nebft dem 
Snhaltsverzeichnis wenigftens ein Theil 
des Manufcripts übergeben werde. 

Mo es die Natur des DVerlegers 
erfordert, alfo namentlich dort, wo es 
jih um wifjenfchaftliche Verlagswerke 
handelt, wird der Verleger eine An— 
zahl Fahmänner um ſich geſammelt 
haben, welche als Eonfulenten fun— 
gieren. Ihnen wird in dieſem Falle 
der Verleger die angebotenen Manu— 
ſcripte zuerſt zuweiſen, und da, wo er 
in der ſpeciellen Sphäre keine Kennt— 
niſſe befitzt, ſich nach deren Gutachten 
richten. Dasſelbe wird auch dann ein— 
treten müſſen, wo der Verlagsartikel 
jo viele find, dafs der Chef aus 
Mangel an Zeit die eingelaufenen 
Manuferipte nicht bewältigen fanın. 
Ob die Prüfung in der einen oder 
andern Weile gefchieht, immer wird 
es den Intereſſe des Autors förder- 
ih jein, wenn der Lefer des Manu 
ſcripts im der Lage ift, fich fchnell zu 
orientieren. 

Der Verleger ftellt die Anforderung 
an den Autor, jo ſchnell als möglich 
in das Weſen des Merfes eindringen 
zu können. Er will wilfen, was be= 
handelt wird, wie es behandelt wird 
und melden Umfang das Buch haben 
foll. Das Ganze vom Anfang bis zum 


Ende durchzuleſen, dazu hat er kaum 
Zeit, der vielbejchäftigte Verleger ge— 
wiſs nicht. Darum wird er zuerſt nad 
der Vorrede greifen in der Voraus 
jeßung, daſs diefe den Standpunkt 
des Autors und den Zweck des Buches 
Harlege, fodann nach dem Inhaltsver— 
zeihniffe, um den Inhalt des Wertes 
fernen zu lernen. Zugleich gibt ihm 
dies einen beiläufigen Überblid über 
den Umfang, indem er ein Gapitel 
als Durchſchnittsmaß annimmt. Um 
ih über die Form der Behandlung 
zu unterrichten, wird der DBerleger 
Stihproben madhen. Er wird ein oder 
das andere Gapitel lefen und nad 
einzelnen Theilen auf das Ganze 
ſchließen. — Ein befonderes Intereſſe 
wird er dem Titel widmen, denn dieſer 
wird als ein wichtiger Factor des 
Werkes betrachtet. Der Ausſpruch: 
„Der Titel verkauft das Buch“ ſtammt 
von einem der hervorragendften Buch— 
händler, von dem Gründer der 
„Sartenlaube*, Ernft Keil, alfo von 


einem Manne, der jein Geſchäft 
gründlich verftanden. 
Wenn Titel, Inhalt, Umfang, 


Unlage u. ſ. w. den Beifall des Ver— 
legers finden, wenn er jich durch Stich— 
proben überzeugt Hat, dajs auch die 
ftiliftifche Form dem Werke entjpre= 
hend ift, dann erklärt er jeine Bereit- 
willigfeit, den Berlag zu übernehmen, 
und e3 folgen dann die Verhandlungen 
über die Modalitäten der Ausführung. 

Der directe Verkehr, die perfönliche 
Berührung zwifchen Autor und Ver— 
leger wird hier am ſchnellſten zur 
Einigung führen. Wo dieſe wegen 
räumlicher Entfernung nicht möglich, 
da widelt fi die Sache langjamer 
ab. Die Schwierigkeit beginnt für dei 
Autor Schon beim erſten Schritt, beim 
Auffuchen des Verlegers. Es ift wohl 
wahr, daſs im allgemeinen die Willig- 
feit der Berleger ganz außer allem 
Verhältnis fteht zur Aufnahmsfähig— 
feit des deutschen Leſepublicums. Aber 
das ift für den unbelannten Autor 
nur ein theoretifcher Troft. Jrgendwo 


38° 


596 


in den deutfchen Gauen exiftiert gewiſs 
der gefällige Mann, welcher bereit ift, 
gerade folhe Werte zu druden, wie 
er eben eines fertig gebradt. Aber 
wie diejen einen Richtigen unter den 
etwa 1500 Berlagsfirmen heraus— 
finden? Es wird dem Anfäuger in 
den meiften Fällen die Mühe einer 
directen Umfrage nicht eripart bleiben. 

Für den fchriftlihen Verkehr mit 
dem Berleger gilt natürlich derjelbe 
Grundjag wie für den mündlichen, 
nämlih Klarheit in der Auseinanders 
jegung des Verlagsprojectes. Der erſte 
Brief wird nebſt der Anfrage eine 
Skizze des Werkes enthalten. Das 
genügt in den meilten Fällen für den 
Verleger, um ſich ein Urtheil zu bil— 
den, ob das Werk für ihn paſſe oder 
wicht. Der erite Eindrud, den der 
Vorſchlag auf ihn macht, iſt gar oft 
entjcheidend für das weitere Schidjal 
des Berlagsobjected. Wenn der Ver— 
leger — um uns eines Börjenauss 
drudes zu bedienen — „Meinung“ 
hat, das heißt, wenn er eine günftige 
Meinung für ein ihm entmwideltes 
Project gefafst Hat und im Principe 
das Werk zu verlegen geneigt iſt, fo 
hat der Autor leichtes Spiel. Denn 
„Meinung haben“ ift die Hauptfache, 
die Übereinftimmung im den Neben 
fragen wird, dann ſchnell erzielt. In 
diefem legten Falle erbittet fich der 
Berleger die Zufendung des vollftän- 
digen Manuferipts3 und die Mitthei- 
lung der Bedingungen des Autors. 
Im entgegengejeßten Falle, das heißt, 
wenn der Verleger principiell nichts 
mit dem ſpeciellen Verlagsobject zu 


thun Haben will, erfolgt die Ablehnung 


mit oder ohne Angabe der Gründe, 
und in mehr oder weniger gefälliger 
Form. Die einen pflegen die bittere 
Pille mehr zu verzuckern, die anderen 
weniger. Der Effect iſt immer der 
nämliche, und ein erfahrener Autor 
wird auf ſolche Außerlichfeiten nicht 
mehr Wert legen, als fie verdienen. 
Was er vom Verleger mit Recht bes 
anfpruchen darf, ift eine prompte Ant— 





wort, alfo ein kurzes ja oder nein, 
und zwar jo fchnell ala möglich. Ein 
Verzögern der Antwort um Wochen 
oder gar Monate it entichieden eine 
Unbilligfeit, die aber, wie wir jofort 
hinzufügen wollen, fehr jelten vorzur 
fommen pflegt. Selbſtverſtändlich ift 
es aud, daſs der Berleger ein ihm 
zugeſendetes Manufcript mit der ge— 
bührenden Pietät behandeln fol. In 
diejer Beziehung ift die kaufmänniſche 
Anſchauung des Verlegers nur geeignet, 
den Autor über das Scidjal feines 
Manuſcripts zu beruhigen. Dem Ver— 
leger bedeutet Manufeript Ware, aber 
eine ihm anvertraute Ware, er wird 
daher Sorge tragen, daſs es dem 
rechtmäßigen Eigenthümer volllommen 
und ficher gewahrt bleibe. 

Recapitulieren wir nun die gegen= 
jeitigen Rechte und Pflichten im Ver— 
fehr zwiſchen Verleger und Autor, fo 
finden wir, dafs fie fi im zwei 
Worten erfhöpfen lafjen: Klarheit und 
Schnelligkeit. Der Autor ſoll fein Vor— 
‚haben Fury und klar vortragen, der 
Verleger joll fo jchnell als möglich 
antworten. Damit ift beiden Zheilen 
gedient. 

Die mündlichen oder fchriftlichen 
Unterhandlungen zwifchen Verleger und 
Autor finden ihren Abſchluſs in einem 
mündlichen oder jchriftlichen Verlags— 
‘contract, Im wejentlihen wird ein 
ſolches Ubereinkommen folgende Punkte 
enthalten: 

1. Das Honorar für den Autor, für 
die eriten und für die eventuell 
folgenden Auflagen. 
. Den Umfang des Wertes. 
. Die Höhe der Auflage. 
. Die Höhe der Frei-Exemplare für 
den Autor. 
5. Die präcife Befchreibung der vom 
| Verleger erworbenen Rechte. 
| 6. Den Termin für die Ablieferung 
| 


* Co 


des Manuſcripts. 

Mas die Höhe der Auflage be= 
trifft, jo ift die Beſtimmung derjelben 
Sache des Verlegers; der leßtere it 
jelbjtverftändlih an die Einhaltung 





KHIEBE v 


597 


der einmal feitgefeßten Auflageziffer Frei-Exemplare betrifft, wird dieſe Ge— 


injoferne gebunden, als er fie ohne 
Willen und Einwilligung des Autors 
nicht überjchreiten darf. Es wird wohl 
die und da von Beifpielen gefprochen, 
dafs manche Verleger in diefem Bunte 
ein weites Gewiſſen haben und ohne 
Willen des Autors Höhere Auflagen 
druden. Doch werden ſich in den meisten 
Hüllen ſolche Verdächtigungen auf 
überjpannte Autoren» Eitelfeit zurüde 
führen laſſen. 

Der Umfang des Werkes und der 
Ablieferungstermin für das Manu: 
jeript werden am eheſten Anlaſs zu 
Differenzen zwifchen Autor und Vers 
leger bieten. Es ift Bier der Bunt, 
in welchem die fchriftitellerifche Pro— 
duction mit den Anforderungen der 
faufmännifhen Ordnung in Zwiefpalt 
kommen kann. Das Gebilde des Beiftes 
ift nicht mefsbar wie der Faden am 
Webſtuhl. Das geiftige Product kann 
nicht abgejchnitten werden wie eine 
Bandrolle. Wenn aljo das Manufeript 
den urfprünglich beflimmten Umfang 
nicht einhält, wenn das Werk das 
Marimum der Drudbogen überfteigt, 
jo muſs nicht immer böfer Wille des 
Autors angenommen werden. Auch 
dann nicht, wenn der Autor den Ab— 
lieferungstermin nicht pünktlich ein— 
hält. In gar vielen Fällen ift der 
Autor an der unfreiwilligen VBerzöges 
rung ganz unfchuldig. Die angebliche 
Faulheit eines Schriftftellers ift häufig 
nichts anderes als ein momentane 
Verſiegen feiner Schaffenskraft. Hier 
jollte der Berleger billig Rüdficht 
nehmen, dafs die jchriftitelleriiche Thä— 
tigfeit feine mechanijche ift. Der Au— 
tor wieder foll feine Verpflichtung 
übernehmen, weiche er nicht unter allen 
Umftänden zu erfüllen vermag. Jeder 
joflte trachten, ſich auf des anderen 
Standpunkt zu verfeßen, und Diele 
gegenfeitige Kenntnis der eigenthüm— 
lihen Bedingungen des Schaffens und 
des Betriebes wird am eheiten die 
Berftändigung erleichtern. 





pflogenheit, wenn fie im größerem 
Maße gefordert wird, don Seite des 
Verlegers als eine Laft betrachtet. 
Er findet e3 unbillig, daſs der Autor 
dem Verleger dur Verſchenken der 
Eremplare Goncurrenz made. Die 
Dedicationd-Eremplare find vom ver— 
fegerifchen Standpunkt ein Miſsbrauch, 
deflen Befeitigung anzuftreben wäre. 

Mit der Ausfertigung des Ver— 
lags⸗Contractes ift das Werk aus dem 
Stadium des Projectes in jenes der 
Ausführung getreten. Der Autor Hat 
— foferne er nur einen Theil des 
Manufcripts vorgelegt — das Fehlende 
bis zur beſtimmten Friſt zu ergänzen 
und an den Merleger abzuliefern. 
Diefer Hat mittlerweile für die Druck— 
legung, durch Vereinbarung mit einem 
Druder, Sorge getragen. Wenn er 
ſelbſt Drudereibeliger ift, entfällt na— 
türlich diefe Nothiwendigkeit, und dem 
Verleger bleibt nur die Aufgabe, die 
nothwendige Quantität Papier aus 
der Fabrik zu beftellen. Die Herftellung 
des Buches kann beginnen. 


Bas Becenfions-Exemplar. 


Mir jind über das Stadium der 
Herftellung des Buches hinaus. Die 
legten Gorrecturen find vom Autor 
erledigt, die Bogen gelangen der Reihe 
nad in die Majchine, Fein jünberlich 
geglättet kommen fie nacheinander in 
die Hand des Buchbinders, der ſie 
falzt, brojchiert, bindet und ſchließlich 
— gar manche harte Nufs hat der 
Verleger in diefer legten Zeit noch 
zu fnaden gehabt — liegt das Bud 
vor uns! 

Das Erfcheinen des Wertes ift 
ihon während des Drudes in den 
Buchhändler » Organen angezeigt ges 
weien, Hunderte und taujende bon 
Zetteln find eingelaufen, die Erpedition 
der Eremplare iſt durchgeführt, das 
Werk gehört der Öffentlichkeit an. 
Der junge Autor eilt von einem 
Buchladen zum anderen, fpäht ängſt— 


Was die dem Autor zugelprochenen lich darnach, ob gewiſs nur überall 


fein Buch recht günftig ausgeftellt ift, 
beſucht — wenn er unbekannt genug 
ift, um es riskieren zu fönnen — 
wohl felbft eine Buchhandlung, um 
ſich — ſelbſtverſtändlich lobend — über 
das grofartige neue Werk ausſprechen 
zu fönnen und erlebt gar manche 
heimliche Freude, da der Sortimenter 
politifch genug ift, jedes Buch jedem 
Neflectanten gegenüber zu loben. Er 
blidt täglich in die Zeitung, ob nicht 
an leitender Stelle oder im Feuilleton 
in flammenden Worten auf das epoche= 
mahende Werk Hingewielen if. Er 
ift inftande, einen ganz unbelannten 
Menschen im Geifte zu fegnen, der 
zufällig mit feinem Buche in der 
Hand die Straße betritt — furz, er 
befindet ih in einem hochgradigen 
Fieber, gegen welches das Trema der 
Schauſpieler vor der Ranıpe die reinite 
Sleichgiltigkeit ift. Er liest Tag für 
Tag Dutzende von Zeitungen. Nichts 
darin! 

Wenn du, verehrter Autor, ein 
Neuling und noch dazu ungeduldigen 
Temperamentes bilt, dann iſt zehn 
gegen eins zu wetten, daf3 du am 
zweiten oder dritten Tage zum Ber: 
leger ftürmft, um ihn zu fragen, ob 
er auch die Recenſions-Exemplare rich: 
tig verichidt habe. Der zeigt dir darauf 
nit der Ruhe eines fchlachtenergrauten 
Feldherrn die ftattliche Lifte der ver— 
jendeten Frei-Exemplare und gibt dir 
noch gratis eine Kleine ſtatiſtiſche Ab» 
handlung über Bücherkritit auf den 
Meg. Diefe Zahlen lauten aber durch» 
aus nicht tröftlih. Denn auf hundert 
verjendete NRecenfions» Eremplare ent» 
fallen im beiten Falle fünfzig Be— 
jprehungen, alfo fünfzig Percent! 
Und was die Zeit betrifft, jo variiert 
diefelbe je nach Umftänden zwiſchen 
14 Tagen und 6 Monaten. Aber eine 
Woche ſei das Minimum der Zeit, 
welche die Beſprechung eines Buches 
erfordert. Das ift für deine Ungeduld 
eine viel zu lange Friſt, aber die Zeit 


98 


Te — — — ——— — — — — — nn — — 





und mit der Reſignation kommen nach 
und nach die Beſprechungen, aller— 
dings nicht in hellen Haufen, aber 
wenigſtens tropfenweiſe, und unter 
normalen Umſtänden hat die Kritik 
in der Zeit von einigen Monaten 
ihres Amtes gewaltet. 

Ein Blid in das Getriebe der 
Redactionsftuben, in die Sündflut 
von literariſchen Erjcheinungen, mit 
welcher diejelben Tag für Tag über» 
ftrömt werden, wird die Langſamkeit 
des Verfahrens erklären. Im ganzen 
fommen für das deutſche Sprachgebiet 
etwa 100 Blätter erften Ranges in 
Betracht, wenn nicht das betreffende 
Werk zu bejonderer Popularität be= 
ſtimmt ift, in weldem alle bis zu 
6000 Zeitungen in deutſcher Sprade 
zu Gebote ftehen. Nehmen wir aljo 
den bejheideneren erften Yall, der 
Verleger verjendet 100 Frei-Eremplare 
an hundert bedeutende Blätter im In— 
und Auslande. Manche Zeitung und 
mancher Redacteur wird die Liebens- 
wirdigfeit haben, das Buch alsbald 
zu lefen und eine mehr oder minder 
große Beiprehung zu Schreiben, wo— 
mit die Sache abgeſchloſſen iſt. Der 
Verleger befommt feinen Beleg, der 
Autor, der jelbitverftändlih immer 
neugierig ift, wie die Melt über fein 
Genie denkt, wird ihn lejen. Anders 
und complicierter ift es ſchon, wenn 
die Sache weniger glatt abgeht. Der 
Redacteur, der aus Mangel an Zeit 
oder Luft nicht ſelbſt Beiprehungen 
Schreibt, übergibt das Bud einem Mit: 
arbeiter, der mitunter der Sache vergiſst 
und oft erft nach einer oder mehreren 
jpäten Mahnungen daran geht, dem 
Wunſche des Verlegers und Autors 
nachzukommen. Dann gibt es Blätter, 
namentlich größere, denen der Raum 
jo foftjpielig it, daſs fie Pprincipiell 
nur die Titel literariicher Novitäten 
bringen; dagegen läſst jih kaum eine 
Einwendung erheben, ift ja doch die 
Grwähnung im textlichen Theil joviel 


zeigt ſich auch Hier als Die allgeilende | wert, als eine nichtsfagende Beipre- 
Tröſterin, ſie lehrt dich Reſignation, hung, und bei der Verbreitung großer 








Zeitungen von bedeutendem Nutzen. 
Ein anderer Fall ift es, wenn die 
Blätter aus Läfjigfeit oder Gewohn— 
beit feine Beſprechungen fchreiben, und 
für diefe Hat der mit allen Factoren 
rehnende Berleger eine Abhilfe Er 
fegt dem Recenſions-Exemplar außer 
dem obligaten gejchriebenen oder ge= 
drudten Begleitbrief ein Heines Reſumé 
bei, eine Urt Projpect des Werkes, der 
den Inhalt und die Tendenz verrät, 
mit einem mehr oder minder bejchei- 
denen Lobe des Verfaſſers und Vers 
feger3 Erwähnung thut und den 
Redacteur der Pflicht überhebt, das 
Buch auch nur leſen zu müſſen. Es 
ift dies meiftens nur bei kleineren 
Blättern der Fall, doch Hat fich der 
Verfafler erzählen laſſen, daſs auch 
größere und größte Blätter dem „ein— 
ſtimmigen“ Urtheile des Verlegers 
vollinhaltlich beipflichten. 

Doch kehren wir zu den Recen— 
ſions-Exemplaren zurück, da wir ja 
nit alle Leidensftationen derjelben 
aufgezählt haben. Es kann gejchehen, 
dafs ſchon der erſte Schritt des Buches 
in die Öffentlichkeit ein verhängnis— 
voller if. Das betreffende Paket kann 
3. 3. auf der Poſt in Verluft geratben. 
Erfahrene Verleger willen auch hier— 
von zu erzählen. Ja felbft in der 
NRedaction ſitzen manch liebenswürdige 
Literaturfreunde, die ohne große Ge— 


LE 


wilfensfcrupel die einlangenden Exem— 
plare einfteden, bevor jie der betreffende 
Redacteur zu Geficht befommt. Auch 
die Zeitereiguiffe find jo Häufig der 
Bücherkritik nicht günftig; die Fülle 
des politiihen Stoffes verjchuldet, 
daſs bereit3 gejchriebene und gejehte 
Recenfionen erft verfpätet zum Abdrud 
gelangen. Kurz, an allen Seiten und 
Enden drohen Gefahren, jo daſs man 
an der ganzen Organifation der Kritik 
verzweifeln möchte. Aber dieſes depri— 
mierende Gefühl erhält man nur, wenn 
man die Sade vom individuellen 
Standpunkte auffafst und das Getriebe 
aus zu großer Nähe betrachtet. Stellt 
man fih in eine gewille Entfernung 
und ift man mit feiner eigenen werten 
Berfon außer dem Spiele, dann wird 
man finden, dafs im großen und 
ganzen die Einrichtung ziemlich zweck— 
mäßig iſt und daſs namentlich inter- 
eſſante Bücher und folche, die mit 
der Tagesliteratur in Beziehung ftehen, 
faum in Gefahr find, von der Zeitungs 
kritik todtgefchwiegen zu werden. Daſs 
die Literatur freilihd ein Ajchenbrödel 
der Tagespreſſe ift, läfst ſich nicht 
wegleugnen und finden wir eher hun— 
dert Notizen über die Gaſtſpiele des 
Mimen Schmierer in Hotzenplotz, als 
eine eingehende Beiprehung eines 
bahnbrechenden Werkes. Gott beſſer's! 


Die Cigarre 
in ihrer erziehlichen Bedeutung. 
Eine Plauderei von Friedrid von Yausegger. *) 


22 

ch bin fein Raucher, kenne den 

ag Genufs des Tabafqualms nur 

® aus dritter Hand, halte mic 
daher mehr als jeder andere für ges 
eignet, darüber zu fchreiben. Man 
wird mich nun vielleicht für einen 
Kritifer halten und meinem Urtheile 
mit jener Achtung entgegenkommen, 
welche die jogenannte Objectivität er— 
fährt. Ich erhebe aber befcheidenere 
Anſprüche. Ih will nämlich mein 
Thema von einer Seite beleuchten, 
von welcher es noch niemals beleuchtet 
worden iſt. Gewiſs befcheiden, wenn 
man bedenkt, dafs dies Heute ja all— 
gemein Brauch und auch viel leichter 
ift, als don einer Sade das zu Jagen, 
was man zu erwarten berechtigt wäre. 
Ih will nämlich die erziehlide Seite 
des Rauchens beleuchten. Die Cigarre 
als Erzieher! Warum nit? Wer 
führt nicht Heutzutage einen Erzieher 
im Munde? Warum jollte es nicht 
die Eigarre fein, welche jedermann im 
Munde führt? 

Um gründlih zu fein, mußs ich 
mit dem Stammpvater der Cigarre be- 
ginnen, das ift die Pfeife. Die erzieh- 
lihe Wirkung der Pfeife wird nur 
derjenige zu würdigen willen, welcher 
einen Begriff von dem WRüdeinfluffe 
der phyſiognomiſchen Bewegungen auf 
den Charakter hat. Die Phyiiognomit 
lehrt uns nämlich, daſs Bewegungen 
der Gefichtsinusfeln, welche gewiſſen 
Leidenschaften eigen find, auch wieder 
rüdwirfend entjprechende Leidenschaften 
erweden. Wer die Miene des Zornes 
annimmt, wird bald wirklich zornig 
werden, janfte Ausdrudsformen werden 


das erregte Gemüt milder fimmen, ja 
das bloße Schiefziehen der Naſe foll 
ſchon in mandem Menſchen das Ge» 
fühl des Neides in ſolchem Grade er- 
regt haben, dafs der Nichtlenner der 
Urſache fih gedrängt fand, nad den 
zwingendften Erflärungsgründen im 
Außenleben zu fuhen — natürlich 
vergebens. 

Betrachten wir denn bon dieſem 
Geſichtspunkte aus den Raucher eines 
Tſchibuks. Der Mund ift halb geöffnet, 
die Unterlippe fchlaff Hinuntergezogen ; 
die Nafe hat eine unnatürliche Länge 
gewonnen, die fanften Bewegungen 
der Nüftern haben jeden Rapport mit 
dem Gentralorgane verloren nnd be= 
Ichäftigen fich einzig mit dem Wohl— 
geftant des fie umqualmenden Dam- 
pfes; die Augen — vielleiht das eine 
oder das andere mehr, je nachdem 
rechts, lints oder in der Mitte ges 
raucht wird — verändern ihre Con— 
turen; das horizontale Oval wird ein 
verticales. Außen nichts fuchend, ſcheint 
der Blid nad innen gewendet; innen 
nichts findend, verliert er jede Bedeu— 
tung. Die Diagnofe des Pſychiaters 
würde hochgradigen Blödfinn feftitellen. 
Wir wiſſen, daſs der Pſychiater irrt; 
er hat ja bei der Zujammenfafjung 
der Symptome auf die im Munde 
hängende Pfeife vergeffen. Dies iſt 
einer der vielen Fälle, in melden die 
Wiſſenſchaft durch das Urtheil des 
Laien gefhlagen wird. Der Rauchge— 
nofje wird vielmehr gerade dieſem 
Ausdrude einen gewiflen Grab von 
Hochachtung entgegenbringen. Die da- 
mit verbundene Ummöglichleit, etwas 


.® Seitenſtud zum Aufſatze „Die Cigarre“ von Friedrich Hofmann. Seite 525. 








601 


zu jagen, bringt die Beruhigung mit 
ich, dafs auch nichts Dummes gejagt 
werden könne. Wie angenehm für den 
Beobachter jelbft, wenn er etwa nicht 
in der Lage wäre, nichts Dummes zu 
jagen, jobald er etwas jagen müfste. 
Hanc veniam damus, petimusque 
vieissem — auf diefen Grundjaß ſich 
berufend kann er — ebenfalls rauchen. 


Und nun zeigt die Gegenüberftellung |woujst waren. 











fümpft. Schwerlid hat man geahnt, 
welches Erziehungsmittels man ſich 
damit hätte berauben können. Man 
vertheile Tabak unter die Völker, und 
der Friede ift dadurch mehr gelichert, 
als dur das rauchloſe Pulver. Und 
dennoch lag in jenem Berbote eine 
Weisheit verborgen, welcher ſich die— 
jenigen, welche e3 erließen, kaum be= 
Aus dem Untergrunde 


zweier Menjchen, welche nicht das mins | des Unbewuſsten hatte fih nämlich 


deite Bedürfnis haben, von einander 
etwas zu fordern oder einander etwas zu | 
bieten, das Bild vornehmer Gleichgils 
tigkeit. Gewiſs eine der fchönften | 
Formen des Zufammenlebens. 

Damit ift es aber nicht abgethan. 


Der erwähnten, fo günftig rüdwirken- | 
Stellung des | 


den phyfiognomifchen 
Raucers folgt plößli eine andere: 
Er ſtößt den mit Behagen infichge- 
zogenen Rauch von ſich. Nun wird 
in feiner Miene alles anders. 


Sefihtsmusteln. Die jchlaff gewefenen 
Wangen fpannen fi übermäßig zu 
thatlräftigem Vollbringen, die Nüftern 


zittern in action&luftiger Erregung, 


das Auge kehrt ſich nach außen und 
wirft feine verborgen gehaltenen Blitze 


in die Welt, der Kopf hebt fich raſch 


in bedrohliher Bewegung. Der Phy— 
fioguomifer wird eine 


würde auch folgen, wenn nun das nad) | 
außen gemwendete, gleihjam emporges | 


ichnellte Leben des Raucher mit der 


Welt in unmittelbare Berührung träte. 


Das ift aber nicht der Fall. Zwifchen 
ihn umd die Außenwelt fchiebt ſich 


eine dide Wolfe Rauches, dieſe ver- 
hüllend und feine Aufmerkfamfeit voll 
in Anspruch nehmend. Der Eontraft, 
welcher fih nach phyliologiichen Ge= 


jeßen ergeben mufste, hat jede Geführ- 
Die Bürgertugend 


lichfeit verloren. 
der Ruhe, zu welcher den Raucher feine 
Pfeife erzogen, bleibt in allen Stadien 
des Rauchen: gewahrt. 


Regierungen das Rauchen ſtark be= 


Eine, 
imponierende Energiebemächtigt fich aller 


Zhat von 
befonderer Bedeutung erwarten. Sie 


damals vielleicht ſchon die leife Vor— 
ahnung einer Erſcheinung emporgerun · 
‚gen, welche im heutigen Leben eine 
geradezu maßgebende Rolle jpielt — 
ich meine die Cigarre. 

„Wie anders wirft dies Zeichen 
auf mih ein.” Man braucht fein 
Lavater oder Piderit zu fein, um zu 
erfennen, daſs das Rauchen der Eigarre 
ganz andere Musfelcombinationen in 
‚der Miene des Rauchers bervorbringe, 
als das der Pfeife. Der Raucher 
nimmt die Cigarre zwifchen die Zähne, 
prejst diefe bis zu einen gewiſſen 
Grade zufammen, zieht, um fie in der 
jo imponierenden wagrechten Lage zu 
erhalten, die Unterlippe empor, ver— 
(eiht feinen Baden eine Spannung, 
welche fie kürzer und dider erjcheinen 
lafjen, hält die Nafe aufrecht, wie zum 
' Angriffe bereit, und richtet feine Blide 
ſcheinbar geradeaus vor fih hin. Ich 
ſage jeheinbar, denn eigentlich faſst er 
ebenjowenig etwas ind Auge, ala der 
'Pfeifenraucher. Er gewährt den As 
blid großer Erregung. Diefe Erregung 
'mufs fi feinem Innern mittheilen. 
Da fie für den Augenblid feinen Ge— 
genftand Hat, jo würde der Pſychiater 
dieſen Zuftand für eine Form des 
Wahnſinnes erflären, wenn er zu den 
Symptomen im Gefichte nicht auch 
noch die Cigarre dazuaddieren müjste, 
welche allerdings in feiner Wiſſenſchaft 
noch nicht die gebührende Stelle ge= 
funden hat. Der Pfeifenraucher drüdt 
die ohnmächtige, der Cigarrenraucher die 





unternehmende Gedanfenlofigfeit aus. 
Man hat einmal von Seite der; 
Rauchen der 


Dazu kommen noch andere mit dem 
Gigarre verbundene 


Thätigfeiten, welde dazu dienen, den 
erwachten Unternehmungsgeift in Die 
Bahnen der That zu leiten. Welch 
zahlreiche, ſelbſt Heftige Handlungen 
macht die richtige und wirkſame Hand— 
habung der Gigarre nothwendig! 
Viel öfter, als der Tſchibuk, veran- 
lafst fie zu dem jo bedrohlichen Her— 
vorftoßen des Rauches, welches mun, 
nachdem ihm eine Abjpannung, wie 
beim Pfeifenraucher, nicht folgen kann, 
zu ganz anderen Wirkungen führt, 
als bei diefem. Dazu kommt noch das 
nothmwendige jo häufige Epielen mit 
dem Feuer bei Abjtreifung der Afche, 
MWiederanzündung des Stummels u.ſ. w. 
Die Neizungen all diefer Thätigkeiten 
wirken nicht nur für den Augenblid 
höchſt aufregend für das Gemüth, fie 
hinterlafien auch eine dauernd erregte 
Stimmung, welche, verbunden mit 
einem finnlofen Thatendrang, höchit ge— 
fährlich werden kann. Gänzliche Dent- 
unfähigfeit verbunden mit zügellojem 
Thatendrang, und wir haben den Nihi— 
lijien von heute. Wer könnte fich einen 
jolden mit dem Tſchibuk im Munde 
vorjtellen! Während die erfie friedliche 
Hälfte unferes Jahrhundertes unter 
dem Zeichen der Pfeife ftand, befindet 
ſich die zweite unter den der Gigarre. 
Wären unjere Staatsmänner befiere 
Phyſiognomen, jo würden fie, ftatt 
der jogenannten jocialen Frage nad)- 
zufpüren, eine Statiftil der Gefichts- 
musfelbewegungen und der fie beein— 
fluffenden Urfahen anlegen laſſen. 
Man würde da auf die merkwürdig— 
ften Ergebnifje fommen, Man würde 
erfahren, daſs es weniger das Eſſen 
und Trinfen ift, welche die Gemüther 
in der jocialen Frage bewegen, als 
das Rauchen. Unser Zeitalter wird 
mit Recht das des Dampfes genannt. 
Es ift es auch in diefer Beziehung. 

Wir werden uns mun erklären 
lönnen, warum ſich an den modernen 
focialen Bewegungen auch Frauen fo 
lebhaft beiheiligen, was in früheren 
Jahrhunderten niemals in fo hohem 
Maße der Fall war. Das Gigarren- 


UB 





rauchen ift nämlich auch ſchon bei den 
Frauen allgemein geworden, Muſs 
ihon geraucht werden, jo geitatte ein 
vorfichtiger Ehemann feiner rau nur 
den Tſchibuk zu rauchen. Gelingt es 
ihm, dies durchzuſetzen, jo ift der 
Friede jeiner Ehe gelichert; nicht um— 
jonft rauchen wilde Völker die Friedens- 
pfeife; don einer Friedenscigarre hat 
noch fein Menjch etwas gehört. Wehe 
aber dem Haufe, wo die Gigarre 
herrſcht! Der zartefte Mund fpeit da 
Wuth, Jobald nämlich die Zeit vorüber- 
gegangen ift, in welcher es anderes 
ipeit. Das ewig Weibliche erleidet eine 
eigentümliche Veränderung und büßt 
einen guten Theil feiner Emwigfeit ein. 
Die Frau, welche raucht, macht feinen 
Anfpruch mehr, durch ihre Schönheit 
zu reizen, jondern will dies nur durch 
ihre Kühnheit. „Obſchon ich meine 
Schönheit entjtelle, muſs ih dir doch 
gefallen“ — dies meint fie, wenn jie 
ihren Mund häſßslich zufpist, ihre 
Baden aufbläst, ihr Näschen in die 
Höhe wirft, ihre Augen in gedanfen- 
lofer Begaffung der Rauchringe em— 
pordreht, ftatt fie zielbewufst zu lenken 
und ſchließlich von ihrem Nachbar ſtatt 
ſtiller Verehrung — Feuer heiſcht. 
Ein ſolches Weib will nicht erobern, 
um zu gewinnen, es will erobern um 
zu vernichten. Es will nicht Genius, 
es will Dämon ſein. Wäre ich Czar, 
ſo würde ich jedes rauchende Weib 
nach Sibirien ſchicken. 

Mit dieſen Ausführungen wollte ich 
der erziehenden Wirkung der Cigarre 
nicht nahetreten. Sie wirkt erziehend, 
wie die Koch'ſche Tuberkellymphe hei— 
lend, nämlich nur, wenn ſie mit ent— 
ſprechender Vorſicht angewendet wird. 
Wie man die Tuberkellymphe anwen— 
den mujs, noch lange ehe der Patient 
‚bon QTuberfeln ergriffen ift, womit der 
Erfolg erzielt wird, daf3 er vor Tu— 
berkeln, welche aus anderen Urſachen 
entſtehen könnten, geſchützt ift, weil 
| fie jedenfall früher infolge der An— 
wendung des Vorbengungsmittels ent- 
ſtehen, jo muf3 auch rechtzeitig dafür 


603 


geforgt werden, dafs die Fchädlichen | legenheit, welche Bejonnenheit, welches 
Mirkungen des Gigarrenrauchens in | Selbfibewufstjein. Was fonft erft lange 
ähnlicher Art bintangehalten werden. | Erfahrung, umfaſſendes Willen, geübte 


Es wird fich empfehlen, ſchon dem 
Kinde in der Wiege die Cigarre ftatt 
des Lutſchels in den Mund zu fleden, 
nicht nur, um es micotinfeft zu machen, 
fondern auch, um” rechtzeitig die er— 


ziehlihen Eigenschaften der Cigarre 


wirffam zu machen. Es bedarf feines 
tieferen Eindringen: in das Innere 
der Sade, um aus dem bloßen Eins 
drude, welchen das Sind mit der 
Cigarre im Munde bervorbringt, zu 
entnehmen, daſs dies das Bild eines 
künftigen Charafters fei. Die Gewohn- 
beit, mit diefem Symbole der That: 
fraft umzugehen, läſst dasfelbe förm— 
lich zu einem integrierenden Theil des 
mentchlicen Organismus werden. Der 
phyſiognomiſche Ausdrud verliert fein 
Befremdendes, er wird ſtetig und flarr 
und erzeugt rüdmirkend nicht mehr 
Außerungen rapider Heftigfeit, jondern 
vielmehr die Ruhe und Ausdauer jelbit- 
bewujster Kraft. Man betrachte doch 
einmal den Jungen, welcher vielleicht 
noch nicht bis Zwei zählen kann, mit 
der Gigarre im Munde. Welche Uber: 


Kraftbethätigung in ihrer Nüdwirkung 
auf den Charakter hervorzubringen 
vermögen, die Gigarre bewirkt dies 
am blödeften Jungen, ohne daj3 zur 
Erzielung dieſes jo vielverjprechenden 
Ergebnifjes das Gehirn durch feine 
Inanſpruchnahme gefährdet werben 
müſste. Früh krümmt fi, was ein 
Haken werden will, früh raucht, was 
ein Charakter werden foll. 

Zu diefem Ergebnifje gelangt, Fällt 
es mir zu meinem micht geringen 
Schrecken in den Sinn, dafs ich felbit 
nie eine Gigarre im Munde gehabt 
babe, daher der Borbedingung zu einem 
Charakter der Neuzeit ganz entbehre. 
Eine traurige Sache das, etwas als 
gut zu erfennen, und es doch nicht 
'zu üben. Eine Folge mangelnder 
Charakterentwidelung. Dieje aber wie» 
der eine Folge des Nichtrauchens. So 
ward dem zur Lehre das Beifpiel 
gegeben, und wenn ich mit dieſem 
ichließe, wird es mir niemand ver— 
argen. 





604 


Zurück aufs Pand! Zurük in die Hatur! 


nter den zahlreichen reformato⸗ 
Wriſchen Schriften über die eu— 

© ropäifche Menfchheit der Ge— 
genwart, deren Zuftände und deren 
Beitrebungen, befindet fich eine mit 
dem Titel: „Elend und Zufriedenheit. 
Über die Urſachen und Abhilfe der 
wirtfchaftlichen Notb von Leopold 
Heller“ (Dresden. E. Pierjon. 1890), 
mit welcher wir befonders einverſtan— 
den jein müſſen. Sie bläst zwar viel— 
fach ins alte Horn, aber gewiſſe Wahr: 
heiten kann man nicht oft genug 
fagen ; taufendmal muſs eine Wahr- 
heit angekündigt werden, bis fie ein— 
mal geglaubt wird. Der Begetaris- 
mus wird empfohlen; ferner wird 
verlangt geringere Überbürdung der 
Jugend mit Wifjenskram, Ausbildung 
der Körperfraft, Begünftigung klei— 
nerer Städte (da die großen zum 
Unheile werden), Verlegung der Fa— 
briten aufs flache Land, ein Welt: 
Arbeits-Bermittlungs= Verein, der die 
arbeitenden Kräfte dahin vermittelt, 
wo fie am beften zu brauchen und zu 
verwerten find, dann Regelung des 
Handels, weil zwar alle Dinge, die 
der Mensch zum Leben und zum Ge— 
nuſſe braucht, in Überflujs vorhanden 


a 





Städte gibt, der” MWohlftand größer 
iſt, als in ſolchen Ländern, wo nur 


auf große Entfernungen große Städte 


vorkommen. In Ländern mit kleinen, 
dicht gefäeten Städten kann der Bauer 
leichter und ohne Verluft von Zeit 
feine Producte gegen Erzeugniſſe des 
Gewerbefleißes austaufdhen, und die 
Berforgung der Städte mit Lebens- 
mitteln geht leiht und billig von 
ftatten. Meine zahlreichen Reifen 
haben mir den Unterſchied vor Augen 
geführt. Ungarn befigt, trogdem es 
nicht dicht bevölkert ift, eine ziemliche 
Anzahl von großen Städten über 
20.000, ja fogar Dörfer über 
‚20.000 Einwohner, aber im Ver— 
hältniſſe dazu ift die Zahl der Heinen 
Städte gering. Das jehr dicht bevöl- 
ferte Böhmen mit über 200 kleineren 
Städten, beſitzt an Städten über 
20.000 Einwohner nur Prag, Pilfen, 
Reichenberg, Budweis, Teplitz u. f. w., 
im ganzen 5 oder 6 Städte. Der 
böhmische Bauer ift auch in der That, 
trotzdem er fchledtere und meit we— 
niger Felder hat, als fein transleitha= 
nifcher College, beifer ſituiert, als 
diefer. 

Es regelt ſich am beften alles von 








find, nicht aber an rechter Stelle, ſelbſt; dieſes Grundprincip der Manz 
nicht immer dort, wo man fie braucht. | hefterpartei ift in gewilfer Hinficht 
Zahlreiche beherzigenswerte Vorfchläge | wahr. Die Noth ſchafft Gefege und 
finden ſich in dem Hargefehriebenen | reguliert alles. Die Noth wird alfo 
Büchlein, dem wir eine weite Vers auch die Menfchen zwingen, fih zu 
breitung wünſchen. Laſſen wir e3 im decentralifieren; SPriege und Epide— 
einigen Punkten jelbft jprechen. 3. B. mien werden viele dahinraffen, Res 
über die MWohnftätten der Menfchen. | volutionen werden andere veranlaflen, 

Für das allgemeine Wohl wären ihrer Heimat den Rüden zu fehren 
beijpielsweije SO Mittelftädte in einer — und wie einft, werden ganze Völfer 
gewifjen Entfernung von einander | auswandern. &3 bleibt nun die Frage 
beſſer, als eine Riejenftadt von vier offen: Iſt es gut für die Menfchheit, 
Millionen. Ich babe gefunden, daſs wenn fich alles duch die treibenden 
in folden Ländern, wo es viele Heine | Factoren Noth und Elend regelt, oder 


605 


wäre e3 bejler, wenn durch die Weis» [jehr vielen Fällen in dieſem einzigen 
heit der mapgebenden Kreife jene „vor= | Raume Schlafftellen. Dabei wohnen 
beugenden“ Mapregeln ergriffen wir= | mehr al3 10.000 Menfchen im nicht 
den, welche die Srifen vermeiden | heizbaren Räumen und 478.000 
Helfen ? Wir befehren uns zu der Menſchen in Wohnungen, die nur 
letzten Anſicht. Wir erinnern an die ein heizbares Zimmer enthalten. Das 
Chiueſen, welche alles durch Geſetze iſt das reiche, emporblühende” Berlin. 
regeln, bei denen die Kriege fehr jel- | — Sind aber genügende Wohnungen 
ten find und focialer Friede herrjcht, | vorhanden, dazın vernimmt man die 
und welche bei ſehr ftarker Bevölkerung | Klage vom Niedergange der Städte. 
doch ungleich weniger Noth kennen, | Dat denn wirklich die Menfchheit ein 
als die europäischen Staaten, welche) Intereife daran, dicht gedrängt auf 
fih an der Spitze der Gipilifation |einem Heinen Fleck Erde zu woh— 
befinden. nen? den Nutzen haben die wenigen 

Die Unterlaffungsfünden der Ge= | Baufpeculanten und die Hausbefiger 
ſetzgeber rächen fi durch blutige Auf- in gut frequentierten Straßen, deren 
ftände, Revolutionen, Sriege, Unzu- Häuferwert ins Unermejsliche jteigt ; 
friedenheit und Seifen, Noth und aber den erwerbenden Ständen follte 
große Sterblichkeit. Innerhalb eines es recht fein, wenn die fleineren 
Sahrhunderts war Europa der Schaue | Städte der Provinzen projperieren, 
plaß entjeglicher Blutvergießen und das ift die befte Garantie, daſs Die 
Umwälzungen der großen franzöfilchen | Geichäfte der großen Städte in dem— 
Revolution, der darauf folgenden | jelben Berhältniffe blühen werden. 
Kriege, der Revolution dom Jahre! Produciert wird aber auf dem Lande 
1848, des Srimfrieges, der ak Loire billiger. Schon jest können die 
ſchen, ſchleswig-holſteiniſchen, ae Vorſtadt⸗ Fabriken mit den 
franzöſiſchen und ruſſiſch— türliſchen Fabrilen in Böhmen ſchwer concur— 
Feldzüge — gänzlich abgeſehen der rieren — aber noch mehr. Der kleine 
Heinen Kriege. — Handelskriſen und Erzeuger in der Provinz lebt ruhig 
fein Ende. Das find die Arzneimittel | und ohne Sorgen, und gute Jahre 
aus dem Laboratorium der Social« | vorausgeſetzt, erwirbt er ſich mit der 
fataliſten. Zeit ein beſcheidenes Vermögen. Der 

Unſer Standpunkt der ſocialen Großſtädter arbeitet über ſeine Kräfte, 
Frage gegenüber iſt uns klar vorge- um die große Regie verdienen und 
zeichnet. Wir werden jede Maßregel „ſtandesgemäß“ leben zu können. 
freudig begrüßen, welche den Zweck Einige ungünſtige Jahre, und er iſt 
einer friedlichen Löſung der ſocialen auf der ſchiefen Ebene des Nieder: 
Frage verfolgt. Wir verfchliegen uns | ganges. Dabei find die Verhältniſſe 
nicht der Anficht, dafs es für die Bes | Berlin! und Wiens noch nicht auf 
völferung von Nußen fein wird, wenn! die Spike getrieben. Wir glauben, 
die Fabriken im Laufe der Zeiten auf | dafs in nächſter Zeit die Goncentra= 
das flahe Land verlegt werden. tion der Menſchen duch den Dang, 

Die MWohnungsnoth der großen in den großen Städten zu wohnen, 
Städte ſcheint unheilbar zu fein. noch weitere Fortſchritte machen wird. 
„Deutſchland“, ein focialpolitiiches Wie wird es dann möglich werben, 
Blatt, bringt im einer feiner neueren | die Menſchen zufrieden zu Stellen, 
Nummern folgende Daten über die; wenn die wenigen wunentbehrlichen 
MWohnungsverhältniffe in Berlin. Jede Werte, welche jedermann benöthigt, 
dritte Familie muſs fich mit einem ein= | Sonnenlicht, friſche Luft, reines 
zigen Raume als Wohnung begnügen; Trinkwaſſer und endlich das Obit den 
dieje Familien vermieten aber noch in! meilten nicht zugänglich find? Des» 














606 


halb, und weil das BDrüdende auf ſich öfter als nöthig mit tragiſchen 
Schritt und Tritt dem vergoldeten | Effecten ab. Der Arbeiter ſieht es 
Elende und dem Reichihume begegnet, vom Mittelitande, und diejer fieht es 
gedeiht die Befcheidenheit und Zur | bei den oberen Zehntaujend, was man 
friedenheit jo jchlecht im der Luft der | „Itandesgemäß leben“ nennt. Schon 
großen Städte. die Erziehung nährt diefe eigenthüm— 

Wer wollte leugnen, dafs die liche Richtung. Man Heidet die Kinder 
großen Städte nicht auch bedeutende | jeßt auch jchon ftandesgemäß, und die 
Vortheile hätten? Man findet Arbeit, Kinder der Reichen find dadurd um 
weil ih Nachfrage und Angebot ihre kindlichen Freuden verkürzt. Cs 
leichter treffen, Bildungsanftalten, | follen, das muſs doch einleuchten, die 
Zerftreuung und für ftarfe Nerven Spitzenkragen nicht gefnidtjein, die Rolle 
das lebhafte Treiben in den Straßen. |der Heinen Pagen erlaubt nicht die 
Doch die Arbeitsgelegenheit könnte | natürliche Luftigkeit, und das créme— 
überall dur einen Welt-Arbeitsverz | farbige Gahemirkleid der Heinen Elfa 
mittlungsverein gejchaffen werden, die | würde Grasfleden befommen, wenn 
Bildungsmittel könnten decentralifiert | fie ſich beifallen Tieße, auf dem Raſen 
werden und für edle Zerftreuung kindlich zu fpielen. 
fönnte überall gejorgt werden, wenn D die unzufriedenen Reichen! 
weniger dem Bachus, und mehr den Wenn fie das Leben von allen Seiten 
Genien der Kunſt geopfert würde, kennen würden, wer weiß, ob fie nicht 
Zurüd auf das Land! rufen wir den |die armen Siebenbürger Bauern be= 
unzufriedenen Arbeitern zu. neideten, welche ruhig ihre Tage ver— 

Die Beſchäftigung des ländlichen | eben und beichliegen und fo einfäls 
Urbeiters unter freiem Himmel, in tig find, im Vollbeſitze ihrer körper— 
guter Luft ift erträglich, gejund und lichen Fähigkeiten bleiben zu wollen, 
anregend und verlangt nicht gebie= | daher das Leder bei den Schuhen 
terifch jene Ruhepaufen, wie die Ar- nicht ſparen und nicht freiwillig ent— 
beit in rauchigen Fabrilen, wo das jagen, leicht zu athmen, oder der 
mit dem Schidjal verföhnende Grün engen Taille zuliebe ungenügend zu 
der Natur fehlt. Deshalb leidet der eſſen. Es ift auch nur zu natürlich, 
Sohn der Natur nicht unter dem daſs im Unglüd man unzufrieden 
Weltſchmerz, er genießt nicht viel von | und verdroffen zu den Neizmitteln 
jenen fragwürdigen ftandesgemäßen | Zuflucht nimmt, um wenigftens im 
Dergnügungen, melde dem Groß- Rauſche oder in der unnatürlichen 
Hädter zum Bedürfnis geworden find, , Aufregung zu vergefjen an die Wohl 
aber er verlebt mit Ruhe die wenigen thaten einer Givilifation, welche, auf 
Jahre, welde uns Menſchen zuge- die Spitze getrieben, aus den Men— 
meſſen find. ſchen weiße Sclaven madt. 

Wir wollen „tandesgemäß leben!“ Der Lurus nimmt fortwährend 
Diejer Begriff wird zu der Kette der | ıeue Formen an — auch der Kern 
Abhängigkeit und Sclaverei für alle. | des Volles ift bereits von der Hyper— 
Als wenn jeder Stand ein Einkomz cultur beledt. Wenn man feit einigen 
men garantiert hätte! Sollte es nicht | Jahren die Beobachtung machen kann, 
richtiger heißen: „nach feinem Ein» daſs jetzt auch fehon die dreijährigen 
fommen leben?“ Mie viel Hummer, Kinderchen in der Lage find, ſich vor 
verlegter Ehrgeiz, Wucherfchulden, der Sonne zu ſchützen, jo winken 
blieben erjpart, und um wie viel uns jchöne Auslichten für die Zu— 
eingebildetes Unglüd wäre weniger kunft. Nicht Tange wird es dauern, 
auf dem Erdball! Die jümmerliche und auch die Stallmägde werden mit 
Komödie des irdischen Dafeins fpielt  Miedern verjehen fein und die länd— 











607° 


lichen Arbeiter werden in diejer glück— 
lichen Periode nur danıı den Dünger 
verladen, wenn er vorher jorgfältig 
mit Garbolfäure desinficiert jein wird. 
Die Verhältniffe find auf die Spike 
getrieben. Wir find Sclaven der An— 
nehmlichleiten; wir treiben keinen 
Lurus, der Luxus treibt uns haftig 
vorwärts, um zu verdienen, viel; 
zu verdienen. Der Lurus bat be— 
reits aufgehört, ein Mittel zum 
Zwede verfeinerten und veredelten | 
Lebensgenuffes zu fein, er iſt 
Selbitzwed. Wir alle jeufzen unter 
jeiner Zyrannei, welche uns micht! 
des Lebens froh werden laäſst. 
Nützt es uns, wenn unfere Stuben- 
mädchen mehr SKleideraufwand ent— 
wideln, als einft Fürftinnen im Alter— 
thume? Dieſer Foriſchritt fteht nicht 
im Verhältniſſe zu der angewendeten 
Mühe, zu dem Apparate, beſtehend 
aus Überarbeitung, erblindeten Augen, 
jchlaflofen Nächten, Thränen, Kum— 
mer, Elend und Broftitution aus 
Noth, welche alle diefe jo jchönen 
Saden gefchaffen, die wir als 
moderne Kunſtwerke der Toilette an— 
ftaunen. Die Schneider find Künftler 
geworden , verlangt man doc zu⸗ 
weilen, dafs die Kleider zeigen, was nicht 
ift, und das verbergen, was vorhanden. | 





O glückliche Zeit, wo, wie noch 
zu Zeiten Goethes, ein neuer rad 
wichtig genug jhien, um im Tage— 


buche verzeichnet zu werden, die Men: 
ſchen aber auch ruhiger und jorglojer 
ihre Jahre verlebten. Wir jind über— 


haftet in der Arbeit und im Genuife ; 
wir fommen nicht zu Athen. Die 
Natur hat gelorgt, daſs das Gefühl 
‚des Genießen: nicht endlos in Die 
Höhe wähft. Die Blaſiertheit iſt die 
Folge der Unmäßigkeit im Genuſſe, 
die Nervoſität die Folge der über— 
mäßigen geiſtigen Anſpannung. — 
Einen, der ſo ſpricht, nennen unſere 
Socialiſten und Nationalökonomen 
heute vielleicht einen Idealiſten. Will 
man zuwarten, bis etwas, das für 
die Länge nicht haltbar iſt, ſich ſelbſt 
gewaltſam ändert? Revolutionen wer— 
den durch Reformen verhindert. Wir 
werden nicht müde, immer wieder den 
Hilferuf: Land! Land! auszuſtoßen, 
gleichſam wie Untergehende. Nicht 
auf dem Ocean gehen wir unter, 
ſondern im Steinmeere großer Städte. 
Zurück aufs Land! Zurück in die 
Natur! Einen beſſeren Rath gibt es 


nicht, um dem modernen lende 
der Menfchheit einigermaßen zu 
ſteuern. 


60 


Auf den Hochlantſch. 


Ein Spaziergang in der Heimat von R. 


a legtverwichenen Sommer darf 
R ich wohl in den Rauchfang 

2 binauffchreiben wie das 
Sprichwort fagt, wenn eine rechte 
Seltſamkeit anzumerken ift. Seit zehn 
Jahren, da ich mich Schon ganz ver— 
traut gemacht mit der legten dunklen 
Tiefe, wieder auf hohe Berge fteigen 
zu fönnen! Und als ich oben mar, 
tief ih: „Hoch Krainer!“ Ich rief 
es auf dem Thalerfogel, ich rief es 
auf der Rar und ich rief auf der 
Spige des Hohen Lantſch: „Hoch 
Krainer!* Bis fih denn einmal ein 
danebenftehender Tourift laut darüber 
wunderte, daſs und warum ich doch 
die Krainer jo hoch leben liege? 

Die Krainer, aljo antwortete ich 
dem Wijsbegierigen, das wären ganz 
brave Leute, die follen leben, wie fie 
fönnen, doch ihretwegen, und um 
ihnen jo begeifterte Hochs auszubrin— 
gen, bejtiege ich feine Berge. Bin: 
gegen wüſste ich einen Dann namens 
Krainer, der die Bergwelt mir gleid)- 
ſam wieder erfchlofjen habe und dem mein 
Gruß gelte auf den Alpengipfeln. — 
Für immer hatte ich von diefen Alpen= 
gipfeln einft Abjchied genommen. Aber 


meine perjönlichen Freunde meinten, | 


ein Dichter müſſe unter allen Um— 
ftänden in die Höhe, und wenn er 
förperlih jo jehr berabgefommen fei, 
jo folle er in Graz die kraineriſche 
Waſſercur gebrauden, welde ja we— 
niger eine Eur, als ein Genujs ei. 


Die Eur befteht darin, dajs man | 


eine Zeit lang täglich einige Minuten mit 
warmen und kaltem Waller über einem 
Leintuch, in das man gefchlagen ift, ſich 
abklatſchen läjst. Das fördert und regelt 
vor allem den Blutumlauf, macht die 
Haut athmungsfähig, regt die gleich— 


mäßige Thätigfeit der Organe au, er» 
frifcht die Nerven und härtet den Körper 
ab gegen Kälte und Hitze. Damit ift für 
manchen Leidenden viel, für manden 
alles gewonnen. — Herrje! ih wollte 
hier eine Alpenpartie bejchreiben und 
mache Reclame füreine Waflerheilanftalt! 
Allein der kluge Lefer merkt ſchon, es ge— 
hört dazu. Zur Vervollſtändigung meiner 
Krantengefchichte, die ih im „Heinz 
garten“ XIII. Jahrgang, Seite 629, 
mir zu erzählen erlaubt habe, mujs 
hier machgetragen werden, daſs ein 
ſechswöchentlicher Gebrauch der Krai— 
ner'ſchen Waffercur, die ih mit Miſs— 
trauen, ja mit Widermillen, nur auf 
dringenden Wunfch meiner Freunde 
im leßtvergangenen Frühjahre unter— 
nahm, mich eigentlich wieder flügge 
gemacht hat. Als der Sommer kam, 
flatterte ich mit Zagen aus — und 
fiehe, ih konnte fliegen! Ich konnte 
wieder gehen, wandern, fteigen wie 
einst. Mit friſchem Muthe, ohne Uber: 
muth, ſachte empor gieng’3 an den 
Bergen, aus Thal und Wald empor, 
‚dur die Wollen empor bis zu den 
fünf- und jechstaufend Fuß hoben 
Gipfeln. — Nun wird man meinen 
dankbaren Jubelruf verftehen. 

Zuerſt unternahm ich kleinere Fuß— 
partien in der Heimat, dann wagte 
ih mih auf Thalmanderıngen in 
Oberfärnten und Oberbaiern — und 
‚endlich auf Berge. Schödel, Sulzen— 
'togel, Nennfeld, Rax, Hochlantſch, 
heißen die Eulminationspunfte meiner 
legtjährigen Sommerfreuden. Auf den 
meiſten diefer Wanderungen begleiteten 
mich meine zwei Anaben und fo ift 
mir auch diefer Wunſch, mit meinen 
Söhnen das theuere Land zu durch— 
‚ziehen, in Erfüllung gegangen. 








4 609 


Verhältnismäßig die umftändlichite 
diejer Partien war die Belteigung des 
Hohen Lantſch. Ich unternahın fie das 
erftemal mit meinen beiden älteiten 
Kindern, wir wurden aber jchon in 
der‘ Bärenſchütz zurückgeſcheucht von 
einem großen Ungemwitter, demfelben, 
welhes am 21. Auguft in Graz jo 
rajend gewüthet Hat. Acht Tage ſpäter 
versuchte ich es mit meinem ältejten 
Knaben das zweitemal. Um 3 Uhr 
nachmittags verliefen wir Mirnik 
unter tröpfelnden Wollen, welche ſich 
aber bald lichteten; ein lebhafter Süd— 
weit jchenerte den Himmel aus, bis 
er tief blau war. Die Gegend der 
Bärenfhüg mit dem Waflerfall (jiehe 
„Heimgarten“ XII. Jahrgang, Seite 
868) hatten wir nach einer guten 
Stunde erreiht. An der Köhlerhütte 
verließen wir den Bad, links quer- 
anfteigend am felligen, mit mehreren 
Höhlen durchlöcherten Dange. Bald 
war der grüne Keſſel erreicht, wo das 
ſchöne Bauerngut „zum Schwoager“ 
liegt; hernach gieng’s auf einem Hol: 
perigen Fahrwege Stets bei guter Mar- 
kierung in Schlangenwindungen bergan, 
ftellenweife über weiße unebene Stein 
platten, die wie Schneerefte anzuſehen 
auf dem Wege lagen. Nach einer 
Stunde war der Pafs erreicht, welcher 
ung einließ in die Hochwelt des Lantſch. 
Wir waren in Wlpenregion, es jah 
aber Hier nicht wilder, im Gegentheile 
faft zahmer aus, als unten in dem felfigen 
Thale von Mixnitz. Dier gab's ſchöne 
Maldberge, grüne Almen, Hare Wäſſer, 
gebahnte Wege und Wirtshäuſer da= 
neben. In der Mitte erhob fich die 
Kuppe des Hochlantſch, mit Wald und 
Holzſchlägen bededt bis zum mit Knie— 
holz bewachjenen Felſenkamm empor; die 
wilden Felſenabſtürze nach Norden 
hin waren nicht zu ſehen. Der Weg 
führt Hinein zur ſchönſten Alm der 
Steiermark, der ZTeichalpe mit dem 
berühmten Forellenbache und dent ftatt- 
lihen Bauernwirtshauje. 

In diefem Hochthale war einmal 
eine große Stadt gejtanden, deren 


Uoſtgger's „Grimaarien‘*‘, 8. Heft, XV. 


Bewohner ein fo üppiges und mwollüs 
ftiges Leben geführt haben, dafs jie 
und die Stadt eines ſchönen Tages 
von der Erde verjchlungen wurden. 
Unten in der Drachenhöhle bei Röthel- 
ftein findet man noch die Knochen. 
Die heutigen Bewohner diefer Almen 
find fo brave Leute, dafs fie ſich bis— 
her immer noch auf der Oberfläche der 
Erde erhalten haben. Die weiten friſch— 
grünen Auen diejes Hochthales werden 
im Süden und Often begrenzt von 
den Hochgipfeln des Oſſers- und des 
Plantogels, mit denen dann der Alpen— 
zug abfällt in das Mittelgebirge der 
öfllihen Steiermark. 

Wir ſchlugen am erften Wirts- 
hauſe unferen Weg links ein über 
Almrafen und Farftartigen Steinboden. 
Hie und da fteht ein Schirmbaum, 
fnorrig und wetterfeit, und friedlich 
grafen dort Rinder und Pferde. Gegen 
Süden verdedten uns die Türnauer— 
alpe, die Röthelwand und der Röthel— 
ftein die weitere Ausficht; gegen Weiten 
fliegt das Auge bis zum Soralpenzug 
und weiter links bis zu den Gebirgen 
bei Knittelfeld und Vordernberg. Nach 
Norden Hin Hatte und der Bergrüden, 
an welchen unfere Naje ftieß, alles 
verdeckt; dieſe Wand fiel plößlich. Links 
das fteinige Lantſchgrat, rechts den 
hohen Lantſch mit feinem ſchauerlichen 
Abſturz, Jo ftanden wir da und ſtarr— 
ten in das Thal von Breitenau, 
welches wie ein gähnender Abgrund 
vor unferen Füßen lag. In der Tiefe 
ein enges vielichluchtiges Wiejenthal 
nit ein paar Dörfern und Gewerk— 
ihaften, an den Hängen Bauernans 
fiedlungen und Wald, überall Wald. 
Gerade uns gegenüber die Höhe mit 
der fahlen Kuppe ift das Rennfeld, 
wo einmal zwei feurige Ritter um 
eine Herzliebfte gerungen haben. Da- 
hinter die blauenden Zaden des Hoch— 
Ihmwabenzuges, der Veitich, der Rax, 
des Schneeberges. Einzelne Wände 
dieſes Gebirges waren von der Abends 
ſonne beleuchtet, auf der Hochſchwab— 
jpiße lag ein roftbraunes Wolfenbänt- 


39 


610 

lein wie eine Schaufel, wie eine Wage  Schüfferlbrunn in den legten Jahr— 
zwiihen Schön und Regen. ‚zehnten in dem Maße in Bergeilenheit 

Wohin mollen wir denn heute gerathen, als es von den Touriſten 
noch? Wo ift denn das Schüfferlbrunn, aufgeſucht wird. Ich meine, daſs es 
von dem wir kaum mehr drei Minus ‚feiner Lage nad einer der jeltfamften 
ten entfernt fein jollen? Tief im Ab- ‚und merkwürdigſten Wallfahrtsorte fei, 
grunde, an der Wand wie Vogelhäufer welche die reich mit Wunderorten ge= 
flebend, winfen ein paar Bretterdäcer. jegneten Alpen aufzumeifen haben. 
Auf einer Holztreppe mit hundert Im Wirtshaufe am Schüſſerlbrunn 
Stufen fteigen wir hinab; mitten im raſtet ſich's prächtig. Wo einſt jene 
grauenhafteſten, überhängenden Ge» Einſiedlerklauſe geftanden, die in einer 
wände ftehen wir, rechts das Walls | ſtürmiſchen Nacht mitſammt dem Ein— 
fahrtskirchlein, lints das Touriſten⸗ ‚fiedlerpanre zur Tiefe gefahren, ift jett 
wirtshaus. Erfteres ift ein meuer, ein freundliches Touriſtenhaus mit 
zierlicher Holzbau, der eher an einen |warınem Herd, wohlbejegten Tiſch und 
Ausftellungspavdillon als an eine Slirche | zwölf guten Betten. Für lange Abende 
erinnert. Der Frauenaltar reich mit | bietet das Fremdenbuch eine Unter» 
Blumen und Kerzen geziert, an den haltung, deifen übliche Poeſie und künſt— 
Mänden die üblichen Votivbilder; auf leriſche Leiftungen übrigens ſattſam 
dem Chore aber feine Orgel, auf den | befannt find. Hier waren mehrere 
Thurme feine Glode. Hinter der ‚Kirche | Bergfteiger darauf erpicht, ein Wort 
fidert aus der Felskluft Waſſer in eine auf Lantjch zu reimen. Da dichtete 
ſchüſſelähnliche Steinnifche ; davon der vor Jahren einer: 


Name Schiüfferlbrunn. — Dort Hinter | 
dem Rennfelde jteht die große Wall: | 
fahrtskirche Maria-Rehlogel. Ein von | 
fürftlihen Jägern verfolgtes Reh ſoll 


fih in feimer Noth unter einen Baum 
geflüchtet Haben, an welchem ein Mutter 


gottesbild Hieng. Einer der Jäger, | 
das zitternde, vor Erfchöpfung, auf die 
Norderbeine gefunfene Thier dort ent= | 
dedend, fagte: „Rehlein, armes! Wenn | 


dur Dich unter ſolchen Schuß begibit, 
da muſs man dich freilich verfchonen! 
Auch wir find gehetzt von mächtigen 
Feinden, im Thale der Mürz wiüthet 
der grimmige Türke. Vielleicht ſchützt 
die Mutter Gottes, dor deren Bilde 
du Inieft, auch uns!“ Es muſs wohl 
jo gewejen fein, denn an jener Stelle 
wurde die Gnadenkirche Maria-Reh— 
fogel gegründet. — Dieſe lieblichſte 
der Sagen rührt mich, ſo oft ich an 
ſie denke. Die Sage vom Schüſſerl— 
brunn weiß von einem frommen Ein— 
ſiedler, der die aus dem Felſen ſickernde 
Heilquelle entdedt und den Gläubigen 
zugänglich gemacht hat. Belonders für 
frante Augen foll das Waſſer heilſam 
fein. Bon den MWallfahrern iſt das 





Wer will auf den Lantſch, 

Der nehm’ was mit zum faufe, 
Aber ja feinen Pantſch, 
Sunfter fummt er nit auffe. 

Einer Epigonenjeele ließ dieſe 
Dichterthat feine Ruhe und fie über 
trumpfte den Meifter mit dem folgen« 
den Gefühlsergufs: 

Wann man den Lantid, 
Eo breit und fo hoch, 
Umdraht wir an Handid. 
uh — das wär a Lod! 

Mir legten uns bald auf den 
Dachboden zur Raft. Bor dem Ein: 
Ichlafen dachte ih an die ungeheneren 
Steinwuchten, die über dem Dache 
dräuten und wie e3 wohl wäre, wenn 
es in diefer Nacht geichähe, was Thon 
oft geichehen ift und noch geihehen 
wird, wenn die Felſen ihres Anklam— 
merns endlich müde — plötzlich nie= 
derftürzten! das wäre ein Krachen 
weitum, das Hüttchen aus Menjchen= 
hand aber vergienge lautlos, fpurlos... 
Und doch drüdte der Felskoloſs über 
mir mich bei weitem wicht jo bart, 
als mand anderer Stein, der mir 
mandmal ſchon am Herzen gelegen. 


611 


Ein Knattern auf dem Dade! Horn hoch emporragen fieht, aus dem 


wedte uns auf. Regen praijelte nieder. 
Das Wahrzeichen unferer modernen 
Sommer: Regen und Nebel, es hat 
uns in diefem Jahre feine einzige Partie 
ganz unverjehrt gelafjen. Der ftillen hei— 
teren Tage, wo der Wanderer von feinem 
Nais genedt, von feinem drohenden 
Unmetter geheßt worden, waren kaum 
ein Dußend in unferem Lande, Na— 
türlih, wenn e& die grüne Steier— 
mark jein foll, fo muf3 es für aus— 
giebige Befeuchtung Sorge tragen, 
und dann wird aus der grünen halt 
manchmal die graue. Als wir am 
Morgen ins Freie giengen, waren alle 
Höhen mit Nebel bededt und der Blid 
ins Thal Hinab war jo trüb und matt, 
als fähe man durch ein halberblindetes 
Glas. Endlich ſank der Nebel au in 
die Tiefe hinab und daraus ſchloſſen wir, 
dafs etwa die Bergipiten frei werben 
fönnten. Um neun Uhr begannen wir 
den Aufftieg auf den Hochlantſch durch 
Mald, über blumige Matten; um halb 
zehn riſs über unjeren Häuptern der 
ind ein Loc, jo daſs uns auf ein 
paar Augenblide die Sonne anſchien. 
Um zehn Uhr giengen wir oben über 
die ftumpf und glatt gewaſchenen 
weigen Steine des Felsgrates Hin, 
umjchritten noch im Halbkreis den 
ungeheueren Felsſchrund, der den höch— 
ften Gipfel Scheinbar vom Grate trennt, 
und endlich fanden wir auf der 
1722 Meter hohen Spibe des Berges. 

Mir waren mitten im Deere ber 
fliegenden Nebel, die vom Thale aus 
wohl wie Bergſpitzen einhüllende Wols 
ten zu ſehen gewejen fein mögen. 
Uber uns öffnete jih manchmal die 


Himmelsbläue, unter uns enthüllte jich 
manchmal der Almboden der Teichalpe 


oder das tiefe Thal von Breitenan, zu 
welchem vom Scheitel de3 Berges die 
Lantſchwände faft ſenkrecht niedergeben. 
Weit und breit ift fein hoher Berg mit 
jo ungeheueren, aus dem Grünen aufs 
fteigenden Wänden, wie hier der Hoch— 
lantſch, deſſen Spite man deshalb 


von der Ferne aus wie ein ſteiles 


Gebirgszuge. Bisweilen wurbe eine 
nachbarliche Kuppe fihtbar, um als— 
bald wieder Hinter den vom Winde 
gejagten Nebel zu verichwinden ; eine 
mal gieng auf längere Zeit der welt- 
liche Borhang auf und vor uns ftand 
der Murthaler Alpenzug. Es jollen vom 
Hochlantſch aus auch mehrere Spitzen 
der Sulzbaher Alpen und der Malniker 
Tauern fichtbar fein, alfo dafs man 
neben dem größten Theile der Steier- 
mark nicht allein Theile von Ungarn, 
Niederöfterrih, Salzburg, fondern 
auch Berge von Kärnten und Krain 
Ihauen fann. Die nördlichen Alpen 
waren eingehüllt von einem Wolfen: 
meer, dejien dem Himmel zugefehrte 
Seite in der Sonne ſchneeweiß wie eine 
Minterlandfchaft leuchtete, deſſen den 
Thälern zugewendete Seite — wie wir 
jpäter erfuhren — gemüthlich regnete. 

Wir Hatten uns zu Schuß vor 
dem heftigen Winde in eine Felsſpalte 
gefauert und wollten die vollitändige 
Klärung abwarten. Doch die Thäler 
füllten jih wieder mit Nebel; nur im 
grünen Thale von Bärnegg ſchien noch 
die Sonne, leuchtete an den Gebäuden 
ſchimmerte in der Mur, bis endlich 
auch über diefes Bild ein ſchmutziger 
Wolkenfetzen niederhieng. Über unferem 
hohen Standpunkte in tieflter Him— 
melsbläue war der Sonnenftern. Und 
al wir jo am Rande des Gewändes 
ftanden und niederjchauten in den 
grauen Nebel de3 Abgrundes, lachte 
mein junger Genoffe plößlih auf und 
rief: „Vater, ich bin ein Heiliger!“ 
Das war mir erft was Neues an den 
weltluftigen Jungen, bald ſah ich's 
aber, wie es gemeint war, an mir 
jelbft. Ih jah unten etwa 20 Meter 
tief, auf der von der Sonne beichie= 
nenen Nebelfläche, den ſcharfgeſchnittenen 
Schatten meines Hauptes und rings um 
denjelben einen jiebenfarbigen Heiligen- 
jhein. Du grundgütiger Himmel, 


dieſe Auszeihnung laffe ich mir ges 


fallen, fürchte aber, dal3 du es für 
die Länge nicht wirft verantworten 


39* 


612 


fönnen, all deine Regenbogenlichter a 
dem durchaus irdischen Kopfe eines 
Bolkspoeten verichwendet zu Haben. 
— Ih könnte nun an diefe Natur- 
ericheinung Höllifch weife Bemerkungen 
nüpfen, ſagte aber nur zu meinem 
Sohne: „Dat nicht viel zu bedeuten, 
Sepp, im Nebel ſieht der Menſch 
mandmal einen Heiligenſchein um 
ih.“ — Ich Hatte eine ähnliche 
Erſcheinung, deren natürliche Erklärung 
freilich nahe liegt, bisher nie gejehen. 


Höchſt zufrieden über die Duldi- - 


gung, welche die Sonne uns darge— 
bracht, jtiegen wir den Berg herab, 
über Almmatten und auf jleinigen 
Wegen wieder dem Thale von Mirnik 
zueilend, denn die Nebel hatten ſich 
unheimlich verwoben über das ganze 
Land. Und zur Stunde, als ich der 
hübſchen Kellnerin zu Mixnitz ſchäkernd 
ans Kinn griff, fiel mein Heiligen— 
ſchein al3 Regen herab. 





Eine fteirifhe Bienenmutter. 


Reifeerinnerung an die XXXV. Manderverfammlung deutſcher und öſterreichiſch— 
ungarischer Bienenzüdter in Graz. 


Von Bob. Ph. Glok, Pfarrer in Zuzenhaufen, Baden. *) 


Hoch vom Dachſtein an, wo der Yar nodı baust, | 
»is zum Wendenland am Bett’ der Sann, 

Wo die Eennerin frobe Jodler fingt 

Und der Aäger kühn fein — ſchwingt: 
Dieſes ſchöne Land iſt der Sieirer Land, 

An mein liebes, theures Heimatland.“ 


0) 


1 
a, es ift fürwahr ein Ihönes 
Land, der Schönften eines im 
sg Schweiterreigen Alt-Auſtrias, 
die alte, jangesfrohe grüne Steier- 
mark mit ihren alpengefrönten Thä— 


lern voll raufchender Waller, mit! 


ihren dunklen Forſten voll edlen Hod- 
wild, mit ihren Smaragdgrünen 
Matten voll duftender Alpenfräuter, 


mit ihren Freundlich ftillen Dörfern, | 
gewerbreichen | 


ihren  aufitrebenden, 
Städten, mit ihren biederen ſtämmi— 
gen Männern, denen deutiches Blut 
durch die Adern rollt und deutſche 
Treue und Ehrlichkeit aus den blauen 
Augen Schaut, mit ihren edlen ſchönen 
Frauen, denen deutsche Zucht und 
Eitte, dentſche Sprache und deutſches 
Lied jo wohl fteht, daſs man noch 
beute von ihnen rühmen mußſs, 





am fFangesberühmten Hoflager feines 
fürftlihen Gönnmerd in der Oſtmark 


|des Reiches zu ihrer Ehre gefungen Hat: 


„sh han ande vil gejehen 
Und nam der beften gerne wahr: 
Übel müffe mir gejcheben, 


ı Könnt’ ih je mein berze bringen dar, 


Dais ihm wohl gefallen 

Sollte fremde fitte: 

Deuijhe Zucht gat vor in allen. 
Deutihe man find wohl gezogen, 
Recht als engel find die wip gethan 
Wer fie fchilt, der ift betrogen. 
Tugend und reine Minne, 

Wer die fuchen will, 

Der fol fommen in unfer land: 
Da ıft Wonne viel.* 


Die köftlihe Perle diefes ſchönen 
Landes ift aber die Landeshauptitadt 
Graz. 


„Sei gegrüßt von meinem Pjalter, 
Du reizende Grazienftadt; 

Du rubft wie ein prangender fFalter 
Auf einem Lorbeerblatt. 


Hold ruhft du auf grünenden Auen, 


Du Perle der Steiermarf; 
Non Seele deine Frauen, 


was | Und deine Söhne voll Mark!" 
ein Walther von der Bogelweide einit | 


(Robert Hamerling.) 


*) Abgedrudt aus der in Braunſchweig erjcheinenden „Deutichen illuftrierten 


Bienenzeitung”. 





Malerifch gebettet an die beiden Ufer 
der raſch jtrömenden Mur, eine alte, 
ehrwürdige Stadt, voll großer Erin 
nerungen an eine weltgefchichtliche 
Vergangenheit, mit altersgrauen Pas 
läften, Kirchen und Klöſtern, und doc) 
wie wenige ihres Alters eine moderne 
Stadt mit allen Zeichen eines auf— 
blühenden Gemeinweſens, mit hoch— 
entwidelter und reicher Fabriksthä— 
tigfeit, auf den Höhen ringsum von 
einem weiten Kranze prächtigiter 
Villen umrahmt und der berühmte 
Sig einer deutſchen Hochfchule, deren 
Genius die Fackel des Lichtes und 
der Kunſt bier an der Oftgrenze 
deutſchen Volksthums leuchten läfst. 
Der Glanzpımft des herrlichen Stadt- 
bildes ſelbſt ift der inmitten der Stadt 
gelegene, hochragende Schlojsberg mit 
feinen zeriprengten Baftionen und 
zerichoffenen Wällen, dem altehrwür— 
digen, grotesfen Uhrthurme, dieſem 
Mahrzeichen von Graz, im der Fronte, 
und dem don gefangenen Mohame— 
danern gegrabenen Türkenbrunnen in 
der Mitte, deſſen Sohle viele Hun— 
derte Fuß tief mit dem Waſſerſpiegel 
der Mur zugleich liegt. Wer je ein— 
mal hier oben auf hoher Ausſichts— 
warte geſtanden und dieſes nächſt 
Salzburg ſchönſte deutſche Städtebild 
geſchaut hat, wird den wunderlieb— 
lichen und erhebenden Eindrud zeit— 
lebens nicht vergeſſen. Es iſt ein 
ſchönes Stück Erde. Nach Süden be— 
gleitet der Blick im breiter, frucht— 
barer, volfreiher Thalfohle das Silber- 
band der Mur faft bis zu der in blauer 
Ferne auffteigenden Felſenwand der 
Karawanken; nach Norden und Weiten 
thürmt ji Berg über Berg, immer 
fteiler und majeftätifcher fteigen die 
Schroffen und Spigen empor, bier 
Ihauen wir die Vorläufer der mäch— 
tigen Alpenwelt; nah Often aber, 
den Laufe der nahen Raab folgend, 
dehnt ſich, nur wenige Meilen ges 
trennt, Schon magyarisches Land aus. 
Es ift zugleich Hiftorischer Boden, auf 
dem unfer Fuß fteht. Hier an dieſen 


613 


Wellen ift die von Diten verderben 
Ihwanger einbrechende Türkenmacht 
mehr wie einmal zerſchellt worden. 
Auch hier haben die Erbfeinde deut— 
ſcher Macht und Größe, die Franzoſen 
(unter Macdonald im Jahre 1809), 
dasjelbe barbarifche Zerſtörungshand— 
werf geübt, deſſen Spuren unſer in 
Trümmer gelegtes Kurfürftenichlojs in 
Alt-Heidelberg zur Schau trägt. Im 
Oſten wie im Weiten dasjelbe Schid- 
ſal desfelben Volkes durch denſelben 
Feind! 

Doch, ih wollte ja nicht von dem 
Schönen Steirerland erzählen, nicht don 
jeiner lieben Landeshauptitadt Graz, 
deren Gaft ich fein durfte*), auch nicht 
bon den biederen, ftarten und kühnen 
Mannen des Hochgebirges oder den 
jhönen Frauen diejes Landes, das 
haben andere vor mir und beſſer ge= 
than. Das hat einer vor allen an— 
deren als berufener Steuner und Mei— 
fter geihan, der gottbegnadete. edle 
Dichter der Steiermark, der wohl 
wusste, warum er gerade im jchönen 
Graz feinen Wohnſitz aufgefchlagen 
hat — MRojegger. Seine Dichterhand 
bat e3 verftanden, der trefflichen, in 
ihrer Art einzig artigen Ausftellung 
feines lieben Heimatlandes , zu der 
al3 fogenannte temporäre Ausjtellung 
auch die Austellung der XXXV. 
Manderverfammlung von Bienen— 
‚wirten gehörte, die poetifche Weihe 
zu verleihen. Er that es auf furze 
aber fernige und zugleich geiftreiche 
und gemüthvolle Weile in allerlei 
trefflichen Sprüchen und markigen 
'Sentenzen, die für mich, als einem 
'Verehrer der Roſegger'ſchen Muſe, 
ebenſoviele ſchöne Bekenntuiſſe einer 
deutſchen Dichterſeele und eines freien 
deutſchen Mannesherzens ſind. Wie 
ſchön hat er, um nur ein Beiſpiel 
anzuführen, die alten, immerhin ehr— 





*) Dem Verfaſſer war zu dieſem Zwecke 
| von der großherzogl. Regierung ein dans 
ı fenswertes Staatsftipendium zur Berfüt: 
gung geftellt worden. 


614 


würdigen, deuljchen Farben „Schwarze |der Herren vom Gomite jeinen Ein= 


Roth-Gold“ beſungen: 
„Schwarz-Roth-Gold mag ich gern, 
Schwarz ift ihr Augenjlern, 

Roth ift ihr Lippenpaar, 

Gold ift ihr Haar.” 

Iſt das nicht ein duftender Kranz 
ltebender Verehrung, den Hier ein 
DOfterreiher im Bewufstfein der 
Stanmesgemeinfhaft der Mutter 
Germania auf die Stirne drückt? 
Habe Dank, edler Sänger im fernen 
Graz, für dein treues deutjches Herz 
und jeine Liebe! Was du im Alpen 
thale der Mur gejungen, was du als 
deine Feſtgabe im Tempel der Ges 
werde und Künſte deines Heimat— 
landes niedergelegt haft, ift nicht ver— 
geſſen; als ein Dichterwort unſterb— 
licher Art ift es fortgeflungen und 
wird fortflingen, jo weit die deutjche 
Zunge Hingt und Gott im Himmel 
Lieder fingt.*) 

Auch über die XXXV. Wander- 
verfammlung und deren oben berührte 
Austellung in Graz will ich Hier 
nicht berichten. Das Hat ebeufalls 
Ihon einer vorausgethan. Derfelbe 
hat auch im dem in diefen Blättern 
veröffentlichten Grazer Feitbericht nur 
die Wahrheit gejagt, wenn er be= 
hauptet, dafs die öffentlichen, wollte 
jagen officiellen Empfangsfeierlichtei- 
ten bei diefer Wanderverfanmlung auf 
Seiten der dazu Berufenen fehr viel 
zu wünſchen übrig ließen. Es that 
uns im Stillen in der Seele weh, 
al3 wir am Empfangsabend die lieben 
Veteranen der Wanderverfammlung, 
voran unferen nachgerade auch gran 
und alt gewordenen ftändigen Präſi— 
denten, den um die Sache diejer 
Berfammlungen hochverdienten Vogel, 
fo ohne Sang und Stlang, ohne jed— 


wede billige Aufmerkjanteit von Seite 


*) Dieſe Worte, die mid jo hoch 
ehren, will ich doch nicht ſtreichen; fie aner: 
fennen mein redliches Wollen und haben 


zug halten ſahen. Das war in Stutt— 
gart und Regensburg ganz anders. 
Dffenbar fehlte es in diefer Richtung 
bier irgendwo. Da man aber von 
einer geſchehenen Sade das Beſte 
reden joll, wollen wir dieje für ein 
Feſtcomite unverzeihliche Unterlaſſungs— 
ſünde lieber mit dem Mantel der hrift- 
lihen Liebe bededen und feine Namen 
nennen, obwohl wir ſolche jehr wohl 
fennen. Nur fo viel jei verrathen: es 
fehlte nicht unten, d. h. bei deu 
Grazer Jikern, die als echte Steirer 
die liebenswürdigften Gaftfreunde von 
der Melt waren und gerade uns 
„Reichsdeutfchen” gegenüber Herz und 
Haus öffneten, jondern mehr nad 
oben, dort wo gemifje Herren, wie 
vom „bohen Olymp“ herab, das 
Mandervolf der Imker betradteten 
und die große Mafje in fol reſpect— 
voller Entfernung von ſich zu halten 
wujsten, daj3 man 3. B. troß der 
ausdrüdlihen Ankündigung vom Prä— 
fidententifh am Schluffe des erſten 
Berhandlungstages auch nicht einen 
einzigen der betreffenden Herren da 
traf, wo man fih zum gemeinfamen 
Mittaggmahl im Ausftellungsraume 
verſammeln wollte. Es brauchte des- 
halb einer nicht, wie Freund Wiß- 
gall, der leidend ankam und durch 
Reifeftrapazen und jchlaflofe Nächte 
herabgeftimmt war, übel Ddisponiert 
zu fein, um die XXXV. Wanderver- 
jammlung im Gegenfage zu ihren 
Vorgängerinnen in etwas trübem 
Lichte zu betrachten. Troß alledem 
waren die acht Tage, welde wir in 
Graz verlebten, recht ſchön, belehrend 
und Herzerquidend ; fie zählen in mehr 
als einer Dinficht geradezu zu den 


'fchönften unferes Lebens. Das Feſt— 
‚comite der Wanderverjammlung frei= 


lich war nicht ſchuld daran. 
Aber, nun zur Sahe! Etwas hat 
weder der Dichter Rojegger bejungen, 


Nahficht mit meinen mangelhaften Werken. noch der vollsthümliche Kalendermann 


Danlbar erwidere ih dieſen lieben Gruß ! 


aus deutſchem Meiten. 
P. A. Rofegger. 


aus Baiern in feinen Ausſtellungs— 
fimmungsbildern erwähnt, und daran 


möchte, ſofern diejes befcheidene Etwas 
gerade bei diefer Wanderverſammlung 
und auf deren Ausftellung zu jehen, 
zu hören und zu bewundern war, 
den Lefern unferer Bienenzeitung 
als dritten im Bunde etwas erzählen. 
Ich Habe das feltene Glüd gehabt, 
der freundliche Lejer höre und ſtaune, 
auf der Wanderverfammlung in Graz 
eine wirkliche Bienenmutter, 
dazu eine gut fteirifche, von 
Angeficht kennen zu lernen. Bienen» 
mutter? höre ich da einen Zweifler 
wonisch fragen. Was foll denn das 
für eine Bekanntſchaft fein? Wir 
tennen bloß Bienenväter bei uns 
zu Lande. Meine Bienenmutter, 
die jteirifche mämlich, deren Lob und 
2eben ich hier fingen und jagen 
will, ift feine edle oder hochedle 
Bienenkönigin , fondern eine 
einfache, brave, im der praftifchen 
Bienenzucht wie wenige erfahrene, 
fteirifche Frau, vor deren Tüchtigkeit 
und Leiftungen jeder Bienenvater den 
Hut abnehmen darf. Unſere Bienen- 
mutter ift nicht etwa eine Dilettantin 
und bloße Liebhaberin der edlen Bie— 
nenzucht, wie es deren auch fonft 
geben mag, zumal jolange die Bienen 
nicht zu ſehr ftehen und unangenehm 
werben, fondern eine wirkliche Mutter, | 
welche ihrer Bienen mit mütterlicher | 
Sorgfalt und Liebe wartet, Feine | 
fremde Hand fie berühren läjst, aud) | 
die mühevolliten Operationen an ihren | 
Pfleglingen ohne jede männliche Bei: 
hilfe eigenhändig bejorgt, wie eben 
nur eine Mutter ihre Kinder warten 
und pflegen und lieben kann. Auch 
ift diefe ſteiriſche Bienenmutter feine 
Novize, d. h. ein Neuling in der 
Bienenzuht; fie imkert ſchon ihre 
30—40 Jahre, hat alfo das filberne 
Ehejubiläum mit ihrem Bienenvolt 
längſt Hinter fi und geht, jo Gott 
will, rüftig und gejund ihrem gols 
denen entgegen. Dieſe wirkliche Bie— 
nenmutter, Deren ganzen 
Dor- und Zunamen nebit Heimatsort 





Namen, | alfo zu. 


615 


fahren wird, und deren interejlante 
Lebensgeſchichte, ſo wie ich fie aus 
ihrem Munde vernahm, Hier zu Nuß 
und Frommen der Imker mitgetheikt 
werden ſoll, habe ich alfo perſönlich 
kennen gelernt. Manches Stündlein 
haben wir zwei während der Feſt— 
tage uns mit einander unterhalten, 
notabene über die Bienenzucht oder 
genauer gejagt, über ihre Bienenzucht. 
Beim Bankett im großen Saale der 
Verſammlungstage ließ ich die hohen 
Herren Bräfidenten und Vicepräſi— 
denten, unter denen nicht wenige hod)- 
geborene Herren waren, ſowie die 
jonftigen weltlichen und geiftlichen 
Honoratioren, die uns fahrenden Im— 
fern die Ehre gaben, fißen wo fie 
ſaßen, und wählte mir als bejchei- 
denes Vis-A-vis meine jpecielle Be— 
fannifchaft, die Bienenmutter ; mit ihr 
Habe ich converfiert und toaftiert, fo oft 
wieder einer der üblichen Toaſte aus— 
gebraht wurde. Sie jelber aber Hat 
beim Abjchied gemeint, wollte meine 
Hand, die fie unter Thränen küſste, 


ı nicht loslaſſen und meinte zum Schlufs, 
das war ihr letztes Wort: „B'hüt 


Gott, Hohmwürden, auf diejer Welt 
jehen wir und wohl nimmermehr; 
aber vergeſſen thu' ich Sie mein Leb— 
tag nicht; b'hüt Gott!“ Sie fteht als 
ehrſame Witwe an der Schwelle der 
Sechziger und fieht bereits mit groß« 
mittterlicher Autorität auf Finder und 
Kindeskinder. Aber obwohl in grauen 
Haaren, ift fie doch noch eine Bienen- 
mutter, die ſich's nicht nehmen lieg, 
die Feſttage in der nahen Laudes— 
bauptjtadt wie der ftrammfte Biene 
vater von Anfang bis zu Ende mit- 
zumachen. Auch Hatte fie doppelt aus— 
geftellt, was der geneigte Lejer gleich 
erfahren wird. Es ift mir unvergeſs— 
lid, wie und wo ich ihre Bekannt— 
ihaft machte. VBorgeftellt wurden wir 
nämlich einander nicht. Aber daſs 
wir fo fehnell bekannt wurden, gieng 
Es war am Nadınittage 
eines Mittwochs, am Vortage der zu 


der geneigte Lejer zum Schlufs er= | eröffnenden Bienenausftellung. Noch 


waren erſt wenige Feſtgäſte ange— 
kommen, da führte mich mein Weg 
von dem großen Ausſtellungsplatz, 
wo eben das vortreffliche Muſikcorps 
des Infanterie-Regimentes „König 
der Belgier“ ſein Nachmittagspro— 
gramm beendet hatte, hinüber zu dem 
in der landwirtichaftlichen Abtheilung 
tefervierten Plage für die Bienenaus— 
ftellung. Afles war bier noch wüſte 
und leer wie am eriten Schöpfungs- 
tage. Nur einige Herren des Feſt— 
comités waren eben damit bejchäftigt, 
mit Hilfe einiger dienjtbaren Geifter 
eine Unmaſſe Kiften und Kaſten zu 
öffnen, auf melden das ominöfe 
„Vorſicht“, „nicht ftürzen”, „zerbreih- 
lich“, „Achtung“, „piano“, „pianifs 
ſimo“ (dad magyariiche Wort habe 
ih vergeſſen) jehr deutlich aufgeklebt 
war, Trotzdem muſste es während des 
Transportes mit einem Theile der 
Kiften doch nicht „piano“ genug her— 
gegangen jein, denn micht weniger 
als ſechs Völfer waren umgekommen; 
beim Öffnen ſchwamm eine wüſte 
Maſſe von Honig, Wachsbruchtheilen 
und Bienenleichen in den betreffenden 
Wohnungen herum, Ein trauriger 
Beweis, dafs ein guter Theil ausſtel— 
lender Imker es bier immer und immer 
wieder an der nöthigen Vorficht fehlen 
läfst. Während nun unter dem uns 
vermeidlihen Hämmern und Klopfen 
Kiften und Kaften geöffnet und die 
lebenden Bienen duch die Hände der 
beihelfenden Dienftmänner auf die 
zurechtgeftellten Lager mehr oder we— 
niger piano oder auch nicht verbracht 
werden follten, hörte ich auf einmal 
aus dem Munde einer bis jebt ruhig 
dabei geftandenen bejahrten Frau in 
ſteiriſcher Landestracht — dem ein— 
zigen weiblichen Weſen in unſerem 
Kreiſe die laut gerufenen, faſt 
drobend Hingenden Worte im fteiri- 
Shen Vollsdialect: „Fön Se mir meine 
Beinle*) ſtehn! Sie; lön Se die Beinle 


*) „Beinen® oder „Beinen“ ift im 
Steiriihen und in Oberbaiern das Pialect: 
wort für Bienen. 


— — — — — 


ſtehn: die dürfen net ſo verpolleret 
werden; ich leid's nit; ich kann meine 
Beinle ſelber hinſtellen.“ Solche 
Sprache hatte feiner von uns An— 
wejenden erwartet. Die Herren vom 
Gomite ſahen fi die Frau etwas 
verblüfft an und die Dienftmänner 
ließen auf einen Augenblid die Arbeit 
ruhen. Bei der Frau aber hie es: 
Gejagt und gethan! Sofort padt fie 
Beute um Beute, die ihr gehörten, 
und stellt fie mit praftifchem Griffe 
jo fiher und feit und doch jo zart 
und fauft, als es nur der zärtliche 
Familienvater vermag, auf ihren 
Platz. Nicht genug damit. Alsbald 
öffnet ſie die Fluglöcher. Die „Beinle“ 
ſtürzen hervor, ſchon will eine Ab— 
theilung der ſchwarz und dicht heraus— 
gequollenen Maſſe im neugewonnenen 
Lichte der Freiheit über den Rand 
des Flugbrettes ſich herabwälzen; wie 
leicht könnte ſie auf die gerade naſſe 
Erde fallen! da tritt die Bienenmutter 
furdtlos und ohne Bedenten in die 
Hronte dor das Flugloch und 
reiht mit der bloßen Hand zart 
und janft die mit dem Herabſtürzen 
Bedrohten wieder dem Flugloche zu. 

Dieje Manipulation wiederholt die 
Fran einige Minuten, und faft jcheint 
es, als ob die „Beinle” ihre Mutter 
kennen. Sie beruhigen ſich zujehends 
und laufen bald friedlich an der 
Öffnung bin und wieder, meift fröh— 
lich brauſend, dajs fie jeht wieder 
Licht und Luft haben. Das war der 
Fran offenbar ein gutes Zeichen. Doch 
begnügt fie ſich nicht damit. Jetzt 
tritt fie — notabene ohne Bienen- 
haube, Helm, Bilier, Brille und wie 
die don kühnem Muthe zeugenden 
Schutmittel der Herren Bienenpäter 
alle heißen — von hinten zu ihren 
Völkern, die in mobilen Lagerjtöden 
untergebracht find, öffnet die Thüre 
und das Dedelbrett, nimmt mit der 
bloßen Hand (ohne Wabenzange) 
Wabe um Wabe heraus, bis jie er- 





kannt bat, daſs dur den Transport 
fein Schaden entitanden ift. Es 


gr 





eu 


iſt alles in Ordnung. Mit fichtlichen 
MWohlbehagen ſchließt ſie ihre Woh— 
nungen und ſchickt ſich an zum Weg— 
gehen, aber nicht ohne den Herren 
vom Comité und deren Dilfsarbeitern 
noch einmal, jegt im milderen Zone, 
die Vermahnung zu geben: „Lön Se 
mir meine Beinle ftehn; lön Se je 
bigott ſtehn; ich hab's Ihnen gjagt.“ 
Diefe Frau hatte auf einmal mein 
lebhaftes Intereſſe erwedt. Alles, was 
ich joeben an ihr beobachtet hatte, die 
ganze Art, wie fie ſprach, handelte, 
operierte, ihr ganzes Auftreten, feſt 
und bejtimmt, faſt männlich ſicher, 
imponierte mir. Sp trat ich denn 
ohne weitere Gomplimente zu ihr hin= 
zu, gab ihr im wenigen, aber herz» 
lichen Worten meinen Beifall an ihrem 
joeben an den Tag gelegten Verhalten 
fund, lobte insbejondere ihren Muth 
in Dantieren umd Operieren an den 
Bienen, worin e8 ihr in der That 
nicht jeder Bienenvater gleichthun 
dürfte. Sie nahm alle diefe Bemer— 
tungen anfangs kalt auf, meinte ſo— 
gar zwijchenhinein, da gebe es im 
Imkerleben noch ganz andere Beweife 
von Muth und Unerſchrockenheit ab» 
zulegen. Sie faſſe ihre Schwärme 
ohne Ausnahme mit unbeſchütztem 
Geſicht und freien Händen; es fomme 
nur darauf an, wie man ſich bes 
wege und wie man angreife. Da— 
mit hatte jie in der That das ganze 
Geheimnis enthült und da ich Hierin 
aus eigener Erfahrung ebenfalls zus 
ftimmen fonnte, erwedte ih in ihr 


Vertrauen. Meine Worte hatten auf 


einmal eingejchlagen. Die Brüde des 
offenen gegenfeitigen Austaufches der 
beiderjeitigen Erfahrungen war ges 
ihlagen und nun hielt fie, nachdem 


ih zur vollen Beruhigung meine We-— 


nigfeit nah Stand, Herkommen und 
Zwed des Hierſeins freimüthig vor: 
gejtellt hatte, nicht mehr zurüd, ſon— 
der geftattete mir — und dafür bin 
ih der fchlichten, braven Frau zum 
Dante verpflichtet — einen Einblid 
in ihre Bergangenheit, welche ſelbſt 


wieder ein Beweis dafür ift, dajs die 
folgenreichſten Wendungen in unferem 
menschlichen Leben nicht ein Refultat 
unſerer Berechnung, fondern Schidun: 
| gen von Oben, Winte von höherer Hand 
find, denen wir folgen müſſen, ob 
wir wollen oder nicht. Oder ift’s 
ı nicht ſeltſam und geradezu eine Fü— 
gung Gottes gemwejen, wie dieje Frau 
zur Imkerei kam? Laflen wir jie 
ſelbſt erzählen. 

„Ich bin“, jo Hub fie an, „von 
Haus aus ein arınes Soldatenfind. 
Mein feliger Vater focht unter den 
Grenadieren des Erzherzogs Karl bei 
Alpern und zog dann jpäter, nach— 
dem die blutigen Kriegsjahre endlich 
| friedlichen Zeiten gewichen waren, 
nad Mimik an der Mur. Hierher 
| hatte ihm fein bewegtes Leben zuletzt 
geführt; Bier fand er Wrbeit im 
Manrerhandiwert, das er in jeiner 
Jugend erlernt Hatte; hier gründete 
‚er jeinen Hausſtand, und bier wurde 
ich geboren. Jetzt willen Sie, lieber 
Herr, woher ih bin und warum ich 
gerade in Mirnig geboren werben 
mujste. Mein feliger Vater war aber 
jelber fein geborener Steirer oder 
Öfterreicher ; er hatte nur als Söldner 
unter öfterreichifchen Fahnen gelämpft. 
Er ftammte aus dem Nachbarlande 
zu Ihrer badiſchen Heimat, aus dem 
Elſaſs. Biel Schönes und Gutes Hat 
er uns Kindern von dieſer jeiner 
Heimat am Rhein erzählt, befonders 
von Strafsburg, „der wunderjchönen 
Stadt” und feinen: herrlihen Münfter, 
dejjen Thurm fogar Höher fein joll 
als der Stephanstgurn der Wiener, 
der doch auch ſchon ungemein Hoch 
fein mufs. Wohl haben des Vaters 
Freunde und Verwandte dann und 
wann noch einmal einen Brief aus 
dem Eljajs gejchrieben, aber mit des 
Vaters Tod hörte auch dieſes auf. 
Jetzt wiſſen wir gar nichts von des 
Vater Brüdern und Schweitern und 
deren Kindern. Bielleiht Haben fie 
und gar vergefien, wie das im der 
Melt eben jo geht. O wie gerne hätte 











a, 


ih meines Vaters Heimat einmal ges 
jehen und den Freunden am Rhein 
die Hand gedrüdt, aber es hat nicht 
jollen fein; früher war der Weg ohne 
Bahngelegenheit viel zu weit, und jeßt 
bin ich einfach zu alt zu folcher Reife. 
Aber denken thu' ich noch manchmal 
dahin umd gerade heute, wo ich mit 
Ihnen zufanımentreffen mufs, dent’ ich 
doppelt gern dorthin. 

Nun bin ich aber felber im Laufe 
der Jahre Gattin, Mutter und zuleßt 
Sropmutter geworden. Mein feliger 
Mann, dem ich die Hand für diejes 
Leben am Altare reichte, war ein 
Mirniger wie ih. Wir Haben in un— 
jerem eigenen Haufe gut gehaust und 
gut miteinander gelebt, wie es bei 
Ehriften fein fol. Doc ftarb er für 
mich und unfere Kinder viel zu früh. 
Sp mufste ih manches Jahr als ver: 
laſſene Witwe Haufen und die Finder 
Waiſenbrot effen. Das ift ein ſchwerer 
Etand, lieber Herr, wer den micht 
fennt, der weiß nicht, warum nad 
dem Worte der heiligen Schrift gerade 
die Witwen und Waifen ihre Sade 
dem Herren anbefehlen ſollen, wie ge— 
rade fie den gnädigen Beiftand Gottes 
und guter Menſchen fo nothwendig 
brauchen. Auch uns ift Gott beige- 
ftanden, bei Gebet und Arbeit hilft 
er allezeit; und an beiden hat es bei 
uns nicht gemangelt. Aber wir hatten 
noch einen ganz befonderen Segen, 
von dem follen Sie jet hören. Es 
war aber ein Dausfegen, den uns 
ein unbelannter fremder in das Haus 
bereingebradht hat. Das gieng aljo 
zu. Noch zu Lebzeiten meines jeligen 
Mannes zog eines Tages in unjer 
Mirnig ein fremder Herr aus Wien 
ein. Er war mutterjeelenallein, ſchon 
bei Jahren und wollte, wie er angab, 
den Meft feines Lebens im unſerem 
ftillen Orte zubringen. Was ihn ge= 
rade zu der Wahl unferes Ortes trieb, 
fann ich Ihnen nicht beftimmt jagen. 
Jedenfalls gefiel ihn unfer Murthal 
mit der „Bärnſchützſchlucht“', dem 
„Waſſerfall“, der „Drachenhöhle“ und 


den herrlichen Waldungen in der 
Nähe gar wohl, denn er war ein 
Naturfreund und bradte mande 
Stunde auf ftillen, einfamen Ge— 
birgspfaden und Waldmwegen zu, wo 
ihn die Leute nicht förten. Doc 
nicht blof3 die jchöne Natur zog den 
infichgelehrten Mann in unfer Thal 
und Ort; vielleiht war ihm auch 
das Treiben der MWeltitadt, in der er 
bisher gelebt Hatte, zumider geworden; 
am Ende Hat ihn gar dort ein ſchweres 
Schidjal getroffen, daſs es ihn nicht 
mehr da lieg, jo daſs er fort mujste, 
um der Ruhe feines Herzens willen. 
Wohl haben wir es ihm in der erften 
Zeit an manchem Tage angejehen, 
wie er um diefe Ruhe kämpfen mujste 
nit fich jelbft. Aber e8 war immer 
bald überftanden und dann war er 
jo ruhig, fill, zufrieden und gott» 
ergeben, als nur der beite Menſch und 
frömmſte Chriſt mit Gottes Beiftand 
jein kann. Und willen Sie, Hod- 
wilrden, wann unſer lieber Haus— 
freund- — denn das wurde mit der 
Zeit der jonderbare Fremde, am aller= 
ruhigſten, ftilliten, zufriedeniten und 
jogar glüdli war, er, der einjame, 
alleinftehende Dann? das errathen 
Sie nicht, aber wenn Sie ein echter 
Imker find, der mit den lieben Bie— 
nen zu leben und zu fühlen veriteht, 
wie e3 die guten ZThierlein verdienen 
und wie ed gute Menjchen follen, dann 
werden Sie es jet ahnen — dann, 
wenn er bei feinen Bienen war. 
Gleich nah feiner Anfiedelung hatte 
er fih Bienen getauft; fie ſaßen in 
zwei Strohlörben, wie jie bei den 
fteirifchen Bauern vor den Häufern und 
in den Gärten jtehen. Aber lange hat 
unser Hausfreund die altmodiichen 
Strohlörbe nit vor unferem Daufe 
ftehen laſſen. Sobald die Bienen ge= 
fauft waren, wurde bon demfelben 
auch eine Dobelbanf, ſowie das nö— 
thigfte Schreinerhandwerkzeug nebſt 
trodenen Brettern aus der Sägemühle 
herbeigeſchafft. Nun gieng’3 an ein 
Sägen, Hobeln, Nageln und Häm— 


2 


mern, daſs wir die wahre Schreiner= 
werfjtätte im Haufe hatten. Nur ge= 
leimt Hat unſer Hausfreund nie;! danke. 

denn ein rechter Bienenfchreiner, | Sie jehen, lieber Herr, wie viel 
pflegte er im Scherze zu jagen, es das gute Beifpiel eines einzigen bra— 
liegt aber eine Wahrheit darin, darf|ven und tüchtigen Menſchen mirken 
feinen Leim an die Finger friegen. | kann; es thut und leijtet mehr als 


zu den Bienen babe ich alfo dem 
fremden Dansgenofjen allein zu ver— 





Und nun hätten Sie ſehen follen, 


was für nette, ſaubere, praftifche 
Bienenhäuslein, die Bereinsherren 
nennen Solche „Wohnungen“, mit 


completer Einrichtung zum Ein= und 
Ausitellen, mit Fenftern und allem 
Zugehör aus der kunftfertigen Hand) 
unſeres HDausfreundes, der in den 
legten Jahren auch unjer Haus— 
genoffe wurde, hervorgiengen! Die 
Mirniger Bienenzüchter fahen anfangs 
mit Spott auf diefe Dolzvergeudung, 
wie ſie's nannten, und redeten nicht 
ohne Hohn unter fih von der neuen 
Wiener Mode in der Bienenzucht, die 
lie beffer verftehen mujsten. Aber die 
durch den Fremden nah Mirmik ges 
brachte Wiener Mode war eben doch 
die richligere und befiere. Wenn das 
Frühjahr kam, dann hatten nicht die 
Mixnitzer, jondern der fremde Herr 
aus Wien, unfer Dausfreund, die 
volljten, duftigften Honigtöpfe. Das 
fam aber daher: unſer Hausfreund 
itberließ feine Bienen nicht dem Zus 
fall; ſolches, pflegte er zu Jagen, fei 
für einen vernünftigen Menfchen, der 
feinen ihm dom Schöpfer verliehenen 
Berftand befige, ein underantwortlicher 
Leihtfinn. Der vernünftige Bienen» 
züchter müſſe zur Zeit nachjehen, nad = 
helfen, corrigieren und verbefjern, wo 
und wie es gerade nöthig fei. Gerade 
bei den Bienenhäuslein unſeres Haus— 
freundes gieng dieſes Nachjehen und 
Nachhelfen aber am leichteften. Alſo 
war feine Methode oder Mode, wie 
ſie's nannten, gewiſs die richtige. Ye 
länger, je mehr hatten wir alle, die 
Kinder, mein Mann, bejonders aber 
ih, unſere Herzliche Luft und Freude 
an den Bienen, die wir borher, wie 
jo viele Menſchen, gar nicht beachtet, 
ja nur gefürchtet hatten. Dieje Liebe 


er — —— — — — — — 


ganze Bände voll Bücher und Schrif— 
ten, aus denen unfereind oft gar nicht 
Hug wird. Aber no war ich feine 
Bienenzüchterin. Ich hätte auch zuerft 
gar nicht die Zeit dazu gehabt. Die 
Pflichten des Daufes ald Mutter und 
Witwe machten mir Heiß genug ; doch 
habe ich dem Hausfreund immer gerne, 
wenn es wie beim Schwärmen oder beim 
Honigichleudern dem  altgemwordenen 
Herrn zu bejchwerlih wurde, beiges 
ftanden, und dabei habe ich gelernt, was 
mir jpäter jehr zu ftatten kommen ſollte. 
Zum eigenen Betrieb kam ich aber auf 
diefe Weile. Der gute liebe Herr, der 
fo manches Jahr in unferem Haufe 
gewohnt hatte und einer der Unferen 
geworden war, fieng eines Tages an 
zu fränfeln und diefe Sranfheit, im 
der wir ihn jo gut verpflegten, wie 
es leibliche Angehörige nicht beſſer 
vermögen, war eine Krankheit zum 
Tode. Sein Gott hatte ihm dieſe 
legte Krankheit als einen Boten don 
Oben gefhidt, dafs es bald für ihn 
Zeit fei, aus der Fremde dieſer Erde 
in die ewige Heimat dort Oben ein= 
zufehren. Den Wink diejes Boten 
verftand unſer lieber Hausfreund, 
darum machte er als gehorfamer 
Knecht, der geht, wenn fein Herr 
dort Oben ihm zuruft, fich reifefertig. 
Da rief er eines Abends, es war fein 
legter auf diefer Erde, mid an jein 
Bett, nahm meine Hand in die feine 
und dankte mir noch einmal für alles, 
was ich und die Meinen an ihm, dem 
Fremden, Gutes gethan hatten. Dann 
fant er vor Schwäche in das Kiffen 
zurüd; Schon meinten wir, fein leßtes 
Stündlein ſei jebt gelommen, die 
kinder, die herbeigerufenen Nachbarn 
und ich beteten unter Schluchzen und 
vielen Thränen für ein gnädiges 


620 





Abſcheiden feiner Seele. Da ſchlug er ſelige Dausfreund; wenn mir tm 
noch einmal die lebensmüden Augen | Leben etwas wider den Kopf gebt 
auf, juchte mit zitternder, erfalfender und mein Herz anfangen will, unges 
Hand die meine, weil ich neben ihm |duldig und unruhig zu werden, damır 
ftand, und öffnete noch eimmal die gehe ich zu meinen Bienen, da ift 
Lippen zum Testen Worte: „Ver- mir's, als wirde der alte Freund bei 
gefät“, ſprach er, „meine lieben Bie- mir jtehen und mich tröften. Da zieht 
nen nicht; fie gehören Euer, wie Ruhe und Friede in das Herz hinein. 
alles, was ich habe, aber vergejät fie Und das ift aud etwas wert im 
nicht, verkauft fie auch nicht, es iſt Leben. Schon manchmal hätte ih von 
ein Segen darin.“ Das war ſein Liebhabern für die Bienen und ihr 
legter Wille, fein furzes, aber Heiliges |zierliches Haus, im dem fie mit ihren 
Teftament, dann wendete er das Haupt | Häuslein als unter einem Schuß 
zur Wand hinüber, wo des Heilandes und Schirm gegen Wind und 
Bild zu ihm herunterſah — und ver: |Wetter untergebracht find, ein jchönes 
ihied. So bin ich, eine alte Witwe, | Stüd Geld eintaufchen können. Aber 
eine Bienenzüchterin geworden. ch ſie find mir nicht für Geld feil. So 
mufste es merden, denn das Zefta= lange ich lebe, will und mußs ich fie 
ment eines Sterbenden, auch wenn |behalten, pflegen, lieben und hüten. 
es fein Notar gefchrieben und ver: | Sie haben mir's jet angethan und, 
fiegelt Hat, ift einem Ghriften Heilig. |wa3 die Hauptſache ift, es ift ein 
Schon mandes Jahr iit gelommen | Segen darin. 
und gegangen, feit wir den Haus— Zum Scluffe aber mujs ich gar 
freund zur Ruhe gebracht haben. Was ſchön bitten, Hochwiürden, halten Sie 
aber der Sterbende. deffen leßter Ges mich ja nicht für ftolz und hoffärtig, 
danfe feine verlafjenen Bienlein waren, |daj3 ich alte Banersfrau von Mirxnitz 
mir auf die Seele gebunden Hatte, hier in Graz die Landesausftellung 
habe ich gehalten. Mit aller Sorgfalt mit Bienen und Honig befuche. Von 
und Zreue, jo gut ich's vermag und ſelbſt hätte ich es nie gethan. Es Hat 
gerade fo, wie ich's bei ihm gejehen | mich Überwindung genug gekoſtet. 
und gelernt habe, bin ich den ver= Aber die Grazer Herren vom Bienen— 
waisten Lieblingen unjeres Hanse |vereine find an allem ſchuld. Dieje 
freundes eine liebende Mutter gewor= | haben mir, weil fie meinen Stand kennen 
den; darum thut mir’ jedesmal einen und mich dann und wann bejuchen, 
Stih in das Herz, wenn ich wie vor= |feine Ruhe gelaffen, bis ich zur Bes 
hin jehen mujs, dass unverftändige | [hidung der Ausstellung einwilligte 
oder herzlofe Menfchen die arınen und meine Theilnahme an der großen 
Bienen Jo unfanft ftoßen und quälen. |Wanderverfammlung verfprad. So 
Auch Habe ih es micht zu bereuen |bin ich hiehergekommen. Ich will 
gehabt, dafs ich eine Bienenmmtter, Gott danken, wenn ich exit wieder 
wie jie mich im Thale heigen, ge= |mit den armen Bienen die Stadt 
worden bin. Manch Schöner Gulden |verlaffen kann und wir mit einander 
ift mir duch die Bienen und ihren wieder zu Haufe find.“ Soweit die 
Honig zu rechter Zeit in das Dans jeinfache, aber ergreifende Erzählung 
gelommen. Ich ſelber aber Habe der Frau. Der geneigte Leſer und die 
noh einen befonderen Segen davon noch geneigtere ſchöne Leferin des 
gehabt. Meine Kinder lernten an den Blattes willen jeßt, warum ich mir 
Bienen die unfhäßbaren Tugenden herausnahm, die Gejchichte von der 
des Fleißes, der Sparjamfeit, der fteiriichen - VBienenmntter, welche der 
Ordnnungsliebe und der Eintracht. Ich |gejegnetfte und gemüthvoflfte Ertrag 
jelber habe es jeßt gerade jo wie der meines Grazer Aufenthaltes war, bier 








zu erzählen. Die liebe Bienenmutter 


möge mir wegen diejer Tchriftitelleris | 


ſchen Freiheit nicht böje werden. 


Damit aber der freundliche Leſer 
nicht an der hiftorischen Wahrheit des 
von mir mit etwas poetifcher Licenz | 
behandelten Stoffes zweifele, nenne 


621 





licher denn Gold, und viel 
Gold. 

Nun ade, liebe Bienenmutter von 
Mirmig! B'hüt Gott im neuen Jahre 
1891, und einen herzlichen Imkergruß 
von dem Sie hochſchätzenden geiftlichen 
Heren aus Baden, aus dem ſchönen 


feines 


ich bier zum Schluſs den ganzen | Nachbarlande de3 wiedergewonnenen 
Namen unjerer Bienenmutter. Sie deutſchen Elfajs, wo einft die Wiege 
Heißt Magdalena Hermann Ihres in Gott ruhenden Vaters ge— 
ve. und lebt, fo Gott will, bis | ftanden hat. 

auf diefen Tag in Mirnik an der Noch raufht der Rhein mit feinen 
Mur bei Graz in Steiermark. In der grünen Wellen zmwifchen den beiden 
That, es war fo, wie die Frau, die) Nachbarlanden mit ihren Brubderftäm- 
vor mir, dem Fremden, ihr gutes men mächtig durch die Ufer Hin! 
treues Herz ausgejchüttet hatte, exr= Noch grüßen des Schwarzwaldes fin- 
zählte. Einige Grazer Imkerfreunde, ftere Tannen im Morgen, und im 
mit denen ic im Laufe des Tages | Abendroth des Wasgaues blaue Berge! 
noch über den intereffanten Zwiſchen- Noch ragt Meifter Erwins herrlicher 
fall redete, Haben die Selbſtbekennt- Münfter zu Straßburg, „der wun— 
niſſe der braven, ehrenwerten Frau | derichönen Stadt“, majeftätifch zum 
mit Freuden beftätigt und die hohe! Dome des Himmels empor! Noch lebt 
Preisrihtercommiffion Hat diesmal | dentfche Art und Zucht, deutſche Sitte 
ihres Schwierigen Amtes gut gewaltet: | und deutſcher Glaube in dem treuen 
fie hat der Bienenmutter von Mirnig | Herzen eines biederen Volkes! Und 
zwei jchöne Preisauszeihnungen zu- deutihe Worte und deutſche Lieder 
tHeil werden lafjen. Dadurch iſt vor | klingen mächtiger und verheißungs- 
den Augen der Imkerwelt ihrem ftillen voller als je aus dem Munde eines 
Berdienfte die gebührende Anerken- | neuen Geſchlechtes zur Ehre des großen 
nung widerfahren. Den beiten Lohn deutſchen Vaterlandes! 

trägt die ftille Frau, wie ih weiß, B'hüt Gott! 

in ſich ſelbſt: diefer Lohn ift köſt— 


Als id den Gimmlifhen Altäre gebaut. 


Eine Erinnerung aus der Waldheimat von P. R. Rofegger. 


SAT 
I enn wir Finder die Woche 
—* über brav geweſen waren, ſo 

durften wir am Sonntage mit 
den erwachjenen Leuten mitgehen in 
die Kirche. Wenn wir aber beim lieben 
Vieh daheim benöthigt wurden, oder 
wenn fein Sonntagsjöppel oder fein 
guter Schub vorhanden, jo durften 


wir nicht im die Kirche gehen, auch) 
wenn wir brav gewejen waren. Denn 
die Schafe und die Rinder bedurften 
unſer wejentlich nothiwendiger als der 
liebe Gott, der nachgerade einmal Poſt 
Ichiden ließ: Leute, feid auf die Thiere 
gut, das ift mir fo lieb wie ein 
Sottesdienft. 


Wir blieben jedoch nur unter der 
Bedingung zuhauſe: „wenn wir einen 
Altar aufrichten dürften“. Gewöhnlich 
wurde und das erlaubt, und zu hoben 
Feſttagen ftellte der Bater das Wachs— 
licht dazu bei. Hatten wir unfere 
häuslichen Beihäftigungen vollbracht, 
etwa um neun Uhr vormittags, wäh 
rend im der Kirche das Hochamt mar, 
begann in unferem Waldhaufe Fyolgendes 
zu gejchehen. Die Haushüterin, war 
es nun die Mutter oder eine Magd, 
dub an am Herde mit Mehl und 
Schmalz zu Schaffen; der Haushüter, 
war es num der Vater oder ein Knecht, 
holte von der Wand „die Beten“, den 
Roſenkranz herab, vom Wandfaftel den 
Wachsſtock heraus, aus der Truhe das 
Gebetbuh hervor; und der Kleine 
Dalterbub, war e3 num mein Bruder 
Jackerl oder ih, huben an, die Heilig: 
thümer des Hauſes zufammenzufchlep- 
pen auf den Tiſch. Bon der Kirche 
waren wir weit, feinen Glockenklang 
hörten wir jahraus und jahrein; alfo 
mufsten wir uns felber ein Gottes» 
haus bauen und emen Altar. Das 
geſchah zuhalb aus kindlichem Spiel- 
hange und zuhalb aus kindlicher Chriſt— 
gläubigkeit. Und wir — mein Bruder 
Jackel oder ich, oder beide zuſammen — 
nadhten es ſo: Wir ſchleppten das 
alte Leben-Chriſti-Buch herbei, das 
Heiligen-Legenden-Buch, die vorfind- 
lihen Gebetbücher, unſere Schulbücher, 
das Vieharzneibuch und jegliches Pa— 
pier, das fleif gebunden war. Solches 
gab das Baumaterial. Die Bücher 
ftellten wir auf dem Zifche jo, dajs 
fie mit dem Längenichnitt auf der 
Platte ftanden und ihre Rüden gegen 
Himmel redten; wir bildeten daraus 
ein zufammenhängendes Halbrund, 
gleihwie der Raum des Presbyterinums. 
Un die Wände diefes Halbrundes 
lehnten wir Hierauf die Papierenen 
buntbemalten Deiligenbildchen, welche 
in den Büchern zwijchen den Blättern 
aufbewahrt geweien, zumeift von Ber: 





ſchiedene Heilige darftellten. Die hei- 
ligen Florian und Sebaftian kamen 
in der Regel ganz vorne zu ftehen, 
denn der eine war gegen das Feuer 
und der andere gegen das Waſſer, 
alfo gegen die zwei wilden Schreden, 
die den Menſchen alleweil auf kürzeſtem 
Mege den Himmliſchen zujagen. An 
Namenstagen von uns, oder an Jonftigen 
Heiligenfeften erweilen wir aber dem 
betreffenden Heiligen die Ehre, im 
Bildchen ganz vorne ftehen zu bürfen. 
Am Dfterfefte, am Chrifttage, fand ſich 
wohl ein Oſterlamm mit der Fahne, 
oder ein holdes Kindlein auf dem Heu. 
Letzteres wollte einmal am Ehriftfeite 
mein Bruder nicht anerkennen, weil 
fein Ochs und fein Eſel dabei jei, 
worauf der alte Knecht fih ganz ruhig 
zu und wandte und jpradh: „die müſſet 
halt ihre zwei fein!“ 

Maren nun die aus Büchern be= 
ichriebenerweife geformten Wände mit 
ſolchen Bildlein, auch Heine in Glas 
gefajste „Breverln“ darunter, beiehnt, 
jo fam vom eigentlihen Hausaltare 
hoch oben in der Wandede das 
Grucifir herab und wurde mitten 


in das Halbrund geftellt. Das war 
der eigentliche Mittelpunft unſeres 


Heiligthumes. Bor dem Erucifir kam 
hernach der Wachsſtock zu ftehen und 
wir zündeten ihn an, Nicht zu jagen, 
welche zeierlichkeit, wenn nun das 
Kreuz umd die Deiligenbilder röthlich 
beleuchtet wurden, denn jo ein ger 
weihtes Wachsliht gibt einen ganz 
anderen Schein, als die Flebrige Talg— 
ferze oder der harzige Brennſpan, 
oder gar im Waflerglafe das Ollicht— 
fein, „welches bei der Nacht nur jo viel 
jcheint, dajs man die Finfternis ſieht“. 
Die Sonne, welde draußen leuchtete, 
wurde abgejperrt, inden wir die Fen— 
fter verhüllten mit blauen Sacktüchern, 
wir wollten den himmliſchen Schein 
ganz allein Haben im unferen Tem— 
pelchen. Wenn nun gar erit Allerjeelen 
war und ein Bildchen mit den armen 


wandten, Bathenleuten, Wallfahrten | Seelen im Fegefeuer vor dem Kreuze 
als Angedenken ftammten und ver= | lag, da gab's eine Stimmung, die zur 


* 


v 


623 


Andacht nachgerade zwang. Knieten 
wir dann um den Zijch Herum, fo 
daſs unfere Knie auf den Sigbänfen, 
ungjere Ellbogen auf der Platte fich 


ſtützten, umd beteten laut jene lange 


Reihe von Baterunjern und Avemariens 
mit Ausrufung der „Geheimniſſe“ aus 
dem Leben des Herrn, welche der 
Rojenkranz, oder auch der Pſalter ge— 
ntannt wird. ch wendete während des 
ganzen Gebetes feinen Blid von den 
bildliden Darftellungen. Natürlich jah 
ich nicht das Papier und nicht die 
Farben, ja felbft die Bilder als ſolche 
nicht, ich jah die Heiligen leibhaftig, 
fie waren mir in der That anweſend, 
fie hörten freundlich auf unfer Gebet, 
fie liegen uns hoffen auf ihren Schuß 
und Beiftand in Tagen der Noth und 
Gefahr, fie nahmen gütig die Liebe 
unferer Herzen an, und alfo Fchlofjen 
wir mit ihnen vorweg ſchon Bekannt— 
Ihaft für die ewige Gemeinſamkeit im 
Himmel, der wir ja entgegenftrebten. 
— O meld ein herrliches Gut ift der 
Glaube, unendlich mächtiger, ſchöpfe— 
riſcher, bejeligender, erlöfender, als 
alles Willen und Wähnen der Jrdifchen. 

War endlich die Andacht zu Ende, 
jo loſch der Knecht die Kerze aus und 


wir hüpften aufs Fletz hinab; bald! 


krochen wir freilich wieder auf den 
Tiſch, um gemächlich den Tempel zu 
zerftören und feine Theile wieder an 
Ort und Stelle zu bringen, woher 
wir fie genommen, denn der Tijch 
jollte nun Schauplaß anderer Ereig- 
niffe werden. In der Küche war aus 
Mehl und Schmalz eine Pfanne voll 
Sterz fertig geworden und dieje Fam 
herein, um unfere fonntägige Andacht 
zu krönen. So war's der Braud 
am Sonntag Vormittage von der 
neunten bis zur zehnten Stunde, 
während die anderen in der Kirche 
ſaßen oder vor derjelben ſich für das 
Wirtshaus vorbereiteten. — Solches 
waren freilich Freumdlichere Wandlungen 
des Tiſchaltares, als es jene geweſen im 
Hauſe des Waldpeter. Halten die 
aufſichtsloſen Kinder in der Chriſtnacht 


auf dem Tiſche aus Büchern und 
Papierbildchen einen Tempel gebaut, 
denſelben mit einem nach unten halb— 
offenen Buche eingedeckt und eine 
brennende Kerze in das Heiligthum 
geſtellt. Noch zu rechter Zeit kam der 
(Maldpeter herbei, um die auf dem 
| Zifche entitandene Feuersbrunſt zu 
löfhen. Darauf ſoll es feinen Sterz 
gegeben haben, jondern Fiſche. 

Noch erinnere ih mich an einen 
'befonderen Tag. Ein gewöhnlicher 
‚Wochentag war's im Winter; ich be— 
Ihäftigte mich in der dunklen Futter— 
ſcheune, um mit einem Eiſenhaken, 
dem Heuraffel, Deu aus dem feſtge— 
tretenen Stoße zu reißen umd in die 
Ställe zu tragen. Da fiel es mir 
plöglich ein, ich müſſe diefe Arbeit 
bleiben laffen, in die Stube gehen und 
auf dem Tiſche einen Altar bauen. 
Die Mutter war mit meinem jüngften 
franfen Schweſterchen beſchäftigt, 
kümmerte ſich alſo nicht um mich und 
ich ſtellte aus Büchern und Bildchen 
den gewohnten Tempel auf, als ſollten 
die Leute nun zuſammenkommen wie am 
Sonntage und beten. Wie ich hernach 
| das hölzerne Erucifir Hineinftellen wollte, 
that ich es nicht, ſondern gieng durch 
die Stube zu einer Sigbanf hin, über 
welche ich das Kreuz vermittelfi eines 
Schnürdens an die Wand hieng. 
Und da war es, als ob auch die an— 
deren Ähnliche Gedanken hätten mitten 
im Werktage; der Bater wurde ins 
Haus gerufen, er holte aus dem 
Schrank den Wahsftod hervor, zün— 
dete ihn an, doch anftatt ihn an meinen 
Altar zu Stellen, gieng er damit ans 
Bettlein, two das zweijährige Trauterl 
lag; fie begannen halblaut zu beten 
und die Mutter neßte mit Eſſig die 
Stirn des Schmwelterleins. — Plötz— 
lich hielten fie im Gebete ein, da war 
es till, jo grauenhaft fill, wie es 
bisher nie geweſen auf der Melt. 
Dann hub die Mutter an zu Schluchzen, 
erſt leife, hernach heftiger, bis fie, in 
ein lautes Weinen ausbrehend, ſich 
über das Köpfchen des Kindes nieder- 








624 








beugte und es mit wilder Gier berzte !Sarge, neben mir die Mutter, der 


und küſſste. Das Schmweiterlein aber 
that nichts desgleihen, die hageren 
Händchen auf der Dede ausgeftredt, 
im Gefichte ſchneeweiß, mit halbgeöff- 
neten Augen lag es da; die flads- 
zarten Loden giengen nad rüdwärts 
und waren noch feucht von dem Eſſig. 

Der Vater trat zu uns übrigen 
Kindern und ſagte leife: „Jetzt Hat 
uns die Trauderl halt ſchon verlaffen.* 

„Sie ift ja da!“ rief der Bruder 
Jackerl und ftredte feinen Finger aus 
gegen das Bett. 

„Ihre unfchuldige Seel’ hat der 
liebe Herrgott zu fi genommen, fie 
ift Schon bei den Engelein.” 

Wer von uns es nicht wujste, 
der ahnte nun, unfere Heine Schweiter 
war geftorben. 

Wir Huben an zu weinen, aber 
nicht fo fehr weil das Schweſterlein 
geftorben war, jondern weil die Mutter 
weinte. Im meinem Leben Hat mich 
nichts fo jehr ans Herz geitoßen, als 
wenn ich meine Mutter weinen jah. 
Das geihah freilich jelten, heute ver- 
muthe ich, dafs fie viel öfter gemeint 
hat, als wir es ſahen ... . 

Nun kamen die Knechte und Mägde 
herein, fanden um das Bettlein 
herum und fagten mit flüfternden 
Stimmen Liebes nnd Gutes von dem 
Finde. Der Vater Iniete zum Tiſche, 
wo — Siehe da! — der Altar auf- 
gerichtet fand, und begann laut zu 
beten; er rief daS Kreuz und Leiden 
des Heilandes an, feine heiligen Wun— 
den, feine Todespein und feine Auf— 
erftehung. Er jagte den Spruch vom 
jüngften Tage, wie auf des Engels 
Poſaunenſchall die Todten aus den 
Gräbern fteigen werden. Ich ſah alles 
vor mir. — Dunfel war's und däm— 
mernd wie im Morgenrothe; der 
Himmel war verhüllt mit Wolken die 
einen vothen Schein hatten, wie Rauch 
über dem Feuer. Aus allen Gründen 
— foweit das Auge reichte — fliegen 
Menſchen aus der Scholle empor. Ach 
jelbit jah mich hervorgehen aus dem 


Bater in langen weißen Gemwändern, 
und aus einem Hügel, der mit Roſen 
bededt war, froh — ſchier ſchalkhaft 
lugend mit Heflen Auglein — das 
Trauderl und hüpfte zu uns heran... 

Während wir beteten, ſenkte die 
Nachbarin Katharinga das Leichlein in 
ein Bad, befleidete es dann mit weißem 
Hemde und legte es auf ein hartes 
Bett, auf die Bank zur Bahre. Mit 
Leinwand ward e3 zugededt; an jein 
Haupt ftellten fie den Wachsſtock mit 
dem Fichte und ein Weihwaſſergefäß 
mit dem Tannenzweig. Vom Wltare 
nahmen fie die Heiligenbildchen, um 
jolhe als lebte Gabe der Heinen 
Trauderl an die Bruft zu legen. Der 
Bater Hub an das Cruzifix zu juchen, 
um es zu Däupten der Bahre hinzu— 
jtellen, ex fand es nicht, bis die Nach— 
barin Katharina ſah, daj3 es jchon 
an der Wand hieng, gerade über dem 
Leichlein. 

Alfo ift e8 geweſen, daſs eine 
Stunde vor dem Sterben de3 Schwe— 
fterleins mir Ahnungslofem eine un— 
ihtbare Macht die Weifung gab: gebe 
in die Stube, denn fie werden bald 
alle hineingehen ; baue den Altar, denn 
fie werden beten; hänge das Kreuz 
an die Wand, denn es wird dort ein 
todtes Menfchentind Hingelegt werden. 

Mir giengen hin und jchauten die 
Trauderl an. Es iſt nicht zu bejchrei= 
ben, wie lieblih ſie anzuſchauen war 
und wie ſüß fie Schlief. Und da dachte 
ih daran, wie fie noch wenige Tage 
früher voll hallender Freude, glühend 
am Wänglein und glühend im Aug— 
lein, mit uns Berftedens geſpielt. 
Sie veritedte fih immer hinter dem 
Dfen, verrieth ſich aber allemal jelbit, 
noch bevor wir an Sie heranlamen, 
durch ein helles Laden. 

Bald kamen die Nachbarsleute, fie 
knieten nieder vor der Bahre und beteten 
‚Hill. Im ganzen Haufe war eine große 
Feierlichteſt und ich — der ih fo 
umberftand und zuſah — empfand 
etwas wie Stolz darüber, das ich 





eine Schweiter hatte, die geſtorben war 


und foldhes Auffehen und ſolche Weihe 


bradte. 
Nah zwei Tagen am frühen Mor: 


gen, da e3 noch dunkel war, haben 


fie in einem meißen Trühlein die 
Trauderl dadongetragen, Wir Ge— 


ſchwiſter konnten fie nicht begleiten, 


denn wir hatten feine Winterfchuhe 
für den weiten Weg nad dem Pfarre 
dorfe. Wir blieben daheim. Und als 


alle laut betend davongezogen waren | 


und das bon dem Haufe hinweg» 


meine ältere Schwefler mit niederge- 
Ihlagenen Augen in der Stube um— 
gieng, angetan mit rofenfarbigent 
Kleide und dem grünen Rosmariu— 
Hamm im braunen Haar, und ein 
Ihöner junger Menfch unfern von ihr 
ftand, fie heimlich anblidend in Glüd- 
jeligfeit, hob ich meinen lieben Chriſtus 
wieder einmal auf den Tiſch herab, 
ob er vielleicht zufehen wolle, was da 
war und werben follte. 

' Da traten die zwei jungen Leute 
vor den Tifh Hin, nahmen ih an 





ſchwankende Laternlicht noch feinen der rechten Hand und fagten ganz 
zudenden Schein warf durd die Fen- leiſe — aber wir hörten es doch alle — 
fter in die Stube herein, ftand ih | „Wir wollen treu zufammen leben, 
(meine Geſchwiſter fchliefen noch ruhe bis der Tod uns ſcheidet.“ 
jam in ihrer Kammer) eine Weile vor) Auf meinem Lebensmwege bin ich 
der Bank und ſchaute auf die Stelle, fhon an vielen Altären vorüberge— 
hin, wo das weiße Geftaltlein gerubt wandelt. An Altären der Liebe und 
hatte. Das Weihmwafjergefäß war noch | des Haffes, an Altären des Mammons 
da, und beim Morgenroth, das matt | und des Ruhmes — ich habe jedem 
auf die Wand fiel, ſah ich dort daS | geopfert. Aber mein Herz, mein ganzes 
Kreuz hängen mit dem fterbenden Chri- Herz habe ih nur an jenem einen 
us, der nun mein einziger Genofje Altar niedergelegt, der einft in der 
war in der ftillen Stube. armen Stube des Waldhaufes geftan- 
Ich nahm ihn von der Wand und |den. Und wenn ich weltmüde dereinft= 
begann ihn auszufragen, was die malen die Himmelsthür fuche, wo 
Seele der Trauderl denn wohl made kann fie zu finden fein, al3 in dem 
im himmlischen Reid. — Es ift feine | dämmernden Wandwinfel über dem 
Antwort auf Erden. Ich ftellte das | Tische, wo das Heine hölzerne Erucifir 
Erucifir wieder auf den Hausaltar, | geftanden. Kreuze habe ich gejehen 
der hoch im Wandwinfel war, und aus Gold und an Ehren reich, Kreuze 
dort fand es im Heiliger Ruh, es aus Elfenbein, gefhmüdt mit Dia- 
mochte Kummer fein in der Stube, manten, Kreuze, an weldem Weihe 
oder Freude, beides war oft und manch- und Ablaf3 hieng — bei feinem habe 
mal im rafhen Wechfel, wie es Schon ich je Gnade gefunden. Das arnıe 
geht auf diefer Welt. Kreuz in meinem Baterhaufe wirh 
Nah Jahren, als eines Tages | mich erlöfen. 


Rofgger’s „„Ürimgarten‘, 8, Heft, XV. 40 





Kleine Saube. 


Brieger-Bundes-Pied 


der fteirifchen Deteranen, 


Den Frieden im Herzen, das Schwert in 
der Hand, 

So fteh'n wir zur tapferen Wehre 

Im fröhlien glorreihen Kriegerftand, 

Dem Landesvater, dem Baterland, 

Der Heimat zu Schub und Ehre. 


Groberungsluftig nicht droh'n wir der Welt 
In eitlem Ruhmeswahne. 

Der urdeutfchen Erbe ein ferndeuticher Held 
Vertheidiget jeder auf blutigem Feld 

Des Kaiſers heilige Fahne. 


Tor Muth und die Treue find unſer 


Geipann, 
So ſchlagen wir uns fonder Bangen 
Trog Feind und Wicht und viel jchledhten 


Mann 
Durch Tod und Teufel zum Himmel hinan, 
Die Palme des Sieg's zu empfangen. 


V. R. Roſtgger. 


Vom Erzherzog Johann. 


Das ſeit 1878 ben Haupfplatz in 
Graz zierende Brunnen-Denfmal 
verewigten Erzherzogs Johann it ein 
fo Schönes und gedanfenvolles Kunit- 
wert, daſs man fih wundern mujs, jo 
jelten jemanden in Betrachtung des— 
jelben zu jehen. In den erften Jahren, 
wo die Statuen noch nicht jo rußig 


des | 


ſchwarz waren, wie fie es (vielleicht durch 
‚die erfünftelte jog. Patina) geworden 
find, war dies noch weniger erflärlid. 
Für den oft zu Reclamezweden gerühm- 
ten Kunſtſinn der Grazer jpricht das 
gerade nicht, mwenigftens in Bezug auf 





ı bildende Kunſt; mit Theater und Muſik 
iſt es wohl | 
| dies 
bald als alltäglih und jelbftverftänd- 
‚li überjehen zu werben, auch bie 


anders, Übrigens theilen 
Schickſal öffentliher Denkmäler, 


zahlreihen, auf den Wiener Plägen 
und Neubauten berumjtehenden, mit» 
unter koſtbaren Sculpturmwerfe; aber 


wir hieran armen Örazer hätten umſo 
weniger Grund, über einen jo hervor— 
ıragenden Schmud unjerer Stadt jo bald 
zur Tagesordnung überzugehen. Gleich» 
giltigfeit für den Wohlthäter der Steier« 
mark, welden das Denkmal feiert, iſt 
es fiher nicht, und die Inſchrift bleibt 
| wahr: Unvergeffen bleibt im Volke, der 





des Volles nie vergab. Was den Haupt- 
'gegenftand betrifft, jo hätte fih der Erz— 
berzog wohl etwas minder gealtert dar- 
‚stellen laffen, wenn man auf frühere 
Bildniſſe zurüdgegriffen hätte. Natürlich 
‚wird dies Perfonen feiner fteten Umge— 
ı bung nicht befremden, ja fie werden ihn 
jo am friicheften im Gebächtniffe haben; 





aber jemandem, der ihn in feiner rüjtig- 


jten Lebenszeit geliehen bat und jeither 


nicht, muſs es auffallen. Ich ftand bald 


nad Errichtung des Denkmals dort 
neben einem alten Bauern, der diejelbe 


Bemerkung machte. „Miajelfühti” fand 
er gar die Darftellung. Das war wohl 
ein übertriebener Ausdruck; krankhaft it 
das Ausjehen nit; aber jo wie der 
hohe Herr in feinen 30er, 40er Jahren 
über Berg und Thal gieng, das Joan— 
neum, bie Landwirtichaftsgeiellichaft grün- 
dete :c. ꝛc., möchte ihn ein alter Zeit« 
genofje verewigt jehen. So mag er mım 
eben jeinen Abſchied von uns vor 
jtellen; auh gut! — 

Da taudhen einige Erinnerungen aus 
den erften Zwanziger-Jahren auf, die be 


zeichnend für jeine Natürlichkeit und 
Menichenfreundlichkeit find, kleine Züge 
zu jeinem Oejammtbilde. Bei einer 


Einkehr des Erzherzogs in unjer bürger- 
liches Haus wurden zur Erfrifhung eben 
reife SJohannisbeeren angeboten; alle 
feine Begleiter aßen fie mit Zuder; nur 
er nannte dies eine Verfünitlung und 
Zederei, und ab fie ſauer, wie fie waren. 
Um jene Zeit war Verwalter ber Ad— 
monter Stiftsherrſchaft Gſtatt im oberen 
Ennsthale Herr Karl Schweighofer, ein 
für Volksbildung und Gemeinwohl be— 
geiſterter junger Mann, alſo dem Erz— 
herzoge, welcher damals viel in jener 
Gebirgsgegend verkehrte, anhänglich und 
öfters in ſeinem Gefolge. Dieſer erlebte 
Folgendes: Anf einem Gange in den 
Sölker Alpen der Niederen Tauern, wobei 
auch Schweighofer war, lag fchattenjeitig 
noch jtellenweile Schnee. Die Kleine Ge- 
tellichaft gieng in einfacher Reihe an einem 
fteilen Abhange fort und überquerte eine 
lange Echneerunje, auf welder ſich eben 
Schmeighofer befand, al3 der zugführende 
Jäger zurüdrief: „Aufg'ſchaut! hiaz 
femmen die Öfen (Felswände).“ Dies 
war das lebte, was Schweighofer hörte; 
in demfelben Augenblide verlor er das 
Bewuſstſein, denn der Schnee unter jeinen 
Füßen fuhr ab in die jchwindlige Tiefe, 
mwobin auch er geftürjt wäre, wenn er 
nicht nad kurzer Strede mit einem Arme 
tief in älteren Schnee geſtoßen märe, 
wodurch er hängen blieb und der Neu— 
ſchnee ohne ihn weiter abſchoſs. Es galt 
nun, den Ohnmächtigen zum Pfade her— 
aufzubolen; um zu ihm hinab zu ge 


—— — —— — — — —— — — — — — — — — — — — 


— 


langen, bildeten auf Vorſchlag des Erz 
herzogs alle mit ausgeftredten Armen 
eine Fette, im welche auch er jelbit ſich 
einfügte, und deren oberjtes Mitglied 
fih an einem Steine fejthielt. So wurde 
der Verunglüdte mühſam beraufgebract, 
in die nächte Sennhütte getragen, wo 
er bald wieder zu jih fam und banfbar 
die Hilfeleiftung des hohen Herrn erfuhr. 
— Deſſen Gönnerjichaft fand bald noch 
weiteren Stoff. Als Herr Schweighofer 
die jchöne und fanfte Johanna v. Gun— 
dersdorf aus Kärnten als Braut beim: 
führte, veranftaltete der Erzherzog ein 
national gefärbtes Hochzeitfeft in Gitatt, 
wozu zahlreiche Herren und rauen aus 
nädjter und fernerer Umgegend (bis 
Auffee und Admont) als Gäſte geladen 
wurden, mit der Aufforderung, in ober- 
fteiriiher Volkstracht zu erjcheinen. Es 
foll ein jehr lebhaftes und heiteres Feſt 
gewejen jein, wobei natürlich fleißig 
jteirifch getanzt wurde, unter anderen 
vom Erzherzog jelbit mit feiner ebenfalls 
dort erjchienenen künftigen Gemahlin, jo 
dafs wohl jener Tag als eine Station 
in jeiner Liebes: und Eheſtandsgeſchichte 
anzunehmen fein dürfte, Es ijt eine 
meiner frübeften Jugenderinnerungen, wie 
damals meine Eltern in fteiriichem Au— 
zuge zur Gftatter Hochzeit abfuhren. 
Ich muſs hier bezeugen, dajs Die 
bei unjeren Gebirgsferen beliebten nadten 
Knie nicht Steirertradt, jondern 
eingeführte Tirolertracht find, und auch 
in Zirol nicht allgemein, wie man aus 
dortigen Coſtümbildern jehen kann, Bon 
den hochrotben Bruftfleden mit Goldbörtl 
weiß ich dies nicht jo beftimmt, wie von den 
Hofen. Seine Leder⸗(„irchene“)Hoſe trug 
der Steirer, jung und alt, über das 
Knie und den Anfang de3 Scienbeins 
hinab, dort auf der Außenſeite etwas 
aufgeichligt und mit ein paar Knöpfen 
und einem Bändchen zu jchlieken oder 
nach Bedarf für freie Beweglichkeit und 
Kühlung offen zu laffen; auch wohl zur 
längeren Schonung der Hole, da bie 
Aniebeuge die geichloffene Hofe am Knie 
nach und nad ausdehnte und abnüßte, 
Anker bei der Arbeit und beim Berg- 


40* 


fteigen aber war der Steirerburjche nett 
gefnöpft und geknüpft, nicht jo Ichlotterig 
und zerlumpt, wie mitunter Herren zu 
vermeinter Ländlichkeit ſich masfierten, 
ehe jene Xirolertradt bei uns auffam, 


Sb börte einmal am Ufer des Alt: 
ausjee3 einen Fremden jein entrüftetes 
Staunen ausſprechen, daſs er bort 


Damen mit einem in folder Maske ſich 
hinflegelnden Doctor aus Wien freund« 


628 


tiſcher Beziehung, nämlich in Bezug auf 
Gefundheit und Bequemlichkeit, dürfte ih 
Bortheil und Nahtbeil des Aniebededens 
oder Nichtbededens jo ziemlih die Mage 
halten. Aber die allerpraftiichefte Rüd- 
fiht wird vermuthlich die Tirolertradt 
erfunden haben; einer, deſſen Hoje am 
Knie „bin“ war, und aud deſſen Strümpfe 
an Ferſe und Zehen, ſchnitt wichſeriſch 
die jhadhaften Theile an beiden ab und 


lich converfieren jah: „mit jo 'nem zer» gieng in Wadenftügeln herum; die leidige 
lumpten Burſchen“. Da ich furz zuvor | Erfahrung, dajs die Hojen am Anie und 


Zeuge war, wie fi der junge Herr den 
Spaſs gemacht hatte, einen Fremden 
über den See zu rudern und den an— 
gebotenen Lohn mit Eröffnung ſeiner 
Doctorſchaft abzulehnen, ſo konnte ich 
den anderen Herrn über dies Verhältnis 
belehren; er meinte: „Aber doch, aber 
doch!“ Die eigentliche Steirertracht, 
wenigſtens in Bezug auf die Beinbeklei— 
dung, iſt unter anderem erſichtlich auf 
dem bekannten Bilde des Erzherzogs 
Johann „auf dem Hochſchwab“ von 
P. Krafft 1818. Ich weiß nicht, ob 
unſer Kaiſer die Tiroler Hoſen in ſeiner 
Jagdkleidung zuerſt bei uns eingeführt 
hat oder andere Herren. Der Monarch 
kann natürlich jede ihm gefällige Tracht 
ſeiner Völker wo er will tragen, auch 
die ungarische, polnische oder dalmati- 
niiche, jowie ein König von Großbritan— 
nien die jchottiiche ohne Holen tragen 
könnte, (Die Verfeinerung bei der fteiri« 
ihen Hojenform, am aufgefnöpften Knie 
eine weiße Unterhoje jehen zu laflen oder 
herauszuzupfen, ift allerdings auch nicht 
jtilgemäß.) Die Tirolertracht mit den 
nadten Knien und eigentlich auch nadten 
Füßen ohne Strumpf in den Schuhen 
bat den Reiz des Eigenthümlichen, Sons 
berbaren, ſteht beſonders joldhen, die fich 
eines hübjchen Knies bewujst find, und 
macht auch den Eindrud männlicher Ab- 
bärtung. Im ſchottiſchen Hochlande hat 
zwar ein Bergführer den Hofrath Tunner, 
auf deilen theilncehmende Frage, ob e3 
ihm bei diefer Hochlandstracht nicht kalt 
in den Beinen jei, entgegengefragt: 
„Have you cold in your face ?* (Sit 
denn Ihnen im Geſicht kalt?) In praf- 


die Strümpfe im Tritt zuerjt zugrunde 
gehen, machte das Auskunftsmittel bei 
den Burjchen der Gegend allgemein. Es 
ift, ſowie ich glaube, daſs auch die 
Heinen sFenjter der Bauernhäuſer und 
die Steinbeijhwerung der Dächer nicht 
eine Geihmadsjache, fondern Sparjam- 
keitsſache waren megen uriprünglider 
Theuerung des Fenſterglaſes und der 
Dachnägel. — Was die übrige fteiriiche 
Traht anbelangt, jo haben Rod ımd 
Hut (erjterer wohl immer grau und 
grün, legterer grün) von jeher zwiſchen 
leihteren und jchwerfälligeren Formen 
gewechjelt. 

Bom Erzherzog Johann habe ic er- 
zählen gehört, daſs er bei den Jagden 
auf jeinem Brandhof an jeinen dort ein 
quartierten Jagdgäſten Zimpferlichleiten 
und Anjprühe auf Eleganz, als zum 
edlen MWeidwerfe nicht pafjend, ſcharf 
bemerkte und fie in Verlegenheit zu jegen 
juchte, 3. B. Spiegel aus den Gaft- 
jimmern entfernte und badurd unter 
anderem das Nafteren, wenn es jemand 
wollte und nit ohne Spiegel konnte, 
wie er jelbft, verhinderte. Wie muſste 
es ihn erft empören, al3 er im Zimmer 
eines älteren Herrn ein Fläſchchen wohl- 
riechendes Waſſer fand! Es wurde aus- 
geleert und anftatt deſſen mit Pechöl 
gefüllt ; die Überraſchung für den Beſitzer 
mag übel genug geweſen ſein, beſonders 
wenn er ſich etwa den Parfum haſtig 
auf Hand oder Sacktuch oder wohl gar 
auf den Kopf goſs. Sein Berdadt fiel 
aber fofort auf ein anderes Mitglied der 
Jagdgejellibaft, einen nedereiliebenden 
Mürzthaler Gewerken, und diejen jtellte 





BRETT 





er 


am Sammelplage darüber heftig 
zur Rede und das Wortgefecht wurde 
jo arg, dajs ein Wiſſer den beleidigten 
Stadtherrn auf die Möglichkeit eines 
anderen Urheber aufmerfjam machte. 

L. S. 


Des Bauernhelden lekter Brief. 


Mitgetbeilt von Roloman Ralfer. 


Die landſchaftliche Schönheit des Raj- 
feierthales ift allgemein befannt. Die 
terrafienförmig auffteigende Thalfläche rechts 
und links mit Wald, Feld und Gehöiten, 
die zerjtreut umherliegen, bieten jchöne, 
reizende Bilder, und ber jtille Frieden, 
der über der ganzen Landſchaft jchmwebt, 
verjegt den wandernden Fremdling in eine 
mweihevolle Stimmung. Und aud die Er- 
innerung wird wach, denn mir find 
in der Heimat des berühmten Freiheits— 
fämpfers Andreas Hofer. Derjelbe 
ward im Wirtshaufe „Am Sand“ (da- 
ber der Name Sandbmwirt), eine Viertel. 
ftunde von dem Kleinen Pfarrdorfe St. 
Martin entfernt, am 22. November 1767 
geboren und hatte hier als Gaftwirt, 
Getreide» und Pierdehändler ein ruhiges, 
einfaches Leben geführt, bis ihn em 
merkwürdiges Gelhid zum Helden, Mär: 
tyrer und berühmten Manne machte. 

Das Sandwirtshaus, auf welchem 
jegt ein entfernter Verwandter Hofers die 
Wirtſchaft führt, ijt ein einfaches Bauern- 
baus mit Söller und Giebeldah. An den 
Außenwänden des Gebäudes hängen ver- 
ſchiedene Schügenjcheiben und unter dieſen 
ein Schild, auf weldem folgende In— 
ſchrift ſteht: 

Andre von Hofer und Anna von Hofer, 
geb. Ladurner. 

Bor dem Haufe jprudelt im Schatten 
riefiger Bäume ein Röhrbrunnen und 
nebenan fließt die wilde Paſſer rauichend 
vorüber, Im Innern des Haufes jelbit 
ift alles lieblih und anbheimelnd, Der 
freundliche Befiger führte uns durd alle 


629 


“ 


Räumlichkeiten, in denen Hofer gewohnt 
hatte, und zeigte uns Die noch vorhan- 
denen Erinnerungsftäde: Kleider, Waffen 
u. dgl. Auch ein „Gedenkbuch“ liegt auf, 
in welchem im bunten Gemijche zahlreiche 
Namen von Bejuchern aus aller Herren 
Länder zu lejen find. Auch ich und mein 
Vegleiter jchrieben unjere Namen ein. 

In dieſem intereflanten Gedenkbuche 
befindet fih auch ein Facſimile des legten 
Briefes, den Andreas Hofer am 20. Fer 
bruar 1810 um 5 Uhr früh ummittel- 
bar vor ſeinem Tode mit fefter Hand ge- 
ihrieben hat. Da ich von diefem merfe 
würdigen Briefe eine Abjchrift befige, 
theile ih den Inhalt desjelben in der 
Orthographie de3 Originals hier unver: 
ändert mit. Der Brief lautet : 

Liebiter Herr Prueder, der götliche 
willen ijt es gemößn das ich habe mießen 
bier in mandua mein zeitliche mit den 
Ebigen verwörlen, aber gott jeie dankh 
um feine gödliche gnad, mir iſt eb jo 
feicht forgefhomn das wan ich zu waß 
anderen ausgefiert wurde, gott wirth mir 
auch die gnad verleihen, wiß in löften 
augen Plidh auf das ich fhomen fhon, 
alwo fidh mein jehl, mit alle außer wölte, 
ih ebig Ehr freien mag, albo ih auch 
fir alle Bitten werde Bei gott ob jonder- 
fih fir mwölliche ich in mereſten zu bitten 
Ihuldig Bin, und fir fie und ihnen frau 
liebjt wegen den Piechl, und andern quet 
Tatten, auch alle bier noch lebente guete 
freint jollen für mih PBittn, und mir 
auß die heißen flamen belfen, wan ic 
noch in fegfeir pießen muß, 
die gottes dient jolle die liebite mein: 
oder Wirthin zu ßanct marthin halten 
laffen, Bein roffen farben Pluet, Bitten 
in pede Pfaren, den freintn Beim Unter 
Wirth iſt ßuppe und fleijch zu göbe laſſen 
nebjt Einder halben Wein, 

Und gelt waß ich da habe gehabt, 
babe ich in armen aufßgetheilt. Und waß 
drinen noch gelt ift nim was du brauchſt 
wis du mit den mair hanfien khonſt 
Nöden. Er Wirtb wohl ſPröchen mit den 
Lhrr (Leuten) und mögen den gelt fir 
die armen in yberigen Rait ab mit bie 
Leite jo rödl du fhonft, damit ich nicht 


— 


zu Pieſſen habe lieber Herr Pikhler, gien 


ſie mir hinein, und bein Untter Wirth Werk ſeine Überzeugung zu bekennen. 


zu ßanct marthin, zeigen ſie die ßache 
an, Ehr Wirth, ſchon angeſtald machen, 
und machen ſie ſonſt niemand nicht khomper 
V. diſſer ſache, ſie machen Ihnen die 
50 f göben, nebſt alle unkhöſten. 

In der Welt lebet alle wohl, wiß wir 
in himel zamkhomen und dortten gott 
loben an ent, alle Paſſeirer und Bekhontte 
ſollen mir Einge denkht ſein in heiligen 
ge Beth und die Wirthin, ſolle ſich nicht 
ſo Bekhimern ich werde Piden Bei gott, 
fir fie alle. 

a de mein ſchnede Welt, fo leicht khombt 
mir das fterben vor, das mir nit die 
augen naſſ werdn 

geſchrieben um 5 urr in der frue, und 
um 9 urr Reißj ich mit der hilfe aller 
heilig zu gott. 

mandua den 20. februari 1810 

bein in leben geliiebter 


n moren dei ; - 
J andere hofer in ſant in 


rg Paſſeyr in namen des 
Viſſen hern Wille ich auch di 


Reiſſe ſornemen mit gott. 

So ſtarb denn der treue Hofer, der 
tapfere „Sandwirt vom Paſſeier“ wie 
ihn die Deutſchen, der „General Barbone“ 
(Großbart), wie ihn die Franzoſen nannten, 
unerjhroden wie ein Mann und wie 
ein Held! 

Sein Andenken wird fortbeftehen in 
ber Erinnerung des deutichen Volkes, 


Fin Fragebogen, 


Jemandem wurde von einer Dame 
einer jener Fragebogen zugeſchickt, mit 
der Bitte, Die vorgedrudten Fragen 
schriftlich zu beantworten. Man pflegt 
jonft die gejtellten Fragen jcherzbaft zu 
behandeln, ſie geben Anlajs geiftreich und 
wißig zu jein. Unjer Jemand aber nahm 
die ragen ernit und gab durch deren 
Beantwortung ein fömliches Belenntnis 
jeiner Weltanſchauung, wie folgt: 

Melde Eigenſchaft ſchätzen 
Sie an dem Manne? 


Vor allem den Mutb, in Wort und 


Melde an der Frau? 

Der Überzeugung ihres 
möglicht gerecht zu werben. 

Was ift Ihre hervorragendfte 
Eigenidaft? 

Mohlwollen für das Redliche, Kampf⸗ 
luft gegen das Schurkiſche. 

Wie verftehen Sie das Glüd? 

Das Glück beiteht im Frieden des 
Herzens. 

Wie das Unglüd? 

Das Unglück beſteht in einem böſen 
Gewiſſen. 

Wo möchten Sie leben? 

Im Lande meiner Kindheit und 
Jugend. 

Was wünſchen Sie am ſehn— 
liditen? 

Meinem Volke etwas zu jein. 

Mer ift in Ihren Augen der 
erftte Dichter, Schaufpieler, 
Muſiker, Maler? 

Mage ih vor mir jelbft micht zu 
entjcheiden. 

Melde Hiftorijde Einrid 
tung mijsfällt Ihnen am meijten? 
Das Inſtitut der Scheiterhaufen. 

Melde Fehler finden Sie 
am verzeihlichſten? 

Jeder ift verzeihlich, jobald er ein— 
geſehen wird. 

Lieben Sie das Ideale oder 
das Reale? 

Das erjtere ift größer, 
bejeeligender, als das letztere. 

Was iſt am ſchwerſten zu er 
reiben? 

Die volllommene 
eigenen Weſens. 

Welchen Rath würden Sie 
der yrau geben, die Sie lieben? 

Treu zu jein, nicht meinet-, jonbern 
ihretwillen. 

Welches ift Ihre Liebling“ 
beibhäftigung? 

Die Ausübung meines Lebensberufes. 

Welche politifde Richtung 
iſt Ihnen am ſympathiſcheſten? 

Die dem chriſtlichen Geiſt huldigt und 


Mannes 


mächtiger, 


Harmonie dei 











Die Zufammengehörigfeit aller Menjchen 
auf Erden befennt, 

Was denfen Sie über 
Che? 

Daſs fie — richtig gelebt — das 
bejte ift, was die menſchliche Eultur auf- 
gejtellt hat. 

Welches PVergnügen ift Ihnen 
das liebjte? 

Die Beihanlichkeit in 
Natur. . 

Melde Blume, weldes Ge 
tränf, welde Farbe ziehen Sie 
vor? 

Die weiße Melle, den rothen Wein, 
den blauen Himmel, 

Definieren Sie die Liebe! 

Die wahre Liebe beftehbt in dem 
leidenſchaftlichen Mitempfinden aller Freu— 
ben unb alles Leides an ber bejtimmten 
Perſon. 

Definieren Sie die Frau! 

177 


die 


ländlicher 


Bas Bud der Bücher 


in einer neuartigen Ausgabe, 


Sch babe es unternommen, für das 
Evangelium und deſſen größere Berbrei- 
tung in unferer Schule und in unjerem 
Volke einzutreten. Dabei machte ich die 
merkwürdige Erfahrung, daſs diefe Be— 
ftrebung, das Evangelium Jeſu Chriſti 
zu verbreiten, eine heftige Gegnerſchaft 
bat; aber nicht etwa an dem „glaubens- 
loſen materialiftiichen Zeitgeiſte“, jondern 
an einem Theile der katholiſch—⸗ 
clericalen Preſſe. Ih hatte das nicht 
erwartet und bebauere e3 jehr. Umſo 
entjchiedener will ich nun für die große 
Sache eintreten und thue e3 mit freudigem 
Mutbe. 

Heute ift aufmerfjam zu machen auf 
eine neue Bibelausgabe in Lieferungen, 
an welcher ich jeinerzeit dem Neuen Teſta— 
mente volle Aufmerkjamteit zuwenden werde. 

Die neue illuftrierte Ausgabe der 
Heiligen Schrift für Katholiken beginnt 
joeben im Verlage von Friedrich Pfeil 
ftüder in Berlin zu erjcheinen. Der 


„BE 


Drud ijt nach der vom päpftliden Stuhl 
und von vielen Biſchöfen approbierten 
Überfegung von Allioli, ebenfo die Er: 
läuterungen des Textes; auch enthält 
das erite Heft nah den Vorſchriften der 
fatholiichen Kirche eine Einleitung mit 
Anweiſung, wie die Bibel gelejen werden 
joll. Was nun die Bilder anbelangt, jo 
find dieſe, abgejehen von der jedes Heft 
jhmüdenden, in Farben gedrudten Kunſt— 
beilage, nad) den Meifterwerfen der chrift- 
lihen Kunft, ganz neuer Art. Abweichend 
nämlich von den bisherigen Bilderbibeln, 
welde nur Scenen und Greigniffe der 
bibliſchen Geſchichte mit mehr oder weniger 
Phantafie zur Darftelung bringen, wird 
bei diejer Ausgabe zum erjtenmal unter« 
nommen, das Verjtändnis ber Heiligen 
Schrift durch Darſtellung von Gegen» 
ftänden, Stätten und Plätzen dur 
Karten, ſowie durh Abbildung von 
Pflanzen, Thieren, Alterthümern u. ſ. w. 
nad den Forjhungen und Ausgrabungen 
zu unterjtüßen, welde in den letzten 
Jahrzehnten in Paläftina, Aſſyrien und 
Egupten von jo merkwürdigem Erfolge 
begleitet waren, In vielen Fällen wird 
dur die Denkmäler, deren Kenntnis wir 
diefen Forſchungen verdanken, die Wahr- 
beit alter biblijcher Geſchichten beglaubigt, 
und gerade dieſer Umftand verleiht der 
neuen Bibelausgabe einen  bejonderen 
Wert. Bejonders auch beim Religions» 
unterricht dürfte diefe Bibel von großem 
Werte jein; denn das Hleinfte Bild er- 
flärt durch bloße Anſchauung beſſer, als 
alle mündlichen Erläuterungsverfuche von 
Dingen, die unjerem Verftändnis doc 
meiſt jo fern liegen. Das ganze Werk 
wird in nicht ganz zwei Jahren vollendet 
fein; die Ausgabe von 30 Kreuzern alle 
14 Tage vertheilt fih aljo auf einen 
jo langen Zeitraum, daſs auch Minder- 
bemittelte imftande fein werben, fich bie 
Bibel anzujhaffen. Beim Schluſſe des 
Werkes erhält jeder Abnehmer unent» 
geltlih das in Farben- und Lichtdrud 
ausgeführte Kunftblatt: Der Kreuzweg 
unferes Herrn Jeſu Chriſti, eine Dar- 
jtellung der 14 Stationen, wie fie in ber 
Wirklichkeit ausfehen, Nah in Jerujalem 


gemachten photographifchen, aljo watur- 
getreuen Aufnahmen nebit illuftriertem 
Tertbuche. 

Soviel heute des Sachlichen über 
die neue Bibelausgabe. Ein andermal 
mehr barüber. R. 


Gloſſen 


von Arpad Sor. 


Willſt du der Freundſchaft Glück genießen, 
So halt’ di ferne von den Frauen — 
Doc ſoll dir Eheglüd erfprießen, 

Dann darfft du feinem Freunde trauen, 


Der Ehrenmann fhentt jelbft dem Gauch 
Das blindefte Vertrauen — 

Der Gau wird jelbft im Ehrenmann 
Stets einen Lügner ſchauen. 


Die Tugend wird vom Spott verzerrt, 
Wenn fie nur der Geringe liebt — 
Doc ſcheint das Lafter Iobenswert, 
Wenn fi der Große ihm ergibt. 


Wen böjes Beispiel ſchaden kann, 
Hat's befjer nicht gewollt: 

‚Der Roft frijst wohl das Eifen an, 
Doch nimmermehr das Bold. 


Wenn man fid Sünden aus- 
borat. 
Eine luſtige Geſchichte von U. Nitiel.*) 


Tas werde ih in meinem ganzen 
Leben nicht vergeffen, wie ih habe vom 
hochwürdigen Herrn Bifchof mit den an- 
deren Kindern gefirmt werden follen und 
den dabei üblihen Badenftreich ſchon viel 
früher befam! Nein, jo etwas vergifst 
man nicht; unter allen Eindrüden auf 
das findlihe Gemüth nimmt eine Ohr— 
feige bezüglich ihrer Nachhaltigkeit um- 
ftreitig den erjten Rang ein, bejonders 
wenn ihr Empfang von fo außerorbent- 
lihen Umftänden begleitet ift, wie dies 
bei der meinigen der Fall war, 


*) Aus „Nordböhmische Dorfgefhichten® 
vom Berfaffer der „Geſchichten des Hocke— 
wanzel“. Warnsdorf, Ed. Strade. 1889. 








In unfer abgelegenes Gebirgsborf 
war ſchon jeit Menjchengedenfen fein 
Biſchof mehr gelommen, um zu firmen, 
und was von alten Leuten davon erzählt 
wurde, das fang alles jo märdenhaft, 
jo wunderbar, dajs uns Rinder ein hei— 
liger Schauer nah dem anderen über: 
lief, wenn mir börten, welde Pracht 
mit jeiner Anweſenheit verbunden werbe. 
Da werden am Eingange des Ortes 
herrliche Triumphpforten gebaut, jagten 
fie, alles, was Peine hat im Borfe, 
geht ihm entgegen, und bie Schulfinder 
machen zu beiden Geiten de3 Weges 
Spalier. Dann fommt er in einer präch— 
tigen Kutſche gefahren, Böller krachen, 
Gloden läuten, und wenn er bei ber 
Triumphpforte angelangt ift, fteigt er 
aus, bleibt ftehen und ein weißgefleibetes 
Mädchen hält eine Anrede. Und am 
anderen Tag erft, bei der Firmung! Da 
jtehen die Firmlinge, fo lang die Kirche 
ift, wieder in zwei Reihen aufgeitellt ; 
der Bilchof geht von einem zum anderen 
und gibt jedem einen Kleinen Backenſtreich. 

Das alles ftand uns jetzt nahe 
bevor. Der neue Biſchof hatte beichlofien, 
das lang vernachläffigte Gebirge einmal 
zu bereifen und feine Ankunft in unferem 
Dorfe auf einen bejtimmten Tag ange» 
jagt. Von dem Pfarrbofe, wo man hie- 
von jelbjtverftändlih die erfte Kunde er- 
halten hatte, verbreitete fih die Auf- 
tegung bierüber, die faft einem Schreden 
glih, in alle Häuier und bemädtigte 
fihb ganz insbejondere unferer finder- 
herzen. Der kleine Badenftreih jpielte 
bei uns natürlih die Hauptrolle; ein 
fleiner Badenftreid vom hochwürdigſten 
Herrn Biſchof, und in der Kirche noch 
dazu! Ich weiß Heute noch nicht, ob ich 
mich über die neuen Stiefel, die mir 
mein guter Vater aus der Stadt holte, 
damals mehr gefreut hatte, als über die 
bevorftehende Auszeichnung. Wohl hundert- 
mal erzählte ih der Mutter und Groß«- 
mutter und anderen Leuten: „Wir bes 
kommen eben einen Keinen Badenftreih”, 
und ich Armer abnte nicht, daſs ich ba= 
mit, wie man zu jagen pflegt, ben Teufel 
an die Wand malte. Freilich habe ich 


— —“ — — 


einen Badenitreih befommen; aber Elein 
war er nidt. 

Der Pfarrer und jein Kaplan hatten 
jegt außerordentlich viel zu thun. Das 
ift eben nichts Kleines, wenn jo ein 
Biſchof einmal nah langer Zeit in eine 
Gemeinde fommt. Der fieht dann feinen 
Untergebenen gar jharf auf die Finger 
und forſcht nad, ob aud alles bübich 
in Ordnung war bie lange Zeit daher, 
und wehe! wenn e3 nicht der Fall war. 
Unjer Pfarrer war vor Schreden faſt 
vom Stuhl gefallen, ald er die Nach— 
richt erhielt, und der Herr Kaplan gieng 
von der Stunde an in fein Wirtshaus 
mehr. Nah vierzehn Tagen konnt' der 
Herr Pfarrer ſchon mit der geballten 
Fauſt unter feine Weſte fahren, fo 
ſchlotterig hieng fie ihm jeht über den 
Bauch, und er jagte, wenn das lange 
noch jo fortgehe, würde man ihm bald 
fönnen Haber dur die Wangen blajen, 
jo dünn würden fie jein. NAın meiften 
Arbeit machte ihnen die Schule. Port 
war der Herr Pfarrer, jo weit unjere 
Erinnerung zurüdreichte, nicht oft geweſen, 
und wir riffen die Augen gar gewaltig 
auf, als er das erftenal zu uns fam 
und faſt täglich erſchien. „Kinder“, 
iprad er, „Sinder, lernt fleißig und 
macht mir feine Schande!“ Der Kaplan 
half ihm treulih bei der Arbeit und 
trachtete, das Verjäumte einzuholen. Wir 
hatten ihn auch nur ſehr felten geſehen, 
und e3 war zu umjerer Zeit auch gar 
nicht nothwendig, dbajs fich die geiftlichen 
Herren viel um die Schule fümmerten. 
Damals gieng der liberale Teufel noch 
nicht jo herum im Lande, um unfchuldige 
Seelen zu fangen, wie das gegenmärtig 
der Fall. Ja freilih, heutzutage, da 
heißt es zeitig auf den Strümpfen ftehen 
und wachſam jein mie ein Schäferhund, 
dajs feine verloren gehe! 

Pater Janaz, jo hieß er, war ganz 
ausgewechjelt jeit der Ankündigung des 
Biſchoſs. Seine beiten Freunde fannten 
ihn nicht mehr. Vorher im Berfehr mit 
ben Dorfinjaflen die jorgloje Heiterkeit 
jelbft, gieng er jetzt nachdenklich mit 
finfteren Bliden umber, mied jede Ge— 


E⸗ 


ſellſchaft und warf ſich mit wahrem 
Feuereifer auf den Schulunterricht. 

Eines Tages kündigte er uns an, 
wir ſeien nunmehr hinlänglich vorbereitet 
und vor der Firmung müfsten mic erſt 
zur Beichte gehen. Er gab uns dann die 
nöthige Anleitung zur Gewiſſenserforſchung 
und ſprach, wir jollten uns unjere Sünden 
auf einen Zettel jchreiben, den könnte 
jeder, der ihn fih nicht auswendig zu 
fernen getraue, mit in den Beichtſtuhl 
bringen. Nun giengen wir arme Sünder 
auch mit nachdenklichen Mienen umber, 
zogen uns öfters in die Einjamfeit zurüd 
und verzeichneten gewillenhaft uniere 
ihwere Sündenſchuld. 

Da kam des Nahbars Franz, mein 
beiter Freund, zu mir und theilte mir 
mit trauriger Miene mit, der Bandel— 
Fritz habe dreißig Sünden. Der war 
ftet3 der erfte in der Schule gemejen 
und übertraf uns nun abermald. Wir 
gehörten doch auch nicht zu den jchlechte- 
ten Schülern und hatten jeder doch nur 
zehn bis zwölf. Nach einigem liberlegen 
bejchlofjen wir, zu ihm zu gehen und 
ihm unfere traurige Lage zu offenbaren. 
Wir wären, jagten wir zu ihm, in 
augenblidliher Berlegenheit, und ob er 
nicht die Gefälligkeit habe, uns einige 
Sünden zu borgen. Bandel-Frit lehnte 
anfangs rundmweg ab und meinte, «3 
babe ihm Mühe genug gefoftet, es ſo 
weit zu bringen, und wir möchten uns 
nur jelbjt kümmern; endlich gab er un— 
jeren vereinten Bitten nad, zog ſein 
Verzeichnis aus der Taſche und erlaubte 
jedem von uns, fih drei Sünden davon 
auszuſuchen, mehr aber nicht. Wir lafen 
fein Regifter aufmerfjam durch und hielten 
mebreremal vor Bewunderung inne, weil 
er jo jchöne Sünden hatte. Am beiten 
von allen aber gefiel uns die legte, die 
lautete: „Ich habe eine budlige Schweiter 
und babe jie ausgelacht.“ Wir beſchloſſen, 
fie mit feiner bejonderen Genehmigung 
unſerem Berzeichniffe einzuverleiben. 


Am Tage der Beicht ftellte der 
Kaplan uns Anaben in eine lange 
Reihe, melde zum Beichtſtuhl des 


Pfarrers führte; wir drei, der Bandel- 


Frig, mein Freund und ih kamen nad 
einander zu ſtehen. Nur langjam rüdten 
unjere Vordermänner vor, und je näher 
wir famen, umſo börbarer klopfte mir 
das Herz, und das nicht allein wegen 
der Wichtigkeit des Nugenblides, jondern 
vorzugsweife des herben Benehmens 
halber, welches der Pfarrer auf feinem 
Site an den Tag legte. Zwei Stunden 
lang hatte er ruhig ausgebalten und nur 
von Zeit zu Zeit jchwer geieufjt und 
fihb mit jeinem blauen Taſchentuch oft 
die Stirn getrodnet. Danı ließ er ab 
und zu ein dumpfes Stöhnen und 
Brummen hören, zuleht ftand er auf, 
gieng bis zur Kirdhenpforte und wieder 
zurüd, zählte, mit dem finger deutend, 
den noch ſehr anſehnlichen Reſt feiner 
Beichtlinder und blickte zur Kirchendecke 
empor. Ohne Zweifel war er entſetzt über 
die Menge ſchwerer Sünden, die er hören, 
über den Abgrund der Verworfenheit, in 
welchen er in dieſen Stunden ſchauen 
muſste. „O mein Gott!“ ſeufzte ich im 
Stillen, „was wird er erſt zu den 
meinen ſagen!“ 

Mittlerweile war Bandel-Fritz vor— 
getreten und ward wieder entlaſſen, ohne 
dem Herrn Pfarrer befondere Gemüths— 
bewegung verurjaht zu haben. Mein 
Freund Franz ftand jetzt im Beichtſtuhl. 
„Sonderbar“, börte ich den Pfarrer laut 
brunmen, „der hat auch eine,“ 

Die Reihe fam nun an mid. Mit 
laut Elopfendem Herzen trat ich näher, 
ſprach leife und mit zitternder Stimme 
die Einleitungsmorte und fieng dann jo» 
gleih mit meiner jchönften Sünde an: 
„Ich habe eine budlige Schweiter und 
babe fie ausgelacht.“ Da ſchnellte der 
Pfarrer abermal® von feinem Sitze 
empor, fuhr aus dem Beichtftuhl berans 
und rief: „Was, du haft auch eine bud« 
lige Schweiter ?” und gab mir dabei 
eine jo fräftige Obrfeige, daſs ich mic 
einmal um mich jelbjt herumdrehte. Auf 
den leiſen Badenftreih des Biſchofs 
musste ich verzichten, hatte übrigens an 
dem des Pfarrers genug. 


Raifer Friedrid als Borf: 
ſchullehrer. 


Der damalige Kronprinz liebte es, 
ganz plötzlich in der Schule ſeines Gutes 
Bornſtedt zu erſcheinen, in welcher die 
Kinder des Dorfes ohne Unterſchied des 
Geſchlechtes in die Kunſt des Leſens und 
Schreibens eingeführt wurden. Eines 
Tages nun kam der hohe Herr wiederum 
ganz unerwartet und traf den Lehrer im 
großer Beſtürzung und Berlegenheit, Die 
derfelbe vergebens vor dem Kronprinzen 
zu verbergen ſuchte. Der Armite hatte 
wenige Minuten vorher die Nachricht er- 
balten, jeine alte Mutter, eine Prediger: 
witwe in Schlefien, liege im Sterben, er 
möge eilends nachhauſe kommen, doc 
fonnte er die Schulftunden ohne Erlaubnis 
feiner Vorgeſetzten natürlih nicht aus» 
ſetzen. Als aber der Kronprinz darauf 
beitand, zu erfahren, welcher Kummer den 
Lehrer drüdte, und diejer tiefbewegt den 
vorausfihtlihen großen Schmerz mit» 
theilte, jagte der hobe Herr in freund— 
lihem, tbeilnabmvollen Tone: „Fahren 
Sie jofort nah Haufe, ich übernehme Die 
Verantwortung und — die Schulftunden, 
eilen Sie und gebe Gott, dajs Sie Ihre 
Mutter noch lebend antreten, ich weis, 
was einem Sohne die Mutter ift.” Und 
faum batte der Lehrer das Schulzimmer 
verlaflen, al3 Kronprinz Friedrich den 
Säbel abſchnallte und an Stelle bes 
Lehrerd den begonnenen Lejeunterricht 
fortſetzte. — Nah der Leſeſtunde hieß 
es: „Jetzt wollen wir Geographie treiben, 
holt 'mal den Globus her!“ Die Kinder, 
an das leutjelige Weſen ihrer Gutsherr— 
ihaft gewöhnt, waren feineswegs ver- 
jchüchtert durch ihren neuen Lehrer, und 
im Chor erhielt der Kronprinz die Ant« 
wort: „Einen Globus haben wir nicht, 
der Lehrer nimmt immer ben großen 
Gummiball da.“ Und richtig, der „neue 
Herr Lehrer“ nahm denn aud den großen 
Ball und führte jo die Heine Schar in 
die jchwierigen Geheimniffe der Erbfunde 
ein. Als aber der beurlaubte Lebrer 
nah wenigen Tagen zurüdfehrte, ftrablte 
ihm beim Eintritt in die Claſſe ein — 


Funfelnagelneuer Globus entgegen, ein 
Geſchenk deſſen, der ihm erſetzt hatte, 
während er zum Sterbebette jeiner Mutter 
eilte, Seitdem brauchen die Born- 
ftedter nicht mehr an einem Gummiball 
Geographie zu lernen. 


Poetenwinkel. 
(Pflichtvergeffen. 


Haft mit deines Zaubers Kraft 
Mid jo ganz in deine Haft, 
Fremde Maid, gezogen. 

Kam, vom Vater ausgefandt, 
Bor drei Wochen her ins Land 
Über Berg und Wogen. 


Sollte Rauchwerk zart und fein 
Tauſchen gegen Elfenbein 

Hier im Kaufbegehren; 

Und mit gutem Handelsglüd 
Zu den Meinen dann zurüd 
Ohne Säumen kehren. 


Aber als ich pflichtgemuth 
Ausgeſchifft am Ziel das Gut 
Schön und unvermeſſen; 

Da erſah mein Auge dich, 
Und zur Stunde hatte id 
Alle Pflicht vergefien. 


Schutzlos nun an fremdem Ort 
Liegt die edle Ware dort 

Preis jedwedem Gafte; 
Während ich, dem Bettler gleich, 
Zagend und doch hoffnungsreid) 
Dir zu Füßen rafte. 


Neige dich mir endlich zu, 
Laſſe, Wunderholde du, 
Mid dein Herz erringen; 
Will dih dann mit frommem Sinn 
Als den herrlichſten Gewinn 
Meinen Eltern bringen! 
©. Bibns. 


Earnevaf der Liebenden. 


Nicht auf der Inſel, oceanumfpielt, 
Nicht auf dem Gletjcher unter Eis und 
Schnee, 

Hier unter lauten Menjchen wird uns meh, 
Bon denen feiner unsre Sehnſucht fühlt! 
Ad, wüſsten fie, was tief im Herzen wühlt, 
Und ſchäumt und brandet, wie die blaue See, 
Dann ftünd’ es ſchlimmer noh um unjer 


Weh, 

Denn es verdammt die Welt, was ſie nicht 
ühlt! 

Komm, laſs uns tanzen! da mit dieſem 
Mädden, 


Das nah dir blidt, ih will mit jenem 
andern 

Der luſtig plaudert durch die Neihen 
wandern; 

Doch in der warmen Luft ichlingt fi als 
Fäden, 


Das unlösbar um unſer Herz ſich windet, 
Ein hoffender Gedanke, der uns bindet! 


Sophie von Ahuenberg. 


Der afte Dieter. 


Frohe LKieder hör’ ih klingen 

In der alten, ernften Bruft, 

Bühl’ aufs new’ im Herzen ringen 
Jugendfraft und Yugendluft, 
Fühle, wie auf feihten Schwingen, 
Schatten glei, mir faum bewuist, 
Töne in mein Herze dringen, 
Denen einft ih lauſchen mujst’! 


Kehrt ihr wieder, Träumereien, 

Und mein Geift erfennt euh kaum?! 
Ach, für euren fonn’gen Maien 

Hat mein Bujen feinen Raum: 
Keine Blätter fann verleihen 

Neuer Lenz dem dürren Baum, 
Jahr fah ih an Jahr ſich reihen, 


Sah zerftieben mander Traum, 


Aus des Lebens wildem Streiten 
Barg ih nur ein einzig Gut: 
Blieb mir doch aus alten Zeiten 
Treu der liederfrohe Muth, 

Ob der Erde Herrlichleiten 

Mit fih riſs der Jahre Flut: 
Keinen Menſchen kann beneiden, 
Wem das Lied im Bufen ruht! 


©. Fiſchdach. 


Wo wir uns fanden. 


Wo wir uns fanden, fennft du nod den 
Ort? 
Die Rofe blüht, es blüht die Nelfe dort, 
Und Nadtigallen ſchlagen immerfort, 
Wo wir uns fanden! 


Als wir uns fanden — welch ein ſchöner 
Tag! 
Der Thau in Perlen auf den Blättern lag, 
Und Lenzesahnen bebte durd den Hag, 
Als wir uns fanden! 


Seit wir uns fanden, ift jo ſchwer mein 
inn, 
Ich weiß es faum, gieng gleih ein Jahr 


dahın, 
Ob ih unglüdlih, ob ich glüdlich bin, 
Seit wir uns fanden! 


©. Fifhbe. 


Mur ein Rüſschen. 


Ich hab dich gebeten 
Ya nur um ein Küfschen, 
Mas mahft du mir, Mädchen, 
Den Sinn jo verwirrt? 
Ein nedendes Spielen, 
Ein liebendes Koſen — 
Was blideft du, Mädchen, 
So ernſt vor did hin? 
Was ſprichſt du von Liebe, 
Bon ewiger Treue? 
Ich hab’ nur ein Küſschen 
Bon dir ja verlangt, 

©. Fifhbad. 


Im Früblenz. 
Unter der blühenden Rüſter 
Saß ih am Frühlingstag, 
Im Herzen war's traurig und düfter, 
Der Schmerz wie ein Alp auf ihm lag. 


Da hört’ ih das Summen der Bienen... 
Es Hang mir fo traulid ins Ohr: 
„Geiroft nun, der Lenz ift erihienen ! 
Nun blide vertrauend empor." — 


Ih wandte den Blid nah oben... 
Dort glänzte das himmliſche Zelt! 
Und danfend mujst’ ih nun loben 
Den gütigen Schöpfer der Welt. 


Und zu lenzen begann’3 aud im Herzen, 
Die Hofinung auf beflere Zeit, 

Sie fegte hinweg meine Schmerzen 

Und bannte das tödtliche Leid; 


Und gab mir die tröftlihe Lehre: 
Was Gott fhidt, geduldig ertrag'! 
Der wilden Verzweiflung wehre! 
Auch dir fommt der Ienzende Tag! 
Job. Peter. 


Ode an Zacherk. 
(Aus dem Fremdenbuch einer Gebirgsher: 


berge.) 
Hochzupreifender Mann, der du vom 
ſtaukaſus 


Flöhegepeinigtem Voll ferne nach Weſten her 
Roſenrothes Pyrethrum 
In die fhmuden Gemächer ſchickſt! 


Wohl am fiebenten Tag, während die 
Scöpfertraft 
Froh der vollendeien Welt, freundlicher 
Weſen voll, 
Harmonieumflungen 
Sorglos finnender Ruhe pilag — 


Sä’te der lauernde Feind jenes Geziefer 
drein, 
Das dem Menſchen zur Laft, höhnend fein 
Herrſcherthum, 
Grauſe Höllengeſtalten 
Unter winziger Kleinheit birgt! 


636 


Süß erquidenden Schlaf raubt's dem 
Bedürftigen, 

Medt das Böſe im Mann, brütend im 
Duntel 


Rachluſt, ſchlechte Gedichte, 
Und noch anderes Teufelszeug. 


Dreifach weiſe darum treibet das Frauenvolk 
Raſch umſichtigen Blich's eifrig die niedre 


Jagd; 
Doch dies haftige Morden 
übt fie leider in Grauſamkeit. 


Du, o Trefflicher, ftellft wieder den Frieden ber, 
MWahrefi dem mwandernden Manne fauer 
errung’'ne Ruh: 
Aus entfiegeltem Fläſchchen 
Streut er gelblidhes Pulver hin — 


Siehe, daS Lager verlehrt wie ein Schladt: 
feld fi, 
Mo fih Ruf’ und Tſcherlkeſſ' würgten im 
letzten Kampf; 
Da zudt ſterbend ein Rois noch, 
Dort wanft eines dem Rande zu. — 


erwadht munter im 
Morgenroth, 
Schnürt fih hurtig die Schuh', ſchlingt 
einen Schnaps hinab; 
Plaidumhüllt und bebergftodt 
Stapft er wonnig den Wollen zu. 


%. 3. aus Leoben. 


Aber der Schläfer 


Die Morbedeufung. 


Als Vorbedeutung gilt im Leb’n, 

Bei mandem jhwachen Geift, 

Wenn ihm die Hand, das Aug’ und fonft 
Am Körper eiwas beikt; 

Doch zeigt fih die Bedeutung oft 

Ganz anderes, ja contrair, 

Mit Beifpiel zu beweifen ift 

Dies wahrlih nicht fo ſchwer. 


Es beikt einem die linte Hand, 

Da hofft man feft auf Geld, 

Da wird dur einen Boten ihm 

Ein Brief ſchon zugeftellt. — 

Sein Doctor fhreibt ihm vom Proceſs 
Mit aller Schonung zwar, 

Dais er verloren und dafs anbei 
Auch liegt das Erpenfar. 


„Das linke Aug’ beißt mich heut ftarf* 
Sagt einer freudenvoll, 

Das joll bedeuten, dajs ich heut 

Was Lieb's noch ſehen joll* — 

Und wie er ausgeht und von fern 

Da eine Dame grüßt, 

Da fieht er erft, daſs fie ja nur 

Die Schwiegermutter ift. 


=... 


Ein and’rer jagt: 
Meil mir die Naje beißt, 

Beim B’vaterbitten fürcht' ich dies, 
Bor allem wohl zumeift.” — 

Doch wie er heimlommt, hört er fchon, 
Was Neu’s im Haufe war, — 

Die Gattin ja, beglüdte ihn, 

Mit einem Zwillingspaar. 


Ein Etuger Hagt: „Die Hühneraug’n, 
Sind wohl fein Gottesjeg’n, 

Sie ſchmerzen mich, d'rum gibt es aud 
Ganz fihher heut’ noch Reg'n.“ — 

Und als bei einem Haus er geht, 
Fliegt ihm gleih auf den Kopf, 
Vernichtend den Eylinder ihm, 

Ein großer Blumentopf. 


Franz X. Freiheim. 


Maßnung. 
Hat mich allmol verdroſſ'n, 
Hon ich g’hört oda gſeg'n, 
Dia fih zwa volla Feindſchaft 
In Haarn fan glegn. 


Is leicht ſoviel füaß 

Ewi Streit und Vaklogn? 
Mich zimp, es war beſſa 
A hülfreichs Vatrogn. 


Oba mehr noh vodriaßt mich 
Und bringt mich in Zorn, 
Dais d' Leut mit dr Welt fan 
Sp unz’friedn worn. 


Und is doh die Welt 

Volla Wunda onz'ſchaugn, 
Man muaſs na voſteahn — 
Zu mas hobbs enfri Augn? 


Für all fallt dr Regn und 

Die Sunn leucht jo jean — 
Theits ent S’fornehma, Leutl — 
'S is zwegn 'n Vadean!*) 


Hans Franngruber. 


Reerut und Bauer. 
Necrut: 
Heint ham j’ mih ghaltn, 
Hiaz bin ih Soldat, 
Diaz friag ih a Roſs und 
Loſchier in dr Stadt. 


A Knecht bin ih gwen 
Und mwerd’3 neamamehr, 
Hiaz trag i an Sabl 
Und bin endla wer. 


Dös nothigi Lebn 

Am Land hon ih ſatt 

He, Baua, ruck's Hüatl — 
35 bin a Soldat! 


*, Echt zu, dafs ihr’& verdient! 


„Heut gibt's Verdruſs, 


Bauer: 


A niads Radl rennt, 
So renn zua in Gotsnom! 
Bol ma z'grund gonga fan, 
Kem ma ah wieda ziom. 
Baus Fraungraber. 


Bekenntniſſe eines Seiltänzers, 


Blondin, der berühmt Seil: 
tänzer, gibt über feine Berufser- 
fahbrungen nähere Mittheilungen, 
denen wir Folgendes entnehmen: „Man 
ftellt mir oft die Frage” — jo äußert 
fih der „Künftler” — „wie e& mir zu« 
muthe jei, wenn ich auf dem hohen Seil 
gehe. Falls man damit meint, ob ich 
etwa ein Gefühl von Bangen oder Un— 
ruhe verfpüre, jo muſs ich entſchieden 
mit „nein“ antworten. Ich blide dabei 
etwa 18 bis 20 Fuß aufwärts und 
pfeife Teile oder jumme eine Melodie vor 
mich bin, wie ich gerade aufgelegt bin. 
Auch halte ich mich jtet3 im Tact mit 
der unten ſpielenden Muſik, ich finde 
nämlih, daſs dies mir die Erhaltung 
des Gleichgewichtes außerorbentlih er- 
leichter. Übungen made ich gar nicht 
mehr, und einzelne Kunftftüde, 3. B. den 
Sprung über einen Stuhl mitten auf 
dem Seil, führe ich gewöhnlich ohne alle 
Vorbereitung aus, wie mich die Laune ge- 
rade anmwandelt. Ich nehme nie anregende 
Mittel, ehe ih das Seil befteige. Nach 
Beendigung meiner Arbeit lafje ih mid 
von meinem Gehilfen jorgfältig abreiben 
und nehme ſodann eine leichte Erfriichung 
zu mir, Im Übrigen lebe ich eben ein» 
fah und regelmäßig und vermeide es 
lediglich, furz vor einer Vorſtellung mir 
den Magen ftarf zu füllen, Endlich darf 
ih noch jagen, dajs ich liebe, ohne 
Sicherheitäne aufzutreten; ich glaube, 
ein jolches würde mich jo nervös machen, 
daſs es den Unglüdsfall gerade herbei» 
führen fönnte, den es verhüten joll. 
Werde ich jelbit niemals unruhig, jo 
muſs ich dagegen annehmen, daſs Die 
vielen Leute, die ich fchon oft auf meinem 
Rüden über das Seil getragen habe, 
ſtets dabei einiges Herzklopfen gefühlt 


638 


haben, joweit es nicht Gehilfen vom 
Fach waren, In Wirklichkeit haben die- 
jelben nicht die mindejte Urſache von der 
Welt, fih zu ängjtigen. Alles was jie 
zu thun haben, ift, vollfommen ruhig zu 
figen, achtzugeben, daſs fie mich nicht 
zu feit um den Hals fallen, und das 
Meitere mir anheimzuſtellen. Wenn ich 
jemand zum erftenmale binübertrage, jo 
plaudere ih mit ihm über die gleich— 
giltigjten Dinge und ſuche dadurch feine 
Ängftlichkeit zu mindern; ſtets jchärfe ih 
ihm ein, ja nicht hinunter zu jchauen, 
wenn er fih mitten zwiſchen Himmel 
und Erde befindet. Ganz wohl iſt es 
jedoch, jcheint es, dem Berreffenden nie 
dabei und immer vernehme ich einen 
Seufzer der Erleichterung, wenn das 
Ende de3 Seils und die Plattform er- 
reiht it. Mehr als einmal hat das 
Opfer in lantem Musruf feierlich gelobt: 
„Nie wieder !* 


Wie groß müfste der Mann fein, 
der den Biephansthurm als Bahnfloder 
brauden könnte? 


In einem alten Blatte aus längft- 
entſchwundenen Tagen, finden wir folgende 
Frage aufgeworfen: „Wie groß müjste 
ein Rieje fein, der ſich des Stephans— 
thurmes als Zahnftocher bedienen wollte ?“ 
— Die unmittelbar darauffolgende Ant- 
wort, welche wohl gleich der Frage in 
dem Gehirn eines Ipleenigen Engländers 
mochte entitanden jein, ſtellte fich folgen: 
dermaßen heraus: „Nimmt man an, daſs 
ein Mann von mittlerer Größe fich eines 
Zahnſtochers von zwei Boll Länge be 
dient, jo müjste derjenige, der fich des 
Stephansthurmes zu gleichem Zwecke be» 
dienen wollte, im Berhältnifie eine Höhe 
von 142.256 Schub oder 2376 Wiener 
Klafter haben. Zu jeiner Kleidung ber 
dürfte er, und zwar zu einem Frack 
6480, zu einem Beinkleide 3888, zu 
einem Mantel 15.552 Wiener Ellen 
Tuch; daran würden 300 Schneider vier 
Mocen arbeiten. Zu einem Hute benö« 


thigte er 7776 Dafenbälge und zu einem 





Hemde 348 Stüd Leinwand. Seine 
Stiefel wären 864 Slafter hoch, 216 
Slafter weit, und mit einer Sohle der: 
jelben würde er einen Raum von 898 
Quadratllafter bededen. Würde er zum 
Frühftüd Kaffee trinken, jo brauchte er 
16 Gentner der arabijhen Bohne. Als 
mittelmäßiger Eifer würbe er zu Mittag 
verzehren: 13 Eimer Suppe, 56 Ceutner 
Rindfleiſch, nebſt verhältnismäßiger Por- 
tion Sauce oder Gemüſe, und 12.000 
Paar Hühner oder 3000 Gänje. Sein 
gewöhnliches Trinfglas würde 160 Eimer 
fafjen. Sein Wohnzimmer müfste 66°, 
Quadratmeilen groß fein, Eine Reife von 
Mien nah Paris würde er in 5 Minuten 
zurüdlegen. Es wäre ihm ein Leichtes, 
nah eingenommenem Frühſtück über 
Deutihland eine Heine Luftpartie nad 
Teheran und Peling zu madhen, und 
nachdem er dem Schah von Perjien und 
dem Kaiſer von China jeinen Morgen« 
befuch abgejtattet, nach einer Waſſerpar— 
tie über den Stillen Dcean über bie 
Sandwichsinſeln nach Amerika zu gelangen, 
um nah eingenommenem Mittagsmahl 
in den Vereinigten Staaten einen Ab— 
fteher nah Brafilien zu machen und dann 
über Marocco und Stalien — nachdem 
er vorher noch die Raubnejter Tripolis 
und Tunis mit einem Fußtritt vernichtete 
— oder über Guinea, Egypten und die 
Türfei nah Europa zurüdzufehren. Eben» 
jo leicht könnte er über die jo lange ge- 
ſuchte Durchfahrt aus dem Atlantiichen 
Ocean in das Stille Weltmeer mit freiem 
Auge entjcheiden, als er überhaupt über 
die Beichaffenheit des Nordpols Bericht 
erftatten fünnte. — Wer dies alles nicht 
glaubt, ſoll ſich's nachrechnen. 


Bücher. 


Robert Yamerling als Syriker, Eine 
literariihe Studie von Dr. Ernſt Gnad. 
(Graz. Leufchner & Lubensky, Univerfitäts: 
buchhandlung. 1891.) 

Bornehmer und geiftvofler wird unjer 
großer Dichter als Lyriter wohl faum jemals 
gewürdigt worden jein, als es in dieſer 
Schrift geſchieht. Die Gedankenlyrik Hamer: 





639 


— u. 


Iings erfährt ſcharfe Charafterifierung und 
Die dazu angeführten Beiſpiele erjcheinen 
mir jo treffend gewählt, dajs dieje Aus: 
wahl jhon an und für fih ein fleines 
Meifterwert ift. Die edle Sprade der Studie 
pajst fih fein und faft fünftlerifh dem 
Gegenftande an, und jo haben wir hier ein 
Mufter ritiiher Abhandlung, wie es immer 
feltener wird, weilgewöhnlich Unverftändnis, 
Gleichgiltigfeit, Oberflächlichkeit oder jub: 
jective Gereiztheit die Feder des Kritifers 
führen. Der Verfaſſer diejer Studie hat 
feinen Dichter nicht fo fehr als Kritiker, 
jondern vielmehr als warmherziger Menſch 
gelefen, darum die liebevolle Literarijche 
Beleudtung desjelben. Ohne Liebe zum 
Künftler jollte keiner fritifieren, und zwar 
aus dem einen Grunde, weil er ihm ohne 
ſolche nicht gerecht werden Tann. Abſolute 
Objectivität! Geht mir weg damit, die lann 
es beim Sunftempfinden gar nicht geben. 
Kunft und Dichtung verftehen, heißt jchon 
mit dem Herzen darüber urtheilen. Der 
Dichter jhreibt vorwiegend für das Herz, 
darum kann der Kopf allein, und wäre er 
jelbft ein eminenter, mit ihm nit fertig 
werden. Aus vorgenannter Schrift ſpricht 
Kopf und Herz, und das wird dem Dichter 
gemäß und dem Lejer angenehm. R. 


Die Porfhexe. Eine Bauern: Komödie 
mit Gefang in drei Acten von Philo 
vom Walde. (Großenhain. Baumert & 
Rongi.) 

Das erfte ſchleſiſche Vollsſtück, und 
zwar im ſchleſiſchen Dialect. Als Leſedrama 
bezeichnet e3 der Verfafler, und als joldes 
erfüllt es feinen Zwed in vorzüglicher 
Weiſe; ih glaube jogar, dajs es fih aud 
auf der Bühne mwohl jehen lafjen dürfte! 
Dem „Geigenfranzel* bin ih in Philo 
vom Waldes Dichtungen ſchon begegnet, 
hier tritt er wieder auf, und zwar als Ur: 
typus des Schlefierd, möchte ich jagen. Das 
wäre ja jo hübſch, wenn jeder deutſche 
Vollsiftamm, der Weftfale wie der Schleſier, 
der Medlenburger wie der Märler, der 
Schwabe wie der Steirer, der Bayer wie der 
Franle, der Sachſe wie der Tiroler u. f. w. 
je als Typus künſtleriſch geflärt auf die 
deutihe Bühne käme Philo vom Walde 
hat in jeiner „Dorfhere” mit dem „Geigen— 
franzl*eine ſolcheGrundgeſtalt dargeftellt und 
Ihon dieſe Thatjahe gibt dem Drama 
Bedeutung. Weitere Schönheiten, bejonders 
der jchlefiihe Humor, durdleudten und 
durhmwärmen das Stüd, und die Liebe zum 
Volke gibt ihm bejondere Weihe, R.W. 


Nordböhmifche Dorfgelhihten. Bom Ber: 
fafjer der „Geſchichten vom Hodewanzel* 
(Warnsdorf. Ed. Strade. 1889.) 

Wer fih an die „Geſchichten vom Hocke— 
mwanzel* erinnert, für den braude ich über 
diefes Buch fein Wort zu jagen, fein ein: 
jiges, als dafs es da ift. Er wird fofort dem 
Boten einen Groſchen geben und gleich jelber 
in die Buchhandlung laufen, um die „Nord: 
böhmischen Dorfgeihichten* zu holen, wird 
fih nadher damit in jeine Stube ein— 
jperren, fie lefen und ſich den Bauch halten 
vor Laden. Es ift fein Spajs, wenn der 
Menih jo viel lahen muſs, daher warne 
ih vor dem Buche! — Uber man fann 
fih allmählich daran gewöhnen, zu ſolchem 
Ende bringt der „Heimgarten“ eine Heine 
Dofis davon. Wem fie behagt, der ſoll 
nachher mehr nehmen. R. 


Ahasver, Ein Mahnruf in der Juden: 


frage. Vom Pfarrer W, Schirmer. 
Düffeldorf. (Danzig. U. W. Kafemann. 
1891.) 


Ein furzes, kräftiges, zeitgemäßes Wort 
gegen den Antijemitismus, Die Befleren des 
deutihen Volkes erheben endlih häufiger 
ihre Stimmen gegen diefe Geiftesfrantheit. 
Wenn der Untijemitismus eine gejunde 
Bewegung wäre, fo miljste den Anhängern 
desjelben klar jein, was fie wollen. Deſſen 
find fie fih nıdt Mar, Wenn man zehn 
Antifemiten fragt, wieſo fie fi den Erfolg 
ihrer Sade denken, jo wird man zehn ver: 
ſchiedene, meift recht verſchwommene Meir 
nungen hören. Der Aufrichtigfte wird jener 
jein, welcher gefteht: die Aufgabe des Anti: 
jemtismus ift, foviel als möglich und mit 
allen Mitteln den Hajs gegen das Juden— 
thum aufzuftaheln; das übrige gibt ſich 
dann von jelber. — Solden frommt freilich 
auch W. Schirmers Broſchürchen nicht. 
Ruhiger Denkenden aber iſt es zu em— 


pfehlen. R. 


Maientraum und Winterſchnee. Gedichte 
von Joſef Schwab. (Münden. E. Nißler.) 

Conſervativen Poeſiefreunden fann dieſe 
kleine Sammlung beſtens empfohlen werden. 
Schwab geht ſchlicht den Weg der Alten 
und findet auf demjelben mandes friſche 
und anmutbhige Blümlein, das von Bor: 
gängern überjehen worden ift. M. 


Bibliothek der Gefammtliteratur. Otto 
Hendel. (Halle a. ©.) 

Eben ift die zweite diesjährige Serie 
der 25: Pfennig: Yusgabe erſchienen. Diefelbe 


640 


enthält folgende Werke: Alfred Steuer, 
Galiziſche Gheltogeſchichten und Bilder; 
Leifing, Hamburgijche Dramaturgie; Bret 
Harte, Der Pflegling der goldenen Pforte, 
deutſch von Paul Heichen, eines der neueften 
Werfe des befannten amerilanifhen Humo— 
tiften, das bisher noch nicht in deuticher 
Überjegung erichienen war; Claude Tillier, 
Mein Ontel Benjamin, deutjh von Theodor 
Bergfeldt; E. Th. 4. Hoffmann, Das 
Majorat; Jules Berne, Eine Idee des 
Doktor Or, deutihd von Karl Albredit; 
dranz Freiherr von Gaudy, Aus dem 
Tagebude eined wandernden Schneider: 
gejellen. 


Wiener Rünfller»Dekamerone. Heraus: 
gegegen von Rudolf Wittmann und 
Moriz Brand, (Wien.) 

Mit den erjchtenenen Lieferungen 6-8 
ift diefes Werk feinem Programme gemäß 
mit hundert Beiträgen und Porträts her: 
vorragender Wiener Fünftler zum Ab: 
ſchluſſe gebradt. Das Durchblättern des 
zu einem ftattlihen Bande gewordenen 
Buches wird jedem freunde der Wiener 
Kunftwelt eine ganz reizende Sammlung 
zumeift recht Iuftiger Geſchichten aus der 
Weder unjerer Künftlerinnen und Künſtler 
jeigen. Die Erzählungen, jowie die einge: 
ftreuten Gedichte jcheinen einander an 
Anmuth überbieten zu wollen. @inhun: 
dert Porträts erhöhen den Reiz des 
Buches, V. 


Die Erziehung der Eltern. Meines Bruders 
Hüter. Zwei Laienpredigten vom Berfafjer 
von Yohn Halifar. Gentlemen. (Berlin. 
3. 9. Scorer.) 

Eine äußerft feine, pilante Leltüre! 
Uber den Damen rathe ih, das Büdlein 
bei verſchloſſenen Thüren zu lejen, . x 


Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen: 


Der Mönd; von Berdtesgaden und andere 
Erzählungen, von Richard Voß. Stutt- 
gart. 3. Engelhorn. 1891.) 

Verfönlide Grinnerungen an Robert 


Hamerling. Bon P. K. Roſegger. (Wien. 
A. Hartleben 1891.) 


Für die Redaction verantwortlid 2. 8 


Bilder aus der Beit der Gegenreformaliem 
in Oſterreich. (1564—1618.) Bon ®r. 
a. J Scheichl. (Gotha. F. U. Perihes 
1590. 


Dante Alighieris Stellung zur Kirche 
und Staat, Kaijertbum und Papftthum. 
Eine Etudie von ®. C. Schirmer. (Düfiel: 
dorf. Schrobsdorff'ſche Buchhandlung. 1891.) 


Im Rretfham zu SFihtenthal. Unter: 
baltungen über den Liechtenſtein'ſchen Schul: 
antrag. Vom Berfafler der „Geſchichten 
vom Hodewanzel*, (Warnsdorf, E. Strade. 
1889.) 


Das Wiener Burkhard» Cheater. Bon 
Karl Goldmann. (Wien. R.Löwit. 1891.) 


Stille Gedanken eines der vierzehn 
Nothhelfer, oder „Friedensbiſchöfe“ Deutſch— 
lands, Verrathen von Aleth Chriftian. 
(Halle a. d. ©. Eugen Strien. 1890.) 


La questiin de la femme c'est la 
qnestion de Ja mere par Michel de 
Zmigrodzki. (Paris. L. Sanvaitre, 
editeur, librairie generale.) 


.. 6. Freytag, Heidhsrathswahlkarte von 
Öferreid mit den Ergebnifien der Wahlen 
im März 1891. (Verlag von G. Freytag & 
Berndt, Wien, VII.) 


Poftkarten des „Heimgarten‘. 


@ A. R., Wien: Auch über Ihre Ge: 
dichte kann nichts anderes gejagt werden, 
als über hundert andere Einjendungen. 
Eine gewifle Formgemwandtheit, Nachempfin— 
dungen, aber leine Urfprünglidleit, feine 
padende Eigenart. 


* Im Gedichte „Wie der Bater Rhein 
Hochzeit machte“ (Seite 468) muſs es in 
der 6. Strophe „In ihrem bangen Sehnen”, 
und in der 22, Strophe „Berjüngt fie 
auf zum Throne“ heiken. 


R. J., Bruk a. d. Feitha: „Irchen“ 
gegerbtes Thierfell; irchene Hoſe: Lederhoſe. 

B. 3., Berlin: Bei Preisausſchreibungen 
bitte ih mich gütigft umgehen zu wollen. 
Ich babe mid an literariihen Preis: ons 
eurrenzen nie betheiligt und werde e8 auch 
nie thun. : 





Bofegarr. _ Druderei „Reylam* in Gray. 








Bortor Rumpf. 


Eine Erzählung aus der Theaterwelt von Hans Malfer. 


er nagelte Viſitkarte. „Doctor 


Rumpf.“ Nichts fonft als diefe Worte; 
e3 war auch genug; jedermann der 
Stadt wujste, wer Doctor Rumpf war. 
Er war die Kunftmeinung der Be— 
mwohner und dad Schidfal der Künſtler, 
er war Redacteur der „Hohen Warte”, 
Referent in Theater- und Kunſtſachen. 
So wie der Bäder die Semmeln des 
Morgens den Leuten ins Haus jchidt, 
jo Ihidte Doctor Rumpf die Meinung 
über das Theater für den täglichen 
Gebrauh. Die Bürger der Stadt 
waren arbeitfam und hatten etwas 
anderes zu thun, als fich eine Mei— 
nung über Kunſt und Literatur jelbit 
zu bilden, die mufste aljo Doctor 
Rumpf maden, und man bezahlte für 
die tägliche Lieferung ins Haus ‚einen 
mäßigen Abonnementsbetrag. Doctor 


Rumpf befriedigte feine Kunden ſeit 


Jahren zur volliten Zufriedenheit. 


Rofegaer’s „„Grimaarten‘‘, 9, Geft,. XV. 


rüland fand an der Thür und| Die Künſtler, Schaujpieler, 
ſtarrte auf die am diefelbe ge= | beteten ihm am oder verfluchten ihn. 


Boeten 


Ihr Schidjal ftand in feiner Hand. 
Wen er für gut erklärte, der war 
vom Bublicum bewundert; wen er 
tadelte, der war gerichtet. Doctor 
Rumpf war objectiv und unbeſtechlich. 
Nur eine alte Hausfreundin hatte er, 
von der böje Zungen jagten, dafs jie 
ihn beeinfluffe — die Gicht. Wenn 
das Podagra zwadte, war er ftrenge 
aber gereht; wenn es wicht zwackte, 
war er manchmal milde, aber gerecht. 
Gerecht immer! er jagte es jelbit. 

Zu diefem gewaltigen Manne nun 
jollte der junge Früland eintreten. 
Sein Herz pochte lauter, als feine 
Finger an der Thür. 

„Herein!“ Sonor und ernft war 
diejes Herein. Doctor Rumpf jah an 
jeinem Screibtijche und war von drei 
Seiten eingemauert mit Büchern. Die 
Bücher find des Gelehrten Gehirn, 
Der Doctor war ein älterer breitjchul- 


teriger Mann mit vorgeneigtem Haupte. 
Eine große Glaße und rüdwärts über den 
Naden binabhängendes kohlſchwarzes 
Haar, dejlen Strähnchen ſich am Ende 
ein wenig ringelten. Graue, freund— 
lihblidende Auglein, ziemlih lange 
Naſe, breite, forgfältig rajierte Baden, 
buſchigen Schnurrbart, der auch Schwarz 
war, ja heute jogar einen Stich ins 
Bläuliche hatte, weildie yarbenmiichung 
nicht mit der nöthigen Sorgfalt ge= 
macht worden, 

Der Doctor blieb natürlich ſitzen, 
als der junge Mann eintrat. Aber 
nicht ohne MWohlgefallen blidte er auf 
die in mufterhaft gehaltenem Salon 
anzug dor ihm ftehende hübſche Geftalt. 

„Wünjchen!” fragte er. 

„Herr Doctor, ich bitte jehr um 
Entihuldigung, wenn ich ftören follte“, 
fagte der junge Dann mit einiger 
Bellommenheit. „IH erlaube mir, 
mich vorzuftellen als Ernft Früland.“ 

„Ah, der neuengagierte Liebhaber!“ 
tief Doctor Rumpf, „bitte, nehmen 
Sie Pak. Wir hören, dafs Sie ein 
hübjches Talent find. Sie kommen 
bon Brünn?“ 

„War feit einem Jahre dort en— 
gagiert und glaube mir jchmeicheln 
zu dürfen, daſs da3 Brünner Pub: 
licum mit mir micht unzufrieden ge— 
weien. Bei meinem Abjchiede ward ich 
mit einem großen Lorbeerfranze ausge: 
zeihnet —“ 


642 


ftanden, daſs ih Schauspieler werden 
wollte,“ 

„Und warum find Sie e3 denn 
geworden 2” 

„Herr Doctor!“ ſagte der junge 
Mann, und in feinem ſchönen Auge 
lag ein lebhafter Glanz. „Ih liebe 
meinen Vater jehr. Aber diefes Opfer 
fonnte ich ihm micht bringen, wenn 
ich micht mich ſelbſt ganz und gar hätte 
verneinen wollen. Das Theater iit 
mein Leben. Ich bin nichts, ich kann 
nichts, wenn nicht die Bühne unter 
meinen Füßen ift, auf diefem Boden 
bin ih Meuſch und werde ein großer 
Künſtler werden, ich fühle es.“ 

„Na na“, lächelte Doctor Rumpf 
und legte dein jungen Manı die Haud 
auf die Achſel. „Keine Suppe wird 
jo heiß gegeijen, als fie gelodht if. 
Jeder junge Schaufpieler fühlt einen 
Devrient oder mindeftens einen Son: 
nenthal in ſich. Der Kerl da drinnen 
wird allmählih ſchon mürbe werden. 
Nun, was an uns liegt —” 

„Ich bitte, Here Doctor, um Ihr 
Wohlwollen.“ 

„Seien Sie nur hübſch fleißig. 
Wir ſind gerecht. Sehen Sie, 
was wir für nette Sachen haben.“ 
Der Doctor wies an die Wände feines 
Zimmers, wo wertvolle Olgemälde 
biengen, Kiünftler-Borträts in Photo— 
graphie, jeidene Schleifen, auf Heinen 
Tiſchen filberne Zintenfäjschen, elegante 


„Brunn bedeutet nichts, lieber | Gigarrenjtänder, an den Winkeln elfen— 


Früland“, unterbrach ihn der Doctor, 


beinerne Spazierftöde und dergleichen 


„erit Hier wird ſich's zeigen, ob der/mehr. „Lauter Präſente. Freuen uns, 


Ihnen dorausgegangene gute Ruf ein 
gerechtfertigter ift oder nicht.“ 

„Um gütige Nachſicht werde ich 
unter allen Umfländen bitten müſſen“, 
ſagte Frülaud beſcheiden. 

„Wer ſind Sie von Haus aus?“ 


„Mein Vater iſt ein Heiner Staats: | 


beamter in Wien; er wollte auch mich 
für die Beamtenlaufbahn beitimmen, 
allein mich zog's zum Theater, Es 
hat einige Kämpfe gegeben.” 
„Mit wem? Mit Ihrem Bater ?“ 
„Er war durchaus nicht einver— 


aber beitimmen uns nicht. Unſer Cha— 
rafter geitattet es uns, ſolche Dingel- 
hen ruhig anzunehmen, ohne Gefahr 
zu laufen, unſere Objectivität zu ver— 
lieren. Wir find immer gercht. Wann 
treten Sie auf?“ 

„Morgen, Herr Doctor.” 

„Alſo recht viel Glück bei uns. 
Hoffen, dafs wir gute Freunde bleiben 
werden,“ Sp der Doctor und jchüttelte 
dem jungen Manne wärmftens die 
Hand. 

Entzüdt über die Liebenswürdigs 





643 


feit des Kritikers, über den er manches 


Schlimme gehört und den er jo ſehr 


gefürchtet hatte, verließ Früland deſſen 
Wohnung und mit frohem Muthe jah 
er jeinem Debut entgegen. 

Diejes kam. „Cabale und Liebe“ 
wurde gegeben. Früland fpielte den 
Ferdinand, Er jpielte mit 
Friſche und Herzglut, die ich allmählich 
bis zur gewaltigen Leidenjchaft ſtei— 
gerte und die Zuſchauer zu einem 
wahren Beifallsſturm hinriſs. 

In der darauffolgenden Nacht 
ſchloſs der junge Schauſpieler fein 
Ange, er war allzuglüdlich. Und wenn 
man jo glüdlich it, kann man nicht 
ſchlafen — und joll auch nicht. Der 
Schlaf ift etwas für Unglückliche. 
Früland dachte au feinen Vater, wie 
er diefen durch den Erfolg verjöhnen 
werde, dachte an feine Zukunft, die 
er num ſachte begründen wolle und 
nahm ſich feſt vor, au im Glüde 
gleich ftrebjam und beicheiden zu blei= 
ben. Als es ein wenig tagte, verlieh 
er das Bett, gieng auf die Straße 
und dort jpazieren, bis einer der Zei— 
tungsläden geöffnet werden würde. 
All jeiner Tage hatte Früland nichts 
mit folder Sehnſucht erwartet, als 
an dieſem Morgen das Frühblatt der 
„Hohen Warte”. Kaum die Bude ge— 
öffnet war, ftürzte er hinein, erhafchte 
ein Ereimplar des noch feuchten Blattes, 
fegte einen Zwanziger hin, ohne die 
Herausgabe des Überſchuſſes abzu— 
warten. Mitten auf der Gaſſe ſtand 
er im Nebelgranen und durchflog Die 
Zeitung. — Theater. Gabale und Liebe, 
Ein langer Auffag! Saperlot, da 
geht's anders zu als in Brünn! Da 
würdigt man die Glafjiter! — Eine 
gelehrte Abhandlung über Schillers 
Drama, einige Vergleiche Ddesjelben 
mit anderen Theaterjtüden verſchie— 
dener Literaturen, ein paar nette Anek— 
doten, ein paar ſehr beberzigens= 
werte Rathſchläge auch, die der Dichter 





großer 


die Kritik über die fchaufpielerifchen 
Leitungen. Here X. veranfchaulichte 
uns den Präfidenten gut. Herr Y. war 
geitern minder, jo ſchien uns auch 
Frau U. nicht disponiert zu jein, 
wohingegen Fräulein 3. als Lonije 
zu dem Anmuthigſten und Reizenditen 
gehörte, was wir jeit langem geſehen. 
Diefe junge Dame — und hier ward auf 
das Eingehendite ihre körperliche Er: 
Iheinung gewürdigt. Endlich hieß es: 
Herr Früland gab den Ferdinand mit 
allen Eigenfchaften eines Anfängers; 
wir wollen hoffen, dafs der junge 
Mann in anderen Rollen das Enga= 
gement auf dem hieligen Theater recht— 
fertigen wird. Blau wurde dem 
armen Menfchen vor den Augen, als 
er dies las. Er taumelte einige Schritte 
dahin, er lad nochmals und es hie; 
nicht anders. 

Er verkroch ſich wieder in feine 
Wohnung und gieng den ganzen Tag 
nicht hervor. Selbit der alten Bes 
dienerin getraute er ſich micht ins 
Gefiht zu Schauen vor Scham. Es 
war ihm, als müſſe jedermann Die 
Kritik gelefen haben und jo erfüllt 
von ihr jein, als er jelbit, aber 
nicht erfüllt von Schmerz und Trauer, 
wie er, ſondern von Miſsgunſt und 
Schadenfreude. Und wahrlich, er täufchte 
fih nicht. Bald war die ganze Stadt 
davon überzeugt, daſs der neue Lieb» 
haber ein Stümper jet. 

„Darum age ich“, meinte einer zum 
anderen, „auf den Applaus darf man 
nicht gehen, der kann bezahlt fein.“ 

„Über Freund, du haft ja ſelber 
mit applaudiert !* rief der andere. 

„Weil mich der Kerl überrumpelt 
hat. Ich Hielt ihn geitern abends wirk— 
lich für einen guten Schaufpieler und 
nun ſehe ich, dals alles BVeritellung 
war.“ 

Für Früland gieng nun ein raſt— 
(ofes Leben an, nein, nicht ein Leben, 
jondern ein hartes Arbeiten und Ringen, 


ch leider nicht mehr zunußge machen | Ex wurde viel beichäftigt und für der» 
fonnte, etliche Bemerkungen über die ſchiedene Rollen; er mujste Liebhaber 
Infcenierung des Stüdes und endlich | jpielen, und claffiiche Helden und 


41* 


644 





moderne Lebemänner, Er lernte ohne | gewaltigen Dannes. Etwas von „hoher 
Unterlajg, in den Nächten noch ſchritt | Ehre“ ftotterte er. 

er in feiner Kammer auf und ab und „Recht brav waren Sie heute!“ 
lernte. Er gieng in Büchereien und |fagte der Doctor. „Sie haben Wen— 
ftudierte Dramaturgien, er gieng auf dungen gebradt, die unſere Anficht, 
Gaſſen und Markt und ftudierte Men- daſs Sie ein ganz hübſches Talent 
jhen. Er gab auf der Bühne feine | find, nur betätigen. Immer friſch fort 
Kraft, fein ganzes Weſen aus. Seine ſo! Und gönnen Sie fih aud etwas 
Mitjpielenden wurden oft duch raus [mehr Erholung, lieber Früland, Sie 


ihenden Beifall geehrt, bei Früland 
regte jih faum eine Hand, denn die 
Kritik that ihn ſtets ſo nebenbei und 
furz ab, dajs die Leute ſchon im vor- 
hinein ihm das Intereſſe verweigerten. 
Nur hoch oben auf der Gallerie ward 
manchmal ein Zeichen laut, das für 
ihn ſprach. Denn das Galeriepublicum 
liest nicht regelmäßig die Zeitung. 

Eines Abends nach der Vorftellnng 
des „Pfarrers von Kirchfeld“ ſaß 
Früland im Gafthaufe und verzehrte 
ein paar Würſte und ein Glas Bier. | 
Er ſaß allein an einem rüdwärtigen | 
Tiſche und hieng jeinen ſehr gemifch- 
ten Empfindungen nad. Innerlich war 
er mit feiner heutigen Leiftung nicht 
unzufrieden, ein Theil des Publicums 
hatte auch ein paarmal Anlauf ges 
nommen, ihm zu rufen, war aber 
niedergeziicht worden. Und mie heiß 
dürftete er nach einem Erfolg, ſchon 
jeines Vaters wegen, von dem immter 
nur Vorwürfe famen über den „mijs= 
rathenen Sohn“, der noch als Theater: 
ftatift verbummeln und  verlottern 
werde. — Und dann war in leßterer | 
Zeit noch ehvas geworden. Gin Mäd= | 
hen Hatte er fennen gelernt... | 

In jeinem bitterfühen Sinnen 
wurde der junge Schaufpieler unter= 
broden von einem Herrn, der an 
feinen Tisch kam. 

„Nun, Herr Pfarrer”, redete BIEIER 
ihn an, „mir fcheint, es ftedt Ihnen 





jehen etwas angegriffen aut. Man 
muss auch feine Gejundheit nicht ver— 
nachläſſigen. Guten Abend, Lieber!“ 

Und freundlich, wie er herange— 
kommen, gieng er zufrieden noch feine 
langen Locken ſchüttelnd wieder von 
binnen. 

Früland war auf das tieflte und 
freudigfte erregt. Endlich die Achtung 
diefes Mannes errungen zu haben — 
dad mar eine günftige Schickſals— 
wendung. 

Sm nächſten Morgenblatt, von 
dem Früland ih mehrere Stüd 
fommen lieg, um folde an feinen 
Vater und an feine Belannten zu 
Ihiden, ward fürs erjte das Volks— 
ftüd „Der Pfarrer von Kirchfeld“ in 
wenigen Zeilen abgethan: „Es gehört 
zu jenen Dramen, in welden Rühr— 
jeligfeit mit aufdringlicher Moral ſich 
unangenehm vermiichen. Der zweite 


und dritte Act enthält einige padende 


Scenen, im eriten bleibt uns das 
Bauerngejodel nicht erjpart, ein Rea- 
lismus, der fich auf der Bühne immer 
mehr breit zu machen beginnt. Der 
vierte Act ift mijslungen, der Schluſs 
fehlt ganz. Unter den Daritellern hatte 
nur Fräulein 3. Gelegenheit, ihre 
glänzende Begabung neuerdings zu 
befunden. Der bezaubernde Liebreiz 
diefer Schauspielerin hat einen Hauch 
über das Stüd gelegt, deswillen wir 
uns auch weitere Borftellungen dieles 


immer noch die Anna Birkmeier im an und für ſich unbedeutenden Bühnen— 
Kopf, dais Sie fo verfunfen find in werkes gerne gefallen laſſen wollen. 
tiefe Traumereien. Darf man ſich ein Der «Wurzelſeppy, ja doch nur eine 


bijschen zu Ihnen fegen?“ 

Doctor Rumpf war's. Früland 
Ichredte empor, berührte zitternd und 
erröthend die Hingehaltene Dand des 


Epiſodenrolle, drängt ſich zu jehr vor. 
Der «Pfarrer Hell» des Herrn Früland 
möge jich das Agieren mit der rechten 
Hand abgewöhnen.“ 


645 


Das war die Kritik. Und darum 
hatte Früland mehrere Eremplare der 
„Hohen Warte“ gefauft, um fie zu 
verichiden an feinen Vater, an feine 
Belannten, und au — fie, 

An einem der fpäteren Abende 
ſaß Doctor Rumpf wieder im Gaſt— 
baufe, das Früland zu befuchen pflegte. 
Diesmal gieng diefer zu ihm und der 
Doctor lud ihn freundlich ein, ſich 
an feinen Tisch zu ſetzen. Der Schau— 
jpieler war nun jchon etwas muthiger 
geworden, wenn er auch noch immer 
nicht3 von jenem überlauten Wejen 
hatte, das jonft dem Mimen in der 
Geſellſchaft eigen ilt. 

„Ich habe etwas auf dem Herzen“, 
ſagte er leiſe zum Kritiker, „Jeien Sie mir 
nicht böje, Herr Doctor! Ich bin ſchon 
faft lahm. Die verehrliche Kritit —“ 

„Sind Sie mit uns nicht zu— 
frieden ?“ 

„So ftrenge, Herr Doctor!” 

„Wir mit Ihnen ftrenge? Aber 
lieber Freund, wir befallen uns ja 
gar nicht mit Ihnen. Sie geben ja 
nur felten Anlafs, Sie zu rügen.“ 

„Finden Sie denn gar feine gute 
Seite an mir, wicht einen einzigen 
Vorzug an meinem Spiele? Nicht ein 
einziges ermutbhigendes Wort? ch 
gebe mir jo jehr Mühe.“ 

Doctor Rumpf legte dem jungen 
Mann die Hand auf die Achſel und 
jagte lähelnd: „Nun ja, ich weiß, 
ihr wollt immer gelobt fein. 
dazu iſt dod die Kritik micht da! 
Loben mujs euere Leiſtung ſich jelber. 
Auch das Publicum joll euch loben, 
ich Habe nichts dagegen. Die Kritik 
hat nur das Fehlerhafte aufzuzeigen, 
damit es verbejjert werden kann.“ 

„Herr Doctor”, ſprach nun Frü— 
land, „habe ich bei der zweiten und 
dritten Borftellung des »Pfarrers« 
auch wieder zu viel agiert ?” 


„Nein, da waren Sie ſchon brav.“ 
„Ih bin ein junger Menſch, ein 
Anfänger, der danfbar ift für jeden, 


Mint, wie er ih vervollkommnen 
lönne. 


Uber 


Sie find jachverftändig, Sie; 


haben die Güte, meinem künſtleriſchen 
Streben Beahtung zu ſchenken. Sie 
find mir perſönlich immer jo wohl— 
wollend entgegengelommen. Wenn ich 
Sie bitten dürfte, auf die hervor— 
tretendften Fehler, die ich auf der 
Bühne wohl begehen mag, mid 
perjönlih aufmerkſam zu machen. 
‚Wenn Sie mir legten dort an jenem 
Tiſche nur mit einem Worte ange— 





‚deutet hätten, daſs ih als Pfarrer 
Hell zu jehr agiere, jo wäre die öffent- 
liche Rüge nicht nöthig gewejen.“ 


Der Doctor blidte faſt verblüfft 


auf Früland. „Sie find doch ein biſs— 
hen zu naid, mein Lieber!” jagte er 


‚dann, bald darauf erhob er ſich und 
gieng. 

Am nächſten Tage theilte Früland 
ſolches Geſpräch einem jeiner älteren 
Collegen mit. Diejer lachte ihn aus. 
„Diesmal Hat er wirklich recht, der 
‚Herr Doctor Rumpf, du biit gar 
zu naiv“, fagte er. „Unfere Fehler, 
die find ja der Stoff, don dem er 
‚leben muf3. Und dieſen Stoff ſoll er 
dir unter der Hand wie ein Almojen 
ſchenken, anftatt ihn zu verkaufen, die 
Zeile um ſechs Kreuzer!“ 

Früland gieng fait betäubt von 
hinnen. Er dachte nach über Diele 
ſonderbare Einrichtung, über den Wert 
‚einer ſolchen Kritik — und er fonnte 
lich die Dinge nicht veimen. Er gieng 
‚in das Haus des Kaufmannes Knopper, 
dort fand er immer Troſt, wenn er 
‚betrübt war. Denn dort lebte fie. 
Untonia, das liebe, Ichlichte, geicheite 
Mädchen, welches in dem jungen Mann 
nicht bloß den menſchlichen, ſondern 
auch den künftleriichen Gehalt bereits 
erfannt Hatte. Sie allein dachte nicht 
au die „Hohe Warte”, jie allein war 
ganz Seele bei jeinen Spiele, lie ver= 
ſtand ihn, fie litt mit ihm, fie Sprach 
ihm Muth zu. 

„Beliebtes Kind!” rief er Heute, 
„mein Muth will alle werden. Wen 
es jo fortgeht, wirit endlih auch du 
Ich spiele ju 
eine armfelige Rolle in diejer Stadt.“ 


dich von mir wenden. 


640 


„Spiele fie nur gut, Ernſt!“ ſagte 
das Mädchen und legte ihren Arm 
um feinen Naden. 

„Deinetwegen will ich Gewifsheit 
haben, dann ertrage ich alles. Ge: | 
ftatte es endlich, Antonia, daſs id 
mit deinem Water Ipreche.” 

„Mein Vater ift dir gut, aber ich 
weiß nicht, ob es ſchon an der 
Zeit it.” 

„sch ertrage es nicht mehr länger, 
ich will heute mit ihm ſprechen.“ 

„So thue es.“ 

Was aber jagte der alte Knopper? 
„Lieber Früland“, jagte er, „wie 
fönnen Sie an die Gründung eines 
Hausftandes denken, jolange Sie 
Ihre Stellung nicht befeftigt haben ! 
Mifsverftehen Sie mich nicht, nad 
meiner Anſicht find Sie ein guter 
Schaufpieler, aber was nützt das, jo» 
lange die öffentlihe Meinung das 
Gegentheil annimmt. Es ift nun ein« 
mal bon ton zu jagen: Der Früland 
ift eine höchſt mittelmäßige Kraft, 
heute fteht ja fchon wieder in der Zei: 
tung, dafs — und fo weiter. — 
Übrigens, Sie find ein anſtändiger 
Menſch, im Principe habe ich gegen 
eine Verbindung meiner Zochter mit! 
Ihnen nichts einzuwenden. Ich bin; 
auch nicht gegen eine vorläufige Ver- 
lobung. Ai die Hochzeit aber denken 
Sie erft, bis Sie Stellung gefafst 
haben.“ | 

Nach diefem Geſpräche vergiengen | 
nicht viele Tage und Früland mit) 
Antonia meldeten jich bei Doctor Rumpf | 
und ftellten fi vor als Derlobte. | 
Überwindung koitete es ihnen freilich. 

„Was Zeibel!“ rief der Doctor! 
luſtig aus. 
Unverheiratete Schauſpieler ver— 
ſumpfen leicht. Haben ſich auch ein 
friſches Röslein erwählt!“ Ein biſschen 
ans Kinn langte der Schäfer den 
Mädchen. „Werden Sie fi auch der 
Bühne widmen, mein Fräulein?“ 

„Nein, Herr Doctor. Ich bitte, 
Sie aber, daſs Sie meinem Ernſt gut 
ſind, auch in der Zeitung. Solange 








„Na, es ift ja ſehr hübſch. J 


En Sm / 
. 7 


Sie gar ſo arg ſtreng ſind, dürfen 
wir nicht zuſammenheiraten.“ 

Der Doctor blidte fie ſchmunzelnd 
an und rief: „Ein prächtiges Mädel! 
das follte man in ein Luſtſpiel ſtellen. 
Apropos, Früland, wiſſen Sie ſchon 
das Neueſte? Nicht? Ich will es Ihnen 
anvertrauen. Hier!“ Er ſchlug mit 
der flachen Hand auf ein Manufeript, 
das auf dem Schreibtiſche lag. „Eine 
Komödie! Von mir! Wird nächſtens 
aufgeführt! Nehmt euch zujammen ! 
Früland hat darin eine magnifique 
Rolle. Wir jprehen davon. — Ich 
gratuliere euch, Kinder! Uber uns jollt 
ihr feine Stlage haben, wir find immer 
gerecht.“ 

Der beiten Hoffnungen voll ver— 
ließen fie den Doctor. Allein Frülands 
älterer Gollege war nicht jo ver— 
trauensfelig. 

„Schlimmeres könnte uns nidt 
leicht paſſieren“, ſagte diefer, „als 
dajs wir die Komödie des Doctor: 
Rumpf aufführen müſſen.“ 

„Warum, Freund, da können wir 
ja mit Einfegung aller Kraft ihn uns 
verpflichten.“ 

„Das Stüd fällt duch!“ rief der 
andere. „Ih Habe es gelefen. Es 
fällt, und dann denke dir die Folgen!“ 

Früland dachte fie und jchauderte. 


In die Schaufpielerischen Kreife von 
M. war eine merkwürdige Erregung 
gefahren. In Vorbereitung ſtand: „Der 
Engel.“ Luſtſpiel von Jonas Rumpi. 
eder der darin Beichäftigten mollte 
fein Beſtes, fein Allerbeites leiften. Die 
Dauptrolle, Angelina, lag in den Hän— 
den des Fräuleins Z.; ſie war dieſer 
Schaujfpielerin auf den Leib gejchrie- 
ben. Früland follte den liebenswürdigen 


Verführer geben, der nach allen Regeln 


franzoſiſcher Luſtſpiele ſchließlich den 
Sieg davonträgt. Er ſtudierte ununter— 
brochen, er wollte eine Muſterleiſtung 











— — 





bieten, um den geſtrengen Kritiker 
endlich von ſeinem Talente zu über— 
zeugen und für ſich zu gewinnen. 

Es war aber kein glücklicher Abend. 
Außer einigen ſehr lebhaft Applau— 
dierenden, die in faſt verhängnisvoller 
Symmetrie vertheilt waren im Parterre 
und auf der Gallerie, rührte ſich keine 
Hand. Als der Galan der Angelina 
einen ſehr frivolen Antrag ſtellte, 
wurden ſogar Ziſchlaute gehört. 

Die am nächſten Tage folgende 
Kritif über das Etüd war natürlich 
nicht von Doctor Rumpf gejchrieben, 
jondern von einem anderen Mitgliede 
der Redaction. In derjelben war die 
Rede von einer höchſt eleganten Lei= 
fung franzöſiſcher Schule, von einer 
jpannenden Schürzung und feinen 
Löſung des Knotens, von einem ftellen- 
weile geradezu brillanten Dialoge. 
Leider jei durch ſchlechte Auffaſſung 
und mangelhafte Wiedergabe der 
Dandelnden jeitens der Darfteller das 
trefflihe Stüd nicht zur vollen Gel: 
tung gelommen. 

Meiter ließ dieſer Kritiker Sich 
nicht ein. Um jo grümdlicher gieng 
an einem nächſten Tage, als „Wilhelm 
Tell” gegeben wurde, wieder Doctor 
Rumpf daran, der zu jeinem übrigen 
Arger auch wieder ftart an Podagra 
litt. — Es wäre endlich an der Zeit, 
jo fchrieb der Doctor, mit diejer ſich 
überlebt habenden Richtung zu brechen. 
Er jei ja auch ein Freund der Elafjiker, 
er leſe felbft noch manchmal einen, 
allein auf der Bühne hätten fie aus 
gejpielt. Eine moderne Zeit habe ihre 
modernen Dichter, und dieſe jollte jie 
pflegen und hochhalten. Ubrigens, 
wenn der Zell nicht Schon todt wäre, 
Herr Früland hätte ihn nun umge— 
bracht für alle Zeiten. Frülands Tell 
jei alles eher als ein Held. Diejer 
Menſch (Früland) Scheint ſich den Ein— 
tritt in den Muſentempel nur erſchlichen 
zu haben, um dramatiſche Meiſterwerke 
zugrunde zu richten. Wenn er ſchon 
nicht jo viel Feingefühl Habe, die ihm 
legtlih gewidmeten unzweideutigen 


— — — — — —— — — — — — — U — — —— — — — — — — ——— — — — —— — 


647 


Ziſchlaute zu verſtehen, ſo möge er 
wenigſtens den Rath eines zwar ſtren— 
gen, aber ftet3 gerechten und erfahrenen 
Mannes beherzigen, der darauf hinaus— 
geht, daſs Herr Ernſt Früland von 
der Bühne ſich stille entfernen und 
ein Handwerk lernen folle. 

Fräulein Antonia, welches an dem— 
jelben Morgen als die Erſte jolches 
Referat las, vertilgte das Blatt jofort. 
Uber e3 Half ihr nichts. Am Mittag, 
als der Bater vom Gabelfrühftüd nach— 
hauje kam, jagte er: „Ya meine liebe 
Tochter, den Herrn Früland wirjt du 
dir mohl aus dem Stopfe jchlagen 
müſſen. Was ſoll's mit dem? Ein 
ganz talentlofer Menſch. Du Haft mir 
zwar die heutige Zeitung verftedt, 
aber ich Habe von ungenannt bleiben 
mwollenden Wohlthätern vier Eremplare 
davon zugeſchickt bekommen, eine gewiſſe 
Stelle blau angeſtrichen. Antonia, ich 
wünſche, daſs du ihm höflich aber 
entſchieden den Abſchied gibſt.“ 

Antonia antwortete nichts, ſie 
weinte nur. Und fie ſann darüber 
nad, wie das erlaubt fein könne, dafs 
ein Menjch den anderen jo geradehin 
zugrumde richten darf. Eine Lüge iſt's, 
was Doctor Rumpf jagt. — Früland 
iſt ein Künstler! Ich will ihn nicht 
verlafien, Wenn er den freundlichen 
Rath diefes Deren befolgen und ein 
Handwerk lernen follte, jo will ich eine 
brave Handwerfersfrau werden. Und 
wenn er Schaufpieler bleibt, was er 
ja muſs, weil er nicht anders Tann, 
und wenn er die hiejige Bühne ver— 
laſſen muſs und Fein Engagement 
findet, jo will ich doch ſehen, ob und 
ein Zeitungsfchmierer auseinander: 
bringen kann. — 

An Nachmittage kam Früland. 
Er war ſehr ruhig, aber blajs. 

„Die Zeitung Haft du gelejen“, 
jagte er zu feiner Braut, „nun lies 
auch diejen Brief.“ 

„Ein Brief? Von Doctor Rumpf 
an dich ?” 

„Lies ihn.“ 

Doctor Rumpf ſchrieb an Früland: 


„Lieber Herr! 


Mie ich erfahre, jollen Sie über 
unjere Bemerkungen in der «Hohen 
Marte» gefränkt fein. Daran thun 
Sie unrecht. Ein öffentlich Wirkender 
muſs auch fcharfen Tadel vertragen 
lönnen, bejonder® wenn er über- 
jeugt fein kann, daj3 der Tadelnde 
es wohlmeint. Wir haben vor Ihrem 
Können eine zu hohe Achtung, als 
dajs wir Sie immer nur mit eitlem 
Lobe regalieren möchten. Das brau— 
hen Sie nit. Seien Sie über- 
zeugt, daſs Stets Ihr Beſtes will 


davon. Mit Beklommenheit blidte fie 
ihm nad, als er draußen raſch die 
Gaſſe dahingieng, die gegen die Donau— 
auen führte. Sie wird ihm morgen 
ein Wort jagen, daj3 er nicht unbe— 
fonnen handeln jolle. 

Das Mädchen ahnte nit, daſs 
ihr Bräutigam im der Bruſttaſche 
einen Revolver bei ih trug. Er war 
heute in diefes Haus getreten mit der 
feiten Abjicht, von dem Mädchen kurzen 
Abjchied zu nehmen, dann Hinaus zu 
gehen in die Au und fich zu tödten. 
Nun war das Wort: Pflicht gefallen. 
Er mufste heute noch jpielen. Aber 


Ihr wohlgewogener morgen joll die „Hohe Warte“ anjtatt 


Dr. Rumpf.“ 


Das Mädchen hatte diefes Schrei— 
ben gelefen und blidte nun mit ver— 
blüffter Miene auf den Bräutigam. 

„Was fagft du dazu?" Fragte 
diejer. 

„Das ift jchleht oder dumm,“ 

„sh vermuthe das letztere. Wenn 
er glaubt, dajs ein anerfennender 
Privatbrief den taufendfah in die 
Welt gejchleuderten Schimpf aufwiegt, 
jo ift es das letztere.“ 

„Ernſt, laſſe dieſen Briefabdruden.” 

„Wo? Wir haben kein Blatt, als 
die «Hohe Warte». Und hier würde 
den Brief Doctor Rumpf lächelnd in 
Empfang nehmen und beifeite legen.“ 

„Mas mwillft du thun ?“ 

„Lebewohl jagen. Ich bin une 
möglih. Noch Heute will ich fort.“ 

„Wohin, Ernſt?“ 

„Das weiß ich nicht.“ 

„Du ſtehſt ja Heute auf dem 
Theaterzettel. Wer foll für dich den 
Pfarrer Spielen? Sei ruhig, mein 
Burſche, du haft nicht das Necht, fo 
davonzugehen.” 


der üblichen Berfidvien die Notiz 
bringen bon dem Gelbitmorde des 
Schauſpielers Ernſt Früland. 

Des Abends auf der Bühne vor 
den Rampen vergaß er des Leides. 
Er war wieder in feinem Elemente, 
er dachte nicht an jeine Braut, nicht 
an Doctor Rumpf, nicht an das Pub— 
licum und nicht an den Revolver —- 
er war ganz der Pfarrer Hell von 
Kirchfeld. Ein tiefer elegiicher Ernit 
lag über der ganzen Geftalt. Im 
dritten Acte, als er den vor ihm zu— 
jammengebrochenen Wurzeljepp aufs 
richtete mit innig liebreihen Worten, 
gieng ein Hauch der Bewegung dur 
das Daus; und im vierten Acte, als 
er mit zitternder Stimme Wbjchied 
nahın von Anna Birkineier, ward im 
Publicum vielfach geſchluchzt. Doctor 
Rumpf ſaß ruhig auf jeinem Platze 
und jchrieb mit freundlihder Miene 
ein paar Worte in das Notizbuch des 
Sinnes, das Früland ein andermal 
doch das Tremolieren laſſen jolle. 

Als nach Schluſs des Stückes der 
Schauſpieler zwiſchen den Couliſſen 
hinausgieng, rief der Theaterdirector 


„Es iſt wahr. Meine Pflicht ver- auf ihn Hin: „Nun, Herr Früland, 





langt, daſs ich heute noch fpiele. es geht nicht recht, wie?" Diefe Be: 
Dann aber fündige ich der Direction, Imerfung beantwortete Früland mit 
und M. foll mich nie, nie wieder- ‚einem Achjelzuden. Als er hernad in 
jehen. — Antonia, ich danfe dir. der Barderobe feinen Rod anzog, ſchlug 
Lebewohl.“ un etwas hartes an die Bruft — 

Ehe fie ſich's verfad, war er gleichſam mahnend an das, was er 





ee . 


ich vorgenommen. Ju demfelben Augen | Als die beiden Herren noch ge: 
blit kam der Iheaterdiener mit der müthlid — denn nun war auch Frü— 
Nachricht, dafs im der Vorhalle ein land gemüthlich geworden — bei einem 
fremder Herr warte, der Früland zu Glaſe Rheinwein beiſammen ſaßen, 
jprehen wünfche. Auf der überreichten |fam Doctor Rumpf herbei, welcher 


Karte ftand der Name: Hofrath v. 
Scholl. 

Früland gieng hinaus, wurde von 
dem Fremden artig begrüßt und einges 
laden, mit ihm in das Rejtaurant des 
Hotels zu kommen, in welchen letzterer 
wohnte. Es war dasjelbe, wo aud 
Früland zu ſpeiſen pflegte. 

Eine Viertelftunde nachher ſaßen 
jie dort beifammen und der Dofrath 
jagte das Folgende: „Auf der Durch 
reife war ich heute durch ein Kleines, 
aber Gott jei Dauk vorübergehendes 
Unmwohljein genöthigt, Hier in M. 
einen Rafttag zu Halten. Den Abend 
wusste ich nicht beifer auszunüßen, 
al3 dafs ih mir das hieſige Thea— 
ter anjah. Ich fand's, wie man es 
eben in einer Heineren Stadt finden 
fann, mit Ausnahme Ihrer Leitung. 
Diefe Hat mich überrafht. Sie find 
noch in der Entwidelung, aber ich jage 
Ihnen, Sie haben ganz bejondere 
Mittel. Auf wie lange find Sie hier 
engagiert ?“ 

„Mein Contract gebt heute aus“, 
antwortete Früland düjter, jeine Hand 
an die Brufttajche legend. 

„Spielen Sie nur als Gaſt?“ 

„Sozuſagen ala Gaft.“ 

„Wollen Sie ein Engagement in 
unferem Hoftheater zu W. annehmen ?* 

„Habe dahin nie einen Antrag 
erhalten.” 

„Ich mache Ahnen eben einen 
ſolchen, Ich, der Hoftheater-Intendant 
zu W,, bin gerade auf der Suche nad 
einem erjten Helden und nehme Sie wie 
Sie find. Siebenhundert Mark Gage.“ 

„Siebendundert“, jagte Früland 
ziemlich gleihgiltig nad, „it zwar 
nicht viel —“ 

„Per Monat, jelbitverftändlich.” 

Früland horchte auf. 

Wenige Minuten ſpäter waren ſie 
einig. 


von ſeinem Tiſche aus die Männer 
ſchon ſeit einem Weilchen beobachtet 
hatte. 

„Grüß Sie Gott, lieber Früland“, 
ſagte er etwas nebenbei und gegen den 
Fremden: „Mein Name iſt Doctor 
Rumpf.“ 

„Mein Name iſt von Scholl“, ſo 
der andere. 

„Scholl? von Scholl? doch nicht 
etwa ein Verwandter des Hofrathes 
Scholl, des Generalintendanten in W.“ 

„Der bin ich jelber.* 

Ungenehme Überrafchung, ausges 
ſuchte Höflichleiten, der Doctor jeßte 
is zum Tische. 

„Ih entführe Ihnen Ihren Lieb: 
haber“, jagte der Hofrath, auf Frü— 
land weiſend. „Ich ſtelle Ihnen, Herr 
Doctor, Ihren alten Bekannten vor 
als den Heldenjchaufpieler Herrn Frü— 
land vom Hoftheater zu W.“ 

„Ad, das! das ift aber hübſch!“ 
rief der Doctor, und dann dem jungen 
Marne die Hand auf den Arın legend: 
„Sehen Sie, jehen Sie, lieber Freund! 
Was Habe ih immer gejagt? Jetzt 
jehen Sie es doch ein, wie wohl Ihnen 
meine Strenge befommen hat. Ya, ja, 
nur unter eimer tüchtigen Weifung 
lernt ihr etwas. — Wahrlid, manch— 
mal hat man feine liebe Noth mit den 
jungen Leuten, aber endlich bringt 
man fie doch voran. Na, Früland, ich 
fann es Ihnen nicht fagen, wie es 
mich freut, Sie jo weit gebracht zu 
haben. Es it feiner, der Ihnen herz= 
liher gratulieren kann als ih, Ihr 
alter Doctor Rumpf. Geben Sie mir 
doch die Hand!“ 

Früland zog die Hand aus der 
Brufttafjhe und legte den Revolver 
auf den Tiſch. 

„Kennen Sie das, Herr Doctor 
Rumpf?” fragte er mit finfterem Auge. 
„Beben Sie acht, das Ding ift 


50 


geladen. Die Kugel, die drin ſteckt, ſollte 
der Schluſspunkt ſein in meinem ver— 
fehlten Komödienleben, verſtehen Sie 
das? Der Schluſspunkt meiner jäm— 
merlichen Exiſtenz im Kuuſttempel, in 
welchen ich mich geſchlichen, um dra— 
matiſche Meiſterwerke zugrunde zu rich— 
ten. Verſtehen Sie das, Herr Doctor 
Rumpf?“ 

„Aber beſter Früland, Sie werden 
ja ganz tragiſch?“ Der Doctor lachte 
überlaut; die Gäfte des Pocals wurden 
aufmerkfjam auf den Vorgang. Frü— 
fand erhob jih und jagte: „Herr 
Doctor! Oft habe ich andere gejpielt 
und es gefiel Ihnen sicht, unn werde 
ich mich einmal jelber jpielen. Ich bin 
ein Menſch, der auch fein eigenes Leben 
febt und deſſen Meinung gerade fo viel 
Recht hat, ausgeſprochen zu werden, 
als etwa die Jhrige. Und dieſe Mei- 
nung will ich Ihnen jegt jagen, Herr 
Doctor! Die Kritik, wie fie in unferen 
Zeiten geübt wird, ift eine Ungerech— 
tigleit an der freien Kunſt und den 
Künftlern, denn fie iſt eine willkür— 
fie Beeinfluflung des Publicums, 
Entweder der Kritiker dociert nad) der 
alten Schablone, dann veriteht er die 
Zeit nicht, oder er will feine perſön— 
lihen  Liebhabereien zur Geltung 
bringen, jeine Launen jpringen lafien, 
dann wird er ebenjo einjeitig und ins 
conjequent jein, wie jeder andere. Er 
ist geichult auf die Kunſt, heißt es. 
Aber zumeijt veriteht er nur den Buch— 
ſtaben und nicht den Geift. Im beiten 
Falle ift die Kritik der Ausdruck der 
Meinung eines einzelnen; oft aber 
glaubt es der Recenjent jelber nicht, 
was er anderen glauben machen will. 
Und jelbjt der wohlmwollendite Recen— 
jent iſt Stimmungen unterworfen, 
jein verdorbener Magen oder fein Por 
dagra wird das böſe Scidjai der 
Künstler. Und erſt der gewiſſenloſe 
Recenjent! Wir armen Teufel mögen 
uns plagen und zufammennehmen wie 
wir wollen, ex nörgelt, er wißell, er 
iſt perfid und wenn er in den Zeilen 
auch ſcheinbar anerkennt, jo fteht doch) 


— — — — — — EEE —— — — — — — — ——— — —— — — — — 
ns 


zwijchen den Zeilen allerlei Bosheit 
und Tücke. Inter allerhand feinen 
Winkelzügen verjteht er dein Publicum 
den Künstler zu entfremden, ihn kalt— 
zulegen, ihn nah und nah unmög- 
lich zu machen. Das Publicum kennt 
den Schreiber oft gar nicht, weiß 
nichts von jeinem Charakter, ſeinen 
Fähigkeiten, und glaubt ihm doch. Viele 
behaupten zwar, auf Zeitungstkritit 
hielten fie nicht3, und beten ihr doch 
nah. Wir find ohnmächtig, ſchutzlos, 
der Willkür des erftbejten Scribentent, 
der weder Lehr! noch Ehr' hat, aus— 
gejeßt. Aus dem Buche der Anony— 
mität darf jeder Strauchritter auf uns 
giftige Pfeile abſchießen, und wehe 
dem Schaufpieler, der etwa einmal 
Gelegenheit nimmt, ſich zu vertheidigen ! 
Uns jhüßt fein Geſetz, wir find vogel= 
frei und noch niemand hat die Opfer 
gezählt, die, von einer boshaften Hritit 
in Verzweiflung geheßt, zugrunde ges 
gangen find. Da gibt es noch eine 
dritte Sorte don Kritikern, das find 
die Hohmüthigen, die Dünkelhaften, 
die eitlen Tröpfe, die gar feine Abficht 
haben, jemandem wehe zu thun, Die 
nur immer einen Wiß machen wollen 
oder ihre äfthetiiche Gelehrfamteit aus— 
framen, immerfort durch beftändiges 
Rügen und Meiftern gerne zu ber» 
ftehen geben, wie hoch fie über Künſtler 
und Publicum Stehen. Auch ſpielen fie 
gerne die Unbeeinflugbaren und Selbit: 
ftändigen, welche manchmal etwas ge: 
ade darum nicht loben, weil es gefällt. 
Berfönlih glatt und liebenswürdig. 
in der Zeitung rüpelhaft oder hämiſch, 
jo üben fie Gerechtigkeit. Um einen 
guten Wit, um eine Hübjche Wendung 


in ihrem Feuilleton iſt ihnen das 
Wohl der Künſtler feil. Unter der 


dinfelhaften Form, den Schaufpieler 
durch Strenge erziehen zu wollen, 
machen fie ihn durch Härte und Rück— 
ſichtsloſigleit kopfſcheu und verzagt. 
— Zu dieſer Sorte, mein ſchätzbarer 
Doctor Rumpf, gehören auch Sie. 
Zugegeben, daſs Sie nicht böswillig 
ſind, und doch iſt Ihr Lächeln, mit 






dem Sie mich jo oft perfönlich beglüdt 
haben, ein Grinfen der Graujamteit. 
Haben Sie eine Ahnung, was ich 


unter Ihren Kritiken gelitten? Wie: 


ih mich in Wuth und Scherz ge= 
wıunden babe unter dem Hohne der 
Menge, wie ih den unterminierten 
Boden unter meinen Füßen wandten 
fühlte und ohnmächtig, ohnmächtig 
war gegenüber meinem Peiniger? Und 
Sie, in Ihren Dünkel verpeljt, waren 
naid genug zu glauben, daſs das Als 
moſen eines perfönlihen Dändedrudes 
mich für alles tröften werde. Sie ge— 
brauchen die Prefje frivol und ver» 
langen, daſs man jie ernft nehme; und 
doch fiel es Ihnen nicht einmal ein, dafs 
Ihr Wort, ernft genommen, Herzen 
brechen könnte! Ja, Herr, Sie glauben 
jehr mächtig zu fein, ich aber jage 
Ihnen, Sie find noch mächtiger als 
Sie glauben. Sie können tödten, ohne 
daſs der Arm der Gerechtigkeit Sie 
zu erreichen vermag. — Dier, meine 
Herren, fehen Sie ein Heines In— 
jtrument. Bei der heiligen Kunst, ich 
hätte mich jeiner bedient in dieſer 
Naht! — In Ehrfurcht danke ich es 
einem gütigen Geſchicke, daſs ſtatt 








651 


mächtig und nur immer den Kopf ſchüt— 
teln, das war alles, was er vermochte, 

Diejer aber hatte die Notiz über 
die heutige Borftellung ſchon in die 
Druderei gefhidt, jo dajs im nächſten 
Morgenblatte nichts über Früland zu 
fejen ſtand, als daſs er abſcheulich 
tremoliere. Unter ſolchen Umſtänden 
willigte der Theaterdirector zu M. 
gerne im die Löſung des Bertrages, 
welche Früland an diefem Morgen ſich 
erbat. Als der Director aber hörte, 
dafs er — einen Hofjchaufpieler jo 
leichten Kaufes entlaflen, that es ihm 
leid, 

Bon der Direction gieng Eruit 
geradewegs zu feiner Braut und hielt 
ihr den neuen Contract vom Generals 
intendanten unterjchrieben jo nahe 
vor die Naje, dass fie ihn erſt recht 
nicht leſen könnte. Trotzdem war fie 
nah menigen Wochen die „reizende 
Gattin des Hoffchaufpielers Früland“, 
wie Doctor Rumpf in einer Notiz der 
„Hohen Warte” berichtete. Die Notiz 
ſchloſs mit den Sätzen: „Und alfo 
wünjchen wir Ernft Früland zu feinen 
großen Talente, welches unter unſerer 
Leitung fich fo glänzend entwidelt Hat, 


des Revolvers ich mich jelber entladen ! das Belte auf feinen ferneren Wegen 
fonnte. — Guten Abend, mein Herr!” und wir gejtehen, dajs die dankbare 

Alfo entließ Heute der junge Schau- Anhänglichkeit dieſes Künftlers zu uns 
jpieler Ernit Früland des lohenden angenehm entichädigt für jo manche 
Zornes voll den gewaltigen Doctor | Unbill, die wir in unjerem jchwierigen 
Rumpf. Diefer war feines Wortes Berufe leider auch erfahren müſſen.“ 


Penzgewitter. 


Bon 6. v. Berlepfd. 


2 


—8 
E— war eine prächtige Hochzeit 
Se gewejen! Erſtens im wunders 
7 ſchönen Monat Mai, an einen 
Tage, wo der Himmel jelber die hell: 
ften Hochzeit3iadeln angezündet hatte; 
dann ſechs Kranzjungfern, eine hübſcher 
al3 die andere, ſämmtlich mit Roſen 
geihmüdt, in weißem Tüll — ein 
Anblick, der gar mandem, nicht allein 
den bemeideten Gavalieren der ſechs 
Schönen, das Der; warın gemacht. 
Dann die rührende Trauungsrede des 
Geiftlihen, der fo poetiſch-fromm, fo 
innig von Liebe, Ehe, Familienglück 
geiprohen und hierauf unter leifer 
Begleitung der Orgel — es lang 
ganz melodramatiihd — den Segen 
des Himmels auf „dieje zwei jungen 
Herzen“ herabflehte, dajs alle Taſchen— 
tücher in Bewegung famen und der 
verftodtefte Hageftolz dabei hätte weich 
werden müſſen. Und hierauf das Feſt— 
mahl voll Heiterkeit, Toaften, Viel— 
liebhen und lichterloher Verliebungen 
— ja man redete noch lange von 
diefer ſchönen Hochzeit, und die ſechs 
Kranzjungfern, deren jede ihre eigenen 
Erimmerungen an diefen Tag hatte, 
thaten es ganz bejonders. 

Indeſſen war das junge Paar 
nah einer kurzen Hochzeitsrerje gleich 
in feine funkelneue Häuslichkeit ein— 
gezogen. Hier waltete nun die blonde, 
blutjunge Adelheid als Frau, als 
ſelbſtändige Regentin eines Haus— 
haltes, d. h. ſie repräſentierte dieſe 
Würde, denn in Wirklichkeit wuſste 
ſie vorderhand noch nicht viel damit 
anzufangen. Leider — das war nach 
Anſicht der Mama der einzige Schatten 
in diefer Verbindung — hatte Adel: 
heid mweggeheiratet, wenn auch micht 
weit fort, aber doch an einen anderen 


Ort, ald wo die Eltern wohnten. 
Da ſaß fie denn zum erftenmal allein, 
abgetrennt von all den lieben, alt« 


gewohnten Beziehungen zu Eltern. 
Brüdern, Freundinnen und — hatte 
nun aljo die Verpflichtung, glüdlich 
zu jein. 


Verpflihtung — als ob fie es 
nicht wäre! Oder iſt das nicht eitel 
Glüd, wenn die Thürglode läutet, 
wenn fein Schritt hörbar wird und 
fie ihm entgegenftürmt wie ein Sauſe— 
wind, ftrahlend vor Freude, daſs er 
nach der unendlich langen Zeit von 
zwei, drei Stunden wieder da ift? 

„Grüß Gott, Karl!” 

„Grüß Gott, Heidel!“ 

Und ihre Augen leuchten, ſie um— 
ſchlingen und küſſen ſich, als ob er 
von einer großen, großen Reiſe heim— 
kehrte, nicht von ſeinen zwei Stunden 
Colleg, die er in der nahen Univer— 
fität ſoeben abſolviert hat. 

„Ja, wenn «ihr» Karl zuhauſe 
iſt, dann geht alles gut, dann iſt ſie 
zufrieden, verguügt, und unter Um— 
ſtänden auch folgſam wie ein Kind. 
Dann lacht ihr friſches Roſengeſicht, 
und das ganze niedlich eingerichtete 
Neſt iſt voll Frohſinn und Übermuth. 
Aber auch hübſch ſtill kann ſie mit 
ihrer Stickerei am Fenſter ſitzen, wenn 
er ſchließlich ſagt: „Jetzt Heidel, 
silentium — jetzt muſs gearbeitet 
werden!“ 

Mit dieſem Folgſamſein und Still— 
ſitzen hat es ſeine eigene Bewandtnis. 
Das hat fie erſt und ſchon in ihrer 
Ehe gelernt. Ein Schlimmer Tag war's, 
als fie in diefer Kunſt die erſte Lection 
empfangen, der erjte Gewittertag im 
Eheſtand! Das war jo gefommen: 
Er wollte bei aller Werliebtheit, oder 








gerade deswegen, jein Weibchen nicht 
im Studierzimmer haben, wenn er 
arbeitete und jagte ihr das ganz uns 
verhohlen. Da hatte es Thränen ges 
gegeben, die erſten Thränen! Himmel, 
was das heißen will, bei ſo zwei Ver— 
liebten, die erſten Thränen! Er ſtand 
völlig betäubt dieſem Phänomen gegen-— 
über, er wuſste gar nicht mehr, was 
er geſagt hatte und kam ſich plötzlich 
wie ein ganz rückſichtsloſer Mann, 
wie ein Bär vor. — „Aber Schatz — 
begreifſt du denn nicht Heidel, 
hör' mich an! Siehſt du nicht ein, 
daſs alles ſeine Zeit haben muſs — 
Arbeit und — und Vergnügen?“ 

Keine Antwort. 

„Sei kein Kind!“ verſuchte er 
möglichſt männlich zu ſagen und das 
Tuch von ihren Augen wegzubringen. 
„Weshalb meint du eigentlich ?* 
late er, — freilih einigermaßen 
unficher — aber er lachte. 

Da wid das Tuch freiwillig von 
ihren Augen. Sie blitzten durch 
Thränen zu ihm hinüber. „Zum 
Vergnügen alſo nur haft du mich 
geheiratet!“ 

Er fah fie an und ein fehallendes 
wirkliches Lachen brach nun los; er 
hatte jeine ganze Fallung wieder und 
zog das jchmollende Weibchen in feine 
Arme. 

„Laſs mich“, fagte fie erftict, 
„du wollteſt ja allein fein.“ 

„Recht fo! Stolz will ich den 
Spanier! aber ohne Kuſs gebe ich dich 
nicht frei!” 

Sie jedoch, glühend, jchwer be= 
leidigt, juchte ſich loszumachen. 





Klammern feit und lächelte nun ganz 
gelaſſen. 

„Ich muſs gehen — 
ſagte ſie leiſe. 

„Nicht bevor du zahm 
Heidel! In der Ehe, jagte deine 
Huge Mama fur; dor unſerer Hoch— 
zeit einmal natürlich nur als 
Marime für deine Praris — kann 
man, wie bei Kindern, nicht frühe 


653 


Er) 
hielt ihre Hände wie mit eifernen | 





laſs mid!“ | 


genug mit der Erziehung anfangen. 
Gleich am eriten Tage muſs es ge— 
ſchehen, und zwar ſyſtematiſch. Dieſes 
weiſe Wort iſt mir im Gedächtnis 
hängen geblieben, Schatz!“ 

„Und — mas foll e3 heißen!“ 
fragte jie, ohne ihn anzufehen, mit 
zwei tiefen zürnenden Furchen über 
dem Näscen. 

„Es foll heiten, daj3 auch wir 
gleich damit anfangen wollen“, gab 
er ganz luſtig zur Antwort; „weiht 
du, es gebt beifer jo nah und nad) 
im Heinen, als eines Zages plößlich 
im großen.“ 

Sie bijs mit ihren runden weißen 
Zähnchen die Lippen, wie verzogene 
Kinder thun, wenn fie eine Straf: 
predigt hören müflen. „Gut“, fagte 
fie, nun auch ihrerfeit3 lächelnd, „fo 
wollen wir damit beginnen!“ Und eh’ 
er fich deſſen verſah, mwufste fie fi 
mit einem gewandten Rud zu bes 
freien, um im gleichen Augenblick 
hinter der Thür zu verſchwinden. 

Der Gatte ftarrte ihr nah mit 
einem jener Blide, die felbft bei be- 
deutenden Menſchen nicht gerade be= 
deutend ausfehen. — „Oho!“ mur 
melte er und that einen Schritt, als 
wollte er ihr folgen, doch blieb er 
fteben. „Bad — Sie wird Schon 
wieder kommen.“ 

Sie tam aber nit! Damit war 
es um jeine Wrbeitsruhe natürlich 
gejchehen. Er horchte auf, wenn eine 
Thür gieng. „Jetzt!“ dachte er jedesmal 
geipannt und ftrich ſchon feinen hüb- 
ichen blonden Privatdocentenbart, aber 
fie war es nicht. Sie troßte alfo wirt: 
lid. Er blätterte zeritreut in Büchern, 
Manuferipten, ſchrieb einiges, legte 
die Feder wieder hin. 

„Zum Teufel!“ rief er endlich, 
„Joll man dazu verheiratet fein ?* 


— 


biſt, fprang auf und überlegte, wodurch 


feiner geipannten Stimmung ein Aus- 
weg zu ſchaffen fei. Sollte er hinüber 
geben, fie zur Rede ftellen — oder 
fie ruhig ſich austroßen laſſen? 

Er hatte es ſich jo einfach gedacht, 


— ⸗ 


ſein junges Weibchen zu erziehen; bis 
jetzt war auch alles jo glatt, jo be— 
quem gegangen: fie war nicht nervös, 
er fonnte rauchen wo und jo viel er 
wollte; fein Schreibtifch wurde mit 
dem nöthigen Rejpect behandelt; die 
Speiſen, die er liebte, famen auf den 
Tisch, wenn auch hie und da etwas 
angebrannt oder verjalzen oder über— 
haupt ein bijschen anders jchmedend, 
als er’3 gewohnt war — aber da3 
fonnte ja alles beijer werden, und 
dann war fie immer zum Küſſen, wenn 
fie, ein weiße® Schürzchen vorgebun— 
den, mit hochgerötheten Wangen zu 
Tiſche kam und ſagte: „Pajs auf, 
Karl, heut gibt’3 was Gutes — id 
habe gekocht!“ Er verzog die Miene 
nicht dabei, obgleich er wuſste, dafs 
dies meiftens nichts Gutes bedeutete. 
Aus dem Gelichtspunfte des „Ent— 
wickelnlaſſens“ ſchluckte Karl gar 
manchen zähen Biſſen. Er hatte eben 
noch die Rojenlaune des Jung-Ehe— 
mannes; ja er trieb den Humor oft 
jo weit, je wunderlicher ein Gericht 
ihm gefhmedt, umſo höher feine 
„liebe Hausehre“ leben zu laſſen, mit 
Gläſerklang und Gaudeamus, jo daſs 
es nicht jelten wie auf einem Commers 
bergieng, zumal wenn die junge Frau 
Doctorin, die Schon don ihren Brüdern 
her alle akademiſchen Lieder prächtig 
im Kopfe hatte, auch noch einſtimmte. 

Ein paar wunderbare Wochen hin 
durh war das fo gegangen: follten 
nun Schon die erſten Molfen auf: 
fteigen ? Und weshalb ? Weil er bei der 
Arbeit allein jein mufste, weil er es 
ganz einfach einmal jo gewohnt war 
und fie das nicht einfehen fonnte? 
Oho! Hier alfo hieß es im Ernſte 
mit der Erziehung beginnen ! 

Nah längerem Überlegen entſchied 
ih Karl für die Taktik des Trotzen— 
laſſens. Da er zur Mrbeit abiolut 
nit mehr geitimmt war, nahm er 
vorerft den Hut und gieng — ohne 
Adien! — zu einer ganz ungewohnten 
Stunde jpazieren. 

— „Iſt der Herr Doctor noch ausge— 


gangen ?* fragte das Dienftmädchen ver- 
wundert, da es ſchon bald Eſſenszeit war. 

„Ausgeg...? Ya richtig! Er 
wird bald wiederflommen“, antwortete 
die junge Frau und ſchaute dabei 
zum Fenſter hinaus, weil fie jpürte, 
wie fie über und über roth wurde. 

Der Tiſch fand gededt — Die 
Mahlzeit wartete — Adelheid wartete 
— Sarl fam nicht. Mit jeder weiter 
vorrüdenden Biertelftunde Hopfte ihr 
Herz ängftliher. Sol ein Wütherich 
fann er fein, fie jo ſtrafen, jchon vier 
Moden nah der Hochzeit! 

Jetzt — Hoch! geht endlich die 
Thür — Sie macht eine Bewegung, | 
ihm entgegenzueilen — ja jo — heute 
zum eritenmal mit — es wäre ja 
charakterlos. 

Er kommt herein; ſie ſetzen ſich 
zu Tiſch. 

„Ob ſie mir nicht einen Vorwurf 
machen wird?“ denkt er. 

Sie verliert aber kein Wort ob 
der Verſpätung. Sie ſitzt mit tief ge— 
rötheten Wangen da und berührt 
kaum die Speiſen, während er einen 
wahren Zornappetit entwidelt. „Seine 
Silbe der Entjhuldigung hat er!” 
grollt es im ihr. 

Das erſte ſchweigend eingen ommene 
Mahl im Eheſtand — es ſchien beiden 
endlos! 

Nach Tiſche ſtanden ſie unſchlüſſig 
an den Fenſtern, das eine da, das 
andere dort. Sie ſchenkte ihm den 
Ihwarzen Kaffee ein und ſtellte die | 
Gigarren dazu; er zimdete ſich jedoch 





feine an. 
Das abtragende Mädchen warf 
verſtohlene Blide auf die beiden. 


„Aha“, dachte fie, „zwiſchen denen | 
hat's was abgejegt!“ und räumte 
das Feld, um einer allfälligen Ber: | 
jöhnung, für welche ihr die Zeit nach 
Tiſche gerade die günftigfte dünkte, 
nicht im Wege zu fein. 

In Dingen der Liebe empfinden 
Herr und Diener gleih, das bewies 
das zögernde Verhalten der zwei Ehe— 
leutchen, von denen jedes auch jo 


655 


etwas erwartete. Aber die „Erziehung“, 
dieſes ſchlimm-weiſe Wort, das heute 
morgens gefallen, hielt fie ausein— 
ander. 

Adelheid Hatte ihre Stickerei ge— 
nommen und jaß jo tief wie möglich 
über diefelbe gebeugt. Karl fonnte fie 
ungeltört von der Seite betrachten. 
„Ein herziges Gefchöpf ift fie“, ſprach 
e3 in ihm, mährend fein Auge die 
kleinen goldigen Ringellödchen jtreifte, 
weiche über ihrem Halle glänzten, 
„Aber, wie aljo die Erfahrung zeigt, 
ein ganz veritabler Troßfopf!" Ein 
verliebtes Lächeln ſtahl ſich troß allem 
und allem auf jein Geficht. 
ſequent ſein!“ gebot eine Stimme in 
ihm, als eine blinde Verſöhnungs— 
ſchwäche ihn anwandelı wollte. 

Abichenlih unbequem iſt's, fo ein 
Dadern zu zweien! Ja, wenn noch 
dritte da find, welche die ſchwüle 


Stille einigermaßen unterbrechen, 
dritte, an die man gelegentlich ein 
Wort richten kann, das für den 


zweiten geſprochen ift, danı geht es 
noch. Aber jo ein ungeltörtes Trotz— 
tete-A-töte — umerträglih für tem: 
peramentvolle Leute ! 

Der Doctor jchien das plößlich zu 
empfinden, oder wollte er jich den 


Gefahren dennoch möglicher Juconſe- 


quenzen entziehen? Kurz, er trant 
baftig den Wet feines Kaffees aus 
und jagte im nüchternften Ton: „Ic 
werde heute jpäter nachhauſe fommen, “ 

Ein Laut, der kaum für ein Wort 
genommen werden konnte, Hang une 
deutlich von der Stiderei her. 

Als die Thüre fich Hinter ihm 
geſchloſſen, entſank Adelheids Händen 
die Arbeit. Wieder ohne Gruß fort! 
Ein tiefer Seufzer entrang fich ihrer 
Bruſt — ſie ſtarrte hinaus auf die 
ſonnenbeſchienene Straße und dachte 
nach, wie denn eigentlich alles ge— 
kommen, Wort für Wort, was er 
geſagt, was ſie geantwortet, dann 
das ſtumme Spiel des Feſthaltens 
und Entfliehens. Anfangs war jie 
die Herrin der Situation geweſen; 


„Eonz | 


ein Wort von ihr hätte genügt, um 
‚alles gut zu machen! Hernach aber 
kam das mit der Erziehung. Das 
‚durfte jie nicht jo hinnehmen; was 
follte jonft mit der Zeit daraus 
werden? Noch einmal ſich erziehen 
laſſen, nachdem fie mit dem eiuemmal 
| gerade genug gehabt und jich gefreut 
hatte, als Frau nun felbitändig zu 
werden? Nein, fie Hatte ganz recht 
und charaktervoll gehandelt — wenn 
auch — vielleicht — nicht ganz klug. 
Sie jollte den Unfrieden um Kleinig— 
feiten jo viel wie möglich vermeiden, 
hatte Mama gejagt ! 

Die Arbeit wurde wieder aufge: 
nommen und geitidt, geitidt mit 
wahrer Fieberhaſt. 

Stunden lang gieng das jo fort. 

Es war mäuschenftill in der Woh— 
nung; mit einmal der Kanarien— 
vogel in dem zierlihen Bauer gab 
einen Ton von fih. So anhaltend 
‚ruhig war e3 noch mie gemwejen, feit 
‚der junge Haushalt überhaupt be— 
‚Hand. Der dienitbare Geijt in der 
Küche, ein rothbadiges Ding, Halb 
‚neugierig, halb theilnehmend, jagte jich 
endlich: „Jetzt muſs ich doch einmal 
hinein und hauen, was meine gnädige 
Frau treibt.“ 
Da ſaß fie noch auf demfelben 
"Plage, wie nah dem Eſſen, mit 
glührothdem Kopfe und ſah ganz ver— 
ftört auf, als das Mädchen zu ihr 
trat. 





„Snädige Frau, wanı werden 
wir denn einmal eine Wäfche machen ?* 
‚fragte die Magd in der löblichen Ab- 
ſicht, ihre Herrin auf andere Gedanken 
zu bringen. 

Wäſche?“ fragte Adelheid mit 
grogen Augen. An diefen hochwichtigen 
Act im häuslichen Leben hatte jie 
noch gar nicht gedacht. Ihre Schränte 
‚waren jo reich gefüllt, alles fo neu, 
noch mit rojafarbenem Wande um— 
Ihlungen — es war ihre wirklich 
noch nie die Idee gekommen, dajs in 
‚einem neuen Dausftand auch einmal 
‚die erite Wäſche ftattfinden müſste! 





656 





Ganz heiß ſtieg es ihre plöglich auf|der in eine wunderſchöne Nacht über: 
und fie beeilte fich zu jagen: „Morgen | gieng. 
— oder fangen Sie gleih heute an Drüben in feinem Zimmer batte 
— jeßt.“ er die Lampe angezündet; das ſah 
„5a, das geht aber micht gleich |fie am Scheine, der aus dem Fenſter 
jo ohne alle Vorbereitung“, war die | fiel. Er arbeitete alſo — oder las er 
breitipurige Antwort. — oder — war ihm zumuthe toie 
Nun entjpann Sich über diefes ihr, daft er gar nichts thun konnte? 
Thema ein Meinungsaustaufh, bei! Sie bog fih vor und fog die Luft 
welchem die junge Hausfrau in arge | bon draußen ein, um zu willen, ob 
Verlegenheiten gerieth. Bei den Eltern |er rauche. — Nein, er rauchte nicht. 
daheim war das alles fo jchön un | Das berührte fie mit imnerlicher 
jichtbar vorbeigegangen, ohne dafs fie | Freude. Das Zerwürfnis gieng ihm 
viel davon merkte. Jetzt hieß es auf alſo doch zu Herzen — vielleicht mehr, 
einmal alles kennen, alles wifien, wo als fie glaubte. 
fie ſelbſt das Scepter führte. Auch Nur einen Blid jet in feine 
das noch Heute! Seele oder auch nur auf fein Gelicht 
Könnte fie jih bei Mama jetzt thun können! Wenn fie wüjste, daſs 
Raths erholen, ad! könnte fie über- er die Scene vom Morgen fo bereute 
haupt an einem fo fchredlihen Tag wie fie — daſs er nicht triumphieren 
heimeilen, nur eine Stunde, ein | würde, wenn fie nun käme und ibn 
Viertelftündchen, ein paar Minuten! 
Heim, wo alles jo ruhig, jo jelbit- 
verftändlich feinen Gang geht, wo die 
Eltern jo friedlich miteinander leben und 
jorgen und dies alles ohne Aufhebeng, 
ohne viel Kopfzerbrehend. Wenn fie 
dort wüſsten, wie ihre Adelheid jet 
daſitzt, rathlos, unglücklich, allein in 
der fremden Stadt, ohne eine nahe 
Seele, al3 den Einen, mit dem fie 
— Schon in Unfrieden gerathen! 
„D ihr Eltern, ihr Freundinnen, ihr 
ſechs Kranzjungfern, die mich damals 
alle bemeideten, wie glüdlich feid ihr 
in diefem Augenblide gegen mich!” — 
Karl blieb wirklich jehr lange aus, 
Der Tisch ftand abermals gededt und 
wartete auf ihn. 


fragte — ja was gleich fragte? irgend 
etwas, ob er Durft hätte oder der— 
gleihen — wenn fie das wüßste, Tie 
gienge hinüber und wollte ja das 
erſte Wort — natürlich ein möglichit 
gleihgiltig Hingendes — zu ihm 
ſprechen. Sie überlegte — that einen 
Schritt, blieb wieder ftehen — mie 
ſchwer jo etwas ift! 

Endlich ſchlich fie leiſe, ganz leife 
zur Thür, um wenigftens einmal 
durchs Schlüffelloh zu jpähen. Es 
war dunkel in ihrem Zimmer; fie 
muſste ſich der Wand entlang taten, 
vorfihtig, langjam, damit er fie ja 
nicht höre. Jebt war fie an der Thür 
und laujchte, dann kauerte fie geräufch- 
108 nieder, um durch die Heine Öffnung 

Endlih erſchien er. zu Schauen. Der Schlüffel ftedte drinnen 

Wiederum ein ſchweigſames Mahl, — nur ein ſchmales Kitchen Licht war 
wobei felbjt Karl feinen fonft gefunden |zu ſehen — doch halt! auch feine 
Appetit nicht mehr entwidelte. Er Hand, die eben eine Bewegung machte 
ſah erhigt und ernft, faft grimmig | — dann nichts — jebt wieder die 
aus. Gleih nah Tische fand er auf| Hand und fiehe! eine Partie feines 
und begab ih in feine Studier- | Gefichtes, doch nicht genug, um den 
ftube, Ausdrud wahrnehmen zu können. 

Verwirrt, gequält, ja gefoltert | Mit angehaltenem Athem ſpähte und 
von dieſer unerwarteten Gonjequenz | ftarrte fie. 
des Zürnens blidte Adelheid in den Plöglih gab es ein Geräufd 
dämmernden Sommerabend hinaus, drüben — er ftand auf, 


nn — — —— — 


657 


In jähem Schred fuhr fie zu— 
fanmen und ftieß gegen das Schloſs 
— o Himmel! Sie wollte aufſtehen, 
fliehen, doch ihre Fuß verwidelte ſich 
in die Falten des Kleides. 

Da wurde don drüben die Thür 
geöffnet der volle Schein des 
Lichtes fiel heraus. 

Ein Moment ſprachloſen Staunens 
einerſeits peinvollſten Verſinken— 
mögens, hundert Klafter tief, auf der 
anderen Seite. 

„Wer wollte denn da zu mir 
herein?“ fragte mit verſtecktem Humor 
der Belaufchte. 

„Ich — nicht!“ murmelte fie, 
noh am Boden, da den Füßen die 
Kraft zum Aufftehen verjagte. 

Er bob fie auf und jah fie ganz 
nahe lächelnd an. „Nicht lügen!” 

Wie mit Glut übergofjen fand 
fie da. 

„Du willft vernünftig fein, nicht 
wahr ?“ ſagte er väterlich, den Arın 
um fie legend. 











Sie warf einen ſchnellen, viel— 
fagenden Blid auf ihn und zog die 
Stirn zufammen — doc über ihre 
Lippen blitzte ein heiterer Schein. 
„Berzeihen will ich dir”, jagte fie, in 
ein eigenthümliches Lachen ausbrechend, 
wobei ihr aber die Thränen aus den 
Augen ftürzten, 

„Die großmüthig!“ rief er und 
ſtimmte in das eigenthümliche Lachen 
ein, aus dem, obwohl möglichit ver- 
ftedt, der Jubel über den wieder- 
gefundenen Zmeillang tönte. 


— — — um — — — 


Seit diefem Tage war Heidel 
„vernünftig“, ob nur aus Stolz oder 
aus wirklider Vernunft, bleibt dahin— 
geitellt. Ganz till und folgfam ſaß 
fie nebenan, wenn ihr Mann drüben 
in feinem Zimmer arbeitete, und be- 
trat nicht eher jeine Schwelle, als 
bis e3 don drinnen Heidel! rief oder 
er herauskam, um nah „langer“ 
Trennung wieder einmal feines Troß- 
fopf3 Mund zu füllen. 


Aufenfpielen. 


Gin Bild aus dem oberländifhen Vollsleben von P, RA. Roſegger. 


N 
M dem Obſt ſchaut's bei uns 
er halt ſchlecht aus; ein biſſel Wald— 
kirſchen, ein biſſel Schlehen, 
ein biſſel Holzäpfel und ein biſſel 
Lethfeigen“, ſo ſagte der Staggel- 
hofer, meinte mit den Lethfeigen aber 
ſchon die Burſchen, die zu bequem 
und zu feige ſind, um am Kirchtag 
mit ein paar Stuhlfüßen ein paar 
Kameraden blau zu machen. Die 
„blauen Montage“ waren faſt abge— 
kommen zu Scherersbach. „Das beſte 
Obſt“, ſo fährt der Staggelhofer fort, 
Roſegger's „Grimaarten‘‘, 9. Heft. XV, 


„it bei uns noch das, welches unter 
der Erde wachſst. Was bei uns im 
Sommer nicht unter der Deden ift, 
das wachst nicht — ſo friſch iſt's bei 
uns zu Scherersbach.“ Unter der 
Dede wähst es umſo beſſer, die Erd— 
äpfel meint er. 

Deswegen geſchieht es, daſs der 
Staggelhofer im Spätherbſte eines 
Tages ein paar Ochſen einſpannt 
und auf einem Leiterwagen etliche 
Säcke mit Erdäpfel ins Untergai 
ſchleppt. Dort werden die gelben Erd— 


42 


äpfel mit rothiwangigen Baumäpfeln 
aufgemeifen und als Draufgabe be= 
fommt der Aipenbauer noch ein volles 
Sädlein dazu, weldes jchauderhaft 
rafchelt, ald es auf den Karren ge= 
worfen wird. Dann fährt er heim. 
Die Apfel werden zum SJaufenbrot 
genofien, die Kinder bekommen deren 
extra, wenn fie folgjam jind; der 
Halterbub ſchleicht manchmal heimlich 
zum Sacke. „Hat der Adam auch 
Apfel geſtohlen“, meint er in Erin— 
nerung an den genofjenen Satecheten- 
unterricht, und jeßt aus Eigenem bei: 
„Der Adam Hat’s der Eva willen 
laffen und jo iſt's aufkommen. Ich 
will geicheiter fein und das Apferl 
allein efjen.“ Nah Jahren, wenn er 
ganz groß geworden, will er's bei 
einem luftigen Plaufh im Wirtshaufe 
dem Staggelhofer einmal jagen: „Du 
Bauer, deine Apfel, die ih dir ge— 
ftohlen, haben jehr gut geichmedt!“ 
Wenn man's eingelteht, nachher iſt's 
nicht mehr Sünd, denkt er und will 
ein ordentlicher Menfch fein. Zur 
Zeit ijst der Halterbub feinen Apfel 
mebr allein, jondern läſst jchon alle- 
mal auch eine Eva mithalten, Hat 
alfo wicht mehr nöthig, feine Sünden 
jelber auszufagen. 

Herr Jeſſes, ich verweile mich da 
bei den Apfeln und ſollt' Schon lang 
bei den Nüflen fein. 

An Tage des heiligen Nicolaus, 
am langen Abende, da die Leute nad 
verrichtetem furzem Tagewerk in der 
Stube beifammen fißen — ſpäue— 
flieben, bejenbinden, rauchen, ſchuh— 
nageln, fliden, Spinnen, ſtricken, 
tratichen, dufeln und was jo der 
häuslichen Arbeiten mehr find, raſchelt 
auf einmal etwas, Der Bauer fommt 
langſam zur Thür bereingeitiegen und 
bringt eine hölzerne Schüfjel voll Nüſſe. 

Etliche Schreien vor Freuden auf, 


bejonders die Weibsbilder, und der 
Großknecht langt ſchon nach dem 


Spielkartenbüſchel. 
„Nuſſenſpielen!“ 
Alles verläjst feine Arbeit und 


558 


drängt an deu Tiſch, was nicht ſchon 
dabei fißt. Eine Kerze wird ange— 
zündet, denn das Kienfpanlicht iſt 
nicht Heilig genug fürs Kartenſpielen 
und die Öllampe ift nicht ficher genug, 
wenn fie raufend werden — das größte 
Unglüd fönnte gejchehen. 

„sa, ja, Nuflenfpielen!* jagt der 
Staggelbauer und ftellt feine Holz— 
Ihüffel neben fih auf die Bank, „nir 
Nufjenjpielen! Vorher Nuffentaufen! 
's Baar um ein’ Kreuzer!“ 

„Da mögen die Weiberleut' ein 
laufen, mir find fie zu theuer!“ ent- 
gegnet der Weidknecht. 

„Narr!“ verjegt diefem der Ober— 


knecht, „die Weiberleut find immer 
theuer!“ 
„Die Nuſſen find mir zu 


theuer, du Pölli!“ jchreit der MWeid- 
knecht und fährt auf. 

„Di, Hi, Hi!“ kichert der Kleine 
Bub, der alleweil die Hände im Sad 
hat, weil ohnehin die Läufeln bar— 
fuß ſind. 

„Was lachſt denn, Lecker?“ fragt 
ihn der Stallbub. 

„Weil ſie ſchon raufen wollen und 
ſpielen noch gar nit!“ 

„Wem's Paar um ein' Kreuzer 
zu theuer iſt, der ſoll zehn um ein’ 
Batzen haben“, jagt der Bauer. 

„Sp wegen meiner!“ antwortet 
der Großknecht und kauft ſich um drei 
„Batzen“ Nüſſe. Der Weidknecht auch 
jo viel, der Stallknecht nicht weniger. 
Die Kuhdirn will auh um einen 
Kreuzer. 

„Du friegft nur achte“, fügt der 
Bauer, „weil du fie eh jammt der 
Schalen ist.” 

Gelächter. Aber die Kuhdirn jagt: 
„Kannft du felber thun, Bauer, mir 
thäten ſie zu viel reireln im Magen.“ 

„Der Bauer iſst ja aud die Erd- 
äpfel in der Haut“, jpöttelt der 
Weidknecht. 

„Nau, abziehen werd' ich ſie mir 
nit laſſen vor dem Nachtmahl“, ent— 
gegnet der Bauer und zählt jedem die 
gewünſchte Anzahl Nüſſe vor. 








So ſitzen fie nun beim Tiſch und 
jedes hat vor ſich einen Haufen Nüſſe. 
Die ſind anſtatt Münzen, und für 
„Nuſſen“ wird jetzt geſpielt. Sie 
ſpielen „um den letzten Stich“, wer 
den Hat, der belommt von jedem eine 
Nuſs. Das ilt leicht Fajslih, da kann 
ſogar das Abwaſchdirndl mithelfen; 
wenn ſie auch die Karten noch nicht 
fennt, allemal eine Nuſs hergeben, das 
fann fie doch — Heißt das, jolange fie 
ihrer hat. Auffallend ift es, wie bei 


FE 


59 


wit zugrund.“ Dabei jchielt er ein 
bijschen auf ihre Karten, die fie wie 
einen Fächer in der Hand hält, prüft 
danı feine Karten in der Hand und 
tritt dem Nachbar ein wenig auf die 
Sehe. Diejer wirft keck das Blatt aus 
und wird „gezwidt“, denn der Fuß— 
tritt war ein faljcher gewejen, Hatte 
den Spieler mijsleitet. Die Stalldirn 
macht den legten Stich und ift über« 
raſcht von ſolchem Glüd, dafs fie vor 
|Sihret aufichreit, als hätte fie mit 


joldem Spiel zwijchen beiderlei Ge= jihrem Stiche wirklich jemanden er— 
ſchlechtern faſt allemal die Männer ſtochen. est vollen ihr die Nüffe zu 
gewinnen und die Weibsbilder büpen. und bald darnach erklärt der Bauer, 


Man mufs aber willen — das heißt, 
man darf es nicht willen — wie jich 
erftere beim Spiel unter dem Tiſche 
einander auf die Zehen treten, ohne 
daj3 auch nur ein einziger „Au meh !“ 
ſchreit. 

An der männlichen Seite häufen 
die Nüſſe ſich zum Verwundern, „und 
wo Tauben ſind, da fliegen Tauben 
zu!“ ſagt die Küchenmagd und ſchupft 
mit der Hand die neuerdings ver— 
ſpielten hinüber. 

„Die redet jetzt von Tauben!“ 
bemerkt der Weidknecht. 

„Ja, von tauben Nüſſen“, jagt 
der Großknecht. „Die muſs lauter 
jolhe haben, von der mag ich feine.“ 

„Hat der Fuchs gejagt wegen der 
Trauben !* jchreit die Küchenmagd 
und hebt die auszufpielende Starte 
wie einen Dolch: „Geſtochen!“ 

Diesmal hat fie den legten Stich 
und nun rajcheln ihr von allen Seiten 
Nüffe zu, daſs fie dor Freuden kichert. 

Umfo Hleinlauter ift die Kuhdirn, 
ihr Vorrath ift alle, zwei einzige Nüfs- 
lein und noch dazu Heinwinzige (denn 
die großen Hat fie im ihrer Gut— 
müthigkeit zuerſt Hergegeben), Liegen 
an ihrer Seite; — zwei feindliche 
Stiche noch, und fie ift fertig. 

Und auf diefe paar Nüſſe lugt 
ein mitletdiges Auge — das Auge 
des Stallknechtes. „Nit verzagen, 
Grethel“, jagt er ſchmunzelnd, „ſo— 
lang noch das Paar ift, geht die Welt 





e3 wäre morgen auch noch ein Tag. 

„Zum Spielen!* jagt der Weid— 
knecht. 

„Zum Korndreſchen!“ ruft 
Hausvater, „früh auf heißt's. 
jetzt ſchlafen gehen!“ 

„Ich thu' früher meine Nuſſen 
eſſen“, meint der Dalterbub und zer— 
drüdt die erfte mit dem Handballen 
auf dem Tiſch. Der Großknecht öffnet 
feine Gewinnſte mit einem Fauſt— 
ſchlag. „Daun!“ fchreit er, als der 
roſtige Kern zum Borfchein kommt, 
„iſt jo ein kohlſchwarzer Teufel drin!” 
| Ein ſchneeweißer Engel wird 
init dein fein in Nuffen, die einer 
‘erfalichelt“, bemerkt der Weidknecht. 

„Wer Hat erfalichelt 2 jchreit der 
Großknecht und Haut auf den Tiſch, 
dafs die Nüffe zum Tanzen anheben. 

„Ho“, jagt die Küchendirn zu 
den Nüſſen, die fie fängt, „im Advent 
it das Tanzen verboten !” 

„Wer Hat gefalfchelt?* ſchreit der 
Großknecht, „du!“ und jchleudert 
dem Weidknecht eine handvoll Nujs- 
ihalen ins Gefiht. Jetzt Führt der 
Meidfneht los, padt den Gegner am 
Hemdfragen ; die anderen wollen ab— 
wehren, aber da die Arme fchon ein» 
mal zugreifen follen, fo fchlagen Sie 
auch munter drein, die Karten flattern 
wie Unzücht, die Nüſſe fliegen raſchelnd 
in den Lüften und ſpringen wie ge— 
herter Hagel an alle Wände, Käſten 
und Wänfe, bis fie zu Boden follern. 


42 


der 
Und 





Der Heine Bub reibt ſich vergnügt 
die Heinen Fäuſte ineinander, denn 
der Gewinn ift fein, Alle Nüſſe, die 
ih in den Winkeln verkollern, fallen 
ihm zu, morgen, wenn er Jagd dar— 
nah Hält. Heute iſt's ſchon zu finiter 
dafür, denn auch die Sterze hat ihre 
Tadel befommen, und der Bauer ruft 
heftig: „Die Saggra follen aufhören zu 
balgen, ihre Arme und Beine zuſam— 
menfuchen und fich ins Neft troflen!* 

„Kein Wunder wär's mit, wenn 
ich ftatt meinem einen fremden Fuß 
derwiſch, bei der Finſtern!“ fcherzt 
der Weidknecht. 

„Und ich mufs meinen Kopf ver- 
loren haben“, knurrt der Großknecht, 
„der, dem ich jetzt aufhab’, der paſst 
mir nit, Brummen thut er.” 

Unter ſolchem Warteln zerftrenen fie 
fi und bald wird's ftill im Staggelhof. 

Das „Nuffenfpielen“ wiederholt 
ih nun jeden Abend, gerade jo oder 
ein bifjel anders, durch den ganzen 
Advent, über die Weihnachtsfeiertage 
bis Neujahr, 


Und in der Neujahrsnadt iſt's, 


dafs die Stalldirn, die Grethel, bei 
ſtets verjchlofjener Thür, auf ihrem 
Bette fit und die Nuffen zählt, die 
fie in einer Schürze eingejadelt hat. 
Sie weiß felber nicht, wie jie da— 
zufommt, kennt mit einmal alle 
Karten und Hat einen Gewinn von 
etlihen Dutzend aufzumeilen. Hat 
aber nod) feine gegeljen. Sie ijt ihnen 
juft nicht Feind, den Nufsternen, die 
Leute jagen, man würde fett davon, 
befonder® wenn man auch  fleihig 
Schweinsbraten dazu eſſe — doc fo 
ganz allein mag fie nicht nafchen, da 
ihentt fie das ganze Schürzel voll 
lieber weg. 

Natürlich fragt jebt einmal wer 
zum Fenſterl herein, ob fie feinen 
Nufstnader brauchen könne? 
natürlich iſt's der Stallbub. Wie er 
heist? Wenn fie Grethel heißt, fo 
wird er Hanſel Heiken, natürlich. 

„Ich hab’ mir’s ch gedacht”, jagt 
die Gretel. 


Und | 


660 


„Was haft dir eh gedacht?“ Fragt 
der Danjel. 

„Dafs du mir die Nuffen haft 
zugeſchanzt, weil du ein falſcher Ding 
bit! Und dafs du fie jeßt wieder 
haben willft, das weiß ih aud.“ 

„Das alte Jahr dauert nur mehr 
eine Viertelftund“, jagt draußen der 
Burſche, „aber ih erfrier noch im 
alten Jahr, wenn du nit aufmadhit.“ 
| „Lapp, jo geh in dein Bett, 
dort wird's offen fein.“ 

„Mein Bett ift mir nir feltfam. 
— Grethel, was zu reden hätt’ ich 
mit dir.“ 

„Haft dir auch die richtige Ge— 
fegenheit dazu ausgeſucht.“ 

„Weil ich mir vorgenommen hab’: 
noch im alten Jahr red ich. Jetzt iſt 
nimmer lang Zeit. Geb ber, greif 
meine Hand an. Wie ein Eiszapfen 
jo kalt.“ 

Das Handangreifen ift ja nichts 
Schlechtes, denkt jich die Grethel und 
‚geht zum Fenſter; aber die Hand ift 
wärmer, als fie geglaubt hat. 

„Gernhaben ſollſt mid!“ flüftert 
ihr der Hanſel an die Wange. 

Diefe wird — ſoviel man beim 
matten Amplein fieht roth und 
das Dirndl haucht: „Gernhaben ift 
Siünd.“ 

„Wer hat denn das gejagt ?“ 

„Der Pfarrer Hat’3 gejagt. Das 
Gernhaben ohne Heiraten ijt grob 
Sind! Geh, laſs mich aus, du brichit 
mir ja die Finger ab.“ 

„Das Patſcherl gehört mein“, 
flüftert er, umd ich möcht gern, dafs 
wir zwei zufammenbeiraten.“ 

„Ja“, meint fie, „auf was denn?“ 

„Auf dich und mic.“ 

„Haft ja fein Örtel, feinen Heim: 
gang, und ih Hab’ auch nit viel 
mehr.“ 

„Dal3 du aber jet an folde 
Saden denfen magit! Wo mir fo 
falt iſt!“ 
| „Der Pfarrer“, fo drauf fie, „der 
will das Heiraten nit erlauben, went 
lzmwei & Leut nix haben.“ 








= mn mE vun. — — — — 


— — = — — 
0 


Sebt wird dem Hanſel warn. 

„So!“ jagt er, „der Pfarrer will 
das Gernhaben nit erlauben, ohne 
Heiraten! und das Heiraten will er 
auch mit erlauben? — Was jollen 
wir denn nachher machen?“ 

„Halt ſchön brav bleiben !* meint 
da3 Dirndl. 

„Brad bleiben! Brav bleiben! 
Sollen’3 audere probieren!” So der 
Danfel. Zornig, zornig ift er und 
alfo lauft er in die finftere Nacht 
Hinaus, ins neue Jahr Hinein. 

Die Grethel geht traurig zu ihren 
Bettftufen zurüd und fagt: „In 
Sottesnamen, muſs ich halt meine 
Nuſſen allein eſſen.“ Iſst aber feine 
einzige, Und vor dem Einfchlafen 
fonımt es ihr noch zu Sinn: Wer 
weiß, wie kalt ihm gewejen tt! 

Am Neujahrstag in der Kirche 
nimmt fie ſich Feit vor, brav zu 
bleiben, auch im nenen Jahre wie im 
alten. Freilich, jo denkt jie, zwei, 
wenn fie nichts haben, wie follen ſie 
denn zulammenheiraten ? Bettelleut’ 
machen. — Bleiben fie aber allein, 
jo iſt's auch nicht viel beſſer. Sie hat 
niemanden als ein paar arme Bere 
wandte, davon find ihr jene die lieb— 
jten, die ſchon geitorben ſind. Die 
Lebendigen möchten fie nur ausnutzen, 
folang fie arbeiten kann, nachher 
nit dem Santmelforb gehen laſſen 
von Dans zu Haus: „Ach bitt’, ein 
armes Dienftbot, das nit mehr arbeiten 
kann!“ — Fa, da heißt's wohl auch: 
Verlaſſen, verlaſſen, wie ein Stein 
auf der Straßen! — In der Kirche 
betet die Grethel ſchon lange nicht 
mehr um Glück und Segen, das hilft 
bei ihr nicht viel, jondern um Geduld, 
und die erbittet jie. — Nah dem 
Sottesdienfte muj3 fie an der Kugel— 
bahn vorüber, two mehrere Burjche 
fugelichieben. Auch der Hanſel ift 
dabei; der hat's eilig, daſs er von 
der Kirche auf die Kugelbahn kommt! 
Weiß er's nicht mehr, was der 
Pfarrer einmal gepredigt hat: der 


661 


Eckſteher oder der König in der 
Mitten; und das Schickſal iſt die 
Kugel, rollt vielleicht im Augenblick 
ſchon den Laden heran und ſchlägt! 
— Weiß er's nicht mehr? — So 
denft das Dirndl, an dem ſogar noch 
bon einer Predigt was hängen bleibt. 
— Aber ichieben thut er nicht un— 
eben, der Hanjel! Die Grethel bleibt 
ein wenig ftehen, als ob jie das 
wollene Umhängtuch beſſer knüpfen 
wollt, dieweilen iſt ſie nur neugierig, 
ob er was trifft. Jetzt ſchiebt der 
Schachen-Knecht; Jeſſes, der wirft 
weich. Wenn einer nicht einmal den 
Laden trifft, wie erſt den Kegel! So 
ein Mann, das wär' eine Freud! — 
Jetzt ſchiebt der Domer-Franzl. Hau, 
der zielt laug! Mit einem ſchreckbar 
großen Schwung ſchleudert er die 
Kugel ſo heftig hinaus, daſs ſie 
draußen anftatt im die Kegel an die 
Wand fchlägt, hochauf bis zur Dede 
Ipringt, zurüdpralli und wieder eine 
Strede nah rückwärts rollt. Alle 
Kegel Stehen. Wenn des Menfchen 
Schidjal nicht Schlimmer wär’! Denkt 
ih die Grethel. — Jetzt ſchiebt der 
Hanfel. Der zielt ruhig, und ohne 
viel Anftrengung ſchupft er die Kugel 
aus der Hand. Ganz ebenmäßig rollt 
fie den Laden hinaus, ſchlägt zwei 
Edjteher, drei Seitenfteher und den 
König. — 

Gerade einen Stoß ans Herz 
gibt's dem Dirndl, daſs der Hanſel 
gar jo gut teifft. Auf jo einen kunnt 
man ſich Schon was einbilden, denkt 
fie und geht weiter. 

Am darauffolgenden Abend Hopft 
er wieder aus Fenſter. Sie verriegelt 
eilends die Thür, löſcht das Latern- 
licht aus und gibt feine Antwort. 
Sp wird’3 bald wieder ftill. — In 
derfelben Nacht träumt ihr, es wäre 
Sommer. Auf den Baum ſtünde ein 
Mann und ſchüttle Nüſſe herab und 
fie halte die Schürze auf. Der Mann 
habe ein Geficht, jo ſchön wie ein 
Engel, aber ein falbes Schnurrbärtchen 


Menſch iſt jelber ein Kegel, ob ein|drin. Schneeweiße Zähne und fohl- 


662 


ſchwarze Augen und die Nüfle jo 
groß wie eine Kugel auf der Kegel— 
bahn. Jebt ſchaukelt er fih auf einem 
Aſt, himmliſcher Bater, wie jchön er 
ih ſchaukeln kann! Sie wendet 
fein Aug’ von diefen lieben Menfchen. 
Auf einmal bricht der Aft, und in ihrer 
Schürze liegt der Danjel. 

So ein dummes Tränmen, wo man 
patſchnaſs wird vor lauter Schwißen ! 

Am nächſten Tag iſt Arbeit. 
Arbeit ift doch ein rechtes Glüd, denft 
fich die Grethel, auf was der Menſch 
für närrifche Gedanten käm', wenn er 
alleweil müßig umgienge! Der erite 
Teiertag gehört dem Herrgott, der 


zweite daneben jchon ein bijjel dem 
— Mrbeit macht müd und) 
wenn man müd ift, will man fchlafen, | 
und wenn man jchlafen will, muſs man | 


Teuxl. 


das Fenſter vernageln mit einem Brett, 
daſs die fürwitzigen Leut nicht herein— 








Mit großem Fleiße verrammelt ſie 
das Fenſter und rückt noch vorſichts— 
halber einen alten ſchweren Trog hin, 
daſs die Bretter nicht weggetaucht 
werden können. Jetzt ift fie allein 
beim lieben Vieh und fein Menjch 
fann ihr an. Noch ein wenig an 
ihrer Truhe ſitzt fie und flidt ein 
geflidtes Yöppel. Je mehr Fliden 
drauf, defto wärmer hält ed. Der 
Arbeitsmenſch muſs geflidtes Gewand 
zweimal jo lang tragen, als ungeflidtes. 

„Noch fleißig bift, Grethel!“ jagt 
er, denn auf einmal fteht er vor ihr. 
Dat fie das Fenſter bummfeſt ver— 
nagelt und vergefjen, die Thür zu 
verriegeln! 

„Was thuft denn du da?“ fährt 
fie ihn an. 

„Ein biffel Nuffen eſſen helfen“, 
flüftert der Daniel. 

Ah Gott, Herr Pfarrer, freilich, 





Ihanen können, jonft it kein Fried. — | freilich Jollten fie brav bleiben! 


© mein Gott, gebt einen Gott mir! 
Gedicht von Robert Hamerling. 


O mein Gott! gebt einen Gott mir! 

Stedt denn feiner in den leeren Winfeln allen 
Des weiten Weltbau’s? Kein Gott mit Ohren, 
Mit weiten off'nen Chren, mid zu hören? 

Mit großen ftarken Händen, mir zu helfen? 
Kein Gott, der Augen bat, die übergeh'n 

Vor Mitleid, und mit — einer Gallenblaje 

Die itberläuft im Born, wenn er bemerft, 

Mas ich erdulde? Heiner, der da jagt: 

„Ja, ja, mein Eohn, du bift unſäglich elend, 
Dir mus geholfen werden!“ Kleiner, der 

Nah einem Blitzſtrahl greift und endlich züchtigt 
Das gottvergesjenftevon allen Weibern, 
Das aljo ſchnöd' mid quält. 


O! wie die Leute 
Der Sidjeeinjeln, jchnöde Fetiſchdiener, 
Ohrfeigen ihren Gott, wenn fie zufrieden 
Mit ihm nicht find, jo zürn’ ih meinem Gott, 
Dais er fein Gott mit Obren ift, fein Gott 
Mit großen ſtarken Fäuften, mir zu helfen, 
Dajs er niht außer, neben, vor mir iſt. 
Nur in mir, und in alle Emigfeit 
Nicht ffärter als ich ſelbſt .. 








eg —— 


E 


Der literariſche Geiſt Berlins. 


Eine geſellſchaftliche Studie von Otto von Leixner.“) 


IJꝓ Großſtadt hat ihr geiſtiges 
Klima, das für einige Anſchauun— 

7 gen günftig ift, für andere nicht, 
Mit dem Übergange zur Weltitadt ſcheint 
die Eigenart diefer Luft etwas ab: 
zunehmen, nach manchen Richtungen 
vollzieht ih ein Umſchwung vom 
jelbftändigen Weſen zur Einförmig- 
feit. Wie Traht und Äußeres Be— 
nehmen Sich einer Durhichnittsform 
nähern, jo aud Empfindung und 
Denten. Es fommt ein „juste milieu“ 
heraus, das die große Mehrheit alle 
mählich ſich ganz unterwirft, die An— 
fichten über Staat und Kirche, Sitt- 
lichkeit und Gejhmad modelt und ein 
weltjtädtiiches Philiſterthum entwidelt. 
Wohl wird jehr viel über Yortjchritt 
geiprochen, und in Außerlichleiten des 
Leben gewijs mit Recht. Aber dabei 
erhalten ſich Anſchauungen über ge- 
wife Dinge mit einer Zähigleit, die 
mit der nervöſen Haft des äußeren 
Lebens in auffallendem Widerjpruche 
fteht. Der Zopf ift nicht jo leicht ab— 
gejchnitten, weil er — man verzeihe 
das Bild — in die Köpfe Hinein- 
wähst. So hat der Wiener feinen 
Zopf, der Londoner den jeinigen und 
wir Berliner den unferigen. 

Diejes zähe Feithalten läjst ſich 
nun vielleicht gejchichtlih erklären. 
Wer ſich jemals mit der Gejchichte 
der Berliner Gejellichaft von Friedrich 
des Großen Zeit an befajst hat, wer 
die Zeit: und Wochenſchriften, die 
kritiſchen Blätter, aus jpäteren Jahren 
die politifchen fennt und wen die 
Memoirenwerke u. ſ. w. nicht unbe» 


*) Aus deſſen jehr empfehlenswertem Merle: 


fannt geblieben find, der wird eine 
merhvürdige Beobahtung machen 
fönnen. Der gebildete Durchſchnitts— 
Berliner war, jo oft jeit 1750 die 
Moden des Empfindens auch ge— 
wechjelt haben mögen, ſtets vorwie— 
gend Verſtandesmenſch. Er fajste die 
Dinge raſch und flug auf; er urtHeilte 
ichnell, jehr gern mit ironischen Wen— 
dungen fein Mijsfallen umkleidend. 
Bei feinem ſtarken Wirklichkeitsſinne 
ftand er ftet3 dem Nüchternen, Klar— 
verftändlichen, dem Logifchen näher, 
al dem Startempfundenen, dem 
freien Spiel der Phantajie. Er liebte 
Geiſt, Witz, befonders den Verſtandes— 
witz, das Wortſpiel, die Satire, da— 
gegen fehlte ihm der unmittelbare 
Sinn für ſtillen, gemüthvollen Hu— 
mor; er mußste ſich zu deſſen Ver— 
ſtändnis erſt erziehen. Nicht mit ſehr 
großem Erfolg. Der Berliner Verſtand 
haſſte das Rührſame, aber in dem 
Berliner Gemiüth lag doh Hang zur 
Sentimentalität, der jehr oft das 
Übergewicht erhielt, worauf die Selbit- 
ivonie das geftörte Gleichmaß wieder 
herzuftellen juchte. Uber die Töne 
derjelben verfügte er ſchon im vorigen 
Jahrhundert; die Neigung dazu ift 
gewachfen mit dem ſich mehrenden 
Geift der Kritik. Es find im diejer 
Aufführung vortrefflihe Eigenjchaften 
betont neben Mängeln. Dieje legteren 
ließen fich vielleicht kurz als „feh— 
lende Naivetät“ bezeichnen. Es 
Scheint zwar etwas dagegen zu ſprechen. 
Selbit die Kreife der Gebildeten jind 
jehr leicht Durch irgend eine Strömung 


„Sociale Briefe aus Berlin“, 


mit befonderer Berüdjihtigung der focialdemolratiihen Strömungen. (Berlin. Friedrich 
Pfeilftüder. 1891.) Siehe „Heimgarten“ Seite 558. 


664 





beeinflufst und unterwerfen ſich in ftets mehr oder minder die Kräfte des 
Fragen der Bolitit wie der Kunst | Geiftes und nicht die des Gemüthes. 
oder Literatur Fehr ſchnell dem re | Ihre Werke vermochten den fritiichen 
theile eines einzelnen. Aber das iſt Berftand, die Einficht aufs ſtärkſte 
eine Erfcheinung, die man anderswo | ‚anzuregen, fie entfalteten bleundenden 
ebenfo beobachten kann. Die Viel- und oft auch echten Geift, Wis und 
feitigfeit des Weltftadtlebens macht | Satire in reihem Maße. Dagegen 


es unmöglich, fi außerhalb eines wird man jelten wahrnehmen Un— 


beftimmten Kreiſes eigene Urtheile zu. 
die Geſellſchaft fordert aber, ifchaft des Herzens — es gibt auch 


bilden ; 
dafs man auch über Nichtverftandenes 
urtheile, und jo iſt's am bequemften, 
fi) fremde Anfichten eigen zu maden. 
Es gehört da3 zur meuzeitlichen Bil— 
dungsheuchelei, Die leider 
wuchert und faum jemals auszurotten 
fein wird. 


Diefer Mangel an Unmittelbarkeit 


und naiver Friſche des Gefühlslebens 
hat ſich von je in der eigentlichen 
Berliner Literatur gezeigt. Gewiſs 
find Ausnahmen vorhanden, aber die; 
Mehrzahl derjenigen Schriftiteller und 
Dichter, die geborene Kinder Berlins 
waren oder fih ganz in deſſen Eigen 


art eingelebt hatten, bejlätigt die obige, 


Behauptung. Niemals hätte die nüch— 
terne Aufklärung eine ſolche Stellung 
gewinnen fünnen, wie zu Nicolais 
Zeiten, 


fie auf unferem Boden entjtand, den 
Mengel an Naivetät des Gefühlslebens. 


Tied ift dafür eine kennzeichnende 
Ericheinung. Die Neigung, mit dem | 
Verſtande über der Empfindung und, 


der Phantafie zu ſchweben, die Ironie 


ift viel weniger als Ergebnis der Ro— 


mantit im allgemeinen, denn als 
folches des Berliner Geiftes anzujehen. 


Die weitere Entwidelung hat troß , 
des MWechfels der Stimmungen das 


Weſen des Berliner Geiftes nicht ge— 
ändert. Die hier geborenen Vertreter 
der jungdeutſchen 
zwar nicht mit Selbftjpott, aber fo 
bedeutende — ſie ſein 
mochten, wie z. 
Herrſchende ihres 


a bildeten 


überall | 


wäre das geiftige Klima ihr, 
nicht jo günftig gewejen. Wohl wandte 
ſich dann die Romantik gegen diejen 
Geiſt, aber auch diefe zeigt, infofern | 


Strömmmg jpielten | 


Gutzkow, das 


mittelbarfeit des Gefühles, Leiden- 


eine folche des Kopfes, wie fie z. 2. 
Gutzkow beſaß —, tiefgründenden 
Humor. 

Der folgende Zeitabſchnitt ſeit 
etwa 1848 hat dieſe geiſtigen Grund— 
züge auch nicht umgeſtaltet. Die 
| führenden Männer waren zum Theil 
bedeutend beanlagt, reich an Willen 
und Verſtand, als Schriftiteller geiſt— 
voll, nicht ohne Geſchmack, weniger 
phantaſiereich, als Dichter ausge— 
zeichnet durch einen Zug von reali— 
ſtiſchem Gefühl, das z. B. bei Fon— 
tane eigenartig hervortrat. Die reine 
Lyrik brachte dagegen auch in dieſem 
Zeitabſchnitte bis zur Gründung des 
Reiches wenig Bedeutendes hervor. 

Die jüngſten Jahrzehnte zeigten 
vor allem die Erſcheinung, daſs die 
neuen Stimmgeber der Kritik und 
die Schaffenden in gediegener Bil— 
dung an die Berufsgenoſſen der 
früheren Zeiten nicht heranreichten, 
und dafs der Einfluſs des Auslandes, 
vornehmlich Frankreichs, ſtärler denn 
je ſich geltend machte. Unterſucht 
man die MWerfe, die der Mehrzahl 
gefielen, auf ihren Gehalt, fo wird 
‚man jehr leicht die alten Beitandtheile 
erkennen; Verſtand, Wiß, Satire, 
‚daneben Empfindſamkeit. Aber dieſe 
Eigenſchaften ſind gegen früher ab— 
geſchwächt; dem Berjtande Fehlt meiſt 
‚der philoſophiſche Anhauch, den der 
ı Berliner durch das Hegelthum erhal- 
‚ten hatte, der Wiß iſt überwiegend 
Wortwitz geworden, die Satire ent» 
behrt ethiſchen Schwunges und die 
Empfindſamkeit wurde, wie beſonders 
in der „Bußenfcheiben-Epit“, füßlich 
und verſteckt-ſinnlich. 








nz 


we 


6065 


Nun aber begann ſich die An— 
ziehungskraft Berlins zu ſteigern und 
lochte Talente aus allen Theilen 
Deutſchlands herbei. Ein Theil der— 
ſelben iſt von der ſtärkeren Strömung 
ganz mitgeriſſen worden; einige be— 
wahrten ſich die Unabhängigkeit, 
fonnten aber eben deshalb tiefer 
reichende Wirkungen nur im engeren 
Kreiſen erzielen. 

Daneben dauerten und vermehrten 
ih fremde Einflüſſe, befonders die 
des franzöſiſchen Naturalismus und 
des nordiſchen und ruffiihen Schrift: 
thums und wirkten auf das jüngite 
Geſchlecht auch dort ein, wo dasjelbe 
jelbftändig zu fein glaubte, 

Betrachtet man die Schöpfungen 
dieſer Schule, jo tritt uns die gleiche 
Erſcheinung entgegen: je mehr ber— 
liniſch die Erzeugniffe find, deito mehr 
überwiegen die Cigenfchaften unferer 
Eigenart. Gemüthshumor mangelt 
ganz, Verſtand herrſcht vor, Die 
Leidenschaft ift mehr im Kopf als im 
Herzen; die Wendung zur Jatiriichen 
AnklagesLiteratur Hat ſich vielfach 
vollzogen ; die Phantafie iſt zurück— 
gedrängt zugunften einer Beobachtung 
eines Wirklichen, das bei den meiſten 
ein Phantaſtiſches ift. Künſtliche 
Schreis und Springpuppen find die 
geihilderten Menfchen, Mechanismen 
mit einzelnen jehr wirklich ſcheinen— 
den Bewegungen, aber innerlich leb— 
los. Die aufgefammelte Lebenserfah: 
rung und Menfchenkenntnis Fehlt und 
ebenſo die intuitive des Dichtergemüths, 
denn nur wenige ſind Dichter; und 
manche, die es im Kerne find, ſchämen 
ih deſſen und werden Nachbeter 
fremder Vorbilder und eines im tiefs 
ſten Weſen undeutichen Naturalismus. 
Wieder andere haben fich einer eroti— 
ſchen Richtung zugemwendet, die ganz 
nah Frankreich hinweist und nur 
fittlih angefaulten Menschen wohlge— 
fällt. Und zu den Gruppen der 
ſchaffenden Schriftiteller geiellen ſich 
die entiprechenden Stunjtrichter, die 
mit hohlen Phrafen, bejonders unver— 


ftandenen naturwiſſenſchaftlichen, wm 
Jich werfen. Unterfucht man ihr Willen 
auf diejem Gebiete, fo jieht man, daſs 
jie bloße Bruchſtücke aufgelefen Haben 
und nicht auf einem einzigen Natur— 
wiilensgebiet, weder in Philoſophie, 
noch fonftwo etwas Gründliches ver— 
jtehen. Gründlich find fie nur im der 
Flachheit. Die aber Willen, wenig» 
tens literargefchichtliches beligen, ent— 
‚behren des Gemüthes faſt vollitändig. 

Troß aller echten Begabung, die 
mancder der jüngften Schriftiteller 
beſitzt, trotz einzelner wertvollen 
Schöpfungen, befonders in Roman, 
Lyrik und Gedankendichtung, iſt die 
| Bewegung nur infofern von Nußen, 
< fie einerfeit3 den Bid für das 





Schablonenhafte mancher Berühmte 
(heiten gefchärft, amdererjeit$ gezeigt 
hat, wohin der Naturalismus in 
Deutichland führt. Sie hat Efel und 
Langeweile erregt. Auch das ift ver- 
dienftlih, wenn es auch gegen Die 
Abſicht erreicht wurde, 

Us Berlin der ftaatlihe Mittels 
punkt des Meiches geworben war, 
machten fich vielfah Stimmen geltend, 
die auch für das geiftige und litera= 
tische Leben eine größere Einheitlich- 
feit verlangten. Sie find niemals 
mehr ganz verftummt Das Vorbild 
von Baris ſpukt in den Köpfen. Wie 
diejes, jollte auch die Reihshauptitadt 
die Beſten des Reiches an lich ziehen, nun 
jo allmählich die unbedingte Herrſchaft 
in WUngelegenheiten der Kunſt, des 
Ihönen Schrifttgums, des Geſchmacks 
zu erringen. Der örtlichen Heimats— 
liebe mag die Vorftellung ſchmeicheln, 
daſs alle anderen deutichen Stüdte 
als aufmerkſame und gehorlame Diener 
einfach die Vorſchriften der Reichs 
hauptitadt zu vollziehen hätten, daſs 
nichts auf Erfolg und Auerkennung zu 
rechnen hätte, was nicht zuerft Hier 
bei uns als würdig verbrieft und ver— 
fiegelt worden ſei. Jeder Berliner aber, 
der wahrhaft deutich denkt, wird dieſe 
‚Voritellung von ſich abweilen, deren 
Verwirklichung ein Unheil wäre, 


Ich weiß, was uns die Klein— 
ftaaterei, die Eiferfucht der Stämmte 
gefoftet Hat ſeit Väter Zeiten. Es 
bedeutet den taatlihden Unter— 
gang des Reiches, wenn jemals der 
Sondergeift, der noch immer nicht 
ganz erlojchen ift, die Übermacht ge— 
winnen follte Nur in der Einheit 
liegt unſere politiiche Kraft, in ihr 
unfer Einfluf3 auf Europa, unjere 
Bedeutung für die Welt. Alle die 
grogen Anderungen, die in gewiſſen 
Grenzen eine Neuordnung der Ge: 
ſellſchaft und Verſöhnung der Gegen- 
ſätze anſtreben, alle Beſtrebungen, 
uns einen Antheil an dem noch freien 
Reſt der Erde zu gewinnen, und ſo 
vieles andere: mit dem Reiche gienge 
alles in Trümmer. 

Uber jo ſehr das zu beklagen 
wäre, ebenjo gefahrvoll müſste es 
für unfer Geiftesteben wirken, wenn 
Berlin ein Paris werden follte. Die 
Neihshauptitadt kann nur einem 
Theile des deutſchen Weſens gejunde 
Luft bieten, nur einen Theil deſſen 
liefern, was wir Deutſche an geiftiger 
Nahrung bedürfen. Der Reichthum 
und die Vielgeftaltigleit unferes Volks— 
wejens ift aus der Eigenart der 
Stämme hervorgewachlen. Schwaben 
md Helfen, Franken und Bayern, 
Rheinländer und Preußen find die 
einzelnen Saiten der Riejenharfe, die 
der deutjche Genius handhabt. Jede 
hat ihren beftimmmten Klang, und nur 
aus aller Zuſammenwirken ift das 
hohe Lied hervorgegangen, deſſen 
Melodie in den Schäßen deutjcher 
Dihtung niedergelegt if. Natur und 
Geihichte Haben jeden Stamm be— 
fonders erzogen zu einem Eigenwefen, 
das ih micht aufgeben könnte, ohne 
jein Beſtes zu opfern. Und dazu ges 
jellen ſich noch Deutfch-Ofterreich und 
die deutiche Schweiz. 

Die Vielfältigkeit der Stammes- 
eigenart ift micht mur zu Fchonen wie 
eine wunde Stelle, fondern als ein 
Borzug zu pflegen. Gin Hebbel hätte 
nicht in Hamburg, ein Schiller nicht 


666 





in Berlin, ein Gußfow nicht in 
Stuttgart, ein Goethe nicht in Wien 
das werden können, was jie geworden 
ind; Uhland, Juſtinus Kerner, Fritz 
Reuter wären niemals in Berlin zu 
ihrer Eigenart gekommen, ebenſowenig 
wie etwa Alexis, Gutzkow oder Spiel— 
hagen in Stuttgart oder Weinsberg. 
Gewiſs lag in all diefen Männern 
eriten und zweiten Ranges ein Stern, 
der umabhängig war von der Um— 
gebung und Stammesart. Aber durch 
diefe erhielt daS Gewächs jeine be= 
ſtimmte Farbe und Richtung. 

Der Schwung des Südens, der 
gemüthliche Humor des Bayern, die 
ſtachliche Herbigkeit des Schwaben, 
die naide Lebensfreude des Rhein: 
länder, fie alle haben ihren Wert 
und ebenjo Hat ihn die Eigenart des 
Berliners. Aber nur ebenfo und nicht 
mehr. Die vielen kleineren Mittel: 
punkte und Bildungsjtätten jind ein 
foftbares Beſitzthum und ihre Ber: 
ftörung bedentete Verarmung des 
deutschen Geiſtes- und Gemüthslebens. 
Gerade die Heineren Hauptſtädte haben 
auch den Vorzug, dafs fih in ihnen 
Begabungen freier entwideln können, 
während in Weltftädten die Mode zu 
einer gefährlichen Macht heranwächst 
und mit ihr eine Abtrennung vom 
Naturleben fich vollzieht. Es werden 
jtetig mehr künstliche Lebensbedingungen 
entwidelt, aus denen fünftliche Gefühls: 
und Denfweijen hervorgehen. Das Ur— 
jprünglide kann ſich nur ſchwer 
halten, das Ungeſunde, Erregte, Über: 
reiste findet eher den Boden zum Ge: 
deihen. Das raſche Alltagsleben bringt 
ftets Neues und vergijst es ebenjo 
raſch. Die ftille Einkehr in ſich wird 
dein Schaffenden erſchwert, Gedanken, 
Gefühle und Geftalten Haben  felten 
Zeit, ruhig der Reife entgegenzu— 
wachen, und die Sunftgeniegenden 
find ſelten geneigt, ſich in das Ernſte, 
Eigenartige fill himeinzuleben. Alles 
was pridelt und vielleicht fogar un— 
gefunden Trieben jchmeichelt, was 
raſch vom Verſtande begriffen werden 





Lu U) 2 CE ug Gen nn 0 0 5 7 


— 


« 


fan, was mit Witz zu ſpotten ver- | Spiegel vorhalten. 
jteht und die Fragen des Tages ges! 


Ihidt zu derwerten weiß, all das 
findet jofort jeine Verehrer. Blitzen— 
den Geift verſteht man, Tiefſinn nicht ; 
Eleganz wird begriffen, nicht ruhige, 
echte Schönheit ; bewegliche Frivolität 
findet taufend Gönner, ftille Anmuth 
bleibt faſt unbeachtet; ſpielender Wit 
und oberflächliche Satire zünden, ge— 
müthvoller Humor lebt ein Stilleben. 


Ich ſpreche hier nur von der herr-— 


ihenden Mehrheit, welche die Stim— 
mungen und Geſchmacksrichtungen 
macht. 

So ergibt ſich in den heutigen 
Weltſtädten ein geiſtiges Klima, das 
der Entfaltung der echten Poeſie im 
allgemeinen wenig günftig it. Man 
hört wohl oft die Behauptung: „Die 
moderne Poeſie muſs mit dem voll 
entfalteten modernen Leben in innigite 
Verbindung treten. Darum kann fie 
nur in den großen Mittelpunkten 
gedeihen.“ Beweiſen läjst ſich natür— 
lich auch das. Aber vorher müfste 
dargethan werden, ob das, was ſtreng 
modern iſt, ſich dichteriſch geftalten 
läſſt, zu bleibenden Gebilden ver— 





| 667 


Das aber wird 
er nur fönnen, wenn in feinem Ges 
müthe die Leitbilder leben des Höch— 
ften und Edelften, dejien der menjch- 
liche Geift fähig if. Diefes Edelite 
und Höchfte ift aber in dem nur 
Modernen in geringem Maße enthal— 
ten und verkörpert ich jedenfall nicht 
in dem, was man Weltjtadtleben zu 
nennen pflegt. Der Lärın und das 
wilde Treiben desjelben wird int Ge— 
gentheil zumeift daS Ohr des Geiſtes 
taub machen für die ftille Stimme 
der eigenen Bruſt. Ohne diefe zu 
vernehmen, vermag jedoch feiner Werke 
echter Kunſt hervorzubringen. 
Gefährlich ift auch, daſs ein Theil 
der jungen Kräfte meint, die Poeſie 
jei nur durch einen Bund mit der 
Wiſſenſchaft, natürlich der „moder— 
nen“ zu erneuern, Diefe Anficht kann 
noch manche Begabung zugrunde rich— 
ten. Kunſt und Wiſſenſchaft find aber 
nicht dasjelbe, wurzeln in anderen 
Kräften, arbeiten mit anderen Mit— 
teln. Dier Logik des Verjtandes, ſinn— 
lihe Erfahrung, unbedingte Gebun— 
denheit — dort Gemüth, Einbildungs- 
kraft, Freiheit dem Stoffe gegenüber. 


wendet werden kann, oder ob es nicht; Der echte Dichter ergreift die Vor— 
vielmehr durch fein ganzes Meien! ſtellung der Außenwelt und belebt fie 
auf Verförperung durch Mittel ans | durch fein eigenes Wejen, aus der 
gewiejen ift, die dom Gebiete der! Fülle eigenen Lebensgefühles ftellt er 
Kunſt überhaupt weit abliegen. Aus fie als Ganzes, als Einheit Hin; die 
dem gährenden Stoffe der Gegemwart Erfahrungswifjenichaft aber muſs ftets 
tann meiner Überzeugung nah nur ein Stüdhen äußerer Wahrnehmung 
der Berftand und die That, die un- an das andere fnüpfen, aber kann 
mittelbar auf Lebensformen gerichtetelniemals Leben ſchaffen, denn das 
That ein feſtes Gebilde ſchaffen. Im} Leben ſelbſt iſt für fie eine unlösliche 
dieſem Sinne aber ilt der echte Dichter] Erſcheinung. Kunſt und Wiſſenſchaft 





niemals Thäter. Läſst er ſich von) 


dieſem Zeitgeiſte dennoch überwinden, | haben. 


dann bleibt ihm nur eins: Tendenz— 
dichter im üblen Sinne des Wortes 
zu werden und jeine Kraft zu ders 
Ihwenden. Damit ift nicht verlangt, 
dafs er fih ins Schnedenhaus des 
jogenannten „Rein Menjchlichen“ zus 
rüdziehen jolle. Er kann und foll die 
Zeit zu begreifen ſuchen, ſoll ihr, | 
wenn feine Kraft ausreicht, den! 





en darum nie diejelbe „Methode“ 
Nie, troß Zola, denn das 
Gute, was er gefchaffen, ift nicht auf 
dem Wege des „Erperimentes, Der 
Erfahrung“ gewonnen, jondern aus 
der Einbildungsfraft, aus dem Ge— 
miüthe geboren. Aljo mit dem gleichen 
Mitteln, mit denen die geſchmähten 
Alten und Uberwundenen gearbeitet 
haben. Da aber der Hauptitoff der 
Dihtung — der Menih — im Weſen 


va ern 


ſich nicht viel ändert; 
der Dichtkunft: 


al3 den fie von einzelnen Hitföpfen | 
bingeftellt wird. Am wenigiten ein 
ſchon gejtorbener, deſſen Leiche zum 
Himmel ſtinlt. Einige junge Herren 
arbeiten an einem Homunkulus der neu— 
eren Äſthetik — er wird das Schick— 
jal des Bathybius Haeckelii theilen. 

Komiſch aber wirkt die ftete Be— 
rufung auf die Naturwiljenichaften, 
weil fie die Unkenntnis derjelben be- 
fundet. Die Gründer der meuen 
Aſthetik kennen meiſt kaum einige 
„populäre“ Darſtellungen und haben 
feine Ahnung davon, wie die ftrengite, 
ehrlihe Wiſſenſchaft heute jich gegen! 
jo viele Glaubensjäße der materialis , 


ftifchen Dogmatik kühl, ja einfach ab— 


da die Mittel) 
Einbildungsfraft und 
Gemüth die gleichen bleiben, fo ift auch 
die Aſthetik, wie fie ſich als Wiſſenſchaft 
entwidelt hat, nicht der ſterbende Maun, dieſe Erneuerer der Dichtung 


668 


lehnend verhält. Hüte, die in den 
Städten nicht mehr Mode find, trägt 
man ſtolz Sonntags auf dem Lande. 
Mit demjelben Selbftgefühl tragen 
und 
Afthetit abgetragene Gedanken number 
und dünken jich „modern“. 

| Soll ſich vielleiht das übrige 
Deutichland auch diefe Seichtheit zum 
Borbilde nehmen? Das alles find 
Bährungsvorgänge, die ſich als jolche 
umſo deichter veritehen laſſen, da 
ähnliche Erjcheinungen auf allen Ge— 
bieten zu beobachten find. 

Übrigens jei bemerft, daſs ich 
gegen die „Jüngſten“ unter den noch 
Jüngeren eine entjchiedene Gegen: 
ſtrömung erhebt, und dajs in diejer, 
'troß der Anerkennung gefunden Wirk: 
lichkeitsſinnes, fich der lebendige Puls» 
ichlag eines warmen Idealismus be= 
merkbar macht. 





Da Didterling. 


(In Vollsmundart.) 


Heind war ih dichteri, heind mecht ih dichtn, 


Wir mar afn Tiih gleih a 
AU Bladi Bapier, a federn, 


Schreibzeug herrichtn, 
a Tintn, \ 


An Streufond, an fein, wern mar nachher wul jindn. 
Diaz, warn ma gor einfolln ah noh wos medt ! 
Ah däs wa nit Shleht! Ah däs wa nit ſchlecht! 





Pochen. 


Bon Olto Ludwig. *) 


Reines Herz. 
Eelig, dem 


Die Götter geben 

Ein reines, edles Herz. 

Er trägt den Zauber in der reihen Hand, 

Was er berührt, mit Wonne zu Durd: 
ſchwellen. 

Die enge Hütte dehnt ſich zum Olymp, 

Wohin er ſeine Bruſt voll Götter bringt. 

Nur den ıft arm daS Lehen, 

Der es mit armen Augen fieht. 

Ihm ſchmilzt der Dinge Frühling 

Unter der gierigen Hand, 

Drum, gütige Götter, erhaltet 

Ihm, dem Glüdlihen, dem ihr fie gabt, 

Die jelige Babe, erhaltet ihm 

Im Bufen das reine, edle Herz. 


zu ſtille Liebe. 


Zwei liebten fih und mollten ſich's nicht 
jagen, 

Und kitisten fih auf eines Kindes Munde, 

Und fahen fih nur in des Kindes Augen, 


Und ſprachen fih nur durch den Mund 


des Kindes. 


Da ſtarb das ſtind. Nun lonnten ſie nicht 


küſſen, 
Nicht mehr ſich ſehn und auch nicht mehr 
ſich ſprechen; 
Da haben ſie ſich ganz in ſich gezogen, 
Und immer fremder find fie ſich geworden 
Und haben immer heiker fich gelichet, 
Nah Kuſs und Blid geſehnt und ſüßer 
Rede, 
Und find? am End’ vor Sehnſucht gar 
geftorben, 


Das Mofkstied 


ouß dem „Engel von Augsburg”. 


Es hat ein Anab’ zwei Mädchen ſchön, 
Kathrinden, die war blond, 
Und Elsbeth braun, die muſs es jehn — 
Er füjst den rothen, rothen Mund 

Ohne Schmerzen. 


Was ftiehlft du mir den Liebſten mein; 
Und 's fehlt an Knaben nicht? 
Du nennft ihn dein, er ıft nicht dein, 
Zu fhön für dein Geficht 

Ohne Schmerzen. 


Und Hab’ ih nun zwei Augen Mar, 

Dazu den jchlanfen Leib; 

Der feinfte Knab', jo pajst’s fürwahr, 

Freit um das feinfte, feinfte Weib 
Ohne Schmerzen, 


Mich Hat der Knab' zum Lieben fein 

Und ‘did zur Narretei! 

Braun Elsbeth zog ein Mefjerlein, 

Stad ihr das Herz, das Herz entzwei 
Ohne Schmerzen. 


Da ſprang wohl längs der weißen Brüft’ 

Ihr rojenfarben Blut. 

So geht es, wer zwei Lieben Kitist; 

's thut wunder — munDderjelten gut 
Ohne Schmerzen. 


Blauer Himmel, Rüßne Keffenbänge. 


Blauer Himmel, fühne Feljenhänge, 
Durch das milde Grün Poetengänge, 
Und ein kühles Flülshen drum gemwunden. 
Ya, ein traulich Bild Hab’ ich's gefunden, 
Mit dem Mak der Schönheit vollgemeffen. 
Nur ein Mädchen, das mich juft verflände, 
Das in mir, in dem ich alles fände — 
Nur das Beſte ift dabei vergejien! 


*, Aus defien ‚Geſammelten Schriften”, (Leipzig. Fr. Wild, Orunom, 1891.) 


Die Abrede. 


Drei Stufen hinauf und drei Schritt zu 
der Thür, 

Mein Mädchen, mein Schähchen, Schnell 
öffne mir! 

„Meine Hand jouf du faſſen, ſollſt jehn 
mein Geficht; 

Doch die Thüre, die Thüre, die öffn’ ich 
dir nicht; 

Mein Schat, das iſt wider die Abred’,* 


So bin ich zur Liebe, zur Lieb’ dir zu 
ſchlecht? 

Und liebteſt mich wirklich, du liebteſt mich 
recht! 

„Sollſt frieren nicht auf dem kalten Stein, 
Sp komm denn, mein Liebchen, mein 
Lieben, herein. 

Doch außerdem bleibt’3 bei der Abred',* 


Wie heimlich, wie traulich dies Kämmerlein, 

O ſollt ih Hier ewiglich heimisch fein! 

Nun nimm mid, mein Mädchen, mein 
Schäden, in Arm, 

Laſs jhlagen die Herzen am Herzen jo 

. warm! 

„Mein Schab, das ift wider die Abred'.“ 


It die Lieb wohl über Nacht geworden jo alt? 

Und das junge Blut jo bleih und jo kalt? 

„Den Mund noch, da Haft ihn, mein 
Lieben, zur Luit; 


Und wiegen und klopfen mag Bruft an) 


der Bruft, 
Doch außerdem bleibt'3 bei der Abred'.* 


Nun laj3 die Gewänder, mein Schäden, 
mein Meib, 

Tafs die Lieb fi erfreue, am Herzchen, 
am Leib. 


Wie bift du fo Tieb und fo Hart doch 
zugleich; 

Wie bift du jo geizig und bift doch jo reich, - 

Mein Schäshen, o laſs doch die Abred'. 


„Und bin ich fo lieb und bin ich jo reich, 
Mein Liebchen, jo bin ich doch Hug zugleich. 
Iſt alles gegeben, ift leer das Haus, 
Dann bleiben die loſen, die Bettler aus. 
Nein, Schätzchen, es bleibt bei der Abred’.* 


Und fannft du mid jehen jo weh und 
betrübt, 

So haft du mid nimmer und nimmer 
geliebt, 

Und bift du jo falt und bift du fo flolz, 

So drechsle dir einen Liebjten von Holz, 

Der hört dir gemwijslich die Abred'! 


„Nein, gehen im Zürnen, das follft du 
mir nicht, 

Nun zeig’ mie nur freundlih dein liebes 
Geſicht. 

Und können die jungen Glieder dich freun, 

Da nimm mich, nimm alles, es ift ja dein; 

Ad, Lieben, ach, dente der Abred’!* 


„Was thuftdu, du Lieber, bu Böfer, du Dieb? 

Darauf gieng dein Schmeideln, darauf 
deine Lich’? 

O lieh ih dich harren, o lieh ih dich achn! 

Nun iſt's um die Ruh und die Freude 
geihehn! 

O hätt’ft du gehalten die Abred'!“ 


So geht's, ift das Liebchen dem Liebchen 
fo gut, 


Kommt zu ſchanden das junge, das arme 


Blut, 


Wenn die Wange glüht, und die Jugend lacht, 
Wie bald im bergenden Arme der Nadt, 
Wie bald ift vergeſſen die Abred'! 





Erinnerung an den 





w erite Studienjahr war vor— 
iv über. Ich hatte während des— 

— ſelben weder Hunger gelitten, 
noch mir je einmal den Magen durch 


Uberladung verdorben. Nun waren 
die Ferien im Anzuge, die Seit, 
welche den Studenten gemeiniglich 
als zur Erholung und Beluftigung 
bejonder3 geeignet erjcheint. Mein 
Dater hatte mir bereits jchreiben 
laſſen, daſs man mich in den paar 
Herbſtmonaten zuhauſe - recht gut 
brauchen könne, es ſei das Korn zu 
Ichmeiden, der Dafer zu heimjen, das 
Grummet zu mähen, das Vieh zu 
hüten, das Brennholz für den Winter 
zu bereiten. Meine Herren Profeſſoren 
hingegen legten mir nahe, über die 
Ferienmonate jene Unterrichtsgegen- 
Hände nachzuholen, die von meinem 
jechiten bis zu meinem dreiundzwan— 
zigiten Jahre verfänmt worden waren. 
Damit war die Art meiner Erholung 
gegeben. Aber die Grundlage! In 
der Stadt konnte ich micht bleiben, 
denn ich Hatte mir im Laufe des 
Schuljahres zu oft das Wort ges 
geben: Wenn du brad lernft, dir die 
Spaziergänge und andere Luſtbar— 
feiten verſagſt, auch hübſch die Nacht 
zubilfe nimmft, um den Geheimniſſen 
der Arithmetik, der Sprachlehre u. ſ. w. 


Ein Piebling der Steiermark. 


Grafen von Meran. 


Bon P. R. Rofegger. 


eines davon Dach und Fach bieten 
für einen fleigigen Studenten? Ach, 
wenn der Prinz Johann noch lebte! 
jo war mein Denken. Und da fiel 
mir ein: Er lebt ja, und ziwar in 
jeinem Sohne, dem Grafen von 
Meran, noch dazu in meiner nächften 
Nähe, zu Graz im Palais Meran. 
— Mas that ich? 

Ih that etwas ſehr Dreiftes. Ich 
jeßte mich hin und jihrieb einen 
Brief an den Grafen von Meran mit 
der Bitte, er möge über die Monate 
Auguft und September in jeinem 
Sagdichloffe Brandhof am Fuße des 
Hochſchwab mir eine Wohnung an— 
weilen. Ich hätte viel zu lernen, 
daher bedürfte ich der Ruhe, auch beab- 
ichtigte ich Natur» und Bolksftudien 
zu machen, wozu der Brandhof ein 
bejonders günftiger Punkt jei. Meine 
Bitte gründete ich auf den Umftand, 


«dafs, wie ich gehört, das Jagdſchloſs 


ohnehin die längfte Zeit leer ſtehe, 
ih zudem nur ein Heines Zimmer 
bendthige mit der Ausficht auf Berg 
und Wald, die ich in der Stadt jo 
lange entbehren gemufst. 

Diefen Brief ſchickte ih ab an 
jeine Adreſſe. Dann gieng ich zu 
meinem Freunde Robert Wagırer, 
einem jungen Schriftſetzer, und ges 


dahinterzufommen, jo darfit du über |ftand ihm meine gute Hoffnung, die 


die Ferien in die  oberfteirischen 
Berge! — Jetzt war die Zeit da. 
Wohin aber, um auch Muße zuhaben 
fürs Lernen ? 

Die Hütten find alle überfüllt, aber 
Ihöne Jagdhäufer und große Schlöſſer 
ftehen leer im Oberlande. Sollte nicht 


bevorftehenden Ferien an einem fehr 
angenehmen Orte verleben zu können 
— auf dem Schloſſe Brandhof in 
Oberfteiermarf, 

„Bilt du dort eingeladen ?* fragte 
Robert. 

„Einftweilen Habe ih mich nur 





felbit eingeladen und in dieſem Sinne! „Wann haft du ihn in den Brief— 
an den Eigenthümer, Herrn Franz kaſten geworfen ?* 
Grafen von Meran, gejchrieben.“ | „Heute morgens.“ 

„Bift du mit dem Grafen bes „Dann ift er bereit an Ort und 
faunt ?* Stelle. Du, vielleiht ſteht morgen 

„Das nicht, ich Habe ihn noch nie | die Grafentalefh vor deiner Thür, 
geſehen.“ mit Lakaien, einer hinten und einer 

„Kennt er dich?" born, und der Graf läjst dich vier— 

„Ich glaube nicht.“ pännig auf den -Brandhof Fahren. 

„Sa, mit welchem Nechte kannt Haft du das nicht mit dazu befohlen ?* 
du dem Herru ein folches Begehren „Ich bitte dich, mach' mich nicht 
vortragen ?* raſend!“ 

Etwas befremdet mag ich drein— „Es iſt dir geſund. Du ſollſt nur 
geſehen haben. „Mit welchem Rechte? einmal die reichen Leute, die hohen 
Nun, ich brauch's eben und er hat Herren kennen lernen!“ 
es überflüſſig.“ Mein Freund war nämlich Social— 

Magner ftarrte mich am und demofrat und wir hatten manche Schöne 
fragte: „Bift du heute ſchon geküfst | Jugendftunde darüber verftritten, daſs 
worden? Nicht? dann mußs ich dich ich dem Ariftofratismus der Grafen 
füllen, du Heilige Einfalt!“ und Bauern das Wort redete, er aber 

„Warum Einfalt? Du wirft ja tapfer die Rechte des Plebs verthei— 
jehen. Morgen habe ich die Antwort.“ |digte, nur die Arbeiter al3 Edelleute 

„Und du erwartet wirklich eine bezeichnete, dabei aber fat allemal 
Antwort? Junge, du dauerft mich. zum Angriff übergieng und den Bes 
Ich fagE dir, es wird Feine Antwort ſitzern Hof und Burg niederbramite. 
lommen auf deinen keden Brief, und | Zum Glüde nur mit glühenden Wor— 
wenn eine kommt, fo ift es eine, |ten, wobei feine Feuerwehr auszu— 
die du wahrfcheinlich nicht viel ums rücken brauchte. 
berzeigen wirft. — Ein Schloſs Recht verftimmt giengen wir an 
wünſcht er fich zum Ferienaufenthalt, demſelben Abende auseinander, ber» 
der Herr Beitelfiudent, das Lieblings | ſtimmt legte ich mich auf den Stroh: 
ſchloſs des Erzherzogs Johann — |fad und mit dem Bewufstfein, tags» 
weiter nichts. Ich kenne dich ſchon über eine große Dummheit begangen 
jeit einem Jahre, du machit wirklich zu haben, ſchläft ſich's nicht gut. 
feine großen Anſprüche an das Leben, Am nächſten Tage war Schule 
aber für jo bejcheiden hätte ich dich | ſchluſs. Meine Kameraden reisten einer 


nicht gehalten.“ nah dem anderen mit den Eiſen— 
„Dein Spotten kannſt fein laſſen, bahnzügen in das Land hinaus, nad 
Robert.” allen Richtungen hin, ich ſchaute ihnen 


„Und wie die hohen Herrichaften | betrübt nach und wartete erſt noch 
laden werden”, fuhr er unbarmherzig |auf das Antwortjchreiben des Grafen 
fort, „wenn dein Brief die Runde | Meran. Ganz muthig ſah ich ihm 
macht um die Tafel, und mie der entgegen, war auf alles Beite und 
Graf ausrufen wird: Nein, einejauf alles Schlimmfte gefajst — aber 
ſolche Frechheit ift mir noch micht es fam nicht. 
vorgefommen !* Am übernähften Tage padte ich 

„Meinſt du im Ernfte, dafs es denn mein NRänzel, um nach Alpel zu 
unfchidlih war?“ fragte ich völlig | wandern und dort meinem Vater 
verzagt. „Dann möchte ich meinen haufen und bauen zu helfen. Die 
Brief doch Lieber zurücknehmen, viele | Grundfäge der Mathematit und der 
leicht liegt er noch auf der Poſt.“ Grammatil werden in Gottesnamen 





673 


auch ohne mich nicht in Vergefjenheit 
gerathen — aljo heimwärts. 

Kam die Magd meiner Quartier 
frau ins Zimmer: Ein Derr wäre 
draußen, der habe gefragt, ob der 
Studioſus R. zuhauſe jei. 

Stand er auch ſchon in der Thür. 
Ein Schlanker, ftattlicher, noch jugend= 
licher Mann mit hoher Stirne, läng- 
lichem, wohlgefärbtem Gefichte, darin 
ein dunkelblonder Schnurrbart und 
frifchhlidende blaue Augen. Um den 
Arm hängend einen braunen Über— 
rod, in der Hand einen jchwarzen 
runden Hit, jo jtand er da und jagte: 
„Ich finde Sie doc, lieber R. Sie 
wohnen aber ganz hübſch, mit der 
Ausfiht auf den Schlojsberg. — Ya, 
ih fam, um Ihren Brief an mid 
perjönli zu beantworten.” 

Begann ich ſchon zu zittern; ihm 
einen Pla anbieten! fiel mir ein. 
Vielleicht ſchickt es ſich aber nicht. 
Wenn er’3 wirklich ift! Ich deutete 
ſtumm auf den Stuhl, er blieb ftehen 
und fich mit der Dand ein wenig 
den Schnurrbart über die Oberlippe 
ftreihend fuhr er fort: „Sa, recht 
gerne würde ih Ihnen auf dem 
Brandhofe eine Wohnung für Ihre 
Herienzeit einräumen; wie ich höre, 
find Sie fleißig, allein Sie würden 
dort verhungern und erfrieren. Das 
Schloſs ift jegt ganz unbewohnt und 
die Bedienung vom Meierhofe aus 
liege manches zu wünſchen übrig ; 
ſelbſt für einen anfpruchslofen Stu— 
denten. Das Wetter iſt im Spät— 
ſommer oft ſchon recht kalt im Ge— 
birge, Sie würden ſich nicht behaglich 
fühlen und die Einſiedelei thut einem 
jungen Manne für die Länge au 
nicht wohl. Wo feine Menfchen find, 
fann man auch feine Boltsftudien 
machen. Ich Habe es mohl überlegt 
und mujs Ihnen von Ihrem Plane 
entjchieden abrathen. Aber miſsver— 
ftehen dürfen Sie mich nicht, mich 
freut es ja, daſs Sie ſich jo offen- 
herzig an mich gewendet haben, ich 
möchte gerne etwas für Sie thun und 


Kofegger’s „‚Ürimgarten‘‘, 9. Heft, XV. 





hoffe, dafs ſich auch noch Gelegenheit 
dazu finden wird, Was Haben 
Sie denn da auf dem Schreibtifche 
für ein bübjches Bild?“ 

„Es ift mein Vaterhaus.“ 

Hierauf fragte er, ob ih das 
Bild jelber gezeichnet hätte, ob meine 
Eltern noch lebten, welchem Berufe 
ich zuftrebte, ob ich glaubte, dajs die 
Naturdihtung einmal ihren Mann 
ernähre? Denn man hieß mich zu 
jener Zeit etliher Dialectgedichtchen 
wegen, die bon mir veröffentlicht 
worden, den jteirifchen Naturdichter, 
ein Zitel, den ich immer jehr hoch 
gehalten habe, obgleich ich weiß, daſs 
mancher darunter etwas recht Ge— 
ringes verftand. Nicht ein Unnature 
dichter, jondern ein Naturdichter, 
einer, der von Natur aus als Dichter 
geboren und dazu beſtimmt iſt! 
Shatejpeare, Goethe, Schiller haben 
diejen Titel verdient; ich wollte, ich 
hätte immer die Zupverficht, ein Na— 
turdichter, wenn auch nur ein kleiner, 
zu fein. Wohl auch der Kunſt— 
dichter mufs es endlich fo weit brin— 
gen, bis er dem Naturdichter aufs 
Haar ähnlih ſieht. — Nicht etwa, 
als ob ich meinem Gafte das fo vor— 
dociert hätte! Im Gegentheil, ich 
brachte nicht einmal die nothwendig— 
ften Worte Heraus, 

„Fahren Sie nur fort“, ſprach 
dann mein jeltener Beſuch, „unfer 
Steirerland zu befingen und Die 
Steirer jo hübſch zu bejchreiben, wie 
fie e8 verdienen. Sammeln Sie auf 
den Ferien für Ihre jpäteren Studien 
und Arbeiten recht viele Kraft und 
rüden Sie zu Anfang des nächſten 
Schuljahres wieder gejund ein. Leben 
Sie wohl!” 

Lebhaft jchüttelte er mir die Hand 
und dann verließ er mich. Ich ftarrte 
noch lange auf die Thür, die fich 
hinter ihm gefchloflen Hatte. — Das 
war der Sohn des Prinzen Johann 
gewejen. 

Hochbeglüdt über die Herablafiung 
und Güte des Grafen und beforgt 

43 


dabei, ob mein ungeichidtes Benehmen, 
meine faſt abſolute Spradloiigkeit 
ihm etwa mißſsfallen Habe, padie ich 
nun den Reſt meiner fieben Sachen 
zufammen. Und als ih in Ordnung 
war, feßte ich mich in der Küche zu 
dent Teller mit aufgemwärmten Rüben, 
den mir die alte Daushälterin als 
MWanderjaufe aufgetifcht Hatte. Auf— 
gewärmte Rüben jind nämlich außer- 
ordentlich gut und noch am allerbeiten 
ohne Zufpeife, das heißt, wenn man 
ſonſt nichts hat. Während ich jchwelgte, 
räumte die Alte drinnen mein Zimmer 
in Ordnung. Plötzlich kam fie aber 
zu mir im die Küche gefahren md 
gab ihr offenes Mijsfallen fund über 
diefe Schlamperei. Sie ſei die Stu- 
dentenwirtichaft feit Jahren einiger= 
maßen gewohnt worden. In allen 
Eden herumliegende Papierfegen, alte 
Stiefel, ſchmutzige Hemdkrägen, ſtin— 
kende Tabakspfeifen, das kenne und 
verſtehe ſie, aber eine ſolche „Praſſerei“ 
mit Geld ſei ihr noch nicht vorge— 
kommen. Auf dem Schreibtiſch liege 
ein Hanfen Ducaten! 

Ich ſtürzte in das Zimmer, um 
die wunderbare Erſcheinung zu ſehen. 
Und richtig! Dort auf dem Schreib— 
tiſch, wo der Graf ih zu ſchaffen 
gemacht Hatte, um das Bild meines 
Geburtshanfes zu betrachten, lag in 
Papier loder eingeichlagen ein Häuf— 
fein Goldfüchſe! Gerade jo viel, daſs 
ih mir jede Woche in den Ferien 
mit einem Ducaten vergolden fonnte. 

„Aber“, Fam mir das Bedenten, 
„Te werden halt nicht mein fein. Ein 
Graf war da, der wird fie nur ver— 
geſſen haben.“ 

Die alte Haushälterin rang die 
Hände, „OD Gott!“ rief fie, „diefer 
Menih will was lernen! Und io 
vernagelt!“ 

Sch Tief mit dem Gelde zu meinem 
freunde, dem Socialdemofraten, und 
er ließ ſich Fehr gerne zwingen, mit 
mir eins auf das Wohl des Grafen 
zu trinken. „Ja, wenn Sie alle jo 


wären!“ jagte ex, „Ach muſs es nun 


674 


wohl zugeben, daſs e3 aud unter dent 
Ariitofraten Edelleute gibt.“ 

Am nächſten Morgen reiste ih ab 
in meine Heimat, wo ich jeden Morgen 
den Studien oblag und jeden Nach: 
mittag meinen Eltern bei ihrer Arbeit 
half. Die Goldfüchſe aber gab ih im 
das Geftüt der Steiermärkischen 
Sparcaffe, wo fie jich feither vermehrt 
haben, 

Alſo ift es zugegangen, daſs ich 
den Grafen von Meran, den Sohn 
des Prinzen Johann, kennen gelernt 
hatte. Seit jenen Zeiten ift er mir 
oft genaht, um mir Beweife feines 
MWohlwollens zu geben. Manchmal 
war e3, daſs wir gemeinfam arbeite= 
ten, er war überall dabei, wo e3 das 
Wohl und die Ehre unjeres Heimat» 
landes galt. Voran drängte er id 
nirgends, jeine rührende perjönliche 
Beicheidenheit liebte es, ungenaunt 
zu ſein. Als Steirer fühlte er ſich, 
daraus machte er kein Hehl, und am 
wohlſten war ihm in ſteiriſcher Tracht. 
Er, deſſen Vater dem Kaiſerhauſe, 
deſſen Mutter dem Volke entſtammte, 
hatte für ſeine Heimatsgenoſſen ein 
wahrhaft brüderliches Herz. Bei wich— 
tigen vollswirtſchaftlichen und Dilfs- 
vereinen Stand Graf Meran obenan, 
jeine Perſönlichkeit war nah allen 
Seiten hin eine Bürgichaft; fein 
klarer Berftand, ſtets das Richtige er- 
fennend, fein gutes Herz, alle Men— 
Then, auch den ärmſten, achtend, iſt 
wohl bekannt. Die Berehrung und 
Liebe, weldhe Franz Graf Meran im 
Bürger und Bauernthum der Steier» 
mark genof3, ift noch nicht gemug be: 
tont worden. In den Gegenden, wo 
der Graf Befigungen hatte, weih je— 
dermann zu erzählen von feiner Leut— 








ſeligkeit, Theilnahme und Mitjorge, 


die er für alle Anliegen der Leute 


‚bezeugt hat. Diejes Blatt dürfte noch 
einmal Gelegenheit haben, eine Reihe 
Charakterzüge des vortrefflichen Men- 
ſchen, der jo hoch in der Gefellfchaft 
ſtand und doch treu zum Volke hielt, 
mitzutheilen. 


Der Charfreitag, an 





weldhen aus Abbazia jo unerwartet 
die Nachricht fan: Graf Meran ift 
gejtorben! wurde zu einem wahren 
TIranertage für das ganze Land. 
Nur zweiundfünfzig Jahre war er 
alt geworden. Seine fegensreiche 
Wirkſamkeit, mit der er manches 
große Werk feines erlauchten Waters 
frönte und manches Neue ſchuf, wird 
unvergeſſen bleiben. 

Ich kam wiederholt in die Lage, 
ihn verfchiedene Anliegen Dritter vor— 
zutragen. Mit welcher Zuvorkommen— 
heit trat er allem entgegen! Mehr: 
mals ftieg er in den dritten Stod 
binauf zur Poetenſtube, berathichlagte 
und fand ftets ein Mittel, den Wün— 
jchen anderer gerecht zu werden oder 
ihnen wenigftens jeine Bereitwilligfeit 
zur bezeugen. Die äußere Liebens- 
würdigfeit der Ariſtokraten iſt ja 
nichts Neues, doch hat ihre Höflichkeit 
mandmal etwas Djtentatives, als 
wollten fie damit jagen: Sehet, 
Bourgeois, wiegentlemanlife unſer Bes 
tragen iſt, wir find eben Ariſtokraten! 
— Bei Graf Meran Hatte ich das 
Gefühl, als wäre er mein Bruder, 
der von Jugend auf mit mir gemeine 
jame Sache gehalten. Diele gemein 
jame Sade war unfere Steiermark, 
unfer heimiſches Vollsthum, mit dem 
er innig vertraut war. Manchen 
Charakterzug aus der oberländijchen 
Bewohnerſchaft Hat er mir mitgetheilt, 
manchen Stoff für volksthümliche Er— 
zählungen geliefert. Graf Meran war 
mir in jeiner ganzen MWejenheit ein 
wahrer Typus des Steirerthumg, in 
ihm war es verlörpert. Die Ver— 


tranensfeligfeit, mit der ich dazumal 


als Bauernftudent ganz gegen meine 
Art, inſtinctiv möchte ich jagen, ihm 
den Brief gefchrieber, mag von 
anderen vielleicht anders genannt 
werden, dieſem Manne gegenüber war 
fie gerechtfertigt, denn er rechifertigte 
lie ſelbſt. — 

Am DOfterdienstag diejes Jahres 


haben ſie feinen Leib beigefeßt im 
Mauſoleum zu Schönna bei Meran 
in Zirol, wo auch die Weite jeiner 
Eltern ruhen. Der Abordnung der 
Steiermarf, die an jeiner Ruheſtätte 
den Kranz der Dankbarkeit nieder: 
legte, Habe ich) mich nicht anſchließen 
fönnen, 

Als alles vorüber war und Die 
Trauergäſte ſich zerftrent hatten, fiel 
es mir ein, num wäre der Beſuch zu 
eriwidern, den der Graf Meran einſt 
dem armen Studenten gemacht. Ich 
‚that mich auf zur Reiſe nach Tirol, 
| Die Herrlihen Berggipfel Steiermarfs, 
Kärntens, des Puſterthales, des Eijad- 
thales und der Etich, Tie hatten zwei 
Tage früher niedergeblidt auf den 
Tranerwagen, der fern dom Quarnero 
her den Liebling der Steiermark ges 
bracht bis zu dem Gejtade an der 
rauſchenden Paſſer. Das ſchöne ftolze 








Meran Hand noch unter dem Ein— 
drucke des Ereigniſſes. Ich ſtieg 
hinan das Rebengelände gegen 


Schönna mit dem ragenden Schloſſe 
und dem feierlich = ernften Mauſo— 
leum. Bor der ftillen Pforte des 
Todes, über deren Zinnen die Etſch— 
thaler Ferner leuchten, zu Füßen die 
‚heilige Heimatserde Andreas Hofers, 
‚getränft von dem Heldenblute der 
Tiroler Landesvertheidiger — ſo ſtand 
ih da und die Betrübnis meines 
‚Herzens gieng im eine Hochſtimmung 
‚über, wie ich fie felten noch jo rein 


‚und trojtreich empfunden, Habet 
Dant für alles! Welcher Steirer 


ſchiede nicht mit dieſem Gruße von 
dem Mauſoleum zu Schönna! — 

Dieſes Thal gehört zu den ſchön— 
ſten Gegenden auf Gottes Erde; die 
wackeren Tiroler haben auch ein Recht 
auf das dreifache Grab und doch thut 
'eö mie wehe, dafs ihr, unfer Erz— 
berzog Johann, unjere Anna von 
Auſſee umd unfer Franz Graf von 
‚Meran nicht bei ung ruhet im der 
grünen Steiermarf. 


43* 


Ein Geſpräch 


D I. 

octor. Ich muſs es offen jagen, 
3, Heimgärtner, Sie gefallen mir 
® nicht. Sie paſſen nicht mehr 

in unfere Zeit. 

Peter. Ob ih im die Zeit paſſe 
oder nicht, ift mir gleichgiltig, aber zu 
den Menfchen will ich paflen. 

Doctor. Sie paſſen auch zu den 
modernen Menjchen nicht. Sie predigen 
3. B. der neuen Zeit, die nur den 
Kampf ums Dafein kennt, das Ehriften- 
thum mit einer Einfältigleit, als 
fünden Sie in den erſten Jahrhun— 
derten. 

Beter Die Menſchen haben 
wieder Heimweh bekommen nach dem 
Ghriftentgume, und um jo tieferes 
Heimweh, je weiter fie fich bon dem— 
felben entfernt hatten. 

Doctor. Ya, lieber Freund, 
glauben denn Sie, es ift den Leuten 
ernft, wenn fie heute von Religion 
Iprechen, fich religiös Itellen, wenn fie 
etliche confeifionelle Gebräuche, die 


ihnen gerade am Wege aufftoßen, mitz | 


machen, oder wenn fie ſich zuſammen— 
Idun zu einer Partei der vereinigten 
Chriſten! All diefe Beltrebungen find 
vom wirklichen Chriftenthum mins 
deftens jo weit entfernt, als ich mit 
meinem Atheismus es bin. VBerfuchen 
Sie doch einmal einen von ſolchen, 
die immer nur das wahre Chriſten— 
thum im Munde führen, die aus lauter 
wahrem Chriftenthum den Juden haffen, 
aber auch die Kirche und den Cultus 
verachten, die da immer wieder be= 
haupten, Religion jei eine rein pers 
Jönliche Angelegenheit und da habe 
ih Fein zweiter dreinzumifchen und 
was derlei landläufiger Phraſen mebr 
ind, — verfuhen Sie nur einmal 


676 


über Religion. 


einen ſolchen, wie es mit jeinem inneren 
Chriſtenthume fteht: es ift nichts da. 
Oder wird fo ein gewöhnlicher Philiſter, 
der fih im Gegenjage zum Juden 
oder Katholiken oder Türlen „Chriſt“ 
nennt, ſich bemühen, ſeinen Feinden 
zu verzeihen, ihnen Gutes zu thun, für 
den Nächſten beſtändig große und frei— 
willige Opfer zu bringen, feine eigenen 
finnlihen Neigungen abzutödten, den 
Gütern und Freuden der Welt zu 
entjagen, ſich ganz zu vergeifligen in 
der Liebe zum Bater im Himmel? — 
Im  Gegentheile, unfere modernen 
Chriften ftellen ſich Ddiefen Ideen 
principiell feindlich entgegen; fie haben 
ih felber ein Chriſtenthum am den 
Leib geſchnitten, das für ihre welt» 
lichen Begierden, eigennüßigen Beſtre— 
bungen und gelegentlihen Gefühls— 
ſchwärmereien ganz gut pajst, mit der 
Strenge und Heldenhaftigkeit der Lehre 
des Nazarenerd aber nichts gemein 
hat. Aus verfchiedenen Gründen der 
Klugheit nennen fie ſich Ehriften, und 
der Name genügt. 

Peter. Sie ſind ſchrecklich, Doctor, 
denn Sie haben recht. 





' Doctor. Freut mich, daſs Sie 
es zugeben. 
Peter. Bedauere, dajs id es 


‚zugeben mufs. Denn dajs es fo ift, 
davon gewinnen weder Sie no id). 

Doctor. SCH, diefe modernen 
Chriſten! Manchmal glauben fie, dafs 
jie etwas glaubten ; wenn fie ſich aber 
' gründlich prüfen oder in beftimmte Le— 
benslagen fommen, fo ftellt fich heraus, 
‚dafs fie eigentlich gar nichts glauben. 
| Peter. Das läſst fih umkehren. 
Es gibt Leute, die bei Gott ſchwören, 
daſs es feinen Gott gibt! Leute, welche 
im gewöhnlichen Leben glauben, daſs 








677 


fie nicht3 glauben und in den Stunden 
der Noth den Allmächtigen anrufen. 
Auch im Weltkinde lebt tief verborgen 
ein Verlangen und Sehnen nad) Gott. 
Und dieſes DVerlangen und Sehnen 
ſelbſt Schon ift eine Art von Glaubens: 
betenntnis. Der Flachling, der in Geift 
und Gemüth verfommene Glüdsjäger 
und ſinnliche Genuſſsmenſch mag jich 
zeitweilig begnügen mit dem, was 
diefe Erde ihm bietet; der ganze herz— 
tiefe Menſch begnügt ſich nicht mit 


diefem irdischen Jahrmarkte, nicht mit 


den zweifelhaften Errungenfchaften des 


weltlichen Geiftes, nicht mit jenen | 
Vorftellungen und Redensarten, dafs 


alles unsterblich jei im Kosmos, dafs 
fein Atom verloren gehe, dajs alles 


in irgend einer Form, wenn auch ich | 


feiner jelbft nicht bewusst, immer vor— 
handen jei, u. ſ. w. — Nein, dieſe 
Kaleidojlopen = Philofophie ift dem 
ganzen Menschen nicht genug, ja ihm 
gerade zumider, zu erbärmlid. Er 


will als ein beftimmtes, ſich ſelbſt 


dentendes Weſen bejtehen, ſich als 
ſolches immer reiner entwideln, alls 
mählih alle Unlauterfeiten von Sich 


abftreifen, und endlich frei von allen | 


peinigenden Leidenjchaften im heiteren 


Frieden fortleben, vereint mit dem 
Ideale aller Bolllommenheit, das er) 
Der Menih iſt etwas 
Großes, alles erdentliche Erdenglüd 
iſt ihm nichtig und alles Erdenunglüd, | 


Gott nennt. 


das er ertragen mußſs, erträgt er nur, 
weil er weiß, es reinigt, ftärkt, adelt 
ihn auf feinem Wege zur Vollkommen— 
heit. Er will höher hinaus, als alle 
Weltmacht und aller Menjchenwig ihn 
heben können, er will eine Größe und 


Unendlichkeit erlangen, die er jich mit | 


jeinem endlichen Berftandsorgan noch 
gar nicht vorftellen kann. 

Doctor. Das ftimmt ja mit der 
Philoſophie der Darwiniften. Seine 
Wiſſenſchaft hat das Fortbeitehen und 
Sichveredeln des Menfchengefchlechtes 
jo Har und begreiflich dargeftellt, als 
der Darwinismus; feine Einficht ift 
jo troftreih für uns und fo erhebend, 


al3 die, wie weit wir es feit dem 
Urſchleime Her ſchon gebracht haben, 
denn eben darin liegt für uns, die 
wir immer in der Fortentwickelung 
begriffen ſind, die Gewiſsheit, daſs 
wir es noch weit bringen werden. 

Peter. Lieber Doctor, das iſt, 
bon meinem Standpunkte aus be— 
trachtet, eine traurige Gefchichte mit der 
Naturwiſſenſchaft. Einerjeits ftellt fie 
uns im Ausficht, daſs die Menjchheit 
es auf Erden zur größtmöglichen Voll: 
fommenheit bringen kann, andererjeits 
ftellt fie feit, dafs nach dem Berlaufe 
einer gewiflen Zeit der Erbball er- 
ftarren und kein Lebewejen ähnlich 
dem Menjchen mehr beherbergen wird. 
Iſt leßteres richtig, jo wird der Menſch 
nah dem Darwin'ſchen Grundjaße 
Jich nicht immer vervollfommmen können, 
denn die allmählih kümmerlicher 
‚werdenden Eriftenzbedingungen müfjen 
ihn vielmehr degenerieren und zum 
Raubthiere erniedrigen, das die noth- 
wendigften momentanen Bedürfnifie 
‚deden muſs, jo lange e3 irgend noch 
‚möglich ift. Oder ſoll der Menſch ge— 
ade durch die wachjende Ungunſt feiner 
Eriftenzbedinguungen Sich vergeiftigen 
‚und vergöttlihen, dann könnte es 
vielleicht gerade zufammtreffen, dajs 
an dem Tage, da der vollkommene 
Menſch fertig if, die Welt zugrunde 
geht. Und dann ift alles miteinander 
umſonſt gewejen. 

Doctor. Kann ich dafür, dafs 
es fo fein wird ? 

Peter. Vielleicht haben Sie einen 
Theil der Schuld daran. Sie haben 
durch die Verbreitung Ihrer Philo— 
ſophie mit dazu beigetragen, daj3 viele 
Menſchen in dieſes Gedankenſyſtem 
hineingedrillt worden ſind, bis ſie ſich 
hineingelebt haben, ſo daſs ſie meinen, 
es müſſe ſo ſein, wie ſie ſich's 
vorſtellen. Das iſt aber nicht ausge— 
macht. Für den Menfchen ift alles 
freilich genau jo, wie er ſich's voritellt, 
aber an und Für Sich kann es ganz 
anders fein. Die Gefchichte der Philo— 
jophie hat uns bewiejen, dajs die 








678 


menſchliche Art zu denken und die 
Dognen der Syſteme überaus unver— 
täfslih find. O ja, es kann recht 
gut anders fein, als der Menjch es 
duch feine Sinne zu erfallen glaubt, 
das Menſchengehirn es ſich einbildet. 
Und gerade dadurch, dafs ihr Mate- 
rialiften den menſchlichen Geift nur 
zu einem Ausflujs der Materie ernie— 
drigt Habt, Habt ihr ihn gleichfam 
unmündig erklärt und unfähig, der 
abjoluten Wahrheit nachzugehen und 
fie zu erfennen. Und doch wollt ihr, 


mit dieſem von euch jo armfelig ge 


machten Geijt die abjolute Mahrheit 
ergründen, Welch ein Widerfpruch ! 
Jedenfalls teilt es ſich ſchon heraus, 
dafs die Art der Naturaliften zu philos 
jophieren eine unglüdliche ift, denn 
fie führt uns ſchließlich in eine Wüſte, 
wo fein Troſt und feine Rettung 
jein kann. 
Doctor, 


Erfahrungen es erlauben ? 

Beter. Biele Millionen Menſchen, 
die auch diefelben Erfahrungen machen 
und auch geiftig gefund find, denken 
doch anders, als etwa Sie. Und denfelben 
fommt ihr Denken und Willen nicht min— 
der richtig umd der Mahrheit entjpre= 
hend vor, als Ihnen das Ihrige. Viele 
von ſolchen Haben noch dazu den Vor— 
tbeil, dafs ihr Denten und ihre Vor— 
ftellungen fie bejeligen, ſtark, tren und 
edler machen und auf eine Höhe er- 
heben, auf der ſie dem unermeislichen 
Elende diefes Lebens faft entrüdt find. 

Doctor. Welch eine Höhe ift 
denn das? Nennen Sie mir fie. 

Peter. Die Religion. 

Doctor. Die Religion. Aber 
jagen Sie mir doch, find Leute, die 
eine jogenannte Religion haben, denn 





Aber läſst ſich logifchers | 
weife denn anders denfen, als die! 





lichjfein denn gar jo widhtig? Dit es 
nicht edler, der Wahrheit willen auf 
alles Glück zu verzichten ? 

Vetter. Das Wahre ift für ums 
das, was uns glüdlih macht. Gehen 
denn doch alle menſchlichen Beſtrebungen, 
ja auch die der Naturforſcher, darauf 
aus, den Menſchen erſt viele Vortheile 
zu verſchaffen, daſs ſie ſich möglichſt 
behaglich und glücklich fühlen. Warum 
ſoll gerade jene Gedanken- und Vor— 
ſtellungsweli nicht Geltung » haben, 
durch welche wir uns am beiten mit 
diefem Leben und feinen Widerwär— 
tigfeiten abfinden fönnen ? E3 handelt 
ih nur um das. 

Doctor. Der Menſch ift auf 
Erden, um die Wahrheit als ſolche 
zu ſuchen. 

Peter. Wer hat ihm das auf 
getragen? Sein Schöpfer? Er Hat ja 
feinen, wie Sie jagen. Wlfo er ſich 
feldft ? Und wann ? Als Urzelle? Als 
Affe? 

Doctor. As Menid. 

Better Nur als Gelehrter kann 
er ſich diefen Luxus erlauben. Der 
Menſch als ſolcher hat andere Strö- 
mungen, und die längften derjelben 
münden allemal und überall nur ins 
Meer der Ewigkeit und des Gott: 
gedanfens. 

Doctor. Freund, aljo glauben 
Sie wirllih an einen Gott und au 
die Uniterblichteit Ihrer Seele ? 


Peter. Ih glaube das nicht, 
denu id weiß es. 
Doctor. Hätten Sie Ihre Un— 


fterblichleit geglaubt, jo würde ich 
geichwiegen haben, Weil Sie die Sache 
aber wijfen, fo wollen Sie die Güte 
haben, fie mir zu beweifen. 

Peter Ih bin, ih war, ich 
werde fein. Denn dafs ich bin, em— 


auch um fo viel beiler, als die foge= | pfinde ih. Daſs ih war und jein 

nannten Atheilten ? werde, gründe ich auf Erfahrung, 
Peter. Beiler? Schon aus Nez denn in aller Zeit, die ich weiß, war 

ligion dürfte man das nicht jo hoch- | ich und ich habe feine Zeit erfahren, in 

müthig bejahen. Jedenfalls aber | der ich nicht war und nicht fein werde. 

glüdlicher. Doctor. Sie find wigig vielleicht 
Doctor. Sit Ihnen das Glüdz | zu unrechter Zeit. 


gr | RE 
«ri 4 
F 


679 


Peter. Menſchenwitz. Ähnlich Fährdet wären. Sind das nicht Spuren 
beweilen ja auch Ihre Philoſophen. Gottes? Sind das nit Wunder, die 
Doch es foll nit gelten, auch bei |täglich gewirkt werden? Daſs in dem 


mir nicht. Umendliches läſst ſich mit 
endliden Mitteln ja nicht beweijen. 


Wirriale der Stoffe und der geiftlojen 
Kräfte, wie Ihr jagt, ein Menfch 


Man mußs es fühlen, wie man fein leben und Ideale hegen kann, die mit 


eigenes Weſen fühlt. 
Herrn an meiner Seite und das macht 
mich muthig und fröhlich. Wie hätte 
ich armer irrender Menjch durch die 
unzähligen Fährlichleiten der Welt, 
durch all die Verfuchung, das Leid, 
das Unglüd, durch all die heuchleri— 
ſchen Widerſacher und grimmen Feinde 
den Weg finden können bis hieher ? 
Er war mit mir. Im Taumel der 
Luft, des Erfolges, des Beifalls, ja 
jelbft in den füßen Wonnen des häus— 
lihen Glüdes hätte ih müſſen über- 
müthig werden; von Feinden gehet, 
fauernd an Gräbern zerftörten Glüdes, 
im Banne der Lafter, im Bewußſstſein 
perfönlider Schuld und Armfeligfeit 
hätte ich verzweifeln müſſen. Doc er 
war mit mir. Immer überlegener fühle 
ich mich den Dingen, die mich einft 
unterjocht Hatten; immer fräftiger in 
Belämpfung des thierifchen Theiles 
an mir; unbedenklich wage ich heute 
Unternehmungen, zu demen mich meine 
gebrehlihe Natur, meine geringen 
Fähigkeiten nicht berechtigen — denn 
an meiner Seite jteht der Herr. — 
Ihr beitreitet die Wunder, die er 
einst gewirkt hat, ich jehe die Wunder, 
die er heute noch wirkt. Er läfst den 
guten Willen fiegen und den böjen 
zu Schanden werden, wenn ſchon nicht 
immer heute, jo doch morgen. Er hat 
jeine Schöpfung jo eingerichtet, dajs 
alles Unzweckmäßige fachte ansgerottet, 
das Zweckmäßige endlich herrjchend 
werden kann. In ewiger Planmäßig- 
feit geht diefer Procef3 vor ſich — 

Doctor. Und das viele Unrecht, 
welches gejchieht ? 

Peter. Empfinden wir als folches 
und find fofort beftrebt, es zu corri— 
gieren, weil wir willen, daſs durch 
die Uberhandnahme desjelben der Eins 
zelne umd das ganze Gejchlecht ge— 


Ich weiß den den Stoffen und Kräften gar nichts 


zu thun Haben, daſs er troß dieſer 
Oppofition gegen die Herrichenden 
Mächte doch nicht zugrunde geht, ſon— 
dern gerade im den Idealen Friede 
und Stärke findet, ift das nicht ein 
Wunder? 

Doctor, Und warum diefe Um— 
tändlichleiten einer fünmerlichen Ent— 
widelung unter Elend und Unrecht ? 
Warum Hat Ihr weifer Gott die Welt 
nicht gleih anfangs volllommen er= 
ichaffen ? 

Peter. Das weiß ih nidt. 
Menn ich das wüjste, brauchte ich 
feinen allweifen Gott, danı wäre ich's 
jelber. 

Doctor. Sagen Sie mir dod, 
wie ftellen Sie ſich die Wefenheit 
Gottes vor? 

Peter. Wie ih kann. Als eine 
Perſönlichkeit. — Sie erjihreden über 
meine Einfalt. Schuld daran tt die 
Unzulänglichteitdes menschlichen Geiſtes. 
Mögen wir uns etwas nod) jo abitract 
denken, brauchbar wird es erjt, wenn 
es ſich concentriert zu einer finnlichen 
Vorſtellung. Der Mathematiler 3. B. 
verlinnlicht den mathematischen Punkt 
durch einen Zintentupfer auf dem 
Papier. Er weiß recht gut, daſs das 
mathematiſch unrichtig ift, kann ſich 
aber nicht anders helfen. Mit der 
Gottvorſtellung geht es uns ebenſo. 
Er iſt der Unendliche, Unfaſsbare, 
aber wir müſſen ihn ſo nehmen, wie 
wir ihn tragen können. Glücklich der, 
welcher in naiver Unmittelbarkeit den 
unendlichen Gott in Menſchengeſtalt 
ſehen kann. 


II. 


Doctor. Nah dem früher Ge— 
ſagten zu Schließen, ift Ihnen die Ver— 
ehrung Gottes eine Pflicht. 


Peter. Nein, ein Bedürfnis. Gott 
fteht auf meine Dankbarkeit und Ber: 
ehrung nit an. Und eine pflicht: 
ſchuldige Berehrung, ein Halb er- 
zwungenes Lob ift überhaupt etwas 
Zweifelhaftes. Das Bedürfnis, dem 
Wohlthäter zu danken, ihn zu ehren, 
entjtehbt in uns jelbft, und die Be— 
thätigung desſelben empfinden wir 
wie einen Genuſs. Darımı gereicht 
frommen Menſchen der Gottesdienft 
zur wahren Bejeligung. 

Doctor. Wenn aber der Gottes- 
dient reine Yorınfache wird? Wenn 
man in die Kirche geht, bloß weil es 
Sitte ift umd weil es vom Cultus 
verlangt wird? 

Peter. Dann ift die Wirkung 
auf unfer Gemüth oft gleich Null. 
Der Menfch mußs zuerst zu fich felber 
fommen, dann erft zu Gott. Wer in 
fein Herz nicht einfehrt, der kehrt in 
die Kirche vergebens ein. 

Doctor. Sie meinen wohl, dajs 
man Gott auch im grünen Walde 
verehren kann ? 

Peter. Das meine ich freilich, 
bin aber fein Freund dieſer Phrafe. 
Mit einem Gottesdienfte in Einſamkeit 
ift den allerwenigften gedient. Die 
Religion führt uns micht allein zu 
Gott, fie will uns auch zu den 
Menſchen führen. Die Gemeinfamfeit 
der Gottesverehrung in der Kirche 
erwedt in ums immer wieder das Ge— 
fühl der Zufammengehörigkeit. Brüder 
und Schweftern find es, die vor den 
Füßen des himmlischen Vaters knien. 
Nichts Nührenderes weiß ich, als eine 
andädtige Gemeinde, mie fie fich bei 
großen erichütternden Ereigniffen, im 
Elementarunglüde zu zeigen pflegt. 
In ſolchen Zeiten fällt es auch felten 
einem ein, feinen Gott feparat im 
grünen Walde oder im einfamen 
KHämmerlein zu verehren, den Mens 
ſchen zieht’ in fchweren Tagen zu 
Menſchen und alle zufammen zu Gott. 


Doc gibt es Gemüther, und ich verftehe | 


fie gar wohl, denen die Andacht, die 


Erhebung des Herzens zum Urquell 
alles Guten und Schönen in der Eins 
ſamkeit befjer gedeiht, al3 inmitten 
der Leute und des Gepränges. 

Doctor. Sie jind alfo wohl 
fein Freund des prunfhaften fatholi= 
ihen Gultus, der Geremonien, welche 
mit dem kirchlichen Gottesdienfte ver— 
bunden find? 

Peter. In Hinblick auf die 
Millionen, die ohne unjeren kirch— 
lien Eultus leben und doch auch 
Kinder des himmlischen Vaters find, 
ſteht es mir nit an, zu jagen, 
daſs Geremonien zur Seligkeit uner= 
läfslih find, man kann auch ohne 
fie tief religiös und fromm fein, Die 
erften Ehriften Haben weniger Gere= 
monien geübt, als die katholiſche 
Kirche in jpäterer Zeit, aber in der 
hriftlihen Religiofität werden fie es 
wohl mit den Chriften aller Zeiten 
und Kirchen aufnehmen können. — 
Und dennoch bin ich ein Verehrer 
de3 katholiſchen Eultus. In dem 
jelben vereinigen fich alle Künfte, um 
den Herrn zu preifen. Wenn die 
Künfte Schon als folche, weltlih ge— 
übt, veredelnd wirken, um in wie 
höherem Grade erft bei dem Zwecke 
der Verherrlihung Gottes? Wie arm 
an Kunſt wäre das Volk der Dörfer 
und Wälder, wenn die Kirche ihm 
nicht Bildnerei und Schauftellung, 
Lied und Mufit gebracht hätte! 

Doctor. Als wahrer Chriſt ver- 
halten Sie ſich vielleicht ablehnend 
gegen die fünf Gebote der katholiſchen 
Kirche? 

Peter. Wieſo? Diejelben, tiefer 
erfafst, find für die Gläubigen ein 
außerordentliher Behelf. Ich Habe 
Ihnen Schon angedeutet, dafs auf den 
finnlichen Menschen die Religion in 
linnlicher Geftalt am beiten wirkt; 
alles Geiftige, Unfafsbare muſs ver- 
finnbildlicht werden, wenn es in uns 
praktiſch fruchten ſoll. Dinge, die uns 
verborgen find, nennen wir Geheim— 
niffe, und jolhe dem Menfchengemüthe, 


fromme Vertraulichkeit mit Gott, die | wenn ſchon nicht der Wefenheit, fo 





681 


doch der Auffaffung gemäß zu verſinn— 
bildlihen, wäre Aufgabe der kirch— 
lichen Forınen und Handlungen. 

Doctor. Sie neigen bedenklich 
der Moftit zu! 

Peter. Ich geitehe es, ich liebe 
die Myſtik. Warum man vor diefem 
Worte eine ſolche Abfchen hat, weiß 
ih nit. Sind wir doch alle in 
lauter Geheimniffe eingefponnen. Die 
ganze Welt ift uns ein Geheimmis, 
die Vergangenheit, die Zufunft, die 
Urſachen umferer Neigungen und 
Ihaten find uns ein Geheimnis, und 
ihre legten Wirkungen find es aud). 
Wir jelbft find uns ein Geheimmis, 
das wir fo wenig durchdringen und 
löjen fönnen, als jenes hinter den 
Pforten der Ewigkeit. Alles um uns, 
vor uns, hinter uns, über uns, unter 
uns, in ums ift dunkel. Grelle Lichter, 
die zeitweilig auffladern, blenden und 
mehr, al3 jie ung erleuchten. Wenn 
wir nun das Geheimnis zum Symbol 
machen, ſinnbildlich e$ unjerem Herzen 
näher bringen, es mit unſerer Bhan- 
tafie vermenjchlichen, verflären, jo it 
das ja noch das Beite, was wir thun 
fünnen. Wir beten im Sacramente 
nit Brot und Wein au, fondern 
das heilige Geheimnis, im deflen 
Schoß unſere ewigen Gejchide ruhen. 


— — — übrigens find die Gebote | Lebens. 


| 





Verlaſſene, Verfolgte, der feinen 
Freund hat, dem er feine Seelenlaft, 
jeinen Summer mittheilen könnte, er 
findet Troſt am Bufen deſſen, in dem 
er den Stellvertreter Gottes Sieht 
und durch melden Gott ihm Rath 
und Muth ertheilt. Daſs dieſe kirch— 
lichen WUngelegenheiten jo  jeelenlos 
und nur wie eine Formſache aus— 
geübt zu werden pflegen, iſt ſchuld 
der Leute; wer die Bedeutung erfajst, 
mit ganzem Herzen ihnen anhängt, 
dem werden ſie eine Quelle des 
Segend. Das Gebot der Sonntagd- 
ruhe. Diejes Hat ſogar der Staat 
durch ein Geſetz unterftüßt, die Kirche 
verlangt noch obendrein, daſs am 
Feiertage der Menjch den Staub der 
Erde von fich ſchüttle und einen Blid 
nah dem Emigen und Göttlihen 
richte. Wie das gefund ift! Beitändig 
auf der feuchten Erde Friechend wird 
man ganz ſchimmelig. Jedes Erden— 
wejen braucht von unten und bon 
oben etwas, um leben zu können. 
Was ift Schon ein Sonntag mit jeiner 
friedlichen Ralt! Und was find erit 
der Chriftenheit beſondere Feſte! 
Weihnacht, das Feſt der ewigen Liebe. 
„So jehr hat Gott die Welt geliebt, 
daf3 er feinen eigenen Sohn Hin 
gab!" Oftern, das Feſt des ewigen 
„SH bin die Auferſtehung 


der Kirche nicht jo ſehr myſtiſch, als | und das Leben!“ Pfingften, das Feſt 


vielmehr praftiich und unferem Leben | der ewigen Weisheit. 
Das Gebot des Faſtens | den Tröſter, den heiligen Geiſt!“ — 


angemefjen. 
entfpricht unferer Gejundheitspflege; 


„Ich ſende euch 
Welche Offenbarungen! Keine Reli— 


zeitweilige Einſchränkung im Genuſſe, gion ſonſt hat ſolche Botſchaft je ver— 
in den Luſtbarkeiten, zeitweilige Un- kündet, feiner der Propheten, Poeten 


terbrechung der Fleiſchſpeiſen: man 
brauchte durchaus fein Katholik zu 
fein, um die Bedeutung dieſes Ge— 
botes zu würdigen. Die heutigen 
Naturärzte, und es gibt Heiden 


darunter! legen ihren Jüngern ein 
als! ihm leicht werden, über alle Blajen 


weitaus firengeres Faſten auf, 


die Kirche mit ihrem einmaligen mehr | 
auf Abwechslung zielenden Fafttage in | 


der Woche. Das Gebot der Ohrenbeichte 
bat ein Menfchentenner und Men— 
Ichenfreund aufgeftellt. 





Der Arme, aus, 


und Philoſophen der Erde hat ſolche 
Verheißung gelehrt. Ewige Liebe und 
Weisheit! Ewiges Leben! — Jeder, 
der das erfajst, muſs jubeln und 
jauchzen, und bei ſolchem Wusblide 
in eine göttlihe Ewigkeit kann es 


diefer vergänglichen Welt gelaffen Hin 
wegzufchreiten. 

Doctor. Menſch, ich beneide Sie! 
Warum Haben Sie e3 dor vielen vor— 
jo denken und empfinden zu 


682 


fönnen! Das ift nicht allein eine zu 
erwartende Seligfeit im anderen 
Leben, das iſt ja Ihon Seligleit auf 
diejer Welt. Aber ich veritehe Sie 
nicht, ich muſs meinen ganzen Auf— 
wand von Einbildungsfraft zuhilfe 
nehmen, um aud nur annähernd 
zuzugeben, dajs Sie wirklich fo glau— 
ben, wie Sie jagen. 

Peter. O Freund, wie möchte ich 
Ihnen jegt um den Hals fallen und 
befennen, wie oft und wie bange ich 
um diefen Glauben beten muſs! Denn 
man kann ihm micht ertwerben, nicht 
anlernen, nicht anmempfinden. Man 
muſs ihn geſchenkt erhalten als eine 
Gnade des Himmels. Manchmal, 
wenn man fchier ſtolz auf Dielen 
Glauben pochen will, ift er plößlich 
nicht da, iſt e3 Öde im Herzen, und 
ftatt den lieben heiligen Geſtalten, er- 
füllen e8 die Dämonen des Zweifels 
und der ZTrofilofigfeit. Und ein ans 
deresmal, wenn ein irdiiches Ber: 
hängnis uns zu Boden wirft, dafs 
man meint, jegt gibt es fein Er— 
heben mehr, jet iſt alles aus — 
liebe, da iſt auf einmal der Glaube 
vorhanden, der Glaube, die Hoff: 
mung, die Liebe, und das Unheil löst 
ih wie Mebel in der Frühlings— 
fonne, 

Doctor. Nah Ihren Ausein- 
anderjeßungen erjcheint die Religion 
als eine Art von Genufsmittel zur 
Yabung, zum Zrofte und zur inneren 
Befeligung. 

Beter. Ih weis, wo Sie hin— 
ans wollen. Sie verlangen von der 
Religion vor allen eine erziehliche 
Wirkung. 


fei. 


ih ſelbſt ins Meine bringen, 
den Frieden geben, den die Welt nicht 


geben kann. Daſs der Menſch recht: 


ichaften fei, muſs wohl unter allen 


Sie verlangen, daſs der 
Religiöfe nicht bloß für ſich glüdlich, | 
jondern auch, dafs er für andere gut 
Ich verlange von ihr dasielbe | 
und fie leiftet es. Leßteres durch das. 
erjtere. Gut ift nur der Glüdliche, daher | 
will fie den Menjchen vor allem mit 


ihm 


Umſtanden und bei allen Glaubens— 
bekenntniſſen vorausgeſetzt werden; 
aber ſtandhaft zu bleiben und immer 
vollkommener zu werden, das kann 
er am beſten durch den Geiſt des 
Chriſtenthums. 

Doctor. Nun müſſen Sie mir 
aber eine perfönliche Bemerkung er— 
lauben. Ih fand allerdings in Ihren 
Schriften mit einer gewiſſen Vorliebe 
‚religiöfe Gegenftände behandelt, Men: 
ſchen gefchildert, die der chriftlichen 
Ergebung und Liebe Sich befleiken; 
‚andererfeits aber haben Sie wieder: 
‚holt eine ſcharfe Satire jpielen laſſen 
gegen kirchliche Gepflogenbeiten. Wie 
erklärt fich das? 

Peter Das erklärt ſich einfach. 
Die Religion ift mir niemals gleich: 
giltig geweien. Wäre fie das, dann 
würde ich ftet$ an ihr vorübergegangen 
fein, wie Zaufende an ihr vorüber: 
‚gehen, ohne ein Wort der Begeiſte— 
rung für ihre Erhabenheit, ohne 
ein Wort des Tadels für Entartun— 
gen ihres Cultus. Nichts jehnlicher 
würnſchte ich, als die Kirchen möchten 
‚ihre Forderungen ftet3 jo einrichten, 
daſs auch der gebildete, der vergeiftigte 
| Menich an ihrem Leben und MWalten 
ſich erbauen fönnte, dafs fie weniger 
unduldſam ſeien in firdlichen Vor: 
‚Schriften, Hingegen umſo ftrenger und 
'eifriger in der Berfündung des Evans 
geliums Jeſu Ehrifti. Nur jo Lönnen 
die Vöolker und ihre weltlihen Führer 
wieder ganz für das Chriſtenthum 
und die Kirche gewonnen werden. — 
‚Manchmal aber vermilst man die 
geiftlihe Klugheit, und das gott» 
juchende Gemüth mußſs ſich nach anderen 
Quellen umjehen. Lage Zeit Habe 
ih alle Zuftände, die mit unſerer 
Kirche zufammenhängen oder mittel— 
bar von ihr herftammen, vertheidigt ; 
als ich aber genauer zuſah, hat mir 
einiges nicht gefallen können, weil ich 
in mandem eine Schädigung des 
chriſtlichen Gefühles erblidte. Ich habe 
geſehen, wie die Formen (die bei rich— 
‚tigem Verhältniſſe zum Inhalt ja auch 














> ra 


683 


löblich find) das Übergewicht befamen | 


und den Geift zu erprüden drohten, | 
Ich habe erfahren, dajs mit der Re— 
ligion mancherlei Mifsbräuche ge: 
trieben wurden und der Glauben zum 
Aberglauben gemacht. Solche Erſchei— 
nungen geißelte ich mit Spott und 
Zorn und werde das thun, fo lange 
ich lebe und mir die chriftliche Religion 
als das Heiligite gilt, was der Menſch 
auf Erden hat. 

Doctor. 
von Ihnen. 
die einflujsreihen Gegner, die Sie 
jih damit ſchaffen, Ihre perjönliche 
Eriftenz verbittern, wird man Sie 
vor den Volle auch al3 einen Irr— 
lehrer erllären und die Wirkung 
Ihrer Schriften umntergraben, mit 
denen Sie doh den rijtlichen Geift 
fördern wollen. 


Das ift aber unklug 


Abgejehen davon, dajs 


Peter (zudt die Achſeln und 
ſchweigt). 
Doctor. Ihre 
waren mir ganz intereſſant, 
haben fie mich aber nicht. 
Beter. Wollte ih denn das? Ich 
will nur, daſs Sie meinen Stand» 
punkt verftehen und achten follen. 
Doctor. Das haben Sie erreicht. 
Peter. Und ih wünfche, dafs 
der moderne Geift nicht mehr zu Felde 
ziehe gegen Sottesglauben und Ders 
zenseinfalt, wie er es bisher oft ge= 
than bat. Die menschliche Gefeflichaft 
it im eine verhängnispolle Unruhe 
gefommen; was ihr vor allem noth— 
thut, was das Zeitgemäßeite fein wird 
nah den Epochen dinfelhafter Auf— 
Härung und zerfegender Sfepfis, das 
einzig Rettende und Aufrichtende — 
es iſt Religion. 


Ausführungen 
bekehrt 


Ein 2dealiſt. 


Bon Bophie von Rhuenberg. 


Im Käfig halt’ ih ihn, ein Gimpel iſt's, S 


Mit rothem Bruſtlatz, 
Köpfchen 
Und klugen, runden Augen. Wie zufrieden 


glänzend ſchwarzem 


Er hüpft und ſingt vom Morgen bis zum 
Abend. | 

Uns alle kennt er und verneigt ſich 
zwitichernd, 

Wenn wir uns mähern jeinem blanten | 
Häuschen, 





Nimmt Futter aus der Hand, fo lieb gefällig, 
Auch wenn er eben appetitlos wäre, 
Um undanfbar und jcheu nicht zu ericheinen. 
Ein Junggeielle iſt der kleine Vogel, 
Und traurig einft, an warnen Frühlings: 
togen, 
Sentt’ er das Köpfchen, grad’ als dächt' er 
ſchmerzlich: 
Wie's draußen jubelt! Alles paart ſich fröhlich 
Und ich nur bin allein!! Da fühlt’ ih Mitleid 
Und eilig kauft' ich ihm ein eines Weibchen, 
Ein goldig lieblides Kanarienweibchen, 
Das mir jo recht geeignet jchien, fein Herz, 
Das unbefriedigte, behaglih auszufüllen! 
Doc) welde Täufhung! Statt erfreut zu fein, 
Schlug er beängjtigt mit den grauen Flügeln 
Und wehrte fih der ſchüchternen Verſuche 
Des Weibchens, feinen Sproſſenſitz zu theilen. 
Mit aufgejperrtem Schnabel ſaß er drohend, 
Erzürnt, empört, dajs dieſes gelbe Ting 





ich's heimisch machte und mit leiiem Piepen 


Kolett fi wiegte, von dem Futter najchend, 
‚Das ihm gehörte! Und die erſte Nacht! 
Wie feindlih ferne wählt’ er fih den 


Schlafplatz! 


Er fühlte ſich verdrängt, unglücklich, krank! 
Da nahm ich ihm das Weibchen — und allein 


Blieb er von neuem, wie er's einſt geweien, 
Erſt ftaunte er, nun iſt er froh; jo fröhlich, 
Dais er den ganzen Tag vergnüglich pfeift. 
Und wenn ein fFederden im Sprung fich löjet, 
Faſst er's im Schnabel und mit luft'gem Eifer, 
Die bunten Härchen flaumig aufgeblajen, 
Sich brüftend, wiegend, mit dem Schwänzchen 
ſchlagend, 
Fliegt er im Käfig zwitſchernd auf und nieder, 
Als wähnt’ er ſich in luft'ger Waldesfreiheit 
Und eilte, fich ein heimlich Nejt zu bauen 
Im dämmernden Gezweig, wo jein daS 
Weibchen, 
Das ungeduldige harrt 
Bethörter Vogel! 
Das nahe Glüchk, das traulich dich umflattert, 
Hat unbefriedigt dein Gemüth gelaſſen! 
Nur nach dem Fernen pilgert deine 
Sehnſucht, 


Und nicht den ſicheren Beſitz begehrſt du, 


Den Wahn der Freude nur willſt du 
genießen — 
Ein großer Idealiſt im kleinen Käfig! 


Die Bteuerezecution. 
Eins auß dem Bolfsichen von Rarl Heilerer. *) 





wo oft hernehmen — und nicht ſtehlen: 
Imwo nichts ift, hat der Kaiſer 's Recht 
verloren! jempert der zahlungsun- 
fähige Landwirt. Aber diefe gemüth— 


teuererecutor — Gerichtsdiener, 
32 Gendarn. Keiner von diefen, 
7 jagt der Landmann, bringt 
Gutes ins Haus; meiftens gibt es in 





der Folge Unannehmlichkeiten , 
„Seiereien“ — wenn der eine oder 
andere den Bauern auffucht. Natürlich. 
Eben weil fie jogar in die friedſame 
Baueruſtube dringen, ſelbſt die Be— 
wohner des hinterſten Weltwinkels 
nicht ungeſchoren laſſen, find fie bei— 
nahe zu fürchten. 

Der Herr Bezirksrichter bleibt 
ſchön in ſeiner Kanzlei. Dort wühlt 
er unter beſtäubten Acten herum — 
oder wiſcht mit dem undermeidlichen 
„Dafenharl” den im Drange der Amts— 
geichäfte reichlich verftreuten Streufand 


liche Rede will bei den „Herren“ nicht 
wirken. „E, was, Bauer!“ ſchnauzt 
‚ber graubärtige Erecutor den armen 
Hiuterwäldler — und wäre er in der 
verzweifeltften Lage — unbarınherzig 
an, „haft ja noch Kühe im Stalle. 
Heraus damit, fie werden ſchon noch 
ein Sümmchen abwerfen, groß genug, 
daſs die rüdjtändigen Steuern und 
Executionskoſten beglichen werden kön— 
FEN ae 

Es ift ein heißer Sommertag. 
Die Vögelein ziefen Frögli im Walde, 
durch den fich ein Saumweg jchlängelt. 





vom Schreibtifche. Der „Herr Bezirls- Um die Nachmittagsftunde ädhzt ein 
vorftand“, wie auf dem Lande der, Wanderer durch den Waldweg: es ift 
Richter eines Bezirkes genannt wird, der dide Steuererecutor aus Erings— 
bleibt aljo jauber daheim. Und er hat hofen. Blumen und Blüten prangen 
recht. Braucht er den Hinterhuber  lieblih am Wege, füher Duft und 
oder Oberreiter, jhidt er diefem feinen | ſtärkender Harzgeruch ſchwängert die 
Diener nad. Der Stenereinnehmer, | Lüfte, in denen die Ammern, Buch» 
diejer gefürchtete, aber unſchuldige finten und Kohlmeifen in ungejtörter 
Beamte, läſst fich ebenfalls felten in | Harmonie fih ihres Lebens freuen. 
einem Gebirgsdorfe bliden. Wozu auch? Doch was kümmert dies alles den 
Will der Schergerlebauer nicht Steuer Diden? Er hat weder Aug’ nod 
zahlen, oder beifer gejagt, kann er. Ohr für feine Umgebung, fondern 





nicht zahlen, weil er jeinen Hafer oder 
feine Maftochfen nicht an den Mann 
bringt, ſendet ihm der Stenerein— 


ziicht, da ihm die Tageshige unerträg— 
lich zu fein ſcheint, einen wilden Fluch 
zwifchen den Zähnen hervor. „Hunde— 


nehmer den „Erecutor* nad. Es iſt brot ... Bauernpad; ſaumſeliges im 
ein Kreuz auf der Lieben Welt! Zahlen... Weiter Weg, verteufelt 
Zahlen, ja zahlen wär's leicht, aber | weit zu diefem Schergerlebauer ...“ 


*) Der Verfaffer Ddiefer elwas tibermütigen Schilderung ift Schullehrer in 
einem Mocgebirgsdörfchen Oberfteiermarts (Tonnersbahwald bei Irdning im Enns: 
thale). Er hat jhon eine Reihe von Bildern aus dem Volksleben in verjchiedenen Zeit— 
ſchriften veröffentliht. Der Mann hat manchmal eimas zu jagen, jeine reihe volfs: 
thümliche Erfahrung eignet ihn zu einem Schilderer des Vollslebens. Möchte fih nur 
aud der Berleger finden, welcher eine Sammlung diefer Vollsbilder in die Welt gäbe. 

Die Red. 





685 


fnurrt der einfame Wanderer. Er! 
verwünfcht feine Erxiftenz. Sechs volle | 


Stunden mufs er ins Gebirge, Hin» 
um ih zu „exe | unteren Extremitäten fichtbar. 


auf zum Schergerle: 
quieren*, wie der fandesübliche Aus: 
druck heißt. 
lauf dir nur die Beine ab! Mufs ſich 
der Bauer auch fein Brot im Schweihe| 
des Angeſichtes verdienen, warum 
nicht auch der, der ſeine „gewiſſe“ 
Beſoldung hat? 

„Alle heiligen vierzehn Nothhelfer, 
ſteht mir bei!“ ruft die Bäuerin er— 
ſchrocken, da ſie den Executor dem 
Hauſe nahen ſieht. Nicht jo erſchrecken, 
meine liebe Schergerlebäuerin, es iſt 


nur der Steuererecutor, der dich heute 
Mast 


mit einem Beſuche beehrt. 
Wie? Der Steuererecutor iſt's? „Hab 
mir's gleich denkt, daſs der Roth: 
fappelte nir Gutes bringt!” bedeutet 
die Bäuerin ihrem Manne, der auch 
zum Fenſter hinauslugt und fein 
Weib aufklärt, wer der ſei, welcher 
ſich dem Hauſe, das auf einem Ab— 
hange iſoliert ſteht, nähert. Der 
Bauer, der gleich weiß, was der Be— 
ſuch bedeuten ſoll, macht ſich auf und 
davon: er gebt ſich veriteden! Nur 
geſchwind hinauf auf den Heuboden, 
oben gräbt man ſich ins duftende 
Almdeu, das riecht nichts weniger — 
als nach rüdjtändigen Steuern. 
„Serum, jejstl jeruml“ ruft die 
Bäuerin. Ja, 's iſt ein Elend, man 
weiß e8, die Steuer: „Schraube* func— 
tioniert vortrefflih. Ob fie nicht ein— 
mal ihren Dienft auffagt ? Wer thät 
nicht gerne zahlen ? Aber wo immer 
’3 Geld hernehmen? „Bon der Haut 
kann ich mir's nicht herausſchneiden!“ 
ſinnt der Schergerlebauer und verbohrt 
ſich noch tiefer ins Heu, als gelte es, 
einen Breiberg durchzunagen. „D' 
Schuh auf die Seite treten, den 
armen Leuten in den Sad greifen, 
dem Bettler 's Brot wegnehmen, das 
fann bald wer!“ wißelt 
Schergerle. Und es iit gut, 








der gute, 
daſs er. 
zu ſchäkern vermag, obgleich ihm vor 
lauter Zahlen ſchon das Waller in 





den Mund läuft. Äühnlich, wie der 
Bogel Strauß — vergräbt der Bauer 
feinen Kopf, es find nur mehr die 
Brad! 
„Soll’3 meine Alte mit dem Roth» 


Nur zu, mein Belter, | fappelten ausmahen! Was fie machen 


werden in der Stube?" finnt der 
Flüdtling auf dem Heuboden. Was 
|der Herr Erecutor macht? Soeben 
betritt er die Stube. „Grüß Ihnen 
Gott tauſendmal!“ ruft die Schergerlin 
mit fürjänerliher Miene dem Ein 
tretenden entgegen. „Guten Morgen, 
Saterment, die Hitz!“ ift die Gegen- 
begrüßung. Nun entſpinnt fich zwi— 
ihen der Hausfran und dem unge— 
betenen Gaſt eine lakoniſche Conver— 
jation. 

„Was will der Herr?“ 

„Dunume Frage!“ 

nicht, 


„Kenn' den Herrn 
nicht!“ 

„So? — Iſt ſie die Schergerle— 
bäuerin?“ 

„Wird wohl ſein!“ 

„Ich bin der Steuerexec ...“ 

„Jeſſus Maria und ein klein' 
biſſel Joſef, mich trifft der Schlag!“ 

„Verdammte Hitz'!“ 

„Mir wird ah warm.“ 

„Wo iſt der Bauer?“ 

„Wird gleich kommen, gleich, iſt 
im Schaden droben Randling ſchnei— 
den.“ 
„23 Gulden 86 Kreuzer — ſammt 
Unkoſten.“ 
„Ein Randl niederſitzen.“ 
Der Mann mit der ſtrengen Amts— 
miene ſetzt ſich. Er rückt dicht an die 
Bäuerin heran. Wie herablaſſend! 
He, Herr Executor, nicht wahr, die 
Schergerlebäuerin iſt ein rundes Leutel? 
Das lichtblaue kattunene Röcklein 
ſchmiegt ſich innig an zarte Körper— 
formen. Über dem hochgewölbten Bu— 
ſen lagert ein „brennrothes“ Buſen— 
tuch mit langen Franſen. Zwei roſige, 
keck aufgeworfene Lefzen winken ein— 
ladend. Faſt träumeriſch blicken die 
hellen klugen Augen den Executor an. 

„Ein Eichterl ſoll das Amt noch 


gar 


di 


ro 


086 


warten, ich laff’ den Herrin Einnehmer |die Bäuerin, ihr wird angit und bang 
gar Schön bitten!” Fleht die Bäuerin. neben dem Diden. „Mufs man aber 
„Das diefe verfcharnagelten Bau- | heut’z’tags rennen, eine Execution 
ern fo hoch ihre Anwefen hinaufbauten! drängt die andere!“ murrt der Manır 
was das Bergfteigen nicht Schweiß | mit der vothen Mütze. 
tropfen koſtet!“ iſt die Antwort, Alle Wetter, jauer it das Brot 
„Slaub’3 wohl, glaub’3 wohl!“ eines Erecutors, der hügelauf, hügelab, 
darauf demüthig das Weib, im Stillen |üuber Berg und Thal laufen mufs! 
jedoch denft fie fih: Steigt mur zu Mei, mei, man glaubt e3 gar nicht, 
— ums Geld, fteigt nur... viele werden Sich keinen Begriff davon 
Die hellen Schweihtropfen perlen | machen können, wie viel jo ein Exe— 
dem Diden von der Stirne. Wo iſt cutor von heute zu thun Hat! Es gäbe 
denn gefchwinde dad Schnupftuch zum | für Statiftiter ein ſchönes Stüdf Ar: 
Abtrodnen? „Mein Gott, kann man |beit, in einem Landel alle vorkom— 
nichts machen!“ hebt die Bäuerin an. | menden Stenererecutionen zuſammen— 
„Alles kann nicht auf der Ebene | zuftellen, zu gruppieren, zu zählen, ein= 
bleiben, e3 muſs auch Leute auf den |zutheilen ꝛc. Ah, was braucht man 
Höhen geben! Soll man die Sonn- es zu willen, wie viel Elend e3 unter 
jeiten brach liegen laffen ? Man müſst | dem Volke gibt ? Natürlih. Wer wird 
ein Narr fein! Unfere Borfahren |nachgrübeln ? 
führten ein Schönes Leben, aber mein Ob er nit weich wird? erwägt 
Gott, die Verhältniſſ' ändern fi, die die Schergerlebäuerin. Er fcheint ein 
Zeiten werden jo rar, das Geld wird grantiger Herr zu fein, der Erecutor! 
ug, der Staifer lajst viel zu wenig 'Nu, Mutterl, bleib’ nicht ſitzen, geb’ 
Geld Schlagen. Oder foll zu uns kein's um einen Haustrunk, das Weitere 
heraufkommen? Daben halt gar Fein wird fich zeigen! Hm, womit joll man 
Se...“ denn jo einem feinen Deren aufwarten ? 
Was kümmert's den Steuereres |grübelt das Weib, Wein oder Bier 
cutor? Er jchert fi auch nicht darum, |hat der Scergerle nur zu den hei— 
warum 83 beim Schergerle abwärts |ligen Zeiten im Haufe, „Mag der 
gieng, auf einem Gute, wo ſich die | Herr einen Dolzapfelwein, einen vor: 
Ahnen des gegenwärtigen Belibers | jährigen? Oder ein «Glinggerle» 
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hindurch | Bogelbeerbranntwein?* wendet jich die 
hielten, Er will nur Geld! Herrgott | Hausfrau an ihren Nebenſitzenden. 
im Himmel, hätte es ein Urſtamm- | Der Erecutor figt ſtumm da, dehnt 
halter einftens ahnen können, dafs |jeine Glieder, zieht jeine große 
num Stenererecutoren den langver: | Schnupftabafdoje heraus und nimmt 
erbten Hof belagern? In Ehren iſt eine gewaltige Prije. Es erfolgt feine 
auch der Schergerlebauer, der nun | Antwort? Nur nicht lange fragen, 
auf dem Heuboden jtedt, grau gewor= | Schergerlebäuerin, wer lange fragt, 
den. Nun mufs er die Schand er- — jagt man — gibt nit gerne 
eben, dajs ein Erecutor zwangsweile | Der Herr wird als Amtsperſon doc 
die Rüdftände hereinbringt. Es iſt nicht etwas begehren, jo g’jcheit! 
aus aller Weif’! | „Freilich, freilich“, murmelt die 
Stumm ſitzt der Diener des Ge- Bäuerin, ihre Frage gleichſam ſelbſt 
ſetzes in der Stube. Wiederholt zieht beantwortend, „es iſt mir halt aller 
er ſein Sacktuch heraus und trocknet Verſtand faſt ſtehen blieben.“ Stein 
ſich den Schweiß auf der Stirne, Wunder. Der Erecutor nimmt feine 
wiederholt flucht er. „Wenn er nur Mütze ab und legt fie auf die Bant 
nit So arg ſchelten möcht’, ich nehm’ nebenan. Das Weib eilt in die Speiſe— 
die Sind’ nicht auf mich!" calculiert kammer um Butter, füge Milch — die 









en — 


| 687 


fühlt — und einen „Bogelbeerenen”. 
— Mittlerweile verirrt fich der Groß— 
Ineht Jok ins Haus. In der Stube | 


bemerkt er gleich den fremden Manır. | 


Mer ijt denn der da? fragt fich Joh 
und gloßt den Fremdling forſchend an. 

„Iſt er der Bauer?“ 
Dide den Knecht. 

„Ih der Bauer, ich?” gibt ol 
zurüd und lacht grell auf. 
wär ſchon recht, wenn ich der Bauer 
wär!” Der Burjche weiß nicht recht, 
wie es der Fremde meinte, wollte er 


ihn ſpötteln? Ein tüchtiger Gropfnecht | 


— und Jok ift einer! — hat Bauern= 
holz. Wart, Fremder, du ſollſt es 
jehen, daſs mit dem Schergerlebauer 
Großknecht nicht gut anbinden ift. 
„A ſchön's Wetter!” beginnt Jok, 
damit das weitere Geſpräch einleitend. 
„Eine Schandhitz' — und nicht 
ein ſchön's Wetter, der Kuckuck mag ſo 
eine Witterung holen!“ entgegnet kühl 





fragt der 


„Ha, | 





Allgemach nähert ih der Groß— 
fnecht dem Tiſch, an dem der Fremde 
ſitzt. Laſs es, Jok, der Mann gibt 
dir ja doch keine Audienz, laſs das 
Plaudern und zudringliche Nahen — 
zur Bank, auf der die Mütze liegt! 

Knapp neben dem Freinden jest 

ſich Jok auf die Bank. Krach!. 
Nu, was hat's denn? uͤngefchictier 
Schlingel, haſt dich ja auf dem Un— 
bekannten ſeine Kopfbedeckung geſetzt, 
mit aller Wucht auch noch! 

„Oha!“ lautet die Entſchuldigung 
des Knechtes. Er erhebt ſich bedächtig 
vom Sitze. „Herrjeſſus, meine Mütze, 
Saft... Das auch noch?“ tobt der 
vermeintliche Biehhändler. Eine Mütze, 
eine Mübe, hat der Herr eine Mütze? 
Keinen Hut? Dann kann's fein Vieh- 
händler oder Lunganer fein! klügelt 
Sof. 

Indejjen ift die Hausmwirtin aus 
der Speiſekammer zurüdgelehrt. Sie 


und einigermaßen ärgerlich der Gaſt. | bringt dem Gafte eine Klein Erquidung. 
„G'rad' recht das Wetter zum Nun, was jchneidet derjelbe denn Für 
Heurechen!“ ift die gegentheilige Mei= | ehı ſaures Gejicht? Und der Groß— 


nung des Knechtes, der beim offenen | 


Herd ſteht und eine glühende Kohle, 


in fein Pfeiferl ftedt. 

Beim „Antenten“ 
fort veritohlen auf den Mann, der 
beim Tiſche figt, hinüber. Iſt's ein! 
Herriicher? AH, verſteht ſich. Jok 
ahnt es. Aber er verſtellt ſich und 
meint: „G'wiſs auf'n Viehhandel aus? 
Oder iſt er ein Sauſchneider?“ — 
Bit, Jok, wirft ſtill ſein! Ein Exe | 
cutor gleicht doch feinem „Oſter— 
reiher”, noch weniger einem‘ „Qune | 
gauer“! — Der Vitellte (Werzeh: | 
rungsfteuerbeamte) wird's halt fein! 
denkt ich der Knecht. Einen „Des 
ftellten“ fieht man im Bauernbofe 
nicht gerne. Wohl wahr, wer liege 
ich gerne beim Branntweindrennen 
zur uͤnrechten Zeit erwifchen ? of! 
jieht die Mühe des Erecutors auf der 
Bank nicht. Wenigftens thut er, als 
bemerfe er diejelbe gar nicht. Bürſch— 
hen, vielleicht willit du fie micht 
jehen, he? Weiß man’s ‘ 





lugt Iof alle, 


knecht jteht blöde d’reingaffend neben 
ihm? 

„Es iſt zum Haarausreißen!“ 
ruft der Mann auf der Bank der 
Bäuerin entgegen. Was iſt geſchehen? 
„Der da, der...“ wird Jok ange: 
Hagt, „der Hat mir meine Mübe total 
| zufammengegueticht, auf meine ftich- 
neue Amtsmütze ift er mir d’raufs 


geſeſſen . . .‘ 


„Joa!“ Fällt Jok d’rein. Was, 
ja? „Ein Trottel biſt!“ ruft grimmig 
die Bänerin. „Dimmel, thu dich auf! 
Bilt ja auf'n Herrn Erecutor fein’ 
Kappel d'raufg'hockt! Tollpa ...!“ 
— „Executor? Kappel d'raufg'hockt?“ 
gurgelt verlegen der Knecht. Umſinken 
möcht’. die Schergerlin, den Teller, 
den fie in der Hand trägt und auf 
dem Sich eine Butter befindet, möcht’ 
jie fallen faflen. Sold eine Ung'le— 
genheit! 

„Heren Executor fein Sappel 
war's? Häitt's nit g’glaubt, daſs 's 
'n Herrn Executor ſein Kappel war!“ 


688 


murmelt halb verlegen, Halb erfreut 
ot. 
„Schau, dafs d’ mir anßikommſt!“ 
herricht die Bäuerin den Knecht an. 
's fommt eine furchtbare Strafpredigt? 
Der Unpheilftifter zieht es vor, Die 
Stube zu verlaflen. Er fennt die 
Bäuerin, fie ift feine Gute, wenn fie 
einmal fuchtig ift. Und „Fuchtig” ift 
jie jet Schon verteufelt geworben. 
„G'rad' dem Herrn Erecutor muſs 
ſo was in meinem Hauſe paſſieren!“ 
ſtammelt entſchuldigend das Weib und 
ſetzt dem Gafte die Erfriſchungen auf 
den Tiſch. Jetzt wird der Herr wohl 
gar keine Nachſicht Haben!“ raitet die 
Bäuerein. Sie ſucht den Executor zu 
beruhigen. „Ein bifjerl zugreifen, mein 
beiter Herr. Nur Befcheid thun!“ Die 
Hausmutter wiſcht mit ihrem Fürtuch 
hernach ſäuberlich die Tiſchplatte ab. 
„Siſt grauſet's dem Herren epper.“ 
— D meine Schergerlebäuerin, deinem 
Gafte elelt es beim primitiven Eichen- 
bolztifche vor nichts, weder vor den 
Speijen, noch vor der einfahen Tafll. 
„Iſt ja alles fein geſcheuert!“ belobt 
der Erecutor feine Bewirterin. Er 
langt eifrig zu. Der Vogelbeerbrannts 
wein Scheint ihn zu munden. Schon 
zweimal wurde das Schnapsgläschen 


prüfend zum Munde geführt. Es iſt 
Dat ihn die) fünften Gläschen naht der nun unge 


ein gutes Tröpferl. 
Bäuerin jelbft gebrannt? Halt ja! 

Die Stubenthür ift angelweit 
offen. Die Schwalben zwitjchern eifrig 
im Vorhauſe. Sie ätzen forgfam ihre 
Jungen. Die lieben Viecherln! „Sie 
jüen nit und ſammeln nicht in die 
Scheuern ...“ 

„Hat die Frau Mutter kein 
Kleines?“ unterbricht der Dicke das 
Weib. 

„Eines wohl, iſt mir aber ge— 
ſtorben.“ Thränen treten der armen 


Bäuerin in die Augen. Unglückliche 
Mutter! 
Dem ſonſt ſo 





die Schergerlebäuerin, der Himmel wird 
ſchon noch eine Kleinigkeit ſchicken.“ 
Damit ergreift der Executor das 
Gläschen und leert es. Iſt recht— 
ſchaffen gut, das Tröpferl. Gleich 
geht die Bäuerin um ein zweites 
Gläschen. 

„Was macht die Frau Einneh— 
merin?“ ſagt heiter das Weib nach 
der Rückkunft. „Geht's ihr gewiſs 
alleweil gut? Wär' zu wünſchen! 
Herrjeh, fo eine Frau muſs aber ein 
Ihönes Leben haben? Geld wird’ 
haben, fhrediich viel Geld.“ — So 
die Bäuerin. Bielleiht niht? Die 
Bauern tragen das Geld ja jahraus 
jabrein in die Steuerfanzlei, foll die 
Frau Einnehmerin nicht auch von den 
Ihönen Einkünften ihres Mannes 
einen Nußen niegen? Auch wenn's 
ein Schauerjahr abſetzt, bekommt das 
Steueramt noch Geld. „Aber mein 
Gott, unfereind, was ift unjfereins 
nicht für ein armes Leut’ auf der 
Welt. — Austrinten, Derr Erecutor!* 
Dringt die Schergerlin in ihren Gaft. 
Austrinten? Das läjst man fi nicht 
zweimal jagen! 

Ein drittes, viertes, fünftes Gläs— 
hen wird getrunken. Recht jo. Der 
Herr Grecutor iſt Halt doch ein 
commodes Leut! Ganz gut. Beim 


zwungen Sich zeigende Gaft feiner 
Wirtin. Sein heiger Athem ftreift die 
Wangen derjelben. So fommt es? 

„Hoho!“ ruft der Bauer plötzlich 
bei der Thür, „wird heut’ meine 
Bäuerin erequiert?* — „Jeſſus, 
der Bauer!“ haucht das Weib, dann 
fteht jie auf und Lifpelt dem Bauern 
etwas ins Ohr. 

„Muſs Schon gehen!“ fallt der 
Gaft und ſetzt feine Mütze auf. „Noch 
ein wenig bleiben!“ — „Geht nicht.“ 
MWiefo? Zum Grabler, einer Klein— 


ı häuslerin auf der untern Schattjeiten, 
ftrenge d'rein- muſs der Erecutor noch. Was, zu 


blidenden Dann wird warm ums der noch? Es ift ja ſchon zu jpät heute! 


Herz. Er tätjchelt der Hausfrau auf 


Die Bänerin blidt ihre Ehehälfte 


die Wange. „Sit eine faubere Gredl, | vielfagend an. 


6809 


„Übernachten da, nicht g'fällig?“ 
meint der Bauer zuvorfommend. „Sit 
Schon zu Fpät zum MWeitergehen, geht 
Ichon die Sonn’ hinunter!“ weiß die 
Hausfrau zu fagen. Saperlot. Richtig, 
es ift — der Erecutor begudt feine 
Uhr — ſchon Halb fieben Uhr. Zu 
fpät! — Alſo bleibt der Erecutor. 

Diefer für die Schergerlebän’rifchen 


unliebfame Erecntionstag endet damit, 
dafs die Bäuerin abends ihren Mann, 
da er ins Bett fteigt, fragt: „Jetzt 
ſag' mir nur 'mal, Witer, wo bift 
dem du nachmittags fo lange g'ſteckt?“ 
— Der Bauer antwortet: „Im Heu, 
aber mir ift’3 Halt vorfommen, als 
daıtere die Erecution z'lange!“ und 
blinzelt mit den Augen, — 


Der gefoppte Geizhals. 


Ein dramatiſcher Schwank aus dem Volke. Mitgetheilt von Anton Schloſſar.“) 


Tiefer vollsthümliche dramatiſche Schwank gehört zur Gattung der jogenannten 
„Nachipiele*. Es find dies kurze Spiele, welche auf dem Dorfe gemöhnlid der Dar: 
fielung eines ernfteren Etüdes, 3. B. der Hirlanda, Sujanna oder dergleichen folgen 
und in denen derber Humor befonders zutage tritt. Im folden Nadipielen dient 
meiftentheils die Figur des „Kaſperl“, des Hansmwurftes befonders zur Beluftigung der 
Zuhörer. Die Handlung des „Nachſpieles“ ift gewöhnlich eine dürftige, auf die derben 
Scherze und Späſſe wird das Hauptgewicht gelegt, und ift den betreffenden Darftellern 
bierfür ein weiter Spielraum gelaffen. Auch Heine lomiſche Scenen aus dem Bauern: 
leben u. dgl. bilden wohl den Vorwurf zu folden Turzen Spielen. Bisher wurden 
meines Wiſſens feine derjelben veröffentlicht. Eie lommen in den Gebieten der deutjchen 
Alpenländer jhon jeit dem vorigen Jahrhundert vor, wie ja aud auf der Kunſt-— 
bühne derartige burleste Nachlomödien fhon im achtzehnten Jahrhundert und früher 
üblih waren. 


Perfonen. 


Ein geiziger Alter. 
Leobinus, deiien Sohn. 
Hansmwurft, jein Diener. 


Melanie | ec 
» = nen. 
Siivao j zwei Echäferinnen 


Gin türkiiher Räuber. 


Erfier Auftritt, 


Leobinus und Hanswurſt. 


wann du mir alfo in meinem Anliegen 
Hilfe leifteft, auch in allem verſchwie— 
gen und geheim dich Halteft, jo ver— 
ſprich ich dir kräftig, dafs ich dich 

Leobinus. Komm ber, Hans- |hinfüro nicht mehr als meinen Be— 
wurft, ich hab dir was zu vertrauen | dienten, jondern als meinen leiblichen 
und bin deiner Hilfe fehr bedürftig; | Bruder anjehen werde. 


*) Deutiche Volfsfhaujpiele, in Steiermark gefammelt von Dr. Anton Schlofjar. 
Zwei Bände. (Halle, Mar Niemeyer. 1891.) Siehe Seite 477. 


Kofenger's „Beimanrten, 9. Geft. XV. 44 


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Hanswurſt. Das könnt’s leicht | 


versprechen, denn das willen die Leut 
eb, dafs mir a gleihs Paar Narren 
z'ſamm fein: alfo fein ma glei ſamma 
Brüder, mir is Schon recht, fo kann 
i di duezen. Sch wir Hernach mein 
Fleiß nit Sparen, wann ich dir was 
helfa fanıı, und weg'ns Schuehpußen 
weiß i a ſchon, wia ma thain: ein 
Tag pußt du mir meine, den andern 
Tag ich dir deine, da wern ma ab» 
wechſeln. 

Leobinus. Nein, nicht alſo, 
ich mein' es anders: ſage mir nur 
anjetzo aufrichtig, ob du mir zu etwas 
helfen willſt oder nicht, welches auch 
dein Nutzen und Vergnügen ſein kann: 
wegen der Bruderſchaft werden wir 
ein anderesmal reden. 

Hanswurſt. Ja, ja, ich ver— 
ſprich dieſes aufrichtig, wann's nur 
was eintragt: aber ſag ma na bald, 
was mir vor ein Nutzen und Ver— 
gnügen ſein wird. 

Leobinus. Ich werde es dir 
gleich melden und vertrauen; aber 
eines bitte ich mir aus, du muſst mir 
doch gleichwohl mein' Reſpect geben, 
als deinem Herrn, ob mir ſchon im 
Herzen Brüder ſein: dann erachte 
ſelbſt, was wurden die Leute denken, 
wann du mich auch per du nenneſt. 

Hanswurſt. Ha, ha, ich ver— 
ſteh jhon: mit dem Maul bin i nix 
Brueder, wanns aufs Duezen und 
guet freflen und ſaufen ankäm; ich bin 
nur Derzensbrueder, wanns in Der 
Noth ſeids; aber es thuet mir, wann 
ih nur jelm Brueder mit bin, wann 
einmal Enter reicher Water ftirbt. 

Leobinus. Ja, Hanswurft, du 
haft dich drauf zu verlaffen: wann 
du mir anjebo helfen kannſt, ſo ſollteſt 
du ein guten Theil von meines reichen 
Vaters Vermögen überlommen. 

Hanswurſt. Nu, wanns jelb 
ift, fo wag i mein Leben, mein Hab 
und Guet; das wilsts ja, daſs mir 
nir unmöglich ift, warın ich was arte 
ftellen will: jo ſagts os nur, mit was 
ih Ent helfen kann. 





geobinus Das ift ınir alles 
‚bewujst. Nun Höre mid nur: Du 
‚weißt, dafs vor etlichen Tagen ein 
türkiſches Schiff Hier anfoımmen, auf 
welchem die zwei ſchönen Schäfers— 
mädl, die mir ſchon öfters befucht 
haben, gefangen ſitzen. 

| Hansmwurft. Ja, das weiß id. 
weil's alle Tag 24mal Hingebts. 

Leobinus. Du weißt aber 
nicht, daſs fie mich jo inftändig ge= 
beten, fie von ihrer Gefangenjchaft 
loszufaufen, und mit was Vergnügen 
wollte ih meines geizigen Vaters 
ſchimmlige alte Thaler und Ducaten 
darauf anwenden! Wäre e& nicht ein 
echt chriftlihes und dem Himmel 
wohlgefälliges Werk, diefen zwei armen, 
holdjeligen Gfchlaven die Freiheit zu 
verſchaffen? Erwäge es felbit, Hans— 
wurſt. 

Hauswurſt. Ja, freila war's 
a himmliſches Werk, wanns Ent a 
paar eigne Menſcha kafet's: aber, he, 
i verſtehs ſchon, i ſoll Enkern Vata 
halt 's Geld ſtehlen dazu! Gelts? 

Leobinus. Du muejst dir feine 
jo üblen Gedanken machen von mir, 
dann wiſſe, ih bin gelinnt, ſobald 
ich's erhalte, eine davon, nämlich die 
‚Melonia, zu meiner Gemahlin zu 
‚nehmen. Die zweite behalte ih zu 
unſerer Bedienung. Erden alfo nur 
‚eine Pill, wie mir von meinem Bater 
Geld befommen, Der nächſte Preis 
oder Auslosgeld ift 500 Ducaten, und 
der Termin it kurz. Heunt bis zehn 
Uhr nachts fein fie noch im ihrem 
Gaſthof, nachdem aber werden fie 
wiederum auf die Öalere geführt, auf 
welder fie um Mitternachtäzeit ab— 
jegeln: alsdann jehen wir fie in un— 
jerem Leben nimmer, 

Hanswurft. 500 Ducaten ko— 
jtens, das ift weita fein Bagatell: 
der Teufel, das ift a theure War, da 
tauffet i mir ſchon lieber a hundert 
‚Startin Wein, da hätt ana länger 
zu leden, als an die zwei Menſcherln. 
Aber was frag i darnad, ös därfts 
Enk ſchon verlaffen, weil ih Ent’s amal 








— 
2 


691 


verſprochen han. Hiatzt wir ich halt 
gehn Shaun, dafs ich Geld krieg. 


(Beide ab.) 


weiter Auftritt. 
Der Alte, dann Hanswurft. 


Alter. Ja, ja, es ift eine aus» 
gemadhte Sad, wenn einer einmal 
alt ift, da kommen einen erjt die guten 
Gedanken: aber da ift es ſchon zu 
fpät. Ach, was hätte ich mir in meiner 
Jugend erfparen können! Wie vieles 
babe ih muthwillig verichwendet ! 
Könnte mein Vermögen nicht in einem 
weit beſſeren Stande fein, wenn ich 
wirtjchaftlih gelebt hätte? Ad, du 
trauriges Zurückdenken! 

Hansmwurft fommt. He, Haus— 
knecht, Kuchelmenſch, B'ſchließerin! Wo 
ſeids denn alle? Zum Teufel, wiſsts 
ma nit dem alten Geizhalsmeiſter an— 
zurathen? Ich ſoll ihm in' Augen— 
blick haben. 

Alter. Was fehlt dir, Hanswurſt, 
daſs du ſo grauſam ſchreieſt? Iſt 
etwan ein Unglück vorbeigangen? 
Sage mir's eilends. 

Hansmwurft A was wir i Ent 
da jagen, mein alten Herrn Bater 
mueſs ich haben, ſonſt is s aus. Hin 
ift er, hin ift er, auf ewig ift er hin! 

Alter Um des Dimmelswillen, 
was ift denn, Hanswurft, jage an? 
Hier fiehft du mich ja zugegen: jo 
erhole dich doc). 

Hanswurſt. U, Herr, i hätt 
Ent vor lauter Verwirrung bald nit 
datennt. Hiazt lofts nur glei, was 
z’lojen ift und denlts, was mir vor 
a Unglück ghabt ham: das ift ein 
Unglüd weit größa als a Fueder Heu; 
ihauts nur glei, ich und Enfer Sohn, 
der Herr Leobinus, ſein jpazieren 


ausganga aufn Meerhafn aufla, und | 


da haben nıir a türfifches Schiff g'ſehn, 














dös Ham mir a weil betrat, weil's 
jo viel ſchön is geweſen; aft is glei 


a türtifcher Glatzkopf auſſakemma und 
hut uns auf an Käuer eing’laden, das 
ham mir ihm aus Höflichkeit nit ab» 


Schlagen wollen und fein Halt aufs 
Schiff ganga und dam Käuer trunka; 
daweil fein dö türkiſchen Spitzbueben 
davong'fahren und haben uns als 


Gſchlaven wollen mitnehma; ſobald 


ich aber das Ding hab wahrg'nomma, 
jo Hab ih g'ſchwindt zum Bitten 
g'ſchaut und Hab g’jagt, dafs mein 
Herr an’ reihen Water hat, der fein’ 
Sohn gewiis nit wird fißen laſſen. 

Alter. Aber warum denn jo eins 
fältig? Was habt ihr im Schiff zu 
mahen? Ad, ad, das wird gut 
herauskommen, mir flehen ſchon alle 
Daare geg'n Berg. Wo ift demm mein 
Sohn Leobinus anjego ? 

Danswurft. Sa, Herr, wo wird 
a jein? Er ift halt noch in der Ga— 
lern beim Türken. Mi aber habens 
zurudg’schict, ich joll Ent jagen, ob's 
ihn wöllts auslöfen oder nit. 

Alter. O türkiſcher Galgendieb, 
du raubeit mir mein Leben. Eilends 
lauf, Danswurft, hole die Wacht, 
dafs fie das türkiſche Raubſchiff ein— 
holen und mir mein’ Sohn wieder 
erlöjen. 

Danswurft. Ach, wie einfältig 
denkt Ihr, Herr. Eine ganze Arınee 
Soldaten find nicht imftand, das ein— 
zige Türfenschiff zu erobern, dann es 
it größer und ſtärker als das ganze 
Land Steyer. Da ift fein anderes 
Mittel, als mit Geld kann man ihn 
wieder erlölen, und das in möglichiter 
Kürze; im zwei Stunden jein fie 
ſonſt weg. 

Alter. Wo aber hernehmen, du 
Ochs? Warum jeid ihre fo dumm und 
jeid Hineingegangen! O du mörde— 
riſcher Türk, o du leichtfertiger Sohn! 
Iſt das erlaubt, mich um das Meinige 
zu bringen? Es müjst fein Necht mehr 
auf der Welt fein, wann diejes gebt. 
Uber ſage mir, Danswurft, joll denn 
gar fein anderes Mittel mehr zu er— 
denfen fein, meinen Sohn zu ent— 
ledigen ? 

Hansmwurft. Nein, im diejem 
Stüd ift wicht leicht zu helfen, und 


kann auch feine Obrigfeit, fein König, 


44° 


642 


fein Kaiſer helfen, al3 das einzige 
Geld, und das leidet gar fein Auf— 
hub mehr. Ih ſag Ent zum lekten- 
mal, wollt3 ansruden oder nicht ? 
Alter. Ah, gerechter Himmel, 
du weißt, wie hart es mir aufommt, 
nur zu fragen, wie viel es dann koſten 
möchte, aber doch mueſs ich mich über- 
winden, weil es nicht anders fein kann. 
Sage mir, Hanswurſt, wie viel Gro— 
Shen er dann Trinkgeld verlangt, 
wann er mir dann meinen Sohn 
wieder zurudididt. 
Hanswurft. Ei ja, Groſchen, 
da wär gar fein Reden davon. 500 
Ducaten müſſen fein, und wenn einer 
abgeht, jo laſſt er'n nit aus. 
Alter. Aueh, Hanswurft, Halte 
mich, labe mich und erquide mic). 
Diefe 500 Ducaten werden nich mein 
Leben koſten, fie werden mir ben 
Schlagfluſs zuziehen, und das wird 
mir das Herz abitopen. «Fäut um.) 
Hanswurft Nu, das ift brav. 
Hiazt, wann der Alte marirelt, ſo 
frieg’n ma's Geld all mitanander, 
wanns nur jein Ernft war! Mueſs 
ſchon gehn vifitieren, (Schaut den Alten an.) 
Es if, mein Aid, fein G'ſpaſs net, 
der Alte ift völlig in da Tattna. 
Aber was frag ich darnach? Defto 
leichter will ich's Geld kriegen. Stirbt 
a, jo kriegts ohnedem mein Herr und 
fimmt a wieda davon, fo foll a ma's 
nit amal wahrnehmen, daſs ich ihm 
500 Ducaten g’holt han. Hiazt wir 
i ihm gehn in fein Zimmer bringa 
und wir ſchön gemachla ausziehen 
und ins Belt legen; aft wir i wohl 
in Schlüfel finden, wann i amal 
d'Hoſen in Händen Han, zu feiner 
Geldtruhen. Nur ſchön ftat hiazt. 
(Nimmt den Alten, zieht ihn binein.) Da, ba, 
ba, ba, Ha, ha! (Beide ab.) 


Pritter Auftritt. 


Oliva und Melonia fisen geſchloſſen und 
von einem Türlen bewadt. 


Dliva. O, meine allerliebite 
Schweiter, wie hart erwarte ich die 


erwünfchte Zeit, da unſer Erretter 
uns zu kommen verſprochen hat. Ich 
zweifle fehr, ob er mehr kommt. 
Melonia. Ei, Habe dod keine jo 
Ihlimmen Gedanken. Ih kann dich 
gewiſs verſichern, daſs er ſein Wort 
treulich halten werde, du biſt immer 
ungeduldig und kannſt nichts erwarten. 
Oliva. Ja, es iſt die Waähr— 
heit: aber wäre es denn ein Wunder, 
in unſerm Unglück verdrießlich zu 
werden, da wir unſchuldig ſo vieles 
leiden müſſen? Und wer weiß, was 
noch vor Elend uns bevorſtehet, wann 
wir anjetzo nicht auskauft und erlöſet 
werden: kommen wir einmal unter 
die türkiſchen Völker hinein, jo können 
mir an Seel und Leib unglücklich ſein. 
Melonia Meine Schweiter, 
denfe immer an diefes: Wir fein jo 
viel Schon als in der Freiheit, denn 
ich kenne mein’ Geliebten fein treues 
Herz und weiß gewij3, daſs er uns 
nicht verlaffet. Sei nicht fo melan— 
choliſch, fing viel lieber ein Schäfer: 
lied von unferem vorigen Vergnügen. 


Vierter Auftritt. 


Dliva und Melonia fingen ein Lied, darauf 
tritt Leobinus auf. 


Leobinus. Ach, wie angenehm, 
meine Schönen, waren eure Stimmen 
zu vernehmen. Ihr beflaget zwar billig 
Eure Harte Gefangenschaft, aber ich 
erfreue mich vielmehr euer Erretter 
zu jein, weil ich vergewijjert bin, daſs 
ihr mehr meine Perſon als meine 
Gutthat liebe. Seiet getröft, eure 
eiſernen harten Feſſeln jollen in Kürze 
in Liebesfeffeln verwandelt werben, 
mein getreuer Bedienter wird das 
Löſegeld wohl bringen. 
| Melonia. Dante Ihnen der 
‚Himmel, mein englifher Leobinus, 
vor hr gutes treues Herz, das Sie 
mir gefchentet und welches verurjacht 
hat, daſs Sie uns arme Gſchlavinnen 
‚aus denen wiüthenden türkiſchen Hän— 
‚den gerilfen. Ich verſpreche Ihnen, 
‚Sie zu lieben und zu ehren meine 








en 


693 


ganze Lebenszeit, wie die allerver— 
liebtefte Braut ihren Bräutigam immer 
lieben fann. Meine Schweiter kaun 
Ihnen ebenfalls tauſend Dank erftatten. 

Dliva. Ih ſage Ihnen gleichen 
Danf, mein großmüthiger Erretter und 
allerliebiter zufünftiger Herr Schwager. 
SH verſprich ein Gleihes, Sie in 
Ihrem Dienft jo zu ehren und zu 


Init recht fenna, ich Hab ihm anftatt 
Ducaten lauter Kupferpfennig geben. 
Hiazt fein die Ducatl mir blieben. 

Leobinus. Biſt du fchon rich» 
tig, Danswurft mit dem Handel? 
Weil der Türk fchon fort ift, jo gehen 
wir aud. 

Hanswurft. Ja Herr, d' Menſcha 
fein Schon unfa; aber no ans, eine 


dienen, dafs alle Ihre Befehle nad | müjsts mir laſſen, dann ſchauts, das 


Ihrem Augenwunjc vollzogen werden; 
der Himmel zahle das Mehrere. 
Leobinus. Unterlafiet dieſes, 
es ift genug, ihr ſchönen Seelen; 
ener gutes und dankbares Gemüth 
erſetzet mir dieſe Kleinigkeit genugſam. 


Fünfter Auftritt. 


Hansmwurft und Türke treten auf. 


Hansmwurft. Ha, ha, ich mein’, 
65 habts enk ſchon veriprochen g’habt 
mitanander. He, Herr, wart3 a bifiel, 
63 müſst ma ane zuefomma lafjen. 

Leobinus. Bit du hier, Hans— 
wurft? Das ift gut. Gib dem Türken 
das Geld. Erhandelit du was, fo ge— 
Hört e3 dein. Ich Habe indeſſen mit 
ihnen zu ſprechen. 

Hansmwurftl Schon redt, das 
wir ich probieren. Allo Meifter Ratz— 
bart, los auf: wann du Handeln lajst, 
friegft Geld. Wie theuer find die 
Kalmerin da ? 

Türke. Kuraſco fcheppertolly na 
ticoth. 

Hanswurſt. Was? Steruvoll 
iſt der Dickkopf. 

Türke. Nergo Nollorumb 500 
Tugatt. 

Hanswurſt. Ja; ja, 500 aufn 
Hintern. (Gählt Geld auf) No ſchau, 
Bruder, laſs g'ſcheha, da haft Geld. 

Türke. Scherbo, jcherbo dukh 
bologarfchi. (Nimmt das Geld und gebt ab.) 

Hanswurſt. Scherfy, ſcherfy — 
und bol di der —, du verzweifelter 
Grindſchipl, du 


war g’feilt. Meints weils jo hübſch 
fein jein, wöllts ös alle zwei g’halten ? 
Aber das geht mit; ſchauts, Jö Ham 
mi a viel Müh koft. 

Leobinus. Es ift wahr, du 
haft in diefem Stud dich ſehr mohl 
gehalten; wann die fihöne Oliva mit 
dir zufrieden ift, jo wünſche ich euch 
viel Zaufend Glüd zu eurer Ver— 
lobung. 

Dliva. Ich bin mit ihm voll: 
ſtändig zufrieden, er fcheinet mir ein 
Inftiger Menfch zu fein, und einen 
jolhen Hätt ih mir ſchon längſt ge= 
wunſchen. 

Hanswurſt. Schon recht, 
Schatzerl, mir is af a Haar a jo; 
fie ſcheint mir a hübſches Menſcherl 
zu ſein, und a ſölteri hätt ich mir 
längſt gern zueg'legt. Aber ſtat, es 
kommt der Alte herein, ich hab ihn 
ſchon rochen g'hört, wir müſſen uns 
a weng auf die Seiten machen und 
zuhörn, was er ſagt. 

Leobinus. Ja, gehen wir etwas 
abſeits: du aber, Hanswurſt, hör ihm 
zu und wann du Gelegenheit haſt, 





ſo rede mit ihm wegen unſerer Hoc. 


‚zeit-Beranftaltung fo gut du kannſt. 
(Geht mit den Mädchen ab.) 


Sechster Auftritt. 
Alter tritt auf. 


Alter. Dem Himmel jei Dank, 
dafs ich mich von meiner Ohnmacht 
| wiederum erholt habe! Aber was nutzt 


glagihädlater du, es mich? Wie lang wird es dauern ? 


weil3 d’ nur amal fort bift. Das | Sobald ich von meinem Sohn wiederum 
bat g’rathen. Den Kerl hab i an- Nachricht erhalte. Ein Weiteres: iſt er 
g'ſchmiert, er mueſs 's deutjche Geld | verloren, oder ich mus 500 Ducaten 


694 


geben, und dieſes ift mir ein gleicher | 
Donnerſchlag in mein Herz. Wann 
ih nur diefesmal noch gute Nachricht | 
von ihm erhielte! 

Danswurft. U, das is brav, 
dajs ich Enk wieder g’funder antriff. 
Wijsts was Neues? Enter Sohn is 
wieda zurudfemma; wijsts aber, wer 
ausg’löst hat? Schauts, fein’ Liebite 
i8 fo guet g’wejen und Hat 500 Du— 
caten hergeben vor ihn; aber halt 's 
Heiraten hat er ihr verſprechen müflen. 

Alter. Was fagft du, Hanswurſt? 
Ah, du gibft mir das Leben wieder! 
Das is ein ehrlich Madl, dieſe möcht 
ih bald jehen und als meine Schwie— 
gertochter begrüßen. Geh’, laſs fie zu 
mir kommen. 





Hanswurſt. Ja, Herr, jie fein 
juft Ent hamfuehen ganga: wann's 
ös jeha wöllts, müeſsts g’jchwind ham 
gehn, ſonſt möchts ſö verdrießen. 

Alter. Das ift auch wahr, werde 
feine Zeit verfäumen. Komm nad, 
Hanswurft. (Ab 


Hanswurſt. 


Geh nur, Alter, biſt g'nung b. 
Ich werd ſchon nachlommen, 
Du ſollſt deine Ducaten büßen, 
Die ich dir hab genommen. 


Nun ſieh ein jeder und betracht, 
Wie's Geizigen thuet gehen: 
Indefien wünſch ein’ gute Nacht 
Bis aufs Wiederſehen. 


Pehrling-Peben 
vor ſechzig Iahren. 
Erzählt von Zebaflian Geif, 





achdem ich weit in der Welt 
E herumgekommen, alt geworden 
*- bin und allerhand erfahren 
habe, erſucht mich der Heimgärtner, 
zu bejchreiben, wie e8 mie einst im, 
guter alter Zeit als Lehrling er=| 
gangen if. Man will eben wieder 
einmal erinnern an dazumal. | 
Gut, ih bin von dazumal und will 
die höchit gewöhnliche Hijtorie, die jo 
vielen pafliert ift, gerne erzählen. | 

Hier eine kurze Beſchreibung 
meiner Lehrzeit in Wien bis zum. 
jelbftändigen Geſchäftsanfang. | 





lich föniglihen Haupt und Refidenz- 
ftadt Wien, und dem Bei ft Sebaftian, 
12 Jahre alt, aus Stadt-Volkach 
im Untermainfreis de3 Königreichs 
Bayern. 

Diefelben Schließen folgenden Lehr- 


‚vertrag ab: 


I. Seiberl Johann nimmt bes 


nannien Lehrling auf ſechs Jahre von 
‚heute ab in die Lehre und veripricht, 
denſelben in feinem Handwerke gut 


zu unterrichten, zu verköftigen, zu 
logieren und zu Heiden. 

Der Lehrherr hat bei guter Auf— 
führung des Lehrlinge, und wenn 


Lehrvertrag derſelbe imſtande ift, fein Gefellen- 

zwiſchen ſtück gut zu machen, mach abgelaufener 

Herrn Seiberl Johann, bürger- Lehrzeit — zur Freiſprechung — 

lichen Uhrmachermeifter, Schottenfeld, !demjelben ein neues Gewand machen 
Kaiſerſtraße Nr. 309 in der faifer= zu laſſen. 


rer r: 


695 


II. Der Lehrling Geift 
hat jeinem Lehrherrn in allen Dingen 
unbedingt Folge zu leiten, ihm zu 
gehorjamen, ſich im jeder Weife der 
Hausordnung zu fügen, durch Fleiß 
und Aufmerkſamkeit im Handwerk, 
jowie durch fittliches Betragen fich der 
Zunft würdig zu erweifen, anfonft 
derjelbe nicht freigefprochen würde, 

Aufgedungen durch die Beiliker 
der Groguhrmacher in der faif. fünigl. 
Haupt und Refidenzftadt Wien, am 
25. Auguft 1831. 

Schießl, I. Beiliger. 
Pleitinger, Il. Beiliker. 
Winter, III. Beiliger. 

Sp etwa lautete die Unterwer— 
fungserflärung eines Kindes unter 
Jehsjährige Sclaverei. 

Mein guter Vater, felbft in per- 
manentem Nothitande, jhäßte ich und 
nich glüdlich ob des gelungenen Unter- 
ftandes, denn der Uhrmacher Seiberl 
war, troß ſeiner Klumpfüße, ein, wie 
man jo fagt, ordentlicher Uhrmacher. 
Hatte doch mein Bater das Geichid, 
dafs ih zum viertenmale im die 
Lehre fam. Erft zu einem Wagen- 
ladierer, dort war ih 6 Wochen lang. 
Man ſchickte mich mach diejer Zeit, 
als zu ſchwach für diefes Handwerf, 
nachhauſe. Ich konnte nicht kräftig 
genug Farben reiben und zum Wagen: 
Ihieben war ich gleich gar nicht zu 
gebrauchen. Nachher kam ich zu dem 
Gürtlermeifter Tettenborn, da lief ich 
jelbft davon, denn als Kindsmagd 
und Laufjunge auch noch ſchmale Koft 
und Brügel zu belommen, das behagte 
mir gar nit. Dann fam ich in den 
Miener Borort, nach dem Luftigen Neu— 
lerchenfeld, wo in manden Straßen 
jedes einzelne Haus ein Wirtshaus 
war, zu einen Uhrmacher im die 
Lehre. Das war doch etwas Nobles! 
Denn Schufter oder Schneider wollte 
ich auch gerade nicht werden, obwohl 
mir die Wahl frei ftand. Auch war 
mein Vater zu folz, als Maler jo 
tief herabzufteigen. Sein Elend war 
immer noch nicht groß genug, um 








Seb. | feine werten Nachkommen in jo nies 


derer Sphäre zu ſehen. (7) Leider 
hörte mein Vater, daſs bei meinem 
Meifter feine ganzen Uhren, jondern 
blog Theile davon gemadht würden, 
und dafs derfelbe bloß ein „befugter“, 
fein „bürgerlicher“ Meifter wäre, und 
jo holte er zu meiner freude mich 
nah Umfluſs von 14 Tagen wieder 
ab. Ah wie viele Schufter und 
Schneider waren Fürſten gegenüber 
diefem Uhrmacher! Ich war zufrieden, 
aus dieſer Spelunfe wegzulommen. 
Alſo trat ih nah einiger Zeit bei 
dem Herrn Joh. Seiberl, „bürger- 
lihem Großuhrmacher“, in die Lehre. 
Wir machten neue Pendeluhren aus 
Mejliing von U bis 3. Meinem 
Meifter gebe ih Heute noch das 
Zeugnis, welches er mir bei meinem 
Abſchied in die Heimat gab: er war 
ein rechtichaffener, fleißiger Mann. Er 
bedauerte nur, daſs ich weggieng, 
und meinte, daſs ich ſchwerlich wo 
anders, als bei ihm, was Rechtes 
lernen könne. Er gehörte allerdings 
ſchon zu den bejleren Uhrmachern, 
hatte er doch jogar eine „Räderein— 
Ihneidmafchine”, was die Wenigiten 
hatten, denn eine folche koſtete bei— 
nahe hundert Gulden, Wie 
freundlich dieſe ſechs Jahre ver— 
floſſen, das zu erzählen, erlaſſe man 
mir. Obſchon mein Meiſter ein gerecht 
denfender Mann war, aber in immer 
währenden Stampfe mit der Noth, 
was läſsſt fih da thun? Es waren 
ſechs Gejellen da und auch meiltens 
drei Lehrjungen. Wir arbeiteten jeden 
Tag im Sommer von früh 5 hr 
bis abends 8'/, Uhr, im Winter von 
früh 6 Uhr bis abends 10 Uhr. 
Sonntags wurde nur vormittags 
gearbeitet. Pauſen unter dieſer 
Arbeitszeit gab e$ nicht, mur fo 
lange Zeit, als wir zum Eſſen brauch— 
ten. Das Frühſtück, welches immer 
nur in einem Stüd trodenen Brotes 
beitand, konnten wir beim Arbeiten 
eſſen. Mit fünf bis jehs Biſſen war 
das abgemadt. An den Mittagstiich, 


696 





der in der Werkſtätte ftattfand, gieng 
jeder, fein dreibeiniges Sitzgeſtell au 
den Hintern baltend, zur „Tafel“ ; 
der ältefte Gejelle ja dem Meiſter 
zur Linfen, dann famen die anderen 
je nad) der Zeit ihres Arbeitsantrittes, 
nachher der älteite Lehrling in der— 
jelben Reihenfolge. Zur Rechten des 
Meilters ſaß die theuere Gattin mit 
der ſpitzen Naſe und den fcharfen 
Augen. Ihr ſchloſs ſich das jüngite 
der vier Finder an und fo weiter, 
bis der ältefte Sohn ſich dem jüngiten 
Lehrling anſchloſs. Conſequenz und 
ftrifte Ordnung herrſchte nach dieſer 
Seite im „Haufe Seiberl*. Mit dem 
Eſſen gieng’s etwas anders. Die Frau 
bekleidete die erite Stelle am Tiſche. 
Sie legte vor: zuerſt dem Herren, 
dann den Kindern, nachher kommt 
der Ultgejelle zum Herausnehmen der 
Speifen, danı der zweite u. ſ. w. 
Der jüngfte Lehrling iſt bei dieſem 
Geichäfte immer der legte, Für ihn 
beiteht nun die fatale Gebräuchlich- 
feit, daſs Gehilfen und Lehrlinge ſich 
gleichzeitig vom Tiſche erheben und 
an die fofortige Wiederaufnahme der 
Arbeit gehen. Da der Altgefelle zuerjt 
anfängt mit dem Eſſen, jo ilt er 
natürlich auch am fehnellften fertig, 
aber der jüngfte Lehrling hält da noch 
bei der Suppe, und bei aller Haft 
gelingt e3 ihm nur jelten, zur rechten 
Zeit fertig zu fein, und im Schweiße 
ſeines Angeſichts wendet er die Blide 
zagend zum Altgeſellen, der jchon 
räufpert al3 Mahnruf an dem eifrigen 
Schüler, fih zu fputen. Endlich jteht 
er aber doch auf, ewig kann er ja 
nicht Hoden bleiben, die anderen mit 
ih, jo iſt's einmal Brauch, hämiſche 
Blide von allen Seiten, hungrig nod, 
mit verbrannter Zunge entjchliegt er 
ih endlih, unter dem höhniſchen 
Läheln feiner Freunde, fi vom 
Schauplatz zurüdzuziehen, unter hef— 
tigem Würgen der lebten Biſſen. Als 
bejondere Gnade rechnet er es, wenn 
nicht die Bemerkung fällt: „Schau 
den Waitel, wie fleißig der iſt, beim 


Arbeiten da ſchwitzt er nie!" Mit: 
unter, wenn des Morgens, nachdem 
die Herrfchaft ihren Kaffee getrunken 
dat und wenn der jüngfte Lehrling 
den Gejellen ide Frühſtück, Brot, Vier 
oder Schnaps, Käſe, Wurft oder Sped, 
gebracht hat, nimmt derfelbe den Yaib 
Brot und geht damit zum „Deren“, 
der dann für die Lehrlinge die Stüde 
abjchneidet, wenn aber der Herr gerade 
feine Zeit bat, zur Frau. Dieſe bat 
nicht felten mir gegenüber die freund— 
lie Anjprache getan: „Na, darauf 
vergefst ihr nicht, nicht wahr?“ 

Das Abendeſſen beftand aus einer 
dünnen Suppe und einem vorge— 
legten Stüd Brot’3. Selten fam eine 
Schüſſel Kartoffeln oder etwas übrig- 
gebliebenes Gemüſe. Die Gejellen 
hatten blog Mittagstifd und Bett. 
Jeder arbeitete nebſtdem ſtets nad 
Stüdzahl. Was lag auch daran, wenn 
jo ein angeftrengter ausgehungerter 
Junge krauk wurde und ftarb; er kam 
ins Hojpital, wo täglih 30 bis 40 
Leihen zur Beerdigung kommen, ganz 
abgejehen von jener größeren Zahl, 
die nachts, im einen geſchloſſenen 
Magen gebradt, wie Dünger in die 
Grube geworfen wurden. Denn Gräber 
gibt es da nicht. Lange Gräben wer— 
den aufgeworfen und dort werden 
jene, die Särge befommen, kreuz und 
quer eingejhichtet, die anderen aber 
nachts nachgefüllt, dann zuges 
worfen mit Erde. Das ift das Schichſal 
von Hunderten täglih in den „be= 
deutenden Gentren“, den groken 
Dauptjtädten. Was it da der Ein— 
jelne wert, wo Hundert Thon auf 
jeinen Tod warten? — So war es 
Ihon vor 60 Jahren in der „Metro= 
pole” Wien, jo it es wohl überall 
in den großen Städten. Ich finde 
faum Worte, die VBerwunderung oder 
die Entrüftung auszudrüden über den 
Blödfinn oder die Niedertracht, welche 
darüber zu Schweigen veriteht! — 
Weit es im Dunkel der Naht ge— 
ichieht, weil die Schandthaten der 
Böſen ih in abgejchloffenen Räumen 





zutragen, weil die Bedrängten, un— 
fähig des Wortes, in tiefer jocialer 
Lage find, verhallen die Schredens- 
rufe lautiös, denn die jogenannte 
„gute Geſellſchaft“ fühlt fich 
ſonſt in ihrem Lebensgenuffe geftört, 
und ein Drittel der Prefslafeien ver: 
kündigen Größe und Wohlftand, weil 
fie Mitgenießende jind, und wer e3 
wagt, öffentlih davon nur zu 
ſprechen, it Socialift oder gar 
Anarchiſt, d. H. ärger als Räuber und 
Mörder. Nah dieſer Abſchweifung 
fehre ich wieder zur Suche zurüd. 

Wenn ich in jenen Tagen manch— 
mal in die eigentliche Stadt fan, wo 
die Hauptpolizeidirection war, jo fand 
ich des Morgens von 9 Uhr an jeden 
Tag 200—300 zugewanderte Hand- 


werfsburfchen, die dort, in Reih' und | 


Glied aufgeftellt, der Dinge harrten, 
denn an den Durchbrüchen der Linien- 
umwallung ftanden Polizeipoften, wo 
jeder fremde Arbeiter ſeinen Paſs oder 
ſein Wanderbuch abgeben muſste, das 
er dann des anderen 





ein rüder Burſche war, wieder der 
betreffenden Polizei vorzuſtellen, wo 
die gleiche Procedur von vorne an— 
gieng, oder wenn er nur den Amts— 
bezirk durchreiste, wurde ſein Wander— 
buch unterſucht und mit Datum und 
Stempel verſehen. Wie ein Verbrecher 
ſtand er unter fortwährender Polizei— 
controle und jeder Gendarm hatte 
das Recht und die Pflicht, wo er 
irgend den Geſellen antraf, ihn um 
ſeine Reiſepapiere zu viſitieren, und, 
wenn derſelbe nicht alles in ſtrenger 
Ordnung fand, zum letzten Gerichts— 
ſitze zwangsweiſe zurückzuführen. Mit- 
unter kam dieſes des Tages zwei- bis 
dreimal vor, daſs er „viſieren laſſen“ 
muſste. Sein Weg, den er zu nehmen 
hatte, wurde ihm vorgejchrieben, und 
jede Abweichung geahndet. Der junge 
Mann konnte deshalb des Tages mur 
kurze Streden zurüdlegen, blieb er 
aber länger al3 vier Woden, ohne 
Arbeit zu finden, auf der Fußreiſe, 
‚wurde er per Gendarm in die Hei: 


Tage dort, | matgemeinde abgejhoben, wo natür— 


nachdem es geprüft worden, wieder lich wieder nichts zu holen war. Die 


abholte, um entweder ſofort wieder 
ausgewiejen zu werden, d. 5. per 
Schub oder mit bloß freundnachbar- 
liher Weifung die Stadt zu verlaflen. 
Oder es wurde ihm die Herberge an— 
gewiefen unter den Bedenten, Fich 
drei Tage lang um Wrbeit zu erkun— 
digen, nad Verlauf diefer Zeit aber 
fofort jich wieder zur Polizei zu be= 
geben, wo ihm jein Wanderbuch mit 
der Bilierung nah dem nächſten Ge— 
richtöfie wieder zugeftellt. Bevor dies 
aber geſchah, mujste der Gefelle ſich 
in das Zimmer des Phyſikus (näm— 
li eines verdorbenen Barbiers) ver- 
fügen, wo er umterfucdht wurde, ob er 
nicht mit einer anftedenden Krank— 
heit, der Krätze oder dergleichen, be= 
haftet wäre, in welchem Falle derfelbe 
in ein Spital dirigiert wurde, wm 


dort curiert und dann erft entlaffen | 
An nächſten Amtsbezirk | 


zu werden. 
hatte ſich der Arbeiter, 





gleichviel, ob | werden wollte, verworfen. 


Heimatpolizei difierte ihn alfo wieder 
weiter, und der Rundgang begamıı 
von vorne. Jeder junge Handwerler 
war zugleich gezwungen, Drei 
Jahre im der Fremde zuzubringen, 
jonft durfte er weder heiraten noch 
ein Geſchäft beginnen. Außerdem 
muſste zu jener Zeit jeder taugliche 
junge Mann in Öfterreih 14 Jahre 
Militärdienfte Für das Baterland 
leiten, in Bayern aber blog 6 Jahre. 
So waren die Dinge beſchaffen. Wenn 
nun ein junger Maun Wanderjahre 
und Militärdienftzeit überftanden Hatte 
und jelbit ein Gefchäft anfangen wollte, 
jo mujste er erſt ein Meiſterſtück 
machen, das meinem ehemaligen Eol- 
legen Böll in Würzburg jieben Mo— 
nate Zeit und mindeitens 200 Gulden 
Geld foftete. Nachdem er fertig war, 
wurde e3 von den alten Gejchäfts- 
meiftern des Ortes, deren College er 
Er musste 


e5 ein gebildeter junger Mann oder, mun ein Jahr lang weiter warten, 





dann begann die Meifterftüdmacherei I mujste erſt Vermögen nachgewieſen 


aufs neue. Jetzt mujste er um die 
Erlaubnis, fein Gefchäft beginnen zu 
dürfen, ſich bewerben, welches Geſuch 
nicht ſelten einige Jahre unbeſchieden 
blieb, denn — „das Gewerbe iſt 
überſetzt!“ hieß es. Da Hatten die 
alten Zunftmeifter gute Tage, näm— 
ih feine Concurrenz. Ahnlich gieng 
es auch mir. Doc gelang mir dies 
eher. Mit der Erlaubnis, arbeiten zu 
dürfen, im der Hand, begann ein 
neuer Trubel. Da mufste man erft 
noch das Bürgerrecht erwerben und 
ih militärisch als Landwehrnann 
auf eigene Koften ausrüften. Jeder 
neue Bürger hatte gleichzeitig einen 





werden und es gieng die Hab von 
neuem an. Bei nur wenigen gieng 
dies alles glatt ab, nur die „redt- 
Ihaffenen Zeute*, d. h. jolche, die 
ziemlich Geld Hatten, fiegten leicht. 

Warum ich diefe alten Gejchichten 
auftifche, die doch längft überwundene 
Standpunkte find ? Keineswegs über- 
wunden, jondern wur — verändert. 
Es ift der permanente Ringlampf 
ums Wohljein der Menjchen unter: 


einander. In diefen Trubel hält es 
ſchwer, ehrlich aufrecht zu 
ſtehen. Aber die geweckten Geiiter, 


die nicht im Duſel leben, jene, welche 
die Ohren ſpitzen und die Taſchen 


anzu- zuhalten, dieſe werden am wenigſten 


geſchoren! 


Die umworbene Schöne. 
Ein ländliches Bildchen von R. 


neuen ledernen Feuereimer 
ſchaffen. Wollte er num heiraten, fo! 





igen fie da, ihrer drei, jedes 
2, mit feinem Inſtrumente. Sai— 
7° ten md Pfeifen! Aber die 
leßteren werden geblajen, ohne daſs 
fie tönen, anftatt Klang — Rauch! 
Da haft du etwas Armfeliges gelernt, 
du derber, zuhabiger Burſch! Wird 
dir nicht unbehaglich, wenn du fiehft 
und hörſt, wie die Töne der anderen 
Snftrumente fo lieblich ſchmiegſam, 
jo verftändnisinnig und trant zuſam— 
menklingen ? 

Was mögen fie fpielen auf ihren 
bäuerlichen Lyren? Was mögen fie 
fingen dazu ? Bon Hals? Bon Hel— 
denthaten hoch zu Roſs? Von Schlach— 
ten und vom Sterben? ch glaube 
nicht. Da klingt durch der Menfchheit 
Kette von Glied zu Glied ein fühes, 
glutheißes Lied, verftanden von allen 
Geſchlechtern, verjtanden zu 


allen | 


Zeiten. Die gewaltigften Thaten, die 
gräjslichiten Leiden, die unergründ— 
lihiten Sünden, die herrlihiten Tu— 
genden werden wie bunte Berlen an— 
einander gefügt, zufammengehalten 
von dem goldenen Faden des Liedes, 
defjen erſter und letzter, deſſen einziger 
Laut das jauchzende, zagende, weinende 
Stammeln iſt: Ich liebe dich! 

Ob nun einer ſeinem Schatze 
dieſes Lied ſingt oder ſpielhlt, 
oder ſchweigt oder raucht, das iſt 
eigentlich einerlei, die Hauptſache da— 
bei ſind funkelnde Augen und friſch— 
rothe Lippen. — Na alſo, da ſitzen 
ſie beiſammen. 

Die beiden alten Knaben ſtrengen 
ſich tapfer an um die dralle Agathel. 

Am Sonntag nachmittag iſt's, 
dachte ſich die Agathel, ſie nehme ein 
wenig die Zither auf den Schoß, um 


699 


Gott zu Ehr einen Steirischen aufzu— 
ipielen. Und wenn's die Mannslente 
hören, die draußen borbeigehen und 
ftehen bleiben, jo ift das auch fein 
Unglüd. Na freilich iſt's fein’s, du 
feines Dirndel, du! 

Und der Sägemeifter Luidel hört's, 
ftelft fich bald ein mit feiner „Zupf— 
geigen“, die er gerade dom Wirts— 
haus mit heimtragen will. 

„Bit leicht allein daheim, Dirn— 
del?“ fragt er. „Nachher will ich dich 
ein biſſel begleiten.“ 

„Wenn du gut begleiteft“, ant— 
wortet fie, „jo thun wir halt eins 
miteinand.“ 

Er zwinkert ſie an. Er iſt in den 
Jahren, wo die Liebe das zweitemal 
blüht — eine ganz verherte Zeit, 
wenn der Apfelbaum zarte Röslein 
trägt im Herbſt, da auf anderen 
Bäumen fhon die reife Frucht prangt. 
Aber e3 macht nichts, die Leute eilen 
zufammen und rufen: Seht, da blüht 
noch ein Apfelbaum ! 
gudig werden die jungen Dirudeln, 
wenn ein Mannsbild den Johannes— 
trieb anjfeßt. 

Der Luidel weiß jo alte Vollks— 
lieder und erwiſcht alsbald das rich- 
tige, 

Klimp — klimp — klimp, auf 
den Saiten, und er hebt an: 

„Ih Hab’ di lieber als Haus und Ham 
(Heim) 
Und als mein Bett, wo ich jchlaf und tram 
- (träume).* 

Hier wird er jchon unterbrochen. 
Der Halter-Michel Hat im Vorbei— 
gehen das Klingen gehört, und hätte 
er es auch micht gehört, er wäre doch 
in die Hütte geſchlichen, denn draußen 
unter freiem Himmel fönnte es regnen. 
63 war zwar ganz heiter und fein 
MWölthen ftand am Himmel; umſo 
beifer, braucht fich einer nicht zu eilen 
auf dem Heimweg, kaun fi ein wenig 
aufhalten bei der Agathel. 

Eintretend Sieht er, der Michel, 
es ift fchon einer da. Das macht 


Und jchier ſo 


! 








fahrung, — ihm wird nicht leicht einer 
gefährlich. Er braucht fein Liebeslied 
gar nicht zu fingen, er ſchweigt es 
den Weibern vor, und jede hört ihm 
zu, jo jchön kann er fchweigen. Der 
Michel ſetzt ſich neben das Dirndel 
auf die Bank und ſagt bedächtig: 
„Ra, ſpielt's eins, allzwei, ich hör’ 
euch zu.“ Sonft jagt er nichts, zündet 
die Pfeife an und Hört auch ſchön zu. 
Der Luidel läjst die feine gar 
nicht ausgehen, auch beim Singen 
nicht. Ufo — klimp — klimp — 
und führt fort, zwifchen Zähnen und 
Schnurrbart hervor alfo zu fingen: 
„Ich hab’ did Iieber als Haus und Ham, 
Und als mein Bett, wo ich ſchlaf' und tram, 
Ich hab’ dich lieber als Roſs und Wag’n. 
Sp lieb — ih kann dir’ gar nit fag'n.” 
Jetzt Himpert auch fie auf ihrer 
Zither, Schlägt die Augen nieder und 
ſingt mit feiner, weicher Stimme: 
„Ich hab’ dich lieber als Kuh und Gas 
(Geiß), 
Als Milch und Butter, als Rahm und Has 
(Käſe), 
Ich hab' dich lieber als Zucker und Meth, 
Mein feiner Burſch, du glaubft mir's net.” 
Hierauf wieder der alte Luidel: 


„Ih hab’ did lieber als die Kugelftatt, 

Wann's auch neun neue Segel hat, 

Ih hab’ dich Lieber als Bier und Wein, 

O wann ih nur oft bei dir funnt jein.* 
Dann das Dirndel: 


„Ich hab’ dich lieber als mein’ Mutter gar, 
Ih hab’ dich lieber als das Kranzel im 


Haar, 
Lieber als Better und Muhm, als Godel 
und Göd, 
Mein Knab' nur weiter ſag'n thu’s net.“ \ 
Und jegt klingen Zither und 
Guitarre, ihre Kehle und feine Kehle 
zufammen: 
„Wir haben uns gern, jo gern, jo gern, 
Kunnt eins dem andern nit lieber wern. 
Das Gernhab’n, ad), das ift ein’ Freud, 
So groß, wie Die himmliſch' Seligfeit!* 
Das Lied ift aus. Der Luidel 
flimpert eine Weile nad, der Michel 
bläst ein paar Rauchwölklein von ſich 
und ſchmunzelt. Die kann ſich ver— 


nichts, ihm — das weiß er aus Er— ſtellen! Das iſt ſein Gedanke. 


700 


Die Agathel tut, al3 wäre er gar 
niht da, der Halter-Micel. Sie 
jpricht nur mit dem Luidel und jagt: 


„Willft du Heut’ noch Hinüber in den 


Kargraben ?“ 
„Na freilich”, jagt der Luidel. 
„Nachher Haft bald Zeit, dafs du 


gehit. Der Weg ift weit hinüber in 


den Kargraben.“ 


„Wenn ih auch im die Nacht: 


fomm’, das macht mir nichts“, jagt 
der Luidel. 

„Es wird aber Hodfiniter werden 
unterwegs in den Kargraben“, gibt 
das Dirndel zu bedenfen, „und mor— 
gen wirft zeitig bei deiner Holzſäg' jein 
müjlen. In deinem Alter braucht der 
Menſch ſchon nachtſchlafend' Stund.“ 

Jetzt ſchaut der Luidel einmal auf. 
Er ſchaut das Dirndel an, er ſchaut 
den Burſchen an, der neben ihr ſitzt 
und jetzt ſachte ſeinen Arm um ihren 
Nacken legt. 

„Ihr Saggera!“ murmelt er end— 
fi, „mir ſcheint, ihr wollt mic 
draußen Haben! Iſt ja rechtſchaffen 
lieb von dir, Agathel, daſs du dich jo 
befiümmerft um meine nachtichlafend 
Stund; Follteft es aber ſchon wieder 
vergefien haben, was du mir juft 
voreh zugejungen haft ?“ 


„Was Hab’ ich dir denn zuge⸗ 


ſungen?“ lacht ſie. „Ich hab' halt 
ein altes Lied geſungen, du Haft mich 
begleitet, und wen ich gemeint hab’ 
im Lied, das geht niemand nichts an.“ 
„So!“ murmelt er. „So! Seine 
hageren Finger zupfen noch ein paar» 
mal an den Saiten, dann jagt er: 
„Iſt mir Schon um jeden Ton leid, 
den ich da Hab’ losgelaſſen, meiner 
Seel'!“ Padt die Guitarre zufammen, 
wirft den Rod über die Achjel und 
ftolpert fchiefedig zur Thür hinaus, 
„Und jeßt, Michel, jetzt ſingen 
wir zwei!“ jagt die Agathel ſchneidig 
zum Burſchen. 
„Singen ?* antwortet diejer lang— 
jam, „Singen ift mir zu ödmeilig.” 
„So ſpielſt Halt eins auf der 
Zither.“ 


„Zitherſpielen? Ah na, das kann 
ich nit.“ 

„Ja, was willſt denn nachher da?“ 

„Ich? — Was ih mil! — 
Dirndel!“ Er legt den Arm mod 
enger um ihren Naden und will es 
jo einrichten, dafs jeine Wangen den 
ihren nahe kämen, 

Die Ugathel fteht raſch auf und jagt: 
„Bübel, du irrſt dich! Geh du nur hinab 
ins Kroißdorf, dort ift eine, die ver— 
fangt jih nah dir. Im Tannerhof 
wartet auch eine auf dich. Willſt du 
‚eine dritte foppen in diefem Monat ?“ 

„Warum“, jo meint mun der ge— 
däftete Michel mit träger Geberde, 
„warum haft dem nachher den Säge: 
meifter fortgeſchickt?“ 

„Damit ich dich nachſchicken kann.“ 

„Wenn ich aber nit geh ?* 

„Nachher wirft Halt fliegen.“ 

In dem Wugenblide weiß der 
Halter- Michel wicht recht, wie das 
gemeint ift. Wie kann er denn fliegen, 
wenn er fein Vogel if? — Nicht 
lange Zeit vergeht und er begreift. 
‚Ein ſtrammer, bildhübjcher Jäger 
tritt in die Stube. Die Agathel geht 
ihm entgegen, gibt ihm die Hand und 
jagt: „Grüß dich Gott, Anton!” 

Der Jäger hat ein glühendes Auge, 
mit diefem Schaut er zuerit das Dirndel 
an und dann den Dalter, der miſs— 
muthig in der Ede kauert. 

„Was will denn der da!“ jagt 
der Jäger, zwar faft leiſe jagt er's, 
aber der Michel ift nicht ſchwerhörig. 
Ziemlich Flint ſteht er auf und eilt 
zur Thür hinaus. 

Auch wir glauben, dajs wir über— 
flüffig find in der Hütte, daher treten 
wir ins Freie — wegen der gefunden 
Luft. Doch mögen wir es nicht laſſen, 
an der Wand ein bilschen zu horden. 
Drinnen wiegen und ſchmiegen zwei 
ihöne Stimmen fih aneinander und 
fingen trautfam leiſe: 








„Wir Haben uns gern, jo gern, jo gern, 
Kunnt eins dem andern nit lieber wern. 


— — — — — 


Das Gernhab'n, ach, das iſt ein’ Freud, 


So groß, wie die himmliſch' Seligkeit.“ 





Der Geſchichtenerzähler. 
Gin3 aus dem Wlpendorfe. 


Wer Himmel dämmerig, die Luft | Stuben, um den wunderlihen Mann 
63, froftig, die Wege verjchneit, die zu fehen und feinen Ruf zu hören, 
= Füße fteif, der Magen leer — | Die Bäuerin trat herbei und wollte 
alfo fah und empfand der alte Gigeri- dem Wlten eine fleine Gabe über: 
Gogg die Welt Gottes. Aber Gott reichen, dieſer lächelte danfend, nicht 
läjst fich feiner Welt nicht fpotten, | „wegen jo was” wäre er gelommen, 
jelbit einem alter Manne gegenüber er könne Halt nicht vorübergehen, 
nicht, der mit allerlei Fabeln und ohne die guten Stödeldofleut’ zu 
frommen Sprüchen von Hof zu Hof|grüßen, fein Glückwunſch wäre ein 
haufieren geht und für die ſchönen, | echter, und echte Glückwünſche thäten 


C 


wohlgeſetzten und gereimten Segens— 
ſprüche milde Gaben einheimst. 


Alſo ſteht auf der hohen Eigen 


der Stöckelhof da, mit Wohlſtand ge— 
ſegnet und munteren Kindern in allen 
Größen und Farben. Was ſoll der 
Gigeri-Gogg dem Stöckelhof wün— 
ſchen? Der Stöckelhofer hat ja alles, 
was er braucht, und gar noch etwas 
dazu. Der hat Scheunen voll von 
Getreide, Ställe voll von Vieh, 
Truhen voll von Leinwand, Loden, 
Häuten, Speck und Silbergeld, hat 
kräftige Knechte und emſige Mägde, 
ein häusliches Weib und eine Nach— 
kommenſchaft, an welcher Gott im 
Himmel und der Kaiſer auf Erden 
ihre helle Freude haben können. Rich— 
tig, der Gigeri-Gogg hal's, er ſtellt 
ſich vor die Hausthür, hebt ſeinen 
gewohnten eintönigen Spruch an und 
beſchließt ihn mit folgenden Worten: 


„Kindeln, ſo luſtig wie Schwalben um 


den Giebel, 
Eine jaubere Mutter dazu, macht fih gar 


nit übel, 

Der Tiſch voller Epeijen und Geld wie 
Mitt, 

Gott fjegne das Haus, dajs es bleib’ wie 


es iſt.“ 


Solches hatte er ausgerufen, der 
Gigeri-Gogg, dor der Thür des 
Stödelhofes, und nun kamen fie here 
vorgetrippelt, die Kleinen aus den 


nichts koſten. Wenn er ſich aber ein 
Tabakfener ausbitten dürfte! 

Als er am Feuerherde fand, that 
er mit der Zange, mit der glühenden 
Kohle und mit dem Rauchzeug fo 
lange um, bis e3 draußen ganz finfter 
war. Und als die dunkle Nacht zur 
offenen Thür hereinſchaute, ſprach er 
‚wie für fich, aber jo laut, dafs es 
‚die Bäuerin Hören konnte: „Yet 
muß ich aber weitertradhten, daf3 ich 
über die Alm hinüber komm’, ehe es 
dunkel wird. Der Meg ift wolter 
ſchlecht.“ 

„Leicht ja, daſs der Weg ſchlecht 
iſt“, ‚rief die Bäuerin, „weil gar 
‚feiner ift, weil ihn der Winter ver: 
ſchneit hat und weil’s freuzunmöglich 
‚it, um folde Jahreszeit über die 
Alm zu gehen.“ 

Der Gigeri-Gogg zog fein Geficht 
‚in die Länge und machte jehr er— 
ſchrockene Augen. 

„Stödelhoferin, du Fprichit mir 
die Seel’ ab!“ röchelte er nachher, 
‚denn der Schred ſchien ihm in die 
Bruſt gefahren zu fein. „Hätt' ih 
‚den weiten Weg bis da herauf um— 
ſonſt gemacht? Und foll ihm jeßt 
‚wieder zurüdgehen ?“ 

| „Das kann ſich der Gogg morgen 
ausdenken, wie er's machen will. Heut’ 
‚wird ihm nichts anderes übrig bleiben, 
‚al3 jeinen Sad dort auf die Ofen 





702 





banf zu legen und bei uns über 
Nacht zu bleiben.“ 

Der te war ſprachlos vor 
Rührung, er verjtand das fehr gut 


zu machen, dann taftete er jo ein 


wird! — Während des Eſſens fragte 
ihn plößlich der Snabe, ob er Ge— 
Ihichten erzählen könne ? 

„Rau, verfteht ſich!“ antmortete 
der Gogg, „freilich weiß ich ihrer. 
wenig gegen die Hand der Bäuerin: | Im Sommer, wenn wir einmal mit— 
„Man hört viel davon, wie gut einand auf der Weid’ ligen, erzähl’ 
fie find, die Stödelhofleut”, diel ich dir Geſchichten! Ei ja freilich 
hört man! Aber Fo berzensgut! ſo weiß ich ihrer.“ 
chriſtlich! — Vergelt's Gott für dich | Nun war etwas angeridhtet! —- 
und alle deine Kinder! Haft ihrer jo! Im Sommer! Gott, wer weiß, wann 
viel Jaubere! jo viel jaubere! Ei ja,! Sommer fommt! Oder ob überhaupt 
die guten Stödelhofleut’ kommen mit wieder einmal einer fommt! Nein, To 
ab! Thät gar nimmer Iuftig fein auf lange kann ein munterer Junge nicht 
der Welt, wenn die Stödelhofleut’ | warten. — Als das Nachtmahl vor- 





abtommen wollten! — Ya, mit Ver— 
laub, da leg’ ich ab! Ab, wie 
commod, fo eine warme Dfenbant! 
Gott vergelt’s, daſs es jo gute Leut' 
gibt auf der Welt!“ 


Später, ald3 es zum Nadhtmahl: | früh. 


eſſen kam, dudte ſich der alte Gigeri- 


Gogg beicheidentlich Hinter den Ofen nun aud der Hausvater: 
in den ſogenannten Bettlerwintel und | 
er dor der; 


that ſchier, als wolle 
Schüſſel flüchten. Aber die Bänerin 
[ud ihn ein, ſich nur zu den Leuten 
an den großen Tiſch zu ſetzen. 
„SH!“ wehrte der Alte ab, „für 
mich iſt's micht heilel, Hab’ eh geitern 
etwas gegeſſen. — Ja, wen ich ſchon 
Berlaub Hab’, zum Efjen laſs ich mich 
nit lang bitten, ich.“ 


viel Platz verſitze. „Da“, ſagte er 


hernach, „neben meiner hätt' noch wer 


Platz. Wollt! ſich nicht das brav’ 


Bübel zu mir jegen? Oder ein Jauberes | 


Menſchel? Weil ich jo viel gern einen 
Beiliger hätt’. Geh’, Knaberl, komm' 
ber, ih thu' Die mir, 
no bekannt werden miteinand.“ 


ihm und ſie aben. 


der, ih auf mehrere Tage ſatt zu 
eifen, denn der Menich und befonders 
der Bettelmann, weiß heute nicht, 
was ihm der morgige Tag bringen | 








Und ſaß au. 
ichon auf der Tiſchbank. Er that ſich 
ganz Hein zufammen, dafs er ja nicht 


| jchöne Gemahlin gehabt. 


bei war, umringten die Kinder den 
Alten: „Gigeri-Gogg! Geſchichten er— 


| zählen! Gejchichten erzählen !* 


Die Abende find lang um Weib: 
uachten, Fürs Bett iſt's noch zu 
Die Knechte ſitzen ohnehin fo 
nichtsthuerifch Herum, und jo jagt 
„Wenn 
der Gogg was wei, nur heraus 
damit!” 

„Etwas Luftiges, vom verwun— 
ſchenen Prinzen!“ erbitten fich Die 
Weibsleute. 

„Mir wäre eine recht ſchauder— 
hafte Räubergefhichte lieber, und wo 
Geſpenſter vorlommen und allerhand 
ſo Dinger!“ ſagt ein Knecht. 

„Vom Wünſchhütel oder 
Tiſchel deck' dich.“ 

„Oder vom ſchönen Grafenſohn, 


bom 


der eine KHöhlerstochter nimmt!“ 


So gaben fie verfchiedentlih ihre 


‚Neigungen fund. 


Der alte Gigeri-Gogg machte ich 


‚auf der Ofenbant zurecht, zündete fich 
‚eine Pfeife an 
wollen jchon | 


und, umgeben von 
einer jehr begierigen Zuhörerſchaft, 


hub er an, aljo zu erzählen: 
Der größere Junge wagte ſich zu 
O wie bedädhtig | 
und ausgiebig betrieb der Gogg dieſe 
Beſchäftigung! Vielleicht galt es wies 


„a, meine Leut', jet paſst's 
auf! Das ift aus der Weis. — Pit 
einmal ein Graf gewest, Ein fürs 


nehmer, tapferer Graf. Der Hat Sieg— 
| Fried geheißen. Und Hat eine junge 
mit Namen 
Leui' haben ich 


Genovefa. Die zwei 


gar lieb gehabt und glüdlih mitein- 


703 


ander gelebt. Und jeßt, da heißt's auf 
einmal, der Graf Siegfried mufs fort 
ins fremde Land, in den Krieg. Die 
ſchöne Genovefa ift ihm gleich um den 
Hals gefallen und Hat bitterlich ge— 
weint vor Jammer und Angiten. Aber 
der Graf Siegfried hat gejagt: Mufst 
nit jo betrübt fein, mein liebes Weib. 
Ich bin in Gottes Schub, mir ges 
ſchieht nichts, ich komm' dir wieder 
glüdlih Heim. Die Aufficht über 
das G'ſchloſs und alles übergebe ich 
derweil meinem braven Hofmeiſter 
Golo.“ 

Alſo begann der Gigeri-Gogg die 
merkwürdige und rührende Geſchichte 
von der Pfalzgräfin Genovefa. Er 
ließ das hohe Paar herzbewegenden 
Abſchied von einander nehmen, ließ 
den Grafen unter Fackelſchein und 
Hörnerſchall Kinausreiten zum Burg— 
thor, ließ die Gräfin vor Schmerz in 
Ohnmacht fallen, ließ den Golo ſie 
auffangen mit beiden Armen und ließ 
ihr nach einiger Zeit von Golo einen 
heftigen Liebesantrag machen. 
Darüber vergieng eine gute halbe 
Stunde. Der Erzähler aber lieg die 
ihöne Gräfin mit großer Entrüftung 
den Dofmeilter abweijen; der Golo 
entbrennt vor Wuth und jchafft an, 
die Gräfin in das Gefängnis zu 
werfen. Dem Grafen jchreibt er jofort, 
er hätte die Gräfin Genovefa bei einer 
groben Untreue ertappt, und was er 
mit ihr anftellen jolle? Kommt vom 
Grafen der Befehl zurüd: Der Une 
trene das Ihre!... Neun Uhr ift ſchon 


ſchlafen. 





die Genovefa von zwei Knechten hinaus: | 


führen läjst in die Wildnis, um fie 
dort zu enthaupten; und ihre Augen 
mufsten fie dem Golo zurüdbringen 
zum Zeichen, dafs der Befehl ordent- 


mit „Mund und Augen“, jtodt der 
Gogg und fagte: „Ich merke, dafs es 


ihon ſpät in der Nacht ift und a heimgebracht und gejagt: 


alleweil noch ſchöner. Ich dent’, ich 
erzähl’3 ein andermal.“ 

Heben die Finder an zu lärmen: 
er ſoll die Geſchichte auserzählen ! 
Und eines der Mädchen jchluzt vor 
der ſchredbaren Möglichkeit, dafs hier 
abgebrochen werde. 

Da legte fich die Mutter ins Zeug 
und fagte: „Sinder, wenn ihr den 
Gogg ſchön bittet, vielleicht bleibt er 
einen Tag da und erzählt morgen 
abends die Gejdhichte zu Ende. Denn 
jegt iſt's Zeit zum Schlafengehen, 
und dabei bleibt’s !* 

Set toste ein heftiger Sturm an 
den alten Mann, da doch ein leijes 
Lüften genügend gewejen wäre: 
„Better Gogg, bleib’ da! Vetter Gogg, 
erzähl’ uns morgen die Gejchichte 
aus!“ 

Der Gigeri-Gogg war ein grund 
falſcher Menſch, er that noch eine 
Weile unentjchlofien. „Ich weiß nit, 
ob ſich's thut, dafs ich dableiben kann. 
Wird's halt nit recht tun. Zwar — 
verjäumen thu' ich mit viel, jetzt im 
Winter. Haben eh überall genug Leut’. 
Kunnt ja dableiben einen Tag. Wird 


‚der Himmel nit herabfallen deswegen. 


Gehen wir halt jeßt in Gottesnamen 
Morgen werden wir's jchon 
hören, wie es der armen Genovefa 
weiter ergangen iſt!“ 

Im Stödelhof blieb er, der Gigeri- 
Gogg, und gut ließ er ſich's geſchehen 
im warmen Neft und bei voller 
Schüſſel, und die Kinder machten ſich 


‚gar trautfam an ihn und konnten den 
vorüber im Stödelhof, als der Gogg | 


nächſten Abend kaum erwarten. 
Um zweiten Abende nach den 
Mahle und als jie wieder jo recht 


gemüthlich beifammen ſaßen, fuhr der 


‚Alte alfo fort zu erzählen, 


wie die 


Knechte aus Erbarmen die liebe Gräfin 
lich ausgeführt worden. — Jetzt aber, nicht umgebracht hätten, aber ihr das 
während dem Erzähler alles zuhört | Verſprechen abgenommen, dafs fie in 


| 
| 


‚der Wildnis verbleiben müfste. Dem 
Solo Haben fie ein paar NRehaugen 
Die find der 


zum Schlafengehen. Die Geſchicht' ift Pralzgräfin ihre! Die Genovefa fand 


aber noch lang’ nit aus, und kommt's 


‚eine Höhle, wo fie wohnte, eine Hirſch— 


kuh, von der fie Nahrung erhielt, und! 
dann wurde der Heine Schmerzenreich 
geboren. So vergiengen fieben Jahre, 
und während in der Wildnis bie 
jieben Jahre vergiengen, verftrich im 
Stödelhof eine Stunde, und als end— 


ih der Graf Siegfried vom Felde 
heimfam und jehr betrübt war über, 
das Unglück mit feiner Gemahlin und 


eine Jagd in der Wildnis anftellte, 
um ſich aufzuheitern, und gerade, als 
er dort eine fliehende Hirſchkuh ver: 
folgte, ſchlug e& neun Uhr, umd der 
Hauspater rief: „Rinder, jetzt ins 
Bett!“ 


Lade 


lich, jedoh in dem Augenblide, 
‚die dem Teufel verjchriebene 
des NRäuberhauptmannes bon einem 
unſchuldigen Knaben zurüdgefordert 





hauptmann und dem frommen Ein— 
fiedler. Die Kinder waren überglück— 

als 
Seele 


wird, war die Stunde aus. Der 
Alte brach plöglic ad, und der Zu— 
ftand war unerträglid. 

Auf alljeitiges Bitten Lieb ſich 
der Gogg erweichen, au noh am 
nächſten Tage zu bleiben, er erzählte 
des Abends die Gefchichte zu Ende 
und begann eine meue, noch weit 
jpannendere, als die bisherigen ge— 


Alles war troftlos, und jelbft der |wejen. Er erzählte die Geſchichte vom 


Goag jagt: „Das Schönfte kommt erft, 
ich erzähl’ euch's ein andermal, vielleicht 
im nächſten Sommer auf der Alm.“ 

„Nein, er mujs noch dableiben 
und morgen weiter erzählen!“ fchrie 
der ältefte Knabe, und die Mutter 
jagte darauf: „Nau, thut ihn Halt 
ſchön bitten, vielleicht bleibt er morgen 
noh da!“ 

Ei freilich blieb er morgen noch 
da im warmen Neſt und bei der 
vollen Schüffel. Und am Abende er» 
zählte er unter der geſpannteſten Auf- 
merkjamfeit von Groß und Stein 
weiter, wie der Graf Siegfried in 
der Felſenhöhle, wohin die verfolgte 
Hirſchkuh geflohen, feine Gemahlin 
Genovefa und feinen Sohn Schmer— 
zenreich gefunden, wie ihre Unfchuld 
an den Tag gelommen, wie fie in 
Ehren und Freuden wieder in die 
Burg eingeritten und wie der faljche 
Solo mit vier Pferden in vier Stüde 
zerriſſen worden. 

Der Berwunderung unter den Zur 
hörern war fein Ende, aber als die 
Geſchichte aus war, ftand der Uhr: 
zeiger erft auf Halb neun, jo dafs 
etliche meinten, es märe noch Zeit 
für eine zweite Geſchichte. Der 
Gigeri-Gogg ließ ſich bereden und 


Robinſon, vom daumenlangen Hanſel, 
von den vier Haimonskindern, von 
der ſchönen Meluſina, vom bayerischen 
Hiefel, vom Till Eulenfpiegel, von 
den fieben Schwaben, vom verzauber: 
ten Prinzen u. ſ. w. eine lange Reibe 
der Märchen und Sagen, die der 
Alte im Kopfe hatte und die anderen 
in den Kopf kriegen wollten. Und jo 
war es, dafs diejer alte Bettelmann, 
ohne auch nur einmal von „Zaujend 
und eine Naht” etwas gehört zu 
haben, e3 haargenan der Scheherajade 
nahmadte; nur daſs dieſe durch 
ſpannende Erzählungen ihr Leben ver— 
längern wollte, dem Gigeri-Gogg es 
aber darum zu thun war, die Weih— 
nachtsfeiertage über und bis Neujahr 
im gaſtlichen und gemüthlichen Bauern— 
hofe zubringen zu können. Der Ein— 
fall war ihm erſt am zweiten Abende 
gekommen und die Lift zu allſeitiger 
Zufriedenheit beftens gelungen. 

Nah Neujahr z0g er ſchmunzelnd 
fürbaſs mit der ftillen Abſicht, es 
anderortS ebenfo zu machen. Sollte 
der Gigeri-Gogg auch einmal bei uns 
zufprechen mit feinem Segenswunjche, 


‚fo laden wir ihn vielleicht ebenfalls 
‚ein zum Gefchichtenerzählen — heit 


das, wenn er neue fann, Die wir 


begann die Gefchichte vom Räuber- nicht ſchon willen. 





ar - "(an ze ru 


Kleine Saube. 


Heimmeh. 


Es weht ein rauher Wind, 
Es herrſcht ein roher Sinn, 
Gottlob, dajs ih fein Kind, 
Kein junger Menſch mehr bin. 
Dais ich gelebt die Zeit, 
Bevor fie nahtwärts gleist, 
Die Goethe hat geweiht 

Mit’ jeinem milden Geift. 
Das Ideale flieht, 

Es tobt die wilde Kraft, 

Im Sinn der Menjhen glüht 
Wahnmwitige Leidenichaft. 

Was oft harmoniſch Hang 
Wird jeht zum Sturmgewühl, 
Die Stimme, jonft Gejang, 
Iſt, traun, ein Hampfgebrüfl, 
Die Hand, die oft jo froh 
Zur jhönen That bereit, 

Als Klaue firedt fie roh 

Eih aus zu Raub und Streit. 
Das Herz, wo Lieb’ gelebt 
In warmer Menjchenbruft, 
Und Freudedrang, es bebt 

In Hajs und Radeluft. -- 
Und ift denn etwa Krieg, 

Wo harte Wehr erlaubt, 

Auf das ein edler Sieg 

Den Lorbeer jhmiegt ums Haupt? 
O tiefer Frieden lebt! 

Nicht Miſswachs und nicht Pet, 
Nur Friedensſehnſucht webt 
Und bangt in Oſt und Weſt. — 
Und doch die rohe Zeit, 

Und doch die heiße Gier 

Nach Miſſethat und Streit. 
Und doch das wilde Thier! 
Am dunklen Himmelsſaal 

Ein einziger Stern noch ſtand 
Als letztes Ideal: 

Die Lieb’ zum Vaterland. 

Sie ftrebten auf zu ihm, 


Rofeaaer's „„Grimgarten‘, 9, Geft, XV, 


| Als zu der Liebe Bahn, 
Und zündeten an ihm 
Des Hafjes Fadel an. — 
Wie Talt, wie fremd ifl’s da! 
Wie roh der Menſchen Sinn! 
Gottlob, dafs ih ſchon nah’ 
Dem ewigen fFrieden bin. 


P. #. Nofegger. 


Zwei Briefe von Bobert 
Hamerling. 
Mitgetbeilt von Ada Falke. 


Zu jener Zeit beichäftigte mich die 
\ Frauenfrage und ihre Löjung. Die Be- 
tanntſchaft mit Robert Hamerling, die 
ich zufällig gemadt, bemüßte ih, um mit 
dem Dichter einmal über die mich ganz 
bejeelende Frage zu ſprechen. Er billigte 
manches, was ich vorbradte, bei anderem 
verhehlte er jein Bedenken nicht. Später 
firierte ich meine Gedanken über die rau 
und ibren Beruf, ſowie über das moderne 
Erziehungsmeien und, jandte das Manus 
jeript: „Unjere ‚rauen in ihrer Stellung 
zu Welt und Haus“ dem Dichter zur 
Einfiht. Er theilte mir jeine Meinung 
bierüber in einem Briefe mit, den ic, 
mit Hinweglafjung einiger rein perſön— 
‚licher Stellen, wörtlid bier mwiedergebe. 


| 


| 








„Hochgeehrte Frau! 
| Ich habe von Ihrem Manufcript über: 
| Erziehung und Beitimmung der rauen 


45 


706 


mich ebenſo ſympathiſch berührt gefühlt, 
wie jeinerzeit von Ihren Feuilletons über 
die Frauenfrage. Ihre Anfichten ftimmen 
nun einmal mit den meinigen faft durch— 
gehends merkwürdig zufammen. Das ift 
eine Freude für mich; ob aber aud ein 
Lob für Sie und eine Anwartſchaft auf 
günftigen Erfolg Ihrer Darlegungen im 
Publicum — darüber maße ih mir fein 
Urtheil an. Nun, allein werden wir mit 
unjeren Anfichten denn doch nicht ſtehen, 
und wenn Sie, wie ich vorausjege, mit 
diefer Arbeit fih in die Öffentlichkeit 
wagen wollen, jo wird man Ihnen die 
Beredhtigung dazu jchwerlih abſprechen 
fönnen. Ihre Schreibweife har de3 Ge- 
bildeten, des Männlichen, des ſpecifiſch 
Schriftſtelleriſchen, faſt möchte ich jagen 
eher zu viel als zu wenig an fi, und 
unfereiner vom literarijhen Handwerk 
fönnte, wenn er Purift ift, wie ich, höch— 
ſtens in ein paar ſprachlichen Kleinig— 
feiten mit Ihnen rechten. 

Der Hauptgrund des Gefallens, das 
ih an Ihrem Werke finde, liegt in Ihrem 
Feſthalten am echt MWeiblichen, mit welchem 
unter allen Umftänden auch das echt 
Schöne innig verwoben und das äſthe— 
tiiche Princip neben dem moraliichen ge- 
rettet bleibt. 

Ih würde mich gerne noch des wei- 
teren über das Werk auslaffen, aber ich 
bin jehr leidend, und mit dem täglichen 
Anforderungen, die fih an eine Schrift: 
fteller-Eriftenz fnüpfen, und die auch in 
diejen heißen Tagen nicht paufieren, bis 
zur Erihöpfung überhäuft. 

Nehmen Sie deshalb das MWejent- 
fihe und Wenige freundlih auf und 
bleiben Sie wohlwollend auch ferner ein: 
gedenf - ihres 

in wahrer Hochſchätzung ergebenen 


Robert Hamerling. 
Graz, 9. Juli 1884.“ 


Dart man mich der Kühnheit bes 
Ihuldigen, wenn dieſe mich mit berech— 


Muth gaben, den Weg zur Öffentlichkeit 





gelernt, dajs dem der Welt unbelannten 
Namen ein Wall fait unbefiegbarer 
Schwierigkeiten gegenüberfteht ; jo wagte 
ih noch einen legten Appell an Hamer- 
lings® Güte und bat ihn, mir bei dem 
Verfuche, dem Buche einen Pfad in die 
literariihe Welt zu bahnen, bilfreiche 
Hand zu leiften. Damerling ſchrieb mir 
hierauf den folgenden, beſonders für feine 
Anfichten und Erfahrungen in betreff der 
Handwerksſeite des Literatenthums höchſt 
charafteriftiihen Brief : 


„Hochgeehrte Frau! 

Eben wieder ſchwer leidend und durch 
meine Gorreipondenzpflichten ala Scrift- 
jteller in geradezu aufreibender Weile in 
Anſpruch genommen, hoffte ih von Tag 
zu Tag vergebens, Ihnen ausführlicher 
antworten zu können, Ich thue es, um 
Sie nicht länger warten zu laſſen, fo 
gut ih eben kann. Sie wünſchen Ihr 
Buch von mir in die Öffentlichfeit ein— 
geführt zu Sehen und verjprechen fich 
davon das Beſte. Ich babe mit joldhen 
Einführungen unvergejslih traurige Er- 
fahrungen gemacht, habe gehäffige Angriffe 
deshalb erdulden müflen, und meinen 
Schüglingen nit wügen fönnen, ihnen 
vielmehr meine Feinde auf den Hals ge: 
hegt, ſo daſs ich feſt entichloiien bin, 
dergleichen jobald nicht wieder zu wagen. 
Auch einfahe Empfehlungen an Ver— 
leger find eine Sache, zu mwelder ih 
mih aus guten Gründen jebr jchwer 
entjchliege. Ihnen gegenüber aber wäre 
e3 mir allzu peinlich, ſchlechterdings ab— 
lehnend aufzutreten, und ich thue das 
Außerfte, was ich unter den gegenwärtigen 
Umftänden thun fan, indem ich einige 
empfehlende arten hier beilege, von 
welden Sie nad Belieben bei den Ver— 
legern, an die Sie fih wenden wollen, 
Gebrauh machen mögen. Über die Ans 
nahme eines Verlagsartikels entjcheidet 
Ihlieblih doch die Meinung, melde der 


| Verleger von dem dabei zu hoffenden Ge— 
winne bat. 
tigter Frende erfüllenden Worte mir den | 


Und Erftlingsmwerfe finden 


‚in der Negel den Weg in die Öffent- 
‚lichfeit nur dadurch, daſs der Autor die 


zu verſuchen? Ich hatte bereits erfennen | Drudtojten entweder von vornherein be- 


ftreitet und den Ertrag mit dem Nerleger 
tbeilt, oder wenigjtens für den Ausfall 
Der nah einem Jahre nicht hereingebrad- 
ten Unlojten Bürgichaft leiftet. Ob Sie 
jo glüdlich jein werden, eine Ausnahme 
von diefer Regel zu bilden, ift nicht 
vorauszubeitimmen, aber vom Herzen 
wünſcht es Ahr 
hochachtungsvoll ergebener 


Rob. Hamerling. 


Graz, 2. September 1884. 
Diejem Briefe waren mehrere arten 
beigelegt, zur Empfehlung an Berleger, 
die aber freilih feinen Erfolg hatten. 
Ich verſchloß mein Manujcript in die Lade, 
jeinen bejonderen Wert darin erfennend, 
daſs es Urjahe ward des kleinen brief- 
lichen Verkehrs mit dem großen Dichter. 


An Graz. 


Wie ein Edelſtein von Gold umfloſſen, 
Liegſt du, lieber Schloſsberg, hingegoſſen 
In der herrlich blühenden Natur. 

Blaue Berge thürmend dich umſchließen, 
Rauſchend ſendet dir ein frohes Grüßen 
Rauher Berge Kind, die wilde Mur. 


Paradieſeslüfte dich umfächeln, 

Die herab mit väterlichem Lächeln 

Uns der gute Bott aus Wollen ſchickt. 

PB lagt dich Krankheit, haft du Seelenwunden, | 

Komm nah Graz, hier wirft du Schnell 
gelunden, 

Von den Reizen der Natur umftridt. 





So war ih genaht mit tiefen Schmerzen 

In dem jugendlihen Künftlerherzen, 

Mande Blüte war vom Sturm gefnidt. | 

Doch durh deine Reize, „zauberiſch' 
Städtchen“, 

Durch den Feuerblick der holden Mädchen, 

Ward ich bald mit Linderung beglückt. 





Gute Menſchen pflegten dann den Armen, 
Hatten mit dem Fehlenden Erbarmen, 
Hüteten mir Engel gleich die Spur; 
Treue Freundſchaft, die ich hier gefunden, | 
Sie lieh Leib und Seele bald gefunden 
Und den wärmften Kujs gab mir Natur. 


| dient”, 


| aus zugs weiſe 


Habet Dank aus meiner tiefſten Seele. 
Wenn ich einſtens mir das Plätzchen wähle, 
Wo nach manchem ausgefocht'nem Strauß 
Ich, der arme Komödiant, mufs ſterben, 
Lafst, ich bitte, mich das Recht erwerben, 
Auszuruh'n in Grazias grünem Haus. 


Sufan Starke. 


Eine Bitte an den Kultus: 
minifter. 


Zur vermeintlichen Widerlegung meiner 
befannten „Bitte an den Glerus“ wurde 
mir der Lehrplan („Lehritoffvertheilung 
für den Neligionsunterribt an Volks— 
ihulen.“ Graz. Styria) zugeididt. 

Nah diefem Lehrplane nimmt durch 
alle Claſſen der Katechismus die Haupt» 
jtelle ein. Der Katechismus zerfällt in 
drei Lehrbücher: „Der Heine Katechismus“, 
„Auszug aus dem großen Katehismus“ 
und der „Große Katechismus in ragen 
und Antworten“. Diefen drei Büchern 
des Katechismus beigegeben iſt ein Gere 
monienbuch der katholiſchen Kirche und 
ein Auszug aus der biblischen Geſchichte, 
„loweit fie zur Erklärung des Katechismus 
Nah den Lehrplane ſoll zum 
Lejen des alten wie des neuen Tejtaments 
beiläufig gleih viel Zeit verwendet 
werden. Ihatjächlich aber wird in ben 
meiften Schulen das alte Teftament ein- 
gehender vorgenommen und wegen Mangels 
an Zeit über das neue flüchtiger hinweg— 
gegangen. Im Lehrplane ift auch die 
Rede von „Evangeliumlejen“; doch gibt 
es in den erjten vier Volksſchulclaſſen gar 
fein Evangeliumbuch ; was man dort etwa 
| Evangelium nennt, iſt wohl nur eine 
Bearbeitung des neuen 
Bundes für die Kirche. Das Evangelium— 


buch iſt erſt von ber fünften Claſſe an 


vorgeſchrieben, kommt aber ſehr ſelten 
dran, weil das ſtreng verlangte Aus— 
wendiglernen des großen Katechismus 


und das Studium des Ceremonienbuches 
dafür faum eine Zeit übrig läjst. 


Eine elerikale Stimme hat neuerdings 
darauf aufmerkſam gemacht, daſs der 


45” 





Religionsunterriht in unſeren Volks— 
jhulen nit ganz in den Händen der 
Kirche jei, jondern daſs nah dem be 
jtehenden Gejege darüber der Staat 
da3 oberjte und entjcheidende Wort zu 
ſprechen babe; daher ergeht, gewiſs im 
Sinne de3 ganzen hriftlihen Volkes auch 
an den Staat, an den Gultusminifter, 
die Bitte, es möge dahin gewirkt werden, 
daſs das Evangelium als völfer-einigende 
Grundlage des Chriftenthbums unter den 
religiöjen Lehrmitteln nicht bloß als Hilfs- 
buch gelte, wie e3 gegenwärtig der Fall ift, 
iondern daſs es im Terte der Evangeliften 
als Hauptbuc erklärt und benützt 
werde. P. 8. Roſegger. 


Wie Mufik auf die Leute 
wirkt. 


Der Üithetiter Hirt machte eines 
Tages ein merkwürdiges Erpertment. Er 
hatte eine Anzahl Leute zu fich geladen, 
von jener Durchſchnittsgattung in Ans 
lage und Bildung, wie fie überall um— 
ergehen, die Gejellihaft ausmacen, die 
Mode mitleben, recht Flug zu plaudern 
wilien, im Grunde aber hübſch naive 
Menſchen find. 

Als diefe Leute bei Doctor Hirt 
verjammelt waren, hielt er an fie fol- 
gende Anſprache: „Meine Herrichaften ! 
Sch plane heute an Ihnen ein Attentat. 
Ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen 
zuzumutben, daſs Sie einmal ganz aufs 
richtig jein ſollen. Aufrichtig gegen fich 
jelbit und aufrihtig gegen mid. Es 
bandelt jib um eine äſthetiſch-wiſſen— 
ibaftlihe Wrobe, deren Bedeutung und 
Mert ih Ihnen ſpäter darlegen werde. 
Vorlänfig werde ich Ihnen ein Muſik— 
jtüd aufführen laſſen; Sie haben nichts 
zu thun, als zuzuhören. Dabei hat jeder 
von Ihnen genau achtzugeben auf die 
Wirfung, welde das Muſikſtück in ihm 
erzeugt, welche Empfindungen und Ger 
danfen durch die Muſik in ihm ent— 
jteben, und mir mach Beendigung des 


08 





Mufitjtüdes darüber Bericht zu erjtatter. 
Uber um eines bitte ih Sie wohl drin« 
gend, meine Herrichaften, jeien Sie bei 
diefer Selbſtbeobachtung recht unmittel- 
bar, denken Sie nicht an die Vorzüge 
oder Mängel der Production, jondern 
nur an die Empfindung, die Sie bei 
Anhörung der Muſik als jolder habeı. 
Daſs das Stüd möglichft vollendet zum 
Bortrage fommt, dafür habe ich gejorgt.” 

Darauf wurden die Gäfte in den 
Saal geführt, und als fie platzgenom— 
men und ſich gejammelt hatten, begann 
ein mohlbejegtes Orcheſter die Mufit. 
Die Anmejenden hörten mit größerer 
ober geringerer Spannung zu; in einiger 
Augen leuchtete Entzüdung, andere 
ichauten ruhig vor fih bin, ein paar 
gähnten verftohlen, obzwar das Stüd 
fur; war. 

Nach Beendung desjelben begann der 
Hausherr feine Bäjte abzuhören, nachdem 
er fie nochmals um ftrenge Gewiſſenhaftig— 
feit in ihren Ausſagen gebeten batıe. 
Und in der That, es iſt ſchwer glaub: 
haft zu machen, daj3 die Leute allen 
Ernte auf die Abfiht des Gaſtgebers 
eingiengen und fi wahrhafter Aufrich- 
tigfeit befliſſen. 

Das Muſikſtück war faft feinem ganz 
fremd gemwejen, man hatte es jcdon 
irgend einmal gehört, wuſste es aber 
doch micht eigentlich zu bezeichnen. 

„Es war“, jagte der U, einer von 
denen, die gegähnt hatten, „es war jo 
eine Kirchenmuſik.“ Weiter mujste diejer 
gar nicht3 vorzubringen. 

Der B erflärte: „Mir hat's jehr 
gut gefallen; ein luſtiger Ländler und 
gleih zum Tanzen.“ 

Der E jagte: „Ih bin ganz ernit« 
halt dabei geworden, habe gedacht, wie 
es doch traurig ift auf der Welt, dais 


die Leute mit Muſik fih aufbeitern 
müſſen.“ 
Der D berichtete: „Mir hat's 


warm gemacht. Es iſt ſo ein Jubel in 
dieſer Muſik geweſen, als wollte jemand 
hinausjauchzen: Sieg, Sieg! Deutlich 
habe ich's geſehen, wie die Böſen flüch— 
teten und die anderen — die Gottes— 


709° 


finder, möchte ich jagen — gegen Him:|ob der Papſt feinen Einzug bielte in 


mel ſchwebten.“ 

„So iſt's mir auch geweſen“, ge 
ftand der E, „und ich jelber jchwebte 
mit. Es war mir jo mohl, jo glüdlich 
ums Herz, weiß gar nicht warum, und 
hätte alle Menichen umarmen mögen.” 

Der F berichtete: „Ich kann nur 
das jagen, ih babe während dieſer 
Muſik Oſterbraten gerochen.“ 

„Wenn auch gerade nicht Braten“, 
fügte der © bei, „jo doch etwas wie 
Meihbraub und darunter Dunſt von 
feuchten Kleidern, wie in der fire,“ 

„Ich habe während der Muſik eine 
Proceffion in Abenddämmerung gejehen, 
mit Prieitern im Ornat und vielen Lid: 
tern, auch Wöllerijhüffe waren.“ Alſo 
berichtete der 9. 

Der J jagte: „Mir ift bei biejer 
Muſik eingefallen: Ab, was das für 
ein Glüd wäre, wenn man viel Gelb 
hätte!“ 

„An Geld habe ich nicht gedacht“, 
meinte der K, „eber find mir jchöne 
Weiber in den Sinn geſtiegen. Der 
türfiihe Sultan wird fih eine ſolche 
Mufif maden laſſen, wenn er durd den 
Harem geht und die jchönfte Sklavin 
wählt.“ 

Der 8 erzählte, er hätte grünende 
Felder und blühende Bäume gejehen und 
ſich gedaht, wir befommen heuer ein 
fruchtbares Fahr. 

„Und mir“, gejtand der M, „nr 
ift e8 gerade gemwejen, als ob ich einen 
goldenen Becher mit Wein an die Lippen 
bielte und das ftröme jo mild und feurig 
in die Gurgel.“ 

„Mich Hat das Waldhorn, das dar 
bei war, erinnert an die große Hirjch- 
jagd im vorigen Herbſt“, jagte der N. 

„War denn ein Waldhorn dabei?” 
fragte der O. „Der Teufel auch, es 
mufs jo ein Marterinftrument gemejen 
fein, Noch jet gellen mir die Obren 
vor dem Höllenlärm. Und das nennt 
ihr Kunſtgenuſs! Mir ift die Muſik am 
liebften, welche man nicht hört.” 

„Ab, es war wunderſchön, e3 war 
herrlich !* rief der BP aus. „Gerade als 


Rom,“ 

„Mich hat diefe Mufif ganz traurig 
gemacht“, geiland der U, „da möchte 
man fich gleich hinlegen und jterben.” 

„Im Gegentheile!” rief der A, „ein 
wahrer Löwenmuth fam in mid, wie 
das Blut von den Klängen erhikt durch 
die Adern ftürmte,“ 

„Und Sie, lieber S?“ fragte ber 
Hausherr, dem Genannten die Hand auf 
die Achſel werfend,. „Sie haben ja nafle 
Augen bekommen!“ — 

„Ich dachte bei der Muſik an meinen 
Sohn, der im fernen Lande iſt“, ent— 
gegnete der ©. „Wie wird er leben? 
Wann werde ich ihn wiederjehen ?” 

Der T verfiderte: „Ich würde mich 
bei dem Stüde költlid unterhalten haben, 
wenn ich hätte mitjingen dürfen. Eine 
hübſche Muſik und nicht mitthun dürfen, 
das verdirbt einem den ganzen Genujs.“ 

„Mir war“, jagte der U, „als 
börte ih Wäller raujhen und Donner 
rollen und dazwiſchen Lüfte jäufeln und 
Vögel fingen.” 

„Ih hätte nur gewünjcht”, gejtand 
der VB, „daſs ih ſchon Mittag gejpeist 
und auf dem Sopha mein Verdauungs— 
Ihläfhen machen fönnte. Bei jo präch— 
tigen Stlängen ließe ſich's munderbar 
ſchlafen.“ 

„Ich habe bei dem Muſikſtücke gar 
nichts anderes denken können“, ſagte 
der W, „als immer nur: Gott ſei 
Dank, daſs ich ein Menſch bin!“ 

„Ja“, fügte der X bei, „man ver— 
gijst alles Leid, man fühlt fich wie ein 
von aller Materie befreite Wejen, das 
jelig im Ather ſchwebt.“ 

„Hört mir auf!“ ſchrie der Y. 
„Das iſt alles Schund. Da müjstet ihr 
Rihard Wagner hören !* 

Der 3 war jchweigend zur Seite 
getreten und als der Hausherr ihn um 
den Eindrud befragte, jchüttelte er dieſem 
die Hand — ſtumm — ftumm und tief 
bewegt. 


Alſo Hatte fich jeder der Herren über 
das Stüd geäußert und der Aithetifer 


710 


Hirt fchüttelte über den Erfolg jeines 
(rperimentes den Kopf. 

Händels „Halleluja“ war's, das er 
batte jpielen laffen und von dem er 
num Jah, welch verjchiedene Eindrüde es 
auf die verjchiedenen Perſonen gemadt 
hatte. — Alſo ift es doch wahr, dachte 
er, dajs auch die Muſik nichts Neues 
in den Zuhörer legen kanu, dajs jie 
nur das wedt, was in ihm jchon vor- 
handen ilt. Die Mufif potenziert wohl 
den Menjchen, aber jeden nur in dem, 
was er iſt; den Sanguinifer macht fie 
noch luftiger, den Melandolifer noch 
melandolijcher, den Schwärmer hebt fie 
in Verzüdung, den rohen Sinnesmenjchen 
macht fie noch genufsgieriger. Die Muſik 
macht den Menſchen erft ganz zu dem, 
was er iſt. Und einen, der hohl und 
ihal ift, den läſsſt fie eben hohl und 
ihal, und einen, der verbohrt ift, den 
verbohrt jie noch tiefer. — Und jo fann 
man aus den Außerungen mancher Leute 
über Muſik recht mohl entnehmen, wer 
fie find. Bemerfenswert ift aber aud, 
dafs bejonders hoch entwidelte Naturen 
für Muſik oft gar feinen Sinn haben; 
jolde leben nämlich auch ohne Potenzier- 
mittel ein Seelenleben, das faum einer 
Steigerung mehr fähig it. 

Befriedigt im einzelnen, aber ein 
wenig verjtimmt im ganzen, rief ber 
Hausherr jeine Gäfte nun zum Souper 
und fiehe, bier war e3 wejentlich leichter, 
den Geihmad aller zu treffen. Die Em— 
pfindungen und Auberungen über das 
Eſſen waren barmonischer, als jene über 
die Muſik. R. 


Die Frau als nichts. 


Über die Lage der Frauen in 
Korea gibt der „Oſtaſ. Lloyd“ feſſelnde 
Mittbeilungen. Dort zu Yande hat die 
Frau nicht einmal einen Namen; fie 
ift lediglich als die „Schweſter“ 
die „Tochter“ des Soundſo bekannt. 


a ü —————————— ——— 


oder | gewechielt. 
Iſt "eines geichriebenen Vertrages, befteht bierin 


ihre Ehe von Kindern geiegnet, jo sit 
jie „die Mutter“ von dem und Dem. 
Greignet es fi, dals eine Frau vor 
Gericht, in einem Proceſſe ericheinen muſs, 
jo gibt ihr der Richter einen bejonderen 
Namen für die Zeit der Unterfuhung, 
um die Verhandlung zu vereinfahen. — 
Sobald ein Mädchen beiratsfähig wird, 
darf niemand, ausgenommen ihre nächiten 
Verwandten, fte jeben oder mit ibr 
jpredben, und nad der Heirat iſt es un— 
möglich, fih den trauen zu mähern; fte 
leben in ihren Gemäcdern förmlih ein- 
geſchloſſen. Dieje Gemächer find Heilig- 
thümer, in welche jelbft die Volljtreder 
des Geſetzes nicht eindringen bürfen ; 
nur in Fällen von Empörung oder Hoch— 
verrath darf man einen Mann aus ihnen 
berausführen. Schidt fih ein Mann an, 
das Dad jeines Hauſes auszubeſſern, jo 
macht er feinen Nachbarn davon Anzeige, 
damit fie ihre Thüren und Fenſter 
ſchließen und nicht einen Blid in Die 
Frauenfammern werfen. Wie in China, 
ift auch in Korea die Heirat eine Ange- 
legenheit, mit ber die frauen nur wenig 
oder gar nichts zu thun haben. Der 
Bater des jungen Mannes jegt ſich ent— 
weder brieflih oder perlönlid mit dem 
Vater des Mädchens, weldes er für 
feinen Sohn wünſcht, in Berbindung. 
Häufig geichieht dies auch durch einen 
Mittelämann. Der Vater bejtimmt den 
Hochzeitstag, nachdem der Heiratävertrag 
geſchloſſen morden ift; die Aftrologen 
werben ſteis zu Nathe gezogen, um einen 
günftigen Tag feitzuftellen. Am Hochzeits- 
tage wird in dem Haufe des Bräutigams 
eine Erhöhung errichtet und dieſe mit 
gewebten Stoffen reihlib geihmüdt ; 
Eltern, Freunde und jonftige Bekannte 
verfammeln ſich zu diefer Gelegenheit. 
Die Brautleute, welche ſich nie gejeben, 
noch miteinander geiprocdhen haben, werden 
ins Zimmer geführt und betreten Die 
Erhöhung; dort bleiben fie Angeficht zu 
Aungefiht einige Minuten lang Stehen, 
worauf fie ſich gegenfeitig begrüßen, 
dob wird nit ein einziges Wort 
Abgejehen von der Übergabe 


Die ganze Geremonie. Das Paar zieht 
ſich dann in jeine Gemächer zurüd. 
Wenn dann der jungen Frau die Glüd- 
wünſche dargebracht werden, mujs fie das 
ftrengfte Stilljhmweigen beobadten. 
Sie jegt fih in eine Ede des Zimmers, 
Ichwer beladen mit verjchiedenen Kleidungs— 
ftüden; jollte fie jprechen oder nur eine 
Bewegung machen, jo wird fie von dem 
Haushalte ihres Mannes ausgeladt. Aber 
Die rauen Koreas haben auch ein Vor— 
recht, das in Anbetraht ihrer ganzen 
Stellung bejonders auffällig ericheint. 
Die Sitte verbietet es nämlih den 
Männern, fihb nah acht Uhr abends auf 
der Straße jehen zu laſſen. Sobald die 
foreaniiche Abendglode ertönt, müſſen fich 
alle Herren der Schöpfung in ihre Häuſer 
zurüdziehen, während e3 den Frauen 
freifteht, bis ein Uhr morgens auf den 
Straßen zu wandeln. Der Witwe geziemt 
es nicht, ſich wieder zu verheiraten; man 
erwartet von ihr, daſs fie ihren verjtor- 
benen Mann beweint und zeitlebens 
Trauerfleider trägt. 


Ber Hadıtwädter. 


Dom Nacht wächter alter und 
neuer Zeit und verjchiedener Länder weiß 
Fr. Regensberg in den „Münchner Neueiten 
Nachrichten“ Aniprechendes mitzutheilen. 
Dem alten frommen, väterlich ermahnen« 
den Ruf der näcdtlihen Wächter wurde 
bald ein Ende gejeßt: entweder wurde 
er zur bloßen Angabe der Stundenzeit 
oder er hörte ganz auf oder aber die 
neue, praftiiche Zeit machte jeine Poeſie 
ih dienjtbar. So find von einem Wächter 
zu Wohlen im Margau in der Schweiz 
folgende Rufe überliefert : 

„Wer jeht prächtiges Fleiſch win kaufe, 

Soll zum Ghappeli-Mofes Laufe, 

Der gibt's Pfund ohne Etrapaje 

But gewoge um fünf neue Balte,“ 

Am nächſten Abend aber lautete der 
Spruch des nädtlichen Barden, jedenfalls 


auf Beranlafjung eines Goncurrenten des 
„Ghappeli-Mojes *: 

„Saufet hin zum Dlebger Zeifer, 

Der aibt alles viel wohlfeiler, 


leiih vom Ochſe, die Rieme, 
ibt er um fünfzig Gentime.* 


Die Angabe der Stunden lag dem 
Nachtwächter noch bis in unſere Zeit 
hinein faſt überall ob und iſt vielfach 
noch heute ſeine Pflicht. Schon zu ſeiner 
beſſeren Controle ſeitens des bewachten 
Bürgers. Aus Salonichi berichtet 
ein Orientreiſender von einem türkiſchen 
„Nadtrath*: „Bon Zeit zu Zeit hörte 
ih ein merkwürdiges Geräuſch: ein. Auf 
Hopfen auf das Wflafter mit einer 
metallenen Keule. Ich hörte es in regel« 
mäßigen Zwiſchenräumen wieder und 
wieder und merfte nun, daſs es ber 
orientaliihe Nachtwächter war, der durch 
das Aufichlagen mit jeinem metallbeichla- 
genen Stode jchallend verkündete, mie 
gewiſſenhaft er feines Amtes malte.“ 
— Erwähnt jei bier, daj3 in der deut— 
ihen Reichſshauptſtadt noch bis vor 
furzem die vollen Stunden der Nadt 
dur Pfeifen angegeben wurden, mas 
erft am 3. Januar 1878 aufgegeben ward. 
In der „guten alten Zeit“ gieng dort 
der Sommer officiell mit dem Tage des 
einftmal® berühmten „Stralauer Fiſch— 
zuges“ am 24. Auguft zu Ende und 
vom 25. Auguft ab ſchloſſen die Wächter 
nicht mehr um elf, jondern um zehn Uhr 
die Hausthüren. Der Nachtwächter des 
Schlojärevieres aber erjchien noch unter 
Friedrich Wilhelm IV. in der Sylveſter— 
naht regelmäßig im Schlofje und fündete 
der dort verjammelten Hofgejellibaft um 
Mitternacht den Anbruc des neuen Jahres 
durh zwölf Hornftöße und Abfingung 
eines Choral an, wofür er vom Könige 
jedesmal einen blinfenden Friedrichsd'or 
erhielt. — Die Nachtwächter von Yondon 
hatten noch im vergangenen Jahrhundert 
die Aufgabe, nah Mitternacht den Ber 
wohnern der engliihen Hauptſtadt die 
Beſchaffenheit des MWetters zu verkünden, 
Indem fie durh die Straßen giengen, 
tiefen fie mit lauter Stimme ihr: „Rainy* 
oder „frosty morning*, und wer die 





In deinen Augen hab’ ic einft gelefen, 

Es blitzte drin von Glüd und Lieb’ ein 
Schein; 

Behüt’ dich Gott, es wär’ zu ſchön geweſen! 

Behüt' did Gott, es hat nit ſollen fein! 


Anfündigungen diefer eigenartigen Wetter 
propbeten hörte und beachtete, wuſste 
beim Aufftehen, ob er waſſerdichte Stiefeln 
anziehen oder fih wärmer kleiden mujäte. 
Ebenſo rief der Wächter in italienijchen 
Städten neben der Stunde auch das 
Wetter aus: „Piovento, fa sereno, 
tempo nuvolo“, je nachdem es regnete, 
ſchönes Wetter ober bebedter Himmel 
war. In Spanien befteht diefer Brauch 
noch heutigentages. Die Wächter rufen 
dort die Stunden von elf Uhr nachts 
bis morgens früh um vier Uhr in hohem, 
halbfingendem Tone aus und fügen jedesmal 
eine Angabe über das Wetter bei. So 
3. B.: „Sei gegrüßet, heilige Jungfrau! 
Elf hat's gejchlagen! Heiterer Himmel!“ | 3. Schwäbiſch. 

Da nun in dem „ichönen Land de3 Weines Ders iſcht im Lebe wüicht und gar net 
und der Gejänge“ der Himmel die weitaus lieble, 

meifte Zeit heiter iſt, jo dajs die Nacht- Dafs bei den Rögle glei die Dörnle ſchtehe; 
wächter jelten etwas Anderes als „Cielo | Und, fist das — Pr mal beim 
sereno!“ (beiterer Himmel) zu rufen Sie müfjet, denn exit auseinander gebe. 
haben, jo bat ihnen das Volk ſchon in In deine Äugle ha’n i au mal g’leie, 
alter Zeit den Spottnamen „Serenos*“ eg Pr ee ae 
gegeben, deſſen Entftehung und eigentliche | Lt? Ding wär jo weit au net übel g weile, 
Bedeutung aber längſt u Vergeſſenheit Raaferei 
gerathen iſt. Kein Nachtwächter in Spanien 
erwartet heute, wenn ſeine Dienſtleiſtung ————— 

irgendwo begehrt wird, eine andere An- Dat is in't Lewen ſnaal'ſch man inricht' 


u worden, 
rede als: „Senor Sereno! Dat bi de Roſen ſo veel Stacheln ſtahn, 
Un, dröppt man ſick in’t Süden oder Norden, 
Zaulegt möt'n wedder untenannergahn. 
Du wierfi mi mal veel leiwer as mien 


2. Berlinerifd. 


Det is in't Leben eene dolle Nummer, 
Det mang die Roſen lauter Dornen fhteh'n. 
Un jan; beſonders macht's mid ville 
Kummer, 

Det Allens ſchließlich aus'n Leim muis 
In deine Ojen ha'k mal wat gelejen, 

Du kielteſt mir jo freundlich an, mein Kind! 
Na Sache! det wär’ wirklid nett jeweſen, 
Indeſſen doch, det hat nich jollen find! 


Lewen, 
Id dacht', du haaft mi ol tau'n Ehrman 
— nahm'n; 
Es wär zu ſchön geweſen Min ſäute Diern, dat hadd en Spaſs 
afgewen! 
in verſchiedenen Mundarten. Min Zuderfnut, de Sad is anners lam'n. 
Dem deutſchen Verein „Arion“ in 5. Sachfiſch. 


New-York gehört ein Mitglied an, das! 7 
verſchiedener „Töne Meifter“ ift. Das Nee, heern Se mal, des iß Sie far nich 


: . r . . . eene, 
zeigen die folgenden jcherzhaften dialecti- Deſs bei die Rofen * Dornen ſteh'n! 


ſchen Umſchreibungen der erſten Strophe Ich find's, Kottſtrambach kradezu femeere, 


des befannten Scheffel'ſchen Liedes. Wie's eenen armen Luder oft lann gehn. 
Ih hatt Sie nemlih mal 'ne Braut in 
Dräſen, 
1. Urtert. Da fiel ’H Sie awer eklich mit'n 'nein! 
Der Spaſs is nemlich far nicht billig 


Das ift im Leben häfslih eingerichtet, !'weien! 
Dajs bei den Roſen gleich die Dornen fteh'n. 8 hätt’ freilich fönnen no viel dheirer 
Und was das arme Herz auch plant und fein. 
dichtet, 
Zum Schluſſe lommt das Voneinandergeh'n. 


Zwoa lufigi Gfdidtin 


in fleirifher Mundart von Hans frauem 
gruber. 


Almraufdj.*) 


Morgen is der Binderjagglin ihr 
Namenstag, und weil die Binderjagglin 
fopiel gern 'n Almrauſch fiaht und ihr 
jel das allerliebſt Bleaml i3 af dr Welt, 
denkt eahm dr Bindajaggl, ihr Man: 
„Madit ihr a Freud und bringjt an 
Buſchn Almraufh hoam, der fojt nir.“ 
Stedt alt a groß Meflar ein zan 
Ahſchneidn und fteigg auffi af d’ Sand- 
lingalm, wo die ganze Xeitn voll Alm— 
rösl ſteaht, als wann d' Abndröthn 
von Himmi gfalln war aba auf d’ Stoan« 
leitn. Intawegn, wiar er jehon bol**) 
obn i3 af dr Alm, fimp 'r bein Salz. 
berg vorbei; ſteht der Beugicaffer 
beraußt, der zmoa Kröpf bat und an 
guatn Wein und jagg: „Wo gehſt dan 
bin, Bindajaggl? Ih hätt a meuchs 
Weinl, magit’s koſtu?“ Denkt eahm dr 
Binderjaggl: „Da Almraufh voblüaht 
nob nit; dr Zeugichäffer hätt a guats 
Weinl, däs fojt nix“ — und geht eini. — 
Ba'n erſtn Glasl jaggr: „Du, däs 
Wein! is guat!“ Ba'n zweitn jchnalzt 'r 
mit dr Zung’ und jagg: „Du, das Wein! 
i3 fitriih guat!“ Ba'n drittn Glasl 
baut 'r afn Tiſch und jagg: „Du, däs 
Meinl is jchoa ganz vÄhöllt ſikriſch guat 
ah!“ Ba'n viertn jagg 'r nir meh und 
ba'n fünftn ligg 'r intern Tiſch und hat 
an Raufh. Dr Zeugihaffer lacht, und 
af d' Nacht gengan an etla Bergleut, dö 
mit da Schicht firti jan, abi ins Dorf. 
Dö zarın 'w Binderjaggl mit und loahn 
ihn za jein Häusl an d' Wand. 

Die Binderjagglin ſchlaft noh mit 
und hört allweil ba dr Thür daußt 
wen gronen und kreißtn. Sie nimmb d’ 
Latern, und wia j' außileucht, findt j’ 
ihr'n Mann. „Iſſas Maria!“ jchreit j’ 
„der hat ja an Rausch!“ — „I ja”, ſagg 
dr Man, „Binderjagglin, an Almranſch 
han i dr bracht.“ — 


Almrauſch — Almrofen. 
*) bald. 


713 


Wie der Brudnwirt feine Kinder zählt. 


„Wiavül Kinna habt's Ös hiazd, 
Brudnmwirt ?” fragg der Gollacher Seppl, 
wia eahm dr Wirt 's volli Weinglasl 
bringg und afn Tiſch ſtellt. 

„Vieradreißg!“ ſchreit der Brudn- 
wirt. „Sel wird doh nit ſein“, moant 
der Gollacher Seppl, „däs wa deant a 
wenf z'viel zar an Gſpoaß.“ Der Brudn» 
wirt Hopft jein Pfeifn aus und — „Du 
Saumagn!* kirrt d' Wirtin hinta dr 
Schank füra, „muafst dein ftinfati Pfeifn 
allmal af dr Xijchplattn auslaarın ? 
Zwegn was i3 dan dr Stubnbodn da? 
Soll mr all bot nachwiſchn, wan mer eh 
d' Händ volla Arbat hat!" — „Sei ftad, 
Alti“, brummt dr Brudnwirt, „wanı 
mr vierabreißg Kinna bat, fimps af dö 
Pag ah neama an,“ Br Gollader 
Seppl gibb eahm an Tauder mit'n Ell- 
bogn und lacht: „Geh, Narr, red’ nit 
ſöchti Dummheiten, filt friagft es noh 
z'ſamm ab.“ — „Was ’r dan allmol mit 
dd vieradbreiig Kinna bat?“ kirrt d’ 
Wirtin wiada, „der narriſchi Tonl der! 
A d' Lebt glauben’s d' Leut noh, 
ſchamen müaßt er ſih frei ah.“ — „Na, 
na, eppa nit?“ ſchreit dr Brucknwirt, 
„ich han ſiebazehn Kinna und mein Weib 
hat a ſiebazehn, jan aft däs nit viera— 
dreißg?“ 


Das Grab gefallener Steierer 
bei Königgrätz. 

Dem Herausgeber dieſes Blattes 

gieng vor Kurzem das folgende Schrei- 

ben zu, welches von vielen Steirern mit 


Rührung und Dankbarkeit gelejen werben 
wird, 


Königgrätz, am 29. April 1891. 
Hocgeebrier Herr! 


Vor einigen Jahren hatte ich im 
Wien Gelegenheit, Ihre Schriften kennen 


— — — i i—⸗ 


714 


zu lernen und aus dieſen auch die Sit- | 


ten und Gebräuche des Volles der öjter- 
reichiſchen Alpenländer, insbeſondere jenes 
der Steiermarl, welches Sie mit jo viel 
Liebe in feinen Freuden 
ichildern, daſs ich als Nichtdeuticher eine 
innige Sympathie zu diejen Alplern ge- 
mwonnen babe, und das umſomehr, dba 
auch Sie in Ihren Büchern wiederholt 
unferes Böhmermwaldes jo freundlih er 
wähnen. 


Es gereicht mir zum bejonderen Ver— 
gnügen, Ihnen mitzutheilen, daſs durd 
Veranlafjung des bier beitehenden Co— 
mités zur Erridtung und Erhaltung von 
Dentmälern der im Feldzuge des Jahres 
1866 in Böhmen gefallenen Krieger — 
zehn Ihrer in der Schladt bei König— 
gräb am 3. Juli 1866 gebliebenen 
Landsleute vom jteiriihen 27. Infan- 
terie-Regimente (König der Belgier) eine 
würdige letzte Ruheſtätte und ein jchönes 
Denkmal errichtet wurde, 


Zu joldem Zwede mujsten die Ge- 
beine diejer Todten, welche bisher an einem 
Orte mitten in Feldern rubten und der 
zur Aufjtellung eines Denkmals ganz 
ungeeignet war, ausgegraben und an 
einen geeigneten, ungefähr 50 Schritte 
vom alten entfernten, hart an der Land— 
ftraße gelegenen Ort übertragen werden. 


Dieje Ausgrabung fand am 21. April 
I. $. vormittags am nördlichen Saume 
des beiläufig 8 Kilometer nördlich von 
unjerer Stadt an der Elbe gelegenen 
Dorfes Lochenitz ftatt im Beiſein des 
ft. u. k. Landwehrhauptmannes Steinsky 
als Obmann, des k. u. k. Lieutenants 
in der Reſerve Franz Waldel alt Schrift. 
führer de& Gomit6s, des Med.-U.-Dr. 
Emil Waldef, des Ortsvorftandes und 
einiger wenigen Dorfinſaſſen, ſchließlich 
war auch ich dabei. Nah 9 Uhr Bor» 
mittags begaben wir uns zum alten 
Grabe, welches nahe an jener Ziegelet, 
bei deren Vertheidigung die Soldaten 
gefallen find, lag, und machden alle 
Vorbereitungen zur traurigen Arbeit ge 
troffen waren, begann dieſelbe um 
7,10 Uhr. In einer Tiefe von einem 


N beftehend aus Knochen, 
‚ Überreften von Monturen, 


und Leiden: 





balben Meter fanden wir die Leichenreite, 
vermischt mit 
Riemenzeug 
und Schuhwerk, von Bajonnetticheiden und 
Waffenbejtandtheilen. Weiters wurde in 
einer Batronentaicte, welche fait durd- 
wegs mit Mumition gefüllt war, ein 
Gebetbüchel gefunden, deſſen Tert nicht 
mebr gelejen werden founte; weiters 
fand man einen Nojenfranz, zwei Ge: 
benfmünzen mit Muttergottesbild aus 
Mariazell, welche die num Todten vielleicht 
um den Hals getragen hatten, ein Notiz- 
buch, eine Feldflaſche mit dem Weite einer 
jtärfenden Flüſſigkeit, einige Gjsbeftede, 
eine Schere, eine Erinnerungsmebaille 
aus dem FFeldzuge in Schleswig. Holftein 
im Jahre 1864 mit jehr gut erhaltenen 
Bande, eine Tabakspfeite und eine Menge 
anderer Stleinigfeiten. Bon den Schädeln 
wurden bloß fünf ohne fichtbare Ver— 
legungen gefunden, bei den übrigen 
waren größere und Heinere Schujätrac- 
turen zu jehen, bei einem waren Die 
oberen Partien von einer Kanonenkugel 
volljtändig zerichmettert, aus einem an— 
deren fonnte die tödtende Gewehrkugel 
herausgenommen werden, Die Beden- 
knochen einer Leiche waren ebenfalls ganz 
zertrümmert, 

Ale dieje Leichenrefte wurden ſorg— 
fältigjt gefammelt und im zwei bereit: 
jtehenden Kiſten verſchloſſen, in einer 
dritten Stifte wurden die übrigen gefun— 
denen Oegenjtände verwahrt. Als die 
drei Kiſten in eine am Fuße des mit 
einem Kranze geichmüdten Kreuzdenkmales 
bereiteten Grube gejenft waren, nahm 
der hochwürdige Herr Ortäpfarrer P. 
Alois Soufup die Einweihung des 
Kreuzes und hierauf die Einjegnung des 
gemeinjamen Grabes vor. Nach der kirch— 
lichen Geremonie jprach er zu den wenigen 
Verjammelten eine kurze aber ergreifende 
Nede, bei welcher alle Zuhörer zu Thränen 
gerührt waren. Er jagte unter Anderem: 
„Dieje Armen baben ein volles Recht 
auf unſer Mitleid, denn vielmalä traus 
tiger ift ihr Los, indem fie bier tm 
fremden Lande ein vorzeitiges Grab ge» 
funden haben ; in ihrer fernen Gebirgs— 


Zr 


„Mei’ Kind ſchau, i moan, 


715 
Heimat weint vielleicht mande Mutter Gftattn Dichtn. 
zum ihren Liebling, trauert mancher ' . 
Vater um einen einzigen Sohn, um Mei Muada 55 jagt oft: 


Teine Stüge im Alter. — Wie groß und 
verdienjtvoll ift die Aufgabe, welche jich 


einige chriftlih und patriotiich geſinnte 
Männer gejtellt haben, am ihrer Spitze 
der Herr f. n. f. Hauptmann Steinsky, 
die irdiichen Überreſte jener Tapferen, 
welche unter den Fahnen Sr. Majeftät 
für die Einheit des Neiches den Helden» 
tod ſtarben, unter das Banner der fatho- 
liſchen Kirche — das heilige Krenz — 
zur jammeln, ihnen Denffteine zu errich— 
ten, damit fib an ihrem glänzenden 
Beiipiele die Nachkommen erheben und 
erbauen fönnen. Und dieje, welche mir 
nah fait fünfundzwonzig Jahren zum 
zweitenmal in die Erbe beiten, find des 
Kreuzes gewiſs wert, denn fie waren 
wicht nur treue Söhne der heiligen Kirche, 
wie es das bei ihnen gefundene Gebet- 
buch, der Roſenkranz und die Gedenk— 
münzen mit dem Muttergottesbilde be— 
weifen, fie waren auch pflichttreue und 
gewilienhafte Diener ihres Kaiſers, was 
fie durch ihren im feinen Dienften ges 
fundenen Tod befräftigten.“ 


Hierauf wurde das Grab gejchlofien 
und die Feier, welche ohne alle Bor: 
bereitung und Prunk durch ihre herzlich 
rührende Einfachheit allen Theilnehmern 
gewij3 unvergeſslich bleiben wird, mar 
zu Ende, 


Theilen Sie im „Heimgarten“ Ihren 
Landsleuten mit, daſs es bier nod Leute 
gibt, welche das Grab Ihrer unglüd. 
lihen Stammesgenofjen pflegen und 
darüber wachen werden, dais dieſe letzte 
Ruheſtätte in Ebren gehalten und jähr- 


lich mit frischen Blumen geſchmückt 
werde. Mehmen Sie die Merjicherung 
meiner vorzüglichiten Hochachtnug ent 


gegen, womit ich mich zeichne als 


Ihr ergebener 


Joſef Udalrif, 
Peamter. 


u — — — — — — — — 





Du kunnt’ft ſtatt dein Dichten 
Obb's G'ſcheitas wohl thoan.“ 
Draf Sag i: „Schau Muada, 
Mir is bäufti gmua, 
Dais i ftatt mein Dicht'n, 
Nir Dummas nu thua!“ 

6. Tobiſch. 


LiedIn aus dem obern Kainad)- 
Thale. 


Mitgetheilt von Y. ©. 


Sollt' jhon a Moarknedt jein, 
Kann noh loan Zaun z'jammzäunn, 
Tangeln fann ih ah nit recht, 
Dais’s a Schneid hätt. 


D'r Summer geht umer, die Heumahd, 
'r Schnitt; 

3 d’r ſchönſten Zeit 

Sieh ih mei’ Dirnerl nit! — 


Ih bin a Epielmann 
Und du bift a Tanzer! 
Ih bin a halber Rarr 
Und du a ganzer. 


„Haft du nit a jhöne Dir —n?“ — 
Ya wol! an Knecht ah. — 

„Thant fie nit a weni ſchmier —n?“ — 
Ya wohl! is recht ab. 


Ban Mofer i d’r Lölling 
Bin ih Borfahrer, ih; 
Groaße Nudel iſs ih gern, 
Kloane mag ih nit, ih. 


Ban Kropfbauer i d'r Lölling 
Bin ih döſswegn entrunn', 

Is an ungroaßer Koathkäfer 

J d'r Mehljuppen umg'ſchwumm. 


Bücher. 


Gewmiſchte Geſellſchaft. Gin berühmter 
Dichter, berühmt durch ſeine Erfolge im 
Luſiſpiel und in der Novelle — eine junge, 
ihwärmeriiche Amerifanerin mit unbeftrit: 
tenem Talent zur Anatomie des weiblichen 


716 


Herzens 


ein gemüthvoller Schilderer Anblich“, 


ruft fie enthufiaſtiſch, „das 


der bayriſchen Gebirgswelt — eine Did: | Steigen und Fallen der Wogen!" — 


terin, Die der Liebe, nicht der geſchlecht- „Thu’ mer den B’fall’n,* 


lien, nein, der verwandtihaftliden Liebe, 
eine Idealmwelt an Entjagungs: und Opfer: 
freudigfeit aufbaut — zwei Verfaffer ter: 
niger Geſchichten aus den fteirifchen Bergen 
und dem Böhmerwalde — der Maler von 
Gabinetsftüden Heinbürgerlier Verhält— 
niffe — und nod einige andere — iſt das 
feine gemiſchte Geſellſchaft allerdings 
nicht im landläufigen Sinne. 


Der vornehmſte in dieſer Geſellſchaft 


iſt wohl Adolf Wilbrandt, der in 
ſeinem Romane ‚Adams Söhne“ (Berlin, 
Wilhelm Herk) auf 456 Drudjeiten zu bes 
weijen verſucht, daſs man ein großer Dichter 
fein und doch — einen mittelmäßigen Ro: 
man jhreiben kann. Er benügt die alten 
ausgefahrenen ®eleife des idealiſtiſchen 
Romanes mit jeinen Geftalten ohne Fleiſch 
und Bein, ohne Blut und Leben, zu einem 
Eintagsſcheinleben erwedten Schemen, bie 
Ideen verlörpern ſollen. Allerdings leuchtet 
hie und da ein origineller Zug der Cha: 
rafteriftif, eine geiftreihe Wendung durd, 
würdig eines Wilbrandt, aber das Ganze 
dient doch nur dazu, dem Leſer eine arge 
Enttäufhung zu bereiten. Was im „lebten 
Haufe“ vorgeht, ift gewils fpannend, ja 
dramatijch belebt, derart, dajs man fagen 
mödte, Wilbrandt jei zu jehr Dramatiter, 
um guter Romanjchreiber zu fein, wenn 
man nicht wüßte, daiß er ſchon befiere Er: 
zählungen, ja muftergiltige, geihrieben hat. 
Es fehlen an diefen Ecenen in „legten 
Haufe" niht einmal die Wriftotelijchen 
Einheiten des Dramas. Der Stil ift nicht 
immer Mar, nicht immer ganz correct, ein 
Beweis, daſs der Roman troß einiger 
tieffinnigen Sentenzen flüchtig gearbeitet 
wurde, 

Aud Marimilian Shmidt liefert 
uns mit dem Cultur- und Lebensbilde: 
DerShußgeiftvon Oberammergau 
(Leipzig, A. ©. Liebestind) feines feiner 
befieren Bücher. Die Naturjhilderungen 
find wie immer bei Marimilian Schmidt 
anfhaulid, aub die Überammergauer 
Paſſionsſpiele haben in feiner Wiedergabe 
einen culturbiftoriihen Wert — das ıft 
aber au daS befte an dem Bude. Der 
jonftige Inhalt, die eigentliche Erzählung, 
die wie ein roiher Faden die Schilderungen 
durchzieht, ift ohme großen Wert. Der 
Städter fol gehen und ſich dieje groß- 
artige Gebirgsmwelt anſehen, aber, man 
verzeihe mir, er nimmt fih doch nur wie 
ein „Alpengigerl* darin aus. Daran mögen 
die Dichter ſchuld fein, fie bringen es nicht 
zuftande, den Städter jo in die Welt hin: 
einzuftellen, dajs er zu ihr pafst. Ich mujs 
mid unwillkürlich an jenes jüdifche Ehe: 
paar im Bade erinnern, „Ein herrlicher 








jagt er, „und 
ipreh mer im Bade nicht von’s Geſchäft!“ 

Ein ganz eigene® Buh das: „Der 
Lebende oder der Todte?* von 
Amelie Nives. Überjegt von Denny 
Koh. (Franffurt a. M. GE. Kvenitzer.) 
Barbara ift jo untröftllid über den Tod 
ihres heißgelichten Gemahls und lebt derart 
nur in der Erinnerung en ihn, daſs fie 
den Better des „Seligen* wegen jeiner 
frappanten Ähnlichkeit zu lieben beginnt 
— jie fieht ja in ihm nur den „Seligen. * 
Die Frage: „Der Lebende oder der Todte?* 
ift mit fo feiner pſychologiſcher Spigfindig: 
feit geftellt, dafs der Lefer nicht immer die 
Antwort weiß. Wie jenfitiv die Verfafierin 
in ihrem Buche wird, jollen einige Stellen 
dartdun. „— aber — jelbft die Haare, die 
fih in jeinem Naden kräuſelten, jchienen 
durhdrungen von dem Bewuſstſein — *. 
Das gebt doch über die Seelenriederei! 
Neizend ift auch der gefühlvole Rüden 
eines Ktutſchers. „Es gibt nichts ausdruds- 
volleres als der Nüden eines jhwarzen 
Kutiers, nit einmal die Augen eines 
hungerigen Hundes find imjtande, das zu 
übertreffen“ u. dgl. Wie hoch entwidelt 
das Senjorium einer jungen amerifaniihen 
Schriftitellerin ift! Am Ende erhält der 
Tode jein Recht und der Lebende befommt 
den Laufpajs. Das ift doch echt europäiſch 
und gar nit amerikaniſch. 

Der adte Band der Gefammelten 
Schriften von Heinrich Seidel ent: 
hält die Fortjegung von Lebereht Hühn— 
hens Lebenslauf: Leberecht Hühnchen 
als Großvater. (Leipzig. U. ©. Liebes: 
find.) Wir haben Heinrih Seidels Schrift: 
ten jhon an anderer Stelle beiproden, 
insbejondere den gutmüthigen, harmloſen 
Humor und die feine, zarte Charafter: 
jeihnung hervorgehoben. Erwähnung ver: 
dient noch der forgfältig geglättete Stil. 

Arthur Adhleitner, von dem uns 
als 2696. Bändchen der Reclam'ſchen Uni— 
verjalsBibliothel Geſchichten aus den 
Bergen vorliegen, ift nit nur ein tüch— 
tiger Kenner des bayriiden Hochlaudes 
und jeiner Bewohner, jondern aud ein 
wahrhaftiger Dichter, der die Perjonen 
mit ihrer Umgebung, das wetterfefte Alpen— 
volk mit der grandiofen Natur feiner Hei— 
mat in Beziehung zu bringen verftebt. 
Diefe Farbe tragen aud feine Erzählungen. 
Nicht ganz jo heimisch ift der Dichter auf 
fteirifhem Boden, wenn er einmal dahin 
eine literariiche Ercurfion madt. 

Mie Adhleitner in den bayriichen 
Bergen, ebenfo daheim ift Johann Peter 
im Böhmerwalde Seine Dorfgeihid: 
ten aus dem Böhmermwalde (Leipzig, 
Buftav Körner) muthen uns thaufriſch und 


- 


117 


- 


urjprünglid an, wie frifhgebrodte Wald: | dem Gejchrei junger, nafeweifer Prediger 
beeren. Die „Todtenihau” ift ein präch- das goldene Wort des Greifes nicht über: 


tiges Stüd derber Boltsthümlichleit, dem | hört werden. 


wirklichen Leben abgelaujdt. 


Unna Hartenftein erzählt in zwei 
Novellen: Aus dem Bürgerhauje 
(Dresden u. Wien, Berlag des Univerjum) 
von der Aufopferungsfähigfeit der Schweller 
und von dem Opfermuthe der Todter, Biel: 
leicht wäre e8 dankbarer gewejen, die Gatten: 
liebe oder die Mutterliebe zum Vorwurfe 
einer Erzählung zu nehmen. Lobenswert 
ift die reine, geihmadvolle Darftellung. 

Nicht ſehr geſchmackvoll Hingegen ift der 
Inhalt der Novelle: Frau und Braut 
von Emil Taubert (Leipzig, Georg 
Meyer). Johann befitt eine Frau und eine 
Braut. Damit er mit feiner Braut glüd: 
lih werden fann, tödtet ji die Frau — 
und fiehe da, er nimmt dieſes Glüd aus der 
Hand jeiner todten Frau an. Das ift doch 
nicht Sehr geſchmackvoll und vom äfthetifchen 
Standpunlte aus tadelnswert. 

Zum Schluſſe wollen wir der Briefe 
einer alten Bäuerin an ihre ftädtiiche 
Freundin von Agnes von der Delen 
(Hirſchberg, Volksarzt-Verlag) gedenten, die 


in ſchleſiſcher Mundart die jüngften Erleb: 


niſſe und Erfahrungen der alten Bäuerin 
drafifh und lehrreich zugleich mieder: 


ipiegeln. tt— 
Aus deu SLebenserinnerungen eines 
Siebzigers. (Gotha. Friedrich Andreas 


Perthes 1891.) 

Wenn die Jungen jchreien, pflegen die 
Alten zu fhmweigen. Oder ihre ernitruhige 
Stimme wird überhört. Und das ift ein Un— 
glüd. Wenn die Wortführer früher Erfah: 





M. 


Des Bern Friedrich Oſt Erlebniſſe im 
der Welt Bellamys. Mittheilungen aus den 
Jahren 2001 und 2002. Herausgegeben 
von C. Wilbrandt. 

Diefes Bud ift feine trodene Polemit 
gegen das allbefannte, in hunderttaujenden 
von Eremplaren verbreitete Buch Bellamy's 


„Im Jahre 2000*, jondern ein Roman, 


wie der Bellamy’iche. Für trodene national: 
ölonomifche Belehrungen würde das große 
Publicum keine Empfänglichleit haben, 
wohl aber für eine Erzählung, melde ſich 
auf dem Boden jenes erträumten Zulunfts: 
ftaates abfpielt und in ihrem Berlauf, an 
der Hand von ganz unausbleibliden Be: 
gebenheiten, die Haltlofigleit und Unaus— 
führbarfeit der Idee der Verftaatlihung 
der Gejellihaft in jo ſchlagender Weile 
docuntentiert, dafs es jelbft dem Lefer, den 


‚die menichenbeglüdenden Zulunftsträume 
Bellamys gänzlid gefangen genommen 





rungen jammeln, al& Belehrungen austheilen | 


wollten, wie anders ftünde es um die ges 
jammte Lebensweisheit eines Volkes, Neues, 
Überrajchendes, Revolutionäres mollen fie 
verfünden, unſere jungen Schreihälie, und 
binnen furzem müſſen fie ſich ſachte jelbft 
corrigieren, wenn fie jehen, daſs das Leben 
e3 anders will, als phantaftiihe Hitglöpfe 
e3 fich eingebildet. — Wie wertvoll ift die 


Stimme eines vielerfahrenen Mannes, und dodtentanz“ (Berlin. 


hatten, wie Schuppen von den Augen fällt. 
Unbefangenere Leſer des Bellamy’ichen 
Buches aber werden fi ungemein erheitert 
fühlen, wenn fie hier den Herrn Friedrich 
Dft genau die Spuren des Herrn Julian 
Weſt verfolgen, aber ihn dabei zu Ergeb: 
nifien fommen jeben, welche die bejeeligen: 
den Erfahrungen de3 erfteren und die Be: 
richte des Dr. Leete in wahrhaft draftiicher 
Weiſe beleuchten, 

Das Bud) ift Teineswegs eine Parodie; 
weit entfernt davon. Der Herausgeber ift 
ein erfahrener Mann, deſſen Anihauungen 
auf jehr reellen nationalölonomiihen Stu: 
dien beruhen, der mit ruhigem Humor 
und unerbittlier Gonjeauenz den amert: 
laniſchen Phantaften auf feinen verzmweigte: 


ſten Pfaden verfolgt, und der dabei durch 


feine flotte, überzeugende Schreibweife und 


glüdlihe Erfindung die Leſer zu feileln 
V. 


und zu unterhalten verſteht. 


1 


Von Karl Prölis „Modernem 


Dans Lüftenöder.), 


jene Lchensphilojophie wird wohl die rich: | der bei feinem Erſcheinen berebtigtes Auf: 


tigite fein, die nad allerlei geiftigen Irr— 
fahrten der Greis prüfend endli zur 
jeinen gemadt hat. Die Lebenserin— 
nerungen des Siebzigerd, die oben ange: 





jehen machte, ift bereit3 eine neue Folge 
erſchienen. Nicht leicht wäre es, dieſem 
eigenartigen Schriftfteller unter den Ro: 
mancierd und Dichtern feinen Pla anzu: 


führt find, jagen uns nicht viel Neues, weiſen. Weitab von den ausgetretenen Pfa⸗ 
aber ſehr Richtiges, Alterprobtes, immer den der Belletriſtikl und neuzeitlichen Lyrik 
Beherzigenswertes. Das Büchlein, welches bewegt ſich dieſer originale Geiſt, der uns 
die wichtigſten Fragen des Lebens berührt, anzieht und feſſelt, auch dann, wenn er 
liest ſich wie Lehr und Rathſchlag eines ſich in Regionen verſteigt, wo die Phan⸗ 
älteren wohlwollenden Freundes. Möge in |tafie Herricherin iſt. Karl Pröll iſt durch 


und durd Idealiſt, und der ideale Grund: 
zug feines Wejens verleugnet fi in keiner 
feiner Skizzen, in feiner feiner Erzählungen. 
Ein hoher Sinn, eine tiefe und wahre 
Begeifterung für das Edle und Schöne 
ſpricht aus allen feinen Schöpfungen. Wer 
Unterhaltung im vulgären Sinne des 


Wortes ſucht, möge fein Bud nicht erft in 


die Hand nehmen, dem ernfler denfenden 
Leſer, der auch vor Abhandlungen über die 
fociale Frage und anderen Problemen in 
Staat und Leben nit zurüdjchredt, wird 
Pröl’s Todtentanz* eine reihe Fülle gei: 
ftiger Anregung und Genufs bieten. 





Die õſterreichiſche Gebirgsmwelt in Chromo⸗ 
lithograpbien nad Natur:Aufnahmen von 
U Gerajd. 

Die Berlagshandlung „Leylam“ in 
Graz hat es unternommen, die fchönften 
Puntte der öfterreihiihen Gebirgswelt, 
durd Künftlerhband aufgenommen, in einem 
farbenprädtigen Chromo-Lithographien— 
Cyclus bildlih darftellen zu laſſen. Bis 
jeßt liegen vierzehn Hefte zu je ſechs Bil: 
dern von diefer prädtigen Sammlung vor. 
Diefelben enthalten BDarftellungen aus 
Steiermart, Kärnten, Salzburg, Ober: 
öfterreih und werden weiterhin ihre Fort: 
jegung für die übrigen Alpenländer finden. 
Die Bilder find nad meifterhaften Natur— 
aufnahmen des Malers U. Geraih ber: 
geftellt, gediegene Zeihnung, ungemein leb— 
baftes und nmatürlides Eolorit, glüdliche 
Auswahl des Stoffes, vornehmer Ton und 
jierliche Ausftattung find die ſchäßenswerten 
Vorzüge diejes Albums, welches als ein 
ausgezeichnetes Dentflüd allen Freunden 
der Wlpenwelt beftens empfohlen werden 
lann. Wollte man eine oder das andere 
der Bilder namentlih erwähnen, jo wäre 
dies ein Unrecht gegen die übrigen, denn 
jedes einzelne Blatt der Sammlung hat 
Unfpruh auf unjere ungetheilte Bewun— 


derung. 
Diefen Bemerkungen des Bozener 
„Sonntagsboten* jdließen wir uns an 


und werden feinerzeit auf die ichöne Aus: 
gabe noch zurüdlommen. M 


Bpamer’s Alluſtrierles Konverlations- 
Serikon. Zweite, gänzlih umgearbeitete 
Auflage, in größtem Lexikon-Octavformat. 
Mit 8000 Tertabbildungen, 
Tonbildern, Karten :c. 


Werte liegt nunmehr Band VII, Lieferung 
151 —174, vollendet vor; er umfaist Die 


Budftaben ©, R und S und flieht in jeder ' 


718 





Dinfiht auf derjelben wiſſenſchaftlichen und 
fünftlerifhen Höhe, wie jeine Vorgänger. 


Neue Mufikzeitung. Redacteur D. 4. 
Spoboda,. (Stuttgart. Earl Grüninger.) 
Dieſe Zeitſchrift, welche heute in ihrem 





zahlreichen | 
Beziehbar in 200 | 
Lieferungen oder in 8 Bänden. Bon dielem | 


zwölften Jahrgange fteht, ıft ein Blatt für 
Mufiter und Mufitfreunde und erfreut ſich 
großer Verbreitung. Es ift feine trodene 
Fachzeitung, fondern ein Unterhaltungs: 
blatt vornehmfter Art für Gebildete. Außer 
den gemwifienhaften Berichterftattungen über 
Neuigkeiten und Vorgänge in der mufi: 
falifden Welt bringt e3 Novellen, Efiays 
und Plaudereien voll Warmberzigfeit und 
geiftiger Friſche, trefflih ausgeführte Illu— 
ftrationen aus der Künftlerihaft und Noten: 
beilagen beliebter Componiſten. Eine der 
feinfinnigften und beliebteften Rubrilen des 
Blattes find die launigen Geſchichtchen aus 
dem Leben befannter Muſiker. Mit einem 
Worte, das jehr hübſch ausgeftattete Blatt 
bringt vieljeitige Anregung im reichen 
Make; man wird mir Danf wiſſen, dais 
ih darauf aufmerffam made. i 


Der gute Aamerad. Wenn man jchon 
im Principe den Nutzen von Jugendichriften 
zur Erholung und zur Herzens: wie Geiſtes— 
bildung unjerer Rinder anerfennt (was 
übrigens noch eine offene Frage bleibt), 
jo wüjsten wir wohl faum eine Zeitſchrift 
| zu nennen, welde für die Jugend em: 
pfehlenswerter wäre, als die bei Spemann 
in Stuttgart erjcheinende, jehr hübſch illu— 
ftrierte Wochenſchrift „Der gute Kamerad“. 
Vormwiegend ift das eine Lectüre für Kna— 
ben und ihr Inhalt auf muthige Bethäti- 
gung des Lebens geridtet. Spiel und 
Ernſt durdheinander, Erzählungen, Länder: 
und Bölterbeihreibungen, Geſchichte, Er: 
findungen und hHunderterlei interefiante 
Sachen bringt diejes Blatt. Wer über: 
haupt will, dais feine Knaben durd Leſen 
für daS Leben angeregt werden, der möge 
daraufhin den beliebten „Buten Kameraden * 
prüfen. M. 


— — — —— — —— —— — —————— — 


Das neue Bud der Uahur. Von U. v. 
Schweiger-Lerchenfeld. (Mit circa 400 
Illuftrationen, darunter zahlreihen Boll: 
bildern.) Wien. A. Hartleben. 1891. Später 
complet in 2 Bänden Grokoctav mit zu: 
fammen 70 Bogen. 





Fin Ausiprudh eines unferer hervor: 
ragendften Denter (Feuchtersleben) jagt: 
„Wie das echte, innige Studium der Natur, 
wenn es tiefe Cffenbarungen gewähren joll, 


9 


Tindlihe Gemüther verlangt, jo erzeugt es jer ſich jo glücklich erholt, jahte vorüber: 
aud wieder in denen, die fi ihm weihen, | gehen, ja daſs jelbit Georg Schönerer 
eine eigene Sindlichleit, und gibt ihnen inod einmal gejund werden wird. — Nun, 
ihre Jugend wieder,“ Diejen Eindrud ge- unmöglich ift nichts. M. 
winnt man bei der Lejung der erfien vor: 

liegenden Lieferung des neuen, auf 2 Bände 

berechneten Wertes Schweiger:Lerchenfelds. 

Ausgerüftet mit einer reihen Wiülle ein: Soeben giengen uns die Hefte des 
Tchlägiger Kenntnifle, Stellt fi der Ver: | „Miener Humor“ (Wien. C. Daberlom), 
fafier auf den Standpunkt eines Mentors, | dritte Serie, zu und fönnen wir nit ums 
der jeinen Zuhörer in Wald und Flur hin, auf den reihen Inhalt diejes Unter: 
hinausführt, um ihn auf die vornehmften | haltungs- und Bortragswerfes hinzumeijen, 
Erjheinungen des Naturlebens aufmerliam |an dem, wie die vorliegenden Hefte aufs 
zu maden. Beionders bemerlenswert ift neue bemeilen, ein guter Theil der deutſchen 
Das liebevolle Eingehen in jheinbar un: | Schrififtellerwelt mit vorzüglichen Beiträgen 
weſentliche Einzelheiten. Der Stil ift Har | betheiligt ift. V. 
und plaſtiſch, häufig von ſtimmungsvoller 

Getragenheit. Borzügli find die un — 

tionen. 


Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen: 


‚ Grinnerungen einer öſterreichiſchen Offi- aueru⸗Gold. Eine Gejhichte aus dem 
riersfrau aus dem Prriegsjahre 1866. Bon | Knappenleben in den SHodalpen von 
4. v. Holzhaujen-Bablenz. (Gotha. Amand Freiheren von Schweiger: 


Friedr. Andr. Perthes. 1891.) An mander: Lerchenfels. (Wien. 9. Hartleben, 1891.) 
lei Hrieg3erinnerungen aus dem Jahre 1866 


fehlt e$ wahrlich nicht, hier aber tritt ein| Das deutſche Fied. Erzählung aus den 
Gedentbüclein von eigenthümlichem Reiz nationalen Verhältnifien Böhmens, von 
Hinzu, ſchon dadurd intereffant, daſs e& Anton Oborn. (Berlin. Hans Lüftenöder, 
eine Officiersfrau iſt, no dazu eine öfter: | 1891.) 

reichiſche, melde auf nur vier Drudbogen Gefammelte Schriften von Heinrich 
ein lebendiges Bild jener bewegten Seit | Seidel, IX. Band: Sonderbare Geſchich— 
vor uns entfaltet. Sie ſchaut überall mit | fen, (Leipzig. U. ©. Liebestind. 1891.) 
dem Auge der Frau und enthüllt daher jo j i 

manden feinen Zug, ber dem Blide des Wundercuren. Ein Arbeiterroman von 
Mannes entgeht, wie auch dur das Em: | Wolfgang Schild. (Berlin. Mar Breit: 
pfinden der frau fi mande Dinge in den | freuz. 1891.) 


Ereignifien jener Zeit in ein bejonderes Konny, die Heimatlofe. Erzählung aus 
Licht ftellen. V. dem ſchweizeriſchen Eultur: und Vollsleben 
— in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts. 
Bon Joſeph Joachim. (Baſel. Benno 
Bibliothek des Yumors, Band IV. Schwabe. 1889.) 
Lehrer und Schüler. (Berlin. Friedrich 


One f Sefdihten von Fri Mauthner. 
Pfeilſtücker) Der Band diejes Anekdoten⸗ Zehn 

ihates bildet ein Charalterbild von Lehrern (Berlin. 3. G. Scorer. 1891.) 

und Schülern, Profefforen und Studenten, Cheoderih. Trauerjpiel in fünf Auf: 


für fich, ſowie aud im Berhältnis zu ein- zügen von Franz Wolf, (Leipzig. Oswald 
ander, mie es heiterer nicht — werden Mutze. 1891.) 

fann, Wer jemals auf der Schulbanf ge: : 
jeffen bat oder vor dem Katheder des Hoch— ahl — EEE SERIEN — 
ſchullehrers, an deſſen Auge ziehen beim —* 

Leſen des Buches die heiteren Bilder ver— E. Pierſon.) 

floſſener Zeiten aufs neue vorbei. Aus den fa Plata-Btaaten. Eine Reiſe 
nah Südamerila von Wilhelm Kreuth. 
uftriert. (Wien. U. Hartleben. 1891.) 


{os vom Antifemitismus. Offener Brief Zlora von Peutſchland. Jlluftriertes 
an einen Unverfälſchten. (Seipzig 1891. | Pflanzenbud. Anleitung zur Kenntnis der 
I. Wimmer.) Ein ehemaliger leidenjhaft: | Pflanzen nebft Anweiſung zur praftiichen 
licher Untifemit fommt zur Bernunft, | Anlage von Herbarien, von Dr. Wilh. 
macht jeine Belenntniffe und ftellt die Medıcus. Mit über 300 feincolorierten 
Hohlheit des gegenwärtig jo heftig wüthen: nach der Natur gezeichneten Abbildungen 
den Antiſemitismus dar, Er hegt die Hoff- auf 78 Farbendrucktafeln. Erſcheint in 10 
nung, daſs dieſe Geiftesfrantheit, von der Lieferungen. (Raiferslautern. A. Gotthold.) 


720 


— — — — 


Die Entwickelung der Menſchen. Studien 
von D. And erjen. (Berlagsanftalt und 
Druderei A.“B. 1891.) 


Die heilige Bchrift des alten und neuen 
Teſtamentes. Iluftrierte Bollsausgabe. 
(Berlin. Friedrich Pfeilfüder) Bis zur 
10. Lieferung eridienen. 


Olto Sudmwigs gefammelte Schriften. Bis 


zur 9. Lieferung erfchienen. (Leipzig. Fr. |. 


W. Grunow. 1891.) 


Hod vom Säntis an. Neue Gedichte von 
Alfred Beetſchen. Illuftriert von 3. 
Stauffader. (St. Gallen. F. Hafjelbrud.) 


Didtungen und Gedihte von Franz 
Widmann. (Dresden. E. Pierjon.) 


Hit raſten und nicht roten. Jahrbuch 
des Scheffel-Bundes in Öfterreih für 1891. 
Beleitet von Franz Pomezuy. (Wien, 
U. Hartleben.) 


Deutſche Bolkslieder. In Niederheflen 
aus dem Munde des Bolles gejammelt, 
mit einfacher Elavierbegleitung, geſchicht— 
lihen und vergleichenden Anmerkungen 
herausgegeben von Johann Lewalter. 
(Hamburg. Guflav Frigfche. 1891.) 


An den Raifer. Fine deutiche Bitte von 
Adolf Graf von Weftarp, (Berlin.) 


Das Sefebud; in der Dolksfhule. Natur: 
gemäße Forderungenvon GeorgSeydner, 
(Nürnberg. Fr. Kori'ſche Buchhandlung. 
1891.) 


Blaue Blätter für Humor, Laune, Wit 
und Eatire. Von M. ©. Saphir, aus 
feinen Schriften gepflüdt. Fünfte Boll: 
ausgabe. (Wien. A. Hartleben.) 


Berliner Autoren. Bon Ernft 
Wechsler. (Leipzig. W. Friedrich. 1891.) 


Schweijeriſche Rundſchau. 2.-3. Heft. 
(Zürih und Bern, Orell Füßli.) 


Auf Bchneefhunen durch Grönland. Von 
Dr. Fridtjef Hanfen. 20. Lieferung. 
(Hamburg. PBerlagsanftalt und Druderei 
A.:6. 1891.) 


Von den uns zugehenden Monats: 
ſchriften find die empfehlenswerteiten : 
Weflermanns Dllufrierte Monatshefte (Braun: 
ſchweig), Deulſche Rundſchau (Berlin), Deutfche 
Revue (Breslau), Vom Fels zum Meere (Stutt⸗ 


Für die Rebaction verantwortlid P. A. Bofegaer. — Druderei . Leytam · in ra}. 


gart), Belhagen & Rlafings Yeue Monats- 
hefte (Beipzig), Schweijeriſche Kundfdhau 
(Zürid). 

Moderne Aundfhau, Halbmonatsihrift 
herausgegeben von Dr. 3. Joachim und 
EM. Kafka. (Wien. 2. Weiß.) 


Poftkarten des „Heimgarten“. 


* Auf die einlaufenden Briefe zu ant: 
worten find wir nit imftande, bitten 
aljo auch feine Marten für Antwortſchreiben 
beilegen zu wollen. 


6. £, Hamburg: Der „Heimgarten* 
will fein modernes Blatt um jeden Preis 
jein. Hat er die Wahl zwiſchen ſchlechten 
neuen und guten älteren Saden, fo ent: 
ſcheidet er filh ohne Gewiſſensbiſſe für legtere. 


Dr. A. M.: Wer den Ibſen nit mag, 
jagen Sie, der verftehe ihn nicht. Wir aber 
glauben, dajs es fih hier weniger ums 
Berftehen, als um den Geihmad handelt. 
Und es ift nit nad jedermanns Ge: 
jhmad, im Kunſttempel für gutes Geld 
ſich feelifches Unbehangen zu holen. Das 
bat man im Leben umjonft. 


Hamerling-Berehrer, Wien: Leider rührt 
fih Hamerlings Berlag in Hamburg bis: 
ber noch immer nidt, dem lebhafteften 
Wunſche des Dichters zu entiprehen und 
eine billigere Gefammtausgabe zu veran: 
ffalten. Es wäre wohl an der Zeit. 


® O. R., Villach: Wollen Sie ein 
fräftiges Wort über unjere miislihe Wald: 
eultur, jo lefen Sie Rudolf Armings Auf— 
fa: „Die Geheimnifje des Toblacherſees 
und der ihn umgebenden Wälder“ im Eljafs: 
Lothringiſchen Samstags:Blatt, Strafburg. 
Aprilnummern 1891. 


2. £., Wien. 6. A. B., Olmüb. H. &., 
Berlin, 8t., Berlin. M. V., Gras u. ſ. w.: 
Dankend abgelehnt. Bitten nichts mehr zu 
jhiden, find mit allem verfehen. Unverlangt 
eingeihidte Manufcripte werden nit zu: 
rüdgelandt, Wir erwähnen das in faft 
jedem Hefte und die Einjender haben den 
Verluft des Manufcriptes ſich jelbft zuzu— 
ſchreiben. 


nn ———— —— 
D 





a 


=] Pinmgarlen * 








Ein kräftiger Iunge. 


Schwanf in einen Aufzug von Bophie von Fihuenberg. 


(Aufgeführt im Theater am Franzensplage zu Graz, 1891.) 


Perfonen: 


Dr. Brig Walter, Arzt (übermüthig, etwas leicht). 
Matthias Walter, fein Onkel (älterer Bonvivant, Mnurrig, gutmüthig, drollig). 


Hermann Koller, Journalift. 


Lucy (junges Mädchen, jehr hübſch, naiv, ohne ein Gänschen zu fein). 
Franz, Diener des Arztes (normale Bedientenerfheinung, nit jehr jung, etwas 


plapperhajt). 


Spielt in einer deutfhen Provinzftadt. 


Zimmer des Doctors: Schreibtiſch, Bücherſchrank, 

gelehrter Anſtrich. Fritz Walter (am feinem Schreib - 

che ſißzend, mit verzweifelter Miene über eine 

Depeſche gebeugt; Huber ihm franz in erwartungs« 
voller Etellung). 


Fritzz (aufipringend. Na, da haben 
wir's, er kommt jelbit! Es ift zum 
Verrücktwerden — (nad einer feinen Paufe 
des Nacdentens). Franz! nimm Dich zu— 
jammen! Du mufst jegt Hug fein 
wie ein Diplomat, und verjchwiegen 
wie ein Maulwurf. 

Franz Geſchmeicheth. Das kann ic. 

Fritz (während Hermann unbemerkt eintritt), 


Du kaufſt jegt fehnell ein paar Saug- 


Kofrgger's „Heimgarten‘‘, 10, Heft, XV. 


flafjhen mit Stoppeln, etwas Milch, 
danır ein wenig Kinderwäſche, ver= 
ftehft du, — fo eine Art von Leibchen, 
Häubchen, — das legt du alles, wie 
zufällig, hier und dort hin, dann ſtellſt 
dur dich unten im Flur auf, und wenn 
ein behäbiger Alter mit Reifegepäd 
angefahren fommt, jo ftellft du dich 
ihm al$ meinen Diener vor, führft ihn 
hieher, trachteſt auch, daſs er nicht 
laut ſpricht, — du ſagſt ihm einfach — 
der Kleine jchläft, verftehit du, der 
Kleine ſchläft! — — 


46 





7 


Franz terftaund. Der Kleine? 

Herman 1 (vortreiend,, Tadıend). Ya, 
zum Zeufel, Freund, was treibt du 
denn! Das ift ja der reine Yalt- 
nachtsulk! 

Fritz. Ah, Hermann, gut, daſs du 
kommſt, du findeſt mich in der ärgſten 
Klemme meines Lebens — u Fran) 


raſch — raſch, in einer Biertelftunde |. . 


kann er bier fein. 

Franz (opffütteind ab). 

Hermann. Ja, wen erwartejt 
du denn? 

Fritz. Wen? meinen Onfel, den 
alten Brauſekopf. 

Hermann. Und für den braudhft 


du Kinderwäſche und Saugflaſchen? 


Fritz Grgerlich. Für ihn — und 
nicht für ihn. Hermann, ich ſage 
dir, es iſt eine verteufelt dumme 
Geſchichte. 

Hermann. Aber ſo erkläre dich 
doch! 

Fritz (ſich zur Ruhe zwingend). Alſo, 
in aller Kürze. Du weißt, ich war, 
was man ſo einen leichten Vogel 
nennt. Ich hatte Schulden, und Onkel 
Mathias, mein einziger naher Ver— 
wandter, bezahlte fie. Er bezahlte fie 
ein=, zweimal, das drittemal riſs ihm 
die Geduld. Er erklärte mir allen 
Ernftes, ih bekäme von ihm weder 
Brief noch Geld mehr, es ei denn — 
dass ich ein ordentlicher Menfch würde, 
einen Hausitand gründete und er 
Großontelfreuden erlebte... ahnſt 
du aljo? 

Hermann. Nicht das Leifeite. 
Du haft doch nicht plöglich geheiratet? 

Fritz. Nicht im Traum, das iſt's 
ju eben. Aber ich bin wieder in Geld— 


verlegenheit , diesmal ohne meine 
Schuld. Eine junge Praxis foftet 
mehr, als fie trägt. Die größere 


Wohnung, die Inferate, der Wageır, 
nit dem ich zweimal täglich durch die 
Stadt fahre. 

Hermann dasend). Jawohl, zu 
deinen guten Bekannten, die allefammt 
ganz gefund find, Dier rauchft du eine 
Gigarrette, dort ſchneideſt Du einer 


22 





hübſchen Frau die Cour, und wenn 
man dich danach mit ernfthafter Miene 
in den Wagen jteigen jieht, jo jagt 
man fih unwillkürlich: Der Dr. Walter 
mußſs ein jehr geſchickter Menfch fein — 
er hat fo viel zu thun. Und man er: 
findet die abjonderlichjten Operationen, 
die dir fänmtlich geglüdt fein follen 
. 0 ich feune das! 

Fritz. Dir übertreibft ein bijschen, 
aber wie dent fei ih brauche 
meines Onkels Freundihaft! Er war 
durh eineinhalb Jahre auf Reifen 
und wir hörten nichts von einander. 
Endlich erfahre ich durch einen Freund, 
dajs er auf kurze Zeit heimgekehrt 
jei in jein ftilles Landſtädtchen. Brief- 
(ih mochte ich weder lügen, noch ihm 
die Wahrheit geftehen. Ih faſſe alfo 
einen verzweifelten Entſchluſs. Ich 
jeße mid Hin und ſende folgende 
Depeſche ab: „Onkelchen, ich Habe 
eine frohe Botſchaft für Sie. Bin jeit 
einem Jahre verheiratet und Heute 
ind Sie Großonkel geworden! Ein 
fräftiger Junge ift angefommen! 
Seien Sie verföhnt und wieder 
gütig gefinnt Ihrem dankbaren Neffen 
Fritz.“ 

Hermann Gufſpringend). Menſch, 
du haſt einen Muth, um den dich 
der tapferſte Reitergeneral beneiden 
fönnte! 

Fritz. Sag’ lieber, e war ein 
dummer Streih! Ich Hatte gehofft, 
er werde mir einen gnädigen Brief 
Ichreiben und ein paar Hundert: Mart- 
feine für den Jungen beilegen — 
und nun kommt er! Da, lies 
ſelbſt! GGibt ihm die Depeſche.) 

Hermanındiet taut. „Profit, Her— 
zensjunge! Ich treffe heute noch bei 
dir ein. Onkel Mathias.“ Eachend): Nun 
begreif' ich alles. Die Kinderwäſche, 
die Saugflaſchen, — er ſoll alſo 
wirklich daran glauben ? 

Fritz. Er muſs, ſonſt bin ich 
verloren! 

Hermann. Famos! Und wenn 
er nun den Jungen ſehen will und 
deine Frau? 


7 


Fritz. Sehen?! Teufel, daran 
hatt’ ich noch gar nicht gedacht! 

Hermanı. So, an die Haupt: 

ſache denkſt du nie! Das ift doch 
ganz natürlih. Wie ich ihm Feine, 
hält er's nicht eine Viertelflunde lang 
aus. 
. Briß. Du folterft mich! (Rasventend) 
Ubrigens, ih werde meine Rolle zu 
Ende jpielen, ih werde den Arzt 
heraustehren und ihm far machen, 
dafs ſein lautes Weſen bier von 
ſchädlichſtem Einflufs fein könnte, 

Hermann. Das fannft du ver— 
juchen, aber ich zweifle an dem Erfolg. 
Und dann — er bleibt vielleicht ein 
paar Wochen bier, — (laden) wartet 
ab, bis deine Frau gänzlich erholt 
IB. 2% 

Fritz. Wir müffen ihn fern- 
halten, du mufst mir helfen! Oder — 
(tebhaft) weißt du was? Im Notbfalle 
must du mir deine Frau borgen, 
ſHermann macht eine Bewegung bes fomifchen Ent- 
febens? o — nur auf Stunden, verfteh’ 
mich recht, fie fpielt mir die kleine 
Komödie Jicherlich zuliebe ! 

Hermann. Meinft du? Und 
mein Heines Mädel dazu, dafs du es 
für deinen „Jungen“ ausgeben fannit ! 
Na, das gäbe ſchöne Geſchichten! 

Fritz. Ich bitte dich, Hermann, 
bring’ mich nicht in Verzweiflung! 
Sch will in Zukunft alle deine Zeitungs 
enten für paradiefiihe Schwäne er— 
Hären, will über jeden deiner ſchlechten 
Witze lachen und deine Nefrologe aus— 
wendig lernen, — nur jchüße mich 
vor meinem Onfel, errette mich vor 
diejer tödlichen Blamage . . . 

Hermann (mit luſtigem Pathos). Was 
ih thun kann, foll geſchehen! Ich 
werde jeine Wege freuzen, ihn ab- 
halten von aller läftigen Neugier — 
aber er wird bei dir wohnen wollen ! 

Fritz. Ih werde ihm jagen, 
dafs ich nicht Raum habe, ich müſſe 
mich ohnedies einjchränten. 

Hermann. Und menn deine 
Befannten davon Wind bekommen, 
3. B. die fleine Lucy? 


23 


Fri. Lucy?! Im Gottes Willen, 
nein, fie darf nichts von alleden er— 
fahren ! 

Franz (fommt athemlos mit Paketen). 
Co, Herr Doctor, da bin ich wieder. 
Mar ich nicht ſchnell? Alle Strafen 
bin ich abgelaufen wegen der dummen 
Flaſche. Überall waren die langen 
Schläuche daran, vor denen der Herr 
Doctor immer warnt und endlich — 

Fritzz Cungeduldigh. Ich bitte Dich, 
Franz, für dieſes Kind wäre doch 
jede Flaſche recht geweſen! 

F ranz {unbefümmert um dieſen Einwurf), 
Na, alfo endlich Hab’ ich doch das 
Richtige gefunden. Und im Wäſche— 
geſchäft, als ich eben dabei bin, fo 
ein Häubchen auszufuchen — tippt 
mich was auf die Schulter. Ich drehe 
mich am, steht Fräulein Lucy vor 
mir. 

Fritz dür ib). Verdammt. 

Fr anmz (fortfahrend, indem er die Pabete 
öffnet). Ja, was machen denn Sie 
da? fragt fie lachend, umd ich werde 
jo rot, wie ein ertappter Schuljunge 
und made ein ganz dummes Geficht. — 

Fritz (ars für ſch. Iſt ihm wohl 
nicht Schwer angekommen. 

Franz. Ja, find Sie denn Kinder— 
fran geworden, jagte fie, mit einem 
Blid auf das Häubchen, das ich noch 
immer in der Dand Hatte, und will 
fih Halb todt lachen. — Ah nein, 
gnädiges Fräulein, jage ich Heinlaut, 
ih habe nur ein Pathchen, das Hat 
morgen jeinen erften Geburtstag! — 
Aber für ein einjähriges Kind ift ja 
dad alles zu Hein, lieber Franz! 
„Lieber“ das fagte fie jo mit eigener 
Betonung. 

Friß Grserlich. Dummkopf, was 
weiter! 

Franz. „Willen Sie was, — ich 
werde Ihnen auch etwas für das Kleine 
Ihiden“, fagte fie dann und — fort 
war fie! 

Friß (m Hermann). Schöne Ge— 
Ihichte! Wenn ich mun Hinfomme, wird 
fie mich ausfragen. 

Hermann. Weißt du was, ich 


46* 


124 


werde fie zu begegnen ſuchen, ich 
werde ihr jagen, du ſeieſt verreist 
auf ein paar Tage, — bis dahin 
trachteit du, den Onkel abzujchütteln, 
kurz, die Hauptgefahr iſt vorüber! 

Fritz. Thu das, mein Alter, 
geh gleich, Jag’ ihr auch derſtreuy mein 
fag’ ihr lieber nichts . . . 

Hermann. Auf Miederjehen 
aljo! «as. 

F r ittz ſſinkt jeufzend in ein Fauteuil und 
jündet ſich eine Gigarrette an). ch möchte lieber 
in der Haut meines Fchwindjüchtigen 
Stanzleirathes jteden, als in meiner 
eigenen! Da preifen fie das Jungge— 
jellenleben und ſchmähen die Ehe — 
was gäb’ ih in diefem Augenblick 
darum, in Mahrheit jo ein armer 
Verheirateter zu fein! O — ich würde 
meine rau auf Händen tragen, ich 
würde jo einen Heinen, herzigen 
Bengel die ganze Naht auf diejen 
Armen wiegen, wenn es fein müfste — 
aber Haben, Haben wollt’ ich fie! 
(Epringt auf, wirft die Gigarrette in die Aſchenſchale 
unb tritt ans fyeniter.) 

Franz (der indeſſen ausſspacktt, in Betrad- 
tung eines Meinen Hemden. Es iſt kaum glaub» 
ih, dafs man auch einmal fo Kein 
und herzig war. 

Fritz. Was fäufelft du da? 

Franz. Es ift doch eigentlich 
jammerſchade, Herr Doctor, dajs wir 
nicht im Ernfte jo ein Kindchen da 
haben, — da wäre auch eine liebe, 
gnädige Frau da und eine nette Köchin, 
und ih brauchte mich nicht um das 
leidige Kaffeelodhen zu kümmern und 
Sie würden hübſch fein zuhaufe bleiben 
des Abends. 

Fritz dagelnd. Meinft du? 

F ra 13 (fi allmählid in die Hike rebend). 
Das ift überhaupt gar fein Leben, wie 
wir es führen — dieſes verdammte 
Gafthausgehen bei jedem Wetter und 
ih von den ſchmutzigen Stellnerbuben 
weismachen laffen, daſs die zäheſte 
Hammielkeule delicat ſei, — oder glauben 
Sie etwa, dafs Ihnen dies ungeſunde 


jehen, Doctor, wohin das führt, und 
vollends — — dieje Briefchenſchickerei 
mit den niedlichen Keinen Bouquets 
in Seidenpapier gewidelt — verzeih’ 
mir’s der Himmel, aber es ift hohe 
Zeit, Herr Doctor, dafs Sie unter den 
PBantoffel fommen ! 


Vriß (halb beluſtigt, bald ärgerlih). Alle 
Teufel! Du wirft mir doch nicht 
Moral predigen wollen, alte Daumens 
ſchraube; das fehlte noch, daſs man 
ih von feinem eigenen Bedienten für 
künftige Gardinenpredigten vorbereiten 
ließe! Sieh zu, daſs du fertig wirft — 
der Onkel kann jeden Augenblick Hier 
fein. 


DOnfel Mathias tin die Thür 
teetend). Fa, da ift er, der Onkel! Tu 
Gapitalsjunge, du Schwerenöther «öfinet 
die Arme gegen Friß). 

Fritz (ihn umarmend). Onkelchen — 
ih finde feine Worte. 


DOnfel «emüthlich. Glaub’ dir's, 
it auch nicht vonmötben. Ich weiß 
alles, was du mir jagen willft; und 
was id noch nicht weiß, das haft du 
vollauf Zeit, mir zu jagen, denn ich 
bleibe jeßt hier, Jolange es mich freut — 
man ift nicht umjonft jo ein glüdlicher 
alter Müffiggänger. 

F ti tz (hinter ihm eine verzweifelte Geberde 
machend; Tut): Sie ahnen nit, was 
ih alles auf dem Herzen habe. 


Onkel (is bequem machend). Na, ich 
will dir Helfen! Du Haft dich in ein 
braves Mädel verliebt, das vielleicht 
feine große Mitgift bekommen hat. 
Du Haft deshalb deinem alten Ontel 
früher nichts mitgetheilt, weil du 
dachteit, das ift ein gefühllofer Philiſter, 
ein verknöcherter Junggejelle, der mir 
vielleicht abräth und mir irgend eine 
„gute Partie” auf den Leib hetz — 
turz, du haft jelbftändig Handeln wollen, 
du haft mich überrafhen wollen mit 
deinem doppelten Glüd! Nicht wahr, 
mein Junge? GSrit niat mit dem Kopfen 


Kneipen bis in die Nacht hinein gut Und nun bin ih da und will mic 
thun kaun, na, Sie werden ſchon ſo recht von Herzen freuen — na, 


7 ee — nn 
8 = ® 


und wo ilt er denn, der fleine, ſüße 
Kerl, und deine Frau? Gewiſs ein 
allerliebftes appetitlihes Weibchen, 
was?! 

Fritz auf die Thür weiſend). Still, 
Onkelchen, fill! es jchläft alles da 
drinnen — du mufst dich vorläufig 
gedulden, wistis) die größte Ruhe iſt 
nothmwendig. 

Dntel Gweifelnd). Oho, es gebt 
doch nicht etwa ſchlimm? 

Fritz. Nicht im geringſten; aber 
du wirſt einſehen, Onkel, als Arzt 
muſs ich doppelt ſtreng ſein! 

Onkel. Na, hör' mal, zu meiner 
Zeit war man nicht ſo ängſtlich in 
ſolchen Dingen. Ich erinnere mich, 
daſs ich mit acht Tagen mit den 
Eltern meine erſte Schlittenfahrt machte 
und mit vierzehn Taden mein erſtes 
Butterbrot verzehrte, während meine 
Geſchwiſter mit Trommeln, Trompeten 
und Tſchinellen an meinem Korb 
ſtanden und ein Concert executierten — 
(Ad in die Bruft werfend) — das ſtärkt die 
Nerven, da wird man fo ein Kerl! 

Frittz dasend. Sie Nibelung ! 

(Franz, der bem Onfel ſchon früher das 
Neifegepäd abgenommen, macht ih damit zu ſchaffen.) 

Fritz. Apropos, Onfel, wo find 
Sie abgeftiegen ? 

DOntel werrust. Abgeitiegen? Na, 
du wirft mich wohl dabehalten, Junge? 

Fritz wertegen. Verzeihung, Ontel, 
Sie find wohl nicht böfe, aber mir 
find fehr bejchräntt im Raum. Hier 
ordiniere ich, dort it das Wohn— 
zimmer, — drüben hat Franz ein 
Stübden. 

Onkel. Sofo, naich verſtehe . . . 
(u Fran) alfo marſch, das Heine 
Kofferhen zum „Deutſchen Kaiſer“. 

Franz. Und der große? 

DOntel. Bleibt hier, — da find 
lauter Spielfahen drin für den Jun— 
gen. Soldaten, Beitichen, ein Schaukel— 
pferd. 

Fr ih (ringt verzweifelt die Hände). 

Franz ab. 

Fritz. Onkel, Sie find von einer 
drüdenden Fürſorge . . 


Onkel. Lächerlich! Aber dafs ich 
nicht vergefle, Fri — Misere) — du 
wirft vielleicht jo verſchiedene Aus— 
lagen haben, auf die du nicht gleich 
gefajst bift — (sicht die Brieftaſche). 

Fritz eblehnend). Nein, mein Onkel. 

Onkel. Keine Umſtände! Man 
hilft ſich gegenſeitig ibt ihm ein paar 
Tauſend ⸗Marlſcheine). 

Fritz (was gepreſsth. Sie find zu 
gütig ... nimmt die Papiere an ſich). 

Onkel ns in einen Stuhl werfend). Ich 
fann die gar micht jagen, wie mich 
diefe Nachricht gefreut Hat! Meine 
alte Katharine Hat gemeint, ich fei 
plöglih irrfinnig geworden, jo ein 
Iuftiges Donnerwetter Hab’ ih ge— 
ſchlagen. Ach habe ſelbſt einen zweiten 
Römer vom Gläſerſchrank geholt und 
fie hat mit anftogen müfjen auf deinen 
Jungen, dafs ihr die Thränen über 
die Nafe liefen. — (Etwas gerührt.) Na, 
du weißt ja, ich Habe niemand als 
dich, und wenn man auch noch feine 
ftrammen Glieder beifammen hat, fo 
will man doc wiſſen, wie ſich das 
bifschen Familie weiter entwidelt und 
in welde Hände man einjtmals die 
Frucht feiner Mühen legen kann. 

Fritz. Onkel, ih bitte Sie, Sie 
ahnen nicht, wie Sie mir das Herz 
ſchwer machen. 

Onkel seiten). Aber nun mufst 
du mir wenigitens da3 Bild deiner 
Frau zeigen. 

Fritz Mürfis). Das hat noch ge— 
fehlt! aut) Ahr Bild — ja gewiis, 
warten Sie nur. 

Onkel Gündet ſich behaglich eine Gigarre 
an). Man darf doc hier rauchen? 

Fritz. O, natürlich. (Öffnet ein paar 
Laden des Schreibtiſches, fuchend.) Mo hab’ ich's 
nur gleich? 

Onkel. Du kannſt dir denken, 
daſs ich ſehr neugierig bin! 

F ri b (für fi, eine Photographie findend), 
AH, — Luchs Bid! Soll id? — — 
Bad, er kennt fie nicht wendet das Bi 
um), es fteht nichts oben, — Hilf, 
was helfen kann! — (aut) Hier, lieber 
Onkel! Gibt ihm das Bi.) 


Onkel. Ale Wetter, die Hat 
Race! Ein pifantes, ſchneidiges Frauen— 
zimmer. Profit, Junge, das nenn’ ich 
Geſchmack! Eschniſch) Weißt du, bei— 
nahe etwas zu hübſch für einen 
Provinzdoctor! Na, ſag' einmal, ſie 
iſt jedenfalls auch ſonſt ein Engel, gut 
erzogen, von feinen Manieren. 

Fritz (cuthuſiaſtiſchy. Eine Heine Voll— 
kommenheit! 

Onkel Greudigch. So? Na — das 
hab' ich mir auch erhofft, wenn ſo 
ein Junker Leichtſiun einmal Hochzeit 
macht, dann muſs es auch etwas 
Ordentliches ſein. — Und der Kleine, 
du kannſt dir gar nicht vorſtellen, wie 
ich mich auf ihn freue, — trinkt er 
fleißig. ja? (Frik nid Die Flaſchen bemer- 
tend.) Ach dur lieber Gott, da fteht ja 
fein Humpen, — tin zärtlich betrachtend). 
Wohl befomm’s dem Jungen, — fag’ 
einmal, was bat er denn für Augen ? 

Fri (ungewiss. Blaue, — ja, 
blaue, — das Heißt, fie wechjeln noch 
die Farbe bei den Kindern, 

Onkel ci). Ya, ja, verſteht 
ih! Du, hör’ einmal, bis deine Frau 
wieder wohl ift, dann laſſen wir uns 
alle photographieren, weißt du, fo 
ein ungezwungenes Gruppenbild, — 
der Stleine auf meinen Knien im 
Hemden. 

Fritz dur ns). Barmherziger Him— 
mel! (aut) Das lafjen wir für ſpäter, 
Ontel, vorläufig ift an das alles nicht 
zu denfen. 

Ontlel, Und was ich dir fagen 
will, — du mufst den Jungen ab» 
bärten, weißt du, recht abhärten. Salt 
waſchen, das ift die Hauptſache, und 
ihwimmen muf3 er lernen, turen, 
fechten, reiten, ein richtiger flotter 
Menſch muſs aus ihm werden, Und 
wenn er einmal ftudiert, dann ſchickt 
man ihn nach Heidelberg, das ift ganz 
nah’ von mir, und da will ich wacker 
mit ihm — 

Fritz dechend. Büffeln? 

Onkel éeviah. Ne, — trinken, — 
das wird eine Luft werden! Meibt fi die 
Hände, dann etwas nahdentlih) Das heißt, 


‚IS 
— 
per 


wenn ich noch lebe, — aber wir Walters 
find ja alle zäh und feit. 

Fritz. Wir wollen’3 Hoffen ! 

Franz can der Ahüy. Der Herr Ge— 
heimrath laſſen ſchleunigſt bitten. 

Fritz. Da, ja, ich komme gleich. 
Iſt mein Wagen unten ? 

Franz. Zu dienen, Herr Doctor ! 

Friß Gum On. Sehen Sie, 
Ontel, das ift jo ein leidiger Beruf! 
Kaum dafs ih Sie begrüßen konnte, 
werde ich Schon mieder weggerufen. 

Onkel daqchend ergänzend). Um jemand 
ins bejiere Jenſeits zu befördern — 
ja, ja, das mag oft feine leichte Auf— 
gabe fein, wenn der Betreffende eine 
gute Conſtitution hat, 

Fritz daunigh. Sie haben aber eine 
recht nette Meinung von meiner ärzt— 
lichen Kunſt, — das muf3 ich Jagen, 
vertrauen Sie diejelbe ja niemand 
an, fie könnten mir alle Patienten 
vertreiben, 

Onkel (Gleichfalls launich. Nee, Fällt 
mir gar nicht ein, die Leute ſollen 
nur ſelber durch Schaden klug werden 
— aber was ich ſagen wollte, wenn 
du jebt da Hinein gehft, um Adieu 
zu fagen, — da — da lajs ein 
bijschen die Thür offen, ein ganz Hein 
wenig, — nur dur den Epalt 
möcht’ ich guden. 

Fri. Unmöglich, Onkel, ganz 
unmöglich, — ih bin gleih wieder 
da. 

Onkel. Alſo in Gottesnament, 
ich warte hier. 

(Fri ins Wohnzimmer ab.) 

Franz Gurüdtommend. Habe alles 
beforgt, befehlen Sie noch etwas, Herr 
Malter ? 

D nkel orüd ihm einen Thaler in die 
Hand). Da — trinten Sie jih "mal 
ein ganz winziges Räuſchchen an, zu 
Ehren unferes Jungen. 

Franz (mit froher Verbeugungh. D, 
der gnädige Herr ſollen ſich nicht be— 
Hagen dürfen. 

Friß Gmrüdteheend. So, da bin 
ich wieder. 





1 


Dntel mit einer fragenden zärtlichen Ges 
berde nad der Thür). 

Fritz ci. Alles ſchläft. 
(Zu Franz) — Gib gut acht auf alles 
— e3 darf niemand eingelafjen werden, 
hören Sie, niemand! 

Franz. Sehr wohl, Herr Doctor! 

Fritz (sum Ontel, Hut und Etod nchmend). 
Sie begleiten mich doch, liebfter Ontel ?! 

DOntel wer aub ſchon Hut und Plaid ger 
nommen). Alſo vorwärts, ich gehe ein 
Stüd mit dir, dann in mein Hotel. 
(Zu Franz.) Grüßen Sie meinen Groß— 
neffen, wenn er aufwacht — «mit einem 
Blid anf den Koffer). — Der wird Augen 
machen! (Beide ab.) 

Yranz. Das möcht’ ich jelber 
jehen, was der für Augen macht! 
Nein, fo eine Verrüdtheit von meinem 
Herrn; da fieht man's wieder deut— 
lid, daſs die fludierten Leute leicht 
überjchnappen (hebt AG in ein Fauteuil im 
Hintergrunde des Zimmers). Mas nur der 
Alte jagen wird, wein er erfährt, 
dajs das alles nicht wahr ift. Ich 
fann auch gar nicht begreifen, was 
meinen Doctor jo plötzlich irrſinnig 
gemacht Hat, vielleicht wärs am 
Hügften, wenn ich den Ontel darauf 
aufmerffam machte, dafs es da nicht 
ganz richtig ift — Geigt auf die Etirn. — 
Sqläfrig) Ah, wir wollen’3 abwarten, 
— ih hab’ mir jagen laffen, man 
müfle auf jo fire Ideen ganz einfach) 
eingehen. — Nein diefes Herumlaufen 
heute, hat mich ganz mid’ gemacht, 
(säpu) — des Abends will ich mir 
meinen Thaler zu Gemüthe führen — 
wenn ich nur wüſst'! ... Eglummert 
ein. Aleine Paufe, dann) 

Lucy. (Sie tritt Teife, vorfictig ſpähend 
ein, im hellen Eommerlleid, mit Hut und Schirm, 
ein Päcchen im Arm.) Much Hier niemand 
— jollte Franz mitgereist fein? — 
Aber dann wäre ja die Wohnung 
verfperrt. (Sich umblidend.) Ah — dort 
liegt er ja. Er ſchläft — fol ih 
ihn mweden? Nein — ich lege ihm 
meine Heinen Gejchenfe dort auf das 
Tiſchchen «put dies) und fehe mich ganz 
heimlich Hier ein wenig um. Wie mir 


toller heute erzählt, dafs „er“ ver= 
reist jei, da kommt es wie eine Offens 
barung über mid. Lucy, fage ich zu 
mir, du ſchickſt das Paketchen nicht 
durh das Dienftmädchen, nein, du 
trägit es ſelbſt Hin und begudft dir 
dabei die Räume, in denen der „Herr 
Doctor* haust. Und da bin ich wirk— 
ih! Na, wenn Mama das wüjste!l... 
ESchlägt die Hände zufammen, wendet fih um und 
um) Alſo Hier!? Brrr — die Ddiden 
Bücher da oben, das find gewijs 
lauter gedrudte Krankheiten, mit latei= 
nischen Schmerzen. Was joll denn 
der große Soffer da? Er wird ihm 
wohl nicht nachgeſchickt, jo lange bleibt 
er wohl nicht fort! Was Hat er dem 
bier? (Die Bücher auf dem Schreibtiſch mufternd, 
tiest) Schopenhauer! Natürlih, der 
darf nicht fehlen bei diefen abſcheulichen 
Männern. Übrigens «sefrievign, er ſieht 
jehr verftaubt aus, der alte Weiber: 
feind wurde alfo lange nicht gelejen. 
Und Hier? Zolas „Germinal“ und 
„La terre“, ganz frifh aus der 
Buchhandlung! Na, warte nur, du 
Ungeheuer ! (Das Bud etwas durchblätternd.) 
Wenn ich einmal feine Frau bin, 
dann, — dann ef’ ich das alles 


auch — ſſich befinnend, etwas fentimentaf). 
Seine Frau? Ja, wer jagt mir den, 
dafs ich e8 werde?! — (Einen Meinen 


Strauß erblidend.) Ach, meine Veilchen von 
der lebten Maifahrt, er hat fie aljo 
aufgehoben ? Ob er mich wohl fo lieb 
hat, als er's merlen läſst? Euſtis.) 
Mar das hübſch, damals, als Herr 
Koller Mama fo angelegentlih von 
dem großen Gilenbahnunfall unter- 
hielt und wir ung plößlich allein jahen 
auf der frifchen, grünen Wieſe. Der 
Himmel war jo blau, dafs es mid 
blendete und ich meinen großen Sonnen 
Ihirm über uns beide wölbte; und 
da faiste er nach meiner Dand und 
ließ fie nicht eher los, bis ich ihm 
einen Kuſs zufagte. Und dann bei 
der Heimfahrt, al3 der Mond über 
den Wald heraufitieg — ad, wie das 
Ihön war! «fteine Paufe,dann wieder ſchneller.) 


Warum er fich nicht empfohlen hat, 


18 _ 


vor jeiner Abreife, der ſchlechte Menſch? nun fperren Sie aber rafh Hinter 
(Geht an ein nächſtes Tiſchchen und findet ein Album.) | mir zu umd berrathen Sie niemand, 
Laſs einmal fehen, am Ende eine! dajs ich bier war, hören Sie, ni e— 
Schönheitsgallerie , (stättert darin. Ein mand. 

paar Burſchenſchafter mit geflidten Franz (no verſchlafen) Aber Fräu— 
Wangen, ein alter Herr, — Herr) lein, ich werde doch nit, taufend 
Koller im Frad und Claque, — ein! Dant! 

paar hübſche Mädchen im Empire— Onkel (ommt eitig in Gedanten). Ich 
Coſtüme, — zwei Ballettänzerinnen — |will nur den Koffer öffnen, um zu 
na warte (fie eilt zum Edreibtif und taucht die | ſehen «bemerkt Lucy und fährt erflaunt zurüd). 
Beder ein; ſchteibt ins Album). Als Geſammt- | Seh’ ich recht? oder träume ich ?! 
titel: Doctor Walterd Patienten. Und | Und meineidalben wären Sie alſo jo 
zu jedem einzelnen Bild «asend) ein plößlih aufgeftanden? Nein, nein, 
Kreuz Geichnet überall Haftig cin Arenz Hin). | das ift ja gar nicht möglich! 

So, wenn ih nun ein MWartender Luch wertegen. Ich verftehe nicht. 
hier die Zeit vertreibt, wird er fi Dutel. Na, mad dod feine Um— 
böchlich beruhigt fühlen! (alappt lacend ftände, liebes Kind, da fomm, komm 
das Bud zu; bemerkt die Saugflaſchen und nimmt | an mein Herz, ich kenne dich kaum, 
eine zur Sand.) Mas ift denm das — aber ich liebe dich ſchon. 

ab, auch für Heine Kinder, für das Lucy (erſchreah. Um Ootteswillen, 
„Pathchen“ wahrfcheinlih. Das mufs | Franz, erklären Sie dodh dem Herrn. 
doch die größte Freude jein, jo ein Franz wistie. Die Dame — — 

Heines, zappelndes Gejchöpf im Arm Onkel. Schweig er ftill, dummer 
zu haben! Mama fagt immer, e3 ſei Kerl! Die Dame ift meine Nichte, 

eine große Plage, ein Kind aufzus | meine reizende, liebe Nichte. 

ziehen. Mag fein. Ih denke mir!) Lucy. Mein Herr, ich kenne Sie 
aber doch gar zu hübſch. Das Anz! gar nicht! 

und Ausziehen und Wafchen, und: Onkel. Na, ih bin doch der 
wenn e3 zu plappern anfängt, — ich | Onfel Matthias, vor einer Stunde 
glaube, ich würde den ganzen Tag angefommen, fonnte kaum erwarten, 

damit zubringen. — — Mama hat dich und den Kleinen zu fehen, aber 
wirklich recht, — ich habe fein Talent | dein Mann wollte vor lauter Fürſorge 
zur alten Jungfer. Esalthaft finnend.)| nichts davon wiſſen und nun machft 
Aber wenn mich num der nicht nimmt, | du mir die große Freude, — ſiehſt 
den ich möchte und der, den ich möchte, | du, das ift lieb von dir, zu lieb, — 
mich nicht nimmt, — — dann, 2 aber wenn e3 dir nur nicht fchadet — 
Ah, bab, wie jagt doch Klärchen (mit (beſorghh, weißt du, dein Manı bat 
etwas Patbos:) „Laſs die Zeit kommen, | eigentlich recht, man kann nicht vor= 
wie den Tod, — dran vorzudenken fihtig genug fein, in diefer Zeit, — 
iſt Schredhaft!” — Aber nun muſs ich | und dann, was ſehe ih?! Du Haft 
wirtiih fort, eh mich jemand hier! ja fogar einen Hut auf, du willſt 
findet. (Mast unverfehens etwas Lärm mit dem | fort, nein, nein, mein liebes Sind, 





Schirm oder dergleichen.) mit dem Ausgehen iſt's nichts. Bom 
Franz (ermwadend, etwas verbtüftt, Das | Bett heraus an die frifche Luft, was 
gnädige Fräulein ? dir nur einfällt! O, du haft gewiſs 


Lucy. Jawohl, das gnädige mein unbejcheidenes Drängen gehört 
Fräulein. Das Heißt, ich bin gleich | und wollteft meiner Neugierde dies 
nicht mehr da, die Thüren ftanden | Opfer bringen, — aber wahrhaftig, 
alle weit offen, da kam ich herein, das ift zu viel, das Tann ich nicht 
um Ihnen das Verſprochene für Ihr | dulden. 

Pathenkind zu bringen, — — je, Lucy Galb weinerlich. Mein Herr, 








Sie haben fiherlih die Thür ver- 
fehlt, — es if ein Irrthum, ich 
babe ja gar feinen Ontel, feinen 
Mann. 

Onkel. Thür verfehlt ? «wicht ſich 
um.) Nee, ih bin ganz recht, aber ich 
begreife nicht dieſe Ahnlichkeit, — 
freilih, wenn Sie feinen Mann haben, 
dann bin auch ich nicht Ihr Onkel, — 
aber vielleicht find Siedie Schweiter, — 
ja, ja das wird es fein. 

Lucy Wefangen). O, ih bin gar 
nicht verwandt, ih fam nur, id 
wollte nur — 

Onkel. Alſo eine Freundin, die 
nachſehen wollte, wie’3 dem Kleinen 
geht, nicht wahr? Gut geht's ihm, 
prächtig geht's ihm, trinkt wie ein 
Heidelberger Student, hab’ ihn zwar 
noch nicht gefehen, aber ich weiß ed, — 
ih bin nämlich der Ontel, Heute erft 
angelommen. 

Luch (eiremde). Er ſcheint doch 
im Irrthum zu fein, 

F ran 3 (ringt im Hintergrunde bie Hände; 
für fo). Geht bricht das Wetter los, 
ich drüde mich! (Ab durd die Thüre links.) 

Luch ür ſich. Ein unausftehlicher 
Menſch, — betrunfen oder irrfinnig. 

Onkel dür is). Allerliebftes Ges 
ſchöpf, wenn feine Frau Fo ift, allen 
Reſpect! aut.) Wollen Sie jih’s nicht 
bequem machen, liebes Fräulein? (Mur 
ein Fautenil weifend, heimlich, Sagen Sie 
einmal, waren Sie ſchon da 
drinnen ? (Auf die Ihr zeigend.) 

Lucy (ie ſich ängftlid niedergefcht, fhüttelt 
den Kopf. Sch verſtehe Sie nidt. 

Onkel Wario. Alfo nicht einmal 
Sie hat man eingelafien, — na, das 
nenn’ ich doch wirklich übertrieben. 
Ich Hatte mich Schon gefreut, aus 
Ihrem Munde Keine Details über 
den Herzigen Wicht zu erfahren. — 
(uch immer ängſtlichere, erftanntere Augen ma« 
Send.) Aber finden Sie nicht, er ſchreit 
ja gar nit, — das reine Muſter— 
find, — natürlid, das liegt fo in 
der Familie, 

Lucy fängktih für fi), Er mujs 
wahnfinnig fein, wenn ich nur fort 


— 


könnte — (aut). Sie entſchuldigen — 
aber ich werde erwartet Guagt ihm eine 
Verbeugung und eilt der Thüre zu). 

Ontel wätt fie zurüd). Aber warten 
Sie doch noch einen Heinen Augen 
blid, liebes Fräulein, fehen Sie, Sie 
dürfen nicht ungehalten fein, — aber 
mein Herz ift fo voll von dieſem 
frohen Ereignis, dafs ich meine Zunge 
nicht halten kann. 

Luch (bald angſtlich, halb ärgerlich. ES 
frent mich, wenn Sie glüdlih jind, 
aber ih weiß abjolut nicht, wie 
ih dazu komme, Ihre Glüdjeligkeit 
zu theilen und worin jie befteht. 

Onkel use. So? Ja freilich, ic 
habe mich noch nicht vorgeftellt, aber 
ih dachte, Sie hätten ſchon von meiner 
Anweſenheit gehört, ih Heike 
Matthias Walter und bin der Ontel 
meines Neffen, des Doctor? . . „ver 
neigt fidh). 

Puc y (verbindfih und verlegen). Sehr 
erfreut, Herr Walter, aber . 

DOntel. Na, nun willen Sie 
aljo auch, weshalb ih fo närriſch 
vergnügt bin! 

Lucy (derupigter, Tähelnd). Nicht im 
mindejten. 

Dunkel Gußer ih. Ja, Donner» 
wetter, jo willen Sie aljo noch nicht, 
dajs mein Neffe einen Jungen bes 
fommen bat? 

Lucy das). 

Ontel tefauny. Sie laden, mein 
Fräulein? 

Lucy dür na). Er iſt allen Ernſtes 
verrückt — (Saut. nod immer lachend). Ihr 
Neffe? Doctor Fri Walter? Das 
ift zu komisch ! 

Dntel als beleidigt). Na, erlauben 
Sie mir, was daran jo fomifch ift, 
weiß ich wahrhaftig nicht ! Wenn ich's 
Ihnen doch fage, ein Mords- 
junge, kräftig, ausnehmend talentiert. 

Lucy dfinft lachend in ihr Fauteuil 
zurüch Aber er ift ja doch gar nicht 
verheiratet! 

DOntel wütsend. Nicht verheiratet? 
Ih glaube wahrhaftig, Sie machen 


730 


ſich luſtig über 
kennen ihn nicht. 

Luch (noch immer lachend). O doch. 

Onkel wor ſich bin, ohne Lucy anyufchen). 
Vielleicht ganz oberflählih, — kann 
jein, daſs er Ihnen zufällig nicht 
erzählt Hat, daſs er verheiratet fei. 
Aber er ift es, und zwar fehr glüd- 
id, — Sie hätten ihn fehen follen, 
wie er beforgt war, wie er leije 
ſprach, — hätte nie gedacht, dafs ſich 
der Taugenihts jo zum Ehemann 
beranbilden würde, 

Luc ) (unficer, aber noch immer lächelnd). 
Verheiratet ? Sie ſcherzen — — wer 
wäre denn die Glückliche?! 

O Ekel tetwas von oben herab mit Genug» 
tyuung). Wer? Hm, jehr neite Frau, 
aus guter Familie, feingebildet, wunder: 
hübſch, — Sieht Ihnen, mie gejagt, 
ſehr ähnlich — Mas Bild jugend). Aber 
da, jehen Sie ſelbſt, — das ift fie, 
wie fie leibt und lebt, — famos 
getroffen. 

L u ch (das Bild nehmend, mit leiſem Auf⸗ 
ihre). Ich!! im Ballkleid — tür ſich 
was hat das zu bedeuten? Ach, ich 
errathe alles! Sicher ein Schelmen- 
ſtreich! Na, warte nur, auch ich will 
euch ein wenig necken! — (Laut. ihm das 
Did heftig zurüdgebend.) Sie irren fi, Sie 
müſſen ſich irren, Herr Walter ! 

Onkel eifrig und ärgerlich. Menn 
er mir's aber doch gerade ſelbſt ge- 
geben hat! 

Lucy. Ihnen ſelbſt gegeben! Ja, 
ift er denn nicht verreist ?! 

Onkel. Berreist? — Nicht die 
Spur, zu Geheimraths ward er ge: 
rufen. 

Qu ch Ghwantt, mit erheucheltem Schmerz, 
Hatbtaut). Der Elende! mich jo zu bes 
lügen. 

Oukel 6Gltlich aufmertfam). Was ift 
da5? Sollte er am Ende eine Heine 
Liebjchaft von früher her — Teufel, 
das war ein dummer Streih von 
mir! Das Heißt, er ift Schuld an 
alledem, oder jollte eine geheime Nei« 
gung des Mädchens? — Wenn die 
Frau da drinnen das erführe.. . . 


mih! Oder Sie 


aut und fanft). Darf ich fragen, mein 
liebes Fräulein, — ich fürdte — — 


L u od (ihn überhörend, Für fi, ſchmerzlich. 


Verheiratet! Und mir zu jagen, dafs 
er mich liebt! — D, num fällt mir’s 
wie Schuppen von den Augen, — 
Franz, die Kinderwäſche . . . werbänt 
ihr Gefidt). 

Onkel ün Verzweiflung, einbringlich). 
Verzeihen Sie mir, mein Fräulein, — 
wenn Sie mir nur jagen wollten, mit 
wen ich — wie ich meine unwifjentliche 
Kränfung wieder gutmachen kann. 

Lucy dis faſſend). O, es ift nichts, 
ich bin nur eine Patientin, ich wuſste 
nicht, dafs der Doctor... . 

Onkel weten. Eine Patientin? 
Ja, ja, ich dachte mir's gleich (ür im. 
Offenbar herzleidend . So eine 
Heine Liaifon von früher her, — da 
bin ih nun Hübfh in die Klemme 
gerathen. 

Luc ) (dem Onkel die Hand reichend, mit 
feinem za. Jh gehe nun, — Sie 
werden ganz vergeljen, daſs ich da 
war, dafs ich überhaupt eriftiere, nicht 
wahr, Herr Walter, ih bitte Sie 
darum ! 

Onkel «erähry. Das wird mir 
wirklich ſchwer falle, liebes Fräulein, 
denn ehrlich geftanden, Sie gefallen 
mir jo gut, jo ausnehmend gut, ver— 
geben Sie mir meine Ungefhidlich- 
feit, ich könnte mir dieſe thörichte 
Zunge ausreißen, 

Lucy. Es war nidht3 als ein 
feines Mifsverftändnis, — ich dente 
nicht mehr daran. Leben Sie wohl. 
(Geht an die Thlir, wo fie mit Fritz zufammentrifft, 
der eilig tommt.) 

Frih Geſtürzth. Lucy, Sie bier? 
(Fast ihre Sand.) 

g uc 1") (entzieht ihm ihre Hand und will fort). 

Yri B (erregt, drängt fie ins Zimmer zurüd). 
Lucy, ih beſchwöre Sie, ich werde 
Ihnen alles aufllären, denken Sie 
nicht Schlecht von mir! 

Lucy ceftigh. Laſſen Sie mid, 
ih dveradhte Sie, ihre Ontel hat mir 
alles gejagt. 





w- 


— 


Fritz Gußer ih. Mein Onkel iſt 
ein Narr! 

Onkel wütend. Na, hör’ einmal, 
das iſt mir zu viel! Erſt Hintergehft 
du ein unſchuldiges Mädchen und 
dann haft du noch die exemplariſche 
Frechheit, mich für verrüdt auszu— 
geben. 

Luch (mit erheucheltenn Schmerzje). D, 
Ihr Ontel Scheint durchaus fein Narr 
zu fein, — aber id, ich bin eine 
Thörin geweſen, daſs ih Ihnen ges 
glaubt Habe. Wie können Sie es 
wagen, verheiratet zu fein, wenn Sie 
mich lieben, Sie Ungeheuer. 

Onkel tin Hit). Jawohl, wie 
fannft du es wagen, ein jo veizendes 
Mädchen fo zu behandeln. 

Fritz (heimlich und dringend zu Lucy). 
Luch! Ich flehe dich an, ſei ver— 
nünftig, — ich bin ja gar nicht ver— 
heiratet, es war nur ein Scherz, eine 
Nothlüge, ich liebe dich, nur dich, Luch, 
und du allein kannſt mich zum glück— 
lichſten Ehemann machen, wenn du 
willſt! — Hilf mir ihn zu verſöhnen, 
ich will dir alles, alles beichten, ſüßes 
Geſchöpf! Gumſchlingt fie Hard.) 

Onkel. Du biſt ein ganz un— 
verſchämter Kerl!! 





Fritz. Ich geb' es zu, — aber 
es war ein verzweifeltes Mittel, deine 
Freundſchaft zurückzugewinnen, die ich 
nicht entbehren will, — Onkel — 

Onkel. Na hör' einmal — ſo 
mit meinen Gefühlen zu ſpielen — — 

Frittz. Verzeihen Sie mir! Ich 
bin ſo ledig und kinderlos, als man 
es nur ſein kann, — aber hier dieſe 
holde kleine Luch, — wenn ſie wollte — 

Lucy. O ich bin ſo bös — ſo 
bös — was haben Sie nur alles 
angeſtellt! 

Fritz. Heiraten Sie mich, Fräu— 
fein Lucy — ich bitte Sie, heiraten 
Sie mich! So wahr dies mein legter 
toller Streih war, fo wahr will id 
Sie glüdlih machen! 

Lucy. Kann man Jhnen denn 
noch glauben ? Meicht Hm lähelnd die Hand.) 

Onkel. Mein Kopf brummt, wie 
eine alte Thurmglode, — mid jo an 
der Nafe herumzuführen! Und id 
hatte mich Schon fo gefreut — der 
Junge! der Junge!! 

Fritz deifer zu ihm. Der kommt 
nad, ich verfpreche es Ihnen! Alſo 
Verzeihung, Onkelchen. 

Dntel. Das ift dein Glüd, daſs 


‚ 2 uch dauter zum Ontel). Da hören du dir gerade dies Bräutchen aus: 
Sie nur — er jagt mir bu, der —| gefucht haft — wir Walter Hatten 


der — Schlechte Menſch. 

Onkel. Um Gotteswillen, nicht 
jo laut — wenn die arme Frau — — 

Fritzz. Lafst mich doh zu Wort 
fommen — ich bin außer nie! Lucy — 
Onkel — verzeiht mir! Meine Ver— 
heiratung war nichts als ein Scherz. 

Onkel. Ein Scherz — na erlaube 
mir, das ijt ſtark. 


immer Geihmad. 


Lucy. Sie find alſo wieder gut?! 
Onkel trögtis). In Gottes Namen 


denn, ja, ich gebe mich überwunden. 


Ein’3 aber fag’ ih euch, Kinder! 
Heut’ über's Jahr muſs er wirklich 


da fein, der fräftige Junge! 


(Ende.) 


Eine gute Kameradfhaft. 


Bild aus dem fteirifhen Volfsleben von Kofegger. 


— 

a, Seppel, am Montag 
rn must du zum Gericht!“ 
we „Ber, ih?“ 

„Du.“ 

„Biſt aber nicht geſcheit.“ 

„Das bitte ich mir aus, der 
Gerichtsbote iſt immer geſcheit.“ 

„Ja, was ſoll denn ich beim Ge— 
richt? Hab’ ih was angeſtellt?“ 

„Stehen haft dich laſſen“, ant— 
wortete der Bote. 

„Ach, alleweil noch diefe dumme 
Geſchichte!“ rief der Seppel aus. „Wer 
bat ihn denn verjchergt, den Klachel— 
Schneider ?* 

„Haft denn nicht du ihm jelber 
verklagt, daſs er dir das Meſſer in 
den Leib gerannt hat?“ 

„Geh’, wer wird der Dummheit 
wegen jo Gefhichten machen! Ich 
hab’ nichts gejagt.” 

„Alsdann hat der Herr Staats» 
anmwalt die Anzeige gemacht”, fagte 
der Bote, 

„Das geht denn das den Staals— 
anwalt an?“ begehrte der Seppel 
auf, „den Hat er ja nicht geſtochen, 
der Schneider!” 

„Den Staatsanwalt geht das ſchon 
was an, mein Lieber!“ belehrte der 
Gerichtsbote. „Wer geftochen wird, der 
iſt ihm Freilich gleichgiltig, aber wer 
fticht, den padt er. Der Herr Staat, 
mufst du willen, kümmert ſich nur 
um die ſchlechten Leut’, nicht um die 
braven. Und ift in Ordnung, das; 


der ſchlechten wegen ift er da, die 
braven brauchen gar feinen Herrn 
Staat.“ 

„So foll er auch mich im Fried’ 
laſſen!“ ſagte der Seppel, „ich will 


-1 
= 
to 


nichts mehr willen vom Handel, und 
der Hlahel-Schneider ift mein Ka— 
merad, über den laj3 ich nichts auf— 
fommen.” 

„Mufst am Montag zur Tag— 
faßung, gegen ihn Zeugenſchaft geben, 
da haft die Vorladung. Und da auf 
diefen Zettel fchreibft deinen Namen 
ber, daſs das Gericht weiß, ich hätt’ 
dir die Zuftellung richtig zugeftellt. 
Kannſt nicht jchreiben, fo mach’ ein 
Kreuz.“ 

„Deswegen hat's mir, ſchreiben 
fönnen wir ſchon!“ jagte der Seppel 
und zeichnete mit ſchwerer Noth, aber 
innerem Stolz, feinen Namen aufs 
Papier. Damit gab der Bote fid) zu— 
frieden und gieng feines Weges. 

Der Seppel war ein etwa fünfe 
undzwanzigjähriger Bauernburſche von 
hünenhafter Größe. Über jehs Schub 
an Länge, bei den Achſeln faſt drei 
Schuh an Breite, aber mit gewöhn— 
fihen Schuhen gemeflen, nicht mit 
den feinen, denn von diefen war jeder 
zwei Schub lang; großknochig an den 
Gliedern und musfelftark, aber ſchwer— 
fällig an Bewegungen. Auf dem ſonn— 
gebräunten Stiernaden ein ftattlicher 
Kopf mit Schlichtem rothblondem Haar, 
das breite Gejiht wohl geröthet, aber 
bartlos, die Augen mattgrau und gute 
müthig dreinſchauend in die Welt, 
die er gerade jo nahm, wie fie war. 

Als der Montag kam mit der 
„Tagsſatzung“ (der Berhandlung), 
fand nun dieſer Burfche vor dem 
Geriht. Vor demfelben ftand aber 
auch ein feines, mageres, überaus 
rührfames Kerlchen in fchmarzem, 
Halb ftädtifchen Anzug, und ihm zur 








ae 


- . ziee. naa 


Sum m a 


Ben —- 


— 1. 20 


Seite ragten zwei baumſtarke Gen: 
darmen mit aufgeitedter Waffe. 

„Alſo, Joſef Lichtenbacher“, fagte 
der Richter nach einigen Vorfragen 
zum Bauernburſchen, „wie war es?“ 

„Ja, wie war es!“ antwortete 
der Seppel achſelzuckend. „Eine Dumm— 
heit!“ 

„Warum iſt an jenem Abende im 
Wirtshanſe gerauft worden?“ 

„Aus Unterhaltung.“ 

„Aus Unterhaltung bringen ſich 
ja doch vernünftige Leute keine Wun— 
den bei”, meinte der Richter, „es muſs 
einen Grund gehabt haben.“ 

„Freilich hat's einen gehabt”, 
verießte der Seppel, „weil wir haben 
willen mwollen, welcher ftärker ift.“ 

„Wie viele waren ihrer ?* 

„Mein Gott, wie viel werden ges 
wejen fein?“ ſagte der Burfche nach— 
jinnend. „Da war einmal der Blajer- 
Natz, nachher war der Schwaighofer 
Simmerl, nachher war auch noch der 
Klopfer-Sohn, der Franzi." 

„Waren das alle?“ 
„Ich bin halt auch dabei geweſen.“ 
„Und — ?“ 

‚Nachher wird auch der Fleiſch— 
bader-Steffel gewejen fein und der 
Röfjelwirt. Sonft weiß ich feinen 
mehr. Richtig, ein etlich Weiberleut’ 
find auch noch geweſen.“ 

„Und der Anton Pöllersberger?“ 
fragte der Richter. 

„Der Anton Pöllersberger — wer 
ift der ?“ 

„Genannt der Hlahel-Schneider!“ 

„Jeſſes, der Klachel-Schneider!“ 
rief der Seppel, „den hätt' ich bald 
vergeſſen.“ 

„Der hat Ihnen ja das Meſſer 
in den Leib geftedt!” rief der Richter. 

„Aber fie haben’3 ja wieder her— 
ausgezogen.“ 

„Sind Sie mit ihm in Feind— 
ſchaft geweſen?“ 

„Ah beileib' nit“, ſagte der Burſche. 
„Der Mirzl wegen iſt's halt hergangen. 
Mir haben fie halt jeder Haben wollen.“ 

„Der Schneider und Sie?“ 


„Ah mein, ih und der Simmerl. 
Und die Mirzt Hat gefagt: Den 
Stärferen nehm’ ich. Alfo haben wir 
halt wiſſen wollen, welcher der Stär- 
fere iſt.“ 

„Wie fam aber der Scheider 
dazu ?“ 

„Sa, der ift Halt auch dabei ge— 
weſen.“ 

„Mit dem Schneider ſollen Sie 
ja gar nicht gerauft haben!“ ſprach 
der Richter. 

„Na freilich nit“, entgegnete der 
Seppel ſchmunzelnd, „da haben wir's 
ſchon fo auch gewuſst, welcher der 
Stärkere iſt. Mit dem Natz und dem 
Simmerl hab’ ich gerauft.“ 

„Und wie war es weiter?“ 

„Der Burſche zuckte die Achſeln: 
„Wie ſoll's denn geweſen ſein? Wir 
haben halt gerauft.“ 

„Fenſter zerſchlagen, hat ein Zeuge 
ausgeſagt, heidenmäßig geſchrien, mit 
den Fäuſten aufeinander losgedroſchen 
und zwei Stuhlfüße abgebrochen.“ 

„Na freilich, weil wir gerauft 
haben.“ 

„Und der Anton Pöllersberger?“ 

„sa — der Schneider“, ſagte der 
Burſche, „der hat zuerft nur jo zuge— 
ſchaut. Nachher, wie er geſehen Hat, der 
Schmwaighofer- Simmerl liegt unten» 
auf, da Hat er ihm geholfen, weil er 
jein Kamerad ift.“ 

„Wie Hat er 
fragte der Richter. 

„Halt aushelfen hat er ihm wollen, 
weil ih dem Simmerl jo auf dem 
Bauch bin gefniet und der Simmerl 
alleweil ſchreit: Du Gimpel, du drudit 
mir ja das ganze Bäuſchel heraus!” 

„Und was hat der Schneider ge— 
macht ?* 

„Ich Hab’ nichts gefehen. Wie 
wir nachher aufgeltanden find und 
brav gelacht haben, Jchreit auf einmal 
ein Weibsbild: Jeſſes Maria, Seppel! 
Dir ftedt ja ein Meſſer im Budel! — 
Ich drah mich um, jeh’ noch alleweil 
nichts. Teuxel! ſag' ich, hab’ ſchon 
a Weil was beißen geipürt! Hab’ 


ihm geholfen ?* 


Bil. 


nachher hinüber’griffen mit der Dand 
und ftedt richtig das Meſſer drin!“ 

„Soll ja gute zwei Zoll tief ge: 
jtedt fein“, jagte der Richter. 

„Kann fchon fein“, antwortete der 
Burſche ruhig, „weil es gar nicht 
heraus hat wollen. Ich gwiglaß’ (Hin: 
und herziehen) eine Weil, g’ichaif’ 
aber nicht. Simmerl, ſag' ich, fei 
jo gut, zieh mir das Mefier heraus. 
Der Simmerl gwiglaßt auch eine 
Weil und g'ſchafft auch nichts. Geht 
der Teuxel denn mit aufjer! jagt der 
Simmerl, ſchon damiſch Hat es ſich 
verklemmt zwiſchen den Knochen und 
das Heft iſt blutſchlatzig. — Probier 
du's, Natz! ſagt der Simmerl. Müſst 
doch a Schand ſein! ſagt der Natz 
und gwiglatzt und gwiglaßt und end— 
ih hat er's heraußen.“ 

Nun fragte der Richter den Bur— 
ihen: „Was haben Sie nachher ge= 
macht ?* 

„Wer, ich ?* fragte der Seppel 
entgegen. „Das Meſſer hab’ ich an— 
geſchaut. Iſt ein langes Brotmefjer 
gewejen, aber weiter nit abgebrochen.“ 


„Und das Loch ?* 


„Das Loch in der Jaden hat der 


Schneider ja wieder zugeflidt.“ 

„Ich meine die Wunde, die er 
Ihnen geftochen hat!“ 

„Sa jo, die Wunde auf dem 
Budel. Die Weiberlent' Haben ein 
Pflaſter draufgelegt — * 

„Und dann — ?* 

„Danı nachher find wir arten 
jpielen gegangen.“ 


„Und der Anton Pöllersberger?“ | mächen's feine 


„Er Hätte Sie ja todtitechen 
fönnen!“ 

„Sa“, meinte der Burjche, „das 
hab’ ich ihm auch gejagt, ein anders— 
mal jollt’ er nit jo ungeſchickt fein. 
Das größt' Malheur kunnt man haben 
bei einer ſolchen Dummheit!“ 

„Joſef Lichtenbacher!“ ſprach nun 
der Richter, „Sie fordern wohl 
Schmerzensgeld.“ 

„Ich? Wegen was?“ 

„Iſt die Wunde jetzt heil?” 

„Ich glaub’ ſchon. Hab' nachher 
nimmer nachgeſchaut.“* 

„Alſo verzeihen Sie ihm auch?“ 

„Wem?“ 

„Den Anton Pöllersberger!“ 

„Ah“, fagte der Seppel, „ver= 
zeihen! Warum denn? Bin ja gar 
nie harb (beleidigt) gewejen auf ihn. 
Er Hat mich Halt a biſſel juden 
wollen.“ 

Jetzt wendete der Richter fich zum 
Angeklagten und ſprach: „Nun, Anton 
Völlersberger, was fagen Sie dazu?“ 

Der Anton Pöllersberger zudte 
erſt recht die Achſeln. 

„Warum haben Sie geftochen?* 

Der Schneider antwortete ganz 
beflommen: „Weil ih dem Schwaig- 
bofer-Simmerl hab’ helfen wollen.“ 

„Mit dem fcharfen Mefjer ?“ 

„Sa, mit den Händen allein hätt’ 
ich Halt nichts ausgerichtet“, geſtand 
der Schneider treuherzig zu. 

„Pöllersberger, ich werde Sie ein— 
ſperren laſſen!“ 
| Nun trat der Seppel vor und 
ſagte: „Ih Bit’, Herr Richter, 
Geſchichten. Der 





„sa, der Schneider! Der Schneider | Schneider ift halt juft ein biſſel gut 


hat auch mitgeſpielt.“ 

„Und haben Sie ihn nicht zur 
Rechenſchaft gezogen ?“ 

„Freilich haben wir gejtritten. 
Der Schneider hat alleweil falfch aus» 
geipielt.* 

„Und des Mefjerftiches wegen ? 
Haben Sie es gleich gemwufst, dajs 
der Pöllersberger geitochen hat ?* 

„Ad Freilich.“ 


aufgelegt gewejen. Hat ein etlich’ 
Glaſerl Schilder 'trunken gehabt. 
Einjperren wegen jo einer Dumme 
heit! Iſt mein guter Samerad, der 
Schneider, Ich bitt’, laſſen's es gut 
jein.“ 

Der Richter rüdte auf feinem 
Sitze etwas unftet hin und ber und 
dann ſprach er: „Ach fürdte, der 
Pöllersberger könnte wieder einmal 





| 
| 
} 





gut aufgelegt werden und will ihm 
nun Zeit geben zum erniten Nach: 
denfen, dafs man bei guter Laune 
nicht dem guten Stameraden das 
Meſſer in den Leib rennt. Dreizehn 
Monate Arreft werden nicht zu viel 
fein.“ 

Der Schneider fagte fein Wort, 
Der Seppel rief ihm zu: „So, Toni, 
jest haft die Dummheit!“ und gieng 
miſsmuthig nachhauſe. —- 

Dieſe Geſchichte hat ſich vor kur— 


zem zugetragen mitten in Steier— 


735 


marf, mag ſich ähnlich oft ſchon 
ereignet haben und wird ſich immer 
wieder ereignen, denn der Seppel 
geht im Lande taufendfah um. Er 
it — getraue ih mir zu jagen — 
das Urbild des ſteiriſchen Baners: 
nicht wehleidig und nicht rachgierig, 
einer, der erlittener Unbill ſich oft 
kaum bewuſst wird, und wenn auch, 
ſo am liebſten kein Aufhebens davon 
macht. Ein paar Meſſerſtiche wegen 
hört die gute Kameradſchaft ſchon 
lange nicht auf. 


Ein Mord auf Entfernung. 


Merkwürdiger Irrfinnsfall, Mitgetheilt von Caroline von Scheidlein-Wenrid. *) 


ae 


Kr 
=] ndergejälich wird mir ftets ein 
Sets Beſuch bleiben, den ich vor 

° etwa zwanzig Jahren während 
meines Aufenthaltes in B. P. au der 
Seite de3 berühmten Piychiatriden 
Dr. X. in der dortigen Jrrenanftalt 
machte. Ich Hatte mich von jeher 
böhlih Für die unglüdlichen Weſen 
interefliert, welche uns durch das Er— 
löſchen oder unregelmäßige Auffladern 
ihres geiftigen Lichtes ebenjo ent» 
fremdet und ein Gegenftand des 
Grauens werden, wie diejenigen uns 
jerer Nebenmenschen, welche uns durch 
das Erlöfchen des phyſiſchen Lebens— 
lichtes entrüdt find. Ich durchſchritt 
alfo, geführt von meinem geiftvollen 


IN 


und Gommentare, die dem Elend der 
Menfchheit geweihten Hallen und ge— 
wann im meinem tiefften Innern die 
Überzeugung von der Wahrheit meiner 
längit gehegten dee, daſs Krankheiten 
des Geiſtes fo gut anfteden können, 
wie phyſiſche. Ich wenigſtens hätte 
kaum mehr als einige Wochen Auf— 
enthaltes in dieſem Irrenhauſe und 
in der Geſellſchaft ſeiner Bewohner 
bedurft, um ſelbſt unheilbarem Wahn— 
ſinne anheimzufallen. 

Ich ſah dort viele Unglückliche, 
denen vom Menſchen nichts übrig ge— 
blieben war als die äußere Geſtalt, 
da ſelbſt ihre Stimme unmenſchlich 
wie das nächtliche Geheul eines Raub— 


und gelehrten Cicerone und belehrt thieres klang, ihre tief eingeſunkenen, 
durch feine intereſſanten Bemerkungen blutunterlaufenen Augen wild und 





*) Entnommen den ipannenden Bude: „Aus dem Irrenhaufe.* Dreizehn Er— 
en merfwürdiger Irrfinnsfälle.. Bon Caroline von Scheidlein-Wenrich. Wien. 
A. Bauer, 


2 


7 36 





mordiuftig wie die eines Tigers leuch- | Gompliment, dafs es ihn Schiene, 
teten. Anderen war der Stempel des als hätten alle Narren eine befondere 
Wahnſinns noch nicht ſichtbar aufge: | Sympathie für die Dame. 

drüdt: Sie hatten menschlichen Blid, Da ih mi natürlich für den 
Stimme, ja jelbit ziemlich vernünftige | arınen Kranken lebhaft interejfierte, 
Antworten auf die an ſie gerichteten ſo war Dr. X. liebenswürdig genug, 
Fragen, und e3 bedurfte irgend eines mir ſeine Geſchichte, die Urſache ſeines 
Schlagwortes oder äußeren Anlaſſes, traurigen Zuſtandes geweſen, mitzu— 
um den „ſchlafenden Löwen“ zu theilen, welche ich den geneigten Leſern 
wecken. Es gab Unglückliche, deren nicht vorenthalten will. Es war am 
Außerungen ihrer Geiſtesſtörung haus- Sylveſterabende des Jahres 18**, 
backener Natur waren, wenn ich mich als ſich in dem Speiſeſaal des 
jo ausdrücken darf; andere hingegen | Banquiers S. in W. eine luſtige 
benahmen ſich in ganz beſonders auf- Herrengeſellſchaft um eine Tafel ge— 
fallender Weiſe. Unter dieſen letzteren reiht hatte, welche ſich unter der Laſt 
machte den tiefſten Eindruck auf mich der feinſten Leckerbiſſen und Cham: 
ein Mann, der, wie mich Doctor X. pagnerflaſchen bog. Da, wie gejagt, 
verficherte, erſt 50 Jahre zählte, den |der Hausherr die Gene, welche die 
aber jein Leiden zum reife gebeugt | Auwejenheit von Damen dei Herren 
und fein Haar gebleicht hatte, obwohl | auferlegt, feinen Gäften erfpart hatte, 
es ihm die rafchen Bewegungen feines | jo Herrfchte die lautefte, ungebundendite 
wirklihen Alters und eine lebhafte | Fröhlichkeit unter ihnen. Nur einer, 








Redeweiſe gelafjen. 


Er ſaß bei einem Tiſche, welcher |von trüben Gedanten abjorbiert, 


ein bleiher Mann, ſaß, wie es ſchien, 
am 


mit PHotographien, ſämmtlich Por: Tiſche, ohne dem Guten, was gegelien, 


träts, bededt war, welche er eine nad 
der anderen mit einer großen Nadel 
durhbohrte, jo daſs Sie alle durch— 
löhert waren wie Siebe. 
uns ihm näherten, blidte er auf, ſah 
mich mit einem eigenthümlichen Blick 
an, reichte mir die Nadel und ſprach: 
„Wollen Sie aud ftehen? Ich erlaube 
e3 Ihnen; aber nur einmal.“ ch 
blidte fragend den Doctor an, „Thun 
Sie es“, ſprach diefer in franzöfifcher 
Sprade. Ih nahm die Nadel und 
durchſtach die Photographie, welche 
mir der Mann Hinfchob. „Mitten in 
die Bruft, ind Herz müſſen Sie 
ftechen“, belehrte mich der Irre. Ich 
gab ihm die Photographie zurüd und 
dankte, welchen Dank er mit gnädigen, 
wohlgefälligem Lächeln annahm. Der 
Arzt und alle Wärter waren erftaunt 
über feine jeltene Herablaſſung gegen 
mich, die er in den ſechs Jahren 
feines Aufenthaltes im Irrenhauſe 
noch niemandem Hatte angedeihen 
lajfen, und ein Wärter machte mir 
fogar das zweidentige, zweifelhafte 





getrunfen und auch geſprochen wurde, 


die mindefte Aufmerkjamteit zu ſchenken. 


Der Hausherr, der es bemerkte, 


Als wir | hatte Schon mehreremale den ftummen 


Gaft in ein Geſpräch verwideln 
wollen; doch vergebend. Er wendete 
fih nun zu einem Freunde, der den— 
jelben bei ihm eingeführt Hatte, mit 
den Morten: 

„Was in Himmels Namen fiel 
dir ein, mir einen Bruder Karthäuſer 
in meine fuftige Geſellſchaft zu brin— 
gen? Iſt er immer in jo brillanter 
Laune wie heute?“ 

„O, du mußst ſchon entſchul— 
digen“, antwortete ſein Freund, „ein 
paar Gläſer Champagner werden ihn 
ſchon ins rechte Geleiſe bringen. Der 
Urne Hat Urſache genug zum Kopf— 
hängen. Als Chef eines reihen Hand: 
lungshaujes in Croatien hatte er das 
Unglüd, durch die Schuld eines Han— 
deläfreundes jein ganzes Vermögen zu 
verlieren, jo dafs er, um eriftieren zu 
fönnen, wohl aud, um in der Stadt, 
die ihn als reihen Dandeläheren ge= 





fannt hatte, nicht in abhängiger Stel» 
lung zu leben, einen Antrag, als 
Eaflier in das Wiener Handlungs» 
haus B. einzutreten, annahm und 
jeiner Baterftadt Balet ſagte. Seine 
junge Frau, die er weder mitnehmen 
noch ernähren konnte, kehrte mit ihrem 
vierjährigen Knaben in ihr Eltern— 
haus zurüd, wo fie noch weilt. Der 
arme Mann, der die Seinen zärtlich 
liebt, iſt unglüdlih über die Maßen 
über die lange Trennung. Er arbeitet 
mit übermenfchlicher Kraft und Aus— 
dauer und darbt fi den Biſſen vom 
Munde ab, um bald imftande zu fein, 
feine Familie in ein neues Heim in 
unferer Stadt einzuführen. Aber ob» 
gleich er das Leben eines Geizhaljes 
rührt, fo ift do, wie er mir neu— 
(ih geftand, eine ganz unzureichende 
Summe die Frucht feiner harten, 
langjährigen Entbehrungen, und hat 
er die traurige Berjpective, noch jahres 
lang allein zu fein. Der Arme hat 
wohl ſchon längjt vergefien, wie der 
Champagner ſchmeckt. Scente ihm 
mit deiner gewohnten Gaftfreundfchaft 
und Liebenswürdigfeit fleißig ein, fo 
erwirbit du dir das Verdienjt, dem 
Armen wenigftens den lebten Abend 
eines für ihn traurigen Jahres ver= 
Thönt zu haben.“ 

Der gutmüthige Amphitryon ließ 
ſich das nicht zweimal jagen. Er fühlte 
herzliches Mitleid mit dem ftillen Gaſt, 
jeßte fih zu ihm und füllte den kry— 
ftallenen Kelch jo oft mit dem ſchäu— 
menden Nafs, dafs die blafjien Wan— 
gen des fteinernen Gaftes ſich bald 
rötheten und glühten und fein trüber, 
erloſchener Blick fich belebte und euer 
fprühte, Er wurde gefprädig und der 
Geift und Humor, die jeine Reden 
würzten, ließen den Hausherrn be— 
dauern, dafs dieje jeltenen Gaben von 
den Banden trauriger Verhältnifje ge— 
feifelt werben konnten. 

Da fündete die Uhr der nahen 
Kirche Mitternacht, die Sterbe- und 
Geburtsftunde des alten und neuen 
Jahres. Die Gejellichaft erhob ſich, 


Kofegger’s „‚Ürimgarten‘‘, IV. deſt. XV. 


— 


— — — — — — — — —— — —— — — — — — — — — — — 





die Gläſer klirrten beim fröhlichen 
„Proſit das neue Jahr!“ und bei den 
gegenſeitigen Wünſchen. 

„Möge das neue Jahr Ihren 
Wünſchen gerecht werden“, ſprach der 
freundliche Hausherr, ſein Glas er— 
hebend, zu dem nun nicht mehr ſtillen 
Gaſte, den wir Frank nennen wollen. 
Diefer dankte mit warmen Worten 
und Sprach endlih: „Der Haupttreffer 
der Staatslotterie, welcher übermorgen 
fällt, wäre die wünjchenswertefte Gabe 
des neuen Jahres.“ 

Hier miſchte ſich ein Kleiner, dider 
Mann in das Gefpräh der beiden 
Herren mit den Worten: „Haben Sie 
den Wunſch gedacht, während die 
Glode joeben zwölf ſchlug? Dann 
wird er erfüllt; denn was man fid 
in dieſem Augenblid wünjcht, wird 
vom Schidjal bejtimmt gewährt.“ 

„Schäme did, Amadeus“, rief 
der Hausherr, „ein bel esprit Dichter 
und fo abergläubijch !* 

„Weißt du nicht“, ſprach der 
kleine Mann mit großem Selbſtbe— 
wuſstſein, „was der große Napoleon 
ſagte: Ce ne sont que les pauvres 
esprits, qui ne sont pas superstitieux 
(nur die Geiſtesarmen ſind nicht aber— 
gläubiſch). Ich ſchäme mich nicht, ich 
bin ſtolz auf meinen Aberglauben.“ 

Der arme, Heine Dichter war, 
wie fo viele Menjchen, gerade darauf 
ſtolz, was ihm die wenigfte Berech— 
tigung zum Stolz hätte fein follen: 
Auf feine Geftalt, welcher die Na— 
tur die Elle, die fie ihm an Länge 
ſchuldig geblieben, an Breite zugelegt 
hatte — und auf feinen Aberglauben 
— weil er behauptete, alle großen 
Männer feien Hein und abergläubifch 
gewejen. 

„Ich Habe leider, gerade während 
die Glode ſchlug, nicht an den Haupt— 
treffer gedacht“, ſprach Frank. 

„Das macht nichts“, rief der 
Kleine wichtig. „Ich ſage wie Karl 
Moor: Dem Manne kaum geholfen 
werden! Wer von den Derrichaften 
hat zufälligerweife eine Photographie 

47 


bei fich, eine für ihn wertlofe, feinen | für uns alle. Machen Sie den Spajs, 
lieben Gegenftand darftellend, die er Herr Frank, ſchon um unſerem chine— 


733 





mir zur Dispofition ftellen kann?“ ſiſchen Hofe und Leibdichter einen 


„Das kann ich“, rief einer der 
Herren. „Sch Fand diefer Tage eine 
Photographie auf der Straße, welche 
ih in mein Portefenille ftedte und 
dort vergaß. Hier ift fie,” 

„D, das trifft ſich herrlich“, rief 
der Heine große Dann freudig. „Jetzt 


hören Sie zu, Herr Frank, was id) | 


Ihnen jagen werde, ift ein Zauber, 
welchen die Chinefen anwenden, um 
einem Lieblingswunſch Erfüllung zu 
verschaffen.“ 

„Mein Freund Amadens ift näm— 
lich Hof und Leibdichter des Kaiſers 
von China“, rief der Hausherr, „und 
daher in allem, was er thut und 
ſpricht, ein Chineſe.“ 

„Spotte, ſo viel du willſt“, ſprach 
der Kleine. „Jetzt hören Sie, Herr 
Frank, was Sie thun müſſen: Neh— 
men Sie eine große Nadel, eine Bu— 
ſennadel etwa; ab, Sie haben ſelber 
eine. Mit diefer Nadel durchbohren 
Sie das Bild in der Gegend des 
Herzens und denken dabei Ihren lieb— 
ſten Wunſch. In demfelben Augen— 
blicke ſtirbt das Original des Bildes, 
aber Ihr Wunſch wird auch ſicher 
erfüllt.“ 

„Ich danke Ihnen“, ſprach Frant, 
„ih bin nicht jo egoiftiih, die Er— 
füllung eines, wenn auch meines 
liebften Wunfches mit dem Tode 
irgend eines, wenn auch unbelannten 
Menſchen erfaufen zu wollen.“ 

„Was“, rief der Banquier lachend, 
„it der Aberglaube jo anftedend, dafs 
auch Sie, Herr Frant, daran glauben 
und den Tod des fremden hübſchen 
Burſchen, den das Bild darftellt, 
fürchten ?* 

„Ich glaube nicht daran, und da 
it es Schade, die Photographie zu 
verderben.“ 

„O“, rief der Herr, welcher fie 
zur Dispoſition geftellt hatte, „was 
liegt an einer gefundenen Photo— 





Gefallen zu thun.“ 

„In Gottes Namen, geben Sie 
her“, jprach Frank, nahm feine Nadel 
aus der Gravatte und ftach jie dem 
Bilde in die Bruſt. 

„Mein Gott, das Geficht des 
Bildes zudt”, rief Amadeus in höch— 
ſtem Entjeßen. 

Frank erbleichte. 

„Mir Scheint, der Champagner 
jpriht aus dir, Heiner Chinefe“, 
ſprach der Hausherr unwillig. „Was 
haben Sie bei diefem Mord in efligie 
gedadht, Herr Frank?“ 

„Ratürlih, dafs mir Fortuna 
übermorgen den Haupttreffer befcheren 
möge,“ 

„Nun ich wünsche es von Herzen“, 
ſprach der Bangquier, „aber ich begreife 
nur eines nicht, warum nämlich unjer 
Freund aus China nicht ſchon längſt 
Photographien durchſtochen und Treffer 
gemacht Hat?“ 

„Dichter leben von Nektar und 
Ambrofia”, ſprach diefer mit Suffi— 
jance, „und brauchen fein Geld.“ 

„Er lebt vom Schmarogen und 
pumpt feine unglüdlichen Freunde um 
Geld an“, flüfterte einer der Herren 
jeinem Nachbar ins Ohr. 

Der Spivefterabend oder vielmehr 
die Naht gieng zu Ende und die 
luſtige Geſellſchaft trennte fih unter 
wiederholten Glüdwünichen. 

Aber wie maßlos erftaunt waren 
die Theilnehmer des heiteren Feſtes, 
als ih nad einigen Tagen das Ge— 
vücht verbreitete, der Haupttreffer der 
ftattgerundenen Staatälotterie jei Herrn 
Frank zugefallen, 

Und es war fein Gerücht, es war 
Wirklichkeit. Der Heine Amadeus war 
um eine Elle größer geworden, und 
wenn er auch vielleicht heimlich be= 
dauerte, fein Los befeffen und das 
Erperiment nicht ſelbſt gemacht zu 
Haben, jo fchritt er doch ſtolz einher, 


graphie; die ift doch ganz wertlos dünkte ſich eine Pythia und. wollte, 


wie der luftige Bangquier behauptete, 
auf feinem vierbeinigen Stuhle, fon» 
dern nur auf einem Dreifuß figen. 

Dem armen entinuthigten Frank 
wirbelte es im Kopfe, als er fich fo 
unerwartet am Ziele feiner heißeiten 
Wünfhe jah, und wenn ja dann und 
wann ein Gedanke über das Schidjal 
des Originals der durchſtochenen Pho- 
tographie in ihm aufftieg, jo vergaß 
er ihm über den Vorbereitungen zum 
Empfange der Seinen, die er fo bald als 
möglich nah W. kommen lajjen wollte, 

Frank Hatte anfangs die Abjicht, 
jeine Familie ſelbſt aus Groatien ab— 
zuholen, doch war er jo überhäuft mit 
Gejchäften, die große Wohnung, die 
er gemiethet, reich zu möblieren und 
jeine Geldangelegenheiten zu ordnen, 
dafs er beſchloſs, feine Heine Familie, 
Frau und Sohn, allein reifen zu 
faifen, fie am Bahnhof in W. zu er— 
warten und im Triumph im die zu 
ihrem Empfange reich geſchmückten 
Appartements zu führen. Er jendete 
jeiner Gattin eine bedeutende Geld» 
jumme und bat jie, die erite Claſſe 
der Eijenbahn, die bequemſte Fahr- 
gelegenheit, zu benützen. Seine Gattin 
beantwortete daS vor Freude über: 
ſchwengliche Schreiben in einer Weile, 
die ihn befremdete, da jie fein Ent: 
züden über das ımerwartete Wieder: 
jehen verrieth. Doch er jchrieb dies 


der Überrafhung zu, die ihr jein Brief | 


bereitet Hatte, umd zählte die Stunden 
bis zu dem Tage, den ſie ihm als 
den ihrer Ankunft bezeichnet hatte. 
Sie ſollte morgens ftattfinden, und 
der glüdlihe Frank, den die freudige 
Erwartung die ganze Nacht fein Auge 
ſchließen ließ, fand ſich in feiner 
Ungeduld einige Stunden früher, als 
der Zug erwartet wurde, auf dem 
Bahnhof ein. Hier geftand er einem 
Belannten, den er zufällig traf, dafs 
ihm ein Gefühl die Bruft beenge, von 
dem er Sich nicht Nechenichaft geben 
fünne, ob es die Erwartung des jo 
langerfehnten Glüdes, oder die Vor— 
ahnung eines großen Unglüds jei. 


739 


wortete nur mit Schluchzen. 





‚reichen. 
| freudlofen Einjamfeit hatte er gemeint, 





Endlich brauste der Zug in die 
Halle; Frank pochte das Herz, als ob 
es ihm die Bruft ſprengen wollte. 
Jetzt hielt der Zug; aus den geöffne- 
ten Waggons ftrömten die Neifenden. 
Frank blidte nach der eriten Claſſe; 
da, e3 war feine Täuſchunug — 0 
Wonne, ja, fie war e3, die Liebe 
jeiner Jugend, die Mutter feines 
Sohnes war es — freilich gealtert 
und bläljer als ehemals — die vor 
ihm ftand, Er ftürzte ihr entgegen 
und umfchlang fie ſtürmiſch; ſie lag 
feife weinend an feiner Bruft. Doch 
es gab ja noch ein Wefen, das au 
jein Herz zu drüden er Sich jehnte; 
wo blieb e3? Er fragte jeine Gattin, 
und ein banges Gefühl beengte feine 
Bruſt: „Mo ift Hugo?“ Diefe ant— 
„Mein 
Gott, jollte ihm etwas begegnet ſein?“ 
tief der arme Bater in höchſtem Ent: 
jegen. „alle dich, Wilhelm“, hauchte 
jeine Frau mit erftidter Stimme, „lei 
ein Mann und ertrage mit Geduld 
die Schwere Prüfung, die auch ich, 
ſchwaches Weib, ertragen mufste.“ 

„Er iſt todt, todt!“ ſchrie Frank 
verzweifelnd. Seine Gattin widerſprach 
nicht und der unglüdliche Mann war 
einer Ohnmacht nahe. Welch grau: 
jamer Hohn des Schidjals! Zehn 
lange Jahre Hatte der Arme fich ges 
ſehnt nach Weib und Kind, gedarbt 
und entbehrt, ohne jein Ziel zu er— 
Sn den Stunden feiner 


ihm fei von allen Menfchen das här— 
tefte Los zugefallen, und jebt, nach— 
dem ein jeltener Zufall ihn für 
Augenblide auf den Gipfelpunkt irdi- 
ihen Glückes erhoben, Fchleuderte ihn 


fein unerbittliches Geſchick zurück in 
des Jammers Tiefe, um ihm zu bee 
weiſen, daſs es noch größeres Elend 
auf Erden gebe! 


‚Sn willenlofer, ſtumpfer Verzweif— 


lung lieg ſich das unglüdliche Eltern 


paar dom Diener zu dem harrenden 
Magen geleiten, und erit in der pracht— 


‚vollen Wohnung, die ihm ohne feinen 


47* 


Liebling ein Kerker erichien, war Frank 
imftande, feine Gattin um die näheren 
Umftände des jchweren Berluftes und 
auch darum zu befragen, warum fie 
ihm die Trauernachricht nicht jogleich 
nah des Sohnes Hinſcheiden mitges 
theilt habe, 

„Ach“, ſprach diefe, „ih war nad 
Hugos Tode jelbit ſterbenskrank umd 
außerftande zu jchreiben, wollte aber 
auch niemandem erlauben, es an 
meiner Stelle zu thun. Unterdeſſen 
fam der Brief, in dem du uns nad 
W. bejchiedeit, und ich beſchloſs, dir 
die Trauerkunde nur dann mitzu— 
theilen, wenn ich bei dir und imftande 
wäre, dir in der harten Prüfung zur 
Seile zu ftehen.“ 

„Glaube ja nicht, Wilhelm“, fuhr 
die arme Frau fort, daſs der Tod un— 
jeres Lieblings durch Sorgloſigkeit oder 
Vernachläſſigung verjchuldet wurde. 
Hugo war ſtets geſund, ſah blühend 
aus; nur hatte er manchmal ſtarkes 
Herzklopfen, dem der Arzt, den ich 
deshalb befragte, nicht die geringfte 
Bedeutung beilegte. Da kamen Weih- 
nachten; wir brachten jie jo Fröhlich 
zu, als es ohne dich möglich war. 
Hugo, als ob er jein nahes Ende 
geahnt hätte, lieg fi von dem Ta— 
jchengelde, welches die guten Groß— 
eltern ihm gaben, drei Photographien 
jeiner jelbit machen, deren eine er ihnen, 
die zweite mir und die dritte dir be= 


ftimmte. Du Haft fie natürlich er— 
halten %* 

„Ih habe nichts erhalten“, rief 
Frank. 


„Nun kam das Neujahr. Zwei 
Tage vorher ward Hugo von einem 
heftigen Schnupfen befallen, den je— 
doch der Arzt ebenfalls für ungefähr— 
lich erklärte; nur durfte er nicht, wie 
wir ſonſt zu thun pflegten, Mitter— 
naht außer Bett erwarten, ſondern 
mufste früh abends zur Ruhe gehen. 
Hugo war ein geborfames Kind; «ic 
gehe alſo zu Bett», ſprach er, «aber 
du, gute Mama, bleibe bei mir, ſetze 
dich zu mir und wir wollen zufammen 


740 





das neue Jahr begrüßen und uns be 
glüdwünfhen.» Ih that, wie er 
wünſchte, und der Spivefterabend 
gieng in traulichen Geſpräch ſchnell 
vorüber. Zumeift ſprachen wir bon 
dir und davon, wo und wie du wohl 
den Jahreswechſel begiengft. Da ſchlug 
die Glode zwölf, wir umarmten uns und 
beteten um unfere baldige Wiederver— 
einigung mir dir; da entwand ſich 
Hugo plößlih meinen Armen, fein 
Antlitz überzog ſich mit Todesbläſſe, 
und er rief mit erſtickter Stimme: 
«D Mama, wie es mich in der Bruſt 
ſticht, welcher Schmerz!» Ich erjchrat 
tödtlih, ohne das Schredliche zu 
ahnen, das mir bevorftand. «Lege 
dich nieder, theueres Kind», rief ich, 
«ich ſende augenblidlih nah Doctor 
3.2; aber Hugo ließ mich nicht los, 
noch einmal rief er: «O, welcher 
Stih!» Im nächſten Moment jchlois 
er die Augen, fein Daupt ſank zu— 
rück und ich hielt eine Leiche in den 
Armen.“ 

Frank, der mit athemlojem Ent- 
jeßen der Erzählung feiner Frau ge- 
lauſcht hatte (vielleicht dämmerte ſchon 
eine fchredliihe Ahnung in feiner 
geängftigten Seele), ergriff ihre Hand 
und rief: „Wo ift Hugos Photo= 
graphie? DO, laſs mich fie ſehen!“ 

Die Fran zog ein Bild aus dem 
Bujen, ihr Gatte warf einen Blid 
darauf, lallte einige unverftändliche 
Morte und fanf, wie vom Schlage 
gerührt, zu Boden. 

Die vereinten Bemühungen ſchnell 
berbeigeholter Arzte brachten den Un— 
glüdlichen nur für jo lange zum Bes 
wufstlein, als er brauchte, um feiner 
arınen Frau das Geftändnis zu machen, 
er habe feinen Sohn getödtet, da jenes 
Bild, welches er in der unfeligen Syl— 
vefternacdht durchbohrt Hatte, dasſelbe 
war, welches ihm feine Gattin als 
die Bhotographie jeines Sohnes zeigte, 
der fih in den zehn Jahren ihrer 
Trennung jo zu feinem Bortheile ver— 
ündert hatte, daſs ihn fein Vater 
nicht erfannte. Frau Frank hatte das 


dl 


Bild einem jungen Manne, der nach | gänzlich entfremdete. Dieſe letztere 
W. reiäte, gegeben, um es dem Vater | überlebte den doppelten Berluft, den 
zu überbringen ; doch mufäte es der- Tod und Wahnfinn ihr bereitet, nicht 
jelbe verloren haben, da er ſich nicht lange. Nach zwei Jahren, welche fie 
bei Frank bliden ließ, und einer der nur der Pflege ihres kranken Gatten 
Säfte des Banquiers es auf der|gelebt Hatte, löste ein barmberziger 
Straße gefunden und zu dem Spiel] Tod die jchweren Feſſeln ihres freute 
geſchenkt Hatte, welches alle für einen | denlofen Dafeins. Frank zeigte nicht die 
Scherz hielten, daS aber dur das mindeſte Erregung, al3 er die Ge— 
Malten eines der jonderbarften Zus | führtin - feines Lebens im Sarge 
fülle dem armen Frank jo verderblich | liegen ſah, fondern ſprach gleich— 
wurde, giltig: „Meinetwegen, meine Schuld 
Und in der That Hätte das un— iſt es nicht; ihre Bild Habe ich nicht 
erflärliche Zufammentreffen von des durchbohrt!“ 
Sünglings jähem Tode mit dem Da er feine Berwandten in W. 
Slüdsfall in der Lotterie — welche| hatte, wurde er durch die Vermitt— 
Ereignijfe Frank für ſein Werk Hielt lung eines Better: in B. P. in die 
— aud ein felteres Nervenſyſtem, ein | dortige Jrrenanftalt gebracht, wo ich 
ftärferes Gehirn zerrütten können, als, ihn fah, und wo das arme Opfer 
der unglüdlihe Mann beſaß, welcher | unglüdliher Zufälligleiten bis zu 
dur jahrelange Aufregungen und feinem Tod verweilte. 
Entbehrungen prädeftiniert und vor— Wie der Banquier aber erzählte, 





bereitet für den traurigen Ort worden | Joll auch Amadeus den von ihm vor— 
war, an dem ich ihn Später fennen geſchlagenen Zauber einmal zu ſeinen 
lernte. Vergebens waren die Bemü- eigenen Gunſten geübt haben, und 
hungen der berühmteſten Pſychiatriden, zwar in einer der in feinem Dichter— 
welche ihm beweijen wollten, dafs das, | leben nicht jeltenen Kriſen, im der 
was er für fein Werk hielt, nur ein | ihm ein Herzlofer, philiftröfer Gläu— 
fonderbarer Zufall geweſen jei. Ver- | biger mit feinen Drohungen das Da— 
gebens ftellte ihm feine Gattin vor, | jein verbitterte, Da er zur jelben Zeit 
er habe ja das Bild jeines Sohnes, |ein Los der nächſten Staatslotterie 
den er feit deſſen viertem Lebensjahre bejaß und zum Hundertfünfzigftenmale 
nicht gefehen, nicht erfennen können. |ein Luftipiel bei der Intendanz des 
Der gute Banquier, deifen Haus der) Hoftheaters eingereicht hatte, jo ver— 
Schauplatz des verhängnisvollen Scher- ſchaffte er ji das Bildnis des Ma— 
zes gewejen, und alle feine Gäfte be- nichäers, durchbohrte e3 in ftiller 
juchten den armen Kranken und bes | Mitternahtsftunde und mwünjchte da= 
mühten ji, ihm die entſetzliche Ein- bei einen Daupttreffer und die Auf— 
bildung zu benehmen. Umfonft! Jeder | nahme jeines Stüdes, Aber der 
Tag, jede Stunde brachten ihn dem) Manichäer ftarb nicht, der Haupt— 
Wahnſinn näher, der wicht bon feiner treffer fam nicht und das Luftjpiel 
Beute ließ. E3 war ein ftiller, uns |fam unaufgeführt zurüd. Die Wir- 
ſchädlicher Wahn, der ihm aber feiner) fung des Zaubers hatte ſich nur bei 
unglüdlihen Gattin und dem Leben ; dem armen Frank bewährt. 


|-a 
| in 
LS 


Elegien aus 


Don Mar Ralbek.*) 


Freiheit. 


Re ih begrüß ih, Natur, mit friich 
5 aufathinender Seele, 

* Wie ih, Ewige, did fröhlih als 
? Knabe begrüßt; 


Wenn im glühenden Sommer, erlöst von | 
der hölzernen Schulbant, 


Uns dein Iodender Auf endlih ins Freie 


geführt. 


Dann mit Jubelgeſchrei gieng's über die 
Treppen des Haufes, 

ülber den Kirchhof fort und vor die Thore 
hinaus. 


Freiheit, herrliches Wort! Auch heute ver: | 


nehm ich es wieder, 
Hör’ es im Rauſchen des Stroms, hör’ es 
im Säufeln des Wald's; 


Heimlih raunt es die Wieſe mit taufend 
flüfternden Halmen, 

Käfer: und Bienengeifhwärm fummt es und | 
brummt es mir zu, 


Neben mir zwitſchern's die Schwalben und 
unter mir pfeift es die Drofiel, 

Hoch von blauen Gezelt ſchmettert's die 
Lerche herab, 


Schaffender Geift der Natur, ihr freien 


Geflügelten alle, . 
Nehmt zum Gefpielen mid an, aber ver: 
rathet mich nicht! 


Keiner erſpäh! und wiſſe die Steige des 
ſchweifenden Wanderers, 

Tief im dichten Gebüſch ſchwinde des 
Glücklichen Spur! 


Steiermark. 


Unterwegs. 


Vieler Befährten erfreuteft du dich im Ge⸗ 
tümmel der Städte, 

Über die Thore hinaus giengen die Me: 
nigfien mit. 

l 

Etliche folgten dir nod entlang die jonnige 
Straße, 

Sie auch blieben zurück bei den Gehöften 

des Dorfs. 


Einer erſtieg mit dir zur Hälfte den 

| zadigen Bergpfad, 

Doch zum Gipfel empor Himmft du als 
letzter allein. 

1 


Aufſtieg. 


Schaudernd blick' ich hinab vom ſteilab— 
ſtürzenden Felsgrat, 
Wehe, wie hämmert das Herz! Wehe, wie 


| finten die Knie! 


Doch ein erfriſchender Schneehauch kühlt 

mir die glühende Wange, 
Und das legte Gefühl menſchlicher Schwach— 
heit entweidht. 


Bon mir hab’ ih gethan, was jonft mid 
hemmt und zurüdhielt, 

| Tief im Nebel verfanf unten die rauſchende 
Melt, 


Nur ein Adler umzieht mein Haupt in 
gewaltigen Kreiſen, 


Wie der Geift des Gebirgs, den ih vom 


Schlummer erwedt. 








‚Um mic feiert das All, reglos in heiligen 
Schweigen, 


[eis in Innern auch ruht die begehrlidhe 


Luft. 


) Entnommen deſſen jchöner und reichhaltiger Gedichteſammlung: „Aus 


alter und neuer Zeit.“ (Berlin. Freund & 


edel. 1891.) 





743 





Kaum entjinn ih mich nod, was and're 
gequält und erfreuet, 

Was mid jelber bewegt, jcheint ein ent— 
Ihwundener Traum. 


Emige Zeiten und Räume durdfliegt die 
entfeſſelte Seele, 

Bis jie heiter verfinft in das unjterbliche 
Nichts. 


Abſtieg. 


Sei willkommen von Herzen, du friſch auf— 
ſprudelnder Bergquell, 

Der du aus hartem Geröll weich und ger 
jprädig entſpringſt! 


Siegreich bridft du hervor glei einer 
verborgenen Weisheit, 


Die ein ſchweigſamer Mann tief im Gemüthe | 


genähtrt. 


Ginfam glaubt id zu fein und verirrt im 
unendlihen Steinfeld, 

Und nun find’ ich in dir plößli den 
Führer und Freund! 


Furchtlos folg’ ich dir nad, nit achtend 
der Trümmer und Blöde, 

Die der zerflüftete Berg feindlich entgegen 
uns thürmt. 


Raum noch gönnft du dem Iletternden Fuß 
zum rüftigen Abitieg, 

Und dein freundlich Geſpräch kürzt mir die 
Mühen der Fahrt. 


Eich, Ihon wächſt zum Thale die Schludt, 
und trauliche Hütten 

Künden dem jhweifenden Blick menſchliche 
Wohnungen an. 


Du auch ftredteft im Wandern dich aus, 
ein behäbiges Bächlein 

Shwimmt zur Seite mir bin, Taum nod 
erkenn' ich den Freund. 


Wie? zum Häuschen zieht du mich fort? 
Bon ranlendem Weinlaub 

Sind ihm Fenſter und Thür heiter und 
zierlih umrahmt. 


Dankend entlajs ih dih nun; dort winken 
mir Frieden und Eintehr, 

Und den Erwarteten grüßt lächelnd der 
Liebften Geſicht. 


Erdbeeren. 


Euch Erdbeeren lieb" ih vor allen den 
Früchten des Waldes, 

Die im Schattengebüjh heimlich zur Reife 
gedeihn. 


Ein paar winzige Krumen des allernähren: 
den Erdreids 

Gaben des lofen Geranks Würzelchen Boden 
und Kraft. 


Und fie entjandten vom bräunlichen Stiel 
dreifaltige Blätter, 

Draus im zarteften Weiß ſchimmernd die 
Blüte jih ſchwang. 





Mäßiger Negenerguis und die wechſelnden 
Strahlen der Sonne 

| Beitigten purpurne Frucht aus dem be: 

| jheidenen Kelch. 


Zwiſchen Geflein und Moos, wie taufend 
glühende Lippen 

| Schelmijcher Kinder der Flur, lat es den 
Manderer an. 


Und er neigt fih hinab und pflüdt die 
Lieblichen alle, 

Kräftige Würze des Walds jaugt mit den 
Beeren er ein, 


Jegliche Frucht ein Kuſs, wie Kinderlippen 
ihn küſſen, 

Rein, unihuldig und fü — küſst mid, 
vo Kinder des Walds! 





Hochſtes Leben. 


Karg zwar hat mid das Glüd mit irdi: 
ihen Gütern gelegnet, 

Aber ein himmlijches Theil wurde dem 
Armen beichert; 


| 

| Dais er beſcheidenen Sinns zufrieden mit 
Wenigem baushält 

Und fein dürftiges Los heiteren Geiſtes 
erträgt, 


Fern einft blieben der Wiege des Kindes 
die Mächtigen alle, 

Die als Götter des Tages preist Das 
geſchäftige Volk, 





744 


Eine der Emigen nur, unhörbar, jhweben: | Wie fih das Auge gejättigt am Wedhfel 


den Fluges der Formen und Farben, 
Kam, und Gutes verhich jeden ihr freund: | Trinft das gefühlige Ohr Ströme von 
licher Blid. füher Mufit. 
Über das Lager gebeugt des friedlich | Durch das Geflüfter des Walds und das 
Ihlummernden Knaben, Rauſchen der hüpfenden Wellen 
Legte fie leife die Hand auf des Ent⸗— Zittert melodifher Hauch rhythmiſchen 
ſchlafenen Bruft; Schwunges einher. 


Küfst ihm Augen und Lippen und rührte 
mit wedendem finger 

Sein vom Erdengeräuſch nimmer getroffenes 
Ohr. 


Mas ich erlaufch' und eripäh' und erträum” 
und lebendig empfinde, 

Quillt als begeiftertes Lied mir von den 
Lippen dahin; 


Dais ich verfünde dein Lob, troſtſpendende 
Muſe des Dichters, 

Die den verworrenen Gang wandelt zur 
ebenen Bahn, 


Und feither bewahr' ih im Herzen die 
heilige Flamme, 

Die zu reinerer Glut läutert das trübe 
Gefühl, 


Über die jhimmernden Höhen hinweg, durch 
nädtige Tiefen, 

An Abgründen vorbei wall’ ih mit fiherem 
Schritt. 


Sehnſuchtsvoll durchſchweif' ich die Welt, 
zu beſſeren Sternen 

Ziehen den ſinnenden Geiſt ernſte Gedanten 
empor; 


Und mein Auge berauſcht ſich im Glanz 
der unfterbliden Schönheit, 

Die mir täglih das Al immer von neuem 
verjüngt; 


Denn du jchreiteft voran in rofig däm— 
mernder Klarheit, 

Streueft Blumen und fingft über Gewitter 
und Sturm. 


Wiedergeboren begrüß’ ih am Morgen bie 
fteigende Sonne, 

Dais ein Schöpfungstag jegliher Tag mir 
erjcheint. 


Willſt du heute den Fuß zum Pfade des 
Todes bewegen, 

Ungern folg’ id dir nad, aber ich habe 
gelebt. 


— — — — — —— — —— ——— ——— —— 








} 
? 
i 
| 





Das goldene Zeitalter. 


Sorialifiiihe Studie von Rihard Graf Bermage. 


3 
G 


E⸗ geht ein allgemeines Vor- ternd, mit elementarer Macht jeden 
ahnen, ein ſtummes Einver« Widerſtand zerſchmetternd auftreten, 

ſtändnis aller durch die Welt, daſs das Schreckensjahr der großen 
bald ein gewaltiger Wandel der | Rebolution in Frankreich, welches 
Zeit kommen werde. Bei den zünfti- Victor Hugo „das ſchrecliche Jahr” 
gen Forſchern, welche ſich mit der nannte, nur ein Kinderfpiel dagegen 


Deutung der Menfchenfchidfale be— 


faffen, ift diefe Ahnung längſt zur; 


feften Überzeugung geworden md 
feßt, von der Hütte bis zum Thron, 
jegt die Geifter in Bewegung. Sind 
doch die Zeichen der Zeit allen wahr: 


nehmbar und die Propheten, welche | 


die neue Zeit verkünden, ja ſogar 
Thon die Jahreszahl für den Beginn 





der neugeftalteten Weltordnung feſt— 


geftellt haben, finden willig Glauben. | 


Noth lehrt beten, aber fie lehrt 
auch das Thier ſich feiner Kraft be= 
dienen; fie lehrt demſelben die Selbit- 
hilfe, und das Thier im Menfchen 
folgt diefem Gebot. 

Alſo ſchaut die lebende Generation | 
in zmwei große Lager getheilt der Zus 
funft entgegen: die einen hoffend und 
betend, daſs fie und ihre Kinder * 
furchtbaren Tag des Umſturzes alles 
Beitehenden nit erleben möchten, 
die anderen gewappnet und kampf— 
luftig, dieje alte Weltordnung zu be= 
friegen, flet3 zum Sprunge bereit, 
diejelbe in Trümmer zu jchlagen, da= 
mit eine neue, beijere daraus erwachſe. 

Viele meinen, e8 würden die be— 
vorstehenden Kämpfe, welche diefe 
Krife, den Läuterungsprocel3 bedeu— 
ten, jo grauenhaft und welterfchüt- 








wäre, Aber es gibt auch einige we— 
nige — und das ſind gerade die 
neueſten Propheten der Zukunft, die 
Tröfter aller Troftbedürftigen — die 
es beſſer meinen und ein goldenes 
Zeitalter für alle Völker weisfagen, 
das fozufagen in aller Güte fih von 
jelbit ergeben würde, ohne vorher» 
gehenden Sturm und Drang, ohne 
Blut. 

Solde Friedensapoftel find in 
Deutichland, Frankreih und England 
eritanden, aber das lieblichfte Phan— 
tafiebild, da3 reizendfte Utopium aus 


dieſer beſſeren Welt der Zukunft ſen— 


det uns die neue Welt. Als ob Ame— 
rila, dieſes ſpäteſte, aber früh geal— 
terte Kind der europäiſchen Civiliſa— 
tion, ihre Unhaltbarkeit am härteſten 
empfände. 

Wie prächtig ſchildert Delamy in 
ſeinem Rückblick auf dieſes Jahrhun— 
dert den Frieden, das Glück der Cul— 
turvölker im zweitauſendſten Jahre 
unſerer Zeitrechnung: „Hätten unſere 
Vorväter — ſagt er — ſich einen 
Zuſtand der Geſellſchaft vorſtellen kön— 
nen, in welchem die Menſchen wie 
Brüder in Eintracht zuſammenleben, 
ohne Streit und Neid, Gewaltthat 
und Übervortheilung, wo fie in ihrem 


746 





erwählten Beruf gegen Leiftung eines | wird, two nad) der allgemeinen Gejell» 
Maßes von Arbeit, das nicht größer | jchaftsregel Barmherzigkeit und Edel: 
iſt, als es der Geſundheit zuträglich, |muth als Thorheit gelten; gerade 
völlig befreit fein würden von der dort muſste in den Köpfen der Wahn 
Sorge um den nächſten Tag und fich |entftehen, dajs alles Böje auf der 
nicht mehr um ihren Lebensunterhalt | Welt nur aus dem grellen Unter— 
witrden kümmern müſſen, als die ſchiede zwiſchen Reih und Arm ent— 
Bäume eines Waldes, die durch einen ſtünde, daſs alles Übel duch die tofle 
umderfiegenden Bach bewällert werden; Jagd nad Geld erzeugt werde; dajs 
hätten fie fich einen ſolchen Zuftand | hier die Quelle aller Gejellichaftsteiden 
vorjtellen können, jo wäre ihnen der- zu ſuchen jei, und daſs man nur diefe 
jelbe geradezu al3 Paradies erſchienen. Quelle zu verftopfen brauche, um dem 
Sie würden in ihrer Borftellung vom | ganzen Jammer ein Ende zu machen. 
Dimmel diefen Zuftand mit demfelben | Aber den Forichenden und Wiſſenden 
verwechfelt und fich vielleicht nicht |aller Zeiten ift es längft bekannt, dafs 
haben träumen laflen, dafs es darüber |diefe Behauptung falſch it. Religion 
Hinaus etwas zu wünſchen geben und Philofophie haben e3 jeit langem 
könnte . . . Und die Erreichung dieſes feſtgeſtellt, daſs von allen Hemmniſſen 
herrlichen Zuſtandes — ſo meint |der Eintracht unter den Menjchen jene 
Delanıy weiter — follte nicht mehr nicht die allerſchlimmſten find, welche 
Kampf und Blut foften, als etwa der bloß durch die Noth und den harten 
Wechſel einer Dynaftie in einem Lände | Daſeinskampf gezeitigt worden, und 
hen der alten Welt... . denn im daſs der Jammer nicht hinweggeſchafft 
Zeitraume eines Menfchenalters bra- würde, wenn das Gold aus der Welt 
hen die Menjchen mit den ſocialen verſchwände. 
Traditionen und Sitten der Barbaren | Nähme man das Geld aus dem 
— jo nennt er die Eulturvölfer des | Verkehr, jo hätte man nur das Wert— 
nennzehnten Jahrhunderts — md zeichen bejeitigt, die Werte jelbit aber 
nahmen eine Geſellſchaftsordnung an, |wirden bleiben, das heißt, alle jene 
die vernünftiger Wejen würdig iſt, zum Leben umnentbehrlichen oder das 
und fo fanden fie auf einmal das Leben verjchönernden Dinge wür— 
Geheimnis, reich und glüdlih zu den bleiben, um derentwillen jet ge= 
werden... arbeitet, gedarbt und gejpart, aber 
Sole milde Pöjung des großen auch gerungen, gelogen, betrogen und 
focialen Problems aber erblict diejer | gemordet wird. 
Hriedensapoftel zum größten Theil Würde man alle diefe Lebens: 
nur in der Abſchaffung des Geldes, \nothwendigkeiten und Güter gleich- 
in der Gleichftellung aller Bürger und ‚mäßig unter die Bürger eines Staates 
in der gleichen Vertheilung von Arbeit vertheilen, indem man den Staat 
und Unterhalt. ſelbſt, das heißt einen Theil feiner 
Dajs dem KHopfe eines Ame- Bürger, zu VBerwahrern und oberiten 
vifaners dieſes Traumland fo klar Hütern derſelben beitellte, damit 
und faſslich vorſchweben konnte, dieſes Heer von Vertrauensmännern 
wäre leicht erklärbar, denn in ſeiner und Beamten Sonne und Regen, 
Heimat gilt faſt uneingeſchränkt das Arbeit und Entgelt jedem nach ſeiner 
Dichterwort: Am Golde hängt, zum Fähigkeit bemeſſen; ſo hätte man ein 
Golde drängt doch alles. In Amerika, Volk von Millionen in zwei Hälften 
wo der nimmerruhende Kampf aller getheilt, in die Gebenden und Neh— 
gegen alle die höchſten Wellen wirft, menden, die Herrſchenden und die Be— 
wo für Leben und Gewinn ſo häufig herrſchten. Weil aber dieſe Herrſchen— 
alle menſchliche Regung niedergetreten den auch nur ſchwache, fehlerhafte, 








- 


‘ 


genuſs- und habjüchtige, haſs- und 
fieberfüllte Menſchen find, fo fünde 
es um das Los der Gejammtheit nicht 
beſſer als jetzt. Statt der oberen 
Zehntaufend, gegen welche fich jebt 
die unteren Millionen aufbäumen, 
hätte man viele Hunderttaujende von 
Bürgern als Bollftreder des Staats— 
willens beftellt, welche, gleich den Be— 
vorzugten aller Zeiten und Länder, 
wenn jie die Macht in Händen haben, 
fich des Lebens reicheren Antheil zu— 
wenden würden, indem fie, ihre Ge— 
walt milsbraucdhend, ſich von allen 
Erdengütern den Löwenantheil ans 
eignen möchten und ter den Bes 
herrſchten nur jene bevorzugen wür— 
den, die ihnen bei dieſem Miſsbrauch 
der Macht behilflich wären. Alle 
anderen, die an den Staat Auſprüche 
zu Stellen hätten, wären, fo wie heute, 
auf das Bitten, Hoffen und Darren, 
wenn fie ehrlich find, auf das Be— 
ftehen umd Betrügen, wenn fie une 
ehrlich find, angewieſen. 


Das Jahrtauſende alte Wechſel— 
ſpiel der Corruption, auch jetzt eines 
der ſchlimmſten Leiden des neunzehn- 
ten Jahrhunderts, wäre zu erhöhter 
Blüte gebracht auch ohne das leidige 
Geld. Aber — ſpricht der Apojtel 
aus Bofton — eben darin liegt der 
Irrthum, denn es ward bald völlig 
Har, was die Geiftlihen und Philo— 
fophen der alten Welt nie geglaubt 
baben würden, daſs die menſchliche 
Natur im ihren wejentlichen Eigen 
ichaften gut und micht schlecht, daſs 
die Menjchen von Natur edelmüthig 
und nicht graufam find... 


Der beftändige, feit zahllofen Ge- 
nerationen laftende Drud der Lebens 
bedingungen, der ſelbſt Engel hätte 
verderben müfjen, hatte es nicht ver— 
mot, den inneren Adel des Men— 
Ichengefchlechtes zu tilgen. Sobald die 
Bedingnifje der Verderbnis entfernt 
waren, ſchnellte der Menſch wie ein 
gewaltfam niedergebeugter Baum in 
feine aufrechte Haltung zurück.“ 


47 


So ſpricht der Verkünder des gols 
denen Zeitalters für das Jahr 2000, 
und dor ihm haben andere fo ge: 
ſprochen, haben Fourier, der geiftige 
Vater der Phalanfteren, und Proud— 
bon, der das Eigentum Diebftahl 
nannte, den monumentalen Sab als 
oberites Princip ihrer Lehren aufges 
ftellt: Der Menſch ift von Natur gut, 
nur die Bultur Hat ihn verdorben. 

Die Schriftfteller der Neufchule 
hingegen, die vielgelefenen Naturalijten 
haben es in jüngjter Zeit bis zum 
Überdrufs nachzuweiſen gefucht, dafs 
nicht die Eulturepoche, im der wir 
leben, an allem ſchuld trage, ſon— 
dern dafs das Thier im Menjchen 
noch ungebrochen in alter Wildheit 
fortlebe ; daſs unſere Inſtincte Häufig 
jo ungebändigt und gattungsmörderifch 
auftreten, wie einft im jenen Tagen 
grauer Vorzeit, da uns die Eultur: 
völfer, die nun jchon vom Erdball 
verſchwunden find, Barbaren nannten, 
Nur dajs wir jet mit verfeinerten 
Mitteln arbeiten, weil die höhere 
Bildung alle Bürger de3 Staates 
über die Gemeingefährlichleit des 
Thieres belehrt Hat, welches in jedem 
einzelnen wohnt, und jedem gegen 
dasfelbe die Hilfe der Geſammtheit 
zutheil wird; daſs demzufolge auch 
die Schranten Höher gezogen Sind, 
dauerhafter und ſicherer erſcheinen, 
welche von ſtaatswegen gegen die 
Ausſchreitungen des einzelnen errichtet 
wurden. 

Alſo ſprechen die realiſtiſchen Wahr— 
heitsſchwärmer und fo kommen denn 
die einen und die anderen, die opti— 
miſtiſchen Friedensapoſtel und ihre 
peſſimiſtiſchen Gegner, kurz alle, die 
das Schickſal der Menſchheit zu er— 
gründen trachten, darin überein, daſs 
es mit dem Sittlichleitszuftande der 


Menichen gegenwärtig mod ſehr 
ſchlimm beftellt jei. 
Und dennoch ſoll dieſe halbe 


Milliarde culturentarteter Menjchen, 
welche als civilifierte Nationen jetzt 
die Erde bevölfert und deren Werde— 


748 


gang nun ſchon an die vier Jahr |jelben, weil fie unabänderlich mit dem 
taufende dauert, mit einemmal, etwa | Menjchen geboren werden. Mit diefem 
ihon im nächſten Jahrhundert, ihre Angeborenen muſs derjenige rechnen, 


ganze Eigenart ablegen 


und den |der mit ernfter Ablicht umgeht, ein 


innerften Stern ihres Weſens ändern. | Zufunftsbild für die jeht lebenden 
Aus Menſchen des neunzehnten | Eulturvölfer zu entwerfen oder ein 


Jahrhunderts, von denen Delamy 
fagt: Bleihe und wäſſerige Strahlen 
aus einem durch Furcht und Zweifel 
bewöltten Himmel erhellten allein 
das Chaos der Erde, und weil fi 
die Menſchen jelbft verabfcheuten, ver— 
abjcheuten fie auch ihren Schöpfer. 
Aus folden unglüdlihen, hoffnungs— 
ofen Geſchöpfen ſollten ſchon im 
Jahre 2000 Weſen ganz anderer 
Art geworden ſein, die das Band 
unzerſtörbarer Brüderlichkeit zu einer 
großen Völkerfamilie vereinigt und 
die — wie der Verkünder meint — 
an einen Gott als den Vater der 
Menſchheit glauben. 

Ein ſchöner Traum — ein herr— 
liches Märchen! 

Dennoch aber liegt ein echter, ein 
edler Kern und ein gewaltiges Mahn— 
wort der Zukunft in dieſer Fabel. 

Die Socialiſten der ſchärferen Ton— 
art wollen mit Blut und Eiſen die 
Welt zu einem Zuchthausſtaate zuſam— 
menſchweißen und ſetzen an die Stelle 
des goldenen Zeitalters ein ehernes, 
welches fie der Menjchheit in kürzeſter 
Friſt aufzwingen wollen, beide aber, 
jowohl die Dränger und Stürmer, 
al3 auch die Schwärmer für eine 
harmonische Löſung des ſocialen Räth- 
jels, haben für ihren Zukunftsbau 
feine beſſere Formel gefunden, als 
die Gleihftellung aller Bürger und 
den Arbeitszwang. 

Sie bedenten nicht, dafs es für 


den Menſchen nur drei Motive der | 
Arbeit gibt: die Noth, den Ehre! 


Spitem zu erdenfen, welches die fociale 
Kataſtrophe hintanhalten foll. 

Die ergiebigfte Quelle aller Thä— 
tigkeit ift die Noth, oder vielmehr die 
Angft vor der Noth. Sie ilt es, 
welche ungezählte Millionen Hände 
beftändig in Bewegung erhält, um 
die unerläfslihften Bedürfniſſe des 
täglichen Lebens zu befriedigen und 
Güter Herbeizufchaffen, die nur durch 
Schweiß und Plage, nur dur die 
bärteften Entbehrungen, oft bei be= 
ftändiger Todesgefahr gewonnen wer— 
den können. 

Die Noth macht den Verſchwender 
ſparſam, den Trinker nüchtern, ſie iſt 
die Gründerin der Familie mit ſelbſt— 
gefhaffenem Wohlſtand, die Schöpfe- 
rin jener Erfindungen, ohne welche 
der Eulturzuftand der Gegenwart nicht 
gedacht werden kann. 

Es gibt keinen Arbeitszwang, den 
der Menſch fo willig ertrüge, als die 
Angſt vor“der Noth. Nur wenn Die 
Noth ſelbſt mit ihrem ganzen Grau— 
jen über ihn hHereinbricht, wenn es 
ihm verfagt wird, durch Arbeit die 
Noth zu bannen, dann erſt bäumt fich 
fein Iunerftes auf; das Thier im 
Menschen, welches duch Hunger und 
Kälte gereizt wurde, erwacht und kün— 
digt der Gejellihaft den Krieg an. 
Kein weiſer Gejeßgeber, kein Staats= 
mann würde die Angit dor der Noth 
aus dem Wölferleben ganz bejeitigt 
willen wollen. 

In dem großen Zuchthanfe der 
Socialiften gibt e3 feine Noth. An 


geiz und die Liebe, und daſs Uns ihre Stelle tritt der ftaatlihe Zwang 
gleichartiges gleichartig zu behandeln | zur Arbeit, die Zuchtruthe des Vor— 
immer als größtes Unrecht empfunden geſetzten, des Erziehers. 


werden wird. 


Diefer Nöthigung beugt ſich der 


Gewiſſe Triebe und Empfindungen | Selbitbewujste und Strebende nur 
der menschlichen Natur bleiben unause |widerwillig, der Läjfige leiftet dabei 
tilgbar immer durch alle Zeiten dies ſchlechte Arbeit, die Schlimmiten aber 





verfagen diefelbe ganz und fallen dem 
Staate, das heißt ihren arbeitenden 
Mitbürgern, zur Laſt. 

Der Ehrgeiz, jener andere Thä— 
tigfeitöerreger menſchlichen Fleißes, 
zeitigt ſeine ſchönſten Früchte nur in 
voller Freiheit. Als Beiſpiel hier nur 
eines. Der Entdecker, welcher unter 
tauſend Mühſalen der Menſchheit 
neue Wege des Verkehrs bahnt und 
der Zukunft Schätze erobert, iſt nicht 
um kärglichen Lohn eines Sternes 
auf der Bruſt oder einer öffentlichen 
Belobung zu haben. Er will ſich ſelbſt 
das Maß ſeines Lohnes feſtſtellen und 
den Ruhm, welchen er erworben, nicht 
bloß dem Staate, welchem er dient, 
zutheil werden laſſen. Was er er— 
worben, will er auch vererben; ſeine 
Kinder und Enlkel ſollen des Segens 
theilhaftig werden. 

Vom ſocialiſtiſchen Zukunftsſtaate 
iſt die Familie ausgeſchloſſen und 
jener Ehrgeiz, der den einzelnen über 
ſeine Mitbürger dauernd erhebt, und 
das Erworbene auf die ihm zunächſt— 
ftehenden vererben will, ift verpönt. 
Wenn auch zu den Proben männlichen 
Muthes, die mit Ruhm und Ehre gelohnt 
werden, ſich Tapfere herandrängten, die 
bei Bertheidigung des Vaterlandes, im 
Kampfe wider die empörten Elemente 
den Gefahren muthig Troß bieten; 
jelbft ihr Leben dem Dienfte der Ge- 
fammtheit zum Opfer bringen möch— 
ten, wo fänden fich jene unerſchrocke— 
nen Ehrgeizigen, welche die allgemeine 
Scheu vor niedriger, unrühmlicher, 
abftogender Arbeit überwinden möch— 
ten? Und wo erft jene Legion bon 
unverdroſſenen Arbeitern, die, ver— 
bannt vom Licht des Tages, dem 
frühen Siechthum unter bejtändiger 
Zodesgefahr zuftenern, um jenes une 
entbehrlihfte aller Verbrauchsmittel, 
die Sohle, an den Tag zu fördern ? 

Nur die Noth allein vermag als 
dräuendes Geſpenſt ſolche Leitungen 
zu erzwingen und nur ihrem Zwange 


Ihaffung Harter Arbeit; fie wollen 
nur, dafs fie gefichert bleiben, ſtets 
Entgelt für ihre Arbeit zu finden, und 
Hinreihenden Lohn, um auch danı 
nicht darben zu müſſen, wenn ihre 
Kraft gebrochen ift. Und nun erit die 
Liebe, die Gatten» und Kinderliebe, 
jenes mädhtigite aller Eulturmittel des 
Abendlandes. Sie hat feinen Platz 
in jenem Spftem, dur welches jie 
herabgewürdigt wird zur Vereinigung 
der Gefchlechter für den einzigen Zweck 
einer Fortpflanzung der Gattung, mit 
Rüdfiht auf die Zuchtwahl, die der 
Staat zu Überwachen hätte. 

Das Einzelnrecht ift verbannt aus 
dem  focialiftifchen Gattungsinfteme. 
Die Liebe ift vor allem ein Einzeln» 
recht und ihr reinfter Ausdrud iſt die 
Familie. Sie ift die durch die Jahre 
taufende geheiligte Grundform aller 
Staaten, in denen Culturvölker leben. 


Uber ebenfo unmöglich, als der 
Aufbau eines Staates, in welchen 
Noth, Ehrgeiz und Liebe feinen Plab 
haben, ift deſſen dauerhafte Feltigung 
auf dem Grundſatze der Gleichftellung 
aller feiner Bürger. 

Die Gofllectiviften, diefe kühnen 
Gleihmaher der Gefellfehaft, welche 
alle Kraft in einem Punkte verſam— 
meln und den Staat zum einzigen 
Duell alles Volkslebens machen wollen, 
fordern , dafs der einzelne ſich als 
Glied des Ganzen fühle und nad 
Maßgabe feiner Kräfte arbeite; doch 
joll er dafür nicht nah Makgabe 
jeiner Leiftung entlohnt werden — 
denn aller Lohn ift abgefchafft. 


Wie könnte auch Arbeit dort ent— 
lohnt werden, wo Gleichheit herrjchen 
joll, Schon in der ungleihen — wenn 
gerechten — Entlohnung der fo un— 
endlih verjchiedenen Leiftung eines 
jeden läge der erfte Keim zum Ran: 
gesunterfchied, und wo fände man 
Menjchen, die ihre höhere Veran— 
lagung wicht allein ſchon als ein 


beugen ſich die Bedürftigen ; ja fie) Geburtsrecht auf reicheren Antheil an 
verlangen auch gar nicht die Ab= den Lebensgütern empfänden ? 





Freilih ſoll dagegen jeder die! Jener Unterſchied der Lebensform 
volle Freihaltung genieen am Zifche läſst fih, wenn auch in einem ver— 
des Lebens. Für feinen Unterhalt ift wiſchten Bilde, auch in unferen Ta— 
bis zu feinem Ende gejorgt, denn er gen noch erfennen; denn der ärınfte 
wird zum PBenjionär des Staates. Bauer zur Beit "der Milsernte im 
Wäre ein jolches Leben noch des Le— | feiner elenden Hütte ift nicht fo be= 
bens wert? tlagenswert als deſſen Leidensgenofie, 

Mas ſoll die todte Kraft, der der Induſtrieproletarier. Der Mangel 
Geiſt, der ſich nicht regt, weil er kein allein iſt nicht die ſchlimmſte Klage; 
Ziel hat für fein Streben? Der Ge: erſt wenn Obdadlofigkeit, Krankheit 
danfe, dafs wir für die Erhaltung |des Ernährers, Siehthum von Weib 
der Gattung leben jollen, hat noch und Kind ſich zur Arbeitslofigteit ge— 
feinen verhindert, das Leben zu ver= |fellen, dann ift da3 Maß des Un— 


meinen. Was ſoll ein Leben ohne | glüds voll! 
tramilienliebe, ohne Ehrgeiz, ohne, Solange einer unter dem eigenen 


Hoffnung auf ein Fortwirfen im! fchlechten Dache, auf eigener färglicher 
eigenen Geifte durch die eigenen Sin= ‚Scholle fein Leben friftet, ift er nur 


der, die im Cocialiftenftaate 
mehr unſere, Sondern des Staates 
Kinder geworden ſind? 

Der Lebensüberdrujs, der jebt 
einzelne hinrafft, würde im Collectiv— 
ante Maffenfelbitmorde gebären, denn 
blog die Ausjicht, nicht zu verhungern, 
hat noch feinem das Leben lieb ge= 
macht. 

Und dennoch liegt den umerfülle | 
baren Phantafiegebilden aller dieſer 
Gefellfchaftsretter nicht nur ein guter | 
Kern zugrunde; ihre Theorien ent— 
halten auch eine Prognoje der Zu— 
funft, eine wohlvernehmbare Weiss 
ſagung der Menſchenſchickſale. 

Was ſie alle wollen, dieſe Ver— 
künder der Erlöſung vom unbarm— 
herzigen Daſeinskampf, iſt doch immer 
nur eine Geſundung unſerer Lage, 
eine Heilung von unſeren Culturent— 
artungen. Es weht in vielen ihrer 
Pläne die Sehnſucht nach jenen glück— 
licheren Zuſtänden, die einſt in der 


Epoche des goldenen Zeitalters ges! 


herrſcht haben ſollen; nur daſs ſie 
die Hilfe nicht in der Rückkehr zu 
jenen der Natur des Menſchen an— 
gepaſſten einfacheren 
formen ſuchen, dagegen aber etwas 
ganz Unmögliches verlangen, indem 
ſie die Umprägung des innerften | 1 
Kernes menschlicher Veranlagung in 
Ansicht nehmen, 


nicht | 


Lebens⸗ 


ein Armer, kein Elender. Um den 
Jammer in feiner ganzen ſchauerlichen 
Größe zu verſtehen, muſs man jene 
Höhlen aufſuchen, welche der beſitz— 
loſe nur vorübergehend gebildete Fa— 
brils- und Bergwerksſclave bewohnt. 
Der hat kein Neft, wo er den grim— 
migiten Sturm der Noth überdanern, 
mit etlichen Süden felbitgebauter Star: 
toffel den ärgften Dinger ftillen könnte. 
Niemand borgt dem Fremdling, und 
einer vermag dem anderen nicht aus— 
zuhelfen — wie dies zwijchen beijer 
und Schlechter geitellten Bauern in 
Dungerjahren gejhieht — denn die 
Urbeitsproletarier haben afle zuſam— 
men michts; die Heimloſigkeit wird 
für fie zum lud. 

Doch wie leicht wäre dem abzu— 
‚helfen, wie leicht fönnte ihr Los ge— 
bejjert und dieſe elendften der Armen 
wenigitens den armen Bauern gleich- 
geitellt werden. 

Wie e3 feine Bauernfamilie gibt, 
die nicht ihren eigenen Herd und ein 
Fleckchen Land als Eigentum hätte, 
ſo jollte es auch keine Arbeiterfamilie 
‘geben, die gar nichts beſäße. 

Gleich den Taglöhnerdörfern, Die 
‚zu den großen Landgütern gehören, 
ſollte es auch Fabriks- und Berg= 
werksdörfer geben, wobei die Arbeits- 
| geber jelbit ihre Rechnung fänden, 
denn die Kuh im Stalle würde manchen 








A 


7 


Arbeiter abhalten, ſich am Arbeits— 
ausitande zu betheiligen. 

Es hat eine Secte in der Neu» 
ihule der Socialiften den Grundſatz 
aufgeftellt, der Staat müjste vor allem 
Herr von allem Boden des Landes 
werden, um jo der Jchädlichen An— 
ſammlung des Reichthums bei ein— 
zelnen zu ſteuern. 

Uber brauchte es denn fo viel, 
um  jegensreih zu wirken? Das 
Staatseigentgum in den meilten Län— 
dern Wäre groß genug dazu, das 
eigene Proletariat zu befiedeln. 

Gleich dem Agrargeſetze der Römer 
wäre das eine große, volksthümliche 
Ihat der Rettung. Aber wo fände ſich 
der nee Grachus, der die modernen 
Batricier dazu vermöchte, die Arbeits: 
Iclaven mit Land zu betheiligen ? 

Die Rückkehr zu einfacheren Les 
bensformen der Menfchen verlangt es, 
dajs der einzelne nicht das Herden 
thier der Cultur bleibe, daſs er nicht 
immer wieder in den großen Pferch 
geiperrt werde, den man Arbeiter— 
wohnung oder Zinskaſerne nennt. 
Die Nüdfehr zu einem gefunden, 
freieren Walten im fteter Berührung 
mit der Natur, das MWiedererwacen 
der dur das allgemeine Drängen 
nach der Großftadt jet arg verläſter— 
ten Liebe zur Scholle würde heilbrin— 
gend wirken. 

Denn nicht bloß dem Hörigen der 
Induſtrie wäre damit geholfen. Sie 
alle, die da belaitet jind durch ein 
prefäres, ungejundes Leben, auch das 
vielgeprüfte Kleingewerbe, das in der 
Großſtadt lungernde Proletariat der 
Intelligenz würden ihr Los gerne au 
die Scholle fetten, wüſsten fie erſt, 
daſs ſie dieſelbe durch Arbeit und 


Ss 


Fleiß als Eigentgum erwerben könn— 
ten. Doc für dieje alle hat fein Land 
im weltlichen Europa Raum genug, 
aller Boden der Eulturftaaten würde 
nicht genügen, fie zu bejiedeln. Aber 
ihon haben allwaltende Kräfte auch 
hier Hilfe geboten; ſchon gibt es ein 
Neu-Deutſchland, wie es längft ein 
NeusEngland gab und auch ein Neu— 
Italien und Neu-Frankreich entſtan— 
den iſt. Bald wird jeder Deutſche, 
Italiener oder Franzoſe, der mit der 
Teder oder der Selle zuhanfe nicht 
mehr weiter kann, in der neuen Hei— 
mat hinter dem Pfluge ein geſundes 
und gefegnetes Brot genieken können. 

Ein großes Nüdjtauen des über» 
füflten, 'culturentarteten Weftens nad 
Oſt und Süd wird anbrechen und aud) 
jene unruhigen, beutegierigen, jeder 
wohlgemeinten ftaatlicden Abficht wider- 
ftreitenden Elemente, vor denen der 
ruhige Bürger zittert, wird es mitreißen. 

Sind diefe nur einmal als Ge— 
jellfchaftsfeinde überführt, dann fteht 
der gezwungenen Bejiedlung des ſchwar— 
zen MWelttheiles durch die rothe Schar 
nichts mehr im Wege und die Weis- 
heit der Parlamente wird Sich micht 
tweigern, dafür Gejege und Mittel zu 
bewilligen. 

In der Befreiung von der dee 
des Maffencultus, welder den Socia— 
liiten als Ideal vorjchwebt, welcher 
aber die Vernichtung der Einzeln 
eriitenz und die Tilgung der Familie 
bedeutet, in der Wiedergenefung durch 
eine auf gefunde Bajis gejtellte Lebens— 
führung des Menfchen wird man die 
Anzeichen einer Beſſerung der jocialen 
Zuftände, das Anbrechen eines glück— 
ficheren, wenn auch nicht des mythi— 
schen goldenen Zeitalters erfennen. 











Die neue Bittenlehre, die wir erſt kriegt haben. 


e 
N 


JWlas „Magazin für Literatur“ in ſes Grumdideal der Nächitenliebe als 


65, Berlin, das man fonft gewohnt ;veraltet, thöriht und ſchädlich zu 


s® if, ernſt zu nehmen, bringt 
einen Aufſatz: „Das Grumdideal 
der neuen Ethik“ von Curt Grotte— 
wis, Friedrich Niegiche ift der Erfin- 
der der neuen Ethik, und Curt 
Grottewig fein Dandelsreifender. Die 
neue Ethik geht Hand in Hand mit 
der Aſthetik der Jungdeutichen, „die 
wir eben auch erft ’Eriegt haben“. Es 
wird da ein nagelneuer Culturmenſch 
conftruiert, der mit dem alten, jeinen 
Bedürfniffen und Idealen nichts mehr 
zu thun bat. Wir wollen uns ein 
wenig belehren laſſen und ziehen aus 
oben angedeutetem Aufſatze einiges 
Köflliche hervor. 

Der neue Prophet jagt aljo: 

„Das Grundidal der alten Welt- 
ära war das: Du jollit Gott lieben 
und deinen Nächften wie dich felbft. 
Der erfte Theil diejes Jdeals, der im 
gegebenen alle eines Miderftreits 
der Pflichten die Menfchen dem je= 
weiligen Gotte zu opfern befiehlt, ift 
natürlich jet vollftändig gegenſtands— 
[05 geworden. An dem zweiten Theile 
des Grundideals, du follft deinen 
Nächſten lieben wie dich jelbft, Halten 
indefjen noch jegt auch diejenigen feit, 
welche den Aberglauben an Götter längft 
aufgegeben haben. Die Nächftenliebe, 
fie gilt jetzt noch faft allen Philo— 
jophen, jelbjt denen, weldhe unter Dar— 
wins Einfluffe die Relativität der 
Ethik als ihr Princip erkannt haben, 


kennzeichnen. 


Die neue Ethik bekämpft dieſes 
‚alte Grundideal indeſſen wicht amır 
‚negativ, fondern bejonders pofitiv da- 
durch, dafs fie ihm ihr eigenes Grund— 
ideal entgegenftellt. Dasſelbe aber be— 
fteht in der vollperfönlihen Höher— 
entwidelung der Menjchenfamilie, d. i. 
in der phyſiſch-geiſtigen Höherzüchtung 
der zoologiſchen Species «Menjdhn». 

Die neue Ethik will ebenfalls 
das Mohl der Menjchheit fördern. 
Dabei bevorzugt fie weder die phy— 
fifche, noch die geiftige Seite zu Un- 
gunften der einen oder der anderen. 
Da Geift und Leib jo wenig von 
einander zu trennen find wie die 
Drehungserfheinungen eines Rades 
von dieſem jelbit, jo betrachtet die 
neue Ethik den Menjchen als phyſiſch— 
geiftiges Weien — ein Begriff, für 
den wir leider noch fein bezeichnendes 
Wort Haben, für welchen ich bier 
Bollperfon (Adjectivum: vollperſön— 
lich) ſetzen will. 

Die neue Ethik hat daher als 
Ziel das Wohl der Geſammtheit von 
Vollperſonen im Auge oder, beſſer ge— 
ſagt: das vollperſönliche Wohl der 
Geſammt-Menſchheit. Das poſitive 
Ziel iſt Höherentwidelung : vollperſön— 
liche Höherentwidelung der Menſchen— 
familie ift das Grumdideal der neuen 
Ethik, 

Diefes moderne Grumdideal ift 








als Grundideal. Es bleibt der neuen nun aber nicht immer zu verwirk— 


Entwidelungs-Ethit vorbehalten, die: 


‚lichen, ohne daſs dasjenige der Nädh- 





Ttenliebe verlegt wird. Die Pflege des] Lebenzluft werden hohes Anſehen er- 


Kranken und Schwachen, ald des der 
Nächſtenliebe am meilten Bedürftigen, 
ift die Folge diefer Nächitenliebe- 
Religion. Die Sorge für das Un— 
tanglihe und Kränkliche aber wird 
fünftighin in dem Grade unterlafjen 
werden müſſen, als fie ſich der ge- 
Tunden Höherentwidelung der Menſch— 
beit Hinderlihd in den Weg ftellt. 
Man wird zwar niemanden mehr 
verhungern laſſen, aber es iſt ein 
Vergehen gegen die moderne Sittlich- 
feit, wenn man aus Nächitenliebe 
diejenigen Perfonen, welche die Raſſe 
ſchänden, welche gebrechlich oder erb— 
lich belaſtet oder ſonſt irgendwie un— 
tauglich ſind, künſtlich Exiſtenzbedin— 
gungen verſchafft, welche ebenſo gün— 
ſtig oder günſtiger ſind als diejenigen, 


langen, Selbſtloſigkeit, Geduld, Lang— 
muth, Ergebenheit, Aufopferung wer— 
den ihre Bedeutung mehr und mehr 
verlieren. 

Die jegige Ethit baut zum Unter— 
jchiede von den bisherigen ihr Grunde 
ideal auf empirische Erlenntnis. Ya, 
es iſt möglich, daſs die beginnende 
Hera der empirischen Erkennis fo 
lange dauert, wie es überhaupt Men» 
ſchen gibt.“ 

Sit denn das nicht eine Stimme 
aus den Irrenhauſe? wird der Lefer 
fragen. Warum nicht gar! Es ift nur 
das Geſchrei einer Vo Il perfon. 

Unterhalten wir uns ein wenig mit 
den Kumpanen, und zwar ganz un— 
geniert. Denn Nachſicht, Langmuth, 
Geduld find ja nichtsnußige Eigen 


unter denen raffennügliche Individuen | ſchaften; wir wollen einmal fittliche 


itehen. 
die neue Sittlichkeit die Aufopferung 
des einzelnen für dem anderen im 
allgemeinen verwerfen. Denn gerade 
dadurch, dafs jeder für ſich jelbit ein— 
tritt und auf den anderen feine Rüd- 
ſicht nimmt, wird derjenige, der am 
ftärkften ift und dasjenige, das am 
bedeutendften ift, fiegen. 

Das fittliche Ideal der Nächten» 
liebe ift eine fünftlihe Zuchtwahl, 
die der perfönlichen Höherentwidelung 
der Menfchheit ungeheuer gejchadet 
bat und noch ſchadet. Sie ift ſchuld 
daran, daſs das Schwache, Geiftes- 
arme, Niedere, Glanzloje, Bejcheidene 
al3 gut gefeiert und gezüchtet wor— 
den iſt. 

Dem gegenüber wird die moderne 
Ethik nah Nietzſche'ſchem Vorbilde 
alles letztere als ſchlecht verachten und 
dasjenige als gut, als Tugend be— 
zeichnen, ſchätzen, pflegen, was dazu 
beiträgt, die Menſchheit geiſtig und 
phyſiſch höher zu entwickeln. So wird 
im Gegenſatz zu früher das Selbſt— 
bewuſste, Sraftbewufste, Schaffens- 
frohe, Energifche, Lebensüberfprus 
delnde einen hohen ſittlichen Wert be- 
fommen, SKampfluft, Schaffensluft, 


Nofegger’s „Geimgarten", 10. Heft. XV. 


Bor allen Dingen aber wird) Menfchen in ihrem Sinne fein. 


Wenn dieſe Herren überfchnappen, 
jo geben wir fie nicht in eine Heil— 
anftalt für Geiftesfranfe, denn wozu 
das gejellfchaftlihe Budget unnütz be— 
ſchweren; fondern wir wollen fie lieber 
gleich todtfchlagen. Auch die Feder— 
fuchferei, die fie treiben, ift eine ein— 
feitig geiftige, den Körper ſchwächende, 
der „vollperfönlihen Höherentwides 
lung” ſchädigende Thätigfeit, fie find 
aljo unnüße Individuen, die bejeitigt 
werden müſſen. Die Schonung folcher 
Tagediebe, die Achtung fremder Ber: 
fönlichkeiten, die Nächftenliebe hat un— 
geheuer gejchadet. Der Nächſte iſt 
vielmehr unſer gefährlichiter Feind, 
denn er ist an unferer Tafel, an 
unferem Zeller mit, trinft aus uns 
jerem Becher, und das jchadet unferer 
eigenen vollperfönlichen Höherentwicke— 
lung. 

Das bürgerliche Geſetz ift auch ein 
verwerflicher Zopf. Es verlangt Rück— 
ſichtnahme auf die Exiſtenz anderer. 
Wir brauchen fein Geſetz, unfer Geſetz 
ift die förperliche Kraft und die Klug— 
heit. Der Starfe hat den Schwaden 
zu tödten, der Schlaue den Einfältie 
gen zu übervortHeilen, jo lautet das 


48 


754 


neue Sittengeſetz; denn die Schwäche die alle ihre Brut Jahr für Jahr 
und die Einfalt müſſen im Menſchen- erwürgt, wird als hehre Tugendheldin 
geſchlechte ausgetilgt werden. in Marmor prangen. 

Es iſt zwar ſchon einmal ſo ge— Aber miſsverſtehe ich nicht? 
weſen unter den Menſchen, daſs die Spricht der moderne Heiland Curt 
rohen Kräfte zartere Naturen ftraflos | Grottewig nicht von einem vollperför= 
vernichtet haben, es iſt jeher lange lichen Wohle der Geſammt-Menſch- 
Zeit fo gewefen. Wie kommt es aber| beit? Ganz richtig. Doch die Ge— 
nur, daſs dieſe rohen Kräfte doch | ſammt-Menſchheit befteht im Sinne 
nicht die herrfchenden geworden find, | des neuen Meifias firenge genommen 
dafs die chriftliche Ethik der Nächſten- immer nur in dem vollperjönlichern 
liebe fiegbaft wurde? Das wird freis | Individuum. Angenommen, e3 hätte 
ih daher fommen, weil ſich mit der|der Stärfere immer den Schwäcderen 
Brutalität nichts Gefellichaftliches | vernichtet, und es ftünden ſchließlich nur 
Ichaffen ließ, weil die rohe, rückſichts- die zwei färkften, lebensfähigften Paare 
loje Kraft trennte und zerrifs, die auf Erden da, jo wäre das die Ge— 
Individuen ifolierte, während die! jammt-Menfchheit. Diefe zwei Theile 
Nächftenliebe das Einigende, Concen- | der Menjchheit find aber nicht abjolut 
trierende, alfo das Machtbildende iſt. gleich ftarf und lebensfähig, der eine 

Oh, excusez! dafs ich mich von iſt der ftärfere, der andere der ſchwächere; 

allen Vourtheilen wieder einen Mo=|e3 ift nun Gefahr vorhanden, daſs 
ment hinreißen ließ! Here Gurt hat) der relativ jchwächere Theil ebenfalls 
ja Schon alles fertig, die Nächitenliebe | eine ſolche Nachkommenſchaft erzeugt. 
ift jene Erbjünde, an welcher bisher | Das mufs aber der ftärkere, der ganz 
die Menjchheit jo ſchrecklich laboriert | vollperfönliche Menſch verhindern, den 
bat. Herr Eurt hat fie abgethan im | anderen Theil alfo aus reiner Tugend 
Namen Niebjiches, des meugermaniz | haftigleit vernichten, 
ihen Heilandes. Ich ſehe die Zukunft | Der „neuen Ethik” handelt es ſich 
im Glanze der neuen Ethik vor mir) wicht mehr darum, wie die Menjchen 
liegen. Der baumftarte Lümmel wird und Völker auf Erden fich gegenfeitig 
als wahrer fittliher Menſch den am beften vertragen, jondern darum, 
ſchwächeren Wandergenoflen auf der daſs auf Koften aller anderen nur 
Straße tödten und ausrauben; tödten, wenige Körper- und Geiftesreden 
weil er damit die Menfchheit von | derrichen, ja dafs endlih nur mehr 
einen läftigen Elemente befreit, aus= | einer als abjolute Vollperſönlichkeit 
rauben, weil die Beute dem eigenen | eriftiert. 
Vortheile, der vollperſönlichen Höher— Diefer eine, vollperfönliche Geiftes- 
entwidelung des wahren Straßen !rede — Herr Curt Grottewoig 
räubers dient. Umd die wahre fittliche wird es nicht fein. Ich glaube, der 
Mutter wird den Säugling, der buch— | Schreiber des Aufſatzes: „Das Grund— 
ftäblih an ihrem Blute jaugt und ideal der neuen Ethif* hätte jehr viel 
ihrer bollperfönlichen Höherentwider | Urfahe, zu wünſchen, daſs Geduld 
lung ſehr hinderlich iſt, mit friſchem und Nachſicht noch einige Zeit im 
Muthe erwürgen, und eine Mutter, Courſe bleiben. M. 











Gefelligkeit. 


Belenntniffe aus meinem Weltleben von P. R. Roſegger. 


ie meiften Denfer und Menſchen— 
6 fenner ftimmen darin überein, 
> dafs den Menjchen feine eigene 
Geſellſchaft beſſer mache als fremde, 
oder wenigſtens nicht ſchlechter. Im 
Principe mag das angenommen wer— 
den, wenn nicht etwa die vielen 
Ausnahmen dagegen proteftieren. Es 
kommt eben darauf an, ob einer 
von Haus aus ein braver Kerl 
it oder nicht. Ein Schledtling wird 
in feiner eigenen Geſellſchaft nur 
noch ſchlechter. 

Der Trieb nah Geſellſchaft it 
am meiften ausgebildet bei Durch— 
ſchnittsmenſchen. Es gibt Leute, die 
nicht einen Augenblick allein ſein 
fönnen, 
weilige Geſellſchaft ift ihmen lieber 
als ihre eigene, und jedenfall hat 
diefe, wenn auch unbewufste Gering— 
ſchätzung des eigenen Gehaltes ihre 
guten Gründe. E3 gibt Leute, denen 
der Verftand till fteht, wenn fie allein 
find, die nur mit dem Munde oder 


ir 
* 


— — —— — — — — — — 


jede noch jo ſchale, lang: 


ohne Gejellichaft bald melancholiſch 
werden, abmagern und zugrundegehen. 
Berner gibt es Leute, die jo unglüd- 
lihe Artung haben, daſs ihnen, wenn 
fie allein find, lauter unangenehme 
Saden einfallen; um den jchlimmen, 
peinigenden Borftellungen zu ent: 
fliehen, ſuchen fie Gefellichaft, und ift 
ihnen die unbedeutendſte lieber, als 
gar feine. Auch die heimlichen Qualen 
eines böfen Gewiſſens find Hetzhunde, 
die den Menfchen von einer gefelligen 
Zerftreuung im die andere jagen, wo 
die Armen wohl Betäubung finden, 
aber nie Behaglichkeit und Erholung. 

Solche Flüchtlinge vor fich felber 
bevölfern zum großen Theil unfere 
Unterhaltungszirkel, Vergnügungseta— 
blifiements, Wirtshäufer, ſelbſt Con— 
certe und Schauſpielhäuſer. Es dürfte 
wohl wenige Theaterfreunde geben, 
die, wie weiland König Yudwig, ganz 
allein im Zuſchauerraum einem Stüde 
beimohnen fönnten; die meilten gehen 
nicht ins Theater, um Schaufpiele, 


mit den Ohren denken, das heit, ſondern um Leute zu ſehen. Ja ſelbſt 


nur ſprechend oder hörend eine gewiſſe 
Gehirnthätigfeit entwideln. Solche 
ſuchen Gejelligfeit, um fich im der— 
jelben als feidlihe Vernunftwejen zu 
fühlen. Es gibt Leute, welde einen 
jolhen Überflujs von Weisheit in fich 
fühlen, daſs fie damit haufierengehen 
und jedermann davon mittheilen 
wollen. Es gibt Leute, die ſich ganz 
hohl vorlommen, wenn jie nicht alls 
täglih eine ordentlihe Tracht von 


Neuigkeiten und Tratfch in ſich aufs | dränge 





in die Kirche gehen manche Leute 
lieber, wenn fie voll von Menjchen 
it; „eine Urjache, weshalb es leer 
bleibt, wenn wenige Leute drinnen 
jind“, wirde der Abelsberger Pro— 
feſſor Jagen. 

Am deutlichjten kann man die 
Leuteluft auf öffentlihen Promenaden 
beobachten. Wie leuchten die Gelichter ! 
Sehen und getehen zu werden! Wo 
das Gewoge am lebhafteiten, das Ge- 
am dichteiten ift, dorthin, 


nehmen können. Sole brauchen Ge- dorthin! — a, der Menich fommt 
ſellſchaft, ſuchen Gejelichaft, würden in Herden vor. 


45* 


756 


Mo er aber einzeln auftritt, da 
it es eine Abart. 

Der tiefer angelegte Menſch Hat 
Stunden der Einſamkeit und Stunden 
der Geſelligkeit vonnöthen, und eritere 
dringender, als lebtere. 

Des Poeten Rath ift folgender: 
Magft du willen, warn du follft gejellig 
Und wann einſam jein? 

Wilft du Freude, juhe Menſchen, 
Willſt du Glüd, jo bleib’ mit dir allein. 
Wiſſe, wann dein Werk am jchönften 

Und am reinflen mag gedeihn: 

An der Arbeit juhe Menſchen, 

Doch im Schaffen bleib’ mit dir allein, 
Wie's auch jeder hält nad feiner Weife, 
Laſſe eins gejagt dir fein: 

Wenn du haſſeſt, meide Menſchen, 

Wenn du liebft, bleib' nicht mit dir allein. 

Ausnahmsmenſchen pflegt man in 
der Geſellſchaft Ausnahmsitellungen 
einzuräumen. Allein, wie follen fie 
dieje ausnützen? Gerade Geiſtesariſto— 
fraten haben zu zeigen, daſs fie vor 
anderen nichts voraushaben wollen, 
dafs fie alles das gerne erfüllen, was 
von jedem anderen beanfprucht wird. 
Darım wird man bei hochgeitellten 
Perjönlichleiten ftets finden, dafs fie 
ſich in geſellſchaftlichem Verkehre ftreng 
an die Norm halten, um ihre Achtung 
vor den Mitmenſchen zu zeigen und 
um nicht für hochmüthig angeſehen 
zu werden. Ich kannte einen berühm— 
ten Mann, der in Gefellfehaft ſtets 
befangen war, weil er immer fürch— 
tete, gegen die Form zu verſtoßen, 
und der deshalb im Verkehr mit 
Menschen ich überaus förmlich gab, 
Ein folddes Benehmen verrät Men 
Ihenadtung und iſt ein ſchöner Ge— 
genfaß zu jenen „Genies“, die in 
übermägigem Bewufstfein ihres Wer- 
tes ihren Launen freien Lauf laſſen 
und daher mehr intereffant als lies 
benswiürdig fein mögen. 

Es gibt für ſolches Sichgehenlafjen 
wohl auch andere Gründe, als den 
der Eingebildetheit; es kann aus 
Naivetät, Bummelwigigfeit und Uns 
überlegtheit geichehen, ja fogar aus 
jeelifcher Verftimmung, wie noch ges 
zeigt werden joll. 





Wenn ein Menjch gefellig unter 


Leuten fitt, jo gewinnen die Leute, 
der Menſch aber verliert. Dieier, 
wenn er mit fich ſtrenge ift, wird auf 
der Heimkehr von einer Gejellihaft 
jelten mit fich zufrieden fein, wird 
fich immer etwas vorzuwerfen haben. 
Entweder er hat anderen Unrecht ge= 
than oder fich felber. In der Geſell— 
ihaft darf keiner ganz wahr jeim, 
weder gegen andere, noch gegen ſich. 
Iſt er wahr, fo kommt er auf den 
Grobian hinaus. 

Was in diefem Punkte ich zu be» 
fernen habe, iſt vecht ſchlimm. Bin 
ih mit mir aflein, fo geht es leid- 
lich; am beften ift jeder Menſch bei 
der Arbeit, und bei folcher babe ich 
da3 Bewußstſein volliter Redlichkeit. 
Auch auf meinen einjamen Wander 
rungen ertappe ich mich nur jelten 
bei einem Schelmenftüde, obzwar 
manchmal ein oder der andere loje 
Gedante etwas zu wünſchen übrig 
fäfst. 

In Gefellfchaft wird das anders. 
Bin ich mit derfelben nicht vertraut, 
fo find es leere Worte, die ich höre 
und ſpreche und die in mir Ode und 
tödliche Langweile erzeugen. Um über 
diefen Zuftand hinauszulommen, werde 
ih freimüthig, gerathe raſch im eine 
Vertrauensfeligkeit, die nachträglich 
manchmal zu bereuen ift. Der Menſch 
begeht ein großes Unrecht an ſich, 
wenn er dem Erftbeiten offenen Ein» 
blid in fein innerftes Wefen geftattet. 
„Fremden ift der Eintritt verboten!“ 
Was müßt der vorfichtige Sprud, 
wenn der Dausherr felbit alle Thüren 
und Thore jperrangelweit aufmacht! 

Bin ih nun einmal in der Ber 
trauensjeligfeit befangen und pade ich 
im warmen Redeflujs meine Seele 
aus, fo liegt die Gefahr des Sich— 
ſelbſtſchönmachens, des Selbitlobens 
nabe. Zu derlei find die meilten 
Menjchen aufgelegt und um folches 
zu vermeiden, gerathe ich manchmal in 
das Gegenteil, verfchweige die bei- 
jeren Seiten, erzähle meine Schwächen, 





1 


Gebrehen, Fehler und Lafter, ftelle 
mich jozufagen mutternadt, — und 
ich bin auch feelifch fein Adonis, — 
vor den erftaunten Zuhörer hin. Diefer 
addiert noch hübſch fein Theil dazıı, 
weil er fih denkt: Wenn er ſchon fo 
viel gefteht, wie viel wird er erſt ver- 
Schweigen! 

Allerdings ift in uns da3 Bes 
dürfnis vorhanden, innere Schäden, 
Gewiſſensanliegen einem Mitmenjchen 
zu offenbaren; auf diefem Zuge un: 


jeres Weſens beruht die Obrenbeichte, : 


die eine weit größere Bedeutung hat, 
als der meltlihe Sinn eingeftehen 
will. Ich fagte es jhon einmal: Wer 


die Ohrenbeichte aufgebracht hat, der 


war ein großer Menfchenkenner und 
ein großer Menfchenfreund. Mancher 
armer Sünder, der nicht zugrunde 
gegangen an der Sünde, geht zugrunde 


an dem Geheimniſſe. Freilich thut im 


diefem Sinne ein treuer Freund deu— 
jelben Dienst al3 der Priefter. Was follen 
aber die taufende von Armen und 
Niedrigen anfangen, die feinen Freund 
haben! Für ſolche fit ein Menfch 


im Beichtftuhle, der fein Ohr willig. 


und theilnehmend dem Bedrängten 
feiht, der ihn tröftet, beruhigt, ihm 
Rathichläge weist und der auf das 


ftrengfte verpflichtet ijt, das ihm Anz | 


vertraute al3 fein tiefftes Geheimnis 
zu wahren. Die Firchlich geheiligte 
Seite diefer Anſtalt laſſe ich unbe— 
rührt, in unſerem Falle handelt es 
fih nur um die rein menfchliche, die 
nebenbei hier Erwähnung finden 
mufste. 


Uber es ift ein Unterjchied, ob 


man Sich einem Eeelenfreunde mit- 


theilt, oder einem Fremdlinge; eriteres 
ift ein Recht, das man üben, lebteres 
ein Unrecht, das man an ich felbit 
begehen kann. Es gibt Geheimniffe, 
die man nicht einem einzelnen anders 
trauen ſoll, wohl aber taufenden auf 
einmal. Leßteres thue ich joeben, ine 
dem Ih mich anklage, manchmal 
erfteres zu thun. 


Außer ſolchem Unrechte an mir‘ 


57 


begehe ich in Geſellſchaft auch noch 
recht häufig Unrecht an anderen. Ich 
ergreife im geſelligen Geſpräche gerne 
die Gegnerſchaft, vertheidige die von 
mir aufgeſtellte Behauptung manchmal 
‚mit einer Härte und Nüdjichtslofig- 
‚feit, die zu dem Gegenſtande oft in 
‚gar feinem Berhältnifle ſteht und 
empfindſame Gemüther leicht verleht. 
| Allerdings geſchieht Diejer heftige 
Widerpart fait allemal nur, um ein 
Geſpräch zu beleben und einem Ge— 
Iprächsgegenftande verfchiedene an— 
\regende Seiten abzugewinnen. Meine 
Freunde willen das auch, halten im 
Hisigen MWortgefechte tapfer fand 
und wir befinden uns bei jold 
‚tapferer Spiegelfechterei ganz wohl. 
Und Fremde, die mic) Fechten Hören, 
werden ſich höchitens darüber wun— 
dern, daſs es noch Leute gibt, die 
ſich über rein theoretische Fragen und 
'idenle Dinge jo glühend ereifern kön— 
nen, wie etwa der Kaufmann über 
ein Zollgeſetz oder die „gnädige Frau“ 
über ein ſtörriſches Stubenmädchen. 

Und fo wie ich rüdjichtslos bin 
gegen Anweſende, jo kann man leicht 
rückſichtslos werden gegen Abweſende. 
Das Durchhecheln Abweſender, das 
Ehrabzwiden, wo der Gezwidte ſich 
gar nicht rechtfertigen kann, weil es 
ja meuchlings geichieht, das Berleums 
den im den befannten feigen Formen 
it wohl eine Sade, die einem auch 
nur halbwegs anftändigen Menjchen 
vollkommen ferne liegt. Doc was 
man ſchon jelbft nicht thut, das läjst 
jman in der Geſellſchaft von anderen 
geichehen, fährt leider vielleicht gerade 
hier nicht mit dem richtigen Donner— 
wetter drein und macht fich jo mit» 
Ihuldig an einem der abjcheulichiten 
geſellſchaftlichen Laſter. 

Wenn ich mich ernſtlich frage: 
Ja, wann gibſt du dich eigentlich in 
Geſellſchaft ganz ſo, wie du biſt? 
Wann zeigſt du dich ohne UÜber— 
ſchwänglichkeit, ruhig, heiter, ver— 
ſtändnisinnig, duldſam, wohlwollend 
empfänglich für die Eigenart fremder 











Perſonen? Wann bilt du das? — 
Und die erfahrungsgemäße Antwort | 
lautet : 
ebenfo entgegenfommt, wenn er ohne 
Ziererei und Spipfindigfeit ift, natür— 
lich und ſchlicht. — Eine ſolche Ge— 
ſellſchaft thut wohl bis ins Herz 
hinein. Aber ſie iſt ſelten zu finden. 
So äußerſt wenig Menſchen gibt es, 
die gegenſeitig aneinander den rich— 
tigen Kern ergründen und ihn frucht— 
bar aufgehen machen können. 

Das Schlimmſte, wohin ich in 
ungezwungener Geſellſchaft bisweilen 
gerathe, habe ich noch gar nicht ein— 
bekannt. Die Spottſucht! Denn ärger 
als Widerſpruch iſt das Beiſtimmen 
mit verzogenen Mundwinkeln, das 


Beiſtimmen unter allen Umſtänden, faſsten Vorſatz, 


das tendenziöſe Verneinen ſeiner ſelbſt, 
das ironiſche Bejahen des anderen. 
Danı geht's weiter; bevor ich mir's 
jelbjt gejtehe, bin ich Mephifto der 
Hinkende, ſachte, ganz ſachte fange ich 
an, das Gemeine zu entjchuldigen, 
dad Niedrige zu beichönigen, das 
Lafter zu preifen. Sch nenne den 
Erzgauner einen gejcheiten Mann, 
den Straßenränber einen Helden, den 
Strebling einen hochfliegenden Geiſt. 
Ich verhöhne die redliche Beſcheiden— 


heit als Heuchelei, die Tüchtigkeit als 


Ehrjucht, heiße dumm die Ehrlichkeit, 
wader den Eigennutz, chriftlich des 
müthig die Striecherei, weltklug die 
Falſchheit, reinmenfchlich die Unzucht, 
edle Sparſamkeit den Geiz, Mannes» 
muth die Gewaltthat, nationale Tu: 
gend den Raſſenhaſs. — Die Zus 
börer, welche ſolchen Hang zum Sar— 
kasmus mifsverfichen, ſtutzen anfaugs, 
horchen immer mehr auf, 
endlich an mir den verlorenen Men— 


ichen oder freuen ſich heimlich, dafs 


der ſonſt läflige Moralprediger jo 
grumdichlecht geworden ift. — Und in 
jolhen Stunden fühle ich mich wirk— 
lih gottverlaſſen, das 
Verzagtheit und Bein über jo Vieles 


bedauern | 


Herz voller, 
‚gute und gedeihliche Gejellichaft fein. 


En in der Welt vor fih geht. In Der 
Geſellſchaft fog ich tropfenweije das 


dann, wenn der Genoſſe mir! Gift in mich, um es alfo in ruchlofer 


Verzweiflung erbarmungslos gegen 
andere wieder von mir zu ftopen. 

Unter Umftänden ift die Satire 
gewiß eine gute Sade, allein fie ver— 
jengt die Herzlichkeit und ift in Ge— 
jellfichaft, wo das Gemüthlide vor— 
bereichen fol, nicht immer gut ange» 
bradt. 

In welder Gemüthsverfaflung 
man ſchließlich von folder ſeelen— 
äßender Gejelligleit nachhauſe gebt, 
das läſst jich denfen. Beltändig mahnt 
das Gewiſſen: das war eine abſcheu— 
lide Stunde, du Haft nichts Gutes 
geftiftet. Deinen in Einſamkeit ge= 
im Umgange mit 
Menſchen milde, treu, liebreih zu 
jein, Haft du Schlecht gehalten. Zur 
Strafe dafür verbanne did nun für 
lange Wochen in die Einjamteit und 
|terne in den Fährlichkeiten wilder 
Elemente die Menjchen beiter achten ! 
An Särgen lerne die Reue, an Grä— 
bern gedente der Frivolität, in der 
die mit ihnen umgiengelt, da fie noch 
Menſchen waren, irrend, leidend, das 
Rechte erjehnend wie du! 

Ja, erft in der Einfamteit kom— 
men ſolche Gedanken, in der Gejellig« 
keit fommen fie nie. Aber was ilt das 
für eine Menfchenliebe, die nur dann 
ſich meldet, wenn man von Menjchen 
fern ift! Die Urſache, daſs es jo 
fteht, liegt nicht allein an den an— 
deren, ſondern auh an dir, mein 
gutes ego, das merte dir muır. Im 
Umgange mit dir allein ift es leicht, 
Net zu üben, denn Unrecht läfst 
du dir eben auch von dir felbit micht 
gefallen. Unrecht erfährft und thuſt 
dur im Verkehr mit Menjchen. Weißt 
du das einmal, jo meide fie nach 
Möglichkeit, Liebe fie im Gedenken, 
thue ihnen gutes in der ferne, und ſie 
werben im Erinnern deiner Seele eine 








| 


—— 


Zwei Bilder aus Südamerika. 


ei in öfterreichifcher Officier, Ober- 
a lieutenant Wilhelm Kreuth 
xy aus Graz, hat vor zwei Jahren 
eine Reife nah den La Plata-Staaten 
gemadt und über diefe Reife und 
Erfahrungen eine Hoch  intereifante 
Schrift herausgegeben: „Aus den 
La Plata-Staaten”. (Wien. U. Hart: 
leben. 1891.) Wer fih für Land 
und Leute ferner Welttheile interefliert, 
der leſe diefes Buch, das gut ges 
jchrieben, mit mehreren Bildern und 
einer Karte verjehen if. Zwei dem 
Heimgarten zwar fremdartige Skizzen 
druden wir zur Probe heraus, die eine 
aus dem Cultur-, die andere aus dem 
Naturleben jenes Landes, welches wohl 
die wenigiten unferer Leſer perfönlich 
betreten, die meijten nur duch Wort 
und Schrift kennen lernen müſſen. 


Ber Zaladero in Sta. Elena. 


Intereffant ift der Befuch der Eta- 
bliffements von Sta. Elena. Der 
beiuchende Fremde wird von ber 
Fabriksdirection Höflih empfangen, 
höchſt gaftfreundlich bewirtet und es 
wird ihm ohne weiteres geftattet, die 
Fabriksräume, fowie die verichiedenen 
Betriebsmanipulationen in Augen— 
Schein zu nehmen, 

Man könnte das Etabliſſement 
mit einer Riefenküche vergleichen, denn 
das ganze Thal duftet nach Fräftiger 
Bonillon. Draußen auf den weiten 
MWeidegründen, fie umfaflen über 22 
Quadratleguas (1 Legua circa 1, 
geographiiche Meilen), tummelt jich 
das 


man dor der Schladhtung noch fett 


„Rohmaterial“, d. h. 40.000) 
bis 50.000 Stüd Rindvieh, welches | 





werden läjst. Aus Hunderten von Leguas 
Entfernung werden nämlich die Thiere 
in Tropas (Herden) in der Stärke 
von 300 bis 500 Stüd von den 
verwegenen Zroperos über Land ge= 
trieben ; natürlich langen die Rinder 
in ziemlich herabgelommenem Zuftande 
in Sta. Elena an, jo dafs es noth— 
wendig ift, fie vor der Schlachtung 
noch wochen-, ja oft monatelang auf 
den üppigen Wieſen des Saladeros 
wieder in einen beſſeren Nährzuftand 
fommen zu laſſen. Der jährliche Be— 
darf beträgt 60.000 bis 80.000 
Stüd Rindvieh, welches man an Ort 
und Stelle zu Fleiſchextract und 
Tleifchpepton verarbeitet; man vers 
fertigt Pölele und Conſervenfleiſch, 
Zungenconjerden, Fleiſchmehl (als 
Dünger), Knochenaſche, Rindsfett und 
Klauenöl; man verichifft Häute und 
Hörner, 

Diefes, don einem unternehmens 
den Arzt aus Montevideo, Here Dr. 
Kemmerich, gegründete Etabliijement 
ift ein wahrer Segen für die ganze 
Umgebung; den Viehzüchtern aus ganz 
Entre Rios und Sta. Fe bietet es ein 
permanentes, ficheres Abſatzgebiet, es 
jteigert den Wert des Grumdbefiges in 
weiter Runde und Schafft für taufend 
Hände lohnende Arbeit. Eine Kleine 
Republit in der Republik — jedoch 
mit ftrammerer Disciplin und vor— 
fichtigerweife unter deutſcher Flagge 
ftehend — iſt e& unberührt von den 
blutigen Reibungen, die das Yand jo 
oft durchwühlen, ein ficherer Hort für 
die bier waltende rege und redliche 
Thätigfeit, im Gegenſatze zu anderen 
in Sübdamerifa  bejonders blühenden 
Ihwindelhaften Überſpeculationen. Der 


Vorgang bei der Schlahtung und 
Verarbeitung des Rindes ift furz ges 
ſchildert folgender: 

Da3 Quantum an Schlachtvieh 
für die drei nächſten Tage ift in drei 
große Umzännungen (orale) getrie= 
ben. Der legte Coral mündet direct 
in die Schlahthalle mit einer Heineren 

ffnung, über welche die etwas er- 
höhte Schlahtbrüde angebracht if. 
Zur Schlahtung werden nun die ein- 
zelnen Thiere aus der Herde mit 
einem Geile lafjiert, das Seilende 
mit der größten Schnelligkeit an ein 
Pferdepaar befeftigt, welches das ge— 
teffelte Rind zur Schlahtbrüde 
ſchleift. Dort werden die Thiere, ehe 
fie fich’3 verfehen, von einem Manne 
mittelft eines Dolchſtoßes in den 
Naden fofort niedergeftredt. Man wäre 
geneigt, die Nerven diefes blutdürftis 
gen Matadors zu bewundern, wenn 
man bedenkt, daf3 derjelbe zumeilen 
an 600 Thiere per Tag tödtet. Da— 
bei raucht er ruhig feine ſchlechte Ci— 
garre und freut fi, da er per Stüd- 
anzahl bezahlt bekommt, über fein 
gutes Gefchäft. 

Und weiter; der eben gefallene 
Ochſe kommt auf einen Heinen Wag— 
gon, welcher nun Hurtig mit feiner 
Laſt auf Schienen bis zu den Tiſchen 
rollt, wojelbft die Enthäutung und 
Zerlegung vorgenommen wird. 

Noch mehr ftaunt man über dieſe 
Manipulation, Mit weldher Schnellig- 
feit, welcher Geſchicklichkeit iſt das 
Thier enthäutet, zerlegt, die ſchönen, 
großen Musfelpartien und die ſchlech— 
teren Fleiſchtheile geſondert! Der Ochſe 
wird auf dieſe Weiſe von manchen 
Leuten in 10 Minnten verarbeitet und 
manche bringen es bis zu 40 Stück 
pro Tag und darüber. Junge, hoff— 
nungsvolle Argentiner bearbeiten mit 
ihren haarſcharfen Meſſern die großen 
Knochen, um auch die letzten Reſte 
der fleiſchigen Beſtandtheile abzulöſen. 
Man nennt ſie ſcherzweiſe die Caran— 
chos (Geier), und in der That könn— 
ten ſie trefflich mit ihren Namens— 





— — — — — — — — —— — — — — — — — —— —— ——— nn m —— — — 


vetiern draußen im Campe concur— 
tieren. 

Das ſchönſte Musfelfleifh wan— 
dert nun ebenfalls per Eifenbahn in 
die großen Keſſel, wo es bei hoher 
Temperatur tühtig ausgekocht wird. 
Dan leitet jodann die Brühe in breite 
flache Pfannen und bei Anwendung 
größerer Hitze wird diejelbe noch dick— 
flüfjiger. Diefes befannte Verfahren 
wird in verfchiedenen Keſſeln und Be— 
hältern jo lange fortgejeßt, bis der 
in Europa fo beliebte, vortreffliche 
Tleifchertract herborgeht. 

Die übrigen Beltandtheile des 
Nindes erden wieder in anderen 
Hallen verarbeitet und daraus die ſchon 
früher erwähnten Producte erzeugt. 

Will man einen noch vollftändi- 
geren liberblid auf diefes Bild ſpeci— 
fiſch ſüdamerikaniſchen Induſtrielebens 
haben, fo verlaſſe man jetzt die höchſt 
peinlih rein gehaltene Rieſenküche 
und werfe einen Blid in das Arbeiter- 
dorf. Dort find an 1500 Leute unter- 
gebracht! fie beſitzen ihre Schule, ihr 
Wirtshaus und ide Cafe; man hält 
ihnen einen Doctor und eine Apothefe. 
Ferner find bier etabliert: ein Poli— 
zeipoften, ein Poſt- und Zelegraphen= 
amt und eine Zollftation, 

Für die ledigen Burfchen beſtehen 
größere Fafernartige Banlichkeiten, 
während den Yyamilienvätern ganz 
nette Häuschen mit Gärten zugewiefen 
werden. Eine Ausnahmsftellung ift 
den einheimischen Viehhütern einge— 
räumt, die bauen ſich ihre Luftigen 
Ranchos nah Geſchmack und Bedürf- 
nis. Der liederlihe Gaucho hält wenig 
auf Bequemlichkeit, gar micht jelten 
aber trifft man in feinen elenden 
Wohnräumen Lurusgegenftände, die 
er Gott weiß woher erhalten haben 
dürfte: Nähmaschinen, Yarbendrude, 
ja ih ſah auch einmal ein Glavier. 

Es fei mir bier geftattet, ganz 
frz eine Heine Epifode zu berichten, 
welche die Gejchidlichleit der Gauchos 
in ihrem Metier, im Reiten und 
Viehſchlachten, charakterifiert: 


761 


Als ih einſt an Bord eines La 
PlataeDampfers reiste, lief der Dam— 
pfer, da der Waſſerſtand jehr gefunten 
war, an eine Sandbanf auf. Durch 
diejen unfreiwilligen Aufenthalt gieng 
der Frleifchvorrath der Vorrathskammer 
zur Neige, jo dafs der Gapitän ein 
Boot mit dem Auftrage ausjegte, eine 
in der Nähe gelegene Eftanzia aufs 
zujuchen und dort einen Ochſen an 
zufaufen. Ich ſchloſs mich der Expedi— 
tion an, obgleich ſich das Wetter recht 
ſchlecht anließ und die Bergfahrt viele 
Stunden beanfpruchte. Es war finftere 
Nacht, ehe wir das Ziel erreichten. 
Der Eftanziero gab fofort zwei be— 
rittenen Leuten den Befehl, einen 
fetten Novillo einzubringen, troßdem 
natürlich niemand ahnte, an welcher 
Stelle fih die große, in voller Frei— 
heit lebende Herde zeritreut Hatte 
über daS weite Terrain, welches über- 
dies mit dichten Maldparcellen, Grä— 
ben und Siümpfen bededt war; zus 
dem gab es eine finftere Naht. Es 
vergieng feine Stunde, jo trieben die 
beiden ſchon einen gemäfteten Jung— 
ochjen herbei; bei Fackelſchein war er 
in faum 15 Minuten zerlegt und 
ind Boot gebracht, jo daſs wir jehr 
bald die Rüdfahrt zu unferem feſt— 
gejefienen Dampfer zur allgemeinen 
Zufriedenheit antreten konnten. 

Nach diejer Heinen Abichweifung 
beichließe ich die Betrachtungen über 
Sta. Elena: Die Wohnungen der 
zumeift deutfchen Beamten befinden 
ih auf den umliegenden Höhen und 
find ſehr bequem eingerichtet. Den 
ganzen Thalkeſſel dominierend, erhebt 


ih das ftattliche Gebäude des Chefs 
eines 


der Gtablifjements3 inmitten 
üppig grünenden Gartens, 

Drunten am Fluffe, unter einem 
riefigen Tonnengewölbe, lagern die 
fertigen Waren, zur Verſchiffung be- 
reit; an der langen Landungsbrüde 
aber anfern die großen Seeſchiffe, 
welche die Producte diefer füdameri- 
kaniſchen Induſtrie nach allen Gegen 
den der Windroje verfradten. 


Eine Tigerjagd. 


Droben auf der Hohen, fteil ab- 
fallenden Barranca ſammelte fih am 
frühelten Morgen eine bunt zuſam— 
mengeitellte Geſellſchaft. 

Mir ftanden im Garten des deut« 
jhen Conſuls. Der Garten grünte 
und biühte und ein ſüßer Duft ums 
gab uns; Kinder der heimatlichen 
Ylora gediehen rings umher, dazwi— 
chen fremdartige Gewächſe, neben den 
goldenen Orangen prangten unſere 
enropäifchen Obſtbäume fruchtbeladen, 
und am Eingange des mit Jchmwerer 
Mühe gefchaffenen Gartens ftand eine 
doppelte Reihe ernfter Cypreſſen. Dieje 
Schöne Begetation fiel umſomehr auf, 
al3 die Umgebung von Sta. Elena, 
jowie der übrige Camp von Entre 
Rios in diefer Hinſicht wenig das 
Auge Ergögende darbot. Doch ent= 
behrten hier die niederen, vielförmigen 
Hügel mit dem im Frühjahre jo fri- 
‚Shen Grün, den verfchiedenen Baum- 
gruppen und Gefträuchen, einer ges 
willen Lieblichleit nicht. 

Grogartig war der Ausblid von 
jener hohen Uferbildung auf den 
‚mächtigen Paranä. Unbegrenzt er- 
ſchien im leichten Morgennebel fein 
Horizont. Und in der That ift der 
| Strom, welcher hier ein Labyrinth 
‚don Inſeln bildet, wo Jagdluſtige 
eine reihe Beute Enten und anderer 
| Wajlerthiere erhoffen können — an 
7 Kilometer breit. Doch nur der er— 
fahrene Schiffer kann es wagen, dieſes 
ſchier unentwirrbare Labyrinth von 
Inſeln, todten Armen, Sümpfen und 
Moräſten paſſieren zu wollen, und 
ſelbſt dieſer kann oft tagelang unter— 
wegs bleiben. 

Im vortrefflichen Hafen von Sta. 
‚Elena ankerten große Seeſchiffe; an— 
‚dere ſegelten — die Segel waren von 
‚einer fait permanenten Briſe geichwellt 
— ftromauf und -ab. Wir richteten 
jetzt unfere Aufmerkſamkeit auf das 
‚unten veranferte amerifanifche ſtriegs— 
ſchiff „Tallapoſa“, an deilen Bord 











e3 Schon lebhaft zugieng, wo eben der 
Sternenbanner unter Spiel und Com— 
mandos gehijst wurde, Sekt gieng 
ein Boot an Land. Endlich erichien 
der von uns noch Erwartete, der 
Commandant des Kriegsſchiffes. Die 
Sagdgefellichaft war nun vollzählig. 

Ein arger Störenfried hatte im 
jüngfter Zeit wieder unter der großen 
Viehherde des Saladeros von Sta. 
Elena übel gehaust. Es vergieng fein 
Tag, ohne daſs ein Wiehhirt die 
Meldung überbracht hätte: „El tigre 
habe wieder einen fetten Novillo 
(Jungochſen) oder eine Mutterftute 
zerriſſen.“ 

Selten zeigt ſich der nomadiſie— 
rende, unheimliche Gaſt in dieſen 
Gegenden Südamerikas; das nördliche 
Corrientes, ſowie Paraguay und Bra— 
ſilien ſind die eigentliche Heimat des 
auch Menſchen höchſt gefährlichen Ja— 
guars (Unze) oder amerikaniſchen 
Tigers. 

Die Gelegenheit, welche ſich uns 
heute bot, des die Umgebung Sta. 
Elenas unficher machenden Raubthieres 
habhaft zu werden, war gerade ſehr 
günftig, denn ein nordamerifaniicher 
Kriegsdampfer, die „Zallapofa“, 
welche in den Gewällern des Paranäs 
freuzte, anferte den Vortag im Hafen 
von Sta. Elena und die Seeovfficiere, 
unfere Gäfte, muthige, gewandte 
Schüßen, brannten ſchon lange vor 








762 


Diefe jumpfige, mit hohem Schilfe 
und Bampasgräjern bedeckte Niede— 
rung hatte der Räuber offenbar als 
fichere Balis jeiner Raubzüge in das 
mit prächtigen Rindern und Pferden 
wohlbevölferte Hügelland gewählt. 
Seit einigen Tagen konnte man es 
beobadhten, wie er mit dem erften 
Morgengrauen von dort gegen Norden 
Ihlih, um fih an den beiten Stüden 
irgend eines fetten Thieres, welches 
er zerriſs, zu fättigen. Wenn wir alfo 
in einer langen Stette von Norden 
ber, gegen die Sich zu einer ganz 
ſchmalen Spitze verjüngende, zwiichen 
den beiden Stromläufen gelegene Land— 
junge vorrüdten, jo war es faft be— 
ſtimmt anzunehmen, den auf Raub 
ausgehenden Tiger zu erlegen oder 
zum mindeiten auf Nimmertwiederjehen 
über den Strom zu jagen. So ge— 
Ihah es. Wir waren an 50 Schügen. 
Die äußerſten Weiter folgten den 
beiden Fluſsläufen. Wir hielten einen 
gegenjeitigen Abftand von circa 50 
bis 100 Schritten, die Hunde bou= 
hierten alsbald die Spur witternd 
voraus. 

Anfangs konnte man in dem 
wechjelnden Zerrain feine Nachbarn 
nicht wahrnehmen. Die niederen Hügel 
ſchnitten fich im jehr fteilen Schluch— 
ten, wo die Vegetation, die ſehr friſch 
und üppig war, die Überfiht außer— 
ordentlih erſchwerte. Noch ftöberten 


Begierde, einen Tiger zu Schießen, | wir die zahlreichen Rinder und Pferde 
Für heute früh 3 Uhr Hatten wir/auf, die, im weichen Grafe gebeitet, 
mit ihnen ein Rendezevous im Gars | hinter dichten Büſchen im Morgen— 


ten des deutschen Gonfuls verabredet. 
Außerdem Hatten ſich einige Beamte 
des Stabliljements, benachbarte Eftan- 
zieros, ſowie eine Anzahl Gauchos, 
mit den Hunden und ſonſtigem Be— 
darfe verjehen, eingefunden. 

Man gab den SOperationsplan 
aus: Nah den erhaltenen Meldungen 
waren die frifchen Tigeripuren in den 
legten Tagen auf jener Landſpitze ges 
fehen worden, welche gebildet wurde 
duch den in einem ſehr ſpitzen Wintel 
in den Parana mündenden Feliciano. 








Ihlummer lagen; wir ftörten die 
Rebhühner, die fih in großer Anzabl, 
jedoh immer nur einzeln oder höch— 
tens paarweije bei unferem Nähere 
fonımen mit ihren eigenthümlichen 
Rufe erhoben; krächzend flogen Die 
Geier von den blätterarmen Geäft, 


‚welches ihnen Schuß für ihre kurze 


Nachtruhe geboten; an jandigen, gras= 
fofen Stellen gewahrte man deutlich 
die frifhen Spuren, welde auf Raub 
ausgehende Frühaufſteher gezeichnet 
hatten; man jah in lang gemundenen 





| 





Furchen die Spuren der Schlangen 
und die Yußtapfen der Zatus oder 
Giürtelthiere, die hurtig von ihrem ellen 
Schmanje *) der fiheren Höhle zu— 
eilten, Trifft man das Gürtelthier 
bei Tags außerhalb feiner Behaufung, 
jo ift es ſehr ſtumpfſinnig und leicht 
zu erlegen. Das Fleiſch der Tatus 
ſchmeckt jehr zart, doch muſs man es 
gut würzen umd werden die Gürtel: 
tiere hierzulande im ganzen gebraten 
und ebenfo auf den Tiſch gebracht. — 
Häufig fließen wir auf Reſte gefallener 
Thiere, Knochen und gebleichte Schädel. 
Hin und wieder zeigte fih uns ein 
Rind im friiher Todesftarre oder ein 
Pferd, durch Genuss giftiger Pflanzen 
verendet, mit geborftenem Leibe. Der 
Himmel war noch grau. Ein Wind 
ftrih fühl von Süden. 

Später wurde das Terrain eben, 
überfichtlih, der Boden wei, mit 
Sumpfgrad3 und hohem Schilfrohre 
bededt, während Bäume feltener, je= 
doch nur in ganz großen Eremplaren 
vorlamen, Meine Nachbarn zu beiden 
Seiten wurden ſichtbar. Man hörte 
abjolut nichts. Die Natur ſchien wie 
ausgeftorben. So gieng es nod eine 
Meile vorwärts. Da wurde uns das 
Jagdglüd günftig. Man gewahrte eine 
Bewegung der ganzen Seite nad 
lints, die Hunde ſchlugen ſämmtlich 
wüthend au, und ein langgezogenes, 
fürchterliches Brüllen verrieth die An— 
weſenheit des Tigers, 

Es läſst ſich denken, daſs jeder 
von uns ſeinem Gaule die Sporen 
gab, um der erſte zur Stelle zu ſein. 
Als wir den Schauplatz erreichten, 
hatten die zahlreihen Hunde den 
Tiger, ein großes männliches Thier, 
geftellt; derjelbe war auf den niederen 
Aſt eines Baumes geiprungen und 
brüllte und pfauchte in wilder Wuth 
und ſchien nur unſchlüſſig, gegen 
welchen jeiner vielen Feinde er ſich 
7 Ddie Tatus nähren ſich hauptiächlich 
von Cadavern. 


zunächſt wenden jollte. Der erite 
Schüte zur Stelle war ein alter 
Peon, welder Hurtig vom Pferde 
ftieg, Furchtlos ji dem Naubthiere 
auf circa zehn Schritte näherte und 
demjelben, ehe es noch zum Sprunge 
ausholte, mit Starker Pulverladung 
jeine drei Kugeln aus glattem Laufe 
in den Kopf jagte. Der Tiger fiel 
Schwer zur Erde, Wie rajend ftürzten 
jih die Hunde auf ihn, welcher noch 
im Zodesfampfe mehrere jeiner Feinde 
ſchwer verlegte. Um das jchöne Fell 
des Tigers zu reiten, waren Gauchos 
bemüht, Durch Fleiſchbrocken die 
wüthende Meute abzuloden. Mit nur 
mäßig zerzaustem Felle lag das präch— 
tige Thier nunmehr todt in feinem 
Blute. 

Es herrſchte über den überrajchend 
guten und fchnellen Ausgang der 
Jagd allgemeiner Frohſinn in der 
Geſellſchaft, die ſich allmählich zu— 
ſammengefunden hatte. Freilich be— 
dauerten wir, nicht ſelbſt zum Schuſſe 
gekommen zu ſein, indes wurde der 
glückliche Schütze von allen Seiten 
beglückwünſcht. Derſelbe machte ſich 
hurtig an die ihm ſo geläufige Arbeit 
des Enthäutens. Die Unze hatte die 
beträchtliche Yänge von zwei und die 
Höhe von fat einem Meter. Das ſammt— 
artige Fell war roſtgelb, am Bauche 
weiß und an den Seiten mit jechs 
Längsreihen großer, ſchwärzlicher 
Ringfleden mit einem Mittelfled ge: 
zeichnet; dasjelbe erwarben wir als 
Geſchenk für Mr. D., den liebens— 
würdigen Commandanten des Kriegs— 
ſchiffes. Jeder von uns brach ſich mit 
vieler Mühe als Andenken an diele 
feltene Jagdbeute einen der mächtigen 
Zähne aus dem furchtbaren Gebifie 
oder eine der haarſcharfen Krallen. 

Die allgemeine Heiterkeit hielt 
auch während des Rückmarſches an 
und erreichte jpäter bei einem opulen— 
ten Frühſtück an Bord der „Zallapofa“ 
‚ihren Höhepuntt, 


7 


64 


Die goldene Zlöte. 


8 L. 


* ie Schäflein graſen bergauf, bergab 


e Im lahenden Sonnenſcheine: 
/ Um Waldesrand liegt der Hirten: 
@ Inab, 


Seine Augen ſchweifen ins Thal hinab, 
Dort wohnt die Traute, die Reine. 


„Du liebes Kind, du holde Maid, 

Mir will mein Herzlein zeripringen! 

Nicht kann ich mehr Schweigen vom fühen 
Leid, 

Von der Liebe, der Liebe, dir geweiht — 

Ich mujs es dir fagen und fingen! 


„DO hör' mich, hör’ mich und ſprich zu mir: 

Mein guter, mein herzlieber Ainabe! 

Und ſchläf're in Schlummer die milde 
Begier, 

Denn die Liebe, die Liebe verzehrt mich 
ſchier, 

Die ſtumm in mir ich begrabe!“ 


Da, wie er noch ſingt, lommt die Schäferin 

Gar hold in der Wieſe gegangen: 

„Was klingt für ein Lied durch die Auen 
hin? 

Von der Liebe klagſt du mit grämendem 
Sinn 

Und mit gebleichten Wangen? 


So mufs ja die Liebe was Trauriges fein! 

Ich kann die Lieb' nicht begreifen — 

Drum ſingſt du wohl beſſer vom Sonnen⸗ 
ſchein 

Und von Blumen und Lenz, wie die Vö— 
gelein, 

Die munter die Lüfte durchſtreifen!“ — 


Die Schäferin ſpricht's und lächelt ſo traut: 

Ihm iſt's in die Seele gedrungen — 

Er ſagt ihr nichts; nur ſein Herz pocht 
laut, 

Und ein helles Thränlein vom Auge thaut, 

Tas trinlen die Blumen, die jungen. 


II. 


Wie tönt von lindem Flötenſpiel 
So wei, jo voll die Nadt? 

Das iſt ein Herz, das brechen mill, 
Das Hagt mit folder Mad. 


Mas jchmweigt die kleine Nachtigall, 

Des Mondes liebe Braut? 

Sie laufcht, denn fie verfteht den Schall, 
Der Wehmuth Schmerzenslaut. 


Am See, dort figt der Hirtenfnab 
Und fpielt auf gold’'nem Rohr! 

Und klingt's zur grünen Flut hinab, 
Danır taucht die Well’ empor. — 


Sie plätfchert Teifen Gegengruß: 
„Berzag', verzage nit; 

Bald waſchen wir mit ſanftem Guſs 
Dein weinend Ungeficht!* 


Und lauter, höher rauſcht und quillt 
Heran der dunfle See — 

Ihm iſt's, als wär’ fein Bram geftillt, 
Als taucht' hinab fein Weh. 


Da Ichwebt der Nir zum feuchten Bort, 
Schliekt ihn ans Lühle Gerz, 

Küjst ihm den leiten Seufzer fort 
Und zieht ihn niederwärts, 


II. 


Der Tag hat ſtumm fih aufgefhwungen 
Und ſucht mit rofenrothem Licht 

Den Hirten, der ihm fonft gelungen 

Scin Morgenlied — doch heute nicht. 


Der Sonnenftrahl, der firedt die Leuchte 
Vergebens in den grünen Ficht; 

Dort wiegte fonft das Moos, das feuchte, 
Den jungen Anaben — heute nicht. 


Und wie der Sterne gold'ner Reigen 
Sih um die Stirm des Himmels flicht, 
Die MWipfel fih im Nahtwind neigen 
Und finden ihren Schäfer nicht. — 


Da ihlendert müd’ den Wald hinunter 
Das wunderihönjte Mägdelein: 

„Ah Gott! Was fann ich denn nicht munter, 
Nicht lindiſch mehr und fröhlich jein ?* 


„Seit feine Lieder nicht mehr fchallen, 
It mir jo bang, wohin ich geh’: 


Da führt das Mägpdlein fie zum Mund. 
Und wie als ob aus Herzensgrund 

Ein Strom zerriſs'ner Wehmuth quol, 
Klingt auf ein Lied jo zaubervoll, 


So wund und weh und jchmerzberaujct, 
Dais jedes Blatt vom Baume lauft, 
Und ſchweigt die Heine Nachtigall, 

Weil fie verftieht den linden Schall. 


Doh auch das Mägdlein immer mehr 


O ſprich, mein Herz, was dich befallen? | Verfteht der Klänge Wiederkehr: 
Mein Herz, was thut dir denn jo weh?“ Iſt's nicht des Schäferfnaben Lied, 


IV. 


Am See, am waldumfränzten See, 
Dort grast im Sternenfchein das Reh, 
Dort küljst die Flut zu ftiller Ruh’ 
Den Blumen leis die Augen zu. 


Um Eee, am waldumfränzten See, 
Gleich einer lichten Bergesfee, 

Das Mäögdlein niet und ftredt die Hand 
Hernieder nad des Ufers Rand. 


Da liegt ein gold'nes FFlötenfpiel, 
Dran glitern Waflerperlen viel, 
Wie Thränen, die ein Aug’ geweint, 
Mit herzenstrantem Lied vereint. 


Doch horh nur! horch! Iſt's Traum? iſt's 
Wahn? 

Die Flöte fängt zu ſprechen an: 

„Lieb’ Mägdlein! O verſuch's mit mir! 

Bar jühe Lieder fing’ ic dir!“ 


Das jet von ihren Lippen zieht? 


Und wie fie’3 fühlt, da zwingt fie nit 
Die Thräne, die vom Auge bricht: 

„Ach, wärft du mein! Ad, wär’ ih dein! 
Nun fterb’ ich wohl aus Liebespein!“ 


Und mie fies ruft, da braust zur Höh' 
Bon jähem Sturm bewegt der See, 

Und aus den Wellen, mondumblintt, 
Taucht auf ein Haupt, das nidt und winkt. 


Gin bleihes Haupt — und doc fo traut! 
Kennft du den Liebſten, holde Braut? 
Sie fennt ihn wohl — o Buß! o Harm! 
Und fintt in feinen feudten Arm. 


Am See, am waldumfränzten See, 
Dort grast im Sternenihein das Reh, 
Dort küfst die Flut zu fliller Ruh' 
Zwei Blumen leis die Augen zu. 


Wolfgang Madiera. 


Das Zegefeuer des Pfarrers auf dem Berge. 
Bon 3. B. Rider, 


* 


Ara Siebenbrunn auf dem Berge 
“er, haust ein alter Pfarrer. Aus 
— Nah und Fern eilen Leute 

herbei, möchten beim Pfarrer fein — 
wenn der Berg mur nicht gar jo fteil 
wäre! Sie laden ihn ins Thal, wo 
ein großes Wirtshaus jteht, fie bitten 
ihn zu kommen, fie verſprechen ihm 
goldene Berge, wenn er ihnen den 
aus Stein erjparen wollte — aber 
der Pfarrer geht nicht herab. 

Oft ſchon Hat er verfichert, daſs 
er fein Wundermann jfei, aber fie 
glauben ihm nicht, denn die Kranken, 
die zu ihm nah Siebenbrunn auf 
dem Berge lommen und jeine Rath» 
ichläge befolgen, werden gejund. Faſt 
alle! Je weiter fie hergefommen, je 
tiefer fie aus einer Stadt gekommen, 
je übler fie durch ein üppiges Leben 
zugerichtet worden, defto jicherer wer— 
den Sie geſund. Je erbärmlicher fie 
Ihnaufen den Berg hinan, je jäm— 
merlicher fie winmern bei Anwendung 
der vom Pfarrer verordnneten Mittel, 
je gottsfträfliher fie anfangs fluchen 
über die Lebensweile, die fie da oben 
führen müſſen, deito ficherer werden 
fie gefund. Der Pfarrer zu Sieben: 
brunn iſt ein Tyrann, feine Darther: 
zigleit Tennt feine Grenzen. Seine 
Säfte müſſen wohnen in 
Kammern, wo durch allerlei Fugen 
Zugluft ftreicht, müſſen ſich nähren 
von Kleienbrot, Hülſenfrüchten, Obſt 
und Milch. Wenn ſie Durſt haben, 
müſſen fie Waller trinken — pures 


froſtigen 


Brunnenwaſſer! Sieben Brunnen 
quellen im der Gegend aus dem 
| Berge, einer wäljeriger wie der an 
‚dere! Zu diefen Wäflern jchleppt Der 
Pfarrer feine Kranken, begießt fie am 
Haupte, an den Schultern, an der 
Bruft, an den Knien und überall jo 
herum und Hat folcdhergeitalt viele 
Juden ſchon getauft. Und dann follen 
‚fie begofjen und ohne Schuhe und 
| Strümpfe umberlaufen auf kaltem 
| Geitein, im bereiiten Graje, bis jie 
‚an dem ſcharfen Bergwinde wieder 
‚troden werden, — „Es ift ein reiner 
Mord!“ ſchrie da einmal in DBer- 
'zweiflung ein aljo behandelter Mil- 
lionär, „aber meinetwegen! So elend 
krank mag ich nicht mehr weiterleben !“ 
Ein paar Wochen jpäter war er höch— 
lich eritaunt darüber, daſs er an die— 
jem „Morde“ nicht zugrunde geganz 
gen, jondern völlig geſund geworden. 

Was er Schuldig ſei für das 
Wunder? fragte er den alten Pfarrer, 
Diefer antwortete: „Loben Sie Gott 
und fteigen Sie in Frieden wieder 
hinab!* 

„Uber!“ flüfterte der Badediener 
dem Pfarrer zu, „Ihr feid doch nicht 
'geicheit, Herr Pfarrer, diefer Mann 
'ift ja ein Millionär!“ 

„So!“ rief der Prieſter und 
ſchüttelte ſein weißes Haupt, „ein 
Millionär ſind Sie? Na, da müſſen 
Sie für die Cur extra fünf Gulden 
zahlen! Ich brauche juſt Geld für 
ein armes Bauernweib, das zwar 





—_ — — — — —— 
⁊ — 7* 7 
» 8 r & 
- 


767 


bergeftellt it, aber ſich die Heimreife 
nicht bejtreiten kann.“ 

Man Sagt, der Millionär habe 
die fünf Gulden fofort hingelegt. Ich 
meine doch, er hätte feine Gefundheit 
höher bewertet, obzwar die Geſund— 
beit der Reichen im Grunde nicht 
ganz den Wert hat, als die der Ar— 
beitäleute. 

Eines Tages trugen zwei jtarfe 
Holzfnehte einen Mann auf den 
Berg. Er kauerte in einem Lederjeijel 
und ſchwitzte mehr als die Träger. 
Im Bfarrhofe zu Siebenbrunn anges 
kommen, mufste er in der Warteitube 
eine lange Weile verharren unter 
Bauern und anderem Volle. Da 
Ichidte er feinen Diener hinein: „Ein 
Graf ift draußen und läjst erfuchen. “ 
Das Half nicht und fchadete nicht, 
der Herr mufste warten, bis die Reihe 
an ihn fam. Der Pfarrer war bäuer— 
lihen Geblütes und veritand jich nicht 
auf allzugroße Höflichleit. Als der 
fremde Herr vor ihm jtand, redete er 
ihn an: „Jetzt weiß ich nicht, heißen 
Sie Graf oder find Sie ein Graf!“ 

„Graf Leo Adelftein !” 

„Was fehlt Ihnen dem? * 

Einen dihtverbundenen Arm hatte 
der Herr, Mährend er fich denjelben 
entblößen ließ, erzählte er, wie er 
ſchon ſeit langer Zeit an einem böjen 
Finger leide, unzählige Arzte conful- 
tiert habe, endlich auch den berühmten 
Profeſſor Doctor Fleiſcher in der Re: 
ſidenz. Diefer habe, den Finger kaum 
gefehen, fofort den Ausſpruch gethan: 
„Amputieren!“ Darauf habe er, der 
Graf, eilig die Flucht ergriffen, denn 
wegichneiden wolle er ich den Zeige: 
finger nicht fallen, er brauche ihn zu 
nothwendig zum Schiegen auf der 
Jagd. 

„Ah, dann natürlih darf man 
ihn nicht wegichneiden!“ gab der 
Pfarrer bei. „Zum Jagen! Das ift 
freilich eine große Sad’ !” 

Hernach unterſuchte er das Franke 


was 
läſst.“ 

Schon am ſelben Tage gieng das 
naſſe Treiben an, die armſelige Koſt, 
das Umherlaufen im Freien, um den 
kranklen Finger aber kümmerte ſich der 
Pfarrer gar nicht mehr. 

„Wozu denn die Procedur?“ rief 
der Graf eines Tages ungeduldig aus, 
„mir fehlt ja ſonſt nichts. Nur der 
Finger, der Finger!“ 

„Ja, der Finger, der Finger!“ 
entgegnete der Pfarrer, „dem müſſen 
wir von rückwärts beilommen. Sind 
nur erjt die Säfte gejund, dann wird's 
der Finger von ſelber.“ 

Bisweilen ſchickten hundsföttiſche 
Menſchen Briefe ohne Unterſchrift auf 
den Berg, in welchen Briefen der 
„Wunderdoctor“ verhöhnt wurde. Der 
alte Pfarrer ſchupfte nur die Achſeln, 
die rechte war etwas höher, als die 
linke, und zwinkerte mit den grauen 
Auglein. Sonſt that er nichts des— 
gleichen. Manchmal kamen Zeitungs— 
blätter, in welchen der Alte auf dem 
Berge Charlatan und Schwindler 
genannt wurde; da zuckte er wohl 
zwei-, dreimal mit den Augen, that 
aber im übrigen, al3 gienge ihn der 
Schimpf nichts au. Eines Tages 
fan ein langer Artikel, in welchem 
geradezu verlangt wurde, dafs die 
Behörde dem „empörenden Treiben 
des Curpfuſchers von Siebenbrunn“ 
ein Ende machen folle. Der Mann fei 
ein Betrüger, feine Eur tödte jieben 
Zehntel der Patienten, aber die 
Ihweigjamen Todten würden ver— 
ſchwiegen und die zufällig vermöge 
ihrer kräftigen Natur Genefenen als 
Locktuf Hinauspofaunt in die Welt. 
Der Staat habe die Pflicht, das 
arme, leichtgläubige Volt vor diejem 
Gewiſſenloſen zu ſchützen! Unterzeichnet 
war der Aufſatz von Profeſſor Doctor 
Fleiſcher. 

Gerade am Tage, da der Finger 
des Grafen Adelſtein als vollkommen 


ſich mit Gottes Hilfe thun 


Glied und jagte: „Bleiben Sie nur | heil erfannt war, kam dem Pfarrer 
ein paar Wochen da. Wollen jehen, dieſes Zeitungsblatt in die Hand. 


768 


Er pflegte ſonſt feine Zeitung mehr | fein Blut vergoffen. Mein Anwalt ift 


zu lejen, allein diesmal war ex doc) | 
ein wenig neugierig, was die Capa— 
eität über fein Heilverfahren jagen 
würde. Während des Leſens begannen 
dem alten Mann ein wenig die Hände 
zu zittern, dann zudte er wieder mit 
den Augen und fie wurden feucht. 

— „Guden Sie einmal in Diejes 
Bapier hinein!“ ſagte er mit ganz 
leifer Stimme und überreichte das 
Blatt dem Grafen. Diefer las. Zuerft 
fchnupperte er mit der Nafe, als wolle 
er einen fremden Körper losſtoßen, 
dann fuhr er fich mit den Fingern — 
auch der geheilte that mit — heftig 
ins Haar, danı begann er mit den 
Füßen, Heute Hatte er jchon wieder 
Stiefel an, den Boden zu flampfen, 
und endlich jchleuderte er das Zei— 
tungsblatt zur Erde und jprang darauf 
herum, bis es in Fetzen zerzaust war. 
Dhne ein Wort zu jagen, jchritt er 
davon, gieng feinen gewohnten Wald» 
weg und blieb lange aus. Nach zwei 
Stunden kehrte er zurüd, verlangte 
ihredbar hHerriih den Pfarrer zu 
ſprechen und zu diejem fagte ex nun 
folgendes: 

„Herr Pfarrer! Diefer Menſch 
mus zufchanden gemacht werden. Ich 
habe Ihr wohlthätiges Wirken kennen 
gelernt und an mir felbit erfahren. 
Nicht blog Jagdſport treibt der Ca— 
valier, er weiß zu rechter Zeit auch 
die Unſchuld zu ſchützen, die Ehre eines 
Rechtſchaffenen zu verteidigen —“ 

„Sie werden fi doch nicht ſchla— 
gen wollen mit dem Mann!" hauchte 
der erjchrodene Pfarrer. 

„Darüber babe ih niemandem 
Rechenschaft zu geben.” 

„Um Gotteswillen, Graf! Meinet- 
wegen ein Zweilampf! Schon des 
einen Fingers wegen waren Sie fo 
verzagt, und jet wollen Sie die ganze 
Hand verlieren oder gar das Leben. 
Meinetwegen? Weil der Mann da 
unten ein biſſschen Brotneid hat. Nein, 
Herr, das dürfen Sie nicht thun. Ich 
verbiete es Ihnen. Meinetiwegen wird 


Gott, der wird Schon Wege finden, 
mir Ehre und Recht zu verſchaffen, 
wenn es fein Wille iſt. Seien Sie 
nur in Frieden, Herr Graf, es ift ja 
alles gut, e& iſt alles gut.“ 

Der hohe Herr ſtand ſtumm da, 
endlich hielt er dein Pfarrer die Hände 
bin: „Sie jind nicht bloß ein großer 
Arzt, Sie find auch ein echter Prieiter. 
— Gut, ih will Ihren Willen achten, 
hingegen ſoll etwas anderes meine 
Sorge fein. Über Jahr und Tag wird 
hier ein Bau entitehen, der Ihrer 
Eur und der großen, ſich ja immer 
fteigernden Anzahl Ihrer Gäfte ent» 
fpriht, Ihnen zur Ehre und den 
Leidenden zum Segen jein foll. Das 
habe ich jetzt gejagt.” 

Und was der Graf Wdelftein da— 
mals gejagt Hatte, das ijt nach we— 
nigen Jahren zur That geworden. 
Der Nfarrer leitete den Bau der An- 
ftalt und Hatte feine Tiebe Noth mit 
dem Grafen. Der wollte überall ein 
bifschen Comfort anbringen und dem 
Pfarrer wurde übel, wenn er dus 
Mort „Comfort“ vernahm. Kein Bol» 
fterfefiel und fein Teppih und feine 
Mandtapete, das verftand ſich wohl 
von jelbft; allein der Pfarrer wider— 
feste fih auch gegen die Fenſtervor— 
hänge, gegen die luftdicht verſchließ— 
baren Fenſter, ja faſt auch gegen 


Zimmeröfen, „Licht und Luft! Und 
viel Waller! Und auf der Holzbant 
ſchlafen. Wer müde ift, ſchläft auch 


auf dem Breite gut, und wird es 
ihm zu hart, jo hat er ausgejchlafen 
und foll aufitehen. Wem ein Zimmer 
zu froftig ift, der foll Hinaus und 
hübſch Bewegung machen — den beiten 
Dfen haben wir au uns felber, “ 
Der Graf mufste fich fügen und 
endlih ftand eine Anftalt da, au 
welcher jeder Spartaner feine Freude 
gehabt hätte. Doch die Weltleute waren 
feine Spartaner und jo lange fie fich 
gejund fühlten, wißelten fie maßlos 
über die Bärenhaftigfeit zu Sieben« 
bruun. Wurden fie krank, jo Huben 


ww. mer: 
° 
D 
7 


ſie an zu ſchelten, verſuchten alle denk— 
baren Heilmethoden, beſuchten alle 
berühmten Arzte und erſt wenn ſie 
aufgegeben waren, kamen ſie auf den 
Berg und gaben ſich mit gläubiger 
Andaht dem Pfarrer anheim. 

Au allen Deilanftalten dürfen 
Leute fterben, wehe aber, wenn dem 
Pfarrer zu Siebenbrunn einer ftarb! 
Es geſchah nicht oft; die meijten 
fräftigten fi oder genafen ganz und 
in der Kirche zu Siebenbrunn hängt 
mande PBotivtafel aus Dankbarkeit 
für wiedererlangte Gejundheit. 

„Aber, Herr Pfarrer!“ ſagte eines 
Tages ein Kranker, dem das Waſſer 
jo naſs und das Bett fo hart vor- 
fanı, „fol e3 denn wirklich; nothwen— 
dig jein, dafs die Menjchheit lebe 
wie die Wilden, ohne alle Bequem- 
lichkeit? Wozu bat uns Gott fo viele 
Güter und Genüffe entveden und er— 
finden laſſen?“ 

„Daſs wir fie weile anwenden 
follen“, antwortete der Pfarrer. „Nur 
wer es zu toll treibt, der muſs zu 
mir. Der Siebenbrunnerberg ift das 
Tegefeuer, wo ſie ihre Sünden ab» 
büßen.“ 

Der Ruf dieſer Anſtalt war immer 
weiter in die Welt gedrungen. Unter— 
nehmungsluſtige Leute wollten auf 
dem Berge hübſche Villen bauen, feine 
Wege anlegen laſſen, Beluſtigungen 
veranſtalten. 

„Bleibt mir vom Leibe mit ſolchen 
Sachen!“ rief der alte Pfarrer. 
„Dperieren die Stadtdoctoren mit 
Sammt und Seide? Nein, fie ope— 
tieren mit Stahl und Gift, und ich 
mit der rauhen Natur.“ 

Der Alte war endlih body über 
feine Achtzig binaufgefommen und 
hatte immer jein jchneeweißes Haar, 
immer fein frifchrothes Geliht. Es 
waren Leute in ihren „beiten“ und 
Leute in ihren „Ichönften Jahren“ zu 
ihm heraufgejchleppt worden, er war 
unter allen der Jugendlichite, Herzens 
frifchefte, derb in feinem Gehaben, 
mild in feinem Gemüthe. Er tröftete 


Rofegger’s „Geimgarien‘‘, 10. Heft. XV, 


769 


feine Gäfte nicht damit, dafs fie ja 
balb wieder geſund werden wirden, 
er verjicherte jie vielmehr, dafs jie 
gar nicht Frank jeien, bloß welt und 
matt; umd wenn der Menjch am Leibe 
jo erſchöpft und in der Seele jo auf: 
gerüttelt jei, da würde er grauenhaft 
wehleidig. Und wer jo mwehleidig ſei, 
den müjje man jo lange fragen und 
walten, bis er über die neuen Leiden 
feiner alten vergeſſe. Es war Halb im 
Spaſs und Halb im Ernft, wenn er 
jo fprad, die Kranken aber hörten 
ihm gerne zu und glaubten jeinen 
Worten, 

Freilich waren auch Störrifche 
darunter und wenn fie ftörrijch blie= 
ben, jo wurde der Pfarrer ausnahms— 
weile ganz Höflih mit ihnen und 
machte fie darauf aufmerkſam, daſs 
es bergabwärts leichter gienge, als 
bergaufwärts. 

Eines Tages war ein bejonders 
wunderliher Patron namens Paulus 
angelommen. Ein Stadtmenſch, juft 
noch nicht alt, aber aſchfahl an den 
Wangen und aufgedunfen, gaſtriſch, 
aſthmatiſch, rheumatiſch, ischiatiſch, 
das war einer, der ſeine Krankheiten 
hübſch lateiniſch oder griechiſch zu 
nennen wujste; er erklärte wiſſen— 
ſchaftlich ganz genau, wie die Krank— 
heit hieß, worin fie ihre Urſache hatte, 
welche Eigenschaften fie aufwies, wels 
chen Berlauf fie zu nehmen pflegte, 
fonnte fie aber nicht heilen. Gelehrte 
Patienten find ftets die allerfchlimm- 
ften, der alte Pfarrer hätte mit dem 
Manne kaum etwas anzufangen ge= 
wujst, wenn nicht der Gaftricismus 
und das Aſthma und der Rheumatis— 
mus und die Gicht feine energijchen 
Helfershelfer gewejen wären, die end= 
lich den ungeduldigen, herrijchen, miſs— 
muthigen und mifstrauischen Kranken 
jo mürbe machten, dafs er alle Ver: 
fügungen faft gleichgiltig über fich er: 
gehen ließ. Sollte Herr Paulus — 
was doch insgeheim jeine Hoffnung 
war — in Siebenbrunn ſchon nicht 
Erleihterung finden, jo wollte er 


49 





„Kränkt Sie denn das?“ fragte 
der Pfarrer. „Na, wenn nicht, dann 
ijt’3 recht, und Sie können in Frie— 
den nachhauſe gehen.“ 

„Was werden Sie von mir den— 
fen, Herr Pfarrer? Meine Hilfsmittel 
al3 Arzt waren die Medicin und das 
Meier. Mo erftere nicht angriff, all» 
jogleich das letztere. Vom Seciertiich 
des Studenten zu den PVipijectionem, 
von diejen zu den“ Aınputationen im 
den GSpitälern immer wieder das 
Meſſer! Mie viel Blut vergofien, 
Leben vernichtet im Namen der 
Wiſſenſchaft, und wie wenig Erfolg! 
Und doch Hatte ſich mein Selbftbe- 
wuſstſein, meine Prari3 und meine 
Ruhm gefteigert von Tag zu Tag. 
Ich Hatte hohe Patienten. Ach ftieg 
von Würde zu Würde, id) ward reich, 
ih ward krank. Denn ich arbeitete, 
ſtudierte fort und fort, redlich wollte 
ich der Wiſſenſchaft dienen, das müſſen 
Sie mir glauben. Aber fie rieb mid) 
auf. Und als ich matt und fieh war 
und die Mittel meiner Wiſſenſchaft 
fehlſchlugen, da mufste ih mich don 
einem Landarzte belehren lafjen, daſs 
er in gleicher Lage gewejen und durch 
die Naturheillunde gerettet worden 
jei. Ich, mifstrauifch geworden gegen 
unfer medicinifches Können, und nichts 
mehr zu verlieren, entſchloſs mich, 
das in unferen Tagen jo jehr ge- 
rühmte Naturheilverfahren zu vers 
juchen. Ich gewann dabei jedenfalls, 
entweder die Gejundheit oder eine 
neue Überzeugung, daſs aud dieſes 
Naturheilverfahren nichts tauge. Mit 
einer gewiſſen Genugthuung für mich 
wäre ich da bei Ihnen auf dem Berge 
geftorben, während ich nun genejen 
demüthig eingeitehen muſs, daſs ich 
ſchwer Unrecht gethan, als ih Sie, 
Herr Pfarrer, und Ihre Art zu heilen 
verurtheilte,* 

„Diefe Art, zu heilen“, fprach 
nun der Pfarrer, „jo uralt fie eigent— 
(ih ift, mufste in unferer Zeit doch 
wieder neu entdedt werden; fie wird 
gewifs auch noch ihre Mängel Haben. * 


wenigitens ein Beifpiel dafür werben, 
wie der „Alte vom Berge die Leute 
umbringt“. 

Natürlich gieng e3 raſch abwärts. 
Der Rheumatismus wurde zeitweilig 
heftiger, der Kranke verlor an jeiner 
Gefihtsfülle, an Gewicht, an Kräften, 
an Energie. Der Pfarrer lieg ihn 
die vorgejchriebene Lebensweile ruhig 
fortführen. Einfache Koſt, Bewegung, 
Luft, Waſſer — immer dasjelbe und 
immer dasfelbe. E3 vergiengen Wochen 
und Moden. So unerträglich ward 
die Langweile, daj3 der Herr Paulus 
aus lauter Langweile anfing — zu 
genefen. Die Hilfenfrüchte, das Obſt 
begannen ihm zu munden. Die Be- 
wegungen in freier Luft wurden ihn 
lieb, das Waſſer war ihm Erfriſchung; 
fein ſchwammiges TFleifh gewann an 
Teftigkeit, feine Musteln an Spann» 
fraft, fein Auge an Glanz, jein Ge— 
fiht an rofiger Farbe und freund 
lihen Zügen. ; 

Und eined Tages ließ er den 
Pfarrer in feine Kammer rufen. 


„Beihten, Herr Pfarrer !* 

„Oho, To ſchlimm ſteht's nicht!“ 
lachte dieſer. 

„Nur eines plagt mich mod“, 
ſagte der Mann, „wenn das auch 
heraus iſt, dann bin ich geſund.“ 

„Brauchen wir eine Zange dazu?“ 


Nur ein paar Minuten Gehör, 
wenn ich drum bitten darf. — Bor 
allem habe ich mich der Falſchmeldung 
zu verklagen. Ich beige nicht Paulus, 
wie Sie mich eingeschrieben, ich heiße 
Guido Fleifcher, bin derjelbe Doctor 
und Profeſſor, der Sie einst in der 
Zeitung jo herb angegriffen.“ 

„So, jo*, antwortete der Pfarrer, 
„na, das macht nichts.“ 

„Ihnen macht es freilih nichts, 
aber ih muſs mich ſchämen. Meine 
Wiſſenſchaft, auf die ich jo ſtolz war, 
bat mich verlaſſen. Bei dem Natur» 
arzte, über den ich jo hochmüthig ab— 
geurtheilt, Habe ich Hilfe juchen müſſen 
und Hilfe gefunden,“ 


— — —ñ— — — — —— — — — — — — — — — — — — — ee — — — —— ——— ——— 





„Im ganzen, Herr Pfarrer, iſt Wunfch wäre nur, dafs die Menfchen 


e3 der richtige Weg“, ſagte Doctor 
Fleiſcher, „das erfenne ich nun, und 


wie ih ſtets gewohnt war, nad) mei- 
nem Erkennen freimüthig zu urtheilen, 
jo wird es auch jet gejchehen. In 








— gerade, wenn e3 ihnen recht gut 
gebt — eingedent fein möchten der 
einfachen Natur, von der man fich 
nicht ungeftraft entfernt. Wer duch 
Üppigteit Jündigt, der mufs ins Fege— 


demjelben Blatte, welches Sie dazır= | feuer der Entbehrung, Entjagung uud 


mal geſchmäht hat, 
eingeftehen, daj3 ih — bon mir und. 
meinen Coflegen aufgegeben — bei 
Ihnen auf dem Berge Heilung ges 
funden habe. Sind Sie zufrieden ?“ 

„Ich bin immer zufrieden“, ents 
gegnete der Pfarrer. „An mir liegt’3 
auch nicht. Ich bin nur ein Werks 
zeug dejjen, der Herr ijt über Leben 
und Tod. Ich werde troß der Heil— 
fraft zu Siebenbrunn ja auch nicht 
ewig leben auf diefem Berge, Mein 


werde ich offen | Abhärtung, bis er ſich das Gebot 


Gottes einprägt: Du ſollſt einfache, 
ungekünftelte Nahrung zu dir nehmen, 
in Licht und Luft fein, deinen Körper 
einhalten und abhärten.“ 

Mit diefer Lehre ift Doctor Flei— 
ſcher herabgeftiegen in feine Stadt, um 
durch eine Erfahrung reicher, als Arzt 
neue erjprießliche Thätigkeitzu beginnen. 

Der alte Pfarrer auf dem Berge 
lebt heute noch und fein SeBeIeUE 
wird vielen zum Heile. 


Die Engländer. 


Ein Bild aus den Alpen von P. R. Kofegger. 


9, 


“ 


n der Holzfnehthütte jagen fie |tränfen eitel Wafler. 


3° zufammen beim Nachmittags: 
2 trunke. Die Männer Brannt: 
wein, die Weiber Milch. Die Milch 
war jeit einiger Zeit ſchlechter ge- 
worden, weil e3 viel gereguet Hatte 
auf der Alm, und alfo das Futter 
wäflerig ift, wie die Sennin jagt; 
der Branntwein jedod war jeit fur- 
zem bejjer geworden, weil ihn der 
Bezirkshauptmann verboten hatte und 


er jeßt nur gefchwärzt zu befommen | 


war. Sie tranfen ihn.aus Wafler: | 
gläfern, damit, falls ein Aufjeher er- 
jhiene, fie nicht entdedt werben 
fonnten. Alſo geichah es wohl manch— 
nal, daſs fie vor den Augen der 
Aufpaffer den Schnaps ſeitelweiſe 
joffen, während jene glaubten, fie 








‚brauchen Straft, 


Zwar Hatte zu 
Staudah der Pfarrer gepredigt, 
ſchlechte Mil wäre beijer als guter 
Schnaps. Der Pfarrer hat leicht pre= 
digen, der trinkt Magdalenerer Roth: 
wein, ja dieſe Milch ift freilich 
beſſer als Schnaps. Kuhmil aber 
ift für Weiber und finder, Männer 
und die liegt im 
Branntwein. Kräftig find . fie 
allerdings, doch haben fie ihre Kraft 
nit dom „Höllenwaſſer“, fondern 
bon der friſchen Bergluft und der 
harten Arbeit. Arbeit nimmt Kraft 
und gibt Kraft und macht zur Noth 
gut, was der Schnaps Tchlecht macht. 
Doch das glauben fie nicht. 

Sind es Aufpaffer ? — Denn es 
hat jemand an die Thür geklopft. 


49* 


— 


Ein auftändiger Menſch Hopft nicht 
in der Bauernwirtihaft, macht die 
Thür ohneweiters auf, er überrafcht 
ja niemanden, gebt es doch recht— 
Schaffen zu in der Stube. 

„Wer iſt's denn?“ fchreit der 
Alttneht, „Jo Dummpheiten da!“ 

Langfam öffnet fi die Thür — 
fremde Leut’! herriſche Leut'! Ein 
alter Herr, ein Studentel oder jo 
was, und ein bildfauberes Mädel. 

„Good morning, my good people! 
Can we get milk here?“ jagte der 
alte Herr. 

Die Holzleute bliden einander 
an. „Der redet fo hochdeutſch, dafs 
man ihn gar nicht verſteht“, lacht 
Jocherl, der Jungknuecht. 

„Oh! Papa, how interesting! 
they are certainly robbers!“ ruft 
der fremde Junge dem alten Heren 
zu. Das Fräulein hält ſich ein lang— 
beftieltes Augenglas über das Näschen 
und haut: „Upon my soul, what 
goodlooking people!“ 


„Oh yes, my child!“ verſetzt der 
1 


alte Herr. 
„Das find Krowaten!“ murmelt 
einer der Holzknechte den anderen zu. 
„Ich weiß nicht, was die Leut’ 
im Mund haben, dafs fir nicht reden 
lönnen!" jagt der Mathes. 
„Dabt’3 ein’ Bungenfehler ?* 
fragt der Altknecht die Eingetretenen. 
„Be so kind as to tell us, my 


Ta 





Denn die Holzinehte meinen fo: 
Wenn wir fie nicht verftehen, fo ver= 
ftehen auch fie uns nidt. Und der 
Fürwitzigſte von ihnen, das ift der 
Mathes, jagt ganz laut: „Bergferen 
werden’s fein. Willen ihnen vor lauter 
gut Leben nicht zu Helfen, müſſen im 
Gebirg umklettern, und ift ihnen nicht 
wohl, jo lang, bis fie nit wo ab— 
gefugelt find. Was doch unfer lieber 


Herrgott für närriſche Softgänger 
hat!" 

„Der Alte kann fih eh nimmer 
ſchleppen!“ 


„Der Hein’ Bub ſoll Geißhalter 
werden, dann fann er auf den Bergen 
umlaufen mehr al3 er mag.“ 

Jocherl, der Jungknecht, ſtreicht 
ſich mit der Pfeifenſpitze den Schnurr— 
bart, ſchaut ſchier ſchwärmeriſch auf 
das Fräulein und ſagt: „So ein 
Blitzmädel! Das wär' eine Paſſion, 
wenn die Sennerin thät ſein! Der, 
wenn man ein Buſſel aufs Göſcherl 
funnt drucken!“ 

Dem Fräulein iſt's gerade, als 
müſste es jetzt dem Burſchen um den 
Hals fallen. Ach, dieſe Naturmenſchen! 
Wie ſie gar ſo treuherzig daherreden! 

‚Willſt dableiben bei uns, Dirn— 
del?“ ruft einer auf fie hin. 

„I don't understand!“ antwortet 
fie, in der Hoffnung, fie würden ihre 
Bemerkungen fortfegen. Aber fie jagen 


good friends, what’s the name of nur nod: „Bei uns hätteſt e3 nicht 


that rocky mountain one sees so 
well from here !* fo der alte Herr. 

Die Holzleute Schweigen und find 
hier rathlos. 

„How is it called in the coun- 
trey ? round about here ?* 

„Ab, ja — ja“, antworten fie 
knurrend, denn jet will es Einigen 
bedünken, die Schuld wäre an ihnen 
jelbft, wenn fie nichts verftünden. 

Das junge hübſche Fräulein ver— 
fteht wohl deutsch, läjst aber nichts 
davon merken, jondern betrachtet es 


als das nettefte Abentener der Welt, | lauter 
diefe Naturmenſchen zu belaufchen. | deutfch 


ſchlecht, Schagerl. Berftehen wollten 
wir und aud. Beim Schwahßen vers 
ftehen ſich gar mande Liebesleut’ 
nicht, aber beim Schmeigen. Das 
beft’ Gernhaben ift das ftumm’ Gern= 
haben.“ 

Iſt es dem Fräulein das zweite: 
mal, ald miüjste es einem dieſer 
prädtigen Mannsbilder um den Hals 
fallen. Da fagt der Altknecht: „So 
viel verhungert und verdurftet hauen 
die Leut' aus!“ 

„sa, am End’ können fie vor 
Hunger nimmer ordentlich 
reden“, meint Jocherl, der 


Sungfnedt. — „Rathrin, gib ihnen 
eine Schüfjel voll Mil !* 

„Eine ganze Schüſſel voll hab’ 
ih nimmer“, antwortet die Kathrin. 

„So thu’ Wafler dazu, bis jie 
voll wird.“ 

„Jeſſas, fie ift eh ſchon ganz 
blau, weil e3 fo viel hat geregnet.” 

„Schneid’ ihnen Brot hinein. 
Mufs ja noch da fein, was die Jagd 
Hund’ haben übrig gelajjen in voriger 
Moden.“ 

„Wachſt ſchon der 
drauf“, jagt die Sennin. 

„Macht nichts, die Milch waſcht 
ihn ſchon herab.“ 

Richtig, eine ſolche Mahlzeit wird 
den Engländern nun vorgejegt. Sie 
fallen arg darüber ber, laſſen fich’s 
trefflih munden, und der Alte jagt 
ein= ums anderemal: „What deli- 
eious milk! that is real milk from 
the Alps, children !* 

Nachdem fie die Schüffel bis zum 
legten Reſt blankgemacht haben, zieht 
der alte Herr jeine Geldtajche hervor 
und beredet fi mit feinen Kindern, 
wie hod er den Imbiſs wohl ent: 
lohnen folle. Der Sohn ift für einen 
Ducaten, die Tochter meint, ein 
Ducaten, wo ihrer drei gegejien, wäre 
do die höchſte Knauſerei. Das ſeien 
jo liebe, gute, unverdorbene Menfchen, 
denen müſſe man das köſtliche Mahl 
anftändig bezahlen. 

„You are right, child!“ jagt der 
alte Herr und legt drei funfelnde 
Ducaten auf den Tiſch. 

Die Holzleute guden fo ein wenig 
fhief darauf Hin, der Mathes ftellt 
ih an den Tiſch und jagt: „O je; 
drei Kreuzer geben ſie her, ha, ha, ha!” 

„Du!“ Spricht jetzt der Altknecht, 
„hau die Kreuzer gut an! Das find 
fürnehme Kreuzer! Haft ſchon einmal 
einen Ducaten gejehen ?* 


Schimmel 


773 


„Jeſſes, drei Kälber liegen da auf 
dem Zijch I” fchreit der Mathes. 

„Ja, und ein viertes fteht davor!“ 
jagt der Jungknecht. 

Die Sennin ſchlägt die Hände 
über den Kopf zufammen: „Was 
find das für Leut’, die für eine 
Schüſſel Milh einen ganzen Reich— 
tum hergeben? Das find Fchlechte 
Leut'. Ordentliche Leut’ haben nicht 
jo viel Geld! — Ich nehm’ nichts, 
Gott behüt’ mich!” 

„Sch nehm’ auch nichts von dem 
verzauberten Geld“, verfeßt der Mathes, 
ftedt jeine Hände in die Hojentafchen, 
al3 traue er ihnen nicht. „Bafst's 
auf, morgen find’3 drei Stüd Kohlen. 
Ich weiß eine Gefchichte, wo der 
Teufel einen Hut voll Geld bringt, 
und am andern Tag ift der Hut voll 
Aſchen! So ein gezaubertes Geld! 
Zum größten Unglüd kann's führen. 
Dem Teufel verfchreiben! Heiliger 
Schußengel, bewahr mich, daſs id 
nichts nehm'!“ 

„Nimmſt nichts 2” fragt der Jung— 
knecht. 

„Bei meiner chriſtlichen Seel', ich 
nehm' nichts!“ 

„Nachher“, ſagt der Jungknecht 
und ſtreckt die Hand aus nach den 
Ducaten, „nachher nehm’ ich fie.” 

„Bravo!“ ſchreit das englifche 
Fräulein auf. 

„Was Hat fie gejagt?” 
Jocherl, der Jungknecht. 

„Brav biſt, hat fie gejagt”, be— 
lehrt der Altknecht. 

„Brad, Hug und hübſch!“ ſchreit 
fie und Hatfcht in die Hände. „Lieber 
Alpenmenſch, du mujst mit uns,“ 

Jetzt Schauen die Holzleute ein— 
ander erfchroden an. Deutſch redet 


frägt 


fie! Deutfch verfteht fie! Und alles 
joll fie verftanden haben ! 
„Mit uns mujst du!” jagt das 


„Gehört wohl davon, aber gejehen | Fräulein und padt den Jungknecht 


ihrer noch feinen,“ 


an der Hand, „auf den Berg mufst 


„So jhau her da! So ein Heines|du uns führen und plaudern unter» 
Goldpagel da ift dir jo gut wie ein wegs; ac, es ift gar fo nett, wenn 


ganzes Kalb!” 


du plauderjt!” 


174 


Nun bliden ſich der alte Engländer 
und jein Söhnlein an. Was fie nur 
jo lebhaft mit dem jungen Menſchen 
ſpricht! Die beiden find aber bald 
darüber einig, der Jungknecht fpringt 
für den Reit diefes Tages von der 
Holzarbeit aus und geht mit deu 
fremden Herrſchaften auf den Berg. 

Die Engländer bleiben oben im 
Schutzhauſe, um zum nächften Morgen 
den herrlihen Sonnenaufgang aus dem 
Bädeker zu lejen ; der Jungfnecht kommt 
um Mitternaht zurüd in die Hütte. 

„Biſt denn wieder da?“ ruft der 
Kamerad Matthes vom Schaublager 
herüber. 

„Hab' ihrer noch drei befommen!“ 
jagt der Jungknecht und hebt mit 
zwei Fingern etwas empor, das beim 
Scheine der glojenden Herdglut röth- 
lich funkelt. 

„Jetzt hab' ich aber heilig gemeint, 
die Schöne will dich heiraten!“ be— 
merlt der Mathes. 

„Dieweilen hat ſie nur gefragt, 
ob ih mit nah England mollt’”, 
erzählt der Jungknecht, „nein, Jungfer, 
ſag' ih, nah England will ich nicht 


mit. — Ja warum denn nicht? fragt | 


lie. Sa weil ich daheim bleiben 
will, fag’ ih. — Ja, warum willit 


denn daheim bleiben? fragt fie, Halt 


vielleiht einen Schatz daheim? — 
Freilich, ſag' ih. — Stedt fie drauf 
ihre Glasaugen an und jchaut auf 
mid her mit einem jo gluthheiken 
Aug’, dafs ih ſchon hab’ gemeint, 
fie brennt mir im Bruftfled ein Loch.“ 

„Anzunden bat fie dich?“ ruft 
ein anderer von einem anderen Win— 
fei her. 

„Ah beileib’*, antwortet der Jung= 
fneht. „Wenn man einen Strob- 
fopf auf hätt”, funnt’3 wohl brennen, 
fonft nit. Wie wir oben Sind ge— 
wejen, wo der Scharf! Wind geht, da 
nachher —” 

„Run, was ift nachher gewejen 7“ 

„a, da Hab’ ich gefagt: Da 
heroben geht ein ſcharfer Wind. Nach— 
her haben jie mir die drei Fuchſen 
gegeben, und ich bin verabjchiedet ge= 
wejen.“ 


| „Was thuft denn mit den dreien?“ 


„gu den anderen dreien thu’ ich 


ſie.“ 


„Und nachher?“ 

„Nachher Hab’ ich ſechſe. So viel 

wie jehs Kälber, Nachher kann id 
heiraten. “ 
„Du, Jocherl!“ ruft jebt Der 
Knecht Mathes von feinem Stroh 
‘ber, „ich Hab’3 gejagt, die Ducaten 
find noch dein Unglück!“ 





Wan d’Hausgloggn ſcheebert. 


(Sieiriſch.) 


BR 


> 


ri 
„e 
5 


m 


— an d Hausgloggn ſcheebert, 
I To jaucdzt der Geredti; 
2... Wan d Hausgloggn ſcheebert, 


Do zidert der Schlechti. 
Ter vani muaſs fürdtn, 
Der ondri därf houffn, 
Wan's ſcheebert, jo fimbb wos 
Und d' Hausthür ſteht ouffn. 


Der Bauer auf dem SMarkte. 


Ein Bild aus dem Tiroler Volksleben von Aarl Wolf. *) 


er 


Ur 

elten wird man fo viel Gele: | 

2:0 genheit haben, die Charaktere 

unferer Bauern zu ftudieren, | 
wie auf den drei Fleiſchmärkten, die 
im Winter in Meran abgehalten 
werden. | 

Es ftrömen da die Bauern aus 
der ganzen Umgebung Merans zus 
ſammen. | 

Da kann man den behäbigen 
Burggräfler mit feiner Bäuerin, die, 
fat refpectvoll immer Hinter dems 
jelben berläuft, bei feinen E Ginfäufen 
beobadten. | 

Da kommt der Bauer aus dem 
Mittelgebirge mit feiner furzen, lodes | 
nen Kniehoſe und ſchwarzwollenen 
Strümpfen. Der Haflinger mit feis | 
nem langhaarigen Saumpferde, be— 
laden mit den ledernen Getreidejäden, 
dann der Paljeirer, der Ultner, der 
bedächtige Vintſchgauer mit der ſin— 
genden Mundart, kurz Material zur 
Beobachtung menfchlicher Eigenthüms | 
lichkeiten in Hülle und Fülle. 

Der Marktplaß bildet ein be= 
megtes, buntes Bild. Die ganze lange, 
Laubengafie ift eine große Fleiſchbank 
und dazwiſchen durch winden jich die 
Scharen von Banersleuten „wos es 
lei derſchoppet“. 

Der Struzer hat für die Marltz 
leute glattweg zwei Eintheilungen. 
Solche, die „lei a fezzele (biſschen) 


*) Aus deſſen vortrefflichem Bude: 


Nr 





ſchaugn kemmen und blind unfoaln“, 

das will jagen, ohne eigentlich zu 
faufen, ſich um die Preiſe erfundigen ; 
zweitens aber in „fafete Leut“, die 


wieder in zwei Stategorien eingetheilt 


werden, in „Gleime“ und „Raare“. 

Zwiſchen den Fleiſchſtänden haben 
‚die Grödner, das Handelsvolf Tirols, 
ihre Waren auf die verlodendfte 
Meife ausgelegt und die Verfäuferin- 
nen madhen mit ihren Blasengels 
gelichtern heute die freundlichite Miene. 

Und wie umdrängen die fichern- 
den Bauerndirnen dieje Stände, hans 
deind, feilſchend und — wünſchend. 

Es iſt eine Eigenthümlichkeit, daſs 


unſere Bauerndirnen oft die längſte 


Zeit damit zubringen, ſich alles mög— 
liche zu wünſchen. 

„Sigſt Moida, wenn i Geld gnua 
hätt, nahm i in ſeln Fürtigſtroaf, in 


ſeln biown, ober von jeln Miader- 


leibl müaßatn die roathen Blüamlen 
und geln Stroafn drinn fein”, 
Weiter oben gegen den Pfarrplag 
„udn“ die Bauernmweiber mit ihren 
verjchiedenen Waren, nicht etwa, 


daſs fie diefelben, abgejehen von der 
verſaumten Zeit, 


theuerer verkaufen 
können, wenn ſie ſelbſt zu Markte 
gehen; o nein! ſondern weil da das 
‚Geld in ihre Tafche fließt; „derhuam 
ſtöckt olls der Baur in und wou 
ſolleſt nor in Kaffee hernemmen. 


„Der Burggräfler“. Bilder aus dem Volls— 


leben. (Innsbruck. Wagner'ſche Univerfitäts: Buchhandlung. 1890.) Tas Wert ift einer 
der wertvoliften Beiträge zur Ethnographie der deutſchen Alpler. 


176 


In weiten Körben find da die 
verschiedeniten Bodenproducte ausge— 
breitet. „Ausgfüſlte Verföln*, weiße, 
halbweife oder „VBledarfchlen“, 
„Höchſtagüatlen“, „gfpregglte und 
glotte Schwobm“, „Köſtkearn“, 
„Schnitz“ und „Kloatznu“, „Mogn“, 
dann Zwiebel, Rüben u. ſ. w. 

Das neue Maß haben ſich die 
Weiber am allerſchnellſten angeeignet, 
weil „af die nuidn, ſturzenen Maßlen 
bam khaufetn Meßn long nit ſou viel 
audn geat, wia ba die oltn hülzenen“. 

Weiter oben kommen dann die 
Knoblauchhändler, ihre Ware mit 
großem Geſchrei ausrufend. Knoblauch 
ſpielt in der Küche unſerer Bauern 
eine große Rolle, denn er „treibt ban 
foaßtn Eſſn die Wind oubm und 
untn“. 

Pardon, wenn ich etwas zu deut— 
lich geworden bin; ich bin eben Beob— 
achter in jenen Schichten unſerer Be— 
völkerung, wo man feine franzöſiſchen 
Umfchreibungen kennt. Und im Grunde 
genommen bliebe die Ungezogenheit 
glei, ob franzöſiſch oder deutjch. 

Den Pfarrplatz ſelbſt nehmen die 
Eifenframer ein, an welde ſich die 
Schuhnägelhändler, die Hutmacher, 
die Sarnthaler Strid» und Strumpf— 
waren = Händlerinnen, die Käſeaus— 
jchneider, die Uhrmacher und Schufter 
anschließen. 

Dies wäre alfo mit kurzen Wor— 
ten die Bildflähe, auf der wir den 
Bauern beobachten wollen. 

Am Mearlttag ift Bauernfeiertag 
und biezu legt er ſich „'s Kluan— 
feirtiggwond un“, nie wird aber die 
weiße Schürze beim Meraner Bauern 
fehlen. Ih ſah einmal bei einer 
Feuersbrunſt einen Bauernknecht, der 
ih nur noch mit fnapper Noth retten 
konnte, ohne Hoſen herumlaufen; die 
Schürze aber Hatte er felbit in dieſer 
großen Gefahr nicht vergeſſen. 

Treten wir an jenen Fleiichitand 
heran. Der Handel zwilchen dem 
Bauern und dem Struzer hat eben 
begonnen. Miſstrauiſch wird das 


„Fockene“ (Schmweinerne) auf allen 
Seiten betraddtet und betaftet, „’S 
fannt oft a ſötts kraneriſches Fleiich “ 
fein, wie e3 jpeculative Schweine— 
mebßger einführen und von Paſſeirer 
Struzern ausſchroten laffen. Endlich 
erkundigt er ſich, „wos es gitent“, 
und der Struzer antwortet, um die 
Billigkeit ganz befonders zu markieren : 
„o lei a zwoaafufzig SKreuzerlen“, 
worauf die Kundſchaft, und wenn der 
Preis auch wirklich noch jo billig 
wäre, unfehlbar anmwortet: „a ſell 
war nit übl.“ 

Nun kommt eine lange Gedichte, 
wie er ſchon vor drei Jahren, „a 
amol a ſötta Stüdl, der Sped werd 
um an zwerden Finger fchmäler 
gwein fein“, gelauft hat, und „'s ift 
gor nicht ergiebig gwein“. Der Ver— 
füufer verfichert aber, „'s Yadl ſei 
völli 's Kind in der Hütt’ gmwein“ 
und die Bäuerin hat „lei ogloßne 
Milch“ gefüttert und die „Ichianfin 
holb roggenen und grifchenen Friegl“. 
Es ſei eigentlih eine Sünde ein 
joldes Futter für die Schweine, 
„aber Holt a Fleiſchl werds, woach 
wia a Butter.“ 

Und mun wird lange bin= und 
bergerathen, was das Stüd etwa 
wiegen könnte. Dabei betheiligen fich 
die Hibite, es gibt auf den Märkten 
gerade wie beim Sartenjpiel folche. 
Endlih fommt der Handel zum Ab— 
Ihlufs, die „Schnöllwog* wird vom 
Käufer genau controliert, noch ein 
Biertelftündchen herumgerathen, „wos 
mochets epper in oltn Gwicht“ md 
dann Holt der Bauer, immer mit 
einem Seufzer, feine Brieftafche her— 
vor, die er in der inneren Weiten 
tafhe trägt, blättert einige Zeit in 
den Guldenzetteln, bläst wohl auch 
vorfihtig Hinein, um micht zwei auf 
einmal zu erwijchen, und dann wird 
Rechnung gemadt. Kauft er ein 
Schaff 3. B., jo wird jelbes genau 
und eingehend bejichtigt und dabei 
die Geſchichte des alten Schaffes, für 
das er nun eimen Erſatz ſucht, er— 





zählt und befonders deſſen gute Eigen- 
ſchaften hervorgehoben. Dabei hat e3 
immer die Hälfte von dem gefojtet, 
welches er nun kaufen will. 

Eine Lieblingäbeihäftigung der 
Bauernburfhen ift es, an den Stän- 
den der Eiſenkrammer oft halbe Stun= 
den lang die Schaf» und Kuhſchellen 
auf den lang zu probieren und es iſt 
etwa nicht ausgemacht, dafs jeder diefer 
Burfche ein Käufer if. „O baleib“, 
jagt der Meraner. Ich beobachtete 
einen ſolchen Menfchen gewiſs gut 
eine halbe Stunde, wie er immer 
ſuchte und klingelte und probierte, 
als gelte e& für jein Kuhgeläute einen 
Ihön Hingenden Fünfklang zuſam— 
menzufinden. 

Endlich zudte es wie helle Freude 
über jein Gefiht und triumphierend 
ſagte er zu feinen geduldig zufehen- 
den Kameraden: „Sell hon i miar 
dentt, daſs i uma find, de ſou thut 
wia unjerer Blaß ihre*, und ver— 
gnügt wanderte er feines Weges. 

Bei den Uhrmachern kann man 
oft beobachten, daſs die bäuerliche 
Kundſchaft eine Taſchenuhr vollftändig 
in den Mund ftedt, „um in Schlog“ 
beiler zu hören. Auf einen lauten 
Schlag der Unruhe in den Taſchen— 
uhren gibt der Bauer fehr viel. 

„Menſch, dös ift a guate Uhr, 
de hearjt aus 'n Sod außer ſchlogn“, 
ſagt er. 

Nie aber lauft der Bauer für fich, 
fondern immer für andere, um fo 
jein Handeln zu beſchönigen. „Mei 
für mi ward miar gleich, ober für 
ondere kafn iſt ſoufl Hort.” 

Sehr ſchwer wird ihm die Wahl 
bei den Schuhnägeln. Da klaubt er 
halbe Stunden lang an den Häufchen 
herum, mijst die Dicke feiner Schuh— 
ſohlen, ſucht zu errathen, wie viel 
Stücke etwa auf ein Pfund gehen, 
endlich kauft er ein kleines Quantum. 

Und nun kommen die Senſen an 
die Reihe. „Menſch, a Segnes muaſs 
klinglen“, und auf den Klang wird 
fie dur Anjchlagen auf den Boden 


17 


genau geprüft. Auch mit dem Dau— 
mennägel wird die Härte der Schneide 
unterfudt und dann beginnt der 
Handel mit denjelben Modalitäten, 
wie ſonſt üblih. Er macht vielleicht 
auch ein Angebot und entfernt fich 
langfam mit der Bemerkung: „Krod 
müaſsn hobm thua i fie filt nit, die 
Segnes.“ Aufmerkſam horcht er aber 
zurück, ob ihn der „Srumer* nicht 
zurüdruft. 

Am allerhärteften ift aber Die 
Mahl mit den Wesfteinen, Da mwird 
eine Ewigkeit unterfucht, gemweßt, ges 
fopft und jogar an den Steinen mit 
der Zunge probiert, „ob fie firnig 
fein und epper nit muasn“. Ein 
Wepftein gilt als ein wichtiges Uten— 
jil, und wie es berühmte Rennpferde 
oder Jagdhunde gibt, fo finden fich 
in unferer Umgebung Weßiteine, die 
darin berühmt find, „daſs fie a 
Schneid mochn, wia a Gift“. 

Die Händler haben beim Verkauf 
der Wetzſteine einen eigenen Kniff. 
Iſt ein Bauer recht wähleriſch, fängt 
der pfiffige Wälſche ebenfall3 an 
Steine zu unterfuchen. Hiebei wird 
er vom Bauern aufmerkfam beob= 
achtet. Auf einmal verftedt er einen 
Stein auffällig unter den übrigen. 
Er kann nun ficher fein, dafs er 
diefen, wenn er nicht gerade auf» 
fallende Fehler Hat, verkauft. „Aha“, 
denkt ſich der Bauer, „der Walfche 
hot an Giftftuan gfundn und will 'n 
verftödn. O baleib, Menſch, fou 
bin i mit, daſs i dös mit gſpür.“ 
Man mußs aber auch bedenken, daſs 
„a Schneid wia a Gift“ für den 
Mäher allerdings bei dem Umftande 
eine große Erleichterung feiner Arbeit 
it, als ihm das Heu faft bis an die 
Hüften reicht. 

Beim Käſehändler ftiht er ſich 
erft ein Quantum „Softer“ ab, bis 
er endlich jein „Trumm“ kauft. 

Wie komisch ift es zuzufehen, 
wenn er eine geftridte wollene Jade 
von allen Seiten betaftet, anprobiert 
und wieder auszieht, um die Probe 


778 


gleih don vorne zu beginnen, allen 
Rathſchlägen der Umftehenden ein 
geneigtes Ohr ſchenkt und mit der 
Hand das Gewicht der Wolle ver- 
juht, um den Wert. der Jade eher 
beſtimmen zu können, 

Einen hübſchen Zeitvertreib findet 
er am Stande der Buchbinder. Er 
bewundert da in Gejellichaft die Ka— 
lendersJlluftrationen und vor allen 
Dingen wird nachgefehen, „wia viel 
Feirtig af Verluhr gian“ (mie viel 
Feiertage auf Sonntage fallen und 
fo verloren find). 

Der „billige Jakob“, ein Stand 
jude, der mit feinem Schund die 
Märkte unfiher madt, findet am 
Bauern ſelbſt eine Heine Kundſchaft. 
Ein Bauer bemerkte mir gegenüber 
ganz treffend: „Wenn jei Woor eppes 
nuß war, braudet der Menjch nit 
foufl zu rödn.“ 

Selten wird der Bauer beim 
Schuhmader „'s Gſchüach“ anpro= 
bieren. Er dreht die Schuhe, die er 
faufen will, lange Zeit hin und ber, 
verfucht fie an den Sohlen abzu— 
biegen, gibt feinem Zweifel Ausdrud 
„ob fie a für eppes ſein“ und wenn 
endlih der Handel abgeſchloſſen ift, 
bindet er fie an den Schnüren zu— 





fammen und hängt fie über Die 
Schultern, 

Ebenfo kauft er beim Hut— 
madher die Hüte für feine Buben 
aufs Augenmaß, heißt das, er pro= 
biert jeden Hut, und wenn er ihm 
auch diel zu Hein ift, auf. Zum 
Schluſs ftülpt er die erworbenen 
Hüte alle über feinen eigenen und 
wandert jtolz feines Weges. 

Und mun bat er vom Marfte 
genug. Die Hände hinter die grünen 
Hofenträger geftedt, jchlendert der 
Bauer die Gaſſe entlang bis zu einem 
„Buſchn“, wo er von eimem guten 
Wein erzählen hörte. Da pfercht er ſich 
num in der mit Rauch geſchwängerten 
Stube Hinter einen Tisch, beſtellt fich 
„a Halbele“, ſchneidet mit feinem 
Rebmeſſer „an Wetzſtuan“ (Brod- 
weden) eutzwei, fördert aus der Taſche 
feiner Joppe, in der er eine unglaub— 
lie Menge von Sachen unterbringen 
fann, den eingelauften Käſe zutage 
und ift dann vorderhand für eine 
halbe Stunde nicht mehr zu jpreden. 
Zum Schlußs ftreiht er mit der ein— 
gebogenen Hand die „Broadbruſn zom“, 
fie geräuſchvoll einfchlürfend, und zeigt 
durch ein gedehntes „Joa“ an, dals 
er num zur Gonverjation geneigt jei. 





Dge» — — — — —— — — —_ — —— 


An einem Strohhalm. 
Zur Badeſaiſon. 


on zehn Perſonen, welche in nach dem Schmerze zu urtheilen, bis 
8 die Gefahr des Grteinfeng | auf die Kochen.“ 


gerathen, werden zum mins „sn unſerem Metier“, ſagte der 
deiten neun gerettet”, behauptete der Major, „hat man nur zu Häufig Ge— 
Schwimmlehrer. — „Das mag in ;legenheit, ſolchen Momenten beizu= 


einer Schwimmanftalt zutreffen“, | wohnen, und nach meiner Erfahrung 
meinte der Major von den Pion— | wirkt ein träftiger, ermunternder Zus 
nieren ; „nach meiner jedenfalls lang- ſpruch bei einem Ertrintenden häufig 
jährigen Erfahrung liegt die Sache | mehr als ein blindes Zugreifen. Man 
im offenen Waller, zumal an einem | muß den Ringenden vor allem nicht 
reißenden Strom oder Fluſs, durch- um den Leib faflen, fondern wo— 
aus nicht jo günftig. Wenn da von | möglih den Arm unter der Achjel, 
zehn Perſonen, welche in die Gefahr ' ſo daſs man ihn halten und fügen 
des Ertrinkens gerathen, fünf gerettet | kann, wobei man ihm Muth zus 
werden, dann wird man der Wahre ſprechen muſs.“ 
heit näher kommen.“ „Das iſt auch meine Praris“, 
„Es iſt auch ein Unterichied zu | bemerkte der Schwimmtlehrer; „man 
machen zwijchen Gefahr und Gefahr“, mujs im Nüden des Mannes ich 
warf der Arzt ein; „ein leichter halten und ihn vorwärts, gegen das 
Krampfanfall hindert einen geſchickten Ufer bugfieren. Schlimmer ift es 
Schwimmer nicht, noch ſchnell das | freilich, wenn er ſchon Waſſer gefchludt 
Ufer zu erreichen ; bei einem ſchweren hat, dann fängt er an, um ſich zu 
Anfall Hilft ihm ale Geichidlichkeit | ſchlagen.“ 





oft nicht mehr und er bringt aud „Dann greift er nah einem 
noch die Genoſſen, die ihm beiſpringen Strohhalm“, warf der Arzt ein. 
wollen, in Gefahr.“ | „Es ift in der That der fatalite 


„Das Allerfatalite, was einem | Moment“, fuhr der Major fort; „der 
Menschen paflieren kann“, fagte ein Mensch, welcher den Krampf hat und 
vierter don den Herren, die in der Waſſer ſchluckt, verliert die Beſin— 
Cantine der Schwimmſchule beiſam- nung. Da Hilft auch fein Zureden 
menſaßen, „iſt, von einem Ertrinken- mehr; es kommt dann nur noch auf 
den, ich meine von einem Menſchen, die körperliche Kraft, auf die Ge— 
der in wirklicher Lebensgefahr iſt, wandtheit und beſonders auf den 
angefajst zu werden. Ich Habe noch Opfermuth des Helfenden an; da 
die Nägelmale am Arme, die mir ein | heißt es zugreifen —“ 
ertrinfender Arbeiter in der Schwimm— Der Schwimmlehrer nidte zuſtim— 
ſchule eingeprejst hat; der Drud gieng, | mend, dann jagte er: „So lange als 





möglih über dem Waſſer erhalten; 
der Ertrinfende, der das eritemal 
unter den Waſſerſpiegel finkt, ijt noch 
nicht verloren, er taucht regelmäßig 
wieder auf und ift dann erjchöpfter; 
jedenfalls kann man jebt jchon mit 
weniger Gefahr ihm  beifpringen. 
Taucht er zum zweitenmal auf, dann 
ift er ſchon völlig erſchöpft.“ 

„Und ijt eine Rettung noch mög- 
lid, wenn er nicht mehr auftaucht, 
wenn der Ertrinkende auf dem Grunde 
liegt ?” frug der Arzt. 

„Sch jelbit habe Schon drei Men- 
fhen vom Grunde heraufgeholt“, 
jagte der Schwinmlehrer,; „mein 
früherer Gehilfe, ein ehemaliger Pion— 
nier, hatte eine bejondere Gejchidlich- 
feit darin, die Ertrintenden unter dem 
Waſſer heraufzuholen.“ 

Der Major war in Nachdenken 
verfunfen und jchien nur mit Halbem 
Ohr der Bemerkung zu laufen. 
Dann jagte er plößlih: „Ja, ja, 
vom Grunde herauf; das geht aud; 
es gehört viel dazu, um einen Er— 
trunfenen unter Wafler zu ſuchen, 
ihn vom Grunde heraufzuholen, aber 
es gebt. Ich Habe jelbit einen Fall 
erlebt, der merfwürdigite Fall, der 
vielleicht jemald3 da war und der ale 
unglaublich erjcheinen würde, wenn 
nicht noch jebt viele Zeugen lebten, 
die bei dem Brüdenjchlag bei K. da- 
mals zugegen waren. Die Sade war 
jo: Wir waren im Begriffe, eine 
Brüde abzufahren und mit den lebten 
Pontons beichäftigt; e3 war in der 
Nähe des Ufer, aber auf einer jtar- 
fen Strömung. Plöglih hieß es: 
»Ein Mann ift im Waſſer!« — Er 
war jofort von der Strömung er— 
griffen worden, aber al3 guter Schwim— 
mer hielt er fih tapfer, Er Hatte 
einen Strobhalm im Munde, den er 
auffallenderweife nicht loslich. Zwei 
Mann hatten fich gleich ihrer Ober— 
Heider entledigt und waren nachge— 
Iprungen. Der Hilfskahn wurde los— 
gemacht, Hatte aber ſtark mit der 
Strömung zu thun. Einer der zubilfe 


780 





geeilten Soldaten Hatte den Kame— 
raden erreicht, jchrie aber in dem» 
jelben Augenblide laut um Hilfe. 
Der Mann Hatte ihn mit eijernem 
Griffe erfafst und nun rangen die 
beiden in den Wellen. Es gelang dem 
Netter, fich frei zu maden — aber 
im nächſten Nugenblide wurde der 
zweite Sfamerad von dem Berzweifel- 
ten erfafst und krampfhaft feſtgehal— 
ten. Auch dieſem gelang es, ſich frei 
zu machen. Nun ſank der Unglüd- 
liche. In der nächſten Nähe kämpften 
die beiden Kameraden und der Nahen 
mit der Strömung. Nah einem Mo— 
ment, die Sade jpielte ich blitzſchnell 
ab, erfchien der Ertrinkende wieder 
an der Oberflähe: er hatte den 
Strohhalm noch feit zwiſchen den 
Lippen. Nun ftredte er die Arme 
bilfeflehend in die Luft, dann gegen 
das Ufer, wo ein Manı vom Bas 
taillon, ein Officiers-Aſpirant, der 
aber Patient war und unferer Arbeit 
zugeſchaut hatte, ſtand. 

An dieſen Mann erinnere ich mich 
genau. Er war im Regiment belannt 
als ein flarfer, muthiger Soldat. 
Das Hatte er Schon in Italien be= 
wiefen; von Italien war er fieber- 
krank zu uns zurückgekehrt. Dabei 
war ihm ein Malheur pajjiert. Er 
war aus der Gegend und die Dauer 
in feiner Freundſchaft Hatten ihm 
beim Wiederjehen einen Raufh ans 
gehängt. In feinem Taumel war er 
in ein fremdes Mannjchaftszimmer 
gekommen, hatte jih in ein fremdes 
Bett gelegt und war von dem infpis 
cirenden Officier ertappt worden. Die 
Strafe lautete auf zwölfftündiges 
Krummfchließen. Der bravde Soldat, 
der ſchwermüthig am Ufer ftand, war 
von den Kameraden mitleidig be— 
trachtet worden. Jetzt ſahen fie, wie 
er Schnell feine Uniform abwarf. Es 
war ein Fühler Maitag und das 
Fieber rüttelte ihn. Ein Kamerad, 
welcher ebenfall3 die Kleider abgelegt 
hatte, mahnte ihn, von dem Rettungs— 
verjuche abzuftehen. Ohne die Worte 


781 


zu beachten, eilte der Brave zwanzig 
Schritte weit am Ufer hinauf, warf 
ih in den Strom und murde von 
der Strömung fofort an die fritifche 
Stelle getragen. Der muthige Mann 
hatte einen Namen, der abjolut nicht 
für ihn pajste, er hieß — Feig. 
Er war ein guter Schwimmer, ftarf 
und breitfhulterig; er hatte einen 
rothen Bart und einen Kopf wie ein 
Löwe. Bei der kritiſchen Stelle tauchte 
er unter. Mit einer unbejchreiblichen 
Spannung blidte alles dorthin. Es 
vergieng eine qualvolle Minute, zwei 
Minuten — dann tauchte der Brave 
wieder auf; er ſchüttelte feinen rothen 
Bart — er hatte nichts gefunden... 

Mit einigen mächtigen Stößen 
erreichte er das Ufer. Er ſchwang ſich 
hinauf und eilte wieder am Ufer 
hinauf. Aber diesmal nur etwa zehn 
Schritte. Nun hatte die Spannung 
den höchſten Grad erreiht. Es waren 
geradezu entjegliche Augenblide. Die 
Kameraden zählten, zwei, drei, fünf 
Minuten; fie glaubten, dafs es jo 
viele Minuten wären, während die 
unbejchreibliche Erregung eine perferte 
Zählung nicht zuließ. Endlich tauchte 
der rothe Bart wieder auf: Wurzeln 
und Wafjerpflanzen waren in denjelben 
verflodten ; er war anzufehen wie der 
Kopf eines Meergottes und im linten 
Arm Hielt er feft den Körper des 
verunglüdten Stameraden, während 
der rechte Fraftvoll die Wogen theilte. 
Die Helfer waren bei der Hand, aber 
er hatte fie micht nöthig; er brachte 
den Entjeelten jelbft an das Ufer. 
Ein Arzt war ſchon zur Stelle und 
nah mehr als Halbftündiger Be» 


mühung, befonders durch ftarfes Frot— 
tieren, fieng der Soldat wieder an, 
Lebenszeichen zu geben. Teig hatte 
ihn unter einer Baumwurzel dicht 
beim Ufer bervorgehoft; die Körper 
der beiden waren mit Schlamm und 
Lehm bededt. Der Gerettete hatte den 
Strohhalm noch im Munde; er hatte 
den Krampf im Munde und Hals 
und vielleicht erklärt jicd dadurch der 
längere Widerftand genen das Ein 
dringen des Waſſers. — Der Retter 
hatte die Wiederbelebung abgemwartet 
und eilte dann in Begleitung der 
Kameraden in die Stadt. 


Am nächſten Tage, damit ich das 
gute Ende der Begebenheit erzähle, 
erhielt Feig, welcher die Naht im 
heftigen zyieber zugebradt, aber am 
Morgen ruhig eingefchlafen war, die 
Mittheilung, dafs er ſich nicht beim 
Profoßen zu melden habe. Die Strafe 
war ihm erlaflen... Nah einigen 
Tagen war die Mannſchaft auf dem 
Stajernenhofe verfammelt worden und 
e3 fam ein Regimentsbefehl zur Ber- 
lefung, in weldem es hieß: „Dem 
DOfficierd- Stellvertreter Auguft Teig 
wurde wegen Rettung eines Kame— 
raden mit eigener höchſter Lebens» 
gefahr das Verdienſtkreuz mit der 
Krone verliehen.“ . . . An der freude 
der Mannjchaft nahmen die DOfficiere 
und die Bürger der Stadt theil, die 
dem braven Manne ſehr zugethan 
waren. Schade, dajs er nicht beim 
Militär geblieben it. Vielleicht ſitzt 
er jebt irgendwo in einer Provinz— 
ftadt und muſs Acten copieren ...“ 


„Preſſe.“ B—o. 





Kleine Saube. 


's Hoanmeh. 


A Hoans Bildl aus'n fteiriihen Oberland 
von franz X. freiheim, 


Perſonen: 


Mil, a junger Bauernſohn aus'n Murthal. 
Waitl, ſei Nachbar. a Zithernichlager. 
Eeppl, a Bauernburſch aus'n Mürzthal. 
Dans 
Beitl 
Yöral 
Stefl 
Lux. a Bauernfanger. 


Ort: Eine Stadiſchente. 


Bauern aus'n Murthal, 


Han, Reitl und Jörgl Ipielen mit Pur Karten, wobei 
Stefl zuftcht, Jeder Spielende Bauer wirft fein Ichtes 


Blatt erzürnt aufn Tiſch und alle fpringen auf. 


Bauern-Quartett: 


Da Kuku ſull das Zwicken hull'n, 

Es is a Teuxelsſpiel, 

J hon koan vanzign Stich no g'macht, 
Mag ſpiel'n ſchon wia da will. 


Ta Lur is mit alle Solman gſchmiert, 
Da gibts an Zweifel net, 

Der ſpielat van die Hoſen ab, 

Ten Janka und das Bett. 


SKörgl und Stefl: 


Es jcheint mir a, daſs bei den Gſpiel 
Nöt zuagangen nah Hecht, 


Daſs falih g'ſpielt wurd'n is, daſs ma 


drauf 
An Eid ſchier ableg'n möcht. 


Eur zieht den Gewinnit und die Karten ein und 


ſchleicht heimlich ab. 


Hans und Veit: 


Ja, richtig is, was OÖs habt's giagt, 
Da Lur is ſchon abg'fahren, 

Dos is a Bauernfanga g'west, 

Und wir waren ſeine Narrn. 

Alle: 

Hiazt ſan halt unſ're Taſchen leer, 
So tiaf ma eini grab'n, 

A Glüd is, dajs im Wirtshaus da 
‚Wir an Credit no hab'n. 





(Zefen fi wieder zum Tiſch und trinfen.) 
(Mid! und Waftl treten ein, Epäter Seppt ) 


Mil. 


| 
| 

| 

| 

— Nachbar, ſetzt's Enk her za mir, 
II zahl ja gern an Wein, a Bier, 
‚Und jpielt’$ ma fein was auf; 
‚Was Steieriiches do muaſs es jein, 
Doös geht van recht ins Herz hinein, 
J zahl ja gern was drauf. 

(Waftl jest ih mit feiner Zither zu einem Tiſch.) 





Mit. 


3 mwilät's ſchon, was jo recht mi g’freut, 
Denn i bin halt grad luſti heut, 

So is dös gar net ſchwer; — 
Stimmt's nur die Klampfen a recht guat, 
Daſs ma foan falſchen Ton hören thuat, 
Denn i bon a feing G'hör ... 


(Wal ftimmt feine Zither und fpielt dann ein 
gemüthliches fteirifches Lied.) 


(Scppf tritt ein und hört mit ſichtbarer Theilnahme 
dem Spiele zu.) 


Mi 


7 
Seppl: 
O mein! — was hör’ i da für Zön’? 


Als wia Zither klingt's jo ſchön, 
Und dringt in& Herz bei mir, 
Grad’ jo hat a mei Deandl g’jpielt, 
J fiah vor mir ja ganz ihr Bild, 
Ja woanan möcht i jdier. 


Michl, imelher Eeppl bemerkt): 


No, Landsmann, was macht's den für a 
Gſicht? 

Grad' ſo, als wann das Herz oan bricht, 

So traurig und voll Gram — — 

Hebt's auf den Kopf und ſchaut's auf 
dv’ Hoͤh', 

Thuan Enk vielleicht die Hianaaug'n weh? 

No, nehmt's als Mann Enk zſamm. 


Seppl: 
Ds habt's leicht red'n, do was ma fehlt, 
Da gibt's koa Kräutl anf da Wilt, 
Mas heilen kunt mei Herz. 


Michl: 
No, red's halt auſſa, was Enk fehlt, 
Is d' Kuah hin wurd'n, — oder habts 


ka Geld, 
Plagt Enk da Liebesſchmerz? 


Seppl: 
Ana! — mi drudt was anders, daſs 
Mir gar oft macht die Augen najs, 
Das Hoamweh is es nur, 


Michl: 
No, ſeid's do g'ſcheid und nehmt's a Dirn, 
Da wird ſi's Hoamweh glei valiern, 
's gibt ſaubre DeandIn gnua. 


Seppl. 
So lang’ i net mei Hoamat find' 
Pin i für alle Deandln blind, 
Da bleibt mei Herz ganz kalt. 
Bei mir dahom im Oberland, 
Is d' Hoamatliab a gar feit's Band, 
Das reiben thuat net bald. 


Mil: 
So ſchaut's Ent da a bilferl um, 
Und macht's a G'ficht net gar jo dumm, 
Reißt's auf do Enfere Aug'n. 
(Zeigt gegen dad Publicum.) 


Schaut’3 all de jaubern Deandl aı, 
Da wett’ i d’rauf, daſs leiht wo kann 
Für Ent do Dani taug'n. 


Seppl tfreundlic gegen das Publicum ſchauend): 
A ja, — Se jan net z'wider gwiſs, 
Weil mande da jhön aufgitagt is, 
So mulat und jo friſch — 
J woaß ſchon, was zur Schönheit g’hört, 
Grad jo als wias mei Herz begehrt, 
Da bin i a foa Fild. 

Mich: 
Darum ſeid's a g’icheid, denkt's vor da 

Hand, 

Schön is ja 's ganze Steirerland, 
Wo ſulchi Deandl'n jan. 
Und wird Enf '3 Herz do no net woad, 
Is wia a alter Stiefel zoach, 
Den gar nir anhab'n kann, 


Seppl. 
ös ſchauts halt nur mit Enkeren Aug'n, 
Ent freili that a jede taug’n, 
Ban Liab'n wurd's Öſs net müad. 
Damit mi aber jeds vaſteht, 
Was drin in Herzen um mir geht, 
So fing i hiazt a Lied, 

Mil: 
Und daſs das Lied viel ſchöner Elingt, 
Und van jo recht zan Herzen dringt, 
Mach Waitl halt an G'ſcheidten, 
Und thua dabei jo wia ſi's g'hört, 
Hübſch laut, damit ma's weit a hört, 
Das Liadl ſchön begleiten. 


(Lied mit Zitherbegleitung). 
Mei Deand! hoaßt Miazl, 

Hat Aug'n wir a Reh, 

Red’ a jo recht ſteiriſch, 

Tamit i's vaſteh'. 

Wann ma ſan z'ſammkumman, 

War “s Erſte wuhl glei, 

A fteirisches Lidl 


Mit an Jodler dabei \ Rep. 


(IJodler vom Quartett der Bauern.) 
Die Zither. hat's gihlag'n a, 

Eo fein, dajs a Pradt, 

Zwoa Grüaberln in d' Wangerln 
Hat's g'habt, wann's hat g'lacht: 





Und fteiriih hat's tanzt, no 

Dös war jhon a Freud, 

Wann’ mit mir hat tanzt, hat | 
Mi alles beneid’t. 


(3odler) 


Wann i ihr was g’jagt ho, 
War's ihr a glei redt, 

Hat fi a net gmwihrt, wann 
A Buflerl i mödt; 

Nia hats widajproden, 
Mas gern d' Weiberleut, 
De jeltene Tugend hat } 
Z’meift mi no g’freut. \ 


(Jodler) 


(Mid! und Sepp zujammen mit den Bauern.) 


So was muaj3 ma lob'n ja, 
&o laut ma nur fann, 
Denn 's is ja im Eh'ſtand 
A Glüd für den Mann. 

An Weib dem alla reht is, 
Dem g’hörat auf d'Letzt, 
Daſs nah ihrem Tod u 
A Denkmal ihr jekt. 


(Jodler.) 


Rep. 


Rep. 


Rep. 


Aus dem Zremdenbud zu 
Rohitſch-Sauerbrunn. 


Mitgetheilt von Roloman Raifer. 


Wie in den meiſten Badeorten und 
Bergſtationen der Alpen, liegt auch zu 
Rohitſch-Sauerbrunn in der Directions— 
kanzlei ein Fremdenbuch auf, in welches 
Curgäſte ihre Anſichten und Urtheile über 
den ſchönen Curort in mehr oder weniger 
beredter Sprache eingezeichnet haben. Von 
den mannigfachen Sprüchen, Verſen und 
Gedichten in Poeſie und Proſa ſind ins— 
beſondere zwei intereſſant und merkwürdig 
genug, um ſie den Leſern des „Heim— 
garten“ mittheilen zu können. 

Auf der erſten Seite des Gedenkbuches, 
das im Jahre 1810 angelegt wurde, 
ſtehen folgende inhaltsreichen Worte des 





allbeliebten und jedem Steirer und Tiroler 
unvergeislihen Erzherzogs Johann, 
welcher im genannten Jahre in Rohitſch— 
Sauerbrunn zur Cur weilte: 


„Nach zurückgelegten, kummervollen 
Zeiten, wo ich die Welt und ihre Tücke 
kennen lernte, geſchwächt am Körper durch 
mancherlei Leiden, abgeſtumpft an Geiſt, 
fand ich in dieſem ſtillen Thale Ruhe und 
Geſundheit wieder. Die gute Luft, der 
heilſame Brunn gaben meinem Körper 
neues Leben. Der Aufenthalt in dem ge— 
liebten Steiermarf, unter dieſem in Tagen 
der Gefahr erprobten, treuen, berzlichen 
guten Volke, die Anihauung der jhönen 
Natur; einfame Stunden dem Nachdenken 
gewidmet, jeelenftärfende Lejung vergan- 
gener Geihichten, Entfernung aller widrige 
Erinnerungen erregenden Gegenjtände, und 
von der Teidenichaftlihen, lärmenden 
Hauptjtabt, heilten meinen Geiſt und er- 
boben ihn mit neuer Straft. 

Das zum bdanfbaren Andenken an 
diejen mir werten Ort am 16. Julius18 10, 
am Tage meiner Abreije, 


Erzberz. Johann.” 


Dreizehn Jahre ſpäter jchrieb der 
gemüthliche niederöjterreihiihe Dialect- 
dichte Johann Gabriel Seidl, 
der damals al3 junger Gymnaſiallehrer 
in Eilli wirkte, nachſtehende hübſche Verſe 
ein, von denen bejonders die zwei legten 
Zeilen eine tiefe Weisheit enthalten. Das 
Gedicht lautet: 


Motto: 
Jedes Gedicht ift ein Ampromptu, 
aber nicht jebed Impromptu ein Gedicht! 


Im grünen Wälderrahmen eingeichlofien, 

Quillt ber Geneſung heilungsreicher Born, 

Woran jo mandem nur Blüten ſproſſen 

Und mander Ritz vernarbt von mandem 
Dorn. 


Nicht die Genejung fam ich bier zu juchen, 

Da die Gejundheit, lebensfroh, mir ladt; 

Doh hier am Quell, im Laubdach dieſer 
Buchen, 

Fand ih jo Manches, was mich fröhlich 
macht ! 


Fand ich Geſpräche, die das Herz erqutiden, | Geliebter Ort im grünen Wald, 


Die jühen Früchte der Gejelligkeit, 
Manch' Tiebevollen Strahl aus off'nen 
Bliden, _ 

Manch’ Stündden, beiterem Verkehr ge- 
weiht. 


O, flöße allen, die dies Buch durchleſen, 
Das Leben hier, wie mir ſo traut und 
hell: 

Denn von der Seel' aus muſs 

der Leib geneſen 
Und in dem Herzen ſpringt der 
Heilung Quell! 


Joh. Gabr. Seidl, 
Prof. am Gymn. zu Gilli. 
Am 19. Auguft 1833. 


Schließlich ſei gejtattet, auch jenes 
Gedichtehen mittheilen zu dürfen, das der 
Schreiber diejer Zeilen auf jonniger Ans 
höhe, im Angefichte von Sauerbrunn, mit 
dem bochaufragenden Donati im Hinter 
grunde, inmitten der herrlichen Natur 
gefühlt, gedacht und gedichtet und zur 
danfbaren Erinnerung an den ihm lieb 
gewordenen Curort ins Fremdenbuch ein— 
geichrieben hat. Dieſe Verje lauten: 


Un Robitid-Sauerbrunmn. 


O Sauerbrunn im grünen Thal, 

Im lieben warmen Sonnenftrabl, 
Wie freundlid-ftill und ſchön du bit, 
Sei mir aus froher Seel’ gegrüßt ! 
Wenn id von luft'ger Höbe 

Auf dich hinunterſehe, 

Wie iſt mein Herz erfriſcht, erfreut, 
Ob deiner holden Lieblichkeit! 

Und deine Quellen ſanft und lind, 
O wie ſie gut und heilſam ſind! 
Wie ſtärken ſie die Glieder, 

Wie ſtählen ſie die Bruſt 

Und bringen neue Luſt 

Zu friſchem Lieben wieder! 

Drum wer erkrankt an ſchweren Wunden, 
Er komm' hieher, er wird geſunden; 
Er wird in deiner Zauberluft 

In deiner Wälder Blumenduft 

In anmuthsvollen Gründen 

Wohl Lind’'rung feines Leides finden. 


Rofegger's „„Ürimgarten'‘, 10, Beft. XV, 


Du herrlih jchöner Aufenthalt 

Für Kranke und Gejunde, 

Heil dir zu jeder Stunde! 

O mögeſt allen Kranken du 

Stets Heilung bringen, Glück und Ruh', 
Auf daſs ſie treue Lieb' dir ſchenken 
Und immer gerne dein gedenken. 


Koloman Kaiſer. 
Rohitih- Sauerbrunn, im Mai 1890. 


Wie Bictor Scheffel zu feinen 
Orden kam. 


Wie Joſef Victor v. Scheffel zu 
Adel und Orden fam, darüber erzählt 
der Dichter in einer Erinnerung an Fries 
drich Geisler Folgendes : 

„Eines Tages erhielt ih in Radolfs— 
zell eine Einladung des Großherzogs, auf 
Mainau zu kommen. Ich Flopfte und 
bürjtete meinen Frack aus und langte 
zur bejtimmten Zeit an. Ws ich eben 
auf der Inſel eintraf, kam mir der Groß: 
herzog entgegen und jagte: „Herr Doctor, 
die württembergiichen Herrſchaften baben 
fich heute unerwartet von Friedrichshafen 
zum Bejuche anjagen laſſen. Wir mollten 
Ihnen noch abtelegraphieren, aber e3 war 
zu jpät. Nun fließen Sie fih einfach 
an!“ ch wurde vorgeftellt und auf dieje 
Weiſe mit dem königlich württembergifchen 
Hofe befannt. Die Folge davon war, 
dajs ich einige Zeit darauf eine Einladung 
nah dem Hoflager zu Friedrichshafen 
erhielt. Ich bürftete wiederum den Frack 
und ſtellte mich auch allda ein. Da wurde 
ih denn einen langen Nadmittag in 
ernftliche äſthetiſche Auseinanderfegungen 
mit der Herzogin Vera vermwidelt, während 
deilen König Karl in einem Saale nebenan 
eifrig Billard jpielte. Beim Abjchied war 
der König jehr freundlich, drüdte mir 
die Hand und jagte mit etwas ſchwäbiſcher 
Hecentwierung: „Es iſt jehr ſchön von 
Ihnen, daſs Sie mir meinen Hohentwiel 


50 


786 


bejungen haben!“ Ich fuhr alfo mit dem 
Bewufätjein eines gerechten Menjchen nad 
Haufe und erhielt in Folge dieſes Be- 
ſuches den württembergijchen Kronenorden, 
mit welchem befanntlic der Perjonaladel 
verbunden ift. Als darauf die Karlsruher 
Rolytechnifer auf den Gedanken kamen, 
meinen Geburtstag öffentlih zu feiern, 
da mochte wohl unſer Hof gedacht haben, 
den mwöürttenbergiichen Kronenorden zu 
überbieten, und jo fam von dieſer Seite 
der Erbadel. Alles Zufall! Hätte mich 
das Telegramm des Großherzogs von 
Mainau noch treffen können, jo wäre id) 
nicht mit dem württembergiichen Königs» 
baufe befannt geworben. Der Beſuch in 
Friedrichshafen wäre unter», der Kronen— 
orden aber ausgeblieben. Der ausgeblie- 
bene Kronenorden hätte aber höchſtwahr— 
fcheinlich den badiſchen Erbadel nicht im 
Gefolge gehabt. So bin ich denn durch 
reinen Zufall adelig geworden, 

Man jagt, daſs diejer Zufall dem 
Dichter nicht unangenehm geweſen ijt und 
dais ihm die beiden Orden mehr Freude 
bereitet hätten, als der Zorbeerfranz, den 
das deutſche Voll ihm aufs Haupt ge 
jegt bat. 


Wo foll id; beten... 


Wo ſoll ih beten, 

Die Hände falten, die Stirne jenen, 
Reuelallend die Knie beugen, 

Öffnen die Riegel des Herzens, 

Die Lippen rühren, 

Bußeflüfternd?. . 


Im knirſchenden Kies 
Gelbſandiger Heide, 

Das Auge geblendet, 

Den Scheitel geſengt 

Vom Glutblick der Sonne? ... 


In demuthſüßer Waldesſtille, 
Umtost von heiligem Dunkel, 
Von Silberthau gebeugter 
Andachtliſpelnder Gräſer umnickt, 


Gewiegt in weiche weibliche Sqhwaͤchheit?. PR 


Mo foll ich beten?. 

Auf finfterjchroffen, ſtarrem Gefels, 
Tie blutenden Finger gellammert 
Un ſpitze ſteinerne Bergesrippen? ... 


Wo ſoll ich münzen 
Das Gold 
Aufgeſpeicherter Andacht, 
Den hellen Reichthum 
Meiner Liebe? ... 


Auf fothiger Gaſſe 

Bon geipenftigem Schatten 
Hung’rigen Elends, 
Klagender Noth verfolgt?... 


Wo foll ich beten?. 

Auf gleikendem, fpiegelglattem Getäfel 
Moderner Salons, 

Bon katenbudelnden Sclavenmenſchen, 
Bon gefchniegelter Roheit, 

Bon geihmintter Gefallſucht umlogen? ... 


Wo mag ich beten? 

Wo die weichen 

Sehnſuchsſaiten des Herzens ſtimmen, 
Wo meines ſtolzen Fühlens 

Lichte Quellen ergießen? ... 


Im Arm eines Weibes, 

Von luſterzitterndem Goldgewoge 

Gelöster Flechten umftrömt, 

Bon heißhauchigen Lippen beraufdt, 

Vom Weinestaumel die Sinne trunfen, 

Im tollen Genuis ———— Wohl⸗ 
eins? ... 


Wo mag ich beten?... 

Soll ih verfriehen 

An darbende Keuſchheit, 

In geiftesumnadtete Finſternis 
Blinder, bleiher Asteje?.. 


u. — — — — — — — 


Armer Erdenſohn, 

Wälze von dir 

Die Centnerlaſten 

Quälender Zweifel, 

Verjage die freudemordende Schar 
Unftäter Gedanken. 


Liebe, lebe dir ſelbſt, 

Knie, büße und bete, 

Genieße und ſchwelge 

In der keuſchen Kammer der Seele, 
Deiner himmelanringenden 


Herrſcherſeele. 
Gngo Grotht. 


Hat Chriſtus ſich ſelbſt ver— 
leugnet? 

In einem Aufſatze „Der moderne 
Pflichtbegriff“ von E. Gnad (,Tägliche 
Rundſchau“) findet ſich folgende beachtens- 
werte Stelle: 





„Im erjten Augenblid will e3 jcheinen, 
als jtände der moderne Pflichtbegriff im 
denkbar jchroffiten Gegenjag zu dem 
Grundgedanfen Chriſti. Hier die Pflicht 
der Selbitliebe, dort die Pflichten der 
Nächitenliebe; hier das Verlangen, die 
eigene Perjönlichkeit frei auszuleben, dort 
der tieffinnige Ruf des Meifters: Ver: 
leugne did jelbit und folge mir nad! 
— Trotzdem müſſen wir ung davor hüten, 
diefe Forderung des Chriftenthums jo 
einjeitig und oberflählih aufzufaſſen, mie 
das nicht felten geſchieht. Vielleicht iſt fie 
zuweilen gerade von den berufenen Lehrern 
und sFührern des Volkes in jtrenger 
Buchftäblichkeit aufgefajst worden, weil 
die menſchlichen Leidenſchaften und Ber 
gierden fich jo gut an dieſem Zügel leiten 
laffen. Wer aber mit gereiftem Urtheil 
und freiem Blid die große Lehre bes 
Chriſtenthums und die erhabene Geftalt 
ihres Begründers anjhant, der wird er— 
fennen, daſs auch dort den Rechten der 
Perjönlichkeit ein weiterer Raum gewährt 
wird, al& man im allgemeinen annimmt. 
Chriſtus hat in der That fich jelbjt aus» 
gelebt. Er hat jeine Werfe und jeinen 
Mandel zum Ausdrud jeiner Überzeu— 
gung gemacht und allem miberjtanden, 
was ihn veranlafjen wollte, jeinem Ich 
untren zu werben. Die beilige Liebe, 
die ihn in ben Tob trieb, bildete den 
tiefen, ungerftörbaren Stern jeines Weſens. 
Und jo hat Ehriftus in diefem Tode jeine 
Perjönfichkeit nicht aufgeopfert, ſondern 
fie zur höchſten Entwidelung gebradt. 
Kann man überhaupt jagen, daſs er fich 
jelbft verleugnet habe? In der eigen- 
tbümlichen Bedeutung diefes Wortes nicht. 
Der göttliche Lehrer der Menſchheit be— 
jaß eine jo Mar und rein ausgeprägte 
Individualität, wie fein anderer vor und 
nah ihm, und wich um feines Haares 
Breite von den Geſetzen ab, die ihm jeine 
Individualität vorſchrieb. Die irbijchen 
Rüdfichten des Glüds und des Wohl— 
behagens, denen jein Leben nicht Rechnung 
trug, waren für ihn nur etwas Äußer— 
liches, das nicht3 mit jeiner wahren Natur 
gemein hatte. Sein Leiden und Sterben 
waren jeinem Weſen gemäß, und nicht 


er. 


feinem Mejen zumider. Von der Menid- 
heit verlangt Chriftus aber nichts, was 
er nicht in feinem eigenen Leben vorbild- 
lih verförpert hat. Wenn er aljo jagt: 
Verleugne dich jelbit, jo kann nach feinem 
Beilpiel dieje Forderung nur bedeuten: 
Überwinde alles Niedrige und Unedle in 
dir, das dich hindert, meinen Spuren 
nachzufolgen!“ 


Sonntagsgedanken. 


Schau’ ih mir die großen Lichter, 
Alle Philofophen und Dichter 

Und Naturerforfher an, 

So ſeh' ich, dafs ihre Lehre Wahn, 
Alles, was Heine gejhrieben, 
Waren die böfen Sieben, 

Alles, was Darwin gejagt, 

Hat uns unglüdliher gemadt, 
Alles, was Ibſen gelehrt, 

Hat unfer Unglüd nur vermehrt; 
Und wenn Goethe jagte: mehr Licht! 
So war auch dies ein Großes nicht. 
Sehen die Blinden? Und können 
Kinder das Leben ergründen? 


Kunft und alles Wifien, 
Können wir vermijien! 
Doch die Liebe nicht, 

Wo fein Herz thut ſchlagen, 
Um mit mir zu fragen, 
Nust uns nicht das Licht 


Alles Thun und Denten 
Auf das Gute lenfen 
Sit nur Glüd allein; 
Denn allein zu ftreben 
Für fein eigen Leben, 
Iſt doch gar zu Elein. 


Der ſchlechten Menſchen Schlechtigkeit 
Iſt Schuld an aller Guten Leid. 


Himmelweit — 
Iſt großer, guter Menjchen Leid. 


Menihengröße und Gott 
Sind unerreihbar vom Hajs und Spott. 


Hafs und Liebe find Gemwalten, 
Die die Welten umgeftalten. 


P. 3. Siſcher. 


Ausgenommen den Bürger- 
meifter. 


Als der Schaufpieler Foote auf einer 
Reife im weftlihen England eines Tages 
in einem Gaſthauſe jeine Mahlzeit eins 
genommen, wurde er bei Bezahlung der 
Rechnung von dem Gaſtwirt gefragt, ob 
er mit dem Eſſen zufrieden wäre „ch 
habe gejpeist”, ſagte Foote, „mie fein 
Menſch in England.“ — „Ausgenonmen 
den Bürgermeiſter“, entgegnete der andere 
lebhaft. — „Ah nehme niemand aus.” 
— „Sie müfjen den Pürgermeifter aus— 
nehmen,“ Foote wurde heftig. „Selbit 
nicht den Bürgermeiſter“, wiederholte er. 
Der Streit wurde fo bitter, dajs ber 
Gaftwirt, welcher zugleih Polizeirichter 
war, den Schaufpieler vor den Bürger— 
meifter brachte. „Herr Foote“, jagte dieſer 
ehrwürdige Beamte zu ihm, „Sie werden 
willen, daſs es jeit unvordenklichen Zeiten 
in diejer Stadt Brauch ift, den Bürger: 
meister ſtets auszunehmen, und damit Sie 
fünftig unjere Sitten und Gewohnheiten 
nicht vergefien, jo ftrafe ich Sie mit einem 
Schilling oder fünf Stunden Haft, nad 
Ihrer Wahl.” Foote fah fich gezwungen, 
die Gelditrafe zu zahlen. Als er aus dem 
Saal gieng, ſagte er: „Ich habe in 
meinem Leben feinen größeren Ejel ge 
jehben, als diejen Gaftwirt ausge⸗ 
nommen (und hier verbeugte er ſich vor 
Seiner Herrlichkeit) den Herrn Bürger— 
meifter. 


Ber Lump in Lafalle. 


Lange genug haben die glänzenden 
Eigenihaften Lajjalles das Urtheil 
der Geſchichte zu beftechen gewuſst; nur 
zu leicht vergab man über jeinen Gaben 
die Schwächen und Mängel jeines Cha— 
rafters, oder beſſer: jeine Charafterlofig- 
feit. Wes Geiftes Kind er eigentlich war, 
wird durch das Tagebub, das er als 
Breslauer Gymnaſiaſt vom 1. Januar 
1840 bis zum Frühjahr 1841 geführt 
bat, und meldes nım in der Monats 





ſchrift „Nord und Süd“ veröffentlicht 
wurde, far genug ans Licht gehoben. Wir 
gewinnen bier ein ungeihmeicheltes Bild 
von ihm, wie er die Schule ſchwanzt, 
um in die Gonditorei zu geben, wie er 
pfiffig mit Büchern und Taſchenmeſſern 
Mitihülern wie Eltern gegenüber allerlei 
fleine vortheilhafte Handelsgeichäfte macht, 
durh Spielergewinne jeine Ausgaben 
zu deden jucht und im übrigen neben 
einer ausgeſprochenen Selbitgctälligfeit 
eine unerjättliche leidenſchaftliche Rachſucht 
als fennzeihnenden Charakterzug verräth 
— das alles ift vorbildlihb für das 
Leben und Denken des Mannes. Aus 
diefen Berichten jehen wir nicht nur ihn, 
wir jehen auch jeine ganze Familie leib- 
haftig vor Augen. 

Es iſt übrigens bemerfenswert, mie 
die Altflugheit in dem jungen Burſchen 
man möchte jagen geflilfentlich großgezogen 
wird. Und er zeigt ſehr deutlich die bei 
halberwachſenen jungen Leuten übrigens 
feineswegs jeltene Neigung, mit Vorliebe 
den Verkehr mit älteren und reiferen auf— 
zufuchen. Bor allem mwird ihm von den 
Seinigen in der Familie eine Stellung 
eingeräumt und eine Bedentung beigelegt, 
die bei der Jugend Ferdinands jehr ſelt— 
jam erjcheint. In der Angelegenheit, Die 
die Familie zu jener Zeit am tiefiten 
bewegt, in der Frage, ob Friederile ihren 
Netter Ferdinand Friedländer heiraten 
ſoll oder nicht, wird die Stimme bes 
jungen Bruders nit nur gehört, fie 
findet auch die ernithaftefte Beachtung. 
Mit befremdliher Nüchternbeit und Ge— 
ichäftlichfeit erörtert der junge Ferdinand 
mit den Seinigen für den Fall der Auf- 
löjung der Verlobung Friederikens mit 
ihrem Vetter die Möglichkeit einer anderen 
Verbindung. Er fennt ganz genau bie 
Vermögensverhältniffe des neuen Heirats« 
candidaten, und er folgert aus den ihm 
befannten Thatſachen die Forderungen, 
die jener wohl aufftellen würde Er be 
rechnet jodann, was der Pater jeiner 
Schmweiter geben werde, warnt die Mutter 
vor übertriebenen Opfern und ſchätzt die 
äußeren Vorzüge und die Bildung feiner 
Schweiter — auf zehntaufend Thaler ! 





ee — urn © u 20 — —— 


789 


Aus ſeiner Eitelkeit erklären ſich viele 
Unarten: ſein vorlautes Weſen in der 
Geſellſchaft Älterer, ſeine Luſt am Kra— 
fehlen, ſeine Aufſäſſigkeit gegen ben 
Lehrer. So ſchrieb er auf eins jeiner 
natürlich ſchlechten Zeugniffe: „Wahrheit 
und Dichtung“. Und er ſcheint fih noch 
darüber zu wundern, daſs er deswegen 
vom Lehrer einen Rüffel befommt. Er 
iſt überhaupt ein miferabler Schüler, Er 
befigt eigentlih alle Eigenſchaften, die 
einen jchlebten Schüler ausmachen, Sein 
Betragen läjst mabezu alles zu wünjchen 
übrig. Dajs die Lehrer ihm nicht wohl— 
gefinnt find, ift durchaus erflärlid. Es 
kann ihnen nicht entgehen, daſs der 
Schüler ungewöhnliche Berjtandesgaben 
beſitzt, eine leichte Auffaſſungsgabe, ein 
ausgezeichnetes Gedächtnis, eine für jeine 
Sabre höchſt beachtenswerte Schärfe des 
Urtheils. Dem entiprehend jollten auch 
die Leiftungen fein. Dieje find aber auber- 
ordentlich mäßig; denn der junge Fer— 
dinand ift namenlos faul. „Gonduiten“ 
mwurden die Zeugniffe auf dem Breslauer 
Gymnaſium genannt. Und da dieje nicht 
nah dem Munjche des Secundaner3 aus 
fielen und er unangenehme Auftritte mit 
feinem beftigen Vater fürchtet, jo macht 
er furzen Proceſs. Er fälſcht die Unter: 
ichrift jeiner Eltern. Mit der ihm eigen: 
thümlichen Freude an jpintifierender So— 
phiſtil macht er ſich Har, dajs er eigent- 
(ich ſehr wohl berechtigt jei, die Unterjchrift 
jeines Vaters nachzumachen. Denn jein 
Vater nähme die Geihichte viel zu tragiid. 
Er würde fih vielmehr über ein jchlechtes 
Zeugnis ärgern, als e3 die Sade ver 
diene. Er witzelt jogar über jeine Fäl— 
hung: „Am andern Tage bracdte ich 
meine Genjur, vom Vater unterichrieben, 
nämlich von mir, der ich nah Bedürfnis 
Bater, Mutter und Sohn bin,* 


£uftige Beitung. 


Ein Franciscaner hielt an dem 
Feſttage eines Märtyrer eine jehr rüh— 
vende Predigt. Faſt alle feine Zuhörer 


meinten und jähluchzten laut. Das gieng 
dem gutmüthigen Menjchen zu Herzen, 
er hielt inne und jagte dann bejänftigend: 
„Meine Brüder und Schweſtern! Weint 
doch nicht jo heftig! Wer weiß aud, 
ob's wahr ijt!* 


Gemüthlich. Des is doch recht 
bart für unjere Gegend, daſs der alte 
Medicinalrath geitorwe is. Er hat's jo 
verjtande, mit de Yeut zu rede, dajs mer 
gleih e rechtes Zutraue zu em gehabt 
bat. Wenn einer zu em fam un Elagt 
immer Schmerze, da fieng er gleih an: 
„So? Kommite auch e mal mwidder, bu 
altes Kameel?“ Oder: „Was hajtu denn 
diesmal für e Preiten, Du altes Rind- 
vieh ?* und jo fort in dem herzigen Ton ! 


Kanzleiftil. Ein Gerichtsvollzieher 
pfänbete einer Frau, die zum zweitenmale 
verheiratet war, ein Schwein, das nod 
aus ihrer eriten Wirtſchaft ſtammte, und 
trug folgenden Vermerk in das Protokoll 
ein: „Bepfändet ein Schwein aus erjter 
Ehe.” 


Ein Soldatenbrief. „Theire 
Minna! Diſſen Brief wird dich mein 
guter Freind Strumpfe iber Bringen. 
Ich bin den Kerl 3 March Schuldig und 
er fan fie bei dich abejjen motor ich diſſe 
Woche nich zu aben Brod bei did 
fommen Werde wenn er dir küßen will 
Gieb das Rinzviech eine maulſchele. 
Dein Rarel.“ 


Großartig! „Haſte gehört, der 
junge Cohn ift durchgegangen mit 100.000 
Markt.” — „Oroßarlig, und dabei hat 
er vor vier Jahren angefangen mit nilcht.“ 


Guter Rath. „Ib kann mid an 
Ihrer Tochter gar nicht jatt ſehen.“ 
— „Na, da beißen ©’ halt an!“ 


Ein großer Gejhäftsmann in Buda= 
peſt befab eine hübſche Frau und 
einen hübſchen Buchhalter Die 
Frau war zwar etwas „ſcharf“, hielt 
aber das Hausmejen trefflih in Ordnung ; 
der Buchhalter war ein Don Juan, aber in 
Geldjahen die Treue jelber. Doch wer 
it vor Tänfchungen ficher 2 Eines Tages 


war der Buchhalter, welcher den vertrauen« 
erwedenden Namen Armin Graubolz führt, 
verſchwunden, und mit ihm 5000 Gulden, 
MWüthend eilte der Betrogene auf die 
Polizei, um die Anzeige zu erftatten, 
Nachhauſe zurüdgekehrt, wollte er jeiner 
Elugen rau die Niedertradht des Bud 
halter3 erzählen, Sie war jedoch nicht 
zu finden, wohl aber ein Zettel, welcher in 
furgen Worten meldete, daſs fie mit 
Grauholz durchgegangen ſei. Abermals 
eilte der Betrogene in größter Erregung 
zur Polizei, ſuchte den Commiſſär auf 
und bat ihn, die Verfolgung des Flüch— 
tigen zu — unterlaſſen. Seine Anzeige 
habe auf einem Irrthum beruht. Als der 
Vereinſamte aus dem Polizeigebäude trat, 
leuchtete Zufriedenheit aus feinen Mienen: 
„Ein Narr, der Graubolz; ih hätt! ihm 
die rau auh — thbeurergelajien!* 


Amerifaniijde Heiratsan- 
zeige: „Ein junger Witwer, jehr ge- 
fühlvoll, wünſcht jih, da er noch im 
Trauerjahr fich befindet, mit einer Negerin 
zu vermählen. Mufattinnen könnten erjt 
vom Herbſt ab Berüdfihtigung finden.“ 


Aus der Prinzenihule. Pro- 
feſſor: „Nun, mit welchem Jahre beginnen 
die Kreuzzüge?“ — Prinz: „Im Jahre 
1520 !* Profeſſor: „Die Zahl, 
Durchlaucht iſt ja an fich jehr gut — 
aber hier passt fie doch nicht ganz genau!“ 


Prinz (auf die Landkarte zeigend): 
„Dies iſt wohl Spanien?“ Erzieher: 
„Sa, Hoheit! Aber nur von lauter 
Franzoſen bewohnt. Die Spanier jelbjt 
wohnen mehr jüdlich.“ 


Ein NRenommijt. „Ja, ja, Leute, 
voriges Jahr war ich fehr krank!“ — 
„Was haft denn gehabt 2?” — „Gehirm 
entzündung!“ „Aber Menſch, 
renommier' doch nicht jo!“ 


Der große Chirurg K. iſt Hypo— 
chonder. „Mir macht nichts mehr 
Freude“, ſagt er eines Tages zu einem 
Berufsgenoſſen, „nicht einmal mehr das 
Abſchneiden eines Armes oder Beines.“ 


Der amerikaniſche Eiſenbahnkönig 
Jay Gould kaufte, wie New-Porfer 
Blätter berichten, vor furzem während 
feiner Anweſenheit in Bofton von einem 
„Newsboy“ mit ſchmutzigem Gefiht eine 
Zeitung, gab ihm einen Nidel und jagte: 
„Behalt’ die drei Gents, kauf’ dir Seife 
dafür und waſch' dein Gefiht!* Der 
Junge aber, ftolz wie ein — Boftoner, 
gibt Herrn Gould die drei Cents wieder 
mit den Morten: „Behalten Sie das 
Geld und faufen Sie fih 'n Buch über 
ben guten Ton!” Der Junge war ber 
erite „Mann“, der Herrn Gould in jeinem 
Leben imponiert bat. 


Marum er abreist. „Herr Baron 
reifen ſchon ab ?* — „Sa, liebe Milla. 
Die befte Zeit ift vorüber, was jegt zur 
Eur kommt, ift Plebs, Leute, von denen 
man nicht einmal — eine fleinigfeit 
pumpen kann.“ 


Er glaubt'3 aud. Baron (zu 
jeinem nicht mehr ganz jungen Diener, 
den er auf einer neuen Fahrläſſigkeit 
betroffen bat): „Ih glaube, Johann, 
du wirft alt!” — Johann (Ichmunzelnd) : 
„Glaub's jelbit, Herr Baron, — mein 
Vater jelig wurde auch jo an die achtzig!“ 


Wirtsbaus- Humor Gaſt: 
„Herr Wirt, dies Deeffteal leidet an 


einem Übel!“ — Wirt: „An mweldem 
denn?" — Gaft: „An Größen 
wahn!“ 

Profejior (in der höheren 


Töchterſchule): „... Ich habe Ihnen, 
meine Damen, in der legten Stunde mit- 
getbeilt, dajs das Gehirn des Mannes 
größer iſt, als das der Frau Was 
jchließen Sie daraus, Fräulein Bertha ? 
— Bertha: „Dajs es beim Gehirn 
nicht auf die Quantität, jondern auf 
die Qualität anfommt!“ 


Auf feinen Fall. „Mama, darf 
ich dem Herrn Aſſeſſor mein Bild ſchenken ?* 
— „Aber Kind, das ift doch im höchſten 
Maße unpaſſend, auf feinen Fall — darf 
ih davon wiſſen!“ 


-. 


Berubigend. Mutter: „Wie, der 
Herr Lieutenant war den ganzen Nad- 
mittag bier? Ich hatte dir doch verboten, 
mit Herren allein im Zimmer zu fein!” 
Todter: „E3 war ja aud nur einer, 
Mama !* 


Inder Prüfungder höheren 
Töchterſchule. Lehrer: „Geben 
Sie mir dob mal furz an, was Gie 
von der alten Geſchichte willen!“ 
— Höhere Tohter: „Sie bleibt 
ewig neu, und wem jie juft pajfiert, 
dem bricht das Gerz entzwei!“ 


Glüdlihes Einvernehmen. 
„Lebft du denn jegt glüdliher mit 
deinem Mann?“ — „DO, jetzt find mir 
ein Herz und eine Seele.” — „Hat er 
fih denn das viele Biertrinfen abgemöhnt, 
worüber du immer jo unglüdlich warft ?* 
— „Nein — er hat's mir angewöhnt !* 


Dfteologiides Miſsver— 
tändnis, NAugufte: „Na, Rieke! Bei 
jo ’en Doctor Dienftmäden zu find, det 
iS feene Kleenigkeit. Denke dir, jeden 
Morgen bat er feine Knochen im janzen 
Zimmer "rum zu liegen.“ — Rieke: „Derr- 
jejes! Nimmt fih denn der Mann det 
abends janz ausenander ?* 


Ein befdjämter Wikbold. 


Don Joſef Wichner. 


Wie eines Tages im großen Wien 
der Reichsrath aus war, und die Herren 
Abgeordneten, weil ſie eben ihre Pflicht 
redlich erfüllt hatten, mit gutem Gewiſſen 
auseinandergiengen, alle in ſchwarzen 
Fräcken und großen Cylinderhüten, da 
ſtand eine Menge gaffenden Volkes auf 
der Straße, und die Herren Berather 
mujsten förmlich Spießruthen laufen mitten 
zwiſchen den neugierigen Bliden hindurch. 

Es wollte eben jeder diejenigen jehen, 
welde jo tapfer zum Wohle der Völfer 


geredet und ſich fein Blatt vor den 
Mnnd genommen hatten, wo es gegolten 
hatte, Friede und Recht zu jchüten, 
Schaden abzuwehren, Gefittung, Bildung 
und Wohlftand zu heben. 

Und unter dieſen vielen QTaufenden 
von Zufchauern jtanden auch zwei, bei 
denen bald ein Wort das andere geben 
mujste, ein Sandmann nämlich, der gerne 
fragte, aber nicht immer gerade das Ge- 
ſcheiteſte, und ein luftiger Wiener , der 
gerne antwortete, aber manchmal pudel- 
närriihe Dinge, wie man fie einftmals 
von dem berühmten Pfaffen am Kahlen— 
berge, dem Wigand von Theben uralten 
Andenfens zu hören gewohnt war. 


Das macht eben der Mein, der in 
den heißen Sommer- und Herbjttagen 
an den Hängen des Sahlenberges über 
Scallitreihe und Narrenpofjen brütet, 
als „höchſter Heuriger“ den Leuten in 
die Köpfe fteigt, obſchon fie ihm in den 
Magen hinabtrinten, und jo luſtige 
Käuze und Spajsvögel ſchafft, die jedem 
etwas anhängen und jeden hänjeln, oft 
zur rechten, oft aber auch zur unrechten 
Zeit, wie gerade bier. 

Der gute Landmann jchaute nämlich 
ganz verwundert auf die große Zahl 
vornehmer, ehrwürdiger Geftalten, die 
da feierlich ernjt aus dem Tempel de3 
Reichswohles herausjchritten, und er 
meinte, bier könne er alle berühmten 
Männer jeben, von denen er als Schul: 
büblein etwas gehört hatte oder jonit 
ipäter bie und da ein Wort. 


Darıım gab er jeinem Nachbarn 
einen höflihen Stoß mit dem Ellenbogen 
und fragte: 

„Suter freund, jagt mir einmal, iſt 
nicht da auch der Grillparzer dabei?“ 

Kun weiß der Lejer ganz wohl, der 
berühmte Dichter Grillparzer iſt ſchon im 
Jahre 1872 eines ſanften Todes ver- 
jhieden und darum fonnte er im Sabre 
1890, wo ich dies zugetragen bat, un— 
möglich über die Wiener Ringftraße gehen. 
Das wuſste aber der gute Landmann 
nicht, und es iſt ihm gewiſs nicht zu 
verargen. 


Den Wiener Schalt aber figelte des 
Mannes einfältige Frage und jo ant- 
wortete er ernſthaft: 

„Ja freilih, Herr Vetter, gleich dort 
der Eleine, vorgebeugtee Mann iſt's, der 
die linfe Hand auf die Bruft legt, als 
ob ihm das Herz weh thäte, Mit ihm 
gebt der Schiller, der lange, magere, 
aufrechte; es find die zwei ja alleweil 
Dutzbrüder gewejen von den Windeln an, 
und darum fiten fie aud nebeneinander 
im Reichsrathe.” 

Der Leſer weik wiederum, der Schiller 
iſt Ihon im Jahre 1805 verjchieden, 
wie ber Grillparzer noch ein junger 
Student war; auch ijt er nie im Neichd« 
rathe gemwejen, wohl aber hört und fieht 
man jeine Werke im Theater und erhebt 
fih an ihnen. 

Der Landmann aber war über- 
glüdlich, die zwei Berühmtheiten einmal 
feibhaftig jehen zu fönnen, und wie ber 
Epajsvogel bemerkte, wie gläubig jein 
Nachbar jei, da zeigte er ihm in feiner 
übermüthigen Qaune no ein ganzes Schod 
von Dichtern und Denkern, Kriegsherren 
und Landesfürften, Entdedern und Er— 
findern, lauter jolche, deren Gebeine ſchon 
längjt die Erbe dedt, den Goethe und 
den Franklin, den Walther von ber 
Vogelweide und den Anaftafiıs Grün, 
den Radetzky, der ſich ſonſt in Wetzdorf 
aufhalte, den Kaiſer Karl, der jebesmal 
aus dem Untersberge bei Salzburg zu 
den Situngen ericheine, aber in Wien 
natürlich feine Krone tragen dürfe. 

Sb all dem jtrahlten die Augen des 
Landmannes vor lauter Seligfeit und 
Begeifterung, und er wäre hoch aufge- 
jprungen vor Entzüden, wäre er nicht 
eingefeilt gewefen in bie ſich drängenden 
Volksmaſſen. 

„Nein“ — ſagte er — „das hätte 
ih mir nicht gedacht, daſs ich fie alle da 
finden würde! Fit das eine hbellichte 
freude! Da mujs ich aber gleich nach— 
baule fahren und meinem Weib und 
meinen Sindern erzählen, wie ich fie ger 
fehben babe und wie ihr mir alles jo 
ihön erzählt habt. Ich weiß gar nicht, 


792 


ihr einmal nach Stronsdorf, jo kehrt beim 
Rohrbrunner Poldl zu, unb nachher 
gehen wir mitjammen in den Seller!“ 

Damit drängte fih der Rohrbrunner 
Poldl kräftig durch bie Menge und war 
im nächſten Augenblide verſchwunden. 

Jetzt wenn ich erzähle, der Iujtige 
Wiener habe fih nun den Baud gehalten 
vor lauter Lachen über den gelungenen 
Witz, und er babe bis in den Prater 
hinaus jeden Belannten am NRodzipfel 
gepadt und ihm die Geihichte brühwarm 
aufgetiiht, dann bin ih ein Lügner; 
und wenn fich einige Leer etwa die Hände 
reiben und fih darob freuen, dab der 
dumme Bauer in Wien drin'n jo ange- 
ihmiert worden ift, dann fiub fie mir 
in der Seele zuwieder. 

Die Sade ift vielmehr jo ausge 
gangen: 

Der vorichnelle Mund des Iuftigen 
Wieners machte manden Spais, von 
dem jein Herz nicht3 mwujste. So war es 
jet auch gemwejen, und darum fonnte das 
Lachen nicht Herr werden über die Scham- 
röthe, die auf einmal fein ganzes Ge- 
fiht überzog. 

Es dünkte ihm plöglih, als ob er 
an einem für alles Große empfänglichen 
Herzen ein ſchweres Unreht begangen 
bätte, und dafs der unmwillende Mann 
eigentlich weit über ihm ftände. 

Mas er hatte belächeln wollen, das 
fam ihm jetzt unjäglih jhön vor, daſs 
nämlich das Wolf feine Helden nicht unter 
dem Raſen im Sarge ſucht, jondern, 
ihres Scheidens vergeffend, fie wirkſam 
ſieht allfort, wie damals, als fie noch 
im Fleiſche wandelten, rechtipendend und 
trojtipendend, beilend und belehrend. 

Darum drüdte es ihn ſchwer, daſs 
der gutmüthig vertrauende Mann daheim 
vielleiht von feinen eigenen gelebrteren 
Kindern verjpottet werden jollte, während 
doch jein einfältig kindliches Gemüth 
jene großen Männer mehr geehrt hatte, 
al3 dies Tafeln und Standbilder ans 
Erz und Marmelitein zu thun vermögen. 

So wurde der Inftige Wiener, dem 
Zuge ſeines Herzens und einer beijeren 


wie ih euch danken joll; aber kommt | Erfenntnis folgend, beinahe ſchwermüthig 


und ein reniger Sünder, umd jchnell ent: 
ſchloſſen, winkte er, wie die Leute Fich 
verliefen, einem Fiaker und fuhr jo jchnell, 
wie das nur die Wiener zuftande bringen, 
dur Gaſſen krumm und grad und über 
den Donaucanal dem Nordweitbahnhofe 
zu und leitete dem Rohrbrunner Poldi 
aus Stronsdorf eine demüthige Abbitte. 

Jetzt alle Achtung vor dem luſtigen 
Wiener und vor dem Leſer aud, wenn 
er ihm Beifall flaticht, wie er es ver 
dient hat! 


Bücher. 


Aufjeihnungen eines Danziger Rloſter⸗ 
bruders von Anna Conventz. (Weimar. 
Jüngſt & Comp.) Ein bemerkenswertes 
Werkchen, bemertenswert durch den Inhalt 
und die Form, Der Kampf des nach ewigen 
Wahrheiten ringenden Geiftes gegen das 
GeldprogenthHum innerhalb einer PBatrizier: 
familie der guten alten Stadt Danzig 
oder „Gdancgk“ im fiebzehnten Sahrhun: 
dert, und der Sieg des Geiftes durd die 
Dazwiſchenkunft des immer in Geldnöthen 
befindlihen Schugherrn von Danzig, des 
edlen Polentönigs Bladislav — das ift 
beiläufig der Inhalt, der in fein humori— 
ftiiche Form gebradht wurde. Dadurd, dais 
ein glüdlih harafterifierter, luftiger Klo: 
fterbruder jener Zeit die Geſchichte nieder: 
ichreibt, gelingt es der Berfaijerin, indem 
fie fih der damals üblihen Schreibmweiie 
bedient, den Schein der Verfünftelung und 
Verihnörkelung zu vermeiden. Den Ab— 
fihten der Dichterin kann man alleroris 
beiftimmen, auch der, daſs ein Jungfräulein 
Philoſophie betreiben und doch eine gute 
Hausfrau bei Rochen und Hausherd ab: 
geben fann. Warum joll mit ein ehrbar 
Weibien während bes Hantierens mit dem 
Kochlöffel ohne Bitternus über Nirvana, 
die getröftlihe Brüde über fo trüben Er: 
fennens:Strom, finnieren dürfen? Warum 
nit beim Striden des Strumpfes für den 
geitrengen Eheherrn das weile Bruhmanen: 
wort: „Tat twam asi* — zu bdeutid: 
„Das bift du!“ — fi zu Gemüthe führen 
dürfen? Wenn nur der Braten nidt an: 
brennt und bein Strumpf nicht der Zwickel 
vergefien wird, Der vielihönen Leſerin 
wird dieſe Bemerkung jehr unnöthig er: 


ſcheinen; fie wird einmwenden, daſs die Da— 
men es ja nit nothwendig haben, zu 
fochen und zu ftriden; wozu wären alddann 
die böhmischen Köchinnen und die englifchen 
Stridmajhinen auf der Welt? Richtig! 
Doch trug fih unſere Geſchichte zu einer 
Zeit zu, in der der Roden nod fein bloßer 
Sierat in der Kemnate der deutjchen Frau 
war, jondern ein widhtiger Dausrath, der 
ohne des Platonis erbauliche Meditationes 
und Metaphyfica zum vergnügliden Schnur: 
ren gebradt wurde, —tt ⸗ 


Die zürderifhe Dialecidichtung. Ein 
Literaturbild von J. €. Heer. (Zürich. 
J. C. Heer.) Eine fleißige Arbeit, zu der 
der Berfafler nit nur Liebe für jeinen 
heimiſchen Dialect, fondern auch das nöthige 
Verftändnis, die nöthigen Vorftudien mits 
bringt. Wenn wir nur recht viele fo ge: 
diegene Ürbeiten über deutſche BDialect: 
dichtung hätten! Solde Bücher fommen ja 
felbft wieder der Schriftſprache zugute, die 
mit ihrer entihiedenen Neigung, „ſich 
immer mehr zu vergeiftigen, lautlih und 
begrifflich zu verflüdtigen, fort und fort 
das Bedürfnis hat, geipeidt und getränft 
zu werden von den lebenden Vollsdialecken“ 
— — „den umenibehrlihen und unverfieg: 
lihen Cuellbühern der Schriftiprade”. — 
Es ift ja die Gefahr nit ausgeſchloſſen, 
dais die Dialecte ausfterben und einer 
fünflih gemachten Allerweltsſprache Platz 
maden; vor dieſer Gefahr werden uns 
vielleiht nur die Dialectdihter und die 
Dialectforſcher, die eine ebenjo warmherige 
Liebe ihrem Dialecte entgegenbringen, wie 
J. C. Heer, jhüsen. tt— 


Gedidte von Rönigsbrunn. Hat die Sudt 
nad Originalität auf manden Gebieten der 
Kunft geradezu Verheerungen angerichtet, ich 
erwähne nur die moderne Dramen: und 
Romanliteratur, jo ift es andererſeits nicht zu 
leugnen, daſs ohne Originalität ein nachhal— 
tiger Erfolg jelten möglich ift; dies gilt vor 
allem in Bezug auf die Lyrik; denn dieje 
wird nit wie das Drama, der Roman 
oder das Epos durd das Intereſſe an der 
Handlung getragen. Sobald die letztere 
eine inhaltsreihe und bewegte, die Sprache 
eine gefällige, die Durdführung eine ab: 
gerundete ijt, wird die Originalität Neben: 
jadhe, das einmal geipannte Intereſſe für 
das Dargeftellte tritt in den Vordergrund. 


Dem Fehlen diefer günftigen Momente 
hat es auch unfere Lyrik zu verdanken, daſs 
fie heute ein Stieffind geworden ift. 

An Stelle der Handlung muſs bei 
diefer Gedanlenreichthum, Klarheit und 
Schönheit der Sprache treten. 

Originalität ift es vor allem, welde 
uns wohlthuend in den Gedichten von 
Königsbrunn: Shaup in die Augen fällt 
und noch ehe die Kritik ihr jharfes Mord: 
beil ſchwingt, uns feſſelt und gewinnt. 

Eine ungewöhnlide Klarheit und 
Blätte der Sprache — es fommt kein Eat, 
fein Wort darin vor, welches fih nicht 
durd Prägnanz auszeichnet — erzeugt die 
Empfindung, als ob feiner der ausge— 
ſprochenen Gedanten fürzer und zugleid 
ihöner ausgedrüdt werden fönnte. 

Der Inhalt überragt wejentlih den 
Umfang, das ſchlichte Gewand feiner Berie 
wirft wie vollgewidhtiges Gold. 

Dies gilt insbefondere von feinen 
Tendenz:Gedichten, unter denen ich folgende 
erwähnen mil: „Das Schächerkreuz“, 
„Kreuz und Lorbeer”, „Zu Damerlings 
Heimgang* und die „Schranlen*. Cines 
derjelben fei mir als Beleg für das Gejagte 
geftattet wiederzugeben: 


Kreuz und Lorbeer. 


Als Anabe trat ih an des Vaters Hand 
Einſt in ein ftilles, fremdes Aümmerlein. 
Ich ſeh's noch heut’: In einer Ode ftand 
Ein ſchwarzes Areuz auf einem Büderichrein, 


Und auf dem Kreuz ein Aranj von Porbeer bieng. 
So jeltiam ſchien mir diefe neue Hier, 

Dais fe zu fragen ih mich unterfieng. 

Barum der Lorbeer bei dem Kreuze bier. 


Der Bater, burd die Frage mein bebrängt, 
Bermweilend fprab: „Ei, du vorwitzig Kind, 

Der Mann, der feinen ran; and Areuj gehängt, 
Der that's, weil Leid und Ruhm verſchwiſtert find, 


Wer war der Mann? Ih weiß ed nimmermehr, 
Was nod der Bater jprad, vergaß ich ganz; 
Es find jo viele, viele Jahre ber, 

Doch deutlich ſeh' ich Areuz und Vorbeerfrang. 


Ebenfalls in Form und Empfindung 
gelungen, wenn aud jeiner Individualität 
ferner liegend, find die rein Inrifchen Ge: 
dichte; auch fie thun uns wohl durd die 
Ginfahheit und Ruhe der Sprade, die 
mehr empfindet, als fie jagt, und in der 
Subjectivität nicht untergeht, jondern durch 
einen leijen Shimmer von Handlung oder 
unmerklich eingeftreuten Bildern angenehm 
anregt. 

Nur in einem einzigen Gedichte, dem 
„Beburtstagsgruß*, welcher mit einer wun— 
dervollen Beihreibung jfüdlichen Früblings: 
zaubers beginnt, bat fih unſer Dichter zu 
der verfängliden Subjectivität einer Fünfte 
lih erdachten und gejhraubt combinierten 
Empfindung verleiten laflen; dadurd, daſs 


94 





diefes Gedicht einzig unter den übrigen 
dafteht, tritt der Hauptvorzug der anderen 
ganz beſonders hervor. Als bejonders jhön, 
eine Perle rein lyriſchen Stiles, möchte ich 
das Meine Gedicht: „Verlorene MWette* er: 
wähnen. 

Dajs auch jubjecive Empfindung, 
wenn fie nicht durch unwahre Gefühlsver— 
renfungen entftellt und entfräftet wird, er: 
greifen und rühren fann, zeigt uns der 
Dichter in jeinem tief empfundenen Ge: 
dichte: „Schnellfiederiang“. 

Wenn auch nit ganz ohne Cynik, 
doc reizend in Gedanken und Form find 
die beiden Gedichte: „Novellenftoff* und 
Urzeugung”. 

In den beiden Gelegenheit3:Bedichten: 
„Begafo* und dem „Prolog zu einem 
fteirijchen Künftlerfefte*, zeigt er den form: 
und geiftgewandten Dichter, beionders in 
legterem durch die Satire, in der er fi 
jehr ftarf erweist. 

Können diefelben auch als Gelegen: 
heits-Gedichte feinen wirklichen Anſpruch 
auf poetiſchen Wert machen, ſo ſind ſie doch 
ein beredtes Zeugnis ſeines techniſchen Kön— 
nens und ſeiner geiſtigen Vielſeitigkeit. 

Beſonders hervorzuheben iſt das me— 
lancholiſch romanzenartig erzählende Ge— 
dichtchen: „Ach, wenn du wärſt mein eigen.“ 

Ein Meiſter der Sprache verdient 
Königsbrunn deshalb genannt zu werden, 
weil er die heterogenften Formen mit der 
Vollendung eines Specialiften behanbelt. 

Dies zeigt er in den beiden in reim: 
lofen Jamben geicdhriebenen Gedichten: 
„Sapriccio* und „No Hebten die Lippen 
vom Todesſchweiß“. Im „Gapriccio* ıft es 
eine krankhaft überreizte Romantif, in 
leterem eine realiftifche Kraft voll drama: 
tifchen Lebens, welde nur der Form, aber 
nicht mehr dem Inhalte nad Lyrik genannt 
werden kann, den Leſer gefangen nimmt 
uns bis zum Schluſſe feſſelt. 

Dieſe beiden Gedichte find indeſſen, 
jowie aud daS Meine, herb ſarkaſtiſche Ge— 
dit: „In der Menagerie*, jo gewagt in 
Bedanten und Darftellung, dais diefelben 
wohl den meiften Anfehtungen von Eeite 
der Leſer ausgeſetzt fein dürften, 

Die rüdhaltslojefte und freudigfte 
Bewunderung jedod verdienen die beiden 
Balladen: „Gabrino von Eremona* und 
„Die Spiken®. In der erften derjelben, 
„Brabino von Eremona*, muthet uns die 
anmutbige, ruhig fortichreitende und leben: 
dige Handlung, ſowie die humorvolle ſcharfe 
Gharalterifierung an, 

Auf der Höhe ſeines Könnens fteht 
der Dichter jedoh in der Spigen:Ballade, 
einer Ballade des großen Stiles. 

Die Handlung ift durchaus neu und 
originell, jedoch infolge ihrer theilweiſen 
Schlüpfrigkeit heilel und ſchwierig. 





Von diefer Ballade kann kühn bes 
bauptet werden, dajs fie jedes wahrhaft 
großen Dichters würdig wäre und zu dem 
Beiten zählt, was die Balladen-Literatur 
des legten Jahrzehnts geichaffen hat. 

Die Sprade flieht wie ein filberflarer 
fprudelnder Quell; Entwurf, Dialog, Epi— 
ſoden, Höhepunft und Kataftrophe find zu 
einer feftgefügten Handlung zuſammen— 
geihmolzen und verdienen muftergiltig ge: 
nannt zu werden. 

Diele Ballade intereffiert mit der erften 
Zeile und ift von einer nicht nur relativ, 
fondern abfolut jpannenden Wirkung. 


Nah zwei jehr treffenden, kriliſchen 
Scherz-Gedichten auf Ibſens „Geſpenſter“ 
und Tolſtoi's „Kreutzer-Sonate“, folgt die 
prädtige Scherz. Dihtung in fteiriicher 
Mundart: „Der Berfuader*. Der „Heim: 
garten“ wollte dieſe für ihn wie gejchaffene 
quasi ſteiriſch-bibliſche Humoreske jhon vor 
Jahren feinen lieben Lejern bringen. Die: 
jelbe wurde jedoch, weil unfer lieber Heiland, 
ohne daſs es eine approbierte Erbauungs— 
ſchrift ift, darin vorfommt, confisciert; heute 
ift es uns auf dem Umwege über das Ausland 
möglich, dasjelbe im Gefolge mit anderen 
Gedichten des inzwiſchen durd feine No: 
vellenjammlung: „ZTaujendluf* und das 
romantiihe Gediht: „Der Mond* ſchon 
vortheilhaft befannten Verfaſſers zugäng: 
lih zu maden. 

Und fo ſchließe ich die Beiprehung 
des jüngften Werlchens unferes Dichters 
mit dem herzlichen Wunſche, dajs dieſes 
Büchelchen rajchen und verdienten Eingang 
in den Leferfreis des „Heimgarten“ finden 
möge. 

Die Anerkennung wird nah Goethes 
Ausſpruch: „Wer vieles bringt, wird man: 
chem etwas bringen“, nicht ausbleiben. 

9. v. R. 


Menſchen und Schichſale. Von Fritz 
Lemmermayer. J. C. C. Bruns Verlag. 
Minden i. W. 1890. 


Ein neuer öfterreihiicher Novellift, der 
berufen jein dürfte, dereinft neben Ebner 
Eihenbad, Saar u. j. mw. feine Stelle ein: 
zunehmen. Brig Lemmermayer ift einer, 
der die Nealität des Lebens mit den Far: 
ben der Poeſie malt, der als echter Künftler 
über Gemüth und Leidenjhaft, über Bart: 
heit und Derbheit verfügt und einen tiefen 
Blick thut in die Natur und Ecele des 
Menihen. Als hervorragend müſſen die 
drei Novellen: „Der verjeite Herrgott“, 
„Das Bettelconcert* und „Ein alter Tiſch“ 
gelten. „Der verjegte Herrgott“ jpielt auf 
Wiener Boden und jhildert das Schickſal 


Karten, Plänen u. j. w. gegeben. 


eines Ehepaares aus den niederen Ständen, 
das an ihren Laftern und Schmwäden all: 
mählich zugrunde geht. Geftalten von 
Fleiſch und Blut find die Helden. Ernft 
und tragiich rollt fi ihr Verhängnis ab, 
Die Erzählung ift in allen Faſern modern, 
ohne je aufdringlih oder, geihmadios zu 
werben. Ein finniges, jchlichte und ans 
muthiges Stüd Seelengemälde bildet die 
Geihichte des „alten Tiſches“. Bon er: 
greifender poetiiher Macht ift „Das Bettel: 
concert“. Das jchwere geiftige und materielle 
Elend des jüdiſchen Bettelconcertiften und 
feiner zahlreichen Familie ift mit bewäl— 
tigender Wahrheit geſchildert. Jonathan 
Schnepf ift ein meifterhaftes Seitenftüd zu 
Ferdinand von Saars ESeeligman Hirſch 
in der gleichnamigen Novelle. „Hamlet im 
Marti“ und „Der Flidtiihler* befunden 
die Ddichteriihe Hand eine gemwandten 
Genremalerd. Unter „Erlebteg und Gr: 
träumtes“ finden wir eine Reihe Stiyzen 
und Stimmungen. Bedeutend ift „Der 
Inurrende Magen“. Eine Sammlung von 
Aphorismen über „Menih und Leben“, 
„Bolitit und Geſchichte“, „Kunft und 
Philojophie* bilden den Beihlujs des 
Buches. Diejelben find wahr, ernft und 
mutbig, ftellenweije nicht gerade neu, aber 
dur die Individualität des Verfaſſers 
intereffant geformt und gegofien. 
Hugo Grothe. 


Die heilige Bchrift des Alten und Neuen 
Teſtamentes. Aus der Bulgata überjegt von 
Dr. Joſef Franz von MWllioli. 
(Berlin. Friedrich Pfeilftüder.) Bon dieſer 
ganz merfwürdigen Bibelausgabe find bis: 
ber 15 Hefte erſchienen. In unjerer fatho: 
liſchen Kirche hat vielleiht nur eine über: 
triebene Oppofition gegen proteftantijche 
Theorien zur PVernadläffigung der Bibel 
geführt. Das wird fih ändern mülſen, 
wenn der hriftliche Geift wieder tiefere und 
frudtbarere Wurzeln faflen foll bei den 
Katholifen. Das Alte Teftament ift un: 
wejentliher; der Ehrift glaubt das Neue 
Teftament auch ohne bejondere Beweiſe des 
alten, denn der Glaube bedarf ja willen: 
ſchaftlicher Beweiſe nit. Indes ift aud 
das Alte Teftament eine unerfhöpfliche 
Wundgrube von Anregung und Belehrung, 
aber Erläuterungen bedarf es, und dieſe 
find hier in der Pfeilſtücker'ſchen Ausgabe 
bejonder3 in den beigedrudten Abbildungen, 
M. 





Nicht raften und nidt roften! Jahrbuch 
des Scheffelbundes in Öfterreih für 1891. 
Geleitet von Franz PBomezny. (Wien. 
U. Hartleben.) 

In der That eine reizende Sammlung 
neuer und neuefter Perlen unierer Dichter! 
Haft alle find fie gelommen, theils mit 
ganz wertvollen Beiträgen in Poeſie und 
Proja. Handjhriftlihes und Handzeid: 
nungen von Sceffel jelbft frönen das 
Werfen, weldes wir als das vornehmite 
Jahrbuch, das diejes Jahr in Öfterreich die 
Preſſe verlafjen, zu bezeichnen haben. M. 


Cauern:Gold. Eine Geſchichte aus dem 
Knappenleben in den Hodalpen. Bon 
Umand Freiherrn von Schweiger 
Lerhenfeld. (U, Hartleben. Wien.) 

In dem unter dem Namen der „Hohen 
Tauern“ belannten Gentral:Alpengebirge 
befinden fi uralte Goldberge. Ihre Ge: 
ſchichte iſt zugleih ein Spiegelbild cul— 
tureller Zuftände, welche den ausgedehnten 
Zeitraum von den Kelten und Römern bis 
zur Gegenwart umfafien. In Sagen und 
Überlieferungen leben die Erinnerungen 
der glanzreihen Epode des 15. und 16. 
Jahrhundert3 nad, während melden in 
den Thälern von Gaſtein und Rauris 
Reichthum und Wohlleben herrjchte, wie 
nirgends ſonſt wo im Wlpengebiete. Seit: 
dem jind Nahrhunderte vergangen, die 
alten Bergbaue jind größtentheils verjiegt, 
aber in den Borftellungen des Boltes 
wirlen noch verſchollene und vergangene 
Geſchehniſſe in märchenhafter Ausgeſtaltung 
nach. Die eiſigen Höhen, auf welchen die 
Gletſcher lagern, erſcheinen verflärt von 
Sagen und mwunderjamen Stimmungen, 
welde die Derzen der Nachgeborenen, die 
auf dem einft goldreihen Boden wandeln, 
durdzittern, Mitten in dieſe Welt der 
ftarren Eisftröme, der öden Kare und der 
menſcheneinſamen Wildniffe verlegt der 
Verfafler in einer äußerſt jpannenden und 
von brillanten Naturjchilderungen durch— 
tlodhtenen Erzählung Geſchehniſſe aus halb— 
vergangener Zeit, welche dem Intereſſe 
vieler Lejer ſchon aus dem einzigen Grunde 
nahegelegt werden, als fie jih auf einem 
Boden abjpielen, der von Reiienden viel: 
fa betreten wird. Die Hauptperjonen 
diefer mit dramatiicher Verve und mit bes 


merlenswertem Erzäblertalente gejchriebenen | 


Hochlandsgeſchichte find zwei Knappen, deren 
wunderjame Schidjale von umjo nadhal: 
tigerer Wirfung find, als bier Berirrungen 
von schier unheimlicher Folgerichtigkeit 
vinhologiih meifterhaft gezjeihnet find, 
Neben der Charakterzeihnung der Haupt» 
acteure machen ſich lebenswahre Scenen 





aus dem Snappenleben in jenen eifigen 
Wildniffen angenehm bemerkbar. Allent-— 
halben begegnen wir hier Menſchen, die 
ebenjo mit ihren eigenen, von den Bildern 
des Wahnes und Truges erfüllten Bor: 
ftellungen, als mit den Schrednifien einer 
wilden, unerbittlihen Natur zu kämpfen 
haben, V. 


Sind die Reichsdeulſchen berechtigt und 
verpflihtet, das Deutſchthum im Auslande zu 
Rügen? Bon Karl Pröll. (Kiel. Lipfius 
& Tiſcher. 1891.) In marliger Sprade, 
voll Begeifterung für das Deutihthum und 
voll harter Schärfe gegen defjen Feinde unter: 
nimmt der bewährte Vorlämpfer des gei— 
fligen All-Deutihlands, Karl Pröll, im 
dieier Schrift einen neuen Waflengang. Er 
erörtert fein Thema nad folgenden Ge: 
fihtspunften: Wollszahl, Nationalgebiet, 
geographijche Vofition, Grenzvertheidigung, 
Bündnisfähigkeit, Eultur, Wirtihaftsaus: 
dehung und nationales Innenleben. V. 


Sefundheitsiehre für das Volk. Bon 
\Dr. Hoeber. (Wien, K. Fromme.) Wenn 
jemals ein ausgejchriebener Preis dem 
vollen Berdienfte zugefallen, jo war's bei 
Dr. Hocber der Fall, deſſen Leiftung zu— 
gleih dem gehobenen Anlaſſe des Preis: 
ausjhreibens vollflommen entipridt. Die 
zweite Auflage ift mit dem Gapitel: „Ent: 
widelung und Lehre von den Balterien” 
bereichert. Somit ftellt e8 ein Vollsbuch in 
des Wortes befter Bedeutung dar, welches 
die hygieniſche Richtung mädhtig zu för— 
dern veripridt. Das Buch ift im Feuille- 
tonftil geichrieben und behandelt in 20 
Briefen die widhtigften und interefjanteften 
hygieniſchen Fragen in leicht faislidher 
Weiſe. V 


— — —— nn 
{ 


— — — EEE 


Wagnerianer-Bpiegel. Eine Charalteriſtit 
der wirklichen wagnerianiihen Geiftesarbeit 
| und Weltanihauung, dargeftellt dur hun— 
[dert Ausſprüche aus den Schriften der nam: 
hafteſten Wagnerianer, gefammeltvon Hans 
Baulvon Wolzogen. (Hannover. Louis 
Örtel.) 

Das Büchlein in allen Ehren. Doch 
nod lieber als die „Wagnerianer“, hätten 
wir Wagner jelbft gehört. Noch lieber als 
Aphorismen über Wagner, wären uns 
Aphorismen von Wagner gemwejen. Vielleicht 
mödte man doch von den beiten und allge: 








mein verſtändlichſten Schriften 

Wagners eine Heine Bollsausgabe machen. 

Boran der Meifter, dann erft die Jünger. 
M. 


Der Freiberg und Vöran bei Meran. 
Eine Monographie von Fridolin Plant. 
(Meran.) 

Wer für Meran, diejen überaus jchönen, 
geſchichtlich und vollsthümlich interefjanten 
Ort, eine ſtille Neigung hat, der möge dieſes 
Schriftchen leſen, es iſt ein ſchäzbarer Bei: 
trag zur Meranliteratur. M. 


100 Ausflugsziele von einem age bis 
zu drei Tagen. Für Wiener Naturfreunde 
und Touriften zujammengeftellt von Joſef 
Rabl. (Hartleben, Wien.) 

Wem nur eine lurz abgemejiene Zeit 
zur freien Verfügung fteht, der müht ſich 
oft lange ab, um eines der verjcdiedenen 
Ziele, welde ihm durh den Sinn gehen, 
in den Nahmen jeiner Zeit hineinzubringen. 
Das vorliegende Bud erjpart ihm nicht 
nur diefe Mühe, jondern in den meiften 
Fällen auch jedes andere Führerwerk; es bietet 
dem Wiener Reifeluftigen 100 Ausflugsziele 
für ein: bi$ dreitägige Touren, mit Angabe 
der günftigften Reijerouten zur Auswahl 
an, und wenn damit aud) die Fülle lohnender 
Neifeziele noch lange nicht erſchöpft ift, hat 
der Verfafler doch getradhtet, alle Geſchmacks— 
rihtungen zu berüdjichtigen. 


Perſönliche Grinnerungen an Hobert 
Bamerling. Bon P. K. Rojegger. (X. 
Hartleben. Wien.) 

Der langjährige und vertrautefle Freund 
des heimgegangenen Dichters weiß uns den 


I 


Nidhard | 


i 


1 


Das Buch enthält zahlreiche Briefe Hamer— 
lings an den Freund, Geipräde, melde 
die beiden Männer über allgemein bewe— 
gende, fjowie über perfönlide und ihre 
literariihen Angelegenheiten miteinander 
führten, freimüthige Belenntnifie, die der 
Berfafler in dem Merfe von fi jelbft 
madt, u. j. w. V. 


Bugendlaube. Bon HermineProſchko. 
(Graz. Leyfam.) Die „Jugendlaube“ ift im 
chriſtlich-patriotiſchen Sinne gehalten und 
erscheint unter Mitwirkung bewährter Kräfte 


‚ auf-dem Gebiete der Jugendliteratur. Die 
‚ einzelnen Bändden der 


Jugendlaube“ 
enthalten einen Bilderſchmuck. Als erſtes 
Bändchen erſchien ſoeben: „Bilder aus 
Habsburgs Chronik.“ Von Dr. Iſidor 
Proſchko. Dieſes Bändchen bietet zugleich 
eine wertvolle Erinnerungsgabe zur 600: 
jährigen Gedenifeier des Todes des eriten 
gefrönten Herrfchers aus dem Haufe Habs: 
burg, Kaiſer Rudolfs I., welches in feiner 
Schul: oder Hausbibliothel bei diefem Ans 
lafie fehlen jollte. 

Die weiteren Bändchen, deren 4—6 
jährlich erijcheinen, werden eine Reihe inter: 
eſſanter, unterhaltender und belehrender 
Arbeiten von der Herausgeberin und ber 
währten Jugendichriftjtellerin des In- und 
Auslandes enthalten, nämlich: Erzählungen 
aus dem Kinderleben und aud hiftorijchen 
Inhaltes, dann Gejhichtliches, Reijebilder, 
Sagen, Märden, Lebensbilder hervor— 
ragender Perſönlichkeiten, Wiſſenſchaft— 
liches verſchiedener Art, kleine, leicht auf— 
führbare Theaterſtücke, für Inſtitute und 
Familienkreiſe geeignet. 

Wir empfehlen dieſes ſchöne patrio— 
tiſche Unternehmen auf das beſte. V. 


Die Fibertad. Novelle. (Zürich. 1891. 
Verlags:-Magazin.) „Die Libertad“ ftellt 


originellen Menſchen und bedeutenden Geiſt 
von einer neuen, intimen Geite vorzus| 
führen. Hamerlings perjönlihe Eigen: | 
thümlichleiten in Lebensführung und Häus: | 
lichkeit, jein Verhältnis zu Freunden, zu 
Frauen, zu jungen Dichtern und Dichter: 


in Inappfter Form ein Stüd modernen, 
ja modernften Lebens dar, den Kampf der 
Frau um Selbftändigleit. Die drei Frauen, 
welhe ihn unternommen haben, treten 
uns als Anwalt, Philologe und Malerin 





entgegen, jede mit ihren eigenen Erfahrun: 


lingen, jeine Art zu tadeln, feine Welt- gen und Schidjalen. Die gemeinfam ver? 


ſchüchternheit 
perſönlichen Anſichten über Kritik, Peſſi— 
mismus, Parteiſachen, Antiſemitismus, ſo— 
gar ſeine Geſchäftsführung, ſeine Erbſchafts— 
ſorgen u. ſ. w., endlich ſeine Krankenge— 
ſchichte und ſein Tod, alles das und noch 
allerhand anderes iſt mit aller Ummittel: 
barkeit und voll Pietät erzählt. Das Ber: 
hältnis der beiden Dichter zu einander ift 





und Bereinjamung, ſeine jebte Studienzeit in Paris dient als Hin: 


tergrund und Erklärung des Ganzen. V. 


Seo N. Bolftois gefammelte Werke. 
Vom Verfafler genehmigte Ausgabe von 
Naphael Lömwenfeld. (Berlin, Rihard 
MWilhelmi.) Heute liegt uns Band I abge: 


ein inniges, wahrhaft rührendes geweſen. ſchloſſen vor, Erenthält unter dem zufammens 


faflenden Titel „Lebensftufen® die drei in 
innerem Zuſammenhang ftehenden Erzäh— 
lungen „Kindheit“, „Rnabenalter“, „Büng: 
Iingsjahre”. Es iſt eine wahre Erfrischung, 
diejes Werk des großen ruifiichen Dichters 
zu leſen, nahdem man im jüngfter Zeit 
nur Moftiiches und Unflares von ihm em: 
pfangen hat. Die „Lebensftufen“ find 
feineswegs, wie man wohl in Deutihland 
oft las, eine Selbftbiographie Tolftojs, 
fie find vielmehr, wie uns der Heraus: 
geber in einer kurzen Einleitung erläutert, 
ein gauz jelbftändiges Dichtwerk, in dem 
natürlich die Lebenserfahrungen des Did: 
ters einen weientlihen Antheil bilden. Dan 
darf aber feineswegs das von dem Helden 


diejer Geſchichten, Nicolaj Irtenjew, Er: 


zählte als die Schidjale Toljftojs an: 
ſehen. V. 


Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen: 


Viola Tritolor und andere Novellen 
von Karl Guntram. (Dresden. €. 
Pierſon. 1891.) 


Erutnadtigal. Bon Karl Henkell. 
(Stuttgart. 3. G. W. Dies. 1891.) 


Gelcicte der Bmpfung von Lady Mon: | 


tague bis zu Jenners Tod. Nah eng: 


98 


‚ Die fhlimmen Brüder. Schaufpiel in 
vier Acten und einem Borfpiel von Paul 


Heyſe. (Berlin, Wilhelm Hertz. 1891.) 


Das neue" Bud der Natur. Bon U. v. 
Schweiger-Lerchenfeld. (Mit circa 
400 YMuftrationen, darunter zahlreiden 
Bollbildern.) (Wien. A. Hartleben. 1891.) 
In 35 Lieferungen. 


Moderner Todtentanz. Kohlen-Skizzen 
von Karl Pröll, (Berlin. Hans Lüften- 
öder. 1891.) 


Die Seewiefe, Ein Märden aus Alt— 
Auffe. Bon Hermann Maerheim. 
(Wien. Karl Konegen. 1891.) 


Scherzgedihte.BonYohannesTrojan. 
Zweite neubearbeitete Auflage. (Leipzig. U. 
\®. Liebestind. 1891.) 


Mein Elſaſs. Sktizzen und Rovellen 
von Hermann Stegemann. (Colmar. 
Mar Wettig. 1891.) 


Sefammelte Schriften von Otto Lud— 
wig. (Leipzig. Fr. W. Grunow, 1891.) 
Zwölfte Lieferung. 


Seltfame Geſchichten. Gin Liederchclus 
von Rihard Boozmann (Zürid. 
Verlagsmagazin. 1891.) 


Aus dem Grokfladtbrodem. Bon Wil: 
helm Arent. (Züri, Verlags: Magazin. 
1891.) 


Drei Weiber, Bon Wilhelm Arent. 





lichen Quellen von Adolf Graf Zedt: (urich. Verlagsmagazin. 1891.) 


wit. (Dresden. F. E. Bilz. 1891.) 


Fine epochemachende Neuheit auf dem 


Das moderne Barokfpiel. Eine Anleitung | Gebiete des Schul-Unterrichtes! Keligions- 


zur gründlichen Erlernung desielben nebjt 
zahlreihen erläuternden Beiipielen. Von 


Anterrigt in Tabellen. Bon Adalbert 


ft. Merner, Zweite, vermehrte und ver: Falinski, Prieſter der Erzdiöceſe Mien. 


befjerte Auflage. (U. Hartleben. Wien.) 


I, Katehismus. (Wien. Dreſcher & Comp.) 


Nufruf. 


» In der Reihshauptftadt Hat ſich ein | 
Comité gebildet, welches fih zur Aufgabe 
ftellt, dem verftorbenen Dombaumeifter 
Freiherrn von Schmidt in Wien ein Dentmal | 
zu errichten. Dasſelbe hat folgenden Aufruf 
erlafien: „Alsbald nad dem tiefbetrübenden | 
Dingange des großen Meifters Friedrid | 
Schmidt ift aus der Bewunderung für 
den genialen Künftler und aus der Liebe 
zu dem edlen Menſchen der Wunih laut 
geworden, ihm ein Dentmal zu jeten,. Hat, 


auch jeine Kunſt jelbft dafür gelorgt, daß 
fein Name in die Zukunft getragen wird, 
jo fol ein Denfmal Zeugniß ablegen von 
der Verehrung und Dankbarkeit jeiner Zeit: 
genojjen für immerdar. Mit heiliger Bes 
geifterung hut er die Heberlieferungen jeiner 
Kunft in jeinen Werfen weitergetragen und 
in hinreibenden Morten fortgepflanzt in 
einen Kreis Tunftbegeifterter Schüler. Er 
war ein Meifter alter Art, der nur aus 
ſich ſelbſt, aus jeiner ftarfen Empfindung 





’ 
{ 
| 





een | GE 


und reihen Phantafie heraus ſchuf, dabei 
aber nie vergaß, daß es in feiner Kunſt 
fo ſehr des Willens und Könnens bedarf, 
um die Ydee ins Leben umzujegen, als in 
der feinen. Wie in die berühmten Meifter: 
ſchulen vergangener Jahrhunderte, wander: 
ten die Schüler aus allen Ländern zu ihm, 
Denn jein Ruf ging dur ganz Europa 
und darüber hinaus, und wo es galt, eine 
Trage feiner Kunft zu entiheiden, da wurde 
er gerufen und fein Wort entichied. Taufend: 
fah find die Spuren dieſes Mannes, der 
feinen höheren Zwed fannte als die Arbeit, 
und fein höheres Biel, als jein reiches 
Können ganz dem Wohle jeiner Mitbürger 
zu weihen. In mannigfaden Stellungen 
des Öffentlichen Lebens hat er feine Ein: 
fiht, Erfahrungen und Thatfraft wichtigen 
Zweden in flet3 ausgezeichneter Weiſe ger 
widmet. Er, der gelernte Künftler, hat es 
nicht verſchmäht, jelbft Meißel und Schlägel 
in die Hand zu nehmen und feine Laufbahn 
beim Handwerk zu beginnen. So mehrte 
er fein Berftändniß für das Bolt, jo ſchärfte 
er jeinen Blid für die Erlenntnik der 
Meienheit des Volkes. Darum wurden er 
und feine Werte aud jo jehr vom Bolte 
verfianden und die Steine fpraden zum 
Volke, wie er ed als das Ideal feiner Kunft 


Graz, im Mai 1891. 


angeftrebt hat. Weitbefannt in allen freien 
der Bevöllerung, war er der Schöpfer fo 
vieler Meifterwerfe, jo vieler Stätten der 
frommen Erhebung des Herzens, der Wieder: 
erbauer des Stephanäthurmes, der Erbauer 
des Nathhaufes, des alten und neuen Wahr: 
zeihens der Stadt Wien. Wir wollen die 
voltsthümliche Geftalt des großen Meifters 
im Bolfe erhalten, wir wollen ihm aber 
im Namen der ganzen fTunftbegeifterten 
Menichheit unjere Huldigung darbringen, 
denn es heißt: „Ehret Eure Meifter!“ 
Un Alle gebt unjer Ruf und unjere 
Bitte! Jede Gabe wird willlommen 
jein, denn jede ift eine Liebesgabe 
jur Ehre und zum Ruhme des 
unvergebliden Künſtlers.“ 


Auch in Gras, wo der große Künſtler 
eine feiner erften Kirhenbauten ausführte, 
hat fih aus Berehrern und Schülern des 
Meifterd ein Comite conftituirt, welches 
beftrebt ift, für das in Ausfiht genommene 
Monument Geldmittel zu fammeln, und fid 
daher erlaubt, alle Verehrer des genialen 
Meifters aufzufordern, ihr Scherflein bei— 
jutragen, damit den Manen des Dahin- 
gegangenen ein feiner Bedeutung würdiges 
Monument errichtet werden könne. 


Das Grazer Local: Comits für die Errihtung eines Schmidt: Dentmales. 


Der Obmann: 


Pr. Ferdinand Portugal, 
PBürgermeifter. 


Der Obmann: Stellvertreter: 
Bofef Waller, 


f. f. Regierungsratb, Rector der k. k. techniſchen Hochſchule. 


Der Gafjier: 
Moriz putſchar, 


ſtädt. Ober- Ingenieur u. Obmann d. polytechn. Glub. 
Dr. Franz Bayer, 
Pürgermeiiter-Ztellvertreter. 
Hans Brandfeiter, 
Bildhauer. 
Dr. Julius von Verſchatta, 
Reibörathb-Abgeordneter. 
Adolf von Gabriely, 
k. t. Regierungsratbh, Prof. an der f. k techn. Hochſchule. 
Bohann Graus, 
Profefor im f. b. Priefterhaufe, F. b. geiftl. Rath, 
t. t. Goniervator. 
Dr. Wilhelm Gurlitt, 
Profeſſor der f. k. Univerftät. 
Franz Ritter von Hodenburger, 
t. t, Cberbauratb. 
Georg Höhel, 
Ingenieur, Stadt-Baumeifter. 
Alexander Roller, 
Bürgermeifter- Stellvertreter. 


Der Schriftführer: 


Bohann Wil, 
Architell, Brofeffor der k. k. tehniiben Hochſchule. 
Carl Sauzil, 

Architelt, Director ber f. f. Staatbgewerbeſchule. 
Ferdinand Fudmig, 
Reihsrathb-Abgeorbneter, 

Pr. Eugen Jetoliczka, 

t. t. Statthalterei · Rath. 

Catl von Raab, 

Chef ⸗Redacteur der Grazer „Zagespoft'". 
Hermann Bcanoni, 

Arhitelt, Ober-Angenieur. 

Pr. Moris Ritter v. Schreiner, 
ft. Landes ⸗Ausſchuß. 

Heinrich Schwach, 

Director der I. Zeihen-Alademie. 
Seopold Theyer, 

Architelt, Profefior der f. f. Etaatögewerbeihufe. 
Dr. Franz Bifler, 

f, Rath, Chef- Redacteser der „„Brager Zeitung” und 
„Grazer Morgenpoft”. 


Beiträge übernehmen alle hier angeführten Herren Komite-Mitglieder, die Redactionen 
der Grazer „Tagespoſt““, der „Grazer Beitung‘‘, der „Grazer Morgenpoſt“, die f. f. Uni: 
verfität3-Buchhandlung der Herren Leuſchner & Subensky, das Bankhaus Heuhold, 

Die Spenden werden öffentlid ausgewieſen. 





800 


“Ich habe nichts anzuziehen. Und ſelbſt 

Voſtkarten des „Heimgarten | wenn fie alle Kiften und Käſten voll Kleider 
F. ©. £., Wien: Die ganze Größe von | bat, e8 bleibt dabei: Ich habe nichts an: 
Hamerling’3 „Homunfulus* ift bisher noch)! zuziehen. — Hat Stettenheim mit diejem 
nicht gewürdigt worden. Wer diejes Wert | Ausſpruche recht oder mit? Laſſen Sie 
nicht in feiner großen und tiefdeutfamen | unter den Eheherren abſtimmen. Gerade die 
Einheit auffajst, der kann aud die ein: | Beltfituierten werden Frauen befiten, die 
zelnen Abſchnitte nicht verftchen. Abſolut | nichts anzuziehen haben, Frauen willen, 
mifsverftanden haben z. B. die Untifemiten | daſs es recht kleidſam iſt, fih mandmal 


das Gapitel „Im neuen Israel“. Im Die: | 


jem Abjchnitte find die Juden daralteri: 
fiert und ihre ſchlimmen Eigenſchaften ver: 
jpottet, fowie in dem Werfe ja aud die 
Auswüchſe der 
überhaupt, des Profeſſorenthums, der Lite: 
raten, der Peifimiften und jelbft die Eigen: 
ihaften der modernen Frauenwelt auf das 
unbarmberzigfte gegeihelt werden. Wo 
fommt in dem Capitel: „Im neuen Israel“ 
auch nur eine leije Andeutung vor, dais 
man die Juden rechtlos maden, ausweiſen, 
verfolgen jolle? Im Gegentheile, diefe Be: 
ftrebungen der Antifemiten belommen im 
„Homunfulus“ manden Nafenftüber. Siehe 
Seite 116, Zeile 7, Seile 148 und 149, 
Seite 206, Zeile 22, Seite 210, Zeile 15, 
Seite 211, Zeile 24, Seite 225, Zeile 23 
u. ſ. w Aus all diefen Wendungen gebt 
doh wohl Har hervor, was der Dichter 
von den Antijemiten hielt. Es war faft 
poffierlich zu jehen, wie die „Unverfäljchten* 
durh fortwährenden demonftrativen Ab— 
drud der nah ihrer Meinung antifemiti: 
ihen Stellen aus „Homunkulus“ die leb- 
hafteften Anftrengungen madten, um zu 
beweifen, wie vollommen ihnen der Beift 
diefes grandiofen Werles mit fieben Siegeln 
verſchloſſen ift. 


R. $., Wien: Jede Ehefrau ift bettel: 
arm. Yede wird zu ihrem Gemahl jagen: 





modernen Geihäftswelt | 


fleine Blößen zujugeftehen. 


B., Sraz: Dieje ſchönſte der Geſchichten 
„Joſef und jeine Brüder* lälst fi mund: 
artli für den Spaſs nit gut behandeln. 


3. M., Schluczenau: Bellen Danf für 
die dem Herausgeber gewidmete fo hübſche 
Compofition zum Beteranen-Bundesliede. 


a. 2., Pfäffikon: Für die Aſchenurne 
vielen Dank. Diejelbe wird, da bei uns 
die Leichenverbrennung noch nit einge: 
führt ift, einftweilen als Gigarrenaiden: 
becher verwendet. 


R. M. Donnersbahmwald: Prädhtig war 
der große jhwarze Vogel! Allein ein folder 
ziert weniger fein die Schüffel eines Pfingſt— 
mahles, als die Wipfel eines oberländi- 
ſchen Bergwaldes. Nihisdeftoweniger Dan. 


F. R., Troſaiach: Schönſten Tant für 
die Widmung. 


Vielen Anderen dasſelbe. Können aber 
all die ſchönen Sachen nicht in ihrem 
vollen Maße würdigen. 


* Bitten unaufgefordert Manuſcripte 
nicht ſchicen zu wollen. Wir bürgen nicht 
dafür. Es iſt bei uns unmöglich, all die 
Handſchrifien unter Dach und Fach zu 
bringen, geſchweige ſie zu leſen, zu beur— 
theilen oder gar zu druden. 

















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garen, 


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Die Hordpolfahrer. 


Eine Erzählung von Hans Malfer. 


ei 

oi bo! nah dem Nordpol! 
Seemannsreden! wer will 
mit 2?“ jo ſcholl es im weiten 
en und von Stiel zu Kiel, von 
' Maft zu Maft tönte der Ruf. Aus 
| Kajüten kamen fie hervor, von den 
Tafelwerfen kletterten jie nieder, auf 
Jollen glitten fie heran, die jchwarze 
und rothbärtigen Männer in ihren 
blaugeftreiften Zwilchkleidern. Sie 
jprangen ans Ufer taumelnd falt, 
man merkte, jie waren bei den Land— 
ratten nicht daheim. Sie eilten einem 
Gebäude zu, das, ſonſt als Waren 
magazin verwendet, heute einem anu— 
deren Zwecke diente. 

Auch aus der Stadt, aus den 
finfteren, ſchmutzigen Gafjen der Ar— 
beiterviertel hafteten Leute heran 
und dem Gebäude zu; es war zus 
meift verfommenes Boll in Lumpen 


Rofegoger's „Stimgarten‘“, 11, Geft. XV. 


. 
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er 
(ge 
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© 


— — — We —“ 


——— — 


und Verwilderung, roch nach ſchlech— 
tem Tabak und Brantwein. 

Spähend, lauernd und einander 
ſtoßend und drängend, kämpften ſich 
dieſe Maſſen durch die Schubthüren 
des Gebäudes. Aber Weiber und Kin— 
der wurden zugewieſen, und dieſe 
ſchrien und fluchten und klagten, dajs 
man Männer, Väter und Söhne 
ihnen entreiße. 

Im Gebäude wurden Theilnehmer 
zu einer bevorſtehenden Nordpolfahrt 
geworben. 

Man bedurfte abgehärteter Ma— 
trojen, tüchtiger Handwerker, gedie= 
gener Gelehrter; die Bolarfahrt, durch 
die Hochherzigkeit einzelner Gavaliere 
und den Gemeinfinn des Volles aus» 
gerüftet, jollte im Namen der Wiſſen— 


ſchaft unternommen fein, Das ftolze 
Schiff, der „Siegfried“, eigens zur 
Sl 


RETTET TE — ——— — — 


802 





Grpedition erbaut, ftand bereit3 aus leuten und Landratten. Da erjchien 
gerüftet im Hafen, reich beflaggt mit | Hauptmann Prachwald. 
Farben der civilijierten Länder. Die Ein Theil der Verfammlung 
Bolitil, die anmapende und eigen= |murrte, Prachwald trug weder die 
nüßige, mujste diesmal ſchweigen; | Officiersuniform, noch die Seemanns= 
nicht Deutichlands oder Frankreichs, |tracht, in einfachen, ſchwarzen Tuch— 
nicht Europas oder Amerikas war | Heidern ftand er da und ſprach. 
die Fahrt gegen den Bol: jie gehörte As er den Zwed der Nordpol- 
der ganzen Welt, denn die Willen fahrt und die Verdienfte der Theil- 
haft ift und fei aflgemein, wie das |nehmer an derjelben dargethan Hatte, 
Sonnenlicht. jchilderte er in Meatrojenausdrüden 
Seitdem dur die Chinefen die |die Gattung diefer Expedition in den 
magnetiiche Kraft entdedt worden und |fhwärzeften Farben. Er ſprach von 
jeit der Italiener Flavio Gioja (mm |den monatelangen Nächten, von der 
das Jahr 1302) den Compajs er: |grimmigen Kälte, von den Eutbeh— 
funden, weist die Magnetnadel nad) |rungen und Gefahren, wies hin auf 
Norden, — ein ewiger Fingerzeig |die jahrelange Abgejchloffendeit von 
nach dem Geheimniffe des Poles. Die den Menfchen, auf die Unmöglichkeit, 
Geſtirne reifen über Oft und Weit; |denfelben Nachrichten zukommen zu 
die Völker ziehen von Oſt nach Weit; laſſen oder jolche zu erhalten. 
aber was muſs dort in den Nächten Der Redner ſchwieg eine Weile 
des Nordens fein, dafs die zitternde |und forderte dann die Männer, welche 
Eiſenſpitze jo ruhelos dahinfirebt ? !gefonnen wären, die Fahrt mitzu— 
Und jo liegt's im Menfchenherzen, machen, auf, ihre Hände zu erheben. 
daj3 wir die Erdenheimat, die uns Da trat eine jchwere Stille ein, 
Gott angewiejen, bis auf den legten und fiehe, der erhobenen Hände waren 
Winkel fennen lernen wollen. Oft: nur wenige. Die große Maſſe ſtrömte 
mals Schon ift verfucht worden, nad zu den Thüren Hinaus. Kaum an 
den Polen der Erde vorzudringen, hundert Männer waren geblieben. 
um zu ſehen, ob dort fefle Länder | Das jedoch waren derbe, trogige Ge— 
oder offene Durchfahrten gegen die ſtalten. 
andere Seite der Weltfugel hinüber, Ein noch junger, aber ſtämmiger 
welche Naturerfcheinungen dort vor: Mann, der an einer Ede ftand und 
tämen, oder ob und im welcher Weife I mit geballten Fäuſten firfter drein— 
aus jenen Himmelsftrichen etwas ſtarrte, übertraf ungeachtet feiner fei- 
Nubreiches für die menſchliche Geſell- neren Kleidung alle übrigen an Derb- 
haft zu Holen wäre. Die einzige |heit und Troß. Die Glieder diejes 
Erfahrung war, daſs die Pole mit | Mannes waren maſſig und kraft— 
ewigem Eiſe umgürtet jeien und ein |ftrogend, aber das Antlif war 
weiteres Vordringen gegen diefelben blaſs; dichtes, gefraustes Haar und 
zur Unmöglichleit gehöre. Das wollte ein junger ſchwarzer Bart ummallte 
der Schiffshauptmaun Prachwald nicht |es, und im den großen, tief= und 
glauben. Diejer Mann gab Anregung | finfterliegenden Augen jprühte ein 
zu einer neuen Erpedition, und als |ryeuer, als wäre es entzündet, um 
diefelbe gefichert, übernahm er die |die Eisberge des Poles zu ſchmelzen. 
Führerfchaft. Prachwalds Hauptforge | Wie eine Bildfäule fand er da und 
war nun, in der deutjchen Seeftadt hatte die fcharfen Lippen feit zu— 
eine tüchtige, tauglihe Bemannung ſammengekniffen. Er ſchien nit auf 
zu werben. die Worte des Capitäns zu achten ; 
Das große Gebäude am Hafen- er lauerte gegen einen anderen 
plaß war gedrängt von Seemanns- ljungen Mann Hin, der nahe an dent 


— —h — — — — — een — — —— — — — —— —— — — —— — 





———— — — — — — — 


Spredenden ftand und jedes Wort 
it Gier erfafste. Diefer aufmerkſame 
Zuhörer war ein etwa vierundzwan— 
Atgjähriger Jüngling von  feltener 
Schönheit. Das blaue Auge und das 
ein wenig gebrännte Geficht und die 
vollen lebensfriſchen Lippen, über 
Denen ein weiches, blondes Schnurr— 
bärthen lag, und die Hohe männliche 
Stirne gaben ihm ein gar anmuthiges 
Weſen. Nur ſchade, dafs er die gols 
Digen Loden nicht mehr trug, die ihm 
vor fünf Jahren noch jo reizend auf 
die runden Schultern niedergewallt 
waren. Damals hießen ſie ihn aller— 
dings in feiner Baterftadt den jchönen 
Waldemar. Er war armer Eltern 
Kind und fchon in feiner frühen Ju— 
gend zur Handarbeit gewieſen. Kauf— 
leute und Künstler fahndeten nad ihın 
und wollten mit dem jchönen, ver— 
wendjamen Jüngling ihr Gejchäft 
machen. Das verdroj3 den Burfchen, 
auch war ihm das MWeibervolf, das 
ihn allerwärt3 umfchmeichelte, vom 
Herzen zuwider; er bejchlojs, der 
Stadt den Nüden zu fehren und ſich 
dem Seemannsleben zu widmen. Dar 
mals mujste er fich auch die goldenen 
Poden bejchneiden. Er war feither im 
Dienfte des Hauſes Grüneberg zwei— 
mal in Oſtindien geweſen; das zweite— 
mal Hatte er ſelbſt am Steuerrade 
jtehend das Kauffarteiſchiff der Hei— 
mat zugeführt. 

Mittlerweile war die Tochter feines 
Kaufherrn zur Jungfrau herange— 
wachſen, und als der gute Waldemar 
die liebliche, heitere Litta ſah und fie 
ihm freundlich lächelte, da vergieng 
ihm alles Orientierungsvermögen, und 
er steuerte dem Leuchtthurme dieſes 
Frauenherzens zu, ohne zu unter— 
juchen, ob derfelbe im ficheren Hafen 
oder auf ſchroffem Felſen ftand. 

Unter dem Schuße feiner Anmuth 
wusste Waldemar dem Mädchen zu 
nahen, und im Zeichen feiner mu— 
thigen Seemannsitirne wagte er es, 
der Jungfrau feine Neigung zu bes 
feinen. Litta, don manchem bereits 


ug. 


ummorben, ließ ihre zarte Hand nur 
von dem Schönen Schiffer küſſen. Herr 
Grüneberg aber war des micht zu: 
frieden. 

„Lieber Freund!” ſagte er eines 
Zuges zu Waldemar, al3 es dieſer 
in jeiner jugendlichen Begeiſterung 
gewagt hatte, um Littas Hand zu 
bitten, „lieber Freund, ich glaube, 
Ihr Amt, daſs Sie mit Ihren Hän— 
den nach der Weifung des Gapitäns 
dad Steuer leiten, madt Sie fühn, 
verführt Sie zu Thorheiten. Sie find 
ein gewöhnlicher Schiffsarbeiter, ver: 
geſſen Sie das nicht! Wenn Sie aber 
einmal Dfficier geworden und den 
Obliegenheiten eines Steuermannes 
thatfächlih gewachjen find, dann viel- 
leicht mögen Sie anfragen.” 

Das: war ein gewidhtig Wort. 
Schiffsofficier! Steuermann ! das war 
ein hohes Ziel. Waldemar, der arıne 
Burſche, muſste alltäglich um jein 
Dafein fümpfen und ſah feine Mög- 
lichkeit, die Seemannsschule befuchen 
zu können. Sein jo prädtig vom 
Stapel gegangenes Liebesglüd hatte 
Schiffbruch gelitten, oder zum mitte 
deiten, es ſaß auf einer Sandbant. 
Troftlos irrte Waldemar in den rate 
ihenden Straßen der großen Seeftudt 
umher; unter all der Pracht und Herr- 
lichkeit kam er ſich gar verlaffen vor, 
und wie einen beimlofen Hund ges 
treten und für nichts geachtet. Er 
fluchte der Armuth und er fluchte dem 
Reichthum und er jehnte jich nach dem 
Segel, das ihn wieder hinausführen 
follte auf das hohe Meer. 

Uber Waldeınar wollte nicht mehr 
unter der Flagge des Kaufherrn die— 
nen, der ihn abgewiejen; gleichwohl 
mufste fi) der Burfche Jagen: der 
Mann konnte und durfte nicht anders 
Handeln, und für den armen Jungen 
gäbe e3 denn einmal fonft fein Ding, 
als die Thorheit aus dem Kopf und 
die Lieb’ aus dem Herzen zu jchlagen. 

Aber Litta mag ihn ja leiden 
und auch fie, die Tochter, ſtürzt der 
herzloſe Mann in die Verzweiflung. 


51* 


804 





— Der Schiffe liegen heute im Hafen, | mit dem fprühenden Auge ftand immer 
die morgen in den Weiten treiben, noch unbemweglich in der Ede; er hatte 
die jeden aufnehmen, feine Verant- weder Miene gemacht, den Saal zu 
wortlichkeit geben, aber auch feine |verlaffen, noch die Hand erhoben. Die 
fordern. Die Jungfrau entführen! — |Nordpolfahrt gieng ihn aud gar 

Der Gedanke war groß. Aber nichts an, er hatte Geld; Geld aber 
Waldemars Charakter war größer. |gilt nicht dort im arktiihen Eije. Der 
— Ube Treu’ und Redlichkeit! — | Finftere war da, um dem jungen 
So hieß die ganze Erbſchaft Walde: | Mann zu belauern, den fie den ſchö— 
mars von feinem Water. Mufs er die |nen Waldemar hießen, und den er 
Geliebte denn fahren laffen, das beſte als einen ZTodfeind glühend hafste. 
von ihr, die Liebe wird ihm bleiben, Er hieß Robert Wadar; man 
Dieje will er bewahren, fie ſoll in hatte ihn nie den Schönen genannt, 
jeiner Lebensnacht der freundliche | wohl aber den Wilden und den Eher: 
Stern jein. Und nun wieder dem nen, der unbeugjam war und bei jedem 
gemeinjamen Streben der Menfchheit | leichten Schlage Funken gab, Man 
zu und den Kampf nah dem Ziele) hatte ihn nie verhätjchelt und geför- 
weiter geringen ! dert, wohl aber unterſchätzt und unter— 

Waldemar, ſtreng gegen ſich ſelbſt drückt. Auch Robert war armer Leute 
und unerſchütterlich in dem, was er Kind; ſeine Eltern waren aus Italien 
beſchloſs und ihm nöthig ſchien, war eingewanderte Arbeiter und ſtarben, 
mit ſich im Reinen. Die Tochter des noch bevor ſie ihren Sohn erzogen 
Kaufherrn war es nicht. und geborgen batten. Robert hatte 

Und zu diefer Zeit wurde für die dann die Schlofjerei gelernt und war 
Nordpolfahrt geworben. Da tamen | als Schlofier zu den Seeleuten ge— 
alle Heimat- und Glüdlojen herbei; gangen. Er befand jih manches Jahr 
durch fremde oder eigene Schuld zu- auf einem und demjelben Schiffe mit 
grunde gegangene Eriftenzen, Schelme, | Waldemar, den er anfangs wie einen 
Geſindel, Leute mit einer dunklen | Bruder lieb Hatte, Freilich nicht lange ; 
Vergangenheit fanden ſich ein, um der anmuthige, beitere Waldemar 
der verhajsten Stätte ihres Elendes wurde in den Kreis der Schiffsoffi— 
zu entfliehen und die abentenerliche |ciexe gezogen und bei jeder Gelegen- 
Fahrt dem ſchimmernden Polarfterne | Heit bevorzugt; den ftillen, verjchloffe- 
entgegen mitzumachen. ‚nen Robert lieg man unbeachtet im 

Aber des Dauptmannes lebendige | feiner finfteren Werkitatt und bürdete 
Schilderung von den bevorftehenden ihm Arbeit über Arbeit auf. Da warf 
Beichwerden und Nöthen der Erpedi= er eines Tages den Hammer an Die 
tion jonderte den Spreu von dem Wand und ſprang auf das Ded und 
Korne. Kaum hundert Perfonen waren | wollte, wie er jagte, eine Stelle im 
im Saale verblieben. Und als Prad: | Tageslichte haben. Der Capitän wies 
wald noch einmal das Wort ergriff jihn zu feinem Handwerk zurüd, da 
und fagte: „Im allergünftigften Falle | wollte er fih in das Meer ftürzen. 
werden wir nach Jahren zurückkehren Was ließ ſich mit dem überfpannten 
mit vderfrorenen Gliedern, mit zer= | Burfchen anfangen? Es wurde ver— 
rifjener Gefundheit, vielleiht nur mit |fucht, ob er im Zafelwerf zu ver— 
den nadten Leben!” da entfernten wenden jei; da gieng Robert in jeiner 
ih auch noch von dieſem Reſte zwei | Selbjtüberfhägung jogar zum Logg— 
Drittdeile; aber in den Augen der | breit, durch welches die Geſchwindig— 
wenigen noch übriggebliebenen leuch= |teit der Fahrt bejtimmt wird, und 
tete die Glut der Begeilterung. welches zu den Meifungen eines außer— 

Der jo auffallend finftere Mann jordentlich geübten und verläjslichen 





305 


Mannes bedarf! und endlich ftellte ſich 
Mobert auch an das Steuerrad, um 
zu zeigen, was im ihm jtede. Aber 
fiehe, da war e3 wieder der ſchöne 
Waldemar, der fich ihn überall vor— 
drängte und wie ihm zum Trotze 
alles beffer zu machen wujste. Robert 
mujste wieder in jeine finitere Kam— 
mer, Den Waldemar aber konnte er 
nicht mehr ausftehen, und wenn er 
feinen Hammer auf den glühenden 
Stahl ſauſen ließ, jo bildete er ſich 
ein, der Stahl jei Waldemard Haupt 
— und fiehe, da lieferte er gute Arbeit. 

As endlih das Schiff mit den 
beiden Burſchen in die Vaterſtadt zu— 
rüdfehrte, da war eine feltene Gele— 
genheit für Robert, jih an Waldemar, 


an dem Shiffscapitän und an allen | 
jeinen Genofjen zu rächen. Ein alter | 


Oheim war geltorben, nachdem er 
Robert Wadar zum Erben eines be— 
deutenden Bermögens und eines hüb— 
ſchen Landhauſes gemacht hatte. Am 
tiebiten hätte nun Robert den Wal— 
demar und alle Schiffsgenofjen, die 
ihn mifsachtet hatten, zu einer großen 
Tafel eingeladen, um ihnen feine 
Stellung und Herrichaft fühlen zu 
lajien ; allein, er beſchloſs, mit jolchen 


zu wollen, ſich hingegen aber mehr 
und inniger in der vornehmen Ge— 
ſellſchaft zu befeſtigen. Zu dieſem 
Zwecke führte er ein großes Haus, 
gab Feſte, und da wuchſen ihm die 
Freunde wie Pilze aus der Erde. 
Nun dachte Robert Wackar aber 
auch ans Heiraten, 
eine ſchöne, reiche Braut ſuchte, fiel 
ſein Auge auf die Kaufherrntochter 
Litta. Der Kaufherr war für dieſen 
ſo vermögenden Eidam ſchier gewon— 
nen, auch Littas Bruder, Oskar, 
lobte den Hengiten, welchen ihm Ro— 
bert zum Geſchenke gemacht hatte — 
allein das Mädchen wollte von dem 
Freier nichts wiſſen. Litta war ein 


tühnes Kind und fagte es offen, wenn 


man ihr denn zutraue, dafs fie ſchon 
an einen Mann denten jolle, 


fie bereit$ einen, der ihr gefiele, 
Bald erfuhr es Robert, fein Neben 
buhler und Bevorzugter jet auch bier 
wieder der ſchöne Waldemar. Osfar 
meinte zwar, der junge bettelhafte 
Mensch ſei leicht beifeite zu ſchieben; 
allein der Kaufherr fagte, Princip 
jei es ihm gerade nicht, einen reichen 
Schwiegerfohn zu Haben, er müſſe 
billigerweife doch auch ſeinem Kinde 
einige Wahl laſſen, und Hätte ſich 
Waldemar nur erſt eine anjtändige 
Stellung verſchafft, jo könne er, der 
Bater, eigentlich gegen ihn nichts ein— 
zuwenden haben. 

Nun jah es Robert wohl, hier 
galt’3 einen Kampf mit jeinem Nebenz 
bubler, einen Kampf auf Leben und 
Tod, Littas Bruder hatte er gänzlich 
zum Verbündeten gewonnen, 

Oskar jedoh war gejchmeidigerer 
Natur als fein anzuhoffender Schwa= 
ger, er meinte, Gewalt tauge Hier 
wicht, aber Lift... 

Es war jedoh ganz überflüflig, 
als fi eines Tages Oskar auf der 
Safe zu dem betrübten Waldemar 
gejellte und Folgendes zu ihm jagte: 

„Suter Freund, Sie dauern mic 


von Herzen, aber Sie fennen meinen 
Menſchen nichts mehr zu thun haben | ı Vater; er iſt unbewegſam in dem, 


und indem er!demar war mit 





io wifle, S 


was er einmal will und jagt. Und 
mein Bater äußerte gelten: Wenn 
er zu den Helden der Nordpolerpedi- 
tion geht und fehrt jiegreich zurüd, 
jo ſoll er mein Eidam fein. Und, 
Waldemar, er meinte Sie.” 

Das war aber überflüfjig, Wal: 
jih bereits völlig 
einig, daſs er die große Fahrt im 
Dienite der Wiſſenſchaft mitmachen 
wolle. Er hatte fich zum Ywede der 
Aufnahme eben erſt ein ärztliches 
Zeugnis feiner vollfommenen Ge— 
jundheit und körperlichen Tüchtigkeit 
ausftellen laſſen. 

Oskar kam triumphierend zu fei- 
nem Freunde und rief: „Er geht und 
kehrt nicht mehr zurück; nicht mehr 
oder zu ſpät. Ehe ein Jahr vorbei: 
chwager Robert!“ 


806 


Des war Robert allerdings recht 
zufrieden. Und als nun die Werbung 
der Nordfahrer ftattfand, mifchte er 
ih unter die Menge, um Sich zu 
überzeugen, ob Waldemar denn aud 
wirklid beitrat und den Schwur ab= 
legte. 

Und als Hauptmann Prachwald 
aus den wenigen, die im Saale ge— 
blieben waren, jeine achtzehn oder 
zwanzig Mann auserlefen Hatte, da 
war unter diefen Erwählten auch der 
Ihöne Waldemar. Und als der Haupt» 
mann von feiner nen angeworbenen 
Schiffsmannſchaft den Eid der Treue 
und der Beftändigleit forderte und 
darauf Hinwies, dajs der Eidſchwur 
nicht Geringeres bedeute, als eine 
polle und unwiderrufliche Losjage von 
allen geſellſchaftlichen Verhältniſſen 
und allem Lieben und allem Eigen— 
thume der Heimat, da erblaſste Wal— 
demar und ſtürzte aus dem Saal. 

„Der elende Feigling!“ murmelte 
Robert, und mit einem ganz unheim— 
lichen Zucken ſeines wild glühenden 
Auges verließ auch er die kleine Gruppe 


könnte man mit Freuden in dieſem 
Schiffe zubringen. 

Die theilnehmenden Officiere hat— 
ten noch allerlei weſentliche Obliegen= 
beiten in der Stadt und correipon- 
dierten vermiitelft der Kupferdrähte 
mit allen fünf Welttheilen. Die an— 
geworbene Mannſchaft verbradte die 
legten Tage noch in ihren Yamilien 
oder in den Schenken. Die Leute 
machten ihre Teftamente, und mancher 
jagte: „Ich überlafje der Welt das 
einzige und befte, was ich habe, 
dieſes mein Brantweinglas. Präch— 
tige Räuſche laffen ſich daraus trin— 
fen; ſie jeien getrunken auf mein 
Wohl!“ 

Der finſtere Robert ſpähte noch 
an Abende vor der Abfahrt des 
„Siegfried“ am Hafen. In einen 
ernten Zuge, don Windlichtern bes 
gleitet, fchritten die Männer auf das 
Schiff; allein, der Schöne Waldemar 
war nicht darunter. — Waldemar 
bleibt daheim, um den Robert Wadar 
zu verderben. Es foll ihm micht ge= 
lingen! — Krampfig preſste der 





der waderen Männer, die eben ihre schwarze Burſche feine Finger in bie 


Hand zum Schwure erhoben. 
* 
* * 
In den nächſten Tagen war am 
Hafen ein außerordentliches Treiben. 


eigene Bruſt, als wollte er den Dolch, 
den er am Buſen trug, ſich ſelbſt vor 
Verzweiflung ins Herz drüden. 
Robert haftete dur die Gaſſen 
der Stadt, in deren Gasflammen der 


Hunderte don Neugierigen eilten die Wind eines mahenden Gewitterd rüt— 


Dämme au und ein und drängten 
ich gegen den neuen, befränzten und 
beflaggten Dampfer „Siegfried“. Ein 
rihtungen und Vorräthe aller Art 
wurden in das ftattlihe Schiff be= 
fördert. Speife und Trank, Kleidung, 
venerftoff für mehrere Jahre wurden 
beigefhaftt. Wahlen und Werkzeuge 
für die feltenften Kämpfe und Ber: 
rihtungen wurden im Schiffe ver— 
ſammelt; ein chemifches Laboratorium 
und ein phyſikaliſches Gabinet und ein 
Bücherzimmer wurden eingerichtet. 
Eine Heine Welt wurde in dem geräu— 
migen Fabrhaufe gejchaffen ; und alles in 
zwedmäßigiter, ja vornehmfter Meife, 
dajs man meinte, fein ganzes Leben 


telte. — Eine große Schwüle laſtete 
über allen und in den Scläfen des 
finfteren Mannes lag es jchwer wie 
Bleigervicht. Gegen eine Borjtadt tried 
es ihn Hin und gegen das Garten 
haus des Kaufherrn, wo er Litta oft— 
mal3 wandeln gejehen im Haine. 
Und als er num plößlih am Ein— 
gange des Baumgartens jtand, Siebe, 
da huſchte eine behende Geltalt au 
ihm vorüber. Sie war ſchnell wieder 
jeinen Augen entfchwunden, allein bei 
dem drüben Scheine einer Laterne, 
die an der Pforte fand, Hatte er 
MWaldemars Geficht doch erkannt. Wie 
ein entfadhtes Glutmeer fprühte es 
duch Roberts Nerven; er fürzte in 





ie 


uupmge:7” 


den Garten und duch die finfteren 
Lauben Hin. „Herr Jeſus, bewahre 
mich!“ flammelten feine Lippen, aber 
jeine Hand haſchte nad den Griffe 
des Dolches. Alle Farben des Lichtes 
tanzten ihm vor dem Auge, als plaßte 
eine Granate vor feiner Stine. Ein 
wüſter Sturm rüttelte in den Eichen: 
fronen. Athemlos vaste Robert hin, 
wie eine dom Gturme getragene 
Flamme, kaum berührten jeine Füße 
den Boden. — Hei, da hielt er an, 
dort hinter dem Strauchwerke war 
wieder die Geſtalt. Stöhnend vor 
Begier ſtürzte Robert auf ſie zu und 
ſtieß ihr den Dolch in die Bruſt ... 


Unter Blitz und Donner und 
unter dem Strome des Regens floh 


Robert Wackar dem Hafen zu. Er) 
wollte dem Mörder entfliehen — dem! 


Mörder in feiner eigenen Bruſt. Er 
empfand es: fein eigenes Leben war 
jebt zugrunde gegangen, da jener tobt 
im Haine lag. Litta war vergefjen. Den 
langen, jchmalen Damın raste er hin» 
aus, um fi in die See zu ftürzen. 
Doch Siehe, dieſer Meg führte ihn 
ſchnurgerade dem „Siegfried“ zu. 

Da gieng dem Fliehenden ein 
Gedanfe auf: „Mörder, ſetze dein 
Leben für ein Gutes ein, ziehe mit 
nah dem Nordpol!” 


Um Mitternadt, eine Stunde vor | 


der Abfahrt, begehrte Robert Wadar 
Einlaj3 auf dem „Siegfried“. Es 
war eine lebhafte Unterhandlung ; 
Hauptmann Prachwald wollte den 
Mann nicht aufnehmen. Da trat ein 
zweiter Officier dazwijchen ; dieſer 
fannte den Bewerber al? einen, wenn— 
gleich rauhen, jo doch redlichen Cha— 


rakter, der bereit3 größere Seereifen | 


mitgemacht und auf denjelben das 
Schloſſerhandwerk betrieben habe. Der 
Dfficier meinte, obgleih die Mann— 
Ihaft auf dem „Siegfried“ vollzählig 
wäre, fo dürfte vielleicht ein zweiter 
Schloſſer doch nicht von Uberflufs fein; 
auch jei in den legten Zagen ein ange: 
worbener Matroje an einem Augen— 


807 


! leiden erkrankt, der ſohin nicht an Bord 
gehen könne. Der nene Bewerber, 
eine jo fräftige und wohl auch ab— 
gehärtete Natur, jei denn anzunehmen, 

Robert Wadar ward Mitglied der 


Nordpol: Erpedition. 
Das Glödlein ſchrillte; die Mann— 
ſchaft erwiderte den vielſtimmigen 


Abſchiedsgruß, der am Ufer hallte. 
Die Dampfmaſchine puſtete, die far— 
bigen Lichter des Hafens huben ſich 
an zu bewegen und nach rückwärts 
zu gleiten. 

Der „Siegfried“ war von Stapel 
gelajjen, um aus dem Bereiche der 
Menfchen den fernen Regionen des 
Eifes zuzuſegeln. — Ob fie wieder: 
fehren werden? ob auch nur einer 
wiederfehren wird? und wann, und 
wie? oder ob fie alle verloren find, 
die zu diefer ftillen, nächtlichen Stunde 
von der ficheren Hafenftadt hinaus 
gleiten auf das hohe Meer? 

Luftigen Sang und Klang gab e3 
auf dem Ded; Robert aber lehnte ſich 
an einen Maft und ftarrte hinaus 








gegen das Ufer, an welchem die lebten 
Lichter nun verſchwanden. 

Das Gewitter war vorüber, mur 
vereinzeltes Metterleuchten zudte noch 
und wies dem Hinftarrenden die Ge- 
gend, wo der Eichenhain war, in 
welchem der Erjchlagene hingeſtreckt 
lag; wies ihm die Gegend, wo fein 


| Landhaus auf der Anhöhe ftand, das 
nun berrenlos daftehen und herrenlos 
verfallen wird. 


Als der Morgen graute, zog der 
„Siegfried“ auf hoher See. 


* * 


Bon günftigem Winde und Wetter 
getragen, glitt das Schiff raſch dahin. 


Manchem Segler, der gegen Deutſch— 


land 309, gaben umfere Fahrer noch 
ein Lebewohl mit an die Heimat. 





Eines Tages Holte fie ein Schnell: 
dampfer ein, der an den „Siegfried“ 
ein paar Kiſten abgab und dann 
jeinen Weg links gegen England 
nahm. Es waren heitere Tage. Das 


808 


bläuliche Gewäller war fo Kar, daſs 
auf ruhiger Fläche treibende Boote 
gleichſam im der Luft zu hängen 
ihienen. — Einfamer wurde das 
Meer; rechts tauchten zumeilen Höhen 
der dänischen und bald auch der nor: 
wegiichen Stüfte auf. An Bord des 
„Siegfried* war alles guter Dinge; 
für die Bemannung gab es wenig 
Arbeit, jedoch allerlei Ergößlichkeiten. 
Hauptmann Prachwald hatte nichts 
jo jehr gefürchtet, al3 die Langweile, 
und hatte dieſer Plage durch allerlei 
Spiele und angenehme Übungen vor: 
gebeugt. Die Officiere und Gelehrten 
des „Siegfried“ waren theils auf dem 
Ded, theils in ihren Gabinen une 
unterbrochen mit Arbeiten bejchäf- 
tigt. Reifebücher, naturwiffenfchaftliche 
Werle und Karten gaben den vor— 
läufigen Stoff dazu. Die Fahrt follte 
auf möglichft geradem Wege dem 
Nordpol zugehen, und wäre der Pol 
zu paflteren, jo follte der Meerenge 
zwiſchen Aſien und Amerika zuge: 
ſteuert und durch diejelbe über Die 
Gewäſſer des Großen Dceans gegen 
Japan und Oftindien gefahren werden, 
— Jetzt war Frühſommer. 


doch ſchien fie überflüſſig 
zu ſein: Jeder that mit Liebe das 
Seine, und Einigkeit und brüder— 
licher Sinn beſeelte die Mannſchaft. 

Auch Robert Wadar oblag ſeinem 
Geſchäfte; ununterbrochen jchaffte er 
mit dem Hammer und der Feile, To 
daj3 feinem Arbeitsgenofjen kaum 
etwas zu thun übrig blieb, Er war 
der thätigfte und auſpruchsloſeſte und 
ftillfte von allen. Er war fait unheim— 
lich till, und fein Auge ftarrte noch 
finfterer al3 fonft. Und wenn Robert 
merkte, daſs er allein war und ihn 
niemand Jah, jo legte er die Hand 
an feine heiße Stirne; da drin war 
ein Bochen und Hämmern zum Wahn 
finnigwerden. Er jehnte jih nad den 
Eisgegenden; dieſe würden ſeine 
Guten doch kühlen, che er dem 
MWahnfinne ganz umd gar verfiele. 
Zwar das Ungeheuer fühlte er bereits 
in feinem Gehirne nagen, und er 
konnte ſich einer fürchterlichen Erſchei— 
mung nicht entſchlagen, die er in den 
legten Tagen mehrmals gejehen hatte. 

Auf dem Deck war er gewandelt, 
hatte einen trüben Blid über das 


aufgeitellt, 


Für den | lebendige unbegrenzte Meer hin, und 


Tall des Gelingens der Durchfahrt | zum nebelgrauen Himmel emporge= 


waren zwei Winter in den Eisregio— 
nen vorgejchlagen , der dritte Minter 
konnte vielleicht ſchon unter den 
warmen Himmelsſtrichen zugebracht 
werden. Im Falle des Nichtgelingens 
war Untergang oder Rückkehr ſchon 
vor Verlauf dieſer Zeit wahrſcheinlich. 
Immerhin iſt von der öſtlichen 
Halbkugel, d. h. von Europa aus das 
Gelingen einer Nordpolfahrt am wahr= 
ſcheinlichſten; hier wird die Fahrt durch 
die wärmeren Gewäſſer, welche aus 
dem mexikaniſchen Golfe gegen den 
Norden von Europa ſtrömen, begün— 
ſtigt, während eine Expedition von 
Aſien oder Amerika aus mit den 
eiſigen Polarſtrömungen, die aus dem 
Norden kommen, zu kämpfen hat. 
Auf dem Schiffe herrſchte die 
grögte Ordnung und Bünktlichkeit. 


Eine militäriſch ſtrenge Sakung war) 





worfen — da jah er oben im Zafel- 
werk des Schiffes, nahe an der weißen 
Flagge — den erjchlagenen Waldenar 
ſitzen. Robert verhüflte fein Auge und 
Hürzte in die Sajüte. Aber am näch- 
ften Tage zur jelben Stunde jah er 
die Erſcheinung wieder und Diesmal 
fletterte das Geſpenſt die Taue auf 
und nieder und fpanute die Segeln. 

Bebend ſaß Robert in feiner 
Merkftatt und murmelte: „Nein, Ein— 
bildung iſt es nicht, ich Habe ihu ge= 
jehen, er verfolgt mich, verfolgt mich 
noch im Tode und wird micht eher 
jeine Ruhe finden, als bis ich ver— 
nichtet bin!“ 

Bon dieſer Stunde au war der 
Mann nicht mehr auf das Ded zu 


bringen. Eines Tages wurde ein 
plötzliches Sinfen des Seethermo= 


ohne dafs ſich jonft 


meters bemerkt, 





809 


ein Fühlbarer Temperaturwechſel offen 
barte. Der Capitän ſchloſs daraus das 
Bevorftehen eines Sturmes oder die 
Nähe verborgener Klippen. Und thats 
jählihd war beides zu überwinden. 
Schon in der nächftfolgenden Nacht 
brach das wüſte Ringen der Elemente 
(os. Alles mufste aus den Kajüten, 
um im Falle der Noth thätig Dand 
anzulegen. Der „Siegfried“ freuzte 
in der Nähe der berüchtigten Lofoten- 
gruppe und e3 galt hier, den zahl— 
loſen Riffen und ihrem Strudel aus— 
zuweichen oder denfelben zu parieren. 

Woltenfegen flogen, vom Sturme 
gepeilcht, über das braufende, wild: 
wogende Gewäſſer; durch die Rifie 
des jchwarzen, blitichleudernden Ges 
wölfes blidte ein einzigmal der blaffe 
Mond, um aber jofort der Finfternis 
des losbrechenden Gewitterd vollends 
zu weichen. Jeder zudende Blitz war 
zweifach, da er jich, wenngleich viel— 
fach gebrochen, im Meere jpiegelte. 
Die Donner aber waren plößliche 
und Furze Schläge und machten die 
Wände des Schiffes erzittern. 

Robert Fanerte wimmernd in 
einem Winkel des Dedes. Er hatte 
manden Sturm ſchon miterlebt und 
hatte nie gezagt, im ©egentheil, in 
den wildbewegten Elementen fand er 
ih wohl und leicht. 

Heute aber erbebte ihm das Herz. 
Die Spiegelungen der Blitze waren 
ihm Blutitröme auf der See; er jah 
ein Gottesgericht. 

Das Schiff ſchoſs raſch dahin und 
als Robert einen Bli gegen den auf: 
und niederwogenden Stiel that, ſah 
er im Scheine der Bliße wieder — 
den Ermordeten. Waldemar ftand am 
Drehrade und ftenerte den „Sieg- 
fried“. 

„Alle, alle ſind wir verloren“, 
ächzte Robert. Aber der Sturm legte 
ih und am nächſten Tage leuchtete 
die Sonne wieder auf die beruhigte 
See. 

An diefem Tage war es, als fich 
Robert Wadar bei den Capitän Prach— 


wald meldete, um mit ihm zu Sprechen. 
Leutjelig empfieng ihn der Hauptmann, 
war aber jehr überrafht, als der 
Ichwarzbärtige Schloffer an ihm die 
frage ftellte, ob es Heutzutage auf 
Erden noch Geſpenſter gebe, 

„Das ich nicht wüſste“, ent» 
'gegnete indes der Gapitän, „es wäre 
denn, daſs fie zumeilen in hohlen 
müpigen Köpfen ſpukten. Unſere ein— 
zigen wahrhaftigen Geſpenſter find die 
Dinge, die wir wohl wahrnehmen, 
aber nicht kennen und begreifen. Ein 
ſolches Geſpenſt ift auch der Nordpol, 
der die Menjchheit jeit Jahrhunderten 
Ihon beunruhigt. Unſer braver „Sieg— 
fried“ zieht aus, um diejes Ungehener 
zu daumen, zu beſchwören, und wenn 
es ein guter Geift iſt, zu erlöfen.“ 

Der Schloffer jihüttelte den Kopf: 
„Herr Gapitän*, jagte er, „unfere 
Fahrt nimmt fein gute Ende; das 
Gejpenft eines Zodten ſteht am 
Steuer. Gapitän, wir jegeln dent 
Verderben zu!“ 

Nun verfiniterten ſich allerdings 
die Züge des Dauptmannes. Es iſt 
nicht angenehm, auf ſolcher Fahrt 
einen Irrſinnigen an Bord zu Habeı. 
Nobert wurde den Schiffsarzte über: 
geben und mu lag er tagelang in 
der wohleingerichteten Krankenfammer, 

„Wie glüdjelig!* rief er ein= um 
das anderemal aus, „wenn ſie recht 
hätten, wenn ich irrſinnig und afles 
nur Fiebertraum gewejen wäre!” 











* 
* * 


Als im Kalender der Monat Au— 
guſt ſtand, huben die Tageszeiten an, 
unregelmäßig zu werden und wollten 
mit der europäiſchen Uhr nicht ſtim— 
men. Die Sonne lag tief, aber ſie 
gieng erit um zehn Uhr unter und nach 
vier Stunden wieder auf. Um diele 
Zeit begegnete unferen Schiffern das 
legte Fiſcherboot, das der nördlichſten 
Küfte der Finnmarken zuftenerte. Und 
um diefe Zeit begegnete ihnen, troß 
de3 bier noch wirkenden warmen 
Solfitromes, das erjte Eisftüd, das 





aus dem Norden ber trieb, Der 
„Siegfried“ lief im zweinndfiebzigiten 
Breitegrad. 

Gegen Ende September war auch 
in diejen Strichen, wie überall auf 
der Erde, Tag: und Nachtgleiche. 
Jetzt wurde jhon erklecklich viel Treib— 
eis gejehen. Es war grünlichgrau 
und in größeren Stüden zuſammen— 
gebaden. Selbit auf dem freien Meere 
huben ſich bei ruhiger See ſchnee— 
artige, feine Kryſtalle zu bilden an, 
die, ſich aneinanderjchliegend, mehrere 
Zoll lange Eistäfelhen bildeten. 

Auch begann nun die Magnete 
nadel umfihere Schwankungen zu 
machen, bejonders zur Zeit der zahl: 
reihen und heftigen Nordlichter. 

Erft jetzt wurde es nöthig, daſs 
der Gapitän unter der Mannjchaft 
die Pelze vertheilen lieg. Die Ge= 
lehrten des „Siegfried“ wendeten fich 
nun von ihren Schriften ab und der 
Natur zu; da gab es bereits allerjeits 
zu unterfuhen und zu  beftimmen, 
Die Matrojen trieben mit großem 
Erfolge Fiſchfang. Der Steuermann, 
den wir ja jchon kennen, ſchoſs vom 
Dede aus den eriten Eisbären, der 
auf einer Inſel von Padeis trieb. 

Bisher war die Fahrt glücklich 
und durch die günftige Windſtrömung 
gefördert vonftatten gegangen, gleich: 
wohl die Eismafjen bereits anhuben, 
hemmend einzuwirken und jchlieglich 
gefährliche Preſſungen zu verurſachen. 

Die Ausdehnung der treibenden 
Eisihollen war bereits unüberjehbar. 
Einzelne Scollen waren von aufer- 
ordentlicher Gröge und hatten eine 
Dide von 20 bis 30 Fuß. Bisweilen 
ftiegen ſolche ſchwimmende Eisfelder 
zufammen und geriethen dadurd in 
eine drehende Bewegung. Die Zu: 
jammenftöge diefer viele taufend Mil: 
lionen Tonnen jchweren Maſſen fans 
den mit einer folch Fürchterlichen Ge— 
walt ftait, wie ähnliches die Men 
Ihen nur bei den größten Natur- 
revolutionen der Erdbeben und Berg- 
ftürze erfahren. Der gute „Siegfried“, 


810 





zwiichen ſolchen Gewalten verichlagert, 
hätte das Scidjal gehabt, wie etwa 
ein Glaskäſtchen zwijchen zwei zu— 
fanmenftogenden Eifenbahnzügen. 

Tag und Naht mujsten nun 
unfere Nordfahrer auf der Hut feier, 
um ſolch treibenden Feldern und 
Bergen auszumweihen. Es mag be— 
Hemmend genug gewejen fein, Die 
blafjen, nebelhaften Maſſen mit ihren 
phantaftifch wunderlihen Geftaltungen 
nahen zu jehen. 

Mehrmals mufste das Schiff enge 
Sunde pafjieren, in welden über— 
hängende Laſten der Eisberge den 
düftergrauen Himmel verdedten. Man— 
ches Walrojs, mancher Eisbär fauerte 
und lanerte in dem Gejpalte; allein, 
die Seefahrer durften im ſolcher Um— 
gebung dad Schujsgewehr nicht an— 
legen ; die Erjchütterung des Knalles 
hätte leicht das Losbrechen der foloj- 
ſalen UÜberhänge bewirkt, und der 
Menſchen Fahrzeug wäre zerjchmettert 
und in den Untiefen begraben gemwejen. 

Mehrere folder Einftürze Batten 
in Sicht des „Siegfried“ ftattgefun- 
den; fie wühlten das Meer in feinen 
Gründen auf und verurjadten eine 
meilenweite, fturmähnliche Bewegung 
der Wellen, 

So bradte fih der „Siegfried“ 
noch einige Zeit mit unjägliher Ans 
ftrengung weiter; aber immer tiefer 
janf der MWärmemejjer, immer unbes 
fiegbarer wurde das Eis. Und als der 
Stalender ſchrieb: das Feſt Allerheili- 
gen, und die Naht anbrach, da war 
das Schiff im ftarren Eiſe eingefroren. 

Nun kam die Zeit der Prüfung. 
Dem Erzähler ift es unmöglich, in 
dem Heinen Rahmen diejes Bildes 
die Thaten und BDrangjale unjerer 
Helden eingehend zu fehildern. Alle 
Verſuche, das Schiff wieder flott zu 
machen, waren vergebens; in Der 
Gegend des neunundjiebzigiten Breite— 
grades lag der „Siegfried“, mit den 
nimmerruhenden, ewig treibenden Eis— 
feldern verwachſen. 

Und nun fam die Nadt. 


| 
| 
| 


Don 


811 


Tag zu Tag länger war die Sonne Rettung; o Herr, verweile nicht zu 


ausgeblieben, von Tag zu Tag tiefer 
hatte fie fid am Horizonte Hinges 
ſchoben; und am Tage, als die Nord» 
fahrer durch einen Fackelzug um das 
Schiff das Gedächtnis der Zodten 
begiengen, war die Sonne nicht mehr 
aufgegangen, und die Mittagsftunde 
fündete nur ein rother Schein im 
Süden. 

Um diefe Zeit begannen auch ge— 
waltige Schneejtürme zu wüthen und 
der „Siegfried“ wurde eingehüllt in 
Schnee, aus welchen nur die Maften 
ragten. 

So mußſste denn unſer Häuflein 
Menſchen für die Winternacht hier 
häuslich ſich bequemen. Heiter war 
das Völklein immer noch, und die 
Officiere ſetzten ihre Forſchungen fort, 
ſoweit es die Umſtände erlaubten. 
Bei Fackel- oder Nordlichtſchein, oder 
unter dem blaſſen Glanze der Ge— 
ſtirne des ſchönen Polarſternes mach— 
ten ſie kleine Wanderungen über 
das Eis, welches wüſte Gebirge 
mit Schluchten und Schlünden und 
Spitzen und Wänden bildete, Und 
ſie trieben Beobachtungen über Licht, 
Wärme, Elektricität, Magnetismus, 
Meteorologie u. ſ. w. Die Tempe— 
ratur fonnte mit dem Quedjilber« 
Thermometer längjt nicht mehr ge= 
mejlen "werden, denn das Queck— 
filber war gefroren ; der Spiritus aber 
zeigte fünfunddreißgig bis vierzig Grad 
Kälte. 

Die Sonn= und Treiertage wurden 
ſtets Fejtlih begangen, nicht bloß bei 
Tiſche, wo Erbswurft und Eisbären 
braten die Lederbifjen waren, jondern 
auch unter frommen Liedern und 
geiftlihen Betrachtungen, Der See— 
manı betet gerne; auf den Waflern 
iſt e8 nicht für jeden gut, Atheift zu 
fein; im Eife noch umſo weniger. 

Aus der Bibel wurde gelejen und 
gefungen. Wie ganz anders als jonft 
fangen bier die Worte: „Gott, ſteh' 
mir bei! Herr, eile, mie zu helfen! 
Denn du bijt meine Hilfe und meine 





lange!” 

Auch Robert, der Schlofier, an 
welchem ſich ein Hartnädiges Bruſt— 
leiden zu offenbaren begann, wohnte 
ſolchen Andachten bei, gleichwohl er 
das erſtemal entjegt zurückwich. Der, 
welcher aus der Bibel die Worte der 
Schrift las, war wieder niemand an— 
derer als Waldemar, der Erfchlagene. 

Zwar date der jo fehr vermirrte 
Mann nun das erftemal an die Mög 
lichkeit, dajs3 er in jener böfen Nacht 
einen anderen getroffen, und Waldes 
mar noch am Leben und wahrhaftig 
auf dem „Siegfried”" ſein könne. 
Allein, der Gedanke, daj3 der Er— 
mordete als Räder ibn auf jeiner 
Nordfahrt begleitete, Hatte einen zu 
tiefen Eindrud in ſein phantafies 
reiches Gemüt gemacht, als daſs er 
ih desſelben jo plöglich entjchlagen 
fonnte, Erſt als er aus dem Munde 
des Borlefers den Pſalm vernahm: 
„Herr, Handle nicht nach umjeren 
Sünden und vergelt uns nicht nad) 
unferen Ubelthaten. Laſſet uns beten 
für unfere abwejenden Brüder, laſſet 
uns beten für unfere Feinde!“ — 
da war es dem geiftesfranten Manne 
flar: Er betet für feine Feinde, das 
fann fein Rächer fein. Er Hagt ſich 
jeiner Sinden an, fo ift es ein 
Menſch mit Fleiſch und Blut. 

Mit einem lauten Schrei jtürzte 
Robert Hin und umarmte Waldemars 
Knie. 

Waldemar hatte in diefen Fernen 
jtet3 ſeinen bejonderen Troſt in den 
glühenden Gefängen der heiligen 
Schriften gefunden. Sie erinnerten 
ihn an feine Kindeszeit, da er, weil 
die Bibel armer Leute Zeitung ift, 
mit feinen Eltern oftmals darin las. 
Und wenn er nun die Erzählung vor 
ih Hatte, wie Jakob bei Laban dreis 
mal Sieben Jahre um die Rachel 
diente, jo gedachte er mit blutendem 
Herzen an Litta, die ihm nach der 
Rückkehr aus dem Norden zum Preije 


ſein jollte. 


812 











Der gute Junge Hatte es kaum haupt troßiger und verjchloffener als 
vermocht, ih von dem lieben Mäd- je fchien, jo Hatte er nie verfucht, Jich 
hen zu trennen. Noch. zur Stunde dem alten Bekannten zu nahen. Zwar 
des Eidjchwures vor dem Dauptmanne war e3 ihm auffallend, dafs der nun 
Prahwald brah ihm das Herz und durch eine Erbſchaft wohlhabende 


er eilte zu Litta, Erft jpäter ermannte Mann die ernfte Fahrt mitmacte, 
doch kam dem guten Jungen die wahre 
Urſache diejes Schrittes gewiſs bei 
weitem nicht in den Sinn. Um ſo 
überrafshter war Waldemar in dem 


er ſich; dem Mädchen zuverſichtlich 
jeine glüdlihe Rückkehr verheißend, 
riſs er ſich los, und nur wenige Stun 
den dor der Abfahrt fand er ſich auf 
dem „Siegfried“ ein, wo er, ein 
braver und getreuer Arbeiter, bei allen 
Verrichtungen verwendbar war und 
zuletzt am Steuerhebel feinen bes | 
flimmten Pla fand. Wohl war ihm 
nicht unbekannt geblieben, daſs ſich 
auch fein ehemaliger Genofje Robert | 
Madar auf dem Schiffe befand, doc | 
da ihm diejer ftet3 auswich und übers | 





Augenblicke, als im Betſaale der fin- 


tere Mann vor ihm miederfiel und 


‚feine Knie umfajste, 


Doh wurde der Vorfall jofort 
dem Irrſinne in die Schuhe gefchoben, 
und der Schiffsarzt nahm den armen 
Schloſſer wieder in Verwahrung. 


(Schluſs im nächſten Hefte.) 


Das Ständden. 


Gine muſikaliſche Dorfgeſchichle aus 


2 
. ar 
En⸗ Tages ſah der junge Mi— 
eo niſtrant Giedel bei feinem 
Ns) Parrer in Schwandau ein 
Holzlifthen. Er betrachtete es über 
und über; es war von länglicher 
Form, inmwendig leer, und hatte fehr 
dünne Wände. Als der Herr Pfarrer 
dem Knaben den Miniftrantenantheil 
von der Meſſe — einen Kreuzer das 
Theil — ausbezahlte, jagte der Giedel 
beijcheidentlih: Auf Bargeld gehe er 
weniger, aber wenn der hochwürdige 
Herr ihm das Holzkiſtel Schenken 
wolle, jo würde er dafür gerne den 
Winter über umſonſt miniftrieren, 
„Kind!“ rief der Pfarrer, „wozu 
willft denn das Ding? Es ift ja ganz 
leer!” | 


Steiermark, Von P. R. Roſegger. 


„Juſt deswegen“, antwortete der 
Kleine, „ih kann bloß die leeren 
Saden brauchen.“ 

„Du bit nicht flug, Giedel. Das 
Gigarrenfiftel kannſt mitnehmen, und 
für die Meſs Triegft täglich deinen 
Krenzer, wie ſonſt. Bift ja ein braver 
Bub du! Gott behüte dich!” 

Voller Freude lief der Knabe mit 
feinem hohlen Schage heim in des 
Baters Hütte. Dort Hub er an zu 
Ihaffen. Er bohrte durch das Kiſtchen 
Löcher, zog einen Ballen durd, jo 
daſs diefer an beiden Seiten hervor: 
ftand. Dann erbettelte er von der 
Mutter mit Lift einige Fäden Hanf— 
garn, glättete diefelben mit Harz und 
ſpannte fie über das Kiſtchen, ähnlich 


wie man auf eine Geige die Saiten 
jpannt. Und als er mit den Fingern 
die Fäden zupfte, wahrhaftig, da 
gab's einen Zon, der im Stifichen 
eine Weile nachklang. Der Giedel 
hatte auf dem Kirchenchor herrliches 
Pfeifen- und Saitenjpiel gehört, er 


war dabei bis in den dritten Himmel | 


18 


über den Rüden. Dieſem Menjchen 
das Haar frauen! „Die Mutter lajst 
mich Halt nicht“, ſagte er dann gar 
verzagt, „aber das Mintitrantengeld 
bis Heiligdreikönig!“ 

„So wart’ ein wenig“, ſprach 
der Pferdeinecht, und der Giedel be= 
fam einen jilbergrauen Strähn vom 


verzüdt gewejen, aber jeßt war er's jalten Schimmel. Jetzt war's gewonnen. 


bis in den fiebenten, denn der Klang 
war von ihm jelbit erfunden und er- 
zeugt, und je nachdem er mit dem 
Finger den Faden trammer oder loſer 
ipannte, gab es einen höheren oder 
tieferen Ton, Als das jo weit war, 
wagte der Heine Giedel einen ſchweren 
Gang. Der Pferdefnecht des Nach— 
bar3 war fein Feind, denn er war 
ein roher, wüſter Gefelle, und die 
Töne, die der rothe Rupert durch 
Fluchen, Beitihenfnallen und andere 
Mittel Hervorbrachte, waren dem Giedel 
verabſchenenswert. Und gerade diejer 
Mensch konnte ihm jeßt helfen. 
„Suter Rojstnecht Rupert!“ redete 
ihn der Kleine au. „Halt du feinen 
Roſsſchweif?“ 
„Ich nicht, 
Pferd.“ 
„Verkauf mir davon ein Strähn— 
lein?“ 
„Was zahlit ?” 


Narr, aber mein 


Er ſchnitt einen Weidenzweig, 
Ipannte daran die Haare, und der 
Fiedelbogen war fertig. Dann Hub er 
an auf feiner Geige zu fiedeln. Es 
war auferordentlih! E3 war darum 
außerordentlich, weil das ganz anders 
ftimmte, als andere eigen, wenn 
auch nicht schöner, aber durchaus 
anders. Tagelang jpielte der Kleine 
Muſikant auf feinem ſeltſamen In— 
ſtrumente, anfangs mit großer Selbſt— 
befriedigung und Hoffnung, dafs ſich 
das Zeug vervollkommnen laſſen werde, 
allmählich aber mit weniger Zuver— 
ſicht, und als gar fein Vater, der 
Weber Franz, ein Donnerwetter lo3: 
ließ über das ſchaudervolle Gefrächze, 
das da fein Bub Hervorbringe, war 
es gefchehen. Der Giedel legte feine 
Geige mit zitternder Hand auf den 
Holzblod, gieng Hinaus unter den 
Apfelbaum und begann zu weinen. 
Jetzt auf einmal ward er ſich bes 


„Das Niniftrantengeld bis Meih- wuſst, wie arm, mie ungejchidt, wie 


achten.“ 

Der rothe Knecht gloßte mit feinen 
unterlaufenen Augen den Hübjchen, 
treuberzigblidenden Knaben ein Weil« 
hen an, dann fagte er: „Pferde— 
ſchweifhaare willft. Sollit ihrer haben. 
Dein Miniftrantengeld? den Bettel 
behalt’ jelber, aber zu mir hHerüber 
in den Stall kannſt du manchmal 
fommen, wenn du Zeit haft. Weißt, 
wenn ich am Feierabend meinen Ta— 
bat rauch’, da hab’ ich's gern, wenn 
mir wer das Haar kraut. Bin's von 
Iindesher jo gewohnt. 's thut mir 
Halt jo wohl. Wenn du manchmal 
berüberflommft frauen, fo kannſt 
Pferdeſchweif haben, fo viel du willſt.“ 

Dem Knaben gieng es ganz Falt 


glüdlos er war, Muficieren, geigen ! 
Das wäre feine einzige Freude. Er 
Ichnitt Pfeifen und blies Hinein, er 
machte Bauten und trommelte darauf. 
Alles gieng leidlich, nur die Geige nicht. 
Wenn erdann am Sonntage den Schuls 
meifter das Mejslied geigen Hörte, da 
vergaß er jeine lateinischen Sprüchlein 
und Horte verfunten dem Spiele. 
Minutenlang konnte der Pfarrer ſei— 
nen Kelch Hinhalten, der Knabe hielt 
die Weine und Wallergefäßchen in 
den Händen und goſs nichts hinein, 
Er Horte auf das Geigen, Der 
Pfarrer Schalt ihn nicht, es wurden 
ihm die Augen Feucht. In dieſem 
Kinde der glühende Drang nach dem 
Schönen, und e3 kann ſich nicht helfen ? 


Wie reih if die Welt an Herr: 
lichkeit und Kunjt! Wie üppig blüht 
ir den Städten und Höfen der 
Großen die göttlihe Muſik auf! Die 
Harfe, die in einem Dorfe zu Gottes 
Lob ertönt, ift mur ein Stammeln 
dagegen! Und jelbit dieſes Stammeln 
ijt dem Knaben unerreichbar ... . 

Gieng der Pfarrer zum Meber 
Franz und beitelte ihm mit vieler 
Mühe den Giedel ab für eine täg- 
liche Muſikſtunde. 

„Du lieber Gott!” jagte der 
Meber: „Eine Stunde des Tages 
haben ihn Hochwürden ohnehin bei 
der Meſſe; jet ſoll ich ihn noch eine 
zweite Stunde herlaſſen? Mufs ihn 
ja doch für mich abrichten und er 
joll arbeiten lernen. Wir find halt 
arme Leute, Aber wenn er um eine 
Stunde früher auffteht, — der Range 
liegt mir jetzt alle Zage bis ſechſe in 
der Früh’! — jo kann er meinet- 
wegen feine Mufikftunde haben,“ 

Nun, da Hätten wir ihn los. 
Seht gieng der Pfarrer zum Schul— 
meiſter und ſagte: „Unſer Giebel. 
Mir thut er ins Herz hinein weh. 
Probieren Sie es alle Tage ein 
Stündel mit ihm. Zahlen kann ſein 
Vater nichts, aber ich meine, es iſt 
jo viel als SKirchenmufit zum Lobe 
Sottes, wenn Sie diefem muſikbegei— 
fterten Finde das Saitenfpiel lehren?“ 

Der Schulmeifter reichte dem 
Pfarrer Shweigend die Hand, da war 
es abgemadt. 

Afo geſchah es mun, dajs der 
Giedel täglich in das Schulhaus kam 
und auf einer alten Geige, die der 
Schulmeifter ihm lieh, nach müheſam 
eingelernten Noten die Saiten ftrid. 
Es war ein Glüf und es war ein 
Fleiß und es war eine Plage. Nah 
etwa einem halben Jahre waren fie 
joweit, daſs der Schulmeifter zum 
Pfarrer jagte: „Mit dem Knaben iſt 
es ein Elend. Ich bringe ihm feine 
Noten und feine Regeln in den Kopf. 
Mo er nah der Vorfchrift ſich üben 
joll, ift es gar nichts; er vergreift 


2 


ich, und man kann ihm auf die Finger 
fiopfen wie man will. Wenn er aber 
für fih phantafieren fanır, da ift es 
mäanchmal erftaunlid, geradezu er— 
ftaunlih! Das Hilft alles nichts, 
wenn er das Theoretiiche nicht ine 
friegt, jo iit alle Mühe verloren.” 

Doch thaten fie eine Weile Fo 
fort. Allmählih aber änderten ſich Die 
Zeiten. Der gute alte Pfarrer zu 
Schwandau gieng als Beneficienten = 
priefter in ein Kloſter. Der Schul— 
meifter wurde verjeßt, der Weber 
Franz ftarb und der Giedel mujste 
als Majoratsherr in der arınen Hütte 
die Ernährung der Familie über ich 
nehmen. Die Geige, ſchon mit Ab = 
gang des Schulmeiiters ihm aus der 
Hand gefunfen, muſste er ich nun 
auh aus dem Sopfe fchlagen. Es 
fumen die Jahre, in weldhen dem 
Menjchen der Himmel voll Geigen zu 
hängen pflegt; an Giedels Himmel 
hieng nichts als eine große Flöte, 
auf der er Trübſal blajen konnte, 
wenn er das Blajen überhaupt ges 
lernt hätte, 

Eine halbe Wegitunde von Shwan- 
dau in einem Seitengraben ſtand ein 
feiner Eijenhammer. Beute ift er 
ganz verfallen, nur der blodige Schorn- 
ftein fteht noch da, und rings um ihn 
wuchert Holundergefträuche und Neſſel— 
wert. Der voreinftige Beier iſt hin— 
ausgezogen in das weite Thal, Hat 
dort ein großes Senſenwerk gegrün= 
det, hat Ländereien und Wald dazu— 
gefauft, und als der Belit recht groß 
und die Werkſchaft recht angeſehen 
war, hat er alles an eine Actien— 
gejellichaft abgetreten und jich ſelber 
in die Stadt gezogen, wo er fein 
Geld in vornehiner Weife und ſor— 
genlos genießen konnte. Zu jener 
Zeit, von der hier die Rede ift, 
pochte das emſige Eifenhämmerlein in 
der Waldfhluht Tag für Tag, und 
den Weber Giedel pochte fait noch bef- 
tiger das Herz, wenn er es hörte. 
Denn im Hammerhauſe war eine! 
Jung und gut und lieb! Das war 


wer 7 [ur 


Hm ſchon recht, wenn fie nur wicht 
To jchön geweſen wäre! Wie kann 
ein armer Weberburſche ſich an eine 
Dammerjchniedstochter wagen, wenn 
tie jo gottlos ſchön ift! Er kriegt fie 
nicht. Hundert andere jind, reiche, 
vornehme, kecke! So gern kann Tie 
freilich feiner haben, als der Giedel, 
aber fie weiß es nicht und er fann 
e3 ihr nicht jagen, und jo wird der 
jüngfte Tag kommen und die Paula 
MNadhuberin wird es immer noch nicht 
wiflen, dajs fie auf Erden einer jo 
über alle Beſchreibung gern gehabt 
hat. Dem wie fann er es jagen und 
Ichreiben, wenn es unjagbar und un— 
beijchreiblih ift! Einmal an einem 
Sonntage hatte er fie von der 
Kirche aus begleitet bis zur Brüde, 
über welche der Meg zum Eijen= 
hammer Hinanführt. Garnkaufen müſſe 
er gehen, hatte der Giebel gelogen, 
um eine Weile neben ihr herjchreiten 
zu Dürfen. Sie plauderten und es 
wer don ſehr wichtigen Sachen die 
Rede: Dajs doc die Straße einmal 
gejchottert werden follte! Dajs es 
wieder gar jo viel regnete in diefem 
Sommer! Daſs Korn und Obft ver 
derbe! Nur das Heu würde gerathen! 
Und beim Deu hielten fie Sich jo 
lange auf, bis die Brüde fan. Dann 
wünſchte fie ihm einen guten Garn» 
handel und er jagte: „Dant’ ſchön!“ 
und aljo fand er wieder allein. 
Hinter einer Fichte ftand er und guckte 
ide nad, folange der rothe Punkt, 
denn fie hatte ein kirſchrothes Kitt— 
lein, im Hohlweg zu fehen mar. 
Nah dieſem Spaziergange ver- 
ſchloſs fi) der junge Weber in feine 
Stube und verfajste ein Schreiben 
an die ehr= und liebjame Jungfrau 
Paula Radhuberin. Als er das Schrei- 
ben durchlas, war es troden wie ein 
dürrer Aſt. Kein grünes Blatt und keine 
rothe Blüte war daran und doch wucherte 
in feinem Herzen ein fo üppiger 
Rojengarten, daſs der arıne Junge faft 
erftidte. Den Brief zerfmitterte er 


Leute, die vielleicht noh Hemden 
am Leibe tragen aus jener Zeit und 
von jener Leinwand, die der verliebte 
Meberburjche Giedel gewoben, müfsten 
e5 eigentlich) heute noch jpüren, dus 
troftlofe Herzweh, das er in die Fä— 
den hineingewebert. Damals Hat’s 
fein Menſch geahnt, wo es fehlte; 
weil er jo blaf3 und traurig war, 
der Giedel, fo meinten etliche, er 
hätte es auf der Bruft. Sie hatten 
recht, aber anders, al3 fie meinten. 
Seine alte Mutter rietd ihm oft, er 
folle nicht immer am Webſtuhl ſitzen, 
er ſolle ſich befier zerftreuen. — Wies 
jo denn? Lieben darf ich nicht, und 
geigen kann ich nicht. — Denu er 
hatte gar feine Geige und es war 
noch nie möglich geweſen, ſich eine 
anzufhaffen. Da kam eines Tages 
eine große Aufregung. 

In Schwandau lebte ſeit Furzer 
Zeit ein penfionierter Major, der eine 
große Geigenfammlung beſaß. Wie es 
ichon allerhand Sammler gibt auf der 
Welt: Käferſammler, Tabakspfeifen— 
ſammler, Hoſenknöpfeſammler, Spiel— 
kartenſammler, Spazierſtöckeſammler, 
Uhrſchlüſſelſammler und immer ſo 
fort, ſo kam es dem Major, als er 
in ſeinem Ruheſtande nichts zu thun 
hatte auf der Welt, plötzlich in den 
Sinn, er müſſe eine Geigenſammlung 
haben. Da er, wie gejagt, ſelbſt nicht 
geigte und fein Mufeum auch jelten 
einem neugierigen Auge aufſchloſs, fo 
hatten die guten Leute zu Schwandau 
faum eine Ahnung von all den Wals 
zen, Ländlern und anderen Weifen, 
die ungewedt in ihren Mauern ſchlie— 
fen. Da kam jener Sonntagnadnit- 
tag, an welchem der Weber am Wald» 
bange die zwei Ziegen weidete. Sein 
Schwefterlein, das fonft den Hirten 
dienft zu beforgen hatte, war in den 
nächſten SKirchort zur Firmung ges 
gangen. Wie er im Moofe jo dalag 
und ganz gedanfenlos in das offene 
Fenſter eines gegenüberitehenden Hau— 
jes blidte, gieng es ſachte und traum— 


und warf ihn in die Aſche des Ofens. |haft in ihm auf wie eine übernatür— 


s16 


liche Ericheinung. Dort drin an der 
Mand Hieng eine Geige, ihr zur 
Rechten Hieng auch eine jolche, ihr zur 
Linten hiengen deren zwei Heine, ihr 
zu Füßen war eine Riefengeige — aus 
dem Stubenfchatten immer deutlicher 
bervortretend Geigen und Geigen. 

Dem Burſchen begann Fat zu 
Ihwindeln, die Wangen, die Stimme 
waren ihm Heiß, das Herz wurde 
ungeberdig, die leidenfchaftliche Gier 
zur Geige war wieder da. Als er am 
Abende nachhauſe fam und die Mutter 
nach den Ziegen fragte, war er ver— 
wundert, weshalb juft er von den 
Ziegen etwas wiſſen jollte Zum Gfüd 
famen fie felbit Heim und mederten 
ihre Ankunft. In der darauffolgenden 
Nacht jchritt der Giedel den Weg hin 
und wieder von Schwandau bis zum 
Eifenhammer, Als er das erftemal 
vor ihr Fenfter kam, war noch Licht 
darin, das zweitemal war jchon alles 
finfter. Unterwegs begegneten ihm 
Nachbarsburſchen, die zu den Fenſtern 
ihrer Liebiten giengen, dort allerlei 
Ständen brachten und getröftet heim- 
Ichren fonnten. Der eine jpielte unter: 
wegs eine Mundharmonila, der an— 
dere eine Maultrommel, der dritte 
jodelte hell und der vierte pfiff ver— 
anügfich vor fih Hin, Und jener, der 
ganz fill war, athmete die Harmonie 
inneren Glüdes. Alſo ift die Liebe 
ftets mufifalifh. Nur der arıne Gie- 
del empfand feinen Wohlklang in 
jeinem Weſen. Er kam ſich dumm 
und häfslich vor, ihm mangelte jener 
Rhythmus des Herzens, der zu rechter 
Zeit muthig macht, ein Glüd zu ers 
ringen. Im Dorfe ftand der Giedel 
vor dem Haufe, in welchem der Major 
mit den Geigen wohnte. — Dafs es 
jo Herzzerbrüdend ſtill ſein kann auf 
diefer Welt! Da Haben die Leute 
einen Mund und eine Sprache, und 
ind doch ftumm, 

Lange nah Mitternacht gieng er 
zu Bette, erft gegen Morgen fchlief 
er ein und geigte und geigte. 

Noch ganz verfchlafen war er, 





al3 übertags zwei Frauenzimmer ins 
Haus famen mit Körben Garn; Das 
eine war die Magd vom Eijenhanmmer, 
da? andere war die Paula. Diefe 
blidte den schlanken, blondhaarigen, 
ſanftdreinſchauenden Burſchen friſch 
an und ſagte: „In vier Wochen 
müſſen wir Leinwand Haben. Sie iſt 
zur Ausftattung!“ 

„Will wohl traten“, antwortete 
der Giedel, hatte aber nicht den Muth 
zu fragen, wer denn Heirate? Mar 
athmet ja gern noch eim wenig in 
der ſüßen Ungewifsheit, Dann ift 
ohnehin alles aus. 

Auf dem Heimweg fagte die 
Magd zur Hammerſchmiedstochter: 
„Etwas antappert ift der Weber?“ 

„Ich dent’, der ijt ein bifjel ge= 
jcheiter wie du!“ entgegnete ſtrafend 
die Paula. Weiters wurde nicht ge= 
jprochen. 

Der Giedel wujste wohl, dajs er 
al3 einzige Stüße feiner Familie 
militärfrei war. Dennoch gieng er 
eines Tages zum Major um Rath 
bitten, wie er dem Soldatenleben 
enttommen fönne. 

Der Major, eine ſchlanke, hagere 
Geftalt, deren einzige Lebensaufgabe es 
noch war, den dummen, krummen, plum— 
pen Dorfleuten militärifche Haltung 
zu zeigen, ftrich heftig feinen martia- 
lifhen Bart und ließ den Burſchen 
die Oberkleider ausziehen. 

„Bravo!“ ſchnarrte der alte Officier, 
„das ift wieder einmal ein Bruftlorb !“ 
Mit der Fauſt bieb er darauf, dafs 
es dröhnte. „Dören Sie! Das it 
Grundton. Nein, nein, lieber Junge, 
Sie brauchen fich gar nicht zu grämen, 
Sie find tauglich. Gerad’ halten!“ 

Giedeld Blide waren mittlerweile 
wirr im Zimmer umbergeflogen, aber 
nicht jo fehr aus Angſt vor dem 
Militär, als vielmehr aus Hoffnung, 
duch irgend eine halbgeöffnete Thür 
ins Geigenzimmer lugen zu können. 
Da er aber nichts dergleichen ent— 
dedte, da er wieder volllonmen ans 
gekleidet zum Fortgehen bereit war 


— — — — — 


und feine ganze Falſchheit umſonſt 
zu fein jchien, bob er mit einem 
tiefen Athemzug jein Herz aus der 
Bruft und fragte: „Haben der Herr 
nicht eine Geigenjammlung ?* 

„Wiflen Sie mir ein interefjantes 
Inſtrument?“ fragte der Major raſch 
entgegen. 

„Das nicht, aber“, ftotterte der 
Siedel, „ein wenig anfchanen, wenn 
ich fie dürfte!” 

Aljogleid war die Thür offen 
in das Nebenzimmer,. Ehrfurchtsvoll 
wie in ein Heiligthum trat der 
Burfche ein, jo daſs er vor lauter 
Andaht über die Schwelle ftolperte 
und „oha!“ rief. Er war ganz roth 
im Geſicht, theils wegen jeiner Uns 
geichhidlichkeit, theil3 vor innerer Er— 
regung. Die Wände des Zimmers 
waren mit grauen Tuche überzogen 
und daran biengen fie num in allen 
Größen, Arten und Formen. Wie 
ſchön geflammt war das Ahornholz 
diejer Inſtrumente, wie fein ge— 
jhwungen und gewölbt war der 
Bau, wie reizend waren die langen 
Hälfe mit ihren köſtlich gewundenen 
Schneden! Und die Fiedelbögen: 
ſchlanke und furze, breite und jchmale, 
gerade und gebogene in allen Farben! 
Der Major, ih darüber freuend, 
dajs einmal eine menjchliche Seele 
Antheil nahm an jeinen Scäßen, 
begann zu erflären, von men Diele 
und jene jtamme, welche Seltenheit 
an diejer und jener wäre, er halte 
da Geigen von Amati, von Montana, 
von Guarneri, von Bergonzi, don 
Jalob Stainer u. ſ. w. „Und Hier!“ 
flüfterte er, eine ſehr flachgebaute 
Bioline mit fat hellrothem Anstrich 
feierlih von der Wand nehmend, 
„bier, die ift von Stradivarius! — 
Eine. Eremonejer! — Geradhalten, 
Saperment!” 

Unjerem Giedel waren nun zwar 
die fremden Namen ziemlich gleich- 
giltig, doch hörte er fie mit Ehr— 
erbietung nennen, Als der Major an 
der Cremoneſer mit dem dinger Die 


Hofegger’s „Geimgarten“, 11. Seft, XV. 


817 


— — — — — — — — — — — — — — — 


Saiten berührte, um den herrlichen 
Ton zu zeigen, ſagte der Burſche: 
„Bitte, geigen Sie eins!“ 

„Ih spiele nie“, antwortete der 
Major, hieng das Inſtrument mit 
größter Sorgfalt wieder an jeinen 
Plot und ſchob den Burſchen fachte 
zur Thür hinaus. 

Seit diefem Tage war's ſchier 
vorbei mit dem Giedel. Er dachte 
Geigen, er weberte Geigen, er träumte 
Geigen, und menn er Zeit hatte, 
gieng er hinaus und ſchaute auf das 
Daus Hin, in welchem der Major die 
Geigen hatte. Eines Tages hörte er vom 
Schulmeiiter jagen, der Major fei ein 
Fer. Hoffentlich habe er einft den 
Sübel beiler zu handhaben gewujst, 
als jeßt den zFiedelbogen, denn er 
fünne gar nicht Biolin fpielen und 
habe die Sammlung nur jo aus 
Rappelföpfigfeit zufammengefauft und 
erbettelt. &3 jei an dem ganzen Quark 
nichts, eine einzige ausgenommen. — 
Schulmeiſter! dachte ſich der Giedel, 
wie du nur jo fpreden fannft! Ich 
wollte, ich hätte die geringfte dieſer 
geringen! Uber, daſs er nicht joll 
geigen können? So viele Geigen 
haben und nicht geigen können! — 
Nur auf ein paar Stunden möchte 
ih eine haben! 

Nicht lange hernach, und es ergab 
fi eine zufällige Gelegenheit, daſs 
der Weber den Major fragen konnte, 
ob er ihm nicht eine Geige borgen 
wolle für einen Tag, nur für einen 
einzigen! Und nur jene, an der ihm, 
dem Herrn Major, etwa am wenigiten 
gelegen wäre! Er, der Giedel, jeße 
eine Ziege dafür zum Pfand, 

Ein plumpes Lachen ſtieß er aus, 
der Herr Major, ein jchredbar hoch— 
müthiges Laden, dann wandte er jich 
ab. Und das war der Beicheid ge— 
weſen. 

Ein ſtiller, warmer Herbſtſonntag. 
Die Dorfleute ergiengen ſich draußen 
auf Feldrainen oder jagen im Wirts— 
haufe. Der Major war mit einem 
Steirerwägelein in den nächſten Ort 


52 


gefahren zu einem alten Kameraden, 
der ihm — jo viel verlautete — ge— 
Ichrieben, daſs er irgendwo eine ur— 
alte Violine entdedt Habe. Sie ſtamme 
noch aus den Zeiten der Troubadoure 
und ein Zigeuner gehe damit um, 
der darauf ohrenzerreigend jpiele und 
von dem Werte des Inftrumentes ge= 
wijs feine Ahnung habe. Hau, das 
mufste unjer Major näher erfahren 
und er fuhr Hinüber, In der 
Wohnung des Majors waren ein paar 
Fenſter offen geblieben. Der Giedel 
fauerte am Berghang und ſchaute 
hinein zu den Geigen. Die Haus: 
hälterin des Major3 war auch fort: 
gegangen, nachdem jie das Hausthor 
mit großem Geraſſel verjchlofien hatte. 
Der Giedel blidte hinein zum offenen 
Fenfter. „Der hat jo viele, und ic) 
hab’ gar feine!” murmelte er. Plöß- 
ih jchlug er mit dem Daumen ein 
Kreuz über fein Geficht und lief da= 
von. Er gieng den Weg hinein bis 
zur Brüde, er ſchritt hinan bis zum 
Dammerhaus. Auf dem Fenster, hinter 
welchem fie wohnte, ftanden fchöne 
Blumen, ſonſt ſah er nichts. Das 
Waſſer raufchte und der Berg legte 
ihon feinen dunkelblauen Schatten 
über das Haus. Ein paar junge 
Männer giengen im Garten umber 
mit ſpitzen Schnurrbärten und unter 
nehmenden Mienen. Dann traten fie 
ins Haus. Ob das Verwandte find 
bon ihr oder Eijenhändler ? 

Der arme Giedel gieng wieder 
gegen das Dorf zurüd. — Am Wert: 
tage, dachte er bei fi, da ift die 
Arbeit, da geht's zur Noth; aber am 
Sonntag, wenn einer in der Müßig— 
feit jo umherſchlenkert, da iſt's jchier 
nicht auszuhalten. Der Drud in der 
Brut, der graufame Druck! Mit dem 
Taſchenmeſſer ein Loh aufmachen 
hinein, dajs diefes wilde Blut heraus 
tönt’ ſpringen ... 

Als er zum Hauſe des Majors 





kein Heimchen, kein Mühlrad 
nichts. Daſs es doch fo ſtill ſein kann 
auf der Welt! ... 

Um das Haus war es öde, und 
nichts rührte ſich. Die Fenſter ſtanden 
offen. Der Giedel kletterte an einem 
Mauervorfprung empor und flieg zum 
Fenſter hinein. An der Wand hufchte 
er hin, nahm die Gremonejer Geige 
mit dem zFiedelbogen von der Wand, 
barg fie unter feinen Rod, ſpraug 
raſch zum Fenfter hinaus und eilte 
davon gegen den Wald Hin. 

In ‚der darauffolgenden Nacht 
war's. ber den Wipfeln des Berg: 
waldes jtand der Mond. Der Eijen= 
hammer ſtand ftill, das Waſſer riefelte 
leife über das hinterjeitige Floſs. Wer 
das Rauſchen und Pohen gewohnt 
ift, dem wird's unheimlich. Paula lag 
in ihrem Bette, founte aber vor lauter 
Ruhe, die fie umgab, nicht jchlafen. 
— Sie dahte an ihre Mutter, die 
jeit langem ſchon auf dem Kirchhof 
lag. Sie dachte jeufzend, wie das jetzt 
werden würde, wenn der DBater wieder 
heiratet. Die reihe Senſenſchmied— 
Mitwe von Tiefwafler. Daun will er 
den Heinen Eifenhammer bier ver- 
faufen und hinüberziehen und in 
Tiefwaſſer eine Gewerkſchaft bauen. 
Was das noch werden wird?... 

Als das Mädchen im einjamen 
Stübchen jo ſann und dabei recht 
traurig ward, hörte es draußen einen 
zarten, Hingenden Ton. Es war an— 
fangs wie eine leije vor ſich Hin fin- 
gende menjchliche Stimme, Sie wurde 
lebhafter, es Hang wie ein jüßes 
Loden und dann wieder wie ein be= 
trübtes Klagen. Es war wie ein all« 
mähliches Auffchwingen, wie ein Anz 
Hopfen und treues Belennen und end- 
ih wie das Treiwerden und Uber— 
fprudeln eines warmen, leidvollen 
Menſchenherzens. — Nie in ihrem 
Leben noch hatte Paula fo fingen, fo 
weinen gehört. Sie war jelbft einmal 


fam, dunfelte es jchon ein wenig und in einer Singſchule geweien, aber 
im Thale dem Bache entlang war ein |diefer unendlich rührende Zonhaud, 
bläuliher Dunſthauch. Stein Vogel, |den fie jetzt vernahm, er hatte feine 


2 


819 


Ähnlichkeit mit anderen Kehlenklängen biſs die Zähne zufammen und Tief; 


und doch war er nichts als das un— 
mittelbare Anfquellen menschlichen 
Herzblutes. — Sie konnte ji das 
nicht fo denken, aber ein Gefühl ward 
in ihr wach, als ob jie in dieſem 
Augenblide fterben müſste, und als 
ob jie im nächſten Augenblide ein— 
gehen würde zur himmliſchen Selig» 
teit. — 

Nah einer Weile richtete fie fich 
auf und blidte hinaus zum Fenſter. 
Da unten auf weißem Kieswege ftand 
eine dunkle Geftalt. Sie erfannte den 
Weber Giedel und ſah jebt, wie er 
eine Geige ſpielte. Sie verhielt ſich 
ganz ruhig, Jah Hinab und horchte. 
Sie horchte fo lange, bis ihr die Tropfen 
von den Augen rannen. So über alle 
Mapen lieb hatte fie diefen Menjchen. 
So viel Mitleid Hatte fie empfunden, 
jeit fie ihn kannte, weil er fo janft, 
jo freundlich und ftill, jo brav und 
jo verlaffen war. Als fie einſt ein 
fleines Mädchen das erjtemal in die 
Kirche mitgenommen wurde, war am 
Altar neben dem Prieſter ein ſchöner 
blonder Knabe geftanden, und jo oft 
fie an Engel dadte, von Engeln 
hörte, kam ihr diejer Knabe zu Sinn. 
Allmählich, ganz allmählich wuchs 
diefer Engel heran zu einem Men— 
ſchen ... 

Paula öffnete das Fenſter, da 
hörte der Burſche unten auf, zu 
geigen. 

„Giedel“, ſagte ſie mit vor In— 
nigkeit zitternder Stimme, „Giedel, 
geh' jetzt heim. Die Nacht iſt kühl.“ 

Da trat er ein paar Schritte 
gegen das Fenfter und flüfterte her— 
auf: „Paula, ich Hab’ dich lieb!” 

„Nimm ihn Hopp!” rief plößlich 
eine rauhe Männerjtimme. Da ſpran— 
gen aus dem Schatten zwei Gefellen 
nit Waffen und glänzendem Riem— 
zeug herbei und riſſen den Burjchen 
nad rüdwärts zu Boden. Noch hielt 
der Giedel troß des Schreds die Geige 
hoch in die Luft, dafs ihr nichts ge 


ſich feſſeln. 

Mittlerweile war es im Hammer— 
baufe lebendig geworden, die Leute 
eilten auf die Gaſſe: was da gejchehen 
wäre, was das bedeute ? 

„Den Dieb haben wir”, berichtete 
einer der Gendarmen. „Dem Herrn 
Major Stramper ift er in die Woh— 
nung geftiegen. Kine Bioline ge- 
jtohlen.“ 

„Der Weber Giedel !” jchrien nun 
die Schiniede und das Geſinde. „Das 
ift nicht übel! Der Duckmauſer! Der 
Scheinheilige! Der Einbrecher! Ah, 
das ift zu nett!“ 

Auh der Schmiedmeifter war, 
flüchtig in feine Bettdede gehüllt, her— 
vorgekrochen. „Ein Dieb? Ein Eiſen— 
dieb?“ 

„Ein Bettelgeiger.“ 

„Der Strolch!“ knurrte der 
Schmiedmeiſter, „was bat er denn 
vor meinem Haufe gejucht, bei der 
Nacht?“ 

„Das Töchter! hat er angegeigt!“ 
lachten Sie. 

„Ein anderesmal ftiehl Butter» 
brot! Das frijst man ungehört.“ 
Höhnte ein Knecht. „Geigen krächzen 
zu viel, kommſt allemal auf.“ 

„Was hkoſtet der Bettel?“ rief 
jetzt Paula, die fich ſchneidig in den 
Dandel miſchte. 

„Jungfer!“ antwortete der Gen- 
darm, „es handelt fih nicht um die 
Geige, e3 handelt jih um den Dieb- 
ſtahl.“ 

„Sag' etwas!“ 
Mädchen den Giedel auf. 
dige dich!“ 

„Das hilft nichts“, antwortete 
der Burſche ganz ruhig. „Sie glau— 
es mir nicht. Morgen hätt' ich ſie dem 
Herrn ja wieder zurückgebracht. Sie 
glauben es mir nicht, und ich muſs 
ſitzen. In Gottesnamen, jetzt iſt mir 
ganz leicht. Sei nur fo gut, Paula, 
und stell’ fie ihm zurüd. Und dafs 
ihe nichts gejchieht. Mein Elend hab’ 


forderte das 
„Bertheis 


ſchehe, weiter wehrte er fich nicht, ich mir herausgefiedelt. So leicht iſt 


52° 


820 


mir ſchon lang’ nicht mehr gewejen, 
wie jebt. Vergiſs nur nicht ganz auf 
mich, Paula, wenn ich geitorben bin.“ 

Das Mädchen wollte darauf etwas 
jagen, konnte aber vor Weinen nicht 
mehr ſprechen, und alfo führten fie 
den armen Jungen davon in ber 
ſtillen Mondnacht, führten ihn hin— 
aus in das Dorf und thaten ihn in 
den Gemeindelotter. 

Um nächſten Morgen war ganz 
Schwandau aus Rand und Band. 
Das Unglaublide! Das Unerhörte! 
Manche meinten, der Giedel fei irr- 
finnig geworden. Etliche Fluchten über 
die Here, die ihm's angethan. Nur 
wenige gaben ſich ſtiller Schaden— 
freude hin. Im Gemeindehauſe kamen 
um die Mittagsſtunde mehrere Männer 
zuſammen, der Dorfrichter, der Pfarrer, 
der Hammerſchmiedmeiſter und auch 
der Major Stramper. 

„Iſt es Ihr Ernit, daſs Sie 
klagbar werden wollen?“ fragte der 
Richter den Major. 

„Bare achtzig Gulden hat fie mich 
gefoftet, die Cremoneſer!“ antwortete 
der Major. 

„Aber fie ift ja doch wieder in 
Ihrem Beſitze“, ſprach nun der 
Pfarrer, „und gänzlich unverſehrt. 
Den Burſchen haben wir alle gern, 
er iſt fleißig, gutmüthig, keiner weiß 
etwas Ungutes von ihm. Die dumme 
Lieb'! Auch wir haben Thorenſtreiche 
gemacht im der Jugend. Laſſen Sie 
es gut fein, Herr Major!“ 

„Bon mir ſoll niemand jagen, 
dajs ich fein Unglück geweſen bin“, 
antwortete der alte Soldat. „So 
vernarrt zu fein! Gerad’halten foll er 
ih! Es ift gut.“ 


„Wenn's gut if“, verjegte jetst 
der Hammerjchmiedimeifter, „Jo möchte 
ih auch noch ein paar Worte jagen. 
Mein Mädel ift wie verrüdt. Ich Habe 
feine Ahnung gehabt. Wenn es fo 
fteht mit dem zwei jungen Leuten, 
und daſs fie toll werden, wenn ſie 
einander micht kriegen — ih fag’: 
in Gottesnamen.“ 

Denn er hatte ſich's überlegt, daſs 
e3 beſſer ift, wenn er die erwachſene 
Tochter an Mann bringt, ehe er jelbit 
noch einmal zugreift drüben in Zief: 
wafler. Es bleiben auf ſolche Weile 
allerhand Unannehmlichleiten aus. 
Das Mädel Hat feine miülterliche 
Sad’, damit fanı es dem Weber 
aufhelfen und die Wirtfchaft berrich- 
ten. Alſo ift’s recht, und der Water 
und die Tochter jollen an einem Tage 
Hochzeit halteır. 

Als der Giedel aus dem Slotter 
trat, wartete ſchon die Paula, fiel ihm 
lachend und ſchluchzend um den Hals: 
„Wir haben uns!“ 


Am Tage der Hochzeit fam der 
Major mit der Geige. Die Cremonejer 
war's. 

„Mir Steht ein Duplicat in Aus 
ſicht“, fagte er einleitend. „Auch dem 
Zigeuner mit der alten Fiedel bin ich 
auf der Spur. Diefe da — ein jehr 
jeltenes Stüd! fie gehört dem 
jungen Bräutigam. Er hat damit der 
Seinigen das Ständen gebradt, er 
wird fie noch öfter brauchen können. 
Sit die Geige verftimmt, jo ſoll er 
füllen, und iſt das Weibchen ver— 
ftimmt, jo fol er geigen. Und jeßt 
einen feden Steirifchen aufgefiedelt! 
Gerad’palten, Junge!” 





"7 


Hadbarfdaft. 


Von ®, v. Berlepfd. 


OH 

yon einem jpikbogig vorſprin⸗ 
Hoarden Giebel breit und behaglich 
überdadt, jchaut mein Fenſter 

ins Freie, Es hat den großen Vor» 
zug, dafs niemand außer den Vögeln 
und dem Dachdecker, der jährlich einmal 
drüben auf dem Nachbarhauſe umher— 
frabbelt, herein guden, ich aber umfo 
unumſchränkter hinaus ſehen kann 
auf Nähe und Weite, nach der Stadt 
mit ihren Thürmen, die oft jo fein 
im Sonnennebel oder auch im grauen 
MWetterdunfte bis auf ihre nur feis 
umriffenen Gonturen verfchwimmen, 
und dann über das Häufermeer hin— 
weg nad Fernen, wo Wald und Feld 
in Ruhe liegen. Es iſt hübſch, da 
binanzzubliden zu jeder Jahreszeit, 
od Schnee die Dächer und Gärten 


wannen fie kommen, wohin fie ziehen; 
ih erichaue überhaupt manches, was 
denen in den unteren Regionen oder 
gar Leuten, welche in den engen Gaſſen 
drinnen Haufen, entgeht. 

Das Betrachten dieſer Erſcheinun— 
gen hält mich aber nicht ab, auch dem 
Näheren und Nächſten mein Intereſſe 
zuzuwenden. Der Menſch iſt ja ſo; 
aus der Freiheit kehrt er zeitweilig 
gern zur Beſchränkung, vom großen 
zum Heinen zurück, und gerade der— 
jenige, welcher der Natur und ihren 
Wundern mäher tritt, beobachtet das 
Unfcheinbare andäcdtiger, als alle 
Sonn- und Feiertags- Natur Enthus 
liajten miteinander. 

Zu diefen Näheren und Näd)- 
ften gehörten für mich ein paar Nach— 


dedt, oder blühende Wipfel von unten | barın, die im Laufe der Zeit in meinen 


grüßen und im Lande draußen fonnig 
beleuchtete Höhenzüge ſich entjchleiern 
— immer gibt diefer Au&blid ein Ge— 
fühl der Freiheit und friedlichen Ent— 
rüdtjeing vom Lärm des Tages.” 

Wenn jenjeits der legten Häuſer— 
reihen die Felder zu grünen beginnen, 
wenn der Buchenwald jeine eigen 
thümlih grauröthliche Lenzfarbe be— 
lommt, jo bin ich die erjte im Haufe, 
die das Sieht, und wenn im Oſten 
des Abends der Vollmond aufgeht, jo 
jhaut er mit feinem runden jovialen 
Gefichte zuerft in meine Stube, bevor 
er die weiter unten aufjucht, als 
wollt’ er jagen: „Grüß Gott, du da 
oben, nun, Haft du dir noch immer 
fein anderes Neft gewählt?" — 

Sch ſtehe mit den Geſtirnen des 
Himmels, mit Wolfen und Wetter 
Jozufagen auf du und du, weiß von 








Geſichtskreis kamen und mit denen 
ich in einen gewiſſermaßen vertrauten, 
wenngleih ftummen Verkehr trat. 
Da hatte im legten Sommer eine 
große, ehrmwürdige Kreuzipinne, Die 
ihre Kunſt aus dem ff verjtand und 
ganz wie eine Stammutter unzäh- 
liger behender Spinnelein ausjah, 
gerade im Spigwinfel unter meinem 
Dache fich angeliedelt. Zwiſchen dem 
Giebelbalfen war immer ein präch— 
tiges Neb gefpannt, im dem manche 
arglofe Müde ihr Leben aushaudte. 
Ih ſchaute ihr oft zu, wie fie nad) 
Gewitterregen, nah Windjtögen, die 
ihr Gewebe zerrilfen, unermüdlich 
immer von neuem wieder zu ſpinnen 
begann, wie fie geichicdt die erſten 
langen, faum fihtbaren Fundamen— 
talfäden zu befeitigen wujste, zwijchen 
die hinein, wie in die Lüfte, fie ihr 


Netzlein fpannte, bei jedem Knoten— 
punkte mit demſelben rechtsjeitigen 
Füßchen eine fohlingende Bewegung 
ausführend, und wie jie dann, im 
Centrum anlangend, wo das Gewebe 
immer feiner und regelmäßiger ge= 
worden, augenjcheinlich von der Ar— 
beit ruhte und fich behaglich ſchaukeln 
ließ, wenn ein Püftchen das wunder— 
jam feine Gejpinft bewegte, das viel 
zu zart fchien, um den großen Körper 
jeiner Schöpferin zu tragen. Sie hatte 
etwas greijenhaft Klausneriſches, ja 
Böſes, wie fie da fo einfam in ihrem 
Nebe ſaß und der Beute harrte, welche 
der Zufall ihr ins Gehege trieb, immer 
lautlos nnd allein, während draußen 
im Sonnenjchein die Schmetterlinge 
miteinander gaufelten, die Vögel ſich 
paarten und das kleine Boll der 
Bienen, Fliegen, Müden Iuftig bin 
und ber fummte. Wie gierig ſchoſs 
fie aus ihrem Dinterhalte, wenn jo 
ein armes, zappeludes Geſchöpfchen 
mitten aus jeiner Pebensluft ihr ins 
Garn gerieth, wie Schnell und bündig 
machte fie ihr Mordgeſchäft ab, ohne 
Pardon, ohne Anftrengung, — eine 
furze Umarmung, und der Lebensodem 
war dem Opfer auägejogen. Es lag 
etwas Märchenartiges in dem graufam 
ftillen Treiben diefer Einfiedlerin, die 
ihre bewundern&werte Kunſt nur für 
ihr Mordhandwerk, zum Unheil an= 
derer Mefen trieb. Und doch wurde 
jie mir eine traute Nahbarin. Sie 
behauptete ihr Revier mit großer 
Standhaftigfeit bis in den Herbſt 
hinein, bis ein rauher Sturm eins» 
mal ihr legtes Gewebe zerriis und fie 
verfcheuchte, wer weiß wohin? Ich 
blidte noch öfters nah ihr aus — 
aber fie war und blieb verſchwunden. 

Dafür zog bald, — falt war es, 
als hätte meine Klausnerin eine Bot» 
ſchaft hinterlaſſen, daſs da oben une 
term Giebel micht ſchlecht haufen fei 
— ein Erſatz für fie ein. Ein paar 
Spapen waren’s, ob Mann und Frau, 
Vater oder Mutter und Kind, das 
fonnte ich nicht gleich herausbringen, 





— kurz, es waren ihrer zwei. Im 
Spätherbfte um die Zeit, wo draußen 
auf den Feldern nichts mehr zu holen 
ift, und die Nähe der Menfchen 
manches Thierlein nähren muf3, hielten 
fie ihren Einzug in einem geſchützten 
Winkel unterm Dache und gaben als. 
bald mit der befannten Spatzen-Un— 
verfrorenheit durch Lärm und Din 
und Herflattern ihre Anweſenheit fund. 
Jetzt jagen fie auf dem geſchnitzten 
Snauf des Dachſparrens, der dicht 
neben meinem Fenſter war, damı 
drüben auf dem Kamin des Nachbar— 
baujes, auf der Dachrinne oder ſonſt 
einem freien Standpunft,, der ihnen 
gerade behagte. Es war ein ewiges 
Gehen und Kommen, Zwitſchern, 
Tlattern, Balgen; kam einer mit einem 
Stückchen Brot oder anderer Beute 
dahergeflogen, jo gab es gleich einen 
großen Lärm, ein Abjagen und Streiten, 
dem fi oft nod eine ganze Schar 
diefes ewig ſchmausluſtigen Völkchens 
anſchloſs. Es machte mir Spaß, bei 
jolhen Gelegenheiten in die Action 
einzugreifen, indem ich dur Auf— 
Iheuchen der verfolgenden Bande dem 
einen zu feinem echte zu verhelfen 
ſuchte. Aber ich ſollte nicht fehen, dafs 
es hier gerade jo wie bei den Men— 
Ihen zugeht, wo auch mancher dem 
anderen, wenn er nur die gehörige 
Unverfehämtheit hat, den Biſſen vom 
Mund mwegjchnappt. 

Die Verfchiedenheit der Geitalt 
zwifchen den zwei Heinen Kumpanen 
brachte mich auf den Gedanken, dajs 
ie doch ein Ehepaar fein miüfsten, 
Einer von ihnen war ein robuftes 
Kerlchen mit braun und weiß gezeich- 
neten Flügeln, einem ſtreitbaren 
Schnabel und behäbiger Rundung; 
der andere, etwas Heiner, zarter, mit 
hellgrauem Gefieder, ſchaute gewiſſer— 
maßen weiblih in die Welt, das heißt 
naider, lebensluftiger und dabei doch 
ihüchterner als fein KHamerad. Auch 
im Benehmen der beiden glaubte ich 
Anhaltspunkte für die Nichtigkeit 
meiner Vermuthung zu finden. Flog 


Nr. 1 zum Beifpiel davon, jo folgte in deſſen Seele nur der eine Seufzer 


Ne. 2 gewiſs gleih nah. Lie Nr. 2] 


zu wohnen ſchien: Lumpiges Leben! 


lich aber in auffallende Schaufeleien  — Wenn ih an die Fenftericheiben 


mit anderen ein, jo fuhr der Stärtere 
dazwiſchen, pidte und raufte die Un- 
berufenen wie einer, der ſich von 
rechtswegen ald Herr des andern fühlt, 
— ein Benehmen, deilen ich, in feiner 
groben Rüdjichtölofigkeit, von der ans 
deren Seite nie gewahr wurde. 

Als die ftürmifchen falten Regen— 
tage famen, die dem Winter voran 
gehen, führte das Paar ein häuslicheres 
Leben. Da ſaßen fie ftifl und flaufterig 
uebeneinander und ſchauten wie in 
Sorgen um die Zukunft in die graue 
Welt hinaus. Lange vor Abend jchlüpften 
fie ſchon im ihr verborgenes Winfel- 
hen und ließen das Weiter draußen 
toben. 

In den mageren Zeiten, mo der 
Schnee die Erde bededt, freute ich 
ihnen zuweilen futter, was fie gleich 
fröhlicher ftimmte und auf meine Nad)- 
barſchaft nun erft recht aufmerkſam 
madte; denn von da an redten fie die 
Hälfe, um durchs Fenfter zu jehen, ob 
nicht bald wieder etwas füme, oder gaben 
auch durch Rufe und Anflattern gegen 
die Scheiben in kecker Spagenart ihre 
Wünſche zu erfennen. 

Einmal fiel es mir auf, dafs der 
fleinere der beiden fehlte, und zwar, 
wie ich mich jet erinnerte, nicht erſt 
jeit geftern. Ich jah täglich nach, ob 
er nicht wieder da ſei — aber er 
blieb fort. Ob Treulofigfeit oder eine 
tückiſche Katzenkralle ihm entführte, 
wer wujste es? kurz, ein melancholi— 
iher Witwer ſaß fortan draußen vor 
meinem Fenſter. Dajs jein Los meine 
Theilnahme nur in erhöhtem Maße 
noch wedte, ift begreiflih. Seinen 
Morgen febte ih mi an meinen 
Arbeitsplag, ohne zuerst nad ihm 
auszuſehen. Da war er dann meilt 
Ihon auf feinem Poften, froftig den 
Kopf eingezogen, das Gefieder aufges 
biafen, oft geſchwärzt vom Ruß der 
Schornfteine, deren Wärme er aufge 
jucht, ein trübjeliger Heiner Proletarier, 


trat, wandte er den Kopf mur halb 
nach mir, ungefähr wie frierende Eden- 
jteher fich begrühen: So — du auch 
wieder da? 

Diefer mein melancholiſcher Spatz, 
und dann noch ein anderer Nachbar, 
ein Menfchentind, welches jicherlich 
nicht ahnte, daſs es für mich ein 
Gegenstand theilnehmenden Intereſſes 


wurde, belebten meine winterliche 
Einfiedelei. 
Wenn die frühe Dämmerung 


hereinzubrehen begann, ſchaute ich 
gern eine Weile, bis es Zeit mar, 
die Lampe anzuzünden, im den finken- 
den Abend. Da ſah ih dann häufig 
am Fenſter eines der Nachbarhäufer 
eine Schlotterige, etwas gebeugte 
Mänmergeftalt in äußert bequemer 
Schlafrodtoilette, mit einer dunklen 
Haarmähne, die ein bleiches Geficht 
umrahmte. Er konnte oft eine halbe 
Stunde lang in die meblige Luft 
binausftarren, ohne ſich zu rühren; 
manchmal aber gefticulierte er aud, 
wie einer, der mit fich felber redet, 
oder er öffnete das Fenſter, um mit 
feiner blaſſen mageren Hand den 
Schnee zu betaften, der auf dem Ge— 
fimfe lag. Ich wurde nicht Hug dar- 
aus, ob der Mann jung oder alt fei. 
Er hatte den Habitus eines Gelehrten 
und eines durch überanftrengende Ar- 
beit oder fonftige Factoren etwas ver— 
fümmerten Menfchen. Sein Kopf mit 
der mächtig gewölbten Stirn und den 
tiefflaugenden Augen konnten ebenjo 
einem Fünfziger wie einem Dreißiger 
angehören. Ich wufste nicht wer, noch 
was er war, kümmerte mich auch nicht 
weiter um ihn; nur des Abends — 
da wir offenbar eine gewifje gleichartige 
Liebhaberei für die Dämmerung hatten, 
— ward meine Aufmerkſamkeit immer 
wieder durch fein Erfcheinen am Yeniter 
auf ihm gelentt. — „Auch ein Eins 
famer, wie es in der Großſtadt jo 
manche gibt“, dachte ich mir, da ich nie 


824 


jemanden bei ihm ſah, und meine dachte ich, ſtaunend und beluſtigt zu— 
Phantaſie reimte ſelbſtverſtändlich in gleich, über meine Täuſchung. Da 
ſolch müßigen Momenten mit der Ge- |drüben Hatten die Nebelſtudien in Der 
ftalt des Unbelannten allerlei inter: | Dämmerung num jedenfalls ein Ende! 
eflante Schidjale zufammen. Während ich jo ftand, flog mit 
Als die Tage länger, die Abende | wahrhaft raufchendem Schwung mein 
heller wurden, jah ich ihn anf einmal | „melandoliiher* Spab heran, und 
feltener, und wenn es geſchah — dies | fiehe! ebenfalls nicht allein, ebenfalls 
fiel mir auf — nicht mehr im Schlaf: in heiteriter Geſellſchaft. 
tod, ohne Fragen, mit verworrenem Gab’3 da ein Scharmußieren, ein 
Haar, Jondern, joweit es bei feiner Rufen, Hüpfen, Auffliegen, Hajchen ! 
Erſcheinung überhaupt mögli war, „Alter Kerlh!“ ſprach ih entrüftet, 
in bedeutend gefchniegelterem Zuftand. | „was für ein toller Geift ift in dich 
Einmal jah ih ihn gar mit einem |gefahren ?“ 
Handjpiegel am offenen Fenſter ftehen War das noch der mijsvergnügte 
und in großer Andacht fich jelbit be= | Witiber von ehedem? 
traten. Ein andermal hörte ich ihn Er aber würdigte mich nicht ein= 
grenlich Falfch pfeifen. Was beden- mal eines Blides, gefchweige einer 








teten diefe Zeichen ? Antwort, fondern ſchwang fih mit 
Die Antwort ließ gar nicht lang ſeiner Gejellfchaft Hinüber aufs Nach— 
auf ſich warten. bardach, wo die Schäferei fortgejegt 


Eines Nachmittags im März, an wurde. 
einem jener goldig milden Vorfrüh— Ich jah dem Treiben eine Meile 
lingätage, wo die Vögel ihre Melos zu, danı ließ ich den Blid ins Blan 
dien anſtimmen und in den Gärten des Himmels jchweifen, das weit und 
das erſte Grün fih aus der dunklen ſelig über der Landjchaft ſich mwölbte. 
Scholle ringt — was erblidte Kal oben lächelte e3 wie eine Erklä— 
Un dem Fenſter meines Einfamen rung meiner heutigen Erlebniſſe herab. 
ftanden zwei Damen, eine ältere und | — 's ift eben wieder einmal Lenz 
ein hübſches junges Weſen, welches auf Erden! kicherten Iuftige Früh— 
lächelnd herausſchaute, aber gleich lingsgeiſter hinter einer Schar Roſen— 
wieder ſich umwandte nach ihm, deſſen wöllchen hervor, die hoch am Himmel 
Geſicht Heute völlig verändert erſchien. gegen Sonnenuntergang ſegelten. Und 
Un feinem Lachen ſah ich plöglich,| als hätte es die Amjel, die ganz ſtill 
dajs er ein noch junger Menfch jein | auf dem Kirſchbaum drunten fah, ver— 
müfle; es hatte etwas bärenhaft Süd | ftanden, hub fie jet zu fingen an, 
liches, Jugendliches, Verliebtes, dieſes ein ſüßes Lied, das jchier feierlich 
Lachen. durch die noch unbelaubten Wipfel 

„Wie man ſich doch irren kann“, klang. 





2. 


Des Herrn Daters Hochzeit. 


Gine finftere Gedichte. 


IR 


HA dem Kirchplatze zu Berchtes— 
ag hofen an der Friedhofsmauer— 

2 ede ſaßen zwei Männer und 
hatten volle Obſtkörbe vor fich ſtehen. 
Beide waren barhäuptig, übrigens in 
grobem, grauem Loden gefleidet, jeder 
hatte um die Lenden eine blaue 
Schürze gebunden, die bis zu den 
Unterfchenfeln reichte. Der eine Hatte 
graues Haar, ein hageres, glattrajier- 
tes Geſicht; feine Scharftantige Bade 
bewegte fi wie bei einem raschen 
Kauen, denn der Manıı betete, weil 
in der Stiche, aus der man die Orgel 
tönen Hörte, gerade Gottesdienft war. 
Der andere Mann Hatte braunes, 
furzgefchnittenes Haar, ein rundes, 
jugendlihes Gefiht mit blonden 
Schnurrbärtichen, kurzer Plattnafe und 
zwei Heinen Auglein. Diejes Gelicht 
hatte den immer wechſelnden Aus— 
drud großer Verſchmitztheit, vielleicht 
jogar Bosheit, auch an ihm bewegten 
ih die Hinnbaden, denn der Burjche 
brummte über die langwierige „Um— 
raundlerei“ in der Kirche. Mährend 
des Gottesdienftes hatte der Kirch— 
thurmſchatten, in den fie fich ur- 
jprünglich niedergelaffen, ſich fo ger 
wendet, daſs fie jegt in eitel Sonne 
jagen, aber nicht das Recht hatten, 
weiterzurüden, weil fie nur den Platz 
an der Mauerede gemietet. 

Endlich begann es ſich am Kirchen— 
thor zu rühren und zu löſen. Die 
Leute ftrömten heraus; unfere beiden 
Höder ſetzten ihre Schwarzen Filzhüte 
auf und begannen zu rufen: „Kauft's 
Apfeln, Pfirſiche, Zwetichten! Schön 
jan’3! Gut ſan's! Wohlfeil jan’s !“ 

Der Ulte rief lauter als der 


Junge, denn das Obit des Jungen 
ſah ſich friſcher und ſchwellender an 
und erfuhr mehr Zuſpruch; der Ver— 
fäufer verftand es, die ſchönſten Stüde 
obenauf zu legen, Ddieje riefen dann 
für ſich ſelber, und dem Burfchen 
blieb die Lunge gejpart. 

Unter den Leuten, die au Die 
Körbe traten, um zu kaufen oder das 
Unfhauen und Riechen des Objites 
umſonſt zu Haben, war aud ein ftatt= 
licher Mann in Halb bäuerlicher, Halb 
‚bürgerlicher Tracht; er trug einen 
langen braunen Rod, gewichste Stie- 
jel, die bis zu den Knien herauf— 
langten und dem Manne das Aus 
jehen eines Landpfarrerd verliehen. 
Sein Gefiht war wohlgenährt und 
glatt raſiert, Hatte aber eine auf: 
fallend lange, ſchmale Naje und dar— 
über ein paar eng zuſammenſtehende, 
graue, jcharfe Augen ohne merkliche 
Brauen. Die Leute machten ihm fait 
ehrerbietig Platz, als er jet zum 
Obſtkorbe des Burjchen trat. Mit den 
hageren Fingern bob er einen Pfirfich 
um den anderen heraus, drehte und 
drüdte ihn und warf ihn wieder in den 
Korb zurüd. 

„Was koftet fo ein Bummerlh?“ 
fragte der Herrenbauer. 

„Das ſind Feine Bummerln“, 
antwortete der junge Obitverfäufer, 
„das find Pfirfihe. Zwei um einen 
Groſchen.“ 

„Darf man einen koſten?“ fragte 
der ftattliche Bauer. 

„Nur zu!” fagte der Burjche. 

Der behäbige Mann Hob das 
Ihönfte Stüd heraus, biſs hinein und 
verzehrte es mit ſchmatzendem Munde. 





826 





Als er damit fertig war, jpudte er 
den Kern weit von fih und murmelte: 
„Sind nit gut. Sind feine Kern— 
geher.“ 

„Bitt' gar ſchön!“ begehrte der 
Burſche auf, „wenn das keine Kern— 
geher ſind, nachher will ich den ganzen 
Korb in den Straßengraben ſchütten.“ 

„Wenn es Kerngeher find, 
warım tragt fie denn nachher im 
Korb daher?” lachte der Grokbauer 
und wendete fich feithin. 

Der Burſche wollte etwas ent» 
gegnen, aber die in ihm müthende 
Empörung verſchlug ihm die Stimme. 

„Soll das ein Wit gewejen fein?“ 
fragte er endlich jeinen älteren Ge— 
nofjen. 

„Graſſel“, entgegnete diejer, „haft 
du dir den Mann gut angejhaut? 
Dem Hätteft du die Hand follen 


buſſen.“ 
Joſel⸗ 


„Wie meint Ihr das, 
Vater?“ 

„Ich meine nur, weil der Mann 
ſo würdig iſt und morgen ſeinen 
Ehrentag hat. Kennſt ihn nicht? 
Das iſt der reiche Pfleger im Hof, 
der Richter und Armenvater von 
Berchteshofen, Bezirksausſchuſs und 
Schulrath, und was weiß ich, welche 
Ehrenſtellen er noch hat. Haſt unten 
über der Straßen nicht den grünen 
Schwiebbogen geſehen, Graſſel? Der 
geht den Pfleger im Hof an, der 
morgen ſeine ſilberne Hochzeit feiert 
mit ſeiner Familie. Drei Buben, 
glaub' ich, hat er. Vornehm wird's 
hergehen! Kannſt dir's denken, ſo ein 
Ehrenmann!“ 

„Wie viel um einen Kreuzer ?* 
fragte ein altes Mütterlein, in den 
Zwetjchten des Obſtlers wühlend. 

„Sechſe.“ 

„Nachher bleiben Euch alle über.“ 

„Die heut' nicht gehen, werden 
morgen gehen. Morgen iſt auch noch 
ein Tag.“ 

„Und was für einer!“ gigfte das 
Mütterlein. 

„Morgen ſind ſie noch theuerer. 





Die Schande darf man dem Pfleger 

im Hof nicht anthun, an ſeinem Ehren— 

tag die Zwetſchken wohlfeiler zu 

geben. Wie viel willſt denn um einen 

Kreuzer, Mutterl?“ 

„Ihrer zehn ſind nicht zu viel.” ” 
„Nimm ihrer zehn, weil du’s 
fagte der alte Obſtler. 

„Kennft mich denn?“ fragte Das 

Mütterchen. 

„Das nicht, aber du biſt es doch, 
wenn ich dich auch nicht kenne.“ 

Später, als die Leute ſich ver— 
laufen hatten und der alte bſtler 
das eingenommene Geld zählte, that 
der junge den Mund auf und fagte: 
„Joſel-Vater, wie ift denn das ge= 
meint gewejen, daſs ih dem Proßen- 
baner die Hand buſſen ſollt'?“ 

Der Joſel-Vater jchielte fo ein 
wenig auf den Burſchen Hin und ent- 
gegnete dann: „Neugierig bift du 
immer gewejen. Haft auch recht, 
font erfährt der Menfh nichts. 
Schon als feiner Bub haft du gern 
gehört Geſchichten erzählen. * 

„Das ift mir noch nicht zumider.“ 

„But, jollft eine hören. Ach dent”, 
du wirft noch feine Geſchichte haben 
gehört, bei der du die Ohren fo ge— 
jpißt, wie du fie bei der heutigen 
wirft jpigen. Jetzt wollen wir unsere 
Mittagsiuppen eſſen gehen, nachher 
jegen wir uns draußen vor dem Dorfe 
unter den Lindenbaum.” 

Und fpäter, al3 fie vor dem Dorfe 
unter dem Lindenbaume waren 
der Joſel-Vater jah an jeinen Korb 
gelehnt auf dem Raſen, der Grafiel 
lag ſchlank ausgeftredt und legte als 
Kiffen feine Arme unter das Haupt 
— begann der Alte zu erzählen. 

„Weit iſt's nicht gefehlt, Bub, 
dafs du mit der filbernen Hochzeit 
des Pflegers im Hof, die morgen ift, 
deinen fünfundzwanzigften Geburts= 
tag feiern könnteſt.“ 

„Sa, wenn's auch ein filberner 
wär'!“ jagte der Burſche. 

„Kunnt einer fein“, fo der Alte. 
„Paſs jeßt einmal auf. — Vor fünfs 


bit”, 


undzwanzig Jahren bin ich auch noch 
einer gewefen, fo einer, der von diefer 
Welt ein gutes Trum bat haben 
wollen. Bon meinem Bater das Hänjel 
übernommen, hätt’ ich heiraten können, 
Hab’ auch beinahe ſchon eine gehabt 
ein prächtige Weibsbild, eine 
Holzhändlerstochter iſt's geweſen. Wir 
find fon ein paar Wochen mitein- 
andergegangen und haben ums gern 
gehabt. Jetzt ift aber ein Deichgräber 
im Land, einer aus Böhmen oder 
woher, ein baumftarter Lümmel, und 
der hat jih auf die Weibsbilder ver— 
fanden. Und wie es jchon geht, auf 
einmal iſt meine Dannerl weg und 
der Deichgräber heiratet fie. Denn fie 
bat Geld gehabt, einen Haufen Geld 
von ihrem Vater. Das Geld, meinet- 
wegen, hätt? er Haben mögen, zu 
Geld kann man’s felber bringen, aber 
das Mädel bin ich ihm nicht willig 
gewejen, denn fo eins gibt's nicht 
mehr, nad meinem damaligen Glau— 
ben. Wild bin ich worden und ver— 
jagt. Hat mir nichts geholfen, find 
fort alle zwei, weit weg, in die dalige 
Gegend her und haben ſich den Pfles 
ger⸗Hof gekauft. — Schlafſt ſchon, 
Graſſel?“ 

„Solche Geſchichten habe ich ſchon 
genug gehört“, verſetzte der Burſche 
ſchläfrig. 

„Bleib' noch ein biſſel munter, 
Graſſel, ich rath' dir's“, fuhr der 
Alte fort. „Jetzt, wie die Zwei davon 
ſind geweſen, da hat ſich ein junges 
armes Dirndel gemeldet. Die ſchöne 
Veferl haben ſie's geheißen. Aber arm 
und ſauber, das iſt nichts nutz! Und 
die Veferl, die hat er angeſetzt, der 
Böhm, und nachher verheirateterweis 
natürlich wicht mehr von ihr willen 
wollen. Im Wochenbett ift fie ge— 
ftorben und jet Hat ſich niemand 
ums Kind wollen fümmern. Das 
Gericht ftellt darüber einen Vormund 
auf, und der follt’ ich fein. — Ad 
bitte, Hab’ ich gejagt, wie fomm’ ich 
dazu! Der Bater von diefem Wurm 
ift mein größter Zodfeind, — Es 


— 


wäre ja nur der Form wegen, hat 
darauf das Gericht geſagt, ich brauchte 
ja für das Kind nicht zu ſorgen, das 
bekomme einen Koſtort und würde 
ſchon dafür gezahlt werden. — Wenn's 
nur der Form wegen iſt, ſage ich gut! — 
und fie Schreiben mih al3 Vormund 
ein. Hab’ mir aud vorgenommen, 
dafs ih mich gar nit will um— 
ihauen nach dem finde, Wie komm’ 
ih dazu ? — Aber was wirft machen? 
Nicht bekümmern um ein arınes We— 
jen, daS unter rohen Leuten jein 
muſs, der Dater Hat ſich mit ein 
paar hundert Gulden abgefunden und 
ihaut weiter niht nad. Und mir 
haben ſie es angebunden, wenn auch 
nur braucdhshalber, Zum Jammern 
hat es ausgeſchaut, dag Kindel, wie 
ich's einmal Hab’ beſucht, und ſag' 
ih zu mir: Erbarmt’s dir nicht? 
Du bift Gerhab darüber. Bift auch 
jo ein Dundling und lajst es liegen ? 
Juſt zur Rad’ follft ihm's thun, 
diefem Schandmenjchen, der dich um 
deine ganze Freud’ hat gebracht, juft 
zur Schmach und Rah’, daſs du 
diefes hilfloſe Geſchöpf nicht verläfst ! 
Dielleiht, wenn es groß if, kommt 
einmal ein zahlender Tag. Und hab's 
zu mir genommen, 

„Joſel-Vater!“ Tallte nun der 
Burfche, immer noch mit halb ges 
ſenkten Augenlidern. „Dasfelbige Kind 
bin ich ; das weiß ich Jchon.“ 

„Das weißt du freilich, Graſſel, 
weißt du aber aud, dajs dein Vater 
dir heut’ einen Pfirfich geftohlen hat?“ 

Seht wurde der Burjche wach. 
Er richtete ih auf und fragte ganz 
ruhig: „Und den Hätte der Teufel 
noch nicht geholt ?“ 

„Lajst ſich Zeit, denkt ſich, das 
it ein Schelm, der immer noch wachst.“ 

„Und diefer Menſch, den fie jept 
den Pfleger im Hof heißen und Vor— 
ftand und Armenvater und Schul 
rath, der foll meine Mutter verführt 
haben ?* 

„Hat es.“ 


828 


„Sie verlajien, dir die deinige Bon der Küche Her vernahm er 
abipenftig gemacht?“ die keifende Stimme der Wirtin, im 
„Hat es.“ Hofe lungerten etliche Burfchen ge— 
„Diefer Großbauer und Bürger | langweilt umher, raudten Gigarren 
zu Berchteshofen fol mein Bater| und warfen jih manchmal gegenjeitig 


jein ?* ein biffiges Wort zu. 
I De „Das werden wohl die Herren 
„Und der Dann hat morgen feine) Brüder fein“, dachte fih der Graffel. 
jilberne Hochzeit ?“ Dann gieng er ins neue Haus und 
„Hat fie.“ ohne anzuklopfen öffnete er im Flur Die 


„Joſel, da muſs ich dabei fein.“ | erfte Thür. Da drinnen ſaß der Bauer 
„Wird dich Halt nicht einladen!” | qm Zifche, vor ſich Papiere, die er nun 
„Ich werde dabei fein!“ fagte der) paftig zufammencaffte. 
Burſche und rieb fich die Hände. Er „Wer denn?“ fuhr der Pfleger 
hatte ſich ganz aufgerigjtet. „Wo iſt den Eintretenden an. „Tritt man 
er denn, der Pflegerhof? ‚mit folder Manier in ein Haus?“ 
„Schau hinüber dort auf bie „Um Berzeihung“, antwortete der 


Anhöhe. Der mit den vielen 5 N 2 BE (opit 
den, wo vor dem Haus die ” un. Era en Kopf 


mit dem Thurm steht. Das große Mas foll das? Wer if Er? 


Wirtshaus.“ * — 
Auiwart „Ihr müſst mich ja vom ſtirch⸗ 
— ——— platz her noch kennen, wo Ihr mir 


machen“, ſagte der Burſche. — = > 
— ja a verſetzte heut' ſo viele Pfirſiche abgelauft habt.“ 
der alte Obſtler, „aber ſei geſcheit! — fein Obſt. Bei mir wachst 


Es kann dir was fragen, wenn du F 
geſcheit biſt. Kaunſt auch verdammt „Deswegen bin ich auch nicht ba“, 
abbligen, wenn du dumm bift. Willen fagte ber Burſche und zog jept erſt 
thut er ſchon eh davon, aber kennen bögernd den put nn Kopf. 
wird er dich nicht. Da, diefe G'ſchtift »Alſo, was iſts 
nimmſt mit, hab' fie gerad’ alleweit| „Spottſchlecht iſt er“, murmelte 
in meiner Brieftaſchen. Die zeigſt der Graſſel und drehte feinen Hut im 
ihm, aber nicht aus der Hand geben!|der Hand hin und her. „Auch das 
— Probier's halt!" andere Gewand“ — er blidte auf 
Und gegen Abend desjelben Tages | Teinen fadenſcheinigen Lodeurock — 
war's, dafs der Graffel eintrat beim | „das ift fein Hochzeitsgewand, Herr 
Pfleger, Eine dralle Kellnerin fragte] Vater. Kunnt ih nicht ein beijeres 








ihn, was er begehrte. haben ? Selber hab’ ich mir noch alles 
„Den Wirt“, antwortete der) weil fein’s anichaffen mögen.“ 
Burſche. Nun ſtand der Pfleger raſch auf, 
„Den Deren Vater? Der hat heut | trat mit ein paar heftigen Schritten 
nicht Zeit.“ gegen den Burſchen und rief: „Seht 
„Ich will nur willen, wo ich ihn will ich willen, was das heißen foll! 
finde,“ Mill Er mas, jo geh’ Er ins Wirts- 


„Das ift ja der Obſtler“, rief haus hinüber, Heut’ bin ich für nichts 
einer der Gäfte drein, „halt leicht! da!“ 
Moft zu verkaufen ?" „Soll mir einer meiner Brüder 

Hierauf der Beſcheid, der „Herr das Hoczeitsgeiwand geben ? Oder die 
Vater“ würde im neuen Haufe drüben | Frau Mutter? Die Stieimutter wird's 
fein, wo er wohne, halt nicht thun wollen.“ 

Der Graſſel gieng über den Anger. „sh glaub’, bei Ihm iſt's nicht 





829 


rihtig oder Er irrt ſich im Haus, 
bei mir heißt's beim Pfleger im Hof.“ 

„Das ftimmt”, jagte der Burſche. 
„Der Pfleger im Hof hat ja morgen 
Hochzeit!“ 

„Und — ?“ 

„Schau der Herr Vater, und juit 
bei diefer Hochzeit will ich dabei fein. 
Kann mir's auch denken, dafs ihr fie 
gern alle beifammen habt Euere Leute 
an jo einem Tag, und jo bin id 
halt da. — Noch gar nicht vorge- 
ftellt hätt' ich mi? Uber jo unge» 
jhidt! Der Grafjel bin ich, Vater, 
Euer Alteiter, jo viel ich weiß.“ 

„Gar nichts verfteh' ich.“ 

„Die ſchöne Beferl, in Sanct 
Georgen, dazumal! — Nun, ich bin 
der Sohn.“ 

Etwas ungleih fühlte ſich jetzt 
der Pfleger. 

„Dahier wär’ die G'ſchrift. Wird 
alles richtig jein.“ 

Er hielt daS Papier Hin, der 
Pfleger warf einen zudenden Blid 
darauf. 

Der Burſche fuhr fort: „Sind 
auch andere Zeugenjchaften da, wenn 
fie der Herr Vater verlangt. Hier, 
bitt’ Schön, Hier fteht mein Geburts— 
tag. Wird eh’ stimmen. Denk’ der 
Vater nur nad.” 

„Jetzt wird’3 mir aber zu viel!” 
fuhr der Pfleger auf. „Und wenn 
was gewejen wär’, dazumal, jo bin 
ih der Menſch, der jeine Schuldig- 
keit kennt und die Dirn gejegmäßig 
abgefertigt hätte!“ 

„Richtig, mit dreihundert Gulden. 
Hat nicht weit Hedt, Vater. Davon 
red’ ich jeßt nicht, das fönnen wir 
jpäter ausmachen. Heut’ will ich nur 
mein Hochzeitsgewand haben. Ihr 
werdet jelber jagen, dajs ich morgen 
bei Euch nicht Fehlen darf.“ 

Der Pfleger ergriff den Rodflügel 
des Burfchen und ſtieß haftig, doch 
faft leife heraus: „Du — wie heißt 
gleich ? Graſſel! Du Graffel, 
wenn's Schon ſollt' fein, mach’ feine 
Dummpbeiten, ich bitte di, mad’ 


mir jebt feine Dummbeiten. SKonım 
ein anderesmal, wir bereden’s nach— 
ber. Heut’ hab’ ich für nichts Zeit, 
Red’ nicht3 derweil, da — leicht 
brauchit Geld !* 

Er wollte dem Burfchen eine 
Banknote geben, dieſer blidte ſtarr 
darauf Hin und ſagte: „Na, das 
nicht, Geld nicht jet, Geld erſt jpäter. 
Heut” bin ich nur wegen der Hoch— 
zeit da. Den Ehrentag lajs ich micht 
aus! Und krieg ich Fein Hochzeits— 
gewand, jo komm’ ich jo, wie ich bin! 
Iſt mir Schon alles eins. Zu der 
erften Hochzeit meines Vaters bin ich 
ohnehin mit eingeladen worden , jo 
will ich wenigftens bei der zweiten fein. 
Den Ehrentag lajs ih nit aus.“ 

Jetzt erſt erkannte der Pfleger den 
Ernft der Lage. Nur mit der grökten 
Klugheit konnte Hier pariert werden 
und auf feinen Falle durfte es an 
diejem Tage laut werden, was diejer 
Mensch, diefer ſchreckliche Menſch zu 
jagen wuſste. Sein Weib, ohnehin 
ein Drache, die ihm das von ihr zu— 
gebrachte Vermögen ſchon hundertfach 
büßen lieg; was würde das für ein 
Auftritt werden! Ein fauberer Hoch: 
zeitstanz! Und exit die Leute, vor 
denen er ehrengeadhtet daſtand! — 
Nein, nie und nimmer durfte es fein, 
dafs diefer Obſtlerburſche auftrete — 
am feitlich begangenen Ehrentag eine 
alte Schande. 

„Graſſel“, jagte der Pfleger ganz 
ſänftiglich: „Mir liegt's ja auch an, 
und mir wollen es ausmachen, dafs 
dur zufrieden bift. Aber da in der 
Stube läſst fih nichts reden. Es 
fann alle Augenblid wer hereinkom— 
men und uns ftören; und wer nicht 
fommt, der hordht draußen. Das ge— 
j&heitejte wird fein, wir machen oben 
in meinem Kellerhaus Zujammenver= 
laſs. Weißt es, das Sellerhaus ? 
Oben am Rain beim Schaden. Es 
it unbewohnt, dort haben wir Ruh’. 
Dorthin fommft heut” ums Dunkel— 
werden. ch weiß meine Pflicht und wir 
werden zufrieden auseinandergehen.* 


— 


830 


„Mir iſt nur um die morgige 
Hochzeit”, ſagte der Burfche. 

„Sollit dabei jein. Will aber noch 
ein weiteres für dich thun, deswegen 
fomm fein gewijs in das Kellerhaus.“ 

Der Graffel jagte es zu und au— 
jtatt dem Joſel-Vater nach gen Sanct 
Georgen zu wandern, flieg er in der 
Abenddämmerung Hinan zum Keller— 
haufe. Der Pfleger war fchon dort, 
hatte eine Talgkerze angezündet und 
hielt einen Weinheber und zwei Trink— 
gläfer bereit vor einem Faſſe. Als der 
Graſſel eingetreten war, verjchloj3 er 
die Thür. „Wir wollen Fried’ Haben“, 
jagte er. „Du haft gewifs jchon lange 
feinen Quttenberger mehr getrunfen, 
Hab’ ein Gebind mit feinem Aus— 
bruch. Nu, koſt' einmal.“ 

Der Grafjel tranf. Das war gut. 

„Bit mie auch ein jauberer 
Sohn“, jagte hierauf der Pfleger 
Icherzend. „Das eritemal mit dem 
Bater trinfen und aufs Anſtoßen 
vergeſſen. Na, macht nichts. Leben 
ſollſt!“ Und fie ftiegen an. 

Es war ganz heiter, Der Grafjel 
mujste viel erzählen, wie es ihm er— 
gangen fei. Freilich wohl kümmerlich, 
allein der Burſche Hatte es ja nicht 
gewuſst, daſs es viel beffer fein 
tönne, und im Ungejichte einer guten 
Lebenswendung brachte er alles hübſch 
munter vor. 

Der Pfleger geftand, er hätte es 
ja gewujst, dajs der Grafjel beim 
Jofel in Sanct Georgen gut aufges 
hoben jei, und das jei ihm immer 
ein Zroft gewejen. 

„Und dafs wir auch ernjter Weis 
reden“, jagte der Pfleger plöglih — 


„geh', trin®, Grafjel! — daſs wir 


auch ernjter Weiſ' reden, ich will was 
für dich thun. Dur mufst aber gejcheit 
jein und dein Glüd nicht verfcherzen. 
Ein Heiratägut, wenn du einmal dazu 
kommſt, und ſonſt brauch’s für dich 


allein. Du kriegſt jeßt fo viel auf die 


Hand, als ich deiner Mutter gegeben 


hab’, umd dur gehit fort und zeigft dich 


nimmer zu Berchteshofen.“ 











„Damit bin ich auch zufrieden“, 
antwortete der Burfche, „und will 
nad der Hochzeit gern fortgehen.“ 

„Heut? mußst noch fort, jeht bei 
der Naht noch!” 

„Ad, das nit, Vater, bei Der 
Hochzeit erwert ih Euch ſchon Die 
Chr. Ih will an Euerer Seiten 
ſitzen.“ 

„Graſſel, ich bitt' dich! Thu' mir 
die Schand nit an vor den Leuten. 
Man weiß von nichts. Es wäre mein 
Unglück noch in den alten Tagen!“ 

„Das macht nichts“, antwortete 
der Burſche ruhig und trank. „Ihr 
habt ja auch meine Mutter ins Un— 
glück gebracht, Ihr habt Euer Kind 
verſtoßen, ihr habt dem Joſel die 
Braut weggenommen, er hat zum Lohn 
dafür Euer Kind auferzogen, Ihr habt 
es gewujst, dafs er arm ift und nichts 
für ihn, nicht einen Sreuzer. Lieber 
Herr Vater, Ihr jeid ein —“ 

„Was bin ich ?* 

„Ein Ehrenmann natürlich.“ 

Der Pfleger war jchon aufge» 
Iprungen, nun jeßte er ſich gelaſſen 
wieder auf feinen Schemel, während 
der Grafjel auf einem leeren Fäſschen 
ritt und ſich gemädlich Hin und Her 
ſchaukelte. 

„Du ſollſt doppelt ſo viel haben, 
als ich vorhin geſagt“, verſetzte der 
Pfleger. 

„Nicht ums Zehnfache!“ ſagte der 
Burſche, „nicht ums Zehnfache ver— 
kaufe ich die morgige Hochzeit. Einen 
Ehrentag will ich auch haben mein 
Lebtag.“ 

„Und wenn ich dir das Zwanzig— 
fache gebe“, flüſterte der Pfleger halb 
bittend, halb drohend, „daſs du dir 
einen Bauernhof kannſt kaufen zu 


Sanct Georgen. Mehr wirft nit ver— 


langen von einem alten Mann, dem 
einmal was pafjiert ift, was jedem 
paflieren fanı, und der Widerwärtig« 
feiten genug muſs ausftehen. Du 
weißt es nicht, was ich ausjtehen 
muls bei meinem Weib und den 
Buben, Beſſer hätt’ ich's wohl getroffen 





— 2 


mit deiner Mutter, und wenn wir warf. Diejer that einen Schrei und 


auch arım geblieben wären. — Schlimm | blieb ftöhnend liegen. 
Das Anſehen bei den | 


bin ih dran. 
Leuten iſt das einzige, was ich noch 
habe. Freilihd Hat mir mein Weib 
das auch verderben wollen, aber nicht 
recht können, weil ich gerecht daſtehe 
vor der Leut’ Augen. Die ganze Ger 
meinde thut ſich zuſammen zum Feſt. 
Meines Weibes wegen halt' ich's 
nicht, das kannſt mir glauben. Aber 
die Ehr'. Der morgige Tag, auf den 
ih mich ſchon jo lang hab’ gefreut, 
ſoll mir ein Troft jein. Graffel, weun 
du mir diefen Tag verdirbt! Wenn 
du mir diefen Tag verdirbft, Grafjel!” 
Mit geballten Fäuſten meigte er ſich 
vor gegen den Burſchen. 

Diejer ſaß behaglic da, die Hände 
in den Dofentafchen, und fagte: „Ih 
erde nicht vergeſſen, daſs ich Euer 
Alteſter bin und mich an Euerer Seiten 
recht ehrbar betragen.” 

„Es darfnict fein. Du mujst 
fort, du mufst!* 

„Nein, lieber Herr Bater, 
bleibe da.“ 

„Zwing' mich nicht, Graſſel!“ 

Der Burfche wiegte ſich wieder 
und ſchante mit lächelnden Hohne 
auf den Pfleger: „Und wenn's uns 
den Pflegerhof koſtet, ich bleibe da!“ 

Jetzt ftürzte der Pfleger ſich auf 
ihn. 

Der Graſſel war aber auf der 
Hut geweſen. Blitzſchnell ſtand er 
fampfbereit und nun gieng ein heißes 
Ringen an, welches unter wechſeln— 
dem Glücke damit endete, daſs der 
Burſche den Alten heftig an die Wand 


ich 


Der Burſche 
ſchloſs die Thür auf und eilte davon. 
In der Angft, jein Gegner würde ihn 
verfolgen, lief er durch den Schaden 
über ein Feld dem Walde zu, dort 
lauerte er und laufchte, ob er nicht 
Wuthausbrüche des Pflegers vernehnte. 
Aber er hörte nichts. 

Plöglid ward ihm bange. Er 
gieng zurüd zum Sellerhaufe. Die 
Thür ftand noch offen. Er gieng hin— 
ein, die Kerze brannte noch ruhig, und 
auf feuchtem Erdboden lag der Pfleger 
— lautlos, vegungslos, kaum noch 
ein wenig zudend — im Berbluten. 
Er war mit dem Haupte an eine 
Iharfe Steinede gefallen. 

Am nächſten Frühmorgen gieng 
e3 laut ber beim Pfleger im Hof. 
Aber nicht Feſtlärm war e3; die ge— 
ladenen Pöller wurden nicht abges 
ſchoſſen; es war Aufruhr des ver— 
mijsten Hausherren wegen. In der 
Verwirrung und dem Din= und Her— 
laufen der Leute war auch der Objt- 
träger Graſſel da. „Wollt ihr's wifjen, 
wo er ift!“ rief er mitten im Hofe, 
„jo lommt mit mir!” 

Er gieng hinab gegen das Ge- 
richtshaus. Mehrere folgten ihm, deun 
jie meinten, der Pfleger ſei über Nacht 
eingejperrt worden. Vor dem Wichter 
ftehend, ſagte der Graſſel, der Pfleger 
liege oben im Kellerhauſe und ſei todt. 
Und erzählte den ganzen Hergang, 
jowie die Urſache desjelben. 

Viele Jahre werden vergehen, bis 
der Obſtträger Grafjel wieder Pfirfiche 
fann verkaufen auf dem Kirchplatz zu 
Berchteshofen. 


Das Märdhen von der claſſiſchen Bildung. 


Nah Hans Frifd. 


5 
E 


— 3 iſt auffallend, wie wenig die 
a Studenten der Jeßtzeit ſich an— 
Wyderen jungen Leuten gegenüber 
an wirklicher Bildung hervorthun. Es 
ift auffallend, wie umwiljend fie oft 
gerade in Sachen ihres eigenen Volkes 
find und wie wenige ihre Mutter: 
ſprache beherrſchen! Junge Beamte 
lönnen keinen deutſchen Auffat machen. 
Unter Hundert jungen Leuten können 
fünfzig Clavier Himpern, aber kaum 
fünf unvorbereitet eine Seite aus 
einem Buche mit guter Betonung vor— 
leien. Iſt es aber ein Wunder? 
Merden unfere Studenten in den 
Gymnaſien deutſch gebildet? Die 
Hälfte aller Unterrichtsftunden gehört 
den alten Spraden. Die Schule jagt: 
den Homer und den Sophofles, den 
Horaz und den Birgil u. a. müſst 
ihr ganz genau fennen, wenigftens in 
Form und Grammatik, ob ihr euch auch 
die Kenntnis der deutschen Literatur 
aneignet, das ift uns gleichgiltig. — 
Der deutſche Kaiſer Hat Scharf darauf 
bingewiejen, da er fagte: Wir mwollen 
Deutjche heranbilden und nicht Griechen 
und Römer! 

Wir find nicht für die einjeitige, 
nur nationale Bildung. Wir find für 
eine auf deutjcher Grundlage fußende, 
den Idealismus und die Sittlichkeit 
fördernde Weltbildung, und hierin ift 
das Erbe der Griehen und Römer 
ungenügend geworden. — In diejem 
Sinne veröffentlichte vor einiger Zeit 
Dans Friih in Schorers „Familien— 
blatt“ einige Auffäße, aus welden 
wir das Folgende bejonderer Ermwäs 
gung empfehlen. 


Wie e3 kam, dafs die urtheilslofe 
Begeifterung für da3 jogenannte cla)- 
ſiſche Altertum gehätjchelt wurde, wie 
jie die Herrſchaft im Schulunterricht 
zu erlangen wujste, das iſt furz zu 
jagen. Der deutfche Humanismus er- 
wuchs weniger aus innerlihem Triebe 
al3 aus einer Nahahmung der huma— 
niſtiſchen Schwärmerei, melde im 
Italien Mode war. Als es galt, Ge— 
ſinuung und Überzeugung in Sachen 
der Religion und der Denffreiheit zu 
äußern, da zogen fich die Führer des 
deutihen Humanismus beängftigt und 
befremdet vom Geift der Reformatoren 
zurüd, ja fie nahmen theilweiſe jogar 
eine feindliche Stellung zu der meuen 
nationalen Bewegung ein. Und als 
dann im Anfang unferes Jahrhun— 
dert? die Gymnaſien wiederum auf 
humaniftiicher Grundlage eine neue 
Drdnung empfiengen, da fam das 
Verſenken in die Welt der Griechen 
der reactionären Regierung ſehr will- 
fommen, die vor dem Deutjchthum 
der Studenten zitterte. Die Regie: 
rungen freuten fich, dafs die Beichäf- 
tigung mit den alten Spradhen den 
Gymnafiaften feine Zeit ließ, ſich mit 
vaterländifcher Literatur und Geſchichte 
zu befreunden, diefen beiden Geiftes- 
helfern zur Erwedung eines gejunden 
Nationalgefühls. So fam es, dajs 
der Nimbus der „claffischen Bildung“ 
immer größer ward. Und doch — dies 
wollen wir im Nachfolgenden beweijen 
— iſt die Behauptung, daſs die allein: 
jeligmadhende Bildung die durch das 
griechiſch-römiſche Vorbild fei, durch— 
aus falſch. 





> 2 — 
’ : 


Es jei hier bemerkt, dafs der Ver— 
fafier dieſes Aufſatzes den Unterrichts— 
gang des Gymnaſiums durchgemacht, 
und dieſen mit den Abiturientenexamen 
abgeſchloſſen hat, welches ſeine Lei— 
ſtungen in den beiden alten Sprachen 
als gut bezeichnete, daſs er, obwohl 
er dem Beruf nah den PhHilologen 
nicht zuzuzählen ift, noch heute ganze 
Oden de Horaz zu citieren weiß, 
Lateinisch wie Deutſch liest und Ho— 
mer auch ohne ftarfe Beihilfe des 
Lexikons zu verdeutfchen vermag; ja, 
dafs er ſich ohne Borbereitung latei= 
niſch mit jedem PHilologen unters 
halten kann. Das Rüſtzeug zur Bes 
fünpfung des Gegners ift alſo in 
jeinem Bei. Und zum andern fei 
bier bemerkt, daſs der Verfaſſer troß 
aller Bekämpfung des Borurtheils 
von der Unfehlbarteit der Antike die 
Kenntnis derjelben durchaus nicht ganz 
aus den Gymnaſien befeitigt ſehen 
will. Dafür aber will er eintreten, 
dafs die griechiſch-lateiniſchen Studien 
nicht al3 das Weſentlichſte des Unter: 
richtes gelten, jondern daſs fie den 
andern wichtigeren Geiſteswiſſenſchaften 
unter» oder beigeordnet (ſtatt wie jeßt 
übergeordnet) jein jollen. Am aller: 
wenigſten will er gegen die Lehrers 
jchaft jelbft Front machen, ſondern fie 
vielmehr erlöfen von dem drüdenden 
Formalismus. Dies mujste gejagt 
werben, um den Standpunkt des Ver: 
fajlers zu kennzeichnen und Mijsver: 
ſtändniſſen vorzubeugen. 

Die Phrafen von der alleinjelig= 
machenden Sraft der Antike find in 
Schlagworte der „formalen Bildung” 
und der „Gymnaſtik des Geiftes" zu— 
jammengefaist. Ein Gymnafialdirector 
ſpricht in einer Echrift es geradezu 
in den Morten aus: „Die höhere 
Menfchenbildung kann nur auf dem 
Gymnaſium, der einzigen VBermittlerin 
der Cultur des Altertdums, gewonnen 
werden.” 

Thatſache ijt, daſs der formale 
Bildungswert der 'alten Sprachen in 
logifcher Beziehung dem der Beſchäf— 


Kofegger’s „„Geimgarten’‘, 11. Heft, XV. 


—— — — — — — — — — — — — — — 


tigung mit anderen Sprachen völlig 
gleichwertig iſt. Eine andere Phraſe 
behauptet, daſs die claſſiſche Bildung 
zum Beherrſchen der Mutterſprache be— 
ſonders geſchickt mache. Dieſe alles 
Ernſtes aufgeſtellte Behanptung iſt 
eine Lächerlichkeit. Es ſei auf die 
komiſche Unbeholfenheit, die geichmad- 
loſe Satzeinſchachtelungsmanier des 
Lateindeutſch hingewieſen. Sowie 
früher, leiſten auch jetzt die Philologen 
darin Wunderbares. So ſchreibt einer 
der größten und einflußsreichſten 
Philologen, der Leipziger Profeſſor 
Gottfried Hermann, in einer Abhand- 
lung vom Jahre 1826 unter einer 
Fülle undeutſcher Stilblüten folgenden 
Sap: 

„Man weiß nit, was man von denen 
denfen joll, die öffentlich die Denfart derer 
als die ihre ausſprechen lafien, die, um 
ihre eigenen Fehler zu bejhönigen, an dem, 
von dem fie getadelt werden, etwas auf: 
ſuchen, das fie ihm vorwerfen lönnen, und 
fie für gerechtfertigt halten, wenn fie ihren 
Tadler gefhmäht haben.“ 

Mit Recht fragt man Hier, ob ein 
jolder Stil möglid gewejen wäre 
ohne Hermanns Gewöhnung an latei« 
nischen Ausdruck. Und man Halte 
diefer Handhabung der Mutterfprache 
das Deutich entgegen, welches vor 
wenigen Wochen ein Gymmafialdirector 
gelegentlich eines Ertemporales feinen 
Primanern dictierte: 


„Gäbe es doch auch andere, ſchon aus 
dem Grunde größeren Lobes würdige 
Männer, dajs fie ebendenſelben Hannibal, 
welcher im Stolz über joviel Siege in 
Italien eine Niederlage feineswegs fürdten 
zu müjlen geglaubt hätte, zuerft zu täujchen 
anfiengen, eine Aunft, dur welche der 
jhlaue Karthager allen überlegen zu fein 
geichienen hatte, dann aber befiegen, jo 
daſs es wahrjcheinlidh war, wenn nicht vor: 
ber andere große Männer feinen Ruhm 
erihüttert hätten, dais Scipio faum im: 
ftande gewejen jein würde, den joviel Jahre 
hindurh mit Hannibal geführten Krieg 
glüdlih zu beendigen. Auch könnteſt du 
es nicht billigen, daſs Scipio von den 
Böttern jelbft ihres Rathes und ihrer 
Hilfe am würdigften gehalten zu jein habe 
ſcheinen wollen.“ 


„Behalten zu fein habe Tcheinen 
33 


834 


wollen!“ Wie ſchön und Har! Sa, 
ja, ſchlechte Ertentporalienbeifpiele ver- 
derben gute Spradjitten ! 

Dass durch ſolche Miſshandlung 
der Mutterſprache der Sinn für einen 
reinen deutſchen Stil in den Schülern 
erftidt wird, wer hätte den Muth, 
das zu leugnen? 

Eine dritte, und wohl die gefähr- 
lichſte Phraſe ift die von der Förde— 
rung des Idealismus, welche den 
Schülern durch die Beichäftigung mit 
den Autoren der Griechen und Römer 
zutheil werden folle. Wir wollen diefer 
jehr Ichönklingenden Behauptung doch 
einmal gründlich zu Leibe gehen. 
Jedermann wird mit uns einverftane« 
den jein, daſs ideale Gefinnung ohne 
wahre Sittlichfeit nicht möglich fei. 
Nun möchten wir zunächſt die Ant- 
wort auf die Frage ſuchen: Waren die 
Alten Sittlichkeitevorbilder für unſere 
Zeit? Der Lefer wird, wenn er hifto- 
riſche Kenntnis und claſſiſche Belefen- 
heit beſitzt, ſich dieſe Frage leicht be= 
antworten können. Auch mit dem 
unbewaffneten, kritikloſen, geiftigen 
Ange erkennt man die inmere Faul— 
heit autifer Charaktere und Zuftände; 
it doch die Geſchichte Griehenlands 
nichts weiter, als die Verkörperung 
des crafjeiten und beſchränkteſten Ego— 
ismus der griehijchen Staaten, und 
wenn man aus ihr die Perferfriege 
fortnimmt, jo bleibt nichts übrig, 
woran ſich unſer Herz erfreuen könnte, 
Und jelbit der Glanz der Perjerkriege, 
wird er nicht durch jolhe Thatſachen 
bedeutend verdunfelt, wie das empö— 
rend gemeine Benehmen des Ariſta— 
goras während des joniſchen Aufftandes, 
die Haltung der Thebaner während 
des nationalen Kampfes, die Fleinen 
Eiferfüchteleien der griechiſchen Staa— 
ten untereinander im Angeſicht der 
Feinde; die Veftechlichleit des Themi— 
itofles, die verrätberiichen Pläne des 
Pauſanias, der beifpiellos ſchnöde 
Undanf der Athener gegen den Mil: 
tiades und die niederträchtige Hetze 


Da man aber der Jugend immer von 
der Kalokagathie (das iſt Schönheit 
und Güte) des Helenenthums vorge— 
predigt, stellt fie fich jeden Griechen 
in der Geftalt des Apollo und mit 
den Geifte des Berikles vor. Und 
doch war das von der Nachwelt ver— 
götterte Volk nicht viel anders, als 
die heutigen Griechen, die durchaus 
nicht, wie man früher meinte, ftart 
mit jlaviihem Blut verjeßt, jondern 
im weſentlichen die richtigen Nach 
fommen der Dellenen find. Zreulos, 
beftehlih, zu Lug, Trug und Liſt 
geneigt und gefchidt, den häſslichſten 
Laftern ergeben ; jo find die Griechen, 
jo waren fie — mögen alle Zeufe vom 
Sculfatheder ihren Donner gegen 
uns jchleudern — auch damals, tros 
ihrer Schönen Statuen und Baumerte. 
Der redlichite, wahrheitsliebendfte Ge— 
ſchichtsſchreiber des Alterthums, Poly: 
bios, ſelbſt ein Grieche, nennt alt 
die Hauptfehler feiner Landsleute die 
Beitechlichfeit und die Treuloſigkeit, 
wie denn die „griehifche Treue“ da— 
mals wie heute als Ironie galt. 
Selbit ein von den Philologen fo 
verberrlichter Charalter wie Demo: 
ithenes ift von dem Vorwurf der Be— 
ftechlichkeit nicht freizuſprechen, Die 
nun einmal ein griechiſches Nationalz 
lafter war. Und jo kommt es, dafs 
die Uneigenmüßigfeit des Ariftides von 
den griechiſchen Schriftitellen als 
etwas ganz befonderes hervorgehoben 
wird. So ein armer Tropf von 
Quartaner aber, dem fein Cornelius 
Nepos es als etwas ganz Ungewöhn- 
liches hervorhebt, daſs Ariſtides arın 
geitorben ift, obgleich erMillionen unter 
jeiner Verwaltung Hatte, zerbricht ſich 
vergebens feinen Heinen Kopf über 
die Frage, worin denn dieje befondere 
Tugend des Ariftides beftanden haben 
jol. Bei den Deutichen ift ja doch 
dieje Art von Tugend bei Caſſenver— 
waltern jelbjtverjtändlih, und daſs 
hochgeitellte Beamte ihre Angehörigen 
in bitterer Noth Hinterlaffen, iſt eine 


der Spartaner gegen den Themiſtokles? | beinahe alltägliche Erſcheinung. 








Bei den Griechen finden wir aljo 
diejes höhere Maß von Idealismus, 
welches dem Altertum  angedichtet 
wird, keineswegs. Und noch viel we 
niger finden wir e& bei den Römern, 
deren Gejchichte mit ihrem Ocean von 
Blut, Schmutz und Thränen jich höch- 
ſtens als Beweis dafür verwenden 
täjst, dajs nicht den Guten, ſondern 
den Klugen die Welt gehört. Die 
römiſche Staatskunſt iſt auf einer 
diplomatiſch-juriſtiſchen Heuchelei er— 
baut; denn vor jedem Kriege ſuchten 
die Römer dem Gegner mit den 
ſchönſten Redensarten zu beweiſen, 
daſs ſie das Schwert nur zum Schutz 
der gerechten Sache zögen, um dann, 
wenn ſie Sieger blieben, das Land 
ihres Schutzbefohlenen unter irgend 
einem rechtsartigen Schein zu annee— 
tieren. Schlimmer noch als dieje Ver— 
gangenheit ift es für unſere Zeit, 
dafs unfer modernes Recht nach diefen 
haarſcharfen Spigfindigfeiten des bür— 
gerlihen römischen Rechtes gemodelt 
wurde; daſs das deutjche Recht zurüd- 
gedrängt, und unjerem Bolt ein Recht 
aufgedrängt ward, welches aus den zu— 
dem noch Häufig mijsverjtandenen 
Überlieferungen altrömifcher Rechts— 
pflege an dem verderbteiten, unſitt— 
lichften Hofe der Welt in Byzanz, vor 
dreizehuhundert Jahren zuſammen— 
geitellt wurde. Dass die Deutſchen an 
diefe römische Rechtsbibel noch heute 
glauben und fich nad ihr richten jollen, 
das ift vielleicht der ſchädlichſte Ein- 
flufs des Römerthums auf unfer 
Volk. 

Und nun wird unſeren Knaben 
und Jünglingen die als heilkräftig 
auspoſaunte Medicin der claſſiſchen 
Bildung von Arzten eingegeben, deren 
geiſtiger und ſittlicher Wert ſehr frag— 
würdig iſt. Wir meinen die Autoren, 
insbeſondere die römiſchen, welche in 
der Schule geleſen werden. Oder trägt 
die Perfidie, mit welcher Julius Cäſar 
Freund und Feind in Gallien behan— 
delt, Die ſchönredneriſche Geſchichts— 
fälſchung des Livins, die phrajenhafte 


Schwätzerei des Cicero, die patriotifche 
Tendenzmacerei des Aneisdichters 
zur Förderung des Idealismus unſerer 
Schüler bei? Von Horaz ganz zu 
ſchweigen. Denn wenn er auch ein 
hochbeanlagter Dichter iſt, jo kann 
man bei ſeiner Lectüre doch nicht ver— 
meiden, daſs der Schüler Einblicke in 
die verwerflichſten und unnatürlichſten 
Laſter der alten Welt erhält. Nein, 
meine Herren Philologen! Wenn die 
Kenutnis der alten Schriftſteller dem 
Idealismus bejonders förderlich wäre, 
dann böte uns die Geſchichte micht 
ein merkwürdige Schaujpiel zur 
Zeit der erften Renaifjance. Damals, 
als die Studien des claffiihen Alter 
thums zu neuem Leben erwedt wur— 
den, waren gerade die Stätten, wo 
die humaniſtiſch am feinsten gebildeten 
Geifter weilten, der Zummelplag 
der verworfenſten Gejellihaft, welche 
(die römische Kaiferzeit ausgenommen) 
die Geſchichte kennt. Die Paläſte der 
italienifchen Renailjancezeit, die von 
den begeifterten Recitationen griechi— 
ſcher und römischer Autoren wieder- 
fingen, triefen von Greueln des Mor: 
des, der Wolluft, von  verruchten 
Thaten des brutalften Egoismus. 
Man braucht Hier nur an die Borgia 
zu erinnern. 

Der Idealismus verträgt fich ebenfo 
ſchlecht mit der Unfittlichkeit, wie mit 
dem Egoismus. Lebterer aber iſt ſtets 
mit der Gemüthslojigfeit eng verbuns 
den, und auf das Gemüth im deut— 
ihen Sinne bat die antife Bildung 
jehr wenig Einflufs. Es kann behauptet 
werden, daſs in den römiſch-griechi— 
jhen Werten für das Gemüth fait 
gar feine Ausbeute zu finden jei, daſs 
fein Moment uns im Innerſten tief 
ergreife, ausgenommen die Homerifchen 
Schilderungen von Heltors Abſchied 
und Odyſſeus' Heimtehr. Wir möchten 
zu Ddiejen beiden gemüthsergreifenden 
Momenten noch ein drittes hinzufügen: 
der rührende Ausdrud des Heimat: 
gefühls der zehntaufend Griechen 
Xenophons, als ſie dag Meer erblidten. 


59* 


Im Ganzen läftt die antife Bildung | 
das Gemüth leer. 

Aber, fo fragen wir mit Recht, 
und gewils im Sinne von Millionen: 
Iſt denn, wie dies nah den Behaup- 
tungen der Altphilologen anzunehmen 
wäre, der Idealismus allein bei 
Studierten oder denen, die das Abi— 
turienteneramen bejtanden, zu finden? 
Mas ift Idealismus? Ideale Geſin— 
nung eines Menfchen ift die Bereit- 
willigteit, für Zmwede, die außerhalb 
des Bereiches feiner finnlihen Wahr- 
nehmung liegen, und die fein perſön— 
liches Wohl oder Wehe nicht unmittel= 
bar berühren, das heißt eben für ſo— 
genannte „Ideale“, Opfer zu bringen. | 
Das Maß der idealen Gelinnung iſt 
offenbar lediglich nach der Größe der 
Opfer zu ſchätzen, welche jeder für 
ſeine Ideale bringt. Es iſt aber nach— 
weisbar, dafs bei Vereinen mit idealen 
Sweden (mögen diefelben der religiöfen 
oder politiichen Agitation, dem deut— 
ſchen Schulverein, dem Eolonialverein, 
dem Berein zur Rettung Sciffbrü- 
chiger gelten) die Studierten verhält» 
nismäßig in viel geringerem Maße 
beitragen, als die Unftudierten. Man 
denfe ferner an die Arbeiter und ihre 
Opferfreudigleit für ihre idealen Zivede, 
mögen dieſelben auch auf jocialen 
Irrlehren berufen. Und nun mehme 
man dazu die großen, weiten Berufss 
freife des Soldaten, der fein Leben 
dem Vaterlande weiht, und des Volks— 
Ichullehrers, der unter kümmerlichen 
äußeren Verhältniſſen mit größter 
Anspruchlofigteit und Gewiſſenhaftig— 
feit dem deal jeines Berufes lebt. 

Man Hört auch unter den Apoſteln 
der allein jeligmachenden Antike viel 
davon fabeln, dafs ein Kunſtver— 
ſtändnis ohne das Verftändnis der 
alten Kunſt unmöglih fe. Was 
von diefer Behauptung zu Halten ift, 
wird jeder Leſer ſich jagen können, 
wenn er an die großen Meijter 
der verſchiedenſten Kunſtgebiete denkt, 
von denen nur ein verſchwindend 
Heiner Theil gymnaſiale Bildung ges 





836 = 





noſſen Hat.*) Man müfste, um diefes 
für die Gegner der antifen Bildung 
ehr dankbare Thema weiter auszu— 
führen, auf den Gegenjag zwifchen 
gelehrter und volksthümlicher Kunſt 
zu Sprechen kommen, und das würde 
bier zu weit führen. Schmeding hebt 
hervor, daß die clafliihe Bildung eine 
Anſchauung geichaften Hat, nad der 
man das Anreht auf das Prädicat 
eines „Gebildeten“ nur dur eine 
gewiſſe, wenn auch erheuchelte Begei- 
fterung für Gegenftände der Kunſt 
beanspruchen kann, die ihren Stoff 
aus dem Alterthum entnahmen. So 
entfteht denn jenes mwiderliche Koket— 
tieren mit der Antike. 

Nehmen wir aber mın einmal an, 
daſs wirklich die Begeifterungsphrafen 
der antifen Schwärmer wahr fein 
jollten, was thun denn die Lehrer 
dazu — und auf diefe kommt es Doch 
wohl vorzugsweife an — den Schüler 
mit dem Geift des Alterthums zu 
befreunden? Darüber find wir uns 
do völlig Har, daſs in den lateini« 
ſchen und griechischen Unterrichtsitun« 
den zu vier Yünfteln Grammatif und 
nicht römiſch-griechiſche Cultur- und 
Kunftgeihichte getrieben wird. Es 
herrſcht immer noch der ftarre grammas= 
tikaliſche Formalismus. Die claffiichen 
Autoren, die mit den Schülern ge— 
lefen werden, find nichts als die 
Klettergerüfte zu den Höhen der 
Grammatif, auf denen die 30 Beden- 
tungen der Bartifel &v, die Verba auf zu, 
die Verſchränkung des lateinischen 
Periodenbaues und andere erhabene 
Dinge thronen. Es ift eben ein inter: 
richt im der Lateinisch » griechischen 
Grammatik, und nicht eine Belehrung 
über Geift und Weſen des griechiichen 
und römiichen Staates und Volkes. 

Geſetzt aber, alle unjere Einwände 


*) Es iſt richtig hervorgehoben worden, 
daſs drei der größten Meifter moderner 
Kunft: Franz Lenbach, Hans Malart und 
Franz Defregger dem Boll entitammen und 
feinen ſyſtematiſchen Unterridt in unferem 
Sinne genoiien haben. 





gegen den Bildungswert der Antike 
wären nicht ftihhaltig, und die Uns 
entbehrlichleit clajjiicher Bildung für 
die ideale Geſinnung des Deutchen 


wäre nicht zu leugnen. Wenn es fo 
wäre — was wir auf das Entſchie— 
denite beitreiten — warum könnte 
man den Geift des Altertfums nicht 
ebenjo aus Überjegungen kennen lernen 
al3 wenn man die claſſiſchen Autoren 
in der Urſprache liest ? 

Haben wir denn, um ein Beifpiel 
unter vielen herauszugreifen, einen der 
größten Geifter aller Zeiten nicht 
auch aus der UÜberſetzung kennen ges 
lernt? Bon taujend Gebildeten find 
des unfterblichen Shakeſpeare gewaltige 
Geltalten und Gedanten 999 allein 
dur die Schlegel-Tied’she Verdeut— 
jung bekannt geworden, und wir 
citieren die Worte des großen Herzens— 
fündigers in deutjcher Sprade, gleich 
als ob er ein deutſcher Dichter geweſen 
wäre. Und geht es uns mit der 
Voß'ſchen Homer » Überfegung nicht 
ganz ebenfo ? 

Ein Hauptbeweis dafür, dafs 
gummnafialerzogene Deutjche jich für die 
claſſiſche Bildung weder zu begeiftern 
noch jie nachhaltig zu ſchätzen ver= 
mögen, ift folgende Thatſache. Abge— 
jehen davon, daſs das Gymnaſium 
dem Schüler fein innerliches Intereije 
an den claſſiſchen Autoren zu erweden 
vermag, denn fein Gymnaſiaſt liest zu 
feinem Bergnügen einen griedhiichen 
oder römischen Autor, nicht einmal in 
der Überjegung, wie kommt es denn, 
daj3 nah dem Abiturienteneramen 
feiner, der nicht gerade Philologie 
ftudiert, einen antiken Autor zu feiner 
Erquidung lieſt? Und weiter, wie 
fommt es, daſs nach dem Abiturienten« 
eramen troß aller grammatifaliichen 
Drefiur die mwenigften imſtande find, 
einen lateinifchen, gejchweige denn 
einen griehijchen Autor ohne Gram— 
matit und Wörterbuch zu lefen? Der 
Grund hiefür kann doch nur in dem 
Mangel an Inhaltsintereſſe der an— 
tifen Autoren, oder an der Mangel: 


haftigkeit des grammatifaliichen Drifls 
ſyſtems, oder an der Unfähigkeit der 
Lehrer liegen, ein ſolches Intereſſe 
zu erweden. Die eben angeführte 
Thatjache wird felbft von den Philo— 
logen anerkannt. In einer Gonferenz 
preußiſcher Gymnaſialdirectoren ift es 
geradezu ausgejprochen: „Mögen wir 
uns noch jo ſehr gegen die Bemer— 
fung jträuben, die Gemeinjamleit der 
Urtheile jpricht entjchieden dafür, daſs 
die Gymnaſiaſten jelten die Fähigkeit 
erwerben, auch nur einen antiken 
Schriftſteller mit Freude zu lejen.“ 
Mit dem Verlaſſen der Schulſtube iſt 
die ganze claſſiſche Weisheit wie weg— 
geblajen ; die lateiniſchen und griechi— 
Ihen Bücher werden zum Antiquar 
getragen, damit man luſtige Maul— 
ejelzeiten Habe, oder frohen Herzens 
den jüngeren Brüdern überlaſſen. Nie- 
mehr in der Sprache diefer jungen 
Humaniften Hört man den Namen 
Cicero oder Horaz, Plato oder So» 
photles. 

Jetzt gehen wir zur Dffenfive 
über. Wir behaupten, dafs der Ein— 
flufs der antiken Bildung auf die 
deutsche Jugend in vieler Beziehung 
ein ſchädlicher if. Die zunächſt lies 
gende Schädlichkeit beruht in dem uns 
heilbaren Gonflict zwifchen der Ans 
ſchauung der antifen und der chriftlich» 
germanischen Welt. Diejer Zwielpalt 
muj3 naturgemäß die harmoniſche 
Ausbildung des Gymnaſiaſten ftören. 
Wenn ihm die Schule mit ihren 
ftarken Anforderungen nur irgendiie 
Zeit zum Nachdenfen läjst, jo mujs 
ihn der Gegenſatz der beiden Melt- 
anſchauungen beunruhigen, denn zwei 
Seelen wohnen in feiner Bruft, und 
er fann fie nicht vereinen. Die antife 
Welt unterjcheidet fih von der mo— 
dernen durch Drei tief eingreifende 
Gulturmomente:: dur die niedrige 
Stellung des Meibes, die Sclaverei 
und die Kaftenabjonderung. Infolge 
der niedrigen Stellung der Frau fannte 
das Alterthum fein Yamilienleben in 
unjerem Sinne und darum auch fein 


Ba 


Gemüthsleben. Ferner möchten wir 
die Phrafe von der „reinen Menjchlich- 
feit“ (daher der Name Humanismus), 
die angebli durch die clafliiche Bil- 
dung erzielt werden fol, in das rechte 
Licht ftellen. Wie kann bei einem 
Volksweſen, bei dem die Minorität 
der bevorzugten Freien auf Koſten der 
gefnechteten Majorität der Sclaven 
lebt, von einem menfchenmwürdigen 
Dafein des Volkes die Nede jein? 
Und wie verträgt jich die Thatſache 
der drüdenditen Sclaverei mit Chriſti 
welterlöfendem Grundfaß der Gleich— 
berechtigung, Gleichheit und Menſchen— 
liebe? Niemals wird dem Schüler 
gefagt, daſs der Begriff Menfch in 
dem erhabenen Sinne, wie ihn der 
Heiland der leidenden Menſchheit ver— 
tündet, dem antifen Heidenthum völlig 
fremd gewefen ift; dafs erft das 
Chriſtenthum die Menfchheit innerlich 
frei gemacht Hat, und dafs es mit 
jeiner erhabenen Lehre don der uns 
bedingten Gleichheit der Menfchen vor 
Gott und der Näcdhftenliebe die einzige, 
wahre, allumfaflende ewig undergäug: 
liche Idee der Menjchheit bildet. Und 
jo ift gerade das Gegentheil von dem 
der Tall, was die Antikefchwärmer 
behaupten. Durch die ftarfe Gegen 
fäglichfeit dieſer beiden Geifteswelten 
wird die junge bildfame Seele des 
Schülers in arge Verwirrung der 
Anschauungen und Begriffe verjeßt. 
Nehmen wir, um ein draftifches Weis 
jpiel zu verfuchen, an, der Schüler 
fonımt aus der Religionzftunde, in 
der ihm die tiefen Wahrheiten der 
Bergpredigt oder eines Paulinischen 
Briefes ins Herz gedrungen, in die 
lateinifhe Stunde, wo er Giceros 
Geſchwätz „Über die Natur der Götter“ 
überfegen muſs. 

Der Segen der ehrlichen Arbeit 
it das moralifche Fundament, auf dem 
die Cultur unſerer Zeit begründet ift. 
Und nun folgt der Gefchichtsftunde 
die griehiiche Stunde, wo der Schüler 
die Worte des Nriftoteles vernimmt, 
in denen deſſen Staatsauffaffung 


gipfelt: In den am vollkommenſten 
eingerichteten Staaten treiben Die 
eigentlihen Bürger fein Handwerk, 
noch Führen jie ein Krämerleben; 
denn eine ſolche Lebensart ift unedel 
und der Tugend Hinderlih.“ Oder 
aber, der Lehrer lieſt Platos,Republik“ 
mit den Primanern, jenes Werk, 
welches die Arbeitsverachtung verherr: 
fit. Der Arbeit Jchreibt Plato be— 
kanntlich einen ſehr ſchlechten Einflufs 
auf den Charakter zu. Er verbietet 
den Vollbürgern nicht allein Handel 
und Gewerbe, ſondern er will ſie ſelbſt 
vom Landbau ausschließen; im ſeiner 
Sdealrepublit werden die Gewerbe— 
treibenden und die Landbauern zu 
vollftändiger politifher Unmündigteit 
herabgedrüdt. 

Wirkt dieſer Conflict zwijchen 
zwei Weltanfchauungen verwirrend 
auf den Schüler, jo wird eine Cha— 
rafterihwäche, die Eitelkeit, durch Die 
claſſiſche Bildung befonders gefördert. 
Ein unleidlicher Beſſerdünkel beſeelt 
den Gymnafiaften gegenüber den aıt= 
deren unglüdlihen Sterblihen, Die 
nicht der claſſiſchen Bildung theilhaftig 
wurden. Wie ſchön flingt in der 
Unterhaltung ein lateiniiches Kitat, 
auch wenn dasjelbe durh ein ganz 
dasjelbe bejagendes deutſches Citat 
zu erjeßen wäre. it es nicht vor— 
nehmer zu jagen: „Principibus pla- 
cuisse viris non ultima laus est“ 
als: „Wer den Belten jeiner Zeit 
genug gethan, der hat gelebt für alle 
Zeiten !?* 

Wie recht Hat Profeſſor Paulſen 
in jeiner „Geſchichte des gelehrten 
Unterricht3*, wenn er über den Schul« 
hochmuth klagt, welcher glaubt, dafs, 
„wer nit mensa beclinieren könne, 
auch fein Urtheil über göttliche und 
menschliche Dinge Habe.“ 

In einem eifern freilich die Herren 
Philologen nicht ihren clafiiichen 
Vorbildern nah; bei den Griechen 
und Römern finden wir vollite Ans 
erkennung und Hochachtung der Dichter 
ihres Volkes. Dajs die Deutichen jo 


— — — — — — 


| 839 


wenig Bücher kaufen, daran jind die 
Gelehrten nicht ohne Schuld. Schule 
und Univerjität jagen e3 den Jüng— 
lingen fortwährend, daſs nur die an— 
tife Literatur lefenswert fei, und daſs 
Jich fein moderner Autor mit den ge- 
feierten Größen der altclaſſiſchen Bil— 
dung mejlen könne, Wir aber fragen: 
Wie fommt es, daſs von Goethes 
Werfen diejenigen die größten und 
am nachhaltigſten auf die Nation und 
alle Welt wirkenden find, welche mit 
dem clafjischen Alterthum nicht das 
mindeite zu thun Haben: ſeine 
Lieder, jein Werther, jein Fauft ? 
Für unfere Auffafjung Sprit auch) 
Baulfens bedeutjames Wort: „Eine 
eigene deutſche Literatur beginnt erft 
mit der entſchloſſenen Abwerfung des 
Jochs der lateiniſchen Jmitation, 
weiches das deutſche Volk im jech- 
zehnten Jahrhundert auf fich genommen 
hatte. Klopſtock und Herder, Goethe 
und Schiller find, was jie jind, nicht 
durch das tiefere Berftändnis oder 
gar gejhidte Nachahmung des Alter: 
thums, wie hin und wieder, aller 
hiſtoriſchen Wahrheit zum Trotz, be— 
hauptet wird, ſondern dadurch, daſs 
ſie wieder eigene Gefühle und Gedanken 
des deutſchen Gemüths in eigener 
Form und Sprache ausdrückten.“ 
Man ſieht, die Anklage gegen die 
Bildungstyrannei des philologiſchen 
Claſſicismus iſt ſchwer zu eutkräften. 
Wie aber, wenn wir die Meiſter der 
Alterthumswiſſenſchaft ſelbſt als Be— 
laſtungszeugen gegen die angellagte 
claſſiſche Bildung vorführen? Die 
Vertheidiger der claſſiſchen Bildung 
werden wohl alle die berühmten Phi— 
lologen Gottfried Hermann und Auguft 
Böckh als claffiihe Zeugen gelten 
laſſen. Gottfried Hermann  jpöttelt 
in einer Umniverjitätsrede folgender— 
mapen: „Wer kennt nicht jene der 
Wirklichkeit fremden Stubengelehrten, 
die e3 für die göttlichite aller Künſte 
halten, Griechiſch oder Lateinisch zu 
fünnen ? Das halten fie für das Eine 


und Wahre, alles andere adten jie Bildung an Stelle der 





für gar nichts; Griechiſch lefen können, 
gilt ihnen für den Gipfel menschlicher 
Bolllommenheit, und Eiceronisches La— 
tein schreiben für unfterblihen Ruhm. 
Ja, fie meinen, eigentlich feien die 
Griechen und Römer allein Menjchen 
gewejen, und wenn fie könnten, 
machten fie aus uns allen Griechen 
und Römer.” Und Auguſt Bödh ge- 
ſteht in einer feiner Schriften offen 
ein: „Aber davon farm ich mich nicht 
überzeugen, daj3 man die alten 
Sprachen der jogenannten formalen 
Bildung wegen treiben muſs; Dem 
ich fehe nicht, daſs Leute, die eine 
vorzüglihe Kenntnis der griehiichen 
und lateinifchen- Grammatik bejigen, 
die übrigen Sterblihen an Hoher 
Geiftesbildung weit überragen.” Zu 
diefen Altmeiftern der Philologie ges 
ſellt ſich die gewichtige Stimme 
Schleiermaders, den man als dei 
beiten Plato » Überjeger wohl auch zu 
den PHilologen rechnen kanır. Er kam 
zu der Erkenntnis: „Der Grund, dafs 
die alten Sprachen der geeignetite 
Stoff für die allgemeine Bildung feien, 
hat ſich nicht bewährt.“ 

Wie diefe drei Meijter, jo denken 
gewifs Hunderte von claſſiſchen Philo— 
logen, die an den Gymnaſien unter- 
richten ; aber jie wagen angefichts des 
Fanatismus ihrer altphilologiſchen 
Collegen nicht, ihre Uberzeugung ans 
Licht treten zu laſſen. Hätten ſie den 
Muth dazu, ſo würden ſie gewiſs 
freudig in den Ruf einſtimmen: Es 
muſs anders werden! Die claſſiſche 
Bildung liegt, wie es kürzlich in der 
Unterrichtsdebatte im norwegiſchen 
Storthing ausgeführt wurde, „weit 
hinter den Gedanken zurück, die unſere 
Zeit bewegen. Sie liegt vor allen 
Dingen hinter dem Chriſtenthum zu— 
rück; es iſt eine Bildung, die nicht 
das Geringſte mit dem großen Auf— 
ſchwung zu thun hat, der mittelſt des 
Chriſtenthums geſchah.“ 

Was aber beginnen? Soll die 
mathematifh = naturwiſſenſchaftliche 
claſſiſchen 


S40 


treten? Wenn wir diefe Frage be= 
jahten, jo giengen wir ins andere 
Ertrem und machten uns der Förde— 
rung einer verderblichen Einfeitigkeit 
jhuldig. Es ift bei der Schulrefornm 
bewegung gerade von den Vertretern 
der Naturwiflenfchaft mehrfach über 
das Ziel hinausgeſchoſſen worden, und 
dadurhd Hat man der Schulreform 
jene Philologen entfremdet, welche 
durhaus nicht von der Unfehlbarkeit 
der claſſiſchen Bildung überzeugt find. 
Es jei fern von uns, die alte Gram— 
matit durch die Mathematik erjegen 
zu wollen, ſoweit diejelbe in ihrer 
heutigen Abitractionsmethode betrieben 
wird. Huch die Mathematiler nehmen 
gleih den Grammatitphilologen für 
ihre Wilfenfchaft das Monopol in 
Anſpruch, die einzige Schulung für 
die Logik zu bieten. Die Widerlegung 
diefes Vorurtheiles der Mathematiker 
iſt nicht ſchwer, fie würde aber au 
diefer Stelle zu weit führen. Nur 
jei hier die Thatjache erwähnt, daſs 
auf der Schule die beften Mathema— 
tiker die ſchlechteſten deutſchen Aufſätze 
ſchreiben, nicht nur im ftiliftischer, 
jondern in logiicher Hinficht. Beide 
Richtungen find alſo ſchädliche Ertreme, 
die zur Dreſſur eines öden Formalis— 
mus führen, der don jedem Intereſſe 
des Geiftes und Nachdenkens abführt. 
Der formalifiiichen Drefjur ift es nun 
gerade genug. Unſere Jungen müſſen 
auch einen Inhalt haben. 

Mas aber, jo wird man den Ver— 
faſſer fragen, willit du denn eigentlich, 
wenn du die grammatitaliihe und 
mathematische Unterrichtsinethode zu 
bejeitigen wünſcheſt? Die Antwort 
darauf ift einfach. Der Erkenntnis der 
Untile ſoll zum mindeiten gleich— 
berechtigt, beijer noch übergeordnet jein 
das gründliche Studium der Mutters 
ſprache und der Geiftesihäge ihres 
Schriftthums. Dazu tritt, innig mit 
der Erkenntnis des Deutfchen verbun— 





den, der Unterricht in der vaterländi- | 


chiſch-⸗römiſchen Bildungsgrundlage, 
auf germaniftifhen Fundamente er— 
baut wird. Aber nicht nur die vater: 
ländifche Geſchichte von der Entwicke— 
fung des mittelalterlihen Kaiſerreichs 
an, Sondern auch die Geſchichte der 
ınodernen Gulturftaaten, insbelondere 
die engliſche und franzöjiihe, wäre 
hier forgfältig, dem Verſtändnis und 
Intereſſe der Schüler angemefjen, zu 
behandeln, und nicht nur der öde 
tabellarifche Gedächtnisfram der Zahlen 
und Namen berühmter Schlachten und 
Feldherren, ſondern vielmehr Die 
Eulturgeihichte, der Nachweis Des 
Einfluffes hiſtoriſcher Ereigniffe und 
Zuftände auf Bollägefittung und 
Volksdenkart. Daran wäre die bis 
jest arg vernadläfligte Geographie 
zu Inüpfen, die jedoch nicht wie bisher 
ih faſt ausjchlieglih mit den außer— 
europäischen Welttheilen befchäftigen 
und die Vaterlandskunde vernahläfli« 
gen dürfte. Der germaniftiichen Gei— 
fteswillenichaft möge dann als Gegen— 
gewicht der Unterrichtsbalance Die 
Naturwiſſenſchaft gegenüber treten, 
jo daſs die beiden Gebiete menjch- 
licher Erkenntnis, nämlich Geift und 
Natur zu ihrem Recht klommen. Werner 
müjste dem Unterricht in den beiden 
modernen Gulturipradhen, dem Engli- 
ihen und Franzöſiſchen eine größere 
Stundenzahl und die Gleichberechtigung 
mit den alten Spraden eingeräumt 
werden. Daſs auf den Religions= 
unterricht als wichtigften Factor der 
Bildung des Gemüths und der Sitt— 
lichleit befonderer Wert gelegt werden 
mufs, ift felbitverftändlich. 

Und der griechiſch- lateinijche 
Unteridt? Soll er etwa ganz 
verschwinden? Nein das joll er nicht. 
Er fol nur in anderem Geifle wie 
bisher gehalten fein umd von Der 
Anmaßung fern bleiben, zur Oberherr= 
ſchaft über alle anderen Unterrichts— 
gebiete berufen zu fein. Und jedenfalls 
muſs die Kenntnis der Antile auf 


ihen Geſchichte, fo daſs die dentfche | ganz anderem Wege als bisher er= 
Schule Statt wie bisher auf der grie- worben werden. Die Philologen müſſen 





umlernen. Nicht die Sprade und ihre 
Grammatik ift Endzwed des Willens 
vom Altertum, fondern der Geift des 
Volkes und Schriftthums, das fich der 
Sprade als des Inſtruments bediente, 
auf dem jener Geiſt zum Ausdruck 
fan. Von allen Schriftitellern der 
antiten Welt gewähren nur drei den 
Idealismus, wie er vom Deutjchen 
verftanden wird, Stärfung und Er- 
quidung. Es find dies Domer, So: 
pholles und Tacitus. Alle Dichter der 
antiten Welt überragt an Hoheit der 
Meltanfhauung und Naturwahrheit 
der Schilderung der unfterbliche Domer. 
Er ift nicht allein Grieche, er ift ein 
Meltdvihter im höchſten Sinne, und 
es ſtünde um die Eultur der Menſch— 
heit ſchlecht, wenn einft eine Zeit 
fommen würde, in der man Homer 
nicht mehr zu würdigen weiß. Homer, 
Shakeſpeare und Goethe find die drei 
Meltdichter, in deren Werken Die 
Menſchheit ihre ſchönſte und wahrfte 
Spiegelung erlebte. Homer vertritt 
die antite Welt, Shafejpeare das Re— 
formationsjahrhundert, Goethe die 
höchſte Blüte des deutichen Geiftes; 
an Domer ift die bedeutendfte alte 
Sprade, an Shafefpearedie bedeutendite 
Sprache des modernen Auslandes, an 
Goethe die Schönheit der Mutter- 
jprache zu lernen. Die beiden anderen 
antiten Autoren, welche allein für die 
Sdealbildung in Betraht kommen 


841 


fönnen, find Sopholles und Tacitus. 
Dem letzteren ift durch die hiſtoriſche 
Kritit das Lob der Parteilofigfeit 
längft aberfannt worden. Mag man 
auch den Stil des großen Hiftorifers 
nicht natürlich finden, immerhin ift 
von allen lateiniſchen Schriften die 
herrlihde „Germania“ das Lehrreichite 
und erhabenfte antite Proſawerk für 
den deutſchen Jüngling. Bei der 
Scullectüre der „Gerinania” läſst 
ich Leicht die Brüde jchlagen, welde 
vom claſſiſchen zum germaniftiichen 
Unterricht führt. 

Es gibt glüdlicherweife noch ge— 
ihmadvolle, fein empfindende Altphi- 
lologen, die das Altertum nicht nur 
aus der griehifhen und lateinischen 
Grammatik, fondern aus feinem innern 
Weſen, jeiner hiſtoriſchen Entwidelung, 
jeinem Gulturleben heraus ihren 
Schülern darzuftellen vermögen, An 
diefe — gewiſs eine ftattlihe Zahl 
waderer Männer, die durch geiftuolles 
Wiſſen und charaltervolle Perſönlich— 
feit Achtung und Zuneigung ihrer 
Schüler zu erringen willen — au 
diefe wenden wir uns mit der Bitte: 
Verzichtet auf die Oberherrfchaft der 
Antite im Unterriht, dann wollen 
wir auch das Recht der clafliichen 
Bildung gelten laſſen, ſofern diejelbe 
nicht als Endzweck, ſondern als Vor— 
ſtufe moderner Nationalbildung auf— 
gefaſsſt wird, 


Ein Btadtdidter von Frankfurt. 
Friedrid) Stolbe und feine Werke. 


Bon Otto Yörkh. 


Er 
i an mwilrde dem Manne der dies 
a geichrieben hat, Unrecht thun, 
»7wenn man glauben wollte, er 
wäre ein bornierter Localpatriot ges 
wejen. Friedrich Stoltze, der es jchrieb, 
hat weit über die Mauern jeiner 
VBaterftadt hinaus gefhaut; er war 
ebenjo begeiftert und fampfgerüftet 
für Vaterland, Freiheit und Menſchen— 
tdum wie für den Ruhm und das 
Gedeihen Frankfurts. Auch war er 
nie blind für die Schwächen feiner 
Mitbürger; mit dem Hochlöblichen 
Senat und den wohlregierenden älteren 
Herrn Bürgermeifter der freien Reiche» 
und Krönungsſtadt Frankfurt hat er 
manden Strauß ausgefochten, und 
wenn die liebe Vaterſtadt irgend einen 
dummen Streich machte, da hat er's 
ihr immer bald humoriſtiſch fein, bald 
jatirifch derb ins Geficht gefagt. Sie 
Haben ihm trogdem immer gern ges 
Habt, die Frankfurter, und als er am 
dritten Ofterfeiertag diejes Jahres auf 
den Friedhof getragen wurde, geſchah 
es unter einer Betheiligung der Ber 
völferung,, wie fie in Frankfurt feit 
Jahrzehnten nicht mehr vorgefommen 
war, Stolge war der populärfte Man 
Frankfurts; ein Brief, der vor ein 
paar Jahren mit der einfachen Adreſſe 
„An den populärften Mann in Frank— 
furt“ kam, wurde von der Ffaiferlichen 
Reichspoſt kurzweg an Stolte beför- 
dert. Er verdiente diefe Popularität 

vollauf. 
Friedrich Stoltze wurde am 21. 
November 1816 in Frankfurt als 


8 


Es will mer net in den Hopp enei: 
Wie fann nor a Menib ned von 
Frantfort jei! 


Sohn des dortigen Gaſthalters „zum 
Rebitod” geboren. Sein Bater ſtammte 
aus dem Waldel’ichen, feine Mutter 
war eine geborene Frankfurterin, deren 
Eltern aber auch nit von Frankfurt 
waren; Stoltze's Großvater mütter— 
licherſeits ſſammte aus Süddeutſchland, 
die Großmutter aus Thüringen. So 
war an ſeiner Abſtammung, wie er 
ſcherzhaft einmal ſagte, das ganze 
Deutſchland betheiligt. Das Haus „zum 
Rebftod“ war in den zwanziger und 
dreißiger Jahren ein Mittelpunkt der 
freiheitlih nationalen Bewegung und 
ein Zufluchtsort aller von der Reaction 
und der heiligen Allianz Berfolgten. 
Dort kamen die Patrioten zufammen, 
um verbotene Lieder zu fingen, vom 
einigen und freien Dentjchland zu 
Ihwärmen und politiihe Zulunfts- 
pläne zu machen. In diefer Atmo— 
ſphäre wuchs der junge Stoltze auf; 
er ſang die Lieder mit und dichtete 
bald jelber ſolche. Seine drei Jahre 
ältere Schweiter Annette, die ein 
Ichönes, begabtes, aber auch ſchwär— 
merisches Mädchen war, förderte fein 
poetiiches Talent und übte überhaupt 
auf den Jungen, der jehr wild war, 
einen wohlthätigen Einflufs. Beide 
Geſchwiſter, die einzigen am Leben 
gebliebenen Kinder, erhielten eine vor— 
trefflihe Erziehung, die nah damali- 
gen Begriffen über den Stand der 
Eltern weit binausgieng; zu den 
Lehrern des jungen Stoltze gehörte 
unter anderen auch Dr, Tertor, der 
Neffe Goethes. Ein großes Ereignis 








8 


im Rebſtock war der Durchzug der 
Polen, die nah Niederwerfung des 
Aufftande® von 1830 aus ihrem 
Vaterlande flüchteten; noch bedeut— 
jamer war der Sturm der Studenten 


_ 


rothe Schornfteinfeger”, „Polen und 
Studenten“ u.a. mit vielem Humor 
und recht anfchaulich geichildert. Mit 
Bezug auf die in der Gonftabler- Wache 
gefangenen Studenten jei hier noch die 


auf die Frankfurter Hauptwache | folgende Reminiscenz beigefügt. Die 
(3. April 1833). Der Anfchlag war | Unterfuhung führte der Frankfurter 
zwar gelungen, aber die Meinung der | Bolizeiratd Dr. Pfeiffer, der die Stu— 
Studenten, dajs man im Beſitz der \denten in jeder erdenklichen Weiſe 
Hauptwache ohne weiters die deutjche chicanierte und quälte. Zuletzt ließ 
Einheits-Republik proclamieren und er die Fenſter ihrer Zellen mit Latten 
einrichten fönne, erwies ſich als ein | zunageln, um ihnen das Licht zu 
Traum, dem ein Jchredliches Erwachen nehmen. Etwa dreißig Jahre ſpäter 
folgte. Die Hauptwache wurde von begegnete Dr. Pfeiffer dem Dichter 
den Truppen des Bundestags er= mit feiner Gattin, und es entjpann 


ftürmt, die Studenten theils getödtet, 
theils verwundet, gefangen und in hoch» 
nothpeinlihen Proceſs genommen. 
In der Stadt trug man fich mit viel— 
fahen Plänen zur Befreiung der Stu— 
denten, und namentlich im Rebſtock 
wurde diefe Trage lebhaft erörtert. 
Fräulein Stolge ſelbſt nahm Antheil 
daran, was ihr, infolge eines aufges 
fangenen Briefes an einen der Stu— 
denten, eine VBorladung vor den 
Unterfuchungsrichter und ein jcharfes 
Verhör eintrug. Weiter geihah ihr 
nichts. Im der dichteriichen Phantaſie 
des jungen Stolße, der damals erjt 
16 Jahre alt war, verdichtete Tich 
aber das Berhör zu einer förmlichen 
Haft umd er ſchrieb auf die nicht lang | 
darnach verftorbene, don ihm leiden 
ichaftlich geliebte Schweiter die folgen 
den zwar recht bübjchen, aber der 
Wahrheit nicht ganz entjprechenden 
Strophen: 


Im Thurme hinterm gothiſchen Erler, 
So ſtark vergittert ganz und gar, 
Saß eine Taube in dem Kerker, 
Weil fie gedacht hat wie rin Aar. 


Gefangen hinter Eijenjtäben 
Stand eine Roje manden Tag, 

Werl in dem lieben Blumenleben 
Das Rauſchen ciner Eiche lag. 


ſich ein Gefpräh, in welchem Dr. 
Pfeiffer ji darüber beflagte, dafs er 
faſt gar nichts mehr ſehe und bald 
völlig blind fein werde. Da fonnte 
fih Frau Stolge nicht enthalten, ihm 
zu erwidern: „Ja, willen Sie, Derr 
| Doctor, die Studenten auf der Gon= 
ftabler- Wache haben auch nicht ge= 
ſehen!“ Das war eine Nemejis, die 
nicht unverdient erſchien. 

Der junge Stoltze ſollte Kauf— 
manı werden. Das war das Ideal 
der alten Frankfurter überhaupt und 
das Ideal des Gajthalters „zum Reb— 
ſtock“ insbejondere, und diefer jeßte es 
trotz des Widerjtandes Annettens und 
‚des Abrathens Dr. Tertors durch, daſs 
Fritz zu dem Kaufmann G. C. Meldior 
in die Lehre fam. Sein Mitlehrling 
war Hermann Hendrichs, der jpätere 
berühmte Schaufpieler; beide bewieſen 
in Gemeinſchaft duch mancherlei 
Thaten, daſs der kaufmänniſche Sinn 
ihnen ganz und gar abgieng. Das 
Gefchäft, in dem der junge Stoltze 
‚lernte, befand ſich in einem Daufe, 
das denn Geheimratd dv. Willemer, 
|dem freunde Goethes gehörte. Frau 
| Marianne, die in dem Haufe wohnte, 
Iinterefjierte fih für den poetiſchen 
| aufmannslehrling, der, ftatt Hinter 
feiner Gorrefpondenz zu figen, dichtete 














| 


Die Verhältniffe im Rebſtock ſelbſt und von ſeinem Comptoir zu ebener 
und überhaupt das damalige Leben | | Erde zu ihren Fenstern Hinauf ihr 
und Treiben in Frankfurt Hat Stolge Lied fang: „Ad, um deine feuchten 
jpäter in feinen Erzählungen „Der Schwingen, Welt, wie jehr ih dich 


844 





beneide!“ Als Stolße ihr einmal fein 
Elend Elagte, rieth ihm Frau Maris 
anne einfah, aus der Lehre durch» 
zubrennen, was er auch gewifs befolgt 


ergebene Grabbe verlieh Frankfurt bald 
und verfam in Elend. 

Ende der dreißiger Jahre gieng 
Stolge auf Reifen. Er jah die Schweiz 
hätte, wenn nicht im anderer Weile | und Franfreid. Im Paris bejuchte 
vom Schidjal eingegriffen worden er unter anderen auch Beranger. In 
wäre. Er wurde jchwer frank, und | Qpon dichtete er zum Stiftungsfeite 
als er genejen war, ftarb jein Vater | des dortigen deutjchen Gejangvereines 
(im November 1833). Dadurch wurde das ſchwungvolle Feitlied, das Men— 
er frei und er konnte nun jeinen | delsjohn= Bartholdy componierte. Wieder 
ſchriftſtelleriſchen Neigungen leben. | heimgefehrt, gab Stolfe eine Samm- 


In die Zeit feiner Genefung fiel ein 
eigenthümliches Zujanunentreffen mit 
dem Dichter Grabbe. Stoltze erzählte 
darüber Folgendes: Er trank in einer 
Conditorei Zuderwafler und traf da 
einen Fremden, der ihn fragte, warum 
er nichts Beſſeres trinte? Stoltze er- 
widerte, er fei ſchwer frank gewejen 
und könne noch feine geiftigen Getränte 
vertragen. Das Geſpräch gieng weiter 
und ſchließlich lud der Fremde, der 
ih als Grabbe vorftellte, den Jüng— 
ling ein, ihn in der Bodenheimergajie, 
wo er wohnte, zu beſuchen. Stoltze 
ergriff mit Freude die Gelegenheit, 
dem damals viel genannten Grabbe 
näher zu treten, und führte den Bes 
juh aus. Er Hopfte an, auf das 
„Herein“ öffnete er die Thüre, in dem 
Zimmer war aber feine lebende Seele 
zu erbliden. Dagegen lag in der Mitte 
ein großer Sleiderjchranf der Länge 
nah auf dem Boden, und aus diejem 
erſcholl plögli eine Stimme: „Dier, 
junger Herr, bier!“ Stoltze trat 
näher und bemerkte nun, dajs Grabbe 


den Stleiderfchrant zu feinem Bette 


gemacht Hatte. Auf Stoltzes Frage, 
wie er dazu fomme, fih ein jo 
unbequemes Lager zu bereiten, er= 
widerte Grabbe, in feinem Bette 
liegen ihn die Wanzen nicht ruhen, 


deswegen habe er es ſich auf andere | furt, 


lung jeiner Gedichte in einem Bänd— 
hen heraus, deſſen Haupterfolg darin 
lag, daſs er ihm in dem reichen und 
angeſehenen M. G. Seufferheldt einen 
Gönner und väterlichen Freund ge— 
wann. Seufferheldt machte ihn, da 
er ſich endlich um einen regelmäßigen 
Erwerb umſehen mußſste, zu ſeinem 
Hauslehrer, und da Stoltze mit gutem 
Erfolge unterrichtete, glaubte Seuffer— 
heldt in ihm ein pädagogiſches Genie 
entdedt zu haben, und er ſchickte ihn 
zu Fröbel nah Thüringen, um das 
Spitem der Kindergärten zu ftudieren, 
welche Seufferheldt in Frankfurt ein» 
führen wollte. Aber mit dem Päda— 
gogen war es auch nichts, gerade wie 
mit dem Kaufmanne; Stoltze Hatte, 
wie er jelbjt erzählte, viel mehr In— 
tereffe für die großen Kinder Thü— 
vingens als für die Heinen. Auch zog 
es ihn immer wieder nah Frankfurt 
zurüd. Dort finden wir ihn jpäter 
in nahen Beziehungen zu dem alten 
Amſchel Rothichild, dem er als Vor— 
lefer diente. Bon dem einfachen, ge= 
müthlihen und wißigen alten Herrn 
wujste Stolße manche Anekdote, man: 
hen originellen und ſchönen Zug zu 
erzählen. Mit voller Begeifterung 
ftürzte ſich Stolge in die Bewegung 


‚des Jahres 1848, die gerade in Frank— 


wo die Hoffnung Deutſchlands, 


Weiſe bequem gemacht. Bequem war's das Parlament tagte, einen Haupt» 


nun freilich nicht, 
erhob, waren auf feinem Rüden jehr | 
deutlich die Eindrüde der Kleiderhaten | 


zu ſehen. 


denn als er ich | centralpuntt 


Zu einem fruchtbaren Ber: | züchtigen. 
tehr führte indeſſen dieſer Beſuch nicht, Humor zur Satire. 


hatte. Stoltzes Feder 
bekam viel zu thun, die Bewegung 
zu fördern, aber auch die Reaction zu 
Da entwickelte ſich ſein 
Im Jahre 1849 


denn der geniale, aber dem Trunke zog er in die Pfalz, wo um die Reichs— 


verfaſſung gefochten wurde, 
führte nicht das Schwert, fondern die 
Feder; er jchrieb dem Maler Schald 
die köſtlichen Verſe zu feinen Skizzen 
aus dem Freiſcharenleben. Als die, 
Reaction allentHalben gejiegt Hatte, 
war es im Frankfurt immer noch ver— 
hältnismäßig am ficherften; die Frank— 
furter waren nicht übermäßig revo— 
lutionär gewejen und darum brauchte 
der Senat auch feine bejondere Re— 
prejlion eintreten zu laflen. 

Noch im Jahre 1849 gründete 
Stolge feinen Hausftand; er verheis 
ratete ſich mit einer Frankfurterin, 
Marie geb. Meifenzehl, die zur treuen 
und bejorgten Gefährtin feines Lebens 
geworden ift. Es folgte eine Zeit 
fruchtbaren Schaffens; Stolte war Mit» 
arbeiter am Hadermann’schen „Volks— 


aber er er die Grenzpfähle nicht 
dem Pfahl, 


ergangen. 








überjah. 
Dft genug lauerte ein Gendarm Hinter 
doch ftet3 umjonft. An 
Spott darüber lieg es Stolke in 
‚feiner „Strebbelzeitung“ nicht fehlen. 
Einmal wäre e3 ihm beinahe ſchlimm 
Stolge Hatte ſich durch 
Überarbeitung ein nerböjes Leiden 
augezogen, zu deſſen Heilung ihn die 
Ärzte, obwohl es Winter (1859) 
war, in das naſſauiſche Taunus— 
Städthen Königftein ſchickten. Die 
Sade wurde ruhbar, und die Heflifche 
Regierung verlangte von der Naſſaui— 
ihen auf Grund des Auslieferungs— 
|bertrages, der zwijchen beiden Staaten 
beſtand, die Verhaftung und Auslie— 
ferung Stoltzes. Naſſau genehmigte 


das Gefuh und Stoltze ſollte wirklich 
verhaftet werden. Das war aber eben— 


freund“, gab dann ſpäter die „Krebbel- falls ruchbar geworden, und zwei 


zeitung“ heraus, die in zmanglofer | Frankfurter Freunde 


Folge erjchien und in Frankfurter 
Mundart die localen und die Zeit« 
ereigniſſe humoriſtiſch-ſatiriſch beſprach 
und kritiſierte. Die „Krebbelzeitung“ 
hatte ungeheueren Erfolg; ihr Er— 
ſcheinen war jedesmal ein wichtiges 
Ereignis. Stoltze gieng darin nicht 
bloß mit manchem Zopf ſeiner Vater⸗ 
ſtadt unglimpflich um, ſondern er bes | 


fänpfte auch die politifche Reaction |beichrieben. 


de3 Bundestags und der Nachbar— 
ftaaten, namentlich Heſſens und Cur— 
heilens. Die legteren verjtanden feinen 
Spaſs; fie ftrengten Proceſſe gegen 
ihn an und erließen Stedbriefe, konnten 
ihm aber nichts anhaben, da es damals 
noch feine Rechtshilfe zwiſchen den 
Mitgliedern des deutſchen Bundes 
gab. Nur das erreichten fie, daſs 
Stoltze jegt feinen Schritt mehr aus 
dem Frankfurter Gebiet thun konnte, 
ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu 
werden. Da das Reich Frankfurt 
nicht groß war, mufste Stoltze ſchon 
auf feinen Spaziergängen nad dem 
heiliichen Offenbah oder dem curs 
heſſiſchen Bodenheim, die nur eine 
halbe bis eine Stunde von Frankfurt 
entfernt find, genau achtgeben, daſs 











Sie froh, 


des Dichters 
eilten nach Königſtein und rettete 
in fchneidig = falter Winternadht den 
franten Stolge auf das Frankfurter 
Gebiet. Als am anderen Morgen früh 
die Gendarmen kamen, war das Neft 
der Vogel war ausgeflogen. 
In feiner humoriſtiſchen Erzählung 
„Die Flut don Königftein“ Hat 
Soltze dieſe Vorgänge recht wirkſam 
In dieſen Tagen hat die 
Geihichte noch eine Erweiterung er— 
fahren. Anläſslich des Todes Stolges 
erzählte nämlich der Großherzog Adolf 
von Luxemburg, der damals Herzog 
von Nafjau war, wie der Amtmann 
von Königftein, der die Verhaftung 
vornehmen follte, in höchſter Aufre— 
gung perfönlich in die Reſidenz Wies- 
baden fuhr, um dem Herzog die Flucht 
Stolßes zu melden und von feinem 
eigenen Haupte da3 Unheil, das er 
deohend kommen fah, abzuwenden. 
Wie angenehm war er aber überrafcht, 
als ihm der Herzog ſagte: „Seien 
dajs Sie ihn los find!” 

Im Jahr 1860 begann Stolke 
in Gemeinschaft mit dem Zeichner 
und Maler Schald die Herausgabe 
der „Frankfurter Latern“, eines hu— 





846 


moriftiich = jatirischen 


Mochenblattes, | 
das die localen und die politijchen | linie entzweigeriffen, Frankfurt hatte 





Dentjchland war durch die Main: 


Begebenheiten in Proja wie in Verfen | feine Freiheit verloren und im Jahre 


erörterte und kritiſierte. Es war die, 
bewegte Zeit des deutjch = nationalen | 


Aufſchwunges. 


1867 verlor die alte Kaiſerſtadt auch 
noch ihr altes Wahrzeichen, den Dom, 


Auf das Schillerfeſt der in Flammen aufgieng. Dies alles 


(1859), das beſonders in Frankfurt gieng Stoltze tief ins Herz; er ſang 


unter hervorragender 
Stoltzes großartig gefeiert wurde, 
folgte die Gründung des National: 
vereines, das Frankfurter Schützenfeſt 
(1862), der Fürſtencongreſs (1863), 
der jchleswig = holftein’fche Srieg, Die 
Anträge Preußens zur Reform der 
Bundesverfaſſung, endlich der Krieg 
1866. Stoltze war begeijtert für die 
Einheit und Größe, aber auch für die 
Freiheit Deutjchlands, und gegenüber 
der preußifchen Gewaltpolitit und dem 
Kleindeutſchland des Nationalvereines 
ſtand er gleich dem geſammten Frank— 
furt auf der Seite des großdeutſchen 
Gedankens und Oſterreichs. Stolße 
führte gegen Preußen eine jcharfe 
Feder, und es war nicht zu verwun— 
dern, dafs er bald von preußifchen 
Gerichtshöfen zu einer erkledlichen 
Anzahl von Gefängnismonaten ver- 
urtheilt war. Als daher die Preußen 
in Frankfurt einrüdten, mufste Stoltze 
fliehen. Er .gieng zuerft nah Stutt- 
gart, dann an den Bodenjee und in 
die Schweiz. Was er im Eril ſchrieb, 
das beweist, daſs er weder den Humor, 
noch den Glauben an das Baterland 
und an die Menjchheit verloren hatte. 
Die Amneftie öffnete ihm Ende 1866 
die Heimat wieder. Als er nach Frank— 
furt zurüdtehrte, fand es fich, dafs die 
Preußen in der Nedaction und Erpes 
dition der „Latern“ alles mitgenommen 
hatten, was nicht niet und nagelfeft 
war, darımter jämmtliche alten Jahr: 
gänge des Blattes, die Stoltze auch nie 
mehr zu jehen befam, Er hatte dies 
ſchon im Eril erfahren, weswegen er in 
dem Gedichte: „Auf der Sanct Geb- 
hards-Kapelle bei Bregenz“ auch jagte: 
Der heilige Nimmbard, ein Herr aus ®erlin, 


Der trieb zum Eanct Gebhard aus Franf: 
furt mich hin. 








Theilnahme unter anderen: 


Alles was uns lieb und theuer, 
Was uns heilig, hoch und werth: 
Unjre Tempel frak das feuer, 
Unjre Freiheit frak das Schwert! 
In den Eturm des jähen Falles, 
In der höchſten Flammennoth: 
Vaterland, du über alles! 

Dieje Glut dein Morgenroth! 


Mitten zwiihen Süd und Norden 
Ragt am Main der Kailerdom; 
Deutſche hier und Deutſche dorten — 
Baterland, dich trennt ein Strom! 
Eh’ du jolft als Markſtein ragen, 
Alter Pfarrthurm, bier am Flufs, 
Lieber ſoll dich niederſchlagen 
Flammend Deutihlands Genius! 


Die „Latern“ war jelbjtverftänd- 
ih verfhwunden, und der Heraus— 
gabe eines neuen Blattes ftellten ſich 
unter dem ftrammen preußifchen Re— 
giment große Schwierigkeiten entgegen, 
nicht bloß polizeiliche, jondern auch 
materielle, wie Gaution und Zeitungs 
ftempel. Erſt im Jahre 1872, als 
Frankfurt ſich allmählich in die neuen 
Verhältniffe einzuleben begann, konnte 
die „Laterne“ wieder erjcheinen, und 
Stolge veröffentlichte in ihr in ge= 
wohnter Weile die Beiprehung von 
localen und Zeitereignifien, Humores— 
fen, Erzählungen, Lyriſches, Näthiel, 
u. j. mw. bis furz vor feinem Tode. 
Das Blatt wird von jeinen Hinter— 
bliebenen weitergeführt. Stolge hat 
feine Reichthümer Hinterlaffen; es 
war ihm nicht gegeben, zu ſammeln. 
Dafür hat er auch feine Feder rein 
bewahrt, was in den bewegten Zeiten, 
die er durchlebte, nicht immer leicht 
war, und er iſt als ein Ehrenmann 
geftorben, ein Mufter deutichen Schrift- 
jtellerthbums für alle Zeiten. In dem 
tapferen Kämpfer lebte das Gemüth 
eines Kindes, und er war bon einer 





rührenden Belcheidenheit und Anz | ih an den betreffenden Stüden ge— 
ſpruchsloſigkeit. Manchen hat er in der | radejo wie die Chriften. Hier ift eines: 
Hitze des Streits verlet, aber niemand 

fonnte ihm auf die Dauer gram fein, Der Prophet Jonas. 
und jo ließ er auch thatfächlich Feine 
Feinde zurüd. Im feiner zahlreichen 
Familie erlebte er den Schmerz, dal3| Won acht bis neun war Unnerricht 
ihm zwei Söhne im blühenden Alter| Stets in der biblifge Geſchicht, — 
von 20 und 22 Jahren ftarben. Am —— — — — Sr 

3. Auguft 1884 vaubte ihm der Tod| Gehorzelt i8 bei Ninive, 

auch die treue Gattin, und dieſen, ort war er, unner, bleede!) 
Verluſt hat er nie ganz überwunden. 

Am 21. November 1886 begieng er & Walfiih hat en Taum gegudt, 


unter großartiger Theilnahme der Bes a nen Bin mEndN; 


völferung das Feſt feines Eintrittes Drei Dag lang ohne Stuhl un Diſch 
in die Siebziger Jahre, Er blieb friſch Saß der Profet jo in dem Fiſch 
und gefund bis im verflofjenen Spät: | Un war net zu verbaue. 
jahr, wo er zu kränkeln begann. Ein : 
Magen⸗ u Leberleiden brachte ihn 2 Pe ee 2. 
bald von Kräften, und am Abend des| Grad uff die Ufertrappe.®) 
28, März, unter dem Klang der) Der Jonas rafft fi mihſam uff 
Sioden, die das Dfterfeft einläute | Um lobt den Herrn und Friegt enuff 
ten, hauchte er ſchmerzlos feine Serie) Un mecht fih aus de Kappe‘) 
aus. 
Und nun zu einigen Proben aus 
feinen Werken. Da tut einem aller= 
dings die Wahl weh, jo groß ift die 
Menge des Bortrefflichen, des Erniten 
wie des Spajligen, des Humoriſtiſch— 
Heinen wie des SKomifch » Derben.| Der ſecht un mecht e dumm Geficht: 
Stolge leiftete auch im Hochdeutſchen „Ei legt in der Nadurgeichicht, 
als Dichter und Erzähler Bedeutendes,) Da dhate Se dod ſage, 
| 


(Frinnerung aus de Schuljahre.) 


So etwa bracht's der Lehrer vor, 
Mit annern befiern Worten nor, 
Denn dafor war's der Kehrer. 

Mir Buwe horchte fromm der Redd, 
Nor Näner hat’3 bedappelt’) net 
Der von Begriff war ſchwerer. 


aber jeine Hauptſtärke liegt in der * er — nn eo 
Handhabung des Frankfurter Dialectes. Nir Großes in fein Mage. 

Aus dem Volke hervorgegangen, bat 

er Denken und Fühlen, Handeln und 
Mandeln des Volkes mit ſcharfem Blide 
erfafst und mit Fünftlerifcher Kraft 
zum Schriftwerf geftaltet. Zahllos 
ind die Humoresken, die er fchrieb, 
die beiten umd wirkſamſten leider zu 
lang, als daſs jie hier zur Probe 
mitgeteilt werden könnten, Wir 
müſſen uns daher mit etlichen kürzeren 
begnügen. Eine Befonderheit des 
Stoltze'ſchen Dialect-Humors ift es, 
daſs er die jüdische Eigenart ganz 
vortrefflih aufzugreifen und darzu— 
ftellen verfteht, und zwar im einer 
Form, die nad feiner Seite verletzend 
wirft. Die Frankfurter Juden ergößen 


Un e3 beftänd jei Middagsdiſch 
Aus lauter ganze Määne Fiſch, 
Un Seegewerm un Schnede. 

Bei jo 'me enge Gorjelihlaud, 
Wie fam der Yonas in den Baud 
Un blieb im Hals net ftede?* 


Der Lehrer, der ſprach ganz verblifft: 
„E Walfiihihlund, was des betrifft, 
38 zwar e enger, Hääner; 

Doch deshalb fei ganz außer Sorg, 
E Judd drüdt imerall fih dorch, 

Un Jonas war ja ääner!* 


t) = pleite, ein jübiidher Musprud: bedeutet 
banferott, jugrunde gegangen. 

*) friegte, befam, 

3, treppe, 

2) ſich davonmachen. 

>) verſtanden. 


— 


Hier ein anderes: 


Levi un Rebekkche. 


63 lag Rebekkche uff der Bahr, 
Sie war des Dods verblidye 

Un bat jeit fünfundzwanzig Jahr 
Zum erſchſtemal gejhwiche.?) 


Ihr Mann, der Iſat Feidel Stern, 
Sist da im Schawes-Fräckche, 
Un Thräne, did wie Kummerfern, 
Die flennt er um's Rebekkche. 


Un wie er flennt un wie er greint 

So in feim Schmerz, ſeim größte, 
Kommt Meyer Herſch zu geh, jei Freind, 
Er fimmt un will en tröfte. 


Der Iſak in jein Schmerzgefihl 

Dhut em entgegerenne, 

Doh Meyer fegt: „Was e Schlemihl! 
Wie fann mer nur fo flenne! 


Was greinft de der die Mäge roth 

Un heulſt der jo unbändig? 

Mas Stuß! Geb mer dei fyrää, dei dodt, 
Ih geb der mei lewendig!“ 


Und noch ein drittes: 


Er fann net. 


Ter Gedallje, als Schmarotzer war er 

iwerall befannt, 

Wo's mas Gutes gab zu adle,?) war er 
immer bei der Sand, 

Un der Nathan hat geärjert zwar ſich iwer 
fo e Wanft, 

Un dod jegt er'm: „Komm zum Eſſe morje 
Mittag, wenn de fannft!” 


Der Gedallje hat zum Eſſe fi ääch plünft: 
lich eigeftellt, 

Tod die Hausthür war verſchloſſe. — Der 
Gedallje hat geſchellt; 

Hat geſchellt un hat geriffe, hat gezoge un 
gezoppt, 

Hat Parademärſch getrommelt uff der Dhür 
un Siorm gelloppt. 


Gud, da öffnet fi e Fenſter un der Nathan 
gudt eraus, 

Und er rieft enab: „Wer trummelt, lärmt 
un ſchellt jo an mei Haus?" 

Un Gedallje jegt: „Herr Nathan, ich bin’s 
doch, Herr Nathan, ich!“ 

„No, was gibts dann, Herr Gedallje?* jegt 
der Nathan ärjerlid. 


!) geichwiegen. 
°) eſſen. 





„Was es gibt? Wie kann ich's wiſſe? 
Ebbes Gutes werd's doch ſei; 

Haft de mid doch eigelade; awer lan id 
denn erei? 

Haft geiagt doch: Komm zum Eſſe, fomm 
zum Eſſe, wann de fannft, 

Un jet bin id da, Herr Nathan, dod das 
Hausthor is verihanzt!* 


Un der Nathan rieft enuner: „So?veridlofie 
i8 der Dhor? 

Is verſchloſſe, Freind Gedalljie? Werklich? 
Doch wer kann derfor? 

Ya, ih hab' der eigelade, awer was haw' 
ich gereddt? 

Wann de kannſt, jo komm zum Efje. Kannſt de? 
Nää, du fannft ja net“! 


Die Wahrnehmung, daſs Frank— 
furt für jeinen außerordentlich großen 
Wohlthätigkeitsſinn nicht überall Dant 
gefunden hat, veranlajste Stolge zu 
folgenden Strophen: 


Bald brennt der’s in Hamburg bei unjerer 
„Schweſter“, 

Bald ſitze als „Brüder“ im Waſſer die 
Peſter, 

Un hat ſich die Flut von der Donau verloffe, 

So fin in der Rhon ſoviel „Nahborn” 
erſoffe, 

Un is in den Süde e Unglüd geſchlicht. 

So wird e Malheer aus dem Norde bericht. 


Dann hungern die alte Boruffe un Wende; 

In Sadje, faum fin da verhagelt die Saate 

So fin in der Rhön die ftadoffle miisrathe, 

Un fterzt ſich Fels ufn Schweizer Barad, 

So macht's uns in Frankfurt e Loch im 
de Sad. 


Un fegt e Orlan uns de Beutel aus Ofte, 

So eisgangt's im Weſte uff Frankfurter Kofte, 

Un hat wo e Blig in e Säuftall geſchlage, 

&o hat mer in Frankfurt die Kofte zu trage, 

Un bridt e alt Bolleul den Hals un 
de Bäs, 

So wendt fih ihr Stiefbaas nah Frankfort 
am Mää, 

So gebt der des fort un jo geht der des 
jemper ') 

Vom erjhe Janwari bis letzte December, 

Un zehlt mehr zujamme die Batze un Bohne, 

So gebt des aus Frankfurt enaus zu 
Millione, 

Es koſt ääm e Geldipiel, e3 18 der zu toll — 

UnhinnenahjihändtmerdeBudel 

uns voll! 


t 
! 
Da is vor die fchlefiihe Weber zu ſpende, 





| +) immer. 


— — — — nn — — — 


Von den Stoltze'ſchen Humoresken 
und Gedichten find —— Samm— 
lungen erſchienen (in Fraukfurt a, M. 
bei Heinrich Keller), die zahlreiche 
Auflagen erlebt haben. Jetzt wird eine 
Geſammtausgabe ſeiner Werke vor— 
bereitet. 


849 


Stoltze zu jenen Männern gehört, 
welche die Himmelsgabe beſitzen, nicht 
blos mit dem Volke zu denken und 
zu fühlen, ſondern auch das, was 
das Volk denkt und fühlt, in Worten 
zum Ausdruck zu bringen, ſo daſs 
Tauſende und Abertauſende an feinen 


Wenn fie hinausgeht, dann werden 


Schöpfungen ſich freuen und erheben 
die Deutschen ſich überzeugen, dafs 


fönnen bis in ferne Zeiten. 


Mitleid. 


Gedicht von Kobert Hamerling. 


5 
8 
E ſeltſam Weib! Ich ſprach ſehr lang zu ihr 
Von Liebeselend, das fie mir bereitet, 
Wie fie mi ſchnöd' gebragt um Glüd und Ruh’, 
Mie fie zur Furie fchier an mir geworden, 
Sie hörte ftil und mwohlgefällig zu. 


Doch als ich weiter jprah: „Mich reitet nur 

Ein Wunder noch — Vielleicht gejhieht dies Wunder! 
Vielleicht erfteh’ ih aus den Todesihmerzen 

Zum Leben wieder, ja, zu neuen Leben, 

Zu befierm Glüd an einem edlern Herzen, 

Das wahrhaft lieben fann* — Ws ich jo ſprach, 

Un aus dem Aug’ ein Hofinungsftrahl mir brad. 

Erft jet begann die Stirn fi ihr zu trüben, 


Kalt hatte fie gehört von meinen Beinen, 

Doch als ich hoffend ſprach von künft'ger Luſt, 
Da ſtahl ein Seufzer fih aus ihrer Bruft, 
Und fie begann vor Ärger ftill zu weinen .. 


Rofegger’s „Geimgarten‘‘, 1. Geft. XV, 54 





Offenes Schreiben an Herrn Henrik Ibfen. 


F 
2 


as war geſtern ein Schreck, Heute morgens war mein erſter Gang 
3, mein beſter Herr Ibſen! Ich in die allernächſte, doch da höre ich 
wohne gerade dem Theater ge- | jagen: das Bud ift vergriffen. Ihre 
genüber. Acht Minuten nah halb „Dedda Gabler“ vergriffen — id 
Zehn wars, als ich plötzlich vom gratuliere! Ein Mitteljchulprofefjor, 
Mufentempel her einen gräfslichen | der im Haufe wohnt, hört von meiner 
Lärm vernahm. Ach, du großer Gott, | Notd und Läjst mir fagen: unter 
ein Theaterbrand! Es wurde Ihr feinem Tiſche läge ein Exemplar 
neues Schaufpiel: „Hedda Gabler“ | „Hedda Gabler* zufanntengelnüllt, 
aufgeführt, das Haus mar ausver- |er rühre es nicht mehr an, wenn ich 
kauft. Ausverlauft, Herr! Ich gratu= es haben wolle, jo ftehe es zur Verfü 
liere! — Zweitaufend Menjchen ein|gung. So kam ih zum Buche und 
Dpfer der Flammen! Aber das war's | las es allſogleich. 
nicht, es war ſchlimmer. Was be— Ich bin ſchon fertig. 
deuten Menjchenleben, denken Sie nur! Und mun, mein werteiter alter 
Den Ausspruch eines alten, ach wie Herr, nun geftatten Sie die höfliche 
armfeligen Poeten, verbeijern wir da= | Anfrage: Warum Haben Sie diejes 
bin: „Das Leben ift der Güter) Stüd geſchrieben? Was wollten Sie 
Höchftes micht, der bel größtes aber damit? Jeder Dichter will etwas mit 
ift der Mifserfolg!* Denten Sie an: feinem Werke, er will entweder eine 
ausgezifcht ift e$ worden, diefes herr- Hunftgeltalt Hinjtellen, die wohlthut, 
lihe Stüd, mit dem Sie die Welt erheitert, erhebt, erjchüttert und ver— 
beglüdt Haben, ausgeziicht, ausge- ſöhnt, oder will eine beftimmte dee 
pfilfen, ausgetrommelt, ausgefreufcht, | zum Ausdrude bringen,eoder er will 
mit dem Bejen ausgejagt. Und darum | lehrhaft wirken. Sie, mein Herr, 
der Lärm. wollen bier das alles nicht. Ihre Ab— 
Ale Zeitungen Hatten wochenlang ſicht ift doch wohl, eine ausgejuchte 
die beitorganifierte Reclame fpielen | Geſellſchaft von dummen, faden, leicht: 
laifen, denn es war ja ein modernes | finnigen, blöden, diebijchen, viehiichen, 
Stüd, ein „naturaliſtiſches“ Stüd, ſchurkiſchen, überhaupt erzniederträch— 
und was die Hauptfache ift, ein aus- tigen Perfonen vor uns auf die Bühne 
ländiiches Stüd! Allein ich war nicht | zu ftellen und dreift zu behaupten: 
neugierig. Nun aber jweitaufend | Das it die Wahrheit! Wenn Sie 
Menihen auf einmal lärmten, nun) beifeßen: Es ift die Wahrheit des 
wurde ich neugierig. Aufgeführt, jagt | Irrenhaufes, des Zuchthaufes, jo mö— 
der Intendant, wird’ nicht mehr, gen Sie vielleiht der Sade näher 
allein es gibt noch Buchhandlungen. | kommen. Die Menſchen im allgemei- 














nen, befonders in Streifen, die ich feit 
fünfzig Jahren fennen gelernt, find 
nicht jo, wie Sie fie uns glauben 
machen möchten. Und Sie glauben e3 


ja jelber nicht, dürfen es nicht 
glauben, wenn Sie fih nicht ſchämen 
wollen, ſelbſt einer von diefer Gattung 
jo hübſch behaglih unter den Beitien 
zu leben. — Sa aber was haben 
Ihnen denn die Leute gethan, Ihre 
Vorfahren, Ihre Brüder und Schwe- 
ftern, Ihre Nachkommen, dass Sie fie 
jo beitändig und jo fchmählich ver: 
leumden ? Außergewöhnliche, pſycho— 
logifhe Probleme wollen Sie löfen! 
Gut, jo löjen Sie! Sie ftellen aber nur 
auf, Sie ſchürzen nur, dann ſchicken 
Sie das gepeinigte Publicum davon, 
und jeder — meinen Sie — foll 
jelber daraus machen, was er will, 
Das ift aber doch wirklich eine Leute: 
fopperei! Ich mufs offen geftehen, 
Ihre „Hedda Gabler“ hat keine an— 
dere Empfindung in mir zurüdgelaffen, 
als das der redlichiten Empörung. 
Mag ja fein, dafs ich's nicht ver— 
ftehe, danır verftehen’3 Taufende nicht 
und dann, bitte, dichten Sie deut» 
liher. Die Slarheit ift eine Haupt- 
bedingung der Kunft und wird wohl 
auch auf dem menen Parnaſs, dem 
Blodsberge, eingeführt werden müſſen, 


— —— — — — — — nn — — 


davon. 

Dieſe „Hedda Gabler“ iſt eine 
ſaubere Perſon. Erſt heiratet ſie, um 
verſorgt zu werden, einen Private 
docenten; das iſt aber ein philie 
jtröfer, fader Patron, Gott nein, und: 
die Frau Gemahlin liebt ihn nicht, 
denken Sie nur. Sie liebt nad) ihrer 


Hand, damit er Tich felbit erſchieße, 
„im Schönheit jterbe*. Denn jie will 
bloß einmal eine That fehen. Die 
Männer kommen ihr alle jo träge 
und jo feige vor und der einzige, den 
fie noch achten will, fol den Muth 
haben, ſich die Kugel duch den Kopf 
zu jagen. Und warum ? wegen nichts! 
Es handelt fich nicht etwa um eine 
Heldenthat oder um die Ehre, um 
nichts, nur um den Muth, ſich zu 
tödten, will fie, daſs er ſich tödte. 
Um diejen Bettelpreis zwar thut er's 
nicht, feine thatfächlihe Veranlaſſung 
ift noch viel bettelhafter, er erichiept 
fich, weil, nachdem sie ihn bejtohlen 
bat, feine Eriftenzbedingungen dahin 
find. — Nach einem ſolchen Schelmen— 
ftüde Happt’3 natürlich nicht bei Frau 
Hedda Gabler, daher fhieht fie Tich 
auch jelbit über den Haufen. Iſt auch 
die rühmlichite That, die fie in ihrem 
Leben geleiitet. 

Nun aber frage ih Sie, mein 
theuerfter Here Ibſen, warum? 
Warum Haben Sie diefes Geſpenſt 
aufgewedt? In den eriten Acten 
macht ſie's allerdings ganz wie eine 
moderne Frau, was fie aber weiters 
plant, das fommt im Leben nicht vor, 
da3 kann man alfo nicht nachempfinden, 
das iſt eine geiftreihe Spibfindelei 
Oder Haben Sie mit 
diefem Stüde jagen wollen, wie es 
gut wäre, wenn die Männer all: 
mählih zum Selbjtinorde dreſſiert 
würden? Was? Soll die Helden: 
baftigfeit Ihrer Heldin darin liegen, 
dafs fie zu verſtehen gibt, das Leben 
jei juft noch einen Schuſs Pulver wert 
und die männliche Größe und Schönheit 


Art (wohl gewiſs nah ihrer Art!) | liege darin, ſich felber todtzujchiegen ? 
einen anderen, der aber ohnehin u — Mein lieber Herr! Wenn dieſe 
mit einer Ehebrecherin glüdlich it. Welt jo elendig iſt, dafs man das 
Wohl die Eiferfucht, der Neid, angeblich | By dem Sein vorziehen mag. 
aber andere, ganz unerhörte Gefühle! f o werden die Leute ſchon ſelber auf 
und Beitrebungen veranlafjen Hedda, |die Idee kommen, ſich zu tödten; um 
ihn (ihn, den Geliebten, nicht ihnen diefen Rath zu geben, dazu 
die MNebenbublerin) in den Tod zu brauchen wir feine Dichter und feine 
hegen. Zu dem Zwecke beſtiehlt ſie Bühnen, das beſtreitet der Hinlende mit 
ihn, drückt ihm die Piſtole in die | dem Pferdefuße einfacher und billiger. 


54* 


jonft läuft Ihnen im Wirrwar PR Dichters. 


852 


Ih würde fehr gerne annehmen, 
dafs Sie mit der Hedda Gabler aber 
doh was Rechtes beabjichtigen. Viel— 
leicht wollen Sie ein dämoniſches 
Weib aufzeigen, vielleicht wollen Sie 
die Männerwelt warnen dor MWeibern, 
die fofett, falſch find und fein Herz 
haben. Es wäre etwas. Allein, wie 
mi bedünken will, liebäugeln Sie 
mit der Hedda Gabler, laſſen mehr: 
mals durchblicken, daſs fie eigentlich 
nicht unrecht Hat. Nicht unrecht Hat, 
zu jein, wie fie ift — natürlich! 
Allein, jo ift feine von folchen, die 
frei umlaufen dürfen. Die arme Hedda 
gehört ins Jrrenhaus und nicht ins 
Theater; aber es ift ja wahr. 

Herr, ih frage Sie, was wollen 
Sie nur do mit Ihren Dramen ? 
Ih weiß, was Sie jagen, wonit Sie 
ih redtfertigen und andere täufchen. 
Dadurch, daj3 Eie immer predigen, 
wie jchleht die Leute find, wollen 
Sie fie angeblich beſſer machen. Ganz 
die gleiche Methode haben auch die 
ungeſchickten Sanzelredner. Sie ſpre— 
hen, wie alle zumideren Geſellen, 
immer nur bon dem, was nicht fein 
jol. Wie Sie es Haben wollen, 
wie es werden ſoll, darüber fein 
Wort. Sie reißen die Gewölbe der 
Abzugscanäle auf und Schreien: Sehet 
unjere Wafferleitung! Und das nennen 
Sie Wahrheit! Sie, mein Herr, zum 
Vebensführer zu haben, der Sie nur 
Sumpf und Jauche willen! Aber, 
rufen Sie, Sumpf und Jaude ift ja 
Wahrheit! Gewijs, es gibt Sumpf 
und Jauche. Die taufend frifchen 
Quellen, die fliegen, verleugnen Sie. 
Und das nennen Sie Wahrheit ! 

Wenn es wirklich jo wäre, mie 
Sie jhildern, dann müſste man ich 
Ihämen, Menſch zu fein, und dann 
wäre es gar nicht der Mühe wert, 


über ein jolches Lumpengeſindel aud | 


nur ein Wort zu fchreiben. 

IH gebe ja zu, dafs unfere Ge— 
Jellichaft zum großen Theile grund» 
verderbt und unſere Gultur gründlich 
verfahren ift. Das wiſſen wir ſchon 


' Lärm 





Leute find 





faft alle; daſs es jo nicht fortgehen 
fann, ſehen wir aud, dazu brauchen 
wir feine Dichter. Aber wie ändern, 
wie beſſern! Dajs fie uns das ſagen, 
dazu brauchen wir große Geilter. 

Die Menfhen find Nachahmer. 
Zeigen Sie ihnen den Lumpen, wie 
gelehrig find fie! Zeigen Sie ihnen 
große, edle Vorbilder — nit aus 
der Phantafie, fondern aus dem wirf- 
lichen Leben geholt — maden Sie ihnen 
diefe Vorbilder begreiflich, liebens— 
würdig, erreihbar, ſchmücken Sie die— 
jelben mit Schönheit und Ehren, und 
Sie werben jehen, wie die Yeute 
wieder Freude finden daran und ſo— 
wohl bewujst als unbewufst ihnen 
nachftreben. Aber, jagen Sie unge 
duldig, das ift ja die alte Methode. 
wir jehen ja, wie weit und dieſe alte 
Methode gebracht Hat. Ich gebe 
zu, dajs die Menfchen immer jeltener 
werden in der modernen Welt. Aber 
ich verjichere Sie, lieber Herr, ohne 
diefe alte Methode fänden Sie heute 
feinen Menfchen auf Erden, feinen 
einzigen Menschen, lauter wilde Thiere. 

Sie ſchmähen die Poeſie, verſchwei— 
gen die ewigen Quellen des Troſtes. 
Unter der Etiquette der Kunſt locken 
Sie die wenigen und faſt verſchmach— 
tenden Menfchengemüther zu Ihren 
Cloaken. Was wollen Sie denn mur 
damit erreichen ? 

Sie wollen die Revolution. 

3a, Herr, die will auch ich. Aber 
die Revolution muj3 einen Blau 
haben, ein Zufunftsbild, ein Ziel. 
Ihren Wäflern ſieht man nicht auf 
den Grund; aber nicht, als ob fie 
fo tief wären, fondern weil fie trüb 
find, Ich möchte willen, was „Hedda 
Gabler” bedeutet. 

Sie werden, mein Herr, mit Ihrer 
Art von Idealen (denn Idealiſt Find 
Sie durchaus, und von der jchlimm- 
ften Sorte) noch ein paar Jährchen 
machen, denn es ift was 
Neues, da3 Sie bringen, und die 
neugierig! Aber bilden 
Sie ih ja nicht ein, mit Ihrer Dich— 





tung bahnbredend zu werden. Die 
Mode wechjelt, die Menjchen bleiben 
ich gleih. Die Menjchen wollen lieber 
leben al3 fterben, lieber fröhlich fein 
als fauertöpfiich, lieber Gutes geniepen, 
als Böſes, lieber Schönes jehen als 
Miderliches. Und jo wird die Dich- 
tung, wenn aud in der Form ſich 
ändernd, im Geiſte bleiben, was fie 
bei Homer, Shatejpeare und Goethe 
gewejen, nicht ‚eine Stridleiter in den 
Abgrund der Hölle, jondern ein 
Ariadnnes Faden aus dem Labyrinthe 
der Leidenjchaften, eine Jakobsleiter 
zu lichten, troftreihen Höhen. 


— 


853 


Nein, abgebrannt ift es nicht, bei 
dem SHeidenfpectafel gejtern, das 
Theater; ich hoffe, daſs in demjelben 
bald wieder Lebensmuth und menſch— 
lihe Größe verkündet werden wird. 
Unter allen Umſtänden wünſche ich 
Ihnen, mein lieber Herr, das, was 
Sie ſich ſelbſt am innigften wünfchen, 
troß Piſtolenknallens auf der Bühne 
— ein langes Leben. 

Übrigens — machen können Sie! 


Desgalb in Bewunderung hr 
ergebener 


6. Stammer. 


Geburt und Taufe. 


Aufzeihnungen aus der Gegend des Sollinger-Waldes. Von Heinrich Sohnrey. 


m gEHi® 
es neh miet!!) Sp Hat der 
Spajsmaher an der Hoch— 
zeitstafel gerufen — und er hat recht 
prophezeit: Eine gewiſſe Zeit iſt ver- 
gangen — und die eine Frau im 
Dorfe raunt es der anderen zu: 
„Wat ſeggſt Döu, met Bormarns 
junger Fröuen is't wat anders.”?) 
Ein dunkles Wort, auf das aber die 
andere jo verfländnisvoll nidt, als 
wüjste fie ſchon feit Wochen um das 
Geheimnis. Weißt du es auch, Les 
jerin? Niht? Ei nun beruhige dich 
nur, du wirft es ſchon merken. 


Kinderpäpige is wonnen hat, 


das gejchieht jegt: fie 
bietet ihrer Erzfeindin einen guten 
Tag. Es mag ihr Schwer genug an» 
gefommen fein; aber ſie fteht mit 
einem Fuße im Grabe und jie weiß: 
grüßt fie die Feindin nicht, jo wird 
fie ein — ftummes Kind zur Welt 
bringen, denn jo geht der Volks— 
glaube. In der Zaubftummen- 
anftalt zu Hildesheim befindet fich ein 
taubftummes Mädchen, in deijen Dei: 
matsorte ich die Leute verjichern hörte, 
daj3 das Kind taubſtumm geboren 
jei, weil die Mutter dem Verführer 
ihrer Schwefter nit die Tageszeit 


Bormarns junge Frau begegnet | geboten hätte. 


ihrer Erzfeindin — und was fie feit 


Hoffnungevolle Frauen dürfen 


Jahr und Tag nicht über ſich ge= keinerlei Unrecht begehen, wenn fie 


9» Hochzeit — Kindtaufe ift nicht weit. 


2) Was jagft du, mit Bormanns junger 


Drau iſt's was anders! 


nicht wollen, daſs ihr Kind mit den 
entiprechenden üblen Eigenichaften ge= 
boren werden joll. 


—_ — — 


864 


Die Zeit iſt um — und plößlich 
geht ein Raunen durchs Dorf: Man 
hat den jungen Bormann im blanken 
Sonntagsfittel haſtig vom Hof gehen 
jehen, und er hat nicht den geraden 
Meg durchs Dorf, jondern einen 
Ummeg außerhalb des Dorfes einge- 
Schlagen, um zur Stadt zu fommen. 
— Mad dies verichämte Eilen zu 
bedeuten Hat, nur zu bald wird's 
offenbar, Auf einmal heißt's: „Wetet 
je at wat Negges? Bormanns hHebbet 
'n Hein Meken ekregen!“,) Alſo die 
„Bamutter* (Bademutter, Hebamme) 
war’3 gewejen, der das verjehämte 
Gilen des jungen Mannes gegolten 
hatte. Bormanns hätten zwar zuerit 
lieber einen Heinen Jungen genoms 
men, um den Stammbaum gerettet 
zu ſehen; es war jogar der Bade» 
mutter, wenn auch nur fcherzweife, 
ein enijprechender Auftrag gegeben 
worden ; indeflen, als fie das „grall« 
äugige* Mädchen jehen, da find fie 
e3 auch zufrieden und jagen: „Wat 
fümmt, mant ewehnt werden !“?) 

Nachdem das Kind glüdlich zur 
Melt gelommen, geht der Bater in 
feiner Herzensfreude eiligft auf die 
„Radböhne* (Rauchbühne), um Die 
für dies Ereignis bejonders aufges 
fparte „dide Wurft“?) herunterzu— 
holen, welche danı von den verſam— 
melten nächiten Werwandten und 
Nachbarn in freudigfter Aufregung 
einmüthig verzehrt wird, wobei man 
jelbftverftändlich einander auch fleißig 
mit dem Bramntmweinglaje zuproftet. 
Kommt gerade ein guter Bekannter 
am Daufe vorüber, pflegt man auch 
ihn wohl hereinzunöthigen: „Kumm 
herin un drink emol un probere al 
de dide Woſt emol!“) 


) Mifst ihr auch mas Neues? Bor: 
manns haben ein feines Mädchen gelriegt. 
?) Was lommt, mujs gewöhnt werden. 
) Man jagt auch wohl jcherzweije 
noh Bameumenwoſt“ — Bademutterwurft, 
welde Benennung zur Ahnenzeit üblich war. 
) Komm herein und frinf einmal und 
probiere auch Die dide Wurft einmal, 


Der alte Aberglaube äußert ſich 
bauptfählih bei der Taufe in den 
verjchiedenften und feltiamften Vor— 
ſchriften, mit deren Befolgung es aber 
heute jo genau nicht mehr gehalten 
wird, wenn wir uns auch nicht ver» 
hehlen dürfen, daſs noch mandhe 
Handlung allein duch den Aberglaus 
ben beſtimmt wird. 

Bezüglih der Pathen heißt Die 
verbreitetite und befanntefte Regel: 
„Dei dredde Ader fleit nah'n Paen.“ 
(Die dritte Ader Schlägt nach dem 
Pathen.) Ein Glaube, welcher beſagen 
will, dafs ſich eine gewiſſe Eigenfchaft 
vom Pathen auf den Zänfling ver— 
erbt. 

Eine Fran, welche jelbft ein Kind 
erwartet, ſoll man nicht zur Gevat- 
terin bitten, es könnte jonft dem Täuf— 
ling das Leben toten. 

Manche Eltern ftellen das aus: 
drüdliche Verlangen au Pathen und 
Bathinnen, dafs diejelben ji, bevor 
fie den Taufgang antreten, den Mund 
hübſch mit Waſſer ausfpülen und fich 
darnad aller jpirituofen Getränte ent— 
halten, auf dem Taufgange ſelber 
aber feine leiblihen Bedürfniffe mehr 
befriedigen, mweil das Kind fonft mit 
üblen Eigenſchaften behaftet werde. 
Im übrigen ift für den Zaufgang 
die Regel maßgebend, dafs der Jüngite 
vorangeht und immer der Nächitälteite 
ſich anſchließt. 

Bor dem Altare hat die Bade— 
mutter Sorge zu tragen, daſs das 
Kind von ſämmtlichen Pathen ein 
MWeilhen auf dem Arme gehalten 
wird; der Jüngſte hat in der Regel 
das Kind über die Taufe zu halten. 
Dabei ift nun noch ein bejonderes 
Mertzeihen zu beachten, und es jolt 
wirklich Leute geben, die durchaus 
nicht nur des Spafses wegen auf 
das Zeichen achten: der Pathe näm— 
ih, auf deilen Armen das Sind 
weint, „bat es nicht gern gethan”. 

Das Pathenamt bringt ja Freilich 
aflerhand Berpflihtungen mit fich; 
\aber dafür verſpricht es auch einen 








herrlichen Lohn, heißt es doch: So 
viel mal einer Hat Pathe ftehen 
müfjen, fo viel Sitze („Stehen 
Stellen“) werden ihm im Himmel 
bereitet. 

Ein großer Widerwille herrfcht 
dagegen, mehrere Kinder gleichzeitig 
zus Taufe zu bringen, denn man 
glaubt, eines müſſe dann fterben. 
So fam es 3. B. vor, daſs eine 
Mutter, welche mit den Gevattern 
ihres Kindleins bereit vor der Kir— 
chenthür ftand, wieder mit der ganzen 
Gejellihaft umfehrte, meil fie eines 
zweiten Zäuflings anſichtig geworden 
war. 


Läſst ſich aber eine Doppeltaufe 
durchaus nicht umgehen, jo mujs, 
falld die Täuflinge verſchiedenen Ge— 
ſchlechtes ſind, das Mädchen vor dem 
Knaben getauft werden, damit es 
feinen Schnurrbart bekommt. 
Manchenorts wird aus eben dieſem 
Grunde der Küſter veranlajst, bei 
jedem Kinde „neues“ Wafler zu be— 
jorgen, und da leider zumeift noch 
diejer KHüfterdienft von dem Orts— 
lehrer verrichtet werden muſs, Ddiejer 
aber den unfinnigen Aberglauben zu 
befämpfen bat, jo kommt es da mit» 
unter zu recht jeltfjamen Auftritten 
und Conflicten. 


Die kirchliche Handlung ift vor— 
über und der Heimweg wird in 
gleiher Weife zurüdgelegt, wie der 
Hinweg. Iſt man auf der Hauspdiele 
angefommen, wird zunächſt das aus 
barem Gelde (6 Mark und darüber 
oder darunter, je nad) Vermögen) be- 
ſtehende Pathengeſchenk „beigebunden“, 
das aber wegfällt, wenn die Eltern 
„freie“ Kindstaufe halten, was aller— 
dings nur alle „Jubeljahre“ einmal 
vorkommt. 


Der jüngſte Gevatter muſs darauf 
den Täufling über ein vor der Stu— 
benthürſchwelle niedergelegtes Geſang— 
buch in die Stube tragen und es mit 
folgender Anrede auf den Mutterſchoß 
legen: 


„se hebbet med egeben 'n Heidenlind, 
ed bringe jöck weer 'n Chriſtenkind; 
wenn je't raupet von der Straten, 
denn ſöll je raupen (folgt der Name).“!) 


Hiernach hebt der Vater daS vor 
der Thür liegende Gefangbuh auf 
und legt es, blindlings aufgefchlagen, 
in die Wiege unter das Kopfkiſſen, 
worauf das Kleine jchlafen gelegt 
wird. Wenn es lange und gut jchläft, 
wird folches auch in der Folge der 
Fall fein, Verziehen fih im Schlafe 
die Mienen des Kindes wie zum 
Lächeln, jo jagt man: Die Engel im 
Himmel jpielen mit dem Kinde. 

Iſt der Täufling endlih wach 
geworden, jo wird das Gejangbud 
genommen und der getroffene Gejang 
gelefen: Je nachdem er einen traurigen 
oder fröhlichen Inhalt hat, fteht dem 
Finde ein trauriges oder fröhliches 
Leben bevor. 

Don dem Geſangbuch dor der 
Thür jagt man übrigens, es folle 
bezweden, daſs das Kind Hug werde. 

Somit wären wir endlich beim 
Kindstaufſchmauſe angeflommen und 
fünnten uns nun, wenn wir wie 
der Herr Paſtor umd der Herr Lehrer 
dazu geladen wären, bejonders an 
dem mit einer prächtigen Kruſte ge= 
bratenen Schweinsichinten, dem präch- 
tigen Butter» Reisbrei, den ſüßen 
„Habutchen“ (Rofinenbrei) und dem 
ewig Freifenden falten Grog gütlich 
thun. Es ift ein Inftiges Efjen, reich— 
ih gewürzt wicht nur durch Pfeffer, 
Senf und Salz, jondern auch durch 
manche deutſame Späße und Schuurs 
ven der überjprudelnden Laune, 

Die Gevattern müſſen jedes Ge— 
riht „probieren“, lautet ein Para— 
graph im alten Derfommen. 

Die Mutter des Täuflings ſchnei— 
det ji eine Brodjcheibe und beftreicht 
fie mit Butter, wobei fie fich aber 


', Ihr habt mir gegeben ein Heiden: 
find, ich bringe euch wieder ein Chriſten-— 
find; wenn ihr es ruft von den Straßen, 
dann jollt ihr rufen (folgt der Name). 


nur der linfen Hand bedienen darf. 
Vielerwärts Hat der jüngite Pathe 
diefes Taufbutterbrod zu ſchneiden 
und mit Rosmarin zu ſchmücken. 

Abgejehen davon, daj3 man auf 
dem Dorfe den Feittag am Liebften 
zwifchen den vier Wänden zubringt, 
verbietet auch ein alter Aberglaube 
den Pathen das Ausgehen am Tauf— 
tage, denn wenn die Pathen aus: 
geben, jo wird das „Pathchen“ ein— 
mal ein „Wanderer“. 

Auch die Mutter fol am Tauf— 
tage das Haus nicht verlaffen, denn 
in dem Hauſe, das fie an dieſem 
Tage befuchte, würde in dem jelbigen 


_ 886 





Jahre viel Töpfergeichirr entzweige— 
worfen werden. 

Eine gelittete Mutter würde fich 
übrigens ſchwer dazu verftehen, aus— 
zugeben, ehe fie die kirchliche Ein— 
jegnung empfangen hat, welche, wenn 
es ihr Geſundheitszuſtand erlaubt, in 
der Regel unmittelbar nah der Tauf- 
handlung vor dem Altar erfolgt. 

Damit wäre nun meine Stenntnis 
der Dinge im weſentlichen erſchöpft, 
und ich will nur noch Hinzufügen, 
daſs die geneigte Lejerin ſich einen 
blanken Thaler verdienen könnte, wenn 
fie jo glüdlih wäre, den — erften 
Zahn des Kindes zu finden. 


Gedichte. 


Von Fudwig Anjengruber.“) 


Des Gettlers Lied. 


se i . j 
ab’ fFliden nur, fein ganzes Kleid, 
“SH Hab’ Sorgen ftets, fein halbes 
e) Leid, 
=“ Doch mag’ 


ih nit zu Grabe 
gehn, 

Die Sonne jheint zu froh und ſchön, 

Menn fie e8 gar fo ehrlih meint, 

Mir auf den breiten Rüden jcheint, 

Weiß nicht, was ih drum gäbe, 

Weil ih nur lebe! 


Sitz' Sonntags vor der Kirchenthür, 
Da fpenden Yung’ und Alte mir, 
Manch Kinderlöpfchen, fpielzerzaust, 
Drüdt mir das Pätſchchen in die Fauft 
Und Schaut mit großem friſchem Blid 
Nah mein'm „DVergelt es Gott“ zurüd. 
Der Herr viel Glüd ihm gebe, 

Weil ih nur lebe! 


*) Gejammelte Werfe von Ludwig 
3. 6. Gotta. 1890.) 


Tann fehr’ ih in der Scene ein 

Und trin!' mein Gläshen goldnen Wein, 
Und fpielt es dur die Adern leij’, 

Da klingt in mir die alte Weil’ — 

Da ihleih’ ih mih zum Waldeshang, 
Vergef’ all Sorg und jeden Bang; 
Mein Lied ich froh erhebe, 

Weil ih nur lebe! 


Da kriecht die Ameiſ' übers Blatt, 

So hurtig, jeh’ fie niemals matt, 

Da jhlägt der int, da gligt der Thau, 
Sort drüben fingt des Förfters Frau, — 
Nun blintt durchs Laub der Abenpdftern, 
Grau winft das Dörflein in der Fern’, 
Wüjst' nicht, dafs ſich's begäbe, 

Wenn ih nicht lebe! 


JB finn’ der alten Kabel nach. 


Ih finn’ der alten Fabel nad, 
Die ernithaft uns belehret, 
Dais alles, was geweſen war, 
Dereinftens wiederfehret. 


Unzengruber. Fünfter Band. (Stutigart. 





Zwar wiederlehrt nad langer Friſt, 
Nach vierzigtaujend Jahren, 

Dann aber aud genau, wie wir's 
Das erftemal erfahren. 


Nun ift mir fo, als hätt’ ich did 
In einem frühern Leben, 
Unboldes Lieben, jhon geiehen 
Und mid dir ganz ergeben. 


Und du, du hätteſt alle Treu’ 
Und Lieb’, die ih empfunden, 
Mit berbem Spotte mir gelohnt 
Und tiefen Herzenswunden. 


Mir tönt, ad, jo vertraut und doch 
Ernüdternd deine Sprade, 

Mid höhnt, wie einmal ihon gehört, 
Die filberhelle Lade. 


Ich liebend ohne Hoffnung und 
Du herzlos ohne Reue, 

Es ift als wie ein altes Spiel, 
Das mwiederlehrt aufs neue. 


Ein altes Spiel — wir können dreift 
Die Wiederholung wagen, 

Du bift im Quälen mwohlgeihult 
Und ih für das Ertragen. 


Und überläuft’s mir oft das Herz 
So bang und maienfröftlid, 


Dann däudt mir — albern wie fie ift — 


Die alte Fabel tröſtlich! 


Im Innern gefeftet. 


Menn Jahre gehn und fommen, 
So nehme du in adt, 

Was fie dir wohl genommen, 
Was fie dir wohl gebradt. 


Was dir au im Verlaufe 
Der Zeiten ward beichert, 
Nicht Gut, noch Glück es taufe, 
Gar trüglich ift fein Wert. 


Nicht graufam heiß das Leiden, 
Richt Raub nenn den Berluft, 
Weiß fill dich zu beicheiden 
Und trage, was du mujst. 


Rur der ift hochgemuthet, 

Der gleih im Glüd ſich fühlt, 
Und wenn das Herz ihm blutet, 
Die Wunde feufh verhüflt. 


Das Glüd, es will nicht währen, 
Das Leid bleibt nicht befteben, 
Das ift: wie Tage fehren 

Und wie die Nähte gehen. 


857 


Nur das haft du genojjen, 
Erftritten das allein, 

Was in die Seel’ geihloffen 
Du bir zu tiefft hinein. 


Das einzig ift das Wahre, 
Was du in dir erfährft, 

Dem du, trotz Flucht der Jahre, 
In Treuen di bewährft. 


Ob fie undunkeln Schmerzen, 
Ob Freude fie erhellt, 

Du trägft in deinem Herzen 
Dann eine FFriedenswelt. 


Wie Jahre gehn und fomnten, 
Des haben jie nicht Madt, 
Davon wird nichts genommen, 
Dazu dir nichts gebradt! 


Stilfes Geſcheiden. 


Bei ihres Anblids Lieblichkeit, — 
Der alle Sinne mir berüdet, 

Der mich bejeligt und entzüdet 

Und doch zu tiefft bedrängt mit Leid — 
Nie werd’ ih nur mit einem Blid 
Der Herrin meine Lieb geftehen, 

Nie ihre Gegenliebe flehen 

Und ſtumm ertragen mein Geidid! 
Ein Frevel wär's an holder Frau, 
Wenn ih den eitlen ®lauben hegte, 
Daſs mid, nur mich allein, bewegte 
AN ihrer Anmut reihe Schau. 

Nein, nein, ih bin der einz’ge nicht, 
Den ihre Nähe froh befeelet! 

Der legte wär’ id, den fie mwählet; 
Ich ſteh' im Banne harter Pflicht, 
Nicht Jugendtraft, noch Wohlgeftalt 
Vermag mir mehr das Wort zu führen, 
Ih kann vielleiht durch Lieder rühren, 
Doch Mitleid wehrt der Lieb" Gewalt. 
So faſſ' ih denn den einen Muth, 
Es im Beginne fhon zu enden. 

Wie läm’ zu eines Bettlers Händen 
So hohes überreihes Gut? 

Ergeben will ih meine Laſt 

Auch fürder ſtumm des Weges tragen, 
Es foll fein Blid der Herrin jagen, 
Wie mächtig es mid ſtets erfasst 

Bei ihres Anblids Lieblichkeit, 

Ter alle Sinne mir berüdet, 

Der mich befeligt und entzüdet 

Und doch zu tiefft bedrängt mit Leid, 


St. (Peters Klage. 


St. Peter fprad in trübem Ton: 
„Hör mid, Gott Vater und Gott Sohn 
Und aud du, lieber heil’ger Geift! 


858 


Die Menihen werden jett fo dreift, 

Sie fürdten Teufel nit, noch Tod, 

Und gar ein Leben ohne Gott, 

Das planen fie mit frevulem Sinn!" — 

Gott Vater fpriht: Wie frob ich bin, 

Betrübt dich das, du treuer Ktnecht? 

Ich jag’, mir fommt es eben redt, 

Du weißt, ih war der ganzen Brut 

AM meine Tage nit gar gut, 

Ich habe Wafler und au Brand 

Vergeben: doch an fie gewandt, 

Und Sündflut nit, noch Sodoms Not, 

Nicht Noahs Warnung, noch des Lot 

Grrettung war zu etwas nüß: 

Die Sonne war’ in trüber Pfütz', 

Die Perle war es für die Säu', 

Sie fündigten nur ſtets aufs new‘, 

Bis mein Herr Sohn in Jugendſtärlk' 

Beiorgte das Erlöfungswert. 

Doch wie's gedieh und wie's gerieih ? 

Ich den!’ mein Theil und fag’ ed nit. 

Und wenn es fommen thut aljo, 

Wie du geiagt, des bin ich froh. 

Wenn fie nunmehr in Theorie 

Ohn' mi zu leben find beftrebt, 

's ift recht, in Praxis haben fie 

Ya allzeit ohne mich gelebt, 

Wenn ftatt von ewiger Vernunft 

Sie fih von einer tollen Zunft 

Stodblinder Kräfte der Natur 

Betreuet glauben, ift die Spur 

Von Beflerwerden jhon in Sicht, 

Und alles lommt in gute Ridt’! 

Dann bat es fürder wohl ein End’, 

Daſs man mein’ Namen eitel nennt, 

Und fommt zu Hauf' und fommt zu Nand, 

'ne große Dummheit wo zu fand’, 

Dann fniet fein Schuft mehr wie zum 
Spott 

Und fingt: Nun Tobet afle Gott! 

Und finden fie mit einemmal 

Ihr Leben 'ring und eng und ſchal, 

Daſs fie in Scham davor erglüh'n, 

Erſt unfereinen zu bemüh'n, 

Ei, dann ift mir — bei meinem Bart! — 

Das halbe Regiment eripart, 

Denn wenn ich ihnen nimmermehr 

Das Gute jpend’, das Üble wehr', 

So iſt's vorbei mit trägem Ruh'n, 

Das Gute müfjen jelbft fie thun, 

Des Böfen felber ſich erwehr'n, 


Das wird jie Lieb’ und Klugheit lehr'n — 
Nicht kränk' ich gern der Frommen Schar — 
Doch dann behagen mir fürwahr 

Die gottlof’ Rader allermeiit! 

Wie Hug das Ganz’ gezielt, geplant — 
Das Stüchchen ift vom heil’gen Geiſt! 

St, Peter, haft du's auch geahnt?“ 


Herr Wirt. 


Herr Wirt, was war das nächtens für 
Fin gottverfludter Tropfe? 

Es ſchmerzt mid heute morgens jdier 
Ein jedes Haar am Kopfe! 

Wie mus die edle Gottesgab' 
Verihändet und verhunzt fein? 
Fe: Seel’, was ih getrunten hab, 

| Das war wohl eitel Kunftwein! 


| 6i, heb die Hand betheuernd nidt, 

| Daf diefer Soff Natur ift, 

Man weiß ja doc, verdammter Wicht, 
| Dais leicht wie Spreu dein Schwur ift. 
1b’ lieber Treu’ und Redlichkeit, 
Schreib's an die Etikette, 

Damit ſich ſachte noch beizeit 

Gin Chriſtmenſch davor reite. 


Du hätteft nur wie vor und eh’ 

"was fellerei betrieben, 

Und dir jei anorganische 

Chemie ganz fremd geblieben ?! 

Hör du, es ift doch ganz umjunft, 

Hier Lügen zu erjtinfen, 

's ift Runftwein, denn 's ift eine Kunſt, 
Von dieſem Wein zu trinken. 


Gegoffen wird nun und gebauen. 


' Gegofien wird nun und gehauen, 
Was jih im „Brodhaus” finden will, 
Es ift beuttags das Dentmalbauen 
Ein ſehr beliebt’ Geſellſchaftsſpiel, 
Juſt was man jo ins Haus bebürfe, 
s langt nicht für höhere Entwürfe; 
Es ſcheint, man will nur eben 

| Das Kleingewerbe heben. 





Mit: und Hadwelt. 


Eine Gitaten-Studie von Dr. €, M. Schranka *). 


„O glaubt, dal unfre Zeit Ach lichter 
Einſt ipäten Enkeln offenbart; 

So war's unb bleibt ed: Großer Dichter 
Hat feine Gegenwart!” 


® 


Pr 
Sehr ih in diefem Gapitel viel anerkennt, wenn ihr die Augen aufs 


) 
65 werde ‚tieren müjjen, fo be= |gegangen, und danı heißt e8: „Das 
se ginne ich gleich mit einem Ci— iſt ja einer von den unfern, ift unfer 


tat aus dem Gedichte „An der Sonnen» 
wende“ von Stephan Milom. 

Wie wahr! „Großer Dichter Hat 
feine Gegenwart.“ Man könnte wohl 
auch variierend jagen: Dichter Hat 
nur die Zukunft. 

Die Mitwelt ift es, die ihre An— 
erfennung verfagt, denn die Mitwelt 
ift nicht unparteiiich ; ihr Fehlt es an 
jeglicher Objectivität, und wenn es je 
einem Dichter gelungen ift, ſich etwas 
Beahtung und Bedeutung zu errin— 
gen, das Augenmerk auf ich zu lenken, 
dann gelang es ihm meift nur in der) 
Fremde, denn 

„Das Vaterland madt heimatlos 

Die Kinder jeines Dichters“ 
jagt Freiligrath, und ſchon ein 
alter römischer Sat lehrt uns „Nemo | 
propheta in patria“. Ein ähnliches | 
Spridwort lautet: „Der Thaler gilt | 
dort nichts, wo er geprägt iſt“ und 
wie viele können mit Anton Oborn 
jagen: 

„Die Heimat, die ich oft beſang, 

Die nennt und fennt mid nicht.” 

So mujs man ih gewillermaßen 
erft hinausbegeben in die Fremde, 
um von dort aus ſich der eigenen Heimat 
zuführen zu laffen, die den Dichter 
dann übrigens felbit als ihr eigen 


Landsmann!“ 


So geht die Mitwelt an ihrem 
großen Mitbürger oft vorüber. Doc 
wenn es mur das wäre, wenn es 
nur beim bloßen UÜberſehen bliebe: 
„Wenn ich, die gleichzeitig gelebet, 

Mit einem Stoff vergieichen foll, 

Aus Rohem ift der Stoff gemwebet, 

Nur mander Faden Wertes voll; 

Dann fann ich eines nicht begreifen, 

Wie man oft jenen überjieht, 

Der, wie ein breiter gold’ner Streifen, 
Sih echt durch das Gewebe zieht.“ 


Uber im Gegeniheil: er wird oft 
dem Spotte preisgegeben, wenn er 
prophetifchen Geiftes voll, wie ein 
echter, gottbegnadeter Sänger oder 
ſonſtiger Götterfohn (demm ich möchte 


jin diefe Plauderei die Koryphäen auf 


allen Gebieten der Künſte und Willen 
Ihaften mit hineinziehen) ein ſelbſt— 
bewuſstes, ſtolzes Wort ausſpricht; er 
wird des Größenwahns geziehen von 
temporären und localen gemachten 
Größen, die, mit momentaner, ephe— 
merer Geltung ſich brüftend, auf des 
wahren Götterfohnes Haupt die Dor— 
nenfrone preilen möchten, indem fie 


fuchen, ihn mit dem Mantel der 
Lächerlichkeit zu umkleiden. 

Bodenſtedt hat recht, wenn 
er ſagt: 


*) Aus dem eben erſchienenen zweiten Band feines „Neuen Demokrit“. (Berlin, 


Hans Lüfteneder 1891.) 


„Wer feiner Zeit vorausgeeilt, 

Hat ihre Schäden nie geheilt, 

Doch war’ ein Genius, ein echter, 

Wird er zum Heiland fommender Ge: 


ſchlechter.“ 


Faſt jeder Große hat für ſeine 
Mitwelt ſtolze Worte, ſelbſt unver— 
Ihämte Verſe, wie Schopenhauer 
die ſeinen nennt, geſprochen, die erſt 
die objective, unparteiiſche Nachwelt 
gelten läjst und ſelbſt emſig fammelt*). 
— Dies gefchieht aber erft dann, 
wenn bon ihm ein anderer Dichter 
jagen kann: 


„Unfterblih prangt ſein Name 
Und ſteht im Zeitenbuch, 

Er ftarb in Noth und Grame, 
Das ift des Sängers Fluch.“ 


Zu jpät — zu fpät die verdiente 
Anerfennung. Wie jagt doh Adolf 
Böttger in feinem Diftichon ? 
„Lebend verlümmert als Null, mit Adiel- 

zuden verhöhnt jelbft, 


Nah dem Verhungern jedoh unter die 
Sterne verſeht.“ 


Darım mahnt der Meifter mit 
Redt: 


„Weniger Erz aber mehr Herz für uns“ 


und auch Saphir meinte: 


„Zum Dichter muſs man geboren, zur An: 
erfennung geitorben jein.“ 


Dod 


„208 Elend ift des gold’nen Ruhmes Wiege, 
Ter Rummer ift jein ewiges Geleit, 

Der Geiſt lebt immer mit der Welt im Kriege, 
Sein Schaffen ift ein unruhvoller Streit“ 


und wer will Naturgefege ändern ? 


„Es ift ſchon jo der Welten Lauf, 
Beitimmung jcheint’S zu jein, 

Es nimmt das Elend mit in Kauf, 
Mas ein Genie joll jein.” 


Sa, die Noth, jelbit die Noth mit 
der Fritit, iſt die zehnte Mufe, die 
ihrem Sohn den Kuſs auf die Stirne 


*, ch verweile auf eine von mir an— 
gelegte große Sammlung wertvoller Stellen 
unter dem Titel „Etolze Worte“, 


800 





\gebrüdt; ihre Devije lautet in den 

diverſen Variationen: 

„Durch Naht zum Licht“ 
„Through night to light“ 

„Post nubila Phoebus.“ 

| Die Eintagsfliegen find es, die 

das freilich erſt entglimmende Licht 

umſchwirren und glei einer Wolke 

dafjelbe zu verhüllen traten; ſie 

fünnen mir feine rechte Achtung ab— 

zwingen. Diefe ephemeren Größen, fie 

find mir zu raſch groß geworden, 

fie glänzen momentan zu grell und 


„Mas glänzt, ift für den Augenblid geboren, 
Das Echte bleibt der Nahmelt unverloren.“ 


Und 9. Grieben jagt: 


„Was unfterblid im Geſang jol leben, 
Muß im Leben untergeh'n.” 
| Sangiam über Dindernifje aber jicher, 
jchreitet die wahre, fünftige Größe. 

„Große Geifter müflen ringen, 

Müſſen Ahtung ſich erzwingen, 

Soll ihr Stern nicht einft erblinden; 

Haben fie fih Durdgerungen, 

Haben Adtung fie erzwungen, 

Ewig wird ihr Geift entzünden.“ 

Und gerade diejenigen, von denen 

Emanuel Geibel jagt: 
„Mas hilfts, auf Flügeln der Reclame 
Gin Stündlein flattern durch die Welt, 
Wenn ſchließlich doch, o Thor, dein Nante 
Wie Ilaros ins Waſſer fällt“ 
gerade ſie ſind es, die den wahren 
heiligen Gottesfunten im Entglimmen 
zu erftiden juchen, weshalb Boden- 
ftedts Worte eine micht zu verach— 
tende Marime find: 

„Leiien Schritts durchs Leben wandre, 

Biſt du groß, ſo ſtell' dich klein; 

Ungeftraft darfſt du als andre 

Größer einen Zoll breit jein.” 


Fürwahr, der Weg des Genius 
ift eine fteile, fteinige und dornenvolle 
Bahn und 

„Der Lorbeer blüht gar bod.“ 


Ih Habe in meinem Stubdier- 
zimmer ein Bild gar ſeltſamen Motives 
hängen. Es ftellt ein paar Knochen, 
ein Pergament und einen Todten— 








fchädel vor, der leßtere von Epheu 
ummunden. Auf dem vergilbien Ber- 
gament ftehen die Verſe Hamerlings: 


„Der Lorbeer traun hat feine Sympathie 
Für üppiges Lodenhaar; viel lieber ranlt er 
Um lahle Stirnen, graue Häupter ſich, 

Am liebflen find ihm nadte Todtenjchädel.* 


Ich vermöchte eine dide Anthologie 
mit ſolchen Stellen zu füllen, doc 
will ih nur noch mit einer Heinen 
Ausleje für diesmal mich begnügen: 


So heißt's bei Tiedge: 


„Der edle Mann lebt nie vergebens, 
Er geht einft, hemmt fich hier jein Lauf, 
Nah Sonnenuntergang des Lebens, 
Als ein Geftirn der Nachwelt auf;* 


bei Raupad: 


„Es fteht geichrieben im Schidjalsbud: 

Soll einft die Nachwelt did mit Segen 
nennen, 

Mujst du den Fluch der Mitwelt tragen 
fönnen.“ 


Bei Hermann Lingg: 


„Epigonen oder nicht, — 

Thue jeder feine Pilicht. 

Nicht die Meinung, nicht die Stunde, 
Nur die Zukunft iſt's im Grunde, 
Die ein giltig Urtheil jpricht.* 


Derjelbe jagt ein andermal: 


„Erft zerren die Banditen 

Uns Dichter in den Koth, 
Gemeuchelt werden wir, zerjchnitten 
Und, wenn wir gründlich todt, 
Ginbalfamiert mit aller Glorie 
In eine — Riterarhiftorie.* 


Dstar Blumenthal 
fih vernehmen: 


läjst 


„Sollen die Menichen ein Lob dir gönnen, 
Eo darfft du’3 nit mehr hören lönnen“ 
u. ſ. w. u. ſ. m. 


Obwohl ich nun ungern genug 
noch ſo vielen anderen ihre ſchönen 
Worte für diesmal entziehen muſs, 
Albert Möſers prächtig poetiſches 
Bild „Der Albatros“ mußs hier 


noch Plab finden: 


„Ruhig getragenen Shwungs hinjchwebt er, 
der Segler der Lüfte, 


Königlih, herrlich und frei trinkt er 
ätheriichen Hauch, 

Ueber ihm leuchtet im Blau des Kreuzes 

erhabenes Sternbild, 
Unter ihm dehnt fih das Meer, dehnt 
fih Auftraliens Strand. 

Seht, nun ſchwebt er herab, gelodt von 

dem nahenden Meerſchiff, 
Liſtig umgarnende Kunſt ſtellt mit der 
Angel ihm nach, 
Arglos fliegt er heran und läfst von dem 
Köder fih äffen, 
Raſch den Betrogenen zieht Tüde aufs 
hohe Berded. 
Ach! der joeben noch erft die Weiten des 
Üthers durchflogen, 
Welcher der Anmuth Bild, ſtolz ih in 
Lüften gemiegt, 
Linkiſch jchleppt er fih hin und plump auf 
den Planten des Schiffes, 
Gleich wie gebroden und matt hängen 
die Schwingen herab, 

Schnöd mit dem Nuder ihn nedt, Fein 

Mitleid fennend, der Schiffsbub, 
Höhnend und ladhend im Kreis ſtehn 
die Matroien herum — 

Segler der Lüfte, dein Los vergleich’ ich 

dem Loſe des Dichters, 
Welchen in leuchtende Höh'n hehre Be: 
geifterung trägt, 

Sieghaft jhwimmt er und leiht im ſtär— 
fenden Äther des Geiftes; 
Über fih himmliſches Licht, unter ſich 

irdifche Noth; 

Weh! da zieht ihn herab des Tages 

gemeine Bedürfnis, 
Der fih ob Wolfen gemwiegt, taudt nun 
ins ird'ſche Gemirr, 

Hilflos zieht er und jcheu, ein Kind, die 

Pfade der Menſchen, 
Straudelt und wantt, und fremd wird 
ihm des Genius Flug, 

Kichernd jhauen auf ihn die Werftagsjeelen, 

ihn höhnend, 
Dass, der zu fliegen gewujst, jet nicht 
zu gehen verfteht.” 


Haben wir an den bisher ver- 
nommenen Citaten die Stellung derMit- 
und Nachwelt zu den großen Dichtern 
gekennzeichnet — freilich, Ausnahmen, 
wo die Anerkennung noch bei Lebzeiten 
erfolgt, gibt es ſchon, aber fie find 
jelten — fo fei auch eines umgefehrten 
Falles gedacht, wo die Mitwelt an— 
erfennt, die Nachwelt aber vergijät. 


In diefem Falle befinden ſich der 
dramatische Künftler, der Briefter und 
die Priefterin des Gefanges und der 
Mufif, ferner jene des Tanzes. 


„Begeifterung ift feine Heringsware, 
Tie man einpödelt auf lange Yahre* 


jagt unfer Altmeifter, und mur zu 


momentaner Begeifterung reißen dieſe 


Künftler Hin, 


Freilich liegt dies auch in der 
letzt⸗ 


Natur der Sache; denn die 
genannten Künſte erfordern die mo— 
mentane, perſönliche Ausübung, die 
Präſenz ihres Vertreters. Da gibt 
es Applaus, Kränze und allerlei an— 
dere Ovationen; ſchließlich aber wird 
der Gefeierten Name zwar auch mit 
goldenen Lettern in den Anmnalen 
ihrer Kunſt eingetragen und zumeift, 
wenn auch nicht immer — vergeifen. 
Man erinnert fih wohl dann, wenn 
einer ihrer Nachfolger in derfelben 
Kunft durch Leitungen an des weiland 
Sefeierten Namen erinnert, um mit 
Zinkgref zu fprecden: 


„Alte Komödien, neue Komödianten.“ 


Übrigens brauchen die Vertreter 
diefer Künſte noch nicht einmal ges 
ftorben zu fein, um, wenn nicht ver— 
gejien, doch im den Hintergrund ges 
jtellt zu werden. Es genügt dazu jchon 
die Nichtausübung der betreffenden 
Kunſt jelbft, wenn dieſe Unterlafjung 
durch unabwendbaren Verluſt phyſi— 
ſcher Kräfte (Stimmmittel u. dgl.) 
hervorgerufen ift. 

Der franzöfiihe Poet Boulay- 
Paty behauptet dieſes Los auch 
vom Dichter, wenigſtens lauten zwei 
Stellen in ſeinem Sonette „Der Ruf“: 


„Wie ſchritteſt du Poet aus deiner Dunlelheit 

Von allen hochgerühmt, und ſchon biſt du 
vergeſſen! 

Bevor ein Buch du ſchreibſt, verlangſt du, 
welch Vermeſſen, 

Um zu empfinden erſt und nadzudenten, 
Beit. 


Trudt Denter, Dichter druckt! Nur neues 
in den Dandel, 


Aus leichtem Stoffe wird gewebt des Nuhmes | 


Mantel, 
Gr nüht ſich ab und will, daſs man ihn 
oft erneut.“ 


_802 _ 


Doch gilt dies, wie bereits gefagt, 
wohl mehr von den genannten dar— 
ftellenden Künſtlern. 

Der Gelehrte, Schriftiteller, Dichter, 
Maler, Bildhauer, Architekt u. j. m. 
binterlaffen ſichtbare und greifbare 
Werke, die ihr Andenken ftets Friich 
und rege erhalten. Dadurch genießen 
fie auch die Anerfennung eines viel 
größeren PBublicums, denn, hat jie 
auch das mitlebende verkannt, jo ftehen 
fie vielleiht groß da vor dem Pub— 
licum künftiger Jahrhunderte. Bon 
diefem Standpunkte lafjen fih ſämmt— 
liche Künfte in eine gewifje Eintheilung 
und Ecala bringen. 

Hauptſächlich ift es aber der Poet, 
dem oft bei Lebzeiten die erinunternde 
Anerfennung verfagt wird; er allein 
hat meift nur den Troft der Hoffnung 
auf feine Unfterblichleit. Dafür 
erntet oft der Künſtler, der eine Rolle, 
die jener jchrieb, trefflich darzuitellen 
weiß, den Ruhm ein und erhält den 
Kranz. 

Diefe Künftler find es vornehm: 
lich, welche das ſchon vom römischen 
Dichter geſchilderte Dochgefühl des 
„monstrari digito et dieier hic est“ 
genießen. 

Geduld — es kommt die Zeit, 





wo ſich das Blatt wieder wendet, 
darum Sei diefen der ephemere Ruf 
gegönnt, dem 
„Dem Mimen fliht die Nadhmelt feine 
Fränze. 
Auch Theodor 
fagte: 


„Auf den Kränzen der Mitwelt ruht es ſich 
chlecht“ 


Mommſen 


und Menſchen gehen und Menſchen 
kommen und einſt kommen gewiſs 
doch auch objeckive, 
Menſchen. — 

Zum Schluſſe zur Erhärtung 
dieſer meiner Behauptung noch Guſtav 
Kötters „Zweierlei“: 

„Dem Mimen wirft berauſcht die große 


Menge 
| Den Lorbeer als des Augenblides Kohn, 


vorurtheilsfreie 


863 
Tod bald en als ob der Brand ihn Recht ſchön und troftreih, aber 
enge, . 3 2 — 
Umſchlingt er dürr das Haupt von Thaliens ich meine, es dentt doch jeder, der 
Sohn. ih zu etwas Beilerem berufen fühlt, 
Toch ewig grünt es um des Dichters mit Paul Heyſe: 
Schläfe, 
Des echten Lorbeers unverwelklich Reis, „Soll Ruhm mir blühn, komm' er beizeit! 
Und wie der Mitwelt Undant ihn auch Was hat die Nachmelt mir zu geben? 
träfe, Ih möchte von meiner Unfterblichkeit 
Ihm blüht der Lorbeer als fein ew’ger Preis." | Doch ein paar Jährchen miterleben! — 


Was große Menfhen über Thiere fagen. 
Aussprüde, gefammelt und mitgetheilt von Roloman Raifer in Wien. 
(Neue Folge *). 


Motto: 


Jemehr wir uns mit der Seele der Thiere. dem Aöftlichiten, 
mas auch fie haben, beichäftigen, deſto ahtungswertber wird uns das 
Thier, defto herrlicher Die Natur, deito anbetungswurdiger Bott, Mangel 
on Einn für die Thierſtelen deutet auf Gedankenloſigkeit. Hobeit, 
Unſittlichteit. Arrelintöfttät und die Miishbandlung der Thiere und jet 
es aub nur eines Wurmes, acht aus irreligiöfer Unwiſſenheit hervor. 
Alle alten Völker achteten, weil fie religiös waren, dad Thier ho! 


Prof. Peter Eheitlin. 


BR 
BE die Thiere können denken Ein jedes Thier merkt feiner 
"up und dadurch ſich einen gewillen | Seele Fähigkeiten, und wozu ihm 
7 Grad von Slugheit erwerben. | jeine förperlihen Gliedmaßen nuße 
Sie unterfcheiden jich hierin mur durchs | find zum voraus. Die Natur der 
Mehr oder Minder. Manche Klugheits- Thiere darf von niemand belehrt 
eigenſchaften Hat der Menſch, andere das ; werden. Galenus. 
Thier in vorzügliderem Grade, ir eine Empfßi 
Noch andere Eigenſchaften der Men— — A N N ne den 
ſchen und Thiere ſind einander nur ihre Natur und ihren Sik nicht eins 
ähnlid. Ari ſtoteles. ſehen, ſo haben auch alle Thiere eine 
Milde gegen die Thiere übt der Empfindung und obgleich rohe und 
Menſchenfreund und der Barmherzige. dunkle Vorſtellung von ihrer weſent— 
Porphyrius. lichen Beſchaffenheit. Seneca. 
Das beſondere Gute widerfährt 
auch den Thieren, daſs die Götter 
ebenfalls Vorſorge für ſie tragen und 
ſie weder verachten noch verſäumen. 
Wenn ihnen gleich keine Vernunft — 
zutheil en E jo haben fie doch lebendiges au eigentlich jei, davon 
jo viel Berftand und Weisheit be= hat es feinen Begriff. Seneca. 
fommen als fie angeht. Der Rechtſchaffene wartet jeines 
Helianus. Viehes. Yejus Sirad. 


Es fennt ein Thier feine Bes 
Ihaffenheit, aber worin fie eigentlich 
bejtehe, weiß es nicht; es fühlt ſich 
als lebendiges Thier, aber was ein 


) Siehe „Heimgarten“, XIII. Jahrgang, Seite 582, 


Der Schöpfer jcheint die Dinge! Gerechtigkeit und Menſchlichkeit for- 
verschiedener Natur allmählih mit» | dern, daſs man die Thiere freundlich 
einander verbunden zu haben, dafs behandle und auf ihr Wohljein gerade 
alles Geſchöpfe durd die Verwandte | eben jo gut Rüdjicht nehme, wie auf 





ſchaft miteinander eins wird; wor— 
aus Hauptfählich erhellt, daſs mur 
ein einiger Schöpfer jei von allem, 
was ift. Wie er nun auch von ben 
unvernünftigen Thieren zu den ver— 
nünftigen, nämlih den Menfchen, 
fehreiten wollte, jo hat er dies nicht 
auf einmal gethan, jondern hat zu— 
vor aud den anderen Thies 
ren gewifje natürlide Ein: 
ſichten, Kunſtſtücke und wißige 
Handgriffe zu ihrem Wohle 
mitgetheilt, jo dafs fie denen, 
melde Bernunft haben, nahe zu 
ftommen jheinen. Sodann Hat 
er erſt den Menfchen als ein eigent- 
lih vernünftiges Thier gejchaften. 
Biſchof Nemefius. 


Milde Barmherzigkeit ift das echte 
Merkmal von Seelenadel. 
Shatejpeare. 


Der betet reiht, wer innig liebt 

So Menſch wie Thier, jo groß wie 
klein, 

Der allen gerne hilft und gibt 

Und freundlich lindert jede Pein; 

Blickt Gott doch aus dem Himmels— 
zelt, 

Mit gleicher Lieb' auf alle Welt! 

S. T. Coleridge. 


Wer irgend ein Geſchöpf des Höchſten 
Verächtlich wagt gering zu ſchätzen, 


das unſeres Nächſten. 
Jeremias Bentham. 


Man erkennt, daſs manche Thiere in 
vielen Eigenſchaften dem Menſchen 
gleichſtehen und in Liebe, Treue, 
Pflihtgefühl, Gewiſſenhaftigkeit und 
Aufopferung Größeres leiften als die 
Mehrzahl der Menſchen, welche jo 
hochmüthig auf fie Herabbliden. 

Samuel Smiles. 


Wenn man zugibt, dafs die Thiere 
gleihartige Wefen wie wir felbft find, 
weil nad gleihen Plan angelegt und 
nur graduell verfchieden — mag man 
fie anfehen wie man will — jo muſs 
man auch zugeben, dajs fie ebenfalls 
Rechte haben. Diefe Rechte jollten in 
feinem Falle Haftig und unehrlich bei— 
feite gejegt, vielmehr umfo gewiſſen— 
after erwogen werden, weil Civili— 
fation und Erfindungen den Thieren 
täglih mehr und mehr unmöglich 
machen, ihre Unabhängigkeit zu be= 
haupten oder gewiflermaßen in ber 
Sache ſelbſt gehört zu werben. 
Lawſon Zait. 


Die Thiere Haben, wie wir, 
‚Schmerz und Luft, fie erfennen das 
Gute und Böſe nit, aber fie 
empfinden 8... Gie willen 
nicht, dafs fie da find, aber fie 
fühlen es. Buffon. 











Der zeigt ſich als beſchränkter Geiſt. Diejenigen Thiere, welche unter 
Wordsworth. der unmittelbaren Herrſcheft des 
In dem Auge jedes Thieres liegt Menſchen leben, fühlen ihren 
ein Schimmer von Menſchenverſtand, Schavenſtand; fie wiſſen, daſs 
ein ſeltſamer Strahl höheren Lichts, das Weſen, welches ſie ſtraft, die 
der nach dem Geheimnis unſerer Freiheit hat, es zu thun oder zu 
Oberherrſchaft zu forſchen und den laſſen; fie ſchmiegen und unterwerfen 
Beſitz einer Seele zu beſtätigen ſcheint. ſich daher, wenn fie ſich ſchuldig 
John Ruskin. glauben oder wenn ſie meinen, den 
Die Frage iſt nicht: Können die Menſchen erzürnt zu haben. 
Thiere denken? oder können fie jpre- Cuvier. 
chen? ſondern: Können ſie leiden? Die Thiere find bewunderungs— 
das iſt der Hauptpunkt bei der Sache. würdige Bücher, in welchen das große 


Weſen die fennbarften Züge feines 
höchſten Verſtandes in der Kürze zu— 
jammengefajst hat. Bonnet. 


Die Thiere ſogar lernen viel. 
Sie haben Sinne, ſie müſſen Gebrauch 
davon machen lernen; fie Haben 
Bedürfnifie, fie müſſen dieje zu be= 
friedigen lernen; fie müſſen freilen, 
gehen, fliegen lernen. Die vierfüßi- 
gen Thiere, die fich gleich von ihrer 
Geburt an auf den Beinen erhalten, 
verftehen deswegen noch nicht zu lau— 
fen; man fieht es ihren erſten Schrit= 
ten an, dafs es fehr ungewiſſe Ver— 
ſuche find. Die aus ihren Kaäfigen 
entwifchten Sanarienvögel können 
nicht fliegen, weil fie niemals geflo= 
gen find. Kür befeelte und mit 
Sinnen begabte Weſen ift 
alles Unterridt. 

Rouſſeau. 


Die Thiere lernen und vervoll— 
kommnen das, was man fie lehrt, fie 
corrigieren ſich, kennen die Freude, 
haben Gedächtnis und eine gewiſſe 
Zahl von Ideen. 

Voltaire. 


Wie kann man behaupten, daſs 
der Menſch allein die Fähigleit des 
Sprechens habe, und daſs ſie den 
Thieren fehle? Man mußs blind fein, 
um nicht zu jehen, daſs die Thiere 
imftande find, jich ihre Gedanken ge— 
genjeitig wmitzutheilen durch Mittel, 
welche, wenn auch verjchieden von 
denen des Menſchen, nichtsdeſto— 
weniger die verſchiedenen Formen der 
Sprache darſtellen. 


Profeſſor Broka. 


Unleugbar empfinden die Thiere 
Schmerz und Vergnügen; ſie haben 
Zuneigung und Abneigung, in zwei— 
felhaften Fällen denken ſie nach, ſie 
erinnern ſich der Vergangenheit, 
änßern Traurigkeit, Liebe, Haſs, 
Furcht, Zutrauen u. ſ. w. 

Jenkin Thomaſins. 
Roſegger's „„Grimgarten‘‘, 11. heft. XV. 


Nicht beſſer als ein Thier 
Iſt jedes Menſchenkind, 
Da Thiere beſſer noch 
Als böſe Menſchen ſind! 


Saadi. 


Alles was eine Seele Hat, dentt; 
alles was Gefühl Hat, empfindet; 
alles was liebt, hat das Recht, ge— 
liebt zu werden, und alles was leidet, 
bat Anspruch auf unfer Mitleid. Da 
fehlt keine Stufe auf der Leiter der mit 
Empfindung begabten Gejchöpfte vom 
Thiere bis zum Menſchen Hinauf. 
Ohne Trage fteht der Menſch auf 
diefer Erde auf der höchſten Stufe, 
aber er Sieht unter fich feine irdijchen 
Mitbewohner, er ift ihr König, darf 
aber nie ihr Tyrann werden, Gerech— 
tigkeit hat Gott angeordnet nicht nur 
zwifchen Menſch und Menſch, fondern 
zwifchen Menſch und der ganzen be= 
jeelten Schöpfung. Ungereht fein, 
heißt fih an Gott verfündigen. Wenn 
wir unfere Herrſchaft über die Thiere 
nicht mifsbrauchen, finden wir in 
ihnen Diener und Freunde, beim 
Miſsbrauch nur Schlahtopfer, durch 
welche der Tyrann ſelbſt demoralifiert 
wird. Zwiſchen Graufamfeit gegen 
Thier umd gegen Menſch liegt der 
Unterfchied nur in der Berfchiedenheit 
des Opfers. Schließt man das Thier 
in den Kreis der Pflichten und des 
Mitleides ein, wie fie uns geboten 
find, jo arbeitet man an der Ver— 
befierung des Menſchengeſchlechtes 
ſelbſt. Lamartine. 


Man hüte ſich wohl zu jagen, 
daſs die Gerechtigkeit gegen unſeres— 
gleichen und diejenige gegen die Thiere 
verſchiedene Dinge ſeien. Es gibt 
nur ein Recht für alle. Jedes Ge— 
ſchöpf auf dieſer Erde Hat dadurch, 
daſs es empfindet, leidet und arbeitet, 
Rechte, und dieſe Rechte ſind heilig! 
umſo unantaſtbarer werden Diele 
Rechte, wenn es ſich um Weſen han— 
delt, die in der That zur Familie 
gehören, da fie unſere Hausfreunde 


r 
55 


866 


und die Gäſte an 
ind... 

Immer bleibt noch das 
fiherftie Mittel, fih in der 
Menfhenliebe zu üben, dafs 
man damit anfange die 
Thiere zu lieben. 


Gharles Gilde. 


Es ift der Gipfel der Thorbeit, 
den Thieren die intellectuellen Fähig— 
feiten abzufpreden. Sie fühlen, jie 
denken, fie urtheilen und vergleichen, 
fie zeigen Liebe, und oft find ihre 
Sinne feiner als die unferigen. 

„Systeme de la nature.“ 


Mie feltfam ift des Menjchen Stolz! 
Ih ſag' dir: alle jene Wejen, 
Für die des Grafes Schwacher Halm, 
Der mit dem Morgen ſprießt 
Und vor dem Mittag dorrt, 
Ein umbegrenztes Weltall ift; — 
Ich fag’ dir: jene unfichtbaren Wejen, 
Die in dem Heinften Theil 
Des freien Athers wohnen, 
Sie denten, fühlen, leben 

wie der Menfd; 
Und ihre Liebe und ihr Hals erzeugt, 
Wie bei dem Menjchen, das Geſetz, 
Das all’ ihr Thun beherricht ; 
Und die geringite Wallung, 
Die ihren zarten Leib 
Unmerklich faſt durchzuckt, 
Iſt unerläſslich und beſtimmt, 
Wie das erhabene Geſetz, 
Das jene Sonnen lenkt. 

Shelley. 


unſerem Herde | werdet fie dadurch zugleich in der 


Achtung und dem Wohlwollen be— 
feſtigen, die ſie als Menſchen den 
Menſchen ſchuldig ſind. 

Kirchenpropſt Prof. Dr. 2. Smith. 


Die religiöje Ehrfurcht vor dem, 
was unter uns ift, umfajst natürlich 
auch die Thierwelt und legt dem 
Menſchen die Prliht auf, die unter 
ihm stehenden Gejchöpfe zu ehren und 
zu ſchonen. Goethe. 


Im Fleiß kann dich die Biene meiltern, 


In der Gejchidlichfeit der Wurm dein 


Lehrer fein. 
Stiller. 


Der Menfchen ältere Brüder find 
die Thiere. Ehe jene waren, waren 
diefe . . . Freilich it die Erde dem 
Menfchen gegeben, aber nicht ihm 
allein, niht ihm zuvörderft. 


Herder. 


Hier bemerfe ich nur, daſs die 
Menfchen, indem fie fih allmählich 
die Herrſchaft über die Thiere er= 
worben, das Meiſte von Thie— 
ren ſelbſt lernten. Dieje waren 
die lebendigen Funken des göttlichen 
Verftandes, von denen der Menich in 
Abſicht auf Speije, Lebensart, Klei— 
dung, Gejchidlichkeit, Kunft, Triebe 
in einem größeren oder kleineren 
Kreiſe die Strahlen auf ſich zuſam— 
menlenkte. Herder. 


Die Schöpfung iſt für jedes ein— 


Eine jede Miſshandlung des zelne Glied Mittel, und jedes Mittel 


Thieres ſtößt den Menschen von dem 
Grade der Vollkommenheit Hinab, 
worauf er ftand, und legt der Boll: 


ift wieder Zwed. Nicht blog für den 
Menfchen fließt das Ganze, um ihn 
zu tragen, zufammen; auch für jedes 


kommenheit, die er fonft erreicht haben | Thier gehen die Strahlen in einem 


würde, Hindernilje in den Weg. 
Kirhenpropft Prof. Dr. 2. Smith. 


Lehrt die Jugend, dem Thiere | worin 
das Mohlwollen, die Achtung und! und alle einem dienen. 


Brennpunkte der Wärme Ddesjelben 
zufammen. Die Schöpfung ijt gleiche 


fam die größte organische Natur, 
ein Glied allen Gliedern 
Für das 


das Recht widerfahren zu laflen, die) Schaf ift die Wiefe und der Bach 
ihm al3 einem lebendigen Wefen und | gefchaffen. Der Menſch kann nur das 
Geſchöpfe Gottes gebühren, und ihr für etwas Beltimmte für ein Drittes 


— 
T a 


— — —— — — — 


867 


beſtimmen, und zwar folglich durch |vergebliches Streben, die Schranken 


einen Sprung und Zwang; die Na— 
tur aber hat Schon alles eingeleitet. 


Jean Paul. 


Das Thier werde auf jede Weiſe 
dent Kinde nahe gebracht, die Berech— 
tigung von deilen Leben und Wohl— 
befinden möglichit dargeftellt und die 
fleinften Wejen durch ein Vergröße— 
rungsglad dem Seh: und Denfver: 
mögen anheimgegeben. Leibnitz 
ſetzte ein Thierchen, das er lange an— 
geſehen, ungetödtet auf ein Blatt; 
dies jei Gebot dem Kinde! 

Jean Paul. 


Das Kind lerne alles thierifche 
Leben heilig halten. 
Sean Paul. 


63 ift der Menſch, der in dem Men: 
ſchen Handelt; 
Im Thiere waltet die Natur. 

Das Thier lebt immer jebt, der 
Menſch lebt immer künftig. 
Thier ift Halbvernünftig durch 

Inſtinct, 
Indes der Menſch Halb unvernünftig 
Herab von ſeiner Würde ſinkt. 


Tiedge. 


Das 


Mir kennen die Thiere ſehr wenig. 
Wir unterſcheiden viel zu wenig die 
einzelnen Thierclaſſen. Beim Dreſ— 
ſieren der Thiere, wodurch wir eine 
beträchtliche Biegſamkeit ihrer Anlage 
kennen lernen, wird meiſt ein falſcher 
Be griff zugrunde gelegt wie bei ſchlech— 
ter Erziehung des menschlichen Kindes. 
Das Thier nimmt feine Dreffur an, 
außer nach den inneren Geſetzen feines 
Wejens, und der größte Theil 
des Dabei angewandten Zwan— 
ges ift ohne Zweifel grobe 
Miſshandlung, jelbit wenn der— 
jelbe nützlich fein follte zur Erreichung 
des Zweckes, da man das Thier nur 
als Thier gebrauchen will. Wer junge 
Ihiere beobachtet hat, dem kann die 
Bemerkung nicht entgangen fein, wie 
ort fie fich bemühen, ihre Vorder— 
pfoten als Hände zu gebrauchen, ein 


ihrer Organifation zu überſchreiten. 
Herbart. 


Ein wahrer Menfchenfreund küm— 
mert ſich jelbit um die Noth eines 
Wur mes. Bogumil Golf. 


Es iſt gewiſs, daſs der Menſch 
nicht eher und nicht anders gegen 
jeinesgleihen barınherzig werben wird, 
bis er es gegen die Thiere geworden. 

Bogumil Golktz. 


Man kann die Thiere verachten 
und hochſchätzen, haſſen und lieben; 
Unwiſſenheit und Hochmuth lehren 
uns das erite, Kenntnis und Demuth 
das zweite, 

Prof. Beter Scheitlin. 


Thierquäler Herren oder 
Knechte, Eonductenre oder Poſtillons, 
Schlächter, Jäger oder Arzte, Mägde 
oder Naturforfcher — find der Melt 
Fluch. 


Prof. Peter Scheitlin. 


Die Thiere ſind nicht nur in 
phyſiſcher, ſondern auch im intellec— 
tueller und moraliſcher Beziehung ein 
auseinandergelegter Menſch. 


Prof. Lorenz Ofen. 


Die Criminalgefhichte zeigt uns, 
wie viele Menfchenquäler und Mörder 
vorher Ihierquäler gewejen find. Wie 
eine Nation durchſchnittlich die Thiere 
behandelt, ift ein Hauptmaß ihres 
Humanitätswertes. 

David Strauß. 


Nur die Furcht, nicht die Liebe 
treibt die meilten Menfchen, die Rechte 
ihrer Mitgefchöpfe zu achten, während 
lie durch die Zuneigung zu ihren 
Mitgefhöpfen und das Gefühl der 
Heiligkeit ihrer Rechte von Verletzunu— 
gen derjelben fern gehalten werden 
jollten. Der kleine Käfer, der auf die 
Hand eines Meuſchen friecht, das 
Lamm, das er am Stride führt, 
kaun feine Rechte gegen ihm wicht 
geltend machen. Allein der Mensch, 


55* 


J 


der Liebe und Gefühl für Recht nehmungsgabe, Urtheil, Schlufsfähig- 
bejigt, wird fie dennoch achten. feit; es bewahrt ſich gemachte Erfah: 
Guſtav Strupde, rungen auf und benußt fie; es erkennt 

Forscht man nach den Urſachen Gefahren und denkt über die Mittel 
der Thierquälerei, ſo findet man zwei nach, um ſie zu vermeiden; es be— 
Hauptmomente, auf welche ſich alle weist Neigung und Abneigung, Liebe 
anderen zurückführen laſſen: Roheit gegen Gatten und Kind, Freunde und 
des Gemüthes und mangelhafte Kennt- Wohlthäter, Haſs gegen Feinde und 
nis über das Weſen des Thieres. Widerſacher, Dankbarkeit, Treue, Ad: 
Prof. Ludwig Shmarda. kr und ae a Er 
Vereine, welche ſich die beſſere Shmerz, Zorn und Sanfmuth. 1 
Behandlung der Thiere zur Aufgabe und Klugheit. Ehrli chleit ‚und Ver⸗ 
ſtellen, wirken veredelnd auf die Ge— ‚Thlagenpeit. Das Unge Zhier rechnet. 
ſammtmaſſe und jeder, der die Thiere bedentt, erwägt, ehe es handelt. das 


aus Grundſatz und Überzeugung wohl— gefühlvolle jept mit Bewufstfein 
allen en er ih — Freiheit und Leben ein, um ſeinem 


i i Drange zu genügen. Das 
zu feiner Mifshandlung feines Reben- Uneren ‚ger 
menschen hinreißen lafjen. Umgekehrt Thier hat von Gejelligteit ehr hohe 


' a 5 | Begriffe und opfert fih zum Wohle 
aber fehen wir, daſs ein granjames | 9 h 
Verfahren gegen die Thiere nachtheilig der Geſammtheit; es pflegt Krante, 
auf den Charakter wirkt, das Gemüt Unterſtützt Schwächere und theitt mit 
verhärtet und endlich ſehr leicht zu Dungerigen feine Nahrung. Es über: 
einer harten Behandlung der Merz windet Begierden und Leidenſchaften 
ſchen führt. und lernt ſich beherrſchen; es zeigt 
Prof. Ludwig Schmarda. alfo auch ſelbſtändigen Willen und 
Die Thi den für den IR Willenskraft. Es erinnert ſich der 
fh = a en Vergangenheit jahrelang und gedentt 
nehmen en deren Handlungen ex | [080 r : Zutunft; ie ea en 
beobachtet, und manche, die ihm vor— —— Eu: 
theilhaft dünken, in feiner Weife nach- Dean darf bei allen Fragen der 
ahmt. Gewiſſe Thiere Haben zum Geiſtesthätigkeit der Thiere nicht ver— 
Menjchen einen ſympathetiſchen Zug, geſſen, daſs unfere Erklärungen von 
wie er die gleiche Freude an Jagd gewiſſen Vorgängen im Thierleben 
und Kampf, und fo konnte fich der kaum mehr als Annahmen find. Wir 
Mensch den Hund und das Pferd zus verſtehen das Thier und fein Wejen 
gefelten, während andere ſich feiner im günftigften Falle nur zum Theil. 
Herrichaft unterordneten. So gelang | Bon jeinen Gedanten und Schluſs- 
es dem Menſchen, im Laufe der Jahr» Folgerungen gewinnen wir zumeilen 
taufende eine Anzahl nüplicher Thiere eine Vorftellung ; inwieweit diejelben 
zu domefticieren, von welchen einige aber richtig find, wiſſen wir nicht. 
jo wichtig find, dafs er ohne Brehm. 


lie ta * die höheren Cultur— Noch ſind wir weit entfernt, das 
ſt ner erreicht hätte, thieriiche Leben erkannt zu haben und 

Prof. Marimilian Perty. noch Studieren wir am Thiere in der 

Das Säugetdier befigt Gedächtnis, |Abjicht, uns ſelbſt kennen zu lernen. 
Veritand und Gemüth und hat daher | Aber fchreiten wir in unferer Erkennt» 
oft einen ſehr entichiedenen, beſtimm- nis dor von Jahr zu Jahr, von Tag 
ten Charakter. Es zeigt Unterfcheis zu Tag und ſchon lange haben wir 
dungsvermögen, Zeite, Orts, Farben uns einverſtanden erklärt mit Scheit— 
und Tonfinn, Grlenntnis, Wahr: |lins goldenen Worten: „Alles 


868 














| _ . 


869 


Thier it im Menſchen, aber 
niht aller Menſch ift im 
Thiere,“ Brehm. 


Es ift heute ein von allen empi— 
riihen Piychologen oder nah Er— 
fahrung urtheilenden Seelenkundigen 
angenommener Grundjag, daſs auch 
die höchſten Seelenfähigfeiten des 
Menjchen im niederen Regionen zu 
feimen anfangen und dafs die geiſti— 
gen Thätigkeiten, Fähigkeiten, Gefühle 
und Neigungen de3 Menjchen bis zu 
einem faft unglaublichen Grade in der 
Thierfeele bereit3 vorgebildet und vor= 
handen find. Liebe, Treue, Dankbar— 
feit, Pflichtgefühl, Gemifjenhaftigfeit, 
Freundſchaft und Nächſtenliebe, Mit- 
leid und höchſte Aufopferung, Gefühl 
von Recht oder Unrecht, aber auch 
Stolz, Eiferfuht, Haſs, Heimtücke, 
Hinterlift, Rachegefühl, Neugierde 
u. ſ. mw. kennt das Thier ebenjomwohl 
wie berechnende Überlegung, Klugheit, 
höchſte Schlaudeit, Vorausſicht, Sorge 
für die Zufunft u. ſ. w.; ja fogar 
die dem Menfchen allein zugefchriebene 
Sourmanderie oder die Fähigkeit des 
Fortſchrittes theilt es mit dem erjteren. 
Es kennt und betreibt auch die Ein 
rihtungen oder Principien von Staat 
und Gejellihatt, von Sclaverei und 
Rangordnung, don Haus- und Feld— 
wirtſchaft, von Erziehung, Kranken— 
pflege und Heilkunde; es macht die 
wunderbarſten Bauten von Häuſern, 
Höhlen, Neſtern und Wegen; es hält 
Verſammlungen, gemeinſchaftliche Be— 
rathungen und ſelbſt Gerichte über 
Verbrecher oder Schuldige ab; es 
trifft die genaueſten Verabredungen 
mit Hilfe einer ausgebildeten Laut-, 
Zeichen- und Geberdenſprache; es 
erinnert ſich der Vergangenheit und 
lernt aus Erfahrung und iſt mit 
einem Worte ein ganz an— 
deres und weit höher begab- 
tes Weſen, als die Mehrzahl 
der Menjhen weiß oder aud 
nurahnt. 


Prof. Dr. Ludwig Büchner. 


Die Zeit ift vorüber, wo man 
dem freien Menfchen die Thiere als 
wandelnde Maſchinen, al3 Automaten 
ohne Seele gegenüber ftellte. Eine 
eingehendere Betrachtung des Thier— 
lebens, die eifrige Bemühung und 
das Berftändnis ihrer Sprache und 
der Motive ihrer Handlungen Hat 
gezeigt, dal der Menſch von den 
höchſten Thieren, ebenjo wie die Thiere 
untereinander, nur graduelle, aber 
nicht wejentliche Unterſchiede der gei- 
ftigen Befähigung zeigt. 

Eduard von Hartmann. 


Der Schmerz des Thieres fteht im 
Berhältnis zu der Empfindungsfähig- 
feit desjelben; aber wenn er aud in 
niederen Sphären geringer fein mag, 
fo ift er dennoch micht minder reell 
und im der That für das Thier nicht 
weniger ein Übel, al3 füc uns. 

Karl Bogt. 


Auch an den Thieren beobachten 
wir ja Erjcheinungen, die auf ein 
Empfinden, Fühlen, VBorftellen und. 
fogar Denken hinweiſen. 


Brof. Wilhelm Wundt. 


Das Thier Spricht durch Mienen, 
Geberden und Laute eine ſehr deut— 
fihe Sprade und es gelingt bei mur 
einigermaßen anhaltender Aufmerk— 
ſamkeit immer, diefe Sprache zu er— 
lernen . Die Laut» und Geber: 
denſprache enthüllt uns vollkommen 
die Zuſtände des thieriichen Gefühles 
und das Begehren der Thiere ertheilt 
uns auch über ihr Erkenntnisvermö— 
den genügenden Aufichlufs. 


Prof. Dr. Guftav Jäger. 


Unfer Schlufs in Betreff der 
Menfchenwürde ſei dahin gefafst, 
dafs dieje genau erſt auf dem Punkte 
fih Pdocumentiere, wo der Menfch vom 
Thiere fih durch das Mitleid auch 
mit dem Thiere zu unterſcheiden ver— 
mag, da wir vom Thiere andererjeits 
jelbjt das Mitleiden mit dem Mens 
ſchen erlernen können, Sobald Ddiejes 


— 


870 
vernünftig und menſchenwürdig von 
uns behandelt wird. Auffaſſung,“ als ob der Schuß der 
Richard Wagner. | Thiere bloße Sache des Gefühles jei. 
Es gefchehen viele Grauſamkeiten | Die Ihierfreunde rufen das Gefühl für 
an den Thieren. Da muſs man da= ihre Schüßlinge an; aud die Gegner 
gegen arbeiten und das Mitleid er- | bekämpfen meiftens die humanitären 
weden. Ich wirke viel auf meine Beltrebungen für die Thiere eben— 
Kinder ein, dajs fie fich ein gefühl: | Falls im Namen des Gefühles. Allein 
volles Herz auch gegen die Thiere die Tragweite des Thierſchutzes reicht 
bewahren — wir alle im Kaiſer- | weit über die bloße Gefühlsſphäre 
baufe sind thierfreundlich hinaus. Er ift eines der wichtigften 
gefinnt Ich bin and der Meiz pädagogiſchen Hilfsmittel und beein: 
mung, dafs einer, der Thiere quält, Flujst Wollen und Handeln 
fein auter Mensch fei, und auch von bis zu den höchſten ſittlichen 
Verbrechen gegen die Menſchen wicht Beziehungen. 
zurüdjchreden wird. i Franz von Nemmersdorf, 


— a 8 de Die Worte des Lehrers, des Prie— 

Die ethiſche Seite des Thierſchutzes fters der Humanität, die ftrengften 
beiteht darin, dafs derjelbe die Ge- Vorſchriften des Geſetzes werden ewig 
ſinnungsroheit nicht nur im Intereſſe nußlos bleiben, wenn nicht ſchon im 
der Thiere, jondern und vorzugsweile) Eiternhaufe feldft der Grund gelegt 
zum Beſten der Menſchen jelbft bes | wird zu jener einzig menſchenwürdi— 
dämpft ... Das Mitgefühl, das Erz gen Dent» und Gefühlsweife, die 
barmen entjpringt feinem Nützlichkeits- Juch in den Thieren Sejhöpie 
principe, es iſt Herzensſache. Das Gottes erblidt. 
reine Mitleid iſt es, welches uns ber —— 
wegen ſoll, dem Thiere unnöthige rei, nr — 
Martern zu erſparen und es zu jchos) Wir Haben Beweiſe, daſs auch 
nen, ſoweit es möglich ift. ı Thiere die Begriffe des Guten und 

Propſt Qandfteiner, des Böſen unterſcheiden, ſomit bes 

ſitzen. Dr. Eduard Reid. 


Die überwiegende Mehrzahl der! i , 
Menſchen ift gegenüber dem Ihiere| Der jeufzenden Greatur ihr ges 


von einem wahren Hochmuthsteufel Plagtes Leben zu erleichtern, ift eine 
beſeſſen und lebt in dem verhängnig- heilige Pflicht, aber auch eine köftliche 
vollen Wahne, die bloße Ihatfache, Aufgabe für jeden Menſchen, der 
als Menſch auf die Welt gekommen barmherzig fein will, wie jein Vater 
zu jein, verleihe ihm das Necht, über | IM Himmel barmherzig iſt. Sage 
alle anderen Mitgeſchöpfe eine unein= mir, wie du mit den Thieren 
geichränfte Herrſchafi auszuüben. Nun umgehſt, jo will ich dir jagen, 
hat Gott den Menſchen allerdings zum | wer du bi ft. 


Es beiteht ziemlich allgemein die 





Herrn der Schöpfung gemadt, wohl: 
gemertt zum Herrn, nicht aber zu 
ihrem Satan. Gebrauchen dürfen wir 
die Thiere, müſſen es jogar, indeſſen 
iſt es uns wicht gejtattet, fie zu miſs— 
brauchen. Der Menſch, welcher grau: 
ſam ift gegen ein Ihier, entäupert 
ſich ſelbſt der Krone, die ihm fein 
Gott auf das Haupt geſetzt hat. 
Emil Marriot. 


Pfarrer Emil Knodt. 


Nah dem Naturrechte haben Die 
Menjchen gegen die Ihiere ebenfo 
heilige Pflichten wie gegen die Men— 
Ichen. Juriſt Dommel. 


Die Ihierfchuß- Vereine find ver— 
pflichtet,“ mit äußerſter Anjtrengung 
zu verhindern, dafs der Menich an 
| Thieren zum Teufel werde; denn Die 





s71 


Pflege der Menjchenwürde ift die |bürger haben, inftändig, das Beſtre— 


erfte Aufgabe diefer Vereine. 
Dr. jur. von Hönigsberg. 


Das vom Weltenmeiſter geichaffene | 


Thier ift dem Menjchen untergeordnet 
und fieht zu feinem Nuben zwar in 
dejien Dienften, aber auch in Gottes 
Schuß. Jedem das Seine. Dem Men— 
jhen, was dem Menjchen gebührt, 
aber aud dem Thiere, was diejem 
gebührt. Amtsrichter E. O pi. 


Der jämmerlichite Yump, welcher 
feine Spur menſchlicher Würde und 
Tugend in ſich trägt, hat immer noch 
das Recht, das geiftig entwideltite 
Thier zu mijshandeln, zu tödten nad) 
jeinem Belieben! 

Karl Wartenburg. 


Es ift zu loben, daſs Thierfreunde 
den Abſchen oder den Haſs gegen 
widerliche Thiere, wie Kröten, Spin= 
nen und dergleichen zu bekämpfen 
ſuchen. Man rieth, dies dadurch zu 
thun, dafs man auf den wunderbaren 
Organismus auch der geringften und 
bäjslichften Geſchöpfe oder auf gute 
und nützliche Eigenichaften derjelben 
aufmerkſam made. Solde Betrach— 
tungen jind wohl geeignet, den Wider— 
willen gegen verachtete Thiere zu 
heben. Edmund Dorer. 


Nachdem ich viele Jahre, joweit 
mir möglich, Für Abſchaffung von 








ben der deutfchen Thierſchutz-Vereine 
für Abſchaffung der beim Schladhten 
vorkommenden unnöthigen Thiermar— 
tern zu unterſtützen. 


Elpis Melna. 


Es nicht lediglich mangelndes Ge— 
fühl, wodurch das Recht der Thiere 
verletzt wird, ſondern ebenſoſehr Ge— 
dankenloſigleit oder Miſsachtung, 
hervorgegangen aus einer 
irrigen Weltanſchauuug. Denn 
die Thiere Haben wohlbegründete 
Rechte, welche zu verletzen ſtrafbarer 
Frevel iſt; ſie Haben nicht bloß An— 
ſpruch auf unſer Mitleid, ſondern 
auch auf unſere Gerechtigkeit . 
Die Moral aller Religion erlennt an, 
dafs wir Pflichten gegen die Ihiere 
haben. Im Alterthume bildeten Thiere 
einen weſentlichen Beſtandtheil des 
Cultus, und es iſt dies bei manchen 
Völkern noch der Fall; die Philo— 
ſophie und Religion der Inder räumt 
den Thieren eine hohe Stelle in der 
Reihe der Weſen ein, die des Islam 
berückſichtigt ſie mit Sorgfalt und die 
moſaiſche und chriſtliche Religion ent— 
halten Vorſchriften zur Wahrung ihrer 
Rechte. 

Dr. Auguft Aderholdt. 


Ich will nicht Ruhm, nicht Lob, noch 
Ehre, 


Ihierquälerei zu wirken juchte, habe | Biet’ ich der Thiermifshandlung Truß; 
ih in leßter Zeit eingefehen, dajs die | Ausbreiten nur will ich die Lehre, 
Quälereien bei dem jet üblichen | Daſs Thiere ſchützen — Menſchenſchutz. 


Schlachtverfahren weitaus die vers 
breitetften find. Ich bitte deshalb 
unfere Gejeßgeber, unſere Verwal— 
tungs= und Gemeinde-Beanten, un— 
jere Geiftlihen und Lehrer, unſere 
Schriftiteller und Zeitungsredacteure, 
fowie alle guten Menjchen, welche 
Einfluſs auf das Thun ihrer Mit: 


| W 








ir pred'gen in dem Schuß 
der Thiere 

Zum Deil der Menſchen — 

Menſchlichkeit. 


Wir ſind nur erſt die Pion— 


niere 
Für eine ſpät're beſſ're Zeit. 
J. F. 6. Kühtmann. 


Was zieht Geld aus dem Bentel? | mord, eine Leidenberaubung, eine Revolte, 
das Treiben einer Falſchmünzerbande 


Die beiten Bücher find e3 befanntlih u. j. w. — oder auch „Romane“ wie 
nicht, die das Volk liest umd zu lejen die von Söndermann und Victor v. Falk, 
befommt. Alles Liest zwar heutzutage. | der beiden „Lieblingsjcriftiteller des 
Und da3 naive Bolf, es ift wahr, e3 will | deutichen Volkes“ (!), mit Gapitelüber- 
vorzugsmweile etwas Wadendes, Inter: | jchriften, wie 3. B. die folgenden: Der 
effantes, einen ſtarken Außeren Neiz in Mord auf der Liebesinjel; Die Beichte 
jeiner Zectüre haben — e3 ift nun ein» der Dirne; Die Piraten der Spree; 


mal jo, und die „Gebildeten“ machen es ja 


oft nicht viel beſſer in dieſen Dingen. Dieſen 


Reiz aber haben allzu kluge Specus 
lanten, die niederen Triebe gerade im 
Menſchen bercechnend, mit der Zeit zum 
Überreiz gefteigert, das Inter 
ejjante zum Senjationellen zu— 
zuipigen verftanden und das Packende 
ſchlechtweg nur mehr als das Pikante 
genommen. Solche Koft, ſolche geiftige 


‚Gift und Dynamit; Hinter der Kirch— 
hofdmauer ; Die Bauernfänger von Ber: 
lin; Im Bellengefängnis zu Moabit; 
Die Geliebte de3 Prinzen; Die ſchöne 
Nipiliftin; Das Bombenattentat; Die 
Ihönen Frauen des Harems; Das Ver: 
|breden im Kerker; Der Hoditapler ; 
Galgenvögel; Die unheimlihe Kiſte; 
Auf Piſtolen ... ꝛc. ꝛc.; jo allein nur 
iſt es endlich zu erklären, wenn einer 





Nahrung iſt es vor allem, bie heute | ber Hauptmifjethäter auf diefem Gebiete 
von gewiſſenloſen Freibeutern in jenen | eine neue Ausgabe des „Schinderhannes “ 
zabllojen „Schund-, Schand- und Schauer- | mit nachitehenden, ſchier unglaublih dün- 
romanen“ dem gemeinen Mann als Leſe. | tenden Worten onfündigt: „AS eine 
ftoff vorgejeßt wird; jo nur fonnte es | kräftige, feurige Jünglingsgeftalt, ringend 
fommen, daſs unjerem Nolte in jeinen | und fümpfend mit feinem tragijchen (!) 
ärmeren Schichten zu unjerer Zeit ein Geſchick, tritt uns Schinderhannes, 


Roman, wie der nichtswürdige „Scharf: 
richter von Berlin“, geboten werben 
durfte, der auf den eriten 240 Seiten 
nicht weniger als 12 ausführlich ge 
Ihilderte Schand- und Grenelthaten ent: 
hält, darunter eine unrechtmäßige Hin- 
richtung, einen Kinderraub, eine Orgie 
in der Banditenfneipe, einen Watermord, 
einen Einbruch, einen verjuchten Gift 


Deutſchlands größter Räuber- 
bauptmanın, Hier entgegen, Wenn 
auch die Leidenjchaft diefen mild und 
‚ zügellos, in trüber, trauriger Zeit auf- 
gewacdjenen Sohn der Rheinlande auf 
‚die Dahn des Verbrechens getrieben, jo 
‚war e3 auch wiederum die ihn ganz be» 
herrſchende Macht der Liebe zu Julia, 
dem jungen, unjchuldigen Mädchen, Die 





jeinem mildbewegten Räuberleben ein jo 
eigenthümliches Gepräge verlieh. Immer 
wieder verſuchte e3 Julia, die durch ihre 
imponierende Schönheit, jowie durch ihr 
tiefes, fittenreine® Gemüth einen unbe» 
zwinglichen, veredelnden Zauber auf den 
fübnen Banditenchef ausübte, den 
geliebten Helden (!) dem Verberben zu 
entreißen ; aber das Verhängnis (!) er- 
faiste nur zu bald wieder den Wankel— 
müthigen, um ihn anf diejenige Bahn 
zurüdzufchleudern, die ihn ins Verderben 
führen muſste und ſchließlich auch auf 
das Blutgerüjt brachte“ u. ſ. f. u. ſ. f. 

Fürwahr, man braucht dabei noch 
gar nicht an die möglichen und that— 
jählihen Wirkungen diejer Lectüre zu 
denfen, deren Nachipiel wir gewöhnlich 
dann im den Gerichtsjälen begegnen, um 
fich zu jagen, dafs es bier die Menjchen 
zum mindeften von einem „Seelenjtaube* 
zu reinigen gilt; man braucht auch nicht 
eritt an Ericheinungen wie den Geld» 
brieiträgermorb Francesconis und jeine 
Gefolgen oder den Mädchenmörder Schenk, 
noh an jene Unzahl von Golportage- 
Romanen zu erinnern, welche nad der 
Kataftrophe von Schloſs Berg oder dem 
Drama von Meverling wie Pilze aus 
der Erde hervorſchoſſen, um fich einzu- 
gejtehen, daſs hier eine planvolle Ber: 
giftung der Volksſeele vorliegt, deren 
Folgen nicht ernjt genug von uns ins 
Auge gefajst werden können. Mit gutem 
Rechte jagt ſchon Müller-Guttenbrunn in 
jeiner vortrefflihen Heinen Schrift über 
„Bolfslectüre” : „Als ein erſchweren— 
der Umftand jei es zu erachten, daſs 
die Leſer dieſer Romane gevade den 
tiefiten Schichten der Bevölkerung ange 
hören.“ 

Der Golportage-Roman, indem er 
die Schledtigkeiten in der Regel oder 
doch mit einer gewillen Vorliebe in Die 
höheren Schichten verlegt, die Schurfen 
und Äntriguanten vorzugsweile in den 
böchiten Kreiſen juchen lehrt, dagegen die 
Räuber und Mörder mit dem Glorien— 
jchein der Tugend umgibt und die Ver- 
brecher zu Volkshelden erhebt, hat nicht 
nur ein Zerrbild der Welt wie des Le 


ben3 dadurch geichaffen, jondern auch 
jeine 2ejer mehr und mehr entwöhnt, 
den Dämon des Menſchen da aufzu- 
fuchen, wo er thatjächlih wohnt: in der 
Brujt eines jeden, ob hoch oder niedrig, 
und wo er für einen jeden, er jtebe 
auf welcher Stufe er wolle, zur Schuld, 
zum Fehl der Gejinnung wird! 

Alein die Sade hat noch ihre volks— 
wirtichaftlihe Seite. Ein anjtändiges, 
gutes Buch erreicht günftigen Falles und 
der Regel nach befanntlid nur eine 
Huflage von 1000— 5000, höchſtens 
10—30.000 Eremplaren. Hier wird 
ſchlechteſte Waare nahmeisfih in 
einer Anzahl von 50.000 —100.000, 
ja 200.000 und mehr aufgelegt, und 
— was dabei jehr in die Wagſchale 
jält — während bdiejelben Claſſen ſich 
gar wohl befinnen würden, ein gutes 
Bub bit zum Werte von 5 und 6 Mart 
fich zu beſchaffen, hier laſſen fie ſich 
in wöchentlichen kleinen Raten von 10 
oder 20 Piennig mit der Zeit 10, 12, 
13 bis 15 und 18 Mark bequem aus 
der Taſche jpielen. Und die jogenannten 
„Berleger”, fie bereichern fich dabei. Es 
it notoriih, dajs man den Roman auf 
ben Mäbdchenmörder Schenk jeinerzeit fait 
in jedem Haufe Bayerns und Öfterreichs 
vorfinden könnle; auf den König von 
Bayern erichienen 13, auf den Tod 
des Kronprinzen Rudolf entfielen allein 
22, und über Johann Orth circufieren 
jetzt ſchon wieder 4—5 jolder Madı- 
werke, obwohl man doch noch Farm 
Sicheres über die wirklichen Schidiale 
de3 unglücklichen Erzherzog: erfahren 
bat. Bon den „Todtenfeldern in Si— 
birien“, einem Werke, das erit noch im 
Erjcheinen begriffen iſt, jollen bereits 
über 150.000 Exemplare abgejegt jein; 
vom „Scarfridhter von Berlin“ weiß 
man es beitimmt, daſs er in nicht we— 
niger als 260.000 Eremplaren jeiner- 
zeit „umgieng“. Bedenkt man, dafs ein 
ſolcher Roman oft die Zahl von 130 
Lieferungen erreicht, jo bedeutet das für 
den betreffenden Verleger einen Umjat 
von 1'%, Millionen Mark an einem 
einzigen Werte! So befannte auch ein- 


874 


mal ein Golportage Buchhändler Süd» 
deutichlands, deſſen Golporteure eine 
ganze Provinz verjorgen, daſs er mit 
dem „Einfiedler am Starnbergerſee“ 
allein einen Umjat von 45.000 Marf 
fpeciell für fein Gejchäft erzielt habe; 
Werner Grofje verjichert jelbit, daſs jo- 
gar „Handlungen in Eleineren Orten 
das Glüd gehabt hätten, bereit in 
wenigen Wochen Taujende von Abos 
nenten auf das Werk «Scinderhannes» 
zu gewinnen“, und der Gommis eines 
größeren Colportage-Groſſo-Geſchäftes 
verrierh gelegentlih einmal: „bei ihnen 
gehe es nicht mehr mur nach Hunderten 
von Heften, jondern jchon Pfund» und 
centnerweije ber“. 

Niemals hat es einen himmeljchreiens 
deren, dabei jo handgreiflihen und jo 
iehr in die Augen jpringenden Noth— 
und Übeljtand gegeben ; es ift die höchſte 
Zeit, daſs ſolchem öffentlichen Unfug mit 
durchgreifenden Mitteln entgegengearbeitet, 
jenen Speculanten endlih durch eine 
vox populi jelber das Handwerk gelegt 
werde! 

Mancherlei iſt jchon dagegen ver: 
ſucht worden, aber noch nichts hat an— 
geihlagen, weil man das einfachite md 
beite Mittel bisher noch viel zu wenig 
und nicht in der richtigen Meile ange» 
wandt bat. Das greuliche Unweſen der 
Golportageromane iſt nur dadurch mit 
Erfolg zu befämpfen, dajs gute, volfs- 
thümliche, unterbaltende, wirklich feifelnde 
Erzählungen für jedermann auf dem 
gleichen Wege, ebenjo bequem und da» 
bei viel billiger zugänglich gemacht wer- 
ven, als bisher die jchlechten zu haben 
waren, Es ijt ein falſches Vorurtheil, 
welches den Golportage-Buhbandel für 
jene Schäden und Auswüchſe verant- 
wortlich macht, auf den man fich viel— 
mehr jtügen, mit deſſen Hilfe man ger 
rade vorgehen muſs, wenn anders man, 
jo wie die Dinge bier gelagert jind, 
zum Biele fommen will. Und wenn jolche 
Bücher künftig in vielen taujenden oder 
hunderttanjenden von Stüden gleich auf 
einmal gedrudt würden, dann wären fie 


— 


auch ein jeder ohne Ausnahme ſie ſich 
anſchaffen fünnte. 


Wie hoch die Wolken ſtehen. 


So tief bei ſchlechtem Wetter Die 
Wollen auch manchmal berabiinten, im 
allgemeinen ſtehen jie doch viel höher, 
al3 wir etwa anzunehmen pflegen. Über 
zahlreihe Meflungen der Wolfenhöhen, 
welche die ſcandinaviſchen Forſcher Haag» 
jtröm amd Fall im Sommer 1887 zu 
Storlien ausgeführt haben, liegt jett 
eine Beröffentlihung vor, aus der zu 


erjehen ift, daſs die neueren Beobach— 
tungen mit älteren mehrfach überein- 
itimmen, während anbererjeit3 gewiſſe 


AUbweihungen vorhanden find. Als gleich 
itellte ih hauptjächlid die mittlere Höbe 
des Cirrus- oder Federgewölks heraus ; 
fie betrug 8870 Meter über dem Meeres- 
jpiegel. Doch erhob fih in Storlien dieje 
Wolfenform im Marimmm bis zu 11.000 
Meter und janf andererjeits bis auf 
6750 Meter herab. Auf alle Fälle 
ſchwankt jomit ihre Höhe um eine Meile. 
Der Nimbus, jenes dunfle und dichte 
Gewölk von großer Berticalausdehnung, 
welches uns Regen und Gewitter bringt, 
zeigte ähnliche Schwankungen; er gieng, 
während er eine mittlere Höhe von 
2260 Metern aufwies, bis 1200 Meter 
berab und ſtieg bi 6350 Meter empor 
(die Höhen immer auf den Meeresipiegel 
bezogen). Der Stratus, die ausgedehnte 
graue Schichtwolfe, ſchwebte in einer 
Höhe von ungefähr 1600 Metern. Die 
Methode, nah welcher die Wolken— 
meſſungen vorgenommen wurden, bejtand 
darin, dajs von zwei Standpunften, 
deren gegenjeitige Entfernung gemeijen 
wurde, diejelben Punkte der Wollen, 
über welche ſich die Beobachter auf tele» 
phoniichem Wege verjtändigten, mit Iheo- 
dolithen beobachtet wurden, um jo Die 
Winkel zu beftimmen, welde die nach 
ihnen gerichteten Sehlinien mit der Hori- 
zontalen bildeten, Mit Hilfe trigono- 


jo billig herzuſtellen, dajs jeder, aber metriſcher Berechnung fonnte hienach Die 


ſenkrechte Höhe der beobachteten Punkte 
über der Standlinie und dur Addition 
der Seehöhe der Örtlichkeit auch die 
jenige über dem Meeresipiegel gefunden 
werden. In einer Höhe von 12.000 
Metern iſt ewig beiterer Simmel und 
doh würde es in derjelben jelbjt zur 
Hochſommerszeit fein Menih auch nur 
eine Stunde aushalten können, ohne zu 
erfrieren, Die Wolfen find uns auf 
unjerem gewöhnlichen Erdenjtandpunfte 
da®, was der Pelz dem Ungar: im 
Winter jhügen fie vor Froſt, im Sommer 
vor Hite. Aber wenn dieſer Pelz am 
Himmel mandmal ein Lob befommt, jo 
find wir darüber nicht unglüdlid. M. 


Da blodagfteppadi Hons. 


(A Schüknfiaur von E. 5. freuntballer.) 


Enta da Kuhlftott, ban Molded, aum Onga 
hindon ſteht a Keuſchn 

Oanſchichti do; 8 ghert in blodagfteppatn 
Honin; die Jaga 

Suachan an gor fo gern hboam und d 
Stondarn, wos jür n Honin 
foa Freud i$, 

Wüldara war er, bihauptn i, un gengan eahm 
3 Tram noch olln Seitnan. 

Ruah hot er foani, ba Tog un ba Nocht mit! 
fie moanan, fie münjänan 

Kriagn! Da gonz Wold i5 mit Mahn cin: 
ghagat: „dös konn nar 
da Hons thoan!“ 

Imarigsmoi krocht a Schufs, dafs olls hollt: 
„das je konn nar da 
Hons thoan!“ 

Eogn olli Jagar und fuachan ano un vaftölln 
eahm oi Steigal, 

Paſsn moaft hoiwati Wocha long um ba 
da Keuſchn aum Molded, 

Fluachan un ſchältn grobmentiih un finnan 
hoit ewi nir findn, 

Kinnan nir zweiß bobn mit eahm. Wia 
I dahin ſein, oft longt er ſein 
Elugn 

Owa von Wipfl (er hengt jo die Zeit aufr 
a Tanne) und jagat 

Lufti drauf los un ſchuiſſt Reherl und Dir: 
Icher! und Hajerl und Henderl, 

Olls, wos eahm intafimmt, ſchuißt er; in 
Nah ſchuißt er | nida, daſs 
f fugln, 

Trogt J oft zar Kuühlſtott, vagrajst I un 
geht hoam Noch an Rond 
tltimmt a Kuhlbaur, 





Londt oft zerijht 3 Wüldbrat auf, nochat 
jet Kohl un fohrt ſchnolzat 
in Morf zua. 

Sunntas nod n Omt holt da Hons oit 
in Mork int ſei Schujsgätd 
un faft fi 

Zuga, Kaffee, weng a Solz und a Mähl 
für ſei Wei und die Kina, 

Geht wida hoamzua, richt jeint Mahn un 
püriht oft ban Monicdein. 

Meingad und olls braucht jei Kunft und jei 
Wifenichoft, d WMilldareicha! 

33 eppin 8 Manat zan voll wern, ja hengt 
er die Maßn weng hecha; 

Wia:r owa 5 Manat zan fronf wern on: 
hebt, oft hengt er j oi tuifa; 

Moak era Haierl in Loga, fa geht er mit n 
Michl, fein öldan 

Sühn! aufn Fong aus, da Michal voron 
und da Hons hintn nodi 

Mit r an loan Ramkorb. Dawei fo der 
ban Haſerl vabeigeht, 

Thuat, ols wia wonn er in Hoſn nitgwohrad, 
ja fimmt da Hons zumi, 

Schmeißt inra Gihmwindileit huft fein Nam: 
forb aum Hoſn un fongt n. 

Olls braudt jein Vorthl. Un geht er auf d 
Purſch, müaſsn d Kina mit aui 

Müaſsn an Eichtl vor eahm zäm in Waldl 
mausboamla r an froas 
ſchlogn, 

Ebn zwegn die Jaga. Da Kroas wird bold 
engar und engar und 8 Wüld— 
breat, 

Wos zämat drein is im Kroas, ſchuißt da 
Sons, daſs 3 a Luft und a 
Freud is, 

Woi nit für d Jaga; denn dö wern eahm 
lemma ba Zeitn! owa d flina 

Mohn nochen Schuis oft eahn Kroas wida 
weida un gröka, bis s Nocht 
wird, 

Wonn | leiht nit eppin no chnta vajogt 
wern; denndYaga fan granti, 

Sudan un jpürn mit die Jogdhund un 
Stedan un frogn d oldn 
Weiwa, 

Suachn kloan o ba die Wirtsleut un Kroma, 
ban Honin fihrn j a zua. 

„Hon jo foa Birn, do finnt 3 iazt meints: 
mwegn die gonz Keuſchn ums 
drahn! 

Hon ah koa Faſerl vo Wüldbrat in Haus, 
nit a Boanl, nit a Häutl! 

Draht 3 ma die Kenjchn, bitt gor ſchön! 
nit gor a jo üwa! Bamwüajt 
s ma — 

Aufrichti wohr is 3! — mein ehrlign Nom 
und die jündthuirn Soden! 

Jeſſas — wos müaſsn fih denna die Kinar 
ah denla von Bodan? 

Roat'ks amol noh! Wonn eng wirlla wos 
dron ligt wegn d Schühn 
ofonga, 


2 
—] 
0 


Daſs amol Frid is — mocht 3 deant mih 
jan Hega! J wurd eng ſchon 
aufſchaun, 

Guatwurd i aufſchaun un nix derft vakemma, 
i that s a loan rothn! 

Wias⸗r ös holt wöllts!“ ſogt da blodagſtep— 
padi Hons za di Jaga. 

D Jaga, dd lochan hell auf, ſchaun ſih 
gottaleit on noch da Seitn. 

„S wurd a aum gſcheidern ſein!“ moant 
drauf da Ferſchtna; „i ſtechs 
heunt in Grofn. 

Meingad, da Grof hot an Einfegn, er mocht 
eng wohl gwiſs jan an Sega, 

Daſs amol Auch und a Frid is! In Diab 
muajs ma moda zan Hitata!” 

„Schlagara!“ ſchreit iazt da Hons auf; 
„5 s wohr, oda wöllt $ mi 
leicht frozzin? 

Himml — dös gang ma mu o! Nau dös 
war ma a Gſchicht, gor a 
feindi! 

Aufſeha jein und dazua in Vadocht ftehn? | 
Do ſuacht 3 eng an ondern, 

Mih Lojst 5 in Ruah — vaftondn?" Da 
Ferſchtna ſchupft d Ogſfln. 
„Wos moch ma? 

Ruah mecht i denna wohl hobn do in 
Waldl! Wos thoan ma? 
Wos treibn ma? 

D Hegaſtell will er nit nehma, der Norr, 
ſo long er vadächti!“ 

Steht iazt da Hons auf. „Herr Ferſchtna, 
i wurdat jo ch geena Hega! 

Meingad, um olls in da Wält geen!| 
Nur van: that i ruadıa, 
Herr Ferſchtna. 

3 is zwegn mein ehrlign Nom und a zwegn 
meini unſchuldign Kinda! 

Hobt s mi dawiſcht wo? Und hobtes leicht 
oa Harl von an Wuüldbrat 
wo gfundn? 

Gebt 3 mar iazt d Hond drauf! J bitt 
eng, Herr Ferichtnar und eng 
ah, ös Yaga! 

Gebt 5 mar iazt d Hond und fogt 3 noch, 
wos i fürjog: da Hons is a 
Ehrnmonn!“ 

Meingad, in Jagan fimmt 8 faur vir und, 
hanti. „Da Hons is an Ehrn— 
monn!“ 

„Nau!* jogt da Ferſchtna, „da Wülln is 
dafült iazt, — da Hons 
is an Ehbrnmonn!* 

„Endli — nau endli! wonn d Jaga dös 
fogn”, ſogt da Hons, aft 
muajs s wohr ſein! 

Schiach freut mi dös, muais i ſogn, meint 
Herrn! und iazt gehn ma 
jan Grofn! 














z 


Poetenwinkel. 


Sommerregen. 





Der Sommerregen trieft mir aufs Haupt, 
Ein Falter umgaudelt den Wein; 

Die jungen Buden fteh'n hell belaubt 
Und jprühen in Glanz und Schein. 


Und fo trinle die 
Licht! 

Dein Abend, du Träumer, iſt nah. 

Mit Auge und Herz aud die fette dir 
bridt — 

O Leben, mein 2eben, hurrah! 


Luft, und jo trinfe das 
! 


Hurrab, hurrab, in dem friſchen Wind, 

In Sommerregen und Duft! 

Und ob meine Fahnen zerihojien 
jind, 

Sie flattern frei in der Quft! 


Maria von Fhre. 


Morbei! 


Der Schnellzug jagt durd tiefe Nacht, 
führt mid) der Stätte wieder zu, 
Dahin er mich jo oft gebracht 
Im Hoffnungstraum von Glüd und Rub. 
\ 
| 


Am Bahnhof zwei Minuten Raft: 

So dumpf und düfter ſchweigt der Ort | 
- Berraufcht des Lebens frohe Haft —. | 
Als wäre Lieb’ gellorben dort. 


| 
Ich ichrede auf aus tiefer Nadt: \ 
Ein ſchriller Pfiff — wie Schmerzensſchrei, N 
Und weiter rast die wilde Jagd 
An tiefe Naht — vorbei, vorbei! 


Konrad Zcipio. 


Die Schnitterin. 


Es ſchwingt die ſchöne Schnitterin 

Das Korn für das Gelege 
Und ſchneidet fort mit frohem Sinn, 

Wie ift ihr Herz fo rege! ı 





Mas war ed, das troß Sonnenglut 
Ahr Schwül’ vertrieb und Bangen, 
Was, das ihr all das junge Blut 
Trieb in die braunen Wangen? 


Auf nächſtem Feld ihr Herzgeſell 
Lud Korn auf einen Wagen 

Und pfiff jein Lied, Das wurde Hell 
Bon Wind ihr zugetragen. 


Iofef Schubert. 








— — 


877 


Reue. 


Einen Trunk aus des Vergeſſens Scale, 
Einen Funten Luft zum Sentersmahle, 
Einen frommen leilen Glaubensjhimmer, 
Einen ihrähnennafjen weichen Flimmer, 
Ein geheimes Reueathmen nur 

Gib mir, gib mir, gütige Natur... 


Einmal möcht' id nur die Hände falten, 
Büßend ftumme Andacht bei mir halten, 
Einmal mit der Unfchuld mich vermählen, 
Einen Tropfen jühen Frieden ftehlen, 
Ein geheimes Reueathmen nur, 
Gib mir, gib mir, gütige Natur. . 

qjugo Grothe. 


Wiar an Enger biſt. 


Wiar an Engerl biſt, mei Dianderl, 
Wannſt beim Fenſter außaſchauſt 
Und da d' Augerl, wia zwoa Veigerl 
Kam a wengal aufz'ſchlagn trauft. 


Wiar a Bleamerl, auf dös d' Sunn jdei't, 
Wiad dei Gfichterl, wannjt mi fiagft, — 
Ama ſoi thuaſt wohl am jhenftn, 
MWannft vo mir a Buffer! kriagft; 


Denn da bift ala wiar a Däumerl, 
Dös mitn Daumwa ſchnawlat gern, 
Awa fürdt, as kinnat draus nu 
Mit da Zeit an Darl wean. 
Iohenn Steljhammer. 


Da Modafögn. 


Jan Diandl bin i gihlidha 
Dis nart amal a weng, — 
Rang mehtö han ma g’jöjin 
Baun Häusl auf da Beng. 


% han iahr meini Finga 
Aufs kloani Herzal glögt 
Und wollt gern außabringa, 
Ob drein foa Falſchheit ftödt. 


Auf ihra heazigs Göſchal 

Han i a Buſſal drudt, — 
Da hat bei'n Hammafenfta 
Ta Voda auagudt. 


„Na wart, du Erzlump", jchreit a, 
„Pot Blitz und Dunnarögn! 

Mia icheit, as fait iakt grad nu 
Da Nodajdgn.“ 


Iohann Steljbammer. 


Irrthum eines Gäuerleins. 
Don Hans Viſchner. 


3 hatt amol 3 nadts in die Stadt krat 
an Gong 


Da bon i voa meina a Liachtl woahr gnom' 





Hör ebas umaläutn, 'S wia '3 Vaſechglöckl 
trat 

Und moa daf3 a Geiftlan zan an Kronkn 
gen that. 

% Inia aft rund nieda, machs Kreuz weita 
gſchwind, 

Aft war 's ah dahi ſchoa, ſel Ding wia 
da Wind. 

Hör hinta mir lachn — ho’ mi görgaidt 
a5 wia — 

Ban 'n fo heilig'n Sachn — is dös fon 
Monier, 

Aft hat vana gjag da: Du Bauer — Ios 
rödn, 


Das is koa PVajehgong, nur a — Radl— 
foahra gwön. 





Bider. 


Oswald von Wolkenſtein. Erzählendes 
Gediht von Angelica von Hörmann. 
Dresden. Ehlermann. 1890. 

Frau von Hörmann hat ſich ſchon vor 
mehr als zwanzig Jahren mit ihren Ge: 
dichten „Grüße aus Tirol“ als lyriſche 
Dichterin einen guten Namen gemadt. Mit 
reiner Empfindung, in klarer Form, durd: 
aus nicht dilettantiih find ihre Gedichte 
gefchrieben. Robert Hamerling hat fie nach 
der Lectüre ihrer erften metriſchen Erzäh— 
lung „Die Saligen* zu weiterem Schaffen 
fehr aufgemuntert. JIm „Oswald“ hat nun 
frau Angelica einen großen, ja überreichen 
Stoff aus der Tiroler Vergangenheit er: 
griffen. Der Woltenfteiner, dejlen Bedeutung 
als letter Minnefänger am Ausgang des 
14. und 15. Jahrhunderts tiroliide For— 
jher gerade in den letzten Jahren erfolg: 
reih nachgewieſen haben, ift wohl ein epi: 
ſcher Held, wie man ihn jobald nicht wieder 
findet. Abenteuer auf der im Minnedienfte 
unternommenen Kreuzfahrt nad Jeruſalem 
— Manderungen bi5 nah Spanien — 
Kämpfe in Tirol jelbit, wo Oswald eines 
der bedeutendften Häupter im Kampfe der 
ftolzen Adeligen gegen den vollsfreundlidhen 
und jchliehlich fliegenden Herzog Friedrich 
mit der leeren Tajhe war — Theilnahme 
an den größten Greignifjen jener Zeit: am 
Concil zu Conftanz anläjsli der Huſſiten— 
bewegung jaß Oswald an der Seite des 
Kaifers Siegmund — ein Held und ein 
Narr, ein Polititer und ein Poet mit dent 


merkwürdigſten Wechſel von Glück und Un: 


glüd: Gefangenihaft, Elend, Ehebruch, 
Auszeihnung und immer und überall Ber: 


liebtheit — — das ift die faum überſeh— 
bare Fülle epiſch ergiebiger Motive aus der 


Geſchichte des Wolkenſteiners. Dieſe Fülle 
ganz zu bewältigen oder doch nur von der 


Hshe hiſtoriſcher Betrachtung die wichtigſten 


Thatjahen auszuwählen, dazu reichte die 


jarte Hand der Inriihen Dichterin aller: 
dings nit aus. So ein Kernmann mie 
der Oswald wartet anf die fräftige Hand 
eines großen männlihen Dichters, um im 
Liede aufzuerftehen. Wenn wir uns aber 
ganz unvoreingenommen blok an das 
halten, was frau von Hörmann nad) ihrem 
Einne zu erzählen fih ausgewählt und 
wie jie diefe Auswahl dargeitellt bat, dann 
mujs man inihrer Dichtung viele Schönheiten 
anerfennen. Sie fent idylliſch mit der Liebes— 
geſchichte Oswalds zu Margeretbe von 
Schwanſtein ein und nimmt nad und nad 
den Wufftieg zu den großen politifchen 
Kämpfen des Helden. Die treuloie Gefan: 
gennahme Oswalds durch jeine boshafte 
Jugendliebe Sabina Hausmann fteht in 
der Mitte der num erjt jpannenden Erzäh— 
lung. Mit Wärme und Kraft wird Dswalds 
Verzweiflung im dunklen Verließ geſchildert, 
und jehr effectvoll die dDramatiich bewegte 
Ecene, in der Oswald unmitielbar aus 
dent Kerler an die glänzende Tafel Herzogs 
Briedrih zu Meran in den frei feiner 
freudigen Standesgenofjen gebradt wird, 
weil zur Sieges- und Friedensfeier fi 
fein anderer Sänger vorfindet, Diefe Scene 
ift der Höhepunkt der liebenswürdigen Er: 
zählung, und es iſt jehr Klug, daſs fie fnapp 
am Schluſſe ftebt. Ihre jorgfältig gefeilte 
Sprade (vierfühige Jamben, kreuzweis ge: 
reimt) verdient bejondere Anerfennung ; 
denn in der Sorgfalt, den der echte Dichter 
auf die Echönheit und Turdbildung jeines 
Aunftmaterial®, der Eprade, verwendet, 
untericheidet er fih vom Dilettanten und 
vom journaliftiihen HDandmwerler. In unjerer 
Zeit fann der Erfolg einer Erzählung in 
Verjen nicht raujhend mehr fein, Der 
„Oswald“ der Frau von Hörmann trägt 
aber die Gewähr wirllider Dauer in fid; 
er wird die meiſten Nomane der Echubin, 
Mariot u, dal. überleben. M. N. 


Die Erkenntnis, Fine naturwilienichafts 
liche Studie über den caujalen Zuſammen— 
bang der Naturerfheinungen, enthüllend 
den Zwed der Schöpfung, den Zwed unferes 
Tafeins, und den wahren Begriff der 
menſchlichen Seele. VonLudwigRümelin. 
(Leipzig. Mar Spohr) 

Fürwahr, ein vieljagender Titel, 
fonders für ein jo dünnes Büchlein. Und 
doch will es uns bedünfen, daſs hier der 
Verfuch, die moderne Erlenntnisphilojophte 
mit dem Glauben an Gott, mit den Be: 
dürfniſſen der Geſellſchaft ſowie mit den 
Wünſchen und Doffnungen des Einzelnen 
zu vereinigen, nahezu gelungen iſt. Wenig: 
ftens jchen wir aus diefem wohlwollenden 
Werlchen, daſs die Kluft zwischen Glauben 
und Erlennen lange nicht jo tief ift, als 


bes 


es der Zelot bier und der Wiflenichafts- 
pharijäer dort gemeiniglih zugeben will. 


“U. 


Evangelium Johannis 3, 16. in 296 ver⸗ 
ſchiedenen Sprachen. (London. Bibelgeiell: 
Ihaft.). 

„Mio bat Gott die Welt gelicbet. dais er 
feinen eingebornen Sohn gab, auf dais alle, 
die an ihm glauben. nit verloren werden, 
fondern das ewige Leben haben.” 

Diefer Sprud iſt von unierem geliebten 
Deutih an bis hinab zu dem Lallen der 
Zululaffern in faft 300 Epraden überiegt. 
Um den ganzen Erbball geht die Offen— 
barung des Chriſtenthums, und zwar zu 
einer Zeit, da in unjerem eigenen Vater: 
lande rajende Geifter den Atheismus pre: 
Digen im Buch und auf der Bühne, Mit 
dieſen Geiftern treffen auch mande Kirchen 
Gemeinichaft in dem Sinne, als fie ſich der 
Verbreitung der Bibel im Volle möglichft 
widerjeßen. R. 


Zehm Gefdhidten von Frit Mautbner. 
(Berlin. I. H. Scorer.) 

Fri Mauihner, das iſt dieſer Menſch, 
der fich in jeinem „Rad berühmten Muftern* 
über allerlei Dichter und Schriftfteller Iuftıg 
gemadt bat. Den jollte man, fo oft er nun 
jelpft als Dichter und Scrififieller auf: 
tritt, tüchtig zanfen! Bei dieſen zehn Ge: 
ihichten gebt das aber nicht, mit dem beiten 
Willen nit! Schon jeit eıner Weile ift 
nichts gelommen, das mir ſoviel Spaß ge: 
madt hätte, als dieſe Geſchichten. Wir 
macht etwas nur Spaß, wenn es mich zum 
Laden zwingt und mir das Auge feucht 
werden läjst. 's ıft beides nicht leicht, wer's 
niht fann — für Mauthner ift es aber 
leiht. Bon der heiteren oberbayeriichen 
Dorfgeſchichte: „Peter der Grobe* bis zur 
merfwirdigen polnifgen Novelle: „Der 
Todten-Toctor*, meld’ ein Abftand! Und 
die eine in ihrer Art jo vortrefilid wie die 
andere. Ganz löltlih dünft mir „Ein legter 
Wille“ zu jein, meshalb er in Dielen 
Blättern belannt gemadt werden fol. 
Mauthner ift Recenjent und jchreibt jelbit 
jo norzüglide Bücher? Seit warın reißt in 
der Literatur denn dieſe Abnormität ein? 

R. 


Anfprudjslofe Sefdhihten von PB. Hann. 
(Leipzig. WU. ©. Liebesfind 1891.) 

Diefe aniprucslojen Geſchichten löunen 
wohl Uniprud machen auf eine freundliche 
Beahtung. Wer kleine Genrebilder liebt, 
die mit einem liebenswürdigen Humor er: 
zählt find, bei welchen unterwegs das Glüd 
der Helden bedentlid auf dem Spiele ſteht, 
die aber doch gut ausgehen, der wird an 
diefen anſpruchsloſen Gejchichten jeine Freude 


m” 


haben. Echon die Eingänge zu jeder diefer 
Novelletten jind ftets jo feflelnd, dais man 
ihnen nicht mehr entkommt, darum ift allen 
jenen, die feine Geſchichte zu Ende leſen 
mögen, gerathen, hier ja feine anzufangen, 
denn fie würden ihrer Gewohnheit abhold 
werden. Erzählungen wie „Sein bedeutender 
Freund“, „Ein Aprilfcherz*, „Ein Unglüds: 
mensch“ u. ſ. w. werden jeden ergößen, 
der fih über Zola, Ibien und Nachtreter 
hinaus einen froben Sinn für herzer: 
quidende Literatur bewahrt hat. M. 


Aus dem Süden. Neue Gedichte von 
Stefan Milom, (Stuttgart. U. Bonz 
& Comp.) Sinnig und geiftvoll, mehr em: 
pfindjam als leidenſchaftlich, mehr weije 
Selbitihau als ein Sidyverlieren und Din: 
dämmern in unflaren Gefühlen, nicht Inrijche 
Grgüfje eines überquellenden Herzens: ges 
reifte Früchte der Erfahrung und des Nach— 
denfens, zumeilen von feinem Humor durch: 
tränft — fo muthen uns dieje Gedichte an. 
Gine Probe ohne Wahl: 

Tas Schönſte bleibt doch ſteißs das Schnen, 

Der Liebe erite Wendezeit, 


Das bange Zagen, jühe Wähnen, 
Die ftille Traumesſeligkeit. 
Denn was du damals vorempfunden, 
Die Bruft von Gimmelöglanz erhellt, 
Tas bringt, wie viel du auch qelunden, 
Dir jpäter fein Beiih der Welt. 
tt 


Vagabunden» Lieder von Bhilo von 
Malde. (Großenhain u. Leipzig. H.Ronge.) 
Von den beiden Abtheilungen des Buches 
enthalten die „Lenzfahrten“ friſch und fed 
geichriebene Lieder wir brauden nur 
den „Srüneberger Wein" anzuführen. Gin 
fahrender Gejell joll vom Leben zum Tode 
gebradht werden, „Da fehlt es an dem 
Stride.* Auf den Rath des Henfers wird 
dem Delinquenten „Brüneberger* credenzt. 

Ter Burſche nabın das Frinfglas. 

Und rief: „Grünberg! ib briuge das 

Dir dar als Räder ſchwer — = 

Danı bat er's ausgetrunfen, 

At jählings Kingelunten 

Und rührt fein Glied wicht mehr. 

Heut bringen Grünberg: Reben 

war feinen mehr ums Yeben, 

Weil man fie oculiert. 

Der Saft doch, den fie jchufen, 

Der ift im Yand werrufen, 

So weit man poculiert. — 


—— 


Der alte Uaderer. Roman aus dem 
Wiener Vollsleben von Anton Langer. 
(Wien. Jakob Dirnböds Buchhandlung.) 

Ausgehend von dem büfteren, verhäng: 


879 


| 





u ——— ee a — 


auf dem Hochgericht verbluten, führt die 
Erzählung den Leſer mitten in die Revo— 
lution der Märztage, die ereignisreichiie 
Periode von Neu-Oſterreich, um endlich in 
den geheimnisvollen Baläften Benedigs, 
defien Verluft der Verfaſſer im abnenden 
Geiſte vorausjah, zum Abſchluſs zu fommen. 
Der Held des Nomanes felbft ift die ſym— 
pathiiche Beftalt eines echten biederen Wie— 
ners, und mit Theilnahme verfolgen wir 
von Anfang bis zu Ende feine wechſelvollen 
ES chidjale, jeine Freuden und Leiden, die 
wir mitiühlen und mitenpfinden. Charaf: 
tere und Situationen, Land und Leute find 
mit Friſche, Naturwahrheit, mit Dramati: 
icher Effectlenntnis gezeichnet. 


Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen: 


Bon Dr. E. M. 
(Berlin. Dans 


Der neue Demokril. 
Schranfa 2. Band. 
Lüjtenövder. 1891) 


Ein Mönd. Epiſche Erzählung von 
Theodor Salburg =» Falltenfteim 
(Dresden. €. Pierjon. 1891.) 


Der Student von Padua. Die Promotion. 
— Eine gute Haut. Bon Urnaldo Fuſi— 
nato. (Halle, Otto Hendel.) 


Wiener Bolkstheater. Unter Mitwirkung 
hervorragender Dramatiler. (Wien. G. Da: 
berfow. 1891.) 


Das Sefebedürfnis des Volkes und deffen 
Befriedigung. (Nach einen Vortrage.) Bon 
F. Mey er, Reallehrer in Idſtein. (Weinar. 
Verein für Maſſenverbreitung guter Schrif— 
ten 1891.) 


Tagebuch von Tſcherkeſskiöi. Zufammen: 
geräubert von einem achttägigen Unfrei— 
willigen. Herausgegeben von MKraemer. 
(Berlin. H Lazarus. 1891.) 


Der kleine Rechenmeiſter. Gin Lehr— 
miltel für den Redhenunterriht im unbe: 
ftimmtenZahlenfreile. DasEinmaleins durd; 
Unihauung zu lernen und zu dehren. 
(Leipzig. Dermann Hude.) 


Poftkarten des „Heingarten‘“. 


H. T., Dresden: „Gleiche Vollser— 
ziehung durch den Staat* und „Gleich— 
ſtellung“ aller Individuen im Staate iſt 
wohl nicht wörtlich zu nehmen. Bei der 
unendlichen Berihiedenheit der menſch— 
lichen Fähigkeiten wäre eine abſolute Gleich— 


nisvollen Schickſale einer ungariſchen Mag- ſtellung und gleiche Erziehung ungerecht, 


natenfamilie, deren Glieder durch Mord !zu undenkbar. 


Anders, wenn Sie eine 


880 


rn 


relative Gleichſtellung wollen, in dem Er mujs all derlei Zumuthungen, wobei 


Einne, dajs jedem das Seine werde je 
nachdem er es durch Fleiß, Talent, beſon— 
dere Fähigleiten u. ſ. w. verdient, dann 
wird e8 jeder rechtlich denlende Menſch mit 
Ihnen halten müflen und Sie haben Aus: 
fiht auf Erfolg, — Wenn ein Maurer: 
gehbilfe jein Arbeiterlos verbejjern will, 
jo hat er gewiſs redht, aber wenn er fi 
dem Baumeifter gleihftellen will, jo ift 
er thöriht und wird in Ewigkeit nichts 
erreichen. 


3. ©. Wien: Es flimmt in der Haupt: 
ade thatſächlich. Chriſtus wurde gefreuzigt 
den 3. April des Jahres 33, das war ein 
Freitag. Am Abende desjelben Tages, um 
die Zeit des Sonnenunter: und Mondauf: 
ganges, fand nad Berehnung der heutigen 
Atronomen eine in Jeruſalem ſichtbare 
Mondesfinfternis ftait. 


* Zu Ende des Jahres 1899 wird ein 
großer Zeitungsfrieg entftehen; die einen 
werden behaupten und wiſſenſchaftlich bes 
weiſen, daſs das neue Yahrhundert mit 
dem 1. Jänner 1900 beginne, die anderen 
werden behaupten und mathematiſch feft: 
ftellen, dajs das neue Jahrhundert erft 
vom 1. Jänner 1901 zu zählen fein wird. 
Dem gegenüber machen wir (hoffentlich früh 
genug) darauf aufmerfiam, dafs Schiller 
und Goethe zu Weimar das neunzehnte 
Jahrhundert mit dem 1. Jänner 1801 be: 
gannen. Goethes Mutter ſchreibt am 8. De: 
cember 1800 an ihren Eohn: „Man hat 
mir gejagt, dais herrliche Anftalten bei 
euch gemadht werden, um das neue Jahr— 
hundert mit Freude und Würde zu em: 
pfangen und zu begrüken — Gott! laſſe 
es eud allen gefegnet jein.“ 


9. W. Straf; In oberfteirifcher Mund: 
art heißt „aumwazn* jo viel al& wiederholt 
aumeh rufen; „findIn“: bei einer Krankheit 
im Halbihlummer jeufzen und wimmern; 
„pfnechn“: pfauchen, ſchnaufen. 


*Beſten Dank für die Namenstags- 


gratulationen. Allein der Peter beim Paul 
iſt nicht der richtige „Heimgarten-Peter“. 


R. R., Donnersbahmwald: Den Aufſatz: 
„Die Steuererecution“ haben wir als eine 
zum Theil bumoriftifche Arbeit aufgefaist 
und von diefem Standpunfte aus an ihr 
feinen Unftoß gefunden. 


* Der Herausgeber dieſes Blattes bittet, 
unaufgefordert ihm keinerlei Manuferipte 
„sur Beurtheilung“ u, j. mw. zu ſchicken. 





Für die Rebaction verantwortlih P. A. Bofegger. — Druderei Ledtam· in Ora,. 


er doch nichts nüten Tönnte, entihieden ab: 
lehnen. 


* Die clericale, Welfer Zeitung * (Über: 
öfterreich) hat in den legten Monaten eine 
Arbeit veröffentlicht, welche den Titel führt: 
„Rofegger, der Schneiderpoet von Graz”, in 
fiebzehn langen Eapiteln. Dieſe Auffätze find, 
jomweit fie mir vorliegen, eine muflerbafte 
Schwindlermoſaik von Berdrehungen, Ent: 
ftellungen, Fäljhungen, Verhöhnungen, Ber: 
dädtigungen und anderer Art von Lügen 
gegen meine Schriften und meine Perion. 
Was ich feinerzeit gezwungen war, einer 
ähnlichen Läfterzunge des „Linzer Bolfs: 
blattes* in der „Linzer Tagespojt* zu ent: 
gegnen, das gilt aud für dieſes Pamphlet 
wahricheinlih von demjelben Verfafier, der 
fih auch diesmal nicht zu nennen beliebt bat. 
Soutane und Anonymität — unter ſolchen 
Hüllen faun man jchon was wagen. — Ich 
habe meiner perfönlichen Überzeugung in 
Saden der Religion wiederholt, beionders 
auh in dem „Beipräde über Religion“ 
(„Deimgarten*, XV. Jahrgang, Seite 676) 
Husdrud gegeben. Freilich habe ih Miis- 
bräude, die aus kirchlichen Satungen im 
Volle fih entwidelt haben, oft hart ge: 
jhlagen und dem Spotte preisgegeben, 
nicht als ob derlei Dinge an und für fich 
gar jo ſchädlich wären, als vielmehr, meil 
fie von dem göttlichen Urquell der Neligion 
ablenlen. Freilich babe ih für uniere 
Vollsihulen eine gründlichere Pflege des 
Evangeliums verlangt, als fie heute vor: 
handen ift — aber das Tann doch nicht 
berebtigen, mid einen Bolfsverführer, 
Heuchler, Antichriſten u f. w. zu nennen. 
Ich getraue mir's gar nicht zu jogen, was 
die clericale Prefie mir ſchon alles ange: 
dichtet hat. In einzelnen Provinzen Öiter: 
reich8 und Bayerns werden die Verhetzun— 
gen gegen mich jeit Jahren ſyſtematiſch und 
mit unglaublider Leidenichaftlichteit bes 
trieben. Bei folden Erfahrungen ift es für 
mich wirklich jchwer, dem Elerus jene Hoch— 
achtung zu zollen, die er beaniprudt. Aber 
ich denfe mir halt: Alle find nicht jo. Es 


‚gibt, was ih auch wieder aus Erfahrung 


weiß, viele Priefter, ja die der großen 
Mehrzahl, die mein redliches Streben er: 
fennen und die Irrthümer, melde freilich 
auch ich begehe, nadhfichtig beurtheilen. — 
Dais ih unter allen Umftänden fortfahren 
werde, Zeit meines Wirkens Mijsftände 
und jeelenverderbende Gntartungen im 
Eultus, jomie unwürdige Vertreter der Re— 
ligion munter zu geikeln, verfteht ſich von 
ſelbſt. P. 8. Roſegger. 





I beinugarlen © 


— Fr a — — 
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12. Heft. 


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Ein Zwiegeſpräch auf der neuen Murbrücke zu Gras. 


1 
I: furzem wurden mitten auf 
» der neuen Murbrüde zu Graz 


gr zwei eherne Gejtalten aufges 
ftellt. Sie ftehen zur Rechten und zur 
Linten einander gegenüber und ftellen 
zwei herrliche Frauen dar: die „Aus 
ſtria“ und die „Styria“. 

Modelliert Hat fie der Heimifche 
Bildhauer Hans Brandftetter, gegofjen 
wurden fie in der Erzgießerei von 
Carl Zurbain’3 Söhne in Wien. 
Und nachdem dieje Geftalten mit jo 
vieler Liebe und Freude gejchaffen 
waren von gottesgejegneter Künſtler— 
hand, und als die Menjchen im treuer 
Begeilterung aufblidten zu den Bild« 
niſſen — fiehe, da wurden dieje Bild» 
niffe lebendig. Denn im Stünftler 
liegt es, daſs er jelbit dem Stein und 
dem Erze Leben einhauden kann, 
wenn er die falte Maſſe umarmt, und 
im Volke liegt es, dajs es jein Glüd 


Rofegger’s „‚Heimgarten‘‘, 12, Geft. XV, 


und Leid, jein Wünfchen und Hoffen 
in die ehernen Gebilde jenft und dies 
jelben von diejen wieder, und zwar 
geflärt und ſinnlich geformt, zurüd 
vernimmt wie von lebendigen Wejen. 

Da alſo die zwei neuen Geftalten 
auf der Brüde von aller Welt nicht 
wie todtes Erz, ſondern wie lebendige 
Weſen betrachtet, beitaunt, bewundert 
und verehrt wurden, jo ereignete es 
fi eines Morgens, dajs fie thatjäche 
lich lebendig wurden und anhuben, 
miteinander zu ſprechen. Ein Sonn— 
tagsfind, weldes die Gabe bejigt, die 
Sprade von Thier und Pflanze, von 
Erz und Stein zu verjtehen, und 
welches zur jelben Stunde über die 
Brüde gieng, hat das Zwiegeſpräch 
zwifchen der Auftria und der Styria 
vernommen, umd dieſes Sonntagskind 
hält es nicht für unredlich, jeinen 
Landsleuten, die im Drange ihrer 


56 


2 


382 


werftägigen Obliegenheiten das Ge— 
ſpräch etwa überbört haben, davon in 
Kenntnis zu ſetzen. 

Die Auſtria 
redeten alfo: 

Styria: Guat morgn, Frau 
Muada. Bift Schon auf? 

Auſtria: Dobre jitro. Nemohu 
pro starost späti. Bin immer auf. 

Styria: Wos is dan dos? 
Sul dos mei Muadaſproch jein? 3 
veriteh dih mit. 

Auftria: Rozumie sie sam? 

Styria: Mei liabi, herzliabi 
Muada. Mir fteht’s nit zua, dajs ih 
dar an guatn Roth gib, ih woaß 3 
wul. Oba ſchau, wias uns do af der 
Bruggn ollzwog nebnanonda bergitellt 
bobn, fa zimbb mid, je müaſſn uns 
gern hobn ollzwoa, it hättu 3 uns 
nit bergftellt. Und hiaz, wan d Leut, 
de hin und berrenen über die Bruggn, 
zan uns aufſchaun und ums grüajin, 
ja moan ih doh, mir jultn unfer: 
Dont ſchön! in eahna deutihn Sprod 
jogn. .; 

Anſtria: Und wie du fprichit, 
das nennſt du deutih? O sancta 
simplicita. 

Styria: Olt ehrwürdi Voders— 
ſproch derf ma nit verochtn, mei Muada! 

Auſtria: Eine merkwürdige Zeit, 
wenn die Kinder klüger ſein wollen, 
als die Eltern! Viele fremde Spra— 
chen zu lernen iſt doch immer gut! 

Styria: Däs wul. Oba ſein 
oagni vageſſn, däs is mit guat. 

Auſtria: Kind, du biſt herb 
und ich bin bekümmert. In der Nacht, 
wenn alles ruht in der weiten Stadt 
und nur das Waſſer rauſcht unter 
meinen Füßen, blide ih hinab in den 
Strom und denke an den Strom der 
Zeiten. Ewig fließt er fort und riejelt 
und raucht, und doch wie anders 
heute als geſtern! Vergangen ſind die 
Zeiten, da Auſtrias Kinder fich liebes- 
innig vereinigt haben um die Mutter, 
auf ihr Wort nur bHörend, unter 
ihren Schuß nur fliehend, ihr alle 
Kraft mur weihend. Es war ein 


und die Styria 


gefürchtet in der Welt und mit ver 
einten Kräften gieng's an gleiche Ziele. 
— Und Heute? die Kinder wenden 
ih von der Mutter, bauen Ah in 
ihren Meinen Geburtsländern eigene 
Häuſer, wollen für ſich allein wirt» 
Ihaften, befeinden einander, und ans 
jtatt der Mutter Kraft und Stüße zu 
geben, geben ſie ihr nur gute Lehren. 
— Hier, mein Kind, ſtehſt du mir 
gegenüber mit gezüdtem Schwerte! Du, 
die heitere, waldluſtige Maid, mit 
gezüdtem Schwerte! Was bedeutet das? 

Styria: Muada, glaub mas ! 
Diaz möcht ih in liabait pa mein 
Stoderl hupfn, die Brarn wedjchmeifin 
und dir um an Hols folln. Ins 
Herz eini ſchreckt $ mid, wan du 


großes Familienhaus, geachtet und 


2 
moanan kuntſt, mei Schwert war epa 
gor gegn meini oagnan Bluatsfreund 
gericht. Muada, Muada, wia muals 
da jein, daſs da jo wos funt eine 
folln! — Schau mid doh on! Den 
grean Kronz in Hoor und s Edel: 
weiß, bin ih jo oflaweil noh dei wold— 
luſtigs Dirndl, däs in greanan Thol 
Korn ſchneidt und fingg, däs in Dügel- 
lond Traubn left und focht, däs auf 
der Olm umſpringg und juchazt. 
Suchazn kunnt id Tog und Nocht, 
und bein für mei liabs Doamatlond. 
Oh, Muada! Däs ſchöni Hoamatlond 
is mei größti Freud af der gonzn Welt ! 
Auftria: So pflüde Roſen, flicht 
Kränze, meine Tochter. Wozu das 
Schwert? 

Styria: O Goud, Muada, wos 
that ih liaber a3 wia Bleamerl brodn 
und Kranzerl flehtn! Du friagaft — 
Ihönfti davon! — Oba dent da’s, 
heint ba da Nocht, wia $ olls ja ſtill 
is gwen um umd um, und na & 
Woſſa bot amwend gmwijchbelt — do 
lous ih, und hör va weitn, gonz da 
weitn, a3 wia warn do unten ba da 
Sann, da draugt ba da Moldau und 
weita gegn rechtahond viel Hundert 
Schmied thatn hämmern afn Ambop. 
— Als wia wan Meſſer und Sabel 
wurdn gmocht, grod a fo klinggs. — 


—— 


883 


Wir ih däs hör, do fohrt mei Hond 
ſtad zan Schwertgriff! Wan a Gfohr 
war, i hauat drein! 

Auſtria: Willſt du denn nicht 
warten, heißblütige Tochter, bis ich 
commandiere? 

Styria: Cumadirſt oder nit, 
warn a Gfohr is, hau i zua! 

Auſtria: Kinder! Leichter würdet 
ihr euch verftändigen, ließet ihr das 
Schwert in der Scheide ruhen. Mit 
Drohen macht man jich feinen Freund. 
Belränze dem hHerben Nachbar die 
Yausthür mit Rojen, und es tritt dir 
aus derjelben ein Genofje, ein Bruder 
entgegen. Willft du, mein Kind, dafs 
dein Land blühe, jo halte Frieden mit 
dem Nachbar. 

Styria: MWoana kunt ih, mei 
Muada, wan ih da zuahör! So mwohr 
und güati is dei Ned. Oba ſchau, ih 
thua mid Holt fürdtn. Wan Dans 
an Schoß hot, und olli Fenfter und 
Thürn fein offn, und immer a frembbi 
Totzn greift her, iss dann a Wunder, 


Daſs jedes dieſer Kinder ſeine Eigen: 
art bewahre, daſs es kräftig ſei und 
gelittet, daſs eines das andere achte, 
daſs jedes ſich unterordnne der ganzen 
großen Familie und jo in diefer Fa— 
milie jeinen Halt und Schuß finde 
und feine fittliche Vollendung — das 
it meine Aufgabe, an deren Löſung 
ich arbeite jeit hunderten von Jahren. 
Gütig gegen die Meinen und jtark 
gegen die Feinde meiner Sendung bin 
ih. Möchtet ihr nie vergeflen, Kinder, 
was ihr einst gewejen und was ihr 
unter meiner Hut gemorden jeid ? 
Ofterreih! Eines der gepriejeniten, 
‚beneidetiten Länder der Erde. Und der 
DOfterreiher! Siehe feine herrlichen 
Eigenschaften, die ja auch in dir jind: 
jein helles Daupt, fein heißes Derz, 
jeine Shöpferiihe Hand! ein fühn und 
froh zur Erde niedergeftiegener Sohn 
des Himmels! Wenn ihm der Glaube 
an fich ſelbſt nicht Fehlt, dann fehlt 
ihm michts. Kinder, diefen Glauben 
an euch, an mich, an die Größe uns 





warn ma 3 Schwert nit will aus da ſerer Gemeinfamfeit bewahret, und ihr 
Dond legn? Und mei Steirerlond, |habt den Frieden und den Sieg. — 
mei ſchöns, mei gſegnets, fruchtbors | Styria! diefe Vrüde, auf der wir 
Steirerlond is der Schoß, den ma ſtehen, iſt ein Sinnbild, daſs keinerlei 


meint Voreltern hobn Hinterloffen, den 
mar unjer Herrgott Hot omvertraut, 
den ih will behüatn und bewohrn in 
Lebn und Sterbn. — Onfonga thua 
ih jo nit zan dreinjchlogn, im Friedn 
will ib ſchoffn und baun, liaba wia 
5 Schwert ſchwing ih jo d Sichel 
afn Kornfeld, und däs woaß ih ah: 
befjer wia da Streithelm fteht ma $ 
greani Kranzerl af mein Kopf. Ofli 
Obnd, wan die lieb Sun omilinkt 
hintern Dochſtoan, is mei Gebet und 
mei Herzusſchrei: Friedn für ınei Stei— 
rerlond! Glück und Segn für mei Volk! 


| Strömungen uns trennen, wenn wir 
es veritehen, mit vereinten Kräften 
zu bauen, Und alfo wollen wir neben- 
einander Hier ftehen heute und in 
künftigen Jahrhunderten, den unter 
uns Dahinwandelnden als bedeutjame 
Geitalten des Vaterlandsſtolzes und 
der Heimatsliebe. 

Styria: Muada, dei liab Redn 
mocht ma 3 Herz worm. — Du fenft 
mih, wir ih bin: grodwek bin ih und 
freimüati jog ih $, wan ma wos mit 
recht 18. Und nochher wieder guat. 
Und want in da Noth biſt, dajs ih 





Auftria: Styria, meine Tochter, dih mit verlofs, dafs ih feit und treu 
fo erkenne ich dich wieder! Die Freude bei dir fteh in Unglüd und Feindes— 


an deiner deutichen Heimat, die Angit 
fie zu verlieren — ich verftehe dich. 
Aber ſei beruhigt und laſs auch mich 
ein wenig deine Borjehung ſein. 
Was bin denn ich für mi allein ? 
Ih lebe ja nur in meinen Sindern. 


gfohr, däs woaßt. — Und deramegi 
glaub ih und Hoff ih ah auf did. 
Oll meini Leut, de Heint Hin und 
hergehn über de Brugg und in jpä= 
terer Zeit Hin und hergehn wern, ih 
befilh dir 3. Duft immer i$ ah da 


56* 


834 


Steirer in Bedränknus und Schaut! die Grazerlent, ſtulz fein s auf 
in Bertraun auf zu dir — nim dih eahner geofi Stodt, auf eahner 
feiner on! Schau Hin auf die ſchön greans Hoamatlond, und zjomholtns 
fteiriichn Berg, de um und um einalochn | mit Herz und Hond, wons gilt, wos 
in d Stodt! So freundla lochn 3 einer; Rechts für 3 Doamatland! zichofin. 
und ma fiacht eahmers mit on, wia] — 5 meugi Yohrhundert is neama 
viel Kumer und Ormuat im eahnere weit. Wia viel Feſtzüg und wia viel 
Hütn ie. Mei größter Kumer iS hiaz Todinbohren wern über de Bruggn 
unfer Bauernftond. Der kons völli| gehn! An ewiger Strom von Mofjer 
neama dermochn. Sei Tüchtigfeit und! unter uns und a ewiger Strom von 
Fleiß will nie mehr ausgebn, er| Menjchn auf der Bruggn. Vul Gier und 
wird ſcha grechn verzogg. Wan da Ongſt und Luft und Load jogn 5 Oll in 
Bauernftand z Grund muaß gehn, | Glüd noch, bis's owi ſinkn in die dunkli 
aftn iS 5 gfahlt, aftn woaß ih! Gruabn. — Wos ab mog fein im 
nit, wos mar onftelln. Mir brauchn | fünftign Zeitn: Muader Auftria! Sei 
an Armee zan Währn und brauchn an) unfrer liabn, deutſchn Steiermark a 
Armee zan Nähen. Muader Auftria, | ftorker, treuer Hort, in Glaubn und 
mim did on um unjern Bauernſtond! Hoffn blidn mar auf zu dir! 

— Ind ah für unfer braves Bürger: Baur 

thum möcht ih dih bittn. Däs bot ——— 

großi Feind oben und hot vieli Feind Auſtria: Meine geliebte Tochter! 
unten und ollahond Feind unter eahm So wie du vertrauend aufblickſt zu 
felber. Da Bürgerftond is unfer Lehr mir, fo blide ih auf zu Dem, der 
und Ehr — Muada, thua n günti \aller Menschen und Bölter Schidjale 
behüatn. Schan auf de prächtigi Stodt, |leitet! Neige du deine befränzte Stirn, 
auf unſer liabs Graz. Friſch und ſowie ich meige mein gefröntes Haupt 
glund wohlt 3 auf wir a träftiger | vor Ihm. Unfer it die Pflicht der 
Eichbam, umd friſch und frei wia d Arbeit und der Treue, fein ift die 
Bögerler in Aſtn und Wipfeln fein Macht, uns zu fegnen. 








58: 


r 


Die Abbrandler. 


Eine Geſchichte aus dem Dorfleben, 


Pr. 
1 


J. 
An 


BE alte Krauter, die alte Krau— 


ausjegen, verfallt alles miteinander, 
Diefe Verfiherungen, wenn fie einen 
einmal angehafelt haben, jind des 


S ierin umd der Srauter- Sohn | Teurels, Alleweil Geld hergeben, Geld 
2ſaßen beifammen in ihrem Häuss | hergeben und hat nichts dafür. Schon 


lein. SonntageAbend war's; in der 
Stube fein Licht, zu den zwei niederen 
Fenſterlein ſchimmerte noch die Abend» 
vöthe herein und brachte die erdfahlen 
Wangen der alten Leute hübſch zu 
Ehren, Der Sohn lehnte im finsteren 
Tiſchwinkel und wenn die Kohle feiner 
Tabakspfeife gloste, da Jah man auch 
fein verjchmigtes Gefiht mit den 
wailerfarbigen Auglein. 


Mehr weiß ih nicht von den 
Leuten. Belaufchen wir fie, vielleicht 
erfahren wir etwas. 

„Ein Heidengeld! ein bfutiges 
Heidengeld!* ftieß der Alte mit be= 
bender Stimme heraus, 

„Das wievieltemal Haft heute 
eingezahlt, Vater?” fragte mit einem 
ſchrillen Filtelton die Krauterin. 

„Das viertemal Hab’ ich ſchon 
geſchwitzt!“ jagte er. 

„Wär' nit weniger al3 zweiund— 
dreißig Gulden“, verſetzte fie. 

„So viel ift das ganze Glumpert 
nit wert“, warf der Sohn ein und 
blies ins Rohr, daſs fein etwas jpibes 
Gefiht im Scheine der Pfeifenglut 
blutrotd hervorftarrte aus der Dun— 
felheit. 

„Haft eh recht, Nah“, Ficherte der 
alte Krauter. 

„Meiner Seel’!* fagte der Sohn. 

„Sa, du heiliges Kreuz, wie lang’ 
joll denn das noch fortgehen mit dem 
Einzahlen ?” fragte das Weib. 

„Das geht afleweil fort, Jahr 
und Jahr. Und wenn wir's einmal 


| 
| 


verfluchtlet gereut hat's mich immer 
einmal, daſs ich aufgeſeſſen bin. Aber 
das Maulmachen, das können ſie, 
dieſe Agentenleut, dieſe verſchwefel— 
ten!“ 

„Herr Jeſſeles, einmal wird's doch 
aus werden mit dem Einzahlen,“ ſagte 
die Krauterin. 

„Einmal wird's aus“, ſprach der 
Kraͤuter leiſe. 

„Ja, wenn's Häuſel niederbrennt!“ 
lachte der Sohn. Da gab's wieder 
Schein aus der Pfeife. 

Der Krauter trampelte mit der 
Schuhſpitze auf dem Fletz, dann wen— 
dete er ſich ein wenig ſeitlings und 
murmelte: „Wär' eh 's Geſcheiteſte. 
So eine Moderhöhlen, wo in der 
Wand ſchon der Holzwurm verreckt, 
weil er kein friſch' Stückel Holz mehr 
zu freſſen Hat. Wär’ eh mir beſſeres 
wert!“ 

„Meiner Seel'!“ fagte der Sohn. 

„Und das Dad!“ rief die Krau— 
terin. „Gar fein’3 wär’ beſſer, da 
kunnt's wenigitens nach dem Regen 
wieder austrodnen in der Stroh— 
kammer.“ 

„Eh ſo, eh wohl ſo!“ 
Krauter zu. 

„Was kriegen wir denn, wenn 
wir Abbrandler werden?“ fragte das 
Weib. 

„Achthundert auf die Hand!“ 

„Uh, davon möcht' man ſich ja 
ein ſauberes Hänſel ganz neu auf— 
bauen laſſen!“ war ihre Anſicht. 


gab der 


SS 


„Meiner Seel’!“ jugte der Sohn. 

„Für's MNiederbrennen zahlſt 
ein“, ſprach die Krauterin. 

„Eh ſo, iſt eh ſo!“ 
Krauter. „Derleben möcht” ich ei: 
neues Häuſel, derleben möcht ich's.“ 

„Vom Hagelgruber haben ſie's ja| 
auch geſagt.“ 


„Was haben fie vom Dagelgruber | 


gejagt ?” 

„Dafs er felber hätt’ anzumden.“ 

„Mordspräcdtig hat er wieder aufs 
gebaut. Haus und Stall. Mordspräd: 
tig. Iſt bei derjelbigen Berfiherung 
dabei „gewest, wie wir.“ 

„Das Däufel, 
Einſchicht ſteht!“ warf die Krauterin 
din. „Wenn fein Menfch ein’ Scha— 
den hat! „Jeder macht jich’S beiier, 
wenn er kann.“ 


„Meiner Seel’!* jagte der Sohn. 


„sit jo einer alten Hütten ift bald 
was”, fuhr fie fort, „das Holz zun— 
derbürr. Auf dem Dah Stroh. Dazu 
der offene Herd, der hölzerne Rauch» 
fang. Bettelleut gehen mit brennen 
den Pfeifen vorbei. 
bald geichehen — 
was dafür!” 


fein Menſch kann 


„Es geht mit jo leicht, wie man 
„Die, 
Hütten steht Schon zweihundert Jahr‘ 


glaubt“, verjegte der Krauter. 


lang. Und ich wart’ jetzt ſchon jeit 
vier Jahren drauf . 

„'s Warten wird nit viel helfen“, 
meinte die Krauterin. „Der Meufch 
muſs ſich umthun, wenn er’s zu was 
will bringen ...“ 

Der Krauter ſchwieg 
Weilchen, dann ſagte er: „Ich nit, 
ich thu's nit. Ich will ehrlich ins 
Grab ſteigen. Andere ſollen machen 
was ſie wollen.” 

„Wirt noch lang leben, Water”, 
rief der Sohn. 

„Thu's auch geru”, antwortete der 
Alte. „Will aber niemandem im Weg 
jein. Dir laſs ih das Häuſel ver: 
Ichreiben, Nat. Wirft heiraten wollen. 
Meinetwegen; aber nit da ins Stübel 
herein. An den Strohſtadl hinauf, 


“ 
- 


jetzt ein 


meinte der 


wie es anf der 


Ein Unglüd it! 


wenn du willit. 's iſt ein Elend, 


ja wenn die Hütten jo Hein it.“ 


„Meiner Seel’!* rief der Sohn. 

„Das Gründel thät's tragen, aber 
das Häuſel tragt’s nit“, meinte nun 
auch die Krauterin. 

„Meine lieben Leut', es kann noch 
lang dauern!“ gab der Alte zu be— 
denken. „Aber ich mit, ich thu's mit. 
Will auch nichts gejagt haben.” 

„Kunnt "Teicht nit recht 
jagte die Krauterin. 

„ingejperrt wird einer, der's zu 
Fleiß thut!“ verjeßte der Natz. „Zu 
Fleiß thu' ich's mit, das weiß ich.“ 

„Geh, Alte“, ſagte der Krauter, 

„zünd' ein Licht an. 's iſt Zeit zum 
Roſenkranzbeten.“ 


ſein“, 


II. 
Heiße Sommertage waren ge— 
kommen. Gewitter gab's und die 


Blitze ſchlugen im nahen Schaden 
ein, und ins flache Feld und jogar 
in den alten Eſchbaum, der unweit 





des Krauterhäuschens Stand. Der 
Eihbaum brannte lichterloh. Die 
| Krauterleute fanden in Aufregung 


vor ihrer Thür und der Alte mur— 
melte: „Wenn jet der Wind fommt, 
jo kann uns ein Unglüd treffen, Die 
| brennenden Moosfeßen tragt's ver— 
fluchtlet weit herüber!“ 

„Geh, ſchau, Natz, ob der Brun— 
nentrog voll Waſſer iſt!“ befahl die 
Mutter. 

Der Sohn gieng hinter die Hütte 
hinaus zum Brunnen, ſchlug im 
vollen Troge den Zapfen los und 
als das Waſſer ausgeronnen war, 
kam er zurück und ſagte: „Der Trog 
iſt leer. Wenn ein Unglüd ſollt' ſein, 
wir kunnten uns nit helfen.“ 

„Sch dent‘, wir heben an und 
tragen die Sachen heraus”, ſchlug der 
Alte vor; in demfelben Augenblide 
erhob fich ein Wind, der brennende 
Baum lobte neuerdings auf, Die 
| Ylammen flogen weit durch die Luft, 
aber nad) der entgegengefekten Rich— 





887 


tung, als die war, wo Die Hütte 
land. 

Miſsmuthig giengen die drei Leut— 
hen wieder ihren Gejchäften nad. . 

Am jelbigen Abende meinte die 
Krauterin vor dem Roſenkranz: „Das 
Florianigebet funnten wir auslaſſen; 
wird jonft allemal die Suppen kalt. 
Er weiß es fo wie jo.” 

„Eh jo!“ kicherte der Alte, „er 
wird's ſchon willen, wie es für nuus 
am beſten iſt. Ich hab' doch mein 
Vertrau.“ 

„Mir geht ſchon die Geduld aus“, 


„Auf mein Häuſel!“ 

Da lachte die Schöne Hell auf. 
„Das alte Glumpert nennt er ein 
Häufel! Du, da hinein bringit mich 
tt. 's kunnt z'ſammfallen.“ 

Gegen Mitternacht gieng die Grün— 
büſchl zu ihrem Vater, fo freute es 
auch den Krauter Natz nicht mehr im 
Wirtshaus. Er machte ih langſam 
auf den Heimweg. Als er durch den 
‚Schaden war und auf dem Felde, 





'wo die Schöber des gejchnittenen 
Kornes ſtanden, ſah er vor ſich das 


Häuſel. Es ragte in der Sternen— 


ſagte der Sohn. „Das Jahrl ift bald uacht wie ein ſchwarzer unförmiger 


um, nachher kann man das fünftemal 


Haufen auf der Fläche. Der Burſche 


acht Gulden hinauswerfen. — Meiner zündete ſich in der deckelloſen Thon— 


Seel'!“ 

Bald nach dieſen Tagen war un— 
ten im Dorfwirtshaufe Freimuſik. Der 
Natz Fand ſich auch dabei ein und 
weil er gerade zurecht fam, wie junge 
Burſche in einem großen, wirren 


Knäuel beifammen waren und mit! 


Fäuſten auf einander losdrofchen, jo 
beteiligte er ſich raſch an dieſem 
Geichäfte. Zwar mwufste er nicht, um 
was e3 gieng, das macht nichts, er 
jhlug eben tapfer drein. Und weil 
er der Flinkſte war und ausgiebig 
dreinſchlug, ſo blieb er Sieger und 
wie die Jungen auseinander ftoben, 
blieb dem Natz die Grünbüfchl in der 
Hand. 
ein Frifches, rundes Mädel, deret— 
wegen der behendige Dandel losge— 
brochen war, 

Die Grünbüfchl, als fie jah, fie 
ftünde. an Seite des Stärkeren, blieb 
an Seite des Stärferen ſtehen. Der 
Natz lud fie ein, Fich zu ihm zum 
Wirtshaustiich zu ſetzen — und was 
jie trinfen wolle? 

„Einen Süßen!“ jagte fie ſchämig 
und war dabei ganz reizend anzu— 
ſehen. 

Eine halbe Stunde ſpäter ver— 
ſprach er ihr das Heiraten. 


| noch 


die 
hinein aufs Stroh, wo zur Some 


Die Magdalena Grünbüfchel, | 


pfeife eine frische Ladung Tabak an 
und dachte fich jo fein Theil: Unrecht 
hat fie eh nicht. 's ift ein Glumpert. 
Man iſt feines Lebens nicht mehr 
licher drin. Niederreiien? Neu aufs 
bauen? Wohin mit der Welt? Wo— 
her mit dem Geld? — Na, jebt gehn 
wir Schlafen, für heut’ wird's es wohl 
halten. 

Er gieng hin, Hetterte von außen 
Leiter hinan, beim Dachthürlein 


merszeit jein Lager fich befand. Im 
Gewand, wie er war, jo legte er ſich 
bin; wird ja jo bald wieder zum 
Aufitehen fein, im Sommer wird's 
früh Tag. So knapp unter dem Firft 
lag er, dass die Fetzen des zerzausten 
Strohdaches ihm ins Geſicht hiengen. 
Er pfuſtete den ihm in den Mund 
fliegenden Staub aus und rauchte ruhig 
weiter. Dabei dachte er natürlih an 
die Grünbüjchl. Sie war ſchon lange 
jein Gedante gewejen und heute hatte 
er fie ganz zufällig ergattert. Wenn 
der Menſch Glüd hat, geht alles, 
Heißt dag, wenn er's hat. Der Naß 
ift ihr gut genug, aber das Häuſel 
it ihe zu Schlecht. — Was, Ratten? 
Ich glaub gar, es find Ratten da, 








weils jo Herumfahrt im Stroh. 
„Wartet, Rabenvieher, euch will id 


„a“, entgegnete fie, „auf was | Helfen !" Mit diefen Worten jprang 


denn?” 


er auf, ſchleuderte die Tabakspfeife 


888 


ins Strob, daſs die Funken ftoben, alte Krauterin mit ihrem Blechmodel 
und flieg eilends die Leiter hinab. | Talgterzen. Man nimmt ihrer in der 
„Wer ift denn da?“ zetierte die | Laterne mit, wenn's mächtiger Zeit 
alte Kranterin, als der Natz unten zum Wandern ift. Noch ſuchte der 
in die Stube trat. „It denn kein’ Natz in der dunklen Strohfammer 
Fried zum Schlafet?“ ‚feinen ZTafchenfeitel, fand ihn aber 
„Es ift fein Fried zum Schlafen“, nicht, und bald darauf, gegen Abend, 
antwortete der Burfche. „In der | trieben die Leutchen ihre zwei Kühe 
Strohfammer oben müſſen Ratten und die Ziegen in den Schaden, 
fein. Meiner Seel'!“ |verfperrten ihre Hütte und machten 
„Und du bift es noch mit ges |jih auf den weiten Wallfahrtsweg 
wohnt, das Unzücht?“ ſchnarrte jebt gegen Schußengelberg. 
auch der alte Frauter drein. Spät in der Nacht, als fie Ihiweig- 
„Baterleut,“ fagte der Natz, „ich ſam den Berg hinanftiegen zur Kirche 
dent, ihr fteht auf und wir tragen | und zum Einfehrhaus, blidte der Naß 
Saden hinaus . . .“ zurüd in die Gegend, von der ſie ge= 
„Was ſagſt, Natz?“ flüfterte der fommen. Hinter der Dügelfeite war 
Alte, „wird doch das mit fein? Ein ein rother Schein, als gienge der 
verfluchtleter Schelm bift.* Mond auf. Es war aber nit mm 
Da waren die Alten auch ſchon ſolche Mondeszeit, der Burſche wen— 
in ihren Kleidern. Der Nab öffnete dete raſch jein Geſicht, ftieg rüftig 
die Staflthüren, dafs die Dausthiere | bergan und jagte nichts. Als fie ſpäter 
hinaus fonnten. Und dann Huben alle) in der Wirtsfheune unter anderen 
drei an, Gewandzeug, Garnfträhne, | Wallfahrern ichliefen, Hub die alte 
Hausgeräthe, Schmalztöpfe und an- Krauterin auf einmal an zu ſchluch— 
derlei Dinge aus der Hütte zu ſchlep⸗ | zen. Um die Hühner thäte es ihr fo 
pen. Auf dem Felde unter den Korn- | leid, jagte jie, die armen Vieher wären 
ihöbern verbargen fie die Saden. in ihrer Steige hinter dem Derd ver: 
Bei ſolchem leiten, haſtigen Hin- und geflen worden. — „Traumreden thut 
Herlaufen blidte der Nat manchmal ſie“, murmelte der Alte, „Weib, du 
aufs Häufeldah . . . Es war aber |jollit in Gottesnamen jchlafen.* 
nichts. — Endli tagte der Morgen, Am nächſten Tage während des 
die Hütte ftand, wie fie geftern ges | Gottesdienites ſchob ſich im Kirchen» 
ftanden, und die Familie gieng ver- gedränge der Scaffel = Franz, ein 
drieglich an ihre gewohnten Verrich- Zimmermann, zum alten Krauter hin 
tungen. und flüfterte ihm die Frage ins Ohr: 
An einem der nächlten Tage gieng | „Biſt du gejtern Schon hergegangen ?“ 
ein Nachbar des Weges, der rief den Der Krauter nidte mit dem Kopf, 
Kranterleuten zu, fie follten doch die ohne ſich weiters in feiner Andacht 
Kornjhöber einheimen, der Anzeichen ſtören zu laſſen. 
nach käme ſchlecht Wetter. „Wirft einmal ſchauen, wenn du 
„Bis übermorgen muſs es noch heimkommſt!“ jagte der Schaffel-tFranz, 
aushalten”, antwortete der alte Kraus | „wenn du einen Zimmermann ſollteſt 
ter. „Wir möchten germ eine Kirch- | brauchen, ich bin jet zu Haben.“ 





fahrt machen auf den Schutzengel— Der andere betete ruhig weiter. 
berg, wo morgen das Felt ift. Schuß Nachmittags auf dein Heimweg 
und Segen hat der Menfch alleweil | giengen die Krauter-Leute mit meh— 
zu brauchen.“ teren anderen. Bei einem Wirtshaufe 

„Halt eh recht“, jagte der Nach: | wollte der Na einfehren, doc jeine 
bar und gieng feiner Wege. Mutter ſagte, fie müſſe nachhauſe 


Am ſelbigen Nachmittage goſs die eilen, die Ziegen zu füttern, Als fie 


1 


889 


durch den Schaden Hinausgiengen, 
jagte die Krauterin: „Was nur das 
für ein Starker Geruch ift, Heut?“ 

„Sie müſſen irgendwo Stroh 
verbrannt Haben,“ meinte der Nab. 

„Jeſſes Maria!” ſchrie jegt auch 
ſchon der Alte auf. Sie waren aus 
dem MWäldchen getreten und fahen es. 
Wo das Häuslein geftanden, da lag 
ein grauer, glojender Aſchenhaufen 
und mitten empor ragte die roftbraune 
Dfenmauer. Etlihe Nachbarn ftanden 
umher und betradhteten die Brands 
ftätte. 

Zu diefen trat nun der E 








Krauter weinend Hin, hielt feinen 
Hut in der Hand umd rief: „Ihr 
jeht es, ihr jeht es! Bill’ gar 
Ihön um eine Brandjtener!” 

„Nur ein Glüd, dafs das Vieh 
nit mitverbrannt iſt“, bemerkte einer 
der Nachbarn. Denn die Kühe und 
die Ziegen waren im Schaden. 

„Jetzt thun fie Halt nichts melfen“, 
fagte die Krauterin. „G'alt' find fie.“ 

„Es verfolgt uns wohl hart!“ 
jeufzte der Alte, 

„Müd' und Hungerig und 
keine Heimſtatt!“ ſo klagte ſie und 
weinte heftig in ihre Schürze hinein. 
„Dieweilen wir die heilige Kirchfahrt 
machen, hat uns Gott verlaſſen. Was 
haben wir denn verſchuldet und was 
heben wir jetzt an?” 

Einer der Nachbarn lud fie ein, 
in fein Haus zu fommen. In wenigen 
Tagen würde ja eine Nothhütte auf: 
gerichtet jein und e3 würden wieder 
bejiere Tage werden. 

„Verhoff's wohl, verhoff's!“ ant— 
wortete der alte Krauter. 

Es wäre nur ein Glück, dajs die 
Feldfrüchte noch nicht unter Dad 
geweien. 

„Iſt wohl ein Glück!“ ſagte der 
Alte und ſtarrte wie verloren vor 
ih Hin. 

Mit einer langen Stange begann | 
er hierauf Eifenbeitandtheile aus der 
Aſche zu frauen. Der Naß half ihm da— 
bei. Die Nachbarn hatten ſich all» 


mählich verzogen. Yn der Abenddäm— 
merung, als ein Lüften ftrich, lohten 
einzelne Kohlenbrände noch einmal 
hell auf. 

„Das iſt ſchon eine Paſſion!“ 
flüſterte der Alte dem Jungen zu und 
wühlte in der Aſche. 

„Meiner Seel'!“ gab dieſer bei. 

Nachher ſtrichen die beiden aufs 
Feld Hin und gudten unter die Korn— 
Ichöber. 

„Roc gut aufgehoben“, ſagte der 
Alte. „Müſſen's aber befjer verwah- 
ren. Wird bequem herzunehmen fein 
für das neue Haus.“ 

„Das wird ein bifjel anders aus— 
ſchauen, als wie die verdächtige Hüt- 
ten. Gut weg ift das Glumpert — 
meiner Seel’, ih bin froh.“ 

„Das neue Daus wird gemauert 
— und ein Ziegeldadh.” 

„Und drei Stuben wenigitens.“ 

„Verſteht ſich. Wirft ja auch eine 
brauchen, Nab, oder gar zwei. Haft 
fie redlich verdient,“ 

„Meiner Seel’ !* 

„Nu wird's doch einmal beiler 
werden. Dafs wir uns können helfen. 
Morgen geh’ ich zum Agenten, dafs 
wir bei Zeiten das Geld Kriegen. 
Wenn’ gut geht, mögen wir das 
neue Haus noch vor dem Winter 
unter Dach bringen.“ Alfo der Alte. 

Und ih möcht” vor dem Winter 
auch noch die Grünbüjchl unter Dach 
bringen, dachte der Junge. 

Hernach giengen fie in den Scha— 
Ken und molken die Ziege. Diefe 
hatte ſchon erbärmlich gemädert, ihres 
übervollen Euters wegen. In Er— 
mangelung eines Gefähes wussten fie 
ſich's nicht recht anzuſchicken; fie 
molfen einander in die hohle Hand 
und tranken alfo das Nahtmahl aus 
lebendiger Scale. 

„So nobel haben wir es jchon 
lang mit mehr gegeben", jagte der 
Alte und ſchlürfte. 

„Meiner Seel’*, jagte der Junge 
und jchlürfte ebenfalls. 

Und nachdem afl das jo gefchehen 


nn 


890 





war, trotteten fie ſachten Schrittes! den eingetretenen Bauern zu ſich, 
hinaus zu einem Nachbarshof und | ftand aber nicht auf und lieg den 
legten Fich im der Schener aufs Heu. Antömmting auch nicht niederligen. 
| „Ihr jeid der Mathias Krauter ?” 
Der Angeredete glättete mit ber 
Hand das verfiörte, jihüttere Haar 

Am nächſten Morgen giengen die | über die Stirn herab und nidte mit 
alte Nrauterin und ihr Sohn mit dem Kopf: er wäre es. 
Eiſenkrampen hinauf zur Branditätte, „Ihr habt euer Haus angezüns 
Wer ihnen in den Weg Fam, den | det!” ſagte der Richter. 
bettelten fie Hagend an um eine Knidte der Alte ein wenig mit 
Brandftener; jahen fie fich allein, jo | den Knien ein, that aber, als hätte 
waren fie guter Dinge. Warum denn er das Wort nicht verjtanden. 
nicht? Abbrennen iſt zwar ein Un— „Dat mich Halt wohl ein großes 
glüd, aber wenn man dafür Geld | Unglüd getroffen, jet“, ſagte er. 
befommt! Ein Unglüd, das gut be= | „Dieweil wir auf der Kirchfahrt find 
zahlt wird, ift immer noch zu er- | gewejen, ift uns das Häuſel nieder« 
tragen ... gebrannt.“ 

Der alte Krauter gieng an dieſem „Ihr Habt es ſelbſt angezündet“, 
Tage hinab in den Marktflecken. Je- | verjegte der Nichter ganz fühl und 
dem erzählte er das große Unglüd, ruhig. 
welches ihn getroffen und al$ er vor Der Bauer antwortete: „Eine 
der Aſſecuranz-Agentur ſaß, da die folche Red’ it aus der Weis, Derr 
Amtsſtunde noch nicht gelommen war, | Richter. 's iſt fein Menſch daheim 
verdedte er fein Gejicht mit dem ruf= | gewejen. Ih, meine Alte und der 
figen Händen — er hatte jie zu Sohn, der Natz, find auf den Schutz— 
Fleiß nicht gewaschen — und weinte. |engelberg gegangen und über Nacht 
Die Leute blieben vor ihm ftehen und | ausgeweſen.“ 
ſagten: „Armer Mann! Wenn er nur „sa, ja, und Habt vorher euere 
gut verlichert war!” Hausthiere ins Freie getrieben, und 

Nun fam ein Mann mit farbigen | habt aud Geräthe, Kleidungsitüde, 
Rodaufichlägen herbei, blieb ftehen | Ejsvorräthe vorher aus dem Hauſe 
vor dem eingenidten alten Mann | getragen und auf dem Felde unter 
und fragte ihn: „Ihr feid ja der! Kornichöbern verborgen. Wie?“ 
Krauter-Bauer?“ Der Alte ſtarrte drein. 

„Geweſen, lieber Herr, geweſen“, „Ihr ſeid dabei geſehen worden.” 
antwortete der Alte, „jetzt ein Bettler.” Der Alte blieb ganz ruhig und 

„Mir ift es recht, daſs ich nicht gab an, dafs er der vielen Gewitter 
weit umzugehen braude. Eine Vor: | und Bligfchläge wegen etlihde Sachen 


III. 








ladung habe ich für euch.“ auf freiem Felde geborgen habe, was 
„Aha, von der Verſichernng.“ ler auch im früheren Jahren, ſchon 
„Bom Gericht.“ von jeinem Water ber, fo gehalten. 
Stußte der Kranter. — Frei: | Und das Vieh bleibe zur Sommers= 


fih wohl, dachte er ſich dann, man | zeit nachtsüber ftets im Freien, auch 
muſs das Feuer ja beim Gericht an- bei den Nachbarn jei es jo. Das wäre 
zeigen. Man denkt halt nit auf alles. | ihm doc jein Lebtag nicht in den 
— Die NAgenturfanzlei war ohnehin | Sinn gelommen, dafs ſolche Umftände 
noch nicht offen, er gieng daher rajch einen ehrlihen Menſchen könnten in 
ins Gerichtshaus. Verdacht bringen. 

Ein paar Derren jagen an Schreib= Hierauf mufste der Krauter alles 
tijchen herum, Einer derjelben wintte | haargenau erzählen, wann er fein 





Haus veriihert habe? wie hoch?! 
unter welchen Bedingungen ? Mufste | 
bernach angeben, wie er mit jeiner| 
Hamilie am betreffenden Tage das 
Haus verlaſſen babe, was ihnen 
unterwegs begegnet ſei und allerhand 
jo Dinge, die eigentlih gar nicht zur 
Sade zu gehören ſchienen. Endlich 
zündete man an einem Grucifir zwei 
Lichter an und er musste jchwören, 
dafs feine Ausfage ſich der Wahrheit 
gemäß verhalte, und daſs er jein| 
Haus nicht angezündet habe. | 

Der Stranter legte ganz ruhig 
darauf den Eid ab. — Als das ge— 
Ichehen war, wurde er zu jeiner großen 
UÜberrafhung in den Arreit geführt. 

Am Nachmittage wurde die alte 
Krauterin verhört. Sie konnte mit 
ihrem Manne jeit feinem Verhöre jich 
nicht verftändigt Haben, fagte aber ähnlich 





aus, wie er. Und auch fie ſchwur, 
da3 Haus nicht angezündet zu haben. 

„Habt Ihr auch keinerlei Anlaſs 
dazu gegeben ?* fragte der Richter 
angelihts des Erucifires. 

Da ftotterte fie. — Anlaſs? Wie 
jo das gemeint jei? 

„Etwa eine Verabredung ?“ 

„Mein Gott”, antwortete fie, 
„freilich Spricht man bisweilen von 
Feuersgefahr, wenn man unter einem 
Strohdah wohnt!” 

„Da ihre ziemlich Hoch verjichert 
waret, fonnte euch bei dem Fchlechten 
Zuflande des Gebäudes der Brand 
nur zum Vortheile ſein“, bemerkte 
der Richter. 

„Lieber Gott, das leugne ich auch 
gar mit. Wir haben öfter gejagt: 
Wenn einmal ein Unglüd jollt’ fein, 
wenigltens funmten wir uns was 
Neues banen. Für was zahlt man 
denn in die VBerlicherung, wenn man 
nachher nit einmal das ſollt' denten 
und jagen dürfen!“ 

„Könnt ihr es beichwören“, jagte 
der Richter, „daſs weder bei Euch, 
noch bei Euerem Manne, och bei 
euerem Sohne jemals die Abjicht | 
war, in Euerem Hauſe euer zu 





2» 


legen, oder bei einem zufälligen 
Brande das Feuer zu begünftigen, 
zu ſchüren, oder e3 wenigitens ohne 
Löſchungsverſuch brennen zu lajien 2“ 

„So weit hab’ ich nie nachge— 
dacht“, antwortete das Fuge Weib, 
„und was die anderen denken, das 
weiß ich nit.“ 

„But“, jagte der Richter, „einit- 
weilen find wir fertig.“ 

Sie wurde in Gewahrfam gebradt. 


IV. 


Der Natz war noch nicht damit fertig, 
die unter den Kornſchöbern verborgenen 
Gegenſtände im Schachen unter Moos 
und Heidekraut zu verſtecken, als ein 
des Weges kommender Schulknabe die 
Nachricht brachte, ſein Vater und ſeine 
Mutter ſeien eingeſperrt, weil ſie das 
Häuſel angezündet hätten. 

„So ſteht's ?“ ſagte der Burſche 
laut zu ſich ſelbſt. „Meine Eltern, das 
iſt zu dumm! Meiner Seel'!“ 

Er warf noch einige Arm voll 
Moos auf die Garnſträhne und 
Schmalztöpfe und machte ſich dann 
auf den Weg in den Marfifleden. 

Die werden mich nicht Haben 
verraten wollen, dachte er unter« 
wegs. Werden auch nichts echtes 
willen. Iſt recht, jo werde ich alles 
erzählen, wie es geweſen it. Was 
fann mir denn geichehen? Wegen 
Unachtſamkeit ein paar Tage einge— 
jperrt; steht wohl nit dafür, wegen 
jo was einen falſchen Eid ablegen. 
In ein paar Wochen iſt die ganze 
Geichichte vorbei, wir haben das Geld 
und können anfangen zu bauen. 

Bei Gericht trat der Burfche ziem— 
lid vorlaut auf, wie einer, der da 
fei, um Ordnung zu machen. 

Er begehrte, ſeine Eltern freizulaſſen, 
und Leute, denen das Haus nieder= 
brennt, wegen nichts und wieder nichts 
einjperren, das veritehe er nicht. Was 
fie wüjsten, das wiſſe er auch. 

Aljo, wie es gewejen ſei? Wel— 
des von den dreien dor der Wall: 
fahrt das legte im Haus gewefen ? 


„Wir alle Drei. Zugejperrt hat 
die Mutter“, erzählte der junge Krauter. 

„War da irgend ein Brandgeruch 
zu bemerken ?* fragte der Richter. 

„Den müfste ich wahrgenommen 
haben, ich hab’ noch meinen Taſchen— 
feitel geſucht.“ 

„Wo Haben Sie Jhren Tajchen 
feitel geſucht?“ 

„Im Häufel, In der Strohkam— 
mer, wo mein Bett iſt.“ 

„Die Strohlammer ift wohl dun— 
tel ?* 

„Was Halt bei den Dachlucken 
hereinſcheint.“ 

„War Ihnen das hell genug, um 
den Feitel zu ſuchen?“ 

„Ich habe eine Kerze angezündet.“ 

„Und mit der brennenden Kerze 
ind Sie in die Strohkammer ge— 
gangen ?* 

„Das fommt oft vor,“ 

„Haben Sie Ihren 
gefunden ?“ 

„Rein, An der Hausthür Hat die 


Gegenftaud 


Mutter geſchrien, 's wär die höchſte | dafür da. 


Zeit zum Fortgehen.“ 

„Wie Haben Sie die Kerze ge— 
halten ?* 

„Ich Hab’ fie hingeſtellt.“ 

„Bo Hingeftellt ?* 

„Auf den Schaub,“ 

„Und natürlih ausgelöjcht, 
Sie fortgiengen.” 

„Es kann ſchon fein. Ich weiß 
das nit genau, die Mutter iſt jchon 
art ungeduldig geweſen.“ 


als 





einmal fo viel angejchlagen Haben 
ſoll. Auch Kopfweh hab’ ih am ſel— 
bigen Tage jo viel gehabt.” 

„Es ift Schon gut,“ ſagte der 
Richter, indem er emjig etwas auf 
das Papier jchrieb. 

Der Natz Stand da umd dachte bei 
ih: Das haft doch einmal gut gemadt. 
Daft es eingeltanden und fönnen dir 
nichts machen. So Umftändlichkeiten 
da, bei jedem Stegen. Meiner Seel’! 

Der Bezirlsrichter Elingelte. Der 
Diener trat ein. 

„Rufen Sie 


die Gendarmeı. 


ı Diefer Mann wird fofort den Lan: 


desgerichte eingeliefert 1” 

Da fuhr er einmal in die Höhe, 
der Ignaz Krauter. „Wiefo, Lan— 
desgericht 7“ rief er. „Das iſt ja das 
Verbrechergeriht! Bin denn ich ein 
Verbrecher, weil ih aus Unachtſam— 
feit meine eigene Hütten angebraunt 
hab’? Wen geht’3 denn was an, wenn 
ih meine Hütten niederheiz ? — Die 
Verſicherungs-Geſellſchaft? Die ift ja 
— Fr was zahlen wir 
denn ein?“ 

So lange raijonnierte er in jeiner 
Bauernlogit, bis die Gendarmen ihn 
davonführten. 

Bei dem Landesgerichte geitand er 
e3 ohne viel Umftände ein, dals er 
mit Abſicht die bremmende Kerze in 
den Strohſchaub geftedt hatte, damit 
fie einige Stunden jpäter, wenn die 
drei Bewohner jchon auf weiten Wegen, 
das Stroh erfaffen follte. — An dem— 


„Alſo haben Sie das Licht in der | felben Tage wurden die alten Krauter— 
Strohfammer brennen gelaffen ? Wie?* | Leute freigelaflen; Na aber erhielt 


„Das weiß ich jegt mit mehr.“ 
„Iſt es Ihnen später nicht eine 





ſechs Jahre Kerker. — Die Verſiche— 
rungsſumme, wegen welcher alles ge= 


gefallen, al3 Sie gehört, das Dans ſchehen, war verfallen. 


jei niedergebrannt ?” 
„Sa, da hab’ ich gedacht: 


Und die Krauter-Familie, welde 


MWirft | früher in der feinen Hütte arbeitiam 


doh mit die dumme Kerze brennen und ruhig dahingelebt, beitand jekt 


gelaſſen Haben!” 
„Haben Sie fi gedacht!” 


„Ich bin oft jo zeritrent, Weil 


aus zwei alten Bettelleuten und einem 
jungen Wrreftanten. 
Auf der Brandftätte des Krauter- 


ih mich als Kleines Kind den Kopf) Häuſels wuchjen Neijeln und Difteln. 





803 


Die Hordpolfahrer. 


Eine Erzählung von Hans Malfer. 


(Schlufs). 





un war aber der Geiſteszuſtand 
Rn, des finſteren Mannes noch ſelt— 

* jamer geworden. Wie auch die 
Welt im Norden erjchrediich, wunder: 
bar und berüdend fich geftaltete: jene 
legte Nacht in der Heimatlihen Stadt 
ihwand nicht aus dem Gedächtniſſe, 
und fie war fein Traum. Robert 
fühlte es noch heute in feinem Arme, 
wie er damals der Geſtalt im Daine 
das Meier mitten im die Bruft ge— 
ftogen hatte. Völlig lautlos war der 
Getroffene zufammengeftürzt. Wer nun 
war e3 gewelen? wen hatte er er= 
mordet? — Ad, dafs feine Brüde 
gezogen tt und fein Bote wandeln 
kann zwilchen jener Stadt und diejen 
ftarren Gefilden! So muſs im Jen: 
feit3 der unerlösten Seele eines Ab— 
gejchiedenen zu Muthe fein, wie die— 
ſem Manne, der nun ſelbſt wie ein 


ein riefiges Feuerband über den Him— 
mel, oder e3 ftand in ftiller Ruhe das 
ungeheuere Glutrad des MNordlichtes 
wie die Fata Morgana des prophe- 
zeiten Weltbrandes. 

Mit verdedtem Antlitze wankte 
Nobert zurüd in feine Hammer; nein, 
er vermochte es nicht, der Majeftät 
Gottes ins Auge zu bliden. — 

So gieng e3 immer tiefer in die 
nächtliche Zeit. Die Officiere des 
„Siegfried* hatten Stoff über Stoff 
zu wilfenfchaftlichen Arbeiten, Steiner 


dachte an eine MWeiterreife oder au 


die Rückkehr; es wäre wahrhaftig auch 
nicht gut gewejen, an jo unmöglich 
Scheinendes zu denten. Was aud) 
fommen und werden mochte, ihr Geilt 
juchte die Gegenjtände Ddiefes Him— 
melsftrihes, die noch fein Nature 
forfcher bisher vor Augen gehabt, zu 


Geſpenſt einhenwantte, blaſs und ab-ierfaflen und zu durchdringen. Die 
gehärmt und mit erlöjchendem Auge. | Maunſchaft aber, die nichts als Eis 


Zuweilen ftand Robert, wenn die 
Genoſſen ruhten, auf dem Dede des 
eingefrorenen Schiffet, und ftarrte 
hinaus in die Eiswüſte. Zu ſchauer— 
lich phantaftifchen Mailen hatten fich 
die Scollen und Blöde gethürmt. 
Hier dräute ein überhängender Berg, 
der heute noch niederbrechen konnte 
auf den eingeflemmten „Siegfried“, 
dort Stand ein Rieſe mit gehobenem 
Arme, weithin ragte ein wildes Horn 
ihief in die Naht hinein, Dann 
wieder war das Krachen des berſten— 
den Eijes vernehmbar. Und über die 
jen Schreckniſſen zog ſich bisweilen 


und Dunkelheit ſah, begann an Lang— 
weile zu leiden. Das erſte, was ſie 
zur Feier des Feſtfrierens that, war 
ein Begraben in die Pelze, um nach 
den Kämpfen mit dem Treib- und 
Packeiſe fih einmal gründlich auszu— 
Schlafen. Aber gefunder Schlaf gibt 
neue Kraft, die ſchaffen will: und 
bier gab es nichts zu thun. 
Müpigang ift ein böfes Ding 
und kann auch Helden gefährlich wer- 
den. Das wufste Gapitän Prachwald 
wohl; und im December, als die 
Zeit gegen Mitternacht gieng, ließ er 
in der Nähe des Schiffes auf einem 


804 


flachen Felde aus Eis einen Bau auf: 
führen. Da wurde nun bei Tadel: 
ſchein luſtig geſtemmt und gejägt und 
gemeißelt, und als das Weihnachts— 
feft nahte, Stand ein Heiner Balaft 
mitten im der flarrenden Wildnis, 
und wenn eben nicht jchwere Nebel 
lagen über den Gefilden, jo fpiegelte 
ich Nordlichtſchein und Sternenglanz 
in den Wänden des nenen Hauſes. 

Nun wurden einige Geräthe in 
den neuen Bau geitellt, aus Holz. 
jpreizen und farbigem Papier wurde 
ein Weihnachtsbaum geichaffen und 
mitten im Eispalafte aufgepflanzt. 

So kam das fiebe Chriſtfeſt, zu 
welchem vom Oriente bis zum Occi— 
dente die Glödlein läuten. Zur nächt— 
lihen Stund’ ein Freudenruf jchallt 
dur die Melt, und die Lichter und 
die Augen ſtrahlen wie ein Diaman- 
tengürtel um den Erdball. 

Am Pole, im ewigen Nchzen und 
Krachen des berftenden Eijes Klingt 
fein Slödlein. Aber wohin das Mens 
ihenherz mit feiner Liebe vermag zu 
dringen, da wärmt und leuchtet auch 
die Flamme. 

Zur Stunde, in welcher das liebe 
Feſt der Weihnacht in allen chriftlichen 
Yändern gefeiert wird, waren auch 
unjere Neden hoch oben im Norden 
verjammelt in dem Daufe, aus Eis 


Angehörigen daheim, Jeder las mit 
| Begierde und wiederholt das beilie- 
gende Briefchen an ſich, nicht achtend, 
dafs ſelbes jchon in den Tagen ges 
Ichrieben worden, als der „Siegfried“ 
noch im Hafen der heintatlichen Stadt 
lag, oder eben erſt vom Stapel ge— 
gangen war. Denn die für das Weih— 
nachtsfeſt beſtimmte Kite war den 
Nordfahrern durch jenen engliſchen 
Schnelldampfer nahgeihidt worden. 
Die Freude im Eishauſe war un: 
befchreiblich. Nur der kranke Schloſſer 
Hand einſam und vergeſſen da; für 
diefen fand Jich feine Gabe vor, 
Aber auch Waldemar Hatte an der 
gejelligen Freude nicht theilgenommen. 
Ihn verlangte es, zu dieſer Stunde 
allein zu jein. Dicht in jeine Pelze 
gehüllt, fand er auf einer Schnee- 
warte und Hatte jein Antlitz gegen 
Süden gerichtet. Ein reicher, unjäg- 
fh reiner Sternenhimmel hatte lich 
gebaut, und die Geitirne schienen 
‚immer tiefer und tiefer niederzuſinken, 
und manche prangten im blauen und 
röthlichen Farben. 
| Faſt im Zenith leuchtete lebendig 
und Hell wie eine feine Sonne der 
Polarſtern. Ein weiger, völlig freund 
licher Schein lag auf der Eiswüſte, 
der aber mit einemmal auhub, ich 
ein wenig zu vöthen. Es Hatte Tich 
die Temperatur gebrochen, fie war 





gebaut, und mitten unter ihnen ftrahlte | plöglich geftiegen, und jo ſah Wal— 
fill die Lichterkrone des Weihnachts- demar jet eine über alle Veichreibung 
baumes. Wie funfelte das ringsum! gerrliche Erſcheinung. Da war es jäh- 
in den glatten grauen Tafeln, und lings, als ob rings um den weiten 
in den Augen der bärtigen Männer! Gejichtsfreis mattröthliche Flammen 


„a, Kameraden!” rief der Ca— 
pitän plößlich, „fie denten unſer da= 
heim; ſie ſenden uns Chriſtgaben.“ 


emporzuckten. Sie hoben und ſenkten 
ſich, stiegen im ganzen aber immer 
höher herauf und leckten immer weiter 


Und eine Stifte wurde vorgefhoben, in die Dimmelstuppel hinein. Ein 
die der Hauptmann öffnete, und aus | Stern um den anderen wurde von 
der er unter dem hellen Jubel der den Flammenzungen ergriffen und 
Männer, Die Heute wieder Kinder ge= |mum jtrahlten ſie duch den Rojen- 
worden, anhub, Heine Geſchenke zu ſchleier in verfchiedenen Farben. Ends» 
vertheilen. Es waren niedliche und lich ftand, von Horizonte abgehoben, 
iinnige Dinge, beionders aber viel) die ungehenere Fenertrone am Him— 
Feuerzeug und Tabat; und die Ge- mel, und die Geftirne jchimmerten 
genftände kamen wahrhaft von den Jin diefer Krone wie Smaragden, 





Rubinen und Diamanten. Und fiehe, 
aud auf den Eisgründen lag der 
Miderichein, und das glühte auf dem 
blaffen Gerilde, wie taujend fproijende 
Blümlein. 

Waldemar Sieg vor Entzüden 
einen Schrei aus; „Litta!“ rief er, 
„ad, könnteſt du jeßt bei mir fein!“ 

Doch, da fam die Wehmuth wie 
der. — Sie ilt im Feſtſaal, ift von 
Pracht und Schmeichlern 
umgeben: jie denft nicht an dich ... 





vielleicht, 


| Robert 


895 | 


glüdlich zurüd zu deiner armen, ber- 
laſſenen Litta,‘ 

Hatte der junge Mann den Brief 
laut vor ſich Hingelefen oder Hatte ihm 
ein unberufenes Auge über die Achſel 
in das Blatt geſehen? Ein plößliches 
Wimmern wurde Hinter ihm laut. 
fa auf dem falten Boden 
und rief mit gerungenen Händen ; 
„Derrgott, ihr Bruder ift es geweſen!“ 

„Ihr einziger Bruder!’ jtöhnte 


‚er wiederholt. 


Ein feder Ruf vom Eishaufe her 


wedte ihn aus feinem Sinnen: „Der 


Ihöne Waldemar=Grillenfänger! er foll 
kommen um ſein Chriſtgeſchenk!“ 
Waldemar trat in das Haus. 


Bor dem noch ſtrahlenden Weihnachts= | 


baum auf dem Kryſtalltiſche lag ein 
Degen mit filbernem Griffe und mit 


Schärpe ftanden im gothiſchen Gold— 
buchſtaben die Worte: 
lihen Norden Waldemar.“ Auf der 
anderen Seite des Bandes, mit rothen 
Fäden geftidt: „Von jeiner Litta.“ 

Wie neuer Nordlichtſchein ſtieg es 
jetzt auf über das Antlitz des jungen 
Mannes, und in feiner Bruſt war 
eine Wärme, als 
Eisregion auf der ganzen Welt. 


beiliegenden Brief mit ſchwarzem Rand 
und Schwarzen Siegel. 

„Mein Lieber Freund!“ ſchrieb 
die Tochter des ftaufheren, „Mo Dich 


meine Zeilen, die ich einen Tag nad) | 


Deiner Abreife mit zitternder Hand 
niederjchreibe, auch finden und bes 
grüßen mögen, wenn Weihnacht ift, 
nimm freundlich das Andenken von 


gübe es gar feine 








zuſammengeführt. 


mir, und laſſe Dich ein wenig damit 


erfreuen. Die Sendung gebt bereits 
ab und ich vermag kaum zu jchreibent. 
Diefer Brief erſt joll Dir jagen, was 
heute Nacht Hier geichehen if. Mein 
Bruder Oskar ift im Garten ermordet 
worden. Alles Nübere iſt noch im 
Dunkeln. O, mein Waldemar, der 
Dimmel ſchütze Dich! fehre bald und 


j Aa ne ⸗ leicht geworden. 
einer weißſeidenen Schärpe; auf der —X 


Endlich in das Schiff zurückge— 
kehrt, hat Robert Wackar den Capitän 
und Waldemar zu ſich an ſein Lager 
rufen laſſen, bat alles geſtanden. 

Offen und ohne Hinterhalt hat er 
erzählt, was der Lejer dieſer Gefchichte 
bereits weiß, und al3 er damit zu 
Ende war, jagte er: „Vest ift mir 
Sch Hoffe, dajs ihn 
Gott in Gnaden aufgenommen Hat; 


mir Hat es ja auch das Leben ge= 


„Dem tittere joſtet. Das nordiihe Eis bat meine 


Liebe und meinen Haſs und meinen 
Jähzorn gefühlt. Ich verdiene nicht, 


daſs ih noch einmal zurüdtehre, ich 


fühle es wohl, ich bleibe hier. Nur 


‚eins wollte ich mir noch erbitten vor 


meinem Ende.‘ 
Der Kranke ſchwieg und in feiner 


Bruſt wogten die Stöße des Schmerzes. 
Da bemerkte MWaldenar auch den | 


„Armer Kamerad“, verjeßte der 
Gapitän, „dein Wunſch, fo er in 
unferer Macht ſteht, ſoll erfüllt fein.’ 

Robert langte nah Waldemar 
Dand und ſagte leije: 

„Wenn du mir verzeihen fönnteft ! 
's iſt wohl lange ber, daſs wir 
Freunde geweſen; das Geſchick Hat 
uns entzweit und doc immer wieder 
Waldemar, wenn 
du in der legten Stunde twieder mein 
Freund jein könnteſt!“ 

„Ich habe dich nie gehajst, Ro— 
bert“, entgegnete Waldemar mit feuch— 
tem Auge. 

„So kehre heim in unſere liebe 
Stadt und beſchütze Litta!“ 

Der Arzt trat dazwiſchen und 
verordnete dem Kranken ſtrenge Ruhe. 


Der Athen war furz und jtodend; 
Zeichen stellten fich ein, daſs der 
Proceis in der Bruft durch das herbe 
Klima und vielmehr noch durch die 
gewaltigen Gemüthsbewegungen einen 
raschen Verlauf nehmen würde. 

Das Weihnachtsfeſt war vorbei. 
Eine plötzlich eingetretene Eispreffung, 
weile auch den „Siegfried“ von 
neuem gefährdete, Hatte den kryſtalle— 
nen Weihnachtspalaſt wieder zeritört. 
Gewaltige Mafjen Hatten fi darüber 
bingejchoben und zu Bergen aufges 
thürmt, an denen manchmal ein ſchwer— 
fälliger Eisbär jihtbar wurde, der mit 
vielem Erſtaunen auf das Sciffwert 
und jeine jeltjamen Bewohner nieder» 
lugte. Wer hätte auch dieſen zottigen 
Geſchöpfen gelehrt, vor den zweibeini- 
gen Fremden zu fliehen ? Sie flohen 
nicht; erſt der Blitz und der Knall 
erjchredte fie, aber da ftürzten fie auch 
ihon von den Eiswänden nieder, 

Für den armen Robert waren es 
böje Stunden; allein Waldemar blieb 
ftet3 an jeinem Lager. Einmal aber, 
während Waldemar auf furze Zeit 
das Gemach verlafjen hatte, bat der 
Kranke den Wärter um ein Stüd 
Bapier und Feder. Nachdem er mit 
Mühe einige Worte gejchrieben hatte, 
barg er das Blatt unter fein Pelz— 
tijlen, und als Waldemar wiederfehrte, 
machte der Kranke ein vergnügtes Ges 
licht. 

Wenige Stunden jpäter aber war 
es, als Robert jagte: „Euch alle führe 
Gott in das Vaterland zurüd! Der 
Verbrecher ſei ausgejchloflen von der 
Gemeinschaft, er ſoll im Eiſe ver- 
bannt jein. — Nur das Tageslicht 
möchte ich gerne noch einmal jehen. 
Und unter einer handvoll Erde möchte 
ih ruhen.‘ 


Der eine Wunſch des Armen 


wurde nicht erfüllt; zu Anfang des 


Monates yebruar, ehe es noch zu 
tagen begann, drüdte ihm Waldemar 
die Augen zu. Eine Stapelle aus Eis- 
quadern wurde gebaut und darin der 
Zodte aufgebahrt. 





Noch in demjelben Monate begann 
es zu tagen. Im Süden tauchte, ans 
fangs in Zwilchenräumen von viers 
undzwanzig oder wenigeren Stunden 
das blafje Licht auf, das von Tag 
zu Tag lebhafter wurde und länger 
andielt, bi5 zum Beginne des März 
unter einem unbejchreiblichen Jubel 
der Mannjchaft die rothe Scheibe der 
Sonne auftauchte. 

Nun war es Zeit für unjere 
Norden, ſich aufzuraffen. Nur wenige 
blieben beim Schiffe zurüd, die an— 
deren zogen auf Schlitten über Die 
nun goldig rothen Eisgefilde Hin in 
nördliher Richtung. Sie wandelten 
nicht auf dem Lande, aber von einem 
Gewäfler feine Spur, alles eritarrt. 
Doch fahen fie manch außerordent— 
liche Herrlichkeit. In wunderlichſten 
Gebilden ſtarrte das Eis; Baden 
ragten auf, Zacken hiengen nieder; 
Säulen und Statuen, mwunderfam 
durchbrochene Tempel, tiefe Höhlen, 
ſchauerliche Überhänge. Und in alle 
das ewige Schrillen und Berften, umd 
in allem das Lebendige Farbenſpiel 
des Lichtes, zudend und zitternd in 
den Kryſtallen. Manchmal jhwirrte 
vor den Manderern eine Schar Eis— 
vögel auf; mitunter lugte auch der 
neugierige Stopf eines Robben aus 
einer Kluft. Zuweilen Hatten Die 
Männer ungeheuere Tiefen, Waden 
genannt, zu umgehen, aus deren finz 
fteren Gründen das glanzloje Auge 
des Waſſers ſtarrte. 

Als die Reiſenden manchen kurzen 
Tag über den wüſten ſchründigen 
Boden des Eiſes hingefahren waren, 
und nachdem fie mande lange Nacht 
aneinandergellammert in gemeinfamen 
Belzen auf ihren Schlitten gerubt 
hatten, jahen fie endlich graue Fels— 
malen, und unter dem Schnee kni— 
fterte Sand — Erbe! 

Sie hatten Land entdedt. 

Mit neuem Muthe gieng’s zu 
Lande nun mach neuen Fahrten. 
Selbit mujsten die Männer ihre 
Schlitten ziehen. Die Dunde, die fie 


897 


zu diefem Ywede mitgenommen hatten, 
wurden vor Kälte und Wafjerınangel 
trank md mufsten erfchoffen werden. 
Das Rennthier, auf das fie gehofft, 
war nirgends zu finden. Jedoch ent» 
dedten fie Spuren von Hafen und 
Füchſen, und die Felſen waren voll 
freiichender Vögel, welche die noch nie 
gejehenen Menjchengäfte ununterbro= 
hen begleiteten. 


Es waren Schludhten nnd Thäler 
mit Sand und Geftein; das verein- 
zelte Eis war dünn und dunkel— 
grünlih. Die Berge waren fteil, 
fegelförmig, fäulenartig, oder hatten 
wildzerrifjiene Geftalten. In ihren 
Mulden lagen Gletfcher. Nur wenige 
Mooje und Flechten famen vor, ſonſt 
war von Pflanzen nirgens eine Spur. 
Diefe Gegenden Hatten, auch wo jie 
nicht mit Schnee bededt waren, ftet3 
einen weißen jchimmernden Hauch, 
und die jehr verküimmerten, ewig 
blütenlofen Pflanzen waren ſtets mit 
Reif überzogen. 

Eines Tages jahen die Männer 
einen Gletjcher, der über eine Land- 
zunge bis in das offene Meer hinab» 
gieng, ſich mit einem wuchtigen Ges 
falle loslöſen und niederjtürzen, daſs 
die Wäſſer viele Klafter Hoch giſchte— 
ten. Dann glitt der Eisberg mit all 
jeinen Hörnern und Riffen ſchwankend 
hinaus auf die hohe See. 

Troſtlos waren die Schlittenreijen ; 
auch war Gefahr vorhanden, den Rüd- 
weg zum Schiffe nicht mehr zu fin— 


dringen gegen den Pol platterdings 
unmöglich fei. 


Noch pflanzte der wadere Mann 
auf diefem nördlichften Cap, das im 
zweiundachtzigſten Breitengrade lag, 
die Fahne der lieben fernen Bater- 
ftadt auf. Dann meißelte er in die 
graue Doleritwand, die gegen Norden 
ftand, folgende Worte ein: 

Heut noch iſt der Weg verichlofien, 
Und dad Heiligthum umgofien 

Mit des Eiſes ehernem Wall. 
Wahrlich doch, die Berge wälzen 


Und des Norbpols Rinde Jchmelzen 
Wird dereinft das Ideal!” 


Dann flieg der Hauptinann nieder 
und trat den Rüdweg an. — 

Als er nad mehreren Tagen mit 
jeinen Schlitten zurüd fam an den 
Rand des Landes, wo über dem 
Meere wieder die feſtgewachſenen Eis— 
berge begannen, da begegneten ihm 
Maldemar und nod einige Männer, 
die den Sarg mit dem Todten trugen. 
Waldemar war eben ſchon früher zum 
„Siegfried“ zurüdgelehrt, und wieder 
die Todtenfapelle vor Augen, hatte er 
fi erinnert an den legten Wunſch 
Robert3, unter einer Handvoll Erde 
ruhen zu fönnen. Das war Heimmeh 
nach der lieben Mutter ! 

So ließ denn Waldemar, eine 
zweite mühe und gefahrvolle Reife 
über das Eis nicht achtend, dem neu— 
entdedten Lande jeinen erjten Ein» 
wohner zutragen. 

Am Fuße eines ſchroffen, pyra— 
midalförmigen Felſens grub er dem 


den; denn der Himmel war zumeift Manne, der ihm einft das Mefjer in 


mit Nebel bededt umd der Compaſs 
hatte hier jeine Bedeutung vollends 
verloren. Die Magnetnadel hüpfte 
ziellos Hin und ber wie ein geäng- 
jtigtes Hündlein, das die Spur feines 
Herrn verloren . . . 

Doch beftieg Hauptmann Prach— 
wald noch ein nordmweitlihes Gap, 
um von demjelben aus in ein wildes 
Meer von treibendem, wogendem Eije 





zu Schauen, und um Sich endlich zu 
überzeugen, dajs hier ein Weiter: | 


Roſeager's „Örmgarten‘, 12. Geft. XV. 


die Bruſt vermeint, ein ſechs Schuh 
tiefes Grab. In dasjelbe jenkten fie 
den Sarg, der aus des Todten Bett- 
jtatt gezimmert war, nieder. Dann 
ſagte Waldemar die Worte. des Jo— 
hannes: „Gott der Herr wird über 
ihm leuchten und fein Wächter jein 
bis in die ewigen Ewigkeiten!“ 


Und als das Grab gejchlojjen war, 
verließen jie die Stätte und zogen 
durch die Eiswüſteneien ihrem Schiffe zu. 


* 
* * 


57 


Die nachtloſen Tage mit ihren 
langen Schatten zogen nun fait ge= 
ruhfam dahin. Die Gelehrten der 
Erpedition füllten die Zeit mit For— 
Ihungen und Beobadhtungen aus, 
und fortan wuchs ihre Spannfraft 
und fie wünſchten fich taufend Organe 
des Geiftes, um an diefen neuen 
Quellen für die Wiſſenſchaft zu 
ſchöpfen. 

Die übrige Manuſchaft war ſtets 
auf Eisbärenjagd und Seehundsfang, 
und ſie häufte von ſolcher Beute 
große Vorräthe in ihren Eisſcheunen 
auf. Pelzwerk, Nahrung und Lichte 
material war ſomit im Wberflufs; 
nur an trinkbarem Waſſer litten jie 
harten Mangel — gleichwohl alles, 
was ſie umgab, Waller und nichts 
als Waller war. Iſt das Eis aud 
frei von dem Meerjalze, jo war doch 
das Löſen desjelben außerordentlich 
ſchwer. Das Deftillieren des Waſſers, 
welches gleichfalls das Salz befeitigt, 
war wegen Mangels an Brennftoff 
nicht durchführbar. 

Die Sonne war ſchon monatelang 
nicht mehr untergegangen. Im Laufe 
von vierundzwanzig Stunden zog fie 
einmal um den ganzen Kreis des 
Horizontes. Jm Süden ftand fie am 
höchsten, im Norden am tiefiten. Und 
als fie endlih wieder anhub, im 
Norden auf kurze Zeit unterzutauchen, 
da fragten ſich unſere Reden: „Was 
nun?“ 

Die gegenwärtigen Zuftände waren 
unterfucht, das neuentdedte Land nach 
Möglichkeit durchforſcht. Ein Weiter: 
binausdringen war nicht denkbar. 
Das Schiff aber war aus der furcht— 
baren Umarmung des Eijes mit 
menſchlicher Macht micht Frei zu 
machen, — Was um aljo? 

Es wurde aber doch verſucht; alle 
Kräfte der Dampfmafchinen ließ man 
jpielen. Vergebens, das Schiff rührte 
fh nicht. Es war die letzte Zeit her 
noch tiefer eingefunfen, und das Ge- 
ſchiebe preiste zuweilen, daſs die 
Wände ädhzten. 


898 


— — — — — — — — — —— — —— —— eu 





Der „Siegfried“ war verloren. 

Es gab nur noch ein einziges und 
allerlegtes Mittel, Die Rüdtehr über das 
Eismeer und über die offene See mittelit 
tleinerer Fahrzeuge zuverſuchen. 

Die leichtbeweglichen Schlitten- 
Ihiffchen wurden aus dem „Sieg— 
fried“ hervorgeholt und mit Lebens 
mitteln für jeht Monate veriehen. 
Der Eapitän lieg die jeltenen Thiere, 
welche in dieſen Strichen erlegt wor— 
den waren, fowie Steine, Metall 
u. ſ. w. und auch die willenichaft- 
lichen Aufzeihnungen und Karten auf 
die Schlittenfhiffhen bringen, und 
diefe wurden fofort nach beftem ſön— 
nen inftand gejeßt. 

So mujste denn der „Siegfried“ 
verlafjen werden. 

Ein Felt wurde noch abgehalten 
in dem Schönen, ftattlihen Schiffe, in 
welhem man jo mande Freude und 
jo mande Drangjal erfahren hatte. 
Die Refte an Speiſe und Tran, die 
wicht mitgeführt werden fonnten, 
follten bei einem frohſamen Mahle 
möglichft geichmälert werden. ber 
an diefem Tage empfanden fie feinen 
Hang zum Efjen und zum Trinken, 
und Die Lippen biieben ſtumm. 
Das Mahl jah aus wie ein Todten— 
mahl. — Noch waren der gejunden 
Köpfe neunundzwanzig; aber eine See= 
reife vom neumundfiebzigiten bis zum 
dreiundfünfzigften Breitengrad ſtand 
bevor — eine Seereife ohne Schiff! 

An einem Sonntagmorgen, als 
die rothe Sonnenfcheibe im Norden 
auftauchte und langfam an der zadigen 
Schneide des Horizontes dem Oſten 
zumwallte, brah die Mannſchaft auf 
und verließ den „Siegfried“. Mit 
unſäglichen Beichwerden bradten fie 
die drei Schlittenfchiffhen auf dem 
Eisgeſchütte weiter. Unzähligemale 
blidten fie zurüd auf das liebe treue 
Haus, das mitten im emigen Eije 
einfam liegen blieb und mit jeinen 
hohen Maften noch tagelang die müh— 
ſam Davonziehenden grüßte. 


— — — — — — 





899 


Freeilih gieng’3 nun dem Süden 


zu, aber in welcher Weile? Sie 
mussten ih durch Engen und 
Schründe winden, mujsten durch 


Schueemafjen friehen, Thäler und 
Mulden durchziehen, wo viele felbjt 
zuweilen mitfammt den Schlitten 
einbrachen. Auf aflen Bieren mufsten 
jie fich fortbewegen, und im Schnee 
mufsten die Schlitten getragen wer: 
den. Stredenweile wurde diefer Weg 
des Gepädes wegen dreimal und auch 
fünfmal gemadt. Kaum eine See— 
meile fonnte täglich zuridgelegt 
werden. 

Endlih Hub das Eis an, mit 
Waſſer abzumechfeln, wo die Schlitten- 
bote zu ihrer beiderfeitigen Geltung 
famen. Nun aber begann erft die 
Gefahr. Die Eismaſſen glitten Hin 
und her und drüdten und prefäten. 
Dann auch ſchoben fie ſich in- und 
übereinander und bauten ſich zu hohen 
Mauern, die wieder einftürzten. Bei 
einem ſolchen Einfturze war eines der 
Boote mit Lebensmitteln zugrunde 
gegangen, 

Ein Theil der Mannſchaft wollte 
zum „Siegfried" zurüdtehren, auf 
daſs er im Frieden eines Menſchen— 
baues fterben könne, Allein der größere 
Theil bejchlojs, den Kampf bis auf 
den letzten Athemzug auszuringen ; 
nur eines fehlte den meilten ſchon — 
der Tabak. Und diefer Mangel raubte 
manchem auch den Humor. Ein paar 
Burihen jedoh waren dabei, Die 
fangen fortweg keckluſtige Yieder und 
pfiffen mit zugeſpitzten Lippen, wie 
es andere machen daheim beim Fiſch— 
fang im Teiche. 

Freilich genoſſen dieſe Männer den 
Vorzug, nicht auf Erden geboren zu 
ſein. Auf hoher See hatten ſie vielleicht 
das Licht der Welt erblickt; der Tum— 
melplatz der Kindheit war das Schiff 
gewejen, ihre Heimat das Meer. 

Maldemar, ftet3 einer der Erſten, 
Thätigſten und auch Anſchickſamſten 
der Mannjhaft, war weder über« 
müthig noch muthlos. Bor allem 





juchte er feinen Degen zu wahren ; 
und der Capitän ſagte einmal laumig 
zu ihm: „Juſt von diefem Degen 
hoffe ich alles; er iſt der Preis einer 
treuen Liebe. Er ift unfer Talisman.“ 

Indes wurde die Lage immer 
troftiofer. Ein heftiger Luftiteom 
machte die Gewäller wogen; das 
Schieben und Preſſen des Eiſes wurde 
noch ftärker, und das Anſtemmen und 
Abftopen mit Stangen war dagegen 
erfolglos. Tag und Naht lag die 
Maunſchaft in Streit mit den Ele— 
menten; dabei litt fie außerordentlich) 
an Froft und bald auch an Ermü— 
dung. 

Am ſiebzehnten Tage, nachdem ſie 
den „Siegfried“ verlaſſen, war in den 
Preſſungen das zweite der drei 
Schlittenbote zugemde gegangen. 
Der Gapitän jelbft kam dabei im Die 
höchſte Lebensgefahr und mußste 
unter Eismaſſen hervorgezogen wer— 
den. Waldemar war es, der, auf die 
Weihe ſeines Degens vertrauend, ſich 
mitten in die treibenden Schollen ge— 
ſtürzt hatte, um aus dem zerdrückten 
und untergehenden Bote aud noch 
die wiſſenſchaftlichen Aufzeichnungen 
der Erpedition zu retten. 

Und num ftanden fie mit ihrem 
einzigen Bote auf einer ungeheneren 
Eisſcholle. Nun war nichts mehr zu 
thun, nun mufste es dem Zufalle 
überlaffen werden, wie viele Stunden 
lang er ihr Leben noch ſchonen wollte. 

Eine jchwere Abjpannung mar 
über die Männer gelommen. Nur vor 
dem Erfrieren fuchten fie ſich noch zu 
ſchützen. Aber die Verfuche, Feuer 
anzumadhen, waren in dem naflen 
Elemente vergebens. 

Die Officiere ſchlugen unter ein 
ander vor, die aufgejchriebenen Er- 
fahrungen und Beobadhtungen in ein 
Fäſschen zu verſchließen und dasfelbe 
auf gut’ Glüd dem Meere preiszuges 
ben. Denn fie wollten ji mit allem 
zufrieden geben, aber nur mit dem 
Bewuſstſein fterben, daſs ihr Wert 
der Menfchheit nicht verloren bleibe. 


57° 


90 


Gapitän Prachwald jedoch wollte 
das koſtbare Fälshen bis auf den 
legten Nugenblid bei ſich bewahren, 

Die Eisftrömung und im diejer 
auch die Scholle mit unferen Tapferen 
wurde von einem anhaltenden Winde 
rajch weiter getrieben. Die Magnet: 
nadel war wieder ein wenig berubigter 
und bejtändiger geworden, jedoch ſtand 
fie nit gegen den Lauf der Strö- 
mug. Die Echolle trieb nicht füd- 
lich, ſondern dem Nord-Often zu. 
Es gieng wieder in die graufige: 
Naht und tiefer in den ewigen | 
Minter hinein. 

„Wohlan!“ rief der Gapitän, 
„jebt endlich geht es flott dem Nord» 
pol zu! Er ſelbſt Hat uns zum Em— 
pfang das Kryſtallſchiff geſendet!“ 

Der Belze waren genug vorhan— 
den. So fauerten ſich alle in das 
einzige Boot, genofjen nach Thunlich: | 
feit von den fetten Speilen und, 
dedten jich zu. Nebel, nur von Nord» 
lichtſchein durchdrungen, verhüllte den 
Sternenhimmel. Die Schiffer, nun 
auch bereit3 der meiſten Orientie— 
rungs-Inſtrumente entbehrend, wuſs⸗ 
ten nicht mehr, wo und 





wie ſie 
trieben. — Verloren irrten ſie in den 
ungeheueren Weiten der Polargewäſſer. 
Jun dem krachenden, ſturmum- 
brausten Eiſe, wer hat ihr „Ora pro 
nobis!“ gehört? — 
* 
* * | 
Die deutſche Hafenftadt lag von) 
einer üppigen, herbſtlich prangenden 
Landichaft umgeben im Segen des 
Friedens und der Arbeit da. Alles 
gieng jeinen geregelten Lauf. Dundert 
und Hundert Schiffe jogen aus und 
liefen ein, und iiber das Meer wehten 
lebendige aber milde Lüfte, wie fie 
den Seefahrern fo förderſam find. 
Seit dem Abzuge der Nordpol: 
fahrer waren über jechzehn Monate 
verfloffen. Man hatte in diejer Zeit 
doch irgend eine, etwa durch mordliche | 
Fiſcher vermittelte Nachricht von der‘! 
Erpedition erwartet, Allein, fein Le— 





0 . 


bengzeichen ; ſeitdem der „Siegfried “ 
die Cape Norwegens pafjiert hatte, 
blieb er verfchollen. 

Im Haufe des Kaufmannes 
Grüneberg war es recht öde. Grüne= 
berg war feit dem plößlihen Tode 
jeines einzigen Sohnes alt und grau 
geworden. Der Mörder, jowie die 
Urfache des Mordes war bisher voll— 
ſtändig unbefannt geblieben. Oslar 
war Spieler geweſen und da dachten 
mande au Selbfimord. Der Dold 
ftaf dem Todten mitten in der Bruft. 
Andere wieder gab es, Die wollten 
das Verbrechen zu Robert Wadar in 
Beziehung bringen. Und thatſächlich, 
der ſchwarze finftere Belier des Land— 
hauſes auf der Birkenhöhe war und 
blieb jeit dem blutigen Ereignifje ver— 
ſchwunden. 

Litta Hatte ein blaſſes abgehärmtes 
Geſicht und trug ſchwarze Kleider. 
Stundenlang ſaß fie einſam und ver— 
loren auf dem Hohen Söller des 
Gartenhaufes und blidte Hinaus in 
das weite Meer. Schiffe aller Farben 
und Größen kamen gezogen. Den 
„Siegfried“ hätte fie aus weitelter 
Ferne ſogleich erfannt. 

Im Laufe dieſes zweiten Herbſtes 
kam eines Tages ein Telegramm aus 
dem hohen Norden: 

„An den Magiftrat von... 

Die See hat hier eine Korklapſel 

an das Ufer geſchwemmt. Der In— 

halt verjelben iſt ein Brief mit 
folgenden Worten: Im zweiund— 
achtzigſten Breitengrad Land ent— 
dedt; unfer Schiff verloren; auf 
einer Eisfcholle verfchlagen worden. 
Hauptmann Prachwald.“ Aufgabs= 


ort des Telegrammes: „Hammer— 
feit.“ 
Diefe kurze Nachricht entfachte 


einen Seelenfturm in der Dafenjtadt, 
ja im ganzen Lande. Zur rajchen 
Ausrüſtung von neuen Expeditionen 
wurde gejehritten, um die Manujchaft 
des „Siegfried* aufzufuchen. Allen 
Seemächten der Erde wurde der Ber: 
luft bekannt gegeben und Prämien 





901 


wurden ausgefchrieben für die Wie- 
derbringer der fleinen Heldenſchar. 

Litta trug feit diefer Kunde ihr 
Antlig mit einem grauen Schleier 
verhüllt; "und eines Tages, als jie 
weinend an der Bruft ihres Vaters 
lag, entdedte diejer graue Fäden in 
ihrem Haar. 

„Das ift Eis, mein Kind!” fagte 
der Kaufmann. 

„Das ift ein Gruß don ihm!“ 
tief das Mädchen, und mit ihren 
grogen Augen aufblidend: „Vielleicht 
ift er doch nicht verloren!“ 

Es vergiengen Tage und es ver- 
gieng manche Woche. Sein Schiffer 
bradte Kunde; man gab die Nord— 
polfahrer für verloren. 


Da war es am dreiumdzwanzig- 
ſten Tage des Octobers, daſs zur 
mitternächtigen Stunde auf dem 
Kupferdrahte die Botſchaft geflogen 
fam: „Wir find gerettet und in we— 
nigen Tagen daheim. Prachwald.“ 
Aufgegeben in der norwegischen Stadt 
Bodoe. 

Unbeichreiblih ift die  freudige 
Aufregung, welche diefe Nachricht in 
der großen Hafenſtadt entzündete. 
Schon am erjten Tage eilten Men- 
ſchenſcharen dem Hafen zu, um die 
Heimtehrenden zu begrüßen. Alles 
war auf und allerfeitS wurden groß— 
artige Empfangsfeierlichleiten vorbe— 
reitet. 

Kaufmann Grüneberg zeichnete zu 
den Heltlichfeiten eine Summe von 
vielen tauſend Thalern. Seine Tochter 
Litta Hatte den Schleier von ſich ge— 
worfen und band Kränze, und ftidte 
goldene Worte auf Seidengrund. 


Indes war vollauf Yeit zu den 
Borbereitungen. Tage um Tage ver— 
giengen. Die Thurmwächter wurden 
beitürmt, die Sicht der Heimkehren— 
den zu verkünden. Bon jedem Dam— 
pfer, der aus nördlicher Richtung 
fommend einlief, wurden die Nord: 
polfahrer verlangt. 


* 
* * 


Zwar hatte Hauptmann Prach— 
wald durch fein lakoniſches Telegramm 
jede Entgegenfahrt vereitelt, der Leſer 
diefer Geſchichte jedoch, der den 
Maderen in Noth und Drang Genofje 
gewejen, hat wohl das Redt, auch an 
ihrer glüdtichen Rettung und Heim— 
fehe Antheil zu nehmen. 


Mir müfen e3 uns gleichwohl 
befhänmt geftehen: wir Haben fie in 
der größten Noth verlaffen. Aber zur 
jelben Bedrängnis war ihnen Gott 
am nächſten. 


Nachden die Mannfchaft des 
„Siegfried“ viele Tage lang in den 
Eiswülten Herumgetrieben worden, 
ward die Richtung der treibenden 
Scholle plöglich eine ſolche, daſs Die 
Magnetnadel nah rückwärts zeigte, 
Eine lebendige Prife aus Norden 
wehte, und raſch glitt das feltfame 
Schiff dahin. Das Treibeis lichtete 
ih) mehr und mehr und der dunkle 
Grund der hohen See wurde immer 
freier. Freilich verkleinerte fih in 
demjelben Make auch die Scholle, 
welche unfere Reden trug, und Stüd 
um Stüd fiel ab in dem wärmer 
werdenden Klima. — Ehevor fie noch 
in das Bereich der Menſchen gekom— 
men, wird der Boden unter ihren 
Füßen gefhwunden fein... . 


Diefen bald eintretenden Tall 
wohl vorausjehend, beeilten fie ſich, 
das einzige Boot, welches fie noch 
hatten, zurecht zu machen, und deme 
jelben zuzummuthen, die neunundzwan— 
zig Mann etwa an die Küſte von 
Lappland oder Finnmarken hinzu— 
tragen. Nur das AUllernothivendigite 
und Nahrung auf kaum zehn Tage 
fonnte behalten, afles UÜbrige jollte 
über Bord geworfen werben. 


Und endlih war die treue Eis— 
ichofle jo jehr zernagt und zerfreflen 
und zerfprungen, daſs fie Hin und 
ber fippte und feinen Halt mehr gab. 
Da rutſchte das überfüllte Boot in 
die weiche Welle hinab. Tief ſank es 
ein und die Schiffer warfen alles 


002 


über Bord, was für die allernächften 
Stunden nicht unbedingt nöthig war. 

Aber das Boot wollte ſinken und 
finfen. 

Ein paar müſſen hinab!” rief 
plöglih einer aus der Mannuſchaft. 

„Beller ein paar als alle!“ rief 
eine andere Stimme, 

„Wer Hat fein Weib und Sind 
daheim ?* 

„Die älteften don uns müſſen 
hinab!” 

„Ins Maler, ins Waller!“ jo 
rief es wild durcheinander — eine 
Revolution in der ſinkenden Schale. 

„Wer wagt ?* donnerte die Stimme 
des Capitäns, „das Los entjcheide !” 

Neunundzwanzig gedrehte Wollen 
fügelchen in einer Mütze; ſiebenund— 
zwanzig Stüd waren weiß, zwei 
waren jchwarz. 

Das Wafler Hub an über Bord 
zu riefen; die Männer fuhren mit 
zitternden Hände in die Mütze. Ein 
rothbärtiger Matrofe und — Waldes 
mar zogen den Tod. 

Ohne ein Wort zu Jagen, jchnallte 
Waldemar feinen Degen los und legte 


ihn in die Dand des Gapitänd. Der‘! 


Rothbärtige wollte fich fofort in das 
Meer ftürzen. Da ericholl der Ruf: 
„Ein Schiff! ein Schiff in Sicht!“ 

Unbejchreiblicher Jubel. Alle wars 
fen ihre Pelze und Beſchuhung in 
die See. Das Fäſschen mit den 
Nachrichten ſchwamm Hinter dem 
Boote her; der Gapitän führte es au 
einer Schnur. 

Die Mannschaft ſchrie aus Leibes— 
fräften und ſchöpfte zugleich mit den 
Händen dad Wafler aus dem Fahr: 
zeuge und ruderte mit aller Macht. 

Wenige Stunden fpäter ſtanden 
die Nordpolfahrer wohlbehalten auf 
dem Ded eines ruſſiſchen Schooners. 

Die Fahrt gieng füdweſtlich; am 
zweiten Tage nach der Rettung paſ— 
jierte das Schiff bereit das Nordcap 
und wenige Tage ſpäter lief es in 
Bodoe ein, 

Von bier 


ſandte Hauptmann 


Prachwald die Nachricht in die Hei— 
mat und ftellte dem ruſſiſchen Capitän 
mit taufend Dank die Anweiſung auf 
das Auffindungsprämmm aus, von 
deiien Thatfählichleit ihn die mın 
vorliegenden Zeitungsblätter unter— 
richteten. 

Und dann fuhren die waderen 

‚Männer auf einem norwegiſchen 
| Dampfer der Heimat zu. — 
\ Am lebten Tage der Fahrt, als 
die bianen Höhen der deutjchen Küſte 
bereit3 in Sicht waren, und zahl— 
reihe Segler über die Wäſſer kreuz— 
ten, fielen ſich die rauhen bärtigen 
Männer um den Hals und riefen: 
„Das ift ein glüdfeliger Tag!“ 

Hauptmann Prachwald erfaſste 
zur ſelben Stunde Waldemars Hand 
und ſagte: „Junger Freund, ehe wir 
nah den ſchweren ausgeſtandenen 
Gefahren und Drangſalen nun aus— 
einandergehen werden, möchte ich 
Ihnen beſonders danken für Ihre 
treuen und tüchtigen Dienſte. Dieſen 
Degen aus lieber Hand tragen Sie 
als Riiter; Sie kehren heim als ein 
Dfficier des „Siegfried*. — Ferner, 
Kamerad, habe ich mich vor Ahnen 
auch noch einer Miffion zu entledigen, 
‚die ich von unferem verlaffenen Schiffe 
‘her mit mir trage. Unter dem Kopf: 
‚kiffen des verftorbenen Robert Wadar 
fand ſich diefe Schrift, durch welche 
er Sie zum Erben jeines hinter» 
laſſenen Vermögens einfeßt. Ich theile 
Ihnen die Urkunde erſt heute mit, 
weil ih Sie, fo lange wir noch in 
Gefahren fchwebten, nicht mit einen 
neuen Bande an das Leben ketten 
wollte, Nun, da wir hoffentlich bald 
geborgen fein werden, fei mit meinem 
Glückwunſche das Blatt in Ihre 
Hände gelegt.” 

Die NRadichaufeln des Dampfers 
arbeiteten mit ununterbrochener Kraft 
in den Fluten, aber es gieng nod) 
ein Tag hin, bis endlich zur jpäten 
Abendſtunde der befannte Leuchttgurm 
mit feinem lieben Sterne ſichtbar 
wurde, 





Still und ohne Prunk wollten! fried”. 
die waderen Männer in ihre Heimat: | Haus 


ſtadt einziehen, aber ein geſchwätziger 
Bootsmann hatte es doch veritanden, 
von Dänemark aus der deutjchen 
Hafenſtadt zuzuraunen: heute kom— 
men fie! 

Gerade um Mitternaht war's, 
al3 der nordiſche Dampfer in den 
Hafen einlief. Ein ungeheuerer Lich» 
terkranz glühte und loderte in allen 
Farben. Fadelzüge wogten über die 
Dämme, auf den Thürmen läuteten 
Sloden, auf den Anhöhen Tnallten 
Freudenſalven; Zrommelmirbel und 
Muſik ſchmetterten an allen Enden. 

Ehe das Schiff noch ankerte, 
wurde es von mehreren Seiten beſtürmt 
und erklettert; es war ein erſchüt— 
ternder Augenblich, als die Menge 
hinſtützte und die heimkehrenden 
Nordlandsrecken umarmte. Auf den 
Händen wurden ſie an das Ufer ge— 
tragen, mit Bändern wurde ihr rauhes 
Pelzwerk geziert, mit Lorbeern wur— 
den ihre ſtruppigen Häupter bekränzt. 
Durch Triumphbögen wurden ſie ge— 
führt, und in einem herrlichen gold— 
ſchimmernden Saal voll ſchwerer 
Pracht und üppiger Bequemlichkeit 
ſtand ihr Abendmahl bereit. 

Die Erſten des Reiches ſaßen an 
der prunfenden Tafel, und obenan 
die aus den nordiichen Regionen heim— 
gefehrien Söhne des Landes. 

Seltſam ſtachen die rauhen, her= 
ben, völlig abgezehrten Geftalten in 
der nordländifchen Kleidung ab von 
den vollen und ſtets lächelnden Ge— 
fihtern der jchwarzbefradten Gaſt— 
geber. 

Mitten in der Jubelftimmung er= 
hob ſich Hauptmann Prachwald und, 
das jchäumende Glas in der Hand 
jagte er: 

„Zweier Freunde ſei zu Ddiejer 
Stunde nicht vergeiien. Im hohen 
Norden, fturmumbranst und eisum— 
gürtet, fteht verlaſſen unjer „Sieg— 


Welchem Gejchide das treue 
auch verfallen wird, ihm ein 
Gedenten unfer lebelang! — Und ein 
Gedenken auch unferem Zodten, dem 
wir im mitternächtigen Lande dort 
ein neues Grab gegraben, Einfam 
ſchläft er nun am Bole, wo als 
ewige Gloriole ihn der Nordlichtjchein 
umftrahit!” 

Wie Todtenglodenklingen war es, 
als die Gejellichaft nun wortios fich 
erhob, und die Gläſer aneinander 
ſchrillten. 

Ehe zur Morgenſtunde die Tafel 
noch zu Ende, und den Heimgelehrten 
in Paläſten ihre Schlafkammern an— 
gewieſen wurden, kam ein eleganter 
Magen angefahren, um Waldemar zu 
holen. Die Thore des Haufes Grüne— 
berg, und die Arme des Kaufherrn 
thaten ſich dem jungen Officiere auf, 
und Litta ftürzte ihm mit einem lauten 
Schrei an die Bruft. 


So waren die Nordpolfahrer heim- 
gekehrt. Die Feſtlichkeiten dauerten 
tagelang. und das Volk trieb Götzen— 
dienft mit den tapferen Reden. 

Und che die Mannjhaft des 
„Siegfried“ ſich trennte, auf dafs 
jeder im bejonderen durch das Meer 
des Lebens feine weiteren Fahrten 
ziehe — nahm fie theil an dem fröh— 
lichen Hochzeitsfefte ihres Genofjen 
Waldemar. 

Roberts Erbe aber lehnte der 
junge Chef des Haufes Grüneberg 
ab. Das Landhaus auf der Birken 
höhe wurde zu einem freundlichen 
Lazaretde für Kranke md alters» 
ſchwache Matroſen geeignet. 

Und als ſich all die Wogen der 
Aufregung, Begeiſterung und Freude 
endlich gelegt hatten, giengen die Ge— 
lehrten des „Siegfried“ an ihre Arbeit, 
um die wichtigen Erfahrungen und 
Beobachtungen ihrer Nordfahrt der 
Welt zurechtzulegen und dieſelben den 
Büchern der Wiſſenſchaft beizufügen. 


Ein letzter Wille. 


Von Frik Mauthner, *) 


Mein verehrier Herr Profeſſor! 


de: wird noch acht oder vierzehn 
er Tage dauern, Nicht wahr? 
87 Sie werden weiter in treuer 
Liebe die drei dunklen Treppen zu 
mir emporklettern, werden Ihre reich» 
ften und jchönften Kranken auf den 
berühmten Arzt warten laſſen, um 
mir eine Stunde zu vertreiben, eine 
meiner legten Stunden. Sie werden 
mir jedesmal von den Wundern pre 
hen, die der Mai aus Dankbarkeit 
für meine Frühlingslieder an mir 
vollbringen ſoll. Aber Sie verfchreiben 
mir Schon Morphium. ch werde es 
nicht erleben, dajs Frau Sagebuſch, 





Morten überreihen: Er is tot, der 
jute Menfch. Für zwei Monat is er 
mich die Miethe jchuldig jeblieben. 
Es is nur ein Jlüd, dafs er vor dem 
Erften jeitorben is. Der jute Menich. 
Verwandte habe ich nicht auf der 
Welt, Obengemeldeter Frau Sagebufch 
bitte ich Für ihre Thränen zu über» 
geben: meine beiden Anzüge, meinen 
Belz, meine Wäfche und meinen gol= 
denen Ring, falls derjelbe bei meinen 
Tode noh am Leben fein jollte. 
Denn die Begräbnisfoften wird 
der Verein „Preſſe“ auf fih nehmen, 
welchem ich ſeit zwei Jahren, das if 
jeit dem Abdrud meines erſten Feuille— 
tond, anzugehören die Ehre habe. 
Sie werden auf dem Kleiderſpind 


meine wadere Wirtin, die Fenſter der etwas getröfteten Fran Sagebufch 


meiner Stube für den heilſamen Mais 
duft öffnen darf. Die Stube war 
mein Empfangsfaal, mein Rauch— 
zimmer, meine Trinklaube und mein 
Schlafcabinet; fie wird nun mein 
Sterbezimmer, weil fie nicht mein 
Arbeitszimmer war. 

Ih danke Ihnen. Punctum. Und 
damit Sie fih von Ihrem Mitleid 
nicht ſobald wieder Ihre Zeit ftehlen 
laſſen, will ih Ihnen zum Lohn für 
Ihre vergebliche Mühe eine Laſt auf: 
bürden. Sie follen der Boflitreder 
meines lebten Willens fein. Meine 
Anordirungen erfahren Sie eben aus 
diefem Schriftitüd. Eines Tages wird 
es Ahnen Frau Sagebufh unter 
Thränen ungefähr mit folgenden 





einige Bücher finden. Sogenanute 
Claſſiker, römische und griehiiche; ich 
habe jeit meiner Gymnaſialzeit feine 
Bücher mehr gelauft. Bitte, jenden 
Sie doh die alten Schmöler an 
Heren Weber, Lehrer in Ruhla; er 
veriteht die alten Sprachen nicht, 
wird die Bände aber mit Stolz auf 
jeinen Schreibtiſch Stellen und die 
gebührende Freude daran haben. Der 
wadere Mann hat mich jchreiben ger 
lehrt, ohne mich je zu prügeln. 

Die paar Dutzend Recenſions— 
eremplare, die ich unter dem Sofa 
und hinter dem Ofen verwahrt habe, 
Gedichtſammlungen unbefannter junger 
Leute, vermache ich dem Buchhändler 
Cornelius alldier, Er hat es nicht 


*) Zehn Geſchichten von Friß Mauthner, Berlin. J. H. Scorer. 


anders verdient. Ich war drei Jahre 
fang fein Lehrling. 

Mein Tintenfafs und meine Feder 
hinterlafie ich dem einzigen Menſchen 
meiner Belanntichaft, der von diefen 
Marterwerkzengen feinen Gebraud) 
machen fanı, dem Verleger der „Allge— 
meinen Damen= Zeitung.“ Leben umd 
Ichreiben lafjen, das ift ſein Wahlſpruch. 
Auch mich Hat er zu meinem erften 
Feuilleton verführt. So mögen ihn 
Feder und Zintenfal3 daran mahnen, 
was er für die deutſche Literatur ge= 
than bat. Auch nach Friedrich dem 
Großen nennt man jegt eine Epoche 
der deutſchen Dichtkunſt, troßdem der 
große König fein richtiges Deutſch 
ſchreiben wollte. 

Nah meinem erſten Feuilleton bin 
ich plößlich berühmt geworden, vom 
Café Kaiferhof bis zum Cafe Bauer. 
Ih war jo zufrieden mit mir, dafs 
ih Monate verftreichen ließ, bevor ich 
der Welt ein neues Werk von Hundert 
Zeilen ſchenkte. Mag der Zahlkellner 
im Kaiſerhof zur Erinnerung an diefe 
glänzende Zeit meine beiden Schlapp- 
hüte, den alten und den neuen, tragen, 
wenn er incognito ausgeht und fich bes 
ſcheiden für einen Schriftiteller ausgibt. 

Ih kann die Frauen nicht alle 
bedenken, welche mir durch Gunft und 
Gunftverfprehen das müßige Leben 
jo leicht machten. Ich habe die Namen 
der meilten vergeſſen, jo lange habe 
ich fie nicht gefehen, jo lange bin ich 
krank. Den wenigen, deren ich mich 
auch noch jet gerne erinnere, bitte 
ih meine Grüße zu jenden mit Heinen 
Erinnerungszeichen. 

Der Schönen Geheimrätin S... 
(Sie fennen fie ja au, wenn Sie 
es auch natürlich ableugnen) ſende ich 
den Hermes des Prariteles zurüd. 
Sie hat mir die Büfte einmal zum 
Geſchenk gemacht, weil der griechifche 
Krauskopf in ihrer Phantafie mir 
ähnlich ſah. Ich ſende ihn zurüd, 
Ih bin todt und der fleinerne Jüng— 
ling bat keine Arne, Und überhaupt! 
Wie er mir ähnlich Sieht. 


Der nicht minder Schönen Bantiers- 
frau 8... . bitte ih den Stop 
Schreibpapier zu übergeben, den ich 
unterlaffen Habe in das Manufcript 
einer unſterblichen Novelle zu ver: 
wandeln. Sedesmal, wenn ich das 
Ende eines Gedanfenfadens zu er— 
hafchen glaubte und an die Arbeit 
gehen wollte, holte mich ein Briefchen 
diefer Dame in irgend eine unmög— 
fihe Stadtgegend, wo fie mir danır 
unter Küſſen Vorwürfe machte über 
meine gottiträfliche Faulheit. Sie fol 
mein Screibpapier in anmuthige 
Stüde ſchneiden und fich nicht ſchämen, 
die einfachen Blätter zu neuen Liebes- 
briefen zu benußen. Bielleiht kann 
fie mit dem Borratd bis zu ihrem 
vierzigften Jahre aushalten. 

Dem freigebigen Herm 8... 
bitte ich meinen unverwüſtlichen Pro— 
pfenzieher und meinen Gigarrenab= 
Schneider zu überreichen. Ich unter: 
ftüßte ihn gern in der Hauptbeſchäf— 
tigung feines Lebens. 

Meine Wiener Kaffeemafchine ſoll 
den ehrenmwerten Gollegen Näthing 
gehören, der Edle Hat mir einmal 
Vorſchuſs verſchafft, um mich anpum— 
pen zu können. 

Dem gelehrten Goethe-Forſcher 
Gotthold widme ich meine faſt ganz 
ungebrauchte Studierlampe. Aber er 
ſoll ſie ſtets ohne Cylinder benützen, 
dieweil derſelbe zerbrochen iſt, und 
damit Gotthold erfahre, wie wenig 
die Flamme leuchtet, deren Rauch man 
nicht der Wahrnehmung entzieht. In 
dem Futter meiner Weſte dürfte ſich 
ein Markſtück vorfinden. Frau Sage— 
buſch ſoll es heraustrennen und es 
dem Drehorgelſpieler hinunterwerfen, 
wenn er am Montag wiederkommt. 
Wenn ich noch ein Feuilleton zu 
ſchreiben hätte, ſo würde ich mich ge— 
wiſs über den Mann luſtig machen. 
Uber er hat allwöchentlich die Kinder 
auf dem Hofe zum Jubeln gebradt. 

Meine Uhr Habe ich leider ver- 
Hopft, doch beſitze ih wahrſcheinlich 
noch den Uhrſchlüſſel. Er iſt in gutem 


Stande, ich Habe fie felten aufgezogen. 
Der Schlüffel ohne Uhr fei hinfort 
das Eigenthum des Doctor Schelger, 
denn er ift Philoſoph und National: 
ökonom. 

Das iſt alles . . ., nein, ich be— 
ige no ein Dutzend Photographien 
berühmter Scaufpieler mit höchſt 
ſchmeichelhaften Widmungen. Ver— 
theilen Sie freundlichſt die Auto— 
gramme in den Häuſern, in denen 
man mich meiner wachſenden Berühmt— 
heit wegen zu Geſellſchaften zu ver— 
langen pflegte. Das war nach der 
Aufführung meines dummen Einacters, 
Ich Hatte am Tage nach der Premiere 
dreipig Einladungen. Man weiß dort 
eigenhändig unterfhmintte Schau— 
jpielerbilder zu würdigen. Und die 
Herren Mimen werden es vielleicht 
doch nicht bemerken, dajs ihr Enthu— 
ſiasmus einem anderen als dem Haus: 
heren galt. Mein Name kann überall 
ausgelöjht werden, — ausgelöfcht 
überall, 

Nun befike ich aber wahrhaftig 
nichts mehr, worüber ich letztwillig 
verfügen könnte. Und doch habe ich 
zweier Menfchen nicht gedacht, die ich 
nicht vergejlien darf. Was verinadhe 
ih meinem Feunde Albert und meiner 
Freundin Mathilde ? 

Mein Freund Wibert Hat’s ja 
nicht gerade nöthig, etwas zu erben. 
Sein Bater iſt ein fleinreicher Holz— 
händler, er jelbit ift Nejervelieutenant. 
Sonſt Hat er auf der Welt nichts zu 
thun gehabt. Er war der erfte, der 
meinen jungen Ruhm auspojaunte, 
meinen Namen im Cafe über alle 
Tiſche hinwegſchrie und mir durch 
ſeine Cigarren eine ariftofratifche Ver— 
achtung des leichteren Unkrauts ein— 
flößte. Er Hatte mich wirklich Lieb. 
Ebenfo lieb wie jeine engliiche Fuchs— 
ſtute und feine famoje Schlafzimmerz 
einrichtung. Er machte gern von fich 
reden. Im Knopfloch Hatte er immer 
eine rothbraune Orchidee fteden, die 
wie ein wahnfinniger Käfer ausfah. 
Im Opernhaufe Hatte er den auf: 


fallenden Edplaß, an den jeder Vor— 
übergehende ſich ſtoßen muſſste; nun 
beſaß er in mir auch einen durch 
Schönheit und Begabung auffallenden 
Freund. Verehrter Herr Profeitor, ich 
wünſche Ihnen, dajs Ihr Söhnen 
niemals einem griechiſchen Gotte gleiche 
oder zwei Worte aufeinander reimen 
könne. 

Albert ſollte auf Wunſch ſeines 
Vaters Heiraten, eine entfernte Ver— 
wandte, deren kluge Mutter den Alten 
herumgefriegt Hatte, Albert jedoch 
wünjchte fich eine auffallende Frau, 
mit der er Staat machen konnte, Das 
fagte er mir no an dem Tage, au 
welchem er mich bei dem für ihn 
unbedeutenden Mädchen einführte. 

Sie hieß Mathilde, Mir kam fie 
auffallend genug vor. Dieſe ftabl- 
harten, ftahlblauen Augen. Dieje un: 
bändigen blonden Haare. Profeſſor, 
war e3 denn nicht möglich, mich am 
Leben zu erhalten ? 

Sie hatte ihre Lehrerinnenprüfung 
gemacht, fie wuſste mehr als ic. 
Aber fie lernte meine ſämmtlichen 
Werte, fünfzehn Gedichte, zehn Feuille— 
tons und den dummen Einacter, bei— 
nahe auswendig. Mit ihren barten 
Augen blidte fie mich, jo oft ich kam 
und jo oft ich gieng, begeifternd an; 
jo muj3 Egeria den betreffenden alten 
Römerklönig angefchaut Haben. 

Frau Sagebuſch betrachtet jedes 
befchriebene Papier als wertlos und 
ihr verfallen. Hätte fie damit nicht 
immer eingeheizt, jo wären nad 
meinem Zode jehr viele Verſe au 
Mathilde zu finden gewejen. Ja, denn 
ich liebte fie leidenjchaftlich, keuſch, 
ehrlih, zwanzigjährig. Niemals Hat 
fie meine Leidenschaft gepeiticht bis 
zur ſelaviſchen Ergebung. 

Sie wohnte in der Mohrenſtraße. 
In diefer Gegend war ich bejonders 
berühnt. Bald ſprach man im ber 
Kleinftadt von zwanzig Familien, 
welche für Mathilde und Albert Berlin 
bedeuteten, ebenjo viel über das Mäd— 
hen wie über mid. Mathilde ſchil— 


0907 


derte meine glänzenden Wusfichten, 
vergaß aber nie zu bedauern, daſs 
fie mich noch Lieben könnte. Und ich 
forderte jeden zum Kampfe heraus, 
der nicht zugeben wollte, dafs Mathilde 
das ſchönſte, befte und bedeutendfte 
Meib der Erde fei. Einer nach dent 
anderen unterwarf fich mir und im 
vergangenen December jpielte Fräulein 
Mathilde in der Mohrenftraße und 
den umliegenden zwanzig Familien 
ſchon eine hervorragende Wolle. 

63 war am erjten Januar, ich 
jpielte mit Mathilde eine Bartie Schach. 
Nebenan ſprach Albert lebhaft mit 
der Mutter. Eben hatte ich meine 
Königin eingebüßt, als die Mutter, 
von meinem Freunde gefolgt, feierlich 
hereintrat und ſprach: 

„Dein Better hat um deine Dand 
angehalten, liebe Mathilde. ch wei 
ja, dajs du ihm längſt gut biſt. 
Seid glüdlich.“ 

Ich gab die Shachpartie für ver— 
foren und ſprang auf. Es hat für 
den Schriftiteller einen gewiſſen Weiz, 
der eriten Umarmung eines Brauts 
paares zuzufehen. Aber die erfte Line 
armung jollte mir gelten. 

Albert fiel mir um den Hals. 
Der gute Junge Shluchzte: Dir allein 
habe ih mein Glüd zu verdanfen, 
Ohne deine unglüdliche Liebe hätte 
ich vielleicht niemald3 MatHildens ganz 
zen Wert erlannt. Du mujst ihr 
aber auch deine Gedichte widmen, 
wenn du ſie herausgibit. 

Ich erwiederte: „Allerlei Hochach— 


geworben, 





tung! Sie hat mich matt gemacht, 


'troßdem fie wufste, dafs du eben um 
ſie wirbit.* 


Mathilde fafste meine 
beiden Hände und rief mit funkeln— 
den Egeria-Augen: „Ich bin glüdlich 
weil ein Schimmer Ihres 
Ruhmes auch auf mich fiel, weil Sie 
nich auszeichneten. Möge der Schmerz 
Sie zu ftrengerer Arbeit und zu noch 
größerem Ruhme führen.“ 

Auch Albert murmelte etwas von 
fleigig arbeiten, dann ſahen mich beide 
ungeduldig an. Ich verjtand fie und 


gieng. Am nächſten Morgen mußſste 
ih Sie, lieber Profeffor, zu mir 
bitten, 


Ja, und diefen Freund und diefer 
Freundin habe ich nichts zu verma— 
hen, nicht ein Streihholz,, um die 
rofige Ampel ihres Sclafzimmers 
damit anzufteden, So Hinterlajje ic) 
denn den Albert der Mathilde und 
die Mathilde dem Albert. IH glaube 
nicht, dafs ich ungleich getheilt habe, 
einer iſt jo viel wert, wie der andere. 

Ihnen, mein lieber, guter Pro— 
feſſor, foll mein Schädel gehören, 
wenn er nicht mehr ſchmerzt. 

Diefen Brief werden Sie ver— 
brennen, wenn Sie feine ernjthaften 
Anordirungen ausgeführt haben. Dies 
ift mein allerlegter Wille, 

Ich wünjhe Ahnen Ruhe im 


Leben. Yın Tode erringt fie ein jeder. 


3 
Berlin, den 1. April 1885. 


RS 


Wie id dem Gern Verwalter "was gepfiffen hab’. 


Eine Erinnerung von P. R. Roſegger. 


N 
ArT%° 


ie 

Hl: diefer Zeit erinnern ſich die 
55 Steiter wieder einmal an Jakob 
2 Schmölzer, den fteirifchen Lieder- 

componiften, welcher vor fünf Jahren 

geftorben ift. Damals hat diejes Blatt 

etwelches von dem Künſtler erzählt Ich ſpreche aus perſönlicher Er— 

und heute iſt Gelegenheit, ihm noch! fahrung und mufs im die Zeit meines 


= rauſchte, und er eilte, um 
ein Gedenfblatt zu weihen. Handmwerferlebens zurüdgreifen. 


daraus zu jchöpfen. Und wenn der 
Brunnen Jogar einmal in feinem 
eigenen Haufe fprudelte, war ihm das 
umſo lieber. 


In Kindberg, wo Jakob Eduard Bor Tiebenundzwanzig Jahren 
Schmölzer viele Jahre lang gelebt, | war's, an einem ftillen Sommterabende. 
gewirkt, gelitten hat und geftorben ift, | Mein Meifter ftedte die Nadel ins 
wird ihm in diefen Tagen ein wenn! Kiffen und ſprach: „Laſſen wir’s gut 
auch nur bejcheidenes Denkmal gefeßt, | fein für heut und grüßen wir unfere 
welches die Steirer ihrem Liederfänger liebe Frau. Im der Kirche thun jie 
dankbar widmen. Diejes Denkmal ber | gerade Ave Maria läuten.“ 
fteht kurz angedeutet, aus einem Kopf— Alfo legte auch ich Loden umd 
bilde Schmölzers anf dem Sodel.| Nadel hin, wir falteten die Hände 
Darüber fteht ein Knabe („Kindberger | und beteten ftille: „Der Engel des 
Kindl*), welder, ein Notenblatt in | Herren brachte Maria die Botſchaft —“ 
der Hand, jingend dargeftellt iſt. Es Da gieng die Thür auf, ein 
wurde von Meifter Brandfteiter, dem | fremder Menſch trat in die dämmerige 
das Land ſchon fo viel Schönes ver- | Stube und fragte: „Sind da die 
dankt, in Stein gehauen, und foll auf) Schneider ?* 
dem Marktbrunnen zu Kindberg ftehen Wir unterbrahen das Gebet nicht 
als ein Zeichen, daſs das Volkslied der und gaben feine Antwort. Als die 
ewige Jungbrunnen aller Mufik ift. | Andacht vorüber war, fragte mein 

Aus Anlaſs der erhebenden Freier | Meifter: „Wer iſt's denn? Und was 
will ich die etwas drollige Gefchichte will Er denn von uns ?“ 
wieder erzählen, wie es Schmölzer| „Für den jungen Schneider habe 
anzugehen pflegte, Volkslieder und | ich eine Botſchaft“, ſagte der fremde 
Volksweiſen habhaft zu werden. Menſch, welcher ein Knecht des Bür— 
Nöthigenfalls war ihm keine Mühe ſcherwirtes aus Krieglach war. „Der 
zu groß, um derlei zu ſuchen und zu junge Schneider ſoll an einem näch— 
ſammeln, da wanderte er in die fern: ſten Sonntage nah Kindberg gehen 
ten Gräben, ftieg auf die Berge, | und ins Sclofs kommen.“ 
ſchlug ſich in die Wälder, fletterte zu „Ins Schloſs? Ja warum denn?“ 
Almen empor; feinem Ohre entgieng | fragte ich erichroden, denn jo viel ich 
es nicht, wenn irgendwo ein Jung- | von anderen wufste, war es nie ein 


909 


gutes Zeichen, wenn der Bauers— 
menſch ins Schloſs gerufen wird. 
Wir hatten die Zeiten der Hörigkeit 
noch wicht weit Hinter uns. Ins 
Schloſs — hinters Schloſs! Dod 
wufste ich mich nicht ſchuldig, ich 
war weder Raufbold, noch ein Wild— 
ſchütze, noch ein Nachtſchwärmer, ich 
hatte niemandem die Ehre abgeſchnitten, 
und folder Sünden wegen, deren ich 
nich ſchuldig wuſſte, wird niemand 
eingejpertt. 

„Kennft du jemand im Schloſs zu 
Kindberg?“ fragte mich mein Meifter. 

„Keinen Menſchen und feinen 
Ziegelftein, ich bin noch niemals dort 
geweſen.“ 

„Nachher möchte ich an deiner 
Stelle dem Schloſsherrn was pfeifen“, 
meinte der Meiſter. 

„Das könnt gefährlich jein“, war 
mein Bedenken, „Mufs verklagt wor- 
den fein, oder fo etwas. Ich fürchte 
nur eins.“ 

„Was fürchteſt du?“ fragte der 
Meilter. 

„Daſs ich dichten thu', wird aufs 
gelommen fein, und ich werde dafür 
Steuer zahlen müjjen.” 

„Babe ich nicht immer gejagt, 
deine dummen Reime bringen dich noch 
ins Unglück!“ rief der Meiſter. 

„In Gottesnamen!* feufzte ich. 
„Werden es ja jehen, was mir ges 
ſchieht.“ 

„Da wäre ich ſchon ſelber begierig“, 
meinte der Meiſter. „Kannſt gleich 
morgen gehen, wenn du Luſt haſt.“ 

Und am nächſten Tage auf dem 
Kirchplatze ward es mir neuerdings 
hinterbracht. Ich ſolle nur die Füße 
ausgreifen laſſen, nach Kindberg hin, 
bedeutete mir ein Bekannter, und auch 
den Kopf mitnehmen. 

Den Kopf? Meinen Kopf wollen 
ſie? Nein, tröſtete ich mich, einem 
Schneidergeſellen kann nichts geſchehen, 
es müſste denn fein, daſs er bös— 
artige Verſe machte und bisweilen auf 
die Herren ſtichelte. — Ganz fühlte 
ich mich nicht rein von Schuld, doc 


es — — — — 


rief ich die Schneidercourage an und 
machte mich auf den zwei Stunden 
langen Weg nach Kindberg. 

Das ſtaatliche Schloſs liegt auf 
der Anhöhe und leuchtet weit hinaus 
ins Thal. Ich ſtieg hinan und ſtand 
am Einfahrtsthore und im Hofe auf 
dem Steinpflafter eine Weile jo uns 
jiher und jo unfchlüffig umher, bis 
ein Vogt oder dergleihen fam und 
mich fragte, was ich wolle. 

„Nun war das hübſch. Ich wollte 
nicht3, aber von mir wollte man etwas, 
nur wufste ich nicht was und wer. 
Mehrere Leute kamen zufammen und 
riethen jo eine Meile Hin und ber, 
bis es plöglich einer alten Frau ein— 
fiel: „Das ift gewiſs der Schneider 
gefelle, den fich der Herr Verwalter 
beiteflt hat. Ein Wunderjchneider, 
der allerhand LiedIn machen kann. 
Kann Er das?“ 

„Wegen ein paar Liedeln werde 
ih noch nicht betteln gehen“, war 
meine Antwort, „die mach’ ich mir 
ſchon jelber.“ 

„Er iſt es!“ rief die Alte und 
führte mich eine Schmale Treppe hinauf 
in das Gebäude. 

Ein großes Zimmer mit vielen 
Gemälden, Notenheften und mit einem 
Klimperkaften. Ein ftaatlider Mann 
in granem grünausgejchlagenem Stei: 
reranzug. Das Haupt etwas vorgeneigt, 
von der Stirne waren die langen ſchon 
Ihimmeligen Haare nad rückwärts 
gekämmt, im breiten einäugigen Ges. 
jichte ein bufchiger grauer Schnurrbart. 

Das war der Mermalter des 
Schloſſes Oberkindberg, der fteiriiche 
Liedercomponitt Jafob Schmölzer. 
Ich erkannte ihn jogleih nad dem 
Bilde, das beim Wirte zu Krieglach 
bieng, wo oftmals Schmölzgers Lieder 
gejungen wurden. ch wunderte mich 
darüber, daſs berühmte Männer, Die 
ſchon im Stahlitihen an der Wand 
hängen, zu gleicher Zeit auch lebendig 
wie andere Menichen auf den Füßen 
ftehen können. 

Schmölzer trat auf mich zu und 


910 


als er erfahren, daſs es der ſchön— 
geiftige Schneider aus dem Gebirge 
jei, der vor ihm fand, jchüttelte er 
das Haupt und reichte mir die Dand. 

„Recht Schön, daſs Sie gelommen 
find. Nicht wahr, ſolche Bilder gibt 
e3 bei Ihnen im Alpel nicht ?" Das 
fagte er, weil meine Augen an den 
Mänden umherglotzten und die Ge- 
mälde und ihre ſchweren Goldrahmen 
anflarrten, 


„Iſt es wahr, daſs Sie Gedichte 
machen?“ fragte mich Schmölzer, nach: 
dem wir uns auf Stühle geſetzt 


ich verſchämt. 

„Da willen Sie wohl auch vet 
viele Bauernlieder, jo Geſangeln, wie 
fie die Burschen den Dirndln vorfingen, 
oder die Dirndeln den Burjchen, oder 
die Bäuerinnen beim Epinnen, oder 
bei Hochzeiten, Leichenbegängniſſen und 
zu verjchiedenen Feſten. Willen Sie 
ſolche?“ 

„Das ſchon!“ war meine Ant— 
wort. 

„Auch Schelmenſtückeln, vierzeilige, 
die recht hübſche Weiſen haben?“ 

„O ja“, ſagte ich. 

„Ei bitte“, ſprach der Herr Vers | 
walter, „fingen Sie mir etliche vor!“ 

Sch biidte ihm lange ins Geſicht. 
Doch ſeltſam, dajs ein Verwalter bittz | 
weite kommt! Und antwortete endlich: 
„Der Herr wird beim Unrechten fein. 
Der Schneider Lonis zu Fiſchbach 
fann Schön fingen. Ich kann Halt 
nicht.“ 

So möchte ih ihm die Liedlein 
wenigftiens vorjagen, wenn ich jo 
gut wäre! | 

„So gut bin ich gerne“, war mein | 
Beſcheid. 

„Na freilich“, lachte er, und hier— 
auf Hub ih an zu jagen und er zu 
Ichreiben. Uber es gieng arınjelig mit 
dem Dictieren; man weiß e3 ja, bei 
ſolchen Liedern Fällt einem der Text 
nur ein, wenn man ihn ſingt. Ich 


manchmal“, antwortete 








‚fingen, 
jedermann, wenn gefungen — gelungen 


muſste, um weiterzulommen, mir im— 
mer die Melodie vergegenmwärtigen 
und das konnte ich ohne Stimmittel 
nicht. 

„Vielleicht Haben Sie bei Ihrem 
Schulmeifter ein wenig Orgelfpielen 
gelernt”, meinte Schmölzer und ſchlug 
den Klimperfaften auf, „veriuchen Sie 
e3 bier, mir einige einfache Volks— 
weifen mitzutheilen,“ 

Halb zu Tode ſchämte ich mich, 
denn ich Hatte gar nichts gelernt von 
Musik, als Ohren aufmahen und zu— 
hören, wenn andere muficterten. Sch 
geitand ihm das und er entgegnete 
mir auf die Achjel Hopfend: „Junger 
Freund, zuhören können, das iſt auch 
etwas. Mer gut zuhört, iſt ein 
beiierer Mufifant als der, welder 
ſchlecht fpielt. — Ei der taujend, ich 
babe ja ganz darauf vergeſſen, daſs 
Sie durftig fein werben nad dem 
weiten Wege!" Gin Glas Bier lie 
er mir auftifchen. Und als ich mich 
gelabt Hatte, verjuchten wir es noch 
einmal mit den Liedern. Um den 
Tert zu finden, wiſperte ih fo ein 
wenig die Melodie vor mich Hin. 

„Was, Sie können pfeifen ?* rief 
Schmölzer, „das ift ja prädtig! So 
pfeifen Sie mir die Weilen vor.” 

„Pfeifen ift eine Kunft“, meinte 
id, „aber — “ 

„Run?“ 

„Ich muſs zu viel lachen dabei 
und da geht der Schnabel auseinan— 
der.” 

„Sie müfjen noch ein Glas Bier 
trinfen“, rieth er und ſchenkte ein. 
Und mit ſolchen Kunftftüden brachte 
er es richtig fo weit, dafs ich anhub, 
allerhand Volksweiſen zu pfeifen, ohne 
dafs dabei der Schnabel auseinander- 
gieng. Er ließ die Sachen ſich wieder 
holen und fchrieb die Vollsweifen in 
Noten auf Papier, dafs fie der Wind 
nicht vertragen fonnte. Endlich Hub 
ih, muthig geworden, gar an zu 
denn fingen kaun endlich 


it. Ih fang Lied um Lied, wie fie 


von meiner Mutter, von meinen Lehre 
meilter, von Liebesleuten und frommen 
EHriften gehört worden waren und 
Schmölzer jchrieb mit flinfer Hand 
die Zeichen auf. 

As ih mich mach einer guten 
Weile ausgepfiffen und ausgefungen 
hatte, jegte er fich zum Klimperkaſten 
und fagte: „Nun wollen wir einmal 
ſehen.“ 

Zu ſehen gab's nun zwar nichts, 
umſo mehr aber zu hören. Entzückt 
über die Maßen war ich, als meine 
einfältigen Bauernweiſen in herrlichen 
Klängen zu mir zurückkamen. 

Schmölzer ſelbſt ſchien hochbefrie— 
digt zu ſein. Als er die Lieder wie— 
derholt und in verſchiedenen Arten 
geſpielt hatte, ſtand er auf und ſagte: 
„Nun, mein Lieber, haben wir zu— 
ſammen etwas gemacht. Manchen Holz— 
hauer und Almer, manche Sennerin 
fange ich, wie ich ſie heute gefangen, 
und wenn die Herzen ſonſt nicht klingen 
wollen, ſo ſtoße ich mit einem Wein— 
oder Bierglaſe an dieſelben und ſie 
klingen ſicherlich. Alſo pflege ich die 
Volksweiſen zu ſammeln, aufzumerken, 
und dann in der Welt zu verbreiten. 
Sie werden dieſe Lieder bald von 


— 


Ihrem Krieglacher Geſangvereine hören. 
Horchen Sie nur recht wader umher 
bei den Bauern und wenn Sie wieder 
einen Buckelkorb voll neuer, oder viel— 
mehr alter Volksweiſen haben, dann 


fommen Sie wieder zu mir. Wir 
wollen miteinander gute Freunde 
bleiben,“ 


Bald darauf verabjchiedete ich mich 
von ihm und unterwegs nachhauſe mag 
ich wohl viel den Kopf gejchüttelt Haben 
über meine merkwürdige Sendung. 

Nahhanfe gekommen, wurde ich 
von aller Seiten befragt, was es 
dem gegeben habe auf dem Kindberger 
Schlofie? Ih machte mich wichtig 
und ſprach: „Da, Leute, das ift noch 
nicht dageweſen. Dem Herrn Ver— 
walter habe ich was gepfiffen !” 

Alſo machte ich vor fiebenundzwanzig 
Jahren die Bekanntſchaft mit dem 
Liedercomponiften Jakob Schmölzer. 
Mir Haben jpäter die Unterhaltung 
mit dem Pfeifen und Singen oft 
wiederholt und alfo war es mir gegönnt, 
ein bejcheidenes Theilchen beizutragen, 
um einen Schab von Sangweijen 
unferer Steirer zu heben, dem Lande 
zu erhalten und dem gefammten deuts 
Ihen Volke zu vermittelt. 


912 


Gewitteranaft. 


Eine Plauderei für die Sommerzeit. 


en 


a. großartigiten Natur-Er- 
Iheinungen, die den Sinnen 
des Sterblichen ſich offenbaren, 

bleiben faſt unbeadhtet und ohne 

Wirkung aus dem einzigen Grunde, 

weil fie alltäglich find. Wer zittert 

bei den Interfinfen der Sonne? Wer 
gerätb in VBerzüdung, wenn fie in 
jiegreicher Herrlichkeit auffteigt? Unter 

Sentimentalen nur die Sentimental- 

len, und dieſe laufen Gefahr, ſich 

damit lächerlich zu machen. Das müde 

Hinfinfen eines Theiles der Natur im 

Herbfte und das prangende Auferftehen 

desjelben im Frühlinge richtet im 

menschlichen Gemüthe ſchon eine größere 

Dewegung an. Dieje Erjcheinungen 

rechtfertigen bisweilen ſogar noch ein 

Bändchen Iyrifcher Gedichte. 

Nun gibt es Vorgänge, welche 
naturgemäß und unter gewifjen Bes 
dingungen vorausfichtlich immer wieder: 
tehren und troßdem doch fo viel Angit 
und Screden verurfahen. Denn jie 
treten unregelmäßig und im verſchie— 
denen unbejtimmbaren Formen auf, 
ihre Wirkungen Find im Verhältniſſe 
zu den vorgenannten unvergleichlich 
geringfügig, aber fie erzielen focale 
Effecte und erweden deshalb das Er- 
zittern der Herzen. Wir denken an 
die Gewitter in den Sommertagen. 
Der Wechjel der Tages und der 
Jahreszeiten im Jahreslauf wird un: 
endlich mehr lebenden Weſen, bejonders 
auh Menjchen gefährlich, als alle 
Gewitter desfelben Jahres zufanımen 


es werden fünnen, Der Maifroft einer | 
einzigen Nacht tödtet mehr, als aller, 





Hagel des darauffolgenden Sommers. 
Und anders: Im Brantweinraufche 
verunglüden jährlih mehr Leute, als 
unter Blitzſchlägen, und die unbewachte 
Siut der Tabakspfeife ftedt mehr 
Häufer in Brand, als das Feuer, 
welches vom Himmel fährt. Wer aber 
bangt vor einer Brantweinflafche, 
wer erblajät vor einer Tabakspfeife? 
Hat doch der Menſch das Bewufstjein, 
dajs er den Brantwein in die Gojie 
giegen, die Tabalspfeife hüten oder 
auslöjchen kann (wenn er eS gleich— 
wohl nicht tut), während er dem Ge— 
witter ganz ohnmächtig gegenüberfteht. 
Ferner der Effect eines Gemitters: 
das ſchwer miederjinfende, alles in 
Duntelheit hüllende Woltengewölbe ! 
Das unheimliche Saufen in den ſchein— 
bar noch todten Lüften! Das braufende 
Nahen des Sturmes, der Wolfen von 
Staub vor ſich Herfegt, Dachſchindeln 
bob über die Giebel der Häufer 
Ichleudert, Bäume wie Grashalme um— 
biegt und tnidt! Das Niederprafjeln 
des Hagels mit dem Aufjpringen der 
Cisjtüde, das Fliegen der Yaubfeßen, 
das Klirren der beritenden Fenſter— 
jcheiben! Der im mogenden Nebeln 
niedergießende Regen, weldher in we— 
nigen Minuten blühende Gärten in 
einem See verjentt, auf welchem 
Eismaſſen Schwimmen! Das donnernde 
Heranſchießen der Wildbähe, Schutt, 
Trümmer, Felsblöde mit ſich führend! 
Das ſchmetternde Niederzuden des 
Blitzes, der alle Augen blendet, alle 
Ohren zerreigt, alle Sinne betäubt ! 
— 63 ijt ein furchtbares Scaufpiel! 





) 


| 


913 


mwimmern die einen; es ift ein herr- | jcheiden ſind Wetterkreuze errichtet, 
liches Schaufpiel! fagen die anderen |das jind vier bis Fünf Meter Hohe 


entzüdt. Der leßteren find nicht allzu= 
viele. Ich kenne manchen, der das Bes 
trachten eines Gewitters angeblich als 
den größten Hochgenufs preist und doch 
blajs bis über die Lippen, ftarr und ban— 
gend den rajenden Gemwalten zufieht. — 
Gleichſam vierfpännig, mit dem fenri— 
gen Rappen der vier Elemente fährt 
das Gewitter heran; die Luft kann 
dir das Haus zerreigen, das Waſſer 
tann dich überſchwemmen, das Feuer 
kann dich tödten, die Erdlawine kann 
dich begraben. Doch es geht vorüber, 
dein Haus fteht und du lebſt. Kühl 
und rein ift die Luft, erfrifcht ift dein 
Mejen und alle Angft ift vergelien. 

Zu wundern ijt freilich nicht, wenn 
die Menjchen bei dem Herannahen 
jolder Natutgewalten unruhig werden, 
merft man ja jelbjt den Thieren eine 
außergewöhnliche Erregung an. Wins 
der, Schafe, Ziegen verlaflen ihre 
Weiden und trachten den Menfchen 
zu; ja jelbit Halbwilde Thiere, wie 
3. B. Vögel, Rebe, Hirſche verlieren 
ihre Furcht vor dem Menschen, wenn 
das Ungewitter heranrollt. Freilich 
liegt ſchon in der dem Gewitter vor- 
ausgehenden drüdenden Schwüle eine 
Urſache zur Bellenmung und Bangig: 
feit, melde von manchem Menſchen 
wie eine Vorahnung mahenden Une 
heiles empfunden wird. 

In fatholifhen Ländern fucht man 
den Unheile durch mancherlei außer— 
natürliche Mittel vorzubeugen. Wäh- 
rend der Hochſommermonate, jolange 
noch das Getreide unter freiem Him— 
mel steht, werden feine Tänze und 
jonftigen öffentlichen Luftbarleiten ab- 
gehalten, um den Himmel micht zu 
erzürnen, Erſt wenn die Früchte unter 
Dad und Fach find, mag's wieder 
losgehen. Auch ſoll in manchen Ge» 
genden um die Zeit der Dochgemitter 
niemand überjiedeln, weil in das Haus, 
in welchen der um ſolche Zeit Über— 
fiedelte ſich miederläjst, der Blitz ein» 
jchlägt. Auf Berghöhen und Waller: 


Bofegger’s „„Gejmgarten‘‘, 1%. Arft. XV, 


dachloſe Holzlreuze mit drei Quer— 
balten und den Leidenswerkzeugen 
Chriſti. Das Bild des Gefreuzigten 
jelbft ift nicht vorhanden. Dieje Wetter: 
freuze, welche kirchlich geweiht ſind, 
bejigen nach der Meinung mancher Leute 
die Kraft, die Herannahenden Gewitter 
aufzuhalten, dafs fie fi im Nachbars— 
thale entleeren follen. Jene Wetters 
löcher auf hohen Bergen, von denen 
man glaubt, daſs aus ihnen die Ge— 
witter hervorfteigen, können durch ge= 
weihte Weidenzweige, die man an 
ihrem Rande aufitedt, unſchädlich ge— 
macht werden, In manchen Dorfkirchen 
wird am Charjamstage eines jeden 
Jahres Feuer geweiht, glofende Kohlen, 
wovon die Bauer in Thongefäßen mit 
nahhaufe nehmen; diejes euer wird 
auf den Herd gethan und es foll den 
Sommer über nicht ausgehen, denn 
es jchüßt vor dem Einſchlagen, weil 
angenommen wird, daſs das heilige 
Teuer jenes unbeilige, welches aus 
den Lüften kommt, überwindet. 

Nebenbei bemerfe ih, daſs man 
auf dem Lande nur „vom Donner 
erichlagen” wird. Der Blik geht nad 
einer Volfsmeinung dem jchlagenden 
Donner um ein furze3 voraus, als 
himmliſches wohlmeinendes Zeichen, 
daſs man ſich mun auf den Tod vor— 
zubereiten Habe. Und thatſächlich be= 
freuzigen jich die Leute nad dent 
Bligfcheine, jagen: „Helf uns Gott!“ 
oder jonft einen frommen Spruch und 
erwarten dann oft in Zodesangit den 
Donner. Als ich einft in einer Bauern— 
gefellihaft zu erklären juchte, daſs 
nit der Donner, jondern mur der 
Blig tödten könne, ward ich ein „neu— 
modiſcher Schulfuchſer“ genannt, und 
ein Geiitlicher, dem ich das gelegent- 
lich erzählt, meinte, da ſei mir jchon 
recht geichehen, die schlichten Leute müſſe 
man bei ihrem alten Glauben laſſen, 
fie hätten jonft auch nichts Gutes auf 
der Welt. — Darauf Habe ich wohl 
tiefbeſchämt geſchwiegen. 

58 


914 


Wenn das Gewitter naht, gipt | Sara zu machen. Es wären zahl» 
e3 im fchlichten Volke weitere Mittel |lofe Sitten und Gebräude, die in 
dagegen. unferem Gebirgsvolke bei Gewittern 

Auf Thürmen von manchen Kirchen | üblich find, anzuführen, es ift aber 
und Sapellen werden MWettergloden |nicht viel Erbauliches dabei, mandes 
geläutet; in vielen Gegenden werden bei iſt jo lächerlih und unfinnig, daſs 
nabendem Gewitter Pöller abgeſchoſſen, es auch als Angjtvertreiber nicht ge= 
au im Freien oder auf SKochherden | rechtfertigt werden fan, denn der 
euer angezündet aus geweihteın Holze, | Aberglauben, als ob man mit derlei 
deffen in die Lüfte fteigender Rauch die | den Willen Gottes ändern oder jeine 
drohenden Wolken ohnmächtig machen | Kraft bredden könne, iſt eine mahre 
fol. Gewiſſe heilkräftige Kräuter | Gottesläfterung. Die Anſicht, als ob 
werden mit unfinnigen Beſchwörungs- |der böſe Feind die Herrjchaft führe 
formeln ins Feuer geworfen, um das | mitten in der Ehöpfung des all- 
Gewitter, falls es von böfen Mächten | mächtigen und gütigen Gottes, iſt im 
erzeugt ift, unſchädlich zu machen. | wahren Sinne des Wortes irrgläubig. 
So weit bat der Aberglauben die Solche althergebradhte thörichte 
die Leute gebracht, das fie die Macht | Mittel und Anwendungen gegen das 
des Teufels für mächtiger halten, als ®ewitter, ſelbſt wenn fie ſich relis 
die Macht Gottes, dajs ſie wähnen, | giöfen Anjtrich geben, jollten jo lange 
Gott mit Hokuspokus zubilfe kommen | und jo fcharf verjpottet werden, bis 
zu müfjen, wenn er über den Böfen | man fich derfelben ſchämt. Wen jenes 
jofl jiegen können, Manche Hausfran | alte Weib die leere Weihwafjerflaiche 
will bei nahendem Gewitter mit dem auf eine fange Stange ſtülpte und jich 
Gruzifir oder mit Heiligenbildern ins | dadurch gefeit glaubte, jo ijt das nicht 
Freie, um unter gemurmelten Gebeten | weiter der Rede wert; wenn aber 
das heranfahrende Gewölle zu be= [nachher der Mepner kam und fagte: 
freuzigen und zu beſchwören. Es gibt | „DO einfältiges Weib, was müßt Die 
auch beiondere Zeichen md Bewe- |leere Weihwaſſerflaſche! Mit dem 
gungen, die im die Lüfte hingemacht Weihwaſſer ſelbſt mufst du die böjen 
werden, All dieje und andere Dinge | Geifter der Lüfte vertreiben!“ — jo 
erreichen thatjächlich ihren Zwed, wenn |ift das wohl der Rede wert und möchte 
fie imftande find die Angſt zu mins ich vor allem ein Weihwafjer und 
dern und die Zuverſicht zu weden. einen Sprengwedel Haben, mit dem 
In vielen Häufern pflegt man ſich man den Wehner ſelbſt verjagen 
bei drohendem Gewitter in der Stube könute! — In den. Lüften gibt es 
zu verſammeln, an den Tiſch zu knien | feine böfen Geifter, jolche gibt es nur 
und gemeinfam die Litanei von den in abergläubiichen, rohen, übelgefinn- 
Heiligen Gottes und Gebete zum heis | ten Menjchenherzen. In den Lüften, 
ligen „Wetterpatron“ Tonatus zu und wenn daſelbſt Eis und euer 
iprehen. Dabei brennt eine geweihte | niederpraffelt, Herrjcht der Geiſt des 
Wachskerze aus irgend einem Waltz | Herrn, der nicht wie ein Fetiſch be= 
fahrtsorte; aber die Leute hören unter! handelt fein will, jondern als der 
dem Braufen des Gemitters oft ihre ewige Gott, in deſſen Willen der 
eigenen Worte nicht. Fallen Schlogen, Menſch fih demuthsvoll ergeben joll. 
fo werden einzelne Körner unterfucht, MWeltlicher gefinnte Menjchen tra: 
ob nicht Menſchenhaare in denjelben | ten dem Gewitter, befonders den Bliß- 
find; im diefem alle müjste das | jchlägen auf andere Art vorzubeugen. 
Hagelforn mitſammt dem Haar raſch | Sie löfchen auf dem Herde das euer, 
verbrannt werden, um das geherte/ weil gejagt worden ift, daſs der auf: 
Metter zu dämpfen und der Here den ſteigende Naud eine Blikitrake werden 








— 


könne. Sie verſammeln ſich in einer 
Stube, möglichſt in der Mitte derſel— 
ben und von Schornſteinen entfernt, 
damit ein an dieſen und an der 
Wand niederfahrender Blitz fie nicht 
treffe. Die einen jagen, man müſſe 
die Fenſter geichloffen halten und feine 
Thür aufmahen, damit feine Zugluft 
al3 guter Elektricitätsleiter entitehe; 
die anderen meinen, man müſſe Fen— 
fter und Thüren offen laffen, damit 
im Falle eines Blitzſchlages die Er— 
ftidungsgefahr abgehalten, und den 
Halbbetäubten Möglichkeit geboten fei, 
hinauszukommen. Ich glaube, die Zug— 
luft ift zu vermeiden, ein Fenſter aber 
offen zu laſſen. Ein Bogel Strauß’: 
ſches Mittel iſt es, die Fenſterläden 
zu verjchließen oder ſich gar in den 
Kellern zu verfteden. Der Blitz flattert 
ja nicht wie eine Taube zum Fenſter 
herein, er nimmt feinen Meg von 
oben nach unten, von unten nach oben, 
jo daſs er den Keller jo gern aufjucht, 
als den Dachgiebel. Wehe aber dem, 
der bei einem plößlichen Brande im 
Keller fih befindet! — 

Ratdjam ift es, während eines 
Gewitters ih nicht unter die offene 
Hausthüre zu ftellen, oder in die Nähe 
von gießenden Dachrinnen; auch von 
Metallgegenftänden halte man fich fern. 
Der, den das Gemitter im Freien 
überrafcht, Hat auch mancherlei Maß— 
regeln gegen den Blitzſchlag gehört. 
Er möchte am liebſten nach Kräften 
laufen, um ein ſchützendes Obdach zu 
erreichen, allein das Laufen ſoll ja 
den Blitz anziehen! Irgendwo heißt 
es, nichts ſei gefährlicher, als auf 
freiem Felde der einzige hervorragende 
Körper zu ſein — alſo in den Wald! 
Anderswo wieder wird vor dem Walde 
gewarnt, nie ſolle man bei einem Ge— 
witter jich unter einen Baum ſtellen. 
Am gefährlichiten fei die Eiche, in 
Eichen ſchlage der Bli am liebſten. 
Wenn mich im Freien ein Gewitter 
überrafcht, jo pflege ich keinerlei Mög: 
lichkeiten zu erwägen, jondern meines 
Weges zu gehen, womöglich jo ruhig 








und forglos, als ob über mir die holde 
Sonne ftünde. Scleudert mich der 
Sturm zu Boden, jo ftche ich wieder 
auf; durdhmäfst mich der Regen bis 
auf die Haut, jo werde ich fpäter 
wieder troden, jehlägt mir der Hagel 
Beulen, jo werden fie wieder heil, und 
tödtet mich der Blitz, jo rechne ich 
mir das fürs Sterben an. 

Es ift der Bligableiter erfunden 
worden. Seine wohlthätige Wirkung iſt 
weder theoretiih noch erfahrungs- 
gemäß zu beftreiten, allein joweit hat 
er es noch nicht gebradt, daſs die 
Leugner feiner pojitiven Erfolge end- 
giltig gefchlagen wären. Nach meiner 
Meinung erfüllt der Blikableiter einen 
großen Theil feiner Aufgabe dadurch, 
daſs die Leute, die unter feinem 
Scepter wohnen, ſich für geichüßt 
halten. Denn diefes Sichfürgeſchützt— 
halten, die Schlichtung der Angſt, iſt 
Ihlieglih das Wichtigite, was wir 
unabänderlichen Naturgewalten gegen 
über zu erreiden haben. Die heiße 
Angjt bei jedem Gewitter durch ein 
ganzes Menjchenleben Hin iſt ja weit 
Ihlimmer als der Blitz, der einmal 
in das Dach führt. Vom Blitzſchlag 
bis zum Sünden und Brennen ift 
auch noch ein weiter Weg, von zehn 
Blisichlägen zündet kaum einer; und 
ebenjo felten wird vom in das Ge— 
bäude fahrenden Bliß ein Hausbe— 
wohner getödtet. Sicherer iſt es in 
einem Daufe, welches auf Felsgrund 
ſteht, als in einem auf feuchten leh— 
migem Boden. Zu warnen ift vor 
Heuhaufen und Heuhütten, ſolche 
ſcheinen vielleicht des davon aufſtei— 
genden Dunites wegen den Blik an— 
zuziehen. Verhältnismäßig ſicher vor 
dem Bligfchlage ift es auf jehr hohen 
Bergen, auf Gletſchern und auch in den 
Tiefen der Engthäler, die von fteil- 
anfteigenden Bergen begrenzt find. 
Noch Sicherer ift es in Eifenbahn- 
zügen; man bat wenige Beijpiele, 
daſs Eijenbahnreifende vom Blitz 
erichlagen wurden; ſelbſt wenn es 
in einen Zug einjchlägt, pflegt der 

58° 


016 





nichts wahrnimmt und nichts weiß. 
— Und diefer glühende Athen des 
Schöpfers ift allzeit über und. Der 
Blitz iſt faſt die einzige vernichtende 
hohen Bäumen ſteht, obzwar ich ein-| Kraft, vor welcher der Menſch abſolut 
nal geſehen Habe, wie der Blitz unter machtlos daſteht, da kann er nichts 


Schlag, ohne zu ſchaden, abgeleitet 
einem hohen Fichtenbaum, ohne EN und lindern, nichts abſchwä— 


zu werden. 
Ih fühle mich am beruhigtiten 
in einem Daufe, das in der Nähe von 


zu berühren, im eine niedrige Hütte) den und binausschieben; er kann 
Ihlug. Erfahrungsgemäß ſchlägt der|diefer Gefahr weder entgegengehen 
Big z. B. viel öfter in den Schaft noch ausweichen, er ift ihr unbedingt 
eines Baumes, als in den MWipfel. | unterworfen. 
Und es ſchlägt in den Kirchthurm Ich ſchließe mit der Meinung : 
faum jo oft ein als in Häuſer, die die Angft vor dem Blike fteht in 
ringsum ſtehen, aber die Vorftellung, ! keinem Berhältniffe zum Unheil, das 
dafs ſolch Hochragende Gegenftände, |er anrichtet. Wenn uns auch gefagt 
befonders der Blißableiter, fir niedri= | wird, dajs die Blitzſchläge ſich von 
gere eine ſchützende Wirkung haben, | Jahr zu Jahr mehren, jo fönnen wir 
joll nur in Gottesnamen gepflegt wer- getroft darauf antworten: das ift nicht 
den. Der Menſch ift ja zu verzagt, erwieſen, früher Hat man die Fälle 
wenn er gar nichts weiß, was ihn von | eben nicht jo aufmerkjam verbucht und 
dem blinden Zufalle oder dem Straf- | allgemein befanıt gemacht, als es 
gerichte eines Bligichlages ſchützen kann. heute durch die Zeitungen gejchieht. 
Der leidlofe Tod eines vom Blitze Diefe Zeitungen mit ihrer vollgerüt- 
Erſchlagenen ift Freilich nur ein ge- telten Unglüds » Chronik, die fie uns 
ringer Troſt; ja die Plößlichkeit des» | Tag für Tag vorjegen, könnten that= 
jelben vermehrt nur noch unjere Angft | Fächlih in uns den Glauben an die 
umd macht jeden Augenblid unheim= | gute alte Zeit beftärfen, im welcher 
lich, den wir in Gewitterluft verleben. | man „derlei nicht gehört“. In ges 
Mir können es zwar micht willen, witterſchweren Tagen ift der Himmel 
wie es einem vom Blie Getroffenen zu aller Zeit erfüllt gewejen von 
im Augenblide des Sterbens zumuthe fliegenden Flammen, jo zahllos wie 
ist, denn ſelbſt die plauderhafteften | die Yeuchtwürmer auf Erden; zu allen 
Leute bewahren, wenn fie todt find, ; Zeiten jind die Blitze wagreht und 
die Geheimnijje der Natur. So viel! jenkreht gegangen ; und wenn in volk— 
uns aber folche zu jagen willen, die) veihen Städten heute ein Menſch ge= 
ans der Betäubung des Schlages wie | troffen wird, wo früher nur ein Baum 
der erwachten, ijt es ein urplößliches | geitanden, jo Fährt der Blitz draußen 
Verlöſchen des Bewuſstſeins. Die Ge- | auf dem Lande jebt vielleicht in ein 
troffenen erinnern Sich nicht einmal, | wildes Geftrüppe, wo einft eine Menz 
den Schein des Blitzes gefehen zu Haben, | [henwohnung geweſen, jetzt aber feine 
noch viel weniger fönnen jie den Ge- Seele mehr vorhanden ift, So gleiht 
danlen ans Sterben gefaßt haben. Ihre ſich's aus. Im ganzen find von 
unangenehmen Empfindungen verichies | Hunderttaufend Menjchenleben, die täg- 
dener Art gehen erft in dem Augen lich vergehen, kaum zehn, welche ver— 
blide an, da fie dem Leben wieder | zehrt werden, wenn Feuer vom Himmel 
gegeben find. Dem Menfchen kann's | fällt. 
paflieren, dafs er fi achtzig Jahre | Das rollende Rad der Majchine 
lang dor dem Sterben fürchtet, und, ‚ift dem Menjchen gefährliher ala der 
ihlieglih ſtirbt er gar nicht. Das | Big; das vom Erdenſohn erfundene 
beißt, er wird durch Gottes Gnade jo Feuerrohr foftet unvergleihlih mehr 
plöglich ausgeblajen, dajs er von allem | Leben als der Blitz; die menjchlichen 











917 


Lüfte und Leidenschaften fordern un» 
endlich mehr Opfer, als der Blitz, 


warum jenen fröhnen und vor diejem 
beben! Man Hat in der angeblich jo 
lichtfreundlichen Gegenwart verlernt, 


zu den Sternen aufzubliden und be» 


gnügt ſich mit dem Fünklein im Staube, 
nur zu dem effect 


Gold genannt; 


volleren Himmelsliht, dem Blitze, 
zudt das Auge noch ſchaudernd auf. 
Marum Shaudernd? Warum nicht an— 
betend ? — Menn Gott dur das 
finftere Gewölke feinen Leuchtipan 
niederhält, thut er es denn, um Die 
Menſchen zu erichreden? Nein, jondern 
um fie zu juchen. R. 











Dom Sittenridter unferes Herzens. 
Eine Betradtung. 


ar 
X uf die Gefahr hin, dajs nicht 
"ugp jeter gerne daran erinnert 
7 fein mag, meijen wir die 
Aufmerkjamfeit des freundlichen Les 
ſers (demm gerade diejer wird feine 
Urſache Haben, ih in die Büjche zu 
ſchlagen) auf eine Rede, die Profeſſor 
G. Rümelin in der „Deutfchen Runde 
ſchau“ (Mai 1891) abdruden lien. 
Es ift eine Abhandlung über die 
Lehre vom Gewiſſen. Derjelben ent— 
nehmen wir bier jenen Theil, der 
weniger philofophifch und mehr prak— 
tisch gehalten ijt und der im ſich fo 
manches gute Wort enthält, welches 
wert fein dürfte, auch in moeiteren 
Kreifen gemerkt zu werden. Denn in 


unferer Zeit wird auch der Laie nicht 


jelten eingeladen, ſich an ethiſch— 
philofophifchen Fragen zu betheiligen 
und aud der Laie zeigt immer mehr 
Intereſſe an 
Vorgängen der menschlichen Seele, in 
welcher Glüd und Unglüd teimt. 

Wir treten ein, wo Rümelin jagt: 

Alle Menfchen kennen den Unter— 
jchied von Gut und Böfe und fühlen 
ſich durch allgemein giltige Normen 
verpflichtet. Aber dieſe Normen ſelbſt 
fönnen außerordentlich verjchieden jein 
und Find es thatſächlich, nach der 
Bildungsitufe von Zeitalter, Volt und 
Individualität, 


dem Wejen und dei | 


Demnach müſſen wir jagen, dajs 
nicht nur alle Menſchen überhaupt 
ein Gewiſſen, ſondern dafs fie inſo— 
fern auch das gleihe Gewiſſen haben, 
als deſſen einfache Grumdfunction zu 
prüfen, ob unjere Handlungen mit 
den von uns als bindend anerfannten 
Normen, wie diejelben um auch lauten 
mögen, übereinitimmen oder nicht, ſo— 
nit dies entjcheidende Ja und Nein für 
alle dasjelbe bleibt und nur dem einen 
Gewiſſen ftärfere Verſuchungen und ges 
tingere Beihilfe aus jonftigen Facto— 
ren geboten jein fönnen, al3 dem an— 
deren. 

Sch verfuche noch von den gleichen 
Borausjegungen aus, wenn aud nur 
in flüchtiger Andeutung, die Fragen 
zu berühren, die über den pſychologi— 
ihen Standpunkt hinauszuſtreifen 
‚feinen, ob und wie die fittliche 
und die religiöie Anlage zuſammen— 
hängen, ob und wie insbeſondere ge— 
tade das Gewiſſen als eine Stimme 
und Offenbarung Gottes bezeichnet 
werden famı. 

Daſs etwas, was irren kann und 
thatſächlich in zahllofen Fällen irrt, 
fih nicht das Anjehen einer gött- 
lichen Beglaubigung beilegen kann, 
ift von ſelbſt einleuchtend. Ebenſo 
wenig wird die Erfahrung zu beftrei- 
‚ten fein, dafs thatfjählih und Häufig 








918 


mit einer jehr Schwachen Empfäng- 
lichkeit für reliöfe Gefühle ein recht: 
Ichaffener Wandel, eine edle und ges 
wiſſenhafte jittliche Yebensführung ver— 
bunden erjcheint, und daſs anderers 
jeit3 auch die ausgeſprochenſte Erreg— 
barkeit für Eindrüde religiöjer Art 
feineswegs eine Jihere Bürgfchaft auch 
gegen grobe ſittliche Berfehlungen 
bietet. 

Gleichwohl ift das Verlangen des 
Menjchengeiftes nach einer Einheit 
jeines gefammten Denkens und Lebens 
ftart und mädhtig genug, um den 
Gedanken nicht zu ertragen, daſs die 
Erzeugniſſe der höchſten menſchlichen 
Triebe und Kräfte, daſs die Ideen 
des Wahren, Schönen, Guten, der 
Gottergemeinfhaft, je in ifolixte 
Spipen neben und auseinander aus— 
laufen, ohne dafs auch lie noch irgend 
ein höheres Band unter ſich verfnüpfte. 
Wer num aber in der Idee des Guten, 
in dem Gefühl der Gebumdenheit an 
unbedingt wertvolle und verpflichtende 
Ziele und Normen unferes Willens 
den höchſten Maßſtab menschlichen 
Werts oder Unwerts, die Beglaubi- 
gung unferer wahren VBeltimmung 
erkennt, dem wird jih die Schlujs- 
folgerung nahe legen, dafs die ſitt— 
liche Ordnung, die für die Vernunft— 
wejen unferes Planeten gilt, ein 
Glied und Beltandtheil des allgemei« 
nen Weltplaus fein, in den Gedanken 
und Zwecken der Gottheit ihre lebte 
uelle haben möge. Die Yolgerung 
ift nicht logisch zwingend, weil wir die- 
jen allgemeinen Weltplan nicht kennen 
und auf Unerfennbares keine Schlüjfe 
zuläfjig find; fie ift mehr eine Ahnung, 
ein Glaube, im logiichen Sinne eine 
Hypotheſe, die ich weder beweifen 
noch widerlegen läjst, aber für einen 
gegebenen Thatbeſtand eine Erklärung 
bietet, die wenigftens befriedigender 
it als jede andere, bon der wir 
willen. Die Neligionen aller Cultur— 
völler machen uun aber dieje Folge— 
rung gleih zu cinem laubensjaß 


und feiten Ausgangspunkt. Da ung; 








ein anderer Weg, eine Vorſtellung 
von der Gottheit auszubilden, nicht 
offen ſteht, als daj3 wir das, was 
wir an uns ſelbſt als das Höchſte 
und MWertvoflfte erkennen, ihr im 
idealer Vollendung beilegen, fo ftatten 
wir fie mit den potenzierten fittlichen 
Eigenfchaften der Weisheit, Gerech— 
tigfeit, Liebe, Heiligkeit aus und 
leiten alle jittlihen Forderungen bon 
ihrem Willen ab. Damit tritt aud 
dad Organ, das dieje fittlihen For— 
derungen erzeugt und vertritt, eben 
jener fittlihe Trieb, der angeborene 
Theil des Gewiſſens, im eine höhere 
Stellung, in eine engere Verbindung 
mit den religiöfen Anlagen ein, wie 
er nah der anderen Richtung Hin 
auch mit dem Sinn für Wahrheit 
ud Schönheit Fühlung ſuchen wird. 
Nur wird fich dabei die philojophiiche 
Betrachtung von dertheologischen immer 
darin unterscheiden, daſs jene von 
unten nach oben, von dem gegebenen 
fittlihen Berwufstfein auf einen Zu— 
jammenhang mit der allgemeinen Welt: 
ordnung und den Willen der Gottheit 
ſchließt, dieſe von oben nad unten 
die jittlihen Gefege als geoffenbarte 
Gebote Gottes verfündigt. 

Das Gewiſſen iſt ausjchlieglich 
nach innen gewendet; e3 dverfehrt nur 
mit feinem Inhaber; mit der Außen— 
welt hat es nichts zu ſchaffen; über 
fremde Dandlungsweife urtheilen wir 
nicht mit dem Gewiſſen, jondern mit 
dem PVerftand. Wir menden dabei 
zwar die gleichen Normen an, die 
wir für uns felbjt al3 verpflichtend 
erkennen, nur im der Regel Schärfer, 
mit weniger Nahfiht und Billigkeit 
als gegen uns felbft, weshalb ja Die 
jittlihe Meinung der Maſſen glüd- 
licherweife ſtels ftrenger und beſſer 
it, als fie jelder find. Sodann it 
das Gewillen darin auch etwas ganz 
Subjectives, dafs es gar nichts an— 
dere und weiteres erftrebt, al3 den 
inneren Frieden, die Harmonie uns 
ſeres Trieblebens; fein Trieb ſoll und 
kaun ausgerottet werden, feiner jo 


dominieren, daſs die anderen gar 
nicht mehr zum Wort fommen, Sein 
deal liegt in der individuellen ſitt— 
lihen Bollendung, in der höchſten 
Ausbildung der Perjöntichkeit. 

Nun gibt es eine höchſt achtens- 
werte, von hervorragenden Denkern 
vertretene Theorie, welche als oberites 
Moralprincip nur das Wirken für 
fremdes Wohl, die ſelbſtloſe Liebe 
gelten läjst. Die Bemühung um die 
eigene Wohlfahrt und Glüdjeligkeit 
jei zwar natürlich umd nicht zu ta= 
deln, aber auch nicht verdienftlich, 
nicht jittlih im engeren Sinne des 
Wortes. Prlihten gegen ſich ſelbſt 
gebe es nur infomweit, als fie be— 
zwecken, den Einzelnen tüchtig zu 
machen für ein gemeinſames Wirken. 

Ich kann in dieſer Auffaſſung 
nur eine, wenn auch beſtgemeinte 
Einſeitigkeit erblicen. Sie thut dem 
Grundprincipe des ſittlichen Triebes, 
eine Ordnung und Harmonie unſeres 
geſammten vielgeftaltigen Trieblebens 
zu Schaffen, Gewalt an, indem fie das 
Gefühl des Mohlwollens nicht blos 
zu einem Hochgiltigen Factor, jondern 
zum Alleinherrſcher macht, dem alles 
andere zu dienen bat. Ih jprad 
von einem Wusgleih der ſelbſti— 
ihen und gejellfchaftlichen Neigungen 
als einem der beiden Grumdpfeiler 
aller Sittlichkeit ; ich nannte es Aus— 
glei, nicht Naturordnung. Ich alaube 
mich dafür auf die höchſte aller Auto- 
ritäten berufen zu dürfen. Der Spruch 
Chriſti lautet: Liebe Gott und deinen 
Nächſten, wie dich ſelbſt, nicht: ftatt 
deiner jelbft; auch nicht: mehr als 
dich ſelbſt. Die Selbftliebe wird als 
das Natürlihe, das Unvermeidliche 


vorausgeſetzt. 
In der That führt jene Anſicht, 
wenn man vollen Ernſt mit ihr 


macht, zu ganz unhaltbaren Folge: 
rungen, 

Wenn die Glüdjeligkeit aller übri- 
gen Menjchen ein  vollberechtigter 
Selbftzwed ift, dem ich zu dienen 
habe, warum jollte nur meine eigene 


919 





eine Ausnahme, und zwar fo, daſs 
nur ih nicht darauf bedacht fein 
dürfte, wohl aber alle übrigen Mens 
jchen hiezu verpflichtet wären. Was 
müjste dabei Herausfommen, wenn 
jeder des anderen Gejchäfte betreiben, 
ihm die Güter und Genüſſe verichaf- 
fen und aufdringen jollte, auf die er 
jelbft zu dieſem Zwecke zu verzichten 
fih verbunden Halten müjste, wenu 
jeder das Seelenheil, die geiftige und 
jittlihe Bildung des Nebenmenjchen 
für die Hauptſache Halten, jeder jeden 
belehren und beflern wollte, ftatt vor 
allem vor der eigenen Thüre zu lehren. 

Die Sade ift damit freilich auf 
die Spibe getrieben und nicht jo 
ſchlimm gemeint, Das aber jcheint 
mir unzweifelhaft, das jich die ſitt— 
lihen Gebote feines im Bemühen um 
fremdes und gemeines Wohl erjchö- 
pfen. Sehr vieles, was jedermann zur 
Sittlichfeit rechnet, was von jedem fein 
jittliches Gefühl verlangt, hat feine 
oder nur jehr fernliegende Beziehungen 


zu den MNebenmenjchen. Schon die 
formellen Verbindungen aller Sitt— 
lichkeit, Selbſtbeherrſchung, Conſe— 


quenz, Beharrlichkeit, Geduld, Mäßig— 
keit, Beſonnenheit, noch mehr die Be— 
zwingung der Leidenjchaften und Be— 
gierden, die ganze inmere Zucht des 
jerfahrenen, unſteten, widerjpruchs= 
vollen Wollens, die gefammte Cha— 
rafterbildung, joll alles dies micht 
einen Wert in ſich ſelbſt Haben, jon- 
dern mur um des Nubens willen, 
den es für eim erfolgreiches Wirken 
zu freindem Glüd haben fann? Wenn 
die Wahrheit, die Weisheit und die 
Erkenntnis, wenn die Freude am 
Schönen in Natur und Kunſt zu den 
edelften umd menſchenwürdigſten Gü— 
tern gehören, kann fie jemand anders 
geniegen, al$ der, der fie für ich er- 
ftrebt und erwirbt, und joll ihr Wert 
jtets nur im Mittheilen und Weiter- 
geben beftehen ? Alles wahre religiöje 
Leben, der unmittelbare, andächtige 
Aufihwung der Seele zu Gott, wird 
und nıufs er nicht immer etwas Sub— 


92 


jectives, am Einzelnen Haftendes blei- | derjenige, der die fittlihe Durdbil- 
ben, wofür Mittheilung und Gemein: dung feiner Perjönlichfeit und feines 


Ihaft zwar förderlid, aber niemals 
bedingend und umerläfslich fein kann ? 
Sollte, um dies bei den Moraliften 
beliebte Beifpiel zu gebrauchen, ein 
Robinjon allein auf einer verlaffenen 
Inſel darum feine fittlihen Aufgaben 
mehr haben, weil er feinen Neben 
menschen Hat, das Heißt: ſollte er 


Charakters vor Augen ftellt, wenn fie 
verftändige Leute find, zu dem glei= 
hen Schluſsergebnis gelangen, dafs fie 
an dem beſtimmten Plaß, auf weichen 
ſie ſich geitellt finden, die Aufgaben, die 
ihr Tagewerk mit fih führt, gewiſſen— 
haft und mit dem ganzen Aufwand 
ihrer Kräfte zu vollbringen haben. 


aufhören ein Menjch zu fein? Es iſt In dem Gefühl der Pflichten, die 


aber gar nicht einmal möthig, zu jo 
vereinzelten und abnormen Fällen zu 
greifen. Es ſind allezeit Hundert: 
taufende und Millionen in der Ge- 
ſellſchaft, für welche das Gebot, frem= 
des Wohl zu Fördern, feine oder nur 
jehr wenig praftifche Bedeutung haben 
fan. Es find alle Unmündigen, alle 
Kranken und Gebrechlichen, die von 





jedem wieder in bejonderer Geftalt 
nach Alter und Geſchlecht, nah Stand 
und Beruf, zuhauſe und nah augen 
vorgezeichnet find, verliert jich der 
Gegenſatz don Selbit- und Nädjften- 
liebe, der der Theorie jo viel Schwie- 
rigfeiten bereitet, 

Ich will mich auf ein Heines, aber 
nächitliegendes Yeifpiel berufen. Wenn 





fremder Hilfe leben, die Unzähligen, ich Hier eine Rede halte und bemüht 
die im Bann der Selbfterhaltung, im|bin, der Aufgabe nad Kräften gerecht 
harten Kampf ums Dafein gar nicht | zu werden, fo würde ich der Wahr: 


daran denken können, 
fremdes Wohl zu fördern. Müſste 
man denn schließlich nicht dazu ge— 
langen, zwei Sittengeſetze aufzuftellen, 
ein höheres und volles für die dur: 
bietenden, activen, nah Mitteln und 
Bildung bevorzugten Perſonen, ein 
niedrigere und halbes für die Em— 


pfangenden, die Yeidenden, die feine! 


auch noch | heit nicht die Ehre geben, wenn ich 


jagen wollte, dafs die Liebe zu mei— 
nen Zuhörern oder Zuhörerinnen, oder 
die Meinung und Abjicht, ihre Bil— 
dung zu fördern, einen erheblichen 
Antheil an meinen Motiven habe. Aber 
noch viel weniger treibt nich die Selbit- 
liebe dazu; ich fühle es als eine Be- 
läftigung, von der ich gerne enthoben 


jelbftlofe Liebe zu bethätigen ver= | wäre. Ich thue einfach, was mir ob» 


mögen ? 


Allein die Sache näher angejeben, | Und wenn 
will mir dies alles doch mehr nur fragen wollte: 


wie ein Gegenjag von Schulmeinuns 
gen erjcheinen, welche für die Praris 
des Lebens faum in Betracht fommen. 
Ob der Einzelne feine eigene Vervoll— 
kommnung, die Fittlihe Arbeit an ſich 


ltegt und thue e3 jo gut ich kann. 
man dann auch noch 
warum erfüllt Du 
deine Prlicht, jo müfste ich antwor— 


‚ten: abjehend von äußeren Motiven, 
| weil ich ſonſt mir Vorwürfe zu machen 


hätte und unbefriedigt wäre. Und 
wenn man dann immer noch weiter 


jelbjt oder die Förderung feine: Näche | fragte: warum musst und willit du 
ften und des Gemeinwohls zum Leit- denn aber befriedigt fein, fo gibt es 
ftern für fein Wollen und Handeln | meines Erachtens feine andere Ant» 
erhebt, das mag für die Theorie recht | wort mehr als etwa die ganz allge= 
weit auseinanderrüden und wie ein) meine: jedes bejeelte Wefen, es mag 
nnausgleihbarer Dualismus erſchei- wollen oder micht, wird und muſs 
nen, im der Wirklichfeit werden jo= | nad Befriedigung, nah Stillung der 
wohl derjenige, der ſich morgens beim | Strebungen trachten, Die im jeine 
Erwachen fragt, was fanın ich Heute! Natur gelegt find, und diejenigen, die 
für fremde Wohlfahrt leiſten, wie auch das noch Egoismus und Eudäs 





monigmus nennen, die willen entweder 
überhaupt nicht mehr, dafs fie ſich noch 
flüger, jittlich ftrenger und conſequen— 
ter vorkommen als andere Menfchen» 
finder. 

Das ift das Bedeutende und Ent- 
ſcheidende in dem Begriffe der Pflicht, 
daſs er alle anderen Motive in ſich 
auflöst. Die Frage, warum erfüllt 
du deine Pflicht, Stellen wir micht 
mehr; wir bedürfen umd wiſſen feine 
Antwort darauf. Es ift dies der ein— 
jige vernünftige Sinn des ſonſt 
anfehtbaren und miſsverſtändlichen 
Satzes, man müſſe das Gute um des 
Guten willen thun. Es ift wohl aud 
das, was Haut mit der Verwerfung 
jedes Motiv der Glüdjeligfeit ge= 
meint haben kann, nur dafs er ohne 
Noth zu einer unhaltbaren Polemik 
gegen die jittlihe Berechtigung aller 
der Momente fortjchritt, auf welchen 
ſich der fachliche Inhalt unferer Pflich» 
ten im bejonderen allein aufbauen 
läfst. 

Die gejellihaftlihe Sitte und 
Ordnung weist jedem begrenzte reife 
von Thätigkeiten, beſtimmte Ziele und 
Tagewerfe zu, der Jugend, die fich 
für die Aufgaben der Zukunft tüchtig 
zu machen, und dem Manıe, der 
jeinem Erwerb nachzugehen hat, der 
Hausfrau, den Eltern, Kindern, Ge— 
ihwiftern, dem Bürger in Gemeinde 
und Staat, dem öffentlichen Diener, 
dem Gelehrten und SKünftler, den 
Herrfchenden und den Dienenden. Sie 
wiljen in der Regel nicht und brauchen 
ſich nicht darüber zu befinnen, ob jie 
dies um ihret- oder um anderer willen 
thun; faſt in allen Fällen wird beides 
nebeneinander plaßfinden. Im Ein- 
zelnen und in der Ausführung behält 
dabei Selbitjuht und Nächitenliebe 
den mweitelten Spielraum, aber Recht 
und Sitte feßen der Willfür die 
nothwendigen Schranken, noc engere 
das natürliche jittliche Gefühl, deſſen 
Organ das Gewiſſen ift. Es gibt je- 
doc auch neben der Pflicht noch etwas, 
das außerhalb des Gegenfaßes von 


Egoismus und Nächitenliebe fteht und 
zu dem bejten gehört, was dem Men— 
ſchen bejchieden iſt: es ift die ſelbſt— 
vergejjende Verſenkung des Geiftes in 
die Objecte jeiner Thätigfeit. Alle die 
großen Geijter, au deren Werfen wir 
uns erfreuen und bilden, die Deuter 
und Dichter, die Künſtler, Erfinder 
und Entdeder hatten Feine Pflicht, 
originell und ſchöpferiſch zu fein; fie 
thaten es micht um anderer und nicht 
wm ihres Vortheiles willen, oft genug 
mit Aufopferung ihres Lebensglüdes, 
aber fie folgten einem unwiderſteh— 
lihen Drang ihres Genius; der innere 
Gehalt deijen, was fie fuchten, zog 
fie an und ließ fie nicht mehr los. 
Dabei konnten immerhin noch Die 
Nebenmotive des Verlangen nad 
Beifall, Ehre, Ruhm, auch nah Er— 
werb einigen Antheil haben. Objchon 
in ſchwächerem Mage, gilt das auch 
für die mittleren und kleineren Geifter ; 
und die jelbftlofe Vertiefung in das 
Object der geiltigen Arbeit, die reine 
Hingabe an den Wert der Sade, die 
ih im Heinen als cin ahnungsvolles 
Borbild höherer Dajeinsforımen einem 
bewussten Aufgehen im Weltganzen 
vergleichen läjst, gehört zu den glüd- 
lichjten Momenten, zu den Höhepunk— 
ten des Menjchenlebens. 

Es Hat fih ſchließlich für unfere 
Beratung der Begriff der Pflicht 
dem Gewifjen jo an die Seite geitellt, 
dafs die beiden Sprüche: Folge dei— 
nem Gewiflen und erfülle deine Pflicht, 
ganz das Gleiche zu befagen jcheinen. 
Es wird auch in den allermeilten 
Fällen in der That fo fein, dais der 
Zeiger des Gewiſſens und des Pflicht: 
gefühls genau auf den gleihen Punkt 
hindeuten. Aber dennoch können fie 
auch auseinandertreten. Die Pflicht iſt 
concret und fachlich beſtimmt, ſehr oft 
auch äußerlich bindend. Das Gewiſſen, 
ein innerer Drang aus idealen Wur— 
zeln jproffend, übt feine Functionen 
frei von Fall zu Fall. Die Prlicht 
kann auch zweifelhaft werden; es 
treten Eollifionen verſchiedener Pflich— 


09292 
a —— 


ten ein. Für ihre Löſung kann es 
feine allgemeinen Regeln geben, jo 
wenig al$ es Theorien gibt, um 
Räthſel oder verichlungene Knoten 
aufzulöjen. Jeder Fall ift ein indi— 
vidueller, und die Caſuiſtik pflegt 
ſtets nur Beifpiele zu behandeln, die 
jih nicht gemeralifieren laſſen. Die 
beite Entjcheidung muſs immer beim 
Gewifjen ſtehen oder genauer durch 
die vom fittlihen Gefühl geleitete und 
controlierte Vernunft erfolgen. Das 
Gewiſſen ift in diefem Sinne jchon die 
Magnetnadel der Sittlichleit genannt 
worden. 

Ih glaube mich hiefür wie für 
einige Hauptpunkte meiner ganzen 
Ausführung auf eine in meinen Augen 
auch in diefer Richtung große Autor 
rität berufen zu können. 

Der deutiche Dichter, deſſen Wer— 
fen tiefere Einblide in die Geheim: | 
niſſe der Menjchenfeele zu entnehmen 
find als allen Hand» und Lehrbücdern 
der Pſychologie zujammen, Hat in 
hohen Jahren, im charakteriftifchen 
Stil jeines Alters, die Summe jeiner 
Vebensweisheit in einem denkwürdi— 
gen Lehrgedicht, das den Titel „Ver: 
mächtnis“ Führt, in gedrängten Wor« 


ten zuſammengeſetzt. Nachdem er von 
der Uniterblichleit der Seele und von 
dem reichen Schaf der bereits feit- 
ftehenden und nicht erft noch zu ſuchen— 
den Wahrheit geſprochen hat, Fährt 
er fort: 

Eofort nun wende did nadı innen, 

Das Gentrum findefl du da drinnen, 

Woran fein Edler yweifeln man. 

Wirft keine Regel da vermiiien ; 


Denn das ſelbſtändige Gewiſſen 
It Eonne deinem Zittentag. 


Er Sieht in dem Gewiſſen die Sonne, 
die auch in die dunkelſten Lebenspfade 
noch Helles Licht wirft, fügt aber das 
bedeutjame Beimort, „das jelbjtändige 
Gewiſſen“, Hinzu und fann darunter 
nichts anderes verftehen, al3 das von 
jeder äußeren Autorität, der weltlichen 
wie der geiltlihen unabhängige, nur 
dem reinen und unbeirrten jittlichen 
Gefühle folgende Gewiſſen. 

Un einem anderen Ort, in einer 
jeiner Spruchſammlungen, jagt Goethe 
in Frage und Antwort: „Wie kann 
man ich jelbft kennen lernen? Durch 
Betrachten niemals, aber durch Hans 
dein. Verſuche deine Pflicht zu thun 
und du weißt glei, was an dir ift. 
Was aber ift deine Pflicht? Die For— 
derung des Tages.“ 


[6 4 


Was man dor Beiten gerne las. 


Eine Studie zur Geihmads: und Bildungsgeihichte unferes Volles, 
Von Dr. Georg Bteinhaufen. *) 





icht alle Bücher, die gedrudt auch in jenen Zeiten nicht das Be— 
>>, werden, werden auch gelejen, | dürfnis geiftiger Unterhaltung. Das 
- und ganz gering iſt erit diellebendige Wort galt damals mehr 
Zahl derjenigen, die nicht nur gelefen, jal3 heute. Formelhaft und feierlich 
jondern auch gern, Häufig und alle |flingt die Rede und leicht haftet fie 
gemein gelefen werden. Sole Mode: im Gedächtnis. Heute liest der Deut: 
bücher Hat es zu allen Zeiten gegeben, ſche unendlich viel, aber das Gelefene 
foweit man wenigitens in diefen über- |derweht meiftens wie Spreu, und Die 
haupt von literariſcher Production | Augen werden noch dazu verdorben. 
reden kann. Sie ftellen aber feines | Damals vernahm man wenig, aber 
wegs immer die höchſten Schäße diefer !der Sang, die Sage, die Redtsformel, 
Production dar, fie fönnen uns mies |die man hörte, vergaß man nicht. 
mals den wahren Wert und Gehalt | Das niedere Voll Hört noch heute 
einer Literaturperiode veranſchaulichen. lieber, als dafs es liest; und im 
Wohl aber können fie uns über den Orient und im Süden Europas haben 
Geſchmack und die vorherrfchende Gei- die Erzähler noch immer ihr großes 
ſtesrichtung einer beftimmten Gene: |und aufmerfjames Publicum. So 
ration hinreichend Aufſchluſs geben. |war es auch einft vor Seiten bei 
Und es ift lehrreih und interefjant, |unferen Vorfahren. 
an dem geiltigen Unterhaltungsbedürf: Die Unkunde des Lejens dauerte 
nis vergangener Zeiten derartige Stus |in den größten reifen des Volkes 
dien zu machen. faft das ganze Mittelalter hindurch 
Das allgemeine und große Leje= fort. „Singen und Sagen”, das blieb 
bedürfnis unferer Zeiten freilich ift das Hauptmittel der Verbreitung ; wo 
der Vergangenheit, vor allem dem man heute jagen würde: „Sch Habe 
Mittelalter durhaus fremd, dem es gelejen“, da Hiej3 es damals: 
Mittelalter, indem alle geiftige Bil= | „Ich hörte das jagen.” 
dung einzig und allein von Geiſtlichen Aber ganz allgemein gilt Diele 
gepflegt wurde, die große Maſſe der | Erfcheinung doch nicht. Abgejehen von 
vornehmen wie der miederen Laien den Hauptträgern der Bildung, den 
aber nicht leſen und ſchreiben konnte |Geiftlihen, waren auch mande, na— 
und oft miſstraniſch a.'f- die krauſen | mentlich fürftliche Laien für jie em— 
Zeichen fehen mochte. Und doch fehlt pfänglich. Und der Laie, der die Klo— 








*) Unter diefem Titel brachte die ftei3 interefiante tägliche Rundihau in Berlin 
einen ganz vortreiflichen Auffag, dem Hier auszugsweije das Folgende entnommen ift. 
Tiefer Auszug bietet uns eine Ueberſicht über die Literatur der Bergangenheit des 
deutichen Boltes. 


924 


ſterſchule beſucht Hatte, mochte we— 
nigſtens nicht immer die mühſam 
erlernten Künſte des Leſens und: 
Schreibens raſch zu vergefjen beftrebt | 
jein. 
bon einer a. Lectüre 
im Mittelalter ſprechen. 

Das Grundprinzip der mittelal— 
terlichen Weltanſchauung, war die 
Weltentſagung. Den Außerungen 
der Weltluſt ſollte vor allem der Geiſt— 
liche feindlich geſinnt fein, daher 
auch der weltlichen Literatur. Ein fo 
geiſtlich geſinnter Mann, wie der Kai— 
fer Ludwig der Fromme, wollte, wie 
jein Biograph erzählt, die alten Volks— 
gejänge, für die fein Vater doch In— 
tereile gehabt hatte, weder hören noch 
leſen. Hauptſächlich galt der Kirche 
aber die antite Literatur als ein zu 
befämpfendes Ubel. Sie zog, wo jie 
tonnte, gegen fie zu Felde, und wollte 
fie höchſtens dulden, Sprachkenntnis 
und Formgefühl daran zu fehlen. 
So btieb denn die Lectüre der Geiſt— 
lichen vor allem auf die Werfe geiſt— 
lihen Inhalts gerichtet. Aber die 
lateinijchen Autoren, an denen der 
Kloſterſchüler die lateinische Sprache 
erlernte, oder die der Mönch in der 
Zelle lat, wirkten doch auch weiter, 
als durch ihre Form. Man warnt 
zwar vor ihnen, wie zum Beifpiel 
Roter von St. Gallen den jungen 
Salomo, den jpäteren Biſchof von 
Konftanz, von den unnützen heidni— 
ſchen Scrifftellen zu den Werken 
des Glaubens hinweist; aber die na— 
türliche Freude an dem verbotenen 
Inhalt ließ ſich doch nicht ganz zu— 
rückdrängen. So mochte mancher Geiſt— 
liche ſich mit Genuſs der Lectüre der 
alten Heiden hingeben, mochte er auch 
ſpäter darüber Gewiſſensbiſſe em— 
pfinden. 

Am angeſehenſten aber und am 
meiſten geleſen war das ganze Mittel: 
alter hindurch Virgilins. Die Schön« 
heit feiner Aneis galt als vollendet ; 
um Seine Perſon bildete ſich fogar 
ein Sagenkreis, und der „Zauberer 





Inſofern läſst ſich auch ſchon 


Virgilius“ ſpielte im Mittelalter eine 
große Rolle. Oft eiferte man gegen 
dieſe Lectüre, aber ebenſo oft wurde 
fie begeiftert empfohlen. Freilich ver— 
anlafst ſolche Lieblingslectüre, wie 
gefagt, in der Regel Gewiſſensbiſſe. 
Der Mönch Ermanrid von Ellwangen, 
der den Birgil einmal unter das Kopf— 
tiſſen legte, hatte in diefer Nacht einen 
böjen Traum, in dem ihm der Teufel 
arg zuſetzte. 

Die Lectüre der Laien, 
welche lejen fonnten, richtete ſich na— 
turgemäß nad) derjenigen der Geilt: 
lichen. Die Zahl diefer Laien war 
freilih nicht allzu groß. Es wird 
ſchon als etwas Beſonderes angejehen, 
wenn ſolche Kenntnis von Kaiſern, 
wie von Heinrich IL. und Heinrich IV. 
berichtet wird, Das Lejen war auch 
für Ddiefe Bevorzugten immer noch 
eine Arbeit. Man liest nicht raſch, 
wie wir, fondern langfam und in 
der Regel laut. „Sie liest did mit 
ihrem rothen Mund“, heißt es jehr 
harakteriftiih im einem Liebesbrief 
des vierzehnten Jahrhunderte. Im 
jpäteren Mittelalter nimmt die Zahl 
der lejenden Laien immer zu. 

Bon einem allgemeinen Lejes 
bedürfnis läſst ſich aber doch 
im Mittelalter nicht reden: erſt mit 
dem Ausgang des 15. Jahrhunderts 
macht ſich ein ſolches bemerkbar. Zwei 
Momente ſind da weſentlich, einmal 
die ſeit dem 14. Jahrhundert immer 
größere Schulbildung, die mit 
dem kräftigen Aufſchwunge des Bür— 
gerthums Hand in Hand gieng, ſo— 
dann die Erfindung der Buch— 
druckerkunſt, die überhaupt erſt 
eine allgemeine Verbeitung des Leſe— 
ſtoffes ermöglichte. Es kam auch die 
Zeit des Humanismus, in der 
die autike Bildung, nen verjüngt, das 
Denten der Völker wirkfan zu beein— 
fluffen begann. 

Wenn man die Bücherproduction 
in der erften Zeit der Erfindung der 
Druckerkunſt muſtert, findet man zwar 
‚eine Reihe Glaflifer: aber weitaus 








025 


am meilten wurden Bibeln und 
tirchlich-theologiſche Shrif- 
ten, daneben Gebet- und Er: 
bauungsbüder für das Volk ge- 
drudt. Auf diefe Bücher war bei 
den im Grunde doch durchaus fromm— 
firhlichen Geifte jener Zeit zunächſt 
das allgemeine Bedürfnis gerichtet. 
Aber daſs naturgemäß die Unter: 
baltungslectüre nicht vernaächläſſigt 
wurde, zeigen die zjahlreihen Bolfö- 
büher, Liederjammlungen 
und Shmwänfe, die damals all 
gemein verbreitet waren. Am Aus— 
gange des Fünfzehnten Jahrhunderts 
wurde im deutjchen Volke ſchon recht 
viel gelefen. Aus den Niederlanden 
fonnte damals Johann Bufch berich- 
ten: „Die Vornehmen des Landes, 
das gemeine Volk, Männer und Frauen 
haben bier in umferer ganzen Gegend 
viele deutſche Bücher, worin fie lejen 
und ftudieren.“ 

Zur Unterhaltung la$ man na— 
mentlih ger die Volksbücher, 
in denen ja größtentheils Ddiejelben 
Stoffe verarbeitet jind, deren Vortrag 
Ihon im früheren Mittelalter die 
Dörer erfreute. Die asketiſchen Bücher 
eiferten jehr dagegen. In den „See 
fenführer“ Heißt es: „Alles Volk wil 
in yetziger Zit lefen und fchriben, 
und es iſt lobelich und geraten, wan 
es gute Bucher int, aber nicht lobe= 
ih, wan es jint böje, dy did an« 
reisen zur Wolluftigkeit und Unzucht. 
So ſint vile Maerebucher, dy ſolt 
du nit leſen.“ Und der „Seelentroſt“, 
ein geiſtliches Vollsbuch, ſagt: „Vyl 
lude ſint, die leſen werntliche Bücher 
und horen den zu (alſo man las auch 
noch vor) und verliefen all yr Arbeit, 
wan jie finden nit darin der Seelen 
Troft. Etliche Lude Iefent Bücher von 
Triftant, von Dietrih don Bern und 
den alten Reden, die der Werlde 
(Welt) dienten und nit Got.“ Sehr 
beliebte Volksbücher diefer Art find 
die Hiltorie vom Herzog Ernſt, Die 
Geſchichte von der Meerfee Melufine, 
von Triftan und Iſolde, von Griſel— 





dis, don dem fieben weiſen Meijtern 
und dem Wunjchhütlein des Fortu— 
natus. 

Außerordentlich gern las man in 
dieſer ſo ſehr auf Scherz und Spott 
gerichteten Zeit ſodann die komiſche 
Literatur, die Faſtnachtſcherze und 
die Schwänfe. Der „Eulenjpiegel” 
warweitaus das beliebtefte dieſer Bücher. 

Was aber in diejer Zeit bald am 
meiften gelefen wurde, das waren jene 
zahllofen fliegenden Blätter 
und die „Nenen Zeitungen“, 
die jeit ungefähr 1500 überall Hin 
verbreitet wurden. Einerſeits befries 
digen auch diefe das Unterhaltungs: 
bedürfnis, dann aber auch vor allem 
die Luft, Neuigkeiten zu erfahren. In 
jener verfehräarmen Zeit, in der auch 
die Briefe die heutigen Zeitungen 
theilweife erjegen muſsten, war jolche 
Flugliteratur jehr wichtig und jeder- 
mann äußerſt willlommen. Die flie= 
genden Blätter zunächſt waren meiſt 
nit einem Holzſchnitt bedrudt, unter 
dem ein erflärender Tert Stand, der 
von einer großen Schlacht, von einem 
furchtbaren Kometen, von einer wun— 
derbaren Mifsgeburt handelte. Die 
Holzſchnitte waren vorwiegend für die, 
welche nicht leſen konnten, berechnet. 
Das war 3. B. aud das Prinzip der 
Bilderkatehismen. 

Mit Holzſchnitten waren auch oft 
die „Neuen Zeitungen“ geziert, Die 
wnfangreicher als die fliegenden Blät- 
ter, von allen neuen Ereigniljen Mit— 
theilung machten. 

So ftellt ih um 1500 das Bild 
der Volkslectüre dar. 

Auch die Flugſchriften politiichen 
Inhalts, die oft die Form von Ge- 
Iprächen erhielten, und die „Neuen 
Zeitungen“ nährten im jechzehn- 
ten Jahrhundert vorzugsweile 
das allgemeine Lejebedürfnis. 

Bezeichnend ift zunächſt, dajs ein 
Buchhändler auf der Meile 5918 Bis 
her meift vollsthümlichen Inhalts 
abjegen konnte. Als vorzugsweiſe ge— 
leſene Bücher ſtellen ſich einmal die 


Ritterromane dar, von denen 
der Ritter Pontus in 147, der Ritter 
Galmy aus Schottland in 144 und 
der weiße Ritter in 64 Eremplaren 
verlauft wurden, ferner andere Vobts— 
bücher, von denen die ſieben weiſen 


Fingerzeige geben auch die Bücher— 
verzeihnifie aus dem Nachlaſſe vor 
Privatperfonen. Zwar findet fich bei 
reichen Leipziger Bürgern noch im 
zweiten Drittel des jechszehnten Jahr— 
hundert faſt nur die Fromme Erbau— 


Meiſter in 233, der Fortunatus in 196, | ungsliteratur — fait im jedem pro— 
die ſchöne Magelone in 176, die Meerfee | teftantiichen Haufe war damals, um 


Melnfine in 158 Eremplaren forte, 
giengen, endlih die Shwänfe und! Bet— 


Erzählungen, namentlich des Bar— 
füßermöndhs Johann Pauli Schimpf 
und Ernit (202 Gremplare) und 
Kirchhoffs Wendunmuth, die Schild» 
bürger und Till Eulenfpiegel. Sehr 
gut giengen auch Sebaftian Brants 
Narrenfhiff und der Grobia- 
nus. Die theologiſche Erbau— 
ungsliteraturfehlt natürlich nicht. 
Von den vorzugsweiſe praktiſchen Bü— 
chern, den vielgekauften Arzneibüchern, 
Rhetoriken und Formularen ſehe ich 
bier ab, da Sie nicht Gegenftände 
wirklicher Lectüre. Dagegen wurden 
äußerit gern gelejen die Blaneten- 
bücher, die Bauerupraftifen 
oder Wetterbücdlein 


Brophezeiungen „Das kleyn 


Planeten Büdhlin. Eins jeden Menſch 
nad 
den er under einem Planeten gebo— 
ven ift, zu erkennen“, wurde 3. B. 
Sehr! 
endlih die Teufels) 
büder, die ſich gegen die Laſter 
richteten. 
Sauftenfel wurden in 69, Hofteufel 


Art, Natur vnd Gomplerion, 


in 150 Gremplaren abgejeßt. 
gefucht ſind 


und Gebrehen der 


Zeit 


und Die: 


I 





in 67, Eheteufel in 64, Fluchteufel 


in 56 Eremplaren verkauft. 


Fin Wolf Günther hat viele Lieder 
(Gaſſenhauer, Oberländiiche Yiedlein, | 
Piedlein), 


Große Liedlein, Teutſche 
ferner Volksbücher bis zu 20 Erem— 
plaren: Hürnin Seifried, Hugſchaägler, 
Kaiſer Octavian, Melufine, Magelone, 


Ritter Pontus, Schilobürger, Eulen: 
jpiegel, Pfaff von Galenberg, Fortu— 


natus u. 7. w., ferner Dedefinds 
Grobianus, Widrams Goldfaden und 
Rollwagenbüdlein, Reineke Fuchs; 


endlich Planeten- und Traumbücher. handelten, 





das hier zu erwähnen, z. B. Luthers 
und Leſebüchlein vorhanden: 
aber das wird man doch nicht als 
allgemeinen Beweis gelten lajjen könen. 
Auch kaun von der vielgelefenen Flug— 
Ichriftenliteratur im Nachlaſs nicht mehr 
viel übrig fein. Und dieje Flugſchriften, 
die „Neuen Zeitungen“ und ebenjo die 
Wunder: und Schauerliteratur wurden 
doc) fehr begierig gelefen. In Janſſens 
deutjcher Gejchichte findet man die 
ungeheure Verbreitung der „erichröd- 
lichen“ Schriften von Mifsgeburten, 
Stometen, Verbrechen und Morithaten” 
ausführlich geihildert. Und Guſtav 
Freytag jagt von der Lectüre der 
Landbewohner: „Und was im Haufe 
am liebſten gelejen wird, das ilt der 
aftrologische Unfinn einer Prophezeiung 
des alten Wilhelm Frieſe, des Gott» 
fried Phyller und Hebenſtreit, eine 
Beichreibung der Augsburger Todten: 
feier Kaiſer Karls V. oder vom gott- 
jeligen Ende des frommen Ehriftian, 
Königs zu Dänemark.” Solde Yieb- 
lingstectüre fonnte jo wenig aufbe- 
wahrt werden, wie heute unjere Zei— 
tungen. 

Gegen Ausgang des Jahrhunderts 
begann im den oberen Claſſen eine 
verderbliche Ausländerei zu bereichen. 
Jeder „Cavalier“ mufste reifen, vor 
allen nad Frankreich; daheim begann 
man franzöfifch zu fprechen und franz 
zöſiſche umd italienische Romane zu 
lejen, deren Hauptftoff galante Aben- 
teuer bildeten. Schon im fünfzehnten 
Sahrhundert Hatten vornehme UÜber— 
ſetzer franzöfifche Romane in Deutich- 
land einzuführen verſucht; aber der 
Geſchmack an dem höfiſch-ritterlichen 
Treiben, don dem diefe Schriften 
war nicht mehr fräftig 


genug. Ungleich beifere Aufnahıne 
fanden aber die romanischen Diftorien 
des ſechzehnten Jahrhunderts im 
Deutfchland. Die Amadisbücher, 
um deren Verdeutſchung ſich zuerft 
Herzog Chriſtoph von Württemberg 
mühte, konnten bald als die eigent- 
lihen Berireter des Zeitgeichmades 
gelten. Dieſe „lieblichen, doch wahr— 
haften Hiſtorien“, die namentlich von 
galanten „Aventuren“ und Zauber— 
geſchichten handelten, ſollten vor 
allem den „ehrliebenden vom Adel“ 
„ſehr nützlich vnd kurtzweilig zu leſen“ 
ſein und wurden in der That auch 
in dieſen Kreiſen die Lieblingslectüre. 
Und bald verbreiteten ſie ſich weiter. 
1581 tagt Johann Fickler, „wie ge— 
mein folh Buch worden bei Weib 
und Mannen, hoch und niederen 
Standes, bejonders aber bei wicht 
wenigen großen Frauen, jo dennoch 
für ſehr evangelifh wollen gehalten 
fein“; es werde „jolh Melt: und 
Buelbuch mehr als ihre Gebetbücher 
in Händen umgezogen und viel fleigiger 
als das Evangelium Chrifli”. 

Gieng ein junger Menich auf 
Reifen, jo nahm er 3. B. den Deca— 
merone „auff dem weg darinnen zu 
leſen“. Man verlangte Bücher, ich 
„nach Verrichtung feines beruffs woll 
darinnen zu eluftiren*. Wer Liebes- 
briefe ſchrieb, Stahl die affeltierten 
Phraſen aus feiner Lectüre zuſammen. 

Das Dauptlefefutter waren die 
Romane. Das weiblihe Gejchlecht 
icheint theilweife von dieſer Lectüre 
noch fern gehalten zu fein. Aubery 
de Maurier, der 1637 nah Hamburg 
und Lübeck kam, erzählt in feinen 
Memoiren von den reinen Sitten der 


Frauen und Jungfrauen und führt 


dafür an, daſs man Feine Romane 
lefe, das Berderben der Jugend. Life 
Lotte von der Pfalz jchreibt einmal: 
„So lang ich zu Heydelberg gewejen, 
bab ih auch nie feine romans ges 
legen.“ In Frankreich holte fie dus 
allerdings wieder ein: „Tender ich hir 
bin, Habe ich dieße zeit wider einge— 


bracht; den es ift feiner, jo ich micht 
gelegen.“ Unter den neuen Romans 
gattungen, die übrigens meiſt nad) 
fremden Muſtern eritanden, Hatte der 
Schäferroman jeine Zeit nicht viel 
über den dreikigjährigen Krieg hinaus. 
Grimmelshauſens Simpliciffimus ver— 
aulaſſte Abenteuerromane. In der 
zweiten Hälfte des Jahrhunderts wa— 
ren dann die Helden- und Liebes— 
romane, die möglichſt lang ausge— 
ſponnen wurden, namentlich Zieglers 
„Aſiatiſche Baniſe oder das blut- doc 
muthige Pegu“ ſehr beliebt. Gegen 
Ausgang der Epoche laufen dieſe in 
den oft ſchlüpfrigen Romanen der 
„galanten Scribenten“ aus. 


Die ausländiihe Bildung bradte 
es ferner mit ſich, daſs man in vor— 
nehmen Kreiſen deutſche Literatur 
ſehr wenig, in der Regel italieniſche 
und franzöſiſche Sachen liest. 


Hervorzuheben iſt weiter, daſs die 
Erbauungsliteratur nach wie vor ein 
weſentlicher Beſtandtheil der Yectüre 
blieb und für den noch immer fromm— 
kirchlichen Geiſt Zeugnis ablegt. Der 
mehrfach erwähnte Karl Ludwig liest 
auch Zauler und Thomas a Kempis, 
deſſen „Nachfolge Chriſti“ noch font 
überall gelejen wird. Pater Cochems 
„Leben Jeſu“ war auf fatholijcher 
Seite jo volksthümlich, wie auf pro= 
teftantiicher Johann Arndts „Wahres 
Chriſtenthum“. Jene Gräfin Maria 
von Mollenftein verzeichnet Ausgaben 
für „das Himbelifch „Frawenzimmer“, 
den „Zugendtipiegel“ und Thomas 
a Kempis „Nahvolgung Ehrifti”. 
Und ein Büchelchen, das aus den 
eriten Jahren des achtzehnten Jahr— 
hunderts ſtammt, „Frauenzimmer-Bi— 
bliothelchen“ betitelt, und für „Frau— 
enzimmer don gewecktem Verſtande“ 
beſtimmt iſt, empfiehlt neben prakti— 
ſchen Büchern noch ausſchließlich Er— 
bauungsſchriften. 

Endlich iſt als mafjenhafter Leſe— 
ftoff wie im. fechzehnten jo auch in 
dieſem Jahrhundert die Flugſchriften— 





und Ylugblätterliteratur zu erwähnen. 
Sie befriedigte das Nenigfeitsbedürf- 


nis und den ausgebreiteten Siun für 


Wunderbares und Euriojitäten. Da- 
mals entftanden auch die erften regel- 
mäßigen Zeitungen. 

Die erften Jahrzehnte des act: 
zehnten Jahrhunderts folgen 
noch ganz und gar den Richtungen 
und Strömungen der eben gejchilderten 
Epode. 

Da kam in die Lefewelt ein neuer 
Anſtoß von England. 1719 erjchien 
der „Robinfon Erufoe* von 
Defoe und eroberte binnen kurzem 
die Welt. Viel wurde er überfegt und 
noch mehr nachgeahmt. Der Robinjon 
blieb fortan auch für die Deutjchen 
ein Lieblingsbudh. Aber der Einflufs, 
den um diefe Zeit England auf 
das deutsche Geiftesleben, und zwar 
zu jeinem Heile gewann, war damit 
nicht beſchränkt. In den Gemüthern 
der Menjchen vollzog jih allmählich 
ein Wandel; don den nichtigen Außer— 
tichleiten der fervilen „Complimen— 
tierer“ und dem galanten Wejen 
richtete ih der Blid mehr und mehr 
auf das Innere. Die Bewegung des 
Bietismus Hatte dazu ſchon den An— 
ſtoß gegeben: jet famen die Schlag» 
wörter auf, welche die neue Richtung 
bejtimmten: Moral, Natürlichkeit, und 
man darf Hinzufügen, obgleih das 
Wort nit als Schlagwort gebraucht 
wurde, Bürgerlichfeit. In diejer Bes 
ziehung waren einmal die englifchen 
Wocheuſchriften von großem Einflufs, 
ſodann die englifchen Romane. Die 
Wochenſchriften wurden in Deutjch- 
land, zunähft von Gottſched, nachge- 
ahmt: von beftimmender Bedeutung 
wurden namentlich die über Gottjched 
hinausgehenden „Bremer Beiträge”. 
Von den Romandichtern wirkte na— 
mentlih Rihardfon auf die Deuts 
jhen. Seine bürgerlihen Romane, 
die ungeheuren Anklang fanden, vers 
nichteten den Gejchmad an jenen blöd» 
finnigen Helden» und Liebesgeſchichten, 
die man bis dahin verichlungen hatte, 





028 


und bald beſtimmten fie auch die 
deutfche literariiche Production. 

Unter den Mitarbeitern der „Bremer 
Beiträge“ befanden Jich zwei Schriftitels 
ler, die bald die am meilten gelefenen 
in ganz Deutſchland werden follten: 
Gellert und Klopitod. Beide jehr 
von den Engländern beeinflujst. Bon 
dem Anjehen, das Gellert in Dentjch- 
land genofs, macht man fi Heute 
faum eine Borftellung ; der gute mo= 
ralifche, etwas fpießbürgerliche Sachſe 
war in der That der Bildner des 
Geihmads in ganz Deutichland. Wie 
Goethe fagte, war „an Gellert und 
an die Tugend glauben, beinahe gleich— 
bedeutend“. Gellert genojs in den 
vornehmen Streifen außerordentliche 
Verehrung, aber er war vor allen 
Dingen auch ein Boltsfchriftiteller. 
In Gellerts Schriften wurde der 
alte Drang nah Erbauung jo gut 
befriedigt, wie der Sinn für Unter: 
haltung. Seine Schriften ficherten 
ihn die höchſte Verehrung, bei Fürften 
und Grafen, bei Studenten und Of— 
ficieren, bei Handwerkern und Bauern. 
Noch lange nach jeinem Tode fonnte 
man, wie MattHifjon erzählt, in einer 
einfachen Schweizer Hütte jeine Schrif- 
ten neben Bibel und Gejangbud fin- 
den. Das moralijhereligiöje Element, 
welches zu dieſem ungeheuren Ein— 
fluſs Gellert’s beitrug, war aud we— 
jentli der Grund, warum das be= 
rühmtefte Wert Klopftods, der 
„Meſſias“, jo ungeheures Aufjehen 
erregen fonnte. Auch der „Mejlias“ 
wurde für die Deutihen ein Erbau— 
ungsbuh und im beiten Sinne ein 
Volksbuch. In ihm, meinte Bodmer 
enthufiaftiih bei dem Ericheinen der 
erſten Abjchnitte, würden „ganze Nas 
tionen Seligkeit finden“. Man ver- 
götterte diefes Bud). 

Klopftods Einflufs vertiefte und 
veredelte das religiöje und damit das 
Sefühlsleben überhaupt. Und feitdem 
diejes im deutſchen Volke einmal mäch— 
tig geworden war, wuchs es bald über 
die religiöie Sphäre hinaus. 


929 


Roufjeau begann dann die Ges 
müther zu beeinfluflen. Bald kam 
die Epoche der äußerſten thränenz 
reihen und überfihwenglihen Em— 
pfindſamleit. 

Und dieſe Epoche erhielt wieder 
ein Lieblingsbuch: „Werthers Lei— 
den”. Der Dichter ſelbſt urtheilt dar— 
über alfo : „Die Wirkung dieſes Büch— 
leins war groß, ja ungeheuer, und 
vorzüglich deshalb, weil es genau im die 
rechte Zeit traf. Denn, wie es nur eines 
geringen Zündfrauts bedarf, um eine 
gewaltige Mine zu entjchleudern, fo 
war auch die Erplofion, weldhe ſich 
hierauf im Publicum ereignete, des— 
halb jo mächtig, weil die junge Welt 
ih Schon ſelbſt untergraben hatte, 
und die Erjchütterung deswegen jo 
groß, weil ein jeder mit feinen über- 
triebenen Forderungen, unbefriedigten 
Leidenschaften und eingebildeten Leiden 
zum Ausbruch kam.“ Eine gewaltige 
Aufregung, ein wahres „Werther: 
fieber“ entftand durch dieſen Keinen 
Roman; alle Welt las ihn und alle 
Melt weinte über ihn. 

Alles fieng an zu leſen; 1778 
waren ſchon vier Büchergeſellſchaften 
im Gange. Die Leſewuth, die doch 
ihon im der vergangenen Epoche zu 
jpüren war, wurde ungleich ſtärker. 
Bald entjtanden überall die Leihbi- 
bliothefen, um dem ungeheuren Be— 
dürfnis entgegenzufommen, 

Mas den Leſeſtoff aulangt, jo 
darf man zunächſt darauf hinweilen, 
daſs man in gebildeten Streifen gern 
lyriſche Gedichte zu leſen begann. Die 
Almanade und Tajchenbücher, die feit 
1770 Deutichland überſchwemmten, 
enthielten vorzugsweije Gedichte. Die 
Dauptlectüre der Mailen, der gebils 
deten und ungebildeten, war aber 
noch mehr wie früher der Roman. 

Auch um die Wende des Jahr: 
Hunderts und jpäter gehörte den Ro— 
manen das Bublicum. Dean Paul 
war e3 freilich nicht, der die Menge 
entzückte. „Sehen Sie einmal, Belter“, 
jagt der alte Leihbibliothelar bei Wil— 


Kofegger’s „„Geimgarten’‘, 12, Geft, XV, 


beim Hauff, „jene lange Reihe von 
Bänden an, die weißen Pergament— 
rüden jind jo rein, al3 Hätte man 
fie nie oder nur mit Dandichuhen 
angefafst. Wer ift wohl der Autor, 
der jo vergejlen und gleichſam in 
Ruheſtand verjeßt dort ſteht? Es ift 
Jean Paul; fein Schidjal teilten 
auch nicht minder edle Gefährten. 
Für die gebildeten Bürgersleute war 
damals der Familienroman Lieblings: 
lectüre, namentlih Johann Jakob 
Engels „Herr Lorenz Start”, Die 
große Menge aber hieng an den zahl» 
reichen Ritters, Räuber- und Geiſter— 
tomanen, deren grobe und rüdrjelige 
Romantik ihren Urſprung theilweife 
von Goethes „Götz“ und Schillers 
„Räubern“ berleitete. Der edle Räuber, 
den der graufe Ritter im Burgverließ 
ſchmachten lieg und den eine holde 
Maid minniglich befreien will, das 
war eine Lieblingsfigur des Volkes. 
Es iſt intereffant, dafs theilweife noch 
die Stoffe der alten Vollsbücher Hier 
wieder aufleben, freilich im romanti— 
ihen Gewande. Diefe Romane der 
Spieg und Cramer und dazu die 
jüplichen, oft höchſt ſchlüpfrigen Lie— 
besgeſchichten eines Albrecht und ſpä— 
ter eines Clauren waren im Anfange 
unſeres Jahrhunderts die geiſtige Nah— 
rung des Volkes. Hauff ſchildert ein— 
mal einen Leſezirkel von Geſellen und 
Handwerkertöchtern, wo „Rochus Pum— 
pernidels Tod” von A. v. S. unter 
allgemeinem Schluchzen und Weinen 
vorgetragen wird, und ſeine Schil: 
derung ift jehr treffend. „Unfere mitt— 
leren und unteren Stände”, fagt er, 
„leſen ſehr viel, nur natürlich nichts, 
was auf den gefunden Menſchenver— 
fand Anspruch machen könnte. Sie 
haben ihren Spieß, ihren Gramer, 
ihren Lafontaine, in neuerer Zeit 
bauptfählih ihren Glauren. Alles 
liest, aber unjchädliches Zeug, das 
ihren Berjtand ganz gelinde afficiert, 
Geſpenſtergeſchichten, Mordihaten, Räu— 
berhiſtorien, Heirat! - Affairen mit 
vielem Gelde u. ſ. w. 


59 


930 


Ein  vielgelefener Räuberroman Mehr und mehr forgten auch für 
war Heinrih Zſchokkes „Abällino, | das literariſche Unterhaltungsbedürf- 
der große Bandit”. Zſchokke war aber, nis belletriftifche Zeitfchriften, zuerſt 
auch ſonſt ein Lieblingsfchriftfteller | jene Taſchenbücher mit mehr oder 
im erften Drittel unferes Jahrhunderts, | minder blumenreihem Titel, die alle 
einmal wegen feiner Erzählungen und | Jahre erfchienen, daun noch Monats— 
Novellen,. jodann aber wegen feines) fohriften und zwanglofe Hefte. Ebeuſo 
moralifcherationaliftiihen Erbauungs: | richteten die Zeitungen bald ihr Aus 
buhes: „Stunden der Andacht“. | genmerk darauf, nad dem Grundſatze 
Denu das Bedürfnis der Erbauung | zu Handeln: „Wer vieles bringt, 
in häuslicher Lectüre hatte die Zeiten | wird manchem etwas bringen.“ Die 
hindurch fortgedauert, und die „Stun: | Romane „unter den Strich“ ſind 
den der Andacht“ waren ein Lieblings | heute für viele Leute oft die einzige 
buch unferer Großeltern. belletriftifche Lectüre. Und die Cri— 

In der weiteren Schilderung der minalerzählungen und ſonſtigen im 
bevorzugten Lectüre unferes Jahre | miferabelften Stil gefchriebenen Schund- 
hunderts will ich kurz fein. Es ſei romane der Heinen Kreisblätter wer— 
erinnert an die durch die zahlreichen | den auch von dem niederen Wolfe 
und äußerst billigen UÜberſetzungen gierig verfählungen und gefpannt ware 
Malter Scott3 hervorgerufene Bes | tet das Nähemädchen und der Arbeiter 
liebtheit des Hiftorifchen Romans. auf die „Fortfegung“. Weit iſt es 
Karoline Pichler, van der Velde und von diefer Lectüre nicht zu der elen- 
Karl Spindler hatten ein großes Pır= | den modernen Golportageliteratur, die 
blicum. Ein Lieblingsbuch, namentlich | Kopf und Herz der Heinen Leute ver— 
auch der Yugend, wurden die Goo= | dirht. 
per’fhen Erzählungen. Alle welt: Es ift des Lobes wert, wenn 
Ihmerzlich angehauchten und lieben- gegen dieſelbe in unſeren Zeiten 
den Gemüther fanden ihren höchſten gefämpft wird, und man fi müht, 
Genuſs in der Lectüre der Lieder| für Verbreitung guter Bücher zu 
Heinrich Deines. ſorgen. 


> 


— — — — — 


Pr u — 


— — — — — — m — 


931 


Eine Männer-Peitfce. 


Von Ehusmelde Bortmann, 


Meränderter Standpunßt. 
2 


Deutſchen, die 

Jugend, 
Sie feiern ſtets mit hellem Sang 
Die deutſche Ehre und Tugend. 


Blüte der 





Und Heimatslieder, rührend und hehr, 
Sie brüllen begeiftert herunter, 

Bis alle die Bänke ftehen leer, 

Und die Sänger liegen darunter. 


Maͤnnlich⸗ſittlich. 


Männlich-ſittlich heißt mit Würde 
Tragen ſeiner Fehler Bürde: 
Bummeln, rauchen, Unfug treiben, 
Renommiern, ſchuldig bleiben. 


Trinken, bis nicht Kopf, noch Magen 
Können länger es vertragen, 

Was nicht immer appetitlich, 

Aber eben männlihefittlid. 


Heimlich zu der Liebften gehen, 
Doh auf Zudt der andern jehen 
Und im Haufe unerbittlid, 

Das ift alles männlid:fittlid. 


fjerner no gehört das Spielen 
Zu den männlicdh:ernften Zielen, 
Gi, was kann es Schön’res geben, 
Als jo männlichefittlich leben! 


Einer jungen Frau. 


Wie friiher Epheu an dem morſchen Stamm 

Sch” ih did, junge Gattin, träumend 
lehnen 

Un deinem Gatten, wie ein Opferlamm! 


Getroſt! Iſt auch fein Haupt 
Denken“ lahl 

Und iſt er auch verlebt, blaſiert und müde, 

Das deutet auf Verſöhnlichkeit zumal, 

Denn ſeine Ruhe iſt ihm lieb, ſein Friede. 

Und wenn ihn längſt des Lenzes Roſen 
flieh'n, 

Wenn ſeine Augen trüb, und gelb die 
Wangen; 

Und hat er gar die Gicht und ſie hat ihn, 

Lafs dich die Zeichen, junges Herz, nicht 
bangen: 

Er mag vielleiht dem großen Zweck nod 
dienen, 

Denn neues Leben blüht aus den Ruinen! 


‚vom 


Brößenmwaßn. 


Wie ſchmückt fie euch, hebt euch, erweitert 
die Bruft, 

Die Frauenveradtung! Welh hohe Luft! 

D'ran klettert empor eure Männlichkeit 

Und dann erft ertennt ihr, wie groß ihr 
jeid! 

Denn Männerbünfel und Größenwahn, 

Die ſtoßen ſchon gar an die Sterne an, 

Und die Vergött'rung eures Ich 

Iſt eine Aunftleiftung an fi; 

Ya, ihr feid erhaben! — „Doch die Frau'n 
find gering, 

Unmündig, unfähig zu jeglidem Ding. 

Unreine Wefen, defect am Hirn" — 

So habt ihr behauptet mit freder Stirn. 

Und doch ift es leider nur allzumahr, 

Dais jeden von euch ein Weib gebar! 

Wie mögt ihr nun edleren Stoffes 

Als euer Urſprung, der jo gemein? 

Das hat Meifter Storh aber dumm ges 
madt, 

Der euch nit direct aus dem Himmel 
gebradt! 


fein 


O undantbares, verlehrtes Geſchlecht, 
Ihr habt ja in eurer Verachtung recht: 
Verachtet die Pflanze, die euch gehegt, 


Was quälet dich in unbewufsten Sehnen? | Darum, dais fie ſolche Früchte trägt! 


59* 


Der Männermarkt. 


Hier gibt es Männer zu verfaufen, 

Derbei, ihr Mädchen, fommt gelaufen! 

Wollt ihr aud meine Courſe jehn, 

Wie diefe Herren im Breiie ftehn? 

Ei, bringt nur die Sädel hübſch wohl: 
gefüllt, 

Sonſt bleibt euer Sehnen ungeftillt. 

Seht, hier dieſes Gräflein! Ganz ohne 
Tadel, 

Ei! ift jein Schneider und jein Adel, 

Wenn er die Bürg’rin freit und ehrt, 

Iſt er wohl Hunderttaujend wert! 

Doch eud verlangt nah Dfficieren, 

Um mit den Gatten zu fiolzieren? 

Hab’ eine Schachtel voll von Soldaten, 

Sind alle von innen ganz glei gerathen, 

Und loften doch mande ganz enorm, 

Je nah dem Tuch und der Uniform, 

Die meiften aber belfommt ihr ſchon 

Auch um die einfahe Gaution. 

Biel billiger, ſeht, find Eiviliften, 

Mählt!Hier find Heiden, Juden und Ehriften, 

Die lafjen fi faufen und ſich entlohnen 

Auch mit Geihäften und Gonnerionen, 

Dod ganz umjonft belommt ihr keinen! 


Gi nun, mein Fräulein, was ift da zu 
weinen? 

Mas rinnen die perlenden Augentröpfchen 

Aus Ihrem hübſchen, romantiſchen Köpfchen? 

Nun, ſchönes Kind, was erregt Ihr Bangen? 

Was? Idealiſten Sie möchten erlangen, 

Die nicht fih verſchachern mit Hand und 
Seelen 

Und nur fih aus zarter Liebe vermählen? 

Mit Shmachtenden Augen und lodig und 
hager? 

Hab’ ſolch Raritäten gar nicht auf Lager, 

Die werden, mein Fräulein, auch ſchwerlich 
finden, 

Die Race ift vor der Gultur im Schwinden ; 

Eold’ KHäuze find immermehr rar und 
ſpärlich, 

Sah einen vor Jahren, hübſch ausgeſtopft 

In einem Muſeum; dem wurden alljährlich 

Der Staub und die Schrullen heraus— 
gellopft! 


&or Gericht. 


Behüt' mich der Himmel, das ſei mir fern, 

Zu inculpieren die alten Herr'n 

Von dem Gerichte! daſs ſie beſtechlich 

Und daſs fie noch ſonſtwie moraliſch ge: 
brechlich; 

Schwach ſind fie zum ſchwachen Geſchlechte 
nur, 

Da Üübermannt fie die Männernatur, 

Und hören ein alies Weib fie Hagen, 

Das können fie nimmermehr vertragen, 


932 


| Sie fnurren und fahren fie zornig an, 
Als hätt’ fie ihnen ein Leid geiban, 

‚Und ſelbſt die Beten barſch mit ihr ipredhen, 
Als hätt’ fie begangen ein arges Verbrechen ! 


Iſt aber die Ungellagte ſchön, 

‚Da jolltet ihr nur die Wandlung febn, 

| Wie alle die Richter und die Geſchwor'nen 

NS blinzeln bin nad der jhönen Ver— 
lor’nen, 

Gar väterlih find fie zu ihr gefinnt, 

Betitelt wird fie mit „liebes Aind*, 

Und alle die Blide voll Behagen 

Ihr heimlich flüfternd und zärtlid jagen: 

„Mein Fräulein, ſei'n Sie heiter, 

‚Wir helfen Ihnen meiter!“ 


| Beſſer wohl ließen die Sachen fi jhlichten, 
Lieb’ man die Frauen durch Frauen richten.*) 


Geſtändnis. 


O die Männer, böſe Männer, 

Unfre Freude, unſre Bein, 

Wenn ſie ſchleichen und ſie ſtehlen 
Sich in unſre Herzchen ein, 

Denn wie ſchützt man ſich vor Dieben, 
Die nichts wollen, als uns lieben? 


Die voll Achtung ſich uns nähern, 
Sind uns ſtolzen Frauen recht, 
Doch die frech ſind und verwegen, 
Sind ein widerlich Geſchlecht, 
Nimmer ſollen die Barbaren 
Echte Frauenlieb' erfahren. 


Doch wie find die Kühnen, Starfen 
Gar jo wonnig anzufehn, 

Wenn fie zahm und jcheu verlegen 
Bor uns jhwaden Frauen ftehn, 
Schonend unjre Shwadheit ehren, 
Als ob wir die Stärfern wären. 


Wie fie wohl verſtehn zu meiden, 
Was den zarten Sinn verleßt, 
Und fo finnig zu errathen 

Mas ein Frauenherz ergößt, 

Mit beiheid'nem Wort und Bliden 
Unier Dajein zu entzitden. 


Ach, fie ſollten's nie erfahren, 
Wie wir ihnen hold gefinnt, 
Doch es haben, weil gefittet 
Sie unwiderftehlidh find, 
Ihre zarten Huldigungen 
Dies Geſtändnis abgerungen. 


", Wehe, da mwirb’s den Angeklagten ſchlecht 
ergeben! Niemand richtet firenger über bie Frauen, 
als — ihresgfeichen. Der Ecker. 


Zu On Ce 


933 


Gegen Atzung und Zoais. 


Ehedienft auf Lebenslang 

Bietet wenig Lohn und Dant, 

feine Freiheit, Poefie: 

Hält ihr Herr den Leib gefangen, 

Muis ihr Herz auß an ihm bangen — 
Gegen Atzung und Logis. 


Ihren Namen gibt fie ber, 

Ihre Meinung, ihre Ehr', 

Und fie dient ihm fpät und früh 

Als ein Spielball, bald zum Spielen, 
Bald die Saunen ihm zu fühlen — 
Gegen Asung und Logis, 


Nicht genug, dajs fie fih gab, 
Ihm geopfert Gut und Hab”, 
Ihre Urbeit, Zeit und Miüh’, 
Nimmt er ihr ganz unverfroren 
Jedes Kind, das fie geboren — 
Gegen Ayung und Logis. 


Überzeugt bin ich, die ſchöne Les 
jerin wird noch mehr hören wollen 
von dieſen jchmetternden Fanfaren— 
Hängen. Daher rathe ih ihr, das 
Büchlein zu beftellen, welches unter 
dem Titel „Lyriſch-ſatyriſche Nadel» 
ftihe einer verjpäteten Jungfrau. 
Miedergegeben von Thusnelda Vort— 
mann“ bei „Leykam“ in Graz er- 
jhienen if. Es find in demfelben 
noch mehr Peitſchenhiebe gegen die 
böjen Männer enthalten. Nadelitiche 
jind das nicht, vielmehr Speerwürfe 
einer zornigen Amazone. Und melde 
Erfahrungen! Welche Paſſionen! Die 
„verjpätete Jungfrau“ wünſcht nicht 
etwa, daj3 die Männer den Frauen 
treu jein follen, fie begehrt auch für 
die Frauen das „Recht“, untreu fein 
zu dürfen. Was ihm erlaubt ift, Toll 
ihr nicht verboten fein! Man hört 
diejes Begehren ſehr Häufig im un— 
jeren Tagen und ich kann nicht genug 
ftaunen über die bodenloje Naivetät! 
Wie fagte jene! Backfiſchchen gleich, 
als es von der Mutter gehört, 





es | angezogenen 


daher fingt fie im Namen der Ehe— 
gattin, die für freie Liebe ſchwärmt: 
„Laſst uns die Kinder, die wir ung 
geboren!“ Und den Männern vreibt 
jie'3 ſehr fein unter die Naje: 

Was ift der Aönig auf dem Thron? 

Was ift der gröhte Dichter ? 


Hat taufend Menſchen ſich erdadt, 
Nicht einen einz'gen ſelbſt gemadht.* 


So iſt 8. Den Mann geht das 
Kind gar nichts an; will er ein’s 
haben, jo kann er ſich auf dem Marfte 
ein’3 faufen, für Geld und gute Worte 
werden fie leicht zu Haben jein. Die 
Mutter, die ih zu den Dragonern 
recrutieren läjst, wird ja weder Zeit 
noch Luft Haben, „ihr“ Kind ſelbſt zu 
aben, 

Und Ihnen, meine tapfere Dich» 
terin, gegenüber, gejtatten Sie mir den 
Zweifel daran, daj3 Sie eine ver— 
jpätete Jungfrau find. Eher eine ver= 
frühte Ehefrau, Ihr Los mag fih in 
vielen Fällen des modernen Lebens 
wiederholen, aber bilden Sie fih gar 
nicht ein, das Sie in der Mehrzahl 
ind. Gottlob, nein! Es gibt noch 
frauen, deren Seele feinen Schnurr— 
bart trägt. Wenn e3 aber einmal fo 
eingerichtet wird, wie Ihre Emanci— 
pen; es wünſchen: die Mänuer ver: 
lieren dabei wahrlich nicht. Die leicht: 
finnigen am allerwenigften, dieſe wer: 
den den größten Vortheil dabei haben. 

Allerdings gibt es Männer, Söhne 
de3 Adam, „welcher war der trew’ite 
Gatte, weil er ja nur Eine hatte”, 
die jelbit bei den beiten Eigenfchaften 
ihrer rauen falihe Ganaillen find, 
jolche verdienen die Hundspeitſche auf 
öffentlihem Markte. Im allgemeinen 
aber bitte ih Sie, meine fampfes- 
freudige Dame, davon überzeugt zu 
jein, daſs au der von Ihnen fo oft 
Treulofigteit der Männer 


werde ja auch einmal einen Mann auch ein wenig die Frauen Schuld find ; 
heiraten. „Einen? Mama, ich möchte nicht bloß jene, die drangen (oden, 
gern alle heiraten und recht viele wohl aud) ein wenig jene, die daheim 
Kinder bekommen!“ Allerdings | liten und Nadelftiche ſiunen. Ich 
will unſere Jungfrau dem — — es Ihnen ganz offen, wenn 
feine beſonderen Unkoſten verurſachen, zuhauſe eine emancipationsluſtige 


234 


Gemahlin meiner harrte mit ihrer geilt- 
reich ſpitzen Zunge und ihren nicht 
minder jcharfen (wenn auch nur mo— 
raliſchen) Fingernägeln — jo miede 
ich mein eigenes Haus mit einer ſol— 
hen lieben Frau wie das hölliſche 
Teuer und furchte meines Lebens ans 
derswo froh zu werden, jo gut es 
gehen möchte. 

Und eine Frau, die ihrem Gatten 
nur immer borwirft, dafs er ihr nicht 
das Recht einräumt, einen anderen 
zu lieben, wird für den Gemahl wahr: 
lich Fein großer Magnet fein. 

Übrigens, Madame, meinen vollen 
Refpect wegen Ihres männlichen Ein— 
ftehens für das MWeiblihe! Finden 
ih in Ihrer Sammlung doch auch 


Gedichte, in welchen das goldene Ges | 


müth des Weibes fich offenbart. Es 
fäme nur darauf an, dajs Sie einen: 


Mann fänden, den Sie jo recht aus 
ganzem Herzen lieben fönnten, und 
Sie würden Ihre jo furchtbare Män- 
ner⸗Peitſche in zarte Fäden ausein— 
anderlöſen, um mit denſelben unter 
allen erdenklichen Liebeskünſten den 
theueren Mann an ſich zu feſſeln. 
Vielleicht laäſst ſich der „Herr der 
Schöpfung“ von dem herzigen, für 
die Familie opferfreudigen Eheweib— 
chen lieber gefangen halten, als die 
modernen Mannweiber glauben rollen. 
Vergejlen Sie nicht, dajs ein Manns 
weib nur einem weibijchen Manne für 
ein Weilchen gefallen kann; ein echter 
Mann nimmt ſich ein echtes Weib 
und bleibt ihn treu. Das echte Weib 
wird damit zufrieden fein, wird weder 
eine Ausrede ſuchen, noch gelten lafien, 
um eigene Sondergelüfte zu rechtfer— 
‚tigen. M. 


A por Sprüderla. 


Steiriſch.) 


“uns 
vs 9 


a jungi Menſch is unglüdle, 
Won er foa Glüd dajogg, 
B 3. » Der olti i8 ſcha glüdla, 
Man an foan Unglüd jhlogg. 


Ultramontandel, 


Schreits na, verftehts enk nit, 


Leut, 


Do loſst ſih nix wendn. 
Wan oana herenters Berg ſteht, 
Und der onderi entn. 


Däs war a goudloſer Menſch, 
Der 's Erdnlebn verocht't bot. 
D Welt muaß ma liabn und leidn, 
Und denkn af Den, der's gmocht hot. 


Der Dumi i3 $ geborn, 

Der Schlechti iS 8 erjt worn; 

Der Dumi bitafts berentn, 

Der Schlechti oft erſt entn. R. 


Der Eragner. 


Eine Torfgeftalt aus Niederöfterreih. Von E. 3. Freunthallr, 


Se 


er ift wohl jener hagere, bart— 
Le loſe Mann dort mit der Trag- 

bitte fammt Korb am Rüden, 
der eben dem Bauernhauje zufchreitet ? 

Der Fragner iſt's, ein Händler, 
der mur das Flachland kennt, ein 
Mann, der von allen geldbedürftigen 
Bäuerinnen jenfzend und doch jo ſehn— 
ſuchtsvoll erwartet wird, weil er das 
„Geldhäfen“ (Geldtopf) der Bäuerin 
wieder füllt, dafür aber überflüjfige 
Eier, Butter, Schmalz, Hühner, Tau: 
ben u. m. a. mitfortnimmt. 

Gehen wir mit ihm. 

Langſam tritt er im dem geräu— 
migen „Hof“ und jchreitet mit ſchwei— 
fenden Bliden (feine Blide mögen 
fogar wedeln) dem Mohngebäude zu. 
Angelweit fteht die Dausthür offen, 
als ahne fie feinen Eingang, aber der 
Mann mußs vorerſt die aufgemauerte 
„Zwieſelſtiege“ hinan — eine Stiege 
rechts, eine Stiege links. Ihm fteht 
die Wahl frei, jede führt hinauf zur 
Thür. Er wählt die nächltliegende 
und oben pocht er mit feinem „Steden“ 
heftig an die Hausthür. Pocht und 
Ichreit dazu: 

„Der Fragner ift da!“ 

Mit diefer Meldung betritt er die 
Hausflur. Inzwiſchen eilt jchon die 
Bäuerin herbei. 

„Grüß Gott, Frau! Hat die rau 
heute wieder was für mid?“ So der 
Fragner. Die Bäuerin dawider: „Grüß' 
dem Fragner! Und wanın er chriftliche 
Preife machen wollt’, jo wären die— 


jesmal nicht nur Eier, fondern auch 
Butter, Schmalz, Hühner und Tauben 
für ihn bereit!“ 

In der Stube laltet der Fragner 
ab und gibt den Korb von der Trag- 
butte. 

Die Bäuerin möchte nur bringen ; 
jeien die Saden „rar“, zahle er 
auch rar! 

Die Bäuerin bringt in einem frohe 
geflochtenen „Simperl* fünfzig wohl— 
gezählte Eier. 

„Wie viel er wohl gäbe?“ 

Achſelzuckend entgegnet er: „Was 
halt recht und billig! Habe fo immer 
nur meinen Schaden dabei!” Nimmt 
die Eier zählend aus dem „Simperl“, 
prüft fie chart und gibt fie zählend 
in feinen Korb. 

„Macht geradeaus ſiebzig Eier!“ 
feufzt er dann. 


Nun bringt die Bäuerin ihre 
Butter. 
Wie viel fie befäme? Schwer 


wäre der ganze „Strißel“ fünfzehn 


Pfunde und diefesmal vom beiten 
Rahıne ! 

Der Fragner nickt dazu und 
ſeufzt. 


Ein wahres Kreuz iſt's — eben 
der Bäuerin zulieb nähme er den 
Stritzel, wenn er auch in der Haupt— 
ftadt unten allemal jein gutes Geld 
dabei verlieren müſſe. Geben könnte 
er halt nur fo und jo viel! 

Die gutmüthige Bäuerin füllt ihm 
ein großes Henkelglas ſchier übervofl 


936 


mit Moſt, auf dafs der leidende |dictiert, was gewiſs felbitverfländ- 
Fragner feinen Kummer auf der Stelle lich ift. 


elendiglich erfäufen möge. Schmun— 
zelnd jchlürft der Fragner, begudt 
das Glas und jehlürft wieder, nad 
ber beftimmt er den Drud der Butter 
anf feine blecherne Unterlage nad 
metriſchem Spiteme. 

„Kaum act Kilo!“ betheuert er 
und rechnet der im mächtigen Zweifel 
laufchenden Bäuerin „kopfraitend“ vor, 
wie viel fie befäme. Kopfſchüttelnd 
bringt diefe noch viel Mifstrauen auf 
der Zunge, etwas Schmalz in der 
hölzernen Doſe und einige gefeljelte 
Hühner und Tauben in den Händen 
vor den ftrammen Fragnerleib. Der 
Mann aber macht viel Falten in fein 
bageres Geficht und klagt und jan: 
mert mehr als die Hühner nnd Tau— 
ben in ihren Feſſeln. 

Eben der braven Bäuerin zulieb 


Das Jahr Hat zweiundfünfzig 
Wochen und ebenjo oft jeht er fein 
Geld im Gejhäfte um, da er allwö— 
hentlich mit feinen exrfauften Natu— 
ralien zur Hauptftadt fährt. Und bat 
die Woche ſechs Werktage, jo hat ein 
rechter Fragner auch feine ſechs Gare 
(„Bäu*, wie er ſagt). Man ſieht 
alfo, wie der Mann mit der Zeit es 
hält, wenn ihm auch der Zeitgeift 
mitunter ein Schnippchen ſchlägt. 

So ein Gau umfasst etliche Dörfer, 
die er alle Haus für Haus zu „durch— 
fragen“ Hat, und darum ift er eben 
Fragner. Vorm Dorfwirtshanje fteht 
jein Wagen mit etlichen Körben, But— 
ten und Kiſten. Ihn zieht das Fragner- 
roſs, daS der vielen Eier wegen fein 
Schnellänfer jein darf. Meift iſt es 
ein ausgemuſtertes Poſtroſs und könnte 


— in der Hauptftadt unten leide er das viele Fett anf dem Magen an 


Schaden, dort verjpiele er bei dem 
Dandel allemal jein armes Geld! 
Und trinft das zweite Moſtglas leer. 

Kauft Hagend, zahlt feufzend, 
geht jammernd. Und fo Hagt und 
feufzt und jammert er fi von einem 
Danfe zum anderen, aus einem Dorfe 
in das andere und treibt’s fo Gau 
für Gau den ganzen Tag, von einer 
Moche zur anderen, Jahr für Jahr, 
und ſchlürft fleigig Bauernmoft dazu. 

Moft ift nämlich ein gutes Bin: 
demittel zwilchen dem Herzen des 
Fragners und jener der Bäuerin, ift 


feinem eigenen Leibe brauchen ; daher 
ertönt fein Wiehern ſtets wie höh— 
niſches Gelächter. 

Sit das Torf „abgefragt*, nachher 
feucht der fchmwerbeladene Fragner dem 
Wirtshaufe zu, wo er in der Ede 
nachprüft und nachrechnet. Er nimmt 
Buch und Stift und notiert — lä— 
chelnd, ſchmunzelud. 

Zur Hauptſtadt fährt er mit vol— 
fen Körben und leeren Tajchen, heimzu 
treibt er's umgelehrt. An die Greißler 
der Stadt verlauft er im großen, an 
Private im Heinen. Und jo wird der 


auch eine gute Salbe und Schmiere Fragner auf den verjchiedenen Markt: 


für die Fragnerhand, auf daſs fie 
ſchneller das Geld aus der Taſche 
führen möge. 

„Heute war bei diejer und jener 
Bäuerin ein gehöriges Thanuwetter!“ 
fagt er nachher allemal daheim. Wird 
er jedoch nicht bewirtet, dann meint 
er, e8 wäre bei der ımd der Bäu— 
erin eine „trodene Zeit“ eingerüdt, 
obgleich er mitunter auch ein „Don 
nerwetter“ erlebt, in&belondere, wenn 
es jich berausitellt, dafs er in ver— 





plägen meift auch von den Schönen 
am bäuslihen Herde umringt; dazu 
gehört aber nicht allein ein ficheres 
Derz, ſondern auch ein fefter Sinn 
in den allfort jammernden, Hagenden 
Fragnerleib. 


Im Hochſommer und auch oft 


'fpäter tief im Herbite bringt er noch 


verjchiedeneg Obſt mit nah Groß— 
Mien und „verjchleudert es mit Ver— 
luſt“. So geht nämlich fein Gerede 
und dabei legt er fein Fragnergelicht 


ſchiedenen Hänfern verjchiedene Preife zu entjeßlichen Falten. 


937 


In einer feiner Butterkiſten liegt 
mitunter ein Häschen, ein Rehlein 
wohlgeborgen — dieſen Schabernad 
bat ihm nur ein boshafter Feind ans 
getdan. Er jagt jo und ſchüttelt den 
Fragnerkopf dazu. 

Im Herbite fauft er von Tag— 
löhnerleuten und Kleinhäuslern auch 
Knoppern und verhandelt fie an Ger— 
bern. Aber er verliert auch bei dieſem 
Gefchäfte, wie er mit ſaurer Miene 
geſteht. 

Und jo jammert er wöchentlich 
ſechsmal in den einzelnen Gauen und 
jährlih zmweiundfünfzigmal im der 
Hanptitadt unten und wird dabei 
wohlhabend und grundreid. 

Hreilich fommt es dann und wann 
vor, daſs er von Ddiefer oder jener 
Bäuerin übertölpelt wird und in its 
gend einer Butter einmal einen. Erd— 
apfel oder gar eine Rübe findet. Doch 
fein Fragnerauge ift geübt, es erkennt 
an jedem einzelnen „Stritzel“ auch 
die Meifterin, die fie geliefert hat. 
Eine ſolche Geberin ftreicht er hernach 
aus feiner Kundenliſte. 

Alle Bäuerinnen find ihm „brav“ 
und werden ihm allzeit „jünger“ umd 
„ſchöner“, ja er kann ſelbſt zärtlich 
und überfreundlich werden, meiſt zum 
Arger der plöglih Lieblofeten und 
zum Ergößen der Männer. 

Nicht immer und überall betreibt 
er feinen Handel allein, meiftentheils 


hat er noch Fragnerlnechte und Frag— 
nerdirnen, die in den einzelnen Gauen 
ihn handeln Helfen müſſen. 


In jenen trüben Tagen, wo der 
Schulmeifter noch Zehent und Natu- 
ralabgaben von den Bauern empfieng, 
oder befler gelagt, perjönlich zu Holen 
hatte, kam der Fragner auch in das 
Schulhaus und faufte ganze Körbe 
voll Eier und Schmalz. Aber auch 
dort jammerte er und klagte, dajs es 
erbärmlich war, während den Schul— 
meifterleuten über das viele Geld in 
den abgemagerten Händen das Geficht 
förmlich „zerrann“. 

Und wie gelebt, jo auch geitorben. 
Im Zodtenbette Hagt er noch: 

„Seht geht's ins leßte Gäu — 
werd’ doch nicht kommen zu Schaden ?* 

Und iſt er endlich aus dem Leben 
gejchieden, dann jammern ihm die 
Bäuerinnen nad: 


„Zröfte Gott feine arme Seel’ 
— es werde ihm die Erde fo leicht 
und gering, wie er feinerzeit unſere 
Butter auf feiner Wage leiht und 
gering fand!” 


Gott Hat aber in feinen lichtfuns 
felnden Geſtirnhimmel eine rieſige 
Mage geftellt, eine Wage mit zwei 
Schüſſeln. In der einen liegt der 
Fragner, in der anderen all das, was 
er zeitlebens unnöthig gejammert und 
geklagt Hat. 


938 


Der dreifühig” Chriſtl. 


Ein Bilden aus dem Volle der Alpen von P. R. Kofegger. 


LAIEN 
a er den Schaden hat, der hat 
— auch den Spott! Die Ver— 
läſslichkeit dieſes Spruches 
hat auch der Kohlenmeſſer Chriſtian 
Ebner erfahren. Dieſer Mann wurde, 
weil er nur einen Fuß Hatte, der 
dreifüßige Ehriftl genannt. Eine ftür- 
zende Kohlenfuhr hatte ihm einft den 
linfen Fuß in Splitter geichlagen, 
weshalb er mit einer Holztrüde, alfo 
einem dritten Fuß, umberhumpeln 
musste. Er machte fich aber nicht viel 
darand, denn während feine zwei an— 
geborenen Beine bisweilen arg gich— 
tiich waren, that ihm das dritte, das 
verjpottete, gar nie weh, auch nicht 
wenn die Hunde drein biffen. Die 
Hunde thaten das, was die Leute 
auch thun wollten, aber wicht thun 
durften; fie waren recht biſſig auf 
den armen krüppelhaften Mann, deſſen 
Erſcheinen ihnen allemal einen Kreuzer 
toftete, Er bettelte zwar nicht eigent= 
fi, allein wenn der gute, abgehärmte 
Alte fo daherhumpelte, da Hub im 
anderen allemal das Gewiſſen an: 
Du, da kommt der dreifüßige Chrifil, 
das ift ein armer Haſcher, kann ich 
nichts verdienen, iſt auch zu g'ſchamig, 
um zu bitten, dem muſst einen Kreuzer 
geben. — Gab der von feiner inneren 
Stimme alfo Angeſprochene fait allemal 
im Gedanken zur Antwort: ch Hab’ 
nichts bei mie! oder: Ich müjst' exit 
die Handſchuhe ausziehen, den Über— 


rock aufneſteln und in den Sad grei— 
fen, und das ift mir zu umftändlic. 
— Darauf das Gemillen: Du, wenn 
du diefem Armen keinen Kreuzer gibit, 
jo wirft du mit viel Glüd Haben 
mit deinem Geld und Gut und in 
deinen Gefchäften. — Da madt der 
Bedrängte, der fein Gewiſſen wegen 
Erpreſſung verklagen fönnte, ein 
ſaures Geficht, hebt an zu ſuchen, 
findet, und ſchenkt dem Chriſtl einen 
Kreuzer. 

Diefer unbequeme alte Menſch, 
der Chriſtl, ftieg denn Jahr für Jahr 
in der Gegend umber und jeden, 
den er begegnete, lächelte er mit feinem 
Heinen weißbärtigen Gefichtlein gut— 
müthig an. Er, der von Wohlthaten 
anderer leben mujfste, hätte auch gerne 
Gutes gethan, war aber ſo ſchwach, 
arm und undermögend, konnte gar 
nichts tun, al3 die Leute freundlich 
anlächeln. 

Im ganzen hielt der dreifüßig' 
Chriſtl ſich lieber an unſern Herrgott, 
als an die Lente. Bei dem konnte 
er fiher fein, dafs er nicht ſchalt und 
nicht ſpottete, dafs er ihn ruhig anhörte, 
wenn der Ehriftl feine Leibes- und 
Seelennöthen vortrug im andächtigen 
Gebet. Wenn der Küfter früh mor— 
gens gieng, um das Kirchenthor auf— 
zujperren, jo ftand davor ſchon der 
Chriſtl und lächelte ihm entgegen, in 
Demutd und Freude auf Einlaſs 


039 


wartend. Und nad dem Gottesdienfte, | halt Hart. Aber mufst ſchön geduldig 


wenn die lebte alte Frau mit ihrer] 


Andacht fertig geworden und der Küſter 
ſchließen wollte, faß in feinem Wintel 
hinter dem Muttergottesaltare immer 
noch der Ehriftl. Er wurde heimatlos 
gemacht, mufste hinaus. Dann fuchte 
er Stapellen auf, vie nicht verjchloffen 
waren, oder Feldkreuze, vor denen 
er knien oder jigen konnte. 

Der Chriſtl war nicht eigentlich 
dad, was man einen Beibruder meint, 
dafür war.er zu feelenheiter, zu warn» 
berzig gegen die Leute, zu bejcheiden, 
zu ſchamhaft in feiner Andacht. Wenn 
Leute in der Nähe waren, da berbarg 
er jein Gebet, lächelte und wuſste 
ein gemüthliches Wort zu jagen, Wenn 
er aber allein war, da unterhielt er 
ih mit den Hinmmliſchen jo vertraut 
und vertraulich, als ob jie jeine beften 
Kameraden wären. Manchmal war er 
auf Wallfahrtswegen nad einem Gna— 
denorte, wollte es aber nicht recht 
eingeftehen, fondern fagte, er ftreiche 
nur jo ein wenig umber, daſs er eine 
andere Luft athmen, eine andere Ge- 
gend jehen könne; er jei jo viel neu— 
gierig. Insgeheim war er für Natur: 
Ihönheiten herzlich gleichgiltig; mur 
wo folche bejonders auffielen, wie in 
fruchtbaren Thälern oder im wilden 
Hochgebirge, da that er einen Seufzer 
und jagte: „Was er doch alles zuweg 
bringt, der allmächtige Gott!“ 

Am meilten bejchäftigt war der 
Dreifühige in der Faſtenzeit, da hum— 
pelte er zu den Galvarienbergen um— 
ber, wie foldhe im Lande mit Bild» 
niſſen aus der Leidensgefchichte her— 
gerichtet find. Er müſſe unſern lieben 
Herrgott tröften gehen, jagte der Chriſtl, 
fein Menſch kümmere ſich um den 
Herrn in jeinem heiligen Leiden und 
Sterben. Und da ſaß der alte find 
lide Mann denn manchmal vor der 
Station, wo der Heiland am Olberge 
dargeftellt ift, und redete jo Halblaut 
vor ich Hin: „'s iſt Hart um dich, 
mein lieber Seins. Ich glaub’ dir's, 
dafs dir bang ift, das Sterben tft 


fein, Schau, unſer Herrgott hat auch 
leiden müſſen.“ Derlei jagte er zum 
Heilandbilde, in feiner Einfalt ver— 
geſſend, daſs ja gerade diejes den 
„Herrgott“ darftellte, „der ach but 
leiden müſſen“. 

Bei der Station, wo die Geike- 
lung und Krönung mit Dornen dar- 
geitellt ift, wurde der Chriſtl allemal 
ganz boshaft und jagte zu den Hen— 
feröfnechten: „It Schon recht, ſchlagt 
nur zu auf den armen Jefus! Thut 
ihn nur recht peinigen! Werdet jchon 
jehen, was euch geichieht! Werdet 
Ihon winfeln in der Höll, ihr fals 
ichen Juden, ihr!“ — Auf der Höhe 
des Berges angelangt, war alle Bits 
terfeit wieder vorüber und er ſprach 
am Fuße des Gekreuzigten laut Sterbe= 
gebete, im welchen er dem fterbenden 
Heilande der Fürbitte unferer lieben 
Frau und dem heiligen Schußengel 
empfahl. 

Und einmal, da Halte der drei— 
füßig' Chriftl bei einer ſolchen Cal— 
varienbergbefteigung ein Erlebnis. Die 
Märztage waren fonnig und warm, 
dafs der Schnee von den Hängen 
rann, die Nächte waren kalt. Und an 
einem froftigen Morgen bejtieg unfer 
Alter den Galvarienberg bei Kindorf. 
Er war jchier der einzige Streuzpilger, 
alle anderen vergaßen wieder einmal 
ganz und gar des leidenden und ſter— 
benden Heilandes. 

Der Calvarienberg zu Kindorf it 
ein jehr fteiler Felshügel, ſtellenweiſe 
mit fenkrechten Wänden. Bon Station 
zu Station führen Holztreppen hinan, 
die an mehreren Stellen himmelan— 
ftrebend wie eine Leiter find. Unfer 
Alter Heiterte wohlgemuth über Holz— 
balten und Eiskruſten empor und bei 
jeder Station unterhielt er ſich in 
feiner gewohnten Weiſe mit den 
Figuren. Als er endlich etwas mühe— 
jam faft bis zur Höhe des Berges 
fam, auf welcher unter freiem Him— 
mel die drei Kreuze ftehen, jah er, 
dafs die legten oberiten Stufen arg 


vereist waren. Steine Handbreit ebene 
Stelle war zu ſehen, auf welche 
man den Fuß hätte ſetzen können, 
alles in einen glatten welligen Eis— 
mantel gehüflt, der fich chief über 
die geländerlofe Treppe gegen den 
Abgrund zog. 

Der Ehriftl Stand auf feinen drei 
Füßen feft und ſann nad, was da 
zu maden wäre. Sein Schuh war 
nicht mit Nägeln befchlagen und feine 
Krüde nicht mit einer eifernen Spike. 
Es war diesmal alles fo glatt, wie 
es in dem Leben armer Menjchen 
Jonft felten abläuft. Er verjuchte es 
wohl, mit dem Stabe Scharten in 
das Eis zu ftoßen, aber ohne jeglichen 
Erfolg, Hart wie die Welt war das 
Eis. 

Der Chriſtl lächelte nun ein wer 
nig und kraute ih am Naden. 
„Schau“, jagte er, „da thut's mid 
ein biljel reizen (neden)! O du Mait: 
fau, dur zaundürre — oder was! Mie 
fomm’ ich jet mur drüber hinauf! 
Unfer lieber Herrgott wollt" mir ge= 
wiſs gern die Hand herabreichen, daſs 
ih kunnt anfallen, aber dem geht's 
jelber miferabel, dem haben fie die 
Hand feftgenagelt. Da heißt's ſchon 
einen anderen Vortel probieren. Ich 
weiß was, ich leg mich Hin und krauch' 
über das Eis ſchön langfam hinauf.“ 

Das that er nun. Er jehmiegte 
ih an, krallte ſich mit den hageren 
Fingern ein, jo gut es gieng, ſtemmte 
ih mit dem Fuß, mit der Krücke, 
griff nun aus, zog das Bein nad und 
fam vorwärts. Als er ſchon fait an 
der oberften Stufenwelle war, lieh 
es aus und unfer Chriftian Ebner 
begann ſachte zu rutichen. Aber nicht 
treppabwärt3, wo er heraufgefommen, 
ſondern ſeithin gegen den Abgrund. 
Der hölzerne Fuß, die Krücke, die 
jeiner Hand entfallen, war jchneller, 
glitt luſtig hinab und fprang über 
die Felswand tief ins Geſtein des 
Ihalgrundes, dafs e3 Elapperte. 

„Bau!“ ſchrie der Alte in feiner 


TE — —ñ —ñ— —— m — —— — — — — — — — —— — — 


940 


fahren ?* Immer friſcher gieng's die 
beeiste Lehne hinab und al3 der Ehrifti 
Thon fehr neugierig ift, wie es bei 
der Felswand fein werde, erwiſcht 
feine Hand ganz zufällig einen her— 
vorstehenden Birkbaumſtrunk und Hält 
fich feit. „Wart du, der Nagel it mir 
juft recht!“ ſagte er, wuſste ihn mit 
dem Arm zu umfangen und jo hieng 
er nun am fteilen Eisfeld, unmittel— 
bar über dem ſenkrechten Abgrund. 

Das erite, was der dreifüßig' 
Chriſtl in dieſer neuen Lebenslage 
that, war, dafs er zu kichern anhub. 
„Da Haben wir jet den Narren!“ 
fagte er zu fich jelber. „Kunnt jchon 
unten fein, aber wenn's wicht jein 
muss, ih kann's derwarten.” Sein 
Geficht wandte er dem Dimmel zu, 
der war jhön blau, und über der 
Zinne des Berges ragte das Haupt 
des Gefrenzigten auf. — „Sehen thät 
er mich ſchon, jehen“, fo tröftete der 
Alte fih, „aber Mirafel wirken, meinet- 
wegen, das kann ich doch nicht ver— 
langen.” 

Der Heiland jedoch dachte ander2. 
Seinen Diener, der immer jo des 
müthig und treuherzig an ihm ges 
bangen, den mollte er nicht verlaffen 
in der Noth. Sterben! der Chriftl 
wirde fih zwar willig ergeben, aber 
lieber ift’3 ihm ſicherlich noch etliche 
Jahre auf Erden. Ih will ihm's 
zeigen, was fein Erlöſer kann, troß 
der gefreuzigten Hände. . .. 

Unten jtand die Galvarienlirche. 
Ron deren fteilem Dache rutichte jetzt 
eine große Schneelaft ab, daſs der 
Boden dröhnte. Ob diejes Getöjes 
lief der Küfter Hans aus feinem Daufe 
und der fah den alten Ehriftian hän— 
gen Hoch oben an der beeisten Lehne. 

Au, denkt er, der hat's unkamodt 
dort oben! Erfafst einen langitieligen 
Feuerhaken, der in einem Winkel der 
Kirchenmauer lehnt, eilt die Treppen 
hinauf, haft den Alten beim ledernen 
Hofenhalter feſt und zieht ihn beran. 

Der ChHriftl ift fehr erftaunt, als 


Überrafhung, „thun wir fchlitten= |er bemerkt, dafs er wieder verläſs— 


— —— — —_ — — — — — 
— 


— 


lichen Grund unter ſich Hat. „Du“, 
ſagt er endlich zum Küſter, indem er 
ſich mit dem Armel den Schweiß von 
der Stirne wiſcht, „hätt's nicht ver— 
meint, daſs einem auf dem Eis ſo 
warm werden kunnt!“ 

Als ihn nachher der Hans hinab— 
führen will die Treppen, ſagt der 
Alte: „Ah mein, ih muſs ja da 
hinauf!“ 

„Willſt denn noch einmal rutjchen ?* 
fragt der andere. 

„Rutfchen nimmer!” entgegnet der 
Alte, „nur ein paar Wörtl zu reden 
Habe ich mit ihm.” 

Er lieg ſich nicht abbringen, der 
Küſter bieb mit dem Hafen Stufen 


ins Eis und jchleppte den in feiner 
puren Zweifüßigkeit jeher mühjeligen 
Ehrijtian auf die Höhe des Berges. 

Dort fant der Alte Hin, umarmte 
daS Kreuz und jagte mit zitternder 
Stimme: „Bilt wohl brav, lieber 
Herrgott, daj3 du mir den Hanfel 
haft geihidt. Thu’ ihm's recht gut 
meinen, jo lang er lebt, und wenn 
er geitorben ift, Jo gib ihm ein jchönes 
Plagel im Himmel. Iſt ein braver 
Menſch, der Hanſel. — Und jet 
will ih zu Ehren deines heiligen 
Leidens ein Vaterunſer beten... .“ 

Schweigen wir, jolange er betet, 
ſchweigen wir Still im Ehrfurcht vor 
der Kraft des Glaubens. 


Ein Breislauf. 
(Alter Eprud.) 


& 


emut bat mid lieb gemadt, 


“ Lieb’ hat mid zur Ehr gebradt, 


2 Ehre bat mir Reichthum geben, 

ss Reichthum thät nah Hochmut fireben, 
ochmut ſtürzt in's Elend nieder, 

lend gab mir Demut wieder. 


Kleine 


Ein Gruß 


den Gäften vom Peulſchen und ölerreichiſchen 
Alpenvereine. 


(Belegentlib der Jahresverſammlung in Graz 
im Auguft 1891.) 


Ihr Herren, ach wäre ich gut bei Fuß, 
Ih wollt’ mit Euch fteigen und jchreiten, 
Anftatt auf hinkendem Pegaſus 

Euch ſacht' entgegenzureiten. 


Ihr habt im lieben Deutſchen Reich 
Mich oft jo Fröhlich empfangen, 

Ich bin, ftatt bergmwärts, gern mit Euch 
Zu tiefem Grunde gegangen, 


Den ſchönſten Blid in das Weltenrund 
Hat man — id ward es inne — 
Bom tiefen, fühlen Kellersgrund 

Und von der Alpenzinne, 


Das Leben fann nur vertieft, erhöht. 
Den Erdenpilger bejeelen, | 
Gott ſchütze uns gnädig vor flaher Od, 
Und flachen Alltagsgeiellen ! 





Des Menſchen Geift gleich der Blume jprießt | 
Aus dunkler Tiefe nad oben, 
Und unjere Jakobsleiter ift 


Aus Fels und Gletſchern gewoben. 


Die Bergesipige fie ſei jedoch 
Als Endziel nicht unier Eigen, 
Mohl ungeahnte Höhen no 
Die Menſchheit hat zu erfteigen. 


Saube. 


| Seid ſchön gegrlüßt Ihr, im grünen Land 
Der Hirten und der Muſen, 
Dem Edelweik auf der Felſenwand 


Und Eifen wädst im Bujen. 


Des Bergiohns Lorbeer, der Zannenwald, 
Belränz’ Eure Stäbe und Stirnen, 

Auf blumiger Alm, wo der Jodler fallt, 
Steigt an zu den leuchtenden Firmen, 


Und bringet mit aus des Kellers Grund 

Das Vollblut der ſteiriſchen Reben, 

Und lajst mir dort oben mit Herz und 
Mund 

Die vielliebe Steiermark leben. 


Und lajst mir aud leben die Heimat fern, 

Die Lieben an Eurem Herde. 

Vom Fels bis zum Meere ſei Gott dem 
Herrn 

Empfohlen die deutſche Erde. 





V. A. Koltagert. 


Fin Brief Hamerlings. 


Das folgende Schreiben Robert 
Hamerlings vom 24. Juli 1866 iſt 


‚an jeinen Gollegen Prof. Raab in Wien 
| gerichtet. 
was in jenen Tagen vorgieng und mie 
‚damals die Stimmung in unferem Ofter- 
‚reih war, 


Mern man vor Augen bat, 


jo muj3 man ſich wohl ver: 


wundern über den merkwürdigen Brief, 


Finftweilen übe fich jedermann 
Im Ringen und im Sleitern, 
Wer hohen Bergen irogen Tann, 
Der troßt auch böfen MWettern. 


‚in welchem jo viel Prophetiiches 


liegt. 
Wir haben die Erlaubnis, ihn abzu- 


druden. 


x. > L\ 2 EL 6 
T irn T an a .u van 


943 


„Lieber Freund! 


nimmt. Hauptjache ijt, daß die deutiche 
Bermegung einmal in Gang fommt; die 


Ihr Brief vom 14. hat mich erfreut, | gegenwärtigen Friedensſtipulationen der 
und e3 mar mir intereflant, dab Sie | Diplomaten haben nur eine vorüber: 
fih darin auch ein wenig über die Sir gehende Bedeutung. 


tuation ausgelaßen haben; glaube ich | 


Sie fragen wie es in Bezug auf 


doch, dab in dem was Sie jagen, ſich meine dienſtlichen Verhältniſſe fteht ? Ich 


die Stimmung und Anficht der von den 
Preußen bedrohten Reſidenz überhaupt 


babe um meine Penſionirung an— 
gejucht, und ſehe berielben jeden Tag 


einigermaßen wiberfpiegle. Jch theile ganz |entgegen. Meine Stelle in Trieft wird 


Ihre Anſicht, daß ſich für Deutjchland 
wichtige Dinge vorbereiten, und wenn 


aljo vacant; vielleicht ſetzeu Sie in 
Mien es durh, dab man Sie dafür 


aus Ihren Zeilen hervorgeht, daß Ihnen ernennt. Schreiben Sie mir bald wieder ; 


der Gedante, Deutihland werde fich die 
Suprematic Preußens gefallen laſſen 
müjlen, nicht fern liegt, jo muß ich ge 


ſtehen, dab eben diejer Gedanke jchon 


vor dent gegenwärtigen Striege meine | 
Überzeugung gemweien it. Glücklicherweiſe 
bat jih jetzt herausgeſtellt, dab es deu 
Preußen wenigftens an der Kriegstüch— 


tigfeit nicht fehlt, um Deutichland zu | 
führen und nah außen im Notbfall | 
kräftig zu vertreten. Um Dauerndes| 


zu begründen, gehört aber freilich noch 
dazu, daß fie verfiehen, moralijde: 
Groberungen zu machen. Verſtehen fie 
das nicht, jo ſteht es Ichlimm um Deutjch- 
land und jeine Einheit, deren Zuftande» 
fommen nun einmal ganz und gar vom 
vernünftigen Verhalten des zur Supre— 
matie berufenen Stammes abhängt. Das 
wir Deutich » Ofterreicher für jegt aus 
Deutſchland ausgeſchieden werden jollen, 
iſt ſehr ichlimm, aber wenn die Aus» 
iheidung Ofterreih3 aus dem Bunde den 
öfterreichiich » preußiichen Zwieſpalt, der 
Teutichland bisher getrennt bat und 
immer trennen würde, wirklich ausgleicht 
und es dem übrigen Deutichland möglich 
macht, fih zu conjolidiren, jo mö- 
gen wir ums patriotiich über eine Maß— 
regel tröften, die doch auf jeden Fall 
nur provijorijc tft. An das com 
jolidirte Deutſchland werden jid 
die deutichen Provinzen Ofterreihs gewiß 
wieder anſchließen mollen, und der 
Roltswille wird entjheidend 
jein, beſonders wenn einmal ein dentſches 
Parlament veriammelt tft und die Nation 
jelbft die Angelegenheiten in die Hand 


vom Orte Ihres Aufenthaltes gibt es 
ja jegt immer Jutereſſantes mitzutheilen. 
Ach würde viel drum geben, wenn ich 
in Wien jein, Stimmung und Verhält— 
niße in der Nähe betrachten könnte. Mit 
berzlibem Gruß 
Ihr 
Rob. Hamerling.“ 


Graz; 24. Juli 1866. 


Fin Rindermärden.*) 


„Ein Märden, Onkelchen, geihwind !* 
So höre, Heines Närrden: 
Es war einmal — aljo beginnt 
Doc jedes deutihe Märden — 
Alſo: es war einmal, mein Kind, 
Ein liebes Brüderpärden, 
Das lebte ohne Zank vereint 
Beinah’ ein volles Jährchen! 
Du glaubft es nit, mein Heiner Freund ? 
Nun ja — 88 ift ein Märden! 
Iofef Allram, 


Die Bogelleide als Franenpub. 


Die Speculation auf die @itelfeit 
des Weibes hat zu einer Mode geführt, 
die läberlihb und empörend zu— 
gleich iſt. Es ift dies die Mode, Frau— 
enhüte und Kleider mit Bogele 
ieihen aufzjupußen. 

England und Frankreich führten in 
einem Jahre 1,600.000 Bogel- 
bälge ein. In der legten „Saiſon“ 


*) Aus dem Scheffel ⸗·Jahrbuche. Wien. 


betrug diefer Import in Frankreich allein 
eine Million Colibri! 

Ernjte Forſcher berichten mit Ent- 
züden über dieſe wundervollen kleinen 
Geichöpfe, dieſe „Stleinodien der Natur“, 
diefe „beflügelten Blumen und Edelſteine“ 
der Tropen. Buffon nennt den fleinen 
Vogel „das Meiſterſtüch der Natur.“ 
Burmeister jchreibt: „Man mujs die 
wundervollen Gejchöpfe lebend in ihrem 
Vaterlande gejehen haben, um den Lieb- 
veiz ihrer Natur volljtändig bewundern 
zu fönnen.* 

Bald werben die Landſchaften, denen 
dieje wunderbaren Geſchöpfe paradiefischen 
Reiz verlieben, verödet jein. Millionen 
Ihierchen, die in ihrem ätheriſchen Leben 
ihr leuchtende Gewand mie mit dem 
Staub der Erde beſchmutzt, werden nicht 
mehr von Blume zu Blume gaufeln — 
num werden ihre traurigen Reſte im 
Staube des Balljaales, oder als weibli« 
cher Kopfputz in kurzer Spanne Zeit ver— 
dorben jein, . 

Mit Widermillen wird jede feinfüh- 
lige Frau jich von einer Mode abwenden, 
die dem barbarifchen Geſchmack der Ans 
dianer entjpricht, aber in einem Volke, 
das Anspruch madt, zu den Gulturvölfern 
zu gehören, unmöglich fein jollte. 

Es iſt eine VBerjündigung an ber 
Natur, dieſe Vernidtung ihrer jchöniten 
Gebilde zur Befriedigung thörichter Eis 
telfeit, jowohl wie an dem, was dem 
Menichen und beionders dem Weibe das 
Heiligite jein follte: das Mitleid, 
das Erbarmen. 

Die Martern, welde Millionen und 
Millionen armer Geſchöpſe um weiblicher | 
Eitelkeit willen erleiden müſſen, find ſo 
grauenhaft, daſs fie ohne das Zeugnis 
hochangeſehener Männer unglaublid er 
icheinen würden, Es ift die Thatſache 
feitgejtellt, dajs die Vögel mittelft an, 
den Zweigen befeitigter Angelfchnüre ger | 
fangen und häufig jogar lebendig 
abgebalgt werden, damit das 








Gefieder nichts von feiner Farbenpracht 


verliere, 


Welche gefittete Frau wird den Muth, 
zur | 


haben, nachdem dieſe Thatſache 


öffentlichen Kenntnis gebracht, ſich noch 
mit Vogelleichen auſzuputzen? Mitihul- 
dig an ſolchem barbariſchen Treiben iſt 
jeder Kaufer der jo zu Tode gemarterten 
Thierchen. 

Es gibt Übertretungen des Sitten- 
gejeges und Verſtöße gegen das geiell- 
ihaftlihe Herlommen, auf denen Die 
Strafe der gejellicaitlichen Achtung jteht. 
Und doch, wie jelten verratben jolche 
Vergehungen einen Mangel fittlihen Ge— 
fühls, wie cr durch die Berheiligung 
an der hier in Frage ftchenden ſchänd— 
lichen Mode fih äußert. 

Wir find überzeugt, daſs feine edel» 
denfende Frau ſich zur Mitichuldigen an 
der nichtswürdigiten aller bis jetzt be— 
fanntın Modethorheiten machen wird. 


And hilft ka guals Kedn umd 
ka Scheltu — 


Slelriſch⸗ 


Wanſt mit r an Menſchn muaist lebn, 
Der grob is und ſchlecht is, 

Sa ſulſt eahms an etlamol jogn, 

Wos Shid id und redt is. 

Mit Giatn und Deamuat muajst bitn, 
Und will däs nix nußı, 

Sa muajstn mit zornmwildn Wetern 
Recht ſchauderlih putzn. 


| Und hilft fa guats Redn und fa Scheltn, 


Su nutzt ah fa Klogn, 

Und muaist n, wir er id, in Gottsnomen 
Geduldi datrogn. 

A Kreuz is 's a ſchwars, a lebendigs, 


'Wul a traurigi Welt! 


A Lebn iS a bort3, an elendigs, 
Ober trogs wir a Held. ir 


Die wunderschöne Rede. 


Sie fennen fiherlid den Baron S;., 
Mitglied des ungariſchen Herrem 
hauſes, den jchmweigiamften aller Ge— 
ſetzgeber jo läjst ſich Koloman v. 
Mikszaths in ungariſchen Blättern ver— 
nehmen. Eine kleine, gedrungene Geſtalt, 
mit kurzem Halſe, das weiße Haar kurz 
geſchoren, auf dem ausraſierten, feiſten 





045 


Gefihte ftrablt die Gemütblichfeit. Er 
hatte die fchlechte Eigenschaft, während 
einer jeden Sigung des Herrenhauſes zu 
erzählen, wie viel er alles zu jagen 
hätte, aber er dürfe micht Sprechen, 
jein Gelübde verbiete es ihm ... 
Mas? Ein Gelübde? Was für ein Ge 
fübde? ... Der Baron bat mur auf 
dieje Frage gewartet, Er entlaitet, guts 
müthig und gemüthlich wie er tjt, jein 
Herz mit folgender Geicichte: Beim 
1841er Ständetag wohnten wir in 
Preisburg mit meinen lieben Freunden 
Georg Majlath und Barthel Sjemere 
zuſammen. Wir hatten zwei große Zim— 
mer und ein gemeinjamer Buriche be- 
diente uns. Wir febten herrlich für uns. 
Sowohl Georg als auch Barthel waren 
vortrefflihe Männer und gute Kamera— 
den. Sie jpielten beide eine große Rolle 
auf dem Ständetag, bejonders der 
Barthel. Eines Tages begann ich, fie 
um ihre Lorbeeren zu beneiden und 
jagte zu mir im Selbjtgeipräh: „Du 
Baron, wie jchön wäre das, wenn du 


pohte laut. Und in diejem erbabenen 
Augenblide läutet der Präfident und 
fragt: „Wer hat etwas dagegen zu be— 
merten ?* Ich blide bochmüthig umher. 
Die Abgeordneten jaßen jtill auf ihren 
Plägen und unbeweglich wie die Ähren 
in der Windſtille. Doch ſchau, was ſehe 
ich? Wer ſteht auf? Bartholomäus 
Szemere. Was kann denn der Barthel 
haben wollen? Was mujs ich hören? 
Iſt es Wahrheit oder bin ih von Sin— 
nen? — Er beginnt: „Verehrte Stände! 
Was der Herr Vorredner ſprach, iſt 
von VA bis 3 unridtig und 
grundlos.” — und damit geht er 
darauf los, zergliedert und widerlegt 
meine Rede gründlid. Darauf bin ich 
aber auch in Wuth gerathen, mein Kopf 
brannte. „Slauben Sie ihm nicht, ver- 
ehrte Stände!” rief ich dazwiſchen — 
„er jelbit Hat ja meine Rede 
gemacht!” Erlaſſen Sie es mir, die 
Wirkung diefer Worte zu beichreiben. — 
Da that ich das Gelübde, nie mehr 
eine Rede zu halten. 


auch eine Nede halten würdeſt“, worauf | 


ih mir jelbjt zur Antwort gab: „Dazu 
gehört Geiſt, Baron!“ ... „Nun“, 
entgegnete ih, „wenn ich feinen habe, 
werde ich mir melden vom Barthel 
leihen.“ (Er pflegt e3 auch jo zu machen, 
wenn er fein Geld bat.) . . . Ich rufe 
auch jogleih Barthel Szemere beijeite: 
„Mein lieber Barthel, geh’, mach’ mir 
eine Rede!“ — „Redt gern, mein 
Lieber. Morüber?* — Das iſt mir 
egal, nur ſchön joll fie jein . .. . wun— 
derbar ſchön!“ — „Wie nur bein Ohr 
und Mund begehrt!” — So geichah es 
aud. Tags darauf gibt er mir fie ganz 
fertig ber, ich ochſe fie ein und jage jie 
am dritten Tage ber. Ah! Die Begei- 
jterung hättet ihr jehen jollen, der Saal 
dröhnte nur jo von dem ftürmiichen Bei- 
fallflatichen, und wie ein Donner ericholl 
e3: „Vivat, Vivat!“ Der Palatin jelbit 
fonnte nicht genug Beifall winken und 
rufen: „Valde bene, bravissimo!“ 
. +. Damals foftete ic zum eritenmal 
den Ruhm. Ich kann jagen, ein füßes 
Gift. Meine Augen glänzten, mein Herz 





Luſtige Beitung. 


Der Arzt und der gebildete 
Dorfihneider Arzt: „Guten Tag, 
Herr Wedemeyer! Nun, mie geht'3 denn 


Shrer Frau?” — Dorfidhneider 
(jeher gebildet): „Danke reſpectvollſt, 
Herr Doctor, für dero unterthänige 





Nachfrage. Zu loben ift e8 zwar noch 
nicht, je dennoch auch nicht gänzlich zu 
verachten. Bettlägerig iſt fie eigentlich 
nur eine Nacht gemeien. Ach jehe zu 
meiner ‚Freude, daſs fie wieder ganz 
appetitlih wird, denn die Eis und 
Irinfjucht nähert fich wieder jo ganz 
allgemäblih, und damit wird fie auch 
wieder umgänglider und ausgänglicher 
werden.“ — Arzt: „Ya, ja, der 
Winter ift immer die ſchlimmſte Zeit, 
wenn es nur wieder Frühling wäre, 
daſs fie viel in die Luft könnte!" — 


60 





946 


Dorfihneider: „Mit dem Früh— 
ling macden wir fabula rosa mit allem 
Krankjein. Dann kann ich fie ordentlich 
lüften, umd dann wird auch ihr ver 
floffenes Tiebliches Ausſehen ſich wieder 
einitellen. Wünſche alleruntertbänigiten 
guten Morgen!“ 


Verdiente Strafe „Doctor, 
ich leide ſchrecklich!“ — „Ab, ich glaube 
nun nicht jo recht an Ihre Schmerzen !” 
— „Willen Sie, was hre verdiente 
Strafe wäre?” — „Nun?“ — „Dujs 
ib Ihnen vor der Naje jtürbe!“ 


Der Studiojus Müller lag 
jhwer am Nervenfieber darnieder, 
Seine Freunde wadhten Tag und Nacht 
bei ibm und lösten ſich alle drei Stun- 
den ab. Um Mitternacht trat der Stu— 
dent Klein die Wache an. Sein Vor— 
gänger war jehr betreten: „Sieh' zu, 
wie Du ihm die Medicin beibringit. 
Der Arzt bat gejagt, dajs jeine Rettung 
davon abhängt. Müller hat mir immer 
den Löffel weggeihlagen. Es ift wohl 
feine Rettung mehr!” Und mun war 
Klein bei dem Kranken allein. Jeder 
Verſuch, ihm die Arznei beizubringen, 
ihlug fehl. Kaum war der Yöffel am 
Munde, jo ſchlug ihn der Kranke fort. 
Klein war in Verzweiflung, alles Zu— 
reden war vergeblid. Da fam ihm ein 
glüdlicher Gedanke. „Müller“, rief er, 
den gefüllten Löffel in der Hand, mit 
lauter Stimme, „Müller, ich komm' dir 
'n Halben!” „Proſt! Sch komm’ 
gleih mit!” gurgelte der Kranke mit 
matter Stimme, tranf mit Fräftigem 
Zuge die Medicin aus dem Löffel — 
und war gerettet. 


Arzt: „Eſſen Sie mit zu viel, 
trinfen Sie mäßig, bleiben Sie abends 
zuhauſe, rauchen Sie wenig und machen 
Sie fih täglib dur Turnen und Spa- 
jterengeben ordentlihb Bewegung !* 
Patient: „Herr Doctor, was glauben 
Sie eigentlib! Wen ih das alles be- 
jolgen wollte, denn braucht’ ich doc 
feinen Arzt!“ 


Sein Dralfel. Studio (zum 
Gommilitonen): „Du hör’ mal, ich hab’ 
einen Bombenmoraliichen, ich möcht’ heut’ 
mal ins Golleg.“ „Geht mir aud) 
jo, aber bier iſt es gerade wieder jo 


verfluht gemütblih; weißt du was, 
lafien wir meinen Gäjar darüber ent- 
ſcheiden!“ — „Deinen Köter — mie 


wilft Du denn das anfangen ?* 
„Sehr einfach, wir laſſen vom Stellner 
'n Stüd Wurft bringen; friſst's der 
Bund, dann bleiben wir hier, frijst er's 
aber niht — dann «beim Zeus» wird 
unter allen Umjtänden ins Golleg ge: 
gangen !“ 


Als Erinnerung an die alte luftige 
Zeit in Jena jchreibt ein Lejer: Wer 
hatte die Koſten für die eingemorfenen 
enfterjcheiben zu tragen? Doch nicht 
etwa der „betroffene“ Er-Rector ? 
Keineswegs. Vielmehr wurden dieſe all 
jährlich wiederkehrenden Ausgaben, wie 
die Übertieferung bejagt, den „Fonds 
für unvorhergeſehene Feſtlich— 
keiten“ entnommen. 


Ein kleiner Junge erhielt von 
ſeinem Lehrer eine Vorſchrift mit dem 
bekannten Reime: „Geh' treu und red— 
lich durch die Welt, das iſt das beſte 
Reiſegeld.“ Der Schüler war ein 
Philoſoph, und einer Erleuchtung fol— 
gend, ſchrieb er: „Geh' treu und red— 
lich durch die Welt, das beſte iſt das 
Reiſegeld.“ 


Stolz. „Der Meiſter ſchickt Ihnen 


hier die Rechnung — ſie iſt ſchon 
quittiert!“ — „Nimm fie wieder unbe— 
zahlt mit nachhauſe! Ich laſs mir 


grundſätzlich nicht ſchmeicheln!“ 


Ein Pfarrer in der Gegend von 
Köln bielt des Mittags Bibelſtunde 
ab, in welcher er aus dem Leben der 
Heiligen möglichſt rührende Geſchichten 
erzählte. Unter den Zuhörern bemerkte 
er eine rau, deren Züge immer trau— 
tiger wurden, bis fie in belle Thränen 
ausbrab. Diefe Schöne Wirkung jeiner 





047 


Morte Teuerte den Priefter immer mebr 
an, immer rübrjeliger murden Erzäh— 
lungen, in denen er fich nicht genugthun 
founte: je länger er ſprach, umjo hei: 
tiger jchluchjte die Frau. Endlich fajste 
ihn aber das Mitleid, er trat an die 
Frau heran mit den tröftenden Worten: 
„Liebe rau, weint nicht fo, denn es 
geihah ja alles Gott zu Ehren.” Darauf 
die Scluczende: „Ab, Herr Paſtor, 
dat eb et mit, äwwer ich gläuve, minge 
Brode (Braten) brennt underbejs an.“ 


Aus deu VBorträgen eines 
Profeſſors. „Ber ſolchen Einjchnit- 
ten, meine Herren, wenn fie noch jo 
ſchön heilen, bleibt immer eine Stelle, 
welche der Heilung bartnädig widerfteht“ 
(will mit der Sonde eindringen), „und 
auch dieje iſt ſchon volljtändig geheilt!“ 
— „Meine Herren, Sie werben natür- 
lich nicht den Magen und Darm eines 
nengeborenen Kindes zur Demonitration 
benugen, jondern etwa den eines Schläch- 
termeifter8 oder eines anderen fleiſch— 
freſſenden reißenden Thieres.“ — „Meine 
Herren! Indem ich Ihnen zum neuen 
Jahre meine herzlichſten Glückwünſche 
darbringe, wende ich mich zu den Ein— 
geweiden und lege Ihnen den Magen 
eines Schnapsjäufers vor.“ „Bor 
drei Krankheiten, meine Herren, warne 
ib Sie befonders: es iſt die Tuber— 
enlofe, der Typhus und das Slindbett« 
fieber. * 


Bezeichneud it die traditionelle Ver» 
achtung, mit mwelder der ruſſiſche 
Bauer auf den Popen ſieht. Man 
leſe nur ruſſiſche Volksmärchen oder lafile 
ſich vom erſten beſten Bauern eines über 
den Popen erzählen, ſo wird 
überzeugen, daſs das Volk ſeine Geiſt— 
lichen und ihre Frauen als „Typen“ der 
Unmäßigkeit im Eſſen und Trinken, der 
Habſucht, Scham- und Sittenloſigkeit mit 
trefflibem Humor darftellt. Wie jedoch 
z. B. die Slovenen ihr Spridmort, daſs 
die Hölle mit Pfaffenläppchen gepflajtert 
jei, nicht hindert, die Geritlichen ohne 
Rückſicht auf ihre menſchlichen Schwächen 


man fich | 


als Bermittler zwiſchen ih und Der 
Gottheit anzujchen, jo denken auch die 
Rufen nicht im entjernteiten daran, von 
ihren Anforderungen an die Geiſtlichkeit 
bezüglich der Erfüllung gewiſſer religiöter 
Geremonien, welche jie für jehr wichtig 
halten, abzugeben, Sogar für ihre aber: 
gläubiſchen Gapricen nehmen die ruſſi— 
ihen Bauern ihre Geiitlichleit in Ars 


ſpruch. Wenn die Ichwere Stunde einer 
Frau berammabt, eilt der Mamı zum 


| Geiftlihen, um einen kräftigen Gebet: 
ſpruch für zwei, drei Kopelen von ibm 
zu erhandeln, worauf der Geistliche ſpricht: 
„Halte deine Kappe, und ich werde das 
Gebet bineiniprechen.“ (Nachdem er e3 
geiproden :) „Drüde die Kappe feſt zu, 
trage das Gebet ſchnell heim und über- 
gib es der Gebärenden.“ 


Vor einiger Zeit verbeiratite ſich der 
Londoner Bankbeamte Wiljon mit 
| einem jungen Mädchen, dus er zärtlich 
‚liebte, Einer Seiner Freunde bot dem 
jungen Ehemann für die Flitterwochen 
die Benutzung eines Vandhäuschens tu 
| Shenflin au. Der Antrag wurde ange 
nommen und das Paar verbrachte Die 
jenen fünf Mocen der Ehe in dieſem 
Haufe. Am Tage ſeiner Abreije über: 
| rafchte es der Eigenthümer mit einem 
Beſuche. Zu ſeinem namenloſen Entſetzen 
fand derſelbe die geſammte Einrichtung 
und das Geſchirr zertrümmert. Er glaubte, 
das Paar wäre tobjüchtig geworden, doch 
Wilſon erklärte ihm mit der größten 
Gemütbörube: „Ich erſetze den Schaden, 
allein ich will nicht, daſs irgend etwas, 
das meine jüße Braut und ich im den 
‚slitterwochen bemußten, noch zu weiteren 
Gebrauche dienen ſoll!“ 


Gin Tämpier. In einer Geſell— 
jchaft weih ein junger Mann nicht ger 
nug von jeiner Menjchenkenntnis zu bes 
richten. „Ich ſehe beiſpielsweiſe auf den 
erjten Blid, was andere von mir denken.“ 

Allgemeines Staunen bis eine 
Tame das Schweigen bricht mit den 
Worten: „Das muis für Sieaber 
ſehr unangenehm jein!“ 

60* 





048 


Unſchädlich. Der Lehrer der Na-!förfter", „Die Makkabäer“ und den 


turfunde jegt in einer oberen Claſſe 


der höheren Töhterihule die ge— 


fährliben Wirkungen der Koblenjäure 
auseinander und will an einem praftis 
tiſchen Beiſpiel die allenfalls .anzumens 
denden Morfichtsmaßregeln erläutern. 
Lehrer: „Run, Wilhelmine, wenn Sie 
zum Beijpiel im Seller eine gefährliche 
Entwidelung dieſes Gajes befürchten 
müjsten, wie würden Sie fih auf un— 
ſchädliche Weije überzeugen, ob Ge— 
fahr da ſei?“ — Wilhelmine (nach 
kurzem Befinnen): „Ach mürde mein 
Dienſtmädchen binunterichiden.“ 


Zwei Herren werden im Cafe beim 
Ntartenipielen von zwei „Kiebitzen“ 
ungemein beläftigt; mad einer Weile 
jtebt der eine der Spielenden auf und 
bittet jeinen Kiebig, ihm anf eine Mie 
nute die Karten zu halten; er fomme 
jofort wieder, Unmittelbar darauf folgt 
der zweite der Spielenden dieſem Bei- 
ipiel, Die beiden Kiebige vertiefen ſich 
jofort in das Spiel und erit nach läns 
gerer Zeit fragen fie den Kellner: „Wo 
find denn die zwei Herren geblieben, 
die hier geiejlen haben ?* worauf die 
Antwort erfolgt: „Die Herren ſitzen im 
anderen Zimmer und jpielen Karten.” 


Büder. 


Otlo Ludwigs geſammelle Schriften, 
herausgegeben und eingeleitet von Adolf 
Stern und Erich Schmidt. (F. W. 
Grunow in Leipzig.) Auf 30 Lieferungen 
und 6 Bände berechnet. Wie groß aud 
das Anſehen geweſen ift, das fih Otto 
Ludwig bei Lebzeiten mit jeinen wenigen 
aufgeführten Dramen und mit jeinem er: 
zählenden Meifterwerfe „Zwiſchen Himmel 
und Erde“ erworben hat, jo treten dod 


der ganze Erfindungsreihihum, die Fülle | 


geftaltender Kraft und die Tiefe der Welt: 
und Menſchenkenntnis, die dem thüringi— 
Ihen Dichter eigenthämlih geweſen find, 
erft in diefer Ausgabe ganz hervor. Im 
Verein mit den Tichtungen „Der Erb: 


Frzählungen „Jwifhen Himmel und 
Erde" und „Die Heiteretbei und 
ihr Widerfpiel”" werden bier nidt nur 
die ſeitdem gedrudten, aber wenig belannt 
gewordenen Dramen „Das Fräulein 
von Scuderi* und „Die Rechte des 
Herzens”, jondern vor allem eine ganze 
Reihe jeither ungefannter Schöpfungen des 
ı Dichters veröffentlicht, durd; die das mäch— 
ı tige, tiefinnerlide Talent Otto Ludwigs 
in eine ganz neue Beleudtung tritt, und 
die den Entwidelungsgang der großange: 
legten Natur poetiſch ifluftrieren. Ein flüch— 
tiger Einblid in die bis jest vorliegenden 
| Bände genügt, um erlennen zu lajien, daſs 
das Neue, was zum Belannten geboten 
wird, nicht mit den vielfach wertlojen Über: 
bleibjeln verwechjelt werden darf, die man 
jonft aus dem Nadhlais großer Schrift: 
ſteller zuſammenkehrt, jondern dais hier 
ein ähnlicher Fall, wie bei Heinrih von 
Kleift vorliegt, der im Leben und unmit— 
telbar nad jeinem Scheiden nur zur Hälfte 
gewürdigt und faum zur Hälfte erfannt war. 
V. 








Schopenhauers Werke. Geſunde, geiſtes— 
normale Menſchen ſollen keine Philoſophen 
leſen, weder alte noch neue, weder Opti— 
miften, noch Peſſimiſten. Das Nachgrübeln 
über Urſprung und Zwech der Welt, des 
Menſchen u. ſ. w. taugt nicht. Das Natur— 
weſen denkt nicht, warum es lebt, es lebt 
einfach und die Philoſophiererei iſt ſchon 
‚eine Entartung. Glückliche Menſchen philo— 
ſophieren nicht viel und philoſophierende 
Menſchen find ſelten glüdlid. 

Ta wir aber bei unſerer „Bildung“ 
ſchon einmal jo weit gelommen find, und 
"jedes Feitungsblatt uns Feten von aller: 
hand Geift und Grienntnis ins Haus 
bringt, da jeder für ungebildet, ja jogar 
für dunm gilt, der da nicht mitfpreden 
fann, und da mander wirklich den Drang 
in fi gewedt fühlt, zu willen, was große 
Geifter wujsten oder zu willen glaubien, 
io ift es jhon am beiten, alles zu leien, 
'wo möglih ſich aber von nichts beein— 
fluffen zu laſſen. In der That hebt ja ein 
Buch das andere auf, zerftört der Eindrud 
des einen den des andern; freilih it in 
der Seele des Lejers damit aud der Bold- 
ftaub des Urſprünglichen, Ratürlichen weg. 
Dieſer iſt eben einmal weg und fo iſt nichts 
zu verderben. Wer jo vieles Andere, jo 
vieles „Moderne* gelejen bat, der joll nur 
auch den Schopenhauer leſen; einigen bat 
er zwar Schlecht belommen, anderen wieder 
gut, am beiten denen, die fih von ihm 
nicht unterlriegen ließen, denn dieſe wur: 








949 


den ihm „Über“. Der kluge Leſer wird's 
ihon erfahren, wie das gemeint ift. 

Bei Dtto Hendel in Halle a. d. ©. 
it von Schopenhauers Werten cine außer: 
ordentlih billige Ausgabe erichienen, der 
große Beifimift wird hunderttauiendfad in 
das Volk geworfen. Wir jagen nit, hütet 
euch! mir jagen nur: leſet ihn, aber laſſet 
ihn nicht zu tief in euer Derz hinein, ſo— 
fern er nicht ſchon drinnen tft. Denn man 
hat immerhin einige Zeit zu thun, bis der 
Dorn fih wieder herausgeeitert hat. Doch 
dringt er nicht ganz fo tief hinein, als man 
glaubt, Manchem frivolen Weltfinde ift 
aber jolder Dorn recht heilſam. Aus dieſem 
Grunde läjst der „Heimgarten* den Mann 
des Weltſchmerzes auch bisweilen zu Worte 
fommen, M. 


Der Student von Padua, — Die pro— 
motion. -— Eine gute Haut. Bon Arnoldo 
Fuſinato. Autorifierte Überſehung von 
Friedrich Adler (Mr. 510 der „Bibliothet 
der Geſammtliteratur“. (Otto Hendel, 
Halle a. d. ©.) Ber Berfafjer diefer in 


einer vorzüglichen Überfegung vorliegenden 


Dichtung ift einer der populärften Männer 
Staliens, der fein ganzes Leben lang 
(f 1888) mit fieghaftem Spott für jein 
Jdeal, die Einheit des Waterlandes, ge: 
ftritten hat. Zwar läjst die launige Schil— 
derung des italieniihen Studentenlebens 
zur Zeit der Vierziger Jahre nichts von der 
Wucht feiner Satire, die ihn fo oft zum 
gefürchteten Gegner machte, erratben, doch 
lernen wir aus den mit ehtem Humor ge: 
wärzten Berjen des „Studenten“, Die zu 
dem beften gehören, was er im dieſer Art 
geihrieben hat, immerhin die hohe dich: 
teriiche Bedeutung dieſes Mannes kennen. 
V. 


Brieſe aus meiner Mühle Bon Als 
phonje Daudet. Deutih von Th. Berg: 
feldt (Nr. 517, 518 der „Bibliothel 
der Geſammtliteratur“. Otto Hendel, 
Halle a. d. ©.) Mehr noch als aus jeinen 
Romanen, ja im jcheinbaren Gegenjah zu 
denjelben, lernen wir aus den vorliegen: 
den reizvollen, eines tiefen ethiichen Ge: 
haltes nidt entbehrenden Plaudereien Die 
optimiftiiche Weltanihauung des befannten 
Autors fennen; er überfieht nicht die dunf: 
len Seiten des menſchlichen Charakters, 
aber jelbft im Häjslihen findet er noch ein 
Element des Guten, das einen verföhnenden 
Schimmer über das Abſtoßende breitet, Die 





land nod nicht jo befannt, wie fie es ver— 
dienten. V. 


Unterwegs. Schilderungen und Natur: 
anfichten von den beliebteiten Reifewegen. 
1. bis 3. Bändchen. (Die Salzlammergut: 
bahn. — Die Salzburg: Tirolerbahbn. — 
Die Urlbergbahn.) Bon U. v0. Schweiger: 
Lerhenfeld. (Hartlebens Verlag in Wien). 
Obwohl an Reijebühern fein Mangel it, 
führt fi die vorftehend genannte Gollection 
in jo vortheilhafter Weile ein, das fie die 
allgemeine Beachtung verdient, und zwar 
in mehr als einer Beziehung. Zunädft it 
hervorzuheben, dafs die Bändchen friſch und 
anmuthig geichrieben find und eine jehr 
anregende Lectüre darbieten, Bei aller Sad: 
lichfeit wird vielfad der Plauderton ange: 
ihlagen. Ein weiterer Vorzug der Bändchen 
ift die Abgrenzung der geſchilderten Gebiets 
nah Eijenbahnlinien, wobei jedes nächſt— 
folgende Bändchen an das vorhergehende 
anſchließt, wodurd dem Leier ein ausführlich 
durcdgearbeitetes Material in die Hände 
gelegt wird. Die drei vorliegenden Bändchen 
find mit 150 Abbildungen geihmüdt. Die 
Abſchnitte über Gmunden, Iſchl, Aus: 
fee, über Gaftein und Zell am See, 
über den Uchenjce, Innsbrud und die 
mannigfaden Schauftüde der Arlberg: 
bahn find Gabinetäftüde der ae 
ſchilderung. 


Schweizeriſche Rundſchau, herausgegeben 
von Orell Füßli in Zürich und Prof. 
Dr. Vetter in Bern, nennt ſich eine neue 
Monatszeitfchriit, welche „ein Spiegelbild 
des geiftigen Lebens im jchweizerijchen 
Baterlande bieten und einen Bermittlungs: 
dienft leiften will zwiſchen der Gedanten: 
arbeit der durch Sprade und Politik ges 
jhiedenen Bollstheile der Schweiz und des 
flamm: und gejinnungsverwandten Aus: 
landes*. In der That ein ſchönes Piel. 
Es fteht zu erwarten, dajs das verdienft: 
volle Unternehmen bald die Zahl feiner 
jest ſchon zahlreichen Freunde fi ver: 
vielfadhen jehen wird. Die uns vorliegenden 
Hefte entiprecden dem Programme. V. 


Unter fünf Rönigen und drei Raifern. 
Unpolitifhe Erinnerungen einer alten Frau. 
Bon Thella von Schober. Zweite Auf: 
tage. (Ologau. Carl Flemming. 1891.) 


„Briefe aus meiner Mühle“ find in Deutjch: | Diefes Bud mag wohl vor Allem für 


Norddeutihe von Intereſſe fein, enthält! 


450 


Tünf Erzählungen für Jung und Wit 


aber doch manches, was auch unjere jüd: | von Hermine Möbius. Mit 4 Boll: 


licheren Frauen gerne lefen dürften. M. 


Die auf den Menfden übertragbaren 
Parafiten der Yausihiere. Vortrag von Dr, 
Yudmwig von Graff. (Graz. Leuſchner & 
LZubensty. 1891.) Auf diefes in feiner Art 
ſehr wichtige Werlchen maden wir auf: 
merliam. Bejonders wird in demjelben den 
Hundebeſihern mandes beberzigensmerte 
Wort gejagt. M. 


Generalkarte von Schweden, Hormegen, 
Dünemark etc. (Blogau, Karl Flemming.) 
Mahftab 1:3000.000, Auf der Höhe der 
modernen fartographiihen Technik ftehend, 
erfüllt die Karte alle PVedingungen, die 
man an ein vollendetes Merk ftellen darf. 
Durchaus correct in der Zeichnung, ſcharf 
und Har in Drud und Nomenklatur, leb— 
baft und angenehm in der Farbengebung, 
welche Länder und Grenzen ſcharf ausein: 
anderhält, bietet dieſe faſt plaftiih ausge: 
führte Karte einen überraichenden Reich— 
thum von Angaben, j 


Dem „Heimgarten” ferner zugegangen: 


Deutfhe Welt: und Tebensanfhauung 
begründet durch den Verſuch einer neuen 
Lehre von den fittliden Ericheinungen von 
Dr. Bruno Brudner (Berlin. Adolf 
Neinede. 1891.) 


Vorausſichtlich unmiderlealihe Behaup: 
tungen über die Nothwendigkeit und Möglid- 
keit der Teſtſtellung der Wahrheit. Bon 
M. Rovin. (Trautenau.) 


Die erlebten und Literarifhen Grund— 
lagen von Goethes „Klavigo“. Bon Prof. 
Emil Soffe, (Brünn, Carl Winiler.) 

Berihold Schwarz. 


Traueripiel von 


bildern vom Maler Bartid. (Dresden. 
u. Köhler.) 


Gefhichten aus dem Leben, Kurze Er— 
zählungen aus dem Volksleben von Yofef 
% Stolz. Neue Folge (Wien. U. Hart: 
leben. 1891.) 


Der Zauber des Bodelhals. Ein Harz: 
märden von E. Föriter. (Quedlinburg. 
Gar! Boges. 1889.) 


Prinzels Dife. Märchen von €. Förſter. 
(Halberitadt. 3. Schimmelburg’ihe Ber: 
lagshandlung. 1890.) 


Der hinkende Teufel. Bon Le Sage. 
Deutih von Friedrich Gleih. (Halle a. d. 
S. Otto Hendel.) 


Bortüfe, Bon Moliere. Deutih von 
Eduard BDuller. (Halle a. d. ©. Dtto 


Hendel.) 


Aus der Mappe eines Bolksfreundes. 
Lehrreiche Erzählungen und luftige Schwänke 
vor Jo. Wichner. (Wien. Heinrich Kirſch.) 


Germania. Deutjche Dichter der Gegen— 
wart. Herausgegeben im Wuftrage der 
National Exhibition Association Ltd. Bon 
Guftav Dahms. (Berlin. Gebr. Paertel. 
1891.) 


Bergluft. Neue Gedichte und Sprüche 
in Odenwälder Mundart von Georg 
Bolt. (Offenbach a. M. Th. Steinmeg’: 
ihe Hofbudhhandlung. 1891.) 


Wiener Humor. Sammlung der beiten, 
meift neuen humoriftiihen Vorträge und 
bramatifchen Gelegenheitsjadhen für Damen 
und Herren. Derausgegeben von E. A. 
Frieſe. II. Serie. (Wien. C. Daberlow ) 


Variationen Über das Thema „Saure 
am Klavier“. Nahdidiungen von Ulrich 
Klein. (Charlottenburg. Alfred Michow. 
1891.) 


Aus dem deulſch-böhmiſchen Elbegau. 
Lieder und Sprüche von Th Held. 
(Warnsdorf. E. Strade.) 


Trautenau 1866. Erinnerungen, Erleb— 
niſſe und Schriftſtücke aus dem ſtriegsjahre 


Johann Unzengruber. (Wien. D. H.|in und bei Trautenau. Bon Dr, Bern: 


Weichelts Verlag.) 


Roman von 
(Stuttgart. 


Unter füdlihem Himmel. 
Ferdinand Scifforn. 
Teutihe Berlagsanitalt.) 


Hedda. Roman von Hojepbine! 
Gräfin Shwerin. (Davos, Hugo Rich— 
ter, 1891.) 


 kenden Boten 


hard Bauer. (Trautenan. I. Bamberger. 
1891.) 


Großer DVolkskalender des Lahrer Hin- 
fur 1892. (Lahr. Moritz 
Schauenburg.) 


Tremdwörterbud. Lexikon füür Fremd— 
wörter und fremdſprachliche Redensarten 


— 


951 


des Deutſchen. Von Dr. Erwin Rex— Kein freundlides Herz mög’ in: 
(Verlag für Sprach- und Handelswiflens | zwiſchen vergefien: Die liebenswürdigſte, 
ihaft 1891.) ausdauerndfte Geſellſchaäfterin und Lehrerin 
2 der Völker war zu allen Zeiten die ein— 
Die Holzbrandtedhnik in allen ihren hildſame Denfart oder, was dasſelbe iſt, 
Anwendungen. Mit Berüdfihtigung Des die freudig mittheilende, finnreiche Phan— 
Brennens auf Leder und Stoff. Anleitung |tafie — ſinnreich und ſieghaft Yon dlion 
für Dilettanten. Von Oskar von Sa: |pis Weimar! 
bransfi. Mit 9 Abbildungen. (Hartleben, | Der „Freien deutſchen Geſellſchaft für 
Wien.) | Literatur“ viel Glüd zu ihren Beitrebungen ! 


Iwanzigfier Iahresberigt über die k. k. 
Oberrealſchule in dem II, Besirke won Wien. | 
Beröffentiht am Schluſſe des Studien: | 
jahres 1890/91 von Wilhelm Kufula. ! 
(Wien. Verlag der E. f. Oberrealihule im 


II. Bezirke. 1891.) 


Im Monate Mai des Jahres 1891 
bat jih in Wien unter dem Namen „Iduna“ 
eine „Freie deutiche Geſellſchaft für Literatur” 
gebildet. Den Vorſtande gehören an: als 
Ghrenpräfident Derzog Elimar von Olden: 
burg, Präfident Karl Brudniof, Präfident: 
Stellvertreter Fri Lemmermayer, Secretär 
Franz' Chriſtel, Schriftführer Karl Maria 


Heidt, Caſſier Guido Lift, Beiräthe Fercher 


v. Steinwand und Peter Philipp. In der 
Gründungsverfammiung hat der Alters: 
präfident Ferder v. Steinwand den med 
der Geiellihaft dargelegt und bei dieſer 
Gelegenheit bemertt: „Wir find feine 
Partei, befaffen uns als Gejellihait mit 
feinem Warteifriege und haben gelernt, 
jede Nationalität, jede Neligionsform zu 
achten. Als unjere Aufgabe jegen mir feit: 
die Hut und die Pilege des edlen deutichen 


Ausdrucks ohne irgendwelchen Beigeihmad 


von Leichtſinn und Selbfterniedrigung. 
Mas uns auh durch Menichen und Ber: 
hältniſſe beichieden ſei: ſtets reell auch ohne 
Nealismus, oder zu deutich, ſtets weſen— 
haft ohne Weſens- und Verweiensprunf 
daS jei der Stern unjerer innerlichen 
Wanderung !* 


Und weiter heißt es: Bildung ift nod 
feine Lüge, Sitte noch lkeine Heuchelei, 
Realismus noch feine Wahrheit. Denn die 


Wahrheit ift eine Tochter der Ginfiht und | 


des Gemüthes und ihre Erzieherin ift die 
Wiſſenſchaft. Wahr fein heißt zugleich gut 
fein, heißt zugleih ſchön ſein. Die Schön: 
beit und die Güte find der Leib und das 
Leben der Wahrheit, =, Syrus Au oder das 
wahre Sein, Chne die Schönheit und die 
Güte ift die Wahrheit das — Nichts, Nihil! 


Gür die Hebaction verantwortliid F. A. 


ı Poftkarten des „Heimgarten‘“, 
| 

* Rührt fih niemand in Steiermarl, 
daſs aud der heimische Dichter Gottfried 
Ritter von Leitner ein Denkmal befomme ? 
Nicht prunlooll und Hoftipielig, jondern 
fhliht, wie der Tichter war, und monu: 
mental, wie feine Lieder und Balladen es 
find, io denke ih mir Leitners Denkmal. 
Die Steiermark wird fi nur ſelbſt ehren, 
wenn fie einem der edeliten ihrer Söhne 
ein fihtbares Zeichen der Erinnerung * 

a 


| * Eine immer mehr um fi greifende 
Unfitte iſt es, von befannten Perjönlichleiten 
Privatbriefe der Oftentlichleit zu übergeben. 
Ohne beiondere Erlaubnis des Brief: 
ichreibers iſt ſolches nicht geftattet. 


O. U., Laibach: G. Volk jagt in feiner 
CO denwalder Mundart: 


Ebb mich die Leut Liewe, 
Is ıbr Sach; 

Dais ſe mich achte, 

I mei Sad.” 


Zu Ihrer Erinnerung. 


*Für alle Beweije von Wohlgefiunung 
| und Freundſchaft, die dem Herausgeber 
dieſes Blattes anläfslih des 31. Juli aus 
Nah und Fern zugegangen find, jei hiemit 
der verbindlichfte Dank gelagt. 








| 
* Yım Gedichte „Die goldene Flöte“ 
(Juliheft) mujs es anftatt „o Buß“ heiken: 
|,o Luft". 


| * Mir eriuden, unaufgefordert uns 
feine Manuferipte zu ſchicken. Es ift uns 
nicht möglich, unverlangte Ginjendungen zu 
| berüdfihtigen. 


| $. M., Wien: Im nächſten Jahr: 
gange. Auf Wiederjehen! 





Boſegget. = Truderei Leytam“ in Gray. 


An die Lofer des Heimgarten. 


Mir find in der Lage mitzutheilen, daſs P. K. Rojegger 
einen nenen Banern-Roman vollendet hat, welcher unter dem Titel: „Ein 
Rebell, Geſchichte aus deutſcher Deldenzeit“, im mächften Jahrgange 
erfcheinen wird. Diefes Werl, in welchem merkwürdige Thaten und 
Creigniffe erzählt werden, und im welchem berzerfreuender Humor mit 
erjchütternder Tragit harmoniſch abwechjeln, beginnt ſchon im nächſten Hefte 
des Heimgarten. 

Ferner kündigen wir eine größere Original-Erzählung von Robert 
Hamerling an, welche durch ihren Inhalt und ihre claſſiſche Form 
Aufmerkſamkeit erregen dürfte. 

Meitere interejfante Original- Beiträge erzählender, dramatischer, ſchil— 
dernder und pilofophifcher Art von Adolf Bihler und Heinrich No, 
fowie von Hans Grasberger, Carl Morre, Joſef Lewinzsfn, 
Hans Maljer, Karl Reuterer, Rihard Graf Sermage, 
Theodor Bernalefen, Karl Wolf und anderen werden dem folgenden 
Jahrgange zur befonderen Zierde gereichen. 

Der Heimgarten wird unter der Leitung und Dauptmitarbeiterichaft 
P. K. Rojeggers auch in Zukunft feine gefunde, erfrifchende Eigenart 
bewahren. 


Die Perlagshandlung. 








2101 065278903 


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