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Princeton Universilj
Eine Alonatsiärift
gegründet und geleitet von
KR. Boſegger.
Drei und Perlag von „Lenkam“ in Gray. _ fe
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Alpen >, — ——
er Herberge für arme Neifende, Ein Zeitbild von R.
15 Malart und Kronprinz Rudo
berraſchendes aus dem Reiche
Der Baba et
Gedichte von Sophie v, hu
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öl, Bett, Tisch- u. Küchen-Mäsehe R
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Kinder-Kleidchen e
etc, empfiehlt
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Eine Monatsfchrift
gegründet und geleitet
von
R- R. Rofegger.
XV. Jahrgang.
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Grng.
Drud und Derlag von „Ceytam*,
1891.
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Inhalts-Berzeihnis
Heimgarten, X. Jahrgang.
Hovellen und Erzählungen.
Der Abdlerwirt von Kirchbrunn. ine Torfgeihichte von BP. K. Roſegger
1, 81, 161,
Was man fih in Venedig erzählt. Nah italieniihen Cuellen von Robert
BENErLINE. 2 8 005 on we en ee a Rn 17,
Ehre. Eine Geſchichte aus unferen Tagen von Hans Malier ; :
Freie Fahrt. Humoreste von U. Oslar Klaußmann .....
„Der böhmiſche Balg.“ Eine Kindergefhichte von P. K. Roſegger
Grinnerungsbilbder. Bon ©. dv. Berlepid . .. 2...
Das Mädchen unter dem Fichtenbaum. Ein Märden für große Kinder. von R.
Wenn Einer es zu ſchlau macht. Eine ſchwänkige Geſchichte von Ludwig
—I ee Be Ss
Sie will nicht. Eine Geſchichte, wie der Hans die Chriſtel nimmt, Bon ©. Smreker
Meine erite Fifenbahnfahrt. Jugenderinnerung von Ferdinand Pfeiler.
Karl der Große. Ein Wunderlies aus dem Dorfe von P. K. Nofegger
Das Wunderfind. Ein novelliftiiches Sittenbild von Olga Wohlbrüd
Das verlorene deal, Novellette von Albert Schniiter.. . . .
Gin Frauenihidfal, Nah dem Italienijhen von Robert Da merling.
Dismas. Eine Legende von P. KH. Roſeggee..
Der „Gaft*. Ein Bild aus der Theaterwelt von Julius Freund. ....
Tem Anderl fein Tabalgeld. Eine Erinnerung aus der REEL von En K.
MORE 22.0 000 u eek
Der hohe Rath von Abelsberg. Ein erbauliches Zeitbild von N. — —
Frühling. Ein ländliches Bild aus Winterszeitt..
Der Katechet. Bild aus einer Gebirgsſchule. —— von P. K. Rofegger
Die Anti zu WUbelsberg. Eine Zeitglofle . . .
Der Traum eines zum Tode Berurtheilten. Von A rm ando Balacio v a { dv e 8
Das Nojenfräulein. Eine Skizze aus dem Poetenleben. Bon Hans Maljer
Als ich den Himmliſchen Altäre Bun Eine Erinnerung aus der Waldheimat
von P. R. Roſeggere. Er RE TE Sr i
Doctor Rumpf. Gine Erzählung aus der Theaterwelt von Ban Malfer
Lenzgemitter. Bon ©. v. Berlepid . .
Nufienipielen. Ein Bild aus dem oberländijchen Vollsleben von 2. 8 Nofegger
Eine gute Kameradſchaft. Bild aus dem ſteiriſchen Vollsleben von P. . Roſe gger
Ein Mord auf Entfernung Merlwürdiger ——— URN von Caroline
von Scheidlein-Wenrid .
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(RECAP) 459519 NEAR
’ — *
N 56
IV
Eeite
Das Fegefeuer des Pfarrers auf dem Berge. Von 3. B. Richter ..... 766
Die Nordpolfahrer. Fine Erzählung von Hans Malier . . . . 801, 898
Tas Ständen. Eine mufilaliihe Dorfgeihichte. Bon P. K. Rofjegger. . . 812
Des Herrn Baters Hochzeit. Eine finftere Geſchicht - > 2 2 2 2 m nen. 825
Die Abbrandler. Eine Gejhichte aus dem Dorfleben . 2 2:2 zn 2 u nen 885
Wie ih dem Herrn Bermwalter 'was gepfifien hab’. Eine Erinnerung von
BREI a a a ee a 908
Der dreifüßig' Ehriftl. Ein Bildchen aus dem Volle der Alpen von P. K.
DOREEN a nen BR ee, Br ar are Ka een 938
Dramatifches.
Vor'n Euppn efjen. Ländliches Gemälde in einem Ace von Carl Morre . 321
Um Tage des Gerichts. Ein Bollsihaufpiel in vier Aufzügen von P. K.
ET A N ET 481, 561
Der gefoppte Geizhals. Ein dramatiiher Schwant aus dem Volke. Mitgetheilt
ven ARIeN Balsitat 3 3,35 0% ee re a 689
Ein fräftiger Junge. Schwank in einem Aufzuge von Sophievon Khuenberg 721
Alpines und Bolksthümliches aus den Alpen.
Bergfrieden. Eine Spazierfahrt in den Alpen von P. K. Rofegger... 50
Wie ihnen der Schnabel g'wachſen. Truß: und Lieb’sgjangeln aus dem Voll⸗
BEIDE Tee en ad 56
Zwei Todtenlieder aus dem Volle. Mitgetheilt von Karl Hilber .... 128
Mit meinen Jungen auf die Rax. Eins aus dem Tagebuche von P.K.Nojegger 140
Sunn’ und Monjdein. Bon Hans Graungruber 1 Pe are nen 155
In Luidl fer größti Verirrung, und wiar er jein oagni Schond af da Stroßn
DOREEN a 2 ea en 222
Fin STIBWERTRD re des Fe 224
Ein Anwalt des Bauernſtandes. Bon Roſegger... — 286
Der Thalerlogel. Gin Spaziergang in der Heimat von R,. . x: 2.2... 294
Mit Berlaub! Gedichte in niederöfterreihiiher Mundart von Moriz Schade 304
Jahrmarlt im bairiihen Hochland. Gin Lebensbild von Karl Stieler . . 358
Auf der Primiz. Ein Bildchen aus dem fteirifchen Bolksleben von Karl Reiterer 9365
Das Scil’n. Ein Bildchen aus dem jteirifchen Wollsleben von B. J. Krones 391
Das Lied von Nudel und Sterz. Bon R. Burns . 2 2 2 2 nennen 506
Das Rodeln. Eine Voltebeluftigung aus den Alpen. Bon Ludmwigv. Hörmann 532
Die Krone des Schloſsbergee.. 8 544
Auf dem Hodlantid. Fin Spaziergang in der Heimat von R.. . .... - 608
Eine fteiriiche Vienenmutter. Reijeerinnerung von Joh. Ph. Glod ..... 612
Ein Liebling der Steiermarl. Erinnerung an den Grafen von Meran, Bon
WR Rattan en ea area 671
Die Steuererecution. Eins aus dem Wolfsleben von Karl Neiterer . ... 684
Die ummorbene Schöne. Gin ländliches Bildchen von BR. . — 698
Der Gefchichtenerzäbler. Eins aus dem Alpendorfe - » 2 2 nn nenne 701
Zwoa Luftigi Gſchichtin in fteiriicher Mundart von Hans yrauengruber . 713
LiedIn aus dem obern Kainah: Thale. Mitgetheiit von I. ©. . ...... 715
Die Engländer. Ein Bild aus den Alpen von P. K. Rofegger......- 771
Der Bauer auf dem Marlte, Ein Bild aus dem Tiroler Boltsleben von Karl *
——— ———— —
's Hoamweh. Alkloans Bin! aus’ n fteiriichen Oberland von Franz X Freiheim 782
Da blodagfteppadi Hons, A Schügnfigur von €. 3. Freunthaller ... 875
Tand und Zeute, Eharakterbilder.
Amerikaniſche Dienfiboten . - » > 2 2 nen BEITRETEN, 152
Der Papft im neuen Rom. Gin Bild aus der ewigen Stadt von Hermann j
J 208
Y
Eeite
Anonyme Menſchen. Bon ME: 8
Tſchumperliedin. Mitgetheilt von Agnes von der Deden. —F 476
Gine Sommernadt im Golfe von Neapel. Aus altem " Tagebuche von *. a
Rojegger.. . ae Baar 537
Zwei Bilder aus Südamerifa — 759
Geburt und Taufe. Aufzeichnungen aus der Gegend des Solinger Waldes. Bon
Heinrih Sohnrey . . 853
Der fFragner. Eine Dorf:Type aus Niederöfterreich. Bon E. J. greu —— 935
Eultur: und Naturgeſchichtliches, Eſſays, Plaudereien.
Deutiche Wiedergeburt oder revolutionäre Gedanfen eines Deutihen, Von R.. 44
Auf der Herberge für arme Reiſende. Win Beau? 0. 0 58
überraſchendes aus dem Neiche der Zahlen } ENTE RR 2
Haſs. Eine Betrachtung von * R. ——— ee ee ae
Kindermund .. 151
Die Verwechslung der Einne. Eine Plauderei aus dem neuen Demoirii von
E. M. Shanlta .. F ce DIS
Die Eigarre. Bon Friedrid Hofmann REP 255
„Bitte an den Clerus.“ Bon PB. K. Roiegger.. 2.282, 480, 550
Über das Falten. Vom culturgefhichtlichen Standpunkte belrachtel von ————
Vernaleken . . . 358
Eine Urſache, warum die Menſchen ſich nicht verftändigen tönnen. Ron N. 356
(Fine fteiriijhe Stadt vor zweihundert Jahren . . 0 «er
Vejeelte Saden. Belenntnifje aus den Leben. Bon p. g Rofegger. — 440
Die Meinung anderer über uns, und was fie wert ift . 448
Kinder-reuzzüge im Mittelalter. Gin Gegenfaß - - > 2 > 2 2 2 2 nn. 459
„Ergögungen des Gemüthes" vor 200 Jahren . . . EEE |...
Wie fie in alter Zeit gedichtet, gedacht und gejagt haben ee er era
Fine Abhandlung über die Forticpritte unjeres Jahrhunderts. . . . 2... .58
Unfer modernes Gedenihbum. Bon Yuguft Arubl. . v2 2 2 2 m nen. 529
Mein ſocial⸗politiſches Glaubenbbekenninisz.. 2 2 2 un er 547
Liebe ein jociales Programm! . . 548
Zähme die Phantafie! Aus dem Bude der Lebensweishei eines deutjen Denters 551
Wie dumm das junge Kind ift . . 552
Die Cigarre in ihrer erziehlichen Bedeutung. "Eine « Blauderei von Briedrig
von Dausegger.. ae ee et de 600
Zurüd aufs Land! Zurüd in die Natur! de ee ee aa re 7
Vom Erzherzog Johann.. 686
Des Bauernhelden letzter Brief. Mitgetheilt von Kolom an R aifer 2.629
Fin Geſpräch über Religion . . - ... 676
Lehrling-Leben vor ſechzig Jahren. Gryäbtt von Sehafian Seit. + 694
(sine Bitte an den@ultusminifier . . . ——107
Der Nachtwächter . . 711
Das goldene Zeitalter, Socialiftiiche Studie von Ri & ard Graf Sermage 145
Die neue Sittenlehre, die wir erſt "friegt haben . . . 152
Gejelligkeit. Belenntnifie aus meinem Weltleben von » a. Rofegger 1.
An einem Strohhalm. Zur Badejaijon . . . ee SR
Nachbarſchaft. Bon D. v. Berlepid . BERGE En; 4 |
Da: Märchen von der claffiihen Bildung. Rach Ha n3 Frifch ©.
Mit: und Nahmelt, Eine Citaten:Studie von Dr. E. M. Shranta 2... 859
Ein Zwiegeipräh auf der neuen Murbrüde zu . a Le
Ein fegter Wille. Bon Brig Mauthner. . . . el ee ee CO
Gewitterangft. Eine Plauderei für die Sommerzzeit . Be a en nr > DEE
Vom Eittenrihier unferes Herzens Eine Betrahtung . » 22er . 97
Zunft und Fiteratur. Aus dem Künftller: und
Schriftftellerleben.
Briefe von Ludwig Anzengruber an den Herausgeber des „Heimgarten* 29, 112, 195
Hans Malart und Kronprinz Rudolf. Eine Erinnerung von Joſef Lewinsty 65
Unter Scheffels Banner! Eine NReijeerinnerung von Adolf Jaroih . .69, 225
vi
Seite
Die Geihichte vom armen Mann in Todenburg. Von ———— — 120, 186, 270
Über das Zeitungsweien. Von U. ©. v. Suttner. . . 137
Bollsgefang. Von Hermann Edhübe. . - ne —146
Marie von Ebner-Eſchenbachs ſechzigſter Geburtstag . Bee 138
„Das vierte Gebot“ und ſeine Gegner. Bon P. K. Rofenger re an
Um fünf Uhr morgens. Eine Erinnerung von Alerander Birardi ... 217
Die Sreuger- Sonate. Von R. 2886
Dem Andenken Berthold Auerbachs. Von R. 275
Briefe von Gottfried Keller an Chriſtian Schad. Mitgetheilt durch Unton En 8 I ert 310
Neue Kunde von Robert Hamerling. Bon R. . .. 2 22... 348
Wie es mir als Dramatiler ergangen iſt. Belenntnis aus meinem Weltichen
von P. K. Roſegger.. ie ee ea ar
Mas Grillparzer über uns gedadıt hat — ea En ar Er [
Alfred v. Berger. Bon Moritz Neckerr 3.2
Zwei Briefe von 3. ©. Seidl an Chriſtian Schad. Witgeiheilt dur \ Anton
ERRIETE 2. 5 ua 434
Eudermanns „Ehre* — Kunſtwerk oder Made? . » . 2» 2 2 2 nn nenn. 452
Fin Brief in Berfen. Bon Otto von Keirner . ». 22 2 2 2 nenn. 465
Hermann Daugo. Bon Guſt. Andr. Reilel . . 2. 2: 2m nun + 466
Robert Hamerling als Bhilojoph. . ». ... - Be ae ra eu te a
Mas man fi über Gottfried Keller erzäblit - . » 2 2 2 5853
Mein Lebensgang. Bon Hans Grasberger. . » 2 2 2 2 nn nenn. 589
Etwas vom Buhmader:Handwert . . . 66
Das Buch der Bücher in einer neuartigen Ausgabe . u $ 631
Der literarijche Beift Berlins. Eine geſellſchaftliche Studie von Otto von Leinen 663
Zwei Briefe von Robert Hamerling. — von Ada ARE. —— — 705
Wie Muſik auf die Leute wirlt . . —6
Wie Victor Scheffel zu ſeinen Orden fam — Den ae a en an Yaer 99 te TR
Der Lump in ale WIESE en a a ———— Ba erh. DER
11 11) BE PR er RE Br RE ER .. 798
Ein Siadidichter von Franlfuri. ENT Stolye und fine | Werte. on
DEIEDITEB: San ae ia .... 842
Offenes Schreiben an Herrn Denrif bien. Dr a ee ee er 57
Was zieht Geld aus dem Beutel? . . . . 872
Mas man dor Zeiten gerne las. Eine Studie zur Geſchmacs und Bildungs⸗
geſchichte unſeres Volles. Von Dr. Georg el ee er 928
Eine Männer: Beitiche. Bon Thusnelde VBortmann . . 931
Büder. . . : » 78, 156, 236, 315, 395, 479, 556, 638, 715, 793, 87 7, 948
Gedichte.
Mein Ehrgeiz. Gediht von PB. H. Rojeager. ». » » » 2 nenne 29
Neue Gedichte von M. MR. v. Stern.. u 48
Botenart. Bediht von Anaftafius Grün. . . : 22 nn nn na
Gedichte von Sophie v. Khuenberg. - - - - - 2 2 2 0 0 nn nn 0. 6
Wenn au! Gedichte von Dttilie Bibusßs.. 185
Der Poetenwinkel:
Im Weidicht tief... . Von Anton Rue Be: MN
Mein Reihthum! Von Joh. Peter ... 381
Glück. Von O. Fiſchbach.. nn — 81
Nie will im Lied ich miſſen. Bon U. 8. Dempigti EEE EEE En. - |
Die Lieb’ ift jenes Gut. Don MR. . . ES REN. - |
Ich habe geträumt. Bon Ernfi Golline. - » > 2 2 mn nn. 232
Übendfriede. Bon Hans Müdenijhnabel. . . .. 2 2 2 nun. 232
Tes Frühlings Todtenfeier. Bon Stewa Burg... 232
Kirhe Maria Freyenftein (in Et. vun ER —— Von wie
von Dttenthal . . i 232
Da Fahler. Bon Joſef Berger — nn ee ar
Tie Epinnerin. Bon Hans Fraung ruber Ba a Ar der ee, ED
Stimmungen. Bon € Sallburg. » . 2 2 22 2 nn nennen. 470
Blumentraum. Bon E. Sallbure . . » > > 222m nenn. 470 &
‚wyneornn, Fin
6506
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Wiar an Enger! bift. Von Johann Stelzhammet ae a
Da PVodajögn. Bon Johann Stelzhbammer - 22 22 222... 877
Irrthum eines Bäuerleins. Bon Hans Viihner. 877
Trei Gedichte von
Merteii hen Alpenvereine
Zileine nn — — um
Tet is ja unier Geige? a 76
VIII
Seite
Drei Vögel. Eine Legende ee De ee erstere
Wie ein Kalender zu ſeinem Ruhm gelommen iſt — Sr rare
Das Märden von der Kornblume, Von Paul Mantegazja . 387
Das Ehrgefühl. Eine Skizze in Wiener Art und Mundart von Ed ward 2 J 389
Hartgebüßter Trotz. Alte Urkunde von Franz von BORN —— 469
Sagen aus Kärnten. Erzählt von Franz Boldhann. . 5083
Wenn man ſich Sünden ausborgt. Eine rg RR von a. Nittel. . 682
Kaiſer Friedrih als Dorfihullehrer . . - .. 634
Ausgenommen den Bürgermeifter . - 6
Ein beſchämter Witzbold. Von Sole Biner PA TE TE FEr BENCHEIFERER: ı |
Die wunderschöne Rede - . . . Re Det
Verſchiedenes.
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Voſtkarten des „Heimgarten“ 80, 160, 240, 320, 400, 479, 560, 640, 720, 800, 879, 948
Bunte Wahrheiten, Bon Yuguft Bob! ..... 136
Die Undeutlichleit der Nanıensunterjhrift . . . . 234
Zehn goldene Regeln für Eheftands:Eandidaten. Bon Franz x. Breiheim . 383
Gin Berein als Ehriftlindl. Bon Rofegger. . . £ . 306
Freie Gedanfen, freie Worte. Bon 3. Rothbauer RE FE Ge a 66
Der blaue Radmantel. Bon M. . . . 22... RE BR RE SEEN EI 512
Bunte Gedanten. Bon Alerander Engel... 2.2: 2 2 2 une nnn. 387
Goethe über die Karlsbader. . . ae ODE
Veilden und Neſſeln. Zu einem Sträuflein gebunden ı von N. ........ A
Ein Fragebogenn. — Br ana A
Gloſſen. Yon Arpad Sor. heat u nr AR ne ae a A a Dahn a Fe nd 632
Belenntnife eines Seiltänzers . . . 637
Wie groß müjste der Mann Elbe der den Stephansthurm als Bapnflader
brauden fönnte? . . 638
Die Frau als nidis . - — 9710
Das Grab gefallener Steirer bei Königgräg. "Bon Joſef Walrit —J— 713
Aus dem Fremdenbuche zu ms :Sauerbrunn. N von Koloman
Kaijler .. 784
Hat Chriſtus ſich jetbft verleugnet?. Ds a Te re ee ee AO
Sonntagsgedanten . nl 187
Was große Menſchen über Thiere ſagen. Ausfprühe, gefammeltı und d mitgeeil
von Koloman Kaiſer in Wien . . . 863
Wie hoch die Wolfen ftehen . . - . - EN De De re
Un die Sefer des „Beimgarlen® © » - 2» > a ea rn nr nern» DER
«in Brief Hamerlings ar re A, Be ee ARE ee. No. ar ua a
Die Vogelleiche als Frauenputz ae ae ugs MM
| 1J
* Anſer Plan.
o ſchreiben, daſs man's leſen kann,
So ſprechen, daſs man's verſtehen Tann,
Erzählen, daſs man's glauben kann,
So zeigen, daſs man's ſehen kann.
Ein froher Sinn, der ſcherzen kann,
Und tiefen Ernſt auch ehren Tann,
Ein heißes Herz, das herzen Tann,
Und fi zur Noth aud wehren fann.
Mit Füßen ftets3 auf Erden ftah'n,
Das Haupt gehoben himmelan,
Das war, das ift und bleibt der Plan
Des Heimgarten,
Der Heimgarlenmann,
Der Adlerwirt von Birdbrunn.
Eine Dorfgefhidhte von P. R. Roſegger.
; Demnach ſetzte ſich der junge
Erſter Abſchnitt. Kutſcher nicht auf den Bock, ſondern
Alſo vorwärts!” rief das Mann⸗ ſchickte ſich an, vom bequemen Sitze
337 fein und fprang flinf in den | des Landauers aus die Pferde zu
Wagen. „Wolfram, fomm an | leiten. Es waren zwei muntere Braune,
meine grüne Seite, du Haft ganz | deren glatte Haut einen feinen Seiden—
nett Pla neben dem alten Knaben! glanz Hatte, als ob jie wie das Riem
Wir wollen ja ſchwatzen unterwegs!“ | zeug gewicht worden wäre.
Kofegger's „‚Geimgarten“‘, 1. Heft. XV. 1
tD
Der Kutfcher war Wolfram Selten: |
fteiner, der junge Wirt vom „Schwar—
zen Adler“ zu Kirchbrunn. Ein froh
und freundlich in die Welt blidender
Blondlopf von etwa dreiundzwanzig
Jahren. „Ein Geſicht, länglich-rund
wie ein Tauben-Ei, Augen Hell und
blau mie der Himmel im Mai, Naje
ſchlank und ſtramm, rothe Oberlippe |
fed und zahm, der Mund fo anges
than, daſs er gut lachen und küſſen
kann. Bom Sceitel bis zur Sehe
hinab ein ſchlanker, hübfcher, gefunder |
Knab'.“
„Junger Mann!“ rief ihm der
Profeſſor zu, „ſtelle ja nichts an!
Wenn du durchgehſt und ich erlaſſe
auf dich den Steckbrief, ſo tommſt
du nicht weit, die Weiber fangen
dich ein!“
Einen Schnalzer mit der Zunge
machte der junge Maun, da trabten
die Röjslein fürbaſs.
„Behüt' Gott, Herr Profeſſor!
Kommen Sie fein wieder im nächiten
Jahr!“ So riefen jebt die dor dem
MWirtshaufe ftehenden Leute. Männer |
Ichwentten die Hüte, Weiber die Sad: |
tücher.
Das ältlihe Herrlein im Wagen
ftredte die offene Hand zurüd ne
den Leuten, ala wolle er ihnen noch |
wie Hörner die Worte hinftreuen, die
er ſprach: „Grüß Gott das letztemal
und gebet adht, Kinder, dafs ihr nicht ,
weniger werdet, bis ich wiederum
fomm’, und betet manchmal ein Vater:
unfer oder ein Schnaderhüpfel für den
alten Brofeffor Nir!“
Der Wagen rollte die glatte Straße
davon und verſchwand bald im thauen=
den Herbſtnebel.
„Iſt ein lieber Herr!” ſagten, jetzt
die Zurüdbleibenden untereinander,
„it ein Iuftiger Herr! Alleweil heiter !
So pudelnärriih und fo geicheit da=
bei! Wer wird uns jebt Gefchichten
erzählen, Liedeln lehren am Feier—
abend! NRäthfel aufgeben, Zaubereien
vormachen und guten Nath austheilen!
Das ift ein lieber Schaf!”
ſchmied.
die Sommerfriſche nach Kirchbrunn,
„Er heißt nix!“ brummte einer
der Umſtehenden.
„Was ſagſt du! der Profeſſor
heißt nix? Ich denk' wohl ein Biſſel
mehr wie du! Gib acht, daſs wir
dir dein Läſtermaul nicht mit einer
Feigenſalbe verkleben!“
„Er heißt Nix!“ lachte ein Junge.
„Nir heißt er!” lachten jet auch
die Übrigen.
„Wenn ich nur miüjste, woher er
den dummen Namen hat!“
„Mufs ein Spitzname fein, weil
er allemal nir antwortet, wenn man
ihn fragt, wer er ift, was er treibt,
was er weiß, was er hat, was er
will! Er ift nir und treibt nir und
weiß nir und Hat nir und will nir!
Darauf Haben fie ihn den Profeſſor
Nir geheigen.“
„Iſt nicht wahr!” rief der Nagel:
„Seit Jahren fommt er auf
wir fennen ihn als braven Man.
Das ift etwas! Nachher geht er in der
Gegend umher, Pflanzen ſammeln,
Bäume und Hunde zeichnen, traurige
Leut’ luſtig machen. Das ift auch
etwas. Er weiß zu erzählen von
Himmel und Erden, von den Ruſſen
und Franzoſen, auch wie die Eiſen—
ftiften gemacht werden, weiß er, und
wie er zu mir einmal in die Werk—
ftatt fommt, nimmt er mir das Zeug
aus der Hand und macht den Egg—
nagel fertig, dafs eö nur fo eine Form
bat. Das iſt ſchon was, meine lieben
Leut'. Wer ein Handwerk kann!
Handwerk ift beſſer wie Kopfwerk!
Nur fürs Nixhaben und Nixwollen
mag ſein Name paſſen, ich hab' mir
oft gedacht: Der lebt von der Luft
und vom Waſſer und vom Luſtig—
ſein.“
„Er hat gegeſſen und getrunken
und ſeine Sad’ bezahlt!“ berichtete
der alte Adlerwirt, der in Hemd—
‚ärmeln und unter dem grünen Sammt—
‚füppchen am Pferdetrog ftand und mit
den furzen Worte die Ehre feines
Hauſes und feines Gaftes rettete,
3
Der Wagen fuhr mittlerweile
hinaus über Wieſen und Fluren,
durch Dörfer und Wälder, den Bahn
hofe in Gejsniß zu.
„Wolfram!“ fagte der Heine hagere
Mann, den fie den Profeſſor Nir ges
eigen hatten, „warum rauchſt du
heut’ feine Cigarre?“
„Beil ich feine habe“, antwortete
der Burfche und zog den Leitriemen an.
„Was ijt denn das!” fragte der
Profeſſor und tippte an MWolframs
Brufttafhe, aus welcher ihrer drei
oder vier Glimmftengeljpigen hervor—
gudten.
„Das da?" fragte der Burfche
Ihmunzelnd entgegen, „das find Ci—
garren.“
„Knabe, du glaubſt, daſs mir der
Rauch unangenehm ſei!“
„Wer ſelber nicht raucht —“
„Ich will dich nicht zwingen. Weiß
nur, daſs man den Mund nicht gern
leer ſtehen läßt. Wir Alten ſchwatzen,
ihr Jungen wollet buſſeln oder rauchen.
Zum Buſſeln wirft Steine im Sad
haben. Alſo fied’ etwas anderes in
Brand!*
Lächelnd zündete Wolfram ſich
Eine an.
Als fie aus dem Gebirgsthal in
die Fläche herausgelommen waren
und am Dorfe Shwambah vorüber:
fuhren, kehrten im dortigen Wirts-
haufe, denn es war Sonntag, gerade
vier Mufifanten ein: Ein Trompeter,
ein Glarinetter, ein Geiger und ein
Bajsgeiger.
„Was denteft du darüber ?* fragte
Profefjor Nir feinen Kutſcher.
„Bis ich zurüdfahre, wird's ſchon
umgehen“, antwortete diefer. „Der
Schwambader gibt einen Freiball.“
„Du, da gib nur acht, dajs dir
die Pferde nicht ſcheuen auf der Rück—
fahrt! Ein paar feurige Thiere, die
du Haft!" jo nmedte das magere
Männlein.
Auf der Hochebene, über die fie
nachher wieder dahintrabten, kamen fie
in einen Eihenwald, an welchem be-
reit3 die Blätter gilbten. Manchmal
wehte ein goldig leuchtendes Blatt
nieder auf die weiße Straße und der
Wald war jo ftill und feierlich, dafs
e3 dem Profefjor wie ein Seufzer aus
der Bruft fam: „Sa, der Herbit!“
Jetzt fahen fie neben der Straße
im Laubwerf und Schlinggewächſe
zwei Mädchen. Junge, erwachjene
Mädchen, das eine in pußiger Bauern=
trat, das andere bürgerlich ange—
than ; das eine mit einem rothen Tuch
über dem Haupt, das andere mit
einem ſchwarzen Hütchen. Die unter
dem Tuche hatte ein lachendes Rund—
gefichtlein, die unter dem Hute war
blaf3 und ernfthaft und Hatte ſchwarze
Augen.
„Was wollen denn Die?” fragte
der Profeffor den jungen Kutjcher.
„Sie haben Körblein bei Sich.
Wahrſcheinlich Brombeer pflüden.“
„Wollt’ ein Madel früh aufftehn,
Wollt Brombeer broden gehn“ —
trillerte der Alte. „Kennſt du das ?"
„Sa, man fingt jo“, antwortete
Wolfram.
„Wenn du der SJägersjohn
wäreſt,“ nedte der Alte weiter, „mit
welcher von den Zmeien wollteit du
Brombeer broden 2“
„Weiß 's nit“, jagte der Burſche.
„Ra, dann ift es mit die noch
nicht gefährlich!“ achte der Pro—
feflor, dem Burfchen auf die Achjel
klopfend.
„Juſt übel wär' Keine — von
den Zweien“, ſagte der Wolfram,
„Na, dann ift es gefährlich“,
jeßte Jener bei. Sein frifches Ge-
jihtlein unter dem granenden Haar
war plöglih ernſthaft. Und die
Mädchen waren ihren Augen ent—
ſchwunden.
Als der Wagen wieder aus dem -
Walde fam, jah man in der Ferne
die zwei weißen Thürme von Gejsniß.
Sie leuchteten nur ſchwach durch die
‚nebelgrane Luft. Hinter dem ſtatt—
lichen Mearktfleden die Berglehne
1*
fonnte man nicht mehr erfennen, Und
gerade dorthin hatte Wolfram ſein
Auge gerichtet.
„Siehft du den Salmhof?“ fragte
der Profeſſor.
„Man fieht nichts “, antwortete
Burſche.
„Liegt ſie dir im Sinn?“ fragte
Profeſſor.
„Aber ich kenne ſie ja gar nicht,“
entgegnete Wolfram. „Das iſt wieder
nur ſo von meinem Vater etwas.
Weil ſie Geld hätte, meint er. Ich
denke, es muſs nicht alles Geſchäft
ſein, was der Menſch thut.“
„Brav biſt, mein Sohn!“ ſagte
der Profeſſor, „für Geld heirateſt
feine. Aber ganz verachten mußſst
auch das Geld nicht, wenn ſie zufällig
eins hat. Geld iſt Miſt, aber Miſt
iſt Dung, und Geld iſt der Dung des
ehelichen Glückes.“
„Die Salmhoferiſche wäre mir
auch viel zu fürnehm“, bemerkte der
Burſche, „die will höher fliegen als
auf ein Wirtshaus, ſagen ſie. Körbe
kann ich auch in Kirchbrunn haben,
da brauch' ich drum nicht gar bis
Geſsnitz zu gehen.“
„Junge!“ rief der Alte und hieb
ihm die Hand auf den Rücken, „du
bift nur zu wenig fed! Ein Kerl, wie
du bift, verlegt jich nicht auf Korb-
handel. Aber auch nicht dreinpatchen !
Ked und Hug!“
Der Wolfram ſchwieg. Über die
Hochebene her ftrich ein kühler Wind,
der brachte Regenschauer,
„Iſt Schon gut“, rief der Profeilor
ins Weite hinaus, „Herrgott, ich jehe
deinen guten Willen, mir den Ab—
Ichied von der Sommerfriſche fo leicht
als möglich zu machen. Haft du nichts
dagegen, Wolfram, jo machen wir den
Wagen zu!“
Das war bald gejchehen, aber
dann ſaß der Kutſcher auf dem Bod
und der alte Herr in dem finfteren
Lederlotter. An das hatte er mit
gedacht. Nad einer Weile Härte fi
ihn
der
der
der Himmel wieder und da waren fie
auch ſchon in Gejsnig auf den Bahır=
hof. Profeſſor Nix jprang rüftig aus
dem Wagen. „Wolfram, mein Sohn!”
fagte er noch, „Gemeint und gelacht
wird nicht. Höre auf zum wachen,
bleibe munter und mad’ feine Dumm
heit. So Gott will, im nächiten
Sommer fomme ich wieder!“
Damit fprang er auf das Tritt—
brett, denn es läutete das drittemal
und der Sommerfriſchler dampfte ab
in die große Stadt.
Wolfram ſchaute dem Zuge nad
und dachte: Der gute Profefjor Nir!
Seinen binteigenen Oheim kann man
nicht lieber haben. Die elf Jahre
fommt er jhon nah Kirchbrunn und
ift immer der Gleiche. Wenn er lacht,
ein Kind, wenn er ſchwärmt, ein Jüng—
ling, und wenn er guten Rath gibt,
ein Greis. Wenn man nur eigentlich
wüjste, wie alt! Die Leute tragen
ihn auf den Händen, das deutet auf
ein Kind Hin. — Und jet, Fuchſen,
heimwärts nad Kirchbrunn.
Der Burſche war feit fünf Mi—
nuten anders geworden, Früher der
faft befangene, wortkarge, dienſtwillige
Dorfwirt, der fein Verhältnis fühlt
dem vornehmen Gafte gegenüber; jetzt
der aufgewedte, kech dareinjchauende
Hausbefigersfohn don Kirchbrunn,
jein eigener Diener und Herr, Kutjcher
und Gavalier zugleich auf dem Wagen.
Nachdem er im Poſthauſe etliche Briefe
abgegeben, ein Kitchen mit Liqueuren
in Empfang genommen und auf dem
Kutſchbocke noch ein paar Gläfer Bier
ausgetrunfen hatte, ließ er feine Zunge
ichnalzen, das erjegte bei den Hugen
Röfslein ſtets die Peitſche, und ließ
heimwärts traben.
Bei einer Straßenbiegung ſah er
vor ſich an der Berglehne einen ftatte
lihen Bauernhof liegen; der nahm
lich Faft fchlojsartig aus, hatte ſogar
ein Thürmchen, auf dem eben Mittag
geläutet wurde. Es war, als ob die
Slode zur Straße herabrief: Komm,
fomm! Komm, fomm! — Allein der
Wirtsſohn aus Kirchbrunn fuhr ftolz
vorüber. — Ob, zu Der hätte ich
weit! dachte der Wolfram, Wenn ich
jest zur Haustochter im Salmhof
hinauf wollte, um zu freien, da müſst'
ich erjt willen, ob fie mich gern hat.
Und ihr Gernhaben möchte mich nur
freuen, wenn ich in fie verliebt wäre.
Und verliebt in fie könnte ich nur
jein, wenn ich mit ihre befannt wäre,
und das ift wieder nur möglich, wenn
man fie einmal gefehen hat. — Ich
weiß gar nichts von ihr, als dafs
mein Vater jagt, das wäre eine Frau
für den „Schwarzen Adler“ zu Kirch—
brunn. Gott, bis ſich jo ein langer
Faden abwidelt! Und am Ende wär’
nachher ein Scheuſal im Knäuel.
Hübſche Dirndln Haben fein Geld.
Reiche ſind oft nicht recht fauber. —
Dia, Füchſeln! Heim zu geht's! —
Der Himmel Hatte ſich fait aufs
geheitert, e3 ward ein jommerlich
warmer Mittag. Als der Wagen in
den Eichenwald kam, lederte e3 Die
Pferde nad grünem Sraute, das am
Wege wuchs und fie nahmen im Vor—
beigehen mande Schnauze mit ich.
„Wenn es euch jo jehr nach Preißel—
beerfraut und Enzianen gelüftet“,
jagte der Wolfram, „ich fände zwar
nicht3 Gutes dran, aber es ſei euch
wohl vergunnt. Spannen wir ein
bijshen aus.“
Er ließ den Wagen ein wenig
von der Straße jeitwärts auf ein
grünes Ungerlein ziehen, löste die
Pferde los und hieß fie fich frei er-
gehen zwijchen den Bäumen. Er jelbit
jchlenderte au jo dahin und da es
gar warın und wohlig geworden war
und die Pferde eine prächtige Gras—
bank gefunden hatten, jo tredte er fich
aufs Moos. Ein Stündel Rait kann
nicht jchaden. Heute ift ja doch alles
beim Schwambahmwirt und in Kirch—
brunn nichts los. Da kommt man
noch früh genug Heim, — Die Arme
unter dem Haupte, fo lag er auf dem
Rüden ſchlank ausgeftredt und ſchaute
in die hohen Baumfronen auf. —
>
Warum im Herbſt die Vögel nicht
fingen wollen! dachte er, fein einziger !
Sit es denn gar jo ſchlimm? ch
merfe keinen Unterfchied zwiſchen Früh:
jahr und Herbit....
Faſt ein wenig gejchlafen muſs er
haben. Regentropfen wedten ihn auf.
— Na, Knabe, es ift doch ein Unter-
Ichied zwifchen Frühjahr und Herbit.
— Eilig ſtand er auf, die Pferde
waren nicht weit, ex führte fie über
das weiche Moos Hin, gegen den
Wagen. Jetzt erlebte Wolfgang eine
Neuigkeit. In feinem Wagen hatten
ih Fremde Weſen eingeheimt. Er
hörte jchon von weiten kichern und
laden. Die zwei Brombeermädden
waren vom Sprühregen unter dieles
Dad gejagt worden und der Fürwitz
der einen Hatte alljogleih Beſitz er:
griffen von dem herrenloſen Wagen,
der jo mutterfeelenallein unter den
Bäumen ftand. Der Schlag zu beiden
Seiten gejchloffen und zugefenitert,
jo Hodten fie num darinnen auf dem
Lederpolfter und waren juft daran,
in dieſem feinen Gelafje ihr mitge—
brachtes Mittagsmahl zu verzehren.
Brot und Käſe hatten fie, das ſchnitten
ie auf dem Schoße Jäuberlih in
Stüdhen, nafchten auch von den ge=
ſammelten Brombeeren dazu. Die eine
mit dem blaſſen Gelichtchen war ernſt—
haft, die andere mit den blühenden
Wangen und dem rothen SKopftuche
darüber war voller Schalkheiten.
„Hui, ſauer!“ ficherte dieje, „da
wär’ mir Schon ein Buſſel lieber.“
„Das kannſt auch haben, Frieda“,
fagte die andere und that, al3 wollte
fie einen Kuſs hergeben.
„Seh, geh!” wehrte die Frieda
ab, „da müßsteſt exit einen Schnurr—
bart haben!“
„Ah jo!“ antwortete die andere,
„Wie fommft du mir denn vor, Jungs
dirn?* — Da trillerte die Frieda:
„Buſſerlgebn, buflerlgebn,
Das is nit Siünd,
Hat mir 3 ſchon d Muater glernt
Als a kloans Kind!"
6
„Ich Tann da nicht mitreden“, | auf dem Bod ein Mannsbild I” flüfterte
geſtand die mit dem Hütchen. die Kundel, „Frieda, was wird mit
„Mich ärgert 's nur“, warf die) uns gejchehen ?"
Frieda ein, „da reden und fingen fie „Daustochter, wir kommen ins
immer davon, daſs einem ordentlich Afrifa und werden als Sklaven ver
der Mund wäſſerig wird, und wann) kauft“, antwortete Die in dem rothen
's Ernft werden will, ift 's verboten. Tuche mit einer Ernfthaftigfeit, in der
Und das ift auch dumm: Heimlid) | man den Schalt kaum heranusmerkte,
möcht’ man 's probieren, und kommt) „Ich Spring aus!“ rief die
Einer, ſchwupps hat er Eine auf der; Kundel.
Wange!“ „Dann bift hin!“ antwortete die
„Wer wird denn fo lederig ſein!“ Frieda. „Ih glaube, wir bleiben
jagte die Kundel, „das find lauter hübſch fihen. Kommen wir durch eine
Dummpheiten.“ Ortſchaft, jo Ichlagen wir Lärm.“
„Weißt, von wen ich ein Buſſel „Um keinen Streich!“ verſetzte die
möcht’ ?* gab das friſche Rundgefichtel | Kundel. „Die Schande! Eher lajs ich
zu rathen, denn es fchien, als wollte | mich entführen bis zum großen Wafler,
fie einlenten, dort fpringe ich hinein.“
„Wahrſcheinlich von einem ſchönen Die Frieda hatte mittlerweile zum
Junggefellen“, antwortete die Kundel. Fenfter hinausgelauert und gefunden,
„Bon einem Mannsbild mit!“ daſs der Mann auf dem Kutjchbode,
verficherte die andere. „Von einem! fomweit man von ihm etwas erbliden
Mannsbild möcht 's mir graufen. | konnte, nicht allzu ſchrecklich ausſehe.
Weist du: Ein Kindel, wenn ich! Na, es wollte fie bedünken, als hätte
hätt’, von dem möcht’ ich ein Buſſel.“ fie diefen Menſchen ſchon irgendwo
In demjelben Angenblid machte | gejehen, ohne Furcht vor ihm zu em—
der Magen einen Rud und rollte pfinden. Darüber waren die beiden
davon. nun ein bifschen getröftet.
Einen grellen Schredruf hatten die Draußen regnete es, die Tropfen
beiden Mädchen ausgeitogen und dann | Ichlugen chart ans Fenſter und
ein Jammergeſchrei erhoben. Das ſchwere Nebel hatten ſich wiedergelegt
müßte nichts und ſchadete nichts, die | über die Ebene, daſs es ſchier dunkel
Röfslein trabten flinf die Straße ent: | ward. Und der Wagen rollte unab—
lang, der Wolfram auf dem Bode) läſſig fort und in das Ungewiſſe
Ichnalzte tapfer mit der Zunge, und | hinein.
jo rollte es dahin wie der Wind, die „Ach, mein junges Leben!“ feufzte
Richtung gegen Kirchbrunn. Der die Kunde. „O diefes unglüdliche
Wolfram hörte das Gefreifhe und Brombeerbroden.”
Dilfegejchrei in der Stutfche, er ſchmun— „So kommt es, wenn man am
zelte bei ſich: „Das iſt fein Schlechter Sonntag die heilige Meſſe verfäumt
Spaſs, ich entführe fie zum Freiball und im Walde umgeht,“ ſagte die Frieda
nah Schwambach. Zwei Fremde Brom- | Iuftig.
beerbroderinnen, denen die Brom— „wid mich am Arm!“ bat die
beeren nicht ſüß genug find. Na, Kundel.
wartet!“ „Du kommſt mie wunderlich für,
Als die gefangenen DirndIn merk | Haustodhter. Warum foll ich dich
ten, daſs ihre Gejchrei nichts richtete jeßt am Arm zwiden?“ fragte die
und das Dinausipringen zum Wagen | Frieda.
ſchlag gefährlih jei, wurden fie „Damit ih wach werde. Drei
mänschenftifl und beriethen unter fich. | Heuſchöber verwett' ich, das ift nur
„Zwei Röſſer find angeipannt und! ein Traum. Ich Habe vor kurzer Zeit
eine Rittergeſchichte gelefen, wie der
Raubritter Kuno das fehöne Burg—
fräufein Adelgunde auf einem Rappen
entführt hat. Das fommt mir jeßt im
Schlafe vor. Ich bitte dich, jo mwede
mi doch auf!“
Frieda kicherte. „Wenn es bei
mir aud ein Traum follt’ fein, dann
jei jo gut, wede mich nicht auf“,
jagte fie. „An einer jo Fürnehmen
Kaleſch' bin ich mein Lebtag noch nie
gefahren und werd’ auch gewifs nicht
mehr die Gnad' haben. Jetzt laſs ich
mir's jchmeden und dent’ an nichts,
Wenn er uns Hinführt, jo mufs er
uns auch. zurüdführen, jetzt kommt
mir die Kuraſch.“
„Frieda, du biſt ſchrecklich leicht—
ſinnig!“ ſagte die andere.
„Du biſt nicht leichtſinnig und
muſst auch mit.“
„Wenn ich glücklich davonkomme,
ſo ſtifte ich eine Kapelle im Eichen—
wald“, betheuerte die Kundel.
„Und ich gehe hinein beten!“ nahm
die Frieda ſich vor. „Jetzt wollen wir
die gnädige Frau ſpielen und Brom—
beeren naſchen.“
Die Brombeeren wären großen—
theils auf dem Kutſchboden zu ſuchen
geweſen, auf welchem ſie zerſtreut um—
herlagen.
„Sind die Röſſer ſchwarz?“ fragte
die Kundel plötzlich.
„Fuchsbraun“, antwortete Frieda.
„Gott ſei Lob und Dank!“ warf
die Kundel hin.
„Warum?“
„'s tunnt auch der Teufel ſein
Spiel haben!“
„Ich weiß mich nicht ſchuldig. Bin
eine arme Magd.“
„Schuldig weiß ich mich auch
nicht“, ſagte die Kundel, „wenn nicht
etwa die fürwitzigen Träume was
machen, manchmal. Dem Ritter uno
traue ih um feinen Preis.“
„Ritter machen mir wieder nicht
geftand die Frieda, „aber wenn gerade
jo ein fauberer Bauerntneht käm',
da wollt ich für michts gutſtehen.“
zu
2
—
— — ——— — —— — — — —— — —— — — — — — — — — — —— —
„Oder ein kernfeſter Holzknecht
aus dem Siebenbachwald!“ nedte die
andere,
„Laſs das gut fein, Haustohter,
ih mag nichts hören von ihm“, fo
antwortete die Frieda.
Aehnliches ſprachen ſie Halb im
Ernft, Halb im Scherz, halb in füher
Verwirrung. Der Jungmagd Frieda
kam es poflierlich vor, dafs fie Heute
einmal mit der gleihen Elle wie die
Daustochter gemefjen wurde. Plöglich
hielt der Wagen. Ringsum jtanden,
von düſteren nällelnden Nebeln Halb
verjchleiert, Scheunen und Häuſer,
und aus einem ſolchen Hang helle und
grelle Tanzmuſik.
„Du“, flüfterte die Frieda zur
Genofjin, „jebt kenn' ich mich aus, wir
find in Schwambach.“
Iweiter Abſchnitt.
Der Wolfram öffnete den Wagen—
Ihlag. „Schöne Jungfrauen“, ſagte
er ſchmunzelnd, „da find wir. Ich
bin der Adlerwirt aus Kirchbrunn,
ein durch und durch bösartiger Gejelle,
und lade euch zu einem Tanzel mit
mir beim Schwambachwirt.“
Die mit dem rothen Tuche wollte
zeigen, daſs fie ſich durchaus nicht
jo leiht ins Bodshorn jagen laſſe,
fie machte daher, raid aus dem
Magen fteigend, einen Knix md
fagte: „Wird uns eine große Ehr'
jein! Aber nimm dich inacht, Adler—
wirt, wir find auch bösartig.”
„Nachher ſtimmt's,“ verjeßte der
Wolfram, Roſs und Wagen dem Haus:
fnechte überlaffend. Er nahın die Eine
gleich am rechten Arme, während die
Andere ſich an feinen Linken bielt.
Dieſe ſchwieg, dachte aber bei ih: Iſt
er nett, jo wird's fein, und jonjt wird
er gefoppt.
Alfo trat zum Erftaunen der Leute
der Schwarze Adler von Kirchbrunn
mit den beiden hübſchen Dirndln ins
Haus und alljogleih die Stiege
hinan auf den Tanzboden. Einen
funfelnden Silbergulden warf er auf]fein, flüfterte eins dem anderen zu
den Spielleuttiich, da ſchrien die Pfeifer
und Geiger vor Freuden auf, und
einen „geflrampften“ Steirifchen machte
der Wolfram mit der, welche Frieda
hieß. Wenigftens ein Dutzend junger
Paare reigten zugleich, die Burfchen
mit den Händen Hatjchend, mit der
Zunge ſchnalzend, luſtig jauchzend
oder fede Lieblein fingend, die Mäd—
hen ſich den Tänzern fanft anfchmies
gend, ihre Köpflein Hingegeben an die
Bruft der Burfchen legend; manches
ſchloſs alfo im Arme des Trauten die
Augen, als wolle fie die Seligfeit
bis an die äußerſte Grenze aus»
träumen. — Macht es nicht aud die
Frieda jo? Liegt fie nicht Hingegofien
an die breite wogende Bruft Wolframs,
von feinen Armen feit umſchloſſen,
von feinem Auge, das underwandt
auf ihrem blühenden Gefichtlein ruhte,
bewacht, und angemweht die heiße Stirn,
die glühenden Wangen von feinen
warmen Athemhauch! Wohl war's nad
ihrer jcheinbar gelaflenen Sicherheit zu
vermuthen, daf3 fie heute vielleicht nicht
ganz das erftemal einer ſolchen Kopf:
lehne fich erfreute, doch aber der Unter—
ſchied! Ach Gott, was nicht für ein
Unterfchied ift zwiſchen Mannsbild
und Mannabild! — O du Herziger
Schas! date fih der Wolfram, dich
habe ich gefangen, wie man das
Böglein fängt mit der Falle, und
dich laſs ich nimmer frei, nimmer!
mein Lebtag nimmer. Die Frieda,
die dachte gar nichts mehr, fie fühlte,
als würde fie Hingetragen durch die
Lüfte, Hoch über den Erdboden, hoch
über die Wollen — mohin? Das
wusste fie nicht, war ihr auch ganz
gleichgiltig.
Endlih war der Tanz aus. Der
Wolfram ließ feine Genoffin loderer
und erinnerte ſich nun, daſs er deren
zwei gehabt hatte, Wo war dem die
Andere! — Der Schwambachwirt hatte
Ihon Lichter aufgeftedt im Saale,
aber die Andere war nicht zu ſehen.
Sie wird Schon auch gut aufgehoben
und fie machten fich nicht viel daraus,
Mittlerweile tranten fie auch Wein,
die Frieda mit, der Wolfram ohne
Zuder. Die Leute ringsum wurden
immer lauter, Iuftiger und toller, und
Weindunſt und Menjchendunitbetäubten
die Herzen und regten fie auf. Dort
und da im dämmernden Winkel lauerte
ein Einfchichtiger und fchleuderte fcheel-
fühtige Blide auf die glüdlichen
Pärden, wovon viele ganz in fich
jelber verfanten und weder Auge noch
Ohr Hatten Für die Umgebung. So
auch der Adlerwirtsiohn von Kirch»
brunn und feine Entführte. War nur
erit der Abend vorgerüdt, dann wollte
er mit ihr ein unbelaufchtes Plauder-
ſtündchen halten und fie nad ihrem
Herfommen fragen. Übrigens war es
recht reizend, dafs er nicht wußſste,
wer fie war, und fall er hätte vor—
ausfegen fönnen, dafs auch er ihr
unbefannt gewejen, that es ihm fait
leid, ſich vorgeftellt zu haben. Sich jo
weltfremd fein und fich jo innig ums
Ihlungen halten, das war ja doch
ein Hauptſpaſs, wie es micht leicht
einen zweiten gibt.
Us es draußen rabenſchwarze
Nacht "geworden war, trat durch das
Gedränge ein Holzknecht aus der
Kirchbrunner Gegend auf den Wolfram
zu und fagte: „Der Adlerwirt joll
hinaus kommen in den Hof, dort
möcht” wer ſprechen mit ihm.“
Aha, fiel es dem Burfchen bei,
die Andere! Jetzt will die Andere
dran. Hätte fie ſich nicht einen An—
deren ausfuchen können? Nun aber,
da er fie ſchon mithergeführt hat, muſs
er auch an ihr Ritterdienjte üben.
Es war aber nicht die Andere,
fondern ein Anderer, der im Hofe
feiner wartete. Am Brunnentroge
lehnte er und vom Küchenfenſter Hinaus
fiel das breite Licht auf feine Geftalt.
Ein baumftarfer Kerl ftand da, in der
Tracht der Gebirgsholzhauer, mit
wildwuchernden Bart und tief ins
Geficht gedrüdtem Hute.
m
„Grüß dich Gott, Adlerwirt! Geh
nur ber! Komm nur Herüber da!“
Alſo lodte der ruppige Gefelle mit
einem zarten Fiſtelſtimmlein den
Wolfram Hinter den Brunnentrog.
„Wer iſt's denn?“ fragte der
Molfram.
„Komm nur ber zu mir!” fagte
der Andere,
Der junge Adlerwirt erkannte in
dem Manne jet einen SHolzarbeiter
aus dem Siebenbachwalde, welcher
von den Leuten der Schopper-Schub
genannt ward. Der Mann war mehr-
mals jhon im Aplerwirtshaufe zu
Kirchbrunn eingefehrt, Hatte jich dort
aber ſtets in die Hinterfte Ede gejebt,
ein paar Gläshen Brantwein getrun—
fen und dabei jtier vor ſich auf den
Tiſch geblidt. Er war ein Mann von
etwa dreißig Jahren, aber flet3 im
Außeren jo zerfahren und ungepflegt,
daſs es jogar den Weibern zweifelhaft
jhien, ob das ein hübjcher oder ein
häjslicher Mann fei. Er war nicht in
der Gegend daheim und man wujste
nit viel von ihm, al3 dafs er ein
tüchtiger Arbeiter, jonft aber ein uns
gejelliger und fonderbarer Menſch
wäre. Jrgend jemand wollte von feiner
Bergangenheit etwas gehört haben und
deutete an, daſs in derjelben fo etwas
wie Brandgeruch zu berjpüren wäre.
„Du bit ja der Holzknecht
Shopper“, fagte nun der Wolfram.
„Ah, kennſt mich ſchon?“
„Was willſt denn von mir?“
„Auf ein ganz kleines Wörtel,
Adlerwirt. Da ſtell dich her, daſs ich
auch was ſeh' von dir. So.“ Hernach
hob er ſeine Stimme in eine noch
weichere Tonlage und ſagte: „Adler—
wirt, was geht denn dich die Frieda an?“
„Welche Frieda?“
„Thu' nicht Jo, mein Lieber, liegt
dir doch nur Eine im Kopf. Wo Haft
fie denn ber, deine Tänzerin?“
„So?! Meine Tänzerin? Wen
geht denn die was an?”
„Die wird fchier mich was an—
gehen, Adlerwirt.“ Dann wurde er um
einen halben Kopf höher und jehte in
einer feuchenden, wie vor Wuth er—
ftidten Stimme bei: „Wenn du mir
fie nochmal anrührft, nachher —“
„Nachher — ? — Nun!“ alſo jetzt
der Adlerwirt und ftellte ſich ſtramm
vor den Waldgejellen bin.
„—— nachher fiehft du feine Sonne
mehr aufgehen!“
Der Wolfram trat einen Schritt
zurüd, jo dafs er über den Unter:
balten des Troges ftolperte. Ju dem—
jelben Augenblicke war der finftere
Burſche ſchon über ihm, in der Hand
das blinfende Meſſer.
„Stehen ?!” ſchrie der Andere,
im Hauſe gellte die Muſik, polterten
die Tanzenden.
„Stehen —“ fagte es der Wald-
mensch langfam nach und ließ den Arm
finfen. „Nein, jet noch nit. Du
haft es vielleicht nicht willen können,
dajs fie mein ift. Das Unband ſagt's
ja Keinem! Aber aufgejegt iſt fie
mir! Das Graufen, das fie haben,
diefe Gänf’, vor einem Manne, der
fein Neft hat und bei dem 's Weib
jelber jein Brot mufs verdienen. Na
freilich beſſer ilt’s fchon, wenn das
Mandel alles zufammenjchleppt, was
Weib und Kind noth Haben — ich
glaub’3. Ein armer Dolzarbeiter kann
fo was nicht leiften und desweg ift er
der Niemand bei den Weibsbildern, Aber
wenn eine ins Waflerfloß ſtürzt und
unters Mühlrad kommt, da ift er gut
genug, der Waldbär, dafs er ſich gegen
das Rad ſtemmt, ehe die Kröt' —
Greatur, will ich jagen — todtgedrüdt
ift — ja freilid, da iſt er gut —“
Der Wolfram war wieder frei
geworden und fo fragte er nun: „Red'
deutlich, wie ftehft denn mit ihre?”
„Haft es nicht gehört, im vorigen
Minter? Am Falhingdienstag! Der
Salmhofer läſst feine Leute zum Frei—
ball gehen nah Geſsnitz. Die Frieda
auch mit. Ich vor fie Hin, werb’ um
einen Tanz. Dank ſchön! jagt fie und
geht einem Andern nad. Sich Halb
zu Tod tanzen und beim Heimgehen
in der Nacht auf dem Steg jhmwindelig | der Straße gefunden oder im Mühl:
werden — und plumps in den Mühl—
bad. Schwimmen kann fie wie ein
todter Spaß und fchnurgerade der
Mühle zu, wo das Rad geht. Jeſus,
wenn ich ihre im derfelbigen Nacht
nicht wäre machgejchlichen! Gleich
fpring’ ich in die Nadlaufe, ſtemm'
mih an. Das Zeug fteht till und
wie mein ſtolzes Schätzel daherge—
ſchwommen kommt, zieh' ich's heraus
und ſag': Guten Morgen! — Nach
einer langen Weile, wie fie wahr:
nimmt, wo und bei wem fie ift, und
bad, der ift dein geweſen mit Seel’
und Leib. Das ijt anders geworden,
Eine Dienftimagd Hat freilih auch
ihren Deren; wenn ihr wer das Leben
rettet, jo foll fie dankbar jein, aber
ihr Herz kann fie verfchenten, an wen
fie will.”
„Nachher iſt's aus“, ſagte der
Schopper-Schub.
„Haft fie denn gar fo gern, Holz—
fnecht ?“
„Sündhaft gern. Und ſchon lang
ber. Und gerade die! Und juft die!
wie fie fertig vom Wafjerfpuden, jagt | Als ob ich bejeifen wär’! Zu Walliſch—
fie: Dank ſchön! und Läuft davon. | dorf draußen habe ich einen Vetter,
Juft wie auf dem Zanzboden. Dank
Ihön! jagt fie und läuft davon.“
„Das ift wohl brav von dir ge=
wejen“, verſetzte jeßt der Adlerwirt.
„Still ſei!“ knurrte der Holzhauer,
„gelobt bin ich ſchon mehr als genug
worden, das hilft mir nichts. Die
Dirn will ich haben.“
„Hätte ich das gewuſst“, alſo der
Molfram, „dafs du ein Necht auf fie
haft, jo wollt’ ich mich nicht an fie,
gemacht haben. Aber das möchte ich
wiſſen: hat jie dich auch gern ?*
Seht zudie der Andere zufammen, |
tief ließ er jein Haupt ſinken, prejste |
das Gefiht in den Ellbogen jeines |
Armes und Hub an zu gröhlen.
„Zur Liebe kann man niemand |
zwingen“, fagte der Wolfram,
„Berfauft! Ihre Knochen von den
Würmern abgenagt, wenn ich nicht
Hin!“ gurgelte der Waldmenſch jchluch-
zend. „Und ihr Leben, mit dem jie
jeßt da drinnen wie eine Mairoſe
jteht, das hat fie von mir, das gehört
mir! Und wenn ich zum Hohen
Gericht gehe, jo muſs es mir zuges |
ſprochen werben.“
„O du guter, armer Menjch“,!
fagte num der Wolfram. „Leben und
Liebe, das wird wohl ein großer
Unterfchied fein. Dir ift gewiſs noch die
Zeit im Kopfe, wo die Leute leibz |
eigen gewejen find. Wen du dazumal
gelauft oder gewonnen Haft oder auf
der hat mir vor einem Jahre fein
Bauerngut wollen in Pacht geben, es
wär’ mir beſſer gangen, als wie da
oben im Siebenbahwald, — Ich habe
nicht fort fönnen — ihretwegen nicht.
Alle Sonntage gehe ich Hinaus in die
Gejsnigerfiche und ftehe Hinter dem
Thurmpfeiler und ſchau' Hin auf den
Pla unter der Slanzel, wo jie jißt.
Und geh’ dann wieder in den Wald
zurüd. — Wenn ich wüſst', wer mir
diefe Lieb’ hat angethan!* Er knirſchte
mit den Zähnen, al& wollte er den
Miffethäter zermalmen.
Eine Magd, die mit dem Waſſer—
zuber zum Brunnen fam, unterbrach
diejes Geſpräch. Der Schopper-Schub
padte den jungen Adlerwirt am Arm
und rannte ihm zu: „Hüte dich“,
dann ſchritt er rajch über den dunklen
Hof dahin.
As der Wolfram in einer recht
mwunderlihen Stimmung zurüd ins
Haus Fam, hörte er don mehreren
Seiten zugleich, dafs die Salmhofer-
tohter von Geſsnitz da ſei! — Die
Salmbofertochter ! da horchte der junge
Adlerwirt einmal auf. Und die Er-
regung im Wirtshaus war leine ges
ringe. Das iſt Schon eine bejondere
Anszeihnung des Freiballes beim
Schwambachwirt, das ihn die Salm—
hofertochter befuht. Die Fürnehmite
in der ganzen Gegend, die von den
Burſchen heimlich Begehrte und doc
|
nur wenig Ummorbene, weil jie ftolz
und unnahbar. Iſt fie mit ihrem
Water da? oder mit einer Gefelljchaft
von Gejsniger Bürgern und Bürgerin—
nen? oder gar mit einem Bräutigam,
der jie heute das erſtemal al3 Braut
aufzeigt! Das alles nicht! Ganz allein
joll fie jigen drin im Extrazimmer,
nur die Schwanbadhwirtin bei ihr,
welche ihr Geſellſchaft leiften zu müſſen
glaubt, troßdem jie draußen in der
Küche alle Hände voll Arbeit hätte,
Will denn niemand ins Stübel, die
Salmdofertochter zu unterhalten? —
Dadte der Wolfram: Kennen lernen
möchte ich fie doch, diefelbige, von der
es immer beißt, fie wäre die richtige
Adlerwirtin. Was kann mir gejchehen,
wenn ich fie zu einem Tanz auffor=
dere? Meist fie mich ab, jo drehe ich
mich vor ihrer Naje mit der Anderen
um und um,
Mie nun aber der Molfram ins
Ertrazimmer trat, ſah er am weiß—
gededten, mit feinem Backwerk bejegten
Tiſche neben der diden Wirtin das
Ihwarzbraune Mädel fiten, welches
er mit der Anderen, der Frieda, in
jenem Wagen kecklich dem Walde
entführt und nah Schwambach ges
bracht hatte. Und dad — das wäre
die Salmhofertochter, die ſtolze Kundel?
Er brauchte ſich nicht erſt nach
einer Anſprache zu beſinnen.
„Da iſt er ja, der tapfere Ritter“,
fo redete fie ihn ſchier ernſthaft und
gelajlen an. „Schön ift es nicht vom
Adlerwirt, daſs er fih um die zweite
Entführte gar nicht mehr umfehen
will, bevor er die erite zu Tode ges
tanzt.”
Der Wolfram ſtammelte eine Ent:
Ihuldigung. Die Kundel ſah recht
gut ein, daſs es das beſte ſei, das
Abenteuer, welches ihr nun gar nicht
geheuer ſchien, ins Scherzhafte zu
ziehen. Sie rückte daher ein wenig
auf der Bank und ſagte: „Setzen Sie
ſich nur willig her zu mir, es wird
Ihnen nichts mehr anderes übrig
— — — — — — — — — —— —— —— —— — — — — —
Nachtmahl, tanzen Einen mit mir
und führen mich dann wieder nach
Hauſe.“
Das war alles ſo ernſthaft kühl
geſprochen, als ob ſie zu einem Diener
redete. Er ſetzte ſich hin neben ſie
und that, wie fie befohlen hatte. All—
jogleih ward es im ganzen Daufe
fund: der ſchwarze Adler von Kirche
brumm und die Salmhofertochter von
Geſsnitz ſitzen beieinander, effen und
trinken miteinander wie ein Braut»
paar. Und als die beiden gar Arm
in Arm auf den Tanzboden traten,
da wichen die Leute nur jo in Staus
nen und Ehrfurcht zurüd, daſs das
Ihöne junge Baar faft allein den
Reigen tanzte im Saale. In der Ede
hinter dem Stiegenverfchlag ftand die
Frieda, ein großer Schred hatte ihr
Antlitz blaſs gemadt. — Er iſt ver—
ſpielt! fo fonnte fie noch denken, meine
Daustochter hat ihn, da iſt er ver—
jpielt für die arme Magd. it das ein
Tag, dieſer Heutige Sonntag!
Wie das Paar in der Nähe vorüber—
veigte, trafen fich die Blide des Wolf—
vam und der Frieda. In dieſem
Augenblid war ihm, er tanze mit
einem Stüd Holz. Faſt plötzlich, be—
vor der Tanz aus war, ließ er die
Kundel los und machte vor ihr eine
höfliche Verbeugung.
Es half ihm aber nicht3, er hatte
für den Abend ihr Ritter zu fein
und war recht froh, als die Kundel
den Wunſch ausſprach, nah Haufe
zu fahren, Endlich ſaßen die beiden
Mädchen wieder im gejchlofjenen Wa—
gen und der Wolfram auf dem Kutſch—
bod. Als fie aus dem Hofthor des
Schwambaher Wirtshaufes fuhren,
noch zum Abſchiede mit hellem Muſik—
Hang begrüßt, Jah der Wolfram, wie
hinter dem Pfoften fich der Wald-
mensch dudte — dann gieng e3 fort,
hinaus in Nacht und Nebel.
Die beiden Mädchen im Wagen
führten nicht die angelegentliche Unter—
haltung miteinander, wie auf der Her—
bleiben. Sie zahlen mir jegt ein feines fahrt. Die Kundel war mürriſch und
12
breitete fich jo fehr aus, daſs die An—
dere völlig in die Ede gedrüdt war.
Wohl auch die Frieda war nicht auf:
gelegt zum Spreden, fie hatte zu
denfen genug, und zu thun genug,
ihre Gedanken nicht zu verrathen.
Wie erichroden war fie daher, als die
Haustochter mit einemmale den Mund
aufthat: „Eine wahre Schand’ ift’s,
wie du dich heute aufgeführt Haft!“
Es Hatte ſchon den Anſchein, als
wollte die Magd nichts entgegnen,
endlich Jagte fie aber do: „Kann ich
etwas dafür, daſs er zuerft mit mir
gegangen iſt?“
„Du Haft dich ihn ja angeklettet!
Männerfüchtige Raſſel, du!”
Nun ſagte die Frieda nichts mehr.
„Ich werd’ mir’ merken“, ſetzte
die Kundel noch bei, und damit war
das Geſpräch zu Ende,
Der Hutiher Wolfram ſah träu—
meriich auf die Bäume, Büjche und
Megplanten hin, die im Scheine der
Magenlaternen geipenftiich auftauchten
und verſchwanden. Die Laternlichter
warfen im dichten Nebel eine Art
Heiligenfchein um die Kutſche. — Ein
jauberer Heiligenſchein, das! dachte
der Wolfram; wenn id heute nicht
fündige, fo geſchieht's einzig nur, weil
die Gelegenheit dazu fehlt. Jet kann
ich in der ödweiligen Nacht den langen
Weg dahinradeln und nachher wieder
zurüd, Ein hübfches Vergnügen. Bis
ih nah Kirchbrunn komme, ſtehen
ſchon die Leute auf. Das hat man
von ſeinem Übermuth. Sonſt nichts.
— Hia! den Braunen wird's auch
ſchon zu dumm.
Endlich waren ſie auf dem Markt—
platz zu Geſsnitz. Der Wolfram wollte
halten, aber die Kundel rief zum
Wagenſchlag heraus: „Vorwärts! Zum
Salmhof hinauf!“
Und nach einer weiteren Weile
hielten ſie vor dem großen Hofe, der
mit ſeinen weitläufigen Gebäuden wie
leblos dalag. Nur ein gewaltiger Hund
nicht der Mühe wert, ſich weiter um
das herangerollte Gefährte zu bes
lümmern.
Die Kundel wartete im Wagen,
bis der junge Adlerwirt abgeſtiegen war
und ihr den Arm zum Ausſteigen bot.
„Und was wird jetzt mein Vater
ſagen?“ fragte das Mädchen. „Wenn
ich ihm nicht gleich nach der Ankunft
in Schwambach einen Boten geſchickt
hätte, daſs er weiß, wo ich bin —
Sie hätten ſeiner Angſt nicht geachtet.“
Jauchzen wollte der junge Mann
über dieſes Wort, es war ein Herzens—
wort gewejen, das erite, welches er
von ihr gehört. Ein gutes Kind kann
wohl auch ein gutes Weib fein...
Ei ja, mein Vater kann doch recht
haben! Wer Die einmal heimführt!
„Anläuten, geh'!“ Haftete die
Kundel der Jungmagd zu, die fhier
fopflos dageltanden; und während
diefe nun an die Hausthür eilte
und den Glodenitrang zog, flüfterte
die Salmdofertohter zum Wolfram:
„Seien Sie ſchön bedankt, kühner
Ritter! Aber wie böje ih auf Sie
bin, das ſollen Sie noch erfahren.
Warten Sie nur! Schnell hinweg!
Gute Nacht!“
Diefen raſchen Abſchied erklärte
der Udlerwirt ſich jo, als follten die
Hausbewohner das nächtliche Gefährte
nicht wahrnehmen; das war aber ein
wenig anders, die Haustochter wollte
es verhindern, daſs er der Jungimagd
gute Naht jagen konnte. Und den
Molfram wurmte es richtig den ganzen
Weg heimwärts, dafs er ohne einen
Händedrud, ohne ein einziges gutes
Wort von Frieda hatte jcheiden müſſen.
Dritter Abſchnitt.
Seht würde männiglich rathen,
dafs am anderen Tage der alte Adler:
wirt zu Kirchbrunn feinem Sohne
ein arges Wetter gemadt hätte, Au—
ftatt am Sonntagnahmittage, war der
redte fih mitten im Hofe und der | Wolfram mit den Röflern am Mon—
fnurrte ein wenig, Ichien ihm aber tag früh nachhauſe gefommen!
a8 -
Männiglich Hätte aber ſchlecht ge—
rathen. Als am Montag nach zwölf
Uhr mittags der Wolfram erwacht
war und die KHüchenmagd ihm den
Kaffee and Bett brachte, fam auch
der alte Adlerwirt herein, er brachte
das Semmellörbchen, ſchaute ſchmun—
zelud auf den Burſchen Hin, der
ferzengerade ausgejtredt no da lag
und gähnend ſich noch ein weiteres
jtredie.
„Geſchlafen Haft nicht fchlecht”,
ſagte der Wirt.
Jetzt kommt's, dachte der Wolfram, | aupaden.
it! — Oh, gibt der Weidknecht Ant—
wort, dem jungen Deren fehlt nichts,
der jißt draußen beim Schwanbad-
wirt im Crtraftübel und thut mit
der jungen Salmbofertochter aus Geſs—
nitz Nachtmal eſſen. Wär nicht Tchlecht !
lage ih. Ya Freilich nicht, meint der
Knecht und erzählt mir die ganze
Geſchichte, wie du jie mit dem Magen
zum Zanz geholt hättet. Teufel! dent
ich, der geht's fcharf an! Der kennt
ih aus. Je Schwerer man an Eine
herankann, deſto kecker muſs man fie
— Jetzt Haft gewonnen,
und er hat ganz recht, ich verdien' Wolf, und ich kann dies nicht ſagen,
ſchon eine Portion.
Uber es kam nicht.
„Zein® ihn, jo lange er od
heiß iſt“, rieth der Alte, auf die
Kaffeetaſſe dentend, „was Warmes
thut immer gut nach einer foldhen
Nacht.“
Der Wolfram richtete fi, auf den
Ellbogen geftüßt, Halb empor, der
Hemdfragen war abzubinden vergeljen
worden, er lag noch um den Dals;
durch die Spalte de3 weißen Hemdes
ſah man einen heil der nadten
Bruft; das Geficht des jungen Mannes
war ein wenig bläſſer als jonft, alfo
daſs der junge Bart um fo dunkler
Ichattete. Die wirren feuchten Haare
hiengen in braunen Tagen und Rin—
gen über die Stirn herab, Der Wirt
ſchaute nicht ohne Wohlgefallen auf
feinen Sohn. So ein hübſcher Junge
ift auch ein Capital. Nur mu man
ihn verjilbern oder vergolden laffen,
Sind ja auch in der Kirche die größten
Heiligen vergoldet.
„Trau' Einer noch einmal jo einem
Dudmäufer!* ſprach mun der alte,
Wirt mit ſchwerem Wiegen des Haup—
tes und im Tone des Vorwurfs. „Mo
unſereiner erſt hindenkt, ift der ſchon
geweſen. — Aber,” fuhr er fort, „lachen !
babe ih auch müfjen geftern abends. |
Mie der MWeidfnecht heimkommt, ag’
ih: Wo denn Heute der Wolfram
fteden mag mit den Pferden! Dajs
dm am Ende fein Malheur paſſiert
wie mid das freut, Wirft jeden, jebt
ftehft auf einmal ganz anders da.
Neider wirft genug haben, ich glaub’s!
Und nun, Wolf, kann ich dir's wohl
jagen: wir brauchen eine reiche Heirat
jo nothwendig, wie der Fiſch den
Schluck Waſſer. Seit die neue Eifen-
bahn drüben geht, fteht’s nicht gut
mit uns Wirtsleuten auf der Kirch—
brunnerſtraße. Zu harter Noth, daſs
es mir bisher gelungen ift, unfer
Unfehen aufrecht zu Halten, lange
wär’ das nicht mehr möglich gewejen.
Wir fteden tief in der Schlamais,
mein Bub’, wir fteden tief!“
Der Wolfram mar von dieſer
Mittheilung nicht gerade erbaut, er
fagte aber nichts darauf, fondern war
von Diefem bitteren Augenblide an
entſchloſſen, das Abenteuer mit der
Salmhofer'ſchen ernſthafter aufzu—
faſſen, als er es bisher gethan.
„Schau nur dazu, Wolf, dafs
ihr bald Hochzeit macht!” mahnte
der Ute noch. „Sit gut, dajs dem
Profeſſor fein Zimmer leer geworden,
das laſſen mir jebt gleich Herrichten.
Wird euh ch am liebſten fein, ift
hübſch groß und ruhig.“
„sa ja!“ fagte der Wolfram
ziemlih barſch, um dieſes Geſpräch
abzubrechen, welches ihm durchaus
nicht heimlich war. Er ſah ſein Ver—
hältnis zur Salmhofertochter lange
nicht ſo roſig, als ſein Vater, und
wenn etwas Roſiges für ihn dabei
war, jo fonnte es nur das blühende
Gejichtlein der — Anderen fein.
Auf gar feinen Fall war es zu
leugnen, dafs Wolfrans Sinn nad
dem Salmhofe in Geſsnitz fand. Und
es ereignete jich auch, dafs er nun
häufig nach Geſsnitz fuhr, immer in
Gejichäften, wie es hieß. Einige Wo—
hen vergiengen jo, da Hatte der alte
Adlerwirt die feinste Brautwerberfahrt
veranftaltet.
Rollte eines Tages das forgfältig
aufgewichfte Geführte die Straße ent-
lang gegen Gejsnig. Auf dem Bod
ſaß heute der Pferdefnecht, aber hübſch
mit flatterndeın Hutbande. Im Wagen
faßen der alte Adlerwirt und fein
Schwager, der Herr Amtscontrolor
aus der Hreisftadt. Beide im ſchwar—
zen WUnzuge, mit Seidenhut und
bunten Halsmaſchen. Dem Aodlerwirt
war befonders im den weißen, ſtramm
um die fleifchigen Finger gefpannten
Handſchuhen höchſt unbehaglih, er
war nicht imſtande, den einfachiten
Handgriff zu thun, jelbft den UÜber—
rod muſſte — als es gegen Geſsnitz
hin ſchwüler wurde — der Herr
Schwager ihm auffnöpfen, und als fie
zur MWegmaut kamen, fanden die
eingepferchten Finger in ben Taſchen
fein Geldſchnäppchen, jo daſs wieder
der Schwager aushelfen muſste. Trotz—
dem war der Adlerwirt guten Muthes
und hieb dem Genofjen ein» ums ans
deremal die breite Hand auf den
Dberjchentel: „Na, was meinit,
Schwager, wirft fteden bleiben bei der
Anrede ?"
„Du wirft dir noch die Hundes
ledernen zeriprengen!“ mahnte der
Schwager fürſorglich.
Der Aıntscontrolor war ein dürres
Herrchen, dem auch die Kampfluit,
das heißt die Brautwerbeluft aus den
Augen bligte. Der Adlerwirt Hatte ihn
eigens für Ddiefen Zweck aus der
Kreisftadt verfchrieben. Es fährt ich
doch ganz anders auf mit einer Auto—
rität aus der Stadt, die Schid kennt
und Vornehmheit Hat. Das Amt, in
welchem der Herr Schwager ſaß, oder
vielmehr aufs und abjprang, beitand
in einer Fahrlartencontrolorftelle auf
der Pferdeeiſenbahn.
Nun alfo, im Bemufstfein voller
Ehrenhaftigkeit fuhren fie den Hügel
hinan gegen den Salmhof. Da fielen
ihnen die zahlreihen arınen Kinder
auf, die — obzwar ſchon zur Aller—
heiligenzeit — barfuß und in jchlechten
Gewändlein den Meg hin- und her—
liefen. Durch das weit offenftehende
Thor roflte der Wagen jo raſch in
den Hof, daf3 es mit einem der Kleinen
Ichier ein Unglüd gegeben hätte. Allſo—
gleich ſtand auch der dienftbare Burjche
da, der die beiden Pferde in Obhut
nahm, während die beiden Herren ſich
an einen Mann wandten, um fo
gleihjam wie im Borübergehen ein
wenig die Mirtfchaft beguden zu
fünnen, Der Angelprochene führte fie
bereitwilligft durch verfchiedene Ge—
bäude, und überall war es erſtaun—
ih. Diefer Wohlftand, diefer UÜber—
fluſs in allem. Die Hausthiere in
Ihönften Raſſen, die Vorräte an
Teldfrüchten, an Heu, an Werkzeug,
an Wagen und Schlitten, an Häuten,
Pelzwert und Wolle, an Edelholz,
furz an allerlei, woran die meilten
Leute gar nicht deufen, gejchweige es
beſitzen.
Nach einem ſolchen Rundgang im
Hofe kamen ſie zum Eingange in das
stattliche Wohnhaus; das Untergeſchoß
desfelben war gemauert und weiß
übertündht, der obere Stod aus Holz
gezimmert. Es Hatte viele Fenſter,
die größer waren al3 ſolche bei an—
deren Bauernhöfen, und mit zierlichen
Holztäfelungen ausgeſchlagen. Auch
an den Dachvorjprüngen waren Holz—
Ichnißereien, das Dach ſelbſt war aus
Schindeln und über demfelben ragten
mehrere weiß überkünchte Schornfteine
empor, Neben der Dausthür an der
Wand hieng eine ſchwarze Tafel, auf
welcher Kundmachungen lebten, dent
der Salmhofer war Borftand der
Landgemeinde Gejsnig, die fich einen
15
eigenen „Bürgermeiſter“ wählte, jeite
dem der Ort Gejsniß jelbit eine Markt—
gemeinde geworden war. Als die
beiden Gemeinden fich trennten, wollte
jede den Salmhof für jich haben, der
lag jo gut bürgerlich als bäuerlich,
allein der Salınhofer mochte gedacht
haben: Lieber der erfte Bauer, denn
der letzte Bürger, und hatte fich zur
Landgemeinde geſchlagen, was ihm
jeine Nachbarn gar nicht Hoch genug
aurechnen konnten.
An der offenen Hausthüre war
in der unteren Weite ein zierliches
Holzthörchen, wie ſolche an vielen
Banernhöfen üblih find und dazu
dienen, dafs vom Hofe das Fleinvieh
nicht ind Daus laufen kann. An
diefem Thörchen grunzten heute aber
weder Schweine, noch mederten Lämmer
oder Ziegen, es war umdrängt bon
armen Kindern, dreijährigen bis etwa
zwölfjährigen, die ihre Händchen auf—
hoben und mit Hellen Stimmen
fchrien: „Bill! gar ſchön um ein
Allerheiligenbrot!“
Und hinter dem Thörchen ftand
ein feines, etwas blafjes ernſthaftes
Mädchen in dunfelblauem, Faft ſtädtiſch
geihnittenem Anzug, am Halſe ein
weißes Sträglein, wie es Männer
tragen. Diejes Mädchen nahm aus
einem großen Korbe, der neben ihr
ftand, geihnittene Brotjtüde und ver—
theilte fie an die Kinder, Die vorne
ftanden, denen gab fie es in die Hand,
den hinteren, vergeblih nach vorne
drängenden warf fie die Stüde über
den Köpfen zu und kümmerte fich
nicht weiter um das Gebalge, welches
darüber entitand.
„Das ift ſie!“ flüfterte der alte
Udlerwirt dem Herrn Amtscontrolor
zu und fie zogen ehrerbietig vor ihr
die hohen Hüte. Das Mädchen dankte
dem Gruße mit einem faſt unmerf-
lichen Neigen des Hauptes, jcheuchte
mit einer lebhaften Handbewegung
die Kinder auseinander und unſere
beiden Männer traten in das Daus,
Nah den „Derren Eltern“ erkun—
digten fie fich bei der Kundel. „Bitte
nur die Treppe hinauf, Mutter wird
in der Küche fein!“ Alſo in höflichem,
aber entjchiedenem Tone der Bejcheid.
Der Adlerwirt nidte dem Genojjen
vieljagend zu. Der Kundel war ihr
erheuchelter Gleichmuth ganz ausge—
zeichnet gelungen, nun aber huſchte
fie rafch unter die Stiege hin und
jpähte nah. Es ſchwante ihr etwas,
al3 gehe diefer Befuch fie an. Für
das Austheilen des Allerheiligenbrotes
war nun alle Neigung dahin, fie ftellte
den Kindern den Korb mit dem Reſte
der Brote dor die Thür und ſchlich
die Treppe hinan.
In der Küche waren zwei Weiber,
welche mit langen Meſſern die Kohle
fopfitengel zerfchnitten und die Scheib—
hen in einen Keſſel warfen. Beide
waren wie Mägde angezogen, nur
dajs die ältere, eine magere und fait
fümmerlih ausfehende Perſon, ein
weißes breites Schürzenband Hatte,
an welchem ein Schlüffelbund hieng.
„Können wir mit der Fran Salm—
hoferin reden ?* ſprach dieſe der alte
Adlerwirt auf gut Glüd an,
„Was wird’3 denn fein?“ fragte
das Weib in faſt ſchüchterner Weife
entgegen und wilchte ihre Hände an
der Schürze ab.
„Wir find von Kirchbrunn“,
fagte num der Herr Controlor, „und
fommen in einer wichtigen Angelegen-
heit, wie ſich's ſchon mandmal fo
fügt auf diefer Welt.“
„Dann müſſen Sie Schon zu meinem
Manne gehen. ch weiß nichts“, jo
antwortete die Salmboferin, wies fie
über den Gang bis zur legten Thür
ins und gieng wieder au die Bes
reitung des Schweittefutters,
Bei der legten Thüre links klopf—
ten die Männer böflih an. Drinnen
huftete jemand. Nach einem Weilchen
Hopften fie zum zweitenmale, und
drinnen Huftete es zum zweitenmale.
Nah dem dritten Klopfen ſchnarrte
es im Zimmer: „Zum Satan, ja
hab’ ich gejagt!“
16
Es war barſch, doch der Adlerwirt
Hielt das Ja im vorhinein für ein
gutes Zeichen. Sie traten ei.
Es war eine ſchmale Längliche
Stube mit zwei Fenftern und einem
großen Kachelofen. Zwiſchen den
Fenſtern Stand eine lange Lehnbant
und daneben ein braunangeftrichener
Tiſch. Auf der Lehnbanf lag ein
alter Mann, der nur mit Soden,
einem ſchwarzen Beinkleide und einen
grauen, loder um Bruft und Arme
flatternden Wollenhemde bekleidet war.
Der Mann Hatte auf dem Haupte faft
fein Daar, hingegen einen üppigen
ſchneeweißen Bart. Das Gelicht war
geröthet und hatte eine lange wul—
ftige Naje. Auf dem Schoß hatte der
Mann ein weißes Kätzchen, das er
fortwährend ftreichelte und mit Brot—
krümchen fütterte. Auf dem Zifche
lag ein blaues zujammengefnülltes
Sadtud, ein paar Brillen und ein
Bad mit Schriften. Daneben ftand
ein grünglafierter Krug, aus welchem
er häufig einen Schlud nahm.
Diefer Mann war der Salınhofer.
Der alte Adlerwirt verleugnete feine
Befangenheit und grüßte ihn wie einen
Belannten, denn der Salmbofer war
ja oftmals eingefehrt bei ihm in Kirch—
brunn.
„Au!“ ſagte der Alte und richtete
ſich ein kleinwenig auf. „Das iſt
ſeltſam. Was ſeid ihr denn ſo närriſch
aufgeſtiefelt?“
Da ſtellte ſich der Herr Controlor
vor und begann ſo zu reden: „Hoch—
achtbarer Herr! Die Schichſale der
Menſchen jind mannigfach und uns
erforſchlich. Sie hätten wohl aud
nie gedacht, daſs wir einmal an Ihres
Hauſes Schwelle ftehen würden, und
zwar in einer Angelegenheit, die —
in einer Angelegenheit, welde —“
Da ſtak er.
„as wollt’3 denn?” fuhr der
Salmhofer mit feiner breiten, röcheln—
den Stimme drein,
„Daſs wir
au Ihres Daufes
Schwelle ftehen werden, und zwar in der Salmbofer ab.
einer Angelegenheit, die —“ Troß
des neuen Anrandes fonnte er nod)
nicht weiter. Kalter Schweiß ftand
ihm auf der Stirn.
„Still ſei, Miſtvieh!“ ſagte der
Salmhofer zum Kätzchen, welches
miaute, und gab ihm mit dem Finger
einen zärtlichen Klapps.
„Bitt' euch, macht's feine Faxen!“
hierauf zu den Ankömmlingen, „kann
mir's ja eh denken. Meiner Tochter
die Fahrgelegenheit zum Schwan:
bachwirt ſoll ich zahlen. Was koſtet
ſie denn?“
Jetzt lachten die beiden und mein—
ten, nun wären fie ſchon bei der
Stange. „Billig fahre der junge Adler—
wirt nicht bei Nacht und Nebel, leicht
fojte e3 den Paſſagier jelber.“
Der Salmhofer hob von der Habe
die Hand und machte damit einen
Schlag in die leere Luft. War das
die Antwort ? War das nicht gerade,
als ob er jagen wollte: Fort mit
Schaden ?
„Dafür ftehe ich gut“, fprad nun
der alte Adlerwirt, „einen braven
Mann befommt fie. Und Lieb haben
fih die jungen Leut’, wie Tauben.“
Der Salmbofer that aus dem
Kruge einen langen Schlud und, auf
jeinem Barte noch die Tropfen fchnarrte
er: „Mein Geld willft, Adlerwirt.“
„Aber! Aber!“ rief der Adler—
wirt, „Wer denkt denn an fo was?
Geld macht nicht glüdlih, fage ich
alleweil. Daſs fie zufammenpaffen,
ift die Hauptſache. Das andere wird
fich alles geben.“
„Losgehen kann's, wann’s will”,
fagte der Salmhofer und trank wieder,
Während er trank, ſprang das Kätz—
hen auf den Fuhboden hinab; da
fuhr der Alte empor, fieng es ein und
jeßte es wieder ſachte auf jeinen
Schoß.
„Nachher könnten wir vielleicht
jegt mit der Kundel reden“, meinte
der Adlerwirt.
„Weiß Schon, weiß ſchon“, wehrte
„Das Mädel ift
a 17 .r
ja ſchon ganz dumm dor lauter Vers
liebtheit. — Da bleibjt, Vieherl.*
Den beiden Männern kam es ſchier
vor, der Alte fei micht recht bei Troft.
Der grüne Krug! Auf jeden Fall
reihte der Adlerwirt ihm nun die
Hand und jagte in feierliher Stim—
mung: „Alfo abgemacht, Schwieger !
Bruder! Gott ſegne unfere Kinder!”
„Iſt Schon recht,
murmelte der Alte, und jeine Dand-
bewegung deutetean, fie fönnten wieder
geben.
„Er hat zwar einen martialifchen
Rauſch“, fagte der Herr Controlor
vor der Thür, „aber richtig ift’s.
Er Hat mehr geftanden, als er im
iſt Shon gut!“ |
nüchternen Zuftande beigegeben hätte,
und das kann uns recht ſein.“
Auf der Hausflur begegneten fie
‚der Kundel. Der alte Adlerwirt hielt
ihr die Hand Hin und fagte weich:
müthig: „Det made ich nicht viel
Umftände mehr. Zöcterl, ich darf
wohl einen Gruß ausrichten beim
jungen Wolerwirt zu Kirchbrunn?“
„Bitt' ſchön“, antwortete das
Mädchen und ſenkte das Aug’,
„Und wanı darf die Hochzeit
jein ?* fragte kühnlich der Herr Con—
trolor.
„Je eher, deſto beſſer“, antwortete
das Mädchen. Da wußsten die Braut—
werber einftmweilen genug.
(Fortfegung folgt.)
Was man fid in Benedig erzählt.
Nach italieniichen Quellen von Robert Hamerling.
I. Bie Riva di Biafio.
a jogenannte Riva di Biafio ift
eine der langen ſchmalen Ufer-
= jtreden, die mit venezianischem
Ausdrud auch „Fondamenta“ genannt
werden. Sie liegt im Pfarrbezirf von
San Simeone, gegenüber der Kirche
San Geremia, von welcher die Breite
de3 Canal grande fie trennt.
Der Name diefer Riva fchreibt ſich
von einer düſteren Begebenheit her,
deren Schauplatz vor langer Zeit Tie
war. Es gebt nämlih im Munde
des venezianischen Volles die Sage,
ein. Er veritand ſich insbeſondere
darauf, ein gewilfes Ragout zu be=
reiten und jo zu würzen, daſs man
nicht unterfcheiden konnte, welche Art
von Fleiſch dazu verwendet worden jei.
Der Geſchmack desjelben war ausge:
zeichnet, der Preis mäßig, und die
Schüſſel dampfte immer friſch: fo hatte
er denn eine große Kundſchaft und
verdiente vieles Geld.
Nach Verlauf einiger Zeit, während
welcher Freund Biafio zu allgemeiner
| Zufriedenheit fein leeres Ragout aus:
zukochen fortfuhr, verlautete bald in
\diefem, bald in jenem Stadttheile
ein gewilfer Biafio habe auf jener! Venedigs die Hunde don einem ver—
Riva eine Schente gehalten, und mit |lorenen Knäblein oder Mädchen,
dem Gefchäfte des Wirtes habe er zu—
gleich das eines Ausfochers verbunden.
Gondolieri, Matrofen,
Bofegger's „Beimgarten’‘, 1. Geft, XV.
Handwerks-⸗
leute u. dgl. ſprachen zahlreich bei ihm
von
welchem, des fleißigſten Suchens uns
‘geachtet, feine Spur mehr aufgefunden
werden konnte. Die Fülle mehrten fich,
und man durchſuchte auf Anordnung
5)
er
18
der Behörden die Kanäle, ob die
Kinder nicht etwa im Waſſer umge—
kommen ſeien. ber alles war ver—
gebens. Das Gerede unter den Leuten
und der Schreden der Familien wuchs
nit jedem Tage; die einen wollten
die Sade auf einen geheimen Frevel
zurüdführen, andere meinten, es fei
wohl gar eine ruchlofe Zauberkunft im
Spiele; für eine beftimmtere Ver—
muthung aber, die einige Wahrjchein
lichkeit für ſich gehabt hätte, wollte
ih nicht der geringfte Anhaltspunft
ergeben.
Unter ſolchen Umftänden fam eines
Tages ein Gondolier in die Taverne
Biaſios, um dort, wie er es jeit
längerer Zeit gewohnt war, fein Früh—
mahl einzunehmen. Der Mann fore
derie einen Zeller des mehrerwähnten
Nagout und machte ji, nachdem er
es erhalten, mit vielem Appetit darüber
her. Während er nun jo fich’s wohl
behagen ließ, da kam ihm plößlich
etwas Hartes und Scharfes zwischen
die Zähne, wovon er ji) nicht gleich
zu deuten wuſste, was e& fein möchte.
Demnach nahın er bejagten Gegenftand
nit dem Finger aus dem Mund, md
als er ihn vors Auge gebracht — was
findet er? Einen Fingernagel, einen
ganz Heinen Fingernagel, der augen=
ſcheinlich nur vom Finger eines Kindes
ſtammen konnte. Wiewohl entſetzt,
ſchweigt der Mann und durchſucht
unbemerkt den Teller genauer; ſiehe
da! ein zweiter, ein dritter Fund von
gleicher Art — kein Zweifel, es ſind
menschliche Fingernägel.
Mehr vor Entſetzen, als aus Über—
zeugung ſchweigend, bezahlt der Gon—
dolier den Wirt und entfernt fich. An
jeinem Standort angefommen, erzählt
er den Vertrauteſten feiner Genofjen,
was ihm begegnet, und weist ihnen
das Gefundene zur Bekräftigung feiner
Ausſage vor.
Es treifen fofort vier don den
Männern eine geheime Verabredung.
Zur gewohnten Stunde begeben fie
ih, Scheinbar in ganz harmlofer Ab»
licht, in die Taverne Biaſios.
„Guten Morgen, Freund Biaſio!“
„Buten Morgen!“
„Mas gibt es Nenes ?"
„Steigt euch nicht Thon der Duft
in die Naſe? Das ift heut’ ein Stüd,
wie ihr noch feines gekoftet habt. Ein
wahres Manna des Himmels!”
„Sp gib uns nur gleich für acht
Perſonen; es find unjer nur vier, aber
wir wollen uns Heute einmal gütlich
thun. Laſs in der oberen Sammer
anrichten; wir möchten gerne für ums
fein und volle Freiheit haben.“
„Sogleich follt ihr bedient fein“,
rief der geihäftige Wirt, und eilte,
den Auftrag auszurichten. Als nun
nad) kurzer Friſt die Gondolieri das
dampfende Geriht vor fih auf dem
Tiſche hatten und fich allein ſahen,
ſchloſſen fie die Thür von innen ab,
und nachdem fie folchergeftalt ſich ge—
ihert vor Uberrafchung oder Bes
obachtung, giengen fie daran, den In—
halt der ihnen vorgejegten Schüſſel
aufs forgfältigfte zu durchſuchen.
Nicht blog Fingernägel fanden fich
diesmal, jondern auch Heine Knochen—
und Gliederjtüde von Fingern, ja fogar
ein Kinderzahn wurde herausgefifcht.
Der Entjchlufs der Gondolieri war
bald gefajst. Sie riefen den Wirt zu
ich Hinauf, und kaum war er einges
treten, jo verriegelten fie hinter feinem
Rüden die Thür, und einer von ihnen
redete ihm mit anfcheinender Kalt—
blütigfeit folgendermaßen an:
„Biaſio, dein Gericht ift heute fo
ausgezeichnet, daj8 wir dir deswegen
wohl einige Ehre anthun müſſen. Du
jolljt bei unferem fröhlichen Mahle den
Vorfig führen. Wohlan! Th’ nicht fo
Ipröde; Hier ift der leere Plab für
dich. Laſs dich nieder und greif’ als
der erfte zu. Es lebe die Geſellſchaft!“
Biafio war betroffen; er wollte ſich
losmachen, aber es half nichts ; feine
Gäſte möthigten ihn auf die Bant
nieder und forderten ihn von neuen
auf, fih’s wohl ſchmecken zu laſſen.
Zuleßt ergriff er, dem Zwange weichend,
eine Gabel, und jpießte einen Biſſen
damit auf; aber er betrachtete ihn erft
noch von allen Seiten, drehte ihn recht
und drehte ihn links und jchien nicht
recht zu willen, wie er ihn im den
Mund jteden jollte,
„Run“, rief einer von den Mäne
nern, „haft du feine Luft, zu eſſen?“
„Sollen wir glauben“, fiel ein
anderer ein, „daſs du das Ragout
vergiftet haft?“
„Dder daſs du es mit Menſchen—
fleiſch gewürzt haft ?* fuhr ein dritter
heraus.
Bei diefen Worten fiel dem Wirte
die Gabel aus der Hand. Bor den
Bliden der Gondolieri, die durch—
dringend auf ihn gerichtet waren, ſchlug
er die Augen nieder, erbleichte, und
fieng am ganzen Körper an zu zittern,
Zu Wuth entflammt durch Diele
deutlihen Zeichen feines Schuld—
bewufstjeind, fprangen einige don den
Männern auf und wollten den Ver—
ruchten ſogleich zu Boden fchlagen.
„Barmperzigteit!* ächzte dieſer,
während ihm die Augen vor Todes—
angſt aus ihren Höhlen traten; „Barm—
berzigfeit! ermordet mich nicht! Lajst
mich nicht mit einer Todjünde auf dem
Gewiſſen fterben! Last mich nur erft
beiten...“
„Belenne zuerft uns“, rief man
ihm entgegen ; „ist diefes Fleisch nicht
Menſchenfleiſch? Sind das nicht die
Glieder unfchuldiger Kinder, wie du
fie ſeit Monaten in den Keſſel zu
werfen und deinen Gäften vorzufegen
pflegteft?“
„Ah“, winjelte der Verbrecher (bei
welchen, wie das immer der Fall ift,
die Feigheit mit der Verruchtheit
gleichen Schritt hielt), ad), die Noth
trieb mich anfangs dazu... eben heute
hatte ih mir felbft gefchworen, dafs
ich es nie wieder thun würde ...“
„Eben Heute ?* rief ein Gondolier.
„D du elender Heucler und Lüg—
ner! — Steh’ auf, du Hund“, fuhr
er fort, indem er ihn am Halſe
fafste und vom Boden emporrijs,
„Nun wirft du uns ohne Verzug an
den Ort führen, wo du dein greus=
liches Schlächterhandwerk getrieben
haſt; wir wollen ihn ſehen!“
Damit ſchleppten die Männer den
Zitternden die Stiege hinab, und als
fie unten angelangt waren, wo eine
Menge von Neugierigen, durch den
Lärm herbeigelodt, offenen Mundes
das ihnen unerklärlide Schaufpiel an—
ftarrten, da rief ein Gondolier mit
lauter Stimme:
„Kommt, kommt mit uns! hr
follt Jehen, womit der wadere Biafio
uns ſeit Monaten bewirtet hat!“
Bon allen Seiten durch fürchter—
lihe Drohungen gedrängt, wies Biaſio
zuleßt feinen Begleitern eine Fallthür,
die fih in einem Winkel der Küche
befand, verdedt durch einen Haufen
Holzes und durch anderes Geräth.
Man öffnete diefe Thür, und es wurde
im Duntel eine nach abwärts führende
Stiege fihtbar. Neugierig drängten
alle Anweſenden ſich dahin, ftiegen die
Treppe hinab und gelangten in ein
finfteres, unterirdifches Gemad...
Hier aber fträubt fich die Feder,
das Gräfstiche zu jchildern, das den
Bliden ſich darbot...
In der Mitte des Raumes ftand
eine breite Tafel, über welcher von
der Wölbung eine eiferne Lampe nieder-
hieng, die unter dichten, ftinfenden
Rauchwirbeln ein düfteres Licht ver—
breitete. Die Tafel war von Schmuß
bededt, von den Seiten tröpfelte Blut
auf den Boden nieder, und inmitten
auf derjelben lag der Leichnam eines
zwei- bi$ dreijährigen Kindes, an
welchem bereits Kopf und Arme fehlten.
Ein blutbejudeltes Meſſer lag in der
Nähe, neben dem Zijche, auf dem
Boden, ftand ein Gefäß, beitimmt, das
Blut aufzufangen: in der That ent:
hielt es davon eine ſchwarze, geronnene
Maſſe. Unter dem Tiſche lag ein häſs—
liher Hund, der an den vom Tiſche
gefallenen Knochen nagte. Die einge:
ſchloſſene Luft dieſes unterirdiſchen
2*
-
20
Ortes verbreitete einen faſt unerträg- | fteht, und daf3 jedermann im vene—
lihen Todtengeruch. In einiger Ents
fernung vom Tiſche ſah man eine
Vertiefung, die in einen Kanal aus—
lief: dorthin pflegte der Unmenſch die
unbrauchbaren UÜberreſte jeiner Schladht-
opfer zu werfen.
Nah wenig Augenbliden machte
der Schauder dor diefem Anblid ſich
in einem Schrei de3 grimmigften Un—
willen: Luft. Unter Flüchen und
Mifehandlungen wurde der Verbrecher
aus dem Haufe hinaus und durch die
Gaſſen gefchleppt, die in einem Augen-
blid von der fürchterlichen Neuigkeit
erfüllt waren. Zuleßt den Händen
der Gerechtigfeit überliefert, geftand
Biafio alles: mehr als zwanzig Kinder
hatte er in wenig Monaten gefchlachtet,
und einige Hundert Perfonen hatten
von der gräfslihen Speife genoſſen.
Als feine Helferin bezeichnete der Aus—
focher ein verworfenes altes Weib, das
im Rufe der Giftmifcherei und Zan—
berei ftand. Diefe war es, von welcher
der teuflifche Rath und die Anleitung,
ein Ragout mit beigemischtem Menfchen-
fleifch zuzubereiten und zu würzen,
herftanımte. Man gieng nah ihr aus,
um fie in den Kerker zu werfen, aber
fie war der öffentlichen Gerechtigkeit
zuborgefommen, Sie wurde erhängt
am Thürpfoften ihres MWohngemaches
gefunden.
Dem Brauche jener Zeiten gemäß,
wurde Biafio zuerft auf unterschiedliche
Meife gemartert und zuleßt zwiſchen
den Säulen der Piazzetta an den
Galgen gehängt. Sein Leichnam wurde
den Flammen überliefert und feine
Aſche in die Winde gefreut. Sogar
das Haus, das er zum Schauplaße
feiner Frevel gemacht hatte, wurde von
Grund aus niedergerifien.
Diefe Geſchichte gilt als eine be—
glaubigte Thatſache. Es gibt Perſonen,
die noch das Todesurtheil Biaſios in
einem Verzeichniſſe von Dingerichteten
aus alter Zeit geleien Haben wollen.
So viel ift gewiſs, daſs der Name
der Niva di Biafio fort und fort be—
zianifchen Volke die Geſchichte von dem
Auskocher Biafio zu erzählen weiß,
der an jener Riva Heine Kinder ſchlach—
tete und aus ihren Gliedern den Gäften
ein köftlich gewürztes Ragout vorſetzte.
II. Ber Raub der Benezianerinnen.
Es war der 31. Jänner des Jahres
943, oder 936, wie andere wollen,
unter der Regierung des Dogen Pietro
Gandiano II., als eine Schar an—
muthiger Jungfrauen mit Körbchen in
den Händen, in welchen jich goldene
Schmudjahen und andere Gegenftände
bochzeitliher Ausſtattung befanden,
verjammelt und neben einander ge=
reiht in der Kirche San Pietro ſtanden,
angethan mit Feierkleidern, auf den
Wangen züchtiges Roth und das Herz
bewegt durch die Borftellung des heran
nahenden Augenblides, der ihr harm—
loſes Mädchenleben in den halberſehn—
ten, halb gefürchteten Frauenſtand ver-
wandeln follte.
In einem anderen Theile der Kirche
waren Jünglinge verſammelt, die
Blide voll Zuneigung und Hoffnung
nah ihren Auserwählten Hinüber-
jandten, während zitternde Mütter und
betagte Väter, auf ihren Knien liegend,
aus der Tiefe des Herzens heiße Ge—
bete und Miünfche für das Glüd ihrer
geliebten Kinder zum Himmel empor—
Ihidten. Auf dem Altar und an den
breiten Wänden der Kirche brannten
hellleuchtende Wachsterzen und der
Biſchof Ichidte jih an, umgeben von
feinen Domberren, die Stufen des
Altares hinanzufteigen und die allge=
meine Dochzeitsinefle zu lejen...
Mit den Perſern und Babyloniern,
von welchen Herodot und Strabo be-
richten, hatten die ältejten Benezianer
die Art und Weile gemein, die Hei—
raten zu Schließen. Sie betrachteten
nämlich die Mädchen als Töchter des
Gemeinweſens und zu einer gewillen,
feftbeitimmten Zeit pflegte man alle
7
ze
21
Heiratsfähigen in einer Kirche oder
einem anderen, hierzu erwählten Orte
zu bereinigen. Dorthin famen dann
auch die heiratsluftigen jungen Männer,
hielten, jo zu fagen, Mufterung über
die Bräute und wählten jeder für fich
diejenige aus, die nach feinem Her:
jen war.
Im 9, und 10. Jahrhundert fand
diejer Öffentliche Vorgang jedesmal in
der Kathedrale von San Pietro d’ Dli-
veto flatt, wie der Ehronift Paurentius
de Monacis und andere bezeugen.
Der geneigte Lejer begreift nun—
mehr die Scene, mit deren Schilde—
rung wir diefe Erzählung eröffnet
haben.
Ein heiliges Schweigen herrjchte
im Gotteshaufe, alles athinete feierliche
Sammlung und Andadt...
Plöglih wurden mit ungeheuerem
Getöſe von außen die Thürflügel weit
aufgeriffen und ein Schwarm von
Männern mit iroßigen Gefichtern, nach
Seemannsart gelleidet, Dolche zwischen
den Zähnen und verſchiedene Waffen
in der Hand, drang mit wilden Un—
geftüm hHerein und ftürzte fich auf die
Inienden Mädchen nicht anders als ein
Schwarm räuberifcher Adler auf einen
Zug weißer Tauben. Diefe, beftürzt,
erbleihend, flohen flehende Rufe aus;
aber die Räuber fallen fie mit den
fräftigen Armen an und fchleppen fie
mitfammt den Körbchen, die ihre
Schätze enthalten, ſchönungslos und
eilig zur Kirche hinaus.
Die jungen Männer und das ge—
ſammte, in der Kirche vereinigte Volt
fielen, nachdem fie von der erjten Be—
ſtürzung ſich erholt, über die Räuber
ber. Es entſpann ſich ein wildes Hand—
gemenge, von allen Seiten aber er—
liegen die Wehrloſen dein ſchlagfertigen
Gegner, und es gelang diefem, mit
feinem Raube die bereit ftehenden Fahr—
zeuge zu erreichen. Die weißen Schleier
vom Blute der Ihrigen beſpritzt, jtreden
die Jungfranen mit herzzerſchneidendem
Gefchrei die Arme zum Himmel aus.
Die Räuber aber, der Ohnmacht des
unbewaftneten Haufens fpottend, ſetzen
die Schiffe in Bewegung und fahren
zum Hafen hinaus, den Schauplak
ihrer Unternehmung in eiliger Fahrt
verlaffend.
Es war dies eine Horde iftrianifcher
Piraten, welche, ſeit langer Zeit ge=
Ichworene Feinde des venezianischen
Namens, dieſe Gelegenheit benüßen
wollten, die Jungfrauen ſammt den
Mertfahen, die fie in den Körbchen
trugen, in ihre Gewalt zu bringen.
Zu diejem Zwede waren fie mit
einer Galeere und einer Brigantine
gegen Venedig gejegelt, und nachdem
fie diefe Fahrzeuge zu Tre Borti, einem
Ort am Meer in der Nähe der Stadt,
vor Anker gelegt, waren fie nach Be-
nedig gelommen und Hatten ſich,
mwährend der Nacht, die diejem ver—
hängnisvollen Tage vorangieng, in
einem Berftek gehalten. Aus diefem
brachen fie nun im bejtimmten Augen
blid Hervor und erreichten burch Ver—
wegenheit und Schlauheit ihren Zweck
volljtändig.
MWiewohl im eriten Augenblicke
beftürzt und ratlos, waren die Ve—
nezianer doch al&bald entjchloffen, den
Biraten nachzueilen. Bon allen Seiten
erichallt der Ruf zu den Waffen, man
jeßt Fahrzeuge im Bereitſchaft; die
Männer fluchen, die Frauen jammern ;
der legte Tag der Republif ſchien an—
gebrochen,
Der Doge ſelbſt beftieg ein Schiff,
und ihn umgab eine tüchtige Schar
Soldaten, verjtärkt durch eine Anzahl
Männer aus der Zunft der Keſſel—
macher, die eine Gaſſe des Bezirkes
von Santa Maria Formoja bewohnten.
Unter den Leuten aus dem Wolle
nämlih,, welche auf den Alarmruf
berbeieilten, hatten jich die Stefjelmacher
als die erften und eifrigften gezeigt;
jei es, dafs ein befouderes Interefje
die angeſehenſten unter ihnen mit
einigen der geraubten Mädchen ver—
band, oder dajs fie zufällig in größerer
Anzahl bei dem Ereignis anweſend
waren, Diefe Männer aljo zerichlugen
die Kefjel, welche fie eben verfertigten
oder Schon vorräthig Hatten, und
madten fih in aller Eile Schilde
daraus. Sie bewaffneten fih mit den
Zangen, den Hämmern und allen
Werkzeugen ihres Gewerbes, welche
zum Angriff oder zur BVertheidigung
tauglich waren, und ſchloſſen mit dem
Rufe: „Tod den Narentinern!“ fich
dem Dogen an.
So machte ſich denn dies Häuflein
von Tapferen, nachdem es den Segen
| hatten die Übermacht, und nad) er—
bitterter Gegenwehr, aufgerieben bis
auf Wenige, mufsten die Piraten den
Siegern Sowohl ihre Fahrzeuge als
ihre Beute überlafjen.
Am 2. Februar, dem Tage von
Mariä Reinigung, während die Abend-
ſonne bereit3 ihre Strahlen auf die
blaue Adria warf, fahen die in dichten
Scharen herbeigeeilten Benezianer am
fernen Horizont die Flaggen ihrer
heimfehrenden Fahrzeuge flattern. Von
des Bischofs empfangen, zur Berfolgung | welchen Freuden» und Segensrufen
der Räuber auf, während ein jeder erſcholl in diefem Augenblide das ſonſt
von ihmen fortwährend den Hilferuf | einfame Ufer! In der raſchen Heinz
der Unfchuldigen zu Hören glaubte, kehr der Ihrigen erblidten alle ein
die gegen die rohen Barbaren fich ver—
gebens zur Wehre fegten.
Nach ihrer eiligen Flucht fich voll—
fändig fiher glaubend, waren die
Narentiner nah Tre Porti zurückgekehrt.
Sie theilten dort ſowohl die Mädchen
als die Beute unter ſich und überlieken
fih forglos ihren Vergnügungen.
Dan denke fih den Zuftand, in
welchem die armen Geraubien fich be=
fanden, entrifien ihren Lieben, in der
ficheres Zeichen des errungenen Sieges,
und Schon tönten zur Beftätigung vom
Meere her die Begrüßungen und Jubel
rufe der Kommenden.
Mir verzichten darauf, die Freu—
denbezengungen der Menge zu ſchil—
dern, die da ftattfanden, als der Doge
von feinem Schiffe herabftieg, begleitet
von den zwölf wiedereroberten Mädchen
und den tapferen Keſſelmachern, die
‚am Berdienfte des Sieges den größten
Gewalt roher, verworfener Menschen, | Antheil hatten.
auf fremden Boden — ſchüchterne, Nun dachte man aber auch daran,
ſittſame Jungfrauen, auferzogen im dieſe Braven für ihre geleiſteten Dienſte
Frieden und in der Unſchuld des väter- |zu belohnen. Der Doge berief die
lien Haufes ! | Vertreter ihrer Zunft zu ſich und ver—
Beraufcht vom Weine, machten die ; fündete ihnen, er fei bereit, jede Gnade,
Narentiner ſich auf, ihre Fahrzeuge | die fie von ihm erbitten würden, zu
wieder zu befteigen, al3 ıman in weiter |gewähren, Die waderen Männer ver=
Entfernung auf dem Meere, von der langten nichts anderes, als daj3 der
Seite Benedigs, einmweißes Segelglänzen | Doge, zum ewigen Andenken an jene
fah, dann ein zweites und ein drit= | Unternehmung, ſich jährlih in Bes
tes — „die DBenezianer! die Vene gleitung aller Würdenträger der Re—
zianer!* erſcholl es in den Reihen der publik in die Kirche ihres Pfarrbezirkes,
Piraten, „wir find verfolgt!" So ſehr S. Maria Formoſa, begebe, und zwar
als möglih, beichleunigen fie ihre gegen Abend — denn zu diefer Zeit
Flucht, aber die Venezianer bleiben war der Sieg erfämpft worden —
fortwährend auf ihrer Spur, verfolgen ‚um dort dem Herrn ein Danfgebet
fie einen ganzen Tag lang und er- für den verlichenen Sieg über die
reichen fie zulegt in den Gewäflern von | Piraten darzubringen.
Gaorle. Mit Löwenmuth greifen fie Mit Freuden fjagte der Doge zu
den Gegner an, ein heftiger Kampf und der venezianifche Kalender war
entipinnt fi, aber die DBenezianer um einen Feſttag reicher.
(Fortjegung folgt.)
Ehre.
Eine Geſchichte aus unjeren Tagen von Yans Malfer.
9
5 err Kreisrichter, ich bitte auf
ein Wort!“
= „Nun, nun, lieber Herr
Seelader, was bringen fie mir denn
noch jo ſpät?“
„Auf ein Wort!“
„Und ſo aufgeregt?“
„Es iſt etwas Wichtiges. Sie
werden erſtaunen, Herr Kreisrichter.
Ich mußs bitten, daſs Sie mich feſt—
nehmen laſſen!“
„Aber, Seelader! Solche Späſſe!“
„Es iſt kein Spaſs. Bei Gott
nicht. Sie müſſen mich einſperren.
Sogleich! Ich habe einen Freund er—
mordet. Den Johann Hallſteiner. Den
Sohn der alten Hallſteiner, die heute
geſtorben iſt.“
„Was? den Johann Hallſteiner
haben Sie ermordet? Aber lieber Freund,
was fehlt Ihnen denn? Der Johann
Hallſteiner iſt ja ſchon ſeit Jahren
todt.“
„Sch habe ihn erſchoſſen. Ich werde
alles beweifen. Ich zeige es jetzt an.
Es ift die Zeit gekommen. Herr
Richter, Sie Haben einen Schuldigen
vor fih. Einen Mörder!”
Nun war der Sreisrichter in der
That erjchroden, denn der junge Dann
fah in diefem Augenblide wirklich aus
wie ein Mörder. Ganz verftört, blafs,
wire. Der Richter Hingelte und befahl
dem eintretenden Diener: „Schnell
zum Doctor Grohbach. Er foll jofort
fommen !*
„O nein, Herr Richter“, fagte
Seelader, „Frank bin ich nicht. Ach
bin ja ruhig, fehen Sie mich nur an,
es iſt die Wahrheit, was ich ſage.“
„So fommen Sie”, fprad der
Kreisrichter freundlich und juchte den
jungen Mann am Arm zu nehmen,
„Ic werde Sie in Ihre Wohnung be=
gleiten. *
„Sie find immer gut gewejen gegen
mich und find es auch jetzt“, jagte
Seelader. „Aber e3 iſt anders ges
worden. Ich darf nichts mehr an—
nehmen. Sch werde diefe Nacht noch
in meinem Zimmer zubringen, wen
Sie mich nicht in den Arreft thun
wollen, morgen jedoch zum Landes»
gericht gehen. Der Verantwortung
wegen follten Sie mich aber jogleich
da behalten. Es wäre beijer, Herr
Kreisrichter!“
Unter warmem Zureden brachte
dieſer den jungen, aufgeregten Menſchen
in fein Dachzimmerchen, empfahl ihn
angelegentlih der Miethefran und
Ihidte den Arzt.
Dann eilte er nahhaufe.
„Denkt euch, Kinder!” fagte der
SKreisrichter bei dent Abendefjen zu
feiner Familie, „mein Antsfchreiber,
der Seelader, ift erfrantt.“
Die ältefte Tochter, Fräulein Lud—
milla, horchte auf.
„Und das ſchwer, unheimlich er—
krankt“, fuhr der Richter fort. „Ein
Gehirnleiden. Ich muſs nur erſt zu
Doctor Grohbach ſchicken, was er an
ihm gefunden hat. Kommt der Arme
heute abends — eben erjt vorhin —
zu mir amd bittet mich im höchſt auf-
geregter Weife, ich folle ihn feſtnehmen
laffen, er habe feinen Freund Hall:
fteiner erſchoſſen.“
Fräulein Ludmilla legte Meſſer
und Gabel weg.
Die Frau Richterin fagte: „Du
ſcherzeſt doch, Mann!“
„Ich weiß wohl, daſs der Selbſt—
24
mord feines Freundes ihm nahege-
gangen ift damals“, jagte der Richter,
„aber nad Jahren — es mag ja fünf
oder jechs Jahre feit jener Gejchichte
mit dem Halljteiner ber fein — könne
doch, meint man, aus diefem Grunde
eine Gehirnſtörung nicht mehr zum
Ausbruche kommen. — Wie war das
nur glei, damals ?*
„Der Poſtbeamte Johann Hall—
feiner”, jagte num die Frau, „hatte —
jo viel ich mich erinnern kann — ſich
eine Beruntreuung zuichulden kommen
laffen und in dem Augenblid, als man
ihn feftnehmen wollte, ſich eine Kugel
durch den Kopf gejagt.“
„Richtig, und ich entiinne mich,
wie fein Freund Seelader, der war
damals noch Student, am Grabe des
Verſcharrten einen lauten Schwur
gethan haben foll, die Ehre des Freun—
des zu retten, feinen Tod zu fühnen,
oder fo etwas.“
„Dann haft du ihm ja zur Heinen
Stelle verholfen, die er Heute nod |
einnimmt.“
„Er wird demnächſt avancieren.
Einen fleißigeren und gewiſſenhafteren
Schreiber habe ich nie gehabt. Dazu
ein ftiller, eingezogener Menſch, be=
ſcheiden und liebenswürdig —“
Fräulein Ludmillas Wangen blüh-
ten wie Rojen im Mai.
„As Student foll er's ja flott
getrieben haben, bis die Heine Erb—
Ihaft feiner Eltern dahin war“, bes
merfte die Frau Kreisrichterin. „Man
glaubt nicht, wie vortheilhaft ein
Menſch ſich ändern kann, wenn er
in das Geleife der Arbeit kommt.
Und rührend war e3, wie er die armen
Eltern feines unglüdlichen Freundes
unterftügte, ſich jelbft alles verfagte,
um bon feinem geringen Gehalte die
liechen, verlaflenen alten Menfchen zu
verjorgen. Als vor einigen Monaten
der alte Halliteiner ſtarb und heute
die Frau, Habe ih mir gedadht: Jetzt
wird der gute Seelader auch auf—
athmen können und feinen Gehalt für
ſich ſelber auwenden.“
„Es mufs ihn doch der Tod der
alten Frau fo jehr erfchüttert haben“,
meinte der Kreisrichter.
„Wahrlich, ein Leibliher Sohn
fann nicht beſſer, nicht liebreicher gegen
jeine Eltern fein, als der Amtsjchreiber
es gegen die alten Halliteiner- Leute
gewejen. Nur fällt mir jegt ein Wort
auf, das er vor einigen Tagen, als
er bei uns fpeiste, gejagt Hat. Als
er hörte, daſs das Befinden der Frau
HDallfteiner ſich verfchlimmert Hatte,
Iprad er plöglih: Mir fcheint, nun
werde ich bald Feierabend bekommen.“
„Am Ende ift doch etwas dahin=
ter“, meinte der Richter und beganı,
dieweilen er feine Pfeife ftopfte und
in Brand jtedte, über mancherlei nach—
zufinnen.
Und alfo hatten fie zufammen ſich
über den jungen Mann unterhalten,
der fih als Mörder geftellt Hatte.
Fräulein Ludmilla war völlig fill
dagejejlen und allmählih auch recht
blaſs geworden. Sie hatte ſich ſchein—
bar in ihre Häfelarbeit vertieft. Auf
einmal jtand fie auf und gieng raſch
zur Ihür hinaus.
Die Frau ſeufzte. Der Richter
jagte: „Morgen früh fogleich will ich
die Geſchichte unterſuchen. Am Ende
ift doch etwas dahinter.“
* *
>
Die Naht war jchlaflos vergangen.
Mar Seelader hatte ſich ſammt feinen
Kleidern ins Bett gelegt. Seine paar
Sachen hatte er ſchon geftern in einen
Sad gethan und fie nicht mehr aus—
gepadt. Nur eine Heine Photographie
war aus der Taſche hervorgeholt und
auf das Tifchchen neben feinem Lager
geitellt worden. Ein liebliher Mädchen-
fopf, das Original haben wir jchon
gejehen.
Zur Stunde, als der Kreisrichter
im Amte zu erjheinen pflegte, gieng
der junge Mann bin zu ihm und
fagte: „Da Sie mir mein Recht vor—
enthalten wollen, fo reife ich jet zum
Landesgeriht, dal ih um Strafe
bitte, theurer Herr! Vor Ihre Familie
Darf ich nicht mehr treten. Ich danke
allen für alles Gute, ich fage Ihnen
Vebewohl. Verzeihen —
Er ftodte.
„Jetzt laſſe ih Sie aber nicht mehr
fort, lieber Seelader,“ ſprach der
Richter, „dajs bei Ihnen etwas nicht
richtig iſt, jehe ich nun. Seßen Sie ſich
zu mir und erzählen Sie mir ruhig das
Anliegen, weldes Sie drüdt.“
„Ih danke Ihnen. Aber Beichte
und Freundeszuſpruch können mir nicht
viel nützen. Es wird beſſer fein, wenn
auch Ihre Herren Adjuncten anweſend
jind. Und der Arzt, Damit jicherge-
jtellt wird, dafs ich nicht geiftestrant
bin.”
„Sie wollen alfo ein fürmliches
Verhör. Gut, es foll gefchehen.“
Nah wenigen Minuten ftand der
junge Mann vor dem Gerichte und
nah einigen einleitenden Borfragen
begaun er alfo zu ſprechen:
„Meine Eltern waren Gewerbs-
leute in N., fie wollten, nachdem ich
das Gymnaſium abfolviert, auch mich
für ihren Stand abrichten. Als fie
ftarben, war ich frei und bemüßte die
Erbſchaft, um in die Stadt zu gehen
und zu ftudieren. Nicht jo ſehr
wiſſensdurſtig war ich, aber nad dem
Iuftigen, ungebundenen Studenten—
leben plangte es mir. Und ein folches
habe ich geführt, fünf Jahre lang.
Die Commerfe, die Kneipen, die
Menfuren und dergleichen machten mir
viel Spass, ja nahmen mein ganzes
Weſen in Anſpruch. Für einen wirfs
fihen Gewinn hielt ich das Bewuſst—
fein und das Hochhalten der Ehre,
wie folhes außer bei den Soldaten
und Studenten in feinem Stande
eigentlich entjchieden und leidenſchaft—
lich genug gepflegt wird. Ich will mich
weiter darüber nicht auslaffen, e3 iſt
etwas Echönes, wenn ein junger
Menſch feine Ehre höher wertet, als
alles auf der Welt. Schon im zweiten
Jahre meiner Studentenfchaft hatte
ih einen Collegen aus der hiefigen
“
25
Stadt fennen und achten gelernt, und
bald entmwidelte ſich zwiſchen uns eine
innige Freundichaft. Er war der Sohn
armer Eltern, mufste freilich mehr
ans Lernen denken, al3 ans Burfchen-
leben und einer Stellung zutrachten,
in welcher. er ſich und feine Eltern
ernähren fonnte. Das Hinderte den
waderen Johannes nicht, die Studenten
ideale zu hegen und zu pflegen, und
befonderd die Wurfchenehre gieng
ihn über alles. Auf mehreren Men—
furen bewies er feinen Muth, und in
einem Duelle trat er für die beleidigte
Ehre eines Freundes ein, Dieſer
Freund war ih. ES handelte jih um
nichts weiter, als um einen boshaften
Spott, den ein mir milsgelinnter
Burſche in meiner Abweſenheit mir
angethan. Johannes forderte ihn auf
Piltolen. Am zerrilfenen Sinnbaden
trug er zeitlebens ein Merkmal feiner
tapferen Freundfchaft. Natürlich ſchloſs
uns Ddiefer Dandel noch enger und
unzertrennlicher aneinander und ic
Ihwor ihm, über feine Ehre ebenfo
zu wachen, als er über die meinige
gewacht und als ich über meine eigene
wachen kann. Und folten wir vom
Schidjal einmal voneinander getrennt
werden, und follten wir in was immer
für eine Lage verjegt werden, unjere
gegenjeitige Ehre wollten wir behüten
wie unfer Leben, ja unendlichnal
muthiger und glühender, als unfer
Leben. — Was fonft an Studenten-
angelegenheiten, Ehrenfahen und
Freundſchaftsbeweiſen war, fann über-
gangen werden. Ach weiß, was hier
zu erzählen ift. Johannes Hatte feine
Studien vollendet und erhielt eine
Anftellung als Poſtbeamter. Trotzdem
brach er nicht mit den luſtigen Kreiſen,
in welchen er ſich früher bewegte, ja,
er erſchloſs ſich noch neue. Man hielt
ihn auch feſt in denſelben, denn er
war ein heiterer, angenehmer Ge—
ſellſchafter und nad) den langweiligen
und verantwortlichen Stunden in der
Amtsftube hatte er Zerftreuung nö—
ihiger als je. Es gab Kleine Gelage
mit Minnejcherzen, mit Glüdsfpiel
und anderen Lufibarkeiten. Wir bes
wohnten zufammen ein Zimmer und
es fiel mir auf, dals er häufig in
jpäter Naht nachhauſe kam. Einmal
babe ich ihm etwas darüber gejagt,
er antwortete, daſs weder feine Berufs—
noch jeine Kindespflichten darunter
Schaden litten, wie ich auch that»
fählih nie eine Klage über ihn hörte
und wie ich auch wuſste, dafs feine
alten mühjeligen Eltern, die damals
auf dem Lande lebten, in ihrem Jo—
hannes den Ernährer und Beſchützer
anbeteten. Alſo gieng es eine Weile
und plöglic war das Verhängnis da.“
Seelader unterbrach ſich und trock—
nete mit dem Tajchentuche jeine Stirn.
Nah einer Weile jagte der Richter:
„Nun, erzählen Sie weiter,”
„Schon ſeit einiger Zeit Hatte ich
bemerkt“, jo fuhr der junge Mann
fort zu ſprechen, „daſs mein Freund
Johannes einen Keinen, ſcharfgelade—
nen Revolver bei ich trug. — Wozu
denn jo etwas? fragte ich ihn einmal.
— Man kann nicht wiflen, antwortete
er, ob man nicht plößlich in die Lage
kommt, feine Ehre zu retten. — Das
war mir dunkel.
Scherze geſprochen und dachte: er hat
amtlih mit Geldfahen zu thun, es
fann ja eine Waffe vorgefchrieben fein.
Im ganzen gefiel mir aber an Jo—
Hannes etwas nicht mehr fo recht, und
ih konnte mir doch feine Rechenſchaft
darüber geben, was eigentlich an ihm
unangenehm, oder vielmehr unheimlich
war. Bei Allen, die ihn kannten, ftand
er im hoher Achtung und von Jeden,
der mit ihm umgieng, ward er ge=
ihägt als guter Kamerad, — Und
nun fam diefe Nacht.“
„Wünſchen Sie vielleiht ein Glas
Waſſer?“ unterbrach einer der Ad—
juncten den Erzähler, weil dieſer er-
regt zu fein fchien.
„Ich weiß wohl, was ich thue“,
fuhr Seelader fort. „Mit dem, was
ih jetzt zu bekennen babe, vernichte
ih mich. Und das will ich auch, da=
Ich bielt «3 im |
vum ftehe ich da. — Sie ſehen, ich
bin nicht aufgeregt, bin meiner Sinne
vollfommen mächtig und es wird fich
feiht weijen, dajs jedes Wort, was
ich ſpreche, richtig ift. So etwas merkt
man ſich ganz genau, — E3 war in
der Naht von elften zum zwölften
Februar 1885. Johannes war wieder
jpät nad Haufe gelommen und Schlief
ſehr feſt. Ich ſchlief nicht jo feit und
hörte es fogleih, wie jemand an
unfere Thür Hopfte. Da es wiederholt
pochte, jo ftand ich auf, nachzufehen,
was es gäbe. Bor der Thür ftand der
Hausherr in flüchtig übergeworfenem
Mantel und theilte mir flüfternd mit,
dafs erAuftrag habe, den Herrn Johannes
Halljteiner zu wecken. Es jcheine etwas
Bejonderes dran zu fein, im Vorſaal
jet ein Gerichtsbeamter und auf der
Treppe ftünden zwei Gendarmen, —
Faſt zu Tode erfchraf ih umd dann
dachte ih: Was erjchridft du denn?
Ein Irrthum liegt vor, dem wollen
wir glei aufklären. Doch als ic
drangen mit dem Gerichtsbeamten re—
dete und den Verhaftäbefehl ſah, gab's
feine Ausflucht mehr und ich machte
mich erbötig, den Gejuchten zu weden
und vorzubereiten, ohne dafs mir auch
nur eine Ahnung dämmterte, um was
es ſich handeln könne. Ihn im Schlafe
überfallen, das würden ſie doch nicht
wollen. Als der Beamte vom Haus—
herrn ſich die Verſicherung geben ließ,
daſs die Fenſter unſeres Zimmers ver—
gittert wären und auch ſonſt eine
Möglichkeit des Entkommens nicht
denkbar ſei, durfte ich ins Zimmer
zurückreten. Die Thüre hinter mir
legte ich ins Schloſs, zündete Licht an
und weckte den Freund. — Johannes,
ſage ich, du ſollſt aufſtehen, es fragt
jemand nach dir. Er war ſonſt keiner
von denen, die ſich ſchnell aus dem
Schlafe aufzuraffen vermögen, aber
jetzt ſchießt er empor und wie ich ihm
die Art des nächtlichen Beſuches au—
deute, wird er todtenblaſs. — Jo—
hannes, um des Himmelswillen, was
iſt das? frage ich. — Du ſiehſt es
27
ja, antwortet er ganz heifer. Hierauf kannſt nicht, Johannes, du bift ehr»
ſtürzt er in den Wintel hinter meinen | los, verflucht, verloren! Wette dich!
Schrank, reißt etwas aus der Tasche] Nur einen Funken Wille, nur einen
feines Rodes, kauert fich nieder, wim= | Funken! Schliege die Augen, denke
mert, wehrt mit einer Hand mich, nichts, denke es ift ein Traum, drüde
den Hinzueilenden, ab und fchleudert;los! Du mujst, Johannes, du
endlich den Revolver von fi. Ich hebeſmuſst! — Ih kann nicht! ftöhnt
die Waffe auf und fage heftig: Was er. O Gott, ich kann nicht, ich kann
daft du getan? — Er fällt mir um nicht! — Draußen machen fie bereits
den Hals: Hilf mir, Freund, es iſt Anftalt, die Thür einzubrechen. Mein
alles aus. Schulden, Spielfchulden. | einziger, mein liebſter Menſch! flehe
Meine Ehre! Die Ehre musste ich lich, bei allem, was uns heilig war
retten. Geld unterfchlagen. — Ohn- auf diefer Welt, laſs dich nicht fort-
mächtig muſs ich geworden fein im| treiben wie einen gemeinen Dieb.
demjelben Augenblide, denn als ich Mach’ ein Ende! Ich zwinge dich! —
mich finde, ift er angezogen und macht! Er will den Revolver auf den Boden
fich bereit. Un der Thür pocht e3 uns; fallen laſſen, ich drüde ihm zurüd
geduldig. — Noch einen Augenblid,| in feine Hand, will die Mündung
bitte ich! ft mein Ruf, dann zum|gegen ihn wenden, feinen Finger
Freunde: Johannes, Fo gehft du nicht) frümmen auf den Hahn — wir
fort. In diefer Begleitung nicht! —|ringen, die Thür Fracht unter dem
Dann rette mich, fagt er und blidt) Zwängeifen. Wir ringen heiß, da
hilfefuchend um ſich. — Du Haft in; knallt der Schuſs und Johannes finkt
deinem Amte Geld veruntreut? ſage zu Boden. — Die Ehre ift gerettet!
ih und es focht in mir, wild, raſend Ich habe mein Wort gehalten! das ift
wild ein unbefchreibliher Aufruhr, da, | mein Gedanke, denn ich — ich Habe
das ift deine Rettung! und drüde) losgedrüdt! Ich Habe ihn erjchoflen.
ihn den Revolver in die Hand. Er Die Kugel drang unter dem Stiefer
ſchaudert zurüd und lacht Hohl auf:| hinein nahe an der Narbe, die er bei
das Habe ih ja auch fo gemeint.) jenem Duell meinettwegen davonges
Seit einem Jahr trage ih ihn bei mir tragen. Kaum es gejchehen ift, ftürzen
in der Taſche. Wenn's zum äußerften | fie zur zertrümmerten Thür herein, —
fommt, einen Fingerdruck. Und jetzt, Zu fpät, fage ich, er Hat fi er-
jeßt fehlt mir der Muth! OH, zer: ſchoſſen! Ich Habe vergebens mit ihm
tritt mich, die feige Beftie, fpeie mich | gerungen um den Revolver, — Dann
an! Auf den Schufs Habe ich gerechnet, ! haben fie ihn in die Todtenfammer
für den jchlimmften Fall, mitten im} getragen, — Und ich, wie ich allein
Luft und Freuden Habe ich auf den bin und vor mie die Blutlache ſehe,
Schufs gerechnet, und jeht fehlt mir da jchreit es plößlih in mir: Was
dazu der Muth! Haft du ein folches | haft du gethan ? der Ehre wegen ein
Scheujal Schon gejehen? — Als er jo | Mörder, ein Lügner geworden! Welcher
ruft, mir geht’3 durch Mark und Bein.) Ehre wegen! Sage, verdammter Wicht,
Schred, Zorn, Mitleid gräbt in mir. was entehrt denn? Entehrt das
Ich preſſe feine Fauſt zuſammen, dafs | Stehlen amdertrauter Gelder, oder
ihm die Waffe nicht entfallen kann. | entehrt erjt der Gendarn? Nicht was
Bebend an allen Gliedern, jchluchzend |; dein Gewiſſen jagt, iſt die Haupt—
bitte ich ihr: Freund, geliebter, ein= | jache, jondern was die Leute jagen!
ziger Freund, verlafle dich jelber nicht Bon folcher Art ift die «Ehre», der du
zu diefer Stunde. Sühne deine Schuld, | bisher alles geopfert haft, deine Zeit,
reite deine Ehre, ich beichwöre dich! dein Studium, deine Begeilterung,
du kannſt nicht mehr weiterleben, du! deinen Freund, deine Seele. — Alſo
— — — — — — — — — — — — ——— — — ——
28
rief es in mir, aber diefer Ehrbegriff,
diefer verfluchte Ehrgeiz war noch
nicht todt in mir, er rang mit meinem
Gewiflen, wie ich vorher mit dem
Freunde gerungen. Du mufst dich ala
feinen Mörder nennen und deine Strafe
leiden, mahnte das Gewiſſen. — O
Schande! Schande! rief der Ehrgeiz,
ein Meuchelmörder, ein Lügner, ein
Schurke zu ſein! — Höllifche Beinen
litt ich im jenen Tagen. Dann ward
mein Freund von Profeſſoren zer—
ichnitten, dafs fie die Urfache feiner That
fünden. In einer Anwandlung von
Geiftesverwirrung, fagten fie. Damm
ward mein Freund Hinausgetragen
hinter das Lazareth und unter der
Mauer eingefcharrt. Als ich feine
alten, nun ganz verlaffenen Eltern ſah,
und wie die Mutter an feiner Grube
ohnmädtig zufammenfant und fein
Bater au der Krüde und mit fehnees
weißem Haar faſt ftumpffinnig auf
den Sarg ftarrte, da wufste ich, was
zu thun war. Ein Ausgleich wurde
geſchloſſen zwifchen meinem Ehr—
begriff und meinem Gewifjen. Zur
Stunde fajste ich den Entſchluſs, mich
nicht anzuzeigen, jondern mein Leben
und Streben Denen zu widmen,
melden ich den einzigen Sohn geraubt
habe. Und erft wenn fie geftorben fein
werden und meiner nicht mehr be=
dürfen, danı will ich hingehen und
mich dem Gerichte Stellen. Alfo ſchwur
ih es und das auszuführen war nun
meine Ehrenſache. Es war das eine
andere Ehre und ein anderer Ehrgeiz,
mein Gewiſſen war damit einveritans
den, Mein kleines Vermögen war er-
ſchöpft, den fetten Reſt ſchickte ich den
Eltern meines Freundes. Ohne mein
Studium vollendet zu haben, trachtete
ih nach einer Stellung, um Brot zu
erwerben. Endlich befam ich die
Schreiberftelle hier bein Kreisgerichts—
anıte, und da ich nebenbei in freien
Stunden jüngeren Schülern Un—
terricht gab, jo ward es mir möglich,
außer für meine perjönlichen Be—
dürfniffe, die ja nicht groß find, für
das Oreifenpaar zu forgen. Unerträglich
war ed mir, wenn ich gelobt wurde
deswegen, daſs meine Treue zum une
glüdlihen freunde jo groß wäre. Es
war, al3 ob man einen am Galgen
Baumelnden lobte, daſs er es jo hoch
gebracht habe. — Seine Eltern jelbit
lebten ſtumpfſinnig und freudlos dahin
und nahmen das, was ich ihmen geben
fonnte, wie der Bettler ein Almoſen
nimmt, als das, was es ja au ift,
als etwas Selbftverftändliches. Mein
Gewiſſen war nie zur Ruhe gefommen
und nur wenn ich darbte, um den
alten Leuten umſo mehr jchiden zu
fönnen, wurde es für den Augenblid
milder geſtimmt. Zroft gab mir der
Himmel auch an guten Menfchen, die
er mich finden ließ ud e& waren Ans
zeichen vorhanden, dafs ich einmal
glüdlich, ſehr glüdlich werden könnte,
Aber ih durfte das Glüd nicht an—
nehmen. Es war Ehrenjache, ich durfte
es nicht annehmen. Sp unausftehlic,
jo Häjslih war ich mir geworden,
daſs ich willig die Buße trug, um
mich mit mir zu berföhnen, um mich
einst jelbft wieder achten zu können.
Nah Fremder Achtung, nad fremder
Leute Meinung über mich hörte ich
nicht mehr aus, für ſolche Ehre bin
ih unempfindlich” geworden, — Das
alles fage ich zu meiner Vertheidigung,
damit man jehe, wie es mir ernit
war, — Nun ſind die zwei alten
Leute geftorben. Ich habe feine Ver—
pflichtung mehr. Und nun ift e8 an
der Zeit, meine That einzubelennen und
mich dem Urtheile der Gerechtigkeit zu
übergeben.”
Mar Seelader ſchwieg.
Die Richter blidten einander an.
Ein folcher Fall war ihnen noch nicht
vorgelommen. Zum Glüde brauchten
jie darüber nicht abzuurtheilen. Feucht
waren des alten Kreisrichters Augen,
als er aufitand, dem jungen, jebt auf
jeinem Plate ſchier zuſammengeknickten
Menihen die Hand auf die Achjel
legte und ſprach: „Haben Sie nod)
etwas zu beftellen, fo thun Sie es. Ich
= 29
will dann mit Ihnen zum Landes= alle haben müſſen, wenn wir ftarl«
gerichte fahren. Ihre Gefchichte ge= |müthig fein und im Herzen Frieden
hört vor die Geſchworenen.“ haben wollen.
Alfo Hatte Einer aus miſsverſtan— Uber Mar Seelader findet dem—
dener Ehrbegier feine Ehre verloren nächſt im Landesgerichte die Haupt»
und alſo rang er heiß, um durd |verhandlung ftatt. Lieber Leſer, ſollteſt
Buße und Aufopferung die wahre | du dabei einer der Geſchworenen jein -—
Menjchenehre zu gewinnen, die wir welches Urtheil würdeſt du fällen ?
* Mein Ehrgeiz.
®: Ehr’ ift jenes Gut, \ Der äußeren bunten Zier,
w Das mir am hödften frommt, — Dod fonft au nicht viel mehr.
8 Doch nicht die flüchtige Ehr', Wenn einſt ich ſterben muſs,
Die nur von außen lommt. Soll keine Trauerſchar
Ein großer Dichter, traun, Von Gleisnern folgen mir
Das hört ſich ſüß und fein, Zu meiner ſtillen Bahr.
Doch höher ftünd’ mein Stolz: Nicht Nekrolog, nit Stein,
Ein großer Menſch zu fein. D Gott, man fennt die Weis,
Die Ehre, flach gemalzt Eie ehren Todte bloß
Hin über Länder weit,
Iſt nichts glei eines Menſchen
Zu ihrem eigenen Preis. —
Nur Eines wollt’ id, dajs
Tiefer Dankbarleit. ‘Ein Braver jagen kann
Wer nur um Ehre jchafft, An meinem jhlidhten Grab:
Der ift zwar wert der Ehr', ‚Er war ein braver Mann.
P. R. Rofegger.
Briefe von Pudwig Anzengruber
an den Herausgeber des „Heimgarten“.
R. In den achtzehn Jahren ums welche die Discretion freigibt und die
ſerer freumdfchaftlichen Beziehungen | für den Verfaſſer in irgend einer
zu einander hat der große Dramatifer, Weiſe charakteriſtiſch find.
den vor Jahresfriit uns der Tod ges | Es wird auffallen, wie heiter und
nommen, mir an 150 Briefe geſchrie- übermüthig die eriteren Briefe find und
ben. Don diefen Briefen joll hier wie ernft die leßteren. So war es
ein Theil veröffentlicht werden, und mit dem ganzen Menſchen: im den
zwar eine Auswahl folder Schreiben, |erften Jahren jeiner Erfolge voller
30
Humor und Bummelwigigfeit, dann | ertheilen mir da einen legalen Paſſier—
nach herben Erlebniffen, bitteren Ent= |fchein für alle Gharaftere meines
täufhungen ein allmähliches Zurück- Stüdes und fchiden mir ihm auf
ziehen im fich ſelbſt; er kehrte ſich ab die liebenswürdigfte Weile ſogar ins
von aller Welt, wurde verichloffener | Haus, Laffen mich dabei in Ihr offenes
fogar gegen feine Freunde; immer Herz mit dem ganzen, vollen Puls—
feltener, aber dann um jo lebhafter, ſchlag für das Volk und die heilige
fam fein tiefes, treues Gemüth zum Sache der Humanität blicken .. . ..
Ausdrude. und fprehen dann zum Schlufle vom
Die meiften diefer Briefe werden | „kühnen VBordrängen, freundlicher Nach—
ohne weitere Erklärungen einem grö= ſicht und gelegentlih paar Zeilen
beren Kreiſe verftändlich fein. Briefe) ſchreiben“ — gehen Ste mir doc!
oder Stellen, die mur Privates behan= | nd Hätte ich Kopf und Hände
def, oder zu freimüthig noch lebende | noch zehnmal mehr von Arbeit voll,
Perſonen oder Zuftände ftreifen, find als es der Fall ift, das mufsten Sie
weggelaffen. Ja feldft jolche in diefen doch willen, dafs mir mit Ihrem
Blättern abzudruden, welche ſich oft) Schreiben die Feder in die Hand ge—
wohl zu fchmeichelfaft mit meinen | zwungen wird, oder glauben Sie
eigenen Leiftungen befaſſen, durfte ich | denn, ich ſei ſolch ein Philifter, dafs
mir nicht erlauben. Hingegen flehei mein Puls nicht Hüpfender, meine
ih nicht an, die wohlwollend charafz | Gedanken nicht Fprühender werden,
terifierenden und tadelnden Ausſprüche wenn eine freie, frohe Seele, glei
wiederzugeben, zu denen manches mei- der meinen, mir jagt: „Sch nehm’
ner Bücher ihn veranlajst hat. Die; dein ehrlih Wollen für ein ganzes,
Bezeihnung: Briefevon Ludwig Anzenz | volles Können, denn wir verftehen
gruber „an den Herausgeber des uns?!“ — O nein, mein Derr, da
Heimgarten“ ift nur imfoferne nicht | mag der Teufel, bekanntlich der Gott
ganz zutreffend, als die Correfpondenz | der Philifter, das Maul Halten, ich
Schon im Jahre 1871, der Empfänger | aber grüße Sie, Herzens= und Zeit:
feiner Briefe aber erft von 1876 an genoije!
Herausgeber des „Heimgarten“ gewore : u
den if. Nach diejer nebenfächlichen Be⸗ — — ——
merkung möge der bedeutende Geiſt
und prächtige Menſch gleichſam im
Schlafrocke, darum aber nicht minder
interefjant und adhtunggebietend vor
uns treten.
Da haben Sie paar Zeilen und
nehmen Sie nur freundlich zur Er—
innerung mit in Empfang, was ic)
Ihnen mitzufhiden mir erlaubte,
erftens: das allerdings uoch nicht
gedrudte und verlegte Buch, jondern
blos als Bühnenmanufeript vorhan—
dene Wert „Der Pfarrer von Kirche
feld“, und zweitens meine Photographie.
Und wenn e3 fein unbejcheidenes Vor—
drängen ift, jo machen Sie mir wohl
die Freude und ſenden mir gelegentlich
eitlen Menſchen und Schriftjieller, \auch ein paar Zeilen und Ihre Photo-
ohnedies jchon zu viel gelobt, durch graphie dazu?! Sie fehen, ich bin jo
Ihr Lob noch eitler machen! Und wie | bejcheiden wie Sie, o id kann das
binterliftig Sie das anftellen! Sie thun auch, nur verlange ich gleich etwas
gar nicht, al3 wären Sie der B. K. dafür, Sie wären mit einer einfachen
Rojegger, unfere Specialität für Volks- Auskunft zufrieden gewefen, ich will
haraktere des deutſchen Dochlandes, Sie! Sie dazu, wenigitens im Gonterfei!
Wien, den 11. Februar 1871.
Werther Herr!
Das haben Sie recht ſchlau gemacht
und ich follte Ihnen darum nicht vecht
trauen! Wie mögen Sie nur einen
— ee — —— —— ——— ————
——
1
Das thut mie recht leid, dafs Sie
in Mien mich nicht gefunden Haben.
Eo will ich's Ihnen denn hier jagen;
was ich Ihnen auch gejagt hätte,
wenn ich Sie geiprochen hätte. Ahnen
Sie e3 wohl, wie zagend ih auf
mein fertiges Stüd die Charafteris
fierung „Volksſtück“ ſetzte? Und doc !
Wenn wir, die wir uns empors
gerungen aus eigener Kraft über die
Maite, Heraus aus dem Wolf, das
doh all unjere Empfindungen und
unser Denlen großgeſäugt hat, wenn
wir, fage ich, zurädbliden auf den
Weg, den wir mühvoll fteilauf ge—
flettert in die freiere Luft, zurüd auf
alle die taufend Zurüdgebliebenen, da
erfafst uns eine Wehmuth, denn wir,
wir willen zu gut, im all diefen
Herzen fchlummert, wenn auch unbes
wujst, derjelbe Hang zum Licht umd
zur Freiheit, diejelbe Kletterluſt, und
diejelben, wenn auch ungelenfen Kräfte,
und jo oft wir bei einer Wegkrünmmung
das Thal zu Gejicht kriegen, jo thun
wir, wie und eben ums Gerz ilt,
Inftig hinabjuchzen. Kimmt rauf, do
geht da Weg! oder weinend zuwinken
— o mie oft unverjtanden! das war
auch meine Furcht, aber fiehe da —
plötzlich wimmelt's auf meinem Weg
herauf vom Thal, ich ſeh' mich ganz
verftanden, jeh’ mich eingeholt, um—
rungen und fteh’ dem Volke gegenüber,
gehätjchelt wie ein Kind oder ein
Narr — die befauntlih die Wahrheit
fagen. Gott erhalte uns das Bolt fo,
wir wollen gerne feine Kinder fein
und jeine Narren bleiben.
Erhalten Sie mir Ihre freund
Ihaftlihe Gefinnung, der Ihre
2. Anzengruber.
Wien, den 1. März 1871.
Werther Herr!
Eine Dicht-Ausſchnaufungs-Pauſe
benüße ih dazu, Ihnen meinen Dant
für Ihren freundlichen lebten Brief
auszusprechen. Jedoch Haben Sie es
in demjelben wie jene kluge Sultanin
in „1001 Naht“ gemaht und da
abgebrodhen, wo es am ſpannendſten
wird. Sie jagen, der „Pfarrer“ Habe
Ihnen Sorge, Herzleid und fchlaflofe
Nächte gemacht!
Sie hätten mir beinahe auch eine
jolche bereitet, ich fuchte nach in meines
Bufens Tiefen, was da für eine Ahn—
lichkeit mit jenen finfteren Mächten
des Dafeins ſchlummern möge, die
den Menſchen Sorge, Herzleid und
ſchlafloſe Nächte bereiten fünnen, was
mich in Eine Linie Hellen könnte mit
Tyrannen, ſchwarzem Kaffee „z'nächt—
lings“ unangenehm regſamen Inſecten—
volk!! Wie geſagt, Sie haben mir viel
Kopfzerbrehen gemacht!
Spass beifeite, ih bin ſehr be—
gierig, wie Sie mir dieſes Räthſel
löfen werden, uud da bitte ih Sie
denn, ſich ganz auszufprehen, damit
ih Sie ganz verftehe, und ich glaube
wir können uns verftehen, unfere
Wurzeln haften in Einem Boden,
mitten im Bolt! Und was mir ges
worden find, beide in unſerer eigenen
Art, wir wurden es aus eigener Kraft.
Sie haben mir ja verjprocdhen, mir
das feinerzeit zu erzählen, ich erwarte
das und ich will Ihnen dann gewiſs
auch wieder antworten, damit Sie fehen,
dafs ich Sie verftanden habe.
Für heute verbleibe ich denn auch
mit treuem Gruße Ihr
2. Anzengruber.
P. 8. Ich habe ein älteres Drama
von mir nah Graz gefchidt, es heißt
„Der Verſuchte“, follten Sie davon
zu hören befommen, jo denken Sie
einitweilen davon das Beſte!
Wien, den 12. Mat 1871.
Mertefter Freund!
Nun zur Ruhe gelommen nad
aufregenden Tagen, grüße ih Sie
von meinen Daheim und danke Ahnen
für die freumdlichen Stunden, die Sie
mir in Graz bereitet haben, ferner
auch Für die, die Sie mir bier in
Wien durch Ihr Buch bereiten noch
zur Stunde.
Der Schreiber diefer Zeilen —
nämlich diefer (beigelegten) ZTagblatt-
zeilen, F. Schlögl, ein geachteter Jour—
nalift und im Umgange jehr liebenswür—
diger Menjch, ift ein Verehrer ſowohl
meiner als Ihrer Mufe und hat gelegent—
lich unferer legten Zuſammenkunft den
Wunſch geäußert, Sie kennen zu lernen,
falls Sie nah Wien kämen, — der
Mann ſchätzt Sie wirklich hoch und
ſchon mir wäre es höchſt angenehm,
Sie wenigſtens einen Abend in Wien
wieder zu ſehen. Ferner haben wir
bier einen Alpenſteiger, Schum glaub
ih nennt er ſich, ein Naturinenjch,
der Sie ebenfalld hochſchätzt, und der
Ihnen aus lauter Verehrung ich glaube
jein Bett — weiß nicht mit oder
ohne feine Beilage — abtreten will;
— verabjäumen Sie e3 nicht, dieſe
Männer zu jehen, denn wie e3 dem
Dichter wohlthut, anerfanıt zu fein, |
fo ift es dem Lejer ein Bergmügen, |
wenn Sie Wien berühren, damit ich
alle, die ſich für Sie intereffieren,
rechtzeitig davon verftändigen kann
— dieſes mein Auftrag !
Um auf Ihr Werk wieder zurück—
zufommen, Ihr Buch ift gut
aber Sie find beſſer — in Ihnen
ftedt noch mehr, viel mehr, das muſs
heraus — und darum werde ich Sie
von Zeit zu Zeit ärgern — — hr
mögt dad Gleihe an mir thun.
Sie jehen, was das für ein Mords—
brief geworden iſt, ich mufs ſchließen,
ſonſt müjste ich vielleicht einen welt»
bewegenden Gedanken wegen Mangel
an Raum kurz in der Mitten ab»
brechen.
Ihr Verehrer und getreuer auf—
richtiger Freund
2. Anzengruber.
Wien, den 20. September 1871.
Mertefter Freund!
Umſonſt babe ich gewartet und
mit dem Dichter perfönlich zu ver- gewartet auf Ihr „baldigit” verjpro=
fehren, und Sie können es ja leicht
thun, Sie enttäufchen niemand, denn
Ihre Erfcheinung it von jo liebens-
würdiger Einfachheit, wie Ihre Werke.
Es iſt auch wegen der Nachwelt,
denn ein Freund arbeitet oder bereitet
wenigftens ſchon ebenjowohl für den
rühmlichen Bergfrarler Schum, ſowie
für meine Wenigleit die Nefrologe
vor, im meinen kommt hinein, daſs
ih 3. B. Wurft mie ſchäle, fondern
mit der Haut efje, dajs ih noch nad)
Mitternacht Anfechtungen der Eitel-
feit erliege und Glacéhandſchuhe an—
ziehe.
„Sonſt ein ſehr lieber Menſch!“
Ich freue mich ſchon ordentlich
darauf, all dieſes als Abgeſchiedener
zu leſen.
Alſo Sie werden von dem Nutzen
für Zeit und Ewigkeit, den Ihnen
der Beſuch dieſer Geſellſchaft bringt,
überzeugt ſein und ich hoffe Sie werden
mich alſo in die Kenntnis bringen,
denes Schreiben, in banger Sorge
war ich ſchon, was etwa Ihnen oder
Is Ihnen geichehen fein könnte —
da begibt ſich Freund Sclögl auf
Entdeckungsreiſen und fiehe da, Sie
ſitzen wohlbehalten in Graz; ruhig
bauend und vertrauend Habe ich zu—
gewartet, hätte ich gewufst, wo Sie
wären, ich hätte Sie wenigitens mahnen
fönnen, aber konnte ich denn an eine
jolde haarſträubende Pflichtvergeſſen—
heit, an eine ſolche immenſe Wort—
brüchigkeit denken!? Nein, meine reine
Seele ſchaudert zurück vor den Brand—
mälern der Ihrigen. Ich habe nur
feine Seufzer. So jung und ſchon
ſo verderbt! Schlögl kann Ihnen ge—
wiſs nicht das „Winden des Jungfern—
kranzes“ in der „Hebmutter“ verzeihen,
‚es iſt cyniſche Verſündigung am höch—
ſten Gut der Frauen, — und ich
werde Ihnen nie verzeihen können,
daſs Sie, wie Liebe, ſo auch Freund—
ſchaft geringſchätzend behandeln
3
Herr, Sie find aller Gefühle, die die
Menſchenbruſt in ihrer Action er-
weitern und zufanımenziehen (beſon—
ders das leßtere bei der „Liebe“) —
aller diejer Gefühle find Sie bar.
— Sie find ein Troglodpte, den nur
die Athmungsnothwendigkeit nach den
Bergen treibt, während ich, die hei—
teren Bergeshöhen ſelbſt im Buſen
tragend, ruhig ſtubenhocken kann, o,
mehr noch — — eigentlich genug.
Was helfen alle Worte, Sie ſtreichen
Schlögl zuliebe nicht die Stelle aus
der „Hebmutter“ und Sie haben mir
feinen Brief geſchrieben, Sie ſind
nicht zu rühren, Sie find Hart wie
Ihre Felfen und au hnen gleitet
moraliihe Entrüftung, fo wie ges
fräntter Freundfchaft Vorwurf ab wie
der Fuß an den tannennadelbefäeten
Boden Ihrer Wälder — So ziehe
denn Hin, Ungeheuer, und erwache
im Lande der Ideale, umgejchaffen
zu einem lieblihen Prinzen.
3
noch vorkommt und führt vor meinem
geiftigen Auge eine Komödie auf, tie
diejelbe in derlei Natur und Naturen
ih abjpielen mag — ſie ſpielt zwar
im bairiſchen Hochlande, iſt jedoch im
Dialekte allgemein verftändlich gehalten,
wie auch der Stoff ein alle diefe Ge:
müther anregender if, —
Das andere alles, Zitel x. iſt
noch Geheimnis. —
Sie jehen, ich Hettere im meiner
Stube auf die Berge, ich ſchlage die
Blätter, die Tagebuchblätter meines
Herzens nah, und da tauchen fie auf,
die Geitalten die Euch in den
Bergen, auf den Gehöften, bei ein—
jamen Weilern u, j. w. begegneı.
Wertefter! Hier Haben Sie johin
ein ſehr Fchlecht gefchriebenes Epiitel
— entziffern Sie es und ſchreiben
Sie wieder ein paar Zeilen, fo werden
Sie mich jehr erfreuen — id ver-
zeihe ſodann, — ſchreiben Sie aber
Jedoch da ich höre, daſs Sie nach nicht, ſo fürchten Sie (leſen Sie den
Neapel ziehen, ſo erſuche ich Sie Anfang des Briefes, damit etwas
dennoch, ſchon aus chriſtlichem Bieder- | Furcht in Sie hineinfährt) meinen
finn, ſich das Sprichwort: Neapel Groll. So lange alfo, bis dahin grofle
jehben und dann fierben!
Herzen zu nehmen und hübjch leben
zu bleiben — ich könnte den Gedanken
nicht ertragen, wenn Sie fo Hinführen
in Ihren Sünden, deren wahrſcheinlich
eine ſchreckliche Anzahl ſich noch auf
Ihrer warmen Reife zu den übrigen
gejellen wird. |
Sie haben Schlögl einen Brief
geichrieben, den er mich Hat leſen
laffen, worin Sie Nr. 1 auf die
Schneebergpartie hinweiſen, die
hätte arrangiert werden jollen — Wer
hat Sie angeregt? — Ih nid.
Nr. 2 beinzichten Sie mich der
Stubenhoderei — gut aber wo
fol man denn Hoden, wenn man
ſchreibt — ?
Gegenwärtig liegt vor meinen
Augen Gebirgsland und vor mir be=
wegt ſich der alpinifche Menichenichlag,
— pie er in Tirol, Steiermark, Bai—
ern und wie er auch in Oberöfterreich
—
Rofenaer’s .Getimgatten““, l. Heft. XV.
nicht zu |
|ditto)
ih nicht und bin noch dermalen Sie
herzlichſt grüßend (von meiner Mutter
Ihr aufrichtiger Freund
L. Anzengruber.
Wien, den 26. September 1871.
Allerwerteſter!
Hahaha! Iſt das ein luſtiges
Schreiben, das ich heute von Ihnen er—
hatten habe! — die erſten 2 Seiten reine
Satans (FrT) Sophilterei; — hätte
mir nicht Die augenblidliche Entrüftung,
um mir nur Luft zu machen und die
Erbarmnis mit Ihrer gejunfeniten
Gefuntenheit, diefe Zeilen, die ich hier
niederjchreibe, Herausgeprejst — wer
weiß, ob ich je die Feder angeſetzt,
Ihnen auf die greulichen Unbilden zu
antworten, die Sie auf meine engel:
reine Seele überwälzen wollen!
*
Herrrr! Mie können Sie denn
reden vom Bruders: Splitter, da Sie
Ihren 6—6° Balken, Ihren Augen—
Tram- und Dippelboden ruhig mit
fremden Fehlern (vide Splitter) ſtuk—
fatoren wollen ?! Herrrrrr! Wie können
Sie es wagen, mir — der, wie Sie
doch willen, ein Bauer tft und nur
für ſolche Perfonen ſich interejliert,
die ſich alfo naturmenjchlich geben, —
wie können Sie mir von den Aufor—
derungen des „Bon-Ton“ reden ?!
Heiliger Chrifoftomus, erbarıne dich
feiner!
Übrigens fühle ich mich in etwas
milder geftimmt, Ddieweilen Sie jo
raſch geantwortet, und ich will
nich alfo mit Ihnen in ein Geſpräch
mit geichriebenen Worten einlaſſen,
bei welchem ich wenigitens das Bene
babe, daſs ich ohne Abwehr von Zeit
zu Zeit einen Lichtitrahl der Gnade
in Ihre ftodrabennachtfinjtere Bruſt
binabbligen laffen kann, durch welche
Bligerei der höflifche Feind (FFF), der
in Selber bereits fJichtbarlich feinen
Sit aufgefchlagen Hat, gezwungen
wird zu blinzeln und ich dann wenig—
tens von Ihrem Schönheitsſinn er:
warten kann, dafs Sie den „Ichean=
Haten Teixl“ hinausjagen werden.
Hier haben Sie 2 Seiten, für
die 2 Ihres Briefes, die mir mit
Ballen, Splitiern und Steinen ent—
gegentraten, wie demolierende Bau—
arbeiter, diefe 2 Seiten war ich meiner
Ehre ſchuldig — „es war ein heroiſcher
Wahnſinn“ wirde General Trochu
fagen, denn Paris war nicht zu retten
Ih hätte was darıım gegeben, Sie
in Krieglach als „Wurzelfepp“ gejehen
zu haben — weniger interefjierte mich
der lungenſüchtige, doppelbrüchige
Wurzel-Joſef, obwohl derſelbe als
mediciniſches Curioſum Beachtung,
und als armer Elender Mitleid ver—
dient.
Sie beklagen ſich, daſs ich Ihnen
fein 2te3 Exemplar des „Pfarrers“ ge—
ſchenkt, — Undankbarer, der Sie ſchon
in dieſer Anklage eingeſtehen, daſs ich
Ihnen überhaupt Eines geſchenkt,
während ich jetzt (hören Sie) nicht
Eines für Freund Schlögl, ja ſelbſt
kein einziges Exemplar für mich habe
— und Ungerechter, wiſſen Sie, daſs
ich trotzdem an Sie denke?! Nächſtens
erſcheint mein „Pfarrer“ in Druck (Sie
werden in der Vorrede auch erwähnt
und auch das Lied abgedruckt — haben
Sie was dagegen? So bitte ich tele—
graphiſch einzufchreiten!) Dieſen alſo
bald erſcheinenden, in urſprünglicher
Geſtalt hergeftellten „Pfarrer“ Habe ich
Ihnen Schon zugedadt !
Was Sie aber von der Verleugnung
des Titel3 meiner neuen Komödie jagen,
haha — Sie Schlauer, Ihnen werde
ich's jagen, daſs Sie mir die Komödie
gleich vorweg ſchnappen, wie Sie e3
ja gewollt haben beim „Pfarrer“, was
aber der Herr in jeiner unerforſchlichen
Weisheit verhütet Hat, ſo daſs ich der
Gerechte jiegte. Ihnen vertrauen! ich
bin nur frob, dafs Sie vom „Mein-
eidbauer“ fo wenig wien; — ben
Titel hätte ich Ihnen ſchon nicht fagen
ſollen, dafür habe ich mich bei der
dritten Komödie vorgejehen, juftament,
und Sie find nicht zu beifern ? derraihe ich Ihnen den Titel, —
Jh Freue mich aber vecht Fehr |machens aus dem was — die Ge—
auf Ihre Novitäten und verjpreche schichte Heißt „Der gelbe Hof“*)
Ihnen ferner, daſs ich Ihnen, da der) — hahaha willen Sie jebt was?!
„Meineidbauer“ von mir im Druck Sie jehen, das Papier geht zu
gelegt wird, vielleicht no dor Aus= Ende — ich mufs Schließen, jedoch
führung, jedenfalls aber jeinerzeit ein erſuche ich Sie, ſchreiben Sie bald
Exemplar einjenden werde. wieder, — damit mein Zorn, meine
Mir müflen einander leſen! ch |beleidigte Freundſchaft ꝛc. 2c. wicht
freue mich ferner, dafs Sie nad Wien |
fommen werden, — aber auf wie lange? |
*) „Die Kreuzelſchreiber“. Die Red,
7
39
jo lange ſchweigen müſſen -— und da=
mit es mir duch fortgeſetzte Bekeh—
rungsverjuche gelingen möge, Sie auf
den rechten Weg zu bringen.
mir ein rechtes Anfehen das!“
Für diesmal mit herzlihem Gruß
(auch von meiner Mama).
Ihr Freund 2. Gruber
Dramatiider Bauernkerl.
1
geſündigt — aber umzubriugen war
er nicht.
Ich ſagte es oben, und ich würde
„Gäbe Ihnen zu tiefſt dafür» danken, wenn
dafür zu danken wäre, die höchſte
Freude macht es mir, mich von Ihnen
verftanden zu ſehen.
Ich habe den Schmerz erlebt,
mich von einem Manne, den wir
beide ſchätzen, nicht verſtanden
zu ſehen. — Sie errathen, daſs ich
von * rede! Ih Habe ihm das Stüd
zum Lefen gegeben und er ift nicht
Wien, den 23. November 1871.
Gütiger Freund!
Ihr letztes Schreiben mit Ihrem
jo überaus wohlwollenden Urtheil über
den „Meineidbauer“ Hat mich tief!
erfreut — es ift ein Glüd für den
Schriftfteller, von einem neidlofen, |
der Sade jo um ihrer ſelbſt willen |
hingegebenen Collegen erinuntert zu!
werden, ein größeres Glüd jedoch,
wenn diefer Goflege bei aller freunds |
ſchaftlicher Barteilichkeit, die man feiner
Liebenswürdigfeit zutranen mufs, jo
ohne Falſch, jo voll Geradheit iſt,
wie Sie, daſs er in gegentheiliger
Anſchauung gewiſs nicht ſchmeicheln
würde, — Ihr Uriheil gilt mir viel,
die Competenz über derlei Lebensver—
hältniffe, der Charaktere, wie fie ſich
im Stüde „Der Meineidbauer” her—
umtreiben, kann Ihnen niemand bes
ftreiten, und in die tiefſte Seele hinein
erfreute es mid, mich don Ihnen
verftanden zu ſehen — was Sie!
bewujät erfajlen, das werden Die
Zaufende, Für die ich jchrieb, in—
ſtinctiv herausfinden, und ich Darf
einen Erfolg erwarten!
Ihn erwarten um der Sade
willen — Belter Freund! Geld machen
it leichter als man denkt, — aber!
den Erfolg an die gute Sache knüpfen
— mein Gott, wie ſchwer!
Ihre Furcht dor dem Kothitift
theile ih und theile ih auch mich.
Man Hat auch viel an dem „Pfarrer“
durch fremde Gewiljenlojigfeit.
auf eine Intention, auf eine Cha—
rakterzeichnung desſelben eingegan—
gen. —
Franz, der einfache, ſchlichte,
nur durch die eigenthümlichen Schuld—
verhältniſſe verſchrobene, eigenthüm—
liche Charakter — der das Elend der
Nachkommen der Schuldbewuſsten re—
präſentiert, iſt ihm ein wirklicher
Schuft, der am Schluſſe bloß darum
geſund wird und aufathmet, nicht
weil eine corrupte und corrumpierende
Vergangenheit im Zauber der Liebe
erlifcht, Jondern weil er nun doch —
‚den Kreuzweghof behält! „Er hat feine
Phraſen
im Gaje Grünſteidel und
im «Tagblatt» (?!) zuſammengeleſen,
er hält eine «Rede!» über die Berge
u. ſ. w. Die Life redet zu viel und jo
jpricht feine Bäuerin“ — Der Jakob,
der als Zuchthäusler kommt, hat ihn
verlegt der ſollte Wildſchütz
oder Brandleger aus Rache ſein. —
Nicht faſſte er den rührenden Ges
danfen, den diefer arme, verkom—
mene Sohn des Volles im Sich
trägt — den Verderb Unjchuldiger
Der
Gedanke an die Heimat und Die
Seinen führt ihn feinen leßten Leis
densgang, und beim Klange hei—
matlicher Lieder, angelichts feiner
Berge jtirbt dieſer Menſch den ver—
jöhnlichjten Tod, ſeine Vergangen—
heit macht ihm nicht mehr des Lebens
wert, aber die beiten Seiten jeines
Charakters, die Liebe zur Heimat
und zu den Seinen, die er zum
“
3*
Lebten noch herausfehrt, verklären den |
— Zuchthäusler, den Verlorenen!
Das verlehte *! Gefungen joll
auch nicht dabei werden. — Zweite
Verlegung, eigentlich ſchon Empörung
if ihm die Scene, wo Toni die
Vroni noch einmal bejucht, u. ſ. w.
u. ſ. w. u. ſ. w.
So ſaß Gruber eine halbe Stunde
vor *, wie ein Schulbub, dem ein
Profeſſor das Penſum corrigiert. So
ließ er mich ſitzen — eine peinvolle
halbe Stunde. Mich immer verſichernd,
wie er mich hochſchätze, und nur dieſe
Hochſchätzung veranlaſste ihn, mit mir
umzugehen, wie mit einem literarischen |
Bettler.
„Eben weil ih Sie Hocdhadte,
nenne ih Sie Haderlump!* Fänden
Sie darin eine Logil?! Diejes Ein
jtiirmen auf mein Werk, wo jede neue
Einwendung mich aufs neue über:
zeugte, nicht verjtanden zu fein
— es war mir peindoll,
Da kam Ihr Schreiben wie ein
Lichtſtrahl in mein verftimmtes Ge—
müth — da jauchzte ich auf: Ver—
ſtanden! Ihr Urtheil gilt mir in
einem und allem für maßgebend, mag
der äußere Erfolg dieſes Stückes wie
immer ſein aus Ihrem Munde
habe ich es — ich habe doch das
Beſte gewollt!
Meinen Sie nicht, ich könnte
keinen Tadel vertragen — aber erſt
will ich verftanden fein — und dann
verlange ich doch ſelbſt vom Tadeln—
den die Rückſicht, dafs er mich nicht
in einen Topf wirft mit „Muß—
Producenten*. Gerne ertrage ich es,
fage man mir auch — das Wollen fei
diesmal über das Können gegangen.
— Mber jo mergelmd! ſelbſt beim
„Schwärzermarfh“ machte * die Be—
merfung: Ob die eine eigene Bande
(Mufitorgel) mitführten, wie die
„Entreprije“ oder „Pietät“ oder die
Dienftmänner ?
Tas iſt eben nit Tadel, das ift Mit,
Der fih wohlfeil luſtig madt.
ı&
Das bat an mir * gethan, der
nich jo hoch ſchätzt — er, der ein
paar Tage vorher eine Komödie
Elmard, „Das neue, freie Bürgers
thum“ (übrigens ein ganz gutes Stüd),
nicht nur lobte, ſondern den Verfaſſer
als Poeten des Volles heraus:
ftrih! Und, befter Freund, gerade von
Poeſie fommt in diefem Stüd wenig
bot. —
So, nun Hätte ih denn mein
Herz vor Ihnen ausgefchüttet, hat
Sie's gelangweilt, fo entfchuldigen
Sie. Es ift aber vielleicht auch für
Sie gut, zu wiffen, wie weit Sie fi)
durch das Urtheil eines Yreundes für
künftig zu beeinfluffen lafjen haben —
oder wie weit Sie das kränken darf.
Seither habe ih * aber nod
nicht wieder aufgefucht — er jcheint
das ehr übel zu nehmen und hält
mih matürlih für feinen Feind,
während ich doch ſein Freund zu
bleiben tradhte, indem ich vorher mein
„beengt’ Gemüth“ zur Ruhe fommen
laſſen will. Sollte er Sie mit diejen
Neuigkeiten überrafchen, jo können Sie
e3 ihm über Graz fchreiben, daſs ich
mich dagegen verwahre, ihn übel zu
wollen. Meinungen habe ich wicht zu
verzeihen. Alſo ftehen wir ganz gut
zu einander, Sie aber, Beſter,
Liebfter, Schreiben Sie recht bald
Ihrem getreuen
L. Anzengruber.
Wien, den 20. Nänner 1872.
Geehrteſter Herr SKalender-Redacteur !
Sie beginnen Ihren Brief vom
10. d. M, mit dem ſchönen Empfin-
dungslaunte „Ah“ und ich empfieng
ihn mit „Weh“ — da Haben Sie
AH und Weh! Und jo möchte ich
denn auch Schreien, — dafs ich zu
jpät fomme!!
Der heilige Peter, Ihr Namens»
patron, bat Sie wahrſcheinlich ob
Ihres Fündhaften Wandels ganz ver—
-
laffen und dem Hedenaft in die Hände
gegeben! Um 300 fl.*) — wovon Sie
etwa noch Honorar geben jollen, oder
wollen. —
Dös zahlt ſich Frei nit aus!
EL
As Curioſum ſende ich Ihnen
eine Benrtheilung eines Stüdes,
„Das Kronenhaus“. Diejelbe
war im „Zageblatt*, Rubrik:
„Vom Leſetiſche“, zu lejen, be=
Übrigens geht mich nichts mehr merken Sie die unten gegen meine
an, Sie follen Ihre (refpective meinte) | „Banernkomdödie* gerichteten
Heine Erzählung im Monate März d. %. | Zeilen. —
haben. ber
Beiter!! Volksbuch!! Robert Ha-
merling, aller Ehren wert, ge=
nialer Dichter, aber jo wenig populär |
wie Hebbel. Und Bacano und
Pederzani — zwei Elemente, die
dem volfsthümlichen diametral ent—
gegengejegt find. Ein Buch wird’s
— mohl ein intereffantes Buch, aber
fein Volksbuch! Werden's jchon
einjehen und mir dann recht geben.
Schreiben Sie mir doch, was
macht „Die Wahrheit"? Pederzanis
Mahrheit nämlich.
Ih dante Ihnen fehr für die
ThHeaterberichte.
bar urtheilt, — ich weiß nicht, wo
geſchrieben ſteht, daſs der Groß—
bhnecht die Vroni heiraten
will!! Doch in der Recenſion iſt
dieſe Behauptung aufgeſtellt. Herrjeſes!
Wenn man Dinge hört und ſieht,
die nicht ſind, kann man denn da ein
Urtheil abgeben, das ſich hören und
ſehen laſſen kann?!
Sie müſſen wiſſen, beſter Freund,
daſs ich jetzt in übler Stimmung bin,
„Der gelbe Hof“ wird wahrſchein—
lih das Opfer derjelben werden und
vorläufig unvollendet bleiben. Sie
tennen das, was an dieſem Stüde
fertig ift, — fagen Sie ſelbſt, Hand
aufs Herz, — iſt's nicht beſſer, ich
laffe ihn noch ein wenig liegen ? Sie
werden zugeben müſſen, das Sie fich
wenig mehr an diefen Act erinnern,
und damit ift feine vorläufige Siſtie—
rung Hinlänglich begründet.
) Gehalt für die Herftellung eines
Bolfstalenders. Die Red,
Der Herr Recenfent |
ift mir fürchterlich, mweil er jo jonder= |
Nun Habe ich Dieles
Volksbuch“, liebſter Stüd gelefen (micht gelauft, denn es
foftet 2 l.), was jagen Sie aber
dazu? Es ift eine ganz talentlofe,
Ichredliche Mache!
Sehen Sie, das ift Kritik!
Etwas Toben, das, wenn die
Kritik ein ernftes Amt fein joll, gar
nicht beiproden werden
durfte, und dabei einen Stein nad
einem Autor werfen, der nicht weiß,
wie er dazır kommt — hübſch, das!
Schreiben Sie mir doch recht
bald, ich freue mich, jo oft ich einen
Brief von Ihnen erhalte.
Schreiben Sie mir aud, find Sie
wirklich etwas ungehalten auf *? —
Er ſcheint ſich's einzubilden. Ich Habe
ihm einen Brief geſchrieben, worin
ih ſeine häusliche Miſere bedaure
und erhielt darauf wieder von ihm
ein Antwortſchreiben, das mit den
brüsken Worten begann: „Daſs Sie
ſich um meine Familienangelegenheiten
bekümmern, ſetzt mich in Erſtaunen,
ich danke Ihnen dafür — ıc. —“
Seither habe ich ihn allerdings
nicht mehr geſehen, fuche ihn auch nicht
auf — ein eigener Menſch! — —
Schreiben Sie! Und wenn ſich
Ihr Mitarbeiter in Puncto des Ka—
lenders zu ftart übernommen hat, jo
jeien Sie nicht zu ftrenge, Derr Re—
dacteur!
Hoffe, dafs Sie geiftig und leiblich
wohl find, meine Mutter läſsſt Sie
grüßen, umd ich grüße Sie mit Herz
und Hand.
Ihr aufrichtiger
2. Anzengruber.
Wien, den 22. Jänner 1872.
Theurer Freund!
Ihre legten wenigen Zeilen, in
denen Sie Ihren jchmerzlihen Ver—
luft meldeten, fielen mir jchwer auf
das Herz. Sie erlauben, daſs id
mich dem gerechteiten Schmerze auf
Erden gegenüber auch kurz fajle.
Die Zeit heilt die Wunde, laſſen
Sie es Frühling und wieder Früh—
ling werden und unfere Todten feiern
in unferem Herzen ihre Auferjtehung,
in freundlichem Gedenken, ihre Heinen
Schwähen ganz aus dem lieben Bilde
binmweggetilgt, ftehen fie vor uns. Im
Frühlingsſonnenſchein ſchwebt ihr Bild
mit allen Kindheitserinnerungen über
der Heide, im Sommer lugt es aus
den wogenden Ahren, plößlich fteht
es am Rain und lächelt uns zu, —
im Herbſte geht es mit raſchelndem
Tritte neben uns durch das fallende
Laub — und es will uns gar weh—
miüthig werden aber wenn es
Winter wird, zu Allerſeelen, da tritt
e3 gar in unfer Stübchen
„Grüß Gott, lieb’ Kind,
Grüß Gott, lieb’ Mütterlein.*
Unfere Todten find nicht todt, fo
lange wir leben, und fterben wir, da
nehmen wir fie nur mit aus einer
Welt, die fie nun nimmermehr ver—
ſtünde!
Für unſere heißen Thränen und
38
Wien, den 21. Februar 1872.
Beſter Freund!
Sie ſchweigen und das macht mich
beforgt, — ich hoffe, daſs Sie doch
wohl find. — Die Novelle, „Gänſe—
liejel” benamfet, für Ihren Kalender
liegt bereit, ich erwarte nur ein paar
Zeilen von Ihnen, um diefelbe zu
überichiden.
Hoffe nur, dafs Sie Geichäfte
gehindert, die Feder zu ergreifen und
erwarte, von Ihrer Hand durch ein
paar Zeilen erfreut zu werden.
Ihr getreuer
2. Gruber.
Mien, den 23. Februar 1872.
Wertefter Freund!
Anbei fende ich Ihnen die „Gänſe—
lieſel“ für Ihren Kalender. Sie füllt
wohl einen halben Bogen, bejonders
wenn ihr durch eine oder die andere
Jlluftration nachgeholfen wird. Eine
Bitte hätte ich betreff3 derjelben an
Sie. Sie würden mich ſehr verbin-
den, wenn Sie diejelbe abjchreiben
ließen und mir das Manufcript res
tournierten, Sonft wünſche ic)
Ihnen, dafs Sie diefelbe gefund ver—
brauden, denn Sie jchreiben mit,
dafs Sie unwohl feien, ich erwarte
den verſprochenen Brief von Ihnen
mit für Ihre Perſon guten Nach—
bitteren Schmerzen tauſchen wir uns| richten.
Wehmuth und Sehnſucht ein, dieſe
beiden ſind die Geburtswehen unſerer
Welt, durch die ſie edlerer Geſchöpfe
Bin ſehr beſchäftigt und froh
darüber, ich habe lange gefaulenzt,
meine Mutter läfst Sie grüßen und
genejen will! Zu diefer janften, ftillen |es grüßt Sie in treuer Freundſchaft
Welt, die ahmungsvoll wie fternen=
helle Winternaht uns auf der Seele
liegt . . . leiht ihr uns den Schlüffel,
ihr lieben Geftorbenen !
Ich Hatte ein Großmütterlein, das
vor vielen Jahren ftarb, ich Hatte es
recht lieb, darum ſchreibe ich fo.
Meine Mutter läjst Sie grüßen,
— ich aber verbleibe der Ihre allzeit
getreu 2. Anzengruber.
ſehen
Ihr
L. Gruber.
Wien, den 21. Mai 1872.
Werter Herr in Mur-Athen!*
* Dais ih net lach'!!
Ahr wertes Schreiben vom 3.d. M.
beantworte ich heute zwar exit, Sie
aber, ih babe mir frijches
39
Briefpapier dazu gefauft, erſtens be—
ginne ich jedoch mit der Trage nad
Ihrer Gefundheit, wie geht es Ihrer
geihätten Leber und was macht Ihr
liebenswürdiges Herz? (Diesbezüglich,
wann gehen Sie nad) Haußenbühel?)
Bringen Sie mir über beides beruhi—
gende Nachrichten.
Den im Strahle der Diogenes:
Laterne verklärten * Habe ich leider
jeither noch nicht zu Gefichte gekriegt,
konnte ihn daher nicht grüßen, er geht
jegt auf Entdedung noch unbefuchter
Höhlen aus,
ausgedrüdt heißt das Jungfernlöcher
juchen, daher er zeitlich für die Ober-
welt ganz verjchollen bleibt.
Was die „Sreuzelfchreiber”* an—
langt, jo ſind Diefelbigen bis zum
dritten (umd legten) Acte vorgejchritten
und habe ih heute dieſen letzteren
jelbjt begonnen. Die werden fertig.
Holdjeligiter! Was mollen Sie,
dafs ih mich für Ihre Gefundheit
bergjteigend zu Zode ſchwitze?! Ich
war immer der Meinung, Sie machten
ohne Schaden für unfer beiderjeitiges
Leibeswohl infonderheit noch dazu Be—
mwegung für mic!
Aber ich merke Ihre Abficht und
werde verftimmt. Seit Sie Jhr dra—
matiſches Dingelchen da, das Mirfadl
— oder Mirafl*) geſchrieben haben, das
man gar nicht zu jehen Friegen kann,
jeitdem Sie mit einem Wort Drama=
tifer geworden find, fehen Sie in mir
mehr al3 je den Goncurrenten und
wünſchen wahrſcheinlich, dafs ich mich
in Ihren Heimatlihen Bergen der—
fugel’!? Wie gejagt, diefe menſchen—
freundliche Abficht verſtimmt mich etwas.
Ich verfichere Sie, es ift in Schön—
brunn auch eine wunderbare Luft,
dahin promeniere ih alle Tage —
und arbeiten muj3 ich ſchon jetzt im
Sommer — warum — weil ich leben
will und weil ich den Winter über
jo faul war.
Meine Mutter grüßt Sie herz:
*) „Das Miralelkreuz“. Die Ned.
ih glaube, touriftifch | »
lichſt, ih auch, und bitte jchreiben
Sie nah Maßgabe Ihrer Zeit bal-
digit Ihrem getreuen
L. Anzengruber.
Mien, den 27. October 1872,
Liebwertefter Freund!
Sie werden doch im Beſitze der
„Kreuzelſchreiber“ fein, die ich Ihnen
am 14. d. M. zugefandt habe? Auch
Martinelli, der mich darum erfuchte,
erhielt ein Exemplar.
Dur die Einfendung Ihrer Ge-
Ihichte „In der Einöde“*) haben Sie
mich fehr erfreut. Ein tüchtiges Stüd
Arbeit das! Sie machen einem übri—
gens das Amt eines Kritilers recht
jhwer, aud wenn man Sie nicht
perfönlich kennen würde. Durch das
ganze Buch zittert warmer, lebendiger
Blutſchlag.
„In der Einöd'“! Es geht etwas
wie Entwicklung (andere würden's
freilich „Tendenz“ heißen) durch die
Geſchichte. Der alte, verſtoßene Schul—
meiſter legt den Keim, „daſs die Ein—
öden auf einmal keine Einöden mehr
iſt“. — Kurz, das Ganze iſt ſehr er—
freulich, daſs man nicht nach dem
Einzelnen viel Umſchau hält. —
Ahan, denken Sie, jetzt wird mein
Freund, der Kerl, gleich zum nergeln
anfangen, beim Einzelnen ift er ſchon.
Sp find fie alle, erft das Ganze
hübſch loben, dann das Werk hübjch
in Charaktere und einzelne Gapitel
zerlegt umd darüber Losgezogen, jo
daſs ein dritter Unbetheiligter, der
zufällig zuhörte, ſich denken müſste:
„Himmel, das iſt doch gegen alle
Rechenkunſt, daſs eine Liſte von Feh—
lern und Schwächen ſummiert nur Vor—
züge und Vortrefflichkeit ergeben ſollte.“
Aber Sie täujchen fih in Ihren
üblen, hämiſchen Autorgedanten, —
feine Entjchuldigung, ich weiß, Sie
haben mich oben heimlich „Kerl“ ges
nannt, feine leeren Ausflüchte von
*) Später „Heidepeters Gabriel".
10
literarifcher Unempfindlichleit — ich
lenne Sie, denn ich kenne mich, wir
Autoren nehmen fein Urtheil übel,
außer ein — tadelndes, und wenn
wir derlei wiltern, fo werden wir
gleih toll, begegnen jedem Schimpf
und Glimpf, indem wir das Präves
niere Spielen und — wie oben —
zuerft unjere Freunde verunglimpfen.
Wir find ſchon fo, wir Autoren!
Spafs bei Seite! Ich gratuliere
Ihnen. Viele fchöne Gedanken, reiche
Beobadtungen. Was ich aber einft
Ihnen gejagt Habe, dabei bleibt es,
nad der Lectüre diefes Ihres Buches
ift e8 mir zur Gewijsheit geworden,
dafs Sie no in voller Entwidlung
ftehen, daſs ſehr Bedeutendes von
Ihnen in weiteren Jahren zu er—
warten fteht, wenn Sie mit mehr
mitten in Ihren Werfen, fondern ganz
und voll darüber ftehen werden, und
jo freue ich mich Ihres jugendfräf:
tigen Schaffens, erwarte Ihre Reife
und als perfönlicher Freund hoffe ich,
dafs Sie Ihren Niedergang erft im
die Zeit der weißen Haare verlegen
werden. Diefer Zeit wolle das Ge—
ſchick Sie auf freundlichen Wegen zu—
führen und verbleiben Sie auch mit
diefer Daarcouleur und Stoppelbart
mein Freund, wie ich der Ihrige
verbleibe, ih grüße Sie herzlichft und
Schreiben Sie auch einmal wieder
Ihrem getreuen
L. Anzengruber.
Meine Mutter läſst Sie grüßen.
Für Ihren Kalender werde ih „Die
Märchen des Steinklopferhanns“ näch—
ſtens beginnen.
Mien, den 3. December 1872.
Mertefter Freund!
Ihren Brief vom 29. dvd. M. mit
jeinen verfchiedenen Einlagen habe ich
empfangen, und danke Ihnen herz:
Ich fühle mich umſo mehr gerührt
durch dieſe Ihre That, als ich mich
ſchon vergejjen glaubte, ich weiß heute
noch nicht, Haben Sie das Bud „Der
Frrichreiber“ empfangen oder nicht ?
Ihre Tegte Freundliche Sendung, „In
der Einöde“, Ihren Roman, der mir,
je länger ih ihn im mie trage, je
befjer gefällt, und den ich bei nächfter
Mufe wieder vornehmen werde, — --
Ihre letzte Sendung bejagte nichts,
ob Sie meine auch erhalten haben.
Umfo mehr bin ich, wie gejagt,
gerührt, als Sie fi) während diejer
Zeit dem Sreuzfeuer, wie Sie jelbit
geitehen, „wunderfam ſchöner Augen“
ausgejegt haben, im denen man gerne
verſinkt, wie in einem tiefen, Haren
See, um in der Nirenftadt unten für,
wunderſam ſüß zu träumen. Daſs
Sie bei der Verunglimpfung meiner
doch ſehr proſaiſchen „Frrichreiber“
unter ſothanen Umſtänden geharniſcht
aufwachten, das iſt viel, das iſt mehr
als ein Freund verlangen kann, das
iſt für die Sache des Volkes in Puncto
des Volksſtückes mit geſchehen, eine
Sache, die uns beiden nahe geht, die
Sade des Volkes, und die und beide
zu Freunden gemacht — mich wenig»
ftens aufrichtigft zu dem Ihrigen.
Bei Gott, ich wünſche Ihnen, Sie
mögen all’ das Glüd finden, das ich
in diefem Falle für mich hoffe und
vom Geichid erbitte.
Ih für meine Perfon habe Ihnen
wenig neues zu vermelden. „Elfriede“
ift beendet, wird wieder eingereicht —
jonft bin ih mit Arbeit überhäuft
und Habe auch für einen gewillen
Kalender geftern Hand angelegt, um
die „Märchen des Steinklopferhanns“
anzufangen, bitte aber um recht viel
Geduld.
Meine Mutter läjst Sie freunde
lichft grüßen, die arme Frau, die Sie
recht ſehr ſchätzt und liebt, iſt von
lichſt für Ihr ritterliches Einſtehen einer ſchlimmen chroniſchen Krankheit
für meine, wie Sie ganz richtig dem
ſtanden verunglimpfte Sache.
befallen und leidet ſehr.
H. 3. gegenüber bemerlten, unver—
Ich hoffe, daſs ich bald ein
Schreiben, wenn auch nur ein paar
Zeilen, erhalte, ich werde Ihnen dann
umftändlicher bei mehr Ruhe und
Muße jchreiben, jetzt wollte ich Sie
nicht länger warten laffen auf Ant—
wort und Dank für Ihren lebten
lieben Brief, wolle es Gott Ihnen fo
wohl jein laſſen, al3 dies winfcht
Ihr treuergebener
L. Anzengruber.
P. S. H. J.'s Recenſion ärgert
mich ſo wenig, wie etwa einen Maler
das Urtheil eines Blinden über ſein
Gemälde.
Wien, den 3. März 1873.
Lieber werter Freund!
Ihr letztes Schreiben mit der
„Offenbarung Ihrer kleinen Verbitte—
rung“ hat mir große Angſt für Sie
eingejagt. Ih hoffe, Sie haben ſich
bereit3 „ausverbittert“. Wundern Sie
jich vielleicht, dafs **’3 Buch jo gelobt
wird? DO, thun Sie es nicht, Sie prä-
fentieren fich fonft in dem Lichte einer
gar wundervollen Naivetät. ** iſt
Journalift Ne. 1, hat einen Verleger
Nr. 2, dem es auf etliche Freiexem—
41
der Schöpfung der „Einöde“ einer
aufregenden Arbeit unterzogen, einer
Gefumdheit untergrabenden, um des
Himmelswillen, guter, beiter Freund
und berjlieber Menfch, thun Sie das
num und nimmermehr, bleiben Sie
falt und ruhig, Schaffen Sie ſich zur
Luft und Sie werden auch zur Luft
der anderen gejchrieben haben, bleiben
Sie ums gefund an Seele und Leib,
lafien Sie ſich nicht die Blüten Ihres
herrlichen, Ihres erquidenden Talentes
in der Treibhauswärme des forcierten
Producierens verderben, laſſen Sie
ih nicht vom Ehrgeize in Ihr Tinten
fajs ſpucken, daſs Sie mehr Tinte
zu verjchreiben haben. Es ift in der
„Einöde“ ein etwas bizarrer Zug,
ein leidender Zug, der durch das
Ganze geht, Ihre eigenen Worte haben
mir die Erflärung davon erfchloffen.
Befter, um was man fich Frank jchreibt,
das leidet felbit mit. Sie aber haben
ein fo eigenthümliches, ausgeiprochen
jelbftändiges Talent, daſs Sie nur
ruhig fortzufchreiben brauchen, daſs
Sie langſam die Meifterfchaft ſich er:
Ichreiben werden. Mein Beiter und
Guter, Sie haben gar fein Recht,
plare nit anlommt, der inferiert :
|
Reclame macht, der mich 3. B. er- ſich auf Ihrem Wege umzuſehen, in
fucht Hat, ihm einen Artikel über das |der Zukunft liegt für Sie Ehre und
Buch zu fchreiben und der ihn dann! Wohlergehen und Anerkennung, alfo
in das „Fremdenblatt“ brachte und
im „Belter Journal“ noch einmal
abdruden ließ. Ich habe den Artikel
ſehr gerne für unferen gemeinſamen
Freund gefchrieben, all’ das Lob war
ein verdientes, ich habe feinen Groſchen
Honorar dafür verlangt, aber ich
muſste doch wiflen, dafs er — und
in weldem Journal — placiert wurde.
Liege fih Hedenaft die Geſchichte eben—
jo angelegen fein, Sie hätten genug
Artikel erleben können, jo jchweigt er
jeinen Verlag jelbit todt. Wenn die
gewöhnlihen Schreiber nur notizeln,
jo müſſen eben die Freunde der Ver—
fafler her, diefe müſſen jchreiben !
Etwas Hat mich in Ihrem letzten
Schreiben ſchwer beforgt gemacht.
Ihr Geftändnis, daſs Sie fih mit
„allweg vorwärts“.
Ich Habe Ahnen schon dazumal,
als ih Ihnen den Eindrud Ihrer
„Einöde“ auf mi mitgetheilt, ge=
jagt, daj Großes in Ihnen ruht,
dafs ich von Ihrer Zukunft alles er—
warte; — nicht fertig, nicht abge—
rundet fteht Ihr Roman „Die Ein
öde“ dor und, und doch viele Tefen
ihn mit Vergnügen, es ift derjelbe
Nojegger, der ihnen fchon mit feinem
Genius zu Herzen geſprochen; ad,
glauben Sie nicht, mein lieber Rofegger,
daſs diefer Nofegger recht daran thut,
auf diejes Werk all’ feine Karten zu
jegen! Gehn Sie mir, feit wann ift
er denn ſo ftolz oder jo Heinmüthig
geworden ? ich kann Ihnen micht Jagen,
wie ich dieſen Schriftitellee liebe und
Thäße, ich möchte ihm mit feinem
Worte wehe thun, nicht um die Melt,
aber wenn Sie mir meinen Zufunfts-
Rojegger verderben mwollen, das greift
mir ans Herz und ich kann danı
den gegenwärtigen gar nimmer leiden.
Yu diefem Gegenwärtigen ſchlummert
noch fo viel unentwidelt, er weiß es
wohl jelbft nicht, und wenn ich mir
“2
= -
Ich werde jeht diefe Seite noch
herunterfchreiben, daſs Sie fih nicht
betlagen, daſs ich dieſes Fleckchen
Papier nicht mehr für Sie aufwenden
will, aber neues ſollen Sie von mir
nicht erfahren, vielmehr frage ich Sie,
heiraten Sie im Mai — und wenn
das, wie können Sie jetzt „raunzen“?
Wirſt luſtig fein, Du Sakra! Bei
denke, wie ſich das nach und nach Gott, dem Allmächtigen, Höchſtgütigen
klärt, bildet und feſtigt, und ich denke
mir den ganzen fertigen Roſegger, —
da möchte ich des Teufels werden,
wenn ich in Betracht ziehen ſoll, daſs
auf einmal das nicht ſein ſoll, daſs
und Weiſen, ich wünſchte, er hätte
uns die Aushängebogen der Schöpfung
zufommen laſſen, ftatt daſs der ſchuf—
tige Metteur en pages, der Satan,
das Ganze nah Gutdünfen hat durch—
Rofegger ftehen bleiben jollte, dafs er ſchießen dürfen, ich ſage Ihnen, es
num daran denfen joll können, er iſt eine Laufewelt, font gäbe es feine
werde nichts mehr jchreiben — ac leidenden kranken Gejchöpfe darin,
pad, raften Sie ji nur etwas aus | feine Rohheit. Die armen Wefen hoffen
und gehen Sie dann wieder friſch auf eine verbeſſerte, durchgeſehene
ans Werk, und die nächſte größere zweite Auflage, deren Ausgabstermin
Arbeit, überſchauen Sie wie von oben, |der jüngfte Tag fein follte, den Sie
von darüber ber, das thun Sie — mir auch gütigft als Termin geftellt
heute aber fönnen Sie ſchon jeden ;haben, um Ihr Schreiben zu beant-
einen Lumpen heißen, der es anders 'worten. Sie fehen, ich thue das
jagt, al3 daſs ich die „Einöde“ fo ſchneller, nicht etwa des Zweifel an
gut finde, dafs ich fie wohl jelbit ge= dem jüngften Tage wegen, fondern
jchrieben Haben möchte.
Sagen Sie das dem Roſegger,
er wird ſich's gewils zu Herzen
nehmen, da es vom Herzen kommt.
Nun erlauben Sie, daſs ih ein
wenig bon mir rede, es ift mir zwar
nicht befonders darım zu thun, denn
ih habe von mir nicht viel zu jagen,
das etwas zu jagen hätte. Neues
gar nicht, „Elfriede“, das willen Sie,
kommt nächitens daran, Eine „Tochter
des Wucherers“ habe ich eingereicht.
Ich arbeite jegt jehr viel, und wenn
Sie einmal des Sommers ein paar
Tage fommen wollen, jo finden Sie
mich immer bereit, Ihnen etwas vor—
zufefen, denn ich habe ja vieles, das
Sie gar nicht Fennen.
Meine Mutter, der e3 übrigens
recht übel ergeht, haben Sie auch
durh Ihren Brief bejorgt gemadt,
die Frau verjteht etwas und Hatte
auch an der „Einöde* ihre Freude —
fie läjdt Sie grüßen.
‚weil bejjer bewahrt als beklagt iſt
| und weil Sie nicht beflagen und immer
wohl bewahrt wiſſen will
Ihr Sie jhäkender und liebeuder
L. Anzengruber,
Wien, den 5. Mai 1973.
Merter, liebjter Freund!
Im Anfchluffe fende ih Ihnen
meine „Friedl“, ferner gratuliere zu
Ihrem Mirafellreuz: Erfolg, er war
ein berbienter, dann gratuliere zu
Ihrer Berheiratung und vertraue
Ihnen an, dafs es bei mir al&baldig
auch losgehen wird und ich ebenfalls
bald Ehemann fein werde. Weitere
Nachrichten behalte ih mir für jpäter
vor, —
Was nun Ihr „Mirakelkreuz“
anlangt, und ferner, was ih von
Martinelli hörte von einem Gelegen:
beitsftüdhen zur Vermählung der
ı Erzherzogin Giſela — jo ift das erſte
43
fo hübſch gerathen, der Stoff des Ich mufs für heute ſchließen, habe
zweiten, nad Hörenfagen, fo originell, Beſuch, folglich feine Ruhe.
daſs ich im Intereffe unferes ledernen Herzlichen Gruß von mir und
Repertoires wünſchte, Sie möchten von Mama.
Zeit zu Zeit das Publikum mit ſolchen Ich verbleibe Ihr getreuer
netten Holzſchnitzereien erfreuen. | 2. Unzengruber.
Diejes „Mirakelkreuz“ ift eine ſo
nette, liebe Bluette — pah, was ſoll Lieber Freund!
ich die Zeitungen ausſchreiben? Sie Sö fein mir an Brief fchuldig.
haben Sclefingers Recenfion gelejen, | Flütterwochen gelten niama als Ente
der Mann ſagte, was viele meinten. ſchuldigung. Ihr
Lieber Freund, ſchreiben Sie mehr L. Anzengruber.
dergleichen. Breitenfurth Nr. 72.
(Fortfegung folgt.)
Aeue Gedidte
von M. R. v. Btern.*)
7) ; Und wo ein gold’ner Gottesfunfen
@v Der wandernde Geiſt. Zur Erde nimmt den lichten Lauf,
E ift ein Gold dahingegoffen Da jeufzt und athmet jhlummertrunfen
. Aus Gottes Fullhorn in das Thal; Ein liebes Leben ſchluchzend auf.
Nun ſchimmert es, von Licht
ſch —— ER \ Das liebt und leuchtet hold auf Erden
ühthaubeftäubt im M lJ. Und ſprüht dahin wie gold'ner Schaum —
—— — Urewig ift das Sein und Werden
Mie es auch gähnt und nächtlich duntert, Und alle Form iſt nur ein Traum!
Wie e8 verwest, verwelft und kreißt,
Aus allenı Erdenleben funfelt |
Unwandelbar ein ewiger Geift.
N F
Alpentraum.
Bon Thongefäß zum Goldkrug ſchaumend Mondſchein rieſelt von den Zweigen,
Und in die Schale von Kryſtall, Silberduft ſpinnt in dem Moos.
So perlt das Leben wonneträumend, Es ſchweigen
Gin rauſchend ſchöner Waſſerfall. Die Sterne;
Es neigen
Das füllt in wunderhellen Gluten | Sich ferne
Urlebenquellend Bild um Bild, | Wollen in der Berge Schoß.
Wenn es in keuſchem Überfluten
Von einer Form zur andern quillt.
Bon einer Schale zu der andern
In immer wedhjelvollem Schein;
Urewig iſt des Geiftes Wandern,
Jedoch beftändig ift das Sein.
So raufht von Bergeshöh'n zu Thale
Ein friiher, Harer Murmelquell ;
Wenn ihimmernd jhöpft die gold'ne Scale,
Eo fprühen Tropfen funfenhell.
*) Höhenraud, (Zürich. Berlagtmagazin,
Funkelnd, ftrahlend, tief und groß
Ruht die Nat.
Silberglängend ſprüht die Quelle;
Mondtlar über Kieſel ſchäumt
Die Welle.
Bon Gletſchern
So helle,
Da plätjchern
Thalwärts, perlentlar umfäumt,
Murmelbäde. — Und es träumt
Still der See.
44
Auf der Alpen ew’gem Throne | Spiegelung.
Gligert heil der Mondenſchnee. — |
Die Zone ' Meiner Hoffnung rofiges Erwachen
Der Wahrheit, tarrt erjhredt in Fäulnis, Blut umd
&
Roth. —
Uh! In wie viel elelhaften Laden
Spiegelt jih das gold’ne Morgenroth!
e |
Die Krone |
Der Klarheit, |
Sirahlt auf fteiler Bergeshöh’, |
Weit von Wonne und von Weh', |
Kalt wie Eis, |
Zugendflucßt. Auch ein Programm.
Was treibt mid jo ruhelos hin und ber, Das „Chriſtenthum“, mein Befter,
Was padt mid am Herzen jo ahnungsſchwer, Iſt „alter Schwamm“;
So greiſenhaft⸗ traurig und trübe? Kaufen Sie und ftudieren Sie |
65 ift das allen der Blüten vom Straud, Die „Grundzüge der National: Öfonomie*
Es ift wie entjhwindender Jugendhaud, Bon E. A. Schramm!
Es ift wie geftorbene Liebe. |
Ja, ja, in puncto der Wiſſenſchaft
Noblesse oblige. Sind wir gut auf dem Damm; —
Noblesse oblige, der Adel verpflichtet: Recht jhön, Freund Wlerander,
So hat man lange genug gedichtet. — Uber „Liebet eu unter einander!*
Das ftintend = ftolzge Wort gefältt mir nicht — Iſt — auf ein Programm.
Nein, umgelehrt! Es adelt uns die,
Pflicht! |
adicafeur.
Rathokiſch. ®
Ich bin kein Proteftante — Mittel gibt's auf Erden
Fort mit dem fhalen Mein! Gegen alle Bein.
Die Kunft iſt erzfatholiich
Und wird es ewig fein.
Laſst uns befier werden,
Gleich wird's beffer fein!
Deutſche Wiedergeburt
oder
tevolutionäre Gedanken eines Deutſchen.
—
=: Siege von 1870 haben das | hat fich militärifiert, er muſs fih nun
6, deutiche Bolf politifch groß, aber auch civilifieren.
3 geiflig Hein gemadt. Das geiz Soll e3 beſſer werden, jo muſs
ftige Leben der Deutfchen ift gegen= der Profeffor zuriidweichen und der
wärtig im Zuftande des Berfalles. Künſtler in den Vordergrund treten.
Die heutige deutiche Bildung ſchaut Rückkehr zur Lebensfreudigkeit, Innig—
nah rüdwärts, fie fieht weniger dar= keit und Innerlichkeit. Heute ift das
auf, neue Werke zu ſchaffen, als alte deutſche Voll an Bildung Fo überreif,
Werke zu regiftrieren ; fie iſt willen= | daſs es fürs Leben unreif ift. Und
ſchaftlich, darum micht ſchöpferiſch. UÜbercultur ift Schlimmer, roher, häſs—
Die Deutſchen haben ſich als Staats- licher, als Uncultur. Die Deutſchen
bürger entdedt, ſo ſollten ſie ſich auch ſtehen gegenwärtig, mit Ausnahme
als Menſchen entdecken. Der Deutſche des politiſchen Lebens, auf einer fal—
45
fhen Eultur. Leifing, der Gelehrte,
Ichrieb für den Menſchen, Goethe, der
Künftler, lobte den Menfchen. Eine
Geitalt, welche das Volt vor Augen
dat, bedeutet hundertmal mehr, als
zehn Theorien.
Kritiler! Ein Kunſtwerk wird nicht
nach Recepten gemadt; Sunftrecepte
gibt es nicht, wohl aber Kunſtgeſetze,
und dieſe beitimmt nicht der Gelehrte,
jondern der Menſch. Jeder Dichter
joll fingen, wie ihm der Schnabel ges
wachſen ift, und jeder Künſtler, nach
Goethe, ſchaffen, wie jeine Natur es
verlangt.
duell fein, er kann nicht perjönlich,
nicht local genug fein ; ſogar ein gewiſſes
ſpießbürgerliches Gefühl ift ihm nöthig,
an der Erde muſs er jaugen, auf der
er steht.
heist Seele haben, eine gejchlofjene
Individualität haben, heißt Stil haben.
Da gibt es eine „Kunſt“, welche
den Römermarmor ebenjo ficher trifft,
als fie den römischen Geift verfehlt.
Außerlich, decorativ, falſch.
Natur! Anſtatt die Empfindungen |
wiederzugeben, welche Naturgegen—
ſtände im menſchlichen Auge hervor: |
rufen, will man die Natur ſelbſt
Das ift unmöglih und,
wäre es möglich, fo würde es über—
flüffig fein. Mit der Natur kann die,
Kunſt nicht comcurrieren, wohl aber,
Goethe
wiedergeben.
mit der menfchlihen Seele.
jagt: Wenn ich den Mops meiner
Geliebten zum Verwechſeln ähnlich
nadhgebildet habe, jo Habe ich zwei
Möpfe, aber noch fein Kunſtwerk.
Was engherzige Gorrectheit! Wie Liebe,
mebr iſt als Gorrectheit, jo iſt Leben
mehr als Gorrectheit.
Kunft ijt fein Leben. Schiller jagt:
Natur aus, dur Unnatur und wieder
zur Natur zurüd,
Der Philoſoph ift weniger Ge—
lehrter, als Künftler. Philoſophieren
heißt, vom Weltganzen ſich eine An-—
ſchauung, ein Bild machen. Und wer
Der Künſtler muſs indivi—
Eine Individualität haben,
Bilder macht, iſt ein Künſtler. Bis—
her hat die Philoſophie den Volksgeiſt
verleugnet, darum verleugnet der die
Philoſophie. Je mehr verſchiedene
Philoſophien, Weltanſchauungen, deſto
beſſer für ein Volk. Echte Philoſophie
muſs individuell ſein, fie iſt eine
Feindin jeder Bildungsſchablone. Wer
nicht individuell iſt, wenig Perſön—
lichkeit beſitzt, iſt nur der Bruchtheil
eines Menſchen, kein ganzer Menſch.
Wer keine Eigenart beſitzt, iſt eine
Null. Es gibt Millionen Nullen, aber
ſie bedeuten nicht mehr, als eine einzige.
Und wenn nur im Individuellen
die Kraft und Größe liegt, jo muſs
wohl auch Gott jelbjt ein Individuum
'jein — eine Berfon!
In der MWetterfunde kommt man
oft wieder zu den Bauernregeln zurüd,
jo wird’3 auch in der Philojophie
‚jein müſſen. Philofophie, Poeſie, Re—
ligion, Politik haben den gleichen
| Quell: Echtheit der Gefinnung, Treue
‚gegen fich ſelbſt, Wuhrheitsliebe.
Das vorige Jahrhundert des Idea—
lismus fah die Welt aus der Vogel—
perjpective an, diefes Jahrhundert des
Materialismus und Specialismus fieht
fie aus der Froſchperſpective an, das
nächte Jahrhundert des Individua—
lismus wird fie aus der menschlichen
Berjpective anjehen, und das wird das
Richtige fein. Die Wilfenfhaft in
Specialitäten! Hundert angefammelte
Specialitäten, ganz äußerlich neben—
einandergeftellt, geben noch Feine Uni—
verlität. Der Specialift hat feine
Seele Hingegeben. Ein Menſch, der
Ein rechter
Menſch ift unerihöpflich, denn feine,
scheidet.
Der Weg aller Bildung geht von
außen
nicht individuell ift, iſt nicht exiſtent.
Logik ift viel, aber Ethik ift mehr als
Logik, darum bedeutet und leiftet fie
auch mehr. Kritik fcheidet, Ethik ent-
Das römische Recht ift auf
Selbftfudt, das deutſche auf Treue
gebaut. Das Recht ſoll ſich nicht von
hinein, jondern von innen
‚heraus entwideln. Aber Profefjor
Zhering ſagt: „Die Entwickelung von
innen heraus beginnt erſt bei der
Leiche!“ Echte Profeſſorenweisheit,
welhe nur Mechanismus oder Leiche
keunt, und der das Lebendige entgeht!
— Aber Gefege werden geboren und
nicht gemacht.
Geſchichtsforſchung iſt Wiſſenſchaft,
Geſchichtſchreibung iſt Kunſt.
Und den Glauben, was verachtet
ihr ihn? Es gibt nichts ſo Gewiſſes,
als Empfundenes oder Geglaubtes.
Das Wiſſen erzeugt Pygmäen, der
Glaube erzeugt Heroen. Glaube und
Kunst, bei beiden ift der Myſticismus
der dunkle Hintergrund, Myſticismus
it ſchöpferiſcher als Wiſſenſchaft.
Wiſſenſchaft ift das Auge des Volkes,
in der Mpftit Schlägt fein Herz. Der
echte Künftler fteht immer im Wolfe,
der Gelehrte außerhalb desjelben. Heine
fonnte fagen: ich bin Volk! Bismard
fonnte jagen: die Regierung ift auch
Volk, der Gelehrte kann es nicht jagen;
er ift zuviel Kopf und zu wenig Herz,
um echter Menfch zu fein. Der erite
herrfchende Pla im Geiftesleben ge—
bührt der Kunſt. Und ein einziges
Gemälde Rafaels it mehr wert, als
alles, was über Rafael gejchrieben
worden.
Verſtand ift weniger, al3 Vernunft.
Veritand kommt von verjtehen, Ver—
nunft fommt von vernehmen, von
erfahren , erleben. Und probieren ift
beijer, als ftudieren. Der Profeſſor ift
die deutſche Nationalktrantheit; die
jeßige deutfche Jugenderziehung iſt
eine Art bethlehemitischer Kindermord.
„Wäre ich der heutigen Schulbildung
anheimgefallen, jo wäre ich Teiblich
und geiftig zugrunde gegangen“, ſagte
Alerander von Humboldt. Und Leiling
fagte einmal, er babe zuviel Bücher
gelefen, um das Ziel reiner Menſch—
lichkeit zu erreichen. Leſſing war es
nicht gegeben, mit dem gemeinen
Manne zu fühlen und zu denken.
Viele Gelehrte verftehen alles, nur
den Menschen nicht. Profeſſor Dubois—
Neymond tadelt Goethe allen Ernites,
dafs er den „Fanuſt“ micht Schließlich zu
einem Umiverfitätsprofeifor gemacht hat.
Ein Brofefjor glaubt unter Umjtänden
an nichts, unter Umftänden an alles ;
unter feinen Umftänden aber an feine
eigene Fehlbarkeit. Die Welt ein
Mehanismus! It fie nicht vielmehr
ein Organismus? Dat fie nicht eine
Seele? Liebe, Ehre, Frömmigfeit, find
das Dinge, die man mit dem Zoll—
ftabe meſſen kann?
In den heutigen gelehrten Goethe—
geſellſchaften würde es jedem eher
behagen, als — Goethe. Er mied
einſt Berlin, die Stadt des Profeſſoren—
geiltes, er würde e3 heute tdun. Es
gibt eine bejondere Berlinerbildung,
die des falten Verſtandes — ſie iſt
nicht dentſch. Bismarck hat Berlin eine
Wüſte von Ziegelſteinen und Zeitungen
genannt, Berlin iſt Deutichlands poli—
tiſche Dauptitadt, aber es iſt nicht zu
winfchen, daſs es feine geiftige Haupt—
jtadt werde. Wie jelten im heutigen
Deutihland ein wirklich menjchliches
Dafein nah höheren Anforderungen
zufrieden it, weiß jedermann. In
Berlin gewiſs noch am jeltenften. Die
Nüchternheit Hat den preußiichen Stuat
groß gemacht, fie kann ihn auch wieder
Hein machen, Preußen muſs germas
nijiert werden! hat Bismard verlangt.
Es iſt nicht gut, wein im Parlamente
zu viele Berliner jißen. Der Schwer—
puntt des deutſchen Bollscharafters
liegt zwischen dem Rhein und der
Elbe, Aber auch diefer hat gelitten,
Bis jetzt hat Jena die Deutichen
mehr gefördert, als Sedan. Das Uns
glück ift ein herber Freund, das Glück
ein falſcher.
Kunft und Menſchenthum! Mon—
taigne jagte: Ich will nicht wegen
meiner Schriften, Jondern meiner jelbit
willen geichäßt fein. Jeder echte Künſt—
lermenjch müjste jo ſprechen. Haupt—
bedingung eines Genies ift, daſs es
natürlich bleibt; Jeinem Genius folgen
heigt, jeinem inneren Drange folgen,
Und Dauptbedingung des Genies it
die Sittlichfeit, alles Große wurzelt
in der Sittlichleit. Wehe dem Künitler,
der nicht größer iſt, als feine Werke!
Was wollen wir von der griehiichen
> u
47
Kunſt? Sie kann uns nicht Vorbild
fein, jte ift Document. „Der Hauptwert
der griechischen Kunſtwerke beiteht darin,
dajs fie uns lehren, es babe einmal
Menſchen gegeben, die ſolche Dinge
ſchufen“, jagt Schiller. Unſere Kunſt
Hat ſich zu individnaliſieren, auf un—
ſere Weſenheit ſich zu begrenzen. Dia—
lektdichtung, wo fie wahr und tief
auftritt, ift in gewiſſer Hinſicht der
Kunftvihtung immer überlegen, denn
jie jteht dem Herzen eines Volkes um
eine Stufe näher, als diefe.
Es gibt auch eine Dialettmalerei,
e3 liege ſich vielleicht auch eine Dialelt-
plaftif, eine Dialektmuſik denken —
individuell im volksthümlichen Sinne.
Die meiften Genies entſtehen aus
dem Bolfe und viele gehen im Wolfe
zugrumde,. ohne gejehen worden zu
fein. Nur dort, wo der augenblidliche
Bedarf dafür da ift, wird es ihm
leiht gemadt, ſich zu entwideln.
Ein starkes Volk ift Here feiner
Geſchicke. Was ein Volk im tiefiten
Inneren feiner Seele erfehnt, das er—
füllt ih auch, es fei früher oder
jpäter. Umſo mehr, wenn dasfelbe auch
die Nachbarsvölker wollen. Geficherter
Friede. Vielleicht findet man fich fogar
einmal zufammen zu den „Vereinigten
Staaten von Europa”.
Bon einer richtigen Erziehung und
Bildung darf die Zukunft viel —
alles erwarten. Aufgabe aller Erzie—
hung ift es, den Menfchen dasjenige
nit vollem Bewuſstſein und möglichiter
Uberlegung thun zu lehren, wozu das
Beite und Eigenite und Tiefſte feiner
Natur ihn ohnehin ſchon inftinctiv
treibt. Einzelerziehung iſt beiler als
Mafienerziehung, und diefe ohne jene
gar nichts wert. Das größte Problem
der Gegenwart ift, die Kluft zwiſchen
Gebildeten und Ungebildeten zu über:
brüden; mit Halbbildung geht das
nicht, dieſe wird von beiden Seiten
zurüdgeltogen und ift auch Für fich
jelbft nichts wert. „Jetzt Jucht man
überall Wiſſen auszubreiten, wer weiß,
ob es in ein paar Hundert Jahren
nicht Univerfitäten gibt, wm die alte
Unwiſſenheit wieder Herzuftellen !* ſagte
Lichtenberg, und er bat es mit Ernſt
gejagt. Charakter ohne Bildung iſt
beifer, als Bildung ohne Charafter;
der Schein gelte nicht mehr, als das
Weſen, die Reliquie nicht mehr, als
der Heilige. Einzelwilfen ohne Ge—
ſammtempfindung ift todt; es wirft
auf den Juhaber menfchlich wie ſitt—
lich genommen nur nachtheilig.
Phariſäer heißt wörtlich ein Se—
paratiſt, in unſerem Sinne alſo ein
Specialiſt. Die heutigen Deutſchen,
welche auf das Gutachten der Specia—
liſten ſchwören, find nicht beijer daran,
als jene früheren Deutjchen, welche
Tetzels Ablafszettel kauften. Das Pha—
rijäerhafte liegt auch im Hochmuths—
dünkel, im Unfehlbarkeitswahne. Der
Specialismus iſt die Grimalfe der
Individualität. Dubois-Reymond,
Mommſen — Phariſäer. Ranke als
Geſchichtſchreiber! Als er in ſeinem
Werke zur Beſchreibung des Chriſten—
thumes fommt, fagt er: er werde von
der eigentlihen inneren Bedeutung
desjelben abjehen und nur von der
„grogen Combination der welthiitori=
Ihen Momente, in welcher e3 er—
ſchienen iſt“, reden. Alſo das iſt der
gelehrte Geſchichtſchreiber, der über
das Außere den Geiſt vergiſst, oder
vielmehr verleugnet. Der Geſchichts—
forſcher muſs Wiſſenſchafter, der Ge—
ſchichtſchreiber muſs Künſtler ſein,
das heißt, auf unſer Gemüth zu wirken
ſuchen.
Dieſe „deutſchen“ Gelehrten haben
ſich auch gegen den Gebrauch der
deutſchen Schrift ausgeſprochen; Bis—
marck ſtand für die deutſchen Lettern
ein, ohne viel zu fragen, ob ſie hiſto—
riſch, ob ſie praktiſch wären; ſie ſind
individuell deutſch, volksthümlich, das
war ihm genug.
Das Volk der Forſcher mußs ſich
in ein Voll der Künſtler verwandeln
und auch Bismards Straße wird ein—
münden in das Bereih Schillers und
Goethes.
Miffen ift nicht Weisheit. Willen:
ſchaft ift Modelache geworden, und Mode
geht vorüber. Wird auch die Kunſt
Modejadhe, dann geht fie unter. Unſer
Bauſtih! Gott hat die Sprachen der Bau—
leute verwirrt, wie einst zu Babel, fie
ſprechen griechiſch, gothiſch, japanisch,
aber nicht deutſch. Sie glauben, wenn
fie den griechiſchen Stil wählen, jo
haben fie griechische Bildung. Nicht
der Alten Werke, fondern ihre Ge—
jinnung wäre nachzuahmen. Gebäude
wollen gedichtet jein, heute werben fie
zumeiit nur gereimt, und darum fehen
fie oft fo ungereimt aus. Das Bolt
baut zwedmäßig, aljo ſoll ſich der
Gebildete auch im diefer Sade immer
wieder dem Volke nähern, anftatt ums
gefehrt. Wir wühlen zu jehr im Echutte
der Alten. Eine Eultur, die jo viel
gräbt, gräbt ſich zuletzt ihr Grab.
Ehrlichkeit ift edler als Wiſsbe—
gierde, Schwermutb edler als Genuſs—
fucht. MWiffen führt zum Peſſimismus,
und Peſſimismus ift Altersſchwäche.
Zurüd zur Natur, zum Bauer, zur
Jugend! Banernfeele ift Volksſeele.
Luther, Scharnhorit, Bismard, Moltke
— jie waren Bauernnaturen. Der
Bauernftand liefert die beften Soldaten,
jei es für den wirklichen oder für den
geiftigen Krieg.
Der Deutjche ſoll vornehm fein,
nicht vornehm thun. - Volle Sinnlich—
feit ohne Gemeinheit ift immer vor-
nehm; Prüderie mit heimlicher Sinn-
lichteit immer gemein.
Alles Ariſtokratiſche ift angeboren.
Eine Willens: und eine Geldariſto—
fratie kann es nicht geben, wohl aber
eine förperliche, eine geiftige, eine fitt:
liche Ariftofratie. Willen und Geld
kann man eriverben, perfönliche Eigen
jchaften werden felten erworben, öfter
ererbt.
„adelig“ etwa den Sinn des heutigen
‚eine ideale Natur.
Im Alterthume hatte das Wort | Deimatsgeift.
Menn der Adel eine künſtleriſche
Geſinnung bezeugt, dann wird dem
Künftler die adelige Gefinnung nicht
mangelt. Im Adel, dem der Herricher
entjpringt, muſs die Individualität
des Volkes ſich ebenmäßig ausprägen.
Die Dohenzollern werden dem deut—
ſchen Volke erſt dann ganz angehören,
wenn fie etwas Hohenſtaufen geworden
ind.
Deutich, thiutisco heißt urfprüng-
ih: vollsthümlich. Der Ausprud
„Boll“ kommt von Gefolge; Fürſt
bedeutet wörtlich der Vorderſte. War
ursprünglich der Vorderſte, der Führer,
gewählt, jo ward der Nachkomme von
ihm ſchon als Führer geboren. Die
Kraft der Vorfahren ſummiert ſich im
legten Gliede. Man glaubt an Erb-
fünde, man follte auch an Erbtugenden
glauben.
Auch der erbgejeflene Bauer iſt
Arifiofrat, er fißt wie ein König auf
feinem Hofe und fein Volt ift das
Gefinde. Schiller war in Leitungen
und Gelinnungen ein Ariftofrat und
iſt doch der volfäthümlichite aller deut—
ihen Dichter. Der Volksgeiſt ijt eben
ariftofratifh. Das Bauernthum iſt
patriarhalifh organifiert, aus ihm
nur fann die Monarchie hervorwachſen.
Möchte man nicht aus demokratischen
Gründen mit dem Bauernthume co—
fettieren, jondern aus ariftofratifchen
Gründen es wirklich lieben! Der
Bauer fteht Gott und der Natur nahe.
Ein gottlofer Städter läjst ſich allen—
|falls ertragen, der Bauer aber muſs
fromm fein;
etwas Abjcheuliches.
ein gottlofer Bauer ift
Des Bauern mie des Königs
deal heißt: die Heimat. In diefem
Sinne ift der Deutfche vorzugsweiſe
Banerngeift ift
Die Preupen haben ftets Staats:
„Ideal“. Adel kommt von edel, und | gefühl gehabt, aber das Heimatsgefühl
der Edle ift kein Gegner des Niedrigen, | hat ihnen zumeilen gefehlt. Eine Ver—
nur des Gemeinen. Gemeinheit ift Uns | bauerung Preußens ift jehr wünſchens—
natur, Natürlichkeit ift Vornehmheit. wert. Immer auf das Gleichgewicht
muſs gejehen werden. Ein confervativ
angelegtes Volt foll liberal, ein liberal
angelegtes conjervativ regiert werden.
In eine geiftig Hochausgebildete Be—
völferung muſs Bauernthum, und in
ein Bauernland geiftige Eultur drin—
gen. Nicht „Menjchenrechte vom Him—
mel holen“, jondern Menfchenrechte
aus der Erde graben ift die Aufgabe
der Gegenwart — Erde ift Bauern—
thum. Die angenehmifte, die jchönfte,
die befte politifche Perjpective, welche
fih dem Deutſchen eröffnen kann, ift
die auf einen liberalen Ariftofratis-
mus. Das Baueruthum will und
braucht eine ariftofratiiche Regierung,
eine Monardie. Jener ſchwäbiſche
Baner im Jahre 1848 fagte: „mer
wollen d Republik mitem Großherzog
an der Spitz'!“ Schwaben! das Heißt
Sueven, die Schweifenden. Sadjfen,
das Heißt Saffen, die Sejshaften.
Das gibt zu denken.
Sit der Deutfche gefund, jo ift er
gut. Wer ein rechter Deutjcher ift,
der ift auch ein rechter Menjch. Keines—
wegs umgekehrt. Aus Erde ſchuf Gott
den Menjchen, aus dem Bauern könnte
man den Deutjchen machen.
Wenn das Bauernvolf nur mand-
mal um feine Meinung befragt würde.
Vollsmeinung ift eine andere, als die
fogenannte öffentliche Meinung.
Es ift ein alter Glaube, dafs
Geifter wieder lebendig werden, wenn
fie Blut trinfen. Der Geift der deut:
ſchen Bildung kann erft wieder lebendig
werden, weın er wieder Blut —
Voltstdum in fih aufnimmt. Aus
alten Hufeifen jchmiedet man die
beiten Zoledoklingen, aus alten Volks—
anſchauungen die beiten Geifteswaffen.
Die Inſtincte des Volkes find
tlüger, als die Sprüche jeiner Weifen.
Man kann Har und feicht fein, man
fan dunkel und tief fein. Dubois—
Reymond geht, Goethe bleibt.
Das Außere. In der Tracht der
Deutſchen muſs das Zwedmäßige und
das Buntfärbige wieder zu Ehren
lommen. Der Chlinderhut ift das
Rofegaer’s „Grimgarten‘‘, 1. Geft, XV.
Symbol der heutigen deutſchen Bil—
dung: farblos, hohl. Der Eylinderhut
ift unnatürlich, unkünftlerisch, ordinär,
Er ift, wie der Frad, Bediententracht,
der Deutſche muſs Mann fein. Der
Soldat, der Künſtler, der Bauer haben
noch zweckmäßige, jchöne, farbige
Tradt. So zeigt äußere Form inneren
Gehalt an.
Chriſtenthum! Die bisher höchſte
fittlihe Leiftung des Menſchenthums
beiteht darin, daſs Chriſtus aus Liebe
fein Blut vergojs. Boltaire fomnte
den Namen Ehriftus nicht ausſprechen
hören, ohne in moraliiche Krämpfe zu
verfallen. So auch das Merkmal einer
untergehenden, greijenhaften Gultur,
die allem kindlich Großen verſtänd—
nislos gegenüberſteht. Das Chriſten—
thum iſt in ſeinem letzten Grunde
Menſchlichkeit. Das Deutſchthum iſt
in ſeinem letzten Grunde Streitbarkeit.
Kreuz und Schwert! die Menſchlich—
feit will das Beſte, die Streitbarkeit
leiſtet das Beſte, wenn ſie jene ver—
theidigt.
Richard Wagner! Ihm fehlt der
Zug des Schlichten, Beſcheidenen, er
hat alles, nur keine Ruhe, er weiß
Leidenſchaften darzuſtellen, aber das
ſchöne Maß, welches Shakeſpeare und
die Griechen aufweiſen, iſt ihm ver—
ſagt. Seine Gefühle find raffiniert.
Shafejpeare war im Leben ein munz
terer Gejelle, Wagner war der „Mei-
ſter“. Einfalt und ftille Größe bietet
Wagner nicht, und doch ift diejes der
Kern aller Kunft und alles Volt3-
thums. Wagner fühlt ji perfönlich
mehr zu Schopenhauer, als zu Shafe-
jpeare hingezogen — das charakteri=
fiert. Wagner ift Romantifer, fein
Claſſiker. Er arhailiert, und zwar
weil er moderniliert, nämlich das
deutiche Alterthum. Jenes betäubende
und beraufchende Element, welches die
Wagner'ſche Kunſt jo jehr charakteri-
fiert, ift befonders undeutjch. Stein
echt deutjcher Künſtler hat es in feinen
Merken. Wagner kann troß jeines
Abſcheues vor dem Judenthum einen
4
gewiflen Zufanımenhang gerade mit
Meyerbeer nicht verleugnen, aber er
hat größere Fähigkeit als diefer, er
hat Meyerbeer übermegerbeert.
Unfere Wiſſenſchaft Hat ſich ver—
ſchachtelt in unzählige Specialſtudien.
Theilung der Arbeit, wo jeder das
Ganze thun, ſehen, fühlen müſste!
Natürlichkeit, Beſcheidenheit, Ein—
ſamkeit, Ruhe, Individualismus, Ari—
ſtokratismus, Volksthum — das find
die Heilmittel, die der Deutſche auf
ſich anwenden muſs, wenn er der
geiſtigen Miſere der Gegenwart ſich
entziehen will. —
Dieſe und ähnliche merkwürdige
Gedanken finden ſich in einem Werte,
welches unter dem geſuchten und un—
paſſenden Titel: „Rembrandt als Er—
zieher“, von einem Deutſchen, zu Leipzig
erſchienen iſt. Wir machen zu den
angeführten Ausſprüchen keine Bemer—
kungen, der Leſer möge ſich darüber
ſelbſt denken, was er will. Die kühne
Verworrenheit, im welcher die ver—
50
Werkes an. Das MWerf erregt in
Deutihland großes Aufjehen, der Ver—
fafler ift ein Norddeuticher, welcher
die Deutfchen des Nordens überaus
boch ftellt, die des Südens aber weder
berührt noch kennt. Am Liebften find
ihm die Holländer, Rembrandt nennt
er, wenn micht den größten aller
Deutſchen überhaupt, fo doch den
Typus der Deutfchen. Hätte der Ver—
fajjer ſich auch die Oberdeutſchen in
Schwaben, Baiern und Oeſterreich ein
wenig angejehen, er würde in mans
chem anders geurtheilt haben, vielleicht
wäre ihm fogar der deutiche Profeijor
in etwas günftigerem Lichte erfchienen,
al3 dies im Norden, befonders in
Berlin, der Fall war. Das Buch ent—
hält Paradorismen auf jeder Seite
und zugleich Herrliche Gedanken auf
jeder Seite. Es ift eine neue refor-
matorijche, wenn nicht revolutionäre
That. Deutſche Wiedergeburt! Diefer
Titel würde dem Bude fiten. Erd—
geruch wie auf einem frifchgepflügten
fchiedenartigften Gedanken bier zu- Felde fteigt auf aus dieſem Buche,
fammengeftellt find, deutet wohl auch | und ein ganzer tapferer Kerl iſt's, der
die etwas falope Schreibweife des es gejchrieben. R.
Bergfrieden.
Eine Spazierfahrt in den Alpen von P. R. Rofegger.
6
9}
3}
Er
J
geladen,
553
<A" Juni d. 3. wurde ich ein= |wohlangebautes Thal, das viele Ort»
einen berühmten
Ichaften Hat und ſanft auffteigende,
© vGreund zu beſuchen, der weit mäßig bohe Berge zu beiden Seiten.
oben im Gebirge wohnt.
ı Dann ein ftattlicher, ftahlgrauer Fluſs,
Alſo machte ich mich eines Schönen | dem man eine halbe Stunde lang ent=
Morgens auf. Ihr kennt fie, die'gegenfährt. Auf diefer Strede zwei
rollenden Reifen mit den Engels- | blühende Landftädte. Bald biegt die
flügeln, die ungeheuerliche und zu—
gleich glückliche Berfinnbildlichung des
eilenden Dampfwagens. Auf fol
beflügelten Rädern flog ich davon.
Anfangs gieng's dur ein Tonniges,
Eiſenſtraße nah rechts in ein Thal,
deſſen Berge ſchon höher auffteigen zu
glatten Almen oder zu kahlen, braunen
Kuppen und einzelnen Felsriffen. Im
Thale ſelbſt geht auf dem Höhepunkt
5 a A { u
an
: ⁊
einer Waſſerſcheide der Ackerboden in
moorigen Wieſengrund über, Her—
nach wieder ein anderes breites Thal,
das ſich von Morgen gegen Abend
zieht. Da ſtehen in lichtem Höhen—
rauche die felſigen Berge, wovon einer
ſich wuchtig und ſchroff in die Wolken
erhob. Die Ortſchaften können nicht
mehr mitten im Thale ftehen, weil
fie dort im Moore verfinten müſsten,
fie ſchmiegen fich lieber an die Berg—
ſohle. Auf Moorgrund weitum zer—
ſtreut zahlreiche Heuhütten. Ein ſchöner
großer, grünlich ſchimmernder Fluſs,
dem mir ſtundenlang entgegenfahren,
bis er fih im Alınbereiche fachte ver-
liert und wir in ein anderes Waſſer—
gebiet gelangen. Die Bauernhäufer
find bier ſchon nad) Schweizerart ge—
baut, mit flachen, fteinbefchwerten
Schindeldächern und Glodenthürme
hen. An einer Stelle Ausblid auf
Gletſcher. Der Zug rollt über Brüden,
durh Zunnele in ein tieferes Thal
nieder, da gibt’3 ein großes, lehm—
graues MWaffer, da gibt's die ſchlanken,
jpigen Tiroler Kirchthürme, da gibt
e3 ſenkrecht auffteigende, zerriſſen—
wändige Felsberge. Die Richtung
geht gegen Abend, an einer alten,
aber noch immer wie drohend ſtar—
renden Bifchofsvefte vorüber, dem to=
jenden Waſſer entlang in eine groß-
artig wilde Schludt, eingeengt zwischen
bimmelanfteigenden Wänden, eine
Wildnis, die fih ſchwer auf unfer
Herz legt. Endlih ift anders nicht
mehr vorwärts zu kommen, da durch—
bohrt die Bahn einen Berg und nad
langem unterirdifchen Rollen gelangen
wir hinaus in ein breiteres Thal,
wo neben Eijenbahn und Fluſs auch
wieder Matten, Felder und Schöne
Ortichaften liegen. Vom Fuße eines
Berges herüber rauscht es wie ein
Wafjerfall. Das Dampfrojs eilt weis
teren, lichteren Gegenden zu, die
Berge werden niedriger und niedlicher,
zur linfen noch ein zerrifjenes Ge—
birge mit reichjtem Sagenkranze;
rechts eine janfte Bergfuppe, auf
51
ZU — — — — — — — —
— — — — —— — —
deren Spitze ein leuchtendes Gebäude
ſteht, zu welchem keck und friſch eine
Eiſenbahn emporſteigt. Zwiſchen dieſen
beiden Alpenausläufern liegt am
grauen Fluſſe eine Stadt, mit ihrem
Bergcaſtell maleriſch wie das tempel—
gekrönte Athen.
Hier verlaſſe ih die Eiſenſtraße,
welche hinausgeht ins Dügelgelände,
in die Ebene gegen den großen Strom.
Auf einer Keinen Seitenbahn, deren
verfäumter Dampfwagen nöthigen—
falls mit einem flinfen Einfpänner
einzuholen ift, durchraſſele ich Die
Stadt, berühre auf weiter Fläche
Dorf um Dorf, Schloſs um Schlofs,
auch einen herrlichen Garten, in wel—
chem Neptun feine Taſchenkünſte treibt,
und komme endlih an den Fuß des
wilden Berges mit der Sagenmeihe.
Hier fteige ich in einen Stellwagen,
der in das bewaldete Engthal biegt
und aufwärts führt an einem fchönen,
Haren, breiten Alpenwaller. Zu einem
Flecken fomme ih, der im Engthale
liegt und der vor etlihen Jahren in
einen See verſinken musste. Solder
See hatte jih eines Tages gebildet,
weil, durch einen Bergfturz unterhalb
des Ortes gehemmt, das Waller nicht
abfliegen fonnte. Im Hintergrunde
des anfteigenden Thales dämmern
finfterblaue Bergriefen, denen ich zus
fahre. Das Thal weitet ſich, aber
der Abend ift augebroden und der
große, weitberufene Ort, der zerfireut
auf Hügeln und Höhen liegt, winkt
mir in feinen Lichtern zu.
In dieſem Orte erwartet mich der
Freund mit feinem Wagen. Wir
fahren noch ein halbes Stündlein in
die Naht hinein; manchmal raufcht
der Fluſs, manchmal noch blinkt eine
Felätafel nieder und das Abendroth
verglost langſam Hinter den finiteren
Baumwipfeln, die über unferen Häup—
tern find. Am Wege ein blaſſer Holz—
pfahl, an welchem es vor Jahren ver—
findet worden tar, dafs der Freund,
der nun geruhig an meiner Seite
fit, nach romantifchen Stürmen fein
4*
az
-
Meib gefunden. Wir fahren in Schlafgemadh. Bevor er mich ver—
düfteren Wildnis und die ſchwarzen ließ, ſagte er: „Freund, morgen,
Wuchten der Berge engen immer mehr | wenn du aufgeſtanden fein wirft, thue
den Sternenhimmel ein. mir den Gefallen und tritt dur
Plögliih Hält der Wagen. Wir |diefe Thür auf den Söller hinaus.”
fteigen aus, und don einer Anhöhe — In meinem Sclafgemahe war
herab winken bunte Lichter. „Damit trauliher Behaglichkeit finfterer
oben fteht fie, meine Klauſe“, ſagte Ernſt gepaart. llber dem Bette ein
der Freund. Wir fteigen hinan, Im | Raphael’icher Engelskopf, vor dem
Scheine der Lampen tritt aus der) Bette das Chriftushaupt vom „Lebten
Duntelheit ein ftattlihes Haus mit |Abendinahle* des Leonardo de Vinci.
fteilen Dacgiebeln und Thürmen. | An der Wand mit gothiichen Buche
Über dem Eingange das Wort: „Berg |ftaben tieffinnige und lebenablehnende
frieden“. Am Söller fteht livrierte | Gedenkſprüche. Alfo: „Ich will allein
Dienerihaft mit Lichtern, und die ſein.“ „Werde ftarr, wie dort vor
Quaderſtufen nieder fteigt eine ſchlanke, dir der troßige Feld.“ „Und fiehe, es
herrliche Frauengeltalt, den Ankömms war die Stimme eines Predigers in
ling zu begrüßen, Ich werde Hinein= [dev Wüſte.“ „Ruhm ift eine Quelle
geleitet in die mit Teppichen üppig |von Leiden, Dunkelheit eine Quelle
bededten, mit jchwellenden Ruheſitzen von Glück.“ „Den Gößen ftürze, den
beftandenen, Hell erleuchteten Räume, Gott gib dir ſelbſt.“ — Bald glitten
bin anfangs geblendet von der Farben- die ſchweren Gedanken ab von meiner
pracht, die überall ihre bunten Guten |frohen Seele und ich fchlief.
jpielen läjst. An den Wänden kunſt— Am nächſten Morgen, als mein
voll gefchnigtes Getäfel, Gemälde, | Auge aufgieng, badete ich im einem
Seltjamteiten aus verjchiedenen Län- hellen, goldigen Lichte. Wo kam es
dern und Zeiten, weiße Marmorge- |her? denn das Gemach hatte fein
bilde clafjifscher Kunft. Der würdige Fenſter. Es kam vom Dache herab,
Zeus und die erhabene Ballas Athene, durch einen rothen Borhang janft ges
die finnenwedende Aphrodite und der |dämpft, jo dafs alles, was um mich
Ichalthafte Amor — fie alle find da war, in Roſen blühte. Ich öffnete
in Geftalt und im Geifte. Daneben Jeine Thür und trat auf den Söfler
prangende Palmen, darüber duftendes | hinaus. — O Sommermorgens= Herr:
Tannengewinde, davor Alpenrofen und lichkeit! Auf grüner, thaufunkelnder
Edelweiß. Das alles und vieles an ! Matte, nad dem Berge hin in einem
dere ift jo berüdend, überwältigend | Halbkreis don mächtigen Ahornen und
und gemüthlich zugleich, das ich es Fichten umgeben, ſtand das Haus.
am beften bezeichne mit dem Worte: | Da unten ein weites Thal mit Wald-
Ein Neft der Schönheit. Schluchten und Hochebenen, beftanden
Und im dieſem Hauſe, genannt von Banernhöfen und Herrenhäufern,
„Bergfrieden“, herricht ein moch ju= Jim Hintergrunde Waldhöhen, Almen
gendlihes Paar, deſſen Haupt mit und graue Feldwände, dazwiſchen eine
einem Lorbeerzweige gekrönt ift. Auf tiefe Thalſcharte hinaus ins ebene
unferer Wanderung duch die Räume Land. Gerade vor mir über Buchen⸗
des Hauſes kamen wir endlich in ein und Ahornkronen, hinter einem ein—
Gemaͤch, in welchem der Tiſch gedeckt zigen Vorberge ſteigt ein zweihörniges
war zum Abendmahle. Beim Rubine Felsungethüm in die Himmelbläue an,
des Meines feierten wir unſer Wieder- und unterhalb der Hörner, wovon das
ſehen. kleinere ſcharf und ſpitzig, das größere
Um Mitternacht führte der Haus- maſſig und ſtumpf iſt, ein blinkendes
herr mich hinan die Treppe in mein Eisfeld.
|
Diefes Felſenungethüm ift der
Watzmann. Ih bin im Thale von
Berchtesgaden, in der nächſten Nähe
des Königsſees. — Wenn du, mein
Leſer, verlangft, daſs ih dir die
Schönheit diefes Morgens und diejer
Gegend bejchreibe, jo mufs ich lachen.
Das geht nicht, Freund. Hundert
Federn und taufend Pinfel haben fich
Thon abgenüßt im diefem Vorhaben,
und doch rollen da unten die glatte
Straße im Sommer täglih zahllofe
Wagen don Leuten, die aus aller
Melt herbeikommen, um, mijstranisch
gegen Wort und Bild, mit eigenen
Augen zu fehen.
Meine Stimmung wurde aud
noch durch Auperordentliches gehoben.
An jenem Morgen um zehn Uhr be=
gann eine Sonmnenfinfternis, die aus
dem urgewaltigen Feuerrade ein freunde
lich leuchtendes Mondkipfel machte.
Ein klein bifschen wällerig und
mattfarbig mar das Licht im Ge-
birge; doch wer die Sounenfinſternis
nicht aus dem Kalender wufste, in der
Natur Hätte er fie kaum bemerkt; und
dennoch war die Sonne — durch dunkle
Gläſer beſchaut mehr als zur
Hälfte dahin. So viel UÜberfluſs hat
fie noh an Licht und Wärme. Und
das ift mir ein rechter Troſt, troß
mancher Verfinfterung: „Die Sonne
Homers, fie leuchtet auch uns.“
Gegen Abend mit dem Freunde
einen Spaziergang zum Königsſee.
Die Straße glatt, wie mit Asphalt
gepflaftert, duch ſchattige Waldſchachen
und über Miefenpläne, auf welchen
mancher hausgroße Felsblock liegt,
der don hohen Bergen einft mit
Rieſenſchritten Herabgejprungen ſein
mag. Am See links entlang einen
Waldſteig bis zur Stelle, wo eine
Bank zum Sitzen iſt und der See ſich
in ſeiner düſteren Pracht aufthut bis
nach dem Jagdſchloſſe von St. Bar—
tholomä. Das Plätzchen, wo wir
ftehen, Heißt der Malerwinfel. Hier
it der Ursprung der
53
unzähligen |
Königsfeebilder mit den fleilen Bergen
an beiden Seiten des Sees, mit der
zjweithirmigen Kirche in St. Bartho—
lomä, mit den Vorwänden des Waß-
mann, des Gotzen, des großen Hundes
tod, des Steinernen Meeres und des
Horn. Eines der großartigjten, dü—
ſterſten Landjchaftsbilder der Erde,
vorwiegend die finjterblanen Schatten
des Seefpiegels, der bewaldeten Berg
hänge, der flarrenden Felswände.
Aller Glanz des Himmels, alles
Wolkenleuchten, alles Alpenglühen der
Hochzinnen vermag es nicht, die blaue
Dämmerung zu bredden, die über diefer
Ihaurigen, mit Waller gefüllten Ge—
birgsipalte herrfeht. Hie und da das
Toſen eines Wafjerfalles, der Piſtolen—
fnafl eines Schiffers und der Wieder-
ball im den Wänden, das Krächzen
des Geiers, vielleicht au das von
Gemſen Tosgetretene Steinbrödeln
unterbrechen die Stille des Sommer—
tages. Ein anderes Lied, wenn e3
Sturm gibt! Da wird der fonft
fpiegelglatte See jelbft zu einem Ge—
birge mit hohen Wogen und Giſcht—
fämmen, deren weiße Fetzen don der
Moge losgerifjen in den Lüften fliegen,
Mein lieber Genofje erzählte mir von
einem Fährmann, der von Bartho-
lonä nah SKönigsfee herüberfahren
wollte auf feinem Boote. Da kam
von den Gebirgen ein Sturm nieder-
gefahren, der lieh das Schifflein nir-
gends landen; von den wenigen
Landungsplägen, wo es anfahren
wollte, warf er es zurüd in den wild—
brauenden See, auf welchem der Fähr—
mann eine lange, jchredlihe Nacht
zubringen mujste. A’ fein Anſtrengen
war vergebens auf den rajenden,
frahenden Waffern, Nebel, Regen und
Nacht, alſo dreifah war er einge:
wölbt in fein Verderben. Er ließ die
Ruder aus der Hand ſinken, denn
die armſelige Menfchentraft war
fächerlich gegenüber den entfeilelten
Urgewalten. Er legte fih der Länge
nad in das Boot, umabläflig begofjen,
geſchaukelt, hin- und hergeworfen im
fellerfinfteren Chaos; und troß des
va
rn
54
wahnſinnigen Getöſes — ſo hat er
nachher erzählt — hörte er die Engel
in Himmel ſingen. Aber das Fahr—
zeug wurde nicht umgemworfen, micht
an die Klippe geichleudert, es ver—
ſank nicht und es barft nicht. Als
der Morgen fam, gelang es dem Marne,
am Fuße des Gobenberges zu landen
und einem Almer rief er zu: „Sch
dent’, Alter, heut’ bin ich um einen
Ihaler mehr wert, als geitern !“
Im Malerwintel, zwiſchen ftrups
pigem Gebüfche und fantigem Ge—
völle fahen wir auf einem Steinblod
und blidien hinein über den dunklen
Geejpiegel in die zerrilfenen Berge,
die drinnen beim noch wilderen Ober-
fee aufftiegen. Wir faßen da und
Ihmwiegen. Wir fchwiegen lange. Zwei
arme, bilflofe Menfchenwejen in der
grauenhaften Wildnis, zwei heiß—
pochende Derzlein zwiſchen ungeheuren
Steinwuchten. Denn dieſe Wild-
landfhaft am Königsfee ift nur ein
Gleichnis für die große Wildnis diefer
Melt. Selbit das leidenfchaftlichite
Weſen mujs zu folder Stunde feine
Fahne fenfen und capitulieren...
Auf dem hohen Göll lag ſchon
das Alpenglühen, als wir unferen
Heimweg antraten, und vom Thurme
zu Berchtesgaden Hang leife die Ave:
glode herüber, al3 wir die Anhöhe
hinaufftiegen zu dem dreigiebeligen
Haufe, das mit jeinen Sprüchen und
aus Holz gefchnigten Emblemen, mit
feinen Epheuranken und Rofen ein
architeltonifches Gedicht ift, genannt:
„Bergfrieden“.
Auf einem der Dachgiebel hockt
ein hölzerner Kater und ſinnt. Dar—
unter an der rechten Ede iſt ein
hölzernes Herz und in der linfen ein
Bündel Pfeile. Und der Kater Hidi—
geigei ſinnt darüber nad), wie es wäre,
wenn das Herz plößlid von Amors
Pfeilen getroffen würde. O du lieber
Skater Didigeigei, wenn das Herz von
Amor: Pfeilen getroffen wird, jo iſt
das eine ganz eigene Sad’! Mander, |
der im Bergfrieden geraftet, weiß da—
von ein Liedel zu fingen, Einer, der
darin Haust, darüber eine Tragödie
zu Fchreiben, und wenn die Tragödie
aufgeführt wird in Berlin oder Wien
oder Graz, jo beben Weiber und
Ihluchzen Männer...
Wer an den tiefen Ufern des
Königsfees geftanden, der möchte wohl
auch auf einer Berghöhe ftehen in der
Berchtesgadener Gegend, um die groß—
artige Alpenlandichaft auch von oben
zu ſchauen. Wohlan, folge mir. An
Ichattigen Waldwegen führe ich dich
hinan und immer binan, bis dort,
wo die Fichten aufhören und die
Legföhren anheben. Auf der Alm—
matte, 1000 Meter hoch, ſozuſagen
auf dem Schoße des hohen Göll, fteht
ein ftattliches Hoſpiz, eine großartige
Herberge für Zouriften, Sommer:
frifchler und Luftcurgäfte. Die Pen—
ion Moriz, auch das baieriſche St.
Moriz genannt, Bon diefen Hauſe
ans welch ein Bild! Da unten in
dem reichgegliederten Thale das über-
aus malerifhe Berchtesgaden, dort
drüben das langgezogene Lattengebirge
bei Reichenhall, und gerade vor uns
— Brut an Bruit Steht er uns
gegenüber — der ftarre, graue, zer—
tifjene Untersberg, in welchem Kaiſer
Rothbart geſeſſen bis zu dem Tage,
an dem im Schloſſe zu Verſailles
auf das Haupt des Kaiſers Weißbart
die deutſche Kaiſerkrone geſetzt ward.
— Und rechts hinaus, am Unters—
berge vorbei, liegt die Ebene mit der
ſchönen Stadt Salzburg.
Doch nicht allein der Ausblick,
auch der Einblick iſt intereſſant bei
der Penſion Moriz. Ein verein—
ſamtes Weib aus dem Volke, welches
Schiffbruch gelitten hat an ſeinem
Glücke, beſchließt, auf unwirtlichem
Berge den Boden urbar zu machen
und ein Hoſpiz zu gründen für
Fremde, Kranke und Naturfreunde,
Sie ift arm und ohne Einflufs,
hunderterlei Widermärtigfeiten ſtellen
ih ihr entgegen, aber fie hat einen
ſicheren Blid, eine fefte Hand, ein
5
ſtarkes Herz, fie iſt eine Brigitta-raſch niedergefloſſen über das Eisfeld.
natur nah Adalbert Stifter, und es
gelingt ihr, die Matten zu ent—
fteinern, die Moore zu entwäſſern
und auf hohem Alpenplan eine Ans
ftalt zu gründen, welche hunderte von
Bewohnern Fast und troß des Furzen
Beſtehens ſchon weit und breit be=
rühmt if. — Der Förfter Mayer zu
Reichenhall, jo wird erzählt, hatte in
feinen späteren Tagen Anmwartichaft
auf einen Sproffen befommen. Er hatte
gar Fräftigen Willen und bejchlofs,
den Snaben, wenn er erfchiene, auf
den Nanıen Moriz taufen zu lalfen.
Aber ftatt des Knaben erjchien ein
Mädchen, alfo taufte er — weil fein
Wille galt — das Mädchen: Moriz.
Und dieſes Mädchen Moriz Mayer
ift die tapfere Gründerin der großen
Penfion geworden, welche auf dem
grünen Mattenſchoße des hohen Göll
fteht und freundlih Hinausleuchtet
über Berg und Thal. Die ftattliche
Jungfrau don achtundvierzig Jahren
führt die Zügel der Wirtſchaft mit
jiherer Hand, ſtramm und urwüchſig
in ihrem Weſen macht fie nicht viel
Aufheben: von den Vorzügen der An—
ftalt; freundliche Zimmer, gute Betten,
Fichtennadelbäder, herrliches Quelle
waſſer, nahrhafte Koft verfpricht fie,
Luft und Sonnenjchein gibt der
Herrgott vom Himmel dazu, und fertig
iſt's. Stein befradter Stellner, feine
franzöfiiche Speifelarte, fein Clavier!
Wohl aber Kugelbahn, Schützenſtatt,
und wer mit der Welt fhwahen will,
Fernſprecher nad Berchtesgaden und
jo weiter. Mancher ftieg hinan auf
einen Tag und blieb wochenlang
oben.
Mir zog ſich leider die Nebel-
haube zu früh über Augen und Naje
herab, da kroch ich thalwärts zum
lieben, einfamen „Bergfrieden“. Dort
vom Söller aus war num zu beob=
achten, wie ein Weltuntergang ans
hebt. Zwifchen den Hörnern des Waß-
mann hatte ſich anfangs ein bleigrauer
Nebelballen hervorgedrängt und war
Ebenjo ſanken die Wollen herab
an den Hängen des Jenner, des Hoch—
falter, des Lattengebirges. Der Unters—
berg war gar nicht mehr da, nur jeine
Sohle ſah man noch als finfterblauen
Streifen. Ganz dunfel war e3 ge=
worden, und doch erjt Frühnachmittag.
Regungslos jeder Halm auf der
Matte, jedes Blatt am Epheu der
Hauswände. Bon der Schludht her
ein dumpfes Braufen. Soll das der
See fein? Plötzlich ſpringen aus
finftergrauer Nebelfläche weiße eben
hervor, wie ein Gifchten der Wolfen
malen ift es. Da heben dort drüben
die Wipfel an zu wanken, heftig an—
einander zu Schlagen. Die Diener:
Ichaft des Haufes eilt, alle Läden zu
Ichliegen, Lichter werden angezündet
wie am Winterabende, und jchon ift
es da. Laut ftöhnt der feite Bau,
als die erfte Sturmmoge anprallt, die
Fugen der Läden entzünden ſich grell
— der erfte Blisfchlag, und nun
geht der Tanz los. Als ob taufend
Fäſſer Sandes niedergejchüttet, ange—
chleudert würden ans Haus, jo raufchte
und prafielte es, von den Blitzen mur
der Schein, nicht der Donner, denn
der erjticdt in dem Getöfe des Regens
und des Dagels.
Meines Freundes Geliht war
blaf3, als wollte e$ jagen: Morgen
fan diefes Haus eine Ruine fein,
Hatte er es doch auch in feinen
Romane „Bergafyl” fo aufgefchrieben,
und die Denkſprüche diefes Hauſes
find fo düſter wie der Wetterhimmel.
— Eine Stunde jpäter fchien Die
Sonne. Emfig floffen die Gießbäche
ab, an den Dachtraufen lagen Schichten
von Heinen Hagelkörnern, aber die
Matte war grün geblieben. Leichte
Wolken ftiegen auf, und vom Unters=
berg über das Salzahthal hin jpannte
fih ein Regenbogen.
„Richard“, jagte ich zu meinem
Freunde, „To gebt es oft in dieſem
Leben. Manchmal glaubt man, alles
ſei verloren, aber das Leben ſiegt und
die Sonne fiegt. Du fagft es jelbft, | ©, re a — *
a Fr 1 'Mie haft zur Natur aud die Kunft gepaart,
er ke re u —— Zum Himmel die Erde, zum Walde die Welt,
rant und Die Ak iche Maria- Grüner Sn deiner Klauſe ein Weib dir gejellt.
Sonne bei Graz wieder gefund gemacht. | Ein herrlies Weib im trauten Nefte
Die Sinnfprühe auf deinem Haufe für —— —
flimmen nicht. Sie taugen nicht zum | 1m tm Derzen, Im Sinn, Vor zwei,
Leben, nicht zum Schaffen, nicht zum al BE nn
Glücklichſein. Laſs fie ftehen an der
. n Freund Richard legte lächelnd
Wand als ein Denkmal wetterfhwohler | nen Kom um den Naden ber Stau
Zeiten, und von mun an jchreibe A j
deine Gedanken auf die grünen Blätter] Velanie und im ben Zweigen ber
Buche fang ein Fink.
der Bäume, auf die bunten Blätter
der Blumen, da erfcheinen fie neu Am nächſten Morgen wanderte id
mit jedem Frühling wieder. Ei fiehe, | unter ZTücherjhwenfen davon. Auf
was fieht denn auf dem Stamme | Wiederfehen, wenn die Trauben reifen!
diefer Buche gefchrieben ?
Auf Wiederfehen im lieblihen Graz !
Wie ihnen der Schnabel g’wadfen.
Trutz- und Lieb’sgfangeln aus dem Volle der Alpen.
Al ?
wa Iuftger Buab bin ih,
If Trinf ah gearn an'n Wein
S5y Bin überall ſchuldig,
s Darf nirgends recht 'nein.
Beim Lambl oan'n Guldbn,
Beim weißen Nojs zween,
Wia wiard's m'r afn Sunndag
Beim Hirſchnwirt gehn?
* ⸗
*
Dais die Bauern Bauern fein,
Des macht da Pfluag,
Und dajs die Buabn raufhig wern,
Machts Bier in Kruag.
[3 *
*
An der Schneid hat's ma nia gfehlt,
Aber öfter an Geld;
Is ma liaber, loan Geld,
Als koa Schneid auf der Welt.
+ *
*
Wan ib an Übderl hätt,
Das fih net rührt,
Des lieh ih mer ausjchneibn,
Dais 8 mih nit irrt.
Wann ih ins Zillerthal eini geh,
Leg ih mein Gamshoin an,
Und wann mih mei Diandel in der Kirchen
ſicht,
So ſchaut fie loan Heil'gen mehr an.
v *
*
Wenn dein Herz a ſo treu wär,
Und ſo wahr, wia das mein,
So müſste dei Schweſta
Mei Schwagerin ſein.
* *
*
Den Schnee an der Sonn dörrn
Und den Wind in a Kiſten ſperrn.
Und ein’ Kahlkopf glatt jcheern,
Des Ta feiner erlern’'n.
* 3—
*
Und der Türk und der Ruſſ',
Die zwoa gehn mi nir on,
Wann ih no mit mei Diendl
Koan Kriegshandel bon.
* *
*
Mei Schatz is a Schneider,
Is ſchön, aber klein,
Der fiel uns bam Eſſen
An die Suppenſchüſſel nein.
Da lag er in der Suppen,
Mir han nit dergudt,
Da bat n met Pater
Mit hinuntergeſchluckt.
Mi dauert mei Schneider,
Mei Grant ift net 3
Y bob n im Herzen
tragen,
Un mei Vater im Magen.
Luftig madt durftig,
Macht n Geldbeutel leer,
Ah, wenn dod mei Geldbeutl
A Kälberfub wär.
* *
*
Und 8 Bier und ih jelber,
Ih jelber und 8 Bier,
Mir fein Kameraden,
Die Iufligften vier.
* * * *
*
Mei Diendel is zu jehr betrilabt,
Sie jagt, ih hätt's zu ſehr geliabt, |
Sie ftedt ihr Fürtuch hin und her, Wenn d’ abbreden thätft,
Doch hilft derweil kein Steden mehr. | MWärft zum Antnüpfen 3 furz.
%*
* * *
“ *
Allweil luſtig, allweil frifch, Schön bin ih nit, reich bin ih wohl,
*
Hör auf a ſo z ſingen,
Du ſpannlange Wurz,
Luſtig, wer noch ledig is;
Zankt loa Mann und ſchreit foa Find,
|
Ledig jein is a loa Sünd, |
l
* *
*
Wan's regnt, do wird's naſs,
Und wan's ſchneit, do wird's weiß, |
Und was die Sterzing
er ärgert,
Des thua ih mit Fleik.
* *
*
|
Da droben auf der Alm
Hab ih Buſſerln gejät, |
Is an anzigs aufgangen,
MWenn’s nur reifen nit thät!
* *
r
Weiß ift die Holderblüch,
Alte Liab roftet nia,
Noftet fie ah bei Tag,
Bei der Nacht nia.
* *
*
Mei Diandel is kloan
Wie ein Zirbelnüſſel
Und ſo oft als ih's halſ',
So lacht's a biſſel.
* *
*
Wans Diandel zum fFenfter geht
Und fragt, wer draußen fteht,
Muck e8 mehr Buabn
*
Die Liab is a Diende
Der Verſtand is a Bua,
So gſcheidt er ah is,
Sie foppt ihn doch gnua.
* *
*
Der treuefte Freund,
Ten ans hat af der Welt,
Das is gar oft der,
|
|
|
babn,
Sunft thäts nit viel fragn.
I,
Der im Hof drunien belt.
's Liadel i8 aus,
Hab ganzn Beutel voll,
Gehn m’r drei Kreuzer ab,
Dass ih an'n Groſchen hab.
* a
*
Mei Vater hat gſagt,
Biſt a rechter LuUmmel,
Brauchſt alls zwenig Geld,
Wird alles voller Schimmel.
* *
Manchmal a biſſel luſtig ſein,
Manchmal a biſſel bein;
Aft woaß unſa Herrgott ſchon,
Wie mir's gern hättin.
* *
*
Hab zweierlei Flaſchn,
33 an jede von Glas,
Yür die Freud ane, fürs Leid ane,
Haltet jede a Maf.
* *
*
Wan's regnet und ſchneibt
Und Laubblätter treibt,
Wan's ſtark gwittern thuat,
Sein die Hausmenſcher guat.
* *
*
Je höher der Thurm,
Je ſchöner das Geläut,
Je älter die Weiber,
Je zäher die Häut!
=
*
Papiermünz wird gmadt,
Müaſſens nehma für Geld,
Derfen Erz foans mehr grabn,
Send zuviel Lumpn auf der Welt,
* *
*
Sie nir ſchön, er nir ſchön,
Wia wird's da amal gehn?
Er nir nuß, fie nix nutz,
Als wird verpußt.
’& wird neamma länger,
Der’3 länger will habn,
Muſs's zan Nagelſchmied tragn.
Auf der Herberge für arme Reifende.
Ein Zeitbild.
5)
nr
Hr der Abenddämmerung zogen
5— die Straße entlang zwei arme
3 Reijende. Der eine, ältere, war
über und über braun wie ein Mailäfer,
auch der vom ſchmierigen Rod ſchlecht
verdedte Hemdfragen war braun und
am linfen Bein endete die Hoje all-
mählich in Franſen, ehe fie noch herab—
reichte zum ftaubigen Stiefeltift. Unter
dem Arm trug er ein Bündel, das
gar feine ausgejprochene Farbe befannte.
Im jonngebräunten Gefichte war jelbft
das Weiß der Augen dunkel unters
laufen. An der Hand einen Snippel:
„Ich denke, die Berpflegsftationen
find doch nichts Schlechtes für reifende
Handwerksburſchen“, wendete der An—
dere ein, „da weiß einer, wo er hin—
zugehen bat, fein Eſſen und feine
Liegerftatt findet und nicht zu betteln
braucht.“
Der Braune warf dem aljo
Spredenden einen Blid zu, in welchem
die tiefite Verachtung lag; fo namenlos
verädhtlich kam ihm dieſer Menjch vor,
daſs er feine Auslaſſungen keiner
Entgegnung würdigen wollte. Endlich
aber ſiegte die Barmherzigkeit, welche
ſtock, das war ſein Um und Auf. Der dem Chriſten vorſchreibt, Irrende zu
andere, der jüngere, war beſſer bei—
fammen und trug auf dem Rüden ein
Felleiſen, wie ſich's gehört.
Als fie gegen ein Dorf kamen,
blieb der Braune ftehen und fagte:
„sh gehe nicht weiter. Dort fteht er
wieder, der verdammte Galgen. Ich
mach’ mich da bequem.” Und er legte
jih in den Straßengraben.
An der Straße fand ein Pfahl
mit einer Tafel, auf welder Folgendes
zu lefen war: „Das Betteln ift nad)
8 2 des Vagabundengeſetzes bei Strafe
von acht Tagen bis zu drei Monaten
Arreſt verboten. Arme Reiſende er—
halten in der hieſigen Natural-Ver—
pflegsſtation Aufnahme und Unterkunft,
woſelbſt auch Dienft und Arbeit zu
erfragen ift.”
Und das
Galgen“.
„Berpflegsftation, natürlich wieder
Berpflegsftation!“ brummte der Braune,
„Iſt auch wieder jo was Neumodisches,
wo der arme Handwerksmann nieder—
gezogen wird; deswegen fage ich, für
die armen Leut wird's alleweil Schlechter
anf der Welt.“
war der „verdammte
belehren. Er richtete fi daher ein
wenig auf, wendete das Haupt gegen
den unfeligen Sameraden, weldher an
der Straßenplanfe lehnte, und jprad:
„Edler Weber, du bift dumm wie ein
junger Hund. Eſſen und Liegerftatt
finden! Nicht bettelm müfjen! Und
glaubjt damit weiß Gott was Herr—
lihe3 gefagt zu Haben. Sei fo gut,
drüde der löblihen Gemeinde Staus
bing das Straßengeländer nicht zu
ſchanden mit deiner windſchiefen Weber-
figur. Müde bift? Ach glaub’ dir's,
ſchöne Seele. Gehe nur hinein im die
Berpflegsftation und raſte dich aus
nach dem weiten Mari. Geh’ nur
in die Leidensftation, Hi hi, mehr als
zwölf überdauert feiner. Das erfte ift,
das dich der Verwalter anjchnauzt
nach den Papieren. Nachher padeit fie
halt aus, deine heiligen Schriften und
Dffenbarungen. Unfereins wird für
einen Lumpen und Gauner gehalten,
jo lange fie nicht das Gegentheil leſen
auf dem Papier. Dem Lumpenblatt
glauben fie mehr, als unſerem ehr—
lihen Gefichte. Hundertmal könnt’ man
fie gerichtlich verklagen wegen Ehren
beleidigung. Nah dem Vagabunden—
gejeß werden wir behandelt, wir reis
ſenden Gewerbsleute, wir, der künftige
Bürgerftand! Ich ſag' dir's, Weber,
es iſt eine Bagaſch!“
Der Weber blickte den Entrüſteten
völlig verblüfft an.
„Höre“, jagte er zum Braunen,
„ich weiß nicht, Habe ich fo fchlechte
Augen oder einen ſo kurzen Berftand,
denn offen gejagt, wie du jeßt vor
mir daliegft, Drachsler, kommſt du mir
wirffih mehr wie ein VBagabund vor,
al3 wie ein Bürger.”
Der Braune lächelte gutmüthig und
jprad: „Das fommt von deinem fur-
zen Verſtand. Aber mach’ dir nichts
daraus, e3 muſs auch dumme Leute
geben. Kommft umfo leichter in den
Himmel. Und jebt geh’ in die Ver—
pflegsitation, dich ausraften. — Wie
du alfo in deinen Papieren für brav
befunden worden bift, und du denkſt:
gottlob, jet Krieg’ ich mein gutes
Nachtmahl und mein Bett, gibt dir
der Herr Verwalter die Säge in die
Dand und heißt’3 zwei Stunden lang
Holz jchneiden. Denn die chriftliche
Wohlthätigleit, die fie nachher jpäter
an dir üben, die wollen fie qut be=
zahlt Haben. Der Menſch — heißt es
in den Statuten jo hübſch — ſoll nicht
beijchämt werden, daj3 man ihm was
ſchenke, er foll ſich's redlich verdienen.
Holz jchneiden, pfui Teufel!“
„Mir iſt's aber doch lieber, als
Schnallen drüden und fi allerhand
Grobheiten jagen laſſen müſſen.“
„Lamm Gottes!“ rief der Braune
aus feinem Gras herbor, „die Grob—
heiten bleiben dir auch in der glor=
würdigen Berpflegsftation nicht aus.
Aber nach dem Holzichneiden kommt's
Nachtmahl. Wünſche wohl zu jpeifen,
meine Herrſchaften! Schwarze Bohnen
und ein Stüdel Brot. Geſtern Sauer:
fraut mit Brot, heute Bohnen mit
Brot, morgen Sauerfraut mit Brot,
übermorgen Bohnen, und jo fort bis
zum jüngften Tage. Gelobt und ge—
50
benedeit jei der Magen, der da fein
Loch kriegt!“
„Iſt die Bettelkoſt viel beſſer?“
fragte der Weber.
Der Braune richtete ſich noch höher
empor und eine wahre Würde um—
ftrahlte jein Wefen, als er nun fagte:
„Die Bettelloft ift ein Chriſttagseſſen
gegen fo was! da gibt’3 auch Knödel—
biffen und zFleiichrefteln, da gibt's
MWurftzipfeln und Gefchlader! Und
wenn eine Hausfrau juft ihren from—
men Zag bat, oder gar eine arıne
Seel’ zu erlöfen im Fegfeuer, jo be=
handelt fie dich wie einen Heiligen
mit Zalglichtjchein, und du brauchft
nichts zu verſprechen, als fleißig beten.
Und erſt gar die Kreuzer! Kann ins
Wirtshaus gehen, wie ein Freiherr!
Kriegft Schnaps in der Verpflegs»
ftation? Zum Kraut frijst er dich,
der Verwalter, wenn du auch nur
dentit an Schnaps. O wohlgeborner
Weber, jage jelbft, was iſt das für
ein Leben!“
„Man ift ja nur auf der Durch:
reife“, wendete der Weber ein, „man
bleibt gefund, Hat keine Anftände mit
der Polizei, die Dausthüren fliegen
einem nicht vor der Naje zu, wenn
man durch ein Dorf geht, ſogar die
Hunde heben einen nicht mehr aus,
als anftändiger Menjch geht man über
die Straße, und wenn irgendiwo Arbeit
zu haben ijt, da findet man fie."
Als er das Wort Arbeit ausſprach,
machte der Braune einen Rülpfer.
„ZTheurer Freund und Webergefell’,
du bift ein Philifter!“ rief er dann
aus, „Seit wann arbeitet ein reifender
Handwerksburſch'? Wenn er arbeitet,
ift er fein reifender Handwerksburſch'.
Unfereiner hat feine liebe Müh' und
Noth, dafs man durchs Yand kommt,
ohne einem Meifter "reinzufallen, weicht
den MWerfflätten aus wie einer Peſt—
grube, und du bift die liebe Einfalt
und fragft ihnen nad, ſuchſt fie auf!
Geh’ her, Heiliger Webergefell’, und
laf3 dir die Schuhipigen küſſen. So
etwas Holdjeliges habe ih Schon lang’
60
nicht mehr gejehen. — Haft deine
Bohnen endlih unter Dach gebradt,
alsdann nachher jchlafen gehen. Auf
einer PBritjchen euer zehn oder zwanzig
neben einander. Alle haben Nahtmahl
gegellen. Vergiſs nicht, die Fenſter
aufzumachen, Freund, ſonſt fteigt in
der Nacht die ganze hochlöbliche Ver—
pflegsjtation auf wie ein Quftballon.”
„Drachsler, du übertreibft.”
„Da bin ich dir ein Kerl!“ fuhr
der Braume fort, „die Nacht über
unter einem Heufchober, friſche Luft,
feine Hausordnung. Nicht des Mor—
gens Bettaufräumen müſſen, wie die
alten Weiber.“
„Und im Winter?“ fragte der
Weber.
„a, Thor! gibt's denn feine
barınherzigen Leut’ mehr auf der Welt?
Steine DOfenbänfe, feinen Heuftadl ?
Fröſtelt's Heute, jo Habe ih dafür
morgen zwei Deden und manchmal
noch einen Bolfter uud allerlei Sonſti—
ges. In der Station immer unter der
Zucdtruthe wie ein böjer Schulbub,
ewig dasjelbe, die Bräuche und Ein—
rihtungen überall gleich, als wären
fie in der Fabrik gemacht worden.
Süßer Junge, das ift langweilig!“
„Railonnier’ nicht, Drachsler, und
heb' did. Es finftert ſchon.“ Aljo
fagte der Weber, der andere aber
rüdte jih im Straßengraben zurecht,
hub an, ſachte ein Kicchenlied zu
pfeifen und that, als ob er in folcher
Lage zu mächtigen gedente.
„Run, jo behüt’ dich Gott!” ſagte
der Weber und gieng fürbajs in das
Dorf hinein, der Braune blidte ihm
mitleidig nad.
Leute, die dem Weber auf der
Straße begegneten, grüßte er artig
und fie dantten feinem Gruße freund-
(ih, jegt mujste er jich feine „Land—
plage“ mehr ſchimpfen laſſen.
In der Verpflegsſtation zu Stau—
bing waren ſchon mehrere Reiſende
beiſammen. Die einen hatten ihre
auf den Rüden zu jchnallenden Tor—
nifter, die anderen bargen ihre Habe!
im Handkoffer, welchen fie auf dem
Stode über der Achſel zu tragen
pflegten, wieder andere hatten Seiten=
tafchen, oder auch gar nichts bei jich.
Sie verrichteten verfchiedene Arbeiten,
einer jcheuerte den Fußboden, ein
zweiter fegte draußen auf der Gajle
den Staub weg, ein dritter kraute
aus dem Dorfbah den Wildwailer-
Ihutt hervor, ein vierter zerkleinerte
Brennholz für das Armenhaus, weil
für die Verpflegsftation der Bedarf
Ihon gededt war.
Unfer Webergejelle ftellte fi dem
Verwalter vor und überreichte ihm die
Papiere, welche diefer in Ordnung
fand. Der Berwalter fragte ihn noch,
wie viel Geld er in der Taſche habe.
„Fünf Gulden“, antwortete der
Meber.
„Dann bedaure ich“, fagte der
Verwalter, „unfere Anftalt ift micht
für Kröfuffe, jondern für arme Leute,
die weniger als fünf Gulden haben.
Diefer Mann Hier zum Beifpiel Hat
nicht einen Sreuzer in der Taſche.
Für ſolche find wir da.” Damit wies
er auf einen alten Halbkrüppel, der er=
Ihöpft in einem Winkel kauerte.
„Nachher machen wir’s jo“, jagte
der Weber, „diefem guten Freunde
ichente ich zehn Kreuzer. Da nimm. —
So, und num gehöre auch ich nicht
mehr zu den Kröſuſſen, fondern zu
den armen Leuten, die nicht fünf
Gulden Haben, und ich bitte um Her—
berge für die Nacht.“
Der Verwalter lächelte, denn einen
Mann, der nicht fünf Gulden bejißt,
hatte er nicht das Recht, abzumweifen.
Hingegen wurde ein meueingetretener
Reijender abgewieſen, der innerhalb
von drei Monaten jchon das zweitemal
vorſprach.
„Für Sie habe ih momentan nicht
einmal eine Arbeit”, jagte der Ver—
walter zum Weber, die Hängelampe
anzündend,
„Das macht nichts“, antwortete
diefer. „Sleine Arbeit ift mir eh zu
6]
wenig. Große, wenn Sie hätten für
mich.”
„Sie jind Weber ?*
„Zu dienen.“
„Der Webermeifter zu Sanct Joſef
braucht einen Gehilfen. Wollen Sie
Arbeit nehmen, jo können Sie morgen
früh hinüber gehen, es iſt eine Weg—
ftunde Hin.“
„Ih werde hingehen.“
Alſo hätte ich heute den zweiten.
Einen Schneider habe ih juft vorhin
bier im Orte angebradht. Jetzt habe
ich auch den Weber, und nun brauchte
ih noch einen Dreher,“
„Ein Dreher läuft draußen herum“,
berichtete der Burſche. „Wird ſich aber
nicht gerne abfangen laſſen.“
Mittlerweile war es Nachtmahls—
zeit geworden. Ganz wie es der er=
fahrene Braune vorausgejagt Hatte,
ed gub Bohnen und Brot. Aber die
Gäfte Liegen ſich's fchineden. Ein Sei»
lergejelle war dabei, der machte aller=
Hand Späfle, unjer Weber wujste auch
Etwelches anzubringen, und jo war es
ein ganz vergnüglicher Abend.
Da gab’s ihrer, die fortwährend
Allotria treiben, aber auch foldhe, die
ein verbifjenes Geſicht hatten und über
alles jchimpften. Es gab ganz cava—
liermäßige Jungen darunter, aber auch)
unjaubere Kumpane. Beim Nachtmahl
geflidt hätte, Der Berwalter Hätte
aber die Fliderei für nicht wohl an—
ſtändig erklärt und dadurch das junge
und hoffnungsvolle Verhältnis leider
untergraben. In der Station Ö gäbe
es Jagdſport wie bei Gavalieren,
Mäufe und Rattenjagden mitten in
der Naht; und in der Station D,
da wille man’s eh! Ein vazierender
Tiichler ift, der weiß von einer Sta—
tion zn erzählen, wo der Berwalter
eine Bücherfammlung hergerichtet hat
für feine Gäfte und ihnen an den
Abenden daraus DBorlefungen Hält.
Befonders gegen die ſocialcommuniſtiſche
Bewegung ſucht er zu wirken und
erklärt das Heiligthum von Mein und
Dein. Einmal nah langem Sermon
befragte er einen Bäderjungen über
das DVorgelefene und der Prüfling
gab zur Antwort: „Ich verſteh's Halt
fo: Was mein tft, ift mein, und was
dein ift, ift mein.“ Ein anderer, ein
reifender Böttcher, ſuchte diefe Lehre
praftifch auszuüben, beftahl aber dabei
ſich ſelbſt. Er wollte in der Nacht,
während im Saale alles ſchlief, aus
dem Beinkleid feines Bettnadhbars,
das auf der Bank lag, das Geld-
täſchchen ftibigen und jelbes im den
Sad feiner Hofe prafticieren ; vergriff
ih aber fo unfelig, daj3 er aus
feinem eigenen Beinkleide die Geld»
wurden Tauſchgeſchäfte betrieben, der taſche in das des Nachbars ftedte und
eine taufchte für Brot Bohnenrefte,
der andere für Pfeifentabat Eigarren
ein. Mancher Erfahrene erzählte Aben—
teuer aus der Fechtzeit, wie er Die
Bauern beihwagt und die Polizei
geprellt habe. Ein weiterer padte
Erlebnifje aus von anderen Verpflegs—
ftationen und ift jo Hug, Die gegen
wärtige, in der er fißt, als die beite
zu preifen, was der Verwalter nicht
übel vermerkt. So erzählt ein Schufter,
in der Stativu A habe er müljen
Kinder loden ; in der Station B habe
er mit einem Stameraden aus ber
weiblihen Abtheilung Freundſchaſt ge—
ihlofjen, indem er der Dame Die
Schuhe, die Dame ihm das Hemd
den Irrthum erft am nächſten Tage
einſah, als nichts mehr zu machen war.
Bei ſolchem Geplauder wurden
Belanntfchaften geichloffen. Da aud
ein paar reifende Weibsbilder da
waren, jo mufste der Verwalter end—
lih mit Nahdrud abfondern in Die
unterfchiedlihen Kammern und laut
die Mahnung geben zum Nachtgebet
und zum Schlafen.
Das Nadhtlager war wefentlich
beſſer als der Braune draußen es
dem Weber gefchildert hatte. Da gab's
Strohfäde, Strohkiſſen und Wollen-
deden. — Der König liegt aud nicht
beſſer, wenn er jchläft, dachte unfer
Weber, da jchlief er auch fon.
Am nächſten Morgen fragte der] auf dem Lande. Wir find der Bettler
alte Halbfrüppel (er hatte einen Erumz ledig und haben uns nicht zu fürchten
men Fuß), beim PBerwalter böflih | vor unzufriedenen und rachgierigen
an, wie weit es bis zur nächſten Gefellen. Die Heine Steuererhöhung,
Station wär? Ja dahin wäre es die wir für die Verpflegsanftalten
fünfzehn Kilometer, fo viel als vier) leiften, fteht in gar feinem Verhält—
gute Stunden. Dierauf die Bitte des | nifje zu den Auslagen, die uns das
Alten, ob er nicht noch einen Tag | Bettelmefen verurfacht hat. Und die
auf der Station bleiben dürfe, wenn | Reifenden Haben noch den größten
er dafür die zehn Kreuzer zahle, die Vortheil; fie werden befreit von den
er vom Weber zu fchenfen befommen | Bagabunden, denen das Handwerk
habe. Das konnte nun aber der Ver- | nun gelegt worden ift, fie finden auf
walter nicht zufagen, fogleih war der ihrer Arbeitjuche Pflege und Hut und
Weber da und fagte, weil er fo glüd= | auf kürzeſtem Wege Arbeit, ſowie auch
lich ſei, Arbeit zu finden, jo bezahle! der Urbeitgeber auf kürzeſtem Wege
er für den Alten die Herberge auf
drei Tage, was einen Gulden und
fünfunddreigig Kreuzer ausmachte.
Alſo könne der gute Mann ſich ein—
mal ein wenig ausruhen. Der Alte
bedankte fich taufendmal und meinte,
er werde ja ohnehin das lebte Biel
jeiner Wanderfchaft bald erreicht haben.
Er ſei Maurer, aber feit ihn ein
rollender Stein zum Krüppel gefchla=
gen, fönne er feinem Brote nicht
mehr recht nachgehen. die Bezirke, oder die Landesverwal—
Ein Schneider war vorhanden, | tungen, unter denen die Anftalt fteht,
der mollte es ſich nicht machlagen ſich vielleiht auch bewogen finden,
Arbeitskräfte finden Tann. Es ift ein
neuer Arbeitsmarkt errichtet für An—
gebot und Nachfrage. Schon jetzt ſieht
man weniger Schnapsſchänken, man
wird auch bald merfen, dafs es weniger
Diebftähle, Einbrüche, Raubanfälle, ju
jelbit Schadenfeuer gibt, als ehedem.
Der große Nußen, den die Naturals
verpflegsitationen nad vielen Seiten
hin gewähren, wird erſt allmählich
ganz erfannt werden. Danı werben
laffen, dafs die Weber großherziger | denfelben gegenüber weniger zu knau—
wären, als die Kleidermacher, er ſern, wohl bedenfend, dafs für une
Ichenfte daher dem Alten einen Ziwans | nüßere Zwecke mehr Geld ausgegebeu
iger. Das fahen drei ammwejende| wird, als für die Naturalverpflegs=
Schufter und fie übertrumpften den| ftationen, dafs aber diefe ihre Koſten
Schneider mit einem ganzen Gulden, | vielfach abjtatten. Meine Herren, ich
den fie dem Armen fpendeten. Diejer| fage Ihnen das, danıit Sie Ihr gutes
war voller Freuden und Dankbarkeit; | Recht jehen und den Bortheil, den
der Verwalter ſchlug mit geihtiger jegt jeder hat, der ein ordentlicher
Miene in feinen Statuten nad, ob Menſch ift. Den Bagabunden wird’3
e3 wohl erlaubt jei, auf der Verpflegs- unmöglih gemacht. Wir bedauerı,
ftation Almofen zu geben. Erlaubt war| Sie heute auf unferer Landestafel
es in den Statuten nicht, aber auch! nur mit Brot und Gemüſe bemirten
wicht verboten. Nun, jo nannte der) zu fönnen, Vegetariſche Nahrung it
Verwalter die Wohlthäter brave Leute, | zwar überaus gefund, doch hoffen wir,
Der Gemeindevorſteher erſchien, um anſtändigen Leuten, wenn ſie als Ar—
die Anſtalt in Augenschein zu nehmen. beiter reifen, dereinſt — wenigſtens
Auch ihm gefiel der Sinn der Anweſen⸗ an Sonntagn — auch ein Stück
den und er nahm nachher Gelegen= Fleiſch aufwarten zu können. So viel,
beit, Folgendes zu fagen: „Selten iſt was mit vollem Recht der gewöhnliche
etwas jo Gutes erfunden worden, Soldat hat, wird für den braveı
als die Herberge für arme Reiſende Gewerbimann, wenn er auf Arbeit—
Bi
ſuche ift, auch noch aufzutreiben fein.
Glückliche Reife, meine Herren!“
Ja gewiſs, das waren höflichere
Anipraden, als früher vor den Haus
thüren, wenn es über die „Stroldhe*,
das „Landitreichergelindel”, die „Tages |
und andere Diebe“ hergieng, während
mancher arıne brave Burfche ſich unter
Fauſt
den Erdboden hineinſchämte, daſs er
bitten muſſte um ein Stück Brot,
welche dem Hungernden wohl der
Ginzelne verfagen kann, nicht aber
der Staat,
feine Kinder zu forgen hat.
Bevor die Neifenden ihren Weg
unter die Füße nahmen, gab es in
den Papieren noch einzufchreiben, zu
beftätigen, anzumerken, jo daſs der
Burſche nicht allein in feiner eigenen
Taſche, fondern auch auf allen Sta—
tionen nach allen feinen Dimenfionen
und Abfichten feft und genau bejchries
63
ben ift und gar nicht in Berluft ge=
rathen kann.
US der MWebergefelle auf dem
Wege war nah Sanct Joſef, wo er
Arbeit nehmen wollte, führte auf der
Straße ein Gendarm den Braunen
dahin. Der gute Dreher Hatte das
Handwerfsburjchenleben auf eigene
nah alter Weife fortführen
wollen, und das war dem Gendarmen
nicht recht gewejen.
„Kamerad“, fo redete ihn nun
der jo oder fo für allejder Weber an, „dir war in der Vers
pflegsftation das Zimmer zu dunftig
und die Koft zu ſchlecht, wird's im
Stotter beſſer jein ?*
Der Braune ließ fein allzugroßes
Leidweſen merken, jo daſs der Weber
auf die tröſtliche Vermuthung kam,
das Land blide auf den Stotter mit
mindeftens jo großer Mütterlichkeit, als
‚auf die Herbergen für arme Reifende.
R.
Hans Makart und Rronprinz Rudolf.
Ss
’ d
3 war im Jahre 1873, zur Zeit
der Wiener Weltausftellung.
= Nach zwolfjahriger Trennung
hatte ich mich mit meinen Jugend—
freunden Hans Makart, Eduard‘
Kurzbauer, Gabriel Mar, Adolf
Weiß und Ludwig Barnah in der!
öfterreichiichen Kaiſerſtadt wieder zu—
fammengefunden. Makart und Kurz—
bauer, damals gerade in der Fülle
ihrer Schaffensfraft, waren zu Ruhm
und Anſehen gelangt, nicht minder
— und a (Baris) und auf
*) Aus dem Werlchen:
(8. Fiſcher. Berlin 1890.)
„D dieſe Künitler!“
Eine Erinnerung von Dofef Lewinsky.“)
anderem Gebiete Ludwig Barnay, feit
wir uns zuleßt gejehen; doc das
Band innigiter Freundſchaft, das uns
in Sturm und Drang wie in Luſt und
Scherz zuſammengehalten, Hatte ſich,
ob wir auch räumlich von einander
geſchieden waren, in der Zwiſchenzeit
nicht gelodert. Bei jo harmoniſcher
Grundftimmung konnte es nicht fehlen,
daſs wir, unfer Wiederfehen in der
berzlichiten Weife feierten und im
öfteren Beilammenfein jene Stätten,
an denen wir in unferer Jünglingss
Von Hofef Lewinsfy in Berlin.
|
1.
zeit fo gerne geweilt, mit befonderer
Vorliebe wieder auffuchten. In der
weiteren Umgebung der Kaijerftadt
hatten der Kahlenberg und der Leo-
pold&berg in jener Zeit zu dem von
uns bevorzugten Ausflugsorten gezählt.
Eine Fußpartie „hinauf“ galt uns als
der Gipfel unferer touriftifchen Freu—
den. Und wieder unternahmen wir an
einem herrlichen Julimorgen eine
„Partie“ nach jenen Höhen — dies—
mal Freilich nicht „zu Fuß“. Waren
wir doch mittlerweile faſt ſämmtlich
vornehmere und ſämmtlich — be—
quemere Herren geworden. Auch der
Vorratd an Speiſ' und Trank, den
wir im Magen Mafartö, von diefem
gefpendet, mit uns führten, unter—
ſchied fich nicht unmefentlich von dem
frugalen, aus einer gemeinfamen Bei—
fteuer hHerborgegangenen, einer de—
fecten Reifetafche anvertrauten Munde
vorrath, womit wir auf derartigen
Ausflügen ung einjt gern begnügten.
Und wieder fanden wir auf jenem
entzüdenden Ausſichtspunkt, der uns
den Anblid des wunderbarſten Pano—
ramas gewährte — die alte Staifer-
ftadt mit ihrem Hänfermeer, mit ihren
Kirhen und Baläften, mit ihrem
mächtig emporftrebenden Wahrzeichen,
dem alles überragenden Stephans—
thurm und dem majeftätifchen Strome,
der im Glanze der Morgenfonne doppelt
„Ihönen“ blauen Donau. Ein Städte:
bild, umvergleihlih und einzig im
feiner Art.
Und auf dem wiebdergefundenen
Lieblingspläghen im Schatten des
Waldes uns lagernd, riefen wir im
Austausch unferer Erinnerungen die
alte, troß mancher Entbehrungen
freudenreihe Jugendzeit zurüd, jene
Zeit, die nur Ideale, Thorheiten und
noch Feine Enttäufchungen kennt ...
Und beim lange der Gläfer ließen
wir auch die alten lieben Weiſen er-
tönen und aud die alten lieben, noch
underjährten Scerze wurden vorges
bradt — wie einft!
— r — — — — —— — — — —
ſein Gaſtſpiel mit den „Meiningern“
in Berlin als Marc Anton kurz zu—
vor „ſich ſelbſt entdeckt“ Hatte, ließ
ſich zur Declamation jener Hebbel'ſchen
Ballade („Der Haideknabe“) bewegen,
durch deren Vortrag der hoffnungs—
volle Mujenjünger den Freunden feinen
Beruf zur Bühne an derfelben Stätte
einft dargethan.
Mir ftanden noh im Banne der
mit echter Leidenschaft wiedergegebenen
Dichtung, als plöglid Kurzbaner aus—
rief: „Wir haben Zuhörer, Freunde!“
Wie elektrifiert jprang Makart auf
und rannte uns zu: „Der Kron—
prinz!...“ Schnell erhoben aud
wir uns, während Makart nun dem
jugendlichen Prinzen entgegeneilte, der
in Begleitung eines älteren Gavaliers
in unferer Nähe ftand und jebt mit
freundlichen Lächeln dem Declamator
applaudierte. Makart, deifen Ruf, troß
vieler Gegner feiner künſtleriſchen
Richtung, damals ſchon feit begründet
war, und der bei Hofe in hohem An—
fehen ftand (war er doch einer per—
fönlichen Einladung des Saifers zu
dauernden Aufenthalt in Wien ges
folgt), erfreute ſich der befonderen
Gunſt des jugendlichen Thronfolgers.
Mit Herzlicher Lebhaftigkeit rief Erz—
berzog Rudolf dem Meifter zu: „Aber
das ift ja ein reizendes Zuſammen—
treffen, lieber Makart, bier mitten im
Walde. Wir haben unferen Wagen
vorausgeſchickt, um uns bei dem präch—
tigen Wetter den Genufs einer Fuß—
partie nad Klofterneuburg zu vers
ihaffen, und nun fommen wir uns
verhofft zu einem Kunſtgenuſs im
freien.“
„SKaiferliche Hoheit, wir feiern ein
frohes Wiederjfehen, und das Tann
man wohl nicht beffer, al3 in Gottes
Schöner Natur. Geftatten Hoheit, daſs
ih Ihnen meine Jugendfreunde vor—
ſtelle ?“
Und mit der ihm eigenen Wärme
präſentierte Meiſter Hans dem kaiſer—
lichen Jüngling jeden einzelnen ſeiner
Ludwig Barnay, welcher durch | Freunde, Einige derſelben waren dem
kunſtſinnigen Prinzen aus ihren
Echöpfungen bereit3 bekannt. Mar
batte durch feine erften größeren Werke,
die „Löwenbraut“ und „Julia“, die
allgemeine Aufmerkfamfeit bereits auf
fich gelenkt. Kurzbaners jeitdem po—
pulär gewordenes Gemälde „Die er-
eilten Flüchtlinge“ war von der
Kaiſerlichen Galerie im Belvedere an—
getauft worden, und Barnay hatte
jüngft an der „Burg“ gaftiert. Kron—
prinz Rudolf, eine jugendlich elaftifche
Geftalt von etwa fünfzehn Jahren,
blond, mit geiftfprühenden, freund
lichen Augen, wuſste jedem der ihm
vorgeftellten Künftler etwas Verbind—
liches zu jagen. Aus jedem feiner
Worte gab fih eine jo urfprüngliche
Friſche und Lebensfreudigfeit, eine
allen Etifettenzwange abgeneigte Natur
fund, dafs man nicht den Erben eines
der mädhtigften Reiche, fondern einen
Jüngling aus vornehmen Bürgerhanfe
vor ſich zu ſehen glaubte.
„Bier iſt's jo Schön, meine Herren,
dafs ih mich am liebften bei Ihnen
niederlaffen möchte“, rief der Kron—
prinz mit jugendlichem Enthufiasmus
aus. „Nicht wahr, lieber Graf, wir
wollen hier ein wenig raften ?* wandte
fih der Erzherzog an feinen Gouver-
neur, den Grafen Latour, der fich
bisher etwas abjeits gehalten. „Das
heißt”, bemerkte der Kronprinz, ſich
zu uns twendend, „wenn's die Herren
erlauben.”
Wir gaben matürlid unferer
Freude, den jungen Prinzen in unſerer
Mitte zu ſehen, lebhaften Ausdruck.
„Aber nur unter einer Bedingung,
meine Herren”, jagte der Prinz. „Sie
verjprechen mir, fich unjeretwegen kei—
nen Zwang aufzuerlegen und ums
als zu Ihrer Gefellichaft gehörig zu
betrachten.“ Und mit ergöglicher Neu—
gier die lukulliſchen Herrlichkeiten
prüfend, die mittlerweile von Matarts
Diener auf einem weißen ZTafeltuche
ausgebreitet waren, fügte er Hinzu:
„Das muf3 Hier im Freien prächtig
Ichmeden !*
Bofeager's ‚Grimgarten‘‘, 1. Geft. XV,
65
„Wenn kaiſerliche Hoheit uns
die Ehre erweilen wollen, mit dem
Heren Grafen an unferem befcheidenen
Mahl theilzunehmen . . .*, ſagte Mas
fart etwas zögernd.
„D, mit Vergnügen, lieber Mei»
fter“, ermwiderte Kronprinz Rudolf,
„Wir Haben von unferem Marſch
Appetit bekommen, nicht wahr, lieber
Graf?”
Da unfer hoher Gaft fihtlih in
unferer Geſellſchaft ſich recht behaglich
fühlte, jo ſchwand auch unfererfeits
bald der legte Reit von Befangenheit,
und rüdhaltslos gaben wir uns der
feöhlichften Stimmung Hin. Bei dem
heiteren Austausch unferer Jugend—
erinnerungen lag es nahe, daſs mir
auch jenes Tages gedachten, den wir
zulegt an diefer Stätte zugebradt.
„Wiſst ihr euch noch des luſti—
gen Streiches zu entjinnen, den uns
unfer lieber Freund Makart damals
auf dem Wege nach dem Leopoldäberg
gejpielt ?” fragte Kurzbauer. „Kaiſer—
‚liche Hoheit müſſen wiffen, dafs unfer
Makart, der ein jo ernfter, ſchweig—
jamer Herr geworden ift, damals zu
den heiterften in unferem Bunde
zählte... .Sengend brannte die Hitze;
die Laft unferer mit Proviant ges
füllten Reifetafche Hatte ein jeder von
uns bereit3 ſchwer empfunden, fein
Wunder, dafs wir uns ſämmilich auf
halbem Wege fchon ermattet fühlten,
Da, mit einemmale — wir waren
im Begriff, mit Stöhnen und Achzen
die fteil auffteigende Höhe dort zu
erflimmen — erklärte Freund Makart:
„Hört Kinder, ich kann nicht mehr
weiter, meine Füße find ganz wund
gerieben; wenn ihr mich nicht tragen
wollt, muſs ich in der Sonne bier
liegen bleiben.“ Da uns Freund Hans
die Alternative mit dem vollfommenften
Ernft ftellte, was blieb unſerer Col—
legialität übrig, als zu Zweien ab»
wechjelnd uns mit ihm zu beladen!
j Und jo langten wir jchweißtriefend
und erfchöpft von der Durchführung
unſerer Rollen als Laftthiere auf dem
5
66
Leopoldsberge an, und melde Er—
Öffnung machte uns der Heine Schelm?
„sh danke euch, Kinder“, rief er,
mir und Barnay munter vom Arm
herunterfpringend. „Ich wollte bloß
eure Mustellraft prüfen, habe mich
aber überzeugt, daſs ihr ſämmtlich
Athleten jeid.“
Der Kronprinz lachte Herzlich.
„Sold’ junges Künſtlerleben mag
wohl manches Abentenerliche im Ge—
folge haben“, meinte er.
„Ich kann's nicht leugnen, kaiſer—
liche Hoheit“, ſagte Freund Weiß,
„bei aller Begeiſterung für unſere
künſtleriſchen Ideale, und bei mancher
Entbehrung, waren wir doch zugleich
das leichtlebigſte, luſtigſte Völkchen,
deſſen glückliche Weltvergeſſenheit eben
nur auf dem Boden der heiteren Kaiſer—
ſtadt gedeihen konnte.“
„Wir waren damals auch beſſere
Menſchen, kaiſerliche Hoheit, als wir
heute ſind“, ſprach Max, mit dem ihm
eigenen Sarkasmus. „Es gab eine
Zeit, wo wir ſämmtlich aus der Aka—
demie ausgetreten waren, im Beſtreben,
uns ſelbſt weiter zu bilden, aber leider
die Modellkoſten nicht erſchwingen
vermochten. (Später giengen wir ja
zu Piloty nach München.) Mit welcher
rührenden Opferwilligkeit war da
unſer Freund Lewinsky bereit, im
heißen Sommer oft mehrere Stunden
und «Met» zu ſtehen! Mit welcher
fammfrommen Geduld war der herr—
fihe Jüngling da noch fähig, einen
mit den Gejegtafeln vom Berge Sinai
heruntergelommenen Mofes, oder einen
aus dem Bauche des Malfifches eben
frisch ausgefpieenen Propheten Jonas
für naturgetreu darzuftellen!*
„Mofes und die Propheten, kaifer-
liche Hoheit, das waren die Sujets,
nach welchen wir alle damals ftrebten“,
bemerkte ich offenherzig.
Wenn Sie Ihr
u
fünftlerisches
„D, ſie war oft ſchlimm genug,
Excellenz“, rief Barnay. „Heute, wo
wir jo mancher Jugendthorheit ent»
rüdt find, lachen wir freilich darüber.“
„In welcher Weife haben Sie Ihre
Laufbahn begonnen, Herr Barnay ?“
fragte der Sfronprinz den Bühnen
fünftler.
„Die eriten «Bretter», welche meine
«Melt» bedeuten, waren in Meidling
bei Wien aufgefchlagen“, erwiderte der
zufünftige Iheaterdirector. „Leider
war es mir nicht vergömmt, dieſe
Bretter zu beitreten, denn vor meinen
erften Debut als Karl Moor wurde
ich wegen Pafslofigkeit aus Meidling
ausgewieſen.“
„Das iſt allerdings ein wenig er—
muthigender Anfang“, warf der Kron—
prinz lachend ein.
„Und wiſst ihr euch noch des
Abſchiedsſchmauſes zu entſinnen, den
wir unſerem Freunde Barnay gegeben
haben?“ fragte Kurzbauer.
„O gewiſs“, betheuerte Weiß.
„Wir feierten an dem Abend gleich—
zeitig den Namenstag unſeres Freun—
des Max. Der 24. April war's. Wiſst
ihr noch, Gabriel bezahlte die Zeche.“
„Aber des Nachipieles werdet ihr
euch nicht zu erinnern willen“, fagte
Mar vor ſich Hin fichernd. „Daran
waret ihr freilich nicht betheiligt. Bei
Namenstags: und Abſchiedsſchmäuſen,
faiferliche Hoheit, geht es nicht immer
ftreng puritanifch zu, und Die viel-
fahen Toafte derartiger Feſte werden
in der Regel nicht mit Waſſer aus—
gebracht”, wandte jih Mar halb ent—
Ihuldigend zu dem jugendlichen Thron
folger. „Nun bewohnte ih damals mit
einem Afademiegenofien in der Alſer—
vorjtadt gemeinfan ein Zimmer, Beim
Nahhaujegehen in ſpäter Naht —
fußhoch lag der Schnee auf der
Straße — bleibt mein College plötz—
lih vor mir ftehen und jpricht in
Martprium fo leichtgefinnt zu tragen feierlich bewegtem Tone: „Hör mal,
vermochten, muſs die Sache nicht fo
gang ſchlimm geweſen fein“, meinte
Graf Latour lächelnd.
‚Gabriel, ich weiß, du bift mein Freund,
mein Bruder. Kanuſt du mir bis zum
Erſten einen Gulden pumpen? (Er
TR
67
drüdte ſich inbezug auf den „Erſten“ | gemeinden & fünfzig Kreuzer bis zu
immer etwas unbeftimmt aus.)
einem Gulden das Stüd zu malen.
„Du närrifcher Kerl, wozu brauchſt Da erfuhren wir einft, Kurzbauer und
du einem Gulden ?* fragte ich.
„Ja hau, Brüderl“, ermwiderte
Wilhelm, „mir fällt halt eben ein, daſs
mir der Holzer... (jo hieß der in
feiner außeramtlichen Stellung einen
Heinen Handel mit Malerrequiliten
treibende Diener der Akademie), weißt,
dafs mir der Holzer den Gredit ge-
fündigt hat.“
„Aus welchem Grund ?*
„Na Schau, Gaberl, weil ich jchon
mit elf Gulden bei ihm an der Kreide
ſtehe. Sirt, wenn ih dem Kerl nicht
wenigiten® mit einem Gulden den
Mund ftopf', dann gibt er mir morgen
weder Leinwand noch Farben zum
Malen.”
Die ſämmtlichen Taſchen meiner
Kleider durchfuchend, fand ich eben
no einen Gulden, der mir von der
Zeche des Abends übrig geblieben war,
und diefen Gulden zählte ich in zehn
Silberfehferln in die Hand des neben
mir im Sidjad durh den Schnee
watenden Freundes.
Als wir aber am folgenden Morgen
mit jchweren Köpfen erwachten und
zur Alademie gehen wollten, machten
wir eine luſtige Entdeckung: Mein
Freund hatte die zehn Sechſerln gar
nicht von mir erhalten. Ich hatte fie —
in den Schnee gezählt.“
Die Gefellichaft lachte und der Kron=
prinz rief vergnügt: „Da muſs es
freilih an dem Abend ziemlich neblig
gewejen jein.”
„Die Erwähnung unferes Freun—
des Wilhelm G. ruft auch in mir
die Erinnerung an ein heiteres Er—
lebnis wach“, ſagte Adolf
„Wer ihn ſah, den wackeren G. mit
feinem offenen, ehrlichen Vollmonds—
geliht, der mujste unwillkürlich an
lukulliſche Mahlzeiten denten ; und doc)
litt der arme unge oft die bitterjte |
Noth und war genöthigt, um nur das
Leben zu friften, Kreuzwege, Marter:
Mei.
ich, dafs eine alte Dame ſich porträ—
tieren laſſen wolle. Sofort waren wir
entjchloffen, die Arbeit dem bedürfti-
geren Kameraden zuzumenden. Nun
war diefer aber im Verkehr mit Frem—
den von einer unbefiegbaren Blödig-
feit. Zu einem Beſuch einer mild»
fremden Frau würde er nicht um eine
Melt zu bewegen gewejen jein; da
fonnte nur Lift zum Ziele führen.
Unter irgend einem Vorwande wurde
der ahnungslofe ©. zu einem Spazier-
gang eingeladen, bis an das Haus der
porträtluftigen Dame geleitet und ihm
der Zwed unjerer Promenade hier er—
öffnet. Kaum aber hatte dieſer Er:
jeuger von «Martertaferin» vernom—
men, welches Martyrium von feinen
ungerathenen Freunden ihm jelbit zu—
gedacht jei, als er mit heillofem Ent—
jegen Reißaus nehmen wollte. Wie
der Blik waren wir ihm jedoch auf
den Ferſen, ergriffen ihn an Händen
und Fühen und trugen den Wider:
ftrebenden die Treppe hinauf, klingelten
an der Thür der Dame und jchoben
ihn ins Zimmer, worauf wir, froh
über das Gelingen unferer Lift, die
Treppe Hinunteritürmten.
«Mas wollen Sie?» fragte angit-
erfüllt die allein anwejende Dame den
hereinpolternden Fremdling, der mit
jeinem hochgerötheten Antlig allerdings
wenig vertrauenerwedend vor ihr ſtand.
Verlegen den Hut in der Hand drehend,
ftotterte der arme Junge einige unvers
jtändliche Phrajen von «Porträtmalend,
«Schöne Empfehlung» und «Herge—
Ichiett worden». Die gute Frau, deren
Phantafie angefichts des verdächtig um
ſich blidenden Eindringlings, in Er—
innerung eines vor kurzem an einer
alleinftehenden Dame verübten Mordes
in Aufregung gerathen war, ſah aber
in jenem einen Menjchen, der auch
gegen fie nichts Gutes im Schilde
führe. «Entfernen Sie ſich augen
taferln, Heiligenbilder für arme Dorf- blicklich!» rief fie mit zitternder Stimme
5”
von der äußerften Ede des Zimmers
dem noch immer an der Thür ftehen-
den, kläglich dreinblidenden «Räuber»
zu; und als diejer, jelbit nach Faſſung
vingend, der Aufforderung nicht gleich
Folge leiſtete, riſs fie das Fenſter auf
und ſchrie nach dem Hof um «Hilfe!»
Jetzt war für den jo graufam ver=
fannten Porträtierer allerdings der
geeignete Moment, ſich zu «entfernen»
gefommen, denn auf dem Hofe wurden
bereits Stimmen laut. Athemlos langte
er auf der Straße an, wo wir, auf
das Nefultat feines «Befuches» be—
gierig, ihm entgegenriefen: «Mun
Wilhelm, wird ſich die Alte von Dir
malen laflen ?» — «Der Teufel foll
die Alte malen, und euch foll er
holen !» entgegnete er, jeinen ſtürmi—
ſchen Gefühlen in draftiicher Weile
Luft machend, war aber viel zu gut—
müthig, um nicht in das Gelächter der
Freunde über feine «Näubergeichichten
ſchließlich ſelbſt einzuftimmen.“
Die Erzählungen unſerer Gefährten
hatten den Prinzen und ſeinen Be—
gleiter ungemein beluſtigt. Nun aber
mahnte Graf Latour feinen hohen
Zögling zum Aufbruch. Offenbar nur
ungern folgte dieſer der Aufforderung.
„Meine Herren“, jagte der Kron—
prinz, fich erhebend, „ich Dante Ihnen
für die heiteren Stunden, die ih in
Ihrer Gejellichaft verleben durfte; fie
haben mich erfriſcht und angeregt.
NRevandieren Tann ich mich Freilich
nicht durch Erzählung meiner Jugend—
und mit einem Seufzer feßte er hinzu:
„Ach, lernen, ftudieren und — ent-
behren muſs ein Kronprinz auch, nur
it jeine Jugend dabei minder luftig
als die des Künſtlers.“
„Der Beruf Enerer Taiferlichen
Hoheit ift aber auch ein ungleich er—
habenerer als der des Künſtlers“, ſprach
Makart mit Wärme, „Wir dürfen nur
hoffen, Durch die Gebilde unjerer Kunſt
Taufende zu erfreuen. In die Hände
des dereinftigen Herrſchers ift aber das
Glück von Millionen gelegt.“
„Das allein ift e8, lieber Malart,
was mir meine Arbeit verfüßt und
mich auf manchen Genuſs, der anderen
natürlich erfcheint, gern verzichten
läjst“, rief der kaiſerliche Jüngling,
indem feine Augen im feurigem Glanze
aufleuchteten ... .
Nah freundlichem Abjchiede ver—
ließ er das trauliche Plägchen, an dem
wir fo fröhlich geplaudert Hatten.
Schweigend blidten wir der langjam
entſchwindenden Jünglingsgeltalt nad),
und erniter, als wir gelommen, vers
liegen wir die Stätte. Wir hatten in
ein geiftig reged, dem Idealen zuge:
wandtes Gemüth geihaut. Der Ge-
Dante, wie dieſer lebensfrohe, blühende
Jüngling einjt das Land feiner Väter
beherrichen, wie er auf dem Staifer-
throne mit den neuen Forderungen
der modernen Zeit ſich abfinden würde,
befchäftigte uns noch lange, und frohe
Hoffnungen wurden laut auf die Zus
funft Oſterreichs und feines künftigen
erlebniſſe“, jagte dev Erzherzog lächelnd; Herrichers. . .
T
Unter Sceffels Banner!
Eine Reifeerinnerung von Adolf Jaroſch.
„Und vergnügt jchlug ihm das Herz,
al3 er einfam fürbajs zog!“ — Diefer
jo jhlichten und ſchönen Worte aus Schef-
fels „Elklehard“ gedachte ih, als ich das
ſchöne Iſchl verließ, um mich nach dem
lieblichen Aberjee zu wenden.
Es war früh morgens und meine
Bruft hatte fih den Gefühlen geöffnet,
die das Herz gefangen nehmen beim An-
blid der herrlichen Frühlingspradt und
beim Laufen des fröhlichen Gejanges
der munteren Böglein, deren Gezwitjcher
fh in das Iuftige Plätjchern der Traun
mengte, die dem Wanderer am ganzen
Wege bald zur Rechten, bald zur Linken
entgegenfliebt.
Nah 2'/,ftündigem, rüftigem Aus-
jchreiten war ich im maleriſch gelegenen,
fremdenbelagerten, jaifonfähigen St. Wolf-
gang, von wo aus, nad kurzer Rait,
der weges- und Scheffelefundige Bürger-
meifter, Hotelbefiger Peter, mich zum Schef-
felblid geleitete. Und die herrlichen Land»
Ichaftsbilder, die unterwegs ſtückweiſe mein
Auge ergößten, boten ſich nun vereint
meinen Bliden dar, Es war unvergeislich
Ihön! Wahrlid, der beutjch-öjterreichiiche
Alpenverein hätte feinen würdigeren Platz
für den Dbelist mit dem Gedichte der
Erzherzogin Balerie: „Dank an Scheffel*
finden fönnen. —
Die Welt der Mäcenaten ift aus-
geftorben, Stein Kröſus fliht dem Mimen
und Dichter Kränze und läjst Tekteren
Geiftestinder abjhreiben, beziehungsmeife
druden. Die Erde hat bereit3 da3 vom
alten Propheten vorhergejagte Loch be-
fommen und Die erfte, die durch dasjelbe
fiel, war die Kunſt. Ein großes Ver—
dienft gebührt daher dem Alpinijten, der
feinen Mitmenjchen nicht nur Brüden baut
und Wege bahnt, jondern auch dem Dichter
Dentmäler errichtet. Und doppelt Dant
verdient der deutich-öfterreihiiche Alpen-
verein, der dem Sänger der „Berg—
pialmen” an den Geftaden bes St. Wolf-
gangjees gleich zwei Mementos in den Stein
geichrieben.
Und beſonders das zweite, das mir
auf der Rüdfahrt von St. Gilgen, nad
welder Seite wir abgeftiegen waren,
jahen, iſt es, das jo wirkungsvoll auf
den herabſchaut, der auf urzeitlichem Ein-
baum fih ihm nähert. Ich meine die
Inſchrift auf abgrunddräuender Wand
des Falkenſteines. Sie iſt wahrlich der
gewaltigite Ruf: Te saxa loquuntur!
— Der viellefende Ferge erzählte mir
nun, was ich längft wujste und mir als
nächſtes Ziel meiner Fahrt beitimmt
hatte. Es war eine Freude, zu hören,
wie der biedere, ſchlichte Mann mit dem
Thurme heransrüdte, den man dem gleichen
„G'ſchichtenſchreiber“ zu Ehren in Mattiee
errichtet, und eine Thräne der Rührung
fam mir ins Auge, al3 unjer wacdere
Fahrmann aus zottigem Wams ein arg
abgegriffenes Eremplar der „Bergpjalmen“
bervorzjog und meinte: „Dös müaſſen's
lejen, da ſteh'n jchöne Sachen drin.” —
Vor uns die thürmende Felswand, vom
blaugrünen Seeſpiegel benetzt; dunkle
Fichten, vom Glutenſchein der ſinkenden
Sonne vergoldet, und geſpenſtiſche Schatten
hin- und herhuſchend auf dem ſtarren
Felſen, als ſuchten ſie den alten Freund,
der hier auf Jagd- und Fiſchweid zog,
den tapf'ren Biſchof von Regensburg, der
„Aus Kaiferfehde und Fürſtenſtreit
Entflieht zur Alpeneiniamteit.“
Unbeweglich laujchte unjer breitjchultriger
Genoffe, wallenden Bartes, jelber ein
beiliger Wolfgang, auf die Märchen des
Sees.
Anderen Tages zog es mich nad
den Gefilden des Salzburger Hügellandes.
An den Mattjeen wollt! ih Einkehr
halten und das ſowohl monumental, als
auch literariich intereflante Erinnerungs-
zeihen an Joſef Victor von Sceffel be
fihtigen: den Sceffeltburm mit dem
Sceffelmufeum in der Villa Preitner.
Ich bin ſonſt ein ausgeiprochener
Feind von Privatiammlungen, denn
man muß bei Befihtigung einer jolchen
oft unverdienter Weiſe loben, um ſich
gegen den Befiger nicht unhöflich zu zeigen
— conventionelle Lügen beberrichen ja
die Welt — was bei öffentlichen Samm-
lungen wegfällt. Bei diejen zahlt man
jeinen Obulus und kann nad Herzens-
luft ſchimpfen und nöthigenfall® mit dem
Guftos — grob jein.
Ah ließ mich, zwar von alten Vor—
urtheilen getragen, doc durch meine Neu—
gierde, das vielbeiprochene Scheffelmufeum
zu jehen, bezwingen und jchlug den Weg
dahin ein.
Ich follte gleich, wenigſtens ſchon an
der Schwelle, von meinem Vorurtheil über
Privatiammlungen geheilt werden.
Der Befiser des Mufeums, der Ver-
faſſer von „Vindobonas Roſe“, jelbit
ein gottbegnadeter Poet, empfieng mich
und machte den liebenswürdigſten Cicerone,
den man ſich nur begehren kann. Überaus
70
entzückt, einen ſo wackeren Freund des
dahingegangenen Ekkehard-Dichters zu
kennen, erhob ich den Willkommbecher,
gefüllt mit duftigem Maitrank, und brachte
ihn den Manen des Dichters. Nun gieng
es an die Beſichtigung.
Eine Stiege, über welcher in gol—
denen Lettern die Inſchrift: „In honorem
Victoris Scheffel“ glänzt, führt uns in
ein altdentſches Gemach, durchweht vom
Hauche eines Dichtergenius. Die herr-
lihen Glasmalereien bringen in finniger
Meile die Muſen, die „neun antilen
Tanten“, wie fie Scheffel in leichtem
Scherze nennt, zur Darftellung und lafjen
das Licht in eigenthümlicher Färbung in
das traulihe Gemah dringen, wo uns
vor allem eine Kolofjal-Bülte Scheffels
in die Augen fällt; es ift dies nicht die
einzige, andere fleinere ftehen auf Ge
fimfen und in Niichen, darunter eine bes
fonder$ wertvolle, von dem berühmten
Stuttgarter Steinkünftler Reinede,. Am
meiften intereffierte mich da3 Autographen-
fäjtchen, aus dem mir die jchönen, wohl»
befannten Schriftzüge Scheffel& durch den
Glasverſchluſs entgegenleuchteten. Die ein-
gehende Befichtigung der zahlreichen, zum
Sceffelftudbium äußerft wertvollen Auto»
graphe ſparte ih mir für die folgenden
Tage auf, die ih im Haufe als Gaſt
zubringen jollte. Unter dem Autographen«
ſchrein befindet fih im Negal das Ardiv
des „Scheffelbundes in Öfterreih“, der
bier jeinen Sit hat. Die Wände des
Thurmzimmers find geihmüdt mit Photo:
graphien und Bildern, welde uns Die
herrlichen Geftalten aus Scheffels Wer-
‘fen kunſtvollendet vorführen. In einer
Ede ſteht ein Heiner Tiih, bededt mit
einem weißen Dedchen, das, von funft-
finniger Damenhand geitidt, uns Yung
Werner zeigt, der jein Abjchiedslied weh—
müthig zum Sclofje entjendet, wo jeine
Liebjte weilt. Darauf ftebt ein Pokal,
eine Spende ſangesfroher Männer der
Salzjtadt Hallein. In einem geräumigen
Glasſchrank finden wir alle Ausgaben
Scheffel'ſcher Werke, ſowie die ſechs bis
jetzt erfchienenen Biographien des Dichters,
die Überſetzungen jeines „Trompeter von
71
Sällingen” ins Italienijche, die befonders |jchon mancher Scheffelverehrer ſich ver—
gelungen genannt werden fann, ins Eng« |ewigt und theilweije jehr finnige Sprüche
liſche und Plattdeutſche, alle in zuvor: | und Gedichte eingetragen bat; jo trifft
fommendfter Weile von den betreffenden | man 8. Foglars bereit3 durch die ganze
Berlegern dem Eigenthümer der Sceffel-
ftube zur Verfügung geitellt. — Nebenbei
verdient es betont zu werben, daſs die
ganze wertvolle Sammlung lauter frei-
willigen Beiträgen von Scheffelverehrern
und Scheffels beften Freunden, wie
Staatöratd von Eifenhart, Juſtizrath
Schmwanik, Profeffor Ebers, U. von Wer-
ner, Alberta von Freidorf u. ſ. f. ver
dankt wird. Über die Entftehungsgeichichte
de3 „Trompeters“ gibt uns ein Büchlein
von Herford und ein Manufcript ähn—
lihen Inhaltes von Pomezny Aufſchluſs.
Natürlich fehlt auch das vom Scheffel—
bunde herausgegebene Gedenkbuch nicht,
wie ja alle Bücher, die auf Sceffel Be-
zug haben, vorhanden find,
Auh der Humor findet jeine Ver
tretung; es fehlen micht die verjchieden-
ften Warodien auf Scheffeld Gedichte,
beionder8 auf das unvermeibliche, aber
„Behüt' dich Gott“. Ein luſtiges Stu—
dentlein hat zur Erinnerung an den flotten
Gorpsftubenten Scheffel jeinen Bummler
mit den Zeilen gewidmet:
DO Bummier, der mein Liebling war
In mandem Bebenäfturm,
Der mi geibmüdet mandeß Yabr,
Ehmüd’ nun den Scheffelthurm.
Preffe gewandertes Gediht „An der
Scheffelſtube“ und die trefflichen Verſe
von R. Haas:
Und lebend bleibt er und erhebt
Hoch fi) empor aus Schmerz und Schwächen —
Die find jeht tobt: jein Genius lebt
Und nur von ihm wird man einft ſprechen.
ſowie
Tief war fein Weſen und Gedicht,
Bom Kerzen fam’s, zum Herzen drang ed,
Ins Breite gieng fein Schaffen nicht;
Tod was er ſchuf, war eriten Ranges.
Herr Dr. Aberle wünſcht in luſtigen
Reimen, der Scheffelthburm möge — mit
Anjpielung auf den von Petrefacten er-
füllten Felſen des Wartfteins, auf dem
er fteht — auf den lebten Ichthyoſaurus
‚gebaut jein.
Ein Spruch lautet, und damit will
ich die Reihe der Gitate jchließen: „Lats
Sehr intereffant ift eine Fünftliche, ſich
bewegende Eidebie als Ichthyoſaurus,
welche fein Geringerer als der Nordpol»
fahrer sFregatten-Gapitän Emil Gdler
von Wohlgemuth direct ans Japan
jandte; derjelbe bat auch das Sceffel-
mujenm vor fünf Jahren eröffnet.
Ih will ganz abjehen von den zahl-
Iojen, auf Scheitel bezüglihen Zeitungs-
blättern u. dgl. Die geneigten Leſer werben
mir gerne glauben, dajs ich nicht alles
erwähnen kann, was das Mujeum bietet.
Es wäre ja auch nicht recht möglich, den
ganzen Katalog der Sammlung zu geben ;
dazu gehört viel Raum, Zeit und Mühe.
Für die Beſucher des Scheifeltburmes |
liegt ein Fremdenbuch auf, in melchem
dich den Tod nicht reuen, Scheffel! Dein
unverbienter Weile jo oft milshanbelte |
Name lebt hoch.”
Hat man nun gejehen und gejtaunt
vor der Liebe und Berehrung, die Meijter
Sceffel jo alljeitig gefunden bat und
findet ; hat man dem Fleiße des Beſitzers
gedanft, der den Scheffelthurm erbaut
und jo Vieles in zwangloſer Weiſe zur
Schau jtellt, ohne daſs man durch Num—
mern und Abtheilungen an eine trodene
projaijche Alltagsausftellung erinnert wird:
jo jchweift der Blid durch die Thurm—
fenfter auf die im Sonnenjchein freudig
wiederftrahlenden Mattjeen. Freundlich
liegt der Markt jelbit da, umraufcht von
dunfelblauen Waflern, anmutbig das
gegenüberliegende Seeham, das zur grau«
famen Hunnenzeit manchen Mattjeer Flücht-
ling gaftlih aufnahm, und im janft ver-
jchleierten Hintergrunde heben die Salz
burger Berge träumend die dunklen Häup—
ter in die Lüfte und hinter dem jagen-
umfränzten Untersberg winken die jchneeigen
Spitzen des Watmannes berüber zum
Dentmal des Sängers der im bunten
‚yarbenjpiele deutiher Sage ſchimmernden
Frau Aventiure.
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Im Nu waren die Wochen vergan-
gen, die ih mir zum Studium bier be
ftimmt Hatte; ich lebte im immerwähren-
den „Genuſsſtrudel“ — wie der jelige
Klausner vom Wartjtein jagte, wenn er
feine Freunde in einer Anwandlung von
Mijstrauen über Berg und See jagte
und fich des Erfolges herzlich freute, —
Nun wars auch bier zum Abjchied.
Ergriffen jchieb ich von dem reizen«
den Dichterheim, geleitet von dem Sänger
—
Und Schloſs und Stall verlodert' im Wind,
Dazu das ganze Hausgeſind!
Nur mich hat das Schichſal aufgefpart,
Euch's vorzubringen auf gute Art.“
Hberrafdjendes aus dem Heide
der Bahlen.
Es iſt eine ergötzliche Zulammen-
ſtellung ſtatiſtiſcher Curioſitäten, die wir
der „Roſe von Vindobona“ und deſſen in dem „Neuen Demokrit“ von E. M.
liebenswürdiger Hausfrau mit zwei mun—
teren Kindern, die mich in ihrer ergötz—
lihen Urfprünglichleit an Audifar und
Hadumoth gemahnten.
Botenart.
Don Anaftafins Brün.
Der Graf kehrt heim vom Feſtturnei,
Da wollt’ an ihm fein Knecht vorbei.
„Hola, woher des Wegs, fag’ an!
Wohin, mein Knecht, geht deine Bahn?"
„Ich wandle, dajs der Leib gedeih’,
Ein Wohnhaus ſuch' ih mir’ nebenbei." —
„Ein Wohnhaus? nun, ſprich grad’ heraus,
Was ift geſcheh'n bei uns zu Haus?“ —
„Ridhts Sonderlis! Nur todeswund
Liegt euer Heiner, weißer Hund!“ —
„Mein treues Hündchen todeswund!
Sprich, wie begab fidh’s mit dem Hund?" —
Schranta (Berlin, Hans Lüſtenöder,
1890) finden. In der Abſicht, unjere
lieben Lejer einmal ein wenig zu ver-
blüffen, entnehmen wir berjelben folgende
Stüdden:
Eine der erften, älteften, oft genannten
ftatiftiichen Curioja hängt mit der Er-
findung des Schachſpieles zufammen.
Der über die geiftreihe Erfindung
entzüdte König Schadhram, jo wird er-
zählt, erlaubte dem Erfinder, dem Brah—
minen Siſſa (die Gefchichte jpielt 400
Jahre v. Ehr.), eine bejondere Gnade als
Belohnung.
Der Brahmine begehrte nicht3 mehr,
als daſs man ihm für das erſte Feld
ein Weizenkorn, für das zweite zwei,
für das dritte vier, für das vierte acht
Weizenkörner und ſo fort in geometriſcher
Progreſſion die Körner bis zum 64. Feld
verdoppelt geben und den ganzen Betrag
ſchenken möge. Dieſe Forderung ſchien
‚Im Schred Eu’r Leibroſs auf ihn ſprang, anfangs unbedeutend, doch wie groß war
D’rrauf lief’s in den Strom, der es ver: das Erjtaunen des Königs, als er ver-
ſchlang.“
„Mein ſchönes Roſs, des Stalles Zier!
Wovon erſchral das arme Thier?“ —
Beſinn' ich recht mich, erſchral's davon,
nahm, daſs alles Getreide der Erbe die ver-
langte Zahl Körner nicht liefern würde. Sie
betrug 18,000,000,000,000,000.000
Körner, welde beinahe 15 Billionen
Als von dem Fenfter ftürzt' Eu’r Sohn." — Cubilfuß oder 14. Billion engliider
„Mein Sohn! Doch blieb er unverlekt?
Scheffel ausmacht, die eine Fläche von
Wohl pflegt mein fühes Weib ihn jegt?* — 9900 Quadratmeilen, auf denen das
„Die Gräfin rührte ftrals der Schlag,
Als vor ihr des Herrleins Leichnam lag.“ —
Korn 30 Fuß hoch läge, einnehmen
würden, oder das gefammte Feſtland ber
„Warum bei folhem Jammer und Graus, Erde ließe fih damit zwei Zoll hoc
Du Schlingel, hüteft du nicht das Haus?“ — | bededen.
„Tas Haus? Ei, welches meint Ihr wohl?
Das Eure liegt in Aſch' und Kohl’!
Die Leihenfrau ſchlief ein an der Bahr’,
Und Feuer fieng ıhr Kleid und Haar.
Da erft begann man fih einen De
griff von der Bedeutung der Zahl zu
machen.
Es Quadrillionen
wird von ger
—
ſprochen, indes es ſchon ſchwierig iſt,
ſich einen richtigen Begriff von einer
einzigen Million zu machen. Legt man
z. B. eine Million Fünfmarkſcheine auf
einander, jo erhält man einen Pad von
250 Fuß, und doc ift dabei augenom—
men, dajs 100 Fünfmarkicheine ein
Pädchen von Ys Zoll ergeben; 1000
Stüd würden 2% Zoll ausmaden,
100.000 Stüd 25 Fuß, 1,000.000
Stück 250 Fuß.
Aber nehme man nun au, ein Menſch
hätte jede Stunde jeines Lebens, von
feiner Geburt an, Tag und Nacht gleich
Durchgerechnet, einen Thaler zu verzehren,
jo würde diefer Menſch, wenn er das
jeltene Alter von 100 Sahren erreichte,
bei weitem feine Million in diejer langen
Zeit verbraudt haben; denn 1 Stunde
1 Thaler, macht 1 Tag 24 Thaler,
1 Jahr 8760 Thaler, und 100 Jahre
876.000 Thaler.
Eine intereffante Aufgabe ift Die
Frage, zu welder Summe ein Pfennig
anwächst, der zu 5% zu Ebhrifti Geburt
auf Zinjeszinfen ausgeliehen wäre.
Im Jahre 1870 würde der Pfennig
auf eine Zahl angewadien fein, die
38 Stellen hat und mit 30 Sertillionen
beginnen würde.
Millionäre können eigentlih gar nicht
verarmen. Nehmen wir beijpieläweife das
Bermögen des Hauſes Rothſchild. R.
Meyer berehnet das Anwachien des
Rothſchild'ſjchen Gapitales folgender—
maßen: Der Pariſer Rothſchild ſtarb
1875 und hinterließ 1000 Millionen
Francs.
Man darf das Vermögen des Ge—
ſammthauſes Rothſchild alſo auf 5000
Millionen Francs ſchätzen. Die Roth—
ſchilds machen nun mehr als 5% Zinſen.
Rechnen wir indes, daſs dieſes Plus
für ihren Unterhalt daraufgehe und ihr
Gapital nur alle 15 Jahre verdopple.
So unanfehtbar aber, jo logiich auch
die Zahlen find, fo fönnen fie doch, ita-
siftiisch angewendet, auch ad absurdum
führen,
Ein jolcher hochinterefjanter Fall iſt
folgender: Wenn ein rbeiter eine
3
Mauer in 12 Tagen erbaut, fo bauen
diejelbe Mauer doch 12 Arbeiter in einem
Tag. Gut; dann bauen fie aber 288
Arbeiter in einer Stunde, 17.280 in
einer Minute, und fallen gar 1.036,800
Mann an, jo fteht fie in einer Secunde
da, d. h. ehe noch einer einen Stein hat
hinlegen fönnen.
Der Bodenjee ohne den Unterjee bat
8% Quadratmeilen oder 5682 Millionen
Quadratfuß; es hätten jomit jämmtliche
Demwohner des Erdballes zur Zeit jener
Berehnung, auf rund 1430 Millionen
veranjchlagt, auf dem Bodenſee Platz,
indem für einen jeden 3794 oder rund
ein Qnadratfuß Raum bliebe. Der See
müjste natürlih überfroren jein, und
zwar did genug. Würde die Eisdede ein-
breden und die ganze Menjchheit ver—
jhwinden, jo würde der Waflerjpiegel
faum um einen halben Fuß fich heben.
Um die ganze Menjchheit einzupöfeln,
brauchte man aljo nur ein Faſs, das
balb joviel Wafler hält, als nothwendig
ift, um den Bodenjee um einen Fuß fteigen
zu machen.
Bei all diefen Berechnungen mujs
man freilih immer wiederholen : „Wer's
nicht glaubt, mag nachzählen oder die
Probe machen.“
Die Gelammtbevölterung der Erde
zu 1455 Millionen angenommen und
dazu in Betracht ziehend, dajs die jähr-
lihe Zunahme ih auf etwa 16 Millionen
Seelen beläuft, jo bat fih die Gejammt-
ziffer jeit dem Untergang des römiichen
Reihes um etwa die Hälfte vermehrt.
Ferner: Wären jämmtliche bemwohnbare
Länder der Erde jo dicht mit menſch—
lichen Niederlaffungen bejegt, wie England
und Belgien, Indien und China, jo
würden etwa 10 Milliarden Menjchen
auf der Erde Plag gefunden haben.
Zwei Factoren, Geburt und Tod,
ändern beftändig an der Bevölkerungs—
ziffer, die Oberhand behält aber die Ge—
burt, denn nah den Sterblichkeitäfällen
genau befannter Länder iſt berechnet
worden, daſs die jährliche Anzahl von
Todeställen auf der ganzen Erde 35 Mill.
693.350 beträgt, oder in anderen Worten
—
ausgedrückt, daſs täglich 97.790 Per—
fonen ſterben. Doch wird das Gleich—
gewicht der Bevölkerung durch die Ge—
burten, deren täglich 104. 800 ftattfinden,
mehr als aufrecht erhalten. In jeder
Minute der 24 Tagesſtunden kommen alſo
70 Kinder auf die Welt.
Eine ſehr oft ventilierte Frage iſt
die nach der Lebensdauer. Die Frage:
„Wer lebt am längften?“ bat folgende
intereffante Zufammenftellung der Lebens—
dauer der den verſchiedenſten Berufs
geichäften Angehörigen ergeben. Darnad
erreihen im Durdichnitt Gärtner, |
Schiffer und Fiſcher ein Alter von 58
Jahren ; ihnen folgen zunächſt die Bäder,
Dierbrauer und Mepger mit 54 Jahren,
dann bie Zimmerleute, Maurer und An«
ftreiher mit 49, die Schloffer und
Schmiede mit 47, Schuhmader und
Schneider mit 44, Steinmeße, Bildhauer, |
Schriftſetzer, Lithographen mit 41, endlich
die Taglöhner und Lohnarbeiter mit
32 Jahren. Bei den Kaufleuten ſchwankt
die mittlere Lebensdauer in weiten Ören-
zen. Unter den afabemijchen Ständen |
erfreut fich die Geiftlichkeit des längiten |
Lebens, deſſen durchichnittliche Dauer
67 Jahre erreicht. Ihr zunächft ftehen |
die Philologen und Lehrer mit 57, die‘
Juriſten und Rameraliften mit 54, und
endlich die Ärzte mit 49 Jahren.
Im allgemeinen werben die Per: |
heirateten älter als die Junggefellen.
Ad notam, ihr Hagejtolge! Man bat
übrigens auch berechnet, dajs je ein!
Hageſtolz auf je
21 Männer in Deutichland,
17 in England,
16 in Frankreich und
14 in Amerifa kommt.
Umgelehrt hat der Statiftifer Dr. |
Schwabe jeine Unterjuchungen über :
Heiratsgejuche bejonder3_ in den Heiz
tungen angeftellt. Er fand, daſs faft
dreimal joviel Männer als Frauen auf
dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege des
Heiratögejuches in den Hafen der Ehe
einzulaufen verſuchen. Merkwürdigerweiſe
machen die Frauen an das Alter des
erfebnten Zulünftigen weniger Aniprüde
als die Männer ; denn während 81 Pro-
cent ‚Frauen gegen 56 Procent Männer
vom Alter ganz abſehen, machten
32 Procent Männer und bloß 6 Pro—
cent Frauen Anjpruch auf die Eigenſchaft
„jung“. Betrachtet man die Eigen-
ihaften, jo gibt man von männlicher
wie von weiblider Seite in dem Heirats—
antrage, rejpective Geſuche, am meiften
auf Intelligenz, am wenigiten auf die
Eonfejlion.
Das ift fein übles Leihen, denn
ohne Antelligenz find auch die fittlichen
Eigenſchaften weniger wert.
Die Angabe eines beftimmten Ver—
mögen findet fih bei 7 Procent heirats-
‚Iuftiger Männer, dagegen bei 41 Pro»
cent heiratälnftiger Frauen, jo daſs die
Frauen entichieden überzeugt zu fein
icheinen, daſs auch in Ehejchließungs-
fahen das Geld der nervus rerum ſei.
Über den Beruf ift nicht viel zu jagen,
aber auffällig ift die große Zahl der
Kaufleute, Bankiers und Fabriksbeſitzer,
welche 53 Procent ausmachen.
Schwieriger zu berechnen und baber
auch ein wohl nit genaues Reſultaät
erzielte jener Engländer, melder be—
bauptet, daſs die Zahl der jeit der
Schöpfung in Kriegen umgelommenen
Menſchen 14.000 Millionen jeien.
Wer dieſe im Kriege Gefallenen
zählen mollte und täglih dazu 19
Stunden verwendete, würde 336 Jahre
brauden.
So hätten wir den Menſchen in
feinen drei Hauptjtationen, Wiege, Altar
‚und Grab, jtatiftijch verfolgt.
Das Herz des Menfchen joll in der
Minute 75mal jchlagen und die Lunge
fol 15mal in der Minute Athem holen.
Über die Herzichläge hat wieder der
bekannte Londoner Arzt Dr. Richard—
ſon jtatiftiiche Unterfuchungen angejtellt.
‚Er forderte feine Schüler auf, ihm den
Puls zu fühlen, während er dabei ftand —
wie geht er? „74“. Hierauf fette ſich
Dr. Ridardion auf einen Stuhl: Und
nun? — „70“, und als er fi gar auf
das Ganapee niedergelalten, war ber
Puls auf 64 beruntergegangen, Nun
mm — zu Fee... EB = SEEN
75
fagte Dr. Rihardion: „Wenn Sie fih| burg, jtellte in dem anf dem Balle zum
des Abends niederlegen, jo gejchieht dies, | Deften der Berliner Bühnenangehörigen
weil das Herz der Ruhe bedarf. Wenn ausgegebenen Autographen: Album die
Sie in diefer Weife ruhen, jo macht das | folgende Preisaufgabe: „Während meiner
Herz zehn Schläge in der Minute wer | Laufbahn babe ih an 3481 Abenden
niger. Multiplicieren Sie da3 mit 60,| 3481 Damen 3481mal meine Liebe
fo gibt das 600, folglich in aht Stun: | geftanden und fand 348 1mal Erbörung.
den einen Unterjhied von etwa 5000) Angenommen nun, ich hätte diefe 3481
Schlägen. Da da3 Herz mit jedem) Damen mwirflih geheiratet — wie groß
Schlage ſechs Unzen Blut ausftößt, fo; müfste mein Bermögen fein, um die
madt das einen Unterſchied von 30.000| Dalltoiletten meiner israuen bezahlen zu
Unzen während ber Naht. Lege ich mich | können?“
des Abends ohne Alkohol zu genießen Nun noch eine drollige Berechnung.
nieder, ſo iſt das die Ruhe, welche der Wenn ein Briefträger bei dreimaliger
Menſch gewinnt. Nehmen Sie aber Wein Poſtausgabe vormittags drei und nach—
oder Grog, ſo ſtören Sie dieſe Ruhe, mittags abermals drei Stunden zu gehen
denn die Wirkung des Alkohols geht hat, ſo macht dieſer Briefträger in 360
dahin, die Schlage zu mehren und, anſtatt Tagen einen Weg von 1080 Meilen.
dieſe Erholung zu genießen, vermehren Da nun der Erdumfang am Aequator
Sie die Herzbewegung um etwa 15.000 5400 geographiſche Meilen beträgt und
Schläge. Die Folge ift, Sie ftehen ermüdet | 1080 in 5400 genau fünfmal enthalten
und für die folgende Tagesarbeit un— iſt, fo macht ein Vriefträger, der 35 Jahre
tauglih auf, bis Sie wieder ein Quane | jeinen Dienft verfieht, einen Weg, ber
tum von dem jtarfen Getränfe zu fich | jo lang ift, dafs, wenn er immer gerade»
genommen, das Sie als die Seele und | aus gegangen wäre, er fiebenmal um bie
das Leben des Menſchen fälſchlich an- Erbe zu Fuß gelommen wäre.
preiſen.“ Ein Analogon zu den Briefträgern
Da hat ein Pariſer Arzt gerechnet: ſtellen in einer gewiſſen Beziehung die
Ein fünfzigjähriger Menſch bat 6000 Damen. Man hat berechnet, daſs eine
Tage gejhlafen, 6000 Tage gearbeitet, | Dame in einer Ballnacht, bei den jetzt
800 Tage Bewegung gemacht, 1500) gebräuchlichen Tänzen, wenn fie biejelben
Tage gejeffen, 4000 Tage fi unter- | alle mittanzt, nah Schritten gerechnet,
balten und ift 500 Tage franf gelegen. | einen Weg von vier Meilen zurüdlegt.
Während diefer Zeit hat er zu fich ge Ein origineller Kauz hatte die bee
nommen 70.000 Pfund Brot, 20.000 | gehabt, die Küſſe zu verzeichnen, bie er
Pfund Fleiih, 5000 Pfund Gemüje und | mit feiner Frau in einem Zeitraum von
32.000 Liter verjchiedene Getränke, die) 20 Jahren gewechſelt hat. Im erften
zujammen einen See von 3000 Fuß Ober» | Jahre erreichten die Küſſe die koloſſale Zahl
flähe und drei Fuß Tiefe geben würden.) von 36.500 oder 100 Küſſe pro Tag.
Weiter in Zahlen, Der ältefte Schau» | Im zweiten Jahre verminderten fie fich
Ipieler war wohl Jean No&, der im) ihon um die Hälfte. Im dritten Jahre
Sabre 1829 zu Paris, 118 Jahre alt, | waren es durhichnittlih nur mehr zehn
ftarb. Er hatte vom achten Jahre an pro Tag. Nach fünf Jahren zählte man
die Bühne betreten und 92 Jahre lang | nur noch zwei Küſſe täglich, den Guten»
auf ihr, allerdings nicht mit großem) morgen- und den Gutenachtkuſs. Noch
Ruhm, aber doc mit fteter Brauchbarkeit, | jpäter wird oft mur bie und da noch ein
gewirkt. 28.010mal war er aufgetreten, | Kuſs ausgetaufcht. Referent macht hierbei
1040mal geitorben, 230mal König, | die Randgloſſe: „Das ift das Los des
920mal ein ehrliher Mann und 23.500» | Schönen auf der Erbe,”
mal ein Böjewicht geweſen.
Ein anderer Actenr, Herr Kadel— —
Gedichte.
Don Sopbie von Rhuenberg.
Sommeraßend.
Blätternd ſpät in Goethes Liedern
Frag’ ih mid: wie denft er dein?
Plötzlich jhwirrt ein weißer Falter
Zu den Fenfter mir herein,
Wlattert in verwirrten Kreiſen
Um der Lampe heikes Licht,
Ruht und taumelt, glanzgeblendet,
Und warum — er mweik e8 nidt.
Deine Ecerze, meine Träume
Gaufeln fo ans End’ der Welt,
Bis verbrannt von greller Wahrheit
Wahn und Luft in Staub zerfällt!
Drei Dinge.
Bon allem Glüd, das je mein Herz befeffen,
Bon allem Weh, das nagend es durchwühlt,
Drei Dinge fann id ewig nicht vergefien,
Mie bunt des Leben: Welle mich umſpült.
Den Duft der erften, dunfelrothen Roie,
Die mir die Liebe gab zur Frühlingszeit,
Des Schmerzes dumpfe, zitternde Narloje
Als ih durdftürmt von übergroßem Leid.
Dem Todeswimmern meinesßtnaben laufchte-
Und dann, nad Jahren, jene Winternadt,
Wo meine Seele träumend fih berauſchte
An legter Liebe mondenheller Pracht!
An die Meugierigen.
Sudt nicht im jedem Liede, das euch der
Dichter fingt,
Den Urquell des Gefühle, das euch zu
Herzen dringt.
Zerrt nicht den legten Schleier von jeinem
tiefften Sein
In feinem Menihenthume lafst ihn
allein, allein!
Was frommt es euch, zu willen, wen all
fein Jauchzen gilt,
Um wen jein Herzblut ſtrömet und feine
Thräne quillt!
Was eine Dichterleele im Fluge träumend
ftreift,
Unbeilig wird’3 und wertlos, wenn ihr's
mit Händen greift!
Det is ja unfer Tribe!
Eines Tages, als der Kronprinz
Friedrich Wilhelm (der nachmalige Kaiſer
Friedrich) in etwas lälfigem Jagdanzuge
durh die Straßen Berlins jchlenderte,
ab er vor dem Schaufenfter einer Kunſt—
handlung eine Menge Volks ftehen, meijt
Handwerker und Zandleute aus der Um-
gegend, die ſich die ausliegenden Bilder
der föniglihen Familie betrachtete. Er
fajste einen der derben fonnenverbraunten
Männer aufs Korn und jprab ihn an:
„Kennen Sie denn die alle: Kennen
Sie den da?”
Er deutete auf jein eigenes Bild,
Der Angeredete jagte jchmunzelnd :
„J, wo werd id denn den nich fennen ?
Det is ja unſer Write.“
„om, ja“, machte der Kronprinz und
fügte jo beiläufig Hinzu: „Ich müfste ihn
eigentlih auch kennen, denn man jagt
immer, ich ſähe ihm äbulich.*
Da nahm der biedere Märler feine
Pfeife aus dem Munde und ſah den
Kronprinzen von oben bis unten mit un—
williger Verachtung an:
„J, Sie unjewalchener langer Laban,
det bilden Se ſich doch man ja nich in,
dat Sie unſen Fritzen täten änlich ſehen!“
Und es folgten noch einige derbe
Erklärungen, die des ehrlichen Kron—
prinzenverehrer3 entrüftetes Herz erleich-
terten, denen aber, aufs Höchſte ergößt,
der Kronprinz ſich dur die Flucht ent»
zog. Keiner bat herzlicher über jein
drolliges Abenteuer gelacht, als der hohe
Herr jelbit, da er es am jelben Abend
einem vergnügten Kreiſe erzählte,
Alfo zu lejen in dem Schriftchen :
„Unjer Fritz“ von Agnes von der Deden.
(Hirſchberg, Vollsarztverlag.)
Luftige Zeitung.
Ein deutſcher Gelehrter paſſierte die
Eiſenbahnſtation Bodenbach. Natürlich
wurde bier ſein Gepäck unterſucht und
natürlich fand ſich in feiner Handtaſche
ein höchſt verfänglicher Gegenſtand
—
77
ein Todtenichädel. Die Beamten fchüttelten | Korb ſchaufeln und zur weiteren Unter
ihre Köpfe und riethen bin und ber, in juchung in das Gemeinde-Arhiv über-
welche Rubrik von Verzollungsgegenjtänden | tragen folle.
dieſes Ding eingereiht werden mülfe, bis |
Einer — um den Erwägungen ein Ende | 6 a * — re
u machen — vorſchlug, den Schädel zu | Concertiaa ragte in einer kleinen
— ala — Ist —— Stadt ein Mitglied des Gemeinderathes
‚den eben angekommenen Opernſänger.
Ein ſtrenger Profeſſor auf der Wiener „Recht gut, recht hübſch!“ antwortete
Univerſität verlangte, daſs bei Vorzeigung dieſer, „aber, wie ich merke, die Aluſtit
eines Menſchenknochens der Studierende iſt ſchlecht!“ — „Die Akuſtik?“ ſagte der
nach Befichtigung desjelben genan die | andere und fchnupperte mit der Naie,
Rafie, das Gejhleht, das Alter u. ſ. w. „wahrhaftig, ich rieche auch jo etwas!“
angeben tolle. Dei einer ſolchen Gelegen- | Eine neue Liszt Anekdote erzählt die
heit lam one en ‚uns | „Neue Muſikztg.“: Auf einer feiner Reijen
jagte zu einem Prüf ing: „Herr Canbibat, | ; 5 fi der Meifter genöthigt, in einer
nehmen — dieſen Knochen ie: nach | feinen Stadt Aufenthalt zu nehmen,
——— — Sie — — > Kaum war jeine Anweſenheit bekannt
as Indivi Un gebeißen und wo es geworben, als fi aud eine Schar von
gewohnt hat, Verehrern, unter ihnen der VBürgermeifter
Zell und Genée pflegten befanntlich des Ortes, zuſammenthat, um ihn zu
miteinander für Operetten den Text zu begrüßen und ihn zu einem Feſtbankett
ſchreiben. Da las man eines Tages in einzuladen, Schon hatten die Teilnehmer
einem Wiener Blatte: „Herr Zell beab- Flat genommen, als ber Pürgermeifter
ſichtigt nächſtens jelbjt einen Operntert bemerkte, dajs Dreizehn am Tifche ſaßen.
zu ſchreiben, diesmal ohne Genie.“ (Geuée „Beunruhigen Sie ſich deswegen nicht ®,
hätte es heißen jollen.) ſagte Liszt gelafien, „ih ejfe für
Zwei!”
Ein böjes Eheweib ward daran er
innert, daſs es am Altare dem Prieſter
laut nachſagend ihrem Mann „Treue und
Gehorſam“ geſchworen habe. „Oh nein!“
ruft die Xantippe aus, „ich habe meinem
Manne vor dem Priefter und allem Wolke
laut Irene, Ungehorjam gelobt !“
In einer Vorftadt von Czernowitz
wurde kürzlich ein Inftiges Hochzeitäfeit
gefeiert. Der Ortsrichter, der demjelben
bis jpät in die Nacht angewohnt und
den unterſchiedlichen Getränfen fleißig
zugeſprochen hatte, verließ das Feſt in
höchſt weinjeliger Stimmung, in Beglei-
tung jeine® Sohnes Franz und eines
‚anderen Mororterichterd, Dem armen
Franz war eine ſehr ſchwierige Aufgabe
zugefallen, benn die beiden ehrwürbigen
Väter wankten und jchwanften gar
bedenflihb und die „Fälle“, daſs bie
Nichts geht über einen pfiffigen Ge- biederen MWürdenträger in intime Ber
meindevorjteher. Als vor einigen Jahren | rührung mit der feuchten Erde geriethen,
in den Oberabelsberger Gemeinde-Wein- | wiederholten ſich in immer kürzeren Inter
keller eingebrochen war und der Dieb im vallen. „Franzi“, begann nun plößlich
Lehmboden jeine Fußipuren binterlafien | der brave Ortsrichter zu jeinem Sohne,
batte, es aber zu fchneien begann, bevor | „Franzi, tel mi da an den Baum,
die Gerichtscommiſſion anlangte, verordnete und bring 'mal erſt das bejoffene Schwein
der Gemeindevorfteher, dab der Gemeinde: | nah Haus!“
Diener die Fußfpuren vorfihtig in einen —
„Wie können Sie mich duzen?“
ſchnauzte auf dem Brandplag ein Beam-
ter einen Bürger an. — „Blauben Sie, ich
babe bier lange Zeit, um Sie zu jagen ?“
gab der andere zurüd,
Bücher.
auf das feinſte ausgenützt find, Der erfte
Theil ift jo ureigen und großartig, dais
Gin zeitgemäher und deutfamer Roman. id) dem Roman fein modernes Werl an
In den Sarpathen ftand
Dorf, Namens Piatra.
ein uralte | die Seite ftellen Tönnte; leider fällt der
In diefes kamen | zweite Theil ſtark ab, die anfangs fo wun—
eines Tages ander&wo verjagte Juden ans | derbar Maren und plaftifeen Geftalten ver:
gerüdt und baten mit allen Rünften der | wirren fih und man hat Notb, fie zu bes
Schmeihelei um eine Wohnftätte. Der)
Priefter von Piatra hatte einen Todfeind,
- Michael Cibula, der im Dorfe ein einflujß:
reiher Mann war, und ein unverjöhnlicher
Feind der Yuden, Diefem Manne zu troß
jegte der Priefter es durch, daſs die Juden
fih anjäffig machen fonnten bei Piatra,
unter der Bedingung, daſs fie den Chriſten
eine Kirche bauten. Die Kirche ward gebaut,
die Judenftätte gedich zu einem blühenden
Dorfe, zu einer Stadt jogar; die Chriften
verfauften den Juden Land, heimatlicdhen
Boden für eitel Gold, und die Juden lichen
fih von den Ehriften das Ehrenwort geben,
daſs fie für alle Zeiten unangefocdhten in
ihrer neuen Stadt wohnen dilrften. Da fam
aus fernem Lande der gewaltige Biſchof,
und anftatt die neue Kirche einzumeiben,
legte er das ChHriftendorf Piatra in den
Bann, der Yuden wegen. Michael Cibula,
ein harter, wilder, aber ftreng rechtlicher
Mann, lonnte das Elend feines uralten
Heimatdorfes nicht mehr länger aniehen, er
gründete fi in der Wildnis eim neues
Heim und fuchte die Übrigen Bewohner von |
Piatra ebenfalls zu bewegen, auszumwandern, |
da man den Juden, die jeder leidenschaftlich
hafste, da8 gegebene Wort nit brechen
fonnte. Uber fie waren nicht zu bewegen,
ihr angeitammtes Dorf zu verlafien, ſon—
dern lebten in dem unwürdigften Verhält—
nifje mit den hebräiſchen Nachbarn jo dahin.
Mittlerweile hatte auch der Priefter feinen
verhängnispollen Irrthum eingefehen, und er
fuchte im Bereine mit Michael Cibula gut:
zumaden, was gutzumachen war, Weil alles
nichts half, die Ehriften von den Juden zu
erlöfen, fo gieng Midael Cibula hin, züns
dete das Dorf Piatra an und veranlajste
alio die Bewohner, auszjumwandern und in
der Wildnis ihren neuen Wohnſitz zu
gründen, während Die
Etätie blieben und ſich ausbreiteten,
des Romanes „Michael Cibula“ von Richard
Voſs (Stuttgart, U. Bonz & Gomp.). Ein»
gewanderte Juden das Berderben eines
ganzen Porfes, und die Chriften, die alt:
angeltammten Bewohner, werden ſchmählich
verdrängt von den Hebräern. Gin gewaltiger |
7 ® E :. beiden Welten von Hermann Riegel.
antiiemitiiher Gedanke, wie jo recht für die
Zeit gedacht. Wer es wiſſen will, in welcher
Tendenz er ausgeführt ıft,
Wert. Nicht einer Tendenz zuliebe fcheint
es geichrieben zu fein, fondern der wunder:
Juden an ihrer,
ſchick möchte ich dem Buche „Michael Eibula*
Tiefer großartige Stoff ift der Inhalt
der leſe das!
licher Seelenconflicte wegen, die aus der,
Situation ſich ergeben und bie dichteriſch Funftliterariichen Schriften find Doc befannt.
greifen. Daſs die Juden endlih Sieger
bleiben, nicht bloß materiell, fondern aud
moraliſch, lann nicht jedem behagen, der
für die alten Bewohner von Piatra ſich ein—
mal fo gründlich intereffiert hat, als es hier
geihehen mujste. Uber das eine Wort ſchreit
ununterbroden aus dem Bude: Sie, die
fonft Gerechten, mufsten weichen und fallen,
weil fie hajsten. Weil fie hajsten!
In vieler Beziehung ıft „Michael Ei:
bula* ein merfwürbiges Bud. Es feſſelt
troß feiner Schwächen von der erften bis zur
legten Seite. Diefe marligen, ftarren, jor:
nigen, racdhgierigen, bigotten, abergläubi—
jhen und doch ftreng rechtlichen Menſchen
haben es uns angethan, Man fann jie
nicht Lieben, aber bewundern mujs man
fie. Es find troß ihrer marligen Erſchei—
nungen Sdealmenfchen, Grundjagmenicen.
Faſt will es mi bebünfen, daſs die
Schilderung der Juden und Die der
Ehriften nit ganz mit der gleichen Liebe
gemacht wäre. Die Juden, im erften Theile
treu mit allen ihren Eigenthümlichleiten
ausgeftattet, werden jpäter fo edel und groß:
herzig, daj3 man den unverjöhnlichen Hais
ihrer Verfolger pfychologiich gar nicht be-
greifen fann; wie verrüdt und wahnfinnig
erſcheinen die Antifemiten von Piatra.
Sollte das auf heutige Ericheinungen ge:
münzt fein?
Der Eindrud, den im ganzen dieſes
Bud auf mich gemacht hat, wird lange
haften bleiben; es ift fo, daſs man es nidt
mehr vergiist, wenn man’ einmal gelejen
bat. Es behandelt ernft und tief eine wich:
tige Gulturfrage.
Dem Dichter Anzengruber iſt von uns
befannter Seite einmal eine Summe Geldes
angeboten worden, wenn er den zweiten
Theil feines Romaned „Der Schandfled“
änderte. Er hat's gethan. Ein ſolches Ge:
wünſchen. Wenn der zweite Theil dem erften
entipridyt, dann haben wir bier ein epode:
macendes Wert. R.
Unter dem Birih. Bunte Bilder aus
(Berlin. Hans Lüflenöder 1890.)
Hermann Riegel! Das ifl der verdienft:
volle Begründer des deutihen Spradver:
eines? Der iſt unter die ſchöngeiſtigen Schrift:
iteller gegangen? Ch, jhon lange, feine
ee —
Dier fommt er als Reifejchriftfieller, als
Bollsſchilderer, als philoſophiſcher Plau—
derer unter dem Strich, als „Feuilletoniſt“,
würden wir jagen, wenn wir ihn fränfen |
wollten, Der ffremdwörter: Feind! nun wollen
mir doc einmal jehen, wie er ohne Fremd:
wort durhfommt, denn er hat ſich oft jagen
lafien müfjen, e3 gienge nidt und der
Schriftfteller folle fein Mittel, auch den
Ausdrud einer fremden Sprade nit ver:
Ihmäben, um genau das zu jagen, waß er
fagen will. In der Sammlung „Unter dem
Strich“ zeigt und Hermann Riegel, dajs
es recht gut geht. Natürli find in den
Neifeaufjägen jene Fremdworte nicht ausge—
Ihlofien, die eine fremde Sade, Stadt,
Gegend, Namen, Einrihtung u.j.w. aus:
drüden oder in Geſprächen mit fjremden
vorfommen, doc find fie zum Zeichen, das
fie nit der deutjhen Sprade angehören,
mit lateiniſchen Buchftaben gedrudt und
oft mit Anführungszeihen verjehen. Der
deutiche Tert, als folder, ift frei von frem=
den Wörtern, injoferne fie nicht in unjere
deutijhe Sprache eingebürgert find. Die
Schreibart ift rein und flar, und aljo bietet
Hermann Riegel in feinem Werke ein
muftergiltiged Borbild, wie man deutſch
ihreibt. Der Inhalt befteht aus Meile: |
ſchilderungen und Erinnerungen au3 Eng: |
land, #ranfreih und Italien und aus|
philoſophiſchen Stüden, wie „Was ift Bil:
dung?“ „Etwas von Kunſt und Sunft:
freunden“ (befonders ſchneidig und treffend), |
„Arbeit und Glüd* u.f.mw. und harmloſe,
aber ftet3 geiftreihe Blaudereien. Den Auf: |
jag: „Der Papft im neuen Rom“ theile ich
demnädft zum größten Theile mit; ihn ganz |
zu bringen, dürfte vielleicht der Staatsanwalt
nicht gerne jehen. Der Aufſatz: „Was ift
Bildung?“ dünft mid etwas zu niedrig
gehalten, der Berfafler gebt weniger auf
Gharalter: oder fittlihe Bildung ein, er|
meint unter Bildung beiläufig die Wohl: |
anftändigfeit im geſellſchaftlichen Verkehr.
Die Lanze, die er mit Recht für die Rein:
Iihfeit und Sauberkeit überhaupt bricht, |
ift diefelbe ſcharfe, die er auch für die Rei—
nigung und Sauberhaltung unjerer Mutter:
jprade ins Feld zu führen pflegt. Es ift
ein prächtiges deutfches Buch, das man von
der erften bis zur legten Zeile liest, und
zwar mit Vergnügen und mit Nutzen.
© diefe Rünſtler! Heitere und ernite
Epiloden aus der Bühnen:, Mufil: und
Malerwelt. Erzählt von Jojeflemwinsty.
(Berlin. ©. Fiſcher. 1890.)
Das Vorwort zu diefem Büchlein rührt |
von Julius Stettenheim. Derjelbe ſchreibt
unter anderem folgendes:
i
Geehrter Herr Lewinsky!
Als Sie ſo liebenswürdig waren, ſo
grauſam zu ſein, mir zuzumuthen, Ihr
ziemlich umfangreiches Manuſcript zu
leſen, und zugleich das ſchmeichelhafte
Erſuchen hinzufügten, ihm einige ein—
leitende Worte an den Leſerkreis auf den
dornenvollen Weg mitzugeben, wur ich
jo leihtfinnig, Ihnen nit nur dieje
Begleitzeilen, jondern aud die Lectüre
des Manufcriptes zuzujagen, Denn es
war eben nidt nur ein Manujcript,
jondern obendrein eines voll Erzählungen
aus dem Leben der Pirtuoien, Mauern:
weiler und fonftiger Künſtler beiderlei
Geſchlechts.
Mich überlief's. Anekdoten, in denen
‚die Bühnenmitglieder eine Rolle jpielen,
find bis zum Überdrujs befannt.
Aber ebenfo reumüthig als dankbar
geftehe ich ein, mich auf das angenehmſte
getäufcht zu ſehen. Ihr Bud ift fein
landläufiges. Wer den gejchilderten Per:
fönlichfeiten (wie ich mehreren) nahe fteht
oder nahe geftanden hat, oder wer fie
oberflählich oder gar nur dem Namen
nah fennt, wird fie im ihrer ganzen
Eigenthümlichleit und Bedeutung wieder:
erfennen oder Überhaupt kennen lernen.
Sie haben Ihre Heldinnen und Helden
mit jharfem Auge, „das in der Weſen
Tiefe trachtet“, beobachtet, und was Sie
mittheilen, wird in Ihrer feflelnden Dar:
ftellung zu frappant ähnlichen Photo:
graphien, wie fie nur die Feder eines
Kundigen zu jchaffen vermag.
Wir lönnen diejes Urtheil gutheiken,
uns hat die Sammlung, von welder diejes
Heft eine Probe bringt, viel Spajs gemadt.
il.
Der neue Demokrit. Bon Dr. Eduard
Maria Schranka. (Berlin. Hans Lüften:
öder. 1890.)
Der neue Demofrit! Ein ftolzer Titel!
Aber in der That, nit ohne Beredhtigung.
Die große Belejenheit erinnert vielfah an
den ladenden Philofophen €. 3. Weber,
deſſen Manen das Werk gewidmet ift. Der
uns vorliegende erfte Band des „Neuen
Demofrit* führt den Titel „Kaleidoilop“.
Er enthält eine Reihe theils mehr, theils
weniger witziger Plaudereien, in welche zahl:
loſe Gedanten, Gedichte, Sprüde, Anel:
doten aus allen PBölfern, Ständen und
Literaturen geſchickt zuſammengetragen und
mit einander verbunden find. Aber au aus
eigenem Leben, aus unjerer Zeit weiß der
Verfaſſer vielfach zu ſchöpfen. Über ſcheinbar
ganz unbedeutende Gegenftände, als eiwa
über Fußſtapfen, Tintenklexe, Bleiftifte,
über „Du“ und „Und*, über die Buchs
ftaben „K. K.“, über Zahnſtocher, Knochen,
Gedantenftrihe u, ſ. w. weiß er hödft
anregend und munter zu fprecdhen, jo dajs
ed immer ein Vergnügen gibt, jo oft man
das Buch auffchlägt. M.
Höhenraud). Neue Gedichte von Maus:
rice Reinhold von Stern. (Zürid.
Verlagsmagazin, 1890.)
Höhenrauch? Diefer Titel ift mir doch
etwas zu dunftig für jolde Porfien. Man
müſste nur jagen, daſs durd den Höhen:
rau ein fhöner Stern ſchimmert. Ein
Stern, der mandmal fo hell leuchtet, daſs
man ihn für einen Stern erfter Größe halten |
fönnte an dem gegenwärtigen deutſchen
Dichterhimmel.
habe ih in dieſen Blätlern Gelegenheit
genommen, darauf hinzuweiſen, dajs jchon
die erften Poeſien von M. R. v. Stern,
welche mitgetheilt wurden, ein nicht ge:
wöhnliches Talent befunden. Die neue
Sammlung „Höhenraud” rechtfertigt ſolche
Meinung volllommen, ja fie übertrifft noch
die Erwartung. Gin glühendes Herz iſt's,
das bier lodert, jet voller Zorn über Ber:
fhrobenheiten und Niedertracht, jekt voller
Natur: und Gottfreude. Das Büchlein ift
Schon vor einiger Zeit
(Straßburg.
' Berlagsanftalt.)
diinn! es würde befjer fein, die allmählich |
entftehenden Poeſien nit in jo zarten
Heften verzettelnd herauszugeben, jondern |
in einem mäßigen Bande, der aud Außer:
lich etwas nachdrücklicher Buchhandel und |
Zejewelt auf ſich aufmerkſam madte. R.
Entgötterte Welt. Philoſophiſche Blau:
derei von U. dv. Sommerfeld. (Zürid.
Verlagsmagazin. 1890.)
Warum ſolche Bücher geſchrieben werden,
ift mir unflar, Nichts Altes beweiſen fie,
nichts Neues jagen fie, niemand erbauen
fie, niemand ergößen fie, niemand befrie:
digen fie. Ergo: Niemand Faufe fie.
R.
Dem „Heimgarten” ferner zugegangen:
Culturbilder aus Steiermark. (Graz.
Verlagsbuhhandlung „Leylam*.)
Agamemnon,. Traueripiel von Guftav
Kaftropp. (Hannover. Hans Waflerlampf
& Gomp.)
Doctor Berh. Schauspiel in 4 Acten
von Lundwig Rohbmann. (Münden,
M. Preßl. 1890.)
Dorfgeldidten aus dem Böhmerwalde von
Sohann Peter. (Leipzig. Guſtav Körner.)
Dofta von Drontheim. Fine wunderiame
Geihichte von Paul Maria Laccroma,
(Dresden. €. Pierjon.)
Aus beweglem feben. Erinnerungen aus
dreißig Kriegs: und Friedensjahren von
Hans Wachenhuſen. Lieferung 4—6.
Straßburger Druderei und
Deutſchlands Weltftellung und Stellung
und Aufgabe der Deutihen im Yuslande.
Bon Ernft Bart. (Zürid, Verlags»
magazin. 1890.)
Das ſtarke Yahr. Bon Sohn Henry
Maday. (Zürich. Verlags: Magazin. 1890.)
Bur Philofophie der ZRinderſprache. Ge:
reimtes und Ungereimtes. Bon Agathon
Steber. Zweite vermehrte Auflage. (Leipzig.
(Leipzig. Th. Griebens Verlag. 1890.)
Elend und Bufriedenheit. über die Ur-
jahen und Mbhilfe der mirtjchaftlichen
Noth. Bon Leopold Heller. (Dresden.
€. Pierjon. 1890.)
Zwölf Polkslieder aus Steiermark für
eine oder zwei Zithern mit unterlegtem
Tert eingerihtet von Alois Dietrid,
Ghormeifter des Mürzthaler Sängerbundes.
(Leipzig. U. Kabatek.)
Deutſcher Yational»Aalender für 1891.
Jahrbuch zur Pflege deutſchen Vollsthums.
Herausgegeben von Karl Pröll. (Berlin.
Hans Lüftenöder.)
Poftkarten des Heimgarten.
Vegetus R., Palparaifo: Brief uns jehr
lieb: Gedichte anmuthig und geſinnungs—
tüchtig, allein zu wenig Urfprünglicteit.
Treuen Gruß aus deutſcher Heimat.
©. 3., Wien: Ein anftändiger Menſch
meidet das Spiel nicht aus Furcht vor dem
Verlieren, jondern aus Furcht vor dem
Gewinnen,
Dr. med. 8. 3., Mannheim: Sie fragen,
welder Glaube die Menichheit erhält? Wir
antworten mit dem Philojophen: der Glaube
an die Menichheit.
A. ®. in Freyenfein: Beften Danf. Er:
ſcheint bei nädfter Gelegenheit.
An die Zeitungen: Wir unter
laflen es, über jeden Auffag die Elaufel zu
fegen: „Nahdrud verboten“, weil das ge:
radefo wäre, als ob man über jeden Schrein
im Haufe den Sat jchriebe: „Das Stehlen
ift verboten“. — Der Nachdruck von Stüden
aus dem „Deimgarten* ift nur nad vor:
bergehender Bereinbarung mit uns be:
ziehungsweife mit der Verlagshandlung
geftattet. Unfere Bedingungen find loyal.
— Manujscripte ohne vorherige Anfrage
nicht einzuſchicken.
Für die Redaction verantwortlib F. A. Bofegger. — Druderei „Leylam“ In Graz.
being
November 1890.
X⸗
—4—
—9—
XV. Jahrg.
a Ir
Der Adlerwirt von Rirdhbrunn.
Eine Torfgefhichte von P. R. Kofegger,
(Fortjehung.)
of Bierter. Abſchnitt.
Winter war mit viel Schnee
%5 gelommen. Das wirlſchaftliche
= Leben des Dorfes nahm eine
neue Geftalt an, vom Walde wurden
auf Sclarpfen*) große Neifigfuhren
gezogen, aus den Berggräben mächtige
Holzblöde gejchleift, von den Zeichen
ber jchwere Eisladungen geführt. Wer
einen Bau vor Hatte im nächſten
Jahre, der zog jetzt Zimmerholz und
Steine zufammen ; der Schnee — von
welchem micht Unterrichtete glauben, |
mit feinen Infaflen an im Kirhbrumm
beim Aodlerwirt auf ein Glas Wein.
Seit es laut geworden, dafs die ein—
zige Tochter des Großbauern zu Geſs—
nitz bald einfahren werde in das Adler—
wirtshaus, war dieſes den Leuten
neuerdings anziehend geworden. Einzig
nur das Weibervolk betrachtete nun
diefes Haus nicht mehr ganz mit den
wohlwollenden Augen als ehedem, aber
das verdirbt nicht viel; Weibsbilder,
meinte der alte Wirt, find ohnehin
nicht die beiten Gäfte.
Um dieje Zeit fehrte eines Tages
daſs er die Wege verjperre — hatte; der Schopper-Schub ein im Adler:
die Bahnen gefchaffen, auf welchen | wirtshaufe. Er hatte immer denjelben
die ſchwerſten Laften leicht weiter be= verwilderten Bart, der nie gefchnitten
fördert werden konnten, Die Straße wurde und der auch wicht eigentlich
entlang ſchellte manch leichtes Sälitten- | in die Länge wuchs, ſondern mehr
zeug luſtig fürbaſs und hielt wohl | Neigung Hatte, ſich zu kräufeln und
zu filzen, was dem Waldmenſchen
*) Aus zwei Baumflänmen gebaute Mh reht war. Mit dem Haupthaar
MWaldidlitten.
Kofegaer's „Heimgarten‘‘, 2. Heft. XV.
ſtand es wahrfcheinlih auch ähnlich,
6
man Jah es aber nie, weil der Mann
den Hut immer aufhatte und Die
ſchweren ſchwammigen Krempen zu allen
Seiten tief herabhiengen. Das matt:
braune Lodengewand Hatte einige
Flicken, doch ſah man es an ihrer
Ungefügigkeit, daſs ſie nicht von
ſchlichtender Weibeshand herrührten.
Eben faſt fo unbehelflich war der
Verband, den er am Linken Arme
trug. Daſs der Schopper mitten im
der Woche Feiertag hatte, kam daher,
weil er ih mit der Holzart unver:
jehens die Hand gejipalten Hatte.
Meiter war es nichts. Ein Kamerad
hatte ihm ein Harzpflaiter gemacht
und den Berband angelegt; ſomit iſt
die Sade in Ordnung, nur dafs der
Mann einftweilen nicht arbeiten kann.
Alſo ſaß der Holzfneht da am
dämmerigen Winkeltiſch und tranf
etlihe Gläschen Brantwein.
„Wo ift denn der Jungherr?“
fragte er auf einmal kurz und jcharf.
„Wo wird er denn fein!“ aut
twortete der alte Mdlerwirt, „in Gej3-
nig wird er fein. — Daft was mit
ihm?“
„Will ſelber mit ihm reden“,
ſagte der Schopper. „Ich kann ihm
ja nachgehen. Hab' eh Zeit dazu.
Mas macht's!”
„Dreimal drei macht neun”, rech—
nete der Wirt die drei Gläschen zu—
ſammen. „Bekommſt von zehn einen
Kreuzer heraus.”
„Schentt ihn einem Bettler“,
fagte der Schopper. Da lugte der
Mirt einmal. — Seit wann geben
denn die Derren vom Siebenbachwald
Trinkgeld? Wahrſcheinlich, feit fie ich
jelber die Knochen entzweihauen.
„— Soll einmal ein Vaterunſer
dafür beten“, ſetzte der Holzknecht
bei, während er Sich raſch von der
Bank erhob und, den Stod feſt auf
den Boden ftohend, davoneilte.
„Kür einen Kreuzer ein Vater:
unfer“, murmelte der Wirt, die kleine
Münze in der hohlen Hand ſchüttelnd,
„viel Andacht wird
verlangen können.“
Der Schopper-Schub wanderte die
Straße entlang gegen Geſsnitz. Der
Weg war wohl für den Schlitten ein—
gerichtet, aber nicht für ungelenkige
Füge. Das glitt immer nach rechts
oder nach links und brachte den Mann
in Gefahr, auf feine wunde Hand zu
fallen. Trotzdem jeßte er feinen Stod
feft ein und fam vorwärts. Er ſann
unterwegs, wie er es machen werde
auf dem Salmhof. Das waren ja
zwei triftige Gründe, wesweg er jegt
hinausgieng. Ein fast leidenjchaftliches
Dantgefühl Hatte ihn vom Sieben—
bachwald heransgetrieben. Der in jein
enges Weſen zutiefft eingefponnene,
und doch vielleicht gelegentlich einer
Selbitentäußerung fähige Waldmenſch
glaubte, daſs der junge Adlerwirt
rein ihm zuliebe von der Frieda
abgeitanden fei und, damit aller Zwie—
ſpalt aufhöre, raſch die andere hei—
raten wolle; dem es war ihm micht
möglich zu denken, dafs unter allen
jungen Weibern der Welt nicht die
Jungmagd Frieda die Begehrenäwer-
teite fein ſollte! — Adlerwirt! wollte
er Jagen und ihn um den Hals paden,
für mein Pebtag bin ich dein Knecht!
Wenn du einmal in Noth follteft jein,
fo rufe mich! Du bift mein treuelter
freund auf der Welt! Du hätteſt das
Mädel Haben können und Haft es mir
überlaffen, Halt dich einer Fremden
angeſchmiedet, die dir gleichgiltig iſt,
hölliſch gleichgiltig. Gott geb's, daſs
ſie dich recht lieb hat! Und wenn du
einmal wen brauchen ſollteſt, Wolf—
ram, der für dich lebt und ſtirbt, ſo
laſs mich holen! — Alſo wollte der
Schopper zu ihn Äprechen, dafs feinem
beißen, in Zorn wie in Freude über-
ihwänglichen Herzen Genüge gethan
werde. Daun wollte er aber auch
ernftlih an ſie Herantreten und am
heutigen Tage die Sache endgiltig
machen, — Hopp! jegt lag er im
Schnee.
Wenn es jo fortgebt
man da micht
auf der
83
Rutſche, jo wird das müheſam bis
Geſénitz. Ein feines Scellen hörte
er Hinter ſich. Mit flinkem Röfslein
jagte und auf leichtem Schlitten ſaß
der Grog-Grübinger von Kirchbrunn,
er fuhr auch gegen Gejsnig. Ei,
dachte der Holzinecht, dem iſt's ein
Leichtes, dafs er mich mitnimmt. Als
der Schlitten vorüberfchliff, rüdte der
Schopper manierlih den Hut, aber
der Grübinger that nichts deögleichen.
„Del“ rief nun der Holzknecht
dem Gefährte nach, zog fein blaues
Sadtuh aus der Taſche und hielt
es hoch in die Luft, „be, Vetter!
Vetter Grübinger!“
Der Bauer hielt an:
denn ?*
„Ihr habt Euer Sadtuch verloren!“
rief der Holzknecht. Die Liit gelang;
während der Bauer jeine Taſchen
durchſuchte, kam der Scopper zum
Schlitten heran umd legte jeine Hand
ihon an das Jod.
„Dir gehört er nicht, der Fetzen!“
brummte der Bauer und wollte es
wieder vorwärts gehen lajien.
„Nachher muj3 er wen andern
gehören“, meinte der Holzknecht und
ftedte das Tüchel in feinen Sad.
„Aber gelt, Better Grübinger, hr
jeid fo gut und Habt nichts dagegen,
wenn ih mich da Hinten auf die
Kurfe Stelle. Ih will nach Gejsnig
und e3 geht jo Häglich auf den Füßen.
Euer braver Rappen — *
„Kunnt mir einfallen!“ lachte der
Bauer grell auf, „Dia!“ Und der
Schlitten glitt rajch dahin, kaum hatte
der Schopper Zeit, das Joch auszu—
fallen, ſich an denſelben haltend, ftol=
perte er eine Weile hinten drein, bis
der Bauer ihm mit dem Peitichenftod
eins auf die Finger gab. Da ließ er
los und ftand wieder allein mitten
in Schnee und Nebel.
„Die Leute find Hart“, murmelte
er vor fih Hin, um jo weicher ift der
Schnee, in welden er feine Ferſen
wieder fräftig einjegte. Es gieng lang=
jam fürbais.
„Was ift
As er nah Stunden durch den
Markt Gejsnig ſchritt, war es finjter,
was ſich gar nicht übel traf. Schon
einmal Hatte ihn Hier der Gendarm
feſtgenommen, obſchon auch bald wieder
losgelafien, nachdem es ſich Heraus
gejtellt, daj3 Hinter der verwilderten
Hülle ein gewöhnlicher Holzknecht
ftedte. — Auf dem Thurme läutete
die Abendglode. Er zog feinen Hut
vom Kopf und betete: „Der Engel
des Herrn brachte Maria die Bots
ſchaft. . . .“ Der junge Adlerwirt
war ihm nicht begegnet, alſo mujste
er wohl noch im Salmhofe fein. Der
Shopper gieng den Hügel Hinaı,
aber nicht nach dem breiten Fahrweg,
fondern Hinterwärt3 auf dem Rain—
fteige. Den Wirtfchaftzgebäuden trach—
tete er zu, er wujste wohl die Futter—
fammer, in welcher die Jungmagd
um diefe Zeit ihre Arbeit zu ver—
richten pflegte. -— „Heut' nimm dic)
zufammen, Schopper-Schub*, jo er-
mahnte er fich ſelbſt. „Denk' nicht
immer dran, daſs du verachtet biſt.
Denk', daſs du auch ein Menſch biſt,
wie alle anderen, und ſei herzhaft.
Geſund und ſtark zum Arbeiten, nie—
mand kann dir was ausſtellen im
Holzſchlag, du veritehjt dein Gejchäft.
Niemand fann dir was nachjagen ;
was du dein Lebtag Haft angeftellt,
das ift nur dein eigener Schaden ges
weit. Die neue Riejen wird jich machen
im MWaldichlag. In ein paar Jahren
biſt Holzmeilter, da kannt Weib und
Kind erhalten jo yut wie ein Graf.
Warum ſoll fie dich nicht gern Haben ?
Menn ihr dein Gewand nicht gefällt,
jo wirf’3 weg, der inwendige Kerl wird
nicht zu schlecht fein für eine brave
Dirn. In Gottesnamen, Schopper!”
Der junge Adlerwirt Hatte ſich im
Laufe desjelben Nachmittages in der
großen MWirtihaft des Salmhofes
berumgetrieben. Anfangs that er ſol—
ches in Begleitung ſeines künftigen
Schwiegervaters, dieſer wurde aber
bald zurückgerufen, er hatte in Ge—
meindevorſtands-Geſchäften zu thun.
6*
84
Der Wolfram fpähte überall umher
und fpielte mit dem Gedanfen, was
mit all dem gejichehen werde, wenn
einmal Vater und Mutter mit Tod
abgeben ſollten. Gegen Abend ins
Haus zurüdgelonnen, gab's eine Jaufe,
aber eine etwas zerrifiene. Die Salm—
hoferin trank ihren Kaffee in der Küche,
der Salmhofer trant feinen Weinkrug
auf der Stube aus, die Haustochter
Kundel Schlürfte ihren Thee im Küchen
zimmerchen und Imufperte füßes Bad
wert dazı. Der Wolfram, welcher
neben ihr ſaß, dankte für den ihm
gebotenen Imbiſs, er jei nicht gewohnt,
eine Jauſe zu nehmen, aber eine Zi—
garre, wenn er ſich anzünden dürfte!
Dieranf beiprachen ſie die Hochzeit.
Die Kundel gejtand vielleicht mehr
unwillkürlich als abjichtlih, daſs es
ihr manchmal fchrediih ſei auf dem
Salınhofe, daſs fie froh fei, dieſem
Orte zu entfommen. Eiternliebe, wo—
von andere Leute jprechen, Habe fie
ja doch nie kennen gelernt. Der Vater
habe fie ein paar Jahre lang in ein
Inſtitut geitedt, fie nachher zu einer
Zierpuppe herrichten wollen, um ſich
mit ihr zu praßlen, bei der Mutter
wäre überhaupt nicht3 zu ſuchen, dieſe
verrichte in der Küche ihre tägliche
Arbeit, die gerade jo gut auch eine
Magd bejorgen fönne, und ſei dann
zufrieden. — Dem jungen Adlerwirt
jchmeichelte diejes Vertrauen der Braut
und es fam ihm faſt gemüthlich vor
im Stübchen, bis die Kundel plößlich
und ziemlich raſch das Fenſter aufs
machte. Der Tabakrauch gieng Freilich
binaus, aber die kalte neblige Winter:
luft gieng herein. Endlich verabſchie—
dete der Bräutigam fich, und während
die Pferde eingefpannt wurden, ſtand
er draußen in der Thür der Heu—
fammer und plauderte ein wenig mit
der Jungmagd. Er lehnte an dem
einen Pfoſten der Thür, fie an dem
andern, weiter ließ fie ihm mit der
brennenden Zigarre nicht in die Kam—
mer. Sie that’ aber nicht des Rau—
ches, fondern der Feuersgefahr wegen.
Ihr Gefpräh wurde ganz leiſe
geführt. „Frieda“, fagte der Wolfram,
„du wirft doch auch bei der Hochzeit
fein ?*
„Weiß es nicht“, antwortete fie,
„ich werde wohl müſſen haushüten.
Die Haustochter hat ſchon jo etwas
gejagt.”
„Hat fie?“ fragte flüfternd der
Präutigam. „Nein, Frieda, ich will's
haben, daſs du bei meiner Hochzeit
die erſte Kranzljungfrau ſein follit.
Es geht doch!“
„Ja, gehen thät's ſchon“, meinte
die junge Magd, „aber ſein darf's
nicht.“
„Wer ſagt das?“
„— ſie.“
„Das möchte ich wiſſen. Ihr ſeid
ja immer gut geweſen miteinander?
Und kameradſchaftlich.“
„Früher, ja“, ſagte die Frieda,
„aber jeit dem Tanz beim Schwam—
bachwirt ift fie arg auf mich.“
„Laſs es gut fein, Dirndel“, ent=
gegnete der junge Adlerwirt. „In das
Gapitel werde ich auch etwas drein—
zureden haben. Sie mag zur Hochzeit
laden wen jie will, ich werde e3 auch
thun. Und verhoff's, daſs wir uns
bei der Hochzeit nicht das letztemal
ſehen werden, Dirndel. Gib mir die
Hand drauf!” Und er jchnalzte mit
der Zunge, was fo feine Gewohnheit
war, wenn er Muth und Ubermuth
in ſich fühlte. „Dirndel, die Hand
drauf!“
„Auf dag gebe ich Feine Hand“,
war ihre Antwort, „der Menſch weiß
nicht Zeit und Stund.“ Zögernd und
zagend hatte fie das geſprochen.
„Und auch zum Abſchied willſt
mir die Hand sicht geben?“ fragte
er nicht ohne Beklommenheit.
„Zum Abichied — ſchon gar nicht“,
antwortete das Mädchen.
„Frieda!“ erſcholl es in dieſem
Augenblicke von der Stallwand her.
Die beiden toben auseinander, Eine
männliche hbohle Stimme war es ge—
wejen. Der junge Adlerwirt fprang
Te
in den Schlitten und vorwärts gieng's
durch Nacht und Winter gegen Kirch—
brunn.
An demſelben Abende war's, als
die Jungmagd Frieda die Thür ihrer
Sammer verfchloffen hatte und nun
vor einem Muttergottesbildchen, welches
an der Wand Hebte, ihre Nuchtgebet
ſprach, al3 auf einmal wie ein Ges
ſpenſt der Holzknecht vor ihr ſtand.
Der Schred war fo groß, dafs ihr
zum Schrei die Stimme verjagte.
Beide Hände ans Herz gebrüdt, jo
fant fie mit einem Hauch auf den
Schemel hin.
„Geſchehen thut dir nichts“, alfo
ſprach num der Schopper. „Aber das
Leutrufen laj3 fein. Sie brauchen es
nicht zu wiſſen, was wir zwei mit—
einander zu reden haben.”
„Wir Haben nicht3 miteinander
zu reden“, konnte jebt die Frieda
jagen. „Geh fort! Dir Haft dich wie
ein Dieb hereingefchlichen! Geh fort!”
„Haft wohl vet, Dirndel, wie
ein Dieb!" entgegnete der Schopper.
„Meil ich deinetwegen jchlecht werden
mufs. Uber daran fchuldig bift dur.
Zu einem Engel hätteſt mich machen
fönnen. Und jet — jeßt kann ein
Zeufel draus werden.”
„Sort geh!“ rief das Dirndel und
Iprang zur Thür, wm fie zu öffnen.
Er fieng fie auf, hielt ihr die Hand
feft und fagte: „Frieda. Sei barm—
herzig. Schau, ih bin ein armer
Burſch'. Glaubt hätt' ich’3 nimmer,
daſs einen die Lieb’ jo kunnt zus
richten. Zwingen kann ich dich nicht,
Frieda. Jh jag’ dir nur das: Wenn
du mich nicht nimmt, jo erleben wir
was. Mit mir und mit dir! ch
ſpring' ind Berderben und du in dein
Unglüd. Der junge Adlerwirt! Unter:
wegs ber bin ich noch voller Vertrau
gewejen zu ihm. Und was ich jebt
hab’ gehört!”
„Bas Haft demm gehört ?“
„Mehr, als er geredet hat, meine
liebe Dirn! Daf3 der jo ſchlau iſt,
das hätte ich mir nicht gedacht. Die
eine heiraten, die andere gern haben!
Bift denn du blind, Frieda! Oper
bift wirklich jo Schlecht ?“
„Holzknecht“, verjeßte jet das
Mädchen ruhiger, „laſs mich aus,
dam will ich reden.“
Im Augenblick ließ er ihre Hand
los.
„Für mich“, ſo redete ſie nun,
„wär' es auch beſſer, du hätteſt mich
zerdrucken laſſen vom Mühlrad. Ich
dank' dir's nicht, daſs du mich haſt
herausgezogen. In der Unſchuld wäre
ich geſtorben und wie es jetzt ſteht,
ſeh' ich vor mir nichts, als lauter
Sünd' und Elend.“
„Den Adlerwirt mufst vergeſſen!“
ſagte der Schopper.
„Vergeſſen! Weißt du, was du
redeſt? Kannſt du vergeſſen? So ver—
giſs mich, ich geh' dich ja nichts an.
Bin nicht deine Schweſter und nicht
dein Geſchwiſterkind. Such' dir eine,
die beſſer für dich paſſt und mid)
laſs in Gottesnamen zugrunde gehen,
wenn es mir fehon aufgejeßt it, daſs
ich jeinetwegen zugrunde gehen joll.“
Sie weinte.
Der Waldmenfch fand wie eritarrt
vor ihr. Endlich antwortete er: „Um
das von dir zu hören, bin ich Heute
weit aus dem Siebenbachwald heraus:
gelommen. — Du Frieda! Flennen
darfjt mir wicht! Flennen kaum ich
dich wicht ſehen!“ Faſt wie drohend
ftieg er die legten Worte heraus und
danıı fuhr er mit den Fingerſpitzen
über ihr Haar Hin, als ob er fie
ftreicheln wollte. „Frieda!“ fuhr er
milder fort. „Vor neun Jahren anı
Magdalenatag, wie fie deine Mutter
haben in die Erden gelegt, Habe ich
dich zum erjtenmal gejehen. Wie du
dazumal geweint haft, du liebes Kind,
du arıne Waife, Jo verlaflen auf der
Welt, — wie du dazumal jo gemeint
haft, das geht mir nimmer aus dem
Kopf, gar nimmer.“
„Mein Gott“, flüflerte jet die
Frieda, „du bift ja ein guter Menjch,
ein herzensguter Menfch. Aber jetzt
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muſst du fortgehen, du armer Burſch,
fhau, es kann nicht anders fein, Ach
habe ja nichts gegen dich, wen ich
nur könnt', wie wollt’ ich dich lieb
haben mit Freuden, dich ganz allein.
Und es hätt! eine gute Wendung.
Wie es jebt jteht, ich weiß mir ja
nicht zu rathen und nicht zu helfen.“
„Solljt ſchuldiger Weis fo reden ?“
fragte er.
„Bott Lob und Dank, nein!”
antwortete die Jungmagd, „aber fürch—
ten thu' ich mich, jo oft ich ihn ſehe.
Bei der Hochzeit will ich nicht fein,
nah Kirhbrumm auch mein Lebtag
nicht gehen. Jh will mich ja hüten,
joviel es menjchenmöglih iſt. An
meine Mutter Haft mich gemahnt,
Shopper. Ihr letztes Wort zu mir
ift gewejen: Frieda, wenn du dir nicht
ausweißt, jo knie' hin und thu’ beten.
Ich will's thun, Holztnecht, und will
jo lange beten, bis ich dich recht lieb
dab, und nur dich allein.“
Das fagte fie mit ſolcher Innig—
feit, al$ wäre die Liebe zu ihm be=
reits da.
„O glüdjelige Stund'!“ wimmerte
der Waldmenſch und drüdte ſein bär—
tiges Geſicht an ihre Schulter, in ihr
Haar, „du herzliebe Dirn, ich geh'
ſchon, ich geh' gern. Beten! Beten!
Gute Nacht, du herzliebe Dirn!“
Alſo ſtürzte er wie raſend vor
Glück davon, hinaus im die tiefe
Winternacht — den jauchzenden Him—
mel im Herzen, ſeinen fernen Wäl—
dern zu.
Fünfter Abſchnikt.
Ganz Geſsnitz war in Aufruhr.
Bald nah Mitternacht ſchon Hatten
fie angefangen mit den Böllern zu
fnallen, und zwar nicht bloß auf dem
Salmhof, wo hinter dem Hanſe ein
großes Feuer brannte, jondern auch
bei anderen Bauernhöfen der Umgegend,
ftändigen Gemeindevorftandes,. Und als
über den Dunftichichten der große
rothe Sonnenball heraufitieg und die
Hochzeitsgäfte gegangen, gefahren
famen von allen Seiten ber, du
firatterten auch die Piftolen drein, das
Kleingewehrfener zu den Kanonen—
Ihüflen, daſs es jchier zu hören war,
ald würde eine große Schlacht ge—
Schlagen im Thale von Gejsnig. Wo
der Weg vom Salmhofe in den Markt
hineinmündet, war jogar ein Schwib-
bogen gebaut aus Fichtenreifern. Bon
der Gärtnerei der Herrſchaft Kloben—
ftein war ein großer Brautjtrauß ge—
fommen als Dochzeitigabe, denn der
Klobenfteiner Baron und der Salm—
hofer ftanden miteinander in reger
Gejchäftsverbindung.
Übrigens Hatte die Hochzeit des
jungen Wodlerwirte® mit der Salm—
hofer-Tochter etwas Städtilches. Es
gab dabei Herrichaften in Frack und
mit hohen Seidenhüten, worunter der
Herr Schwager Amtscontrolor eine
der würdigſten Erſcheinungen war.
Auch der Salmbofer trug einen ſehr
langen rad, einen ſchwarzen Röhren:
Hut, einen hohen, aufgefteiften Hals—
fragen mit zwei an beiden Seiten
des Kinnes Hervorftehenden Spigen,
eine ſchneeweiße Weite, die über den
halben Bauch hinabgieng, ein ſchwarzes
Beinkleid und tadellofe weiße Hand—
Ihuhe. Die Salmdoferin an feiner
Seite Jah dagegen ganz bäuerlich und
faft ärınlid aus, Der Bräutigam war
in ſchwarzem, dorfebürgerlihem Ans
zug, der fih nur auszeichnete durch
das Myrtenſträußchen am linken Bruſt—
flügel. Diefes Schwarze Gewand gab
dem jungen Manne ein überaus interz
ejfantes Ausſehen, fein Geſicht ſchien
blaſſer als ſonſt, und in ſeinem großen
Auge war ein ſeltſamer Schmelz, wer
es nur hätte jagen können, ob mehr
auf friſchen Muth oder auf weich
müthige Rübrfeligkeit hinweiſend. Seine
die da zeigen wollten, welch freudigen natürliche Deiterfeit ſchien er heute
Antheil fie nähmen an dem Feſt- und
Ehrentage der Familie ihres große
daheingelaffen zu haben beyn All—
tagsgewand, ernjthaft, gejeßt, wie es
87 ”
einem Bräutigam anfteht, war jein
Weſen und man fah gleich, dajs die
Würde des Großbauernhofes jich auf
ihn zu vererben begann. Die Braut
Kunigunde trug ein ſchweres weihes
Seidenfleid mit Schleppe und auf
dem funfivoll geflochtenen, fait ſchwarz—
glänzenden Haar ein Myrtenkränzlein.
Ihr Schönes Geſicht war jebt, wie fie
vor dem Altar ftanden, als ob es von
reinſtem weißem Marmor gemeipelt
wäre. Man hatte zu Geſsnitz nie eine
Braut gejehen, die jo würdig und
ernft war, und nie eine, die am
Hochzeitstage nicht einmal ein wenig
gelächelt und nicht einmal ein wenig
geweint hätte. Aber die Kunigunde
war eine jolde. Manche behaupteten,
das märe ein tiefes Waſſer, aus—
wendig eine Mutter Gottes, inwen—
dig —. Ein Glücksmenſch ſei diefer
Adlerwirt! Die Braut jo jchön, fo
adhtunggebietend, jo reih! — Ob jie
für eine Wirtin am Ende nicht doch
ein wenig zu vornehm it! Wirtinnen
können nicht artig genug fein. — Oho,
MWirtinnen können nicht zurüdhaltend
und ernfthaftig genug fein! — Ein
Glücksmenſch, diefer Adlerwirt!
Als das Brautpaar vor dem Altare
ftand, al3 der Molfram ihre zarte
kleine Hand in der feinen hielt, als der
Prieiter die Stola darüber wand, da
machte der junge Adlerwirt im Herzen
ein Gelöbnis. — Ich will ein treuer
Mensch fein. Junge, lebluftige Weiber
gibt es genug, auch foldhe, die
Ehrenhaftigfeit verkaufen! Nein. Ich
habe jet mein Weib. Und ift fie
gleichwohl noch froſtig wie ein März«
tag, ich will jo viel Sonnenjchein auf
lie legen, bis die Blume aufblüht.
Durch die Liebe fann man alles über:
winden, jagt mein Profeſſor Nix, auch
die ſchlimmen Weiber. Schlimm aber
ijt fie gar nicht, nur ein wenig herb.
Und herbe Trauben geben den halt-
barften Wein. Mein liebes Weib,
du! — Er drüdte ihre Band, fie
wujste freilich nicht, was er dachte.
üppig bis zum Tiſchbrechen. Auch
dabei gieng es jo vornehm zu, daſs
alle Kellner von Geſsnitz anweſend
waren, um an der Tafel die Speiſe—
ſchüſſeln herumzutragen von Gaft zu
Soft. Die Braut wintte fait jedes
Gericht mit einer Dandbewegung ab,
fie aß nichts, fie trank nichts, fie Sprach
nur wenig, ließ aber ihr wachſames
Auge ftet3 in die Runde gehen, um
die Ordnung des Dienervolfes zu über=
wachen und etwaige Verſtöße desjelben
mit einem ftrafenden Blick, mit einem
tadelnden Worte zu rügen. Der
Wolfram fuchte mit der nebenſitzenden
Schwiegermutter ein Gefpräh zu
unterhalten; e3 war jedoch mit der
einfachen, bejcheidenen Frau nicht viel
anzufangen. Umfomehr fröhlichen Lärm
machte der Salmhofer, bejonders wenn
das weiße Kätzchen, welches er bei ſich
auf dem Schoß hatte und mit Leder-
bifjen fütterte, auf den Tiſch ſprang
und ungebührli ward. Alſo dachte
der Wolfram, werden wir uns nur ans
Eſſen und Trinken hatten, diejer Tag
wird mit Gottes Hilfe ja auch nicht
ewig dauern.
Am Abende, al3 die Lichter ge=
kommen waren und die Mufitanten,
Hub die Hochzeitigejellihaft einen
anderen Takt an. Es ward laut und
Iuftig, die Leute wogten durcheinander,
aber die Braut zog fich zurüd auf ihr
Stübchen, weil ihr die Aufregung
und der Lärm des Tages ein wenig
Kopffchmerz verurfacht Hatten.
Der Wolfram gieng Hinaus in
die Friiche Luft. Ein klarer Sternen—
himmel flimmerte, der Adlerwirt ſah
ihn faum, er war in verfchiedenerlei
Empfindungen verfunfen und auf ein—
mal that er einen tiefen Athemzug
und jagte halblaut: „Alfo wäre ich
verheiratet!”
Dann fam ihm zu Sinn, was er
am Altare gedaht und dajs er nun
von jemanden Abjchied nehmen müſſe
mit allen Ernft.
Im Wirtichafttgebäude war Die
Die Mahlzeit im Salmhofe war Gefindeftube heil beleuchtet, da drinn
88
gieng’3 fröhlich zu, der Wolfram trat
ein, Mit heflem Gefchrei hoben fie ihm
die Gläfer entgegen und tranfen auf
feine Gefundheit. Er ſetzte ſich ein
bijächen zu dem Gelinde an den Tiſch,
da erfchien die Aufträgerin mit friſchem
Teller und Glafe, legte ihm Krapfen
vor, und einfchenfen, meinte fie, würde
er ſich wohl jelber können.
„Sa, Frieda!“ lachte der Bräuti-
gam der jungen Aufträgerin zu, „eine
ſchenken, das fann ich, aber austrinfen
muſst du. Auch von dir will ich eine
Gejundheit Haben.“
Die Jungdirn nahm das Glas,
ſchwenkte es ein wenig gegen ihn:
„Zur guten Gefundheit!“ und nippte,
„Seht iſt's recht!“ rief der Wolfram
fuftig mit der Zünge ſchnalzend und
fafste fie an der Hand und blidte ihr
frisch ins Auge, „trink' noch einmal,
Frieda!“
„Dank' ſchön!“ antwortete fie
ſchmunzelnd, „es möcht’ zu viel fein.”
„So gib her!“ er nahm ihr das
Glas aus der Hand und während er
ihr feſt ins Ange blidte, leerte er es
auf einen Zug.
Als er nachher wieder über den
Hof Schritt, ward ihm bedenklich. —
Ein Abjchied das? —
Alſo das war die Hochzeit ges
weien.
Und nun kam das Siedeln. Der
Möbelfuhren von Geſsnitz nah Kirch—
brumm waren fo viele, dafs die Leute
Ihon fagten: „Mein Gott, wie wird
denn das alles Platz haben beim
Adlerwirt, es zeriprengt ja das Haus!“
Frau Kunigunde ward eingerichtet
wie eine Gräfin. Alles nagelneue
Saden. Rococo war Mode. Rococo!
Man wufste zwar nicht, was das war,
beitellte eS aber. „Koften thut auch
ein Trödel was“, hieß es, „alfo am
beften, ſich gleich ordentlich einrichten.“
Es gab Überrafhungen, als die Sachen
anfamen. Frau Kunigunde war micht
jo leicht zufriedengeftellt von den Ars
beiten der Tiſchler und Tapezierer
aus der Kreisſtadt, fie meinte, das
plumpe Zeug fei gar nicht anzufehen
und e3 wäre am Hügiten, ſolche Dinge
geradeswegs aus Paris zu beitellen.
Mit diefem Sinn für die feinfte Vor—
nehmheit jeßte die junge Frau ganz
Kirchbrunn in Erſtaunen.
Ungefähr eine Woche nach der
Hochzeit war der Salmhofer ange—
fahren gekommen, um ſich das neu—
eingerichtete Neſt der jungen Leute zu
beſehen.
„Nur ſo zu, Wolf!" ſchnarrte er
den Schwiegerſohn an. „Meine Tochter
hat Erziehung genoſſen. Halt’ fie fein!
Laſs ihr nichts abgehen! Für die
Kühe nimm dir eine Köchin, mein
Kind hat Nerven, die nicht für deu
Küchendunft find.“
Der Molfram nahm diefe Ver—
haltungsmaßregeln ganz ruhig hin.
Nah einem Imbiſs, der dem Schwie—
gervater vorgejeßt worden und wobei
der Salmhofer einmal jeinen würdigen
Bart ftreihelte, und das anderemal
feinen Oberfchenfel, obzwar heute das
weise Kätzchen nicht darauf ſaß —
bat der alte Adlerwirt ihn auf ein
Wort in feine Stube. Der alte Wirt
war vor langem Zuwarten auf eine
gewilje Unterredung ſchon ganz aufs
geregt geworden. Und weil der
Schwieger auch heute wieder nichts
desgleichen that, als wäre eine ſolche
an der Zeit, jo machte der Wirt nun
feine Umftände mehr.
„Schwieger“, jagte er, ihm einen
Seſſel hinfchiebend, „must ſchon ent-
Ihuldigen, es ift, dafs man ſich ein—
mal ausredet von wegen Lebens und
Sterbend. Wir find nimmer jung
und mein Sohn weiß, was er von
mir zu erwarten hat. Es iſt, dajs er
weiß, wie er dran ift und die Wirt—
Ihaft einrichten kann.“
„Daft ganz recht, Adlerwirt, nur
alles in Ordnung machen“, antwortete
der Salmhofer. „Weiß auch, dafs mein
Kind bei euch gut geſtellt iſt. Iſt ein
gutes Kind, wer es zu behandeln ver:
fteht, ein herzensgutes Kind.“
„Und eine rechtichaffen ſtolze Na—
tur”, Ienktte der ſchlaue Adlerwirt
über, „Jo dajs ich mir ſchon gedacht
habe, ob jie nicht etwa gedrückt ift,
wenn... Das möchte ich ihr nicht
wünſchen! Sie wird auch auf was
pochen wollen, und Hat ganz recht. Ich
meine, Schwieger, du — jollft was
jchreiben laſſen.“
Der Salmhofer Hatte ſich kaum
gejeßt, fo fand er jetzt wieder auf,
vahm Hut und Stod; aber nod an
der Thür wendete er fih um und
ftieß ſprudelnd die Worte hervor:
„Ih glaube, die Ausftattung ift
wicht zu gering ausgefallen. Hat mich
baare zweitaufend Gulden gefoftet.
mern mich die Gäſte!“ war ihre Ent-
gegnung.
Der Wolfram mwufste wohl, was
darauf zu jagen war, doc) er wollte
nicht ftreiten. „Junge Hausfrauen
find ſchon ſo“, tröftete ihn der Vater,
„und fie wird ſich die Hörner jchon
abſtoßen.“
Auch mehrere Dienſtboten, die
ſich nicht gleich in die neue Haus—
ordnung ſchicken konnten, wurden ent—
laſſen und neue aufgenommen. Und
gerade wenn eins recht brauchbar war
und ſchon lange im Hauſe, gerade das
mufste fort. Die Frau Kunigunde
wollte nicht, dafs ein Dienftbote im
Haufe jei, welcher beſſer Bejcheid
Nah meinen Ableben — wenn ich wußste, als fie felber.
um ein Eichtel Geduld bitten darf! —
wird fie friegen, was da if. Wer
denn ſonſt?“
Ohne ein weiteres Abſchiedswort
gieng der Großbauer zur Thür hinaus
und fuhr davon.
Etwas Heinlaut theilte der alte
Adlerwirt dem jungen diejes Gefpräd
mit und fügte bei: „Heißt's halt jo
weiter fretten derweil. Wie lang wird
er’3 denn machen! Er trinkt zu
viel.“
Der Frau Kunigunde war es nad
ihrem Einzuge ins Wodlerwirtshaus
vor allem darum zu thun gewejen,
jedermann zu zeigen, daſs jie Hier
die Frau ſei. Alles wurde ge—
ändert, ſchon in den eriten Tagen.
Kein Möbelftüd blieb an feinen Plaße
ftehen, und wenn der Wolfram eins
wendete, das ſei ſchon bei feiner
Mutter Lebzeiten jo geweſen, gab fie
zur Antwort: „Liebes Kind, aljo
hat’3 deine Mutter geftellt nach ihrem
Belieben, und ich werde es auch thun.“
Im Salmbofe war um zwölf Uhr
Mittagszeit, alfo mujste auch im
Adlerwirtshaufe die Suppe um zwölf
Uhr auf dem Tiſche ftehen. „Kundel“,
gab ihre der Wolfram zu bedenken,
„in den Wirtshäufern macht fich eine
jpätere Mittagsftunde befjer, wenn die
Gäſte gefpeist Haben.“ — „Was küm—
„Daſs dir die fremden Gefichter
nicht zunvider find!” ſagte einmal der
Wolfgang zu feiner Frau.
„Mir find die einen wie die
anderen fremd“, war ihre Antwort.
„So möchte ich an deiner Stelle
wenigjtens ſolche nehmen, die ich ſchon
kenne. Dein Bater wollte dir gewiis
gerne ein paar Leute von feinem Dofe
abtreten, die deiner Art und Weiſ'
leichter nahlommen könnten. Bejon-
ders MWeibsleute jollteft verläfsliche um
dich Haben.”
„Meinſt?“ gab fie lauerud zurüd.
„Wir haben jegt feine ordentliche
Küchenmagd und feine Weidmagd.“
„Wie foll jie denn heißen?“
„Heißen kann fie wie fie will,
aber brav und fleißig mujs fie fein.“
„Soll fie nicht Frieda heiken ?*
fragte fpißig die Frau Kunigunde.
Der Wolfram that überlaut einen
Lacher. „Wie du jebt auf die Frieda
fommft!* Er brach ab und gieng
hinaus.
Bon diefem Tage an war er eine
Meile wortlarg. Und damit Frau
Kunigunde die Urſache nicht merken
jollte, warf er ihr unverhohlen vor,
daſs das nicht ſchön wäre von ihr,
dem alten Vater die liebgewordenen
Gewohnheiten zu vergällen, ihm fogar
die Mittagszeit nach ihrem Gutdünten
zu verlegen. Über die Speifen felbit
rede man ohnehin nichts, diefe würden
zubereitet nicht nad) feinem, jondern
nah ihrem Geijhmad, und der fei
nicht allemal der befte.
„Einen bejjeren haft du“, gab ſie
raſch wie immer zur Antwort, „weil
du deiner eigenen Frau ſchon jebt,
wenige Wochen nad) der Hochzeit, das
Eſſen miſsgönnſt und dich nach einer
Stalldirne umſehen möchtelt.” Da
weinte fie auch ſchon heftig im ihr
Spitzentuch.
„Aber Kunigunde!“ rief nun der
Wolfram und wollte koſend begütigen,
ſie ſtieß mit dem Ellbogen heftig nach
ihm, da gieng er zum Herde, zündete
ſich eine Zigarre an, ſtieg in die Gaſt—
tube und unterhielt fi mit den
Gäften.
Ein Fleiſchhauergeſelle aus Geſs—
nig war da, den fragte der junge
Adlerwirt nach Neuigkeiten. Natürlich
marjchierte der drohende Krieg auf,
der in den Zeitungen ftand, dem er
fteht immer drin. Aber dem Wolfram
war das zu wenig. Als braver Schwie—
gerjohn fragte er dem Salmhoſe nad,
ob dort alles gejund jei, oder ſonſt
beim Alten? Ja, der Salmhofer liege
auf feiner Holzbank, ſchäkere mit den
Katzen und Habe jo manchmal fein
Räuſchchen. Man merkte es dem
Tleifchergejellen an, welche Gewalt er
ih anthun musste, um die ganz
unverhältnismäßige Verkleinerung zus
wege zu bringen, aber anders mochte
er mit dem Schwiegerfohne doch nicht
iprehen. — Und was die Mutter
mache ? wollte der Wolfram willen. —
„D Gott!” jagte der Fleischer.
„Dafs fie nicht am Ende mehr
Sorgen zu tragen Hat, jet, weil die
Tochter fort iſt!“ Fürchtete der junge
Adlerwirt. „Sie wird fi doch von
den Dienſtmägden eine abrichten fürs
Haus oder jo.“
„sm Gegentheil”, erzählte der
Gefsniger, „verjagen thut fie eins
ums andere. Geſtern ift bei der Jung:
magd die Dienftzeit aus worden.“
90
„Bei der
Wolfram.
„Wird fo geheigen haben. Bin
juft mit einem Kalb vorübergefonmen,
wie fie mit ihrem Bündel den Hof
verlaffen bat. Und Augenwafler, dafs
ih fie noch frag’: Was hat's denn,
Dirndel? Wandern mufst? Ja, wohin
denn jegt im Winter? Wille es jelber
nicht, hat fie gejagt, und fort nach
der Straßen.”
Nun wujste er’3, der Adlerwirt,
was er millen wollte. Daſs er jet
aber noch mehr wiſſen wollte, und
was alles, das fonnte er niemandem
jagen.
der Frieda!“ fragte
Sechſter Abſchnitt.
Endlich war der Winter vorbei.
Und eines Tages in dem Maien
fam der junge Adlerwirt zu feiner
Frau mit einem erbrocdhenen Briefe
und fagte froh erregt: „Dies Yahr
fommt er früh. Er kann es ſchon
faum erwarten, die junge Adlerwirtin
fennen zu lernen, fchreibt er. Der
Profeſſor Nir.“
„Wer ift denn der?“ fragte Frau
Kunigunde gleihmüthig.
„Ich Habe dir ja erzählt von dem
Herrn, der alljommerlich zu uns kommt
und bei uns bleibt, und der mich fo
mancherlei gelehrt hat. In dieſem
deinem Zimmer bat er immer ge=
wohnt.“
„Sp joll ih wohl jebt ausziehen
und den Deren Profeſſor Nir herein»
lafjen ?“
„Kundel”, ſprach der junge Adler=
wirt und machte einen vorwurfsvollen
Bid. „Kundel, du bift immer jo
boshaft. Wie kann denn vom Aus—
ziehen die Rede fein! Der Profeſſor
befommt das Stübchen gegen den
Baumgarten hinaus, er wird damit
zufrieden jein. Es ijt ein netter Herr,
du wirft ihn gewiſs liebgewinnen.”
„Da3 Baumgartenzimmer Tann
ich ihm nicht abtreten, ich Habe meine
Garderobe drin.”
„Bielleiht wollteft du deine Klei—
der bier in der Nebentammer unters
bringen, es wäre bequemer für dich.“
„Geh, geh, Wolf“, entgegnete fie,
„meine Bequemlichkeit! das ich nicht
lachen muſs! Nur um deinen Herrn
Profeſſor geht’3 dir. Nein, das Baum—
gartenzimmer belommt er nicht.“
RK
Mit der Stube war der Profeijor
vecht zufrieden, da Hatte er Platz
genug für alle feine Bücher und
Schriften und Ledertafchen und Bo-
tanifierbüchfen und Staffeleien, und
er breitete ih behaglih aus. „Ein
Herzensferl bift du!“ rief er dem
Wolfram zu, „gut meinft du mir's.
„So werde ih ihm das große) Wenn ich einmal fterbe, jo bedente
Zimmer über der Gaftitube einräu—
men“, fagte er, aber in einem Zone,
der auzeigte, dafs er nicht gewillt jei,
weiter mit ſich handeln zu laſſen.
„Das kannſt du tun“, antwor—
tete Fran Kunigunde. „Ich kümmere
mich micht um deine guten Freunderln.
Nur bitte ich dich, auch mir nichts
dreinzureden, ich will Ruhe haben.“
Und eine Mode nah Ankunft
eines Briefes, kam er jelber. Es war
noch ganz der Alte wie im vorigen
Sahre. Dem Wolfram fiel er mit den
ih dich in meinem Zeftament. Du
jollft das ganze Firmament haben
mit allen Sonnen und Sternen. Nur
der Halbmond iſt ein Legat für die
Türken. Ein charmantes Zimmer
das!*
Der Wolfram jagte nichts auf
diefe Ergießung. Und bald machten
ih zwei Heine Nachtheile fühlbar in
der Schönen großen Stube. Tagsüber
war’3 der Rauch des ſcharfen Bauern
tabats, deilen Düfte von dem Gaſt—
zimmer durch die Fugen in des Pro—
Worten: „Junge! Hat die Liebe noch | fejjors Stube drangen. Aber das war
ein Stüddhen
laffen für den alten Nir?* in die)
Pfeife ſog fo ein unjauberer Gejelle,
Arme.
Die Artigfeiten, welche der Adler: |
wirt ftoiterte, unterbrach er ſofort:
„Iſt Thon recht. Laſs die Thorheiten,
dein Weibchen will ich fehen.*
Er ftürmte in die Gaftitube, in
die Küche, da war fie aber nicht.
As er ſpäter Hinaufitieg zu feiner
neuen Stube, begegnete ihm auf der
Treppe eine Dame, die er flüchtig
grüßte, weil er fie für eine fremde
hielt. Es war aber Fran Kunigunde.
Als er das gewahr wurde, eilte er
ihr nad: „Frau Mdlerwirtin! So
wollen wir zwei micht beginnen, ſelb—
ander. Einen herzhaften Händedrud,
oder jo etwas! Mit meinem Segen
für den heiligen Eheſtand komme ich
wohl jpät! Aber nie zu Spät! Nie zu
jpät!
Frau Adlerwirtin!“
„Guten Morgen!“ entgegnete die
Frau ruhig.
Profeſſor Nir war hübſch abge—
kühlt und ſie wechſelten einige höfliche
Worte.
Gottes Gruß zu tanſendmal,
Wolfram übrig ges | nicht das Schlimmfte, am Bauerntabat
war auch noch eine Pfeife, und an der
der bis in die Nacht hinein ſitzen
blieb und mit anderen ähnlichen Ges
jellen lärmte, jo daj3 der gute Pro—
feſſor Nir oben fein Auge ſchließen
fonnte. Aber er that nichts desgleichen,
jondern tröftete fih damit, daſs ſol—
ches zur Sommerfrifche gehöre.
Bei einer nächſten Gelegenheit
jagte er zu jeinem jungen Wirte
folgendes: „Wolf! Jh muſs dir
nur gejtehen, du Haft ein ſchneidiges
Weib. Das Hat mir alle Kuraſch ab»
gekauft. Eine ſolche Hausfrau wird
ganz gut fein, fie erfpart den Ketten—
Hund. Die Diebe und die Betrüger
und die Heuchler und Schmeichler
wirt du nicht zu fürchten brauchen,
Frau Kunigunde hält fie alle fern.
Einer Untreue wirit du bei ihr aud
ficher fein, ſie läjst feinen an ſich
heranfommen. Wenn fie dir jo recht
ift, nachher biſt du geborgen, nachher
kann dir nichts mehr geichehen.*
Der Wolfram wußste nicht recht,
waren dieſe Bemerkungen ein Xob
auf feine Fran, oder etwas anderes.
Er nahm’s in Oottesnamen fürs er—
ftere und war's zufrieden.
Der Profeſſor gieng, wie es
in den früheren Sommern geichehen,
feinen Bergnügungen nah in Wald
und Flur. Die Gegend um Kirchbrunn
ift fo recht das, was man freundlich
nennt. Mittelhohe Berge mit ſauften
Kuppen und Muldungen und alles
was nicht im Thale Feld und Wieſe
war, hübſch bededt mit Hellgrünenden
Buchenwäldern, in welden dunklere
Fichtenbeftände eingejprenfelt waren.
Aus den ſchattigen Engthälern kamen
Bäche hervor, zwijchen den Wiejen
gab es Teihe und Heufhoppen und
Getreidemühlen. Profeffor Nir kannte
alle Wege und Stege und die meilten
Bewohner des Thales. Mit dem einen
ſprach er ernfthaft, mit dem anderen
jcherzte er. Wenn er aber in Regen
tagen an das Adlerwirtshaus gebannt
war, da kam's ihm — fojehr der
Regen draußen auch riefeln mochte —
in der Stube nicht mehr ganz fo
gemüthlich vor wie jonft. Häufig ſaß
er in der Gaftitube, doch es fehlte
auch Hier mandmal an Gejellichaft.
Der alte Wirt war mifslaunig, der
junge wortfarg und die Wirlin gar
nicht zu jehen.
Eines Tages war der Wolfram
davon. Am erjten Tage kümmerte fich
um jeine Abwejenheit niemand; am
zweiten Zage meinte der alte Wirt,
jein Sohn müfje auf einen Viehein—
fauf gegangen fein, aber man wun—
derte ſich doch, daſs er weder jeiner
Frau, noch jeinem Vater davon etwas
gejagt hatte, Als er am dritten Tage
immer noch nicht zurück war, wurde
dem alten Wirte bang und wurde
dem Profeflor bang. — Wen der
Wolf nichts gejagt Hat, wohin, jo
dachte letzterer ſich, und in der Nach:
barſchaft weiß auch niemand etwas
von ihm, und es iſt ſonſt nicht ſeine
Art, daſs er ſo davonläuft, ſo ſieht
das ja aus wie ein Unglück! Frau
Kunigunde hub an zu zanken. Der
92
Profeſſor ſtellte ihr vor, daſs dem
Wolfram etwas zugeſtoßen ſein könne.
„Ja natürlich, der Leichtſinn iſt
ihm zugeſtoßen!“ rief fie. „Gott weiß,
two er umberzigeumert! Ich Taufe ihm
nicht nach. Meinetivegen mag er fort=
bleiben über Jahr und Tag. Wenn
ih nicht will, da friegt mich feiner
mit Lieb’ und feiner mit Trutz.“ —
Der Wolfram war unter dem Vor—
wande, vorjährigen Apfelmein zu kau—
fen, die Gejsnigergegend abgegangen
bis hinaus nad) Niederleuth und Sanct
Magdalena; in allen Bauernhäufern
hatte er zugeſprochen, ſich nebenbei
auch um Zuchtkälber umgejehen; er=
fanden jedoch hatte er nirgends etwas.
Daun war er im großem Umkreis
gegen das Gebirge gewandert, Hatte
dort anftatt nach Apfelwein nah Bau—
holz gefragt, aber auch Hier michts
gekauft. Endlich rüdte er feiner Ab—
ficht näher und erkundigte fih nad
Dienftboten für die Sommerarbeiten,
vor allem nach Heuheberinnen und
Schnitterinnen — e3 war vergebens,
die er fuchte, fand er nicht.
Und als er rathlos ſchon auf
dem Heimwege war, fiel es ihm ein:
fie ift im Siebenbahwald bei den
Holzleuten. Er mufste e$ aber wiſſen.
Er wanderte in die Wälder und fam
zu den Siebenbahhhütten, weldhe in
einem engen Waldthale jtanden, von
zerrifjenen Bergen umgeben. Hoch von
einen Bergichlag nieder gieng eine
neue Holzriefen, in deren Rinne glatte
wichtige Blöde berabglitten. Saufend
und dröhnend kam das niederwärts
auf fteiler Riefen, die in großen Bo—
gen fih wand, über Hänge und
Schluchten gebrüdt war und fo ſorg—
fältig und wohlberechnet gemuldet,
daf3 fein Blod ausfpringen konnte.
So kam das herab bis zu Thale, wo
die Rieſen jachte ſich ebnete und die
ſchwerſten Blöde faſt janft aufs Erd—
reich warf, um dann bon etlichen Män-
nern zur Kohlitatt gejchafft werden zu
können. Bei diefen Männern war jie
nicht. Der Wolfram fragte dem Schopper«
03
Schub nah. Der ſei auf dem Berge
au dem oberften Ende der Rieſen.
Der Adlerwirt jtieg hinauf, der Berg—
bang war fteil und vielfach von
Schluchten und Gräben durchfurcht.
Da ſah man erſt die ganze Kühnheit
des Baues der Holzleitung. Strecken—
weiſe ſtrich ſie in ſchönen Curven an
dem ſteilen Hang dahin, dann ſetzte
fie, auf ſchlanken Stämmen wie auf
Strohhalmen geftüßt, über Waldmwipfel
und Abgründe, in deren Tiefen Wäſſer
rauſchten.
„Seit Menſchengedenken“, ſo er—
zählte der Holzknecht, welcher den
Adlerwirt hinanfbegleitete, „hätte man
es nicht für möglich gehalten, daſs
wir den Zagelwald herabkriegen könn—
ten. Zu Hunderten und zu Zaufenden
ind fie vermodert und verfallen, obeı,
die jchönften Tannen und Lärchen,
und fein Menjch Hat fie nugen können,
weil fie nicht herabzubringen geweſen
find. Debt geht's pielend. Und haben
ihn zuerſt alle ausgeladht, den Schop—
per, wie er gejagt, er baut die Rie—
fen. Dat aber den Holzmeilter jauber
überzeugt, daſs es geht, hat fie mit
dreigig Holzknechten in vier Monaten
gebaut, und jeßt lacht niemand mehr.
Der Schopper iſt Vorknecht geworden.“
„Alſo der Schopper = Schub hat
diefes Merk gebaut!" Der Adlerwirt
hätte es ihm nicht angejehen. Der
Mann, der ſolches kann, darf Jich
am Ende doch keck um die Herzliebite
bewerben.
Auf der Höhe gab es eine jchöne
Ausjiht hin in die Waldberge, aber
dem Wolfram gieng ed nicht um das.
Rings um ihn lag der geichlagene
Urwald in vielen taufend Stämmen,
welche von den Holzhauern entichält,
zu Böden gejchnitten und an Die
Einmündung der Riefen gebradht wur—
den; dem Wolfram gieng’s auch nicht
um Holz. Inmitten der Leute jtand
der Schopper in braunen Hemdärmeln
und barhaupt. Er hielt einen langen |
Maßſtab in den Boden geſtämmt und der weiten Welt?
traf Anordnungen,
hatte ihn erkannt an dem üppigen
Barte und gieng mim, über Stämme
und Rindenwälle Hletternd, auf ihn zu.
Die beiden Männer fanden ich
ein Weilchen gegenüber und ſchauten
ih an, bevor das erſte Wort geſpro—
hen wurde,
„Dich ſuche ich“, ſagte endlich der
Adlerwirt. „Wenn ich den weiten
Weg her mache zu dir, jo kannſt dir
denken, daj3 es etwas Michtiges wird
jein. Willft jo gut fein, Shopper,
und mit mir ein wenig auf die Seite
gehen ?"
„Das kann ih Schon thun“, ante
wortete der Holzknecht und fie giengen
gegen einige Schirmtannen Hin, die
man stehen gelafien hatte.
„Schopper“, bemerkte der Wolf:
ram, „deine Riefen ift ein Meiſter—
wert.“
„Daſs du mir das ſagſt, des—
wegen bift du nicht gekommen“, ent—
gegnete der Holzknecht. „Adlerwirt,
thu’ nicht lang’ um und jag’, was
du willit.“
„Schopper“, Sprach nun der andere
int vertraulichen Tone. „Du kannſt
dir's denken, es iſt der Frieda wegen.
Du bift offenherzig mit mir geweſen
und ich will es auch fein. Daft du
das Dirndel noch im Kopf?"
Der Schopper ftarrte den Fra—
genden an und entgegnete: „Was
geht das did an? Du Haft dein
Weib.“
„Das wohl, Schopper, das habe
ich, und juft deswegen kann ich offen
mit dir Sprechen. Die Frieda ift eine
Jugendfreundin meiner Frau und wir
wollen nicht, dafs fie follte verderben
müffen. Vielleicht, daſs ihr meine
Frau einen Platz verfchaffen könnte.“
„Hat fie denn feinen?“ fragte
der Scopper.
„Du wirft doch wiſſen, dajs fie
nicht mehr im Salmbof ift.”
„Ei freilich weiß ich das.“
„Wo fie nur mag umherirren auf
und hat feinen
Der Wolfram Menſchen, der ihr's gut thät meinen!“
94
„Adlerwirt!“ ſagte der Schopper jläuft, ohne dem alten Bater, ohne
ganz leiſe aber nachdrudsvoll, „ſie dem Weibe zu jagen, wohl, das
hat einen!“ fünnen Sie fih denten. Und eine
„Heirateſt fie, Schopper ? Haft ſie Urfache hat es. — Sie wohnen ge=
bei dir?“ Ohne dafs er es recht müthlich in Ihrer großen Stube, Derr,
wollte, waren ihm diefe Worte über ‚ärgern fich vielleicht ein wenig iiber Den
die Lippen gefprungen, denn e3 war | Lärm der Gäjte am fpäten Abend,
ein großer Sturm in ihm und das haben aber freilich feine Ahnung, was
Herz pochte fo heftig in feiner Bruſt, zwiſchen uns vorgeht. Sie ijt hart.
dafs es nachklang in den Schläfen. Sie ift herzlos, dafs ich's nicht Jagen
Der Schopper fagte: „Mein lieber fan. Sie macht mid ganz ver—
Adlerwirt. So dumm bin ich nicht, |zagt...“
dafs ich dir fie verrathe. Geh’ nur „Ra, na!“ beichwichtigte der Pro—
ruhig heim nach Kirchbrunn und füns feſſor und neigte jich über den jungen
mere dich um deine Let’, die Frieda Mann, denn diejer prefste feine Hände
geht dich nichts an.“ ‚ins Geficht und jchluchzte.
Damit wendete er ich feiner Ars „Ih habe mir's gedacht“, fagte
beit zu und dem Adlerwirt blieb der Alte gedämpft, „ich habe mir's
nichts übrig, al3 den mühevollen Weg | wohl gedacht.“
wieder zu Thale zu ſteigen. Duaun ſchwiegen beide eine lange
„Wenn Sie bis zum Feierabend | Zeit und ftarrten in das Hare Waller,
warten wollen“, rief ihm einer der wo langjam die Krebſe krochen und
Arbeiter zu, „jo können Sie auch ſtets nad rüdwärts — nad) rüdwärts.
hinabfahren. Wir rutichen alle hinab, „In den erſten Wochen“, fo fuhr
Mit dem Brettel ift man in fünf) Profeffor Nir endlich fort, „da habe
Minuten zu Thal. Aber jebt geht's ich vorgehabt, dir Troft zuzuſprechen,
nicht, jetzt Haben die Holzblöcher das | habe fie wohl für eine herbe Natur
Vorrecht.“ —“ aber wer den Schlüſſel findet
Dem Adlerwirt kam aber die ganze zu ſolchen Naturen, der hat's gut. Sie
Gegend ein wenig unheimlich vor und zeigen und feilen ihr Derz und Ge—
er gieng angeftrengt drei Stunden müth nicht auf der Gaſſe umher, jie
lang, bis er den Thurm von Kirch- | geizen gegen alle Welt mit ihrer Güte,
brunn jah. um ja recht viel davon aufzuhäufen für
Us er hinaus über die MWiejen |den einen und einzigen, den fie felig
Ichritt, Jah dort an einem Waller: machen wollen. Sp eine goldene, habe
tümpel der Profeſſor Nix und ſchaute ich gemeint, hätteſt du dir auserwäßlt.
den Srebjen zu. Der Alte erhob ein Freilich ift mir nach und nad) anders
Treudengefchrei, al3 er feinen Dause |zu Muthe geworden. Ganz krampfig
herrn ſah und wollte allfogleich willen, jift mir zu Muthe geworden, mein
was die Nolerwirtshausbewohner ver= lieber Wolf! Aber reden! Wenn er
brochen hätten, dafs er fie über drei nicht vedet, ich bin auch ftill. Wenn
Tage lang im Fegfeuer zappeln laffe. \einer zum jungen Ehemann hingeht
Der Wolfram ſetzte jih hin auf und jagt: Du, dein Weib pajst nicht
den Rajen und jeufzte: „Ach ja, lieber für dich! jo iſt das ein ſchlechter
Profeſſor!“ Kerl, den man mit einem Ratten—
„Junge, dir gefällit mir nicht!“ Schwanz erdrofieln fol. Aber dir ſage
jagte der Profeſſor. ih es doch, Wolf, und du erdroffelit
Der Wolfram fchaute befümmert | mich nicht, wenn ich dir jage: Sie
in den Zümpel, dann ſprach er: |pajst nicht für dich!“
„Das es feine Urfache haben muſs, Der Wolfram murmelte: „Ih
wenn einer wie Halbverrüdt davon- erdroſſele Sie nicht.“
>
A
„Bon der muſst du los, Junge! “| fo lang miſst dein Unglück. Wo das
rief der Profeſſor.
„Aber wie?“
Mann.
„Scheidung! friſch! raſch! Heute
beifer al$ morgen.“
„Eheſcheidung!“ ſagte der Adler»
wirt. „Das geht nicht. Diefes Auf:
ſehen!“
„Wenn ſie dich in die Strafan—
ſtalt führen, das wird auch ein Auf—
ſehen ſein!“
Der Wolfram ſprang empor.
„Berzeihe!“ begütigte der Pro—
feſſor. „Das Wort war ſchlimm. So
endet's bei dir nicht, ſo nicht. Du biſt
ein weicher Menſch, du wirſt verderben
und vergehen, und wer dich umbringt,
der kommt auch nicht ins Zuchthaus,
weil du dich vor Gram und Jammer
jelber verzehrit. Und der, welcher dich
mit fleinen Dojen täglich vergiftet, hat
noch den Triumph, als Leidtragender
an deiner Grube zu ftehen. — Wolf,
wenn du bisher alle fieben Todſünden
begangen, die eine mujst du jühnen,
auf der Stelle, ohne Säumnis fühnen:
daſs du diejes Weib genommen haft!“
„Ih hätte mir ja leicht eine
andere gewufst.“
— „Eine andere!“ ſprach nun der
Profeſſor. „Wolf, eine andere lajs
einſtweilen aus dem Spiele! Das
ganze Firmament, habe ich gelagt, ver=
mach’ ich dir, nur den Halbmond
nicht, der gehört den Türken. Und
Türke wirft du feiner jein wollen.
Jetzt eine andere! Das wäre hübjch!
Erit jcheiden, dann wieder binden!”
„Richt mir zulieb’ Habe ich fie
genommen,“
„Man merkt es wohl, unge.
Wäre auch nur ein bijschen Neigung
da, e3 müfste ſich anders zeigen.“
„Mein Vater wollte e8 jo haben“,
geitand mun der junge Adlerwirt,
„ihn zuliebe bin ich hineingeſprungen.
Wir ftehen Schlecht, wir müſſen uns
mit ihrem Gelde aufhelfen.“
„Wolf“, jagte Hierauf der Pro=
feflor. „So lang dein Weib mijst,
ſeufzte der junge
Meib aufhört und das Gelb anfängt,
fängt.in dir der Wicht an. — Schelm,
armjeliger! Das Geld! — Adlerwirt!=
john. Ich Habe dich als Kind auf den
Armen getragen und dabei gefungen:
Lieber Engel, werde ein braver Menſch!
Hernach der mijsbegierige Knabe!
Der warmherzige Jüngling! Es war
eine Freude. Er wird's! habe ich oft
gejauchzt. — Na, und wie der Mann
fertig ift, von dem man glaubt, dajs
er edle Früchte wird tragen — ſteht
der heißhungerige Geldwolf da. Irr
und tofl könnt’ einer werden!“
Da der Adlerwirt bei dieſen herben
Morten Sich abgewendet Hatte, fiel
der alte Heine Profefjor vor ihm auf
die Knie, umfajste feine Beine und
rief: „Muſst mir’ zugute Halten,
Wolf, mir thut deinetwegen das Herz
jo weh, dafs ich ſchreien muſs. Dem
Vater zulieb’! E3 war ja gut gezielt,
aber es iſt Schlecht getroffen. Mein Wolf,
glaube mir! Folge mir! Gehe heute
noch ins Amt md lajs dich jcheiden!“
„Dann bin ich ein Bettler!“ rief
der Adlerwirt.
Der Profeffor ftußte. Als er jeiner
Verblüffung einigermaßen Herr ges
worden, jagte er in fingendem Zone:
„So, jo. Alſo nur eine Ausrede iſt
der Herr Bater. Du jelber willſt
Geld haben, Du willft lieber ein elen—
der, verächtlicher Bauch fein, von deines
MWeibes Grofchen zehrend, unter eines
Weibes Fuß wimmernd, dich windend
wie ein zertretener Wurm, anſtatt
mit geſunden Armen mannbar dir
dein Brot zu verdienen! — Adlerwirt,
ich mag dich nicht mehr.“
Er erhob ſich raſch und gieng
quer über die Wieſe hin durch das
lange Gras, daſs kaum ſein Kopf
manchmal hervorragte über den Ger—
men und Riſpen. —
Als der Wolfram nach Hauſe
fam, gab's von Vaters Seite ein arges
Wetter. Erertrug’s gleihgiltig. Frau
Kunigunde blieb drei Schritte vor
idin ftehen und fragte: „Bilt denn
jhon da, Wolfram? Haft dir die
Soden lochig getreten, oder hat did
der Hunger nah Haufe getrieben ?
Die Köchin foll dich nur fattfüttern,
daſs du wieder gehen kannſt.“
In der heißen Wuth über ſolchen
Hohn that der Wolfram ſchon den
Mund auf, um fie zu fragen: Wenn)
eins gehen müſſe, welches von beiden? |
%
fett am Arm und raunte ihm zu:
„Um Chriſtiwillen, ſchweig ſtill! Wir
müſsten vom Haus ziehen wie ein
paar Zigeuner. Kein Nagel auf dem
Dad ift mehr unfer Eigentgum. Nur
Haft du's
Ihon gehört? Der Salmhofer liegt
noch kurze Zeit Geduld!
auf den Tod!“
Der Wolfram hat fih die Lippen
— Aber der alte Adlerwirt Hielt ihn | blutig gebiffen und gejchwiegen. —
(Fortſetzung folgt.)
Treie
Fahrt.
Eine Humoresfe von A. Oskar Alaufmann.*)
scan höchiten Grade erregt gieng
5 der Berliner Maler Willmann
in feinem Atelier auf und ab.
Er focht mit den Händen in der Luft
herum, und bin und wieder ftieß er
etwas aus, was leider wie ein Fluch
Hang. Er war jo aufgeregt, daſs er
das Klopfen an der Thür mehrmals
überhörte, bis endlich ein ungefähr
gleichalteriger, d. 5. Ddreigigjähriger
Mann eintrat, welcher mit Willmann
gut bekannt zu fein ſchein, denn er be=
trachtete den heftig gejticulierenden und
vor ih Her brummenden Willmann
ruhig und ſetzte ſich dann an den Tiſch,
der in der Mitte des Ateliers ftand
und mit Farbentuben, Binfeln, Spi—
ritus- und Ladgläjern beſetzt war.
Der Neuangekommene rauchte jeine
Zigarre und fagte endlich:
„Du ſcheinſt heute jehr guter Laune
zu fein.“
Willmanı machte in feinem Auf:
und Ablaufen halt und ftarrte den
Nenangelommenen erftaunt an.
„Ah! du biſt's, Börner“, jagte
er. „Du bifts. Du kannſt mir aud
Pr
*
nicht Helfen. O, ich möchte vor Wuth
den Mond pintertsblau anftreihen und
ihn dann auf die Erde herabwerfen.”
„Die Idee ift nicht übel“, jagte
Börner phlegmatifch, „aber was würde
fie dir helfen? — Ih glaube nicht
einmal, dafs ſich jemand fände, der
dieſe Mondanſtreicherei honoriert, und
das Honorar ift doc bei der Malerei
|die Hauptſache. Die Kunſt geht nach
Brot!“
„sa, du Halt recht“, entgegnete
Willmamı mit furchtbarem Pathos,
„das Honorar ift die Hauptſache! Wenn
du das anerkennt, jo wirft du auch
‚begreifen, wie es mir geht. Jch habe
‚mein Bild, — du weißt ja, Dorn:
röshens Erwachen, an dem ich jo lange
arbeitete, nach Dresden an einen Kunfte
händler gejchidt, weil ich es dort los—
zumerden hoffte, und nun erhalte ich
heute einen Brief, in dem mir der
Mann fchreibt, dafs ihm das Bild
außerordentlich gefällt, daſs er es
auch bereits ausgeftellt Habe, und
dafs er es auch ohne mweiteres an—
nimmt und fofort honoriert, wenn ein
*) Aus: „Humoresien* von U. Oslar Klaußmann. (Berlin, J. 9. Scorer.)
Gin Iuftiges Buch, allen Trübfinnigen beftens zu empfehlen.
fleiner Schaden, der unterwegs an dem
Bilde durch den Transport entitanden
it, weggebracht wird. Es handelt ſich
darum, daſs eine thalergroße Stelle,
die leider beſchädigt worden ift, über-
malt wird; dann ift da& Bild von dem
Kunitdändler angenommen, und ic
erhalte mein Honorar.“
„Run“, entgegnete Börner, „das
it do fein Unglüd! So fahre nad
Dresden, übermale die Stelle, nimm
das Geld und komm wieder zurüd.“
„Fahre nah Dresden, du Hohl—
fopf!” jagte Willmann entrüftet. „Um
nach Dresden zu fahren, dazu brauche
ich Geld; Geld Habe ich aber nicht, um
„Die Sade ift die: jagte Börner.
„Unfer Bureau-Chef bei der Eijen-
bahnverwaltung, bei der ich als Vo—
lontär befchäftigt bin, ift der Aſſeſſor
Meyer, ein jehr liebenswürdiger, netter
Herr. Derjelbe wollte heute nad
Dresden und hat ſich dazu einen Frei—
fahrtſchein bejorgt, den er natürlich
gratis von der Verwaltung erhält.
Jetzt Hat er aber Familien-Abhaltung,
und heute kam er ganz wüthend ins
Bureau, warf mir den Freifahrtſchein
auf den Tisch, weil ich ihm denfelben
beforgt hatte, und jagte zu mir:
„Maden Sie mit dem Zettel,
was Sie wollen. Ih kann micht
nah Dresden zu fahren, Geld fann | fahren.“
ich aber nur befommen, wenn ich nach
Dresden fahre. So ilt denn mein
Schidjal eine dreifah gemwundene
Schlange, die fih in ihren höchſt—
eigenen Schwanz beißt, und ich finde
fein Auskommen aus der ganzen Sadıe.
Hier, —“ ſagte Willmann entrüftet
und öffnete ſein Portemonnaie. „Diefe
Groſchen ſind alles, was ich beſitze,
und daſs du nicht mehr haſt, iſt ſelbſt—
verſtändlich. Ich will dir nicht erſt
durch eine Frage, ob du mir aushelfen
kannſt, zu nahe treten.”
„Das ift fehr vernünftig von dir,
aber die Sade ift ſehr komiſch.“
„Komiſch? —“ fuhr Willmann
auf uud fuhr ſich zuerſt durch feine
fraufen Haare, worauf er eine ver—
dächtige Bewegung machte, als wolle
er auch feinem Freund Börner in die
Haare fahren. „Komiſch findet du das,
elender Bureaufrat ?*
„Mifsverftehe mich nicht“, ſagte
Börner. „Deine Situation ift ja recht
unangenehin, wenn fie auch nicht zum
Verzweifeln ift, aber ich jagte nur, die
Sade ſei komiſch, weil du nad) Dresden
fahren willft und nicht fahren fannft,
und umgekehrt unfer Aſſeſſor Meyer
fahren kann und nicht fahren will.“
Willmann ftierte Börner an und
fagte endlich:
„Du redeft Blech, ich veritehe fein
Wort davon, was du jagen willſt.“
Kofegger's ‚Geimgarten‘‘, 2. Heft, XV.
Im nächſten Augenblid ſtürzte jich
Willmann auf den nichtsahnenden
Börner los und ſchrie:
„Gib mir den Schein heraus,
wenn du ihn bei dir haſt, oder ich
ermorde dich!“
„Was willſt du denn mit dem
Schein ?* fragte Börner erftaunt.
„Was ih damit will, ſchwer—
fälligiter allee Begriffsftügigen? —
Nach Dresden will ich auf den Schein
jahren! — Ih pade mein Malzeug
in eimen Saften, ſetze mich auf die
Eiſenbahn, fahre Hin, übermale mein
Bild, und alles ift in Ordnung.“
„Aber erlaube 'mal“, jagte Börner
jest jehr lebhaft, „du kannſt doch den
Freifahrtichein gar nicht benügen. Ders
jelbe ijt ja auf den Aſſeſſor Meyer
ausgeſtellt.“
„Das iſt mir ganz gleichgiltig. Wer
weiß denn auf der Bahn, dafs ih nicht
der Aſſeſſor Meyer bin? — Und dann
fann es der Bahn doch ganz gleich-
giltig fein, ob fie den Aſſeſſor Meyer
oder mich befördert; ich glaube, ich
bin nicht einmal ſchwerer, als der
Aſſeſſor Meyer, eine Extra-Locomotive
brauchen ſie alfo deshalb nicht vor—
zufpannen, weil ich mitfahre.“
„Aber“, entgegnete Börner, „das
geht doch nicht, du Haft doch nicht die
Berechtigung.“
„Menſch!“ ſagte Willmann, „bringe
7
98
mich nicht in Verzweiflung! — Du
erzählft mir doch ſelbſt, der Aſſeſſor
Meyer habe dir gefagt: Machen Sie
mit dem Schein, was Sie wollen.“
„Das hat er gejagt. Aber er meint
damit, ich foll ihn zerreißen oder ver=
brennen.“
„Zerreißen oder verbrennen?"
ſchrie Willmanı mit fürchterlichem
Pathos. „Deine Burreaufratenfeele freut
fih darüber, wenn du das einzige
Mittel vernichteft, mit dem du deinen
Freund retten kannſt? Wo ilt der
Schein ?*
„Hier ift er“, ſagte Börner, und
jog aus feiner Taſche eine grüne
Karte, „und wir wollen fie augen
blidlih vernichten, um nicht erſt in
unnüße Streitigkeiten darüber zu
fommen. *
Im nmüächſten Augenblick hatte
Willmann ſeinem Freunde die Karte
entriſſen und zu ſich geſteckt.
„So!“ ſagte er. „Damit du gar
feine Bedenken haft, werde ich Die
Starte vernichten.“
„Du wirft fie vernichten ?* fragte
Börner.
„Ja wohl!” entgegnete Willınann
mit ironiſchem Lächeln. „Ich werde
fie vernichten, damit du gar feine
Gewiſſensbiſſe haft.“
„Uber daſs Du fie ja nicht etwa
benußeft“, fagte Börner. „Du könnteſt
mich im Teufels Küche bringen.”
er damit eigentlich garnichts jo Schlims
mes begehe. Der Freifahrtichein war
doch nun einmal ausgeftellt, und wenn
er benußt wurde, fo hatte die Bahn
davon feinen Schaden; fie hatte aber
auch feinen Schaden, wenn der Aſſeſſor
Meyer ihn nicht benußte. Und danı
hatte Willmann zu dieſem verzwei—
felten Auskunftsmittel ja nur gegriffen,
um nah Dresden zu fommen. Zu
der Rückfahrt wollte er für fein eigenes,
ehrliches Geld ein Billet löfen.
Er philofophierte noch eben von
heiligen Rechten, die der Menſch fich
vom Dimmel berabbolt, wenn er ich
nicht zu helfen weiß, von zwingenden
Thatfachen u. f. w., als der Zug in
Falkenberg hielt, und ummittelbar
darauf ein Herr ins Coupe trat und
jagte:
„Darf ih Sie um Yhr Billet
bitten ?”
„Redilion des Herrn Oberinſpec—
tors!“ fügte der Schaffner erflärend
Hinzu,
Willmann wurde etwas verlegen
und holte aus feiner Taſche den Frei—
fahrticheint hervor.
„Aſſeſſor Meyer von der Verwal
tung der N. N. Bahn“, las der Ober:
inspector.
„AH! Freut mich außerordentlich,
Sie kennen zu lernen, Herr Aſſeſſor.
Mein Name iſt Reiberg, Oberinfpector
bon der Bahn, auf der wir uns be-
„Fällt mir gar nicht ein! Warnm | finden. Wir haben jchon oft dienftlich
follte ich denn deine Bureaufraten» | miteinander zu thun gehabt, allerdings
jeele mit einem ſolch' furchtbaren Ver- nur ſchriftlich; ich Freue mich außer—
brechen belaften ?* — — — — — |ordentlih, Sie perfönlih kennen zu
Der Schnellzug jagte durch den | lernen.“
frifchen Morgen dahin und ſchien gar Willmann machte ein wenig geift-
feine Luft zu haben, anzuhalten, In | reiches Geficht, murmelte einige liebens—
einem Coupe zweiter Claſſe ſchaukelte wirdige Worte, und dann gieng der
ih behaglih Willmann und philofo= | Oberinfpector weiter, um die außer:
phierte noch immer darüber, ob er ein ordentliche Revilion des Zuges fort—
Unrecht begehe oder keins, und ob das zuſetzen.
Unrecht ein kleines oder großes fei, As er fort war, athmete Will-
wenn er do, gegen den Willen feines | mann auf.
Freundes und ohne deſſen Willen, den „Zaufend nod einmal! da wären
rreifahrtichein zur Fahrt nach Dresden | wir hart an einer böfen Sache vor—
benußte, aber er ſagte ſich jelbit, dafs | übergefommen !“
-
As zum drittenmale
99
geläutet |Fönne, jondern auch auf das liebens—
war, und der Zug fih in Bewegung |würdigite behandelt wiirde,
jegen wollte, riſs der Schaffner die
Thür des Goupes auf, im welchen
Millmann ſaß, und herein ſprang der
Oberinſpector Reiberg.
„Ich Fahre auch nach Dresden“,
fagte Dderjelbe, „und ich kann mir
das Vergnügen mit verfagen, Ihnen
bis dahin Gejellichaft zu leiften, um—
Jomehr, als Sie allein fahren. Hoffent:
lich nehmen Sie mir meine Ungeniert—
beit nicht übel.“
Willmamı war wie vom Donner
gerührt. Er Hatte die feite Überzeu—
gung, dafs jeßt eine Kataftrophe un—
vermeidlich fei, da fein Quiproquo
jofort an den Tag kommen mufste,
wenn der Herr Oberinfpector ſich auf
eine Ddienftlihe Unterhaltung einliep.
Zum Glück aber war der Ober-
inſpector Reiberg ein fehr liebenswürs
Diger und gebildeter Mann, der jich
nicht auf eine Fachſimpelei einliek,
Jondern Millmann in ein jo inter—
eſſantes Geſpräch über allgemeine Ver—
hältniſſe zog, daſs dieſer ſchon nach
einigen Minuten mit dem lebhafteſten
Intereſſe daran ſich betheiligen konnte,
Wie im Fluge verſtrich nun die Zeit
bis zur Ankunft in Dresden.
Hier verabjchiedeten fich der angeb—
liche Atteffor Meyer und der Ober-
in}pector WReiberg auf das herzlichite
und verficherten ſich gegenjeitig, bon
dem Vergnügen ihrer Belanntichaft
ganz entzüdt zu jein; dann ftürzte
fich der Oberinſpector Reiberg in eine
Droſchke, um nah Haufe zn fahren,
und Willmann juchte den Kunfthändler
auf, den er auch bald auffand,
Mährend er hier den Schaden an
jeinem Bilde mit Geihidlichkeit und
Schnelligkeit wiederheritellte, mujste
er unmoillfürlih über das Abenteuer
laden, das ihm begegnet war, md
auch daran dachte er, wie nett man
es doch eigentlich als höherer Eiſen—
bahnbeamter Habe, indem man nicht
wur umſonſt im Lande umberfahren
Um Nachmittag zahlte der Kunſt—
händler das Donorar au Willmann,
dem dieſes ſelbſt jo groß vorlam,
daſs er ſich ein Heiner Kröfus düntte,
und Willmann beſchloſs unmittelbar,
und zwar in MWirklichfeit für fein
eigenes Geld ein Billet zu löſen und
nach Berlin zurüdzufahren.
Da es aber noch Zeit bis zur
Abfahrt des Zuges war, fo fuchte er
vorher noch Dresdens jchönftes Local
an der großen Auguftusbrüde auf,
die Elbterrafje genannt „das italieni-
Ihe Dörfchen“, wo er fih nach allem
gehabten Schreden und Erftaunen zu
erholen gedadıte.
Hier beobachtete er mit den Augen
des Malers das Bild des lebhaften
Zreibens und des Verkehrs, welches
ih von jenem Platze aus bietet. Über
das mächtige, koloſſale Bauwerk der
Anguftusbrüde ſtrömt ununterbroden
der Zug der Fußgänger von der Alt-
nah der Neuftadt und umgelehrt,
Droſchken und Equipagen fahren Hin
und ber, und am meiiten fallen die
fanariengelben Ommibuffe und Die
fanariengelben Pferdebahnwagen auf,
welche mit ihrer hellen Farbe noch an
die dereinftigen gelben Röcke der ſäch—
fifchen Briefträger erinnern. Auf der
Elbe ziehen jtromanf und ſtromab die
weißen, Schlanfen Dampfichiffe mit
dem grünen Streifen unter Ded, die
Schleppzüge und die Züge der Stetten-
Ichleppfchiffahrt, welche ihre Ankunft
durch fürchterliches Gehen! anzukün—
digen pflegen. Dazu der große Ver—
fehr in dem ſchönen Local ſelbſt, —
das alles verfegte Willmann in Ent:
züden und eben wollte er jein Skizzen»
buch aus der Taſche ziehen, um wenige
tens einige Momente des lebhaften
Bildes Feitzubalten, als ihm jemand
auf die Schulter Hopfte und jagte:
„Das iſt ja herrlich, Herr Aſſeſſor,
daſs wir uns hier noch einntal wieder:
jehen.“
MWillmann fuhr erjchredt empor
rn“
‘
100
und ſah Hinter ſich den jchredlichen
Dberinfpector, der ihn auch hier wieder
getroffen hatte. In demjelben Augen-
blit verfluchte er diefen Mann, der
fih wie das böſe Gewiſſen an feine
Ferſen Hieng; im nächſten Augenblid
aber bat er ihm alles ab, al3 der
Oberinjpector auf zwei junge, erröthende
und Anicdjende Damen hinwies und
ſagte:
„Geſtatten Sie mir, Herr Aſſeſſor,
Ihnen meine beiden Töchter vorzu—
ſtellen, Amélie und Martha.“
Willmann verbeugte ſich tadellos
und murmelte die üblichen unverſtänd—
lichen Worte, die man bei Vorſtellun—
gen von ſich zu geben pflegt. Sein
Geſicht aber hellte ſich auf, als der
Herr Oberinſpector jagte:
„Beitatten Sie, Herr Aſſeſſor,
dafs wir bei Ihnen Plak nehmen?
— worauf MWillmann natürlich von
dem ungeheuerlichen Vergnügen und
Ehre ſprach und dann ſofort lebhaft
nach dem Kellner rief, um ſeine Ver—
legenheit zu verbergen.
Während der Papa Oberinſpector
die Bierſorten auswählte und die
Damen in die Lectüre der Speiſekarte
vertieft waren, hatte Willmann Gele
genheit, über feine Situation nach—
zudenfen, aber auch Gelegenheit, die
Damen zu beobachten.
Seine Situation war mehr lächer:
lich als gefährlih. Er konnte ſich ja,
wenn er wollte, jchon mach einer
Stunde unter dem Borwande drüden,
daj3 er nah Berlin zurüdfahren
wollte. Es galt alſo jegt nur vecht
dreift die Rolle des Aſſeſſor Meyer
weiter zu jpielen.
As Willmanı aber die beiden
Damen, Die, nebeneinander gelehnt,
die große Speifelarte durchſahen, be=
trachtete, war fein Gedantengang etwa
folgender:
„Das Sprichwort hat doch recht,
ebenjo wie der Reim, wenn es bes
hauptet, dafs in Sachſen die ſchönen
Mädchen wachſen. — Die Jüngere,
ich glaube sie heißt Martha
ift eine Blondine und gar nicht übel;
aber die MWltere, die Brünette —
Amelie Heikt fie, glaube id —, ift
ein Staatsmädchen. Teufel noch ein
mal, it das ein hübſches Gejiht! —
Und dieſe fchöne Figur, und Diele
Kindlichleit und Schücdhteruheit in
der Erjcheinung. Und ein paar Augen
hat das Mädchen —“ |
„sa wohl, Bere Oberinfpector,
id habe meine Gejchäfte erledigt“,
jagte jetzt Willmann auf die Frage des
Vaters der beiden hübjchen Mädchen.
Da Willmann jebt eine Mords:
angft davor Hatte, daſs der Oberin—
jpector ibn in ein technisches oder
Eijenbahnverwaltungsdinge betreffen=
des Gejpräh verwideln könnte, fo
wendete er jich jofort wieder an die
Damen, um fie zu fragen, ob fie auch
gern an diefen Ort kämen, von wo
aus man ein fo intereflantes Verkehrs—
bild genieße.
Die Frage wurde bejaht, und in=
nerhalb jehr kurzer Zeit war ein eifri—
ges Geipräh im Gange. Willmann
kannte die Kunſtſchätze Dresdens und
ftand nicht au, mit Begeifterung da=
von zu ſprechen. Dabei ftellte es ſich
bald heraus, daſs er eigentlih auch
an Fräulein Amelie eine Kollegin
hatte, denn unter Erröthen geitand fie
ihm, dafs fie in ihren Mupeftunden
auch male, und wenn fie jelbft auch
nur bejcheiden von ihren Berfuchen
ſprach, jo lobte doch Martha bedeutend
die Kunſtfertigkeit ihrer Schweiter.
Nun hatte Willmann mit Fräu—
fein Amelie ein Thema, auf dem fie
ih nah Herzensluſt herumtummeln
fonnten, und die Folge davon war,
dafs ſich ein jo Tebhaftes Gefpräd
zwiichen ihnen entmwidelte, daſs Will-
mann gar nicht mehr daran dachte,
dafs es immer jpäter wurde, daſs er
ih jogar freute, als er nach der Uhr
Jah und bemerlte, dafs es längft zu
jpät fei, um noch nach dem Bahnhof
zu lommen.
Selbft dem Oberinjpector fiel es
auf, dafs der Eiſenbahn-Aſſeſſor Meyer
Be.)
ih jo Tebhaft für die Malerei und
für die Kunſt interefjierte, aber Will-
mann log tapfer drauf los, daſs er
auch Dilettant in der edlen Malerei
jei und fie feit Jahren zu feinem
Dergnügen betreibe, und damı that
er wieder, al3 ob außer Fräulein
Amelie niemand weiter auf der Elb—
terraffe und auf der ganzen Welt wäre.
Er unterhielt ſich jo lebhaft mit ihr,
daj3 auch die junge Dame ganz aus
ihrer Reſerve heraustrat und etwas
überraſcht jchien, als ihr Papa be—
merfte, daſs es elf Uhr fei und daſs
man ans Nahhanfegehen denken müſſe.
Auch Willmann war jehr über-
rafcht, dafs es Schon fo jpät fei und
drüdte fein Bedauern darüber jo leb—
haft aus, dafs man ihm wohl an—
jehen konnte, jein Bedauern fei ein
jehr aufrichtiges.
„Sie reifen wohl morgen früh
wieder ab, Herr Aſſeſſor?“ fragte der
Dberinjpector, und Willmann wollte
eben erklären, daſs er mit dem erjten
Zuge Dresden zu verlafjen gedenfe,
al3 fein Blick ganz zufällig den des
Fräulein Amelie traf.
Fräulein Amelie ſenkte allerdings
jofort die Augen und erröthete ein
Hein wenig über dieſes Blickekreuzen,
und Willmann erklärte:
„Nein, ih Fahre morgen noch
nicht. Ich Habe meine Gejchäfte zwar
erledigt, will mich aber noch zu meis
nem Bergnügen einen Tag hier aufe
halten. Vielleicht Habe ich das Ver—
gnügen, Sie, Herr Oberinipector nebit
den Fräulein Töchtern wiederzuſehen.
„O gewifs, Herr Aſſeſſor!“ ent—
gegnete der Oberinſpector; „und wenn
es Ihnen nicht läftig wäre, jo möchte
ih Sie ſogar bitten, mit bon der
Partie zu fein, die wir morgen nach—
mittag nah Meigen machen. Wir
fahren Hier nebenan um zwei Uhr
ab, und wir treffen uns ficher vorher
hier; denn ich Habe gerade morgen
auch einmal einen dienftfreien Tag,
und ih habe meinen Töchtern dieſen
Ausflug ſchon längft deriprochen.”
Willmanı beiheuerte, dafs er ſich
unfehlbar zu der Partie einfinden
werde, mit einem Eifer, und er warf
dabei einen jo eigenthümlichen Blid
auf Fräulein Amelie, daſs diefe noch
mehr erröthete al3 vorher und ganz
verwirrt war, als jie ſich verabſchie—
deten und auch fie dem angeblichen
Aſſeſſor die Hand reichte.
Der Oberinfpector entjernte ſich
mit feinen Töchtern, und Willmann
trank noch ein Glas, um feines Rau:
ſches Meifter zu werden. Es war fein
gewöhnlicher Rauſch, der ihn ergriffen
hatte, ſondern eine Urt ſeeliſchen
Dpiumraufches, mit einem Wort, —
Herr Willmann Hatte ſich bis über
beide Obren verliebt.
Willmann ſetzte ſich in eine Droſchke
und fuhr nach einem Hotel, damit jein
Einzug nicht gar zu ärmlich ausjähe,
wenn er zu Fuß mit dem geringen Ge—
päd ankam.
Er lieg fih ein Zimmer geben,
auf welches er fich fofort zurüdzog,
und in dem er noch lange auf und
ab lief, biz er fih zu einem Schlaf
niederlegte, in dem liebliche Träume
ihn umgaukelten, Er trauk mit Engeln
Bier, malte mit Engeln gemeinſam
Speifefarten= Bignetten und machte
mit Engeln Landpartien. Und alle
dieje Engel hatten das Geſicht don
Fräulein Amelie Reiberg.
As Willmann am nächſten Mor—
gen erwachte, Hatte ſich ſeine Liebesglut,
die ſo plötzlich entfacht worden war,
noch nicht abgekühlt, im Gegentheil,
ſie war noch größer geworden, und der
Vormiktag, den er fern von dem ver—
ehrten Mädchen verbringen mufste,
entzündete feine Yeidenjchaft nur noch
heftiger.
Er gieng nach dem Grünen Gewölbe
und verließ es bald wieder, denn die
alten Raritäten und Kunſtwerke inter:
ejlierten ihn gar nicht, und jelbit im
Juwelenzimmer ſahen alle die Loltbaren
Diamantknöpfe und Brillanten aus,
wie Amélies Augen. Er jeßte fich dann
auf die Pferdebagn und machte eine
102
Wallfahrt Hinaus nah den Wald- ! hänge, die altertHümlichen Städtchen,
Ihlöjschen. Aber jelbit das vortrefflisge | die Heinen Bergmwerfe, die Wälder
Bier der berühmten Brauerei machte | und Berge, er ſah mur ein Gejicht,
ihm feine Freude, bei ihm gewifs einer hörte nur eine Stimme.
jehr bemerlenswertes Zeichen. Auch Fräulein Amelie ſchien don
Bon zwölf Uhr ab ſteckte er fait. deimjelben Zauber befangen zu jein,
die Taſchenuhr nicht mehr ein, ſon- | und aud fie ſah und hörte nur den
dern behielt ſie umunterbrochen im angeblichen Aſſeſſor, mit dem fie ſich
der Dand, um zu jehen, ob es noch | die wichtigiten, nichtigiten Sachen zu
nicht Zeit ſei, um fich wieder auf| erzählen hatte.
der Elbterraſſe einzufinden, und «3 Während der Papa Oberinjpector
war faum ein Uhr, da ſaß er natürlich | nichts an dieſem auffallenden Verkehr
auch ſchon dort und wartete mit|zu finden ſchien, zeigte ih Schweſter
Hopfendem Herzen und zitternd vor Martha mit echt weiblichen Feingefühl
einer Aufregung, über die er ſelbſt Hüger, ja, fie erlaubte jich ſogar einige
außer fih war, auf den Augenblid, | ironifche Bemerkungen über die Theil-
in dem er wieder in ein paar dunkle nahmsloſigkeit ihrer Schweſter und über
Mädchenaugen blicken durfte. Kr Gefeljeltfein an den Begleiter, jo
Selbit die Stimme verfagte ihm daſs Fräulein Amelie ganz außer fi
vor frendigem Schred, als ganz plöß- | vor Berlegenheit gerieth und ihr Die
ih die jungen Damen vor ihn ſtan- Thränen in ihre Schönen Augen traten.
den und ihm mittheilten, daſs der Dafür Hätte Willmanı aber au
Papa erit etwas ſpäter nachkomme beinahe einen Mord an Fräulein
und gleich direct zur Landungsſtelle Martha begangen, und nur die Er—
geben würde. innerung an den Staatsanwalt und
Die Faſſungsloſigkeit Willmanns | der Gedante an alle traurigen Folgen
wurde noch erhöht, als er entdedte,| hielt ihn davon ab, fie über den Rad—
dajs Fräulein Amélie ebenjo verwirrt | kaſten ins Waller zu kürzen.
als er jelbit war, dafs fie erröthete, Man fam nah Meigen und flieg
als fie ein leuchtender Blid aus jeinen | natürlich ſchleunigſt auf die Albrechts—
Augen traf, und dajs ihre Fingers | burg hinauf, um vom jogenannten
jpigen zitterten, als fie ihre Hand Burgkeller aus die herrliche Ausſicht
in die jeinige legte. — über Die ladhenden gefegneten
Der Taumel, welcher Willmann Fluren — zu genießen, über ein
am Abend vorher erfaſst Hatte, kam fruchtbares Land, durch welches ſich
jetzt von neuem, und in verſtärktem die Elbe wie ein Silberſtreifen windet,
Maße über ihn. Wie in einem Traum und welches ganz bedeckt ſchien mit
gieng er mit den jungen Damen über Ortfchaften, mit Städten und Dörfern,
die Veranda entlang bis zur Lanz | deren rothe Dächer und Thürme ji
dungsſtelle, wie im Traume begrüßte | leuchtend abhoben von den grünen
er den Oberinjpector und traumbefane | Ebenen und von den dunklen Bergen
gen fuhr er dann mit dem Dampfer | des Meißener Dochlandes.
die Elbe hinunter, nah Meißen zu, Dann bejihtigte man die Burg
unbekümmert um das rege Leben und | und die Kirche, und Willmann zeigte
Treiben auf dem Dampfer ſelbſt und ſich jehr ängſtlich, wenn es ſich für
um alle Stationen, wo gehalten und Fräulein Amelie darum handelte,
Güter und Ballagiere eingenommen jelbft nur wenige Zreppenftufen zu
wurden. erſteigen, und er fajste ſtets Fräulein
Er ſah kaum die einzelnen Schön- Amélies Hand, um ſie zu leiten, und
heiten der Landſchaft, die ſich hin und wenn auch die zuckenden Finger ſich
wieder zeigten, die bewaldeten Ab- anfangs dagegen ſträubten, feſtgehalten
— —
7
108
zu werden, jo gewöhnten jie fich doch
allmählih daran, und es kam jogar
vor, daſs die beiden Hände ineinan-
der lagen, wenn gar feine Treppen
ftufen zu fteigen waren und went
man fich auf ebenem Fußboden befand.
Dann wurde noch ein Imbiſs
genommen, noch ein Stündchen in
einem benachbarten Local geſeſſen,
von wo aus man ebenfalld die herr—
lihe Ausfiht über Stadt und Land
hatte, dann wurde der Rüdweg an—
getreten.
Der Oberinfpecdor mit Martha
Schritten voran, und ziemlich dicht
Hinter ihnen folgte ihnen wiederum
mit Fräulein Amelie Willmann,
Der Originalität halber führte
der Dberinjpector die Töchter mit
dem fremden durch den unterirdijchen
Gang, der unterhalb der Burgmaus
erung hindurch geht, und der mur
Durch die beiden Thüren am Anfang
und am Ende erleuchtet wird. Wie
ein Burgverließ ſieht dieſer dunkle,
gewölbte Gang aus, und man würde
ſich gar nicht wundern, hier auf Ge—
rippe, die noch mit Ketten an die
Wand angeſchloſſen ſind, zu ſtoßen.
Solche und ähnliche Gedanken
tauſchten wohl Fräulein Martha und
der Papa Oberinſpector aus, aber
Willmaun ſchien der Eintritt in die
Scenerie eines vergangenen Jahr—
hunderts vollſtändig um den Verſtand
zu bringen. Nicht mehr ſeiner Ver—
nunft und ſeinem klaren Deuken ge—
horchend, ſondern einer höheren Macht,
legte er plötzlich ſeinen Arm um die
neben ihm ſchreitende Amélie, und
drei Worte flüſterte er ihr ins Ohr,
vor denen er ſelbſt erſchrak. Daun
hörte er ein leiſes Schluchzen, eine
zitternde Mädchengeftalt ruhte einen
Augenblid an feiner Bruft, und jeine
Lippen brannten noch von einem ge=
raubten Kuſs, als er wieder ans
Sonnenliht trat und auf die Strape,
die er jet mit wankenden Knien
und zitterndem Herzen verfolgte, um
angeblich die anderen Sehenswürdig—
feiten der Stadt in Augenschein zu
nehmen.
Zum Slüd wendete jich weder der
Vater noch Fräulein Martha um, jo
dajs Fräulein Amelie ſich ſammeln
konnte, und nicht nur die junge Dame,
jondern auch Willmann bedurfte der
Sammlung dringend, denn er fühlte,
wie eine Scene don wenigen Secunden
genügt hatte, um ihn bis in das In—
nerjte feines Herzens zu erſchüttern.
Stundenlang ließ er ſich weiter
führen und die Sehenswürdigfeiten
zeigen, das Rathhaus und die Fürſten—
Ihule und die Kirche u. j. w., und
ſtumm fchritt er immer neben Amelie
hinter dem Oberinfpector mit feiner
Tochter Martha über die mächtige, ge=
wölbte Brüde nad dein Bahnhofe, und
ſtumm war er, ebenjo wie Amelie, auf
der Rüdfahrt nach Dresden.
Die beiden Liebenden Sprachen kein
Wort, fie fühlten jih unangenehm ges
ftört, wenn der Oberinjpector oder
Fräulein Martha fie anfpradhen, nur
ihre Blide trafen fich Hin und wieder,
und die langweilige Eijenbahnfahrt,
auf welder man jich vollftändig vom
Fluſſe entfernt, ſchien den beiden wie
eine Fahrt durch das Paradies,
Willmanı hatte erklärt, dajs er
abends abreifen müſſe, und fo fand man
denm nichts Sonderbares darin, dafs
er ſich bald nah der Ankunft im
Dresden empfahl, um fein Gepäd zu
holen und ſich nah dem Bahnhofe
zu begeben.
Er nahm mit einem Dandjchlage
Abſchied von dem Oberinjpector, fühlte
ih empört und verlegen gemacht durch
das ironifche Lächeln der Schweiter
Martha, und genoſs noch einen Augen
blit der Seligteit, al3 ihm Amélie
die Hand zum Abjchied reichte, als er
in ihren Augen eine Thräne leuchten
ſah, als er jah, wie ihre Mundwinkel
zudten, und das arıne Kind nur müh—
ſam feine Erregung beherrſchte und
den Trennungsſchmerz bemeilterte.
Zwei Stunden jpäter trug der
Erprefszug Willmann wieder als Maler
104
Willmann und nicht als Aſſeſſor Meyer
nah Berlin zurüd — — — —
Die große Veränderung, die mit
Willmann vorgegangen war, fiel allen
feinen Bekannten auf. Er, der lebens—
Iuftige, übermüthige Kiünftler, war
jest ein ernfter, ſtets finſter vor ſich
binblidender SKratehler geworden, der
mit der geringften Außerung zu ver-
legen war, und den man eigentlich
in feiner Geſellſchaft mehr ordentlich
gebrauchen konnte.
Er ſchien das auch ſelbſt zu wiſſen,
denn er mied den Umgang mit Men—
Shen und wurde dadurch natürlich
nicht gemüthlicher, fondern umfomehr
verbittert und verfchloffen.
Selbit fein Freund Börner wufste
feine Erflärung für das fonderbare
Betragen Willmanns, trotzdem er nicht
mit Unrecht vermuthete, dafs dieſe
jonderbare Weränderung durch Ddiefe
Dresdener Reife hervorgerufen fei.
Als Börner am Tage nachdem er
Willmann den Fahrſchein, angeblich
zum Verbrennen, ausgehändigt, das
Maleratelier Willmanns auffuchte und
dort erfuhr, daſs jein Inhaber ver-
reist ſei, da ahnte er fofort, daſs
Willmann gegen die Verabredung den
Fahrſchein bemußt habe, und Börner
beſchloſs deshalb, bei feiner Rückkunft
eine ganz großartige Scene zu machen,
die aber dennoch unterblieb. — Als
Börner nämlich, geladen mit einer
Strafpredigt, nah einigen Tagen
er war ein anderer geworden; ja, er
war unglüdlih, und zwar durch feine
eigene Schuld!
Er kam fih vor gleichzeitig wie
ein Verbrecher und wie ein gefallener
Engel, wie ein Verbrecher, weil er es
gewagt hatte, fi in die Yamilie des
ehrlichen Oberinfpector3 einzudrängen
und dem unfchuldigen Mädchen bon
Liebe zu jpredhen und demjelben wahr—
Iheinlih das Herz ſchwer zu machen.
Er kam fi vor wie ein Verbrecher,
weil er in betrügerifher Weife den
Freifahrtſchein benußt hatte, und er
faın ſich vor wie ein gefallener Engel,
weil es ihm fchien, al$ wäre er für
einen Augenblid im Himmel gewejen,
um für fein Vergehen für immer aus
demſelben geſtoßen zu werden.
Unter der Maske des Aſſeſſor
Meyer Hatte er ſich die Liebe Amélies
und wohl auch die Achtung des Ober=
infpectord erworben. Yeider gab es
fein Mittel, um dieje Maske in irgend
einer anftändigen Weile abzuwerfen
und al3 Maler Willmann aufzutreten.
Sowohl die Geliebte, wie auch deren
Vater mufsten ihn gleihmäßig ver—
achten, wenn fie erfuhren, dajs er ein
Schwindler fei, den nur ein unglüde
fiber Zufall in ihre Gejelljihaft ge—
bracht Hatte. Der Vater Amäéälies
mufste den frechen Bahndefraudanten
ohne weiteres zur Beltrafung anzeigen,
und fie, die Dohe, Herrliche, Himm—
liſche kounte feinen Menjchen achten,
wieder in dem Atelier Willmanns er- welcher mit einem falſchen Freifahrt—
ſchien, erfchraf er ordentlich über den
düfteren Ernft, den Willmann zur
Schau trug, und bald überzeugte er
fih, dafs eine Strafpredigt bei ihm
gar nicht am Plage fei. Er fühlte
Mitleid mit dem Freunde, der ihm
jehr unglüdlich ſchien. Willmann er:
theilte ihm aber auf feine Fragen gar
feine Antwort, und er verbat fich alles
Intereſſe an feiner Perſönlichleit.
Sa, er ſaß einfam in feinem
Atelier und blidte auf die Staffelei,
auf welcher eine leere Leinwand in
unberührter „Weißheit“ glänzte. Ja,
ler befürchten lie.
jchein nach dem Orte gelommen war,
an dem er fie fennen gelernt.
Wenn Willmann daran dachte,
daſs Amelie ihn verachten könnte, fo
überfam ihn ein grenzenlojes Elend,
das ſich gewöhnlid in einen Horn
verwandelte, welcher die ſchlimmſten
Ausbrüche bei dem heigblütigen Künſt—
Jetzt eben Hatte
er einen ſolchen Anfall von ohnmäch—
tiger Wuth, und er überlegte, ob es
nicht zu feiner Abkühlung dienen
würde, wenn er fein gefammtes Mo—
biliar und alles, was ſich im Atelier
105
befand, zertrümmmerte, al3 die Thür
geöffnet wurde, ohne dafs vorher ge—
Hopft worden war, und Börner her—
einftürzte, um jofort auf Willmann
mit den Morten loszufahren :
„Da Haft du's! Das war voraus»
zuſehen. Jetzt babe ih die Berante
wortlichkeit für deine Dummheiten.
Ich komme um meine Stellung und
wahrfheinlih in's Zuchthaus, wenn
nicht noch etwas Sclimmeres ger
ſchieht! — Aber ich weiſe jede Ver—
antwortlichleit von mir. ch Habe
deinen Namen bereits genannt, denn
dur Haft gegen meinen Willen und
gegen alle Verabredung den Freifahrt:
Ichein benußt, den du mir abgeliitet
halt unter dem Vorwande ihn verbren=
nen zu wollen, — O, hätte ich dir
doch nicht getraut! O, Hätte ich dir
doch dieſen unglüdjelign Schein nie=
mals gegeben! — Ich bin verloren.
Ih werde mit Schimpf und Schande
aus dem Dienit gejagt!”
Willmann wurde natürlich durch
diefe furchtbare Tirade Börners nicht
abgekühlt, er fürzte vielmehr auf
ihn zu und begann ihn jo zu ſchüt—
tel, daſs dieſer wie ein Bündel
Flicken Hin und ber wankte und ihm
der Kopf abzufallen drohte.
„Was willſt du?“ schrie ihn
Willmann an, „Was willft du mit
deinem ewigen Freifahrtſchein? Willſt
du mich jegt endlih in Ruhe lafjen
damit, oder, weiß Gott! ich begehe
ein Berbrehen an dir. Was willft
du don mir?“
Er Hatte wenigftens jo viel Ver—
nunft, Börner einen Augenblid nicht
zu jchütteln, jo dafs diefer zu Athen
kommen amd ihm zufchreien fonnte:
„Schöne Geihichten Haft du in
Dresden gemacht! Liebjchaften Halt
du angelnüpft auf amderer Lente
Namen! Und ich joll jetzt die ganze
Geſchichte ausbaden !”
Kraftlos glitten die Hände Will
manns don Börner ab, den fie joeben
noch Fo feſt gehalten Hatten. Willmanı
erbleichte "und ſtieß nur ftotternd die
Worte Hervor:
„Liebſchaften angeknüpft! — Ich
— in Dresden! — Wer ſagt
das?“ —
Als Börner den Eindruck ſah,
den feine Worte auf Willmann mach—
ten, befam er natürlich wieder Ober-
wafler, und rief jeßt: z
„Du ſollteſt dich ſchämen, mich
in ſolche Ungelegenheiten zu bringen,
unſchuldigen Mädchen das Herz zu
brechen! — Heut früh kam der Aſſeſſor
Meyer ins Bureau, mit einem jo
furchtbaren Geficht, dajs wir alle vor
ihn erſchraken. Dann ließ er mich jo=
fort in fein Privatzimmer fommen und
fragte mich, was ich mit dem Freifahrt—
Ichein gemacht hätte, den er mir da=
mals gegeben. Jh mufste nicht, um
was e3 ſich Handelte umd konnte mich
nicht duch eine Lüge in noch größere
Berlegenheiten bringen, al3 ich ſchon
war. Sch erzählte ihm daher, wie
du Hinter meinem Rüden den Schein
benußt hätteft. Darauf befam ich na—
türlih von dem Aſſeſſor eine fürch—
terlihe Strafpredigt zu Hören, und
Schließlich lieferte er mir dieſen Brief
aus, den ich Dir übergeben jollte, und
auf Grund deilen er eine Unterredung
von dir verlangt, in welcher du ihm
Auge in Auge eine Erklärung darüber
geben ſollſt, was du unter feinem
Namen verübt haſt.“
Börner hatte kaum den Brief her—
ausgeholt, als ih Willmann auch
ſchon auf diefen ftürzte. Er riſs ihn
auf und ſah nach der Unterjchrift.
Diefelbe war diejenige des unglüd-
jeligen OberinfpectorS aus Dresden,
der Brief felbjt aber lautete:
„Werter Herr Aſſeſſor!
Ich Habe nicht geglaubt, daſs
Ihre perfönliche Belanntichaft, über
die ich mich fo gefreut, Unglüd in
meine Familie bringen würde, und
bin, offen gejagt, empört über Die
Art und Weife, wie Sie meine Gaſt—
freundichaft miſsbraucht zu haben
Iheinen. — Seit Ihrem Weggange
hat fich bei meiner Tochter Aınelie
eine Schwermuth eingeitellt, die von
Tag zu Tag Tchlimmer wird, und
die mich das Schlimmfte befürchten
läjst. — Vergeblich juchte ich von
meiner Tochter zu erfahren, was
ihr begegnet ſei. Sie verweigerte
mir jede Auskunft, bis mich meine
Tochter Martha darauf aufmerkfam
machte, daſs nad ihrer Beobach—
tung troß der Kürze der Zeit
zwiſchen meiner Tochter und Ihnen
ih Beziehungen entwidelt hätten,
welche äußert intimer Art jeien,
und daſs Sie wahrſcheinlich nur
in einem Scherze dem armen Finde
Gedanken in den Kopf gejeßt haben,
durch welche fie auf die Vermuthung
fommen ımufste, dajs fie von Ihnen
geliebt werde, troßdem Sie id
wahrſcheinlich nur einen höchſt un—
paſſenden Scherz mit ihr machten.
Sie werden es unter ſolchen
Umſtänden nicht ſonderbar von mir
finden, wenn ich eine Aufklärung
von Ihnen fordere, und wenn ich,
der ſchwergekränkte und beleidigte
Vater, von Ihnen eine Genug—
thuung verlange, indem Sie mir
wenigſtens offen mittheilen, was
zwiſchen Ihnen und meiner Toch—
ter geſchehen iſt.
Sie haben durch Ihre Leichtfer—
tigkeit und Ihren übel angebrachten
Spafs Kummer und Sorge über
eine ganze Familie gebracht und
meine arme Amélie vielleiht auf
Monate Hin unglüdlih gemacht.
Zum mindeiten hat diejelbe durch
Sie die erite bittere Lehre über die
Falſchheit und Doppelzüngigfeit der
Welt gewonnen, und ich bedauere
nochmals auf das lebhaftejte, daſs
ich jelbit jo thöriht war, Sie in
meine Familie eingeführt zu haben.
Einer umgebenden Erklärung ent»
gegenjehend, achtungsvoll
Reiberg.“
—
106
Willmann las dieſen Brief, und
wir wollen zu feiner Ehre gleih an—
führen, daſs Thränen feinen Augen
entitürzten, al3 er ihn gelefen Hatte,
und dajs er fi auf den Stuhl nie=
derwarf, um zu fchluchzen, bis jelbit
der aufs höchſte gereizte Börner fo
ergriffen war, daſs er dem Freund
umarmte und ihn fFlehentlich bat, ſich
zu beruhigen umd ihm Meittheilung
zu machen, was denn geschehen jei.
Es blieb Willmann nun natürlich
nichts anderes übrig, als jetzt mit
einen vollen Geſtändnis heranszurüden,
welches ihm außerdem ſehr viel Er—
leichterung verjchaffte, und zu dem er
auch in feiner jetzigen Stimmung nur
zu jehr geneigt war,
Börner hatte, bald lächelnd, bald
ernſt, dieſem Geftändnis zugehört,
und al3 am Schlujs Willmann wies
der mit feinem Selbftanflagen begann
und den Fluch des Himmels auf ich
herabbeſchwor, weil er das edelite, beſte
Mädchen unglüdlih gemacht Habe,
da war jelbjt bei Börner aller Zorn
und alle Angit wegen des Gefchehenen
verflogen, denn er begann jebt, Wille
mann auf das eifrigite zu tröften.
Er ſchlug ihm vor, dem Wunjche
des Aſſeſſors nachzukommen und Dies
jen über alles aufzuklären. Der Aſſeſſor
war nur deshalb jo withend, und zwar
mit vollem Recht, gewefen, weil er
annahm, dafs irgend welche jchlechte
Streihe auf feinen Namen verübt
worden feien. Börner behauptete in—
dejien, daſs er ganz anders über die
Sache denfen würde, wenn er erführe,
um was es ſich handle, und daſs er
ein viel zu humaner Mann fei, um
nicht auch in dieſem Falle liebens-
würdig zu denken und zu handeln.
Gewiſs fiel es ihm auch micht ein,
wegen des Mifsbrauhs des Fahr—
jcheins irgend welche Umftändlichkeiten
zu machen. Aber jedenfalls wäre es
das Beite, mit der Wahrheit heraus»
zurüden.
Willmann wollte zwar das nicht
einfehen, er behauptete vor allem,
107
dafs cr jeine Liebe nicht profanieren !beiwerbe, wenn diejer nur zur Strafe
fönme, indem er fie dem Aſſeſſor vor—
trug, lieber wollte er fterben. — Nach
einigen Stunden jedoch dachte er au—
ders über die Angelegenheit und ſchob
das Sterben auf, zu dem ihm ja
immer noch Zeit blieb, wenn er jich
mit dem Aſſeſſor unterredet Hatte.
Am nächſten Morgen fand dieſe
eigenthümliche Unterredung ftatt, bei
welcher Börner zugegen war, und bei
welcher in der That der Aſſeſſor ſich
als ein ebenfo liebenswirdiger, wie
böfliher Mann zeigte Er verzieh
wicht nur den Miſsbrauch mit dem
Fahrſchein, welcher
todtgejchwiegen | ihn
werden jollte, fondern er war auch
und Buße der Tochter ein Jahr laug
fern bliebe und dann feine Bewer-
bung erneuere. Damit die Strafe
aber nicht gar zu ſchlimm wäre, ges
ftattete der Papa Oberinjpector eine
Gorrefpondenz, die natürlich äußerſt
lebhaft wurde und welche troßdem
Willmanıı nicht von feiner Kunſt ab-
hielt. Denn von dem Augenblid an,
in dem er einfah, dafs feine Liebe
auch Erfolg habe, widmete er ſich
jeiner Malerei mit einem Feuereifer,
der das Beite von ihm erwarten lieh.
Er hat auch glänzende Früchte für
getragen, jelbit in materieller
Beziehung.
jo durch den anfrichtigen Schmerz | Nah einem Jahre konnte er vor
Willmanns gerührt, dafs er dieſem feinen zukünftigen Schwiegervater tre-
verſprach, Sich bei dem beleidigten |ten und dieſem betheuern, daſs feine
Oberinfpector zu verwenden, bon defjen | Liebe zu Amelie nicht geſchwunden,
Auffaflung der Sachlage allerdings ſondern im Gegentheil noch gewachſen
die Entiheidung über die Angelegenz | fei, und da Fräulein Amölie von fich
heit abhieng. dasſelbe behauptete, ſo blieb dem
Der Brief des Aſſeſſors, welcher Papa nichts anderes übrig, als die
ſehr humoriſtiſch war, und doch am Hände der Liebenden zu vereinen und
Schluſs darauf hinwies, daſs es ihnen den landesüblihen Segen zu
falfd wäre, wegen eines thörichten | ertheilen.
Streiches zwei Menfchenherzen une | Bei der bald darauf folgenden
glüdlih zu machen, mus doch jehr! Hochzeit fehlte natürlich der Aſſeſſor
wirlſam gewejen fein, denn der Ober: | Meyer nicht, auf deijen Conto ſich ja
infpector verzieb nicht nur den Bes der dreifte Willmanı eigentlich verlobt
trug, den Willmann gefpielt hatte, hatte, und die Liebenswürdigfeit des
weil er ja wohl auch einjah, daſs er Aſſeſſor Meyer erhielt auch dadurd)
doch dazu einigermaßen gezwungen !ihren Lohn, daſs er auf diefer Hoch—
gewefen war, fondern er richtete auch
einen Brief mit fanften Vorwürfen
an Willmann, in welchem er dem—
jelben kurz auseinanderjegte, daſs er
ihm verzeihen wolle, und daſs er
auch nichts dagegen Habe, wenn Will:
mann fih um die Hand AUmelies
zeit Fräulein Martha kennen lernte,
die er jpäter jelbit als Gattin heim—
führte, fo den Scidjal folgend, wel—
bes in feinem Buch die Notiz vers
merkt Hatte, dajs der Oberinjpector
Reiberg noch einmal der Schwieger-
vater des Aſſeſſor Meyer werden jollte.
108
„Der böhmiſche Balg.“
Eine Kindergefhihte von P. R. Rofegger.
a! jagte fie friſch und laut, da | „dafs wir gleid) auch den Kleinen zu
x
; hatte jie einen Mann und ein
= Kind. Demm es war ein fchöpfes
riſches Ja, wie Gott es geſprochen,
als er die Welt erſchuf, es war das
Ya vor dem Altare.
Endlich Hatte fie es erreicht, die
gute Therefa, welche eine der Ge—
ringen war, eine bom jenen, die ihr
gutes Menſchenrecht durch viele beſon—
müſſen. Endlich war der Tag da, an
und für immer die Hand reichen durfte,
Streng genommen war e3 bereits um
etlihe Sabre zu ſpät, aber ihr Dtto
war nicht früher fertig geworden mit
der Gründung des Meftes.
friſche Scloifergejellen können wohl
prächtig lieben, aber die Liebite heiraten,
das kann erſt der wohlbeitallte Schloſſer—
meiſter. Otto war’ geworben, alfo
hatte er fich eines Abends unter Die
Hausthüre geftellt, und als die Thereja
mit dem Bierfruge vorüberfam, in
welchem jie ihrer Herrfchaft den Abend
trunk Holte, Sprach er fie an und
jagte: „Du ſollſt nicht mehr oft fremde
Leute jpeifen und tränfen, ſondern
deine eigenen. ch zeige dir an, dafs
ich jebt mein Wort Halten kann. Ich
habe draugen im Vororte eine Werts |
Junge |
uns nehmen. Schon auch darum ift
es ein großes Slüd, dafs wir zuſammen—
fommen können. IH muſs dir jagen,
Therefa, manche Nacht habe ich nicht
gut gejchlafen, des Heinen Wilhelm
wegen. Das arme Kind jo unter
fremden Leuten —”
„Und wenn exit ich wollte reden“,
'fagte jet das Mädchen, „was ich zu—
dere Klugheit und Geduld erreichen |
Ich kann's
welchem fie ihrem Freunde öffentlich
ſammengeweint habe in den Nächten,
gar nicht jagen, wie mir
jegt ift! So glüdjelig !”
Denn das Kind war ihr entrüdt,
jeit fie e$ hingelegt in fremde Arıne,
vierzehn Tage nad) der Geburt.
Freilich jeßte es jet, als die Therefa
zurückkam zu ihrer Herrſchaft, ein arges
Donnerwetter, wo Tie denn wieder jo
lange geftedt jei! Diefe Nachläfjigkeit
‚werde ſchon zu arg, es fei ja nicht
mehr auszuhalten mit ihr! — denn
die Herrfchaft war durflig und hatte
feine Ahnung davon, dafs eben ihrer
Dienitmagd Glüd befiegelt worden
unter der Hausthür. Die Thereſa war
von den Vorwürfen auch nichts weniger
al3 niedergeichmettert, Jondern machte
ein jo fröhliches, feliges Geſicht, dafs
die Empörung der „guädigen Frau“
nur noch zunahm. Am nächſten Tage
wollte fie der Magd den Dienft kün—
tätte erworben, bin jelbjtändig und, | digen, aber die Thereja kam ihr zuvor,
wenn du willſt, ſo heiraten wir noch ſie bitte unterthänigſt, ſie wolle aufſagen.
in dieſem Monate.“
In der größten Gefahr dieſes Augen—
blickes war der Bierkrug.
Thür war es dunkel, ihr Arm begann
zu zittern, doch außer daſs ein paar
Mundvoll herausſchwupperten, geſchah
nichts.
„Und denke ich“, fuhr Otto fort,
Unter der
So! Was ihr nicht recht ſei? Ob
fie einen beiferen Platz wiſſe?
Das nicht, aber heiraten wolle fie.
„Heiraten !” rief die guädige Frau
aus. „Natürlich, heiraten! doch merk—
wiirdig, daſs jede, der es gut geht,
ſich's Schlechter machen will! Was fehlt
dir denn? Haft deine Koft und Pflege,
deinen ordentlichen Lohn, dein Bett,
an Sonntagen deinen Ausgang. Was
feblt dir denn?“
— Gnädige Frau haben leicht
reden. Gnädige Frau am wenigjten
wollten ſich mit Koft und Lohn und
Ausgang zufrieden geben, Gnädige
Frau willen vecht gut, dafs der Menjch
auch noch was anderes will auf der
Welt. Gnädige Frau haben einen fo
guten Mann, fo liebe Kinder... Sie
jagte es nicht, die Thereja, bei Leibe
nicht! So etwas darf ein armer Dienft-
bote der Herrſchaft nicht entgegenreden,
wäre groß gefehlt! Nein, ſie dachte es nur.
Und mas hatte fie fich nicht alles
gedacht, die Zeit her! Wenn die Kinder |
der Herrschaft verhätſchelt und über-
jchüttet wurden mit feinen Kleidern,
fojtbaren Spielzeugen, Eifen und
Leckereien in Überfluſs, da dachte die
Magd an ihr armes Kindlein, welches
unter vielleicht vxoher Leute Hände
wohl gar Kälte und Hunger leiden
muſs und mifshandelt wird. Wie wäre
fie glüdlich, die Abfälle dieſes üppigen,
wähleriichen Lebens ihrem Würmlein
zumenden zu dürfen! — Aber der
Heine Wilhelm ift weit von ihr. Weiß
fie denn wo ? In jenem Haufe, welches
die Zuflucht ift, wenn die Stunde naht,
hat man ihr das Kind weggenommen.
Ein Blatt Papier mit Name und
Nummer ift alles, was ihr in der Hand
verblieben. Manche ift damit vollauf
zufrieden und will nichts weiter, führt
ihr leichtjinniges Leben fort und dentt
nicht mehr an Vergangenes, Hinweg—
genommenes.
Bei der Thereſa iſt das wohl anders
und öfter als einmal iſt es geſchehen,
daſs ſie nächtig plötzlich aus dem
Schlafe fuhr, weil ihr war, als hätte
fie ihr Kind fchreien gehört...
Und num, Gottlob! war die Zeit
gekommen, in welcher ihr trauter Freund
ſprach: Wir nehmen den Kleinen zu
uns! Nun war die Zeit gefommen,
in welcher fie neben ihm am Altare
fand und „ja“ ſagte. Da hatte fie
einen Mann und ein Kind.
109
Nur musste fie das Kind erft ſuchen.
Daher gieng fie am nächften Tage
in die Anftalt, wies Schrift und
Nummer vor und begehrte ihr Kind.
Dasjelbe war auf dem Lande in der
Koft bei einem Banernmweibe. Oft hatte
‚fie es wollen auffuchen, aber der Weg
| war weit, ihre Caſſe gering, ihre ftrenge
Herrſchaft wollte nicht Urlaub geben
und fagte: Gethan, gelitten. Man
muſs folchen Liebhabereien nicht zu
ſehr nachgeben, ſonſt wiederholen
ie ih. Wohl waren die beiten
Nachrichten bisher eingelaufen, der
| Heine Wilhelm ſei gefund und gedeihe.
Nun, als die Mutter ſich meldete,
mujste erjt wieder die Adreſſe nachge—
Ihlagen werden. Und jebt erfuhr die
Therefa, dafs der Knabe weit im
Böhmerlande drin fei. Das ift Hübjch,
wie befommen wir nun den Wilhelm
aus dem Böhmerlande hervor?
Dinreifen, zufammenpaden, her—
vorholen! meinte der junge Schloifer>
meilter, und am nächiten Morgen ſaß
er Schon auf einem Wagen der Franz
Joſephsbahn und reiste nach Böhmen.
Er wird auf der Reife nicht viel Be-
jonderes erlebt haben, weil er nachher
nicht viel Bejonderes erzählt Hatte. Am
dritten Tage kam er Heim, brachte
einen hübſchen vierjährigen Knaben
mit. Aber der Knabe hatte rothe Augen
und war ganz erjchöpft vor lauter
Meinen. Da war er umbergelaufen tm
grünen Garten, der Vater hatte dom
Baum Powidln gefchüttelt, und die
Mutter daneben auf dem Acker Kar:
toffeln ausgegraben, — kam ein frem—
der Menjch, fieng den Knaben ab, that
mit ihm zärtlich, ſchenkte ihm Leder-
biffen und führte ihn endlich mit Ges
walt davon. Nicht bloß das Kind hatte
berzbewegend geweint, auch die zwei
Bauersleute, die — felbit kinderlos —
den Knaben fehr lieb gehabt Haben mujs-
ten. Datten fie ihn doch aus Ehriiten-
liebe von der Anftalt genommen, wie
ein Waiſenkind. Und alfo war es: anftatt
daſs Meiſter Otto dem Stleinen Eltern
gab, nahm er ihm Eltern. Und er kam
ih vor mie ein Sindesräuber, er
brachte den Wilhelm Heim, und zus
gleich ein betrübtes Herz.
Fran Therefa ftürzte auf das Kind
hin, riſs es an die Bruft und erhielt
vom zarten Händchen einen Schlag
ind Geficht, der ihre weher that, als
alle Schidjalsichläge zuſammen, die fie
in ihrem Leben je erdulden mußste.
Troßig wendete der Knabe ſich von
ihr ab, verkroch fich in einen Mintel,
Ihwieg, wenn man ihn freundlich ans
redete und ſchluchzte, oder kehrte
feine Oberzähnchen hervor. Als es
Abend ward und der Stleine ins Bett
gebracht werden follte, jagte er etwas,
aber die Mutter veritand es nicht. Und
nun ftellte es fich heraus, dafs ihr Find
die Mutterfprache nicht veritaud, daſs
e3 eine fremde Sprache redete, daſs
es eine fremde Seele hatte.
„Seins!“ rief fie plötzlich aus,
„das iſt ja nicht mein Kind, das ift
ein anderes |”
Meifter Otto erjchraf fehr. Er
wujste num zwar, dafs dem ihm vor—
liegenden Documenten nach ein Zweifel
nicht zuläffig war, daſs es dasjelbe
Kind fein mufste, welches Thereia vor
vier Jahren geboren hatte, das es aber
feine Möglichkeit gab, die Mutter da=
von innerlich zu überzeugen, wenn’s
das eigene Herz nicht that. Sie Jollte
nun das Find um fich haben und er=
ziehen und fich für dasfelbe opfern,
die Qual des Zweifeld in der Bruſt:
Wie, wenn ed ein fremdes Kind ift?
— Die Weibesnatur weiß ſich mit
ſolcher Vorſtellung noch weniger abzu—
finden, als die Mannesnatur. Es gehen
Männer umher auf Gottes Erdboden,
welche äußerlich heiter und freudig für
das Kind arbeiten und ſorgen, welche
das Kind lieben, und doch gepeinigt
werden von der MWahnfrage: Iſt es
mein Kind? — Die Mutter wird
im allgemeinen von folder Bein frei
jein, um fo fchwerer leidet jie, wenn
doch das Geſchick einmal jo fpielt, als
es hier mit der armen Thereſa der
Fall war.
Eines Tages, al3 fie liebesinnig
den Snaben auf ihren Schoß ge—
nommen Hatte, um ihm zu Herzen und
zu küſſen, und als das Sind gleich-
giltig, faft ftumpfiinnig war und Worte
der fremden Sprache vor fih hinlallte,
ftieß fie es plößlich von fich, rang die
Hände und ſchrie laut: „Gott, o Gott,
wo ift mein Kind! Mo ift es? Haben
fie es umgebracht? Oder lebt es unter
fremden, herzlofen Menſchen, gequält,
milshandelt, zum Krüppel gejchlagen ?
Kauert es in dunkler Kammer, auf
feuchten Stroh, wimmert e3 vor Hun—
ger? Bon der Mutter weit, jo weit!”
— Gräjstih, gräfslich rächt ſich der
Leichtſinn, ſein Kind hinzugeben in
fremder Leute Hände.
— Und jelbit in diefem günftigiten
alle, fo dachte Meifter Otto, wo das
Kind zu guten Menjchen gekommen
war, mo e3 Sorgfalt und Liebe ges
nofjen, wo es gefund und wohlgepflegt
in die Hände der Eltern zurüdgelegt
worden iſt, jelbit in diejem Falle rächt
es jih. Ein Kind, das die Mutter
nicht gefäugt, nicht gehegt hat in dei
Windeln, an deſſen Wiege die Mutter
nicht bangend, hoffend, jelig leidend
ichlaflofe Nächte zugebraht — ein
jolches Kind entfremdet und wächst der
Mutter nie mehr, nie mehr traut
ans Derz.
Meifter Otto hatte den Knaben
natürlich nun auch gefeglich zu feinem
Sohne gemacht, und ihm den Namen
gegeben. In ihm war kein großer Zwie—
ipalt; er, der ſich nicht allein durch
die Empfindung, jondern auch ein
wenig durch die Vernunft leiten ließ,
juchte fein Weib zu beruhigen, wen
es troftlos war über den „böhmijchen
Balg“, wenn es den Knaben von fidh
haben wollte, wenn es behauptete, zwi—
ſchen Mutter und Kind jei ja fonft eine
untrügliche Stimme der Natur, aber
fie höre nicht davon. Sie molle in
das Böhmerland reifen und von den
Pflege-Eltern Wilhelms Rechenjchaft
verlangen!
Otto legte feinen Arm um ihren
re
111
Naden und jagte: „Mufst dich nicht
jo quälen, Thereſa.“ — „Ih mag ihn
nicht, den böhmischen Balg!“ fchrie
das Meib.
„Sage das Wort nicht mehr! das
Kind hat uns Schon zu verzeihen genug.
Bedente, Weib, es ift hier wie überall,
will man ernten, jo muſs man gejäet
haben. Die Mutter muſs den Anfang
machen mit der Liebe. Welche Mutter
wird dom nmeugebornen Kinde ver—
langen, daj3 es fie liebt? Und jchau,
auch unjer Wilhelm, gleichwohl er ſchon
vier Jahre zählt, ift für uns ein neu»
gebornes Kind, e3 ift auch noch ſtumm
für uns, mufs erſt Sprechen lernen, erſt
feine Mutterfprache Hören, erſt den
fügen Klang des Muttermundes er—
fahren, danı wird es zu dir kom—
men.“
Das mar Hug geſprochen, allein
Therefa dachte: Und wenn es aud
wäre, umd wenn auch! Ein neuges
bornes Kind iſt ein unbejchriebenes
Blatt, in dieſes junge Herz aber
hat ſchon wer anderer gejchrieben, die
erften Gindrüde find nicht mehr zu
verwiichen und zwifchen ums gibt's
feinen Steg.
Sie ſagte aber nichts mehr, fie
opferte ihren Kummer der Mutter
Gottes auf, hegte und pflegte den Kleinen
mit aller Sorgfalt. Diefer lernte deutſche
Worte und Sprach fie aus, doch wenn
er allein war, in fein Spiel ver—
tieft, da murmelte er immer noch die
fremden Laute und fang Liedchen in
fremder Sprache. Störrifch gegen feine
Eltern war er nicht, aber auch nicht zu—
thunlich, er war in fich gekehrt; übri—
gens zeigte er ich gutmiüthig. Körper—
lich gedieh er und die Leute nannten
ihn einen hübſchen Knaben. Oftinals
war es, daſs rau Therefa an feinem
Bette ſaß, wenn er fchlief, und in dem
jungen frifchen Gelichtchen nad einem
Zuge ihres Mannes juchte, oder nad
einer Ahnlichleit mit ihr jelbit oder
ihren Eltern. Das einemal glaubte fie
derlei zu entdeden, das anderemal
ſchien ihr wieder alles fremd. Am une
heimlichhten waren ihr an dem Knaben
zwei unter der Oberlippe hervorjtehende
Zähnchen, welche an und für fich durch—
aus nicht entitellend, vielmehr ganz
reizend wirkten; allein weder bei ihr
noch bei ihrem Gatten, noch bei einem
ihrer Blutsverwandten war diefe Eigen
thümlichkeit zu finden.
Der Heine Wilhelm wuchs in die
Schule hinein. Er ſprach bereits gut
deutfch, mit nur ganz leifen An—
Hängen an das Böhmische. Er war
ein ftiller, fleißiger Schüler, fein Lehrer
und feine Kameraden hatten ihn lieb,
jeine Eitern hatten ihn auch lieb, und
doch kam immer wieder der Argwohn,
und Frau Therefa meinte manchmal
ſtill in fich hinein: Es ift nicht mein
Kind! Es ift nicht mein Kind!
„Seien wir ihm treu“, ſagte Meifter
Otto einmal, „ich habe die feſte Zu—
verjicht, Gott wird uns auch noch ein=
mal überzeugen. Es wird etwas ge:
ſchehen, er wird etwas vollbringen,
woran wir ihn erfennen, und dafs
feine bisher vielleicht noch unbewufste
Kindestiebe zum Ausbruche kommt.
„Was foll denn gefchehen!“ fragte
Frau Therefa. „Daſs er gut ift, daſs
er und auch anhänglich ift, jehen wir
ja, dass er uns lieb haben und vielleicht
fogar einmal Opfer bringen kann, hoffe
ih auch, aber all das überzeugt mich
nicht. O mein Gott, wenn die Leute
wüjsten, was es für ein Unrecht iſt,
für ein großes Elend geben fan,
wenn die Mutter ihr meugebornes
Kind hingibt!“
Da dachte Meifter Otto: Armes
Meib! du wirst nie mehr glüdlich auf
diefer Welt, du büßeſt den Fehler Hart
und ich ſehe auch Fein Mkittel, wie
dein unfeliger Zweifel von dir ge—
nommen werben fünnte,
Und als es fih nah Jahren zu—
trug, dafs Frau Therefa wieder gejeg-
neten Leibes ward, da war wohl ein
anderes Glüd vor der Thür, doch der
Meiiter ſah darin feinen Vortheil für
den guten Wilhelm. Nun wird das
Mutterherz, welches in Liebe und Angit
112
und Zweifel bisher fih an den Knaben
geklammert hatte, plößlich von ihm los |
laſſen, wird fich ganz dem jungen ſtinde
zuwenden und wird etwa gar anfangen, |
den Knaben aus dem Böhmerlande |
zu haſſen. |
Und es ſchien auch thatſächlich jo
zu werden. hr ganzes Der; vers
ſchwendete Fran Thereja an dem jungen |
Spröfsling, ihrem „eigenen Kind“, wie
fie jagte. Diefes war auch ein Knabe
und auf der Namen Otto getauft.
worden, aljo daſs Vater, Mutter und
Sohn für fih einen feiten Ring zu
bilden fihienen und der arme Wilhelm
außerhalb desjelben ftand. Der Heine
Otto war ein ſchwächliches Kind und
um die Zeit des Zahnens fiel er in eine
Krankheit mit Friefel und Fraifen, ſo
als wollte der liebe Gott den Eltern
ihren Liebling ftreitig machen: hr
findifchen Menjchen, was Hanget ihr
denn jo leidenſchaftlich an der Frucht
eueres Leibes ? Jedes Kind, es werde
geboren von wen immer, iſt mein
Kind, ich kann es geben wann und
wem ich will, ih kann es nehmen
wann und wie ich will, machet feinen
Unterfchied, Tiebet, was ich euch zu
lieben gejandt und ergebet euch in
meinen Willen!
In derfelben Naht, als der Arzt
das Sterben des Kindes befürchtete,
wendete es fi zum Beſſeren. Die
Zähne kamen Hervor, und wenige
Wochen jpäter war das volle Glüd da.
Dttos Oberzähnchen waren geradejo
zart und weis und fanden geradejo
hervor, als die Wilhelms. Die Eltern
ſahen es faft gleichzeitig und faft plötz—
lich, wie eine Erleuchtung. Frau Thereja
that einen Schrei, Hürzte hin auf ihren
älteſten Knaben und bededte ihn mit
Küſſen und mit Thränen. Als hätte
fie ihm erſt jetzt gffunden, jo war ihr.
— Der „böhmiſche Balg“ wurde auf-
gewogen mit den glühendften, ins
brünftigiten Koſenamen, die je ein
Mutterherz erdaht, ein Muttermund
geſprochen. Bon nun an kehrte ihre
Bangnis, ihr Zweifel nicht wieder. Sie
‚fühlte den Dang, ihren Alteſten, fo
lange Mifslannten, jet noch mehr zu
‚lieben, als den Jüngeren, — doch in
ſtillen
Weiheſtunden hörte ſie die
Stimme: Machet keinen Unterſchied.
Liebet, was ich euch zu lieben geſandt,
und ergebet euch in meinen Willen. .. .
Briefe von Pudwig Anzengruber
an den Herausgeber des „Heimgarten“,
(Fortjegung.)
Breitenfurth, 27. Mai 1873. | und liest ein vortrefflihes Bud, näm—
Theurer Freund!
—
lich Roſeggers „Geſtalten“.
Und hier ſitze ich und denke an
07 Bir in Breitenfurth (bei Wien), ; Sie, und wünjche Ihnen, als Neuver-
ol
rings von dicht bewaldeten | mähltem, alles Glück und allen Segen
2 Hügeln umgeben, fiße id, | mit aufrichtigem, getreuem Herzen!
rauche eine kurze Pfeife, und draußen |
am Balcon ſitzt meine Kleine rau
Ih bin kanm ſechs Tage bier,
das Wetter hat jich dabei grenlich an—
gelaflen, nichts als Wegen und aber=
mals Regen, und zur Abwechslung
ein wenig Tröpfeln! Doh war ic
Ihon dreimal im Wald; und werde
ihn öfter und öfter auffuchen und
tiefer und tiefer hineingeben, „jo tief,
wie fein Menſch noch geweſen iſt, und
da werde ich eine wilde Roſe — — —
Ja ſo, dieſe wilde Roſe in tiefſter
Waldeinſamkeit ſuchen ja Sie; der
Zukunfts-Roſegger hat ſich keine blaue
Blume der Romantik vorbehalten, er
ſucht die wilde Roſe und er wird fie
finden, gewiſs, ſicher, nicht heute,
nicht morgen, aber eines ſchönen,
ruhigen Tages, tief im Walde, auf
dem reichen Mooje, rings umgeben
von hohen Stämmen, in deren Blät-
tern das Sonnenlicht jpielt; und bis
er jie findet, geht fein yreund Anzen—
gruber in den Wald, um in Blätter:
dust und Kühle den künftigen Fund
recht verftehen zu lernen, und ihn
freudig begrüßen zu können.
Lieber Freund Rofegger, mir if
leiht um die Seele und weh um das
Derz; leicht um die Seele, in der
lieben weiten Natur, weh um das
Derz, weil mitten in dieſer prangen=
den Natur ein Weſen, mir über alles
thener, leidet, jchmerzlich leidet, und
langjam vergeht — meine arıne Mutter
iſt jehr frank, recht jehr.
Es gibt Lagen, wo einem der
Muth finkt, wo man an das Geſchick
nicht einmal die Bitte zu Stellen wagt:
„Erhalte mir die Lieben“, denn die
Bitte wäre graufam eigenfüchtig, und
fo zwijchen Relignation und dem dro=
henden Berlujte geprejst, wird einem
weh um das Herz.
Sollten Sie einmal im Laufe des
Sommers nah Wien kommen, fo
geizen Sie nicht jo mit der Zeit,
daſs Sie uns nicht einen Tag ſchenken
wollen, fommen Sie und beſuchen Sie
uns.
Man fährt per Südbahn bis
Liefing und von dort per Wagen circa
eineinhalb Stunden bis Breitenfurth.
Die Gegend lohnt den Ausflug. Nadte |
Kofegger’s „Örimgarten‘‘, 2 Geft, XV.
113
Berge, Schroffen, hat fie zwar nicht,
aber freundliches Grün und Wälder
rings umber.
In Erwartung einer freundlichen
Antwort Ihr allzeit getreuer
2. Anzengruber.
Wolkersdorf, den 20. Februar 1374,
Mein ſehr geehrter Freund und Herr!
Sö fein einer! Warum fchreiben’s
denn nit? Sein Sö bös? Oder faul?
Oder ſonſt was? Meinetwegen alles,
nur hoffe ich, daſs weder Sie, noch
die werten Ihren franf feien. Denn,
wenn Sie bös wären, fo fag’ ich
meinetwegen: weil ih Ahnen alles
Recht dazu abipreche, vonwegen: meil
Sie feine Urfache haben. Margerlt Sie
etiwa das ſehr wohlgemeinte, meiner»
jeit$ genügend motivierte, Ihnen jedoch
alle Bertheidigung freiftellende Wort
über Ihren „Wagnerfaltl”? Hab’ ich
mich nicht zufrieden gegeben, wenn
Sie es ganz einfach beim alten laſſen
und über meinen Einwurf zur Tages—
ordnung übergehen wollten!! Han?
Bitt' Ihnen, können's mehr verlangen?
Der gift’ Sie's vielleicht, daſs ich
age: Sie werden immer bejjer, die
Literatur Hat noch Hoffnung auf Sie
zu feßen und iſt noch lange mit
Ihnen micht fertig und es ift eine
Paſſion, Sie auf Ihren Etappen zu
begleiten ? Gift’ Sö dös?
Na hörn's, da müfst ih mich
aber giften und ſchon wie!
Und wenn Sie nichts margerlt
und nichts gift”? — warum jchreiben
Sie denn nicht? Den F. ©. haben
Sie auch giftig gemadt, — die Ur—
ſache aber iſt mir nicht befannt. —
Sie müſſen's jchon aber arg ge=
trieben haben. Bor etwa vier Wochen
jagte er: „Es gibt noch Menfchen auf
der Melt, der eine wohnt in Graz
und der andere in Wien!“ Sehn's,
das jind wir zwei. Nun haben Sie
ihn bös gemacht, jet bin ich nur
mehr der einzige Mensch (wohne
zwar in Wien, Halte mich aber in
8
—
Wollkersdorf auf) und es iſt nicht gut, Bitte mir Folgendes klarzuſtellen:
dafs der Menſch allein je. Unter Schupfen verjtehe einen ge—
Aber ich plaudere da gemüthlich, deckten Raum, welder aber oft nur
weiß nicht, was in Ihrem Buſen vor» auf Balken ruht, fohin etwa unten
geht, kurz und gut, für heute gar ganz frei oder oft nad) drei Seiten
nichts, feine Zeile weiter, als daſs |frei, an der vierten gejchloffen erſcheint.
ich war, bin und verbleibe Iſt dem fo?
Ihr getreuer Iſt Scheuer und Scheune das—
8. Anzengruber. Dee Und mo hebt vorlommenden
Srub an Sie und die Ihren von a der Landwirt fein Arbeitsgeräth
den Meinen. Wie ich nicht al3bald ’ Val u
einen Schreibebrief von Ihnen erhalte fur — N Be ve Stabi
— fo järeiben Sie fih bie Folgen Ich bitte Sie um alsbaldige Er—
eher ud: ee er — rettung aus dieſen bangen Zweifeln.
i In vollem Ernfte, ich laſſe mid
bon mie mehr und ich weiß micht, A A
was ich dann noch alles thw”. Krigie gerne über ſolche Dinge belehren, fo
türfen! Schreib’n!! nebenſächlich fie auch eriheinen mögen,
weil ich nicht gerne ſolche Verſtöße
. mache, welche, wenn fie einmal ge=
Wolfersdorf, den 21. April 1874. ſchehen find, von einer Faulheit Her,
Merter Freund! die nicht einmal eine Frage daranz
Andem ich Sie und die Ihren in jegen will, um ins are zu fommen.
beftem Wohlſein hoffe, erlaube ich mir, Natürlich werden Sie mir auch
Shnen, als Sacverftändigen, einige ſchreiben, wie es Ihnen, Ihrer werten
Fragen vorzulegen, deren Beantwor— ‚dran Gemalin und dem feinen Sepp
tung mich bewahren foll, in meinem geht. Ich Hoffe recht wohl! Meiner
neneften Werte etwa Verſtöße gegen |Mutter geht es beſſer, meine Frau
landwirtfchaftliche Terminologie zu be |war auch frank, ift aber ditto auf
geben. dem Wege der Beſſerung — mir geht
Diefes neuefte Opus ift eine Banern= |e$ wohl.
komödie, ſohin Iuftiger Natur, im In der Hoffnung, das Gleiche don
Genre der Kreuzeljchreiber, und betitelt !Dbnen und den Ihren zu hören,
„Der G'wiſſenswurm“. grüßen Sie die Meinen und „Ich“
Alfo, Verehrtefter, ich erſuche Sie, ſelbſt herzlichſt.
mir alsbaldigit Auskunft freumdlichit Ihr Sie reiht ſchätzender
ertheilen zu wollen:
1. Wenn das Heu auf den Wiejen | L. Anzengruber.
zuſammengerecht wird, wie heißen danu
die Heinen Heukegel (etwa mannshoch
oder etwas höher) „Heumandel“? oder Wolkersdorf, den 18. Juni 1874,
an BIS IE GELBEN son. Verehrter Freund! Fühle bloß das
(DB Ss MEINE IR) Reine Bedürfnis, Sie in der Ferne zu grüßen.
zur alsbaldigen Uberführung auf die uns geht’s paffabel. Wie Ihnen
——— ——— BIN len. den Ihren ? Mas nacht der Heine
2. Zweitens find mir bange Zweifel —_ ',., de nenlke ebadht, mad er
aufgetaucht, Ideenvermiſchungen und | 0b) > - Sa fer a
Verwirrungen, ein Begriffscancan zwi— wohl machen möge. Schlafen
- Seeli Ians!
ichen ten Worten: Schupfen, Scheuer krinken. Seeliges a
und Scheune. Herzlichfte Grüße L. A.
Wien, den 9. November 1874.
Verehrteiter! |
Es mag beiläufig 300 Jahre!
ber fein, ja ich dent’ fo weit liegt
es zurüd, und das entſchuldigt doc)
wahrhaftig, wenn einer auf ein Ber:
Iprechen vergiſst g'wiſs, wer
b'ſinnt fich gleich jo weit zurüd. Es
mag aljo beiläufig dor 300 Jahren,
bleiben wir dabei, gemwejen fein, als
ein Literat janımt Fran einem andern
Literaten zuliebe nad M*) fuhr. (Sie
willen, wir Männer der Feder be=
daun geht es Ihnen und den Ihren
wohl, was aufrichtig wünſcht
Ihr getreuer
2. Anzengruber.
Haben’3 in Graz den „Wurm“
geſehen?
Wertgeſchätzter Freund!
1. Anbei erhalten Sie das be—
wuſste Abendblatt.
2. Bedaure lebhaft, daſs Sie nicht
nah Wien kommen.
guügen uns, wie die Mathematiker,
oft einen Buchſtaben ftatt einer unbes |
fannten Größe oder auch einer be-
fannten zu ſetzen) alfo, es hieng oder
vielmehr lag damals der Himmel |
regenſchwer über der Landſchaft und
zum Troſte für die erduldete Mühſal
und in Ausſicht ſtehende Trübſal ver—
ſprach der Literat aus K, dermalen in
G, dem ihn beſuchenden Literaten aus
W ein fürtreffliches Wert zu jenden,
auf dajs er jein Gemüth daran er=
quide.
Nachdem alfo, bleiben wir dabei,
300 Jahre vergangen waren, da trat
der Büchermaher aus W in einen
Bırchladen dajelbit und da jahe er vor
lich liegen ein dides Büchlein und da
jagte er freudiglich: Ahan!
Darüber vergieng wieder ein Jahr—
“ Hundert, und der Büchermacher fagte
nicht mehr: ahan! was fo viel hätte:
heigen follen, als: ah, da ift ja dus
3. Wenn Sie meinen, betreff3
Hand und Herz, daſs eine Auflös-
lichleit der Ehe nicht die Darmonie
mehr heritellen könnte, To haben Sie
recht, ich aber auch, wenn ich behaupte,
daſs eben dann vor Eingehung der
zweiten Ehe das erjte Band mit dem
‚widerlihen Pumpen getrennt worden
‚wäre und dadurch das Verbrechen der
Bigamie entfiele, Johin alle aus ſelbem
‚refultierenden Peinlichleiten und Qua—
len. — Dajs Ihnen das Stüd nicht
gefällt, d. h. trotz Sie ihm im künſt—
leriſcher Hinſicht Gerechtigkeit wider—
‚fahren laſſen, das ſchadt nix. — Seit
wann ſind Sie Peſſimiſt geworden,
fragen Sie, ſeit wann ſind Sie Op—
timiſt geworden? frage ich.
Mehr kann ich Heute, durch Arbeit
zur Eile verhalten, nicht und jo ver—
‚bleibe ich mit den beiten Grüßen
Ihr getreuer
L. Anzengruber.
Buch Schon erfehienen, die nächte Volt
°C. %.
Ja, daſs wir alfo wieder in unfere |
Zeit zurüdtehren, wie geht e3 deun
Ihnen, was macht Ihre werte, liebe
Frau Gemahlin? — ich Hoffe, es geht
Ihnen allen wohl. Wir alle grüpen
auf das bejte. Meine Mutter befindet
fich recht übel mit ihrer Krankheit, ich
habe gegenwärtig einen böſen Huſten.
Hoffe, dajs Sie von feinerlei Leiden
und Kümmerniſſen bedrängt find, denn
) Mürzzuichlag.
Wien, den 23. April 1875.
Mein wertgeichäßter Freund!
Indem ich mich Hinfege, an Sie
‚zu ſchreiben und Ihre Aufforderung
‚bedenke, längere Briefe zu entwerfen,
'gerathe ih in einige Berlegenheit,
‚welches Thema joll ich denn anichlas
‚gen... Gar feines, das wird Das
‚beite jein, wenn ich abipringe von
einem zum andern, Springen Sie viel-
leicht mit, und das dürfte Sie etwas
zerftreuen und das iſt das Richtige.
8*
116
Die Brüder Müller waren ver—
gangenen Sonntag bei mir, Haben
einen Fehr guten Eindrud auf mich
gemacht, was für einen Eindrud ich
auf fie, das weiß ich nicht. Bei erften
Begegnungen bin ich nicht ſehr mit»
theilfam, ich bin recht höflich, ich rede
von allem, vom Wetter, von Theater,
von Striegladh, von Wurzeljepp des
Rofegger ꝛc. 2c., aber warm werde ich
nicht.
Der alte Schumm war bei mir,
er wird am 30. d. Mts. wegen volls
endetem 70. Jahre als ältefter „Banı“=
PBardon „Berglrarler“ vom Touriſten—
club gefeiert, wozu ich höflichſt ein—
geladen wurde.
Mären Sie 14 Tage in Wien
geblieben, wie Ihnen ja Ihr guter
Dämon momentan den glüdlichen Eins
fall zuflüjterte unter der tröftlichen
Berfiherung: „Es kann d'r nix
g'ſcheh'n“ — was hätten Sie alles
bis jebt ſchon mitgemacht und erfahren!
Abgelehen davon, daſs Sie im Tou—
riftenelub an jenem Feſtſtage als ſtei—
riſcher Schutzpatron im irgend einer
Niiche augebetet worden wären:
O, heiliger Rofegger bitt' für uns,
Und gib uns deine Aus- oder Umſchau in
der Natur!
all dem Herrlichkeiten=Aufzählen, noch
Sie mit dem Anhören diefer Aufzäh-
lung. Sie find eben nicht in Wien
geblieben, Sie haben es vorgezogen,
nah Graz zurückzukehren, um dort
die Selbftpeinigung auf das rationellfte
zu betreiben.
Ic Hätte Gelegenheit genug, mich
darüber auszulafen, ich könnte ein
hübſches Stüd diefes Papiers, das
ich mir ernſtlich vorgeſetzt Habe, bis
zur legten Zeile zu bejchreiben, damit
anfüllen, ich thue es aber nicht. Ich
überlafje es der Zeit, mit Ihrem wie
mit meinem Schmerze fertig zu werden,
wird fie es ja auch mit ums felbit.
Sch will daher lieber mid auf
gefchäftlihe Themen werfen, ein or—
dentliher Geſchäftsmann Hagt immer
— unſere Wiener Gejchäftsieute Hagen
gewöhnlich den ganzen Tag, vormit—
tags im Wirtshaufe, nachmittags im
Staffeehaufe, und abends auf derjelben
Stätte der Thränen und Seufzer wie
vormittags — warum joll ein uns
ordentliher Geſchäftsmann, wie der
Dichter ja doch immer ift, nicht ohne
Platzwechſel in jeiner Stube Hagen
dürfen,
Denten Sie ih aljo: mit Mai
Ihließen in Wien drei Theater, wie
viele davon im Herbſte wieder ihre
Wenigftens jiebenmal hätten wir | Pforten öffnen, fteht noch in Frage.
Ihon die Zahnradbahn befucht und
wären ficher doch einmal hinaufge—
fahren auf den Kahlenberg, wenn Die
Bahıı nicht gerade fürchterliches Zahn:
radıveh gehabt hätte, was auch mög:
li wäre, bei dieſem ewig wechſeln—
den Wetter.
O! Sie haben viel verläumt; ich
habe diefer Tage meine Erzählung
„Dieb = Annerl* Für dem deutfchen
Reichskalender abgeichlofien, ich hätte
lie Ihnen vorgelefen.
Ih hätte Ihnen vorlefen können
die erfte Verwandlung des erften Actes
von „Da Onkl“ (ein Voltsftüd, das
nur fertig zu werden braucht, um
jofort verboten zu werden). Kurz und
gut, ich will mich nicht ermüden mit
Ob Steiner nicht gleich ſchon dieſen
Herbit in die Komiſche Oper über:
liedelt? Ob das Stadttheater wieder
zu Laube zurüdtehrt? Niemand weis
es noch zur Stwide zu jagen. Da
das MWiedner Theater aber definitiv
ſchließt bis September, fo entfällt jede
Doffnung auf irgend eine Repriſe
meiner Stüde und auf jede noch jo
kleine und doch ſehr wohlthätige Tan
tieme. Als noch ungebornem Familien:
vater kann mir das nicht ganz gleich—
giltig ſein.
Beinahe Hätte ich vergelfen, in
dem Umphertappen nah Stoff, nicht
aus UÜberſehen, daſs ih Ahnen Ihre
Frage nah Schlögl auf das befrie=
digendfte dahin beantworten kann, daft
117
er gefund, wie er fchreibt, angelangt
ift. Aber jedenfalls dürfte ec Sie ſchon
jeldft davon in Kenntnis gejeßt haben,
und ich post festum fommen, aber
Sie jehen, daſs ich damit wieder acht
Zeilen gewonnen habe.
Ih kann mir nun Ddiefen hier
noch übrigen Raum herzhaft eintheilen
und mit gemeilenen Schritten dem
Schluſſe zueilen. Wie lange ih aud
die Kunſt des Schreibens milsbraucht
babe — ich meine nur bier in vor—
liegendem Schreiben — um Ahnen
plaudernd zu geftehen, dajs ih Ihnen
eigentlih nichts, wenigitens nichts
Neues zu jagen habe, jo dürfen Sie
mir doch aud glauben, daſs mir defto
Schwerer zu ſchließen wird, ich möchte
nicht, dafs Sie diefe Epiftel verfennen,
die der Gleichgiltigfte an einen Gleich:
giltigen gejchrieben haben fönnte, um
einfah eine Briefihuld abzutragen,
ich möchte, dafs Sie in dem gelegent—
lihen Schwäßer den bejtändigen
Freund herausfinden, einen Brief und
einen langen babe ich verjprocen,
daſs ich diejes Verſprechen bdergejlalt
erfülle, hat eben jeinen Grund darin,
daſs ich nicht gerne mit meiner Feder
wie mit einer Sonde in frifhe Wunde
fahre, die ich gerne geichloffen ſähe,
nachdem fie einmal gejchlagen wurde,
Und jo Hätte ich eigentlich es mit
einer Zeile richten fönnen, indem ich
Sie beitens von uns grüße und Sie
verlichere, dajs ich verbleibe
hr Freund
2. Unzengruber.
Wien, den 1. Mai 1875.
Sehr werter Freund!
Geftern war im öfterreichifchen
Touriſtenclub die eier von Schumms
Geburtstag, Telegramm und Starte
von Ihnen kamen zur Berlefung. Die
Karte, d. h. die paar einfachen Fchlich-
ten Worte, hörte ich ſelbſt ablejen, es
kann Ihnen zur Genugthuung ges
und daſs man den Antheil merkte,
den dieſe Elubmitglieder an Ihnen
und Ihren Geſchicken nehmen; unter
Schumms Verdienften wurde aud das
gebürend mit aufgezählt, dajs er Sie
dent Vereine geworben.
Auch ich habe Schumm mit und
duch ein paar Zeilen gefeiert, die
ih, da es an einen VBortragendeit
fehlte, jelbit fprechen muſste. Diejes
Opus will ich, ohne Eitelkeit, ſondern
weil ich denke, daſs Sie vielleicht
eine Heine Neugier dafür haben, hier
in Ddiefem Briefe einfihalten; indem
ih mir wieder vorgenommen Habe,
Ihnen feinen kürzeren Brief als das
Papier lang ift, zu jchreiben, und das
Gedicht 24 Zeilen zählt, jo verbinde
ich Hier auch das mir Angenehme mit
dem mir Nüßlichen, Fülle eine Menge
Raum aus. — Sie erlauben, daſs
ich mich vorher im Geifte räuſpere
und dann beginne, wie folgt:
An Chr Schumm.
Zur Erinnerung an die Feier jeines
70. Geburtstages.
Du haft wohl kaum no finna jareln,
Da haft du wohl a ſchon ang’hebt
Af d Berg rundumi auffiz’frareln —
Und no, haft fiebzgi Jahr derlebt!
Wann ma dð Höchen z'jammazählet,
Dö vielen taufend da von Füßen —
Dö d auffifrallt bift — no was fehlet,
Du Hätt’ft im Himmel ſchon fein müſſen!
Und dafs dös no nöt is der Fall,
Woran no mag denn dös wohl lieg'n?
No fiehft, du bift a jedesmal
Von d Berg a wieder obig'ſtieg'n.
Dem Himmel bringen Ein’ — 8 is wahr —
Biel naheter als d Berg dö Jahr.
Dö Berg, dö findt’ft di ſchon herunter,
Und wann did nur dö Jahr nöt plag’n,
So bleib nur luftig und nur munter,
Nah dir wird nöt der Himmel frag'n;
Denn wie im Katachismus fteht,
So fragt er um dö Keher nöt,
Doch führetens dd Duldung ein
In jener beijeren der Melten,
Und follt amal a Nachfrag jein,
No weißt, jo thu dich Halt nöt melden!
Prächtig! das heißt, ich fee durch—
ans nicht voraus, daſs Sie „prädtig”
jagen werden, ich aber finde es prächtig,
reichen, dafs nur Ihr Name genannt, hiemit ganz ſachte der Hälfte der
den Saal in lautlofe Stille verjete, |dritten Seite diefes Schreibens herab:
ns 3
J r >
.
*
118
gerücdt zu fein, und imden ich much
ernitlich davor verwahre, dafs ich das
obige Beiwort irgendwie in Bezug
auf meine Dichtung genommen und
gemeint Haben will, füllt ſich ganz
ohne Anftand die andere Hälfte aus,
wieder ein Beweis, dal3 man mit
Beicheidenheit weiter fommt, als mit
Selbjtüberhebung — nämlich mit der
eriteren jogar auf die vierte Seite.
Indem ich mich meines Hierſeins
— nämlich daſelbſt auf der lebten
Seite — erfreue, verlichere ich Sie
nur, daſs mir nicht das Schreiben
an Sie etwa zumider ift, jondern nur,
dais die Stoffarmuth mich heute etwas
quält. Bedenken Sie, geſtern, pardon,
heute früh halb vier Uhr zubaufe
gelommen, jet, denn Strafe muſs
jein, etwas Kopfweh, dazır wird das
Haus, im welchen ich, wohne, von
unten bis oben mit Olfarbe ange:
ftrihen, ich habe ſonach den Geftanf
in meinen Zimmern, und ein Gerüſt
von Yeitern und Brettern dor meinem
Fenſter, und auf dieſem Gerüfte einen
anftreihenden Sterl, der Melodien dazu
brüllt, wie ein muſikaliſcher Ochſe.
Mit Mühe unterdrüde ich den un—
chriſtlichen Wunſch, daſs er von
irgend einem Stockwerke, zur Siche—
rung der wohlthätigen Folge nehme
ich gerne das dritte an, auf die Straße
fallen möge. Aber trotzend dem Ge—
ſchicke habe ich meine Aufgabe ſoweit
gelöst, daſs mich das farbenver—
quiſtende Scheuſal nicht mehr beirren
ſoll, und daſs ich beſänftigenden Ge—
müthes Sie von uns allen auf das
beſte und herzlichſte grüßen kann,
bleiben Sie hübſch wohlauf und ſchrei—
ben Sie bald
Ihrem treu ergebenen Freunde
L. Anzengruber.
Wien, den 12. Februar 1876.
Werter Freund!
Auf Ihr liebes Schreiben vom
2. d. Mts. komme ich erſt heute dazu,
antworten zu können.
— — — — — —— — — — — — —— — — — en — ——
Daſs Sie mich der Mitarbeiter—
ſchaft am Kalender entheben, danke
ich Ihnen in Rückſicht auf meine der—
malig geringe Arbeitskraft, die in
Rückſicht auf alle Nachfragen und An—
bote mir faſt bange macht.
Verſtimmend wirkt auch, dafs
diesmal bei meiner neuen Komödie
mich das Publicum und die Direction
vollſtäudig ſitzen ließ, hingegen ich
allerdings die Behandlung, welche die
Journaliſtik mir angedeihen ließ, im
dankbaren Gemüte bewahren werde,
aber das geſchätzte Publicum blieb
einfah weg, und die Direction ftrich
vor dem ungünftigen Gafjaerfolge, ohne
Verfub, das Stüd zu forcieren, die
Segel. Iſt mir zum Schluſſe die
„wohl aufzumerfende*“ Frage: Wozu,
rejpective für wen jchreibt man dann
eigentlich Volksſtücke?
Die Directionen verlangen Gaffa=
ftüde, und ein Volk, das fih um die
„Volksſtücke“ befümmert, gibt es hier—
orts nicht — alſo wozu der Liebe
Müh'?
Was nun Ihren „Heimgarten“
anlangt, ſo ſoll es mich recht freuen,
wenn es in ſelbem blüht, grünt und
gedeiht; etwas Gartenarbeit, wenn
Sie meinen, daſs ihm das förderlich
fei, will ich gerne leiften. Bis Juli
haben Sie gejagt — bei meiner ges
genwärtigen Stimmung wage ich noch
nicht? zu jagen, aber bei mir hält
dergleihen micht lange an, wird's
daher wohl auch diesmal nicht. Ich
habe daher heute nur die Feder er=
griffen, um Ihnen zu antworten und
Sie nicht gar zu lange warten zu
laſſen. J
Meine Frau Hat zu allem Über—
fluſſe ih auf eine Woche lang ins
Bett gelegt, es war eine Nippenfell-
entzündung gerade im ſchönſten Anz
zuge, die ich mit ärztlicher Hilfe noch
‚ rechtzeitig zu minder gefährlichem Aus—
trage brachte.
4
Bon ihr und mir nehmen Sie
daher die beiten Grüße in Empfang
und Tchreiben Sie bei Zeit und Muße
1
infonderheit wie Graz den Doppel-
ſelbſtmord fich anfieht
Ihrem freundſchaftlich gelinnten
L. Anzengruber.
Wien, den 5. November 1876.
Verehrter Freund!
Meinen beiten Dank für die wei—
tere Freundlichkeit, die Sie meinem
„neuen“ Stüd in Ihrem „Heime
garten“ erweilen. Ich habe Ahnen
eben über diejes hr Unternehmen
Ichreiben wollen, die Ausftattung findet
nicht die Zuflimmung aller, die meine
gerade auch nicht, aber wie Sie leicht
denfen fönnen, lege ich fein Gemicht
auf diejelbe, das können Sie auch
mit dem nächſten Jahrgange ändern,
wenn Sie wollen, oder, wenn der
„Heimgarten“ in feiner engeren Hei—
mat, in Steiermarf jo gefällt, erft
recht dabei bleiben.
Was nun das Gebotene anlangt,
Jo finde ich ſchon das zweite Heft —
bitte bei dieſem Urtheile die erjten
fünf Blätter nicht miteinzubeziehen*) —
reiher und mannigfaltiger an Inhalt
als das erſte, das mir etwas raſch
zufammengeftellt erichien; eines aber
witrde ich Ihnen zu bedenfen geben,
willen Sie, welche Qual es für einen
Leer einer Wochenschrift ift, von
Woche auf Woche auf eine Fortjegung
warten zu müjlen ?
Aber vier Wochen, das ift Ver—
danımnis! Ich jehe, dafs das Schlojs
der Böjen nicht ganze ſechs Seiten
mehr beanfpruchte; waren die wirklich
nicht mehr aufzubringen im erſten
Heft?
Aber ih glaube, daſs Sie das
wohl bald abftellen werden; fobald
das Unternehmen unter die Leute
fommt, werden die e3 Ihnen jchon
jelbft jagen.
IH wünſche Ihnen vor allen
Dingen Erfolg — Erfolg madt alles,
*) Auf melden eine Arbeit Anzen:
grubers ftand.
19
wo der fehlt, da ſetzt die Luft aus
und der Muth — ich erwarte mit
einer gewillen Spannung das dritte
et. — Denn ich möchte mir Elar
| werden, wohin Sie mit manchen Ihrer
kurzen populären Abhandlungen hin—
zielen. Manches iſt ganz vortreitlich;
jo bringen Sie das in Ihrem Kalender
angeregte Thema „Schule des Ster-
bens“, jo wirkſam und padend in „Es
reigt in Luft ein Liebespaar”, es iſt
ganz vet und ich finde es höchit
praktiſch, daſs Sie in Ihren beiden
Organen die nämliche Sade anregen,
warum? — Man kann das Rechte
nicht oft genug jagen, damit doc
irgendwo etwas hängen bleibt.
Freilich ift das Ding „EI reigt
in Luft —“ etwas peflimiftifch aus—
gefallen, aber da finde ich den B. am
Plage, das Graufige muſs die Leute
bom grauſigen Thun abjchreden, ſowie
ja über das unabwendbare Mijäge-
ſchick der Optimismus hinweghelfen
muſs.
In Ihrem Kalender fand ich auch
„Halbverklungene Heldenkunde“ —
recht gut — ich weiß, Sie ſind ſelig,
wenn man Ihnen ein höochdeutſches
Gedicht lobt; Sie haben's jelbit ein—
mal zugeftanden, aber nicht „deſſert—
wegen“, es iſt gut, warum aber ohne
Reime und nicht pollsthümlicher? Es
wär’ ein Lied, jo iſt's nur ein Ges
dicht.
Da Sie ſich jegt auf Ihre Monats—
Ihrift und Ihren Stalender zurück—
ziehen können, ich hoffe, daſs Ihnen
das möglich iſt, jo ift mir gerade nicht
bange um die beiden Dinge, früher
wär's mir gewejen, man braucht feine
Zeit vollauf für jo was, wenn es
etwas Rechtes werden joll. Der „Heime
garten“ ift vechtichaffen billig, der Sta=
lender aber jcheint mir doch etwas
theuer.
Wenn ich nur wüſste, was mir
bisher am Kalender und jet auch am
„Heimgarten“ immer abgeht? Stabilität
möcht’ ich’3 nennen, aufichlagen müſste
man Jahrgang und Heft fünnen, und
— J
120
gerade da auf der einen Seite müjste höchſtens an die Form der „Mefter-
ein Gedicht ftehen und auf der ans mann'ſchen Monathefte“ gedacht, an
deren da ift eine lehrreiche Geſchichte mehr nicht, und ſehen Sie, das be—
— auf der gleihen Stelle im jedem kommt ihm gut.
Sahrgange und Hefte — und wenn Wenn Sie einmal Zeit finden für
ich noch weiter fchreibe, fo reichen feine ein paar Zeilen für mich, fo wird
bier Seiten. mich's recht ſehr Freuen, ich hoffe, Sie
Alſo wünfhe ich Ihrem „Heim- haben von Ihrem Wohlfein und von
garten” das Allerbeite, jehen Sie, der dem Ihrer Kleinen zu berichten, und
dat einen großen Borzug, er hat | vom Gedeihen alles und jedes, Kinder
meines Wiſſens in feinem Genre, jo- und literariiche Producte — meine Frau
weit bisher erfichtlich, feinen Concur- läſsſt ſich Ihnen empfehlen, fie und
renten, es exiftiert fein Volksblatt, der Junge find wohl, der Alte auch,
nennen wir's ganz ungeniert jo, das und der grüßt Sie herzlichſt als
feines Zeichens wäre, forgen Sie, |
dajs ich jeder auch für die Zukunft Vr gelten Freund
die Concurrenz vergehen laſſe. Aus L. Anzengruber.
dem Unternehmen wird etwas
nicht gleih auf der Stell’, auf die
P.S. Winter fommen Sie dod
Weiſ' ift noch nie etwas geworben,
aber das Zeug wäre da. Machen
Sie nah und nah aus dem Kalen—
der auch etwas fo Alleindaftehendes,
denn beim „Heimgarten“ haben Sie
wieder aus dem Süden nach
Wien? Wann denn, auf wie lange,
auf 48 Stunden weniger 26? Mit
den befannten Refrain: „Da wär’ ich
gern, aber fort lieber!“
(Werden fortgejegt.)
Bie Geſchichte vom armen Mann in Tockenburg.
Von Rihard Dof.
'ftürzen, Yelsblöde löfen ſich, aber oft
I. ‚tönen auch Kirchenglocken, Kuhreigen,
er war Ulrich Bräter? Wenige | Pilger» und Hirtenlied; manchmal
te; „ werden es willen, und doch gellt der Todesjchrei eines vom Sturze
ſollte jeder ihn kennen, diefen | Getroffenen, von den Fluten des Berg—
armen, reihen Mann, mit den von ftroms Grfajsten — aber immer ift
Arbeit rauhen Händen, und der ftarfen, dieſes Leben voll Schönheit, immer
freien, begeifterten Dichterfeele, deſſen | voll einfacher, ernfter, erhebender Größe.
Leben und Eein war wie die Alpenz | Wie das Land, jo der Mann,
natur, im der feine Wiege ftand, die Ulrich Bräfer, der arme Weber, der
jebt jein vergefienes Grab umgibt: da „jeitwärts* im Hüttchen auf dem
einfam, öde, weltabgejchlofjen, menjchen= Keinen Alpenfeld unter Mühfal und
verlafjen, oft erftarrt und traurig, nicht Noth fein Leben niedergefchrieben, und
immer voll Sonnenſchein, wicht immer was er in diejen Leben gedacht und em—
voll Stille und Frieden. Lawinen pfunden, jo einfach, liebenswürdig und
FE
inmig erzählt, dafs man die harmlofe
Geſchichte, die oft jo kindlichen und
oft wieder jo menjchlich-weilen Auf—
zeichnungen, wie ein Gedicht liest. Von
Diejem Gedichte, und von dem, der es
gedichtet, möchte ich Sprechen.
Urih Bräfers Heimat ift das
Zodenburg in der Schmeiz; die
Alpen engen es ein, die Thur durch—
raufcht es, Wald und Wieſen auf den
Bergen, Wald und Miefen im Thale
und Dörfer, Höfe und Hütten. Auf
Den Wiefen meiden Herden, auf der
Landſtraße an dem reißenden Fluß ziehen
Manderer und Yuhriverle dahin und
daher; jo Haft du um dich Stille und
Leben, Einjamteit und Welt, Felſen
und liebliche Matten — „beichreiben
kann ich es nicht” — rufteraus, als er
in feiner Lebensgeſchichte von dieſer
Heimat erzählte. — „Aber mir war
ſchon oft, ich ſei verzüdt, wenn ich
all diefe Herrlichkeit überfchaute, und
fo in Gedanfen vertieft, den Vollmond
über mir, diefer Wiefe entlang hin
und bergieng, oder an einem jchönen
Sommerabend dort jenen Hügel beitieg,
die Sonne finlen, die Schatten fteigen
ſah, mein Häuschen ſchon in blauer
Dämmerung fand, die ſchwirrenden
Mefte mich umfänfelten, die Vögel ihr
fanftes Lied anhuben — o! wie da
mein Herz in ſüßer Wehmuth zer:
ſchmolz, und ich alles rings um mich
ber, Himmel und Erde hätte umarmen
mögen. —*
Im Jahre 1735 ift in diefem Thale
Ulrich den jungen Eltern geboren, etwas
Bräfers war die Armut Familiengut,
fie gehörte zu diefem Namen mie die
Striche über deffen a. Aber Ehrlich»
feit und Redlichkeit gehörten auch dazır,
und die redliche Armut feiner Vorfahren
it der Stolz und Ruhm des Helden
diefer Bergidylle gewejen.
Uri kommt ganz als Bräfer auf
die Welt — in tiefiter Armut, und
man fann ficher fein, in tiefiter Armut
wird er auch ferben. Aber auch ſonſt
ift er der Sohn feines Waters. Und
er denkt viel darüber nad, wie die
Eltern in den Kindern leben, wie die
lange Geftorbenen und Begrabenen in
jpäten Nachkommen wieder geboren
werden. Er fühlt die Kraft feines
Vaters in feinem Mark und dejjen
Leidenschaften im feiner Seele, mit
denen er ringt, die er bezwingt, und
die dann zur wahren Begeijterung,
zur glühenden Empfindung werden,
mit der er alles in fein Herz auf:
nehmen und darin feithalten möchte,
Himmel und Erde, Menjchen und Welt.
Und nun erzählt er uns fein Leben
von der Wiege an bi$ zu der ernſt—
haften Zeit, wo es unter Armut und
zufriedener Beſchränkung müde zu Ende
geht.
| Er hat Rüderinnerungen bis in die
frühefte Jugend und weiß zu erzählen,
| wie feine arme Mutter des Nachts
heimlich aufſaß und jpann, und er,
ein zweijähriger Bube, im bloßen
Hemden auf den Dielen ſitzt, und
| mit großen Augen in das Licht Schaut.
Als er jechs Jahre alt iſt, ſchleppt ihn
früher, als es hätte fein follen, wie) feine fromme Gropmutter in die Bet—
man ihm ſpäter erzählte. Aber er meint: | ſtunden; die waren gar langweilig.
e3 könnte auch jein, daſs er ſich im Mit dem Großvater war er lieber. Da
Mutterleibe jchon zu ſehr nach dem | ging's auf die Berge zu den Kühen,
ZTageslichte geiehnt Habe, und dieſes und der Alte zeigte ihm Vögel, Stäfer
nah Licht Sehnen jei ihm danı ſein und Blumen, die frenen den Knaben.
ganzes Leben geblieben. Sein Vater! Bald blieb er für immer dardroben.
war ein armer Mann, fein Großvater) Sein Vater hat ein Gut getauft, einen
war ein armer Mauın — alle Brälers Einödhof in hoher Alpenwildnis, wo
hatten als arme Männer gelebt und die Herbitwinde brausten wie Föhn—
waren als arme Männer geftorben.! wind, und im Frühling der Schnee
Das mujste fo fein, fie wären ſonſt viele Tage länger liegen bleibt als
feine echten Bräfers gewejen. Bei den unten im Thale. Da hauste nun Die
12:
Bräker-Familie Sommer und Winter. |
Im Haufe war Unfrieden, und dem |
Stnaben war's wohler im Tannenwald
und auf Berghöh! Wenn der Bater
die Herde austrieb und weidete, da
war der Junge der Handbub. Das
war ein Vergnügen, ſich mit den Gaiſen
in Bush und Wieſe zu tummeln, den
Kühen nachzulanfen, und ſo recht nach
Derzensluft Jugend und Leben ges
nießen zu können! Manchmal mujste er
zu der guten, frommen Großmutter
ins Thal Hinab. Da gab's Leckerbiſſen
und erbaulihe Reden. Die erfteren
ließ ex ſich jchmeden, von den Er
mahnungen behielt er nur wenig. Nun
jollte er in die Schule, doch daraus
wurde nicht viel. Im Sommer war
feine Zeit, und im Winter ſaßen ſie
oft Monate lang eingeſchneit auf ihrer
Alp; da hatte das Abe gute Weile.
Aber die Bräfer = Armut Hatte!
ih dem Vater zu feit auf den Naden |
gejeßt; der wulste vor Sorgen md
Noth nicht, wo aus noch ein: Es gab,
viele Mäuler zu füttern, dazu franfes
Dieb, Schlechte Jahre und mehr Franken
Schulden, als Tannen im Wald. Die
Kinder follten nun anfangen, ihre
Suppe ich ſelbſt zu verdienen, und
Hein Ui musste Hanf brechen,
Strümpfe firiden und Baummolle
kämpeln. Aber du glüdjelige Kinder—
zeit! — „Alle Tage dacht’ ich dreimal
2
feinen Worten entgegen, dafs man
meint, die Tannen rauschen zu hören,
unter denen der Knabe jeine Herde
dahintreibt, und den Sonnenſchein in
der Seele zu fühlen, der über die Berg—
wieje fich breitet, wo flein Wirich im
Heidelraut Hingeftredt liegt, in den
blauen Dimmel bineinftarrt, und dabei
feine wunderlichen Anabenträume bat,
und jeine beionderen Gedanten.
Des Morgens zieht er aus mit
feinen Gaifen, und des Abends jpät
fommt er heim, Iſt er durftig, fo melkt
er feine Lieblingsgais, iſt er Hungrig,
ſucht er fich Beeren, und iſst dazu fein
Stüd trodenes Brot, und fühlt ſich
fo glüdlich, al3 ſei er Herr der Berge,
König der Welt.
Und wie kennt er fein Reich!
In der wilden Bergeinfanfeit
| fpricht die Natur ihr ernſtes, geheimnis—
volles Lied zu dem Knaben, und der
veriteht es. Er erlaufcht die heimliche
Meile im Naufchen des Waldes, im
Murmeln der Quelle, im Toſen des
Waſſerfalls; er erlaufcht fie, wenn die
Lawinen in die Schluchten fürzen,
und der Donner durch die Thäler rollt.
Er ſieht die Natur in ihrer wunder—
baren, ewig wechjelnden, ewig neuen
Schönheit: wenn die Sonne glühend
aufgeht und Hinter dem Berggipfel in
Flammen verfinkt, wenn die Nebel aus
‚der Tiefe aufbrauen, die Wollen um
ans Eſſen, und damit aus.“ Wenn's | die Telszaden hängen, wenn die Blüten
nur feine Arbeit in der Welt gäb’, knoſpen und die Blätter verwelken —
wozu auch Arbeit? Die Kühe geben | immer ſtaunt der einfame Knabe und
die Milch ja von jelber. Alfo wo er nimmt die Bilder, die an feinem Auge
nur fonnte, lief er dem Vater fort, und | vorübergleiten, in jeine Seele auf.
dann gieng’s hinaus in den Wald, auf) Wind abends, wenn er dann fort mufs,
die Bergbalde ; und den Bögeln nad:
gejagt, Neiter gejucht, Blumen abges
riſſen und blinkende Kiefel aus dem
Alpbach geholt. Wieder nach einem
Jahre wurde er des Vaters Gaisbub,
und nun gieng das freie fröhliche Yeben
erſt an.
Man mufs es felbft lefen, wie der
Mann über jeine Knabenzeit fchreibt
und an fie zurüddentt: Der friiche
Hauch des Waldes weht einem aus
fann er ich kaum losreigen von feiner
freien, luftigen Höhe. Er möchte wie die
Sonnengluten leife vergeben, ſich aufs
löjen ins A. Aber er iſt auf der Erde,
es dunfelt, der Knabe zieht fort.
Schatten legen ſich über die Thäler,
Nebel verhüllen die Berge, die Vögel
verftummen, in den Tanuen rauſcht
traurig der Nachtwind, dem Knaben
wird es da oft ſo weh ums Herz, daſs
er weinen muß.
— — — — — —
—8
123
Aber welch Vergnügen gibt ihm und dem ſcheute er auch — er wulste
jeder neue Tag, jeder neue Morgen!|jelbit nicht warum! und feine Mutter
„Wenn jeßt die Sonne die — Uli weiß uns nicht viel von feiner
Hügel vergoldete, denen ich mit meiner | Mutter zu jagen. So litt er dem
Herde entgegenftieg, dann jenen hal- | jein ganzes junges Leiden allein. Aber
digen Buchenwald und endlich die weſſen Leben die geſunde Natur it,
Wiefen und Weidplätze beſchien: tau= in defjen Seele können ſchlimme Reden
ſendmal denk ich dran, und oft dünkts | nichts Frank machen. So kam auch für
mich, die Sonne fcheine nicht mehr jo | Hein Ali wieder die Zeit des Froh—
Ihön. Wenn dann alle Gebüjche von ſinns und heitern Geniehens.
jubilierenden Bögeln ertönten, und dies — „Bisweilen fieng ich wieder an
jelben um mic berhüpften, o! was zu janchzen und zu johlen, ud troflte
fühlt’ ich da. — Ich weiß es nicht — aufs neue wieder forglos durch Die
halt ſüße, führe Luft!“ — Berge. Dann dacht’ ich: So alles, alles
So gieng es au drei Jahre und verleugnen,
ſchnitzelten, hölzernen Kühe — fei doch
nod länger; da war er nicht mehr
allein. Er bat Kameraden befommen,
andere Gaizbuben, wilde, rohe Gefellen,
und der Knabe erfährt zum eritenmale,
daſs es auch noch einen anderen
Schmutz gibt, als den, der fich an feine
nackten Fußſohlen hHeftet, noch einen
anderen Staub, als den, der ſich auf
fein armes Bmwilhrödden legt. Da
befam auch um ihn die Natur häſs—
liche FFleden, und mit dem Singen
und der Fröhlichkeit war es vorbei.
Non feiner Großmutter hatte er ein—
mal ein altes, vergriffenes, frommes
Büchlein befommen, darin las er jebt,
wenn er im Herbſt dann wieder allein
war. Uber den frommen Sprüchen,
die er fih aus dem Buche zuſammen—
buchftabiert, Fallen ihm feine armen,
jungen Sünden ein. Er betet und büßt,
er wird traurig und bleich ; und wenn
er's einmal bei feinem Beten und
Büren nicht aushalten kann, und die
Welt ihn gar zu ſchön dünkt, und er
jeine Luft darüber ausjauchzen möchte,
dann mußs er plößlich der Schredlichen
Sprüche in dem Buche der Großmutter
gedenken, die den ſündhaften Menfchen
zur Rene und Umkehr mahnen — und
der Fröhliche Jauchzer wird von bitteren
Thränen erſtickt.
So lebt dieſer merkwürdige junge
Büßer eine ganze Zeit. Kein Menſch
fonnte ihn von feiner Bürde befreien,
denn feinem konnte er davon jagen.
Sein Vater hatte andere Sorgen genug,
bis auf meine jelbitge:
ein traurig, elend Ding." —
Die Hirtenjahre waren vorüber.
Ulrich war groß und Stark genug, um
den Bater den Knecht erjegen zu
föünnen. Es gab Harte Arbeit und
ſchwielige Hände. Das war eine traurige
Zeit für den im Freiheit und Wald»
einfamfeit aufgewachſenen Burſcheu.
Er konnte ſeine Berghöh' nicht ver—
ſchmerzen, ſeine ſonnigen Halden und
ſchattigen Wälder. Um ſein mühſeliges
Leben zu vergeſſen, träumte er ſich ein
anderes zuſammen: darin war er
wieder der Gaisbub, der über Fels
und Stein mit zerriſſ'nem Rock und
blutigen Füßen ſeine Thiere zuſammen—
trieb, Vögeln und Schmetterlingen
nachjagte, und im Waldichatten lag,
jo jelig, fo felig!
Er wünſchte ſich fort, in die Welt
hinaus. Seine Welt in den Bergen
war ihm ja doch verichloflen, und, To
dachte er, für immer genommen. Da
fällt ihm wieder ein Buch in die Dände,
umd wieder ift es ein frommes, er—
baufihes Buch. Er liest es, es paſst
zu feinem verzweifelten Weſen; und
er wird zu einem chriftlichen Eiferer,
der die Siindhaftigleit der Greatur, das
Weltgericht und den Untergang predigt.
Er heuchelt, und weiß, dafs er heuchelt.
Es war ein Rüdfall in jene Kinder:
franfheit, aber diefesmal war das bel
ernfter, da er nicht mehr jo ganz wie
damals die Natur hatte, die ihn gefund
124
machen konnte. Es war ein Glüd für
Uri, dafs der brave Paftor von
Kyrnau, der ihn für das Chriiten-
thum vorbereitete, ihm nicht in dem
Tone des „flüchtigen Paters“ die Offen
barung Johannis ins Herz donnerte,
ſonſt hätte ſich damals leicht ein häſs—
licher Wurm in die junge, frifche
Alpenblume einniften können. Da kam
für die Bräkers ein großer Schlag:
Die Familie muſste den Einödhof ver-
lafjen, der Vater als bankerotter Mann.
Sie ziehen wieder ind Thal Hinab
und bewohnen dort eine arınfelige
Hütte. Hier kommt Ulrich mit ver—
kommener Frauengemeinheit in Be—
rührung. Was er erfährt, erſchüttert
ihn ſo, daſs er krank wird; er liegt
auf den Tod, uud wie fein Körper
dann doch langjam genest, ift auch
feine Seele gejundet.
Ulrich nähert jich ſeinem zwanzigiten
Jahr.
Es bewegt, zu leſen, wie ſpäter
der Mann auf die Zeit ſeiner erſten
Liebe zurückblickt, wie er die Jung—
fräulichkeit feines Weſens, Die er—
röthende Schüchternheit ſeines Be—
gehrens, die jauchzende Wonne ſeines
Empfindens noch als ernſter, einſamer,
ſorgenvoller Mann zu ſchildern weiß.
Man mußs es ſelbſt leſen, wenn er
erzählt, wie er ſeinem Annchen begegnet
und neben dem Mädchen hingeht, ohne
den Muth zu haben, es anzureden,
nur mit den Augen ſeine Liebe ver—
rathend, und mit ſo ſchüchternen Augen.
Wie er dann auf dem Tanzboden ihr
zuſchaut, ſich über das holdſelige
Madchen freuend, ſeine Liebe zu ihr
wie einen Hochmuth und Frevel em—
pfindend. Da tritt Ännchen zu ihm:
- „Wit führ' du mich auch eins
herum!“ Ich feuexroth erwiderte:
„Ich kann's nicht, Annchen; gewiſs,
ic kann's nicht.” — „So zahl’ mir
eine Halbe“, verjeßte jie, ich wuſst'
nicht, ob im Schimpf oder Ernſt. „Es
it dir nicht Ernſt“, erwidert’ ich drum.
Und fie: „Mi See, 's ift mir ernft.“
Ich todtenblajs: „Mi See, Annchen,
ih darf Heut’ nicht! Ein andermal.
Gewiſs, ich möcht’ gern, aber ich darf
nicht.”
Sie läſst ihn ſtehen, und dann
auf dem Heimweg: „Uli! U!
Jetzt find wir allein. Komm’ noch mit
mir und zahl’ mir eine Halbe.“
— ,Unnchen! Ännchen! ich muſs dir's
num grad Jagen, ich hab’ fein Geld.
Der Atti gibt mir keins in Sad, als
etwa zu einem Schöppli, und das hab’
ich Schon im Städtli verpußt. Glaub’
mir, ich wollt's Herzlich gern — und
dich dann hHeimgeleiten. Gewiſs,
Anuchen! 's war das erſtemal. Noch
nie hätt' ich mich unterſtanden, ein
Mädle zum Wein zu führen, und jetzt,
wie gern ich's möcht', und auf Gottes
Welt keine lieber als dich, glaub' mir's,
kann und darf ich nicht. Gewiſs ein
andermal, wenn du mie nur warri'ſt,
bis ich darf und Geld hab'.“ — „Ei
Pofjen, Närrli! verſetzte Annchen, —
weiß ſchon, wo der Has läuft. Geld?
Mitſammt dem Geld! 's iſt mir nicht
ums Trinken und nicht ums Geld
— und damit griff fie ins Säckli.
Mir wär's ein Ding, ih wollt’ lieber
für dich zahlen, wenn's jo Mod’wär.”
Und als er nun weiß, dafs Snnden
ihn wieder liebt, diefe geheime Selig»
feit! dieſe fchnellen, heimlichen, ſüßen
Begegnungen! — — Doch der Bater
will noch feine Schwiegertochter, am
wenigften das zierliche Annchen, und
Ulrich ift ein gehorfamer Sogn. Er
foll fort, in die Welt hinaus, um ſein
rojige3 Lieb zu vergeflen; und es
fonımt der Abſchied. „Wer nie
geliebt, kann's und ſoll's wicht willen,
und wer geliebt hat, der weiß es.“ Als
der Mann das jchrieb, mögen ihm mod)
die Thränen im Auge gebrannt haben,
die er damals um Annchen geweint.
Sie geht mit ihm ein Stüd ſeines
Weges, und trägt ihm den Ranzen.
— „Mußs es denn ſein?“ ſagte
ſie. „Iſt auf Himmel und Erden nichts
dafür? Nein! Ich laſs dich nicht, geh
mit dir, ſoweit der Himmel blau it.
Nein, in Ewigkeit lajs ich dich nicht,
125
mein alles, alles auf der Welt!“ Und Lieutenant Markoni iſt ein Infliger
ih: „Sei doch ruhig, liebes, liebes | Herr. Er liebt guten Wein und jchöne
Herihen! Den! einmal ein wenig! Frauen, Luftfahrt und Masteraden ;
hinaus, was für Freude, wenn wir er wirft Händevoll Geld — wohl-
uns wiederſehen und ich glüdlich ! gemerkt, Löniglich preußiſches Werbegeld
bin!“ — — — — auf die Strafe. Er zecht und jagt,
„Der blaue Himmel dann ob uns, küſst und ſchwelgt; und Ulrich Tebt
mit allen jeinen funfelnden Sternen, | das alles mit, und weiß gar nicht,
dieſe ftille Mitternacht — dieſe Straße | was er eigentlih lebt. Es ift ein
da ſollen Zeugen jein —“ Und ſie: Schlaraffenleben! Ein Tag wie der
— „Sa! Ja! Hier meine Hand und andere: Feſt und Freuden, und er
mein Herz, fühl' meinen Hopfenden | denft, das muf3 immer jo währen. Er
Buſen, Himmel und Erde feien Zeugen, iſt ein hübfcher Burjche, und fein guter
dafs du mein bift, daſs ich dein bin, | Herr kann ihn wohl leiden, und manch
daſs ich dir unveränderlich getren, till! ein rothwaugiges Mädchen wird traurig
und einjam deiner harren will, und und bleich, denn Uli trägt jein Annchen
wenn's zehn und ziwanzig Jahre dauern, | vom Todenburg gar treu im Herzen
wenn unfer Haar drüber gran werden | Über fein gutes Leben vergijst er falt,
jollte, dafs mich fein männlicher Finger | dafs um ihm eine ſchöne, ſonnige Welt
berühren, mein Derz immer bei dir iſt: in der ferne die Berge, zu ſeinen
jein, mein Mund dich im Schlaf füllen | Füßen der hefle wogende Bodenfee. Du
ſoll, bis“ — hier erftidten ihr die fteht er einmal am Rheinfall, und da
Ihränen alle Worte — „— — E35 |läfät er Jich die Größe der Natur wieder
muſs, es muſs doch ſein!“ Dann noch | fo recht in die Seele donnern: — „Ich
einen, einen einzigen Kuſs, aber einen, | hatte mir’3 wie jo viele ganz anders,
wie's in meinem Leben der erite und | aber jo furchtbar majeſtätiſch nie ein:
der lebte war: „Leb' wohl! Leb’ wohl!‘ gebildet. Was ich mir da für ein Hein
Vergiſs mein nicht!“ — „Nein gewiſs | winziges Ding jhien! Nah einen
nicht, nie, in Ewigkeit nicht!" — Sie! ftundenlangen Anftaunen kehrt' ich
geht — — „Zwei Heine Sterne gegen | ordentlich beſchämt nachhaus. —“
Mittag ſah ich, wie mir's däuchte, jo Ebenſo erichüttert fühlt er Sich
nahe beijanımen, ald wenn fie ſich | einmal durch die Größe des Menſchen—
küſſen wollten, und der Himmel fchien | wert. Er kommt nah Strapburg
mir doll liebender Wehmuth zu jein. — “ und jieht dort den Münfter: „die
Anncen iſt fort. Noch einen letzten erſte Kirche, bei deren Anblick ich nicht
Gruß, noch eine letzte Thräne, und lächeln muſſte, wenn man fie einen
dann den Blid vorwärts, in die neue, | Tempel nannte —“ aus ſolchem
unbekannte Welt hinein, und die Welt! Munde gewiſs ein merkwürdiges
it auch nah Trennung und Abjchied
noch Ihön. Dieje weiten Ebenen, Felder
und Fluren — wie groß die Welt
iſt!
dämmert in ihm. Er wandert mit einem
Landsmann, der dem Vater verſprochen,
für jung Uli einen Herrn zu ſuchen.
Dieſer Herr iſt ein preußiſcher Werbe—
officier in der guten Stadt Schaffhauſen
am Bodenjee, und diefem Herrn wird | Ende.
Die Ahnung der Unendlichkeit |
| febt,
Mort. Diefer Mann trug das Gefühl
für Größe, das Verftändnis für Größe
in feiner Seele: wer mit offenen
Augen und offenem Geifte in den Alpen
den kann wohl manches Hein
ericheinen, mas andere al3 groß und
prädtig beftaunen. Dort ift die große
Natur der Mapftab für Größe.
Doh die herrliche Zeit geht zu
Dem Inftigen Herrn Marloni
der gute Junge aus dem Todenburg für | ift des Königs Geld aus den Tajchen
den Soldatenfönig don Potsdanı verz | geflogen und fie werden ihm von den
tauft. Berliner Sparern nicht wieder gefüllt,
u 126
Uli muſs feinen guten Herrn und
jein glüdliches Leben verlaſſen. Er
iſt noch immer abnungslos, noch immer
der ehrliche gläubige Junge. Es geht
nach Berlin, und noch dazu wird zu
Fuße marſchiert, eine mühjelige Reife.
Endlich kommt er an, und er
findet nicht Worte, um die Größe
und Herrlichkeit der preußiſchen Haupt:
ſtadt zu Schildern. Berlin verwirrt
ihn. Diefe Häuſermaſſen erdrüden
ihn; er kann fich in dieſem Menſchen—
wirrwarr nicht finden, und alles Sol—
daten — alles Soldaten! Er mill
zu jeinem guten Herrn Marloni, und
man führt ihn im die Saferne. Und
nun kommt es heraus! Du armer
gefangener Vogel, e3 Hilft dir michts,
du Haft deine Schöne Freiheit verloren!
Halte jtill! Dein angftvolles Flattern
hilft die michts, du Bift im einem
Käfig! — —
Man zmwängt ihn im eine Uni—
form, ſtößt ihm die Musfete in den
Arm, er muſs den Fyahneneid ſchwö—
ren, und dann marſch hinaus aufs
Feld! und ererciert exerciert —
cxerciert, bis er halbtodt in dem
Sande zuſammenbricht. Aber der Cor—
poral gibt ihm einen Fußtritt, und
wieder ererciert — ererciert — exer—
ciert. Es geht ihm recht jchlecht, un:
jerem Uli. Er will fliehen, Tag und
Nacht denkt er's und grübelt er's:
fliehen! fliehen! frei fein — frei!
Aber er fieht andere, die wie er ge—
dacht, und die gethan, was fie dach»
ten. Er ſieht ſie durch die Straßen
Spießruthen laufen, bis das Fleiſch
in Feen vom Yeibe herabhängt —
und er bleibt.
Es ward endlich Krieg. Preußens
Deere zogen aus in die Schladt, und
auch jung Ulrih zog mit, um „für
Gott, König und Vaterland“ fein
Leben in die Schanze zu Schlagen.
Er dachte freilich bei ih: was gehen
mich eure Kriege an? — Aber es
koöommt zur Schladt; und als Wi
ih einmal an SKanonendonner und
Kartätichenhagel gewöhnt hat, vergiist
er, daſs er ein Schweizer ift, und
fümpft mutbig Für das preußiiche
Vaterland mit. Das Heißt: er ſchießt
jeine Mustete ab in die Luft, bis der
Büchſenlauf glüht. Er blidt um ich,
und ſieht Niedergefchoifene, Zufammen-
gehanene, Sterbende, Todte — ein
blutiges, furchtbares, ein entjegliches
Schlachtfeld! Menſchen zu Beſtien
geworden, Menjchen jcharenmeije nie=
dergeniegelt, mit Büchjenfolben Die
Gehirne eingejchlagen, von den Hufen
der Pferde zertreten, Stöhnen und
Sterbegewimmer, Jauchzen, Sieges-
geſchrei, Pulverdampf, Kanonenge—
donner, Trommelgewirbel, und überalt
Leichen und Blut!
Ulrich packt das Entſetzen — er
eniflieht —
Heimkehr! Heimkehr!
Der müde Wanderer fteht auf der
Berghöh’, zu feinen Füßen das Hei—
matsthal mit dem Kirchthurm feines
Dorfes; vor ihm die Deimatsberge,
heute fhöner, erhabener, wunderbarer,
als er fie jemals geſehen.
Uli steht und fieht, und das Herz
geht ihm auf, umd die Augen gehen
ihm über, und über feine Berge
ſcheint fich ein verhüllender Schleier
zu legen feine Thränen. Dann
eilt er den Hügel hinunter, und lobt
ſchon das jelige Wiederjehen mit El—
tern und — Annchen — Annuchen,
die er niemals vergellen. Vor dem
Dorfe begegnet ihm ein Mann, diejer
erfennt ihm und erzählt ihm: fein
Annchen jei zur Dirne geworden. Die
bolde Mädcenfnofpe, die Uli kaum
mit dem Hauch ſeines Mundes zu
berühren gewagt hatte, war von einer
anderen Hand gebrochen, und die junge
Blüte war darüber verweitt. Wunden,
fein Annchen eine Dirne!! Das gebt
dem Burschen ins Herz. Er fühlt
den Schmerz in jeiner Seele, aber
das Wort, das er gehört, erftidt alle
Liebe. Annchen ift Für ihn eine
Todte.
Die Geſchwiſter kennen den brau—
nen, bärtigen Geſellen nicht, ſelbſt
dein Mutterauge ift er ein Fremder Milch und Blut, ein ſchönes, lieb—
geworden. Er muſste es der vergräme
ten, alten Fran zurufen: ich bin ja
dein Sohn!
Er findet bitt’re Noth. Die Zei-
ten find nicht beffer, aber die Schulz |
denlaft ſchwerer und ſchwerer. Sein
Bater ift ein alter Mann geworden,
nicht durch die Jahre, jondern durch
die Sorge um das tägliche Brot.
Uli arbeitet für Eltern und Geſchwi—
ter, und er arbeitet anders als da=
mals, mo ihm die Sehnfuht nad
der Freiheit der Berghöh’ das Mark
in den Gliedern aufgelöst. Er arbeitet
wie eim kräftiger Mann, aber der eine
fann nicht jchaffen für alle, und es
wird um nichts beſſer. Der Bater
will, Uli foll heiraten, eine „Reiche“, |
Not |
das würde ihnen aus aller
beilfen, aus allem Elend. Uli ift in
den preußifchen Jahren der ftattliche
Burfche geblieben und den blöden
Jungen von damals hat die Soldaten:
zeit zı einem anderen gemadt. Er
gefällt den Mädchen jeines Dorfes
gar wohl, und die Mädchen gefallen
dem Burjchen. Bon einem Mädchen
erzählt er, das habe ihn fo Herzlich
geliebt, aber er liebte es nicht wieder.
Darüber brach dem Mädchen das Herz
und es ftarb. Noch eine andere trau—
tige Frauengeſtalt geht till und bleich
an Wis innerem Gejichte vorüber.
Käthchen war weiß und roth, wie
liches Kind. Ulrich erzählt uns viel
von ihr und wir erkennen in diejer
anmuthigen, Später Jo erniten Geftalt
ein Grethen. Auf einer Wanderung
bei einem fröhlichen Feſte lernt Uli
‚fie kennen, und Käthchen ist ihm gut,
und er iſt's ihr auch. Er bleibt welt—
vergeſſen ganze Tage in dem fremden
Dorfe und ſie kommt alle Tage zu
ihm und bringt ihr kleines Schweſter—
ſchen mit, und die dreie leben ein
wunderſames, glückſeliges Leben zu—
ſammen, einen jener Träume, wie
‚ihn das Leben nicht oft hat. Endlich
reißt er Sich los, er trennt ſich von
‚ihr, und Käthchen geht von ihm jo
‚rein und gut, wie fie zu ihm ges
fommen.
Uli ift Schon lange verheiratet und
er ift fein allzuglücklicher Mann. Da
fommt er eines Abends auf einer Ge—
‚Ichäftsreife durch das Gebirge in ein
Wirtshaus, wo er niemals geweſen.
'Die Wirtin ift eine ftille, traurige
Frau, ſehr ſtill, ſehr traurig, und die
Bleiche iſt Käthchen. Er erkennt ſie,
und ſie ihn. Und in der einſamen Nacht
ſitzen die beiden Menſchen zuſammen,
und fie erzählt dem Jugendgeliebten
[ihre Geſchichte, und der ernſte Mann
weint, und wie er am Morgen weiter
zieht, küßt ihm die bleiche, traurige
Fran, und er geht, und fie haben nie
mehr von einander gehört.
(Fortiegung folgt.)
Zwei Todtenlieder aus dem Bolke.
Mitgetheilt von Rarl Yilber.*)
—
AR 1.
” uſs ich denn allein davon,
DHL Und weih nicht, welche Strafen,
5% Ins Grab bin idy gerichtet ſchon,
Tie Welt mujs ich verlafien;
Ih mad’ ein’ Reif”,
Tie niemand weiß,
Gott weiß, wie mir’3 wird gehen,
Herr Jeſu Chriſt,
Mein’ Zuflucht bift,
Mir tröftlih woll'ſt beiftchen.
Von Tag zu Tag
Mehrt fih mein’ Plag’,
Der Tod dringt mir zu Herzen,
Ach Weh, ad Leid,
Ah Bitterkeit,
Was leide ih für Schmerzen.
Der Todtenſchweiß
Macht mir gar heiß,
AM’ Glieder mir erlalten.
Wer iſt da, der mir helfen fann?
Mein, laist mid all’ ermatten.
Ihr, meine Freund’,
Tie lieb mir feind,
Von euch mufs ich abſcheiden,
Gedentet mein,
Wann ich werd’ fein
Vielleicht dort in den Leiden;
Wann id werd’ jein
In großer Bein,
Thut fleißig für mich beten.
Ahr werd’t den Lohn
Belommen jchon,
Wann ihr mid werd’t erreiten,
Behüt' euch Gott,
Ihr, meine Freund’,
Mein’ Nahbarn und Belannten,
Zumal jogar
Das Hausgejind'
Und alle Blutsverwandten,
Hab ich euch Unreht auch gethan,
Ach thut mir doch vergeben,
Tentt nicht mehr dran,
Mas ih gethan,
Wünjht mir das ew'ge Leben.
*, @iche „Geimgarten* IV. Yahrg.,
Die bier allda beiſammen jein,
Und mir das G'leit thun geben,
Mein’ Freundihait und Geſchwiſter,
ı Mein Bater und Mutter eben,
Hab’ ih euch aud) etwas Leids gethan,
Ach thut's mir doch verzeihen,
Bei't all’ für mid,
' Glaubt fiderlid,
Gott wird euch nad’ verleihen.
Ich nimm Urlaub von euch allhier,
Ihr Alten und aud Jungen,
Der Tod hat g’wart’t vor meiner Thür,
Bis er mid hat belommen.
Von allen g’liebten Freunden mein,
Die ih jekund verlaſſe,
Maͤcht euch bereit,
‘Gebt mir das E'leit,
‚Auf meiner Rubeftrabe.
11.
‚Ih ach’ herum in weiter Welt,
Sud’ meinen Raub zujammen
‘Und nimm Hinweg, was mir gefällt,
Sei hoch und niederen Stammen,
Auch Yung und Alt,
Von ſchöner Geitalt,
Laſs niemals mich erweichen,
Der reichſte Mann,
Der Bettler dann,
Iſt alles meinesgleichen.
Mein Bauerämann, lais von dem Pflug!
Komm mit, wir wollen wandern,
Ich will dir eilends ſchaffen Ruh,
Die Arbeit lajs ein’ anderen.
Haſt joviel Tag’
‚Mit großer Plag’
Dein’ Lebenszeit gefunden,
Für deinen Schweiß
Im Baradeis
Wird dir ein franz gemunden.
Was ftehft, mein’ Jungfrau, pflanzeft dic,
Ich mill dich gleich erjchlaffen,
Die du gepußet, bald vor mid,
Ich brauch' fein’ roihe Maſchen.
Seite 124 und Heimgarten“ XIII. Yabrg., Seile 184,
129°
Komm mit ins Grab,
Alldort id hab’
Berborgen Kröt’ und Schlangen,
Die werden did,
Staub’ ſicherlich,
Bezieren nad Berlangen,
Ad, weih’ von mir, ergrimmter Mann,
Es ift fein’ Zeit zum Sterben,
Du triffft wohl Alt’ in Kummer an,
Die jhier vor Angft verderben.
Eich dod von eh’,
Wie ich jeht ſteh',
In blühend jungen Jahren,
Wie roth mein Mund
Und fol jegund
Den firengen Tod erfahren,
Was weineft du, mein Heine Rind,
Und fannft mit Ruh nidt jchlafen,
Komm nur mit mir, will dir geihwind
Ein’ jihern Frieden jchaffen,
Obſchon da jchreit
Bor aller Leut’
Dein’ Mutter voller Schmerzen,
Zu leiner Seit
Barmberzigleit
Gib ih betrübten Herzen.
Was mahft bu, Reicher, zahleft Geld,
Ich braud feine Ducaten,
Der Ort, der ift für dich beftellt,
In voller Würm’ und Maden,
Leg’ ab die Sorg’,
Kein’ Stund’ ich borg,
Die Wohnung fteht jhon offen.
Die Zeit ift aus,
Muist aus dem Haus,
Tas Los hat dich getroffen,
Ad weh’, ah Gott, graujamer Tod,
Mas willft mit mir anheben,
Was zwingeft mich mit folder Noth?
Laſs mid ein’ Zeit noch leben.
Mujs ih denn nun in befter Blüh’
Gleich jet mein Leben laſſen,
Urplötzlich bald,
Durch dein’ Gewalt
Geh'n eine fremde Straßen.
Komm ber, Soldat, mein Kamerad,
Ter Feldzug ift vorüber,
Bei mir ift fein Pardon no Gnad’,
Ich ſchieß' mit Veit und Fieber.
Dein’ Tapferkeit macht mir fein’ Freud’,
Des ftärkften Rieſen Glieder
Reiß' ih voll Gram
Auf einmal z'ſamm',
Mein’ G'walt jhlägt alles nieder.
Rofegger's „„Gelmgarten“‘, 2. Heft, XV,
Scher' did heraus, Tod, aus dem Haus,
Du jollft mid nicht genieren,
Dein Pfeil maht mir gar feinen Graus,
Wil glei mit dir marjdieren.
Ich bin viel Jahr’ in Lebensg’fahr
Vor einem Feind geftanden,
Bor meiner Fauft
Hat vielen graust,
Du machſt mich nicht zu fanden.
©, mein Soldat, dein Disputat
Wird mid da nicht aufhalten,
Du mujst mit mir,
Ich nehme hier
Die Jungen wie die Alten,
Du mujst mit mir, hilft nichts dafür,
Die Uhr ift ausgeloffen,
Eine andere Beut’,
Fine größere Freud’
Haft du ewiglich zu hoffen.
Was madhft du denn, mein Edelmann,
Allhier in deinem Garten,
' Ergögeft dich ganz janftiglic
An Blümlein aller Arten,
Komm’ aud mit, ich warte dir,
Kein’ Stund’ thu’ ich verjchonen,
Seh’ gar nit an des Königs Thron,
| Des größten Kaiſers Kronen.
Ich bin's, der alles Leben end't,
Drum fürcht't euch all zuſammen,
Mein Urtheil iſt ſchnell und behend,
Wo ich thu' heut nicht kommen,
So lomm ich morgen ganz gewiſs,
Du kannſt dich drauf verlafien.
Thu' Buß' nod heut’,
Es möcht's die Zeit
| Hiefür nicht mehr zulaffen.
Darum, o Menſch, jei ſtets bereit,
' Thu Di zu Gott erheben,
Du bift fein’ Stund’ von mir befreit,
Ich nimm allen daS Leben.
Wenn ih dann fomm’,
So reiß ih nun
; Den Mann von beften Jahren
Und thu alsbald
| Mit großer G'walt
Mit ihm in d’ Erden fahren.
Wenn dann herfommt die letzte Zeit,
Daſßs gleich dein’ Seel’ ſoll jcheiden,
Jeſus, Maria, alle beid’
Wird dih mit großer Freuden
Begleiten in das Paradeis,
Den Höllenhund verjagen,
Der dir jonft maden würde heiß
Und bringen in VBerzagen.
Hals.
Eine Betrachtung von P. A. Kofegger.
sl
&
uf der Stirn unferer fonft vom
eng jehr begünftigten Zeit
ſteht das SKainszeihen des
öffentlichen Haſſes. Der Hafs ift jene
Thierpfote, die am Menſchen, dur
Erziehung und Sitte ftets abgeftußt,
immer wieder von neuem hervorwächſt.
Man fuchte ſonſt diefe Pfote möglichſt
zu verdeden, man ſchämte ſich ihrer;
heute ift es anders geworben. Der
Hafs ift, wenn ſchon nicht eine Tugend,
jo doch faſt eine Modejache geworden.
Nicht bloß der Hass gegen Feinde, auch
der Hass gegen Genofjen, nicht blof der
Dass gegen fremde Völker, auchder gegen
Stammesbrüder wird verkündet im Bar- |
lamente, wird gepredigt in der Preile,
wird genährt in den Parteien, wie man
eine Beftie nährt im Käfig. Die Beſtie
Ihnaubt und rüttelt an den zarten
Käfigfpangen der Bildung — gebt acht!
Nächſtens ſoll der Hafs auch eingeführt
werden in die Schule, und jelbit vom
Dichter wird verlangt, daſs er Rache—
lieder brülle, und nicht bloß die Laute,
fondern auch die Leute ſchlage. Wer!
ſanftmüthig ift, der wird roh angefafst,
wer nicht haffen kann, der wird gehafät.
Alſo haſst man felbjt die Weihnachts-
und die Oftergloden, weil ihr Erz
nicht Kanone ift. Es iſt eine häfsliche
Zeit!
Es geht.die Meinung um, daſs der
Haſs etwas Tüchtiges, Männliches,
Muthvolles, ja fogar, dafs er etwas
der Ehre, dem Patriotismus oder Nas
ttonalismus Angehöriges fei, daſs es
zum Öffentlichen Gewiſſen gehöre, die
Gegner glühend zu Hallen, eine er=|
fahrene Unbill ſtramm zu rächen,
Der Haſs ift ein angeborenes,
durchaus natürliches Gefühl, aber er
ift dem Einzelnen wie dem Ganzen,
dem Haffer, wie dem Gehafäten ge—
fährlih. Er ift deshalb zu befämpfen,
wie ja ſchon fo vieles Natürliche,
Thierifche in uns befämpft und bejiegt
worden ift. Niedrigen Völkerſchaften
ift es ganz natürlich, daſs Kinder ihre
Eltern aufeffen; wer weiß denn, ob
die Urftämme, von denen wir ab=
ftammen, nicht auch einmal diejelbe
Liebhaberei getrieben haben? Wenn
der Menfch ſich abgewöhnen kann, jeine
Mitmenschen körperlich zu veripeifen,
jo wird er fich auch abgewöhnen fünnen,
fie moraliſch zu verzehren.
Wenn wir an der Hand eines
‚italienischen Denters*), zu eigenem
| Denten angeregt, einen Spaziergang
machen durch die Welt des Halles, jo
werden wir den Haſs allmählich ſehr
bälslih finden. „Der Haſs“, ſagt
Mantegazza, „verhält fich zur Liebe wie
der Schmerz zur Luft. Luft erzeugt
Liebe, und Schmerz erzeugt Haſs. Und
umgekehrt. Wer dir aljo einen Schmerz
verurfacht, den mufst du halfen, fo
will es die thierifche Natur, und wen
du Hafleit, dem willft du einen Schmerz
verurfachen. Der Hass ift nämlich der
Drang in uns, jemanden, der unſerem
Wohlſein zuwider ift, von uns zu eut—
femen, ihn dafür zu trafen und ihm
zu ſchaden.
Indem wir einige Gattungen des
Haſſes Ichattenhaft an uns vorüber-
gleiten laſſen wollen, erbliden wir
zuerſt den Zwitterhaſs. So wie es
‚ Empfindungen gibt, in welchen Luft
D Paul Mantegazja: „Die Phyfio-
logie des Haſſes.“ Ins Deutfche überſetzt
von R. Teuſcher. Jena 1889. Hermann
| Goftenoble.
——
181
und Schmerz gemischt ift, ebenfo gibt| vernichten könnte, jogar, dafs der Be—
es ſolche, die ein Gemisch von Liebe
ud Haſs find. „Aus Liebe jemanden
frefjen mögen”, jagt das Volkswort.
In manchem Menfchen ſchlummert der
Hang, gerade einer geliebten Perſon
bisweilen etwas Leides zu thun.
Der Grade des Haſſes find ja un—
zählige. Daſs der Haſs durdaus nicht
fo unbedingt wild und unbezähmbar
auftritt, beweijen die verfchiedenen
Grade des Hafles bei verjchiedenen
Perſonen in einer und derfelben Sache.
Von dreien Menſchen wird jedem z. B.
ein Pferd geftohlen: der eine erjagt
den Ränber und tödtet ihn; der andere
ist in ſeinem Lehnftuhl und liest mit
großem Gleihmuth im der Zeitung,
dafs der Dieb ergriffen und auf drei
Monate lang eingefperrt wurde. Der
dritte, wenn er den Schuldigen ent=
dedt bat, hält ihm eine Predigt über
die Schmach zu ftehlen und entläfst
ihn zufrieden. Und wie verfchieden it
der Haſs in einer und derjelben Per-
fon gegen verfchiedene Feinde! Als
vor furzem in mein Sominerhaus
eingebroden und mir dadurch ein
wejentliher Schaden zugefügt wurde,
empfand ich feinen bejonderen Haſs,
der Dieb juchte nach Brot, nach warıner
Kleidung für den Winter, er war
hungrig, er fror. Wie mich aber zur
jelben Zeit ein gewifjenlofer Partei—
menſch in der frechſten und zugleich
feigſten Weife öffentlich verleumbdet hatte,
da fühlte ich einen flammenden Haſs,
wie man das Schurkifche hajst. Doc
e3 gelang mir, das Häfsliche Gefühl
zu bejiegen und e3 gieng vorüber. Viel—
leicht iſt's Uberhebung, wenn id
glaube, ſtark genug zu fein, ſelbſt
meinem größten Feinde die Hand zu
reihen, jollte er ihrer bedürfen zu
feiner Rettung in höchfter Noth. Wenig:
ftens übe ich mich im Wunſche: es zu
fönnen.
Andererſeits gibi e3 einen Grad von
Haj3, der einer Beleidigung wegen nicht
allein den Beleidiger, jondern auch
feidigte fähig iſt, feine eigene Familie,
jeine Ehre, alles, was er beſitzt und
erjtrebt, endlich vielleicht ſich ſelbſt aufs
zuopfern, um Sich zu rächen. Dem
gegenüber fenne ich edle, wohlwollende
Menjchen, die unter der größten Be—
leidigung nur till vor ſich hinweinen,
in deren Sauftmuth das ſchwerſte Leid
und erfahrene Unrecht bald verlijcht
und vergeſſen ift. Dieje gropmüthigen,
erhabenen Charaktere find wohl ein
Beweis, daſs es ſchon gelungen ift, die
Klaue des Tigers oder der Hyäne im
Menschen ganz verfümmern zu lafien,
dajs Hingegen in ihm die Kraft gewedt
wurde, die zarte weiße Bruderhand
hinzuhalten zur Bergebung. Um in
diefer Welt des beitändigen Streites
von jedem Groll frei zu bleiben, muſs
man einen Ddiamantenen Charakter
haben, den äßende Gifte nicht anzu—
greifen vermögen. Den Feind nicht
zu haſſen, das ift die denkbar größte
Heldenhaftigfeit: den Feind zu lieben,
ift nicht mehr menfchlich, das ift gött-
ih. Und feine herrlichere Rache kenne
ich, al dem Feinde Gutes zu thun.
Wie fteht es mit dem Halle gegen
die eigene Perfon? Sich jelbit kann
der Menſch nicht Hallen, wohl aber
feine eigenen Fehler, eine begangente
That, was wir damı Reue nennen.
Unrecht Hätten jene, welche den Selbſt—
mord al3 eine That des Hafjes gegen
ſich jelbit anjchen wollten; eher kann
er eine Art von Rache gegen andere
fein. Beſſer bezeichnen wir ven Selbit:
mord al3 eine That niedriger Eigen
liebe, wir wollen uns duch ihn von
Schmerz befreien, vor Schmerz be=
wahren. Mander Hat aus dieſem
Grunde, nämlih um von Noth und
Leid zu befreien, jeinen liebſten Men—
ſchen getöbdtet.
Ein entfernter Bilutsverwandter
des Haſſes ift der Neid, Diejer blajie
Gejelle ift der Schmerz der unabjicht-
lich verlegten Eigenliebe. Die armen
Neidischen find boshaft, aber felten
deſſen Yamilie, ja deilen ganzes Volk ftarle Hafer, jie kranken au Dabgier,
9*
Hoffahrt, Übelwollen. Der Hafs fehrt
jich gegen das, was er für böjer hält,
als der Haſſende es ift, der Neid gegen
das, was befler ift, höher, geachteter,
reicher ald er. Der lahende Philoſoph
Meber vergleicht den Neidifchen mit
einem Silhonettenmacer: zuerſt ver-
tleinert ex, dann ſchwärzt er an. Und
den Neidischen müſste Gott zur ewigen
Strafe in den Dimmel aufnehmen,
weil die Freuden der Auserwählten
ihm jolchen zur Dölle machen würden,
In der That, es gibt feinen Ärmeren
Schluder als den Neidiichen, ihm wird
zum nagenden Leide, was andere er:
freut; tanjend oft ganz unbedeutende
Dinge beleidigen ihn jeden Tag und
er kann feinen Schmerz, feine Ver:
zweiflung niemanden mittheilen, wenn
132
größten Liebe, in der höchſten Luft
gerne einmal ein wenig mijshandelt jein
und eine Feinſchmeckerin miſcht ſich
die Liebe oft mit ein biſſschen Haſs;
fie muf3 einen Augenblid Hafen, um
dann wieder dejto glüihender lieben zu
‚können. Doch gibt es eher rauen
als Männer, melde des Haſſes ganz
‚unfähig find. Mancher Mann glaubt
| grundfäglid halfen zu müſſen, er will
roh fein, damit er muthig erjcheine,
und meidet es, ſanftmüthig zu fein,
weil er fürdtet, für feige gehalten
zu werden. Wuch gibt es Männer,
bei denen das Bedürfnis zu Hafen
jo groß ift, daſs, wenn fie feinen Feind
haben, Sich einen ſolchen mit aller -
Umſtändlichkeit machen, bloß um je-
mand Hafen zu können. Man liebt
er nicht als der armſelige Gauch, der den Haſs und Hafst die Liebe. Ein ge-
er ift, erlammt werden will. Wie reich, | waltiger Haſſer kann gefährlich werden
wie mächtig, wie glüdli, wie groß | für ganze Völfer, weil alles Hafjende
ift doch der, welcher die Fähigkeit ſich ihm Leicht anschließt und er aljo
befißt, fih am den Reichthum, der
Macht, dem Glüd, der Größe anderer
zu erfreuen! Wahrlich, wenn jemand
zu beneiden ift auf Erben, jo iſt es
der, welcher niemanden bemeidet.
Mannigfaltig it der Haſs in ver-
Ichiedenen Yebensaltern.
den zeritreuten Haſs von Millionen
zu einem vereinigten, elementar ges
waltigen macht.
Zum Glüd ift als beſchützender
Gegenſatz in den meiften Menfchen das
heiße Bedürfnis immer jemand zu
lieben vorhanden, ift es ein Würdiger
nicht, jo kann es auch ein Unwürdiger
Lebensalter etwas anderes liebt, jo ſein. Aber ganz nebenbei und ins
bajst erauch in jedem Lebensalter etwas | geheim müflen jie auch wen Hafen.
anderes. Nehmt — jagt unfer Denker | Findet ich ein ſolcher nicht, jo werben
— dem Kinde das Naſchwerk, dem ſie jahrelang nur lieben, wenn fie doch
Stnaben den Ball, dem Jüngling die) endlich einen finden, denfelben um fo
Geliebte, dem Manne die Ehre, dem | heftiger halfen, als fie des Haſſes lange
Alten das Geld, jo werdet ihr euch die | entbehren mujsten. Würde dieſes Haſs-
reichſten Onellen des Haſſes eröffnet | bedürfnis, jo Hein es auch fein möge,
haben. Das Kind ift ganz Bauch, nicht manchmal fich entladen können,
der Knabe ganz Spiel, der Jüngling ſo müjste es allmählich die Liebe ver:
ganz Liebe, der Mann ganz Stolz, |giften. Mancher füttert den Haſs künſt—
der Greis ganz Habſucht. lich, wendet allerlei Mittel an, um ihn
Ebenſo verjchieden ift der Haſs im lebendig zu erhalten. Er ruft die Be-
den Gefchlechtern. Der Mann Hast leidigung fih ins Gedächtnis zurüd,
nicht Fo ſchnell, aber beitändiger, als |er hält das Bild des Beleidigers ſich
das Werb, weil bei ihm auch ein vor Augen, jogar recht oft ihm zu
Schmerz tiefer und anhaltender wirkt. ſehen trachtet er und ſchwelgt in der
Das Weib iſt raicher im Halle wie | Wolluft des Hafles.
in der Liebe, im Schmerze wie in der’ Dengrößten perfönlichen Has finden
Luft. Manche will mitten in der wir bei Nebenbuhlern im der Liebe.
So wie der Menih in jedem
133
Diejes Feuer ift fo wild, daſs es eine |dermag ebenſo geiftig zu verwunden,
Welt in Brand fteden könnte. Der zu tödten.
Dass zwiſchen Völkern ift durch einen Zwiſchen Künftlern einer gleichen
einzigen blutigen Strieg zu dämpfen, |oder verwandten Kunſt pflegt anftatt
aller Groll bleibt auf dem Schlacht- Zuneigung die Abneigung vorzuherrs
felde zurüd. Der Hals des Buhlers |jhen. Wenn wir in den Seelen
ift unauslöſchlich. Nachſichtig iſt das Michelangelos und Rafaels hätten lefen
Sericht, wenn ein betrogener Ehegatte | können, welch ein Meer von Anti—
feinen auf der That ertappten Neben= |pathie mag in beiden Männern gegen
bubler ermordet. So furchtbar am |einander gewüthet haben! Wir wiſſen
feiner treulofen Frau wird ſich aber nichts davon. Sie waren entweder jo
jelten jemand rächen, ala jener Ehe= | heldenhaft, den Neid, den Dafs zu be=
mann, der nach entdedten Ehebruch |zähmen, oder fo göttlich, die Beſtien
mit feiner Frau zujammenblieb, nach |gar nicht empfunden zu haben, Eben
jeder Zärtlichkeit ihr aber ein Fünf- | folche Helden oder Götter waren Schiller
Guldenſtück auf den Nachttiſch legte. |und Goethe. Unſere Heinen Künſtler—
Eine ſolche Rache kann das Gericht und Dichterfeelen geben ſich gar feine
nicht beftrafen, und doch ift fie die Mühe, die abjcheulihen Thierpfoten
zermalmendſte, die jich denken läfst. zu verbergen und ihre Pfuftern und
Eine leichte Auferung des Haffes Kragen gegen einander wird oft zur
oder Zornes ift das Schimpfen oder | Beluftigung der Menge, vor der jie
Fluchen. Um den Beleidiger wieder zu doch ftet3 in der würdigen Toga des
beleidigen, heißt man ihn einen Efel | Gottesgnadenthums daftehen möchten
oder ein Schwein oder einen Ochfen, und jollten.
um zu jagen, dafs er ein Dummkopf Eine Form uneingedämmten, ſo—
oder ein Wüftling ſei, oder aıt feiner zuſagen volksrechtlichen Haſſes ift die
Geſchlechtskraft gemaßregelt worden Blutrache, die bei vielen halbwilden
wäre. Wenn der Beihimpfte der Klü- Völkern Heute noch befteht. Sie wird
gere ift und ſchweigt, jo iſt die Sache als Heilig und als religiöje Pflicht
gewöhnlich abgethan. In Fluchen und | betrachtet. Die Mexikaner jchreiben ſich
Gottesläftern find die Südländer Mei= das Recht zu, die zum Tode vers
jter, die Nordländer fluchen Häufig nur | dammten Verbrecher ihren Göttern zu
zur ſcharfen Bethätigung der Sprach- ‚opfern. Wir find doch weiter, Weun
werfzeuge, und um Zunge und Gau- unſere heilige Meife auch das Symbol
men tüchtig anzuftrengen, wählen fie eines blutigen Opfers ift, fo verlangt
Worte, in welchen möglichft viele „re“ |doh das Chriſtenthum, Böfes mit
vorkommen. Ein Krruzi-Krreuz-Sa- Gutem zu vergelten. Alle Menjchen zu
fererinent bejchäftigt mehr die Zunge ‚lieben, darin liegt die Göttlichfeit des
als das Gemüth. Ernſter gemeint mag Chriſtenthums, und wer dem Halle
e& fein, wenn der Pole flucht: „Hundes nicht entfagen kann, der hat nie und
john, leer ſei dein Neft und dein nimmer das Recht, ſich Chriſt zu
Magen!” oder der Ruthene: „Koche | nennen.
deinen Großvater!“ Berfchiedene Raffen Haflen ver—
Während der Hass zum Theile in |fihieden. Ich ſtehle dem Auftralier
unferer Macht liegt, ift Zuneigung |feinen Hund, er wird rafend; id
und Abneigung unwillkürlich. Wenn |fchneide dem Chineſen den Zopf ab,
ein Mann und ein Weib gegenjeitig er wird raſend; ich ſage dem Deut»
jich mit Wohlgefallen anbliden, jo ver- ſchen, daſs Roſſini größer jei als
mählen fie fich mit den Augen und | Wagner, erwird rafend. Was geichieht?
fönnen in ſolchem Augenblide geiftig | Der Auftralier tödtet mich, der Chineſe
fich befruchten. Der Blid des Hafjes ſpuckt mir ins Geficht, der Deutiche
134
ſchreibt gegen mich einen befchimpfenden
Zeitungsartifel. Je ungebildeter eine
Raſſe ift, deito wilder und grauſamer
bajst fie. In Europa das graufamite
Volk find die Spanier, aber auch das
feigfte; in Europa das fanftefte Bolt
find die Deutſchen, aber aud das
muthigſte. Im perfönlichen Haſſe iſt
es ebenſo; je ungebildeter, thieriſcher,
deſto roher, rückſichtsloſer, boshafter
und feiger. Der Völker- und Raſſen—
freie Menſchenſtirn brandmarken mit
dem offenbaren Kainszeichen der Bru—
derrempelei! Sie ſollen ſich ſtählen für
die Stunde der Gefahr; fie ſollen ſich
üben im Muthe, die Wahrheit zu be=
fennen, in der Ritterlichleit, das Recht
zu hüten, in der Zapferkeit, dem
Feinde zu verzeihen. Wenn fie das
fönnen, dann find fie Mannes genug.
Die Ichredlichite Forın des Haſſes
ift der Krieg. Die Folge langjähriger,
haſs, vor dem uns Gott behüte! iſt oft ja zumeift künſtlich erzeugter Ab—
ebenſo natürlich und thieriſch und fo neigung zwiſchen Völkern ift der Krieg.
unfittlich, wie rüdjichtslofe Ichjucht und | Noch heute im hellen Lichte der Ge—
perjönlicher Hafs, wie das gewiſſenloſe fittung verläfst der Mann fein Weib,
Beitreben, zu eigenem Vortheile den | jeine Kinder ſchutzlos, um fremde
Mitmenschen zu ſchädigen. Was im | Menjchen, die ihm nichts gethan haben,
Heinen und einzelnen ein Lafter ift,
wird im großen und allgemeinen feine
Tugend!
Sn meinem Tagebuche finde ich
die folgenden Zeilen:
„Nicht Miſswachs und nicht Peſt,
Nur tiefer fFrieden lebt,
Und Friedensſehnſucht webt
Und bangt in Oft und Met.
Und doch die rohe Zeit
Und doch die heiße Gier
Nah Miſſethat und Streit,
Und dod das wilde Thier! —
Am dunklen Himmelsjaal
Gin einz’ger Stern noch ftand
Als letztes Ideal:
Die Lieb’ zum Baterland.
Sie ftrebten auf zu ihm,
Als zu der Liebe Bahn,
Und zündelen an ihm
Des Haſſes Fadel an.“
Eine weitere Form des Haſſes ift
das Duell.
bei Halbwilden vor, es vereinigt im
ih Die Rachgier der Wilden und die
Heucelei der Givilifation, Man hat
das Duell entjchuldigen wollen als
Auch dieſes kommt nur
‚umzubringen. Die Religion weiht die
‚Waffen und die Fürften fühlen mit
‚dem Blute der Völker ihren perſön—
lihen Groll. Der Haſs des Soldaten
gegen den Feind ift fein natürlicher,
jondern ein künftlicher, um jo furcht—
barer die Verantwortung derer, die
ihn erzeugen und nähren !
Es gelingt oft lange Zeit, im Ein—
zelnen jowie in Völkern den Hafs zu
bezähmen, zu berdeden, als wäre er
gar nicht mehr vorhanden in der
menschlichen Natur. Plöglich bridt er
wieder hervor in jeiner Urjprüng-
lichkeit, wie beim wüthenden Thiere.
Doch, die Zwijchenräume der Ver—
‚träglicheit werden immer länger und
die Sataftrophen der Rache geben
rafcher vorüber als einft. Auch ſind
wir troß mancherlei jo weit, dals
niemand gern zugibt, er haſſe; man
behauptet bloß, feinen Feind zu ver—
achten, weil das edelmüthiger, erhabener
peingl. Des Haſſes ſchämt man ji
doh ein wenig. Man wird fi in
eine ſchmerzliche Nothwendigteit, die |einfamen Stunden auch der Verhee-
uns aber vor noch größerem Übel rungen bewufst, die der Haſs in un—
bewahrt. Damit ift das Duell auf die |jerem Herzen anrichtet, er liegt —
gleiche Höhe geftellt mit der Proſti- ſagt Goethe, wie ein Grabftein jchwer
tution. Meinen heranwachjenden Söh- Jauf unferen Freuden. All das find
nen werde ich jagen: „Hütet euch | Anzeichen, dafs wir durch zunehmende
vor der Proftitution der Liebe!“ Aber Erkenntniſs den Haſs immer mehr hafjen
nicht minder warnen werde ich jie vor /werden, dafs wir demnach auf dem
der Proftitution der Ehre. Wozu die) rechten Weg zum Reiche Gottes find.
135
Schon heute pflegt der Rachedurſt der
meiften Menſchen fi damit zu bes
gnügen, den Gegner zu beſchimpfen,
ein bijschen zu verleumden, aber bei-
leibe nicht jo ungejchidt, dajs man
deswegen eingejperrt werden könnte.
Doc ſelbſt gegen diefe Art der Rache
wehrt ji der Anftändige, und — abge—
jehen von einzelnen Epochen der Roheit,
wie die gegenwärtige — mehrt all=
mählich jene Gattung von Menfchen
ih, die von Wohlwollen durhdrungen
find, die niemals Böfes tiber Ab—
wejende reden, feien folche Freund oder
Feind, und denen das Blut jich empört,
wenn der Boshafte ſiegt und der
Schuldloſe verhöhnt wird.
Wir dürfen aber den Haſs nicht
ausrotten. Wir müflen hafjen, glühend
haſſen, unverföhnlich haſſen, aber nicht
den Menſchen, ſondern feine Nieder—
tracht, wir müſſen haſſen ſeine Roh—
heit, ſeine Falſchheit, ſeine Bosheit,
ſeine Habſucht, ſeine Geilheit, die
häſslichen Geiſter alle, von denen er
beſeſſen iſt. Dem Menſchen zuliebe
ſeine Laſter haſſen. So verächtlich der
perſönliche Haſs iſt, jo erhaben iſt der
allgemeine, der gegen das Böſe ſich
wendet. Das Schlechte zu haſſen
kräftigt den Mann.
Die Quelle des Haſſes iſt der
Schmerz. Glückliche Menſchen haſſen
nicht. Und ſo läuft unſere, durch
Mantegazza angeregte und durch uns
ſelbſt weitergeführte Betrachtung dar—
auf hinaus: Wer den böſen Trieb
ausrotten will, der muſs mitthun, das
menſchliche Leben ſo einzurichten, daſs
es für alle möglichſt glücklich werde. |
geſucht Hat.
Die Anfhauung, dafs der Schmerz
dienothwendigfte Bedingung des Erden
lebens jei, ift eine verhängnisvolle
Irrlehre. Es iſt ja wahr, an jeden
unferer Genüfje grobfinnlicher Natur
fnüpft ſich Schmerz. Aber es gibt
unzählige Eriftenzen und Daſeins—
formen, welche die längften Wegftreden
ihres Lebens dahinwandeln, ohne bes
Jonderem Leide zu begegnen. Die
größten Schmerzen find ja nicht jene,
welche die Natur verurfadht durch Ele—
mentarereigniffe, Krankheit, Sterben,
jondern vielmehr jolche, die der Menſch
in jeinem Wahne ſich jelber bereitet.
Verfolgungen, Kriege, gejellfchaftliche
Miisftände, Völlerei, Eiferfucht, Neid,
Habſucht, Falfchheit, Haſs, Rache —
das ſind die Henkersknechte unſerer
Zufriedenheit. Dieſe Urſachen unſeres
Elends auszurotten, läge größtentheils
in unſerer Möglichkeit. Bekämpfen
wir den Schmerz und die Urſachen
desſelben überall, wo wir ſie antreffen:
im Körper mit Chloroform, in der
Seele mit dem Guten und Schönen.
Geben wir Liebe, bereiten wir Freude
überall wo wir können, ohne Zag—
haftigkeit, ohne falſche Scham. Be—
deutſam genug hat es die Natur ein—
gerichtet, daſs wir die, denen wir
Ubles gethan, zu halfen, und jene,
denen wir Gutes erzeugt, zu lieben
bereit jind. Haſs erzeugt Schmerz —
zurüd davon! Liebe bringt Freude —
an dieſen einen einzigen goldenen
Faden müſſen wir uns halten, wenn
wir aus fchweren Finfternifen den
Meg finden wollen, den die glüd-
durftige Menfchheit voll herzverjen-
gender Sehnfucht feit jeher vergeblich
en.
=
136
Bunte Wahrheiten.
Bon Auguſt Yohl.*)
Aa
ie Freundſchaft gibt vom Ülberfluis, | Wie war voll Ungerechtigleit
2 = Die Liebe, wenn fie darben mujs, Die Menſchheit doch in jeder Zeit!
Drum mögt ihr denn entjeiden, | Dem Starten greift fie unter'n Arm,
Mas * * von beiden. Herzt wie ein liebend Kind ihn warm,
Den Shwädling aber und dem Tropf
Gibt Schlag um Schlag fie auf den Kopf,
‚Und Ihippt und ſtößt ihn, bis er fintt
Und in des Elends Flut ertrinft.
Der Bauer, der in Schweiß des Angeſichts
Mit feinen Stieren pflügt die Flur,
Der Philoſoph, der auf der Weisheit Spur |
Sid müht beim Schein des Lampenlichts: | —
In dem, was wahrhaft wiſſenswert allein, |
Wird feiner Hüger von den beiden fein. Kchre ſtets heraus das Befte,
* Willſt du auf Erfolge Hoffen,
RAN. | Haft du eine neue Weite,
Ich hab's erkannt jeit vielen Jahren: | : '
Nichts Schlimm’res kann dir widerfahren, — eg den Ai
Als das, „originell* zu fein; * *
Die Welt wird's nimmer dir verzeih'n. Bei dem Becher
Sie tritt herum fo lang auf dir, Schäumt das Blut,
Bis glatt du bift und flach gleich ihr. Was die Becher
* Da für Muth! —
*
Thut man dir ein ſchreiend Unrecht,
Knick nicht wie ein Rohr zuſammen,
Lodern laſs in deinem Innern
Der Entrüſtung heil'ge Flammen;
Wenn ſie nüchtern,
Gott geklagt,
Wie ſie ſchüchtern,
Wie verzagt.
Aus dem Zorne, dem geredten, | u
Mufst du jo viel Kraft gewinnen, . j
Um erfolgreich mit dem Schlechten De en,
Kühn den Wettitreit zu beginnen. Die Meinung, bie du hegfi von bir,
I ' Wird immer doch zu groß nod fein.
Muist büken du für ein Perjehen, 2
Das du nit haft begangen, * *
Bedent, daſs du für mand Vergehen Wenn dir das Töchterlein behagt,
Auch feine Straf’ empfangen; Wirft du der Mutter ſchmeicheln,
Nimm eins fürs andre fo in Kauf Wer ſucht Bekanntſchaft mit der Kindermagd,
Und wäge Recht mit Unrecht auf. Fängt damit an, das Kind zu ftreicheln.
u
* 4 “
Da wundern fi fo mande Leut’, = =
Dais große Männer oft zerftreut. Willſt du recht vernünftig leben,
Und doch wie einfah! — Wer recht reich, | Mujst du, Freund, nad Weisheit ftreben!
Weiß nicht, wieviel er bat, ſogleich Willſt du Weisheit, jederzeit
Und fann nicht ſtets beiſammen haben Strebe nah Zufriedenheit;
Die ihm verlieh'nen Glüdesgaben. Willſt du recht zufrieden fein,
Tod wer da lebet im Beſitz Sorge, daſs Geſundheit dein.
Bon wenig Geld und wenig Witz, Diefe Drei in ſchönſtem Bunde
DO, der hat jederzeit zur Hand Als des Lebens holde Sterne,
Sein bifschen Geld, fein Gramm Berftand. Halten dir das Glüd nicht ferne.
*; Mein Bermähtnis. Dibtungen von Auguſt Pohl. (Neiſſe. F. Hud. 1890.)
137
Über das Beitungswefen.
Von A. 6.
6,
a
sh Hatte Schon einmal Belegen=
= heit, von dem WUnfehen zu
ſprechen, da3 die Barifer Jour—
naltiten allerortS genießen. Selbftver-
fändlich gilt dies auch nur von den
Vertretern jener Blätter, weche im Zu:
fammenhange mit dem Worte „Res
volver“ micht genannt werden können
nnd Dürfen; da Sich aber letztere
in verſchwindender Minderzahl finden,
jo bat ſich ihr übler Ruf auch niemals
auf die ganze Zunft ausdehnen können,
während im unſerer Gejellichaft der
„Zeitungsfchreiber” faſt ohne Aus—
nahme mit ſcheelen Augen angefehen
wird. Woher kommt das? Unter diejen
Männern der Feder findet man doc
genug liebenswürdige, gebildete, ehr—
lide — oder, um einen beliebten
Sammelnamen zu gebrauchen — ans
ftändige Männer, die ihr beftes Können
und Willen einjehen, um zur Verede—
lung der Menjchheit, zur Beſſerung der
Zuftände beizutragen.
Der Urſprung diejes merkwürdigen
Abicheues, dieſes oft unbegründeten
Miſstrauens ift deshalb vielleicht weni—
ger in der Perſon des Einzelnen zu
fuchen, als in dem Blatte felbft, an
dem er mitarbeitet. Damit fei nicht
die Behauptung aufgeftellt, daſs es bei
uns feine wirklich) vornehmen, über
allen Verdacht erhabenen Blätter geben
mag, wenn auch ihre Zahl jedenfalls
verhältnismäßig jehr gering iſt —
aber jelbft das anfcheinend unab—
bängigfte Blatt ift keineswegs un—
parteilih, ſomit von Natur aus jchon
feindjchaftlich gegen alles geftellt, was
mit feiner „Färbung“ im Widerjpruche
fteht. Bei uns gibt die „Gefinnung“
den Ausſchlag, um Einlafs zu finden
v. Zuttner,
— in Paris Hingegen ftehen dem
„Zalente” alle Thüren offen. Drüben
giebt es ebenfo erbitterte Barteilämpfe,
wie hüben, Rüdjchrittler und Fort—
Ichrittler, Friedens» und Kriegsfreunde
gehen auch nicht zart miteinander um,
aber wenn fie fih auch in den Ver—
Jammlungsfälen Schimpfworte und
Gläſer an die Köpfe werfen, jo wird
diefer Ton und diefes Gebaren nicht
in die Blätter befferer Gattung Hinz
über getragen. In unferen Zeitungen
Hingegen — ei, da gibt es oft Kämpfe,
wo jchlieglich die Fäuſte nahe daran
find, zu entfcheiden; erſt unlängit
fonnte man fo ein Schauspiel zwiſchen
Dem und Dem genieen — und die
Lefer, die Scharen ſich dann lachend,
böhnend, hetzend, ſchadenfroh um die
Balgenden, wie müßige Leute eben
auf der Galle einer Schlägerei zu:
Ihauen und, nachdem fie ſich zur
Genüge ergögt, mit einem Achjelzuden
und dem Ausrufe „Gefindel“ wieder
ihrer Wege gehen.
Den Untergrund dieſer Wort—
Ichlägereien bildet immer ohne Aus—
nahme die leidige Politif, welcher in
unferen Zagesblättern der Ehrenplaß
eingeräumt ift und wodurch eben die
Lejerwelt zum Sannegießern erzogen
wird. Das geheimnisvolle Wejen, „wir"
benamjet, eröffnet den Reigen — zer—
gliedert, erläutert, verdammt oder be-
jubelt die Tagesereigniffe und jpricht
al3 einer für alle (derſelben Partei
nämlich), ohne dafs jedoch dieſe alle
eigentlich recht das Bedürfnis Fühlen,
ihre Anſichten und Eindrüde da durch
eine Stimme aus den Wolken fund»
gegeben zu jehen. Da nun aber be—
fanntlih Deutſchland und Diterreich
138
in unzählige Parteien zerfplittert ſind,
jede Partei ihr Blatt und jedes Blatt
feinen „wir“ hat, der zu dem, Zwecke
bezahlt ift, zwei oder drei Spalten für
oder gegen Wehrgefeßvorlagen, Brannt—
weinftenern, Schulfragen und andere
unliebjame Angelegenheiten zu jchreiben,
fo gibt ih wohl niemand dem ws
Ihuldigen Glauben Hin, dafs dieſe
Stimme über den Parteien erhaben
fei, Sondern jeder Menfch weiß: der
gute Mann jchreibt das, was ihm fein
Brotherr, heiße er nun Gonjerdativer,
Treifinniger oder Regierung, in die
Feder dictiert — das heißt: er ift um
gutes Geld zu haben.
Wem bringt aber dieje endlofe
Kannegießerei eigentlich Nugen? Läfst
jih etwa ein Gegner befehren, jobald
er weiß, daſs der Prophet keineswegs
eine unabhängige, unbefangene Per—
fönlichkeit it? Und ift es überhaupt
notwendig, daſs die große Maffe mit
Staatswifjenfchaft geipeist werde ? Be-
fördert das die Bildung, jchärft es
den Geift, läutert es den Geſchmack,
dämpft es die Leidenjchaften? Ich
glaube kaum. Und bringt fie dem
Beranftalter Ehre oder Anerkennung ?
Ich glaube, das Gegentheil, denn jene,
deren Anfichten den feinen entgegene
gejeßt find, jorgen ſchon dafür, dajs
jeine „Frechheit“, feine „Unverſchämt—
heit”, jeine „Dummheit“, jeine „Feil—
heit“ an den Pranger geftellt uud jo
der ganze Stand in Verruf gebracht
werde, J
Ein zweiter Übelſtand iſt das
feindliche Verhältnis, in welchem die
gegneriſchen Blätter zu einander ſtehen;
die „ſchärfere Tonart“ iſt von den
öffentlichen Verſammlungen in die
Spalten der Zeitungen übergegangen,
und mo eimer dem anderen einen Dieb
verjegen, eine Blöße aufdeden fan,
da thut er ed mit MWonne und Bes
dagen, Napoleons Worte uneingedent:
„Man fol feine ſchmutzige Wäſche in
der Familie wachen.“ Der fogenannte
esprit de corps fehlt alfo in ber
Journaliſtik ganz — ebenfo wie leider
auch im deutſchen Schrifttfuume, wo
das jo heikle Aınt des Kritilers Heute
zutage oft in einer ſolchen Weife und
in einer folden Sprade ausgeübt,
und wo der Angriff in einem Zone
beantwortet wird, daſs e3 einen nicht
Wunder nehmen darf, wenn die Menge
an den gegenwärtigen Erzeugniffen der
Literatur mit Gleichgiltigkeit, ſelbſt mit
Beratung vorbeigeht und wenn unjere
Dichter mit Geringſchätzung behandelt
werden.
Eine bedauernswerte Sade iſt es
endlich noch, daſs die Tagespreſſe,
die doch eigentlih eine literarifche
Unternehmung ift, ih um die Lites
ratur im firengen Sinne des Wortes
jo gut wie gar wicht bekümmert.
Bücherliften werden hie und da wohl
angeführt, aber zumeift nur jolche,
welche der Buchhändler oder Verleger
auf feine Koſten einrüden läfst, und
Beiprehungen finden fich alle Heiligen
Zeiten irgendwo als Lückenbüßer unter—
gebracht. Wenn man einem Blatte die
Beiprehung eines Buches, das Bes
ldanutmachung verdient, anbietet, jo
heißt es im der Regel: „Nur dann,
wenn die Sade iu äußerſter Knapp—
heit gefaßt ift.“ Dagegen findet ſich
aber für politiiche und Börſenachrichten
immer mehr Raum als genug. Wenn
irgend ein Abgeordneter oder Stadt—
berordneter einem Genoffen ein paar
Kraftworte ins Geficht gefchleudert hat,
wenn irgend ein Sriegerverein in
irgend einem Landftädtchen eine Fahnen—
weihe begeht, wenn der König der
Sandwichsinjeln fi im Wiener Prater
betrintt, oder jener von Serbien feine
häuslichen Zwiftigfeiten auf die Straße
binausträgt, da füllen ſich raſch die
Spalten ſämmtlicher großen und Heinen
Blätter; — aber wenn ein Hamer—
ling, ein Schad, ein Lilienkron, ein
Büchner, ein Hädel, ein Raden—
haufen und andere Männer von hoher
Bedeutung ein neues Buch in die Welt
enden, fo hüllt fich alles in tiefes
Schweigen; es iſt wie wenn man jich
Ihämte, dajs ein Deutjcher etwas
anderes als Politik, Börfenfpiel oder
— Sfandal treiben kann!
Sehen wir uns einmal im Gegen—
Tage zu unferer Jonrnaliftit die unferer
Nachbarn jenjeits des Rheins an und
nehmen wir befpieläweife den „Figaro“,
auch eine täglich erfcheinende Zeitung,
zur Hand: Es dürfte befannt fein,
dafs der „Figaro“ fi an die legi—
tintiftiiche Partei lehnt, — aber wie
maßvoll und fachlich ift in diefer Be—
ziedung fein Auftreten! Bor allem ift
das unperſönliche „wir“ aus feinen
Spalten entfernt: Ich, Albert Wolf,
oder Saint Geneft, oder Octave Mir:
beau, oder Jules Lemaitre u. ſ. w.,
ich finde das gut, jenes ſchlecht, dieſes
lächerlich, ich handelte fo, es ift meine
perfönliche Anficht, die ich hiermit offen
äußere, ohne dabei die Anmakung zu
haben, dir, Lejer, diefe meine Anficht
aufzudrängen.
Und jeder Lefer, welcher Richtung
immer er angehört, iſt ficher, heute
oder morgen einen Leitartikel zu finden,
der feinen eigenen Gedanken Ausdrud
gibt, der einen Gegenftand zum Vor—
wurf bat, für welchen er fich inter-
ejliert, demm jedem Talente ohne Aus—
nahıne, ob Monardift oder Republi«
faner, ob Deift oder Atheift, ob Ehrift
oder Jude, ftehen die Spalten offen;
was durch Geift und Sprade zu
glänzen weiß, braucht nicht zu fürchten,
daſs ihm die Aufnahme verweigert
werde, der Leiter fteht Hoch über allen
Parteien und kann mit Stolz auf die
jtattliche Lifte feiner Mitarbeiter herab:
jeben, welche mehr als eine Berühmt—
beit aufweist.
Die AbtHeilung „innere“ Politik
fommt erft an zweiter Stelle an
die Reihe und nimmt in der Regel
böchftens 40 bis 50 Zeilen, oft aud)
weniger, in Anſpruch; es ift meilt
eine kurzgefaſste fachliche Darftellung
der wichtigften Begebenheiten, manch:
mal mit ein paar geiftreihen Wiß-
worten gewürzt, die wohl bier und
da ftechen mögen, mie aber Beulen
Schlagen, und für welche der Heraus
139
geber jederzeit die Verantwortung zu
tragen bereit ift, da er jeinen Namen
darunter jegt. Nicht viel mehr Raum
ift der äußeren Politik gewährt, wäh-
rend Kunſt, Literatur und Wiſſenſchaft
hier immer zu ihrer vollen Geltung
zu kommen Gelegenheit finden.
Wie fehr unterfcheidet fich demzu—
folge auch der Franzöfiiche Zeitungs
fefer von unſerem einheimischen ! Wie
vollkommen iſt er in feiner Literatur
zu Haufe, wie trefflich weiß jelbit der
Heine Mann die Schönheit des Stils,
der Sprade, die Feinheit, den Geiſt
herauszufinden und zu würdigen.
Savourer nennt es der Franzoſe, ..
ja, es ift ihm ein Labjal, nach des
Tages Mühe und Arbeit feinen Dich-
ter und Denker zu — jchlürfen! Und
jie jelbit, die Meifter von der Feder,
fie bliden einander nicht mit jcheelen
Augen an, fie liegen ſich nicht in den
Haaren, weil ihre Gejinnungen nicht
die gleichen, ihre Ziele nicht diejelben
find, oder weil der Ruhm des einen
plögli zu fteigen beginnt; im Gegen—
theil, jeder zollt dem anderen die ges
bührende Bewunderung und jeder thut
mit einem gewiflen Gefühle der Zus
jannmengehörigfeit das Seine, um die—
fen Ruhm noch fleigern zu machen.
Über Mifsgunit, Neid und Eiferfucht
ijt der echte Dichter erhaben.
Nicht, dafs der franzöſiſche Dichter
parteilich wäre und für feine Belannten
oder Freunde nur immer Lob fünde;
er Spricht wie er denkt, aber in der
Literatur denkt er vornehm und da=
rum ift die Wiedergabe diefer Gedanken
nie brutal und verlegend. Dem Lejer
theilt fich ganz unbewufjst diefe gegen
jeitige Achtung der Scriftiteller mit
und die folge ift, daſs in feinen Augen
jene Männer Leute von Bedeutung
find, die über ihm jtehen, von denen
er lernen, aus deren Schriften er
Nugen und Bildung ziehen kann.
Diefem Beijpiele follten auch wir
nadeifern; wir brauchen nicht auf alles
zu ſchwören, was ein anderer jagt
und fchreibt, wir können ihm ganz
gut entgegentreten, wenn feine Anſich⸗ Auch unfere Tagespreſſe follte im
ten und die unferen fich freuzen oder die Literatur fördernd eingreifen und
wenn fein Erzeugnis im ganzen ges ſich im diefer Dinfiht den „Figaro“
nommen wertlos ift, aber makvoll und | dor Augen Halten, der nicht allein
gewiſſenhaft follen wir zu Werke geben, | die Erjtlingsgaben der anerkannten
nicht vergeſſend, daſs unfere Worte | Meijter feinen Leſern bietet, jondern
in die Menge dringen und dafs wir troß | oft auf Entdedungen ausgeht, um fo
„pommer’scher Grenadiere“ der erfte und | manch verborgenes Talent ans Tages»
wichtigſte Stand in Staate find, dem licht zu bringen und zu einer Größe
140
früher oder jpäter der ihm gebührende,
Plag eingeräumt werden mufs.
eriten Nanges heranzuziehen.
(Magazin.)
Mit meinen Jungen auf die Rax.
Eins aus dem Tagebuche von P. R. Hofegger.
“g
SW nein, Habt acht! Wir geben
Sfr auf die Rar. In zwanzig
3 Minuten fährt der Zug!“
„Ah!“ riefen nad dieſer Ordre
die beiden Stnaben, denn der Ent-—
Ihlufs war urplößlih und undorhers |
gejehen. Das Vorbereiten langer Hand
auf eine Partie taugt bei uns nicht,
da wird in den Snaben zwar das
Plangen darnah don Tag zu Tag!
größer, aber noch zu rechter Stunde
ift ein Meines Aſthma da, oder eine
große Bolt, ein guter Freund oder,
ein böſes Wetter, und verjchoben wird
die Partie „auf ein andermal*.
Oh dieſes leidige „auf ein anbermall"‘
oder „aufgeſchoben iſt nicht aufgehos |
ben!" ift ein Blünmel- Blamel
Teufels. Ganz plöglih und fühn
ftehlen mufs man dem Himmel feine,
Shönften Tage, darum: „Dabt act,
Burschen, wir gehen auf die Rax!“
Klein Grethen hub fogleih au,
des
zu ſchluchzen.
Diefer graue finftere
Berg, der über die grünen Walphöhen |
'ein leeres Coupe an, doch als wir
herüber droht in das Thal, und von
des |
‚Nur feine Wandergenojien!
dem die Mutter immer in den Zei—
tungen liest, dajs an jeinen Wänden
Leute abftürzen! Diefe Rar! Und da
hinauf wollen Vater und Brüder?
Natürlih war nicht mehr Zeit,
um Steigeifen, Alpftod und Ruckſack
hervorzujuchen ; der Eifenbahnzug pfiff
ſchon, und faft ganz fo, wie wir zu
Haufe im Garten herumgiengen,. ganz
jo ausgerüftet, machten wir uns auf
zur verruchten Rar. Die Fahrkarten
für zweite Claſſe benüßten wir für
die dritte; mit Lederkiffen begimut
man nicht, Burichen, und am wenig:
‚sten, wenn man auf die Alpe will.
In zwanzig Minuten waren wir 9—
‚dem Bahnhof in Mürzzuſchlag, bier
ein Trubel von Sommerfrischleen,
| teifenden Gigerln und martialiich bis
auf die Zähne bewaffneten Touriften,
flehten
meine Jungen zu Gott, wir wollten
miteinander allein fein. Der Schaffner
Neubergerzuges kaun geläufig
Mienen lefen, er wies uns fofort
141
in dasfelbe ftiegen, drängte eine Heine
Völkerwanderung don Wienern uns
nach, und ein paar poetenfreundfiche
Fräulein juchten fofort mit uns ein
Geſpräch anzuknüpfen. Da träfferte
der Heine Dans das SKärntnerlied:
„Ich aber mir — ih aber nir —
ich aber mir g’red’t mit ihr —“ und
Sepp flüfterte mir weifen Rath zu, den
Kopf nur ja recht zum Fenfter hinaus—
zubalten, weil er aus Erfahrung
wusste, wie auftrengend für mich ein
Gejpräh mit Fremden im rollenden
Eifenbahnwagen war.
Abfahrt im Mürzzufchlag um
1 Uhr 20 Minuten. Mein Angeficht
wendete ich der Schneealpe zu, Die
aus dem Hintergrunde des Thales
herüberblaute, meine Ohren verfchafften
mir nebenbei die Überzeugung, dafs
an dev Unterhaltung, die im Gelafje
geführt ward, nicht viel verloren war,
„Was Baterland!* rief ein alter
Spiepbürger, „theures Vaterland,
das ja, es foftet ung Steuern genug!
Ich tenne fein Vaterland, mein Vater:
land ift überall, wo es mir gut geht!”
Beifall lohnte den Medner; mein
Dans blidte mit unausſprechlicher
Verachtung aufden Mann, und Sepp
murmelte falt lauter al3 gut war:
„Zigeuner: Batriotismus, ”
Um 2 Uhr in Kapellen. Heiße
Sonne, jtellenweife der Himmel mit
Wolfen bededt; lebhafter Dftwind,
luſtiges Staubaufwirbeln auf der
Straße. Nach einer eingenonmenen Er=
friihung beim Baumgartnerwirt und
einigem Umfragen fanden wir einen
Magen. Der Bürgermeifter des Ortes
jelbjt führte ung mit einem flinten
Braunen und einem leichten Steirer—
wäglein bald am Raxenbach entlang
gegen Norden, wo hinter MWaldbergen
ftarr und hoch das Felfengebirge auf:
ragte, das mir erklimmen wollten.
In Sapellenleiten, wo links die Straße
nah Altenberg und über den Naſs—
kamm abzweigt, und wo der Alten—
bergbah zum Raxenbach ſtößt, Hat
man über ſich bereit3 ein echtes
Apenbild. Die vielgegliederten, umd
von tiefen Gräben durchichnittenen
Borberge find reih an Wald und
MWiefen, im Thale Banernhäufer und
Getreidemühlen. Im Hintergrunde ſte—
hen grau und kahl die Bergriejen der
Schneealpe, des Ameisbühel, des Gupf
und der Hohen Rar auf. Wir fuhren
weiter in die Raxen, Schulkinder
begegneten uns, wovon jedes fein
artiges „Grüß Gott!" fagte. Das
Schulhaus in der Karen fteht ganz
einfam zwiſchen Bad und Berglehne,
rings don Wald umgeben; wenn auf
jenem zu Kapellen der ſtramme Spruch
fteht: „Pflicht über alles!" jo er-
gänzt der Spruch auf dem Schulhauſe
in der Naren: „Stets vorwärts, nie
rüdwärts!”
Bor Jahren fand ich im diejem
Thale ein Holzkreuz mit dem Bild-
niffe der don Engeln und Heiligen
umgebenen Dreifaltigkeit. Darüber
war folgende Infchrift angebradt:
„18 liebe Engel und 49 Heilige
‚Gottes, bittet für uns!" Mancher
Wanderer dürfte über diefe pedantiiche
'Zahlenangabe der Fürbitter den Kopf
geſchüttelt haben, der es nicht wujste,
dal3 das Landvolf bei den ne
Ichriften auf Kreuzen, SKapellen und
Hänfern die Jahreszahl der Errichtung
mit dem Texte zu vermengen pflegt,
freilich weniger aus Abjicht, als aus
Ungeichid.
Unfer Thal Hat ſich verengt zu
einem Graben, in welchem mehrere
Nebengräben recht3 von der Kamp—
alpe, linf3 von den Hängen der Rar
herab auslaufen. Um 3 Uhr 45 Mi:
nuten waren wir dort, wo der Weg
zum Gſcheid fo ſtark anzufleigen be=
ginnt, dafs unfer Fuhrmann meinte,
hier müfje er umkehren und uns uns
ſeren Füßen überlaffen. Das war uns
auch recht, und jo ftanden wir bald da
im Hochthale allein; um uns Wiefen
und Wald, riefelnde Waller, und über
uns in Schwindelnder Höhe die Zinnen
der Rax. Der Sonnenſchein hatte
ſich verzogen, die zeitweilig jilberweiß
⸗
ſchimmernden Ahorne, die oben an den !oft den Einbruch in die Steiermark
Lehnen fanden, deuteten an, dajs
auf der Höhe der Wind gieng, was
unjeren ein wenig wetterbangenden
Herzen ein gutes Zeichen war. Als
wir ein Biertelftiindchen angeftiegen
waren, begann es aber zu tröpfeln,
Das wird nicht gut! dachte ich,
doch feiner jagte ein Wort der Stlage.
Ein hölzernes Kapellden mit einem
Muttergottesbilde fand am Wege,
in das feßten wir uns hinein, wm
abzuwarten, was nun der Himmel
über uns verhängen wolle. Kaum
eine Minute, das Regnen hatte aufs
gehört, es lichtete ſich, und zwiſchen den
eilenden leichten Wölklein blaute das
Firmament. — „Wenn die Wolken—
lücke auch nur ſo groß iſt, daſs man
den Kopf durchſtecken kann, dann
bleibt es ſchön Wetter!“ Dieſes Wort
hatte mein Vetter Franz oft geſagt,
doch den Kopf hat er nie durchge—
ſteckt.
Neuen Muthes voll ſchritten wir
an durch dunklen Wald. Um 4 Uhr
15 Minuten waren wir auf dem
Gſcheid, wo das Waſſer der Mürz
und dad der Schwarzan jich Fcheiden
und wo die Grenze iſt zwiſchen
Steiermark und Niederöfterreih. Na—
türlih lief Hans mit ein paar Schrit-
ten raſch über die Grenze, damit er
jagen fonnte, er ſei in Niederöfter-
reih. Bruder Sepp übertrumpfte den
Witz dadurch, dajs er mit einem
Fuß in Öfterreich, mit dem anderen
in Steiermark ftand. Dans rief ihm,
auf die Landesfarben anjpielend, zu:
„So, jeßt kannſt du dir das rechte
Bein weißegrün, das linke blausgelb
anftreichen laſſen.“ An Bummelwißig-
feit waren fie ſtets unerfchöpflich, und
ih ſchritt langſam und ſchweigſam
und ſtill vergnügt hinter ihnen drein.
Am Gſcheid ſtehen mehrere Tou—
riſtentafeln mit Wegweiſern und Rath»
Ichlägen, ferner eine fehr alte ſteinerne
Denkſäule, erinnernd an yeindesgefahr
vergangener „Jahrhunderte. Ungarn
und Osmanen hatten an dieſem Paſſe
| Diefer
verſucht.
Von Kapellen her waren wir an
400 Meter geſtiegen und ſtanden nun
1070 Meter über der Meeresfläche.
Vom Gſcheidſattel ſenkt der Weg ſich
ſteil hinab in die Prein. Von dieſem
Thale kommt aus Payerbach eine
Telephonleitung herauf, deren weiße
Stangen num durch Wald und über
Matten emporfteigen in das graue
Kaltgewände der Rar. Diefen folgen
wir gemachen, bedächtigen Schrittes.
Sefprochen wird nicht während des
Anftieges. Ein fteiniger Alpenweg
führt teil durch Wald und Geſchläge.
Rechts vor uns fteht der mit Knie—
holz und einzelnen verfnorrten Fichten
beitandene Warriegel, weiter hin ragt
die wüſte Felspyramide der Preiner—
wand mit ihren ſenkrecht in das
Preinthal niederftürzenden Abgründen.
Wir fommen zur SHalterhütte der
Siebenbrunnerwieſe und fleigen über
den grünen Matten zwilchen nieder-
gebrochenen Felsblöden und den erften
Knieholzgruppen au. Bier ift jchon
ganz Almboden und Hart vor uns
ftehen endlich die zerriffenen Wände,
an denen wir hinauf müſſen. Das
Mort Rar joll von rauh kommen und
joviel heißen, als vauhes Gebirge.
Name trifft. Im Sieben
brunnertgal jahen wir die erſte An—
tilope. Die Jungen zuerjt bemerkten
das Rudel von Gemſen, weldhe auf
der Matte grasten. E3 waren graue,
braune und weiße mit hübfchen Hörn-
lein; fie hatten nur den einen Fehler,
dafs fie auf uns zufamen und uns
eine Strede traulich nadliefen, bis
der Halter fie zurüd rief, um fie zu
melten. Am Fuße der Wände rafteten
wir und genoffen Brot und Käſe, jo
Sepp von Kapellen mitgetragen hatte.
Ih machte die Jungen aufmerkſam,
es jei mir lieber, wenn fie nicht trän—
fen, wenn fie jedoch jehr Durft hätten,
jo wäre hier eine Quelle in der Nähe;
weiter hinauf wäre an derlei Koſt—
barfeiten nicht zu denken. „Ich
143
babe zwar ein bifschen Durſt“, meinte
Sepp, „aber wenn es dem Bater
lieber ift, jo trinfen wir nicht.“
Hierauf fliegen wir ſachte den Schlan=
genweg hinan zwifchen den Wänden.
Das ift ein gar bequemer Weg; von
Oſten Her ftrich ein Fühler Wind, die
Sonne war jhon Hinter den Wetter—
fogel gezogen, der ftarr vor uns aufs
tagte zur linfen, während zur rechteu
die graufen Hänge des Predigtituhls
und der Preinerwand auf ung nieder-
ftarrten. Der Weg fteigt zwiſchen
Steinblöden, Knieholz, fteilen Matten
und eingeiprenfelten Wänden in meh
reren großen Windungen empor, ins
wilde Gewände kommt man nie eigent-
li, aber ſachte zwiſchen demfelben
hinauf. Im Süden und Often hat
fich bereits eine ſchöne Ausſicht er—
ſchloſſen hin über die bewaldeten
Berge der Kampalpe, des Semmering,
des Sonnmwenditein und weit hinaus
über Gloggnitz bis zum Leithagebirge.
Im HDintergrunde des Südens ftehen
die Alpenzüge des Stuhled und des
Wechſel in gefättigten Schatten.
Der vorjpringenden, mit einem
Geländer verjehenen Tyelszinne des
Metterfogel find wir endlich nahe
gefommen, eine Wegbiegung um einen
Kamm, und wir ftehen auf dem Pla—
teau mit dem Einblide auf die karſt—
artige, von Berg und Thal durchzo—
gene Steinwildnis des Wargebirges,
bei deren Aublid Hans ausrief: „a,
auf Diefem Berge ſtehen ja eine
Menge Berge!“ Kahle Kuppen, Wände,
Schluchten, Schutthalden, Kare mit
Schneelagern, dunkelnde Zirnflächen,
Matten mit Sennhütten, baumlos,
waſſerlos das iſt der Charakter
des 2875 Geviert-Kilometer weiten
Hochplateaus der nach allen Seiten
ſchroff abſtürzenden Rax, auf welchem
ganz Wien mit allen ſeinen Vor—
Hädten Platz hätte, Weil hieroben ſich
neuerdings Berge und Wände erheben,
die von unten nicht gejehen werden
fünnen, jo it die Ausſicht in den
Hochböden eine befchränkte, und gleich-
wohl bier an 1800 Meter über dem
Meere ſtehend, Hat man nicht die rich
tige Empfindung von diejer beträcht—
lihen Höhe, zumal man jo allmählich
emporfam und der prächtige Anjtieg
auf dem Schlangenweg und gar nicht
angeitrengt hat.
Haus ift der erite, weldher das
Karl Ludwig-Haus entdeckt; es fteht
in nächſter Nähe am füdöftlichen
Kamme des Plateaus, fo daj3 man
von Seinen Fenſtern behaglih ins
Thal von Prein, nah Reihenau, ins
Seinmeringgebiet, und weit ins Ungar-
land Hinausfhauen kann. Als wir
dem Zouriftenhaufe nahten, war es
5 Uhr 45 Minuten, wir hatten vom
Fuße des Gfcheid her bei einer Stei—
gung von etwa 860 Metern aljo
genau 2 Stunden gebraucht. Plötzlich
erhob Hans ein Freudengeſchrei, er
hatte ums Haus herum Kaninchen
entdedt, denen er nachlief, und gras
jende Maultdiere, auf denen er reiten
wollte; der Aufſtieg Hatte ihn aljo
nicht erınüdet. Groß aber war der
Durſt geworden, und der erfte Wunfch
im Zouriftenhaufe gieng nach einem
Glaſe Waller. „Der Liter Wafler
10 Kreuzer“ Steht an der Wand zu
lefen, doch war es nicht Quelle, fon»
dern Schneewafler, weshalb wir es
uns verfagten und durch eine Flaſche
Sodawaſſer erjegten. Dann tranfen
wir Saffee und waren natürlich in
beiter Stimmung. alt gleichzeitig
mit uns waren der Herr Pfarrer und
faplan von Prein hHeraufgelommen ;
der eine trank Wein, der andere
Mih, um nah der gemüthlichen
Jauſe auf der Rar noch an demſelben
Abende wieder hinabzufteigen.
Da meine Burfchen micht einen
Augendlia raſteten, ſondern das Haus
und deſſen nächſte Umgebung zu durch—
forſchen trachteten, commandierte ich
‚um 6 Uhr neuerdings zum Aufbruch.
Über
Knieholz ſtiegen wir zur Henkuppe
weiche Matten und zwiſchen
hinan. Steinnelken, Alpenroſen, Glo—
ckenblumen, Alpenveilchen in großen
Mengen Schmüdten unferen Weg. Bon
den Felſen Her ſchwirrte manchmal
eine Ulpendohle. Der Himmel hatte
fih bedenklich verdunfelt, nur über
den Ebenen Ungarns, die in Höhen
rauch lagen, blaute noch das Firma—
ment. Der Ofiwind war heftig ge—
worden. Um 6 Uhr 30 Minuten
Hatten wir das Heine ſchmucke, ftets
offenftehende Schutzhaus der „Laden:
bacher“, früher Schwefelbanda-Hütte
genannt, erreiht, und 5 Minuten
jpäter ftanden wir auf der 2008 Meter
hohen Heufuppe, dem höchſten Gipfel
der Rar.
Über diefe Höhe waren meine
Jungen außerordentlich entzüdt und
fie meinten ſchon auf dem halben
Weg in den Himmel zu fein, bis ich
ihnen erklärte, daf3 unfer Standpunft
nicht eben viel zu bedeuten Habe.
2000 Meter Höhe wagerecht gelegt
gäben eine Halbe Fußſtunde, beiläufig
jo lang, als es in Wien von der
Stefansfirhe bis zum Südbahnhofe
it. Das fei die ganze Höhe der Rar
vom Meeresjpiegel aus.
Wir konnten aber nicht lange
Mathematik treiben, wozu wir übri—
gens auch gar nicht heranfgelommen
waren. Der Wind war faft zum
Sturme geworden. So haben mir
drei uns hinter dem ſchützenden Stein—
haufen der Pyramide auf den Sand
gefeßt, den Plaid wie einen einzigen
Mantel um uns gefhlungen und alfo
wie ein Weſen mit drei Köpfen
hinausgeblidt in das weftliche Land,
das Hier erſchloſſen iſt. In blauem
Dunfte faft erftidt Tagen da unten
die Thäler von Neuberg und der
Mürz, die Höhenzüge des Roſskogel,
des Königskogel, des Teufelsitein,
der Stangelalpe, des Hochanger, der
Veitſch und der Schneealpe. Weiter
bin war nichts mehr als das finftere
Dlau eines auffteigenden Gemitters,
welches in nächtiger Rembrandtftim:
mung vor uns fand und nur dom
Oſtwinde noch zurüdgedämmt wurde.
Auch die Abenddämmerung wob ji
144
Ihon Hinein, um jo jchärfer fchnitten
ih die Blite über den Gegenden der
Veitſch und des nicht mehr jichtbaren
Hochſchwab. Vom Gamseck her kam
in den Lüften ein dunkler Punkt auf
uns zu, ein Steinadler ſchwebte über
unſeren Häuptern hin und ſenkte ſich
nieder in das füdliche Gewände.
Einen raſchen Blick noch nach dem
Otſcher hin, den Bergen Niederöſter—
reichs, den vielgeſtaltigen Formen un—
ſerer Rax. Hinter der Scheibelwald—
höhe und der Grünſchacheralpe ſtand
der Schneeberg. Da alle Spitzen und
Gipfel noch nebelfrei waren, fo be—
eilten wir uns nicht jehr, doch jagte
ih zu meinen Genoffen: „Sobald
der Oftwind nur ein paar Augen
blide nacläfst, Fällt der Wolfen
himmel auf uns nieder und wir find
eingeſchloſſen in Nacht, Nebel und
Wetterſturm.“ Das wollten wir doch
nicht abwarten. Ein Weilhen käm—
pften wir mit dem Winde noch um
den Plaid, den ich um mich zu wine
den juchte, dann eilten wir hinab,
dent Zonriftendaufe zu. Unterwegs
noch einen flüchtigen Blid zu den
Lichtenfternhütten Hinab, wo ich vier—
zehn Jahre Früher eine jehr volks—
thümliche Samstagsnadt verlebt hatte.
(Die Schilderung derjelben findet ſich
im „Heingarten“ I. Jahrg., Seite 50.)
Meine Jungen liefen troß der ein—
brehenden Dämmerung noch hinüber
ins Kar, wo ſchmutziger Schnee lag,
und begannen munter aufeinander
Schneeballen zu werfen am
5. Auguſt.
Im Karl Ludwig-Hauſe Hatten
ſich mittlerweile zehn Touriſten ein—
gefunden, auch Touriſtinnen darunter,
welche aus dem Höllenthal über das
Gamseck, über den Reisthalerſteig
und die Griesleiten heraufgekommen
waren, weil ihnen der Schlangenweg
zu bequem geweſen. Dafür hatten fie
bereit3 ein paar Invaliden bei fi.
Denn es will ſich nacdhgerade nicht
mebr jchiden, dafs man — wenn
man ſchneidiger Tourift it von
einer Hochalpentour ganz heil nad
Daufe fomme. Ein Derauffteigender,
welcher auch am Reißthalerſteig ge-
jehen worden, war im Haufe nod
nicht angelommen, weshalb der Wirt
fofort eine Heine Suche veranitaltete,
bi3 der zu erwartende Touriſt endlich
die Matten heranhintte. Es iſt ſchon
jo eine Art Eontrole und Macht
anfgeftellt, um eine noch größere Zahl
an Unglüdsfällen zu verhüten, als
dieſes rauhe Gebirge Heute aufweist.
Es gibt hochgefährliche Auf- und Ab—
jtiege und es gibt Tollhäusler, welche
immer noch gefährlichere fuchen und
entdeden und welche mit vernichtender
Verachtung auf Alle niederbliden,
die den Aufltieg für „Lahme und
Gichtbrüchige“ wählen, nämlich den
Schlangenſteig.
Es war finſter geworden. Vom
Semmering-Hotel funkelten Lichter
herauf, ſo ſchickten ſich auch unſere
wackeren Wirtsleute, ein ſchönes Alp—
lerpaar, an, das Haus zu beleuchten.
Der öſterreichiſche Touriſtenclub, der
Erbauer und Eigenthümer, hat es
verſtanden, das Karl Ludwig-Haus
ſo einzurichten, daſs es praktiſch und
gemüthlich zugleich iſt. Nun kam das
einfache Abendeſſen, das Blättern in den
Fremdenbüchern, die wie gewöhnlich
viel Spreu und wenig Korn enthalten,
das Geſpräch über vollführte Touren mit
Säger- oder vielmehr Touriſtenlatein
und Meinungsverjchiedenheiten, das
Muthmapen über die Witterung des
nächſten Tages u.f.w. Um 9 Uhr gieng
ich mit meinen Söhnen in die Schlaf-
fanımer. Diefelbe war ein mit Läden
getäfeltes trauliches Gemach, deſſen
drei Betten wohl zubereitet jtanden
und deilen Fenſter gegen Oſten gieng.
Bald war es in unferer Sammer
duntel und fill, zum Fenſter euch:
teten ein paar Sterne herein und
manchmal ein Bligfchein. Da ich auf
Reifen oder Partien fait nie fchlafen
fann, jo pflege ich die Eindrüde des
Tages neuerdings am meiner Seele
vorüberzuführen, und heute hatte ich
Bofegger’s ‚Grimgarten‘‘, 2. Heft. XV,
Stoff genug dazu. Um 11 Uhr Hub
draußen ein Sturm an ums. Haus
zu rauſchen, die Blitze wurden. greller
und das Murren des Donners kam
näher und näher, bis über den Wän—
den des Predigtituhles, ‚die bei dem
Leuchten in fchwefelgrünem Scheine
ftanden, mehrere Schläge Tanonen=
fnallartig losgiengen. Alfo verkündete
auf dem Predigtſtuhl der Prediger
des Herrn Macht hinab in die Thäler
der Reiß, der Nafs, der Schwarzau,
der Prein und der Mürz. Das Rajen
des Sturmes, das Praffeln des Re—
gend, das Lohen der Blike, das
Rollen der Donner war jo herrlich,
das ich gerne meine Jungen gewedt
hätte, um fie des Genufjes theilhaftig
zu machen, allein fie jchliefen jo ftill
und ruhig und bedurften wohl aud
des Schlafes. Später Hat es ſich je-
doch anders aufgeflärt; e$ war wäh—
rend des Gewitterd Sepp wach ge=
weſen und es war Dans wach geweſen.
Jeder meinte, die zwei anderen ſchlie—
fen; Sepp wollte ſie nicht wecken,
weil er ihnen den Schlummer gönnte,
und Dans wollte ſie nicht wecken,
weil er meinte, jie könnten ſich fürch—
ten, und das Fürchten wolle er allein
beiorgen für alle drei. Als nach einer
halben Stunde das Gewitter vorüber
war, jagte Sepp leife: „Das war
ſchön!“ und Dans entgegnete ebenjo
leife: „Das war ſchrecklich!“ „Es ift
nur gut, daſs der Vater ſchläft; ich
fürdte, daj3 er morgen jehr milde
wird und wieder Aſthma bekommt.“ —
„Ich Habe ſchon gebetet, dajs er es
nicht befommen ſoll“, fagte Hans.
Dann ſchwiegen ſie und [chliefen baldein.
Um 5 Uhr wedte ich jie. Die
Wände des Predigtituhles und der
Preinerwand fanden in einem veil—
henblauen Ather, Aus Ungarns Dunfts
meer war die rothe Sonnenfcheibe
aufgeltiegen und verftedte ſich nun
in die roftbraune Wolfenjchichte, die
am Himmel fand, Einzelne Strahlen=
garben durchbrachen fie und rötheten
die Federwolken am Zenith; über die
10
Gegenden von Neunkirchen und von!
Neuftadt giengen Regenfchleier nieder.
Die Spike des Schneeberges und bald
darauf die Kuppen des MWechjels und
des Stuhled3 wurden von Nebeln be—
dedt. Raſch ließen wir uns ein paar
heiße Gläſer Thees geben, und um
5 Uhr 30 Minuten Stiegen wir noch—
mals hinauf zur Heukuppe. Diefer
Morgenfpaziergang ward herrlich be=
lohnt. Sepp, welcher der erſte oben
war, erhob ein Jubelgefchrei. Der
Meften war Har und rein, im den
Thälern tief lag dichter ſchneeweißer
Nebel, welcher ftellenweife von der
Sonne beſchienen, goldig leuchtete. Wie
ein Meer, aus welchem die Berghöben
gleih Infeln ragen! Das Bild ift
abgebraucht, aber es bezeichnet am
beiten. Ich glaubte mich auf eine
Höhe des Karſtes verjegt mit dem
Ausblid auf den Quarnero. Die aus
dem Scharf und eben abgegrenzten
Nebel aufiteigende Schneealpe war
der Monte Maggiore, das Hochegg und
der langgeitredte Zug des Roſskogels
waren die Inſeln Cherſo und Beglia.
Das Nebelmeer des Mürzthales war
die Bucht von Finme und die Gebirge
des Stuhleds, des Teufelsfteines, des
Rennfeldes, des Pantjch, des Oſſers, des
Grazer Schödel3 waren die Bergzüge
Dalmatiens. Aber hinter diefem Quar-
nerobilde ragten im Morgenfirahle die
Veitih, der Hochſchwab, die Fels—
häupter bei Tragöfs, der Ennsthaler-
alpen mit dem gletjchergelrönten Dach
ſtein. Der ſchneidende Oſtwind
gönnte uns dieſes unbeſchreiblich ſchöne
Bild nicht lange. Wir fanden uns
nicht genug verwahrt, und obzwar die
freudige Aufregung der Kälte einiger:
maßen Stand hielt, verließen wir
bald die Hochzinne, nachdem ich im
Herzen meinem Gefchide gedankt, dajs
mir das Slüd, auf folder Höhe zu
ftehen und folche Pracht zu jehen,
noch einmal gegönnt war.
Um 6 Uhr 20 Minuten fahen wir
wieder im Tonriftenhaufe beim Frühe
ftüd, das wohl jchmedte, dann nod |
—
—è — — — — — — — —— —— — — —— — — — —
146
einen Blick von der Zinne des Wetter—
fogel3 in die Tiefe, in welche wir nun
wieder hinabfteigen follten. Warum
blieben wir nicht ein paar Tage oben ?
Warum bejuchten wir nicht die zahl-
reihen Senndörfer, die einjt zur Hoch—
jommerszeit jtark bewohnt waren, mun
aber großentheils entvölfert ftehen, weil
die Jagdbeſitzer ſolchen Alpenwirt—
ſchaften nicht gewogen ſind? Warum
beſtiegen wir nicht die Hohe Lechnerin,
den Kloben, das Haberfeld, den Jakobs—
kogel und alle die anderen Berge, die
auf dieſem Berge ftehen? Warum
wählten wir nicht einen der in—
terefianten Abftiege etwa im Süden
über die Sarreralpe, oder im Weſten
über das Gamseck nah Najswald, oder
im Norden über das Gaisloch oder die
Teufeldbadftube ins Höllenthal? Das
erit wäre eine Rarpartie gewejen. Ich
hatte Gründe, das micht zu thun.
Meine jungen Genofjen waren für
heiklere Streden noch wicht abgerichtet
und ich ſelbſt Hatte feit den Jahren,
da ich feinen hohen Berg befteigen
fonnte, die Übung verloren. Bergferen=
eitel waren wir aber nicht, und Groß—
artiges hatten wir ſchon geſehen. Wenn
wir ferner noch die Koſtſpieligkeit eines
längeren Aufenthaltes da oben, jowie
ein drohendes Weſtwetter erwogen, fo
war uns die Zeit und die Stelle des
Abftieges eigentlich vorgefchrieben. Mit
Ihwerem Herzen ſchauten wir noch
einmal hinein in das felfige Gebirge
mit den MWundern allen, die dort
walten.
Um 6 Uhr 50 Minuten traten
wir den Abjtieg an über den Schlan—
genweg.
Als wir unter der ante des Hoch»
plateaus waren, gab es feinen Wind
mehr; kühl und heiter war die Luft
und wir fonnten den Anblid der groß—
artigen, don der Sonne beleuchteten
Felsgruppen, an und zwiſchen denen
wir ums befanden, noch einmal mit
aller Behaglichleit geniegen. Vom
ı Wetterfogel herab winften uns nod
mehrere Tonriften mit weißen Tüchern
ee
und ich lieg nach langem wieder ein—
mal einen Juchezer los, der ganz leid-
lich in den Wänden mwiederhallte.
In das Siebenbrumnnerthal hinab—
kommend, kroch vor uns quer über den
Meg einer jener Heinen ſchwarzen
Mole, wie jie, font ſehr jelten zu
finden, eine Eigenthümlichkeit der Rax
find. Nun hätte Hans das Kleine Un—
geheuer gern in den Sad geitedt, doc)
nach weiſer Berathung beſchloſſen wir:
Wenn ſchon wir felber wieder in die
dumpfen Niederungen hinab müfsten, jo
wollten wir wenigitens dieſem be—
jcheidenen Thiere feine Alpendaſeins—
freudigfeit nicht verfümmern, Nur gaben
wir ihm noch den Rath, in HDinblid
ſich fo großartig dar, als im hinteren
Reißthale, gegen welches das berühmte
‚große Höllenthal nacdgerade niedlich
genannt werden kann. Vom Reißthal
ſteigt man über den Naſskamm nad
Altenberg hinab, dann erſt hat man
geſehen, wie groß und vielgeftaltig und
wild diefes Gebirge ilt.
Als das, was wir auf unferer Partie
nicht gejehen, ſolchergeſtalt meinen Söh—
nen in wenigen Worten bejchrieben
worden war in der Rindenhütte auf
dem Gjcheid *), zogen wir meiter,
E35 kam ein zwei Stunden langer
Marich thalwärts. Die Luft war ſchwül,
über den Bergen ftieg ſchweres Gewölk
auf. Bei dem Touriſtengaſthauſe Kaib—
auf die böſe Welt fich etwas weniger
vertrauensfelig auf breitem Wege zu.
jonnen, jondern baldmöglichit in eine)
Ihügende Höhle zurüdzufehren.
- Bald hernach wanderten wir wieder
in den Schatten des Fichten- und
Lärdenwaldes, und um 8 Uhr waren
wir auf dem Gſcheid. Dort jegten wir
uns in die Rindlohhütte, welche am
Wege fteht, und ſchauten noch einmal
hinauf zu den über grünen Wipfeln
niederleuchtenden Wänden.
Wir Hatten die Rar zum Theile
gejehen. Wer diefes Gebirge ganz kennen |
lernen will, der muj3 auch rings um
dasjelbe eine Reife machen. Er muſs
das ftundenlange Höllenthal durch: |
‚lichen
blauenden
linger in Kapellenleiten nahmen wir
im Bewufstjein tapferer Leiſtung einen
gediegenen Imbiſs ein. Vom freund
Gartenhaufe, umraufcht don
Mäflern, ummoben von Menſchenwerk
und Thätigkeit des Alltags, wendeten
‚wir noch einen lebten Blick empor zur
hinter MWaldbergen fern aufragenden,
Felſenkuppe, auf deren
höchſten Spike wir fünf Stunden früher
geltanden waren.
Mittags 11 Uhr 25 Minuten rollten
wir dom Bahnhofe in Stapellen ab,
um eine Stunde fpäter zu Hauſe
zu fein und den bejorgten Lieben
daheim unſer Touriftenglüd zu ver—
fünden. Wenige Stunden nachher kam
wandern, welches fich von Hirſchwang ein wüftes Ungewitter, welches die
zwijchen den wilden Wänden der Rar ganze Nacht, bis in den nächiten Vor—
und des Schneeberges, ftet3 entgegen | mittag hinein dauerte. Wäre dasſelbe
der Haren Schwarzau, dahinzieht; er einen Tag früher gelommen, fo wüjste
muſs das freundliche Wiejenthal von ich wohl anderes zu berichten von
Naſswald durhfchreiten und das wild unſerer Partie ins rauhe Gebirge.
romantiſche Reißthal, welches an ale __
piner Schönheit in unferen Alpen — ENT
jeinesgleihen faum hat. Rirgends |gartie yura) bas Höllentgut und über den
ftellen die graufigen Abhänge der Rax Nafstamın wirklich gemacht.
10*
Kleine Saube.
z fünfitimmig. Zu Ditern und Pfingſten
ta nn Sc ii mit — Grauſam se
gen, Der Menſch darf fich eben vor feinem
Herrgott nicht lumpen laffen.“
Mein Tiichnachbar mochte einen wun—
den Punkt berührt haben, Man börte
unterbrüdtes Murmeln, dazwiſchen halb—
lautes Lachen. Einer der älteren Männer
jegte Fih ehrerbietig zu dem alten Herrn.
„Sie haben ja recht mit ihrem Spott,
Herr Gantor, Aber er ift nun einmal
jo; er will’3 gar jo hoch mit uns treiben.
«Mir müjsten uns ja vor den Nachbar—
Kugeln nad, die ſich müblam auf der dörfern jchämen», jagt er. Das früber
mit Schmugigem Kies betreuten Bahn | wäre ja auch ganz hübſch gewejen, aber
ihren Weg nach einer Schar von Kegel | altmodifch. Ohne Kunſtgeſang gienge es
invaliden babnten. num beutzutag einmal nicht mehr, Aber
Ein alter Herr mit Flugen, anzies | willen Sie, Herr Cantor — id kann's
benden Gefichtszügen ſetzte ſich an meinen | nicht jo recht von mir geben . . . aber
Tiih. „Heda! it das wieder einmal) jo warm, wie dazumal bei Ihnen, iſt
ein toller Lärm, bei euch!” medte er die mir’ bei all dem Kunftfingen nicht
Männer, die bei feinem Anrufe verlegen | wieder ums Herz geworden . . .“ Und
grüßend an ihren Mützen rüdten, „Wollt | nah einer Pauſe fügte er hinzu: „Sie
ihr denn nicht einmal eins fingen ?* | kommen doch danı mit hinauf in den
Eine Kunſtpauſe entſtand. Mit dumpfe | Saal zum Concert ?*
bölzernem Miisflang Happerten draußen „Ei gewijs, lieber Freund. Bin ja
ein paar jaumfelig fallende Kegel, „Wir | erpreis deshalb aus der Stadt gefom-
haben die Bücher nicht unten. Der Noten« | men.“ Damit verabjchiedeten fie ſich
wart ift noch nicht da“, jagte endlich | vorläufig.
einer. | Der alte Herr mochte mir angejehen
„Ah ja! Hatt’ es vergeſſen. Seid ja| haben, daſs mich das Geſpräch unterhalten
ein gar künftlicher Gelangverein geworden. | hatte. „Sie haben da neulich zu Pfing-
Und was die rechten Künftler find, die! ften ein Feines Malheur gehabt mit ihrer
Es war an einem Sonntagrad)
mittag in einem ſächſiſchen Dorfgafthofe.
Ich ſaß unter der Linde vor dem Hauſe
und war verdrieklih. Speis und Trank
war ſchlecht geweien. „Ich möchte willen,
womit man fich bier Das Leben zu ver-
ſchönen pflegt, mit leiblichen Genüſſen
ihut man's nicht.“
Nicht weit von mir ftand ein Haufe
von Männern und jungen Burſchen;
Bolksgefang. fingen ja nur von Noten. Vier- und
ſtumpf und faul ſah man den riffigen
Kirchenmuſik“, erklärte er mir lachend,
„Site laſſen fich nicht gern daran erinnern;
aber ich darf fie ſchon ein wenig neden,
denn ich bin ihr alter Gantor und Ge—
Tanglehrer. Seit ih im Ruheſtand bin,
wohne ih in der Stadt; ein ftrebjamer
junger Mann ift mein Nachfolger. Der
will ihnen nun zeigen, was Muſik ift.
Uber ich fürchte, er fajtt die Sade am
faljihen Ende an. Wenn unjerm Landvolf
der Gejang etwas jein joll, muſs er ihm
bequem und vertraut jein wie ber Bauern»
fıttel. Was ſie jeßt fingen, geht meift im
rad und Eylinder. Und Sie willen, wie
ungelenf und läderlih der Bauer in ſol—
chem Aufpug ansieht. Ich mag ihn nicht
drin jehen . . . ebenſowenig aber aud
in der Hanswurſtjacke. Das iſt fast noch
das Schlimmere Sehen Sie, da
bin ich wieder ins Schwatzen gekommen
und langmweile Sie gewiſs. Aber 's iſt
eben ſozuſagen für mich ein Herzensthema.“
Als ih den Tiebenswürdigen Alten
verfiherte, die Sache, von der er da
ſpreche, gienge mir nahe, meinte er: „Wie
wär's, wenn Sie dann auch mit da oben
zubörten? Da ließe ſich mandes reden
und wir hätten die Beijpiele dazu.“
Ih nahm den Vorſchlag gern an.
Als die Zeit des Beginues gelommen
war, juchten wir uns droben ein unge—
ftörtes Pläschen aus und folgten auf
merfjam den Porträgen der ländlichen
Piedertafel.
Der alte Herr hatte redt. Die
Concertmuſik ſtand den Leuten nicht.
Nicht nur deshalb, weil die Reinheit
oft zu wünfchen lieh, jondern hauptiäch-
{ih darum, weil man ihnen anſah und
anbörte, dajs ihnen die Gedanfens und
Gefühlswelt der meiſten dieſer Lieder
fremd war. Ya, ihre Vortragsweiſe er-
regte deshalb nicht jelten jenen Lachreiz,
den wir fühlen, wenn etwa ein gebildeter
Hausfnecht franzöfiich parliert. Am ſchlimm—
iten fielen die vierftimmigen Volkslieder
aus; daran aber war einzig der Herr
Liedermeifter ſchuld. Somie eine gemille
Kunft in der Gärtnerei den Birnbaum
erft zu jchägen weiß, wenn er im regel«
recht ftehender Haltung als Spalierobit |
a
jeine Urme gegen Himmel ftredt, umd
wie in diejer Auffallung der Kunſtgärt—
nerei die Blume erft ihren Dajeinszwed
erfüllt, wenn jie jäuberlih aufgedrabtet
irgend eine geometrijch Fluge Figur dar-
ftellen Hilft — jo knetet und drecielt
die lendenlahme Phantafie gewilfer Ger
jangvereinsdirigenten an unjerem Volks—
liede jo lange herum, bis, wie der Mei-
fter mit Stolz rühmt, „etwas ganz an—
deres draus geworden it“, — ein fläg-
liches Zerrbild nämlich. Volkslieder, Die
in ihrer rührend ſüßen Einfachheit dein
Herz wie von Mutterlauten aus der
Yugendzeit heiß emporquellen laſſen,
werden unter dieſer Behandlung zum
grauſamen Folterwerkzeng, das dich mit
zwei Takten ſauſelnden Pianiſſimos jänft-
(ih in Schlaf wiegt, plöglih aber mit
zwei weiteren Tacten jchredhaften For—
tiffimos in die Luft wippt, oder aber
mit raffinirtem Nitenuto deine armen
Glieder in die Länge zieht, um fie dann
mit brutalem Preſto wieder zuſammen—
ichnappen zu laſſen. Damit joll nun Geiſt
in das Volfslied getragen werden.
„Hören Sie“, unterbradh mein Gans
tor dieſe meine ftillen Betrachtungen,
„nd das noch Volkslieder ? Wie anders
Elingen fie, wenn man den «Bortrag»
dent unbewujsten Empfinden überläjst!
Mit Dielen Fünftlich bineingetragenen
Effecten verſcheucht man noch den letzten
Reit jenes natürlichen Nahempfindens,
dad dem Volksliedſingen innewohnen
mus, wie der Noje der Duft. Kein
Drillen und Einpaufen kann jenes Ans
schwellen und jenes leiſe Eriterben nad-
ahmen, geihweige denn erjegen, mit dem
das unbeobachtete naive Kind des Volkes
die altererbten Lieder nachdichtet und nach—
fingt. Iſt's doch ſchon ein Unding, des
Volkes gejungene Luft und gefungenen
Schmerz auf dem Podium zur Schau zu
itellen. Damit verliert ja an und für
ſich ſchon das Volkslied Sinn und Da-
jeinszwed. Was haben fie vorhin aus
dem alten, wunderbaren, jüßtraurigen
Liede von den zwei Königskindern ges
macht! Iſt dies alte Lied vom Sehnen
und Entjagen nicht emporgequollen aus
cchtem, natürlich-mächtigem Volksempfin—
den? In den Geſang dieſer und ähn—
licher Volksweiſen vermag der ſchlichte,
unbeholiene Bauernburſch, dem ſich weder
Weltſchmerz, noch überfeines Empfinden
nachſagen läjst, ein jeltiam rührendes
Gefühl zu legen — willen Sie, ein Ge—
ſühl, das vielleicht von irgend einer trau—
rigen Erinnerung, irgend einer zerjchla-
genen Hoffnung ber im Grunde jeines
Herzens verborgen ſchlummert . . . Aber
er muſs e3 eben naiv, unbeeinflujst, ſich
jelbft überlaflen, ausklingen laſſen dürfen.
Es darf nicht einer mit dem Tactjtod
vor ihm ftehen, der ihm mit allerhand
Geberden faliches und fremdes Fühlen
und Empfinden einzuturnen verſucht ...“
Die Panſe zwiichen dem erften und
zweiten Theile de3 Programmes war zu
Ende. Diejer zweite Theil war der bes
rübmte, leider heute unvermeidlich ges
wordene „bumoriftiiche”.
Es waren die bekannten faden, plum-
pen, witz- und geichmadlojen Männer:
höre, die zum Vortrag famen, von denen
ih in den fetten dreißig Jahren eine
wahre Echredensliteratur berausgebildet
bat. Seine Spielart dieſer traurigen
Sumpfblumen war den Sängern erjpaıt
geblieben, von der „Schweinstnöcelpolta“
und der „Madam Mullerihb und Ma—
dam Bullerib* bis zum modernen
„Dresdner Brezelmännermarſch“. Wie
ſie da ſo hölzern und unbeholfen ſtanden,
die weitergebräunten Geſtalten, und mit
den ſchwieligen Händen die humoriftifchen
Notenblätter hielten, wie die Begleit—
ftimmen nach dem Willen de3 Autors
dur ihr tactmäßige3 „Ha, ba, ha!“
ihrer unbändigen Lachluft Ausdruck geben
lollten und dies nun thaten mit den
ausdrudslojen Geſichtern und der von
der Schwierigkeit des „Kunſtgeſanges“
zeugenden, ernjten tiefen Sängerfalte auf
der Stirn — da ward mir's jo unend-
ih bitter nnd web ums Herz, dajs ich
leife nah Hut und Stod griff. Und mit
bajtig beiltimmendem Niden folgte mir
der alte Mann, der bis dahin trüb
ichweigend, das Haupt in die Hand ge
ftügt, vor fich hin gebrütet hatte.
Wir giengen jtil dem Bahnhofe zu.
Endlich brad ih aus: „Nun jagen Sie
mir aber — wünjcht denn wahrhaftig
unfer Volk diefen Jammertrödel zu feiner
Erbeiterung? Haben Sie denn heute
unter Sängern wie Hörern auch mur
einen einzigen Menjchen gejeben, dem
dieſe aHumoriftifan auch nur ein Lächeln
abzwangen ?“
„Dals meine Bauern den Sram
wirklich wünjchten“, jagte der alte Herr,
„davon kann wohl faum die Rede fein.
Aber 's it eben «Modeſachy gemorden,
dajs der Dauer von heute die Unarten
des Großſtadtpobels mitmacht oder wenig«
ſtens nachahmt, weil er denkt, oder weil
man ihm einredet, er bliebe jonft zurüd
hinter dem allgemeinen Fortjchritt in der
Meltgeihichte. Daſs er ſich bei jolchem
Singjang nicht glüdlih fühlt, das weiß
ih ganz genau! DO Sie hätten fie
ſehen follen, wie jie damals bei Erntefeiten
oder Hochzeiten, oder auch nur während
der Raſt auf dem Felde, an arbeits—
freien Sommerabenden oder bei Iuftigen
Zufammenkünften im Winter ihre Lieder
jangen, dajs es eine Luft war! Ih
mag wohl ein rohes uncultiviertes Can—
torlein gemwejen fein“, fuhr er lädelnd
fort, „denn von Noten und Singheften
haben fie nie etwas zu jeben gekriegt.
Hätt! auch wahrlich nicht gemujst, wozu.
Die Jungen jangen’3 den Alten nad,
und die Alten den Jungen. Und ganz
jo kunſtlos war's ja wohl auch nidt.
Wenn ich's dahin gebradt batte, daſs
die tieferen Stimmen fih mwaldhornartig
in Terzen und Serten als zweite Stimme
der Melodie anzubequemen verftanden ;
wenn ih in Zeiten der Heuernte durd
die Felder wanderte und da und bort
tiefe, Hare Altitimmen an belle Discant-
jtimmen ſich anfchmiegen hörte, — dann“,
und dabei zitterte jeine Stimme, „dann
hab' ich mich oft recht ftolz gefühlt. ..
Da gab's ja wohl fein jangbares Lied,
zu dem fie fich nicht ihre einfache Ber
gleitftimme zurechtgelegt hätten. Und wenn
fie beilammen waren, Männlein und
Fräulein, da bedurft' es nicht erjt des
lüſternen Dreitactes, um das Strenge
|
1
mit dem Zarten zu paaren, — waren
Doch die gemeinfamen schlichten Licder
Eigentbum aller geworden — vermochte
doch das allen vertraute Lied ein Band
zu ſchlingen, das die ungelenle Zunge
vielleicht nie anzufnüpfen vermocht hätte.“
„So lieben Sie aljo den drei- und
vierftimmigen Gejang wohl überhaupt
nicht ſehr?“ fragte ich.
Da lenchteten die alten Augen. „Der
müjste wohl ein Barbar fein, dem der
wunderſame Drei- und Vierklang, dur
menjhlihe Stimmen erzeugt, nicht als
ein Ausftrom göttliher Kunſt erjchiene !
Wär ih wohl noch in meinen alten
Tagen in die mir jonjt jo fremde Haupt-
ftadt übergefiedelt, wenn nicht der Kunſt—
gelang unjerer Oper mein altes Muſi—
fantenberz mit allen jeinen Faſern ge
feſſelt hielte? — Unjerem Volke im gro-
Ben aber, dem Landvolke wie dem Stabt-
volfe im allgemeinen, iſt jolder Gejang
für jein Fühlen ein fremdes, unmatür-
liches Gewand im Vergleih zur Art und
Kraft jeiner Ausdrudsfähigkeit. Pflegen
wir jorglich feine uriprünglihe Eigenart
— pflanzen wir aber nicht fremde, uns
natürliche Reifer auf den Baum unjeres
Volksthums, dann kann wohl einſt
unſer Volksgeſang wieder werden, was
er früher war: die natürliche Kunſtbe—
thätigung eines naiven Dolfsempfin-
dene !*
Diefer Auffag, den wir dem „Kunſt⸗
wart“ entnehmen, enthält viel Richtiges
und Beherzigenswertes. Warım aber der
Volksgeſang unter feiner Bedingung mit
dem Dirigentenftabe berührt werden joll,
fieht man nicht recht ein. Aus der Volfs«
ſage haben Goethe, Schiller die berrlich-
ften Kunftdihtungen geihaffen; aus der
Dorfgeichichte machten Theodor Storm,
Anzengruber die muftergiltigiten Novellen
und Romane;
Bauftil ; warum jollte gerade das Volks—
lied nicht entwidelungsfähig fein? Sagt
man nicht von Richard Wagner, daſs er
für feine Muſik gerne volfsthümlihe Mo-
tive wählte? Iſt denn nur das eine
ans der Dörflichkeit ent:
widelte fih Defreggers Malergenie; aus
dem Bauernhaufe entjtand der nationale |
51
ausgeſchloſſen, aus dem Naturgejang ein
Kunſtlied zu machen ?
Ya, beiler wäre es freilih, wenn
unjer Boll jeine alten Lieder ohne Noten
gut fingen wollte oder könnte, aber das
ift nicht mehr. Der Gebirgsbauer fingt
noch ohne Noten, ihm nützen Noten nicht
und jchaden Noten nicht. Der Ihal- und
Flachlandbauer fingt nicht mehr naiv ; der
Kleinbürger auf Dorf, Markt und Stadt
fingt noch weniger, im bielen Streifen
würde das Volkslied ohne Noten vergeſſen
jein, jowie für uns der Text besjelben
ohne Drudbucdjtaben vergeljen wäre.
Freilich geht es auch bei uns oft
jo zu, wie Hermann Schüge es im ſäch—
ſiſchen Dorfe gefunden bat; manches Lied
wird von den Noten herab ohne Ver—
ſtändnis gelungen und jämmerlich verhunzt;
allein für das Gegentheil gibt es auch
Beiſpiele. Wir willen es, mit welcher
Begeifterung die von Schmölzer, Gauby,
Koſchat kunſtſanglich gemachten Volkslie—
der auf dem Dorfe wie in volksthümlichen
Kreiien der Stadt gejungen werden, wie
marfig und friſch das bereits verloren
gewejene Volkslied wieder aufflingt. Der
Naturfänger verdirbt an einem nad No—
ten gelungenen Volfsliede lange nicht jo«
viel, al& der Kunſtſänger.
Dais auf dem Dorfe Volkslieder
vom Notenblatt und unter dem Tactitabe
gejungen werben, iſt aljo noch nicht
das größte Unglüd; aber wenn die
Banernmufifanten in ihren Kirchen jchwies
ige Meſſen und Veipern, in ihren Mufile
‚abenden allerlei Opern und Üperetten-
ſtücke aufführen, das iſt ein raus!
Hier ftedt der Bauer im rad, hier
parliert der Hausknecht franzönih! R.
j
Rindermund.
Kinder erfinden fih zur Zeit, als
ihnen die Sprache der Erwachſenen noch
zu ſchwer, zu unverſtändlich und zu —
|ungereimt ift, eine eigene Redeweiſe, in
| der fie unter einander und mit den Großen
ſprechen und deren Iheile manchmal recht
merfwirdig oder zum mindeſten recht
drollig find. Manchmal auch ift es bie
naivfte Unbebilflichfeit des Wusdrudes,
dann wieder das geniale Hinwegipringen
über einen ſpröden Gegenftand, das uns
anmuthet. Agathon Keber hat in jeinem
Büchlein „Zur Philoſophie der Kinder:
ſprache“ (Leipzig. Ih. Grieben. 1890)
eine Auslefe von Kinder-Ausdrüden ge—
boten, So bat ein Kind im Morgenge-
bete den himmlischen Vater:
„Und ih bitt' dich väterlich,
Ein gutes Rind lafſs werden mich.“
Ein anderes Kind geitand: „Ich bin ein
Liebling (Liebhaber) von Kuchen.“
Meitere inderausdrüde: „Beim Unter:
gange von Sodom und Gomorrha regnete
es Schwefelbölzer vom Himmel,“
„Bei der Sintflut regnete es vierzig
Tage und fünfzehn Ellen lang.”
„Die Blumen bat der liebe Gott ge
wachjelt (wachſen laſſen),.“ „Das hat
mich vertraurigt“ (traurig gemadt). „Er
bat drei Finder und zwei Mädchen.“
„Als biblifhe Geſchichte war,
waren die Menichen noch ſehr arm.“
Ein Kind fragte: „Wie viel ift
denn ein Procent ?* Ein anderes ant—
wortete auf die Mahnung, es jolle fih
nicht jo im Dreck umbermälzen: „Sch
will ja ein Drechsler werden.” Als
eine Mutter warnte: „Lajs das, ſonſt
ſchilt die Tante!” antwortete das Kind:
„Sit Sie denn eine Schildfröte?”
„Zante, du brillft ja jo!“ ſagte ein
anderes zur alten Perſon, die Brillen
trug. Ein Lehrer, welder da3 Wort
„Furien“ erklärt hatte, verlangte ein
Beiipiel. Das Kind antwortete: „Furi-
gen Sonntag babe ich mich erfältet.“
Ein fünfjähriges Mädchen erzählte nicht
bloß von Ameijen, jondern auch von
einer Amaus. Ein anderes fragte:
„Iſt Weihnachten zuerfter, al3 mein
Geburtstag?” Ein anderes wollte jagen:
„Auf dielem (in die Numpellammer ge
jtellten) Stuhl ſitzt wohl fein Menich“,
und jagte: „Alle Menſchen ſitzen
wohl nicht auf diefem Stuhl.* „Der
Etorh hat mir ein Geſchwiſter gebracht”,
152
erzählte ein vierjähriges Mädchen, „es
it eine Buppe* (ein Bub).
Nach der Überfiedelung einer Familie
von einem Stadttheil in einen anderen
fagte das Kind, ald es vom Fenſter der
neuen Wohnung aus das erjtemal die
auf dem Plate ftehende Kirche ſah: „Ach
danke bir, lieber Papa, daſs du mir da
draußen die Schöne Kirche herftellen ließeſt.“
Jeder, der jelbft mit Kindern zu
thun bat, wird diefe Beiipiele leicht ins
Zehnfache vermehren können.
Amerikanifdje Bienftboten.
Intereffant für unjere Hausfrauen
dürfte die Schilderung amerifaniicher
Dienfimädchen-Berhältniffe fein, welche
dem Wrivatbriefe einer jungen, nad
Chicago verheirateten, deutſchen
Frau entnommen iſt. Sehr angenehm
it, jo heißt es in dem betreffenden
Schreiben, die Sitte, daſs einem alles
ind Haus gebracht wird, was man in
der Wirtichaft braucht. Es wäre jedoch
anders auch gar micht möglid, denn
die hieſigen Dienjtmädchen geben mit
feinem Korb auf die Straße. Infolge
deilen gibt es wohl auch feine Rollen
für die Wäſche; denn die Mädchen wür-
den fi vielfach weigern, die Wäſche zur
Rolle Hinzutragen. Aus ähnlichen Grün-
den beſteht bier an der Hofſeite jedes
Mietshanfes eine äußerſt praftiiche Ein-
richtung, welche ich euch drüben wohl
enıpfehlen möchte. Es ift dies eine ein»
fache, aus Striden beftehbende Hebevor—
rihtung, an welde jeder Mieter ein
Anrecht bat und welde Waren, leere
oder gefüllte Eimer ꝛc. binaufe, reip. hinab-
befördert. Dadurch wird viel mühevolles
und zeitraubendes Treppenjteigen geipart.
Ah, die deutjchen Dienſtmädchen! Wie
anipruchslos find fie doch gegen die unſe—
rigen! Hier iſſst jedes Mädchen mit am
Tiſch; fie würde es als Beleidigung auf:
faflen, wenn man ihr das vermweigern
wollte. Wenn fie nach ihrer Meinung
nicht genug zu een befommt oder es ihr
ſonſt nicht gefällt, geht fie einfach aus
dem Haufe, ohne dajs fie nöthig hätte,
zu kündigen, Mir begegnete es mit mei-
nem erjten Mädchen, daſs ihr Vater fie
mir des Montags von der Wäſche fort:
bolte, weil er eine Stelle in der Fabrik
für fie erhalten hatte. Sie padte fofort
ihre Saden und gieng, — id fonnte
nicht3 dagegen machen. Und wenn fie
fommen, find fie ganz die feinen Damen,
erkundigen fich erit genau nad allen Ein-
zeinheiten der Haushaltung, ſehen ſich ihr
Zimmer an, bejonders daraufhin, ob ji
ein „bureau“ darin befindet (ein unten
aus Kommode, oben aus großem Spiegel
beitebendes Möbel). Meiſt bleiben fie
nicht lange, troß des hohen Lohne von
wenigitens 2 Dollars wöchentlich, d. i.
ca. 18 Gulden monatlihd. Die meinige
befommt jogar 26 Gulden. Und dabei
pugen fie nicht einmal die Stiefel für
den Herrn ; diefer muſs jich vielmehr —
will er fich nicht jelbit daran machen —
fein Schuhwerk auf der Straße reinigen
laſſen oder jich ertra einen Nigger (Neger)
für diefen Zweck halten, Um glei noch
ein Beiſpiel von den übrigen Lohnver—
hältniſſen im Haushalt zu geben, jet er
wähnt, daj3 eine Waſchfrau 4 Gulden
den Tag erhält und dabei nicht länger
arbeitet al3 von 8—6 Uhr. Aufmwarte-
frauen find überhaupt ſehr ſchwer zu
betommen und müllen ebenfalls jehr thener
bezahlt werden. Eins ijt ganz jo wie
bei euch: fie ftreben alle nach der Fabrik,
weil fie dort unabhängiger find. Woher
fie freifih fommen, weiß man nur allzu
oft nicht, denn polizeilihe An- und Ab—
meldung find nicht Sitte. Es kommt
vor, daſs fie aus öffentlihen Hänfern
direct in einen Dienſt geben, weil es
ihnen gerade fo gefällt, und man ahnt
nicht3 davon, wen man um jfich hat, Zeug:
niſſe braucht ja feine von ihnen zu bejigen!
Dft geben fie einen ganz faljhen Namen
an, wenn fie fih ihres richtigen ſchämen.
Die Dienftmädchennotb, welche gerade hier
in Chicago berricht, hängt damit zuſam—
men, daſs letteres zu weit landeinmwärts
liegt. Wer jtellt denn das größte Contin-
gent der amerifanijchen Dienftmädchen ?
Die eingewanderten Deutjhen. Dieſe halten
es jedoch meift für ficherer, in den Hafens
jtädten zu bleiben, als aufs Gerathemwohl
den zwei bis drei Tage langen Weg nah
Chicago zu wagen, abgejehen davon, dajs
fie oft nicht mehr die nöthigen Mittel hier-
zu beſitzen. Wie viel Stoff zu Geiprächen
über Dienftboten wir amerikaniſche Haus:
frauen befigen, fönnt ihr euch hiernach
denfen! Euch aber möchte ich wohl einmal
meine Betty auf einige Wochen wünjcen,
danı würdet ihr im jedem bentichen
Dienftmädden ein Mujter an Einfalt
ud Beſcheidenheit jehen !
Luſtige Beitung.
Galanterie und Offenheit verband
mit feinem Geſchick jener Sohn des
himmlischen Neiches, der als Attaché
der chineſiſchen Geſandtſchaft in London
einem Gartenſeſt beiwohnte und von einer
etwas fofetten Dame ins Geſpräch ge
jogen wurde, Auf die Frage, was die
Ghinefen an den Frauen am höchſten
ſchätzten, antwortete er, ohne ſich zu be
denken: „Die häuslichen Tugenden.“ Die
Engländerin fuhr darauf im mitletdigem
Tone fort: „Wirflih ! Sie haben es aljo
nicht gern, wenn Ihre Frauen in Geſell—
ichaft geben, um etwas zu plaudern?” —
„Nein, gnädige rau, ein Chineſe hat
das Net, fih von feiner Frau jcheiden
zu laffen, wenn fie allzu geiprädig tt.”
Die Dame glaubte hierin eine leije An—
ipielung jehen zu müffen und fragte
ſpöttiſch: „Ich fürchte, dajs das mein
Los in China jein würde!” worauf
der Chineſe mit einer tiefen Verbeugung
erwiderte: „Sie dürfen überzeugt ſein,
dais mit dem Tage Ihrer Ankunft in
China die harten Geſetze gegen die Ge
Iprächigkeitder Frauen abgeändert würden, *
Entihuldigt. „Aber, liebes Lies»
hen, deine Briefe an mich wimmeln ja
von orthographiſchen Fehlern!“ — „Sa,
Liebſter, weißt du — ich fürchte mich
jo; von Mama ertappt zu werden, und
da Schreib! ich dir immer im Dunfeln,*
Bor der Gardinenpredigt.
Frau: „Seht babe ich vier Stunden
gewartet, dajs du aus dem Wirtshauje
heimkehrſt!“ Mann: „Und ich
dort vier Stunden, daſs du einſchlafen
ſollteſt.“
Richter: „Sie haben alſo dieſe beiden
Herren am Sonnabend derbe durchgebläut
und geſtehen dies auch zu?“ — Ange—
klagter: „Jewiſs doch, Herr Richter!“
— Richter: „Hm! Und wie kamen Sie
dazu, alle beide in dieſer unverantwort—
lihen Weile zu jchlagen ?* Ange:
Hagter (freimüthig): „Offen jejtanden,
Herr Richter, for eenen Eenzigen
wären die Seile zu ville jewejen !“
Dem erwarteten Gerichtsvollzieher
zum Gruß batte ein Leipziger Studio
in jeinem Zimmer auf in die Augen
fallendem Zettel folgende Verſe nieder
geichrieben :
„sch weiß, du kommſt, um mich zu pfänden,
Du ftrammer Bote des Gerichts!
Ich lenn' die Leute, die dich jenden,
Doch dieie Leute Triegen nichts;
Zwar dein Beftreben jcheint mir löblich,
Plichteifer treibt jo früh dich her;
Doh glaub’ mir, Freund, Du fommit ver:
geblich,
Denn bier ift alles öd' und leer.
Sieh’ hier eh'mal'gen Reichthums Reſte:
Ein Port'monnaie mit nichts darin,
Dort an der Thür hängt eine Wefte,
Wenn fie dir anfteht, nimm fie hin!
Sonft bieten nichts dir dieſe Näume,
Die fuhend jeht dein Blid durdirrt;
Denn Stiefellneht und Gummibäume
Gehören meinem Zimmerwirt.
Du fiehft: hier ift nichts fortzuichleppen,
Mich dauert, dais du di bemüht!
Es find vier unbequeme Treppen!
Geh’ hin, wo Pradt und Lurus blüht!
Noch iſt es früh, — geniek den Morgen!
Was nützt es, daſs du länger weilſt?
Doch kannſt du, Freund, mir etwas
borgen,
Leg's hin, eh' du von dannen eilſt!“
Der Canonicus Pfaffle beſucht
im Auftrage des Miniſteriums die Lehr—
anſtalt des Directors Sch. Dieſer führt
den geiſtlichen Herrn unter anderm auch
nach dem Garten, wo zu Leckerzwecken
—
„Sehen Sie, Hochwürden, die Gruppe
bier rechts, das find fleiſchfreſſende Pflan—
zen.“ — Ganonicus (höchſt überraſcht):
„Wie? Was?“ — Tirector (lächelnd):
„Wie ich Ihnen jage, Hochwürden; die
Pflanzen da freifen Fleiſch.“ — Cano—
niens (jchnell gefajst, mit beiligem Eifer) :
„Aber doch hoffentlih nicht an Frei—
tagen!“
Marrer: „Ja, das hilft nichts,
Schnabelbauer, das iſt nun einmal jo
Sitte, ihr mülst Eurer jeligen Frau
eine Grabjchrift jegen, fonit denken Die
Leute, ihr hättet euch gar nicht ein
bijschen lieb gehabt.” — Schnabelbauer:
„Was das betrifft, Herr Pfarrer ... .
Sie wiſſe, ich bin e friedfertiger Mann...
fie hat's als gar arg mit mir getrimmwe,
und geſchmiſſe hat fie mich auch. . . ich
fann nun emal net gege die Wahrheit
rede. .* — Mfarrer: „Nun, jo jegt
auf den Grabftein: „Sie iſt mein Ste
den und mein Stab gemejen.”“
Am Hofe des Königs Karl X. von
Frankreich lebte ein geijtreicher, aber ganz
ungewöhnlih häſslicher Prieſter. Als
derjelbe eines Tages dur ein, kurzweg
als „Ochſenange“ bezeichnetes Vorzimmer
des Herrſchers in Berjailles gieng, jagten
einige dort befindliche Höflinge ganz
laut: „Da fommt Meiop zu Hofe.“
Kaltblütig erwiderte der Geiftlihe: „Yhr
Gleihnis, meine Herren, iſt für mid
jehr jchmeichelhaft, denn Mejop madte
die dümmſten Thiere jpreden.*
An der Stadt K., die an einem
See liegt, findet fich folgende PVelannt«
mahung angeichlagen: „Wenn man eine
Frau aus dem MWaffer ziehen will, ſoll
man fie an ihren Kleidern, nicht an den
Haaren erfaflen; es hat fich gezeigt,
dajs die legteren dem Nettenden meiſt
in den Händen bleiben, *
Ein anderer Menjd. Geilt-
liher: „Hören Sie die mahnende Stimme
eines Freundes nnd laſſen Sie ab von
dem Genuſſe geiltiger Getränke!“
„Ach, Herr Prediger, det Leben is jo
allerlei Pflanzen gezogen werden. Director: ; ſchwer. Is et mir da zu verdenfen, wenn
ick's mir manchmal mit eenem Bittern
zu verfüßen juche? Hab’ id Eenen jerrun« |
fen, bin id jleih een andrer Menſch,
man doch och wat jönnen.“
„Herr Pfarrer, begebe ich eine Sünde,
wenn ich zum Tanz gebe?“ „Ja,
liebes Kind, das kann ich dir nicht jagen.
Ich bin ja nicht dabei!”
Auf dem Mhonegleticher. Führer (zu
einem engliichen Touriften, der von feiner |
Tochter begleitet ift): „Hier, mein Herr,
iſt die Stelle, wo der bekannte Berg: |
fteiger Uri in den Abgrund ſtürzte.“ |
Engländer: „Hier wäre es gewejen ? |
Unfinn! Der Ort liegt zwei Stunden |
von bier entiernt. Im vorigen Jahre |
haben Sie mir ja die Abjturzitelle ger |
zeigt 1% — Führer (zuvorfommend): „Sie
haben recht, aber ih glaubte, für Ihr
Fräulein Tochter würde es bis dahin zu
weit ſein!“
Ein ſchwäbiſcher Pfarrer fpricht mit
fleinen Kindern in der Neligionsjtunde
über die Allgegenwart Gottes und
fragt: „Wo ijt Gott?“ — Antwort: |
„Überall.* — Frage: „Hit er auch in
der Stube?” Antwort: „Ja.“ |
Tarauf fragt ein Heiner Junge den!
Pfarrer: „Iſch Gott au in üſem (unjerm)
Cheller (Keller)?“ — MWiarrer: „Ganz
gewiſs!“ — Schüler: „Jetzt ſieht ma,
daſs n’ Lügner biſcht, mir han jo gar
fein’ Cheller!“
Guter Troft. Vater (von der
Reiſe zurüdgefehrt): „Weshalb heulit
du?" — Söhnden: „Mama bat mid
geihlagen !” „Na, jei ruhig, von
morgen an baue ich dich wieder!“
In der Provinz Sachſen wurde eine
Landſchule vom Sreisichulinipector be
fihtigt. Als dieſer eintraf, behandelte der
unterrichtende Lehrer gerade das Hauptitüd
von der Gerechtigkeit Gottes. Der San |
inſpector hörte dem Unterrichte einige Zeit
zu, dann ergriff er das Wort und richtete |
zwiſchen
an die Kinder die Frage, wie ſich Gottes
Gerechtigkeit zu ſeiner Gnade verhalte. Er
erwartete natürlich die Antwort zu hören:
und eenem andern Menſchen mul!
Gottes Gnade iſt größer als feine Ges
rechtigfeit. Nach einer Pauſe erhielt er
die Antwort: Gottes Gerechtigkeit verhält
fih zu jeiner Gnade wie 1 zu 250.*
Als der Schulinfpector eine Begründung
diefer Behauptung wünſchte, erklärte der
Knabe Folgendes: „Gott will ftrafen
, er bis ins vierte und wohlthun bis ins
Ein rüdjihtspvoller Führer. 5 ——
tauſendſte Glied. Beim Strafen zeigt er
ſeine Gerechtigkeit, beim Wohlthun ſeine
Gnade. Demnach iſt das Verhältnis
Gerechtigkeit und Gnade wie
4 zu 1000 oder 1 zu 250!“
Dentlid. Ein berühmter Profefjor,
der vielfach durch neugierige Fremde ge
ſtört ward, ließ ſchließlich an feiner
Thür ein Schild mit folgender Auffchrift
anbringen: „Wer zu mir fommt, erzeigt
mir eine Ehre, wer nicht fommt, macht
mir ein Vergnügen !*
Galgenhumor „Bu, Adolf,
woher haft du denn die dide Bade?“ —
„Die? Das ift weiblihe Handarbeit.”
Sunn’ und Monfdein,
Hat d’Sunn zan Monſchein gjoge:
Don a jeans Lebn;
Kann ih den gonzn Tog
D' Melt jhaffn jegn.
Siag ih, wia 's Gampſal jpringg
Hoch üba 's Gwänd,
Siag, wia da Jaga
Sein Stußerl obrennt.
Siag ih, wia '3 Dirndl
In Feld Fuata ſchneidt,
Schau ih hin wodawöll
Lauta Lebn und Freid;
Und üba Berg und Thal
Strah ih mein Sunnenftral.
Fallt ma nit ein,
Dais ih eppa da Monſchein medht fein! —
Hat draf da Monjchein gioge:
Hon a jeans Lebn;
Kann ih die gonzi Nadt
D' Welt raftn jegn.
Siag ib, wia 's Gampſal ledt
Drobn afn Schnee,
Siag ih, wia 's Hirſcherl trinkt
Unten ban See;
Siag, wia da Jaga
Van Berg obaleidht,
Wiar er jan Fenfta
Ban Dirndl hinjchleicht.
Und wieviel Glüd und Ruah
Dedt mei Glanz freindli zua!
Kimp mar in Sinn,
Daſs ih doh liaba da Monſchein bin.
Gans Fraungruber,
Marie von Ebner-Eſchenbachs
fedgigfler Geburtstag.
Zu Marie von Ebner-Eſchenbachs
ſechzigſtem Geburtstag, den die Dichterin
auf ihrem Familienſitz, Schloſs Zidslavie
in Mähren am 13. September d. J. begieng,
ſtellte ſich unter den Gratulanten auch
der Verein der Schriftſtellerinnen und
Künſtlerinnen in Wien ein, um mit einer
ſinnigen Huldigung ſein gefeiertes und
allverehrtes Mitglied, das zugleich zu
den Stiftern des genannten Vereines
zählte, zu ehren. Ein voller, von Lorbeer—
zweigen umwundener Ährenkranz, in defjen
Schleife eine künſtleriſch ausgeſchmückte
Pergamentrolle ftedte, trug die folgenden,
von Goswine v. Berlepſch verfajsten
Widmungszeilen:
Wie dein milder Geift
Des Menichenherzens Tiefen und Höhen,
Sein Fehlen und nit zum mindeften aud)
Seine närriiden Sprünge
Liebreich erforicht und verftanden,
Dann jeine Menſchen gefhaffen hat
Und in das lichte Reich der Kunſt fie er:
hoben, —
Tem ein Gleihnis, 2
Winden den Kranz von gold'nen Ähren
wir dir,
Dem Segen der heiligen Erde,
Und fledten den Lorbeer,
Den hohen,
Um die Gottesfrüchte
Neich aufgegangenen Lebens.
Laſſe mit zager Hand
Zu deinen Füßen ihn legen!
Bewunderung — Liebe
Blicdt zu dir empor
Und fieht in der Zukunft Gründen
Dir — und uns -— befcheert,
Manch' goldenes Erntejahr nod.
Biüder.
Reue Rovellenbüder.
Bier Novellenbücher liegen in ſchweſter—
licher Eintracht auf meinem Tiſche. Der
iharffinnige Lefer, der zwiſchen den Zeilen
zu leſen verfteht, hat es gewijs ſchon weg,
dafs es fih um Frauenliteratur handelt.
Wenn ih ihm noch geftehe, daſs alle vier
Bücher gut geihrieben find und mitunter
recht hübſche Sahen enthalten, fo wird er
mir gern glauben, dajs mein Vergnügen
beim Leſen ein doppeltes war, Silvia
Andrea verientt fih in ihren Erzäh—
lungen in „Graubündens Bergangen:
heit”, Willig folgen wir ihrer Phantafie
in der erften Erzählung „Ein Apoſtel“ in
das zweite Jahrhundert unſerer Zeitredh:
nung, in den Miderftreit des Chriſtenthums
gegen das Heidentgum und begleiten den
Heiden „Tello“ bis zu dem Montente, wo
er nad) Überftehung vieler Abenteuer und
Herzensftürme fein Heil im Chriftenthune
judt. „Der Märtyrerftab wird von nun
an deine Stütze jein, die Dornenfrone dein
Schmuck.“ — „Under zog aus, nicht mehr
Tello, der letzte Spröfsling des Stammes
Nandorir, jondern einer von vielen, ein
Lichtbringer auf dem Pfade des Irrthums,
ein Bahnbrecher durch den Urwald der Un:
wifjenheit, einer von vielen, deſſen Spur
im Eilſchritt der Jahrtaufende vergejien
aber nicht verloren ift, ein Wpoftel des
Friedens.“ Wir haben es bier aljo mit einer
jener Erzählungen zu thun, in denen der Beift
des Ehriftenthbums zum Nachtheile des Wertes
desjelben nicht aus dem Herzen feinen Keim
holt, jondern durch Widerwärtigfeiten und
Leiden von außen in das Herz geſenlt
murde; wäre Tello in feinen Handlungen
und Erlebniſſen zufällig glücklicher geweſen
— er wäre ſicher ein Heide geblieben. —
Die zweite, ftofflich wertvolfte der drei Er:
zählungen, „Donat von Vaz“, führt uns
in das 13. Jahrhundert und flingt in den
begeifternden Ausruf aus: „aber fiegreicher
als der braujende Sturm erhob fich von
Burg Nivail auf ftrahlendem Flügel und
ſchwang ih über die Thäler Hohenrhätiens
‚ein gewaltiger Aar: Der Geift der Repu:
blit!“ Die dritte Erzählung: „Dem
Licht entgegen“ behandelt das Landsknechts⸗
weſen der Eidgenoſſen im ſechzehnten Jahr—
hundert mit feinen Auswüchſen und die
Reformation. — Ye mehr fi die Erzäh—
lungen der Gegenwart nähern und bemnad
aus klarerem Grunde fi erheben, wird
die Charakterzeihnung fiherer und gelun:
gener. Der Drang nad) Befreiung aus
leiblicher oder geiftiger Knechtſchaft bricht
‚fi in allen drei Novellen fiegreih Bahn.
‚Die Geihichte der Eidgenofien bietet hiefür
Idanfbaren Stoff und es ift der Verfaflerin
157
bod anzurechnen, dafs fie die ethiichen Mo: | glaubt, Heine Gefhichten müfsten aud mit
mente in der Geihichte ihrer Landsleute
mit feinfühligem Verſtändniſſe und begei:
fterungövoller Hingabe an die fFreiheit zum
Auspdrude bringt. Ein Anahronismus ift
das „Handriihe* Tuch des Heiden Tello;
in der zweiten und dritten Erzählung mag
Das „fandriihe Tuch“ hingehen. Der Name
„Flandern“ taucht erjt im fiebenten Jahr:
bundert auf und wenn es im zweiten Jahr:
bundert in der römischen Provinz „belgica
secunda* auch Tuhmader gab, jo erzeugten
dieje gewijs fein „flandriſches“ Tuch. Die
Grzäblungen aus Graubünden
Vergangenheit erjheinen im Commiſ—
fionäverlage von 3. Bogel in Glarus. Ich
bielt mich länger als jonft bei diefem Buche
auf, weil es, wie ich glaube, das Erftlings:
jo winzig Heinen Leitern gedrudt werden,
jo mag fie nur einen Theil der Lejer für
fih haben — der andere Theil wird dieſen
Drud ein Augengift nennen. Die Gejchidhten,
die meift Heinbürgerliches Leben anſchaulich
und oft mit Humor jdhildern, entbehren
rührenden Beiwerkes nicht und das Mär:
hen „Die Ballſchuhe“ verräth geradezu
Anderſen'ſche Schule. — tt —
Novellen von Richard Voſs. (Berlin.
Freund & edel 1890.)
Geftern ein kunſtvolles Gefäß, heute
Scherben! Das tft fonft der Lauf der Welt.
Ich weiß einen Yal, wo das umgekehrt ift.
' Unfangs die „Scherben“ und nachher das
‘vollendete funftreiche Gefäh. Ich ſpreche von
. m ‚dem Wege, den Richard Bojs zurüdgelegt
... Die Berfaflerin der Novellen „Aus | yon jeinem erften, weltzerfahrenen Üerfe
Oſlerreich (Deutihe Berlags-Anftalt) Joſé | „Scherben“ bis zu feinen neueiten Werfen,
Baronin Schneider von Arno befist!,, ®, den Dramen, die gegenwärtig fieg:
die bemeidenswerte Gabe, anmuthig umd | reich und bewundert auf der deutfchen Bühne
furzweilig zu plaudern. Dies beweist eine | ſtehen. Hier weile ich nur auf den Erzähler
der reizendften Humoresken, die mir jeit bin, der uns die Romane „Bergaiyl*, „der
längerer Zeit zu Geſichte Tamen: „Luſtgas.“ | Gonvertit”, „Michael Eibula*, die „Römi:
In den ernjten Erzählungen wird die Ber: ſchen Geſchichten“ und die „Novellen“ ge:
fafierin gern etwas jentimental. Die zweite | fhrieben hat. Die neuefte Sammlung der
und dem Umfange nad bedeutendjte Novelle | Novellen babe ih mit beionderem Genuſſe
des Buches „Graue Augen“ ift in Anlage geleſen und in denjelben eine Geichichte mit
und Turhführung ſonſt gelungen, nur Die yahrem Entzüden, Die Geſchichte heikt:
Gharafteriftit ift nicht immer ſcharf und | „Der faule Checco.“ Es gibt nichts Liebens—
zutreffend genug. Man glaubt beim Leſen pürdigeres, nichts Gefuͤnderes als Diele
werf einer begabten und eine edle Richtung
verfolgenden Schriftſtellerin ift.
der Briefe des Helden die SGerzensergie:
Bungen einer Gouvernante zu hören. Das
„unphiloſophiſche Wort über die Philojo:
phie“ hätte uns die außergewöhnlich begabte
Tame eriparen fünnen. Das Buch enthält
Dorfinovelle, und wenn man fie wunderswegen
‚vergleicht mit des Berfaflers Erftlingsar:
beiten, jo mujs man Reſpect haben vor
einer moraliihen Kraft, der e8 gelungen
ift, aus Jrrpfaden fi zum rechten Wege
im ganzen außer dem Vorwort und dem | zu finden, fi in Leid und Kampf empor:
„unphiloſophiſchen“ Nachwort ſechs Novellen, | zuringen zur freien, jonnigen Stelle, wo die
von denen jchon die erfte, oben kurz gelenn: | Peften der Nation ftehen. Beſonders dieſe
zeichnete Novelle „Luftgas", das Buch als Geſchichte, „der faule Checco“, könnte nicht
gute Lectüre empfiehlt. | töftlicher jein, ſelbſt wenn fie Gottfried Keller,
A. Godin ift eine gewandte Erzäblerin | an deijen urfräftige Muſe fie erinnert, in
und ihre jehs Kleinen Geſchichten ſeiner beiten Zeit gejchrieben hätte, Es ift
(®erlin. Schorr) find recht hübſch, bis auf | nicht zuviel gejagt. Voſs' Werte nun zu
die fünfte Geſchichte „Liebeskraft“. Dieſe | harakterifieren, Fritiich zu zergliedern! Das
Geſchichte iſt wirtlih nit hübſch. Kine iſt meines Amtes nicht. Ich will mit diejen
Dame ſoll nit den Ehebruh zum Bor: wenigen Worten nur hingewieſen haben auf
wurfe einer Erzählung wählen, wenn fie die erzählenden Schriften des Dichters, des
nicht gerade mufjs, und A. Godin mußſs | weiteren mag der Leſer fich ſelber in Ver—
nit — denn eine reiche, geläuterte Phanz | tehr jegen mit einer großen eigenartigen
tafie ift ihr dienftbar. Dafür ift die dritte Kraft, dergleichen etwas ſehr Seltenes ift im
Novelle „Herzklopfen“ eine originelle, präch- neuen deutichen Reiche. R.
tige Geſchichte voll jhalthaften Humors,
der bejonders am Lejer jein Müthchen fühlt.
Schon dieſer Gefhichte wegen verlohnt es
fih, das Buch zur Hand zu nehmen. ſchen. Nicht Für höhere Töchter, noch für
Nettes in der Sleinmalerei leiſtet niedere Buben. Bon R. P. Löhn. (Züri.
Alerandrine v. Holmblad, die eben: Berlagsmagazin. 1890.)
falls Kleine Geſchichten (Damburg. J. „Auf! Hollaho! Ihr frommen Zions:
F. Richter) veröffentliht. Wenn fie aber wädter! — hr, des Gefhmads priviles
Realiſtiſche Märchen und melaphyſiſche Hiför:
gierte Pächter. — Wuf euch pfeif' ih, ihr
jcheinheiliges Lügnerlumpenpad. — So hab’
ih dreimal mehr als ihr Charakter, Die
Schmugigen jeid ihr, ih bin ein Nadter.
— Ihr verficht mid nicht, ihr Kakerlaken,
das ift mir Wurft und Schnuppe, janz
ejal.“ —
So heißt es in Ihrem „Borruf". Aber
warum jo ungezogen, Herr Löhn? Willen
Eie, vor wen Sie ftehen? Vor Goethe,
Schiller, Lefiing, Uhland, Grillparzer, Rai:
mund und anderen „Pädtern des Ge:
ihmads’. Wenn aud der Geihmad ji
ändert, einen Reſpect dürften die genannten
Männer immer noch verdienen. Meinen Sie
nicht, ungeberdiger Herr Löhn? Der Wurm
böhnt den Adler, weil er jelber nicht fliegen
fann. Was Sie in diefem Büchlein zujam:
mengeichrieben, ift mit wenigen Ausnahmen
lächerlich, ſinnlos, brutal und abgejhmadt.
Sie wollen fih indes Hug zu Genoſſen
Ihlagen: „Doch euch, Naturaliften, derb
und liederlid, ihr Söhne der Natur, euch
grüß' ich brüderlih.* Ja ſicherlich, jchöne
Seelen finden fid.
Nur eines möchte ih Sie fragen, wa:
rum Sie Ihr Büchlein „höheren Töchtern“
nicht in die Hand gegeben willen möchten?
Wenn der „Naturalismus* gar jo unſchul—
dig und fegenbringend ift, weshalb wollen
Sie denn die höheren Töchter darum ver:
fürzen? Oder haben Sie die Bemerkung,
dais Sie nichts für „höhere Töchter“ find,
nur darum auf das Titelblatt gejchrieben,
damit Sie ein befferes Geihäft maden?
Ei gehen Sie, licher Herr Föhn, dann han:
deln Sie lieber mit Häuten, Knoppern oder
anderen Naturproducten. Die Richtung,
welche Sie und Genoſſen in der Literatur
einichlagen, mag einzelnen Leſern Spajs
machen, das ganze Bol, der ernſte Menich
wird niemal® daran Geihmad finden.
Wenn aber das deutiche Volk zu euch in
die Schule gehen follte, dann ift es das
deutſche Volt nicht mehr, dann wird es
einmal heißen: Das deutiche Volt ift fittlich
zugrunde gegangen an jeinen Dichtern.
Ihnen gebe id den Rath, Herr Löhn, dafs
Sie in ftiller Stunde einmal darüber nad:
denfen wollen, was Sie mit ihren „Neali:
ftiiden Märden und metaphyſiſchen Hiftör:
hen“ eigentlich gewollt haben, Wahrſchein—
lich nichts, als ein gutes Honorar. Schen
Sie, und das haben Sie aud nicht be:
fommen, Es ift eine elende Welt. M.
Unfer Raifer im Liede. (ine Feſtgabe
zum 60. Geburtstage Seiner Majeftät des
Kaiſers franz Jofef I. Bon Dr. Wilhelm
Shram. (Brünn, Rudolf M. Nohrer.)
In der jhönen Sammlung wetteifern
Poeten wie Zedlitz, Caſtelli, Friedrich Halm,
Joſef Weilen, Friedrich Marx, Egon Ritter
von Ebert, Cajetan Cerri, Stephan Milow,
Ernſt Wildenbruch, Roſegger, Ant. Schloſſar,
Emil Soffé und andere aus älterer und
neuer Zeit, um dem geliebten Herrſcher
des Reiches ihre Huldigung zu bringen.
Einzelnes Weniges ſieht allerdings jo aus,
als käme es mehr aus dem Knopfloch,
als aus dem Herzen; die meiften dieler
Poeſien jedoh tragen den Stempel —
Begeiſterung und Liebe an ſich.
Der erite Band des neuelten Wertes
von Hans Wachenhuſen: „Aus bemweg-
tem eben, Erinnerungen aus dreikig Rriegs-
und Friedensjahren‘‘ (Verlag der Straßbur:
ger Druderei und Werlagsanitalt), liegt
jeht vor.
Machenhufen beginnt feine Aufzeich—
nungen mit dem Jahre 1853, der Thron:
befteigung Napoleons III, und führt uns
im erften Bande bis zum Jahre 1861, der
Einigung Italiens zu einem Königreiche
unter Victor Emanuel. Vom Balkan, befien
Zuftände in jener Zeit er in lebendigen
farben fchildert, führt er uns durch den
ruffiichetürfiichen Feldzug über Konftanti-
nopel nad Wien, von da nad) Berlin, wo—
ſelbſt er einige Zeit der Ruhe pflegte. Uber
lange hält er es nit aus. Bald finden
wir ıhn auf dem Striegsfhauplage in Spa:
nien wieder, von weldyen er, nach mancherlei
Irrfahrten, fih nah Italien begibt, dort
die Befreiung und Einigung Italiens mit:
erlebend.
In wechjelnden Bildern läfst der Vers
fafier Land und Leute an uns vorüber:
ziehen, weiß die Perjonen trefflich zu ſchil—
dern, die in dem Wirrjal der damaligen
Zeit die politiihen Fäden in der Hand
hielten, daS Feuer ſchürten oder mit dem
Degen in der Fauft die Knoten zerhieben,
welche diplomatiiche Künſte geihürzt. Da:
neben führt er uns in die Geſellſchaft, in
das Leben der Höfe mit ihren Intriguen,
in die Salons der Bornehmen und Reichen,
an die Stätten, wo Kunſt und Wiſſenſchaft
ihre Pflege haben, und zeichnet charalteriſtiſch
Männer und Frauen, die in jenen Tagen
eine hervorragende Rolle jpielten und deren
Namen no in aller Gedächtnis find.
Beſonders intereflant find die Schil—
derungen und Beobadjtungen über das Leben
in den großen Hauptftädten, jo namentlich)
über Paris, das damals begann, feine heu:
tige äußere Geftalt anzunehmen, und über
den Hof Napoleons III, welder das Baro:
meter fir den politiihen Wetterſtand war,
Mit ſcharfem Blid hat Wachenhuſen mander
der mahgebenden Perſonen befondere Züge
abgelaujcht, die uns den GCharalter, das
Mollen und Wirken, überhaupt die ganze
politiiche Rolle derjelben in einem zum
Theil neuen, eigenen Lichte erſcheinen laſſen.
V.
Zum fünſundzwäanfigjährigen Veſtehen
der „Modenmweil“ 1865—1890. (Berlin.
Franz Lipperbeide.)
Diefes Gedentbuh enthält nebſt der
Gejchichte der Zeitihrift „Modenwelt* eine
bildlide und beichreibende Überfiht der
Moden feit 115 Jahren, welche ſehr lehr—
reich und überaus ergößlich it. M.
Mantegasja, Prof. Paul, Blumenmärden,
Aus dem Italieniihen von Dr. R. Teu:
fher. (Jena. Hermann Goftenoble )
Diesmal befhentt und Mantegazzas
berühmte Feder mit einem Werte, zu welchem
feine reihe Phantaſie allein den Stoff ge:
liefert hat, mit einer Sammlung von Ge:
dichten in profaifcher Form, von denen
jedes eine beijondere Blume zum Gegenstand
bat. Bon jeher hat das Bolf jeder Blume
einen gewillen GCharalter, einen Grund:
gedanfen, den fie ausdrüden joll, zuge:
fchrieben, wie dies ja ſchon die fogenannte
Blumenipradhe andeutet. In folder, uns
tief ergreifender, poetiiher Auffaſſung
Ichildert uns Mantegezza die Entftehung der
intereflanteften Blumengeftalten, der ſchönen
und bälslichen, der beicheidenen und hoch—
mütbigen, der jelbitjüchtigen und hingeben— ‚ B
den, und erfindet für jede einzelne eine Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen:
reizende Erzählung, in denen der viel:
gereiste Verfafler uns mit föftlichem Humor Hui ; A A
in die natürliden Urfprungsländer jeder Pradt:Ausgabe, Lieferung 10. —15. (Dam:
Vilanze verieht und fo die glüdlichfte Ab: burg. Berlagsanftalt und Druderei:W.:&.)
wechlelung in jeine Darftellungen einführt. Sefammelte Werke von Ludwig An:
V. /|jengruber, Fünfter Band. Stalenderge:
ſchichten, Gedichte, MOHN, Beſchau⸗
Auf Schneeſchuhen durch Grönland, jo liches, Stimmungsbilder, undartliches
lautet der an Ar welches u. ſ. w. (Stuttgart. J. G. Cotta'ſcher Ver—
Nordpolfahrer Dr. Fridtjof Ranſen |lag. 1890.)
herausgibt und deſſen 1. Lieferung ſoeben Aus drei ändern. Novelliftiiche Sitten—
in der Berlagsanftalt und DrudereisW.:®. |pifder von Olga Wohlbrüd. (Stutt«
(vormals 3. F. Richter) in Hamburg er: gart. ©. 3. Göſchen'ſche Berlagshandlung.
Bonentarifjeiger. (Wien, Robert Weis.)
Derielbe enthält alle Übergangsftationen,
vorzüglichften Badeorte und frequenten
Stationen, aus melden bei mehr als
4000 Gombinationen ebenio einfah wie
ſchnell zu entnehmen ift, welchen Betrag
man zu entrichten hat, wenn man die Sta:
tionen der weſtlichen Staatsbahnen unter:
einander zu befahren hat. v
— — —— — — —— —— — —
Hamerling, Rönig von Sion. Illuſtrierte
IMmES ſih ber Veſchre 1890.)
it Spannung fieht man der Beichrei: ung 5
bung diefer abenteuerlichen Fahrt entgegen. Irma. Schaufpiel in vier Acten von
Eine Beigabe von nicht zu unter: Adam Müller:Öuttenbrunn. (Dres:
ſchäßendem Werte find die gezeichneten Ab: | den. ©. Pierfon. 1891.)
bildungen und die dem heutigen Stande xriedrich Hölderlin. Fri Reuter. Von
der Wiſſenſchaft entipredenden Kartenbei: |Y, Wilbramdt. (Führende Geifter, ber:
lagen der Nordpolarregion. V. [ausgegeben von Dr. U. Bettelheim. 11. Bd.)
Dresden. L. Ehlermann. 1891.
Rinder-Garltenlaube herausgegeben von A gi Wir ee Ton Bit
Albert Richter (Nürnberg). —— ec nn i 8
: : : . des Univerfum. 1890.)
Außerordentlich beliebt in der Kinder:
welt und auch diejer Verbreitung volllom: Benfeils des Meeres, Amerikaniſche
men würdig, ift die „Hindergartenlaube*, | Stijzen von Maurice Reinhold von
welche bereit3 vier Jahrgänge hinter fih Stern, (Glarus. J. Vogel. 1890.)
hat. Sie bietet eine Fülle von Stoff zur | Moltke als Denker. Goldene Worte aus
Haas ala En ke near Ein ‚Tämmtlichen Werten, Neden und Briefen des
und tft ein in jeiner Art einzig daftehendes — Rubst elle ©, Ger
Unternehmen. Was dem Werte zur beſon— mann. 1890.) ü —
deren Zierde und Empfehlung gereicht, Das | |
find die ganz vorzüglid ausgeführten Far— Gefammelte Didlungen von Ludwig
bendrudbilder. V. Eichrodt. Zwei Bände, (Stuttgart. Adolf
- - Bonz & Comp. 1890.)
160
— — —
Gedichte von Anton v. Schullern.
Aus dem Nachlaſſe geſammelt und heraus—
gegeben von ſeinen Freunden. (Leipzig.
U. ©. Liebestind. 1890.)
Mußeſtunden. Lyriſche Dichtungen von
Willy Schollmepyer. (Seifhennersdorf.
Mar Großmann. 1891.)
Deutfche und deutſchröſterreichiſche Volks»
lieder für vierfliimmigen Männerdor. Im
Auftrage des deutihen Vollsgeiangvereines
in Wien herausgegeben von Dr. Y. Bon:
mer. Bisher 4 Hefte. (Wien. Rebay &
Robitſchel.)
Die Landquart-Davos-Bahn. Bon J.
Hauri. (Pfarrer. Mit 30 Bildern, (Bü:
tig, Orell Fuüßli & Eo.)
Führer durch Zürich. Herausgegeben
von der officiellen Verkehrscommiſſion.
(Zürid. Orell Fußli & Go. 1890.)
Soolbad und Inhalation Salzungen in
Thüringen. (Salzungen.)
Williom Hogarty. Portrag von Prof.
Emil Soffe, gehalten im Mährifchen Ge:
werbe:Mufeum am 11. November 1889.
(Brünn 1890.)
Brükenkunde,. Cultur- und literarshifto:
riihe Studie von Dr. Ed. M. Schranka,
mit einer Geſchichte der Prager Starlöbrüde
von Theodor Hutter. (Prag. 9. Do:
minicus. 1890
Leitfaden der Äfhetik, Zum Schulge:
brauche und zur Selbftbelchrung verfajst
von Maurus Hoffmann. Berfajier von
„Die Kunſt des äfthetiihen Genichens*.
(Wien. Moriz Perles. 1891.)
KRowys Humoriſtiſche Vorträge. Willen
Freunden echt wieneriſchen Humors zuge—
eignet. (K. Daberlows Verlag. Wien. 1890.)
Die nalürlide Grjiehung. Grundzüge
des objectiven Syflems, von Dr. Ewald
Haufe. (Meran. F. W. Ellmenreichs Ber:
gla.)
Der Taſchen⸗Arzt. Ein treuer Nathgeber |
in allen Krankheitsfällen, Nebit einem An:
bang: „Wie bleibt man gefund?* Bon]
Karl Griebel, Praltifcher Vertreter der |
Naturheillunde. (Meran. 1890.)
Für die Redaction verantwortlih ®. A. Roſegger. — Druderei „Leplam* in Graz.
Deuifdyer Bolkskalender für das gemeine
Jahr 1891, welches 365 Tage hat. 3. Jahr:
gang. (Olmüg, Berlag des „Bundes der
Deutihen Norbmährens*,)
Ralender des deutfhen Schulvereines auf
das Jahr 1891. Redigiert von U. Müller:
Guttenbrunmn. (Wien. A. Pichlers Wim.)
Poftkarten des Heimgarten.
X. D., Beihenberg: Nein, damit klopfen
Sie bei uns allerdings vergebens an. Wir
ſtehen weder mit einer literariſchen, nod
politischen, noch irgend einer anderen Eoterie
in Berbindung, wir ftehen ganz allein und
befinden uns recht wohl dabei.
3. A. Trieſt: Ein rubmreiches Andenlen
Inüpft fih an unſere Murdampfidiffahrt
allerdings nicht. Man mujs fih nur damit
tröften, daſs ein Adler fein Walfiih und
ein Steirer fein Matrofe ift. Übrigens, was
für ein Landsmann ift Öfterreihs größter
Seeheld ?
x Bitten, ungebeten leine Manuferipte
einzuſchicken. Haben dafür feine Verwendung,
feine Zeit, fie zu prüfen, leine Anftalt, fie
zurückzuſchicken, müjsten fie, um unter Ba:
pierbergen nicht zu erftiden, verbrennen.
P. N, Bwetiel. Aus Hamerlings hehren
Dihtungen einzelne Stellen herauszureiken
um diejelben für PBarteizwede zu benügen,
fommt uns nicht anders vor, als zerreike
man einen goldenen Faden, an mweldem
Perlen und Diamanten gereibt find, um
dieje als Kugeln in Revolver zu laden und
loszufnallen. Das willkürliche Herausreißen
von einzelnen Sähen aus Dichterwerken
fann unter Umftänden eine Fälſchung be:
deuten, Wozu fchreibt der Dichter, der
Ethiker ein ganzes großes Werk, wenn irgend
ein Sag ihn Schon vollfommen vertritt, ſchon
Alles Sagen fann? Seien Sie ehrlih im
Gitieren, jonft fann Sie eines Tages des
Dichters eigener Geift jermalmen.
W. 9. Prag. Ihr Manufeript ift zum
legten Autodafe zu jpät gelommen. Erft
am 31. October d. 3. wird wieder geheizt.
’ we, —i ——*
— — —
tea as — — —
Dece
2
Der Adlerwirt
mbe
von Rirchbrunn.
Eine Dorfgeſchichte von P. R. Roſegger.
(Fortſehung.)
5)
G
Siebenter Abfdynitt.
AIletzt währte es noch zwei Tage, und
575 don Geſsnitz langte ein Bote ein.
© Der Jungfnedht aus dem Salm—
hofe war's. Er ftand vor dem Adler—
wirtshaufe jo eine Weile herum,
ftolperte dann ins Gaftzimmer und
fieß fich einen Srug Apfelmein geben.
Er zerrüttete fih faft den Kopf im
Nahfinnen, wie er es angehen werde,
dajs jeine Neuigfeit nicht tödtlichen
Schreck hervorbringe. Fürs erfte that
er ein paar herzhafte Züge, das machte
ihn muthiger. Und als der alte Adler-
wirt — grau und mager war er
geworden die legte Zeit her — in die
Stube trat und den allein dafikenden |
Gaft fragte, was es Neues gäbe?
antwortete der Jungknecht mit unbes |
hilflichen Worten, es ſei halt fo auf
der Welt. Er bringe gerade nichts
Gutes. — Dann trank er wieder.
Rofegger’s „‚Heimgarten“‘, 3, Heft. XV,
Der alte Wirt horchte gefpannt hin.
„Wenn ich mich nicht verfenne”, jagte
er, „du bift ja ein Salmhoferifcher ?*
„Wohl eh, wohl eh“, antwortete
der Knecht und fuhr ſich mit der flachen
Hand über das breite Geſicht.
„Ufo wie geht's daheim, mie
geht’3 ?* fragte der Wirt unter den
lebhafteften Zeichen der Theilnahme.
Gebeſtern auf den Abend ift’s halt
gar worden mit ihm“, berichtete der
Knecht.
„Was ſagſt?“ fuhr der Wirt auf.
„Der Salmhofer! Mein Schwieger!
Wird doch nicht —“
„Er liegt ſchon auf der langen
Bank“, ſagte der Bote.
Der alte Adlerwirt ſchlug ſprach—
los die Hände zuſammen.
„So viel ſchnell iſt es gegangen“,
berichtete der Knecht. „Das Blut ins
Hirn geſprungen, jagt der Doctor,
Morgen nachmittags ift die Leich.“
11
Der Wirt jchritt mit gerungenen
Händen die Stube auf und ab und
konnte fihnicht faſſen. Immer fchüttelte
er den Kopf und murmelte: „Wer
hätte ji das gedacht!“ Aber auf
einmal rief er mit gehobener Stimme:
„Er hat's überftanden. Man mufs
noch froh fein, daj3 er fein großes
Ableiven gehabt hat. — Trink aus,
Bub, ich füll dir noch einmal nad.“
Als bald darauf der Wolfram ein—
trat, fagte der alte Wirt zu ihm;
„Du Wolf, eine große Neuigfeit.
Mufst aber nicht zu arg erjchreden.
Morgen heißt's nach Gejänig fahren.
Das Schlimmfte ift eingetroffen,“
Der Wolfram fchaute feinen Vater
an, ſagte aber fein Wort, blieb ges
lafjen, zeigte weder Trauer noch Freude.
Dann flieg er die Treppe hinan zu
feiner Fran. Vor ihrer Thür ftand
er ftill und jchöpfte Athem. Es kam
ihm fauer an, dajs er ihr jeßt einen
großen Schmerz bereiten follte. Doch
wer wird's fonft thun, als er? Mit
der möglichiten Schonung will er ihr
die Nachricht mittheilen und ihr liebe:
voll beiftehen im kindlichen Leide. An
die Wortheile, die durch des Schwieger-
vaterd Tod dem Nolerwirtshaufe zu—
fommen, fonnte er nicht denfen, es
empörte ſich in ihm etwas dagegen.
Ihm war der Salmhofer nie nahe
geltanden, aber mit feinem Weibe
fühlte er Mitleid und jebt das erſte—
mal war es ihm, als ob er jie doch
lieb Hätte. Endlich trat er ein. Sie
ja; am Tiſchchen, war mit einer
Stiderei beichäftigt und zählte juft
die Maſchen. Er ſetzte fih ihr gegen
über und that, als fehaue er aufmerk—
ſam ihrer Arbeit zu. Sie wollte aufs
jtehen, er fajste fanft ihre Hand und
fagte: „Bleib’ ein wenig bei mir,
Kunigunde.“
Sie blickte ihn forſchend an. „Was
bedeutet denn das?“ fragte ſie kalt.
„Ich mußſs dir's doch ſagen“, fuhr
er fort, „ein Bote iſt da vom Salm—
hof. Mit deinem Vater ſteht's recht
ſchlecht.“
„208
„Lüg’ nicht!“ Herrfchte fie ihm zu.
„Zodt ift er!“
Der Wolfram ſchwieg.
„Zodt ift er!“ rief fie und brach
in ein heftiges Weinen aus.
Er Stand zu ihr, fagte ihr gütige
Worte, ftreichelte ihr Haupt. Mit dem
Arm ſtieß fie ihn von fi. „Deuchler!
Ihr habt feinen Tod doch kaum er=
warten können!“
„Kunigunde!* fprach er nun ſcharf
und Herb. „Das Wort ſagſt du mir
nicht noch einmal! Meinetwegen hätte
er noch hundert Jahre leben können.
Ich ſuche nichts mehr bei ihm. So Hug
bin ich wohl geworden, meine liebe
Kunigunde, dafs ich endlich einfehe:
Bom Salmbof kommt mein Glüd
nicht.“
Sie Hatte ihr Haupt ins Bett-
fiffen gedrüdt und weinte. Ihm wollte
das Herz zerjpringen darob, dafs er
ide jeßt, gerade jeht das rohe Wort
gefagt. Aber fo ſtand's mit ihm, je
wärmer fein Gemüth war, defto leichter
und plößlicher jprang es, wenn ihm
wehe getan wurde, in das Gegen:
theil um. Wenn er gegen jein Weib
Sleichgiltigkeit, ja Abneigung empfand,
da gab e3 nie etwas, da blieb er ruhig
und überleglam; jo oft er aber mit
einem warmen hoffenden Gefühl au
fie berantrat und enttäufcht ward,
jeßte e3 fajt immer einen MWetterfturz
und wilden Sturm.
Frau Kunigunde rüftete ſich, um
nad Geſsnitz zu fahren. Sie fuhr
allein davon. Der Wolfram mollte
zum Profeſſor gehen, um ihm das
Herz auszufhütten, aber der war nicht
zubaufe und feine Stube verfchlofien.
Die Stubenmagd berichtete ihm, der
alte Herr wäre jeit einigen Tagen
recht miſsmuthig und verlange an
jedem Abende die Rechnung.
Das Leihenbegängnis des Salm—
hofers ward mit großem Pompe voll=
zogen. Wie zu einem Jahrmarkte
famen die Leute zufammen. Der alte
Adlerwirt war überaus gerührt, und
manche weichherzige Perſon mufste nur
Rn
103
darum meinen auf dem Kirchhofe, weil
ie den alten Mann fo bitterlich
ſchluchzen ſah. Der junge Adlerwirt
ihien merkwürdig gefajst zu fein;
nur als er die Großbäuerin jah,
die gebeugt aber ergeben am Grabe
ihres Mannes Iniete, ward ihm das
Ange feucht. Frau Kunigunde meinte
nur wenig, aber in ihrem ganzen
Weſen war eine alte, fait ehrfurcht-
gebietende Trauer ausgedrüdt. Sie
war ftets an Seite ihrer Mutter und
fuchte diefe damit zu tröften, dafs fie,
ihr zum fünftigen Aufenthalte das |
Adlerwirtshaus antrug. Der Salınhof
joll verfauft werden und die Mutter |
nah Kirchbrunn ziehen.
„Das wäre ja gut“, meinte die!
alte Bäuerin, „wenn's nur auch deis |
nem Manne recht ift.“
„Meinem Manne!“ rief Frau,
Kunigunde faſt lahend aus. „Was
geht denn das meinen Mann an!!
Glaubit du, Mutter, ich werde mich |
vom Manne auch jo tprannilieren laſſen,
wie du? Das wirft du anders erfahren, |
bis du im Adlerwirtshaus bift. Was
du Haft leiden müffen, Mutier! du!
1
bift till gewefen, aber ich weiß es,
und ich werde es den Männern heiß:
entgelten, das hab’ ih mir vorge-
nommen.“ |
„Bott tröft’ feine Seel’!* fagte die!
alte Salmboferin mit gefalteten Hän—
den, „ich trag’ ihn nicht nach, meinet- |
wegen joll er nichts zu leiden haben.“
„Ja ja, es ſoll's ftatt feiner nur
ein anderer büßen!“ verfegte Fran
Kunigunde. |
Auf den Hof zurüdgefehrt, fahen |
die beiden Frauen mehrere fremde)
Leute in den MWirtjchaftsgebäuden |
umberfteigen.
„Was wollen denn dieſe?“ fragte
die Adlerwirtin.
„Laſs fie umbergehen“, anmwortete
die Mutter, „die Neugier plagt jie.
Mir Scheint, es ift auch der Sloben=
fteiner Verwalter dabei. Der wird)
Vieh kaufen wollen,
Der Großlnecht
wird's ſchon ordnen. — Komm’, Kunz
del, wir wollen einen warmen Kaffee
trinken.“
Die erſte Zeit nach dem Tode des
Großbauers blieb Frau Kunigunde
nun im Salmhofe bei ihrer Mutter.
Die beiden Adlerwirte kehrten als—
bald nah Kirchbrunn zurück. Den
Wolfram erwartete zuhauſe die Nach—
richt, dajs der Profeſſor Nir ab—
gereist fei und einen Brief hinterlaſſen
habe. Dieſer Brief lautete:
„Lieber Wolfram!
Mich geht die Sache nichts an,
aber zufehen mag ich nicht. Und
ftill jein mag ich auch nicht. Ich
werde unwirſch. Was Foll ich dir
weh thun? Du Haft Schon aud jo
dein Theil. Zu Helfen ift dir nicht.
Afo breche ich meinen Sommer
aufenthalt im ſchönen Kirchbrunn
ab und gedenfe eine Reife zu machen.
Sei bedankt für alles. Umkehren
wirt du kaum. Dir jtehit jetzt auf
den Bunte, wo viele Wege Tich
zweigen. Schlimm ift jeder, aber
wähle nicht den allerſchlimmſten.
Gott walt's. Jofue Nir.“
Us der Wolfram diefen Brief
gelejen hatte, befiel ihm ein ſolches
Leid, dafs er zufammenbrah auf
eine Bank und ftöhnte. est war
diefer Mann von ihm gewichen,
der jeit Jahren als fröhlicher Genoſſe
und Wathgeber ſein Vertrauen ge—
mwonnen. Er hatte einen Vater, aber
der war oft herriſch, eigennüßig,
launenhaft und nicht immer verläjs=
ih. Er hatte Jugendfreunde gehabt,
hatte viele gute Kameraden, aber fie
waren Schmaroger, Schelme oder
Dummiane. So redt aus Herzens—
grumd fich geben und vertrauen glaubte
er nur mehr diefem Manne zu können,
der allſommerlich fich eingefunden mit
feinem hellen Kopfe, mit jeinem hei—
teren, treuen Herzen. Er war jelber
Schier ein anderer geworden in diejer
Gejellichaft, er hatte, bei aller Ver—
ehrung für ihn, mande Schalterei,
11*
—
manchen kecken Burſchenſtreich mit dem
kleinen Alten durchgemacht, er hatte
manchen erniten Rath desielben be=
folgt, und er hatte es nicht ein eine,
zigesmal zu bereuen gehabt. Und diefen
jeinen legten Rath — Eheſcheidung!
f
wohl überlegt werden. Ich würde nicht
rathen.“
„Wieſo? Wie meinen Sie das,
Herr Doctor ?*
„Außer Ihr Sohn denkt fo vor-
nehm, dajs er die Ehre feines Schwie—
fann er nicht befolgen, unmöglich! gervaters retten will,“
Wie wird das enden?
Der alte Adlerwirt lebte ordentlich
auf. Neue Gefchäfte Hub er an, Baus
holz faufte er, einen Steinbruch un—
weit des Dorfes mollte er eriteben,
denn für das nächſte Jahr hatte er
einen Neubau des Nolerwirtshaufes
vor. Kirchbrunn ſoll ein Hotel bes
lommen! ine Sommerfriih:Anftalt
mit Luftgarten und Bädern. — Seine
Zeit mujs man verfiehen! Die Paſſio—
nen der Mitwelt muj3 man ergründen,
auf die Löſung diefes Räthfels ift eine
große Prämie geſetzt — die Million.
Endlih kam ein Schreiben aus
Geſsnitz vom Notar. Der alte Adler-
wirt athmete auf, er hatte es fchon
jeit Wochen erwartet. Der Adlerwirt
zu Kirchbrunn wird erjucht, in An—
gelegenheit des Salmhoferiſchen Nach—
lafjes bei dem Notariat zu Gejsnik
fich einzufinden.
„Einjpannen !“ commandierte der
alte Adlerwirt. Er felber wollte fahren,
der Wolfram war auf einem Holz—
einfauf aus,
Der Notar, ein alter hagerer Mann
mit brauner Perüde und jchwarz-
gefärbten Schuurrbarte, empfieng den
Adlerwirt jehr höflich, kramte hernach
eine Weile in Papieren um und ftellte
die Frage, ob der Adlerwirt, als
Schwiegerjohn des jeligen Salmhofers,
geneigt jei, dejjen Erbe anzutreten.
Der alte Wirt war über die
förmliche Frage in fo jelbftverftändlicher
Sache etwas eritaunt. Er antwortete:
„sh brauche wohl nicht zu jagen,
daſs ih als Bevollmächtigter meines
Sohnes Wolfram hier bin, und daſs
ih in feinem Namen erkläre —
„Gemach!“ unterbrab ihn der
Notar. „Ich glaube, die Sache müfste
„Ich veritehe nicht, Herr Doctor.”
„Es iſt höchſt wahrscheinlich“, fuhr
der Notar fort, „daſs in dem Nach—
laſſe des verſtorbenen Salmhofers die
Paſſiven größer ſind, als die Activen.“
Es war heiß in der Kanzlei. Der
Adlerwirt trocknete ſich mit dem Taſchen—
tuche die Stirn, dann lallte er mit
grinſendem Geſichte: „Iſt ein Spaſs,
hi hi.“
„Iſt kein Spaſs, lieber Adlerwirt“,
ſagte der Notar. „Mit dem Vermögen
des Salmhofers ſteht es ganz anders,
als man angenommen hat. Es ſteht
unerhört ſchlecht.“
„Aber, Jeſſes, man ſieht ja, was
da iſt!“ brauste der alte Wirt auf.
„Nichts iſt da“, verſetzte der Notar
mit fürchterlicher Ruhe. „Alles gehört
dem Baron Stlobenftein. Seit vielen
Sahren bat der Baron Geld geborgt,
den Viehſtand beigeftellt, die Steuern
bezahlt für den Salmhof. Der Groß:
fnecht auf dem Hof war jo viel als
Klobenſteiniſcher Verweſer, der alte
Salmbofer genoſs jeit einiger Zeit
vom Baron eine Art Gnadenbrot.
Alles, was Sie heute jehen, und mehr
als alles, gehört der Herrichaft Kloben—
jtein. Leider, fo ſteht es.“
Und jet wujste es der Adlerwirt.
„Der Teufel hol’ eine ſolche Erb—
ſchaft!“ chrie er in wilder Empörung.
„Schulden! die Habe ich jelber.“
Betäubt war er, wie er jpät abends
nah Haufe kam. Als ein reicher Mann
war er ausgefahren, als Bettler kam
er heim. In die Wuth bradte ihn
erft der Wolfram, Als er diefem die
jaubere Neuigkeit mittheilte, was ge—
ſchah? Der Wolfram fuhr nicht auf,
wurde nicht raſend, jagte gar nichts,
zuckte nur die Achſeln.
„Iſt das ein Hoſenlupf?“ fragte
106 _
der Alte den Sohn voll giftigen Grim- nicht das Geld in ihr achte und fuche,
med. „Nein, Freund, das ift kein wohl aber da3 warme Herz.
Hojenlupf. Wie wir jet bingeworfen Zu feinem Vater gieng er noch
find, da ftehen wir nicht wieder auf, einmal, der im Hofe wie wahnfinnig
Was jagft denn dazu? Pfeif' eins, | hin- und Herrannte, und zu dieſem
wir find ruiniert! Pfeif' eins, großer! Sprach er: „Bater! Eines merke dir!
Geiſt, Narr, angeftedt vom alten! Sage meiner Fran, wenn jie heint«
Narren, der gottlob zum Teufel ges | kommt, fein ungeichaffenes Wort! Ich
gangen iſt.“ will fie refpectiert willen, verſtehſt!“
„Ich weiß nicht, was du willit, „sa verfteht ich“, höhnte der
Bater“, ſagte nun der Wolfram. „Dir Alte, „eine Jolhe Frau muſs man
mus es immer jehr gut ergangen | rejpectieren!* Dann jchlug er um:
fein. Mas mich anbelangt, habe ich „Bettelbub! Was iſt das für eine
ſchon Schlimmered erfahren, als was Manier?! Glaubft du Laff', weil ich
du mir da fagft. Du Haft freilich nur) dich nicht mehr enterben kann, du
auf das Salmhoferifche Geld gewartet) darfit mit mir umgehen, wie mit
und nicht gejpürt, dafs ich deine Hab- | einem Landitromer ?*
jucht im FFegefeuer büße. Und nicht Der Sohn Schritt ins Haus zurüd.
darnad gefragt, was ich ausſtehen In der Gaftitube ſaßen ein paar
muſs neben diefer Perfon. Den Eltern | angeheiterte Bauern und machten faule
zu gefallen eine heiraten, das ift die Späfle über ihre Weiber. Jeder prahlte
achte Todfünde; heute noch gehe ich jih damit, daſs die Seine daheim die
zum Pfarrer und laffe fie im dem) Häfslichite und Unfauberfte und Zu—
Katechismus ſchreiben.“ widerfte wäre; und der eine ftieß jein
„Du bift ein dummer Knabe!“ leeres Glas von ſich, hieb mit der
fchrie der Alte. Fauſt auf den Tiſch und gurgelte:
„Der Vatername ſchützt dich, dajs| „Das weiß ih!” Er wollte etwas
ih dir jet nicht ein anderes Wort | jagen, wujste aber nichts.
ſage!“ jo der Wolfram, blaſs, glühen= „Wenn mich meine Alte recht
den Auges, am ganzen Körper bebend. | fuchtig macht, fo geh’ ih ins Wirts-
So viel Belinnung hatte er noch, haus und ſauf' mir einen Rauch!”
daſs er merkte, es wäre die höchſte rief der andere.
Zeit, aus der Stube zu eilen. „Ha ha, ha ha!“ achte der eine,
In feinem einfamen Zimmer, | „und wenn du nachher Heimlonmit,
nächtig dunkel, feindjelig fait die; jiehft du den Drachen doppelt und
Stimmung des Raumes, in welchem | dreifah. Das mujs eine Freud’ fein!“
Frau Kunigunde zu walten pflegte, Der Wolfram hörte ihnen mit
ſaß der Wolfram und ftüßte feinen) Wehmuth zu, diefen unglüdlichen Ehe—
jhweren Kopf auf die Hand, Und männern, die fo Iuftig fein und jo
weil in dem Menſchen etwas ift, das | tapfer trinken konnten. Auch er Hatte
ihm nicht ganz verſinken laffen will in| das Trinken Schon verfucht, es gieng
Verzweiflung, jo fiel es ihm ein: Viels | aber nicht. Nur in der Frohftimmung
leicht ift diefe Wendung zum Glücke. jchmedte ihm der Wein, aber es kam
Vielleicht ift ihr Stolz, ihre Härte| nie zu einer.
jeßt gebrochen, wenn jie weiß, dafs Und es wird doch wieder zu einer
fie arm ift wie ein Karnerweib, viel= | fommen! alfo ermuthigte er fidh felbit.
leicht fommt jet ihre beffere Natur) Vielleicht nimmt’3 eine Wendung.
zum Vorſchein. Ich will ihr's leicht) Denn dafs es jo bleiben follte fürs
maden. Keinen Vorwurf, feine An- ganze Leben — er vermochte es nicht
jpielung joll über meine Lippen kom- zu denken, geſchweige zu ertragen.
men; bemweifen will ich ihr, dafs ich Ein fo hartes Weib ala er —
166
aljo empfand er's — hat feiner mehr
auf der Welt. Ihre Herbheit, ja Roh—
heit gegen ihn that ihm umſo weher,
als Frau Kunigunde jonft manchmal
und gegen andere Herz und Gemüth
zeigte. So war Sie nicht farg gegen
Arme; manchem Bettelmann, der ihr
zu ſchmeicheln wujste, gab jie mit
vollen Händen. Ward ein Dienjtbote
krank, jo war fie zwar ungehalten,
beforgte aber jchleunigit Pflege und
Arzt; noch mehr Neigung wendete fie
den Thieren zu, von denen fie fagte,
fie verdienten mehr Liebe, ald die
Menihen, Am rüdjichtsvollften und
aufmerkjamften war fie gegen ihre
Verwandten. So unzufrieden fie zu
Haufe auf dem Salmhofe gewejen
war, jo lebhaft ftrebte fie jeßt manch—
mal nad dem Salmbofe zurüd, all ihre
Herzenswärme verjchwendete fie dahin.
Und nur ihrem Manne nichts und gar
nichts, als Troß und Bitterfeit.
Nach diefen ruppigen Tagen ftand
es an zwei Wochen lang, da Tamen
fie plöglich angefahren, die Frau Ku—
nigunde md ihre Mutter. And mit
Sad und Pad.
Für die Salmhoferin wurde als»
bald das Baumgartenzimmer einges
rihtet und als der Wolfram endlich
Gelegenheit hatte, mit feiner Frau ein
paar Worte zu Sprechen, fagte er:
„Ganz recht, Kundel, daſs du deine
Mutter mitgebracht haſt. So lange
wir ſelber in dieſem Hauſe ſind, wird
ſie auch noch Platz haben. Es iſt recht,
es iſt ſchon recht.“
„Habe ich dich darum gefragt ?*
entgegnete fie.
„Kundel“,
ihre Hand fallen, was fie aber zu
verhindern wujste, „Kundel! wie du
hart bift auf mich! das kann micht
dein Ernft fein. Du bift jeßt nur uns
glüdlih, und das macht Halt bitter.
Mich erbarmft du.”
„Schenfe du dein Mitleid einer
anderen, ich brauch’ es nicht!" jo ihre
Antwort, gieng in ihr Zimmer und
Ihlug Hinter ji die Thür zu.
fagte er und wollte |
Der Wolfram ftand noch eine
Meile fo allein da, dann that er einen
Seufzer: „Ah! das iſt ein Leben!“
Der alte Adlerwirt lieh ſich von
num an felten mehr jehen. Er ſaß
in feiner Heinen Stube neben der
Küche und brütete vor fich Hin. Manch—
mal gieng er, anjtatt zu jeinen weni—
gen, verdrofjenen Gäſten fich zu ſetzen,
zum zweiten Dorfwirte hinüber und
trank erftaunlih viel Wein. Aber die
Gläubiger und die Erecutionsbögen
‚fanden ihn auch dort, und endlich war
es nicht mehr zu vertuichen, wie es
fand. Und eines Tages war tm
Bezirf3-Mocenblatte die Anzeige zu
lefen von einer großen Bergantung
zu Kirchbrunn.
Der Wolfram hätte fein ſchweres
Herz gerne abgelaftet vor dem einzigen
Menſchen, der ihm beigejellt worden
zum gemeinfamen Tragen von Freud
und Leid, aber die Thür ihres Zim—
mers war verſchloſſen und blieb ver-
ſchloſſen, wenn er auch klopfte. Alſo
litt es ihn nicht mehr in den un—
wirtlichen Mauern ſeines Hauſes, nicht
mehr im Dorfe, wo er aus jedem
Geſichte Mitleid oder Schadenfreude
und Hohn zu lefen glaubte. Immer
noch unter dem VBorwande, Vieh oder
Holz einzufaufen, ftrich er im Gebirge
um, verbrachte manche Nacht auf harter
Bank der Schenfftuben oder in Heu—
ſcheunen. Mehrmals ftieg er auf hohe
Berge und blidte hinaus ins weite,
ſchöne jonnige Land, und da ward
er noch trauriger. — Wie ift die Welt
ſo Schön! Und wie find die Menjchen
ſo arg!
In Waldgeichlägen fragte er an,
ob man einen kräftigen Dolzarbeiter
‚brauchen könne, er wiſſe einen foldhen.
Denn Har und gewijs war es ihm
endlich geworden, dafs er mit feinem
Weibe nicht mehr weiterleben könne.
So wollte er auch von ganz Kir
brumm nichts mehr willen, fondern auf
einem anderen Fleck ein neues Leben
anfangen — fei es nod jo armfelig,
beſſer als diefes auf jeden Fall. Es
167
gibt ja fo viele Millionen Menfchen,
die Bankerott gemacht mit ihrem Glüde,
und ſie fügen fich und leben geduldig
dahin fo lange, bis fie fterben. Warum
will es unjereiner bejjer haben, als
die meiften anderen? Ne länger einer
an jeinem Glüde baut, defto tiefer
baut er in die finftere Erde hinein,
defto fümmerlicher wird's. Und es ift
ganz gut fo,
Mie hart wäre das |
Schritte in pendelartiger Gleichmäßig—
feit jachte hin und ber. Aus der
Muschel gudte ein friſch-rothes Geficht,
und diefes Gefiht war — dem Wolf:
ram fchofs alles Blut zum Herzen.
Rafh warf er ein paar Münzen
auf den Tiſch, ſtand auf und gieng
hinaus. Die Straße zog bergmärts,
das Dirndel ftieg tapfer an, der Adler—
wirt duckte fih ein wenig Hinter der
Sterben, wenn diefe Welt defto Schöner, Dausede und als ſie einen gewiſſen
würde, je länger der Menſch daran | Vorfprung hatte, Ichnalzte er mit der
verbeifert und verfchönert. Wenn es | Zunge und gieng ihr nad.
dem Unſchuldigen jchon oft gottlos
jchlecht geht, was will erſt ich jagen!
Sch Habe das unrechte Weib genommen,
habe es doch rechtzeitig gemerlt und
din nicht zurüdgeftanden. Ich kann
mich zum Theil auf meinen Pater
ausreden, der mich in dieſe Heirat
Hineingelodt hat, aber zum anderen
Theil habe ih auch felber am ihren
Reichthum gedacht und darnach ge—
plangt. Mir geſchieht ſchon recht.
Alſo richtete der Wolfram ſich ſelbſt,
und dann ſaß er wieder in Straßen-
Ihenfen und goſs Wein auf fein mehes
Herz.
Hauerte er einmal an einem
heißen Sonntagsnahmittag auf dem
Scabelberg, niemand war da als ein
altes Weib, das im Bankwinkel nidend
den München des Gaftes harrte.
Zahllofe Fliegen umſummten den ein=
ſamen Zecher und fein Glas. Er ftarrte
durch die trübe Fenſterſcheibe hinaus
auf die blendend weiße Straße und
auf die halbverdorrten, graubeftaub:
ten Halme und Sträucher, die am
Rande hin- und Heritanden. Da
gieng ein MWeibsbild vorüber. Diejes
MWeibsbild Hatte, um den jchwarzen
Spenzer, fowie das rothe Halstuch
vor Staub und ihr Haupt vor den
Adıter Abſchnitt.
Die Jungmagd Frieda einft auf dem
'Salmhofe. Ein paarmal hatte fie ſich
ihren Dienjtgenofjen gegenüber ges
äußert: die Ehre wäre ihr doch zutheil
| geworden, daj3 der junge Adlerwirt
an feinem Hochzeitätage mit ihr gute
Gefundheit getrunfen! Und dieſes
Prahlen Hatte ihr den Dienft gefoftet.
Es war jchon fo etwas in der Luft
gelegen, und der alten Salmboferin
fogar fam es nicht ganz richtig dor.
Ein Brieflein von der Kundel ſchlug
dem Falle den Boden aus und Die
Frieda wurde verjagt.
Einen Halben Tag lang war jie
fortgegangen auf Wegen, Stegen und
Steigen, ohne irgendwo um Arbeit
zuzufprechen. Und als fie ins Gebirge
gelommen war, wo die Bauerngüter
jeltener und die armen Waldhütten
häufiger wurden, befann fie fih. De
entlegener und veritedter der Berg—
winkel ift, in dem fie bleiben wird,
defto beſſer. Es braucht's im Salmhofe
niemand zu erfahren, wo fie iſt, es
braucht's im Nolerwirtshaufe niemand
zu erfahren und es braucht's der Holz—
knecht Schopper nicht zu wiſſen. Es
glühenden Sonnenftrahlen zu ſchützen, wird ſich mit Gotteswillen wohl aud)
den blauen Außenfittel jo über ihre | anders wer finden, mit dem fich gut
Geftalt geichlagen, dafs er wie ein Freund fein laſst. Oder iſt der junge
Schirmdäch muſchelförmig den Ober- Adlerwirt der einzige auf der Welt?
körper einhüllte. Der graue Unterrock Gott ſei Dank, nein.
gieng bis halb über die weißbe— In der Abachleuten beim Möſtl
ſtrümpften Waden und ſchlug bei jedem nahm fie Dienft. Die Abachleuten
war ein zwiſchen Berghalden ſchräge
anfteigendes Wieſenthal mit einigen
Heinen Kornädern und Erbäpfelgärten.
Ein faltes Wäſſerlein raufchte durchs
Thal und an den Wildftrüppen, die
am Bachesrand ftanden, Hiengen auch
an den Sommermorgen Heine Eis—
zapfen. An der fonnfeitigen Lehne
der Abachleuten ftand das fleine Haus
des Möftl, das lebte hier, welches fich
noch kümmerlich von Feld- und Wiefen«
wirtichaft friftete. Im diefem Wald—
haufe lebten zwei ältliche Eheleute, die
ehr arbeitiam, ſehr häuslich und
immer frohen Gemüthes waren. Man
merkte gar nicht, wie viel Sorge und
Mühſal und Beſchwerde es gab dahier.
Der Möſtl, ein raſches, gebücktes,
ununterbrochen thätiges, ſtets glatt—
raſiertes Männlein, war allezeit munter
und aufgeräumt, und machte über
jeden Graben, den das Schickſal ihm
zog, einen kecken Sprung und lachte
dazu. Seinem Weibe war's auch recht.
Beide waren etwas ſchwerhörig und
hatten daher ſich eine laute Stimme
angewöhnt, jo daſs man fie ſchon von
weiten ſprechen hörte mit klingendem
Schall. Sie hatten jich immer etwas
zu erzählen, zu fragen, zu rathen,
manchmal nedten fie ſich einander
jogar, daſs ein helles Gelächter ent-
fand. Der Ehefrieg, den auch diefe
Leute führten, bejtand darin, daſs fie
einander immer zu überliften fuchten:
Beim Eſſen ſchmuggelte eines dem
anderen möglichft unbemerkt die befjeren
Bilfen zu, bei der Arbeit trachtete
eines dem anderen die härteften Dinge
abzulaften.
Diefe Möftllente im Abachthale
hatten aud ein Kind, eine bereit3 er=
wachſene Tochter, die aber jchon feit
Jahr und Tag in einem Strohfejiel
lehnte, weil infolge eines Wetter:
fturmes, bei dem fie unter Wafler
gelommen, ihre Füße lahm geworden
waren. Das Mädchen mufste in vielem
wie ein Kind gepflegt werden, Konnte
nur wenige Arbeiten verrichten helfen,
hatte bisweilen Schmerzen zu leiden
l 68 |
und blidte trogdem mit ihrem blaffen,
gutmüthigen Gefichte Fröhlich ins Leben
hinein, wenn man ihr Dajein und
ihr Geniehen überhaupt Leben nennen
fonnte,
Bei diefen Leuten nun hatte die
wandernde Frieda eines Abends um
Nachtlager gebeten, und bei diejen
Leuten war fie verblieben. Ein guter
Lohn, wie auf dem Salmbofe, war
bier nicht zu Haben, die Arbeiten hatten
‚viele Beſchwer, und doc war e& der
|Magd, als jei fie im Himmel, Was
war das im großen, reihen Salmhofe
für ein Streiten, Beißen, Übervortheilen
und Murren gewejen, der Leute ter
einander! Und bier, welcher heitere
Frieden, welche herzliche Einigfeit!
Die Möftlleute machten aus der Arbeit
eine Unterhaltung, aus jedem Werk—
tage einen Feſttag, denn alles, was
da war, padten fie von der eriräg-
‚lihften Seite an und thaten, als
machten fie ein Kurzweil daraus. Das
hatte die Frieda auch noch nicht ge—
jehen, dafs man laut lacht, als ob
man gekißelt würde, wenn man ſchwere
Schmerzen leidet am fiechen Körper.
Die Adelheid fonnte das! Das arıne
Mädchen lachte in den Nächten manch
halbes Stündchen lang. Die Mutter
that ihr alles, was in ihrer Macht
ftand, zugute und hatte bisweilen in
ihrem freundlichen Auge etwas Naſſes.
Uber ein hHeiteres Wörtlein mußſste
doc immer gejagt werden. Und went
e3 manchmal befonders ſchlimm ward,
jo dafs die Adelheid nicht mehr lachte,
fondern ganz ftill war und die Zähne
aufeinanderbil3, da Huben die Alten
ein emſiges Beraten an, verfielen auf
allerlei Mittel, und ergriffen jedes mit
folder Zuverfiht und Hoffnungs—
freudigfeit, al3 ob alles Heil vor der
Thür wäre.
Die Magd Frieda lebte neu auf
in diefem Haufe; neigte doch aud ihre
warmlebige Natur zum Frohſinn hin.
Als ob fie wieder Eltern und Schweiter
gefunden hätte, fo war ihr, und fie
trachtete den Leuten nad ihren Kräften
1
69
zu dienen, Hartes zu mildern, Liebes
zu thun und bejonders verftand fie
bald, ſich als Pflegerin der armen
Siechen jo zu erweijen, daſs der Möftl
einmal feinem Weibe zufchrie: „Alte!
An der Hat und der SHerrgott eine
geichidt, dafs wir ihm dafür die große
Zeche wegküſſen jollten, wie die Bet—
ihweitern zu Rom dem heiligen
Betrug.”
Mas das Möftlweib darauf ants
worten wollte, das durfte aber nicht
jo herausgeichrien werden. Erft draußen
am Feldraine theilte fie ihm ihre Be—
denfen mit: „Dal fie dir gefällt,
die Frieda, wäre ſchon recht. Aber:
auweh und aumeh! möcht” ich jagen,
fie gefällt auch anderen Mannsbildern.
Wenn du Zehen wegküſſen willft, fo
muſst bald anfangen, jonft wird fie
uns früher genommen. Schon das
zweitemal Habe ich am vorigen Samstag
wahrgenommen, daj3 einer dor ihrem
Fenſter fteht. Ein ganz fremder Hund
iſt's, habe mich zuerſt ſchier gefürchtet
vor ihm, aber geplaudert mit ihr
hat er ganz gutmüthig.“
Und das Möftlweib hatte nicht
ſchlecht beobachtet. Kaum daſs die
Magd Frieda ein paar Wochen in
dieſem weltverlorenen Hauſe lebte,
war eines Abends auch ſchon der
Schopper-Schub da. Vor dem gab's
fein Berfteden! Eben wollte fie des—
jelben Abends einfchlafen, als er durch
ein leiſes Klopfen an ihrem Fenſter
ih anmeldete. Sie war zuerſt jehr
erihroden und jogar empört, all
mählih jedoch kam es ihr zu Sinn,
dafs diefer Menſch doch gar zu an—
hänglich wäre, fait wie ein Bruder.
Sie hatte ja ohnehin feinen Bruder.
Sie ſetzte ih in ihrem Bette auf, er
jegte fi draußen auf dem vorſpringen—
den Wandſchrott und jo Sprachen fie eine
Meile miteinander, Er jagte, dafs Tie
ganz recht Habe mit ihrem menen
Dienftorte, und dafs er fchon bemerkt
hätte, wie brav fie den armen Krüppel
pflege und die Anhänglichleit der
Möftlleute beſitze. Das würde ihr ge=
wifs den Segen Gottes bringen und
ihr würde e8 noch einmal viel beſſer
ergehen, al3 mancher reichen und hoch—
müthigen Großbauerntodhter. Ihm —
jo erzählte der Schopper treuherzig —
fehle auch nichts. Er habe jebt im Sie—
benbachwaldgraben eine große Rieſen
gebaut, welche von allen Holzmeiftern
gelobt wurde und melde ihn auch
Geld und die Vorknechtſtelle einge-
tragen habe. Bielleiht bringe er es
doch noch einmal zu einer Eigenftatt,
zu einer Hütte. Er wolle mit einer
ſolchen flüger jein, al3 das erjtemal.
„a, haft ſchon einmal eine Hütte
beſeſſen?“ fragte die Jungmagd.
„So groß wie das Möftlhaus”,
antwortete er.
„Ein Häufel Haft gehabt? Und
haft e3 denn verthan? vertrunfen ?
verfpielt ?“
„Verraucht“, fagte der Holzknecht.
„Seas! So viel Tabak rauhen
thuſt?“
„Angezündet hab' ich's, mein Haus,
und niedergebrannt.“
„Nicht geſcheit biſt!“ verſetzte die
erſchrockene Frieda. „Aber wie hat
das können fein?“
„Weil ich ein rabiater Menſch
bin“, fagte der Schopper. „Zufleiß
hab’ ich's gethan. Und gereut hat’s
mi auch noch nie!“
„Bei dir kennt man fich frei nicht
aus“, meinte die Jungmagd.
„Biſt neugierig?” fragte er. „Nach—
her kunnt' ich dir’s ja erzählen. Uber
figen thu ich Schlecht auf dem Schrotte
fopf,“
„Einen anderen Plab Hab’ ich
nicht“, gab fie fchneidig zurück.
„Alsdann bleib’ ich jigen auf dem
Schrottfopf“, fagte er geduldig und
Hub an zu erzählen: „Yon Wallifch-
dorf bin ich her. Dort hat der Schop-
pen-Rüppel ein Gütel gehabt und zwei
Söhne, meinen Bruder Juch, und
mich den Schubhart. Und da geht
einmal am Frohnleihnamstag nad
dem Umgang, er hat noch den Himmel
tragen helfen, der Schopper-Rüppel
— —
her und verſtirbt. So ſchnell iſt das und vor uns bricht das Elternhaus
gegangen, dafs er nicht einmal Tefta= Inieder, da wird mir ganz eigen. ch
ment machen hat fönnen, Nur fo viel |halte dem Juch die Hand Hin und
hat er gejagt: Dem Buben gehört das |jag’: Mein Theil ift verbrannt, die
Häufel und den anderen foll er mit Grundſtücke follen dein fein und wir
dreihundert Gulden Hinanszahlen. wollen Fried’ machen miteinand. —
Jetzt, weil er feinen Namen genannt, [Er ſchaut mich an im Feuerſchein
jo bat jeder von uns zwei Brüdern und jagt: Schlecht genug bift du, daſs
wollen der Bub jein. Denn du kannſt dir du's jelber haft getban. — Auf das
denken, der ift im Bortheil. Und Haben |bin ich fort ins Gebirg herein und
angefangen zu ftreiten. Der Juch hat | Holzknecht geworden im Siebenbach—
das Gütel haben wollen und ich hab’ wald. — Jetzt weißt es.“
es auch haben wollen. Jit eine Wirt— „Du bift ja ein grumdfchlechter
ſchaft mit ihrer zwölf Joch Grund: Menſch!“ fagte die Jungmagd ganz
ſtücken. Haben uns vorher gar nicht |verblüfft.
unlieb gehabt, der Juch und ich, aber „Neid iſt's nicht geweſen“, febte
jet ift der Teufel los gewejen. Ges der Schopper bei, „dafs ich etwa hätte
ftritten, wie die Bettelbuben, und gar gemeint, wenn ich das Häuſel nicht
beim Gericht hat's jeder beweifen kann haben, fo foll’3 auch der Bruder
wollen, er wäre der Bub, und ihn [nicht haben. Aber Trog iſt's geweſen,
hätte der Vater gemeint, und ihm und Dummheit, und hinter mir immer
thäte das Häuſel gehören. So währt’3 der Teufel: Nicht nachgeben, nicht
ein halbes Jahr und länger, feiner nachgeben! — Dabei das Streit-Elend,
von uns Hat mehr gearbeitet, jeder die Bruderfeindfchaft! Und wie ſchon
nur ſinniert, wie er den anderen manchmal ein Sturm in mich fährt,
möcht” hinaustauchen. Geld hat's ges daſs ich felber nicht mehr weiß, was
foftet und Hirnſchmalz und Herzblut ich th’, Fo iſt's über mich gelommen,
— und die ewige Seligfeit hätt's und jo iſt's geſchehen. Mit meinem
toften fönnen, ums beiden. Und wie Bruder bin ich immer noch wicht auf
wir einmal fo im Wirtshaus ſitzen gleich. Er hat feine Sad’, ich gönne
und jchauderlich gegen einander ge- |es ihm und was ich gethan, hat mich
rathen — die Leute haben uns noch noch nicht ein einzigesmal gereut.“
angehegt — und wie wir jchon fein Die Jungmagd fagte: „Ein jelt-
gutes Haar aneinander laſſen, daſs einer | ſamer Menfch biit.“ Und bei fich Dachte
wie der andere einen rechten Spitzbuben ſie: Weiß nicht, joll man ſich vor ihn
gleihiieht vor dem ganzen Dorf und fürchten, oder was?...
zuletzt noch unjeren verftorbenen Vater Alfo plauderten fie manchmal von
verihandieren — da Spring ich gäh auf |diefem und jenem und der Schopper
und davon, Nächtig Stund’ ift, ges |fam num öfter an ihr Fenſter. Won
trunken babe ich Mark gehabt. Und allerhand redete er, aber nie von Liebe.
wie ich zu meinem Häuſel fomm’, das | Nichts don dergleihen, Nur einmal
wie ein Schwarzes Geſpenſt dulteht fragte er fie beicheidentlich, ob es ihr
mitten in den Feldern, da fällt's mir wohl auch recht fei, dafs er fo manches
ein: Niederbrennen! Das Gerümpel | Stündlein an ihrem Fenſter ſitze, er
its nicht wert, was wir treiben. thue es halt gerne und wäre jo froh
Im Aſchen hat der Streit ein End’. dabei.
— Kaum gedadt, bin ich mit dem Die Frieda brachte es nicht übers
Zündholz auch ſchon im Strohdadh. | Herz, ihm zu geitehen, dafs feine
Wie es licht wird im Thal und die | Gegenwart fie beilemme, dajs fie ihn
Leute zufammenlaufen und ich auf [vielleicht gerne haben könne, wie einen
einmal neben meinem Bruder Steh’, | Bruder, aber Brüder kämen nicht ans
170
— a;
NT
Fenſter der Schweitern, und ob er
nicht beſſer thäte, nach feiner ſchweren
Zagesarbeit im Bette zu raften, als
den weiten Weg zu machen im die
Abachleuten ber. — Mehrmals nahm
fie Anlauf, ihm das zu jagen, aber
fie brachte es nicht übers Herz, ihn
jo zu kräuken. Sie nahm ſogar die
kleinen Geſchenke, als Weden, frifche
Kaiferbirnen, welche er ihr mitzu—
bringen pflegte — ſie nahm derlei
und fagte Schön Vergelt’3 Gott dafür.
Insgeheim jedoch waren ihr die Gaben
von dieſem Menfchen zumider und
es that ihr felber weh’, dajs fie jo
undanfbar jein mußste. Viel
ſchlechter, jo rief es einmal in ihr,
viel jchlechter ift der andere MWicht,
der nächtig meine Ruhe ftört. Was
hat der junge Adlerwirt von Kirch»
brunn im meinen Träumen zu thun!
das geht ihn gar nichts an, ob ich
mein Daar flechte oder nicht, und er
foll nur feiner Fran Adlerwirtin die
Augen küſſen uud nicht ein armes
Dienftbot foppen.
Auf der Schabelhöhe, über welche
eine Bergftraße Führt, fand unter
fieben alten Lärchen eine Kapelle. In
derjelben war ein frischer Brunnen
und ein Muttergottesbild, genannt:
Maria unter den Sieben Lärchen,
Diejes Bild war als wunderthätig
befannt und bejonders von Leuten
aufgefucht, die an heimlichen Herzweh
litten. Der Volkswitz jagte: Wenn
eine Jungfrau fiebenmal am Brummen
bei Maria unter den Lärchen trinkt,
dann befommt fie einen Mann. Ob:
zwar diefer Ausspruch in der Gegend
nicht gerade als Glaubensartifel be—
zeugt war, jo ließ Sich doch nicht
leugnen, daſs jahraus jahrein viel
junges Frauenvolk hinaufkam zur
Schabelhöhe, andächtig vor dem alten,
ungefügen Bildnis betete und dann
einen Fräftigen Schlud nahın aus dem
Brunnen. Alfo war es auch der Magd
Frieda Schon mehrmals zu Sinn ges
foınmen, ob fie nicht eine Wallfahrt
machen follte zu den fieben Lärchen ; der
Platz war vom Abachthale aus in einer
guten Stunde zu erreichen. Ganz fern
ftand das Gnadenbild den menschlichen
Liebesangelegenheiten auf feinen Fall.
Ein heimlich Herzweh — das ftimmt
ja. War nicht einjt der fterbenden
Mutter letztes Wort: Frieda, wenn
du nicht ausweißt, fo knie' Hin und
thu’ beten! — Und Hatte die Frieda
nicht auch dem Shopper verſprochen,
fie wolle jo lange beten, bis fie ihn
recht lieb habe?
Und eines Sommerfonntags nad
mittags gieng die Magd an den Wald—
hängen hinan, über die jonnigen Wei—
den fort, bis fie zur heißen ftaubigen
Straße fam. Wie von diefen Höhen
aus der Blid ſich weitete hin auf die
blauen Berge, jo weitete ſich auch ihr
Herz und eine frohe Hoffnung fan
über fie, dafs jie nicht umſonſt den
Mallfahrisweg machen werde zu der
lieben Mutter Gottes.
Endlich ftieg fie die Stufen hinan
zur hölzernen Kapelle, die ſchon etwas
Hinfällig ſich an eine der Lärden
lehnte. Sie hörte das Geplätjcher des
Brunnens, der an der Seitenwand
aus dem Rohre in einen Steintejjel
rann. Niemand war da, fie war ganz
allein. Ihren Überkittel ließ ſie vom
Kopfe Hinabgleiten, ihr Gebetbuch zog
jie aus dem Säcklein und aljo kniete
fie nieder vor der Muttergottes mit
dem Kinde, die, aus Holz geſchnitzt
und mit Farben bemalt, fait in Lebens-
größe auf dem Altare ftand. Die Maria
hatte eine Stone auf dem Haupte,
hielt ein Scepter in der Dand, das
Chriftlind trug im Heinen nadten
Händchen die Weltkugel. So viel
Herrlichkeit und Würde lag in diejem
Bildnis, daſs die Frieda fich dachte:
und bier foll ih mein fündig Herz
auspaden ?
Mit dem Gebetbuche gieng es Heute
gar nicht. Da find allerhand Anliegen
darin, aber das ihre nicht. Wie joll
fie e$ denn nur anfangen, dajs fie
nach ihrer Meinung jegt beten kann ?
— „Der gute arme Menſch, der Schop=
per. Iſt er denn wirklich Jo unbegehrt?
Iſt er denn Häfslich, To dumm, jo
ungefüg und jelbitiih? Das iſt er
nicht. Er iſt ein herzensguter Menjch,
und wenn er feinen Bart kämmen und
pflegen möchte, wer weiß, was 5
das Buch auf, machte ſich Vorwürfe,
daſs ſie nicht einmal mehr beten könne,
ſie war ſich's kaum bewuſst, welch
heißes, kindliches Gebet ſie eben ver—
richtet Hatte.
Und während fie fo fniete in der
Kapelle und mit fih rang, ehrlich und
werden könnt'l Hernach, wenn man
bedenft, was er für ein tüchtiger | tapfer, wie noch jelten ein Weibesherz
Mann in der Arbeit ift und bringt’s | gerungen, ftand am Eingang einer
über furz zum Holzmeiſter. Schlecht | und beobachtete fie. Sie entfaltete ein
fann’3 bei dem ein Weib nicht haben, weißes Handtüchlein, fuhr ſich damit
ernähren kann er auch etwas. Und! über die eigen Wangen und erhob
wenn er eine jo recht lieb Hat, als!
wie er jagt, daſs er mich mag, da
wird’3 faum einen befjeren Mann |
geben, als dem. Ich Habe ſchon Bes
weile genug, wie er zu mir Hält. Der
wird ja närriſch, wenn er mich nicht
fan haben. Alfo warum will ih ihn
denn nicht, das möchte ich wiſſen, du
liebe barmherzige Mutter Gottes! Ich
bin ja gewijs nicht zu gut für ihn,
ſchon eher zu ſchlecht. Ich weiß mir
ja nichts auf der Welt und joll als
arme Magd alt werden und vers
fterben. Auf wen wart’ ich denn? Na,
du himmlische Maria, warum will ich
ihn denn nicht ? Sei mir doc) gnädig
und gib mir deinen Segen. — Harte
Anfechtungen babe ich oft, al3 müjste
ih wohin gehen und wa3 anftellen,
daſs es groß Unglüf gäbe für Zeit
und Ewigkeit. O Heilige Mutter
Gottes, führe uns nicht in Berfuchung! |
Gib mir die Gnade, dafs ich den Holz-
tnecht recht kann lieb haben und fein
Meib werden. D liebes Chriſtkindel
mit dem frauen Daar! Und wenn
es Schon nicht möglich kann fein, dafs |
ih ihn lieb Hab’ wie einen Herzens—
ichaß, jo gib mir die Kraft, dafs ich
das Opfer mag bringen, jo wie e3 für
alle drei am beiten ift. Sch will dir,
ja nicht zu ſparſam fein mit Wachs—
ferzen, wenn du mir Hilft und den
rechten Weg weiſeſt. O gegrüßt feilt
du, Königin, Mutter der Barm—
herzigkeit!“
Alſo dachte und murmelte die junge
ſich — da ſah ſie ihn.
„Schau“, ſagte er und ſchnalzte
mit der Zunge — der Wolfram war
es — „da ſehe ich eine Seltſame.
Die will ſich auch einen Liebſten er—
bitten.“ J
Sie verbarg ihre Überraſchung
hinter Trotz und antwortete: „Ja,
das will ih auch. Aber nicht etwa,
fo wie es der Herr Adlerwirt meint,“
„Das Hilft alles nichts, Frieda”,
fagte der Wolfram. „Komm Dirndel,
jeßen wir uns da auf die Bank, Wir
haben ſchon lange nimmer miteinander
geplaudert.”
Unter dem Schatten der Pärchen,
am Rande von jungem Fichtendidicht
hin waren aus rohen Brettern Tiſche
und Bänke aufgeichlagen, weil all»
jährlih am Maria Deimjuchungstage
ein Felt bier abgehalten und dabei
Getränke ausgefhäntt wurden. Die
Frieda wollte eigentlich feſt ſtillſtehen
und den Adlerwirt keines Blickes
würdigen, aber ihre Füße ſtiegen ſachte
die Stufen herab und an ſeiner Seite
über den grünen Anger zu einer Bant
hin.
Als fie völlig zu Sich kam, ſaß
fie neben dem Wolfram, der, feinen
Ellbogen auf den Tiſch geſtemmt, den
Kopf in der Hand hielt,
„Ach ja, Dirndel!“ feufzie er auf.
„Seit wir zwei uns das leßtemal
gefehen, habe ich viel durchgemacht,
du glaubjt es nicht.“ Und nun begann
er zu erzählen von feinem häuslichen
Magd vor Fich Hin, manches ſprach ſie Elende, daſs er fo viel als vertrieben
laut und traumhaft, dann jchlug fie‘ jei aus feinem VBaterhaufe, ja jelbit
ans Kirchbrunn, und dajs er jebt auf
dem Punkte ſtehe, wo der Menſch
nimmer weiß, ob er noch warten ſoll
auf den nächſten Tag oder nicht.
„Mein Gott, Wolfram”, fagte Tie
voller Theilnahme. „Was willft denn,
al3 warten, bis es wieder beſſer wird!
Sollft dich nicht jo viel fränten, Wolf, |
was Haft denn davon, wenn du frank
auch noch wirft!“
„Ich wollt,
(ende, alles, alles!” fo rief er mit
Ihriller Stimme und jchlug fich die
Fauſt auf die Stirn.
„Molf! So mufst nit. Mufst
nicht auch noch jelber dein Feind fein.“
Sie legte ihre Hand auf jeine Achſel.
Er ſchlang mit Leidenschaft feinen
Arm um ihren Naden, fie warf diejes
Joch heftig von fi, fand auf, um
zu flüchten. Aber am Stamme eines,
Larchenbaumes blieb fie ſtehen und
ftrih wie traumhaft die lojen Haar—
loden aus dem Gefichte.
Der Wolfram war fauern geblie=
ben auf der Bank, jet ſchaute er vor—
geneigten Hauptes hin auf fie, im
allen Enden feines Angefichtes zuckte
es, dann lachte er auf,
„Das gienge noch ab”, ſprach er.
„Das Gedenken an dich ift meine)
einzige Labnis gewejen in diefer trau—
rigen Zeit.
Welt, die zu mir fteht. Wenn fie auch
weit von mir ift und ich fie nicht mag
finden, irgendwo ift fie Doch und denkt
an mih und mir find beiſammen.
Und jegt —“, er ſprang auf, „jetzt
bift auch du fo?!“
Sie ftand bewegungslos wie eine
Bildfäule und fchaute ihn an.
es hätt’ alles fein!
Eine lebt doch auf der!
wegen ganz verloren fein?” fprad er
weiter, „Soll ih mein junges Leben
jelber zertreten, wie man einen Wald»
wurm zertritt, vor dem fich alle ent»
jegen ? Ja, Frieda, ich thue es. Sie,
im Adlerwirtshaus, hätte mich nie fo
weit vermodht, fie ift mir eine Fremde,
Aber wenn ich weiß, daſs aud du
dich von mir wendeft, dann ift es
aus!“
„Wann“, entgeguete nun das
Dirndel zagend, „wann babe ich dir
denn einen Beweis gegeben, Adlerwirt,
dafs ih — dir fo gut wäre?“
„Leugne es nicht, Frieda!” ſprach
er mit Nahdrud, al3 wollte er einen
Verbrecher überweilen. „Und wenn.
dur mir mie mas Liebes gejagt hätteſt,
fein gutes Wort, und wenn du mir
zehnmal weiter noch ausgewichen
‚ wäreft, ich hätte es doch gewusst, daſs
du mich gern haſt, und ſo gewiſs, als
du's von mir mußst wiſſen. Du Haft
es tapfer niedergedämpft, vielleicht
tapferer als ih, Wir haben uns beide
‚redlich vor einander gewehrt. Es hilft
alles nichts. Bon jenem Tanzabende
in Schwambach an hat's ſo geſpielt,
| daſs wir zwei zuſammenkommen ſollen,
wir haben's nicht verſtanden, haben uns
ſo lange geſträubt, bis es uns heute
* dieſem Platze ganz zornig zu—
ſammenwirft. Iſt es nicht ſo, Frieda?
Iſt es nicht ſo?“
Das Dirndel preſsſte die Hände
ins Gefiht. „Ich Hab’ Fo gebetet da
drinnen“, wimmerte fie, „Jo inftändig
gebetet zu derMuttergottes. E3 tit alles
umſonſt! Ich kann ja auch
nicht fein, ohne deiner!“ —
Mit dieſem Schrei ſtürzte ſie ihm an
„Soll ih denn meines Irrthumes
den Hals.
(Schlujs folgt.)
Erinnerungsbilder.
Bon 6. v. Verlepſch.
m
„a
in ſtürmiſcherSpätherbſttag neigte
2 —
die Scheiben meines Fenſters gepeitſcht
worden. Nun hörte das Unwetter auf;
der Sturm tobte allein noch fort,
maſſiges Gewölk vor ſich her treibend.
Im Weſten wurde es hell, plötzlich faſt
leuchtete ein ſchreiendes Gelb in die
dunkle Landſchaft und überflammte die
Wolken bis weit in den Luftraum hin—
ein, mit feinem Feuer einen wahren
Dimmelsbrand entfachend.
Im Garten bogen ſich die Wipfel
unter den Stößen des Windes. Rothe,
gelbe und noch jaftig grüne Blättter,
die einen ſchon gefallen, die anderen
vom Sturme abgerifjen, wirbelten in
tollem Reigen über Wege und Rajen=
flächen hin. Jetzt befchrieben fie tanz
zende Kreife, dicht dem Boden nach,
dahin, dorthin, bis fie jich emdlich in
einer Ede verfiengen und liegen blieben
wie todgeheßte Korybanten; dann wies
der flog eine Schar auf, ftrads in
die Höhe wild auseinander, über
Däher und Straßen hinweg, weit
von dem Orte fort, den fie zur Lenz—
zeit mit ihrem jungen, heiteren Grün
geſchmückt Hatten.
Ich fah dem Treiben durchs Fenſter
zu. Wenn man es aud noch jo oft
gejehen hat, diejes Frühling-, Herbſt—
und MWinterwerden, e3 wirft jeine
Reflere doc) immer wieder bewegend
ins Gemüthsleben und lenlt die Ge—
danken vom Alltäglihen ab ins Weite,
in jene Bereiche, wo das Traum—
gewordene der Vergangenheit und die
ichlummernden Lofe der Zutunft ruhen.
Ich ihaute dem Todtentanz der
1
dem Abend zu, Regenjchauer was
ren miedergegangen und falt, |
ſchon wie Schnee, vom Weftwind gegen |
Blätter zu und dachte an ein theures
Grab in der Ferne, über das nun
ebenjo das welfe Laub dahinjagen
und den lebten Schmud desjelben
mit ſich fortreißen würde in die Lüfte.
Ich Jah den weiten Friedhof draupen
in dem Thale liegen, jah die Cypreſſen
windgepeitfcht fich neigen über ſtumme
Steine umd verdorrte Kränze — ein
Raſcheln, Klappern und Achzen und
doch alles fo todtenſtil — — nichts
Traurigeres, als ein Friedhof im ſpä—
ten Herbſt!
Neben mir in der Fenſterniſche
ſaßen meine Stubengenoſſen, zwei
Vögel in ihrem Bauer, ſie ſchienen
in ähnlicher Stimmung wie ich ſelbſt.
Froſtig, das Gefieder aufgeblaſen, blick⸗
‚ten fie mit ihren ſchwarzen Augelchen
hinaus ins Freie, manchmal den Kopf
jeitwärts neigend, gen Dimmel, als
erwarteten fie dort oben noch einen
‚Flug ihrer wandernden Brüder zu
ſehen, die durh Sturm und Wetter
‚nah der Winterheimat ziehen. Somit
‚war da3 ein Geflatter hin und her, zwit—
ſchernd, jingend, auch mitunter ftreis
‚tend, wie das bei lebhaften Eheleuten
‚ja vorfommen kann; heute hatte noch
feiner von ihnen einen Ton gefungen.
Nachdenklich ſaßen fie auf ihren Sproj=
ſen; auch über fie ſchien ein melan—
ı holifches Herbitgefühl gelommen zu
ein.
Mich gemahnte diefe Abendſtimmung
‚an vergangene Zeiten. Die Geftalt des
Vaters ftand dor mir in ihrer ganzen
Nüftigkeit, wie er ehedem um diefe Zeit
‚fo gerne draußen gewandert, den Kra—
gen aufgefehlagen, den Hut feitgedrüdt.
‚Wie oft waren wir fo miteinander
gegangen, auf einfamen Wegen, wenn
ee —
die Blätter fielen, wenn der Nebel im
Walde braute, wenn der Boden vor
Froſt unter unſeren Tritten hallte. In
all ihren Phaſen, ihren heiteren und
ſchwermüthigen Reizen hatten wir die
Natur belaufcht. Kein Wetter ver—
mochte uns zu jchreden. Und damı,
wenn wir beimfebrten, wie froh ger
noffen wir oft den Abend, an Eins
drüden zehrend, von denen ſtuben—
figende Leute gar feinen Begriff haben.
Meine Gedanken twandelten Die
alten Pfade; Bilder fliegen vor mir
auf, jo fcharf und beftimmt in allen
ihren einzelnen Zügen, als ob ich fie
in Wirklichkeit erblidte; Partien der
heimatlichen Landfchaft, genau jo, wie
fie in Ddiefem WUugenblide ausjehen
mufsten. Ich ſah unfere beiden Ge-
ftalten darin wandern, ja ich hörte
unjere Stimme im Geſpräch — id
träumte mit offenen Augen.
Da wedien mich aus meiner Ver:
ſunkenheit janft, kaum hörbar, lieb»
lihe Laute. Der eine meiner Heinen
Sänger bob noch ganz leije zu fingen
an, ein halblaut’ Abendliedchen; faſt
war's, ala hätte er eö, meine Gedanfen
errathend, in der Stille erfonnen, um
in feiner Weife daran theilzunehmen,
Die zarten Töne berührten mich
ganz eigen, wie die Erinnerung an
einen vergejjenen Traum. Es iſt ſelt—
ſam, wie die langfarbe eines Tones,
einer Stimme, wie ein einzig Wort,
ja ein Duft, ein Hall, oft längit Ber-
ſunkenes vor die Seele rufen Tann.
Diefe Laute, halb Geplauder, halb
Gefang, hatte ich in meiner früheften
Kindheit gehört — zauberhaft tönten
auf einmal Waldvogelftimmen in mei—
nem Ohre — ein verwettertes Haus
ftand vor mir — eine niedrig däm—
merige Stube mit mädtigem Ofen und
tidender Wanduhr, eine Reihe Heiner
Tenfter, durch welche Wieſen- und
Tannengrün mehr als der Himmel
hereinſchauten — Kindheitserinneruns
gen! Wie märchenhaft ſich das auf—
thut!
Wir waren oft in das einſame
Haus gekommen, zur Winters- und
Sommerszeit. Eine alte Frau, die
uns ſtets beſchenkte, wenn wir kamen,
wirtſchaftete Hier abſeits von den Men—
ſchen, mit ihrem Sohn und einem, wie
uns vorkam, ururalten Verwandten,
dem einſtmals das Heimweſen gehört
hatte. Die Alte in ihrer Einſamkeit,
mit den immer ſpendenden Händen,
war für uns Kinder eine Art Fee,
deren Bereich wir ſtets mit erwar—
tungsvollen Empfindungen betraten.
Das Gärtchen vor dem Hauſe mit den
hohen Buchseinfaſſungen, den vielen
Blumen, Kräutern und Beerenſträu—
chern, von denen wir naſchen durf—
ten; im Hintergrund die dicht über—
wucherte Gaisblattlaube, in deren In—
nevem es ftet3 feucht und dämmerig
war; dann im Winter die warme
Stube, deren Ofen man befleigen und
fogar no durch eine Öffnung in
die darüberliegende Schufterwerkitatt
guden konnte, wo der Sohn hauste,
die Waldvöglein in ihren hölzernen
Käfigen, der Eremit vor dem Fenſter,
der als Barometer das Wetter an—
zeigte, und draußen der ftille Forſt,
von dem beinahe eingejchloifen das
ihindelgepanzerte Häuschen mit feinen
grünen Holzläden lag, das alles hatte
für uns eine geheimnisvolle Anzie—
hungskraft. Und noch heute ſchwebt
es mir wie die Scenerie eines Mär:
hens vor, zumal wenn ih an die
jpätere Geſchichte dieſes Hauſes denfe.
Wie jo etwas verblaſſen und plötzlich
in aller Friſche wieder im Gedächtnis
auftauchen kann! Ich wollte ſie zeich—
nen, Zug um Zug, dieſe drei Ge—
ſtalten, die ſammt ihrer Umgebung für
mich die erſten Merkwürdigkeiten meines
jungen Lebens waren. Da ſtand allen
voran die Herrin des Hauſes, eine
kleine Figur mit wachsgelben ſchlot—
ternden Wangen, über denen ein Paar
dunkle Augen klug und ſelbſtwillig in
die Welt ſchauten. Sie mußſste ein—
mal nicht übel geweſen ſein in frü—
heren Jahren, als dieſe hochaufge—
ſchlagenen Augen nebſt ihrer Klugheit
176
auch noch jugendlichen Glanz befejlen ;bier oben, und jelbit zur Sommerszeit
hatten und das dichte Haar einſt ſaßen in der Woche nur vereinzelte
ſchwarz geweſen, das jetzt gebleicht | Gäfte an den Holztiichen auf der Wiefe.
unter einer großen Haube ftedte. Sie | Die Sonntage der Schönen Jahreszeit
war ein eigenthümliches Meittelding |waren die einzigen Erntetage. Darnm
zwiichen Städterin und Bäuerin. Am | führte die Frau auch das Tleine Wirt:
Zeigefinger ihrer eingefchrumpften Hand ſchaftsweſen allein und ließ den Sohn
trug fie z. B. einen Ring mit rothem |droben in der MWerkitatt fein eigen
Stein, obwohl fie die Arbeiten des | Gewerbe treiben.
Haufes jelber verrichtete, und ihre Noch Höre ih das Schuiterhänt-
Hauben Hatten immer einen Aufputz merchen am Waldrain Hallen und ſehe
von bioletten und grünen Schleifen. Jam Fenſter unterm Giebel den Kopf
Sie konnte auch auf dem ſummenden mit dem fchwarzen bujchigen Haar
Spinett fpielen, das in der Stube und dem breiten Hals aus dem oöffe—
ftand, that es aber nur felten, uns nen Hemde rageı. Er war ein eigener
Kindern zum Spafs und fang dann Kauz, diefer Georg, der Sohn der
mit verfchollener Stimme ein luftiges | Alten, ein grobknochiger ſchweigſamer
Liedhen dazu. Diefe augenfcheinlichen | Mann, der etwas von einem zahmen
Überbleibfel aus befieren Tagen rühr- Rieſen Hatte, Er mochte etwa fünf:
ten von der Zeit ber, wo die rau unddreißig Jahre zählen, jah jedoch
in der Stadt drunten Wirtin geweien älter aus, weil er einen miſsvergnüg—
war. Man ſagte, dajs fie damals ein ten Ausdrud Hatte und die Stimme
Ihönes Vermögen, aber auch einen immer in tiefe Falten legte, wenn er
durftigen Mann befeilen Habe, der, |redete. Lachte er aber einmal, jo zog
nachdem er feine Familie ins Unglüd |fih die ganze Kopfhaut zurüd und
gebracht, eines Tages furz und gutiaus dem dunklen Bart Fehimmerten
durch einen Schlaganfall aus diefem die vollen Reihen feiner gelblichen
Leben gegangen fei, und dajs fie feit- | Zähne. Es gieng dann plöglich ein
dem im Waldhaus oben die Heine eigener Schein über feine mürrifchen
Sommerwirtfchaft führe. Uns Sins | Züge, etwas vor dem wir uns fürch—
dern erschien fie durch die Gaben, |teten. Die Alte ftand mit ihrem Sohne
welche jie ftets für uns bereit Hatte, auf feinem bejonders zärtlichen Fuß,
als eine immer moch viel beliende |obwohl er von vieren der einzige war,
Frau. Bald war e3 ein rothbadiger | der ihr geblieben. Sie ſchien den Grofl
Apfel, bald eine Handvoll getrod= |gegen das Schidjal, das ihr gerade
neten Obftes, die fie uns ſchenkte; den wenigft Begabten gelafjen und die
alles mundete natürlich tauſendmal anderen genommen hatte, auf ihn übers
befier als zu Haufe. Unſere Bekannt: |tragen zu haben, weshalb er wohl
ſchaft rührte daher, daſs wir, etwa auch nur ein Schufter geworden war.
zwanzig Minuten entfernt, ebenfalls | Sie dirigierte ihn in ihren alten Ta—
auf der Höhe des Berges wohnend, gen noch mit ihrer Klugheit, er ſaß
mit unferen Eltern oft den Spazier- Jan ihrem Tifche, nicht fie an dem
gang nad) dem laufhhigen Waldwintel |feinigen. Wenn er zum Eſſen her—
machten, außerdem aber manchmal mit |unterfam, aus feiner Merkftatt, jo
dem Dienftmädchen kamen, um Eier, |waren Gejicht und Hände immer frifch
frifchgefhlagene Butter und dergleichen | gewafchen, denn jo wollte fie e8 haben.
zu holen. Es beftand eine Heine Hans | Der alte Vetter, der die beiden Kühe
delsverbindung zwischen den beiden | und den Stall beiorgte, mufste es
Häufern, welche die eigentliche Grund- | ebenfo machen, ſie führte ein aufrech—
lage unferer Freundſchaft wurde, tes Scepter über die Männer. Manch—
Im Winter war es unendlich ſtill mal nun im Winter, des Sonntags
—
177
giengen die Eltern mit uns hinüber; thigjten gefehlt Hatte, ein unfroher
ins Waldhaus, weil es jchön war,
die mächtigen Tannen des Forſtes im
Schnee= und Reiffhinud zu jehen und
beim Gang über die Berghöhe das
Geläute der Gloden aus dem Thal zu
hören. Wie das da drinnen lag, wenn
man durch den Halbverwehten Hohl»
weg einbog, inmitten der winterlichen
Einfamteit! So weltfern, jo geheim=
nisvoll weihnächtlih für uns, denen
man gejagt hatte, daſs das Ehriftfind
durh den Wald herkäme, der glei
dahinter, ein gejchlofjenes Heer von
Bäumen, ftand und ftundenmweit über
den Bergrüden ſich Hinzog. In der
Stube mit dem großen Ofen hielten
wir Raſt und vermweilten oft bis in
den früh einbrechenden Abend hinein.
Es wurde geplaudert von großen und
Heinen reigniffen, vom Lauf der
Welt, von Krieg und Frieden. Wir
horchten zu, oder hatten unfere eigene
Unterhaltung. Bon den Vögeln, die
in der Stube waren, ließ der eine
oder andere fo ein paar verträumte
Hrühlingstöne zwilhen die Stimmen
der Redenden hören. Die Bögel in—
terejfierten uns immer ganz befonders:
Georg muſste dieNamen und Eigenarten
der Sänger, wie er fie gefangen, wo—
mit er fie nährte u. ſ. mw. erklären,
denn er war ihr Herr und Meiiter.
Er hielt fich fonft meift abjeits, wenn
Säfte da waren und feine Mutter mit
diefen am Tiſche ſaß. Meinem Bater
gegenüber thaute er jedoch zumeilen
auf und ließ jich gern über mandes
von ihm belehren. Er Hatte feine
eigenen ſummariſchen Anfichten über
diefe und jene Einrichtung der menjch-
lihen Geſellſchaft. Er ſchalt auf die
Großen, welche den Heinen Mann er-
drüden, auf die Mächtigen, in deren
Dand Glück und Unglüd der Völfer
liege. Sein Schlagwort war „die
Bande”, die einmal mit allen Un
ebenheiten in der Welt aufräumen
würde. Diefe Macht allein ſchien feine
Sympathie zu haben. Er war, ob»
wohl e3 ihm eigentlih nie am Nö—
Bofegger's „‚Geimgarten‘‘, 3. Heft, XV.
Menſch, in deflen Gedanken nichts
Heiteres gedeihen wollte.
Ubjeit3 auf der Ofenbank hörte
der alte Better den Gefpräcden zu,
wie einer, den alles nichts mehr an—
geht, halb weiſe, Halb kindiſch.
Braden wir dann auf, jo leuch-
tete uns Georg mit einer Laterne ein
Stüd Weges. Oft war aber der
Himmel jo bligend jternenhell, oder es
Ihien auch noch der Mond, fo dafs die
Landſchaft vor uns flimmerte und
glänzte. Der Schnee Mnirfchte unter
den Füßen, jeder Laut hallte in der
unendliden Stille. — Wir drängten
ung dicht an die Eltern, verftohlen zu—
rüdjpähend, ob nicht etwa am Wald-
rand das Chriftlind oder fonft eine
Erſcheinung zu erbliden wäre. Aber
wir ſahen nichts als das Lichtlein
im Waldhaus blinken, vor uns die
Ichneebededte Flur und darüber, uns
ermejslich weit, den Himmel mit feinen
funtelnden Sternen, den verheißungs—
vollen Himmel der Kindheit.
Das Friedensbild diefer Erinne-
rung ſchwebte in jeinem ganzen Zauber
durch meine Gedanken. Hinterher zo—
gen aber die Schatten der düſteren
Sdidjale, welde das Waldhaus fpäter
geſehen. Ih erfuhr die Geſchichte in
der Ferne, Jahrzehnte nachdem mein
Fuß zum legtenmale jene laufchige
Einjamfeit betreten.
Unfere alte Fee war eben nod
älter geworden und vermochte dem
Haufe nicht mehr allein vorzuftehen.
Den greifen Better Hatten fie jchon
längft Hinausgetragen aus dem grünen
Revier, es war num noch um ein Leben
jtiller hier. Da nahm die Frau ein
junges Menſchenkind ins Haus, flinf,
heiter, jehzehnjährig, vater- und mutter-
lo8, ohne ein Band, das es mit den
Menjchen draußen verknüpft Hätte,
gerade jo, wie es die Alte brauchen
fonnte. Sie hatte ein jo junges Blut
genommen, um ſich recht von Grund
aus eine Stüße zu ziehen. Das Mäd—
den wuchs ins Haus, einer Pflanze
12
178
gleih, die im jeden Boden gedeiht. |dem er num felber zur Miete war.
Bald ſchlug fie aber tiefer Wurzeln, | Den ganzen Tag ſaß er in jeiner
als abgejehen war. Kaum achtzehn: | Schufterwerkftatt im dumpfen Kampf
jährig, wurde fie Georgs Weib, um ums tägliche Brot, mehr um diefes fich
einem Kindlein feinen rechtmäßigen |fümmernd, als um die fieben Finder,
Plag in der Welt zu ſichern. Die Ehe die e3 heifchten, — ein düſterer, vor
war nit glüdlih und im Haufe jah der Zeit gealterter Menſch. Die Steinen
es nicht Fröhlich aus, objhon Jahr um |trugen das fertige Schuhwerk aus und
Sahr ein neues Stimmen im den brachten altes zum Flicken heim. Das
Chorus der bereit3 vorhandenen ein= |gieng jo fort, Tag für Tag, bis ein
fiel, bis beim fiebenten das arme Weib | Morgen kam, wo e3 einmal nieder—
jein Leben aushauchte. Da ftand nun |fuhr wie ein Blitz aus brütendem
ein Häuffein Unmiündiger, fait wie in | Gewölt.
die Melt gejchneit und Hilflofer als es Im Walde, tief drinnen, dom
einst ihre Mutter gewejen. Ein finfterer | Wege ab, Hatte ein Reifig ſammeln—
Bater, vor dem fie fich alle fürchteten, |des Weib einen Fund gethan: unter
eine Großmutter, die taub geworden, | Laub, Erde und Moos ein neugeboren,
und nicht mehr von der Stelle Tonnte! |todtes Kind Hervorgezogen. Als das
Das ältefte der Kinder, ein zwölf | Weib aufs Gericht gieng, das Ge—
jähriges Mädchen, mufste fo gut es ſehene anzuzeigen, machte es am Wald-
gieng, bei den Geſchwiſtern die Stelle |haus und an anderen Thüren Halt,
der Mutter erjegen. Noch unreif für um das Erlebnis zu erzählen.
fein ſchweres Amt, wurde es zur Laſt— Der Schufter wurde fahl, als er
trägerin des häuslichen Elends. Selt- es hörte. Er, der ſich nie viel mehr
ſamerweiſe verfrüppelte das junge Ding |um feine „Jungen“ gefchert, als in—
nicht dabei, wenigftens nicht äußerlich. |dem er fie ernährte und ftrafte, ftand
Es wurde ein früh entwideltes Wefen, mitten im Tag von feinem Dreibein
der Geftalt des Vaters nachgerathend, auf und ſchloſs ſich mit feiner Alteften
doch von anderer Gemüthsart. Es hatte [in eine Sammer.
troß allem Luft am Leben und wäre Was drinnen vorgegangen, wujste
am liebſten hinausgewandert aus dem |niemand, nur dajs das Mädchen dar=
düsteren Neft in die fyreiheit. Aber das jauf wie von Verſtand gefommen aus
ging nicht, denn inzwischen war auch |dem Haufe fort in den Wald gerannt
die Großmutter geitorben. Schwere Iund anderen Tages als Leihe aus
Zeiten giengen über die Familie hin; dem Waller gezogen war, das eine
die MWirtichaft war verfommen, das | Stunde entfernt im Lande draußen
Heimweſen vielfach verpfändet. Der | flojs.
Dater hätte das Mädchen im Zorn halb- Bald genug ftellte ſich heraus,
todt gefchlagen, wenn fie ihm gejagt warum fie es gethan. Der Vater felber
hätte, dafs fie lieber in die Fremde | fagte es vor Gericht, als man ihn
gehen, als bei ihm: das Brot der Ar- holte, um die Todte zu bejehen und
muth eſſen wolle, als feine Tochter anzuerkennen. Selte
Noch immer warf der Waldrain ſamerweiſe verdammte die Meinung des
das Echo des Schuſterhämmerchens zu- | Volkes viel weniger die Schuldige, die
rüd, das früh und ſpät fich hören lieh. |fich der Strafe entzogen, als ihn, der
Georg ernährte ih und feine „Sum auf eigene Fauſt mit ihr Gericht ge—
gen“, wie er fie nannte, jeßt allein | halten und dadurch fie in den Tod
durch fein Handwerk. Mit den Wiefen | getrieben hatte. Der finftere Mann
und dem Garten hatte er nichts mehr | war bon da an gemieden, hatte wenig
zu thun, die gehörten einem Bauern, | Arbeit, fand fein Brot nicht mehr.
der unten ins Daus gezogen und bei! Sollte er als alter Gejelle noch einmal
wandern umd bei freinden Meiltern | Sie kamen fort aus der Gegend, das
anflopfen ? Als der Bauer ihm endlich | eine wurde da untergebracht, das an—
wegen rüdjtändigen Zinſes noch das |dere dort; fie wurden auseinander»
Obdach kündigte, das ehedem fein eigen
gewejen, lachte er, den man jonft nie |
mehr lachen gefehen, und meinte ges |
lafjen, ftatt ein gutes Wort zu geben:
nun, jo müfle er eben ein anderes
Unterlommen ſuchen. Droben in feiner
Merkftatt that er darauf feinen alten
grünen Schurz ab und nahm Rod und
Hut. — „Ausgeichuftert !“ wollte der
Bauer ihn noch haben rufen hören, als
er die Thür Hinter ſich zumachte und
mweggieng.
Bon diefem Ausgang kehrte er
nicht mehr Heim. Etliche behaupteten,
gerifjen, wie Blätter vom Herbftwind.
Ob es wohl noch fteht, das hoch—
|giebelige einfame Häuschen mit den
Tannen im Hintergrund, aus denen
im Frühling der Kudud rief? Biel
leicht ließ ein Fchlaues Bäuerlein das
alte verwetterte Ding zu gelegener
Zeit in Rauch aufgehen und baute aus
der Verſicherungsſumme ein neues Hans,
in dem er als Ehrenmann ſeines Gu—
‚tes waltet und feine Nachkommen
verſorgt; vielleicht auch ift alles dem
Boden gleihgemadt, die Unglüds-
er habe das Unglüdsneft einfach im ſtätte wie die alte Poeſie verſchwun—
Stich gelaffen und fei fort, über die den, der Wald gefchlagen und fehon
Landesgrenze ins Weite; andere meine | wieder Jungholz gewachſen, auf das
ten, fort aus der Welt. Gejehen hat der Himmel mit feinen Gejtirnen her—
ihn meines Wilfens niemand mehr.
Seiner finder nahm ſich dann die
Gemeinde an, in die fie zuftändig
waren. Das ſei ihr Glüd, ſagten mit-
leidige Seelen, der Vater hätte doc)
nichts Rechtes aus ihnen gemacht.
DVielleiht Hat der unfelige Manı an
jenem letzten Tage dasſelbe gedacht.
abſchaut, wie damals — —
Uber meinen Träumen war der
Schein im Weſten erloſchen; Sterne
blitzten jetzt zwiſchen dem treibenden
Gewölk hervor. Der kleine Sänger aber,
der die Erinnerung ans Waldhaus
wachgerufen, hatte längſt ſchon fein
Köpfchen unter den Flügel geſteckt.
Das Mädchen unter dem Fichtenbaum.
Ein Märden für große Rinder.
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BI wo eine MWeidenau zu Ende
geht und eine Steppe beginnt,
2 fteht ein Heiner dunkler Fichten
wald, und unter einer der uralten
Fichten ftand vor nicht langer Zeit
ein Schönes fchlantes Mädchen und
wartete,
Die Eltern des Mädchens waren
die weite Welt gegangen und es war
niemand vorhanden als eine alte
Muhme mit wirrem Daupthaar und
langem ſpitzem Kinn. Diefe Muhme
ſagie eines Tages zum Mädchen:
„Dora! das Haus, in dem du wohneſt,
gehört nicht mehr dein, das Gewand,
‚in dem du gehſt, ift micht erworben,
kurz hintereinander auf den Kirchhof das Brot, welches du iſſeſt, ift gewürzt
getragen worden, der Bruder war in mit herber Nachred’, und das Lamm,
12*
—
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weldhes wir heute fchlachten wollten,
bat in diefer Naht der StöfleleZerg
geholt. Wir haben nichts mehr. Dora,
du mußſst fortgehen.*
Da ſagte das Mädchen: „Wohin
ſoll ich gehen? Ich habe nicht gelernt,
ein Haus zu bauen, ich habe nicht
gelernt, ein Tuch zu weben, ich habe
nicht gelernt, das Brot zu erwerben.“
„Nicht mit dem was du kannſt,
verdiene dir dein Leben, ſondern mit
dem was du biſt“, alſo die Muhme.
„Du biſt ein ſchönes Kind, Dora,
du biſt ein ungeheueres Glück für den,
der dich erkennt, und er wird dir all
ſein Hab und Gut zu Füßen legen.“
Das Mädchen hub an zu weinen,
denn es verſtand nicht, was die Muhme
meinte.
„Warum biſt du betrübt?“ fragte
es dieſe, „du muſst ja munter ſein
wie die Lerche im Kornfeld. Gehe nur
hinaus an die ſchöne breite Straße,
die fo ſchneeweiß daliegt über das
Land hin, wie ein aufgefpanntes Lein—
wandfah. Dort, wo die Straße durch
den dunklen Fichtenwald geht, ftelle
did unter einen Baum und warte
bis er kommt.“
„Wer ſoll denn kommen?“ fragte
das Mädchen.
„Dein Bräutigam wird kommen.“
„Mein Bräutigam !* alfo jauchzte
das Mädchen auf. Und danı lachte
es ftill und heiter, wie ein Maiglödlein.
„Er wird kommen und um dich
werben und dich mit ſich führen. Aber
du mußſst dich nicht an ihm irren,
denn es werden viele borübergehen
und dich anfchauen mit wohlgefälligen
Augen und ich fo benehmen, als wären
fie dein Bräutigam, Gib acht, Kind,
der Rechte tft nur einer! ber mit
dem geh’ und dem vertrau'.“ —
Alfo Hatte das schöne jchlante
Mädchen feine Sachen in ein Hands
bündel gethan, war damit auf die
weiße Straße gegangen und an der—
jeiben dahin bis zum dunklen Wald,
Dort Hatte es ſich unter eine uralte
Fichte geftellt und dort wartete es
nun auf den Bräutigam, — Sein
Ichlichtes Kleid Hatte die Farbe von
blajien Rojen, um den runden lilien—
weißen Hals hatte es ein blaues Bänd-
hen, an welchem ein elfenbeinernes
Kreuz hieng — das die Mutter im
Sterben ihm umgehangen als Ver—
mädhtnis. Das Hichtleuchtende Haar
war fraus und flaumlodig und um—
floſs gleihjam wie ein Heiligenſchein
das runde blühende Gefichtchen. Der
Heine vote Mund war nit ganz
geſchloſſen, es ſchimmerte ein weißes
Zähnchen durch; die wie ein Kirſch—
lein gewölbte Oberlippe zuckte ein
wenig. Die runden tiefblauen Augen
ſtanden weit offen, denn ſie ſchauten
ja nach dem Bräutigam aus.
Am Morgen war der Thau ge—
hangen an den Zweigen des Baumes
und in jedem Tropfen loderten Himmel
und Erde in all ihren Farben und
Feuern. Und zu dieſer Morgenſtunde
ſchritt die Straße entlang ein junger
Wanderburſche. Der hatte eine ſchöne
geſchmeidige Geſtalt und einen hellen
Blick, in welchem Frohſinn und Klug—
heit war. Auf ſeiner Oberlippe ſchat—
tete ein braunes Bärtchen. Das Ge-⸗
wand, welches er trug, war ärmlich
und hatte Flicken an den Ellbogen
und an den Knien, und doch ſaß es
durchaus gut auf dem ebenmäßigen
Leibe. Bei ſich trug er nichts als
einen Heinen Korb mit Handwerks—
zeug und ein feines Spazierjtödchen.
Als er das Mädchen unter dem
Baume erblidte, blieb er ftehen, lüf—
tete fein graues Hütchen und fragte
freundlih: „Was ftehft du denn da?“
„SH warte auf meinen Bruder,
der Jäger ift und Faſanen ſchießt
dort umten auf der Au*, fo log das
Mädchen, denn das begriff es wohl,
die Wahrheit durfte er nicht merken.
Der Burſche aber fprah: „Ach
bin auch ein Jäger, der nach Arbeit
jagt, habe aber feine liebe Schweiter,
die auf mich wartet. Darum kann ich
weilen und dir die Zeit vertreiben
helfen.“
„Es it gut gemeint“, antwortete
fie, „doch ich vertreibe mir die Zeit
und die Leut', die mir nicht gefallen,
Ihon allein.“
Der MWanderburfche wußſsie recht
gut, wie da3 gemeint war, dachte
aber bei fih: die Straße ift unſer
aller Heimat, da fanıı fie mich nicht
binausjchaffen, und der grüne Wald
ift unfer aller Hütte. Er ſetzte ſich
neben fie auf den Rafen und fagte:
„Die Sonne fteht ſchon hoch über der
Au. Wir wollen frühftüden miteinan-
der.“
Er zog aus dem Sade ein ſchwar—
zes Stüd Brot, brach e3 mitten aus—
einander, hielt den einen Zheil dem
ftehenden Mädchen hinauf und fagte:
„Nimm. So nimm doch. Ich habe
es erſt jelber zu Schenken bekommen
und ich meine, e3 jchmedt doppelt,
wenn gleichzeitig zwei daran eijen.*
Das Mädchen ließ ein wenig
das Augenlid finlen und antwortete:
„Schwarzbrot! Ich bin Backerk ge-
wohnt zum Frühſtück.“
Der Burſche ſchwieg und af fein
Prot allein. Nah einem Weilchen je⸗
doch fragte er fie, ob er ihr einen,
friſchen Trunk Wafler bringen dürfe;
dort am Waldrand ſei eine Duelle
und beſſeres Waller bekäme fie auf
der ganzen Welt nicht.
„Brot und Waſſer!“ lachte jie
auf, „o du armer Schluder!“
Darauf fagte der Burſche nichts
mehr. Er ftand auf, Lüftete fein Hüt—
fein und jchritt davon.
Das Mädchen blidte ihn nad. —
Warum er nur Schon geht? fragte fie
ji, warum er es jo eilig hat? Was
es für ein ſchöner Knabe ift! Einen
jo Schönen Menſchen Habe ich mein
Lebtag nicht geliehen. Am Ende —
ift e8 der Bräutigam geweſen! Nein,
das kann nimmer fein, ed war ein
Bettelmanın.
Sie fand unter dem Fichtenbaum
und wartete,
Ein mildes Lüftchen riefelte manch—
mal in den Wipfeln, und in den Aſten
EAU
jubilierten die Finken und die Amjeln.
Die Schatten der Bäume waren fürzer
gerorden und legten ſich nicht mehr
hin auf die weiße Straße. Auf diefer
fam jet eine Staubwolfe heran, in
der Staubwolke rollte ein zierlicher
zweiräderiger Wagen, in welchem ein
blaubefradter und bochbehuteter Kut—
Iher ja. Auf dem Bode ritt ein
junger Herr, welcher zwei Paar flinfer
Pferde leitete. Drohte es chief zu
gehen, jo griff der Kutſcher ein, und
flog das Gefährte glatt dahin, jo wies
der junge Herr den aufmerkfam auf
etwelhe Gefahren lauernden Kutfcher
zurüd: „Schweig’! Das verftehft du
nicht.“
Als folder Paffagier unter dem
alten Feigenbaum das Mädchen fah,
riſs er jo Heftig an dem Leitriemen,
daſs die Pferde plößlich ftehen blieben
und falt aufbäumten. Er fprang vom
Kutſchbock, trat mit Heinen eiligen
Schritten Hin und rief: „He, Tchöne
Maid! Unter dem Baum! und es regnet
gar nicht! Über die Steppe? Höflichit
eingeladen, mitzufahren!”
Vier Röffer wären ihr zu wenig,
‚gab das Mädchen zur Antwort, und
zwei MWagenräder zu viel. Ihr Vater
habe zehn Pferde und feinen Wagen,
denn er weide fie auf der Steppe und
verfaufe fie an vornehme Cavaliere.
Der junge Herr hatte in der Fauſt
ein Ding, mit dem er fi den Baden-
bart Ärih und in das er jebt ein
wenig hineingudte; das Mädchen er=
fannte es al3 einen Taſchenkamm mit
Spiegeldhen.
„Möchtedie Pferde ſehen!“ ſchnarrte
er nun. „Vornehmer Gavalier! Vater
geadelt worden. — A propos, Kleine,
ich liebe dich.”
„Und ich warte eben auf meinen
Bräutigam“, jagte das Mädchen.
„Dh fatal!“ näfelte er, „übrigens
— thut nichts. Holt uns nicht ein.
Vollblut!“
„Ich bin zwar“, ſagte nun das
Mädchen, „all meiner Tag in keiner
jo fürnehmen Kutſche gefahren. Möchte
e5 aber wohl einmal. Bei euch hätte
ih es gewiſs gar nicht ſchlecht, nur
hat's halt einen Hafen. Der Herr
fommt mir etwas dumm vor, und fo
was mag ich nicht.“
Der Gavalier ftieß ein paar kurz
gebrochene Laute aus und that, was
in diefem alle jehr Hug war, er
jprang auf den Bod und lieh es da—
vongehen. Das Mädchen blidte der
Staubwolfe ſchmunzelnd nah und
date: Der war ed mit. —
Es blieb ftehen unter dein Fichten
baum und wartete,
Bald war die Schwüle und Die
Stille des hohen Mittags. Kein Blatt
regte fih und fein Flügel. Schwer:
fällig und ächzend kam ein Bauern
farren herangezogen. Zwei Hobige Och—
jen zogen eine Ladung Getreide; auf
dem oberiten Sade ſaß ein hagerer
Mann und leitete mit trägem Hi und
Hottah das Gefährte. In den Wald
gelommen, jpannte er die Ochſen aus,
führte fie zwifchen das Geftämme hin,
dafs ſie ruhen konnten und Gras
frejjen. Er jelber wollte fih in den
Schatten jeines Karrens legen, da be—
merkte er am Baume das Mädchen.
„Iſt das nicht die Dora ?* fragte
er. „Was macht denn du Hier ganz
allein ?*
Sie gab feine Antwort. Er trat
hin zu ihr in den Schatten, nahm
der Kühlung wegen den großen Filz—
hut vom Kopf, da ſah man fein granes
Haar,
„Halt du ſchon zu Mittag ge—
geſſen?“ fragte er und hub an, einen
Heinen Pad auseinander zu thun.
„Sieh, das langt Für zwei.“ Brot
und Rauchfleifch und Käſe. Das Mäd-
hen fchielte ein wenig fo darauf hin.
Es Hätte ſchon Neigung zum Eſſen,
und der Klaus — er war es ja, der
wohlhabende Bauer — Hatte immer
eine väterliche Gejinnung für fie bes
wiefen, da fonnte fie ja etwas an—
nehmen. Sie ſetzte fich daher ein paar
Schritte von ihm entfernt auf das
Moos und langte bejcheidentlich hin—
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über, als der Klaus ihr ein faftiges
Stüd entgegenbielt.
„Wie geht es dir denn, ſeit dir
Bater und Mutter geftorben jind?“
fragte er fie dann freundlid. „Ber:
laffen wirft fein, ih glaube dir’s. An
dich denke ich oft, Dora“, jehte er
leife bei. Das Mädchen blidte ihn be—
trübt an und biſs dann tapfer in das
Geräucherte.
„Ich komme mir auch verlaſſen
vor, ſeit mein Weib geſtorben iſt“,
fuhr er fort. „Mufs mich auch wieder
um was Liebes umschauen. Allein
geht’3 nicht auf der Welt, Meinft du
auch jo, Dora ?*
„Hreilich * ‚antwortete das Mädchen.
„Auf meinem Hof ift fein Schlechter
Ort“, Sagte der Klaus. „Wir lafjen
uns nichts Fehlen und das da“ — er
deutete auf die Getreidefuhr, „das ift
wieder übrig geworden. Der dumme
Stöſſel-Zerg wollte in der vergangenen
Naht ein Bündel davon ftehlen, hat
aber Statt des Kornſacks einen Sad
mit Scheuerfand erwiſcht. Aljo habe
ih gottlob immer Glüd und diefes
Korn führe ih auf den Markt, gibt
gutes Geld. Aber jetzt zu was brauche
ih denn Geld, wenn ich dir fein ſei—
denes Jöpplein kaufen will, Dora!
Schon lange kenne ich did, und wie
du Schön und ſittſam bift, habe ich
mir oft gedacht, wäreft nicht zu ſchlecht
zur Hanswirtin für meinen Hof. —
Du ſagſt nichts. Warum fagft du
denn nichts, Dora? Korn ausführen
und ein Weib heimbringen, das wäre
mir ein glüdlicher Tag. Ja, Mäpdel,
e3 wäre mein heiliger Ernft. Warum
fagft du denn heute nichts zu mir?“
„Ih bedankt’ mich ſchön, Vater
Klaus“, flüfterte das Mädchen. Das
verftand er. Vater Haus! Freilich
war er nicht mehr jung. Seit einem
Menichenalter hieß es immer von ih,
er wäre ein Mann in den beiten
Jahren.
Troßdem er abgewieſen war, trug
er dem Mädchen noch Käſe an; das
dankte aber, es fei Schon fatt,
„Willft noch bleiben da? Oder
willit mitfahren auf den Markt?"
fragte er.
„Sch will noch bleiben da“, ant-
wortete das Mädchen,
Vater Klaus ſpannte feine Ochjen
ein und fuhr langjam davon. Dora
ſchaute ihm nah und murmelte: „Es
wäre fein ſchlechter Ort, aber das
graue Haar! Das graue Haar!“
Das Mädchen blieb jtehen unter
dem Fichtenbaum und wartete,
Es wartete, bis dem Himmel das
Auge übergieng. Die Schatten dehnten
fih wieder, an dem Fichtenſtamme
Hetterte ein Eichlägchen auf und ab,
von der Steppe ber Hallte das Bellen
eines Thieres. Über das Firmament
zogen Wolfen heran, theil3 von der
Sonne beſchienen, jo daſs fie wie
Goldſcheiben Leuchteten, theils trübe
und roſtbraun, al3 wären fie gewitter-
jhwer. Das Mädchen blidte unver-
wandt auf die Straße bin. — Jetzt
fönnte er doch ſchon bald kommen.
Und er kam. Ein ſtämmiger Daun
mit braunem Haar und rothem Bart
und mit Scharfem gebieterifchem Auge,
Er hatte um die Lenden eine weiße
Schürze gejchlungen, er führte am
Strid ein falbes Kälbchen und ein
großer Hund bellte hetzend um das
geängftigte Ihier. Dem Kalbe fnidten
die Vorderfüße ein, als ob es kniend
um Gnade flehen wollte, aber der Hund
biſs es in die Schenkel und der Mann
riſs es mit dem Stride empor.
Da rief das Mädchen auf die
Straße hin: „Seid doch nicht jo grau—
Jam!”
Der Fleifherfneht jah Hin und
fagte: „Du Haft recht, ſchönes Wald—
fräufein. Das Kalb ift ſchon müde,
ih will e3 raften lafjen unter den
Bäumen und mich zu dir ſetzen.“
Und als er den Strid au den
Baumaft gebunden Hatte, und zu ihren
Füßen ſaß, fagte er: „Du bift ja die
Ihöne Dora, die ich Heiraten möchte.“
„So einen, der Kälber Schlachtet,
nehme ich nicht“, war ihre Antwort.
183
„Warum?“ fragte er, „jo einer ilt
gefund und ſtark und hat Geld. Aber
ih will dir diefes Kalb ſchenken, du
fannjt es aufziehen, dafs es Milch
und Junge gibt und du einen ſchönen
Viehſtand bekommſt.“
„Ich will feinen Mann, der grau—
ſam iſt“, gab fie kurz zurüd.
„Wenn du mich nicht woillit, jo
werde ih noch graufamer jein und
das Thier vor deinen Augen zu Zode
hetzen laſſen.“
„Das könnt Ihr thun“, verſetzte
ſie noch und dann ſchwieg fie beharr—
lich auf alles was er ſagte, bis er
verdroſſen und roh mit Kalb und
Hund ſeines Weges zog.
Gott behüte mich vor einem ſol—
chen! dachte ſich Dora, blieb aber ſtehen
unter dem Baume und blieb ſtehen.
Nun begann der Abend zu däm—
mern. Das Mädchen wußste, daſs es
auf der Steppe Wölfe gab. Wo iſt
der Bräutigam? Keiner von allen,
die an dieſem Tage vorüber gekommen
waren, konnte es geweſen ſein, jeder
hatte einen ſo großen Fehler gehabt.
Der eine war arm geweſen, der an—
dere dumm, der dritte alt, der vierte
roh. Der fünfte wird recht ſein. Wenn
er nur käme! Es finſterte die
Naht. Lange ſtanden die Fichten—
wipfel noch ſchwarz in den Himmel
hinein, endlich ſah man fie nicht mehr
und es war rabenjchwarz um und
um. Über das Mädchen war eine große
Angſt gelommen, aber nun fonnte e3
gar nicht mehr weiter, weil es nicht
Meg, nicht Steg fand. Und wie e8
über den langen Tag unter dem Fichten
baum geftanden war, fo ftand es auch
in der Nacht unter demfelben und ihr
einziges Denken und Fühlen und Beten
war: Wenn er nur fäne!
Da hörte fie Schritte. Heftig pochte
ihe junges Herz, vor Furt und vor
Hoffnung pochte es, und als die ſchweren
Schritte näher kamen, that jie einen
Angſtruf.
„Wer iſt da?“ fragte eine Männer—
ſtimme.
184
Das Mädchen hielt den Athen
ein, aber der Mann ftand Schon vor
ihr und nahm fie an der Hand. Er
hielt fie feft und als er fie an ich,
mit fich 309, war der Widerjtand nicht
groß. Er führte fie durch den Wald,
er führte fie über die Steppe, e3 war
als fliegen fie nieder in eine Schlucht
und traten in einen underirdifchen
Raum. Auf eine Schichte von Moos
fant das erjchöpfte Mädchen nieder
und ſchlief.
Die Steinwand war ſchon grau,
al3 e3 immer noch jchlief und genau
in derjelben Qage, wie es hingefunfen.
Am Eingange auf einem Haufen Sand
ſaß ein Greis, der hatte ein Auge
verbunden, mit dem anderen blidte er
trübjelig auf die Schlummernde und
erwog, mas da zu madhen wäre. —
Ein gang einzig feiner Yang! ber
wie ihn ausnützen? Das fchöne Kind
verlaufen? —
Endlich erwachte das Mädchen, rieb
ih die Augen und ſah verwundert
umber. In einer Felſenhöhle war fie,
von den Wänden fielen Wailertropfen
auf das Moos herab. Die Spalte,
welche den Eingang bildete, war faſt
verwachſen von wuchernden Sträudern,
durch welche das Tageslicht fpärlich
hereinkam. Am Eingange, neben einen
träge glofenden euer, im welchem
Pilze brieten, hodte ein widerlich häſs—
fiber alter Mann in feuchte Lumpen
gehüllt. Es mar Stöljel-Zerg, der
Dieb. — Der bewadhte fie. Der alfo
hatte fie hierhergeführt, dem war jie
gefolgt al3 ihrem Bräutigam....
Nah dem erften Schred lachte fie
laut auf, Ein Verzweiflungsjchrei war
diefes Lachen. Alle anderen hatte fie
abgemwiejen, weil jeder einen fehler
gehabt. Sie wollte nur einen Fehler:
lofen nehmen. Jetzt hatte fie einen,
der alle Fehler zufammen hatte, er
war arm und dumm amd alt und
ſchlecht.
Darum Hatte fie fo wild aufge—
lacht.
„Du lächelſt, mein Schatz“, ſagte
der Stöſſel-Zerg. „Ich will dir etwas
ſagen. Ein Weibsbild kann ich nicht
brauchen. Einen Kameraden will ich
haben in meinem Geſchäft, denn mich
verlaſſen die Kräfte ſchon. Darum
muſst du jetzt in dieſen Männeranzug
ſteigen und ein kecker Burſche werden,
daſs du in Dachfenſter kannſt kriechen,
Schlöſſer kannſt öffnen und Schätze
tannſt ſammeln für mich, deinen Herrn.
Ich werde dich ſchon unterweiſen.“
Das Mädchen war klug und dachte,
Männerkleider wären ein ſicherer Hort.
Es zog daher das Gewand eines Bau—
ernknechtes an, welches der Stöſſel—
Zerg einſt heimlich aus einem Hofe
geholt hatte, und als Dora in der
Hoſe ſtak, empfand ſie auch ſchon
Mannesmuth. Wohlgemuth aß ſie mit
dem Greiſe die gebratenen Morcheln,
dann machte ſie ſich bereit, auf Beute
auszugehen, und der Stöſſel-Zerg nickte
beifällig mit dem Kopfe.
Alſo eilte über die Steppe ein
flinker Bauernknabe dahin, und als
er zur Straße kam, begegnete er zwei
Landwächtern. Denen verriet er das
Neſt des Stöſſel-Zerg. Dann lief er
die Straße entlang, unermüdlich bis
Mittag. Um dieſelbe Zeit war es,
daſs er einen jungen Wanderburſchen
einholte, welcher ein Gewand mit Fli—
cken trug, eine geſchmeidige Geſtalt
hatte, an der Oberlippe ein braunes
Bärtchen, und im friſchen Geſicht ein
betrübtes Auge.
Der Bauernknabe drückte den Filz—
hut tief über die Stirn herab und
fragte: „Wohin gehft du denn?“
„Das ift einerlei”, antwortete der
Wanderburjche.
„Seht du nach Arbeit aus?”
„Es iſt einerlei. Im nächften Dorfe
beim Schmied ift mir Arbeit zugejagt,
ih nehme fie nicht.“
„Warum nimmft du fie nicht?“
„Mich Freut nichts mehr.“
„Wenn di nicht arbeiteft, kannſt
du nicht heiraten.”
„Es ift einerlei. Geftern babe ich
fie das eriemal gejehen und das letzte- fragte fie wie ein lieber Schelm.
mal. Sie will mid nidt.
fterben.”
„Willſt jo ganz allein fterben |
gehen?“
„Es ift einerlei.“
„Willſt du nicht auch mich mit»
nehmen? Jh will auch fierben gehen.“
„Was thut denn dir weh?“
„Dafs mir mein Schaf ift davon—
traurig ift. Und dajs mein Schaf
will fterben gehen.“
Als der Wanderburfche folches
Wort gehört Hatte, blieb er ftehen und
fhaute feinen Weggenofjen an. Das
Mädchen jchleuderte den Hut im die
Lüfte und lachte.
„Ich
Ich gehe gehe recht gern mit dir — fterben
‚oder leben mit dir, ift mir einerlei.“
Leben !* jauchzte der junge Manz
|derburfche, fein Auge leuchtete in lauter
Frohſinn. Und Hierauf ſchritten fie
felbander dem nächſten Dorfe zu, wo
‚Arbeit war und wo ihre Zufunft lag.
Hurtig gieng der junge Schmiedgejelle
‚dran,
gegangen. Und dajs mein Schaf fo
jeinen Fehler abzulegen. Und
im Grunde gewöhnt fich ein fleißiger
Mann keinen Fehler jo leiht ab, als
den: arın zu fein.
— Nehmt euch in act, ihr hüb—
ſchen Dirnlein al! Nehmt euch in
acht beim Abweifen und beim Zufagen.
Nicht jede trifft e3 ſchließlich noch jo
gut wie das Mädchen, das unter dem
„Sehen wir zwei miteinander ?* | Fihtenbaume ftand.
Wenn auch!
& habe di jüngft auf dem Weg eripäht,
Zur Seite dein Weib dir, fo hold;
BE Es hatte, o Kiebfter, euch beide ummeht
ol
Der Abend mit flammendem Gold.
Boll nedenden Scherzes und froher Haft,
So wandelte fie neben dir;
Und du — ihren Arm mit dem deinen umfajst,
Giengft achtlos vorüber an mir.
Wohl blieb an der Stelle ih feitgebannt,
Als hielte der Tod mich zurüd;
Do bald, und es hatte mein Herz fih ermannt
Zu neuem erwärmendem Glüd:
Bift ihr du auch eigen vor aller Welt
Zu Sinnen und Lieben und Sein,
Wenn ihr all dein Frohſinn zu Opfer aud fällt,
Dein Schmerz und dein Kummer find mein!
@ttilie Bibns.
186
Die Gedichte vom armen Mann in Tokenburg.
Von Richard Yof.
® (Fortſetzung.)
az
> urüd don diefer wehmüthigen | Auch ſonſt iſt er nicht glüdlih. Die
‚„ Brauengeftalt, viele Jahre Frau hat das Regiment und hält die
= zurück. Zügel mit ſtarker Hand ſtraff und
Uli Hält Umſchau unter den Mäd- feſt. Sie iſt eine verſtändige Haus—
chen des Thales, um die „Rechte“ zu frau, eine brave Mutter, ein treues
finden. Er ſucht lange. Da eines Tages Weib, und wenn Uli von ihr ſpricht,
ſieht er ein Mädchen mit einem geſchieht es immer mit Achtung, immer
„Amazonengeſicht“, und dieſes iſt die mit Anerkennung, immer mit Dank—
Rechte, und dieſes wird feine Frau. barkeit, aber niemals mit Liebe.
Er muſs lange werben, und es ift Ui Hält einen Handel mit Baum-
feine jelige Bräutigamszeit. Sein! wolle, er bat einen Webftuhl aufge-
Mädchen ift nicht die „Reiche“, wie jtellt. Aber da er jelber nichts Hatte,
der Vater fie wollte; fie ift auch nicht und aud die Frau nichts mitbrachte,
ſchön, aber fie ift tüchtig und klug, ſo war alles mit Erborgtem anges
eine derbe Geftalt, aus ftarfem Holze | fangen, und wurde alles mit Erborg—
gefhnigt, die fein Sturm fo leicht tem mühjelig und mothdürftig im
beugt; das „Amazonengefiht“ ift an | Gange erhalten. Wie hart er auch
dieſem Mädchen für alles bezeichnend. | arbeiten mochte, wie ängitlih aud
Er freit um fie ohne Liebe, und ohne | feine Frau im Haufe zufammenbielt,
Liebe wird er erhört. ſparte und forgte, fie konnten kaum
Es iſt eigenthümlich, wie diefer Mann, | die tägliche Nahrung ſchaffen; an ein
dem das Wort „Geichäft“ fremd war, | Abzahlen der Schulden war nicht zu
obgleich es für ihn fo viel wie „Leben“ |denten. Ulrich probierte diejes und
bedeutete, gerade aus feiner Heirat jenes; er probierte afles, aber bei
ein Gejchäft machte, das denn in der allem hatte er Unglück. Die alte Berg:
That auch das einzig Gute war, was | fehnfucht kam wieder, das alte, ſchmerz—
er in feinem ganzen Leben zuftande liche Deimmeh nah Taunenwald und
gebradt. Die Wahl diejes Mädchens | Freiheit. Was hätte er drum gegeben,
mit dem „Amazonengeliht“ bat bei | wieder der Hirtenbube von damals zu
Ulrich gewiſſermaßen der-Inftinet der | fein! Sein Geichäft gedeiht nicht, jeine
Selbfterhaltung vermittelt; und in der | Frau ſpart und zankt, und verfteht
That, eine Heirat „aus Liebe“ wäre | ihn nicht, in feiner Regung, in feinem
für ihn, den unprattifhen Träumer, | Gefühl. Er hält es nicht länger aus.
fiherer Untergang gewejen. | Da er aber nichts ändern Tann, ſucht
Uli hat ſich ein Haus aufgezim⸗ | er dem Leben zu entfliehen, in eine
mert, und holt fih nun die Hausfrau, | ‚andere Welt fi zu flüchten, in eine
Die junge Ehe fängt traurig genug | Traumwelt, die glüdlicher ift, als die
an. Der Bater wird beim Holzen von wahre. Wenn er am Tage fi müde
einem niederftürzenden Stamme ge= | gearbeitet, wenn Frau und Kinder
töbtet, und Ulrich muſs nun ftatt des | fchlafen, ftehter auf, und beim heim—
Vaters für die Familie Brot ſchaffen. lich erfparten Serzenlicht liest er in
es
187
Büchern, die er irgendiwo ausfpioniert,
und über diefen Büchern vergifst er
jeine ärmliche Hütte, fein häusliches
Elend, die Welt und jich ſelbſt. Da
fällt ihm ein: wenn du jelbit Bücher
Ichreiben würdeft! Der Gedanke fafst
die ganze Seele des Mannes, und
ftatt die Nächte zu durchlefen, durch—
Ichreibt er fie jetzt. Er muſs jehr
heimlich zu Werke gehen, damit feine
Huge Dausfrau nichts merkt. Sie
würde ihm Vorwürfe machen, das
theuere Licht jo nutz- und ſinnlos zu
verfchwenden. Uli aber jchreibt; er
ichreibt jeine Lebensgeihichte: was
hätte er anderes jchreiben jollen, er
fennt ja nur fein Ich und das, was
diefes Ich gedacht, gelebt und gelitten.
Und leiden muj3 er jeht viel.
Zwei feiner Kinder ftarben, beide
ift nicht Schuld an feinem Elend. Diefe,
die jo denken, find milde gegen den
Armen. Andere aber drängen ihn,
wollen bezahlt fein. Die Arbeit muſs
liegen bleiben, und er läuft die Tage
umber, Hilfe fuchend, um Nachſicht
bittend, um Milde, Erbarmen. Das
find Gänge, die den Mann tief de=
müthigen, die fein Haar frühzeitig
grau machen.
Viele Jahre jchleppt Ulrich ſich To
hin, immer den völligen Zuſammen—
bruch abhaltend, den gänzlichen Ruin
aufichiebend. Ihm ergeht es, wie
einem, der aus hellem Zimmer plößlich
in dunfle Nacht tritt; nichts kann er
jeden, nicht Weg und nicht Steg;
aber feine Augen gewöhnen fi an
da3 Dunkel, und bald erkennt er
Umriſſe, bald auch die Dinge, und er
in einer Woche, jein ältefter Sohn | findet feinen Weg, und fehreitet ihn
und jein Mädchen. Dem Sohne fchreibt ruhig und ficher. So ergieng es Ulrich
er jelber die Leichenrede, es war fein mit ſeiner Noth: zuerſt macht ſie ihn
Liebling geweſen. Die kleine, kalte
Todtenhand greift in ſein warmes
Leben, und manche ſchöne, knoſpende
Blume eritarrt.
Auch jein Weib Fränfelt, und er
jelbjt, wie er gegen die Stranfheit auch
ringt, wird don ihr niedergeworfen.
Ulrich will beten, und fühlt zum
erſtenmale, dajs ihm das Beten nicht
Troft gibt; er will am Gott denen,
und fanı Gott nicht mehr finden; er
jieht den Tod, das bleihe Geipenit
entjeßt ihn — wenn er jeßt ftirbt,
wird auch fein ehrlicher Name mit
ihm begraben. Er darf nicht fterben,
er muſs leben und arbeiten; arbeiten,
um jeinen Kindern wenigfiens den
ehrlihen Namen der Bräfer ala Erbe
zu laffen! Und fein mächtiger Wille
zwingt feine Kranfheit, und wie er
wieder gejund ift, arbeitet er denn
wieder. Er arbeitet Tag und Nacht,
jahraus, jahrein, aber es bleibt alles
beim Alten. E3 kommt zur höchſten
Noth, zu einer Noth, die ihn schier
faſſungslos macht. Einige feiner Gläu—
biger ſind menſchlich. Die Zeiten ſind
ſo hart, daſs jeder leidet; und Bräker
faſſungslos. Er weiß kaum woher und
wohin; was er fühlt, iſt Verzweiflung.
Mit der Zeit gewöhnt er ſich an das
Elend; er taſtet und tappt ſich hin—
duch; es wird ihm etwas Alltägliches,
und er erträgt es.
So lebt er fort. Die Nächte durch—
Schreibt er jegt wieder, und es jind
föftliche Nächte. Das trübe Licht, bei
dem er liest und finnt, iſt der einzige
Strahl, der in das dunkle Leben des
armen Mannes fällt, aber er dünkt
ihm fo Hell, wie die Sonne. Er nennt
die Bücher feine „platonifchen Ge—
liebten”, und in feiner Kirche war
einem Gläubigen ein Gegenftand fo
heilig, wie im diefem armen Haufe
dem Ulrich Bräfer die Feder. Er
ſchreibt hin, was ihm gerade einfällt,
wie ihm die Gedanfen gerade kommen,
und wie er fie denkt, jo fpricht er lie
aus. Einmal findet er den Muth, Tich
an eimer Concurrenz zu betheiligen.
Er ſchickt der Geſellſchaft, die jie aus:
geichrieben, die Arbeit ein: Eine Ab-
handlung über Gredit und Baum—
wollenerwerb, und feine Arbeit erhält
einftimmig den Preis. Das macht ihn
188
zum glüdlihen Manne. Aber feine
edle, ftolze Beſcheidenheit bleibt die—
jelbe. Keine Überhebung, nicht vor ſich,
und nicht bor anderen. Es kommen
jet viele, die den armen Weber fennen
lernen wollen, darıınter mancher ge=
lehrte Herr aus der Stadt. Von den
meiften wird er nur angeftarrt, andere
drüden ihm Herzlich die Hand, fagen
ihm manches gute Wort, und werden
feine Freunde. In dem benachbarten
Städtchen Lichtenfteig fordern fie ihn
anf, ein Mitglied der „moralifchen
Gejellihaft“ zu werden. Ulrich, in
feiner Bejcheidenheit, will es nicht an=
nehmen; man dringt in ihn, und er
thut es. Wohin er kommt, wird er
mit Achtung empfangen, und die ein—
fache Würde feines Weſens beweist
ih auch Hier. Einer der ſchönſten
Tage feines Lebens ift es, wie er zum
eritenmale eine Bibliothel fieht —
dieſe Schränfe voll Bücher! Das Herz
ſteht ihm Fast ftill. Und diefe Bücher
darf er nun leſen; welche er will, jo
viel er nur will; und er liest fie.
Goldoni und Moliere, Gejsner und
Klopſtock, Goethe's Götz und Elavigo,
Jung⸗Stilling und Lavater, Plutarch
und Juſtus Möſer, den Koran und
Linne, und vor allen Shalefpeare —
Shalkeſpeare! Welche Welt geht ihm
auf, welche weite, wunderbare, herr=
lie Welt!
Seine Nahbarn zuden die Achſeln
über den jeltjamen Mann, feine alten
Bekannten ziehen fih von ihm zurüd,
feine Fran hätte alle Bücher und
Papiere der Welt verbrennen mögen,
und vergällt ihm nach Sräften das
Leben und jeden Genus. Die neuen
Freunde, die er fich erworben, die
Bücher, die er liest, das neue Dafein,
das ihm die Kenntnis derjelben ge-
geben, feinen Menſchen bildet es, er-
zieht und erhebt es, aber feine Armuth
wird nur größer dabei. Er liest und
Schreibt noch immer nur Nachts, umd
das Licht, das er dabei verbrennt,
darbt er jih am Tage an feinem
Brote ab; er ift an feinem Webftuhle
und in jeinem Baummollenhandel
fleißiger als jemals, aber — er kann
fich nicht Helfen — feine Seele iſt
nicht bei jeinem Berufe, Ddieje lebt
nur des Nachts, und fängt ein Schein=
leben an, fobald es wieder Tag wird.
Es fommt wieder jene hödhite,
Ichredlihe Noth. Diesmal find feine
Gläubiger weniger gütig; Ulrich ift
nicht mehr einer der ihren. Sie wollen
bezahlt fein, oder ihm wird Haus und
Habe gepfändet. Ulrich Hat jelbit einige
Schuldner, Bis jebt Hat er ſich nie
entichliegen können, von diejen armen
Leuten zu fordern, nun thut er’, nun
muſs er's thun. — „Ih gieng auf
die bejtimmte Zeit mit den Schäßern
zu ihren Häuſern, und Gott weiß!
mir war viel bänger, als ihmen (den
Schuldnern). In dem erjten Augen
blid, da ich an des einen Wohnung
trat, dacht' ih: Wer kann das thun ?
Die Frau bat, und wies mit den
Fingern auf das zerfeßte Bett und
die wenigen Scherben in der Küche;
die Kinder in ihren Lumpen beulten.
Dh, wenn ich nur wieder weg wäre,
dacht’ ich, bezahlte Schäher und Weibel,
und ſtrich mit unverrichteten Sachen
fort.“ — — „Das will ih in meinem
Leben nicht mehr thun. Meine Gläu—
biger mögen eines Tages unbarınherzig
gegen mich fein, ich will's nicht gegen
audere jein. —“
Nachher erfährt er, dafs das Elend
diefer Leute nur eine Komödie ge-
wejen.
Aber feine Gläubiger find weniger
milde als er. Er ſoll ſchaffen und ver—
mag nicht zu ſchaffen, und jet lernt
er die Verzweiflung in ihrer entjeh-
lichten Geftalt kennen — in dem
Spufbilde des Selbſtmordes.
Manchmal denkt er auch an Flucht,
an das ferne glüdjelige Amerika, aber
er Sieht auf fein Weib, auf feine
Kinder, und bleibt. Er will reiche
Menichenfreunde in feiner Noth an—
ſprechen; der edle Lavater fällt ihm
ein. Er hat den Brief ſchon gefchrie-
ben, aber er wird wieder zerriſſen —
er will jelbft mit feinem Schidjale
fertig werben, er will, wa3 er felber
verschuldet, jelbjt wieder vetten. Und
es gelingt ihm! Eine glüdliche Specu=
lation macht ihn zum jchuldenfreien,
und bald zum wohlhabenden Manne.
Nun verdient er. Seine Nachbarn
zuden nicht mehr die Achſeln, feine
Frau zanft und geifert nicht mehr
durchs Daus; aber feine Freunde aus
der Stadt kommen felten und feltener,
— denn der wohlhabende Bräfer
ichreibt und dichtet nicht mehr — und
endlich bleiben fie ganz aus. Auch das
Licht in der Kammer brennt nachts
nicht jo oft: Ulrich Bräfer ift ein
„gemahter Mann“ jetzt ift die Welt
berrlih und Schön, auch am Tage ift
das Leben blühend und froh! es
braucht nicht mehr einer Flucht, eines
Vergeſſens. Und in diefem Wandel
und Beränderlichen bleibt nur eins,
das ift fein Selbft; und dann noch
eins, das ift die Natur. Diefe ift
für ihn noch diefelbe wunderbare, an—
geftaunte, heilige Göttin, im deren
189
räuber, wenn es bei dir ſteht, mich
abzurufen, fo rufe mich doch im Herbit
ab, ehe der unhöfliche Winter kommt!“
Er ftarb, wie er ſich gemwünfcht
batte zu ſterben: die Blume, die im
Frühling gefnofpet, im Sommer ge—
blüht Hatte, wurde vom SHerbitwinde
welt und bleih vom Stengel geweht,
ehe es Winter ward. Schön, wie jein
Leben war, jo ſchön war fein Sterben,
Und ſchön war das Leben diejes armen
Mannes geweſen, ſchön, trotz aller
Sorge und Noth, denn es war ein
freies, gutes, echt menſchliches Leben
geweſen. Als Ulrich ſtarb, glühten
vielleicht die Gipfel ſeiner Alpen im
Abendroth, und ſein ſterbender Geiſt
folgte dem ſtrahlenden Lichte, nach
dem er ſich ſchon im Mutterleibe ge—
ſehnt, und fonnte ſich auflöſen in
Glanz und Sonuenglut, wie es der
Knabe auf der Berghalde geträumt.
ll.
Das war das Leben diefes Manz
Gottheit er ſich mit feinem ganzen nes — das war fein Sterben. Aber
Sein und Weſen verſenkt, die er mit von ihn felbft will ich noch reden,
feinem ganzen Weſen anbetet und von feiner Menfchheit, feiner freien,
feiert. ih möchte jagen künſtleriſchen Indi—
So wird Ulrich Bräfer ein alter vidualität, von feinem einfachen und
Mann, ud als er alt ift, wird er! einſamen und doch ſo vornehmen
wieder arm, ſo bettelarm, daſs nie jo! Weſen, ſeiner kindlichen, und doch ſo
ein echter Bräker gelebt hatte, wie er. wahren und tiefen — ja philo—
Er bleibt in ſeinem Hauſe, ſeine ſophiſchen Betrachtung von Natur
Gläubiger werfen den alten, gebroche— | und Menfchheit, von Leben und Welt.
nen Mann nicht auf die Straße; aber Ulrich Bräfer wurde das, was er
er hat nichts, was er fein nennt, als
jeine Noth. Und in diefer Noth wäre
er zugrumde gegangen, hätte nicht Die
Hand eines edlen Mannes freundlich
und gütig dem müden Greije die er-
drüdende Laft von den Schultern
genommen, und ihm fo die lebten
Tage jeines Lebens zu einem milden
Verföhnen, einem fonnigen Sein ges
macht, dafs der Ton, der fo voll und
fräftig angefchlagen, in der Stille des
jpäten Sommerabends ſchön und feier-
lich ausklingt.
„Tod, du eigenfinniger Menſchen—
war, durch die Natur und fich jelbit.
In einer geradezu öden Einſamkeit
aufwachſend, lernte er in ſeiner Berg—
ſchule leſen und ſchreiben, und dann
noch einmal ſpäter als Knabe das
Bibelleſen und Bibeldeuten bei dem
guten Paſtor in Kyrnau. Das iſt
ſeine ganze Erziehung. Die ſchweren
preußiſchen Jahre und dann die eigene
Noth feines Lebens mufsten den
weichen Zeig feines Weſens fneten
und bärten, aber den Dichter und
Philoſophen in ihm bildeten fie nicht,
faum feinen Menſchen. Das that er
jelbft, und er allein. Als Mann, mit
den Nachbarn wenig verfehrend, von
feiner Frau nicht verftanden, lebte er
nur in fich ſelbſt. Dieſe Einſamkeit
lehrte ihn denten, und das jhon von
Jugend auf. Er denkt über Berg und
Wald, Käfer und Blumen, Abendroth
und Sterngeflimmer und auch über
ſich ſelbſt. So lernt er die Natur
fennen und ſich. Er beobachtet alles,
was um ihn vorgeht und in ihm. In
der Natur findet er alles vollfonmen,
groß, Schön; im jeiner Seele vieles
unvollkommen, ftleinlih und häſslich.
Die große Natur Hat ihm auch ein
großes Vorbild gegeben, ein zu großes.
Die Halbheit feiner menschlichen Natur,
die Kleinheit und Befchränttheit feines
Willens find ihm ein nie endender
Sram. Weil er fich ſelbſt kennt in
jeiner Unzulänglichkeit und Stümperei,
wie er's mennt, ift ein Sichüber—
heben unmöglich für ihn; ſelbſt da
nicht, als jein Erfolg gekommen, als
Männer mit Namen jih in feine
Hütte drängen, und ihm fchmeicheln,
und fich mit ihm ſchmücken. Und diefes
ernſte, raſtloſe Arbeiten an ſich felbit
geihieht ohne Lärm, ohne Haft; er
macht es mit fich ſelbſt ab, in aller
Stille, ohne Stehenbleiben. Es bringt
ihn nicht um die Shöne Ruhe feiner
Seele, die Harmonie und Würde
feines Weſens.
Uri Bräler war fein Charakter,
aber er war eine Jndividualität. In
feinem Weſen war nichts Fremdes,
alles darin gehörte ihm jelbit an. Als
er dann fpäter die Welt in den Werfen
gelehrter Männer kennen lernte, war
er in feinem Weſen fo fertig, dafs er
alles Große, alles Bedeutende und
Schöne wohl empfinden konnte — und
wie tief empfand er's! — aber nicht
anempfinden. Selbit Shalefpeares
gigantiſche Größe, in der er viele Jahre
ein neues Leben fand — fie konnte
ihn hinreißen, begeiftern, überwältigen;
aber auch Shatejpeare gegenüber blieb
er der Mann mit eigenem Denken und
Fühlen,
Nebſt Arbeiter, wie Ulrich ift, und wie
er's noch mehr fein möchte, ift er auch
Künftler. Er ift Künſtler durch fein
Temperament — ein Sanguiniter vom
reinften Waſſer: er verzweifelt und
hofft, hofft und verzweifelt. Er glaubt:
nun iſt's aus, und denkt: nun fängt
es an. Heute fühlt er fein Bettlerthum
wie ein Bettler, morgen möchte er mit
einem Könige nicht taufchen. Wie der
Gummiball: jet auf dem Boden, im
nächſten Augenblide bis zur Dede
hinauf; — ein Heiner Mr. Micamber,
freilid Me. Micawber ins ehrliche
Deutjch überſetzt und noch dazu ins
biedere „Schwyzerdütſch“. Aber auch
Me. Micamber ift in feiner Urt ein
Künstler, oder richtiger: alle Künſtler
find Heine Micamber.
In feinem Freiheitsdrange und
Freiheitsgefühle war Bräfer kein
Schweizer, jondern nur Menſch — der
künstlerisch Fühlende Menſch: „ſchmiedet
mich doch um des Dimmelswillen nicht
fo kurz ans Schiff!” ruft er irgendivo
aus,
Seine Wanderluft, fein Sehnen
ins Ferne, ins Weite, fein Nichtauss
haltenfönnen zwifchen Wänden und
Mauern, fein Hinaus- und Hinaufs
ftreben auf Berghöh’ und Alpen, es
ift alles nur der Ausdrud für dasſelbe
Gefühl, für dasſelbe Bedürfnis: Frei—
heit! Freiheit !
Ein Jahr vor feinem Tode — die
Noth im Haufe hat den faum fünfzige
jährigen Mann zum alten Manne
gemacht — kommt ihm noch einmal das
Hinausfehnen der Jugend zurüd. Er
täufcht feine ftrenge Hausfrau durch
einen Geſchäftsgang, und zieht fort
an den Zürichſee, um nur noch einmal
wieder wandern zu fönnen. Sein
jüngfter Cohn geht mit ihm; „ob,
dürft’ ich frei gehen“, ruft der Mann
aus. So einfach, jo findlih es ſich
anhört, das Wort hat etwas Er—
ſchütterndes, es ift wie ein Schmerzens-
ſchrei: „oh, dürft” ich Frei gehen!”
Doc ein geniehender, froher Menſch
ift Ulrich Bräker bei all feiner Noth,
- *
⸗ —
“
.
- °
191
in dem ſchönen Optimismus feiner | werk und Roſen die Fülle. Kurz, es
Natur. freut mid jo wohl, als manchen
Diefer „arme* Mann war wirfe | Fürften all feine babylonifchen Gärten.
ih ein reiher Mann, diefes von! Sag’ alfo, Bub’! ift unfer Wohnort
Sorge getragene Leben war wirklich | nicht jo angenehm, als je einer in der
ein glüdliches Leben. Sein Haus iſt Welt. — Oder geh’ mir einmal im
eine Hütte, feine Speife das Eſſen Maimond auf jenen Rafenhügel vor
der Armen, aber ift draußen micht | unferer Hütte. Schau durchs bunt-
die ganze reiche Gotteswelt! Berg und geſchmückte Thal hinauf; fieh, wie die
Thal, Wiefe und Wald, Blumenduft Thur ſich mitten durch die Ichönften
und Sonnenſchein, und alles jo Schön, | Auen fehlängelt, wie fie ihre noch
jo voll Fülle und Glüd, und alles | trüben Schneewafjer grade unter deinen
gehört ihm, er darf es genießen, und | Füßen fortwälzt. Sieh’ wie an ihren
er kann e3 genießen. So ſchwelgt er! beiden Ufern unzählige Kühe mit ge—
in dem unerfhöpfliden Born der ſchwollenen Eutern im Gras weiden.
Natur, umd jeder Trunk aus dem | Höre das Jubelgetön der großen und
ſchäumenden, überquellenden Becher ift | Heinen Buſchſänger — — — Ha!
Erguidung für ihn. jagit du vielleicht, aber diefe Matten
Am Schluſſe feiner Selbftbio: | und Kühe find nicht unfer! Närrchen!
graphie rechnet er gewiffermapen die Freilich find fie'3 und die ganze Welt
Leiden und Freuden feines Lebens iſt unfer. Oder wer wehrt dir, ſie
zufammen, und erhält al3 Refultat, |anzufehen und Luft und Freude an
dafs die Summe der Freuden die ihnen zu haben? Butter und Milch
große Leidensfumme doh um viel befomme ich ja von dem Vieh, das
überfteigt. Nachdem er von feinem darauf weidet, jo viel mir gelüftet,
Dorfe geſprochen, jchreibt er: alfo haben die Eigenthümer nur die
„Meine Nachbarn find recht gute, Mühe zum Bortheil. Was braucht es,
ehrliche Leute, die ich aufrichtig fchäge jene Alpen mein zu heißen? Oder
und liebe. Treilich läuft bisweilen | jene zierlich prangenden Obſtbäume?
auch ein anderer mit unter, wie überall. —— man uns ja ihre ſchönſten
Innige Freunde, mit denen man Ges! Früchte ins Haus! Oder jenen großen
danken wechſeln und Herzen taufchen Garten? Riechen wir ja feine Blumen
fann, hab’ ih in der Nähe feine. Das! von weiten! Und felbft unfer eigener
erjegen mir meine platonifchen Ge- | Heiner, wächst nicht alles darin, was
liebten in meinen Stübchen. Im | wir hineinfegen, pflegen und warten ?
Frühling liegt mir der Schnee auch | Alfo, Lieber Junge! wünſch' ich dir,
ein bifschen zu lang in meinem Gärt- daſs du bei allen diefen Gegenftänden
hen. Aber ich fange einen Krieg mit | nur das empfinden möchteſt, was ich
ihm an, zerfege ihn zu Heinen Stüden, | dabei fhon empfunden habe, und nod)
und werfe ihm Aſche auf die Naſe; empfinde, dafs du neben diefer Wonne
dann verkrieht er fich in die Erde, und Wolluſt den Höchftgütigen in
jo dafs ih noch mit dem Frühften | allem findeft und fühlt, wie ich ihn
gärtnen kann. Und überhaupt macht | fand und fühlte, jo nahe bei mir,
mir dies Heine Grundftüd viel Ver: rings um mich her, und in mir,
gnügen. Zwar ift die Erde ziemlich | wie er dies mein Herz aufjchlojs, das
grob und ungejchlacht, obgleich ich fie er jo wei und fühlend ſchuf.“
ihon an die fünfundzwanzig Jahre Und an einer anderen Stelle:
bearbeitet habe ; demungeachtet gibt das „An der Erde hangen? Freilich,
Ding Kraut, Kohl, Erben, und was | woran jonft, wir armen Erdenwürmer !
ich immer auf meinem Zifch brauche, | Ja, aber den Geift zum Himmel er-
zur Genüge; mitunter auch Blumen- heben. Kommt er doch bald zurüd
und Hat jo ſchwache Begriffe von dem
Himmel. Er flattert wohl oft bis an
das blaue Gewölbe Hinauf, wo die
holde Sonne ftrahlt, und des Nachts
Millionen Sterne funteln, dringt zu—
weilen auch ein Stüd weit durch,
aber er verirrt fih in öden Gegenden,
und ſinkt ermüdet wieder auf die Erde
herab. Da flattert er vergnügt wie die
Schwalben auf der Fläche herum, und
wagt ſich nicht fo leicht weiter, als die
Augen tragen.“ Und zuleßt, einen Monat
vor feinem Zode, fihreibt er wieder:
„Es ift immer mehr Gutes ala
Böſes in der Welt! Wie ich das in
meinem ganzen Leben behauptet habe,
fo behaupte ih es noch in meinen
legten Tagen, die ich zu meinen glüd-
lichſten rechne.“
„Ich fang und ſprang heut’ während
meiner Arbeit, obſchon es fonft eine
traurige Arbeit war, denn ich machte
meinem Zodten ein Häuslein. Ha!
wie fanft wirft ruh'n, dacht’ ich,
wenn du auch einmal fo bingeftredt
daliegft. Heiße es dann Amen oder
Bater felig, oder gar: der Lump ift
auch geftorben. — Doch nein, das
wird fein Biedermann jagen! — Viel:
mehr: der ehrliche Mann ift auch den
Weg des Fleiſches gegangen. Der
arme Echelm hat jein Bündel ge—
tragen. Gott hab’ ihn felig! — Und
dann iſt's all. Vielleicht muſs ich noch
manden Luftfprung machen, manche
Kummerhölle, dann wieder Luftfchlöfier
bauen! Ha nun! Unter Hunder-
ten genießt doch kaum einer
mein Glüd! Man ftolpert darüber
Hin, und achtet nichts, als was neu
oder abenteuerlich ift. Und ich ftehe
bei etwas, dad niemand des Anz
Ihauens würdigt, fill, bewundere es,
freue mich bis zum Entzüden, und
bete die wundervolle Weisheit des
Schöpfers an. Um und um mich Stoff
zur Freude, die fein anderer fühlt:
Winde wirbein, Sterne funteln, jeder
neue Tag, jedes grüne Kräutchen im
Blumentopf mitten im Winter in
meiner Kammer. — Eollt’ ih mid
192
fträuben, dann und warn auch bitt’re
Pillen zu ſchlucken? Das Süße ift
dann nur defto ſüßer!“
Diejer bäuerifhe Handelsmann ift
in feinem Umgang mit Menjchen ein
Ariftofrat. Er läſst nichts Plebejiiches
an fi herankommen, jede Roheit,
jedes Unſaubere und Zweideutige,
jeden Pöbel hält er ſich vornehm vom
Leibe; und man mußſs denken, ex be—
gegnete in jeinem Leben kaum einer
höheren Natur. Jede Stunde, die er
gezwungen in der Gejellihaft von
anderen zubringt, ift ihm verlorene
Zeit. Im Wirtshaufe bei Zechgelage
fühlt er ſich jo unbehaglich, wie eine
Hoheit, die, incognito reijend, ge:
miſchte Geſellſchaft trifft.
Er weiß uns in feiner ganzen
Lebensgefhichte nicht von einem
Manne zu erzählen, der ihm näher—
geftanden ; in feinen Tagebuche, das
bis zu feinem Zodesjahre geht, nicht
bon einem einzigen freunde, bis er,
ihon am Rande des Grabes, dem
edlen Manne begegnet, der ihn mit
fanfter Hand die legten Schritte führt.
Mit diefem Freunde beginnt ein neues
Leben für ihn. Seine legten Tage
gehören ganz dieſem Berfpäteten,
jeinem Wohlthäter, feinem einzigen
Freunde:
„Es iſt mir in dieſem Zuſtande
faſt alles um mich her gleichgiltig,
und nur zwei Dinge in der Welt ſind
mir es nicht, und werden es nie
werden, ſolange mir ein Tropfen
Blut in den Adern rollt. Erſtens die
wunderbare, herrlich ſchöne Gottes—
natur, und zweitens mein feltener,
einziger Freund, den meine Seele bis
zur Anbetung liebt und verehrt. In
ihm iſt alles harmoniſch, und wenn
ih auch alle feine Gutthaten gegen
mich abrechnete, bliebe er doch allein
der Mann nah meinem Wunſch und
Herzen.”
Und als er zum leßtenmale fein
Tagebuch öffnet, ſchreibt die todesmatte
Hand noch einen Namen: Girtaner
— den Namen des Freundes.
Als alles in ihm ſchon im Ab—
fterben it, als feine Seele und jein
Bewufstjein Schon Schatten und Däm—
merung find, und er die Nähe des
Zodes fühlt, nicht als Schmerz, ſondern
als Erlöjung, als da feine Hand die
Feder nicht mehr halten fann, um dem
Freunde zu fchreiben, hängen feine
Augen noch bewundernd und feiernd
an der jchönen, jchönen Welt, und
fo im Anſchauen verfunten, fallen die
miüden Augen ihm zu, er jchläft ein —
er jtirbt.
Man Hat Ulrich Bräfer einen
Naturdichter genannt. Er ift mehr als
das; er it Naturphiloſoph.
Gedichtet Hat er wenig, gedacht deito
mehr, und zwar philofophifch gedacht.
Er weiß zwar von feiner Philofophie,
von feinem Philoſophen, von feiner
philofophifhen Schule. Nur Jakob
Böhme Hat er gelefen, und diefer muſs
allerdings eine ftarfe Wirkung auf ihn
gehabt haben, wenn er uns auch dar=
über nichts jagt. Die Natur ift feine
philoſophiſche Schule. Er beginnt mit
der Beobachtung des Wurmes und de3
Thautropfens, und endet mit Betrach—
tungen über Unſterblichkeit. In diefer
jeiner Philofophie — wen das Wort
für den armen Weber in Todenburg
zu vornehm Klingt, der nenne es
Lebensweisheit, Betradtung, Ans
Ihauungsgabe, nenne e3, wie er will —
in diefem Nachdenken über Welt und
Leben findet das Weſen diejes Mannes
den möglichſt hohen, den vollendetſten
Ausdend. Sein Tagebuch, das ſich
faſt ausjchließlih mit inneren Erleb-
niflen, mit Gedachtem und Beobachtetem
beichäftigt, gibt uns über diefen philo-
ſophiſchen Zug feines Weſens Auf:
ſchlüſſe, daſs man fich oft gewaltſam
erinnern muſs: dieſe Gedanken find
von einem Manne ausgeſprochen, der
in einem einſamen Alpenthal lebte
und ſtarb, der nur die Natur kannte
und ſich. Man legt beim Leſen oft
das Buch aus der Hand, um über
dieſen Mann zu grübeln, der ſo be—
ſtimmt, ſo klar, und in gewiſſem
Reſtgger's „Grimgarten‘‘, 3. veſt. XV.
Sinne fo bedeutend ausfpricht, was
er vor fich fieht und in ſich.
Ich kann mir nicht verfagen, aus
Bräferd Tagebuch einige Auszüge zu
machen. Hier find jie:
„Heute gieng mein Weib nad
ihrer alten Deimat. Ich dachte bei
mir ſelbſt: Wie ift die Heimat doc
fo anziehend! Wie trachtet alles wieder
nad Haufe, zu feinem Urfprunge Hin.
Ale Ereaturen eilen wieder dahin,
woher ſie entjprofien. Alle Waſſer,
große und kleine, eilen unverdroſſen,
bis fie in das ftille Meer kommen,
Alles, was auf der Erde wächst, eilt
wieder in die Erde, die unjer aller
Mutter ift. Und mein Geift, meine
Seele, warum ſoll die nit auch nad
ihrem Urſprunge, nah ihrer ewigen
Heimat eilen? ch merke in meinen
Sinnen wohl, dafs ich Hier feine blei—
bende Statt habe, dafs dies nicht
meine rechte Heimat ift, denn fie
trachten ftet3 von hinnen, und finden
nur oft das rechte Vaterland nicht.
Warum ift man doch jo verliebt in
diefe Fremde, warum läjst man den
Geiſt feinen Schwung nicht in die
Höhe, zu feinem Urfprung, in das
ftile Meer der Ewigkeit nehmen ?
Man kanı eben leider nicht. Man hat
ih ein Weib genommen, man hat jich
Ader und Ochfen gekauft, man hat
das Herz an dieje Welt geheftet. Die
meilten Menfchen find einem Wafler
gleich, das fich auf die Seite in einen
Sumpf verlaufen bat, wo es nimmer
mit dem Strom ins Meer fommen kann,
wo e3 fih in Schlamm verwandelt und
von der Sonne ausgebrannt werden
muſs. Sie find einem gleich, der fich
weit in die Fremde begeben hat, und
in ewige Gaftfreundichaft gerathen ift,
fo daf3 er feines Vaters Haus mimmer
twiederjehen wird.“
„D Welt, was bift du! hätt’ ich
doch, da ich als Knabe dies Gut baute,
mein Glüd erkannt! Aber erſt in der
weiten Welt mußst' ich es durch fein
Miderfpiel kennen lernen. Wie jelig
lebt der Mann in feinen Gebirgen,
13
194
wo Zufriedenheit wohnt, der nichts
weiß, nichts fennt, als fie, wähnt,
dafs die Sonne Hinter ihren Bergen
herab, unter ihren Füßen durch, und
vorne wieder herauffomme. O Thors
heit und Einfalt, du bift in diefem
Wirrwarr bienieden doch immer am
beiten daran!”
Ein anderer Mann hatte nicht
ganz ein Jahrzehnt früher eine ähn—
lihe Betrachtung niedergefchrieben :
„Ich fage dir, wenn meine Sinne
gar nicht mehr Halten wollen, fo
lindert all den Zumult der Anblid
eines ſolchen Gejchöpfes, das in glüd-
liher Gelafjenheit den engen Kreis
feines Dafeins Hingeht, von einem
Tage zum anderen ſich durchhilft, die
Blätter abfallen fieht und nichts dabei
denkt, al3 dafs der Winter kommt.“
Das ſchrieb Goethe im „Werther“.
Und nod einmal — zum lebten«
male — Ulrich Bräfer über Unfterb-
lichkeit:
„Beim Lejen des engliihen Zu—
ſchauers Hatte ich heute folgende Ge—
danken: Himmel, Erde, Mond und
Sonne find ja wie Tag und Naht
noch immer, was fie im Anfange waren.
Aber don Fo zahllofen Millionen
Menſchen, die in fo vielen Jahrhun—
derten vor und wie wir tumultwierten,
regt ih fein Haar mehr, und wir
haben von ihnen feinen Bericht. Daſs
fie zu Staub vermodert find, wiſſen
wir; von den Jüngfiverftorbenen jehen
wir auf unferen Gottesädern noch die
Knochen. — Aber die Geifter! fünnten
wir feine Zeitung von ihnen haben ?
von den Philofophen zumal, wenn fie
noch irgendwo vorhanden wären ?
Bald werden wir ebenjo ftill zer—
fließen, wie der vorjährige Schnee.
Der ift zu Wafler geworden und doch
no etwas. Und wir follen zu Erde
werden, und alfo auch noch etwas
fein.
Aber unfer Geift? Iſt der ver—
loſchen, wie man ein Licht auslöfcht?
Das kann man wieder anzünden, die
Materie dazu ift immer vorhanden.
So ftedt denn die Seele in dem
Moder des Leibes, wie der Funken
im Feuerſtein? Aber wer lodt ihn
wieder hervor ? Ich denke, der Odem
de3 Allmächtigen.
Oder ift fie in eine andere Welt,
in einen anderen Körper übergeflogen ?
Sagt mir’s, ihr Herren: — —
Do nein, ſagt lieber nichts. Ihr
wijst jo viel wie ih, und ich weiß
fo viel als ihr.”
„O, ich fühle mein Nichts; fühle,
daſs ih nur ein Sonnenftäubchen in
dem unermejslihen Weltall zu nichtig
und unmürdig bin, über ein aud)
den weiſeſten Sterblichen unbegreiflich
höchſtes Wefen ein Wort zu verlieren,
und lege meine Hand auf den Mund,
anbetend in den mir von der Natur
angemwiefenen Staub zurüdtriechend,
zufrieden mit dem allgemeinen Loſe
der Sterblien, von dem feine Aus—
nahme ftattfindet.“
„— — Die Hand ift ſchwach und
langfam und kann die Gedanken nicht
mehr nachſchreiben, und aud dieje
ftumpfen fih nad) und nad) ab, jo wie
fi) die Lebensgeifter in allen Gliedern,
in allen Nerven abftumpfen, abſchwä—
hen, um fi in den Hauptgeift, und
diejer zuleßt wieder in den Unendlidhen
zu verlieren.“
Das war das lebte, was Ulrich
Bräfer in fein Tagebuch gefchrieben.
(Schluſs folgt.)
Briefe von Pudwig Anzengruber
an den Herausgeber des „Heimgarten‘*.
(Schluſs.)
Wien, den 2. März 1877.
2 Liebwerter Freund! |
ASIA nbei erhalten Sie verfprocdenen
— Beitrag, der Eſſay, den ich
Ihnen auch zuſagte, iſt es
freilich noch nicht, ich muſs dieſe
Arbeit etwas verſchieben, denn ich
fühle mich jetzt für derlei nicht ge—
ſammelt genug.
Für Ihre freundliche Beſprechung
meines Romanes*) — da Ihnen der
Titel ſo anſtößig, will ich ihn hier
vermeiden, jedennoch heißt er da—
durch nicht anders — ſage ich Ihnen
beſten Dank. Hörte gerne, was Sie
vom „ledigen Hof“ halten.
Es iſt jetzt eine dermaßen hunde⸗
elende Zeit, daſs es einen verdrießt
zu producieren. Am Theater an der
Wien iſt der „ledige Hof“ nur mit:
etwas folennerem Gonducte zu Grabe
getragen worden, wie der „Doppelz
jelbftmord“*, dieſer lebte 4 Tage, jener
8, mit dem nächſten Stüde habe ich
daher Hoffnung, auf 16 nahezufommen.
Die Direction fcheint ganz recht daran
gethan zu Haben, denn das Publicum |
lief darauf in das „Bligmädl“ hinein,
da3 jedenfalls unterhaltlicher und ohne
tragifhe Anläufe ift.
Auch gut — eigentlih zwar —
nicht gut — aber man mufs es da—
bingeftellt jein lafjen. Mitfolgende „Be=
gegnung“ **) Halte ich, für meine Perjon |
jelbft, al3 gar nicht übel, aber Sie
müſsten fie jedenfalls in einer Num—
mer geben, was übrigens leicht an—
+, „Der Schandfled.*
“) Im „Heimgarten*,
Seite 578.
I. Jahrgang,
gehen dürfte, denn das Ding ift nicht
' groß.
Bei mir daheim ift alles wohlauf,
und das ift jedenfalls das Beite. Mein
Herr Sohn befleißt fich eben den erften
Zahn zu befommen. Küſſen Sie von uns
den Heinen Steirer und fein Schweiter-
hen und ſeien Sie herzlichft gegrüßt.
Ihr L. Unzengruber.
Wien, den 28. November 1877.
MWerter Freund!
Was Hilft Ihnen mir gegenüber die
Piftole, wenn ich nichts Kleines bei
mir habe? Ich weiß vor Arbeit nicht,
wo mir der Kopf fteht, oder manchmal
nur zu gut, wenn er mir weh thut,
Ich Habe an Sie gedadt, aber es
muſs alles liegen bleiben, ih kann
nichts verfprechen, weil ih außer
ftande bin, ein Verſprechen zu halten,
was würden Sie von einem „Freunde“
jagen, der Sie ſitzen läfst? Wenn
ich Ihnen, um meinen guten Willen
zu beweiſen, ſagen würde „Ja“ und
dann ausbliebe, das wäre für Sie
unangenehmer, als es dies mein ehr—
liches „Nein“ iſt.
Wenn ich erſt aus dieſer dramati—
ſchen Zwangsperiode heraus bin, dann
fteh’ ich Ihnen wieder zu Dienften.
Daſs Sie nicht nah Wien fommen,
ift mir jehr leid, da werden Sie aljo
meinen Jungen, den Sie fajt lieber
fehen möchten als mid, auch nicht
jehen, was mir ſehr lieb it, meil
Sie derjelbe gewiſs ſehr gleichgiltig
aufnehmen würde, denn er fennt Sie
nicht einmal dem Namen nad. Was
15*
—— (m 4
wollens denn machen? Ich grüße Sie P. S. Ich babe mich entichloflen,
auf das bejte, erit mit Ende Januar |bei allen meinen vorurtheilsfreien Be-
werde ih in der Lage fein, irgend |ktannten und Freunden der norbdeuts
etwas Beltimntes verlauten zu laſſen. chen Adreſſierung mich zu bedienen,
Nochmals beften Gruß von Ihrem laſſen Sie ſich alfo das weggebliebene
L. Anzengruber. | „Wohlgeboren “ nicht anfechten, ſon—
dern laſſen Sie’3 aud bei mir weg.
Den 12. April 1878,
DVerehrter Freund!
Unter einem zeige hiemit an, dafs
fich meine Familie um eins vermehrte,
es ift ein weibliches Geſchöpf, das der—
malen noch nicht einmal etwas heißt.
— Dajs Ihnen die beiden Beiträge
gefallen, freut mid), daſs Sie gerne
im Gafehaufe mit mir fißen möchten,
gleichfalls, es ijt dies übrigens auch
mein Wunſch und daher gegenfeitig.
Übrigens liegt Graz und Krieglach
nicht fo weit ab von Wien, dafs e3
fein Wiederfehen geben könnte. Auf
ein folches hoffend, mit beftem Gruße
Ihr 2. Anzengruber.
Wien, den 10. Juli 1878.
Verehrteiter!
Mo bleibt das horrende Honorar
von 5 fl.? Das ift das Gedicht unter
Brüdern wert, und wenn wir aud)
feine jolchen find, jo wäre das höch—
tens ein Anlaſs für mich, mehr zu
fordern, aber alö Bruder in Apollo,
wie der nadte Griechenferl heißt, der
der Kerzen-Induſtrie fo aufgeholfen
hat, der muntere Seifenfieder, der auch
jeden zu Geſang begeifterte, ala Bru—
der in Apollo alſo, weilen Sie mir
das Bedungene und Ausgeſprochene
(bei Ihrer Berlagsbuhhandlung) an.
Schreiben Sie mir freundlichit,
was die Gebrüder Müller*) machen, e3
dürfte ſich jebt bald eine Gelegenheit
ſchicken, denfelben die lang zugejagte
Vorleſung zu halten. Alfo unter wel—
cher Adreſſe avifiere ich diefelben ?
Mit berzlihem Grup
Ihr ſehr ergebener
L. Anzengruber.
*) Einer derſelben der jetzige Schau—
ſpieler Sommerstorff.
ö— — — — — —— —— — —— —— — — — —
Meine Freundſchaft für Sie bleibt
die alte, wenn auch meine Briefe ein—
facher adreſſiert ſind.
Mein werter Freund!
Mich fol der Zeufel holen —
über furz oder lang bejorgt er ohne—
dies dies Geſchäft, es ift alfo viel
weniger Vermeſſenheit dabei, als es
ſcheint, ihm dergeftalt aufzufordern —
mich foll er holen, wenn ich eine
Silbe derzeit von dem weiß, was ich
Ihnen für den „Heimgarten“ ſchreiben
werde.
Rein nichts. Octoberheft —
und Beitrag anfangs Auguft! Ge-
radezu Unmöglichkeit. Wohl oder übel
muſs ich jetzt erſt ein Stüd fürs
Wiedner Theater jchreiben, eher ehe
ich feine Feder an für irgend eine
andere Arbeit,
Sehen möchte ih Sie aud recht
gerne, es wäre mir das jehr lieb, aber
wir find denn doch ein wenig zu weit
auseinander und ih — wie gejagt,
‚jet an den Schreibtifh gebannt. Ich
bin ſeit einiger Zeit ſehr gedrüdter
Stimmung. Mir pafst vieles nidt.
Ich babe nun neun Jahre Schrift»
ftellertgum Hinter mir, aber nicht die
Stellung errungen, die mir erlaubte,
ohne Frage nad dem augenblidlichen
Erfolge, aus dem Vollen heraus pro=
durcieren zu dürfen. Ich werde Diele
Stellung vorausfichtlich mie, oder erit
dann erringen, wenn meine Sabre
nicht mehr die find, welche eine ſolche
Production aus dem Bollen zulaſſen.
Ich gehe heuer wieder nah Ma:
rienbad und ich Freue mich darauf —
auf 14 Tage. Fremd, ich wünsche
Ihnen, daſs Sie nie jo ganz ver—
dammt gleihgiltig werden gegen alles,
wie zur Zeit ih, es ift das allein
eine artige Krankheit.
Frau und Kinder find wenigftens
gefund und geben mir feinen Anlajs
zur Sorge.
Sollte ih unterwegs ein Gedicht
auf dem Wege finden, jo fende ich es
Ihnen.
Im übrigen haben Sie Nadlicht
mit Ihrem zumideren, aber freundge=
finnten 2. Anzengruber,
Mien, den 14. Februar 1881.
Verehrter Freund!
Ich Sende Ihnen anbei den —
ſelbſt mir — jehr intereflanten Artifel *)
zurüd, id fand nur das wenige Neben-
bemerkte darin zu berichtigen. Was
das Inerflärlihe in meiner Producs
tionsfraft anlangt, jo bin ich mir
jelbjt dahinter gefommen, daſs ich ala
unruhiger Geift mit ſtets abfpringender
Phantafie immer und allzeit aus flüch—
tigen Begegnungen und wechjelnden
Bildern mehr Anregung zog und blei=
bendere Eindrüde gewann, als im
Händigen, öfteren Verkehr und dau—
ernder gleicher Umgebung; daſs ich
aber in folder Weife genügend oft
mit Bauern zufammen fam und ihre
Hauiungen bejucdhte, das ift ſicher,
freilich verfchtwindet damit die myſtiſche
Umbüllung **) und für Darwin’fche
Theorien geht ein hübſcher Erweis
verloren, aber Wahrheit über alles!
Mehr Geleitzeilen kann ich für
diesmal nicht beigeben, und auf eine
fchreibjeligere Stunde wie dieje will
ih nit warten, damit Sie ſammt
Artikel nicht mitwarten müſſen.
Ih grüße Sie aufs Herzlichfte
Ihr freundgelinnter
EHER L. Anzengruber.
*) über Anzengruber.
**) Daßs er die geniale Kennerſchaft für
das Bauernthum von jeinem Vater ererbt,
der viel mit Bauern verfehrt.
Den 12. December 1881.
Kimmft wida eppa amol nah Wean,
So thu nit gar fo jchleuni,
Sig nit um 6 ins Wirtshaus h'nein,
Und ins Gafeh gar ihon um neuni,
Und jelb’ is a nit lieb und ſchön
Dass d’ jagft, wöllt’ft Zeitung löſen,
Mer ſaß daneben grad als wia
D’ Rab z'neb'n der Butterdböfn.
Kimm jpota und geh’ in da Fruah,
Da kriegſt mich a dazua.
Der Airchſelder.
Wien, den 2. April 1882.
Liebwerter Freund!
Ich wüſste wahrhaftig nicht, in
welcher Weife mich Ihr lektes Schrei-
ben in Bauernfprache beleidigt Haben
jollte? Weil ich darauf nicht geant—
wortet, noch ſonſt ein Lebenszeichen
gegeben babe? Nun, Sie fennen mid
doch ſchon jo weit, dajs Sie — nächſte
Zeile darunter — einräumen, dafs
ih Sie nie durch PVieljchreiberei über—
rafcht habe. Dass ich die Vorlefung im
Verein der Literaturfreunde ſchwänzte,
bat wieder feinen Grund darin, dafs
die Leſeabende diejes Vereines auf den
Mittwoch fallen und ih als Gewohn—
heitsmenſch nur unter den Zwange
außerordentlicher Umſtände von meiner
Mittwochsgeſellſchaft beim, Lothringer“
fern bleibe; ich war ſelbſt an dem
Mittwoche unangenehm berührt, als
Anzengruber las, aber da konnte ich
füglich doch nicht wegbleiben. Als Sie
zuletzt in Wien laſen, that ich, wie
Sie wiſſen, das gleiche in Prag.
Darüber, daſs Sie zuerſt anfangen
müſſen, das heißt, derjenige von uns
beiden ſind, der ſich eher als der an—
dere zu einem Schreiben aufrafft, ſteht
Ihnen allerdings das Recht der Klage—
führung zu, jedoch werden Sie dadurch
umſoweniger an dieſer meiner üblen
Eigenſchaft etwas zu ändern vermögen,
als ich jogar dem ſpontan erwachenden
Triebe, einen Brief zu ſchreiben, er—
folgreich Widerſtand zu leiſten verſtehe;
ich konnte das in letzter Zeit in Be—
ziehung auf Sie mehr al3 einmal be=
thätigen, da ich Ihre ausgewählten
PEN PER a Zu been ---. Milli
Schriften durdlas und in mir —
einem der krittlichſten Kerle, wie Sie
willen, — die fefte Überzeugung er»
wachte, daſs in diefen zwölf Bänden
zwei Bücher fteden, die jpäteren Zeiten
mit dem Belten aufbehalten werden,
was unfere Tage hervorbradten. Das
eine — die Schilderung von Leben,
Bräuden und Sitten des fteierifchen
Landvolkes — von bleibenden cultur=
hiſtoriſchem Werte, das andere, — die
furzen, Inappen Bilder voll Gemüths—
tiefe und echten lachenden und weinen»
den Humors — von bleibender Wir:
fung als Mufterftüde dichterifcher Leis
ftung.
Da haben Sie Ihr Lob fo hölzern
ftehen, als nur thunlich, und weil
mir eben ſtets vorfchwebte, ich werde
das nur fo umd nicht anders leiſten
fönnen, jo hielt es mich ab, es nieder—
zufchreiben; ich habe es Hier auch nur
getban, um Ihnen die falſche Anſicht
zu benehmen, als ob ich mich gar
nicht mit Ihnen beſchäftigte, oder,
was Ihre Wertſchätzung anlangt, nicht
ganz der Alte wäre.
Und da mußs ich denn auch, um
jedes Mifsverftändnis auszuschließen,
noch hinzufügen, daſs ih als Zeit-
genofje mir von Ihrem Dubend Bände
nicht einen nehmen ließe!
Werter freund, dafs Sie fi fo
leidend fühlen und nah Raſt jehnen,
das betrübt mich aufrichtig; vielleicht
aber hat es doch fein Gutes, dafs ver—
mehrte Arbeit Ihnen nicht Zeit zur
Grübelei läjst, umfomehr, da Sie
jett eine Arbeit vor ſich Haben, die
Sie freut; denn was Stelzhamer an—
langt, fo bin ih Ihrer Meinung:
Das ift einer!
Wenn Spemann bisher die Bände
jeiner Gollection an Sie jandte, dann
weiß ich auch nicht, warum Sie noch
nicht mein Buch haben.
Sie fommen doch bald wieder nach
Wien? Dann heißt's aber biſſerl
aufbleiben !
Beiten Grup, Ihr
2. Anzengruber.
u
Wien, den 9. februar 1883.
Verehrter Freund!
Nachdem Sie neuerzeit zu meiner
und eines hochgeehrten Publicums
Freude ſich wieder ſehr rege zeigen
und in der „Preſſe“ ſowohl als auch
in der „D. Zeitg.“ Feuilletons ver—
öffentlichten, werden Sie ſo nebenher
die Bitte eines Freundes, der zugleich
Herausgeber eines Blattes*) iſt, nicht
wohl abjchlagen können, wenn berfelbe
Sie dringendft erſucht, auch einmal
einen Beitrag zu leiften. Sie werben
fi diefer Bitte umfomweniger entſchla—
gen können, als Ihre Interefjen dabei
vollfommen gewahrt bleiben jollen,
wir verlangen ein Feuilleton von Ih—
nen und verpflichten uns, ebenfoviel
dafür zu zahlen, als die anderen, Sie
geben uns gleich mit Überfchidung des
Manufcriptes Ihre Honorarforderung
befannt, dafs Sie foviel erhalten,
als Sie von anderer Seite für gleiche
Arbeit erhalten, das ift ſelbſtverſtänd—
lich nicht ausschlaggebend, fondern nur
billig, darum betrachte ih es auch
als einen Freundſchaftsdienſt, jo Sie
mir leiften, wenn Sie uns etwas zu—
kommen lajjen.
Ich erwarte denſelben aud von
Ihnen. Genug des Geſchäftlichen! Wie
ergeht e& Ihnen? Wann kommen Sie
wieder einmal nah Wien? Wir wer
den und dann wieder einmal in eine
ftille Kneipe jeßen und vergangener
Tage gedenfen, die mit all ihrem Sturm
und Drang, ihrem Leid und Bejchwer,
ja oft aller Noth und Bein doch
Schöner, gehaltreicher, erhebender waren,
als die jebige afchfarbene, platte,
lederne Zeit.
Wird's anders noch einmal? Noch,
ih Habe die Überzeugung, liegt die
Herabſtimmung nit an uns, ad,
wenn es nur micht zu lange andauert,
jo dafs wir, mit der Zeit nicht beiler,
fondern alt geworden, von einer An—
*) „Die Heimat.“
a re
derung derjelben nichts mehr profi—
tierten!
Ih grüße Sie Herzlichft,
Ihr 2. Anzengruber.
Den 2. April 1883.
Merter Freund!
Vorläufig fage ih Ihnen nur
beiten Dank. Was meinen Jungen
anlangt, fo rebelliert er gegen dieſe
Welt, foviel in feinen geringen Kräften
liegt, er fcheint eine Ahnung zu haben,
wohin er gerathen !
Herzlihen Gruß. Näheres bald.
Ihr Kirchfelder.
Wien, den 3. Mai 1888.
Werter Freund!
Sie haben mir durch Ihre Nach—
richt über Aufführung des „Meineid—
bauer“ große Freude bereitet. Es iſt
mir doch angenehm zu wiſſen, daſs
ich irgendwo noch als lebendig gelte
und wirke, da ich hier augenſcheinlich
als todt zähle. Sie fragen, was ich
für Pläne Habe; literariſche genug,
einen Roman jchreib’ ih, ein Schau—
fpiel möcht’ ich fehreiben, wenn ich
dazu komme. October und November
reif’ ich als Vorleſer. Sonft plane ic
nichts.
Herzlihen Gruß, Ihr
2. Anzengruber.
Wien, den 2. Yuguft 1883.
Verehrter Freund!
Die geht's denn Ihnen ?
Ih arbeite wie — es gibt gar
feinen Vergleich, wie ich arbeite. Be-
finde mi übrigens den Umſtänden
angemefjen, es ift das einer der ſchön—
ſten Zuftände und jelbft einer, der
aufs Rad geflochten ift, kann den
Umftehenden diefe beruhigende Aus—
funft geben.
Es grüßt Sie Ihr
L. Anzengruber.
Erhielt ein ſehr liebenswürdiges
Schreiben von Hamerling, das mich
ſehr erfreute.
Wien, den 6. November 1883.
Verehrter Freund!
Beſten Dank für Ihre Freundlich—
keit, die Sie mir in Graz erwieſen.
Ich laſſe alle jene, welche mir fo
freundlich entgegenfamen, die Grazer
„Concordia“ voran, beiten grüßen.
Wir ſehen uns ohnedies jehr bald,
alfo werden Sie mir ja erzählen
fönnen, was Graz von dem Vorlefer
Anzengruber hält und aucd was der
verehrte Poet Hamerling don dem
Menſchen hält, den ex kennen gelernt.
Wenn ih ihm „anfteh’“, mufs ich
ihn einmal auf längere Zeit ſprechen.
In der neueſten Nummer des
„Magazins für Literatur des In- und
Auslandes“ begann foeben ein Aufſatz
über ihn, den ich, ſoweit er vorliegt,
mit beiden Händen unterfchreibe.
Auf Frohes Wiederjehen,
Ihr 2. Anzengruber.
Mien, den 11. November 1883,
Verehrter Freund!
Sie find nicht geitern unter Tages
gefommen, abends jagen Sie nad:
lefend in dem Wartezimmer bei Böfen-
dorfer und wollten nicht geftört fein.*)
Heute, Sonntags, kamen Sie nidt,
find daher vermuthlih Früh morgens
wieder abgereist.
Alſo war es mit einem Wieder:
jeden nichts. IH ſaß mit meiner
Frau im Saale, die Hitze und das
Gedränge ſonach war groß, auch dachte
ih mir Sie von zahlreichen Berehrern
und „innen“ ummorben, um Ihnen
zu jagen „Scamer Diener“ und
„B'hüt Ihnen God“ wollte ich mich
nicht ertra hindurcharbeiten.
Alles andere, was ich Ihnen aber
etwa zu fagen hatte und was Sie
etwa interefliert hätte, wäre für Sie
allein gewejen, kann es aud nicht
Schreiben, da ich Feine Abhandlung
liefern kann.
*) Bor einer Vorlefung.
—
Somit für ein anderesmal, wo
es ſich ſchickt.
Mit beſten Grüßen Ihr
L. Anzengruber.
Wien, den 22. December 1883.
Verehrter Freund!
geachteten Stellung in der Literatur
u. ſ. mw. nad, zukommt, ſtillſchweigend
acceptiert und auf den Vorwurf des
Gewohnheits-Stadtlebens nicht gehört;
war daher nicht in der Lage, es Ih—
nen übel zu nehmen, daſs Sie mich
‚dorthin wünſchten — mit wo der
Pfeffer — fondern das Edelweiß und
Anbei der „Meineidbauer*. — — die Alpenrofe und der Enzian wächst.
Wenn Sie über mich jchreiben wollen, | Die Gegend liegt mir zu hoch, man
dafs fein Hund ein Stüd Brot mehr
bon mir annimmt, was mir, falls
ih ein ſolches Thier bielte, die Er-
baltungstoften für dasſelbe weſentlich
vermindern würde, fo thut "3 mir herz-
licht leid, dafs Sie nicht Ihre Feder,
(die Mil, nicht das Bauchgrimmen),
mehr in der Gewalt haben und eine
Leiftung Hinftellen fönnen, daſs fein
Menſch mehr ein Stüd Geld von mir:
annehmen möchte, das käme mir jebt
um Neujahr herum jehr zuftatten und
ih wäre Ihnen dankbar und würde
felbft für die weiteſte Verbreitung der
betreffenden Nummer des „Magazins“
Sorge tragen.
Aber jo! —
F. ©. kann ſich nicht erklären,
was da für ein Tratſch gewelen ſein
müſſe, ꝛc. ꝛc.
Nämlich er erhielt nichts Geſchrie—
benes noch Gedrudtes (letztes Heft
des „Heimgarten“ that er erwarten)
von Ahnen, feit er Sie verlieh, nad:
dem er einen keuſchen Kuſs auf Ihre
Lippen gedrüdt.
Nun, Ihrer w. Frau Gemahlin
fan es allerdings zweddienlicher er=
jcheinen, wenn Sie in dem Groß»
Sodom Wien ftatt junge Mädchen
bejahrte Männer füflen.
Mit beften Grüßen vergmügte
Feiertage und froh Neujahr wünſchend
Ihr L. Anzengruber.
Wien, den 28. Mai 1884.
Verehrter Freund!
Sie wollen ein Lebenszeichen von
mir, das ſollen Sie genießen.
Ihres Artikels, wie es mir meiner
Ich
babe damals die Liebenswürdigkeiten
Hat feine faklermentifhe Mühe, da
hinauf zu kommen, und herunter könnte
es unter Umftänden gar zu leicht
gehen, abgefehen davon, daſs mir die
Milch immer Bauchgrimmen macht, und
das iſt doch die einzige Erquidung
die man in diefen hohen Regionen
hat, „Pils“ Tegt feine Sennerin ein,
ein Pfiff „G'ſpritzter“ ift auch nicht
‚zu haben, das wirkt ſehr herabſtim—
mend. |
Ihre Stimmung bei einfamen
MWaldwanderungen ift mir übrigens
‚nicht fremd, wenn ich einmal mir
vorſpiegeln will, diefe Welt wäre wirk—
lich die befte, dann gehe ich auch im
den Wald, aber allein, es ift das fehr
ſtärlend und fräftigend, man wird im
dem weiten, wohlhaudigen Grün zu
einem frohbegnügten Geſchöpfe, ohne
Wünſche, gleihfam nichts als ein paar
freudige Augen, die in die wunder—
ſame Waldwelt auslugen, aber man
mufs mit diefer Stimmung haus»
halten, eritens jpannt fie, wie jeder
gehobene Zuftand, ſich ſelbſt wieder
herab, und zweitens würde jie, oft
aufgeſucht, durch die Rückkehr ins Täg
fihe und Alltäglihfte dodh gar arg
parodiert.
Nenlid war ih in Gutenftein,
doh mit zwei Freunden, habe das
Grab Raimunds bejucht, ftieg den
Mariahilferberg hinan und Hletterte
dann ſpäter nad einer Ruine empor
und in derfelben herum.
Die Gegend ift wohl jehr jchön,
wird in das Programm der jährlichen
Ausflüge als Nummer eingeftellt.
Aber die Fahrt dahin, die Fahrt
a
vier Stunden! Mit 1, Stunde Wartes
zeit in Leobersdorf!
's Reifen wär’ ſchon jehön, wenn
nur 's Yahren nit wär’!
Ich Hoffe, daſs Sie fih „relativ
gejund“ fühlen, wie es im Buche „vom
gefunden und kranken Herrn Meier“
beißt, es iſt dies ein ganz erträglicher
Zuftand, auch der meine.
Auf das beite Sie grüßend,
Ihr 2. Anzengruber,
Stadtpoet.
Penzing, den 11. Juli 1887.
Mein jehr ſchätzbarer Freund!
Ich beneide Sie, dafs Sie von
einem Stoffe*) gleichſam „angefallen“
wurden und würde mich gerne in
gleichen Geburtäwehen winden, aber
ih bin fteril geworden, ich bin nicht
imftande, an da3 Schreiben zu denken,
geichweige, mich dazu aufzuraffen.
IH kann einfach jest nicht ſchrei—
ben, ich befinde mid — mie Sie
unter dem Banne des Scaffenstriebes
— in dem der vollftändigen Erfchlaf-
fung, ih kann daher, ob ich es auch
wollte, Ihnen fein Manufeript zufagen.
Was mich jo heruntergebradht, oder
berabgeftimmt, ich weiß es micht zu
jagen, aber dagegen läſst ſich nichts
machen.
Herzlichen Gruß, Ihr freundge—
ſinnter L. Anzengruber,
— derzeit „ohne Genius“,
*) „Martin der Dann.“
Wien, den 20. September 1889.
Verehrter Freund!
Ihr Schreiben, jagen Sie, erfor-
dere feine Antwort, es ſei nur als
Händedrud vermeint, nun diefer er=
fordert doch den Gegendrud als Zei—
hen des vollen Verſtändniſſes.
Seien Sie aus tiefftem Herzen
heraus für Ihre freundfchaftliche Theile
nahme bedankt, die ich mit gleichen
Gefühlen für alles, was Sie betrifft,
errwidere, und erhalten Sie mir dies
jelbe, ſowie ich ſolche Ihnen allzeit er-
alten will und werde.
Mit Gruß und Dandfhlag ganz
der Ihre 2. Anzengruber.
* *
*
Diejem legten Briefe folgten noch
ein par kurze Mittheilungen intimerer
Natur, die legte derjelben ftammt vom
4. December 1889, gejchrieben ſechs
Tage vor feinem Tode,
Bon dem etwaigen Vorwurfe, dafs
diefe Briefe, in melden fo viel von
mir felbft und meinen literarifchen
Saden die Rede ift, gar aus Gründen
der Eitelkeit veröffentlicht worden fein
fönnten, laſſe ich mich nicht anfechten.
Die bier abgedrudten Briefe haben
den großen Volfsdichter einmal von
einer Seite gezeigt, von welcher er
font jelten geiehen wird. Und das
wollte ich. Der Derausgeber.
„Bas vierte Gebot“ und feine Gegner.
Bon P. R. Rofegger.
N
aa: Ludwig Anzengruber im
37 Jahre 1877 fein Drama „Das
Y vierte Gebot“ einem Wiener
Theaterdirector eingereicht hatte, fagte
der Director zum Dichter: „Sie ver—
ftehen das nicht, lieber Anzengruber.
Bringen Sie mir ein Stüd mit dem
Titel: «Das ſechſste Gebot», und wir
erzielen volle Häufer. Für das vierte
Gebot intereffiert fich fein Menſch“ und
lehnte das Merk ab.
Seitdem ift eine andere Zeit gefom-
men. Die Operettenwirtihaft Hat das
Theater, und das franzöfiiche Sitten-
drama die deutjche Sittlichfeit an den
Rand des Bankerotts gebracht. Man
empfindet die Nothiwendigteit zur Um—
fehr und erinnert ſich endlich wieder
an die ernfte fittigende Bedeutung des
Theaters. Wohl gibt es immer noch
Leute, die den Höhepunkt der drama—
tiſchen Aunft in der „Schönen He—
lena“ oder im „Böhm in Amerika“
erbliden ; andere wollen nur Lufifpiele
haben, da das Leben ohnehin jo ernft
und traurig fei. Ich meine: das Leben
war auch zur Zeit, als auf der Bühne
die Tragödie vorherrjchte, ernjt und
für Viele traurig, aber man wußste,
dafs dad Tragiſche in der Kunſt mit
dem ZTraurigen des Lebens verjöhnt.
Gewaltige Menſchenſchickſale mit Schuld
und Sühne erfchüttern uns, und wer
erſchüttert ift, der wird erlöst.
Zu einer ſolchen Zeit der Umfehr
greift man mad einem Drama, das
einft mit jenem frivolen Worte abge=
lehnt ward und deſſen Verfaſſer mittler-
weile ind Grab gejtiegen — und ſiehe,
es zündet. Es erregt die Gemüther
in mehrfahem Sinne, es erglüht die
Herzen der naiven Zuſchauer und es
erhigt die Köpfe der Gegner.
208
Im „Vierten Gebot“ ftehen zwei
Shidjale da. In dem einen wird
durch ein braves, ſchlichtes Elternpaar,
das einen wohlgerathenen Sohn hat,
der es bis zum geiftlichen Stande
bringt, gezeigt, da die Befolgung
des vierten Gebotes zum Segen wird,
In dem anderen Scidjale, welches
durch zwei liederlihe Familien in ſehr
realiftiicher Weife zur Anſchauung ges
bracht wird, ſehen wir, daſs es micht
unter allen Umftänden gut ift, wenn
Kinder ihren Eltern folgen, daſs der
Gehorjam gegen ſchlechte Eltern zum
Fluche werden kann.
Gegen dieſes Drama nun erhob
ſich ein förmlicher Kreuzzug ſeitens
jener Partei, die Anzengruber durch
ſeinen „Pfarrer von Kirchfeld“ ſich zum
unverſöhnlichen Feinde gemacht hat.
Bei der erſten Aufführung in Graz
erhoben etliche dieſer Partei ein Ten—
denzziſchen, wurden aber vom großen
Publicum bei dieſer Beſchäftigung
ſchmählich im Stiche gelaſſen. Dann
aber ſattelten fie ihren Preſsgaul, zogen
mit allen möglichen und unmöglichen
Waffen gegen das Stüd, und in öffent»
lichen Kanzelreden wurde leidenschaftlich
gewarnt dor dem Beſuche des „Vierten
Gebotes“.
Hauptjählich werden von dieſer
Seite dem Bollsdrama zwei Dinge zum
Vorwurfe gemadt. Erſtens: dajs es
zu crafs die menjchliche Verworfenheit
aufzeige, und zweitens, daſs es gegen
das vierte Gebot Stellung nehme. —
Zwei wuchtige Anklagen, wenn fie
begründet wären!
Wie fteht es mit dem erften Punkt?
Allerdings Führt uns der Dichter er—
barınungslos die tieffte Verkommenheit
vor Augen. Und die Gegner geben es
Be
zu, dajs dieſe Verkommenheit vor»
handen ift, jagen aber, das Stüd ver—
unglimpfe und beſchimpfe das Bolt,
indem e3 ihm feine Sünden vorhält.
IH frage: Wird in diefer Art das
Bolt nicht vom jeder Kanzel „verun«
glimpft“ vor und feit Pater Abraham
a Sancta Clara? — Nicht alles was
wahr ift, jagen fie ganz richtig, gehöre
auf die Bühne, und wollen damit
glauben machen, als ob unfer Dichter
„Alles was wahr ift“ auf die Bühne
brädte. Oh, da befämen wir noch ganz
andere Sachen zu jehen, als was und
im „Vierten Gebot“ vor Augen gerüdt
wird. Unzengruber ftellt nicht mehr
und nicht weniger auf die Bühne, ala
was jeit Shafejpeare alle bedeutenden
Realiften zur Anſchauung bringen,
wenn e3 die Kunſt, die Idee, die
Sade verlangt. Ob das geſchmackvoll
jei, fragt ein Eiferer mit gut gefpielter
Naivetät, wenn ein ehrlicher Burſche
einer Proftituierten die Hand bietet ?
— Wie ſagten nur glei die Phari-
jäer, al3 Ehriftus mit Sündern ums
gieng ? — Iſt es denn viel geſchmack—
voller, wenn der greife Lear von feinen
Töchtern verftogen wird, wenn Franz
Moor feinen alten Bater in einem
Hungerthurme verſchmachten läſst?
Warum tritt denn der geſchmackvolle
Mann gegen dieſe Schändlichkeiten
nicht auf, ſie gehen ja auch gegen das
vierte Gebot!
Man ſolle den Schandfleck des
Volkes nicht aufdecken, ſagen ſie, ſon—
dern dafür durch kirchliche, geſellſchaft—
liche und ſtaatliche Mittel Abhilfe
ſchaffen. Was ſind denn das für kluge
Rathſchläge? Das iſt ein Curpfuſcher,
ein Charlatan, der vorgibt, heilen zu
können, ohne die Krankheit unterſucht
und fennen gelernt zu haben. Das
Bolt muß fich ſelbſt Helfen, ſei es
dur die Religion, fei es durch den
Staat, fei e8 durch welch ein Mittel
immer, und vor allem mußs es ſich
des Abgrundes bemujst werden, vor
dem es fteht.
Man behauptet, das Theaterpubli«
cum fei fo frivol, dafs es die auf der
Bühne dargeftellte Verworfenheit be=
juble, anftatt fich befehren zu lafjen.
Mer aber ift es denn, der das Theater-
publicum fo fehr verdorben hat? Das
franzöſiſche Schaufpiel, weldes die
Sünde ſüß und begehrenswert ſchil—
derte, das Laſter beſchönigte, den Ehe—
bruch feierte, den Tugendhaften, von
elenden Wichten Betrogenen mit Spott
übergoſs. Die Operette, welche das
ſechſte Gebot mit Muſik verhöhnte.
Und wer hat ſolchen Bühnenſtücken
Protection und öffentlichen Beifall ge—
ſpendet? Die Preſſe, und nicht zum
geringſten jene Parteipreſſe, die heute
gegen das „Vierte Gebot“ wüthet.
Eine dieſer Stimmen nahm unbegreif—
licherweiſe entſchieden Partei für die
franzöſiſche Ehebruchskomödie gegen—
über von Anzengrubers ſtreng mora-
liſcher Schuldtragödie. Dieſe Leute
goutiren ja fchlieglih alles. Doc
wenn irgendwo im weltlichen Kunſt—
werk ein Priefter ins Spiel kommt,
und wäre es auch in bejter Abficht,
wenn irgendwo eine Moral verkündet
wird, für deren Verkündigung fie allein
dad Privilegium zu Haben glauben,
dann gerathen fie aus Rand und Band
und laffen an dem betreffenden Dichter
fein gutes Haar. Alle Gebote Gottes
fannft du übertreten, fie verzeihen es,
alle Todſünden kannſt du begehen, fie
verzeihen es; nur das Eine verzeihen
fie nicht, nämlich wenn du laut jagt,
daſs auch der Prieſter ein Menſch jei.
Anzengruber hat das im „Pfarrer von
Kirchfeld“ gejagt. Alſo Feindichaft
über Grab hinaus.
Einer der journaliftiichen Kampf:
hähne jener Partei findet e3 geradezu
lächerlich, von einem Theaterftüde wirt»
fame Heilung moralifher Schäden zu
erhoffen. Und mit dieſer peſſimiſtiſchen
Meinung, daſs eine künſtleriſch con=
centrierte jinnfällige Geftaltung auf das
Bolt nicht wirke, bejteigt man die
Kanzel, um mit dem bloßen abjtracten
Worte zu wirken? ch gebe ja zu,
dajs das Wort Gottes als ſolches
eine befondere Kraft habe, aber nicht
immer wird auf den Sanzeln das
Mort Gottes gepredigt, oft, jehr oft
auch etwas anderes, das nicht weni—
ger mweltlih ift, als ein Theaterftüd.
Warum thut man’s denn, wenn man
glaubt, daf3 an dem Volle Hopfen
und Malz verloren ift? Und wenn
das nicht verloren ift, warum follte
nicht auch von den Brettern, die die
Melt bedeuten, herab ein gutes Wort
einen guten Ort finden? Daſs das
Theater verderben kann, Haben wir
leider gejehen, daſs es erjchüttern,
erheben, beſſern kann, ift eine zu
allgemein anerfannte Thatſache, um
darüber noch ein Wort zu ver—
ſchwenden.
Freilich, wenn die Bühne nur in
loſem leichtfertigem Spiele zu tändeln
beliebt, wenn ſie dem ſchweren Ernſte
des Lebens aus dem Wege geht und
dem Volke immer nur heuchelt und
ſchmeichelt, dann kann ſie keine mora—
liſchen Schäden heilen.
Ich bin für die Vertuſchungstheorie
nie und nimmer. So wie das Gute,
wenn es gethan wird, zu öffentlichen
Ehren kommen ſoll, um als leuch—
tendes Beiſpiel dienen zu können,
ebenſo muſs das Schlechte öffentlich
gebrandmarkt werden. Durch das Ver—
ſchweigen und Verhüllen ſchafft man
weder Elend noch Laſter aus der
Welt; es macht die Menſchen mur
ſorglos zutäppiſch. Das iſt das klügſte
an einem Fiſcher, daſs er die Angel
mit einem Köder verdeckt — ſo macht's
der Teufel; und das iſt das dümmſte
an dem Vogel Strauß, daſs er ſeinen
Kopf in den Sand ftedt, um den
nabhenden Feind nicht zu jehen, — fo
macht's der Menſch, welcher meint, es
gäbe feinen Jamıner, wenn er vor
ihm Aug’ und Ohr verſchließt.
Ich meine, daſs das moraliſch
Schlechte gar nicht craſs genug ge—
zeichnet werden kann, um den richtigen
Abſcheu davor einzuflößen. Wenn nur
auch gezeigt wird, wie furchtbar die
Schuld ſich rächt, und wenn
204
Gegengewicht nur auch das Verſöh—
nende, Erhebende nicht fehlt.
Ich ſelbſt bin ein unverſöhnlicher
Gegner jenes modernen „Naturalis—
mus“, der nur das Abſcheuliche auf-
zeigt und fich brüftet: Das ijt Die
Wahrheit! Es iſt auch Wahrheit,
aber nicht die ganze. Den Dinger
bejchreiben und die Blume verſchwei—
gen, ift das die naturwahre Schilde—
rung eines Gartens? Nein, das ift
eine halbe Lüge. — Das „Vierte Ge-
bot” gehört micht zu Ddiejer naturali=
ftiichen Schule. Wohl ift es gefchrieben,
um den verderblichen Einflufs jchlechter
Eltern auf ihre Kinder zu zeigen,
aber der verdorbenen Geſellſchaft gegen—
übergeftellt ijt eine brave, mit aller
Märme gezeichnete Yamilie, in deren
Mittelpunkt der junge, kindlich gute
Prieſter ſteht. Gerade diefe Gruppe,
die Gärtnerfamilie, haben die Gegner
des Stüdes am meilten verläftert,
als wären dieſe Leute wie borniert
bingeftellt. Yit e3 denn in den Augen
der wunderlichen Gegner borniert, went
ein armes Ehepaar fleißig arbeitet,
die Kinder zum Lernen anhält, mit
aller Liebe und Sorge für fie lebt,
ſich ſelbſt Entbehrungen auferlegt, um
den Sohn zum Geiftlichen ftudieren
zu laſſen? Zroß einiger naid komi—
cher Morte, welche die Gärtnerleute
gelegentlih jagen, werden dieſelben
an Klugheit ſich noch meſſen können
mit denen, die diefes Volksſtück öffent»
ih fo ungerechtfertigt und tölpiſch
angegriffen und fomit dafür jo große
Reclame gemacht haben.
Ubgefehen von dem Lichtpunkte,
den der Dichter in der braven Gärt-
nerfamilie aufjeßt, läjst er es auch
in den Seelen der Schuldigen nicht
ganz finfter. Die gewiljenlofen Eltern
jehen zum Schluſſe ihre Schuld ein.
Eine alte Großmutter ift da, voller
Güte, Sorge und Liebe zu den ver—
finfenden Entellindern, welcher aber
der Einflufs auf dieſe entzogen ift,
und die in der legten Lebensſtunde des
als Enkels nochmals wie ein verföhnender
ne a Be TTS gr —
205
Engel vor ihm erſcheint. Und der
arme Menſch, der durch den Einflujs
feiner Eltern bis zum Hochgerichte
gekommen ift, tröjtet unter demjelben
feine zujammenbrechende Gropmutter
mit rührenden Morten eines nicht
verlorenen Herzens. Wenn der Weg
de3 Dramas durch Lafter und Ver—
breden uns allerdings ſchaudern ge—
macht, wenn die Wucht menschlicher
Schlechtigkeit uns niedergedrüdt bat
bis zum Berzagen — dieſe Kerker—
fcene zwijchen dem unjeligen Verbre—
her und jeiner Großmutter vichtet
uns wieder auf, verföhnt uns. Der
Dichter, welcher jonft voll Zorn oder
Spott warnend in den Abgrund ger
zeigt, Hier hebt er das Antlitz und
weist gegen Dimmel.
Diejes Trauerjpiel „Das vierte
Gebot“ zeigt wieder einmal, wie heiß
ein Dichter fein Wolf lieben Tann.
„Sp jeid ihr!“ das ift Hier fein ge=
waltiger Ruf des Zornes. „Dahin
lommt ihr, wenn ihr nicht umtehret!“
das ift der Angfifchrei feines blutenden
Herzend. — Dass ein folder Mann
von jenen, die ihr Volk „auch“ lieben,
nit Hohn und Geifer überjchüttet
wird, ift zwar unbegreiflich, ift aber
der Lauf der Welt.
Ihr Feldgeſchrei Numero zwei ift:
das vierte Gebot Gottes will er ftürzen!
Im Stüde kommt eine Scene vor,
in welcher die Eltern einer zu verluppeln—
den aber ftörrifchen Tochter, den zufällig
anmejenden jungen Priefter, den Gärt-
nerfohn, erfuchen: „Bitte, Härten Sie
unfere Tochter auf über die Pflichten
der Kinder gegen ihre Eltern!“ und
der Priefter, in Unkenntnis der Ver—
hältniffe, jagt naiv und an und für
ich richtig zum Mädchen: Den Eltern
gehorchen!
Die Ehe fällt unglüdlih aus,
Der Sohn der zweiten unmoralifchen
Familie, der durch das Beifpiel feiner
Eltern zugrunde geht, läjst jeine Ver—
gangenheit noch einmal in Erinnerung
an ihm vorüberziehen in feiner leten
Lebenzjtunde und ruft dann dem ihn
befuihenden Jugendfreunde, dem jungen
Priefter zu: „Wenn du in der Schule
den Kindern lehrit: Ehret Bater und
Mutter! jo ſag's auch von der Kanzel
den Eltern, daſs fie darnach jein
jollen !“ Diefer Scenen wegen
legen die Gegner das Stüd jo aus,
als wollte der Dichter jagen: Höret
nicht auf den Briefter, wenn er lehrt,
du ſollſt Vater und Mutter ehren!
— Iſt diefe Unterftellung redlich ?
Während der erjten Aufführung
des „Vierten Gebotes“ in Graz hörte
ih Hinter mir im Parterre folgendes
Zwiegeſpräch:
A. Das iſt ein ganz ſchlechtes
Stück. Es ſollte verboten werden.
B. Es iſt ein grandioſes Stück.
A. Allerdings grandios, wenn den
Kindern gepredigt wird: Ihr ſollt
eueren Eltern nicht folgen.
B. Wo wird das gepredigt?
A. Oder nur bedingungsweiſe
folgen, blog wenn die Eltern brav
find. Nein, die Kinder müſſen ihren
Eltern unter jeder Bedingung ge—
horchen!
B. Auch wenn die Mutter eine
leichtſinnige Perſon iſt und zu ihrer
Tochter ſagt: Thu' mir's nach! Und
wenn der Vater ein Trunkenbold, ein
Angeber, ein Tagedieb iſt und ſeinem
Sohne befiehlt: Komm mit mir! —
Auch dann?
A. Alſo ſoll das Kind ſeine Eltern
prüfen, ob ſie etwas taugen oder nicht,
und erſt darnach ſeinen Gehorſam und
ſeine Verehrung einrichten?
B. Soviel ich weiß, macht es
ſelbſt die Kirche den Kindern nur
bedingungsweiſe zur Pflicht, den El—
tern zu gehorchen.
A. Wiefo ?
B. Die Kirche lehrt: Gehorchet
den Eltern in allem, was nicht
wider Gottes Gebot iſt.
A. Ein Ehezwang, wie er in die—
jem Stücke vorkommt, ift aber wider
Gottes Gebot, weil er naturmidrig if.
8. Folglich hätte in dem Stüde
das Kind recht, jeinen Eltern micht
Te
206
zu geboren. Folglich Hat auch der
Dichter recht, weil er durch fein Stüd
ja nichts anderes jagt, al3 was die
Kirche lehrt. Und folglich geben Sie
der Kirche Unrecht, wenn Sie dem
Dichter Unrecht geben.
A. Die Kirche hat immer red.
8. Und der Dichter immer uns
recht. Und beide jagen dasjelbe. Es
iſt doch ſeltſam!
A. Genug davon. Ich frage nur,
wie können kleine, unvernünftige Kin—
der fähig und berechtigt ſein, ihre
Eltern zu prüfen?
B. Wie das die Kirche ſich denkt,
weiß ich nicht. Unſer Dichter hat es
hier im Stüde nicht mit Heinen Kindern
zu thun, ſondern mit erwachjenen,
die zum freien Gebrauche der Vernunft
gefommen find und ſchon willen, was
gut oder böſe ift.
U. Der Dichter aber nimmt einen
bejonderen Fall.
B. Gefegt den Fall, ein Kirchen-
räuber fagte zu feinem Sohne: Komm,
du mufst mir in der heutigen Nacht
einbrecheu Helfen! Soll der Sohn ſei—
nem Bater gehorchen oder nicht?
A. Sie treiben alles auf die
Spitze.
B. Das mußs auch der Dichter
thun, Und Anzengruber ijt unbarm—
herzig, er zieht aus einer Sache im—
mer die Äußerften Folgerungen und
zeigt fie au, damit wir uns in Dies
jem Irrgarten des Lebens möglichit
far werden jollen. Anzengruber jagt
in feinem Drama nicht, dafs Kinder
ihren Eltern nicht gehorchen jollen,
er jagt nur, daſs die Eltern des Ge—
horſams würdig fein müſſen. Er rüt-
telt nicht an dem vierten Gebote Gottes,
jondern jucht es vielmehr zu befejtigen,
indem er ausruft: Eltern, ſeid dars
nad, dafs die Erfüllung des Gebote:
möglich wird.
tens: Dichter, das iſt überflüflig,
weil ja nicht bloß in der Schule den
Kindern die Pflicht gegen ihre Eltern,
jondern auch in der Kirche die Pflicht
der Eltern gegen ihre Kinder häufig
genug gepredigt wird.
A. Was nüßt das Predigen in
der Kirche, wenn die Eltern nicht
hineingehen! die Kinder werden zur
Schule gezwungen, die Eltern zur
Kirche nicht.
8. Sie denfen an Kichenzwang.
Nicht übel. Aber wer kann zwingen ?
Nur der Staat, und ich fürchte, wenn
der Staat den Kirchenbeſuch obliga=
toriſch macht, wie den Schulbefud,
daſs er dann auch den Priefter wird
anftellen wollen, wie er den Schulfehrer
anftellt. Dass er am Ende nur nit
etwa gar die Predigten wird cenjurieren
wollen, wie er die Theater cenfuriert ?
— Wenn e3 aber feinen Firdhen-
zwang gibt, wenn die Leute ihre
Belehrung fih nicht in der Kirche
holen wollen, jo ift es ja doch gut,
wenn es auch noch andere Orte gibt,
wo fie Belehrung finden können. Was
der BPriefter auf der Kanzel lehrt,
das wird er wohl auch dem Dichter
erlauben, auf der Bühne zu lehren.
A. Für Sittenlehre und Erbau—
ung ift die Kirche da.
8. Alſo ift es unangenehm, wenn
außerhalb derjelben der Poet durch fein
Kunstwerk predigt: Eltern, gebt eueren
Kindern ein gutes Beifpiel! — Ober:
Lebt ihr in Unzucht, jo geht ihr zus
grunde! — Der: Verzeihet eueren
Feinden! — Man jagt dem Welt-
lichen, er folle ſich nicht in dogmatifche
Saden mifchen; foll er denn aud
fein Sittenlehrer mehr jein dürfen?
A. Es ift nicht Sache des Kunſt—
werfes, zu moralifieren.
B. Das gehört auf ein anderes
Und ift das nicht in Blatt. Übrigens jagten Sie leßthin,
Ordnung? Der Dichter ermahnt den) daſs ein Kunſtwerk auch moralisch
Priefter zu etwas, wozu der Priefter) fein müfle. Hier haben Sie ein
ſich ja jelbft verpflichtet fühlen muſs. ſolches. Es gibt — wie Sie jelber
Da kann man nicht jagen: Dichter, | zugeben — Leute, die in feine Predigt
das ift fchlecht von dir, fondern höch- | gehen wollen, ſolchen joll der freie
2
207
Eintritt offen fein ins „Vierte Gebot“.
Es würde mander zu fih fommen
und ih fragen: Wohin geht’s mit
meiner Familie? Welches Beifpiel
gebe ich meinen Kindern? — Und
mander würde jagen: Ja, der Pfarrer
bat recht, wenn er den Eltern ftrenge
Gottesfurdt und Zucht einfchärft;
bier ſieht man, mohin es fommen
lann, wenn's an den Eltern fehlt.
A. Uber bedenfen Sie, welche
Lehre fich die Kinder nehmen, die in
diefes Stüd gehen!
8. Verehrtefter! Warum foll ges
trade Anzengruber Kinderftüde ſchrei—
ben? Er jchreibt, wie jeder Drama
tifer, für Erwachſene, und diesmal
bejonders für Eltern.
A. Das führt aber viel weiter,
als Sie in Ihrer löblihen Harm—
lojigteit annehmen. Wenn man jchled-
ten Eltern nicht zu gehorchen braucht,
wird man diejelbe Freizügigkeit nicht
auch anderen Wutoritäten gegenüber
geltend machen wollen?
8, Ein zwingender Grund für die-
felben , ihrer ehrwürdigen Stellung
gemäß zu leben.
A. Nun ftehen wir dort, wo ich
behaupten kann, das „Vierte Gebot”
bat eine jocialdemofratiiche Tendenz.
8. Wiefo das? Oder doch viel-
leiht im Sinne Ehrifti, der fi ers
kühnt Hat, nicht bloß den Unterge—
benen, fondern auch den Vorgefegten
ihre Pflichten firenge an das Herz zu
legen.
A. Pad, das milfen wir ſchon
lange, daſs die Borgejegten auch ihre
Pflihten haben, daſs es gute und
hledhte Eltern gibt, dafs die Schuld
ih rächt. Alte Geſchichten, die wir
fennen, dazu brauchen mir den Herren
Anzengruber nicht.
8. Alſo weil er alte Gejchichten
auftifcht, die Sie kennen und felbjt
ausfprehen, deshalb befhuldigen Sie
in der Irrlehre, der Socialdemo—
fratie?
Am Ende, fagte U. plöglid, am
Ende ift Anzengruber ein Jude!
Das wird das Richtige fein! ver—
feßte B. luftig, und darum hat uns
mittelbar nach feinem Tode ein Haupt»
organ der „Bereinigten Chriſten“ in
Wien fo cannibalifch gefehrien: „Anzenz
geuber ift unfer! Er ift unſer!“ —
O ihre Helden!
In diefem Augenblid erhob fich
der Zwiſchenvorhang.
SH dachte meinem verewigten
Freunde nah: Anzengruber, was Tie
doh alles aus dir machen möchten !
Keiner hat die Liebe des Kindes zur
Mutter ſchöner verherrliht als du,
z. B. im „Pfarrer von Kirchfeld“,
im „Heimg’funden“ und in manch
anderem deiner Werke. Und wie rüh—
rend innig war dein perfönliches Ver—
hältnis zu Deiner eigenen Mutter!
Den Bater früh verloren. Auf deinem
armen Wanderleben als fleiner Schau—
jpieler führteft du deine alte Mutter
mit dir, und al3 du berühmt gewor—
den warft, mit welch froher Sorgfalt
richteteft du ihre Leben freundlich ein
und hiengeft an ihre mit einer Herz—
glut, wie du fie jpäter feinem Mens
ſchen mehr jo zugemwendet haft.
Und du follteft das vierte Gebot
gefährden wollen? — Risum teneatis!
Dafs ih nit lach’!
Ich bin überzeugt, dafs jeder, der
Anzengrubers „Viertes Gebot“ ohne
Vorurtheil prüft, die tiefe und ſtrenge
Sittlihfeit desjelben erfennen wird
und muſs.
Für den gewöhnlichen Zujchauer,
meinen die Gegner, jei die jchlechte
Tendenz des „Vierten Gebotes“ freis
lich nicht zu bemerken. Dieje für einen
Augenblid zugegeben. Dann war's ja
aber thöricht, die Leute darauf auf—
merkſam zu maden! Exit das Feld—
gefchrei der Gegner hat die Käufer
gefüllt, und als in Wien von den
Kanzeln gegen diejes Stüd gepredigt
wurde, mujste an der Theatercaſſe
die Wachmannſchaft verftärkt werden,
um im Gedränge Unglüd zu ver—
hüten. Die Kinder des Dichter mögen
fi) bedanken bei den Feinden ihres
Vaters, dafs fie ihnen jo gute Tanz
tiemen vermittelt haben.
Und aud wir bedanfen uns für
eine ſolche Behandlung eines unferer
größten vaterländifchen Dichter. Wir
werden fie uns merfen.
Ich bin herausgefordert worden zu
diefem Auffage, ich fühlte mich ver-
pflichtet, nicht bloß für den verewigten
Freund einzutreten, jondern aud für
die Volksdichtung, die neuerdings in
Anzengruber ihren höchſten Ausdrud
208
dem „Vierten Gebot* im Nebenſäch—
‚lien mande Bedenten gerechtfertigt;
vielleicht
wünſchten wir bejonders
einen anderen Titel. Warum follte
jein Bedenken nicht jeder offen aus—
ſprechen? Sogar parteiifche Einfeitigteit
im Urtheile läfst man fich Heutzutage
gefallen ; aber ein ehrliches und Hares
Wert jo gründlich zu verfennen, oder
jo bösartig zu mifsdeuten, wie es
bier gejchehen, das ift denn doch eine
Urt, die man auf das tieffte bedauern
gefunden hat. Vielleicht find ja auch bei | oder auf das ſchärfſte verurtheilen muſs.
Der Papft im neuen Kom.
Ein Bild aus der ewigen Stadt von Hermann Kiegel.*)
er
er gewaltigen Umgeftaltung und
5, durchgreifenden Neubildung
Roms, welche ſich jeit dem 20.
September 1870 allmählich vollzogen
hat und Tag für Tag immer nod
vollzieht, fteht innerhalb feiner eigenen
Mauern ein gewilles Etwas gegenüber,
grollend und ablehnend, fragwürdig
und feindjelig, fih hoch und theuer
gegen alle und jede Annäherung oder
Ausgleihung verwahrend. Das iſt der
Vatican. Der ehemalige Beherricher
Roms kann den Verluſt feines König—
reiches nicht verfchmerzen. Sich alle
feine Rechte feierlichit vorbehaltend, |
hat er fih im feinem Palaſte einges
jhloffen und ſich vor aller Welt zum
Gefangenen erklärt, — obwohl ihn
niemand daran hindert, frei ein> und
auszugehen, wie es ihm belieben und
gefallen möchte. Ich glaube, dafs dies |
allerdings nicht aus Liebhaberei oder
Zufall gefchehen ift. Denn der Anbruch
des neuen Zeitabſchnittes vor feinen
*) Unter dem Strich. Bunte Bilder
Berlin. Hans Lüftenröder. 1890,
Hungen hat ihn naturgemäß zurüd-
geſchreck und in ihm den Trieb ge-
wedt, fih möglihft unberührt zu
erhalten, jo wie er war und wie er
wieder jein möchte. Und die Ent—
widelung diejes neuen Zeitabjchnittes
mufste die Neigung zur Abſchließung
in ihm fteigern; denn er erkannte
gewiſs, wie fremdartig fein pruntender
Aufzug in der jechsrofligen Gold-
futfhe auf den vollswimmelnden
Straßen des neuen Rom erjcheinen
müſste.
Zwar jene Worte: „er kann den
Verluſt ſeines Königreiches nicht ver—
ſchmerzen“, ſprechen und ſchreiben ſich
leicht hin. Und mancher denkt wohl
auch, der Beſitz des vaticaniſchen
Rieſenpalaſtes mit der Peterskirche,
des Laterans und einiger anderen
Paläſte und Kirchen, ſowie der Bezug
eines ſtaatlichen Jahrgeldes von
mehreren Millionen ſei keine geringe
Sade. Auch ſei ja der Papſt nieman—
aus beiden Welten von Hermann Wiegel,
0 ul :
209
des Unterthan geworden und Halte
nad wie vor Hof wie ein Fürft. Und
doh Hat der Papſt wahrlich allen
Grund zum bitterften Schmerze, Denn
die alte fürftlihe Selbſtherrlichkeit,
die er über taufend Jahre genoſſen
und die jich in den lebten vier Jahr»
Hunderten zu der Macht eines König-
reiches eınporgehoben Hatte, ift dahin.
Alles, was in Wahrheit den welt-
lihen Herrſcher macht, ift ihm ge—
nommen. Was ihm davon geblieben,
ift nur Form und Schein, und feine
fürftlihe Stellung und volllommene
Unabhängigkeit ift durch feine welt»
lihen Mittel mehr verbürgt. Eine
durch vielhundertjährige Gewohnheit
zur Glaubensfahe gewordene Auf—
fafjung ift aufs tiefite verlegt, und
mit der Macht des Glaubens wird
an der Rechtmäßigkeit der alten Ge—
wohnheit feftgehalten. Der Gedante
aber einer Rüdtehr und Umkehr von
der weltlichen fFürftlichkeit zur wahren
Natur des geiftlihen Oberhirten—
amtes will dem Papſtthume noch nicht
in den Kopf, weil es fich Heftig ſträubt,
das Gejchehene als ein gefchichtliches
Ereignis, dem man ſich fügen muſs,
anzufehen.
Der Papſt ift, von aller Welt
anerfannt und von niemandem ange—
fohten, das Haupt und der oberfte
Dirte der fatholifchen Ehriftenheit ges
blieben, und dieſe hohe Würde, dieſes
heilige Amt, jo follte man meinen,
tan nicht abhängig jein von dem
Belie einer Scholle Landes oder einer
Stadt, und wäre dieſe Stadt jelbit
Rom. Aber der Papſt, von jener Auf:
faffung geleitet, behauptet, durch die
Einverleibung der Stadt Rom in den
italienifchen Nationalftaat als deſſen
Dauptftadt in der Ausübung feines
geiftlichen Hirtenamtes aufs ſchwerſte
behindert zu fein, er tagt über Ver—
gewaltigung und Beraubung, er ver—
wahrt fih und den Heiligen Stuhl
gegen das ihm angethane Unrecht,
er ſucht Hilfe bei den großen Mächten
und verlangt bei allen paſſenden Ge—
Rofegger's „Geimgarten*‘, 3. Heft. XV,
legenheiten im feierliher Weife Rom
und den ganzen ehemaligen Kirchen—
ftaat zurüd. Die VBerföhnung mit
Stalien wird al3 unbedingt ausge—
ſchloſſen hingeſtellt.
Der Gedankengang dieſer Politik
iſt beſonders klar aus der Anſprache
Leos XIII. erſichtlich, welche er am
Weihnachtsabend des Jahres 1885
an die verſammelten Cardinäle hielt.
Nachdem er über eine Reihe einzelner
Gewaltthaten Beſchwerde geführt, fuhr
er alſo fort: „Allein, wenn auch all
dieſes nicht geſchähe, und wenn auch
die, welche in Rom die Gewalt haben,
das größeſte Eutgegenkommen gegen
die Kirche und ihr Haupt zeigten,
jo dürfte man doch nicht glauben,
dafs darum die jebige Lage des römi—
jhen Papſtes eine würdige oder
wenigjtens erträgliche würde. So lange
es eine offenbare Thatfache iſt, daſs
Wir in Rom nicht in Unferer, jondern
in anderer Gewalt find, jo lange
Unfere Freiheit und Sicherheit von
denen, welche thatjähli in Rom die
Herrſchaft ausüben, abhängt, und von
Gefegen, die wandelbar jind wie die
politiihen Zuftände, und von den
höchſt mwandelbaren Maßnahmen der
Mehrheiten, jo lange wird die Lage
des Papſtes immer unerträglich fein.
Und welche Künfte man auch immer
anmenden möge, um fie zu mildern,
bermöge eines inneren und wejents
lichen Widerfpruches wird fie immer
mit der Freiheit und Unabhängigkeit,
die dem höchſten Haupte der Kirche
gebührt, unerträglich fein.“
Um dieje Gebdanten dreht jich die
eigenfte, innerfte Politik des Baticans,
und fie werden immer und immer
wieder, in dieſer oder in jener Form,
bald fo und bald jo wiederholt.
Nachdem der Papſt jelbit zu Weih—
nachten 1885 in jenen geharnifchten
Morten diefe Politik vertreten hatte,
erhob zu Oftern 1886 der vaticaniſche
„Moniteur de Rome“ jeine Stimme:
„Befangener einer fremden Macht,
Tann das Papſtthum ſich nicht mehr der
14
210
Stadt und der Welt (urbi et —
in ſeiner unvergleichlichen Herrlichkeit
zeigen.“
Im Frühjahre 1887 gab man
dann dieſer Politik die Geftalt eines
Fühlers. Leo XIII. machte in einer
Anſprache Andeutungen, die vielfach
al3 ein Wunſch nach der Ausföhnung |
mit Italien aufgefajst und von einer!
Anzahl Zeitungen beifällig begrüßt
wurden. Sobald dies Entgegenfommen |
der öffentlichen Meinung deutlich wurde, |
gab der „Osservatore Romano* jenen
päpitlichen Andeutungen die Erläutes
rung, dafs es fih nur um „die Rüd-
gabe alles Geraubten, um die Wieder:
herftellung der weltlichen Herrſchaft,
bejonders über die Stadt Rom, wo
der Papit feinen Sib Hat“, handeln
fönne, „aut Roma aut nihil“. Das
Reden im den Blättern gieng eine:
Weile herüber und hinüber, bis ſchließ—
lih Crispi, dem die Sache zu bunt.
wurde, mit einer ſehr unzweideutigen
Erklärung im Abgeordnetenhanfe dem
Zwifchenfall ein Ende bereitete. Da
trat der Papſt in einer Conſiſtorial—
Anſprache zu Ende November desjelben
Sahres mit neuen heftigen Klagen und
bitteren Bejchwerden gegen Italien
hervor, die er ſeitdem bei jeder Ges
legenheit in dem herkömmlichen Zone
wiederholt hat, und die in den ſo—
genannten Katholikenverſammlungen
einen ohnmächtigen Wicderhall gefuns |
den haben.
Un allen Thoren des Baticans ,
ſtehen die Schweizer grimmig bewarfe |
net Wade, und beim Cingange am!
Petersplage haben fie ihre jtarte Haupte |
wache. Es jind in der That Schweir
zer, Sogar deutſche Schweizer, die
in ihren aus ſchwarz, gelb und roth
zufammengenähten Landstnechistleis |
dern, mit einem modernen Helme be= |
dedt und mit einem Schiekgewehre |
ausgerüftet, ihre ſchweren Pflichten |
in ertödtender Eintönigleit thun, Drei
Schritte vor der Hauptwache ſichen
ununterbrochen zwei italienische Schutz—
leute, jogenannte Carabinieri ober
Guardie eivili, um bei einer etwaigen
Ungebörigfeit jofort zum Schuße der
Schweizerwahe und des Baticans
jelbft eingreifen zu können. Schräg
gegenüber am Betersplage ift in der
dortigen Kaferne eine große Wache
unter einem Officiere eingerichtet.
Ridwärts, dem Palafte gegenüber,
ftehen mehrere italieniihde Schild—
wachen. Bei dem geringften Verſuche
zu einem gegen den DVatican gerichteten
Unfuge würde jofort eine ausreichende
Macht bereit fein, um ihm im Keime
zu erjliden. Aber äußerlich betrachtet,
ſieht das alles fo aus, als ob die
föniglihe Schutzmannſchaft und Friegs-
macht den Batican und feinen Ger
fangenen einfchließe und überwache.
Doch kümmern fich diefe Männer
nicht im geringiten um die, jo da
fommen oder gehen, — folange die
öffentliche Ordnung ungeftört bleibt.
Sie gehen jelbit andädhtig in die
Vetersfiche, und an Sonntagen wim—
melt es da von Officieren und Mann—
ſchaften aller Waffengattungen. Die
Briefträger der königlichen Poft geben
ihre Saden im Batican ab und for=
ihen jelbft in den Sacrifteien der
Betersfirhe nad Empfängern, die fie
noch nicht feinen. Ein ganz regel»
mäßiger, aber nicht auffallender Ver—
kehr beiteht zwiſchen dem Batican
und der Stadt, die ihn mit allem,
was er braucht, verforgt, ihm alles
vermittelt und einem grogen Theile
der dort Bedieniteten und allen, die
duch Gejchäfte und Obliegenheiten
dahin geführt werden, Wohnung ges
währt. Der Batican ift durchaus ein
Stüd der Stadt Rom geblieben, und
alle jeine Bewohner und Angeſtellten
bis auf Einen bewegen ſich in der
Stadt Frei nah ihrem Belieben und
ihrer MWilltür, Die Cardinäle fahren
von ihren Baläften zum Batican,
oder fie fahren jpazieren vor die Thore,
um frische Luft zu ſchöpfen. Alte und
junge Briejter, einzeln und in Scharen,
Mönche aller Gattungen: ſchwarze
und braune, weiße und blaue, graue
und gemilchte, ſchwarz und weiße, | bieters, beſondere Geſandtiſchaften find
weiß und ſchwarze, ſchwarz nnd rothe, ‚Bein Batican beglaubigt, der Papſt
weiß und rothe und wie das fo weis iſt von der alten Unterwürfigleit um:
ter geht, ſogar rothe Nonnen wandeln | geben. Wenn er ſich eine Halbe Stunde
und wimmeln durch die Straßen in frischer Luft ergehen will, jo wird
Roms, untrügliche Zeichen der Gegene |
wart des Pontifex maximus, lebendige
Zeugen der Freiheit, die das König»
reih Italien dem Oberhaupte der
ein Geremoniell aufgewendet und eine
Dienerzahl aufgeboten, wie ſie fein
europäiſcher König, wohl jelbit Phi—
lipp II. von Spanien nicht, je gehabt
Kirche gewährt. Nur der Eine über: |und geduldet haben mag. Ein ganzer
jchreitet nicht die Schwelle feines Ges langer Aufzug ift da erforderlich.
fängniſſes. Voran ſchreiten mehrere der bunt—
Warum aber ſollte der Papſt nicht | geihligten Schweizerſöldner im jchwar-
einmal, ohne päpftlihen Prunf, im ‚zen, gelben und rothen Tuche, dann
einfachen Wagen, ſchlicht und umer- ‚Folgen einige Leute der päpftlichen
fannt in die Gampagna fahren und Palaſtwache, der jogenannten Guardia
ih an der offenen Natur erfreuen ? | palatina, mit blanken ritterlichen
Niemand Hindert ihn daran, niemand | Helmen und gewaltigen Schwertern,
hat einen Nachtheil davon, und wenn und daran Jchliegen ſich Getitliche.
er will, braudt er es niemandem Nun aber kommt der Bapft. Der
merken zu lafjen. Wer weiß, ob er Papſt ift ganz in weiße Seide ge—
nicht jchon manchesmal aus jeinem | kleidet und jigt in einer rothjeidenen
Fenſter über die weite Stadt Hinüberz | Prachtjänfte, die don zwei ausgejucht
geihaut hat nah dem Quirinal, und großen und ftarfen Männern getragen
ob nicht auch der König im Duirinal |
aus feinem Fenſter hinüber geichaut
hat zum Batican, und od dann nicht
Papſt und König ſich verftanden und
ih zugenidt Haben? Mit Hilfe leid»
licher Ferngläſer könnten ſie fich jogar
anläheln und fich Zeichen geben. Und
wie viele jtille Boten mögen vom
Quirinal zum Vatican und vom Ba-
tican zum Quirinal wandern! Dean
veriteht Sich, will ſich von Herzen
wohl und hat ſtillſchweigend ein ganz
wird, Rechts und links von jedem
diefer Träger fchreiten zwei Begleiter
von gewöhnlicher Größe. Alle ſechs
jind mit feidenen Stleidern von dem
nämlichen Roth wie die Säfte und
im Schnitte des ſiebzehnten Jahr—
hunderts bededt. Hinter der Sänfte
wandeln wieder Geiftliche, dann folgt
die Guardia palatina, und den Schlufs
machen wieder die ſchweizeriſchen
Landsknechte. So bewegt ſich der Zug
aus den Gemächern des Papſtes durch
angenehmes Verhältnis geichaffen, aber |die Hallen am Hofe des heiligen Da-
dor der Welt,
vor der fatholiichen | Imafus, die langen Gänge der Galleria
Chriſtenheit jpielt man Gefangenen |lapidaria und der Bibliothek in deu
und Räuber. Das wird wohl noch eine |
gute Weile jo fortgehen, vermuthlich
jogar eine recht lange, lange Weile,
Auch im Inneren des Baticans
merft man von der Gefangenschaft
nicht die geringfte Spur. Die Schens-
würdigfeiten des Palaſtes ftehen den
Bejuchern offen wie ehedem, die Pracht
und der Glanz des päpftlichen Hofes
find unverändert Ddiefelben geblieben,
die zahlreihen Bewaffneten befunden
die fürftlihe Unabhängigkeit des Ge—
päpftlichen DOREEN, und überall,
wo er auf jeinen Wegen an Wächtern,
Dienern, Aufſehern oder ſonſt jeman—
dem vorbeikommt, fällt alles in tiefſter
Verehrung auf die Knie, während
der Papſt mit freundlichem Lächeln
die rechte Hand ſegnend erhebt. Es
gehört ſchon ein gutes Theil Schwär—
merei dazu, um in diefem fegnenden
und bon mehr als föniglihem Prunfe
umgebenen Papſte jenen Gefangenen
des Vaticans zu erbliden, von deſſen
14*
212
Strohlager, zur Rührung der Gläus
bigen, ſchon einzelne Halme theuer
verfauft worden find.
Indeſſen, man mag die Bolitif,
welche der Batican dem Königreich
Italien gegenüber jeit dem 20. Sep=
tember 1870 innegehalten Hat, noch |
zus
jo fehr verftehen und begreifen:
geben muſs man unbedingt, dafs die
Entwidelung der Stadt Rom ich
durch diefe Politit nicht hat hemmen |
oder beeinfluffen laffen, und dajs fie
über fie zur Zagedordnung
täglich
übergeht. Zugeitehen aber muſs man
auch, daſs das Papſtthum in den
langen Jahrhunderten aufs engite mit
Rom verwadhjen iſt
nahme einiger Freidenker, das Ober:
haupt der Kirche unbedingt und innigjt
verehrt. Aber dieſe jelbe Bevölkerung
fühlt jich ebenfo unbedingt und innig
als einen Theil des italienischen Volz
lebenden :
tes, und jie jaucdhzt dem
und daſs bie,
ganze Bevölferung Roms, mit Aus«
.XIII. läfst in dem neuen Stadttheile,
Könige jubelnd zu oder mallt aud
dankbar und gerührt zum Grabe des
todten Königs im Pantheon des Mar—
cus Wgrippa, Im Herzen der Römer
ift der Ausgleich zwischen Papftthum
und dem Königthum vollzogen, aber
noch ift die Formel nicht gefunden, in
der ſich die beiden gejchichtlihen Ge—
walten jelbjt, ohne fi etwas zu ver—
geben, ausjöhnen könnten. Und ſchwer
wird es fein, vielleiht unmöglich,
dieje Formel zu finden. Aber am Ende
geht es auch ohne Formel ganz gut
fo weiter wie bisher. Ein fröblicher
modus vivendi ift eine ganz unbe—
zahlbare Erfindung. Er hat jogar dein
Bapfte die Handhabe geboten, an dem
neuen Rom mitzuarbeiten, denn Leo
der fi vom Vatican längs der Tiber
bis in die Gegend der Porta del po-
polo hinzieht, auf feine Koften eine
Kirche bauen.
Die Verwechslung der Sinne.
Gine Plauderei aus dem neuen Demofrit von E. M. Schranka.
SS
4 ir haben fünf Sinne, die von
Fr rn den Piychologen und fonftigen
theilungen gebracht wurden,
Gelehrten in verfchiedene Einz
ale da heute noch von den vier Elementen
dene Sinne geben, fo viel ift ficher,
es gebt uns mit den Sinnen wie mit
den Elementen. Wir ſprechen ſelbſt
beiſpielsweiſe e find: Haupt⸗ und Neben— | und willen doch aus der Chemie ganz
fine, höhere und niedere Sinne und ‚genau, dajs die bieherige und nod
anderweitige Claſſificationen. Manche lange nicht abgeſchloſſene Reihe von
verſuchten ſchon einen ſechſten Sinn! Elementen nahe der Zahl 100 ſteht.
und noch mehr binzuzufügen, und | Ebenjo bleiben wir noch bei unjeren
Iprihwörtlich fpricht man geradezu von | fünf Sinnen. Wer nur die immer
der Noth und auch von der Gewohn- | alle beijammen hätte!
heit als ſechſtem Sinne. Dajs, wie gejagt, der eine dieler
Mag e3 nun noch viele andere, fünf Sinne eine wichtigere Rolle jpielt,
uns bisher noch nicht bewusst gewor- der andere gewiſſermaßen den höheren
213
nur Ddienend zur Seite fteht, ja, der
Geruchsſinn jozujagen als das Aſchen—
brödel der fünf Sinne angejehen wird,
ift befannt.
Geſichts⸗- und Gehörfinn, Ges
Ihmads- und Geruchsfinn ſcheinen nä—
ber verwandt zu ſein, als eine andere
Eombination. Ein Sinn unterftügt
den anderen, muſs ſogar, jo gut e3
geht, oft an die Stelle des fehlenden
treten und ihn, wenigftens theilmweife,
zu erfeßen verſuchen.
Bejonders in der Kunſt ſcheint oft
ein Sinn als der wicdhtigfte.
Welch ein Unglüd für den Maler,
wenn er erblindet, welch troftlojer
Zuftand für den Mufiter, wenn er
taub wird; jeltjam, dafs manche der
größten Compofiteure taub gewejen
find. Umgefehrt wäre der Berluft des
Gehörfinns für den Maler, des Ge—
ſichtsſinnes für den Gomponiften we—
niger empfindlich und fühlbar. Der
gute, blinde Pfeffel mufste immer laut
aufladen, Jo oft ihm jemand im
eifrigen Geſpräche jagte: „Sehen Sie
nur, mein lieber Pfeffel!“ Derfelbe
ließ aud, als die blinde Tonkünſtlerin
Iherefe Pardies zu ihm nah Colmar
faın, folgende Stegreifverje in ihr
Stammbuch jchreiben :
„D weh’, Therefe, weh’ dem Mann,
Der nit vor Wonne, dich zu hören,
Wie wir des Augenlichts entbehren
Und Ohr und Herz nur werben kann!“
Ferner als einft Kant den blin—
den Profeifor von Raczko frug, ob
ihm der Beſuch des Schaufpiels Ver:
gnügen mache, fagte diefer: „Wenn
nur meine Täufchung nicht durch un—
richtige Declamation geftört wird, ſo
malt meine Phantafie mir Schauplaß
und Berfonen“, worauf Kant meinte:
„Ih wünſchte, daſs ein Blinder, ein
Tauber, und ein Mann, der die Sprache,
in welcher das Stück gejchrieben, nicht
verfteht, gemeinſchaftliche Kritik übten,
fie müfste die richtigfte fein.“
Ein anderer Fall, wo gewiſſer—
maßen ein Sinn der mächtigfte, der
Hauptſinn iſt, findet fich in einer geifte
reichen Stelle des Dr. Mijes nieder=
gelegt. Er jagt: „Engel theilen fich ihre
Gedanken durh Licht mit, jtatt Töne
haben fie Farben. Ganz todte Maſſen,
z. B. Steine, äußern ſich durch den
Drud, alfo durch das Gefühl. Leben
diger find in diefer Sphäre jchon die
Salze, welche ſich durch Geihmad
äußern. Die Pflanzen theilen ſich durch
den Geruch mit, das Medium ihrer
Mittheilung ift der Duft; die Thiere
durch das Gehör. So fehen wir, daſs
das höchſtbegabte Wefen ſich Durch das
Geſicht mittheilt.“
Für jede Claſſe der genannten Ge—
ſchöpfe ift alſo ein Sinn der Capital—
finn. Ich fagte früher, ein Sinn müfle
oft den anderen erfegen — ja oft tritt
jelbft bei Vorhandenſein aller Fünf
Sinne der eine herrichender hervor.
Der Verliebte wird 3. B. zum
Argus, er ſieht bei feiner Angebeteten
alles, obwohl er fo viel überfieht. Sie
iſt Schön, hat aber ein häſsliches Organ,
er aber Hört fie nicht, ex ſieht fie nur
ſprechen. Ihm wird fein Auge aud
zum Ohr. Er kann mit dem Dichter
jagen:
„Wie bin ich jo ganz verändert,
Seit dein Zauber auf mir mwaltet:
Haft mih ganz, ja jelbft die Ohren
Mir zu Herz und Aug' geitaltet,*
Ja, er fieht fogar im Budel feiner
Geliebten „einen zweiten Buſen“.
Mie oft Hört man jagen: „Ich
bin ganz Ohr, vom Kopf zum Fuß
ein Ohr“, und ebenso oft wird gelagt:
„Ich bin ganz Auge“ ; bisweilen heipt
e3 aber auch: „Er ift ganz Aug’ und
Ohr”.
Ganz richtig beanftanden deu Na—
men de3 Opernglafes die vier Verſe:
„Ist es des Opernglaies med
Vom Ton zu jehen eiwas?
Der richt'ge Name fühn und Ted
Das wäre wohl Balletglas.*
Ein anderer nannte das Ballet
die Oper der Tauben.
Auch die Phrafe „die Folie des
214
Stadtgeſpräches“ enthält eine Ver—
wehslung der Sinne,
Ein anderer Fall: Ein Hungriger
riecht eine Speife, er vertilgt fie mit
Gier, wenn auch der Gefhmadsjinn
mit ihrer Zubereitung nicht zufrieden
wäre. Er verfhhlingt fie mit den Aus
gen; man jagt, wenn er nicht mehr
eflen fan, „Jeine Augen waren größer
als jein Magen“.
So tritt gar oft eine förmliche
Verwechslung der Sinne ein; aber
am deutlichſten tritt dieſe Verwechs—
lung in der Sprache hervor; freilich
wird oft ein craſſer Blödſinn daraus,
aber umſo komiſcher wirft er.
So ſpricht Saphir von lichttrin—
kendem Auge und tondürſtendem Ohr;
Heine ſagt: Sie lächeln ſüß; bei Klop—
ſtock horchen fie mit trunkenem Ohr;
ein anderer verſchließt ſich hermetiſch
gegen das Licht und wieder andere
prüfen mit neugierigen Händen, wäh—
rend ein dritter ſich in einen chro—
matiſchen Galopp ſetzt.
Man kann ſich an einem Schau—
ſpiel nicht ſattſehen und ſpricht etwas
geſperrt gedruckt aus, und wenn man
jemand Braun nennt, der Roth heißt,
jo entſchuldigt man ſich, daſs man
farbenblind iſt, ſo wie jener Franzoſe der
Magd, die beim Kehren zu viel Lärm
machte, zurief: halten Sie das Maul
mit Ihrem Beſen.
Wie oft hört man den Unſinn
ausſprechen: „Siehſt du, was ſie ſagt?“
Freilich liegt hier in dem „Siehſt du“
ein Aufmerkſammachenwollen, man kann
aber doch nur hören, was man ſagt.
Als Gegenſtück dazu hörte ich ſchon
im Dunkeln jagen: „Sprich, damit
ich Dich jehe“ ; gerade wie jener Eng:
länder jagte: Speek, that I may see
thee.
Zu dumm iſt doch die Sinnes-
verwechslung in der Rede jenes So—
craliften, der fih in feinem Eifer zu
den Worten binreißen ließ: „Meine
Herren! Thun Ser, wat See thun
müflen, aber vergeſſen See nid, dals
—— —————— —— —— LE SS fee
die Augen des ganzen vox populi auf
Ihnen gerichtet find,“
Man wird eimmenden, das War
ein ungebildeter Menſch, der feine
Rede mit dem aufgegriffenen lateinie
ſchen Broden jpiden wollte, ohne zu
wiſſen, was diefer Ausdrud bedeute.
Gut, ich will einen Gebildeten vor—
führen. Ein Student der Medicin gab
jeinem Brofeffor beim Examen auf die
Frage, was ein Stethoflop fei, die
droflige, gewiſs verftändlihe und doc
phramidal dumme Antwort: „Das
Stethoftop ift eine Brille, vermittelt
deren man dem Patienten mit dem
Ohre in die Bruft fieht.* Das ilt doch
eine herrliche Blüte für diejes mein
Sträußchen.
Endlich kann in Haſt und Unbe—
dachtſamkeit der Zorn derlei Unſinn
hervorbringen, z. B.:
Vater (wüthend): „Sieh mich
nicht ſo an mit der Stimme.“
Sohn: „Ich habe ja noch kein
Wort —“
Vater (noch heftiger): „So laſſe
mich keine Silbe weiter ſehen.“
Eine übliche Phraſe lautet: „Tau—
ben Dunſt machen“ für „aufs Ge—
rathewohl“. Nun, der Dunſt iſt doch
für das Geſicht und für den Geruch,
und nicht für das Gehör da.
Ebenso Spricht man von einer tauben
Nufs, wobei doch der Geihmad bedroht
ift. Seltfam, die Engländer ſprechen
von einer blinden Nuſs (nut blind).
Hier Scheint ih taub und blind nicht
auf des Fehlen des Geſichts- und Ge-
hörſinnes, fondern auf das Fehlen des
Mefentlichen zu beziehen. Hier ſieht
man, dafs eine Nuſs taub ift. Daher
ift der Pleonasmus: „mit Mugen jehen,
mit Obren hören“ nicht gar jo ent—
jeglih. Eine eigenthümliche Sinnes—
verwechslung der Sprache liegt wohl
auch in der Kritik Hartmanns: „Die
Bach'ſche Fuge riecht etwas nad Liszt.“
In ein kleines Neft an der Sieg
fam ein Kölner Mufilmeiiter zu con»
certieren. Ein Mitglied des Gemeinde:
raths führte den Dirigenten zum Tanz—
Taale des Ortes: „No, wie gefällt üch
dä Saal?“ — „OD, ganz gut”, meinte
der Mufifverftändige, „aber die Akuſtik
iſt Sehr Schlecht.“ — „De Aluftil ?”,
meinte der andere und gloßte den
Spreder anfangs berftändnislos an,
dann aber nidte er und wie ein Jagd—
bund mit aufgehobener Nafe umher:
ſchnuppernd, meinte er: „De Aluſtik?
Jo, ih rüchen et oh!“ (Ja, ich rieche
e3 auch.)
Das erinnert an den Geruch der
Stimme; man jagt ja von jemand, er
ftehe in gutem oder ſchlechtem Geruche.
Auch der vielfach lächerlich gemachte
Profeffor Jäger mufste berhalten.
Seine Außerung „Die Anwendung
muſikaliſcher Bezeihnung für Düfte
it in der Parfümerie-Tehnit längft
üblich, wie man ſich in den betreffenden
Lehrbüchern überzeugen kann. Dafs die
Seele des Gefanges riechbar iſt, wird
die neue Ausgabe meiner Entdedung
der Seele theoretiich darlegen und don
meiner diesbezüglichen praftifchen Er—
findung machen viele Leute ſchon längft
Gebrauch“ veranlafste die witzige Bes
merlung: „Da wird’3 fein Wunder
fein, wenn irgend ein für den bel
canto ſchwärmender Berliner bei einer
Begegnung ausruft: Liebfter Wachtel,
dHun Sie mir den eenzigiten Jefallen
und laſſen Sie mir en bisfen hohes
C riechen !*
Auber ſagte einft bei einer Pauſe
von Blasinftrumenten: „Es ift ein
Glück, daſs diefe Concerte geruchlos
find, *
Aber am marfanteiten ift wohl die
Fufion des Geruchs- und Gehörſinus
in der Sprache ausgedrückt durch das
Acceptieren des vom Geruch entlehn—
ten Ausdrucks „Potpourri“ für Muſik—
piècen. Dieſer Ausdruck ſtellt alſo auch
einen Beitrag zu den Homonymen.
Endlich gehört im dieſe Stategorie
der Schiller'ſche Vers: „Ich bin ein
Mann, das könnt ihr Schon an meiner
Leyer riechen.“
Mas Gefiht und Geruch anbe—
„beangenjcheinigen“ ſchon den Neo—
logisinus „benafenfcheinigen“ getroffen,
und obwohl die Stimmung urſprüng—
li für den Gefihtsfinn berechnet ift,
jo kann es auch eine Fata morgana
der Naje geben. Man befragt Augen
und Obrenzeugen, es gibt aber aud
ftille Nafenzeugen. Umgekehrt wendet
man den Ausdruck hermetiſch ver—
ſchließen zumeiſt nur gegen den Luft—
zutritt an, obwohl er ſich auch ganz
gut dem Lichte gegenüber anwenden
ließe. Geſicht und Geſchmack erſcheinen,
in der Phraſe confundiert, „ein Bild
mit den Blicken gewiſſermaßen aufs
trinfen“.
Und Geficht oder auch Geruch und
Geihmad finden wir vermischt in Hugo
Littauers Epigramm, worin es heißt:
„Beim Biere jpridt der Trinfer von der
Blume,
Beim Meine aber lobt er das Bouquet *
Geruch und Geſchmack werden gar
oft geradezu identificiert; wir reden
vom ſüßen Duft der Rofe; man jagt
von den Schwaben, jie hätten mur
vier Simme, weil fie „riechen“ mit
„ſchmecken“ bezeichnen, und in manchen
Gegenden wird die Naje vom Volks—
mund Fpöttiih „Schmeder“ genannt.
As ein Officier zu einem anderen
Gafte fagte: „Warum haben Sie meinen
Hund geſchlagen, er hat Sie ja nur
beſchnüffelt?“ entgegnete diefer: „Soll
ich vielleiht warten, bis ich ihn
ſchmecke?“ Er befürchtete, daſs der
Geruchlinn des Hundes fich zum Ge—
ſchmackſinn jteigern könnte.
Mie oft können wir einen Menjchen
nicht ſchmecken, und reden andererjeits
vom Obrenichmaus.
Wohin joll ih die Romanphrafe,
ih habe fie leider nicht illuſtriert ge—
jehen, „der leichten Füße Triller—
jprung” oder die Bezeihnung „ein
feiner Celloſchlag“ oder „die Friedens
paufe ſchlagen“ einrangieren ?
Das größte Gontingent für unjere
langt, jo habe ich neben dem Verbum | Betrachtung aber ftellen unbedingt die
Gombination und Gonfufion des Ge—
ſichts- und Gehörfinnes.
Sean Paul nannte die Muſik eine
Poeſie der Luft, und Schlegel nannte
die Baufunft eine gefrorene Muſik, und
Görres in feinen Aphorismen über
Kunft nennt die Kochkunſt die Plaftik
des Flüffigen und die Parfümerie die
Mufit der Düfte,
Ahnlich nannte H. Heine einen
falten Sommer einen grün angeſtri—
denen Winter,
Neben der dummen Romanpbraje
„Heinrich ſtarrte ftumm in die Pa—
piere* und dem Opern-Kalauer „Mein
Fräulein, jest fommt ein Adagio!“
„„Wo denn? Ich fehe ja nichts !*“
begegnen wir einem Novellentitel Ot—
tilie Wildermuths: „Taube Blü—
ten“, dem Spridwort vom „blins
den Lärm“ und dem geiftreihen Tro—
pus „Die Malerei ift eine ſchweigende
Dichtkunſt und die Dichtkunft ift eine
redende Malerei.“
Auch eine Stelle „Die Künftlerin
Mutter“ von Julius Kehlheim, der
geiftreihen Prager Romanciere, möge
hier ihren geeigneten Plab finden:
„Wie würde Wagner entzüdt fein,
fein großes herrliches Gralmotid jo
verballhornt zu jehen!“ Der Aus:
drud „verballhornen“ bezieht ſich doch
auf die Orthographie, alfo das Auge,
und wird in diefem Falle au für
das Gehör in Anſpruch genommen,
Auch die Gelehrten gebrauchen den
fcheinbar als nonsens klingenden Ter—
minus „Schallſchatten“ und die pfy—
hologiich = phnfiologifche Frage vom
Farbenhören und Töneſehen ift eine
in nenerer Zeit oft ventilierte. „Far—
bentöne und tönende Farben“ betitelt
fih unter anderem ein intereilanter
Aufſatz von Julius Stinde,
Auch der große Piychologe Volk—
mann fam in feinem Werke darauf
zu sprechen. Er erzählt von einem
Blindgeborenen, der als zwanzigjäh—
tiger junger Mann glüdlid operiert
und fehend wurde und der fich beim
216
ben die Ohren zuhielt; er Hatte Ge—
hördempfindungen, und beim Anblid
von Burpurroth glaubte er Poſaunen—
ſtöße zu vernehmen.
Mieder bei anderen entjprach der
Flöte die blaue, der Oboe die gelbe,
dein Horn die grüne farbe, der Trom—
pete — Scharlach. Auf Schwingun—
gen beruht Licht wie Schall, und
unfere Sinne find nur verfchiedene
Thore unferer Perception. Es gibt
heute bereit Leute, welche die Saiten
der GStreihinftrumente je nah dem
geftrichenen Ton in verſchiedenen Far:
ben fibrieren jehen, und einft dürfte
dies Vermögen, anerzogen und danıt
angeboren, allgemein werden.
Auch die Vocale entſprechen Far—
ben: a blau, o gelb, e hellgrau, u grün,
und was die Theorie noch erhärtet,
ift der Umftand, dafs mit den Diph—
thongen die Mijchfarben correſpon—
dieren.
Die Ausdprüde „Farben hören und
Töne ſehen“ find alfo durchaus nicht
fo lächerlih, wie manche gebildet jein
MWollende glauben.
Das komiſche Moment erhält aber
wieder die Oberhand, 3. B. in jenem
falle, wo fih zwei Zaubftumme
in ihrer Geberdenſprache unterhielten,
wobei der eine derart in die Diße
gerieth, daſs fih der andere die Au-
gen zubielt und dem Freunde in ber
ihönften Pantomime zurief: „Schrei
doch nicht fo, ich bin ja nicht blind.“
Eine tüchtige Ohrfeige läſst alle
Farben fehen, und Schmerzen laſſen
alle Engel fingen Hören, welch in—
tereffante Verwechslung des Gefühls-
mit dem Geſichts- und Gehörfinn.
Nicht vergeſſen darf ih auch das
befannte Studentenlied, in welchem
mit gelungener Abſicht, um jo recht
die totale Sinneabſens zu zeichnen,
der Dichter dem bereit beraufchten
Studenten die Worte in den Mund
legt:
„Das Auge laflt, die Naf’ wird jchwer,
eriten Anblid befonders ſchreiender Far-— Und meine Zunge fieht nichts mehr.“
Bagger
>
m
217
Da find doch die Sinnesfunctionen
ſchon total durcheinandergemwürfelt. Und
Ichlieglich wäre noch zu erwähnen, daſs
bisweilen Sinnesverwehslungen auch
im tropiihen Sinne angewendet wer—
den, welche Fälle dann wohl unter die
Metongmie zu rangieren find. Hieher
gehört 3. B. der gute Vergleich Grill—
parzer&, welcher, beim Lefen des Chry-
ſander'ſchen Werkes „Händel“ betroffen,
auf die frage, was er davon halte,
fagte: „Bejchriebene Muſik ift wie ein
erzähltes Mittageilen.“
Börne jagt einmal von Paris, „es
jei der Telegraph der Vergangenheit,
das Mikroſkop der Gegenwart und das
Fernrohr der Zukunft." Das ift doch
optiſch gefchildert.
Beſonders oft ift e3 die Brille,
welde gern zu allgemeinen Bildern
verwendet wird; ein Beifpiel möge hier
feinen Platz finden:
„Berjentet eure Griffen
Im perlend rothen Wein!
Dann ſeht dur Roſenbrillen
| Ihr in die Welt hinein.
Drum, wenn das bloße Auge
Nicht rofig ſchauen Tann,
| Ein jeder trin!’ und ſauge
i Sich jolde Brillen an.*
Am fünf Ahr morgens.
Gine Erinnerung von AÄlerander Girardi.*)
SE
sch hätte für mein Leben gern
375 Ihon einmal einen Sonnen—
3 aufgang gejehen. Man jagt mir,
fo etwas ſoll allerliebit fein, bejonders
in der Schweiz wegen der in Purpur
getauchten Bergipigen und der ſchönen
Engländerinnen, die man dabei im
Morgen MNeglige zu Gelicht bekommt.
Alfo ich hätte das für mein Leben
gern auch ſchon einmal mitgemacht.
Aber es war bisher unmöglid,. Und
zwar lag die Schuld weniger an mir,
als an der Sonne. Diejes Geftirn
capriziert fich mit einem mur bei weib—
lihen Firfternen beobachteten Eigen—
finn fortwährend darauf, zu den une
möglichften Tageszeiten feine Laufbahn
anzutreten. ch ſehe wirklich nicht ein,
warum die Sonne um bier, fünf oder
ſechs Uhr morgend aufgehen muſs,
hat. Und da ich wieder wohl den
ganzen Tag über Zeit hätte, mir einen
Sonnenaufgang zu Gemüthe zu ziehen,
um vier, fünf oder ſechs Uhr morgens
aber wichtigeres zu thun habe, jo Hat
die Sonne bisher die Bergipiben ſtets
ohne meine Mitwirfung in Purpur
getaucht und wird dies wohl auch
noch fpäterhin thun müſſen. Ich gebe
nämlich nicht nad, denn ich habe das
nicht nöthig; und die Sonne wird
wohl ebenfalls nicht nachgeben, da fie
‚es ſchließlich auch mit nöthig hat.
Damit foll aber durchaus nicht
gejagt fein, daſs ich ein Gegner der
frühen Morgenftunde bin. Im Gegen—
theil — die frühe Morgenftunde ift,
meiner Anſicht nad, eine der ſchätz—
barften Tageszeiten; nur darf man
‚nicht gezwungen fein, aus dem Bette
da fie doch den ganzen Tag dazu Zeit | aufzuftehen. Hinwieder wird fie jeder—
*) Aus „Wiener Künftler:Defamerone.* Ein Geſchichtenbuch der Wiener Künftler
und Schriftfteller. Herausgegeben von Rudolf Wittmann, redigiert von Moriz
Band. (Wien, J. Rothenthurmftraße 23.) Siche „Heimgarten*, XV., Seite 239.
218
zeit einen großen Genuſs gewähren,
wenn man, ums Morgenroth ans den
befaunten jchweren Träumen empors
fahrend, ſich allmählich mit dem Be—
wujstfein durchdringt, dafs es ja noch
viel zu früh jei, ſich von neuem feſt
in feine Dede widelt, fih auf die meine Zuflucht.
andere Seite feines Kopfkiſſens legt
und langjam ji wieder in das
Traumland zurüdbegibt, aus dem man
gelommen. Das ift meine Art, die
Morgenftunde zu genießen. Ich glaube,
daſs das auch vieler anderer Art ift.
Und ich meine, dafs, um dieſe für
Leute von gutem Geſchmack außer:
ordentlih werthvollen „Freuden der
Frühe“ zu bezeichnen, irgend ein
Meifer vor Zeiten das befaunte Sprich—
wort erfand: „Morgenftunde hat Gold
im Munde* — ein Spridwort alſo,
das bisher in lächerlicher Verkennung
feines wahren Sinnes al3 eine Mah-
nung zum Frühaufſtehen gedeutet wor—
den ift!
Ya wohl — den höchſten Genufs
hat man von der Morgenftunde, wenn
man Sie verfchläft. Es ift das eine
der eriten Wahrheiten, die ich über:
haupt erfannt habe. Schon in früher
Jugend habe ih ihr gehuldigt.
Das war dazumal — zur Zeit,
ala ih noch in der Schloſſerwerkſtatt
zu Graz in der Leonhardftrage am
Amboß ftand und den Hammer ſchwang.
Es iſt ja bekannt, dajs die Objecte,
mit denen ſich meine erite künſtleriſche
Thätigkeit befajste, nicht Rollen, fon-
dern Eifenjtangen ware. Einen Vor—
theil hatte meine damalige Wirkfamteit
vor der, heutigen jedenfalle voraus:
es mangelte nie an Stoff. Denn der
Himmel bat es in feiner unerforfche |
lihen Weisheit jo eingerichtet, daſs
es in der Welt mehr gutes Eifen als
gute Operetten=Libretti gibt.
Damals aljo hieß es jeden Mor—
ger um fünf Uhr in der Merfitatt
fein. Zu diefer Stunde mufsten bes
reits die Hämmer auf das Eifen Hingen,
das ift alter Schloſſerbrauch. Mit
wie geringer Sympathie ich dieſem
alten Brauche gegenüberftand, wird
man nad) dem Gefagten leicht begreifen.
Ich machte auch fein Hehl aus diejer
Abneigung. Jh wagte zwar feine di—
recte Revolution, aber ih nahm zu
dem jo beliebten paſſiven Widerftaud
Der paſſive Wider:
ftand ift ja die Revolution der Schwa-
hen. Der Meifter und die Gefellen
ließen dem alten Brauche getreu um
fünf Uhr morgens jchon die Hämmer
auf das Eifen klingen. Ich aber lag
um diefe Zeit in der Regel noch ruhig
in meinem Betle, das in einer Kam—
mer oberhalb der Werkftatt ftand, und
ihlief. Erſt dur das Gehämmer
unten wurde ich gewedt. Dann fuhr
ih raſch in die Kleider und eilte auf
meinen Bolten am Amboß. Der Weg
dorthin führte mih am Standplat
des Meifters vorbei. Und fobald ich
in die Nähe desjelben Fam, fügte es
ih immer, daſs irgend ein Theil der
Außenſeite meines Körpers, eines mei—
ner Ohren oder ein Büſchel Haare,
dem würdigen Manne in die Finger
gerieth, mit deren Hilfe er ſich einige
Minuten lang in einer Weiſe damit
beſchäftigte, die ſeinem Wohlbefinden
jedenfalls zuträglicher war als dem
meinigen. Seitdem habe ich eine Ab—
neigung gegen die alten Bräuche, nicht
bloß im Schloſſergewerbe, ſondern
überhaupt; und immer, wenn ich von
einem ſolchen höre, verſpüre ich Schmer—
zen in den Haarwurzeln.
Das alles iſt jetzt anders ge—
worden. Kein Meiſter zieht mich mehr
an den Ohren, wenn ich ſpäter als
um dreiviertel fünf aufſtehe. Und
ſelbſt wenn ich, meiner Gewohnheit
getreu, zu fpät auf die Probe komme,
werde ich niemals dom Director ge—
'beutelt. Man erjieht daraus, welche
‚Vorzüge der fchanfpieleriiche Beruf
‚vor dem Schlofjergewerbe hat. Dieje
Ertenntnis hat fih auch in den Kreiſen
dieſes letzteren Gewerbes ſchon ſeit
‚langem Bahn gebrochen. Alle Augen—
blicke kommt ein Jünger der eifernen
Kunſt zu mir und macht mich zum
—
219
Vertrauten feines Entichluffes, Tieber
fein Schlofiergejell, Jondern erfter Hel—
dentenor an der Großen Oper oder
Burgſchauſpieler oder vielleicht auch
Operetten-Komiker werden zu wollen,
letzteres allerdings nur in dritter Linie,
da er mir, al3 altem Collegen, feine
Concurrenz madhen will. Wenn das
jo fortgeht, wird es bald feinen Hamlet
mehr geben, der nicht in feiner Jugend
überdrehte Thürſchlöſſer repariert hat.
Aber recht haben fie, die guten
Leute. Und ich freue mich ja aud
rechtſchaffen, dafs ih nicht mehr
Schloſſer, ſondern Schaufpieler bin.
Ein Mann, der fo lange Schlafen Tann,
wie er will! Freilich — mein jeßiger
Stand hat wohl noch einige andere
Vorzüge vor meinem früheren. Aber
das iſt doch eine Hauptſache. Und
ih erinnere mich, gerade das einmal
befonders ftarf empfunden zu Haben.
Es war in einem der eriten Jahre
meiner Schaufpieler- Laufbahn. Ich
gehörte damals dem Enjemble des
Salzburger Theaterd an. Die Salz:
burger Schauspieler agierten zu jener
Zeit während der Saifon auf der
Bühne des Iſchler Sommertheaters.
Das dauerte bis zum Scluffe des
September; ſelbſt wenn Iſchl bereits
von feiner Tebensluftigen Sommerbe-
völferung faſt ganz verlaſſen war,
wurde im Theater immer noch Abend
für Abend munter gefpielt. Denn für
diefen letzten Monat zahlte der Erz—
berzog Franz Karl, der damals ftän-
diger Sommergaft in Iſchl war, die
Sagen der Schauspieler. Die Saiſon
in Salzburg begann am 1. October;
die lebte Vorſtellung in Iſchl fand
am 30. September ſtatt. Sogleich
nach dem Schlufje der Vorftellung wurde
die ganze Geſellſchaft in Stellwagen
gepadt, nnd fort gieng’s in derfelben
Nadt en pleine carriere nad Salz—
burg. Der Theaterdiener war jchon
am Tage vorangefahren und hatte
Quartiere beforgt. So fand man denn,
wenn man mitten in der Nadt in
der Stadt anfam, fein Zimmer bereit
und hatte nichts zu hun, als aus
dem Stellwagen heraus und in fein
Bett Hineinzufteigen. Am Morgen wurde
dann raſch eine Probe abgehalten, und
am felben Abend hob ſich in Salzburg
der Vorhang zur Eröffnung der meuen
Saijon, nachdem er in Iſchl am Abend
vorher über der alten gefallen war.
Un jenem 30. September nun,
von dem ich Hier erzählen will — an
die Jahreszahl erinnere ich mich micht
mehr genau — Hatten wir wieder
einmal die nächtliche Parforcefahrt
nad Salzburg gethan. Die Stellmagen
rajjelten über das Pflafter und hielten
an der verabredeten Stelle das Rendez—
vous, wo der Theaterdiener wartete.
Diefer gieng don Wagen zu Wagen
und bezeichnete jedem fein Daus, in
dein er einquartiert war. Dann klet—
terte man jchläfrig über den Tritt.
„Es ift kalt“, ſagte der erite Lieb-
haber und redte unter fürdhterlichem
Gähnen feine Fäufte zum Bollmonde
empor.
„Sehr kalt“, bemerkte die fomifche
Alte und fuchte durch Stampfen auf
dem Pflafter einen eingejchlafenen Fuß
wieder zur Raiſon zu bringen.
„Wei Gott — es ift kalt“, con—
ftatierte jeinerfeit3 der Intriguant und
ſchlug fi die Arıne mehreremale wm
den Leib, dajs es ſchallte.
„Nein, aber wie das kalt iſt“,
flötete die Naive und hüllte ſich frö—
ſtelnd feſter in ihren grauen Reiſe—
mantel.
„Eine Bärenkälte!“ äußerte tref—
fend der komiſche und Heldenvater
und ſtärkte ſich nach dieſer oratoriſchen
Anſtrengung aus einer geheimnisvollen
Flaſche, die verführeriſch glückste.
Und: „Kinder, iſt euch nicht
kalt?“ fragte ſchließlich vollkommen
überflüſſigerweiſe der Director, nach—
dem er mit vieler Mühe ſeine Ehe—
hälfte mit ſämmtlichen zu ihr gehörigen
Hutſchachteln aus dem Wagen geladen
hatte.
Und da man inſoweit in ſeinen
Anſichten übereinſtimmte, ſich alſo kein
SEE
220
Grund zu meiteren Verhandlungen
bot, taufhte man einige Händedrüde
aus und zerftreute ji im den an—
grenzenden Gallen.
„Sinder, vergejst nicht: morgen
um zehn Uhr ift Probe!“ rief der
Director noch den Davoneilenden nad.
Dann nahm er die Frau Directorin
unter den rechten Arm, die Hutſchach—
teln in den linten, und bewegte jich
auch feinerfeit3 vorwärts, während der
Theaterdiener der impofanten Gruppe
mit einer Laterne voranleuchtete.
Der Kapellmeifter und ich — wir
blieben allein zurüd. Es war der
Kapellmeifter Anger, ein ſehr tüch—
tiger Mufiter und mir ein lieber
Freund; jebt ift er, wenn ich nicht
irre, am böhmischen Theater in Prag
thätig.
Alfo wir blieben zurüd. Denn das
Haus, in dem wir Wohnung erhalten
hatten, befand ich gegenüber von der
Stelle, wo wir angekommen waren.
„Du, was thun wir jet?“ fragte
der Kapellmeiſter.
„Jetzt geh'n wir jchlafen, e8 wäre
Zeit, dächt' ich.”
„Aber ich möchte gern noch etwas
thun. Die Nacht ift jo ſchön.“
„Nun, jo kannft du ja noch auf
den Untersberg kraxeln. Nimm dir
aber eine Landlarte mit, damit du im
Dunkeln den Weg nicht verfehlft. Ich
gehe inzwiſchen ſchlafen.“
„Ich möchte ja auch ſchlafen gehen,
aber ih bin nod gar nicht müde.“
„Komm’ nur mit herauf. Ich fing’
dir ein von dir componiertes Schlum—
merlied. Da wirft du ſchon einschlafen.
Oder nein, doch nicht. Denn der ein—
zige Menſch auf der Welt, der bei
deiner Mufit nicht einjchläft, bift du
jelber.“
Inzwifchen waren wir bereits auf
das Haus zugegangen. Sch läutete
an, und wir ftiegen hinauf, nachdem
der Dausmeilter uns gejagt hatte,
dals unfer Zimmer im erften Stod
belegt ſei.
„Ich gedenke einen langen Schlaf
zu thun“, jagte ih in der Poſe des
Mallenftein und zog mir Dabei die
Stiefel aus (eine neue Nuance das,
auf die ih Sonnenthal hier aufmerk—
ſam made).
„Wird nicht jo lange werden“,
bruummte der Kapellmeifter, der Schon
im Bette lag. „Morgen früh ift Probe.“
„Aber erſt um zehn Uhr. Ich
ichlafe jedenfalls bis fünf Minuten
vor zehn.“
„Sch werde dich Schon Früher weden.
Menn du nicht früher aufftehen willit,
gieße ich dir einen Krug Wafler über
den Kopf. Wahrjcheinlih werde ich
jowiefo die ganze Naht wachbleiben.
Ih bin gar nicht müde”, fagte der
Kapellmeifter, drehte fih auf die ans
dere Seite und war eine Minute [päter
eingeſchlafen.
Auch ich that bald darauf das
Gleiche. Es war zuerſt ein feſter,
traumloſer Schlaf. Dann aber begann
mir allerlei tolles Zeug durch den
Kopf zu ſpuken.
Ich war wieder Schloſſergeſell und
ſtand in der Werkſtatt. Da kam ein
Diener herein: „Die Frau Gräfin hat
ſich den Schlüſſel zu ihrem Schreib—
tiſch gebrochen; ſie läfst bitten, daſs
jemand kommt und ihr das Schloſs
aufſperrt.“
„Alexander, geh' du!“ ſagte der
Meiſter. Es war das eine große Nieder—
tracht. Denn die Fran Gräfin hatte
mich erſt kürzlich in Iſchl fpielen fehen,
und ih war ihr auf ihren Wunſch
vorgeftellt worden, weil ich ihr jo ge=
fallen hatte. Der Meifter muſste wohl
wiſſen, wie peinlich mir diefe Miflion
fein würde; aber dennoch zwang er
mich dazu, der Schuft! Und ich mujste
geben, ſonſt befam ich wieder nur
Erdäpfel, und fein Fleiſch zu Mittag.
IH padte mein Werkzeug zufammen
und gieng.
Die Frau Gräfin empfieng mich
perfönlid im Salon. Es war mir
außerordentlich peinlich, jo vor ihr
jtehen zu müfen, in Demdärmeln und
mit vorgebundenem Schurzfell. Ein
221
Süd, dafs ih mir mwenigftens ein
paar weiße Handſchuhe angezogen.
„Alſo Sie find auch Schloffer-
geſell“, fagte fie erjtaunt. „Das wufste
ih ja gar nicht.“
„Ja“, ftammelte ich verlegen, „Hm
... dm... in meinen Mußeftunden
... ein Heiner Sport...“ Da id
aber jehr roth dabei wurde, bat ich
jte, fie ſolle mir nur rafch den Schreib=
tiſch zeigen.
und Geklopfe. Noch vollitändig von
dem Wahne de3 Traumes befangen,
jprang ich aus dem Bett und ftürzte
nad dem Stuhl, auf dem meine Kleider
lagen. Hiebei ſtieß ih an einen Waſch—
tijeh, ein auf demfelben ftehender Krug
fiel um und ergoj$ feinen geſammten
Inhalt über den Kopf des Kapell—
meifters, deſſen Bett daneben ftand.
„Himmel und Hölle!“ brüflte dieſer,
aus dem Schlafe auffahrend. „Bilt
Ich mühte und mühte mich an du verrüdt geworden ?“
dem Schloſſe ab, aber e3 gieng nicht auf.
„Nun, das iſt ja ganz natürlich“,
jagte die Gräfin, „Mit weißen Hand»
ſchuhen kann man doc feine Schlöffer
aufiperren... Willen Sie was: Laſſen
Sie das fein, und declamieren Sie
mir lieber etwas vor!“
Sch ſtellte mich vor jie Hin und
begann den letzten Act aus „Wallen=
jtein“ zu citieren. Die Worte: „Ich
gedenfe einen langen Schlaf zu thun“,
ſprach ich jo gefühlvoll, dafs ich ſelbſt
dabei einjchlief. „Aber zu lange dürfen
Sie nicht ſchlafen“, rief mir noch die
Gräfin ins Ohr. „Um fünf Uhr müfjen
Sie in der Werkitatt jein, ſonſt wer—
den Sie gebeutelt.“ Und rihtig — die
Kuckudsuhr ſchlug Fünf, und unter
mir begann es zu hämmern und zu
Hopfen. Kalter Angſtſchweiß trat mir
auf die Stimm. „Um Himmelswillen,
die Leute unten find Schon an der Ar—
beit. Das wird eine ſchöne Gejchichte
werden,“
Mit einem lauten Schrei erwachte
ih. Der Tag dämmerte ſchon durch
Das brachte mid zur Belinnung.
Ich drüdte die Hand tiefaufathmend
auf das klopfende Herz. Gott ſei ge—
dankt — ih war ja kein Schloſſer
mehr, ih war ja Schaufpieler, Schau—
jpieleer — und fein Meifter der Melt
hatte mir etwas zu jagen. Unten aber
dauerte das Gehämmer fort. Der
Theaterdiener hatte uns, ohne daſs
wir es mwujsten, in einem Haufe ein=
quartiert, in deſſen Erdgeſchoſs ſich
eine Schloſſerwerkſtatt befand.
Nachdem ich den wüthenden Ka—
pellmeiſter mühſam getrodnet und be—
ſchwichtigt — ich ſagte ihm, ſo müſſe
es allen böſen Menſchen ergehen, die
ihren Mitmenſchen Waſſerkrüge über
den Kopf ſchütten wollen — legte ich
mich wieder ins Bett — mit einem
ganz unſagbar glückſeligen Gefühl der
Erleichterung. So gut geſchlafen wie
an dieſem Morgen, habe ich nie wie—
der in meinem Leben. Und zur Probe
fam ich nicht zurecht, was auch wicht
leiht gewejen wäre, da diejelbe auf
zehn Uhr morgens angejeßt war und
die Scheiben. Wahrhaftig — unter ich erit um — drei Uhr nachmittags
mir hörte ich das ominöſe Gehämmer
| aufwachte.
—
ko
In Puidl fei größti Derirrung,
und wir er fein ongni Schond af da Stroßn dazählt.
PL
SIT da Londitrogn loandln drei
Notürler wird mar ausgluadht wir
"337 Hondwerchsburſchn daher und a Schelm, klewa daj3 ma die Thür
*
dazöhln oanonder eaneri Roas—
gſchichtn. Die zwen jüngern wiſſn
nit gor viel, ober der älteri, der Teich—
grober Luidl, der pockt ſädi aus.
Ongfongg hot er miten Räſoniern.
— Na, ſogg er ſchneidi, na wan ſchon
amol 3 Betteln verbotn is, do hört
ſih Schon olles auf! Natural=Verpflegs=
ftazionen, notürla! MartereisBerpflegs=
ftattonen full ’3 hoafin — war gſchei—
ter. Hulzſchneidn wir a Bauer! Stubn—
auframen wia die oltn Weiber! Boh-
nen und Sauerfraut ſchlompn, dafs
ma nochher kunt af d Höch gehn wir
a Luftbalon! Und däs hoafins a
Wuhlthätigkeits-Onſtolt — Zan Lohn
3 8! Luſti ſchnollndruckn, fechtn,
untern Heuſchöbern liegn ba da Nocht,
wo ſein die gnatn Zeitn! Drum ſog
ih jo, für die ormen Leut wirds olla—
weil ſchlechter af der Welt.
Und daſs ba de neugmodiſchn
Wuplthätigkeitsonftoltn fa Segu Got:
tes dabei is — nit um am Krenzer
oana! — Düs lon ih beweiſn, ih,
der Teichgrober Luidl, gebürti 3 Lotzu—
dorf, Bezirk Hoberftodt. Loßts enks
gſogg ſei, Kamerodn! An ovanzigi
Berirrung, an vanziger Fehlgriff, und
der Menſch iS unglüdla. Vaſpielt is
3! — Nau olßa, hiaz fons füri gehn.
Af der Martereis Berpflegsitazion
Grabeljtoan Hobns über die Ihür in
oltn Spruch hingſchriebn: Gott jegne
den Ein= und Ausgong! — 3 guat,
dent ih ma, wir id am Obnd eini—
geb, Heint hon ih drei Silbergulon
in mein Geldtafchl, wir ih an urdent—
liher Menſch bin, a ſporſumer, ja
fon3 ma ba den Sprud nit fahlır.
aufmocht. Wera wirtfchäftlicher Menich
i8 und fünf Gulon in Sädel hot —
auſſi mit eahm!
Nau, ih hon nur drei, Gott Lob
und Donk, und wan da Segn dazug
kimbb — nochher wern ma 5 Holt
ſechn.
A Schuaſtagſell is do und der
kafft mar a Pfeifn Tabal oh. Dabei
ſiah ih ſei gipidts Geldbeuterl, däs
er in Dofnfädel ſchiabb. Haggera,
dent i ma, däs war a Gufta!
Aftn gehn ma ſchloffn. Wia die
Gorbn afn Tenn, a ſo liegn ma noch
der Reih afn Stroh, unſerer Dutzad
ehrſami Hondwerchsburſchn, na gleich
zan Ausſuachn. Ih hon mei Neſt
in untern Egg und nebn mir ſchlofft
da Schuaſtagſell. Und wir ih hiaz
hör, daſs foana mehr brodlt, und wir
ih ſiach, daſs ja ſchön kuhlfinſter is
in da Stubn, denk ih ma: Hot ſcha
recht, da Verwolter, daſs er mitn
Nochtliacht ſport, ſporn und ſommeln
muaß der Menſch, wan er 5 zu wos
bringa will. Mei Nochbar Schuajta
ſchnorcht als wir a Breterfoog. Sei
Hoſn liegg gonz ſtill af da lonkun
Bonk, wo mar unſer Gwond ban
Schloffngehn hingflontſcht hobn. Mei
Gedächtnus is mit ſchlecht und mit
undonftbor, nau, fa follt ma s Geld-
beuterl ein, va den ma da Schuaita
3 Tabafgeld auffazäblt hot. Is Holt
doh a Lump, da Schualta. Sei Geld
verrachn — 13 3 nit Sünd und Schod
drum? MWettn will ih nir, er is ab
a Schnopstrinfer! Won er van friagg.
Ober do kriagg er foan. Kortnſpieln
am End ah? Er jhaut ma gonz das
wu — — —
.
.. 2
.
noch aus mit fein ſchworzu Ranzne jund rihti: Mei Taſchl is wei. —
bort, a3 wia wan er ah that fortn= |
ſpieln. Is ſchon a vahöllter Nixnutz,
der Schuaſta. — Geldbeutel, denk ih
ma, ih will da z Hilf kema. Daſs
du an Lumpn ſullſt onghörn müaſſn,
däs leid ih nit. Zu mir kimſt, ba.
mir hoſt as mit Schlecht, ih holt dih
in Ehrn. Ober ftill fein, daſs & nit
auffimbb. Da Schuaſta war grob gnua
und verlongad3 wieder zrugg, der,
Schondkerl, der verdädhtigi! — Das
weil ih ba mir a jo roat, — exit
wägn, aftn wogn, däs is mei Grund—
jo! — fteigg mei rechter Fuaß ſchon
auſſi afs folti Fletz; da rechti Yuap
ollamol zerſt, daſs ma Glück hot, da
linggi bleibb nit long zrugg, loßt ſein
Komerodn mit alldan umgehn ba da
Not. Und af jo und na fteh ih ba
da Bont und juah in Schuafta ſei
Hoſn aus. Hudri wudri, wo is 3
dan? Gſchwind muaſs ma jei, as möcht
vana gach munter wern und Liacht
mohn, funt ma mit ſchönſter Manier |
um fein guatn Nom fema. Gleih bon
ihs ghobb, 5 Geldtaſchl, flurti auſſa
van Schuaſta ſeiner Hoſn und eini
in die meinigi, de gleim danebn ligg.
— Aftn wieder ins Bett, Schön zua=
bülln, Nochtgebet betn und in Gottes=
nom jchloffn. |
A guats Gwilin id a woachs
verroth did mit felber!
‚Mei Geld hobns ma gftuhln! will ih
gleih ausjchrein, oba der Schußengel
wiſchbelt ma zua: Luidl, Holts Maul,
— Ob meint
liabu Freund und BZmejchbnröfter,
denkts enks: Hon ih in meiner Un—
ſchuld mei Geldtaſchl aus meiner
Hoſn podt und in ſeini eimi gitedt!
Oes Leut, ih ſog enks, däs is a Bein
gwen! Win da Schuaſta lacherlad
meini drei Silberguldn aus mein
Taſchl thuat und däs wedichmeißt,
weils Schon über und über meama
gonz neug iS gwen, wir er meini
Silberguldn in fein Zeugl thuat, wir
er aftır jei Felleiſn nimbb und jein
Stedn, in Radezkimarſch wiſchbelt und
‚davon marjchiert — mit meini Silber:
guldn, de ih eahm ſelber zuagitedt
bon in aner .unbegreiflichn Verblen—
dung ba da Nodt, davonmarſchiert
— däs is a Pein gwen! — Dera—
wegn jog ih, Kinder, an vanzigi Ver—
irrung, an ovanziger „Fehlariff, und
'gfahlt iS 3! Und do hoaßts, ba de
dummen Berpflegsitagionen war der
Segn Gottes dabei! — Däs fints
ma glabı, in febin Früamorgn, wia
‚ma der böllafhi Schuafta davon gebt
mit mein bluatoagnan, ehrlichn Silber—
geld, in ſebin Früahmorgn hon ih a
heilig Fürnehma gmocht: Stehln
Ruakiſſn, ſei Lepper is s wohr, däs thuar ih neama. Won ſa ſich ober
Sprichwort, weil ma ſelm noh nix wieder amol ſchickt, unſer liabi Frau
Schlechts z Sinn gongen is. Scha woaß s! ja ſtell ih 3 gſcheiter on!
hellliacht is gwen, wir ih munter — Schond und Spott kunt ma noh
bin worn. Drauf noch der Krautfuppn hobn, wegn a ſo Dummheit!
greifft da Schuaſter a weil ſo uma⸗
nond in fein Gwond und brumelt im | Erklärungen: Quidl: Ludwig; loan:
jein Bort: Ih woaß nit — zwoa din: langfam, träge geben; jädi: aus
Geldtafchler hon ih heint in meina dem Bollen, jättigend; jhlompn: eilig
Ani __ &r? & : ; ; und unmanterlich hineinefjen; Flewa: faum;
ae Gr? da Schuafta in feiner hingflontſcht: unordentlich hingemorfen.
Ranynbort: Badenbart. Liaba Freund
und Zweihbnröfter (ſprichwörtlich).
Doin zwoa Geldtajchler ?! Kloau da=
Ihrodn fohr ih in meini Hoſnſäck,
Kleine Saube.
Ein Krippenlied.
Ein eigenartiges und deswegen inter
ejlantes Bauerntrippenlied wird dem |
„Heimgarten“ aus Miejenbach (bei Birk»
feld) geihidt. Der Dichter iſt nicht be
fannt; das Lied foll in jener Gegend |
zur Weihnachtszeit noch häufig gelungen |
werden. Es lautet: |
Lost's, lost's, liabi Buama, |
35 ſog ent hiazt an Gſpoaß.
Wir ih heint Not will jhlofn |
In Bett, wird ma recht hoak.
|
|
|
Is a feuriger Schwob ! hergflogn,
Er bat mih recht derichredt,
Hon d Hüll gihmwind auffa zogn,
Und jchliaf unter die Deck'.
IH, zittern gleih und ſchnelln
Bor Ongft unter da Hüll,
Wos wird der Schwob onftelln?
Dent ih in oller Stil.
Fongt er on zan gogazn?
Js n 5 Maul aufgleint ®
Thuat gor liablih gogazn:
Bin dei guata Freund!
Endla thua ih n frogn:
He, Käfer, fog, wer biſt?
Aft thuat er ma gleih jogn,
Dais er da Streisbot is.
Hot an Buſchn Briaff herzoagt,
Mocht gleih draus a Gfong,
Ih mul Hin und ber bon groadtt |
Los und los gor long. |
Er — mitn Händn gobeln,
Und fchlogt ma ſchier ins Gfriß,
Und ollweil auffa krobbeln,
Ih woaß nit, wos dos is!
!Echwabentäter, *gackern. RNaufgethaut. gedacht.
Aft wir er mirs erklärt,
Do bon ih wul brav glocht,
Mei Load in Freud verlehrt,
Weil er die Botſchoft brodt.
Hot gioad,! es war geburn
Zu Wetlahem in Stoll,
A Kind, wul auserfurm,
Uns zu erlöjen oll.
Unfer Herrgott is da Boda,
Die Muada Maria rein,
Und Joſef hoaßt da Giota ?
In Stoll ban Vieh julns fein.
Wir er drauf fuat will gehn,
Will er mih ah mitnehm,
Ih thua holt 3 nochts nir ſehn,
Hon gſogt, wurd nochhi fem,
Kaum is er naus zur Thür,
Do fluigt er flurs davon,
Dis muaß an Engel jein,
Weil er jo ſchön fluign Ton.
Diaz gehts na, meini Buam,
Gebt: nehmts ab enla Bipiel,
Mir renen wir a Burn?
Mir braudn jo mit viel.
Ih nimm a por Pfund Feign,
Da Lippel nimt in Bob,
Da Schneider! nimt die Geign,
Leicht gfollt in Kinderl dos.
Gegrüßt fei, Jeſu Ehrift,
Du Gott und Mensch zugleid,
Zum Heil uns fommen bit,
Führ uns ins Himmelreich.
Mein Budellorb voll Sünd!
Berzeihen thuſt mir dod.
Verzeih, o göttlichs Kind,
Nur dasmal, dasmal nod!
! gelagt. "Oevatter, *Laufendes Rad.
Und wan ih mei Berlob N
Wul eppa gach vergiß,
So loß ma gebn, und grob,
A Waiſchn in mei Gfriß.
Will leiden in der Zeit
Recht willi Noih und Rein,
Lab nur in Emigfeit
Mich nit verloren jein.
Unter Sceffels Banner!
Eine Reifeerinnerung von Adolf Jaroſch.
weiter Artilel.
Es iſt oft wunderjam, wie die Reiſe—
muje dem Fahrenden den Weg vorjchreibt.
Der gute Aventin bat recht geiprocen, |
wenn er meint: So einer in Die meite
Melt fahren will, häng' er jeinen Ranzen |
um, die guten Beifter leiten ihm felban- |
der jeinen Weg. |
Sp war aljo auch ih auf diefe Art
unter der „Öueten Geift“-Leitung von
einem Scheffel geweihten Ort in den andern |
gelommen, und der war nicht der letzte.
Nachdem ih von Mattjee geichieden,
trug mich das eilende Dampfroj3 durch
die ſchöne Mozartitadt an der Salzad,
an den präcdtigen Käufern mit den feen-
haften Königsichlöffern vorbei, nach der
Kunftitadt Münden, in der Scheffel viel
Süßes, aber auch viel Bitteres erleben
mujäte.
Hier bejuchte ih gleih am erjteu
Zage Scheffels bejten Freund, Staats—
rath v. Eiſenhart, mit dem er auch jeine
Fahrt ins Salzkammergut gemadt, aus
welcher ums Meilter Joſephus als poe-
tiiche Beute den Entwurf und die theil-
weile Ausführung der „Bergpjalmen*
mitbracte,
Neben diejen tieferniten Lauten er-
fangen auf derjelbeu Reife auch wieder |
im Zone der Carmina burana, genujs- |
freudige und weltverlahende Gantilenen |
der fahrenden, wie:
„Hier trink' id befümmernislebig
Lenzlüfte und fonnigen dein,
Und wär’ ich der fFürft von Benebig,
Mir könnte nicht wohliger fein.“
Und es folgt dann das befannte und
viel citierte:
„Richt neld' ih der Welt ihre Wonnen,
Noch allen neunfarbigen Dunft,
Etill liegen und einlam fih fonnen
Iſt auch eine tapfere Aunft.”
|
i
|
Rofegger's „„Grimgarten‘‘, 3. Seft, XV.
Meine Aufnahme bei Staatdrath v.
Eifenhart war eine jo liebensmwürbdige,
dafs ich mich während meines Münchener
Aufenthaltes öfters einfand, und mit
größter Bereitwilligfeit legte er mir nicht
nur jeinen umfangreichen, hochintereſſauten
brieflihen Verkehr mit Scheffel und deſſen
familie vor, jondern verſprach auch das
Mufenm in Mattjee mit Autographenſpen—
den weiter zu bereichern. So hatte ich auch in
Münden reichliche Anregung, meine Sceffel-
forjchungen fortzujegen. Hiebei darf ich
nicht vergefien, des jcheffelfreundlichen
Vereinsbankcajjierd Herrn Mar Friedl
und jeiner liebenswürdigen Hausfrau zu
gedenken, welche mich auf viel Scheffel-
bezüglihes aufmerfjam machten, jo auf
das herrliche Bildhauerwerf in der Kunſt—
vereins » Ausstellung, darſtellend „Ekke—
bard, Frau Hadmwig über die Klofter-
jchwelle tragend”, in weißelten Marmor
gearbeitet von Profeſſor Erlen, auf das
Café Gijela in Münden, meldes durd
prachtvolle Olasmalereien aus dem „Trom—
peter von Säklingen“ Scheffeld Andenken
ehrt, und vieles andere.
Ein Ausflug von Münden führte
mib nah dem wunderſchönen Starn-
berger See, mojelbft ich den Dampfer
beftieg und an dem geihmad- und jtil-
(ofen -Denfmal der Unglüdsitätte des
funftfinnigen Königs Ludwig II. vorbei
nah Tußing fuhr, um den im Sommer
bier weilenden Freund Scheffels, Uni—
verfitätsprofeffor und Dichter Dr. Georg
Ebers, zu bejuchen. — In denkbar jchönfter
Lage, dicht am Ufer des Sees, der eben
blühte, mit der mächtig wirkenden Aus—
fiht auf die jchneebededten Berge von
Chiemſee bis ins Algäu, liegt, vom Land-
wege ganz verjtedt, die Billa Ebers auf
der Nojeninjel. Mit wenigen Schritten
vom Landungsplatze hatte ich fie erreicht.
Durch eine Allee von Roſenbäumchen, die
alle in volliter Blüte ftanden und mit
ihrem beraujchend ſüßen Duft auf mich
eindrangen, Ichritt ich dem Haufe zu und
ein günftiges Omen, des Hauſes fchöne
Toter blühenden Ausſehens, jelber ein
Röslein, oder beſſer gelagt der Rojen
Königin, übernahm freundlichit meine Mel—
15
dung bei Rapa. Bald darauf befand ich
mich vor dem berühmten Ägyptologen,
welcher — jeit längerer Zeit dur Krank—
heit beläftigt mit einem ſchwarzen Tuche
umbült, damit die durch das offene
Fenſter wehende frifche Seeluſt ihm nicht
ihade, — in einem Lehnſtuhle ſaß.
Irog der Beichwerlichkeit, die das
Spreden dem Dichter, deſſen Antlig
gejundheitsjtrogend ausfieht, bereitet, er:
zählte er mir mit einer Liebenswürdigfeit,
die ihresgleichen jucht, viel Intereſſantes
und Neues über jeine Beziehungen zu
Scheffel, jo insbejonders die näheren
Details über den jeinerzeit Aufjehen er
regenden Fall Scheffel « Hieronymus Lorm.
Faft eine Stunde dauerte unfere Unter.
haltung, während der ich nur einige
Fragen ftellte, der Freundliche Bejuchs:
empfänger aber faft immer die Koſten
der Unterhaltung trug. Mit neuem Willen
und danfbaren Herzens verabjchiedete ich
mid und bald darauf beitieg ih das
Dampficiff, Ein nohmaliges Hutichwenfen
im VBorüberfabren, und das herrliche
Dichterheim entihmwand meinen Bliden.
Zwiſchen üppigen, wohlgepflegten
Jungwäldern — königliches Gejaid —
in denen die Rehe rudelweis längs des
Bahndammes grasten und beim Vorbei—
fahren des Zuges, den ich in Etarnberg
mit dem Dampfer vertaufchte, verwundert,
aber ohne Scheu die Köpfe hoben und
mit ihren treuberzigen großen Augen, Die
mich an die jchönen blauen Mugen der
Rojenkönigin in Tuging mahnten, dem
raſch davoneilenden Train nacblidten,
fuhr ih nah Münden zurüd, um von
dort über Kempten weiter nad Rabolfs-
zel am Bodenſee zu fahren, jene geweihte
Stätte, die auserlejen war, dem Dichter
des Eklehard den Lebensabend zu ver:
ſchönern.
Blitzſchnell trug mich das Dampf—
roſs durch das Gebiet des burggekrönten
Schwabenlandes und des Schwarzwaldes
an mein Ziel. Während ſich meine Ge—
danken mit dem jüngit QDurchlebten be—
Ichäftigten, waren die Reifeftunden ſchnell
dabingeflogen, — In Kempten lieb mich
ein glüdliher Zufall mit dem beftbefann-
226
— —
ten Scheffelbiographen und Leiter der
Abtheilung Baden des Scheffelbundes in
Ofterreih, Profeſſor Johann Stödle, zu—
lammentreffen, der als Stneippgenie von
Wörishofen — wo er des alljeits befannten
Pfarrers Kaltwaſſercur gebraudte —
fommend, meinen Weg theilte.
In Radolfszell angelangt, konnten
wir der jpäten Abenditunde wegen Scheffels
Heim nicht mehr aufjuchen und begnügten
uns daber, im Gaſthofe „zur goldenen
Sonne” Sceffeld zu gedenken. War es
doch hier, wo er gar heitere Stunden ver-
lebte; denn wollte manchmal fein Sonnen»
ftrahl der freude jein Herz erwärmen,
„Dann dachte Meifter Scheffel Hug:
KAömmt fie nicht ber zu mir, fo ſuch'
Adı felber mir die Sonne auf —
Und griff nah Hut und Stab darauf.
Zu Etein am Rhein
Da fehrt er fein
Am Wirtshaus „zur goldenen Eonne* ein.
Und der MWirtin blondzöpfiges Töch—
terlein jang ihm feine eigenen Lieder vor,
jo Ihön und rein, dajs fich des Meijters
Herz baß daran erfreute.
Und was ift nun? Der Dichter rubt; —
Kalt war im Grab erit ded Herzens Blut.
Die Maid einem Pfählein zum Weibe ih gab,
Der jchnitt ihr die golpblonden Böpfe ab. —
Des nächſten Tages gieng's an die
Beihtigung von Scheffels Beſitzungen.
Zuerit betraten wir das ältere Gebäude
„Seehalde*. FEs war im Jahre 1871,
als Scheffel mit dem Bürgermeilter von
Radolfszell im Unterjee badend, zu diejem
fagte, indem er auf ein Stüd Yand am
Ufer zeigte: „Wollte man fi bier einen
Wohnſitz bauen, dies wäre wahrlich der
einzige noch freie Platz dazu,“ Der
Pürgermeijter erwiderte, daß diefer Grund
anderen Tags verfteigert würde, Scheffel
faufte ibn und baute die Villa darauf,
die er mit den Worten jchmüden lieb:
„Seehalde, Gott malte.” —
Einige Jahre ſpäter erwarb er fich
dazu noch die mabegelegene Mettenan,
eine zu Zeiten theilweiſe überſchwemmte
Halbinjel im Unterjee, und ließ an das
dort befindlihe alte Wohnhaus einen
geihmadvollen Poetenthburm bauen, Auf
der Mettenau, im damaligen Herrenhaufe
ber Halbinjel, war im Jahre 973 Wolf—
gang Graf von Nellenburg geboren worden,
— —“ — u
-'»
= *
der ſpätere Biichof von Regensburg, den
Scheffel die herrlichen Bergpialmen in
dın Mund legte.
Faſt ein jedes Stüd, jo ſich unſerem
Auge bot, war mit des Dichters Leben
eng verbunden. — Selbit das Waſſer in
der Küche hatte jeine Gejchichte. E3 war
ein Geburtstagsgejhent der Stadt Ra—
dolfszell. Sceffel hatte beim Erbauen
der Villa au nach einem Brunnen graben
laſſen, doch wahrjcheinlich wegen des auf
der Höhe gelegenen Kirchhofes war das
erbohrte Waſſer ungenießbar geweſen. Man
hatte ihn wieder zuwerfen müjjen. - „Aber, *
jo erzählte Scheffel jeiner freundin Alberta
von Freidorf bei ihrem Bejuche einmal,
„eine Rechnung habe ich doch zugejchidt
befommen, als ob der Meijter Brunnen»
macher mir da eine heilkräftige Geſund—
heitsquelle hergejtellt hätte, Aber Mann,
babe ih ihm geantwortet, wir haben ja
accordiert für trinkbar Waſſer. — Ja
Brunnen jei Brunnen, meinte diejer und
gieng vor Gericht und bat mich verklagt.
Ich legte meinen Accord vor und jagte
ju den Herren: «Bin gerne bereit, die
ganze Rechnung zu zahlen, wenn der
Meifter Brunnenmacder da fich dazu ver—
ſteht, das erjte Glas jelber auszutrinfen.»
Der jchüttelte gewaltig mit dem Kopfe
und fachte mit den anderen. — Aber
ihlimm war's, die Dienftleute mujsten
ſehr beihmwerlihb das Waſſer weit her-
holen.” — Defto angenehmer die Über:
raihung, als bei der nächſten Ankunft
des Dichters in feinem Sommeraufenthalte
auf einmal aus der Küche ein Iuftig
Plaͤtſchern vernehmbar wurde. „Hätt' nie
gedacht, daſs ich mich ſo über pures Waſſer
freuen würde“, damit ſchloſs er ſeine
Erzählung.
Mit bejonderem Stolze itellte Scheffel
jtet3 bie großen Fäſſer jelbjt gefelterten
Meines vor:
„Seewein, nicht gerade mit hochfeiner
goldgedrudter Etiquette zu petichieren, aber
ein recht gutes leichtes Tijchgetränf, haupt«
jädhlih bei großer Hige zu genießen, von
wegen feiner leichten Säure und zur
Bowlebereitung vorzüglich.“
Abgejehen von dem Streite mit den
T—— (rn
eigenfinnigen Neichenauer Fiſchern, mit
welden der etwas allemanijch hartköpfige
Effeharbdichter wegen des Fiſchrechtes
ihmwere Kämpfe auszufechten hatte, die
jahrelang dauerten und endlich durch
ein berubigendes [Wort des Herrn der
Meinau, Se. fönigl. Hoheit des Groß—
herzogs von Baden, beigelegt wurden, war
Sceffel der Aufenthalt auf jeinem
Sommerfite ein angenehmer und jein
Gemüth erheiternder gemejen, wozu haupt-
ſächlich die herrliche Lage beitrug. Ronnte
er doch von dieſem Plate aus den Unter-
ſee, die Reichenau, den Hohentwiel, Kon—
jtanz und die Schweizer Berge bis zum
Sänti3 überfehen,
Er zog daher alljährlih im Herbite,
wo fein Sohn Ferien hatte, auf das
Landgut. Vielfach ſchweifte er dann nad)
alter Gewohnheit im benachbarten Hegan
oder der nahen Schweiz herum, Man
traf ihn jelten zuhaufe, und auch wenn
er wirflih daheim war, gelang es nicht
immer, zu ihm zu fommen. Es hatten
ſich vielfach Unberufene zu ihm gedrängt
und ihn miſsbraucht oder beläftigt. So
fonnte es denn pajfieren, dafs, wenn er
einen jolden Zudringlichen von weitem an
der Gartenthür bemerkte, er jelbit zu
einem fleinen FFenfterchen heraus, wo er
nicht gejehen werden fonnte, mit fräitiger
Stimme rief: „Herr Doctor find nicht
zuhauſe.“
Es gehen eine Menge Sagen in
Radolfszell über solche Heimſchickungen.
Ich will nur eine erwähnen. Eines
Abends, ſpät neun Uhr, kamen ein paar
Engländer ins Gaſthaus „zum Schiff“,
Ichickten noch den Abend den Kellner auf
die „Seehalde” und ließen Scheffel er-
ſuchen, ins „Schiff“ zu fommen. Ohne
eine Miene zu verziehen, klopfte diejer
dem ihm woblbelaunten Stellner auf die
Schulter und jagte ganz ernithaft: „Sag'
er den Herren, die Fütterung jet morgens
zwiihen 11 und 12 Uhr, aber neuer:
dings nur gegen erhöhtes Entree.“
Auch unverſchämte Autograpben-
ſammler ließ er mitunter herablaufen.
Einer Engländerin, die ihm eine Bitte
um ein Autograph unfranfirt zugeichidt
15*
228
hatte, bemerkte er per Karte kurz und hat auch die deutiche Polizei das Ihre
treffend: „Bildung macht frei.“ Einer | gethan, indem fie das Werk verboten hat.
anderen, die willen wollte, ob der Es wurde auch wieder freigegeben und jo
„Zrompeter“ oder „Ekkehard“ zuerſt er- iſt amtlich alles geichehen, um ein Buch
ichien, malte er auf das erfte Wort ein zu fördern, das an revolutionärem Geiite
großes 1, auf das zweite ein 9. Bon einer
Penſion aus hatte er die Anfrage befommen,
wie er die Stelle Goethes auffaſſe:
„Alles in der Welt läfst ſich ertragen,
RNur nicht eine Reibe von ſchönen Tagen.‘
Seine Antwort war kurz, derb aber
ſchlagend:
„Alles in der Welt läſet ſich ertragen;
Rur nicht eine Reihe von dummen Fragen!”
Ob die Wiener Inftituts3dämchen diejes
Autograph wohl viel werden herumgezeigt
haben ? — Beljer gieng es einer Dame,
die ihn in Verſen um ein Autograph
erjucht hatte. Er jchrieb ihr:
„Hidigeigei ſpricht der Sater,
Eonderbares Welttheater;
Schrecklich find die Menichenfreiter,
Schrechlich ift der Folter Kal,
Eelbh der Autonraphenpreiier
Ubt Graulamteiten ohne Jahl.
Tennod lei's, ſagſon halb geſchunden
Duld ich auch noch dieſe Wunden.”
Gar manche dieſer Einzelheiten ver—
danke ich meinem trefflichen Reiſecumpane
Profeſſor Stödle, welcher ſie mir nad
unſerer Beſichtigung von Scheffels Gütern
im Gaſthauſe „zum Schiff“ erzählte und
damit die Spaune Zeit, die noch bis zu
unſerer Abreiſe und Trennung übrig blieb,
fürzte. — Dankbar drüdte ih dem Ge |
jcheiden |
jährten die Hand, als mir
mufsten und vom Bahnhofe das Gloden-
zeichen zur Heimreiſe mahnte.
Noch ein letzter Gruß dem traten
Dichterheim, der Wiege jo vieler berr-
liher Gedanken und ſchönen Pläne; noch
ein Abſchiedswiuker vom Hohentwiel zum
ſeinesgleichen ſucht.
Nun, und was ſteht denn in dieſer
„Kreutzer ⸗Sonate“ ? In dieſer „Kreutzer⸗
Sonate“, welche die Form einer Erzählung
hat, ſteht erſtens, daſs der Mann ebenſo
ſtreuge verpflichtet iſt, jungfräulich rein
zu leben, als die Frau, und daſs auch
fie das Recht hat, am Hochzeitstage von
ibm zu verlangen, dajs er unjchuldig ſei.
Und das iſt in Ordnung. Zweitens ſteht
in der „Sreußer- Sonate“, dajs ein
Menſchenpaar and in der Ehe jungfränlich
bleiben ſollte, daſs es nad Chriftus ein
Ehebruch jei, ſchon wenn ein Mann fein
‚eigenes Weib mit begehrendem Blide an—
fieht, dafs zwei Eheleute neben einander
leben jollen wie Bruder und Schweiter.
Endlich fteht in der „Hreußer- Sonate“,
daſs die Geichlehtsliebe überhaupt nit
von Natur aus nothwendig ift, dajs jie
unterdrüdt werden könne und mülle, und
dajs auf diefe Weiſe die Auflöfung des
Menichengeichlechtes vor fich zu geben habe.
Neben diejen Hauptgedanfen wird im
Buche die Geihichte einer unglüdlichen
Ehe erzählt, wie ſolche Geſchichten ſchon
taujendfach erzählt und auf den Bühnen
zur Darjtellung gebracht worden find.
Es wäre ganz verdammt, wenn man
dem Dichter aufjähe und etwas, das er
ironisch gemeint, für puren Ernjt nähme!
Man könnte ſich unſterblich blamieren.
Aber dem Dichter iſt es mit ſeiner Lehre
bitterer Ernſt, man fühlt den fieberhaften
|
|
I
projaiichen Coupefeniter berein; noch ein. A
Bliger der ftahlblauen Flut des ſchwä- Pulsſchlag, der durch das ganze Buch tobt.
biihen Meeres, und ich war dem Voden | zolftot gehört ber naturaliſtiſchen
freundſchaftdurchſonnter Tage entrüdt.
Die Rreuber- Sonate,
Da madt ein Buch von fich Iprechen,
das die „SHreuger- Sonate“ genannt ift
und von dem rufliichen Dichter Tolitoi
herrührt.
Zur Verbreitung ſeines Rufes
Richtung an, er ſchreibt fein Kunſtwerk
im hergebrachten Sinne. Der naturaliſti—
ſche Dichter wirft Probleme auf, ohne
ſie zu loſen; er ſteigert Conflicte bis
‚aufs aäußerſte, ohne einen Abſchluſs zu
geben — immer eine gefüllte Wurft, die
nicht gebunden iſt. Er Hagt und weiß
feinen Troſt, er Hagt an und weiß feine
Abhilfe. Ja, das können wir alle, dazu
bedürfen wir feiner Dichter. Und wenn der
were %
2
Naturalift etwas vorichlägt, wie unpraktiſch!
Doch jeltiam, daſs hier der Naturalijt
fih in einen Idealismus verfteigt, der
märdenhaft ift, oder beifer, mie er nicht
einmal in Märden vorfommt. Das na—
türliche Verhältnis zwiſchen Mann und
Meib aufheben zu wollen, weil ed mand-
mal Unheil anridtet. Man joll das
Ihmusige Bad einmal ausgießen, gut,
aber man joll nicht das Kind mit dem
Bade ausgieken, und am wenigften das
Kind mit der Ehe ausrotten. — Die Liebe
abbringen wollen! Wahrlich, das ift etwas
Neues. Der Rufe hat den Drientalen
und den Romanen an Rhantafie über:
trumpft, aber er beruft fih auf Schopen-
bauer, Nun find wir plan, Unſer
Dichter jagt, finnliche Liebe wäre ber
Menichheit zumider, ſowie die Ehe dem
Chriſtenthum. Der Chrift müjäte die Che
vermeiden! — Das werden fi unjere
jungen Männer nicht zweimal jagen lafien
und nur etwas frappiert jein, wenn fie
nah Tolſtoi auch die Liebe vermeiden
jollen. — Es iſt jonit taftlos von einem
Recenjenten, wenn er einem Dichter vor»
wirft, er wäre alt geworben. Dem ruſſi—
ihen Grafen Leo Tolitoi darf man das
getroft ins Geficht jagen, umjomehr, als
man ihn gleichzeitig erinnern fann, dajs
er auch einmal jung gemejen ift, die Liebe
verherrlicht und fich ein glüdliches Familien-
leben gegründet hat. Was er da in der
„Kreußer-Sonate“ jagt, iſt nur geijtreiche
Schrulle des jpeculativ gewordenen Greiſes
— milder fann man e3 nicht verurtheilen.
Das Buch hat aber eine Seite, die
weniger harmlos ift, al3 die philoſophiſche.
Nun denn noch ein Wort über jeine
Erzählung. Zolftoi jchildert eine Che
zwilchen zwei Menjchen, bei welden der
Mann nur grob finulih, das Weib herz—
los iſt. Die Ehe ift natürlich in höchſtem
Grade unglüdlih und endet mit einem
Morde. Es fommt vor. Allein, wenn
der Dichter meint, daſs dieſe Ehe eine
Durchſchnittsehe it, die Regel, das Ge-
wöhnliche, jo beleidigt er die Menjch-
beit, oder vielmehr, er jagt einen ihrer
tollſten Irrthümer. Das iſt ja die ver-
9
daſs man meint, zwei Leute verſchie—
denen Geichlehtes heiraten zujammen
nur aus dem einen Grunde, um ihre
finnlihen Bebürfnilfe normal befriedigen
zu können. Dazu hätten mir wahrlich
die Ehe nicht nöthig, dieſem Bedürfnifie
gerecht zu werden gibt e8 eine Unzahl von
Mitteln, die der Staat ja Janctionieren
fönnte, wie er thatſächlich außer der Ehe
Ihon mande ſolche Mittel janctioniert
bat. Gibt es denn nicht auch andere,
weit triftigere Gründe zur Eingehung
einer Ehe? Die Sympathie zweier Men-
ſchen zu einander, die harmoniſche Seelen-
gemeinschaft, das Bedürfnis nah einem
Gemüthe, dem man fich volllommen an«
vertrauen fann, mit dem man bes Lebens
Freude und Ungemach leichter erträgt
als allein, mit dem man Intereſſen—
gemeinjchaft hat, bei dem man fürs ganze
Leben fich geborgen fühlen fann — das
find die eigentlihen und maßgebenden
Gründe zur Verehelihung. Der Boshafte
wird bier einwenden: dann fönnten ja
auch zwei Männer zujammenheiraten,
oder zwei Weiber, dann jei die Ehe
nicht3 als ein Freundihaftsbündnis. Und
ich werde ben Boshaften auslachen, weil
er jelber in die Schlinge geſprungen ift.
Ya freilich muſs die Ehe ein Freundſchafts—
bündnis jein; wenn fie das nit iſt,
dann iſt fie unſittlich im tiefften Ab-
grunde, Wenn du dir aber einen Freund
erfiefeft, mit dem du Freud und Leib
bis ans Ende theilen jollit, mit dem du
ganz für euch beide eine Welt bilden
fannft, jo wirft du dazu einen Menjchen
wählen, der dir alles jein fann, der
dir auch deine ſinnlichen Wünſche jtillt,
mit dem du Nachkommen haben fannit
und ber gemeiniam mit bir für Diele
Nachkommen lebt und forgt. Die geichlecht-
lihe Seite der Ehe, zwar an fih bie
Hauptjadhe, wird alſo menſchlich und
geſellſchaftlich zu einer Nebenſache, und
die Hauptjache bleibt das ſittliche Ver—
hältnis in der Che.
Was ijt denn die Treue? Verſteht
man unter ihr blok das ſich fürperlich
Bewahren für den Geliebten? Sch nenne
hängnisvolle Auffaſſung der heutigen Ehe, seinen Freund untreu, der mich belügt,
230
hintergeht, anderen zurüdjegt, mein Ver—
trauen miſsbraucht, auf meinen Nachtheil
binarbeitet, überhaupt unverläjslih und
falſch iſt. Alſo kann auch ein Weib untreu
jein, ohne fich mit einem anderen zu ver—
geben, und ſolche Untrene kann unter
Umftänden jehr jchlimm fein.
Die „Kreutzer-Sonate“ hat für den
Moment halb Europa berauſcht, von
nachhaltigem Werte aber können jolde
Bücher nicht jein, weil ihre Ideen ganz
unpraltiich find und der menjchlichen Ge—
fittung nicht Rechnung tragen.
Es iſt nacdgerade roh von einem
Dichter, wenn er — wie Toljtoi in jeiner
„Sreuger- Sonate“ — die fittliche Anlage
und Kraft im Menjchen jo ganz vergejjen
ann oder abfichtlich verſchweigt! Zwiſchen
jeinen zwei Ebeleuten, die er uns als
Beijpiel der modernen Ehe hinitellt,
berrjcht nichts als thieriſche Sinnlichkeit
und teufliicher Hals. Zwei dumm heuch—
leriiche Leute ohne Herz und Gemüth,
ohne Wohlwollen und Mitgefühl, ohne
geiftiges Leben, faſt ohne jedes Menſch—
liche, das find jeine Helden, mit denen
er etwas Rechtes beweiſen will!
Hätte Tolſtoi jeine Ehejtandsgejchichte
nicht verallgemeinert, jondern nur als einen
Tall für fich dargeftellt, jo würde er damit
eine große Wirkung erzielen. Denn diele
zwei Leute find als Individuen mit einer
Naturwahrbeit und Klarheit geichildert,
die bewundernswert ift. Die Eiferjucht
Mehrzahl meiner Mitmenichen! Oder —
wäre es wirflih jo arg?
Ich frage euch, Leſer, ift es wirklich
jo arg? Steht es wirflih jo ſchlimm
mit der modernen Che, daſs fie, anftatt
nach Gottes Abficht den Menfchen zu ver-
vollflommnen — ihn zu einem jchändlichen
Heuchler, zu einem niedrigen Thiere macht ?
Iſt es jo? Dann bitte ich auf den Knien
dem Dichter Toljtoi das obengejagte berbe
Wort ab und beihmwöre ihn, nädjtens
womöglich eine noch viel jchärfere Peitſche
zu Schwingen über eine Brut, deren Abfchen-
lichfeit ohne Grenzen iſt. — Ich aber
pade dann meine Siebenfadhen zufammen
und mwandere dahin, woher ich gefommen
bin. Zwar auch bei den Bauern gibt es
Scheufale, aber die find? — wie Tolitoi
jelbit zugibt — Ausnahmen. Denn bie
Bauern find zu herb eingeipannt und zu
hart gebettet, um jo jchlecht zu fein, „Die
da”, jagte mir einft ein alter Bauer,
auf fein Weib deutend, „die ift mein guter
Kamerad !* und hat mit diefem jhlichten
Worte eine ewige Wahrheit gejagt, wie
fie in Zolftois welthaffendem Werke nicht
zu finden ift, und eine Kritik geübt, Die
fich entweder die modernen Eheleute oder
der Verfaſſer der „Kreutzer-Sonate“ hinter
den Spiegel jteden können,
Indem ich nun etwas unwirſch ab-
treten will, zupft mich noch der Leſer am
Armling: Er möchte doch gar zu gern
willen, warum dieſes Buch die „Kreutzer⸗
des Mannes und ihre tragische Folge Sonate“ heißt! Nun — offen geitanden,
fann nicht padender dargeſtellt werben.
Durch das Herz des Leſers gebt ein er
jchütterndes Gewitter, Wenn er ſich aber
jagen lafien muſs: Leſer, du bift auch
von diefer Gattung, du bift in deiner
Jugend auch ſolch ein niederträdtiger
Wüftling gemweien, du fauftejt dein Weib
auch, wie man eine Sclavin fauft und
bältjt fie, wie man eine Sade, ein Ge.
nujsmittel halt, und peinigft fie mit der
unfinmigften Eiferfucht und wirft fie eines
Tages noch umbringen wenn Der
Leier fihb das jagen laſſen mus, jo
ichleudert er das Buch dem PVerfafjer ins
das weiß ich jelber nicht. Bei dem Titel des
Buches fängt die Schrulle au, und bei
dem Nachwort bört fie auf, R.
Poetenwinkel,
Im Weidicht tief...
Im Weidicht tief, im Laubgeheg'
Da fieng ſich ein fröhliches Vögelein;
„Du Fürwitz, wer wird denn jo thöricht ſein
Und täfst fi fangen ?"
So droht und lat und jpringt vom Steg
Zum Böglein, zum bangen —
Geſicht und ruft a Wer gab dir das Recht, Das Mägdlein, riſch! durch Binf’ und Buſch,
mich jo zu beſchimpfen! Mid und die Machi's Vöglein frei, und fort iſt's, huſch!
Sn —— —
Im Weidicht tief, im Laubgeheg’ |
Da haſchte ein Anabe das Mägpdelein; |
‚Du Fürwitz, wer wird denn fo thöricht fein |
Und läjst fi fangen!“
So zwitihert aud und fingt vom Steg |
Das Böglein ohn’ Bangen . |
Da jpringt davon das Mägdlein, huſch! —
Allein — e3 fing fih doch im Buſch!.
Anton Augaft —9— J
Mein Keichthum!
Sonett.
Ich tauſche nit mein Los mit all den
Großen,
Die ihren Gott nur ftet3 im Beutel tragen. |
Sie mögen irdifhen Befis erjagen —
Mir bat das Reich der Schönheit fidh er:
ſchloſſen!
Hier zeigt ſich mir das Leben lichtum—
Hofien, |
Wie ſich's gezeigt mir hat in Jugendtagen — |
Und wenn die Sorgen auch am derzen
nagen:
Hier werden ſie mit Stolz zurüdgeftoßen!|
Die Kunft allein nur ift daS wahre Leben!
Ein hold’ Gediht in Warben, Worten,
Klängen —
Mir ift es lieber als das Bold der Großen!
Drum gilt der Kunſt mein ganzes Thun
und Streben.
Es mag die Welt nah Mammons a
drängen:
Mir hat das Rei der Ehönheit fih er:
chloſſen!
Joh. Peter.
Glück.
Das Glüd ift wie ein Schmetterling:
Er flattert vor dir ber; |
Du haſcheſt nah dem fleinen Ting,
Doch fängft du's nimmermehr;
Es eilt und nedt und lodt dich mit
Durch Wieſen und durch Au'n,
Mit jedem Schritt, mit jedem Tritt |
If's hübjcher anzuſchau'n. |
Du fühlſt die heiße Sonne nicht,
Springft über Stod und Stein —
Denn endlih dann der Sonne Licht
Erblajst, ftehft du — allein!
Bom nahen Baume blidt auf di
Der Schmetterling und ladt: |
„Der bat für nichts und wieder nichts |
Biel Mühe fih gemadt!* |
©. Aiſqbach.
Mie will im Lied ich milfen.
Nie will im Lied ich miffen,
Mas Dichterbruft durchzieht,
Denn alle follen willen
Des Sängers Herzenslied;
Umdräut ihn Sorg’ und Plage,
Erfült ihn ſel'ge Luft,
Ein Lied für all die Tage
GErtön’ in feiner Bruft.
Wenn es auch manchmal tojet
Zur öden Winterszeit,
Des Lenzes Zephyr koſet —
Wo bleibt dann noch das Leid?
Der holde Frühlingsmorgen
Mit ſeiner Luſt und Pracht
Verſcheucht die trüben Sorgen,
— Das Glück fommt über Nacht.
Nur Alltagsmenſchen blendet
Das unbeſtänd'ge Glück,
Der wahre Dichter wendet
Darob doch nicht den Blid,
Denn jeine Lichtgedanten,
Die formen ein Gedicht,
Das Glüd mag ihn umfhwanfen,
— Ihm lächeln oder nit...
Drum mag im Lied erflingen
Mas Dichterbruſt durdzieht,
Dass alle fünnen fingen
Des Sängers Herzenslied,
Denn eines Dichters Leben
Das jei wie ein Gedicht,
In feinem ganzen Streben
Sei er uns Bild und Licht.
A. ©. Dembigki.
Die Lieb' iſt jenes But.
Die Lieb’ ift jenes Gut,
Das mir am hödften frommt;
Doch nicht die flüchtige Lieb’
Die nur von außen fommt,
Die Liebe, die durchdringt
Das ganze Weltenrund
Und, eine Perle, ruht
Im tiefften Herzensgrund,
Die, ſelbſt in Ketten frei
Und an dem Sreuzespfahl,
Das ärmfte Los madht rei
Durd ihren Himmelsftrahl.
Die, ftärler als der Tod,
Eich nährt von ewiger Glut,
Die nie erlöfchen kann
In aller Waller Flut.
Die einer Flamme glei
Hinauf zum Himmel fliegt
Und all was finfter ift
Und talt und ftarr, befiegt,
Die niemals Arges dentt,
Die fih der Wahrheit freut,
Die alles weiß und lann,
Sich aus fi jelbft erneut.
Das eine, ewige Wort,
Das war von Anbeginn,
Das einzige, das löst
Des Weltenräthiels Sinn,
Und das in fih beſchließt
Eo winzig es auch jei,
Vollzahl der Tugenden
Geſetz und Bücherei. —
O Liebe, höchſtes Gut,
Du einziges Gefühl,
Des Lebens, Leidens wert,
Erhab'nes Dajeingziel!
Was wäre ohne did
Denn Glüd? Ein leerer Schall.
Was wäre doch daS ganze,
Große, weite All?
Ein finnreih Räderwerk
In riefenhaftem Stil.
Des Lebens Luft und Leid?
Armſelig Poſſenſpiel.
Der Geiſt? Erkenntnis, Schauen
So ohne Himmelslicht,
Dem es, ein Gott zu ſein,
Am Höchſten ja gebricht —
Du nur biſt ſchöpferiſch,
Biſt frei, biſt wert allein
Auch ewigen Lebens Ziel
Und ewiger Preis zu fein.
ZB Babe geträumt,
Sch habe geträumet
Von Liebe und Glüd,
Und fand aus dem Traume
Mich nicht mehr zurid,
Es quält mid im Schlafe
Ein nächtlich Geſicht,
Sein bittendes Auge
Das Herz mir zerbricht.
Ernſt Soling.
Abendfriede.
Der Abend naht, der Klang verhallt
In Feld und Wald,
Nur einzeln mildes Singen:
Die Lerche, froh den Tag durdhlebt,
Leistrilleend ſchwebt
Zur Saat mit matten Schwingen.
Die Amſel fingt vom Wipfel hod
Ihr Liedchen nod
Sie will den Abend loben;
Die Grille zirpt, noch zwitſchert's leis
Ringsum jo leis,
Auch flimmt ein Sternden oben.
Das Blümchen ſchließt fein Auglein zu
Zur jühen Ruh’,
Bewegt von frifhem Wehen;
Das Männden huſcht jo jelig traut
Ins Neſt der Braut,
Sein Pläschen zu bejchen.
Jetzt Hingt des Glödleins heller Schall
Durchs ftille Thal,
Ins Herz der Schlummermüden,
Und wie der fFeierflang verhallt,
Ruht Feld und Wald,
Das Dörfhen jhon in Frieden.
Sans Mükenfhnabel.
Des Frühlings Todtenfeier.
Kaum war die Halde blütenneu,
Kaum prangte bunt die Wiefe:
Hat aud ſchon abgemäht das Heu
Der Lorenz und die Lieſe.
Die Senje gibt der Flor' den Ref,
Es regt fih Senn’ und Meier.
Die Heumahd ift fein frohes Feſt,
Iſt eine Todtenfeier.
Es trauern fill in düftrer Ruh’
Die Weiden und die Erlen;
Weihwaſſer fprengt der Thau dazu
In jonnenhellen Perlen.
Es fingen leis ein Todtenlied
Die Grillen und die Unten
Den Blumen, die auf Flur und Ried
So früh dahingejunfen.
Wehklagend wie ein Trauerdor
Die Blumengruft fie hüten;
Und füher Weihraud fteigt empor,
Der Duft von taufend Blüten,
Woher die file Trauer ftammt
Im faum verjüngten Jahre ?
Wen halten fie das Todtenamt ?
Der Lenz liegt auf der Bahre,
Stewa Surg.
Rirche Maria SKrepenftein
(iin St, Peter nächſt Leoben).
Du liebes Kirchlein auf der Höhe,
Wie freundlih ſchmückeſt du das Thal,
So oft nad dir empor ich jehe,
Fühl' ih erbaut mich jedesmal.
Und wenn den Felfen ich erfliegen,
Der did auf feinem Scheitel trägt,
Und jeh’ zu meinen fFühen liegen
Das Thal vom Walde rings umbegt;
Das Dorf umrahmt vom Grün der
Wieſen
Und — wo die Sonne niedergeht —
Den weiten Kreis der Bergesrieſen
In ihrer ſtillen Majeſtät:
Da fühl’ ih andachtsvoll erhoben
Die Bruft, es drängt mich zum Gebet,
Wo von der Dämmerung umwoben
Tas Bild der Muttergottes fteht.
Das Schwert im Bufen, blidet milde
Herab die hohe Dulderin,
Und vor den: hehren Gnadenbilde
In tiefer Wehmuth ſink' ih hin.
Mer bier auf feinen Knien lieget.
Dem iſt die Tröftung auch gewiſs,
Bon der Erhab’nen Schmerz bejieget
Erftirbt die eig'ne Kümmernis.
Darum in jedem neuen Leiden
Schn’ ih mi nad dem Fels zurüd
Und nad dem Bild der Benedeiten
Mit jeinem janften Troftesblid,
Du liebes Kirchlein auf der Höhe,
So hilfreih mir und wohlvertraut,
Dich lieb' ich, bis ich einft vergehe,
Und jegne den, der di erbaut.
Alfred u, Oltenthal.
Da Fabler.
Heint is der Kiritag,
Alli Buab'n ſchau'n mir nach,
Denl'n fi: „O vaflirt,
Der is heint feſch zſammagwigſt!“
Hab a neigs Nödl a,
Boanani Anöpf vura,
Am Leibl Röfarl drauf
Und a jhöns Hüatl auf!
Alas das pafst ma guat,
D'Fedarn ftedt ah am Huat!
Hab ah a Tajdhenuhr
Und Zwanzga mehr wie gmua!
Dans nur fehlt zu da G'ſchicht,
Dass in mein Millig’ficht
Koa Schnurrbort wadj'n will,
Das gifft mi in da Still!
Heint frag i d’ Margareth,
Obs mit mir tanzen geht?
Dö ſchaut mi an ganz ed,
Endli jagts: „Gehft ma weg!
Muaßt jho no moarten bis
Ubars Jahr Kirtag is,
Willſt jein a ganzer Burn,
Ghört a Bort ah dazua!“
Iofef Berger.
Die Spinnerin.
Ih fit und fpinn
Und da fimpt mir in Sinn,
Daſs ih glüdla funnt fein,
Bann du mein warft, mein!
Doh groß is die Welt,
Und die Welt regiert 's Geld,
Und a reis Dirndl is
An fhean Buam ollmol gwiſs.
Wann ih 's jo betragt —
D Reihthum und Pradt —
Wia viel hat das Guld
Nit vadorbn und vaſchuldt!
Dös fimp mir in Sinn
Mal i dafis und fpinn,
Und woaß nar i alloan,
Wiar i bitterli woan.
Haus Fraungruber,
Drei Bögel.
Eine Legende
Es war an jenem jchrednisvollen
Freitage, als unjer Herr in Tobespein
am Kreuze bieng. Und es war um die
jechite Stunde, und es ward eine Finſter—
nis über das ganze Sand, bis an die
neunte Stunde; und die Sonne verlor
ihren Schein. Da kamen drei Vögel ge
flogen vom Aufgang gegen Untergang
und erreichten die verruchte Stätte von
Golgatha. Zuerit fam Vibe, der Kibitz,
und al3 er ſah, was da verbrocden,
umflog er das Kreuz und freilchte mit
böslihem Rufe: „Pin ham! pin ham!
Peinigt ihn! Peinigt ihn!“ Darum ift
der Kibig für ewig verflucht und findet
nimmer Ruhe noch Raft, Er ift verdammt,
jein Neſt immer in angitvoller Klage zu
untfreifen, denn feine Eier auf dem Moos
werden jtet3 geraubt. Nad dem Kibit
fam Storf, der Storch, und bejammerte
und beflagte die Unthat. „Styrk ham!
ıstyrk ham! Stärkt ihn! ftärkt ihm!“
| Tautete jein dringendes Mahnen. Des»
‚halb ift der Storch gefegnet und überall
| willlommen, wo immer er fich niederläist,
und jein Neit auf dem Firſte bleibt
bewahrt und behütet. Zuletzt erichien
Spale, die Schwalbe, und rief, als fie
gewahrte, was da Entjeßliches geichehen,
mit lebender Bitte: „Sval ham! sval
ham! Labet ihn! labet ihn!“ Darım
ı wird die Schwalbe von allen geliebt,
| und fiber baut fie ihr Neſt unter dem
Dache der menſchlichen Behaufung, gudt
vertraulich durch das Fenſter und nimmt
Antheil an dem ftillen Glüd des fried-
lihen Heims. Ungeftört und bejchügt
wohnt fie im ſtolzen Palaſt mie in ber
ärmiten Hütte,
| —
Die Undenflidkeif
der Namensunterfchrift.
Man erzählt, dajs ein des Schreibens
unkundiger türfiiher Sultan einjt, als
man ihm einen wichtigen Erlaſs zur
Unterſchrift vorlegte, mit drei Fingern
in das taftlojerweife ihm vorgebaltene
bei erjteren beionder3 da, wo der Name
jhon oben auf dem Recept gedrudt jteht.
Zweifellos iſt es wohl, daſs der bier
bejprochene Fehler am meiften bei den
Subalternbeamten fih findet, beionders
bei der Poſt und im Gerichts. und Ma-
giſtratsweſen.
Den Vorwurf mangelnder Gewiſſen—
Tintenfaſs gegriffen und durch eine kühne, —5— kann man nicht erheben, da
auf dem Papier vollzogene hakenförmige
Figur ſeine allerhöchſte Beſtätigung ge—
geben habe. Bekanntlich iſt dieſes Zeichen
noch heute als großherrliche Unterſchrift
auf Siegeln und Münzen, ja ſogar auf
türkiſchen Teppichen und Muſtern vielfach
zu ſehen, und jedermann kennt oder er—
fährt leicht ſeine Bedeutung. Wenn nun
ein Nachfolger Mohammeds mit Recht er—
warten durfte, daſs alle Welt dieſe aus
augenblidlicher Eingebung hervorgegangene
Hieroglyphe verftehen und fih damit be—
gnügen würbe, jo ijt eine ſolche Erwar—
tung bei anderen, tiefer jtehenden Sterb-
fihen doch noch feineswegs berechtigt.
Wie verbreitet aber dieſe ftolze Annahme
zu fein fcheint, geht aus der täglichen |
Beobachtung hervor, dajs viele Männer —
die frauen zeichnen fih auch in dieſer
Dinficht wieder rühmlih aus — ihre
Namensunterjchrift jo undeutlich vollziehen,
daſs das geübteite und mühlamfte Auge
fie unmöglich zu entziffern vermag. Das
häufige Vorkommen dieſes Unfugs
wird gewiſs niemand beſtreiten, es muſs
ſich dasſelbe doch alſo auf beſtimmte Ur—
ſachen zurückführen laſſen. In welchen
Kreiſen finden wir nun am häufigſten
die umdeutliche, ja unlesbare Namens»
unterſchrift? Nicht in denen der Kauf—
leute, weil die Deutlichleit der eigenen
Adreſſe ſchon im Gejchäftsinterefle Liegen
mag und der Firmeninhaber das Gegen-
teil vielleiht — und mit Recht — als
ein Unrecht gegen feine weltberühmte
Firma anſehen würde; ebenfo find bie
Namen der Geiftlihen und Lehrer mit
geringen Ausnahmen recht leſerlich ge—
fchrieben, bei letzteren wohl hauptfächlich
aus pädagogiihen Rüdfichten; häufiger !
jedoch ijt die Undentlichleit und Unleſer—
lichkeit Schon bei den Ärzten und Juriſten, |
über dieſen unſer Beamtenftand erhaben
ift; es bleibt alſo als Urſache nur übrig:
eine gewiſſe Bequemlichkeit in der Voll-
ziehung der Unterfchrift, oder die Annahme,
daj3 eine von der gewöhnlichen Hand»
ſchrift abweichende Eigenthümlichkeit der
Schriftzüge der Unterichrift etwas Wür—
diges, Ausdrudsvolles und Männliches
gebe, und gerade das lektere fcheint in
der That recht häufig der Fall zu fein;
denn wir jehen oft, daſs gerade Männer
mit recht gut lesbarer, ja jchöner Hand»
ichrift ihren Namen aufs unlejerlichite
jchreiben. Ja jollte nicht vielleicht jogar
ein Kleines Theilchen Eitelkeit zumeilen
dabei jein, indem man Sich jchmeichelt,
dafs gerade diejes monjtrös bingeworfene
Schriftbild eben durch diefe Verzerrung
bald ein allgemein bekanntes oder gar
berühmtes fein werde? Für dieſe An«
nahme jpricht auch der Umſtand, dajs
in jolcher Unterjchrift nicht nur die rich—
tige Form der Buchjtaben, jondern auch
ihre Richtung in der Zeile verkehrt, d. b.
der Name nicht von links nad rechts,
jondern direct von oben nad unten oder
mindeftens ganz ſchräg geichrieben ift, was bei
den Urhebern dieſer Schreibräthjel bei au—
dern Wörtern nie vorfommt. ine folde
Eitelkeit ijt, wenn wirklich vorhanden,
ihon an und für fich zu milsbilligen ;
wie aber ſteht es mit der Berechtigung
obiger Urjachen, und darf überhaupt die
Undentlichteit und Unlesbarfeit der pri—
vaten oder amtlichen Namenzunterjchrift
in Urkunden, Atteften u. j. mw. geduldet
oder muſs ihr im allgemeinen Intereſſe
ernjtlich entgegengetreten werden? Wir be
haupten ganz entichieden das letere, und
es jei gejtattet, dies durch einzelne Bei—
fpiele zu begründen.
Wenn jemand unter irgend ein Schrift-
ftüd feinen Namen ſetzt, jo fann dies
doch nur den Sinn haben, dafs er
für den Anhalt des Gejchriebenen mit
jeiner Perſon, ob einfach, feierlich, ſtreng
amtlich oder jonftwie genommen, voll ein-
tritt. Dies fann ter Umftänden ganz
gleichgiltig fein, 3. B. wenn mir ein
Freund die Geburt jeines jo und jo vielten
Kindes, eine weit entfernte Tante ihre
Abreife ins Bad, ein College die glücklich
angelommene Gratulation zu einer längjt
erwarteten Beförderung oder ähnliches
mittheilt. In jolchen Fällen läjst man
gewöhnlich wicht bloß die Unterichrift,
jonderu jchon die legten, beinahe phrajen-
haft gewordenen Zeilen ungelejen. Ganz
anders verhält es fih mit Schriftſachen,
die unter Umftänden ſehr wichtig werben
fönnen. Es dürfte 3. B. wohl zu ben
Seltenheiten gehören, dal3 man den Na-
men eines Rojtbeamten leſen fann, der
die Aufgabe eines gejchriebenen Briefes
oder einer Geldjendung auittiert, und ift
die3 zu dulden? Kann man die Forde—
rung einer durchaus lejerlichen Unterjchrift
mit dem Hinweiſe darauf zurüdweijen,
dai3 man die Perjon des Beamten ja
nöthigenfalls von der vorgejegten Behörde
leiht erfahren könne? Dann hätte dieſe
Unterschrift überhaupt feinen Wert, und
e3 würde ein Kreuz wie das des Wallen-
ftein’ihen Generals bei der Tafelicene
ebenjo genügen. Die Schnelligfeit bes
Unterjchreibens und die hieraus fich er—
gebende Undentlichkeit mit dem Mangel
an Zeit zu entichuldigen, iſt deshalb un—
ftatthaft, weil für einen geübten Beamten
fih die Schnelligkeit jehr leicht mit ber
Deutlichkeit verbinden läſst. Soll weiter
ein ärztliches, vielleicht jehr wichtiges
Atteſt, deſſen Ausfteller ich abſolnt nicht :
zu entziffern vermag, für mich als den
Enticheidenden trogdem ohne weiters giltig
jein, bloß weil ih mit Mühe ein Dr,
und ſonſt nichts weiter lejen fann, oder |
joll ih nun erit — man bedenfe bie,
Unannehmlichkeiten — ein neues mit les—
barer Unterichrift fordern ? Der Vorſtand
einer Religionsgemeinde — ein kürzlich
erjt vorgefommener all — fordert zur |
Bewerbung um ein Stipendium und zur
235
Meldung an einen der Unterzeichneten
auf, und es bedarf dazu erjt eines ſorg—
fältigen Nachlefens im Worejsfalender,
wer wohl dieje beiden Unterzeichneten jein
mögen, einer Arbeit, die auch dann erft
durch genaue Vergleihung mit den räthjel-
haften Schriftzügen zum Ziele führt.
Solcher Beifpiele gibt es gewijs hunderte,
und wir fragen: ift das erlaubt? Soll
in unjerer phrajenreichen Zeit auch noch
die Unterjchrift zur Phraje und ihr erſt
durch oft mühevolle, vielleicht gar zu jpät
zum Reſultate führende Nacforfchung
Sinn und Wert verliehen werden, bloß
weil ihre Urheber zu bequem waren oder
aus irgend einem andern Grunde ihren
Namen unlejerlich jchrieben ? Mir fallen
uns furz dahin zufammen: Die unlejerliche
Namensunterfchrift ift unter Umftänden
Ihädlih, aber vermeidlih, daher ſtets
unftatthaft, und die daraus folgernde
Yorderung lautet: die vorgejeßten Ber
hörden jollen bei ihren Untergebenen auf
eine durchaus beutlihe Namenszeihnung
auf das entichiedenjte dringen und das
Publicum das Gegenteil nicht unbean-
ftandet hinnehmen, und im furzer Zeit
werden wir bieje Unart zum Wohle und
im Intereſſe aller ausgerotiet jehen.
Bei uns in Öfterreih ift das wie
in Deutjchland, und in Deutjchland wie
bei uns, weshalb die „Deutſche Revue“
die obigen mannhaften Worte für deutliche
Namensunterichriften einſetzt. Wir ſchließen
uns diefer Kundgebung lebhaft an. Die
Sade kann unter Umſtänden wichtiger
fein, als ſie jcheint.
Zehn goldene Kegeln
für Ebeftands : Gandidaten,
Don franz X. freibeim.
I.
Willſt du ein Eh’glüd gründen dir,
So folge meinem Rath,
Sieh bei der Braut nicht bloß aufs Geld,
Ob fie ein Herz auch hat.
Ein gut Gemüth allein nur fann
Verſüßen dir das Leb’n,
Das Geld jedod kann für das Glüd
Nie fefte Bürgihaft geb’n.
II,
Tas ewig Weibliche beglüdt
Ten Mann dur alle Zeit,
Ein Mannsharakter bei der frau
Führt oft zu Zank und Streit,
Denn was fie für Charakter Hält,
Und fie fih dünft fo groß,
Das ift gar oft, wie viel erprobt,
Der Eigenfinn nur bloß,
II.
Vor Mädchen, die nervös aud find,
Sci Vorfiht jehr empfohl’n,
Eonit fannft ftatt einen Engel du
Dir einen Teufel hol’n;
Empfindlichkeit und Launen fann
Nicht jeder Mann ertrag’n,
Wer da nicht Vorficht walten läjst,
Dat tief es zu beilag’n.
IV.
Niht Schönheit fol beftechen dich,
Dass fie den Ausihlag gibt,
Eich wohl, ob fie, die dir gefällt,
Die Häuslichkeit auch Tiebt. —
Vergnügungsfuht und Modetand
Eind feine Himmelsgab’n,
Serftören oft des Glüd's Bilanz
Dir zwiſchen Soll und Haben.
V.
Gelehrte Frau'n find zu empfehlen,
Tem Mann von gleicher Art,
Denn wichtig ift, dafs Gleiches nur
Zum leihen da fid paart;
Denn wo der Bildungsgrad der Frau
Den Eh’mann überragt,
Das letzte Wort gern immerdar
Die Frau im Haufe jagt.
VI,
Die Frau, die Reinlichkeit auch liebt,
Doc fie nicht übertreibt,
Iſt für den Mann ftets ein Gewinn,
Der vortheilbringend bleibt;
Tod von den Fexen jei gewarnt,
Eonft mujst du did bemüh’n,
Noch vor der Thür, wenn heim du
fonmft,
Tie Stiefel auszuzieh'n.
VII.
Die Küche iſt der Hausaltar
Für jedes brave Meib,
Liebt fie den Mann, fo findet fie
Tort ihren Zeitvertreib;
Beſorgt die Kliche zwar die Magd,
Tie Frau hat nachzuſeh'n,
Und ſoll die edle Kochkunſt do
Zum mindeften verſteh'n.
...r
Au
VII,
Zemperamente gleicher Art
Sind nit empfehlenswert,
Bejonders bei Koleritern,
Wie die Erfahrung lehrt.
Ein Spridwort jagt, wie allbekannt,
Und ging noch niemals fehl:
„Zwei harte Steine mahlen nie
Ein brauchbar gutes Mehl.“
IX.
Trifft eine Witwe deine Wahl,
So ſäume früher nicht,
Zu forschen, was von ihrer Treu
Und Häuslichleit man jpricht.
Iſt da ihr Ruf nicht malellos
Als gute treue Frau,
So nimmt fie'3 dann beim zweiten
Dann
Wohl auch nicht jehr genau.
X,
Da nit zu finden allvereint,
Was zu der Eh’ gehört,
So ift do einzeln Mandes oft
Wohl der Beachtung wert.
Drum fei ja nicht ein Rigorift,
Eonft haft dirs zuzuſchreib'n,
Tajs du, all zu pedantifch ftreng,
Ein Junggefell mujst bleib’n,
Bücher.
Heue Weiſen. Lieder und Naturgedichte
‚von Bictor von Andrejanoff. (Riga,
‚a. Stahl.) j
| Die ruffiiche Literatur weist tüdhtige
Lyrifer auf, gewifs, aber ebenfo gewiſs ift
es aud, dafſs die ruffiiche Literatur im
ganzen eine verneinende Richtung verfolgt,
ob nun der Literat in deuticher, ruififdher
oder in einer anderen Sprache des Rieſen—
reiches ſchreibt. Diefer Zug ift ihm viel:
leicht in demielben Make eigen, wie dem
fterreicher ohne Unterſchied feiner Nation
der warme Herzenston — eine Eigenthüm—
lichleit der Literatur und, da ih hier nur
von der ruffiihen reden möchte, insbeſon⸗
dere der ruſſiſchen Literatur, die nicht in
der Eigenthümlichkeit des einzelnen Stam—
nes, jondern wohl wo anders liegen dürfte.
Den anderen Örund hier zu erörtern, dazu
fehlt es mir an zwei Dingen: an Raum
und an — Luft. — Der ruffiihe Boden
ift troß des eingangs erwähnten zufälligen
und glücklichen Umftandes für reine Lyrif
nicht ſehr empfänglich; er fördert mehr Re:
flerions: Poefie zutage. Victor von Ans
drejanoff behauptet zwar im Vorworte
zu feinen „Neuen Weiſen“: er habe bei
Zujammenftellung der vorliegenden Aus- iſt es ihm, und wichtig, zu erfahren und
wahl ängftlih alles vermieden, was gar zu beobadien, wie die Vorfahren geiftig
zu Sehr „nad Meflerionspoefie geſchmeckt gelebt, gedacht und gedichtet haben, Der
hätte“; trogdem wage ih zu behaupten, | Gefechte haben fie Poefie gegeben in der
dafs das Gehaltvollere, das feine Samm- | Sage, dem heimifhen Boden haben fie
lung enthält, nah dem ängfllih Ge- | Seele gegeben durch die Sage, Ereignifien
miedenen „Ihmedt“. SEonderbar, was er und Ortüchkeiten haben fie in der Sage
als | Empfindungspoefie niederzufchreiben ideale Denkmäler errichtet, welche die Werte
glaubt, wird oft dur den Neihthum von Menihenhand weit überdauern. Hei:
jeiner fi drängenden Gedanfen, ihm wohl miſcher Sagenſchatz ift eine goldene Stette,
jelbft unbewufst, zur „Bedanten-Dichtung“. welche uns geheimnisvoll verbindet mit un:
Dabei vertieft er die Gedanken und feilt ſeren Voreltern und mit der heiligen Scholle
fleißig an der form. Hervorragend ift das | des Vaterlandes. Iene Weltanihauung der
Gediht: „Die Schule des Lebens“, in wel: | Bergangenen, deren urgermanifcher Orund:
chem er uns den Philifter, den Skeptiker, zug Myſtik, Tapferkeit und Gerechtigleit
den Frommen, Goethe, Shelley, Schopen: |war: in der Vollsjage dämmert fie uns
bauer, den Realiften, den Idegliſten und noch herüber wie Nordlihtichein, zu dem
den Dichter in harakteriftiichen Außerungen | wir bewundernd, begeiftert aufbliden, ohne
vorführt. Im Streite zwiichen dem Idea: daſs es uns zwar als Leuchte dienen fönnte
liften und dem Realiften läjst er den Dichter | auf unjeren Wegen. Auch dort, wo die Sage
jagen: ſcheinbar frei von aller Tendenz ift, wo fie
Der freie Menich ergreift dad Leben ganz troden und ernfthaft erzählt, was
Und nüht ed, wie er fann umd mag. \uns als finnlos und grundlos erjcheint,
Se a een aud dort und gerade dort muſs man tiefer
Gr mübt ſich, Dauer zu verleihen bliden! Was fih jahrhundertelang erhält
Dem fücht'gen Bild der ſchnellen Zeit, und lebendig fortpflanzt von Mund zu
ar con Munde, in dem liegt gewijs etwas, das
Das rechte Bild berausjuficten der menſchlichen Natur nahegeht; iſt es an
an * in . ift — der Oberfläche nicht, ſo liegt es in der
J [4 e „sorm e u verdichten 4 3 3
Bleibt, mein’ ri — ideal! — | Tiefe. Die Form der Sage und maß jie
‚ Wir haben es jedenfalls mit einem 104 —— ist ke —
in einer langen Schule geläuterten dich— | ohne dafs wir fie im Sinne der Alten
terifchen Talente zu thun. — glauben. Aber der Gehalt der Sage, ihr
— Geiſt bleibt wahr, weil er immer wieder
die menſchliche Artung und die menſchlichen
Sagen aus der grünen Mark. Von Leidenſchaften aufzeigt und weil er, mit
Hans von der Sann. Illuſtriert von Vorliebe die poetiſche Gerechtigleit walten
Georg Weineiß. (Graz. Leyfam. 18%.) laſſend, dem Sittengejete dient.
Diejes wahrhaft prädtig ausgeftattete Das ftimmt wohl für die große Mehr:
Werk, welches der Kronprinzefjin-Witwe zahl der Sagen, und in diefem Sinne möge
Stephanie gewidmet ift, mag furz charal- die gegenwärtige Sammlung verftanden
terifiert jein, indem wir das Vorwort des: | werden.
jelben abdruden. j e | Wenn cin Dichter fi der Sage be:
Eines einführenden Begleitihreibens mächtigt, jo macht er mehr aus ihr, oder
bedarf diejes Buch nit. Der es verfajst auch weniger, als was fie von Haus aus
bat, ift in den fteiriichen Landen längft iſt. Mander hat auf Grund der Vollsſage
befannt, als Schilderer des Volkslebens | unfterbliche Dichterwerle geihaffen. Mancher
geachtet und als heimijcher Sagenforſcher freilich hat die Sage dur „Bearbeitung“
hochverdient. Er ift der hervorragendfte nur verwäflert und entftellt. Hans von der
Vertreter der fteiermärfijchen Sagentunde. | Sann erzählt, wie man Sagen erzählen
Sein großes Material ift in den „Mythen ſoll, ſchlicht, gedrängt, ohne Zuthat umd
und Sagen aus dem ſteiriſchen Oberlande* | ohne MWeglafiung, ohne Betrachtung und
bisher nur zum Theile veröffentlicht worden, | ohne Deutelung; wie er fie dem Bolfsmunde
zum größeren Theile bereitet es ſich noch abgelauſcht, jo bringt er fie treu und une
— von Tag zu Tag wachſend — auf den |verfäljcht wieder. Nojegger.
Trud vor,
Diefe gegenwärtige Sammlung ift eine |
gewählte Ausgabe für das Roll. Dem | Gulturbilder aus Steiermark. (Graz.
Volke, was des Volkes ift! Nicht, als ob Verlag Leylam.)
das heutige Geſchlecht der Sage, der Mythe, | Dies Werk, das feine Entftehung der
Landesausftellung 1890 verdanft und unter
Mitwirtung hervorragender Fachmänner
herausgegeben wurde, ift beftimmt, ein ums
der Legende, dem Märchen mit jener kind:
lihen Ginfalt gegenüberftünde oder ftehen
follte, wie in alten Zeiten, aber interefiant
238
faſſendes Bild der wirtichaftliden und culs
turellen GEntwidelung der Steiermark zu
geben. — Aus dem Inhalt heben wir die
einzelnen Wrtifel wie folgt heraus: Der
Boden Steiermarfs und jeine Benützung.
— Der Weinbau, — Der Branntwein. —
Die foreftalen Berhältnifie in Steiermart
im legten Decennium 1880/90. — Stein:
brüde in Steiermarf, — Über die Dampf:
mafhinen in Steiermart, — Die Bier:
production in Steiermart, — Steiermarfs
Eiſeninduſtrie. — Die Zündwarenfabri-
cation Steiermarls. — Die Tertilinduftrie
Steiermartds. — Die Kunftinduftrie in
Steiermarl, — Der Bronzegujs und deſſen
Meifter in Steiermark, — Kirchliche Bau:
funft in Steiermark. — Die italienischen
Baumeijter in Steiermarf im 16, und 17.
Sahrhundert. — Die Förderung des Frem—
denwejens. — Gin Namens: und Orts:
regifter. — Das Werf behandelt jonad
viele wichtige Zweige des wirtſchaftlichen
und Gulturlebens und zwar, dies jei aus—
drüdlih bemerkt, in populärfter Weiſe; es
enthält ein jo reiches culturgeihichtliches,
volfswirtihaftliches, techniſches und ſtati—
ftiiches Material, daſs es nicht nur für die
Steiermarf allein, jondern für alle, welche
fi mit dem geiftigen und materiellen Leben
dieſes Kronlandes vertraut maden wollen,
ein wichtiges Hilfsmittel iſt. Wir fönnen
dies Merl auf das angelegentlichite em:
pfehlen und wünſchen demfelben die weitefte
Verbreitung. K.
Märden, Für die Jugend ausgewählt
und bearbeitet von Hermine Möbius.
(Dresden, Wlerander Köhler.)
Mer fih zur Weihnachtszeit für feine
lieben Kinder nah Märchenbüchern umſieht,
der darf mir ja diejed genannte Werfchen
nicht überſehen. Dasielbe enthält erjtens
die beliebteften deutſchen Kindermärden,
zweitens find diefe Märchen jo fein und
überaus reizend erzählt, und drittens hat
das Buch einen guten Drud und ſechs
hübſche Bollbilder. Die Märden find mit
großem Schide bearbeitet, nachgedichtet oder
wieder gedichtet und für den jehigen Ge:
ihmad eingerichtet, die Sprade ift voll:
fommen rein und gefällig, aljo ein gutes
Vorbild für die jprechenlernende Jugend.
Die Verfaſſerin, die Gattin eines bewährten
Schulmannes, ift ja ſelbſt als eine treff—
liche Pädagogin befannt — aljo wir gehen
fiher, wenn wir unieren flindern die Mär:
heniammlung von Hermine Möbius im die
Hand geben.
Bugendheimat. Iluftriertes Jahrbuch
für die Jugend im Alter von 10—15 Jahren.
Herausgegeben von Hermine Proſchko.
(Graz. Berlag Leyfam.)
Zum fünftenmale erfheint nun dies all—
jeitig anerfannte und beliebte Jahrbuhd —
wir conftatieren mit wahrer freude, Ddais
fi Diejes erſte inländiihe Jugendalbum
von Jahr zu Jahr, jowohl was den Inhalt
anbelangt, wie auch den Bilderfhmud, reich:
baltiger und fchöner geftaltet und den ſchön—
ften derartigen Ericheinungen des Auslandes
würdig zur Seite geftellt werden kann.
Hermine Projchko, die öfterreihiiche Jabella
Braun, hat aud diefen Jahrgang in forg:
fältigfter Weile redigiert, fie verſtand es,
einen großen vortrefflihen Mitarbeiterfreis
heranzuziehen, wodurd jeder Mifsgriff der
Yugend gegenüber ausgeſchloſſen iſt. Alte
Beiträge find Driginalien und darf deren
Inhalt, da folde den {Federn der eriten
Jugendicriftfteller und Schriftſtellerinnen
entjtammen, als jehr wertvoll bezeichnet
werden. Aus dem 411 Seiten ftarlen In:
halt fer erwähnt: Drei Capitel aus dem
Lebensbucdhe Rudolfs von Habsburg, von
Ferdinand Zöhrer, — Ein halber Robinjon.
Grzählung aus dem Seeleben von Dr, Yfidor
Proſchko. — Waldbart. Ein Weihnadtsmär:
Ken von Eliſe Ris. — Ein Tirolerfind. Erzäh:
lung aus der Zeit des fFrangoieneinfalls in
Tirol, Bon Hermine Proſchko. — Die flügel:
lojen Bögel, Naturwifienihaftliches Bild aus
Neu:Sceland von Andreas Reiſchel. — Die
gerettete Fahne. Epifode aus den bosni—
ichen Feldzug 1878. Von Kurt von Felau,
— Aus Mozarts Yugendjahren. — Die
unterirdiiche Stadt (Wieliczta). Bon ler.
Dalla. — Kindesliebe. Aus dem Boll:
leben Alt-Wiens. Bon Dr. Iſidor Proichto.
— Die Königsfamilie unferer Wälder.
Naturbild von Helene Stödl. — Das bren:
nende ſtirchlein. Bon Carola v. Schierding.
— Der redende Schimmel. Bon W. Popper.
— Trußröschen. Märdenfpiel in 3 Acten
von Emma Laddey zc. Dazwiſchen find cin:
geitreut Bere, Räthſel in Wort und
Bild, Spiele, Sprüde, Stammbudblät:
ter, Nechenaufgaben :c., furz die „Jugend:
heimat“ bringt eine jolde Fülle des Unter:
haltenden und Belehrenden, wie es faum
ein zweites Buch dieſer Art bieten fann.
Selbftverftändlich zieren wieder viele colo:
rierte und ſchwarze DOriginalzjeihnungen
von Emilie Proſchko, Ernit Peſsſsler und
Georg Weineiß diefen Band, Auch fei nicht
vergefien, dajs die „Nugendheimat* mit
der in öfterreihiichen Schulen vorgeſchrie—
benen Rehtihreibung verjehen if. Wir
find überzeugt, daſs diefes Buch überall
große Freude bereiten wird, K.
In Bamerlings Belbiibiographie wird
der Lyriler Albert Möfer in Dresden
unter denjenigen genannt, mit welchen der
Dichter in „regem Briefwechſel“ geftanden.
Diefe Briefe Hamerlings an Möfer werfen
239
nit nur die intereflanteften Schlaglichter
auf die Entftehung jeiner eigentlichen Meifter:
werte, jondern enthalten aud die eigens
artigften und treffendften Urteile über viele
Eriheinungen der deutichen Literatur. Nicht
minder zeigen fie Damerling als Menſchen
von der liebenswürdigften und edelften Seite,
Wir fommen auf das bei Lüftenöder in
Berlin erichienene Werkchen nod ——
Im Verlag von Hans Lüſtenöder in
Berlin erſchien ſoeben in 5. Auflage: Carl
Pröll, Moderner Kodtentanz. Der bedeu—
tende Erfolg, dajs eine Sammlung feiner
Skizzen innerhalb dreier Jahre die 5. Auf:
lage erlebt, beweist, dajs Form und In—
halt diefer Skizzen fi über das Gewöhn—
liche und Alltägliche erheben müſſen. Die
5. Auflage ift durch einen neuen Beitrag
„Der Granatjplitter* bereichert, wel:
her im gleichzeitig realiftifher und ſym—
bolifcher Weiſe die Frage der durd Kaifer
Wilhelm 11, in Flufs gerathenen ſocialen
Schuggefegbung ftreift und den Nüdtritt
des großen Kanzlers berührt. V.
Wiener Rünſtler⸗ Dekamerone. Soeben er:
ſchienen die erften Lieferungen diefes Wertes,
das von Moriz Band redigiert und von
Rudolf Wittmann (Wien, I., Rothenthurm:
firaße 23) herausgegeben wird. Un der
Spige fleht der Senior der Wiener Kunft:
feitifer, Emerih Ranzoni, mit einem präch—
tigen einleitenden Gedichte, ihm folgen mit
Erzählungen und Porträts Marie Renard,
Alerander Girardi, Alfred Grünfeld, Frie—
derife Goßmann, Mar Kalbeck, Julius
Wittels, Thereie Biedermann, Ludwig Mar:
tinelli, Bertha von Suttner, Theodor Herzl,
Emil Marriot, Garl Grengg, Katharina
Abel, Felix Schweighofer, Sebaftian Stel:
jer, Ifidor Fuchs, Wilhelm Anaad, Dr,
Rudolf Tyrolt, Guſtav Walter, Thomas
Koſchat u. ſ. w. Das Werk ift elegant aus:
geftattet, T
Der fiebenundvierzigfte Jahrgang des
von Friedrih Per herausgegebenen
„Zluftrierten öferreihifhen Bolkskalender‘‘
1891 (M. Perles, Wien) bringt an der
Spike feines literarifchen Theiles eine ge:
miüthstiefe Erzählung von Ludwig Anzen—
gruber: „Der Verſuchung unterlegen,* Man
fünnte fie gewilfermaßen einen Gruß aus
dem Grabe bezeichnen, Alois Greil hat
meifterhafte Bilder hiezu gezeichnet, wie
überhaupt zu allen Erzählungen dieſes Volks—
buches. Der ganze Inhalt des Vollskalen—
ders ift reihhaltig und abwechslungsvoll
jowohl in feinem unterhaltenden, als aud
in dem praltifhen und belehrenden —
Phantaſien und Märchen von Guſtav
Kaftropp. Mit einem Titelbilde von
Dito Seit. (Hannover. Hans Waſſerkampf
& Comp. 1891).
Der frei erfundene Inhalt diefes Buches
lehnt fih nit an PVorhandenes an und
bereichert daher die Märdenliteratur um
eine eigenartige Erfcheinung. Diefe Phan:
tafien und Märchen in ihrer duftigen kry—
ſtallkllaren Vollendung, in dem ſchlichten,
naiven Ton, führen fih als wahre Bolts:
märden ein und werden insbefondere auch
der heranwachſenden Jugend eine ebenio
bildende wie unterhaltende 2ectüre gewähren.
V.
Die Arbeiter-Partei und der Bauern
fand. Ein ernftes Mort in ernfter Zeit von
Carl Morre. (Graz. Verlag „Leykam“.
1890.) Eine Beiprehung diefer ausgezeich—
neten Brojhüre folgt im nädften Hefte.
R.
Die „Büngerhalle in Leipzig veröffent:
liht in ihren Nummern 45 und 46 einen
von Heinrich Waftian fein und klar geſchrie—
benen Auffag über das Schmölzer-Dentmal
in Rindberg, welches befanntli von unferem
genialen Meifter Branpdftetter ausgeführt
wird,
Dem „Heimgarien“ ferner zugegangen:
Gefammelte Werke von Ludwig Un:
jengruber, Sechſster Band: Der Pfarrer
von ſtirchfeld. Der Meineidbauer. Die
Kreuzelichreiber. Siebenter Band: Der
G'wiſſenswurm. Doppeljelbftmord, Der Ile:
dige Hof. (Stuttgart. J. G. Cotta'ſche Ver:
lagshandlung. 1890.)
Hamerling, Rönig von Bion, Illuſtrierte
Pradt:Ausgabe, Lieferung 18 u. 19. (Ham:
burg. Berlagsanftalt und Druderei:W.:G.)
£otte, Die Geichichte eines jungen Mäd—
hens von Einar Ehriftianfen. Deutſch
von Ernft Braufewetter. (Berlin.Y. 9.
Scorer.)
Die neue Bitarde, oder Hermann Die:
derichs des Jüngeren verfehlter Beruf. No:
velle von Heinrich Steinhaufen. (Wit:
tenberg. R. Herroſé. 1890.)
Aufzeichnungen eines Danziger Rlofter:
bruders, Bon Anna Conwentz. (Weimar,
Yüngft & Comp. 1891.)
Don der Strecke. Ernſte und heitere Ge:
fhichten aus dem Eifenbahnleben von Lud—
wig Eifenberg. (Wien-Leipzig. Heinrich
Brodhaufen. 1891.)
Der Lebende oder der Fodte? Don Ame—
lie Rives. Ins Deutſche übertragen von
Henry Kod. (Frankfurt a, M. €, Kor
nitzer. 1890.)
240
Aus Both-Rufsland, Berfplittert., Zwei
Novellen von Hermann Mentes, (Dres:
den €, Pierjon. 1891).
Die Pfidt. Sociales Drama in fünf
Acten. Bon Gottfried Doeher. (Berlin.
2. Fontane 1890.)
Epiſche Pihtungen von Nitolaus Les
nau. (Reihenberg. D. H. Weichelts Verlag.)
Ausgewählte Gedidhte von Nilolaus
Lenau. (Reihenberg. D. H. Weichelts
Verlag.)
Lyriſche Hhtungen von Edward Sam:
haber. (Laibach. Jg. v. Kleinmayr & Fed.
Bamberg.
Ueue Gedichte von Marie v. Naj—
mäjer. (Stutigart. Adolf Bonz & Comp.
1890.)
Bum Licht. Gedihte von Hermann
Hango. (Stutigart, Adolf Bonz & Comp.
1890.)
Herr Servin, Ein Minnelied von Paul
Albers, (Groſſenhain. Baumert & Ronge.
1890.)
Im Windesraufgen. Epiſche Dichtungen
von Helenevon Engelhardt. (Grojien:
hain. Baumert & Ronge. 1890.)
Bamenkörndhen, 100 Gedichte für fin:
der von 4d— 8 Jahren für Sindergarten,
Schule u. Familie von Erneftine Ber:
ger. (Wien. Sallmayer’iche Buchhandlung.)
Deutſche Volkslieder. In Niederheſſen
aus dem Munde des Volles geſammelt, mit
einfaher Glavierbegleitung, geihichtlichen
und vergleihenden Anmerkungen. Heraus:
gegeben von Johann Lewalter. (Ham:
burg. Guſtav Fritzſche. 1890.)
Mit Yerlaub. Gedicht in niederöfterreis
hifher Mundart von Mori; Schadel.
(Wien. Earl Konnegen. 1891.)
Bauernfeld, Gin Dichterporträt mit pers
fünliden Grinnerungen von Bernhard
Stern. (Leipzig. Literariſche Anftalt. 1890.)
Giacomo Meyerbeer. Bon Dr. Adolph
— — nn nn nd
Baden-Baden, u. V. F. Schirmer, Bfarrer
in Düfjeldorf. (Emil Sonmermeyer. Baden:
Baden.)
Trowihſch's verbefferter u. Alter Aalen:
der auf 1891. Mit iluftrierten Erzählungen,
(Berlin. Trewigih & Sohn.)
Bur Bee. Herausgegeben von v. Kent
und Niethe. Lieferung 1. (Hamburg, Ber:
lagsanftalt und BDruderei:4.:G.)
Der junge Bürger, Nr. 1. III, Jahr:
gang. (Dornbirn 1890.)
Poftkarten des Heimgarten.
£. M. Bafel. Einen Menſchen wie Hein:
rih Heine, dem alles für einen Wig feil
ift, vergleiden Sie an Dichtergröße mit
Goethe! Und das jollen wir abdruden?
3. O., Braunfcdmweig. Wir glauben, dafs
Ihnen Klaußmanns feinfinnige Qumoreste:
„Freie Fahrt“ gefallen hat. Die Humo—
reslen diefes Autors finden Sie im Verlage
des beftbefannten Schorer’fhen Familien:
blattes in Berlin.
„Dolksblatt‘‘Freund, Linz: Sparen Eie
fh Ihren Geift und Ihre FFünffreuzer:
Marlen für befiere Zwecke; anonyme Briefe
legen wir ungeleſen in den Ofen.
©. H., Wien. Wiſſen Sie denn nid,
daſs Herr Sch. in feiner uneigennütßigen
Meife den „Figaro“ ohne Gehalt redi-
giert?
2 A. M., eili, Die Auslaffungen in
der „Deutihen Wacht“ Nr. 91 bedauern wir.
Die Schwächen eines Schriftitellers mit dem
Aufwande aller Mittel lächerlich machen, die
Vorzüge vollends verjchweigen, diejes Ver:
fahren trägt zufehr den Stempel perjönli:
her Gehäffigteit, als daſs es gelten könnte,
Anton Schloſſars Werte: „Inneröfterreis
chiſches Stadtleben vor hundert Yahren“,
„Erzherzog Johann von Defterreih und
jein Einflufs auf das Eulturleben der Steier:
Kohut,. (Leipzig. Philipp Reclam jun.) mark“ u. j. w., ſowie feine große Samnı:
Aus bewegtem Leben. Erinnerungen aus |
lung deutiher Bollslieder in Steiermarf,
dreißig Kriegs: und Friedensjahren, von | Feiftungen, die das deutſche Volf in Eid
Hans Wahenhufen. Lieferung 1-9. | und Nord zu ſchätzen weiß, find Verdienfte,
(Straßburg i. E., Straßburger Druderei | die ein gewiffenhafter Kritiler nicht überſehen
u. Berlagsanftalt.)
Ernfle Gedanken. (Leipzig. Otto Mir
gand. 1890.)
Das geiflige Wien. Künſtler u. Schrift:
ſteller-Lexilon. Herausgegeben von Ludwig
Gilenberg u. Richard Groner. Jahr:
gang 1890. (Wien. Heinrih Brodhaujen,
1890.)
Altkatholifher Bolkskalender. 1891. Her:
ausgegeben von H. Bommer, Pfarrer in
ſoll. Wenn übrigens Schloſſar fih darüber
wundert, daſs er gerade in einer Stadt fo
behandelt wird, der er in feinen Schriften
mit Wohlwollen oft gedadt, fo fennt er
den Weltbrauch nicht. Indes fteht über
jenem Aufſatze ein hochachtbarer Name, und
wir zweifeln nicht, daſs der Träger desſelben
die vom Zaune gebrochenen Feindſeligkeiten,
welche ihr Entfichen vielleicht fremdem Gin:
fluffe verdanfen, gelegentlih weit maden
wird,
Hür die Redaction verantwortlib F. A. Bofegger. — Druderei „Leplam* in @raj.
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XV. Jahrg.
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Was man fid in Benedig erzählt.
Bon Bobert Hamerling.
(Fortjegung.)
1II. Ber ponte della donna Bi Überlieferung verfchweigt, erblidte
onesta. bei Gelegenheit eines Öffentlichen
Schauſpiels in der Volksmenge die
n jener Zeit, als die Benezianer ſchöne Ginevra und wurde von hefti—
noch nicht die gutmüthigen, | ger Leidenſchaft für ſie ergriffen. Über—
— wohlgeſitteten Leute waren, die müthig, wie er war, und nicht ge—
ſie heutzutage ſind, ſondern ein rauhes, wohnt, ſeinen Neigungen einen Zügel
in blutigen Fehden faſt verwildertes anzulegen, verfolgte er von jenem
Voll, wie die Bewohner von ganz Augenblide an das ſittſame Weib auf
Italien in den kriegeriſchen Zeiten des allen Wegen und Stegen, ſo frech, daſs
Mittelalters, in jener Zeit geſchah es, feine Begegnung ihr die Schamröthe
daſs in einem jeßt verfchtoundenen ins Geficht trieb. Und dennoch konnte
Haufe, welches gegen den fpäter jo ge= fie fich nicht entjchliegen, ihren Gatten
nannten ponte della donna onesta davon zu benachrichtigen, denn fie
gewendet war, ein ehrlicher Schwert= | fürchtete mit Recht, dafs Giovanni bei
feger ſeine Werkftatt aufgejchlagen diefer Nachricht ſich zu einem unbedach—
hatte, Meifter Giovanni — dies war ten Schritte gegen den mächtigen PBatri-
jein Name — beſaß ein ſchönes und | zier hinreißen lafjen und ein verderb—
ſehr tugendjames Meib, namens liches Unheil heraufbejchwören fönnte.
Ginevra, das er erſt vor kurzem ſich Meiſter Giovanni war im übrigen,
angetraut hatte. wiewohl auf Wahrung ſeiner Ehre
Ein junger Edelmann von alter, mit Eifer bedacht, nicht eben eifer—
einfluſſsreicher Familie, deſſen Namen füchtig; im Gegentheil, er hatte ein
Koſegget's „‚Heimgarten“‘, 4. Geft. XV. 16
beinahe blindes Vertrauen auf bie
Tugend des Weibes, in welchem er,
und nicht mit Unrecht, einen Engel
an Tugend und Züchtigfeit erblidte.
Der Edelmanı fieng an, feinen
Bedarf an Waffen von Meifter Gio-
danni zu nehmen, und unter anderen
Beltellungen, die ihm einen Vorwand
boten, die Werkitatt des Schwertfegers
öfters zu befuchen, trug er dieſem
eine3 Tages die Anfertigung eines
furzen Dolches auf, der von feinften
Stahl und mit cifeliertem Griff ver-
jehen fein ſollte. Dies Waffenſtück
foftete dem Meifter eine lange und
angeftrengte Arbeit, und er feßte jeinen
Stolz darein, bei diejer Gelegenheit
ein Meifterwerf zu liefern, geeignet,
den guten Ruf feines Namens weit:
hin zu verbreiten,
Ginevra leiftete oft in Mußeftunden
ihrem Manne bei feinen Arbeiten
Geſellſchaft. Als fie ihn nun fo eifrig
und lange mit der Vollendung jenes
Dolches beichäftigt Jah, fo fragte fie
arglos um den Namen des Beltellers,
AS nun der Meifter ihr den Namen |
des Edelmannes nannte, da erbleichte
Ginevra und fie wußste ſelbſt ſich nicht
Rechenſchaft zu geben, welche Unglücks—
ahnung wie ein mörderiſcher Stich in
jenem Augenblicke ihr Inneres durch—
drang.
„Die Waffe ift vortrefflich“, ſagte
Meifter Giovanni, „und fo fein, als
nur ein Fürft fie verlangen kann. Ich
bin Holz darauf. Nur die Spike will
mich noch nicht ganz befriedigen; ich
möchte fie jchärfer haben... .“ Damit
ergriff er ein Werkzeug, um feiner
Arbeit die gewünſchte Vollkommenheit
zu geben.
Ginevra betrachtete inzwifchen den
Mordftahl mit einem eigenthümlichen
Schauder.
„Ich wette“, ſagte ſie zu ihrem
Gatten mit erzwungenem Scherz, „ich
wette, dafs man fich mit diefem Dolche
den Zod geben kann, ohne Schmerz
zu empfinden, fo blank ift er und
jo Scharf!“
„Ganz richtig", verjeßte der Meifter.
„Wenn man diefe Spiße an die Bruft
anfegt, fo dringt fie von felbit ein;
befonders“ — fügte er mit fchalt-
after Galanterie hinzu — „wenn es
eine fo zarte Bruft ift wie die deinige.“
Dabei drüdte er einen Kuſs auf
die Stirn feines Weibes und bemerkte
nicht, daſs fie denfelben mit einem
Seufzer erwibderte.
Wenige Augenblide nad dieſem
Zwiegeſpräche trat der Edelmann ein.
Ginepra erhob fi und wollte das
Gemach verlafjen.
„Bleibt doc, bleibt, Schönes Weib—
hen“, rief der galante Gavalier, in—
dem er einen flammenden Blid auf
Ginevra warf. „Ich bin ja kein Türfe,
dafs Ihr mich fürchten ſolltet . . Da
jeht nur einmal“, fuhr er zu Meifter
Giovanni gewendet fort, „Eure Ehe—
frau fürchtet fih vor mir!“
„Ei, Ginevra,“ fagte diefer, „fei
doch nicht prüde; der gnädige Herr
erlaubt, daj3 du Hier bleibſt.“ —
„Verzeiht“, ſetzte er hinzu, „fie ift ein
wenig jchüchtern, ein wenig verwirrt;
fie hat noch etwas von einem Mädchen
an fi, aber es ift eine Perle von
einem Weibe!“
Das Geſpräch wendete fi danır
auf den Dolch, den der Edelmann vor-
trefflih gelungen fand und über die
Mapen lobte. Auch bezahlte er den—
jelben fehr großmüthig. Er befeftigte
ihn hierauf an einem fammtenen, mit
Gold verzierten Gürtel, den er unter
dem Oberkleide um den Leib trug,
und während er felbitgefällig die ſchöne
Wirkung bemerkte, die der glänzende
Stahlgriff auf dem blauen Sammt
des Wammſes machte, rief er aus:
„Schade, dafs die Waffe nicht hier
auf der linken Seite frei herabhängt;
es würde einen ſchönen Anblid geben,
wenn er beim Gehen baumelte und in
der Sonne ſchimmerte. Zwei Kettchen
würden ihn wohl leiht am Gürtel
feithalten ? Was meint Ihr?“
„Ich dente wohl.“
Darauf nahın der junge Gavalier
243
eine goldene Kette, die ihm über die
Brut hieng, zerbrah ſie in zwei
Hälften und reichte fie dem Meiiter
mit den Morten:
„Da nehmt! befeftigt fie an der
Scheide des Dolches; ich laffe Euch
auch den Gürtel hier, damit Ihr die
Sade in Ordnung bringt. Gegen
Abend komme ich wieder, um alles
abzuholen.“
— „Gegen Abend werde ich nicht
zuhauſe ſein“, verſetzte Meiſter Gio—
vanni; „ich muſs eines Geſchäftes wegen
ausgehen; aber ich kann ja meinem
Weibe alles übergeben, damit Ihr es
aus ihren Händen empfanget.“
Ginevra warf einen ängftlichen
Blid auf ihren Gatten, aber fie wagte
feinen Widerfprud. So blieb es bei
der getroffenen Übereinkunft, und der
Edelmann entfernte fid.
Als der Abend herannahte und
Meifter Giovanni da3 Haus zu ver—
laſſen ſich anfchidte, bat ihn feine
Gattin, er möge fie mit ſich nehmen.
„Warum nit gar?“ ermiderte
diefer. „Haft du denn vergeſſen, dajs
der Edelmann fich einfinden wird, um
jeinen Dold und feinen Gürtel ab-
zuholen? Er ift ein freigebiger und
grogmüthiger Herr; Kundjchaften wie
diefe muſs man rüchſichtsvoll be—
handeln.“
„Aber wann gedenkt Ihr heim—
zukommen?“
„So raſch als möglich.“
„Macht Ahr einen
Weg?"
„Bas kümmert dich das?“
„Ih möchte nur erfahren, ob
Ihr bald wieder zurüdfehren werdet.”
„Höre, wenn ih mich zufällig
ein wenig beripätele und du nicht
gerne allein bleiben wollteft, jo würde
wohl die Nachbarin Marinetta bereit
weiten
fein, dir ein wenig Geſellſchaft zu
leiften ?*
„Auh ih Habe ſchon daran
gedacht.“
„Auf Wiederſehen alſo!“
„Auf Wiederſehen!“
Damit entfernte ſich der Meiſter
in vollfter Gemüthsrube. Ginevra da=
gegen, in mühſam verhehlter innerer
Aufregung, gieng ihre Nachbarin ein—
zuladen. Unglüdliherweile traf ſie
diefelbe nicht zuhaufe. Diefer Um—
ſtand fteigerte ihre Verlegenheit auf
einen peinlihen Grad.
Der MWeiberjäger hatte inzwifchen
im Berborgenen auf den Augenblid
gelauert, wann der Schwertfeger fein
Haus verlaffen würde. Saum war
eine Viertelſtunde verfloffen, feit er
diefen aus der Thüre des Hauſes hatte
treten jehen, jo ftand er felbit bereits
vor dieſer und verlangte pochend Einlajs.
Ginevra mag nicht wenig erichroden
fein und noch eine Zeitlang in äußerfter
Berlegenheit geihwantt Haben — end—
lich aber mochte fie erfannt haben, das
ihr feine Wahl bliebe; die Thür öffnete
jih und der Edelmann trat ein. —
Die Abenddämmerung war bereits
angebrodhen, als der junge Mann das
Haus Giovannis ſcheu um Fich blidend
und in überflürzter Eile wieder verließ.
Erſt viel fpäter, als es fchon tiefe
Naht geworden, kehrte der Meifter
beim, in beiter Stimmung, denn Die
Angelegenheit, um derentwillen er aus—
gegangen war, hatte die erwünſchteſte
Erledigung für ihn gefunden, Er
freute ji darauf, feiner Ginevra da—
von zu erzählen und ihr die volle
Geldbörfe zu zeigen, die er mit nad)
Haufe bradte. Er podhte — niemand
öffnete; ſchon vorher war es ihm auf—
gefallen, dafs das Fenſter des Wohn:
gemaches umbeleucdhtet war, und daſs
Ginevra nicht wie ſonſt, nachdem
fie feine Rüdkunft am Fenſter erfpäht,
ihn Schon an der Thür entgegenfan.
Er Hopfte ſtärker ein zweites=, drittes—
mal, immer ohne Erfolg.
Da kam ihm ein Gedanke. Sie
mag wohl, jo ſprach er zu fich ſelbſt,
zu Marinetta Hinübergegangen fein,
da dieſe vielleicht nicht zu ihr fommen
fonnte. Eiligſt begab er fih ins Haus
der Nachbarin und war nicht wenig
‚ betroffen, feine Gattin auch hier nicht
16*
244
zu finden. Auf ſeine Einladung folgte
ihm Marinetta; beide pochten wieder—
holtund riefen den Namen Ginevras, aber
im Junern des Hauſes regte ji) nichts.
Es blieb nun kein anderes Mittel
übrig, als die Thüre zu jprengen. Als
Meilter Giovanni in das gewaltfan
geöffnete Haus eintrat, traf er in feiner
Merkitatt Leine lebende Seele. Zur
oberen Kammer Hinaufiteigend, Fand
er auf der Treppe zu feiner wicht
geringen Verwunderung den Gürtel
des Edelmannes. Mit beſchleunigten
Schritten erreicht er die Thür der
Kammer. Er öffnet ſie raſch, und beim
Schein des Lichtes, das Marinetta
hinter ihm hertrug, Tieht er fein Weib
in der Nähe des Bettes auf dem Boden
ausgeftredt, das Haupt auf die Pfoften
desjelben gelehnt, rings um fie her
verbreitete jih eine Blutlache.
Einen furchtbaren Schrei aus:
ftoßend, ſtürzte Meifter Giovanni ich
zur Entjeelten nieder. Sie war kalt
und ſtarr und im ihrer Brust jtedte
derfelbe Dolch, von dem fie vermuthet
hatte, dafs er in die Bruft eindringen
wide, ohne Schmerz zu verurſachen.
Als die Hunde von diefem Er—
eignis ſich im Volke verbreitete, da
wurde eö allgemein al3 unzweifelhaft
angenommen, dafs das edle, züchtige
Meib Giovannis fein anderes Mittel
gefunden, ihre Tugend und Ehre zu
retten, als dafs fie ihrem Bedränger
den Dolch entriſs und ich denjelben
in die Bruft ſtieß. Den ehrlojen Ver—
jucher Schütte fein adeliges Blut und
der Einflufs feiner Familie, aber nad
Jahren befräftigte fein reumüthiges
Bekenntnis den Glauben des Volkes,
für deſſen warmen Antheil an der
heroiſchen That Ginevras der fort=
während ſich erhaltende Name des
„ponte della donna onesta* ein
Ihönes Denkmal ift.
IV. Ber ponte delle maraviglie.
In der contrada de’ Santi Ger-
vasio e Protasio befindet fi eine
Heine Brüde, die den Namen der
„Wunderbrücke“, ponte delle mara-
viglie führt, Wollt ihr willen, woher
diefer Name ſich jchreibt? Der Vene—
jianer gibt in einer äußerſt finnigen
Erzählung darüber Auffchlufs.
Am Ausgange des gedachten
Brückchens ftand vor Zeiten ein Haus,
in welchem eine Familie wohnte mit
jieben Töchtern, eine fchöner als die
andere, nur eine einzige darunter,
Rofina genannt, war häſslich. Ein
braver junger Gondolier kam oft in
diejes Haus, und ohne in eine der
ſechs hübſchen Schweitern verliebt zu
fein, machte er doch allen ein wenig
den Hof. Vielleicht that er unrecht,
aber die Strafe ereilte ihn aud bald.
Während er nämlich Früher als
der gejündefte und kräftigſte Burſche
in der Nachbarschaft gegolten, fieng er
jetzt allmäglih an zu kränfeln. Bon
Tag zu Tag vermehrte ſich feine Mager-
feit, er verlor die Farbe, feine Augen
zogen ſich immer tiefer in ihre Höh—
nungen zurüd, er fühlte eine Schwere
im Kopfe, in den Beinen, und bald
war er auch nicht mehr ftark genug,
da3 Ruder zu handhaben, was ihn
amt meilten betrübte, denn er war im
Rufe geftanden, auf fein Handwert
fich meifterlich zu verftehen, und fein
glühendftes Verlangen war, bei der
in einiger Zeit bevorftehenden Regatta
(fo nennt man eine öffentliche Wett-
fahrt der venezianifchen Gondoliere)
ih einen ehrenvollen Preis zu er—
ringen.
Der Kranke fragte bald diefen,
bald jenen Arzt um Rath, verfuchte
bald diejes, bald jenes Heilmittel, aber
jein Ubel wurde nur immer ärger.
Da brachte ihn zuleßt eine alte Fran,
die er ebenfalls um Rath gefragt hatte,
auf den Gedanten, es fei ihm irgendivo
ein böjer Zauber angethan worden.
Da er nun fat mit niemand als mit
der erwähnten Familie in Verkehr
ftand, fo konnte fein Verdacht nur auf
diefe fallen und nach langem Grübeln
wurde in ihm die Vermuthung rege, die
245
häſsliche unter den fieben Schweltern,
Rofina, mit welder er, eben ihrer
Häjslichfeit wegen, fich niemals abge—
geben, habe dieſer Zurüdjegung wegen
jih an ihm rächen wollen, indem fie
ihn beherte. &3 fiel ihm nun erſt auf,
was er früher faum bemerkt Hatte,
daſs Roſina jeit längerer Zeit ſich
immer zurüdzog, wenn er kam, md
feine Gefellichaft ängftlih mied. Der
Gedanke, daſs Rofina eine Here und
das Siehthum feines Leibes ihr Werk
jei, bemächtigte fih allmählih ganz
jeines franten Gemüthes und wurde für
ihn zur firen dee, in deren Gewiſs—
beit er nicht mehr den geringften
Zweifel jeßte.
Inzwiſchen fam der Tag der Re—
gatta immer näher und der junge
Sondolier fühlte jih immer fiecher und
fraftlofer. Ausgeichloffen von dem
MWettlampfe, in welchem er fich einen
gewillen Triumph verjprochen hatte,
verfiel er immer mehr in düſtere
Schwermuth und gab fi ganz den
bitteren Empfindungen bin, die fein
Herz beherrfchten. Insbeſondere aber
wuchs fein heimlicher Ingrimm gegen
das weibliche Wejen, das er für die
feindjelige Urheberin feines Elendes
hielt. Ein ſchwarzer Rachegedanke er—
wachte im ihm und reifte zum Ent—
ihluffe. Zur Stunde, wo er Rofina
allein im Haufe wujäte, wollte er jie
überfallen und blutige Rache an ihr
nehmen. Eine böfe Zauberin aus dem
Wege zu Schaffen, ſchien ihm faft eine
verdienſtliche That.
E35 war Charfreitage Abend und
jene, dem Gondolier befreundete Fa—
nilie war mit Ausnahme Roſinas
ausgegangen, die heiligen Gräber in
die ſchmalen Canäle meift in einem
hohen Bogen und find treppenartig
abgeftuft — eine Weile till und lehnte
ih an das Geländer derjelben, denn
‚er fühlte ſich Schwach und feine Knie
| zitterten.
| Bon dem Standpuntte aus, auf
dem er ftaud, fiel fein Blid auf die
Tenfter des Häuschens, welches das
Ziel feines Ganges war. Eines diefer
Fenſter war zufällig offen und ber
junge Gondolier fonnte einen Blid
in das Innere der Wohnftube werfen,
Da bot fich ihm ein Anblid dar, den
er nicht vermuthet hatte. Roſina lag
auf den Knien vor einem Bilde des
Gelreuzigten.
Eine Zauberin und beten? Diefe
Wahrnehmung machte auf jein Gemüth
einen eigenthümlichen Eindrud. Es
war inzwilchen Abend geworden und
einzelne Sterne tauchten aus der Tiefe
des Abendphimmels hervor, Als nun
‚der Gondolier, von jeltfamen Empfin—
‚dungen ergriffen, feinen Blid wie zu—
fällig nad) oben richtete, da zeigte ji
ihm ein nened Wunder. An einer
Stelle des Himmels, fo berichtet die
| Überlieferung, fah er ſechs leuchtende
Sterne zu einer Gruppe vereinigt,
und daneben einen jiebenten Stern,
der Hein und ohne Glanz war. Als
mählich aber erblajsten die ſechs hellen
‚ Sterne, der fiebente dagegen fieng an
mit wunderbarem Scheine zu leuchten,
und fein Glanz wuchs dergeftalt, dafs
er alle übrigen Sterne verdunfelte
und zulegt allein, groß und ſchimmernd
wie eine Sonne, am Himmel ſtand.
Diefe Wundererſcheinung, die
feinem aufgeregten Gemüth ſich zeigte,
tilgte alle Rachegedanken aus jeiner
den zahlreichen Kirchen ihrer Nachbar= | Seele hinweg. Doc ergriff ihn ein
Ihaft zu befuchen. Diefe Zeit wählte | unmiderftehlicher Drang, in das Haus
der junge Mensch zur Ausführung einzutreten.
wurde ihm geöffnet.
1
jeines Vorhabens. Das Wohnhaus der
Familie lag, wie gelagt, am Ausgange
einer Keinen Brüde. Als nun der
Gondolier über letztere hinſchritt, ſtand
Brückchen ſchwingen ſich nämlich über
Er klopfte an, und es
Als Rofina ſeiner anſichtig wurde,
färbten fich ihre blaffen Wangen und
ein leiſes Zittern durchlief ihre Glieder.
er auf der Höhe derjelben — dieſe
‚der Hand, zog fie mit ſich fort, und
Der junge Gondolier fajste fie an
9
ii
führte fie geradenwegs vor das
Erucifir, das, von brennenden Kerzen
feierlich umgeben, auf dem Tiſche ſtaud,
und vor weldem er Rofina knien ge-
fehen Hatte.
„Rofina”, fagte er ohne Um—
fchweife, „blid’ auf diefes Grucifir,
angelichts defjen fein fterblicher Menſch
eine Züge auszufprehen wagt! Mau
hat mir gejagt, daſs du eine Here
allein käme, wiürdeft du noch immer
vor mir fliehen %*
Die Züge Rofinas überflog ein
Freudenſtrahl.
„Wie wäre das möglich?“ fagte
fie. Erg „Ach“, fuhr ſie fort, „Ihr
haltet mich alſo nicht mehr für eine
böfe Zauberin ?*
„Berzaubert Haft du mich, Ro—
fina*, verfeßte der junge Gondolier,
bift, daf3 du mir einen böfen Zauber | „aber erjt am heutigen Tage, und mit
angethan haft, und dafs ich deinet—
wegen fterben mufs. Gib Antwort
und fage, ob es jo iſt?“
einem Zauber, der nicht aus der Hölle
ſtammt.“
Ein neues, ganz verändertes Ver—
Das Mädchen wurde bleich vor hältnis zwiſchen den beiden jungen
Schrecken und Unmillen über dieſe | Leuten, die ſich früher gemieden, ent»
Worte; ihre Augen füllten ſich mit
Thränen. Mit einem Blid zum Him—
mel rief fie aus:
„Ich eine Here? Ich hätte Euch
den Tod gwünfht? — O Her
im Himmel“, fuhr fie fort, „du willſt
es, dafs ich noch vor wenig Augen
bliden dich auf den Knien um nichts
anderes bat, als — mid für ihn
fterben zu laffen!*
Nah diefen Worten bededte fie ihr
Gefiht mit den Händen, und brad
in ein heftiges Schluchzen aus.
„Wie, Rofina“, rief der Gondolier,
„du Haft für mich gebeiet ? du Haft
an meiner ftatt fterben wollen? du
bift alfo nicht übelgefinnt gegen mich?“
„Ih übelgefinnt gegen Euch?“
„Warum aber entfernteft du dich
immer, wenn ich zum Beſuch kam?“
„Warum? Warum? Weil ich
häſslich bin, und... . weil Ihr ja doch
nicht meinetwegen kommt . . .*
„Rofina“, rief der junge Mann
nach einer Heinen Pauſe, von einer
plöglihen Ahnung durchzuckt — „Ro-
fina, liebſt du mich vielleicht ?*
Das arme Kind verdoppelte fein
Schluchzen und Sprach fein Wort.
„Wenn ich aber feine von deinen
Schweſtern liebte“, fuhr der Gon=
dolier fort, dem die in ihrer Demuth
rührende Geftalt des Mädchens wic
verflärt erfchien, „wie, wenn ich von
jebt an nur beinetwillen, deinetwillen durch
widelte fich feit diefem Zwiegeſpräch.
Das Mitleid mit dem verfannteı,
ftillen und edelmüthigen Mädchen
verwandelte fih in der Bruft des
jungen Maımes in eine herzliche Zu—
meigung, und diefe Wendung Hatte
auf feinen Gemüthszuftand, ja auf
fein ganzes Weſen den mwohlthätigiten
Einflufs. Er fühlte bald feine Jugend»
ftärfe zurüdgelehrt, die Spannkraft
jeiner Glieder neu belebt.
Und als num der Tag der feier
lichen Regatta herankam, da war unfer
junger Gondolier unter den Wett-
fämpfern und trug unter allgemeinem
beifälligem Zuruf den erſten Preis
'babon.
Das flatternde Fähnchen, fein
Siegeszeichen, in der Hand ſchwingend,
hielt er dor Roſinens Haus, brachte
den errungenen Preis der Liebften dar
und begehrte fie von den freudig er—
ftaunten Eltern zum Eheweibe.
Dies die Gejchichte von der Wun—
derbrüde, auf welcher der Jüngling
die fieben Sterne ſah, von denen einer
erft mit unfcheinbarem Glanze leuchtete,
dann aber alle auderen überjtrahlte
und, wie eine Sonne groß, am Himmel
ſtand.
V. Ber Montag des Lido.
In Venedig lebte vor Zeiten ein
jeine Häfslichleit berühmtes
247
Frauenzimmer; fie war ſchielend,zu einem Heinen Feſtmahl nieder, das
trumm und budlig. dort für fie bereit war.
Wie nun aber die Schönheit Ein paar Stunden hatten fie ſich's
unferer Welt eben in ihrer Mannigs
faltigfeit befteht und im übrigen die
häſslichen Mädchen ebenſowohl als
die wohlgebildeten geheiratet zu werden
wünſchen, jo verlangte denn auch be=
fagtes Frauenzimmer, den Weg des
Lebens nicht allein zu gehen, und
machte wirklich einen Verzweifelten
ausfindig, der, voll Hunger und voll
Schulden in die Alternative verſetzt,
ſich in einen Canal zu ftürzen, oder
jenes Weib zu heiraten, das letztere
wählte.
Als das Gerücht von diefem bevor-
ftcehenden Ehebunde fi in der Stadt
verbreitete, da gab es vielen Spafs
und die Gafjenjungen fannen auf einen
luftigen Schabernad, um dem liebens—
würdigen Paare die Hochzeitfeier zu
verleiden.
Aber die Verlobten ahnten etwas
dergleichen, und beſchloſſen, die Ver—
mählung in aller Stille auf dem Lido,
wo ſich auch eine Kirche befindet, zu
bereits recht wohl fein laflen, als
plöglid vor den Yenftern der Oſteria
fich ein erfchredliches Gejohle und Ge—
pfeife, ein wahrer Zeufelslärm vers
nehmen ließ.
Brautpaar und Gäfte erbleichten
und gar manchem blieb der Biſſen im
Munde fteden. Beſtürzt eilen fie ans
Fenſter und jehen draußen eine bunte,
tofle, lärmende Menge verſammelt ...
Leider war das Geheimnis der
Berinählung am Lido durd) einen Ber:
räther ausgeplaudert worden. Die
Kriegslift der Verlobten diente nur
dazu, den Übermuth der Spötter noch
mehr aufzuftacheln. So kam e3, dafs
bald nad vollzogener Trauung einige
eigens gemiethete Barken einen
Schwarm von jungen Leuten ans Ufer
braten, die in einiger Entfernung
von jener Ofteria ausftiegen, dann fi)
in aller Stille derjelben näherten und
endlich unverfehens das greulichite
Eoncert anftimmten, das jemals eine
feiern. So dachten fie fich der hämiſchen Hochzeitsfeier verherrlicht hat.
Vollslaune zu entziehen; fie machten
aber damit das Übel nur noch ärger.
Eines frühen Morgens, ein Mon-
tag war es, beftiegen Braut und
Bräutigam, Eltern, Verwandte und
Zeugen eine Barke und ließen fich
zum Lido rudern. Auf dem Wege
dahin blidten fie Hinter ſich mit der
Genugtduung von Leuten, die don
einem feindlihen Strande ſich glüdlich
weggeflüchtet haben. Sie freuten fich,
dafs jeder Ruderſchlag fie weiter von
Denedig Hinwegführte, und wie fie
am frühen Morgen unbemerkt ſich
aus der Stadt hinweggeſtohlen, fo
hofften fie au am fpäten Abend un—
bemerkt und unangefochten wieder
heimzufehren.
Am Lido gelandet, betraten fie die
Kirche, wo der Geiftliche den Segen
über das Paar ſprach; ſodann ver—
fügten fie ſich in eine benachbarte
Ofteria, und fegten fich in befter Laune
Die Beftürzung der Vermählten
und ihrer Gäſte erreichte den höchſten
Grad. Was war zu thun? Sich un—
willig zeigen, das hieß den Feind noch
herausfordern. Es galt alſo, zu böfem
Spiel gute Miene zu machen.
Ungeſäumt erhielt der Wirt den
Auftrag, Wein, Brot und anderes
Eſsbare den Strolchen auszutheilen,
die bei diefem Beginnen im nod
größeren Jubel mit ftürmifchen Evvivas
ausbrachen. Sie tranten, apen, und
berauſchten fih aufs Wohl der Ver:
mählten und ruhten nicht früher, bis
‚das PBrautpaar zu ihnen herauskam
und ihre ausgelaffene Freude theilte,
Es war eben die ſchöne Jahres»
zeit. Die Iuftige Menge zeritreute ſich
auf nahen Graspläßen, etliche Pfeifer,
Guitarrefpieler und Geiger miſchten fich
darein, und nun gieng es an ein
Singen und Springen und Zanzen,
was da3 Zeug halten wollte,
—
Lange nach Einbruch der Nacht
erſt beſtieg man die Barlen wieder
und die Neuvermählten wurden wie
im Triumphe nach Venedig zurück—
geleitet, und zwar bis zur Thüre ihres
Haufes, unter Saitenſchall und lauten
Evpivas.
Das luftige Ereigni3 gab der Eitte
Der Adlerwirt
den Urſprung, die Montage des Mo—
nates September mit Heinen Volks—
feften auf dem Lido zu feiern. Noch
bis auf den heutigen Tag ſieht man
an den Montagen des genannten
ı Herbftmonates deu Strom der Spazier-
gänger nach der Gegend des Lido hin
'jeine Richtung nehmen,
von Rirchbrunn.
Eine Dorfgefhidhte von P. R. Kofegger,
(Schluſs.)
och, Heunter Abſchnitt.
@
9 om Schopper- Schub wiſſen wir,
TE daſs er jeit Jahren die Jungs
> magd Frieda nicht mehr aus
den Augen ließ. Er verfolgte immer
ihre Spuren und oft war er in ihrer
Nähe, ohne dafs fie es ahnte. Beim
Möftl in der Abachlenten war «3
ihm gar bequem, da konnte er ſich aus
du in die Abachleuten kommen! den
haft in deinem Siebenbadherwald weit
bejjer. Wirt den meiten Weg heut
wohl umfonft gemacht haben. Sie ilt
zu den jieben Lärchen hinauf wall—
jahrten gegangen.“
„So“, antwortete der Schopper
ganz gleichgiltig. „Da hat fie ſchon
recht. Das Beten jchadet niemandem.”
Und wenn das Beten niemandem
feinen Holzichlag an den Samstags ſchadet, dachte er für ſich weiter, jo
abenden und manchmal auch an den wird's ja auch mir nicht ſchaden. Und
Sonntagnahmittagen einfinden, um stieg an gegen die Schabelhöhe. Er
mit ihr.zu plaudern. Die ganze Woche
hindurch freute er fih auf das Stünd-
fein, an welchem er nahe bei ihr,
wenngleich durch eine Wand getrennt, |
fißen konnte. Es waren zumeift die
allergewöhnlichiten Dinge, über die ges
ſprochen wurde, aber dem. Holzknecht
war wohl, wenn er ihre Stimme hörte
und wenn er ſah, wie jie manchmal fo
tindlich lachte.
Alſo war er auch an diefem Sonn—
tagnachmittag in die Abachleuten ge—
fommen, beim Möſtlhaus zugefehrt,
hatte fih auf die Stubenbant hin—
gejebt und gejagt, er müſſe doch ein
wenig in den Scatten gehen.
„sa,“ hatte das Möftiweib nedend |
geantwortet, „Schattend wegen wirft,
'gieng nicht den guten Fahrweg, er
wählte die fteileren aber fürzeren
Steige; Bergesmühfal gibt's für den
Holzknecht feine und duch den Wald
hinauf mag er fih das Schlagholz
anjehen. Als er auf die freien Weiden
fam und auf die weiße Straße hin
überbliden konnte, fah er fie dort gehen,
er erfaunte fie ja ſchnell. Und einen
Büchſenſchuſs Hinter ihr eilte ein Mann
drein. Der Schopper ſchärfte fein Auge
‚und erfannte den jungen Molerwirt
von Kirchbrunn. — Bor Überraſchung
wie gelähmt, blieb er einen Augen—
blid ftehen. — Was tft das? —
Was iſt das? — Steht es fo mit
der Wallfahrt zu den fieben Lärchen ?
Ei, da wollen wir ihnen doch einen
ee
Baum über den Weg werfen. „it
denn ſchon alles falſch auf der Welt?
Gut, aladann will ich's auch fein. —
So jeine Gedanten. Neuerdings zog er
fh in den Wald zurüd und lief
durch denjelben an der rüdwärtigen
Berglehne der Sapelle zu. Er kam
früher hinauf al3 die anderen. Dinter
der Kapelle froh er in das Fichten—
didiht und kauerte fih an die Holz—
wand, um durch eine Spalte in das
Innere der Kapelle Iugen zu können,
während durch das Gezmweige hin der
Anger mit den Tiſchen fihtbar war,
So beherrfchte er den Schauplaß nad)
beiden Seiten. Er langte mit der Hand
in feinen Sad, ob er das Meſſer bei
fih habe. — Sa, mein lieber Adler—
wirt, ich habe dir’ gejagt und du
haft es nicht geglaubt. Des Herrgotts
Mühlen mahlen langfam aber fiher! —
Er hatte gejehen, wie die Frieda
beflonmen in die Kapelle getreten war,
und als er merkte, dafs ihr Gebet ihm
galt, da Töste fi von feinem Auge
ein jalziger Tropfen los und rann
über die rauhe Wange, dur den
fruppigen Bart bis an die Lippen.
Dann ftand plöglic an der Thür der
junge Adlerwirt mit heißbegehrendem
Bid. Der Holzknecht erfajste die
Hirſchhornſchale ſeines Mefiers. Als
er hernach vernahm, was draußen ge=
ſprochen wurde an den Tiſchen, jedes
Wort des armen Burjchen voller Un—
glück und voller Liebe, und wie das
Dirndel dagegen anfämpfte, bis doch
in beiden die wilde Allgewalt Siegerin
ward — da loderte in ihm Wuth
und Rachgier auf, dajs der fliegende
Athen glühte an feinem Munde. Und
er ftürzte mit gezücktem Meſſer Hin auf
da3 Baar, Die Frieda that einen Schrei
und wollte jih ſchützen unter dem
Breite eines Tiſches. Der Wolfram
jedod ftand wie ein Baumjtanım da
und fragte: „Holzknecht! Was willft
du?“
Diefe ftarre Ruhe lähmte den
Shopper für den Augenblid, denn er
war auf Gegenwehr gefafst gemwelen
und in einem Zweikampfe wollte er
fiegen oder fallen.
„Bilt dur da, um mich zu tödten ?*
fragte der Wolfram. „So ftoße zu.
Ih Habe mein Leben verjpielt und
wehre mich nicht. Willft aber ihr etwas
zuleide thun —!* Er ballte die
Fäuſte.
Dem Schopper ſank der Arm mit
dem Meſſer. Plötzlich wendete er ſich,
ſtürzte in das Dickicht und haſtete
davon durch den Wald hin. — Halb
betäubt war er und feine Gedanken
wurden wirr. — Warum haft du e3 demu
nicht gethan ? fragte er fich ſelbſt. Und
er jelbft antwortete: Er hätte einen
Bankbalken losreißen müflen. Nicht
davonlaufen wollen und ſich auch nicht
wehren, wer kann denn da zuftopen?
Einen Baum fällt man fo, aber einen
Menihen —. Und hernad, weiß ich
denn, welches fort muſs? Soll der
Adlerwirt fterben? Iſt er nicht der
Ehebrecher und Berführer und der
Räuber derer, die mir Gott gegeben
Hat? — Oder foll fie fterben ? Iſt
nicht fie die Urfache feiner Treulofig-
feit, die den Sünder anlodt und einen
treuen Menschen verſchmäht, verachtet,
in Verzweiflung treibt? — Oder joll
ein Dritter fterben? Soll er jelber
fterben, weil alles aus ift, und freiwillig
iterben, bevor er zum Mörder wird?
Mir kommt's nur auf den Schuldigen
an. — Denn das ſah er nun wohl,
es war die unbändige, rajende Liebe,
in welcher das junge wehrloje Menſchen—
paar hinſchmolz, wie Wachs im brüllen
den Feuer eines brennenden Hauſes.
Armer Holzknecht, fo wie du jelber
wehrlos bift gegen diefe Macht, To
find auch fie es. Was können fie da=
für!” — Du Haft dir vorgenommen,
Schopper-Schub, für die Frieda alles
zu wagen und zu opfern, um fie
glüdlih zu machen. Sieht du es
denn micht, jetzt ift fie glücklich!
— Mas mwillft du denn noch? —
Einmal Haft du dein eigenes Haus
"angezündet, weil es böfe Urſach' ift
geweſen. — Kannſt du rechnen, Holz»
250
knecht ? Wenn du ein bilschen rechnen
fannft, jo fage, was mehr ift, eins
oder zwei. Wenn zwei mehr find,
als eins, fo ift einer meniger, als
zwei. Laſs die zwei fein, und den
einen fireihe weg. —
Alſo dahte der arme Menſch und
ging — ah wie traurig! — den
Holzhütten feines Thales zu.
Zehnter Abſchnitt.
Mer genug Zeit und ZTiefblid hat,
um die Urſachen und Wirkungen zu
betrachten, der wird — ſei es zu
feinem Schred, ſei es zu jeinem
Troft — finden, daſs alle Fehltritte
und Verſtöße des Menfchen gegen Sitte
und Geſetz, gegen das Gute und Nechte
überhaupt, ſich faſt allemal ftrafen,
und zwar an derjelben Perjon oder
an demfelben Gefchlehte. Schade nur,
dafs die Strafe nicht unmittelbar genug
folgt, um ftet3 als Strafe für Sünde
und Vergehen empfunden zu werden.
So mander, der fein Elend felbft ges
ſchmiedet, hält fich für den Unſchul—
digften von der Melt und ift geneigt,
die Urſache dieſes Elendes anderen
indie Schuhe zu ſchieben. SoldesMifs-
tennen führt ihn zu weiteren Fehlern
und Ungerechtigkeiten, und im Gefühle
des eigenen Sturzes ſucht er aud
andere mit ſich zu reißen. Leichter
fehrt der um, welcher ein ſchweres
Verbrechen begangen, als einer, der
taufend Fehler Hat und dem Mits
Und je mweher ihr ward, um jo höher
ftieg ihre Verbitterung gegen die ein—
gebildeten Feinde. Und das Schidjal
nahm feinen Lauf.
Bei dem Adlerwirtshaufe zu Kirche
brumm Hatte fich veges Leben entfaltet
wie Schon langenicht. Aflerhand Wägen
famen angefahren von oben und von
unten und Spaunten aus, Bauern, Bür-
ger und Herren waren da, Schader
und Händler, und die Wirtsftube war
viel zu enge, au im Vorhauſe und
im Hofe ftanden Tiſche, und die Kell—
nerinnen liefen über die Galle hin
und ber. Das gab doch wieder ein:
mal ein Geſchäft.
Meint ihr?
Da müjste man erſt noch die Wirts—
leute fragen. Der alte Adlerwirt lag
bei einem Nahbar im Sceunenftroh
und bat mit lafleuder Stimme fort:
während um Branntwein. Er wolle
nie mehr müchtern werden auf diejer
verdammmten Welt. Der junge Adler—
wirt war feit Wochen verfchollen. Im
Siebenbahmwald, jo hieß es, wäre er
einmal gefehen worden, aber ganz
jeltjam aufgeregt, er müfje etwas Be—
londeres im Sinne haben, man werde
noch merkwürdige Geſchichten von ihn
hören. So kam es, dajs auch Frau
Ktunigunde nicht ruhig fißen bleiben
fonnte in ihrem Zimmer, Sie lieh
ihre Mutter, der ja alles gleichgiltig
war, allein, und als fie auf einem
Steirerwäglein und in ihrer tadellojen
Trauerkleidung hübjch fein gepußt aus
menfchen täglich im Heinen taufend= Idem Hofe fuhr, Klang in demjelben
mal unrecht thut. Doch ift letzterer das erftemal der Ganthammer. Alles
eben jo Verbrecher, als exfterer, mur wurde verfteigert im Adlerwirtshaufe,
jhreit er Beier und Mordio, wenn nur nah den AJufaffen war feine
endlih auch an ihn die Nemefis Her- | Nachfrage.
antrıtt ımit dem Richtfchwert. Frau Kunigunde fuhr in das Ge-
Frau Kumigunde hatte kaum eine birge hinein. Sie hieß auf das Pferd
Ahnung davon, dafs fie eine der
Haupturfahen an dem Niedergang
dreinhauen, fie bewarf den Pferdeinecht
mit Schimpfnamen, denn fie wufste
ihres Haufes und die einzige Urfache ihrer Galle kein Ende. Was fie dem
an ihrem und ihres Mannes Unglüd
war. Sie mar immer nur geneigt,
alles auf ihren Mann, auf feinen
Vater, auf alle andere zu jchieben.
Knecht und dem Pferde anthat, das
war alles ihrem Manne vermeint.
Dem Flüdtling! dem gewiflenlofen
Ausreißer! Solange er Geld erwartet
251
von ihrem Vater, hat er den Haus |fie frage, ob er, der Ndlerwirt von
herren gejpielt, jegt weil nichts ift, weil | Kirchbrunn, nicht etwa hier herum
alles in die Brüche geht, verläfst er |gefehen worden fei.
fein armes Weib in Noth und Schande „Seid Ihr die Adlerwirtin ?“ fragte
und firommert in allen Weiten um, das Holzerweib. „Nachher glaub’ ich's
man weiß nicht wo und mit wen. gern, daj8 er bei den drei Brüden
Aber warte, Schelm, wir werden dich nicht gefommen ift, Bon Euch ift er ja
noh einfangen. Du follft Gott er= [eben davongelaufen, fagen die Leute.”
fennen lernen! Du ſollſt mir firre Frau Kunigunde warf eine Münze
werden ! Hinwärts zieht mich noch das hin und machte fich entrüftet auf die
jpottfchlehte Roſs, es ift aber viel/Mander zu den Köhlerftätten.
taujendmal befier als du; herwärts
jollft du den Bettellarren ziehen, und
dafs du zahm wirft wie ein Pfründner-
Ihaf und mir Brennefleln aus der
Hand frijst, das foll meine Sorge
fein. —
Unter ſolchen Liebesgedanten fuhr
Frau Kunigunde auf die Sude nad
ihrem Manne. Sie ſprach bei manchen
Hänfern zu, ſchämte fich aber, gerade=
hin zu fragen: Habt ihr meinen Mann,
den Adlerwirt von Kirchbrunn, nicht
irgendwo gejehen? — Ya, Frau Adler—
wirtin, ift Euch Euer Mann durch»
gegangen? — Da3 wäre eine hübfche
Unterhaltung geweſen.
Bei der Kohlenbrennerei fragte fie
wieder an.
„Der Adlerwirt?!“ ſchrie der alte
Köhler, denn er war fehwerhörig, da—
ber hielt er auch andere dafür. „Weiß
nichts davon. Aber der Vorknecht ſoll
legt’ Zeit her alleweil vom Adlerwirt
reden.”
„Mo ift denn diefer Vorknecht?“
„Der ift jetzt nicht da, der ift oben
im Zagelwald. Für ein Weibsbild nicht
gut hinaufzufteigen.“
„Ih will hinauf!“ fagte Frau
Kunigunde.
„Weiß nicht, ob es Euch viel nutzen
wird“, meinte der Kohlenbrenner, „letzt
Alſo faſste fie es jo: „Hat nicht Zeit her iſt der Schopper — fo heißt
mein Mann hier zugefragt ?* — „Wiffen der Vorknecht — nicht recht im Kopf,
nichts, dor einer Woche oder wann | ganz tleinfinnig oder was lauter. Iſt
haben wir ihn vorbeigehen geſehen.“ — | nichts Rechtes von ihm bherauszubringen.
„Sollte er nah mir fragen, fo weifet Vom Adlerwirt redet er nächtig im
ihn, ich bin vorausgefahren im den ; Traum,”
Siebenbaherwald, wegen des Holz. Die Frau dingte fi einen her-
taufes.* umlungernden Knaben und flieg mit
Bei den Holztnehthütten im Sieben= |diefem hinan gegen den Zagelwald.
bachwald ließ fie ausſpannen und bes | Mehrmals gieng es in tiefen Schluch—
gehrte etwas zu eſſen. |ten über Sand, Gerölle und wuch—
„Ja“, meinte ein refches Holzer: tige Steinblöde dahin an braujenden
weib, „fein Wirtshaus ift Halt bei uns | Wäfjern, mehrmals unter einem ſchwin⸗
nicht. Gaismilch mit Schotten, wenn's |delnd hohen Holzgerüfte durch.
recht wäre ?*
„Was das für ein hoher Steg
Bom Herzen gern hätte Fran Kuni- wäre?“ fragte die Aolerwirtin.
gunde geantwortet, daſs fie Schweine=
futter nicht gewohnt jei, wäre nur
„Das ift fein Steg”, antwortete
der Knabe, „das ift die neue Holzriejen,
ihr Hunger nicht gar zu groß ges wo die großen Blöcher herabrutjchen
wejen. Während fie die Milch trank, und zum Feierabend die Holztnechte
erzählte fie, dafs mit ihrem Mann |felber. Wie viele Kreuzer krieg' ich
eine Zufammentunft draußen bei den denn dafür, daſs ich mitgeh’ ?*
drei Brüden verabredet gewejen jei, Nah einer Stunde waren fie auf
daſs fie ſich aber verfehlt hätten. Und, der Höhe bei dem Holzfchlag. Die Leute,
25
welche hier arbeiteten, blidten einander
nur jo an, als ſie vernahmen, die
junge Frau wolle mit dem Vorknecht
jprechen. Der Vorknecht jei aber gar
nicht auf dem Schlag, der liege auf
dem Buchenanger im Graſe; er jage,
er arbeite nichts mehr und das liebe
Ehriftenvolf möge gefund bleiben und
ihm an den Budel guden. „Wollt Ihr
das, jo könnt Ihr ihn ja auffuchen“,
ſetzte der Berichterftatter bei.
Da ift etwas dahinter! dachte Frau
Knunigunde und ließ fich zum Buchen
anger führen.
Der Schopper, als er ſah, wer)
daherkam, ſprang raſch vom Raſen
auf. Er ſah wirklich wild und wirr
aus. Ohne viele Einleitung fragte ſie
in firengem Tone nach ihrem Manne, |
dem Adlerwirt.
„Was weiß ih?“ knurrte der!
Holzknecht. „Habt Ihr mir ihn zum:
Aufgeben geichidt ?* |
„Du weißt, wo er it!“ ſprach jie
ſcharf.
„So? Na, wenn ich's weiß, dann
muß ich's freilich ſagen. Den Adler-⸗
wirt hat ſein Weib verlaſſen, da iſt er
zu einer anderen gegangen.“
„Bo er ift, will ich willen!“
„Bor etlihen Tagen“, antwortete
der Holzfnecht gottlos ruhig, faft träge,
„hat er jih auf der Schabelhöh’
aufgehalten, oder im Wirtshaus dort
herum. Jetzt kann's jein, dajs er
drüben in der Abachleuten ift.“
„Ein Schandmenſch! Ein Schande |
mensch!“ Feuchte fie, und faft ver—
gieng ihr der Athen vor Wuth. „Der,
joll das hölliſche Feuer beizeiten |
lennen lernen, dafür flehe ich gut!“
„Dieweilen fißt er im Himmel“,
jagte der Schopper. „Und ich wäre der!
5)
—
„Mein Gott, mich verlaſſen ſchon
die Füße.“
„Wenn die Frau ein Stündlein
wartet, fo kann fie mit mir auf dem
Brettel hinabrutſchen“, fagte der Holz»
knecht.
Ja, ſie wolle warten. Und der
Schopper dachte: Herrgott im Himmel,
was iſt das für ein Schick! Ich
rutſche mit ſeinem Weib auf der
Rieſen hinab. Und ganz plötzlich fuhr
es ihm durch den Kopf: Wenn er
mir die Meine nimmt, ſo nimm ich
die Seine. Wert iſt ſie's, daſs ſie
mit mir kommt. Es geht nichts über
die Ordnung. Und nachher iſt Fried. —
Dieweilen Frau Kunigunde er—
ſchöpft auf dem Baumſtock ſaß und
miſsmuthig den Holzhauern zuſah, die
immer Blöcke an die Rieſen ſchleppten
und hinabgleiten ließen, ſtrich der
Schopper wie halb verloren auf dem
Schlage um. Manchmal blieb er ftehen
und ftarrte auf den Erdboden, dann
hob er das krauſe Haupt gegen Himmel
und Jchnappte nach Luft. Dann lachte
er hell auf und einer der Männer
hörte ihn jagen: „Beſſer kunnt ſich's
nicht mehr reimen. Wer ungeſchickt
ift, der muſs hinab, dajs er anderen
nicht im Wege fteht.“
„Dun Franzel*, redete er, als die
Abenditunde fan, einen Arbeiter an.
„Wenn di einmal beim Möftl in der
Abachleuten vorbeigehit, gelt, jo bift jo
gut und gibt das Ding dort ab.
Es ift für die Magd Frieda.“ Damit
gab er ihm ein rothes zuſammenge—
fnulltes Züchlein. „Und jet, Leute!“
rief er laut hinaus über den Schlag:
„Jetzt ift Feierabend. — Fahrt ihr
nur voraus hinab, wir, ich und die
Frau Adlerwirtin, rutſchen Hinten
Meinung, wer fo feſt drin ſitzt, den drein.“
lajst man ſitzen.“
Fran Kunigunde hatte fich nieder
gelaffen auf einem Baumſtock, ihr,
zitterten die Beine,
„Wie weit iſt's bis in die Abadh: |
leuten ?" fragte Sie.
„Zwei Stunden, wer gut antaudht.“ |
Die Werkzeuge brachte man in
Sicherheit, die Yodenröde hieng man
ih über die Achſeln und da war's
| fertig.
Wuldenförmige, vorn ein wenig
aufgefurite Bretter wurden im die
Rinne der Riefen gelegt und auf je
2
einem ſolchen Fahrzeuge glitten ein
oder auch zwei Mann hinab. In der
Hand hatten fie lange Stöde, mit
weichen fie ſich möthigenfalls Leiten,
anſtemmen oder weiterjchnellen fonnten.
Auf etwa Hundert Schritte Zwiſchen—
räume wurden jie abgelaffen. Anfangs
glitt es gemächlich dahin, allmählich
tam's im raſcheren Lauf, und auf
ſteileren Strecken ſauste es unheimlich
ſchnell dahin, manchmal an Erdein—
ſchnitten und zweimal über grauenhaft
tiefe Schluchten, aus welchen Schutt
und Geftein und Ichäumendes Waſſer
beraufleuchtete. Uber den ſchwin—
delndſten Stellen jauchzten einige, An
den Rinnbäumen der Niefen dröhnte
noch lange das Rollen herauf, felbit
als die Bretter ſchon den Augen ent—
Ihwunden wareıt.
Als die Holzknechte dermaßen alle
angefahren waren, gieng der Schopper
zur Frau Kunigunde, die noch immer
auf dem Stode ſaß, machte eine Heine
Berbeugung und fagte: „Alſo, Adler-
wirtin, jet iſt's an und zweien.“
„St wohl doch Feine Gefahr da=
bei?* fragte fie.
„Ihr ſeht ja, wie fie jauchzen
unterwegs. In die ewige Seligfeit
fann man nicht Iuftiger hineinfahren,
Im Siebenbahwald gibt's halt feine
jo feinen Eifenbahnzüge wie in Gejsniß.
Wir Haben das lange Brettel mit zwei
Sitzen. Ich ſetze mich voran, Ihr habt
hinterwärts Platz. Nur friſch dran,
Frau Adlerwirtin!“
„Es ift grauenhaft!“ ſagte dieFrau.
„Nichts iſt grauenhaft“, lachte der
Shopper. „In fünf Minuten find
wir unten, Kommt nur, Prächtig
wird's.“
„Ich will heut' ja noch weiter—
fahren.“
„Freilich, Adlerwirtin. Nur hübſch
anhalten. Sitzen wir feſt ?“
— ch fie.“
„Alfo, im Gottesnamen!* Mit
diefem Worte ſtieß der Schopper aus,
und das Schifflein begann zu gleiten,
Erſt Hielt der Mann mit beiden Händen
53
den langen derben Stod in die Luft. Vor—
wärts gieng's rafd und rafcher. Steiler
wurde die Bahn und da fauste das
Breit pfeifend dahin. Es ſchoſs über
den erften Abgrund, es jchofs durch
den Erdeinſchnitt, es ſchoſs dem zwei—
ten großen Abgrunde zu, und als es
hoch über der Schlucht raſend jchnefl
dinglitt, ſenkte ganz plötzlich der
Schopper den Stod, ſtemmte ihn vor
ih in die Riefen, da jprang das
Fahrzeug Hinten empor, ſchlug über,
und die beiden Menjchen flogen in
weiten Bogen dur die Luft —
ſtürzten in die Tiefe.
Ein ganz kurzer Schrei gellte durch
die abendlichen Lüfte, und danı war
nichts mehr zu hören, als das rauſchende
Waſſer in der Schludht. — —
„Du Altel* schrie der Möftl in
der Abachleuten feinem Weibe zu, als
er von der Heuarbeit heimlam, „das
s
“
wird nicht gehen, mit der Frieda,
ift ſchad', aber fortichiden mufst fie.
Das Umziehen mit einem verheirateten
Menjchen können wir ja nicht leiden.
Hab’ fie juft wieder auseinandergejagt
allzwei.*
„Beh!“ entgegnete das Weib, „bit
doch nicht g’icheit! Schon wieder da-
gewejen ift er?“
„Soll ganz Kirchbrunn im Stich
gelafien haben, ſitzt jet da draußen
im Zeilinger-Hammer als Kohlenver-
meſſer.“
„Das iſt ſauber“, ſagte ſie, „da
hätten wir ihn alle Tag in der Hütten.
Recht hart iſt mir um die Magd, aber
wenn ſie's ſo macht, ſoll ſie gehen,
lieber Heut’ als morgen.“
„Ein Plangen Haben die zwei
zu einander, rein, als ob's ihnen wär’
angethan worden. Der Vorknecht Schop-
‚per foll ganz toll jein drüber, ich
glaub's. Wenn nur da fein unlieb-
ſamer Handel herausfommt. Alte, der
Schopper, wer ihn kennt, das tft ein
gefährlicher Menſch!“
Elfter Abſchnitt.
Noch Sprachen fie fo, als ein Holz—
knecht aus dem Siebenbachwald herein
ftolperte. „Abraften muß ich“, ſagte
er als Gruß und ſetzte fich gleich auf
die Bank. „Bift ed daheim, Möſtl, ift
mir recht. Habt es ſchon gehört? das
groß’ Unglück im Siebenbahmald ?
Geftern auf dem Abend. Beim Ab
rutfchen. Bon der neuen Niefen in
die Karwaſſerſchlucht geftürzt!”
„Mutter Anna!“ rief der Möftt
aus. „Wer denn ?“
„Er — der Schopper und ein
fremdes Frauenzimmer!“
„Was fagit ?“
„Die Adlerwirtin von Kirchbrunn
joll’3 geweſen fein.“
„Was ſagſt?“ ſchrie der Möftl
und lachte auf.
„Na ich danke, wer bei jo was
lachen kann!“ fagte der Holzknecht.
„Iſt nicht Schlecht gemeint“, redete
das Möftlweib drein. „Der lacht alle-
weil, hat's Meinen und's Lachen in
einem Sadel beiſammen.“
„Der Schopper und die Noler-
wirtin!“ murmelte der Möftl und
faltete die Hände. „Aber Herr himm—
licher Vater, ift das dein Ernſt?“
Er lachte wieder,
„Wir können es uns auch gar
nicht denken, wie es geſchehen ift,“
berichtete der Bote. „Es kaun was
dahinterfteden. Wird ſchon auflonmen.
Schauderlich, wer's gejehen hat! Bon
ihr ift fein Knocherl ganz verblieben.
Bei ihm fehlt nur der Kopf.“
„Uber mein Bott!” rief das Möfltl-
weib, „wie ſoll ſich denn ein Ehriften=
menih fo was zujammenreimen !*
„Ist nicht eine Magd Frieda bei
euch da?“ fragte der Holzknecht. „An
die hab’ ich ein Tüchel abzugeben. Ich
weiß nicht, mir hat’ der Schopper
zugeltedt, gerade vor dem Unglüd.
Wir fennen uns nicht aus, Ein Knoten
iſt im Tüchel und ein Papierl ift
drinnen, aber wir können feiner leſen.
Weil ich's verſprochen Hab’, dajs ich
der Magd Frieda die Sad’ über:
geben will.“
Alsbald wurde die Magd von der
Wieſe heraufgerufen.
„Du Frieda”, redete der Möſtl
jie an, „der da, der Hat was fir dich.“
Mit Haft löste fie den Knoten,
mit zitternden Fingern entwirrte fie
das Papier, es war ein abgerifjenes
graues Streifchen, und darauf ſtanden
mit grobem Bleiftift ungefüg ges
Ichrieben die folgenden Worte:
„Liebe Friederifa !
Bin überflüfjig, mach mich da=
von. Nehm auch eine andere mit,
die euch im Weg möchte ſtehen.
Mehr kann ich nicht thun Für dich.
Sei glüdlih mit ihn.
Schubhart Schopper.”
Alſo Hat ſich's zugetragen. Und
was wird jetzt geſchehen fein? Alles
Menſchengeſchick fteht in Gotteshand,
alles vollzieht fich nad) feinem Rath»
ſchluſſe und fast nichts nach dem Sinne
der Menſchen.
As die Magd Frieda in dem
DOpfertode des armen Waldmenſchen
ſeine unermefsliche Liebe zu ihr be—
ſiegelt ſah, als das lebte Hindernis
gefallen war zmwijchen ihr und dem
Adlerwirt, dafs fie ſich nun vor Gott
und der Welt hätten können die Hände
reichen — fand fie, dafs ihre heiße Leiden:
Ichaft für Wolfram anfieng zu ſchwin—
den. Was war das für ein Unterfchied !
Was find die gewöhnliden Männer
für zage, gemeinfinnliche, engherzige
Schelme gegen diejen einen einjamen,
heldenhaften! Won diefem allein war
fie geliebt worden, mit einer Liebe,
wie wenigen Weibern auf Erden Jie
zutheil wird, mit einer Liebe, die
ftärfer ift als der Tod. — ber ge:
fannt hat er es nicht, das Weibes—
herz, ſonſt hätte er in voraus willen
müſſen, dafs jein Opfer umfonft if.
An demſelben Tage, als die Reite
der beiden Berunglüdten auf einem
Heinen Alpenkirchhofe ftill beftattet
worden waren, jchrieb die Frieda einen
Brief an den Adlerwirt:
IS
„Lieber Wolfram!
Weil das geſchehen ift, muſs
e3 aus fein und gauz aus fein
bei und zweien. Er thät’ immer
zwifchen uns stehen mit feinen
bintigen Wunden. ch Habe wohl
einmal gemeint, ich kunnt dich
glüdlih machen, jegt nimmer. Und
im Unglüd bift Schon genug ge—
wejen. Du bift frei geworden vor
drei Tagen, ich Habe geheiratet.
Sein Sterbetag ift der Hochzeitstag
zwiichen ihm und mir geworden. ch
bin ein, und du wirft auch wieder
eine andere finden. Ich wünſche
dir alles Gute, und was vergangen
ift, das ſoll vergeflen fein.“
* *
*
Hadywort zu dieſer Geſchichte.
Weil unſer Daſein ohnehin über—
reich au Drangſal und Leid iſt, ſo
wollte ich — beginnend mit heiterem
Liebesabentener des jungen Adler—
wirtes don Kirchbrunn — in dem
ſüßen Herzensleben junger Menſchen
eine Idylle ſchreiben, mir und anderen
zur Ergötzung. Allein es iſt anders
gekommen. Wie es im Leben ſich jo
häufig fügt, dafs alles ganz anders
wird, als der Menſch gehofft Hat,
tommt ſolches bisweilen jogar auch in
der Dichtung vor. Nicht das erftental
— ich geftehe es — ift es mir bier
pajfiert, dafs während der Entwide-
lung einer Geſchichte ganz von dem
uriprünglichen Blane abgewichen wurde,
weil ſich folgerichtig andere Dinge
ereignien mufsten, ald im Plane aus»
gehedt waren, Den Plan macht der
Kopf, den ijt im Übermuth und Fürs
wis alles möglich, der hat Hundert
Leitern, um dem Erdboden zu ent—
fonmen und in mwillfürlichen Zonen
jeine Luftichlöffer zu bauen. Wenn
nachher aber das Herz anhebt, dich—
teriich zu Schaffen, nah Borbildern
der Wirklichkeit ſinnlich zu geftalten,
nach göttlihen und dämoniſchen Ge—
jegen des Gemüthes zu handeln, da
rt
wird die Luftlinie verlaffen und je
nad der Bodenbeichaffenheit voran—
gegangen. Da ift es am beften, wenn
der Dichter feiner Geſchichte nicht vor—
angeht, fondern ihr folgt, wenn er
fie nicht leitet, ſondern von ihr geleitet
wird, das heißt, wenn er der Ent»
widelung nicht Gewalt anthut, jondern
diefelbe nad) gegebenen Verhältniſſen
ich ſelbſt frei vollziehen läſst.
So habe ich e3 auch hier gehalten.
Meine Geftalten — beftimmt veran—
lagte Menfchen — ſah ih vor mir.
In harmloſem Spiele führte ich fie
durcheinander, wie der Zufall oder
das Geſchick uns jelbft durcheinander
wiürfelt. Sie gewannen eine beſtimmte
Stellung zu einander, und nun war
die Lage gegeben; im Augenblide be:
gann eine Entfaltung und eine Ent:
widelung, die ſachte vom gezogenen
Plane abwich, immer weiter und uns
heimlicher, bis zu jener letzten Folge,
bor der ich ſelbſt erfchrat. Aus der
lockenden Idylle tft ein tragifcher Roman
geworden, der nicht beabjichtigt war.
Es wird einem auch oft recht
langweilig auf dem Zummelplaße des
gewöhnlichen Lebens. Der Alltags:
menschen Begierden und Thaten find
lächerlich fchnöde, man wird mit ihnen
weder warın, noch kalt. Wenn aber
unvermutbet irgendwo ein ftarfes Herz
auftaucht, ſei es im woildwetternder,
zerftörender Leidenfchaft, ſei es in
heldenhaftem Opfermuth, alsbald reißt
es des Dichters Aufmerkſamkeit auf
ſich und läſst fie nicht wieder los,
und jo lange nicht wieder, bis e3 an
einer großen Tugend zugrunde gebt.
Als anf dem Freiballebein Schwan.
bahwirt mein Held plöglih Hinaus-
gerufen wurde zu einem halbver-
fommenen Holzknecht, da ahnte ich
noch nichts. Als diejer Holzknecht aber
vom Adlerwirt verlangte: Laſs' ab von
der Dirn! Sie ift mein, und wenn
du fie noch einmal anrührft, fo wirjt
erftohen! — Da war ih in jeinem
Banne. As ich hernach der weiteren
Entwidelung meiner Geſchichte mit
doppeltem Intereſſe folgte, war ich
überzeugt, dajs der Schopper-Schub
den Adlerwirt ganz gewiſs ermorden
würde. Es kam anders, der weich—
müthige Wdlerwirt ward zu eimem
beklagenswerten Dulder, feine Liebe
zu Frieda juchte er redlich zu dämpfen,
bis er endlih vom Zufall unbarme
herzig mit dem Mädchen feiner heim
lihen Leidenschaft zufammengeführt
wurde. Jetzt fanden die Dinge fo,
daſs der Schopper-Schub wohl ans
Meſſer griff, aber nicht mehr zuzu—
ftogen vermochte. Denn durd lange
Entjagung war in feinem warmen
treuen Herzen die Liebe zum Weibe
weit und hoch über die finnliche Leiden-
Ihaft hinausgewachſen, und mächtig
erfüllte ihn der eine Gedanke: Glücklich
machen das geliebte Wejen um jeden
Preis.
Rechtsſinn des Naturmenfchen: Wenn
die zwei fi in der That lieben, jo
follen fie fih Haben. — In dem
Augenblide, als ich den armen Menfchen
Ein zweites Wort ſprach der
that, jo fiel mir doch ordentlich ein
Stein vom Herzen, als das gräfsliche
Unglüd auf der Holzriejen geſchehen
war — jetzt endlich! jet können die
zwei jungen Leute, die wirklich für
einander gefchaften zu fein foheinen,
zuſammen heiraten ! Und da
thut ih mir eine ungeahnte Tiefe
des Meibesherzens auf: Jetzt, da
Solches ſich zugetragen, mag ſie
feine Liebſchaft mehr, und am wenigſten
eine mit dem, der ihr ſo lange im
Wege geſtanden, deſſentwegen ſie den
treueſten Menſchen auf der Welt miſs—
kannt und abgewieſen hat.
Wenn meine heiteren Geſchichten
auf ſolche Art enden, daun will ich
mich zweimal beſinnen, ehe ich wieder
einmal eine Idylle anfange zu ſchreiben.
Und vielleicht thut auch jeder andere
wohl daran, ſich zweimal zu beſinnen,
bevor er — ſei es mit einer armen
Magd, oder ſei e3 mit einer feinen
Großbauerntochter — ein Liebesver«
hältnis anhebt. Iſt die Dichtung ſchon
in weher Verzichtung dahingehen ſah, ſo ſchlimm, um wie vielmehr erſt die
wujste ich freilich, daſs da noch etwas
geſchehen würde.
recht, daſs der Schopper ein Opfer,
nur halb vollbringt, und dafs er jelbft
nicht mehr würde weiterleben wollen, | jchnell.
das fürchtete ich.
Ich glaubte nicht | |
‚Wirklichkeit .
Don den wenigen Belannten, die
noch leben, haben wir uns gar nicht
verabſchieden köͤnnen. Es gieng zu
Wenn der Chroniſt dieſer
Ereigniſſe ſich ſchließlich ſelbſt als einen
Als Frau Kunigunde von dem alten Bekannten vorſtellen wollte, als
der Gant verfallenen Adlerwirtshaus den kleinen Profeſſor Nix, ſo wäre uns
auf dem Steirerwäglein fortfuhr, ließ damit nicht ſehr gedient. Der Frieda
ich ſie ſehr ungern in den Sieben- und dem Wolfram hätten wir noch
bachwald ziehen. Aber ihre Rachſucht gerne die Hand gedrückt. Wenn ſchon
gegen den durchgegangenen Mann war die Jungdirn ſchrieb, daſs, was ver—
ſo groß, daſs ſie keine Macht der gangen iſt, vergeſſen ſein ſoll, ſo
Melt zurüdgehalten haben würde, ſeine möchten wir ihnen doch für das, was
Spuren zu verfolgen. Ich ahnte nichts , klommen wird, alles Gute wünjchen,
Gutes, als fie dem Schopper-Schub| vor allem ein Starkes Herz, weldes
nachfragte und leider — meine Ahnung | die trotzdem undergejslichen Erfahruns
bat mich nicht betrogen, gen der Vergangenheit in der Zukunft
So leid es mir um den Schopper ſich zunutzen mache.
LO
—
Wenn Einer es
Eine ſchwänkige Geſchichte
as Trauerjahr der verwitweten
Wirtin „zum blauen Stern“
*
8
5
—
o
nach ihres Mannes Tod zwei Stinder,
einen Buben und ein Mädel, zu er=
ziehen und das große gangbare Eine
tehrwirt&haus zu führen; das war
wohl Uberlajt für eine afleinftehende |
Frau, und im Orte war man übers
zeugt, „dajs fie nicht alles miteinander
werde dD’ermachen können”, und bald
trachten müjle, wieder unter die Daube
zu kommen, und niemand zweifelte
daran, dafs fie um Freier micht zu
jorgen brauche, denn ihre Verfon, die
einer ftattlichen Dreißigerin, war ganz |
darnach angethan, mehr als einen an—
zuloden, alle Laſt mit ihr zu theilen.
Es war natürlich, daſs feiner, der
anf die ſchmucke Wirtin oder das gute
Geſchäft, oder auf beide Abfichten hatte,
die ganze Trauerzeit verftreichen ließ,
ohne der Witwe merken zu laſſen, wie
gut er ihr fei, und wie lieb es ihm
wäre, wenn ihm von ihrer Seite
Gleiches widerführe. Kurz nach dem
Todesfalle, der die Frau zum Herrn
des „blauen Sternes“ machte, hatten
die beiden anderen Galtgeber im Orte
den Verdruſs, manchen ihrer Stamm—
gäſte plößlich zu verlieren, fie wussten
aber recht gut, wo derſelbe zu finden
war; bald jedoch kehrten die Treulofen |
wieder zurüd, nicht wenig erbost über‘
den Empfang, den fie bei der trauern:
den Witwe gefunden, die in rüdhalt-
lofer Weije zu verftehen gab, es möchte
in Oberndorf war um, fie hatte |
nur jeder bleiben, wo er jich bei Yeb=
zu Schlau mad.
von £udwig Ansengruber.*)
|zeiten ihres Seligen verhalten hätte,
und fie gebe nichts auf „Jo 'neu Kal—
fakter“. Sie geftand nur ihren Stamm—
gäften das Recht zu, fie zu tröften
und ihr zu rathen; dafür erhielt fie
von ihren zwei Concurrenten den Titel
‚eines Ehrenweibes, und es ward ihr
von denſelben nichts im den Weg
| gelegt.
| Mit Troft und Rath trifft es eben
nicht jeder gleih, und jo fonnte es
nicht fehlen, dajs einige ihrer Stamm—
gäſte den anderen den Rang abliefeit.
| Bemühung, die feinen Dant findet,
verdrießt befanntlich bald jedermanı,
und fo überliegen nach wenigen Wochen
all jene, die das Manlwerk nicht To
„bei der Hand“ Hatten, den aljo be-
vorzugten das Feld. Eigentlich waren
es, nah Zahl der guten Dinge, nur
drei, denen die MWirtin für derartige
Theilmabmsbezeigungen ein freund
liches Geficht zeigte; der erjte war der
„NRäuberferdl*, Stand aber durchaus
nicht im Verdachte, daſs er „ein freies
Peben Führe“, und nur höchſt aus:
nahmsweiſe, wenn er jehr jpät vom
Wirtshaufe Heimgieng, „war ber
Mond feine Sonne“, und er hieß
eben: Ferdinand Räuber, war ein
verwitibter Winzer, ohne Kinder; er
beſaß ein weiches Gemüth, daher er
| e3 am beſten traf, der verlaffenen Witwe
in Stunden, wo fie ihre Bereinfamung
eınpfand umd beklagte, nach dem Herzen
zu reden; an ZTröften war er allen
anderen über, es kam ihm ja auch der
Iympathifch ſtimmende Umſtand zugute,
) Diefe meifterhafte Humoreste entnehmen wir dem vierten Bande der „Be:
fammelten Werke von Ludwig
Anzengruber.
Stuttgart. 3. G. Cotta'ſcher
Verlag. 1890. Wir werden auf diefe höchſt verdienfivolle Ausgabe des Näheren zurüd:
fommen.
Rofegger's „„Geimgarten'‘, +. Geft, XV,
Die Red,
17
258
durch ein gleiches Leid geprüft worden | oder jonft daheim wo „fartelte*, trieb
zu fein. Es hieß zwar, er ſei en Pe es Geſelligkeit halber und um wenige
dem Trunke ergeben, aber das be= Groſchen.
haupteten nur etliche Nachbarsleute, | Es kann nicht geleugnet werden,
die ed von feiner Seligen gehört haben | daſs die Frau Wirtin fchon lange für
wollten, und denen er zu oft in den ſich im ftilfen ebeudasjelbe dachte, was
Keller ftieg und zu lange in demfelben | alle Leute im Orte dachten, nämlich,
blieb ; wer nicht jelbit Hauer ift, hat daſs ſowohl der Tröſter, wie der Be—
ja feine Ahnung davon, wie der Wein! rather ein Auge auf fie habe, und
auch noch im Faſs betreut und ger | 8 fann weiters nicht geleugnet werben,
pflegt werden will, und wie nicht dafs fie ſich beide ſchon eine Weile
allein der Menſch den Wein, fondern auch daraufgin angefehen hatte und
auch der Wein den Menichen braucht! ſich mit der Antwort auf die Frage:
Im MWirtshaufe, überhaupt unter Wen nehm’ ich? trug, doch war hier
Leuten, hat man den „Räuberferdi* | die Mahl mit feinerlei Qual verbun—
nie betrunfen gejehen.
Der zweite war der Fleiſchhauers—
fohn im Orte, ein geriebener Burjche,
wie das fein Gefchäft mit fich brachte,
denn er trieb ſich jahrüber in allen
vier Bierteln des Landes auf Ochſen—
und Kälberkauf herum. Er kannte fi
in der Welt aus und wußste mit den
Leuten umzugehen, denn um zu feiner
Mare zu fommen, mufste er an diefen
vorüberdrängen und richtete das ftets
jo geſchickt ein, dafs nicht er es war,
der dabei blaue Flecke abbekam. Wenn
die Witwe häusliche oder gejchäftliche
Sorgen drüdten, wujste er ihr nad
dem Kopfe zu reden und war ihr befter
Berather. Man mufste ihm im Orte
weder Gutes noch Üübles nachzuſagen,
da er, wie bemerkt, feine Zeit wohl
öfter auswärts wie daheim zubrachte,
indem er nicht nur jeines Baters,
ſondern auch anderer Gejchäfte im
Viehhandel beforgte. Nur einige Übel— |
gefinnte, die leicht an jedem was zu
tadeln fanden, wollten gehört haben,
Wanderungen mach gethaner Arbeit
nicht ruhe, fondern ſich nach ge—
ſchloſſenem Handel aufs Kartenſpiel
lege und das jo undhriftlich treibe,
daſs es Schon mehr als einmal vorge—
fommen fein Toll, dafs er einen eben
gelauften Ochſen veripielte, wieder ge
warn und abermals verjpielte. Ge:
ſehen hatte e3 aber noch feiner, und
wenn der Waltl im
„blauen Stern“ | Bauer nad — verftand er fich,
‚den, denn der Perfon nach waren
weder ber Ferdl noch der Waftl „une
eben“, und ins Geſchäft pajste der
Winzer wie der Fleifcher, da konnte
fie nicht fehlgreifen, wohin fie auch
langen mochte, und ganz nad ihrer
Laune handeln.
Sp eben und glatt wäre die Ge—
ſchichte geftanden, hätte fie es nur mit
den zweien zu thun gehabt, fo aber
war da noch der dritte, der „Buch
felder Dieter“, der machte die Sade
etwas verwidelt, der war erft kurz
nad dem Tode des „blauen Sternen
wirtes“ nach Oberndorf gelommen, und
zwar als Pfleger auf das Gut des
älteren, kränkelnden Kleehofbauern;
er hatte als Cavalleriſt gedient und
als Wachtmeiſter feinen Abſchied be—
kommen, ſeine Eltern ſollten „da
drüben irgendwo“ ein großes Anweſen
beſitzen; dieſer „Dieter“ war nun ein
gar ſtattlicher Mann und trotz ſeines
nun doch ſchon etwas geſetzten Alters
ein rehter Schnurribus und wuſste
dajs der „Fleiſcherwaſtl“ auf feinen
die Leute lachen zu machen, fie mochten
dazu aufgelegt fein oder nicht.
Kurz, der Dieter war das Züng—
lein an der Wage zwijchen dem Ferdl
und dem Waftl, und fam die ins
Gleichgewicht, Fo fand er oben auf!
Das ftand feit, Geld, wenn er welches
beſaß, hatte er nicht fo viel wie einer
von dei beiden anderen, aber auf die
Wirtſchaft — das fagte ihm fein
und
ungleich angenehmer war e3 doch, Statt
ſich von Ferdi mit mitleidigem Gethue
und jammeriger Stimme tröften zu
laſſen, wenn einem der närriſche Menſch
die Bangigkeit hinweglachen machte,
daſs die Wugen, die anfangs vor
Ihränen feucht waren, zulegt voll
Lahthränen fanden, und angenehmer
war es auch, ftatt den Waftl feine
Findigkeit überlegen ausframen zu
hören, durch einen als Scherz hinge—
worfenen Kniff und Pfiff über Sorg’
hinmweggetragen zu werden. Was gäb’
der Mann für einen leutluftigen Wirt ?
Und ſchließlich jäubrer wie der Ferdl
und der Wajtl war er auch!
Trogdem fam die Wage nicht zur
Nude, die Schalen für Ferdl und
Waſtl ſchwankten beftändig, und das
Zünglein fam dabei immerfort chief
zu ftehen, denn der Fleiſchhauersſohn
brachte nicht nur was ins Gejchäft,
jondern verdiente noch außerdem, der
Winzer fam auch nicht mit leeren
Händen und Hatte volle Keller und
tragende Weingärten; die Wirtin ver—
mied felbft in ihren eigenen Gedanken
jede Entſcheidung und jchob fie hinaus
bis auf die Zeit, wo fie eben nimmer
zu umgehen fein werde, dann würde
ih ja alles ſchicken, der Zufall follte
enticheiden, wer es bon den dreien
über die beiden anderen davontrüge,
fie gieng ja für alle Fälle ficher, da
ihr alle gleich anftändig waren! So
zeigte fie fich denn jedem gleich gut.
Diefes Verhalten der MWirtin aber
machte es den drei Stammgäften voll.
tommen flar, wie die Sache für jeden
von ihnen ftand. Den beiden Neben
buhlern die Wirtin zu verleiden, daran
fonnte feiner denken, denn jeder mufste
darauf aus jein, von ihr nur Gutes
verlauten zu laſſen und ernftlich bös
zu thun, wenn nur ein zweideutig
Wort über jie fiel; jo blieb nichts
über, als der Wirtin die beiden Neben—
bubler zu verleiden, und da das ſchlaue
Weib es darauf abgejehen hatte, es
mit feinem vorzeit zu verderben, fo
war das ein hartes Stüd Arbeit.
259
Die dreie bewachten fich gegen—
ſeitig; ſie waren ſich ſtets auf der
Spur, wie es, der Redensart nach,
die Poliziſten den Verbrechern ſein
ſollen, und ſtets voreinander auf der
Hut, wie es, leider thatſächlich, die
Spigbuben vor der Polizei find. Trat
der eine in die Gaftftube, fo kam der
zweite jchon um die nächite Ede, und
der dritte — ſaß jhon am Tijche.
Sie ſetzten ſich allabendlich zufammen.
Menn ich zwei zufällig, was freilich
außerordentlich jelten geſchah, Früher
zufammenfanden, jo hätte ein frommer
Chriſtmenſch, dem e3 vergönnt geweſen
wäre, ihr Geſpräch mit der Wirtin zu
belauſchen, die auferbauliche und tröſt—
liche Bemerkung machen können, dafs
Gott in ſeiner Weisheit das ſchwache
menſchliche Herz fo einzurichten wujste,
dajs es jelbit in Laftern und Un—
tugenden das anftreben muſs, was die
Tugend vorfchreibt, denn jo oft jich
von den drei Nebenbuhlern ihrer zwei
trafen, jo war es doc) nur die Feind—
ſchaft gegen den dritten, welche fie die
gegenjeitige Abneigung fiegreich über—
winden und Freundſchaft ſchließen
ließ, und wenn fie auch dann den
Abwefenden zufammen nad Kräften
verleumdeten, jo ftrebten fie ſchließlich
damit doch nur die Erfüllung des
Gebotes an: Liebe deinen Nächiten,
denn der war die Wirtin, Die neben
dem Tiſche ſtand.
Schade nur, daſs dieſe mit Redens—
arten, wie „Hinter dem Rücken ſagt
man ein'm oft viel nach“, und „'s is
nit alles z' glaub'n, was d'Leut'
reden“ — ſich immer des Abweſenden
annahm. Mit dieſem Hinhalten ver—
gieng die Zeit, und es war ſchließlich
ganz erklärlich, daſs es den drei Ge—
ſellen vor ungeduldiger Erwartung
in ihren Jacken ſchier zu enge ward,
als eines Abends die Wirtin, früher
wie ſonſt, den Keller ſchloſs und aus
der Gaſtſtube gieng, nachdem ſie zuvor
geſagt: „Heunt iſt der erſte Gedenk—
tag von mein'm Mann ſein'm Ver—
ſterben. Da ſchickt ſich doch, daſs ich
17*
feiner armen Seel’ im Gebet gedenk'
und die Kinder dazu verhalt'. Jemerl,
wie die Zeit vergeht! Mein’, ich hätt’
nit gedacht, dafs ein Jahr in der
Trauer fo ſchnell um wär’, wie ein
anderes. Bin nun meigierig, was mir
das jetzige bringen wird? Na, wie
Gott will! Gute Naht, Leuteln !“
„Sapperment, jebt kann mer doch
reden!“ dachten der Ferdl und der
braucht nit erft aufz'ſtehn, und wer
gleih am Ort bleibt, erſpart ſich 'n
Gang danach?“ Da hatte er die beiden
anderen auf ihren Sigen feitgenagelt
und feiner dachte mehr daran, ich
davon zu heben und zu gehen.
Das war ed, was der Dieter wollte
Das Gehen Hatte er ihnen verleidet
und das Bleiben gedadte er ihnen
jo einzuträufen, dafs fie fich daraufhin
Waſtl und der Dieter, „Früher wär's des Kommens zu ſchämen Hätten!
nit ſchicſam g’weien und hätt’ können
übel aufg’nommen werden, aber mor—
gen ſchon is's erlaubt, und Eil’ zeigen,
it da beſſer, als fih Weil’ laſſen!“
Und jeder date: „Morgen red’
ih, und es gilt nur, früher aufzuftehen
al3 die anderen zwei.“
Der Ferdl und der Waſtl zogen
eilends ihre Geldbeutel und riefen nad)
der Sellmerin, um die Zeche zu bes
gleichen, der Dieter aber bejtellte eine
Flaſche vom „Beten“, und ſich be—
haglich auf dem Sitze reckend, ſagte
er: „Leuteln, ſo dumm ſind wir wohl
keiner, daſs wir nit wüſsten, wie es
mit jedem von uns beſtellt is, ich
mein' im Abſehen auf ſelbe mudel—
ſaubre und kreuzbrave Wirtin. So
jung wie heunt kommen wir nimmer
zuſammen und wohl auch nit ſo zu—
günſtig und unneidig, denn hitzt muſs
ſich ja doch bald weiſen, wer der Hahn
im Korb is. So woll'n mer denn den
Wein da gemeinschaftlich trinken —
zahl'n thu' ich 'n — auf der Wirtin
ihr Wohlſein und auf dasjelbe vom
lünftigen Wirten von „blauen Stern“;
noch willen wir mit, wer derjelbe jein
wird, und kann fich jeder denken, er
laſſt dabei fich ſelber hochleben!“
Als die Flaſche leer war, und
Dieter noch feine Anftalten zum Heime
gehen traf, ſondern nad einer zweiten
Wer als Wirt auf den Gafthof
„zum blauen Stern“ zu fißen ge—
fommen wäre, wenn an jenem Abende
der Dieter ſich feinen Streih gegen
feine Nebenbuhler ausgejonnen hätte,
das vermochte wohl niemand zu jagen,
aber hintennach konnte jeder die Wirtin
verlichern hören, daſs ihr der „Buch
felder Dieter” damals einen rechten
Dienit getan.
Als am anderen Morgen die Wirtin
die Treppe herabftieg und, wie es ihre
Gewohnheit war, vorerft im Hofe
Umſchau hielt, da Jah ihr im den
heilen braunen Augen und auf den
vollen rothen Lippen der Schalt, dem
das gottlofe Weib dachte gerade daran,
dafs es duch die geſtern gethane
Außerung drei Mannleute in all die
Unruhe, Eiferfüctelei und Schmadt-
Inppigfeit gejtürzt habe, welche jo eine
Werbung, mit anderen um die Wette,
zur Folge hat.
Die alte Stalldirne, weldhe eben
die Milcheimer fcheuerte, rief vom
Brunnen ber den Morgengruß.
Die Frau MWirtin dankte mit
freundlichem Niden und jchrie dann
heil und gell nach der Kellnerin, der
Nandl.
„Darauf hört die heunt wohl nit,
vollen Flaſche rief, da wurden der yerdl | Wirtin“, fagte die Alte, „wirft j’
und der Waſtl ftußig, und als gar) jchier ſelber aufbeuteln müſſen.“
der ehemalige Wachtmeifter der Dirne,
als fie den Wein brachte, zuraunte,
aber jo, daſs es auch die Nebenfigenden
leicht hören konnten: „Was meinft,
Nandl, wer fih gar nit niederlegt,
„Ra, wär nit übel“, meinte die
junge rau.
„Mein’*, ſagte die alte Magd,
„muſst's nur willen, daſs ſ' von
geſtert abend bis heunt fruh nit weiter
261
3 bringen waren und da g'ſeſſen je,
und alles aufg’effen haben, was ſie
wit iſst, und alles getrunfen, was fie
nit trinkt.“
„Io, wer denn?“
„No, der Räuberferdl, der Fleiſch—
bauerwafll und der Buchfelder Dieter.”
„Eo?* fagte die Wirtin und
runzelte die Augenbraunen. „So?“
wiederholte fie. „Da muſs ich doc
gleich die Nandl drüber befragen.”
Sie gieng rafh nad der Wirtö-
tube und quer durch diefe nach der
Schlafkammer des Mädchens und hatte
alle Mühe, diejes zu erweden und bis
zur vernünftigen Red’ zu ermuntern.
Da belam fie denn zu Hören, dafs
das faubere Kleeblatt vor anderthalb
Stunden erft weggegangen, der Dieter
aber noch wicht heim fei, fondern nur
ein wenig in der freien Luft ſich herum—
treibe, um der Wirtin, wenn jie wach
wäre, über all das während der Nacht
Vorgefallene Beſcheid zu fagen.
Die Wirtin jehüttelte den Kopf,
aber der Unmuth wid) aus ihren Zügen,
jie trat an das Fenfter und blidte
durch die Scheiben hinaus auf den
Pla, da ſah fie auch den Dieter wie
eine Schildwache längs der Häuſer—
zeile dahinschreiten, als er aber näher
fam und ihrer anfichtig werden fonnte,
da war er in wenigen Sprüngen
Wegs herüber und Höpfelte an die
Scheiben und pochte an der Thüre.
As ihm die aufgethan ward, trat er
ein und jagte: „'n Morgen herein,
jo Schön wie du jelber bift, Wirtin,
und wenn dir mein’ fruhe Kundſchaft
lieb und recht ift, Jo gibjt mer ſchnell
ein Stamperl Sträutergeift.“
Da blidte die Wirtin ſchon wieder
etwas unfreundlicher und ließ den
Kräutergeift durch die verſchlafene Nandl
herbeifchaffen.
„Wär’ mir lieber g’weit“, ſagte
der Dieter, „dur hätt'ſt mir eing'—
goffen, jchmedet mer dreimal fo gut!
Biſt mir wohl gar harb, weil ich
heunt Naht von da gar nit heim=
g’funden hab’! O, Wirtin mein, dös
war’ ja mein Traum und mei’ Leb'n,
dafs ih von demjelben Haus nie
draus müſst' und drein verbleiben
kunnt'.“
„No, wer weiß, was g'ſchieht“,
ſagte die Wirtin.
Der Dieter machte dazu ein ſo
rundes, leuchtendes Geſicht, wie der
Vollmond, wenn er hinter den Bergen
aufſteigt. „So allein, wie ich hitzt
daſteh'“, fuhr die Wirtin fort, „ver—
mag ich eh' mit der Wirtſchaft nit
aufz'kommen, und gib ich ſ' weg,
magſt ſie ja kaufen.“
Wie jetzt der Dieter betrübt den
Knopf neigte und zur Seite ſah, war
er im letzten Viertel. „Haſt du's noth,
z' verkaufen? Haft du's noth, allein 3’
bleiben?“ murmelte er. Nach dem
Mittel, zu dem er griff, um feine
Betrübnis zu lindern, ſchien diejelbe
jedoch nicht jo ernftlich, denn er goſs
den Sträutergeift darüber. „Dein Wohl,
Wirtin!“
„Dank ſchön! Du meinſt alſo, ich
ſollt's wieder mit 'm Heiraten ver—
ſuchen?“
„G'wiſs! A Weib wie du, Wirtin,
braucht nur die Hand ausz'ſtrecken,
ſo hat's af jed'n Finger a paar
hängen! Für a Weib, wie du, wär
's Ledigbleiben völlig a Sünd'!“
„Seh mehr zu! Aber wann d’
meinft und glaubft und weil d’ mein
Freund bift, jo fag nur auch, zu
welhem möchtet mir vathen, zum
Räuberferdl oder zum Fleiſchhauer—
waſtl?“ nedte fie.
Der Dieter ftügte den Kopf auf
den rechten Arm und zog ein jehr
ernfihaftes Geficht, das nur bon den
fuftig blinzelnden Augen Lügen ge—
ftraft wurde.
„Wen ich dir vermein’, wenn
ich dir's gut mein’, meint?" fragte
er. „Jo freilich, jo leicht geht das
nit zu jagen, das will überlegt fein
— ’n NRäuberferdl, den wirft mohl
fauın mehr mög'n —“
„Ei, warum denn nit?” fragte die
MWirtin dazwiſchen.
Uber der Dieter redete, ohne darauf
zu achten, weiter. „Doch wann dir
der Fleifhhauerwaftl recht fein thät’,
fo wünfchet i mir nix Beſſer's.“
Die Wirtin machte große Augen,
dann fagte fie ſpöttiſch: „Dat er did
leicht zu ſein'm Freiwerber b’ftellt
und iS dir um ein’ Kuppelpelz?“
„Wirtin, o du mein’, Wirtin du !*
rief der Dieter luſtig. „Wie Fannft
nur jo ein’ Frag thun? Eh’ ließ ich
mir ja d'Zähn ausbrechen und d'Zung'
abjchneiden, eh’ ich ein’m andern 's
Wort bei dir redet’ und nahın’ da
fein’ Kuppelpelz und wann er gleich
jo groß wär, daſs mer mit ihm a
oh Land zudeden kunnt' und an
jed’n Haarl a Ducaten hänget !”
„Dalt, du“, lachte die Wirtin,
„das kannſt leicht verſchwör'n, denn's
gibt gar fein Vieh nit, was in jo
'n Pelz drinftedt. Aber ſag ernftlich
— denn neugierig Haft mich g’nug
g'macht — wieſo möcht'ſt dir mir
Beſſer's wünſchen, als daſs ih 'n
Fleiſchhauerwaſtl nähm’? Und warum
ſollt' ih 'n Räuberferdl nit mehr
mögen mögn? Darauf bift mer a
noch d'Antwort ſchuldig.“
Darauf begann der Buchfelder
Dieter gar lieblich zu improviſieren,
denn er hatte die Gabe, ſeine Reden
zu reimen: „Darum, Wirtin, thu
mir's gewährn, — ſetz dich nieder,
mih anzubörn, — fo will ich dich
wohl aufflärn, — mas fi geltern
zutrag'n hat von Ungefähr'n, — und
dann laſs reden mit dir in Zucht und
Ehr'n! — Ich hab’ g’glaubt, ich werd’
a Narr, — wie d’ g’fagt Haft, um
is 3’ Jahr — und dö Trauer gar,
— und ſiech da neben mir das Paar,
— das a in dich g’ihojlen war; —
vor Lieb’ ganz krank, — Font’ ich
mich nit erheb’'n von der Bank, —
und bis zum Morg'n war d’Zeit mir
3 lang, — und mei’ Herz mir bang,
— dafs einer mir z’vorfäm’ mit 'm
Gang, dafs einer mir z’vorfäm’ aın
heutigen Tag, — an dich mit der
Frag’, — an did mit 'm Wurt, —
mir war frei nit guat!“
„Reit’ dich der Gangerl?“ Tachte
die Wirtin bellauf. „Wirft gleich reden
wie a vernünftiger Menſch!“
„O, Wirtin, du weißt mit, wie
vernünftig Reden jhwar*) is,
wann der Menfch vor lauter Lieb a
Narr is, — weil aber, dich falſch 3’
machen, hitzt die G'fahr is — no, fo
eripar’ i's, und red’ nur, wie's
wahr is.“
„Und ich renn’ dir gleich davon,
wann's nit bald gar is!“ reimte luftig
die Wirtin.
„Aber wann d’ dich auf dös Reden
verfteht, was thuft denn mit lieber
mit?“
„Na, nir da. Laſs amal ordentlich
hör'n, was's eigentlih geb’n hat.“
„No, fo Hör, Wirtin, — 0, du
MWirtin mein, wann ih dich fo be=
tracht', mein’ ich, daſs mer zu dir
gar mit reden kann wie zu andere
Leut’, und daſs a andere Sprach' und
a Mufit in der Stimm’ dazu g’höret’
aber ſchau nit harb **), ich
fang’ Schon an! Mir war geftert nad
deiner Red’ wirflih bang, dajs mer
der Ferdl oder der Waſtl bei dir zu—
vorlam’, und da Hab’ ich mir denkt,
wann d’ hitzt ſitzen bleibit, jo gebt
dir auch feiner von dö andern fort,
und mann ſö fih da im Wirtshaus
verhoden, g’lingt’3 dir vielleicht doch,
fö in ein'm Zuſtand heimz'ſchick'n,
wo ſö 's Nachtleibel für a Unter:
ziehhojen anſchau'n und bevor d'Sunn'
nit bei dö Fenſter H’reinbrennt, an
der Jacken fein Ärmelloch finden.
„Es is noch weit beijer kommen,
wie ich erwart’t hab’, und dö Nandl
fann ſag'n, dafs ich dir nur d’ reine
Wahrheit bericht’, denn fie war dabei,
und dafs du’s nit warft, das is recht
g'ſcheit g’weit, denn in dein'm Beifein
hätt’ mer fich nit jo 3’ trinken g’traut,
wie mir g’trunlen hab'n, — g’mifcht,
*) Schwar = ſchwer.
**) Harb = böfe.
— hitzt weiß, dann roth, dann ein’
Schilcher*) mörderiſch ſag' ich Dir,
— und der Räuberferdl hat af kein'
Trunk 'n B'ſcheid verweigert, 's is
mir warm g'nug word'n dabei! Neben—
her hab' ich auch g'merkt, wie ſich
der Waſtl auf 'n Schlauen h'naus—
ſpielt und ſo oft mer 'n aus 'n
Augen laſst, a Reſtl Wein nach 'm
andern auf 'n Fußbod'n ausgießt.
Einer nach 'm andern, denk' ich mir,
dich verſpar' ih mir af 'letzt, ich
weiß ſchon, womit ich dich Fang’!
„Mitten im fchönften Schluden
und Füllen Schaut mich af amal der
Ferdl von der Seit’ an und darauf
lat er mir ins G'ſicht. »Gauner—
vogel,« jagt er zu mir, »meinft, ich
mer!’ nit, wo d’ h'naus willft, untern
Tiſch möcht'ſt mich trinken? Das bift
aber du nit imfland und niemand
im Ort da. Den Wein aus mein’'m
Keller und wieviel davon ich alle Tage
vorm Schlafengeh’'n trink’, vertragt
jo feiner von euch!« Darauf jauft er
wie a Loch, und ich thu mit, obwohl
ih ſchon 3’ fürchten ang’hob’n hab’,
's kunnt' am End’ doch fchief gehn.
A Weil danach jagt er zu uns zwei’n,
zum Wafll und mir: »Os feids
Narren, dafs ihr mir d'Wirtin nit
vergunnt! Thät’ ich der Herr da fein,
möcht'n mer alle Täg' jo luftig wie
heunt beifamm’fißen, nur mit ein'm
weit bejjeren Tropfen. Halt ja! Gilt's?«
Der Waltl Hat ’n Kopf beutelt und
ih ag’, — nur um was 3’ reden,
Wirtin, nit, dafs ich ihn auf dö Ned’
hätt’ bringen woll'n — ich jag’ aljo:
»Dös war’ fein Dandel net, Ferdl,
da hätt” mer leicht 's leere Nachſchau'n,
denn d'Wirtin leidet das in d'Nacht—
Hneinfigen g'wiſs nit.« — »Was dentit?
jagt er drauf. Mufst mir nit bös fein,
daſs ih feine unb’schaffenen Wort in
n Mund nimm, aber d'Nandl kann's
bezeugen, daſs er g’fagt hat: »Pap-
perlapa,« Hat er g’fagt, »mir foll
fein Weib 's Trinken verleiden, das
*) Schilder ſchillernder Wein.
bat die erfte nit können und die zweite
ſoll's a nit! Solang ein'm um eine
18, hat man wohl Heimlichkeiten vor
ihr, fobald mer aber amal der Mon
is, hör'n fih dö auf. Laſst's mic
nur erſt 'n Wirten da fein, jo huſten
mer af dö Wirtin!« Da hat der Waftl
glaht und af d'Nandl deutt, was
daneb’n g’itand’n is. No is der Ferdl
noch röter word’n, wie er eh’ ſchon
g'weſen is, wie a Folioblattl af d’
lebzelternen Cigarren, was mer 3’
Kirchweih' 'n Kindern beim Standl
fauft, hat fein Gicht g'leucht't. A
paarmal hat er dumm g’laht und
„G'ſpaſs, G'ſpaſs“ H’rausg'würgt, und
dann Hat er fchleunig wieder zum
Glaſel griffen und ang’fangt, n’ Wein
gach h'nunterz'ſchütten, hitzt Hab’ ich
Kuraſch kriegt. »Thu mer das nach
und das!« und ein Trunk Hat 'n
andern g’jagt, und da is er bald
fertig g’west. Af amal rappelt er ji
vom Seffel auf, Halt’t ſich am Tiſcheck
an und zudt und ruckt jo mit der
rehten Seiten, als wollt’ er fein’
Körper zur Thür H’nausziel’n, und
richtig, wie er loslajst, ſchießt er a
quer über d’Stuben und fliegt af
v’Straßen, da is er ung’fähr a ſechs
Schritt weit af alle viere fortg'krochen,
dann is er mühjelig in d'Höh', und
wie er jo dag’ftanden is, mit borge-
bohrtem Kopf, h'naufg'zogene Schultern
und dd langabehängenden Arm’, da
hat er ausg'ſchaut wie dö g'wiſſen
haareten Bamkraxler in der Dienagerie,
was fi, ohne d'Füß' aufz'heb'n,
fommod dö Wadeln kratzen können,
wan ſö's jucken. Dann hat er zun
torkleln ang'fangt, und daſs er an 'n
Häuſern d'Eck ſtehn laſſen und kein'
Maner eindrudt Hat, iS nit ſein'
Schuld. No, und wie er in d'Nacht
h’nein verſchwunden iS, hab’ ich mir
denkt, der fan heimbleiben, den nimmt
dö Mirtin nit.“
Die Wirtin ſah ziemlich ernft zu
dem Auftigen Erzähler hinüber und
fragte: „Na, und wie ſteht's denn
nachher mit 'n Waftl?*
„Nah 'm Waſtl fragft? Nach ‚m [bein Einſatz?« — Sagt er: »Dieter,
Maftl fragft ?* fragte, wie ein Papagei |warın der Teufel d’Hofen holt, brauch’
Ihwäßend, der Dieter dagegen; denn ih 'n Gurt a nöt, der mir 'n Leib
die Art, wie die Wirtin feine Gefchichte | z'ſammenhalt't. Ich ſetz' die Wirtin.«
aufnahm, behagte ihm nicht und ihn — No, no, Wirtin, braucht feine jo
befchäftigte eben der Gedante: Mas |finftern Mugen z' machen. Wirft’s ja
das Donnersweib nit dazu lacht? „Sa, | bit wohl verftehn, dafs ich g’fagt
richtig”, jagte er, fich mit beiden Hänz | Hab’, wär’ dir der Waſtl recht, wünjchet
den durch fein krauſes Haar fahrend, ich mir nix Beſſer's, denn der mist’
„da will ja aud noch erzählt fein. did mir ausfolgen, dem hätt’ ich
Alſo, dafs ich jag’, wie wir dem Ferdl dich abg’wonnen, aber feel'udergnügter
los waren, las’ ih ein Spiel Karten |macdet mid) do, wann d’ von fein’m
hergeben ; den!’ mer noch, g’trunfen von dö zwei was willen wollteſt . . .“
wär’ ſchon mehr als 3’ viel, und der Die Wirtin hatte fi nach diefen
Waſtl Haltet’ da eh’ mit mit, ihm zu | profaischen Auseinanderfegungen haflig
ein'm Zeitvertreib, dent’ ich, denn dafs |von dem Stuhle erhoben, auf dem fie
er jo ein Spielraß *) wär’, wie fich | vorhin, der poetifchen Einladung Dieters
naher H’rausg’ftellt Hat, das konnt’ | folgend, fich jo bedächtig niedergelafien.
ih mir mit denken, Wirtin! No, gut, „'s is ſchon gut“, jagte fie rau und
der war gleich dabei, und wir ſpiel'n, ſtrenge, „'s weitern verlang’ ich mir
erſt um die Zeh’, aber ich hab’ mein’ |nichts zu hören. Ich bin dir zwar
MWiderpart gleih d'erkannt als ein’, | Dank jhuldig dafür, daſs du auf
den der G'winn hitzig macht und der g'wieſen haft, in welch' Elend ich mit
Verluſt ganz unbelinnt ; fo lafs ich ihm Jein’'m wie dem andern von dö zwei
denn die Freud’, folang mir die arten |g’rathen wär! —“
ſchlecht g’fallen jein, mich nach Herzens» „Na, ſiehſt, ma ſiehſt“, fagte der
luft ausz’fadeln, mit 'm erften guten verdutzt dareingloßende Dieter, „'n
Blatt in der Hand heb' ich aber an, | Dank follt!ft eb'n bedenken!“
'n Einjaß z' verdoppeln, ich g'winn' „Aber in Wahrheit muſs ich dir
einmal und wieder und ein anders: doch jagen“, fuhr die Wirtin fort,
mal, jetzt hätt'ſt 'n Waſtl ſehn jol’n!|„dals auch du mich in der heutigen
Bor Wuth und Haft kennt fich der mit | Nacht vertrunfen und verfpielt haft.“
aus, mit Blättern, worauf d’Sau fein’ „No, jei g’icheit, Wirtin! Warum
Eichel gäb’, dupliert er, und endlich | denn?“ Der Ercavallerift fuchtelte rath—
fißt er da, nachdem er fein’ alten |los mit beiden Armen in der Luft
Leuten 8’ Dad überm Kopf und 'n herum. „Das waren doc döfelben —
Boden unter 'n Füßen und s Vieh ich mit — döfelben !*
aus 'm Stall verjpielt Hat und ihm Die Wirtin trat ganz an ihn
jelber Hut, Rod und Stiefel vom heran. „Ja, fragft du das im Ernſt,
Leib, fo dajs ich ihn in Haar, Hemd warum? Haft du dich nit den beiden
ärmeln und Strümpfen hätt’ h'naus- |überlegen gezeigt, daſs du dich noch
jagen können. Weiß iS er g'weſen |beifer wie die zwei aufs Saufen und
wie d'Wand, und der Schwit is ihm | Spielen verftehft ?* Hierauf fehrte fie
von der Stirn g’loffen, d’Zähn hab'n ihm den Rüden zu und gieng aus
g'knarrt, wie er ſ' auf'nand' g’biffen der Stube, ohne auf dieje doch jehr
hat, und jein G'ſchan war völlig [eindringlich geitellten Fragen eine Ant»
Ihredhaft, aber noch hat's ihm mit wort abzuwarten, und falls fie nicht
ruhn laſſen. »Nir oder alles!« jchreit | Zeit verichwenden wolle, that fie ganz
er. — »Jo«a, fag’ ich, »aber was is recht daran, denn dem Buchfelder Dieter
hatte es die Rede gründlich verfchlagen.
*) Spielrag = Epielratte. Er Stand lange wie verdonnert,
wer Rem - — — —
a) ® r
»
[2
205
erit das ſchallende Gelächter der Nandl
brachte ihn wieder zu fih. „Himmel—
freuzfternelement!* fuhr er auf. „Was
lachſt? Mit Luft gäb’ ich dir paar
Ohrfeigen, boshaftes Menſch! — Ber:
zwiejelte Dummheit! Hitzt weiß ich's,
mer is a nit ſchlau, wenn man fchlaner
ſein will wie ſchlau!“
Ehe er aber — und zwar für
immer — aus dem „blauen Stern”
binweggieng, erinnerte er ji, was er
jeiner Reputation ſchuldig fer und
begieng in aller Eile, wie er jpäter
oft eingeltand, zu der vorhergeleifteten
eine neue — Dummheit.
„Naudl“, ſagte er, „laſs dir jagen,
du magſt's glauben oder nit, mir war
eigentlich wenig an der Wirtin g'leg'n.“
„Wann d' mir's Schon freiftellit“,
entgegnete die Dirne ſchnippiſch, „fo
glaub’ ich's nit.“
„Laſs dir jagen“, fuhr er gewichtig
fort, „lieber wie dös hochnaſete, aus—
ſucheriſche Weibsbild wärjt mer fchon
du. Schau, könnt'ſt "3 Maul halten
über d' heutig’ Naht, — 's fän’ mir
drüber unter d'Leut', denn die anderen
zwei werd'n fich hüten, davon z' reden
— jo nähm’ ih dich zum Schatz.“
„Ei, mein Jegerl, was frag’ ich
nah fo ein'm. — Schäß’ g'nug!“
„I heirat' dich. Das macht auch
die Wirtin irre’ am Glauben und nimmt
ihr die Luft, was drüber z' verlauten.”
„Ernſt?!“
„Wann d’ verſchwiegen biſt!“
„'s gilt, Dieter, von mir kriegt
fein Menſch a Sterbenswörtel davon
3 bören, und auch für die Wirtin
ſteh' ich dir, die lajst "3 Berühmen fein,
wenn ich jag’, wir wären längſt bevor
ihon handeleins g’wejen. Aber, wann
d’ nit Wort halt’ft, Dieter, Spajs ver-
ſteh' ich fein’, jo ſchrei' ich dir d’
ganze G'ſchicht af offenen Platz aus!“
Ein leifer Schauer fuhr dem Dieter
über den Rüden, al3 er jeine auf:
richtigen Abfichten wiederholt betheuerte,
dann gieng er und mälzte fih in
feinem weinſchweren Kopfe den zweifel-
trädhtigen Gedanken herum: ob es wohl
„Thlau* gehandelt war, nur damit
andere nichts zu lachen Hätten, ſich
durch ein Weib, daS feinen Spaſs
verfteht, in die Lage zu bringen, dafs
man felbft nichts zu lachen hat?
* *
*
Hier wäre eigentlih der Schwan
zu Ende; da fih aber unter den ges
neigten Lejern ſicher manche befinden,
die der fchwergeprüften Wirtinwitwe,
welche auf einen Schlag drei Freier
verlor, ihr Mitgefühl nicht verjagen,
jo ſoll noch in aller Kürze erzäglt
werden, durch welchen raſchenEntſchluſs
dieje rejolute Frau allen weiteren
traurigen Erfahrungen vorbeugte.
Am felben Tage no, nach Tiſche,
jaß fie über einem langen Schreiben
an einen entfernten Verwandten, der
fern auf einem feinen Anweſen mit
einem zweijährigen Dirndl, deſſen
Mutter unter der Geburt ftarb, ver—
einjamte. Sie berief ihn zu fi, als
Tröfter und Berather, ala Geſchäfts—
leiter für den „blauen Stern.”
Und während fie jo langjaın Zeile
für Zeile niederfchrieb, tauchte in ihrer
Erinnerung immer leibhaftiger das
Bild deſſen auf, an den der Brief
gerichtet war. — — In einem Dorfe
mit ihm aufgewachlen, hatte jie als
muthrwilliges Mädel oft mit dem etwas
Ihüchternen, unbeholfenen Jungen herz
umgetollt, al& mannbare Dirne empfand
fie die Überlegenheit des Burfchen,
welche ihm feine Tüchtigkeit zur Arbeit
und fein ernftes, vechtichaffenes Denken
verlieh, aber der anfängliche Wider:
wille diefer Anerkennung ihrerjeits
ſchwand, als fie merkte, dajs er ihr
gut fei, und jchließlich befriedigte dieſe
ftille Neigung ihren Stolz, als fie fah,
wie er fie in Ehren hielt und auf ihre
Ehre hielt.
Noch erinnerte fie fi) genau, wie
er dor ihre Stand, als fie mit dem
Wirte vom „blauen Stern” dom Altare
weg zu dem bereitjtehenden Wagen
gieng, um den Heimatsort für immer
zu verlaſſen. Wie brad, wie treu,
266
ehrlih und aufrichtig er ihr alles |fagte fie, „möcht's wohl wieder ein’
wünſchte, und wie er niemand die
Thräne ſehen ließ, die ihm, als er
‚die kleinere Mirzl ftedt behufs reif-
fi) abwendete, über die Wange lief,
niemand als feiner alten Mutter, die
es erit nah Jahren, als er ſelbſt
Hochzeit machte, erzählte.
Das war aber nicht die lebte Er—
innerung an ihn.
lächelte, als fie daran dachte, fie könnte
etwa noch darauf rechnen, ihn als
kraushaarigen, rothbackigen Burjchen
wieder zu ſehen. Nein, vor paar
Jahren hatte er fie ja auf paar Tage
beimgefucht, ein rüftiger, vielleicht ein
bijächen zu ernfter Mann, hätte ihn |
nicht das grumdehrliche, Frifchhlidende |
Ange freundlicher erfcheinen laſſen.
Seither wird ih wohl wenig an ihm
geändert haben.
Ei, fie Hätte ſchon früher daran
gedacht, ihn zu rufen. Aber eben, dajs
fie ihn rufen follte! Hielt ihn als
Mann der Stolz zurüd, den eriten
Schritt zu thun, weil ihm der des
Eigennußes verbädtigen konnte, jo
bielt jie als Weib die Schen davon
ab, „nachläuferiſch“ zu erjcheinen.
Sie mujste wieder lächeln, wenn jie
dachte, wo nun er, nachdem fie die
Scheu verwunden Hatte, mit feinem
Stolz wohl bleiben werde?
Und da ftreicht ſich die Wirtin
über die Stirne, denn ein Gelärme,
das die in der Stube jpielenden zwei
erinnert fie an dieſe
Kinder machen,
ihre Kleinen. „No, Hansl und Mirzl*,
‚dafs ein
— Die Wirtin |
braven Vater hab'n?“
Der Hans fteht überlegend und
licherer Erwägung den Finger in den
Mund. Bermuthlid war aber die
Frage in fo einladendem Tone geftellt,
„braver Vater“ als ein jehr
begehrenswerter Gegenftand erſchien,
und fo entfchlugen ſich denn die Kinder
im nächſten Augenblide des Dentens
und jagten beide: „Ya!“
„No, vielleicht kriegt's
Vetter.“
Da tauchte auch in den Kinder—
föpfen das Bild des großen Manıres
mit den freundlichen Augen auf, der
jo ſchöne Gefchichten zu erzählen wufste,
der gar lieb zu ihnen war, ja mehr
'n Loisl
als die Mutter, die, wenn fie lärmten,
jie gleih hinausſchicken wollte, aber
der Loisl Better behielt ſie dann immer
da und ließ fie micht weg.
Als der Brief geichloffen war,
gieng die Wirtin, beide Kinder an der
Hand führend, über den Pla nad
dem Boftfaften, die Heine Mirzl trug
das Schreiben, und die warb empor—
gehoben und ſchob den Brief durch
den Spalt.
„G'ſegn's Gott“, fagte die Wirtin.
Wo der Menſch aus reinem Sinne
und vollem Herzen heraus etwas unter=
nimmt, da Hat er den Segen ſchon
vorweg Hinzugethan. libers Jahr
batten fie im „blauen Stern“ den
Loisl Vetter als braven Bater.
267
Sie will nid.
Eine Beihichte, wie der Hans die Chriftel nimmt.
Bon 8.
E 5 Hang ſehr entſchieden und ein
trogige: Ich will nicht!
weiches Müllers Ehriftel den Borfteflun- ‚gegend;
Hein wenig eigenfinnig das |calculierte fie weiter.
Smreker.
Und was fehlt mir denn jebt?
Ich bin das
Hübfchefte Mädchen in der ganzen Um—
fann tanzen, jpringen und
gen ihres Vaters entgegenfeßte, als er | fingen, wie es mir gefällt, und brauche
fie zu beftimmen jucdhte, Hans Dorn= |
reih Hand und Herz zu geben.
„Aber Kind, du wirft nie mehr
eine jo vortheilhafte Partie machen“,
ſprach Bater Müller eindringlich. „Sage
mir wenigftens, was du gegen den
armen Hans einzumenden haft ?”
Da warf Ehriftel trogig die Un—
terlippe auf, zog das hübſche Geſicht—
chen jchief und erwiderte: „Er ge=
fällt mir nicht!“
Ahfelzudend verließ der Vater
das Zimmer, und Chriftel dachte ein
fein wenig nad, warum ihr Dans
nicht gefalle? Ürgerlich ftampfte fie
nit dem Fuße, dafs fie an dem
Ihönen jungen Mann fo gar nichts
zu tadeln finden konnte, und doch
mochte fie ihn micht, weil — mun
weil er ſich nicht getraute, ihr feine
Liebe zu geftehen und weil er geglaubt,
er könne die Heirat wie eine Ge—
Ihäftsfache mit ihrem Vater abmachen.
Freilich wäre es jchön, dachte
Chriſtel, wenn mich meine Freundinnen
Frau Aſſeſſorin hießen und mich um
den ſchönen Mann beneideten, Wie
ſtolz und glüdlih würde ich an feiner
Seite einhergehen und wenn wir abends
nah Haufe, in die behaglich einge—
und Kuchen unfer warten.
Thee und Kuchen! ach, wie würde
mir das jchmeden! Als Frau Aſſeſſo—
tin könnte ich mir wohl foldhen erlau—
ben, fogar auch mandhmal die Pfar-
rer'ſchen dazu einladen.
‚nicht erft ängftlih nah Wunfh und
Willen des geftrengen Eheherrn zu
fragen. O nein, ich Heirate nicht —
ih will nidt.
Damit ſchien die Sache abgethan.
Vater Müller bemühte fih durch—
aus nicht weiter, das berzogene, eigen-
finnige Töchterhen eines beſſeren zu
belehren, obgleich Ehriftel nicht ungern
gehabt hätte, wenn der Bater nochmals
auf das Gapitel zu ſprechen gelommen
wäre.
Der Tag vergieng und abends
kam der Aſſeſſor zu Müller, um fich die
Entſcheidung zu holen, und völlig ver—
nichtend trafen ihn die Worte: Sie
will nit.
Hans Dornreih ſenkte den Kopf
und hatte Mühe, den Schmerz über die
getäufchten Hoffnungen zu befämpfen.
Stumm drüdte er Vater Müller die
Hand und fchlich zum Thore hinaus.
Er ſchaute fih nicht um, that
auch Leinen Blid nah Chriſtels Fen—
fter, und flüfterte nur: „Sie will
nicht.“
Und doch ftand Ehriftel Hinter den
ſchneeweißen VBorhängen und zupfte jo
energiſch an den Spitzen bderjelben,
daſs die dünnen Fäden nacheinander
richtete Wohnung kämen, würde Thee
entzweiriſſen.
Nicht einmal einen wehmüthigen
Abſchiedsgruß Hatte er zu ihr hinauf—
gefandt, das war doch abſcheulich!
Und das follte Liebe fein? —
Ehriftel verhüllte das Geficht mit
den Händen und fchluchzte, weil —
268
Hans Dornreich gegangen war und nicht
wieder fommen werde.
Dennoch Hoffte Ehriftel von einem
Tag auf den anderen, daſs Haus vor—
jprehen und fie um Verzeihung bitten
werde.
Sie wufste zwar nichts zu ver—
zeihen, und, um einen Grund zu haben,
Ihalt fie ihn einen Hochmuthspinſel,
der geglaubt, fie werde ſich nur gleich
eine Ehre daraus machen, Fran Aſſeſ—
forin zu werden. — Nun, damit hatte
e3 feine guten Wege!
Chriſtel lachte laut auf und nahm
ih vor, an Hans Dornreich nicht mehr
zu denken.
Es war ein fehr heißer Tag, an
dem die Julifonne glühend nieder-
brannte, wo Chriſtel aus dem Dorfe
jenfeil$ des Berges ins Städtchen und
nad Haufe zurüdkehrte.
Sie war bei einer alten Muhme
gewejen, welche die arten zu legen ver=
ftand, wie feine andere, und diefe hatte
ihr prophezeit, heute noch werde fie
ihrem zufünftigen Mann begegnen.
Wenn ihr Hans Dornreich begeg—
nete? — Na, dem gienge ich hundert
Schritte weit aus dem Wege, dachte
Chriſtel, und lenkte den Waldweg
ein, der eine gute Strede aufwärts
führte.
Wie oft war fie diefen Weg ſchon
gegangen, aber nie hatte er ihr jo
lange geſchienen, wie heute.
„Ad, die umerträglihe Hitze!“
erweden, denn fie fieng an fich zu
ftreden und zu gähnen. Als aber ein
Blitzſtrahl faſt ſenkrecht niederfuhr,
dem unmittelbar ein krachender Don—
nerſchlag folgte, da war fie, von un—
ſichtbarer Macht emporgeriſſen, plöß-
ih auf den Füßen.
Rathlos ftarrte ihr entſetzter Blid
nah allen Seiten, um ein Schutzdach
zu erfpähen. Allein vergebens.
Nachhauſe zu fommen war uns
möglich, der Weg ins Dorf zurüd
ebenfo lange — alfo, was thun ?
Bereits fiengen einzelne große
Tropfen vom Himmel und aus den
Augen der armen Ehriftel zu fallen,
und och wußste fie fich nicht zu Helfen.
Endlih fieng fie an zu laufen,
aber nun fam der Sturm mit feiner
Algewalt und hemmte ihre Schritte.
Dennoch ftrebte fie vorwärts, und als
fie um die Ede bog, ſah ihr die er—
jehnte Nettung entgegen.
Ein winzig Heines Stapellden ftand
am Wege, an das ChHriftel in Angſt
und Schreden nicht gedacht hatte.
Mit wenigen Schritten war fie
nun dort, Shwang Sich behend über
da3 niedrige Gitter und danfte Gott
aus dem Innerſten des Herzens für
dieſen unverhofften Schuß.
Diefes beruhigende Gefühl dauerte
aber nicht lange, denn nun brad) das
Gewitter mit all feinen Schreden los.
Bei jedem Blitzſtrahl befreuzte ſich
das ſchluchzende Mädchen, bei jedem
murmelte Chriftel, und machte Anftals | Donnerſchlag ſchrie es laut auf.
ten, fi auszuruhen.
Sie firedte ſich behaglich auf das
weiche Moos hin und durchdachte noch—
mals die Prophezeiung der guten alten
Muhme; dabei fielen ihr die Augen
zu und fie träumte jchlafend weiter,
Chriſtels Schlaf wurde immer
feiter; fie gewahrte nicht die drohen
den Wolken, die, langſam heraufziehend,
den Wald in dunkle Schatten hüllten ;
auch hörte fie nicht das ferne Rollen |
des Donners.
Erft das Raufhen und Braufen
des nahenden Sturmes ſchien fie zu
Dann rief Chriftel wieder um
Hilfe, allein die Stimme verhallte im
Saufen des niederftrömenden Regens.
Sn diefer ihrer peinlichen Noth
dachte fie an Hans Dornreih. Hätte
fie vor wenigen Tagen micht jo eigens
innig beharrt auf dem: „Ich will
nicht”, Hätte fie nicht allein gehen
müfjen und fähe nun ſchon längft mit
Hans Dornreich zuhaufe.
Wenn diefer blöde Menfch aber
auch nur ein Wort gejagt — eine
Bitte an fie gerichtet, wer weiß, was
dann gefchehen wäre; er hätte viel—
leicht nicht nöthig gehabt, jo traurig
jeinen Korb nah Haufe zu tragen.
Auch ihrem Vater grollte Chriftel,
der von Hans fein Sterbenswörtchen
mehr gejprochen, troßdem fie ihm mehr—
mals hiezu Anlaf3 gegeben hatte.
Über diefe, theils vorwurfsvollen,
theil3 grollenden Gedanken, vergaß
Chriſtel Für Momente Angſt und
Schrecken, und erjt als umweit ein
Blitzſtrahl in einen Baum ſchlug,
wurde fie von neuem Entjeßen erfajst
und ſank laut jammernd am Boden
nieder.
Zufammengefauert lehnte fie den
Kopf an die Wand, und jchlojs die
Augen in der feiten Überzeugung, dajs
nun ihre legte Stunde gejchlagen.
Ya, ja, der Tod nahte, ſie fühlte
es — jetzt fafäte er fie an! — Ein
gellender Aufichrei übertönte das Toſen
de3 Sturmes.
Die arme Chriſtel lag wirklich
Ichredensbleih da, aber nicht in den
Armen des Todes, jondern in den
Armen Hans Dornreichs.
Es brauchte eine Weile, bis der
Aſſeſſor fie joweit berubigte, daſs Tie
die Augen zu öffnen getraute und ihn
mit dem dunklen Sternen anblidte,
269
daſs es ihm ganz wonnevoll durchs
Herz 309.
Und nun feßten fie fih auf die
Stufen des Altares und Hans berich—
tete, wie Vater Müller th begegnet
jei und ängftlich mitgetheilt habe, dafs
Chriſtel möglicherweife vom Gewitter
überrafcht werden könnte.
Da habe er, Hans, es nicht aus:
gehalten, es habe ihn gedrängt, das
Ihuglofe Mädchen aufzufuchen, und
num möge ihm Chriftel nicht zürmen,
dafs er es gewagt, ihr entgegenzu—
gehen,
Chriſtels Blid glitt gar wohlwol-
lend über die Geftalt des gänzlich durch—
näfsten Mannes, der ihretwegen nicht
Sturm und Regen ſcheute; — und
da follte fie zürnen ?
Zögernd legte fie ihre Fingerfpigen
in die dargebotene Hand, dann lieh
fie ich einen Kuſs darauf drüden und
endlich rüdte fie näher.
Am Ende war es do Hans Dorn-
‚reich, von dem die alte Muhme ge:
ſprochen?
| Und er war es wirklich, denn, als
er ihr jo recht treuherzig in die Augen
Ihaute und fragte: „Willft wirklich
nicht, Chriſtel?“ flüfterte fie ver—
ſchämt: „Ich will doch!“
Drei Gedidte
von Hermann Rienzl.
%: EBarfreitag.
Sf harfreitag war's; die Frühlingsionne
4 Betrahlte glüdlih Stadt und Land,
Sn Zu heiliger Auferfiehungswonne
—Die fromme Chriftentrauer ſchwand.
Das iſt der Seele Recht im Lenze,
Tais fie die kranken Sorgen flieht
Und felbft am Shmud der Todtenfränge
Nur deren Blumen blühen jieht.
Ich ichritt an eines Mädchens Seite —
So jrühlingsfrob — daher, dahin,
Und in der Nähe, in der Weite
Bracht' alles fröhliden Gewinn.
Das alte Haus mit jhwarzen Dielen,
Ya, Hund und Kate, Stod und Stein,
Sogar die — Menjden, fie gefielen
Mir in des Lenzes Sonnenjdein.
270
Noch mufst’ ich nicht, woher der Wandel, | Rolf, dein Vater fährt auf dem Schiff,
Noch kannt' ich nicht die fühe Macht, Rolf, es ſcheitert das Schiff am Riff —
Die meines Alltags Stundenhandel Rolf, gnade Gott deinem Bater!
Mit Märdenfreuden angeladht.
Doch fühlte ich, daſs mir, je länger Die Scheideftunde,
Ich in ein dunkles Auge fah, No einmal — o letzter Frühlingstag! —
Die Pruft ftets enger ward und enger, Eind wir zuſammen gegangen; 8
Als preiste fie s: Halleluja! Noch einmal durfte jo fühn und zag
5 nr Mein Auge an deinem bangen;
Doch mufste ich, dafs nie im Leben Noch einmal jog id den ftillen Duft
Mir je ein Weg ſo lieblich ſchien Von deiner heiligen Nähe —
AS diefer, den id; eben neben Darüber aber mob Grabesluft
Dem lieben Mädden ſchritt dahin. ; Und Scheidens tiefftes Wehe.
Der Sommer ift ein Lenz-Entlauber, Nod einmal — o letzte goldene Stund',
Der freude Tod ift Liebespein: Da du zogft, mein Lieb, mir zur Seite,
Du heiliger Charfreitagszauber, Noch einmal lächelte hold dein Mund —
In treuer Sehnſucht dent’ ich dein! O ſchmerzliches Wandergeleite!
Noch einmal, einmal in langer Zeit
Roff. Wohl ftanden wir Hand in Handen;
Nun liegt das ſchon drei Monde weit,
Ei, ftreicht der Wind heut’ übers Land Und id bin in fernen Landen.
Und rüttelt des Waldes Glieder E j
Und fammelt die Wollen am Iuftigen Band |! No einmal hat mir das Leben geladit,
Noch einmal — wie oft hab’ ich deſſen gedacht
In der Mitternacht ichlaflojem Sehnen!
Noch einmal — verfinfender YAugenblid,
O hätteft du, wollengeboren,
Mich erlöst, barmherziges Flammengeſchick,
Ich Hätte das Glück nicht verloren!
Das ift fo wadere Yugendluft,
In Wind und Wetter zu laufen,
Barköpfig, mit kindiſcher Heldenbruft,
Zu troßen des Himmels Traufen, H
Seefahrers Rolf, der Heine Jung’, Und wie wir ftanden noch unter dem Thor,
Mit hui! aus ber trodenen Stube! Ich mit bredendem Herzen und Muthe,
Und jagt nun im Winde mit luſtigem Da quol aud dir die Thräne hervor:
; . Sprung Sei gejegnet, du Gültige, Gute!
Über Tümpel, Graben und Grube .... Deine Hände füfst’ ich in lautloſer Flag’,
"Dann ein rafjches, zerreißendes „Wende*!
Rolf, der Wind lommt von Süden her, Da draußen aber lag ſchimmernder Tag,
Rolf, dort wüthet der Sturm übers Meer, | Nur in mir eine Nacht ohne Ende.
Die Geſchichte vom armen Mann in Tokenburg.
Von Kihard Dof.
(Schluſs.)
— ——
2 III. gangenheit Bräfers Erwähnung gethan.
Kon ‚Der erfte Herausgeber der Schriften
He „arme Mann von Todenburg“ | des armen Mannes ift der Ziüricher
je3s— das ift der Titel von Ulrich Buchhändler Füfjli gewejen. Dieſem
"s Bräfers „geiammelten Werken“ — Manne ſchickte Ulrich Bräter, von ver-
iſt im Buchhandel ziemlich vergriffen. | ſchiedenen Seiten dazu ermutbigt,
Neuerdings hat Guſtav Freytag in was er gefchrieben, und Füſſli ließ
feinen Bildern aus Deutſchlands Vers | dann zuerft Bruchitüde indem „Schweis
1
271
zerischen Muſeum“ abdruden. Da diefe
Veröffentlihungen von Erfolg waren,
kam fpäter von Füſſli redigiert und
„verbefjert* das Ganze heraus. Ein
Schüler Chodowidis, auch Schweizer,
illuftrierte die Ausgabe.
Nah Füſſli bearbeitete mehr als
50 Jahre jpäter Eduard Bülow bie
Sugendgeijhichten Bräfers als Idyll,
das unter einer Sammlung von No=
vellen und Erzäflungen 1841 in
Braunschweig erihien; bald darauf
gab Profeſſor Sceitlin in St. Gallen
Bräfers Schriften als Volksbuch her—
aus,
Das Inhaltsverzeichnis des Buches
vom armen Manne gibt uns erftens:
Selbitbiographie, zweitens: Tagebuch,
und zulegt „Etwas über Shakeſpeare“.
Diefes letzte darf nit unerwähnt
bleiben.
As Ulrich Bräfer Mitglied der
„Moraliſchen Geſellſchaft“ in Lichten-
jteig wurde, erhielt er die Erlaubnis
zur freien Benützung der Bibliothef
der Geſellſchaft. So fam Shalefpeare
in die Hütte des Webers, um faft
zwanzig Jahre dem armen Manne ein
Freund zu fein, wie er es wohl nie
einem anderen Menjchen gewejen.
— „Großer Genius, göttlicher
Dichter! Du übertrifft all deines»
gleihen. Alle Dichter, alle Schrift:
jteller, alle Menjchentenner und gelehrte
Schwäßer müfjen vor dir verftummen,
alle Phyſiognomiker mit ihren läppi—
ihen Schlüffen erblinden. Kein Här—
hen entgeht deinem durchdringenden
Blid, nie wird man müde, deine Ge—
mälde zu beſchauen, und bei jedem
jagt man: das ift das ſchönſte! Unter
Taufenden wollt’ ich deine Züge, und,
wenn ich blind wäre, deine Gejchöpfe
unter Zaujenden am Ton erkennen.
Tauſend Menſchenmacher machen folche,
die nirgends unter der Sonne da find:
mijsgeborene, verſtümmelte Greaturen,
von zufammengerafftem Stoffe. Du
ahmit die Natur nad, und wer trifft
fie, wie du! Wo ift der Anatom, der
jo zergliedert und jo weiß, in welchem
Mintel die Krankheit ftedt, jede
Fiber am rechten Orte findet, und
ihm den eriten Namen gibt? Une
fterblicher William! Du Haft mir mehr
gejagt, als alle Bücher der Welt mir
jagen fönnten, du haft mich in Ge—
jellfchaft deiner Gejchöpfe geführt, wo
ich mehr hörte, als in allen Gejell:
Ihaften der halben Welt. Du halt
mid böfe, zornig, ergrimmt, oft faft
raſend gemacht, du Haft meine Brujft
aufgerifien, in Mitleid Schmelzen laſſen,
haft mich traurig, betrübt, melaucholiſch
gemacht, und alles wieder geheilt.
Du Haft mich ergößt, Tuftig und fröh—
ih gejtimmt. Du bijt mein Arzt.
Menn Sorgen und Unmuth meinen
Geift umbüllten, traf ich im deiner
Gejellichaft Leute an, die mir fo tref-
fend ans Herz redeten und allen Gram
mwegpredigten, Leute, die den geheimften
Schmerz von der Bruft wegfcherzten,
und mich gefund und muthig machten.
Daftig beforgte ich meine Arbeit, dann
flog ich wie ein Pfeil auf die Bühne,
um auf die ruhevollite Art den lehr—
reihften Scenen zuzufchauen. Halbe
Nähte verihwanden wie Minuten,
und fein Schlaf fam in meine Augen.
Jakobs Dienft um Rahel konnte nicht
jo geihwind und ammuthiger vorbeis
fliegen, als mir die Zeit bei deinen
Spielen, wenn deren aud noch tau—
jende wären. Andere Schwäßer, die
neu und gelehrt fein wollten, jchlä=
ferten mich ein. Das Haft du nie ges
than, du immer munterer Geift; du
läſsſt immer erwarten und betrügft nie.
Nie wird man müde, Dich reden zu
hören. —“
Urih Bräfer liest Shafejpeares
Werke, und als er fie zu Ende gelefen,
liest er fie wieder, und dann noch eins
mal, und würde fie jicher zum vierten
male gelefen haben, hätte ihm nicht
der Tod den Dedel des Buches vor
den müden Augen geichloffen. Shake—
ſpeares Werle ſelbſt zu beſitzen, erjchien
ihm als Gipfel alles menſchlichen
Glückes, ein Gipfel, den der tüchtige
Bergſteiger niemals erreichte. Er liest
272
und jchreibt nieder, was er beim Lefen !befreunden kann, grübelt er nad, wie
empfunden; Drama für Drama. Manche es kommen mag, dafs diejelbe Feder, die
mal ift es nicht mehr, als eine halbe | „Hamlet“ fehrieb, „Love’s labour lost“
Seite, oft das kaum. Er jchreibt nieder, |fchreiben konnte. Es thut ihm wech,
was er empfindet —- d. h. jeine Zunge nicht alles gleih groß und gewaltig
verfuchtnahzuftammeln, was jeine Seele |zu finden, und er legt es ſich auf
durchſchauert wie Sphärenmelodie, fie feine Weiſe zurecht, um ja feinen
mehr erſchüttert, als alle biblifchen | Flecken in der Gloriole feines Heiligen
Tonner des Sinai fie zu erfhüttern zu jehen.
vermochten. Wo Shafeipeare ihn nicht — „Dein Geift jagt mir, dafs du
bejinnungslos macht, ift er ruhig, ges zuweilen dein Pferd Genie gejpornt
lafjen, objectiv; überfhaut die Hand» | haft, zumeilen gieng’3 von jelbft einen
lung, verfolgt ihren Lauf durch alle guten Trab, zuweilen galoppiert es jo
Mendungen, in allen Geftalten, hebt hitzig und feurig daher, daj3 man
it Sicherer Hand das Bedeutende |lieber wollte, e3 gienge janfter, damit
heraus, läfst das Unbedeutende fallen, |man Zeit fände, feine Geftalt und
und manchmal fogar wird William ſeinen Gang zu beobadhten. Hier halt
Shakeſpeare von Ulrich Bräfer kritifiert, |du mir wieder ein Stüd in die Secle
und das mit vollem Bewuſstſein. In | „gemacht“. — Er meint „Eymbeline“.
den Meifterwerken, von den Donnern Und eben bei „Love’s labour lost“,
gewaltiger Leidenschaft wird fein Ems dem er feinen Gefallen abgewinnen
pfinden von Shafejpeares Größe wie kaun, meint er:
von den Fluten eines Bergſtromes „— Berzeihe mir, großer Mann,
hinweggerifien, daſs er faſt beſinnungs- ich dachte allerlei über diejes Stüd;
los ift; und alles, was er in folchen |oft, dein Lehrjunge habe e3 gemacht,
Augenbliden zu jagen vermag, ift ein und fo einige Strophen von dir ges
Auffchrei des Entjegens und Grauens, | borgt, oft, du habeſt e3 etwa in
des Erjtarrens vor dem WRiefengeift, | müßigen Stunden, bei übler Laune,
dem er gegenüberſteht; es iſt überall | irgend in einem Bierhaufe im dein
der Auffchrei, der fich bei dem „zu ſpät“ Taſchenbuch niedergefchrieben, in dem
Othellos feiner Seele entreißt. du eine jpibfindige Liebeszänferei be:
Liest man das „Etwas über Sha- horchſt. Hernach jei es, weil von dir
feipeare“, fo gefteht man fich, nie jaufgefchabt worden, mie von jenem
eiwas Ahnliches gelefen zu Haben. Könige der Abgang zu Schnupftabat.
Man Hat ein halbes Lächeln auf den | Oft dacht" ich wieder, irgend ein Pa—
Lippen, aber tiefen Ernſt im dem pagei, ein Nachſchwätzer hab’ es irgend
Herzen, in deinem Namen gemacht.
Für Ulrich Bräfer lebt Shake— Wenn ich gewils wüſste, dafs du
jpeare, ift da, ijt bei ihm. Er ſpricht es gemacht, und als etwas Erhebliches
nit ihm, wie mit einem alten, guten |für die Nachwelt gefchrieben habeſt,
Belannten; jo einfach kindlich würde [jo würd’ ich es dir zu gefallen ver—
er zu feinem Gott reden, fo redet erjehren. Ich will aber glauben, du
wohl zu Gott in feinen Gebeten. babejt es nicht gemacht, und wenn du
Zum erſten Theil des vierten es doc gemacht, jei es dir nicht in
Heintih redet er Shalefpeare an: den Sinn gelommen, dafs alle Welt
„— Großer Mann! Mujst du deine | Freunde dran haben möge, — — —
Menjchen immer wieder umbilden ? oder | Haft du es wirklich gemacht, William,
thun fie es — — — wie gerne folgt |fo freut es mich, daſs dein Geift auch
dur der Natur — — — ja, das ift der |fo niedrig fliegen Tonnte. ch weis,
Menjchen Art. —“ dies Stüd bat dir mehr Mühe ge—
Wo er fich mit einem Stüde nicht macht, als all deine jchönften Werte
—
— aber warum ſollte dein Geiſt
nicht auch einmal ſchlummern? So
lommt es, wenn man etwaus erzwin—
gen will! —“
Er begreift ſchwer: wie man!
jchreiben fann, was man nicht jelber,
gelebt hat. Wenn er auch nicht meint,
Shakeſpeare habe Desdemona ermordet,
und jei als Lear verftoßen und ver—
jagt im Wahnfinn herumgeirrt, er ſei
Machetd und der dritte Richard ge=
wejen, jo verfteht er wohl, daſs
Shalejpeare alle feine Geftalten in
fi erlebt haben müſſe. Er ahnt die
Macht des Geiftes, dem nichts Menſch—
liches fremd ift, der in feinem Menjchen
die Menſchheit erlebt. Aber was nicht
geradezu gigantisch, übermenjchlich oder
fürchterlich ift, alles das, jo meint Bräter,
müſſe von Shalefpeare als wirk—
liches Leben gelebt ſein. Sp padt
ihn die Deenfchenmalerei diefes Pin—
jel3; anders begreift er ihre Möglich- |
fett nicht. |
Die Heiterkeit im erſten Theile
des vierten Heinrich erfajst ihn jo,
dajs er meint, Shalejpeare müfle ein
glüdlicher Zecher geweſen fein, ſonſt
hätte er nicht den göttlichen Falſtaff
zu jchreiben vermodt. Und er, der
Wirtshaushaſſer und Schelmenfeind,
er ſelbſt fühlt fich in der Gaftftube
der Frau Quickly jo behaglich, To
ſchmachvoll behaglich, daj3 er meint,
es jei eigentlich eine Schande für ihn,
fih in folcher Geſellſchaft fo grimmig
gerne herumgutreiben, und mit Serien
wie Falftaff und Genofien ſozuſagen
Bruderihaft zu trinken, und ſich's
wohl jein zu lafjen.
Als er im „Kaufmann von Benedig“
Schönheit beitrahlt.
Hütte wird zum Palafte der englifchen
Könige, fein mattes Ölflämmchen zur
Soune Mirilas, die Sleopatras
Er fühlt nicht
mehr die Härte des Holzſchemels:
er dehnt ich auf orientalifchen Polftern,
er ruht auf einem Königsthron. Bei
Macbeths Mordmahl hebt er den gol—
denen Becher, er läfst jih den Per—
lentranf der ägyptiſchen Königsſchlange
credenzen; die Linden von Posperos
Hütte umraufchen ihn, und er athmet
den Blumenduft auf den Fluren, wo
Perdita tanzt. Er wankt mit dem
wahnfinnigen Lear durch die Sturm—
naht, jchreitet neben Macbeth über
die Heide, und zieht mit Gortolan in
die Verbannung. Er fpricht mit Horatio
und Marcellus dem edlen Königsgeijt
den Schwur nah und fchreit auf,
wenn das Beil des Henfers die un—
glüdlihen Opfer der englifchen Könige
trifft. „O, id Hab’ auf der Seite
Malcolms greulih um mich gehauen“
— er mochte dabei an feine Schlacht
bei Lowoſitz gedacht haben. Und als
er den dritten Theil des ſechſten Heinrich
gelejen, jchreibt er: „Mordet immer,
ihr beitifchen Helden. ch will meine
Bruft hart mahen — — der edle
Gloſter, Rutland und diefer Heinrich
haben mein Herz geitählt, jo daſs es
für euch andre nichts mehr fühlt.“
„Wenn ich dort gewejen wäre, hätte
ich meinen Theil auch redlich beiges
tragen, jeßt er dann Hinzu. Doch er
ift froh, wie mit dem achten Heinrich
die hiſtoriſchen Schaufpiele zu Ende
find. Wenn man liest, wie er mit
Leib und Seele in diefen Stüden ge—
lebt hat, Jo begreift man das, er mufs
die Scene zwifchen Lanzelot ud Gobbo | unter dem gewaltigen Eindrude don
liest, ift er überzeugt: Shakeſpeare Mord und Greuel phyſiſch gelitten
müfe in der Schweiz geweſen fein! haben. Das Entjeglichite für ihn war,
und einen Bauernjungen gejehen haben, daſs er fie glauben mufste. Bei ans
den fein alter Vater bejuchte mit; deren Trauerjpielen, jo meint er,
einem Präſent für den Deren. hatte er doch denken fönnen: das ift
Wenn er nachts aufligt und gebiätet; aber von diefen Königs—
Shafejpeare liest, dann verfintt um) dramen weis er: das ift geichehen;
ihn feine ärmlihe Welt, und eine) und die Wirklichkeit der Dinge padt
andere fteigt Herrlich empor. Seine| ihn.
Kofegger’s „„Grimgarten’‘, 4. Heft, XV. 18
274
Die gewaltigfte Wirkung haben
auf Bräfer die Zitanen unter den
Shakeſpeare'ſchen Geftalten
Macbeth, Richard III.,
feinen heiligen und göttlichen Freund,
und niet huldigend zu jeinen Füßen,
gehabt: |demüthig und anbetend und doch wieder
Goriolan, Jin jo rührender Menſchlichkeit: —
König Pear. „Richard III.“ ift ihn das | „Stoße mich nicht zurüd. Beſorge
graufamfte, verhajstefte Stüd.
Er dankt dem überſetzer, daſs er's
nit in Profa, in der ihn „jo rüh—
renden, lieben Echreibart“ gefchrieben,
fonft Hätte „Richard ILL." ihn krank ge=
madt. Bei „König Lear“ ift feine ganze
Seele wieder Mitleben und Mitleiden:
— „Ich war ganz im jenen Zeiten,
in allen Gegenden. ch verfolgte die
heuchleriichen Deren Goneril und Re—
gam, und zupfte den eigenliebigen,
leichtgläubigen Lear aus allen Kräften
gleih anfangs am Armel,”
Den „Julius Cäſar“ kennt er aus:
wendig; er hat darin gelefen, wie in
jeiner Bibel, und kann gar nicht los
von dem Stüd. Aber Marcus Brutus
hätte es heißen follen. Brutus ift
der Held, der edle, herrliche Held —
bier merft man den Schweizer! Er
hält jeinem Brutus eine Rede, wie fie
nicht ergreifender — ergreifender in
Uri Bräter Sprade — Antonius
den Cäſar Sprit. Wie kommt der
Mann zu diefem Gedanken! ALS er
liest, wie Brutus Cäſar niederftößt,
denft er feines eigenen Waterlandes:
— „Getroft, ihr Todenburger! Wenn
Brutus, der edle Brutus, den beiten,
größten Römer um des allgemeinen
Wohles willen morden durfte, jo durften
eure Väter auch Rüdlinger und Seller
als Verräter todtjchlagen.“ Und nun
„Hamlet“!
Er will nit ruhen, bis er wenig»
tens „Hamlet“ unter feinem foftbaren
Bücherſchatz hat. Er möchte das herr=
liche Werk aufgeführt jehen, und möchte
e3 wieder nicht: wie das Drama fich
in jeinem Innern abfpielt, jo lebhaft
und erichütternd kann feine Bühne
der Welt das Stüd geben. Bier em—
pfindet er wie ein frommer Bühler
nah langem Kafteien und Martern:
er iſt in Verzückung. Und in Ddiejer
begeifterten Erregung tritt er vor
nichts, ich will nichts ausſchwätzen,
dir nur wie dein Hündchen nach—
ſchleichen.“
Er verſteht „Hamlet“ nicht, aber er
erräth ihn. Vielleicht, jo meint er,
hat jelbit Shakeſpeare ſich nicht deut—
licher ausdrüden können. Gibt es doch
Dinge, die man eben nicht ausſprechen
fann, auch ein Shakeſpeare nidt.
Nicht nur das Göttliche hat feine Ge—
heimniſſe, nein! auch das Menjchliche.
In einer Seele gibt es Abgründe, die
ſich nicht ergründen laffen, eine Seele
hat nächtliche Dunkel, die feine Sonne
erhellt, eine Seele hat jo viel des
Unerforfhlihen und Unbegreiflichen,
dafs man es nicht jagen kann, nicht
einmal ahnen, nicht einmal fühlen —
und jo eine Menfchenjeele ift Hamlet
für Bräfer. — —
Beltie, — ich glaubte gerade jeine
Ansicht über die jentimentale Julie
und die finnliche große Kleopatra jei
ungemein charakteriftifch für unferen
Mann?! —
Begreift er aber — das heißt,
überjeßt er jich die meiften der Shafe-
jpeare’ichen Geftalten in jeine Menſch—
heit, mit zwei Geftalten will es ihm
durhaus nicht gelingen, und dieſe
| beiden find feine anderen als — Ro—
Imeo und Julie. Das tragifhe Ende
der Liebenden erſchüttert Bräter durch»
aus nit. Er nennt Romeo einen
Heuler, der „von Anfang an alleweil
mit Gewalt fterben will“, und die
holde Julia wird nicht viel Höflicher
von ihm behandelt: „Kaum hat jie
Romeo gejehen, jo jammert fie jchon,
das Grab fei ihr Brautbett!“
Die Bedienten behagen ihn hier bejier
als die Herrfchaften, und die Amme
kommt ihm wie eine Frau Gevatterin
vor, die feinem Weibe abends lang
von Nachbars Peter erzählt, und, weil
er einen Flecken auf der Hofe hat, den
ganzen Jungen in Schmuß ftedt.! handelnden Perfonen des Dramas.
Beier noch als die Amme gefällt ihm | Die Liebe und das Schidfal der bei-
Merkutio, der Iuftige Merkutio; auch den hält ihn fo in Erregung, dafs er
den Pater Lorenzo hört er gern zu,
ließe ihn nur diefer Schreier von Ro—
meo zu Wort kommen.
Aber nicht die Liebe ift es, die
unſerem Uli „Romeo und Julia“ ver-
leidet. Gewaltige Frauenliebe erſchüt—
tert ihn; ja, ſogar Leidenfchaft, ſinn—
liche, elementare Leidenjchaft empfindet |
er nad, und fieht darin durchaus feine
Teufelin, die den frommen Chriften
zur jeligen Luft und ewigen Ber:
dammmis in den Venusberg lodt.
Mas er über Antonius und Kleo—
patra fchreibt, liest ſich gar eigen—
thümlih, wenn man denkt, wer es
geichrieben.. Er begreift:
nichts weiß als nur fie. Stleopatras
Liebe legt ihr in feinen Augen eine
Gloriole ums Haupt, daſs fie für ihn
zur Heiligen wird. Er empfindet ftart
und leidenſchaftlich, daſs ein Weib,
da3 für feine Liebe ftirbt, wie dieſe
Kleopatra für Nırtonius, ihrem Leben
eine Weihe gibt. „Um hier zu ſie—
gen", jchreibt Bräker, „braucht es
Joſephs.“
Dieſes Wort über Kleopatra iſt
eines der merkwürdigſten, die wir von
dieſem Manne vernommen,
Othello und Desdemona jind die
beiden letzten Gejtalten, über die
Antonius | Bräfer in feinem „Etwas“ gefchrieben.
musste in den Armen Kleopatras ent: | Er kommt aber hier mit dem Betrach-
mannt werden und untergehen; und.
Antonius hatte fih an die Bruft der
Ihönen Frau ftürzen müflen, wen
er auch zehnmal gewujst, daſs er von!
‚ten micht weit. Othellos „Zu jpät“
erſtarrt ihn. Was er dabei denkt und
fühlt, drängt er in dem Einen Wort
zujammen : „DO, das geht über alle
den Lippen der bacchantiſchen Königin | Faſſung hinaus. .
tödtendes Gift küſste.
die Zugend Octavia iſt
en gegen die egyptiſche Buhz |
Und Kleopatra |
Und dann fchliegt er fein Bud; —
ein | ein einfacher Schluſs, einfach, wie alles,
was wir aus Ddiefem Munde gehört,
Dem Andenken Berthold Auerbad)'s.
ei
J
A vergangener oder halbvergan⸗
gener Zeit die Rede iſt, ſo
fann man oft das Wort Hören: Der
it abgethan! oder: Der hat fich über»
lebt! Und man jagt das nicht etwa
im Zone des Bedauern, als vielmehr
in einer Art von Genugthuung und
Befriedigung, in einer gewillen Ge—
reiztheit gegen den, der abgethan iſt,
der ſich überlebt Hat. Die Welt sit
undaukbar, aber gegen niemanden iſt fie
enn bon einem Dichter aus |
undanfbarer, als gegen ihre Dichter.
Ich ſpreche Hier nur von der Würdi—
gung oder Entwürdigung ihrer Werke
und ich ſpreche nicht von den Aus—
nahmen, jondern von der Kegel.
Einmal hörte ich eine Dame fol:
gende Worte jagen: „Ah, der N. N.
war mein Lieblingsdichter, wie habe
‚ich ihn verehrt, vergöttert! Ich lonnte
nichts lefen, als nur ihn! Aber jeit
er fein meueftes Buch geschrieben hat,
mag ich ihn micht mehr. Ich will
18*
nichts mehr von ihm Hören, er iſt
mir unausftehlich geworden.“ — Und
was war denn enthalten im „neueſten
Buche“? In einer Humoresfe be=
handelt der Dichter fatirifh die
falfhen Haare der Frauen, und —
ob weh! — die betreffende Dame
trug einen Chignon. — So geht's.
Und fo ijt es nicht bloß bei Frauen,
fondern auch bei Männern, bei Co—
terien und Parteien — Solange ein
Scriftiteller in ihrem Sinne, nad
ihren Paſſionen fchreibt, ift er groß;
fobald er einmal widerhaarig ift und
fie jelber bürftet, wird die Verehrung,
die Liebe für ihn zum Haſſe. Alles
iſt vergejfen, was er ihnen früher
gewejen, es ift vergeſſen, wie er fie
wıterhalten, belehrt, ergößt, erbaut
bat, wie er fie wahrhaft gefördert
hat an Geift und Gemüth, und fachte
wird die Neigung wach, von ihm
Ungutes zu veden, ihm zu Schaden,
ihn abzuthun.
Zu bedanern ift daher ein Dichter,
der feine Karte auf die Gunst der Menge
jeßt, der dem Geſchmack der Menge
huldigt und der fein Giüd von dem
Beifall der großen Maſſe abhängig
jein läjst. Er wird bitter enttäufcht
werben.
Heute noch auf hohen Roſſen,
Morgen dur die Bruft geichofien,
Der echte Poet Ddichtet, als ob es
feine Lejer gebe und feinen Lorbeer
auf Erden, und auch Feine Dornen
und fein Darben! er dichtet, weil
er muſs, Für ſich ſelbſt, ohne an
Erfolg zu denken, ohne Abjicht, auf
die Menge zu wirken. Die Odyſſee,
das Nibelungenlied ift gedichtet wor—
den, als die Preſſe noch nicht er—
funden war. Wer ſie gedichtet, die
loſen Sagen in eine Geſtalt gebracht,
der erfüllte damit ein Verlangen ſeiner
Natur, und heute iſt der Dichter
mythiſcher als das Gedicht. An Ruhm
bat er nicht gedacht, und hat er ihn
nun, jo müßt er ihm michts. Der
Dichter Hat fein Theil dahin,
276
zug
hat fein Gedicht gelebt, geichaffen,
genofien; daſs auch andere daran
Antheil nehmen, ift Zufall, und ein
recht windiger Zufall. Für den
Dichter gibt es nur zwei vernünftige
Gründe, fein fertiggewordenes Wert
dur Vortrag oder Preſſe oder Bühne
der Welt zugänglid zu machen:
eritens die wohlwollende Abjicht, auch
andere des Genuffes theilhaftig zu
machen, deſſen er an dem Werke jich
jelbft erfreute; zweitens um durch ein
mit der Beröffentlichung erzieltes
Einfommen fein Leben zu friiten. Wer
e3 aus dem dritten Grunde thut, um
Ehre und Ruhm einzuheimjen, der
ſpekuliert Schleht. Ja gewiſs, er kann
mit Ehre überjchüttet werden, er
kann in der meiten Welt berühmt
fein — aber auf wie lange? In
wenigen Jahrzehnten ift zumeijt alles
verraufcht, und der Bergefjene iſt dann
um jo unglüdlicher, je mehr er früher
in dem Genuffe des Beifalls und
Ruhmes gejchwelgt Hat. Denn wie
er ſich früher viel zu jehr gejagt
hat nach guter Nachrede, jo kümmert
er ſich nun viel zu ſehr um die
ſchlechte; er hat feine Ruhe, fein Heil
auf den Wankelmuth der Leute ges
baut und ift verloren,
Aber ſolches vor Augen müjste
der Dichter ja Menfchenfeind werden!
Warum? Die Leute find wie fie find,
und er gehört auch dazu. Er jelbit
macht's gelegentlich gerade fo.
Wenn ich meine eigene Erinnerung
frage: Recht viele Dichter weiß ich,
die in meiner Jugend nod in weitelten
Schichten mit Begeifterung gepflegt
wurden, jet aber „abgethan“ Sind,
darunter Namen wie Walter Scott,
Sean Paul, Heinrich Heine, Berthold
Anerbad.
Bei letzterem will ich mich jeßt
aufhalten. Berthold Auerbach iſt
ein Geift, der im dem Vierziger-,
Fünfziger- und Sedhzigerjahren im
deutschen Volke, ja ſelbſt in fremden
Culturvölkern, jeher Wejentliches ges
wirkt Hat. Heute jagt man, in jeineu
Torfgeihichten wären lauter unwahre,
idealifierte, Spinoziftifche Bauern, und
glaubt ihn damit zu richten. Ja, weiß
man denn nicht, dafs jede Zeit nur
ſolche Dichter trägt, die fie brauchen
kann, die ihr nothwendig find! Wie
bätte ſich denn der llbergang vom
romantiſch angehaudten Idealismus
des philoſophiſchen Jahrhunderts der
Humaniſtenzeit zum Realismus unſerer
Tage vollziehen ſollen, als durch
Dichter, die mit dem einen Fuße noch
dort, mit dem anderen ſchon hier
ſtanden? Und betrachtet man das un—
vertilgbare Bedürfnis der Volksſeele,
in der Literatur höhere Bereiche, als
die des Alltagslebens zu finden, be—
deutendere Menſchen mit ſeltener That—
kraft, ſei es zum Guten oder Schlechten,
hochgemuthe, opferfähige Herzen —
jo wird man begreifen, daſs Auerbach
jeine Sendung hatte und erfüllte,
ja daj3 man ihm felbft die Berechtigung
auf die Gegenwart nicht abjtreiten
fan,
Auerbad war fein naiver, jondern
ein Zendenzdichter, er wollte nicht
allein äfthetiih wirken, und er Hat
nit feinen außerordentlich verbreiteten
Schriften viel Gutes geftiftet, er bat
Zudt und deutſche Sitte gepredigt,
er bat die Humanität gefeiert, er war
Miterweder des deuiſchen Batriotismus.
Sein immer wiederfehrendes Sehnen
und Rufen nach einem einigen Deutjch-
land find echte Herztöne und feine
tindlihe Menjchengläubigleit, die frei—
ih der pure Gegenfab war zu dem
gegenwärtigen verbitterten Peſſimis—
mus, Hat zum mindeften nichts ver=
dorben,
Man ift Heute geneigt zu jagen,
bei Auerbach fei alles gemadt, be-
rechnet, und feine Natur fei eine ganz
andere geweſen, al& die bon ihm zur
Schau getragene.
Wer in diefer Sade Wahrheit
haben will, der leſe Berthold Auer—
bachs Briefe an feinen Freund Jakob
Auerbach. (Frankfurt 1884.) Diefe
Briefe umfafen einen Zeitraum von
mehr als fünfzig Jahren (1830 bis
1882), find reine Brivatbriefe, in
welchen fi der Dichter volllommen
offenherzig gibt mit jeinen Vorzügen
und feinen Fehlern. Zu feinen Vor—
zügen gehört das unverwüſtliche Wohl—
wollen, das Auerbach allen Menfchen,
auch feinen Gegnern entgegenbrachte.
Hunderte von Perſonen führt er in
den Briefen vor, an jeder weiß er die
befte Seite zu beleuchten, jo daſs
man glauben könnte, e3 gibt mur
lauter gute, edle, weile, hochbedeutende
Menfchen auf der Welt. Und wo er
tadeln, rügen, fich wehren mujs, da
thut er es in jener vornehmen Weiſe,
die in unferer mit Zaunfteden polemi—
jierenden Zeit kaum mehr verftändlich
it. Wenn ihm manchmal gegen jeman—
den ein ftrengeres, tadelndes Wort
entfuhr, jo war ſchon am nächſten
Tage fein Beftreben, es wieder zu
verwilhen; vor dem Unrechtthun
fürdhtete er ſich noch mehr, al3 vor
dem Unrechtleiden, Er wollte gute
Kameradſchaft mit aller Welt, ver—
ftand es aber, jeden anderen nad)
dejjen Eignung, Artung und Stand«
punkt voll gelten zu laſſen, auch
wenn es jeiner Natur nicht immer
entiprah. Als Auerbachs größte
Schwäche bezeihne ich unbedenklich
feine perſönliche Eitelkeit. Er weiß
3, daſs man ihn für eitel hält, ver—
wahrt ſich dagegen, aber ich kann ihm
nicht helfen, er ift es doch. Allein
diefe Eitelkeit ift eine jo Harmlofe,
findliche, treuherzige, daſs fie manch—
mal eher anmuthet, als abſtößt. Und
fie entjpringt feiner Menſchenachtung.
Er war für fi jehr zaghaft, er war
feiner jener Stolzen, die wohl wifjen,
was fie bedeuten, die aber den Bei—
fall der Menſchen verfchmähen. Er
hatte die Leute fo lieb, dafs er ohne
Gegenliebe nicht leben fonnte, dafs er
jeden Tag das Bedürfnis hatte, bon
irgend einem Menſchen irgend ein
Lob einzuheimfen. Und wie dankbar
war er für jede Auszeichnung, wie
glüdjelig machte e3 ihn, wenn man
208
ihm eines ſeiner Bücher pries, ihm
ein Ständchen brachte, wenn er unter
dem Volke als der Auerbach erlannt
und beftaunt wurde! Und wie zu—
gänglid war er andererfeitS wieder |
für Rathichläge, Anderungsvorfcjläge,
jeine Werte betreffend! Er war eine,
weiche, biegjame, liebesdurftige Natur. |
Auerbach hat Auszeichnungen erfahren,
wie jelten ein deutfcher Dichter. Zahl-
los waren die Widmungen aller Art,
die don allen Ständen ihm gemacht
wurden. Man benannte Pläße, Berges»
höhen, Bäume nach jeinem Namen,
man veranstaltete ihm Feſte, Bantette,
wohin er fam. Die Berliner Arbeiter: |
ftände umjubelten feine Reden, während
die Minifter und Fürften ihn zu Tiſche
luden. In mehreren deutfchen Höfen
ward er wie ein Hausfreund gehalten,
am Berliner Hof wurde er befonders
ausgezeichnet, von vielen regierenden
Fürſten mit Orden gefhmüdt. Seine
Werke wurden überfegt in das Eng-
liche, Franzöſiſche, Italienische, Un—
gariihe u. ſ. w. In Holland gab es
Wandkalender mit dem Bilde Auer—
bachs, unzählige Bilder und Büſten
wurden von ihm gemadt, ja in einem
Wachsfigurencabinet ftand er Iebens=
groß in Wachs geformt neben Bismard |
und Napoleon. Und über folde Popu—
larität ſchrieb erdann an feinen Freund: |
Lieber Jakob! Ich bin doch glüdlich,
ich lebe nicht umfonft, ich meine, ich
hätte nie mehr das Recht, unzufrieden
zu fein, da ich folches erfahre.
Sp umbefriedigt Auerbach oft mit
jeinen Werfen war, und er gejtand
das ſtets offen, jo Hatte er doch
manchmal Träume von feiner litera=
rischen Nachhaltigkeit im deutſchen
Volke für künftige Zeiten. Acht Jahre
ift er nun todt und es ift gut, daſs
er nicht mehr fehen kann, welche
Richtungen der deutfche Geiſt litera=
riſch und ethifch nimmt und was aus
feinem Andenten geworden. Das geht
rafh. Berthold Nuerbah, der den
Zeitgenofien feiner DON BER
als literarifcher Revolntionär, als ein
| rüttle,
Plebsdichter erfchien, wird von dem
heutigen Realiften, Materialiften und
Naturaliften — belädelt.
Aber jein Todtenlied ift noch nicht
gepfiffen. Ein Mann, der je einmal
jeinem Bolfe etwas bedeutet bat, der
ift und bleibt ein Bauftein in dem
Gebäude diejes Volles; wenn man
ihn auch nicht mehr jucht, er ift da,
und nicht zu bejeitigen, und wer ihn
ausbrechen wollte, weil er nicht die
weithinleuchtende Giebelrofe, jondern
bloß ein verborgenliegender Grund:
ftein ift, der würde dem ftattlichen
Haufe feinen guten Dienft leiften.
Verſchiedene Ausſprüche, die mir
‚in feinen Briefen beſonders aufge-
‚fallen find, die feine Art zu denken
und zu empfinden bezeichnen und die
auch. Für fih allein recht gut ver—
ſtändlich find, will ih bier anmerken.
Alfo jagte er unter der Klage, daſs er,
auf dem Höhepunkt feiner Individualität
ftehend, nichts mehr an fich ändern
fönne, zu Jatob: Ich habe vielleicht un—
reht, aber du weißt, ich habe mich
jeher gern, und Hätte ich das nicht, To
wäre ich ſchon längſt total zugrunde
gegangen. Wenn ih nur das
machen könnte, was mir im Geilte
ruht, ich meine: die Naturwahrheit
ftilifieren, die Realiſtik folgerichtig in
reine Kunſthaltung bringen. — Ich
erfahre, daſs meine beherrfchende Kraft
in der Ausführung nicht feit genug
ift, jedes Merl wird mir unter der
Feder größtentheils ein anderes, als
ih anfangs gewollt. Mir fehlt es in
meinem Schaffen wie in meinem Leben
an ftrenger Methode. — Mir ift nie
im Leben etwas ganz gelungen, im
Schaffen nicht und im Sein nidt. —
Ri war oft glüdlih oder unglüdlic,
aber nie zufrieden. Ich bin nie jo heuch⸗
leriſch geweſen, daſs ich mir und
anderen eingeredet hätte, Lob und Tadel
wäre mir gleichgiltig. — Eben weil
ich oft ſo verzagt bin, an mir ſelber
bedarf ich eines ermunternden
Zurufes von außen. Und warum ſoll
ich der Wirkung meiner Werke nicht
8
. — —
7
279
nachgehen? Jeder Schütze ſieht an
der Scheibe nach, ob ſein Schuſs ge—
troffen. Mir fehlt es an der Klugheit,
die auch Tugend iſt, jo gut wie Güte, —
Sich feindjelig von den Menſchen ab»
wenden heißt, ſich bejiegen laſſen.
Mer bift du demm, der du der Beite
fein willft, um ein Menjchenfeind fein
zu dürfen ?
Das klingt liebensmwiürdig, befchei-
den, und erklärt feine Eitelkeit auf das
menſchlichſte.
Rührend iſt mir ſein Geſtändnis,
mit welcher Glücksempfindung er ſchuf.
Während der Arbeit ftand es in ihm feſt:
das wird gut; das wird bedeutſam;
das kann ein großes Werk werden.
Der Optimismus trug ihn manchmal
empor über die Wolken. War das
Werk fertig, kamen die Kritiken, dann
kam auch die Abkühlung, er fand den
Tadel jehr oft für gerechtfertigt und
hielt nicht viel auf fein Werf, bis es
die Begeifterung des Volkes wieder
emporhob. In verjchiedenen Lebens:
epochen verfuchte er es mit dem Drama,
und wiederholt muſste er ſchwere
Enttäufhungen erleben, bis er zur
endgiktigen Überzeugung kam, dafs
dramatifierende® Zalent ihm verjagt
war. — So find die Dichter, und
nur der Poet verfteht ſolche Belennt-
niffe des Poeten im vollften Maße.
Auerbach war eine pathetifche, lehr-
bafte Natur, und doch erfannte er,
daſs die meiften Leute von Erhebung
und Andacht nichts willen wollen,
dafs fie den Dichter nur nach äſthe—
tiſchem Schulmeifterftabe beurtheilen,
oder nad dem, wie er den Philifter
unterhält. „Die Welt,“ fo rief er troß
feiner außerordentlihen Erfolge ein—
mal aus, „thut immer jo ſchön umd
entzüdt, aber fie läſst mich verdorren
wie jeden Poeten.”
In mehrfacher Hinficht intereilant
war fein Verhältnis zum preußiichen
Hofe, über welches bier ein bezeich-
nendes Schreiben an Jakob vom
26. März 1881 plabfinden mag.
Ih muſs dir von geftern erzählen.
wolle, und fo jelbft jchreiben.
fuhr aljo vor fieben Uhr nad dei
Sch lege dir einen Brief des Groß—
herzogs von Baden bei, den er mir
durch einen Lakaien ſchickte, der auf
ntwort wartete. Das ift ganz gegen
ofform, fragen, ob man kommen
Ich
niederländiſchen Palais, wo der Groß—
herzog wohnt. Er war noch bei Tafel
beim Kaiſer, kam aber bald. Und
nun glückwünſchte ich ihm nochmals
zur Verlobung ſeiner Tochter, und er
dankte mir herzlich für den Gratu—
lationsbrief, den ich ihm geſchrieben
hatte. Natürlich ſprachen wir auch
viel von dem Ungeheuerlichen, der
Ermordung des Kaiſers Alexander.
Ich ſagte, dafs die Art, wie die In—
denheße fort und fort infcenirt wird,
auch ein Werfen von Dynamitbomben
ift. Aber der Großherzog hofft, daſs
das bald wieder vorüber ſei, obgleich
er die tiefe Schädigung, die das Bolt
damit erleide, vollfommen erkenne,
Die freie reine Seele des Großherzogs
leuchtete immer dur, und er freute
fih, mich wieder frifcher zu finden
als vor drei Wochen, als ich damals
bei ihm war. Ich war damals ehr
bedrüdt, und der Großherzog jagte,
er fönne mir eine befondere Freude
machen, denn er habe veranlafst, daſs
meine Volksbücher in allen Schul»
bibliothefen des badischen Landes atı=
geichafft werden, er Hoffe, daſs ſich
das auch in den Nachbarländern und
weiter hinaus werde bewirken lafjen.
Die Stunde verftrih, und nad
jeiner lieben, wahrhaft innigen Urt,
mich als den alten Herrn beirachtend,
gieng er mit in das Vorzimmer und
gab mir einen Lakai mit, der mid
durch die bededte Halle hinüber in
das Palais der Großherzogin führen
jollte. Dort traf ich die Großherzogin,
natürlih in Trauer um den ruſſiſchen
Kaiſer, und fie dankte mir ebenfalls
für meinen Glüdwunfd, den ich ges
ſchrieben. Sie fagte mir, fie habe
„Brigitta“ wieder gelefen, und wenn
ich es nicht übel nehme, fo müſſe Tie
mir Sagen, es ſei ihr das Tiebite
meiner Bücher. „Ja“, jagte fie, „die
Brigitta quält fi, dafs fie das Ge—
bot: Liebet eure Feinde! nicht erfüllen
fonnte, und jie erfüllte e8 doch, denn
was man den Feinden Gutes thun
kann, das thut fie ja, und das ift
doch die Liebe, die verlangt wird,
denn die Liebe als Neigung kann man
ſich nicht gebieten, aber die That.“
Ih konnte natürlich in voller
Mahrhaftigkeit jagen, wie warm und
Ihön diefe Auffaffung. Als wir uns
eben geſetzt hatten, kam die Saiferin.
Sie erzählte dann der Großherzogin,
wie fie mih anno 1845 in Weimar
fennen gelernt, und die Großherzogin
fügte Hinzu: „Und meine Schwieger-
mutter fannte Sie ja auch gut.“ Die
Kaiferin fragte mich, was ich arbeite;
ih fagte, daſs ih eine Erzählung
Schreibe, auf die ich eigentlich nichts
Rechtes Halte. „Da laffen Sie fie ja
nicht druden“, fiel die Großherzogin
ein. „Sie find gewiſs Ihr bejter Kri—
tifer. Thun Sie das ja nicht! Sie
dürfen nichts herausgeben, was man
tadeln kann.“ Ich fagte, daſs man
immer getadelt werde, und fie ent=
gegnete ſehr freundlih: „Dann kann
man den Tadel gut ertragen, wenn
man weiß, man verdient ih micht.“
Ih legte nun dar, wie tief ich im
Gemüth geitört jei durch die Juden»
hetze; es ift fein Geringes, daſs man
ih jagen lafjen muſs, man gehöre
nicht zu den Deutſchen und fei ohne
Vaterland. Das mufs id noch mit-
erleben, der ich bereits ſechsundvierzig
Jahre nad) beiter Kraft für das deutfche
Volk arbeite und im Patriotismus
niemand nachitebe. Das murde
mir beftätigt, und die Großherzogin
fagte: „Glauben Sie mir, dieje häls-
lihe Sache ift nur in Berlin.“ „Und
auch bier ift fie nur vorübergehend“,
fiel die Kaiferin ein. „Berlin treibt
über Nacht, man weiß nicht woher,
eine Bflanze auf, am anderen Tag if
fie wieder vergangen und fie hat feine
Wurzel. Und Sie jehen ja, die Sadıe
pur oe.
ift eigentlich Thon vorüber, aber ganz
gewijs im Verfhwinden.* ch mujste
das beftreiten und miederholte, daſs
man am Hofe wahrfcheinlich von diejer
Berwüftung der Gemüther und der
Berfehrung alles geraden Sinnes nicht
genugfam unterrichtet ſei. Die Kaiferin
fagte mir: „Wir, wir haben unfere
alten Beziehungen zu den alten Freun—
den — ich ſehe von Ihnen ab, denn
Sie find nicht nur ein Freund, jondern
auch ein Dichter — immer aufrecht
erhalten und werden e3 auch immer
jo zeigen.” Die Kaiferin wiederholte,
wie unabläſſig wohlthätig die Juden
ih bewähren, und wie fie jelber vor
furzem das jüdische Alterverforgungs=
Haus bejucht Habe, mie fie nächſtens
das jüdische Krankenhaus befuchen
wolle, und jo folle ih nur ruhig fein,
es wird fich alles wieder ſchön aus—
gleichen. Die Großherzogin lenkte über
und erzählte mir, daſs fie und der
Großherzog meiner gedachten und,
wenn ihnen etwas begegnete, oft jagten:
„Da jollte der Auerbach dabei fein,
er muſs es willen.“ Sie erzählte mir
von einem alten Töpfer in andern,
den ich fennen lernen müſſe, das ſei
fo ein glüdliher und arbeitfamer
Menſch, bald achtzig Jahre alt, und
er mache jegt durch die Anftalten des
Kunftgewerbes Majolica; fie jagte mir,
fie werde mir die Adrefje des Mannes
aufichreiben. Dann fagte fie: „Da
hätten Sie auch dabei fein follen;
aber ich habe mir's für Sie gemerlt.
Mir waren in Rippoldsau und früh
ftüdten unter den Tannen. Da waren
zwei alte Weiber, die jede Woche
zweimal kommen, um Sauerwafler zu
holen. Man fagte ihnen, daſs das
der Landesvater und die Landesmutter
feien, und fie kamen herbei; fie wur—
den dann auf unſer Zimmer beftellt,
und der Großherzog gab ihmen eine
Gabe, indem er fagte: «Sie haben
doch ſchwer zu tragen an den vielen
Krügen über die Berge.» — «Jap,
fagte die eine Frau, «aber wir haben’s
noch gut, wir können doch manchmal
= 2 — — —
Er
Bl
unjere Laft ablegen. Aber der Regent
kann jeine Laft nie ablegen!» — Da
haben wir dann bald gejagt, das iſt
etwas für Auerbach.”
Gerne miſchte fih Auerbach manch—
nal in das jociale und politische
Leben, denn das Gefchid feines Volkes
gebt jedem Dichter nahe, und er möchte
mitraihen, mitthaten nach beſtem
Willen und Können. Allein, da konnte
er manchmal hören: Auerbach, davon
verftehft du nichts. Bleibe du bei
deinen BDorfgefchichten und anderen
Dichterwerfen und kümmere du dich
nicht um Politik. — Das waren die=
jelben Stimmen, die anderen Poeten
wieder zurufen: Zretet heraus aus
euren Idyllen, aus den Geleijen einer
vaterlandslofen Äſthetik, dichtet Kampf.
gefänge, Streitrufe für euer Volk. —
Ein Thor, der auf die Stimmen des
Bublicums Hört, das Publicum weiß
jelbft mit was e3 will, der Dichter
muſs es befjer willen, was die Leute
wollen, als fie jelber,
Unferem Dichter ift es verhäng—
nisvoll geworden, daſs er der Menge
doch zu viel zuliebe gethan hat. „Ic
vermag es nicht,” ſagte er, „mich von
der Welt zurüdzuziehen." Daum ift er
manchmal wohlredneriih geworben,
wollte es allen recht thun, und fein litera=
riſcher Charakter verfandete fich in die
taufend Gedanken des Gollaborators.
Aber ſelbſt, als er dieſe herausgab,
bangte er, daj3 man ihn damit miſs—
verftehen, ihm Eitelfeit vorwerfen
würde, al3 halte er fich für einen
MWeltweifen, während es doch mur
flüchtige Gedanfen wären, die er gebe
und die nicht die Prätenjion hätten,
geglaubt werden zu wollen.
überhob fih nie. Gegen alle, die ihm
nabten, war er wohlmwollend; er nüßte
zahllofen jungen Schriftjtellern in
Rath und That, und wohl feiner
dürfte fein, der es ins Land rufen
fünnte: mir hat er ablichtlich gefchadet.
Er war ein guter Menſch, und auf
dieſem Grunde leiftete fein Zalent
Hocherfpriehliches für das Ddeutjche
Volk.
Gegen Ende ſeines Lebens iſt
Auerbachs Menſcheninnigkeit ſtark ge—
trübt worden durch den in Deutſch—
land einreißenden reactionären, brutal
unduldſamen Geiſt. Auerbach war
einer jener Juden, die bei der anti—
ſemitiſchen Bewegung unſchuldig leiden.
Aber nicht allein das, ihm gieng das
Schickſal all ſeiner Stammesgenoſſen
zu Herzen. Er hielt Großes von dem
Judenthum, deſſen Vorzüge er beſaß
und deſſen Schattenſeiten er nicht ſah,
weil er überhaupt bei allem und jedem
nnr das Beſte herausfand. Er Hat
nie ein Hehl daraus gemacht, daſs
er Jude war, immer aber auch den
Chriſten begriffen, und war tief dank—
bar für alle Toleranz, die ihm oft
von katholiſchen Geiſtlichen entgegen—
gebracht wurde. Den Katholiken traute
er überhaupt mehr Duldſamkeit zu
als den Proteſtanten, deren chriſtliches
Gefühl ſeit dem Kriege verroht wäre.
— ZVergebens gelebt und gearbeitet”,
ſchreibt der fiebzigjährige reis am
29. November 1880, „es bleibt die
entjegliche Thatfache, daſs ſolche Roh—
heit, ſolche Verlogenheit, ſolcher Haſs
noch möglich iſt. Und da ſoll man
wieder Tag und Nacht drauf ſinnen,
um Reines und Schönes zu geſtalten!“
Er hat von diefer Zeit an aud)
Im ganzen war Berthold Auerbach | nichts mehr geftaltet; ein Jahr und
gerade fo eitel, um die Eitelfeit feines | zwei Monate noch, dann ift er ins
eigenen Strebens zu erkennen,
Er) Grab geitiegen.
Eine Bitte an den Clerus.
Von P. R. Rofegger.
5*
ga mir waltet eine faſt elementare
*8* Nothwendigkeit, alles öffentlich
2 auszjufpreden, was in Sachen
des Volksthums mein Denken ift und
mich lebhaft bewegt. Das ift nicht
zu ändern. BDafs ich jedoch unter
ſolche Aufſätze und Betrachtungen ftets
meinen vollen Namen ſchreibe, das
iſt unklug. Dadurch ſtelle ich mich per—
ſönlich gleichſam mit offener Stirn
und unbededter Bruft vor ein Heer von
Gegnern, die hinter der Parteiflagge ver-
borgen, unter Anonymität verhilft mit
hundert Pfeilen auf mich ſchießen können.
Wenn die Pfeile ſtecken blieben,
jo müßſste ich ſchon längſt dem heiligen
Sebaftian ähnlich ſehen, während ich jo
mich in meiner oberländijchen Bären=
haut durchaus nicht als Märtyrer fühle,
Das Bemwufstjein meiner redlichen
Abfiht, duch ſolche Kundgebungen
Gutes zu ftiften, gibt mir den Muth,
jedem Gegner, fei er eine mächtige
Perfon, ſei er eine unfajsbare Partei,
offen vors Gejicht zu treten, gibt mir
auch die gute Laune, leidenschaftliche
Anwürfe und hochmüthige Abfertigun—
gen zu belächeln.
Heute berühre ich wieder einen
Punkt, an welchem mande Leute ganz
bejonders empfindlich find. Die Volks—
ichule. Und hier habe ich es mit einer
Partei zu thun, welche fich die clerikale
nennt, die aber doch zum Glüde jich
nicht ganz mit den ehrmwürdigen Tra—
ditionen der katholiſchen Kirche deckt.
Unsere Boltsjchule hat wohl mande
Fehler, die aber leicht verbefiert wer-
den fünnen, weil ſie feine Cardinal—
fehler find. Was aber ift dem Glerus
an unferer Bollsfchule recht? Nichts.
Seine Hauptflagen find, daſs dieſe
Schule zu koſtſpielig und nicht hriftlich
— — a — — — — — — —— — — — — — —
genug wäre. Iſt es ihm mit dieſen
Klagen wirklich ernſt? Zahlt der Clerus
mit an den Koſten der Schule? Pflegt
er ſich immer ſoſehr zu bekümmern um
das materielle Wohl des Volkes? Pre—
digt er diefem doch jelbit fortwährend,
nicht nach irdiſchen Gütern zu trachten!
— Und zu wenig Chriſtenthum. Ver:
bietet das Schulgefeg dem Glerus, in
der Volksſchule Religion zu lehren?
Im Gegentheile, das Geſetz gebietet
es ihm, es jtellt ihm eine genügende,
vom Katecheten oft nicht ausgemüßte
Stundenzahl zur Verfügung, es ftellt
den Religionsunterricht vollkommen frei,
e3 mischt ſich in Religionsjachen garnicht
ein, es verlangt vom Statecheten feine
Rechenſchaft, jo dafs der Religions-
unterricht heute eigentlich unabhängiger
ift als je. Er liegt ganz in den Hän-
den der Kirche.
Wenn die Schüler aber trogdem
in der chriftlichen Religion zu mangels»
haft unterrichtet werden und der reli=
giöfe Sinn nicht genügend ausgebildet
wird, mer fann dann jchuld fein
daran, als jene, die den Religions:
unterricht zu bejorgen haben ?
Wie wird in unferen Volksſchulen
Religion gelehrt? Ach konnte es lange
nicht glauben, bis ich endlich vielfach
davon überzeugt wurde. Won unzähligen
Lehrern lieg ich es mir berichten, von
Schulinſpectoren, von Schultindern und
ihren Eltern, von meinen eigenen Kin—
dern, welche die Volksſchule befuchten,
endlich von Katecheten jelbit.
Das Haupt = Um und = Auf des
Religionsunterrichtes ift der katholiſche
Katehismus. Wenn noch Zeit bleibt,
wird auch Bibel gelefen, zumeift
nur aus dem Alten Teſtamente. Ach
habe als Katholik gewiſs nichts gegen
u u —— —
®
283
den Fatholifhen Katechismus, es ift
das nothwendige Buch der confeſſio—
nellen Satungen, es fajst in jich auch
fozufagen das Gerippe der Religion
und der Sittenlehre. Auch gegen das
es auch jetzt noch einzelne Katecheten
gibt, welche den Religionsunterricht
in dem oben angedeuteten Sinne
führen; ja ich wüſste ſogar einen oder
zweie zu nennen, die ihre Borjchrift
Alte Teſtament ift im allgemeinen | dahin übertreten, daſs fie etwas weniger
nichts einzumenden, obzwar ich nicht | Katechismus büffeln und etwas mehr
weiß, wie mit den unbeftraften hebräi= | Evangelium leſen laſſen, und denen
ihen Kniffen und Laſtern eines Jakob,
eines David,
derer das hriftliche Kind fich zurecht-
finden foll. Und das Neue Teſtament?
Im beiten alle wird es gleichgeftellt
dein Alten. Wo aber bleibt in unferen
Religionsitunden der eingehende Unter:
riht über das Leben und die Lehre,
Jeſu, das Evangelium?
E3 kommt einem mandmal gerade
als gejchehe die VBorenthaltung |
bor,
abjichtlich,
um dann behaupten zu
fönnen, die Neufchule erziehe religions=
Gewifs, das war in
In der Schule,
wurde an
jedem Samstage und Borabende der |
Feſttage von den Schülern, und zwar
loſe Menichen.
der Altſchule beſſer.
welche ich beſucht habe,
der Reihe nach durch die Bank, jener
Theil des Evangeliums geleſen, der,
am darauffolgenden Tage auf der
Kanzel vorkam.
Härt, mit finnigen Beifpielen belegt,
wendet, furz das Evangelium auf dem
Wege des Gemüthes zur Sittenlehre
gemacht.
für uns damals die ſchönſten Stunden,
fie erwärmten,
in der Wüſte des Rechnens, der
Spradlehre, des Schreibunterrichtes.
Damals hörte man auch noch von einer
hriftfatholifchen Religion, Heute gibt
e3 nur mehr eine Fatholifche.
Warum ift es heute micht mehr
jo? Iſt etwa das Voltsjchulgeieh daran
ſchuld? Wir willen jhon, dafs diejes
eines Simjon und an—
Hierauf wurde der
Tert beiproden, vom Statecheten er=
Die Religionsitunden waren
‚mit dem Gedrudten,
e3 gelingt, an den Schülern Interefie
zu erweden für unferen Heiland, für jein
Leben und feine Lehren, und doch auch
Intereſſe für die Verordnungen der
Kirche. Im ganzen ift das nicht, im
allgemeinen, in der Stadt wie auf dem
Dorfe, herrſcht in der Religionsitunde
eine troftlojfe Ode.
Wie fieht in unferer Volksschule
der Religionsunterricht aus? Mechani—
ſches Aufgeben von Abſchnitten aus
dem Katechismus, mechaniiches Aus—
wendiglernen desſelben Abſchnittes,
mechaniſches Prüfen desſelben Schü—
lers, mechaniſches Herſagen des Memo—
rierten, mechaniſches Anmerken der
Religionsclaſſe. So geht man zumeift.
ohne weitere Erklärung des Tertes von
Abſchnitt zu Abjchnitt; der Schüler
: quält ſich ab, Seiten um Seiten ohne
Berftändnis und Intereſſe ſich einzu=
büffeln. Anfangs fragt das unſchuldige
Kind, was dies und das Heike, da
‚jedoch jelten eine Antwort eriheilt wird
auf unfer menjchliches Leben ange:
oder wenigitens feine befriedigende,
dem Alter des Kindes angemefjene, jo
gewöhnt das Sind fih endlich das
ragen ab, lernt gedantenlos die Sätze
' auswendig, plappert fie gedantenlos her
begeifterten uns für,
Ideales, fie waren wie Oaſen mitten,
und befommt eine gute Neligionsnote.
Mancher Katechet begnügt fich nicht
er Dictiert den
Schülern auch noch allerhand aus der
Dogmatik und der Liturgie zum Aus—
wendiglernen. Es werden die kirch—
lichen Einrichtungen, Geräthe, die prie=
ſterlichen Kleider, die vorgejchriebenen
Gebräuche zu verichiedenen Feſten und
bei firchlichen Handlungen erörtert, und
in den Religionsunterricht nichts drein« | alles mufs wörtlich auswendig gelernt
redet.
werden. Bei der Behandlung der
Zwar nehme ich als gewiſs an) Sacramente wird das HDauptaugenmert
und laſſe es mir nicht nehmen,
dafs auf Formen und Formeln gewendet.
TR ner —
Auswendig gelernt wird die Aufzählung
der Hriftlihen Tugenden fowie die der
Sünden. In dem Abichnitte über
chriftliche Gerechtigkeit heißt es: Thue
das Gute und meide das Böſe. Sünde
ift die Übertretung des göttlichen Ge—
jeßes u. ſ. w. Es ift alles da, es fehlt!
in der Theorie nichts zu einem chriſt—
lihen und jittlichen Leben. Aber wie
jeelenlos, wie handwerksmäßig wird
das falte dürre Wort abgehafpelt! Und
jene Theile der Religionslehre, die
den Geift befchäftigen, das Herz warm
machen könnten, fie fommen nicht zur
Geltung.
Es könnten bier Beifpiele ange—
führt werden von anderen Unzukömm—
lichkeiten in dem Katecheſen-Unter—
richte. Wozu das? Einzelne Unzu—
kömmlichkeiten kommen in jedem Berufe
vor, ſie gehen die Behörden an. Ich
habe das Ganze im Auge, die Ein—
richtung als ſolche und die allgemeinen
Gepflogenheiten. Und aus vielfacher
Erfahrung weiß ih und ſpreche ich,
daj3 der vorwiegende und jeelenlos
betriebene Katehismusunterricht jenen
religiöfen Sinn nicht auszubilden ver—
mag, der für ein fittliches Volksthum
vonnöthen wäre,
Mir find zehn», zwöltjährige Kinder
begegnet, die vorzüglide Claſſen in
Religion Hatten, von der Gejchichte
Jeſu, von der Bergpredigt aber joviel
al3 nichts wussten. Wie hiengen ihre
hellen Augen an meinem Munde, wenn
ich ihnen erzählte von dem GChriftlinde
zu Bethlehem, von der Flucht nach Egyp—
ten, vom herodianifchen Kindermorde,
von der Taufe am Jordan, von den
Wundern, dein Leiden und Sreuztode
und bon der Auferftehung emdlich!
Rafcher gieng uns der Puls, dem Er—
zähler wie den Zuhörern, höher ſchlugen
unfere Herzen dem Göttlichen entgegen
und mit Begeifterung wurden Vorjäße
gefafst, jo zu leben, daſs wir Lieb»
linge des Heilandes würden.
Es ift, als ob der gegenwärtige
Ratechefenunterricht dazu angelegt wäre,
dem Menjchen jchon von früher Jugend |
284
an die religiöie Welt zu verleiden.
Die meiften Thränen der Kleinen
Schüler werden des Katechismus wegen
vergofien. Und die jahrelange, ge=
danfenlofe, freud- und willenlojfe Be—
ihäftigung mit einem Gegenftande
muf3 endlich gleichgiltig gegen denjelben
machen, eine Gleichgiltigkeit, die vom
Katehismus auf Kirche und Gottes—
dienjt übertragen wird und das Herz
für alle religiöjen Empfindungen nad)
und nach verledert. Ich verlange Ver—
innerlihung in der Religion und Ber:
innerlihung im Religionsunterrichte.
Ich frage: Warum wird bei dent
Religionsunterrichte in unferen Volks—
ſchulen das Evangelium fo jehr über-
gangen? Ich wundere mich, dafs jolches
nicht auch andere fragen, dafs Jolche Frage
nicht der Staat ſelbſt mit Ernft Stellt.
Warum wird das Evangelium Ehrifti
vernachläſſigt, warum aller Schwer—
punkt nur auf den Katechismus gelegt?
Der ern und Inhalt des Chriſtenthums
liegt im Evangelium, in den heiligen
Schriften des Neuen Teftamentes. Mit
diefen vor allem muſs der Schüler
vertraut werden, dann erjt wird der
Katehismus, die Liturgie, der Eultus
ihm verjtändlich ſein.
Gibt es Ausflüchte? Gibt es Ein-
wände? Vielleicht. Aber meine ber:
jeugung fteht feſt, daſs es ein großer,
underantwortlicher Fehler unjeres Res
ligionsunterrichtes ift, das Evangelium
beijeite zu ſchieben. Und ſelbſt wenn
es „auch“ gelehrt würde, wäre e3
mir noch zu wenig, es muſs vor
allem gelehrt werden! Ich bin Ehrift,
ich habe Kinder, die hriftlich erzogen
werden ſollen. Ich ftelle mich vor die
Katecheten, ih ſtelle mich vor die
Biſchöfe, ich ftelle mich dreift vor den
Papit und frage: Warum wird in
unferen Volksſchulen das Buch der
Kirche, der Hatehismusvporgezogen
dem Buche Jeſu, dem Evangelium ?
Warum wird das Neue Teftanent jo
auffallend vernachläfiigt ?
Pädagogiſche Rückſichten können
unmöglich die Urſache ſein, denn das
u „_. — —
m
285
Evangelium ijt für das Kind zehn
mal pafjender und verftändlicher, als
der Katechismus mit feinen oft ver—
fünglihen Ausdrüden und Darſtellun—
gen, die man dem Kinde nie aus—
legen faun und darf.
Oder jollte die Zeit dazu fehlen,
mit dem Evangelium ſich abzugeben ?
danı weniger von dem anderen, und
die Hauptſache voran.
Dder jagt man, das Evangelium
befämen die Kinder ja von der Kanzel
herab zu hören? Das ift zu wenig,
gehört Haben ift noch wicht in fich auf:
genommen haben, ſonſt fünnte man
wohl auch die anderen Lehrgegenftände
den Schülern nur bloß vorlefen, das
wäre bequem,
Oder meint man, das Aut des
Katecheten fei nur der Katechismus,
und die Vorführung des Evangeliums
müſſe er weltlichen Lehrern überlafjen
fünnen? Das wäre ein unverantwort—
liches Preisgeben des Belten an pro=
fane Hände.
Man kann es aber nur fehwer
glauben, daſs es ihr Eruft ift, wenn
lie jagen: Den Vortrag des Evans
geliums ſoll der Schullehrer beforgen.
Sie begeben fich damit des Religions
unterrichtes in dem wichtigiten Punkte
und es könnten Leute fein, welche da
jagen, wenn jchon der weltliche Lehrer
das Chriſtenthum lehrt, jo wird der
Katechet in der Schule entbehrlich. In
Deutfhland, in der Schweiz bejorgt
in der That der Volksjchullehrer den
Neligionsunterricht, die Kirche ſetzt
erſt im zwölften Lebensjahre des
Schülers ein, um ihn zur Konfirmation
vorzubereiten. — Ich glaube, dajs
eine ſolche Einrichtung ſich unſere
Clerikalen nicht wunſchen, ja dafs fie
den Weligionsunterriht eines micht
dogmatiſch gebildeten Lehrers mit
Milstrauen überrwahen würden, Alfo
warum nicht jelbit auch in der Volks—
jchule das Evangelium lehren, wie
lie von Chriftus den Auftrag haben!
Sollte ſich's herausſtellen, daſs der
Clerus aus irgend einem Grunde
ſeiner fürnehmſten Pflicht in der
Volksſchule nicht nachkommen will,
dann allerdings müſsten alle Bekenner
des Chriſtenthums und alle Freunde
des Volkes darauf hinwirken, daſs der
weltliche Lehrer ſich der Lehre Jeſu
annehme und ſie den Kindern ver—
mittle.
Wenn unſerer Volksſchule ſchon
fo manches fehlt, was allmählich ver—
beſſert werden muſs, ſo fehlt ihr vor
allem ein rationeller, herzerwärmender
Religionsunterricht. Solange dieſer
verweigert wird, iſt die Klage wahr:
lich nicht unbegründet, dafs unſereVolks—
ſchule zu wenig chriſtlich-religiös ſei.
Ich bin nicht rechthaberiſch, mir
iſt nicht um Streit und Gegenpart
zu thun, ſondern nur um die Sache,
ich wäre froh, wenn ich mit dem
heutigen Vorwurfe unrecht hätte, wenn
ich eines beſſeren belehrt und über—
zeugt werden könnte. Wenn nicht, ſo
müſsſste ih zu folgendem Schluſſe
kommen:
Dem Clerus iſt bei unſerer Volks—
ſchule nicht zu thun um Religion und
Chriſtenthum, ſondern um die Herr—
ſchaft. Nicht ſoſehr zwiſchen dem Meſſias
und den Menſchenkindern will er ein
unzerreißbares Band flechten, als viel—
mehr zwiſchen Kirche und Volk. Der
Clerus will ſich aus ſocialen und
politiſchen Gründen der Menſchheit
bemächtigen. Aber das ſoll er offen
eingeſtehen, dann wird man ihn achten
wie jede andere weltlihe Macht und
auch alfo mit ihm rechnen.
Heute denke ih nur an die Religion
Ghrifti, deren Reich hoch über dieſer
Welt fteht, und was ich einfältigen
Derzens bon dem Clerus verlange,
um was ich bitte, um was ich flebe,
it das: Lehre unſeren Schulkindern
Religion. Gib ihnen das Evangelium
Jeſu!
Ein Anwalt des Bauernflandes.
2
8
—
Pr mmer wieder kann man die Er:
>25 fahrung machen, dajsder Bauern—
I hand in der modernen Gefells
ſchaft eigentlich Feine Freunde hat. Den
Vorwärtshaftenden ift dieſer Stand
zu alttändig; den Speculationsſüch—
tigen ift er zu arbeitſam; den Luxus—
verbreitern iſt er zu bedürfnislos; den
Emporföümmlingen ift er zu jchlicht;
der Induſtrie ift er zu wenig conſu—
mierend; der Wiſſenſchaft ift er zu
gleihgiltig für geiftige Intereffen, und
jo geht das fort. Zwar ranfen fich die
Parteien um den Bauern, aber nicht
um ihm zu nüßen, jondern um ihn
ih dienftbar zu machen. Nur der
Staat weiß diefe Urquelle der Steuern,
der Rekruten, zu ſchätzen, aber er thut
es ftillfchweigend, fägt tapfer darauf
[08 an dem Afte, auf welchem er fißt.
Schöne Worte Hört man für den
Bauernftand in den Alpen, der heute
am Rande des Unterganges fteht, im
runde aber ift und bleibt man gleich»
giltig gegen ihn und fein Scidjal.
Wenn die Gejellichaft dem Bauern
ihon nicht aus Liebe zum Bauern
hilft, jo follte fie ihm wenigitens aus
Liebe zu fich felbft Helfen.
Bon diefem Gedanten geht Karl
Morre aus, der in feiner bei „Ley:
kam“ zn Graz erfchienenen Brojchüre :
„Die Arbeiterpartei und der
Banernfland, ein ernfles Wort in
erniter Zeit“, jachverftändig und her—
zensfrisch für den Bauernftand eintritt.
Cr weist bin auf die heute be=
reits furchtbar drohende Arbeiterbewe—
gung, gegen welche gegempärtig nur
noh ein einziger Wall fteht, der
die gejellfchaftlihe Ordnung ſchützt.
Diefer Wall ift der Bauernftand. Das,
Bürgerthum ſchützt uns nicht; Städte,
jind leichter zu erobern und zu zer—
286
ftören, als die bäuerlichen Ländereien
und Gemeinden. Der conjervative, pa=
triarchaliſche, arbeitsfreudige, bedürf-
nisloje, vechtäfefte, alte Bauernitand
ift ed, an dem die hohen Wogen der
Socialcommuniſten ſtauen und ſich
brechen, dieſer Stand iſt es, der ſich
nie und nimmer der Arbeiterbewegung
anſchließen kann und wird, fo lange
er für fich beftehen kann. — Aus
Selbfterhaltungstrieb, jo ruft Karl
Morre der Gefellihaft, dem Staate
au, aus Selbiterhaltungstrieb ſchütze
den Banernftand, damit er dich wies
der ſchütze! — Es ift fein idealiftiich
oder doctrinär aufgebautes Gedanken—
ſyſtem, was Morre entwidelt, das iſt
der herben, unbeftreitbaren Wirklich:
feit unferer Tage entnommen und
wenn dieſe Schrift nicht überzeugt,
dann weiß ich nicht, was jonit über:
zeugen kann.
Der Kern der Morre'ſchen Bro-
Ihüre ift das Gapitel: Der Bauer
und ſein Elend. Er jchildert die ge—
genwärtigen troftlofen Zuftände jchlicht
und wahr, er erhärtet mit Ziffern und
Beifpielen: es iſt leider, leider uns
möglich, ihm zu widerſprechen. Er
| zägıt die Urſachen auf, warum es jo
fommen mufste; einen großen Theil
der Schuld an dem Niedergange des
Bauernitandes trägt der Bauer felbit,
aber einen noch größeren tragen andere !
Wenn unjer „Deimgarten“ in der
Banernichaft viel gelefen würde, fo
wollte ih dem Bauern hier den Spie—
gel feiner Schuld vorhalten, wie wir
das übrigens jchon des öfteren ver—
ſucht Haben. Die da leſen, find aber
„die anderen“, und Ddiefen wird es
nicht ſchaden, aus Morre's Brojchüre
vorläufig einige, nur einige! der Zu—
Hände und Einrichtungen zu betrach—
ten, die den Bauern allmählich zu—
grunde richten.
Die erfte Urjache der Verſchul—
dung des bänerlihen Beſitzes — jagt
Morre — ftammt in Ofterreich ſchon
aus dem Jahre 1848 und jchreibt fich
daher, daſs die Belißungen damals
ganz ungerechtfertigt Hoch bewertet wor=
den ſind. Nach diefen Werten hat der
Staat faſt dur 40 Jahre die Steuern
und Beligübertragungs- Gebühren be—
rechnet und nachden die zu hoch be=
werteten Objecte die Zinfen für die
erlegten oder entlehnten Anlage-Capi—
talien nicht einbrachten, Jo wurden die
Beliger in zweifaher Richtung geſchä—
digt, und dieſes Fchleichende Übel Hat
gar viele Bauern beſitzlos gemacht.
Unzählige Bauernhöfe find auch durch
die vormals üblihe Theilung der
Gründe unter die Geſchwiſter entwertet
worden, und feit mehr als 15 Jahren
betreibt die Güterjchlächterei das Aus—
ſchrotten von Beligen, ganz unbeküm—
mert darum, ob die hiedurch gejchaffe-
nen Zwergmwirtichaften beftehen können,
oder nicht.
Höchſt beflagenswert ift die That»
jache, dafs die wenigiten Bauern mehr
in der Lage jind, ſich ordentliche Wert:
zeuge oder praktiſche Maſchinen anzu—
ſchaffen; Kinderſpielwaren, Nippſachen,
Luxusgeräthe werden aus Stahl und
Eijen angefertigt, umd mancher arıne
Bauer adert wieder wie dor zweihun—
dert Jahren mit hölzernem Pfluge und
hat einen Wagen mit hölzernen Achſen.
Ein Zeichen der Zeit! Nicht die ge:
änderte Erzeugungsweije, jondern das
überhandnehmende bäuerliche Elend ift
die Urfahe, weshalb in den legten
zwanzig Jahren jo viele Hadenfchmiede
und Zeughämmer in Kärnten, Steier«
mark und Oberöfterreich, welche land—
wirtichaftliche Geräthe erzeugt Hatten,
betriebölos geworden find.
Ein mächtiger Grund der Ber:
armung des Banernitandes ift in den
ſchweren Laften zu fuchen, welche dem—
jelben vom Staate, vom Lande, vom
| |
wur.
Bezirke, von der Gemeinde, von Schule
und Kirche auferlegt werden.
Der Staat hat eben, um Arbeit
und Auslagen zu erjparen, den autos
nomen Körperjchaften jo viele Gejchäfte
übertragen, dafs die Autonomie fait
nur als eine indirect eingehobene er—
höhte Grundſteuer zu betrachten ift
und mit Rüdjiht auf diefen Umſtand
erfcheint der Grundertrag übermäßig
hoc befteuert. Die Dienftleiftungen,
welche die Gemeinden für die verfchie-
denen Behörden und Amter zu voll
ziehen haben, vermehren Sich derart,
dafs es ſchon fait jeder Grundbefiger
am Lande al3 Strafe anfieht, wenn
er zum Gemeindevorſtand gewählt wird,
denn er ift weniger der Borftand der
Gemeinde, als der vielbeichäftigte Die—
ner aller vorgejegten Behörden. Bon
nachtheiliger Wirkung find auch die
großen Steuern, welche auf vielen
landwirtichaftlihen Producten haften,
während an dem Rüdgange fo vieler
Weingärten, welche nur leichte und
billige Weine geben, zunächſt die Ver—
zehrungsftener Schuld iſt, welche für
ſchwerſten Bouteillenwein und den
leichteften Landwein den gleichen Steuer:
ja hat. Gewijs könnte fein einziger
Induftriezweig beftehen, deſſen Erzeug—
nifie im Innern des Landes jo hoch
beſteuert wären, wie Wein und Fleiſch.
Sehr empfindlich treffen den bäuer—
lichen Beier die Ubertragungs- und
Erbgebühren, weil fie juft in jene
Zeit fallen, im welcher der Überneh—
mer durch die Abfertigung der Ge—
ſchwiſter, durch Bezahlung des fundus
instructus, durch Erlag des Kaufſchil—
lings u. dgl. ſich ohnehin in bedräng-
ter Lage befindet.
In früheren Zeiten konnte ſich
mancher Anfänger durch eine glüdliche
Heirat heraushelfen, allein derzeit it
das Landvolf durchweg jchon jo ver—
arınt, daſs eine reiche Banerstochter
zu den Geltenheiten gehört. Wenn
auch einzelne Mädchen Anwartichaft
auf ein Heines Vermögen haben, jo
haftet dasjelbe gewöhnlich am elter-
288
lichen Belige, und fobald es gefündet | trieben werden, vollends ruiniert. —
wird, kommt diefer Belig in Gefahr. Wie groß mag erft die Summe aller
Die wenigen wirklich vermöglichen |vermeidlihen und unvermeidlichen
Bauerstöchter, die noch zu finden find, Erecutionstoften im ganzen Reiche fein
nehmen feinen Bauer, jondern heira- |umd wie viel Schmerz, wie viel Thrä—
ten einen Wirt oder einen Gewerbs= nen verurfahen gerade dieſe Koſten
mann in der Stadt, weil jie das füm= dem unglüdlihen Landvolle! Möch-
merliche und freudenleere Los, welches ten doch die clerifalen, ja alle Ver—
einer Bäuerin am Lande befchieden ift, |treter der Landgemeinden von Haus
aus der Erfahrung kennen und fürch- zu Daus gehen und fi den Janımer
ten. So tief ift der einft auf ſich ſo anſehen, damit fie bei allen Abſtim—
ftolze Bauernftand Schon gefunfen, dafs | mungen das Elend des Landvolkes
jelbft vermögensloje Dirnen lieber in die | vor Augen haben und der Lehre Ehrifti
Stadt dienen gehen, al3 auf dem Lande | gedenken, die da jagt: Was ihr den
Bäuerin jein wollen. Diefe traurige | Armen thut, Habt ihr mir gethan!
Wahrnehmung muſs jeden Wiſſenden Es find gar ſchwere Laften, die
mit banger Sorge erfüllen, ih Schon aufgezählt Habe, allein ich
In arger Weile wird die Noth- |bin weitaus noch wicht damit zu
lage der bäuerlichen Befißer durch die Ende. Im gleichen Verhältniffe, in
ESteuer-Erecutionen, insbejondere aber !weldhem die Zahl der vermöglichen
duch die Höhe der gerichtlichen Exe- | Befiger ſich vermindert, vermehrt fich
eutionskoften verjchlimmert. die Zahl der Armen, welche verjorgt
Iſt es nicht unbarmberzig, den werden follen. In äußert wenigen
armen Bauer, der ſchon nicht mehr !Ländern, und auch da nur in einzels
imftande ift, das Geld für die Steuer nen, merkwürdigerweiſe juft in den
aufzubringen und ohnehin für jeden abſeits von den Eifenbahnen gelege-
Tag der Säumnis die Verzugs- |nen Gegenden oder im nächſten Um:
zinjen zahlen muſs, auch noch mit kreiſe großer Städte, findet man noch
Grecutionskoften zu belaften? Wie einen halbwegs wohlhabenden Bauern—
ſchade, dafs man bei der Berathung |ftand. Der übergroßen Mehrheit nach
der Frage über die Aufftellung der |ift das Landvolf bereits überall ver-
Steuer-Erecutoren nicht mach den armt, dajs man ſich manchmal die
Urſachen geforfht hat, welche eine | Frage vorlegen mufs, wer mehr zu
jolde Zwangsmaßregel erfordern! bedauern ift, der Arme, der um ein
Und nun erjt gar die gerichtlichen | Almofen bittet, oder der Beſitzer, der
Grecutionstoften ! jelbft nichts Hat und noch den Armen
Das derzeit bejtehende gerichtliche [erhalten ſoll. Die Noth ift zur Regel,
Klage- und Erecutionsverfahren ift der Wohlftand zur Ausnahme gewor«
jo mweitwendig, jo verwidelt und ſo den, und deshalb bereitet den Land—
foftjpielig, dajs der Erecut, wenn er |gemeinden das Armenweſen die ſchwerſte
wirklich das Geld aufbringt, um die Sorge. — Mbgejehen davon, dajs
Schuld zu begleichen oder durch Theil- die bäuerlichen Steuerträger ohnehin
zahlungen zu jtunden, in gar vielen |durcch die Bezirks- und Landesum—
Fällen die für Klagſchriften, Tag: lagen zur Tragung der Armenlaften
fagungen und Urtheilsfhöpfungen anz |und zur Erhaltung der öffentlichen
wachſenden Stenpele und Expenſar- | Krantenhäufer, Irrenhäufer und ſon—
foften nicht mehr beftreiten fann, da= ſtiger Humanitätsanftalten herangezo-
her immer wieder in neue Klagen ver= gen werden, hat man die Sorge für
fällt, bis ihn endlich die Höhe der die Gemeindearmen ausſchließlich den
Klagelojten und die umerbittliche Gemeinden auferlegt. Die Anfprüche
Strenge, mit welder diefelben einge- ſolcher Perfonen, welche durch Alter,
289
durch Krankheiten oder Gebrechen Auch duch die Militäreinguars
arbeit3unfähig geworden find, die|tierung und Borfpannsleiftung wird
Koften für die Erhaltung der Pfleg—
linge in den Siehenhäufern und der
verwaisten oder von den Eltern ver-
lajjenen Kinder, die Auslagen für
Krankentransporte, für Arzt, für Apo—
thefe u. dgl. wachſen derart, daſs
durchſchnittlich 30 bis 50 Procent, in
manchen armen Land und Gebirgs—
gemeinden jogar 60 bis 100 Procent
der Steuer, bloß für Armenerhaltung
aufgebraucht werden. Dabei geht es
den Armen ſchlecht genug, insbejon=
dere denjenigen, welche angewielen
find, von Haus zu Haus zu wan—
dern, und auf diefer Wanderung oft
zu Leuten fommen, die felbit nichts
zu efjen haben. Es ift eine rohe, une
barınherzige Art der Armenverforgung,
aber der Bauer tft zu arın, er fann
nichts daran ändern, denn die Bars
auslagen würden in vielen Gemeinden
abjolut unerfchwinglich werden, wenn
man plöglih daS landesüblide Ein-
legerwejen aufheben und den Beſitzern
die Möglichkeit benehmen würde, ſolche
Arme durch Naturalverpflegung zu
erhalten, welche nodh von Haus zu
Haus gehen können. Für die Lande
armen zahlt niemand zu, die muſs
der Bauer allein verjorgen, für die
brotiojen Handwerker und Fabriks—
arbeiter muſs aber wieder der Bauer
die Naturalverpflegsftationen erhalten
helfen, oder, was noch ſchlimmer ift,
fih von diefen reifenden Burfchen
mehr drohend als bittend, die Almoſen
abzwingen lajjen.
Unerhört drüdend für die Lands
gemeinden find die Zuftändigfeitöver-
hältniſſe. Menfchen, die niemand in
der Gemeinde kennt, die 30 bis 40
Jahre in den Städten und in den
Fabriken gearbeitet haben, kommen,
wenn fie gebrechlich werden, ins Dorf.
Die Fabrik und die Stadt, welche den
Nuten von der Arbeit hatte, windet
ih los, der arme Bauer aber muſs
Leute erhalten, die ihm nie gedient
und nie geholfen haben.
Rofegger's „„Heimgarten’‘, 4. Heft, XV,
das flache Land arg mitgenommen.
In den grogen Städten baut man
Kafernen, der Bauer aber mufs fein
Zimmer und feinen Stall räumen,
und Pla machen.
Nachdem der Landwirt, mit Zaften
aller Art überbürdet, unter dem Hoch
drucke derjelben feufzend und ftöhnend
daherfeucht, wäre e3 gewiſs nur recht
und billig, wenn man ihn die Mög-
lichkeit bieten miürde, dem fchweren
Verpflichtungen durch entsprechende
Verwertung ſeiner Erzeugniſſe nach—
fommen zu können. Aber auch das
it nicht der Fall. Wer die triften
Verhältniſſe der Landwirtfchaft genau
fennt, der würde fehr in Berlegenheit
gerathen, wenn er fi darüber be=
ſtimmt ausſprechen follte, ob der Bauer
deshalb nicht auflommen kann, weil
er zuviel Zahlungen bat, oder deshalb,
weil man feine Erzeugniffe durch alle
möglichen Kunſtgriffe entwertet und
ihn zahlungsunfähig madt.
Bringt der Bauer fein Vieh auf
den Markt, jo wird nicht durch die
Güte oder Schwere desjelben, jondern
duch den Zufall der Preis beftimmt,
ob juft mehr oder weniger Käufer den
Markt befuchen. Derfelbe Zufall fpielt
mit den PBreijen für Heu, Stroh und
Holz. In vielen Fällen verkauft der
Bauer nur, weil eine undermeidliche
Ausgabe oder Zahlung ihn dazu
drängt, oder weil der Steuererecutor
vor der Thüre fteht, kurz, weil er
muſs. Diefes „Muſs“ ift in der
Regel den richtigen Käufern befannt,
welche dann, die Noth ausbeutend, dem
armen Bauer feine Ware zu Spott»
preijen abjagen. Wir haben zwar ein
Wuchergeſetz, allein einer gewiſſen Gat-
tung von Patentwucherern fanıı man
damit nicht zuleibe,
Der Gebirgsbauer, der ſich über:
haupt viel jchwerer fortbringt, weil
er nur von feinem Walde und aus der
Viehzucht eine Einnahme Hat, Fand
‚früher an den vielen reichen Hammer
19
werfsbefigern, die ihm Holz und Kohle
abgefauft Hatten, einen feiten Halt.
Den Hammerherren von damals gieng
das Geld noch micht über alles, fie
hielten auch auf ihre Ehre, und der
eigennüßigfte Werksherr hatte fo viel, um
fich nicht nachſagen zu lafjen, dafs durch
feinen Drud ein Bauer vom Gebirge
herabgetrieben wurde. Diefe für den
Bergler glückliche Zeit einer gefunden
Goncurrenz und NRüdfihtnahme auf
feine Erhaltung Hat längft aufgehört.
Die Mehrzahl aller Eifenwerte ift in
den Beſitz von Actiengefellfchaften über:
gegangen, und die Herren Directoren
und Verwaltungsräthe kümmern fich
wenig, ob der Bauer bejtehen kann,
oder nit. Nur wenn die Arbeiter
aufrührerifch werden, dann rufen fie
das Militär zu Hilfe, und dann find
die Bauernſöhne wieder gut, um Leben
und Befiß zu vertheidigen und die
Aufftände niederzuhbalten.
Die Nachtheile des Zwiſchenhan—
dels! Wenn man den Wert des Fut—
ters, die Mühen und Gefahren berech—
net, welche mit der Rindviehzucht ver—
bunden find, und wenn man den Vieh:
preis mit den Fleiſchpreiſen vergleicht,
dann kann man leicht herausfinden,
daſs der Bauer bei einem Stüd Rind,
das er aufgezogen Hat, in vier bis
fünf Jahren kaum mehr verdient, als
der Fleiſcher, der es ſchlachtet und
ausjchrotet, in vier bis fünf Tagen.
Nicht zu unterfhäßen find die Ge—
fahren, denen der Bauer durch die
zunehmende Unsicherheit auf dem Lande
ausgejegt ift. Einbruch und Diebftahl
ind an der Tagesordnung. Bis der
Thäter entdedt wird, hat er längft
das geftohlene Gut vergeudet, und der
Beichädigte erhält daher in den jel-
tenften Fällen einen Erfah. Dazu
kommt der ſchwere Ubelftand, daſs die
Zahl der verheirateten oder im Con—
cubinate lebenden ZTaglöhner, welche
feinen bindenden Dienft eingehen
wollen, im fteten Wachſen begriffen
ift. Den ganzen Winter hindurch boden
dieje Familien arbeitslos in ihren Hüt—
290
ten und nähren fih und ihr Vieh
größtentheil3 von dem, was fie im
Sommer und Herbfte den Bauern aus
Gärten, Feldern und Fluren entwen-
det haben. Das Einwohnerwejen ift
zur Laudplage geworden, die jede
Luft am Bejige verbittert.
Gemwaltig und einjchneidender als
bei allen übrigen Ständen find die
Anfprühe, melde die Einrichtung
der ſtehenden Heere an die länd—
lihe Bevölkerung Stellt. Die Ber
laftung durch inquartierung und
Vorfjpannleiftung erſcheint kaum der
Rede wert, im Bergleihe zu den
perfönliden Dienften, welde das
Landvolk in der Armee leiftet und
leiften mujs. Die Söhne des Adels
und der bevorzugten Claſſen dienen
als DOfficiere, und auch die jungen
Leute aus dem Bürgerftande werden,
ob der größeren Vorbildung, bald und
mindeltens zu Unterofficieren beför-
dert, beziehen daher beilere Löhnung
und Jind förperlih nicht jo ange—
ftrengt, wie der gemeine Soldat. Von
den Kindern der Arbeiter bleiben viele
wegen mangelhafter Nahrung, ver—
nachläſſigter Obforge, Aufenthalt in
ungejunden Wohnungen, jhwächlic
und früppelhaft, oder werden durch
frühzeitigen Genuf3 von geiftigen Ge—
tränfen oder durch liederliche und un—
jittliche Lebensweife zum Militärdienfte
untauglich, und dadurch erhöht fich dus
Gontingent, welches die ländliche Be—
völferung zu ftellen hat. Wie ſtati—
ftijch erwiefen, bilden die Bauernjöhne
und die auf den Bauernhöfen aufges
zogenen Kinder der Dienftboten bei
den meilten Regimentern den eigent—
lien Mannſchaftsſtand, und jo trägt
denn der Bauer auch in der Armee
den jchwerften Theil der Laſt. Nach
erfüllter Militärdienftpflicht wendet fich
wohl der gewerbliche Arbeiter wieder
jeinem Gefchäfte zu, auch der Stu—
dierende hält ſich an die begonnene
Laufbahn, nur Knecht und Bauern—
john kehren in den jeltenjten Fällen
lauf das Land zurüd,. Sie haben das
i
bequemere, mehr Freiheit und Ver- den wert und feinen Pfennig mehr.
gnügen gewährende Leben in den Städ—
ten kennen gelernt, finden leichtere
Arbeit und erhalten mehr Lohn, ver=
bleiben alfo in der Stadt. Der Bauer
verliert demnach ſchon bei der Aſſen—
tierung feine bejten Arbeitsfräfte für
immer, Nur wenn fie invalid oder
arbeit3unfähig werden, fommen fie
wieder in das Dorf zurück und der
Bauer muf3 fie dann erhalten. Sind
das nicht jonderbare Verhältniſſe?
Und nun erft die Getreidepreije !
Diejelbe Aufgabe, welche bei dent
ſpaniſchen Stiergefehte dem Matador
zufällt, vollzieht an dem mit Getreide=
bau bejchäftigten Landvolke die Frucht»
und Mehlbörje, denn fie gibt der zu
Tode gehegten Landwirtichaft den Gna=
denftoß mitten in die Bruft.
Der Bauer düngt, pflügt und eggt
Heinen Acker, jäet im Herbite das Ge»
treide und deckt es mit Egge und
Walze ein. Den ganzen Winter hin—
durch hält ihn die Sorge, ob nicht
zu tiefer Schnee, Froft oder Näſſe die
Anfaat verdirbt. Sind dieſe Gefahren
glüdlih überjtanden, die Frucht üppig
in die Halme gefchoflen, dann macht
ihn jede Schwarze Wolfe erzittern, die,
Hagel verfündend, feine Hoffnung in
die Erde zu ſtampfen droht. Bleibt
er auch von diejem Unglüde verichont,
war die Erntezeit günftig und hat er
endlich die ausgedrojchene und gerei=
nigte Frucht in den Süden, dann
fährt er damit zum Getreidehändler.
Am Wege dahin Hat er ausgerechnet,
wie viel das Saatkorn, der Dünger,
die Hands» und Zugarbeit ausmachen,
und jo findet er denn, dafs ihm felbit
100 Kilogramm Weizen auf mehr als
neun Gulden zu ftehen fommen. Für
jeine Mühe und Gefahr, für Zinjen,
für den Unterhalt feiner Familie will
er doch auch ein paar Gulden verdie=
nen, und jo fchäßt er den Metercent-
ner auf elf Gulden. Der Getreide:
händler jchüttelt den Kopf und jagt
lähelnd: Mein lieber Bauer! jo geht
es nicht. Dein Weizen ift heute 8 Gul—
Damit der Bauer ſich überzeugen kann,
hält ihm der Händler den Curszettel
vor, und auf dieſem jteht jchwarz auf
weiß gedrudt, daſs die Börje in Wien
den Preis für 100 Kilo mit 8 Gulden
feftgefeßt hat. Um neun Gulden
dat der Bauer den Weizen erzeugt,
um acht Gulden foll er ihn verkaufen !
Iſt das möglih? Nun ja, die Noth
zwingt, was will er thun? Er mufs,
und verfauft! Traurig und gefenkten
Hauptes fährt er zurüd und bringt
die Überzeugung mit nachhaufe, daſs
er unter folhen Verhältniſſen zus
grunde gehen muſs.
Nun frage ih: Wer jind denn
die Herren, welche auf der Getreide-
börje die Preife beitimmen ? Land»
wirte? Mit nichten! Ein paar Bäder,
ein paar Müller, und was darüber,
lauter Leute, die wicht viel mehr kön—
nen al3 fchreiben, rechnen und ſpecu—
lieren, und fonft nichts wollen als
viel verdienen, gut und vornehm leben,
weshalb fie im Volksmunde die Bör-
jianer heißen. Fragt man nun diefe
Herren, wie jie es wagen fönnen, ohne
Nüdfiht auf die Erzeugung, Preiſe
zu bejtimmen, welche die Yandmwirt-
ſchaft erdrüden müſſen, dann erhält
man die bodenlos freche Antwort:
„Was kümmert uns die Landwirt»
ihaft! Amerika und Rufsland liefern
zu diefem Preife. Wenn der inländis
ihe Bauer micht beftehen kann, jo
mag er den Getreidebau aufgeben.“
Wenn das jo fortgeht, wird der Bauer
bald mehr aufgeben, als bloß den Ge—
treidebau.
In den Gebirgsgegenden find es
die Servitutsverhältnifje, durch welche
viele Beliger Heinerer Grundcomplere
in den Fällen der Verweigerung oder
Beſtreitung des Streu= und Holzbezu—
ges und des MWeiderechtes im ihren
Rechten verfürzt und im Beſtande ge=
fährdet oder in koſtſpielige Proceſſe
verwidelt werden und dadurch im un—
verichuldete Nothlage gerathen.
Von ganz unberechenbarer Trag—
19*
Euer,
292
weite find die Schäden, welche die
Sandwirtihaft, das Volt und der
Staat durch die übertriebene Ver—
hätſchelung der Jagd erleiden. Die
Jagd, welche man gar fo gerne noch
immer zu einer ernſten, wichtigen Be—
ſchäftiguug aufbauſchen und als Be-
rufszweig in Ehren bringen möchte,
ift Heute, wie jeder andere Sport,
ein bloßes Vergnügen, welches in
wirtichaftlicher Beziehung eher Schaden
als Nupen bringt. Damals, als der
Jäger noch mit Keule, Schwert und
Speer den Kampf mit den Raub
Ihieren aufnehmen und Leben für
Leben wagen mujfste, um die Menfchen
und ihr Nußvieh von den gefährlichen
‚yeinden zu befreien, damals gehörte
Kraft, Übung und perfönlicher Muth
zum Waidwerf. Die Jagd war eine
Nothwendigkeit und ftand deshalb in
hohem Anſehen. Diefe Zeit aber ijt
längit vorüber, das Raubwild aus—
gerottet, der culturelle Zwed der Jagd
erfüllt und eine Gefahr von Raub:
thieren nie mehr zu bejorgen, weil
jeder Bauernknecht beim Militär zum
Schützen ausgebildet wird. Die Thiere,
welde Heute gejagt werden, fliehen
ängftlih und furchtſam den Jäger.
Es ift fein ampf mehr, ſondern ein
Nachlaufen oder Zutreiben, und wenn
nicht etwa ein Schütze den anderen
anfchieht, vor dem Wilde ift jeder
licher. Deshalb ift die Jagd in unferen |
Ländern zu einer bloßen Unterhaltung
berabgefunfen, an der khatſächlich
Frauen, Knaben und Greije theil-
nehmen, und die fich jeder vergönnen
fann, der Zeit und Geld dazu bat.
Wenn es ſich bloß um den Wert
des WildbretS und um das Erlegen
des Wildes Handeln würde, jo könnte
der Berufsjäger, der den Wildjtand
ausfpäht, auch das Wild zum Schuſſe
bringen. Das darf aber nicht jein,
denn um das Mildbret, um den
eigentlihen Nuten der Jagd handelt |
es ſich gar nicht, ſondern ausſchließ—
ih nur um das Jagdvergnügen, und
eines bloßen Vergnügens wegen foll
und darf nicht die Eriftenz unzähliger
Familien, welche ſich durch ernſte
Arbeit ihr Brot verdienen, gefährdet
werden.
Es fällt mir nicht ein, der Aus—
rottung des Wildes das Wort zu
reden. Der Hirſch war auch früher in
den Wäldern, und die Bauern konnten
beſtehen. Jagdinhaber und Grundbe—
figer wujsten ſich zu vergleichen und
fein Bauer wurde ausgetrieben; allein
jeit zwanzig Jahren bürgert fich die
Mode ein, daſs Grundcomplere bloß
zu Jagdzwecken aufgefauft und die
Bauern ſyſtematiſch verdrängt werden.
Es erfcheint daher zur Erhaltung des
Bauernſtandes dringend geboten, diefen
Übergriffen des Gapital® einen wirt:
jamen Riegel vorzufchieben, weil es
ein ſchweres Unrecht wäre, wenn man
die mit unjägliher Mühe der Wild-
nis abgerungenen Felder und Wieſen
wieder verwüften und die Wohnge—
bäude der Bauern dem Verfalle preis
geben würde, bloß um die über»
triebene Jagdpaſſion einzelner Geld—
männer zu befriedigen.
Für Gegenden mit ausgebreiteter
Obſtbaumzucht ift zwar aud der Hale
ſchon ein gefährlicher Feind, und ſo—
wohl der Haje als auch der Faſan
richten auf den Feldern vielen Scha—
den an. Trotzdem will id noch ab-
jehen von der Niederjagd, denn des
Dafen kann fi der Bauer noch er—
wehren, aber nicht des Hirfchen, denn
juft jowie die Börfe den Getreidebauer
auf dem Flachlande zugrunde richtet, jo
best der Hirfch den Gebirgsbauer aus
feinem Geböfte.
Mit welher Müh' und Plag' er—
kämpft ſich der Alpler ſein armſeliges
Dafein! Am Rüden oder mit Seilen
ſchleppt er den Dünger auf Feld und
Wieſe. Wie anftrengend ift der Anz
bau der fteilen Yehne, und jprofst die
Frucht hervor, dann ftürzt das Hoch—
wild in Rudeln daher, frijät die Halme
und Frucht vom Felde und die Futter:
gräfer von der Wieſe. Was nod
bleibt, wird zerſtampft und zertreten.
Wehmüthig blidt der arme Bergbauer |
auf die Verwüſtung, ihn fchredt der
lange, Harte Winter. Wo wird er
Brot hernehmen für fih und fein
Gefinde und womit joll er fein Vieh
erhalten? Man wird Hinweijen auf
die Wildſchadenvergütung. O ja, ganz
richtig, wenn ed nur nicht gar fo
ſchwer wäre, mit großen Herren Kirſchen
zu effen. Die paar Gulden, die der
Bauer bekommt, fann er allerdings ver= |
wenden, um Deu und Stroh zu kaufen,
aber derlei Ware
Ebene verfäuflih, und wie bringt er
it nur in der‘
nur die Schäden der Jagd, ſondern
daj3 auch alle übrigen beklagens—
werten Zuftände im der Wirklichkeit
noch viel ſchärfer herbortreten, als fie
hier geſchildert find.
So Morre. Dann ergeht ſich unser
unbarmberziger Berichterftatter über die
Dienfibotenverhältniffe, die mit ein
Hauptgrund in dem Niedergange des
Banernftandes find, und er bejpricht
noch vielerlei, welches vielleicht noch
intereflanter ift, al3 daS wenige hier
Mitgetheilte.
Allein unfer Autor ift feiner von
größere Mengen auf den fteilen ums | denen, die nur Hagen und anflagen und
fahrbaren Wegen ins Hochgebirg hinauf? ſelber nicht wiffen, auf weldem Wege
Was bleibt ihm übrig, er mufs den es befjer werden fünnte. Morre ſchlägt
Viehftand vermindern, und da die Mittel zur Abhilfe vor, Rathichläge,
Viehzucht fein einziges ficheres Er⸗ | welche wohl wert find, dafs man fie genau
trägnis bildet, jo macht er den Anfang
von feinem Ende. In wenigen Jahren
geht jein Belik in der Regel um einen
Spottpreid an den Jagdher:n über,
und traurig feufzend wandert der aus
jeinem Erbe verdrängte Bauer mit
Weib und Kind thalab. Der fremd—
ländifche Förfter, dem auch jedes Ge—
fühl und jede Rüdjicht für das Berg-
volf fremd und jeder Bauernhof ein
Dorn im Auge ift, freut ſich hämiſch
darüber, weil er ja weiß, daſs danı,
wenn nur einmal der erite Bauer
loder wird, bald ein Nachbar dem
anderen nachfolgt.
Die Zweifler mögen nur perſön—
lich den BVerhältniffen der Landwirt:
ſchaft nahforfchen, in welchem Lande
oder in welcher Gegend es ihnen be=
liebt, oben im Hochgebirge, oder in den
Meingärten oder auf dem Flachlande;
überall werden fie finden, daſs nicht
u ——
und unverkürzt vor ſich habe, deshalb
verweiſe ich dich, mein Leſer, wenn
du im der Sache guten Willens bift,
lauf die Broſchuͤre. — Lies fie, lies
‚fie genau, du wirft mandes Merk—
‚würdige erfahren. Und wenn dir
‚dabei das Herz nicht anhebt zu blu—
‚ten aus Mitleid für den Bauern, jo
‚wird dir wenigſtens der Schweiß auf
die Stirne treten aus Angſt, dajs
hier eine Kataſtrophe bevorfteht, wenn
es nicht gelingt, den Baueruftand zu
retten.
Und dir, Freund Morre, der du
als Schriftiteller, als Dichter und als
Redner troß mancherlei Widerſacher
‚dein Manneswort erhoben Haft für
unſeren wichtigften und ärmſten Stand,
dir rufe ih Dank für diefe Schrift,
und Glüdauf! — Möge dein Wort
"Gehör finden, folange es nicht zu
ſpät ift! Rojegger.
Pe
Der Ihnlerkogel.
Gin Spaziergang in der Heimat von R.
ram Fünf Uhr wurden wir ges
a wedt. Der Abend war lang
. gewejen, die Nacht kurz, und
die Sinne taumelten gleichſam noch
in Schlaftruntenheit. Draußen lag
eine graue Naht. Schwerer Nebel
über dem Alpenthale. Trotzdem war
Trofaiah ſchon munter und rüftete
ih zur Bergpartie. Auf den Thaler-
fogel! hieß die Lofung.
Bald darauf ſchleppten zwei ſchwere
Laftpferde einen großen Leiterfarren
dahin, der vollbepadt war mit Wei—
bern, Kindern und faulen Männern.
Der größte Theil der Gefellichaft, zu—
meift aus jungen Leuten beftehend,
war uns zu Fuße ſchon voraus. Unſer
Schwerfälliges Gefährte ächzte das Rötz-
thal hinan, durch welches ein eisfaltes
und friftallliares Wafler herablam aus
dem Felſengebirge des Hochthurm. Das
Thal war eng, hatte grüne Wiejen,
jonft konnten wir nichts jehen von
der Gegend, der Nebel verhüflte alles,
und anftatt daf3 er ins Silberweihe
gieng, hub er an in das Stahlgraue
zu jpielen, und anftatt er feuchten
Thau legte auf die ftehenden Bäume
und fahrenden Menjchen, fiel hie und
da ein größeres Tröpflein. Das Baro—
meter war hochgemuth und wollte
oben hinaus. „Mag fein“, fagte ein
Genoffe, „es gibt auch optimiftifche
Barometer! Und warum foll ſich das
Quediilber in der Röhre nicht geradefo
irren fönnen, als der Phosphor im
menschlichen Schädel!“ -
Nahden mir eine Stunde lang
gefahren waren, wurde das Thal eng
und der Nebel noch finfterer, weil;
einen Waldweg hinan. Jebt ſah man erft
die Größe der Schar, die ſich gerüftet
Hatte, um mit mir den Berg zu befteigen.
Zumeift Sommerfrifchler, Studenten,
Mädchen, Frauen, Lehrer, Künftler, und
da3 war ein lautes Treiben, ein hei—
tere Emportänzeln, ein Neden, Lachen,
und auch ſtillſinniges Courmachen man—
ches ſchwärmeriſch angelegten Gym—
naſiaſten. Raſch hatte jeder ſich eine
Huldin ausgeſucht, der er entweder
Blumenſträußchen pflückte, oder Erd—
beeren, oder der er Steine und an—
dere Hinderniffe aus dem Wege räumte,
oder ritterlich aus der Schlucht einen
Trunk Waller Holte. Ich ließ die
junge, frohe, blühende Welt voran-
flattern, und ſchritt ftill Hinter ihr
drein, manchmal den Blid gegen Him—
mel richtend, doch weniger aus Fröm—
migfeit, als aus meteorologifchen Grün-
den. Der Nebel jchien wie fejtgefroren
an den Hängen.
Wir kamen Hinan zum lebten
Bauernhaufe, dem Thalerbauer, wir
famen zu einer Almerei, wir kamen
zu einer Köhlerhütte — immer leid»
licher Weg, der durch Wald und über
Matten gieng, und immer Nebel. Als
wir faft zwei Stunden fo gegangen
waren, ftanden wir auf hohem Alm—
boden und vor uns ftürzte der Berg
faft gröblih ab in ein anderes Thal.
Auch in diefem die finftergraue Nacht.
Trotzdem fliegen wir links Die letzte
Kuppe binan, und al® wir auf der
(1656 Meter hohen) Spibe des Ber—
ges waren, lag rings um uns umd
über uns das undurchdringliche Feuchte
Weiß, jo dajs etliche der Nachdenk—
überall der ſchwarze Wald durchſchim- | lichen fragten: Warum find wir her—
merte. Wir ftiegen aus und giengen rechts |
aufgeftiegen ? Die meiften fragten das
" = MR | —— —
nicht. Es gibt ja außer der Ausſicht
Genüſſe genug bei einer Bergwande—
rung; ſchon das Wandern jelbit ift
einer, die nächſten Wegbilder find einer,
der Duft der Pflanzen ift einer, das
Dünnerwerden der Luft ift einer, das
Bewuſstſein überwundener Schwierige
feiten ift einer. Und erft gar die junge
Melt, die in Nebel, Wind und Regen
oft noch ihr bejonderes Vergnügen
findet, weil für luftige Wejen alles,
auch das Widerwärtige, als Anlafs zur
Bethätigung der Kraft und der Schalt:
heiten dient. — Und nun padte jeder
die Schäße aus, die er mit fich ge—
tragen hatte: Brot, Käſe, falten Bra—
ten, Wurft, Sardinen, Obſt, Badwerl,
Wein, Liqueur, Cigarren, alles auf
den gemeinfamen Tiſch eines großen
Steines legend — alſo daſs ein ſchar—
fes Eſſen und Trinfen anhub, bei dem
jeder und jede nahm, mas beliebte.
Plötzlich, als wir mitten in fröh—
liher Mahlzeit waren, that jemand
einen hellen Schrei. Wind war ges
lommen, hatte im Nebel ein Lo
gerifjerm, dur das, von der Sonne
beleuchtet, wilde Wände zu un her—
blinkten. Wenige Minuten jpäter ſchien
die Sonne auch herab auf unjere
heitere Zafelrunde, die Nebelfegen
waren in ordnungslojer Flucht theils
in die Tiefen mieder, theils au den
Wänden Hin, theils in den blauen
Himmel empor gefahren, bis fie jid
ganz verflüchtigt Hatten und mur der
zarte bläulihe Dunft da war, vom
hellſten Sonnenlichte durchwoben. Das
Jubelgeſchrei kann man Sich denken.
Die Überrafhung war auch zu fein
gelungen. Wir orientierten uns kaum,
wie in eine ganz fremde Gebirgswelt
verjegt famen wir ums dor, mitten
in den heimischen Bergen. Der Hoch—
Ihurm fand und am nächften, dann
recht3 Hin die gewaltigen unabjehbaren
Wuchten der Hochſchwabengruppe, vor
welcher tief unten und enge ins Fels—
gebirge geteilt das Alpenthal Tragöſs
liegt. Lints vom Hochthurm, zwiſchen
diejem Gebirgsftot und dem Reichen:
295
ftein, die tiefe Scharte des Prebüchels,
durch welche man hinaus ins Eifen-
erzerthal blick. Das Wildfeld, der
Reiting jehliegen die Reihe der uns
am nächften ftehenden Felsrieſen. Das
ift gegen Norden hin. Gegen Weiten,
gegen Süden, gegen Often fruchtbare
Thäler mit bewaldeten Bergen, meit-
dinziehenden Almen, Hinter welchen
hie und da in grauer ferne ein
hoher Felsberg emporſteht. Alle Be—
ſchreibung des Gebirgsbildes wäre
überflüſſig, wer auf Bergen war, dem
genügt die Andentung; wer nicht auf
Bergen war, dem kann man's un—
möglich ſchildern, wie es iſt. Entweder
er fſieht Worte, Hört Begriffe und
langweilt ſich dabei, oder er hat Phan—
talie und baut fi die Bergwelt ins
Ungeheuerlihe auf: die Wände „hints
melhoch“, die Abgründe nächtig finfter
und wo möglich bi zum Mittelpunkt
der Erde tief. Iſt ja fo einer immer
enttäufcht, wenn er nach vielem Hörenf
jagen und Lejen das erjtemal aus
leichten Wegen ins Gebirge komme
und alles fo hübſch regelmäßig, zahm
und niedlich findet. Erjt wenn er die
Gebirgsmwelt näher kennen lernt, fteis
gert fich jeine freundliche Anerkennung
zur Achtung, jeine Achtung zur Ehr—
furdt. Iſt die Alpennatur nur erft
entfefjelt, dann übertrifft fie an Effect
alle Erwartungen. — An diefem Tage
war fie don ausgejuchteiter Freund—
lichkeit und bewirtete und mit Sonnen
ſchein, Windftille, Blumenduft und
föftlicher Fernſicht. Die Großartigkeit
der Fernſicht fteht mit dem müheloſen
Aufftieg in feinem VBerhältniffe und
das jo reih mit Naturſchönheiten ges
jegnete Trofaiach Hat an dem Thaler»
fogel einen Rigi, wie man ji ihn
faum günftiger denfen fann,
Nnun waren die Fehlen wach und
Heimatslieder erlangen in einzelnen
Stimmen und in Ehören. Wie ein
allgemeines Aufjauchzen war es bei
den Worten:
Diefes jhöne Land ift mein Steirerland,
Iſt mein liebes, theures Heimatsland!
296
Mogender Freude voll fprang nun] dem fchönen Lande Weſtfalen komme.
ein Mann auf den Stein, Hob fein) — Als ob das rothe Weftfalen jhöner
volles Glas und rief mit heller Stimme) wäre, als die grüne Steiermark!
den Sängern zu:
„Singet, jauchzet eure Lieder,
Hochgemuthe Steirerlehlen!
In der Steirer Herzen wieder
Hallt der Jubel eurer Seelen.
Deuticher Heimat fühe Sänge
Klingen in den blauen Lüften,
Schlagen an die Felſenhänge,
Mehen über Seen und Triften.
Auf der weiten Gotteserden
Wird fein ſchöneres Land gefunden,
Durch weiß-grüne Bande werden
Mit dem Himmel wir verbunden.
Auf die Scholle finlt der Sänger,
Dass er fromm das Erdreich küſſet:
O geliebtes, heilige Waldland
Steiermarl, ſei ung gegrüßet! —
Heimatöfreude ift getragen
Bon des Liedes gold'nen Schwingen,
Unjere Luft ift nicht zu jagen,
Darum mülſen wir fie fingen.“
Er trank das Glas aus und
jchleuderte e3 hinab den Hang, dajs
e3 in taufend Scherben zerjchellte. Die
Frohſtimmung hatte num den höchiten
Grad erreicht und ich mufste mich ein
wenig abjeit3 halten, um meine Bes
wegung verbergen zu können.
Nach zweiftündigem Aufenthalt auf
der Bergeshöhe gieng es an den Ab-
ftieg. Die Gefelfehaft war in eine
faft ausgelaffene Bergfreudigfeit ge—
rathen, die mir zwar gefiel, an der
ich aber nicht theilzunehmen vermochte.
Ich ſchlug einen befonderen, ftilleren
Meg ein über blühende Matten und |
genofs im Schauen und Sinnen die)
füßefte Heimatsfeligleit. Mit jedem
Schritte, den ich thalwärts that, gab
ih Theile des Bergrundes preis,
welches immer mehr verfant Hinter
Vorbergen, oder hinter Bäumen des
Waldes, in den ich gelommen war.
Zu einer Thalwieje gelangt, fah
„Kleidermader“, verfegte ich dem
Burfden, „und Weſtfalen, das ift
ja jenes Land, wo man die Schneider
in Eifentäfige ſperrt und auf Kirch—
thürme hängt!“
„Johannes von Leyden“, mur—
melte er, ohne weiter auf meinen
Spaſs einzugehen, „o, das ſchöne
Münfter! Wie weit, wie weit!“
„Sie haben wohl Heimweh?“
fragte ih ihn.
„Fällt mir nicht ein”, antwortete
er wegwerfend, „nur die Berge hier,
die hohen Berge, die drüden mid
ganz abſcheulich. O, du ſchönes MWeft-
fälerland! Ich mollte bis in Die
große Stadt Graz reifen, will aber
früher umfehren und ins MWeftfalen
zurüd.. *
Urmer Junge! Aber
hatte er nicht“,
„Man Hat fo viel wunders von
diefen Gegenden gejagt“, fuhr er fort.
„Alſo wollte ich den fteirifchen Erzberg
jehen, und Tragöſs und das Schwa-
bengebirge. Mag ja recht ſchön fein
für einen, dem’3 gefällt, mir thut die
Luft nicht gut. Im Weftfälerland
iſt's trodener, fonniger. Und die ſchö—
nen xothen Heiden mit dem Erifen-
fraut! Und der Sonnenuntergang
dort, den jieht man auf der ganzen
Melt nicht wieder jo. Jh kann aud
in Münfter Arbeit nehmen, oder in
Hamm, oder in Dortmund, mufs nicht
gerade nad Graz an der Mur.”
Dierauf bat er mich, ihm die
fürzeften Wege zu weiſen zurüd nad
jeiner Heimat, Noch ertheilte ih ihm
filbernen Rath auf ein Glas Herzens»
ſtärkung, den er dankend annahm, und
„Heimweh
ih, wie unter dem Schatten eines dann gieng er feines Weges.
Ahornbaumes ein reilender Burſche Ich ſtieg vollends hinab zum Berg—
ſaß und die wunden Füße in einem | pajs Diefelegg, wo der Weg hinüber
Zümpel wuſch. Er jchien ein wenig | führt ins Thal der Laming. In
abgehärmt und betrübt zu fein und| diefem Thale hatte ih eine andere
auf meine Fragen ſagte er, daſs ec Begegnung, Auf einer trodenen Sand=
ein Kleidermachergehilfe wäre und aus halde der Laming lagerte ein Rudel
—
Zigeuner. Die Kleider, welche ſie ge- durch ſeine Reife zum Bewufätjein
wajhen haben mochten, lagen ausge- gekommen ift von dem unſchätzbaren
breitet auf Steinblöden, um zu trodnen. | Werte der Heimat. Und wie namenlos
Sie jelbft, groß und Hein durch- elend find diefe, die Finder des wan—
einander, lagen oder wälzten fich faft | dernden Stammes, die von der Ge—
ganz nadt auf Sand und Schutt burt bis zum Grabe nirgends daheim,
umher; fupferbraune, ſchwarzhaarige überall fremd find, vor deren Nahen
Geftalten mit weißen Zähnen. Die fi jede Thür verfchließt, die ihren
Männer lagen faul da, die Weiber ; Lebensunterhalt, den kümmerlichſten
frählten mit Fingern ihr Haar oder der fümmerlichen, ergaunern uud er=
tauchten aus Pfeifen, die Kinder balg- lijten müfjen, die vor jedem Land-
ten ſich, zerrten einander an den wächter fliehen wie ein gehettes Wild,
Gliedern oder warfen fih Sand ins,
Geſicht. Ein paar Jungen fliegen im
Bahe umber, um etwa nach Fiſchen
oder Srebjen zu fahnden.
einander, um die Gewänder zufammen-
zuraffen, und liefen zwifchen Weiden
und Erlen davon. Ein Jäger mi
Gewehr und Hirfchfänger war des
Weges gekommen, der hatte die Bande
verſcheucht. — Gar jeltfamlih Hatte
mich das geftimmt. Ich, der Heimat-
geniegende, dort der Heimatjuchende,
und bier die Heimatlofen. Wie felig
bin ich mitten in dem geliebten Vater:
lande, wo alles mir freundlich und
traut iſt, deſſen Wälder und Berge
daftehen wie Denkmäler an die Jugend,
an die Vorfahren; auf deſſen geheilig—
tem Boden wir die Spuren unſeres
Seins und Wirkens den Nachkommen
binterlaffen können. Wie glüdlich bift
du, der im wenigen Wochen jein ge—
liebte Weſtfalen wieder fieht,
Plöglich
ihhredten fie auf, huſchten wire durch |
die nie und nirgends Fuß fallen kön—
‚nen zu einer gedeihlichen Arbeit, zu
einem gefelligen Leben und frohen
Genüffen, das des Dafeins fich ver-
lohnte.
Gegen Abend ſtieß ich wieder zu
meinen Bergfahrtsgenoſſen, die jo
harmlos luftig und übermüthig waren.
Wie lachende, ftrampelnde Kinder in
der Wiege, jo kamen jie mir dor, die
no nicht wiſſen, was das heißt:
heimatslos fein. Ich erinnerte fie auch
nicht daran, und jo wanderten wir
munter durch den Rößgraben hinaus
und zogen ein in Trofaiach, viel fri—
fher und hochgemuther, als wir des
Morgens im finfteren Nebel ausgezogen
waren. Die blauenden Wände des
Reiting, des Wildfeld, der Vordern—
bergerinauern fchauten ernft herab, und
dort über den Waldbergen ber grüßte
uns die grüne Kuppe des Thalerkogels,
auf welcher wir fo unvergejslich ſchöne
der , Stunden genofjen Hatten.
298
Meine erfte Eifenbahnfahrt.
Jugenderinnerung von Ferdinand Pfeiler.*)
*
= ein Geburtsort ift ein rein
sy deutjches Dorf mit mehr als
300 Häufern, in einer feucht»
baren Gegend an der öfterreichifch-
mährischen Landesgrenze. Dasjelbe
liegt auf einem romantischen Hügel
und ift gegen Süden und Weſten von
einem ſchönen Weingebirge, im Often
und Norden von fruchtbaren Feldern
umgeben.
Hreudiger und frifcher fühlt man
das Herz in der Bruft fehlagen, wenn
man zur Sommerszeit, von welchem
Punkte des Dorfes aus es auch ge=
ſchehen möge, das Auge in der Runde
ſchweifen läjst. Richtet man den Blid
gegen Welten, jo bleibt derjelbe auf
den nahen, kaum zwei Stunden ent»
fernten Polauerbergen haften, und
unmwillfürlih fommt uns beim Ans
blide der beiden Ruinen, die fich dort
oben befinden, der Gedanke, wie es
wohl dort zu jener Zeit geweſen fein
mag ,. ehe die Scharen des unglüd-
jeligen Magifters Johannes Hufs ihre
zeritörende Fauſt an die
jeßten.
Die Thaja, die am Fuße dieſer
Berge vorüberzieht, Fchlängelt ſich uns
zur Linken, einem Silberbande gleich, |
in vielen Windungen durch Wiefen |
und Wälder, an mandem bübjchen
Dorfe, deffen Kirchthurm zwiſchen den
Kronen der hohen Eichen hervorlugt,
vorbei, bis diefelben bei Eisgrub im
Süden vor unferen Augen auf,
Schloſs Liechtenftein mit feinen hun—
derten von Thürmen und Thürmchen,
die alle mit dem Zeichen des Kreuzes
geihmüdt, vom Sonnenftrahle geküſst,
über den jchlanfen Baummipfeln des
Parkes zu uns herüber jchimmern.
Im DOften und Norden erblidt
man endlos jcheinende, im Winde wie
Mellen eines Meeres hin- und here
wogende Meizenfelder, durd die von
Zeit zu Zeit ein Zug der Nordbahn
raſch dahineilt, Wohl mehr als zwanzig
Dörfer liegen in der Runde friedlich
vor ung, ein ſchönes, freundliches Bild,
zu dem im Süden und Weſten der
dunkelgrüne Wald, im Norden und
Dften eine Hügelfette, mit mehreren
Windmühlen bejegt, den Rahmen bildet.
Und bier auf dieſem gottgefegneten
Fleckchen Erde, verbradhte ich die Schönen
Tage der Kindheit und meine Schuls
jahre. Und wann vergijät man dieje
Zeit! — Selbſt der Schlaf bringt
uns oft im Alter in einem Traume
Schlöſſer | die Schönen Bilder der Kindheit wieder.
Man ift wieder jung, fliegt über den
Köpfen der Schulfameraden in der
Luft, man verübt in ihrer Gemein»
Ihaft irgend einen loſen Streih und
wird verfolgt; man will entfliehen
und bringt die Füße nicht weiter;
jo, jeßt ftürzt man noch dazu in einen
tiefen Brummen und erwadt. Oder,
man will mit der Mutter in die
Fürſtlich Liechtenftein’schen Parke unz | Kirche gehen und wird mit dem An—
jeren Bliden entſchwindet.
Doch ein | Heiden nicht fertig; doch auf einmal
neues, herrliches Bild taucht dort gegen ifteht man im der Kirche, ohne daſs
*) Der „Heimgarten“ hat jchon wiederholt hübſche Gedichte von dem Eifenbahn:
Wächter Yerdinand Pfeiler veröffentlicht. Heute ftellt uns der jchlichte, ideal angelegte
Mann „ipafiespalber* Erinnerungen aus feiner Jugend zur Verfügung, die wir ihrer
anmuthenden Natürlichkeit wegen gerne wiedergeben.
a a —
Die Ned.
man weiß, wie man dabingefommen
it. Aber aus der Kirche ift ein Jahr—
marft geworden, wo und nun die
Mutter etwas Gutes oder Schönes kauft,
und uns aufbietet, es ja feftzubalten,
damit wir es nicht verlieren. Wir
werden wach, und wirklich halten wir
noch etwas feit in der Hand, den —
Bolfterzipf. So träumt man im reifen
Alter no von der Jugend, und fo
enttäufht ums wohl auch oft ein
Ihöner Jugendtraum im Alter.
Nicht wieder kehrt die Jugend mehr im Leben,
Doch überbrüdt der&chlaf den w:iten Raum!
Und was die Wirflichleit nicht mehr !ann
geben
Das bringt im Alter uns zurüd ein Traum.
Fünfzehn Jahre war ich alt, als
ih aus meiner Heimat jchied; und
obwohl ih das Heimmeh, das ſich
fhon in der zweiten Woche nad
meiner Abreife einflellte, nicht über—
winden zu können glaubte, trug mich
das Geihid doch an einen fernen,
fremden Ort, wo ich mein bejcheidenes
Auskommen fand, und Haften blieb.
Doch mit Freuden denke ich noch
immer an die Heimat und an die
ihönen Tage der Jugend zurüd, die
ih dort verbradgte. Und wenn dann
diefe Jahre im Geifte an mir vorüber—
ziehen, jo denke ih wohl aud oft
noh an meine erfte Eifenbahnfahrt.
Mein Bater, der, als ih kaum
acht Jahre zählte, jchon geftorben war,
Ihien ein Pechvogel geweſen zu fein;
wie es ja zu jeder Zeit deren jo viele
gibt. Mehrere maßgebende Berfönlich-
teiten wollten (wie mir erzählt wurde)
an ihm in feinen Kindesjahren ein
außergewöhnlichesTalent entdedt haben,
und mein Großvater ließ ihn deshalb
tudieren. Da derjelbe aber nur der
Diener der Gemeinde war, der mit
jeiner Trommel von Zeit zu Zeit die
ſäumigen Steuerzahler an ihre Pflicht
ermahnen mujste, fo gieng ihm das
Geld aus, oder viel richtiger wicht
ein, und mein Vater mujste auf hal—
bem Wege ftehen bleiben. inige
wollten wieder willen, er hätte das
Lehrer-Eramen wirklich gemadt, und
fei dabei durch — gefallen. Nun, es
ift eines fo wahrjcheinlih wie das
andere. Doch mein Vater raffte fich
auf, und lernte allen noch nicht durch—
gefallenen Studenten zum Trotz die
Maurerei. Um Meifter zu werden,
wie er vielleicht gehofft hatte, hemmte
ihn aud bier wieder das alte UÜbel,
was ein Erbfehler in der Familie zu
fein ſcheint: er Hatte nämlich fein
Geld, Mich dünkt jedoch, daſs er zu
dieſem Handwerke aud feine rechte
Luſt hatte; denn ich erinnere mich
noch lebhaft an unfere alte Hofmauer,
die ganz dieſelbe Neigung mie der
Thurm zu Piſa Hatte, was ihm nie
aufgefallen zu fein ſchien. Was aber
mein Vater wirflih und ganz war,
da3 .ift ein guter Sänger und ein
guter Muſiker. Er jpielte oft, wenn
der Schullehrer krank, oder ſonſt
irgendwie verhindert war e3 zu thun,
in ber Kirche auf der Orgel, er jpielte
auch jedes Blasinftrument, und war
überhaupt Meifter auf der Geige. Ich
erinnere mich noch oft an unfere große
Stube, wo er ftet3 mehreren aus der
Schule ſchon ausgetretenen Jünglingen
in den Abendftunden Mufitunterricht
ertheilte. Auch fungierte er an Sonu-
tagen bei einem mufifaliichen Hoch—
amte, auf dem feinen Chore unjerer
Stiche, ſtets al3 Dirigent. Da die
Proben dazu ſtets in den Schulräumen
abgehalten wurden, wo nebjt dem
Schullehrer auch Pater M. oft ans
wejend war, fo lernten fich diefe drei
Männer, mein Vater, der Schullehrer
und der Pater näher fennen, und
mein Vater zählte, fo lange er noch
lebte, dieje beiden dann ftetS zu feinen
beiten Freunden.
Der Schullehrer war ein Mufter
feines Standes. Er gab fi alle er—
denklihe Mühe, aus uns Dorfjungen
etwas DOrdentlihes zu machen, was
ihm auch theilweife gelungen iſt;
denn die meiften feiner Schüler er-
hielten eine Anftellung. Viele beflei=
den einen verantwortlichen Poſten beim
Verkehrsweſen, einige auch im Lehrer»
ftande. Schon während meiner Schul:
zeit wurde diefem wackeren Manne
der Titel eines Mufterlehrers ertheilt,
(worauf wir, feine Schüler, nicht wenig
ſtolz waren) und als er nach fünfzig—
jähriger Dienftzeit, die er in unſerem
Dorfe zugebracdht hatte, in den Ruhe—
ftand trat, wurde ihm von Sr. Majeftät
dem Kaiſer da& goldene Verdienſtkrenz
verlieben.
Ich mag wohl fein bravfter Schüler
nicht gewejen fein; denn ich erinnere
mich an das damals noch übliche Rohr:
ftäbchen unferes Lehrers, mit dem ich
jo oft in unliebfame Berührung kam.
Sch lernte zwar gut, doc konnte ich
nie ruhig fißen, und faſt täglich
wussten meine Mitſchüler unjerem
Lehrer etwas über einen Schabernad
zu Hagen, den ich entweder ihnen felbft,
oder irgend jemand anderem zugefügt
hatte, und da3 trug mir jo viele wohl—
und feharfgemeinte Hiebe ein, wovon
im vollften Sinne des Wortes einer
jo jaftig war wie der andere. Denn
unfer Lehrer hatte die Gewohnheit,
wenn er erregt war, an dem einen
Ende des Stäbchens zu fauen, und
da er, ehe er einmal jchlug, lieber
früher zehnmal in das Stäbchen bijs,
jo gli dasjelbe au der Spihe jtets
einer naſſen Bürfte. Wenn dann meine
Mutter zufällig von diefen Strafen
erfuhr, jo lauteten ihre Troftworte für
mid ftet3: Schade um jeden Streich,
der daneben geht. Und daraus fchließe
ih, dafs ich diefelben jedenfalls auch
verdient hatte. Sei es nun, dafs auch
Bater M. deshalb auf mich aufmerk—
jam wurde, oder jei ed, daſs er die
Freundſchaft, die er meinem Vater ftets
gewährte, nun, da derjelbe geitorben
war, auf mich übertragen wollte!
furz, er erflärte mir eines Tages,
dafs ich von nun an fein beftändiger,
tägliher Miniftrant ſein müſſe. Was
dies zu bedeuten Hatte, wujste ich.
Pater M. war ein ftrenger Priefter
und Hatte viele Eigenheiten. Beim
Miniftrieren konnte es ihm aber unter
Bio
den vielen Schülern nicht ein einziger
rechtmachen. So hatte er 3. B. beim
Meilelefen ein hölzernes, mechanisch
zufammenlegbares Geftelle, worauf,
anftatt auf dem Altarpolfter, das Meſs—
buch Tiegen mufste. Und mit dieſem
Beftelle hatte ich die erften Tage meine
liebe Noth. Ih war damals erft neun
Sabre alt, und für mein Alter ohne
hin Kein zu nennen und reichte mit
meinen furzen Armen faum auf den
Altar. Und erwifchte ich dieſes Ge-
ftelle nicht gerade an den richtigen
dazu beftimmten Punkten, jo erfolgte
ein Geklapper, worüber ich heftig er—
ichraf, und das Geftelle lag mit dem
Buche flach am Wltarpolfter. Was
nun! meine Arme waren zu kurz, um
dasjelbe wieder aufzurichten ; ich wurde
blutroth im Gefichte, und die Schul—
finder, die in der Nähe des Altars
ftanden, lachten mich heimlich recht
aus. Pater M., ebenfalls biutroth im
Gelihte, aber nicht wie ih, aus
Angft, ſah meinen fruchtlojen Be—
mühungen eine Weile zu; dann gab
er mir mit der Hand ein Zeichen,
woraus ich veritand, daſs ih mich
von ihm entfernen foll, was ich jtet3
jehr gerne that. Nun legte er das
Buch beifeite, richtete dieſes Un—
glüdsgeftefle jelbjt auf, legte dann das
Buch wieder darauf, und ich! ich war
um eine Hoffnung ärmer geworden,
die Hoffnung auf den üblichen Kreuzer,
den ich ſonſt täglich zu erwarten Hatte.
Einmal, als ich zur Frühmeſſe
miniftrierte, wollte ich eben dieſes Ge—
ſtelle ſammt dem Meſsbuche von der
Epiſtel- auf die Evangeliumfeite tragen.
Als ich jedoch damit Hinter dem
Priefter auf der unteriten Altarſtufe
angelangt war, ſchnappte dasjelbe laut
Happernd zuſammen und fiel mir
jammt dem Buche aus der Hand,
Damals konnte ſich aber der gute
Pater nicht zurüdhalten. Er blidte
ih um, und als er ſah, dajs außer
einigen alten Frauen wenig Andächtige
in der Kirche waren, wie es zur
Sommerszeit oft der Fall war, fajste er
301
mich bei den Ohren und ſchüttelte mich
ordentlich. Und als ich mit Beihilfe
eines alten Mütterchens die loſen
Blätter wieder geſammelt hatte, las
er die Meile ruhig weiter, als
ob nichts gejchehen wäre. Daſs ih
aber damal3 nah der Meſſe den
üblichen Kreuzer erhielt, hat mich fehr
gewundert.
Als ich jedoch einige Tage dieſe
Ehrenjtellen betleidete, wurde ich praf=
tiſch; der Pater lernte meine Fehler
fennen und gab jih Mühe, mir dies
jelben durch Wort und That nad
und nad auszutreiben, und fo kam es,
daſs ich dann drei volle Jahre, bis der
Pater aus unferer Gemeinde fhied, bei
der heiligen Mefje fein beitändiger,
täglicher Diener war. Auf dieſe Weife
war ich während meiner Schuljahre
nebft dem alten Kirchendiener faft täg—
lih der erſte in der Kirche, und ver-
füumte auch nie eine Stunde des
Umterrichtes in der Schule. Und dieje
Pflicht wurde mir jo zur angenehmen
Gewohnheit, dafs es ſelbſt in den
Ferien meine größte Freude war, wenn
ih manchmal mit dem Sohne meines
Lehrers, der etwas jünger als ich, je—
doch felbitverjtändlich Schon reicher an
Kenntniffen war, das Schulhaus be—
treten durfte. Eine geheime Anziehungs—
kraft übte dort auf mich das Zimmer
ſeines Vater. Hier ftand ein Globus,
woran ein Heiner Mond gejchraubt
war, Landkarten von allen Ländern
der Erde, und viele, viele Bücher.
Und was ftand da alles darin! mie
glüdlich, jo dachte ich mir oft, muſs
derjenige ſein, dem je ſolche Lehr—
bücher zur Verfügung ſtehen; und wie
glücklich erſt derjenige, der alles, was aufs Feld.“
höflich zu erſcheinen, dasſelbe zu ver—
laſſen.
Nur im erſten Jahre meines kirch—
lichen Ehrendienſtes, wo ich dieſe für
mich jo wertvolle Bekanntſchaft noch
nicht gefnüpft hatte, wollte mir in den
Ferien die Zeit lange werden ; doc,
meine Mutter war ftet3 darauf be=
dacht, Abhilfe zu ſchaffen.
Das Korn war zum Schnitte reif,
die Ernte begann, und die von uns
Kindern ſchon fo lange erjehnten Fe—
rien waren gefommen, Diefelben waren
in meiner Heimat den dortigen Ver—
hältniſſen angepajst, da es zur Ernte—
zeit auch für halbwegs erwachjene Kin»
der Arbeit in Hülle und Fülle gab.
Das Getreide wurde zu jener Zeit
mit Ausnahme der furzhalmigen Gerfte,
die theilweife gemäht wurde, noch ge—
Ihnitten, da man dadurch ein reines
res Stroh erhielt und auch nicht jo
viele Körnlein verftreute. Ich war da—
mals wohl zu einer ſolchen Arbeit
noch zu jung, doch beim Aufbinden
unſeres eigenen Getreides durfte auch
ich nicht fehlen.
Um drei Uhr morgens ſtanden
meine Mutter und meine Schwelter
auf, nahmen fih ein Stüd Brot, Fülle
ten jich beim Brunnen im Dorfe ihren
Waſſerkrug, und giengen auf das Heine
Feld, das unjer Eigenthum war. Bei
ihrem Fortgange rüttelte mich die
Mutter ſtets etwas unfanft aus dem
Schlafe und rief: „Ferdl, hörſt du!
verſchlaf dich nicht, du weißt, daſs
Pater M. auf dich angewieſen ift.
Dort am Tiſche liegt dein Frühſtück—
brot, Nach der Meſſe verichliegeft du
gut das Daus und kommſt zu uns
Kaum dajs ich wieder
er aus diefen Büchern ſchöpft, auch |einfchlief, kam der Kirchendiener, den
wirfiih im Kopfe behält. ch Tas
und las, dafs mir der Schweih
auf der Stirne ftand, und vergaß
dabei oft auf mein Stüd Schwarz:
brot, das ich im der Taſche hatte, bis
mich das Geklapper der Teller aus
der Küche des Schulhaufes erinnerte,
daſs es nun Zeit fei, um nicht uns
fein Weg, wenn er zur Meile läuten
gieng, an unferem Hauſe vorbeiführte.
Er war Schon ein alter Mann mit
weißen Haaren und Hatte ji wäh:
'rend feiner ganzen Lebenszeit jeden»
falls Schon lange jattgeichlafen. Darum
kam er ojt ſchon um eine Stunde
früher als es nothwendig gewesen
wäre, und pocdte mit der Fauſt ſo bald gefüllt gewejen; aber ſammt den
ſtark und fo lange an das Mitttelholz | Stengeln, o weh. Ich gab die Kir—
unferes Fenſters, bis ich aus dem ſchen jammt den GStengeln in das
Bette jprang und mich ihm am Fen- | Körbihen, und jene, die mir ohne
fter zeigte. Konnte man da verſchla- Stengel in der Hand blieben, ftedte
fen? gewiſs nicht; und ich verfchlief
auch nie. Nach der Meſſe that ich,
wie mir meine Mutter befohlen, und
gieng dann zu den Meinen aufs Feld.
Doch unfer bifschen Getreide war bald
geichnitten und aufgebunden, und
meine Angehörigen giengen unn irgend
wohin zu einem Großbauern, nm ich
etwas zu verdienen. Und ich! nun ich
hatte unterdeffen nichts zu tbun.
Ferdh! ſprach deshalb meine Mut—
ter eines Tages zu mir: Das Herum—
lungern den ganzen lieben Tag heißt
nichts. Schon ein altes Spridwort
jagt: Müßiggang ift aller Lafter An—
fang! und ich will nicht haben, dafs
ih, wenn ich abends müde von der
Arbeit nahhaufe komme, auch noch
über ſchlechte Streihe lagen höre,
die du etwa gemacht haft. Geh’ des—
halb morgen früh in den Weingarten,
und ſieh nad, ob auf dem großen
Schwarzkirſchbaum die Kirchen ſchon
reif find. ft dies der Fall, jo pflückſt
du dir gleich morgen, und jo täglich
vormittag, ein Körbchen voll, und gehft
118 in den Mund. Solange mir nun
‚die Kirfchen ſchmeckten, verbrojs es
mich noch nicht auf dem Baume; als
ich jedoh ſatt war, ſchien mir das
Pflüden eine mir von meiner Mut—
ter auferlegte Schwere Strafe zu fein.
Doc der halbe Tag ift lang, und
bis Mittag Hatte ich richtig meinen
Korb vol. Meine Mutter, die ftets
zu Mittag auf eine Stunde nachhaufe
kam, Teerte nun denjelben auf dem
Tiihe aus, nahm eine SKaffeefchale
und maß ınir damit nun wieder die
Kirihen in den Horb hinein. Sie»
benundzmwanzig! zählte fie bei der letz—
ten Schale; macht, die Schale zu zwei
Kreuzer, vierundfünfzig Kreuzer; jo
viel, fprach fie, bringst du mir, und
um feinen Kreuzer weniger. Auf dieſe
Weiſe waren meine Kirfchen jetzt ge—
‚zählt, und id) durfte nun ſelbſt keine
mehr davon effen. Nur gut, dafs ich die
meinen jchon ungezählt im Magen hatte.
IH nahm mir alfo ein Stüd Brot
mit auf den Weg und gieng mit mei:
nen Kirschen auf den Bahnhof. Der»
nachmittags damit auf den Bahnhof, |felbe war eine halbe Stunde weit vom
um diefelben bei den dort Aufenthalt Dorfe entfernt, und ich mufste daher
nehmenden Zügen zu verkaufen. Mit | mit meinem ſchweren Korbe einigemale
dein daraus gelösten Gelde zahlit du
mir dann die Hofe, die ich dir zu
Pfingiten gekauft habe, und die, wie
ich ſehe, ohnehin jchon wieder ein Loch
am Knie bat.
Prlüden nicht, dajs du zum Werfaufe
auch an jeder Kirſche einen Stengel
haben mufst,
So gieng ih denn am nächſten
Tage nad der heiligen Mefje in den
Weingarten, und richtig, die Kirſchen
Vergiss aber beim
im Straßengraben raften. As ic
endlih die Station erreichte, ſaßen
dort ſchon einige alte Weiber, die
ebenfalls, wie ih, Kirſchen zu ver—
faufen hatten; doch ſchienen die ihrigen
Ihon den Tag vorher gepflüdt worden
zu fein, und ſahen deshalb nicht mehr
‚jo friſch aus wie die meinigen. Wer
‚daher kaufen wollte, kam nur zu mir,
‚und als der erite Perfonenzug in der
Station anlangte, hatte ich mein Körbe
waren reif und ſchon kohlſchwarz. Ich | chen bereits über die Hälfte leer; und das
ftieg auf den Baum und begann zu erregte den Neid der übrigen Verkäufer.
prlüden: doch, wie mühevoll fam mir „Du Schlingel!* raunte mir ein
diefe Arbeit vor! ja, wenn ich nicht altes Mütterchen, eben als der Zug
an jeder Kirſche auch einen Stengel | anbielt, ins Chr! „wage es nicht, mit
haben mifste, wäre mein Körbchen | deinen Kirſchen auch noch zum Zuge
nn
zu gehen. Denn weißt,“ ſprach fie
begütigend, „in einem jolchen befinden
ſich oft auch Zigeuner, die jchon jo
mandes hübſche Kind mitgenommen
und abgejchlachtet haben.“ Und ich blieb
zurüd; nit aus Angſt dor den
Zigennern, ſondern ich wollte es mir
mit dieſen alten Frauen, die mir
ohnehin Schon fo manchen giftigen Blid
zumwarfen, doch nicht ganz verderben.
Als dieſelben jedod auf dieſer,
den Stationsgebäuden zugefehrten Seite
des Zuges mit den Paſſagieren im
vollen Handel begriffen waren, und
auf mich wie es ſchien nun ganz ver—
gefien Hatten, ſchlich ich mich Hinter
den letzten Wagen des Zuges auf die
andere Seite desjelben. So, hier war
alles leer, alles jo till und ruhig,
und was das beite war, ich nun der
einzige Verkäufer. Da aber die meiften
Paſſagiere des Zuges auf der anderen
Seite binausfahen, jo mujste ich mich
erit mit dem Rufe: „Schöne Kirchen!”
bemerkbar machen. Und mun ftedten
die Leute auch hier die Köpfe heraus,
und der Handel begann. „Was koſten
diefe Kirchen?“ rief eine Hübjch ge—
Hieidete Fran, die mindejtens, wie ich
meinte, die Pfarrerlöcin eines Biſchofs
jein müffe. „Zwei Kreuzer die Schale”,
ſprach ich. „Alſo gib ſchnell“, ſprach
ſie; warte wie viel. Eins, zwei, drei,
vier, alſo ſechs Schalen herauf. „Jetzt
bemerkte ich erſt, daſs ſich auch einige
Kinder im Coupé befanden, die ſich
vergeblich bemühten, unter den Armen
dieſer Frau, die ihre Mutter zu ſein
ſchien, auch ein bifschen aus dem
Fenſter zu bliden. Und wie beneidete
ih dieſe Kinder, die, einige noch
Heiner al3 ih, ſchon auf der Bahn
fahren durften, was mir noch nie
vergönnt war! Da ich num mit meinen
turzen Armen nicht hinauf, die Frau
mit den ihrigen auch nicht bis zu mir
herunterreichen konnte, jo ftieg ich mit
meinem Korbe auf das Terittbrett,
und maß mun eine Schale nad) der
anderen voll, die danır von diefer rau
in Empfang genommen wurden. Ich
dachte dabei an die glüdlihen Kinder,
die in dem ſchönen Coupe vielleicht
gar bis in die Stadt fahren dürfen,
wo fie dann gewijs allerlei ſchöne
Sadhen jehen und auch bekommen
werden. Doch auf einmal wurde ich
aus meinem Gedantengange geſchreckt;
denn als ich eben die jechste gefüllte
Schale zum Fenfter hinein reichte,
gab ein Stationsdiener mit der Glode
das Zeichen zur Abfahrt des Zuges,
von der Locomotive ertönte ein Fchriller
Pfiff, und die Frau gab mir ein
Zwanzigkfreuzerftüd. „So, Stleiner“,
ſprach fie; „gib fchnell acht Kreuzer
heraus.“ Und ich! ich Hatte fein
Stleingeld. „Liebe Frau”, ſprach ih;
„ih Habe bloß drei Zehnerl in der
Tafche; vielleiht wäre es Ahnen
möglih, im Wagen das nöthige
Kleingeld aufzutreiben“; und gab
ihr das Geldftüd wieder zurüd.
Sp, jebt feßte fih der Zug in Be-
wegung. Und ſieh, wie jchön das
gieng! da gab mir die Frau das
Zwanzigfreuzerftüd wieder zum Fenſter
heraus und fagte: „Auch Hier Hat
niemand Stleingeld, ich jchenfe dir
das übrige; gib nur jebt acht beim
Dinunterfteigen, daſs dir nichts ge=
ſchieht.“ Ich dankte, und die Frau
jchloj8 das Fenſter. Der Zug bemegte
ih langfam aus der Station und
mir ſchien, als ob es immer jchöner
und ſchöner gienge. ch konnte, da
ih nun einmal fuhr, dem Drange
nicht widerftehen, noch ein bijächen
hier zu verweilen; ich war ja jo noch
nie mit dem Zuge gefahren, was
Ihon lange mein jehnlichiter Wunſch
gemwefen wäre, umd heute bot ſich mir
jo unverhofft dazu die Gelegenheit.
Immer jchneller und jchneller gieng
es; hei! wie flogen jeht die Tele—
graphenjtangen an mir vorüber; Die
aufgeſchichteten Getreidejchöber, ja ſelbſt
die Felder Schienen fih alle um
mich zu drehen. Der Zug hatte nun
jeine gewöhnliche Gejchwindigfeit er-
reicht, das erſte Wächterhaus, das auf
der anderen Seite der Bahn jtand,
hatten wir ſchon längit pafliert und
ſchnell rollte der Zug dem zweiten
Mächterpoften entgegen. Nur ein biſs⸗
chen noch, dachte ich; doch da nahte ſich
ſchon die Nemeſis. Ich fühlte einen
heftigen Schlag auf meine dünnen
Waden, blickte ſeitwärts, und hier
ſtand ein Bahnwächter, der mich jeden—
falls von ferne bemerkt haben mußſste,
und nun, al& der Zug an ihm vor=
überfuhr, mit der Signalfahne nad
mir geſchlagen hatte. Doch jegt fand
der Wächter Schon wieder mweit Hinter
dem Zuge und ich ſah nur noch, wie
er die Signalfahne vom Boden aufs
bob und dann mit derjelben in der
Luft herumfuchtelnd dem Zuge nad):
lief. Da ich befürchtete, daſs er durch |
"me.
lieg es ruhig geſchehen; ſchmerzten
mich doch die Naſe und die Knie noch
viel mehr, Als der Mann glaubte,
daſs es genug fei, zog er mich aus
dem Graben. Und jetzt mujste ic)
felbit auch ihm erbarmt Haben; denn
er nahm mich mit ſich in das Wächter-
haus. Sein Weib wuſch mir, mic
bedauernd, das Geſicht und die Hände,
die fie mir dann auch noch mit einem
weißen Lappen verband, und mun
wünjchten mir die guten Leute Glüd
auf den Weg nachhauſe zu meiner
Mutter; ihr Jechzehnjähriges Töchter:
fein mufste mich begleiten. Das Geſicht,
das meine Mutter machte, als fie mich
ohne Korb, die Hoje zerriffen, die
' Hände verbunden, auf der Naje ein
diefe Zeichen vielleicht den Zug zum | Pflafter, anfommen fah, fpottet jeder
Stehen bringen wollte, fo wagte ich! Befchreibung. Zuerft wurde fie blajs,
einen Sprung, und hoffte über die als fie jedoch erfuhr, auf welche Weiſe
Felder zu entkommen.
Doch der Luftzug riſs mir den
Korb aus der Hand, die Räder des
Zuges giengen darüber Hinweg und
ich lag, die Kirſchen um mich herum
zerftreut, mit zerfehundener Naſe und
blutenden Händen, worin ich Leine
Schotterförnden fteden hatte, im
Wafjergraben. Meine Hofe hatte auf
beiden Knien einen großen Riſs,
woraus die aufgerigte Haut Hervorfah, |
und der Leibriemen des Bahnwächters |
tanzte nun auf meinem Rüden. Ich
ich jo zugerichtet worden war, griff
ſie nad dem zweijährigen Hafelzweig,
der ftet3 unter ihrem Bette lag und
für mid gewachſen zu fein fchien,
und, — mun ich will darüber ſchwei—
gen. Aus meiner Begleiterin wurde
eine Fürbitterin; doch als Diejelbe
meinte, daſs das an einem Tage wohl
zu viel jei, gab ihr meine Mutter zur
Antwort: „Wie! Für den jchönen
Korb, und für eine ſolche Eifenbahn-
fahrt ? Schade noch um jeden Streid,
der daneben gieng.“
Mit Berlaub!
Gedichte in niederöfterreihiicher Mundart von Moriz Schadek.“)
EN Ködern. |
si o gehſt denn hin, dafs d —
—— jo wild?“
a ° Fragt d Kathlmoam n Beitern. |
„Ah“, jagt er, „hab an’n zwidern
Gang,
Zun Nazen geh ih, födern.*
*, Diele berzigen Gedichte find entnommen dem neueiten Büchlein bed Verfaſſers:
Sö bfirten fih, — er wandert fort. —
Da fleht den Naz fer Keuſchen,
San d Fenſter offa, — hört ma drin
U Menge Kinder kreiichen.
q ihöne Mufi zum Gmpfang,
Ma muaß fih ja frei jhreda;
„Na, macht nir, einigeh'n hoakt 3 doh,
Eunſt bring ih d Sach nöt wegga.“
“Mit Berlaub !*
Gedichte in nicderöfterreichiiber Diundart. (Wien, Garl Aonegen. 1891.) Die vorftehenden Broben find
gewijs die befle Empfehlung für das anmuthige Werten.
Die Red.
Er klopft. — „Herein!“ Jatzt is er drin. —
D5 Niadern und dö Näken!
Und finder in den Kotterlod
Bon alle Fahr und Größen! —
Der Ray, der wird ganz blaſs: — er moaf 3
Wegn was er fimmt, der Bauer.
»Ia, mei Dann, jhau dih um a weng,
Da wird van’ $ Zrudzahln ſauer.“
„Seid's aber Leut! — Wia's d8 da hauf'ſt's,
Win 3 ausjhaut in den Lückerl,
drei nie herin — und — Jeſſas na! —
Da a nu foa ganz's Stüderl.”
Damweil der Bauer predigt fo,
Wer'n die Kinder wieder läuter;
Der Hunger plagt | — da moanen f halt,
Mit n Schrein da gang er meiter,
„Rir 3 beißn a? Seid 8 guat beinand“, —
Aft greift er gſchwind ins Weftel. —
„Da haft a weng wos — bring der Bruat
A Fuater da in's Neftel.“
Der Raznimmtd Hand und woant reht drauf,
Dö Kinder aber laden.
Der Hanfel thuat fih ertra ſchön
Zun Bauer zumi maden.
„Was willft denn, Büabl? fragt n der,
„Wilft reiten auf der Ledern'n?“
„NRa*, jagt der Bua, „ih hätt a Bitt:,
Geh, fimm bald wieder födern.“
Vergeltung.
D Muater thuat fürs kloane Kind
All's verwenden,
Schaut recht drauf, dafs cam nir ageht,
Tragt's aufn Händen.
Siah, Kind, dös ſollſt nöt vergeflen,
Dös ſollſt denken,
Wann dir fpäter nacher d Zeiten
Kräften ſchenken.
Faihln j der Muater da jho kloanweis
Auf alln Enden,
Da thua ihr, was dir fie than hat: —
Tragjaufn Händen.
„Rühr di, jagt ſ,
Mad
| D Prinzeffin.
Sie friagt amal a Buad in d Hand,
Do ſtuahdirn von Kloangſtetten,
Da leſ't j von dd Prinzeſſinnen,
Wia guat als s dö halt hätten.
Legt 8 Büadhl weg, und tramt halt iatzt,
Wann 3 ihr a mal that gratben,
Wann ih, moant f, a Prinzejfin wurd,
Es that mir ah nöt ſchaden.
Und was ih that?! No, in der Frua
That ih a Weil zerft Inogen
Und nader d Haar recht ſchmiern mit Salbn
Vo ledi Almer-Bogen.
An jeidern’ Kittel nahm ib um,
A Fürta voller Spiten.
Recht moade Schlapfa, gringe Strümpf,
Daſs d Füaß nöt jo viel ſchwitzen.
ı Ins Miader gab’ ih Bleameln hin,
hön friſche — koane welten,
An Weichbrunn fprigat ih ins Gficht
Und nader — gang ih mellen.
In der Freud.
Moring, Leut, fimmt mei Bua,
Ghört hübſch a Geld dazua,
Uber er fann 8 redt, 5 Sparn,
Seht 8, und da tragt 5 eam 8 Fahrn,
Dat mih halt gern!
So rennt j zu alle Leut,
Muak 5 der ganz Ort hörn d Freud,
Dais tagt auf DOftern bitimmt
Wieder der Suhn hoam fimmt,
MWeit aus der fremd!
| gel fie 8 bat alln iatzt gjagt,
Wia ihr halt 5 Herz froh ſchlagt,
Sagt fie 8 ihrn Katzeln und
Draußen den Kettenhund,
Dais fih ſö gfreun.
Und dafs | auf neamd vergifst,
Der 8 eppa a gern miljst,
Geht j gar zun Sauftall Hin,
Is a Bagoner drin,
Eh ſcho hübſch foaft.
nutſch a weng,
dir a Poſt zun Gſchenk,
Morgn kimmt der Bua hoam, ſchau,
Gfreu di, Sau, gfreu di, Sau —
Agſtocha wirſt.“
Roſegger's „‚Heimgarten‘‘, 4. Geft, XV.
Kleine Saube.
EEE EN
Sylvefter - Mitternadt.
Vom Schlojsbergihurm der Stundenidlag
Bringt Eud von neuem Jahr und Tag.
Doc gebt die Schuld nit ſchlechtem Jahr,
Wenn rein nit Euer Handeln war,
Die größte Luft, den weh'ſten Wahn
Thun fih die Menſchen felber an.
Ein treues Herz und Tapferkeit
Führt glücklich auch durch fchlimme Zeit.
Bofegaer.
Fin Berein als Ehriftkindl.*)
Franzerl.
Auf dem alten Sopha in Lappen ge—
wickelt und zuſammengekauert wie eine
Raupe lag das Ding. Und als es ſich
regte und als es ſich hob und entwickelte
aus ſeinen fahlfarbigen Hüllen, war es
ein Menſchenkind. Ein etwa ſiebenjähriger
Knabe im zerflickten Hemde, aber mit
leuchtenden Äuglein kauerte, auf die Nor
derpfötlein geftügt, und rief: „Mutter,
ift ihon Tag?“
Die blafje Frau war jelbit kaum
mit dem Ankleiden fertig in der froftigen
Stube; am Öllämphen entzündete fie
einen Span für den eilernen Ofen und
rief: „Bleib’ im Neft, ſonſt erfrierft !*
„Heute ift der Gewandtag, Mutter?“
Es war fein Halten. Das Hnäblein
jchlüpfte in die Hojen, drei- oder viermal
ichlüpfte es hinein, ehe es das rechte Loch
fand. Eine Wonne heute, in dieſes jhlechte
Kleid zu fahren, ift es doch das lehtemal,
dann wird's verworfen. Wir friegen vom
Golonievereine ein neues Gewand !
In den Eichelfaffee legt die Mutter
um ein Stüdlein Zuder mehr als jonft,
fie will ihrem Franzel einen Feſttag machen,
er hat deren ohnehin jo wenige, jeit der
Vater geftorben iſt.
Aber der Kleine will von einem Früh—
ftüde heute nichts hören, ihm fättigt die
Erwartung. Nahbars Peter — der wird
auch betheilt — holt ihn ab. „Alfo gebt
in Gottesnamen! Schön danken und Hand
küſſen, wenn ihr's befommen habt! Und
achtgeben auf das neue Gewand, nicht
raufen unterwegs!”
Die Knaben eilen davon und die arg
zerflidten Höslein fhlottern um die hüpfen-
den Beinen. Heute friert fie nicht mehr
drinnen, in den Heinen Herzen brennt die
Freude,
Als die Mutter allein ift, faltet fie
die Hände. Sie iſt jo glüdlih, wenn
ihrem Kinde eine freude wird. Bei dem
Elende, das über fie — die Witwe eines
| Heinen Beamten — gefommen, hätte fie
„Freilich iſt er. Bete — Morgen | nicht gedacht, daſs noch Stunden des
gebet, Franz, und ein Vaterunſer für | Gfüdes auf fie herniederthauen könnten.
deine Moblthäter !*
*) Der Berein „Colonie“ in Graz.
Der Königsſohn, wenn er ausfährt im
goldenen Wagen zum Feſte, kann fich
307°
nicht inniger freuen al3 der fleine Franz,
der in den Verein „Eolonie” gebt, mo
heute arme brave Rinder mit neuem Ge—
wande betheilt werden. Das Schulzeugnis
mit der Bittjchrift ift Schon vorausgeichidt,
alle Belannten beglüdwünjchen die Mutter
zu einem ſolchen Kinde.
Nah Stunden, als die Frau zum
Fenſter emporjchaut, das aus ihrer Keller—
wohnung einem Schornfteinihlaudh ähnlich
auf die Gaſſe geht, fieht fie Dort Nachbars
Peter vorbeilpringen im neuen, braunen
Anzuge — friſch „aufgeftiefelt“ vom Fuß
bis zum Kopf. Dem folgt ein zweiter in
der neuen „Wichs“. Ihr Herz hebt an
zu pochen, jetzt wird auch der Franz bald
johlend zur Thüre hereinftürmen. Freilich,
der Knabe kommt, aber er jtürmt nicht
und johlt nicht, auf Ummegen hat er fi
bergeihlichen in jeinem alten armjeligen
Anzuge.
„Jeſus, Kind, was iſt denn das?
Wo haſt du das neue Gewand?“ ruft
die Mutter.
Da wirft ſich der Knabe auf den
Ziegelboden nieder und bricht in Weinen
aus. Freilich war er dort. Viele ſind
betheilt worden, er aber nicht, und er
weiß nicht warum. Ein ſchöner Herr
habe ihm geſagt, er ſolle ruhig nachhauſe
gehen und brav bleiben. Vielleicht könne
er im näditen Jahre was befommen,
Die tiefe Detrübnis der beiden ver-
lajjenen Menſchen juche ich nicht zu be-
ichreiben. Leſer, wenn du Water oder
Mutter bift — ob arm, ob reich — du
fannft dir's denken.
Am nädften Tage befam die arme
Witwe folgendes Schreiben von einer dem
Vorſtande „Colonie“ naheftehenden Per-
jönlichkeit :
„Liebe Frau Müller !
Da geftern bei der Gewandver—
tbeilung für arme brave Schulkinder
auch Ihr Söhnlein gejehen worden it,
jo vermuthe ich, daſs Ahnen der. Be:
icheid des Vereinsausichuffes aus irgend
einem Zufalle nicht zugefommen fein wird.
In demjelben theilten wir Ihnen mit,
daj3 mir auch in diefem Jahre nicht
mehr al3 200 Kinder bekleiden fönnen,
weil dem Vereine die Mittel dazu fehlen.
Mehr als 400 Bittiteller, ebenjo be-
dürftig als würdig, muisten abgemwiejen
werden; daſs auch Sie, liebe Frau,
das gleiche Los traf, bedauern wir recht
jehr. Doc hoffen wir, daſs eine ſtets
lebhaftere Betheiligung der hochherzigen
Bewohner von Graz den Verein „Eo-
lonie* injtand ſetzen werde, fünftighin
auch den übrigen armen Bittftellern
gerecht zu werden. Die Traurigfeit
Ihres Anaben, als er von allen Glüd-
lichen fich gejtern übergangen ſah, hat
mir ans Herz gejtoßen, und meine
Frau, der ich davon erzählt, will den
Knaben mit beiliegendem Betrage ent-
jhädigen. Neichen Sie im nächſten Jahre
nur mieder ein, Gott wird bishin
unjerem wohlthätigen Vereine neue
Freunde zugeführt haben,
Ihr ganz ergebener
N. N.“
Graz, im December 1889.“
Wieder Glück in der Kellerwohnung!
Ob aber die Frau Müller den „beiliegen—
den Betrag“ für einen neuen Anzug ver—
wendet hat ? Kinder, wenn fie ſtark wachſen,
wollen ſich täglich auch einmal jattefjen.
— Dieſes Geichichthen wollte ich euch
erzählen, ihr lieben Mitbewohner von
Graz, Und jo wie dem feinen Franz,
ergeht es vielen armen, braven Kin—
dern; troß allen guten Willens konnte
ihnen nicht geholfen werden, Eben wieder
jendet der Verein „Colonie“ jeine Tauben
aus, Diejer Verein bat jeit jeinem neun-
zehnjährigen Beitehen an 40.000 fl. zur
Belleidung armer Schulkinder zuſammen—
gebracht und ausgegeben. Wie viel Freude,
wie viel Glück das bedeutet, fann freilich
nur die Armut ermeflen. Einen einzigen
Gulden, Lejer, und du haft theil an
dieſem Himmelreih! Ich weiß nun wohl,
du haft im Laufe des Jahres viele ſolch
einzelner Gulden an Vereine zu zablen.
Doc) denke nad, Freund, ob's dich jemals
gereut hat. Man fann unmirjch werden,
wenn die Eincaffierer kommen, einer nad
dem anderen, ich weiß es, uns fliegt das
20°
Geld wohl auch nicht zum Fenſter herein,
wie die Müden — aber ich jage e3 noch—
mals, gut jein bat noch niemand gereut,
und den, ber ſich wirklid arm gegeben,
noch am wenigften. Du kennſt das Wort
des Heilandes: Wer zwei Röde hat, der
gebe... So ftreng meinen wir's nidt.
Du jollft deinen Frühjahrs-, Sommer»
und Herbſtrock behalten und auch ben
Winterpelz; aber dieje Röde haben Säde,
und in einen biefer Säde greife hinein,
Denke, der Franz, der Heine liebe Kerl,
fommt in dieſem Jahre wieder zur Ge
mwandvertheilung des Vereines „Colonie*.
* *
*
Das Körbchen.
„Was habt Ihr denn da für einen
Korb hängen?“ fragte ich meinen lieben
Freund Hans Malſer, eben im Begriffe,
ſeine Wohnung zu verlaſſen. Denn an
der Thüre dort, wo unſere Altvordern
das Weihbrunnkeſslein gehabt hatten,
hieng ein zierlich geflochtenes Körbchen,
welches dadurd, daſs es mit einem Stahl»
ſchlöſslein neckiſch verfchloffen war, nur
noch reizender warb.
„Ja“, antwortete mein freund, „das
ift eben ftatt des Weihbrunnens, es tt
unfer Segen zum Aus- und Eingang.
Der Unterjchied iit nur folgender: Unjere
Morfahren haben aus dem Gefäße den
Meihbrunn genommen, wir geben ihn
hinein. *
„Wie ift denn das zu verftehen ?*
Mein Freund nahm das Körbchen
von der Wand, „es fann jelber ſprechen“,
fagte er, uud das Ping antwortete, wie
aus phonographiſcher Infpiration: „Der
Verein Golonie zur Bekleidung armer
Schuffinder in Graz bittet durch Kindes—
band für die frierenden Kleinen.“ —
„Und ſiehſt du bier“, jo ſetzte mein
Freund bei, „die hübſche Feine Spalte ?”
dabei jchüttelte er das Körbchen, daſs
es in demjelben gar fein raſſelte.
„Denn ih ein Sind wäre”, war
hierauf meine Entgegnung, „jo würde
ih alliogleih — ”
„Rur ber damit !” lachte der Freund,
308°
„Du bift ja ein altes Kind. — Und
‚wir alle“, jo jette er ernjthaft bei, „find
Kinder Gottes, fobald wir unferer armen
| Mitbrüder gedenken.“
„Bon wen beflommt man denn jo
etwas?“ war meine frage, denn ein
folder Zimmerſchmuck dünkte mir gar
nicht übel.
„Bon der Golonie*, berichtete der
Freund, „fie gibt ſolchen Zimmerjhmud
ſehr gerne, jchidt ihn ſogar bereitwillig
in? Haus, und das ganz umjonft.”
Hierauf jagte ih: „Liebe es zwar
ſonſt nicht, von einer Dame einen Korb
zu befonmen, aber den von der Mutter
| Golonie nehme ih mit Vergnügen.“
| „Der ift auch feine Schande“, ſprach
der Freund, „er bringt viel Freude und
Segen — dem Nehmenden wie dem Ge—
benden. Meine Kinder find allemal voller
Glüdjeligkeit, wenn fie etwas hineinfteden
können für irgend einen armen elternlojen
verlafienen Franzerl. Anftatt um einen ge-
ſchenkten Kreuzer fich Najchereien zu kaufen,
wahlt mein älterer Knabe etwas weit Sü—
ßeres uud ſchenkt ihn ins Körbchen. Zu Ge-
burt3tagen und Namensragen, wenn die
Kinder Sachen befommen, rufen fie gleich:
Der arme Franzerl, der joll aud mas
haben! Und im Herbſte, wenn der
| Scneiber das nagelneue Gewand bringt
für die Stleinen, bei, welch Stolzieren
die Zimmer auf und ab! — und ſehen
das Körbchen. Der Franzerl, der muſs
gewijs frieren und hat fein ſolches Tuch,
‚feine zitternden Gliederlein zu verhüllen,
‚Wie mandes berzige Kind doch jo arm
und verlaffen fein fann auf diejer harten
Welt! In den Opferftod mit dem Daten!
— Endlich kommt das heilige Chriſtfeſt.
Alles, was die Kleinen ſich gewünſcht
haben, und noch weit mehr! hängt am
und liegt unter dem Lichterbaume. Da
— umgeben von Liebe, Glüd und Glanz,
| mitten in jeligfter Luft, fällt der Blid
des Mädchens auf das Körbchen an der
Thüre. Es ift, als ob eine unfichtbare
| Hand das Gefäß leiſe jchüttelte: Bitte,
bitte, für den feinen armen Franzerl!
Erſtürmt wird das Körbchen, und
fie in der Eile an Silbergeld
was
(Kupfer gibt es heute nicht!) auftreiben
fönnen, da3 wird in die Spalte gejtedt.
Iſt es doch niemand anderer al3 das
Ehrijtfind ſelbſt, welches für jo viele
Gnaden und Gaben, die e3 heute aus:
geihüttet über das Haus, bier die leeren
Händchen herhält : Vergefiet der verlafjenen
Kinder nicht, das iſt mir der liebjte Dank!
— Dann Neujahr. Sie kommen. Einer
gibt die Thürklinke dem anderen in die
Hand, denn die Thürklinke ift ihnen zu
wenig. Schöne, höchſt ſchwungvolle Ge,
dichte, ſehr wohlgeſetzte Glückwünſche!
Lebhafte Betheuerung von Lieb’ und
Ireuen nnd die alten zu bleiben auch
im Neuen !? Und dabei wird die tüdi«
Ichefte Fauſt zur offenen Hand, die fich
ein klein wenig höhlt. Das Körbchen
drüdt fi gar beicheiden an die Wand
und ſchweigt. „Na wart, Franzerl, gerade
dir! Einen Silberidilling auf ein glüd-
liches Jahr!" — Alſo geht's von Feſt
zu Feſt, und wenn alles recht froh iſt,
erinnert man fi der armen Kiinder im
Körbchen. Wenn ein unverfhämter Bettler
abgemiejen wurde und es einem nachträg-
(ih leid thut, jo ftedt man das Almofen
dafür ins Körbchen, und das Gewiſſen ift
beruhigt. Wo ein vacierender Kreuzer
umberlungert, oder ein Silberzehner, der
fih nicht auf der Stelle über feine Be—
fimmung ausweiſen fann: Hopp, ins
Lob mit ihm! — Mar vor furjem der
Cheim Joſef bei uns. Wie gewöhnlich
nimmt er jeinen Liebling, den Rudolfel,
aufs Anie und jchaufelt ihn. Der ſtleine
zupft an feinem Bart; recht bat er!
jagt der Oheim, zupft an jeiner Uhrkette;
recht bat er! jagt der Oheim und thut
mit einem Ledertäſchchen um und bringt
etwas Glänzendes zum Borjchein. Der
Knabe erhebt ein YJubelgejchrei über den
ſchönen Kreuzer und nachdem er denjelben
jattiam bewundert hat, fällt es ihm ein:
Die Kreuzer gehören ins Körbchen. Was
treibjt denn, Nubolfel, nicht hineinfteden !
jchreit die Mutter ;
Ducaten ift in der Spalte ſchon ver«
Ihmwunden. Aus war's, denn das Schlüſ—
jelein haben wir nicht dazu. Net bat
er! jagt der Oheim, und dem Franzerl
aber zu jpät, der
wird’3 auch recht geweſen fein.“ Alſo
erzählte mein Freund Malijer.
„Und wie”, jo fragte id, „fommt
denn der Franzerl zu feiner Sache?“
„Der kann fich freilich jelber nicht
helfen“, beiehrte mein Freund, „feine
Eltern, wenn er deren noch bat, find
biutarm. In einem feuchten Kellergimmer
oder in einer Luftigen Dachfammer, oder
wo weiß id, wohnt er jet. Sein
beiter Aufenthalt ift noch die Schulitube.
Fleißig lernen ! Brav fein! Auf der Gaſſe
anftändig jein! Das wird ihm jIcharf
aufgetragen. Immer brav fein! Natürlich,
wenn arme finder nicht braver find, als
reiche, jo find fie jchlimmer. Daſs ihn
bungert, den Kleinen, dajs ihn friert,
darnad fragt fein Menſch. — Vielleicht
doch. Der fleine Franzerl hat gute
Freunde: die Mitglieder des Colonie-
vereined, Das find gar ſchlaue Herren !
Diefe Herren haben uns die niedlichen
Körbe in Haus gejegt. Die Spalte iſt
offen, das Schlofs zu. Aber nad Jahres»
frift kommen fie mit ihrem Schlüfjel.
Kommen, jperren ſchmunzelnd auf, zählen
vor unferen Augen das Geld, welches
bei uns im Wandel der Geſchicke reif
geworben ift, bedanken ſich freundlich,
tragen es fort und kaufen warme Kleider
für arme Kinder. Das leere Körbchen
haben fie wol verſchloſſen wieder hübſch
an die Wand gehängt, damit wir aud
im nädjten Jahre Gelegenheit haben,
unjere Kinder im Wohlthun zu üben
und uns ſtets zu erinnern an das Elend,
welches außerhalb der traulichen Wände
herrſcht.“
Als ih am ſelben Tage nachhauſe
fam, berichtete meine Muhme, daſs jemand
eine Zierat gebraht habe. Sie war
eben daran, das gebrachte Coloniekörbchen
hoch an die Wand zu nageln.
„Niedriger, Muhme, niedriger !? rief
ich ihr zu. „Man mujs armen lindern
den Brotforb nicht zu hoch hängen !“
Rojegger.
—
Freie Gedanken, freie Worte, freundliche Aufforderung benutzend, Ihnen
., |binnen 2--3 Moden einige Beiträge
Das Geſet muje ih * ben Zeit- für Ihren Muſenalmanach einjenden, da
verhältniffen herausbilden, nicht aus den ih mir die paar Gedichte, welde feit
Köpfen. J der legten Sammlung entſtanden find, erſt
— noch ein wenig näher beſehen muſs.
Wird ein Geſetz auf einen unrichtigen Mein Porträt betreffend, welches in
Zeitpunkt gejegt, jo wird es wie durch der Zukunft zu geben Sie die für mic
eine Gährung ausgeſchieden. ſchmeichelhafte Abfiht fund zu thun To
ce gütig find, jo müſste ich, dies zu recht-
Je freier ein Staat, dejto ftrenger | fertigen, mir erft noch das dazu gehörige
müffen die Gejege gehandhabt werden. Verdienſt erwerben, und ftatte ich Ihnen
ER; aljo für ihre wohlmwollende Meinung bis
drei ift, wer andere frei machen |auf weiteres meinen Dank ab. Mit der
kann. Hingegen, wer andere fnechtet, Verfiherung meiner volllommenen Hoc»
muſs jelbjt eine Sclavenſeele haben. achtung mich Ihnen empfehlend
*
Geifter werden nicht einererciert, | Ihr ——— gell
ſondern nach Geſetzen der Freiheit zur | ottfr. Keller.
Reife ausgebildet. Verehrteſter Herr und Freund!
Me at, Da Sie mir gar jo freundlich und
Die Gejhichte iſt der Spiegel der höflich - galant ſchreiben, jo muſs ic
Menſchheit. endlich meine Läſſigkeit gegen Sie einiger-
————— maßen bezwingen und meine Geſinnung
Religion eint, Confeſſionen trennen, | mehr zur Geltung kommen laſſen, obgleich
Trip en leider mehr in Morten als mit Thaten.
Geld Führt ins beſchränkte, Ideal Warum ih Ihnen für den Mufen-
ins unbeſchränkte Leben ein. almanach, deſſen Fortgang ich jeither mit
3. Rothbauer. |Vergnügen und Intereſſe verfolgt habe,
nichts mehr gejandt, geihahb aus dem
allereinfachſten Grunde, weil ich nichts
gemadt habe. Ich bin durch die leidige
Buchichriftitellerei, die ih handwerklich
nicht beberrjche, aus aller Lyrik heraus-
gelommen; denn das jugendliche Be—
Berlin, den 19. April 1852. dürfnis häufiger momentaner Stimmungs-
ergülle ift halt vorbei, und zu einer
Hochgeehrter Herr! erneuten reiferen und füuftleriichen Periode
Ih habe mit Vergnügen Ihr ver» abſichtlichen lyriſchen Hervorbringens ge-
Briefe von Gottfried Keller an
Chriſtian Schad.*)
Mitgetheilt duch Anton Englert.
bindliches und geehrtes Schreiben vom Hört eine faſt gänzliche tabula rasa von
11. d. M. erhalten und werde, Ihre [allen bejchwerenden Abhaltungen, ein
— glückliches Vierteljahr gänzlicher Freiheit.
Seit ich wieder in meiner Heimat bin,
ee En ae ipeculiere ih darauf, da ih eigentlich
ung vor. e zabllofen Briefe und Originalmanur .e R .
—— —3 — — als Herausgeber des | etwas unzweifelhaft Gutes in Liederſachen
„Deutichen uſenalmamach“ (1850, 1852 —59) von ’ N 1
Dichtern aus allen Theilen Deutichlands zugiengen, erſt noch zu leiſten habe, wenigſtens 9
werden don feinem Sohne Herrn Dr. G. Schad in
Schweinfurt aufbewahrt, welcher mir in liebent-
würdigfter Weije die Durbfibt und Benutzung ber»
felben geitattete. An diefer Brieffammlung befinden
fih die Originale der bier abgedrudten Briefe von
Gottfrieb Seller, welcher für mehrere Jahrgänge des
„Deutihen Muſenalmanach““ 11858, 58, 50) Beiträge
lieferte,
*) Chr. Echad, geb. 1821 in Schweinfurt, geit.
1871 in ſtigingen. Bon feinen durch Schönheit der
tr und Ziefe der Empfindung ausgezeichneten
edichten liegt leider noch feine volftändige Eamm«
einem charakteriftiihen Enjemble. Ich
wollte Ihnen nichts mehr jchiden, bis
ih etwas derart bätte, will nun aber
doch für dieſen Jahrgang wenigſtens
einige Späne zuſammenſuchen, damit ich
ee
nicht ganz in Vergeſſenheit gerathe. Dieje
werde ih Ihnen bis anfangs Juni zu«
jtellen oder, wenn e3 ſich länger hinaus—
ziehen jollte, nah Ihrem Wunſche das
Gehörige anzeigen,
Ih leſe immer mit einem Haupt—
vergnügen Ihre friichen und frohen Dich:
tungen, mit welden Sie jo trefflich ben
Beweis leiften, daj3 immer noch etwas
Neues und Eigengehöriges auszubeden
ift, und denke, Sie werben uns nun
bald wohl mit einer Sammlung erfreuen ?
Ich dankte Ihnen herzlichft für Ihren
freundliden Gruß und wünſche Ihnen
gleihfalls das befte Wohlergehen, das
Sie um Ihrer treulichen Pflege unjerer
Mujen willen jo jehr verdienen.
Mih Ihrer guten Gefinnung ferner
empfeblend, verbleibe ich mit freund-
ſchaftlicher Hochachtung
Ihr ergebener
Gottfried Keller.
Hottingen bei Zürich, 30. April 1857.
P.S. Die Benennung „Maler“ bitte
ich fünftig meglaffen zu wollen, ba fie
mir längjt nicht mehr zufommt !
DVerehrtefter Freund!
Anliegend der verjprodene Beitrag
für den Mujenalmanad. Sollte er zu
umfangreich fein, jo lafjen Sie weg, was
Ihnen beliebt. Sch Habe einige jchwei-
zeriiche Gelegenheitägedichte dazu gethan,
in der Meinung, daj3 dergleichen Übung,
wenn fie Ländlich-fittliches zum Gegen—
ftande bat, in einem deutſchen Mufen-
almanach wohl zuläjfig jei!
Indem ih Ahnen und Ihrem Wein-
berge einen guten und glüdhaften Jahr—
gang wünſche, verbleibe mit alter Ge-
ſinnung Ihr ganz ergebenſter
Gottfried Keller.
Zärich, den 27. Mai 1857.
Verehrtejter Freund !
Ihrer wiederholten freundlichen Auf:
forderung kann ich leider nur mit zwei
oder drei Gelegenheitägedidhten nad
tommen, da mir jonft nicht eine Zeile
bereit liegt. Ein reiferer lyriſcher Nach.
frühling ift mir allerdings im Anzuge
und ich verjpüre ihn öfter, muſs ihn
aber der „Berhältniffe” wegen immer
noch vor der Thüre ftehen laſſen. Hof—
fentlich wird er doch nicht erfrieren.
Den Sängergruß werden Sie bei—
gelegt finden. In der „A. A. Zeit“ war
nur die mittlere Strophe weggelaſſen.
Ob ſie anſtoßerregend ſei, überlaſſe Ich
Ihnen zu beurtheilen. Sie iſt indeſſen,
in der zweiten Hälfte, durchaus nicht
perſönlich, ſondern allgemein principiell
gemeint.
Freundſchaftlich grüßend
Ihr achtungsvoll ergebener
Gottfried Keller,
Züri, den 16. Auguft 1858.
Ber Älpler in der Stadt.
Don ferdinand Pfeiler.
Möcht' jehen, was die Städter treiben,
Die hier nun wie verfhwunden find!
So fpridt vor den gefrornen Scheiben
Der Dirt, ein ſchlichtes Alpentind,
Wohin nur felten Menſchen dringen,
Dort hat er Edelweiß gepflüdt,
Das wollt’ er jet den Städtern bringen,
Die fo ein Sträußchen hoch beglüdt.
Nun füllt er fih zu feiner Reife
Den Rudjad jhon beim Morgenroth,
Statt Sterz, des Älplers Lieblingsjpeife,
Begnügt er ih mit Sped und Brot.
Die Hofe kurz — von Hirjchenleder,
Die Strümpfe grün und grob die Schuh’,
Den Hut geziert mit einer Feder,
So fhritt der Stadt er freundlich zu.
Schon brannten dort die vielen Lichter,
Als er am Thore halten muſs,
Gelobt jei Jeſus Ehriftus, fpricht er,
Doch niemand jagt den Gegengruß.
Sein treues Auge blidet büfter,
Wie fragend fih im reife um,
Und nochmals, jo wie früher grüßt er,
Doch bleibt die Menge ftill und ſtumm.
Und eh’ er wußste, wie's gejchehen,
Ward ihm der Rudjad abgejchnallt,
Sein Brot und aud jein Sped beichen,
Auch Geld verlangt man mit Gewalt,
—
Er hielt die Männer nun für Räuber,
Die ihm den Rudjad aufgeſchlitzt,
Schämt Euch, jprad er zum diden Schreiber,
Der hinterm Gitterfenfter figt.
Da tönet rings das Aveläuten
So herrlich klingend an fein Ohr,
Und er vergaß der Zmiftigleiten,
Und ſchritt fill betend dur das Thor.
Dabei nahm er den Hut vom Haupte,
Worauf ein Alpler nie vergijst,
Doch niemand that es jonft; er glaubte,
Dafs ſchwerhörig die Menge ift.
Drum ſchrie er, was er fohreien fonnte,
Ein zierlic feines Herrchen an,
Herr! läuten thun fie. Und mie lohnte
Die Mahnung ihm der ſtolze Mann!
Wie! fprad er, bier vor allen Leuten
Soll beten ih! Ihr feid verrüdt.
Man würd’ mit Fingern auf mich deuten,
Und laden, wo man mid; erblidt.
Doc betend geht der Älpler weiter,
Bis rings verhallt der Glocken Klang,
Die rege Menge flimmt ihn heiter,
Drum folgte er dem innern Drang,
Und fang ein Lied von jenem Lande,
Wo herrlih jhön die Alpen glüh'n,
Mo auf dem jchmalften fyelfenrande
Die muntern Gemjen weidend zieh'n.
Da fühlt er unfanft fi ergriffen.
Was treibt Ihr! fpricht ein Polizift,
Geſungen nit und nicht gepfiffen
Wird hier, wenn’s einmal dunkel ift.
Dann zeigt mir, Herr, nur ſchnell die Gaſſe,
Sprad tief gefränlt der Alpenjohn,
Die aus den Mauern führt. Die Straße
Zur Heimat find’ ich jelber ſchon.
Dort hört’ ih dann die Grüße wieder,
Auf die Ihr Euch zu danfen jhämt,
Dort fingt man aud im Dunfeln Lieder,
Mas Ihr mir bier jo übel nehmt.
Zu ſpäh'n, was ih im Nudiad trage,
Dat dort fi niemand noch erlaubt,
Do bei dem Aveglocenſchlage
Entblößt dort jeder noch das Haupt.
B'hüt Gott, Sprach er dann noch beim Scheiben,
Dich jeht Ihr nun und nimmermehr.
Dann ſchritt er, um die Stadt zu meiden,
Für immer aus dem Häujermeer,
Knapp auferm Thore fand am Wege
Ein Kreuz; des MWelterlöjerd Preis,
Ganz ohne Shmud und ohne Pflege;
Das jhmüdt er nun mit Edelweiß,
Und als der helle Morgen graute,
Blieb außerhalb der Stadt er ſteh'n
Und fprad, indem er rüdmwärts ſchaute:
DO, wär'ſt du aud fo gut als ſchön.
Ber blaue Radmantel,
Vor einiger Zeit gieng in Wien ein
Mann um, der nmächtlicherweile von
Haus zu Haus jhlih und an den Thor—
gloden zog. Wenn hernach der Haus-
meifter fam und das Thor öffnete, gab
er dieſem bie üblichen zehn Kreuzer und
gieng weiter. Der Mann hatte ein hageres
blaſſes Gefiht, einen ſchwarzen, Furzge-
ſchnittenen Bollbart und trug einen duntel«
blauen Rabmantel. Mehr mwujste man
nicht von ihm, aber unter diejer Geftalt
war er bei vielen Hausmeiftern aller
zehn Bezirke befannt. Die meiften waren
mit ihrem Sperrzehnerl zufrieden, ließen
den Mann gehen und baten: muſs man
doch auch folhe gehen lafien, die aus
Übermuth anläuten und gar nicht mehr
da find, wenn das Thor geöffnet wird.
Einmal aber, al$ der Radmantel wieder
davongehen wollte, padte ihn doch der
Hansmeifter am Arm und jagte: „Herr,
jo fommen Sie doch herein !*
„Ib habe darinnen nichts zu thun“,
antwortete er in einem fremdklingenden
Zone, „Ihr Geld haben Sie, jo laſſen
Sie mih doch!“ Da hatte er fih durch
eine kühne Wendung aud ſchon befreit
und ſchritt am Trottoir langfam die
Gaſſe entlang. —
In eine renommierte Buchhandlung
Budapeſts trat ein Mann und verlangte
ein Buch unter dem Titel: „Der große
Schaupla Luft und lehrreicher Geſchichte
von Johann Michael Dilherz.“ Gedrudt
um das Jahr 1648. Der Buchhändler
bemerkte, daſs dieles Werk nicht mehr
im Buchhandel jei, daſs er aber bei
Antiquaren darnach forfchen laſſen wolle,
J—
— —·—
Am nächſten Tage ſchon kam der Fremde der Eiſenbahnſtrecke zwiſchen Graz und
wieder und fragte nach, ob der „Große
Schauplatz luſt- und lehrreicher Geſchichte“
ſchon aufgetrieben ſei? — „Ja, Herr,
das geht nicht ſo ſchnell, bitte ſich wenigſtens
drei bis vier Tage zu gedulden.“ So
der Buchhändler. Der Fremde war ein
blaſſer Mann, hatte einen ſchwarzen
Bart und einen blauen Radmantel an.
Er war faft Fleinmüthig, ala er hörte,
das Buch jei noch nit da, es mujste
ihm ſehr viel an bemielben gelegen jein.
Am dritten Tag nad diejer Anfrage,
morgens, als faum die Ladenthür geöffnet
war, jtand der Blaumantel ſchon in ber
Buchhandlung. E3 wurde ihm mitgetheilt,
daſs bei den Antiquaren von Bubapeft
da3 begehrte Buch leider nicht aufzu«
treiben jei, daſs es in der Buchhändler.
zeitung auögejchrieben werden müffe, wenn
man darauf reflectiere, daſs es vielleicht
überhaupt nicht mehr aufgetrieben werben
fönne.
Der Fremde erflärte fih bereit, alle
Koften zu beftreiten, und wenn das Bud
aufgefunden werde, noch bejoubers er»
fenntlich jein zu wollen.
Von mun an erfchien er allmöchent-
ih, um nah dem Buche zu fragen,
Mittlerweile wurden durch das buch—
händleriiche „Börjenblatt* alle Antiquare
Deutihlands beunruhigt, und richtig,
nach zwei Monaten konnte der Budapeſter
Buchhändler dem Fremden den „Großen
Schauplaß luft: und lehrreiher Geſchichte“
vorlegen,
Der DBlaumantel bezahlte die Un-
fojten von ſechzig Mark, händigte einen
gleichen Betrag dem Buchhändler für die
gehabte Mühe ein und gieng zur Thür
hinaus.
Man rief ihn zurüd, daſs er jein
Buch mitnehme. Das brauche er nicht,
jagte er, verließ das Haus und ward
nicht mehr gejehen.
Gr hatte das alte Bud, nad dem
er monatelang mit höchſter Spannung
gefahndet, kaum aufgeichlagen, um den
Titel zu ſehen, des weiteren nicht im
geringften beachtet. —
Im jelben Jahre war es, daſs auf
Mürzzujhlag der Conducteur ins Coupe
fragte, obman in Mürzzuſchlag Table d'höte
zu ſpeiſen wünſche?
Im Coupé ſaß ein einziger Herr,
der beſtellte Table d'höte für zwei Per—
ſonen.
In Mürzzuſchlag angekommen, trat
ein blaſſer Mann in langem blauen Rad—
mantel in den Speiſeſaal, ſah dort die
für ihn bereiteten zwei Gedecke, gieng
wieder hinaus auf den Perron und
fragte einen Dienſtmann, was er für die
Stunde verlange.
„Sechzig Kreuzer, gnädiger Herr.“
„Gut, kommen Sie mit mir!“ Der
Radmantel führte den Dienſtmann in den
Speijefaal, hieß ihn dort neben ſich
niederfigen und efjen. Der Dienftmann
wuſste nicht, wie ihm geſchah, doch war
er nicht blöde und griff fleißig zu. Der
Radmantelmann fümmerte fich nicht weiter
um ihn. Als zum Einfteigen geläutet
ward, zahlte er die zwei Gebede, fertigte
den Dienjtmann mit ſechzig Kreuzern
ab und fuhr davon.
Das Bahnperfonale und der ganze
Ort lief zum Dienftmann zujammen, um
das MWeltwunder zu jehen, mie einer
dafür, dais er ein gutes Mittagsmahl
verzehrte, bezahlt worden war. —
Ungefähr um jene Zeit erhielt ein Herr
Mavyer-Hoit in Gmunden folgendes, mit
feinem Poſtſtempel verjehenes Schreiben:
„Geihäßter Herr Mayer-Hoig !
Ich erlaube mir, in einer Ihnen
vielleibt nicht ganz unintereflanten
Ungelegenheit Ihre Erinnerung aufzu—
friſchen. Es war vor circa zwei Jahren,
als Sie eines Morgens in Ihrer
Villa ein Fremder bejuchte, um mit
Ihnen eine Dachjteintour zu beiprechen,
die indes nicht zujtande gekommen iſt.
Während ich noch bei Ihnen ſaß, trat
der Pojtbote ein, Sie repidierten die
Pot und, einen Brief eröffnend, ſchleu—
derten Sie ein gedrudtes Blatt mit
dem Ausruf: Pfui Teufel! zu Boden.
Es war die Einladung zu einer Dam»
burger Xotterie. Da ih ſah, mit
welder Verachtung Sie das Blatt
behandelten, bat ich e3 mir zu meinem
Gebrauche aus und verließ bald darauf
Ihr Haus.
Nun ſehe ih mich veranlajst,
Ahnen mitzutbeilen, dajs ich auf jene
Einladung hin, die an Ihre Adreſſe
gerichtet geweien, ein Los gekauft und
bei der legten Ziehung 150.000 Mark
gewonnen habe. Wenn Sie geitatten,
möchte ich zwei Drittel dieſes Betrages
nah meinem Outdünfen verwenden.
Das dritte Drittel glaube ih Ihnen
offerieren zu jollen, falls Sie über
diejes Ihr Eigenthum verfügen wollten.
Da ih Ihrer gegenwärtigen werten
Adreffe niht ganz ficher bin, jo er
faube ich mir dieje vorläufige Anfrage,
bittend, daſs Sie ſich zu Ihrer Willens»
äußerung innerhalb eines Monats des
Injeratentheiles der Linzer „Tagespoſt“
bedienen möchten, worauf jofortige Zu—
ftellung erfolgen wird,
Ihr ganz ergebener
”» #4 Bu
Man mag fihb das Erftaunen des
Herrn Mayer-Hoit vorjtellen. Bor allem
begann er jein Gedächtnis zu malträtieren.
In „feiner Vila“ hatte er nie gewohnt,
weil er eine ſolche nie beſeſſen hatte.
Wohl aber wohnte er vor zwei Jahren
über den Sommer in einem Landhäuschen
bei Gmunden, und erinnerte fih auch
an das Zujammentreffen mit einem Tou—
riften, welcher das Höllengebirge und den
Schafberg befteigen zu wollen vorgab.
Dom Dadjftein war feine Rede gemeien.
Der fremde trug ein für Touriften ganz
jeltjames SKleidungsftüd, nämlich einen
blauen Rabmantel, Weiter wujste Mayer-
Hoi von diejer Sade nidhts. In der
genannten Zeitung ließ er folgendes In—
jerat einrüden: „M. H. in Gmunden
bittet * * * um die Angabe feiner Adreſſe.“
Die rätbjelhafte Ehrlichkeit ift heutzutage
faft noch unheimlicher, als ein frecher
Betrug.
Dis heute hat Herr Mayer» Hoik
von ber Sache nichts mehr gehört.
Zur jelben Zeit fand bei Landshut
SIE _
einen großen blauen Radmantel. In der
Tajche dieſes Mantel3 war ein Bapierballen
von Tauſend Marf-Sceinen im Betrage
einer viertel Million. Trotz aller Nach—
forfchungen hat fich weder für den Mantel
der Mann noch für das Geld der Eigen-
thümer gemeldet.
Es gibt Unbegreiflichleiten, bei deren
Erwägung einem der Verſtand ſtehen
bleibt im Kopfe. M.
Wie ein Kalender zu feinem
Auhm gekommen ift.
In den dreißiger Jahren war es.
Dem Buchbinder, Gebetbücher- und Amu—
letenhändler eines deutſchen Landſtädtchens
fiel es ein, einen Kalender herauszugeben.
ge nu, das Herausgeben ift feine Kunſt,
aber das Berfaufen. Schlechtes Papier,
rothbe und ſchwarze Buchſtaben, einige
Bilderder Himmelszeichen, Thierkreijeu.f.m.
Den Kalender bezieht man von der aftro-
nomiſchen Auftalt, läſst etwelche Wetter-
regeln dazudruden, thut ein paar Haus—
mittel bei, ftempelt jeine Firma drauf
und der Kalender ift fertig. Zehntauſend
Käufer dafür aber find viel jchwerer zu—
jammenzubringen, und der Verfuch unſeres
Yuhbinders, Gebetbücer- und Amuleten-
bändler$ war eine gewagte Sad.
Zudem hatte er jeinen neuen Kalender
auch ganz mangelhaft zujammengeftellt.
Kam eines Tages der Seherjunge aus
der Druderei in die Wohnung des Ver-
legerd. Diejer jaß gerade mit ein paar
Nachbarn beim Kartenipiel, verlor Grojchen
um Groſchen und war daher nicht gut
aufgelegt.
„Herr Principal!“ flüfterte der Schrift-
jeger hinter dem Rüden des Bud
händlers.
Dieſer hörte es nicht und verlor
einen Groſchen um den anderen.
„Herr Principal“, jagte der Junge
aus der Druderei etwas lauter, „der
Kalender — für die zweite December-
mode ift fein Wetter da. — Was joll
in Baiern ein Landmann auf dem Felde | ich denn hineinjegen ?*
„Ei, Donnerwetter hinein!“ rief der
Buchbinder, „ift denn heut’ mehr gar
feine Ruh'!“
Der Junge war ſchon zur Thür
hinaus und im die Druderei gerannt:
„Donnermwetter fommt hinein.“
Und als das Büchlein fertig war,
ftaunten die wenigen Käufer bajs über
die finftere Donnerfeule, welche in der
zweiten Decemberwode mitten in Schnee
und Eis drohend prangte und fie achten
über den Berftoß, der dem neuen jchlechten
Kalenderden pajjiert war. — Was aber
geihah? Das Jahr gieng um; einmal
bielt fih das Wetter an den Kalender,
das anderemal nicht. Anfangs December
war großer Schneefall — er jtand nicht
im Kalender; und in der zweiten Woche
eines Abends gab es Blik und Donner,
daſs e3 gerade flunferte und bebte.
Jet gieng’3 los. Das ijt einmal
ein Kalender! Im Sommer Sonnenjdein
und im Winter Schnee vorauszujagen,
das ift feine Kunft, aber im Ehriftmonat
ein Donnermwetter maden, das fann nur
der wahre Prophet. Diejer Kalender iſt
goldeswert. —
Seitdem find von dem ſchlechten
Büchlein an die vierzig Jahrgänge er-
jhienen. Ein» ums anderemal traf’3 mit
dem Wetter zu, unzähligemal wieder
nicht — wie eg den Salendern ſchon
gebt ; aber dad Ponnerwetter im
Ehriftmonat vergeſſen fie ihm nicht mehr.
Hunderttaufende von Käufern bat der
Kalender jedes Jahr und der Buchbinder
ift ein reicher Buchhändler geworben und
jagt es gerne, daſs er bei feinem Spiele
jemals jo viel gewonnen, als bei jenem
Kartenjpiele, wo er Groſchen um Grojchen
verloren hatte.
Büder.
Ludwig Angengrubers geſammelte
Werhe.
Ein Lieblingswunih Robert Gamer:
ling war ſtets: eine einheitlihe Ausgabe
feiner gefammelten Werte. Bei feinen Leb—
zeiten ift diefer währlich gerechtfertigte
Wunſch nit in Erfüllung gegangen, und
315
es ift leider jet noch feine Ausfiht vor:
handen, dajs er jobald in Erfüllung gehen
werde, Ludwig Unzengruber, der in jeinen
Jahren weder mit den Theaterdirectoren,
noch mit den Berlegern ein befonderes Glüd
gehabt hat, war nahe daran, dieſe hübjche
Sade zu erleben. Doch fieng jein ſchriftſtel—
lerifches Glüd erft nad feinem Tode an —
und faft Inapp danach.
Sofort nad dem Tode des Dichters
hatten fi in Wien mehrere feiner fFreunde
zufammengethan, nit bloß um Anzen—
grubers Nachlaſs zu ordnen und diejen für
feine Kinder zu fidhern, fondern auch um
eine wohl jhon vom Dichter veranlajste
Ausgabe feiner gefammelten Werte, die bis:
her bei verjchiedenen Berlegern zerftreut,
in unterfchiedblihem Format und nur für
erfledlich hohe Preife zu haben ware , aus»
führen zu helfen. An der Eotta’jhen Ber:
lagsbudhhandlung in Stuttgart war ein
Berleger gewonnen, der für Anzengrubers
Werke ein jehr anftändiges Honorar bezahlt
und eine würdige Gefammtausgabe derjelben
in fürzefter Zeit realifiert hat, Die Redaction
diefer Unternehmung hatten Dr. Anton
Bettelheim, Bincenz Chiavacci und ®. K.
Schembera übernommen, bejonders in den
Händen des Erftgenannten lag die literari—
ihe Durdhführung, die wohl eine äuferft
geihidte und glüdlihe genannt werden
mujs. Kaum ein Jahr nad des Dichters
Tode liegen aljo die „Geſammelten Werte“
von Ludwig Anzengruber in zehn Bänden
vor und, und nun erft tritt ung ein ein:
heitliches Bild des Dichters vor Augen;
diefe Ausgabe zeigt erft recht, was Anzen—
gruber ift. Ich deute den Inhalt der Aus:
gabe furz an: der erite Band enthält
nebft der Einleitung und den Beiträgen zur
Selbftbiographie die Dorfgeſchichte „Der
Sternfteinhof". Den zweiten Band füllt
Unzengrubers Hauptroman „Der Schand:
fled*. Im dritten und vierten Bande finden
wir die „Dorfgänge“, eine Reihe Dorfge:
ihichten ernften und humoriſtiſchen Inhaltes,
auch „Großſtädtiſches“, ſowie „Befabeltes
von irgendwo und nirgendwo“. Der fünfte
Band bringt die „Kalendergeihichten“ und
„Bedihte und Aphorismen“. Mit dem
jehsten Bande beginnen die Dramen „Der
Pfarrer von Kirchfeld“, „Der Meineid-
bauer“, „Die Ereuzeljchreiber‘. Im fieben:
ten Bande werden fie fortgelegt: „Der
G'wiſſenswurm“, „Der Doppeljelbfimord“,
„Der ledige Hof". Neunter Band enthält:
„Der Fled auf der Ehr'“, „Die umkehrte
Freid'“, „Eifriede‘, „Bertha von Frank—
reih", „Hand und Herz“. Endlich zehnter
Band: „Das vierte Gebot“, „Alte Wiener“,
„Heimg'funden“.
Dieſe Werke ſind während der neun—
zehnjährigen literariſchen Thätigkeit des
| Dichters (von 1870— 1889) entſtanden; aber
viele derielben kamen im Publicum nicht
zur vollen Geltung. Die Zeit, in melder
Ludwig Anzengruber leben mujste, war eine
ſehr frivole, fie fand wenig Geihmad an
dem tiefen Ernft diejes Dichters, an der
rüdfihtslofen Darftellung des moralifchen
Elends, in welchem die Menſchen voll cyni—
fhen Ubermuths oder voll empörender
Heucdelei oder in dumpfer Gleichgiltigkeit
verfinten. In der Epoche des franzöſiſchen
Unfittendramas, der Operette, ein Anzen—
gruber! Er rijs ja zeitweilig das Publicum
bin durd feine gewaltige Kraft, aber daſs
er jo rajh und volllommen fiegen jollte,
das fonnte nicht jein. Für Unzengruber
werden die Leute erft allmählich reif.
Es iſt ja begreiflih, dais man vor
dem oft fo finfteren Titanen erſchrak, wie
er im „Meineidbauer*, im „Vierten Gebot”,
im „Sternfteinhof” u. j. w. hervortrat. Es
ift ja nicht zu leugnen, dafs diefer Did:
ter mit Vorliebe die menſchlichen Schat:
tenjeiten darftelltee Doch ift Unzengruber
noch lange feiner jener „Naturaliften“, die
nur das Abſcheuliche aufzeigen.
Nicht weniger bedeutend als der tra:
giihe ift der humoriſtiſche Anzengruber.
Als dieſer letztere hat er ſich bisher die
meiften freunde erworben. Anzengrubers
Humor ift ſcharf und ftets ein wenig ten-
denziös, er tritt uns am draſtiſchſten ent:
gegen in den Bollsftüden „Die Kreuzel—
Schreiber", „Der G'wiſſenswurm“, „Der
Doppelielbfimord*. In diefem Humor vers
einigt fi) die Naivetät des Volkes mit dem
Witze des Gebildeten, und die Frage, ob
eine jolde Vermählung zwiihen zweien fo
verjhiedenen Racen unter allen Umftänden
zuläjfig ift, fann ih nit beantworten.
Als Dramatiler ift Ludwig Anzen—
gruber ein Stern erfter Größe. Ich ſtehe
niht an, ihn über Ferdinand Raimund
(den ih jehr verehre) und nahe an Shafe:
jpeare (dem ich ehrfurdtsvoll bewundere) zu
ſtellen. Daſs er Dialeltdichter ift, mit Vor:
liebe locale Stoffe behandelt und der „Ten:
denz* Huldigt, verdirbt gar nichts; jchreibt
er die Mundart doc fo, daſs fie allgemein
verftanden wird und dabei Erpfriihe ath:
met; wählt er doc ſtets ſolche Stoffe, die
ein allgemein menſchliches Intereſſe bean:
ipruchen fönnen. Und feine Tendenz tit die
ewige: den Menfchen zu flären und zu
erheben. Man jteht heute ihon, wie Unzen:
grubers Öfterreihtiche Bolfsftüde ſich die
deutihe Bühne in Süd und Nord erobert
haben, fie zeigen den Weg, welcher zwiſchen
der jentimentalen Volfsdihtung und der
„naturaliftiichen* Schule der richtige und
dauernde ıft. liberall, wo Anzengruber auf:
tritt, gibt es über ihn heftiges Hin und
Wider, er läist niemanden gleihgiltig, die
ihn nicht lieben können, müſſen ihn haſſen.
Das beweist am beiten das Außerordentliche
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
dieſes Geiſtes. Der Einfluſs, den Anzen—
grubers Dramen auf das Vollsgemüth üben,
fann ein bedeutender werden.
Denielben Erfolgen, welde die Stüde
auf der Bühne erzielen, mögen aud feine
Bücher enigegengehen. Wir haben alle
Urſache, an der Befammtausgabe der Werfe
Ludwig Anzengruber® uns zu freuen und
den Herausgebern wie der Berlagshandlung
dafür dankbar zu fein. Was Anzengrubers
Freunde, das jogenannte „Anzengruber—
Euratorium*, in diefem einem Jahre für
den verewigten Dichter, für feine Nad:
fomnten und feine Werfe geleiftet haben,
das fteht in der Geſchichte der Freundes:
treue faft einzig da. Ehre ihnen!
= Rofegger.
Der Bauer auf dem Kreuzhofe. Erzäb:
lung aus dem Berdtesgadener Lande von
Guſtav von Prielmayer, Freiherrn
von Priel. (Johann Ambroſius Barth.
Leipzig.)
Diefer Roman wurde dem Schreiber
diejes gleich nach feinem Entftehen befannt
und heute, da er ihm wieder vorliegt, ift
ihm defien Inhalt, was die Handlung wie
die Charaktere anlangt, noch jo vertraut
und gegenwärtig, jo daſs er ihm mit ber
Kraft eines Erlebnifles in der Erinnerung
auffteigt. Auf einer fiheren Grundlage ift
der unerjhütterliche Bau glanzvoll und feit
emporgeführt, mas um jo bewunderungs:
würbiger, als hier offenbar freie Erfindung
gewaltet hat, und fein wirkliches Borlomm:
nis den Stoff zu diefer volksthümlichen
Dichtung lieferte. Dajs ein wirlſamer Ges
brauch des Dialeltes, doch ohne die Schrift:
ſprache zu überwucdern, ftatifindet, verjteht
fih bei einem ebenjo natürlidhen als fein-
finnigen Autor von jelbft. Dagegen mödten
wir auf die Herrlichfeit der landſchaftlichen
Gemälde, ala auf wahre Proben treuer und
gehobener Naturbeijhreibung, noch gebüh:
rend hinweiſen. —
Tillier, mein Onkel Benjamin, Deutſch
bearbeitetvon Ludwig Pfau. Dritte durch—
gejehene Auflage (Stuttgart. Rieger’iche
Berlagshandlung.)
Es ift das Verdienſt Ludwig Pfaus,
dieſes Buch des Bolfsfreundes der Ber:
geilenheit entrifien und im die Deutliche
Sprade eingeführt zu haben. Es ift eine
fo frifche, Tebensluftige Erzählung, daneben
ein jo draftiiches Sittenbild und in alledem
eine jo eindringliche Vollsſchrift, wie wir in
unjerer deutschen Literatur faum ein Gegen:
ſtück mwüjsten; es bat vom erften bis zum
legten Blatt jenen Sonnenblid unzerftör:
barer beiterer Gentalität und Welt: und
Menichenliebe, der dieſes Buch zu einer
wahrhaft erquidlien Lectüre macht. V.
317
Der gute Kon fir die Rindermelt. Bon
Konftanzje von Franken. Alluftriert
von %. Burger. (Leipzig. Mar Heile.)
Man meint, es jei nicht möglich, dafs
bei der ungeheueren Anzahl von Kinder:
geſchichten und Weihnachtsbüchern immer
noch ein Buch fehlen konnte. Und doch hat
dieſes gefehlt. Wie die Kinder fi beim
Anziehen, Efien, Gehen, Spreden, Laden,
Weinen, genen Erwadiene, Gäfte, Spiel:
genofien, beim Spielen, beim Reifen u. f. w.
verhalten follen, das ift in diefem Büch—
lein dargefiellt und mit hübſchen Bildchen
geihmüdt. Allerdings dürften den Kleinen
die Bildchen bejler gefallen, als der Tert,
den fie von Mama oder der Bonne münd:
ih haben fönnen; zum Glüde iſt die Art
und Weiſe, wie die Berfafferin zu Kindern
ipricht, fo Herzig, daſs die Kleinen recht
gerne zuhören oder jelbft leſen werden.
R.
Zum Meere. Feiertage in Trieſt und
am Quarnero von Helene Stödl. (Teſchen.
Karl Prohaska.)
Diefes Buch der bewährten frauen:
und Yugendichriftftellerin müjste eigentlich
ein bijschen Aufiehen erregen, wenn es nicht
mit derjelben ruhigen Schlichtheit in die
Melt träte, wie alle übrigen Schriften der
Verfaſſerin. Uns dünkt, das ift ein ganz
bejonder8 Guten für die liebe Jugend.
Diefe prächtige Urt zu harafterifieren, zu
ſchildern, zu erzählen, diefer liebenswürdige
Humor geben dem Werkchen Anrecht aud
auf die Beahtung jener Leute, die weder
Kinder noch Frauen find, fondern gemein:
bin Jünglinge,, Männer u. j. w. heißen.
Das Bud if mit nur wenigen, aber wirt:
li guten Bildern geziert. M.
Die Binden des Naturalismus. Afthetifche
Unterfuhungen von Karl Goldmann.
(Berlin. Rihard Edftein Nachfolger.)
Es ift eine wahre freude, wie hier
ein tapferer Dann die Bande aus dem
Tempel jagt, diefe „Raturaliften”, denen
das Häfsliche und Abſcheuliche in der Dich:
tung Selbftzmed ift. Die Kritik hat dieſe
diabolifche Richtung längft verurtheilt, aber
mit ihr fertig zu werden, fie zu verdrängen,
das ift Sade der ehten Dichtung. Mit
dem bloßen Idealismus befiegt man den
Naturalismus nicht, der Idealismus als
folder hat auch abgewirtſchaftet; dod jener
gefunde Realismus, welcher die Wahrheit
höherer Zwede, der Schönheit oder der
Moral wegen darftellt und ſich infoferne
mit dem Idealismus verbindet, als er das
Gute erhebt und das Schlehte brandmarft,
diefer von allen großen Dichtern ſtets ger
pflegte Realismus iſt ſtärker als alle übri—
gen „Schulen“ und mwirb über fur; oder
lang den Kehrichthaufen gänzlih aus
dem Tempel der Kunſt fegen, mwie oben:
genanntes Buch es in fohneidigen Worten
thut. M.
Der Theaterwelt und ihren Freunden
gewidmet iſt das ſoeben erſchienene Buch:
„Die gröfflen und berühmteſten Soubretien
des neunzehnien Bahrhunderts.“ Mit unge:
drudten Briefen von Joſephine Gallmeyer,
Marie Geiftinger, DOttilie Gende, Pauline
Lucca u. a. Bon Dr. Adolph Kohut.
(Belir Bagel. Düffeldorf.)
In heiterer Weife plaudert der Ber:
fafjer über die Grazien und Eharitinnen
der Oper, Operette, der Poſſe und des
Schmwantes und führt uns aus dem Leben,
dem Entwidelungsgang und der fünitle:
rifhen wie der perjönliden Eigenart der
berühmteften Vertreterinnen des Soubretten:
fades in unferem Jahrhundert treffend
pointierte Bilder vor Augen. Einen be:
jonderen Reiz bilden neben dem reichlich
eingeftreuten aneldotiſchen Material eine
Menge ungedrudter Briefe ber berühmten
Divas. Da wir die gejilderten Bühnen:
berühmtheiten nit nur als die gefeierten
Darftellerinnen, jondern aud von ihrer rein
perfönliden Seite in ihren Liebenswürdig:
feiten, Heinen Shwäden und Gapricen, in
ihren äußeren und inneren Verhältniſſen
fennen lernen, ift das Buch nit nur eine
amilfante Lectüre, jondern e3 beanjprudt
aud biographifchen Wert. V.
Wer für ſein Gemüth eine Befriedigung
ſucht nad des Tages Mühen, der greift
auch zu guten Büchern aus dem Bolfsleben
und da fönnen wir jedermann die jüngft
bei Reclam jun. erihienenen „Geſchichten
aus den Bergen“ von Arthur Adhleitner
auf befte empfehlen. Adleitner fennt das
Land und das Volk, und weiß es wahr,
natürlih und anziehend zu ſchildern. Er
ſchildert in jeder feiner Geſchichten ein
urwüchſiges Stüd Volksleben und jeder
Lefer bat jeine Freude daran, weil die
Erzählung in ſchönſter Harmonie ausklingt.
Marimilian Shmidt.
Alfred Friedmann hat in der
Guſtav Rocher'ſchen Leipziger allgemeinen
Bücherfammlung lebender Schriftfteller ein
Bändchen „Hieroglyphen des Sebens“‘ er:
jheinen lafien. E3 find Novelletten ernften
und beiteren Inhalts, welche dem belannten
Erzähler eine Reihe neuer Freunde erwerben
werden, ;
Das Fälhhen von Heilbronn. Bon
Heinrih don Kleiſt. Illuſtriert von
Alerander Zid. (Berlin. Albert Gold:
ſchmidt. 1890.)
Dieſes Lieblingsdrama deuticher Frauen
ift hier jo pradtvoll ausgeftattet, mit jo
reizenden Bildern geziert, daſs es für den
Meihbnadtstiih auf das wärmfte empfohlen
werden muf3. M.
„Leykams“ Ralender. Die Kalenderzeit
ift da. Der Verlag „Leyfam* in Graz trägt
ihr volle Rehnung. Vom „Mandelsftalender*
(Neuer Bauerntalender) an, der vor lurzem
von einem ungeidhidten Parlamentär zu
den „clerifalen Schundſchriften“ gezählt
worden ift, bis zum eleganten Taſchen—
falender, viele Gattungen. Wir nennen nur
die äußerſt praltiih eingerichteten Blod:
lalender, Wandfalender, zierlihen Portemon:
naiefalender, den weitberühmten „Schreib:
falender für Advocaten und Notare* und
den „Grazer Schreiblalender* (107. Jahr:
gang!), welch letzterer nebft allen noth—
wendigen Nachſchlageſachen auch hübſche
Erzählungen und Bilder enthält. Dieſer
Grazer Schreibkalender hat ſich nun be—
ſonders vermöge ſeiner illuſtrierten Jahres—
Rundſchau und überſicht über ſieiriſche
Denkmäler und Neubauten zu einem treff—
lihen Vollsjahrbuche ausgewadjen.
Aljo kann der Grazer Kalenderverlag wohl
auf daS befte empfohlen werden. M.
„geykanıs“ Farbendrudk:Wandkalender.
Ein Aunftblatt von dauerndem Werte
bringt diejes Jahr die Leylam'ſche Verlags:
d Ieb Jap y 16 8 | Tung „Styria“ in Graz ein Farbendrudbild
anftalt in Graz auf den SKalendermarft.
Der Leykam'ſche Wandfalender für
1891 enthält von Künftlerhand ausgeführte
Motive aus der reizenden Murftadt, Bilder,
die fih jedem unauslöſchlich in die Erin:
nerung eingeprägt haben, der einmal in
Graz gewejen, Bilder, die er gewiß inımer
gerne fi vor Augen führen läjst. Um das
MWahrzeihen der fteiriihen Landeshaupt:
ftadt, den eigenartig geformten Uhrthurm
des Schloſsberges, gruppieren ſich in vier
Landichaftsbildern die Jahreszeiten: Der
Frühling, mit feinem WBlütenfranze die
fteilen Mauerrefte des mädtigen Grazer
Bergichlofjes und die zu Füßen liegende
Gartenftadt bis an die Vorberge der ſchnee—
leuchtenden Alpenhäupter jchmüdend ; der
Sommer, jeine Strahlen durch üppiges
Laubwerk auf die Welden:Terraffe nieder:
jenlend, von welcher aljährlih taujende
von Touriften ihre entzüdten Blide nad
den Geländen des Rojenberges und Schödels | dichte von 3. E. Heer.
drud des Kalenders zeigt neuerlih von der
Reiftungsfähigfeit der Leylam’ihen Kunfts
anftalt. K.
Mufterblätter für künſtleriſche Hand»
arbeiten. II. Sammlung, 13.—24. Blatt,
herausgegeben von Frieda Lipper
beide, (Berlin 1890. Franz Lipperheide.)
Mufter wie Tert erregen unjer Inter:
eſſe. Mit dem vollen Farbenreiz der ihnen
zugrunde liegenden Stidereien führt die
Sammlung uns orientalifche, jerbifche, buls
garifche und ſpaniſche Mufter, ſowie ſolche nad
alten Motiven vor, in denen fi uns die
überquellende Phantafie des Orients, das
heiter-finnige Gemüth der füdlichen Völker,
der feine Geſchmack vergangener Seiten
offenbaren. Yedoh fehlt es aud nidt an
modernen Muftern. Der Tert verleiht diejen
Blättern noch ein bejonderes Intereſſe, er
weist auf die Eigenart der Mufter hin und
gibt über deren Herkunft Aufſchluſs. V.
Die II. Lieferung des Prachtwerkes
Bur See, herausgegeben von Bice-Wdmiral
von Henk (Verlagsanftalt und Druderei:
A-G. in Hamburg) ſchildert die Schiffe und
Seewaffen des Mittelalters und berüdfihtigt
dabei alle in Frage fommenden Nationen
jowie die Schiffe und Seewaffen der —
Der Stolzj von Graz. Das iſt die neu:
erbaute Herz Jeſu-Kirche, von der in diejen
Blättern fhon mehrmals die Rede geweſen.
Nun ift in der k. f. Univerfitätsbuhhand:
erſchienen, bei deſſen Anblid einem das Herz
lat. Es ftellt die Gerz Jeſu-Kirche dar,
dieſes Meifterwert unſeres Hauberiſſer.
Das Bild, nad dem Aquarelle J. Ober:
bauers, aus der lithographiihen Anftalt
U. Matthey in Graz hervorgegangen, ift
geradezu vollendet zu nennen, und jo wie
die neue Kirche ein Schmud der Stadt
Graz ift, jo wird ihr Bild der Schmud
vieler Wohnungen jein, An diefem Kunft:
werfe nebenfählid, nichtsdeftoweniger aber
höchſt praftiih ift der Kalender für 1891,
welcher in einer oberen Ede desjelben einge:
legt ift, und mwelder das Bildnis eigent:
ih zu einem Wandfalender madt. Schade
nur, dafs der Kalender früher ablaufen
wird, als unfere freude an dem wahrhaft
ihönen Wandjhmude erfalten kann. R.
Blumen der Heimat. Schweizerifche Ge:
(Züri. Albert
ſchweifen laſſen; der Herbſt, verlörpert durch Miller.)
das Idyll am einſamen Bergpfade, und
Dieſes gemüthliche Werlchen iſt für
der Winter, ein landſchaftliches Stimmungs- Kenner und Freunde des Schweizervölkleins
bild, das an eine befannte Wald: und fehr zu empfehlen. =.
Felspartie erinnert. Der gelungene Farben:
ee
Ueueſter Aniverfal-Brieffteller und Privat»
ferretär für alle Btände betitelt fi eine von
dem befannten Scriftfteller Moriz Ber:
mann verfajäte und von A. Bauer in Wien,
I., Wollzeile 2, verlegte, allgemein ver:
ſtändlich gehaltene Anleitung zur Abfaffung
aller im geihäftlichen Verkehr und im praf:
tifhen Leben vortommenden Briefe, Aufjäße,
Geſuche und Eingaben, für alle Borlomm:
nifje des WYamilienlebens, des freundidaft:
lichen und geihäftlihen Verlehres, Origi—
nalformulare für Majeftäts: und andere
Geſuche, für Gingaben in Gemeinde, Zu:
Rändigkeits:, Steuer, Militär:, Gewerbes,
Schul: und Bereinsangelegenheiten, im Ba:
gatellverfahren, in civil: und ſtrafrechtlichen
Fällen, ferner volllommen neue Glüchwünſche,
ſowie Gelegenheitsgedichte, Toafte, Tiſchreden
u. ſ. w. V.
Ferner dem „Heimgarten“ zugegangen:
Geſammellte Werke von Ludwig Anjen—
gruber, neunte und zehnter (Schlufs:) Band.
(Stuttgart. 3. ©. Cotta'ſche Buchhandlung.
1890.)
Neue Ausgaben von P. K. Rojegger.
(Verlag U. Hartleben. Wien. 1890.)
„Der Schelm aus den Alpen.‘ Wllerhand
Geſchichten und Geftalten, Schwänte und
Schnurren.
„Ausgewählte Werke.“ Pradtausgabe, Le:
zilonformat. Mit 900 IMluftrationen von
A.Greil und Shmidhammer. 5.2b.
P. 8. Rojegger: Bakob, den fidfte,
En Bondenovelle fra vor Tid. Paa norſt
ved Ingebourg v. d. Lippe Konom.
(Bergen. Ed. B. Giertfens Vorlag. 1890.)
Anſer gnäd’ger Herr! Noman von
A. von Gersdorff. (Berlin. Wibert
Goldihmidt.)
Aus vergangenen Kagen. Erzählungen
von Th. Juſtus. (Leipzig. U. ©. Liebes:
find. 1890.)
Sternſchnuppen. Erzählungen von Nas
taly von Eſchſtruth. Dritte Yuflage.
(Berlin. 3. H. Scorer.)
Rlein-Wiener. Skizzen in Wiener Urt
und Mundart von Ed. Pölzl. (Wien.
Georg Szelinsti. 1891.)
Deutſche Volksſchauſpiele. In Steiermarf
gejammelt. Mit Anmerlungen und Erläu:
terungen nebft einem Anhange: Das Leiden:
GEhrifti > Spiel aus dem Gurfihale von
Dr. Anton Schlojjar. Zwei Bände.
(Halle. Mar Niemeyer. 1891.)
Aus alter und neuer Beit. Gefammelte
Gedihte von Mar Kalbed. (Berlin.
Freund & Yedle. 1890.)
Gedidte von Friedrich v. Schiller.
Neue Ausgabe. Mit Porträt, Lebensſkizze
und Anmerkungen. (Stuttgart. Baul Neff.)
— — — — —
Die zu Gerſau. Ein Gedicht von Albert
Weftermann. (Stuttgart. Paul Neff.
1890.)
Renate. Eine Studentengeihichte von
Carl Hepp. (Stuttgart. Paul Neff. 1890.)
Weifdorn. Gedichte von Carl Hepp.
(Stuttgart. Paul Neff. 1890.)
Gefammelte Gedihte von Wlfred
Berger. (Stuttgart. 3. ©. Cotta. 1891.)
Der Braum des Glühs. Dramatijche
Idyllendichtung von Albert Wittftod.
(Hermann Hude in Leipzig.)
Zabeln und Parabeln. Sprüde. Bon
Dtto Weddigen. (Wiesbaden. R. Bech—
tolda & Eo. 1891.)
Drei Märden für Alt und Bung. Bon
Georg Ebers. (Deutjhe Verlagsanftalt.
Stuttgart. 1891.)
Aphorismen und Apergus. Bon Georg
von Schulze. In ungarischer u. deutſcher
Sprade. (Prejsburg. Guftav Hedenafts
Nachfolger.)
Sudwig Anzengruber. Der Mann —
fein Wert — jeine Weltanihauung. Bon
Anton Bettelheim. (Dresden. 8. Ehler:
mann. 1891.)
Erinnerungen an Anzengruber. Bon
2. Rosner (Wien. Julius Klinkhardt.
1891.)
Matur- und Sebensbilder aus den Alpen.
Bon Carl Stieler. Mit einem Borwort
von M. Haushofer. (Stuttgart. Adolf
Bonz & Co. 1890.)
Gaspards Hadfolger. Erzählung von
Bictor Andre. (Stuttgart. U. Bonz &
Eo. 1891.)
Gotta’fcher Mufenalmanadı für das Jahr
1891. Herausgegeben von Otto Braun.
(Stuttgart. 3. G. Cotta'ſche Verlagsholg.)
Hans Schreier. Der große Mime. Eine
Buihiade von Erraths. Mit Yluftrk:
tionen von Franz Stud. (Kunft: und
Verlagsanftalt.)
Das zwanzigfe Dahrhumdert, Deutjc-
nationale Monatshefte für fociales Leben,
Politik, Wiffenfhaft und Literatur. Her:
ausgegeben von Erwin Bauer. Erftes
Heft. (Berlin. Hans Lüftenöder.)
Fiterarifhe Blätter. Zeitfehrift für mo—
derne Poefie. Herausgegeben von Franz
Evers und Albert Kohl. (Augsburg.
Gebrüder Reichel. 1890.)
Freiwillige vor! Ein Agitationd:Pro:»
gramm zum 1. October 1890 zur fried—
lihen Löſung der focialen Fragen. (Gebr.
Heyde. Chemnit.)
Ratehismus der Boilettenkunft und des
guten Geſchmacis. Von E, von Franken.
(Zeipzig. Mar Hefe.)
s20
Batehismus der Zimmergärhnerei. Bon
Goeſchke. (Leipzig. Mar Hefie.)
Für Wahrheil und Redt. Unpolitiſche
Herzensergüffe eines unpolitifchen Idealiſten.
Auguft Refiel. (Züri, Berlagsmagazin.
1890.)
Pie fitilid) «religiöfe Erziehung in der
Volksſchule. Von Robert Schwarz. (Ju:
lius Ktühkopf, Verlagsbuchhandlung in
Korneuburg.)
Schriften für Gefundheitspflege bon
dem Naturarzte Carl Grübel in Meran:
Die Herzkrankheiten, deren Entftehungsur:
ſachen und Heilung.
Die Lungenkrankheiten, deren Entftehungs:
urfadhen und naturgemäße Behandlung.
Der Magen, der gejunde und franfe, und
defien naturgemäße Behandlung. Nebft
Unhang: Die Trauben»Eur,
Die menfhlide Btimme. Ihre Pflege in
geiunden und kranken Lagen. (Meran.
Selbftverlag. 1890.)
Richtige Bahnpflege. Cine Nothwen—
digleit zur Erhaltung der Zähne von
M. Lipſchitz. (Berlin. Jul. Bohne. 1891.)
Erſter Bahresberidt des Bheffelbundes
in Öferreih. Zufammengeftelt von Wolf
Yarojd. (Selbftverlag des Vereines. 1890.)
Balender für Berg- und Yüttenlente
für das Jahr 1891. Herausgegeben von
der Witlowiter Bergbau: und Eijenhütten:
gefellichaft. (Witkowitz.)
Poftkarten des Yeimgarten.
M. M., Prag: Der Geihichtsunterricht
in unjeren Mittelfhulen ift jo eingerichtet,
Die Geſchichte ſeit der franzöſiſchen Revb⸗
Iution iſt vor allem wichtig zum Ver—
ftändniffe unierer Zeit, darum hat der
deutſche Kaiſer Wilhelm II. mit feiner
fih darauf beziehenden Forderung recht, und
darum werfen wir Ihren Aufjah, der jenes
Raiferwort höhnt, in den Papierlorb,
9. v. d. Bann: Sie haben recht. Für
einen Menſchen, der ein jo elender Eclave
feines Neides und Hafles ift, hat man nur
Beratung oder — Mitleid.
Prof. 3. B,, Bena: Das Geheimnis
des ſchriftſtelleriſchen Erfolges ift vor allem
klarer, leihtverftändlider Stil,
ein Runftfniff, den unfere Herren Gelehrten
zu verfhmähen pflegen. Wer einen willen:
Ihaftlihen Gedanken volksthümlich aus:
drüden kann, der ift Gelehrter und Künftler
zugleich.
A. B., Wien: Anzengrubers „Das
vierte Gebot” wurde 1877 für das Theater
in der Joſefſtadt gefhrieben und dort an—
genommen. Die von uns als Einleitung
zum Aufjag „Das vierte Gebot und feine
Gegner* erzählte Anekdote jcheint alfo un—
richtig zu jein.
x Auf Seite 225 des „Heimgarten“,
Zeile 28 von unten, muj3 e3 anftatt „an
den prächtigen Häufern“ heißen: an dem
prädtigen Chiemjee.
* Wer uns ungebeten Manufcripte ein-
ſchidt, der läuft Gefahr, fie zu verlieren.
Wir übernehmen feine Verantwortung.
* Der clerifale „Sonntagsbote* macht
in einem Aufſahe gegen den Überglauben
einige Bemerlungen, die uns nur freuen
fönnen. Bon folder Seite eine ſcharfe Ber:
urtheilung von Mifsbräuden in religidfen
Dingen ift wertvoll, und das ſchon aud
dajs die Schüler von allen möglichen yarım, weil fie jo jelten ift. Glüdlich
fremden Völkern mehr hören, als von |
ihrem eigenen deutſchen Volke. Und ift
man endlich bei diefem, fo wird im grauen
Mittelalter fo lange berumgenebelt, bis die
wären wir, den Clerus immer fo zu finden,
| dais wir ihm beiftimmen könnten.
A. Z. Wien u. M. Ried: Danten heftig!
Schulzeit aus ift. Die Schulen thun gerade | Wir find überjchüttet mit Novellen und
als ob uns die neue Zeit nichts angienge. | Gedichten.
Für bie Redaction verantwortlid v5. 4. Aoſeader. — Druderei „Leptam“ in Grap
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1891.
Vor'n Suppn eſſen.
Ländliches Gemälde in einem Acte von Carl Morre.
Perſonen.
Der alt Stutzenbauer Redl.
Die alt Liesl, ſein Weib.
Der Schwarzbildt Poldlbauer.
Nandl, deſſen Weib, Redl's Tochter.
Poldl, deren Sohn.
Die Lärdhbäurin.
Seferl, Kuhdirn .;
Hiasl, Ancht J beim Poldlbauer.
Ort der Handlung: Ein Bauernhaus
im Hodgebirge.
Bauernzimmer mit einer Mittel und einer Ecitenthilr
rechts. Yints ein Fenſter. An der Nüdfeite ein Ofen,
vor demfelben eine Ofenbant. Am Bordergrunde lints
ein größerer Tiſch mit einer Bank und mit mehreren
Bauernftühlen. Auf dem Tiſche fliehen zwei neue
Koaffectannen und zwei Schalen aus Porzellan, dann
ein großer Handkorb.
I. Srene,
Särhbäurin, Nandl, die alt Liest; Liest fikt
auf der Ofenbanf, beffert einen Strumpf aus; Nandl
und Pärhböurin jihen beim Tiſch.
Nandl: Na, na, mei liabe Lärd-
bäurin, dös geht mit, das nimm ih
nit. Tragt dös Schöne Gſchirr nur
wieder mit Euch. (Win die Kannen im den
Korb der Lärhbäurin geben.)
Lärchbäurin cabwehrend): Aber
Nachbarin, liabe Poldlbäurin, thuat mir den Hab ih nit verjtandı.
Rofegger’s „„Heimgarten“, 5. Heft. XV.
dös nit an. Es is a Dankbarkeit, mir
als a Dankbarkeit.
Nandl: War nit aus, wia kumm
ih dazua.
Lärchbäurin ſwelche ihren Korb zurüd»
zip: Schaut, mei liabe Nachbarin,
id war jo unglüdlih in meiner Eh;
und Ent alloan dankt ih’s, dajs ih
jeit Jahr und Tag zfrieden und
glüdlid led. «Bittend) Nehmt das An—
denfen.
Nandl: Mir hat d Lärchbäurin
nie 3 danken, — Mir nit!
Lärhbäurin: A ja wohl, dös
woaß ih bejler.
Nandl: Den Rath, den ih Eud)
geben hab, den hat unjer Herr Pfarrer
de Lärhbäurin längft ſchon früher
gebn.
' Lärhbäurin: Der Pfarrer! Der
Herr Pfarrer! Ja du mein! Freilih
hat der mir a wohl grathn, aber der
Herr Pfarrer Hat viel z gſcheid gred't,
Ihr aber
21
liabe Nachbarin, Habt mir d rechten
Wort und a das gſunde Beifpiel gebır.
Durch Euch bin ih meine Fehler inne
word, hab mein Mann fchön nach—
gebn und bin dem Hader und Streit
ausgwicen.
Voldlbaner (ruft von augen: Nandl!
Nandl irafh aufftehendd. Der Vater
ruaft. (Eift ab Seite redts.)
Lärchbäurin: Sakra! Aufpafjen
thuat ſ auf ihren Mann wia a Schuler—
deandl auf u Lehrer. Wia ſchleunig
ſie ſpringt, wann er ruaft! Dös muaſs
ih ihr a noh nachmochen. (Zu Liest ge
wendet): Euer Tochter is recht a gſcheides
Weib! Wohl gſcheid.
Liesl igleihpiltig am Strumpf ftopfend): Ja,
ja, is ja gſcheid — is ja wohl gſcheid,
aber ihr Mann, der Poldibaner, is
na liaber! Mei Schwiegerfohn is ma
weit liaber wie fie.
Lärhbäurin: Er kann aber
ſchlimm a fein, wann er will,
Liesl: A ja, dös wohl! Dös
muafs fein, funft freſſen ihn die eignen
Leut auf.
Nandl tommt aus reis): Der Knah—
handler iS draußt, der Bold! hat mid
gfragt, wie theuerer die braune Kuah
Ihaßen ſoll. —
Lärhbäurin terfaun: Was? Er
fragt Euch um dös?
Nandl: No ja, warum nit?
's Knahvieh is in meiner Hand. Ih
woaß, wia viel $ wert i$ und jag
mei Manung. — Berlauft er's dann
wie er will — dös is fei Sad. —
Lärhbäurin: So weit möcht ih
mein Alten Halt a noh bringen.
Nandl: Nur Alles ſchön in
Güatn ausredn, damı wird's gehn.
Lärhbäurin: Will mir's merken.
Bittend): Aber nehmt das Gſchirr! Ih
bitt Euch! Aus Dankbarkeit zum Ans
denfen.
Nandl: Um foan Preis. MRimmt
die Nonnen und Schalen und gibt felbe in den Horb
der Lörchtäurin. Tragt dös ſchöne Sachen
nur mit hoam, und wann d Lärch—
bäurin etwan amol af d Nachgiebig-
322
am — — mn —— — —
teit vergifät — fo wird das Gſchirrl
Euch auf meine Wort mahnen.
Lärhbäurin (nimmt ihren Handtorb):
Der Poldlbäurin is nit aufzkumma.
— In gar mir. — Ihr jeid zu
gſcheid. Gightet fih zum Gehen.)
Nandl: Dafs d Lärhbäurin
aber Heut in fo oan Unwetter ums
gehn mag.
Larchbäurin: Ja, dös is fo.
Cäachetnd) Wir Haben a weng a Salz
braucht und van Tabak für d Manns»
leut. Wann mei Alter ins Dorf geht
— bleibt er im Wirtshaus jigen,
verthuat das Geld und fummt jpat:
mädtig mit van Sturm hoam. —
cLachelnd) Seit Ihr mih geicheid gmacht
habt, geh jetz liaber ih. — Es bleibt
das Geld und der Verdruſs erſpart.
Ya. Wadct.
Nandl: No alfo. (äheind Gſcheid
is Schön! Nit wahr? (Matt.
Lärhbäurin: A ja. Eägelnd,
A ja! Das Hab ih Alles der Poldi:
bäurin z danken. Bhüat Gott. (mo Mitte.)
Nandl: Bhüat Gott. Ms Mitte)
Liest: A Treffelmerh habn dö
zwa Weibslent — nit zum jagen.
Ih foll was ausdenkn — und bin
ganz confus wordn. Es is was dö
Tag, ih woaß es gewijd. Is beim
Poldlvater was, oder iS bein Poldi»
buabı was — es iS was. — Was
aber is — dös fallt mir nit eim.
Unmögli!
II. Scene,
Redl ommt mit Epanubholz und Meier |
aus rechts. Im Hereingehen): Is dös heunt |
a grauslichs Wetter draußt. — Pfui
Teuxl! IH ſetz mih a zum Ofen.
(Zu Liest ſprecheud) Daſs did gar jo broat
macht; fo rud a weng doni, moanſt,
mir is nit kalt! «Swieht Liest auf die Seite
und fegt fih zu ihr.)
Liesl: Schau den Zeder au,
wie er mi doni ftoßt. Gelt, früherer
Zeit war ih dir guat!
Redl: Na, na Liesl, biſt jetz |
ſchon a noh guat. Sei nur nit kritisch.
Ih ſag dir’s, flürmen und fchneiben
thuat 8 draußten, wia wann 3 zriffene
Pfoada von oben abamwerfen mwollt!
Liesl: Pfoada werden j oba=
werfen! So a Red! Moanft dem, die
Engel in Himmel habıı a Pfoad an?
Redl (Nhneidet am Epannholz): Ih hon
noh gar koan Engel gſegn.
Liesl: Was red'ſt denn nacha,
wannft nir woaßt?
Redl. So möchſt fireiten, möchſt
zwida werdn? Du! Ih ſog s gleih
dem Poldl!
Liest ehniſch: Ja, n Poldl wirft
s ſagen, ha, ha, da kummſt ſchön an.
Ta kriagſt dei Fetten! Der Poldl
halt mit mir! Der Poldl is a Engel,
jetz woaßt du 3.
Redl dasend): Ya, a ſauberer
Engel! Hat am legten Kirchtag an
Rauſch ghabt wie der Teufel.
Liest wormig: Du, das fagft nit
noch amol, funft vermeld ih's ihm!
Bedehnt) Shan!
Redl: Geh, geh Alte, ſei guat,
funft wirft mit deiner Arbeit mit fertig.
Der arme Strumpf hat ma eh geitern
vorgmwoant, daſs du ſchon vierzehn
Tag auf ihm umſtichſt.
Liesl: Wirft ſchon wieder bes
leidigend? Ih kaun Strumpf vers
ſtechen wia lang ih will, und id kann
nix thuan wie viel ih will, der Poldl
jagt, mir derf fa Menſch was fchaffen,
und der PoldI iS a Engel und der
Poldi bleibt a Engel und je woaßt du s.
Redl: 5 muaj3 rein amal
ihauen, wo er feine Flügerl hat?
Liſesl uomig): Spoitu a noh, den
beiten Menfchen, den wir auf der Welt
haben, jpotten? Wer gibt uns denn
die guate Koft? Von wen haben wir
denn die warme Stubn ? Gelt, wanı
er Sunntags vom Dorf mit n Tabaf-
pintel hoamkummt, dann is er guat,
dafs d mih ausradhen faunft. Du
graußlaner Menſch!
Redl: Liest, Liesl. Holt dih
zruck! Wär ſchad um dei ſchöne Stimm.
Liesl: Den Poldl ſchimpfen, an
Man, der jo fleißig is, der auf ſei
Gſchäft Schaut wie foaner. Wo hätt
denn unfer Nandl jo an Mann kriagt?
Mo denn? Yın ganzen Dorf nöt, und
weit und broat nöt, und ninderſcht nöt!
Redl: So? Thuat unfer Nandl
eppa nix arbeiten? Hilfts nit fleißig
mit ?
Liesl: Ya freilih, zu was is fie
denn? Möcht dö Kleantſchen vielleicht
am Heubodn liegn und er foll alloan
arbeitn? Übern Poldi laſs ih amol
nir fommen, und geht 3 wia der will,
Der Bold! is unſer Brotvater,
Redl: Aber geh, Alte, harb dih
nit. Ih laſs ja a nix fummen über ihn.
Liest. Alfo willft blos mir van
Arger mahn. (Steht auf.)
Redl: Na, na, Alte. Sei nur
guat. Seb dih nur wieder nieder.
Liest cent ih nieder): Wann ih noh
amol auf d Welt kumm, dih Heirat
ih neama.
1II. Scene.
Seferl. — Vorige,
(Seferl, einen Melftübel tranend, fommt laut wei»
nend aus rechts.)
Redl: No — no — mas fehlt
denn Der, dajs fie jo fleant.
Liesl: 8 dir was gſchehn,
Seferl ?
Seferl: Na! (Weint Heftig.)
Redl: Hat dir wer was gethan ?
Seferl: Na! (Weint Heftig.)
Liest: Haft "leicht wieder was
zlammgjchlagn ?
Seferl: Na! (Weint.)
Redl: Ja zum Dunner! Was
woanft denn nachher ?
Seferl weinen: Ih — ih kaun
nit melchen. Ih kann amol nit melchen!
Liesl: Ja, warum kannſt denn
nit melchen ?
Seferl weinend: Mir zerfpringt
3 Herz.
Redl aseny): Beim Kuahmelchen?
Seferlustuszend: Beim Kuahmel—
hen — beim Kuahfuttern, beim Kuah—
wafjern, bei Allem zeripringt mir $
Herz. (Weint.)
21*
22*
Liest: Biſt a rechter Tſchapp!
Seferl: Ja, Tihapp! Is leicht
glagt. Wann d Ahndlmuatter nur
giehn hätt, wia fündla traurig mih
die braune Kuah angichaut Hat, grad
als ob j mir hätt jagen wolln: ſchau,
mei liabe Seferl, hiaz treibt der
Handler mid fort, und grad fo werdn
j amol did fortfchiden, wann dei Zeit
um 18. (Weint.)
Redl: Und derawegn zerfpringt
dir 5 Ders.
Seferl: Ja derawegn, weil fich
der Bold! net traut m Vatern z bittn,
dafs wir zjammheiratn dürfn.
Redl: Jetz ſchaut's amol dö Dirn
an! Dan Bauernſouhn möcht ſhei—
rathn!
Seferl: Ja, wen denn nachher ?
A noblicher Herr oder a Graf, der
nimmt mid noh weniger.
Nandl «utmüthig): Was Hilft denn
dad. Du woaßt doh — das jih der
Vater nir abtrußgn last.
Jungpoldl: A ja. Wann die
Muatter will, gibt er ſchon nad.
Nandl: Ned mit jo einfaltig.
(Halblaut zu Rev Ih hab eh ſchon drei—
mal auf d Staudn gſchlagn. Er wird
immer unwirſch. Ih trau mid mit
mehr.
Liest: Nandlh! Sei giheid! Red
mit dein Mann! Du wirft doh den
arınen Buabn nit zgrumd gehn laſſn.
Nandl werzaad: Du mein Gott!
Erzwingen lajst fih mir. Ih kenn
den Water beſſer. «Traurig für nt) Is dös
a Unglüd. Ih woaß mir nit aus,
(Sekt ſich ſorgvoll nachſinnend zum Tiſche.)
Sungpoldl: Ih geh vom Hof!
Ih mag neamma lebu!
Liesl: Sei guat, Poldi! Sei
guat! Es wird fih ſchon machn lafin.
IV. Srene.
Nandl, Jungpoldl, — Borige.
Nandliur Eefern: Mas ftehft denn
du da um?
Nedl: Sie hat ſih ausiwanen
müaſſen in der Stubn, daf3 die Zacher
(Thränen) net an der Stalltgür ans
gfriern.
Nandl qu Een: Schau zu deiner
Arbeit!
J ungpo 1d IE: (Heimtih und Herzlich zur
Een: Sei nur guat, Seferl; fränt
dih nit! Du wirt do die Meine und
fa Andre,
Seferl: Ih kann net melchen,
mir zſpringt mei Herz. (Zaut weinen ab
redhtö.)
Jungpoldl ifoßtdie Binrin): Muatter!
Os muafat’s mit n Vater redn wegn
der Seferl.
Nandl: Aber Poldl, was mußt
denn s Reden; der Bater will, du
jollit a Bauerntochter heiraten.
Jungpoldlieietia: Ih mag fa
Bauerntochter, ih brauch foane! Mei
Seferl will ih habn — die Seierl
gfallt mir.
Jungpoldl «acht zur Liesn: Ahndl—
muatter! Mei liabe Ahndimuatter.
Ih bitt, nehmt Euch am um mid.
Liest Ganz verzagu: Ja,namla wohl!
Wann ih nur wujst, wia man $ an—
gehn foll.
V. Scene,
Pold Ibauer (aus ver Mitte, jäptt Geld,
das er dann in feine Brieftgſche gibt): Hat mir
richtig fünf Gulden aberghandelt, der
Lump.
Mandl iie raſch aufitept): Mach dir
nir draus, Vater; die Kuah is do noh
guat zahlt.
Poldlbauer: Ah ja — hab
nir verlorn dabei. (Den Jungpoldl bet:amhtend)
No — was machſt denn du für a
Gſicht, als ob dir die Henn das Fuatter
gfreiin hätt?
Nandl: Is a rechts Kreuz mit
dem Buabn. Denk dir nur, die Seferl
möcht er heiratn.
VBoldlbauer: Könnt mir eine
falln! U Dirn werd ih ihm Heiratı
laſſn, die nix hat und nix is.
325
Sungpoldl: Hat d Muatter a
mir ghabt und der Voada hat ſ do
abeirat.
Poldlbauer (eeirisn: Jetz Schau,
daſs du auſſi kummſt.
Jungpold!l Gexdrichlich? Is ja
wahr a. (Mb reits.)
Poldlbauer: Möchtn van die
Kinder vorfchreibn, wen man heiratn
fol. — Wann der Bua z dumm is,
a Banerntochter 3 friegn — aft foll
er ledig bleibn. (3u Rand Mas moanft
denn du, Nandl?
Nandl: Ih gib Dir ganz redt.
Poldlbaner: A junger Menfch,
der heirat’, muſs a Zuhilf findn, Funft
geht er zgrund.
Nandl: Ja, ja — leichter is
Ihon, wann s Weib a was zubringt.
SH hab zwar a nix ghabt.
BoldIbauer: AV was — du
warit fleißig und tüchtig und verſtehſt
was und dös iS mehr wert wie s Geld.
Lialıne vorneigend, vernehmlich: Fleißig
is die Seferl zwar wohl a, recht
fleibig.
Boldibauer (mies: No ja —
dös is Schon wahr; aber wann der
Bua a jede Dirn beiratn foll, dö
fleißig is — dann bradt er viel
Meiber zſamm.
Nandl: Er mill aber bloß die
Seferl und Ta andere,
Boldlbauermusin: So! Möchft
du vielleicht Ja jagn, wann ih Na—
ſag?
Nandl efänftigend: Aber Vater!
Mas fallt dir ein. — Dein Willen
it die Hauptſach. —
Boldibauer: Und
und dabei bleibt 3.
Redl im Liest, lächelnd):
ih fag Na
giagt hat.
Liesl: Moanft ?
Nandl: Recht Haft.
ſoll ſich dreinfindn.
Poldlbauer: Er wird
ſterbn drüber, fürcht dih nit.
Bis er Ja |
|
Der Bıra | Füraholen müafin.
manches überfommen. — Die jungen
Leut, dö verliabt fein, glauben grad,
die Welt geht zgrund, wann fie fich
nit kriegn.
VBoldlbaner: Amwas! Yarifari.
(Seht fid.)
Nandl: No, bei mir war dös
Ihon nöt Larifari. Ih woaß nöt, was
id mir anthan hätt, wann du mid
verlafin häſt, und ih könnt mir mei
Lebn heunt noh nit denfen — ohne dir,
Poldlbauer (cerzhaft aber herzlich fie
onblidend): Warſt wohl fo narriich ver—
brennt in mih?
Nandl tiherzpaft Herziih): Geh, ver—
ftell did nit. Thu mit fo, al3 0b du
3 vergeſſen hält. Du warſt ja felber
nix befier.
Poldlbauer reundlich; Moanft ?
Nandl: Gwils anoh! — Wann
dir damals wer gjagt hätt: Wirt doh
mit dem Deandl nir anfangen lie
is ja a bluatarms Ding. — Lafßs fie
fein! — No, da hätt ih dih ſehn
mögn.
VBoldibaner ter): Recht haft,
Alte! Meiner Sir — und wann ih
heunt die Wahl hätt — fa andre
wia did. (Grgreift ihre beiden Hände) Biſt u
braves treues Weib — und warit
immer der Segen Gottes in mein
Haus.
R eDI (der aufmertſam zuhorchte zu Lies1):
Sie packt ihn ſchon auf der rechtn
Seitn.
Lies! iyalblaut zu Redn: Moanft, wird
er nachgebn ? (Hedi nidt mit dem Kopfe): Du
mein — da wär ih froh.
Nandl: Haft meinetwegn viel
Verdrufs ghabt mit dein Leutn.
Poldlbauer: Das war nur
anfangs, aber ih hätt a nit nachgebn
und wann ih did aus der Höll hätt
Nedl iu Liesn: Ih moan, dih hou
nit ih a zuachſt der Höll füragholt. Last.)
Liesl empört): Redl! Redl! Das
Nand!l (reundlichn Ih fürcht mih is ma jetz zviel. «Steht auf) Jh geh ins
eh nit. — Der Menſch muaſs gar Wetter auſſi, dös halt ih nit aus.
Poldlbauer: Na, was habt’s
denn da hintu? (Geht nad rüdwärte.)
Liesl: Der Redl is Heut net
zum ausftehn, vor lauter Bosheit.
Sagt der alte Kräanka, er hätt mih
znachſt der Höll füragholt.
PoldIbauer(gutmüthig fägelnd): Was?
So was hat er gſagt! Das ift doh
aus der Weis! Na, ſeid's nur guat,
Muatter, am nächſten Sunnti bring
ib ihm an ganz patihnafin Tabak
hoam, da wird er ziachn und fluachn.
(Radıt.)
Daft ſchon recht. Thu
Liesl:
das! (Echt fh.)
Poldlbauer: Ihthu sa. Und
der Muatter bring ih davor ovane
guaten Kaffeebohnen. Ja. (Geht lächelnd vor.)
Lies! (feelenvergnägt;: Der Boldlvater
i8 a Engel! A Engel.
Nandl Gcerzlich: Schau, Polbl,
wia guat du mit meiner altn Muatter
bift. Ih werd dir s nie vergefin, mein
Lebtag nit.
Poldlbauer: Na was, warum
fol ih | denn net gernhabn, iS ja
dei Muatter, und mei größti Freud
is, wann die ganze Berwandticaft
in Friedn und Liab miteianand lebt
und fleißig mitfammen wert. Mir
ſchmeckt alloan fa Biffn und fa Trunf.
Nur wann ih fiah, dafs die ganze
Bagage mitpapelt und mitpupelt, aft
bin ih zfriedn.
Nandl ti: Weil du jo a
feelenguater Menſch bift, und darum
bin ih ja fo taufendmal froh, dafs
grad ih dei Weib bin wordn.
Poldlbauer äsendy: Mentiſch
zutraulich biſt heut. No ja, ih woaß
ſchon, wo du auſſi willſt. — Du biſt
halt vernarrt in dein Buabn wie der
Tocker in die Geign. —
Nandl Gexrzlich Ab an ihn ſchmiegend):
Is ja dei Bua a! Is ja unſer Kind,
und dir und mir thät 3 Herz weh,
wenn wir 5 erlebn müaſſtn, daſs wir
ihn zu aner unglüdliden Eh ge-
zwungn habn. (Reht herztich Schau,
Bater! ’3 Geld! 's Geld alloan macht's
ja nit aus. Das fagit du ja jelber.
—
26
Redl (aut zu Liesh: Der Dachs—
huaber hat a reiche Bauerntochter
gheirat' und is denna ganz zgrund
ganga.
Lies lcdaut zu Redih: Ja freili, weil
| unwirtſchaftli war und die Vornehme
gſpielt Hat. (Sehr bedeutiam) Unſer Seferl
is aber fleißig! A ja!
Nandl sum Potdisauen: Was wahr
3 — 13 wahr. Wir habn noh fa
Dirn ghabt, die am Feld und beim
Died jo tühtig war wie d Seferl.
PoldIlbauer (aft verbriehtih): Ih hab
juft a fa Klag — aber muaf3 ih ihr
deramwegn ſchon mein Suhn gebn ?
Nandl Mertih: Du mujst ja
nit. — (Seine Hand erfaffend, recht innig)
Uber dent auf uns Zwa, denf auf
unfer Lebn und du wirft dir doh
jagn: Zu oaner glüdlihen Eh ghört
vor allererft — a wahre, herzliche
Liab!
PoldIbauer (erlegen ih losmachend):
Ihr Drei haltet zjamın wia die Wie-
den. Mir ziemt grad, Ihr wollt mir
früher fa Ruah gebn, bis ih Ja ſag.
Nandl reich, win ihn umarmen):; Mei
liaber, mei guater Alter,
Poldlbauer causweigend: Na!
Na! Aushaltn! So weit fein wir
noh mit. Erft will ih mih überzeugn,
ob s Deandl für mein Suhn a Herz
bat und ob | für ihn taugt.
VI. Srene.
Hiasl. — Borige.
Hiasl iträgt ein fehr Meines Fäfshen auf
dem Kopfe, fommt aus der Mitt): Saumetter !
Hundswetter! Rabenwetter! (Stelt das
Fäſschen auf den Tiſch und jhüttelt ih den Schnee
von feinen Kleidern.) Patſchwetter, miſe⸗
rabligs! Ganz naſs bin ih wia a
Pudel, der beim Ofen liegt.
VBoldlbauer irn: Wo kummſt
denn du daher?
Hiasl trgertis): Wo foll ih denn
herkumma, wann ih von Dorf daher«
kumm.
327
Poldlbaner (rafend, ftreng): So!
SH hab Dir gfchafft, du follft Fuatter
jchneidn und du lauft in Dorf?
Hiasl dehr erregh: Ih bin ja mit
jelber gloffen. — Hat mih ja wohl
die Seferl gſchickt! (Laut und jornig, aber
für fi, gleichſam entſchuldigendd Sakra! Ver—
maledeit! Ih bin ja nit bei der Seferl
im Dienſt.
Seferl in 8 Dorf abi z ſchicken.
(Saut färeiend) Ih geh neamma nöt mehr.
Ih geh nöt! Sakra!
Voldlbauer tipn aufapeend: Schrei
nit jo!
Hias!l Gemüthlich ihn anblidend, im
rubigen Zone): Ih bin kritiſch. (Sehr freundtih)
Ja Vater, ih bin ftark kritifch.
Poldlbauer tern: Du Haft mid
3 fragır, wann du wohin gehn willit.
VI. Stene.
Seferl. — Vorige,
Seferl (Sieht bei der Seitenthür rechts
herein, erblidt das Fälshen und fommt raid vor,
ſpricht ärgerlih und verbifien zu Diadl): Bilt
wohl a rechter Tſchapp! (Bormurfsvoit und
bite? Hab ih dir mit gfagt, du ſollſt
das Faſsl hoamli mir gebn? (Geht
jum Tiſch.)
Dias! (wieder erregt und laut: Mia
fann ih 3 denn Hoamli div gebn,
wann du nit da bill.
Seferl imnimmt ärgerlih das Fäſschen):
Wärſt in die Kuchel kumma.
Hiasl (not erregtery: Win kann ih
denn hoamli in die Kuchel kumma,
(herumzeigend) wann Dö alle da uma—
ftehn. Sakra!
Seferl Gornian: Geh zua! Du
Toder ! (Mit dem Fälshen raſch ab rechts.)
Hiasl (geht ihr drohend nad, ſpricht im
erhöhten Tone): Das ſagſt nit noch amol!
Poldlbauer dürkay: Jh kenn mid
nit aus.
Nandl: Was fein denn dös für
Hoamlichkeiten ?
Poldlbauer iu Hiasn: Was habt's
denn mit dem Yalsl?
Mas hat mih denn die |
Diasl (tommt ſtolz vor, als ob er eine
große That vollbracht hätte. ürgerlich: Sakra!
(Mehr für ih) Ih laſs mih mit mehr
ihidn. Ih nit. Wenn die Seferl
hoamli van Rauſch habn will — joll
fie jelber zum Dorfwirt gehn. Ih trag
ihr foan Wein mehr hoam. Ih nöt.
Safra!
Poldlbauer rertaund: Die Seferl
hat dih um Wein gjchidt ?
Nandl (ho erftauny: Um Wein?
Dias! wistig; No! Und wie |
mih gſchickt hat. Um den beiten, den
3 gibt. wistid Fünf Guldn Hat j
mir mitgebn !
Nandl center: Fünf Guldn für
Wein!
Hiazl der wistig): Und laufn Hab
ih müafjn! Mentifch! Goqwichtigh: Vor
n Suppn eifen muaſs ih da fein, bat
fie gſagt, jagt fie, funft geht s gfahlt.
Wihtie) Sie is zu viel dürftig.
Nandl inter): Ja, trinkt denn
die Dirn hoamli Wein?
Hiasl: No, und wia fie ihn
trinfen wird. Sie hat gefagt, a ſchön's
Seidntüahl foft’t a fünf Gulden, und
Minterkittl braucht fie foan, fagt fie;
und Sunnti-Schuah Hat | eh noh
fefte, da kauft fie fih liaber a Faſsl
guatn Wein. Das macht ihr mehr
Freud,
Mandl ie Hände zufammenfhlagend):
Mir bleibt der Verſtand ftehn!
P oldlbauer Wer aufmertſam zuhorchte):
Mir a! 's Deandl is noh nöt zwanzig
Jahr alt und trinkt ſich ſchon hoamli
oan Rauſch an. — A ſaubre Gſchicht!
Jetz hab ih gnua! (Geht erregt auf und ab.)
Nandl: Um Gotteswilln!
Liesl Gerzagh: Mufs der Tepp
grad hiazt mit n Wein daher tramplır.
Poldlbauer “omin: Hias! Hol
mir den Boldt !
Hias!: Ja, Vater. (Mb rewts.)
Nandl: Ih Hab die Seferl aber
noch nia mit van Rauſch gehn.
Meiner Seel nit!
Poldlbauer Hämiih): Sie wird
3 ſchon hoamli gnuag onftelln. (Zeh: jornigh
Und is wia der will. — A Dirn, die
ihr Geld für Wein ausgibt, is nix
für mein Souhn.
Nandl: Natürlih! Dös wär ja
5 größte Unglüd. (Xraurig für fh) 3 doh
aus der Wei.
VIII. Scene,
Jungpoldl. — Vorige.
Jungpoldl (aus rests): Was jchafft
der Bater?
Poldlbauer fen: Die Seferl
Ichlag dir aus n Kopf. 's darf fa
Wort mehr gred’t werdn.
Sungpoldl: Bater!
liaber Bater!
BoldIbauer:
duld fa Einred.
Nandl worwurfsvon zu dungporßh: Wia
du dich nur in a Deandl verliabn
magit, dö jo a ſchiache Leidenschaft hat.
Jungpoldt ibefänftigend): Du mein
Gott, was liegt denn dran, fie hat
mih halt gern.
Nandl: Da, weil ſ dich Jo gern
Ih bitt,
Still biſt. Ih
328
IX. Srene.
Seferl. — Borige.
Seferl (trägt eine große Schüſſel und
mehrere Blechlöffel. Spricht laut): D Suppn
13 da! Etellt die Schüſſel auf den Tiſch, legt die
Löffel bin. Lau) Suppn efjen! Mandi,
Redl, Liest, Jungpoldl tragen Etühle zum
Tiſche, ſehen fih. Eeferl acht zu Poldlbauer)
Vater, a weng wartn. Mit früher
Suppn eſſn — bis ih kumm.
PBoldlbauer die anfaprend): Laſs
mid in Ruah.
Seferl reundlich lägeind: Na! Heunt
laſs ih den Bater nit in Ruah, heunt
nit. äuft rechts ab.)
Boldibauer trend: Das wird
jih wohl weiten, ob du mid in Ruah
lafin willft.
Nandl iefänktigendn: Kumm, Alter!
Seh did her — tina Suppn eſſn.
VBoldibauer: Laſs mid. 93H
fann die Dien nit anſchaun. Mir
Ihmedt Ta Bilin, jo lang Die noch
im Haus i8.
Nandl üteht auf, geht zu Pololbauer.
fpricht berzlih und begütigend): Bold! — ei
guat! Sei gideid! Hör mid ar.
hat, muaſs fie hoamli ihr Geld in Schau! Die Deanftleut müaſſn arbeitu
Wein verthoan.
und wer arbeit’, der verdient a ſei
Jungpoldl: Die Seferl trinkt Koſt. Du ſagſt immer, beim Eſſn mufs
gar van Wein, koan Tropfn.
Poldlbauer: Der DPorfwirt
woaß das bejler,
Sungpoldi: Beim Dorfwirt
war ih gar nia mit der Seferl. Wir!
waren am Kirchtag nur beim Yebzelter
dort hab ih ihr van fürn Meth ge—
zahlt, weil fie foan Wein mag.
Boldibauer: So! Du laufit
Ihon um mit ihr. Dur zahlit ihr Meth.
der Hund a Ruah Habn. Sei guat.
Das Deandl muaſs eh fort; aber laſs
nix gipiien, fo lang fie beim Efin ſitzt.
Boldlbauer: Meinetwegn ſollſt
recht hab. A vernünftigs Weib, die
ihren Mann im Guatn 3 leitn verfieht.
& | (Zeit ſich zum Tide. Nandi seht fich zum Zifche. Alle
machen da® Kreuz, beten einen Moment fill, machen
dann wieder das Areuz.) Gſegn Enfs Gott!
Alle: Vergelts Gott! catte ein.
Poldlbauer nimmt einen Vöhlel, wiſcht ihn erfi
Ihr jeid ſchon beim Lebzelter gweſn ab, langt dann langſam in die Echäfiel.)
mitanand! A jo weit is jhon! No
wart's nur, ih will Euch helfn. (Streng
zu Randı Die Dirn muſs aus n Daus.
Sag ihr, daſs fie zſammpackt und
geht. Deut noch! Auf der Stell!
Sungpoldl DBater, ih bitt!
Poldlbaner: Ha Wort mehr,
junft wirft mih fennen lernen.
eilt bin, eufty: ber
Loffel aus der Hand.
X, Scene.
Seferl, Hiasl. — Borige.
Seferl aus redts, bringt eine große
Flaſche mit Wein, ficht, dafs Voldlbauer eſſen will,
Pater! (Echtägt ihm den
Schr wigtig) Mit Früher
Suppn ein ! (Hiadt trägt unter dem Arm das
een
=
=
Fälshen und in beiden Händen Arüge. Stellt Fais
und Krüge auf den Tiſch, jeht ih und ifst Suppe.)
P old Ibau er (ipringt erregt und zornig
auf): Himmel Satra! Was wär denn
das? tle ftchen ängftli auf, nur Hiast bleibt
fihen und ifst, obne ih um den Borgang zu kümmern.)
Seferl worurfevon: Is der Vater
gſcheid? Wichtig) Früher Suppn efin
— ehvor ih mei Anred halt!
Nandl centrüfe): Aber Seferl!
Was unterſtehſt du dich!
Seferl (eretin: Sp! Soll ih
leicht mei Geld zum Fenſter naus—
werfn, joll id den Wein wegſchüttn,
wann er 3 Spat kummt. Eqmerzlich
vormurfsvon) Ih hab mir 3 Seidentüchl
abgipart, ih hab mir den MWinterfittl
abgipart, ih hab mir die ſchön Schuah
abgipart und jetz möcht der Water
vor der Anred Suppn efin!
Jungpoldl sans vergant: Mber
Seferl, bift denn narriſch.
aber du wohl. Du tragft dei Gedächtnis
im Bruftflet drein, wann du mit
amol woaßt, was heut für a Tag is.
Jungpoldl: Heunt?
Seferl cipnausfpottend): Ja, heunt!
(Borwurfsvon) Haft mir mit am vor—
heunt dein
ſei fünfzigfter Geburtstag
— aber weil er der Suhn von an
legten Sunnti gfagt, dafs
Vatern
kummt?
Nandl tihlägt die Hände zuſammen, jpricht
iu PoldIbauer, ihn herzlich anblidend):
fünfzigfter Geburtstag!
Liesl ang verblüffy: Maraunfert!
Dei |
Redl: Selber mir beffer. Hab
a dvergefin !
Jungpoldl dür ns): Safra, daſs
aber ih nit drauf denkt hab,
Liest wistin: Ih han wohl denkt
drauf — aber juft heunt iS mir mit
eingfalln,
Seferl mimmt ein Krügel mit Wein, geht
vor zu Poldibauer, ſpricht berzlih): Mann
mir der Vater den Poldl a nöt gebn
will, wann ih Euch als vanfache
Dirn a z nicht bin, Cinnig) gern hab
id Euch doch noh.
Poldlbauer teilten: Seferl!
Seferl Gernich: Ih Hab guate
Tag im Haus ghabt, Ihr habt mih
wia a Vater jei Sind behandelt, auf
dös werd ih nia vergeſſn. (Immer herzliche)
Dafür mög Euch der guate Gott
lohnen durch nm Gſund — und durch
recht a langs (ergriffen) glücklichs Lebn.
24 Wijcht ſi ine Thräne aus dem Auge, gibt dem
Sefer Ceht zornig zu Iungporn: Ih nöt, | jcht fh eine Thräne aus de ge, gi em
Poldibauer das Krügel, ohne ihm anzufehen,
ijchtuchzendd Da Vater, nehmt! Thuat's
trinken! — Der Wein ghört Euch!
Voldlbauer imimmt das Krügel, ſpricht
jehr berztih): Seferl! Mei Seferl!
Seferl wieder geiaſey: Wißt Ihr,
Vater. Wegn den Pold! fein Gicht
tauf Jungpoldl deutend) wär mir nöt lo
viel dran, da wüjst ih mir Schönere
Vater iS, der jo brav auf feine Leut
haut, der jo a guater gwegner Hause
vater is, der fei Weib fo treu und
innig liabt, Hab ih mir denkt, der
Jungpoldl eisängy: Meiner Sir. | Junge wird a nit weit auf die Seitn
Is richtig wahr a.
Seferl: Und haft mir nit afagt, |
al sic 'mih jo, daſs den Boldl a
ih ſoll unfern Vadern a boamliche
Freud machn — ih foll ihn was
bringn.
vor n febn laſſn Suppu efin. (Swentt aus
der Flaſche Wein in die Arügeln, wobei fie verhalten
ſchluchzt.
Nandl cherztich: Mei liaba Mann! |
Verzeih mir! Ih hab auf den heutign
Tag in die Seel eini vergeſſn. Eehnt
fh an feine Echulter.)
(Faft weinend;) md jeb hab ih
mei ganz Geld für n Wein hergebn
hr und Hiakt möcht der Vater:
fallır. «Weinend) Und drum hab ih Euern
Bold! jo viel gern und drum kränkt 3
Andre
friagn ſoll — und — mit ih. (Weint)
Boldibaner cherztich- Alfo, Seferl!
(Feeudig) Für mih haft den Wein kauft?
Seferl werpriegtihr: Für wen denn
junft? Ih mag dos Gfchlader eh nit.
(Berdedt mit dem Fürtuch das Geſicht.)
Nandl wie ein Krügel genommen bat,
herzlich): Mei liaber Mann! Gott foll did
noh lang und gſund erhalt! Etoßt an.)
SJungpoldl: Vater! Habt a
Einſehn! Schaut! — So wia unfere
330
Ahndl-Leut glüdli neben uns lebn — Alsdann, Seferl! Mir haft den Wein
fo möcht ih habn, daſs a umfre Kinder bracht? No — ib will dir ihn nit
Ent auf mn Händn umtragn.
Redl Commt mit einem Arügel): Schwie⸗ |
gerfohn! Sei guat! Gib nah! Sag
Ja! (Etopt ann Gfundheit! Sollſt lebn!
Sollft mih auſſiſtechn! Sollſt noh
länger lebn! Sollſt noh älter werdn
als wia ih! Stoßt zitlernd an.)
Lies!l clommt jitternd vor):
a anſtößn! Ih bitt!
Arügel an.)
Poldlbaner: Mei liabe Liesl—
Muatter, Geſundheit! (Stoßt an. Innis
Mit mir
Stoßt mit ihrem
bewegt) ZH danl Euch, Leut! Gu Randn |
Ih dank dir, liabs Weib. Mir is recht
wohl um s Herz! — (Fir is) Wer van
jo a frohe Stund bereitn kann, (auf
jeine Bruft Mopfend) der hat was da drein.
lang ſchuldig bleib! (Ruf) Poldi! Am
Sunntog geht mit ihr zum Pfarrer.
Jungpoldlum Sefer! (rufen
feli): Water!
Nandl: Mei linba, guata Poldl!
Poldlbauer däsend: Was du
willft, das muaſs halt gfchehn.
Nandl (reundlich: Aber nur im
Guatn.
Liest: Der Poldlvater is a Engl!
H ias : «der bis dahin, ohne ſich um Die
Vorgänge zu tümmern, unausgeicht gegeſſen bat,
ergreift ein Arügel und ruft): Gejundheit,
Mater! (Zrintt, bit der Borhang gefallen if.)
| Alle (rufen): Vivat!
| (Borhang fällt rajd.)
Karl der Große.
Ein Wunderliches aus dem Dorfe von 9. R. Bofegger.
farm
Er arl Oberbergbreitebner war fo
groß, dajs der Wi feiner
machen wollte, einen Langen und eimen
Diden. Wäre noch auf einen Dritten
etwas übrig geblieben, fo hätte ich für
einen Klugen geftimmt. Karls Gehirn
war enimeder jo klein, wie bei einem
Huhn, oder jo groß, wie bei einen
Büffel. Doch hatte er fein Lebtag nie
etwas Dummes gejagt, denn er ſprach
nicht viel, Hatte faum etwas Albernes
gedacht, denn er dachte nicht, er han—
delte blog. Er hätte aber auch das
tollfte Zeug ſchwatzen fönnen, feine
Körperftärte war jo groß, daſs er
faum viel Widerfpruch erfahren haben
dürfte. Zwei derbe Arme find eine
doppelte Beweisführung.
Karl war der Sohn des Dorf:
gieng mit diefem, einem kümmerlich
‚Heinen und hageren Männlein, auf der
Dorfgenofjen zwei aus ihm Stör um, von Hof zu Hof. Seit fein
Karl groß geworden war, konnte das
Meifterlein die entlegenften Höfe auch
zur Winterszeit bei Schnee und Sturm
befuchen. „Bad mich, Karl!“ fagte er,
und Karl nahm ihn auf den Rüden
oder unter die Achjel und trug ihm
gemächlich bergauf und thalab; doch
mufste der Heine Alte dem großen
Jungen fortwährend den Weg zeigen
und ihn auf denjelben dahinleiten.
Karl konnte nicht Kleider anmeſſen,
‚nicht zuichneiden, überhaupt ſelbſt—
ſtändig nichts fertig machen. „Das
nähe!“ fagte fein Vater, und er nähte
es, aber auch um keinen Stich mehr
und keinen weniger.
ſagte ſein Vater, und wenn er ihm
„Das biegle!“
ſchneidermeiſters, hatte das ehrſame eine lebendige Katze hingehalten, ſo
Handwerk des Vaters gelernt und hätte er fie gebiegelt. Wozu das Nähen
und wozu das Biegeln? ch glaube
nicht, dafs Karl jemals auch nur im
Gedanken darnach gefragt Hatte. Wa:
rum auch ?
Aber die Leute jchäßten feinen
Mert. Wenn irgendwo ein großer
Dolzblod zu schleifen, ein jchwerer
Stein zu wälzen oder eine Kohlen—
tracht zu fchleppen oder eine andere
Lajt zu bewältigen war, fo fhidte
man nad dem Schneider. Eines Tages
Hatte unten in der Engſchlucht des
Richterbauers Kuh gekalbt. Karl Ober-
bergbreitebner ward erſucht, daſs er
hinabgehe und das Kalb den fteilen
Dang herauftrage. Er nahm einen
großen Kohlenkorb, ftieg in die Schlucht,
und bradte das Halb und die Kuh.
Sie wollten nicht auseinander, meinte
er, und fo habe er fie gleich beide
genommen.
Da kaın eines Tages eine Stadt-
berrichaft ind Dorf gefahren, mit der
Abit, den Hochſtandel zu befteigen.
Nun war aber der Hocdftandel ein
Hattliher Berg und die Dame der
Herrſchaft eine ftattlihe Frau, ein
Gleich und Gleich, das ſich nicht gerne
gejellt. Ein alter, magerer Herr und
die zwei munteren Qöchterlein waren
mutbig, die ftattliche Frau jedoch lieh
Umfrage halten nah einem Wagen,
um auf den Hochſtandel zu fahren.
Mägen leide der Berg nicht, wurde
ihr gefagt, Maulthiere, Ejel, oder der—
gleichen zum Reiten ſeien auch nicht
vorhanden, hingegen lebe im Orte ein
Schneider, welcher die Stelle genannter
Vierfüßler recht gern übernehme und
die Fran auf den Schönen Berg tragen
molle. — Ein Schneider! Die vierfältige
Herrſchaft rümpfte die Nafe, lieh aber
doch den Mann holen. Diejer erichien
mit feinem riefigen Kohlenkorbe, defien
Boden er mit Reifig bededt hatte, jo
daſs ein gar einladendes Neſt ward.
Als ihm dargethan ward, um was e3
fih Handle, nahm er zuerft den großen
Pad mit Ejswaren, legte ihn hinein,
dann nahm er ohne Umftände die
Dame und Hob fie in den Korb;
nahm Hierauf eines der Fräulein und
hob fie in den Korb, nahm hernach
das andere Fräulein und bob fie in
den Korb. „So“, murmelte er, „jebt
thut ſich's, jetzt brauch’ ich nur noch
etwas zum Feſtkeilen.“ Nahm auch den
alten Herrn her und ſteckte ihn zu ſeiner
werten Familie in den Korb. Danı
padte er fi die ganze Bergpartie
auf den Rüden und ftieg langjam aır.
Die beiden Stadtfränlein gehörten
zur Gattung der Badfische, fie fürch—
teten ſich daher gleih anfangs vor
dem Riefen und Hatten Angft davor,
daſs er ſie unterwegs ermorden würde,
Das Ungethüm zeigte fich jedoch über:
rafhend Harmlos, es gieng mit dein
Rückkorbe fachte den fonnigen Hang
binan und pflüdte Erobeeren. Ohne
mündliche Artigfeiten warf er zwei
Erdbeerfträußchen Hinter fih in den
Korb. Die Fräulein verftanden das
fo, als ſollte es für fie eine Kleine
Aufmerkſamkeit fein, fie nafchten daher
die Beeren von dem Strauß und über-
legten jedes für ſich, ob man fi in
diejen gewaltigen und doch fo netten
Manı nicht verlieben könne? Mittlers
weile twinmerte die Frau Mama in
ihrer Einpfropfung und der Herr Papa
hielt eine Borlefung über die Natur—
kraft.
Nah drei Stunden waren fie dort,
wo e3 nach allen Seiten abwärts geht,
und wo man ftehen muſs, wenn man
nachträglih will jagen können, wir
ftanden zweitaujend Meter hoch über
dem Meere. — Karl Oberbergbreit:
ebner gieng immer vorwärts, als ob
er ohne Säumen in die freien Lüfte
weiter Steigen oder auf der anderen
Bergjeite wieder hinabgehen wollte.
Die Bergpartie im Korbe muſste ihm
ein vierfach donnerndes Halt! zurufen,
bis er ftehen blieb. Alſo ftellte er den
Korb auf das Geftein, die Inſaſſen
ftiegen mit vieler Umftändlichleit aus
und trieben fich die Beine. Während
Karl zurüdblieb beim Korb, juchte die
Derrichaft den Schönften Ausſichtspunkt
und das würdige Oberhaupt erklärte
BR.
die Fernſicht. Sie wäre furchtbar
hübſch, erklärte Frau Mama, während
die Fräulein auf Steinblöden ſaßen
und in ihre Tagebücher frigelten, wie
das reizend geweſen wäre auf dem
Hochſtandel, ein junger ſchöner Mann
habe fie alle zufammen hinaufgetragen,
oben hätten fie dann die Ausſicht au—
gejehen und einen guten, reichlichen
Imbiſs eingenommen.
Auch Fran Mama erinnerte fich
daran, dafs es Zeit wäre zum Jmbifs,
und fie riefen dem Karl, der Hinter
einer Felswand gelegen war, dafs er
mit dem Korbe herüberfommen folle,
Karl kam mit den Korbe herüber,
aber e3 war nichts drinnen, als Reilig.
„Wo ift der Pad mit den Spei-
jen ?* fragte die Dame.
Karl ſchaute fie mit einigem Be-
fremden an und antwortete: „Der
Pad? Der ift nicht mehr.“
„Um Gotteswillen, er war ja im
Korbe !*
„Ich habe ihn Herausgethan“, fagte
Karl.
„So hole ihn!”
„Er ift halt nicht mehr.“
„Was ift mit ihm geſchehen?“
„Weiter nichts“, antwortete Karl,
„aufgegeſſen habe ih ihn ſchon.“
„Ungeheuer!* Ein vierfacder
zurüdgelommen war und der Papa
den Karl nach dem Trägerlohn fragte,
bedeutete der Große, es fei nichts, es
zahle ſich nicht aus.
E3 waren fehr vornehme Leute
aus der Stadt, und jo gering waren
fie in ihrem Leben nicht geichäßt
worden, als von diefem Schneider. —
Wenn Karl ſechs Tage lang bei
der Nadel gejeilen war, wujste er am
Samstag nicht mehr, wohin mit jeiner
Kraft. Da fiel es ihm ein, dafs es
jeine ganz gute Erholung fein müſſe,
‚wenn er am Sonntag Steine auf den
hohen Standel tragen würde. Die
Steine waren vom Berge ja herab—
geloflert, weshalb follten fie micht
wieder Hinaufgetragen werden? Als
er jedoch mit feiner Ladung zu den
Almen hinaufgekommen war, brach der
Kohlenkorb, und die Steine follerten
wieder thalwärts. Als fie in hoben
Sätzen dahinfausten und bei ihrem
Auffallen tief in den Boden ſchlugen,
daſs Hier Sand emporjprang, dort
Funken aufſtoben, erſcholl ein Heller
Schrei. Karl blickte Hin und ſah eine
Kleine Senmerin, die Gras ſchnitt. Das
Dirnlein war jo niedlich und zart,
dafs die Arbeit nur mit Mühe und
Anftrengung von ftatten gieng. Nun
geſchah es, daſs Karl zu ihm Hintrat,
Schredensruf war's, gräjstich genug, aber nicht um die Kleine in den Sad
dafs Karl der Große dor Grauen um- zu fteden, fondern um unter Stottern
fallen konnte; aber er ſtand. Ganz und Mühen zu fragen, ob fie fein
rubig und ſchlicht ftand er da und
biidte fo treuherzig drein, als ob nichts
gefchehen wäre,
Die Fräulein fielen den Eltern
um den Hals und riefen: „Water!
Mutter! Wir müſſen Hunger: fterben
auf diefem Berge!“
Nun war Karl fehler verzagt und
meinte, er babe nicht gewufst, dajs
das Eſſen fir die anderen wäre. Sie
jollten aber nur rasch wieder in den
Korb ſteigen, dajs er fie hinabbringen
fönne, bevor ſie ganz verhungerten,
Na, das war doch Hug! Und alfo
it e& auch geichehen. Da die Herr:
ſchaft glüdlih in das Dorfwirtshaus
Schatz jein wolle?
| Das Dirnlein antwortete natürlich,
daſs er ihr für Einen zu viel fei,
und dais fie Zwei nicht brauche.
| Als fie hernach in die Sennhütte
'gieng, ſchlich ihr der Große trotzdem
nad. Aber als er zur Thür kam, da
‚plagte es. Dieje war nicht allein viel
zu miedrig, Jondern auch viel zu ſchmal;
er wand ſich zwar Hinein, aber die
Thürpfoſten ächzten. Drinnen jtand er
mit tiefgebeugtem Haupte vor der
Kleinen, denn aufrecht jtehend hätte
fein Kopf duch die morfchen Boden
breiter ein Loch gebohrt hinauf in den
Dachraum, wo das Heu war. Alfo in
333
demüthiger Haltung fragte er fie noch
einmal, und fie antwortete ihm ſpott—
weile, ein Schneider fei ihr zu windig.
Karl ſetzte ſich ruhig auf einen
Schemel, da knickte diefer ein, mit
zwei Füßen zugleih, und Starl der
Große lag mit gefrümmten Beinen
ungefüg auf der Erde. Die Sennerin
war ein geicheites Dirnlein und dachte:
Die ſchwerſten Baumſtämme können
ihm nichts anhaben und ein arınfeliges
Fußſchemlein bringt ihm zum Falle.
So fteht e3 mit diefen Starten Män—
nern. — Sie foppte ihn weiter, da
meinte er lächelnd, er würde ihr noch
einmal etwas Schlimmes anthun,
wenn fie jo arg gegen ihn wäre.
„Haſcherlein, was fannft denn du
mir anthun ?* fragte die Kleine den
Großen.
„Ich?“ ſagte er, „dieweilen du ein—
mal auf der Wieſe biſt, trag’ ich dir
deine Hütten davon. Chriſtel, was thuft
denn nachher, he?!”
„sa“, rief fie, „nachher lauf’ ich
dir mit einer Brennefjel nach, bis du
die Hütten fallen lajst!“
Karl ſchwieg. Bor Brennelfeln
hatte er immer Grauen empfunden
und er befchlofs, das Dirnlein nicht
mehr zu reizen.
„Nein, ich thu' dir nichts“, ſagte
er gutmüthig, „mich kränkt es recht,
daſs du mich nicht magit, aber thun
ihn' ich dir deswegen doch nichts.“
„Da bift du wohl brav“, ant-
wortete fie, „und Hat auch der Elefant
zur Mücke gejagt, die luſtig in den
Lüften ſummt: «Müdlein, fürcht' dich
mit, ich thu' dir michtE.» — Bill wohl
brav, Karl!“
„Sie hat gejagt, ich bin brav.
So mag fie mich ja.” — Mit diefem
tröftlichen und wirklich logiſchen Ge—
dankenanflug ſtieg er vom Berge herab.
Als das Gerede umgieng, der
Schneider Karl wolle heiraten, rief
ſein Vater, das Meiſterlein: „Wie
kann denn der heiraten! Kann ja fein
Weib ernähren.“
„Wer eins ertragen kann, wird
auch eins ernähren können“, antwortet:
der Bfarrer, welchem Deiraten, Kinds—
taufen und Todesfälle ſtets willkommen
ſein durften.
„Er kann nichts als tragen, ziehen
und ſchieben“, geſtand der Baier,
Dierauf ein Bauer: „Das it ja
genug. Kann mein Ochſe auch mit
mehr und baut mir doch den Ader an,
Halt geleitet muſs er werden.”
Wie? Der Karl Oberbergbreitebner
will ſich beweiben? Da wollen wir
den baumftarfen Kerl doch beſſer nutzen.
Soldat werden! ſagt die Militärs
behörde, Vaterland vertheidigen! ſagt
fie. In das Feld marschieren! jagt Nie,
Der Nede hebt an zu jagen. Im Felde
thun fie ja Schießen und ftehen! Bit
es nicht jo? Thun fie im Felde nicht
ſchießen und ſtechen? Und wir find
ja in einer biel größeren Gefahr, als
|jeber andere, weil wir hoch und breit
gewachfen ſehr leicht zu treffen find. —
Und da ſage man noch einmal, daſs
Karl nicht tieffinnig denken könne!
Drei Wochen war er bei den Sol—
daten, al3 endlich der Hauptmann laut
ward: „Mit diefem Lümmel iſt ja
nichts anzufangen! Er hat in feiner
Montur Plab und beim Erercieren!
Gott, beim Exercieren iſt er viel zu
ftabil, Wo er fteht, da fteht er, und
e3 bedarf vieler Kraft und Strategie,
wm ihn in Bewegung zu ſetzen. Mar:
ichiert er, fo marfchiert er und findet
nicht leicht einen hinreiihenden Grund,
um nach rechts oder links kehrt zu
machen, oder gar ftehen zu bleiben.
Wenn ſich der alte Derfules einmal
‚penfionieren läjst, jo mag der Karl
Oberbergbreitebner angeitellt werden
‚zum Weltfugeltragen — bei den Sol—
‚daten können wir ihn nicht brauchen.“
Nun kam Karl wieder Heim und
klagte es feiner kleinen Sennerin:
„Sie ſagen, ſie könnten mich nicht
brauchen.”
„Das will ich doch jehen!“ rief
‚die Stleine, „Ipute dich zum Pfarrer
und jag’, ich wollt’ dich heiraten in
vierzehn Tagen. Marſch!“
334
Die Leute fchüttelten den Kopf,
und warum follten fie es nicht, es
war ja der ihrige, und nicht der des
Heinen Almdirndels, im welchem be—
fondere Pläne mwebten. Wer pachtete
denn das Straßenhäufel am Fuße des
Sattelbergs? Die Heine Chriftel
pachtete. Wer vertröftete den Eigen»
thiimer mit dem Pachte auf das nächte
Jahr, bis man ſich mit dem Vorſpann—
fuhrwerk Geld verdient haben würde?
Die Heine Chriftel vertröftete. Und
wer hatte kein Pferd und feinen Ochien,
al& er Vorſpann leiften follte über den
Sattelberg? Die Heine Chriſtel hatte
nicht. Wer aber fpannte der Kohlen—
und der Roheiſenfuhr und den ſchweren
Neilewagen den jungen Ehemann vor
über den Sattelberg? Die Heine Chriftel
ſpannte vor. Jawohl, die Heine Frau
Oberbergbreitebner ſpannte den jungen
Oberbergbreitebner vor und diefer zog
im Bereine mit Pferden und Ochlen
tapfer an; die Pferde und Ochſen
waren höchſt verwundert, einen zwei—
beinigen Genofjen an ihrem Geſpann
zu jehen, und fie mujsten ſich ſehr
zufamnmennehmen, um don ihm wicht
bejhämt zu werben.
Die Föhnung, welche Klein Ehriftel
für ſolche Borfpann einzog, berechnete
lie auf eine Pferdetraft, und fie be=
gegnete damit feiner Oppofition.
Hatte fie den Karl zuhaufe, jo
hegte und pflegte fie ihn mit alleın
Nothwendigen, damit er geſund und
ftart bliebe. Er war ihr Capital, und
Karl fühlte fich jehr gehoben, nun eine
feiner Natur entjprechende Thätigkeit
gefunden zu haben. Chriſtel mietete
auch einen Ader, und da fonnte man
jeben, wie fie Hinten amı- Pfluge drein-
gieng, ihn führte und das Zuggeipann
mit Di und Bott leitete. Das Zug—
geſpann war ihr Karl.
Alſo gieng es nun in Eintracht
und gemeinmüßiger Wirkſamkeit voran.
Da gefchah etwas Unerwartetes, Zwi—
ihen dem Heimatsdorfe des Karl
Therbergbreitebner, welches Lehbach
hieß, umd dem Nachbarsorte Standels
a nn re
egg, war ein Streit ausgebrochen.
Es lag nämlich zwifchen diefen Orten
die feine Gemeinde Hüttel, deren
Inſaſſen „lebendige Lehbacher und
todte Staudelegger” waren. Mit ihren
Kirhengängen, Hochzeiten, Taufen,
Geſchäften u. ſ. w. kamen fie nämlich
nach Lehbach herüber, ihre Leichen
gehörten jedoh auf den Kirchhof
des Heinen und nähergelegenen Stan»
delegg. Als dur die Gemeindes
Autonomie die Dörfer zum Gebrauche
ihrer Bernunft kamen, fagten die
Standelegger: Wenn die Hüttler
lebendigerweife nach Lehbach neigen,
jo brauchen wir fie auch todterweife
nicht. Mit den Behörden ließ Jich
nichts anfangen, dieje jagten, «3 habe
zu bleiben, wie es bisher gewejen,
und fo ſahen die beiden Ortjihafteır,
fie müjsten die Angelegenheit unter fich
enticheiden. Mit Schreien und Streiten
gieng es nicht, das Hatten fie jchon
erfahren; alfo ſchlug ein kluger Kopf
vor, Lehbah und Standelegg jollten
durch Krieg entjcheiden, wie Deutſch—
land und Frankreich entjchieden Hätten,
nämlich tapfer mit einander raufen,
und der Stärkere fei der Sieger.
Aber nicht etwa jo dumm, wie es die
Reihe machten, wo ganze Völker an—
eineinderpraflten und ſich gegenfeitig
duch Mord und Brand jchredbar zu—
grunde richteten, ſondern vielmehr jo,
dafs jedes der beiden Dörfer einen
Mann auf den Kampfplatz ſchicke. Die
beiden hätten miteinander ohne Waffe,
nur mit ihren natürlichen Gliedern
und förperlichen Fähigkeiten zu ringen,
und. der zuerft falle, deifen Gemeinde
jei die beſiegte.
Das wurde abgemadht. Alſo hielt
die Dorfgemeinde Lehbach Umſchau
nach ihrem ftärkjten Danne, und na—
türlih fiel die Wahl auf Karl den
Großen.
„Ja, ja“, fagte diefer, „wenn ihr
wollt, ih thus Schon. Will ſchon
raufen.“ That aber weiter nichts des—
gleichen, als ob die Wahl ihn freue
oder aufrege, und ganz gleichmüthig
—
trottete er an dem beſtimmten Tage
anf den Kampfplatz. Siegte Karl, jo
gab es in der Zwifchengemeinde Hüttel
wie biöher, lebendige Lehbacher und
todte Standelegger. Siegte der von
Standelegg gefandte Streiter, jo follte
Hüttel fürderhin auch bei lebendigen
Leibe, mit feinen Kirchgängen, Hoch—
zeiten, Kindstaufen und Gejchäften den
Standeleggern zu eigen fein. Der
Standelegger Kämpfer war ein ganz
gefüger, rühriger Zijchlergefelle, mit
dem ein Karl Oberbergbreitebner yang=
ball jpielt. Aber bevor die hellen Haufen
der Zuſchauer und Zeugen fih nod
recht verfammelt Hatten, lag der Karl
ſchon im Sande, der Tijchlergefelle |
ſaß feftgellammert auf feiner mächtigen |
Bruft und zündete ſich eine Pfeife an.
Der Karl blieb ganz ruhig liegen
und horchte gelaffen dem Gejchrei der
Menge, die ihn verlachte und den
Gegner bejubelte. Erſt als Klein EHriftel
fam, ward es anders mit ihm. Todten—
blaſs im Gefichte, ganz leife flüfternd
befahl fie, dafs er aufftehe. Alſo be=
gann er mit Händen und Füßen Ans
ftalten zu treffen, dafs er ſich exrhebe,
und Schon nach drei Dlinuten war es
fo weit, dafs die Kleine den Großen
vor Sich Hertreiben fonnte gegen das
Stragenhäufel. Die lebendigen Hüt—
teler waren für Lehbach veripielt, alle
Schmach entlud ſich über das arme
Straienhäufel und es jchien fein
Mittel mehr zu geben, die Ehre des
Großen wieder herzuftellen.
Da kam ein ſchwerer Winter. Der
Schnee lag mannshoch in der Gegend
undalle Wege waren geichloffen. Seitdem
die luftigen Hütteler nicht mehr nad
Lehbach famen, gieng e3 bier vecht
Standelegg gehen könnten; fie waren
eingemanert in ihrem Dorfe Hüttel,
Es nahten die Faſchingstage. Zu dieſer
Zeit fagte eines Tages Klein Chriſtel
zu ihrem Großen: „Sarl, mach dic)
‚auf und geh hinüber nah Hüttel.
Geh Heute hinüber und morgen wieder
zurück.“
Karl fragte nicht warum; er ver—
zehrte eine weite Schüſſel Heidenbrei,
dann gieng er nad) Hüttel. Der Schnee
reichte ihn bis an die Bruft, der Karl
ſchob ſich langjam voran und Hinter
ihm war eine tiefe breite Furche. Am
‚nächften Tage kam er wieder zurüd,
und Hinter ihm her zog eine lange
Reihe fafhingsluftiger Hütteler, Männ—
lein und Weiblein, die bei dem frifch-
getretenen Pfad nad Lehbach eilten,
um im Wirtshaufe zu tanzen, zu eflen,
zu trinken und beim Kaufmann Les
bensmittel einzulaufen.
Nun erſt merkten die Leute von
Lehbach, was Karl der Große als
Scneepflug bedeutete, und als ſolchen
ımieteten fie ihn von Klein Chriftel,
‚To oft im Winter die Pfade verfchneit
‚waren zwijchen Lehbah und Hüttel.
Alſo gewöhnten die Hütteler fich neuer—
‚dings an Lehbach, jie waren wieder
' „lebendige Lehbacher und todte Stan-
‚delegger“.
Klein EhHriftel konnte fich wieder
‚freuen an ihrem Karl; ihr Anjehen
und der Wohljtand ihres Haufes wuchs.
Sie wäre in der Lage gewejen, eine
junge Familie zu ernähren, allein dieje
war nicht da und kam nicht, und es
‚tft jammerjchade, daſs weder die Heine,
fleißige und kluge Ehriftel, noch der
große Karl fortgepflanzt werden. Die
Zukunft könnte beide brauchen, und
langweilig zu nnd man tröftete fich | zwar zufammen vermählt; mit Klug—
nur mit dem Gedanken, daßs fie bei | heit allein, oder mit Kraft allein läjst
dem großen Schnee auch nicht nad ſich doch nicht viel machen.
336
Das Wunderkind.
Ein novelliftifches Sittenbild von Olga Wohlbrüc.*)
2
mir
F ie Geſellſchaft beim Commerzien-
“6, &..... befand ſich
s geipannter Erwartung.
Der Hausherr hatte feinen Gäften
einen ganz befonderen Genujs in Aus»
ficht geftellt: Der Heine Iad Pröhn
jollte den nenen Bechftein’Tchen Flügel,
der bare dreitaufend Mark gefoftet,
einweihen.
barſten aller Wunderkinder, das von
Stadt zu Stadt zog und in allen
Aufſehen erregte.
hierherlommen. — Oh, ih bin über |
zeugt, mein verehrter Herr Profeſſor,
in
mächtige Lorbeerkränze eintrugen. Als
Mann von Melt, großer Bildung
‚und jcharfem Berltande war er in
allen Streifen der Refidenz gerne ge:
jehen und genoſs bei einem ſorgen—
loſen, behaglichen Leben alle Vortheile
einer localen Berühmtheit. Nichts
natürlicher daher, als dafs er ſich voll:
‚fommen befriedigt fühlte umd feinen
Wer kannte den Heinen Jad Pröhn
mit! Seit Monaten Sprachen ſämmt-
liche Zeitungen von diefem wunder:
normalen Entwidelungsgang für den
einzig richtigen hielt. Blendende Vir—
ofen erichienen ihm unkünſtleriſch,
‚und gegen Wunderkinder hatte er eine
ausgeſprochene Abneigung.
Goncerten wie Privatjoireen das größte |
Diefe früheſten Notenjongleure,
wie er fie nannte, betrachtete er als
„Denken Sie fih, der Junge iſt
faum fehs Jahre alt und fpielt und.
improvijiert wie ein Heiner Hexenz |
künſtler. Es war auch gar nicht leicht, |
feiner habhaft zu werden, jpielt er
doch eben beim Prinzen Ludwig, darum ,
fann er auch erft in fpäter Stunde
auch Sie werden ihre Freude an dem
Bengel Haben“, wendete fih der Com—
merzienrath nun jpeziel an einen
Mann in den beiten Jahren, deſſen
kluge blaue Augen jeden durchdringend
anblidten.
Der Angeſprochene,
Hünengeltalt, war ein gediegener
Mufiter in angefehener jocialer Stel:
lung. Er wirkte als Profeflor an der
Hochſchule und gab alljährlich zwei
Goncerte, die ihm von der localen
Preſſe glänzende Kritiken, und von
ſeinen vielen Schülern und Freunden
eine krankhafte Erſcheinung unſeres
überreizten Jahrhunderts.
„Je beſſer einer ſpielt, deſto un—
behaglicher wird mir zumuth“, ſagte
der Profeſſor; „ich höre bei jeder
glänzenden Paſſage förmlich jede Ohr—
feige heraus, die der arme Knirps
befommen, gleichwie ich im Circus bei
jeden beklatſchten Kunſtſtück eines
drejlierten Pudels unwillkürlich an die
"Diebe denken muſs, die jeine Aus—
ı bildung gefördert.“
Der Profeſſor hatte mit wahrem
Ingrimm geſprochen, denn er war im
Gegenſatz zu den übrigen Gäften nicht
eine wahre:
jeher entzüdt von der Ausjicht, den
berühinten Heinen Jad zu hören.
Eine Dame rief fcherzend:
„Sie find doch nicht etwa eifer-
füchtig auf unfer Wunderkind?“
Der Profeſſor blidte betroffen auf
die Schöne Sprecherin.
Der Commerzienrath drohte ihm
*) „Aus drei Ländern.” Novelliftiiche Sittenbilder von Olga Wohlbrück. (Stutt:
gart. ©. 3. Göſchen'ſche Verlagshandlung. 1890.) Acht ganz vorzügliche Erzählungen
aus Franfreih, Rußland und Peutihland füllen das genannte Bud, welches als eine
anregende und ergötzliche Lectüre auf das befte empfohlen werden fann.
Die Red.
F j 337
mit dem Finger, die ganze Gejellicyaft
lachte auf, und einige warfen Die
Namen David und Rieje Goliath hin.
Der Profeſſor jprang vom Stuhl
auf und rief mit komischen Pathos:
„Uber ich bitte Sie zu bemerken,
meine Damen, das ich nicht gleich als
Rieſe Goliath auf die Welt gefommen !
Sa, jo unglaublih es auch flingt, ich
war gemwijs ein ebenfolch’ Heiner nied—
licher Junge, wie Jack Pröhn!“
Die Damen läcelten ungläubig,
und eine jagte vorwurfsvoll:
„Aber Sie waren fein Wunder:
tind!”
„Nein, gottlob! Damals ſagte id:
leider!” antwortete der Profeſſor und
fuhr dann nah einer fleinen Paufe,
während der er nachdenklich vor fich
bingeblidt, fort:
„Sie mögen recht haben! Vielleicht
liegt meiner jeigen Antipathie gegen
Wunderkinder ein Gefühl des Neides
zugrunde, das ih als Kind — ich
erinnere mich deutlich — thatſächlich
in hohem Grade empfunden. Ich ſtu—
dierte mit einem ſolchen Wunderknaben
zufammen bei demfelben Profefjor. Ach,
was habe ich bei unjerem gemeinfamen
Emporitreben für Zurüdjegungen und
Kränfungen erlitten. Wie Hafste ich
darım den Heinen Steffi — wir alle
tannten ihn mur unter dem Namen —
der mit jeinen glänzenden jchwarzen
Augen jo ſtolz auf mich berabblidte.
Mas Half mir meine Innerlichleit,
was half es, dafs der Brofejjor meinen
klaſſiſcheren Stil, meine gediegenere
Auffaffung rühmte der kleine,
ihwarze Teufel machte doch alle durch
jeine äußerlide Bravour, fein pri—
delndes, tolles Spiel verrüdt. Man
riſs fih um ihn in allen Gejellichaften,
die Damen nahmen ihn auf den Schoß,
füjsten ihm und fütterten ihm mit
Confect. Mir klopfte man höchſtens
im intimen Kreiſe auf die Schulter
und warf mir ein kühles: Sehr brav!
zu. Dann, als wir zwölf Jahre alt
waren, wurde mein Heiner Kamerad
Roleoger’s „„Grimgarten‘‘, 5. Kell, XV,
— — — — —
———— — —— — — — — — — — — — — — —
von einem Impreſario engagiert,
machte die größten Reifen und wurde
überall wie ein Fürft empfangen. Ich
ſaß währenddeſſen unbekannt und un:
beachtet auf der Hochſchule und ſtu—
dierte. Als ich Steffi nach drei Jahren
wiederſah, begrüßte er mich mit der
Huld eines Monarchen. Er hielt ſich
einen Kammerdiener, bekam Blumen
und Brillanten wie eine Primadonna
und kokettierte mit dem Publicum wie
eine launiſche Theaterprinzeſſin. Ich
ſtudierte immer noch mit Vorliebe die
alten Claſſiker auf meinem alten Pia—
nino und erhielt mich durch Stunden=
geben. Er ſprach fortwährend nur von
feinen beijpiellofen Triumphen in den
verschiedensten Weltitädten, führte be=
ftändig die Namen der Fürften und
Monarchen im Munde, denen er vor—
geführt worden: ich kannte nur meinen
Heimatsort und niemand als die paar
Kunftmäcene, die fi in ihrem Salon
ftundenlang von mir umſonſt vor—
concertieren liegen, um mich zu „fürs
dern’.
„Als ich dann“, fuhr der Profeſſor
fort, „meinen berühmten jungen Col—
legen bat, mir einiges vorzufpielen,
und er dies nad einigem Zaudern
endlich that, da erjchraft ih und —
ich geftehe es offen — freute mich
auch zugleich über die Rüdjchritte, die
er gemacht. Ich bildete mir ein, das
Bublicum, an gute, ernfte Muſik ge:
wöhnt, müfe ihn ablehnen, ihn fühlen
laſſen, daſs er mit fünfzehn Jahren
anderes, Beſſeres zu bieten habe, als
mit zwölf... Ob, ich hätte ihn um—
bringen mögen, als der Abend jeines
eriten Goncertes heranfam und ber
ganze Saal fich wie toll geberdete — als
die Zuhörer in ungerechtfertigter Be—
geifterung ih die Hände mund
Hatichten und mit den Füßen jtampf:
ten, — und als er, der Gefeierte,
dann oben an dem jchändlich profa=
nierten Inſtrumente fand und mit
frecher Selbitgefälligfeit und ſieges—
bewuſstem Lächeln jich verneigte und
mit den Augen grüßte . . . Ich rannte
22
338
wie von Sinnen auf die Strafe und | ih eine Stimme von der Portiere Her
weinte bittere Thränen.“
Der Profeffor ſchwieg, eine Dame
aber fragte nach kurzer Paufe:
„Was ift aus Ihrem Freund ges
worden ?“
Der Profeſſor
Achſeln.
„Ich weiß es nicht! Einige Jahre
drang fein Name, wenn auch immer
feltener, in die Offentlichkeit; die
Kritifen wurden immer fürzer und
unginftiger, die Goncertfäle immer
leerer. Man fand, wie dies meift ber
Fall, dafs der Mann nicht gehalten,
zudte mit den
vernehmen.
Alle wendeten fih um. Niemand
hatte bemerkt, dafs ein Heines, ſchwar—
je3 und fehr dünnes Männchen dem
Knaben auf dem Fuße gefolgt und an
der Schwelle bejcheiden ftehen geblieben
war.
Der Eommerzienrath eilte auf den
Mann zu.
„ber ich bitte, Herr Pröhn, ſetzen
Sie fih doch, verzeihen Sie meine
Unaufmerkſamkeit . . .“
„Oh, das hat nichts zu jagen“,
erwiderte Pröhn in leifem, fchüchter-
was das Kind verfproden, und fü nem Ton und lieg ſich vorſichtig auf
merte ſich ſchließlich gar nicht mehr
um ihn, Deute ift er ganz verjchollen,
vielleicht gar nicht mehr am Leben!“ |
die äußerſte Kante des zunächft ftehenden
Stuhles nieder.
„Der Vater diejes Heinen Wun—
Der Gommerzienrath, der bei der; ders!” ftellte der Commerzienrath vor,
Erzählung des Profefjors unruhig nach! „der glüdliche, beneidenswerte Vater!”
der Thür geblidt, ſprang jebt, als ein
Diener ihm einige Worte zugeflüftert,
auf und rief:
Der Brofeflor rührte ſich nicht aus
‚feiner Ede, aber feine Augen irrten
erſtaunt von dem dürren, ſchüchternen
„Er iſt da, meine Herrſchaften, er Männchen zu dem zierlichen, lebhaften
iſt da!“
Knaben, der mit dem Ausrufe: „Oh,
Dann eilte er hinaus und ließ die wie ſchön!“ an den Flügel herantrat.
Damen und Herren in athemlofer Span-
nung zurüd; fie alle hatten im jelben Au-
genblid den Profeſſor, dem fie biö nun |
mit Interefje zugebört, vergeifen, und!
„Sa, der Ton ift pradtvoll!”
jagte der Commerzienrath ftolz.
„Rein, ich meinte die Verzierun—
diefer felbft vergrub fich, um beſſer IE”, replicierte Jack aufrichtig, indem
und ungeftörter beobachten zu fönnen, |
in eine Sofaede.
„Ach bitte, laſſen Sie mid nur,
ein wenig ausruhen!“ bat ein feines,
helles Stimmchen hinter der Portiöre. |
Die Damen ftürzten hin, theilten Papa murmelte halb entſchuldigend:
die ſchweren Vorhänge und zogen und
zerrten den Heinen Wiunderfnaben, den
er auf die goldenen Arabesten deutete,
die ſich wirkſam von der ſchwarzen
Bolitur des Flügels abhoben.
Alle lachten. Die Damen riefen:
„Oh wie entzüdend !* und nur der
„Es ift ja doch nur ein Kind!“
Mittlerweile hatte man einige
der Gommerzienrath triumphierend bei | ftarte Notenbände auf den Glavierftuhl
der Hand hielt, vollends herein.
jelbe vor, was Sie joeben bei Seiner
Königlichen Hoheit gejpielt?” fragte
der Hausherr.
Der Knabe machte eine Grimaſſe.
„Was, die langweiligen Saden
| gelegt, und Jad ſchwang ſich auf den
„Nicht wahr, Sie Spielen uns das
erhöhten Sitz.
„Was ſoll ich jpielen, Papa?"
fragte er, indem er jeine ausgearbei—
teten Heinen Finger mit einem Batift-
tuch abwijchte.
„Frage doch den Heren Commer—
wollen Sie hören ?" fragte er ent | zienrath”, rieth der Papa.
täufcht.
„Ach, der veriteht nichts davon!“
„Sad, verfündige dich nicht“, lieh | erwiderte Jad freimüthig.
Der Hausherr Hopfte ihm mit der
Dand gutmüthig auf die Schulter.
„Sie haben recht, Kleiner Mann,
in dieſer Beziehung bin ich ein Igno—
rant.“
„Papa, was heißt das: Igno—
rant?* rief Jad feinem Bater zu.
Diefer ftand auf und warf einen
Hilfefuchenden Blid auf die Gejellfchaft.
„Sad, du bift heute wieder ein—
mal unausftehlih, was follen die
Herrſchaften von dir denfen? Spiele
als Einleitung die Bhantafie und Fuge
in F-dur von Bad.”
„Schon wieder eine Fuge!“ feufzte
| „sa, aber nur, was ich mill.“
Der Papa nidte, und nun folgte
ein tolles Durcheinander von eigenen
Improvifationen, von Beethoven, Cho:
pin und Mendelsfohn, dafs die Zur
‚hörer wie in Elſtaſe eine Stunde lang
athemlos lanſchten.
Der Profeſſor, der ſich jetzt eben—
falls dem Clavier genähert, bemerkte,
wie des Kindes Wangen immer röther
wurden, wie ſeine glänzenden ſchwarzen
Augen jäh aufleuchteten und wie er
ſiegesſtolz lächelte, wenn bei einer
ſchwierigen Paſſage ein lautes Ah!
der Bewunderung durch den Raum
Jack und intonierte ein leiſes Präs ſchallte.
ludium.
„Ja, ja, ſo fangen ſie alle an!“
Der Profeſſor, der anfangs miſs- dachte er und ſah im Geiſte wieder
muthig aus ſeiner Ecke herausgelugt,
horchte überraſcht auf, als die erften |
Klänge der Fuge an jein Ohr jchlugen.
den Heinen Steffi vor ſich.
Ihm that der wirklich augergewöhn-
lich begabte Knabe plößlich leid, und
Donnermetter, das ift ja wirklich gute |ein Heiliger Zorn erfajste ihn gegen
Muſik! Und wie ernft der Feine Kerl den Vater, in dem er bloß einen ge—
bei der Sache war, mie gewifienbaft wiſſenloſen Imprefario jah, der fein
er jedem einzelnen Ton gerecht wurde! eigenes Kind zu egoiftifchen Zwecken
Der Vater Hatte fi allmählich | ausbeutete.
näher zum Flügel gefchlichen und — Er warf einen Blick der Verachtung
befriedigt. Dann und wann überflog auf den Platz, wo eben noch das dürre
ſein leuchtender Blick die glänzende | Männchen geſtanden, aber derſelbe fiel
Verſammlung, und höher richtete er auf eine ſchöne Frau, die ihn, da er
ſeinen Kopf auf, den er anfänglich nicht ihr galt, nicht zu deuten wuſste.
ſchüchtern geſenkt. Die Augen des Profeſſors ſchweiften
„Brad, das Haft du heute ——— in eine Niſche des Salons.
gut gemacht.“ Dort ſaß der glückliche, ſtolze Vater!
„Ja“, meinte der Knabe, „aber Aber er ſah in dieſem Moment weder
es ſpielt fih auch gar zu ſchön auf ſtolz noch glüdlih aus; eine große
dem Glavier. Wenn ich groß bin, dann | Belümmernis lag in feinen ſorgen—
werde ih auch ein Commerzienrath vollen Zügen, und er ſchüttelte mehrere—
und faufe mir ſolch' ein Inſtrument!“ ‚male ſein Haupt, als wollte ihm das
„Alſo Sommerzienrath wollen Sie ‚Spiel feines Sohnes durchaus nicht
werden, Heiner Mann?” rief der Haus | gefallen.
herr geichmeichelt. | Der Profeſſor ſchritt auf den felt-
„Sa“, bekräftigte Yad. „Papa ſamen Manı zu.
will zwar, dafs ich ein Mozart werde“, | Diefer ſprang auf, als die recken—
jeßte er nach einer Heinen Paufe jeufzend | hafte Geſtalt fih ihm mäherte, und
hinzu. ſtotterte etwas von Übermüdung und
Alle lachten, und der Bater rang zu viel Muſik.
verzweifelt die Hände. | „Ihr Kleiner hat eine jeltene Aus:
„Du follteft lieber noch etwas | dauer, ein fabelhaftes Gedächtnis und
jpielen“, fagte er, um weiteren Rote |ein fiir fein Alter erftaunliches muſi—
vetäten vorzubeugen. falifches Verſtändnis“, jagte der Pro—
4*
22
340
feffor, um ein Geſpräch einzuleiten,
— „Schade um ihm!“
Herr Pröhn blidte ängſtlich auf.
„Sind Sie Fachmann, mein Herr?“
fragte er unficher.
„Sa, und als folder bedaure ich,
daſs das geniale Kind dem ruhigen,
ernften Studium und firenger, ſach—
licher Kritik entzogen wird,“
Herr Pröhn nidte lebhaft.
„Ach ja, Sie haßen ganz recht!”
Der Profeſſor war auf Widerfprud
gefafst gewefen, die Zuftimmung des
Heinen Männchens befremdete ihn und
flößte ihm Intereſſe ein.
„Ich hoffe, es gelingt uns, fo viel
zu verdienen und zu erfparen, dajs
mein Kind das zu früh begonnene
öffentliche Wirken unterbreden und
einige Jahre forgenlos feiner gründ—
fichen Ausbildung widmen kann. Ich
meine nicht der einjeitigen muſikaliſchen,
fondern jener allgemeinen, ohne die
heutzutage fein großer Künſtler denk—
bar. Sie glauben es nicht, mein Herr,
wie ſchmerzlich mir der Gedanfe tft,
dafs mein geniales Kind möglicher:
weile auf halbem Wege ftehen bleiben
fönnte, wo es doch, danf feinen Fähig—
feiten, berufen ift, bei richtiger Leitung
das Höchfte zu erreichen. Aber mir iſt
nicht bange, gehen auch noch fo viele
Munderlinder zu Grunde, ich hoffe,
aus diefem wunderbaren Finde einft
einen wunderbaren ganzen Künſtler
zu machen!”
Der Profeſſor fühlte fich plößlich
jeltfjam bewegt. Der jehlihte, ernite
Ton des Heinen Mannes hatte eiwas
Nührendes; nur die müden, dunklen
Augen blidten wie jiegesgewiß in die
Zukunft — des Sohnes.
Wo hatte er doch ſchon Früher
diefe Augen gejehen ?
Herr Pröhn legte feine Hand auf
den Arm des Profellors:
„Sehen Sie“, rief er und deutete
auf die Gruppe von Herren und Da—
men, die ſich immer dichter um den
Heinen Virtuoſen drängten und ihn
nad jedem Stüd umarmten, Tüjsten
und Tieblosten — „jeben Sie, da3
geht fo Abend für Abend. Ich habe
dem Kleinen die Loden abjchneiden
müffen, weil ihm die Damen fein
ganzes Haar verjchnigelten. Heutzutage
treiben fie es noch toller, als zu meiner
Seit.“
Herr Pröhn warf einen unmilligen
Blick auf die Geſellſchaft und feufzte
tief auf.
„Sind Sie ſelbſt Muſiker?“ Fragte
der Profeſſor.
Ein intenfives Roth überzog die
hageren Wangen.
„Ja“, ſagte Pröhn leiſe, als
ſchämte er ſich der Antwort, „ja! Das
heißt, jetzt ſpiele ich nicht mehr öffent»
lich, aber als Kind Habe ich viel ge:
jpielt, fehr viel... überall, an den
Höfen, vor dem Kaiſer von Rußland, vor
Napoleon dem Dritten; ja die Kaiſerin
Eugenie hat mich fogar einmal auf
die Stirne gelüſst.“
Der dürre Heine Mann ſchien bei
den Erinnerungen an die Vergangen—
heit förmlich zu wachlen, feine Geſtalt
tete ſich, ſeine Augen bligten und
ſchienen berabzufehen auf den großen,
ftarfen Profeſſor, den plößlich die Ge—
wiſsheit überkam, dafs er den einftigen
Virtuoſen kenne,
„Wo Haben Sie ftudiert?” fragte
er haſtig.
„Studiert? Mein Gott, ich Habe
leider nicht lange ftudiert, bloß bis zu
meinem zwölften Jahr, beim Bias
niften X.“
Der Profeſſor prallte zurüd.
„Dann jind Sie am Ende gar
mein einftiger Mitjchüler, dann find
Sie Steffi, das Wunderfind Steffi...”
„Das war ich“, antwortete Pröhn
leife und ſenkte den Kopf.
Eine peinliche Stille trat ein. Der
Salon war jet ganz leer. Die Ge»
jellichaft, der Muſik überdrüjjig, Hatte
jih in andere Räume zurüdgezogen,
wo Erfrifchungen gereicht wurden und
der Heine Jack mit taufend Kindereien
alle Welt amüſierte. Kein Menſch
dachte mehr an den Vater des gefeier-
3
41
ten Stnaben, auch der beliebte Profefjor
war für den Augenblid vergefjen ; und
fo ftanden fich denn die Männer nad
einen Bierteljahrhundert zum erftenmal
wieder allein gegenüber.
„Ich weiß nicht, ob Sie fich meiner
noch erinnern“, hub der Profefjor nad
einer Weile an.
„Herr G...?“
„Ja, jetzt Profeſſor an der Hoch—
chule.“
Wieder trat eine Pauſe ein.
„Wer hätte geglaubt, daſs mir
uns jo wiederjehen würden!“ rief
Pröhn endlih; „Sie find jebt ein
angejehener Mann, in großer Stellung
und gefierter Exiſtenz; ich bin nichts
mehr al3 ein verfommenes Genie und
gelte nichts für mich ſelbſt. Nur der
Umftand, dafs ich der Vater meines
Sohnes, gibt meinem Dafein nod
eine Sceinberedhtigung. Und dod,
Herr Profeffor, geftehen Sie e3 offen —
als Kind da haben Sie mich gewiſs
ein wenig beneidet ?* fragte der Heine
Mann mit der großen Vergangenheit,
und man ſah es feiner Miene an,
dafs er auf ein Ja Hoffte...
Das verlorene Bdeal.
Novelleite von
4)
u
n jenem Theil der Neuftadt, wo
2535 NO dor wenigen Jahren grüne
e⸗ Wieſen und goldenes Korn den
Albert Schnitter.
|
unten ftoben, und die lederbefhürzten
braunen Gejellen mit fräftigen Schlä-
gen da3 glühende Eifen hämmerten,
jaftigen Boden bededten, ftanden jebt, | oder gar wenn Gertrud, das holde
inmitten parfähnlicher, mit zierlichen | Töchterlein des Meifters, emfiglich im
Eijengittern umfriedeter Gärten, ftolze! Hofe ſchaffend, ein fröhlich Liedlein
Pillen mit ſchlanken Erferthürmchen |fang, dann mufste man unwillkürlich
und biumengeijhmüdten Balkons und
die wenigen, zum Theil nur mit
Stroh gededten, ärmlihen Häuschen,
welche jich noch als Wahrzeichen einer
entſchwindenden Zeit an dieler Stelle
erhalten Hatten, machten den Eindrud,
als ob fie fih gar nicht mehr behag»
lih fühlen Tönnten im dieſer unge—
wohnten, prächtigen Umgebung und
trauerboll der nahen Stunde harrten,
in der auch fie dem veränderten Zeit—
geifte zum Opfer fallen würden,
Und dennoch, wenn man an der
alten Schmiede de3 Meifters Konrad
borübergieng, wo der mächtige Blaje-
balg mit vollen Baden unabläjlig in
die rothen Gluthen blies, daſs hell die
‚die Schritte mäßigen, und Manchem,
‚der um folche Zeit den Blid verglei=
hend in dieſes einfache Stillleben
warf, mochten dabei allerlei Gedanken
dur den Kopf gefahren fein.
Eben tritt das liebliche Mädchen
in einfacher, aber forgfältig gewählter
Kleidung, ein braunes Strohtörbchen
am Arm, durch das offene Hofthor
auf die Straße, um in gewohnter
Weiſe die nöthigen Einkäufe für den
Mittagstiih zu beforgen. Der Weg
‚zum Marktplaße führte fie Durch einige
der belebtejten Straßen der Stadt,
und mandes Auge heftete fich mit
bewunderndem oder wohl auch neidi=
Ihem Blid auf die züchtig dahin
342
ſchreitende ebenmäßige Geſtalt. Gertrud
aber ſchien von all dem keine Notiz
zu nehmen und ſetzte ihren Weg, den
Blick gerade nach vorwärts gerichtet,
unaufhaltſam fort. Nur einmal, als
eine jugendliche Männergeftalt, welche
ihr eben den Weg durchquerte, einen
langen, unbejchreiblich tiefen Blid aus
jeelenvollem Aug’ auf fie warf, da
lächelte ihr blaues Auglein ſchier un—
bemerkbar für Jedermann, und das
zarte Roth ihrer friſchen Wangen
ward um einen Schatten röther, Und
der Einzige, der dies wahrnahm, fühlte
im Herzen unendliche Seligfeit.
Schnellen Schrittes eilte fie ihrem
nächſten Ziel, der Kirche des Ordens
der Franziskaner entgegen, und als
fie es erreicht hatte, trat fie durch eine
Heine Seitenpforte in den geheiligten
Raum und ftellte fih in eine dunkle
Ede, ein kurzes Gebet zu- verrichten;
fie war es jo gewohnt von Jugend
auf. Allein ihre Gedanken waren heute
nicht bei dem Bilde des Gefreuzigten
und feiner jungfräulihen Mutter,
Und als fie fich deshalb zu gehen
wandte, erblidte fie tief im Hinter:
grunde des ftillen Raumes jene Gejtalt,
welche ihr eben früher in den Weg
getreten war. Diejelbe faltete in dieſem
Augenblid wie bittend die Hände und
hob den Blid empor wie zu einer
Heiligen. Und das mufste doch ganz
natürlih und begreiflih erjcheinen,
denn man befand fich ja im Gottes:
haus. Dennoch lächelte Gertrud wieder
faum merklich und meigte leicht das
holde Köpfchen gegen den Boden und
die Geftalt im Hintergrunde empfand
ein Gefühl, fo wonnig und beglüdend,
als ob ihr heikeftes Gebet erhört
würde.
Als das Mädchen zu Haufe ange-
langt war und ihr volles Körbchen
der Küche abgeliefert hatte, warf fie
einen prüfenden Blid in den Wand:
Ipiegel. Das Ergebnis desselben mochte
wohl ein befriedigendes gewejen Sein,
denn als fie fih von ihm wegwandte,
entitrömte ihren Lippen ein fröhlich
a ae ar er ir
Liedlein, Fröhliher und Iuftiger wohl
al3 gewöhnlich, jo dafs in der Schmiede
ein junger Gefelle unwillkürlich von
der Arbeit mwegblidte und neugierig
nad) der Richtung lugte, woher der
fühe Klang erfcholl, wobei es ſich er-
eignete, daſs er fich mit dem jchweren
Hammer fo unglüdlich auf die linfe
Hand ſchlug, dafs er fih eine böje
Verlegung zuzog. Freilich war diejelbe
bald behoben, allein den Schmerz
musste er lange, lange mit fich herum
tragen,
Derjenige aber, der die unfchuldige
Veranlaffung zu des Gefellen Mijs-
geihid war, unterließ es heute, feinem
Zögling, einem jungen Bürjchlein,
das erjt feit kurzer Zeit das Gymna—
fium befuchte, den gewohnten, vormit—
tägigen Wiederholungsunterricht zu
ertheilen, denn er fühlte, daſs er nicht
im Stande war, ſich mit der Erklärung
trodener Regeln aus der lateinischen
Sprade nubbringend zu befallen.
Gottfried lenkte deshalb die Schritte
heimwärts. Allein es litt ihn nicht
lang in der engen, bürftigen Stube.
Er mufste wieder hinaus in den
goldenen Sonnenschein, hinaus im die
freie würzige Dimmelsluft, denn in
jeinem Herzen thronten die bejeligen-
den Wonnen der erften heiligen In—
gendliebe,
Planlos wandelte der glüdliche
Träumer durch die Straßen der Stadt
und immer wiederholte er ſich die
Worte: „Sie hat gelädelt, fie bat
mir genickt!“ als wollte er fie ein—
prägen tief ins pocdende Herz als
ſicheren Talisman gegen jegliches Un—
gemach. Und wie mit magiſcher Ge—
walt zog es ihn hinaus in die Neu—
ſtadt zur beſcheidenen Schmiede, an
der er ſchon jo oft vorbeigegangen
war mit jpähendem Blid und ſehnen—
dem Herzen. Doch fein Bemühen,
das ſüße, blonde Köpfchen hinter den
rothen Neltentöpfen am ebenerdigen
Fenſter zu erfehen, blieb ohne Erfolg
— es mollte jich nicht zeigen. Und
als er fih nach langem, vergeblihen
— — — — — ⸗ —
er
>
Darren endlich erinnerte, dafs es längft
an der Zeit fei, den Mittagstisch auf:
zufuchen, und einen lebten Blid nad
der Schmiede wandte, funfelte ihn unter
dem Thore derjelben ein Augenpaar
jo wild und drohend entgegen, daſs
er unwillkürlich den derben Spazier«
ftod in der Rechten fefter in die Hand
nahm. Und, obwohl ihm jede Furcht
fremd war, fo fühlte er fich doch etwas
beengt, al3 ob dieje mweiterleuchtenden
Augen ein verheerendes Gemitter an—
kündigten.
Nachdem er einſilbig ſein beſchei—
denes Mahl eingenommen Hatte und
fich wieder unter Gottes blauem Him—
mel befand, begann er ernftlich, jeine
Lage zu erwägen, denn nur gefunden
war der Schaß, aber noch nicht ge=
Hoben. Anfängli dachte er, der Ge—
liebten zu fchreiben, ihr feine ſehnenden
Gefühle zu offenbaren und fie zu
bitten, ihm einen. Weg zu weilen,
auf welchem er ihre Bekanntſchaft vor
der Melt machen könnte, denn ihre
Neigung — dachte er — beſitze er
ja: „Sie bat ja gelächelt, fie hat ja
genidt!* Bald aber verwarf er diejen
lan, jchmiedete manchen neuen, um
ihn bald wieder zu veriwerfen und
beſchloſs endlich, eine günftige Gelegen—
heit abzuwarten, um jich ihr zu nähern.
Und fiehe! da qudte fie zwiſchen den
rothen Nelken heraus aus dem eben—
erdigen Fenſter und lächelte mit den
Angen, Und er lüftete pochenden
Herzens den Hut, und fie nidte jo
freundlih, daſs er an ſich halten
mufste, um nicht zu ihre hinzuftürzen
und ihr zu Jagen, dafs — —
Da ſah er in der Schmiede wieder
jenes drohende, funkelnde Augenpaar
wild auf fich gerichtet und jah, wie
Schritte nah der innern Stadt, im
ſchwellenden Herzen das ſüße Jugend-
märchen vom Glüd. Und feine jeligen
Gedanken beſchäftigten ihn jo ange:
legentlich, daſs er feinen Gruß feiner
zahlreihen Belannten von der Uni—
verjität erwiderte und mancher ihm
fopffhüttelnd und mit verwunderter
Miene nadblidte.
Zu Haufe angelangt, jtopfte er
jeine lange Pfeife mit ſchlechtem Knaſter
und erfüllte bald die Stube nicht nur
mit mächtigen Rauchwolfen, jondern
auch mit den hellen Geftalten jeiner
jugendliden Phantafie: Da jah er
die Schöne Heine Gertrud als fein
holdes treues Weibchen neben ſich am
Sofa figend und lächelnd auf ſchneeige
Gardinen weifen und mit dem Finger
drohen, fie werde ihm den nächſten
Kuſs verweigern, wenn er das böje
Pfeifenrauchen im Zimmer nicht aufs
gäbe, Und dann legte er das Schmauch—
rohr beifeite und blidte ſinnend ins
Leere. Und er ſah einen Kleinen
blonden Lockenkopf, einen bausbadigen
Jungen, der ſich bemühte, auf jein
Knie zu MHettern. Der Träumende
bewegte die Hände, al$ ob er dem
Kleinen dabei behilflich fein wollte.
Dann fieng er an, den Fuß Ichaufelnd
zu bewegen. Und an fein Ohr Hang
ein ſilberhelles Kinderlachen.
Da kam die alte Aufwärterin zur
Thüre herein und brachte ihm fein
Abendbrot. Es war nicht reichlich.
Und dennoch! wie gerne hätte er es
mit ihr getheilt! Die Mleine war wohl
nicht verwöhnt? Und auch Sartoffeln
fönnen lieblich munden, wenn Liebe
fie credenzt, obwohl man ihnen heutigen
Tages Aujtern mit Champagner ges
meiniglich vorzieht, ſelbſt wenn der
ſich zwei Fäuſte grimmig ballten. Und kleine Gott mit den Pfeilen weit, weit
wieder nahm er ſeinen Stock feſter in
die Hand und wujste ſich's nicht zu
deuten.
Als Gertrud, nicht ohne wieder
verheißungspoll mit dem Kopfe zu
niden, ihren Pla am Fenſter ver—
laffen hatte, lenkte Gottfried feine
entfernt ift oder der Beichaffungspreis
derſelben mit den paar Grojchen, die
man verdient micht in Einklang mit
ſolchen Genüſſen zu bringen iſt.
Armer Gottfried! und du miſſeſt ſogar
die Butter zu deinen Kartoffeln, um
von deinem fnappen Einkommen einige
344
Kreuzer beifeite legen zu können und
weißt nicht wofür?
„O, ſeit heute weiß ich, wofür!
Bald werde ich meiner Gertrud ein
glattes Ringlein kaufen fönnen, ein
goldenes Neifchen ohne Ende wie die
Liebe. Und dazu bedarf ich des Geldes,
und deshalb mufs ich ſparen!“
„Deiner Gertrud?“ raunte ihm
wieder ein böfer Kobold ins Ohr,
„nimm dich inacht, blöder Träumer,
du lebſt in einer gar luftigen Zeit!“
„Rein, nein!“ wehrte diefer, „hier
hat es feine Gefahr! Sie ift ein gutes,
braves Mädchen — nicht fo wie die
anderen jein mögen — und wird mic
treulich, wahr und innig lieben. Solche
Augen trügen nicht!“
Mit ſolchen Gedanfen gieng er
zu Bette. Und der fanfte Bruder des
Todes küſste freundlich feine Stirne,
Nächften Morgens früh machte er
ih in gewohnter Weife auf den Weg
nad der Univerfität, um einer Vor—
fefung beizumohnen. Als der Profellor
jein philofophifhes Thema beendet
hatte, ſuchte Gottfried die Straße
auf, wo er der Geliebten zu begegnen
hoffte. Er täufchte fih nit: Das
Strohlörbhen am Arm, ſchritt fie
lieblih und züchtig wie immer den
Marktplatz entgegen. Das Herz pochte
ihm bei ihrem Anblid beinahe hörbar.
Ginen Augenblid überlegte er. Dann
trat er, wie durch eine höhere Ein
gebung geleitet, mit dem Hut in der
Hand auf fie zu: „Mein wertes
Fräulein, verzeihen Sie, daſs ich Ihnen
auf offener Straße in den Weg trete,
allein ich muſs Sie ſprechen.“
„Ih darf Sie hier nicht anhören“,
errwiderte Gertrud mit faum hörbarer
Stimme, aber nicht unfreundlich und
ihr Schönes Auge lächelte dabei wie
Morgenfonnenfchein, „Bedenken Sie,
wenn uns jemand fähe!“ Und dabei
blidte fie fich jcheu um, „Ich bin ein
armes Mädchen und Habe nichts als
meinen Ruf,“
„Ihr Ruf, theueres Mädchen, ift
mir heilig, ebenfo heilig wie Ihnen!
Sagen Sie mir deshalb, ich bitte,
ich flehe Sie darum an, wie ih Sie
fennen lernen kann, ohne daſs — —“*
„Seht nicht! Ich werde Ihnen
Mittheilung machen, fobald ſich hiezu
eine pafjende Gelegenheit ergibt. Bis
dahin auf Wiederjehen !”
„Auf Wiederfehen!" Der Jüng—
ling folgte, den Hut noch immer in
der Hand, mit trunfenem Blide der
enteilenden Geftalt, welche ji bald
im Gewühle der gejchäftigen Menge
verlor, um dann wieder bei einem
Sumelenladen aufzutauchen, bei welchen
fie eine Weile in Betrachtung der
blendenden Schäße flehen blieb. „Auf
Wiederſehen!“ Er hätte aufjauchzen
mögen in namenlofer Seligfeit und
der ganzen Welt fein Glück zurufen :
„Auf Wiederſehen!“
Da mwedte ihn aus diejen ſüßen
Traumgedanfen das Geräufch eines
eleganten Wagens, aus der Richtung
fommend, im welcher ſich Gertrud eben
entfernt hatte. Zwei prächtige Schim-
mel zogen das ſchöne Gefährte. Das
Wappenfchild auf dem Schlage desselben
war ftadtbefannt, denn es gehörte
dem jungen, leichtlebigen Fürſten von
Schwarzenegg zu. Diefer, feinen un-
zertrennlichen Begleiter, einen eng—
liſchen Boxer von reinfter Race, an
der Seite, hatte fi mit dem Ober:
förper weit aus dem Fond des offenen
Landauers herausgebeugt und blidte
mit eigenthümlihem Geſichtsausdruck
nad) rückwärts. Er mujste im Vorüber-
fahren wohl etwas gelehen haben, was
feine Aufmerkfamfeit in hohem Grade
erregte.
Gottfried warf ihm einen Blid
zu, der eben nicht gar freundlich oder
gar ehrerbietig war, und gieng mit
gemischten Gefühlen feiner gewohnten
Beihäftigung entgegen.
Unterdeffen war Gertrud in den
Hof des väterlihen Hauſes getreten.
Luftig Sprühten in der Werkftätte die
hellen Funken wie Milliarden Leucht—
fäfer durch den halbdunklen Raum.
Und der Blafebalg blies mit vollen
Baden in das fladernde Feuer umd
die braunen Gefellen hämmerten emfig
da3 rothe Eifen. Einen flüchtigen,
beinahe übermüthigen Blid in die
Schmiede werfend, erhob das Mädchen
heil die Stimme und fang:
„Rußige Hände und rußig Geſicht
Taugen für einen Liebhaber nicht;
Schwärzen beim Küſſen das Kleid und den
Mund,
Machen den Leuten das Stefldihein fund.”
Dann hüpfte fie elaftifchen Schrittes
in das Haus.
Der Gejelle mit der verbundenen
Linten hatte beim Ton ihrer Stimme
den Hammer ruhen gelaffen und
laujchte. Als er die höhnenden Worte
des Kindes vernahm, krampfte ſich
ſein Herz in übergroßem Leid zu—
ſammen. Und in demſelben Augen—
blick war aus einem braven Burſchen
ein ſchlechter Taugenichts geworden.
Dreimal Hatte die Sonne ihre
Bahn durdlaufen, ohne dafs jih in
Gottfrieds Herzensbeziehungen zu Ger—
trııd etwas geändert hätte. Wenn fie
vormittagg nah dem Marliplaße
gieng, jo durchfreuzte er zwar jedes—
mal ihren Weg und lüftete den Hut
und ſchickte einen liebeswarınen Blid
in ihr duftiges Gefichtchen, welches fie
dann freundlich lächelnd neigte, allein
fie nochmals anzujprechen, glaubte er
nicht wagen zu dürfen. Heute aber
vermochte er feiner Sehnſucht nicht
länger zu gebieten und nahm fich vor,
nochmals eine Annäherung herbeizu—
führen. Doch feine Hoffunng ward
getäufcht, fein Fuchendes Auge konnte
fie nicht entdeden.
Traurig und mifjsgeftimmt gieng
er nad längerem, erfolglofen Darren
zu jeinem Zögling und überfegte mit
ihm lateinifche Übungssäge ins Deutfche.
Und als er nad) beicheidener Mittags»
tafel theilnahmslos noch einigen Vor—
trägen an der Univerſität beigewohnt
hatte, machte er fih auf den Weg,
um Gertrud vielleicht an ihrem Fenſter
zu erfehen.
345
Noch Hatte er die Schmiede nicht
erreicht, als er den Gegenftand feiner
innerften Gedanken erblidte: das Mäd—
hen bog eben mit eilenden Schritten
in eine Seitengaffe. Die feinigen be=
flügelnd, war er bald an ihrer Seite.
„Berzeihung“, redete er fie an, „dafs
ih den Muth finde, Sie wieder an—
zufprechen, allein Ihr heutiges Fern—
bleiben von gewohnter Stelle hat mich
beunruhigt. Waren Sie unmwohl ?*
„auch nein,“ antwortete fie mit
unverkennbar verlegenem Geſichtsaus—
druck, „aber ich hatte anderwärts zu
thun.“ Dabei übergoſſen ſich ihre
Wangen wie mit Purpur. Und mit
erzwungenem, ſchelmiſchem Lächeln
ſetzte ſie hinzu: „Haben Sie mich
denn vermiſst?“
„Wie können Sie fragen, Gertrud?
Sagt es Ihnen nicht jeder meiner
Blicke, daſs Sie das Licht meines
Lebens, der Traum meiner Nächte,
das Glück meiner Zukunft ſind?
O Gertrud, wenden Sie nicht den
Blick von mir, ſagen Sie mir, was
ich hoffen darf!“
Gertrud, welche ihn nuruhig und
verlegen, nur mit halbem Ohr zuge—
hört hatte, wandte den Blick ſchen
nach rückwärts. „Sie fragen zu viel
nach ſo flüchtiger Bekanntſchaft“, ant—
wortete ſie ausweichend. „Doch ich
darf Sie nicht länger anhören, ich
könnte — —“
O ſchicken Sie mich nicht wieder
fort, ohne — —“
Gertrud unterbrach ihn beinahe
haſtig: „Ih will Ihnen erlauben,
mir zu chreiben. Wählen Sie meinen
Taufnamen al3 Ehiffre und laſſen Sie
den Brief poftlagern. Und nun Adieu!*
Und in ebenjolher Eile, wie fie diefe
Worte geſprochen hatte, verließ fie den
erftaunt Zurüdbleibenden. „Chiffre —
poftlagern*, ınurmelte er umlehrend.
„Das find ja ganz erftaunliche Kennt-
niffe, die ih von ihre faum voraus—
gejett Hätte!” Aber ſchließlich beruhigte
jer fih, „weiß davon heutzutage jedes
—
Kind. Man mufs nicht immer gleich
das Schlimmfte — —“
Da fausten ihm die prächtigen
Schimmel der wohlbelannten fürjtlichen
Karofje entgegen. Im erften Augen
blid ſchenkte er ihr feine Beachtung.
Danı aber erinnerte er fih, wie nad)
feiner erften Unterredung mit Gertrud
der Fürſt fo auffällig mach der
Richtung geblidt Hatte, in welcher
fie fich bewegte. „Und ihre jegige Uns
ruhe, ihr Erröthen, ihre haltige Eile!”
Der hämiſche Geift milstraniicher
Eiferſucht kletterte jich an jeine Bruft
und flüfterte ins Ohr, der Fürſt ſei
wohl gar im Begriff, dem Mädchen
nahzufahren — am Ende gar zu
einem vderabredeten Stelldihein. Das
Schredensbild bemächtigte ſich feiner
derart, dafs er erbleichte. Im Augen
blide wujste er nicht, was thun?
Dann wollte er nochmals umkehren,
um dem Wagen zu folgen, und Ge—
wiſsheit zu erlangen. Plötzlich aber
blieb er ſtehen und griff ſich nach der
Stirne.
ſcheuliche Gedanken kommen?“ dachte
er. „Es iſt gewiſs nur ein ganz zu—
fälliges Zuſammentreffen von Um—
ſtänden. Und doch — — Aber
nein — Sie iſt erhaben über ſolchen
Verdacht! Pfui, Gottfried, das war
nicht edel gedacht“. Und unzufrieden
mit ſich ſelber, ſchlug er den Weg ein,
den er gekommen.
Noch Hatte er feine weite Strecke
zurücgelegt, als ihm jene Geftalt be=
gegnete, deren unheimlich drohender
Bid ihn Schon zweimal getroffen hatte,
als er an Gertruds Fenſter vorüber—
gieng. Auch jett heftete ſich derjelbe
auf ihn, doch fchien es, als ob heute
der Ausdrud desjelben nur giftigen
Dohn zeigte, Und um die verwahrs
loste Gejtalt verbreitete ſich ein eke—
liger Fuſelgeruch, jo dajs Gottfried
feine Schritte verdoppelte, um der
widerlichen Atmojphäre zu entweichen.
Sonft machte er Jich feine weiteren
Gedanken. Da wurde jeine Aufmerk—
jamfeit neuerdings in Anfpruch ges
„Wie fonnte ich auf jo abe |
‚nommen: In einem Kleinen Vorgärt»
‚hen einer Billa Hatte ein weißes
Käglein eine Maus gefangen und be-
gann mit ihr jenes arge Spiel, das
man nur mit Mitleid für dem armen
Graurock verfolgen kann: Nachdem die
Kate ihre Gefangene mit den Pfoten
tüchtig zerzaust hatte, gab fie ihr die
freiheit, welche das geänftigte Thier-
chen in trippelnder Haft benüßte, um
der gefährlichen Nähe zu entfliehen.
Aber ſchnell krümmte die Feindin den
Budel und machte die Maus mit
jiherem Sprunge wieder zu ihrer
Gefangenen. Und wieder zerzanste fie
das arme Thier mit den Pfoten,
Ichenfte ihm wieder die Freiheit, um
es meuerdings im ihre Gewalt zu
nehmen. Gottfried bob einen Stein
vom Boden auf und fehleuderte ihn
‚gegen die Hape, welche die Flucht er:
griff. Aber das Mäuschen hatte nicht
mehr die Kraft, den Augenblid zu
benützen und mochte wohl elend
zugrunde gegangen fein.
As der Jüngling nachdenklich
fein bejcheidenes Heim erreicht Hatte,
ſandte die Sonne ihre legten goldenen
‚Grüße den Erbbewohnern zu. Burpurn
‚erglänzte der Himmel, und Heiliger
Friede ſchien ſich über die Stadt zu
ſenken. Gottfried blieb fange ſinnend
am offenen Fenster ftehen. Dann nahın
‚er Tinte und Feder, um jeiner Ger:
trud zu Schreiben. Mit flammenden
Worten erzählte er ihr von jeiner
‚Liebe, erzählte, daſs fie zu befiken
‚fein einziges Glüd, fein einziges
Wuünſchen und Streben ſei, dajs er
in micht allzulanger Zeit in der Lage
jein werde, ein ſüßes Weibchen zu
‚ernähren md dann hoffe — — —
Da ſcholl von der Straße herauf
ein wüfter Lärm: In raffelnder Eile
rollten, von raſchen Pferden gezogen,
mehrere Feuerſpritzen über das harte
Sranitpflafter. Dazwischen erſcholl der
grauſe Schredensruf: „Feuer, Feuer!“
Unheimlich fladerten die Pechfackeln
‚im Duntel der Nacht. Dazır das ein
‚tönige Blafen des Fenerfignales und
— 347 — —
das dumpfe Anſchlagen der Feuer— Blick
glocke! Überall öffneten ſich die Fenſter,
und die Antwort auf die hundertfäl—
tige Frage: „Mo brennt es?“ drang
bis an Gottfried Ohr:
Neuftadt!”
Ein entjeßlicher Gedanke durch—
zuckte jein Gehirn. Im tödtlicher Angft
riſs er den Hut vom Nagel und eilte
in ftürmifcher Haft der geliebten
Schmiede entgegen. Burpurroth wölbte
ich der Himmel über ihm. Als er
der Neuftadt näher kam, erblidte er
eine dunkle NRauchläule. über den „Nur nicht Jo laut“, flüfterte der
Giebeln der Häufer und Hoch empor= Geſelle. „Habe Urfache zu wünjchen,
Ichlagende Flammen. Bald war feine daſs mar mich nicht bemerkt. Hahaha!
qualvolle Ahnung zur fchredlichen Ge= Aber was ich dir gejagt habe, betro-
wijsheit: die Schmiede war das Opfer Be Betrüger, fannft du mir glauben.
des entfefjelten, ziügellofen Elementes! Ich Hatte auch gemeint, fie jei ſchon
Mühſam bahnte er ſich duch die zurück, als fi der rothe Hahn auf
gaffende Zufchauermenge einen Weg, die Schmiede ſetzte. Habe mich ver—
wm zu Schauen, zu retten. Die Feuer: rechnet. Aber das andere ift fiher —
drohenden verfolgt hatte.
„Brauchſt nicht zu erjchreden“, ſagte
er mit unterdrüdter heiterer Stimme.
„Dir thue ich nichts mehr, denn du
„In der biſt auch verhöhnt und betrogen wie
ih. Aber jagen mufst’ ich dir das,
Sagen will ich dir auch, dafs fich der
Dimmel verrechnet hat. Die Herzallers
liebte lebt, aber die anderen find todt.
Sie ruht noch im den Armen ihres
Liebhabers und weiß noch gar nicht,
dafs ihr Vater — —“
„Schurke, du lügſt!“
wehr hatte anfänglid das Gebäude hahaha!
zu retten verfucht, bald aber ihre nutz—
Iojen Bemühungen eingefehen und ſich
darauf beſchränkt, die umliegenden Ge—
bäude vor den gefräßigen Feuerzungen
zu beſchützen. Was Gottfried vor jich
jah, war nur mehr ein rauchender
Trümmerhaufen. Er drängt ich näher,
bis ihm ein weiteres Vorgehen ges
wehrt wird, In fiebernder Eile erkun—
digt er fih nad den Bewohnern des
vernichteten Gebäudes. Man weist ihn | — — — — — —
ftumm auf eine Anzahl verftümmelter )
balbverfohlter Leichen. In wilder Ver:
zweiflung wollte er jich auf diejelben
Hürzen, um zu juchen, was er nicht
zu denken wagte, Dod man drängte
ihn zurüd. Halb ohnmächtig wurde er
aus der entjeglichen Nähe gebracht.
Als er ſich abfeits von dem großen
Menſchenknäuel ſah, bemerkte er eine
verlommene Geftalt, die fich ihm mit
Iheuem Blick nach ſeit- und rüdwärts
näberte. Er wollte ihr ausweichen,
allein bald war fie an feiner Seite,
Ein widerliher Schnapsgeruch er—
füllte ihre Umgebung. Gottfried erfannte
in ihr jchaudernd jenen unheimlichen
Ein Fürſt ift freilich mehr
werth als ein Student oder gar als
ein Schmiedgefelle mit rußigen Händen
und rußigem Geficht.“
Gottfried war wieder allein. Er
wollte den Brandleger verfolgen und
ergreifen laſſen, allein feine Kraft
war zu Ende. Wankend, mit ſchwin—
denden Sinnen erreichte er jeine Be:
haufung. Ein heftiges Fieber warf
ihn aufs Lager.
Monate waren vergangen. Da
Ichritt eines Tages eine bleiche, ab—
gehärmte, aber noch jugendliche Geitalt
in die Richtung gegen die Neujtadt.
Bei einem ſchmucken, inmitten einer
unvollendeten Parkanlage gelegenen
vilfenartigen Kleinen Neubau, von
welchem die Gerüfte noch nicht ent—
fernt waren, blieb er wie gebannt
ftehen und blidte lange ſinnend nach
dem hübſchen Gebäude mit ſeinen
Ichlanten Erkerthürmchen und prächtigen
Ballons. Niemand hatte ihm gejagt,
wer der Erbauer dieſes reizenden Hotels
fei, niemand, wer es bewohnen werde.
Uber er wuſste, dafs es ein Geſchenk
Gejellen, der ihn Schon mehrmals mit des Fürften Schwarzenegg für fein
348 _
Ihönes Schätzchen ſei. Er legte die Träumen, feine ganze goldene Jugend
Dand auf den zudenden Herzmuskel. | mit all ihren Idealen, ihrem Glauben
Und mit einem ſchweren, tiefen Seufzer |an die Menfchheit begraben lag, trat
und einem Gefühl im Innern, als
ftünde er auf einem Friedhof, wo all
fein Glüd,
fein Hoffen und ſein
er den einfamen Heimweg an.
Gottfried! Zum Glüde gibt es noch
Andere, Befjere. Nur tapfer aufrecht !
Piebeslieder
von Robert BHamerling.
Merfeßmäßtes (Mittel,
o (1858.)
ch weiß e8 wohl, wenn ich entfernt
dir bliebe,
SEI? Auf lange Tage, ganze lange Wochen, |
° Dein Herzen würde lauter für mich
J—
pochen
Und durch Entbehrung wilchfe beine Liebe. |
Doch ad, wie zähmt’ ich felbft indes die Triebe, |
Die glühend mir in tiefer Seele kochen,
Der ih, an deine traute Thür zu poden,
Nicht gern um eine Stunde nur verichiebe!
Durh meine Qual dein Sehnen anzuregen,
Weit unbequemer ift’s, als traut und leije
Mein Haupt an deine zarte Bruft zu legen.
Auch dünft es mir nicht eben allzumeife,
Entfagen wollen des Befited wegen,
Und zu PERBENEET um den Preis der
Speife.
| Ja, dann!
| (1879.)
„Beh, geb, du bift doch aud ein Dann!
s gibt leinen, den's nicht reute!
Nun hängft du freilih heiß mir an,
Doch ift verfohlt der Liebe Span,
‘Dann jhlägft du did ins Weite!“
Kind, meinft ” — daſs noch bier,
Bevor ſie mich begraben,
Die böſe Liebe läſſst von mir?
Ah dann wär mir erft wohl bei dir —
Wollt’ doppelt lieb did haben!
Bei Bott, nad jo viel Herzensdrang,
VRach jo viel ſchlimmen Keiden,
In meiner Freiheit Überfhwang —
| Blieb ih dir treu mein Xeben lang,
Erſt recht dir treu — vor Freuden!
Neue Runde von Robert Hamerling.
—
5— u jenen glücklichen Meuſchen,
*_ die Robert Hamerling Freunde
9, genannt, gehört auch der Dichter
Albert Möfer in Dresden. Ich fage,
jene glüdlihen Menfchen, weil es
überhaupt feltenes und wahres Glüd
ift, einen treuen Freund zu befißen,
und weil es auf Erden feinen beijeren
Freund geben kann, als Robert Hamer-
ling es geweſen.
Hamerling und Möſer hatten ſich
nie perſönlich geſehen, ſie fanden und
erkannten ſich gegenſeitig in ihren
Dichterwerken, was freilich nur bei
ausgeſprochenen Dichterindividualitäten
möglich iſt, bei welchen der Berfaffer
als ganzer Menſch in feinen Merken
fteht. Schreiber diefer Zeilen weiß von
der Hochachtung und Zuneigung, welche
die beiden Männer ſich aus der ferne
Ser N
—
..*
349
entgegenbrachten und mehrmals hatte
er Gelegenheit, perjönlih Einem vom
Anderen erzählen zu können.
Sie ftanden miteinander, bejonders
vom Jahre 1865— 1871 in lebhaftem
Briefwechſel, der aber jpäter, wohl zu-
meift durch Möſers Saumſeligkeit, ins
Stoden gerieth. Lebterer hat nun
Hamerlings an ihn gefchriebene Briefe
veröffentlicht und mit Erläuterungen
verjeben, die für die Freunde der
beiden Dichter von jehr großem Interz |
ejje find.*) Die Briefe ſelbſt athmen,
Zeile für Zeile, Hamerling’fchen Geift
und das unvergleihliche Dichtergemüth.
Einige Auszüge aus diefen wertvollen |
Briefen, die allgemeinerer Natur find,
mögen es beweiſen.
Bei Gelegenheit, als Hamerling
ſcine Meinung über Möſer'ſche Ge—
dichte ausſpricht, thut er unter anderen,
höchſt anerfennenden Morten, den halb
Ichelmischen Ausſpruch: „Darauf (auf
ein paar Heine metriiche Fehler) lege
ich, wenn das Ohr nicht zerrifen wird,
fein allzu großes Gewicht, bin jogar der
Meinung, daſs der Dichter abfichtlich
einige Formfehler, unreine Reime und
dergl, in feinem Werke ſtehen laſſen
oder eigens hineinjegen müſſe: Erftens,
weil heutzutage fein Borwurf ehren
rühriger und fataler ift, als der der
„Formſchönheit“ und „Formreinheit“,
und dann, weil es den Recenſenten
eine närriſche Freude macht, wenn fie
dem Poeten einen unreinen Reim oder
dergl. wie einen Floh vom Stleide
abfangen können, wodurch fie ſich ein
geſtrenges und gelehrtes Anjehen geben,
ſpreche nicht von Übermaß in Lob oder
Tadel, Gerechtigfeit oder Ungerechtig—
| feit der Beurtheilung; ich Tpreche von
dem innerlich Widerjpruchsvollen, Une
logiſchen, Abſurden in den Kritiken,
von der leichtfinnigen, gewifjenlojen
Sgnorierung oder Verdrehung des
Thatjählihen, von der haar-
fträubenden Borniertheit, die nament-
ih dort zu Tage tritt, wo die Recen—
jenten über den tieferen Geift und
Sinn eines Dichtwerfes reden oder
abjprechen wollen, Ich ſchrieb jchon
als ſechzehnjähriger Jüngling, als ich
anfieng, die PHilofophen zu lejen, im
mein Tagebuch: «Es fommt mir vor,
als ob alle Philoſophen Recht hätten,
ausgenommen da, {wo jie polemilieren»,
Setzen Sie das, was ich hier über
kritiſchen Blödfinn gefagt, wicht auf
Rechnung einer gewillen Empfindlich-
feit; ich Hatte dabei durchaus nicht
fritifche Angriffe im Auge, über die
ſich Ätreiten läfst und die an fich einen
gewillen Sinn haben, jondern fedig-
ih jolhe Auslaffungen und Auße—
rungen, welche der Kritiker ſelbſt
augenblidlih zurüdnehmen
müjste, wenn man ihm mit Hin—
weifung auf das Thatſächliche die
Abjurdität derjelben Har machte. Und
folder Auslaffungen giebt es in der
Tagespreffe über die Maßen und zum
Eritaunen viel! —
In Hinblid auf feine Krankheit und
feine lage über das Erdenelend jchreibt
Hamerling ſchon im Jahre 1865:
„Sie fragen in Ihrem lebten
Briefe, ob ih leidend bin, wie Sie
obgleih fie eigentlih von Form ſo
wenig verftehen und jo wenig Sinn‘
und Chr dafür haben wie Bileams
Eſel.“
In einem anderen Briefe ſagt er
über Kritiker: „Nur wenn ich Kri—
tiken leſe, werde ich ſtolz und fühle
mich geſcheiter als andere Leute. Ich
9 „Meine Beziehungen zu Mobert
Hamerling und deflen Briefe an mich.“ Von |
Albert Möjer, (Berlin. Hans Lüſtenöder.
1890.) |
einmal gehört oder gelejen. O Freund,
da berühren Sie eben den traurigen,
wunden Fleck meiner Exiſtenz, die
Feſſel meiner Schwingen, den Mehl:
than meiner Blüten, vielleicht ſoll
ich auch ſagen: den tiefinnerſten An—
reiz meiner Klagen. Denn ſchließ—
ih itesdohnur der Kranke,
‚der jih das Leid derganzen
Welt zu Herzen nimmt.“
In einem anderen Briefe aus der—
jelben Zeit ſchreibt Hamerling:
350
An
„Es liegt
Providentielles in meinem Lebens»
gange, ih kann daran nicht zweifeln.
Der liebe Gott hat fih immer jehr
honett gegen mich benommen, Mein
Leben ift ein Elend, aber es liegt
foviel Syftem darin, es Happt alles
jo gut, e& tritt alles jo meifterlich im
legten Moment ein, es bält alles
zwifchen dem Zuviel und YZumenig
eine jo fein berechnete Mitte, es ift
alles jo überraſchend combiniert, daſs
ih an der Plan= und Zweckmäßigkeit
des Ganzen nicht zweifeln kann. Ich
fönnte Wunder davon erzählen, wie
alle meine Erlebniſſe und Schidjals-
wendungen immer aufs präciiefte in
dem Augenblide eintrafen, wo fie ab»
ſolut nöthig waren. Und doch hatten
fie den Schein des Zufalles.”
Über Griſebach, den jungen Dichter
de3 „Meuen Tannhäuſer“, schreibt
Hamerling:
„Bott im Himmel, der jprudelt
wieder! Der Yüngling madt mir
wirklich Angft mit feinem „Lebens-
drang” und feiner Schwärmerei für
Theaterweiber. Sie jollten ihren Eins
fluſs geltend machen, daſs er nicht
gar bis auf den legten Tropfen aus
der Flaſche fährt, wie entkorkter Cham»
pagner, und jeine Kraft der ſchnöde
Roden trintt. Er jchreibt mir:
fühle, namentlich den Weibern gegen
über, einiges Verwandte mit meinem
Nero, und läfst ſich's nicht nehmen, dafs
auch ich felbjt an derartiger VBerwandts
Ichaft laboriere, Sie dagegen halten
mich Ihrem legten Schreiben zufolge
für einen Mann, der „refigniert“ hat
und dem das „Leben“ nicht mehr in,
erſter Reihe fteht. Vielleicht komme ich
nächſtens einmal ausführlicher auf das
Kapitel zurüd; für heute verweiſe ich
Sie auf meine Lieder und Gefänge, |
die Sie zu gut fenmen, um meinen
„Lebensdurſt“ zu unterichäßen. Re—
fignieren möchte ih — aber fann
man das? ch glaube: Es gibt keinen
Menſchen, der auf Dinge, Menjchen
und Verhältniſſe mit jo viel theoreti=
Er!
außerordentlih viel ſcher Superiorität, mit fo ſcharfem
Urtheil blidt und dod in praxi von
der Gemüthsfeite fo fehr durch fie
beeinflujst, beftimmt, befeligt und ge=
martert wird, wie ich. Größeres Liebes—
bedürfnis gibt es nicht, als das mei—
nige ; größere Anhänglichkeit und Treue
als ih für alles empfinde, was mir
einmal nahe getreten, gibt es eben—
falls nit. Nichts auf der Welt ift
leichter, al mir unentbehrlich zu
werden.”
Die Sommerwohnung beim „Fuchs-
wirt”, nächſt Graz, wo Hamerling an
dem „König von Sion“ arbeitete, be=
Schreibt er feinem Freunde wie folgt:
„Seit mehr als einen Monate
fiße ih auf meinem Zusculum, das
beißt: in meinem ländlichen Poeten—
ftübchen beim «erften Yuchswirt» auf
der Ries. Wenn man die malerifche
Vorſtadt St. Leonhard hinter fich ge—
laflen Hat, fo befchreitet man — der
Landſtraße folgend — eine Anhöhe,
mit ländlichen Gebäuden bie und da
bejeßt, deren erftes zum «erften Fuchs—
wirt» benannt ift. Es gibt der «Fuchs—
wirte» nämlich nod zwei längs Des
Hanges und Rüdens diejer von ſchönen
Nadelwäldern durchzogenen und ein-
gefajsten Höhe, welche den Namen der
‚ «Ries» führt und ihrer vorzüglich ger
funden Luft wegen als Landaufenthalt
geſucht iſt. Im oberen auf die Land-
ftraße gehenden Zimmer, d. 5. linker
Hand (denn rechts ift noch eine andere
Mietwohnung) finden Sie ein Ge—
miſch von ftädtiichem und ländlichen
Seräth: ein Sopha, einen Tiich, einen
Secretär, eine Bücher-Etagere, ein
Bett, Uber dem Tiſche hängt das
Porträt Jans von Leyden, unterhalb
desjelben ein Bild Nero's. Uber dem
Sopha hängt eine im alleredeliten
Kunſtgeſchmack entworfene Lithographie
‚der vor Jahren gefeierten Spanischen
Tänzerin Bepita de Dliva, deren
höhere Weihe von den Bodsaugen der
Menge verlannt wurde. Meinem
jugendlihen Sinne wurde durch ſie
die erfte Offenbarung ſchönheitstrun—
ferien Daſeins, wahrhaft geiftverklärter
Sinnlichkeit. Seit ich fie gefehen, bin
ich gefeit gegen das Gemeine. Die
Ode „An eine Tänzerin“ in „Sinnen
und Minnen“ ift an fie gerichtet. Rechts
und links davon hängen die Photo=
grapbien Raphael3 und feiner Forna—
rina. „Raphael und die Fornarina“
ſchwebten mir feit langer Zeit als dra=
matifher Stoff lebendig vor. An der
Wand rechts vom Secretär hängt ein
großer Plan von Münfter, und auf dem
Secretär jelbft find dide und dünne
Bücher aufgeftapelt, allevon verwandten
Inhalt: Kerßenbroicks, Hamelmanns,
Gresbed3 Münfteriiche Wiedertäufer-
chroniken und dergleichen, auch mittel-
alterliche Literaturwerfe, Eulturhifto-
riſches u. ſ. w. Blidt man durch das |
Fenſter, das einzige des Gemaches, fo
bat man ein weites und reizbolles
Panorama vor fih: Links die veizende
Höhe des Ruderiberges, rechts weithin
fi erjtedende Wälder, in ihrer Mitte
die ganze weitgedehnte Stadt, in der
Mitte und in der de& ganzen Pano—
ramas der prächtige Schlofäberg, reich—
umgrünt, mit mancher ragenden Zinne,
weiterhin über dem Stromthal ver
Mur — nur durch ein Stunde We—
ges getrennt — ein ſchön bewaldeter
Höhenzug, Ruinen, Kirchen und
Schlöſſer, dahinter ferner und höher
aufragend ehrwürdiges Wlpengebirg.
In befagtem Kämmerlein nun wird
der «König don Sion» ausgebrütet.“
Sn demfelben Briefe nahın er Ge—
legenheit, an Möſer Folgendes zu
Schreiben:
„Willen Sie, dajs die «Pfaffheit»
zu Münfter Schon in gewaltige Angſt
gerathen von wegen des bevorſtehenden
MWiedertäuferepos? Der in Münfter
ericheinende «Literarifche Dandweifer»,
ein von Geiftlichen ftreng katholiſch
redigiertes Blatt, bringt eine weite
läufige Beiprehung des «Ahasver»
mit warmer Anerkennung des Poeti—
ſchen, aber ebenfo lebhafter Indignation
dom jittlihen und religiöjfen Stand
punkte aus, welche in dem Ansfpruche
gipfelt: «Das muſs uns mit Angft
erfüllen vor der bevorjtehenden Schil—
derung des Miedertäuferreihes in
Miünfter». Ich bedauere, dafs ich den
im übrigen unparteiifhen und —
wie es jcheint — ſehr ehremmerten
Heren und feine Münfterifchen Col—
legen durch objective Schilderung der
Gorruption ihrer Vorläufer im der
alten Bifchofsftadt von anno 1536 zu
ärgern und zu betrüben nicht umhin
fann. Ich bin durch den Stoff ge-
nöthigt, Kirche und Elerus von der
corrnpteften Seite darzuftellen, kann
mir alfo denfen, weldes Argernis
mein Werk im geiftlichen Lager geben
wird. Das thut mir eigentlich leid.
‚Denn wenn ich die Pfaffen ſchwarz
male, jo gejchieht es nur aus poetifchen
‚und Hiftorischen, nicht aus tendenziöfen
Gründen. Die Macht der Kirche und
des Clerus ijt Heutzutage vollitändig
'gebrodhen,*) eine geräufchvolle, er=
bitterte Oppofition gegen diefelbe daher
ſinnlos. Die nenlihe Jejuitenjagd in
Oſterreich war ein Act der Intoleranz.
Wenn es den Schreien Ernſt it
mit der Religionsfreiheit, jo muis es
auch erlaubt jein, nach der Façon der
Jejuiten felig zu werden. Unſchädlich
machen fann fie der Staat, indem er
ihnen den öffentlihden Unterricht
nicht anvertraut; aber ihr Predigen,
ihr religiöfes Wirken geht den Staat
nichts an und mufs refpectiert werden,
jo gut wie die Lehren Moleſchotts und
Büchners. Wir find vom Begriffe
wahrer Freiheit im modernen Staate
noch weit entfernt.“
| Luftig find die Außerungen dom
29. October 1867:
„Mit Ihrer Selbftbeurtheilung bin
ih ganz einverftanden. Sie ſind
Lyriker und werden es bleiben, und
al& folder müſſen Sie dereinft da—
| ftehen in der Walhalla und im Pan—
theon deutſcher Dichter.
Ich meine damit nicht das «Ban
*) Man ficht, ein Dichter ift immer
optimiftiich, auch wenn er als Peſſimiſt gilt.
Anm.
theon deuticher Dichter» von Peter | unferen
Größten faſt
ebenbürtige
Lohmann, deſſen neueſte Auflage mir Dichter als Menſch eine Canaille ge—
eben heute in die Hände fiel und worin weſen.
ih eine denkwürdige biographiſche
Notiz über mich fand, von welcher
jo ziemlich jedes Wort falſch ift.
Ich bin, wie der Autor jagt, in Graz
geboren ; wann weiß er nicht; ich lebte
als «Beamter» in Trieft, und lebe
jet azur Erholung» in meiner Hei—
mat.“ — «Großen Schwung», jagt
er, habe ich, aber feine «—Herzens—
innigfeit». Aber ich denke: Schwung
ift tiefe, Feurige Empfindung, und
diefe kann freilich nicht vereinigt ſein
mit Fröhlich =» gemüthlicher Dudelei.
Bon feiner Geſinnungs- und
Gharatterlofigkeit haben die wenigiten
Menichen den rechten Begriff: Man
muſs alle feine Werke, namentlich die
projaifhen, und auch die gedrudten
Briefe aufmerkſam gelejen haben,
um darüber urtheilen zu können.“
Schließen will ich diefe Auszüge
aus Hamerlings Briefen an Albert
Möfer mit der Herzensergiegung über
jeine treue Freundin Glotilde:
Nur einen Troft beſitz' ih: Das
theilnehmende Gemüth einer Frau, einer
Frau don unvergleichlicher Natur—
Wenn er an meinem Gemüt zweifelt, | frifche, Wärme, Innigkeit, Heiterkeit,
jo tausche ich dasfelbe auf acht Tage
mit ihm: Es joll ihm dabei fo heiß
werden, daſs ihm fein Bier umd fein
Tubad mehr ſchmeckt.“
Höchſt interefjant find Hamerlings
gelegentliche Außerungen über Schiller
und Heine:
„Sie fragen, ob ich Ihre Bes
geifterung für den Unflerblichen theile,
dem fie jegt in Gohlis ein Erinnerungs-
opfer bringen. Jh ſchwärme allerdings
wie Sie und jeder Deutjche für ihn,
obgleih ich ihn nicht mehr oft lefe.
Er iſt ein Hoher Genius voll Tiefe
und Meite, voll Berftand und Wärme,
gedankenvoll und doch überaus ges
ftaltungsfräftig. Vielleicht hat er mit
Ausnahme einiger kleinerer — id
meine lyriſcher — Poeſien nichts ab-
jolut Klaſſiſches, Woflendetes und
Muftergiltiges geihaften: Das thut
aber nichts, er ragt als ein Riejen-
gipfel in unferer Literatur empor.
Auch was ih von Deine halte,
wollen Sie willen? Meiner Anficht
nah iſt er zwar nicht der größte
Dichter, aber das größte poetische Genie
der Deutichen nach Goethe und Schiller.
Seine Popularität wird nicht abnehmen,
wie die Philiſter meinen, jondern noch
wadjen, da in ihm das innerſte
Weſen der Zeit in der pilanteften,
genialjten Weife ſich ſpiegelt. Vielleicht
hängt es damit zujammen, dafs diejer
Güte und Hingebung des Herzens.
Aber diefe Frau ift nahe den Fünf—
zigen. Ich bin durch nichts an ie
gebunden, aber alles Glüd der Erde
würde mich nicht verloden können,
ihr wehe zu thun. Ihr Name ift
Glotilde. Ich möchte Ihnen wohl ein=
mal mehr von ihr erzählen. So wenige
willen von ihr, und doch möchte ich
feinen Deut für die Fortdauer meines
Namens bei der Nachwelt geben, wenn
mit diefem Namen nicht auch der des
Weibes fortlebte, ohne deſſen treues
Mitleben und Mitempfinden in Frende
und Leid, ohne deren verſtändnisinnige
Theilnahme an allen geiſtigen Inter—
eſſen bei einer faſt kindlich naiven
Natürlichkeit, Friſche und JInnigkeit
des Empfindens mir die Welt und
mein Daſein längſt zur unerträglichen
Laſt geworden wäre... .“
Andere Briefe geben rührende
Zeugniſſe von der Opferwilligkeit
Hamerlings für Möſer, der ihm „als
Dichter wie als Freund ins Herz ge—
wachſen“. Wahrlich, vollberechtigt iſt
des Herausgebers Ausruf zum Schluſſe:
„So oft mein Auge noch auf dieſen
Blättern ruhen wird, wird mir auch
der Gedanke kommen, daſs Hamerling
nicht nur ein ausgezeichneter Dichter,
ſondern auch einer der edelſten und
ſelbſtloſeſten Menſchen war, die es je
gegeben Hat.“ R.
Über das Zaften.
Bom culturgeihihtlihen Standpunkte betradtet von &heodor Bernaleken.
RS,
eine zur römiſch-katholiſchen
Ey“ Kirhengemeinfchaft gehörenden
u I oefer erinnern ſich bei dieſer
UÜberſchrift des dritten Kirchengebotes :
„Du ſollſt die gebotenen Faſttage
halten“. Mit Recht warnt Hiermit die
Kirche vor „Fraß und Böllerei“ und
die Vernunft fordert dasjelbe.
Eine Zeit im Jahre nennt man
insbejondere die Faftenzeit und diefer
gebt der Iuflige Faſching voran.
Was heist Faſten nah unferem
Sprachgebrauche? Es bedeutet: ſich
enthalten, nüchtern jein(PBaulus I. Brief
an die Brüder in Thefjalien 5, 6).
Die Faftenzeit oder die Faſte
(lat. jejunium) in der fatholifchen
Kirche umfajst auf Grund des vierzig—
tägigen Faſtens Jeſu (Evang. Mat:
thäus 4, 2) die vierzig Tage vor dem
Ofterfeft, daher dverNamequadragesima
(franzöfifch car&me). Das Wort Faft-
nacht oder — wie die Niederdeutfchen
jagen, ?yaftelabend bezeichnet insbe—
jondere den Dienstag (dor Afchermitt-
woch), die legte derb ausgenofjene
Freſszeit vor Beginn der Faſte.
Wie das kirchliche Falten, jo find
auch die vorhergehenden Feſtlichkeiten
zu Anfang des Jahres von Rom zu
uns gelommen. Bei den Römern war
der März der erjte Monat, deshalb
nennen wir ihren fiebenten Monat
jest noch September, während er bei
uns der neunte ift. Im März feierten
die alten Römer dem Liber oder
Bachus zu Ehren die jogenannten
Liberalien mit Schaufpielen und
luftigen Scerzen. Der MWeingott
Bachus entfpriht dem altgriechiſchen
Dionyjos oder Bakchos, deſſen Eultus
den Charakter Fröhlicher Heiterkeit
Bofrgger’s „Hrimgarten‘*, 5, fell, XV.
hatte. Die anfängliche Mäpigung ver—
Ihwand immer mehr und man über-
ließ fih einem ausgelafjenen Sinnen-
taumel und zog mit raufchendem Lärme
von Flöten, Pauken und Beden um:
ber. Deutſche Anklänge finden wir in
den Faſtnachtſpielen (z. B. Hans
Sachſens) und in den Narrenbüchern
des 16. Jahrhunderts. Im übrigen
fteht der Deutfche den römischen Lebens
anſchauungen und Sitten ſchnurſtraks
gegenüber. Auch die Faſtenvorſchriften
waren den germanijchen Völkern vor
Einführung des Chriftentgums unbe—
fannt; ihre Opfer und Gebräuche
wurden allmählich verdrängt. Die Auf:
faffung der römischen Kirche über das
Halten fteht im Zufammenhange mit
israelitifhen Gebräuchen und dieſe
wieder mit denen im Syrien und In—
dien.
Der Buddhismus in Indien Hat
jeit einigen Jahrzehnten bei den Ge—
lehrten mehr Beachtung gefunden und
in der That bietet er mande Ber:
gleihungspunfte mit gewillen Rich»
tungen des Chriſtenthums. Mitte des
ſechſten Jahrhunderts vor Chriſtus
predigte der Büßermönch Buddha (d.h.
der Erwachte, Erkennende) in Indien.
Er vertauſchte ſeinen Reichthum mit
der Armut eines Bettelmönchs, und
lebte entſagend, Erleuchtung in der
Einſamkeit ſuchend, verſunken in Be—
trachtungen über das Heil der Menſchen
und dabei war er allerlei Verſuchungen
ausgeſetzt. Wohin er mit ſeinen Jüngern
kam, ſtrömte ihm das Volk zu. Seiner
Lehre liegt die Anſchauung zugrunde
vom Leiden alles Daſeins. Alles Leben
iſt Leiden — das war die Schwarz-
jeherei Buddhas, alſo ungefähr das»
23
felbe, was man heutzutage Peſſimismus werden können, um dem Menjchen die
nennt,
die Heimat jener düſteren Weltan—
Ihauung und jener unfruchtbaren
beſchaulichen Betrachtungen, welche ich
im Laufe der Zeit über den Weſten
unferer Erbe verbreiteten und überall
einer heiteren Lebensanfhanung und
gejunden Moral entgegentraten.
In der Buddhiſtiſchen Religion
finden wir aud den au ſich gewiſs
löblihen Grundfaß, die Thiere zu
Ihonen und dazu fam die Neigung
zur Enthaltfamteit. Ähnliche Grund»
übe hatte die Secte der Eſſener
(Effäer) in Baläftina, Sie eritrebten
die höchſte Stufe der Deiligfeit durch
ftrengfte Enthaltfamfeit, bevorzugten
die Ehelofigkeit und äußerſte Mäßigung
im Speijengenufs, enthielten ſich na—
mentlich der Fleiſchſpeiſen und nährten
ih don Brot und Pflanzen, wie die
modernen Begetarianer.
Mit dem indiſchen Büßerweſen
fam auch das Mitleid mit der Thier-
welt herüber nach dem äußerſten
Meften Afiens und nad Aghpten. In
dem Maße, ald3 die riftliche Kirche
fich jener Enthaltfamfeit als eines
religiöfen Zuchtmittels bediente, ver—
flüchtigte ih der urfprüngliche ideale
Gehalt und es blieb nichts übrig als
der kirchliche Wunſch, der für die
Abendländer und für unfere heutigen
Verhältniffe nicht leicht mehr durch—
führbar if. Jeder, der nicht felbit
weiß, was zu feinem förperlichen
Wohle dient, befolgt den Rath ſeines
Arztes, der ihm jagt: Mäpßigfeit in
Bergnügungen, im Efjen und Zrinfen
und eine geregelte Thätigfeit ſowie
eine einfache Lebensmweife find ein
Hauptinittel, um geſund zu bleiben.
Diefer Meinung find auch alle, welche,
wie der Verfaſſer, das achtzigite Lebens—
jahr bei ſolcher Faſtenart erreicht
haben.
Der befannte Naturforfcher Carus
Sterne jagt, dafs kaum ethifche Gründe
von genügenden Gewicht beigebracht
Indien mit feinem Brahmas | Ernährung don thierifher Subitanz
nismus und Buddhismus ift überhaupt zu verleiden,
Wenn einzelne Reli—
gionen von ihren Belennern eine
dauernde oder zeitweife Enthaltung
bon einem mohlichmedenden Gericht
fordern, feien es nun Bohnen, deren
Genuſs die Pothagoräer für ebenfo
Ihlimm al Mord und Todſchlag
hielten, oder von Fiſchen, oder von
Fleiſch überhaupt, mie bei den gebo—
tenen Faſttagen der Mohamedaner,
Juden und Satholifen, jo handelt e3
fih um ganz verjchiedene Gründe,
nämlich um ein Freiwilliges, gewiſſen
religiöjen Anſchauungen dargebradhtes
Entfagungsopfer. Gewif3 können wir
Perfonen, die fih derartige Entbeh-
rungen dauernd auflegen, weil fie
glauben, dadurch eine höhere Reinheit
der Gedanken und eine Befreiung don
hemmenden körperlichen Begierden zu
erlangen, wie es zahlreiche religiöfe
Gemeinschaften thun, dafür unfere
Achtung Schenken. Andererſeits wird
man zugeben müflen, daſs die aus
dem zeitweifen Faſtengebot bei dent
gewöhnlichen Menjchen entjpringenden
Übertretungen, denfelben wahrjcheinlich
jittlih mehr ſchädigen, als die freu—
dige Aufgabe einige Wenige adelt und
erhebt. Solche Acte jollten daher von
vornherein in das Belieben jedes Ein—
zelnen geftellt und ihre Unterlaffung
nicht als fittliher Mangel oder gar
als Sünde betrachtet werden.
Die Kirhenobern wiljen gar wohl,
daf3 das Gebot auf jede mögliche
Weile umgangen wird von denen,
die den Schein retten wollen. Dadurch
wird aber die gewiſs löbliche Abſicht
wirkungslos und man leiftet den Bes
ftrebungen Borfhub, auch weltliche
Vorgeſetzte zu täufchen.
Es ift auch daran zu erinnern,
dafs das Falten als Kirchengebot erit
jpäter entftanden ift. Jeder Zeitraum
in der Eulturgefchichte der Menjchheit
hat feinen eigenen Charakter und ein
finger Regent und Geſetzgeber wird
nicht warten, bis der Geiſt der Zeit
über eine Saßung zur Tagesordnung ſchen Quelle fchöpfte, die uns be=
übergeht. Ein unhaltbares Gebot dem
Einzelnen freiftellen oder es aufheben,
tft befier als eine lare Handhabung
und theilmeife Erlaubungen. Die
fünf Kirdhengebote datieren eigentlich
aus der Zeit des Tridentinifchen
Eoncils, wo deutfche Vertreter fehlten.
Sie fanden Aufnahme in den ver—
breiteten Katechismus des Jeſuiten
Caniſius (Mitte des 16. Jahrhun—
dert3).
Das vierzigtägige Falten Jefu hatte
fein Borbild im zweiten Buche Mofe
34, 28, mo ed heißt: „Mofe war bei
dem Herrn 40 Tage und Nächte und
as fein Brot und trank fein Wafjer“.
Ebenjo Elia im erften Buch der Kö—
richtet, dafs Jeſus den Gütern des
Erdenlebens nicht feindlich gegenüber
trat. Jeſus kennt nur die Gefahren
des Reihthums und ftellt den ruhm—
redigen reihen Jüngling auf die här—
tefte Probe (Matth. 19). Er fordert
von den Jüngern Opfer nur um
ihres Berufes willen und legt fie
aus dem gleichen Grunde fi feldft
auf. Er jelbit faftete auch nicht in
unferer Weije; denn wenn er über das
launenhafte Verhalten Jfraels3 fpricht
(bei Matth. 11, 18), jagt er: „Jo—
bannes*) ift gefommen, aß nicht und
trank nicht. Da fagen fie: Er ift vom
Zeufel beſeſſen. Des Menfhen Sohn
ııft gelommen, ißt und trinkt; fo
nige 19, 8, jowie in andern Stellen | jagen fie: Siehe der Menſch ift ein
des N. Teſt. Troß diefer Sitten des | Freſſer und Weinfäufer, der Zöllner
Judenthums mamentli der Effener | umd der Sünder Freund!“ Chriftus
und der asketiſchen Richtungen des verweilt mit den Seinen jogar auf
Heidenthums nahm Jefus feine grund- | Hochzeiten. Soll gefaftet werden, dann,
fäglihe Stellung in den Worten (bei | meint er, wenigſtens mit fröhlichem
Mattd. 6, 16): „Wenn ihr faftet, Antlitz und gejalbten Hauptes, damit
follt ihr nicht fauer fehen wie die der Verdacht des gefuchten Scheines
Heuchler; denn fie entftellen ihr Anz ſchwinde (Matth. 16); „aber wozu
geliht, um fi den Leuten zur Schau | überhaupt diefer alte Schlauch für den
zu ftellen mit ihrem Faften”; ferner neuen Wein? Wer deffen bedarf, ift
bei Matth. 9, 14 fi. geringer al& der Heinfte im Himmel—
Die Faſtenvorſchrift kam erft vor reich“. Entſprechend der güterreichen
300 Jahren allgemein in die Ber: | Auffaffung des Himmelreiches ift auch
ordnungen der Kirche und blieb ohne die Zugendforderung Jeſu immer
Rüdfiht auf die veränderten Anfchaus Thatforderung auf Grund
ungen der fpäteren Zeit. der Liebe, die fi nicht erzwingen
Die deutſche Reformation hat diefe laſst und die durch Außerlihteiten
Faftenart ganz befeitigt, weil fie jener nicht erfegt werben kann.
Zeit der trübfeligen Überlieferungen) +) Namlich der Täufer, deifen Lebens
entwachjen war und aus der bibli- | weife derjenigen der Efjener verwandt war.
23*
Eine Arſache, warum die Menſchen ſich nicht
verfländigen können.
NAT)
Allen jemand ftarr und leiden= |tigften Argumente dagegen können
a Ihaftlih einen einfeitigen ihn höchſtens nur in Wuth bringen.
PBarteiftandpunft vertritt, jo Mancher reitet jeinen Ejel, bildet
wird ihm von den Gegnern ſtets der ſich aber ein, ritterlih auf einem
Vorwurf gemacht werden, er thue es |arabijchen Streitrojs zu fißen, in»
aus eigenmüßigen Gründen, entweder | dem er das Neitpferd eines Gegners
um fi Güter zu erwerben, oder eine | mit veräctlicher Miene Langohr
gute Stellung, oder die Herrſchaft, ſchimpft. In Parteiſachen ift diefelbe
oder irgend einen anderen Bortbeil. | Gejchichte, der Reactionär hat eine
Das mag oft zutreffen, jehr oft! Aber |andere Art zu denken, eine andere
doch nicht immer. Ich kann mir Leute Logik, wenn man will, als der Libe—
denfen, die voll Wahrhaftigkeit, Red- |rale, der Antijemit eine andere, als
lichkeit und Selbftlofigkeit find und |der PHilofoph, der Naturheilarzt eine
ih doch arg verrennen in eine Sad: jand als der afademische Doctor der
gafie, verbohren in einen Irrthum |Medicin, und immer fo weiter. Jeder
und lieber das Leben lafjen möchten, hat fich jeine befondere Art von Folge—
als jih von ihrer Richtung zu bes richtigfeit, von Borftellungen, von
fehren. Überzeugungen und Wiſſenſchaften an—
Daran ift viel die Naturanlage |gebildet, jich für feine Neigung und
Urſache, und auch die genofjene ein= für feinen Bedarf fozufagen eine eigene,
feitige Schulung, Erziehung, Bildung. |fefte Burg gebaut, in die er feinen
Durch genannte Yactoren kann der fremden Einflufs kommen läfst, die
Menjchengeift fyftematifch geformt und jer, je nach Naturanlage und Takt,
in beliebige Richtungen gebracht wer= ernſt, würdig und flug, oder roh und
den, das ift doch nicht zu leugnen. |täppifch vertheidigt. Denn jcheinbar
Ein junger Theologe, der nur immer |begründen läjst fich alles, alles auch
die orthodoren Lehren vernimmt, nur |auf ein wilfenschaftliches Boftamentlein
die in jelbe einjhlägigen Schriften |jtellen und mit Schönen philojophifchen
liest, immer in gleichgelinnten und Ausſprüchen jhmüden. Und je ein-
gleichitrebenden Kreiſen lebt, wird ſich | jeitiger, engherziger ein Standpunkt ift,
allmählich einen Gedankengang, einen deſto feiter läjst fich das Gedanken—
Vorftellungstreis aneignen, der wetter: |gebäude fügen zu einem gar feiten
hart ift und nicht durch Gegenvor= | Haufe, in welchem alle Wintel unter
ftellungen beeinflujst werden kann. einem Dache find. Allein, die Welt ift
Dasjelbe erreicht eine militärische, eine |fein Haus, die Welt ijt die Welt.
ariftofratiihe Erziehung. Ein alter, | Sogar im Weiche Gottes find viele
Handesverfnorrter Soldat, der von der | Wohnungen, um wie mehr ext ift eine
Pile auf gedient hat, muſs der Über: Mannigfaltigkeit auf diefer Erde be—
zeugung leben, dafs der Soldatenftand | gründet, bei den verjchiedenften Völker:
der wichtigfte und gerechtfertigtefte aller | ſchaften, Charakteren, Bedürfniffen,
Stände auf der Melt ift, er kaun | Neigungen u. ſ. w.
gar nicht anders denken und die trif- In unferem Falle ift die Eng—
ee — ö
38587
herzigkeit, die Einſeitigkeit der Bildung
das trennende Element. Man befafst
fih immer nur mit Studien, Lectüre,
Geſprächen, die dem eigenen Stand,
der eigenen Partei oder Neigung
Huldigen; und wenn man fehon geg-
neriihe Meinungen hört, liest, fo find
es zumeift folche polemiſchen Charak—
ters, man thut es mit Vorurtheil,
Gereiztheit, in der Abſicht, zu wider—
ſprechen, zu bekämpfen, und in der
Natur des menſchlichen Trotzes liegt
es, daſs ſolches Sichbefaſſen mit der
gegneriſchen Anſchauung den Betreffen—
den in feiner vorgefaſſsten, in ihm
feit und fertigen Meinung nur beftärtt,
anftatt ihn etwa eines Beſſeren zu be:
lehren.
Iſt es jo reht? Nein, fo ift es
nicht recht. Was ſoll gefchehen ?
Aufgabe der Erziehung, der Bil:
dung ift e8, den jungen Menfchen
objectiv in alle Bereiche des menſch—
lihen Wiſſens, Denkens und Strebens
einzuführen, ihm nah allen Richtun—
gen Hin zu zeigen, wie es fteht, wie
e3 ward und wo hinaus die Ziele
gehen. Leidenfchaftsios follte der
Menſch imftande fein, alle, auch feiner
Perſon miderftrebende Richtungen zu
ftudieren und zu beurtheilen, dann
würde er hochgeſinnt und gerecht fein
lönnen.
Ich höre den Einwand, ein ſolches
Syſtem würde die Leute indifferent
machen; ein gewiſſes geiſtiges Gleich—
gewicht, das allenfalls entſtünde,
würde ſie gleichgiltig machen, eine
Toleranz erzeugen, die an Trägheit
grenzte und die Concurrenz, alſo den
Wettſtreit im Kampf ums Daſein
lahmlegen müjste. Das fürchte ich
nit. Es gibt in den Individuen jo
viele Verfchiedenartigfeit an Neigung,
Auffaffung, Denken, Fähigkeit und
einfeitige Leidenfchaftlichkeit, daſs eine
allgemein gleichmäßige Ausbildung nicht
ganz ausgleichen, die Unterjchiede nicht
aufheben, die verfchiedenen Kräfte nicht
lahm legen könnte. Jeder würde das
Syſtem, die Anfhauung in fi aus—
bilden, jo mit feiner Natur, feinen
Beitrebungen übereinftimmte ; er wiirde
freilih auch feinen Standpunft ver-
treten, vertheidigen, gegnerische Auf—
fafjungen befämpfen. Aber in welcher
Art? Er würde über die gegnerischen
Standpunkte ruhiger, objectiver ur—
theilen, ex würde nicht glauben, mit
der Darlegung feiner Lehre jo leicht
Proſeliten machen zu können, er würde
einjehen, dafs jeder in feiner Art ein
bifschen recht hat und auch, dajs er
ſelbſt manchmal ein biſschen im Uns
recht fein Tann.
Unfere heutigen Parteien, die mit
rafender Leidenfchaft ſich gegenüber-
ftehen, entbrannt falt bis aufs Meffer-
züden, fie haben alle Objectivität, alle
Ruhe, Folglich alle Vernunft verloren,
Es ift erfchredend, wie viele Gewiſſen—
lofigleit, wie viele Dummheit und
Aufgeblajenheit und wie viele Lächer-
lichkeit im Streite der Parteien zum
Vorſcheine fommt. Man glaubt es oft
faum, daſs es ſonſt leidlich vernünftige
Leute find: fobald fie auf ihr Kampf—
feld fommen, find fie blinde Zänter,
Spitbuben und Thoren. Soll ih auf
den abfcheulihen Kampf unferer Zei:
tungen binweifen? Das Papier mwird
diefe Schande den Nachkommen über-
liefern. Die Nachkommen werden es
wahrſcheinlich mit feiner der gegen
wärtigen Parteien halten, über deren
Gebaren doch entweder mitleidig lächeln
oder mit Beratung zur Tagesordnung
Ichreiten.
Märe es denkbar, daſs man einmal
zur Belinnung käme und fich fagte:
Nun will ich doch einmal ganz über—
legjam und mwohlwollend das Syſtem
meiner Gegner ftudieren, will fehen,
wiefo es kommt, dafs fie jo einfeitig
denfen und handeln müflen, dajs ihnen
der Blid für unfere VBernunftsgründe
jo ganz und gar verfchloffen ift! Und
wunderbar wäre es, wie viel man
durch ein jolches überlegiames Studieren
de3 Gegenthumes lernen würde. Da
müfste man fehen, daſs an den Geg—
nern micht alles ſchmutziger Eigennuß,
35
berechnende Böswilligkeit ift, was
einem bisher jo fchien, jondern dafs
andere, achtunggebietende Gründe es
find, welche fie beftimmen. Durch diefes
Eingehen in das Bereich der Gegner:
[haft würde zwar felten einer feinen
angeltammten, anerzogenen, angebil-
en —
alles zugrunde. Wenn es beijer werden
ſoll, fo müfjen fi die Streitenden ſchon
bequemen zum eingehenden, ruhigen Er-
wägen und Prüfen der gegnerijchen
Grundfäge und Leitmotive, Ich wie»
derhole es: Eine Urfadhe, warum die
Menſchen fich nicht verftändigen kön—
deten Standpunkt verlaflen, aber er men, ift die dumme Verbohrtheit in
würde lernen, auch andere Meinungen |die eigene Subjectivität, aus welcher
zu achten, und damit wäre eine Brüde einerſeits brutale Rechthaberei, anderer-
geſchaffen zu gegenfeitigem Wohlwollen, ſeits fanatifche Unduldfamteit ent—
zu einer gewiflen Verftändigung, die | fpringt. — So lang ihr euere Augen
für alle Theile von Bortheil fein |verfchließt gegen etwaige Borzüge,
müjete. Denn was heute in den Ges | Tugenden und Rechte der Gegnerichaft,
müthern der Parteien berrfcht, es ift ſo lange feid ihr unter allen Umftänden
der Krieg! Und Sriege verzehren alle im Unrechte, und wenn man eud) des—
Kraft, die für Anderes und Befleres | wegen böswillig, borniert nennt, jo
beftimmt ift und richten allmählich | müfst ihr’3 auf euch fiten laffen. R.
Iahrmarkt im bairifhen Hodland.
Ein Lebensbild von Rarl Stieler.*)
in)
NO
E— gab eine Zeit in unſerem Zwar ftanden jo manche unjerer
2, bairischen Hochland, (wo die Berge | Gebirgepörfer an den uralten hiſto—
zugleich die Mauern des Landes riſchen Handelsftraken, wie 5. 2.
waren ; in tiefer Ubgejchloffenheit lebte | Partenkirchen; durch den Chiemgau
das Volk dahin, und nur zum eigenen | führte der Weg aus dem Borland
Bedarf nübte man damals die Herden; nad den Tauern, aber die Mehrzahl
auf der Weide und das Korn in der der Orte lag doch in tiefer unberührter
Scheuer. Das Wenige aber, was von | Einfamfeit. Für fie war e ein Ereignis,
auswärts fam oder nad auswärts | wenn ihnen aus Taiferlicher oder
gieng, trug das Saumroſs über den landesherrlicher Gnade das Marktrecht
Bergfteig, doch allenthalben an Weg | verliehen ward; denn auf den Jahr:
und Brüden lag harter Zoll, jo dafs |märkten, die fraft dieſes Privilegs
das „Saumergewerf“ oft Schwere Müh- | gehalten wurden, fam der Bauer zuerit
fat litt. mit fremden Bolt und fremder Ware
*) Karl Stieler! Ein Liebling des deuifchen Volles. Wie viel hat er uns bereits
geboten in feinen Dichtungen, und wie viel hat er mit fidh ins Grab genommen! Aber
ein Nachlaſs ift da, vor Kurzem erſchien bei Adolf Bonz & Eo. in Stuttgart ein Bud:
„Natur und Lebensbilder aus den Alpen von ar! Stieler. Mit einem
Borworte von M. Haushofer.“ Der Begrabene macht uns noch einen Beſuch, aber als
Lebender, als der frohe, kecke, urfrifche Älpler, als der Dichter und Voitsſchilderer
Rarl Stieler. Unjeres Amtes ift nur, die Verehrer Stieler8 auf diefe neue Erfcheinung,
der wir das vorſtehende Lebensbild entlehnen, aufmertjam zu mahen. Des weiteren
wird das Bud für fich jelber ſprechen. Die Red,
zufammen. In der Regel wurden diefe) Sein Zuhrwerk iſt längft im Staub
Jahrmärkte nach den Heiligen genannt, | der Straße verſchwunden — da kommt
an deren Felt fie grenzten, und faſt noch eine andere Karawane des Weges.
ausnahmslos fanden fie an einem Es ift ein Wagen wie eine Arche
Sonntag ftatt, wo auch der gemeine | Noah; aus den Fenftern Schauen une
Mann freie Zeit und freie Bewegung | gelämmte Kinder mit ſchwarzem Gelod;
hat. Hier mochte fi dann der uralte | ein lediger Pony und ein gefchorener
Brauch des katholiſchen Vollslebens Pudel trotten Hinterdrein, und zu
am beiten bewähren, daſs Frömmig—
feit und Lebensluft ſich trefflich ver—
tragen; neben der Kirche muſs das
richtige Wirtshaus ftehen, und in den
legten Glodenton hallt der erfte Juh—
Schrei.
Seitdem Hat fich freilich die Zeit
wunderfam gewandelt, aber dieſer
Sa, der ungeſchrieben doch zur ur—
alten lex Bajuvariorum gehört, gilt
nod heute, und auch heute noch ift
der Sonntag, wo Markt gehalten
wird, ein Feſt für die ganze Umgegend.
Und jo möchten wir denn den freund:
fihen Leſer auf einen jener oberbai—
riſchen Märkte begleiten, wie fie etwa
im Sommer in Tölz, in Miesbach
oder in Gmund im Brauche find —
und wir hoffen, es ſoll ihm der Tag
nicht zu lang werden.
Auf allen Straßen der Nachbar—
ſchaft jpürt man ſchon einige Tage
zubor den fremden Zuzug; Kärrner
mit hageren Röjslein trotten des Weges,
vor allem aber ift der Stellmagen
Hoc geladen mit Kiſten und Koffern.
In feinem Inneren figen zufammenz
gepferht die diden Srämerfrauen,
jhnatternd und fneifend, doch der
Kutjcher macht nicht viel Federlejens;
denn unſer Oberländer hat wenig
Rejpect vor diefen Nomaden des
Handels. Ihm gilt nur ein Dafein
auf eigenem Grund und Boden als
rühmlich.
„Mad, daſs d' einifommft, alte
Schachtel!“ herrſcht er die letztge—
fommene an und ſchleudert mit einem
Griff fie felber in den Wagen und
ihren Reifefad auf Dad. Dann
trinft er noch eine „Extramaß“, „weil
der Wagen jo voll ijt”, und im ges
mächlichen Trab geht's von dannen.
beiden Seiten gehen Männer mit lang=
geftredten Hälfen und fträhnenartigem
Haar, das noch die Spuren des Stirn-
reif3 trägt. Ein unglaubliches Neglige
umbüllt ihre Glieder, die ſouſt im
filberfarbigem Tricot paradieren; es
find die Künftler, die zum Markte
reifen, aber heute reifen fie noch —
incognito.
Bor einem Heinen Wirtshaufe
im Wege machen fie Raft. Auf der
Schattenjeite des Hauſes wird abge=
kocht; die Kinder follern im Staube;
die Frauen zigeunern durchs Daus,
um Milh oder Schmalz zu erbitten,
und drinnen, in der Wagenwohnung,
wird unterdeſſen geflidt, gemwajchen,
gefäugt und gehämmert, wie's eben
die Stunde bringt.
Kuurrend erhebt der Haushund
Proteſt, und mit ſcheuen Augen blidt
der Bauer auf diejes Treiben; ſein
Mitleid ift gemischt mit Widermillen,
aber dennoch lodt die Neugier alt und
jung herbei aus dem Dörflein. Es
fommt der Großvater mit feinen Enfeln;
aus Stall und Stube fchauen die
Dirnlein hervor, und der Schmied
drüben legt feinen Hammer nieder
und rüdt mit feinem Gejellen an.
So gibt’3 im Nu eine ganze
Geſellſchaft.
Da meint wohl der „Herkules“,
der die Truppe begleitet, daſs man
das Eiſen ſchmieden müſſe, ſolang es
heiß iſt, und ehe man ſich's verſieht,
ſpringt er in Gala aus dem Wander—
wagen; die Eifenftange thut ihre ver-
blüffende Wirkung, und im nächſten
Augenblide wird es laut verkündet:
Zwanzig Mark Belohnung, wer den
„bairiſchen Herkules“ (recte Mathias
Hinterhuber) zu Boden bringt.
360
Eine dramatifche Spannung fafät| Sein Gegner rollt auf der Erde und
die Gemüther; der Alte bedauert zum | ftenmt die nadten Ellenbogen ins
eritenmal, dafs er jih Schon im Sta- Gras; zum Glüd ift feinem Körper
dium des Großvaters befindet, und fein Leid gefchehen, aber die Rüftung
der Schmied blidt prüfend auf feine) in diefem Zurnei, das blante Zricot,
jehnigen Arme. trägt eine Haffende Wunde, und fein
„sa“, meint er, „wenn i'n nieder] — Ruhmesglanz ift dahin,
Ihlagen dürft, na wär's a leichts, Das ift der einzige Schmerz, den
aber ringen — dös hat ja fein Wert | er empfindet, wenn er die jubelnden
nit,* Gefichter ſieht; mit Schreden ſchauen
„Sag lieber, daj3 du fei Schneid | die Seinigen auf den geftürzten „Her—
halt!“ erwidert „Herkules“ im reinften! kules“. Dann erhebt er fich ſchweigend
Altbairifh, das mit dem heflenifchen | und verfchwindet in dem großen gelb-
Stammbaum feines Namens jeltfam | getündten Wagen. Gar oft hat der
contraftiert. arme Mann mehr Pflichtbewufstjein
Da ftürmt der Simei, der Ober: | ald der reihe — wortlos bietet „Her—
knecht, durch die offene Stallthür; er fules“ dem Sieger das verlorne Gold»
hat nur halbe Worte gehört: „Schneid, | ftüd dar. Aber der jpricht lachend:
niederwerfen“ u. dergl., aber das ge— „Bhalt dein Geld! Du bift
nügt, um alle Lebengsgeifter in ihm! g’ichlagen guua, dafs d’ verloren halt.
wadhzurufen — war doch der Simei| B'hüt di’ Gott!”
in Bairifch= Zell daheim. Keine Kränkung war damit dem
„Wer Hat fa Schneid ?* brüflt er Gegner zugedaht; nur ein heimat—
dem gefpreizten Gladiator entgegen, | ftolzes Selbitgefühl fräufelte die Lippen
„probier’s, du g'ſchecketer Hansdampf!“ | des fühnen Knechtes, und dann ſprach
Ein helles Lachen jcholl bei diefen | er fröhlich, mit einem Schelmenblid
Morten, und unvermerkt wich auch | wider den Wirt: „Kellnerin, a Maß!“
der HKampfesgroll wieder dem Scherze. Mit dem Zeigefinger der Rechten
„Zahl mir a Maßl, wenn i ’3| aber winkte er unter die Menge und
g'winn?“ rief der Simei dem MWirt|rief ſchmunzelnd: „Gretei!“
entgegen. Geh, gib mir a Buflel
4 „Geh, gib mir a Buſſe
u Serie gern aa no’“, ſprach Und mad foa jo Giicht!
Ich mad’ ſchon die Aug'n zu,
„Und 's Gretei muſs mir a Buſſel Damit 3 niemand fiedt.*
geben 2” fügte er ſchalkhaft Hinzu,
mit einem Blid auf die Tochter des
Daufes.
„Jawohl, gern aa no’*, ſprach
das Gretei.
Auch im Dorfe jelbit aber zeigt
bereits der „Markt“ feine lebensfrohen
Spuren. Aufder Straße werden rechts
und links die Heinen Bretterftände
Da war's ein Augenblid, und| gezimmert; überall wird Platz gefchafft
mit Sturmgemwalt waren die Leiber| für diefe Eintagsherrlichkeit, und der
der Hämpfenden ineinander verſchlun- VBierwagen des Wirtes ift heute noch
gen; bald war der, bald jener in den| einmal fo hoch geladen wie fonft.
Lüften; denn die ungefüge Natur: | Morgen find’s wohl die Gäfte.
fraft des Bauers hatte ſchweren Stand | Auch in Küche und Schlahthaus
wider die blisfchnelle Gewandtheit des | gibt's Arbeit genug; denn man darf
Ringers. Athemlos laufcht die Runde wohl auf taufend Fremde rechnen, und
— da kracht der Boden von einem) mancher feiert ſchon den Abend vorher
jähen Fall, und — von der eigenen | mit einer doppelten Abung. Samstag
Kraft noch fortgerifien — prallt der Abend ift ja ohnedem den dunkleren
fühne Bauer zwei Schritte zurüd. | Mächten unferer Natur geweiht, und
—
wenn der Bergbauer, der noch eine
Stunde heim hat, um elf Uhr vor
die Thür des Wirtshauſes tritt, dann
dreht er Sich jchwindelnd um die eigene
Achſe und lugt in die Sterne und
brummt: „SBerrgott, aber morgen
gibt’3 an ſchönen Markt!
Endlih kommt die Sonne Hinter
den Bergen hervor; die Sonntags»
gloden Schallen durchs Thal, und überall
herrſcht buntbewegtes Leben. Auf der
gewundenen Straße rollen die Berner=
wäglein einher; das braune Pferd iſt
ſorglich geftriegelt, und drinnen fißt
der Bauer mit feiner „Alten“ im
Feierſtaat oder gar ein feder Burſch
mit feiner Liebften. Das ftöht und
ftolpert über die harten Steine, dafs
einem wohl die Seele aus dem Leibe
fliegen möchte, aber unfere bairiſche
„Volksſeele“ iſt nicht fo fenfibel. De
mehr Püffe, deito mehr Vergnügen,
und dann iſt's doch immer noch
„gefahren“ — denn ftärfer, als
wir ahnen, hält ja gerade der Bauer
aufs Repräjentieren.
Aber auch wer zu Fuße fommt,
trägt heute fein beſtes Gewand, vor
allem die Mägdlein, die aus den Ein—
ddhöfen der Nachbarfchaft herunter:
fteigen. Da ſchmückt die breite Gold-
Ihnur den Hut, und im Mieder prangt
der „Buchen“ von rothen Nelken oder
Geranium.
Der Zudrang ift fo ftark, dafs
gar nicht alles in der Kirche Platz
hat; ſcharenweiſe ftehen die Männer
vor dem geöffneten Thor, mit dem
Hut in der Hand, nnd wenn nun
das Hochamt verflingt, dann drängt
die ganze geifhmüdte Schar hinaus
auf den freien Plaß, wo die Zwieſprach
wohl noch ein Biertelftündlein dauert.
Hier ift ja das allgemeine „Ren
dezvous“ der Bauernwelt; Leute, welche
die ganze Woche Hindurd micht ins
Dorf foınmen, weil fie im Holzichlag
oder auf entlegenen Gehöften ihrer
Arbeit pflegen, finden fih am Sonntag
„vor der Kirch'““. Dann aber geht's
mit ganzem Eifer auf den Markt, der
heute alle übrigen Juterejlen verdrängt;
Schon dröhnt die Trommelder, Künſtler“,
die im Wirtsgarten ihr Seil geſpannt,
Ihon Hört man „Kafperl” im Fiſtel—
ton rumoren; furzum, mit jeder Mi:
nute würde ein Wunder verjäumt.
Aber nur langfam durchdringen wir
diefes Gewühl; Hier und dort fallt
lauter Gruß, wenn Bekannte jich be—
gegen, übermüthiger Nedruf Klingt
bon einem zum anderen, und dazwi—
ſchen laſſen fich die treifchenden Lobes—
hymnen der Krämer hören, die ihre
Ware verkünden.
Am dichteften ift das Gedränge
indeſſen dort, wo der Sleiderteufel zu
Markt fit; es werden Pers- und
MWollenftoffe feilgeboten, vor allem aber
die ſchönen feidenen „Tücheln“, die
das eigentliche Prachtſtück des weib-
lihen Goftüms bilden. Sie find auch
das populärite Gejchent, das der Burſch
jeinem Mädel bietet; fie ſchmücken die
ahnen, die beim Schieken als Preife
vertheilt werden, und gar mancher hofft,
daj3 er damit den Weg von außen
nad innen finde — vom Tüchel ins
Herz.
In langen Reihen ftehen die
Mägdlein Hier vor dem verlodenden
Laden. Es heißt wohl, dafs ſchöne
Mägpdlein felten feien im bairiſchen
Hochland, aber wer dort ji umlieht,
der wird gern das Gegenteil gewahren.
Nujsbraun fallen die Zöpfe um die
frohen Gefichter, und die fichernden
Stimmen klingen Hell durcheinander,
bis das ſchönſte Stüd gefunden und
der äußerfte Preis erzielt ift.
Doh auch Kleider männlichen
Geihlehtes kommen zu Markte, in
allen Längen und Formaten, und diejer
nichtsnutzige Import trägt meines Er-
achtens Feine Heine Schuld an dem
Verschwinden unſeres vollsthümlichen
Koftüms. Den Bauer lodt das Neue,
das Fremde und vor allem das
fertige; er ſpürt von der Devile
„Billig und ſchlecht“, die jeden Jahre
markt regiert, natürlich nur den erften
Theil, und jo kommen unvermerkt jene
—
grauen „Speuſer“, ſchwarzen Hüte
und langen Hoſen ins Land, die den
Bauer auch äußerlich dem Bürger
gleichmachen; denn die Gedanken, die
unter einem ſchwarzen Filzhut auf—
wachſen, ſind nun einmal andere als
die, ſo unter einem kecken grünen
Spitzhütlein gedeihen; auch in dieſem
tieferen culturgeſchichtlichen Sinne kann
man jagen: „Kleider machen Leute“.
Um meiften fucht natürlich das
jüngere Gefchleht die „Mode”, und
ſelbſt der noch ganz Kleine Filius, dem
ſolch ein Markttag neue Hüllen Schafft,
wird ſchon in ſchwarzes Tuch oder in
ſymboliſches Grau gekleidet, ftatt dafs
man ihn mit nadten Knien aufwachjen
ließe, wie es jein Vater und „Ahnl“
gethan. Am längſten hält fi nod
die Joppe (die übrigens nicht bairi=
ſchen Urſprungs ift, fondern aus Zirol
faın), und auch davon gibt es reichen
Vorrath; Faft auf jedem größeren
Markte iſt der „Sochelfchneider” ver—
treten, der als Specialift in dieſem
Face gilt, wie ja auch das Gewand»
ſtüch ſelbſt „Kochler-Joppe“ genannt
wird.
Auch eine Feder am Hut mag der
Baner ungern entrathen, troß aller mo—
dernen Berfuhung, und jo gehört
denn ein Kaufftand, wo alles erdenk—
liche Federſpiel vertreten ift, zu den
unvermeidlichen Artikeln eines richti—
gen Marktes. Wer gern großthun
will, kauft einen „Adlerflaum“ ; auch
ein „Reiherſpitz“ findet allzeit gute
Kunden, aber das Beliebtefte bleibt
doch der „Gamsbart“ und die Spiel:
bahnfeder. Mit den Händen im der
Hoſentaſche ftehen die jungen Burſche
vor dem Sramladen dort und muftern
die Ware, während jo mancher achjel=
zudend vorübergeht und denkt: „Dös
holt man ji” droben am Berg’, mit
berunten beim Kramer.“
„Herr Nachbar, a Barafol? Mor-
gen regnet's“, ruft der Schirmfabri-
fant einem furzgedrungenen Bauer
zu, der eben vorüberftapft.
„Dös is g'ſcheit;
na’ wachſ' i
TE
no’ a biffel”, Tautet die Antwort, ohne
dafs der Redende ſich umfieht.
„Aber Schöne filberne Knöpf, dös
wär’ ſcho' was anders für an guten
Bauern”, tönt eine jchrille Stimme
aus dem mächften Stand — „oder
an Anhenker fürd Dirndl ?* (So nennt
man das filberne Halsgeſchmeid.)
„Da braucht ſcho' an eijerne
Ketten zum anhängen, und nachher
foınmen ſ' dir do’ no’ aus“, brummt
der Alte damwider — abermals ohne
ſich umzuſehen; der Krämer aber rafft
mit beiden Händen feine Schäße auf
und weist fie der lugenden Menge.
Dier findet jih noch jo mandes
töftlihe alte Ding an Schnürwerf
und Geſchmeide; denn mandes Erb-
ftüd, das Jahrhunderte lang im Be—
fig derjelben Familie war, wird heute
leider veräußert oder gegen modernen
Zierat eingetaufcht. Die „Herrichaften“
aber, die über Sommer aufs Land
fonımen, lieben das „alte Zeug”, und
gerade auf fie ift hier die Speculation
gerichtet; in dichter Menge umdrängen
die Schönen Fräulein aus der Stadt
die hölzerne Bude, um Knöpfe von
Silberfiligran, oder Gürtelſchließen
oder ein Halsgefchmeid zu holen, das
vor dreihundert Jahren auf der vollen
Bruft einer Bauerstochter glänzte,
wenn fie der Jäger von Hohenwalded
oder der Bergknapp von Hall zum
Tanz geführt.
Unbetümmert um diefe zarten Ge—
ftalten und ihre alterthümlichen Paſ—
fionen drängt dort ein breitfchultriger
Burfche durch den engen Markt; fein
Halsgefhmeid find ein paar breite
Eifentetten, die er für den Zuchtitier
daheim getauft und die er auf Diele
Weiſe am bequemjten transportiert ;
als holde Zuthat trägt er über der
Schulter einige Daden und Heugabeln,
die gleichfalls an ſolchem Tage für
den häuslichen Bedarf erworben wer—
ben.
„Aufg'ſchaugt!“ ruft er phlegma—
tiſch, fo oft fih einer an denjelben
geſtoßen hat.
4
BER
Auch ein Verkaufsſtand mit feſt- Ritter- und Räubergejchichten
ſtechenden Meſſern gehört zu den noth—
wendigen Attributen eines bairischen
Marktes. Der Gebrauch derjelben ift
zum Glück im Hochland unendlich
jeltener al& in Niederbaiern,, wo fie
bei jedem Streite jofort gezogen
werden, aber als Waffe, als Zeichen
feiner Wehrhaftigkeit will jie auch der
Bauer in den Bergen nicht miffen.
Ja, es ift bezeichnend genug für die
Charakteriſtik des Stammes, dafs
König Rudolph von Habsburg bereits
in einem Landfrieden, der fpeciell für
die bairiſchen Gebirgstheile galt, ein
Verbot diefer Art für möthig hielt.
Es heißt dort (anno 6. Juli 1281):
„Swer ftechmezzer in den bojen trait
(trägt), dem ful man die Hand ab»
ſlahen.“
So grimmig iſt zwar die Polizei
von heute nicht, aber an Verboten
hat es auch im neunzehnten Jahr—
hundert niemals gefehlt und noch
weniger an — ihrer Übertretung.
Ganz leer geht wohl niemand vom
Markte heim; denn auch die Gene:
rofität fommt an einem jolden Tage
zu ihrem Recht, und fie ift im Bauern—
ftande vielleicht verbreiteter, als wir
es denfen. Das alte Spridmwort „noti’
is nit luſti'“ gilt vor allem, wenn
man außer Haus geht; es ift Ehren—
fadhe, daj3 der Burfch feinem Mäd—
hen ein Geſchenk macht, wenn fie an
diefem Tage zujfammentreffen; der
Pathe mujs feiner „Godl“ (das heißt
dem Pathentind) eine Gabe nach Haufe
bringen, und ebenjo erwarten es die
Kinder von den Eltern. Spielzeug
aller Art liegt ausgebreitet, unſchuldige
Kränzlein für den Frohnleichnamstag,
aber den Borzug hat auch Hier das
Eſsbare, „die eſſende Sach'“, wie der
Baner jagt. Darum ift der Lebzelter
der populäre Mann mit jeinen
breiten braunen Derzen aus Pfeffer:
kuchen, die ein geheimnisvoller Sinne
ſpruch ziert. Noch geheimnisvoller
freilih find die Büchlein, die auf dem
und
Traumdeutereien.
„Stück für Stück zehn Pfennig“,
kreiſcht die Megäre, die dieſe Schätze
hütet, und traumverſunken ſteht der
hochgewachſene Tiroler dort, der die
Woche über als Holzknecht in den
Bergen weilt; er hält feinen Schatz
an der Hand, auch ein Zirolerfind
au& dem Zillerthale, wie jchon der
breitfrämpige Hut verrät), Das Büch—
lein, da3 er in den ungefügen Fingern
hält, ſoll das Recept verrathen, wie
man unfehlbar in der Lotterie ge=
winnen muſs — er ftreicht die Stirn
mit dem blonden Ringelhaar und
Schlägt die großen blauen Augen auf
und blidt ftumm auf das fanfte und
frifche Antliß des Mägdleins, als wäre
nun ihrer beider Glüd geborgen.
Mühfam Holt er den Zehner aus dem
ledernen Beutel, und faſt verjtohlen
birgt er das Wunderbud im Bruft-
flet und geht mit feinem Schatze an
der Hand fo ſchnell von dannen, dajs
er gar nicht Hört, wie die Megäre
zum nächſten ſpricht: „Stüd für Stüd
zehn Pfennig!“
Da wirbelt wieder die Trommel:
— rer — rrer — bumbum — und im
Sturmfchritte drängt ſich alles den
Seiltänzern zu; „'n Herkules, den
müß’ ma ſehgn.“ Es ift unfer arıner
Freund von geftern, aber zum Glüd
ift fein Verhängnis erſt bei wenigen
ruchbar geworden, und jo genießt ihn
die Mehrheit noch im unverkürzten
Nimbus. Schon den ganzen Morgen
über war feine Eijenftange und ein
jchwerer Feldſtein frei auf dem Platze
gelegen, damit jeder ſich daran ver—
fuchen könne; denn eine VBerjchleppung
derjelben war aus guten Gründen nicht
zu beforgen. Ein dichter Kreis Schau—
(uftiger umgibt beitändig die gewal—
tigen Stüde. Der und jener verfuchte
jeine Kraft, aber nur ein achtzehn—
jähriges Bürfchlein ſah ich, das die
Zweicentnerftange über den Kopf hob.
Es war ein Yutterfneht vom Bauer
nächſten Stande ausgebreitet liegen: | im der Au. Der Zauber, den die nadte
— |
Kraft auf den gemeinen Mann übt,
bleibt ihm doch ſtets ummiderftehlich, | wiederum den Wortheil, dafs es dort
das Elementare, Sinnenfällige, das | Prügel in Menge gibt. Dieſes er-
darin liegt, Hält ihn gefangen, und habene Schaufpiel bleibt dem Volke
der Dann, der allein einen Fuhrwagen ‚doch immer das liebfte; die ganze
von der Stelle zieht, imponiert ihm dramatiſche Action liegt Hier im Knüppel,
unendlih mehr al3 der verwehende ‚den der Held des Stüdes führt, und
Dampf, der einen ganzen Feſtzug be= |die Glanzftellen feiner Diction ver=
flügelt. hallen auf den Köpfen von Tod und
„Sept kimmt er, jegt limmt er“, | Teufel. Wie umvertilgbar jeit Jahr-
heißt es von allen Seiten, wenn nun [Hunderten ift diefe deutſche Legende —
der „Herkules“ in die umfeilte Arena trotz aller modernen Anmwandlung, ber
tritt, ein hoher Kieshaufen, der zur ſelbſt das Landvolf unterliegt!
Seite fteht, ericheint als günftige | der ift das nicht modern, wenn
Tribüne; er ift im Nu erſtürmt und dicht Hinter der Bude des Hanswurſtes
fällt alsbald im ſich zuſammen unter | ein photographifches Atelier fteht, adhoc
der Laſt feiner neugierigen Beſteiger. für die „Heren Landleute* gezimmert ?
Unterdeffen haranguiert ein abgefchabter In folder Stunde bringt der Bauer
Clown die Menge und erzählt unter wohl das dünmfte Gefiht zuftande,
Purzelbäumen die Biographie des das er jemals im Leben zeigt; mit
„Herlules“, die im dem wichtigen | aufgerifjenen Augen und ausgeſpreizten
Aviſo gipfelt: „Iſt noch nicht ver- | Deinen ſitzt er dort, und neben ihm
heiratet.“ fteht triumphierend ein Maßkrug als
Herkules — es iſt wohl der ein- voltsthümliches Ornament.
jige Name, der fi aus der griechi— — — —— —
ſchen Mythologie ins altbairiſche Volks— 19 Glied —
ieben verirrt hat und der dort ſogar du reinen Milebermann Amer dem
eine Art Hanstedht gewonnen hat: feierlihen Drude des Apparates, bie
der prächtige braune Zuchthengit des a... mac bie on —
Weißachmüllers heißt Herkules, wenn | Por AL DEREDEIM, [age —
z los: „AH, Schön is er femma*, „akkrat
auch an der Stallthür „Herluckes“ ge⸗ 3 a ' .
föprieben lebt. wie’3 Leben“, und feiner verjäumt
inzuzufeßen: „Siehft — an Maptru
Und wenn nun die Production Ant Iche of —
beginnt, da ſolltet ihr erſt die glän— Daſs der Maßkrug auch außer—
zenden Bauernaugen ſehen, die jedes dem an Markttagen eine große Rolle
Stüd begleiten: er läjst ſich den spielt, ift natürlich; das viele Hin und
Oberarm mit einer ſtarken Peitſchen- Her uud befonders das „Umeinander-
Ihnur umbinden, und durch einen Rud ſtehn“ macht müde, und Müdigkeit
der Musleln zerreißt er die Schnur; | zeugt Durft. So find denn alle Gafte
er wirft ein Mefjer auf den Tiſch, |ftuben überfüllt; in der Fenſterniſche
dafs es fteden bleibt, aber von feinem umd im Winkel fien die Alten und
Arme prallt es ab, als ob es auf pisputieren noch über diefes und jenes
Eifen gefallen wäre. Und während | Gefchäft; jeder Bauer hat heutzutage
noch alles in höchſter Spannung lebt, | jo a biffel a Handelſchaft“. Das
umfreist der belannte Teller die „hoch⸗ kommt erſt morgen recht ans Licht;
verehrte Verſammlung“, aber zuerſt denn mach dem „Leutmarkt“ wird am
den äußerften Ring, damit feiner ent» Montag „Viehmarkt* gehalten: fo
wiſche. lautet die traditionelle Bezeichnung der
Mit verzweifelter Anſtrengung beiden Tage.
macht „Kaſperl“ dem verhaſsſsten Geg— Doch während die Alten klügeln
ner Concurrenz, und er hat hin—
ee 7
a ©
%
365
und rechnen, dröhnt die Dede zu ihren
Häuptern; droben im Saale ift Schub:
plattitanz für das junge Volk; denn
aud das ift ein hergebrachtes Privileg
des Marktiages, daſs an deinfelben |
Tanzmuſik gehalten wird.
Es dämmert Schon, bis das Kleine
Fuhrwerk wieder heimwärts trollt auf
dem gewundenen Sträglein, wo wir
es zuerſt gefehen. Der Bauer fiht noch
firamm und aufrecht darinnen, und
er fühlt mit ſichtlichem Stolz, dafs er
troß ſchwerer Zeche jo unverſehrt da=
vongelommen — die Bäuerin aber
ſchaut ihm nicht ohne Argwohn auf
die Zügel und ift froh, dafs wenigſtens
der Bräundl jo ficher geht. Es wird
jpät, bis man heimkommt, aber troß=
dem find die Kinder noch auf und
jubilieren den Alten entgegen: „Daft
uns an Markt mitbraht?“ Auch
das ift ein ftehender Ausdrud der
Volksſprache.
... Wie lind die Nacht iſt! —
Alles gieng längſt zur Ruhe in dem
großen Bauerngehöft; nur Mann und
Frau ſind noch wach und ſitzen auf
der Hausbank vor der Thür. Vor
ihnen dehnt ſich Stall und Scheune;
der alte Lindenbaum rauſcht und blüht,
und wenn ſie da ſo ſchweigſam in die
Sterne ſchauen, da mag es ihnen
wohl durch die Seele gehen, was Erb'
und Eigen wert iſt, und wie glücklich
neben all dem fahrenden Volk ein
Mann ift, der Haus und Hof in
hundertjähriger Folge fein nennt.
Es gibt ein altes Sprichwort:
„Eigen Raud und Gemad
Geht über alle Sach'!“
Auf der Primis.
Ein Bildchen aus dem fteirifhen Volksleben von Karl Reiterer.
8
—— Hettelhuber Franz iſt ausge—
S vweiht worden!” heißt es eines
= Tages in Felixendorf, einer
oberländ’rischen Alpengemeinde.
Das ganze Dörfchen macht ih am
„SchußengeleSonntag“, an welchem
Tage die Primiz Franzens ftattfindet,
auf die Beine,
Herren Franz zu jehen,
Es ift Sonntagmorgen. Süße
Ruhe, beiliger Frieden ift ausgegoſſen
über Wald und Flur, Berg und Thal.
Kein Wölkchen trübt die Bläue des
Firmamentes, die Schwalben zwitichern
trauli unter den Giebeldächern oder
jegeln mwohlgemuth durch die Lüfte,
dem Schöpfer ihr Loblied fingend.
Vom Kirchthurm jchlägt die neunte
Stunde,
um den Geiftlichen |
er ſich zu benehmen weiß.“
Da ertönt Glodengeläute, |
eine Mufikcapelle beginnt zu fpielen,
ernst und feierlich fchreitet eine Pro—
ceflion vom Felixendorfer Pfarrhauſe
der Kirche zu, voran weißgelleidete
Mädchen, die Schuljugend, dann die
Priefterfchar, der Junggejellen-Berein,
zulegt fommt der Primiziant im feit-
lihen Ornate, den Blid demuthsvoll
zu Boden heftend.
„Hu, wie rund er fih ausgewachſen
hat, er, der einstmals mit dem Linnen—
höschen und dem Lodenrödlein in «die
Studi» gieng“, liſpelt die Frauen—
hoferin einem ergrauten Mütterlein ins
Ohr.
„Es ift aus der Beil, wie fein
— Stinder
und Frauen drängen fich heran, dem
Geiftlihen die Dand zu küſſen.
Franzens Mütterlein zittert vor| fchifft, trat Franz in das „Prieſter—
Freude, eine Thräne erglänzt in ihrem haus". Die laug erhoffte Zeit, in der
Auge. O Mutterthräne! Glücklicher das wogende Mutterherz ihren Sohn,
Sohn, der einer Freudenthräne aus) ihre Hoffnung, ihren Stolz im langen
dem Mutterauge theilhaftig wird, einer | Talare heimkommen fieht, war ſchließ—
Thräne, die den unergründlichen Tiefen | lich da.
eines See's gleicht. Nicht nur Bater und Mutter, nein,
Sa, die heißerfehnte Zeit, in der| die ganze Deimat3gemeinde begrüßte
dein Kind das erjtemal als Diener | mit hochklopfendem Herzen Franz, aus
Gottes in feiner Weihe zum Altare| dem mittlerweile ein Mann geworden.
tritt, fie ift gefommen, liebes Mutter- PVöllerfchüffe verfünden es weithin,
herz. So mandes Gröfchlein haft du dafs fih in Felirendorf heute — am
der Wirtfchaft abgezwadt: Für die) Schußengel-Sonntag — etwas Außer:
Primiz, für die Ausftattung deines | ordentliches zutrage. Es will der Jubel
Eohnes, wenn er dereinft als Priefter | fein Ende nehmen.
heimkehrt .... Die Feier in der Kirche iſt be—
Und dieſe ſelige goldene Zeit für endet, der wichtigſte Moment des Tages
das ſehnende Elternherz iſt da. Der in feiner Haupttragweite abgelaufen.
bäuerlichen Mutter größte Freude iſt's Einer Primiz beiwohnen, iſt für das
ja, einen ihrer Knaben, der Lerneifer Seelenheil beſſer, als ſieben Meſſen
und Talent an den Tag legt, in die Stadt andächtig zuhören! glaubt das Land—
in „d’ Studi” zu bringen. Den Land- volk. Und recht hat man; es ſoll nur
leuten ift, man weiß es, der Geiſtliche geglaubt werden.
das deal eines „Gftudierten“. Run! Aus dem Gotteshaufe gezogen,
wohl an! Damit aus dem lernbe= | wird die Dorftaverne aufgefucht. Unter
gierigen Dalterbüblein ein Pfarrer, Elingendem Spiele geht e8 vorwärts.
Dechant — oder gar Bilchof werde, | „So viel niedertradhtig iſt er ge=
muſs der Knab' zum Pfarrer des | blieben, der Primiziant, jo viel g’mein!“
Heimatsdorfes in die „Zuaricht“ ge- raunt die MWolfenbänerin der Primiz-
Ihidt werden. Auch des Hettelhubes | mutter ind Ohr. Diefe, die reiche und
rischen nahm fi, vor Jahren wars, | angejehene Steghofwirtin, lächelt glüd-
vor zwölf langen Jahren, der Orts- ſelig. Sie läjät es ſich foften, eine
caplan liebevoll an, bereitete den Sleis ganze Weihe der ſchönſten Spenden
nen zur Aufnahme ins „Augufteneum“ | jind für den geiftlichen Deren in Be—
bor, weil Franzens Mütterchen meinte: | reitfehaft. Auch die Kranzeljungfrauen
„'s Bübl ift halt frei fo viel witzig!“ laſſen ſich micht fpotten — und über-
Ei ja, ein gewedtes Kind hatte die reichen dem „Neneingeweihten“ einen
Hettelhuberin, ihren Franzerl, der nicht | goldenen Stel, die Junggefellen von
nur den ganzen Katechismus aus« Felixendorf dagegen verehren ihrem
wendig mwufste, fondern auch etliche ehemaligen Jugendgefpielen eine gold»
Evangelien im Gedächtniffe hatte und! geftidte Stola.
einige Stüdlein aus ber Bibel zu er=| An der Doritaverne berriht um
zählen vermochte. Brad. Da kann es: die Mittagszeit reges Leben.
freiliih ans Studieren gehen. Während im MWirtsftübchen eine
Auh, acht volle Jahre mufste der herrliche Tafel gededt wird, bombar—
Knabe in der „Lateinfchule” herum | diert man im Freien, daſs ganz Fe—
boden, ein entjagungsvolles Leben | lirendorf in Rauch gehüllt wird. Recht.
zwiſchen vier Wänden führen. Alle Welt ſoll es nur bören: Die
Aus dem Anaben ward ein Jüng- Felixendorfer haben Einen, der aus
ling. Die Klippen des Gymnafiums — | ihrer Mitte Geiftlicher geworden: den
es gibt deren fo viele — glüdlich um- Hettelhuber Franz.
u _
Die Dorfmufifanten beforgen bie
Zafelmufit, fpielen muntere Weifen.
Bor dem Wirtshaufe geht es zu, wie
bei einer Kirmeſſ'. Lebzelter, Süd-
früchtenhändfer, Galanteriewarenfrä-
mer zeigen ſich auf dem Dorfplake,
legtere in bumtfärbigen Buden und
Zelten. Die Laune des Wettergottes
ift eine ungetrübte. Angeſichts diefes
erfrenlihen Umftandes pilgern einhei-
miſche und fremde Bauern und Bürgers:
leute zwischen den Buden umber. Zumal
die freudig erregten Felixendorfer wollen
es dem jungen Geiftlichen zeigen, dafs
fie ihn ehren, indem fie fich recht zahl«
reich in heiterfter Laune einfinden.
Es perlt der ſteiriſche Schilcher gar
verlodend in den Gläſern — und wird
dein Primizianten zur Ehr und Preis
in großen Quantitäten vertilgt. Ein
Mann mit einem Wurſtkeſſelein drängt
ih durch die Menge, mit dem Rufe:
„Deiße — feine — Primizwürſth!“
Primizwürſtel will jedermann ver—
foften, verſteht ſich.
Eine originelle Muſikbande ſpielt
neben einem Weinzelte fröhliche Wei—
jen, ſorgt dafür, daſs auch außerhalb
des Wirtshäuschens die Säfte ſich bei
Geigen- und Hörnerllang unterhalten
fönnen. Der Schulmeifter ift Heute
Kapellmeifter und im dieſer feiner
Eigenschaft vollauf beihäftigt. Die
Ihönften „Steirifchen“ und Heimats—
Hänge im niedlichen Stleide, der Jodler
müſſen der Fiedel entlodt werden.
Nur zu!
Der Jugend werden des Lebens
Süßigkeiten beim Lebzelter und diden
„Heigen-Hanfel“ geboten. Für das
Ihauluftige Bölllein bildet ein Pan—
opticum, in den die Stadt Rom, Ge—
novefabilder, Paſſionsdarſtellungen :c.
augejehen werden fönnen, den An—
ziehungspunft. Vor der Bude fpielt
ein Drehorgeljpieler anheimelnde Volks—
weifen und lodt viele Leute herbei.
Nur hinein in das Panopticum. Ganz
recht, die Stadt auf den „fieben Hü—
geln“ ift nicht immer zu fehen, mir
an einem Primizfeite in Felixendorf!
Diefe Gloffen, welche der Ausrufer
bor der Bude dem „hochgeehrten
Publicum“ vormacht, verfehlten nicht
ihre Wirkung.
Alles freut Sich feines Lebens.
Wohl begreiflih, eine Primiz ift nur
felten. In Felixendorf war eine folcdhe
ſchon ſeit undenklichen Zeiten nicht
mehr. Soll ſich da nicht groß und
klein, alt und jung des Tages freu'n?
Natürlich!
Die zur Primiztafel Geladenen,
zu welden die Anverwandten des
Primizianten, die Dorfhonoratioren:
der Biirgermeifter, Gemeinderath, der
Pfarrer, die Kirchenkämmerer gehören,
fißen munter bei den Ziehen, die ſich
unter ihrer Laſt faft „biegen. Ru,
bei vollen Schüffeln und Gläfern läfst
ſich's Freilich gemüthlich plaudern. Auch
Toaſte werden ausgebradt, bejcheidene,
naide und ſchwülſtige, jeder ſingt eben,
wie ihm der Schnabel gewachſen ilt,
jo auch beim „Lebenlaſſen“ und „Zus
trinten” auf Franzens Primiz in der
Taverne,
Unter Scherz und Laden ver-
ftreicht die Zeit, rüdt die Abendftunde
heran. Beim Eintritt der mächtigen
Stunde find auf den umberliegenden
Höhen Freudenfeuer bemerkbar: Alle
prangen weithin Jichtbar — dem Pri—
mizianten zu Ehren. Eine lobenswerte
Aufmerkjamteit.
Nun wird wohl bald nah Haufe
gezogen werden? Gott bewahre. Nur
die älteren Geiftlihen, die aus der
Nahbarjchaft Herbeigeeilt waren, kehren
heim. Die übrigen PBrimizgäfte, mit
dem „Gefeierten“ in der Mitte, bleiben
im Wirtsftübchen zurüd. Was ges
ſchieht? Tiſche und Stühle werden
beifeite gefchoben. Weshalb ? — Es
wird ein freier Raum zum Tanze ge—
Ihaffen. Ei, ei, wird denn auf einer
Primiz auch getanzt? Bi! Es foll
freilich nicht jein. Allein was kümmert
e5 den fidelgewordenen Kranzeljung—
frauen und Junggeſellen, wenn die
geiftlichen Borgefegten fagen: Bei einer
Primiz darf der Boſe jein Spiel nicht
son.
haben. — „Na, na, ein Zänzlein in
Ehren — kann niemand verwehren!“
meint der „Göd“ des Primizianten.
Der Steirer will in feiner Luft tanzen,
nur nicht engherzig fein.
Auch der junge geiftlihe Herr
wird gebeten, mit der erften Kranzel—
jungfer ein Zänzlein zu „machen“.
Ob er's tut? Alles blidt fragend
nad dem Hettelhuber Franz. Mit der
niedlichen Baderstochter dreht fich
Ihlieglih der Primiziant im Reigen,
Warum denn nit? „Er hat ja auch
Fleiſch und Blut!“ flüftert die junge
Köhlbergerin ihrer Sitznachbarin ins
Ohr. Ein ergrautes Miütterchen nimmt
der Dorfcaplan — und Hopst mit
demfelben im Stübchen beim Stei—
riſchen. Heiſſaſſa! Darob eine Luft!
Welch' Seligleit.
Der Simbartlberger Naz, der mit
des Schulmeiſters Zöchterlein ſich
mitten im bunten Knäuel der Tan—
zenden im Kreiſe dreht, trällert in
übermüthiger Laune gar:
„Wenn's Liabn a Sünd' wär,
Wia die Beiftlanan jagn,
Aft därfat da Pfarrer
Ka Kö .
Der Schluſsſatz ift mit mehr
vernehmbar. — Ein allgemeines Ge—
trampel, Gepolter und Sohlen geht
los, weil der Simbartlbergerſch' diejes
„Staubdenliedel“ vortragen wollt’ —
es aber nicht zu vollenden vermochte.
„Buhe! Der geiftlihe Herr ſoll
leben, drei Tag nah der Ewigfeit
noch beim Gottvater daneben!“ ruft der
Sanperlbauer,
Die Mufilanten erwidern mit
einem Tuſch, alles klatſcht Beifall.
„Jeſſus, iſt's aber heut’ unterhalt-
lich!“ — Recht fo!
Gegen Morgengrauen wird's im
Tanzgemach ziemlich ſchwül. Da geht
man gern einmal friſche Nachtluft
einfangen.
Mährend die Altväter beim „Neu
päuriſchen“ fingen:
.. 1.0. *
„Sa, ih woaß ſchon = . ih hiaz thua;
35 laſſ' die ſchöan Biradt mit Ruah;
ju
Schuah und Strümpf bleib mir ganz und
das Geld ab dazu,
Bleib dabei a Iuftiga Bua. Jude!“
begeben ſich die Kranzeljungfrauen ins
Freie. Man luftwandelt im thaufrifchen
Gras des Schadens hinter dem Wirts—
häushen einher. Der Mond biidt
freundlich hernieder, taufend flim—
mernde Sterne belaufchen die nächt—
lihen Geftalten. Der Schmerhofer
Kilian, ein feuriger Großbauernfohn,
lehnt feinen Kopf an die Schulter
der Baderstochter ... Glüdfeligkeit!....
Allınählich verlieren fich in der Tas
berne die Gäfte; unter Glüdwünjchen,
die dem Primizianten zum Abfchiede
dargebracht werden, verlafjen die ein—
zelnen Pärchen die trauliche, mit
Tabafrauch geihwängerte MWirtsftube.
Manches Mütterlein drüdt dem geiſt—
liden Herrn Franz einen geweihten
Hran’nbildthaler in die Hand....
„Bejegne es Gott, ift zwar nicht viel,
aber vom Herzen! ...“ Vergelt's
Gott! — Frühmorgens ziehen die
Zurüdgebliebenen, unter ihnen der
Primiziant, zur Dorfkirche, aud
unferem Herrgott muſs der Tribut
gezollt werden.
Nah dem Kirchgange wird ein
Hrühftüd eingenommen, hernach geht's
heim zu: Die Mufilanten abermals
voraus, die Jungfrauen u. ſ. w. fol—
gend, Glarinette und Horne erklingen,
Pöllerſchüſſe erfchüttern die Luft.
Beim Heimatshaufe Franzens an—
gelommen, wird auf dem grünen
Rafen im goldenen Morgenionnens
Ichein getanzt, gefungen und gejodelt.
Die Hettelduberin bewirtet darauf die
ehrenwerten Gäſte.
Alles verwundert ſich höchlich, daſs
die Mutter des Primizianten es ver—
ſteht, der anſehnlichen Schar Gäſte
mit großer Umſicht ein frugales Gabel—
frühſtück vorzuſetzen, Speiſen, die in
der geſchwärzten Rauchküche zubereitet
— .
wurden: Milchlaffee, Badhendel, Eier: |
ftrauben, Apfelradel, Krapfen u. |. w. |
Dass nebſtbei auch der vaterländijche |
Schilder in den Gläſern perlt und‘
eine fascinierende Wirkung auf die
nachtmüden Gemüther ausübt, ift be=
greiflich.
Man vermag ſich garnicht zu tren—
nen. Glück ſtrahlt auf jedem Geſichte,
bis endlich die gefürchtete Scheideſtunde
ſchlägt. Jeder zieht ſeines Weges,
nachdem man ſich zuvor auf das herz⸗
lihfte vom Primizianten verabjchiedet
bat.
Noch lange nach diefem Ehrentage |
des Hettelhuberifchen jpricht man in
Felixendorf, daſs es auf der Primiz |
369
des Franz brav
gen ſei.
Gott befohlen, junger Geiſtlicher,
der du mit freiem Blick, nicht eng—
herzig, die Welt auffajst, kugelrund,
wie fie ift und bleiben wird, fich um
die Sonne bemwegend.
„Öefegnet feien deine Wege, mein
Franz!“ betet die Mutter.
luftig zugegan—
Wie dih das Schidjal aud
Durchs Leben führen ınag,
Ertrag's mit Kraft und Muth;
Mit fih’rem Blid ftreb’ hin,
Hin nad des Menſchen Gut,
Dem Glauben, Stolz, der ſich
Des Glaubens rühmen fann —
Und bleibt ein freier Mann!
Wie es mir als Dramatiker ergangen if.
Belenntnis aus meinem MWeltleben von P. R. Rofegger,
ap
it dem altehrwürdigen Grund—
yon Taße, aus Beicheidenheit mög»
°F fichft wenig von fich felbft zu
ſprechen, habe ich befanntlih längſt
gebrochen. Ich jehe nicht ein, warum man
gerade davon nicht jprechen joll, was
man am beften kennt und weiß. Zwar
heißt es, fich jelbft erkennen, das wäre
die ſchwierigſte Wiſſenſchaft; mag wohl
fein, und gerade darum foll der Menjc |
jich viel darin üben. Wenn man jid
mit ſich ſelbſt befaſst, muſs das denn
immer aus Eigenliebe geſchehen? Kann
es nicht auch einen anderen Grund
haben?
Ja, weiß Gott, welchen Grund e |
hat, wenn ih nun des langen und
breiten erzähle, wie ih — verzeihen
Sie meine Herren Kritifer das harte
Wort! — Dramatifer geworden bin.
In einer Winternacht des Jahres
1890 träumte mir, der Gaugel-Blas |
hätte den Kreuzjäger erſchoſſen, er ftehe
Rofegger’s „„Grimgarten‘‘, 5 Geft, XV.
6
deswegen vor Gericht, leugne es aber.
Da kommt die Witwe des Erſchoſſenen
als Hauptzeugin, jagt jedoh aus Er-
barmen mit dem armen Sünder nicht
‚gegen ihn aus, was dieſen fo tief
rührt, dafs er jih nun jelbft al3 den
Thäter befennt. — Nach diefem Traume
erwachte ich, der Herzichlag gieng mir
lebhaft, ich war don der Erſcheinung
ganz und gar erfüllt. Am mächiten
Tage ſchrieb ih in Bauernmundart
die Heine Geſchichte „der Gaugel-Blas“,
welche hernach im Juniheft des „Heim—
garten“ abgedruckt worden iſt. Wenige
Tage nach dem Erſcheinen dieſes Heftes
ſchrieb mir ein Freund, der Dichter
Richard Voß aus Berchtesgaden:
„Liebſter! Aus dieſem Gaugel-Blas
muſst Du ein Theaterftüd machen, Du
musst! Ein herrlider Stoff!" —
Was Sollte ich thun, als ein wenig
läheln? Ich ein Theaterftüd jchreiben!
Und aus diefer Geſchichte, die mir jo
24
garnicht knetbar ſchien, um fie in fo
und jo viel Acten flilgereht auf die
Bühne zu bringen. Anftatt ein Stüd
daraus zu machen, jchrieb ih eine
größere hochdeutſche Erzählung über
den Gaugel-Blas, und damit glaubte
ih die ganze Sadhe vom Halfe zu
haben. — Pier Monate fpäter, an
einem Herbſtmorgen, ald ih noch im
Bette liegend darüber nachdachte, was
ich an dieſem Tage unternehmen follte,
denn ich fühlte mich nach einer über—
ftandenen Krankheit wieder aufgelegt
zum Arbeiten, kam mir ganz plößlich
der Gaugel-Blas in den Sinn und
in dem Wugenblide ſtand auch der
dramatiihe Aufbau für ein Theater-
ftüd Mar vor mir, Ich ftand auf, be—
gann zu Schreiben und an dem Abende
desjelben Tages war der erfte Aufzug
fertig. Fünf Tage fpäter ſah ih zu
meiner eigenen Überrafhung, dafs ich
ein Stüd gejehrieben Hatte, welches den
Titel führt: „Am Tage des Gerichts.”
Und nun Fam das Nachdenken und
Meſſen und Fügen, ich war gerne ge—
neigt, das Stitd zu zergliedern, anders
zu bauen, um es biühnengerecht zu
machen, allein es ftellte fich heraus,
dafs die Arbeit in der urfprünglichen
Form bleiben mufste, um einfach und
folgerichtig zu fein, dafs fie aber in
diejer Form Fein Stüd nad dem
äfthetifchen Leiften war. Das madt
nichts, wenn nur der Gehalt etwas
bedeutet, und des Gehaltes wegen war
mir nicht bange. — Sehr oft war id
von Theaterdirectoren und Schau—
jpielern angegangen worden, einmal
ein Stüd zu jchreiben, auch unfer
Grazer Director, Herr Alfred Schrei—
ber, hatte mich wiederholt freundlichſt
Diefem erprobten
dazu ermuntert.
Bühnenmanne jchidte ih mun halb
im Spaſs und Halb im Ernſte das
370
ſchnell, fo ift es nicht Sitte in deutfchen
Landen, wo die größten Dramatifer
auf fangen, mühevollen Wegen und
nur duch mannigfaltige Kämpfe zur
Bühne gelangen. Ih Hatte auf den
Lorbeer des Dramatifers nicht allein
willig verzichtet, jondern war ihm
jogar ausgewichen, er ift allzujchwer
und — allzuleiht zu haben. Anzen—
geuber ftarb in Armuth, Offenbach
ward Millionär. Mich verlangte es
nicht nad dem einen und micht nach
dein anderen. Ich entdedte in mir
weder dramatiſchen Beruf noch Luft,
mein ruhiges Leben mit den Auf—
regungen der Theaterwelt zu ver—
tauschen, alfo ftand ich dem Antrage
des braven Directors, der einen anderen
Dilettanten glüdlich gemacht Hätte, län-
gere Zeit ziemlich gleichgiltig gegen—
über. Dann aber dachte ih: Du Halt
ſchon jo Vieles verfucht auf diefer Welt,
verſuche auch das. Du Haft ja immer
bedauert, daſs bei deinen Vorlejungen
dein geiftiges Naturell nicht recht zum
Nusdrude kommt. Wenn du ein ſpaſſi—
ges Stüdel vorbradteft, ein ſchelmi—
ches Anekdotlein oder jo was, da hieß es
ftets: Ein echter Rofegger! — Vielleicht
ift doch diefes Schauſpiel, geſchöpft
aus tiefften Ernſte des Lebens, ein
noch echterer! Ich willigte zur Auf—
führung des Stüdes und ein paar
Moden fpäter la3 man auf dem
Theaterzeitel: „Iheater am Stadtpark:
Heute das erftemal: «Am Tage des
Gerichts», Volksſchauſpiel in vier Auf—
zügen von —“ u. ſ. w.
Das war Samstags, den 8. No—
vember 1890. Für diefen Tag war
ſchon feit längerer Zeit eine Vorlefung
von mir in Wien feſtgeſetzt; eine
angenehme Zerftreuung dort, während
hier die Premiere ftattfand. Schon als
Dorfburfche hatte ich. esjogehalten : wenn
Stüd, ihn um feine Meinung darüber | der Pöller geladen war und der Zun—
erfuchend. Die Meinung kam poft« |
wendend: Das einzige, was da zu
thun, raſch die Rollen herausschreiben,
das Stück einftudieren und aufführen !
— Ich war überraſcht, das geht zu
der darangelegt, jo gieng ich weit hin
weg, damit beim Losgehen mir nicht
etwa ein Scherben an die Naje fliegen
konnte. Für mein Stüd hatte ſich in
‚der fteiriichen Hauptſtadt ein fo lebe»
⁊
37
haftes Intereſſe, eine ſo geſpannte
Erwartung gezeigt, daſs mir unheim—
lich wurde. Die Maßſtäbe waren
ſchon in die Länge gezogen, um den
erſten dramatiſchen Verſuch des Er—
zühlers an den Meiſterdramen Anzen—
grubers, Raimunds und Shakeſpeares
zu meſſen, die Federn ſchon geſchärft,
um nichtentſprechenden Falles ihres
Amtes zu walten. Ich fand mich ruhig,
mein Gewiſſen war gut, ich mwujfste,
da3 Stüd hat einen Inhalt, welcher
der Volksbühne würdig ift. Diejen
Inhalt wird man erfennen; im Bezug
auf die Form wird man mich umfo
mwohlwollender entjhuldigen, als man
cher Kritiker ſelbſt es erfahren, wie
ſchwierig es ift, ein ordentliches Theater-
ftüd zu ſchreiben.
Alfo bin ich heiteren Gemüthes
nah Wien gefahren. Zelegraphijche
Nahriht über das Schidjal des
Stüdes hatte ih mir verbeten, ich
wollte für meine Vorlefung gefammelt
jein und von nichts willen, als von
dem, dafs es gilt, den lieben Zuhörern
im Böjendorferfaale eine „gute
Stunde” zu bereiten. Wir ſaßen unfer
neunhundert Freunde und Freundinnen
auch jo gemüthlich beifammen, das
ih ganz und gar vergaß, wie zur
jelben Zeit in Graz die Hände
tlatſchen oder die faulen Äpfel fliegen
fonnten. Nachdem id) gegen anderthalb
Stunden gelejen hatte und das Pro—
gramm noch immer micht alle war,
brach ich ab, damit aus einer guten
Stunde nicht zwei ſchlechte würden.
Denn ih war ſchon ſehr erfchöpft,
las von Minute zu Minute fchlechter
und „ſchlamperter“. Doch die Wiener
haben jeit jeher Geduld gehabt mit
meinen Shwäden; fie ehrten mich am
Schluſſe mit raufhendem Beifall; ob
fürs Lefen oder fürs Aufhören, das
weiß ich freilich nicht.
Nach der Borlefung ein Stündchen
mit ein paar Freunden, und dann ins
Bett. Und nun Huben die Bedenken
an. Wie wird's in Graz fein? Die
Miürfel find gefallen. In der heimat-
lihen Stadt, jozufagen vor den Feit=
fterın der eigenen Wohnung durchzu—
fallen, foll nad dem Zeugniſſe be—
rühmter Zeitgenofjen nicht jonderlich
angenehm fein. Wenn e8 gut ausgefallen
wäre, hätten fie mir doch telegraphiert,
troß des Verbotes. — Die Aufregung
über das Schidjal eines neuen Buches,
die Angft vor einer ſchlechten Aufnahme
desjelben kenne ih nicht. Wenn nur
ich jelbft mit dem Buche nicht allzu
unzufrieden bin, nah der Meinung
anderer frage ih faum mehr. So
ſträflich leichtſinnig! Diesmal jedoch
war es etwas anderes; dreißig Meilen
weit von den Rampen Hatte ich hef—
tiges Lanıpenfieber die ganze Nacht.
Auch förperlih war ich fehr erfchöpft
und elend. Am Morgen — e3 war
ein frofliger Nebelmorgen — ſchleppte
ih mich zum Sidbahnhofe. Dort jah
ih eine Zeitung mit der Nachricht aus
Graz des Inhalte, dafs das neue
Voltsftüd viele Fehler habe und mit
getheilten Gefühlen aufgenommen wors
den ei. — Glimpflihe Anzeige eines
entfchiedenen Durchfalles. — Alſo
heim! zurüd in Gottesnamen zur
Stätte des Jammers. Mit jo unbe—
haglicher Stimmung bin ich noch nie
in die liebe Steiermark hineingefahren,
al3 au jenem Tage. In Mürzzujchlag
faufte ih ein Grazer Blatt, um über
den Spectafel ausführlicher zu leſen,
denn auf einmal fam mir die Ge-
ſchichte faſt luſtig vor. Ein langer
Aufſatz ſtand da über das neue Stück,
wenige Stunden nach der Aufführung
ſchon gedruckt und verſendet. Was doch
heutzutage die Federn flink und die
Maſchinen raſch arbeiten! Im Aufſatze
ſtand allerhand zu leſen über die Froſtig—
keit der neuen Bühnenerſcheinungen
im allgemeinen, über die fehlerhafte
Mache des neuen Stüdes im befon-
deren, über die fonftige Popularität
jeines Verfaſſers, deſſen Freunde bei
der Aufführung erfchienen wären und
durch der Hände Arbeit einen großen
Erfolg erzielt hätten. — Bon dent
Inhalte, von dem Gehalte, von der
24*
*
Tendenz des Stückes nicht gar viel.
Das Ganze machte den Eindruck einer
rückſichtsvoll gehaltenen Ablehnung.
So verſtand ich's.
Bis mein Zug nach Graz kam,
war ich vollkommen ruhig; was müßt
denn die Philoſophie, wenn man jie
an ſolchen Tagen nicht vorfpannen
wollte! — Doch am Bahndhofe kaum
ausgeftiegen, war ich empört; mehrere
Bekannte eilten herbei uud beglüd-
wünjchten mich zu dem „großen Er-
folge”. Ich hielt es für Hohn. Erft die
Berichte, die in meiner Wohnung war-
teten, haben mich eines anderen belehrt,
haben mir gejagt, daſs das Volks—
ſchauſpiel „Am Tage des Gerichts“
einen wirklichen Erfolg errungen hätte,
wovon ih mich auch an demfelben
Abende und den folgenden Ubenden,
an welchen das Stüd bei guibefuchten
Häufern Wiederholung fand, über—
zeugen fonnte.
Die Grazer Prefje behandelte mich
mit jeltener Ubereinftimmung nicht wie
einen Ddramatiihen Anfänger, den
man ermuthigt, wenn auch nur halb»
wegs Talent zu jpüren; eher war
ihr Ton wie eine würbevoll wohl
mwollende Zurückweiſung. Und dieſe
das Intereſſe an dem Stüd läh—
menden Stimmen jpraden zu Dante
jenem in jedem Orte unvermeid—
lihen Theile des Bublicums, welchem
nichts zumiderer ift, als wenn in
feiner Mitte ein Menſch ſich an
fhidt, zur Ehre der Heimat etwas zu
leiften. — Nun die PBrivatmeinungen !
Meile Rathichläge wurden mir zu—
theil; die einen wollten den zweiten
Aufzug ſtreichen, die anderen den
vierten; ein weiterer meinte, noch am
allerlangmeiligiten fei der dritte Act,
und wieder einer fand das Stüd aus—
gezeichnet, wenn der erjte Act mit
dem ſchauerlichen Morde mwegfiele. All
diefen actbaren Wünſchen Rechnung
getragen, und es bliebe von dem gan—
zen Stüde nichts übrig, als die Zwis |
Ichenacte. Juridifche Herzen waren (und!
mit Recht) empört über das Todesurtheil, |
und Jagdbeſitzer waren außer ich, daſs
der Bertheidiger des Wildſchützen und
Jägermörders die Berufung anmeldete
„auf ein höheres Gericht”. Und welches
höhere Gericht, Jo fragten fie, fol denn
das fein, auf daS man fich nach dem
Verdicte des Schwurgerichtähofes be=
rufen könne? — Wenn man den
Dichter nicht veritanden Hat, der
Plauderer gibt darauf feine Ant—
wort.
Uebrigens brach in Graz ein be=
rufener Jurist ſtramm eine Lanze für
die juridiſche Seite des Stüdes.
Etlihe waren darüber ſchier auf—
gebracht, daſs dem Stüde cin Pro—
log vorausgeht; für jolhe möchte ich
am liebſten auch noch einen Epilog
ſchreiben und ihnen in demjelben er—
zählen, was Lejfing über den Prolog
gejagt Hat. Denn gerade die Aller-
flügften verftehen ein einfach gehaltenes
Dichterwerk am allerwenigften, und die
Zwiſchenacte eines jchlichten Volks—
ſtückes müfsten eigentlih damit aus—
gefüllt werben, den nur auf die äußere
Form fehenden Krittlern zu erklären,
was der vorhergegangene Act war und
bedeutet hat.
Einer der literarifchen Richter be—
hauptete, ich hätte das Stüd unge—
jchieterweife dort begonnen, wo es
abſchließt; ein anderer meinte, ich hätte
unklug das Stüd dort geſchloſſen, wo
es eigentlich erſt beginnt. Lebterer
war ein Anhängerder „naturaliftiichen *
Schule und feine weiteren Ausführun—
gen Haben mich jehr belehrt. Ein
prädtiger Stoff, fagte er zu mir, was
hätte ji daraus machen laffen! Sie
nahmen einen ganz guten Anlauf,
aber gerade dort, wo das Stüd eigent=
lih beginnen follte, dort Schließen Sie
es ab. Ihr Stüd, wie es heute vorliegt,
ift nichts als Erpofition. Die junge
Jägerswitwe verzeiht dem Mörder ihres
Gatten. Motiv: weil fie ihn liebt. Er
iſt ja ein intereflanter Mann, Er, der
Straisl, fieht auch raſch feinen Bortheil,
verläfst Weib und Kind in Armut
und flieht mit der hübſchen Jägers—
witwe, um mit ihr ein angenehmeres
Leben zu beginnen. Aber das ver—
lafiene Weib des Strafsl, die Jeflel,
zieht ihnen mit den hungernden Kin—
dern nad, der Strajäl weik fich ihrer
nicht anders zu entledigen, er vergiftet
die Jeſſel, ertränft die Kinder im
Fluſſe und lebt Luftig weiter. Das
wäre ein Drama! Das gäbe Scenen!
— So der Naturalift. Ich bedantte
nich recht ſchön für diefen Entwurf,
für den fih wohl aud unjer Theater:
publicum bedanten würde. Bon einem
Theil der Kritik aber dürfte ein jolches
Stück protegiert werden.
Im einzelnen machten mir derlei
Stimmen Spaſs, im ganzen aber
waren fie nicht geeignet, mich zu fürs
dern. Dem gegenüber machte ich jedoch
eine andere Erfahrung. Jener große
Theil des Publicums, der noch einer
unmittelbaren poetijchen Wirkung fähig
ift, welcher mehr empfindet als reflectiert,
fand an meinem Bollsjhaufpiele Ge—
fallen. Die Leute ſaßen im Theater,
lachten und weinten und befprachen
das Geſchaute tagelang. Diejer vor—
berrijchenden Stimmung entiprachen
eingehende Beiprehungen des Stüdes,
die von außen famen, den poetifchen
und fittlichen Gehalt nicht ignorierten
und in ihrer Frifche und Wärme er:
muthigend auf mich wirkten.
Schon waren Theateragenten an
mich herangelommen mit dem Wunfche,
dajs ich ihnen mein Volksſchauſpiel
zur Aufführung in auderen Städten
überlafjen möge. Ich erſchrak, fo
war's nicht gemeint. Aber auf viel—
feitiged® Zureden gab ih nad, legte
das Stüd in die Hände eines erfah-
renen Wiener Agenten und beſchloſs,
mich weiter darum nicht mehr zu füm-
mern. Diefer Beſchluſs wurde durch
die einftürmenden Dinge ſiſtiert.
Bald hieß es, das Stück werde,
trotzdem es in alpiner Volksmundart
geſchrieben, in vielen Städten Deutſch—
lands und den meiften Städten ſier—
reis zur Aufführung gelangen.
33
Die Aufführung in Wien fand
Ihon am 20. December im Deutjchen
Volkstheater ftatt. Ih war nicht
dabei, ſaß an demjelben Abende
in meiner ftillen Stube zu Graz,
wo fhon der Tannenbaum ſtand.
Welt und Wald, ich entſcheide mid)
für den leßteren. Die Auße—
rungen eines Erfolges kommen dem
ſich abſeits Haltenden Autor in fol:
gender Weife zu: Unmittelbar nad
der Erftaufführung Depejche mit der
Anzeige eines „großen Erfolges” und
Gratulation. Dann kühlere Zeitungs
ftimmen, hernach anerfennende Zei—
tungsftimmen, endlich giftige, raſende
Zeitungsftimmen, die von einem gänz—
lien Mifserfolg ſprechen, und in—
zwifchen begeifterte Privatbriefe aus
den verichiedenften Gejellfchaftsclaffen,
und jhlieglih Anfragen von Theater-
agenten, ob nicht bald ein zweites
Stüd fertig fei.
Die Wiener Kritik nahm das Stüd
ernſt. Mit Nahdrud betonte jie die
Schmwäden und Mängel desjelben, hatte
aber im allgemeinen warme, theils
begeifterte Anerkennung für deſſen Vor—
züge. Mehrere jagten, der zweite
Aufzug (im Arreſt) fei einzig in der
dramatifchen Literatur, der Wohl»
wollendfte (welcher zur erſten Auffüh—
tung nad Graz gelommen war), ſprach
in der „Preſſe“ jogar von „Shalejpeare'-
ſchem Genie“. Andere meinten, das Stüd
ſei nichts als eine „monologilierte* Er—
zählung. Andere wieder hatten nichts
gefehen, was an dramatijcher Wirkung
den vierten Act übertreffe. Viele famen
auch dort in ihren Unterfuchungen über
die Form nicht Hinaus. Sie Inufperten
nur fo an der Scale herum und
meinten dann, die Nujs fei nicht recht
Ihmadhaft. Wenn fie aud noch die
Fabel erzählten, fo glaubten jie dem
Gehalt volltommen Genüge gethan zu
baben. Einzelne Kritiker wollten in dem
Stüde eine abjihtliche fociale Tendenz
gefunden haben, auf herrjchende ges
jellfehaftlihe Zuftände gemünzt. Nur
wenige der öffentlichen Beuriheiler be=
324
rührten den Stern, fozufagen die Seele
des Stüdes. „Die höhere Lieb’, fie
joll die Heldin fein“, heißt e3 im
Prologe, und das Stüd gipfelt in
den Morten des bishin verftodten
Mifjethäters, dem aus Menfchenliebe
verziehen worden war: „Dem Hajs
bin ich geftanden, die Liebe wirft mid)
nieder!" — Ein Lied wollte ich fingen
von der GSelbitüberwindung, das
Echwerfte und Göttlihfte zu vollbrin-
gen, bon der Kraft und Größe des
Derzeihens. — Das ift freilich fein
modernes Thema, und die Sritifer,
die nit von Natur aus geiftreich find,
finden bei deſſen Beiprehung blut—
wenig Gelegenheit, e3 zu werben,
Was die von der Kritif behaup—
tete Überflüffigkeit des zweiten Auf-
zuges anbelangt, freute mich der Aus—
ſpruch einer ſchlichten Bürgersfrau,
die mir ſchrieb: „Man foll nur ein—
mal darüber nachdenken, um mie viel
einem der Strajil- Toni nah dem
zweiten Acte lieber ift, al3 nach dem
erſten.“ Nicht übel, und liebenstwürdig
boshaft war der Ausſpruch eines
Wiener Kritikers: „Der zweite Act ift
wie Sodawaſſer. Sodamafjer iſt be=
kanntlich das befte Getränt, weil man
e3 trinken und auch ftehen laſſen fann.
Diefen zweiten Act kann man fpielen
und auch weglaſſen, doch verdiente ein
Regiffeur, der letzteres thäte, einen
Ihärferen Arreſt, als den, der im
zweiten Acte dargeftellt ift.“ Derfelbe
warm humoriftifche Kritiker tadelt einen
ungebührlich langen Zwijchenact, indem
er jagt: „Wenn in dem Stüde über:
haupt eine Handlung wäre, fo hätte man
auf die VBermuthung kommen können,
dafs aufder Bühne etwas paſſiert ſei!“
— Und wenn ein anderer meinte,
daſs R. als Dramatifer noch die Farbe
feiner grünen Steiermart habe, fo
musste ih auch über dieſen Witz
luftig lachen, weil daneben fehr viel
warme Anerkennung der guten Seiten
des Stüdes zu lefen ftand, Wie ein
Kritiker ftrenge, liebenswürdig und
geiftvoll zugleich fein kann, bewies
jene eingehende und verſtändnisvolle
Beiprehung, die in dem Ausſpruche
gipfelte, der Autor des „Am Tage
des Gerichts" Habe wohl die Sache los,
aber die Made nicht, und er habe auf
der Höhe feines Lebens noch einmal
ein Handwerk zu lernen.
Drollig Hingegen geberdeten ſich
ein paar Wiener Antifemitenblätter.
Ein Teutone flug mit gewaltigen
Keulenhieben dad Stüd zweimal todt ;
da e3 immer noch lebt, jo wird er
mir wahrſcheinlich — wie ih ihn
fenne — einmal mündlid oder in
einem Privatſchreiben überſchwenglich
gratulieren zum „unſterblichen“ Werke.
Der „Figaro“-Schreiber in Wien
gerieth aus Wuth über den Erfolg
des Stückes geradezu in ein bedenk—
liches Delirium. Er faſelte von einem
Reclameapparat, den der Autor in Be—
trieb ſetze! So ein Menſch, der mit Be—
hagen ſein Brot den Juden aus der
Hand ifst, ſpielte mit bärenmäßiger
Plumpheit die Antifemitenfrage in mein
Boltsftüd und ſchrieb den Erfolg des—
felben meiner — Judenfreundlichkeit
zu. — Ein netter Patron, das!
Auf wiederholte Einladung, meinem
Stüde in Wien beizumwohnen, geſchah
dies zur vierten Aufführung am 27.
December. Seltjam war mir zumutbe,
als ich abends gegen fieben Uhr den
Mufeen entlang Hinanfchritt und das
weiße Haus im eleftrifchen Lichte leuch-
tend dor mir flehen ſah. Reihlih ein
Jahr früher bin ich zur jelben Stunde
denjelben Weg gegangen, um der Er—
Öffnung des Hauſes beizumohnen.
Anzengrubers „led auf der Ehr’“
wurde gegeben und meinen genialen
Freund hatte ih damals das letztemal
gejehen. Heute ftand ein Kleiner vor
den Augen eines Publicums, das ge—
wohnt war, den Großen zu jehen!
Ih kann nicht jagen, wie ſchwer die
Bellommenheit war, die ich empfand.
Das Haus war überfüllt, Mir war
eine Ballonloge zur Berfügung ge—
'ftellt worden, in der ich mich vor den
| Augen des Publicums nur halbwegs
ER En | .
375
verbergen fonnte. Die Inſcenierung Da ich die Meinung anderer über
des Stückes war genial, das Spiel mein Stück ſo vielfach gehört habe,
gut. Martinelli brachte den Strafsl werden es auch vielleicht andere nicht
Zoni mit vollendeter Meifterfchaft. Das ablehnen, meine Meinung darüber
Publicum war äußerft warın geftimmt zu hören. Denn, da nad Einiger An—
und zollte nad jedem Aufzug: lebhaf- |ficht das Stüd nicht für den Dichter
ten Beifall. Ich litt und war völlig 'fpricht, fo muſs der Dichter für das
ınuthlos, warum, das kann ich mir heute | Stüd ſprechen. — Das Scaujpiel
noch nicht erflären. Nach dem dritten | „Am Tage des Gerichts“ fteht den
und vierten Aufzuge ward ich, immer | Kunftregeln eines Dramas nicht, dejjen
wieder vom Publicum gerufen, faſt war ih mir ſchon bei der Wahl
gewaltjan auf die Bühne gefchleppt, |de3 Stoffes bewusst. Der Stoff ift
und zwar jo wiederholt, bis ich end= nicht dramatiih im gewöhnlichen
ih die Flucht ergriff. „Wir Haben | Sinne, und doch muf3 er auf der
gelaht und gemeint und danken Euch | Bühne wirken, weil er tief menſchlich
für beides!” alfo raunte mir an der iſt. Gutgemachte Theaterftüde haben
Pforte ein alter Weikbart zu. — wir genug; aber gute Made allein
Die wärmften Stimmen über das kann nicht halten, während guter Ge—
Stück kamen aus dem kalten Norden. Den | halt fich ſelber macht. Die fogenannten
erften großen Erfolg hatte es eigent- | Kunftregeln Habe ich auch al3 Erzähler
ich erft im Altonaer Theater zu Ham- |nie beobachtet; ich forme meine Ge—
burg. Dort gefhah das Unerhörte, dafs |ftalten nicht aus carrariichem oder
die gefammte Prefje einmüthig mit dem atheneſiſchem Marmor, fondern aus
Publicum diejes Volksſchauſpiel auf das I heimiſchem Lehm, dafür troßen ſie
eingehendfte und wärmfte würdigte. | unjerem ſtlima. Dean ziehe herben Na—
Solide Nahrichten kamen mir zum |turwein in thönernem Kruge vor einem
Schluſſe des Jahres, fie mutheten | Kunftpantih in kryſtallnem Becher.
mid an wie ein Becher glühenden Dass ich fein geaichter Dramatiker
Punſches nah Tauer, ſüß-ſäuerlicher bin, davon haben mich die Erfahrungen
Limonade. — Auf folde Siegesnach- bei diefem Stüde neuerdings über:
richt erwarte ih nun die Diobspoft zeugt. Nicht weil in dem Stüde fo
von einer großen Niederlage irgendwo, | große Fehler vorfommen, fondern weil
denn die Welt der Bühne liebt Ver- ich nicht imftande bin, dieje Fehler
wandlungen. — Beftändig allein bleibt |einzufehen. Dajs der zweite Aufzug
der Kritiker. Hat er einmal gefprochen, | überflüffig ift, wuſste ih allerdings
dann imponiert ihm nichts mehr als ſchon, als ich ihm jchrieb. Heute nad
dad, was er jelber gefagt hat — fo |vielen Erprobungen jagen die Theater»
lange er fi daran erinnert. directoren, daſs dieſer überflüffige
Das Stüd erhält fih bisher auf Act eigentlich der nothmwendigfte ſei.
dem Repertoire, feit zwei Monaten | Was geht denn aber vor? Im erften
ift es auf verſchiedenen Bühnen an |Aufzuge wird der Strafsl zum Mörder;
dreißigmal zur Aufführung gelommen. |im zweiten wird nur gezeigt, daſs
Auf weiteren Bühnen ftehen die Auf- |diefer Mörder noch lange kein Spitzbub
führungen bevor. ift, was ihn erft auf die Höhe des tragi—
Und alfo bin ich fait zufällig, ſchen Helden hebt; im dritten wird feine
halb wider Willen Dramatifer gewor= |natürliche Gegnerin beftimmt, ihm zu
den. Möge der Mangel einer ernft= |verzeihen, im vierten Act wird er be—
lihen Abfiht als Milderungsgrund | kehrt. Man fieht, diefe Menfchen Handeln
gelten! — nicht, fie werden vielmehr behandelt,
Und zum Schluſſe noch ein biſs- und das ift der Fehler. Aber am
hen Arroganz. Ende find wir auf Erden ja alle der
— — — Un Im m — —— — — — — mama — — ann ——— — —
20
behandelte Theil, der leidende Theil, | Jagd zu machen nad den Fehlern des
und ich ſehe eben nicht ein, warum | Stüdes, jondern um willig und dankbar
man das nicht jollte auf der Bühne | dem Dichter zu folgen. Die da oben
darftellen dürfen. Nach meiner Meinung | in den Galerien verlangen, dajs das
befier ſolche Stüde, deren leidende Stüd einen Leib und eine Seele habe,
Theile das Publicum zu einem han- nämlich, dafs es realiftifh und idea—
delnden anregen, als foldhe, deren
mandmal ungeheuerlid Handelnder
Theil das Publicum zu einem leiden
den nahen,
Obzwar mein Stüd auch mit der
vornehmen Geſellſchaft Glüd gehabt,
denfe ich mir im ganzen doc) Folgendes:
Der dramatiiche Dichter jchreibe
nie für Parquet und Logen, fondern
für ein „höherſtehendes“ PBublicum.
Er foll wiſſen, dajs die Herrichaften
in den Sammtfauteuils fich viel lang=
weilen und gähnend den Schlufs des
Stüdes erwarten, während da3 Pub—
licum der Galerie, wovon viele den
ganzen Abend auf den Zehen ftehen
liſtiſch zugleich fei. Die Kunſt des
Volkes darf nie vergeſſen, dajs das
Later zufchanden gemacht werde und
der Mel im Menſchen zu Ehren
kommen mufs. Alſo verlangt es das
naide Publicum; und ein anderes
wird der Fünfter, der Dichter fich
nit wünſchen.
Das Bollsfhanfpiel „Am Tage
des Gerichts“ macht feinen Weg, aber
nicht auf Shimmerndem Siegeswagen,
ſondern zu Fuße und an einem Stode.
— „Das zweite Stüd“, fo behaupten
viele Kritiker, „wird ſchon befjer aus»
fallen.“ Uber, wer jagt denn, dafs
ich ein zweites ſchreiben will? Eher
und lange Hälſe machen müſſen, um verlangt's mich mit den ſtrengſten der
etwas zu jehen, lachend oder ſchluch- Recenjenten einmal die Rolle zu tau—
zend nur das eine fürchten: das lebte ſchen; fie follen dichten und ih ....
Fallen des Vorhanges. Die da oben Ich möchte denn doch gar zu
find nicht ins Theater gefommen, um gerne auch einmal ganz gejcheit fein.
Was Grillparzer über uns gedadt hat.
5 Biler hundertſte Geburtätag des gro= |
ben öfterreichifchen Dichters, den
wir am 15. Jänner 1891 be=
giengen, veranlajste uns wieder ein—
mal, dem Geifte desjelben zu laufchen.
Manche Feitbegeifterung für den Dichter
war et; manche ftellten fich begeiftert
aus verichiedenen Gründen. Ein Dich-
ter, der nur zu feinem Seculum
anerfannt werden will, ift immerhin
noch zu ertragen. Hätte Grillparzer
Nun, da er jebt mit mehr
Schreibt, fo wollen wir heute zu feiner
Ehr’ und zu unferer Lehr’ lefen, was
er einft gejchrieben.
Giographiſch.
Am fünfzehnten Jänner geboren,
Geſtoörben? — ih weiß noch nicht wann?
Kömmt einſt dir das Datum zu Ohren,
So füg's zur Ergänzung hier an.
ſeinen hundertſten Geburtstag erlebt,
wie ein König wäre er gefeiert wor—
den; hätte er an demſelben noch ge—
Ihrieben — was dann?
Und haft du es niedergefhrieben,
&o haft du mich ganz, auf ein Haar;
Was etwa nod übrig geblieben,
Wird wohl nad dem Tode erft wahr.
Geſcheit gedadt und dumm gehandelt,
So bin ih mein’ Tage durchs Leben ge
wandelt,
Selbſtbehenntnis.
Du nennſt mich Dichter? Ich bin es nicht,
Ein andrer ſitzt, ich fühl's, und ſchreibt
mein Leben,
Und ſoll die Poeſie den Namen geben,
Statt Dichter, fühl' ich höchſtens mich Gedicht.
* *
*
Will unſere Zeit mich beſtreiten,
Ich laſs es ruhig geſcheh'n,
Ich komme aus anderen Zeiten,
Und hoffe in andere zu geh'n.
* *
*
Was hängt Ihr Euch an mich und meinen
auf,
Und ſtrebt dem Höhern plumpen Dranges
wider?
Ich zieh’ Euch, merk’ ich, nicht zu mir herauf,
Doch Ihr, wei Gott, mid auch zu Eud
nicht nieder,
* a *
Nebenbuhler mir zu mweden,
Zählt Ihr Dienft und Yahre auf?
Ejel jhägt man nad den Säden,
Aber Renner nad dem Lauf,
Rritik.
Bon unjern Kunftrihtern die beftgenannten
Sind gegen mi gar ftrenge Richter;
Sie proteftieren eben als Proteftanten,
Und ih — bin ein fatholifcher Dichter.
* *
*
„Warum gibſt deine Werke du endlich nicht
heraus?* —
Mein Freund, bei ſchlechtem Wetter Hält
man fi gern zuhaus.
Merftändkichkeit.
War ih als Dichter gleich geboren,
So kam's doch nie zur echten Klärung;
Im Anfang war's nicht ausgegohren,
Dann gieng’3 glei) in die faule Gährung.
An 8.
Ich ſchriebe Verſe gegen dic,
So ſprichſt du, ärmſter der Poeten,
Das hieße, Gott behüte mich,
Sinem Kritiker.
Eig'ne Gedanken ſprichſt du mir ab? Auch
find es nicht eig'ne:
In der Weihe Moment gab ſie die Muſe
mir ein.
Schmäht, ſo viel Euch beliebt, Ihr laut
" recenfierenden Zungen,
Über den Reihen zu Pferd ſchimpft ja
das Volf, das zu Fuß.
“ *
*
Wälz' immer dich in Schlamm und Koth,
Und ſpritze, ſpritz' nur zu:
Wer weiß? du liebſt mich endlich noch,
Bin ih beſchmutzt wie du.
Nicht fordr’ ich, daſs du gut mir heißt,
Was du fo eifrig ſchmähſt,
Nur dajs du's zu dem Bielen reihft,
Wovon du nichts verftehft.
Einem Eenfor.
Dass du, Freund, nicht Schreiben kannt,
Willen wir gefammt;
Aber lejen lerne doc,
Das gehört zum Amt.
Kortfeßritt.
Ich fühle wohl meine Sünden,
Die alten, wohl gar aud neue;
Doch wenn ih die Wahrheit geftehen ſoll,
So fehlt mir die rechte Reue,
An das Publicum.
So habt Yhr mich vergefjen ?
O fünnte Euch ich's auch;
Doch euren Qualm von Albernheit,
Athm' ich in jedem Hauch.
* *
„Mein Wiſſen iſt gegen das Eure ein Kind,“
Fern jei, dafs ich es leugne,
Nur daſs Eure Gedanken fremde find,
Die meinen aber eigne.
*
— 9
Gar Viele ſind meinem Gedichte geneigt;
Nur daſs, wie es geht beim Leſen,
Ich bloß diejenigen überzeugt,
Die früher bereitS es gewejen,
Bei Empfang des Beopofdordens.
(März 1849.)
Gern mifste den Orden der Barde;
Ih trag’ ihn in eignem Sinn:
Mid mahnt er als eine Cokarde,
Mit gold’nen Kugeln Spaten tödten. | Dafs ich des Kaiſers bin!
Ad) rede nicht, wo jeder ſpricht,
Mo Ulle ſchweigen, ſchweig' ich nicht;
Weh' Euch und mir, wenn je von uns ich
wieder ſinge,
Ich bin ein Dichter der letzten Dinge.
Öffentliche Anerkennung.
Wie ſtrahl' ih nicht im Ehrenglanz !
Das Höchſte follte mih kaum überraiden ;
Sie vergolden mid am Ende ganz,
Nichts ausgenommen als die Taſchen.
* *
*
Zum Schweigen fühlt der Menſch ſich oft
geftimmt
Dur mannigfach erwägende Betradhtung,
Doch was die Luft zur Antwort gänzlid
nimmt,
Iſt tiefgefühlte, herzliche Verachtung.
Brankenbefucße.
(1870.)}
—
Laſst mich mit Eurem Publicum
Und Euren gebildeten Leuten,
Sonſt waren nur immer die Dummen dumm,
Jetzt ſind es auch die Geſcheiten.
* *
*
Der Fehler der Deutſchen iſt immer ge—
weſen,
Wie rühmlich man ſie ſonſt auch nennt,
Dass fie verſuchen, da zu leſen,
Wo man nod faum den Budftab fennt.
* *
*
Die Poeſie und die Theologie
Sind eben beide Phantafie;
Nur die eine erfindet ihre Geftalten,
Die andere jpielt mit den vorhandenen alten.
Biteratoren.
| Ein Buch ift ein gar ſchönes Ding,
Ein Gelehrter ift noch viel werter,
Doch beide vereinigt, wiegen gering,
Gine Ähnlichleit, die ich mit Chriftus Habe: | Das Ganze heißt: Buchgelehrter.
Nur die Weiber lommen zu meinem ®rabe.
Was echte Poefie
So hoch vor allem ftellt:
Sie ift der ganze Menſch
Und aud die ganze Welt.
* *
*
Die eine Vorſchrift nenn' ich, durch die du
alle erfüllſt:
Habe Talent, mein Lieber, und ſchreibe,
was du willſt.
ÄftBetiker.
Nah Gründen ſuchen ift Eure Schwäde,
Die Kunſt lebt im Vollen und im Bunten,
Der Grund ift au eine Oberfläche,
Nur nad unten.
* ri +
Sie find der hödften Ideen voll,
Zum Staunen oder zum Laden;
Ein jeder weiß, wie man's maden fol,
Doch feiner lann ed maden.
Ei *
*
Tadeln iſt leicht, wie Ihr wohl wiſst,
Und hochſt bequemlich,
Doch eins gibt's, was noch leichter iſt:
Nachbeten nämlich.
Speeulation.
Kritiker.
Die Dichtkunſt, jagt man oft und jagt es laut,
Sie fei ein treuer Spiegel alles Lebens:
Drum wenn ein Affe in das Dichtwerk jhaut,
Sieht er nad einem Sofrates vergebens.
* *
*
Da die Deuitſchen noch beſcheiden nad) alter
eile,
Sagt’ ih gern ein Wort zu ihrem Preije;
Nun aber, da fie ſich ſelber loben,
Fuhl' ich mich fürder der Müh' enthoben.
* ”
*
Nahahmer ſchilt das Ausland uns
Und gibt uns ſpöttiſch harte Namen.
Auf! Ahmen wir den Britten nad:
Ron nun an nit mehr nadzuahmen,
Die junge MPoeſie.
Frag’ ih, was wirkſam übrig blieb
Der deutjchen Literatur,
So ftehen zwei zu oberft an:
Scandal und Caricatur.
Kein Wunder! Wo fi dein Reiz verlor,
O heilige Natur!
Der radikale Dichter.
Mer Liebe fingt und Wein,
Den Himmel hätte das Talent hienieden | Mag immer Weiberfeind und Waffertrinfer
fhon auf Erben,
fein,
Könnt’ zehen Jahr nad jeinem Tod es erft | Wer fingt, mag allen nügt und feinen Fränft,
geboren werden,
* *
*
Dem ſei die Überzeugung vornherein ges
ichentt.
rn
E [2 + f
Doch wer, was zweifelhaft, ob Glüd es
bringt, ob Schmerzen,
Der ift ein Schuft, fühlt, was er fingt, er
nicht im eignen Herzen.
Therfites.
(Frei nah Homer.)
Die Äſthetik vor allem verpön’ ich,
Sie fpielt ein gefährlides Spiel:
Die gute nützt ſehr wenig,
Die ſchlechte ſchadet ſehr viel.
Fortſchritt.
Ein Mittel wird dem Fortſchritt immer
bleiben:
Wenn er nicht übertreffen kann, zu über:
treiben.
Und bei der Einzelnen jhmähliden Er:
mattung;
Der Eultus der Nationen und der Gattung,
Mationaftraßt.
Der Weg der neueren Bildung gebt:
Bon Humanität,
Durd Rationalität,
Zur Beftialität.
Bißerafismus.
Lern’ erft, was freiheit will zu Recht be:
deuten,
Eh Wort und Wahlipruh du entlehnft
von ihr,
Nicht nur, dafs felbft du dienftbar —
zweiten,
Nein, auch fein zweiter dir.
* *
*
Juriſten:
Schlechte Ehriften;
Macht Ihr einen zum Miniſter,
Wird ein guter Chriſt er.
Deutſcher Gund.
Der deutſche Bund war nicht ſchlecht von
8
aus,
Gab auch Schutz im jeder Fährlichkeit,
Nur ſetzt' er etwas Altmodiſches voraus:
Die Treue und die Ehrlichkeit.
Blauße.
Der Ungläubige glaubt mehr als er meint,
Der Oläubige weniger als ihm ſcheint.
EI
(Profelptismus.
Warum zu ihrem Glauben
Eie gern Genofjen nehmen?
Vielleiht um in der Menge
Sich weniger zu ſchämen.
Die Schweizer.
Man fragt, ob Ihr denn Deutjche jeid?
Ich glaub’ es nun und nie:
Ahr triebt die Iefuiten aus,
Wir jhreiben gegen fie.
Namensunterfeßied.
Mas nennt Ihr nit von Ehriftus Euch,
Warum mit Yefus brüften?
Weh’! dajs Ihr Jeſuiten jeid,
Indes wir andern Ehriften.
Irgendwo und irgendwann.
Das Wert von Weibern und Kindern,
Zum Weinen oder zum Laden:
Uns in diefem Leben zu plündern,
Und im andern uns jelig zu maden.
Reifeßefeßreißung.
Zwiſchen nichts wiffen und Nichtswiſſen,
In diefe zwei Theile ift die Menjchheit zer:
riſſen.
Aber Nichtswiſſen
Iſt fruchtlos bis zum Tode befliſſen,
Indes nichts wiſſen
Ein gottgefälliges Ruheliſſen.
Antwort.
Ob es jegt no Geifter gibt?
Je nachdem du's nun erfennit:
Wenn du Geiſt und Fühlen trennſt,
Bleibt nur Leib und ein Geſpenſt.
*
*
Vertreibt die Phantaſie
Nicht aus der Poeſie!
Sie läjst den Menſchen nie
Und flüchtet, ftört Ihr fie,
Bis in die Nationalölonomie,
Einem Ganquier, der die Armen
beſchenlite.
Im Schenlen ohne Rn — Darleih'n klug
dacht,
Erquidfi du Bettler —* die geſtern du
gemacht.
* *
Mein Freund, Sie ſind ein Böſewicht!
Zwar gar jo böſe find Sie nicht.
Drum bleiben einfach wir beim Wicht.
Jußeffeier.
Der Mann bradt’ es auf fiebzig gar,
Das heikt: von jeinem fiebenten Jahr
Hat all fein Wirken, von Kind bis jet,
Nur eine Null ihm zugelegt. —
*
Schüler und Schulmeifter
Sind unf’re großen Geijter,
Schreien im Chorus fie,
Gibt's eine Alademie.
* *
”
Ein Dummlopf bleibt ein Dummfopf nur
Für fih in Feld und Haus,
Doch wie du ihn zu Einflufs bringft,
Wird gleih ein Schurke draus.
* *
*
Sud’ nit nah Gründen gar fo weit,
Mo ſchon ein Grund die Wirtlichkeit.
* ”
E 7
Jeder Irrthum hat drei der Stufen:
Auf der erflen wird er ins Leben gerufen,
Auf der zweiten will man ihn nicht eingeftehn’,
Auf der dritten madt ihn nichts ungejcheh'n.
* v
*
Geſteh' dir's ſelbſt, haſt du gefehlt,
Füg' nicht, wenn Einſicht kam,
Zum falſchen Weg, den du gewählt,
Auch noch die falſche Scham.
*
Der Tiefſinn wird gar leicht zum Stumpfſinn,
Der Scharfſinn artet oft in Wit,
Halt’ immer did an den Naturfinn,
In ihm hat Groß und Kleines Sit.
Antwort.
Ich will" ift ein gewichtig Wort,
Sprit mit fi jelbft der Mann;
.- fteht gegenüber er der Welt,
|
|
| o gilt doch nur: „Ich Tann.“
|
|
| Regel.
Willſt die Befcheidenheit du des Beſcheidenen
| prüfen, jo forſche,
Nicht ob er Beifall verihmäht; ob er den
| Tadel erträgt.
* *
+
‚ Halt’ dich entfernt, teil’ dich nicht jedem mit,
Und flieh’ die Schwäger, Qung’rer, Shmeder,
| Sieh’ nur, es ift ein fleiner Schritt,
Vom Teller: bis zum Speidelleder.
* *
*
Mit drei Ständen habe nichts zu ſchaffen:
Mit Beamten, Gelehrten und Pfaffen.
*
Fuhlen und Denken, wenn man's erwägt,
Sind der Blinde, der den Lahmen trägt.
Inſchrift auf eine Sonnenuhr.
Ihr Leuchten zeigt die Stunde,
Mich ſelber zeigt ihr Licht;
Mag auch das Wiſſen fehlen,
Fehlt nur die Weisheit nicht!
Kleine
Saube.
— — *
!
Sonnenflaub, |
Neue Lieder von M. R. von Stern.*) |
Sußjective Wabrheit.
Bort mit der Wahrheit! Lajst die Schön:
beit thauen
Wie milden Balfam auf die franfe Welt!
Fort mit der Wahrheit! Lafst den Himmel
blauen,
Die fühe Lüge, die das Herz erhellt!
Um eine Welt von grauenhaften Qualen
Tauſcht ihr des Herzens holde Blüte ein;
Beraufht von Nüchternpeit, ihr feid Van—
dalen
Und mordet fühllos mit dem Schein das
Sein!
Was ift die Wahrheit? Iſt's die plumpe Tage,
Die an dem Flügelftaub des Lebens rührt? |
Was ift die Wahrheit? Iſt's die eitle Frage
Des rohen Wiffens, die das Herz verführt?
Ih fage nein! Wahr allein ift das Wähnen,
Das meine Seele einigt und beglitdt!
Bahr ift der Dichtung und des Glaubens
Sehnen,
Und Lüge ift, was unſer Sein zerftüdt!
Mein Stoßz.
In Wolfen weih von Pathouli umflofjen, |
Rollt durch den Prater das gejchmintte
Glüd;
In füßer Faulheit, ſanft dahingegoffen,
Lehnt es fih in den Sammetſitz zurück.
In gold’nen Duftes Roſenhauch verfunten,
ſtarfunkelt e8 in diamant'nem Licht —
Du armes Weib, von Gold und Schönheit
trunfen,
Ich ſag' es ſtolz, nein, ich beneid’ dich nicht! |
*) Aus defien edelgedachten und geformten Ges
dichten „Eonnenftaub“. (Zeipzig. W. Friedrich. |
’
|
Bon öder Ungft dur alle Welt getrieben,
Irrt heimatlos der neue Ahasver;
Er ift verdammt, fein Menjchenbild zu
lieben, —
Die Tafche voll, das Herz, das Herz ift
leer!
Er läſst am Belt Champagnerpfropfen
fnallen
Und ſchlürft in Capri fühes Sonnenlicht —
Du reicher Weltflaneur, ärmfter von allen,
Ich ſag' es ſtolz, nein, ich beneid' dich nicht!
Der gold'ne Lorbeer ſchmückt gemeine Stirnen
Und tief im Elend ſchluchzt die Poefie;
Im Wettbewerb mit anfhmiegjamen Dirnen,
Buhlt um den Lohn die gold'ne Eoterie.
Die Feder hnirſcht, es Himpern die Moneten,
‚Und, defloriert, verlauft fih das Gedicht —
Ihr Herrn der Mode, jhändliche Poeten,
Ich fag’ es ftolz, nein, ich beneid’ euch nicht!
Chor der Merzweifelten.
Wir find die Alten,
Mir find entzmeit,
Verdammt, gejpalten
In Emigfeit!
Die Menjhen waren
Von je zeritreut,
Und mie vor Jahren
Sind fie no heut.
Bon Hain und Abel
Das Bibelwort,
Es ift feine Fabel,
Das pflanzt fi fort.
Den Friedensſpuren
Mijstrauen wir,
In den Eulturen
Treu bleibt fi das Thier!
Wie auch der Handel
Die Leute treibt,
In allem Wandel
Der Irrthum bleibt.
382
m
Wir lafien es treiben
In Sturm und Wind —
Die Menſchen bleiben
So mie fie find!
EBor der Hoffenden.
Der ewige Friede
Er ift fein Wahn,
Die Welt ift müde
Bon Streit und Spahn!
Das ESichzeripalten
Wird zum Verdrufs,
Ein göttlih Walten
Geräth in Flujs.
Das nur Bermeintliche
Verſchwand,
Das ewig Feindliche
Reicht ſich die Hand.
Das Mannigfaltige
Erſcheint
Im Vielgeſtaltigen
Herrlich geeint.
Es trügt fein Schaumbild
Im Ideal;
Der Menihen Traumbild
Iſt Gottes Wahl!
Das Bielverhöhnte,
Es ift fein Spiel,
Das ſtets Erjehnte,
Das ift das Ziel!
Machtgebet.
In Donnern und Blitzen,
Auf Bergesſpitzen
Iſt der Herr.
Im Sonnenbrüten,
In ſchauernden Blüten,
In Sturmeswüthen
Iſt der Herr.
In Wolfen wohnt er,
Im Frühroth thront er,
Im Regen raufcht feine Gnade durchs Land.
Die Erde bannt er,
Das Al umjpannt er.
Du Unbelannter,
Herr Gott, ich befehl’ mich in deine Hand!
Alfred v. Berger.
Alfred v. Berger gehört zu dem in«
tereflanteften Gejtalten des literarijchen
Wien. In der kurzen Zeit von zwei Jahren
iſt er der allgemein anerkannte Führer der
Wiener Literatig geworden; obne in einer
einflujsreichen Nedaction oder gar auf dem
Throne der Burgtheater-Direction zu figen,
gilt er als der vertrauensmwürdigite
Kritiler in der Wiener Gejellihaft. Und
diejes große Anjehen hat er ſich zum
geringeren Theile durch das erworben,
was er druden ließ (e3 ijt gar nicht viel),
fondern zumeift nur dur die mündliche
Mitteilung feiner kritiſchen Gedanken.
Berger ift der beliebtefte und gejuchtefte
Spreder von der ganzen Wiener Hod-
ſchule, an der er Privatdocent für Philo-
fopbie if. Wenn er allen Anfprücden der
literariihen, humanitären und gejelligen
Bereine nachgeben wollte, müjste er außer
feiner täglichen officiellen Vorlefung im
Hörfaale der philojophiihen Facultät
ebenjo oft anderwärt3 fürs große Pub-
licum ſprechen. An der Univerfität liest
er heuer über praktiſche Philoſophie (Ethik),
außerhalb derjelben nur über dramatur-
giſche oder literariſche Ericheinungen, die
die Menge beichäftigen. Mit zwei Bor-
trägen über Ibſens „Geſpenſter“ und
über desjelben Dichters „Rosmersholm“
bat er in den letzten Wochen wieder Auf-
jehen erregt. Berger ift ein tieffinniger
Gegner des revolutionären Norwegers,
aber doch auch wieder jo gereht, im
Dichter, defjen determiniftiihe Weltan-
ſchauung der jeinigen vielfach widerfprict,
die große und echte Geſtaltungskraft an—
zuerfennen. Als Sprecder tritt Berger
immer rubig, ohne Pathos, jhliht, na-
türlih auf, aber er weiß es fo einzu-
richten, ala fielen ihm die Gedanken ge-
rade ein, obwohl das Manujcript der
Vorlefung vor ihm liegt. Ein angenehmes
Organ madıt ihn ſympathiſch, eine Hand-
bewegung verräth von Zeit zu Zeit jeine
innere Erregung; einige feine Scherze
würzen den Ernft jeiner Rede. Doc bat
fie ihren ganz eigenen Zauber, und das
Geheimnis ihrer mächtigen Wirkung
liegt nicht in der Form, jondern im In—
halt defien, was er jagte. Berger als
Vorleſer lälst das Publicum mit vers
blüffender Offenberzigfeit in jein eigenes
innere hineinjehen: darin befteht jeine
Originalität als Sprecher wie als Denler.
Eine Vorlefung von Berger hat mehr den
Gharafter eines Befenntniljes, einer Beichte
383
über ein fünftlerijches Ihema, als den Darum fonnte e3 feinen überrafchen,
einer wiſſenſchaftlichen Auseinanderjegung. | daſs jebt ein Band „Geſammelte
Dazu gehört ebenfoniel Muth als Geift:) Gedihte von Alfred Berger“
man muf3 den Muth haben, man jelbjt zu | (Stuttgart, Cotta, 1891) erihienen ift:
fein, und man muſs den Geift haben, es in den verfappten Dichter hat man aus dem
einer Form zu thun, die nicht verlegen | Kritifer längjt herausgefühlt, und übri-
faun; dies ift nur dem wahren Philo- | gens ift er jchon früher bei zwei ſehr feier-
jophen möglich, der fich jelbft jo objectiv | lichen Anläffen mit ftarfer Wirkung als
wie anderen gegenüberjtebt. Berger charaf- | Dichter hervorgetreten. Das erftemal mit
terifiert in feinen Vorleſungen fich ſelbſt einem Epilog zur letzten Vorftellung im
nicht meniger, als den Dichter, den er alten Hofburgtheater. Damals war Berger
gerade bejpricht, er jpielt gleichſam ſein noch der im bejcheidenen Dunkel weilende
eigenes Herz, jein ganzes Gemüth gegen | Secretär der Burgtheater-Direction. Wie
das andere aus. Das zündet in jebem | mächtig dieſer Epilog wirkte, bemeist die
Falle. Denn in der Poefie handelt es fich | Thatjache, dajs ein in ihm poetiſch aus—
ſchließlich doch nur um das Herz, um geſprochener Wunich buchitäblich zur Aus»
da3 Gemüth, um den ganzen Menjchen, | führung gebracht worden ift. Berger
der ſich da offenbart; ihr Thema ijt ja jchrieb, was Sonnenthal ſprach:
nicht3 anderes als die fühlende Perſön—
lichkeit. Darum mußſs auch alles äfthetiiche
Urtheil jo gut auf einem wahren und
vollen Erlebnis an den Kunſtwerken be»
rnben, auf die es fich bezieht, wie die
dichteriichen Schöpfungen ſelbſt das Pro-
duct eines urjprünglichen Erlebnifjes jein
müffen. Und dies ift Bergers nicht bloß
praktiſch befolgter, jondern auch theoretijch
(in jeinen „dramaturgiſchen“ Borträgen)
ausgefprochener Grundjag, und mit ihm
bat er ben wohlverdienten Erfolg errungen,
die literarifche Kritik, die von den finn-
lihen und ſchauluſtigen Wienern nicht
ſehr geihägt wird, in jeiner geliebten
Vaterſtadt wieder zu Ehren zu bringen.
Tas ijt fein bleibendes PVerdienit. Frei—
ih find es dieſe Offenherzigfeit und
Märme nicht allein, die Bergers kritiſche
Vorträge jo beliebt und jo mertvoll ge-
madt haben, Es fommen noch hinzu:
jeine reiche und tiefe Einficht in das Wejen
der Poeſie, jein umfaſſendes MWiffen, feine
pbilojophiiche Kraft in der Dialektif und | ſchönen Rahmen, der aus jolchen Reiten
in der eindringlicen Analyie der Did: | des alten Bühnenbodens gemacht wurde,
tungen, und feine klare, von ſchönen Bil- | und der den Bettel der legten Borftellung
dern und Gleichnifien durchwirkte Sprache. | („Ipbigenia“) im alten Hanſe enthielt.
Macht der tiefe Gemüthston in allen Das zmweitemal trat Berger als
äfthetiichen und pſychologiſchen Darlegungen | Dichter gelegentlich der Grundfteinlegung
ſchon an und für fich einen dichteriichen zum Raimund» Denkmal vor dem Volks—
Eindrud, jo wird dieſer noch durch ſolche theater (am 31. Mat 1890) hervor. Auch
Anihanlichleit der Sprache weſentlich Diesmal mit durcichlagendem Erfolge, zu
erhöht. dem au der bewundernswerte Vortrag
... Und wie ein Dann, der von der Heimat
ſcheidend,
Sich eine Scholle Heimaterde mitnimmt,
Um einſt ſein Haupt darauf zu betten,
möcht’ ich
Von diefen Brettern hier, die nicht nur euch,
Die ung die Welt bedeuten, einen Splitter
Fromm mit mir nehmen, daj er uns
bewahre
Das Ungedenten an die jhönen Yahre,
Die ruhmvoll große Zeit, da unfre Kunſt,
Ein Rind des Haufes, unter einem Dad
Mit Öfterreichs Kaiferfrone durfte wohnen!
Am Schluffe der Vorftellung klopfte
fih das Publicum der Logen und der
Galerien, von wo immer e3 nur fonnte:
von den Bänfen, Holzverfleidungen, Bret-
tern de3 dem Abbruch bejtimmten altehr-
würdigen Kunſttempels Splitter ab.
Mit Splittern von Bühnenbrettern des
alten Burgtheaters murde noch lange
hernach ſchwunghafter Handel getrieben,
und erjt Fürzlich zeigte uns ein Enthu—
fiaft des Burgtheaters triumpbierend einen
384
des Meifters Lewinsky micht wenig bei«
getragen hat. Die in Verſen gefalste
Gharakteriftif des in Raimund zur Ver—
förperung gelangten Localgenius Wiens
ift jo jhön und jo warm und wahr,
daſs wir uns nicht enthalten können,
einen Theil wenigjtend von ihr herzu—
jegen.
Ya, Boll und Heimat hat in ihm gefungen!
Aus feinem Liede grüßt's wie Fiedelklang,
Wie Malzermelodie, wie Sang und Jauchzen
Bei jungem Wein — der blauen Donau
Rauſchen,
Der ſonn'gen Hügel Rebenduft, die Größe
Der blauen Alpen, die den alten Steffel
Von ferne grüßen — was ein Wienerherz
Am trauten Worte „Heimat“ warm umfajst,
Das lebt und weint und ladt in jeinem
Liede!
Wie eines Öfterreichers helles Auge
Durh allen blauen Dunſt bindurd die
Dinge
Leibhaftig ſchaut in ihrer Wejenheit,
So fteht’3 in Raimund kräftig hingemalt,
In ew'ger Jugend, farbig, leuchtend, lebend:
Das gute Herz, das in uns allen ſchlägt,
Die offene Hand, die jedem helfen möchte,
Der leihte Sinn, der niht nad morgen
fragt,
Die Treue, die fein Undanf überwindet,
Der fromme Glaube aud), dajs eine Fee
Buimaden wird, was wir verdorben haben,
Dazu das alte öſterreich'ſche Glück,
Das diejen Glauben nicht zu ſchanden macht,
— Ein echter Wiener geht ja niemals
unter —
Der franle, frohe Muth, der jelbft dem
Teufel
Gelafien „Servus“ jagt, der Rappelkopf,
Der in und allen fhimpft und räfonniert —
AU unfer Weſen lebt in feinem Lied ..
Mer hat es nicht erlebt in unferm Wien,
Wenn in des SommerabendE Dunft und
Schmüle
68 in den Bergen blitt und leiſe donnert,
Und plöglih dann der feuchte Laubgeruch
Der Wiener Waldluft dur die Straßen
flutet,
Von allen Lippen dürftend eingejogen?
So gebt ein tiefes Athmen durch die Menge,
Ein friiher Schauer fröhliden Gejundens,
Wenn rein und lauter auf entweihter Bühne
Des alten Raimund keuſcher Zauber waltet...
Die Wirkung, die Lewinsky mit diefem
Gedichte machte, wird ums unvergejslich
jein. Wir ſahen belle Thränen der Be
geifterung auf vielen ernjten Männer-
gefichtern blinken.
Nicht ohne inneren Grund haben wir
bier aus der Sammlung der Gedichte
Bergers gerade dieſe zwei Stüde —
Moefie der Poeſie — herausgehoben.
Denn der Dichter in Berger trifft ſeinen
tiefſten Ton doch nur dann, wenn er
über Dichter ſpricht. Mehr noch als un—
mittelbar naive Poeſie, bringt Bergers
Lyrik die Sehnſucht nach Poeſie zum
Ausdruck, und das iſt das ganz Eigen—
thümliche in ſeiner Perſönlichkeit. Was
ſeine Größe als Kritiker ausmacht, das
eben hindert ihn, ein großer Dichter zu
jein, und er weiß es, er klagt darüber,
er ift nicht glüdlih deswegen, es gibt
einen Zwiejpalt ihn ihm, den er jelbft
des öfteren, am beiten in der folgenden
„Klage“ in Worte fajst:
Wie lang iſt's her, dajs mir fein Lied
Zu voller duftiger Schönheit geriet! —
Das madt: ich bin -— faum weiß ich wie —
Erkrankt an chroniſcher Piychologie.
Die Dämmerung lieben Geifter und Dichter,
Dod in mir brennen zu hell die Lichter,
Sie ftören das traulih ſchaurige Walten
Der zarten poetifhen Duftgeſtalten.
Zu feinen jeelentundigen Reden
Veripinn’ ich die Gedanfenfäden,
Gewonnen dur herzlos kaltes Zergliedern
Von warm gefühlten, lebendigen Liedern.
Wer mwüjst’ es nicht: ein Horcher im Haus
Scheucht Heimlichleit und Leben hinaus;
Ein Horder im Herzen belauert mid,
Mit jtehenden Bliden: der Horcher bin ich
- | Und fängt es dennod an zu feimen,
Sid im geheimen leife zu reimen —
Sein faltes Auge fieht mir zu —
Jähes Berftummen, Grabesruh.
Das ift die Poeſie der Nichtpoefie,
die verfificterte Faſſung des Nichtdichten-
fönnend, und man erinnert ſich unwill—
fürlih an Grillparzers hypochondriſche
Tagebücher und Berje, in denen er ähn-
lih über das Fernbleiben der Mufe klagt.
Aber über Grillparzer fam jelbft nad
den jchlimmften hypochondriſchen Zeiten
der heilige Wahnfinn der Poefie, in dem
er noch immer feinen „Bruderzmwift* und
jeine „Jüdin“ Schaffen konnte; in Berger
ift der Horcher ftärfer geworden und bat
en ”
ihn zum Kritiker gemadt. Damit joll
nicht gejagt jein, daj3 jeine Sammlung
feine rechten lyriſchen Stüde enthält; wir
nennen nur: „Auf dem See“, „Grundl-
jee*, „Ein Wintermorgen“, „Beruhigung“;
viele Liebesgedichte find von großer Schön-
beit. Er vermag auch in vier Zeilen ein
Gedicht zu ſchreiben, dem nichts fehlt:
„Liebe*. Aber weſentlich zeigt ihn uns
feine Lyrik als einen philoſophiſchen, zur
Moftit, dem Denken mit dem Herzen
geneigten Geift, dem die ewigen Welt-
rätbjel, ftet3 Antwort heifchend, im Sinn
liegen, und der an Gebanfen jedesmal
weit reicher ift, als an Bildern. Einmal ſogar
bat ihn die Anſchauung in Stich gelaſſen,
im Gedichte „das goldene Schlüſſ'lein“:
Worauf fi Liebe gründe, zu erfunden
Vermagft du nit, was du aud läjst und
thu
Wer bat das gold’'ne Schlüfj’lein je gefunden,
Auf dem die fhöne Himmelsbrüde fußt?
Mie fih Berger das Fußen der
Brüde auf dem winzigen Raum eines
Schlüſſeleins vorgeftellt haben mag, ijt
nicht zu begreifen. Oder iſt die Brüde
unter die Seiltänzer gegangen? Das ift
der einzige Lapſus, der uns aufgefallen
it. Ber Wert des Buches liegt Dies-
mal ganz ausjhließlih darin, dajs es
das allgemein menjchliche Bekenntnis eines
Mannes enthält, der dazu berufen it,
als Philoſoph und Äſthetiker uns noch
vieles von Bedeutung mitzutbeilen.
Wien, 25. December 1890.
Moritz Neder.
Anonyme Menfden.
Vor einiger Zeit hat ſich der „Heim-
garten” über die Ulnleferlichfeit der
Namensunterfchriften aufgehalten, und
mit Redt; man friegt mitunter Schrift-
jtüde in die Hand, die zwar mit irgend
einem Kratzer unterzeichnet find, trogbem
aber al3 anonym oder pjeubonym gelten
fönnten, weil ja der Kratzer nicht zu
entziffern tft.
Nun weiß ich aber in unjerem ge-
EA
Rofrgger's „‚Beimgarlen“, 5. Beft. XV,
ABS. AO
jellichaftlichen Leben ein Gegenftüd, das
nicht minder ſchlimm ift, wie die un—
leferlihe Namensunterfchrift.. Ein ano»
nymes Schriftftüd ift etwas Perfides oder
etwas Lächerliches, was aber ift eine
anonyme Perjon?
Wie ih das meine? Jh will deut—
lich jein.
Ich bin in einer Gejellihaft. Die
Herren find alle gleich befradt, glei
böflih und in ihren Phraſen gleich nicht3-
jagend. Ein fremder Herr wird mir dur
den Gaſtgeber vorgeftellt: „Bitte, hier !
Herr Maier!“
„Ad, freut mich!“ jage ich, eine der
dümmften Phraſen, die man thun fann,
aber jie iſt nöthig, fie gehört zum guten
Ton. Nahdem man fidh vorgeftellt, das
beißt, nachdem der Name genannt ift,
bat man fih als Bekannte zu betrachten,
und es kann ein Geſpräch beginnen, je
nad) Belieben, vorfihtig oder zutraulich.
Ah ziehe es vor, einftweilen über das
Metter zu jprechen, ſpäter über ein neues
Iheaterftüd, dann über einen Eijenbahn-
unfall, der im Tagblatt ſtand; aber dem
Herrn Maier ift nicht jo leicht beizu-
fommen, ich bringe es nicht heraus, was
ihn interejliert, worin er Beſcheid weiß
oder was er eigentlich bedeutet. Nachdem
ih mich jo eine halbe Stunde mit dem
Manne abgemüht babe (denn manchmal
find in einer Salongejellihaft zwei be»
ftimmte Fremdlinge aufeinander ange
mwiejen), jchlage ich mich unbemerkt zum
Hausherren und flüftere ihm die Frage
ins Ohr: „Ich bitte Sie, wer ift denn
eigentlich dieſer unglüdjelige Herr Maier?
der Mann iſt mir rein anonym und id)
weiß mit ihm nichts anzufangen.“
Nun erjt erfahre ich vielleicht jeinen
Stand, jeine Art, feinen Charakter, nun
erft taucht mir im ihm eine beftimmte
Individualität auf, mit der ein Verkehr
möglich wird.
Was will ich fagen ? dafs die Art,
wie wir in der Gejellihaft fremde Per-
jonen einander vorftellen, eine alberne,
weil gänzlich ungenügende it. Bloß den
Namen zu nennen, genügt nicht, die aller-
wenigjten Perfonen haben einen Namen,
25
der allein ſchon den Träger bezeichnet.
Bei populären, öffentlich wirkenden Per-
jönlichkeiten, ift letzteres allerdings der
Tal. Banernfeld, Speidel, Schönerer —
hört man dieſe Namen, fo weiß man
genug. Es genügt zumeift auch nicht, die
Stellung mit anzubeuten: Herr Doctor
Schmiedt! Herr Profeflor Schulge! Herr
Rath Müller! denn immer noch bleibt
die Frage offen: ift er ein Mebicin-
boctor, ift er Jurift, Philoſoph, oder was?
it er Hochſchul- oder Mittelichulpro-
feflor, oder ein Profeflor der Magie?
Und Rath? Es gibt allerhand Räthe,
abgejehen von meinem guten Rath; man
möchte fih bei dem Vorſtellen deutlicher
ausdrüden, etwa: Herr Bergrath Wiejer
aus Leoben! Herr Profeffor Schultze,
Vhilologe am biefigen Gymnaſium u. ſ. w.
Taktvolle Leute ftellen auch jo vor, zu—
meift jedoch wird die erjte Bekanntſchaft
jo flüchtig, bloß auf einen nichtsjagenden
Namen hin gemadt, und wenn die fich
Vorgejtellten es auch noch verfäumen, fich
gegenjeitig näher zu erklären, jo wird
da im Mebel berumgefuchtelt, daſs es
jeine Art oder Unart hat.
Am ſchlimmſten ift man noch daran,
wenn e3 fihb um Leute aus dem Slein-
bürgeritande handelt, denn feiner bringt
es über die Lippen, den Schuftermeifter
Bacher oder den Schornfteinfeger Schwarz
vorzuftellen; man muſs fih mit dem
Herrn von Bader und dem Herrn von
Schwarz allein begnügen, und aljo wird
bier der Name zu einem Anonymus,
weil er uns nicht? jagt uns nicht auf-
flärt über das, was er aufflären joll.
Ich bin etwas neugierig, mir ift es
nicht genug zu willen, wie ein Menſch
beißt, jondern vielmehr, was er ift. Wie
ihön wäre es, wenn jedem auf der Stirn,
für alle leferlich, fein ganzes Nationale
gejchrieben ftünde! Ich würde nicht an—
jtehen, mich folchergeftalt tätomwieren zu
laſſen, obzwar ih nur ein Schneider bin;
aber ich möchte auch von meinem Öegen-
über-Manne willen, wer und was er war
und iſt, erft dann werde ich mich be
wogen fühlen, mit den Manne zu ver-
fehren, ihm eine Unterhaltung zu bieten, ;
wie fie fih für ihn ſchickt, und eine Ehre
ju ermweifen, wie er fie verdient. Erit
dann werbe ich auch ben richtigen Maß—
ftab anlegen können an jein Benehmen,
an jeine Ausſprüche, an jeine ftandes-
gemäße Bildung. In manchem muſs mir
der Doctor mehr wiſſen, in manchem der
Schuſter, ſoll ih ihn für gebildet gelten
laffen. Wenn der Univerfitätsprofefjor
behauptet, Stiefel aus präparierter Bapier-
pappe wären empfehlenswerter, als Stiefel
aus Leder, jo laſſe ich es ihm hingehen ;
wenn mir dasjelbe jedoch ein Schuhmader
jagt, jo muſs ich ſchon bitten!
Bei Frauen ift e8 weniger widtig,
ihr Nationale zu fennen, die Frau ift
in erfter Linie nicht DBädermeifterin ober
Frau Mrofefiorin oder Gouvernante,
jondern in erfter Linie Weib, und bar
nach richte ich mich leicht. Die Männer
find aber Puppen und nur Buppen allein,
wenn man von ihnen nichts weiß, als
den fümmerlihen Namen; dieſer Name
bedeutet oft nicht mehr, al3 unter einem
Briefe ein Buchftabe oder ein Gedanlen-
ftrid, der vielleicht nicht einmal etwas
zu denken gibt.
Alfo nur feine anonymen Männer in
Geſellſchaften! Hübſch den vollen Namen
und Charakter nennen, jo gut und Elar,
als es in furzer Zeit nur möglich tft;
ein paar Perjonen, die man fich gegen
jeitig vorſtellen will, befannt zu maden,
das gehört ſich.
Anfonjten werde ich es demnädjit jo
machen, wie jener Mufiler; dem ward in
der Eile ein Herr Lenz vorgeftellt.
„Schön!“ jagte der Muſiker. „Ich
fenne einen Lenz, der mir jehr ſympathiſch
ist, aber der find Sie nicht.“
„Seine Ercellenz iſt's“, flüjterte
dem Mufifer der Hausberr angjtvoll zu,
„Seine Ercellenz, der Herr Minifter !”
„Ab, Bardon, ein Minifter find Sie!”
rief der Muſiker. „Warum haben Sie
das nicht gleich geiagt? Sogar das
Exce ift neidiſch verichludt worden, was
wunder, daſs Sie mir nur Lenz hießen,
ohne doch der liebe blumenholde Lenz zu
jein! Ercellenz;, ich mache meine Reverenz!*
——
Bunte Gedanken.
Von Alexander Engel.
Dem Virtuoſen ſpendet jedermann
Beifall, dem Künſtler nur der Verſtän—
dige. z
Wie unfere Feinde über uns denken,
das mwiljen wir immer, doch jelten, mie
unjere Freunde über uns denken.
* *
Die Reife nah dem Glück macht man
meift per Bummelzug.
* *
*
Wer aus dem Unglüd der Menge
die jchönften Phrajen zu machen verfteht,
wird — Volksbeglücker genannt.
* *
Die moderne Kunſt zeigt die Wahr-
beit dort, wo fie — bäjslic ift.
* *
*
Wenn ſich ein Autor beſtrebt, nur
für die Nachwelt zu ſchreiben, ſo kann
ihm dies die Mitwelt niemals verzeihen.
* *
Ihre ſchönſten Vorzüge haben die
Frauen ber Phantafie der Dichter zu ver—
danfen.
* *
*
Eine kokette Frau will von allen
angebetet, eine gemüthvolle von einem
geliebt werden,
* *
*
Ein volles Herz! Aber ach, womit
iſt es gefüllt?
* *
Das wäre die edelſte Frau auf
Erden, welche e3 unterdrüden könnte, von
ihrer Rivalin etwas Böfes zu jagen,
“ *
*
Was wahre Liebe ift, weiß wohl
mander Mann, uur findet er fein weib-
lihes Weſen, dem er es jagen könnte.
“ *
*
Mieviel Mühe geben ſich doch die
Menſchen, um einen Sleinen groß zu
maden, noch mehr Mühe jedoch, um einen
Großen klein zu machen.
Wie viele find Dichter, ohne einen
einzigen Vers gejchrieben zu haben, und
wie viele find es nicht, welche taufend
Verſe gemadt !
Man träumt fo lange vom Glüd,
bis man es ſchließlich verjchläft.
*
*
*
Im Glücke kannſt du dich deinen
Freunden zeigen, im Unglüd können ſich
dir deine Freunde zeigen.
* *
*
Wer den Schein des Glückes nicht
für das Glück ſelbſt zu nehmen verſteht,
der ſtellt zu hohe Anſprüche an das
menſchliche Glück.
Man darf das Glück nicht zu ernſt
nehmen, aber auch nicht das Unglück.
*
Das Glück macht gedankenlos, das
Unglück macht nachdenklich.
*
Der Glückliche weiß nicht, was Glück
iſt; der Unglückliche weiß immer, was
Unglück iſt.
Das Glück macht uns feige dem
Leben gegenüber, das Unglück zu Helden
des Schickſals.
Wieviel Glück geht doch auf Erden
verloren und ach, wie wenig wird ge—
funden!
Das Märchen von der Korn-
blume,
Don Paul Mantegazza.*)
Ein alter indifcher Dichter hat uns
ein Zwiegeſpräch hinterlaſſen, welches er
ungejehen, während er im Schatten einer
Splomore, neben einem reifenden Weizen-
feld Sieſta hielt, anhörte.
*) Aus „Blumenmärdben‘ von Paul Mantenaza.
Aus dem Italieniihen von Dr. R. Zeufcber. Iena.
Hermann Koftenoble.,
25*
88
Das Zwiegefpräh fand zwiſchen den
Ühren und dem Himmel ftatt; vielleicht
werdet ihr als Zeichen des Zweifels,
wohl gar des gänzlichen Unglauben®, den
Kopf ſchütteln, aber ih verfihere euch
auf Ehre, dafs der Himmel täglih zu
den irdiſchen Gefchöpfen jpricht, und daſs
dieje ihm antworten. Sie ſprechen aber
nur leife und faft flüfternd, jo daſs die
Mehrzahl der Menjchen nichts hört, und
nur bie Dichter, welche gerade durch die
Schärfe ihres Gehöres zu ſolchen ge
worden find, vernehmen diefe Stimmen
und behalten fie im Gedächtnis, um uns
dann neue Welten, und viel jchönere, zu
enthüllen, als diejenige, welche ung umgibt.
Sp lag denn unjer Dichter zwiſchen
Schlafen und Denken; das Hin- und
Herwogen der Ähren wiegte ihn in einen
wollüftigen Halbihlummer, welder bald
in wirklichen Schlaf übergegangen wäre,
hätte nicht eine Stimme aus ber Höhe
jeine Aufmerfjamfeit gemedt.
* *
Es war der Himmel, welcher zu den
Ähren ſprach:
„Undankbare Ähren, ich bin erzürnt
gegen euch!“
„Und warum das?“
„Weil ihr meine Wohltbaten nicht
mit einem Kuſſe, einem Gruße, ja nicht
mit einem Laute der Dankbarfeit für all
das Gute, das ih euch ermeije, beant-
wortet. Sch bin es, der euch erwärmt,
ih, der euch erleuchtet; ich bin es, ber
euere Wurzeln mit erfrifchendem Regen
badet und auf eueren Stengeln bie blon-
den Körner zur Reife bringt, welche der
Menſch in Brot verwandelt.”
„Wir find nicht undankbar, o Him—
mel, wir erfennen alle die Mohlthaten,
die du uns erzeigft, und glauben dir aud)
unjere Dankbarkeit zu bemweijen. Wir
thun, was wir fönnen, ft es etwa nicht
wahr, dajs du dih in dem Glüd der
lebenden Gejchöpfe ſpiegelſt, daſs du aus
der Höhe die Schönheit der blühenden
bemühen und, die Erbe zu verjchönern,
welche deine Tochter ift und dir deine
Küffe und Wohlthaten hundertfach zurüd-
gibt.”
„Aber ich bemerfe euere Liebe für mich
nicht, und jchweigende Liebe ift für mich
feine Liebe. Die Blumen jehiden ihren
MWohlgeruh zu mir herauf, die Wälder
ihr beredtes NRaufchen, die Vögel ihren
Gejang, aber ihr —“
„Wir lieben dich, fo gut wir können.
Unfere Liebe zu dir ift voll Ehrfurdt.
Du biſt zu weit von uns entfernt, als
dajs wir bich glühend lieben, dir unjere
Zuneigung ausdrüden fönnten, Die Vögel
fönnen fich dir leicht nähern, aud die
Blumen haben Flügel, um ihren Duft
empor zu fenden. Wir find Elein und
haben feine Flügel.”
„Und doch ſeht ihr, daj3 ich euch
jehbr lieb habe; ich babe in euch bes
icheidene aber ftarfe Tugenden gelegt,
welche euch zur Xieblingspflanze des
Menichen gemacht haben. Ich Habe euch
feine zarten Mohlgerüche, glänzende Far—
ben ober eine hohe Geſtalt verleihen
fönnen, denn ich mujste hohen Wert in
feinem Raume zujammendrängen. Jede
von euch trägt auf ihrem zierlichen Sten-
gel das Brot, die einzige Nahrung, deren
die Menjchen niemals überdrüjfig werden,
und das fie jogar vergöttert haben, indem
fie e3 auf die Altäre ihrer Tempel legen
und einen Gott darin verbergen.”
„sa, wir find für den Ofen und den
Tiſch bejtimmt, aber die Blumen jterben
ſeufzend in den Flechten ſchöner Mädchen
oder vor Liebe jchmadhtend an ihrem
warmen Buſen.“
„Ah, beneidet die Blumen nicht!
Der Menih pflüdt fie mit Begeifterung,
riecht einen Augehblid daran, und wenn
fie verwelft find, tritt er fie mit Füßen
und wirft fie in den Schmuß. hr da»
gegen werdet mit liebevoller Sorgfalt
von fröhlichen Bauernmädchen eingejan-
melt, und die Ahrenernte ift das älteite
Erde genießeſt? Wir breiten zwijchen | und ſchönſte Feſt des Menſchengeſchlechtes.
Weinbergen und Wäldern unſere bald Ihr nehmt den beſten Platz im Hauſe
grünen, bald goldigen Teppiche aus und ein, ihr bleibt blond und duftend, auch
wenn ihr jchon in Brot verwandelt ſeid,
und fogar euere trodenen Halme werden
jorgfältig eingefammelt und bebeden das
Haus des Menjhen, den Kopf des Mans
nes und des Meibes,*
„Aber das alles ift projaiih; aud
wir hätten gern ein wenig Poeſie.“
„Seid nicht unzufrieden; es liegt
jo viel Poeſie in einer Ähre, daſs alle
Völker der Erde nicht imjtande wären,
fie auszubrüden. Getreide und Mein find
die beiden poetifcheften Pflanzen der Welt,
die Pole des Guten und Böfen in der Ge-
Ichichte der Menfchheit. Aber ſprechen wir
jest nicht davon. Ich möchte, dajs ihr
mich ein wenig mehr liebtet, als ihr bis
jetzt gethan habt.“
„Wir wollen es verſuchen.“
% *
*
Jetzt ſchien dem indiſchen Dichter, der
ſchon lange nicht mehr ſchlummerte, ein
langes Schweigen einzutreten, und er hielt
das Zwiegeſpräch zwiſchen Himmel und
Erde für beendigt. Aber nach einiger
Zeit ertönte von oben ein langer, zarter
Seufzer, wie von einem um Siebe
lebenden.
„Ahren, liebt mich!”
„Himmel, du bift zu fern von ung!”
„Und wenn ih hinunterfäme und
euch umarmte, würdet ihr mich lieben 7“
„Wir find zu Hein, du würbeft uns
erdrüden. *
„Rein, fürdtet euch nicht; ich werde
in Geftalt blauer Blumen kommen und
mit euch und unter euch leben, ihr werdet
meine Blüten küffen und ich eure Ähren.“
* *
*
Von jenem Tage an wachſen auf den
Feldern, wo der Menſch ſein Brot ſät,
die Kornblumen, und wenn dieſe ihre
blauen Blüten entfalten, reifen auch die
ÜÄhren, und Blumen und Ähren küſſen
fih und unterhalten fih, wie es Die
blauen Augen und blonden Haare auf
dem Kopfe eines jchönen Mädchens thun.
Bas Ehrgefühl.
Eine Skizze In Wiener Art und Mundart
von Eduard Pöpl.*)
Es ift eine jeltiame Geſchichte, die
ih da erzählen will, ſchier unglaublid;
aber wer mich näher kennt, weiß, daſs
ih fein allzu läſterlicher Aufjchneider bin.
Die Sade wird noch von fich reben
maden; denn von allen Erlebniſſen, die
man mit einem Wiener Einjpänner haben
fann, ift fie entjchieden die wunderbarfte,
Es handelt fih aljo um einen Ein-
Ipänner. Ich hatte ihn aus einem Dußend
ausgewählt, die auf dem Plage ftanden.
Er überragte alle anderen, was das nette
Ausjehen des Wagens und des Pferdes
betraf. Das lehtere zeigte noch vier ger
rabe Beine und war ein Brauner, was
mi jehr für das Thier einnahm. Die
Gomfortabelpferde leiden nämlich ſonſt
nit ſelten an der engliihen Krankheit,
und wenn fie Schimmel find, jo geben
ihnen die Haare in erjchredendem Maße
aus. Sieht man die vielen glakhäutigen
Gäule in der Stabt herumlaufen, jo fragt
man ſich mohl, woher diefes Übel ftammen
mag, da doch Comfortabelpferbe insgemein
feinen erheblichen geiftigen Anftrengungen
ausgelegt find. Nur ihre Einbildungs-
kraft wird täglich ftarf in Anſpruch ge
nommen, da fie nicht aus dem Wahne
fommen dürfen, es jei Hafer in ben
Yutterjäden anftatt des Häderlings. Dies
ift au der Grund, warum ihnen ber
Futterfad über die Augen gezogen wird,
fo dafs fie im Finſtern freffen. Denn
jähen fie einmal, was eigentlih darin
ift, jo würde ein fürdhterlicher Aufftand
unter ihnen losbrechen. Vielleicht ift es
diefe fortgefegte Suggeftion, welche meinen
Lieblingen, für melde ich ſchon fo oft
vergeblih eine Lanze gebrochen babe,
Schaden bringt, fie vorzeitig altern läjst
und ihre Haare veranlajst, jo maflenhaft
aus der Haut zu fahren.
Doh um auf meinen Einjpänner zu—
rüdzulommen, muſs ich der Wahrheit ger
mäß wiederholen, daſs er einen recht
] *) Aus deſſen loſtlicher Sammlung: „Mlein«Wlener*,
| (Wien. &. Eyelinsti. 1891.)
390
guten Eindrud machte. Namentlih das
Plerd hatte etwas Stolzes in feinem
Welen, das mih an Pegafus im Joch
gemabhnte. Als es abgebedt wurde, warf
es mehrmals den Kopf in die Höhe,
ichnaubte und geberbete fih überhaupt
jo zuverfihtlih, wie ih es nod nie an
Eomfortabelpferden bemerkt babe, melde
ja im allgemeinen als ftille Dulder in
zaghafter Ergebenheit und wehmüthiger
Hoffnungslofigfeit die Reife vom Stanbd-
plage antreten. Als wir im Gange waren,
fand ich die Schnelligkeit nicht auffallend
groß, doch immerhin beachtenswert, und
ih pries den günjtigen Zufall, der mir
zu einer jo herrlichen Comfortabelfahrt
verholfen. Plöglih aber that das Pferd
einen Sprung und ftürmte vorwärts, fo
daſs es der Kutſcher feft im Zügel halten
mufste. Sch dachte, es habe ein bijächen
geicheut und freute mic, daſs das brave
Roſs noch Luft und Kraft zu einer jolchen
felbftändigen Außerung befige; die anderen
Comfortabelpferde pflegen fih, wenn fie
ſcheu werden, bloß auf das Pflafter hin»
zulegen und flehentlih mit den Beinen
zu ftrampeln. Doch nad einer Weile
wieder einen Sak, und abermals bas
Vormwärtsjtürmen. Nun ftredte ich den
Kopf zum Fenſter hinaus und rief bem
Kutſcher zu:
„Is er jo g’ihredt ober hau'n S'
ihn vielleicht 7*
„Gar fa Reb’*, brummte der Kut—
ſcher, mit beiden Händen die Zügel ftraff
anziehend, Er Hatte auch wirklich die
Peitſche neben fich fteden. Und ohne
jede Anfeuerung legte ſich das Pferd mit
Macht in das Geſchirr, ſcharf ausgreifend,
jo dajs mein Wagen einige flinke Fiaker
überholte. Hiedurch entſtand bereits einiges
Aufiehen in den Straßen, dur die wir
dahinrollten. Es blieben Leute ftehen und
blidten erftaunt dem Einfpänner nad,
der es jo eilig hatte. Manchem ftand
auf dem Gefichte Die Erwartung geichrieben,
daſs das Pferd ſchon in der nächſten
Minute fein Ungeftüm mit einem Schlag-
flujs büßen werde. Andere riefen entjeßt:
„Halt's den Anſpanner auf, der is narriich |
word'n!“ Und als wir um bie Ede,
prallten, rief gar ein nichtönußiger Innge
in den Wagen hinein:
„Mi Jeſſas, a ſtierer Gigerl,
der's nur mehr anſpanni' ſchiaßen laſſen
lann!“
Dieſe kränkende Redensart veranlajste
mich, noch einmal den Kutſcher anzu⸗
rufen:
„Sie, was treiben S' denn mit
dem Pferd? Hat’s vielleicht den Koller ?“
Er jchüttelte ftumm den Kopf. Die
Peitſche ftedte immer noch unberührt
neben ihm.
„Oder martern ©’ da3 arme Vieh
am End’ mit irgend einem Teufelszeug,
was ihm wehthut?“
„Aber naan ſag' i.“
„Asdann, jo halten S' es zurüd!
Jh mag net jo mit einem Comfortabel
herumraſen. Das ift zu unnatürlih ! Sie
werden bob das Pferd zurüdhalten
fönnen ?“
Naan, kann i net!”
„Ja warum denn nicht 2“
„Weil der Krampen an Ehrg'fühl
bat.”
„Was jagen S'?“
„An Ehrg'fühl hat er.
verftengen Sö net.”
Während er mir diefe in der That
unverjtändliche Auskunft gab, fuhren wir
in jchnellem Trab über eine Straßen-
freuzung. Der dort angejtellte Wachmann
ſchien ſeinen Augen nicht zu trauen. Ein
Eomfortabel und Schnellfahren! Erjt nad
einer Weile ftarrer Verwunderung machte
er Miene, dem Verächter der Vorſchrift
nachzujegen, um die Nummer aufzuſchrei—
ben. Allein der Kutſcher hatte rüdwärts
geſchielt und merkte nicht jobald die Ab-
fiht des Wachmannes, als er auf eine
ganz unerhörte und abenteuerlihe Art
jein Pferd zu toller Flucht bradte, Ich
gewahrte nämlich, während ich mid) hinaus
beugte, um Halt zu gebieten, daſs er
behende auf den Hintertheil des
Pferdes jpudte, worauf dieſes ganz
wild den Schweif bäumte und davon—
jagte. Die Peitjche blieb nad mie vor
unberührt. Ich war ſprachlos. — — —
„Was, der hat a Trabberl, gnä’
Aber dös
een ———
— ——
391
Herr!“ meinte der Kutſcher beim Aus—
ſteigen und blinzelte mich vielſagend an.
„Sie hab'n aber auch einen eigenen
— Zungenſchlag, um ihn anzufeuern.“
„Na wiſſen S', er kann's halt
net leid'n, wann i 'n anſpiazeln thua ;
's ganze Jahr brauch' i deſstweg'n fa
Peitſch'n net, Nur imrings amal a bifjel
auffiipuden und er jagt wia der Teirel,
weil's 'n jchenirt. Da därfn ©’ weit
geh'n, bis ©’ wieder a Roſs find’n, was
jo a Ehrg’fühl in eahm hat. ...“
Das $eil’n.
Ein Bilden aus dem fleiriihen Volksleben
von B. 3. Rrones.
Weihnachten iſt's.
In Hochſtätten, und auch in den
anderen Dörfern, fangen die Dienftboten
an, fih zur Wanderjchaft zu rüften, denn
am Sylveftertage, am „alten Jahrtag“,
wird gewandert; ift ja doch ’3 Jahr
um, Bei mandem Großbauer ſchaut 's
aus, als ob fie 's ganze Haus gleich
einpaden wollten. Knechte und Mägde
ziehen fort zu anderen Bauern, wofelbft
fie es nach ihrer Meinung beffer haben ;
wo fie nicht jo viel zu arbeiten brauchen,
als auf dem gegenwärtigem Plage, da-
für jedoch eine beffere Koft und mehr
Lohn befommen.
Sauter jchöne Sachen!
Sowas zieht freilih. Drum haben
beim Harlbauer die Ancchte zu Micaeli
auch ihren Dienft aufgeſagt und fich wo
anders verleihlaujen lafjen, einer da, der
andere bort; und jeder glaubt, auf dem
neuen Plage jein erhofftes Eldorado zu
finden. Auch die Mitterdirn, die „Rejl“
hat 's ihnen nachgethan. Sie fommt gar
in die Nachbarſchaft: nad Kaindorf,
zur Hofmühl. Obgleih fie da um 4 fi.
mehr Lohn befommt al3 beim Harlbauer
und noch dazu ein Paar Kirchenſchuhe
ald Aufbefjerung, jo ift es ihr jekt,
nachdem es Ernit ift, doch nicht alles
eins, dafs fie fort joll.
E3 hat beim Harlbauer eben ein
Häkchen. Ber Harlbauer „Franzl“ ift
in die Reſl ganz verdonnert und ver—
jharmeriert; und auch die Nefl bat den
Franzl nicht ungern. Hätte fie doch ein»
mal Ausfiht gehabt, Harlbäurin zu
werden. Und das will was gejagt haben,
War ja doch der Harlbauer-Grund in
Hofftätten einer der größten und jchönften
in der ganzen Gegend, dazu jdhuldenfrei,
mit neugebautem Wohn: und Wirtjchafts-
gebäude. Überdies war der Franzi der
einzige Erbe; und, was aud bei den
Dorfihönen nicht am geringiten in bie
Wage fiel, er war der fejcheite Burfche
im ganzen Dorfe. Sein Wunder daher,
dajs jo mande Augen ihn beimlih und
offen juchten.
Das alles gieng der Reſl durch den
Kopf, als fie am heiligen Chrifttage
nadhmittagd bei ihrer „Gwandtruhen“
berumframte und ein Stüd ums andere
fein ordentlich hineinlegte. Es gieng ihr
wie ein Mühlrad herum, da fie bedadhte,
dajs fie ald armes „Dianſtmenſch“ fich
dazumal jo „übergadt* hatte; und das
Meinen war ihr jehr nahe.
E3 war nämlih vor Michaeli, da
hatte es beim Harlbauer allerhand
Streitigfeiten abgegeben, und da gerade
die Leihlaufszeit vor der Thür war, jo
thaten fi die meilten Dienftboten um
einen anderen Pla um; auch die Reil.
Hintennach bereute fie es freilih. Sie
wollte den Leihlauf zurüdgeben, aber
der Hofmüller jagte: „Wos ghonbdelt is,
is ghondelt; da is's mir mitn Um—
fteden, Du muſst dein’ Zeit ausholtn.”
Sylveſter iſt's.
Am „alten Jahrtag“ kam ſchon
beizeiten der Schlitten, welcher die Refl
ſammt ihrer Habſeligleit zur Hofmühl
bringen ſollte. Sie verabſchiedete ſich
unter Thränen vom Bauer und der
Bäuerin, ſowie von den übrigen Haus—
leuten, und bedankte fih für alles Gute,
was fie im Haufe gehabt hatte. Den
Bauersleuten war ihr Fortgehen nicht
gleichgiltig, denn die Neil war ein „an-
ſtelligs Menſch“, auf das man fich überall
verlaffen fonnte.
„Und wegn dem Techtl- Medtl mit
dem Buabn”, meinte der Harlbauer ein—
392
mal zu feinem Weibe, da fie gerade von
der Reſl ſprachen, „fein a paar junge
Leut', oll' zwoa; fein eppa mir onders
gwen, wie ma jung warn? Und wegn
ihrer Armutb; mein Gott, olle Menfchen
fönnen nit reich fein. Won injer Franzi
amol a Weib nimmt, jo bärf er juft
Ihaun, daſs's brav und wirtichaftli is;
is's nocha reih oder oarm. Gelt,
Alter — —
„Aber wo iS denn der Franzi ?*
fragte die Neil, da fie ihn in der Stube
nicht jah.
Mir jcheint“, erwiderte der Bauer,
„i bon ihn grod ehvor giehn in Stoll
umigehn.“
„Do geb i jelber nochſchaun“, ſagte
die Neil; „i muaf3 von iahm doch a
Pfüat Gott nehm. Hobn ma oft mit.
anond gitrittn und gmwörtlt, und i möcht
doch mit im Unfried von iahm furt.*
Und jogleih gieng fie hinüber in den
Stall. „Schau, Franzl”, fagte fie, da
fie ihn traf; hiatz muaſs i holt
JJ —
„Hot's fein müan?“ fragte der Franzl
und wollte fortgehen.
Die Neil aber nahm ihn bei ber
Hand und ſagte: „Bift leicht harb auf
mi, Franzi? Schau, i geh nit gern, aber
es muaj3 holt jein. Geh, fei nit harb
auf mi; i that mi zviel fränfen. Und
biag pfüat di Gott!“
„Pfüat di Gott a!“ jagte der Franzi.
Dann fajste er die Reſl um die Mitte
und jprah mit weicher Stimme, die
man ihm gar nicht zugetraut hätte:
„Wäi boft denn dos than, Neil? J
dent, es war für di noch Plotz gnua
gwen ban ins da; e3 hot di jo niamd
furtgſchofft. 3 hon di immer recht gern
ghobt. Dos hättſt ma nit fulln anthuan !*
„Schau, Franzl“, erwiderte Die
Keil, „i fimm ja fo nit weit furt;“
und ein wenig verſchämt ſetzte fie Hinzu:
„do wern ma ins wuhl no monig3mol
zſehn kriagn. Wia war's denn, wonnft mi
amol buamjucheft, that mi rechtichoffn
gfreun.“
„Is's woahr! Därf i?“ fragte ganz
erfreut der Franzl.
Das „Pfüat Gott“ fiel ein bijschen
fang aus.
Bon der Zeit an vergieng felten ein
Sonn- oder Feiertag, daſs der Harl-
bauer Franzl nit nah Kaindorf ge—
gangen wäre. Es fiel ihm auf einmal
ein, baj3 der Platzwirt dafelbft einen
viel befferen Wein ſchänkte, al3 der
Hofftättner Dorfwirt. Sehr erwünſcht
fam es ihm aud, daſs der Dorfmüller
vielen Eiſes wegen längere Zeit gar
nicht mahlen fonnte; das gab die ſchönſte
Ausrede, in die Hofmühle nah Kain—
dorf zu fahren und dann und wann
nachzuſchauen, ob das Mehl ſchon ab—
zubolen jei. Kurz und gut, an Ausrede
fehlte es nicht, ebenjomenig an Zeit,
diefelbe zu verwirklichen. Natürlich wuſste
auch die Rejl es ftet3 einzurichten, daſs
fie kurze Zeit abfommen konnte.
Don den BDorfbuben in Kaindorf
murben diefe Zujammenfünfte bald aus
gefundichaftet und fehr übel vermerkt.
Was hatte ein „ausmwärtiger Bua“ mit
einer von den ihrigen zu ſcharwenzeln;
denn al3 ſolche wurde die „Hofmüller
Neil” feit ihrem Dienftantritte angejehen.
Das gab den Kaindorfer Buben eine
erwünſchte Gelegenheit, einen langgebegten
Groll gegen die Hofftättner friſch auf—
jumärmen und ſich denjelben gegenüber
neuerdings feinblih zu zeigen, Dazu
trugen auch die beiden Müllerburfchen
das ihrige bei. Ihnen Tag die Neil auch
ganz gewaltig im Herzen; fein Wunder,
denn die Reſl war die einzige Schönheit
in der Hofmühl, ja, ohne zu prablen,
im ganzen Dorfe. Das zog freilich ganz
gewaltig. Sie liefen daher feine Ge-
legenheit vorübergehen, fih im Kerzen
der Reil feſtzuſetzen — den Harlbauer
Franzl aber daraus zu verdrängen. In
Gefellihaft der übrigen Dorfbuben hekten
fie ftet3 gegen den Franzl; der Neil
fuchten fie jedoh glauben zu machen,
daf3 der Franzl ſchon Tängft eine
„andere“ habe.
Da gab es oft heimliche Thränen.
Am Falhingmontag war beim Plap-
wirt in Kaindorf „Roſsknechtball“, wozu
auch die Hofſtättner geladen waren.
Weil dabei der Harlbauer Franzl faft
nur mit ber Hofmüller Rejl tanzte, jo
ward es bei den Saindorfer Buben
beichlofiene Sade, die beiden ausein-
anderzubringen, ober wenigſtens dem
Franzi die Beiuche zu verleiden.
Diefer merkte gar wohl, daſs gegen
ihn etwas im Plane jei. Obgleich die
Kaindorfer damit jehr heimlich thaten,
jo fonnte es ber eine oder der andere
doh nicht laſſen, dem Franzl einen
giftigen Blick zuzumwerfen. Und hätte er
Ihon das nicht wahrgenommen, jo mujste
es ihm auffallen, daj3 die meiften Kain—
dorfer Buben ihn mieden wie einen Aus»
lägigen. Mitunter fieng auch einer an
zu ftänfern, ob denn die Hofftättner feine
„Menjher" hätten, daſs fie darum nad
Kaindorf laufen müſſten. Das mar
deutlih genug. Der Franzl dachte aber:
„Redt's, wos wöllt's; i bleib meiner Reil
deswegn no treu!” Eine Rauferei an-
jufangen, getrauten fie fih denn doch
nicht, denn der Franzl hatte einen An—
bang, mit dem nicht gut Kirſchen efjen
war; darum mufsten auch die Stänferer
ihre Fahnen einziehen.
Die Zeit fam und gieng.
Der Winter war vorüber, Oſtern
vor der Thür, und ber Franzl hatte auf
den Vorgang beim Playmwirt ſchon längft
vergeffen. Er gieng nad wie vor zur
Neil, und dieſe freute fih allemal auf
fein Kommen.
Kurz vor Oftern iſt's.
Es war ein ftürmifcher Frühlings»
tag, da der Harlbauer Franzl gegen
Abend wieder nach Kaindorf gieng. Nach—
dem er mit der Rejl einige Zeit beifammen
war, jchidte er fih an, wieder heimwärts
zu gehen. Sogar bie Neil trieb heute
dazu an, denn das Wetter wurde immer
ungeftümer, und baun Hatte fie noch
andere Bejorgnifje, welche fie dem Franzl
mittbeilte. Dieſer verlachte fie deshalb
und fagte: „Braucht deroweg'n kuan'
Angft z'hobn; i fürdt' kuan Wetter und
noch wen’ger die Kuandorfer Buab'n.“
Damit ſchied er von der Reſl.
Er hatte erft die Abficht, jogleih nach—
hauſe zu gehen; aber die Äußerung der
IMejl umd ihre Belorgnifje veranlajsten
ihn, noch ein wenig beim Platzwirt vor-
zuſprechen und fi durch ein paar Glas
‚Mein zu ftärfen. Dort ſaßen troß ber
ſpäten Abendftunde noch mehrere Kain—
borfer Buben wie auch die beiden Mühl»
burjchen aus der Hofmühle und „Eartelten“.
Erft machten fie große Augen, als der
Franzl eintrat, dann fchienen fie ſich um
ihn nicht weiter mehr zu fümmern.
Nicht lange darauf beendeten fie das
Spiel, leerten ihre Gläſer und verließen
das Gafthaus. Auch der Franzi beeilte
ſich, denn er wollte doch nicht ganz allein
‚figen bleiben. Als er fortgieng, jagte die
Kellnerin zu ihm: „Franzl, geb’ nit noch
der Stroß'n; mir jcheint, die Buab'n
hob'n wos geg'n di.” —
„AH wos!” jagte der Franzl; „ſäi
wer'n mi wuhl nit auffreii’n.”
Damit gieng er hinaus in die Nacht.
Es war finfter, daj3 man einem hätte
in die Augen greifen können. Erſt fam
es ihm auch etwas gruslih vor, denn
die Bejorgniffe der Reil, die Befürch—
tungen, welde die Kellnerin beim Plap-
wirt ausſprach, und dann die unheimliche
Ruhe, mit welder die Burfchen vom
Mirtshaufe fortgiengen, machten ihn etwas
ftugig, und er bereute ſchon faſt, micht
den Weg über die Höhe eingeichlagen zu
haben. Allein, je mehr er fih an bie
Finſternis gemöhnt hatte, deſto mehr zer
ftoben dieſe Bilder der Furcht in leeres
Nichts und deſto zuverfichtlicher gieng er,
ein fröhliches Liedchen pfeifend, ſich auf
der Mitte der Straße haltend, dahin.
Auf einmal war es ihm, als be
füme er einen heftigen Schlag vorne auf
die Unterfchentel. Die Füße wurden ihm
förmlih nah rüdwärts hinausgeriſſen,
und er fiel, mit dem Geficht nach vorne,
zu Boden. Das geſchah jo unvermuthet
und jo heftig, daſs er nicht mehr Zeit
fand, fih mit den Händen zu fangen,
und er fih auf den jpigigen Straßen-
fteinen das ganze Geficht zerihlug. Raſch
erbob er fich jedoch wieder. Kaum ftand
er aber, jo erfolgte ein Schlag von rüd-
wärt3, riſs die Füße nach vorne, und er
fiel auf den Rüden.
Diefer zweite Schlag belehrte ihn,
Erft hatte er gemeint, es jei ein Baum
aft über der Straße gelegen, welcher
jeinen Fall verurfaht babe, Nun der
Schlag auch von rüdmwärts fam, wuſste
er, dajs es kein Baumaft, jondern ein
Seil fei, weldes von den Kaindorfer
Buben jo geihidt gehandhabt werde.
Von den Buben jelbjt fonnte er ber
großen Finſternis wegen nichts bemerfen,
und zudem war zu beiden Seiten ber
Straße auch dichtes Gebüjch, welches fie
dem jpähenden Auge des Franzl entzog.
Noch ein paarmal verjuchte es diefer,
aufzuftehen, um womöglid aus dem Be-
reihe des Seiles zu kommen, aber ver-
geblich; kaum hatte er fich erhoben, jo
lag er jchon wieder auf der einen ober
auf der anderen Seite.
Nun begann er zu ſchimpfen und zu
jchelten, daſs es weit in die Nacht hinaus.
ballte. AZugleih las er Steine auf und
ſchleuderte diejelben aufs Gerathewohl
nah rechts und links. Er mufste dabei
bob einen von jeinen Widerjachern ger
troffen haben, denn er vernahm ein furzeg,
leifes Aufftöhnen. Das war aud ber
einzige Laut, den er hörte,
Nahdem der Franzl eine GStrede
Weges fortgefrohen war, horchte er:
Er vernahm jet dumpfe Stimmen und
Schritte, welche jih von ihm immer mehr
entfernten. Nun erft war er wieder ficher,
Er ftand auf und gieng fo gut es gehen
mochte nachhauſe. Daſelbſt begab er
fih fogleih in jeine Kammer, reinigte
fih vom Blut und Schmuß, jchlug feinen
wunden Kopf und die jchmerzenden Beine
in naffe Tücher und legte fih aufs Ohr,
Anderen Tages früh fam fein Franzi
in den Stall, und auch zum Frühſtück
erihien er nicht. Die bejorgte Mutter
gieng in feine Kammer und — jchlug
jammernd die Hände über den Kopf zufam-
men. Da lag ihr Franzl mit geröthetem,
aufgedunfenem Gefichte und fieberte. —
Seine ftarfe Natur und die treffliche
Pflege braten ihn jedoch bald wieder
auf die Beine.
Den Kaindorfer Buben hätte dieſer
Spajs bald schlimmer angeſchlagen.
8
Hätten der Harlbauer und deſſen Sohn
ſich nicht ausdrücklich gegen jede gericht-
liche Verfolgung verwahrt, jo würden die
Räbelsführer nah einer langwierigen
Unterfuhung jedenfalls auf längere Zeit
eingenäht worden jein, wofelbft jie daun
Zeit genug gehabt hätten, über die ganze
Geichichte Fromme Betrachtungen anzuftellen.
Als der Franzl dann wieder voll-
fommen bergeftellt war, giengen er und
jein Vater in eitlem Sonntagsjtaat ge—
fleidet an einem hellen Werktage nad
Kaindorf, geradewegs in die Hofmühle.
Was dajelbit alles geiproden wurde,
weiß ich nicht, aber das weiß ich, daſs
die Neil zum Hofmüller jagte:
„Müller, müaſst's Ent jhon um an
ondere Dirn umſchau'n, i fann mei Zeit
nit mehr ausholt'n!“ —
Bemerkung zur vorflehenden Geſchichte:
Der bier geſchilderte Gebrauch des
„Seilens“ beitand thatjählid — oder
befteht noch. Mir ift diefer Gebrauh in
KRaindorf bei Hartberg befannt geworben.
Läftige Nebenbuhler und andere Feinde
wurden in ſolcher Weile tractiert. Zur
Ausführung mujsten mindeftens zwei jein.
Sie nahmen ein dides, jehr ſchweres
Seil, ftellten fih (natürlich nachts) zu
beiden Seiten des Weges, melden der
Betreffende fommen jollte, möglichft ver-
ftedt auf. Kam mun derjenige, dem e3
zugedadt war, jo wurde das Geil ger
ſchickt und Eräftig geihmwungen, jo dafs der
ahnungslos Daherfommende möglichft tief
an den Unterjchenkeln getroffen und da»
durh zu Falle gebradht wurde. Nicht
jelten geſchah es auch, daſs er obendrein
noch mit Stöden arg zugerichtet wurde.
Auch Unrehte wurden oft das Opfer
diejes derben Spaſſes. Mander wurde
dabei jogar lebensgefährlich beſchädigt.
£uftige Zeitung.
Junge Ärzte. „Du Frig, id bin
gerettet, ich babe heute einen Patienten
befommen.” — „Wirtlih? ZTheilen
wir ihn!”
Ein Trof. Frau: „Ad, Herr
Foctor, mein armer Mann ijt wohl ſchwer
trank?“ — Arzt: „Ja, aber tröjten
Sie ſich, jeine Krankheit ijt von hohem
wijjenihaftliden Wert.“
Ein berühmter franzöſiſcher Arzt
und Profeſſor verfocht die Anſicht, dajs
jede Krankheit einen Entzündungsproceis
darftelle. Beim Secieren eines jeiner ger
ftorbenen Patienten fand fib nun von
Entzündung feine Spur. Da erflärte er
feinen Schülern: „Meine Herren, Sie
ſehen, unfere Behandlung war höchſt
wirkſam: der Patient iſt geſtorben,
aber er iſt geheilt geftorben!“
In der Gegend von Meihen ift eine
ganz„einzige*Wahlgejchichte paffiert.
Sin einem kleinen Nahbardorfe der Stadt
erfhien nur ein Wähler, der fich jelbjt
wählte und jodann erklärte — die Wahl
nicht annehmen zu können!
Große Gejellihaft in einem
angejehenen Haufe. Einer der geladenen
Herren liegt in einer Ede und gähnt.
„Sie langweilen fih wohl, mein Herr?”
fragt ihn ein Nachbar. — „Na, entieß-
lid. Und Sie?" — „Ab, ih lang—
weile mih auch gräſslich!“ — „Wie
wär’3 aljo, wenn wir uns aus dem
Staube machten?“ — „Ich kann ja leider
nicht — ich bin der Herr vom Haufe.“
Ausder Inftructionsftunde,
Unterofficier: „Warum darf der Soldat
nie den Kopf verlieren?“ — Rekrut:
„Weil jonft 'n überzäbliger Helm
zviel in der Kaſern' wär!“
Das fünfjährige Söhnden
eine3 reichen Haufe gab der franzöftichen
Gouvernante einen Schlag ins Ge-
fit. Darauf die Mutter entrüftet; „Aber
Willi, immer mit der linken Hand!
Milft du dir das nicht endlih ab»
gewöhnen ?*
Gejud. „Jemand, der heiraten
möchte, ſucht einen erfahrenen Mann, der
ihn — davon abredet.”
395
Bider.
Sudwig Anzengruber. Der Mann —
fein Wert — jeine Weltanihauung. Bon
Anton Bettelheim. (Dresden. 8. Ehler:
mann. 1891.)
Diejes Werk erfcheint als dritter Band der
glänzenden Reihe: „Führende Geifter“. Es
geht uns befonders nahe, es behandelt einen
führenden ®eift, der mit uns gelebt, unter
unjeren Berhältnifjen groß geworden ift und
gelitten hat, und defjen Werke für Literatur
und Volk von großem Einfluffe find. Das Bud
ift geichrieben mit warmer Lebendigkeit, die
uns anherzt. Der erfte Biograph eines be—
deutenden Mannes hat es ſchwerer, als jeine
Nachfolger, weil ihm noch feine vorherge—
gangenen Bücher zur Berfügung ftehen,
aus denen er abjchreiben könnte, und hat
es, wenn er ein Zeitgenoffe des zu Be:
ſchreibenden ift, leichter al8 die Kommenden,
weil er folde Bücher garnidt braudt,
fondern feinen Stoff unmittelbar aus dem
Leben nehmen fann, weil ihm, perjönliche
Erfahrungen und Eindrüde, Außerungen,
Aufzeihnungen, Briefe des Verewigten, jo:
wie perfönlihe Mittheilungen verſchiedener
Art vorliegen. Es mögen ſolche Biographien
fubjectiver, vielleiht aud lüdenhafter aus:
fallen, als jene, die auf rein wiſſenſchaft—
lihem Wege entftehen; hingegen gerathen
fie realer, menſchlicher als jene, find und
bleiben die Haupturfunden jpäterer Bio:
graphen. Anton Bettelheim hat uns bier
über Anzengruber ein wertvolles Bud ge:
geben. Mit völlig fünftlerifjhem Geſchicke hat
er es verftanden, ein Lebensbild zu ent:
werfen, in weldem der Dichter uns mit all
feinen Eigenfhaften leibhaftig vor Augen
fteht. Sein eherner, reiner Charafter, feine
literariihen und feine Lebensſchickſale
haben wir in fiheren und marligen Stridhen
vor und, Sein ſchwerer und mannhafter
Kampf mit den Zeitverhältniffen erhellt aus
vielem.
Für ganz befonders gelungen in Bettels
heims Wert halte ih den Abſchnitt über
die Weltanfhauung Anzengrubers. Dieien
Abſchnitt follen alle diejenigen lejen, welche
unjeren Dichter zu den Naturaliften zählen.
Hodinterefjant find die Beilagen mehrerer
Urkunden, darunter ein rührendeinniger
Brief von des Dichters Pater an jein
Weib,
Das Bud wird zum Berftändnifie und
zur richtigen Wertihägung Ludwig Anzen—
grubers wejentlid beitragen, und ſchon da=
rum müſſen wir es dantbarft begrüßen.
R.
396
Neue Gedidtenbürker.
Khwarz: Gelb. Soldaten:Lieder von ©.
Hermann, (Wien. Georg Szelinsti.) —
fiebestraum. Lieder-Eyflus von Sandor
Barinkay. (Münden. ©. Franz.) —
Syrifhe Bidtungen von Frit Hoelder.
(Heidelberg. E. Burom.) — Sadrach A. $.
Onego, ein babyloniſcher Keilfchriftlehrer.
Bon Frit Treugold. 4. Aufl. (Stutts
gart. R. Lug.) — Ausgewählte Pidtungen
von Adolf Bartels. (MWefjelburen. 3.
Groth.) — Prama. Welt- und Selbſtſchmerj.
Bon Ada Klein. (Prag. 9. Mercy.) —
Yaterländifhe Romanzen von Sof. Jorda.
(Oberhollabrunn. J.Wais.) — Borfrühling.
Ausgewählte Dichtungen von Ostar Pach.
(Wien. U. Umonefta.) — Gedidte von
Francis Boyes, Dr. phil. (2inz.) —
Bud der Siebe von Mar Hochſtädt.
(Berlin. Kemper.)
SchwarpGelb von S. Hermann find
flott und gewandt gejchriebene „Soldatens
lieder” öfterr.:patriotifhen Inhaltes. Viele
darunter erinnern dur ihre Form und
ihre leichte Sangbarfeit an ältere befannte
Lieder. Zu den befjeren der Sammlung find
u rehnen: „Die drei Musketiere“, „Die
berfahrt* und , Jung-Janos“. Einzelheiten
find tadelnswert, wie der unlogiſche Saf:
„Dem Barte fehlten die Haare“ und die
ungebräudlihe Wortbildung „drübige*.
Das Adverb „drüben“ für „darüben“ ift
faum älter als zweihundert Jahre und
wurde aus „drüber“ für „darüber“ gebildet;
e8 ann wohl mit dem Genitiv und ſub—
ftantivifch, aber nicht als Adjectiv gebraudt
werden und verträgt in jeiner neueren Form
wohl feine weitere Ausbildung. — Übrigens
wird im militäriichen Streifen das hübſch
ausgeftattete Büchlein gewiſs Verehrer fin:
den, die es auch verdient.
„Gin Liebestraum. — „Aber Kind
unferes verfintenden Jahrhunderts, diejes
ſchrecklichen Jahrhunderts mit dem rauhen
Athen und der ſchlechten Bruft jeiner Indu—
firie:Großftädte, den heiferenCommandorufen
feiner Niefenerercierpläße, den gellenden
Schaderlauten jeiner®eltmärkte, den Wifchi:
wajdireden feiner Parlamente und eis
tungen, dem bunten Lärm feiner Ausſtel—
lungen, der Lieblofigfeit und Roheit feines
Parteilebens, dem Nihilismus in allen
wahrhaft jhönen Dingen — —“ fo ſchreibt
M. 6. Conrad (gut gebrüllt, Löwe!) im |
Geleitswort zum Lieder-Eyflus Fiebestraum |
von Sandor Barinkay. Der Dichter
wendet ein, e8 jei ihm doch bang zumutbe,
„der dort am Wege flieht, hochaufgerichtet,
mit düfteren Mienen, das ift, ſchier fürdt’
ih mich, wohl gar mein erfter Criticus?!“
Darauf Conrad: „Das ift ein Pappel:
baum, gar alt und morſch. Heraus mit
I pappeln. Doch eine Vorfiht no: den Zarn-
helm eines Pjeudonygms je’ auf dein
ichönes, junges Haupt.” — Nun, junger
Dichter (oder Dichterin?), haft du ſchon die
Blätter eines Baumes im Winde raujden
gehört? Wenn du ein Liebling der Mufen
| bift, fo verftehft du aud, was die Blätter
der Pappel flüftern: Träume nur zu, von
echter, treuer Liebe! Aber nit nur von
Riebesleid, auch vom Glüde treuer Liebe
follft du träumen. Das dunfle Leid ift un-
frudtbar — die Frucht reift nur an ber
hellen Sonne.
Ich frug die file Maiennadt,
Wo denn mein Glück geblieben?
„Ein Engel trug ed fternenwärts,
Dein Glüd und all dein Lieben!“ — —
O Glüd, o Liebe flernenwärts,
Steigt nimmer ihr bernieder ?
„Glüd, das zum Himmel fi gewandt,
stehrt nie zur Erbe wieder!“
Ich jelbft glaube, daſs das Glüd fternen:
wärts — aber wer fich emporheben fann —
jo hoch — der findet es.
Fritz Hoelder, der Berfafler Lyriſcher
Dichtungen, jehreibt mitunter gute Berje und
fönnte bei mehr Sammlung und geläuterter
Phantafie Belleres, ja vielleiht Hervor—
ragendes leiften. Gern fingt er von treulos
verlaffenen Mädchen, und nicht jelten ftreifen
feine erotijchen Lieder an ein unſchönes
Gebiet.
Im Zodtenfaal ein junger Arzt
Das bleihe Haupt fügt in die Hand,
Auf eines Kindes Leiche harrt
Sein dunfles Auge unvderwandt.
Die eigne Mutter hat's erftidt,
Ein Sprung ſchied fie vom Sonnenlidt,
Und ein Geheimnis nahm fie mit,
Man kennt des Kindes Bater nicht.
Aus dumpfem Brüten jhridt der Arzt
Und faföt fein Meſſer; „Muth, nur Muth,
Es mufs ja fein, o Gott, wie fhmerzt
Ein Schnitt ins eig'ne Fleiih und Blut!*
Mehr fittliden Ernft, wenn ſchon in
humoriſtiſcher Faſſung, zeigt Frik Treu:
gold in feinem Badrad, der bereits in
4. Auflage erfhien. Die Leiden des babi:
lonifhen SKeiljchriftlehrers, die wir in
120 „entzifferten und umgedichteten“ In—
ſchrifien verzeichnet finden, jpiegeln wohl
moderne Zuftände ab. Der Verfaſſer reiste
„mit dem Grabjdeit auf der Schulter — —“
durch die Euphratländer und blieb vor einer
Platte ftehen:
„Dargeftellt war drauf gar zierlid
Gine Kinderſchar, vor welder
Stand ein Meifter mit dem Etabe. — —
„Ganz gewifs ein Herr Gollega.* — —
Er grub nun und ftieß auf die Grab:
fammer und fand
‚Mann und Frau und Kind beifammen.” —
„us ich Scharf befah die Platten,
So die Ruhekammer dbedten,
Fand id fie mit Keilſchriftverſen
Von des Meifters Hand beſchrieben.“
Dieje Platten erzählen nun vom Leben
deinem Lied und laſs den Baum dort — | des Keiljchriftftellers — einem Leben vol
— —
397
Entbehrung, Verfolgung und treuer Pflicht:
erfüllung. Schon in der Schule gieng es
ihm ſchlecht, fein „Beift befam viel Broden”,
Doc der Leib mujste fih mit „Waſſer“ be:
gnügen und von allen Leidensbrüdern warf
er den „allerfhmalften Schatten“. Endlich
wurde er Lehrer in einer Kreisftadt.
Als ih ſaß in meinem Erüblein,
Aonnt ih nicht umbin zu fagen:
Weihe Ehr', daſs ich in biefer
Stadt am Hungertud darf nagen!
Doch aud ihm kam jene Zeit: „Nimm
mein Serze, nimm alles, alles hin!“
Du Engel meines Lebens,
Der Ew'ge fegne dich!
Du bift bei mir neblichen,
Als alles von mir wid. — —
Dann
Leben fan in unf’re Hütte,
Denn der Klapperſtorch bat jchon
Uns gebradt ein feines Kindlein. — —
Über jhon auf der 62. Platte lejen wir:
Immer fteiler wird die Etraße,
Und die Yafl wird immer Schwerer!
Ad ja, wen die Götter baflen,
Machen fie zum Keilichriftlehrer.
Die 63. Platte fpridt von „Krankheit,
Mangel, Rahrungsforgen, Roth und bitt’rer
Seelenpein, Kummer, Täufhung“. Auch von
der Kaſte der Priefter, den „Magiern“,
hatte er viel zu leiden. Aber das alles ver:
mag jeine ftarfe Seele nicht zu beugen:
Die heil'ge Flamme mufst du ſchüren,
Willft, Lehrer, du die Schüler führen
Auf fteiler Bahn zu jenen Höh’n,
Wo reine Beiftesaugen ſchauen
Auf Lichten, blumenreihen Auen,
as wahr und gut ift und was jhön. — —
Auf der 120. Platte, die zugleich jeine
Grabſchrift enthält, gibt er noch die Lehre:
Geh ohn' Menſchenfurcht durchs Leben,
Uecht als ein grani'ner Mann,
Der dem Redt, der Wahrheit bienet:
Selig ift dein Enbe dann.
Der Leſer wird den Schlufsworten in
den Ausgewählten Pidtungen von Adolf
Bartels:
En. fabrwohl, mein dumpfer Zinn,
ahrt wobl, ihr trüben Lieder!
beiftimmen, denn mandes wird ihm unver:
ftändlich geblieben fein. Es fehlt den meiften
Gedichten an Klarheit. Wenn das Leben,
wie der Dichter meint, nur ein Traum ift,
der nichts zurüdläjst, jo ift es eben feine
Sade, die Geftalten des Traumes feitzus
halten und ihnen Leben einzubauden. Das
dramatische Gedicht „Lope de Vega“ enthält
einen hübſchen Grundgedanten, aber in nicht !
ganz tadellofer Form. Wenn der Dichter
mit etwas mehr Lebensfreudigfeit wieder:
lehrt, wird er mehr Erfolg finden — er
wird dann auch an Wahrheit gewonnen
haben.
Ida Klein führt in ihrem Buche mit
dem etwas jonderbaren Titel Drama, Welt:
und Belbfifhmerz als Einleitung Worte an, die
Hans Rembert in feiner „Revolution*
gebraudt: „Denken ift Leben. Auch Leſen
ift nit nur Surrogat des Lebens; es ift
das Leben ſelbſt. — — Die Erfüllung des
Lebens finden wir allein im Werfe des
Dichterdenters u. |. w.* Es ſcheint mir in dieſen
Worten mehr Wortjpielerei als tiefe Weisheit
zu fteden und es ließe ſich vieles dagegen
einwenden; jelbft die Dichterin wideripricht
ihnen im aflegorijhen Drama „Das Herz“.
Es joll damit nicht gejagt fein, als vertrüge
„das Herz“ keinen Widerſpruch — es ift
eben nichts vollkommen auf der Welt, weder
Hans Remberts Sprucdmeisheit, no der
Dihterin Verſe. Das Herz wird überall
zurüdgewiejen, zulegt ſelbſt vom Dichter —
ermattet fintt e8 zu Boden und ftirbt. Wir
leben alfo in einer herzlofen Zeit — aber
auch in einer Zeit der „Surrogate“:
Dass wir ben Geſtorbnen Tieben, iſt Beweis,
Dafs uns ein Etrahl von feiner Böttlichkeit verblieben.
Der Weltihmerz der Dichterin gipfelt
in den Verſen:
O Geift der Welten, nimm dafür mein tiefftes rollen,
Daſs ih bin!
Berbrechen ift’d, uns ungefragt ein Dafein geben,
Das vergeht,
Auch der nicht ohne Geift gefchriebene
Anhang: „Aus meinem Tagebuche* enthält
mande Abfonderlichleit. So nennt fie es
eine „Gedantenroheit” Leſſings, dajs er
„Emilia Galotti* in der 7. Scene des
legten Actes jagen läjst: „Ich habe Blut,
mein Pater, jo jugendlihes, fo warmes
u. ſ. f.“ Ob die Dicterin weiß, warum
Leſſing gerade diefe Worte jeiner Emilia
Balotti in den Mund legte? Leifing wog
jeine Worte auf einer jo empfindlichen Ge:
danlenwage, wie fie weder vorher noch nad:
ber einen deutihen Denker zu Gebote ftand.
Gin Büchlein, was weder befonderes
Lob noch Tadel herausfordert, ift der Jor⸗
frühling von Ostar Bad. Die Lieder find
meift harmlojen, oft_frommen Inhaltes,
mande athmen auch heitere Lebensfreudig—
feit. Doc dünlt mid, daſs die Stärfe des
Dichters mehr nad) der epiſchen Seite hin
liegt, wie das wohlgelungene längere Ge:
dit „Der Tod Chriſti“ darzuthun ſcheint.
Obwohl die Romanze jhon das epische
Gebiet ftreift, jo will ih an dieſer Stelle
doh der Daterländifhen Komanzen von Joſ.
Jorda gedenken. Der Dichter führt in
einem Lieder:Eyflus die Hauptmomente der
Geſchichte Ofterreih8 vor und nimmt dabei
den deutſch-nationalen Standpunkt ein.
Umſo befremdlicher wirft auf den Leier das
Gedicht „Kolin“ mit dem Refrain:
‚DD mein lieber, guter Friß!
Heute nüpt dir nichts dein Wih!*
Inhalt und Form erheben fich ſelten
über das Mittelnaß.
Was an den Gedihten des Francis
Boyes, Dr. phil., wirklich hübſch und ge—
Diegen iſt — das ift die Ausftattung des
Werlchens. Leider fällt diefe bei der Beur—
theilung nicht ins Gewicht. Der Beurtheiler
fuht Perlen und Edelfteine auß dem Ges
rölle des Büchermarltes an den Tag zu
fördern. Der „Riejenohinor*, mit dem
das Auge der Beliebten verglihen wird, ift
aber nur Straj8, und wenn der Berfafjer
ingt:
h — „Hörteft du ſchon Philomele
In Gedanken leiſe flöten?”
ſo bilde ich mir wohl Gedanken dabei, er—
laube mir jedoch Zweifel an den Gedanken
der Philomele.
Zum Schluſſe hätte ich noch des JZuches
der Siebe von Mar Hohftädt zu gedenten.
Einnlide Glut Tann man den Gedichten
nicht abſprechen, aber einen bejonderen
poetiihen Wert dürfen fie nicht für fi in
Anipruh nehmen. Zu den befleren der
Sammlung gehören: „Parias Glüd“ und
„Schnöde Abweiſung“. — tt
Alein-Wiener. Skizzen in Wiener Urt
und Unart von Ed, Pötzl. (Wien. Georg
Ezelinsti. 1891.)
ber ein eigenartiges Völkel, wie die
Wiener find, läfst ſich leicht ein eigenartiges
Büchel jhreiben, wenn — man’s ann,
Eduard Pötzl, nebſt Schlögl und Ehiavaccı
der berufenfte Schilderer des Wiener Volls—
lebens, hat das richtige Zeug dazu. Seinen
früheren Schriften reiht fih obengenanntes
Büchelchen gar hübſch an und wir finden
wieder den „Niderl* in verjchiedenen Le:
benslagen, immer der echte Klein Wiener
mit feinen Schwächen, Schmwänfen und
Schnalen, der manchmal in feiner unges
zügelten Gemüthlichleit aber aud ein recht
ungemüthlier Patron werden fann. Mir
2. die neue Sammlung Pögls wieder viel
Spass gemadt; der Spafs ift gut und nicht
theuer, M.
Wiener Rünftler-Dekamerone. 4. und 5
Lieferung. (Wien, I., Rothenthurmftraße 23.)
Gollin, Ludw. Aug. Frankl, Lindau,
Abendroth, Ferd. Groß, Roſé, Lacroma,
Ganghofer, Natler, Gende, Millöder, Del
Negro, Robert Fuchs, Martin Klein, Wald:
ftein, Fiſcher, Franz Müller, Karlweis,
Gerale, 3. J. David, Schönthan, Felix,
Groner 2 find mit zumeift ce ”
Ihichten darin vertreten.
Deutfhe Schriften für Literatur und
Aunf, herausgegeben von Eugen Wolff.
Die „Deutihen Schriften für Literatur
und Kunſt“ widmen bedeutjamen literariichen
und Lünftlerifden Fragen der Gegenwart
und Bergangenbeit fachliche und ſachkundige
Betradtungen, um die Entwidelung der
deutfhen Literatur und Kunſt durd engere
Beziehung zwiſchen fhöpferifcher Thätigteit
und Forſchung zu fördern. Als erjtes Heft
diefer Sammlung liegt vor: Sarbou, Ibſen
und die Zukunft des deutjhen Dramas
von Eugen Wolff. In diefer Schrift prüft
der Herausgeber Sardou und Ybjen als
Beherricher und Tonangeber des heutigen
deutfchen Theaters und meist ohne Ber:
fennung ihrer Vorzüge nad, daſs der Ein:
fluj8 Ddiefer fremden Dramatiler auf die
deutfche Bühne als unheilvol und von der
echten, eigentlihen Kunſt abführend be:
zeichnet werben Be Me
Bas Rind und feine Pfiege im gejunden
und franten Zuftande. Bon Dr. 2. Fürſt.
Vierte, umgearbeitete und bereidherte Auf:
lage. Mit Abbildungen. (3. I. Weber in
Reipzig.)
Soeben ift dieſes beliebte, zum Ge:
jchent für die junge Frau ganz befonders
geeignete Werk in neuer Bearbeitung er:
jhienen. Der Verfaſſer hat in diefem ums
fangreichen Werte die Fülle von Erfahrungen
niedergelegt, die er während jeiner lang:
jährigen XThätigfeit als Kinderarzt und
Leiter einer Kinder-Poliklinik an mehr als
30.000 Kindern zu jammeln Gelegenheit
fand. So ift ein dem neueften Standpunftte
der Wiffenihaft und Praris entſprechendes,
aber dennoh angenehm zu lejendes und
leichtverftändliches Werk entftanden, das für
Mütter und Pflegerinnen eine unerſchöpfliche
Duelle der Belehrung bietet und fi jedem
mit Kindern gefegneten Haufe als ein zu—
verläffiger Rathgeber in guten und böjen
Tagen bewähren wird. Die Darftellung
alles deſſen, woburd man das find vom
erften Tage feines Lebens bis zum Abſchluſs
feiner Eniwidelung geſund erhalten kann,
jowie alles defien, was bei der Beobadtung
und Pflege des erkrankten Kindes in Frage
fommtt, ift ſchon früher von der Kritik ein:
ftimmig als meifterhaft bezeichnet worden.
‘/ 5 darf in dieſer Neugeftaltung als das
gründlichfte, bemährtefte Lehrbuch der Kinder:
hygiene warın empfohlen werden,
Im Manz'ſchen Verlage in Wien ift
eine Brojhüre erfchienen unter dem Titel:
Der Wiener Pialect und feine hochdeutſche
Stiefſchweſter, welche die Betrachtung diefer
Mundart vom grammatilalifhen Stand»
punfte aus zum Gegenftande hat. V.
Trommes Ralender 1891 find für unfer
Neujahrsheit zu ſpät gelommen. Nichts:
dejtoweniger gibt/e$ auch im Februar immer
| 39
noch Leute, die fih mit Kalender noch nicht
verforgt haben, und ſolchen empfehlen wir
Frommes Kalender aller Arten für alle
Stände auf das befle. Man möge nur einmal
in irgendeiner Buchhandlung die Fromme’:
Ihen Fade, Geihäfts:, Volls-, Tafchen-
und Wandfalender durchſehen, und man
wird den paffenden ganz gewifs dabei finden.
M.
Ferner dem „Heimgarten“ zugegangen:
Die Brüder. Eine Bollsgeihichte in zwei
Büchern von Joſef Joachim. Zwei Bände,
(Bajel. Benno Schwabe. 1891.)
Brrmwege des Herzens. Roman von Ernft
Müller. (Dresden. €. Pierfon,)
£eo $. Bolftojs gefammelte Werke. Bom
Verfaſſer genehmigte Ausgabe von Ra:
phael Löwenfeld. In ca. 95 Lieferun:
gen. (Berlin. Rihard Wilhelmi. 1891.)
Das Geſchichtenbuch des Wanderers. Neue
Erzählungen aus Dorf und Birg, aus Wald
und Welt von PB. K. Rofegger. Dritte
Auflage. Miniaturausgabe. (Wien. U, Hart:
leben. 1890.)
Das Bud) der JZugend. Ein Jahrbud
der Unterhaltung und Belehrung für unfere
Knaben. Mit vielen Bildern, (Stuttgart.
F. Thiemanns Berlag.)
Beutfches Gefhichtenbud. Für die reifere
Jugend, gewählt aus den Schriften von
BP. KR. Rofegger. Mit 14 Farbendrud:
bildern. (U. Hartleben. Wien.)
Heues Zabelbuch. Originalzeihnungen
von Otto Spedter, Gedichte von Es—
mar, Meyer, Sclotfe (Hamburg.
G. Epedier. 1890.)
Helene. Pen Tod erkämpft. Zwei Er:
zählungen von M. Kolloden. (Dresden.
€. Pierjon.)
Genoveva. Dramatijches Gedicht in vier
Ücen von Franz Widmann. (Leipzig.
Oswald Mutie. 1890.)
Bühnenfterne. Bon Julius Freund.
(Berlin. 3. Scorer.)
Bonnenflaub. Neue Lieder von Maus
rice Reinhold v. Stern. (Leipzig.
Wilhelm Friedrich.)
Alfred Beniers gefammelte Pidtungen.
Nah defien Tode herausgegeben und mit
einem Lebensbild verſehen von G. A. Reſſel.
(Hamburg. Verlagsanſtalt und Druderei
%.:6. 1891.)
Zallende Blätter. Gedichte von F.Bopp.
(Züri. Berlagsmagazin. 1891.)
2pottdroffel - Rlänge von D. Hael.
(Zürid. Verlagsmagazin, 1891.)
Sieder und Fanfaren, Gedichte von F. G.
Adolf Weib. (Zürich. Verlags-Magazin. |
Beitraketen aus Öflerreid. (Zürich. Ber:
lagsmagazin. 1891.)
Bonathan Bclendrians Höllenreife, Nach—
erzählt von Titanello. (Zürid. Ber:
lags-Magazin. 1891.)
Der Rönig von Bion. Epiſche Dichtung
in zehn Gefängen von Robert Hamer:
ling. Yluftriert von Adalbert von Roeßler
und Hermann Dietrihs. Bis zum 24. Hefte
erfhienen. (Hamburg. Berlagsanftalt und
Druderei A.“G.)
Aug’ um Auge Dramatiider Scherz
in einem Wufzuge von Georg von
Schulze. (Prekburg. Rubolf Drodtleff.
1890.)
Der Prinz. Dramatijche Kleinigkeit in
einem Aufzuge von Georg von Schulze.
(Prebburg. R. Drodtleff. 1891.)
Die Rinder des Baufes. Scaufpiels
Fragment von Friedrich v. Schiller.
Für die Ddeutfhe Bühne bearbeitet von
Alerander Wald. Mit einem Vorworte
von Prof. Uli Shanz. (Rudolf Drodt:
leff. Preßburg.)
Die Früdte der Bildung. Quftfpiel in
vier Aufzügen von 8. Tolftoj. Bom Ber:
fafjer genehmigte deutfche Überjeung von
Raphael Lömwenfeld. (Berlin. Richard
Wilhelmi. 1891.)
Bum Frieden. Roman aus der Gegen:
wart von Paul Pliß. (Dresden. €. Pier:
fon.)
Eine ſteieriſche Stadt im 17. Bahrhun-
dert. Bon Hans Lange. (Graz. Ulrich
Mojers Buchhandlung. 1890.)
Der %reiberg und Vöran bei Meran.
Eine Monographie von Fridolin Plant.
(Meran 1890.)
Auf Schneeſchuhen durd Grönland. Bon
Dr. Fridtjof Nanfen. Lieferung 3—6.
(Hamburg. Berlagsanftalt und Druderei
4:0.)
Gegen Pr. R. Kochs Schwindſuchtsbehand⸗
lung von einem Nihtarzt. (Berlin.
Verlag von Hugo & Hermann Zeibler.
1890.)
Seheimraih Roh in der „Peutſchen
Warte“. (Berlag der „Deuifhen Warte“
zu Berlin.)
Dofef Schindler als Nachfolger von
Vincenz Prießnitz in Gräfenberg. Erinne:
rungen von Philo vom Walde. (Berlin,
Wilhelm Ißleib. 1891.)
Degetarier-Ralender für 1891. Heraus:
gegeben vom deutſchen Begetarier-Berein.
(Berlin. Hermann Stoß.)
Yoftkarten des Yeimgarten.
Dr. S. A., Dresden: Bergleihen Sie Bis:
mards vor kurzem der Strafsburger Depus
tation gemachte Außerung, daſs der Deutiche
den Franzoſen gegenüber um eine halbe
Flaſche Wein zu wenig Feuer in fi habe, mit
Rofeggers Eapitel: „Warum die Deutichen
ſaufen“ (Bergpredigten. Wien. 1885). Sie
finden denjelben Aufſatz aud im „Heim:
garten“ VIII. Jahrgang (1883), Seite 59.
* In Dielen Blättern ift wiederholt
gejagt worden, dajs nicht alle Schriften
Rofeggers für die Jugend paflen. Für die
Jugend ift eine Yuswahl der Erzählungen
Ch. £..1, Auffig: Die Koch'ſche
dedung wird verlaufen, wie jo viele a
medicinifhe GEntdedungen; fie geben
Krankheiten eine andere Erjdeinungsart,
verlängern aber im allgemeinen das menſch—
lihe Leben nicht.
3. A., Meuftadt: Zwiſchen einem ges
lehrten Meteorologen und einem alten Weibe
ift denn doch noch ein Unterſchied, lieber
Freund! Das alte Weib erräth die bevor:
ftehende Witterung nur jelten, der Meteoro:
loge nie,
M. £., Graz: Hätten es Ihnen ſchon
im vorhinein rathen mögen, in ftiller Stube
Menih zu bleiben und nit im großen
dieſes Autors in drei Bänden ericienen: Saale — Publicum zu werden. Welt madt
„Aus dem Walde”, „Waldferien* und | Kaßenjammer, e8 geht au anderen jo. —
„Neues Geſchichtenbuch fiir die deutiche Yu | Und Ihr fonderbarer Strupel? — Was
gend". Auch dagegen glaubt Rojegger pro»
teftieren zu müſſen, wenn er nur als Volls:
fchriftfteller tariert wird. Das iſt zwar Die
höchſte Tare, doch läſst ſich nicht leugnen,
daf3 manderlei aus R.'s Feder mehr für
jpecielle Literaturfreunde, als für den naiven
Leer fi eignet. Er hat diefes ja mit den
meiften Wutoren gemein, fie bieten eben
das, was fie haben, ohne ſich viel darum
zu fümmern, für wen fie fchreiben oder in
welche Branche fie eingejhadtelt werden.
Lehrer W. St., Potsdam: In Berlin
wird das Vollsjhaufpiel „Am Tage des
Gerichts“ vor nächſten Herbſt nicht aufge:
führt.
M. B., Wien: Das nette Sprüdlein:
.D Wien, o Wien!
Wer dort, will fort,
Wer fort, will bin,
O Wien, o Wien!*
ift von F. Hacd.
M. F., Brünn: Gerade dur das Wohl—
wollen für alle Menſchen (au für Nicht:
deutjche) offenbart fi das deutiche Gemüth
am jhönften. — Diejes Wohlwollen ift eine
nationale Tugend, weil es beiträgt, die
Deutſchen in der Welt geadhtet und beliebt
au maden, während der Troß gegen fremde
Völker ein nationales Lafter ift, denn es
Ichajit der Nation ringsum Feinde, dem auf
die Länge auch ein ftarfes und muthiges
Volk unterliegen muſs. — Das ift (nebenbei
bemerkt) nicht politiſch, jondern menſchlich
geiproden.
a. $., Sing: Sehr richtig. Aber woher
follen die Eltern den hriftliden Sinn zur
Kindererziehung nehmen, als don denen,
die da find, um ihn zu fördern?
Für bie Mebaction verantwortiib F. A.
Ihnen nicht einfällt!
&h. 3d., Gray: Ein neues Blatt, defien
eriter Kinderſchrei nad ftrengerer Genfur
ruft, ift vielverfprehend. Wir mwünfden,
daſt der Kunft und dem neuen Blatte die
ı Nedefreiheit gewahrt jet.
*FE. M., Gras: Das erjte Urtheil über
das preisgefrönte Stück „Heimg’funden®
in der Grazer „Zagespoft“ (1886) lautet
unter anderem wie folgt: „Es geſchehen
noch Zeichen und Wunder! Wer konnte
| ſich nady alledem, was man über das Anzen—
gruber'ſche Stüd ‚Heimg’funden‘ gehört
und gelefen hatte, von der Aufführung
auf unferer Bühne mehr erwarten, als einen
Adtungserfolg? Und fiehe da, dem Stadt:
theater bat dieje Novität den größten Er-
folg in diefer Saiſon gebradt, einen Erfolg,
der fid ungezwungen aus dem Werte der
Dichtung und den Borzügen ihrer Dar:
ſtellung ergab* u. ſ. w. Der Referent findet
es unbegreiflid, „daſs ein Stüd von Anzen—
gruber, und gerade ein jo bühnenwirkjames,
von jo gejunder Tendenz getragenes, von
jo Löftlihem Humor belebtes Ungengruber’:
ſches Stüd in Wien bisher noch nicht zur
Aufführung gelommen iſt“ und bezeichnet
‚Heimg’funden‘ als „einen echten Anzen—
gruber, alles Fleifh vom Fleiſche und Blut
vom Blute unferes erften Volfsbühnen:
Dichters.“ — Jener Berliner Aufjag bezieht
ſich demnach nicht auf diefes Blatt.
„Einer“ in Übelbach: Gerührt über die
finnige Sendung. Freundlichſten Dant,
| 3. C. Badavalva: Zuſehr nachempfun—
den. Bitten ohne Aufforderung nichts zu
ſchicken.
Roſegaer. — Druderei ‚Leytam“ in Graz.
6. Heft.
— — —
März
. Ar
r
1591.
Ein Erauenfhidkfal.
Nah dem Italienifhen von Robert Yamerling.
eonardo Battrico aus Pavia war
im Alter von ungefähr fünfzehn
Jahren von feinem Vater nad
Venedig gejendet worden, um dort das
Handwerk eines Seidenmwebers zu er=
lernen. Nachdem er die von den
venezianischen Gejegen vorgefchriebene
fünfjährige Lehrzeit zurüdgelegt hatte,
und feine Eltern inzwifchen geftorben
waren, ohne ihm ein Vermögen zu
hinterlaffen, jo bejchlofs er, in Venedig,
das er als zweite Vaterjtadt jo lieb-
gewonnen hatte, ſich dauernd nieder=
zulafjen. Da ihm aber zur Gründung
einer eigenen Fabrik die möthigen
Geldmittel fehlten, und er überdies
nicht imftande war, den Nachweis
zu liefern, ‚dafs jeine Eltern minde-
tens zehn Jahre lang in Venedig an-
ſäſſig geweſen, ohne welchen Nachweis
es in Venedig nicht erlaubt war, ein
Handwerk auszuüben oder einen Ver—
faufsladen zu eröffnen, fo blieb ihm
nichts übrig, als in der Eigenſchaft
Rofegger's „Heimgarten‘‘, 6. Heft. XV.
eines einfahen Arbeiters dem Meifter
zu dienen, bei welchem er jeine Lehr-
zeit zurüdgelegt hatte.
Als Leonardo jein fünfundzwan—
zigftes Jahr erreicht hatte, machte er
ih allmählich mit dem Gedanten ver—
traut, eine Lebensgefährtin zu fuchen
und einen häuslichen Herd zu gründen.
Marcella, die Tochter feines Meifters,
ein gutes, verjtändiges Mädchen, war
ihm nicht abgeneigt, und als er bei
ihrem Vater um fie anhielt, fo wurde
die Gewährung feines Verlangens nur
an die Bedingung geknüpft, dajs er
fih verpflichte, als Gehilfe jeines
Schwiegervaters, der ihn als ſehr ge—
Ihidten Arbeiter jchäkte, fortwährend
im Haufe desjelben zu verbleiben.
Nicht lange Zeit darauf aber trat
im Haufe des alten Proſpero, fo nannte
jih der Schwiegervater, ein folgen»
ſchweres Ereignis ein.
Profpero empfieng von einem Ge—
ſchaflsfreunde in Conſtantinopel ein
26
ur — 9—
402
Schreiben, in welchem er aufgefordert
wurde, beſtimmte, ſehr große Vorräthe
von Sammt innerhalb einer gegebenen
Friſt nach der Hauptſtadt des türkiſchen
Reiches abzuliefern. Er habe, ſo ſchrieb
der Geſchäftsfreund, die Lieferung der
Bekleidungsſtoffe für die Angeſtellten
des Serails und für das Janitſcharen—
corps übernommen, und brauche unter
anderem auch Sammt in großen
Mengen. Der Brief ſchloſs mit der
Hindeutung auf den außerordentlichen
Gewinn, deſſen Proſpero bei dieſer
Geſchäftsunternehmung ſich verſichert
halten könnte. Große Freude erregte
der Antrag im Hauſe Proſperos, der
ſich beeilte, das, was er von Sammt—
vorräthen auf dem eigenen Lager hatte,
vereinigt mit dem,
anderen Sammtwebern größtentheils
gegen Wechſel an ſich gebracht Hatte,
zur Verſendung in Bereitſchaft zu
ſetzen.
Mit dem nächſten Schiffe, das zur
Fahrt nach Conſtantinopel die Anker
lichtete, gieng die ganze wertvolle
Sammtlieferung Projperos von Bes
nedig ab. Als das Fahrzeug die Höhe
von Navarin erreicht hatte, brach ein
gewaltiger Sturm los. Bald waren
die Schiffsleute genöthigt, zur Rettung
ihres Lebens einen großen Theil der
Fracht über Bord zu werfen. Nichts-
defloweniger jcheiterte das Schiff im
Angefihte des Hafens und verjant
mitſammt der Mannfchaft, von welcher
nur einige durch Schwimmen müh-
jelig das Ufer erreichten.
Die Nachricht von diefem Unfalle
brachte Jammer und Verzweiflung in
die Familie Projperos. Der Termin
zur Einlöfung der Wechfel nahte heran
und der Unglüdliche ſah ſich genöthigt,
all feine Habe zu verfaufen. Um nur
zu leben, muſste er als Arbeiter bei
einem anderen Yabrilsherrn eintreten,
Auch Leonardo war infolge deſſen ge—
nöthigt, bei einem anderen Meifter
Urbeit zu fuchen.
Dieje unerwartete traurige Schick—
fal&wendung brachte den alten Proſpero
was er bon!
nah wenigen Monaten ins Grab.
Zur jelben Zeit fühlte Marcella vie
Zeichen einer herannahenden, und zwar
verfrüßten Entbindung. Unter großen
Schmerzen brachte fie ein Mädchen
don äußert ſchwächlichem Anſehen zur
Melt, dem niemand ein langes Leben
prophezeite. Fünf Tage nad ihrer
Niederkunft erlag die Mutter einem
Kindbettfieber, Ahr letzter Seufzer
war: „Armes Sind, was wird aus
dir werden ?*
Als abhängiger Arbeiter, der ſchon
am frühen Morgen fi in feiner
Merkftatt einfinden und dort den ganzen
Tag verweilen mufste, Jah ſich Leonardo
‚in die Unmöglichkeit verjegt, fein Töch—
terchen jelbft zu pflegen und aufzu—
ziehen. Er mujste die Heine Natalia
— ſo war das Kind getauft — den
Händen fremder Leute übergeben.
Das Mädchen wuchs heran, aber
es Fränlelte fortwährend. Die halbe
Zeit brachte es auf dem Schmerzens—
lager zu. Bon Geburt an jchien es
zum Unglüde beftimmt. Kindliche
Spiele, an denen Natalinens Alters—
genofjen ſich ergößten, wurden ihr,
wenn ſie daran theilnehmen wollte,
jedesmal in irgendeiner Weile ver—
bängnisvoll, ſchlugen zu ihrem körper—
lihen Schaden oder zu ihrer Kränkung
aus. Kein anderes Kind ftürzte und
verlegte jich häufiger; Feinem wurde
häufiger von anderen, wenn auch un—
bedachterweife, ein Leid zugefügt.
Keine Frucht, keine feltenere Speije
fonnte fie genießen, ohne das kurze
Vergnügen mit förperlihen Schmerzen
und Beichwerden zu bezahlen. Sauft
von Natur und duch ihre Schwäche
wehrlos, diente fie übermüthigen Ge—
jpielinnen zur Zielfeheibe des Spottes
und behielt immer Unrecht von Seiten
ihrer Erzieher und Lehrer, wenn jie
bei ihnen Schuß gegen ſolche Verfol—
gungen ſuchte.
Die Züge ihres Gefihtes waren
regelmäßig, aber Bläſſe bededte fie,
und nur Überrafhung oder Schmerzen
thränen zauberten auf dieſelben ein
.
flüichtiges Roth. Ihr ſchwarzes, glän-
zendes, und dabei do fanftes Auge
zeigte von Aufrichtigkeit, Beſcheiden—
heit und Herzensgüte, doch machte die
fünmerliche, jchüchterne Erfcheinung
des Mädchens im allgemeinen feinen
gewinnenden Eindrud.
Jene Sympathie und Antipathie,
die nun einmal, bewujst und unbes
wujst, im Berlehre der Menjchen fich
geltend macht, nnd für welche man
ji meift vergebens bemühen würde,
beftimmte Gründe aufzufinden, fpielte
auh im Leben Natalinens eine jehr
bedeutende Rolle. Die Lehrerinnen der
Erziehungsanftalt, welcher man fie
übergeben hatte, gaben ihr niemals
einen Beweis von Zuneigung. Sie
hatten Schmeicheleien, Lieblojungen
für andere junge Mädchen, niemals
für Natalina,. Nur eimen Kußſs Hatte
jie in ihrer ganzen bisherigen Lebens
zeit erhalten: denjenigen, den ihre
fterbende Mutter ihre auf die Lippen
gedrüdt hatte.
Und doc zeigte Natalina ein an—
Ipruchslofes, gefälliges Benehmen gegen
jedermann, aud fehlte es ihr weder
an Geift noh an Gemüth. Sie war
voll des Mitgefühls für Leidende,
Schmerzlih empfand fie den Mangel
freundlien Entgegenkommens, und
während fie an geiftigen und körper—
lihen Leiden frankte, mufste fie von
ihren Erzieherinnen Vorwürfe wegen
allzugroßer Empfindlichkeit hinnehmen,
und ihre Beſchwerden wurden als ein-
gebildet oder als übertrieben betrachtet.
Wollte Natalina von einer Speije
nicht eſſen, weil fie diefelbe nicht gut
vertragen fonnte, jo beftanden ihre
Erzieherinnen darauf, dajs fie davon
eſſe, um ſich, wie fie fagten, an dies
jelbe zu gewöhnen.
Natalina Hatte das zwölfte Jahr
erreicht. Leonardo wünschte fehr, jeine
Tochter bei fich zu haben, da ihm die
Ausgaben für ihren Unterhalt immer
bejchwerlicher fielen. „Wie glüdlich”,
jagte er zu fich jelbft, „wie glüdlich
würde ich mich ſchätzen, wenn ich ein
— — — — — — — —— — — — — — — — — — — — — — — —
—
verſtändiges, nicht allzu junges Mäd—
chen oder Witwe mit einem kleinen
Vermögen fände, die ſich meiner und
meines Kindes annehmen wollte!“
Leonardo hatte die Hälfte der
dreißiger Jahre kaum überfchritten ;
er war ein Mann von gefälligem Außern
und befaß die Gabe, ſich angenehm zu
maden. Aber die venezianischen Mäd—
hen werden in großer Zurückgezogen—
heit gehalten, und die ftrengen Eltern
geitatten jungen Männern, Verwandte
etwa ausgenommen, den Zutritt in
ihrem Hauſe nicht leiht. So bleibt
denjenigen, die auf eine Brautwahl
ausgehen, fait feine andere Gelegen=
heit, junge Mädchen zu jehen und fich
ihnen zu nähern, als wenn dieſe die
Kirche befuchen. Leonardo fah ſich ge—
nöthigt, den Landesbrauch mitzumachen
und bemerkte, indem er an Sonntagen
fein Augenmerk auf die aus der Kirche
fommenden Mädchen richtete, zu wieder:
holtenmalen ein Frauenzimmer don
etwa dreißig Jahren, deſſen Geftalt
ihm gefiel und defjen fittfame Haltung
ihm Vertrauen einflößte. An einem
Finger ihrer Linfen bemerkte er, als
fie an der Sirchenthüre nach dem
Weihwaſſer griff, das goldene Ring»
fein, welches die Berheirateten kenn—
zeichnet; aus dem Umftande aber, daſs
fie fih immer allein zeigte, jchlojs er,
dafs fie wohl Witwe fein möge, und
diefe Bermuthung wurde ihm beftätigt,
al3 er ihr heimlich bis zu ihrer Woh—
nung folgte, und ji dann bei den
Nahbarsleuten erfundigte. Ihr Gatte
war Gapitän eines Kauffahrers ge—
wejen und hatte vor zwei Jahren auf
einer Fahrt nach Alexandrien jeinen
Tod gefunden. Er hatte ihr jo viel
Hinterlaffen, dafs fie, kinderlos wie fie
war, nothdürftig leben Konnte.
Leonardo war mit den Rejultaten
diefer Erfundigungen zufrieden und
entſchloſs jih zu weiteren Schritten.
Seine einzige Beforgnis war, Nata—
lina möchte ein Hindernis in dieſer
Sade für ihn werden. Er faſste da—
ber den Plan, der Witwe jeine Ber:
26*
208
bältnifje vorderhand zu — Eleonore gieng. Natalina hatte ſich
und ihr von feiner Tochter erſt dann Hoffnung gemacht, ſie würde bon ihrer
zu Sprechen, wenn er fich ihrer Neir | Verwandten, denn dafür hielt fie
gung verfichert habe. Eleonoren, zum Abſchied einen freund—
Die Witwe fand in der That Ge- lichen Kuſs erhalten, wie fie es bei
fallen an Leonardo und fehien einer anderen Geſpielinnen fah, die von ihren
Verbindung mit ihm nicht abgeneigt. | Bermanbien befucht wurden. Aber die
Es währte jedoch nicht lange, ſo erfuhr Witwe fühlte durch das tränklich⸗
ſie zufällig durch einen Verwandten, blaſſe Geſicht des jungen Mädchens
was ihr Leonardo verſchwiegen hatte. gewiſſermaßen ſich abgeſtoßen und reichte
Eleonore, fo nannte fi die Mitwe,
war über Leonardos Mangel an Offen
beit jeher ungehalten und gab ihm den
eriten Beweis ihres ziemlich heftigen
Naturells, indem fie ihm unter vielen
Vorwürfen erklärte, daſs fie von feinen
Anträgen nichts willen wolle. Leonardo
war nicht wenig beftürzt, ermannte
jich aber doch zuleßt und geftand die
volle Wahrheit, indem er binzufügte:
„Schreibet es nur der großen Liebe
zu, die ich für Euch hege, wenn ich
Euch jene Umſtände verſchwieg. Ich
fürchtete, meine arme Natalina werde
für mich das einzige Hindernis Eures
Beſitzes jein, nach welchem ich jo großes
Verlangen trage." Diefe Erklärung
beihwichtigte Eleonoren infoweit, dafs
fie ihre beftimmte Entjcheidung noch
verfchob, bis fie Natalinen perfönlich
geſehen Hatte.
Am Folgenden Tage begab fie ſich
in die Anftalt, in welcher das Mäd—
hen erzogen wurde und gab fi für
eine Verwandte derjelben aus. Natalina
wurde "herbeigerufen. Eleonore be—
trachtete fie vom Kopfe bis zu den
Füßen eine zeitlang, ohne ein Wort
zu Sprechen und ohne das ſchüchterne
Mädchen auch nur dur eine freund
Natalinen zum Abjchiede bloß die Hand,
auf welche Ddieje einen ehrerbietigen
Kuſs drüdte,
Bald darauf that Eleonore ihrem
Freier zu willen, fie jei geneigt, ihm
ihre Hand zu reihen, unter der
Bedingung, dajs Natalina in der Er—
ziehungsanftalt bleibe. Aber Leonardo
‚machte mit allem Nachdrud geltend,
daſs die Koften für den Unterhalt des
heranwachſenden Mädchens in jener
Anſtalt ihm immer befchwerlicher fielen,
daſs fie dagegen am häuslichen Herde
ihr in der Führung des Hausweſens,
ſowie in den Arbeiten mit der Nadel
behilflich fein könne; endlich erinnerte
er fih an den Spruch, daſs an dem
Tiſche, an welchem drei Perſonen eifen,
auch die vierte eſſen könne,
Eleonore gab zulegt ihre Einwilli—
gung, weniger aus Rüdjiht auf dieſe
Gründe, al3 in der geheimen Vorauss
jegung, das kränkelnde Mädchen werde
ihr nicht lange zur Laft fallen. Leo—
nardo juchte eine pallende Wohnung
für feine neugebildete Familie und
nachdem er fie gefunden, auch ſonſt die
nothwendigen Vorkehrungen getroffen,
wurde zur VBermählung geichritten.
Bei der Trauungsfeitlichleit war
liche Miene aufzuheitern. Zulegt fragte |Natalina nicht anweſend, da der alte
fie die Erzieherinnen, wie fie mit venezianiſche Brauch ſowohl Heine als
Natalina zufrieden feien. Dieſe erwi- erwachſene Mädchen von der Theil:
derten, Sie hätten feinen bejonderen | nahme an Dochzeitägelagen ausschließt.
Grund zur Klage, nur fei das Mäd- Am Tage nah der Vermählung aber
hen von äußerft zärtlicher Natur und | holte Yeonardo feine Tochter zu nicht
meist kränklich. Mit einem Winfe geringer Freude derjelben aus der
gaben fie Eleonoren hinterm Rücken Anſtalt ab und führte fie in feine
Natalinens zu verfichen, das ſchwäch- Wohnung.
lihe Geſchöpf Habe ſicher nicht auf Zwei Jahre verfloffen der Kleinen
ein langes Leben zu rechnen. | Familie in leidlihen Frieden — ich
-
Je u
405
jage leidlichen, denn theils die öf-
teren Erkrankungen Natalinens, theils
das leicht erregbare Naturell Eleonorens
verurſachten doch zumeilen eine vor—
übergehende Störung. Das junge
Mädchen ertrug die Ausbrüche des
lebhaften Temperamentes feiner Stief-
mutter mit größter Gelaſſenheit, ob»
glei fie jede Kränkung innerlich ſehr
jchwer empfand, jedes flüchtige Wort
ih zu Herzen nahm und den Schmerz
darüber die längfte Zeit nicht verwin—
den fonnte. So war fie denn auch im
väterliden Haufe weit entfernt, ſich
glüdlih zu fühlen.
Nun jollte aber ein neues, für fie
höchſt ſchmerzliches Ereignis eintreten.
Leonardo pflegte am frühen Mor-
gen, bevor er fi in feine Werkſtatt
begab, eine Taſſe Kaffee in der Straße
S. Pantaleone zu trinten. Eines Tages,
als er dort eben wieder fein Frühſtück
zu fi) nahm, hörte er nebft den übri—
gen Anweſenden plößlich von der Gafje
ber Tumult und vermwirrtes Gefchrei.
Er eilt in Begleitung einiger anderen
zur Thüre, um zu fehen, was es gebe.
Kaum ift er dort angelommen, fo
empfängt er, eh’ er fich defien verfieht,
einen tödtlichen Mefjerftih in die
Bruſt.
Ein Menſch aus der unterſten
Volksclaſſe war am Morgen jenes Tages
wahnfinnig geworden und durchrannte
mit einem gropen, jcharfgejchliffenen
Mefler die Strafen. Er verwundete
alle, die ihm unvorfichtigerweife nahe
famen, oder ihm nicht ausweichen
konnten. Nicht wenige Opfer fielen
unterdem Mordwerkzeuge des Tobenden,
ohne dafs man gewagt hätte, fich ihm
in den Weg zu merfen und ihn zu
entwafinen. Erſt nachdem er aud
Leonardo niedergeftoßen, dann in feinem
vermwirrten Zaufe den ponte della donna
onesta hinabeilend, gegen einen zus
fällig dort ftehenden Karren angerannt
und zu Boden geftürzt war, konnte
die Menge fih über ihn hermachen,
ihm Hände und Füße binden und ihn
in fiheren Gewahrjam bringen.
Leonardo hatte indeijen, wenige
Augenblicke nachdem er den Todesſtoß
empfangen, jeinen legten Seufzer aus—
gehaucht. Groß war bei diefem Un—
glück der Jammer Eleonorens; Nata=
Itinen warf der Schmerz aufs Kranken—
lager, an welches fie fait einen Monat
lang gefejjelt blieb.
Traurig war die Lage, in welce
der plößlide Zodesfall die Familie
Leonardos verſetzte. leonoren blieb
zum Unterhalte nichts, als was jie
von ihrem früheren Manne befaß, fauın
hinreichend für fie ſelbſt. Und nun
jollte fie auch Natalinen ernähren, die
ohne das geringfte Bermögen, ohne
alle Stüße, verlaffen in der Welt fand.
Sp konnte es denn nicht fehlen, dafs
Eleonorens Unmut, geſchürt durch ihre
dürftige Lage, ſich Häufig in bitteren
Worten und Berwünjhungen gegen
ihren zweiten Ehebund Luft machte.
Natalina begriff den Sinn Diejer
Worte und meinte im Stillen.
Nach einiger Zeit erhielt Eleonore
bon einer Freundin die Mittheilung,
daſs ſich eine Gelegenheit darbiete,
Natalinen vortheilhaft im Haufe einer
bejahrten Dame unterzubringen, „Nas
talina“ jagte die Freundin, „wird
dort nur jehr leichte Verpflichtungen
zu übernehmen haben. Die Dame ift
allein: e3 wohnen mit ihr im Palaſte
nur zwei alte Sammerfrauen und
einige andere Hausbedienten. Natalia
wird mehr die Stelle einer Gejfells
ſchafterin als einer Zofe bei der alten,
'hinfälligen Frau vertreten.“
Eleonore begab ſich perfönlich zu
der Dame und empfahl ihr Natalinen
angelegentlih. Die Dame fand Wohl-
gefallen an dem jungen Mädchen, als
es ihr vorgeftellt wurde und nahm es
ohne Bedenken in ihren Dienft. Sehr
leicht würden Natalinen die Verrich—
tungen dieſes Dienſtes gefallen ſein,
wenn ſie nicht mehr von den beiden
alten Kammerfrauen als von ihrer
Herrin felbft abhängig geweſen wäre.
Diefe beiden Frauen Hatten ſeit vielen
Jahren in dem Hauſe gedient und
406
es zuleßt dahin gebracht, dajs fie fait
unumſchränkt in demfelben Herrichten.
Sie kümmerten fih wenig mehr um
die Anordnungen der alten Dame,
und führten den Haushalt wie es
ihnen beliebte.
Die janfte, fügfame, ihrer Gebie=
terin mit größter Verehrung begeg-
nende Natalina gewanı die volle
Sympathie der leßteren. Da fie zugleich
einen aufgewedten Geift bejaß, jo
unterhielt ih die Dame jehr gerne
mit ihr und ließ fie zuleßt kaum mehr
bon ihrer Seite. Diefer Umftand ver—
urfachte, wie man fich denken kann,
den beiden alten Kammerfrauen ein
entjchiedenes Mifsbehagen, welches aufs
höchſte ftieg, als die Dame eines Tags
in ihrer Gegenwart die Hand auf
Natalinens Schulter legte und freund:
lich zu ihr fagte: „Fahre nur fo fort,
mein Kind, fei brav und redlich, und
ich werde bei meinem Tode deiner nicht
vergejjen. “
Es mufs hier erwähnt werden, daſs
dieſe ſehr reiche alte Frau feine Kinder
und nur entfernte Verwandte bejaß.
Ihre gefammte Dienerfchaft Schmeichelte
ih aljo mit der Hoffnung auf be-
trächtliche Vermächtniſſe. Sie felbit
|
jondern ihren eigenen Launen folge.
Aber diefe Beichuldigungen machten
auf die Dame feinen bejonderen Ein-
drud. Eines Tags fertigte fie jo:
gar die Hlägerinnen mit den Worten
ab: „Ihr habt doch alle nicht die Liebe
und Aufopferung für mich wie Natalinal“
Borfichtig und ſchlau wie fie waren,
verbargen die beiden Angeberinnen für
den Augenblid ihren Unmuth, aber
Natalinens Verderben war von da an
eine beſchloſſene Sade . . .
Sechs Monate waren verflofien,
feit das Mädchen in die Dienfte der
alten Dame getreten war. Da kam
eines Morgens Natalina in großer Bes
ftürzung ins Gemac ihrer Herrin.
Sie erzählte, dafs fie bei der Bejor-
gung eines häuslichen Gejchäftes unter
dem Silberzeuge, das vor furzem ihrer
Auffiht übertrageu war, ein Belted
vermiffe, und dafs dasfelbe, wiewohl
von ihr und anderen im ganzen Haufe
gefucht, nicht wieder aufgefunden
werden konnte.
„Iſt denn etwa eine fremde Per—
jon im Haufe geweſen?“ fragte die
Dame.
„Ich wüſste nicht“, erwiderte Na—
talina. „Das Beſteck fehlt exit ſeit
nährte diefe Hoffnungen durch öftere| geftern abend, In die oberen Gemäder
Dindentung auf ihr großes Vermögen,
über welches fie ohne irgendwelche
Rückſichten verfügen könne.
Insbeſondere hatten die beiden Kam—
merfrauen ſchon angefangen, ſich als
die muthmaßlichen Univerjalerben der
Dame zu betrachten. Darum konnten
ihnen Worte, wie fie ihre Herrin an
Natalina gerichtet Hatte, nicht gefallen.
Als fie nun die Neigung der Dame
für Natalinen von Tag zu Tag wachen
jahen, jo thaten fie alles Mögliche,
um dieſe bei ihr in Mifscredit zu
bringen. Sie gaben dem Mädchen
Schuld, dafs fie ihr Morgen= und
Abendgebet verfäume, dafs fie in den
Tag hineinſchlafe, und endlich, dafs
fie, übermüthig gemacht durch die Liebe
und Nahficht ihrer Herrin, nichts mehr
auf Befehl oder Ermahnung gebe,
pflegt außer mir und den beiden
Kammerfrauen niemand zulommen...“
Die beiden legtgenannten waren
eben anmwefend. „Wie?“ rief eine der—
jelben, „will das Mädchen vielleicht
uns beide in Verdacht bringen ?
Dreißig Jahre haben wir in dieſem
Haufe gedient, und nicht eine Sted»
nadel ift während diefer Zeit abhan-
den gelommen !*
„Aber, ich jeße fein Mifstrauen im
euch” jagte die Dame, und die er—
ſchrockene Natalina wollte die gehäflige
Auslegung ihrer Worte abwehren;
aber die beiden Kammerfrauen eiferten
weiter:
„Nur wir beiden oder Natalina,
können die Schuldigen fein. Wir be=
ftehen darauf, dafs unfere Zimmer
und Schränte durchfucht werden. Wir
407
verlangen eine ftrenge Unterfuchung,
welche allein uns von dem Werdachte
reinigen kann, den diejes übermüthige
Geſchöpf auf uns zu werfen wagte.”
Die Dame zeigte wenig Luft zu
einer folden Durchführung, verftand
fih aber endlich doch dazu, nur um
dem dringenden Begehren ihrer Diene-
rinnen zu entjprechen. Faſt ungehale
ten erhob fie fih von ihrem Armſtuhl,
und flieg in Begleitung der leteren
ins obere Stodwerf empor. Nachdem
man das Gemach der Kammerfrauen
betreten, fiengen diefe ſogleich an, ihre
Schränke zu öffnen und ihre Habjelig-
leiten vor den Augen der Gebieterin
auszubreiten. „Ach, lajst es doch,“ ſagte
dieſe nach einem flüchtigen Blide auf
das vor fie Hingelegte; „es iſt nichts
weiter nöthig — gehen wir.“ Damit
wollte fie jich entfernen.
„Wie?“ fuhr eine der beiden
Kammerfraueu auf, „find wir viel»
leicht schlechter als Natalina? Wir
haben uns einer Unterfuchung unter
worfen und fie fol frei ausgehen ?*
Nur aus Rüdjiht auf Natalina,
damit Fein Verdacht auf ihr haften
bliebe, verftand fi die Dame zuletzt
dazu, auch Natalinens Gemad zu be=
treten. Mit freundlichem Lächeln ſagte
fie zu dem jungen Mädchen: „Gib
uns den Schlüfjel zu deinem Schrante,
Natalina! *
„Mein Schrant ift nie verfchloffen, *
jagte diefe, öffnete die Thüre desſelben
und forderte die Kammerfrauen auf,
ihre Sleider zu durchſuchen. Diefe
ſchickten ſich haſtig an, die dort auf»
bewahrten Kleidungsſtücke herauszu—
nehmen, und ſiehe da! im Hinter—
grunde des Schrankes, eingefüllt in
ein altes Unterkleid, fand ſich daS ver—
miſste Beſteck.
Natalina erbleichte, die Dame ſtand
in Erſtaunen verſunken da, und die
beiden Kammerfrauen hielten ihr das
Vorgefundene mit triumphierenden
Bliden vor die Augen.
„Was foll das heißen ?* fragte die
Dame zulegt, zu Natalina gewendet.
— — — — — — — — — — — — — — — — —
„Ich weiß von nichts“, erwiderte
dieſe in tiefſter Beftürzung über das
Vorhandenjein des Silberbeftedes in
ihrem Schranke, das fie auf feine
MWeife ſich zu erflären wufste,
„Schäme did“, rief die Dame;
„ich Hatte dich wie eine Tochter be—
handelt... .“ Nun ergriff eine der
Kammerfrauen das Wort und fiel mit
wüthenden Schmähungen über Nata=
lina her; fie ſchalt fie eine Diebin,
eine Nichtswürdige, und fügte Hinzu:
„Wenn du nicht augenblidlih das
Haus verlafjeft, jo bleiben wir feine
Stunde länger... .“
„sh kenne meine Pflicht”, ſagte
die Dame; „Jogleih jehnüre dein
Bündel, Natalina. Den Diebjtahl würde
ich dir vielleicht verziehen haben, aber
daj3 du diefe Unfchuldigen verdächtig
machen wollteft, während du felbft die
Schuldige warft, das beweist, dafs ich
meine Gunft einer durhaus Unwür—
digen gejchentt hatte.“
Natalina wollte jich rechtfertigen,
aber die Dame ſchnitt ihr das Wort
ab, „Schweig’*, rief fie, „die That—
jahe ſpricht ummiderleglih. Mein
Gondolier wird dich augenblidlih zu
deiner Stiefmutter zurüdführen.*
Das unglüdlihe Mädchen brach in
heiße Thränen aus und mollte die
Hand ihrer Herrin küſſen. Diefe aber
wies fie ſtrenge zurüd. Die beiden
Kammerfrauen führten Natalinen zum
Gondolier, dem fie den Vorfall mit
vielem Aufwande von Worten erzählten,
inden fie ihm zugleih den Auftrag
der Dame fundmadten.
Der Mann falste fchweigend bald
Natalinen, bald die beiden Frauen ins
Auge. Dann führte er daS junge
Mädchen fort, welhem die Kammer—
frauen noch Spott» und Schmähreden
nachjandten.
Auf dem Wege ftrömten häufige
Thränen über die Wangen Natalinens.
Der Gondolier blidte fie von Zeit zu Zeit
an und fagte zuleßt: „Du Haft nicht
recht gethan, Mädchen!“
„sch bin unschuldig!” rief diefe aus.
408
„Ei“, verjeßte der Gondolier, „das
jagen alle Diebe.
dich doch lieb gehabt, fo viel ich weik ?*
„Mehr als ich verdiente.“
„Dann Haft du eine große Thor:
heit begangen. Lange fann die alte
Frau nicht mehr leben und fie hätte
dir ohne Zweifel etwas hinterlaſſen.“
„Sie hatte es mir jogar ver—
Iprochen. “
„WBufsten das diegammerfrauen?“
„Sie ſprach davon in ihrer Gegen=
wart.“
„Wille, Kind, das find ein paar
Harpyien, ein paar neidifche Klätſche—
rinnen, und du bift nicht die erfte
Dienerin, die ihretiwegen den Dienft
verlaſſen mufste.“
Während dieſes Gefprähs waren
fie vor den Haufe Eleonoren3 ange—
langt. Diefe zeigte fih nicht wenig
betroffen über die unerwartete Er-
ſcheinung Natalinens, und als nun
der Gondolier ihr nmothgedrungen die
Urſache diefer Heimkehr andeutete, da
gerieth fie, wie man ſich wohl denken
mag, in nicht geringen Zorn und
mar nahe daran, das unglüdliche Mäd-
hen von ihrer Thüre zu jagen. Aber
der Gondolier fagte ihr einige beruhi—
gende Worte und entfernte ſich micht
früher, als bis fih ihre Aufregung
einigermaßen gelegt hatte.
Zum Abſchied flüfterte der Gon-
dolier Natalinen noch die Worte zu:
„Mein liebes Kind, du haft deinen
Schrank often gelaffen und jene beiden
Betteln haben vielleiht . . . doch ge:
nug, ich darf nicht reden, wie ich
wollte; man könnte mich alten Mann
ebenfalld aus dem Haufe jagen. Faſst
Euch und bedenkt, dafs Ihr nicht das
erite verfolgte und unfchuldig ver—
läumdete Geſchöpf ſeid.“
Eleonore, welcher es trotz ihres
aufbrauſenden und heftigen Tempe—
raments doch weder an menſchlichem
Gefühl noch an geſundem Verſtande
fehlte, fam nach einiger Überlegung
bald zu der inneren Überzeugung, dafs
Natalina, deren Charakter fie kannte,
Deine Herrin hat
eines Vergehens, wie das ihr zur Laſt
gelegte, nicht fähig fei. Sie verfügte
ih einigemale in das Haus der alten
Dame, erhielt aber immer den Bejcheid,
dafs dieſe fie nicht empfangen wolle.
Hierdurch wurde der Verdacht, den
Eleonore gegen die beiden Sammer:
frauen hatte, noch gefteigert, und fie
zweifelte nicht, dafs ihr dieſe Abwei—
fung ohne Vorwiſſen der Dame
widerfahre.
So blieb denn Natalina für jegt
wieder im Haufe ihrer Stiefmutter,
mit weiblichen Arbeiten fich den färg-
lien Unterhalt verdienend.
Nur felten gieng fie aus, um fich
zu erholen, doch beſuchte fie täglich
zur beftimmten Stunde die Meile.
Ernft und ſittſam legte fie den Weg
zur Kirche San Barnaba zurüd, die
nicht weit von ihrer Wohnung entfernt
war. So verflofs eine geraume Zeit.
Eines Tages, als fie eben wieder
von der Meſſe zurüdlehrte, bemerkte
Eleonore auf den Wangen des Mäd«
chens eine ungewöhnliche Röthe. Ver—
wundert fragte fie diefelbe, was ihr
begegnet jei.
Noch tiefer erröthend, geitand Na—
‚talina, daſs ihr ein junger Mann ges
‚folgt fei, als fie die Kirche verlieh,
‚und einige freundliche Worte an fie
| gerichtet habe.
„Wie?“ rief Eleonore, „du gibit
Ps Männern Gehör?“
„Durchaus nicht“, verjegte Nata—
‚lina, „aber wenn der liebe Gott Euch
von der Laft befreien wollte, die ich
Euch) verurjache, könnte er es nicht viel—
leicht dadurch, daſs er mich eine Belegen
heit zur Verheiratung finden ließe?“
„Zur Berheiratung? Albernes
Mädchen! Die Männer jehen heutzu—
tage nur auf die Mitgift. Ich weis,
was mir mit deinem Vater begegnet
if. Du bift eine Elende und Haft fein
Glück dein lebenlang.“
„Ah ja, Ihe Habt nicht unrecht.
IH bin nur zu Unglüd geboren. Ber:
zeiht mir, ich will jede eitle Einbil«
dung diefer Art fahren lafjen.”
Fe
Br ”Y ' u
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400
Den nächſten Tag gieng Natalina !
‚er auch, nad venezianischer Sitte, des
in Begleitung ihrer Stiefmutter zur Abends unter ihr Fenſter, um mit ihr
Meile. Sie bemerkte denjelben jungen
Mann an der Thür der Kirche. Als
ſie in dieſe eingetreten war, wendete |
fie fich verftohlenerweije um, begierig
zu wiſſen, ob der Jüngling ihr gefolgt | |
fei. Uber er hatte die Schwelle der
Kirche nicht überfchritten. Bei der,
Rückkehr nah Haufe aber bemerkte fie
ihn wieder auf der Straße Hinter fi.
Viele Tage lang wiederholte jich
das nämliche.
Eines Tages aber faſste der Uns
befannte Muth und übergab Natalinen
einen Brief mit der befcheidenen Bitte,
ihn nicht ungelejen zu laffen, worauf
ein jcheinbares ;
‚ein menes Unheil für mich daraus
er ſich eilig wieder entfernte, Der
Brief enthielt in wenigen und ein—
fachen Worten eine Liebeserklärung.
Es war jedoch fein Name unterzeichnet.
Natalina war außer fich vor Freude
und zeigte den Brief Eleonoren. Am
nächſten Morgen gieng fie allein zur
Kirche. Der junge Mann näherte ſich
eine Antwort auf fein Schreiben.
Natalina fragte ihn um feinen
Stand und feine Herkunft.
„SH bin aus Peſaro gebürtig”,
erwiderte er. „Meine Eltern haben
nich nach Venedig gefandt, um hier
den Handel zu erlernen.“
„Wiſſet Ihr denn aber au”,
fragte Natalina, „daſs ich ein ganz
armes Mädchen bin?“
„Ich weiß alles; auch ich bin
nicht reich.”
„Ich möchte nicht gerne getäufcht
werden.“
„Ihr Habt ganz recht.”
„Darf ih Euch bitten, mir Euren
Namen mitzutheilen ?*
„Erlanbt mir, daſs ich ihn für
jet noch verſchweige.“
„Aber ich begreife nicht ...“
„Zu ſeiner Zeit, wenn Ihr den
Grund meines Schweigens erfahren, |
werdet Ihr mich entjchuldigen.“
Von da an ſah Natalina ihren
Geliebten jeden Tag; zumeilen kam
‚zu ſprechen. Er zeigte fih von jo
herzlicher, ja leidenfchaftlicher Liebe für
fie ergriffen, daj3 das Mädchen im
Gefühle ihres Glüdes, an welches jie
faum glauben fonnte, zumeilen aus—
‚rief: „Ah, ich war immer unglüdlich
— gewiſs ift auch diefes Glück nur
wer weiß, was für
hervorgehen wird!”
Der junge Manır begleitete Nata=
linen regelmäßig zur Mefje, aber er
trat nie mit ihr ein. Natalina fragte
ihn einmal um die Urſache.
„Ich will es dir jagen“, verſetzte
er; „ich habe ein Vorurtheil, das dem
Hiefigen Brauche entgegen ift. Diejes
Liebeln an heiligen Orten gefällt mir
nicht. Wenn ich mit dir in die Kirche
einträte, jo würde ich dich in deiner
Andacht ftören.“
Nutalina ehrte
diefe Fromme
Rüchſicht.
ihr, grüßte ſie höflich und erbat ſich
Ein anderesmal drang ſie in ihn,
er möge ihr doch ſeinen Namen nicht
länger verſchweigen. Nach einigem Zö—
gern ſagte er ihr, dafs er ſich Gabriel
Alfierini nenne. Natalina fragte ihn
nach feiner Familie, feiner Wohnung.
„Ich wohne“, verjeßte er, „zu San
Marziale. Ich erlerne den Handel bei
einer ifraelitifchen Familie.“
„Wie? bei einer jüdifchen Fa—
milie ?“
„Jawohl, die aus durchaus braven
und ehrwürdigen Leuten beiteht.”
Natalina war durch das Gehörte
nicht ganz beruhigt. Sie theilte es
erſt Eleonoren, und dann ihrem Beicht—
vater mit, der auch Eleonoren perſön—
‚lich kannte und beiden Frauen ſchon
‚oft ein Tröfter und Berather in Drang-
‚falen gewejen war. Der würdige
Prieſter verſprach ihr, über dem jungen
Dann genauere Erklundigungen ein«
zuziehen.
Inzwiſchen verdoppelte der unbe—
fannte Liebhaber die Beweiſe feiner
Zärtlichkeit für Natalina. Er madte
—
ihr auch einige kleine Geſchenke, die
Natalina mit einer zierlichen Hand—
arbeit erwiderte. Die unverkennbare
Aufrichtigkeit der Zuneigung, welche
der junge Mann für Natalina kund—
gab, machte auch auf Eleonoren einen
jo guten Eindrud, dafs jie ihm zuleßt
den Eintritt in ihr Haus geftattete.
Er machte getreulih Gebrauch von
diefer Erlaubnis, doch immer exit in
fpäter Abendftunde, wenn er feine Be—
rufsgeſchäfte verrichtet Hatte.
Eines Tages befuchte der oben er=
wähnte Geiftliche das Haus Eleonorens
und erzählte den beiden Frauen, dajs
er Nachforſchungen über den jungen
Mann angeftellt Habe, dafs diefelben
jedoch vollkommen erfolglos geblieben
feien. Der Name, den der junge Mann
als den jeinigen bezeichnet babe, ſei
in der Contrada S. Marziale gänz—
lih unbelannt.
„Bielleiht weil er ein Fremder
ift und noch nicht lange dort wohnt“,
verjegte Natalina mit jchlechtverhehlter
Unruhe.
„Wiſſe“, ſagte der Geiftlihe zu
Natalina gewendet, „der Mann, den
du liebft, der dir jo Schöne Verfpehunz
gen machte, von dem du meintelt,
dafs er dich zum Altare führen würde
— er iſt ein Jude!”
„Berechter Himmel!” rief Eleonore;
„wer hätte das geglaubt ? Nun begreife
ih, warım er niemals die Kirche be=
treten wollte!“
Natalina brach in einen Strom
bon Thränen aus.
„Er wird diefen Abend wie ge=
wöhnlich Hieherlommen“, fuhr Eleonore
fort; „mir wollen ihm für fein ver-
rätherifches Benehmen den Text lejen
und ums feiner für immer entledigen!“
„Arme Natalina“, jagteder Priefter,
„möge Gott dir Kraft geben, dieſen
Menichen aus deinem Andenken zu
verbannen !*
Schludzend und wortlos vor
Schmerz ftand das junge Mädchen da,
während der Prieſter, bevor er fid
entfernte, nicht ohne Rührung feine
Hand auf ihr Haupt legte und mit
„Haft du mir nicht gejagt“, fuhr einem Blide zum Himmel um den
der Geiftlihe fort, dafs er dich zu= Beiſtand des Höchſten für fie zu flehen
weilen bis zur Kirche begleitet?”
Allerdings, auch morgen verſprach
er es zu thun.“
„But, ich werde eine Perfon dort
aufftellen, die ihn im Auge behalten
und ihm unbemerkt bis in jeine Woh-
nung folgen ſoll.“
Am nächſten Tage erjchien der
Unbelannte zur beftimmten Stunde
und begleitete Natalina zur Kirche,
wo der Geiftliche Schon eine verläfsliche
Perſon aufgeftellt Hatte.
Zwei Tage jpäter kommt der Geift«
lihe zu Eleonoren in heftiger Auf:
regung. Die beiden Frauen erjchreden
vor feiner unglüdverheißenden Miene.
„Run weiß ich“, ruft der Priefter,
„nun weiß th, wer der junge Mann
it! O der Unmürdige! Arme Nata-
lina! arme, immer unglückliches
Mädchen!”
ſchien.
Mit Einbruch der Nacht klopfte,
wie man erwartet hatte, der Liebhaber
Natalinens an die Thüre, Eleonore
hatte ſich kaum überzeugt, daſs er es
jei, als fie die Geſchenke, die er Na—
talinen gemacht hatte, zufammenraffte,
die Stiege damit Hinabeilte, und fie
dem jungen Manne, nachdem jie die
Thüre geöffnet, in ihrer gewohnten
leidenschaftlihen Weife vor die Füße
warf. Sie begleitete dieſes Thun mit
einigen Erklärungen von fehr unfanfter
Art, und ſchloſs dem Berblüfften zus
legt die Thüre vor der Naje zu. Na—
talina hatte ſich indeſſen weinend auf
ihr Lager geworfen.
Am nächſten Tage erhielt Eleonore
folgendes Schreiben: „Ih geſtehe
meine Schuld; ich habe die Wahrheit
verichwiegen, aber ich that es nur aus
„D Himmel, was ift gefchehen?“ inniger Liebe, die ich für Natalinen
fragten die Frauen.
hege und immer hegen werde. Aber
all
glauben Sie nicht, daſs ich ein ganz
Unmwürdiger bin... Seien Sie ver-
Jichert, dafs ich feit langer Zeit, ſchon
bevor ich Natalinen kaunte, mich mit
dem Gedanken trug, ein Belenner des
Evangeliums zu werden.“
Dieje legten Worte überrajchten
Eleonoren , und fie theilte den Brief
ihrem undRatalinens geiftlihemtyreunde
mit. Diefer las ihn aufmerkſam und
fagte: „Wenn es ſich wirklich fo ver—
bält .. . wenn er in Wahrheit die
Abſicht Hätte... ich will ihn per-
ſönlich ſprechen.“ Eleonore theilte ihm
mit, dafs der junge Mann noch jeden
Abend ſich unter ihren Fenftern zeige.
„So will ih um dieſe Zeit zu
Euch kommen“, verſetzte der Geiftliche,
„und jobald er erfcheint, gehe ich zu
ihm Hinab und laffe mich mit ihm in
eine Unterredung ein.“
Gefagt, gethan. Traurig und lang«
jam gieng Jakob (dies der wahre Name
des Jünglings) zur gewöhnlichen
Stunde am Haufe Eleonorens vorüber.
Der Priefter trat aus der Thüre und
ſprach ihn an. Mit großer Ehrerbie-
tung fand ihm der junge Mann Rede
und wiederholte im Laufe des Ge—
ſprächs feine Erklärung, daſs er feit
zwei Jahren damit umgehe, den fa=
tholifchen Glauben anzunehmen. „Uber
ih babe die fefte Überzeugung“, fügte
er Hinzu, „dafs, Jobald ich dies thue,
mein ftrenggläubiger Vater mir feinen
Fluch gibt, und dafs ihm meine Re—
ligionsänderung eine tödtliche Kränkung
verurſacht.“
„Was gedentt Ihr alſo zu thun?“
„Mein Vater iſt hochbetagt ...
nach ſeinem Tode werde ich nicht zö—
gern, ein Anhänger des Kreuzes zu
werden. Dann wird Natalina mir
angehören. O ehrwürdiger Herr! ich
liebe dieſes Mädchen, wie man nur
ein menſchliches Geſchöpf auf Erden
lieben kann. Ihr entſagen müſſen,
das wäre mein Tod.“
„Könnt Ihr mich aber als Ehren—
mann verſichern, daſs Ihr nicht bloß
um Natalinen zu beſitzen, ſondern aus
Überzeugung den Glauben Eurer Väter
abzufhmwören und Ehrift zu werden
bereit jeid ?*
„Sch beſchwöre es vor Gott, daſs
ih ſchon bevor ich Natalina kannte,
diefen Entichlufs faßte. Die Liebe zu
ihr ift nur ein neuer Antrieb, dieſen
Entſchluſs auszuführen.“
„Ich will es glauben, Tür jept
aber muſs alle Gemeinſchaft zwijchen
Euch und Natalina aufhören.“
„Warum, ehrwürdiger Herr?“
„Es darf nicht fein... Sobald
Ihr ein Belenner des Evangeliums
geworden, dann wird ſich alles finden.“
Jakob empfahl ſich mit dem Aus»
drude der tiefiten Betrübnis. „Hier
weilen und Natalina nicht jehen, nicht
ſprechen“, rief er aus, „wie kann ich
das ertragen ?*
Die beiden Frauen waren fehr be=
gierig zu erfahren, was der Prieſter
mit Jakob gefprochen hatte. Bald hatte
der erftere fie davon unterrichtet.
Natalina überließ fi einem tiefen
ſtummen Schmerze. Ungefähr einen
Monat Später erhielt Eleonore einen
neues Schreiben von Jakob, welches
folgendermaßen lautete:
„In diefem Augenblide ruft ein
Brief mich in meine Heimat, wo mein
Vater auf dem Sterbebette liegt. Der
Himmel weiß, ob ich ihn noch lebend
finde. Sagen Sie Natalinen, dafs ich
niemals mein gegebenes Wort brechen
werde. Ihre oder Natalinend Briefe
treffen mich ſicher in Peſaro.“
Das junge Mädchen wollte dieſen
Brief ſogleich erwidern.
„Laſs es gut ſein“, mahnte Ele—
onore; „wenn er dich wahrhaft liebt
und dich nicht betrügen will, jo wird
er bald von neuem jchreiben, “
Diefe Muthmaßung verwirklichte
fi bald. Jakob beftätigte in einem
zweiten Briefe, daſs fein Vater dem
Tode nahe fei und wiederholte die
Verfiherung feiner unveränderlichen
Liebe zu Natalinen. Diefe antwortete
ihm auf Eleonorens Rath mit weni»
gen und zuridhaltenden Worten.
Ein ganzer Monat verflofs ohne
weitere Kunde von Jakob. Endlich
fam ein neues Schreiben von ihm,
in welchem er folgende Nachricht gab:
„Das Befinden meines Vaters hat
ih unermwarteterweife um vieles ge—
befiert. Ich kann nicht anders, als dem
Himmel dafür danten ... Geduld,
theure Natalina! Mein Vater hat Ber:
dacht geſchöpft, dafs ich meiner Reli-
gion abſchwören wolle. Welche Vor:
würfe mufste ich hören! Ach, ich bin
der unglüdjeligfte aller Menſchen!“
Natalina las dieje Zeilen mit an—
Iheinender Ruhe. Einige Tage fpäter
aber wurde fie von einem Fieber be=
fallen, . das fich als ſehr hartnädig er-
wies. Jalob ließ von Zeit zu Zeit
Briefe ähnlichen Inhaltes folgen, die
aber allmählich feltener wurden. Zus
legt verflojs ein halbes Jahr, ohne daſs
von ihm eine Nachricht kam. Das
Siehthum und der Trübfinn Nata—
linens nahm inzwifchen fortwährend
zu. Der Name Jakobs kam jedoch nie=
mals über ihre Lippen.
Endlich traf von dem Schwerver—
mifsten folgende Botfchaft ein:
„Mein Vater ift nicht mehr. Strafe
mich der Himmel, wenn ich diefen
Augenblid herbeigewünfcht habe. Du
aber, Natalina, magft num den Schmerz
und die Ungeduld deines langen Harrens
vergefjen. Noch find nicht zwei Stun
den verfloffen, feit mein Haupt mit
dem Waſſer begofjen wurde, das die
Erbfünde hinwegwäſcht. Ich bin nicht
mehr Jakob, ich bin Giovanni. Wieder:
geboren bin ich, o Natalina, für mich
und dich! Niemand Hat mehr über
nich zu gebieten, und ich befiße jo viel
al3 Hinreihend ift, für uns beide ein
beſcheidenes Lebensglüd zu gründen.
Heute zählen wir den vierzehnten, am
einundzwanzigften bin ich in deinen
Armen, und wir gehören einander für
immer an!“
Welche Überrafchung bereitete Eleo-
noren diefer Brief! Aber fie fagte zu
fich jelbft: Soll ich ihn Natalinen über: |
geben ? Sie ift in einem ſolchen Zur
—
ſtande von Schwäche ... ich möchte
nicht, daſs das unerwartete Glück ihr
eine zu heftige Erſchütterung verur—
ſache ... Vielleicht aber könute ſie
dieſe Freudenbotſchaft vom Rande des
Grabes zurückreißen, an welchen ſie
ſchon gelangt iſt. Ich will mich mit
unjerem geiftlichen fyreunde bejprechen. “
Der würdige Priefter theilte die
Freude Eleonorens über den Brief und
nahm es auf fi, Natalinen mit dem
Inhalte desjelben befanntzumachen.
„Liebe Tochter”, ſagte er, indem
er ſich dem Bette der Kranken näherte
und jeine Hand auf ihre Stirn legte,
„hoffſt du noch auf Gottes Beiſtand?“
„Ich hoffe und vertraue auf ihn“,
verjeßte jie mit matter Stimme.
„Und worin beitehen deine Hoff:
nungen 2“
„Dajs er mich bald im feinen
Schoß aufnehme.“
„Hoffſt und wünſcheſt du nichts
mehr auf dieſer Erde?“
„Die Güter der Erde ſind trü—
geriſch. Ihr ſelbſt habt es mir oft
geſagt, ehrwürdiger Vater! Jakob hat
mir einſt geſchworen, daſs er mich
liebt; auch er hat mich betrogen.“
„Betrogen? wer weiß? Natalina,
gib nicht alle Hoffnung auf!“
„Ich Hoffe nichts mehr.“
„Biſt du stark genug, eine gute
Nahricht zu vernehmen ?“
„Ich glaube an keine freudige Bot—
ſchaft. Der Unglüdsftern, der über
meiner Wiege fland, wird mich bis
zu meinem Grabe begleiten!“
„Sage das nit; Gott ift all:
mächtig; mit feinem Willen kann ſich
alles ändern. Doch zur Sade. Wille,
Jakob Hat wieder von fich hören laſſen.“
„Ah, ich werde nie die Seinige
werden.”
„Tale Muth, Natalina. Lies diefen
Brief und überzeuge dich von den
Wirkungen der göttlihen Gnade.“
| Natalina erhob fih mühſam im
‚ Bette, unterftüßt von Eleonoren. Ihre
Augen waren flarr auf das Blatt ge—
heftet, das der Priefter ihr darreichte.
Cie las die Zeilen langjam vor ſich
hin und fieng dann wieder von vorn zu
tefen an, als hätte fie den Sinn noch
nicht verftanden. Als fie den Brief das
zweitemal durchgelejen, lächelte fie bitter
und fragte: „Ihr Hintergeht mich
vielleiht? Ihr wollt mich tröften ?“
„Siehit du denn nicht”, fragte Ele—
onore, „es iſt Jalobs eigene Schrift...
oder vielmehr Giovannis...“
„Biovannis? Ach ja, Giovannis!
Gejegnet ſei mir der Name! Giovanni
alſo . ..“
„Wird in kurzem bei dir ſein!“
„Bei mir?“ — Hier ſank Nata—
lina, von einer Ohnmacht überwältigt,
zurück. Aber faſt augenblicklich erholte
ſie ſich wieder, lächelte und rief: „Den
Brief, den Brief! lajst ihn mir, ic)
will ihn nocheinmal leſen!“
„Da, da, jagte Eleonore.“
„Welches Datum trägt er?”
„Er ift vom vierzehnten diejes
Monats.“
„Und Heute Haben wir?“
„Den achtzehnten.“
„Noch zwei Tage, und er wird
bier jein!“
Natalina verbradte die Nacht in
ſeltſamen und lebhaften Träumereien,
Sie ſprach mehrmals laut und ihre
Reden waren verwirrt. Am folgenden
Morgen verfuchte fie aufzuftehen und
brachte es auch mit einiger Anftrens
gung zuftande,
„Es find viele Monate“, jagte fie,
„daſs ih nicht nach meinen Stleidern
gejehen habe. Was wird Giovanni
jagen, wenn er mich jo vernachläfligt
findet? Ih will doch den Schrank
durhmuftern und alles Schadhafte in
guten Stand ſetzen. O Eleonore!
meine gute Mutter! bald will ih Euch
von der Laft befreien, die Ihr jo lange
getragen habt. Aber ich werde nicht
undantbar fein. Vielleicht können wir |
auch zuſammen wohnen. Übermorgen
wird Giovanni hier fein, und dann
halten wir Hochzeit... ich will, dafs
es jo bald als möglich gejchehe.“
„Das freut mich jehr, erwibderte
Eleonore, doch war in dem Blide, mit
welchen fie Natalinen mufterte, nichts
weniger als volle Beruhigung und
ungetrübte Hoffnung zu leſen.
„Man mußs doch auch die Stube
ſcheuern und das ganze Haus“, fuhr
Natalina fort. So bradte fie den
ganzen Tag in aufgeregter Geſchäftig—
feit zu und erhielt jich zur Uberraichung
aller bei ungeſchwächten Kräften. Auch
ſchlief fie in der darauffolgenden Naht
leidlich.
So kam der zwanzigſte heran.
Schon am frühen Morgen wollte Na=
talina aufftehen, aber es fiel ihr
jchwerer al3 den Tag zuvor, Bald
mufste fie in großer Ermattung ſich
‚wieder auf einen Stuhl niederlaffen.
Dennoch jagte fie: „Sch befinde mich
wohl.“ Ein paarmal fragte jie: „Wer
Hopft? Vielleicht er? Doch mein, erjt
morgen hat er verfprochen zu fommen.*
Der befreundete Geiſtliche kan.
„Ah, jeid mir willkommen!“ rief Na—
talina. „Ahr feid es ja, der mir die
große Freudenbotſchaft gebracht hat.
Daſs Euch der Himmel dafür fegne!
Morgen wird jih alſo alles entſchei—
den! Ich werde endlich glüdlich ein.
Und vielleiht... Gott verzeihe mir
‚diefen Hochmuth . . . vielleicht ver—
diene ich nad fo vielen Leiden es zu
ſein . . . aber, ehrwürdiger Bater,
wie fomınt es doch, dafs e3 fo duntel
wird? Beginnt es vielleicht zu regen ?”
„Nein, liebes Kind, die Sonne
ſcheint im ihrer vollen Reinheit.”
„Dann weiß ich nicht .. . mir
iſt ganz dunkel dor den Augen...
ich jehe Euch nicht mehr... .
„Fühlſt du dich leidend?“
„Ich weiß nit... . eine ges
wiſſe Beängitigung, die immer mehr
zunimmt . . . o Gott, o Gott...
Euren Segen, ehrwürdiger Bater. . .“
Natalina ſank zurüd. Sie gab fein
Lebenszeihen mehr von fih. Der
Prieſter bejprengte jie mit geweihten
Waſſer und ſprach die Sterbegebete
‚über jie. Eleonore ließ in größter Eile
den Arzt rırfen. Diefer kommt, unters
“
jucht den Körper Natalinens und er: |
Härt: „Sie ift todt.*
Unter Thränen rief Eleonore aus:
„Was wird Giovanni jagen, wenn er
morgen fommt und fie todt findet?”
„Ich mache mich auf Schlinmes
gefaſst“, verfeßte der Pfarrer. „Diefer
junge Mann, der Natalinen jo leidene
Ichaftlich liebte, der vielleicht nur ihret=
wegen feinen Glauben abſchwur, er
wird fich gewiſs der Verzweiflung hin=
geben, wenn er fie todt findet.”
„Mas Liege fih thun“, fragte
Eleonore, „um ihm micht gleich im
erſten Augenblid durch die traurige
Wahrheit zu erfchreden ?*
„Ich weiß es nicht, erwiderte der
Prieſter;
beſten, da er morgen kommt, noch
dieſen Abend den Leichnam Natalinens
in die Kirche zu bringen und morgen
frühzeitig zu beſtatten.“
Eleonore war damit einverftanden,
Alle Anftalten wurden jogleich getroffen,
den Vorſchlag des Pfarrers auszu—
führen. Natalina wurde in weißes
Linnen gefleidet und ein Kranz bon
Rojen um ihr Haupt gejchlungen,
Tann wurde fie mitten im einer
Kammer auf einen grünen Teppich
gelegt. Viele Frauen der Nachbarschaft
famen, theil® aus Frömmigkeit, theils
aus Neugierde, um dem Leichnam eine
Eprenge geweihten Waſſers zu geben
und Gebete darüber zu ſprechen.
Die Naht kam heran. Wenige
Fadeln und das murmelnde Gebet
zweier Briefter begleiteten das junge
Mädchen zur legten Ruheſtätte. In
der Kirche S. Barnaba wurde fie aus»
geftellt und bei ihrem Leichnam wurde
die üblihe Nachtwache gehalten. Bei
Sonnenaufgang, noch vor Beginn der
erjten Meſſe, wurde ein Grab eröffnet.
Natalina wurdeindasjelbe hinabgelaſſen
„Doch iſt es vielleiht am
beſchreiben. Das Haus Eleonorens
wiederhallte von feinen Klagen.
„Warum“, rief er aus, „warum Habt
ihr fie fortgetragen? Meine Gegen»
wart, meine Liebe, meine Küſſe hätten
fie ind Leben zurüdgerufen !*
Dank der VBermittelung des mit—
‚leidvollen Priefters, erwirfte Giovanni
zuleßt die Erlaubnis, das Grab Na—
talinens öffnen zu laffen, damit er
‚die Geliebte nocheinmal jehen könne.
Man eröffnete aljo das Grab und
fand... o Schauder!.... man
fand das unglüdlihde Mädchen jetzt
et wahrhaft todt — auf den
Knien liegend, die Augen aus ihren
Höhlen getreten, das Geficht verzerrt
vom Ausdrucke der entjeglichiten Ver—
zweiflung . . .. fie war lebendig
begraben worden.
Damit endet unjere einfache Er-
zählung. Niemals in ihrem Leben
fonnten Eleonore und der Prieſter ſich's
vergeben, dafs fie, wenn auch im der
beiten Abjiht, die Veranlaſſung zur
übereilten Beerdigung der Scheintodten
gewejen waren. Man fuchte die Schauer:
lihe Thatſache geheimzuhalten, aber
Giovannis Leid kannte feine Grenzen
und die Ausbrüche feiner Verzweiflung
machten die Wahrheit bald überall
offenkundig.
Der treffliche Priefter aber ermans
gelte nicht, jo lange er lebte, in jeinem
täglichen Gebete unter Seufzern und
Thränen auch für die Ruhe der Seele
Natalinens den Himmel anzuflehen.
Oft rief er dabei aus: „Ich lebe für
fie, und doch bedürfte vielmehr ihres
Gebetes ih armer Sünder, der id
ihren Tod veranlajste. Möge fie im
Himmel für mich Fürbitte leiften. Ihr
Platz kann nur im Schope de3 ewigen
Friedens jein. Denn einmal und
irgendwo muſs doch das irdifche
und der Gruftftein ſchloſs ſich über ihr. Schickſal fih ausgleichen, und mur
Denjelben Morgen kam Giovanni an. | zeitlich verbüftert, aber nicht ewig aus»
Die Verzweiflung, mit welcher er | gelöfcht werden kann der Gnadenftrapl
die Trauerfunde vernahm, ift nicht zu | der ewigen Liebe.“
Dismas.
RN Eine Legende von P. R. Roſegger.
4 erne ſinne ich über der heiligen ten. Alſo dachte Joſef, man könne
Urkund. Und dort, wo die Bots nicht willen, was der gewaltige Hero—
shaft zur Mythe geworden, des im Sinne habe. Lange blidte er
jpinnt meine Seele der Dichtung Fäden ‚auf fein liebes junges Weib und auf
an und lebt felig träumend die Zeiten das Knäblein, die fo ſüß ſchlummer—
wieder, da der Himmel fih wob über ten im ihrem gemeinfamen Bette, als
das Geheimnis der Krippe und des
Kreuzes.
Die heilige Urkund erzählt nus
von jener Nacht. Joſef war aus dem |
fe fein Feind auf Erden. — Wohin
ſoll ich euch denn führen? jo Dachte
er. Nach Nazareth zurüd? Dort haben
wir die Heimat ſchon verloren und
Schlafe gefahren und horchte. Es war |der König würde uns gerade dort zu
in der Kammer dunkel und ſtille, und
doh Hatte er deutlih eine Stimme
gehört, die alfo ſprach: „Joſef, fteh
auf, wede die Deinigen und fliehe.
Der König will das Sind tödten
lajjen. *
Da Hatte der Mann in feinem
Herzen eine große Bangigfeit. E3 war
eine unheimliche Zeit im Judenlande.
Der König, fonft hochmüthig und
graufam, war von einer Reife nad
Rom zurüdgelehrt und zeigte eine
janfte, freumdlihe Gefinnung. Alle
Knaben der Stadt Bethlehem und
Umgegend, welche im Alter von zwei
Jahren und unter zwei Jahren waren,
wollte er bejchenken laffen. Die Müt—
ter wurden eingeladen, ſolche Kinder
in den Hof zu bringen, der umgeben
war don dem Haufe der Soldaten,
um einen Gnadenpfennig in Empfang
zu nehmen für ihre Knäblein. Des
freuten fi die Weiber und riefen:
„Deil unferem König, der ftrenge und
gütig if. Er lebe noch lange!”
finden willen. Oder nad der Gegend
hin, wo die Sonne aufgeht? Dort find
die Männer der Wüſte und lauern
dem Wanderer auf. Oder nad der
Gegend, wo die Somme untergeht ?
Dort find die unendlichen Waller, und
wir haben fein Fahrzeug, um nad
jenen Zauden zu fegeln, wo die Heiden
leben, die milderen Herzens jind, als
die Kinder des großen, finfteren
Sehova.
„Wede fie auf“, ſprach die Stimme
das zweitemal, „und führe fie nad
dem Lande der Pharaonen. Dort woh-
nen die Völker der Gottlojen; ihr
Glaube ift Wahn, aber ihr Wille ift
gerecht. Dort, wo die Wellen des Nil
alljährlich die Fluren bejegnen, dort
wirft du Erwerb finden für dich,
Sicherheit für dein Weib und Lehre
für das Kind. Und auf denjelben
Pfaden, auf welchen einſt Moſes und
Jofua die Juden zurüdgeführt aus
Egypten, wird euch Gott heimgeleiten
ins Land der Bäter, wenn der Tag
In der Naht mun, die diefem | gefommen iſt.“
Tage vorausgieng, hatte Joſef im Joſef wußste es nicht, wer jo ge—
Schlafe das Wort gehört. Er erinnerte ſprochen Hatte, er forſchte auch nicht,
ih, dafs ſchon vor zwei Jahren, bei |denn feine Seele ruhte vertrauend in
der Geburt des Kindes, der König |den Armen des Herrn. Er legte nun
ihm heimlich nachftellen ließ, weil die | feine Hand auf die Schulter der Ge—
Weifen aus dem Morgenlande den |liebten und jagte: „Maria! Wade
neugeborenen Knaben für den erwar= auf und erfchrid nit. Sammle die
teten König der Juden angebetet hät- wenigen Dinge, die wir befiten, in
Säcke, ih pade fie auf das Laftthier.
Dann nimm das Kind. Wir wollen
abreifen.*
Maria ftrih das lange, feiden-
weiche Haar aus dem blafjen Gefichte,
jo dafs es mar, al3 ſchiene der
Vollmond hervor zwiſchen Olbäumen.
Ein wenig befremdlih war ihr der
plögliche Entjchlufs des Eheheren, der
Aufbruh um Mitternacht, aber fie
jagte nichts. Sie that, wie Hofer be—
fohlen hatte, nahm nachher das ſchlum—
mernde Knäblein in die Arme und
jeßte fih auf das Yaftthier, welches
die Ohren jpißte darauf hin, was
das für ein Tagewerk werden follte,
weil e3 fo grauſam früh beginne. Noch
einen Blid that Maria auf das Kleine
Daus, wo fie zwei Jahre lang im hei—
ligen Mutterglüd gelebt hatte, dann
nahm Joſef Stod und Riemen und
gieng leitend einher neben dem Thiere,
das feine ganze Welt trug und feinen
Himmel, und — den Himmel der
ganzen Melt.
Unter einem ſchwülen, bleigrauen
Molfenhimmel lag die Wüſte. Ihre
gelben, welligen Saudflähen waren
wie ein erftarrtes Meer, das fein Ende
hat und fern im Gefichtsfreife mit
Icharfer Linie an die dunkle Himmels—
jcheibe grenzt. An manden Stellen
dieſes Sandmeeres ragten graue, zer—
klüftete Felslegel hervor, und ſtumpf—
kantiges Steingeſchiebe mit Höhlun—
gen, oder auch vereinzelte Blöcke und
Platten, die entweder in ſchiefer Lage
oder eben wie ein Tiſch waren.
Zwei ſolche Platten lagen faſt
nahe nebeneinander, die eine war zum
Theile mit gelbem Flugſand bedeckt,
die andere ragte etwas aus dem Bo—
den hervor. Auf jeder dieſer grauen
Steinplatten lag ein Mann ausge—
ſtreckt. Der eine, ein redenhafter, derb—
jehniger Körper, lag auf dem Bauche
und ftüßte mit den Fäuſten feine
ihmwarzbärtigen Baden, dajs er halb
gehobenen Gefichtes Hinftarren konnte
über die öden Flächen der Wüſte. Der
andere, Heiner don Geftalt, lag auf
dem Rüden, bediente ji der Arme
als Kopfkiſſen und richtete fein Ant»
li dem düfteren Himmel zu. Beide
waren in Gewandung der Beduinen
und mit mancherlei Waffen verjehen,
die in den Stleidern taten oder an
denjelben hHiengen. Uber das Haupt
mit dem wolligen Haar hatte jeder
tein Tuch gelegt. Die Farbe des Ge-
ſichtes war braun wie die Rinde der
Pinie, die Augen waren groß und
glühend, die Lippen wulſtig und roth
und don ſchütterem Bartwuchſe ums
Ichattet. Des einen Naje war jlumpf
und plump, die des andern lang, dünn
und Scharf gebogen.
„Dismas“, jagte der mit ber
Stumpfnafe, „was ſiehſt du am
Himmel?”
„Juſuf“, verſetzte der ambdere,
„was ſiehſt du in der Wüſte?“
„Du bift ein wahrer Säulenbeili=
ger geworden feit einiger Zeit”, jagte
Juſuf. „Warteft du auf Mana, dus
vom Himmel fallen fol? Mir krachen
die Eingeweide, ih will jeßt zur Ka—
rawanenſtraße hinab.“
„So geh. Ih will nad der Oaſe
von Scheba“, jagte Dismas.
„Dismas, ich Hafje dich“, mur—
melte der andere.
Dismas ſchwieg und ſchante un—
verwandt in den Himmel hinein, der
jo mild jonnenlos wie heute jchon
lange nicht gewejen war.
„Seit du mir nicht beigeftanden
bift, da ich den Zug der Morgenläns
der anhalten wollte mit meinen Knech—
ten, ſeitdem Haffe ich did. Sie hat—
ten viel des Näucherwerles und der
foftbaren Specereien mit ſich geführt
und Gold. Mit einem Zuge hätten
wir eine Habe gewonnen für manches
Jahr und du —“
„Fromme Pilger, die in fremde
Lande ziehen, um den Meſſias zu
juhen! An ſolchen vergreife ich mich
nit. Suche ich doch jelbit den Mei:
ſias.“ Alſo ſprach Dismas,
” 417
„Da, da, hal“ lachte der Stumpf—
naſige auf und bohrte ſein ſpitzes
Kinn in die Fauſt. „Den Meſſias!
du glaubſt noch das Märchen der
traumſeligen Ahnen. Schwärmeriſcher
Schwächling, der du biſt. Siehſt du
es denn nicht, daſs Keiner mehr Zeit
hat, um auf den Meſſias zu warten,
daſs alles haſtet und ſtreitet, um ſei—
nen Theil zu erlangen von den Schätzen
und Freuden der Erde?“
„Alſo Habe ich's auch gehalten,
mandes Jahr”, antwortete Dismas
wehmuthsvoll. „Meine Herde hatte
ich verlaffen, um dir zu folgen. Seide
und Gejchmeide hatte ich erobert in
der Wüſte, und die Tage ſchwanden
trogdem. Mit allen Schätzen fonnte
ih mit eine einzige Stunde auf—
halten; im Mohlleben ſchwanden die
Tage nurnoch rafcher. Nicht erkämpfen
wollte ich das Erdenleben, aber feit-
halten möchte ich es mir, denn es ilt
eine Wonne zu fein. O, vergebens,
vergebens! die Tage ſchwinden. Alſo
babe ich mich entfchloffen, mein Leben
und Gewiffen nicht auf eine Zeit zu
ftellen, die fo vergänglich ift, ſondern
auf eine Zeit, die in Ewigkeit währt.
Eine jolhe Zeit kam mur der Mef-
ſias bringen.”
Juſuf that, als prejie er fein An—
gefiht in den Stein und fagte mit lü—
ferner Selbfibefriedigung: „Wir Haben
nur das eine Leben, das wir haben, und
ein anderes finden wir nimmermehr.“
„Wenn es jo wäre, wie du ſagſt“,
verfeßte Dismas, „jo müjsten wir
dieſes eine Leben erſt recht groß und
heldentreu verbringen,“
„Wenn es jo ift“, fagte der an—
dere, „das fein anderes Leben mehr
zu finden, jo müfjen wir diefes eine
Leben geniehen. Unſerer Natur ges
mäß! Entfagung ift Sünde, Genufs Juſuf mit höhnendem Lade,
iſt Pflicht, weil die Natur uns Sinne
gegeben Hat, um zu genießen.“
„Sp denten fchlehte Menfchen”,
ſprach Juſuf.
„Es gibt keine ſchlechten Menſchen“,
Genoſſe, betrachte das Lamm, es thut
niemand etwas zuleide, es läſst ſich
lieber vom Löwen zerreißen, als es
den Löwen zerriſſe. Iſt es deshalb gut?
Nein, es iſt bloß ſchwach. Und der
Löwe, der das Lamm tödtet, um es
zu verzehren, ift er deshalb böje?
Nein, er ift ftarl, und darum Hat er
recht, den Schwachen zu verzehren.
Die einzige Tugend ift die Stärke,
das einzige gute Werk ift, die Schwa=
hen auszurotten.“
Als dieſer Menſch alſo geiprochen
hatte, wendete der andere ſein Auge—
ſicht herüber und ſagte:
„Was ſind das für unerhörte
Reden? Derlei Reden habe ich noch
nie gehört. In weſſen Herzen ſind
fie geboren?“
„Nicht im Herzen ſind ſie gebo—
ren“, ſagte Juſuf, „denn das Herz
iſt dumm und das Herz iſt ſchwach.
Im Haupte ſind ſie geboren, wo die
Klugheit iſt und die Stärke. — Dis—
mas! Wenn ich in den Höhlen der
Wüſte wohne und thatlos ſein muſs,
da ſinne und forſche ich. Ich zer—
ſchlage die Steine, um ihr Weſen zu
ergründen. Ich zerpflücke die Pflanzen
der Dafe, um fie zu erforſchen. Ich
betrachte das Innere der Thiere und
ich zerftüde den Menfchen, den ich ge=
tödtet Habe auf der Straße und er-
forſche ſein Fleiſch. — Ich finde, daſs
es anders iſt, als die alten Schriften
ſagen. Der menſchliche Leib iſt dem
thieriſchen an Geſtalt ähnlich, an
Stoff gleich. Eines wie das andere
iſt elende Creatur.“
Durch Dismas' Körper gieng ein
Schaudern. Er richtete ſich auf, hob die
Arme gegen Himmel und rief: „O Derr
in den heiligen Höhen, rette mich !*
„Rufe nur die Sterne an!“ fagte
„da
fommft du an die Rechten! Sie wiljen
nichts don dir und willen nichts don
deinem Gott. Sie find aus gemeinem
Staube und Stoffe, der feinen Geift
hat. Sie felber und alles auf ihnen
jagte Jufuf. „Und auch feine guten. leben in dem fchredlichen ſchmutzigen
Rofeuger’s „„Heimonrien‘‘, 6. Üeft. XV,
27
wis __
Streite wie unfere Erde und alles auf
Erden. Ha wille, die ganze Welt ift ein
Kehrichthanfen mit Ungeziefer, font
nichts.“
Dismas jap mit gefalteten Händen
auf feinem Stein und war blaf3 wie
ein Leichnam,
„Juſuf, mein Genofje”, jagte er
endlich, „aus dir fpricht der böfe Engel. *
„Warum lobit du ihn nicht, Dis-
mas, warum jauchzeft du nicht? —
Meine Votjchaft Hat dich erlöst. Der
du argloje Wanderer überfallen, ges
tödtet und beraubt Haft, die ewige
Hölle wäre dein Gewinn. Meine Bot:
Schaft ift ftark und reißt die Hölle ein.“
„Sch hörte einen Profeten in der
Wüſte, der fprah: Einer von Gott
verhängten Berdammmis kann man
entfliehen durch die Buße. Deiner
Verdammnis kann man nicht entfliehen.
Dafs wir feinen allmädtigen Herrn
hätten! — Dass wir wie ein Kehricht—
haufen verloren jein jollten — wie
furchtbar, furchtbar!“ —
„Benofie Dismas, dein Stlagen
unterhält mich nicht“, fagte der au—
dere und ftand, auf Knien und Ell—
bogen ſich ftügend, wie ein Vierfüßer
da. „Was Wichtigeres liegt mir jebt
au. BDunger habe ich.“
Dismas jprang von feinem Stein
und ſchickte fih an zu fliehen. —
Wenn er Hunger bat, alfo dachte
Dismas, jo wird er mich nad feinem
neuen Glauben tödten und verzehren.
Juſuf hatte eine lauernde Stel-
lung angenommen und flarrte mit
Adleraugen hinaus in die Wüſte. —
Port zwifchen Felsklötzen war ein
rothes Flämmlein fichtbar geworden,
Tas bewegte fih und famı näher. Das
Hlämmlein war das rote Gewand
einer rau, die auf einem Laflthiere
ſaß und ein Kind am Arme trug.
Mebenher jchritt ein Mann, welcher
au einem Stabe mühſam Hinfte und
das Thier leitete,
„Dismas, da gibt’3 Leute!” ſprach
Juſuf mit ſcharfem Zifchlaute und
fafäte den Griff feiner Waffe. „Ver:
bergen wir uns Hinter dem Stein, bis
fie heraukommen.“
„Aus dem Hinterhalte willft du
diefe waffenlojen Leute überfallen ?”
jagte der andere. „Dafür follft du
dih ſchämen.“
„Du wirft michelfen, fie zu faljen !“
befahl Juſuf mit drohender Geberde.
„Wenn du das Beil nicht ziehft
gegen fie, jo werde ich dir Helfen,“
Mittlerweile war die kleine Gruppe
nähergefonmen. Der Mann und das
Laſtthier wateten tief im Sande, der
ftellenweife über den fahlen, ruppigen
Geftein fortgefegt, ftellenweife in Hohen
Schichten zujammengeweht war. Der
Führer hatte die Gruppe in einen
haftigeren Lauf gebracht, al$ es für
die noch vorhandenen Kräfte gut war,
denn er Hatte die Straße verloren,
hielt e3 aber geheim, um die Frau
nicht zu ängftigen und ließ feine
Augen in den Weiten umherſchweifen,
um den Weg wieder zu enideden.
Bis zur Dafe von Deicheme follte es
noch gehen an diefem Tage. Dort wollte
er mit den Seinigen unter einem Dattel-
baume Raft halten und Nahrung ſam—
meln. Nun ſah er bier oben auf den
Steinblöden zwei Männer ftehen, die
Hoch Hineinragten in das Firmament.
„Gelobt ſei Gott!“ ſagte der
Manı, genannt Yofef der Nazarener,
„diefe Männer will ich fragen nad
der Straße, die gen Dejcheme führt.
Jedoch bevor er fragen konnte,
fliegen fie raſch herab. Der eine fajste
den Riemen des Laftthieres, der an—
dere ergriff den Arın Joſefs und ſagte:
„Was ihr bei euch Habt, das müſſet
ihr uns geben.“
Joſef erjchrat, das junge blaſſe
Weib auf dem Laſtthiere ſandte einen
flehenden Blick zum Himmel empor;
das Knäblein, welches auf ihrem Schoße
ſaß, ſchaute mit ſeinen großen klaren
Augen treuherzig drein und fürchtete
ſich nicht.
„Wenn ihre Brot mit euch führt,
fo gebt uns davon“, ſprach Dismas,
der das Thier hielt, zu Joſef.
+19
„Thor“, jagte Hierauf Juſuf, der
Stumpfnafige, zu feinem Genojjen,
„alles, was da ift, gehört unjer. An
uns liegt e&, ob wir ihnen etwas
geben wollen. Des ſchönen Weibes
willen jchenfe ich ihnen das Wert
vollite — das Leben.”
Und nun begannen fie die Säde
vom Laftthiere zu löfen; Juſuf nahm
dem erfchöpften Wanderer den Mantel
weg, langte nach dem Tuche, welches
die Frau über fi) und das Kind ge—
ihlagen hatte, wie ein Schirmdad).
„Seht eilet hinweg! Eilet raſch
hinweg!” jagte Dismas zu den armen
Leuten.
„Oho!“ rief Jufuf. „Wir bleiben
beilammen bis morgen, wenn der Sa:
mum fireiht. Set gegrüßt, jchöne
Magd, du follft Heute ruhen in une
jerenn Haufe.“
Er riſs dem Dismas den Riemen
aus der Hand, führte das Thier mit
Mutter und Kind zwifchen den Stei-
nen hinab gegen eine Höhle. Joſef
ihaute auf die ſchweren Waffen der
Männer und folgte mit Betrübnis,
Dismas folgte widerwillig, aber er
blieb nicht zurüd.
Als die Schatten de3 Abends
famen, alfo, daj3 die gelbe Sandwüſte
fahl ward und der Himmel duntel,
als die Steinblöde und Felskegel da—
fanden, wie finftere Ungethüme, waren
die Wandersleute verwahrt in den
Tiefen der Höhle. Bor derjelben ſaß
das Maulihier, legte jein großes Haupt
in den Sand und ſchlief. Daneben
fauerten die beiden Räuber und ver—
zehrten, was fie jenen hatten abges
nommen an Wegzehrung.
Dismas hatte einen jchmalen,
irdenen Krug in feinem Mantel ge=
tragen, der jorgfältig verftopft war
am Hals, Als Juſuf jolchen bemerfte,
firedte er die Hand darnach aus, ent—
torkte das Gefäß und goſs welches von
dem Inhalte in feine Gurgel hinab.
Der Eigenthümer hinderte ihn nicht
daran, griff aber um fo lebhafter zu
bei den Datteln und Feigen.
„Die Gäfte wollen wir ebenfo red—
ih teilen“, fagte Juſuf. „Genoſſe,
du Jollft den Mann und das Find
haben.“
„Es find Baterr, Mutter und
Kind“, antwortete Dismas, „fie ge=
hören zufammen und wir wollen jie
Ihonen,“
„Ufo ift meine Meinung nicht“,
ſagte Jufuf.
„Dann werde ich fie vertheidigen.“
„Alfo wollen wir um fie ringen“,
ſagte Juſuf.
Denn er ſaß feſt im Sattel ſeines
neuen Glaubens, dafs die Stärke das
Recht jei. Dismas aber ſchwieg und
wartete, bis der Genofje noch einige-
male getrunten hatte aus dem irdenen
Gefäß. Und als Juſuf oftmals ge-
trunfen Hatte und heiter ward, jagte
Dismas zu ihm: „Bruder, jet wäre
ich gelaunt zu einem Spielchen.”
„Genofje, das ift ein guter Ge—
danke”, lallte Juſuf, aus feinem Sade
die Würfel Holend, „um mas ſpie—
fen wir?“
„Um den Ejel.“
Juſuf Schleuderte die achtedigen
Steinden, fie fielen auf den ausge—
breiteten Mantel. Der Ejel war jein.
„Um was geht’3 aufs Zweite?“
„Um den alten Mann und den
Knaben.“
Die Würfel fielen, Yufuf johlte
fröplih auf; der Gewinn war des
Dismas.
Zum Dritten galt es die junge
Frau, welche arglos in der Höhle
Ihhlief, an ihren Bufen gebrüdt das
jüße Kind,
Sie ſchleuderten die Würfel und
prüften beim legten Dämmerjtrahle
des Tages die Augen. Dismas Hatte
deren neun geworfen, Juſuf deren
eilf. Der lebtere ſtieß einen Schrei
des Entzüdens aus.
„Willſt du nicht mehr trinken?“
fragte Dismas, die Hand nad den
Kruge ausftredend.
„3a, ich will noch trinken“, gröhlte
der andere und riſs das Gefäß wieder
27*
420°
an fih. Er trank den Neft in einemjund That belehrte, wie man lebt von
langen Zuge aus. Hernach wollte er dem, was andere erwarben, und wie
aufftehen und in die Höhle treten, tau= | man, anftatt jelber zu verhungern,
melte aber auf den Sand zurüd, blieb | andere für fich fterben Täjst. Arglos
liegen und fchlief ein. folgte er dein redegewanbdten und that=
Dismas blieb ein Weilchen ruhig | bereiten Meifter und mit Schreden
fißen zwiſchen den beiden Thieren, mufste er eines Tages inne werden,
wovon er das vierfühige einigermaßen | dafs er weiter war, als alle Mit-
für Hüger und vornehmer hielt, als jchüler, die er in feiner Jugend ver-
das zweifühige. Dann gieng er leifen | achten gelernt. Er hatte nicht die Art,
Schrittes in die Höhle und mwedte die] fi zu betäuben wie fein Genofje, er
drei Menfchen aus dem Sclafe. Er hörte die Anklage feines Gewiſſens,
hatte damit mohl feine Noth, denn | aber lauter als dieje ſprach die Stimme
die Müdigkeit und Erfhöpfung hiel- | der Selbfterhaltung und die Verlockung
ten ihnen die Augen Schwer verfchloffen, | der Wüftenbrüder, mit denen er fi
die Glieder feft gebunden. Doch gelang | zeitweilig verband, Allen anderen war
es ihm, fie wach und bereit zu machen | bei ihrem räuberiſchen Handwerfe ganz
zu neuem Wandern in der tiefen Nacht. | wohl zummthe, allein er litt, denn er
Als Mutter und Kind auf dem Laft wuſste, dafs feine Thaten mit ſei—
thiere jagen, fagte Dismas zu Joſef, nem Willen nicht übereinftimmten.
er möge fih mit der Hand enge an| Oft Hatte er fich vorgenommen, Um—
den Eattel halten, damit er nicht! Fehr zu halten, aber er war zu ſchwach.
ftrauchle; er ſelbſt leitete das Thier,, — Alſo war diefer Tag gekommen
und fo zogen fie leife hinweg von der| und diefe Naht, da er die arme
Höhle, an deren Eingang Juſuf, der Wanderfamilie von großer Gefahr be=
Stumpfnafige, in die Betäubung ſei- hütete und dur die Wüſte führte.
ner Völlerei verſunken, ausgeſtreckt lag. Als fie ſtundenlang durh Sand
Die MWolten des Himmels Hatten) gewatet, über Steine geflettert waren,
fih aufgelöst, ein fternenhelles Zelt | leuchtete im Oſten der goldene Strei—
ſpannte fi über die Wanderer. Eins | fer des aufgehenden Tages, und im
tönig trabten fie dahin; feines ſprach diefem Streifen fanden die dunklen
ein Wort. Dismas war in Gedanken | Büfhe und Bäume der Dafe von
verfunten und dabei war ihm jo wohl! Dejcheme.
und jelig ums Herz, wie es ihm in Hier überlieg Dismas die Wan
jeinem Leben bisher nie geweſen. Ver- |; derer ihrer fiheren Straße, um zurüd-
gangener Tage gedadhte er da er ebenfo| zufehren zu feinem Genofjen. Als er
wie dieſer Knabe, im Schoße feiner! mit einem Segenswunſche für ihre
Mutter gejeffen, fern in der arabijchen | weitere Reife ſich wendete, traf ihn
Wüſte. Mand heiliges Wort der Väter) von den leuchtenden Nuglein des Kna—
trug er noch in feinem Herzen; es ben ein Blid, vor dem er heftig er=
fladerte nur mehr wie ein Amplein, ſchral. Ein Schred der Wonne war
wen das DI zu Ende geht. Später) es. Nie bisher hatte ihm ein Kind,
war er zu den Söldnern des Königs ein Menjch, mit jo herzinnigem Auge,
Herodes gegangen. Aber den römiſchen jo dankbar, fo Liebreih und jo treu
Hochmuth konnte der freie Sohn der, angeblidt als diejes Knäblein, das
Wüſte nicht ertragen, er floh wieder] im Schofe des armen Weibes ſaß,
in die fleinigen Oden feines Mutter: | das holde, lodige Haupt nad ihm
fandes und weidete Herden. Dann ‚ gewendet, die Ärmchen ausgeftredt in
fiel er in die Hände jenes Gejellen, | Sreuzesforn, ald wollte es ihn um—
deſſen Sinn noch wüſter war als die) armen. — Die nie wollten ihm
Wüſte jelbft, und der ihn mit Wort brechen, ftöhnend, als jet ein Blitz—
42]
ftrahl niedergefahren au feiner Seite, \er verzweifelte. Bon einer Räuber—
mit beiden Händen den Kopf haltend, | bande hatte er gehört, die ſich um
jo floh er davon. Er wujste aber nicht, ‚einen wilden, herriſchen Mann ges
warum er floh, denn am liebften wäre | chart hatte, die Wüſte durchzog und
er bingefallen vor. diefes wunderbare | die Karawanen anfiel. Nachdem Dis»
Kind und hätte gefleht, es begleiten mas noch mancherlei Wege gegangen
zu dürfen al3 Hüter auf allen Wegen. | war und ihn fchließlich jeder immer
Aber wie ein Gericht war es, das ihn | wieder zu Raub und Mord geführt
fortſtieß von dieſer Stätte und zurück hatte, ſuchte er die Bande auf, um
in die — der Wüſte. ich mit ihr zu vereinigen. Unheim—
liche Gefellen, wie er fie noch nie ge=
Dismas war gr mehr zurüd= ſehen, waren da beijammen, alle er—
gelehrt zu feinem Genoſſen Jufuf. — | denflihen Lafter und Verbrechen vers
Faſt noch geblendet von dem Kindes» übten fie mit der Einfalt und Herz—
auge hatte er die Richtung eingefchla= haftigkeit eines Menjchen, der gute
gen nah der Daje Scheba, um dort! Werke verrichtet. Ihren Hauptmann
ein ehrliches Leben zu juchen. Doch, vergötterten fie, denn lieb war ihnen
es ließ ihn nicht lange bleiben auf! feine Lehre, dafs alles erlaubt jei,
der Oaſe, er hatte Heimmeh nach der was die Sinne verlangen und die
Wüſte. Er Hatte feit jenem Morgen | Stärke vollbringt. Als Dismas vor
ein Menjchenauge gefucht, das an Huld
und Liebe gleich wäre dem Blide
des fremden Kindes. Er hatte feines
gefunden. So dachte er, vielleicht finde
er es wieder in der Wüſte. Daſs er
ein Straßenräuber nimmer fein werde,
das war fein Vorſatz. In einer Höhle |
wollte er als Einfiedler leben, fich
nähren von Heufchreden und wilden
Honig und ein Büßer fein.
In friedfamer Beſchaulichkeit lebte
er num dahin und jedem Pilger, der ihn
aufjuchte, blidte er dürftend nad) jenem
wunderfamen Blid vergeblich in's Auge.
Jahr um Jahr wohnte er in der
Höhle, doch einmal war es, dafs die,
den Hauptmann geführt wurde, er=
fannte er an ihm feinen ehemaligen
Genofien Juſuf, den das Alter nur
noch wüſter und finfterer gemacht
hatte. Der Hauptmann aber erkannte
ihn nicht, weil Dismas im Elende
gar verfommen, gebrechlich gewor—
den war.
| Darum fagte auch der Haupt—
mann: „Fremdling, dich foll ich auf:
nehmen in meine Schar? Mit einem
hinfälligen Klumpen foll ich mich be=
laden? Bift du Hug, willſt du dir
und anderen einen Dienft leiften, jo
lege dich auf einen Stein und laſſe
dich verzehren von den Geiern. Denn
Heufchreden ausblieben und er nicht du biſt allen zur Laft. Die Vögel des
wilden Honig fand. Die Betrachtun- Himmels aber werben durch dein Fleiſch
gen, wie Profeten und andere Weijen | gejättigt und gefräftigt fein und aljo
fie ihm vorgedacht, Halfen nicht viel, nügeft du der Creatur.“
er wurde Hungerig bis zur Wajerei. Auf ſolche Rede fagte Dismas:
Und als eines Tages ein Laienbruder „Starter Hauptmann! Ic, der Schwäch—
fam, um bei dem frommen Einſiedler ling, habe eine Stärke, die du nicht
Erbauung und Troft zu fuchen, tödtete haft. Auf der Oaſe Scheba ruht zur
ihn Dismas, um die Nahrung zu nehe
men, die jener bei ſich getragen.
Nach diefer Unthat und nach der,
Stillung des Hungers ſchrie Dismas
auf, als wäre er ein Wahnfinniger
geworden. Er ſchrie vor Schmerz über
jeine verlorene Seele. Er verzagte und.
Zeit ein Fürft, der unermejsliche Reich—
thümer mir fi führt. Ich weiß Bes
Icheid und kann dich einmweihen und
dich leiten, wie du mit deiner tapferen
Schar diefe Beute gewinnft.“
Nun nahm der Hauptmann den
Fremdling auf, ſättigte ihn, erwies
ihn Ehren, und kurze Zeit hernach
bewegte fich der Räuberzug gegen die
Daje von Scheba.
Dismas dachte bei fih: Starker
Hauptmann, nun wirft du bald finden,
was dir gebührt. Wir alle werden fine
den, was und gebührt. — Denn auf
der Dafe lagerten zur Zeit Legionen
von römischen Soldaten. Dismas lei—
tete die Bande alfo, daſs fie in der
Hoffnung, einen großen Raub zu thun,
mit Mann und Hauptmann in die
Gewalt der Legionen fiel.
Als der Hauptmann ſah, dafs er
gefangen war, begann er zu rafen
gegen Dismas. Solder aber antwor—
tete: „Was willft du denn? Bin doch
auch ich gefangen. Sie find eben die
Stärleren und werden alſo wohl recht
haben.”
„Du bift ein Spion, den die Söld-
ner ausgefandt Haben, um uns zu
verderben!“
„Hauptinann, da irrſt du!“ ſprach
Dismas. „Ich bin wirklich einer der
deinen und bin zu dir in die Schule
gegangen. Sollteft du mich in der
That nicht wieder erkennen?“
„Dismas!“ rief der Hauptmann
nun aus.
„a, Dismas, den du verführt
haft. Du führteſt mich, den ſchuld—
lojen, vertrauenden Jüngling, einft
in die Mördergrube, ich dich jet an
das Hochgericht. Du follft erfahren,
was noch ftärker ift als deine Stärke —
die Gerechtigkeit.“
Nah folhen Reden Hätte Yufuf
den Mann erdrofjelt, wenn ihm nicht
die Hände wären gebunden geweſen
mit fchweren fetten.
Die Miffethäter wurden im die
Hauptftadt des Judenlandes gebradt.
Dort im tiefen Kerker lag Dismas
und hielt Rückſchau auf fein verlore=
nes Leben. — Gelobt fei Gott, daſs
es vorüber ift! fo fann er in feinem
zerfnirfchten Gemüthe. Nur eins, ein
einziges möchte ich noch einmal erle=
ben von diefem unfeligen, finfteren
Sein, einen Augenblid! den Heiligen,
troftreichen Bid jenes Knaben in der
Wüſte möchte ich noch einmal jehen,
bevor ich ſterbe ...
Die Raubhorde war zerftreut und
an verfchiedenen Orten Hingerichtet
worden. Die beiden Hauptperjonen
wurden vorbehalten für das Ofterfeft,
Und al3 die Tage der ungeſäuer—
ten Brote kamen, ward Dismas eines
Morgens aus dem Kerker geführt und
hinauf zur Schädelftätte. Er wußſste
wohl, was es bedeutete und gab ji
bin in ftumpfer Hoffnungslofigkeit.
Sie entblöhten ihn der Kleider, war-
fen ihn auf den Holzbalfen und ſchlu—
gen ihn ans Kreuz. Als fie ihn auf:
richteten, fab er, dafs mit ihm noch
zwei andere gefreuzigt wurden, Jufuf
der Hauptmann, und ein noch junger
Menſch, den fie den Profeten, den
Zauberer, und fpottend den Gottes—
ſohn nannten. Juſuf wand fih am
Kreuze knirſchend und läfterte ſchreck—
bar verzerrten Gefichtes Erd’ und Him—
mel, wie er es tm Leben gethan. —
Er hieng zur Linfen des Profeten,
Dismas zur Rechten. Der Profet rich»
tete fein Haupt gegen Himmel und
betete für feine Feinde.
Das hörte Dismas und wendete
fih nad ihm,
Der Profet neigte fein Haupt und
blidte auf den Mörder zur Rechten.
Ein heißer, feliger Schauer gieng
dur das Herz des Miffethäters; wie
der Gefreuzigte jo auf ihn hinſchaute,
brechenden Auges, das war jener uns
vergefsliche heilige Blid des
Knäbleins in der Wüfte. Dismas
hub zu weinen an und rief: „Herr,
du bift vom Himmel, Gedente mein!“
Und der zur Mitte ſprach: „Beute
noch wirft du bei mir fein im Paradiefe!“
Da geihah es, dafs die Erde
bebte, die Sonne auslofh am Himmel.
Und während diefe Schauer durch die
Natur giengen, ift Dismas geflorben.
Der „Halt“.
Ein Bild aus der Theaterwelt von Yulius Freund. *)
€ r foınmt! Er kommt!“ Endlich, höchſte geftiegen, „läjst er alle Bedenken
endlich hat das Kreisblatt die fallen, folgt dem innigen Herzensbe—
CH) definitibe Mittheilung gebracht | dürfnis, die lieben Triefelwiger wieder
— die kunſtliebende Bevölkerung | einmal begrüßen zu fönnen“ und — —
des Städtchen: athmet freudig auf kommt ſchließlich doch!
— — er kommt! Was für wider— Bon jetzt an berichtet das Kreis—
ſprechende Notizen hat man aber auch | blatt nicht mehr kalt und förmlich don
während der legten Wochen in der! Herrn Pofert, mein — es legt ihm
Kunftrubrit leſen müſſen; „Unſerer das künſtleriſche Adelsprädicat „unſer“
Stadt ſteht eine freudige übertaſchung bei: „Unſer Poſert wird als erſte
bevor. Der große Charakterdarſteller Rolle den »Lear« ſpielen.“ — „Unſer
Poſert wird auf der Nüdreife von Poſert trifft übermorgen bei uns ein.“
Petersburg wo er natürlich wieder! — „Unfer Pofert weilt feit geftern
mit Ehren und Gejchenten überhäuft in unferen Mauern.“
worden ift, für einige Tage bei ung Ganz Triefelwig ift in Aufregung,
eintehren und ein kurzes Gaftfpiel ab: |an allen Eden prangen innmenfe Plas
folvieren. Poſert hat dem Director cate, man ftürmt den Vorverkauf, der
des Stadtiheaters unter anderem ge» | Director reibt ſich vergnügt die Hände,
ſchrieben, dafs er nirgends lieber ſpiele und nur eine Heine ärgerliche Gemeinde
al3 gerade bei uns, jeit den erften nimmt an der allgemeinen Freude
Anfängen feiner Künftlerlaufbahn achte | feinen Antheil, jondern fieht mit recht
und ſchätze er befonders das feine Ver- mürrifchen, ungaftfreundlichen Mienen
ſtändnis, den durchgebildeten Kunft= |dem Ankömmling entgegen, mit dem
ſinn des hieſigen Publicums.“ Poſert | jie— leider! während der nächften Tage
Ichreibt dieje Phrafe an jeden Director, | in fehr intime Berührung treten mufs,
er weiß genau, dafs fie im Stadtblatt | die Heine Gemeinde — der Schaufpieler.
abgedrudt wird und ſtets einer vor— Den Herrſchaften Fehlt augenſchein—
trefflihen Wirkung fiher if. Dann |lih das Organ für die Erkenntnis
beginnt Pofert die „Kunſtrubrik“ in der Poſert'ſchen Größe. Sie fennen
fteigende Aufregung zu verjegen, mor- | ihn zu genau, den ruheloſen Wanderer,
gen „verlängert er vorläufig, dem|den „Ahasver der Bühne“, der es in
ftürmischen Berlangen der Bevölkerung | feinem geregelten Engagement auf die
nachgebend, jein Gaftjpiel in Peters- Dauer aushält, weil er feine anderen
burg, übermorgen „Stellt er jein Gaſt- Götter neben ſich dulden mag.
ipiel in Trieſelwitz überhaupt infrage“, Ihm der Applaus, ihm der Lor—
nad einer Woche läfst er fi „von den | beer, ihm die guten Rollen, die Act—
beforgten Ärzten eine Erholungsreife ſchlüſſe, die Kraftitellen — er würde
nah dem Süden verordnen“, nad) vier= | am liebften die claffiichen Dramen als
zehn Tagen erklärt er die Gaſtſpielver- „Solojcherze” bearbeiten.
bandlungen „für endgiltig gejcheitert” Wie ein Riefe will er über die
und d enhlid, wenn die Erregung aufs | Collegen Hinausragen, in einfamer
*) Aus deſſen prädtiger Sammlung: „Bühnenfterne*. Berlin. 3. H. Scorer.
424
Hoheit, — „Naht muſs es fein, wo
Boferts Sterne ftrahlen”, hat einmal
ein fatirifch veranlagter Ehargenipieler
citiert, mit Bezug auf die befannten
drei Sterne (*,*) hinter dem fettge-
drudten Namen des Gaftfpielvirtuojen.
Seit Jahren kennen die Herren
und Damen von der Bühne all die
fleinen pikanten Anekdoten und Hiftör-
hen, die jedesmal den Gaftjpielen
Poſerts vorausflattern, fie fennen den
foftbaren Pelz, „das Gefchent des
Czaren“, und haben aus zuverläffiger
Quelle erfahren, dafs derfelbe in
Berlin in der Potsdamerſtraße gekauft
worden ift, fie willen genau, wie der
jilberne Kranz ausfieht, den ſich Poſert
nad) der Abjchiedsvorftellung vom Or—
hefter aus auf die Bühne reichen läſst,
und copieren die Handbewegung, mit
welcher der gerührte Gaft fich bei dem
jubelnden Bublicum zu bedanken pflegt
— erſt nah dem Herzen und dann
nach den feuchtichimmernden Augen —
in geradezu täuſchender Weile. Die
guten Lentchen Haben übrigens recht,
wenn fie jehr ärgerlich find, eine Hetz—
jagb von Proben ftedt ihnen bevor,
die Bewältigung eines enormen Rollen—
materiales wird ihnen zugemuthet,
jeden Abend wird ein neues Stüd
„herausgebracht“, dabei müſſen fie fich
ſclaviſch unterordnen und dürfen faum
den Verfuh machen, irgendwie ihre
eigene Individualität wirken zu laffen.
Die beiten Stellen werden ihnen ge=
ftrichen, alteingelernte, feftfißende Rollen
müſſen fie „umftudieren“ nach der ſpe—
ciellen, mitunter höchft eigenthümlichen
Bearbeitung Poferts, und wehe ihnen,
wenn fie einmal ein wichtiges Stich—
wort nicht bringen, — der Vorwurf,
„dafs fie den Abend geworfen haben“,
ift dann der gelindeite, den fie von
den Lippen des erzürnten Bühnen
gottes zu hören befommen, Nur ein
paar naiven Anfängern und Anfän-
gerinnen jchlägt das Herz höher in
freudiger Erwartung, fie erhalten durch
das Gaftjpiel endlich ein paar claffifche
Rollen, fie hoffen die Aufmerkſamkeit
— —— — — — — — — —— — — — — —— —— — — — — — — — — —— — —
des großen Mannes zu erregen, ſeine
Protection zu gewinnen und durch ihn
endlich in den Beſitz des heißerſehnten
Hoftheatercontractes zu gelangen.
Es iſt ein eiſig kalter Wintertag.
Auf den Straßen liegt hoher Schnee,
die Bärte gefrieren zu Eiszapfen,
Trieſelwitz macht einen furchtbar öden
Eindruck und nur hie und da rennt
ein durchfrorener Bürger, deſſen Ohren
und Naſenſpitze ziegelroth aus dem
aufgeftülpten Mantelkragen hervor—
leuchten, den allerdringlichſten Geſchäf—
ten nach.
Jener blutjunge Mime, den ſeine
übelbeftellten Garderobenverhältniſſe
dazu zwingen, in Sommerröckchen und
Lackſchuhen nach dem Theater zu wan—
dern, würde überall Senſation erregen,
wenn die Straßen und Gäjshen nicht
gar jo menjchenleer wären.
Der junge Mime überjchreitet den
Hof des Theaters, klimmt die enge,
dunkle Bühnenftiege Hinan und erftaunt
ungemein darüber, dafs er die Probe
noch nicht in vollem Gange findet.
Er Hat erſt im dritten Act zu thun
und fürdhtete beinahe zu jpät zu
fommen. In erregter Converſation
ftehen die Gollegen und Colleginnen
bei einander, aus dem Stimmengewirr
Hingen einige kurze, energijch betonte
Sätze mit befonderer Deutlichkeit her—
vor, z. B.: „Das ift eine ganz ſtraf—
würdige Rüdjichtölofigfeit ; glaubt der
Mann etwa, wir ließen uns zum
Narren haben!“
„Ich warte höchſtens noch Fünf
Minuten, dann gehe ih nad Haufe.“
— „Wo ift der Theaterdiener? Ich
Ihide dem Director meine Rolle zus
rüd.“ Die Naive markiert einen Hu—
ften, der Heldenvater geht mit Rieſen—
Ihritten auf der Bühne umher, wie
ein gereizter Löwe, die komische Alte
beflagt fih im den bitterften Worten
darüber, daſs nicht einmal im one
verfationgzimmer eingeheizt worden fei,
und der grollende Charafterfpieler,
dem Poſert die beften Rollen vor der
— — — —
ee
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Naje wegnimmt, lächelt farkaftifch: |der Profpect muß tiefer hängen, der
„IH Hab’3 ja immer gejagt, wozu
brauden wir Gäfte? Das machen wir
uns alles alleine viel hübjcher, ohne
ftundenlang für nicht3 und wieder
nichts hier auf den Eisbrettern herum—
ftehen zu müffen.“ Und der Grund
des gewaltigen Mifsvergnügens ? Po—
fert hatte gebeten, die Probe ftatt für
10 Uhr, bereits für 9 Uhr anzufeßen,
it jedoch — — um 11 Uhr nod
nicht erſchienen. Selbit die phlegma-
tiſchen Theaterarbeiter fangen an, un»
ruhig zu werden; fie fchlagen mit den
Armen, um fi ein wenig zu erwär-
men. — Die Souffleuje unten im
Kaften, die durch ihr enges Futteral an
der Ausführung diefer Heilfamen Be—
wegung gehindert ift, Happert vor Kälte.
Da rollt ein Wagen vor, die
Bühnenthür knarrt in den Angeln,
ein gemädlicher Schritt ftapft langjam
die Treppe herauf, mit einem müden
„Guten Morgen, meine Herrfchaften!”
betritt der Gewaltige die Scene. Er
ift feſt eingehüllt in das „Gefchent
de3 Czaren“, ein tadellos gebügelter
Eylinder bededt feine merkwürdiger—
weile noch immer rabenſchwarzen Loden,
init der rechten Hand prejät er ein
feines Batiſttaſchentuch an die Lippen.
Ein Blid auf die Uhr. „DO — id
habe Sie warten lafjen, meine Herr—
Ihaften ? Bitte taufendmal um Ver:
gebung dafür, dajs ich meiner ſprich—
wörtlihen Pünktlichkeit einmal untreu
geworden bin; eine Unterredung mit
dem X.'ſchen Hoftheaterintendanten,
der momentan hier anmwejend ift, hat
mich jo lange aufgehalten. Ich habe
Seine Excellenz veranlafst, der mor—
gigen Borftellung beizumohnen. “
Poſert weiß, daſs diefe Mitthei-
lung höchſt verjöhnend wirft, vor den
Augen eines jeden Mitgliedes ſchwebt
nunmehr verlodend der Hoftheater-
contract — lebeuslängli, mit hoher
Penfion; die Stimmung wird augen—
blidlich beſſer.
Vorerſt conferiert der „alt“
längere Zeit mit dem Theatermeiſter;
Thronfefjel unbedingt um mehrere
Stufen erhöht werden. Bis zu Pojerts
Auftreten muſs die Bühne im Halb—
dunfel bleiben, erſt bei feinem Er-
iheinen darf das Licht voll auf-
leuchten, gleihfam als ob die Sonne
aufgienge.
Nachdem er dem ärgerlihen Theater-
meifter die Erfüllung einer Unzapl
ähnlicher Wünfche abgenöthigt Hat, be=
ginnt die Probe. — Poſerts Blau
ſtift wüthet fürchterlih in den Rollen
der Mitwirfenden, er gruppiert fie wie
Statijten, jo dafs er immer und immer
im Mittelpunkt des Bildes fteht, er
liebt e3, dafs die Collegen dem Pub—
lium den Rüden zumenden und
ftreiht ihnen confequent jeden Satz,
der geeignet ift, den Beifall des Pub—
licums herauszufordern. Mehrere jol=
her Effectftellen hat er jogar, in be—
gründetem Vertrauen auf die litera=
tische Unerfahrenheit des großen Pub:
licums, in feine eigene Rolle hinein—
escamotiert.
„Er ſelbſt markiert“ nur, er ſchont
fih und leiert die Rolle ohne jede
Betonung in monotoner Weife herun—
ter, aber alle übrigen müffen unbe=
dingt mit voller Stimme probieren;
Poſert will wifjen, ob nicht etwa einer
darımter ift, der ihn bei der Vor—
ftellung an Kraft und Wucht des
Organes zu überbieten vermag. —
Erbarmungslos drejliert er die eifrigen
Movizen, die es fih zur Ehre ans
rechnen, mit dem „großen Poſert“ zu
fpielen, die noch nicht den leifeften
MWiderfpruch gegen feine Anordnungen
zu erheben wagen und allen Fleiß,
allen‘ Enthufiasmus aufbieten, nur
um beim Schlufs des Gaſtſpiels durch
die bewusste Photographie „mit eigener
Namensunterfchrift“ köſtlich belohnt
zu werben.
Der Heinen, zierlihen Cordelia
fließen ſchon die hellen Thränen über
die Mangen. Sie möchte ihre Sade
gern recht, recht gut machen, und doch
ift ihr Gehirnchen kaum imftande, die
426
complicierten Weifungen Lear-Poſerts mit der Miene eines Selbſtmörders
in fich aufzunehmen und zu behalten.
„Und wie ein Fremdling meiner Bruft
und mir
Sei du von jeßt auf ewig!“
(„Bier müflen Sie, verehrtes Fräulein,
ein paar Schritte auf mich zugehen
— damit ih Sie dur eine Hand:
bewegung zurüdweijen kann.“)
„Der rohe Scythe und der Kannibale“,
(„Legen Sie, bitte, erfchroden die Hand
aufs Herz.”)
„Der die eignen Kinder macht zum
Fraß“,
(Schaudern Sie gefälligſt — id
brauche das nothwendig für mein Ge—
genſpiel.“)
„Soll meinem Herzen ſo benachbart
ſein“
(„Werfen Sie mir hier einen langen,
jhmerzvoflen Blid zu — ih made
nämlich unter dem Eindrud desjelben
eine Heine Pauſe, um mich gleich
darauf deito emergijcher wieder auf—
zurichten.“)
„Und gleiche Liebe, gleichen Troſt em—
pfah'n“
(„Ringen Sie die Hände, Verehrteite!
— Gtärler, wenn ich bitten darf!”)
„Wie du!“ — — —
(„Dier erfuche ich ſämmtliche Herr—
ihaften um Zodtenftille, ih mache
eine lange Baufe, man darf nur mein
Gewand rafheln und meine Zähne
uieigen hören.”
— —— Mein weiland Kind!“
‚Hier bricht Cordelia in die Knie —
mit dem Rüden zum Bublicum, meine
Liebe! Den „Kent“ bitte ih mit den
Worten: „DO edler König!” zu warten,
bis der Applaus vorüber iſt.“)
Und fo geht die Probe graziös
weiter — dreiviertel Poſert, einpiertel
Shaleipeare! „Kent“ mußſs feine Rolle
wieder hergeben, er iſt ein großer,
ftarler Menſch, und der Gaft jpielt
nicht gern mit Collegen, die ihn kör—
perlich bedeutend überragen.
Ein junges Bürſchchen, friſch vom
Gonjervatorium, dem man die Rolle
des „Narren“ übertragen bat, jchleicht
hinter den Couliſſen umber und beißt
ih wüthend die Unterlippe.
Wie Hat er fich gefreut, als ihm
der Theaterbiener den „Narren“ ins
Haus bradte, wie hat er Tag und
Naht darüber ftudiert und nach neuen
Nüancen gegrübelt — ein wahres
Gabinetftüthen wollte er „hinlegen“,
Was aber ift auf diefer mörberijchen
Probe aus der Prachtrofle geworden ?
Ein Popanz, ein Nichts, eine Stich—
wörterpuppe — „Narr“ ift nur nod
der Schaufpieler, der fie jpielt. Die
wehmüthigenärriichen Weisheitsworte
— geſtrichen, die Heinen, ſpitzigen
Schelmenlieder — geſtrichen! Nicht
einmal „Und der Regen regnet jegli—
chen Tag!“ laſſen ſie ihn ſingen, trotz
der wunderſchönen Melodie, die er
ſich ſelbſt dazu componiert hat. —
Merkwürdig, ganz beſonders merk—
würdig iſt das Gewitter auf der Heide
inſceniert — ein vollkommenes Natur-
wunder. 5
Die Winde heulen, die Ate Split»
tern, der Donner rollt unaufhörlic,
jo dajs ſelbſt die gewuchtigen Stim—
men der lungenfräftigften Mimen ver»
geblich gegen die Gewalt der Elemente
anlämpfen ; nur wenn Bofert jpricht,
beruhigt ſich dieſer Aufruhr in der
Natur, die Winde fäufeln nur nod,
der Donner rollt discreter und zuhl«
reihe Blitze find fo Tiebenswürdig,
ſtets genau die Stelle zu beleuchten,
auf welcher Poſert fteht, mit wallene
dem Bart und flatternden Loden, ge—
ſchmückt mit Blumen und Stroh—
balmen, auf einen Inorrigen Aft ge—
ſtützt jeder Zoll ein Bang!
Um halb drei Uhr ift die Probe
zu Ende.
Pojert informiert fi an der Ta—
gescafje über den Stand des Vorver—
faufes. Dann fährt er ins Hotel.
„Sind Briefe für mich ange:
fommen ?*
Er empfängt einen ganzen Stoß.
Gaftfpielanträge der Agenten, Bettel«
briefe, Epifteln von Autographen |
ſammlern und dergleichen. Einige un—
reife Bengel, die einen „unbezähmbaren
Drang zum Theater“ in ſich fühlen
und ihren Eltern durchgehen wollen,
bitten um Audienz, ſie beabſichtigen,
dem „innig verehrten Meiſter“ ein
paar Monologe vorzubrüllen und fich
von ihm dramatiich auscultieren zu,
laffen.
Drei Photographen bitten um die
Ehre, fein Bild aufnehmen zu dürfen,
im Civil und Eoftüm. Und da — ein
rojenfarbenes Briefchen, zierlich, duf—
tend! Poſert ſchneidet das Convert auf
und liest lächelnd die wenigen Zeilen:
„AUngebeteter Meifter! — jhmwär-
meriſch — voriges Gaftjpiel — —
nicht Muth genug — Zufammenkunft
— ewiger Dant — — zitternde Er=
wartung.“* Unterzeichnet find die,
ſchmerzlichen Worte „Einellnglüdliche*. |
Der „angebetete Meifter” rafft ſeine
Correſpondenz zuſammen, läſst aber
— ſo ganz zufällig — das duftende
Roſabriefchen auf die Treppe fallen.
Er weiß, dafs es der Porlier finden
wird und dafs die Portiers in Kleinen
Städten ſchwaätzhaft und imdiscret find.
Nah dem Diner madt der „Saft“
eine Rundfahrt zu jämmtlichen Kris |
tikern. Einer wohnt im vierten Stod
— aber was tut da3? Er würde
ihn befuchen, auch wenn das Haus
die Höhe des Eiffelthurmes hätte.
In den Stuben der Kritiker bes
fleigigt ſich Pofert einer rührenden
Beicheidenheit.
„Erwarten Sie nicht“, jo lautet
hier eine feiner Lieblingsphrajen,
„irgend ein Virtuolenftüdchen von mir
vorgeführt zu befommen,. ch ordne
mich ftet3 dem Enfemble unter. Ich
halte es für meine heilige Pflicht, die
Darftellung immer nur als ein Mittel
zum Zweck zu betrachten, nirgends den
Dichter zu fälſchen, das Werk vor)
allem ganz und voll durch fich jelbit
wirken zu laſſen.“ Er zudt vejigniert
die Achſeln. „Mögen andere mit feder
Hand nad einem niedriger hängenden
Lorbeer greifen, — ich werde niemals
von dem Wege abirren, auf dem ich
feit dem Tage meiner früheften künſt—
lerifchen Jugend dahinwandle, fern
jedem Egoismus, im Dienfte einer
wahren und edlen Kunſt!“ Schon
halb im Gehen, wendet ji” Poſert
no einmal um und wirft nachläſſig
die Worte hin: „Sie würden mich
jehr verpflichten, verehrter Doctor,
dur eine kurze Nachricht im Kunſt—
theil, welche mittheilt, daſs mir der
Großherzog von .. . ingen feinen
Hausorden am Bande verliehen hat.
Man trägt ihn um den Hals.“ — —
Der Abend ift da. Müde und ab—
geipannt fißt der Gaft Hinter den
Couliſſen, feines Stichwortes harrend.
Er denkt an alles Mögliche, nur nicht
an die Rolle. Einigen Freunden, deren
Karten ihm auf die Bühne gebracht
worden ſind, hat er jagen lafjen, „er
fönne am Abend miemand auf der
Bühne empfangen, er fei ſchon ganz
und gar don feiner Rolle umfponnen,
mehr Lear, als Poſert“.
Und nun tritt er auf, gebüdt und
doch kraftvoll, auf jenes prächtige
Schwert geftüßt, das er von Bogumil
Dawijon geerbt haben will. Rafender
Beifall dröhnt ihm entgegen. Mit
einem Ausdrud, der den nahen Aus—
bruch des Wahnſinnes gleihjam ſchon
anzudeuten fcheint, läjst er die Blide
langfjam von Rang zu Rang, von
Loge zu Loge gleiten und — — be=
rechnet dabei mit wunderbarer Ge—
nanigfeit die Einnahme des Abends.
Das Haus ift nahezu ausverkauft,
über Poſerts Mienen fliegt ein
Schimmer freudiger Verklärung.
Er wird heute Abend vorzüglich
jpielen.
Dem Anderl fein Tabakgeld.
Eine Erinnerung aus der Waldheimat von P. R. Kofegger.
Be)
A
*5 Einleger Anderl hatte auf die- acht ganze Kreuzer heraus und bring
fer Welt jhon mit allem ab: |mir alles fein und fleißig heim. Nach»
= gewirtſchaftet. Er Hatte einmal her biſt dafür brav eine ganze Wochen
einen großen Bauernhof gehabt, der lang.“ Damit gab er mir einen Sil—
war verproceſſiert worden. Dann hatte, berzwanziger, den er am heiligen
er ein Meines Häufel befeflen, das Abend vom Armenvater als feinen
war vertrunfen worden. Dann hatte | Theil des eingegangenen Armengeldes
er noch eine filberne Uhr gehabt, die erhalten Hatte.
war berfpielt worden. Hernach hatte Ich war natürlich gerne bereit,
er fi) auf das Bauerndienen verlegt, | mein Brapfein auf eine ganze Woche
dabei war er alt geworden. Alt, müh- | lang zu verſichern, übernahm den Auf—
ſelig und arm. All das Bedürfnis und trag und gieng in die Kirche, wo ich
Glück des einſt ſo herriſchen, anfpruchs« | hübfeh noch zum Roſenkranz zurecht
vollen Mannes hatte jeßt im einer kam. Ich war ſchon zur felben Zeit
Tabakspfeife Plab — jo gut Hatte
ihn das Leben erzogen. Schwerhörig
und halbblind, den Krampf in den
Händen und die Gicht in den Füßen!
Menn’s nur in der Pfeife gloste und
er am Rohre ſog, jo machte er feinen
Einwand und war fhhier in fänerlich
füßer Laune,
In die Kirche
er manchmal,
ſich vor, er Habe fein Lebtag hübſch
hriftlich gelebt, und jo mochte er den
guten Brauch in den alten Tagen nicht
gerne abkommen laſſen. Aber die Gicht,
das war ein höllifch gottlofer Kamerad,
die hinderte ihn an dem Bejuche des
Amtes und der Predigt, und jo wim—
merte der Alte manchmal in einer
fronımen Sehnſucht: Wenn ich mur
wenigftens ins Dorf zum Tabakfrämer
funnt fommen! Auch das war ihm
verfagt, und jo wendete er fich eines
Tages zu mir, der ih ein zehnjähri«
ger Knabe war in demjelben Dauje.
„Heut' ift der Heilige Ehrifttag
ſchon wieder“, jagte er. „Gehſt du in
die Kirchen, Peter, fo jei Halt jo barm—
herzig und trag mir mein. Vermögen
mit. Kauf’ damit beim Kramer drei
Packeln Tabak — ordinären — kriegſt
gehen
Herz gelegt worden,
manchmal ſehr andächtig, und ſchon
zur ſelben Zeit manchmal gegen die
unrechte Seite hin. Alſo erinnere ich
mich, daſs an jenem Chriſttage in der
Kirche während des Roſenkranzgebetes
mir allerhand Scrupel kamen, was
man ſich nur unter den Roſenkranz—
‚ geheimniffen: „Den du, o Jungfrau,
wollte | vom heiligen Geift empfangen haft!“
denn der Anderl ftellte| „
Den du, o Jungfrau, im heiligen
Leib getragen haft!“ vorzuftellen Habe.
Denn andädhtig beten, dad war
mir vom Pfarrer oft und oft ans
Heute fam id
aber zu nichts Rechtem und da dachte
ih: Iſt das wieder einmal ein läſſi—
ges Daliken in der Kirche, an einem
jo heiligen Tage! Ich bin eigentlich)
doch ein fpottjchlechter Kirchengeher!
Als hernach das Hochamt fan, auf
dem Chore die Pauken und Trompeten
Ihallten, am ferzenumftrahlten Altare
der Pfarrer ſtand und die Meile las,
huben die Leute plöglih an in ihren
Stühlen aufzuftehen und begannen
(nicht bloß die Weiber, auch die Män-
ner) im Gänſemarſch durch die Kirche
zu wandeln, um den Hodaltar herum,
und dann wieder zurüd in die Stühle.
Der Opfergang. An hohen Feſttagen
pflegten nämlich die Lente während
des Amtes einen folhen Rundgang
zu machen, um an dem Wltare im
Angefichte des Pfarrers auf einen da—
für bereitftehenden Ziunteller Kleine
Geldgaben für die Kirche Hinzules
gen. Ich Hatte mich an ſolchem Opfer:
gange jedesmal betheiligt, um ent»
weder im Auftrage meines Vaters,
oder aus eigenem Antriebe einen oder
ein paar Kreuzer auf den Zeller zu
legen. Machte dabei auch allemal eine
gute Meinung, fei das Opfer num zur
Erlangung eines fruchtbaren Jahres,
oder zur Genefung eines Kranken,
oder um Segen für ein anderes,
irgend etwas wollte ich für meinen
Kreuzer haben; hatte doch der Pfar-
rer einmal gepredigt: „Es wird alles
vergolten. Geſchenkt braucht der Herr
des Himmel! und der Erde nichts
von euch.“
Natürlich erhob an diefem Ehrift-
tage auch ich mih und ſchloſs mic
der Reihe an, in welcher jeder und
jede unterwegs zum Mltar in den
Sad griff und aus dem Geldtäfchlein
die Münze berborneftelte. Auch ich
fuhte nach meiner Gabe und nun
ftellte es fich Schredbar Klar heraus,
dafs nicht ein einziger Kreuzer in der
Taſche war. Der Silberzwanziger des
Einlegers Anderl war das ganze Um
und Auf, Font nicht ein Pfennig
und nicht ein Knopf! — Was war
zu tun? Wieder umkehren zu mei—
nem Stuhl? Sie hätten mich heiden—
mäßig ausgelacht. Ruhig in der Reihe
bleiben und ruhig am Zinnteller vor—
beitrotten, als ob er mich nichts an—
gienge? Der Pfarrer ftand aber da=
neben und fonnte jedem auf die Fin—
ger jehen. Meine Finger unter dem
Rod wollten fich bereit3 an einem
Hojenfnopfevergreifen, aberdieje Knöpfe
waren nicht mehr von Mefling, wie
einft in der guten, alten Zeit, ſon—
dern bon ſchwarzem Hornbein, alio
für den Teller volltommen unmöglich.
Vor Gott Hätte ich mich nicht gefürd)-
tet, einer, der den Willen für's Werk
nimmt, hätte auch einen Hoſenknopf
für den Grofhen genommen — aber
der Pfarrer! — In folder Bedräng-
nis flüfterte ich dem Nachbar Veitel-
brunner zu, der juft vor mir gieng,
ob er mir nicht um Gotteswillen einen
Kreuzer borgen wollte? — „Ab, du
wäreft ſchlau!“ flüfterte der Veitel—
brunner zurüd, „ausgeliehenes Geld
opfern! Damit wäre es freilich feine
Kunft, ih den Himmel zu kaufen.“
Und fchaute ſeitab. — Alſo fein an—
deres Mittel mehr, als ſich vergreifen
an fremden Gut! Ehe ich mich der
Gefahr ausfeße, dajs der Pfarrer, auf
mich deutend laut rufen könnte:
„Was läufſt denn du mit, wenn du
nichts gibſt!“ und die Leute alle ihre
Hälſe reckten, um den zu ſehen, der
mitläuft und nichts gibt — ehevor
opfere ich das Tabaksgeld des alten
Anderl. Länger zu überlegen war
überhaupt nicht mehr Zeit; ſo himm—
liſch langſam die Reihe ſich auch voran—
bewegt hatte, endlich war ich doch am
Zinnteller. Den Silberziwanziger er—
krabbelte ich raſch im Sack und legte
ihn drauf. Nachher gieng's wieder zu—
rüd zu meiner Bank. — Seht war—
tete ich auf ein Wunder, Der Herr
hat's gefehen, wohin der Zwanziger
gelegt worden ift, er weiß auch, daſs
der alte Anderl feine Freud bat auf
der Melt, als das biſſerl Rauchen,
und endlich kann ſich's jeder denken,
was mir bevoriteht, wenn ich ohne
Tabak und ohne Geld heimkomme.
Das Wunder braucht ja nicht jo groß
zu fein, wie etwa die Speifung von
fünftanfend Mann in der Wüſte —
nur ein ganz Kleines Wunderlein, in der
Größe eines Silberzwanzigers!— Nein,
nichts. Der Sad war leer und blieb's.
Gut, dente ich, wie das Ant aus
ift und wir vor der Kirche fo ein
Meilen umherſtehen, ohne zu wiljen
warum: wenn Gott fein Wunder wir=
fen will, jo muſs der Menjch eins
verfuchen. Zum Krämer gieng ich
hinein, hauchte mehrmals recht ſtark
auf die Fingerſpitzen, weil fie froren,
430
und als man fragte, was ich wün—
fche, antwortete ih: „Drei Padeln
Tabak — ordinären!“ und ala ich fie
hatte: „Dank jchön, bezahlen werde
ih fie am nächſten Sonntag“ — und
zur Thüre hinaus. Der Krämer mochte
mir wohl ein wenig verblüfft nachge—
ſchaut haben, weiter war aber nichts,
und das Wunder war gejchehen:
Einem zebnjährigen Leder hatte der
Dann drei Padeln Tabak geborgt.
Gut. Als ich nachhauſe kam, ward
ih Schon mit Spannung erwartet vom
alten Anderl. „Zu Meihnachten find
ja die Rauchnächte*, feifelte er, „wenn
der Menſch nichts zu rauchen Hätt’,
das wär’ jo was!”
Mit einer ganz niederträchtigen
Ruhe gab ich den Tabat ab — das
erite Padel — das zweite — und das
dritte. Der Alte hielt aber immer noch
eine hohle Hand her.
„Drei Haft gejagt ſoll ich brin—
gen, da find fie.“
„Drei, wohl wohl, drei“, jagte
er, „geht ſchon aus, drei Padeln. Und
was du Herausfriegt haft?”
— Jeſſes, die acht Kreuzer! —
Wie nah einem Donnerichlag, jo war
mir die Zunge gelähmt. Natürlich,
wenn man nicht weiß, was zu jagen
ift! Eingefallen wär's mir im Augen—
blid: Theuerer ift er worden, der
Tabak! Oder: Einen ordinären haben
fie nicht gehabt, da hab’ ich einen bej-
feren genommen! Uber — fiel mir
noch rechtzeitig ein — mit einer Lüge
macht du dein Ehriftopfer nicht wett;
die Mahrheit kannſt zwar auch nicht
jagen, wenn du nicht als ein uner«
hört dummer Junge daftehen willft.
Da lajs es lieber auf ein zmeites
Wunder anlommen.
„Anderlh!“ jagte ich ſehr laut, „die
acht Kreuzer möchteft mir wohl ſchen—
fen zum Botenlohn *
„sh werde dir ſchon einmal was
ſchenken“, antwortete der Alte, „meine
Gicht, wenn du magft. Aber die acht
Kreuzer brauch’ ich felber. Gib fie
nur ber,“
„Anderl, ich Hab’ fie nicht, mein
Sad hat ein Loch.“
„Ah jo, verzettelt Haft fie”, ſagte
der Alte, „na, nachher kannſt mir fie
freilich nicht geben.“ Er klopfte jich
die Pfeife und abgethan war's.
Ein Loch Hatte mein Sad frei=
lich, ſonſt könnte man nichts aus: und
einthun, aber redlich war's nicht von
mir und mein feſtes VBornehmen war,
dem Einleger feine Sad) zu vergüten,
jobald als möglich.
Eobald als möglih! Woher denn
nehmen? Wie ein Stabsofficier, To
Hat ich jet mitten in Schulden und
der Silberzwanziger lag im Kirchen:
Ihaß und rührte ſich nicht.
Nah Neujahr Hub wieder die
Schule an, allein ich gieng nicht auf
geradem Mege zu ihr, jondern auf
weiten Umfchlichen durch die Obitgär-
ten. Der gerade Weg führte nämlich
am Krämer vorbei. Diejer ftand wohl
einmal vor dem Schulhaufe, als id
eintrat, ſchaute mich auch jo ein wenig
frumm an, ſagte aber nichts, und ich
tradhtete, dafs ih ihm aus den
Augen kam.
Da war es eines Tages nach der
Schule, daf3 mir der Lehrer auftrug,
ih jollte in den Pfarrhof gehen, der
Hohmürdige hätte etwas mit mir zu
ſprechen.
— Jetzt! dachte ich, jetzt geſchieht
das Wunder! — Er gibt das Geld
zurück.
Doch der Pfarrer, als ich vor
ihm ftand, machte nicht jenes Geſicht,
wie man es hat, wenn man Geld zus
rüdgeben will. Sehr ftrenge blidte er
mich an, dafs ich gleich wie ein armer
Sünder meine Augen zu Boden jchlug.
„Peter“, jagte er endlich mit einem
Gemiſch von Ernft und Güte, denn
er war mir fonft nicht ſchlecht gewo—
gen. „Peter, mache jet feine Ge—
Ihichten. Gib die Pfeife her!”
„Die Pfeife?” fragte ich ganz
treuberzig.
„Bib fie nur her und leugne nicht!
Du rauchſt!“
PT mtv
431
„Nein, Herr Pfarrer!“
„SH Habe einftweilen deinem Va—
ter nichts gejagt. Wenn du das Zeug
willig hergibſt und mir verjprichit,
das Lafter jein zu laſſen, jo braucht's
das Schlagen nicht.“
„Ich thu' aber nicht rauchen !” rief
ih laut.
Da hob er den Finger und fagte:
„Aufs erſte ein zweites Lafter! Mich,
deinen alten Satecheten, belügen? —
Tu bift verrathen,“
„Wer Hat’ gejagt ?*
ih auf.
„Der Krämer jelber, bei dem du
den Tabak Holft und jehuldig bleibſt.“
Hell aufgeladht Habe ich jegt, und
nachher jachte angefangen zu weinen.
„Alſo, fiehft du? Sieht du's
jebt ein?“ fragte er faſt freundlich.
Nun musste freilich alles Heraus.
„Den Tabak bein Krämer habe ich nicht
begehrte
für mich gekauft, jondern für den,
Einleger Anderl, der bat mir wohl
einen Silberzwanziger mitgegeben.”
„Und was Haft du damit gemacht?”
Ich wollte etwas erwidern, ftotterte
aber nur.
„Heraus mit der Farbe!” rief der
Pfarrer. „Was haft du mit dem Sil-
berzwanziger gemacht ?*
„Am Ehrifttag — auf — auf den
Zinnteller geworfen.“
„Auf den Opfertellee? du? du
wärft es gemejen, der den Silber-
zwanziger hingelegt hat? Und Geld,
das nicht dein eigen war! Was fiel
dir denn ein?“
„Weil ich feinen Kreuzer hab’ im
Sad gehabt. Und Jo viel geſchämt ...“
„Flenne nicht, Peter”, jagte nun
ruhig der Pfarrer. „Wenn e3 jo ift,
ändert ſich die Geſchichte.“
„Hab' den Tabak müſſen ſchuldig
bleiben und bin auch dem Anderl
noch ſchuldig davon“, ſchluchzte ich,
„Narrl, Narrl!“ lachte der Pfar—
rer. „Dem lieben Herrgott Haft du
das Geld gegeben. Und er Hut dich
ſitzen laſſen.“
„Ja!“ deutete ich mit dem Kopf.
„Das ſcheint nur ſo, mein Junge“,
ſagte er und ſtrich mit der Hand mir das
Haar aus der Stirn, „der liebe Herr—
gott läjst feinen ſitzen. Beſſer ver—
zinst keiner als der! Peter, mich hats
nach der Durchſicht der Opfergaben
ohnehin gewundert, daſs in meiner
Gemeinde einer iſt, der um einen
ganzen Silberzwanziger Vertrauen zum
lieben Gott hat. Konnte mir's aber
nicht denfen, wer. — Jetzt haben wir
ihn. Und da Haben wir noch
einen!“
Der Pfarrer machte feine Geld-
tafhe auf, nahm mit zwei Fingern
zierlih einen Silberzwanziger hervor:
„Es ift zwar nicht der nämliche. Dem
Heren wollen wir dad Seine laſſen,
es wächst fi bei ihm auf höhere
Zinſen aus, wenn du brav bleibft.
‚Den da, den mimmft von mir und
bezahlſt deine Schulden. Und wir zivei,
die wir heute nähere Befanntfchaft mit—
einander gemacht haben, wollen gute
Freunde bleiben. So, jet kannſt zum
Krämer gehen.“
Der Srümer fand es ganz ſelbſt—
verftändlih, dafs ich meine Schuld
beglich, nicht jo aber der alte Anderl.
„Du willſt mir da die acht Kreu—
zer erftatten!“ rief er barſch aus, als
ih ihm die Münzen vorhielt. „Lump,
fleiner, du wirft es weit bringen, wen
du allemal deine Schulden bezahlen
wilft! Ja, ja, ih nehm’s jchon. So
was kann ich brauchen. Aber für ein
andermal jei gefcheiter!*
Schulden habe ich fpäter noch oft
gehabt, aber „geſcheiter“ wie es ber
alte Anderl gemeint, bin ich nicht ge-
weſen. Er jelber war mir ein zu
wahrfcheinlich mit dem Ärmling über | fchlimmes Beijpiel von dem Erfolg
die Augen fahrend, weil fo ein zehn- feiner Grundſätze. Dafs ihm nichts war
jähriger Junge jelten ein anderes |geblieben, als ein bifschen Tabat —
Taſchentuch Hat. und ordinärer!
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Vaterländiſche Arabesken.
Gedichte aus Steiermark von Hans Grasberger.
Der von Schrottenbach.
n jenen ſchwülen Tagen, da Kaiſer
Ferdinand
—8 Bekämpfte Luthers Lehre mit Acht,
mit Schwert und Brand,
Da wog die Sonntagsmette nach römiſchem
Ritual
Gewiſſen auf und Freiheit und Mannes:
muth zumal,
Ton Schrottenbach den Grafen beſchlich die
MWeidmannsluft
An eine® Sonntags Morgen zur Seit der
Meile juft;
Ein Hirfh war's, was ihm aufflieh, der
lam ihm hoch zu ftehn,
Mit hundert Goldducaten faum fühnt’ er
das Bergehn.
Bald Hielt darauf des Kaiſers katholiſche
Majeftät
Zu Graz ein Hofgelage mit Pomp und
Prunfgeräth;
Da durfte der nicht jäumen, den Säumnis
jüngft geftraft,
Gr hauste dort auf Göfting in nächſter
Nahbarichaft.
Doch als der Graf dem Lehnsherrn in
jhuldiger Ehrfurdt naht,
Was flüftern da die Pfaffen im glänzenden
Ornat?
Was fragt des Kaiſers Auge fo triib mit
einemmal?
Terwunderung, Gemurmel durdzieht den
ganzen Saal.
Erſt that der Herr von Göfting, als merkt’
er nichts davon,
Doch als die Neugier lauter und bifjiger
der Hohn,
Da ſprach der Graf mit Lächeln, frei hob
fih feine Bruft,
Der Kaiſer konnt' e8 hören, hatt’ er zu
hören Luft:
„Hochwürden! Edle a ich merle ſchon
den Spa
Es ſieht wohl bettelletz' * "old
an,
Doch kann ich's euch beeiden, es ift ein
wertvoll Stüd
Und läjst an Preis und Koſten Talar und
Wams zurüd.
Lederzeug
Sagt an, wer zahlte hundert Ducaten bis
ur Stund’
Für einen Sechzehnender, erlegt auf eigenem
Grund?
Das foftet mi die Hofe, weil Sonntags
auf der Birſch
Mih Frömmler ausgewittert, da Sonntags
fiel der Hirſch.“
Nicht Tange trägt fi „irchen“, jo hoch er's
au erftand,
Der edle Schrotienbader im grünen
Steirerland;
Er mujs die Heimat lafjen — man halte
leichtes Spiel,
‘Denn wo die Kutte mädtig, ift ja der
Mann zuviel.
Im Felbergrund.
Die Mutter warnt: „Im Felbergrund,
Da rennt des Nachts der jhwarze Hund,
Da tommt ein bredelmwarmer Wind
Und wimmert aus dem Schilf ein Rind;
Da geht der Pierdefuß, der krumm',
Und die verwunſch'ne dran geht um,
Und von der Habergeis ein Blid
Verdreht den Kopf dir ins Genid!“
„Lieb Mütterchen, was fällt dir ein,
Wie kann denn krumm der Jäger jein?
Sein „Waldauf* däucht mir zu geſcheit,
Der thut dem Lenchen nichts zuleid.
Es ift das Flüftern, was erhißt,
Der Schmatz, davon das Wänglein jhwigt:
Verrüdte ſind's verliebter Weil’
Und nicht vonweg' der Habergeis.“
In der Bartberger „Grübhb“.
Im Schlenderſchritt in die Klauſe;
Braunaugig glotzt die Nacht,
Der Bach gebahrt, dajs er brauſe,
Der Fels iſt zu dräuen bedadt.
Es find nur gelinde Schreden,
Was da die Schludt erbringt,
So grimm aud die Wellen bleden,
So dumpf es aus Tiefen dringt.
Und fieh, die Wipfel entlohen,
Schon jprenfelt Licht den Pfad,
Schon endet das Drängen und Droben,
Wo's faum noch begonnen hat.
Dort tritt aus des Tages Gefuntel
Ein Weib und trippelt gefhmwind
Hernieder ins raufchende Duntel,
Am Arm ein Widelfind.
Gar jhimmernd ift er gefleidet,
Der winzige Lebensgaft,
Und däudt ihm der Weg jhhon verleidet?
Das Händden, das ballt er faft!
Er wandert, an Herz und Obren
Noch Heide, zum Tauf’:Empfang,
Und, faum erft ans Licht geboren,
Betritt er den dunklen Gang.
O Slleiner, und trübt fi dein Leben,
So ſei nit jhlimmerer Art
Die Plag, als welche umgeben
Dich hier auf der erften Fahrt!
Und ball’ mir nicht die Hände!
Die Fauſt begegnet der Fauſt;
Drum langt nach dem beſſeren Ende,
Wer mild und friedlich haust.
Hochwaſſer.
Noch geſtern die Welt ſo frühlingsſchön,
Und Neuſchnee heut', und ſchwüler Föhn!
Die grünen Wieſen verwandelt in Teiche,
Wie nur ich Ufer auf Ufer erreiche?
Voraus mit den Schuhen zum nächſten Rain!
Ich Hole watend fie wieder ein.
Die Brüde fort, o Hohn und Verdruſs!
Rein Fährmann wagt zu queren den Fluß...
Zur Linken über'n Bah nod ein Steg,
Mit Warnern zur Stel’ — o lajst mid
"hinweg!
Yhr braunen Fluten, ftaut euch dort oben,
Und Treibholz du, vom Sturme gefloben!
Sieh, Steg, ih werfe voraus die Schuh’,
Halt aus, es geht ja der Mutter zu!
Der Beimifeße Rirchthurm.
Mas ift mit unjerem Thurm geſcheh'n?
Hier grüßte mich fonft ſein Schimmer;
Gin Knauf, ein rother, ift dort zu jeh'n,
Er jelbft? — fo kenn' ih ihn nimmer!
Er lobte jo ſtolz im Sonnenftrahl,
Sein’ögleihen beſaß nicht jedes Thal.
Zwar blieb er vor Roſt nicht ganz gefeit,
Fr ftand nit da zum Behagen,
Auch toj’te mand arges Wetter feit
Der großen Raijerin Tagen,
Und doch — trägt blanferen Nitterhelm
Ein leidig, ein frifchgeadelter Schelm?
Rofeaner’s Geimaarten““, 6. deft. XV.
O Thurm, wo fam dein Silber hin?
O Heimatftolz des Knaben,
Was wollteft, nun ih bald filbern bin,
Du rothe Baden haben?
Mich höhnt der dumme, der Farbanſtrich,
Genug, daſs Glanzes mir viel verblich!
Judenburger Waßrzeichen.
3’ Judnburg bei da Poſt
An an bjundaren Fleck
385 a Jüdel jan jechen,
Wia's Schaut über Ed.
8’ Koi rödts d’r für
Und groaß ſchaugts dih an,
Um d’ Mittn an Reahm
Mit der Schnalln voran.
In'en Seitn di Händ,
U fo fpreizt as fih frei —
Mitajst ſcho jhäbiger fein,
Aber gwandt ham ſ'as neu.
Hat a greans Rödl an
Mit an umglögtn Rragn
Und a jhwarzfrausta Bart
35 ban eahm zan dafragn.
Muajs wol überbliebn jein,
Oder ausfemm’ is gwiſs,
Als jö d’ andern dawürgt hamt,
Mia no de Röd is,
Hat a Spishüatl auf,
Hat d'r junjtr foan ram,
Und ſchachern kann's nöt,
Wal fa8 angmauert ham.
Der Sonntagsjäger.
In Herrgottsfrüh’, auf frifhem Schnee
Der Yäger zieht feldein,
Und mwechjelt weder Hirih noch Reh,
So mag's der Haje jein.
Was trübt dem muntern Jägersmann
Den Blid von ungefähr?
Des Städtleins Gloden fie jhlagen an,
Bon Betern lommt's daher;
Und ad, dahin ift Weidmanns Heil,
Der ganze Tag verhert!
Ihm freuzt den Pfad in trippelnder Eil’
Gin altes Weib zunächſt ...
Was brummt er denn jo grimm und rauf
Dem armen Weiblein nad?
Weit liegt vor ihm und offen der Gau,
Die „Lichter“ auf und wach!
Das mujs ein Sonntagsjäger fein,
Ein Häslein folgert jo;
Das jeht vor ihm wohl Über den Rain
Und iſt des Lebens froh.
28
An der Feldkapelle.
Die Feldlapelle blidt vom Bühl
Schneeweik in die grüne Weite,
Das Bäntlein dran beſchatten fühl
Kaftanien, ihr zur Seite,
Du ſchauſt hier im Borüberziehn
Im Bild nur Graus und Kummer:
Der Mutter auf den bebenden Knien
Den Heiland im Todesſchlummer!
Doch horch, ertönt's von Klängen nicht,
Bon heitern, bei der Kapelle?
Der Frevler, der ift ein Frohgeſicht
Und Zither fpielt er zur Eielle,
434
— —
—
rn *
Gedenlt er tröſtend mit feinem Lied
Die Schmerzensreihe zu grüßen
Und fol was hell die Saiten durchzieht,
Den Schlaf des Dulders verjühen ?!
Ei, ſchattig ift das Plätzchen und ſchön,
Der Burſch hat Feierſtunde,
Vom Bühl entjhwebt das fühe Getön
Freiluftig in die Runde.
Vielleicht foll's doch auch Andacht jein? —
Zu ſpielen behagt ihm eben;
Mit nichten denft er an Sühn’ und Pein,
Denn leicht noch trägt er am Leben.
Dwei Briefe von 3. ©. Leidl an Chriſtian Schad.“)
Mitgetheilt dur Anton Englert.
Verehrteſter Freund!
Ihr wertes Schreiben vom 16.d.M. |fegentlih Ihren
macht mich einigermaßen verlegen, da
es auf Vorausſetzungen beruht, denen
zu entſprechen ich micht im der Lage
bin. Sie fheinen nämlich der Meinung,
dafs unter uns Wiener Poeten eine
Art innigeren Verhältniſſes herrſche;
das ift leider! durchaus nicht der Fall.
Menu nicht bisweilen der Zufall auf
der Straße uns einander entgegen»
geführt, jo fehen wir uns das ganze
liebe Jahr lang nicht. So bin id
denn mit feinem der genannten Herren
(Halm, Grün, Hebbel, Zed—
liß, Grillparzer u. d. ü.) aud
nur in der entfernteften Berührung
und niemand hat mir Beiträge für
Ihr fo Löbliches und dankenswertes
Unternehmen übergeben. Bin ich doch
jelbft für mein eigenes Taſchenbuch
„Aurora“, fo alt eingebürgert es
ift, nicht imıftande, von diejen Herren
etwas zufammenzubringen, Die lei—
dige Politik Hat alles abjorbiert, und
die arme Poeſie ift vor die Thüre
gewiejen. Daher auch dieſe Indolenz
gegen jede noch ſo freundliche Ein—
ladung.
Herrn A. X. Schurz, dem en—
Eiche die Anmerkung Seite 310.
thufiaftifchen Verehrer feines erklärten
Schwagers Lenau, werde ih ge=
herzlichen Dank
melden.
Das junge Öfterreich ift mir gänz-
lich ferngerüdt; diefe Herren mit ihren
Negationsgelüften können, troß Ihres
unbefirittenen Talentes, fo wenig mich
erwärmen, daſs ich Feine Neigung
fühle, mich ihnen aufzudrängen.
Leider verliert man bei folder
"Stimmung jede Luft zum Schaffen,
und verfumpft täglih mehr in pro=
ſaiſcher Abjpannung.
Berzeihen Sie mir diefe Jeremiade
und entfchuldigen Sie damit meine
Unfähigkeit, Ihrem ſchönen Zwede
mehr zu widmen, als meine herzlich-
ften Wünſche.
Mit wärmſtem Gegengruß und
Handſchlag
Ihr ergebenſter
Joh. Gabr. Seidl.
Wien, 22. Yänner 1851.
Hochverehrter Herr!
In Erwiderung Ihrer werten
Zufehrift vom 9. d. M. erlaube ih
mir, Ahnen beifolgende poetijche
Arbeit von Hammer-Purgftall („Das
ge
Archiv der Liebe” *) einzufenden,
und zwar mit den nachitehenden Ber
merfungen, aus denen Sie für eine
etwaige Redactionsanmerfung (wenn
Ihnen eine jolche nöthig fcheinen follte)
benüßen können, was Ihnen beliebt.
Auf die Repräfentation meines
Namens im deutihen Mufenalmanade
habe ih ſchon im vorigen Jahre, ich
geitehe es, nicht ohne ſchmerzliches
Gefühl, verzichtet; allein die ganz
veränderte Richtung meiner Thätigkeit
nöthigt mich, nicht nur mit meiner
poetiſchen, ſondern wahrſcheinlich auch
mit meiner literariſchen Theilnahme
an der Offentlichkeit überhaupt, unter
Vorbehalt eines ganz kleinen Gebietes,
abzuſchließen; immer troſtvoller, ſich
der Täuſchung hingeben zu können,
dafs man durch ſeine Pflicht an
etwas gehindert wird, was man gerne
noch könnte und thäte, als ſich offen
ſagen zu müſſen: „Die Zeit des Kön—
nens iſt vorüber!“
In Betreff Hammer-Purgſtalls
verhält es ſich folgendermaßen. Der
berühmte Verewigte, mein alter ver—
ehrter Freund und College, hat mir
feinen literariſchen Nachlaſs
teſtamentariſch vermacht, mit dem aus—
drücklichen Wunſche, daſs ich um die Her—
ausgabe desſelben mich bemühen möchte.
Ich wendete mich daher an einen der
rennommierteſten Buchhändler Deutſch—
lands, den Verleger einer der erſten
literariſchen Publicationen Hammers.
Zweimal um den Gratis-Verlag drin—
gend erſucht, lehnte er zweimal ab.
Mehrere mündliche Anfragen bei hie—
figen Buchhändlern blieben ebenfalls
reſultatlos. Das werte Vermächtnis
Icheint daher beftimmt, zu liegen, bis
es früher oder jpäter mit meinem
eigenen Nachlaſs in den Käſeladen
wandert, Duum! — sed ultra posse
nemo tenetur. Der Hammer'ſche Nach—
laſs umfasst folgende Piecen: 1. Anka
7 Deutſch. Muſ.⸗Alm., 8. Jahrgang
(1858), ©. 230 ff.
4
oderdie Weiäheitdes Dftens.
Ein moslimiſches Lehrgedicht in jieben
Nachtfeiern. 2. „Der Schiffbruch
des Falconett.“ Poetiſche Erzäh—
lung aus dem Engliſchen. 3. „Die
Affaffinen.” Trauerfpiel in fünf
Aufzügen. 4. Eine große Anzahl von
DOriginalgedidten und von
poetijhenBearbeitungenaus
den meilten lebenden Spraden, ja
jelbft Originalpoefien in franzöfijcher,
englifcher u. j. w. Sprache. Alles in
allem dürfte vier ftaatlihe Bände
mindeftens füllen; bei ftrenger Aus—
wahl liege jih das Gharakteriftifche
auf zwei ſtarke Bände reducieren.
Bon den Driginalgedidten
wollte ich Ihnen feine Proben für den
Muſenalmanach mittheilen, weil dieſe
einzeln bereits ſämmtlich ge—
drudt waren und nur einer Samm—
lung entgegenjehen. Scenen aus einem
Tranerfpiele herausreiken, erinnert
mich immer an den Hausbeſitzer, der
als Probe jeines Haufes einen
Stein zur Schau bot. Die Über»
ſetzung aus dem Englifchen bietet
zu wenig Charakteriſtiſches. Ich wählte
daher ein ziemlich abgejchlofjenes Frag⸗
ment aus einen Gedichte, das zunächit
dem Boden angehört, auf dem Ham—
mer theils ſelbſtwirkend, theils anre—
gend das Bedeutendſte geleiſtet Hat.
Auch enthält dieſes Bruchſtück wahr-
haft poetiſche Stellen.
Mit dem Wunfche, Ihren Erwar-
tungen entjprochen zu haben, erjuche
ih Sie nur, mir feinerzeit, falls das
Eingejendete benüßt wird, für Die
Tochter des Herrn Barons, Freiin
Tonder-Trenf, ein Eremplar des
Almanachs zugehen laflen zu wollen.
Mit freundſchaftlicher Hochachtung
Ihr ergebenſter
Johann Gabriel Seidl
t, k. Schatzmeiſter.
Wien, am 20. Auguſt 1857.
28*
-
Kine fleirifhe Stadt vor zweihundert Iahren.
m Often von Mittelfteiermarf, , Sitten ablegen und ſich ehrbarer ver-
Rynahe der ungariſchen Grenze, liegt halten wird.“ Hinwiederum ließ der
* die alte Stadt Fürftenfeld. Wie es | Rath ſich nicht ungern beſtechen, ſowie
in —— Stadt vor zweihundert Jahren |er höhere Behörden zu Graz und Wien
bergegangen ift, das berichtet eine mit Wein, Wildbret, ſelbſt mit barem
genaue, und duch Hans Lange ver: | Gelde zum Wohlwollen für das „arınbe
mittelte Urkunde im deſſen Buche: | grenzftadtl” anzuregen pflegte. Wurde
„Eine fteierifhe Stadt im 17. Jahr: | vom Richter oder Rath eine Hobe
hunderte” (Graz, U. Mofers Buch- | Geiftlichkeit beleidigt, fo unterjagte fie
handlung). Dieſe Urkunde ift höchſt in der Stadt die Abhaltung des
wertvoll, fie gibt uns ein Sittenbild | Gottesdienftes. Sonft aber wurden
jener Zeit überhaupt. Alſo wie in die firchlichen Geremonien auf das
Türftenfeld, wird es auch in anderen |allerftrengfte durchgeführt. Während
fteierifschen und deutichen Städten zu |des Gottesdienfls an Sonn- und
jener Zeit gewefen fein. Dans Lange | Feiertagen durfte in der Stadt fein
hat feine Schrift aus alten amtlichen | Wagen fahren, fein Wirtshaus offen
Aufzeihnungen und anderen Urkunden | ftehen. Wer zur beftimmten Zeit micht
zu Fürſtenfeld gezogen, er ſtellt z. B. beichten wollte, wurde zu Leibes- oder
dar, wi + Geldftrafen verurtheilt. 1666 ließen
genommen, der Rath und der Stadt: ‚die Fürſtenfelder Auguftiner= Mönche
richter gewählt, die Stadt verwaltet | eine Beichte nicht gelten, die ohne
wurden; er gibt ein interefjantes Bild ihre Einwilligung anderswo verrichtet
von dem Gerichtswefen, von Kirche wurde. Daſs Anderigläubige katholiſch
und Schule, der Landwirtichaft, dem | werden oder fofort auswandern mufsten,
Gewerbe und dem Handel, von der, verfteht ſich von ſelbſt. Außer in der
Wehr, vom Steuerwefen, Armenwefen, | Kirche ſah es mit der Pietät nicht
Sanitätsweſen, vom gejellihaftlichen , bejonders gut aus. Der Leutfriedhof
Leben, von der Tracht und dem Aber: hatte keine Grabmal und feine Um—
glauben. Die Thatjahen kurz und zäunung, „jo daſs die Schweine und
bündig zufammengeftellt ift das Bich- | Hunde die todten Körper (der Men—
lein lehrreicher, als manches große ſchen) umberzerrien”.
gelehrte Geſchichtswerk. | Ledige Knechte und Mägde, die
Wir fehen eine Zeit der Strenge | nicht dienen wollten, mujsten die Stadt
und der Ehrjamfeit, der Willfür und verlaſſen. Die Dauer der Arbeitszeit
Gewaltherrſchaft, des feftgeichloffenen war ſehr einfah: „Yon der. Früh bis
Gemeinmwefens, der Lebenseinfachheit auf die Nacht.“ Die Gemwerbsmeifter
und der — Gorruption. Alfo: Mer |und Bürger liebten aber am Nach—
in der Stadt Gewerbe und Handel | mittag nicht mehr zu arbeiten, ſondern
treiben wollte, mujste ein Bürger der | in den Wirtshäufern der Stadt oder
Stadt fein, aber zum Bürger nahm der Nachbarorte Wein zu trinken.
man nur den ehrbaren Bewerber. Dem | Waren fie befoffen, fo gab's viele Rauf-
Sohne eines Bürgers, der 1677 fich Händel. Sole wurden im ganzen
um die Bürgerihaft bewarb, wurde ‚nicht ſtrenge geahndet; wer aber am
der Beſcheid eriheilt: „Wenn der | Tage Johannes des Täufers, als am
Supplicant vorher feine bübifchen : Tage der größten Hirchtagsfreiheit, in
einen Raufhandel jemanden verlehte, | Ungarn aufgehalten und als
der mujste 32 Gulden zahlen ober
die rehte Hand hergeben (1689).
Nah adt Uhr abends, oder nad) ger |
läuteter Sperrglode durfte in den
Wirtshäufern fein Wein mehr ge-
Ihänft werden; aber es gab Ummege.
Bier wurde wenig getrunfen und hatte
der einzige Brauer der Stadt noch
Zeit, das „Wetterfchießen“ zu bejorgen.
Der Aberglaube war in manchem
unglaublich entwidelt. „Zauberiſche“
Leute wurden ohne viel Uinftände
abgefangen und verbrannt. Gegen Un—
redlichleiten gab e3 ſtrenge Maßregeln.
Der Bäder, welcher zu geringes Ge⸗
bäck machte, konnte mit einem Brot—
Bürge
feſtgenommen. Im umgekehrten Falle
machten es die Fürſtenfelder jo.
Bejonders intereflante Daten über:
liefert und 9. Lange von dem Ger
richtsweſen. Etliche derſelben wollen
wir hier anziehen.
Klagte in Civilſachen — beſonders
wegen Schuldforderungen ein
Fremder einen Fürſtenfelder Bürger,
ſo wurden die Termine ſo weit als
möglich hinausgeſchoben; klagte ein
Bürger einen Bürger, ſo war das
Verfahren ein weit kürzeres.
Klagte ein Bürger einen Inmwohner,
einen Nichtbürger, jo war das Ver—
fahren das kürzeſte: er wurde jo lange
laib um den Hal3 gebunden an den in Arreſt gejebt, bis er bezahlte.
Pranger geftellt werden.
Menn ein:
Gewöhnliche Schimpfereien unter
Schneider einem Bürger das Kleid der Bürgerſchaft wurden „Greinhandel“
vermachte, jo hatte die Zunft es dem genannt. (1625.)
Bürger zu vergüten.
Berjchönerungsvereine gab es da=
mals noch nicht, jeder Unrath, auch | gerichtlich belangen wollte,
Menn ein Bürger einen anderen
wegen angethaner Ehrenbeleidigung
jo mujste
der „Unduft* der Aborte wurde auf| der Kläger den Beklagten erjt befhiden,
die Gaſſe geworfen. Feindesüberfälle,
d. 5. er lieb letzteren durch zwei
Peſt und andere Seuchen drohten | Männer um Satisfaction erfuchen ;
immer, troßdem wurden in Fürſten—
jeld, das in 238 Häufern etwas über
1000 Einwohner zählte, innerhalb
zehn Jahren (1653 — 1663) um 203
Perſonen mehr geboren, als in dieſer
Zeit ftarben, Die Stadt hatte feinen
Arzt, zumeift nur einen Bader,
Mijstrauifh waren die Bürger
von Fyürftenfeld gegen den del, her—
rich gegen den Bauer, der damals
no unfrei war. Die Stadt war arm,
erhielt jih aber ſtets jelbjtändig und
Hand in Verkehr mit Graz, Billa),
Rottenmann, Wien, Nirnberg und
vielen anderen Handelsorten. Viele
Bürgerfamilien ftammten aus Baiern
Baden, Würtemberg, und jelbit aus
Preußen. Vom nahen Ungarn fiedelte |
ih felten jemand hier an, mit diefem
Lande lebte die Stadt vielmehr im,
Wenn ein Bürger |
jemandem in Ungarn Geld jchuldete |
fo wurde ber,
in
einer Art Fehde.
und er zahlte nicht,
nächftbefte Fürftenfelder Bürger
erft dann, wenn diefe verweigert wurde,
fonnte die Klage bei Gericht mündlich
oder ſchriftlich vorgebracht werden.
Bei Klagen wegen Ehrenbeleidigungen
gegen Frauen war die erite Juſtanz
der Mann; der Släger mufste erit
den Mann bejhiden und konnte erjt
nach verweigerter Genugthuung bei
Gericht Klagen, ſonſt wurde die Klage
Unordnung halber abgewiefen.
trauen bejaßen fein Redt, bei
Gericht jelbft Hagend zu erfcheinen; fie
fonnten ihre Klagen nur duch Männer
‚ anbringen lafjen. Ein Weib war aud
al3 Fundamentalzeuge „nicht genug“.
(1670.)
Der Untertdan konnte nur dur
feinen Deren oder deſſen Stellvertreter
Hagen.
Das Beihiden, auch gütliches Er—
juchen genannt, und das lagen durfte
niht am gleihen Tage gejchehen;
dies war „Unordnung“.
Wenn nun ein Bürger den an—
—
deren an ſeiner Ehre angriff, ſo muſste
er dies beweiſen; der Überwiefene,
weil er den Anwurf nicht erweiſen
kann, ſoll aus der Stadt geſchafft
werden, lautet ein Beſchluſs der Bür—
gerſchaft im Jahre 1618. Nennt einer
den anderen einen Schelm, und er faun
es nicht beweilen, jo ift er jelbit ein
„Schelmb“.
War bei Gericht die Weifung un—
gleich, d. h. wurde bei gegenfeitigen
1 — 9—
habe wider ſeinen Willen dienen
müſſen, welches manchem redlichen
Soldaten widerfahren ſei. Nun ſind
alle ſolche Dienſte vom Kaiſer par—
doniert und für redlich angenommen
worden. Strafe des Acermaun:
10 Reichsthaler. (1658.)
1625: Der Beklagte hat ſich
(wegen Ehrenbeleidigung) auf dem
freien Platz oder vor dem Pranger
öffentlich auf das Maul zu ſchlagen,
Beleidigungen durch die Zeugen —— für einen untüchtigen und unehr—
Hargeftellt, wer eigentlich Beleidiger
oder wer der Beleidigte war, ſo wurden
Kläger und Geflagter beſtraft.
MennBirgereinander beihimpften,
ohne die gethanen Scheltworte erweifen
zu können, und fie verglichen fich
außergerichtlih, 3. B. beim Weine,
fo wurden beide beftraft. Auch wurde
das Greifen in den Bart beitraft.
(1626.)
Zwei Bürger, die ſich gegenfeitig
„bös“ beichimpften, wurden jo lange
liden Mann zu balten und ift dann
von der Stadt zu jchaffen.
1626: Zwei Bürgersfrauen be=
leidigten fich gegenfeitig. Urtheil: Die
Männer werden ihre Weiber zu züd-
tigen willen, „und weilen fie ihren
Weibern jelbften nicht Herr fein können,
follen fie an ihrer Statt jeder zween
Reichsthaler zur Straf erlegen.”
1626: Ein Bürger ‘redete über
einen Rathsbürger Üble. Urtheil:
Er Hat ſich in Gegenwart der ver—
ihrer bürgerlichen Pflicht entſetzt und fammelten Bürger auf das Maul zu
hatten ſich der Gemein zu enthalten, ! ſchlagen und der Stadtrichter wird
bis ſie die Injurien und Scheltworte ihm eine Geldſtrafe zu geben wiſſen.
„einer auf den anderen darthun“.
Strafen bei Ehrenbeleidigungen
waren: Offentliche Abbitte, Geldbußen
und Arreſt;
gergewölb“, Bürgerzimmer, am Rath—
hauſe abgeſeſſen. —
Im Folgenden führe ich einige
Ehrenbeleidi=
erfolgte Strafen
gungen an.
für
Dans Hauber klagt den Rathsherrn |
Adam NAdermann, daſs er ihn einen
Schelm, einen Dieb und Rauber ge=
nannt babe. Adermann verantwortete
fih: Hauber habe bei den Schweden
(im Dreißigjährigen Kriege) gedient,
was nicht redlich war, ergo fei er ein
leßterer wurde im „Bürs |
und fein Weib fjolde muthwilligen
‚und jchlimmen Reden einftellen und
Schelm, und weil er vom faifer feinen
Abjchied habe. Ferner habe er des
Kaifers Länder ausrauben helfen, ergo |
jei er ein Dieb und Rauber. Hauber
ſpricht: Er habe dem Herzog aus
Tirol gedient und fei bei Landau am
Bodenſee von den Schweden gefangen, |
aber nicht mehr ausgelöst worden,
1632: Einem Gellagten wird vom
Gerichte befohlen, damit das Gericht
wegen feiner und feines MWeibes nicht
Urſachen zu ftrafen habe, jo foll er
joll er fih und feinem Weibe das
Maul verbinden.
1645: Eine Bürgerin bejhimpfte
einen Bürger: der Rath befahl ihrem
Manne, er jolle ihr ein „beilres Bijs
ums Maul legen“,
1684: Ein Bürger beleidigte eine
ledige Bürgerstocdhter. Strafe: Es
fol dem Bellagten wegen feines uns
gewajchenen Maules ein guter Verweis
gegeben werden.
1689: Eine Bürgerin beſchimpfte
den Stadtwachtmeiſter. Es wurde ihr
gerichtlich damit gedroht, dafs fie im
Wiederholungsfalle mit einer Fidel
‚um den Hals in der Stadt herum—
geführt werde.
1690: Der Stadtrichter Hagte
eine Rathsbürgerin, dafs dieſe feine!
‚ 439
1661: Eine Bürgerin ſchnitt ihrer
Frau beleidigte. Der Rathsbürger ver= | Magd wegen „eines böfen Verbachtes
theidigte feine rau, dafs dieſe nur
in der Hißigfeit jo geſprochen, weil
die Stadtrichterin feiner Frau einſt—
mals „Stillſchweigen“ geheißen, denn
es gebühre einer Stadtrichterin nicht,
jeiner Liebften ſtillſchweigen zu heißen,
weil diefe und die Stadtrichterin fo
weit don einander wären, als wie
Himmel und Erde, denn feine Liebfte
wäre eine geborene Gräfin (was aber
nicht wahr war). Urtheil: Der Raths—
bürger joll fein Weib in den nächſten
drei Tagen wohl empfindlichft ftrafen,
widrigenfalls fie eine fchärfere Strafe,
die ſich der Rath referviert, unfehlbar
erhalten würde, mit Erwiderung, dafs
man mit ihr nicht wie mit einer
Gräfin, als für welche man fie der—
zeit nicht erkennt, fondern wie mit
einer Bürgerin verfahren wird.
1626: Ein Inmwohner fagte, die
Fürftenfelder Bürgerſchaft ſei zu
Kriegszeiten zu den Stadtthoren hinaus-
gelaufen. Beichlufs des Rathes: Der-
jelbe Hat der ganzen ehrfamen Bürger:
Schaft abzubitten; er foll niederfnien
und ſolche „ausgegofjene Red wiederumb
zu fih nehmen.“
Schlägereien. 1657. Strafe:
1 Reihsthaler oder 4 Tage Wrreft,
„was er lieber thun will“. Iſt im
Urreft verblieben.
1677: Ein Bauer jchlug einen
Bauern in der Freiung. Decisio: Der
Geflagte ſoll 32 fl. oder die rechte
Hand hergeben und ſich mit dem Be—
leidigten vergleichen; wenn er aber
bittet, joll es auf 8 Thaler gelafjen
werden.
1678: Ein Fleifhhauer verwuns
dete im Naufhandel einen Bauern.
Strafe: Ein Dutzend geſelchte Zungen
für den Rath.
1695: Ein Bürger ließ feine
Dienftmagd in Urreft fegen und ſchlug
fie dort. Strafe: Weil er dem Gerichte
vorgegriffen, zahlt er demjelben 4 Tha—
ler, der Dienftmagd 2 Thaler und
den Baderlohn.
mit ihrem Mann“ ein ab.
Strafe: 6 fl.
Gefährliche Drohung. 1645
Ohr
bedrohte der Stadtrichter mit dem
Degen einen Rathsbürger. Der Ma-
giftrat beſchloſs: Der Stadtrichter Hat
bei Pön von 100 Ducaten fo lange
in jeinem Haufe zu verbleiben und
joll feinen Fuß mehr daraus feken,
bis die Sache zwiſchen den Parteien
gejichlichtet fein wird. Der Stadtrichter
mujste zwei Rat3herren und zwei
Bürger als Bürgen ftellen, daſs er
dem Bedrohten nichts thue. —
Gottesläfterung. 1657 fagte
ein Bürger: Wie fann unjer Herrgott
fo närriſch fein und ſolche Thiere er—
jhaffen, die dem Menſchen jchaden.
(Die Spagen fragen feinen Hirs am
Felde.) Urtheil: Er hat zur Strafe
ein fteinernes Kreuz bei feinem der
zu errichten.
Betrug. Ein Bürger ließ bei
einem Meſſerſchmied die Betjchaft eines
anderen Bürgers „nacdhgraben“. Strafe:
Er foll duch 24 Stunden an der
Kette gehängt bleiben und dem bes
treffenden Bürger eine Abbitte thun;
auch Hat der Vater des Thäters für
feinen Sohn Bürgfchaft zu leiften.
Diebftahl. Diebftähle von Ge—
genftänden geringeren Wertes wurden
vom Gerichte oft gar nicht geahndet, ſon—
dern Kläger und Geklagter jollten ſich
vergleichen; 3. B. beim Diebjtahle eines
Salbes, von Getreide, von Gras.
ZTafchendiebftähle wurden durch
Geldftrafen gefühnt.
1658: Ein Bürger ftahl Schanz—
zeug, als die Stadtwälle ausgebeflert
wurden. Strafe: Y, Tag lang foll
er auf dem Ejel in der Schanz ſitzen
und eine Haue und einen Krampen
bei fi tragen.
1677: Einer ftahl ein „Stückl“
Leinwand. Urtheil: Er foll um 3 fl.
geftraft und foll ihm das Land bis
auf Wohlverhalten verwiejen fein.
1678: Zwei junge Zaglöhner
ftahlen Ketten, Pflüge, Eggen, Nägel
und Rosmarinftöde. Sie wurden den
ſpaniſchen Werbern nad Graz über:
geben.
Undere ftrafbare Hand:
lungen. 1633: Eine Magd, welche
ihr Kind gleih nad der Geburt ges
tödtet haben foll, was aber nicht er=
wiefen war, erhielt folgende Strafe:
Sie fol zur Buße drei Sonntage in
der Kirche fnien, mit der Rute und
brennenden Kerze in den Händen, auch
darüber Reue und Leid tragen und
zur Beichte gehen; außerdem foll fie
die Atzung während ihrer Unterſuchungs-
haft zahlen,
1688: Eine Magd zieh ihren
DienftHeren fälſchlich des Diebftahls.
Strafe: Sie wurde an den Pranger
geftellt und mit Ruthen beim Stabtthore
hinausgeftrichen.
1701: Eine Landjtreiherin er-
—
hielt vom Abdecker die Fidel umge—
hängt und wurde zur Stadt hinaus—
geführt. *)
Manchmal trat man an den Ma=
giftrat mit Geſchenken heran, damit
eine anhängige Rechtsſache gefördert
werde. 1632 bot ein Verwalter in
einer ſolchen Angelegenheit Richter und
Rath ein Frühftüd an. Rathſchlag:
Seine Rechtsſache wird befördert, „die
Frueſtuck aber nit begert werden, dem
Einen Erfamen Magiftrat wenig daran
gelegen it“.
Schon in diefen wenigen Aus—
zügen treten uns die Zuftände jener
Zeit plaftifch und draftifch entgegen;
um wie viel voller, einheitlicher und
farbenreicher ijt das ganze Bild, das
eine verdienftliche Feder uns in dem
Werke: „Eine fteieriihe Stadt im
17. Jahrhunderte” gegeben hat.
M
Befeelte Saden.
Belenntniffe aus dem Leben.
Bon P. R. Rofegger.
u den vielen Schwächen, welche] oder ein Felſengebirge, jo kann die
Im Kampf ums Dafein mir) höchft natürliche Urjahe im Schön:
2 ein wenig abträglich find, ges | heitsgefühl
liegen. Liebt man ein
hört meine Anhänglichteit an lebloſe Bild, ein Blatt Papier von theuerer
Dinge. Wenn man fein Herz an ein) Hand, eine Haarlode, einen Ring, jo
Pferd, einen Hund, eine Habe, einen| fpielen da die mächtigen Gewalten des
Bogel hängt, fo begreift fich das; wir) Herzens mit. Schließt man jih an
willen in dem Thiere ein Gefühl, jehen | ein Feld, an einen Wald, an einen
in demfelben eine Gegenneigung, ahnen | Garten, fo kann das der Nüßlichkeits-
an ihm fogar etwas wie Liebe und | finn maden. Wenn man im Gemüthe
Dankbarkeit. Hat man eine Blume gerne, | aber an einem alten Kleidungsftüde,
oder einen Fluſs, oder einen See, | an einem halbvermoderten Schranf, an
*) Anführungswert ift folgende Strafe aus dern Jahre 1777: Clemens Wallis wird
angellagt, daſs er fein Weib mijshandle, ftreitjüchtig ſei und auf die geiftlihe und
weltliche Obrigfeit fhimpfe. Strafe: Der Gellagte hat im Winter bis längftens
7 Uhr abends zuhauſe zu fein, feinen ehelichen Gegentheil bejheidentlich zu halten,
das übermäßige Trinfen und Spielen zu meiden, am freitag und Samstag fih des
Bleifheffens zu enthalten, bei Aufnehmung einer Dienftmagd feiner Frau die freie
Wahl zu laſſen und ihr diesfalls nicht im mindeften etwas einzureden, täglih eine
heilige Meſſe anzuhören und in Zukunft mit feiner Frau und den Hausleuten in
Ruhe und Frieden zu leben. Alles bei Strafe von 25 Prügeln und breitägigem
Faſten bei Wafler und Brot.
441
beftimmter Ede eines Zimmers hängt,
jo jcheint das wohl zweck- und ſinn—
08 und eine manchmal fogar lächer—
liche Schwäche zu fein.
Ich ſchäme mich diefer Schwäche
faum, fie bedeutet für mich ein Ta—
lent, mit Dingen glüdlih zu fein,
mit denen viele andere nichts anzu»
fangen willen. Zudem, feelenlofe Ge-
genftände kann man ja befeelen, faft
zu einer lebendigen Perſon machen,
oder, jie bejeelen fih im Laufe der
Zeit und der Geſchicke felbit. Jedes
der alten Möbel, die in meinem Zim—
mer ftehen, hat für mich eine beftimmte
Phyſignomie befommen, mit der es
entweder ernft dreinſchaut, wie der
Uhrkaſten mit der Uhr, oder einneh-
mend lächelt, wie die Schublade, oder
Ihalthaft blinzelt, wie der Spiegel,
oder beſchaulich dalehnt wie der Seſſel,
oder bereitwillig mitarbeitet wie der
Schreibtiſch, oder friedlich ſchlummert,
wie das Belt, oder ein dummgut—
müthiges Bebdientengefiht macht, wie
der Stiefelfnedt.
Mein alter Schreibtiich, an welchem
ich meine Erſtlingswerke verfajst, die
reinften literarifchen Freuden genofjen,
die erflen Erfolge erfahren, er ſteht
ſehr unbeholfen und ungefüg da in
der Stube, er zerftört den „Stil“ der
Einrichtung ; gute Belannte befhwören
mich, diefes Möbel zu entfernen. Ich
fann es nicht, ich will es nicht. —
Manchmal, wenn ich in traulich einfamen
Stunden in der Stube auf» und ab—
gehe, trete ich zu dieſem Schreibtifche,
und wie ein alter Krieger fein inva—
lides Pferd fireichelt, mit dem er
Schlachten geichlagen, fo ftreichle ich
das alte Möbel, das ich lieb Habe,
aus Dankbarkeit als ein Denkmal
glüdlicher Stunden der Vergangenheit.
Trete ich eine Reife an, jo verab—
ihiede ich mich förmlich von einzel=
nen Einrihtungsftüden und Bildern,
wenn ich hereinkomme, grüße ich jie
ebenfo Herzlich. Und bin fogar eifer—
ſüchtig. Die Wanduhr darf in meiner
Abwejenheit nicht ihre Zil»Tat ſchla—
— — — Ten
gen, ich ſtelle ſie früher ab, ziehe ſie
aber auf, damit ſie bei meiner Rück—
kunft ſofort in Gang geſetzt werden
kann. Mir iſt auch nicht darum, daſs
der Zeiger richtig die alltägliche Zeit
anzeige, ſie mag Mitternacht haben,
wenn ich mein Morgenbrot einnehme,
oder Abend, wenn ich Mittag eſſe,
ganz wie es ihr beliebt, ſie wie ich
richten uns nach keiner Stunde. Ich
brauche auch ihr aufdringliches Aus—
rufen der Stunde nicht — ſie ſei die
richtige oder unrichtige — darum habe
ich ihr den Mund verboten, das heißt,
das Schlagwerk geſperrt. Nur ihren
ernſtgemüthlichen Pendelſchlag will ich
ſtets hören, der des Tages mir das
Gefühl der Einſamkeit verſcheucht und
in der Nacht manchen unwirtlichen
Traum löst, Wenn ih fremd im
Eifenbahnzuge fie, mein Gepäd,
meine Yahrfarte nicht weiß, höchſt
jpärlich bekleidet bin und im nächiten
Augenblid ausfteigen joll, jo iſt das
eine unangenehme Sache, aus der
den Träumenden das Tik-Tak der
Uhr endlich wedt. Alſo if es
auch, wenn ich auf hohem Gebirge,
auf einem Felsvorfprung liege, jeden
Augenblid in Gefahr, in die Tiefe zu
ftürzen, meine Sameraden verloren
babe, fie für verunglüdt Halten muſs,
da jagt die Uhr: Tik-Tak, wach’ auf,
du bift daheim mwohlgeborgen in deiner
Stube.
Der Gewandfaften, der Bücher:
ſchrank, der verräucherte Kupferſtich
an der Wand, das Kreuz aus Lär—
chenholz meines Heimatswaldes, ganz
ſchlecht geſchnitzt, es find nichts weni—
ger als Zierden, ſie machen die Woh—
nung nicht ſchön, aber ſie machen mir
ſie lieb. Sie ſind bei mir geweſen in
den Zeiten großer Armuth, in den
Tagen des Leides, in Jahren anſpruchs—
loſer Jugendluſt — und jetzt, da es
mir beſſer geht, ſoll ich ſie verabſchie—
den? In die Rumpelkammer ſtecken
oder gar dem Trödler verkaufen? So
undankbar mag ich nicht ſein. Der
Menſch darf ſich auch gegen lebloſe
ur a ne
Fe U
=.
Dinge einer Art von Dankbarkeit bes
fleißen, damit er fie um fo leichter
übe gegen lebendige Wejen, gegen
Thiere, die ihm gedient, gegen Men—
ſchen, die opferwillig ihm Gutes ge—
than haben. Die Pietätlofigkeit gegen
Eaden, welche auf langen Lebens
wegen uns begleitet haben, iſt das
Zeichen eines eigennüßigen, dankloſen
Herzens. Auch ich Habe mich anzukla—
gen in manden. Ein Edtäfihen aus
meinem Baterhaufe, in welches der
Vater einft die geweihte Wachskerze, das
Steuerbüchel und den Bauernkalender
gethan, in welches die kranke Mutter ihre
Medicinen, ihr Eislöffelhen, ihr Gebet-
buch zu legen pflegte, war mir viel
zu rußig und wurmftichig geweſen für
die Stadtwohnung, ich verfchentte es.
Nah einiger Zeit wollte ich das alte
Käftchen zurüdfanfen, aber es war nicht
mehr zu finden, e8 war wohl von
fremden Händen mit Verachtung zer-
trümmert und in den Ofen geworfen
worden.
Ih kann mir ohne Herzweh vor-
ftellen, wenn fie einft meinen geftor-
benen Leib ohne viel Umftände hin—
austragen und irgendwo vergraben
werden; aber wie nach meinem Tode
die Trödler fommen und meine „Sachen“
verjchleppen, auf den Fetzenmarkt wer—
fen, die Leute darum ein bifschen feil—
Shen und dann mit MWegwerfung vor»
übergehen werden, das darf ich mir
nicht lebhaft vorftellen, ohne in Trau—
rigfeit zu verfallen. Und es ift ja
wahr, ein Menfchenleib, der geitorben,
ift ganz feelenlos, kann nichts mehr
wirken, kann niemandem mehr gefäl«
lig fein und niemandem zur Freude;
ein Kaften, ein Bild, ein Tiſch, für fo
leblos es auch gilt, kann immer wieder
etwas leiften, den Menjchen dienen,
ihnen Behaglichkeit oder Vergnügen
bereiten. Alfo lebt mancher „lebloje”
Schrank Jahrhunderte lang, erlebt eine
Meltgefhichte und eine eigene, eine
Schrankgeſchichte, könnte feiner treuen
Dienfte wegen in den Adelsſtand er—
hoben werden, wie das ja gleichſam
der Fall ift in ariftofratiichen Häu—
fern, wo ſolche Gegenjtände forgfältig
bewahrt werden von Gefchlecht zu Ge—
ihleht und ihre Wappen aufgedrüdt
haben, und endlich, wenn fie ganz un
brauchbar geworden, in einem alten
Schloſſe ihre Benfion genießen, bis fie
vollends in Moder zerfallen.
In einem Hauſe, das ganz
nach der Mode eingerichtet iſt, wo
man kein altes Stück und nicht die
geringſte „Stilloſigkeit“ findet, leben
Parvenus, und noch dazu ſolche, die
nicht gemüthlich ſind, nicht herztreu,
denn ſonſt müſste ſich ein oder das
andere Andenken an Eltern, Geſchwi—
fter oder Familienereigniſſe immerhin
finden. Ganz fo gleichgiltig, wie fie
die Saden angekauft, fünnen fie die-
jelben wieder weggeben, fie bleiben
fremd in ihrer eigenen Wohnung, oder
mit einem praftifcheren Worte, fie blei—
ben unabhängig gegenüber den Cana—
pees, Fauteuils, Commodeurs, Eta—
geres, Secretärd u. |. w. — Und es
ift ganz Hug, das.
Ya, lächerlich mag es jein, das
Schifflein des Lebens mit unprafti-
ſchem Ballafte zu füllen, für den der
Name „Gerümpel“ manchmal nicht viel
| gut if. Auch ich lache mit, aber
aus Vergnügen über die guten Geifter
meines Hanfes, die in Holz, Papier
und Bein wohnen.
Im Speifezimmer meines Som:
merhaufes fteht ein ungeſchlachter Tiſch.
Er ift alt, mafliv, jo jchwer, dafs
zwei Perfonen dazu gehören, um ihn
von der Stelle zu rüden, und hat
bloß Platz für acht Perfonen. Unſer
find zwölf und oft noch mehr, aber
wir müſſen uns an den Tiſch zwän—
gen und allerlei Unbequemlichkeit
leiden; doch, die einfache Koſt, die
daraufgefeßt wird, jchmedt, denn es
ift der Tiſch aus meinem alten Vater:
| hauſe, auf weldem ich den erften guten
Knödel gegefien und den erften ſchlechten
| Vers gejchrieben habe.
In meinem Bücherlaften befindet
ſich eine alte Scharteke, didbaudig
eu
und unförmig, die Blätter vergilbt, der
Einband von abgeftandenem Schweing-
leder, welches jeit den vierzig Jahren,
da ich es Femme, riecht, wie ange—
branntes Horn. In diefem Buche —
es ift mehrere hundert Jahre alt —
ftehen curiofe Sachen, aber ich brauche
gar nit darin zu lefen, ſchon durch
fein Dafein erzählt e& mir allerhand
Geihichten; ich wüſste feine Verbin»
dung herzuftellen zwiſchen dem zwei
Dingen. Thatſache aber ift, dafs, fo
oft ich diefes alte Buch anfehe, mir
mein erfted — wohl ziemlich harm—
loſes — Liebesabenteuer einfällt.
In einem fehr geheimen Fache
verwahre ih ein paar Ducaten. Sie
find das ZTaufpathengeichent für mei-
nen älteften Sohn. Nun follte ich euch
einmal bejchreiben fönnen, was dieje
Goldmünzen für Augen machen! —
Genau ſolche, wie ein Heines Sind,
welches mit kirſchrunden, munteren
Auglein in die Welt blidt. Wenn
ih eines dieſer Ducatlein vorwitzig
einmal ein wenig in den Rand knei—
pen wollte, ih bin überzeugt, dafs
es aufjchriee, wie ein gefneiptes
Kind.
Im Winkel hinter meinem Bücher:
ſchranke lehnt ein altes Stüd Holz.
Es fieht aus, wie ein wmorfchender,
halbentrindeter Baumaft.
5
Ein neues Stubenmädchen, welches
wir ins Haus genommen, traf ich ge—
rade, wie ſie im Begriffe war, dieſen
dürren Aſt übers Knie abzubrechen
und in den Ofen zu ſtecken. Noch zum
Glücke konnte ich es verhindern; hätte
ſie mir dieſes Holz vernichtet, ſo
würde ich fie wahrfcheinlich ermordet
haben. Es ift ein Stod, den ich mir
einst al3 junger Menſch in den Ur—
wäldern der Inſel Rügen gefchnitten,
mit dem ih damals meine Reifen durch
die germanischen Länder gemacht Hatte,
mit welchem ich alljährlich froh erreg-
ten Herzens den Ehriftbaum anzünde
und den fie mir einft in den Sarg
mitgeben müſſen, weil unfereiner halt
auch noch im Sarge fein Plaiſirchen
haben will.
Eine befondere Einfeitigfeit in
jolher Alterthümer = Liebhaberei und
foldem Erhaltungsfinne mödte ich
aber nicht empfehlen. Wefentlih un—
ſympathiſcher als etwa ein Urgroß—
vaters-Spucknapf war mir jener Mann,
welcher das Gebetbuch ſeiner Mutter
in köſtlichem Schrank verwahrte, ſelbes
mit allerlei Ehrenbezeigungen über—
häufte, es manchmal unter den Aus—
drücken gerührter Kindesliebe ſeinen
Freunden zeigte, — die alte Mutter
ſelbſt aber unter fremden Leuten dar—
ben ließ.
Die Meinung Anderer über uns,
und was fie wert ill.
ie Leute — bejonderd die der
Demzufolge ift es wohl an der
jogenannten gebildeten Stände | Zeit, die Ehre, oder den Wert defjen,
® — pflegen viel zu wenig Wert
zu legen auf das, was fie find, und
zu diel auf das, was fie bei anderen
vorftellen. Man opfert den, was man
unter „Ehre“ verfteht, Glüd und Ge—
willen.
was andere von uns Halten, des
näheren zu betrachten,
Schopenhauer ift font nicht unfer
Mann, allein feine Betrachtungen über
diefen Gegenftand deden fih mit
unferer Anſchauung fo genau, dafs
fie Hier zum Theile plabfinden mögen.
Schopenhauer jagt:
Unfer Dafein in der Meinun
anderer wird, infolge einer bejonderen
Schwäche unjerer Natur, durchgängig
viel zu Hoch angefchlagen; obgleich
Ihon die leichteſte Beſinnung lehren
könnte, dajs es an fich jelbit, für unfer
Glück unweſentlich ift. Es iſt demnach
kaum erklärlich, wie ſehr jeder Menſch
ſich innerlich freut, ſo oft er Zeichen
der günſtigen Meinung anderer merkt
und ſeiner Eitelkeit irgendwie ge—
ſchmeichelt wird. Oft tröſten ihn über
reales Unglück oder über die Kargheit,
mit der für ihn die beiden bis hierher
abgehandelten Hauptquellen unſeres
Glückes fließen, die Zeichen des frem—
den Beifalls: und umgekehrt iſt es
zum Erſtaunen, wie ſehr jede Ver—
letzung ſeines Ehrgeizes, in irgend
einem Sinne, Grad, oder Verhältnis,
jede Geringſchätzung, Zurüchſetzung,
Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und
oft tief ſchmerzt. Sofern auf dieſer
Eigenſchaft das Gefühl der Ehre be—
ruht, mag fie für das Wohlverhalten
vieler als Surrogat ihrer Moralität
von erjprießlichen Folgen jein; aber
auf das eigene Glüd des Menjchen,
zunächſt auf die dieſem fo wejentliche
Gemüthsruhe und Unabhängigfeit,
wirkt fie mehr flörend und nachtheilig
als förderlich ein. Daher ift es, von
unferem Gejichtspunft aus, rathſam,
ihr Schranken zu ſetzen und mittelft
gehöriger Überlegung und richtiger
Abſchätzung des Wertes der Güter jene
große Empfindlichfeit gegen die fremde
Meinung möglichft zu mäßigen, ſo—
wohl da, wo ihr geichmeichelt wird,
als da, wo ihr wehe gejchieht: denn
beides hängt am felben Faden.
Der Ort deifen, was wir für andere
find, ift das fremde Bewufstjein: es
iſt die Vorftellung, unter welder wir
darin erfcheinen, Dies nun ift etwas,
das unmittelbar gar nicht für uns
vorhanden ift, fondern bloß mittelbar,
nämlich jofern das Betragen der an—
deren gegen uns dadurch beſtimmt
wird. Und auch diejes ſelbſt kommt
eigentlih nur in Betradht, ſofern es
Einfluj3 hat auf irgend etwas, wo—
dur das, wa mir in und für
uns jelbft find, mobdificiert werden
fann. Außerdem ift ja was in einem
fremden Bemwufstjfein vorgeht, als
joldhes, für uns gleichgiltig, und auch
wir werden allmählig gleichgiltig da-
gegen werden, wenn wir bon Der
Oberflächlichkeit und Futilität der Ge-
danken, von der Beſchränktheit der
Begriffe, von der Sleinlichkeit der Ge—
finnung, von der Berfehrtheit der
Meinungen und von der Anzahl der
Irrthümer in den allermeiften Köpfen
eine hinlängliche Kenntnis erlangen,
und dazu aus eigener Erfahrung
lernen, mit welcher Geringſchätzung
gelegentlih von jedem geredet wird,
jobald man ihm nicht zu fürchten bat,
oder glaubt, es komme ihm wicht zu
Ohren; insbejondere aber nachdem
wir einmal angehört Haben, wie vom
größten Manne ein halbes Dugend
Schafstöpfe mit Wegwerfung fpridt.
Auf der Bühne fpielt einer den
Fürſten, ein anderer den Rath, ein
dritter den Diener oder den Soldaten
oder den General u. ſ. f. ber
diefe Unterschiede find bloß im Aus
Bern vorhanden, im Innern, als ern
einer ſolchen Erſcheinung, ftedt bei
alleu dasfelbe: ein armer Comödiant
mit feiner Plage und Noth. Im Leben
ift es aud jo. Die Unterjchiede des
Ranges und Reichthumes geben jedem
jeine Rolle zu jpielen; aber keines—
wegs entjpricht diefer eine innere Ber:
Ichiedenheit des Glüdes und Behagens,
ſondern auch hier ftedt in jedem derjelbe
arme Tropf mit feiner Noth und
Blage, die wohl der Form nach bei
jedem eine andere ift, aber dem Stoffe,
d. 5. dem eigentlihen Weſen nad,
jo ziemlich bei allen diefelbe; wenn
auch mit Unterfchieden des Grades,
die fi aber feineswegs nah Stand
und Reichthum, d. 5. nach der Rolle
richten.
Jedenfalls ift der auf eine küm—
merliche Reſſource hingewieſen, der
fein Glück nicht in fich findet, ſondern
es bier ſuchen muſs, alfo nicht in dem,
was er wirklich, jondern in dem,
was er in der fremden Borftellung
ift. Unſere Wohlfahrt, Gewiſſen, Ges
fundheit ift das Weſentlichſte, dann
die Mittel zu unferer Erhaltung, alfo
ein ſorgenfreies Auslommen. Ehre,
Glanz, Rang, Ruhm, jo viel Wert
auch mancher darauf legen mag, können
mit jenen wefentlichen Gütern micht
competieren, noch fie erfegen: vielmehr
würden fie, erforderlichen Falles, uns
bedenklich für jene hingegeben werden.
Dieferwegen wird es zu unferem Glücke
beitragen, wenn wir beizeiten die ſimple
Einſicht erlangen, daſs jeder zunächft
und wirklih in feiner eigenen Haut
lebt, nicht aber in der Meinung an—
derer, und daſs demnach unfer realer
und perfönlicher Zuftand, wie er durch
Gefundheit, Temperament, Fähigkeiten,
Einkommen, Weib, Kind, Freunde,
Mohnort u. ſ. w. beftinmmt wird, für
unfer Glüd Hundertmal wichtiger ift,
als was e3 anderen beliebt, aus uns
zu machen. Der entgegengejegte Wahn
macht unglücklich. Wird mit Emphaje
ausgerufen „über® Leben geht nod
die Ehre”, jo befagt dies eigentlich:
„Dafein und Wohlſein find nichts;
jondern was die anderen bon ums
denken, das ift die Sache“. Wenn
man jieht, wie faft alles, wonach Men
hen ihr lebenlang mit raftlofer An—
ftrengung und unter taufend Gefahren
und Mühſeligkeiten unermüdlich ftreben,
zum leßten Zwede hat, ſich dadurch
in der Meinung anderer zu erhöhen,
indem nämlich nicht nur Amter, Titel
und Orden, fondern auch Reichthum,
und ſelbſt Wiſſenſchaft und Kunit,
im Grunde und Hauptfächlich deshalb
angejtrebt werden, und der größere
Reſpect anderer das lebte Ziel ift,
darauf man hinarbeitet: jo beweist
dies leider nur die Größe der menfch-
lichen Thorheit. Viel zu viel wert auf
die Meinung anderer zu legen, ijt ein
allgemein herrſchender Itrwahn: mag
445
er num in unferer Natır ſelbſt wurzeln,
oder infolge der Geſellſchaft und Civi—
lifation entftanden fein; jedenfalls übt
er auf unſer gefammtes Thun und
Laſſen einen ganz übermäßigen und
unferem Glüde feindlichen Einflujs
aus, den wir verfolgen können. Diejer
Mahn bietet allerdings dem, der die
Menſchen zu beherrichen oder jonft zu
lenten hat, eine bequeme Handhabe
dar; weshalb in jeder Art von Men—
ſchendreſſierungskunſt die Weifung, das
EHrgefühl rege zu erhalten und zu
Ihärfen, eine Hauptitelle einnimmt:
aber in Hinficht auf das eigene Glüd
des Menſchen, welches hier unfere Ab—
ficht ift, verhält fih die Sache ganz
anders, und ift vielmehr davon abzu—
mahnen, daſs man nicht zu viel Wert
auf die Meinung anderer lege. Wen
es, wie die tägliche Erfahrung lehrt,
dennoch geichieht, wenn die meiften
Menjchen gerade auf die Meinung an—
derer bon ihnen den höchſten Wert
legen und es ihnen darum mehr zu thun
it, als um dad, was, weil es in
ihrem eigenen Bewufstjein
vorgeht, unmittelbar für fie vorhanden
ift; wenn fie alſo das Abgeleitete und
Secundäre zur Hauptſache machen und
ihnen mehr das Bild ihres Weſens
im Kopfe anderer al3 diejes Weſen
jelbft am Herzen liegt; jo ift Diele
unmittelbare Wertſchätzung deſſen, was
für uns unmittelbar gar nicht vor»
handen ift, diejenige Thorheit, welche
man Eitelkeit, vanitas genannt Hat,
um dadurch das Leere und Gehaltlofe
diefes Strebens zu bezeihnen. Auch
ift aus dem Obigen leicht einzufehen,
dafs jie zum Vergeſſen des Zmedes
über die Mittel gehört jo gut wie
der Geiz.
In der That überjchreitet der
Mert, den wir auf die Meinung an—
derer legen und unfere beftändige Sorge
in betreff derjelben, in der Regel, fait
jede vernünftige Bezwedung, jo daſs
fie als eine Art allgemein verbreiteter,
oder vielmehr angeborener Manie an—
gejehen werben kann. Bei allem, was
446
wir thun und laſſen, wird, faſt dor der Ehrfucht, den Zod in jchredlichiter
allem anderen, die fremde Meinung Geſtalt, nebft der Ewigfeit dahinter,
berüdlichtigt, und aus der Sorge um |vor Augen, feine andere Sorge zu
fie werden wir, bei genauer Untere
ſuchung, faft die Hälfte aller Beküm—
merniſſe und Angfte, die wir jemals
empfunden haben, hervorgegangen jehen.
Denn fie liegt allem unferen, fo oft
gefräntten, weil jo franfhaft eınpfind-
lichen Selbftgefühl, allen unſeren Eitel—
feiten und Prätenfionen, wie auch
unferem Prunfen und Großthun, zus
grunde. Ohne diefe Sorge und Sucht
wiirde der Lurus kaum ein Zehntel deſſen
fein, was er ift. Welche Opfer heifcht
fie nicht oft! Die Eitelkeit zeigt fich Schon
haben, als die, um den Eindrud auf
den zufammengelaufenen Haufen der
Gaffer und die Meinung, welche man
‚in deren Köpfen zurüdlaffen wird! —
Und doch war ebenfo der in Frank—
reich wegen verjuchten Königsmordes
bingerichtete Lecomte bei feinem Pro-
ceſs hauptſächlich darüber verdrießlich,
daſs er nicht in anſtändiger Kleidung
vor der Pairskammer erſcheinen konnte,
und ſelbſt bei ſeiner Hinrichtung war es
ihm ein Hauptverdrufs, daſs man ihm
nicht erlaubt Hatte, ſich vorher zu ra—
im Finde, jodann in jedem Lebensalter, ;fieren. — An folden Zügen können
jedod am ftärkjten im ſpäten; weil fie wir jelbft uns fpiegeln; denn kolofjale
dann, beim Berfiegen der Fähigkeit Fälle geben überall die deutlichite Er—
zu finnliden Genüffen, Eitelkeit und jläuterung. Unfer aller Sorgen, Küm—
Hochmuth nur noch mit dem Geize/mern, Wurmen, Argern, Angitigen,
die Herrichaft zu theilen hat.
Beifpiel: Hinrichtung des Thomas
Mir, eines Dandwerkögejellen,, der
aus Rache jeinen Meifter ermordet
hatte. An dem zur Hinrichtung feſt—
gejegten Morgen fand ſich der hoch—
würdige Gefängntiscaplan zeitig bei
ihm ein. Allen Wir, obwohl fi
ruhig betragend, zeigte feinen Antheil
an jeinen Ermahnungen; vielmehr
war das einzige, was ihm am Herzen
lag, dafs es ihm gelingen möchte, vor
den Zuſchauern feines ſchmachvollen
Endes fih mit recht großer Bravour
zu benehmen. — — — Dies ift ihm
denn auch gelungen. Auf dem Hof—
raum, den er zu dem hart am Ge—
fängnis errichteten Galgenſchafott zu
durchſchreiten hatte, jagte er: „Wohlan
denn, wie Doctor Dodd gejagt Hat,
bald werde ich das große Geheimnis
wiſſen!“ Er gieng, obwohl mit ge=
bundenen Armen, die Leiter zum Scha=
fott ohne die geringfte Beihilfe hinauf;
daſelbſt angelangt, machte er gegen die
Zuſchauer rechts und links Verbeu—
gungen, welche denn auch mit dem
donnernden Beifallsruf der verſammel—
ten Menge beantwortet und belohnt
wurden. — Dies iſt ein Prachtexemplar
Anſtrengen u. ſ. w. betrifft, in viel—
leicht den meiften Fällen, eigentlich die
fremde Meinung und ift ebenfo abfurd,
wie das jener armen Sünder, Nicht
weniger entjpringt unfer Neid und Haſs
größtentheil$ aus befagter Wurzel.
Um jene allgemeine Thorheit los-
zjumerden, wäre das alleinige Mittel,
fie deutlich als eine ſolche zu erkennen,
und zu diefem Zwecke ſich klarzu—
machen, wie ganz falſch, verkehrt, irrig
und abfurd die meilten Meinungen
in den Köpfen der Menjchen zu fein
pflegen, daher fie an fich ſelbſt feiner
Beahtung wert find; jodann, wie
wenig realen Einfluf auf uns die
Meinungen anderer, in dem meiften
Dingen und Fällen, haben kann;
ferner, wie ungünftig überhaupt fie
meiftentheils ift, jo daſs faft jeder ſich
frank ärgern würde, wenn er vernähnte,
was alles von ihm gejagt und in
welchem Tone von ihm geredet wird;
endlich, daſs ſogar die Ehre felbit doc
eigentlih nur von mittelbarem und
und nicht von unmmittelbarem Werte
ift u. dgl. m. Wenn eine joldhe Bes
fehrung von der allgemeinen Thorheit
uns gelänge, fo würde die Folge ein
unglaublih großer Zuwachs an Ge-
aM
müthsruhe und Heiterfeit und eben—
falls ein fefteres und ficheres Auftreten,
ein durchweg unbefangeneres und na=
türlicheres Betragen fein... Der fo
überaus wohlthätige Einflufs, den eine
zurüdgezogene Lebensweife auf unjere
Gemüthsruhe hat, beruht größtentheils
darauf, daſs eine ſolche uns dem fort—
währenden Leben vor den Augen ans
derer, folglich der fteten Berüdjichtie
gung ihrer etwaigen Meinung entzieht
und dadurch uns jelber zurüdgibt.
Imgleichen würden wir fehr vielem
realen Unglück entgehen, in welches
nur jenes Streben, jene heillofe
Thorheit und zieht, würden auch viel
mehr Sorgfalt für jolide Güter übrig
behalten und dann auch dieſe unges
flörter genießen.
Die Ehre! Die Ehre ift das
äußere Gewiflen, und das Gewiſſen
die innere Ehre,
Zutrauen zu ihm alfo eine gewille,
gute Meinung von ihm zu hegen haben,
entjtehen mehrere Arten der Ehre.
Die weiteite Sphäre hat die bür=
gerlide Ehre: ſie befteht in der
Vorausſetzung, daſs wir die Rechte
eines jeden unbedingt achten und da=
her ums nie ungerechter oder gejeßlich
unerlaubter Mittel zu unſerem Vor—
theile bedienen werden.
Die bürgerliche Ehre hat zwar
ihren Namen vom Bürgerftande, allein
ihre Geltung erjtredt ſich über alle
Stände ohne Unterfhied, ſogar die
allerhödhften nicht ausgenommen; fein
Menſch kann ihrer entrathen, und es
iſt mit ihr eine gar ernſthafte Sache,
die jeder ſich hüten ſoll leichtzu—
nehmen. Wer Treu und Glauben bricht,
hat Treu und Glauben verloren, auf
immer, was er auch thun und wer
er auch fein mag: die bitteren Früchte,
Die Wurzel und der Urfprung = welche diejer Verluſt mit fich bringt,
jedem nicht ganz verdorbenen a werden nicht ausbleiben.
eimvohnenden Gefühles für Ehre und
i
Sie ift die Bedingung zur Theil:
Schande, wie auch des hohen Wertes, nahme an allem friedlichen Verkehr.
welcher erfterer zuerkannt wird, liegt
in Yolgendem. Der Menſch für ſich
allein vermag gar wenig und iſt ein
Sie geht verloren durch eine einzige
offenbar und ſtark dawider laufende
Handlung, folglih auch durch jede
verlaffener Robinfon; nur in der Ges Criminalſtrafe, wiewohl nur unter
meinſchaft mit den anderen iſt und ver⸗ Vorausſetzung der Gerechtigkeit der—
mag er viel. Darum entſteht in ihm |
das Beitreben, für ein taugliches Mit-
glied der menschlichen
zu gelten.
dadurch, dafs er erftlich das Teiftet,
was man bon jedem überall,
ſodann das, was man von ihm in
der bejonderen Stelle, die er einge-
nommen bat, fordert und ermartet,
Eben jo bald aber erfennt er, das
es hiebei nicht darauf ankommt, dafs abgehen ſollen.
|
Keſellſchaft einen negativen Charakter, näm—
Ein ſolches iſt er nun lich im Gegenſatz des Ruhmes, der
ſelben.
Die Ehre hat in gewiſſem Sinne
einen poſitiven Charakter hat.
und Denn die Ehre ift nicht die Meinung
von befonderen, diefem Subject allein
zulommenden Gigenjchaften, jondern
nur bon den der Regel nach voraus»
zufegenden, als welche fie auch ihm nicht
Sie bejagt daher nur
er es in feiner eigenen, ſondern dafs | dajs dies Subject feine Ausnahme
er es in der Meinung der anderen jei. | mache; während der Ruhm bejagt,
Hieraus entjpringt demnach fein eif: |
riges Streben nah der günftigen
Meinung anderer und der hohe,
Wert, den er auf diefe legt.
Aus den verjchiedenen Beziehungen,
in denen der Menſch zu anderen ftehen
fanıı, und in Dinfiht auf welche fie
dafs es eine made. Ruhm muſs da=
her erft erworben werden; die Ehre
Hingegen braucht bloß nicht verloren
zu gehen.
Nun gibt es noch eine von jener
allgemein und überall giltigen gänzlich
verjchiedene Gattung der Ehre, bon
— mt 4
welcher weder Griechen noch Römer
einen Begriff hatten, jo wenig wie
Ghinefen, Hindu und Mohammedaner
bis auf den heutigen Tag irgend etwas
von ihr willen. Deun fie ift erft im
Mittelalter entjtanden und bloß im
hriftliden Europa einheimifch gewor-
den, ja ſelbſt Hier nur unter einer
äußerſt Heinen Fraction der Bevöl—
kerung, nämlich unter den höheren
Ständen der Geſellſchaft, und was
ihnen nacheifert. Es iſt die ritterliche
Ehre oder das point d'honneur.
1. Dieſe Ehre beſteht nicht in
der Meinung anderer von unſerem
Wert, ſondern ganz allein in den
Außerungen einer ſolchen Mei—
nung, gleichviel ob die geäußerte
Meinung wirklich vorhanden ſei oder
nicht, — geſchweige, ob ſie Grund
habe. Demnach mögen andere infolge
unſeres Lebenswandels eine noch ſo
ſchlechte Meinung von uns hegen, uns
noch ſo ſehr verachten; ſo lange nur
keiner ſich unterſteht, ſolches laut zu
äußern, ſchadet es der Ehre durchaus
nicht. Umgekehrt aber, wenn wir auch
durch unſere Eigenſchaften und Hand—
lungen alle anderen zwingen, uns ſehr
hoch zu achten (denn das hängt nicht
von ihrer Willkür ab): ſo darf den—
noch nur irgend einer, — und wäre
es der ſchlechteſte und dümmſte — ſeine
Geringſchätzung über uns ausſprechen,
und alsbald iſt unſere Ehre verletzt,
ja fie iſt auf immer verloren, wenn
fie nicht wieder hergeftellt wird. —
Ein überflüjfiger Beleg dazu, dafs es
feineswegs auf die Meinung ans
derer, jondern allein auf die Auße—
rung einer folchen ankomme, ift der,
daſs VBerunglimpfungen zurüdges
nommen, nöthigenfall3 abgebeten
werden lönnen, wodurd es dann ift,
als wären fie nie gefchehen ; ob. dabei
die Meinung, aus der fie entfprungen,
fih ebenfalls geändert habe, und wes—
halb dies geſchehen fein follte, thut
nichts zur Sache; nur die Außerung
wird anmulliert, und dann ift alles
abgefehen, Reſpect zu verdienen, ſon—
dern ihn zu ertroßen.
2. Die Ehre eines Mannes berubt
nicht auf dem, was er thut, fondern
auf dem, was er leidet, was ihm
widerfährt. Wenn nad den Grund»
fägen der allgemein geltenden Ehre
diefe allein abhängt von dem, as
er felbft jagt oder thut: fo
hängt hingegen die ritterliche Ehre ab
bon dem, was irgend ein anderer
jagt oder thut. Sie liegt ſonach im
der Hand, ja hängt an der Zungen-
[pie eines jeden, und kann, wenn
diefer zugreift, jeden Augenblid auf
immer verloren gehen, falls nicht der
Betroffene durch einen bald zu erwäh—
menden Deritellungsproceis jie wieder
an ſich reißt, welches jedoch nur mit
Gefahr feines Lebens, feiner Gefund-
beit, feiner Freiheit, feines Eigenthunts
und feiner Gemüthsruhe gejcheben
fan. Diefen zufolge mag das Thun
und Lafjen eined Mannes das recht-
ichaffenfte und edelfte, fein Gemüth
das reinfte und fein Kopf der emi-
nentefte fein: jo kann dennoch jeine
Ehre jeden Augenblid verloren geben,
jobald es nämlich irgend einem, —
der nur noch nicht diefe Ehrengeſetze
verlegt hat, übrigens aber der nichts-
würdigjte Lump, das ſtupideſte Vieh,
ein Tagedieb, Spieler, Schuldenmadder,
furz ein Menſch, der nicht wert ift,
daſs jener ihn anfieht, fein kann, —
beliebt, ihn zu Shimpfen Man
ſieht, wie jehr viel gerade die mife-
rablen Leute dem Ehrenprincip zu
danlen haben; da es fie mit denen
mivelliert, welche ihnen ſonſt in jeder
Beziehung unerreihbar wären. — Hat
num ein folder Gauch gefhimpft, d. h.
dem anderen eine fchlechte Eigenschaft
zugeiprodhen: fo gilt dies vorderhand
als ein objectiv wahres und gegrün—
detes Urtheil, ein vechtsträftiges Decret,
ja es bleibt für alle Zukunft wahr
und giltig, wenn es nicht al&bald mit
Blut ausgelöicht wird: d. h. der Ge—
ihimpfte bleibt (in den Augen aller
gut. Hier ift es demmach nicht darauf „Leute von Ehre“) das, was der
Schimpfer (und wäre diefer der lebte
aller Erdenjöhne) ihn genannt hat;
denn er bat es (dies ift der terminus
technieus) „auf fich ſitzen laſſen“. —
Soviel, was das Schimpfen betrifft !
Nun aber gibt es jogar noch etwas
Argeres als ſchimpfen, etwas jo Er—
jchredlihes, daſs ich wegen deſſen
bloßer Erwähnung in diefem oder
der ritterlihen Ehre die „Leute von
Ehre“ um Berzeihung zu bitten habe,
da ih weiß, daſs beim bloßen Ger
449
Beſorgnis vor daraus entftehenden
Unannebhmlichkeiten,, diefen Schritt
vermeiden möchte, oder wenn man bloß
ungewiſs ift, ob der Beleidiger fich
den Geſetzen der ritterlichen Ehre unter-
werfe oder nicht, hat man ein PBalliativ-
mittel an der „Avantage“. Dieje be—
fteht darin, daſs wenn er grob ge=
wejen ift, man noch merklich gröber
fei, geht dies mit Schimpfen nicht mehr
an, jo jchlägt man drein, und zwar
ift auch hier eine Klimax der Ehren—
danken daran ihnen die Haut ſchau- | rettung: Obrfeigen werden durch Stod-
dert, und ihr Haar fich emporfträubt, | Schläge curiert, dieſe durch Hetzpeitſchen—
indem e3 das summum malum, der
Übel größtes auf der Welt, und ärger
als Tod und Berdammnis if. Es
fann nämlich einer dem anderen einen
Klaps oder Schlag verjeßen. Dies
ift eine entjegliche Begebenheit und
führt einen jo completen Ehrentod
herbei, dafs, wenn alle anderen Ver—
legungen der Ehre jhon durch Blut—
laſſen zu heilen find, dieje zu ihrer
gründlichen Heilung einen completen
Todſchlag erfordert.
3. Die Ehre hat mit dem, was
der Menſch an und für fich fein mag,
oder mit der Frage, ob jeine morali« |
Ihe Beichaffenheit fich jemals ändern
fönne, und allen ſolchen Schulfuchje=
veien, ganz und gar nichts zu tun;
jondern wenn fie verlegt, oder vorder—
band verloren ift, kann fie, wenn man
volltommen
durh ein einziges Univerfalmittel:
das Duell. Iſt jedoch der Verletzer
nicht aus den Ständen, die fich zum
Goder der ritterlichen Ehre bekennen,
oder hat derjelbe diefem jchon einmal
zuwider gehandelt: ſo kaun man, zus |
mal wenn die Ehrenverlegung eine
thätliche, aber auch wenn fie eine bloß
wörtliche gewejen fein follte, eine
fihere Operation vornehmen, indem
man, wenn man bewaffnet ift, ihn
auf der Stelle, allenfalls auch noch
eine Stunde nachher, niederfticht ; wo—
durch dann die Ehre wieder heil ift.
Außerdem aber, oder wenn man, aus
Rofegaer’s eimgarten““, 6, Heft. XV.
|
|
|
I
hiebe; jelbft gegen le&tere wird von
einigen dad Ausipuden als probat
empfohlen. Nur wenn man mit diefen
Mitteln nicht mehr zur Zeit kommt,
mus durhaus zu blutigen Opera—
tionen gejchritten werden. Dieje Bal-
liativmethode hat ihren Grund eigent-
lich im der folgenden Maxime,
4. Wie Gefchimpftwerden eine
Schande, jo iſt Schimpfen eine
Ehre. 3. B. auf der Seite meines
Gegners ſei Wahrheit, Recht und
Vernunft, ich aber ſchimpfe: jo müfjen
diefe alle einpaden, und Recht und
Ehre ift auf meiner Seite; er hin-
gegen hat vorläufig feine Ehre ver-
loren, — bis er jie herſtellt, nicht
etwa durch Recht und Vernunft, ſon—
derndurh Schießen und Stehen. Dem:
nach ift die Grobheit eine Eigenschaft,
nur ſchleunig dazu thut, recht bald
wiederhergeitellt werden |
welche — im Punkte der Ehre — jede
andere erjeßt oder überwiegt; der
Gröbſte hat allemal recht: quid multa ?
Zeigt etwa in einer Discujfion oder
ſonſt im Gefpräh ein anderer richti-
gere Sadfenntnis, firengere Wahr:
heitsliebe, gejünderes Urtheil, mehr
Verftand als wir, oder überhaupt
läjst er geiftige Borzüge bliden, die
uns in Schatten jtellen: jo können
wir alle dergleichen 1berlegenheiten
und unſere eigene durch fie aufges
dedte Dürftigfeit fogleich aufheben und
num umgefehrt jelbjt überlegen fein,
indem wir beleidigend und grob wer—
den. Denn eine Grobheit befiegt jedes
Argument. Daher werden „Leute von
29
450
Ehre”, jobald jemand eine Meinungs; Weder Griechen, noch Römer, noch
äußert, die von der ihrigen abweicht die Hochgebildeten afiatifhen Völler
oder auch nur mehr Verftand zeigt alter und neuer Zeit willen irgend
als fie ins Feld ftellen können, fogleich |etwas von diefer Ehre und ihren
Miene machen, jenes Kampfrojs zu Grundſätzen. Bei ihnen allen gilt
bejteigen. der Mann für das, wofür fein Thun
5. Der oberfte Richterſtuhl des und Laſſen ihn fund gibt, nicht aber
Rechts, an den man in allen Diffe- |für das, was irgend einer loſen
venzen, don jedem anderen, joweit es Zunge beliebt von ihm zu jagen. Bei
die Ehre betrifft, appellieren kann, iſt ihnen allen kann, was einer jagt oder
der der phyfiichen Gewalt, d. 5. der /thut, wohl feine eigene Ehre ver-
Thierheit. Denn jede Grobheit ift nichten, aber nie die eines anderen.
eigentlih eine Appellation an die Ein Schlag ift bei ihnen allen nur
Thierheit, indem fie den Kampf der ein Schlag, wie jedes Pferd und jeder
geiftigen Kräfte oder des moralijchen Eſel ihn gefährlicher verſetzen lann;
Rechts für incompetent erklärt und er wird, nach Umſtänden, zum Zorne
an deren Stelle den Kampf der phy- reizen, auch wohl auf der Stelle ge—
jifchen Kräfte ſetzt. Dieſe Grumds rächt werden; aber mit der Ehre hat
marime wird bekanntlich mit einem er nichts zu thun, und keineswegs
Worte dur den Ausdrud Fauſt- wird Buch gehalten über Schläge
recht, welcher den Ausdrud Aber oder Schiimpfwörter, nebſt der dafür
wiß analog und daher wie diejer |gewordenen, oder aber einzufordern
ironiſch ift, bezeichnet: demnach jollte |verfäumten „Satisfaction*. An Zapfer-
ihm gemäß die ritterliche Ehre die keit und Lebensverachtung ftehen fie
Fauſt-Ehre heißen. den Völkern des chriſtlichen Europas
6. Hatten wir weiter oben die nicht nach. Griechen und Römer
bürgerliche Ehre ſehr ſerupulös ge= waren doch wohl ganze Helden; aber
funden im Punkte des Mein und | jiewufsten nichts vom point d’honneur.
Dein, der eingegangenen Verpflichtun- Der Zweikampf war bei ihnen nicht
gen und des gegebenen Wortes: jo Sache der Edlen im DBolfe, jondern
zeigt hingegen der hier in Betrachtung |feiler Gladiatoren, preisgegebener Skla—
genommene oder darin Die nobelfte | ven und verurtheilter Verbrecher, welche
Liberalität. Nämlih nur ein Wort mit wilden Thieren abwechjelnd auf
darf nicht gebrochen werden: das Jeinander gehegt wurden zur Beluftis
Ehrenwort, d. h. das Wort, bei gung des Volles.
dem man gejagt hat „auf Ehre” — Daſs den Alten jenes Vorurtheil
woraus die Präſumtion entfteht, dajs |völlig fremd war, bezeugen eine Menge
jedes andere Wort gebrochen werden uns aufbehaltener Züge. Als 3. B.
darf. Sogar bei den Bruch diejes ein teutonischer Häuptling den Mas
Ehrenmwortes läſst fich zur Noth die rius zum Zweilampf herausgefordert
Ehre noch reiten durch das Univerfal- |hatte, ließ diefer Held ihm antworten:
mittet, das Duell, hier mit denjenigen, | „Wenn er feines Lebens überbrüjjig
welche behaupten, wir Hätten das wäre, möge er fi aufhängen”, bot
Ehrenwort gegeben. — Ferner: nur ihm jedod einen ausgedienten Gla—
eine Schuld gibt es, die unbedingt |diator an, mit dem er fich herum:
bezahlt werden muſs, — die Spiels ſchlagen könne,
Ihuld, melde auch demgemäß den Sofrate3 iſt infolge feiner häu—
Namen „Ehrenſchuld“ führt. Um alle figen Disputationen oft thätlich miſs—
übrigen Schulden mag man Juden handelt worden, welches er gelaffen
und Ehriften prellen: das jchadet der \ertrug; als er einft einen Fußtritt
ritterlihen Ehre durchaus wicht. ‚erhielt, nahın er es geduldig hin und
— —ñ — — — — a
jagte dem, der fich hierüber wunderte:
„Würde ih denn, wenn mich ein
Eſel geftopen hätte, ihn verklagen ?”
Als ein andermal jemand zu ihm
jagte: „Schimpft und ſchmäht dich dem
jener nicht?“ war feine Antwort:
„Nein, denn was er jagt, pajst nicht
auf mich.“
Näher betrachtet ift der Kern der
Sache diefer: wie die bürgerliche Ehre,
welde den friedlichen Verkehr mit
anderen im Auge hat, in der Meinung
diejer von uns befteht, dafs wir voll—
fommenes Zutrauen verdienen, weil
wir die Rechte eines jeden unbedingt
achten, — fo beiteht die ritterliche
Ehre in der Meinung von ums, dafs
wir zu fürchten feien, weil wir
unfere eigenen Rechte unbedingt zu
vertheidigen gefonnen find. Aber im
Stande der Eivilifation, wo der Staat
den Schuß unferer Berfon und unſeres
Eigenthums übernommen bat, findet
diefer Grundfag feine Anwendung
mehr und fteht da wie Burgen und
Warten aus den Zeiten des Fauſt—
rechtes, unnütz und verlaffen, zwijchen
wohlbebauten Feldern uud belebten
Landftragen oder Eijenbahnen. Dem—
gemäß bat denn auch die ihn feit-
haltende ritterlihe Ehre ſich auf ſolche
Beeinträhhtigungen der Perfon gewor—
fen, welche der Staat nur leicht oder
gar nicht beftraft, indem es unbeden-
tende Kränkungen und zum Theil
bloße Nedereien find. Sie aber hat
in Hinſicht auf diefe ſich hinaufge—
Ichroben zu einer der Natur, der Be—
Ihaffenheit und dem Lofe des Mens
ſchen gänzlich unangemellenen Über—
ſchätzung des Wertes der eigenen Per—
jon, welchen fie bis zu einer Art
von Heiligkeit fteigert und demnach
die Strafe des Staates für Heine
Kränlungen derfelben durchaus unzu—
länglich findet, ſolche daher jelbit zu
ftrafen übernimmt und zwar ſtets am
Leibe und Leben des Beleidigers.
Offenbar liegt hier der unmäßigſte
Hochmuth und die empörendſte Dof-
fahrt zugrunde, welche, ganz ver—
4
51
geſſend, was der Menfch eigentlich ift,
eine unbedingte Unverleglichkeit, wie
auch Tadellofigkeit für ihn in Auſpruch
nehmen. Allein jeder, der diefe mit
Gewalt durchzufegen gejonnen ift und
demzufolge die Marime proclamiert:
„Ber ſchimpft, oder gar mir einen
Schlag gibt, joll des Todes jein“ —
verdient eigentlich Thon darum aus
dein Lande verwiefen zu werden. Da
wird denn, zur Beihönigung jenes
vermefjenen Übermuthes, allerhand vor—
gegeben. Bon zwei unerjfchrodenen
Leuten Heißt es, gebe feiner je nad.
Nun aber ift der Grundſatz felbit
falſch; bei Sachen von geringerer
Wichtigkeit (die von großer "bleiben
ftets den Gerichten anheimgeſtellt) gibt
von zwei unerjchrodenen Leuten aller—
dings einer nad, nämlich der Klügſte,
und bloße Meinungen läfst man auf
fih beruhen. Den Beweis hiervon
liefert das Volk, oder vielmehr alle
die zahlreichen Stände, welde ſich
nicht zum vitterlichen Ehrenprincip
bekennen, bei denen daher die Streitig-
feiten ihren natürlichen Verlauf haben ;
unter diefen Ständen iftder Todtſchlag
hundertinal feltener, als bei der viels
leicht nur Eintaufenditel der Geſammt—
heit betragenden Fraction, welche
jenem Brincipe huldigt, — und felbit
eine Prügelei ift eine Seltenheit. —
Sodann aber wird behauptet, der
gute Ton und die feine Sitte der
Geſellſchaft hätten zum legten Grunde
pfeiler jenes Ehrenprincip, mit ſeinen
Duellen, welche die Wehrmaner
gegen die Ausbrüche der Roheit und
Ungezogenheit wären. Allein in Athen,
Korinth und Nom war ganz gewils
gute, und zwar ſehr gute Geſellſchaft,
auch feine Sitte und guter Ton an—
zutreffen, ohne dafs jener Propanz
‚der ritterlihen Ehre dahinter geftedt
‚hätte. Der „ritterliche“ Muth ift eine
‚bloße Unterofficierätugend,
ja eine,
in welcher fogar Thiere uns über:
treffen, wesbalb man 3. B. jagt:
„muthig wie ein Löwe.“ Sogar iſt
das ritterlihe Ehrenprincip oft das
29°
” |
—
ſichere Aſyſum, wie im großen ber
Unredlichkeit und Schledhtigfeit, jo im
tleinen der Ungezogenheit, Rüdjichts=
Iofigteit und Flegelei, indem eine
Menge ſehr läſtiger Unarten ſtill—
ſchweigend geduldet werden, weil eben
leiner Luſt hat, an die Rüge der—
ſelben den Hals zu ſetzen.
Der altdeutſche Grundſatz „auf
eine Maulſchelle gehört ein Dolch“ iſt
ein empörender ritterlicher Aberglaube.
Jedenfalls iſt die Erwiderung oder
Vergeltung von. Beleidigungen Sache
des Zorns, aber keineswegs der Ehre
und Pflicht, wozu das ritterliche Ehren
princip fie ftempelt. Vielmehr ift ganz
gewijs, dafs jeder Vorwurf nur in
dem Make, als er trifft, verlegen
fann, welches auch daran erlichtlich
ift, daſs die leijefte Andeutung, welche
trifft, viel tiefer verwundet, als die
ſchwerſte Anfchuldigung, die gar keinen
Grund hat. Wer daher wirklich fich
bewujst ift, einen Vorwurf nicht zu
verdienen, darf und wird ihn getroft
verachten. Dagegen aber fordert das
Ehrenprincip von ihm, dafs er eine
Empfindlichkeit zeige, die er gar nicht
hat, und Beleidigungen, die ihn nicht
Budermanns „Ehre“ —
>
99
Pinen unbefangenen Beobadter
mußste die Erfcheinung aufges
fallen fein, dal8 Sudermann’s
„Shre* mit lärmendem Siege über
unfere deutichen Bühnen gieng, vom
größten Theile der Kritik vergöttert,
vom Publicum bejubelt.
Einzelne jchüttelten dazu den Kopf
und fragten ih: Wie fommt das?
Die Erſcheinung ift wert, daſs
man ſich des näheren mit ihr befaile,
und in der That hat es ein muthiger
S
verletzen, blutig räche. Der aber muſs
ſelbſt eine ſchwache Meinung von
ſeinem eigenen Werte haben, der ſich
beeilt, jeder denſelben anfechtenden
Außerung den Daumen aufs Auge
zu drücken, damit ſie nicht laut werde.
Die letzte Vertheidigung des rit—
terlichen Coder wird aber ohne Zwei—
fel lauten: „Ei, da könnte ja,
Gott fei bei uns! wohl gar einer dem
anderen einen Schlag verſetzen!“ worauf
ich kurz erwidern könnte, dafs dies
bei den neunhundertneunundneungzig
Taufendfteln der Gefellichaft, die jenen
Eoder nicht anerkennen, oft genug der
Tall gewefen, ohne dajs je einer da—
von geftorben fei, während bei den
Anhängern desjelben in der Regel
jeder Schlag ein tödtlicher wird.
Nachdem heutzutage Juſtiz und
Polizei es fo ziemlich dahingebradt
haben, daſs nicht mehr auf der Land—
trage jeder Schurke uns zurufen
kann: „Die Börfe oder das Leben!“
jollte endlih aud die gejunde Ver—
nunft es dahinbringen, daſs nicht
mehr mitten im friedlichen Verkehr
jeder Schurfe uns zurufen könne:
„Die Ehre oder das Leben!“
Runftwerk oder Made?
Mann unternommen, dem Stüde „Die
Ehre“ etwas genauer zu Leibe zu
gehen und feinen Befund im ein
Büchlein druden zu laflen.
Das Büchlein betitelt ih: „Su—
dermanns Ehre — Kunſtwerk oder
Mache? Eine zeitgemäße Betrachtung“
von Ernſt Traumann, und erichien
in der Univerfitätsbuchhandlung Georg
Weiß zu Deidelberg (1891).
Mir find unverſöhnliche Gegner
diefer maturaliftiichen „Poeſie“ und
jtelen uns der Hauptſache nach ent»
jhieden auf die Seite genannter
Schrift. Sie fuht auf dem Boden
der Claſſiker, vertheidigt jenen allge=
mein menſchlichen Idealismus, der
war, ift und jo lange jein wird,
als es leidende, ftrebende, jehnende,
boffende Menfchen gibt. Im Idealis—
mus liegt nicht allein unfere geiftige
und jittliche, jondern auch unjere
materielle Kraft; geben wir den Idea—
Hr auf, Fo geben wir uns ſelbſt
auf.
Wir geben uns aber nicht auf,
wir weiſen Kunſt und Literaturpro=
ducte, die ſich im Leben breit machen,
um den Menfchen öffentlich zu ſchmähen,
zu Shänden, ihn in das Bereich des
IThieres zu zerren, auf das ent-
jiedenfte zurüd. Das fiegreiche Laſter
wird nie eine abjchredende Wirkung
üben. Sudermanns „Ehre“ nicht
als ſolcher wollen wir die Ehre er-
zeugen, ihrer bier zu gedenfen, der
Gattung gilt ed, wenn wir die Trau—
mann’sche Sennzeihnung des Stüdes
der Hauptſache nah wiederholen.
„Dieje jüngſtdeutſchen Literaten“,
jo jagt Traumann, „wie treten fie vor
uns hin? Laut und vordringlich ge—
berden fie jih als Stürmer und
Dränger. Ohne Pietät tragen fie das
jtille, Heilige euer der Kunſt in den
politifhen Kampf unferer Tage, nicht
um damit die Herzen zu erleuchten
und zu erwärmen, nein, um den
immer bereit liegenden Zündſtoff des
Glafjenhafjes zur Flamme zu ent»
fadhen. Und, wie die rothe Inter—
nationale jelbft, find fie vaterlandslos.
Sie brüften ſich mit einer Afterlunft,
die fie an den unrühmlichen Vorbil—
dern unſerer politifhen Nachbarn, ja
Gegner, in Norden, Weiten und Often
fümmerlih nähren. Und ihr eigenes
Belenntnis ift es, einer Kunſt des
Realismus und Naturalismus zu
huldigen.
Der Schauplatz dieſer Beſtrebun—
gen iſt vornehmlich die junge, raſch
zur Großſtadt emporgeſchoſſene Metro-
pole des deutſchen Reiches. Wie dort auf
jedem Gebiete praktiſcher Arbeit eine
taftlofe Thätigfeit entfaltet wird, jo
zeigt ſich auch im literarifchen Leben
Berlins eine fieberhafte Production.
Zahllofe Theater jeglicher Gattung find
emporgeſchoſſen, um der hochgefteigerten
Schauluft der Millionenftadt zu ge=
nügen. Dort ift auch auf einer Bühne,
die den Namen Leſſings trägt, unter
dem Pauken- und Zrompetenjchall
einer raffinierten Reclame nnd dem
frenetifchen Beifall des Publicums
das Schauſpiel eritmals in Scene ge—
gangen, dem unfere Betrahtung gilt.
Die Kritik, ſoweit fie ſich micht in
leiſetreteriſchen Floskeln bewegte, be=
zeichnete die Aufführung als ein her—
vorragendes literariſches Ereignis,
verkündete in dem Werke eine bedeut—
ſame Erſcheinung und erblickte im
Dichter eine ſtarke dramatiſche Kraft.
Der Fabriksbeſitzer Mühlingk zu
Charlottenburg-Berlin hatte zur Feier
ſeiner Ernennung zum Commerzien—
rath eine Feſtlichkeit veranſtaltet, wobei
einer ſeiner Arbeiter, der Buchbinder
Heinicke, unter die Räder einer Equi—
page gekommen und zum Krüppel
geworden war. Ihm und ſeiner Fa—
milie ward vom reichen Brotherrn im
Hinterhauſe der großſtädtiſchen Woh—
nung eine Freiſtätte gewährt, auch
hatte dieſer dem Sohne des Prole—
tariers, Robert, eine kaufmänniſche
Erziehung angedeihen laſſen und dem
begabten jungen Manne ſchließlich die
Stellung eines Procuriſten an der
indiſchen Filiale des Handlungshauſes
gegeben.
Robert kehrt in die deutſche Hei—
mat zurück, begleitet von ſeinemFreunde,
dem Grafen Traſt, dem angeſehenſten
und reichſten Handelsherrn des indi—
ſchen Archipels, an deſſen Rath er
zum Manne gereift und deſſen Ein—
fluſs er ſeine Erfolge verdankt. Das
Herz iſt ihm geſchwellt von ſtürmiſcher
Sehnſucht, ſeine Familie und ſeine
Wohlthäter wiederzuſehen. Aber furcht—
bar ſind die Entdeckungen, die er nach
e.. een
ee
n Karl
= u
454
furzer Begrüßungsfreude zuhanfe| Mutter, die Habgier der älteren
madhen muſs. Seine heißgeliebte | Schweiter und die Roheit des Schwa-
Schweſter Alma ift die Maitrefje des
Sohnes jeines Wohlthäters geworden.
Die Eltern dulden in dumpfer Ges
wifjenlofigfeitdas ſchändliche Verhältnis,
das die ältere Tochter und deren trunk—
ſüchtiger Ehemann kuppleriſch begün—
ſtigen. Jede neue Ausſprache mit den
Seinen ftöht den Cohn tiefer im
Verzweiflung. Er findet in der
Schweſter feine Gefallene, mein, eine
Verlorene. Als er vom Berführer Ge-
nugthuung fordert und fie deſſen Vater
in Geftalt eines Abfindungsgeldes dem
Hinterhauſe bringt, als diejes jubelnd
angenommen wird, da muſs Robert in
troftlofem Schmerz bekennen, dafs ihn
eine unüberbrüdbare Kluft von allen
irennt, was ihm lieb und heilig war.
Noch eine kurze Abrechnung mit dem
Chef des Haufes, der ihn aus feinem
Dienft entlaffen, und er kehrt mit
der geliebten Tochter des Kaufherrn,
die, wie er ſelbſt, dem mitleidslofen
Elternhauſe entfremdet, dem Jugend—
freunde als fein Weib folgt, und an
der Eeite jeines väterlichen Freundes
der berlorenen Heimat den Rüden,
Vorderhaus und Hinterhaus ihrem
Schickſal überlafjend.
Dies die Fabel des Stüdes. Mer
wollte verfennen, dafs fie eine Tra—
gödie im ſich ſchließt? Und num dieſer
Ausgang! Über zertrümmertem Glück
und vernichteten Idealen beruhigt ſich
der Held, der Dichter und ein plattes
Publicum, wie im Luftfpiel, bei der
Heirat der Liebenden. Woher dieje
pofjenhafte Löfung? Wie führt fie der
Dichter herbei?
Er vertheilt die vier Acte der
Handlung gleichmäßig auf Vorder und
Dinterhaus. Zwei gehören dem Pro—
letariat, zwei der Bourgeoiſie. Die
ſittliche Verkommenheit der Arbeiter:
familie tritt, im Gegenfaß zu den
lauteren Anſchauungen und Gefühlen
des heimgefehrten Sohnes, grell her—
vor. Die tölpelhafte Würdelofigkeit
des Vaters, die rührfelige Einfalt der
gers laffen den um das Schidfal feines
Liebling vor allem bejorgten Bruder
noch weit Schlimmeres ahnen, als er
Schon gejehen. Dann das Vorderhaus.
Hinter der biedermännifchen Redeweiſe
des Kaufherrn verftedt ſich die Falte,
Ihnöde Berechnung. Das gedantenlofe
Genuſsleben des Sohnes zeigt fein
freundfchaftlicher Verkehr mit hohlen
Lebemännern, einem blafierten Geden
und dem Rejerveofficier Brandt, dem
Mann der Schneide und äußerlichen
Gorrectheit. In diefe Scheinwelt, von
deren Lüge fih nur die unglüdliche
Tochter Leonore angewidert fühlt, tritt
Graf Traft, der vorurtheilslofe, zum
ſelbſtgemachten Manne gewordene
Ariftofrat und rüttelt an den be—
quemen Überlieferungen der Gefell
Ihaft und an dem Gewiſſen des Ver:
führers. So erfährt der Bruder Als
mas das Schredliche. Im Hinterhaufe
folgt die Auseinanderjeßung des Sohnes
mit den Eltern und der Schweſter.
Er will feine Familie aus der deutjchen
Heimat ins ferne Indien verpflanzen,
die Wirfung des Sündengeldes auf
die Seinen aber bringt ihn davon
zurück. Ja, man weist dem unbeque=
men Sittenprediger die Thür. Den
Verzweifelten erfüllt nur noch der
Gedanke der Nache am Urheber all
feines Elendes. Er ift zum Mord ent—
ſchloſſen. Nun der legte Act. Der Graf
bringt Robert von feinem verzweifelten
Vorhaben ab, indem er ihm die Thor:
heit feines Beginnend dartdut und
eine andere Genugthuung verfpricht.
Als fie Traft für feinen Freund bon
Kurt beansprucht, mwird fie ihm ver—
jagt, ja, wie er felbit, dieſen brüs—
fierend, für Robert eintreten will, da
Ipricht Brandt dem geächteten Arifto-
fraten die Nechte des Gavalierd ab.
Robert gibt das Abfindungsgeld zus
rüd, er wird von Kurt des Unter—
Schleifs verdächtigt — da, als er dem
Buben an die Kehle fpringt, wirft
ih ihm Leonore an die Bruft umd
4
der Graf ernennt ihn zum Erben feiner
Reihthümer. „Warum haben Sie das
nicht gleich gejagt?“ fragt der Vater,
Und Traft abwehrend: „Ihren ge-
ehrten Segen erbitte ſchriftlich.“
So klingt die Tragödie in dem
Witzworte des Grafen aus. Mit dieſer
Figur ſteht und fällt das Stück. In
Traſts Hand laufen die Fäden der
Verhandlung zufammen, er allein ent—
wirrt fie auch. Er erkennt in der
Schweſter des Freundes das gefallene
Kind wieder, das ihm am Abend zu:
vor im Ballfaale der Halbwelt begegnet
ift, und dann in Hurt den Verführer.
Durch ihn erfährt Robert die Wahr:
heit. Er entdedt zu guter Stunde die
Mordgedanten feines Freundes und
redet fie ihm aus. Wie er den Pro—
letarierfohn mit feiner eigenen Perſon
deden will, jo tritt er mit feiner Habe
für ihn ein, damit das Geld zurüd-
gegeben werden könne. Sein ect
ſchließt, ohne dafs diefe Erfcheinung
die Handlung wieder ins Rollen
bringen müjste. So ift er der deus
ex machina de3 Dramas. Mber er
ift noch mehr, er ift auch der reflec—
tierende Chor, er ift die Stimme des
Dichters. Dur den Mund des Gra—
fen verfündet diefer feine Unfchauungen,
Überzeugungen, feine Moral und
Philoſophie.
Und es ſind keine typiſchen Ge—
ſtalten im Sinne des Dramas, dieſe
Erſcheinungen des Hinterhauſes. Sie
haben nur Geltung für einen ver—
ſchwindenden Theil unſerer räumlichen
Welt. Sie ſind localiſiert. Die Luft,
die ſie athmen, entſtrömt einem be—
ſonders gearteten Boden, die Sprache
— ſie reden ja Dialect — gilt nur
für einen enge umgrenzten Bezirk.
Auch das Verhältnis der Arbeiterfa—
milie zum Kaufherrn, ihre ganze Lage,
in der ſie ihre Selbſtbeſtimmung ver—
lieren und zu Hörigen des reichen
Bürgers werden, iſt ſo beſonderer,
zufälliger, ſo wenig typiſcher Art, daſs
eine Erhebung dieſer Perſönlichkeiten
und Zuſtände ins Dramatiſch-Allge—
5
5
meine zur Unmwahrheit führen muſs.
Wir fönnen uns jehr wohl mit der
Erjheinung eines pflichtvergeſſenen
Vaters, wie mit der einer gewiſſen—
ofen Mutter abfinden, aber nur, wenn
der Dichter beftimmt erkennen Iäfst,
dafs über dieſen Verirrungen der
Menjhennatur das heilige Gejeb der
Familienwürde unvergänglich fort—
waltet. Nur ſo beſtehen derartige Cha—
raktere die Prüfung vor unſerem ſitt—
lichem Bewuſstſein. Auch Schiller hat
der Mutter der Luiſe Millerin einen
Anflug von Kuppleriſchem gegeben,
aber wie klar und zweifellos erhebt
ſich das Bild bürgerlicher Sittenſtrenge
vor uns durch das Gegengewicht des
ehrenfeſten prächtigen Vaters. Und
wie iſt dem menſchlichen Sittlichkeits—
gefühl Rechnung getragen, wenn Goethe
ſeinem Klärchen, das er mit allem
Liebreiz des ewig Weiblichen umwoben
hat, die philiftröfe Mutter gegenüber—
ftellt. Diefe Naturformen des Men—
ſchenlebens find jedem Dichter heilig.
Und es find folde. Hat nicht ein
Philoſoph, wie Hegel, die ewigen
Rechte der Familie gleihjfam in den
Dimmel gejchrieben, unveräußerlich
und unzerbrechlich, wie die Sterne
ſelbſt? Darum ift eine Geftalt wie
Ama ein künftlerifches Unding. Ges
wis ift der Typus der Gourtifane
dichterifch zu verwerten. Aber nur im
Gegenfaße zur Norm des Meiblichen.
Die Gräfin Orfina und die Lady
Milfort find völlig glaubwürdige Er—
Iheinungen. Doc wie Scharf halten
Lefling und Schiller, die Schöpfer
diefer Figuren, auseinander, was groß
und was niedrig in ihnen if. Da—
gegen welche Unmahrheit begeht Suder—
mann mit diefer Alma! Iſt es Selbſt—
täuſchung oder Betrug, daſs er fi
oder uns glauben machen will, es träte
da jo etwas wie „naide Verdorben—
heit“ vor uns Hin? Man wäge diefen
Begriff! Er möchte damit diefem Ge-
ſchöpf jeglihe Schuld und Verdammmis
nehmen, ihm unjere Sympathie un=
getheilt erhalten wifjen, das verlorene
456
Kind, wie der Gott die Bajadere, mit
feurigen Armen zum Dimmel empor—
heben, aber ohne daſs es geliebt, ohne
dafs es Reue empfindet, ohne dafz
es Buße gethan. Es hat ja im Blute
gelegen! Diefe naide Verdorbenheit,
welche gegen die Schweiter ihres Ga-
lan, die ihre Verachtung nicht zu
verbergen weiß, einen fo bitteren Groll
hegt, die vor dem geftrengen Bruder
zittert, und den um ihre Schande
wiflenden Grafen bittet, nicht auszu—
plaudern — alles dies doch wohl im
Bewujstjein ihrer Schuld! Nein, noch
ift man in Deutfchland nicht naid ge=
nug, um foldhe Verdorbenheit naid zu
finden.
Das logisch Richtige entbehrt des
warmen, unmittelbaren Gefühlslebens,
um fittlih wahr zu fein. Doch folgen
wir dem Dichter einmal auf das Ge—
biet der Reflerion, das er mit feinem
Grafen Zraft fo oft und gerne be=
ſchreitet. Der Ariftofrat, der an jeiner
eigenen Perſon die Beſchränktheit der
Anſchauungen feines Standes erfahren
und in jelbjtgewähltem Berufe über:
wunden bat, fühlt die Berechtigung
in fi, über die Wahrheit eines Be—
griffes, wie des der Ehre, zu ent—
ſcheiden. Und die Ehre ift ihm nur
ein jolcher! Die Ehre in jeglicher Ge—
ftalt. In jeder Form, im die fie fich
hüllt, lädt er fie vor feinen Richter—
ftuhl, die perfönliche Ehre des Mannes
und der Jungfrau, das innere Gefühl
und das äußere Gut der Ehre. Hören
wir ihn!
Dem Rejerveofficier Brandt, der
mit ſtets gezüdtem Degen vor dem
Ehrencoder Wache hält, der ihm gerade
ein Privatiſſimum daraus gelefen, und
defjen Freunden ertheilt der Graf ein
Publicum und erflärt: Es gibt feine
Ehre. Und wie begründet er diefen
Ausspruh? Er erzählt: Auf einer
Reife durch Mittelafien kam ich in das
Haus eines tibetanischen Großen. Ich
war beftaubt und wegemüde. Er em—
pfieng mid, auf feinem Thronſeſſel —
reizendes Weib. Ruhe aus, Fremder,
jagte er, mein Weib wird dir ein
Bad rüften und hierauf wollen wir
Männer uns zum Mahle ſetzen. Und
er ließ mich den Händen des jungen
MWeibes. Wenn ich je im Leben Ge—
legenheit hatte, meine Selbitbeherr-
ſchung zu erproben, jo gejhah es in
jener Stunde. Ws id in die Halle
trat, was fand ih da? Die Gefolg-
Ihaft in Waffen, dröhnende Stimmen,
halbgezückte Schwerter. Du mujst
fterben, ruft mein Gaftfreund. Du
haft die Ehre meines Haufes tödtlich
beleidigt, denn du Haft das Wertvollfte,
was es dir bot, verſchmäht. Sie ſehen
meine Herren, ich lebe noch, denn
ſchließlich entſchuldigte man mich mit
den mangelnden Ehrbegriffen der eu—
ropäiichen Barbaren. — Ya, wir find
verblüfft, faft ebenjo wie die geiftvollen
Lebemänner, weldhen der Graf fein
Erlebnis mittheilt. Doch unfer Er-
ftaunen weicht bald der Entrüftung.
Iſt diefe Erzählung ethnologiſch wahr?
So viel aber ift gewiſs: Es ift ein
erbärmliches Mätzchen, diefe Erzählung!
Und hier nageln wir ihn feit, diejen
vielgereisten Odyffeus und feinen
Sänger. Nun wird ed uns Har, dajs
der Dichter ebenjo vaterlandslos ijt
wie diefer MWeltbürger, durch den er
uns feine Weisheit verfündet. Nein,
diefer Talmigraf mit feiner Halbfran-
zöſiſchen, halbengliſchen Redeweije hat
niemals eine Heimat gehabt, in ber
er nit feinem Denken und Fühlen
gewurzelt, wie er nie eine finden wird,
fo ſehr er uns das glauben machen
will,
Und was will Trajt an die Stelle
der Ehre jegen? Die Pflicht. Doc
wohl deshalb, weil diefe ein Realeres,
Beſtimmteres fei. Aber hat die Pflicht
nicht ebenfo wie die Ehre ihre ſubjec—
tive und objective Seite? Iſt fie nicht
ebenfo abhängig von Anſchauung und
Sitte? Der Graf vergleihe doch gnä—
digft die — freilih etwas rigoriftiiche
Auffafjung des BPflichtbegriffes
figend. Neben fich fein junges, lieb» | feines ehemaligen Landsmannes Im—
mannel Kant mit der eines Buddhiſten
oder Moslem. Ehre und Pflicht find
Mechjelbegriffe. eines ohne das andere,
alfo nicht durch einander zu erjehen.
Es find Gejchwilter, beide vom mora—
lifhen Gefeg in uns erzeugt. Sa,
es ließe fih hören, wenn er dieſes,
wenn er das unvermittelte Gewiſſen
zum Richter berufen wollte. Dieſes ift
abfolut und rein objectiv und — was
er jo jeher jhägt — auch interna=
tional:
63 ſagen's aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlifchen Tage,
Jedes in feiner Sprade.
Aber es ift ja dem Herren nicht
Ernft mit diefen Dingen. Wenn er
auch mit Wichtigkeit verfihert, den
Räthjeln der Gefittung nachzuſpüren,
jei fittlih an und für ji, wir glau—
ben ihm nicht. Meint er doch auch,
das größte Verbrechen auf Erden fei
Inconjequenz, und dennoch jpricht er,
dem die objective Ehre nichts ift ala
der Schatten, den wir werfen, wenn
die Soune der Offentlichkeit uns er—
jheint, davon, er wolle gegen ben
Gommerzienrath, falls diefer Robert3
Verdienfte um die Firma Mühlingk
nicht anerkenne, eine Haufe herauf—
beſchwören. (Aflerdingg nur im
Scherze, aber ein Reformator follte
in folhen Dingen nicht feherzen.) Wie
will der Huge Mann dies anders be=
wirken als durch feine Geltung in
der Handelswelt, durch feinen Eredit,
durch feine kaufmännische Ehre? Möge
der kühne Neuerer, wenn er doch ein=
mal die Ehre aus der Welt jchaffen
will, mit der gefährlichften und be=
denklichften aller den Anfang machen!
Und er ift ein treffliher Kauf—
mann. Wie genau berechnet er dem
Bruder die Ehre feiner Schmelter:
Welchen anderen Sinn hätte die Jung—
frauenehre, um die es fich bier hans
delt (!), als dem künftigen Gatten
eine gewiſſe Mitgift vom Herzens—
reinheit, don Wahrhaftigkeit und
Neigung zu verbürgen? Denn nur
zum Zwecke der Heirat iſt fie da.
407
Hier, wo er dem heiligften Gut
des Meibes einen Tauſchwert gibt,
e3 nach feinem materiellen Nutzen be=
mifst, jehen wir den Verfaſſer der
Ehre auf der niederften Stufe des
moralifhen Denkens und Empfindens.
Es ift der Utilitarismus, und zwar
der gemeinfte, zu dem er Jich befennt.
Eben jo groß wie hier jein Cynis—
mus it die Leichtfertigleit, mit der
Traft-Sudermann das Ehrgefühl des
Mannes abhandelt. Dem im Innerſten
verwundeten Robert beweist er: Das,
was du deine Ehre nennft, dieſes
Gemiſch aus Scham, aus Taktgefühl,
aus Necdtlichkeit und Stolz, was du
dir durch ein Leben voll guter Ge—
fittung und ftrenger Pflichttreue an—
erzogen haft, kann dir durch eine
Bubenthat ebenjowenig genommen
werden, wie etwa deine Herzens—
güte oder deine Urtheilstraft. Ent—
weder ſie if ein Stüd von Dir
jelbft oder gar nicht. — Nicht doch,
Herr Graf! Die jubjective Ehre ift
weder ein Gemiſch, noch ein Stüd.
Sie ift ein lebendiges Ganzes. Sie
ift, wenn dieſes Wort geftattet ift, ein
Gefammtgefühl: der unmittelbare Aus—
drud, die Blüte der Perfönlichkeit.
Und fie ift fo natürlich, jo wenig an—
erzogen und erfünftelt, wie das Indi—
piduum ſelbſt. Sie erwächſt aus dem
Hochgefühl des Eigenlebens. Wie
fann dies gerade der ausgeprägteite
Menſch, der Dichter, verkennen?
Schon durh die Willlür, womit
Sudermann ſich über eine gewichtige
Regel der Technik hinwegſetzt, ver—
ftößt er gegen das Grundgeſetz des
Dramas: die Einheit der Handlung.
Uber er geht noch weiter, er tritt es
zu Boden. Es ift ja au ein aus—
gelebtes, veraltetes Ding! Wir willen
e3 wohl, wir kämpfen hier gegen die
Barbareı , gegen das Element der
Verneinung und der Vernichtung. Was
fümmert den VBandalen der kunftvolle
Bau, was den Nihiliften eine ehr-
würdige Geſchichte!
Wie müſste die Formel des Su—
458
dermann’shen Schaufpiels lauten ?
Der Bruder eines Entehrten — hei—
einer, der aus der Noth eine Tugend
macht“, jagt Robert, worauf Traſt
ratet die Schweſter des Verführers, großartig erwidert: „Jede Tugend ift
Hier haben wir die Fratze, das die
märiſche Unding, zur einen Hälfte
von der Noth gefchaffen.“ Und gegen
die chevaleresfe Ethik, die der Herr
brüllender Löwe, zur anderen friedliche | Graf hier aus feinen modischen Ärmeln
Ziege. Wie macht aber Sudermann
diefes Gebilde glaubhaft, wie zwingt
er es in eine Yorm ? Wie kommt diefe
jchüttelt, findet Robert feinen Schatten
von Widerſpruch, er beugt ſich blind
border „ſouveränen Liebenswürdigkeit“
Löſung zu dieſem Conflict? Sehr Traſts. (So will ihn ja der Dichter
einfach. Der an Ehrgefühl erkrankte
Robert wird von ſeinem Freunde, dem
Grafen Traſt, geheilt. Aber zwei
inhaltsfhwere Fragen drängen fich
hier jedem BVerftändigen auf: Empfin—
det der Held fein Leid wahr, in feiner
vollen Tiefe, und ift er überhaupt zu
heilen, ift er noch durch irgend etwas
in der Welt mit ihr zu verſöhnen?
Eine ungeheuere Tragödie ift das
Schickſal des Bruders einer Gefallenen,
Entehrten, au wenn fie feine Vir—
ginia. fein Gretchen, keine Magdalene
ift, ein furchtbares Schidjal das eines
Sohnes, der eine andere Sprache als
die der Eltern ſpricht.
Und darım kann ihn niemand
von feinem Schmerze befreien und
nichts mit diefem Leben mehr ver:
föhnen, aud die Liebe nicht. Denn
wer vermöchte uns nach dem Ges
jhehenen den Glauben an ein Glüd
in der Ehe und in der Familie wies
derzugeben ? So empfinden wir es
efelhaft, unfer innerftes Gefühl lehnt
fih dagegen auf und unfere Bernunft
erhebt fih, wie Hamlet wider den
Volonius, gegen den gemeinen Men—
Ichenverftand, wenn diefer, wenn Traſt
hier die Entfcheidung trifft, wenn er,
nach feinem eigenen Bild, den jeelen-
wunden Freund von jeiner Familie
amputiert; „Die Zehe jchmerzt noch,
aber das Bein ift weg.“ Ya, wenn
diefe Operation an einem Gemüths—
menfchen jo leicht zu vollziehen wäre!
gejpielt wifjen.) Auf diefe Weije ver—
liert Robert nach und nad) jedes In—
tereffe und jedes ernfte Mitgefühl.
Er finkt zum ſchwatzenden, erbärm-
lien Weichling herab.
Und nun der Schlufs des Stüdes,
wo wir die beiden Liebenden ihre
Tamilien, wie die Ratten das fin-
fende Schiff, verlaſſen fehen.
Uns aber beſchleicht nah all dem
Erlebten eine troftlofe quälende Em-
pfindung und ein nagender Zweifel
bleibt in uns zurüd. Und der Ges
bildete wird fich fodann der Denk—
weiſe diefer Menfchen und diejes Dich:
ters bewufst. Er wird in ihr den
baltlofen , niedrigen Individualismus
erfennen und ihn mit jener Moral
des Nutzens verächtlich zur Seite wer—
fen. Auch wird er hinter der Behag-
lichkeit, mit der hier die fenjationellen
Vorgänge ausgemalt find, fein jittlich
ſtarles Dichtergemüth finden, jondern
ein faunifches Antlitz hervorblicken
jehen. Hab’ doch meine Freude dran!
Uber der jchlihte Mann aus dem
Volle, der immer noch gläubig die
Hallen der Kunſt betritt, wird ihn
das Gefhaute in diefem Vertrauen
beitärlen? Wird es ihn belehren,
beijern, ihm davon überzeugen, daſs
die, welchen er bier feinen Spar—
pfennig gebracht, nicht bloß die glüd-
liheren, fondern auch beſſer find als
er, der Arme im Geift? Wird es ihn
ehren, wie das große, gigantiſche
Bezeihnend ift bier auch wieder die Schickſal, das den Menſchen erhebt,
Logik Trafts, die er im der Über:
zeugungsfcene entwidelt. Man beachte
3. B. die platte Sophiftif einer Wen—
dung, wie diefer: „Du fprihft wie
wenn es den Menfchen zermalmt ?
Nein, hier that eines noth: Es
mufste geftorben werden. In ihrer
Sünden Maienblüte hätte der Bruder
die Schweiter und den
hinſtrecen müflen. Und er felber
musste ſodann in die gähnende Kluft,
welche ein beifpiellofer Frevel in der
Natur vor uns aufgethan, wie jener
Römer, Springen, damit fich der
Schlund wieder ſchließe und die Gott»
heit wieder verjöhnt werde.
Bor den Leichen ihrer Kinder hätte
fih in dem reihen und im dem armen
Manne fo etwas wie ein Gewiljen
geregt, ihr gemeinjames Leid hätte fie
an ein Ausgleichendes, Gerechtes,
Strafendes erinnert, wie e8 durch
dieje Welt jchreitet und fehreiten wird.
Und von der Bühne aus wäre zu den
ergriffenen Zuſchauern, von den Gründe
lingen in Parterre bis hinauf zu dem
Marne des vierten Standes und Ran
ges ein Gedankenfunke übergefprungen,
En were um —i
Verführer [fo etwas wie Löſung der großen ſo—
ctalen Frage.
Aber freilih, damit ein Dichter
jeinen Helden fterben laſſe, verlangt es
ein Starkes Herz, einen tiefen, fittlichen
Ernſt und eine jchöpferiiche, das Leben
der Erſcheinung weit überfliegende
Phantaſie. Denn der wahre Dichter
erlebt dieſen Zod.
Wenn wir jet die Wechsler im
Tempel der Kunſt erbliden, jo über-
fommt es uns Epigonen wie Sehu—
ſucht nad einem Kämpen wie Lefling,
nach wahren Dichtern, die die wahren
Menſchen find, weil fie aus dem Drang
und Streit und Willensqualm des
Alltagslebens zu ſich emporheben in
ihr Reich, wo der Menjch feine gött—
fihe Einheit wieder findet: in das
Reich der dee.”
Kinder-Kreuzüge im Mittelalter.
Ein Gegenfag.
S Kar
8
Gar gen manchmal die Seelen der
Menſchen erfaffen können wie
eine anftedende Krankheit, davon
fpriht WU. Biermer in feiner Vor—
lefung über Pſychiſche Volkskrankheiten |
(Deutsche Revue, Dresden, 1890). Sei—
nen Darftellungen jei jener Theil
entnommen, der von der religiöjen
Schwärmerei handelt, welche im 13.
elch unbegreifliche Bewegun- zens III. allen feinen Einfluſs auf,
um einen neuen Kreuzzug zuſtande
zu bringen. Seine Abgefandten ver—
ordneten überall Bittfahrten und Pro—
cejlionen, die Kreuzprediger durchzogen
alle Länder, aber fie fanden menig
Anklang. Höchſtens das gemeine Volt
und darunter vorzüglich die Weiber
liegen jich begeijtern, während Fürſten
und Ritter nicht zu gewinnen waren,
Jahrhunderte die Kinder erfafst, fie Jauch Junozens vergebens den König
durch viele Länder und die meilten
fogar in ihre Verderben gejagt hat.
Als der IV. oder fogenannte las
teinische Kreuzzug unter Bonifacius
von Montferat und Balduin von
Flandern verunglüdt war, rejpective
mit der Eroberung Gonitantinopels
und die Gründung eines lateinischen
Reiches dortjelbft feinen Ausgang
gefunden Hatte, bot Papſt Inno—
Philipp II. zur Theilnahme aufforderte.
Mitten in diejer Agitation trat
in Hranfreih ein Hirtenknabe
al3 Kreuzprediger auf und entflammte
die Jugend zu jenem tHörichten Un—
ternehmen, welches unter dem Namen
des Knaben-Kreuzzuges be—
kannt geworden iſt. Der prophetiſche
Hirtenknabe, welcher ſich Etienne
(Stephanus) nannte und im Dorfe
Cloies bei Vendome an der Loire ge—
bürtig war, gab vor, der Heiland fei
ihm (Juni 1212) in der Geftalt eines
armen Pilgers erjchienen, Habe Brot
von ihm genommen und einen Brief
an den König von Frankreich über-
geben, in welchem er als Prediger
des Streuzes bevollmädhtigt jei. Er
verfammelte zunächſt die Hirtenfnaben
feines Alter um jich, bald aber folg-
ten ihm große Scharen von Kindern,
welche ihre Eltern verließen und mit
ihm weiter pilgerten. Unter dem
Gefang: „Herr Jefu Chrifte, gib uns
das wahre Kreuz zurüd!“ folgten fie
ihm zu Tanjenden und überall wurden
fie vom Volke mit heiliger Ehrfurcht
aufgenonmmen. Die Wunder, welche
Etienne zu St. Denis verrichtet haben
fol, verſchafften ihm noch größeren
Zulauf und allgemeines Anſehen. Auch
in anderen Gegenden Frankreichs
wirkte das Beiſpiel anſteckend, alle
kindlichen Kreuzfahrer betrachteten aber
den Hirtenknaben von der Loire als
ihren Herrn und Meiſter, unter deſſen
Führung ſie die Sarazenen beſiegen
würden. Die Eltern ſcheinen an
dieſer Extaſe theilgenommen und
viele ihrer Kinder zur Fahrt ins hei—
lige Land ausgerüſtet zu haben. Kin—
der, welche zurückgehalten wurden,
ſollen an heftigen Nervenzufällen
gelitien oder der ſchärfſten Bewachung
ſpottend entflohen ſein, um ſich dem
heiligen Hirtenknaben anzuſchließen.
Auch Mädchen in Knabenkleidung und
erwachſene Perſonen beiderlei Ge—
ſchlechts ſchloſſen ſich den Kinderfahrten
an. Der König ſuchte auf den Rath
der Geiftlihen die Bewegung zu er—
ftiden und gebot den Knaben, in
ihre Heimat zurüdzufehren. Es ſcheint
aber diefer Befehl nicht ernfthaft voll«
zogen worden zu fein, denn viele
Taufende zogen in feierlichen Pro—
ceffionen nad Marfeille ans Meer,
von dein fie glaubten, es würde vor
ihnen zurüdweihen und fie würden
trodenen Fußes ins heilige Land ges
langen. Viele jcheinen fchon unter:
wegs zugrunde gegangen zu fein,
und diejenigen, welde bis Marfeille
famen, fielen größtentheil® in Ver—
rath. Zwei Kaufleute, deren Namen
die Geſchichte aufbewahrt hat, Hugo
Ferrens und Guilelmus Porcus, er=
boten ſich nämlich, unentgeltlih um
Gottes willen das jugendliche Heer
auf ihren Schiffen nah Syrien zu
führen. Don den jieben Schiffen,
welche die Knaben füllten, jcheiterten
zwei bei der Inſel S. Pietro in der
Nähe von Sardinien und giengen zu—
grumde, die fünf übrigen landeten im
Bugia (Algier) und Wlerandrien, wo
ſämmtliche Kreuzfahrer den Sarazenen
als Sklaven verlauft wurden. Die bei=
den Stlavenhändfer fanden ſpäter ihren
Lohn, als fie mit Mirabelli, dem Emir
von Sicilien, eine Verſchwörung gegen
Friedrich II. eingiengen und deshalb
den Tod am Galgen erlitten.
Don Frankreich aus Hatte fich die
franthafte Sehnfucht nach dem heiligen
Grabe auch unter den Kindern don
Burgund und Deutjhland
verbreitet. Allenthalben, bejonders in
den Rheinlanden, erjtanden Kinder—
prediger und erregten den Wander-
trieb. Viele Taufende don Knaben
und Mädchen, darunter auch die Kin—
der aus edlen Geſchlechtern, denen ſich
aber mehr als bei den franzöfifchen
Zügen auch Erwachſene uud lieder-
lihe Weiber angejchloffen Hatten,
nahmen das Kreuz und wallten in
Pilgerkleidern mit Stab und Bettel-
fad von Dorf zu Dorf. Überall ver—
nahm man die Hymnen ihrer Kreuzes—
andadt, und unaufbaltfam, wie die
Schwärme der Zugvögel, eilten fie
dem Meere zu. Die Anregung zu
den deutjchen Kinderfahrten wird von
Ehroniften einem Knaben Niko—
laus aus Köln zugefchrieben. Es
foll derjelbe geweſen fein, deflen per—
jonificiertes Andenken noch jebt als
Nitlas in den Sinderfiuben eine
Rolle fpielt. Unter diefem Führer
Nikolaus zog eine große Schar den
Rhein hinauf, dann über den Mont
Cenis nah Genua, wo fie, nachdem
viele unterwegs zugrunde gegangen
waren, no 700 Köpfe ftark (24. Au—
quft) anfamen. Die Genuejen wollten
fie nit aufnehmen und verjchlofjen
ihnen die Thore, weil fie, wie an—
gegeben wird, fürchteten, den Papſt
zu beleidigen, der zwar anfangs gejagt
hatte: „Diefe Knaben befhämen uns,
da fie zur Wiedereroberung des hei—
ligen Landes ziehen, während mir
ichlafen“, der aber fpäter doch Die
Kinderfahrten mifsbilligte und ihnen
Gardinäle entgegenfchicdte, um fie zur
Nüdkehr zu bewegen. Als fie nad
längerer Berathung des Senates in
Senna eingelaflen wurden, zerjtreuten
Der hohe Bath
Ein erbauliches
Ro
N
az
in altes Spridwort jagt, dafs
guter Rath theuer it. — Den
X Mbelsbergern kam auch ihr
hoher Rath thener zu ſtehen. Und
manchem, der eine Eingabe zu machen
hatte an den löblichen Gemeinderath,
ward die Feder bei dem Morte „Löb-
lich“ Schon verdammt jpiepig.
Der größte Theil im Rathe be-
Hand aus Fortjchrittsmännern, und
das ift vet; doch manchmal gieng es
zu Abeläberg jo haftig mit dem „Fort—
ſchreiten“, daſs es fchier zum „Da—
vonlaufen“ wurde. Nur einige Blätter
aus der Chronik ſollen hier aufge—
ſchlagen werden, um zu zeigen, wie
rathſam es iſt, einen hohen Rath ſich
genau anzuſchauen, bevor man ihn
wählt, um ſpäter unter einem miſs—
rathenen Rathe nicht rathlos zu ſein.
In der Nähe von Abelsberg be—
findet ſich ein ſchöner Berg, von welchem
die Stadt den Namen hat. Es iſt
Sl
fie ih, viele kehrten zurüd, ans
dere aber wurden dur Noth oder
Gewalt den Bewohnern dienſtbar,
andere fanden Gaftfreundfchaft und
wurden Später die Gründer ange—
jehener Familien, ein Keiner Reſt
erreichte Brindili, wo der Bilchof
ihre Einſchiffung verhinderte. Ein
zweites Stinderheer hatte feinen Weg
über den St. Gotthard genommen,
wurde aber in der Lombardei eben-
falls zerftreut. Die Wenigen, wel:
hen e3 gelang, wieder in die deutjche
Heimat zurüdzufehren, wurden mit
Spott aufgenommen, und als man
fie befragte, weshalb fie fortgezogen
jeien, verficherten fie, es nicht zu wiſſen.
von Abelsberg.
Zeitbild von #.
tentheils bewaldeter Hügel mit herr=
lihen Spaziergängen und lauſchigen
Plätzchen, mit einem Glockenthurme auf
der Höhe. Die Ausficht über das meite
Land Hin ift entzüdend. Im ganzen
Lande fonnte man noch vor furzem nichts
Lieblicheres finden, als diefen bergigen
Wildpark in der nächſten Nähe einer
Stadt, und mancher Fremde fam nad
Ubelsberg, um ſich darin zu ergehen.
Singvögel gab es auf allen Wipfeln,
in der Stadt hatte jih ein Verein
zum Schuße diefer Singvögel gebildet,
und der Stadtgärtner gab ſich alle
erdenflihe Mühe, das Ländliche und
Idylliſche in Ddiefem Wildpark, dem
Stolje von Abelsberg, zu erhalten,
Da ſtand eines Tages im Hohen
Rathe ein Mann auf, der hielt fol=
gende Rede:
„Meine Herren! Sie alle wiljen,
wie ſehr das Wohl unjerer Stadt mir
am Herzen liegt. Uber Ddiefes Herz
eigentlich ein mäßig anfteigender, größ= blutet, jo oft ich eines Punktes ge=
denke, dem ich Füglich als den Krebs—
Schaden dieſer jonft jo ſchön aufftre-
benden Stadt bezeihnen möchte. Ach
meine den Wbelsberg. Können Sie
uir eine moderne Stadt nennen, bor
deren Thoren eine Wildnis liegt ? —
Das kann man vielleicht bei halbwil-
den Völkern finden, aber unferer Zeit
ift es geradezu unwürdig, wie der
Abelsberg ausfieht. Wer Bäume jehen
will, der ſoll ins Gebirge gehen, in
die Stadt gehören Häuſer. Welcher
Grund eignet fich beſſer für Neubau:
ten, als die Flächen des Abelsberges ?
Wenn der Gemeinderath ſolche Stellen
brach liegen Läjst, jo ift er — ver—
zeihen Sie! — ein Verſchwender, denn
er läfst vor feiner Stadt Millionen
unbenüßt liegen. Alfo fort mit Stamm
und Strupp vom Abelsberge, fort mit
den krummen Schleichwegen, die heute
duch Did und dünn binanfchlängeln.
Der gerade Weg ift der beſte. Auf
der Spitze des Berges elegante Ver—
gnügungs-Etabliſſements und eine
Drahtjeilbahn Hinauf! — Meine Her-
ren, in diefen wenigen Worten liegt
der Plan zur künftigen Größe der
Etadt Abelsberg. Ih beantrage die
Devaltierung der Wildnis und den
- Bau einer Eifenbahn auf den Abels—
berg.“
Die übrigen Räthe waren geradezu
verblüfft über die Großartigkeit der
dee, und als fie fich wieder ernannt
hatten, wurde der Antrag mit Begei—
fterung angenommen. —
Bei einer nächſten Sitzung des
hohen Rathes trug ſich folgende De—
batte zu.
Die Hansfrauenſchule von Abels—
berg, welche junge Mädchen befonders
in den häuslichen Wiſſenſchaften und
Tertigleiten unterrichtet, aber nicht
jeher gut fundiert war, bat den
Rath um eine Subvention. Der Mann,
welcher das Gefuch einbrachte, unter:
fügte jelbes mit warmen Worten und
wies auf die große Bedeutung der
Anftalt hin. — Na, dem wurde heim—
gelenchtet!
„Hausfrauenſchnle!“ rief der Gegen—
redner aus. „Leben wir in einer Stadt
von Philiſtern, daſs mau ſich nicht
entblödet, einen ſolchen Antrag ein—
zubriugen? — Als ob unſere Töchter
zu Schuſtersfrauen und Hausmeiſters—
weibern hergerichtet werden ſollen.
Kochen! Flicken! Waſchen! Glät—
ten! das ſind ja doch die vier Facul—
täten einer Hausfrauenſchnle! Die
Bürgerstöchter von Abelsberg Köchin—
nen, Nähmamſellen, Waſchweiber! Und
einer ſolchen Auſtalt eine Subvention?
Ich will nicht näher auf das geradezu
beleidigende Auſinnen eingehen, ſon—
dern ſtelle den Gegenantrag, daſs eine
Subvention für die Hausfrauenſchule
für jeßt und alle Zeiten abgelehnt
werde, Dingegen, daſs ein Beitrag
für unfere höhere Töchterfchule bewil—
ligt werde, denn die höhere Töchter:
ſchule fördert die wahre, die moderne
Bildung, und Bildung macht frei!”
„Und darum bleiben die meilten
Dlauftrümpfe auch frei", entgegnete
der erite Antragfteller, „aber, joweit
ih das weibliche Gejchleht kenne,
wünscht es nicht frei zu bleiben,
fondern wünſcht ſich beizeiten einen
Freier. Mein geehrter Herr Gegenred—
ner hat fünf Töchter, für die er gerne
die Höhere Töchterſchule protegieren
möchte. Ich jedoch erlaube mir, fünf
Söhne zu haben, und es ift möglich,
dafs dieſe ihre Augen auf die fünf
Töchter werfen möchten, Aber ıneine
Söhne find nicht reich, müſſen fich für
den Beamtenftand oder auch für den
Lehrftand entfchliegen, oder für ein
Gewerbe. Damen aus der höheren
Töchterſchule können fie nicht brauchen,
fie müfjen ihre Frauen beziehen aus
der Dausfranenshule, wo man nicht
franzöfifch parlieren, nicht über Kunſt
und Literatur Hochnafig urtheilen
lernt und nicht im die tiefſten Ge—
heimniſſe der Naturgefchichte dringt
mit jener Leichtigkeit, wie in die Tie—
fen eines Stridjirumpfes, ſondern, wo
man lernt, wie man einen einfachen
Haushalt Führt, die Kinder in Ein
468 _
fachheit und Arbeitjamfeit erzieht, dem Das Gejuh wurde im Nathe vor—
Manne fparen und ihm die Eorgen ;gelefen und die älteren Käthe, welche
tragen hilft. Wenn unfere jungen |bie Tradition des Mbelsberger Thea—
Männer, die ih nah Familie und ters hoch hielten und dieſer Anftalt
Däuslichkeit fehnen, folche Frauen nicht | viele jchöne Abende und edle Anre—
mehr finden, dann müſſen fie halt ſel- gungen zu verdanken glaubten, nickten
ber fodhen, nähen und waſchen lernen,
damit wir in Zukunft den Kohl nicht
roh verzehren, nicht zerriffen und nicht
— ſchmutzig in die Rathsverfamm-
lung gehen müſſen. Verweigert ihr,
meine Herren, den Beftand der Hauss
frauenjchule für Mädchen, jo bean-
trage ich die Gründung einer Haus»
frauenjchule für Männer.“
Der frühere Redner gab fi nun
ein jehr würdiges Anfehen und fagte
ganz ruhig: „Ich glaube micht, dafs
bier der richtige Ort ift, um wohl—
feile Späfje zu machen. Ich wieder:
hole, daſs es unſerer Stadt un:
würdig ift, zum Nachtheile der höhe-
ren Töchterſchule eine Plebejeranftalt
zu unterftüßen.*
Die claffifsche Ruhe wirkt immer,
auch wenn man in derjelben etwas
nicht ſehr „Claſſiſches“ jagt. Das
Gefuh um Unterftügung der Haus:
frauenjchule wurde abgelehnt. —
Der Theaterdirector von Abels—
berg, war ſchon lange in der Stlemme
weil die Abelsberger immer ein gutes
Theater haben, aber keine guten Ein- |
trittspreife bezahlen wollten. Sein
Theater konnte fih in der That mit
denen der Reſidenz meflen, ja es
gab Leute, melde dem wirklich
fünftlerifchen Beftreben des Abelsberger
Theaters den Vorzug gaben, gegenüber
den mehr durch Ausstattung und Thea-
iereffect wirkenden Großftadtbühnen.
Aber mit der Ehre allein zahlt man
feine Gagen. Alſo dachte ſich der
Abelöberger Thespis: Wenn unfer jo
ideal angelegter Gemeinderath jchon das
Praltiiche ignoriert, jo wird er gewiſs
die Kunſt protegieren, und das um
jo ficherer, als das Theater ja Eigen
thum der Stadt if. — Er ſchrieb
ein Gefuh an den hohen Rath um
Begünftigungen für das Theater.
beiſtimmend ihre grauen Häupter. Die
Kurzfihtigen! Ein jüngerer Mann
ftand auf, ein echter Sohn feiner Zeit,
und hielt folgende Rede:
„Meine Herren! Wir leben in
‚einer wirklichen, im einer ernsten Welt,
unjere Loſung ift Wahrheit, und nicht
Schminfe. Wir müſſen endlich den
Muth Haben, alles Komödiantenthum
über Bord zu werfen. Bildungsan—
ftalt! Das Theater! Wiefo? Wozu?
Wir find ohnehin jchon ſehr gebildet.
Geben fie claſſiſche Stüde, jo geben
wir nicht hinein, weil wir ohnehin
ſchon gebildet find. In die ſchlechten
Stücke gehen wir freilich hinein, aber
die verderben uns. Es iſt unmwahr,
daſs an uns nichts mehr zu verder—
ben iſt; wir können ganz eurios ver—
dorben werden! Mancher iſt geradezu
fertig, ſage ich euch. Ich zum Bei—
ſpiel gehe ſchon lange in kein Thea—
ter mehr und erlaube es auch meinen
Kindern nicht, dieſe Schule der Ver—
ſtellung zu beſuchen. Von dem Gelde,
das ein einziger Sperrſitz koſtet, fann
eine ganze Familie ſich einen gemüth—
lichen Abend im Gaſthauſe beim Bier
gönnen und läuft nicht Gefahr zu ver—
brennen, wie im Theater. Zudem hat
man auch im Wirtshaufe Gelegenheit,
gute Komiker zu fehen und hübſche
Sängerinnen zu Hören! Wozu aljo
ein koſtſpieliges Inſtitut, das nicht
leben und nicht fterben kann, jolange
es die Gemeinde unterftüßt. Unters
| fügen wir es nicht mehr, laffen wir
es ruhig ſterben.“
„Und die Kunſt?“ rief ein an—
derer drein, ohne um das Wort erſucht
zu haben.
Der Redner fuhr fort: „Der hohe
Rath von Abelsberg hat ſeinen Kunſt—
ſinn auf das glänzendſte bethätigt. —
Meine Herren! Ich erinnere Sie mit
+61
freudigem Stolje an unferen neuen
Friedhof! Wir haben eine halbe Million
dafür bewilligt! Warten Sie, bis er
vollendet jein wird, bis die impofante
Einfahrtspforte, die architektoniſch mei—
fterhafte Leichenhalle, der mit feinftem
Geſchmack ausgeftattete Aufbahrungs—
ſaal eröffnet ſein wird! Dann die rei—
zende Anordnung der Gräberreihen
und Gruppen, wie im ſchönſten Parke
der Welt! Und die Arkaden, gleichſam
Ausſtellungspavillons großartiger Grab—
denkmäler eines nach dem andern — es
wird ein wahres Vergnügen ſein. Und
uns, die wir das Publicum zur Unter—
ſtützung der Kunſt nachgerade zwin—
gen, indem wir die obligatorifche Auf—
babrung der Leihen in der Friedhofs-
halle vorschreiben, uns wird Mangel
an Kunſtſinn vorgeworfen! Warten
Sie doch erft, bis die neue Straße,
die Pferdebahn eröffnet fein wird zum
Friedhofe hinaus, ein wahrer Corſo
wird es werden, eine Promenade der
eleganten Welt, ein Erholungsort für
das Volt, mit einem Worte, wenn
der neue Friedhof erft eröffnet if,
wird fein Menſch mehr nach dem Thea—
ter fragen. Ich verjpreche mir einen
großen Erfolg. Unter ſolcher Perſpec—
tive glaube ich, daſs wir die Theater»
frage für abgethan erflären und zur
Tagesordnung übergeben ſollen.“
Der Antrag wurde angenommen,
das Geſuch des Theaterdirectors ab-
gelehnt. —
Bei einem fo ideal=fortichrittlichen
Regimente darf uns um die Zukunft
Abelsbergs nicht bange fein. Und in
der That, wir jehen bereits die er—
freulichften Refultate. Der Abelsberg
ift abgeholzt, auf den jonnigen Grün
den wachen die üppigften Difteln, die
Schlangenwege jind verichüttet und
eine Drabtieilbahn
fehen wie eine ungeheuere Laterne.
Aber die Leute find noch zopfig, möch—
ten lieber in einem Walde jpazieren
gehen, als auf den Berg zu fahren,
um oben an der höheren Stelle ftatt
des höheren VBergnügens bloß höhere
Preife zu finden. Nur die höheren
Töchter fahren manchmal hinauf, geben
dort oben im der Laterne große Ala-
demien mit Declamationen und Cla—
vierfpiel. Davor ſitzen felige Mütter,
ihre genialen Töchter bewundernd und
feiernd, während daheim die Ehemän—
ner mit den Dienſtmädchen berath-
Schlagen, wie man die Heinen Kinder
atzt und fich felber den Kohl wärmt.
Der hohe Rath iſt oberfter Leiter
der Laternenwirtfchaft, er veranftaltet
daher in derfelben allerhand Vergnü—
gungen, als: Bänkelſänger-Concerte,
Kunſtreitereien, Thier-Gymnaſtiken,
Taſchenſpielervorſtellungen, Junggeſel-
lenabende und dergleichen, um die
Leute reichlich und redlich zu entſchä—
digen fürs Theater, das mittlerweile
glücklich zugrunde gegangen iſt. Weil
aber das vorurtheilsvolle Volk eine un—
erklärliche Abneigung vor der Berg—
fahrt hat und ſein Geld lieber in den
Wirtshäuſern der Stadt verſchlemmt
als oben, ſo will der hohe Rath
demnächſt den Stadtwirtſchaften das
Gaſſhausrecht entziehen, um alſo
gemeinnützig im höheren Sinne
zu wirken.
Zu einem beliebten Beluſtigungs—
orte ift der neue Friedhof geworben.
Jeden Tag ziehen ſie mit Pompes-Fu—
nèbres⸗Carroſſen unter Muſik hinaus;
und draußen find alle zufrieden: Die
Yebendigen, dafs jie wieder zurüdfah-
ren, die Zodten, daj3 fie draußen
bleiben dürfen. Schön ift das! Und
wenn fich zu Abelsberg einer ein wirt:
führt im einer jliches Vergnügen machen will, fo ftirbt
Minute auf die Spitze des Berges. er, und ſprichwörtlich ift es bereits
Oben fteht ein einziges, großes Ge= geworden weitum:
in Abelsberg iſt's
bäude, mit feinen Glaswänden anzu- am luſtigſten auf dem Friedhofe.
Ein Brief in Berfen.
Einem jungen Dicter.
Junger Freund! Ich hab’ gelejen,
Was du heute mir gefchrieben.
Tichter aljo willft du werden
Und von deinen Berjen leben;
Gpen, Dramen, tleine Lieder
Willſt du ſchaffen, und begeiftert
Höchſten Idealen dienen:
Tröften willft du düſtre Herzen,
Zeigen willft du aus dem Wirrjal
Diefes Seins den Weg zum Licht —
Und fo weiter. Ach ich kenne
Diefe Worte, kenn’ die Noten
Auch, in welche fie gejegt find!
Sehnjuht war der Töne Künftler;
Junges Herz, e3 jhlug den Taft
Und das Banze Hang jo lodend,
Faſt als ob es Engel jangen —
Und man glaubt «8, glaubt’& fo gern.
Laſs dir etwas nun erzählen.
In dem Haupte jedes Dichters
Lebt verborgen eine Spinne.
Bon Gedanten und von Bildern
Rährt fie fih zu allen Zeiten
Und das Herzblut ift ihr Trank.
Phantafie nennt fi die Spinne.
Und aus fi nun zieht fie raftlos
Kurze Fäden, lange Fäden,
Kleine Lieder, Epen, Dramen
Und noch mande folde Saden.
Kindiſch find die Herren Dichter,
Denn fie freuen fi unendlid,
Wenn die Zahl beſchriebner Blätter
Sich in ihrem Schranle mehrt.
Alfo iſt's auch mir gegangen,
Und ich zählte ftolgen Herzens
Da die vielen, vielen Blätter
Und ich ſprach zu meiner Seele:
„seo will ich nicht mehr zögern,
In die Welt hinaus zu jenden
Kurze Fädchen, lange Fäden,
Kofrgger’s „„Heimgarten‘‘ 6. Heft. XV,
Lieder, Sprüche, ernfte Epen.
O, wie wird die Welt fi freuen,
D, wie wird das Bud jie faufen!
Mehr jedoch als alle Menjchen
Wird fih freuen der Verleger,
Denn er jehnt fih nah Gereimtem.“
Und ich padte nun die Blätter,
Wie die Mutter hüllt ihr Kindlein,
Sorgjam, liebevoll zufanımen,
Drüdte mir den Dichterlorbeer
Auf das ftolz erhobne Haupt —
Und die Naſe in den Lüften,
Alſo ſchritt ih zum Berleger.
Und ich neigt’ mich ſtolz beſcheiden,
Wie's geziemt dem Geiftesriiter,
Und in wohlgejegten Worten
Bradt’ ih meinen Antrag vor.
Schweigend horcht' der Freund der Rede
Und dann Hub er aljo an:
„Zaufend Menſchen gibt's in Deutfhland,
Welche einmal fih im Leben
Einen Band Gedichte Taufen
(Lieber aber ſchenken laſſen).
Taujend Dichter gibt's für dieſe
Taujend Iyrifhen Gemüther, —
Jedem Dichter einen Käufer —
Und du haft den Muth zu fordern,
Dais ich deine neuen Lieder
Soll in taujend Eremplaren
Druden und dann binden laffen ?
Eins der Bücher wird verlfauft —
AL die andern fommen wieder,
Halb befhmugt und angerifjen
Und ih muj8 fie dann verhandeln,
Lieber Freund, und wenn's jehr hoch fommt,
Einen Pfennig für das Rilo
Bei dem allernädften Krämer.
Sieh, der widelt Schweizer Käſe
Dann in deine reinften Klänge;
Macht aus deinen Epigrammen
Hübſche Düten für den Pfeffer
Und in deine tiefften Hymnen
Hüllt er einen Häring ein.“
Mir entrollten große Thränen,
30
4656
Gr jedod, er hatte Mitleid,
Wiſchte fie mit einem Tüchlein
Aus den Augen mir und jagte:
„Bring mir Proja, Ernftes, Heit’res,
Alles will ich gern verlegen.
Broja hat zwar manden Nachtheil,
Aber, Theurer, wird bezahlt.“
Alſo iprad zu mir der Gute.
Ich erhob mid; meinen Lorbeer
Stedt’ ih in die tieffte Taſche
Und gebeugt die Dichternaje,
Schritt beſcheiden ih nad Haus. —
Junger Freund! Den Göttern dienen
Kann der Dichter nicht um Gold.
Wenn dich deines Geistes Schwingen
Zu dem Duell der Bilder iragen,
Zu der Heimat der Gedanten;
Wenn du Stunden nur im Leben
Darfft im hoben Himmel atbmen:
Dant dafür aus heikem Herzen,
Guter, liebereiher Macht.
Glück iſt's: Schönes ſchaffen fönnen,
Und es trägt in ſich den Lohn.
Spinnen lals die Spinnerin
Ihr Geweb' aus zarten Fäden,
Sei's zu einem warmen Jäckchen,
Das die Seele wärmt und jchüst,
Wenn der Froft dir in das Herz bläst,
Sei's zu Fauſtens Baubermantel,
Der den Geift mit Sturmesflügeln
Uber Erden, Sterne, Sonnen
Aus der Welt des farbigen Scheines
Zu dem reinen Licht der Wahrheit,
Zu dem Eik der Gottheit trägt.
„Beitgenofe.“ to von Frimer.
Goethe und die Karlsbader.
In welch berzlicher Weiſe der große
Dichterfürſt
zugethan war, geht aus einem Briefe
bervor, den derjelbe anlälslich einer am
19. September 1821
ähnlichen Überſchwemmung, wie jie den
berühmten Gurort am 24. November
v. J. heimgejudt, an den Grafen Starn-
berg unterm 26. September 1821 ge
richtet bat.
„Unmöglich ijt mir’3 zu schließen, ohne
meinen tiefften Antbeil an dem Karls—
bader Unglüd auszuſprechen. Seit 40 Jah—
ren hab’ ich dieſen Ort in einem glüde
lich bürgerlichen Zujtande gefannt, obwohl |
ih wohl mujäte, wie die Tegler Teiche
als ein Schwert am
ruhig dahinlebenden Bürgern und Cur—
gäften über dem Daupte biengen. Nun
iſt e3 denn höchſt lebensitörend, wenn
den Bewohnern Karlsbad: |
itattgefundenen ,
In diefem Briefe heißt es:
Merdehaare den |
‚wir das, was wir Vor» und Nachfahren
‚allenfalls bedauerlid überweiien, nun
jelbit zu unferer Zeit an den unjerigen —
‚denn ih darf die guten Harls-»
'bader wohl die Meinigen nem
nen — unerwartet erfahren müſſen.“
Goethe war befanntlich nicht weniger als
dreizehnmal zur Gur in Karlsbad und
fühlte ſich dort jehr heimiſch. Er knüpfte
vielfab Beziehungen mit Starlsbader
Bürgern an und als im Jahre 1812
die Kaiſerin Maria Pudovica nach Karls—
bad fam, Dichtete er jelbit, indem er
jih ſchon ganz als Karlsbader fühlte,
eine Begrüßungs- und Abjchiedshnmne.
Der Trinkbecher Goethes, aus dem der«
'jelbe in Karlsbad das heilipendende
Nails Ichlürfte, wird im Goethehauje in
Frankſurt a. M. noch aufbewahrt. Die
Harlsbader hielten das Andenken an
Goethe jederzeit heilig und im Sabre
1882 ward dem bervorragenden Freunde
und Gönner dieſes Gurortes von den
‚Bewohnern desjelben ein ſchönes Denk:
mal errichtet, weldes an der Haupt:
| promenade am Slieswege Aufitellung fand.
In diefem Denkmale wurde der Dichter:
fürft zum zweitenmale von einer gleich
fürdterlichen Überſchwemmung ereilt, wie
‚fie ihn im feinem vorangeführten Briefe
zu jo berzlicher Theilnahme bemegte.
Die Wellen jchlugen von dem herrlichen,
Profeſſor Donndorfs Meifterband ent:
ftammenden Monumente die Bülte herab,
welche ſich tief ins Erdreich vergrub.
Diejelbe wurde nach der Überſchwemmung
unverſehrt aufgefunden und wird in
‚ fommenden Frühjahre auf hohem Poſta—
ı mente wieder mie vordem die Bewun—
derung aller Eurgäfte erregen, welche
die herrliche Stadt mit ihren prachtvollen
| Anlagen und curortlichen Einrichtungen,
| wenn verändert, jo nur verſchönert wie-
derfinden werden.
Hermann Haugo.
Seit zwei Jahren begegnen wir dieſem
Namen in vielgelejenen Zeitichriften Diter-
reiht und Deutichlands unter Dichtungen,
welche durch ihre eigenartige Gedanken—
jwer—ugr
467
tiefe, durch die Macht ausgereift männ: |
Haugos Gedankentiefe jteht eine kühne
licher Stimmungen, jowie durch tadelloje ı Gejtaltungskraft, leidenjchaftliche Glut des
Formvollendung die Aufmerkſamkeit in
joldhem Grade erregten, daſs maßgebende
fritiihe Stimmen ſich bereit3 mit dem
Dichter zu beichäftigen begannen, bevor
noch ein erjtes Werk von ihm in Buch—
form in die Öffentlichkeit gefommen war.
Heute liegt uns ein jolhes: „Zum Licht!“
Gedichte von Hermann Haugo,
Stuttgart, Bon; & Comp. vor
und zeigt uns Haugo, wir zögern nicht,
es auszuſprechen, al3 das vielleicht be-
deutendjte lyriſche und lyriſch-epiſche Ta—
lent, welches Oſterreich ſeit Hamerling tigen
Empfindens, vollendete Beherrſchung der
Sprache, ſowie ein außerordentlich feines
Naturgefühl ebenbürtig zur Seite.
Mit ganzer Kraft tritt der Dichter
jederzeit für die großen, unverrüdbaren
Ziele der Menjchheit, für den Sieg der
Liebe über den Hajs, für die Herrichaft
des Hohen über das Gemeine, für die
Erziehung der Menjchheit zum reinen
Menſchenthum ein, In ſolcher Weije klärt
fi in jeinem treffli, überaus eigenartig
aufgefajsten lebensvollen und bilderpräd-
Gedihte „Sintflut“ aus dem
erjtanden ijt. Der Titel des Buches, ſowie Dunkel der Bernichtung eine neue, Licht-
das demjelben vorgejeßte Motto:
Was id bringe,
It ein Streben,
Wie das Beben,
Das ich ringe:
Troß des roben Tags Gewalten
An dem Willen feitzuhalten —
Nährt die Wurzel aud bie Arume.
Nur das Licht erweckt die Blume!
tennzeichnen deutlich die Ziele
Strebens,
Haugos dichteriiche Geſtaltungskraft
liegt vornehmlih in der Tiefe jeiner Ge-
danfenlyrif, im welcher eine volljtändig
abgeflärte Weltanihauung auf kosmiſchem
Standpunkte nach Geltung ringe. Mag
der Dichter auch die verjchwindende Ohn—
macht des einzelnen zur Größe der un—
erbittlih waltenden Natur erkennen, jo
läjst er doch nie den Glauben au die
Menjchheit in ihrem mächtigen Entwide-
lungsgange, als zu jener gehörig, finten.
Er weiß, daſs fih das Einzelne nur
opfert, um dem Ganzen zum Siege zu
verhelfen:
„Sinmal brauch’ ib jeden Einen,
Einmal nur, dod einmal ganz,
Eo wird Gröktes aus bem Sleinen,
Und beficht der Welten Kranz”
verfündet er in jeinem Gedichte „Natur:
programm“, in mweldem, jowie in den
Beilen jeiner Dichtung „Fata mor
ſeines
gana“:
„Durch alle Himmel niedertönte
Die Funde: Menſch, es gibt ein Glüd!
Dem einzelnen geſchieht nur Wehe,
Damit das Eis der Eigenfucht
Berbrede und der Menichenliebe
Fruchtbarer Lenz erwachen kann!”
die jelbitloje Größe feiner Dichtungen am
ſchärfſten hervortritt.
| umjäumte Welt:
„Fin Reich entzüdten Lichte auf Erden lag,
Der Liebe hulbigte der neue Tag.”
In gleihem Sinne erjcheint ihm Chris»
ſtus, welchen er in einer an Wereſchagin
‚gemabnenden Schärfe der Darjtellung
erfajst, im dem Adel jeiner Lehren als
die bis nun weiteſtgehende Verkörperung
reinen göttlihen Menjchenthums. Sn
dem Gedihte „Elytia“ kommt ber
erlöjende Gedanke desjelben zu edelſtem
Ausdrude.
Eine glüdlihe Verbindung von realem
Denken und Empfinden läjst Haugo jene
Bahnen jchreiten, welche die befreienden
Geiſter der Menjchheit immerdar gewandelt
find. Er vergiist wicht die Zeit, in der
er wurzelt, bejchäftigt jich aber nicht jo
ehr mit den jocialen als den philofo-
phiichen Problemen derjelben. Ein jtarfes
epiiches Talent beweist der Dichter in
der jcharfen Zeichnung aller jeiner Ge
jtalten, in der finnlich-bejtridenden Macht
der Darjtellung in jeinen erzählenden
Dichtungen. Das Gedicht „Raphaels gute
Stunde“, lettere in Goethe'ſchem Sinne
genommen, zeigt, wie tief der Dichter in
das Mejen des Genies zu bliden ver
mag. Die claifiihe Neinheit der Form
verdient bier bejondere Erwähnung.
Haugo ijt eine durchaus eigenartige
Erjheinung. Er ift ebenjo eigenartig in
der Wahl jeiner Stoffe, wie in der Zeich-
nung jeiner Gejtalten, wie in der Form
des Auzdrudes. Er it eine rein jubjec-
30*
tive Natur, jedoch eine jolche, welche viel
zu geben hat. Den bejonderen Ernit des
Dichters in jeinem Streben befundet die
vornehmeftrenge Selbſtkritil, welche der—
ſelbe ſichtlich bei Zuſammenſtellung ſeines
Werkes geübt, ſowie daſs er fein ein—
jiges jeiner gewiſs gleichwertigen Liebes»
gedichte in dieſe erſte Sammlung aufge
nommen bat. Bebauerlich erjcheint es,
daſs auch die in Zeitſchriften veröffent-
lichten Erzählungen in Verſen „Sygin“
und „Tannhäuſer“ von der Aufnahme
ausgeſchloſſen wurden.
Für den männlichen Geiſt Haugos be
jeichnend iſt es, daſs er das Bud jeinem
„Vater“ gewidmet. Das Talent des
Dichters fteht heute mit jenem Buche auf
der eriten Stufe der Entfaltung. Wir
wünjchen demjelben im Intereſſe der hei—
mijchen Dichtkunft die reichite Ausgeftal«
tung, fie würde einen entjchiedenen Ger |
winn für diejelbe bedeuten.
Buft. Andr Rejiel.
Wie der Bater Uhein Hodzeit
madıte.
Wahrbaftige Mär! vom Yliederwald. Einem
Römerglafe abgelaufht von Ronrad Scipio,
Trüb einfam lag der Vater Rhein
Auf feinem grünen Bette,
Er dat’ in Lieb’ und Maienſchein,
Wie gern die Maid er hätte,
Jahrtaufend war dahin gerollt
Zum Meer in grünen Wogen,
Seitdem er ihr geweiht das Gold,
Das feine Reben fogen.
Doch nimmer er die Braut errang
Mit höfiſchem Werben und Minnen:
Zu Grund er endli finfter jant,
Ließ thatlos Zeiten rinnen.
In Träumen nur dadt’ er der Maid,
Und wie fie wär’ fein eigen:
Er träumt’ von ſtolzer feliger Zeit
Und hehrem Hochzeitreigen.
Dod, was der Treue ftill geträumt,
Das haben die Wellen voll Leben
Den Bergen rings empor gefhäumt,
Damit getränft die Reben.
468
1
—
In denen ſtieg's durch Blüt' und Frucht
Zu goldig klaren Thränen;
Die haben die Herzen aufgeſucht
Zu ihrem bangen Sehnen,
Auf einmal zog ins Land hinein
Ein fFlüftern, Rufen, Schreien:
Der Grüne, der Alte, der Bater Rhein
Der wolle doch noch freien!
Nur wenige hatten ihren Spott:
„Er jei vol herben Weines“,
Toh Millionen priefen Gott:
„Zur Brautfahrt auf, des Rheines!“
„Durch Hunderttauſend zudt’ es ſchnell“,
Beim Feſte nicht zu fehlen:
Voran ein Alter jugendhell,
Braufführer, nicht zu zählen.
Doc die geeilt zum grünen Hag,
Das Herz voll Hochzeitlieder,
Nicht alle ſah'n den Hochzeittag,
Nicht alle kamen wieder,
Der Rhein lieh immer Wellen noch
Ch jeinem Haupte ſchäumen,
Run fuhr empor er plöglih hoch
Aus feinen alten Träumen.
Und was er ſchaute, trug ihn weit,
Yahrtaufend weit zurüde,
Doch was er fah, war Wirklichkeit:
Der Kaiſer ritt zur Brüde!
Zur Rechten führte er die Braut,
Erblüht in Jugendprangen;
Hat fie dem Freier angetraut,
Geftillt fein heiß Berlangen.
Bepriefen waren Seel’ und Leib
Der Holden nah und ferne:
„Hurrah, Germania, flolzes Weib!
Glüdauf Germanias Sterne!*
Dort oben ift gebaut ihr Thron,
Dais feft er ewig ſtehe:
Germania mit Schwert und ron’
Dem Rhein vertraut zur Ehe.
Hier hält am Tag fie hehre Wat,
Weit jhauend auf die Lande;
Beheimnisvol zur Mitternadt
Steigt fie hinab zum Strande.
Die Stunde iſt's der Ewigkeit:
Der Zeiten Schleier fallen,
Die Helden der Vergangenheit
Zum Kaijerftuhle wallen.
Der Borzeit Schwinge mädtig rauſcht,
Der Ahnen GBeifter walten:
Der große Karl bier Zwieſprach tauſcht
Mit Kaijer Wilhelm dem Alten.
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Der Rothbart und der Löwe fteh’n, ger gelebt. Geheißen hat er Hans
Um nie fi mehr zu jheiden: Kindermann. Sein Weib war ihm jchon
Zu Potsdam aus den Gräbern geh’n
Die Friedriche, die beiden.
Ans grüne Bett fie fteigt zu Thal,
Sich jhmiegend dem Batten im Kuſſe:
Bon Blut und Kraft fill flüftern all
Den Reben die Wellen im Fluſſe.
Eie tündet, was fie Tags gejhaut
Hoch oben von der Warte:
Wie Friede weit die Felder baut,
Der Wein der Relter harrte.
Dann fteigt im Liebesglanz verflärt
Vergnügt fie auf zum Throne:
Daist wieder feft das ſcharfe Schwert,
Hält hoc die heilige Krone.
So hat die Liebe denn gefiegt,
Vereint zur Ehe die beiden:
Und was jo Gott zujammen fügt,
Kein Menſch ſoll's wieder fcheiden!
Hartgebüßter Erob.
Alte Urkunde von franz von Friedberg. |
|
weggeftorben, aber eine Tochter hatte fie
ihm zurüdgelaffen, die ift fiebzehn Jahre
alt gewejen und hat Gertraud geheißen.
Ein anderer Bürger hat auch juſt dazu—
mal gelebt, der bat Hartnid Kupfer
ihmied geheißen, ift noch jehr jung und
Ihön geweſen und bat fein Weib gehabt.
Gertraud, jagt man, ift das jchönfte Mägd-
lein genannt in der Stadt und jei in
den jungen Hartnid Kupferſchmied ſter—
bend verliebt geweſen.
Da iſt eines Tages der junge Hartnid
zum alten Hans Kindermann gekommen,
‘hat ihn um die Hand der fchönen Gertrud
gebeten und der alte Hans Flindermann
bat nicht nein gejagt, weil er es gewuſst
bat, daſs der junge Hartnid ein gar
waderer Gejelle wäre und auch ein
wenig Geld im Kaſten hätte. Dann ift
ber jelbige yreierdmann vor dad Mägd-
lein Hingetreten, hat ſich jogar auf ein
Anie vor ihr niedergelaffen und fie ge
Das ift geichehen vor gar langer beten, fie möge jein Weib werden. Der
Zeit und niemand dent mehr daran.
Vieles iſt damals noch anders geweſen,
ganz anders als heute, Aber bie jungen
Mädchen, die find fich gleich geblieben;
ih will jagen damit, daſs fie vor drei»
bundert Jahren juft jo verliebt gemwejen
find in ſchöne Männer wie heutzutage,
Gertraud ift jchier das Herz im Leibe
gehüpft und ihr Buſen hat gebebt vor
Wonne und Seligkeit, wie fie den jchönen
Hartnid zu ihren Füßen hat liegen ge
ſehen. Am liebiten wäre fie ibm um
den Hals gefallen, aber fie bat ihre
Liebe nicht gleich wollen verrathen, bat
daſs fie juft jo gern geheiratet haben ſich gedacht: „Wenn er mich jo ftarf lieb
wie jebt, daſs fie aber auch juft jo
progig geweſen find und die närriſch
|
bat, wie ich ihn, jo fommt er auch ein
zweites- und brittesmal!“ und hat —
verliebten Männer gerade jo gemartert nein gejagt!
haben, wie fie e3 heute noch thun, Daraufhin ift der Freiersmann
Da liegt ganz draußen im nord» | traurig von bannen geſchlichen. Weil er
öftlichften Theile des grünen Gteirer- | aber das Mägdlein jo ftarf lieb gehabt
lands ein winzige Städtlein, das hat |hat, wie das Mägblein ihn, fo ift er
jeit uralten Zeiten Friedberg geheißen |
und beißt auch heute noch jo, wenn es
drinnen auch nicht immer jo friedlich zu—
wirklich ein zmweitesmal gefonmen, hat
fihb abermals vor das Mägdlein hin-
gefniet und hat es gebeten um bie
gebt und zugegangen ift, wie e3 hätte Hand; und abermals hat Gertraud nein
jein follen, jchon um des Namens willen. | gejagt. Ihr hat dies von Hartnid jo
Vor mehr als breihundert Jahren |jehr gefallen, daſs fie an nichts anderes
ift e8 gemwejen, gerade al3 der grimme | mehr denken fonnte als an ihn.
Türfenfaifer Suleiman der Zweite in Dem jungen Hartnid aber hat das
unferen Landen herumgetobt und alles | Herz darob wehe gethan, dajs es hätte
hat wollen heidniſch machen. Zu jelbiger | berften mögen. Die Liebe jedoch iſt
Zeit hat zu Friedberg ein reicher Bür- !unbefiegbar und folche unbefiegbare Liebe
470
hatte der ſchöne Hartmid Kupferſchmied
im Herzen, darum hat er gedadt: „Aller
quten Dinge find drei!“ und iſt noch
einmal bingegangen, Hat ſich bingefniet
vor das Mägdlein und bat e3 gebeten
um feine Hand. Und wieder hat Gertraud
nein gejagt ! Das hat dem guten
Hartnib fürchterlich wehe gethan und er
bat nicht mehr wollen leben! Gertraud
aber bat ſich gedacht: „Sieben Male
will ich ihn bitten lajjen, weil fieben
heilige Sacramente find und das jiebente
it die Ehe!“ —
Dermweilen aber Gertraud Kinder—
mann jo frevles Spiel getrieben hat mit
dem Herzen bes guten Hartnid Nupfer:
ſchmied, ift der Zürfenfailer vor das
-Stäbdtlein gekommen, hat gewaltig ans
gepocht an deſſen Thore und hat hinein—
wollen. Die Friedberger aber find dazu—
mal gar tapfere Leute geweſen und haben
nicht aufgemacht, vielmehr haben fie von
Zeit zu Zeit einen Heinen Ausfall gewagt
und fi was zu eſſen hereingeholt.
Hartnid Kupferſchmied iſt jedesmal
dabei gemwejen, wenn die Friedberger ſich
ausgezeichnet haben.
Am morgigen Tage hätte wieder jo
ein Ausfall jein jolen. Da bat ji
ber junge Hartnid gedadt: „Vor dem
Ausfalle gehſt noch einmal bin zur
jhönen Gertraud, ein viertesmal, weil
es vier legte Dinge gibt! Du haft dich
jo oft ausgezeichnet, vielleicht willigt fie
ſchon defientwillen ein! — Und richtig
ift er bingegangen ein viertesmal, bat
fi niedergefniet vor dem Mädchen und
bat es gebeten um jeine Hand! Gertraud
aber hat ſich gedacht: „Jetzt jtehen wir
ichon bei der Buße!“ und zum vierten«
male bat fie nein gejagt! —
Nah der Buße folgt die Neue!
Das aber hat dem guten Hartnid
jo unfäglih hart gethan, er ift auf:
geiprungen und hinaus vor das Stadtthor.
Bald darauf haben fie ihn herein»
getragen, den Tod im Herzen. Wie
Schön-Gertraud das gehört hat, iſt fie
aufgeiprungen und bin, wo man den
Sterbenden zur Raft gelegt hatte, ift über
ihn bingefjtürzt, hat ihn gefüjst und mit
Thränen benegt und gejammert: „Mein
Hartnid, mein alles! Stirb mir doch
nicht !*
Hartnid bat die Augen aufgethan,
Gertraud angeblidt, gejagt: „Hätteſt
das früher gejagt!” und ift geitorben.
Gertraud ift alt geworden, aber
nimmer bat fie geliebt, nimmer bat fie
gelaht! —
Poctenwinkel.
Stimmungen.
Eintagsblüten nur find fie,
Luftige Eintagsblüten,
Nur zu bald der entihwund’nen
Tage fragende Mythen.
Duftig, wie felten Blumen,
Duftlos bälder, als and’re,
Um Wegrand jeh’ ich fie blühen,
Wo ich ftreife und wand're.
€. Zallburg.
Blumenfraum.
Dir ift das Leben die Roje, im fonnigen
Blätterfranz,
Mir fei es der wilde Sturmhut, gebroden
im Mondesglan;,
Dir lächelt's als ſcheue Mimofe, mit Anoipen=
wahl ohne Zahl,
Mir jei es die herbe Mufa, erblühend ein
einzig mal.
Du bift die ſchlanke Lilie, ein Blatt ſchnee—
weiß und rein,
In deinem Kelche zittern Thauperlen im
Sonnenfdein,
Ich bin der fernen Berge ſehnſüchtiges
ftolzes Sind,
Enzianblüte, im berbftliden
Abendwind.
Vergefi'ne
Die Lilie wird aufmärls zeigen, die Nofen
werden blüh'n
Und purpurn im Liebestuffe der Sonnen:
braut erglüh’n,
Die Enzianblüte wird fämpfen in Sturm
und Schnee allein,
Sie wird fi felbft Gebieter, Sich jelber
Scidjal fein,
€. Sallbarg.
Geb' vorüßer.
Grüßt dich ein trübes Auge
Tieffhmerzlih auf deiner Bahn,
Sieht du ein Herz voll Wehmuth,
O rühre nit daran !
471
Öfine die Schleufen nimmer,
Des Stromes, der eingedämmt,
Endlih nad langem Tojen
Sein ſtürmiſch Raujhen hemmt!
Geh’ vorüber und taude
Den Blid nicht in jenen Bid,
Du nimmft ihm die Ergebung,
Und gibft ihm nichts zurüd!
€. Sallburg.
Der Kafke.
Mädchen, dein Fall bin ich, fiehft du ihn!
jiehn,
Auf zu den grauenden Wollen ihn fliehn ?
Auf zu der Sonne, wie jauchzt er jo hell,
Badet die Schwingen in leudhtender Well’,
Mädchen, dein jagender alte,
Wie er auf ſchimmernder Achſel ſich wiegt,
Wie er fi hold an den Naden dir ſchmiegt!
Küfst er die Wang' und — wie raunt er ſo
traut, —
Dein roſiges Ohr, wie der Liebſte der Braut.
Mädchen, dein jagender Falke.
Koi’ ihn, du Mädchen, den Tag du nicht
weißt,
Da einft der Geier die Bruft ihm zerreißt;
Färbt ihm die leuchtenden Echwingen fo roth,
Stürzt dir zu Füßen, blidt an did im Tod.
Mädchen, dein jagender Falke.
Karl Giede.
Muth.
Mit einem Herzen, heiß von Sehnen,
Ging ih durch dieſe ſchöne Welt.
O irres Hoffen, müdend Wähnen,
Bon ſtillem Glüd, Du tiefer Traum —
Ih fand die Ruhe nur in Thränen,
Mein Mühen ward zu Schmerz und Schaum.
Gedanken hell wie frühe Sterne,
Bon Drange hoch die Bruft gejchwellt,
Die That jo trüb, das Ziel fo ferne,
Entfliehend wie der Woge Flut —
Sp ih Genügen nimmer lerne,
O bleibe treu mir, Stolz und Muth!
Suftau Czerny.
Moruüßer.
65 waren zwei Nahbarslinder,
Die nährten jüh-fehnenden Trieb.
Doch all ihr Fühlen und Denten
Ginander verborgen blieb,
Und was im Stillen ſchwur ihr Mund,
Ward nie dem lauten Tage fund.
So heimlih war ihre Lieb’,
Sie fahen mit ſcheuen Biden
Sid oft erröthend an.
Es zwang fie zu einander
Geheimer Zauberbann.
Doch ſchweigend giengen ſie wieder fort,
Und feines ſprach das erlöſende Wort — |
is Lenz und Glüd zerrann. |
W. Gehl.
Beduß.
| Man rühmet höchlich die Geduld,
| Die ih jo oft und oft gehajät.
Die Zögerin ift häufig ſchuld,
| Dais mandes Gute wird verpajst.
| Geduld, merk dir, wird ausgenüßt,
| Wenn fie zu viel, zu lang erträgt.
Sie wird zum Pfeiler, der nur fügt
India Eigennutz, der ftets fi regt.
‚Wird wie der Ejel, der die Laſt
Bergan zu tragen fi gewöhnt,
Im ſchleppenden Getrabe Raſt
Kaum zur Erholung ſich vergönnt.
Auf Gottes Erden nichts fteht ſtill,
Es greift da eins ins andre ein.
Wenn man etwas erfafien will,
Heißt's flinfen Sinn’s und thätig fein.
Gar ſchnell enteilt die Hücht’ge Zeit,
Geicheh'nes bringt fie nie zurüd.
Drum, wenn fie beut Gelegenheit,
So nüte gleih den Augenblid.
3. Bothbaner.
|
Zeitfliege.
Wie fraftvoll unſ're Zeit doc it,
In allem gleich ins Didfte ſchießt!
Die Kunſt iſt mein! Bin Realiſt;
Mein der Beſitz! Bin Socialiſt;
Nur her das Al! Bin Communift;
——— erqh all! Bin a
und wenn der Tag zu Ende iſt —
Sie finden ſich auf einem M.
| A. 1. Unaf.
Splitter.
| Wer nüchtern bleibt, wo jeder ſich beraufdt;
Wo alles ſpricht, nur ſchweigt und gierig
lauſcht;
Stets ernſthaft thut, wo jeder ſcherzt und ladt:
Der jinnt Berrath, vor dem nimm dich in
acht.
Arpad Sor.
4
I
In da Fremd.
(In niederöfterreihiiher Mundart.)
Hör i wo a Bachl rauſchn,
Kimmt mar allwei glei in Sinn:
Rinnt däs liabe, floane Bachl
Eppar in mei Hoamat hin?
Siach i obn dö Gmoilan wandern,
Kimmt ma wieda glei in Sinn:
Wandern leiht dö liachtn Gwoikan
Eppar gegn mei Hütl hin?
Siach i mo a Vögerl floign,
Kimmt ma wiederum in Sinn:
Floigt der liabe kloane Vogel
Eppar zu mein Dirndel hin?
Aoloman Aaiſer.
D Faſtenp redi.
Don franz X. Freiheim.
„Du Alti!“ fag da Bergler Hans,
3 geh in d Predi heut,
Mei Arbat bon i all ihon g'richt,
Drum bon i a grad Zeit.
Drauf fagt fer Weib: „No mir is's redt.
Kanft beten glei für mi
Weil's regnen thuat, Tann i net geh'n,
3 bon foa Parapli.*
Und wia da Hans fpot hoam dann Fumt,
Da is's fein Weib bald klar,
Dafs bei da Faftenpredi er
Im Gmoanwirtshaus drunt war.
„Beh ſcham di!" ſagt's — „bift du a Chrift,
A guata wir fi's g'hört? —
Statt guati Lehrn, bringft 3’ Haus an Rauſch,
„Du bift do gar nir wert!“
„No fei nur guat“, da Hans d’rauf jagt,
„Und laf3 mi hiazt ungihurn,
Weil i net bei da Predi war
Da hon i nir valurn. —
G'faſt bon i z'Haus als guater Chrift
Daſs 'n Magn ma z'ſam faft ziagt,
Und biazt bon i von dir a jhon
A Faſtenpredi friagt.“
„Ergökungen des Gemüthes“
vor 200 Jahren.
Mas man vor 200 Fahren als
gelelihaftlihe Unterhaltung und erlaub-
ten Spafs betradtete, davon bringt uns
ein aus dem Ende des jiebzehnten Jahr:
bundert3 jtammendes, in Schweinsleder
gebundene „Zauberbudh“ Stunde,
aus welchem uns Heinrihb Mar in der
„Bohemia“ ergögliche Proben liefert.
Laſſen wir dem Merfaller des Buches
felbit das Wort.
„Der Endzwed gegenwärtigen Zauber-
buches bezielet die anjtändige Ergötzung
derjenigen Perſonen, welche von ihrer
verdrieblihen Berufsarbeit ermüdet,
tbeils in beliebiger Einjamteit, theils in
aufrichtiger und luftiger Compagnie (Ge—
ſellſchaft) an allerhand curiöfer Kunſt
eine Ergötzung des Gemüthes und ein
höchſt gefälliges Belieben finden.“
Melde Art und Weile „das Gemüth zu
ergögen“ der Verfaſſer für die beite
hält, möge bier aus einigen Beijpielen
erfichtlich jein :
„Wenn jemand von hoher Perſon
befiehlt unverſehens eine Fürſtellung zu
machen, die ungewöhnlich jei, jo iſt wohl
eine der artigften, wenn man
Fröſche in das Zimmer bringt. Dieſes
zu bewerkjtelligen, thue man ungefähr
25 Fröſche im eine Schadtel und ſchiebe
biefelbe in den Holenjad, welcher mit
einem jubtilen Faden genäht fein muis.
Dann öffnet man zu geböriger Zeit das
Hojenband zujanımt der Schadtel und
geftattet den Fröſchen den freien Marſch
durh die Hojen, worauf die Fröoſche
unbemerft durh das Gemach jpazieren.
Dieje Kunſt war einft in Gegenwart des
Königs von Spanien gemadt, worüber
ih die jpanischen Dames ungemein ent-
jet und würde der Künftler in große
Gefahr als Zauberer gerathen jein, wenn
er nicht die Kunſt geoffenbart hätte.” —
Ueber das folgende Kunſtſtück würden ſich
die „ſpaniſchen Dames“ wohl weniger
entjegt haben: „Sich unfichtbar zu maden.
Tiefe Kunſt fol dem Unwiſſenden eine
volllommene Zauberei zu fein jcheinen,
doch kann man fie perfect aller Orten aus«
führen. Solches aufs kürzeſte vorzu—
ſtellen, laſſe ein großes Faſs dicht mit
kleinen Löchlein verfertigen, krieche darein
und laſſe es oben wieder zumachen, ſo
wirft du alles, was draußen paifiert,
wohl erkennen, dich aber wird niemand
in deinem Faſs befchauen können.” —
Nützlich für Jäger und praftifch
gewij3 ſehr verwendbar ift:
„Ein artiges Jägerkunftitüäd, nimmer
nicht zu fehlen. Diejes Kunftitüd haben
viele Schügen geprobt und alle meiften-
theil8 wahrhaftig befunden, weshalb ich
um joviel weniger Bedenken trage, das—
jelbe hier einzuverleiben. Man nimmt
einen Nagel, womit des armen Sünders
Kopf ift auf dem Rad angenagelt wor-
den und läjst davon bei einem Büchien-
ihmied ein Korn auf das Rohr der
Büchſe Segen. Man ift damit gemiis,
daj3 man alles Federwild durd den
Hals ſchießt. Probatum est.“
Eine bejondere Vorliebe zeigt der
verehrte Autor für „Rollen jo man
einem guten Freunde anthun könne“.
Mannigfach, wenn auch nicht gerade herz.
erbebend, find die Anweilungen, bejagtem
guten Freund einen „rechtſchaffenen Poſs“
zu spielen. Es muſs aber ein jehr
guter freund jein, mit dem man fich
Voſſen erlauben darf, wie 5. B. dieſen:
„Semanden aus dem Korb herauszufingen.
Befehle deinem guten Freunde, dajs er
fih unter einem großen Korb verfteden
jolle, und wette mit ihm, daſs du ihn
durh Singen nöthigen wolleft, unter dem
Korbe hervorzufrieben. Gehe aljo ein
andädhtig Lied fingend um den Korb
berum und giebe endlich einen
über denjelbeu, fo wird er wahrjcheintich
deines Singen: bald überdrüjlig werben
und unter dem Slorbe hervorfriechen.“
„Wahrſcheinlich“ es ſcheint ſomit
nicht „Probatum est“ zu ſein. Noch
auf mancherlei Art kann der gute Freund
„zur Ergögung des Gemüthes“ beitragen,
und der wadere Verfaſſer des Zauber:
buches jcheint in der Erfindung ſolcher
Poſſen unerſchöpflich geweſen zu fein,
So empfiehlt er unter anderem, dem
guten Freunde ein „Brechpülverlein“ in
die Suppe zu geben! — Wie neckiſch!
Meiters folgt: „Ein praftiiches Kunſt—
ipiel ift, dem guten Freunde, welcher ſich
zu oft umgebetener Weife zu Tiſche
ladet, den Teller mit Coroquintenſaft
einzureiben, damit alles, was in jein
Maul fommt, bitter jhmede.“ — Armer
guter Freund! Doch ift dies immerhin
ein umfchuldiger „Bois“; das büftere
Zauberbuh enthält noch derbere Necepte
für den unglüdlichen guten Freund. Es
geht doch nichts über eine anftändige
Ergößung de3 Gemüths! Dem Leer
geht zumeilen ein Licht auf, warum das—
jelbe in Schweinsleder gebunden tft.
Als nette gefellichaftlihe Unterhal-
tung empfiehlt der nette Mann eine
Schüffel voll Waffer zu gießen und bie
Anweſenden aufzufordern, recht aufmerf-
jam in das Waſſer zu jehen, da jih am
Grunde der Schüffel allerhand ſchöne
Bilder zeigen werden. „Wann jte nun
auf das genauefte in das Wafler Schauen,
ihlage mit der flahen Hand in bie
Schüſſel, damit fie alle naja werben.
.... —
Du kannſt fie dann wacker auslachen.“
Ein anderes „Poſſenwerk“ iſt, mit je—
mandem zu wetten, daſs, wenn er eine
Feuerzange zuſammendrücke, eine Peter—
ſilie daraus hervorſchießen werde. Natür—
lich wird dies ſehr bezweifelt, aber „ſo
ſich ein dummes Schaf ſindet, welches
darauf eingeht“, ſo ſendet man beſagtes
Schaf für ſo lange hinaus, bis es wieder
hereingerufen wird. Während der Zeit
wird die Zange im Kohlenfeuer glühend
gemadt. Hierauf wird das Schaf herein»
gerufen und beauftragt, die Peterfilie
aus der syeuerzange herauszupreſſen,
wobei jich der betreffende jämmerlich „die
Bragen“ verbrennt, „wofür er von ber
ganzen Compagnie tapfer ausgelacht wird“.
Barbariiche Thierquälereien find in
dem Buche als „Beluſtigungen“ angeführt.
So ſoll es 3. B. jehr laächer lich an-
zuſehen ſein, wenn man eine Henne auf
den Tiſch ſetzt und ihr den mit einem
Meſſer durchbohrten Hopf an die Tiſch—
platte heftet! Oder wenn man einem
Hahn die Zunge abſchneidet, damit er
nicht mehr krähen könne.
Das nur wenige Beweiſe, daſs
in der „guten alten Zeit“ neben
Rechtſchaffenheit, frommem und uner—
ſchrockenem Sinn auch ein gut Stück
Roheit waltete, über deren Dahinſchwinden
wir Menſchen von heute uns freuen
dürfen.
Luſtige Zeitung.
Unbedenklich. Dame: „Aber
lieber Fährmann, warum wollen Sie mic
von Ihrem Jungen überjegen laäſſen!
Das ift mir doch zu bedenflih!" —
Fährmann: DO nei, der Bub’ fragt
noch nir nah den Weibsleut'n !“
Schlagfertig. Ein Stuger tritt
in eine Nneipe und wendet fich zärtlich
an die Kellnerin: „O Hebe“ — „dic
weg!” ergänzte die Schöne.
NReifere Jugend. Arthur: „Klara!
würden Sie — — könnten Sie
— mödten Sie — —“ — Sllara:
— —
474
„Nur Muth, lieber Arthur, was haben — „Höre, Bruder“, ſagte der eine,
Sie denn auf dem Herzen?“ — Arthur: ! „ich ſtehle doch das Reiſig zu meinen
„Wolltn Sie — — dürften Sie mir
eine Cigarre von Ihrem Papa jchenken ?*
Gine Thüringer Gejdidte.
Der Amtmann: „Sb frage Ihn,
Johann Ghrijtian Herold, hat Er der
Jungfrau Auguſte Kirſch das Ehever-
iprechen gegeben?” — Michel: „Sa,
Herr Roath!“ Amtmann: „Will Er
die bejagte Perſon heiraten? — Michel:
„Ne, Herr Roath !” AUmtmann:
„Nun, jo muſs Er fih mit ihr abfinden,
Wil Er ihr eine runde Summe geben ?*
— Michel: „Ne, Herr Roath!“ —
Amtmann: „Nun, jo mujs Er ihr in
Raten zahlen.” — Michel: „Ne, Herr
Roath!“ — Amtmann: „Aber, mein
Gott, was mill Er denn eigentlich ?”
— Midel: „Ihe? — Ih mwill’s ab-
ſchwöre!“
Aus dem alten Dresden. Ort
der Handlung: Eine Brücke, die für
Wagen und Reiter geiperrt iſt. Ein Reiter
ift eben im Begriff, über die Brüde zu
reiten. Schildwache (präjentiert das Ge—
wehr): „Herr Lieutenant, härn Se, Se
wollen über de Pride reite.“ (Der Lieute-
nannt reitet über die Brücke.) Schild-
wache: „Härn Se, Herr Lieutenant, härn
Se, Se reite über de Pride.“ (Der
Lieutenant ift himübergeritten) Scild-
wache: „Herr Lieutenant, Herr Lieutes
nant, Se find über de Pride geritten.”
Das Bankgeſchäft. Zwei be
freundete Berliner, denen man es auf
den eriten Blid anſieht, daſs fie nicht
den begüterten Gejellihaftsclaffen ange
hören, treffen fihb auf dem Bahnhof,
„Wo milljte denn Hin, Willem ?* fragt
Ludwig. — „Nah Poſen.“ — „Was
willjte denn in Pofen machen ?* — „Id
will 'n Bankgeſchäft ufmachen.“ — „Du,
'n Bankgeſchäft? Mit Deine paar Sechſer?“
— „Nee, — mitn Nachſchlüſſel!“
Zwei Bejenbinder
fih. Der eine ruft:
Kreuzer das Stück!“
„Beſen! Seh3 Kreuzer
begegnen
„Beien! Neun
der andere:
das Stüd !*
—
Beſen auch und kaun ſie nicht billiger
geben; wie machſt du es denn?“ — „Ich
ſtehle die Beſen ſchon gemacht.“
Ein ſonderbarer Kunde.
Von dem bekannten Komiker Beckmann
erzählt man ſich in Breslau folgendes
Stückel: Eines Tages erſchien er in einer
Eiſenhandlung, wo gerade nur der Lehr—
ling anweſend war. — „Ich möchte gerne
Schillers ſämmtliche Werke“, ſagte er.
„Wir verkaufen keine Bücher“, ſagte der
Lehrling, „dies iſt ein Eiſengeſchäft.“
— „Nun, ih bin nicht jehr genau“,
jagte Beckmann, der vorgab, ſchwer—
hörig zu fein, „mir it es gleich—
giltig, ob es in Kalbsleder oder Juchten
gebunden iſt.“ — „Dies iſt fein Buch—
laden“, ſchrie der Lehrling. — „Ganz
recht“, entgegnete Bedmann, „packen Sie
es hübſch ein. Schicken Sie es in mein
Hotel. Ich wünſche es einer Verwandten
zum Geſchenk zu machen,” — „Wir haben's
gar nicht!“ ſchrie der Lehrling, bis ihm
das Geficht krebsroth wurde. — „Packen
Sie es ein, als ob es für Ihre eigene
Mutter wäre”, jagte Beckmann gelafjen.
„Beſſer verlange ich e3 nicht. Ich wünſche
meinen Namen hineinzuſchreiben.“ —
„Sehen Sie nicht, daſs wir feine Bücher
verfaufen ?* kreiſchte der Lehrling. —
„Sehr gut, dann will ich darauf warten“,
jagte Bedmann ruhig und jehte fich nieder.
— Der Lehrling eilte zu dem Herrn des
Gefchäftes mit der Meldung, es jei ein
Hunde da, der verrüdt jein müſſe. —
Der Herr erihien: „Was wünjdhen Sie,
was ift Ihr Belieben ?* — „Ih wünſche
eine Feile zu faufen, eine einfache, fünf
Zoll lange Feile; Sie haben doch welche?“
jagte der Schauipieler. — „Gewiſs“,
entgegnete der Meifter mit einem ver»
nichtenden Blit auf den jpradlos da-
ftehenden Lehrling, und überreichte dem
Kunden das Berlangte,
Beinahe. „Denken Sie, Herr Ba—
ron, wie merkwürdig! Meine Schweiter
Eli it am 28. Juni geboren, ih am
1. Juli und Dora am 4. Juli, —
Alſo beinahe Dril-
„Koloſſal!
linge!“
Gin fluges Kind. Gretden:
„Ser doh ruhig, Hänschen; hörſt du
denn nicht, daſs Beſuch im Nebenzimmer
iſt?“ — Hänshen: „Woher weißt du
denn da3? Du warit doch gar nicht
drin!“ — Gretchen: „Aber ich höre,
dai3 die Mama zum Papa „Schatz“
jagt!“
Ein guter Vater. „Freut euch,
ihr Buben! Morgen i3 Sonntag, da
fauf i mir jo an Rauſch, dajs ihr euch
amal wieder herzlich auslachen kinnt!“
Sie: „Sie lieben mich aljo wirk—
lich, Hugo?" — Er: „Ich ſchwör' es
Ihnen bei den Roſen Ihrer Wangen,
den Soden Ihres Hauptes —“ Sie:
„Weh’ mir! Er jchwört einen falſchen
Eid!”
Boshaft. „Du, Frauchen, ſeh' ich
jo anftändig aus?“ „Täuſchend!“
Die Mohkencur. „Nun wie haben
Sie geihlafen, Fräulein?” — „Nicht
jo gut wie geftern, Herr Doctor.” —
„Da trinfen Sie heute einen Becher
weniger.“ „Borgeitern habe ich
einen Beher mehr getrunfen und jchlief
—
vortrefflihd.” — „So? — dann trinken
Sie heute auch einen mehr.“ — „Aljo
iſt das mohl jo ziemlich einerlei, ein
Becher mehr oder weniger?" — „Ja
wohl, mein Fräulein, — aber nur
nicht ohne ärztliche Verord—
nung!“
Ein bekehrter Sünder. Ein
Pfarrer im Weſten der Union hatte einen
biederen Farmer zum Nachbar, deſſen
Gewohnheit e3 war, Sonntags auf die
Jagd zu gehen. Auf des erjteren Zur
reden ſchloſs jih nun letterer der Kir—
hengemeinde an und veriprah den Sab-
bath zu heiligen. Ein Freund beider
Männer fragte nach einigen Wochen den
Pfarrer: „Bemerken Sie eine mwejentlidhe
Anderung an Freund P., jeitdem er
Kirchenmitglied iſt?“ — „Gewiſs“, ant—
wortete Hochwürden, „früher gieng er
475
mit der Büchſe auf der Schulter auf die
Jagd — jetzt trägt er ſie unter dem
Rochk.“
Ein Jagdliebhaber rechnet
ſeinem Freunde vor, was ihm ſein Jagd—
vergnügen fofte: Rechne ih die Pacht,
die Rechnung beim Büchjenmader, das
Pulver und Blei, was ich an Zeit ver-
jäume und an den Stiefeln zerreiße, ſo
fommt mich ein jeder Haje auf zwanzig
Mark zu Stehen.” Darauf der andere:
„Dann iſt's ja ein Glüd, daſs du
jo wenig ſchießeſt!“
Thüringiſche Gemüthlichkeit.
Diebe brachen neulich in das Haus eines
AJuftizrathes in Coburg ein und binter-
ließen im Keller eine Karte mit folgen:
dem Inhalt: „Geehrter Herr Juftizrath !
Zwei Coburger haben fich erlaubt, bei
Ihnen zu jpeifen. Ihr Wein iſt jehr
gut, Sie haben auch gutes Bier, Ge
itoblen haben wir Ahnen weiter nichts
als einige Gigarren. Kellerlöcher zu—
machen!“
Kein Verſtändnis. Wirtin:
„Herr Müller, es iſt jemand da.“ —
Student (noch im Bett, baridh): „Wer
denn?” — MWirtin: „Der Geldbrief-
träger.” — Student (jchreiend): „Und
das nennen Sie einfach jemand ?“
Ein guter Schaujpieler. „Don
dem Schlabigfy, der jeft am Stadt-
theater engagiert ift, hab’ ich einmal eine
glänzende Leiftung geliehen.“ — „So?
Mo denn?” — „Er hat mir in Amerika
die Stiefel gewichst!“
Noch vor kurzem trug eine War-
nungstafel in Nordböhmen fol
gende Injchrift: „Wer über dieſe Brüde
rafcher als im Schritt fährt, zahlt
1 fl. 10 fr. Strafe; im alle der Zah-
lungsunfähigkeit jegt e8 12 Hiebe. Die
Hälfte der Strafe empfängt der Angeber.*
Ein junger Börjianer entdedt
plöglih den Beruf zum Scaufpieler in
fih und wendet fih der Bühne zu.
Seine erjte große Rolle ift der Marquis
Poſa, den er im ganzen nicht übel jpielt.
Nur an einer der Hauptitellen kommt
— J
476
des Künſtlers eigentliche Natur unver⸗
mittelt zum Durchbruch, da er den König
fragt: „Sire, wie geben Sie Ge
dankenfreiheit?“
Profeſſor (in der Elafie): „Es
riecht bier jo eigenthümlich brenzlihd —
Kiefemann, riehen Sie nichts ?” — „Nein, |
Herr Profeffor!” — „Aber Kiejfemann,
Sie al3 Primus jolltens doch
riechen !”
Die Trauerfeier. Sepp: „Sa, !
Herr Oberförfter! Geftern hab'n mer halt
unjern Hans 'naustrage, (Heult): Und
a ſchöne Red' hat der Herr Mfarrer
g’halte — i hab’ wohl mir davo ver-
ftande — und nah jan mir halt ins
Wirtshaus — da hab'n mer ordentlich |
g'freſſ'ſe — und g'ſuff'e — nachher hab'n
mer a bijsla g’tanzt und g’junga — und
ſpäter is noch g’rauft worn — ad, Gott,
ja! — unjer armer Hana!“
Tſchumperliedln. |
Mitgetheilt von Agnes von der Deden.
Als Nachtrag zu den Tjchumperliedln |
(Schlemper:, Bummelliedin) aus Thürin⸗
gen, Sachſen und beſonders dem Voigt-
land, die im erſten Heft des elften Heim« |
garten» Jahrganges mitgetheilt wurden, ſei
es gejtattet, bier einige Tſchumperliedln
des jächfiihen Erzgebirges aufzuführen.
Wenn r ner fäm,
Dofs er mieh nähm,
Dofs ih doch endlich |
Dun Klippelfad täm! |
Nu is r gelumme,
Un bot mieh genumme,
Nu bin ich no farrner (mehr)
Bun Rlippelfad fumme.
Ah wenn doch mei Schazl
E Roſenſtock wer!
Ich ſtellt n ans Fanſtr,
Bis r aufgeblüht wär.
Und wie blau fiaht dr Himmel
Und wie leuchten die Stern,
Und wie haben die Burſchn
Die Madin jo gern ! j
Alle Leit jei mr gut,
Ka Menih is mr gram,
Morim ſoll den mei Schazl
Ka Freid an mir ham?
Wenn ih e fein Madl jeh,
Dent id, 3 is mei;
Menn ich firih Kammerle fumm,
Lafst miech net nei.
O du ſchwarzagete Gret,
Wenn d in mei Herzl ſechſt,
Ließte miech nei.
Ließte miech nei.
Schazl, gram diech net,
Ich will diech wahrlid net;
S limmt emol de Zeit,
Dofs mr wern e par Leit.
Wenn ih an mei Schazl dent,
Madin alle Tiih un Bent,
Tiſch un Bent un Fanſtrbrit,
Dun men Schazl laß ich net.
Dei Votr bot giaht ih fol de Roſa net liebn,
R will mr alle Wuchn drei Zwanzger mebr
gabn.
Is ſchod fr deine Zwanzger, ih ma fe net
habn,
Ich lieb meine Roſa fu lang, als ih fa.
Bei mir i3 noch fanr kumme,
Bei mir fummt noch kaner fir;
S mufs e radtr ſchienr fumme,
Der racht tanz fa mit mir,
Wann de imufch Bridi gift,
Tu fei net dririnfn,
Wann de mei Ehazl fift,
Tu auf ihn winfn,
Wink auf ihn, ſchrei auf ihn,
Tu auf ihn lad!
Muttr, wann mei Schazl fimmt,
Wie fol ich's machn?
Wenn ich ſchie dent, jchie dent
Ih will dr gut fei, gut fei,
Fallt mr mei altr Schaz
A wiedr ei.
‚ Denfft du denn, du Naſeweis,
Daßs ich mid um dich zerreik ?
Ih dreh mid um un lad did aus
Und ſuch mr derweil ein andren aus
Der mitn ſchwarzn Frad
Der bot fa Geld in Sad,
Dan mitn rundn Hut,
Dan bin ich gut.
|
Bücher.
Deutſche Volksſchauſpiele. In Steiermark
geſammelt. Mit Anmerkungen und Erläute—
rungen nebſt einem Anhange: Das Leiden
Chriſti. Spiel aus dem Gurkthale in Kärnten.
Herausgegeben von Dr. Anton Schloijar.
Zwei Bände. (Halle, Mar Niemeyer. 1591.)
Es ıft befannt, daſs in unferem deutjchen
Gebirgsvolle dramatiſche Spiele vorhanden,
die oft ein hohes Alter haben und deren
Berfafjer nit befannt find. Solche Stüde
werden heute noch hie und da in den Dör—
fern, und zwar von Bauern jelbft aufge:
führt und find merlwürdige Dentmäler naiver
Bollsdihtung. Die befannteften (aber auch
nur in der Bauernjhaft befannt) Stüde
find: „Das Paradeisipiel*, „Das Schäfer:
ipiel“, „Das Krippelipiel“, „Das Genovefa:
ſpiel“, „Der baierifche Hieſel“.
Solde Volksſchauſpiele, wie fie beſon—
der3 in Steiermark vorfommen, hat nun
U. Schloſſar gejammelt, herausgegeben und
damit unferer Culturforſchung einen wejent:
lien Dienft erwiejen. Nebft den oben an:
gedeuteten Stüden enthält das Werk: „Die
Geburt Ehrifti*, „Das Leiden Chrifti*, „Su:
dith und Holofernes*, „Dirlanda*, „St.
Barbara“, „Sujanna*, „Der gefoppte Geiz:
hals“, „Ein Nadipiel mit dem Paſſions—
jpiele aus dem Gurlthale jammt deſſen Zwi—
ſchen- und Nachſpielen.“ — Unmerlungen
und Erläuterungen des Herausgebers orien:
tieren uns und geben der Sammlung aud
einen wifjenihaftliden Wert.
Mande der Stüde tragen wohl das
Merkmal kirchlicher Urheberihaft an fid.
Andere aber find ganz voltsthümlih naiv
und derb, Bon dramatiiher Wirkung find
die meiften dieſer Stüde, deren Berfafjer
wohl nie eine Dramaturgie in der Hand ge:
habt haben werden. — Un anderer Stellediejer
Zeitjhrift wird der dramatiſche Schwant:
„Der gefoppte Geizhals“ mitgetheilt werden.
R.
4
Bühnenfterne, Bilder aus der Theater:
welt von Julius Freund. Zweite Auf:
lage. (Berlin. 3. F. Scorer.) Ein Gegen:
ftand, der immer jeinen Reiz hat. Wer
fürs Theater fi nicht intereffiert, der thut's
wenigftens für die Schaufpieler. Diejes Buch
hat daher jhon im vorhinein ein großes
Bublicum. Und es ift darnach angethan,
das Bublicum keinesfalls zu enttäufchen,
fondern es auf die angenehmfte Weiſe zu
unterhalten und ihm mande Erinnerung
an liebe Theatergeftalten wieder aufzu:
M.
friſchen.
77
Aus dem Brrenhaufe, Dreizehn Erzäh—
lungen merfwürdigerIrrfinnsfällevon@aro:
linev. Sheidlein-Wenrid, mit einem
Vorworte von Fridrich Schlögl. (R.
Bauer. Wien.) Dieje merfwürdigen, pfycho—
logijh intereffanten Erzählungen, werden
nicht verfehlen, bei den Freunden geiftvoller,
belletriftifcher Literatur Auffehen zu erregen.
Der Lejer betritt in denjelben, an der Hand
der Verfaflerin, die Behaujung der von
einem entieglihen Schidjale zum geiftigen
Tode Berurtheilten, und erfährt die Ur:
ſachen, durch welche der in vielen Menichen
ihlummernde Dämon des Wahnfinns in
ihnen zum Leben erwedt wurde. Die Schreib:
weiſe im Buche könnte befjer jein. — Friedrich
Schlögl hat das Werk mit einem freund:
lichen Geleitbriefe, in weldem er fein Be:
fanntwerden mit der zu früh verftorbenen
Verfaflerin jchildert, verjehen. V.
Schopenhauer. Aphorismen zur Lebens—
weisheit, herausgegeben von Dr. F. Rein.
Bibliothef der Gejammtliteratur des Ins °
und Auslandes. (Otto Hendel. Halle a. ©.)
Die bisher verbreitete Ausgabe der Schopen:
bauerjhen Werke hat dur die vorliegende
Bearbeitung eine genaue Sichtung erfahren.
Die umfangreihen Zuſätze aus den hinter:
laſſenen Papieren, die Schopenhauer wohl
laum ſämmtlich anfgenommen, oder die er
doch wenigſtens überarbeitet haben würde,
find bedeutend reduciert worden; es find
nur Diejenigen beibehalten, die Schopen:
bauer zweifellos unverändert gelafjen haben
würde. V.
Maud Elliot. — Ein Echo von An—
tietam. Zwei Novellen von Edward Bellamy.
Bibliothef der Gefammtliteratur des In:
und Auslandes. (Dtto Hendel, Halle a. S.)
Nah dem enormen Aufjehen, welches des
rajch berühmt gewordenen Berfajlers „Im
Jahre 2000, Ein Rüdblid auf das Jahr
1887* in der ganzen civilifierten Welt her—
vorgerufen hat — man jhäßt die Verbrei—
tung des oben genannten Werles auf über
eine Million Eremplare — wird gemijs
jeder das Verlangen tragen, auch die übri—
gen Werte des Berfaflers kennen zu lernen.
Die Berlagshandlung bietet im vorliegen:
den Heft zwei Skizzen Bellamys, die in
ihrer Eigenart fi über das gewöhnliche
Maß erheben. V.
Hedda Gabler, Schauſpiel in vier Acten
von Henrik Ibſen. Bibliothek der Ge—
jammtliteratur des In: und Auslandes.
—
8
(Otto Hendel. Halle a. ©.) Offen geſtanden deutſchen“, die belanntlich jeden Dichter und
halten wir dieſes Wert für nicht bedeutend
genug, um aud nur ein Wort der Reclame
darüber zu verlieren. M.
Prei Märden für Alt und Buna. Die
Nüfe, ein Weihnachtsmärchen. — Das Elirir.
— Die graue Lode. Bon Georg Ebers,
Mit drei Kichtdrudbildern von R. Leinweber.
(Stuttgart, Deutihe Verlags:Anftalt.) Es
jind feine von jenen egyptiichen Märden,
die uns der Dichter und Gelehrte in Über:
jegungen und funftvollen Ergänzungen kennen
lehrte, jondern frei empfundene Poefien, die
zum Theil auf heimischem Boden jpielen. V.
Bur Bee. Herausgegeben von v. Hent.
Lieferung bis Nr. 6. (Berlagsanftalt und
DrudereisActien:Gejellihaft Hamburg.) Das
nationale Prachtwerk unterrichtet in den
beiden vorliegenden Lieferungen über die
Typen der Schiffe, welde in den verjcie:
denen Kriegämarinen geführt werden; dank
der Haren Darftellungsweije gelingt es, die
dem Laien ſchwer verftändlihen und oft
kaum erfennbaren Unterjchiede zwiſchen den
einzelnen Sciffsgattungen jo vorzuführen,
daſs jedermann ſich einen volllommenen
Begriff aller Schiffstypen maden lann. V.
Der Beitgenofe. Berliner Monatshefte
für Leben, Kritit und Dichtung der Gegen:
wart. Herausgegeben und geleitet von Ri:
Hard Zoozmann und Ludwig Jaco—
bomsti.
Diefe neue Zeitichrift bringt den Neu«-
Idealismus. Der Alt:Fdealismus (bei:
läufig derjelbe, dem Homer, Dante, Goethe,
Schiller, Kleift, Körner u. j. mw. gehuldigt)
ift durd den Materialismus glüdlid ge:
ftürzt worden, Der Neu:Jdealismus wird
fih ganz an die Naturwiflenfhaft halten
und der Poefie volllommen neue Gejtalt
geben. So meint diefe Berliner Monats:
ihrift. — In dem uns vorliegenden Hefte
finden wir mandes Schöne, jedoch aber
nicht3, was uns die Art der neuen Erfindung
andeuten wollte — und wir find jo jhredlich
neugierig. M.
Dämmerlidkeiten inder Münchener Schrift⸗
ftellerwelt. Bon Marimilian Shmidt.
(Münden. 3. Lindauerihe Buchhandlung.
1891.)
Ausgiebige Rechtfertigung des Berfaj-
jer8 gegen den ihm im Organe der joge:
nannten „Jungdeutihen“ gemadten Bor:
wurf, Plagiate verübt zu haben. Die „Jung:
Schriftfteller älterer, idealerer Richtung „ab:
ſchlachten“ wollen, haben fi bier wieder
einmal ftarf blamiert, und ihr Fleiſcher—
geihäft findet überhaupt wenig Kunden. M.
Das Bud. Tehnit und Praxis der
Sähriftftellerei. Handbub für Autoren von
3. 9. Wehle. Zweite Auflage. (U. Hart:
leben. Wien.)
Das Wert hat jo mandem der jün:
geren Generation vortrefflihe Dienfte ge:
leiftet und wird dies in feiner neuen Ge:
ftalt au in Zukunft thun. Die Proceiie,
die dem Erſcheinen eines Buches voraus:
gehen müſſen, find jo mannigfaltine und
jo heterogene, und die Hilfsmittel der Er:
jeugung und des Betriebes find jo zahl:
reih und jo compliciert, dab ein einzelner
laum das ganze Gebiet mit gleiher Eicher:
heit beherrſchen fann. Der Verfafler hat es
darum verjudht, eine Überſicht über das
Ganze zu bieten, welche auf möglichſte Voll:
ftändigleit allen Unjprud madt. Der Haupt:
zweck der vorliegenden Neubearbeitung durch
berufene Hand liegt darin, die bewährten
Vorzüge von Wehles Buch durd eine jelb:
ftändige Darftellung zu heben und die tech—
nijhen Details nad neueren und beijeren
Quellen zu bieten. h
„Das Goldene Bud) der Sand- und Forfl-
wirtfhaft in Öflerreid:Angarn.“ Herausge—
geben von Dr. Leo Pribyl, Adolf Hoch—
eggner, Adolf Lichtblau und Adolf
Treulid. Mit 40 Porträts. Selbftverlag
der Verfaſſer, V., Wienftraße 12, Wien.
Die glänzende land: und forftwirt:
ſchaftliche Austellung, welche im Jahre 1890
in Wien ftattfand, erregte den Wunſch,
durh ein umfafjendes Werk über dieſelbe
ein bleibendes Andenten an dies Feſt der
Bodenproduction zu jhaffen. Die obgenann:
ten Herausgeber unterzogen ſich dieſer mühe:
vollen Arbeit, und jo wurde ein Pradhtwert
geſchaffen. Hervorragende Fahmänner, welde
die Bearbeitung der einzelnen Gapitel
übernommen hatten, lieferten ein umfal-
jendes Bild des gegenwärtigen Standes
der einzelnen land: und forftwirtidaft:
lihen Betriebszweige, der damit verbunde—
nen blühenden Induftrien oder eine Über:
fit der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen im
Kreife der Bodenproduction und der Lehr:
thätigfeit auf diefem Gebiete in der öfter:
reihiih:ungariihen Monardie. Auch das
Ausland wurde berüdfihtigt. Eine Zierde
bilden die 40 photographiigen Porträts
der Männer, die theils mit diejer Ausftellung
enge verfnüpft, theils als Mitarbeiter an
dem Prachtwerke thätig waren. V.
Dem „Heimgarten“ ferner jugegangen:
£eo A. Kolfteis Gelammelte Werke, Bon
Raphael Löwenfeld. 4. Lieferung. (Ber:
Iın. Rihard Wilhelmi. 1891.)
Der Pfarrer von Ahbach. Eine poetiſche
Erzählung von Alois v. Warnus. (Linz
a. D. Mareis. 1891.)
Nubiamus. (Es wird geheiratet.) Eine
röntsche Komödie in drei Acten von Ru:
dolf Tambour. (Leipzig. U. Schulze.
1891.)
edlem Drama jpricht das Herz der Menſch—
beit. Es ftehen andere da, die das Wort
heijchen, um rohe Leidenschaft zu jchüren,
ſolche habt ihr Urſache zu hajien.
Dr. F. 9, Graf: Mit Recht iſt es
Ihnen aufgefallen, daſs in dem Auflage:
„Wie es mir als Dramatiler ergangen“
die vorzägliche Grazer Aufführung des Volks:
| ftüdes „Um Tage des Gerichts" unerwähnt
‚blieb. E5 war ein Berjehen, das umſomehr
‘auffallen mujste, alS die Leitungen der
| Dauptdarfteller, befonders die Arthur Bauers
Geſchichten aus den Bergen. Bon Arthur als „Straisl:Tomi“ ganz ausgezeichnet ge:
Achleitner. Dritter Band. Mit dem Bild: |
nifle des Berfafjers. (Leipzig. Philipp Re—
clam Jun.)
Schte Gedichte von Wilhelmine Grä—
fin Widenburg:Almäjy. Aus dem
Nachlaſſe der Verftorbenen herausgegeben
von ihrem Gatten. (Wien. Carl Gerolds
Sohn. 1890 )
Wiener Humor. Sammlung der beften,
meift neuen humoriftiihen Vorträge und
dramatiichen Belegenheitsjadhen für Damen
und Herren. Deraudgegeben von O. M.
Friſe. Neue Serie. (Wien. EC. Daberfow.
1891.)
Der Rinderfreund. Kalender für 1591,
Herausgegeben von Kaſimir Rebele.
(Augsburg. Gebr. Reichel.)
Schweizerifhe Rundſchau. Revue Géné-
rale Suisse, Rivista Svizzera. Monatsidrift
für Literatur, Kunſt und öffentliches Leben.
Herausgegeben von Prof. Dr. Ferd. Vetter
in Bern, (Drell Fükli, Zürich.)
Reinmenſchliche Pindererziehung. Drei
2orlejungen von Johannes Buttzeit.
(Leipzig. Siegismund & Xolfening.)
Degetarifhes Podbud. (Mit Geſund—
heitöregeln.) Bon Charlotte Schulz.
Unter Mitwirtung von Dr. med. Liezelt.
Dritte vermehrte Auflage. (Berlin. Mar
Breitfreuz. 1890.)
Bur Impf- Frage. (Berlin 1891. Hugo
& Herman $eidler.)
Poftkarten des Heimgarten.
3.3. 8., Wien: „Das verlorene Para—
dies“ miſsfällt Ihnen gründlich? Sie meinen,
das gegenwärtige Berhältnis zwijchen Arbeit»
geber und Urbeiter werde und müſſe immer
jo fortbejtehen. Wir meinen, dajs aud in
dieſer bängften aller Fragen die Poeſie ver:
föhnend wirlen Tann, wie es in Fulda’s
berrlidem Stüde „Das verlorene Paradies“
thatſächlich der Fall ift. Möge das Drama
im Leben nicht tragifher enden, als in
diefem Schaufpiele! Ehret, ihr Reichen, den
Dichter, der die Lehre des Rechtes predigt,
und nit die der Gewalt. Aus Fulda's
nannt werden müſſen, worüber aud bas
Grazer Publicum einer Meinung tft. —
Übrigens miüjste der betreffende Aufſatz jo
genommen werden, Wie er gemeint war:
Halb Ernft, halb Spais. Einmal die Cri—
tiler zu eritifieren, das iſt zwar höchft frivol,
im Grunde aber eine jehr heitere Sache.
Ob fie uns, oder wir fie — e3 fonımt auf
eins hinaus.
€. 8., Gray: Ja wohl, Für Mijshand»
lung unjhuldiger Kinder haben wir nod
fein Geſeß, das ftrenge genug wäre. Am
empörendften ift dieſes Verbrechen nod,
wenn es unter dem Dedmantel pädagogischer
Strenge auftritt, wo es doch nur mülfte
Brutalität ift, die tiefer fteht, als alle Roh:
beit der Thiere. Eltern, die ihr Kind roh
mijshandeln, jollen für alle Zeit der Rechte
an dem finde verluftig fein. Thierſchutz—
bereine — brav! Kinderihußvereine — drei:
mal brav!
B. A. 8., Wien: Ya. Der Deutiche liebt
anders, als der Slave, beim Deutſchen
ſpielen Achtung, Mitleid, furz geiftige und
jeelifche Interejjen mit. Der Deutjche liebt
im Weibe den Menſchen, und nit das
Thier.
®. P., Breslau: Ein wahrhaft großer
Mann muß aud das Talent befigen, glüd:
lih zu jein.
6. 9., Nürnberg: Begreifen nit, wie
Sie fid jo ereifern fönnen über ein Büch—
fein, das nichts will, al3 die Kinder Artig-
feit und Wohlanftändigfeit zu lehren. Doc
befier als das Gegentheil, welches der Ju:
gend heute auch gepredigt wird!
3.€., Honenmauthen: Auf Koſten wahrer
Innigkeit berriht das Sentimentale zu
ftarf vor.
3. ®. 4., 6515: Gingefandte Briefmarfen
zum Behufe eines Antwortſchreibens lommen
im falle der Nichtbeantwortung dem Wohl:
thätigfeitsverein „Eolonie* in Graz zugute.
6. 3., Röln: Müflen Ihnen recht geben,
auch uns behagen die mit Zwirn gehefteten
Heimgartenhefte beffer, als die mit Draht
genagelten und wir wollen tradıten, den
Leſern wieder die altgewohnte Bequemlichkeit
zu verihaffen.
480
„Fine Bitte an den Glerus.“
B Im Yanuarhefte des „Heimgarten* veröffentlichte ih einen Wuffag mit der
Überichrift: „Eine Bitte an den Clerus“, in welchem vielfahen Erfahrungen und ge:
willenhaften Erkundigungen gemäß behauptet wird, daſs in unſeren Bollsjchulen beim
Religionsunterrichte auf Koften des Neuen Teftamentes der trodene Unterriht in dem
fatholijhen Katehismus zu jehr bevorzugt werde. Die Darlegung geihah ftellenweiie
allerdings in eiwas herber Weife, aber no lange nicht in jenem merkwürdigen, die
Univerfität3 : Studien verleugnenden Tone, der auch bei der clerifalen Preſſe in der
Schulfrage beliebt wird. freilich ift es ſchwer, in jo hochwichtigen Dingen immer die
vollflommene Gemüthsruhe zu bewahren,
Ich verfenne den Wert des Katechismus nicht, ftellte aber in jenem Aufſahe an
den Clerus die dringende Bitte, dajs auch das Evangelium Jeſu in der Vollsſchule
wieder fo zur Geltung lomme, wie e8 einft gewejen, und jelbft wenn ein biſschen Zeit
dazu dem Katehismus, dem Alten Teftamente und der Liturgif abgezwadt werden müſste.
Wie fehr dieſe „Bitte an den Clerus“ den Erfahrungen eines großen Theiles
unjerer kathohiſchen Bevöllerung entipricht, beweijen die zahlreihen Zuſchriften, die
das von mir Gejagte immer wieder beflätigen und manderlei draſtiſche Beiipiele
dafür bringen.
Elerifale Blätter, welche gegen den Aufſatz polemifierten, reden fo, als wäre
derjelbe eine Anklage gegen die Katecheten. Diefe Auffafiung ift unrihtig. Den einzelnen
Katecheten fann fein Borwurf gemadt werden, fie müſſen nad) ihrer Vorſchrift handeln.
Mit Herzensfreude laſſe ih mich darüber belehren, dajs viele Katecheten in der Edule
das Evangelium mit Fleiß und Liebe pflegen. Einer beflagt fih nur darüber, dajs
manden Katecheten jo viele Religionsftunden „aufgehalst" würden. (In der „confeſſions—
loſen“ Säule!)
Übrigens gaben die Blätter, welche gegen den Aufjat; heftig auftraten, der Haupt:
ſache nad) deſſen Berehtigung unwillkürlich felbft zu: Eine diefer Stimmen drüdt das
Bedauern aus darüber, dajs in der Schule das Neue Teflament freilich viel zu wenig
gepflegt werden lönne. (Eine Andeutung, daſs das Evangelium ohnehin im Katehismus
enthalten jei, fimmt nicht, das wird jeder, der die beiden Bücher genau kennt, zugeſtehen
müſſen. Der im Katechismus enthaltene Auszug aus dem Evangelium genügt lange
nicht für eine religiöje Herzensbildung.) Ein Gegner nannte mein Berlangen nah dem
Neuen Teſtamente „proteftantifierend*, war aljo unmgejchidterweife nahe daran, das
Evangelium Jeſu für „lutheriſch“ zu erllären. Wohl unbedagt war das öffentliche
Geftändnis eines gegen meinen Aufſatz polemifierenden „Katecheten“, des Sinnes, daſs der
fatholiihe Katehismus das Hauptlehrbud, das Neue Teftament (aljo das Evangelium
Jeſu nad den vier Evangeliften) bloß ein Hilfsbuch jei. Nah diefer Auffaffung wäre
die Pflege des Evangeliums als etwas Nebenjählidhes ja jelbftverftändlid
und meine Behauptung, dais das Evangelium Jeſu Chriſti nebenſächlich behandelt
werde, aljo aud von Seite der Katecheten beftätigt.
Zu berichtigen habe ih an meinem Aufjage nur die irrthümliche Bemerkung,
als zahle der Glerus niht mit an den Soften der Schule. Alles Undere mufs ih
leider aufrecht halten.
Im Angefihte der drohenden SocialiftenGefahr wäre es doch zu bedenten, ob
man mit dem Gvangeliumbude nit mehr ausrichtete, als mit dem fo vormwiegenden
trodenen Katehismusunterrigte! — Man würde fi jehr freuen dürfen, wenn meine
gewiis mohlgemeinte Anregung in einer jo wichtigen Sache — anftatt grobe und
bämifche nichts bemweilende Gegenreden — eine ruhige Erwägung fände Der gute
Wille zur ftrengen Befolgung des Gebotes Ehrifti: „Behet hin und lehret den Völlern
das Evangelium !* wird ja gewiſs vorhanden jein. Und jo möge es mir nit allzujehr
verübelt werden, wenn ich als Chriſt, als Bater von Kindern, die chriſtlich erzogen
werden jollen, und als einer, der im Namen vieler Eltern ſpricht, nochmals bitte:
Ghrwürdige Lehrer der Religion, gebt unjeren Kindern das Befte, was ihr geben
tönnt, das Evangelium Jeju!
®. A. Dofegger.
Kür bie Redaction verantwortlich Y. 4. Bofegaer. = Druderei „Leplam“ in ®raj.
J ALU en
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Hi:
“E
2;
Bi}
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ii
4
8 * —
re Enge des Gerichts.
Ein Bollsjhaufpiel in vier Aufzügen von P. R. Rofegger.
(Den Bühnen gegenüber alle Rechte vorbehalten.)
Ber Dichter an das Publicum.
Prolog.
(Der Rortragende als fahrender Sänger gelleidet.)
as erftemal fteh’ ih in diefem Haus,
Mo Dichter ihre Lorbeerzweige breden.
Doch ſuch' ich nicht des Publicums Applaus,
Ih will als Menſch nur zu euch Menſchen ſprechen.
Gin kunftvoll Drama fann ih euch nicht geben,
Der Thejpislarren fährt niht meine Bahn.
Ein ſchlichtes Bild ift es aus ernftem Leben,
Ein Menihenihidjal tritt an euch heran.
Ein Menihenihidjal, wie es jeder Tag
In unf’rem Volle reift, wo Schatten nadten.
Weil e3 dem Kind des Glüdes frommen mag,
Ginmal auch tiefftes Elend zu betrachten.
Und jener, der mit Hummer jelbft beladen,
Er fieht an diefem herben Lebenslauf:
Der Weg der Schuld au ift ein Weg der Gnaden,
Und Liebe mwedt die todten Herzen auf.
Doch nicht des lojen Amors heitre Epiele
Umgaufeln heute uns in bunten Reih'n.
Sch lad’ euch, Menſchen, jet zu höherem Piele:
Die heilige Lieb’, fie joll die Heldin jein.
Ihr Stichwort heißt: Vergebung und Geduld!
Tenn keiner wandelt noch den Weg des Lichtes,
Für uns ıft jeder Tag ein Tag der Schuld
Und jeder Tag ein Tag aud des Gerichtes.
Rofegger's „Heimgnrten“, 7. Geft. XV, 31
Perſonen.
Ferdinand Stamhardt, Oberförſter, genannt
der Kreuzjäger.
Martha, ſein Weib.
Anton Straßl, genannt der Straßl-Toni.
Jeſſel, jein Weib.
Everl, ihr Kind, ein Mädchen von 5 Jahren.
Schorider, ein Bauer, Gemeindevorftand.
Rath Berger, Vorſitzender des Gerichtes.
Tr. Scharf, Staatsanwalt.
Tr. Scheuerer, Bertheidiger.
Thomas, Vorarbeiter der Holzknechte.
Lodel, ein Becher
Ehmwarz:Seppel, ein Ameis-
gräber
Maberl, eine Wurznerin MWaldleute.
Hupfer⸗Hanſerl, ein Hirten-
junge
Simmerl, ein Kohlenbrenner
Kaderer
Greiffel
Plümlein
Kerfermeifter.
Zwei Gendarmen,
Zwei Knechte.
Altes Männlein.
Nichter, Geihworene, Kinder, Bolt.
Ort der Handlung: In den Alpen;
erjter Aufzug im Waldgebirge; zweiter und
vierter Aufzug in der Kreisgerichtsftadt;
dritter Aufzug auf der Straße, unweit der
Rreisgerichtsftadt. — Zeit der Handlung:
Gegenwart.
Erfter Aufzug.
Rerwilderter Hochwald. Morgendlihe Dämmerung,
die allmählich in helles Licht Übernebt. Huf den binter
den Wipfeln ſichtbaren fahlen Bergipiken erglübt
ſachte die Morgenfonne.
Am Vordergrunde ein vom Eturme geflürzter Baum,
der, an anderen Bäumen bängend ober an jeinem
tinenen wildfnorrigen dürren Aſtwert geftübt, auf
Dranneshöhe auer in der Yuft hängt. Bor demielben
auf einem wucdhtigen niedergebrodenen Alte fauert
ber Etrafl-Toni,
Erſter Auftritt.
Etrafl-Toni. Ein etwa Ssjähriger Mann mit
intereffantem Charalterkopf, mager, abgehärmt, ber
Anzun eiwas zerfabren; zerichundene Anielederhole,
jerſchliſſene mattgrüne Strümpfe, raube, mit Gifen
beichlanene Bundſchuhe. Raubes bräunliches Hemd,
Die braune Iade loſe über eine Achſel geworfen.
Uber der wertenlofen Bruft ein alter lederner Hoſen-
träger. Auf dem Haupte verwegen neitülpt ein ver-
witterter Alplerhut. Geſicht gebräunt, Blick ſcharf,
unflet; ſchwarzer verwilderter Bartanflug, auer über
die Stirn Haarfehen herab. Die ganze Geſtalt etwas
verfommen. Er in eben damit beſchäftigt. einen
Doppelſtuten alter Art mit Pulver, Augel, Pfropfen
vermittelt Labſtoch zu laden. Dabei lälöt er feine
Augen unſtet umberichweiten.
\ Arreftanten.
man
er viel: — Biel! — Noth lehrt beten
und ſchießen. Dem dort umten (deutet
gegen das Thal Hin), dem mag ein Rehbock
mehr wert fein als wie eine Menſchen—
brut, eine jämmerliche. Mir nit. —
Hinein mit dem Blei! Wirft nit lang
im Loch bleiben, Kugerl. So lang wie
ih, Thon gewifs nit. Se feiter hinein
geitopft, defto ſchärfer Heraus. Dit
jo. — Aber gfcheiter will ich's jetzt
angehen. Bin ja auf der Hochjchul’
gewejen, ſechs Wochen lang. In jechs
Moden lernt der Menih was, mein
lieber Kreuzjäger! In feiner Doctor-
ſchul' fo viel Jurifterei wie im Kotter.
— Hungern? Und das herrenloſe
Fleiſch läuft im Wald um! Ein Lump,
der nit zugreift. — So, das erſte
Läufel Hat fein Theil. Jetzt noch das
zweite. Weil wir zweilpannig fahren.
Nobel! mir derbarmt’s, wenn's mit
aufs erfte gut getroffen ift. Mag’s
nit eine Weil’ leiden jehen, das un—
Ihuldige Thier. Muſs der Menſch
leiden genug, einer vom anderen; was
man Nächitenlieb Heißt. Gut
iſt's. (Dit Wohlgefallen den Kugelftugen betrachtend.)
Der follt Halt mein jein, der! Das
Ausborgen taugt nit. Taugt nit. Der
Hahn fpielt ? @ätst ihn Mnaden.ı Brad
jpielt er. — Iſt doch vielleicht gfcheiter,
du gehörft nit mein. Ein gefährlicher
Kamerad manchmal. Thut leicht ver-
führen. Wenn’s nit muj3 fein, lajs
ich’3 bleiben. Aus Unterhaltung Thier
umbringen ift ein fchledhter Spaſs.
Lieber holzhaden. Heißt das, wenn
eins zu baden Hat. Andere
Bettelleut’ bettelm um Brot, unjereins
um Arbeit. Iſt ein Ding. Bettler iſt
Bettler. — Ich dent’, Kamerad, jetzt
ind wirds. — Die Luft wär’ heut
rein. Der Jäger bat fih unten bei
den Holzknechten anfagen laſſen, im
Karwald. Na, die werden fich g’freuen!
— Bir! — (Lauert gegen das PDididt bin.)
Ic glaub’! — Ich glaub’ der Schützen—
engel treibt mir ſchon ein Wildbret
Straßl tür fi alein. Sie mögen Izu. — O ba, das iſt eins mit zwei
jagen, was fie wollen.
Ehevor der Füßen.
Auf das zünden wir nit,
Mensch zugrund geht, ehevor probiert ) Sonntagsjäger find wir feiner. Aber
das Flinterl thun wir verfteden. Girgt
da& Gewehr hinter einem Paum.) So, Toni,
jegt wären wir wieder paljabel brav.
— Ah, der Meifterfneht iſt's. Der
Borarbeiter. Der geht in den Holz-
ſchlag. — Halt, den bettle ih an!
weiter Auftritt.
Voriger Thomas, Bon links auftretend, ein
älterer Mann mit blonden Vollbart, in gewöhnlicher
Hol ztnechtiracht über der Achſel eine Holzart, Tritt
langfam auf, die Bäume prüfend.
Straßl. Guten Morgen, Meifter-
knecht!
Thomas. Wer? Der Strafl-
Toni? Mas fuchit denn du auf dem
Kreuzeck?
Straß!l. Mein Gott, was werd'
ih juhen? Was du Schon Haft. Und
was du auch thäteft juchen, wenn du
es nit Schon hätteſt.
Thomas (umwilig. Das dumme
Reden da. So viel wie ein Holzknecht
hat gleich wer.
Straßl. Ich nit, Thomas, ich
nit. — Heut ift der Montagmorgen.,
Du gehft auf Arbeit aus. Friſch Holz-
baden die Wochen. An Samstag zum
Feierabend Löhnung fallen, heimgehen
zu Meib und Kind, anfchaffen, was
jie brauchen. Lebft in Frieden. Wie
du's gut Haft, Thomas, wie du's
gut haft!
Thomas. Kannſt es ja auch jo
Haben, mach mir's nad.
Straßl. Gilt ſchon, Meiſterknecht,
ich mach' dir's nach. Aber helfen
muſst mir, Kennen wirft mich ja von
Schrambah Her, wo ich vorig’ Jahr
gearbeitet Hab. Schau, du bijt der
Vorknecht, du brauchit gewiſs Leut
im Holzſchlag. Nimm mich. Gib mir
Arbeit.
Thomas «ih befinnend. Straßl—
Toni, dir Arbeit geben, das iſt eine
ihlimme Sad’. Du ftehit beim Ober—
förfter ſchlecht angejchrieben. Aber nit
mit Kreiden.
Straßl. Nein, mit Kohlen. Ich
weiß es. Ich will aber nit angeschrieben
ftehen, ich will arbeiten. Meine Leut
ind im Noth. Aus der Hütten will
483
man uns werfen, Und ich, wie ich da
vor dir fteh’, das ift. mein beites
Gewand. Gar nit mehr unter die
Leut traut man fih. So verfolgt’3
mich! Meiſterknecht, nimm mich an,
ich bitt' dich. Mir ift nichts zu ſchwer,
will auch nit Feilfchen um Lohn. Was
du geben magſt. — Wenn ich mir
gar nichts kann verdienen — fo weil;
ih nit, was gejchieht.
Thomasd. Must Halt mit dem
Oberförſter reden.
Stragl. Was braucht's der Ober-
förfter zu wiffen. Nimmft du ja auch
andere auf. Denk dir, jeit vier
Mochen lauf’ ih Schon um. Wie ein
Kind um Brot, fo Hab ich gebeten
um Arbeit. Nichts. Der hergelaufene
Schelm! heißt's überall. — Thomas,
du biſt ein guter Menſch, Haft auch
die deinigen daheim...
Thomas. Ya ja, das it alles
reht. Aber ich Hab eh Arbeitsleut
genug. Man nimmt doch allemal lieber
die Einheimischen, und die mit ſchon
einmal —
Strafl. Nur heraus damit, dafs
du nit dran erjtidit.
Thomas. Ich weiß, dajs man
einem eine abgejellene Straf’ nit vor=
halten darf. Solche Leut Haben ein
großes Net. — Aber ich kann dich
nit brauchen. Helf dir Gott!
Straßl witten. Helf dir Gott,
fagen fie. Und wenn ich zu Gott bet’,
der weist mich wieder an die Leut. —
Auf dieſer Schönen, reichen Welt! Arbeit
ift wohl eh’ das wenigfte, was der
arıne Menſch verlangen fann. Die
folltet ihr ihm nit verſagen.
Thomas. Lieber Toni, das muſst
dur mit anderen ausmachen. Mir jelber
fann’3 morgen jo gehen wie heute
dir. Mufst Halt weiter juchen.
(Die Bäume betrachtend, für fih.) Das ſoll
Ichlagbar fein? Mit fünfzig Jahren
firbt der Menſch noch mit gern, und
erft der Baum! Höchitens der! (Er win
dem Baume nahen, biuter welchem das Gewehr lehnt.
Der Straßl ſucht feine Aufmerfiamfeit vom Baume
abzulenten.)
31*
484
Stra Bl (nad rechts hin lebhaft in bie
Luft deutend). Ah, da ſchau her! da ſchau
ber! Haft jo was ſchon gefehen?
Thomas. Was denn? Was denn?
Strapl. Ein Bogel! Ein Adler!
T h om a s litt nad der Richtungh. Mo?
Straß (mit ven Finger deutend). Dort
über die MWipfel Hin! Sieht? Siehſt
ihn? Net — jebt fahrt er nieder.
Haft ihn gefehen ? Dort in die Schlucht
muſs er hinab fein. Du, den follt
man fangen!
Thomas, Nichts hab ich gejehen.
Schauen funnt man aber doc gehen.
Die Federn von jo einem Vieh!
Strapl. Na, ih glaub’s!
Thomas. Zu meiner Arbeit
mufs ich.
Ab.)
Strafl ur ſich aleim. Den Vogel
hat er nit gefehen. Und mein Gewehr
hat er auch nit gejehen. Das wär’
wieder a Metten worden! Golt das Ge—
wehr binter dem Waume hervor.) Seh ber,
Büchſerl. Es ift mit anders, du bift
mein einziger Freund, Aber da herum
iſt's Heut nichts. Fahren wir ab.
(46 ins Didicht.)
Dritter Auftritt.
Lodel kein Pehihaber, in aldfalben
ſchlechtem Bauerngeiwand, verwildert, einen Teeren
Seinwandiad umgebunden, cin langes krummes
Meier in der Hand, läuft aus einem Didicht hervor.
Für ſich) Jet nur geſchwind! (Gegen die
Richtung bin, die Straßl abgegangen.) Weil nur
der fort ilt! Der Straßl muſs e3 ge=
weſen jein, Der hat jeßt wieder feine
Arbeit und ftreiht im Wald um wie
ein Spitzbub. Dem trau’ ich nit! Der
hätt’ mich verrathen. Bon jo Leuten
geht fein ehrlicher Menſch ſicher. —
Der braucht auch einen Kratzer. (<würft
mit dem Meſſer einen Baum an.) Sp, — Was
denn das ift, dafs heuer die Yärchen
nit rinnen wollen. Mujs ſchlecht an—
gebohrt Haben im vorigen Herbſt. «#r
ſchabt Harz von einem Fichtenftamme in feinen Ead.)
Dre Fichten, das fein halt alleweil
noch die Bravern. Kann fchon eine
Weil Schabeln, bis ich meinen Zegger
voll Hab.
Pierter Auftritt.
Voriger Der Edhwarj- Zeppel. Ameiigräber,
in ähnlich ſchäbiger Gewandung wie der Lodel, aber
doch verihieden an Gejtalt und Farbe. Sehr roth
im Geſicht. Tanger ſchwarzer Bart, Huſcht mit einem
großen Pündel auf dem Rüden und einer langitie»
tigen Araue in der Hand von der redien Seite
herbei. Pfauchend und ſchnaufend.
Lodel ier bei feinem Schaben den Seppel
plöglich bemerft, erihridt). Jeſs! — Uber fo
ichreden, wie du einen magft!
Schwarz-Seppel. Der Lodel
its. Was thuſt denn du da?
Lodel. Ih? Baum’ anzapfen.
Was laufit denn jo?
Schwarz-Seppel. Wirſt glei
ſelber laufen. Der Kreuzjager!
Lodel (auffahrendd. Der
förſter? Wo?
Schwarz-Seppel. Da enten
über die Wieſe ſteigt er herauf.
Lodel. Freunderl, nachher fahren
wir ab. Oh, dieſer verdammte Förſter!
Jetzt hat's geheißen, heut wär' er unten
im Stanvaldichlag.
Schwarz: Seppel. Nein. Heut
heben fie da drüben im Kreuzwaldan zum
Holzſchlagen. Er hat die Leut anges
wiefen, muſs ihn aber nit gfrenen bei
der Arbeit, geht lieber mit der Büchſen;
wird gleich da fein.
Lodel. 's ift umfonft, man Hat
feine Ruh beim G'ſchäft.
Shwarzj3-Seppel. Und was
ih dir für einen Haufen hätt’ ge—
funden! Lauter Schwarz-Ameifen.
Lodelrropend. Den Förſter, wen
ich einmal derwijch! (Beide tints ab.)
Fünfter Auftritt.
Man hört im Walde von rechts her aus der Ferne
von einer Männer» und einer Frauenſtimme ein Yied
fingen. Kommt näher, und endlich werben die Sänger
fihtbar.
Ferdinand, ein hübſcher, ftrammer Mann in
maleriicher, alpiner Jägertracht, das Gewehr über
der Achſel, läfſig und heiter,
Martha, jugendlich, ſchmuck und munter, in ein;
facher aber geihmadvoller Werktagsbauerntradt, das
blonde Haar ſorgfältig in Zöpfe neflohten und als
Aranz um das Haupt gewunden. Sie trägt auf dem
Rüden einen leeren Fütlerlorb und über der Achſel
eine Grasienie.
(Beide treten langſam, gleihen Schritles, fingend auf.)
Mein’ Schatz jeine Augen
Sein alleweil blau,
Es ift halt mein Himmel,
Wann id eini ſchau.
Ober:
Wann's regnt und wann's fchneibt,
Wann’s donnert und blitt,
Da fürdt ih mid nit,
Wann mein Schaf bei mir fißt.
DJodler.)
Denn ſchau, ſeine Augen
Sein hell wie der See,
Ich bin wie im Himmel,
Wann ih mit ihm geh.
Mein Schaf ift mein alles,
Er iſt halt mein Leb’n,
Kein Schönern, wie er ıft,
ſtann's nimmermehr geb’n,
(Jodler.)
Martha. Nau, weiter!
Ferdinand. Beim Berganfteigen
fingen, wie die Narren.
Martha. Tag und Naht funnt
ich fingen und juchezen!
Ferdinand. Biltaber nit gejcheit !
Martha. 's ift Halt gar fo viel
(uftig auf der Melt,
Ferdinand. Und deswegen mujst
mit dem Gejchrei die Reh verjagen ?
Martha wärtis) Lajs fie gehen,
die Vieher und dent an die Leut! —
Meint nit, Ferdel, dafs wir uns ein
biffel zufammenjegen funnten? Da
wär ein Plaß zum Raſten. (Huf einen
Baumſtrunk deutend.)
Ferdinand. Meinetwegen. Kann
ih mir eine anzünden. Heut jieht
man ohnehin nichts mehr. (Für ih.) Mit
einem Frauenzimmer in den Wald zu
gehen ift Schon auch das Stlügfte, was
ein Jäger thun fann.
Martha (hängt Korb und Zenfe an
einen Baumaſt, febt fih zu ihm auf den Etrunt,
ihren Arm um feinen Naden legend). Denkſt
denn alleweil nur an die Hirſchen?
Nie mehr an dein Weib?
F erdinand (madt Anſtalt zum Stopfen
einer Peife). Wohl, wohl, Alte. Aber
beim Tag hab ich Halt auf mein Amt
zu Schauen.
Martha. So
morgen, wie heut ift!
ein Herrgotts—
Ferdinand. Zur Hahnenbal;, |
lang warten auf die Oberföriteritell’
und aufs Heiraten, das ilt Halt bitter
| gewefen. Gelt!
Und denk
fein, wenn da nit ein Wildſchütz
wenn man jolhe Morgen hätt’!
Martha (vewundernd. Und der
Wald!
Ferdinand. Gelt!
dir, der guädige Herr will da jchlagen
48
5
laſſen. Auf dem Kreuzeck, wo der beſte
Wildſtand iſt, den Wald verſilbern
laſſen. Glaubt er, daſs die Böcke ſtehen
bleiben werden auf dem abgeſtockten
Boden? Die werden ihm was pfeifen.
Martha deiie). Ferdinand!
Ferdinand. Hörft du was?
Martha. Fällt dir Heute denn
gar nichts ein, Ferdinand? Gar nichts?
Ferdinand. Ad, du meinft das
Fuchseiſen, das ich geitellt hab?
Martha. Heut früh beim Auf:
wachen, hat dich fein Engerl bein
Schnurrbart gezupft?
Ferdinand. Wieſo?
Martha. Der dreigigite Mai!
Ferdinand. Jeſſas meiner Seel.
Unfer Bermählungstag. Na, Alte, komm
ber, jo einen Tag muſs man dod
gleih mit einem Buſſel feitnageln.
(Gibt ihr einen herzhaften Kult.) So iſt's recht?
Nachher noch eins. Schau, mein Wei—
berl biſt, mein liebes, mein herziges!
Martha can feine Bruſt geſchmiegth.
Hätt's nimmer vermeint, daſs ich auf
diefer Welt einmal jo glüdlich werden
funnt, als mit dir, mein Ferdinand.
Schon ein Jahr vorbei und afleweil
noch glüdjeliger.
Ferdinand. Kunnt mir's auch
nit beſſer wünſchen. — Was — iſt
denn Das? (Wird aufmerkſam auf Fußſpuren,
fett die Pfeife in den Ead.)
Martha. Und das Schulmeiiter-
dirndel einjtmals, wie es fich gefürchtet
hat vor dem gejtrengen Förſter! Dentit
du noch dran, wie ich die Ziegen hab
verloren ? Und Angſt, der Förfter wird
jie todtſchießen! Ich, wie beſeſſen durch
den Wald, um die Ziegen, und da
fommt er daher und Hilft ſelber ſuchen.
Dentit no dran?
Ferdinand fin die Spuren vertieft),
Nit jo laut reden ſollſt!
Martha. Aber nachher drei Jahr
Ferdinand. Verdammt will ich
486
gangen ift. Schau her da! Die Spur
im Zhau!
Martha. Mußs es denn juft ein
Wildſchütz geweſen fein?
Ferdinand Sonſt Hat Fein
Menſch was zu thun auf dem Kreuzeck.
Meg führt da feiner.
Martha. Holzleute.
Ferdinand. Der Holzknecht hat
im Didicht nichts zu ſuchen. Schau
ber da! (Zeigt die Richtung, welde Straßl ger |
gangen )
Martha. So kann's ja ein Hirsch
gewejen jein,
Ferdinand Weib, du magit
wohl Hühner und Ziegenjpuren von
einander unterfcheiden, aber Thier—
oder Wildſchütz! Das zu beftimmen,
überlaf3 mir. Sei fo gut.
Martha. Geh, wer wird denn
wegen jo was fuchtig werden! Mär’
wohl ſchad' um jo einen Tag.
Ferdinand (dürft). Es ift une
begreiflich!
Martha. Ferdinand, ſchau den
Ihönen Wald an! Du bift der Förfter
und ſiehſt vor lauter Hirfchen und
Böden feinen Wald mehr.
Ferdinand. Es iftunbegreiflich,
dafs wir immer noch fein Geſetz haben
gegen die Wildſchützen.
Martha. Wir haben ja eins,
wenn du fie einfperren lafjen kannſt.
Ferdinand. Lächerlich. Etliche
Wochen im Kotter, das ift ihnen ge-
trade recht, dieſen Halunken. Da wer:
den fie mur abgefeimt untereinander.
Kommen fie nachher wieder aus, trei—
ben fie es noch hölliſcher als vorher.
Gehenkt müſſen fie werden!
Martha «uflachend.. Aber du bift
Ichon gar! Anhängen, ja, das wohl;
aber wegen ein paar Hafen oder was
gleih aufhängen, das nit, das wär
doch ein zu grober Spas.
Ferdinand. Oder auf fein Leb—
tag eingejperrt. Denn weil er's nit
lajst, fo ein Lump! Juſt wie der
Straßl-Toni. Seit er geſeſſen, ſoll
er's noch ärger treiben.
Martha Eaalthafh. Mein Gott,
wenn der Menſch ſchön ausgeraſtet iſt.
Ferdinand. Herrgott, der, wenn
er mir einmal in die Hand läuft!
Martha. Wer weiß, ob er ſich
nit dasſelbe von dir wünſcht!
Ferdinand. Ih glaub's, daſs
er mir den Kotier nit vergiſst, in den
ich ihn hab fteden lafjen.
Martha. Ich bitt did, weich
ihm aus!
Ferdinand Ich? Ih ihm
ausweichen ?
Martha. Er joll im Wirtshaus
gejagt haben, du wiürdeft noch ein—
mal an ihn denken.
Ferdinand. Ich ihm ausweichen ?
‚Ein Jäger dem Wilddieb? Ein Sol»
dat dem Feind? Der Jäger, mufst du
‚willen, ift immer in Feindesland. Da
gibt's feinen Waffenftillftand und
feinen Friedensſchluſs. Ich dem Strap!
ausweichen ?!
Martha. Er foll ein milder
Menſch fein. Niemand mag ihn. So
einen ift alles zuzutrauen. Vergeſſen
wird er dir's ſein Lebtag nit. Schon
für den guten Menſchen iſt Verzeihen
das allerſchwerſte, und erſt für ſo
einen.
Ferdinaud. Ich brauch
Verzeihen nit.
Martha. Meine Mutter hat oft
geſagt, wenn der Menſch wo einen
großen Feind hat, ſo ſoll er hingehen
und ihm was Gutes thun. Dann
geihieht ein Wunder, und der größte
Feind wird oft zum größten Freund.
Der Straßl, hör ich, ſoll Arbeit ſuchen.
Gib ihm eine.
Ferdinand Diefem Lumpen
Arbeit geben? Weib, geh du jet auf
deine Wiefe. Ich Hab meinen eigenen
Meg.
Martha indem fie ihr Werkzeug auf.
|fafst, für fi). Mit der Büchfen umd nur
mit der Büchſen! Vor lauter Paſſion
zum Umbringen vergifst er aufs Leben.
"(Zieht den dur den Pechſchaber verlegten Baum.)
erdinand, warum ſagſt denn da
fein
he
487
niht3? Die Pechersleut, die Wald»
rauchgraber machen dem Wald wohl
mehr Schaden, als etwa jo ein hun—
griger Dajendieb.
Ferdinand (iharf gegen Marta). Geh
du zu deinem Gras!
Martha äGnnig und ſchallhafh. ch
geh ſchon.
fomm fein gut heim, und auf Mittag
triegft dur heut was Gutes,
F erdinand (lauert mit vorgebeugtem
Körper gegen das Dicicht Bin). Ein Bol!
Maas? Hinter dem Hafelbufch ftedt
einer? Ein Schütz!
Martha. Was Haft du, Fer—
dinand ?
Verdinand O du Höflifcher
Kerl! (In gebüdter Stellung. Fährt mit dem Ger
wehr zur Wange. Schreit. Das Gewehr weg!
Das Gewehr weg! Na, das wollen wir
doch jehen, wer Hier der Hausherr ift!
Martha {farr vor Echred, hauchth. Fer—⸗
dinand!
Ferdinand (äuſebereit, Halblaut). Er
zielt? Geht das mich an? Auch gut.
ESchleßt gegen das Buihwerk bin.) oh ‚ ber=
dammt, das war ſchlecht. Na wart,
Ganaille, wir haben noch eins! (Esiei
fih an zum zweiten Schufs. Hinter dem Buſchwert
fnalt es. Ferdinand fpringt mit einem furjen
dumpfen Schrei auf, taumelt, Täjät das Gewehr
finten, fährt mit der Hand frampfig nad der Bruft,
al ob er aus berjelben mit den Fingern etwas
hervormühlen wollte.) Mir jcheint, der Kerl
— Hat mid — angejchoffen.
Martha. Jeſus Maria! (Sie fpringt
ihm bei. Er finft zu Boden.)
Ferdinand. Gut getroffen. Höl—
liſch gut.
Martha. Ferdinand! Ferdinand!
Was ift dir? Um Gotteswillen, ift
dir Schlecht?
Ferdinand. Ach, ich hab genug.
Mit mir iſt's aus, (Biegt Hingeftreit,
ein Haupt auf Marthas Schoß.)
Martha tmit gewaltfam zurüdgedämpfter
Aufregung). Heiliger Gott, wie das Blut
auffpringt! Was thu ich denn? Was
fang ich denn an, um des lieben Herr-
gotts Willen! — Ei jchau, ei Schau,
e3 wird jchon beſſer. Nein, Ferdinand,
jo ſchlimm mit, Jo ſchlimm mwird’s nit
Behüt dich Gott, Ferdel,
jein. Nur jo viel erichredt hat's did.
|Der Schred treibt allemal das Blut
ber. In den Rippen wird’3 fteden,
das Blei. Der Bader kriegt es leicht
heraus. Es wird alles wieder gut,
nur ein wenig ausruhen mujst dic),
nachher — nachher — (Ferdinand richtet
fih noch einmal empor, ballt die Fauſt gegen das
Didiht hin, wo geidhofien worden, bridt dann zu-
fammen, Sie ftarrt ihn an, die Worte bleiben ihr
im Mund fieden. Plöblih ſchreit fie wild auf.)
Was ift denn das? — Jetzt — jetzt
Haben fie mir meinen Mann erjchofjen!
(Eilt über die Bühne) Let! Kommt mir zu
Hilf! O, wer ſoll mich hören im weiten
Wald! (Wieder zu Ferdinand, leiſer, lebhaft ihn
rüttelnd.) Mein, Ferdinand, es ijt nichts.
Eine Ohnmacht. Sie geht bald vor—
iiber, (Mit Moos tühlt fie feine Stirn. Schau,
das naſſe Gras, das erfriiht. Das
thut dir gut. — Mein, Ferdinand,
fterben mit. Das mujst du Deiner
Martha nit antdun, Schau, wie ich dich
lieb hab, du mein Alles! du mein
Alles! EGSededt ihn mit Küſſen. Fährt zurüd.)
So blafs! So kalt! (Wräfstia aufihreiend,)
Jeſus, er ift todt! todt! Gricht wie opn«
mädtig jufammen )
Sechster Auftritt.
Es laufen zuerſt einer, allmählich mehrere Wald
leute zufammen von allen Eeiten: Pechſchaber,
Nmeidgräber, Wurznerinnen, Holztnedte,
Koblenbrenner, theild mit ihren Werkzeugen
veriehen, Hirten, die ih in die Kunde jtellen,
theil& rüdwärts auf den geftürzlen Baumitamın
tlettern, um den Todten ſehen zu lönnen. Manch
halbvertommene, verbädtige Seftalten in abenteuer«
lien Angigen, mehrere barfuß.
Ale machen die Gcherde des Schredend, haften in
nervöfer Aufregung näber, flüflern jn eimander,
Ihlagen die Hände zujammen, zeigen mit den Fin—
gern nad verſchiedenen Richtungen bin, murmelnd,
mit den Geſten des Mitleibes hier, wilder Drohung
dort; auch manches Zeichen von Befriedigung,
bunt beivegte Scene.
Der Leihnam ift durch Gebüſch gededt, man ſieht
nur Die Füße.
Lodel iberanftürmend. Mas hat's
denn? Was ift denn geichehen?
Mart h A (auf den Todten weilend). Er—
ſchoſſen!
Lodel. Wer? Wer erſchoſſen?
Der Förſter? Unſer lieber Förſter?
Unſer guter Oberförſter?
Schwarz-Seppel. Der Kreuz—
jäger erſchoſſen? Aus iſt's! Aus iſt's!
Hupfer— Hanſerl (ein Hirtenjunge.
barfuß, Läuft über die Bilhne, wieder jurück und
neu Antommenden entgegen.) Da geht's her!
Da geht's her! Da hat fih ein Jager
derſchoſſen!
Schwarz-Seppel. Nit er ſich
ſelber, du Dodel. Ein Raubersmenſch.
Ein Mordlerl...
9 an je r[ immer umberlaufend. Da
geht's her! Ein Jager! Ein Mordkerl!
Waberl catte Burznerin). Unſer' liebe
Frau und alle Heiligen! Das möcht
ich nit derleben, dajs der Herr Föriter
— D ihr vierzig Märtyrer, ſteht uns
bei! (Drängt ih zu Martha vor, rüttelt fie an der
Asiel.) Frau Förfterin! Ja, was if
denn das? Aber jo jchleht Haufen !
3a, wer hat denn das gethan ?
Martha. O mein Herrgott, wer
fann’3 jagen! (Macht immer noch Berfudhe, den
Todten zu beleben.)
Simmer| (Hoblendrenner, theilweiſe ges
ſchwärzt, ift ſchwerhörig, fragt den Hanferl). Was
fagt fie? Wer hat's gethan ?
Hanſerl. Vom Herrgott iſt
die Red'.
Simmerl Gqlägt die Hände zuſammen).
Wer hätt' ſich das denkt!
Waberl. Aber was ſtellen wir
denn an! Wenn ich nur mein Kräuter—
trankel bei mir hätt'! Habt's ihm ſchon
Ader gelaſſen?
Lodel. Ein biſſel zu viel!
Hanſerl cinter die Goulifien rechts
weiten). Jeſſas, Jeſſas, dort! dort
ſchaut's Hin!
Schwarz: Seppel.
er denn, der Halterbub !
Hanferl. Da enten! Da enten
lauft er! Da enten lauft er abi!
Mehrere Wer?
Hanſerl. Der Raubmörder. Der
Mordbrenner! Fangt's ihn, fangt's ihn!
Schwarz-Seppel. Wahlrlich
ja, dort rennt einer.
(Aufruhr.)
Waberl. Aber Leut, das iſt ja
feiner. Das iſt ein Holzknecht.
Schwarz-Seppel. Jebt ſpringt
er durchs Gſtauder. Durch iſt er,
Lump, geſehen hab ich dich doch!
Was hat
Lodel. Haſt ihn geſehen, wer
iſt's geweſen?
Schw arz3=Seppel (vortretend, wichtig
thuend, teife). Ich Hab ihn geſehen. Nur
einen Huſcher Hab ich ih gejehen,
aber groß werd ich mich mit irren.
Wenn ich jet reden wollt!
Lodel. Beſſere Ausjicht will ich
haben. (Rlettert rüdwärtd auf ben bürren, ge-
ſtürzien Baumflamm, ber noch theilweiſe in der Luft
hängt, Mehrere ihm nad, fo dafs fih amphithen-
tralifh eine Gruppe aufbaut Hinter dem Leichnam.
an weldem Marita niet und fihb dem vollen
Echmerge bingibt.)
Simmerl Gum Hanfer).
thun's denn alle dort auffi?
Hanſerl. So viel fürchten thun
ſie ſich.
Lodel Gom Stamm aus). Leut gibt's
da, wie bei der Kirchweih.
Waberl. Mo fie denn herkommen,
die Leut!
Schwarz-Seppel. Den Schrei
hat man weitum gehört, mein du! Bis
zum Holzſchlag. Und in der Roth Halten
wir zjamm! Halten all zſamm!
Waberl. Ich kenn mich gar mit
aus, vor lauter Schroden! Der gute,
arıne Förſter! Wir Haben viel ver—
loren, Leit, wir friegen feinen beſ—
jern mehr!
Schwarz: Seppel mürend. Leicht
erlaubt der neue das Ameijeln!
Waberl. Und das Wurzelftechen !
@aut) Iſt nur ein Glüd, dafs er mit
noch eine Weil hat leiden müſſen.
Simmerl sum Han. Was jagt
fie ?
Hanſerl. Iſt ein Glüd, daſs er
ihn jo gut troffen Hat.
Siebenter Auftritt,
Die Borigen. Straßl (langlam beranfommenb,
innerlich erreat).
Straßl dur ich. O Gott, daſs
das hat müſſen fein! — Und haben
mich ſchon gefehen. Jetzt heißt's geicheit
fein. — (aut) Was habt’3 denn da?
Waberl. Geh mur ber. Da iſt
grad einer derſchoſſen worden.
Straßl. Iſt's wahr? Js richtig
wahr?
Warum
or
Schwarz» Seppel. Schau, der |
Straßl ift auch da. Biſt nahend geweſt,
Holzknecht.
Straßl. Weil ih grad auf dem
Weg zum Holzſchlag bin. Auf jo ein
Geſchrei mujs man doch ſchaun gehen,
was gefchehen ift. Derſchoſſen foll einer
fein? Um Gotteswillen, wo denn?
Wer denn?
Schwarz» Seppel mämiis), Wird
dir eh bekannt geweien fein. Ein
guter Freund zu dir, Im Winter ift’3
falt. Magit wohl beten für ihn, dajs
er dir ein warmes Quartier hat ver-
ſchafft.
Straß!l. Bon wem redſt? Doch
nit dom Kreuzjäger?
Schwarz= Seppel. Belt! Na ich
glaub's, jo was vergijst der Menjch nit.
Straßl etwas gedämpft. Ich trag
ihm nichts nad. Hat's ja thun müſſen.
Iſt ſeine Schuldigkeit geweſen, hat
dafür ſein Brot. Eh ein harter Dienſt, |
ein Fägerdienft. — Wenn der arıne
Kerl wildert, jo hat er recht, und
wenn ihn der Jäger einjperren lajst,
jo hat er auch redt. So muſs man
ich denen. Ich Hab meine Sad) ab-
geſeſſen, und meinetwegen ſoll er nichts |
zu leiden haben. Rachgierig bin ich
mein Lebtag nit gewejen. — Iſt ſchon
wer um den Arzt?
Waberl. Braucht feinen, ift todt.
Simmerl Gum Hanferl). Was
jagt fie?
Hanſerl. Arzt braucht ex feinen
mehr, weil er eh ſchon todt iſt.
Stragl. Und was fteht ihr denn
da? Um und um hinaus, Leut, den
Mörder juchen, ift gejcheiter!
Lodel wom Baumſtamm her mit Icharfer,
ihneidender Etimme). Geh, geh, Straßl, mach
feine Gſchichten. Leicht Hätten wir nit
weit juchen.
Stragl (zudi merklich zufammen). Wie
ſagſt?
Lodel. Leicht biſt du's ſelber!
Straßl. Pecher! Du Pecher!
Was Haft du jetzt geſagt? Muſs
dich nit gut verſtanden haben, ſag's
noch einmal.
489
Lodel. Vielleicht haſt du ſelber
geſchoſſen!
Straßl. Ah, ſo meinſt. Ge—
ſchoſſen. Natürlich, geſchoſſen hab ich
ſchon oft,
Lodel. Auf den Jäger.
Straßl tet ſich verblüfft, dann zu den
Umflehenden). Habt ihr's gehört? — Habt
ihr's gehört?
| Mehrere. Nau, mau, nan! Auf:
begehren ab noch!
Straßl. Ihr ſeid meine Zeugen,
wenn ich ihn klagen geh. Das iſt kein
Spaſs. Wer jo was jagt, der muſs es
beweijen, ſonſt kommt er ins Loc,
und leicht a bifjel tiefer hinein als
wie der arıne Teufel, der hungers—
‚halber einmal einen Hirſchen will
ſchießen. Ja, mein lieber Lodel, mit
ſo viel Reden wirft einer nit herum,
fie foften zu viel! MWirft es jchon
jeden. — Ihr Habt e3 gehört, ihr
jeid meine Zeugen.
(Die Umftchenden weichen murrend von ihm zuräd.)
Schwarz: Seppel. Ya, ja, wir
werden ſchon Zeugen fein, dajs wir
dich zu diejer Stund Heroben am
Kreuzeck haben gejehen.
Straß!l. Was ſoll das heißen?
Schwarz-Seppel. Ahırir, gar
nix, als dafs du Halt heroben biſt
geweſen.
Straßl «ufgebrath. Daſs ich her—
oben bin! Und ihr? Seid nicht auch
ihr heroben? — Stund er jetzt da,
der Oberförfter, wie er da liegt, ihr
wäret nit zu jehen da heroben, das
weiß ih. So gut wie mir das Wil—
dern, Hat er euch das Ameisgraben
und Pechſchaben und MWurzelftechen
‚verboten. Wenn er auch nit jo ftreng
it gewefen gegen die Waldverderber
als gegen die Schüßen, wo er ein er=
legtes Reh am Lliebiten mit der ewigen
' Berdamımnis beitraft hätt? — verkrochen
habt ihr euch dod vor ihm, vers
frohen wie die Füchſe und Marder
in ihre Höhlen. — est, weil er da=
liegt ſtarr und falt, jetzt flattert ihr
hervor wie das Unzücht aus allen
Löchern und heuchelt Mitleid, die—
490
weilen ihr auffchreien möchtet vor
Lodel, Was gehen uns jekt die
Luft und Gier, dajs er dahin iſt. — Wildſchützen an! Wer den Jäger hat
Damit ihr weiß ausſchauen jolltet, | auf die Deden gelegt, wollen wir willen.
macht ihr einen andern jhwarz und |
möchtet, wenn's möglich wär”, Unſer⸗
einen noch ſchlechter machen, als ihr
ſelber ſeid — Lumpenpack!
Lodel. Verſteht ihr dem feine
Beweisführung? Ich nit.
Schwarz= Seppel iihreit dem Straßl
ins Or). Die Diebsſprache verftehen
wir nit.
Straßl. Wem Hab ich was ge—
ftohlen ?
Schwarz- Seppel tirmiid). Ges
ftohlen! Gott bewahr. Der Kreuzjäger
hat dir den Hirfchen hübſch zutreiben
laſſen und eine Bittfchrift an dich:
Lieber Anton Sträßl! Erweis mir die,
Ehr und brenn ihn nieder, zum Gefchent
als bjunderes Zeichen meiner Freund:
Schaft! Gelächter) — Iſt geſeſſen wegen
des Diebſtahls — und jetzt leugnet's
der Erzlump!
Straßl. Meine lieben Leut!
Wenn jetzt alle Wildſchützen ein⸗
geſperrt wären, ſo ſtund auf dieſem
Pla niemand als die paar Weiber.
Kein Bauernhaus und feine Hütten
in der ganzen Gegend, wo die Büttel
nit ein veritedtes Gewehr kunnten
finden. Und fein Jäger auf der Welt,
der it einmal ein heimlicher Lehrbub
ift gewejen. Den meiften Schützen
macht das Umbringen Freud, und
wenn ſie einmal einen erwiſchen, der
ſchießt, um leben zu können —
Jeſus Maria, da iſt ihnen für ſeine
Straf das hölliſche Feuer zu kühl und
die Ewigkeit zu kurz.
Simmerl sum Hanie). Was fagter?
Hanferl. Die Ewigfeit ift zu kurz.
Stra! däpr for. Daſs wenig—
tens wir armen Leut thäten zuſammen—
halten. Uber die find die Schlech—
teften ; find aufeinander wie Hund und
Kapen, verſchergen einander, zerbeißen
einander, möcht aus Wohldienerei einer
Straßl. Weiß ich's!
Lodel. Aſchen über dein Haupt,
Strapl-Toni! Und jet fort mit dir!
Wir wollen dich nicht fehen. Geh
deines Weges!
Straßl mi erregt). Den geh ich
auf. Und weißt du wohin? Den
fürzeften Weg zum Gericht. Bein Ge—
richt jehen wir uns, Pechſchaber, du
fommft mir bald nad. Das will ich
jehen, ob einer feinen Richter findet
gegen Ehrabjchneider. Auf der Stell —
ih geh zum Gericht.
(Raſch ab. Eie ſchreien durcheinander und dem
Straßl höhnend nad.)
Vorhang fällt.
Zweiter Aufzug.
Arreitftube mit mehreren Strohpritſchen, auf welchen
Arreftanten berumliegen und fauern. Dunlkel ge—
halten, Eine Nahtampel.
Etwas im Hintergrund gegen bie Mitte Liegt der
Straßl»- Zoni in feinem Holzknechtgewande.
Echr verlört und unruhig Ihlummernd. Nebenbin
Blümlein in fhwargem Anzuge.
Im Borbergrunde, rechts und linfs der Bühne, die
Urreftanten Raberer und Greiffel in Zmilde
fleidern.
Eriter Auftritt.
Kaderer (ein älterer Patron, aufgebunfen,
mit gelbem, ſchielendem Spikbubengefiht, furz-
geſchnittenem rothen Haar, bartlos, Eid den Schlaf
aus den Augen reibend und ben Körper jtredend).
N, das war ein Schlaferl! Der
Kaiſer hat zu feinem Namenstag fein
beijeres. Und geträumt wie der Sultan.
Pickfein! Es geht nichts über ein
jorglojfes Leben.
G rei f f el (auf der BURTON Eeite,
dumm verſchmihtes Geſicht, niedere Stirn, vorſtehende
ainnbaden). Sorglos wär's, aber Leben
iſt's keins.
Kaderer. Bruder, du biſt immer
unzufrieden. Das Schlafen muſst fürs
Leben rechnen. Im Schlaf finde ich
blutwenig Unterſchied zwiſchen dem
Diebskerl Kaderer und dem Rothſchild;
den anderen wegen eines Haſen zus nur daſs der Rothſchild ſich vor dem
todt verhegen und verleumden — dieſe Einbrechen fürchtet und der Kaderer
Beitien, die vermaledeiten! das Ausbrechen hofft.
Greiffel. Du ausbrehen! Dazu
biſt du viel zu faul.
Kaderer. Bruderherz, du haft
recht. Die Faulheit ift mein Schuß»
engel. Ich fage dir, der jchredbarite
Mordbrenner wäre ich, aber halt zu
commod dazu. Bor lauter Faulheit bin
ih ein guier Menfch.
Greiffel. Der bei der Nacht die
Leut ausraubt.
Kaderer. Narr, weil ich beim
Tag Schlafen will.
Greiffel. Sag mir einmal, Ka—
derer, wo Haft denn du die Kuraſch
dergenommen das eritemal?
Kaderer (acht hinkend hinüber zu Greiffel,
tauert fih am deſſen Bettede),. Herz, es iſt ein
reiner Zufall, Eine wahre Schaud,
fag ich dir, was ich jahrelang für
ein ehrlicher Kerl bin geweſt. Zum
Verhungern, jo ehrlih. Auf einmal
bricht's Durch, das Talent.
Greiffel. Hei, das muſst mir er=
zählen!
Kaderer. Was wirft machen,
wenn du bei der Nacht durch ein Stadt—
gafjel gehſt, fireift eine Greatur an
did, und wie du nachſchauſt, Halt
deine» Uhr nit im Sad!
Greiffel werwundert. Du bift be=
jtohlen worden?
Kaderer. Hat mit einmal mir
gehört. Ausgeliehen zum Windmachen.
Hallod, die Uhr! jchrei ich und lauf
dem Kerl nah. Er rennt, was er
fan, aber bei der Brüde hol ich ihn
ein, pad ihn beim Kragen: Die Uhr
her! — Er die Uhr aus dem Sad,
mir fie her und davon.
Greiffel. Prädtig!
KRaderer. Und denf dir, Greiffel,
wie ih auf meine Kammer komm,
liegt meine Uhr dort uneingeltedter-
weile auf dem Tiſch. 9a, ha, und
raub dir auf ſolche Art einem harm—
fofen Kind Gottes zur nachtichlafenden |
Stund die Uhr weg! (Seht auf feinen viat
zurüd.)
Greiffel. O du verdammter Kerl!
Kaderer. Kannft dir den Reſpect
denen vor mir jelber! Nit im Traum
wär's mir eingefallen, daſs das Leut—
ausrauben fo leicht iſt.
Greiffel. Lugen thuft! Das
Geſchichtel, in der Zeitung, Haft es
gelejen.
Kaderer «unbeiret). Nichtig. Am
nächſten Tag ſteht's ſchon in der Zei—
tung, daſs bei der Nacht ein baum—
feſter Mann einen armen Geigenlehrer
verfolgt und ihm die Uhr weggenommen
hätte.
Greiffel. Natürlich Haft fie ihm
zurüdgeichidt.
Kaderer (mit Entrütung. Zurück—
geihidt? Schaf, dummes. Verneppt
Hab ich's.! Der Geigenlehrer kann fich
twieder eine zufammengeigen. Wie aber
joll ein Dieb leben, wenn er nit ftiehlt ?
Und daſs der Herr Edelbert Kaderer
ein geborener Dieb ift, hat ſich doch
dazumal gewiefen. Hab ich mir ge—
dacht: Schau, ans Schidjal mufs der
Menſch glauben — ſo ſchlecht, must
wijjen, bin ich nie geweit, dafs ich
an nicht3 geglaubt hätt’. Sag ich mir:
Wenn dich das Schidjal ſchon mit der
Naſen draufitopt zum Stehlen — gut,
jo ftiehl! Mit Eeioftoewufstiein. Und Hab
mein Wort gehalten.
Greiffel qu Naderer Hinübergehend).
Bei mir ift es umgekehrt. Ich bring’s
mit dem beiten Willen nit zu einem
ordentlichen Spitzbuben, und wenn ich
einmal was jtehlen will, accurat ftehl ich
mir's jelber und ſchenk's einem anderen.
Kaderer. O Heiligtum in
Menfchengeitalt!
Greiffel. Wie dazumal in der
Herberg. Will dem Schlaffameraden
bei der Naht die Hojen ausfuchen
und ſeinen Geldbeutel in die meine
prafticieren. Spielt der Teufel nit fo,
dafs ih im Finftern das Ledertajchel
aus meiner Hofen in die feinige jted’? —
Und bin doch Kaule gangen.? Du
hoͤlliſche Wildſau!
Kaderer teilen. Anſtändig reden,
junger Mann! (Deuter gegen Blümtein im
1 Gaunerausdrud für: veräußert.
? Gaunerausdrud für: bin doch eins
geiperrt worden.
492
Hintergrund). Wir haben über Nacht vor»
nehme Zimmergefellichaft bekommen.
weiter Auftritt.
Die Vorigen. Arreftant Blümlein. Edlanfe
Geftalt in forgfältig gehaltenem, aber fadenfcheinigem,
ihwarzem Anzug, mit blaſſem Gefidt,
Shnurrbärtben. Eikt auf dem Etrobbund, sein
Haupt auf den Ellbogen geſtützt. Nun ſteht er auf,
gebt gegen die beiden anderen bin.
Blümlein. Genieren Sie fi
nicht, Freunde, und jeien Sie munter.
Wenn ich gelöpft werde, können Sie
zufchauen. Gratis.
Kaderer. Geföpft?! Saferment,
der gibt’3 nobel!
Greiffel (aebt auf, feinen Platz zurüd).
Na, der muſs was Ordentliches an—
geitellt haben. Hat gewijs wo Sped
geftohlen, daſs er eingejperrt ift worden.
Blümlein mit Empörung). Stehlen?!
Saunerjeele!
Ihwarzem |
| Blümlein umwirs). Nur zu, mit
Ihrem dummen Späflen. Sie find ganz
gemeine Spitbuben!
Kaderer (gemütptig). Bruder, mit
jo ungemüthlih! Geh Her! Sei’n wir
du und du miteinand! Weißt, mujst
wiſſen: im Himmel und im Arreſt
ſind wir alle glei).
Blümlein. Diebereien und Mord—
brennereien, wie ihr fie treibt! Kin—
diſch. Das muſs groß angepadt werden.
Die gegenwärtige MWelteinrichtung !
Für euch alle ift gededt an der Tafel
des Lebens. Greift zu! Greift zu!
Greiffel. Wenn fieeinem feinen
Löffel geben !
Kaderer. Zu was haft dem
deine langen Finger?
Blümlein disarf herausſprudelnd). Dort
der reiche Praifer, hier der arme ge=
Greiffel. Unjer neuer Freund ſchundene Teufel. Gefällt euch das?
it noch in Vorurtheilen befangen.
Kaderer. Welch eine Heldenthat,
wenn man fragen darf, edler Fremd—
ling, daſs fie dich jo jehr wollen ver—
fürzen? Gar um den Kopf. Warum
denn?
Blümlein. Nichts weiter, als
daſs er ihnen unbequem ift.
Greiffel. Na, dann freilich:
Schwips, herab mit ihm!
Kaderer. Aber glorreicher Zeit:
genoſſe, zahlit du denn feine Kopf—
fteuer? Ja? Nun alfo, dann kann
dir nichts gejchehen.
Blümlein (mit der Geile des Nopf-
abiäneidens). Herab mit ihm!
Kaderer. Etwas mufst du aber
doh Schönes vollbradt Haben!
Blümlein Bei unfereinem
nahen jie es flüger als bei anderen.
Andere werden erſt eingejperrt, wenn
jie was angeftellt Haben; mich jchon
vorher — und das ift jehr gejcheit!
Kaderer. So haft du gewiſs
etwas Feines im Sinn gehabt.
Blümlein. Eine Kleinigkeit. Jch
wollte bloß die Welt in die Luft
Iprengen,
Greiffel. Bun, das müjst a
Kracher jein!
Nicht? Nun aljo empor! empor! empor!
Reißt vom Himmel euer Recht und
ftürzet das Bejtehende!
| Greiffel. Ah jo, von der Gat-
tung bijt!
Kaderer, Bruderherz! Wenn ich
mich erft gewaschen Hab, kriegt von mir
einen Kuſs. Aber hölliſch jchade, daſs
fie did vor dem großen Bumperer
haben ins Loch geftedt.
Blümlein. Sind ſchon noch
‚andere drangen, Wir find ein viel-
'föpfiges Thier. Jeder Kopf wächſt
zehnfach wieder nach.
Greiffel. O du Rabenvieh!
Blümlein (befinnt ib). Kameraden,
eure Einfalt iſt rührend. Ich reiche
euch die Hand, ſeien wir auf du und
du miteinander. Noch lieber halt ich's
mit den Bewohnern dieſes Hauſes als
mit denen, die da draußen auf der Hee—
resſtraße gehen. Schlemmer, heimliche
Betrüger, Verführer, Ehrabjchneider,
Schurken. Seinem kann was nade
gewieſen werden. Lauter brave Leute!
Greiffel dic die Hände reibend). Das
it Schon eine Paſſion, wie der Die
Yeut verfhandiert! Hat aber recht!
Wenn ich nit das Glück hab und jo
viel eingefperrt bin, jo wär’ ich längjt
40953
Thon verdorben — von denen da Kaderer cals Strahl. Der Pecher
draußen. Grundſchlecht wär’ ich worden. | Lodel hat's gejagt, und der Schwarz:
Blümlein. Grumdjchleht wäre Seppel, und die anderen auch, und
nicht das Schlimmfte; beifer werden ich geh nimmer ficher, und ich bitt,
kann man. Aber blitzdumm fein — daſs fie geitraft werden!
da iſt micht zu Helfen. Greiffel cars Riten. Anton Straßl,
(Man hört Straßl ſchwer jenfjen.) find Sie nit dor einiger Zeit im
Kaderer. Schau, der Holzknecht Arreit geſeſſen?
hat aud fühe Träume, Kaderercats Etrapt). Ich bitt, von
Greiffel. Ja, von der Schlinge. | wegen einer Wilderei. Trag aber feinem
Kaderer. Iſt ſelber ſchulid. Menſchen nichts nad.
Warum ſpringt er hinein! Greiffel cas vietter. Sie wollen
Greiffel. Wenn's einer halt vom Gericht Schuß haben?
gar zu pfiffig machen will. Kaderer cas Strap. Ich bitt
Kaderer. Ha, ha, ich feh ihn |taufendmal! Ka
noch, wie er in den Saal ftürzt und Greiffel its Kiste). Die gericht:
unfer Verhör unterbricht. — Geh, liche Unterfuhung wird alles auf
Greiffel, mach den Richter, zeigen wir's klären und Sie hoffentlich rechtfertigen.
unferem neuen Freunde, wie es war, | Allein, wie follen wir Sie einftweilen
(Die folgende Scene muſs fi ſcharf vom übrigen ſchützen vor Ihren Gegnern?
Spiel abheben.) Kaderer als Straf, lebhaft. Eine
Greiffel. Gut if’s. Ich ziehe ſperren laſſen!
den Nichtermantel an, (Hült die braune Greiffel cas Rister. Die vielen
Beitdede über Ach, gibt ſich eine würdevolle Haltung.) | Qeute einfperren? Da wird's vielleicht
Jetzt Achtung vor mir. Alfo, Kaderer | bejjer fein, dajs wir Sie hinaus»
und Greiffel, ihr zwei Erzlumpen, | fperren. — Gerichtsdiener, führen Sie
was habt ihr wieder angeſtellt? — |diefen Mann in die Zelle Nummer
Mer ftürzt zur Thür herein? Wer |fieben, die hat ein feites Schlojs, (u
unterbricht die Verhandlung ? ® da find Sie geſchützt.
|
Kaderer (ftellt ich, als wäre er der Straßl, (Beide brechen in ein Gelächter aus und hüpfen auf
Hürzt wie rafend auf den Richter zu, vor denſelben ihre Pritſchen.)
auf die anich Herr Richter! Herr Richter!
Greiffel ces Kisten. Hinaus! Die—
ner, was haben Sie da für einen
Tollhäusler hereingelafjen ?
Kaderer cars Etragı). Ich bin Fein
Tollhäusler. Jh bitt um Schuß, Herr
Richter, ich bitt, fie verfolgen mich,
Kaderer (gegen Brümtein. Und fo,
Freund, iſt der Herr, der dort Die
jeligen Seufzer macht, in die Schlinge
gegangen. Dem jein Geficht, wie ihn
nachher der Standarm in den Flotter
dat geführt!
Stragl (hebt fi etwas von feinem Lager
jie verleumden mich! empor. jeufst). Ach Gott!
Greiffel cat Ridten. Mer find Kaderer. Biſt Schon wach, Straßl?
Sie denn? Guten Morgen! Haben gerade von dir
Kaderer ats Etrabt. Ich bin der geſprochen.
Anton Straßl, den Straßl-Toni heißen Straßl. Spottet nur zu. Ihr
fie mich und jagen, ich hätt’ den Kreuz wiſst es nicht. Mix ift Schredbar weh.
Jäger derichofjen. Iſt nämlich Heut — Kaderer (mit höhniſcher Theilnahme).
auf dem Kreuzeck deoben — der Jäger | Warum? Du haft ja heut, fo viel ich
derichoflen worden, der Oberförfter weiß, deinen fürnehmen Tag. Wie
Ferdinand, und da fagen fie, ich hätt's die Leut zufammenlaufen werden,
gethan. deine Freunde und Bekannten, und
——— (ala Richter) Mer jagt es die hohen Herren ſich mit dir unter—
denn? halten — ſtundenlang. Fein! Und
404
——
2
eine Ehrenwadht vor der Thür. Pick- Nothwehr! — Ich kann wegen Ein»
bruch und Diebitahl verurtheilt werden,
Strapl Galb für ns). Mir geht! das kann ich. Aber wegen Mords nie —
fein!
nichts Gutes zu Sin.
Nur feft bleiben, Holzknecht. Nur recht
leugnen, wenn du einen ehrlichen Rath
annimmft. So lang der Menjch leugnet,
wird er mit gehentt. Allemal. Eine
ehrwürdige Spikbubenregel! Sollt’ fie
jeder Wrreftant in fein
ichreiben. Glaub es mir.
Hab ich's denn gethan?
KHaderer qqaelmiſch. Das wirft ſchon
ſelber willen.
Strafl. Undeine Menge Zeugen
follen geladen fein.
Kaderer. Sei froh. Je mehr,
fliegen fie auseinander. Sind fie nit
einftimmig, jo Haft gewonnen.
geredet. Auf einen armen, verachteten
Menschen geht ja alles los. Auf mich
ihon gar wie die Teufel! Hält! ich
mich lieber jelber derichoflen !
Sreiffel. Geh! Solche Gedanken!
Eelbiimord ift eine Todſünd!
Kaderer. Na verfteht ſich! —
nie. Nothwehr ift erlaubt.
Blümlein. Verzeihen, ich glaube
diesmal werden Sie mit ihrer Nothwehr
aufigen. Das Gejeß dürfte es ein
bischen anders meinen.
Greiffel mir Serastung. So, Sie
‚wollen mir das Gefeß erklären! Sie,
Gebetbuch
der kaum erſt ein paar Stunden im
Kerker ſitzt. (Muf ſeine Brut pochend. Wiſſen
Straßl. Mein Gott, leugnen!
Sie, wie oft wir ſchon geſeſſen ſind?
Neunmal! Jetzt das zehntemal.
Kaderer dadht dazwiſchenn. Jubi—
läumsſitzen!
Greiffel däsrt fort. Sie ungebe—
‚tener Herlaufer oder Rojsdieb, was Sie
‚in feinen Räuber
Strapl. Sind ja alle zuſammen- | „per mir, der eine Bildung hat genofien
16 —
deſto beſſer. Je mehr Vögel, ————— ———
Rock an, heißen vielleicht Magiſter,
heißen Doctor gar, wie der Schelſchbir
ſo ſchön ſagt;
‚und fein Lebtag nur mit Richtern,
Geſchworenen, Staatsanwälten und
Vertheidigern verehrt Hat — mir
das Geſetz erklären! Sie nit, Sie.
Kaderer. Und eine ordentliche!
Straßl. Es wär’ das allerbefte.
Kaderer. Und wenn fie dich:
überweifen — was liegt dran! Noth=
wehr, jagjt! Mit Nothivehr macht man
auch mauchmal viel.
Fall. Ein Schöner Fall. — Im Stödel-
hof zu Lahndorf, da bin ich beim
Dachfenſter hineingeftiegen. Bin näm—
ih Schränker. Ganz Schlicht und
harmlos fteig ich ein. Die Schränfe
will ich räumen und weiter niemand
ftören, denn es jchlaft alles. Nichts
ungefünder, al3 wie die Peut jo plötz—
ih aus dem Schlaf weden!
euch auf einmal jo ein Ladel da mit
der Dade, und wenn ich ihm mit noch
zuvorfomm’ mit dem Stoßeifen, jo
Ichlagt er mich nieder — maustodt! — |
Zum Glück bin ich geichwinder ge—
Gun Morgen!
KRaderer. Finder, nur feinen
Streit! Wir müſſen verträglich fein
untereinand, wir find eine gejchlofjene
Sejellichaft. — (Dem Straßl die Hand auf
die Wehfet legend) Und thu mit jo verzagt,
' Samerad !
. er i | limm, wi 5«
Greiffel. Das iftgewifs! Mein‘ wendig mit jo jchlimm, wie er aus
Der Gerichtsſaal ift ins
wendig ausſchaut. — Sag, Bruder—
herz, Haft du dich ſchon mit deinem
Vertheidiger beiprohen? Der wird
dir's auch jagen. Was Haft denn für
Steht
einen ?
Straßl. VBertheidigr? Den
Doctor Scheuerer Haben’s mir ge:
nannt.
Kaderer und Greiffel. O jet
Straßl. Wird mir eh nix nußen.
Kaderer. Haft heut fa Schneid,
‚jo mad) dich franf, wird's verſchoben.
Strap! iür ſich und ſtart marfiert).
‚Lieber zur Einzelhaft verurteilt, als
wejen als er. Was kann man machen? da nocd länger!
4
Kaderer. Kaunft dich auch taub-
ſtumm ftellen bei der Verhandlung,
oder mwahnjinnig, wenn alle Strid
reißen.
Greiffel. Narr, wenn alle
Strid reißen, das wär’ ja eh gut!
Kaderer. Und vor den Richtern,
wenn du ſtehſt, nur hübſch den Kopf
in die Höh und feft ins Aug ſchauen,
den Herren, recht treuherzig ind Aug
ichauen — fo! (Mast ein einfältiges Gefiht.)
Nur immer einen offenen Bid. Auch
nicht vergejjen, vor dem Richtertiſch
Ihön die Knie beugen! Sehr wichtig!
Auch vor dem Erucifir. Nur immer
fromm und gottesfürchtig, mein Sohn!
(Bertrautih.) Weißt du, wie ich's ges
macht hab, als ich noch Vorbeter in
Karleiten bin geweit? — Schlag id)
auf dem Dorfplaß bei der Nacht einen
reihen, halbbeſoffenen Viehhändler
nieder. Die Leut rennen zuſamm',
ich natürlih auch darunter und Hilf
tapfer jammern. Iſt aber noch) nicht ganz
todt. Reden kann er nicht mehr, aber
deuten — und deutet allerweil auf
nich. IH Schon Angſt, er kunnt noch
einmal zu Wort fommen. Aha, jag
ih Schnell: Beten! Beten, meint er,
ſoll ih, und heb geihwind einen
jchreienden Roſenkranz an, bis er
todt if. — Darum fag ich, das
Gebet Hat ſchon manchen geholfen !
Strap! (ib unmwillig wegwendend).
Unter ſolchen Leuten fein müſſen!
Mie weit iſt es mit mir gefommen !
Kaderer tinderAsfiht, ihn aufjzuheitern).
Willſt aber Lieber fingen, als wie
beten — iſt auch gut. Biſt ja ein
feicher Wildihüß, hör ih. — Süßes
Bruderherz Greiffel, komm, Hilf mir,
wir fingen unſerem chriftlichen Mit—
bruder zu Hilf und Troſt das Wild-
ſchützenlied.
Greiffel. Gut iſt's, das ſoll er
haben.
ESingen.)
E
Schön ift das Wildſchützleben,
Fin Jäger auf der Jagd;
Kann er fein Stugerl heben,
Hat er jein Glüd ſcho g'macht.
Hat er recht jharfe Augen,
A reht a fein’s Gehör,
Das thuat dem Wildihüb taugen,
Mas will der Burih noch mehr?
Gamjerl jag’n, thua'n d'Leut' jag'n,
Das wär’ nit ichledht,
Über fein muaß ma jein,
Nachher iſt's recht.
Nodler.
II.
Schleicht ſich die Sonne unter,
Und ſagt recht gute Nacht,
So wird der Wildſchütz munter,
Sein Stern am Himmel wadt.
Ob's regnet oder jchneiet,
Ob's donnert oder bligt,
Er denft in feinen Träumen,
Daſs ihn der Ch’re ſchützt.
Gamjerl jag'n, u. ſ. w.
{(Aobdfer.)
Straßl (der ſich während des Eingens
abgewendet hat). Ich bitt euch, Hört auf,
mag nichts hören davon. Verflucht und
vermaledeit ſei das ganze Wildſchütz—
leben! So ſchöne Lieder haben ſie
drauf gemacht, zum Leutlocken, und
heißt's alleweil, für die Armen hätt'
der Herrgott das Wild erſchaffen —
der Teufel ſoll's holen, alles mitein—
ander! Was das Wild ſchon für Un—
heil Hat angerichtet auf der Welt!
Nichts ift mir gefährlich worden. Bin
vorbeigangen an offenen Truhen, hab
Brot Liegen jehen drinnen, Geld —
und nit einmal kommt mir der Ges
danken: nimm's! — Uber wie ich im
Wald das erite Reh Hab gejehen, da
hat’3 gezudt in den Fingern, als ſollt
ich losdrüden am Hahn, und hab dod)
mein Lebtag nod fein Schießgewehr
in der Hand gehabt. Und ift oft auch
gleich die teuflifche Gier dabei, man
kaun fih nit mehr helfen, denkt an
nichts mehr, fchleicht und ſchießt und
ftiehlt und geht zugrund. Ich ſag
euch’3: vor Zeiten der Bär und der
Löw und der Tiger find mit jo ges
fährlich gewefen für die armen Leut,
als wie heut der Das und das Reh
und der Hirſch.
Blümlein. Lappalien!
ein bischen Wildern!
Wegen
496
Stra ß [ Gcedeutſam). Wenn
Wildſchütztugel aber den
Bock trifft!
Blümlein. Ich verftehe Sie.
die | Dorfrichter zu Kicchbach meinem Weib
unvechten | hat verjeßt, wie fie mit gefegnetent
! Leib ift heimgetrieben worden in ihre
Gemeinde. Du bift fremd dahier! bat
Aber glauben Sie mir, Freund, es der Richter gejagt, du gehörſt dort
werden noch ganz andere Böde ge- hin, wo dein Mann zuftändig ift.
ſchoſſen auf dieſer beiten der Welten !
Strap! (für ſich Hinträumend). 's iſt
vorbei. Schon ganz unmöglich fommt’s
mir dor, daſs ich einmal glüdlich bin
gewefen. Und doch ! Jeſſel, mein Weib!
— Hätten wir uns nie gefehen, bejier
für dich. Aber ich ohne deiner! Ich
kann's nit ausdenken. Jeſſel, du mein
einziger, mein herzgetreuer Kamerad...
Greiffel. Er thut Halt fehon
wieder jpintifieren. Den luſtig machen !
Kaderer. Wart’ nur, bis ihn
Kaderer.
du's?
Straßl. Auf der Straßen. --
Die Straßen ift meine Wiegen ger
wejen, von der fie mich als kleines
Kind Haben aufgenommen aus Barm—
berzigfeit. Ein armer Steinſchlager iſt
mein Straßenvater worden, Wie er
geftorben, hat er mich zu feinem Erben
eingefeßt, meine Armuth don ibm,
meinen Namen von der Straßen, auf
der ich gefunden worden. O hätten
Und wo bilt denn
erſt der Strid am Hals Fißelt, da ſie mich dazumal liegen laſſen auf der
wird er ſchon lachen.
Erden
und umfommen laſſen aus
Straßl dur no). Wenn die För- Barmherzigkeit. Glauben kunnt' man's
fteräfrau da ift, dann ift alles ver- nit, wie einen Gott verlaflen kann!
jpielt, Alles.
Kaderer. Weißt, Herzerl, wen
Sreiffel. Aha, das MWeibsbild Gott verlaffen hat, der muſs es halt
fürchtet er.
Stra Bl (wild aufipringend).
Hried laſsſt's mih! Was wilst ihr,
wie mir ums Herz iſt!
nicht3 als auf Spißbübereien ftudieren!
Lumpen, die nichts Liebes und nichts
Heiliges haben auf der Welt und in
der Emigfeit. Habt ihr’3 einmal ernfter«
weis verfucht, das Bravfein ? Ich glaub
nit. Was wiſst ihr, wie es einem
armen Menjchen gehen Tann, der red-
lich arbeiten, ehrlih durch die Welt
kommen will und überall zurüdges
ſtoßen! Bon Kind auf verfolgt, ums
bergeheßt auf der Welt, überall fremd
und verachtet. Will man nit um—
fommen, jo heißt's: was erliften, und
nachher ift ihnen der Gauner fertig,
meiden ihn, treten ihn, Heben ihn
weiter, alleweil weiter, bis ins Ver—
derben,
Kaderer.
lieber auf den Schub geben.
mit dem Teufel probieren — iſt auch
Mit manchmal kein ſchlechter Kamerad.
Greiffel qu Raderer). Bruder, dem
Ihr thut predigſt umfonft, der Menſch ift ja
ganz verftodt.
Raderer. ih geh
Ichlafen.
Straß! iür ſich, almählich in Afect
tommend). Hart Hab ich gerungen —
mit der Welt, mit mir felber. Es
müfst fein, Hab ich gemeint, dafs
Unfereiner anftändigerweis ins Grab
fteigt — und es ift do nit. Wenn
fie mir mur einmal was Gutes hätten
gethan, nur einmal! Kein Halm im
Busch kann durftiger jein nach einen
Sonnenfirahl, als ich e8 gewejen bin
nach dem freundlichen Blick aus einem
Menſchenaug! 's iſt all umſonſt
geweſen. Nieder muſs der arme
Schelm, nieder mufs er! So
Ei was,
—
So laſs dich doch weit er nit ſelber ſinkt, reißen ihn
die Leut hinab. Dumm iſt der Menſch
Straßl. Wohin? — (ars für ſch. von ſich ſelber, ſchlecht wird er durch
Ich hab ſchon viele Stöße ausge—
halten, aber kein Stoß hat mir ſo
andere. Jetzt haben ſie mich dort, wo
ſie mich haben wollen, die mich gehetzt
weh gethan als derſelbige, den der — gehetzt haben bis zum Henker.
(Anirihend.) Aber mein! In der
Unschuld Hab ich vergeblih gewinjelt
unter ihren Fäuſten, jegt ſteht's
anders. Ins Gefiht schreien möcht
ih dieſem heuchleriſchen, Feigen,
ſchurkiſchen Gezüht: Nit ihm allein,
euch allen wäre das Blei vermeint
geweſen. (Gegen Kaderer und Greiffel mit ichwerem |
Nedorud.) Epibbuben, am End habt
ihr recht! — Na, na, hüte mich vor |
ſolchen Gedanken! Nur nit ganz weich’ |
von mir, o großer Gott! |
Pritter Auftrift.
Die Borigen. Der erlermeifter Eperrt von
außen rafieind die Pforte auf, innerhalb wieder ab.
Martialiihhed Ausichen, ſpricht ungariich»deutich.
Trägt eine weiße Schale und ein Etüd Brot unbe
häilflich vor ih ber. Tritt gravitätifch mitten auf die
Pühne, bleibt bort fliehen, ſchaut ftrenge um fic.
Aaderer nnd Greiffel geben fi eine orbnungsmäßige
Tofition, verfpotten aber gelegentlidh den Kerlermeiſter
hinter feinem Rüden.
Kertermeifter. Wer hot räſon—
niert?! Hob gehört räjonnieren, Do—
hier wird nir räfonniert. Wem's nit
recht is, ful kuſchen. Kerl, wos mir
noch einmol thut räfonniren, loſs ich
frump jchließen, dajs Seel beim Ell—
bogen raus fohrt, veritonden! (Gegen
den Stra) Do hoben Se Ihner Fruh—
ſtuck! Stellt Schale und Brot auf Straßls Wett.) |
Mochen's fchnell. Stondar wird bold |
do fein,
Greiffel cauf das Frügftüd hinlugend).
Das laſs ih mir gefallen! Kaffee
friegt er heut, Y —
Kaderer. Die Henkerſuppe.
Blümlein. Kein geſundes Eſſen.
Greiffel «sum Kertermeiſter). Eine
geiſtige Nahrung, Herr Profoß, eine
geiſtige Nahrung hätten Sie ihm
bringen ſollen, dem armen Teufel.
Für den armen Sünder iſt Schnaps
allemal geſünder. Ein altes Sprich—
wort. Bei ſo einem Feſt muſs der
Menſch illuminiren, ſonſt iſt's zu
tumper. Und ich — (für fit) wenn ich
nur den Kaffee kunnt haben!
Kerkermeiſter iu Straf, der halb
gebrochen vor feiner Schale kauert, ohne zu eſſen).
Kofegger’s „„Heimgarten’*‘, 7, Beft, XV.
' fönnen’3
‚heimlich nehmen.
‚drum, den Profogen, wenn du ihn
‚haben willit,
Mocen’s, mochen's! Zwei Trumm
Zucker hob ich 'nein gſchmiſſen.
Strapi traurig. Dank,
Kertermeifter. Oh,
denn? Sch zohl jo mir.
Kaderer. Der IIngar zahlt nichts,
merk dir das. |
Stra 5 (verbedt fein Gefiht und beugt
dan.
für wos
fi) tief nah vorne). Mein Weib, meine
armen Kinder!
Kaderer. Nur meinem guten
Rath folgen, Holzknecht. Und follteft
Ihon piden bleiben, jo verleg dich
aufs Schlafen. Iſt das letzte Mittel,
aber auch das befte. Das Schlafen
dir nit nehmen und im
Schlafen biſt Freiherr!
Straß! Hürfis. Wenn fie da
it — die Förftersfrau !
Grei ffe [ tauf die Schafe pfangend, leife).
Wenn ich nur den Kaffee funnt haben!
(Er macht Miene, ſich binzuidleichen.)
Kaderer du Greifer). Nur mit
Nur Schön bitten
um alles ſchön bitten,
Nur nix fo nehmen!
Vierter Auftritt.
Die Borigen.
| An der Pforte poht es. Der Kerlermeifter
öffnet, ein Gendarm tritt herein mit aufgepflanztem
Gewehr, während ein zweiter vor der Pforte ſtehen
bleibt.
Kerlermeifter en Gendarın
Straßl weifend). Do hoben’ä!
Gendarm (zu Strabl, indem er Feſſeln
hervorzieht). Hände aneinander!
Strap! (hält die Hände gefreuzt bin.
Gefafſter). Es muſs überjtanden wer—
den. Jetzt hab ich Kuraſch.
Gendarm. Vorwärts!
Straßl vor ſich zur Pforte hinaus.)
Grei f fe [ (zum Serfermeiiter in Frieder
Ich bitt unterthänigit,
Herr Profoß, das Tröpfel Kaffee, was
er hat übrig gelaſſen!
Kerfermeifter. Wos wollen’s
32
an
(Führt
rifhem Zone).
498
Greiffel.
funnt,
Kerkermeiſter. Gengen’s weiter.
Wenn ich's
fummen’s auch Kaffee!
Grei f f el um Kerkermeiſter).
bitt, Herr Profoß!
haben !
I inter deiien Rüden die Haffreihale erhaſcht, leert fie
Kaderer Hat. während Greiffel Hittet,
mit einem langen Zuge, dann böhnend zu Greiffel).
‚Nur um alles ſchön bitten!
Loſſen's Ihnen Proceſs mochen, be—
Vorhang füllt.
Ich riner und vierter Aufzug im nädften
Hefte.)
Frühling.
Gin ländliches Bild aus Winterszeit.
M eber den Fluren lag ſchwerer
—*28 Winter. Wo einſt die blühen—
den Matten geweſen mit den
graſenden Herden und barfuß hüpfen—
den Hirten; die rieſelnden Bächlein,
beſtanden von Dotterblumen und Ver—
giſsmeinnicht, bewohnt von flink nach
vorwärts ſchießenden Forellen und be—
hutſam nach rückwärts ſchleichenden
Krebſen; die wogenden Felder, belebt
von lachenden Schnittern mit klingen—
den Sicheln; die ſchalkhaft hin und
her ſich ſchlängelnden Wege mit
kollernden Karren und trillernden Hand—
werksburſchen; die lauſchigen Gärten
mit Nelken und Reſeda hegenden
Dirnlein — wo das alles und noch
vieles andere in Prangen und Prachten
einst gewejen, da ftarrte jeßt eine un—
abjehbare Schneeheide. Wo einſt bu—
ſchige Fichten geſtanden, da ragten jetzt
regloſe Schneeſchober auf; wo einſt
Strupp und Sträucher gewuchert, da
lagen jetzt glatte Schneehügel. Wo einſt
ſchimmernde Teiche gelegen, da war
jetzt das glaſige Auge des Eiſes. Etliche
Raben flogen hin und ber, liegen ſich
nieder auf dem Schnee, juchten vergeblich
nah Nahrung und krächzten erbärm—
lich. — Und wie man keine Erde ſah,
ſo ſah man auch keinen Himmel. Unten
weiß und oben grau und nad allen
Seiten hin in graue Nebeldämmerung |
verihwimmend das ganze Bild. —
Mas war das für ein graufes Ge-
ftöber geweſen, viele Tage lang, bis
es jo geworden! „Graus!“ hatten die
Leute gejagt, und ich jauchzte im In—
nern. Hätte ich laut Hinausgejauchzt
in das Unwetter, fo würden fie mich
für närriſch gehalten haben, denn wie
faın ein vernünftiger Menſch ſich
freuen an Sturm, Schneien und wüſtem
Schneetreiben * Alfo ftrich ich draußen
umber, bis auf die Knie im Schnee,
an den Wangen die eifigen Nadeln —
und jauchzte ftill für mid. Und ale
die Stürme fi endlich gelegt hatten,
als die ftarre Ruhe eingetreten war,
und aus froftigem Nebel fi nur bis-
mweilen ein Schneefünflein hervorſpann,
nahm ich mein längites Paar Füße
und gieng hinaus aufs Land. Stellen-
weife waren die Füße noch zu kurz
und ich verſank in die Schneewehen
bi an die Lenden, fpäter feitete ſich
unter mir der Boden, der Schnee war
| hart wie Stadtpflafter umd ich gieng
darüber Hin.
Über ein eifernes Sreuzlein ſtol—
perte ich plößlich — ein jchmiedeeiier-
nes, roftiges Ding mit zwei Quer—
balten. Wer das nur in den Schnee
geitedt haben mag! Der Schnee
ift ja doch fein Grabhügel, vielmehr
eine Miegendede, unter welcher der
junge Frühling ſchläft. Mit Scharfe
Ruck riſs ich das Kreuz heraus und
‚trug es mit mir bis zu einem großen
Gehöft, das Halb in den Schnee ver-
funten und Halb aus dem Schnee
herausgewachſen war. Der Greuthof.
Dort waren fie in der warmen
Stube beifammen ; eine ältlihe Frau
ftand Hinter dem großen Ofen und
hielt die blaue Schürze ins Geficht
geprejst; ein paar Männer am Zifche
jpielten Starten, wobei der eine ſchmun—
zelte und der andere fluchte.
Ich war in diefem Haufe nicht
fremd, daher fragte mich der Fluchende,
was ih ihnen denn für ein Kreuz
ins Haus brächte? fie hätten ohnehin
Krenz genug. Auf meinen Bejcheid,
wie ih dazu geloimmen, jchrie der
Mann auf: „Herr Jeſſes! So hoch
ift der Schnee ? Bon der gemauerten
Peſtſaäule, die am Rain fteht, bat nur
das Giebelfreuz herausgefhaut? Und
im Sommer funnt’3 der größefte Dann
mit der Hand nit derlangen !" — Als
Heiligthumſchänder hätten fie mich jebt
paden können ; der Peſtſäule das Kreuz
vom Scopfe zu reißen! Sofort zog
ih mir einen Gulden Sühngeld aus
der Taſche Für den Maurer oder
Schmied; was weiß ich, wer's wieder
feſtmachen Tann!
Nun wollte ih einmal fehen,
warum das Weib die Schürze vors
Geſicht hielt. Sie ftand am Fenfter,
that als Schaue fie hinaus, ſah aber
nichts, als Urwald. Tropifchen Urwald,
den das Eis an die Scheibe gemalt,
gleihjam wie einen ſchwermüthigen
Traum aus längft vergangenen Zeiten,
da thurmhohe Schadtelhalme und
Harrenfräuter geftanden in dieſem
Himmelöftrihe, wo Heute der ftarre
Winter liegt.
So wird e5 kalt und fälter auf
Erden. Nur das Mutterherz bleibt
warın.
Die Greuthoferin hatte ein liebes
Kind gehabt, eine Jungfrau von neun
und erzieht man ein Kind mit Noth
und Sorgen, hängt jein Herz und
Hoffen daran, und wenn man alt
wird, ift man wieder allein.
„Sie zog in ein Land, wo nicht
Winter ift, jondern ewiger Frühling!”
aljo tröftete der Pfarrer, denn das
Brautpaar Hatte feine Hochzeitsreiſe
angeblih nach Italien gemadt. Es ift
ja jo der Braud, und obzwar die
Braut gejagt hatte: „Guftav, was follen
denn wir jet im dem ftodfremden
Stalien anfangen?” drang doch der
Bater des Bräutigams, ein Kaufmann
im Fleden, die Vornehmheit mitzus
machen, denn er gehörte zu den eriten
Häuſern, und die erften Häufer fahren,
wenn fie neuverheiratet find, nad
Italien.
Wenn der Pfarrer mit dem ita—
lieniſchen Paradiefesgarten getröftet
hatte, jo tröftete ich das trauernde
Weib mit Heinen Kindern, Buben und
Mädeln, Blanäuglein und Braun
äuglein, Blondköpflein und Schwarz:
föpflein — lauter Entellinder, die ihr
allmählih die Stube beleben würden
und das Herz erfüllen mit neuen Sor—
gen, Lieben und Hoffen. — Jetzt, mie
ih jo ſchön tröftete, weinte das Weib
noch mehr, und wir wären beide in
eine großartige Rührfeligkeit gerathen,
wenn der Mann, der Greuthofer, nicht
jo wader geflucht hätte.
„Du Hauptfhelm!* rief er feinem
Gegner zu, „Meine Tochter Haft mir
ſchon abgefpielt, jetzt willft du mir
auch noch das Haus abſpielen!“
Denn fein Gegner war der Eidam,
der Bräutigamspater, Herr Wernhut,
der gelommen, um die vereinfamten
Brauteltern ein wenig zu zerjtreuen, —
Laſſe ich ihn gewinnen, jo dachte der
ſchlaue Handelsmann, danı jagt er:
Gott, es wäre alles ſchön, wenn ich
zehn Jahren. Ein weiged Gewand am nur auch das ZTöchterlein hätte! —
Leibe, einen grünen Zweig um die Laſſe ich ihn verfpielen, jo ärgert er
Stirn — fo war fie vom Eiternhaufe | fich, flucht und fchilt, und vergijät das
fortgeführt worden der Kirche zu, wo Herzleid. Deswegen laſſ' ich ihn ver:
die Gloden Hangen. — Darum weinte ſpielen. — Alſo der Kaufmann, und
die Mutter ſtill vor fich Hin. Da Hegt | gewann dem neuen Schwieger Grofchen
32°
500
um Grojhen aus dem Sad. Sieht
man, wie refolut manche Leute tröften
fönnen.
Ach blieb im Greuthofe über Nacht,
um am nächſten Morgen meine Winter-
reife fortjegen zu können. Sch wollte
ins Gebirge, jo recht in den nordifchen,
finiteren, in den allertiefften Winter
hinein. Den Menjchen, dem innerlich
wohl und warm ift, verlangt manch—
mal nach großer Raubheit, Herbheit,
MWildheit der äußeren Welt. Und wenn
der Schnee jo hoch iſt, daſs man über
die Wipfel der Fichtenmwälder bin jpa=
zieren gehen kann, fühlt man jich im
Bereiche der Böglein der Erde fern
und den Gräbern ganz entrüdt.
Beim Nachtmahle gieng es Leidlich
zu und wir plauderten natürlich von
dem neupermählten Paare. — Beute
wird's in Mailand fein, oder Schon
in Florenz ?
der auch ein biſschen friſche Eigenart
in Sich hatte und alfo zum aufgewedten,
Igelehrigen Großhof-Töchterlein wohl
paſste. Ein Jahr oder zwei hatten jie fich
heimlich gern gehabt, der Kaufmanns—
john und das freuzfaubere Dirndl.
Wenn ich fie an Sonntagsabenden jo
miteinander im Garten umberfchleichen
ſah, nicht viel miteinander plaudernd,
umſomehr einander aber in die Augen
lugend und ein wenig ſchälernd —
da ward mir oft angft und bang.
Neidiih war ich nicht, ich Hatte Die
Meine ſchon im ZTrodenen, aber bei
| ivei Liebenden, die gerne fcherzen, it
immer die Gefahr, dafs fie auf ein
| mal ihr Glüd verſcherzen können.
Nun, jebt hatten fie ſich feit und
ſicher, und ich fonnte mich am jelbigen
Abend ruhig Ichlafen legen.
Am nächſten Morgen wanderte ich
weiter. Ein alter Sonnenſchein vers
„Reifen fie au nah Rom?” war | mochte den dichten blauen Äther, welcher
meine Trage.
„Seht nicht; die Frau erſt ſpäter“,
gab der Kaufmann Wernhut zur finnie
gen Antwort.
„Den Kopf kunnt ich mir berab-
reihen“, ſchmetterte die Bäuerin auf
einmal und riſs einen nagelneuen
rothieidenen Sonnenschirm aus dem
Kaſten, „bat fie vom Oheim das Dadel
befommen für Jtalien, und dieweilen
fie jet dort in der Sonnenhiß’ umher:
fteigt, fteht das bluthroth' Unding da
im Kaften! Wie ein MWeibsbild fo ver-
liebt jein fanı! Den Schirm ver—
geſſen!“
„Das iſt noch nichts“, gab ich
drauf, „manche find jo verliebt, daſs
fie ſich felber vergelien. Desweg iſt's
allemal gut, wen man ordnungsmäßig
zufammenthut, was beijammen jein
will,“
„Den Sonnenſtich kann fie krie—
gen!“ jammerte die Mutter.
Des Meibes beiter Schirm iſt der
Mann“, ſagte ich. Das junge Paar
war mir ſchon lange bekannt. Guſtav
war ein Jugendkamerad von mir ge—
weſen, ein hübſcher, kluger Burſche,
über der Gegend lag, kaum zu durch—
dringen. Der Schneepfad winſelte
unter meinen Füßen, die Schuhe
Hangen wie Holz, der Bart war weiß
bereift, die Ohren brannten im eiligen
Heuer, Bor mir fand das Gebirge,
deſſen Maldung der unteren Region
in weißem, flimmernden Öezade prangte.
Aus dem Engthale kam Waſſer heraus,
das im feinem Bette zu Eis geflodt
war. Eine Weile war es noch unter=
halb der Eisdede mühſam fortgefrochen,
endlich ward es ihm in ſolchem Ge—
wölbe zu eng, es ergoſs ſich über das
Eis, rann auf die Flächen hinaus und
bildete dort ſulzige Tümpel. Im Eng—
thale war Schatten. An den Waſſer—
fällen, wo es zur Sommerszeit rauſchte
und toste, hatten ſich in Orgelpfeifen—
form Eiszapfen und glaſige Schäfte
gebildet, ſtellenweiſe ganze Burgen auf—
gebaut, und das Waſſer gurgelte dar—
unter kaum vernehmbar.
Der Weg war gut ausgefahren
durch die Schlitten, welche Holz zu
Thale beförderten. Er gieng die froſtige
Schlucht entlang, gieng die Hänge
hinan und kam ins Bereich von Sonnen—
ve
jchein, der hier heller und wärmer war, | hinterwärts und feßte mich auf einen
als unten. In den Zweigen der Bäume
büpften Eihhörnden und Vögel um—
her und ſchüttelten Schneefchollen von
den Alten. Weiter am Berge hatten
die Fichten und Tannen ihre Schnee—
mäntel jhon früher abgeworfen und
fie fanden wie dunkle Segel auf
weißem Grunde. ch Fam zu einer
verlafjenen Köhlerei, da lagen ftatt
Koblenmeiler große Schneewuchten zu—
jammengetrieben, aber daneben riejelte
aus der Berglehne ein munteres Brünn»
lein und das Waller im Troge war
klar wie Kryſtall und ich ſah daran
nicht ein Kruſtlein Eis.
Noch weiter oben auf der Holz—
ſchlagblöße luden Männer Baumſtrunke
auf einen Schlitten, ihre Röcke hatten
fie an Lärdenäfte gehangen, fie jelbit
waren in Demdärmeln. Auch ich hatte
ſchon längſt meine Pelzhandſchuhe
von den Fingern geſtreift und den
Mantel aufgeknöpft. Und das war eine
ſaubere Enttäuſchung auf meiner
wonnigen Winterfahrt!
Endlich waren die Wälder hinter
mir, freie Almmatten dehnten ſich
weithin und die weißen Flächen hatten
ſtellenweiſe dunkle Flecken. Der Blid
war frei ins weite Land hinaus, über
welchem das eingefrorene Meer des
Nebels ſtarrte. Hoch über allem die
Himmelsglocke in unendlicher Bläue
und der Sonnenſtern ſo prächtig lo—
dernd, wie in Sommertagen. Um eine
Bergkante bog der Weg in die Hoch—
mulde der Karalm, da waren die
ſonnigen Hänge ganz ſchneefrei, moorige
Wieslein lachten in hellem Grün der
Kreſſe und an den Rändern blühten
zarte Schneeglöckchen. Auf einer Gruppe
von Schirmtannen ſangen Finken,
nichts ahnend vom Jänner, der im
Kalender ſtand. Der graue Kiesweg
lag trocken vor mir und gieng einem
ſtattlichen Hauſe zu, das Hinter den
Schirmtannen fand und von welchem
helles Hundegebell herüberhallte.
Neben dem Wege jtand ein wandir
ger Yelshügel.
EL Tr ———— —— ——
Den beſtieg ich von!
von der Sonne hübſch bewärmten
Stein. Alſo blidte ih hinaus in die
Melt. Auftatt föbernden Winter, den
ich gefucht, Hatte ich im Gebirge den
Frühling gefunden. Warm, ſonnig und
feierlich umgab mich die milde, reine
Luft. Auf dem fandigen Grunde blühten
Erifen; zu meinen Füßen riefelte ein
Eidehschen Hin und unterhalb meines
Felſens hörte ich eine heitere Mädchen-
ftimme,
„Daſs doch“, Ticherte fie,
Männer gar jo ungefcidt find!“
„Ich babe jchon mancherlei ver—
ſucht“, fagte auf das Gelicher unten
zart und ſchmiegſam eine männliche
Stimme, „ganz mifslungen ift mir
eigentlih noch nichts. Und juft mit
dem MWeiberhaar follte ich nicht fertig
werden fünnen ?*
Ich war ganz nahe den Sprechen«
den, ſah fie aber nicht, weil fie unten
enge an der Felswand fißen mujsten,
über welcher ich lehnte. Ich hätte nur
an den Rand hinausfteigen und hinab—
guden müſſen.
„sa ja”, jagte nun das Mädchen,
„im Meiberhaar, da Hat ih ſchon
mancher verwidelt. Das ift unfer Netz,
mit welchem wir filchen. Aber, Tſchap—
perl, du wirft doch Zöpfe Flechten
fönnen! Nur nicht jo feit.“
„Einmal ift es zu feit, dann wieder
zu loder“, antwortete der junge Maun
— es war gemwijs ein junger, weil
er jo täppiich ins Garn gegangen.
„Die Zöpfe find ja fertig, nur mujs
ich fie an den Enden immer feithalten,
ſonſt gehen fie wieder auf.“
„Närrlein, mufst fie Halt mit dem
blauen Bändchen binden und nachher
Hinabhängen laffen, wie es der Brauch
ift bei einer deutjchen Jungfrau,“
„Bei wen ?*
„Ei geh, du zupfft ſchon wieder
zu arg!“
„Riderl“, fagte nun die männliche
Stimme — aber da mufste ich die Ohren
ſchon heidniſch ſpitzen, daſs ich's ver—
ſtand — „Rickerl, das möcht’ ſich nicht
„die
502
recht Schiden. Ich dent’ um das Köpferl
winden, die Zöpfe, wie es bei einer
deutjchen Hausfrau der Brauch ijt.“
„Mach' mich Halt, wie ich dir am
beiten gefall'“, jagte fie, „wenn du
mich garjtig herrichteft, Haft du jelber
den Schaden.”
Nah einem Weilchen verjehte die
männliche Stimme: „So, jekt haft
du wieder dein Kranzel auf dem Haupt,
eines aus Menſchenhaar, das fteht dir
am beiten.“
Länger war es mit mehr auszu—
halten. Ich froh an den Rand des
Felſens hinaus und Iugte hinab. —
Wie? Was? — Ei, das ilt hübſch!
So fteht’3? Darum hat fie den roth—
feidenen Sonneunſchirm zuhaufe ver—
gejien!
Ich z0g mich zurüd und rief laut:
„Stalien ift Dies Jahr hoch gelegen!“
Mar es mäuschenſtill. Ich aber
flieg an der rüdwärtigen Seite hinab,
und bald Hatte ich fie beide zmifchen
mir und der Felswand.
„Bin Entlommen iſt unmöglich”,
fagte ich, „ergebt euch!”
Nach dem erjten Schred ein lautes
Aufladen: „Der Peter iſt's!“
„Sa, der Beter iſt's. Aber nicht
der zu Rom in Italien!”
„Nein“, rief Guſtav, „der auf der
fteirifchen Alm. Bit aber doc eine
ſchlechte Haut, Peter, daſs du uns
nachſteigſt .. ..“
„Ich ſteig' euch nicht nach, aber
ihr ſtieget mir voraus! — Nein, Kinder,
das iſt kein Land für Hochzeitsreiſende.
Ya, für Liebende, das laſſ' ih mir
gefallen, für die gibt's nur auf der
Alm fein’ Siünd, für Berheiratete
gibt's auf der ganzen Welt feine, nicht
einmal im heiligen Italien.“
Guftad reichte mir die Hand und
ſagte: „Nicht wahr, zum Mittagsmapl
gibft uns die Ehre und dann mach’,
daſs du wieder fortlommift. Gegen
Abend wird es arg froftig da heroben,
ich verfichere dih. Und fein Menſch
da, mufst bedenfen! Wir find Heute
und morgen in Florenz, dann reiſen
wir nad Piſa zum jchiefen Thurm,
dernad) wollen wir uns in Padua noch
aufhalten beim heiligen Antonius, und
in Venedig bei Sanct Marco. Es kann
noch der Tage zehn oder zwölf währen,
bis wir heimkommen.“
In dieſem Augenblick gellte vom
Jagdhauſe her ein Pfiff.
„Mittag iſt's, Kinder, laſſen wir
die Suppe nicht kalt werden.“
Alſo giengen wir zu dreien gegen
das Haus hin, Guſtav links, ih rechts,
Niderl in der Mitte. Was die für
eine Gefichtsfarbe befonmen Hatte auf
der Alm! So glühend roth Hatte ich
ihre Wangen noch nie gejehen.
Im Forfihaufe, in einer traulichen
Stube, deſſen großer Kachelofen eine
behaglihe Wärme ausftrömte, deſſen
Fenſter in die weite Alpenwelt hinaus»
Ihauten, war ein Tiſch gededt, freilich
nur für zwei Verfonen, doch dem
munteren, rothbärtigen Forftjäger und
feiner emfigen, gelbhaarigen rau
machte das dritte Geded feine Sorgen.
„Im Bunde der dritte!“ Alſo
declamierend ſetzte ich mich Hin.
„Das ift dein Theil“, ſagte
Guſtav und ftellte mir die Weinflafche
hart vor die Naje hin.
Welch ein Tropfen!
„Bom Rhein, vom deutjchen Rhein!
Peter, bade in ihm dein Herz.“
Gott, und wie es nun Frühling
wurde in jedem Winkel der Seele!
„Jetzt begreife ih, Kinder!“
„Was begreifft du?” fragte Guſtav.
„Daſs wir nicht nad Italien gepil=
gert find? Ha, das ift wahrlich leicht
zu begreifen. In der wonnigiten Zeit,
heiteren Frieden, füßeſte Seligleit im
Herzen, werde ich mein Weibchen in
den Eiſenbahnwaggon zerren, bon
Hotel zu Hotel jchleppen, es den Glotz—
augen frecher Portierd und dummer
Kellner ausjegen, ihm unter fremden
Klima jeden Tag eine neue Unbe—
auemlichleit machen, hier eine jchlechte
Fahrt, da einen ſchlechten Tiſch, dort
ein Schlechtes Bett, ruhelos hetzen von
Stadt zu Stadt, von Gallerie zu
eu a a ———
508
Gallerie, ohne Intereſſe dafür, bejtändig | Auch unter dem Winterpel; ift Frühe
in den Bädeker ſchauen, jtatt einander | ling, wenn zwei junge Leute jich gern
in die Augen — natürlich, ich werde |
eine Hoczeitsreife machen!”
„Und wozu habt ihr es uns denn |
glauben machen, ihr jaljchen Leut ?*
„sa, Alter, das wird freilich Schwer
zu errathen fein, weshalb wir den Leuten
aus dem Wege gehen. He? Weil wir
für uns jein wollen. Was ift die Hodh-
zeitsreife anders, als eine Flucht?
Eine Flucht vor Belannten und Ver—
wandten. Ob das Aſyl Italien heißt,
oder Jagdhaus auf der Karalm, das
it eins. Mit meinem alten Freunde,
dem SKarjäger, iſt die Geſchichte ſchon
lange abgemacht gewejen, er hat uns,
wie du fiehft, gut eingeneftet. — Gelt,
Rickerl, es thut's! — So wandte |
der Schelm ſich zu ſeiner jungen Frau.
Der ganzen Anlage nach merkte!
ih, dajs die beiden fich fein Leid
anthun würden, wenn jie mich eheftens
wieder verlören. Doc gab ich ihnen
vor meinem Aufbruche noch zu be—
denken, daſs fie dem Jänner- Frühling
auf dem Berge nicht zu ſehr trauen
jollten. Schon die nächite Nacht könnte
einen jo ſchweren Schneepelz über jie |
werfen, dajs fie wochenlang nicht mehr
hervorzufriehen vermöchten.
„Schweig!“ unterbrad) mic) Guftav,
„ih mag gar nicht daran denfen, e3
wäre zu himmliſch!“
— Er mochte wohl recht haben.
‘Haben. Alles Alpengejtöber und nor—
|difche Eis ift nimmer imftande, das
göttliche Flämmlein zu erjtiden, das
im Herzen des Liebenden ift und an
Glanz und Wärme den Maien-Sonnen-
ſchein weit übertrifft.
In dem Augenblide, als ich fort—
gehen wollte, ftellte Guſtav ſich mit
feiner ftattlihen Geftalt in die Thür
und jagte: „Oho, Freund, fo leichten
Kaufes fommft du mir nicht davon.
Den jchauderhafteften Schwur, der je
geſchworen wurde, mujst du mir jebt
Ihmwören, daſs du uns nicht verrathen
| wirt!“
| u Bedente, dajs ich Poet bin“, war
‚mein zagender Einwand, „wie fofl ich
fo etwas für mich behalten ?”
„Bis wir von unferer Hochzeits—
reiſe zurüdgefehrt find, magſt du plaus
dern. Und nun fiehe, daſs du vor
Abend zu Thale fommit.“
Din ih alfo von den jonnigen
"Höhen wieder hinabgeftiegen in die
froſtige Fläche, um im Greuthofe die
Mähr zu erzählen: Auf der Karalm
wäre die Luft jo rein, daſs man von
dort aus mit freiem Auge bis nad
Italien hinein fehe. Mit einem guten
Fernrohr könne man jogar die Hoch
zeitsreifenden erbliden, und wie der
junge Manı feiner jungen Frau bie
Haarzöpfe flechte. R.
Sagen aus Rärnten.
Erzählt von Franz Goldhann,
Sage von den „neun Brünn‘ in der
3irknik im Möllthale.
AR
2 Wlie Zirknitz ift ein wilder, reißen—
63, der Dad, welcher bei Döllach in
7 die Möll mündet. Zehn Minu—
ten außer Döllah befindet ſich eine
interefjante Klamm, durch welche die
Zirknitz ſtrömt; die Felſen find dort—
ſelbſt oft überhängend und bilden
Höhlen und Grotten. Nach weiteren
fünf Minuten gelangt man zum
Zirknitzfall. Das romantiſche Thal
der Zirknitz, wenn man es ſo nennen
darf, iſt eng und ſchluchtig, hohe
Gebirge ſchließen es ein; man würde
kaum glauben, daſs auf dem ſchmalen
Saumwege einſt edles Metall, und
zwar Gold, ins Möllthal befördert
304
wurde. Etwa drei Stunden
von |da Waller durch — und wehe, wenn
Döllah entfernt — ziemlih hoch indie Häute beriten; dann fommt Die
der Zirknitz gelegen — befindet jich |zweite Sündflut und
die jogenannte „Goldzeche“; im vori—
gen Jahrhunderte und zu Beginn
diefes Jahrhundert? wurde dortjelbit
ziemlih viel Gold zutage gefördert.
Seit Anfang diejes Jahrhunderts bis
zum bergangenen Jahre ruhte der
Bergbau, erit jebt Hat man wieder
mit Nahforfchungen begonnen; der
Zugang iſt eben ungemein befchwer-
lid und lohnt ſich die Arbeit nur,
wenn eine große Ausbeute gemacht
werden kann.
Die alten Stollen befinden ich
hoch oben auf einer Felswand und
find ſchwer zugänglid. — Hieran
knüpft ſich nun die Sage von den
„neun Brünn“.
Es heißt, daſs die gottloſen Knap—
pen vormaleinſt auch an Sonne und
Feiertagen gearbeitet haben; als fie,
nun an einem Marientage in ihren
Stollen wieder fleißig klopften und
hänmmerten, fiehe, da brach eine große
Menge von Waller aus neun Stollen
zugleich hervor — eine gerechte Strafe
von Oben. Die Knappen mufsten
mit ihr Der
jüngite Tag.
Sage vom Geifterlakl auf der Teuchler—
Alpe im Möllthale.
Die Teuchel ift ein ſchluchtartiges
Nebenthal der Mil. Der Zugang
in den Ort Teuchel — 1%, bis
2 Stunden von Kolbnit entfernt —
ift beſchwerlich und nicht ungefährlich,
befonders ift der Weg zur Winters»
zeit ohne Steigeifen nicht leicht zu
machen. Fahrweg gibt e& feinen. Der
Teuchler trägt daher ſelbſt die
ſchwerſten Laften auf feinem Rüden
in eigens hiezu angefertigten Kraren.
In der Teuchel gibt es fein Pferd;
die fteilen Felder werden mit Hilfe
von Ochſen und Kühen bebaut.
Sehr bedanerlih ift es, daſs ſich
zu diefen Beichwerlichkeiten jetzt auch
noch Elementarereigniffe gefellen ; ſeit
zwei Jahren finden nämlich, ins»
bejondere bei und nach Regenwettern,
‚oft aber auch an ſchönen Tagen, Erd»
die Stollen fogleich verlaffen, der Berg- |abrutfchungen ftatt, — ein beträchts
werfsbefiger war zugrumde gerichtet |licher Theil Landes „fit“ hiebei mit
und nicht allein das, — das Waſſer furchtbarem Getöje in den Bach „ab*,
fam in jolcher Menge, dafs die Pente ; fo daſs die gegenüberliegenden Felſen
Ihon eine Thalüberſchwemmung bes
fürchteten.
Da Hatte ein Bergknappe einen
ganz merkwürdigen Traum; — «8
erihien ihm die heilige Maria und!
befahl ihm, die neun Stollen mit
Ochſenhäuten zu verichliegen, damit
das Waſſer nicht mehr Hervortreten
könne.
Der Sinappe machte von dem
Traume Mittheilung — und fofort
wurden neun der schönften Ochſen
geichlachtet, mit deren Häuten der
Eingang in die Stollen verfchlofjen
wurde, worauf man Diefe noch ver—
Hebte und vermauerte.
Jetzt ift bereit Gras und Moos |
darüber gewachſen, doch Jidert Hie und
dröhnen. Der Zugang wird Daher
immer gefährlicher und ift ganz bes
ſonders ein Bauernhaus in Gefahr,
e3 kann jede Nacht, ja jede Stunde
„abſitzen“ und die Bewohner mit fich
begraben — und doch bleiben die
Inwohner auf ihren angeltammten
Wohnſitze.
Die Teuchler ſind ein ſchöner,
kräftiger Volksſtamm, fie leben von
Milchkoſt und eſſen Schmalz löffel—
weiſe. Sie beſitzen ſchöne Alpen—
wieſen in der Gaſarn, in der Pleſen
und im Gſarnitzlen. Die Gaſarn
liegt am Schroned (2545 m), wel—
ches zur Streuzedgruppe gehört und
einen wunderbaren WRundblid ges
währt, — befonders ſchön Hat man
—“
die Tauern mit ihren Schneefeldern |
vor fih und groß ift die Anzahl der
Alpenhütten, die man vom Schroned
aus ſieht.
In der Gaſarn befindet fich das
„Geiſterlackl“, d. i. ein Heiner Teich,
dejien Waſſer eine unheimlich Schwarze
Färbung befigt; diefe Färbung dürfte
wohl von einer Felswand herrübren,
welche düfter und überhängend Die
Dinterfeite des ZTeiches begrenzt. Auf
einer Seite ift ein „Lahner“, d. i.
eine fteile Geröllfläche, — die beiden
anderen Seiten find auch vom Geröfl
und jpärlihem Graswuchje begrenzt.
Ober dem Lahner war vor Zeiten
ein Bergwerk und noch heute kann man
den Eingang in die Stollen jehen.
Der Zugang ift nicht leicht.
Die Sage gebt, daſs vormaleinit
alljährlich ein Italiener hieher gekom—
men jei und mehrere Schüfjeln reinen
Goldes gefunden babe, welches er
dann im feine Heimat mitnahm, um
im nächſten Jahre wieder zu kommen
und gleihe Ausbeute zu machen.
Man jagt, der Böſe fei mit ihm im
Bunde gewejen.
As er nun einmal wieder er-
ſchien und dann mit feiner Ausbeute
dur den Lahner herabftieg, ift er,
ausgerutjcht und ſammt der koftbaren
Bürde in den Teich gefallen, worin
er jpurlos verſchwand.
Seit jenem Tage geiltert es bei
diefem Teiche. Man hört oft wimmern
und Hagen und alljährlih an dem
Tage, an welchem der Italiener in
den Teich fiel, wird er um Mlitter-
nacht von dem Teufel dreimal um
denjelben gejagt, wobei er eine gold«
beladene Schüffel auf dem Kopfe tragen
muſs; ift die Jagd zu Ende, dann
ſtürzt er fih mit einem Jammerſchrei
wieder in das Waſſer. Fände ſich
ein Beherzter, welcher dem Italiener
bei diefer Jagd die Schüſſel abnähme,
jo wäre des Italieners Seele gerettet
und der Betreffende reih. Der
Teufel würde in das „©eilterladi”
fahren und nie wieder fommen.
Ber Ortenburger Schah.
In der Ortenburg bei Spittal
follen ungeheuere Schäße vergraben
jein — die Schäße der Salamanta,
welche befanntlich Beſitzerin des Spit—
taler Schlofjes war und ihr ganzes
Vermögen mit Hilfe ihrer Kammer—
jofe und eines Maurerd vergraben
ließ, morauf fie beide Mitwifler um—
brachte.
Viele Leute verſuchen alljährlich
in der Ortenburg Schatz zu graben,
und ſoll ſchon mancher Kupferhafen
voll Goldmünzen gefunden worden ſein.
Des Nachts ſoll ſich der Schatz
durch ein Flämmchen verrathen, wel—
ches durchaus nichts mit einem ſo—
genannten Irrlichte gemein hat.
Sage von der Todtenfahrt in den
RBirdhöfen im Möllthale.
Die Jagd nah Gold und Reich—
thum wurde und wird nicht allein
von der fogenannten „gebildeten Welt“
gemacht, auch „tief hinten im Ge—
birge“ Haben die font jo genügſamen
Alpler Stets nad) blendenden Schäßen
geftrebt, wovon wieder folgende Sage
Zeugnis gibt:
Im Mölltbale kommt es vor, dafs
ich zwei Burſche um Mitternadt in
den Kirchhof begeben, um Ddafelbit
„von höheren Mächten“ Gold zu
empfangen.
Zu diefem Zwede pflegen fie einen
feeren Hut auf die Kirchhofmauer zu
legen, dann holen jie eine Tragbahre
oder au einen Schlitten. Nun jtellt
fih der eine Burfche vor die Trag-
bahre oder den Schlitten, im Bes
griffe, damit jeden Augenblid um die
Kirche zu laufen, während der andere,
mit einer Peitſche in der Hand, Hinter
der Bahre wartet, um dein Kameraden
im entfcheidenden Augenblide zu folgen.
Beim erſten Schlage der Mitter:
nachtsglode beginnt nun in äußerſter
Schnelligleit eine Fahrt um die Kirche,
denn mit dem lebten Schlage der
Mitternadhtsglode müſſen die Burfche
dreimal um die Kirche gefommen fein,
um den aufgerihteten Hut mit Gold
angefüllt zu finden.
Sind fie nicht ſchnell genug, was
häufig vorfommt — denn es jeßen
fih jehr viele Seelen, Geifter ꝛc. auf
die Bahre, um an der Luftfahrt theil-
DM:
zunehmen , welche aber der Hinten
laufende Burfche mit fortwährend
geführten Peitichenhieben zu verjagen
bemüht ift, — dann müſſen die Burſche
beim legten Schlage der Glode eiligit
über die Kirchhofmauer fpringen, um
von den Geiftern nicht erfchlagen zu
werden.
Das Pied von Awdel und Ster.
Von R. Burns.
Bannocks o’ Barley.
Engliſch.
Bannocks o' beer-meal,
Bannocks 0’ barley:
Here’s to the Highlandman’s
Bannocks o’ barley.
Who in a brulzie
Will first cry a parley?
Never the lads wi’
The bannocks o' barley.
Bannocks 0’ beer-meal,
Bannock’s 0’ barley;
Here’s to the land wi’
The bannocks o' barley.
Who in his mae-days
Were loyal to Charlie?
Who but the lads wi’
The bannocks 0’ barley-!
Berften: Nudel,
Hochdeutſch.
Nudel von Bierſtoff,
Nudel von Gerſte!
Hoch leb' des Hochlandmann's
Nudel von Gerſte!
Wer wär’ im Kampfe
Zum Wehſchrei'n der erite?
Niemals die Buriche mit
Nudel von Gerfte!
Nudel von Bierftoff,
Nudel von Gerite —
Hoch leb' das Hochland mit
Nudel von Gerfte!
Wer trug getreu im Leid
Für SHarl*) das Schwerfte?
Wer, als die Buriche mit
Nudeln von Gerfte? —
Mudel und Sterz.
Steiriich,
Pfannſterz und Nudel,
Nudel und Sterz!
Luſtig is's Landel mit
Nudel und Sterz!
Hätt’ wer jan Liaben
Und Raffen foa Herz?
Sicher nit Buaben mit
Nudel und Eterz.
Präatendent Aarl Etuart.
Pfannſterz und Nudel,
Nudel und Sterz!
G'fegn' unser Herrgott uns
Nudel und Sterz!
Wann's für'n Kaiſer
Soldaten begehrts,
Taugen ent! d’ Buaben
Von Nudel und Sterz.
— J—
507
Wie fie in alter Zeit
gedidtet, gedadjt und gefagt haben.
My
ee zweiundeinhalbhundert Jah- | mit dem Eijenfraut, der Habicht mit
Ex p ren, alß mäniglich Fabelei vnd dem Kraut, das von ihm den Nahen
> Heilfambe Lehr fhon in Drud|hat, und hieracium zu Latein, zu
geleget worden, jchriebe man alßo: Teutſch Habichtkraut genennet wird,
die Gänſe, Enten und Hüner arbneyen
fid mit helxine, Windich oder Zaun—
gloden, die He mit Lorbeer, der
Hirsch mit Hirfchzungen, die Schwalb
1. Die Jungfer ift die Schlange, | mit Schwalbenfraut, ꝛc.
welche neidifh, ihre Haut, als ihr 3. Der Menfch allein verftehet von
Kleid abjtreiffet: Sie iſt ftolg, ſtumm, Natur nichts was ihm nußet, weil er
ftard, Schnell, und ſcheuſſet Pfeile ges | vielleicht ſolche Wiſſenſchafft durch den
Ihwind auff den, der fie beleidigen | Sündenfall verſchertzet, und weil er
will. Ihre Klugheit beftehet darinnen, im Eſſen und Zrinden feine Maß
daß fie allezeit das Haupt verwahret, | Halten fan, welches doch die Thiere
und wol weiß, dab die Wunden | meiftentheil® thun, muß er fich mit
an dem Leibe leicht heilen, am dem schämen, von diefen undernünfftigen
Haupt aber tödtlich find. Daß fie böfer | Lehrmeiftern zu lernen; allermaljen
Art, und den erften Sünden-Gifft der | bereits vermeldet, daß ſolche der
Die unvernünfftigen Lehrmeifter.
Eva eingeblajen, if auß der 9.
Schrifft befandt. Weil nun folgends
von den Thieren joll gedacht werben,
welche der Menjchen Lehrmeifter find
gewejen, haben wir das Erempel von
der Schlangen vorjegen wollen.
2, Plinius klaget, daß dem Men—
ſchen alles in dieſem Leben zuwider,
und daß die Natur der Thiere rechte
Mutter, der Menſch aber ihre Stieff—
mutter jene, weil fie ihnen jo viel
Verſtand gegeben, daß fie alles dien»
liche erfennen, und was ihrer Unter=
haltung ihädlich, fliehen und meiden.
Wann die Schlange, mit den Störchen
und Schneden ftreitet, jo nehmen jie
das Kraut Origanum oder Wolgemut,
und ſchützen ſich damit, weil es der
Schlangen jehr zuwider.
Meinrauten und Salve, die Dauben
Der Büer, |
wann er verwundet wird, heilt er ſich
mit Omeijen-Eyern, das Schwein mit
Wintergrün, das Wiejelein mit der:
Kräuter Krafft beijer willen, als der
Menſch, jo auf ſolche nicht ftudiret.
Wir wollen aber hier noch weiter
gehen un auff unſern Schauplag noch
andere unbefannte Thiere ftellen, und
jehen, was man von ihnen abgejehen
und gelernet.
4. Das Mderlaffen ift eine von
den gebräuchlichſten und vorträglichiten
Artznecken, wie auch die Elpitieren.
Beedes Haben die Alten von den
Thiere gelernet: jenes von den Pier-
den, welche ihnen im dem Früling,
wann fie mit der Natur die Feuchtig—
feiten erneuren, die Ader auffbeillen:
‚diefes don dem ſchwartzen Stord in
Egypten, welcher mit dem Saltzwaſſer
aus dem Nilusftrom das Gedärm auß—
wäſchet, und ſolches wieder durch die
Aufladung von fich läljet, wie hier-
von Plinius, Solinus, Cicero und
viel andere jchreiben. Bon dieſem
Bogel Haben die Egpptier den Ges
brauch der Elyitier lang dor Hippo—
crate gehabt, und jolcher jich alle drey
Monat bedienet.
5. Das Brechen joll von den
Hunden ſeyn abgejehen worden, welche
Grab und das Samfraut von dem
Korn freien, wann fie fih mit der
Gallen oder unverdäuten Speijen be=
ſchweret befinden, Er iſſet auch Weg—
warten, welche ihm jehr wol befommen,
und feine Leber erfrijchen.
6. Etliche wollen, dag die Men—
Ihen auch die Waffen von den Thieren
abgejehen. Ichnevmon die Indianiſche
Mauß walgt fih in den Koth, und
trodnet ſich in der Sonne, joldhes
tdut fie unterfchiedlihen mahlen, und
aladann freitet fie mit dem Otter,
und daher follen Pantzer und Harniſch
tommen: Das ſpitzige Gewehr aber
andere zu beleidigen, wollen fie von
den Iglen hernehmen.
7. Die Art eine Beftung zu unters
graben, ift, nah Vegetii Meynung,
von den Ganinihen oder Künlein,
abgelernet, welche eine Maur folder
Geftalt können über ein hauffen
werffen.
8. Das Impffen und Pelten joll
auch von den Vögeln abgejehen worden
feyn, daher fommet, dag man oft
auff einem Felſen einen Kirſch- oder
Meirelbaum jihet, welches Kern ein
Vogel mit feinem Mift in eines
joldes Steines Riten fallen laſſen,
dardurch er befleibet, und erwachſen,
weil es von dem Wegen befeuchtet
worden, und bejagten Mift Anfangs
zu einer Erden gehabt.
9, Die Galeen ſoll man von dem
Krebs abgefehen haben, welder mit
feinen Füſſen, als Rudern, hinder ſich
und für ſich gehet.
10. Von der Vögel Geſang
ſollen auch die erſten Menſchen haben
ſingen lernen, und ſchreibet Ferdinand
Ovieda, daß die Hiſpanier (Perillos
ligeros) Spürhündlein, welche bellen,
als wann ſie die ſechs Stimmen
ſängen, und von der höchſten anfien—
gen, La, fol, fa, mi, re, ut.
* Pe}
“ Lu
2
ei
5038
11. Blinius will aud den Thieren
beymejien die Sternfündigung (l. 8.
c. 28.) und fommet mit den Danen,
Schwalben, Nahtigallen und dem
Viehe, welde den Hundsſtern jpüren,
aufgezogen, mich bedündet aber, es
feye zu weit gegangen.
12. Der Prophet Eſaias hält die
Menſchen und Thiere gegeneinander,
daß jene ihre Gebühr von diejen
fernen jollen, fagend: Ein Ochs fennet
feinen Herrn, und ein Ejel die Krippe
feines Herrn, aber Iſrael fennet3 nicht,
und mein Bold vernimmet3 nicht (c. 1.
v. 3. und Jeremias: Ein Storch unter
dem Himmel weiß feine Zeit, eine
Turteldaube, Kranid und Schwalbe
merden ihre Zeit, wann fie wieder
fommen follen; aber mein Bold will
das Recht der HErrn nicht willen
89
Ber Fürften=fuft.
1. Das menjchliche Leben wird füg—
fih mit einem Gefang verglichen, in
welchem viel mehr ſchwartze, als weile
Noten find, verjtehe viel mehr Unglüd
als Glüd zu erfehen it. Man fihet,
daB zu Zeiten in dem Aufiteigen und
Abfteigen etliche Stuffen überfprungen
werden, daß viel Kreutzlein und harte
b. (web) darbey, daß die Stimme mit
fan allezeit auff den oberften Linien
bleiben, jondern muß auch auf die
unterften fallen, Diejes findet fih auch
in nachgehender Geſchichte, da ein
Fürſt ſich als einen Gomponiften ers
weifet, der ohne die Lehrſätze der
Kunft ein gar übelflingendes Inter-
vallum, und einen jelgamen Sprung
gemachet.
2. Diefe Geſchichte nennen wir
den Fürften- Luft, weil etliche Herren
ſich kützeln, und laden wie Nero,
jind begierig der unmöglichen Sadeı,
und juchen ihr Belieben in wunder—
lichen, und ſehr nachtheiligen Händeln,
wie man dann lieſet, dab bejagter
Nero die Stadt Rom an zehen Orten
anzünden laffen, zu jehen, wie etwan
Troja in dem Teuer geftanden. Es
vermepnen aber ſolche Herren, ihnen
durch dergleichen unerwartete Abenteuer
einen unjterblichen Namen zu machen,
es ſey gleich jelbiger rühmlich oder
nicht, wie dort Hepheftion, der den
Tempel der Dianä zu Ephejo auge:
zündet.
*Nero impossibilium flagrantior.
Taeit.
3. Ein Italiänifcher Fürft, deſſen
Name billich zu verjchweigen, hatte,
als jein Gankler geftorben, einen
wunderlihen Einfall. Zu ſolchem
hohen Dienft Hat er außerfehen
einen von feinen Näthen, welcher durch
jeine Tugend und Gejchidlichkeit dieſe
Stelle wol verdienet, und ſich dein
Fürſten jederzeit getreu, verjchwiegen
und gehorfam ermwiejen, wie er dann
zu thun ſchuldig, weil er von jchlechter
Ankunfft, durch ſeines Fürften Hülffs—
mittel und gnädige Handbietung zu
der bejagten Stelle befördert worden.
4. Diefer Juftinian Hatte niemals
feine Gedanden zu dem Sanglerdienft,
weil ihm andere Räthe vorgiengen,
und fein Sinn, von Jugend auff,
fern von allem Ehrgeiß, und wolte
lieber hoher Ehre werth, diejelbe an—
dern überlaffen, als unwürdig folche
betretten; wol wiſſend, daß wer hoch
hinauf fleiget (wie in der Mufic oder
Singkunſt) auch wieder hoch herab-
fallen könne, und begnügte er fich in
feinem mittelmäffigen Zuftand, in
weldhen ihn Gott gejeget hatte.
5. Der Fürſt war fröliches Sinnes,
und wollte feinen Juftinian mit einem
dendwiürdigen Pollen zu der ledigen
Ganglersftelle befördern, und befahle
etlihen von feiner Wachte, fie jolten
auffwarten und thun, was er ihnen
gebieten werde. Nach gemadhter An—
ftellung läſſet er Juſtinian für ſich
fommen, ſtellet ſich gantz zornig, und
redet ihn mit folgenden, oder der—
gleichen Worten an:
E. Verräther, iſt das der Dienſt,
welchen du mir zu leiſten verpflichtet
biſt? iſt das die Danckbarkeit, mit
509
welcher du meine Gnade erwiederſt?
Ich Habe dich wichtigen Gejellen auf
dem Staub erhaben, und zu Ehren
gemacht, ich Habe dich hoch geacht,
und dir willfahrt in allem was du
begehret, und Habe deine Deucheley
für pflühtigejchuldige Treue gehalten.
Wie hör ih nun don dir, dag du zu
einem eydbrüchigen VBerräther worden ?
Wann ein Fremder, der einen benach—
barten Fürſten bedienet, dergleichen in
meinem Lande angefponnen, wolte ich
jo jehr über ihm micht erzörnen, weil
er feines Herren Dienft befördert, als
über dich, der du mir auff fo viel
Weiſe verbunden, und fait von den
eriten Kinds-Beinen in meinem Brod
geweſen bift.
7. Indem ergrimmet er gleiche
ſam in ſich jelbiten, und als Juſtinian
ihm einen unterthänigen Fußfall thun
wollen, will er ihn nit anhören, ſon—
dern befihlet, man foll ihn in das
Gefängnüß bringen, fein Verbrechen
jene jonnenkllar, mit Vermelden, daß
die Obrigkeit das Schwert von Gott
empfangen, jolche Uebelthäter nad
Gebühr abzuftraffen. Mit diefen Wor—
ten, welche ein Vorurtheil des Todes,
mufte ſich der unſchuldige Juftinian
abweijen laſſen, ꝛc.
8. In der Gefängnüß bereitete er
ſich zum Tod, beichtete, bekennete ſeine
Sünden mit reuigem Hertzen, und
erfreuete ſich, daß er die Schuld der
Natur in Unſchuld bezahlen ſolte;
doch entjegte er jich jeher für der
Schande, und wolte dem Kerckermeiſter
erzehlen, dag er bey feinem Fürſten
müſte ſeyn verleumdet worden, und
daß er tauſend Leben, wann es mög—
lich, für ſeinen Herrn laſſen wolte, ꝛc.
9. Der Kerckermeiſter antwortete
mit vielen Scheltworten, riſſe ihm den
langen Ehrenmantel von dem Leib,
und ſagte, daß er Befehl, ihn folgen—
den Morgen hinrichten zu laſſen.
Hierauff fienge Juſtinian an zu beten,
und ſeine Seele Gott zu befehlen,
betraurend den elenden Zuſtand der
Hofleute, welcher gute Dienſte Feder—
ur
leicht, und ihres Fürſten Ungnade
Bleyejchwer, wie fie ftetig auf dem
Schlüpferigen, ja, verflucht, der fich
auf Menſchen verläft, zc.
10. Mit anbredendem Morgen,
als Juſtinian die Henckersknechte er—
wartete, verkehrte ſich das Trauerſpiel
in ein Freudenſpiel, welches doch end—
lich einen traurigen Außgang wiederum
erlanget. Die Edelknaben bringen einen
ſammeten Seſſel, man kleidet ihn an
mit Sammet und Seiden, welches er
alles geſchehen lieſſe, wie ein Rind,
das mit Kräntzen gezieret, zum Schladt-
opffer unterwegs ift, 2c. Bald darauff
bringet man ihm in eimem ſchönen
Käftlein deß Fürſten Inſigel, und
ſagt ihm an, daß S. F. G. ihm die
Cantzlersſtelle ertheilet, und zu ſolchem
hohen Ehrendienſte alles Wolergehen
anwünſchen laſſe, ꝛc. was geſchehen,
wäre eine Fürſtenluſt geweſen.
11. Juſtinian erwachte von den
tieffen Todes-Gedancken, und mußte
fih in diefen Handel nicht zu ſchicken,
fagend: Wann diejes fein Traum, und
fih alles in dem Werde alfo verhält,
wie ihr mir faget, jo werde ich meinem
Fürſten ſchlechte Dienfte leiften können,
in diefem Ampt, welches ich mich gant
unwürdig achte; dieweil ich hierüber
meine Gejundheit, au Schreden und
Erwartung dei Ihändlihen und un—
verdienten Todes, verlohren, das
meines Lebens nit lang mehr fein wird.
12. In den veränderten Stleidern
wird er für den Fürſten geführet,
welcher lachte, und ihn zu empfangen
entgegen kame. Yuftinian aber fiele in
eine Ohnmacht: Man trägt ihn auff
das nächſte Bett, man öffnet ihm eine
Uder, und mußte er mach drepen
Tagen die Welt gefegnen, mit groffer
Betrübnüß feines Fürſten, welcher un—
geſcheut ſich vernehmen laſſen, daß er
den Getreuſten unter allen ſeinen
Dienern verlohren, und iſt alſo ſein
Lachen in Weinen verändert worden.
Hierauß erhellet, wie gefährlich es
ſeye, Fürſten und Herren zu einem
Schauſpiel dienen, weil ſie meiſten—
theils gewinnen wollen.
Pegenden und Schwänke.
Gedihte von Wilhelmine Gräfin Wihenburg-Almafy.*)
EBriftus in der Berberge.
Einft gieng der Herr zur Abendzeit
Mit Petrus und Johannes weit
Luftwandelnd über eine Heide.
65 hatten die Apoftel beide
Sid an des Meifters Wort erwärmt
Und dann nad ihrer Art geſchwärmt
Von Weltgeriht und Heidenbefehrung,
Von Feuer und Schwert und Tempelzer:
ftörung
*) Die Dihterin ift in jungen Jahren geftorben.
Biele prächtige Lieder bat fie dem beutfchen Bolte
geſchenlt und als fie entidhlafen, haben fih unter
ihrem Nachlaſſe Poeſien gefunden, die ihr Gatte,
Albreht Graf Widenburg, als ſchönes Bermädtnis
nun herausgegeben bat. „Einnig und innig“, damit
ift ein großer Theil diefer neuen Lieder bezeichnet,
aber aub das Tragiſche einerjeits und das Edyalt-
hafte andererfeits fommt in diefen Poefien zur beiten
Geltung. Die vorfichenden Sagen und Schwänke
find der Sammlung entnommen. Zum Ende hängen
wir dad Gediht „Eicheres Merkmal an, als
Pröbhben davon, welch reijende Aleinodien das Büch-
fein birgt. Die Red.
Und nod von andern Dingen mehr;
Der Herr gieng lädelnd zwiſchen ber.
„Was finnft du, Heart? — — — „Soll
ich's dir jagen?
„„Ich dachte: Wie man hält Gericht,
„„Und was nicht biegen will, zerbricht,
„Das könnt ihr wunderleicht erfaflen;
„Doch jelbft fi was gefallen lafjen,
„So eins dem andern fi) bequemen,
„Die Laft von fremden Schultern nehmen
„„Und fiebenmal fiebzigmal verzeih'n,
„Das geht euch immer noch nicht ein !"* —
Sanct Peter ſchweigt und hemmt den Gang,
Der Weg erfcheint ihm allzulang:
„Herr, es wird Naht — bift du nicht müde?
„Wenn dir's genehm, in jener Schmiede
„Gäb's wohl für uns ein Nadtquartier!”
Des Shmiedes Weib fteht in der Thür:
„Weib? — Sprit der Meifter — „lais
uns ein —
„Mit deinem Haus joll Friede jein!*
Sie fieht den Meifter finnend an:
un Ah Herr, ich fürdte meinen Dann,
„„Und lommt er heim — mir thät’ es weh,
„„Wenn Euch bei mir ein Leids geſchäh'!“
Der Herr beſchwichtigt ihre Sorgen:
„Wir liegen ruhig bis zum Morgen
„Und ziehen vor dem Sonnenſchein!“
Da läjst das Weib den Meifter ein
Und meist ihm Stroh in einer Eden,
Sich mit den Seinen drauf zu ftreden.
Sanct Peter legt fih an die Wand;
Gr wär’ nidt gerne gleih zur Hand,
Sollt's doh am Ende Händel geben!
Johannes legt ſich fill daneben,
Dann ftredt der Herr fih ruhig aus. —
Bald poltert laut der Schmied ins Haus,
Mit ſchwerem Gang, vom Weine roth,
Und fieht die Fremden, jhilt und droht,
Und taumelt nah der Ed’ und jchlägt
Nah dem, der fih zunächſt gelegt.
Das ift der Herr! — der rührt fih nit. —
Der Trunf'ne ftugt, dann löjcht er's Licht
Und wirft ih auf das eig'ne Bett,
Als ob er Blei im Leibe hätt'.
Und als der fühle Morgen kam,
Und der Herr Jeſus Abſchied nahm,
Da drüdte fi der Echmied heran:
„Berzeiht! ... der Wein! .. was ich gethan,
„Sch that's nicht gern, bei meiner Seel'!“ —
„„Lajs nur, fein Menſch ift ohne Fehl!““
Eo ſprach der Herr mit janftem Muth
Und freute ih: „„Sein Herz ift gut!“
Vergangen waren mande Wochen;
Vom Schmiede ward nit mehr geiproden,
Da tam, als wär's von ungefähr,
Der Herr denfelben Weg daher
Und ihm zur Seite die Genofien.
Mit Freuden ward ihm aufgeſchloſſen,
Und wieder rubt er in der Hütte.
Heut lag der Meifter in der Mitte
Und neben ihm die andern zwei,
Die zwölfte Stunde war vorbei,
Da naht der Ehmied, vom Wein beſeſſen,
Und hatte Reu’ und Leid vergeflen:
„Da jerd ihr wieder, Mann für Mann —
„Wart’ nur, heut lommt der zweite dran!“
Und wieder traf den Herrn der Dich,
Der wieder geduldig liegen blieb. —
Und als der Schmied am Tag erwadlt,
Hat jhon der Herr ſich fortgemadt.
Dem Manne ift nicht wohl zu Muth,
Er madte gern fein Unredt gut,
Und hegt im Stillen das Begehren,
Der Meifter möge wiederlehren., —
Und wahrlib fam nad einer Frift
Mit feinen Jüngern Herr Jeſu Ehrift,
Die Naht zu ruhen in der Schmiede.
Da gieng's denn nad dem alten Liede:
Der Schmied, der fiht beim vollen Glas
Und ftürzt hinunter Mah für Maß
Und was er eiwa Frommes denkt,
Wird eingeihläfert und erträntt,
Spät ftürmt er in das Haus herein:
„Wohlan, heut ſoll's der dritte fein!“
11
ee. — — —
Und trifft mit ſeiner rohen Hand
Denn ſtillen Schläfer an der Wand. —
Doch als der Herr am Morgen zieht,
Da fällt zu Füßen ihm der Schmied
Und fleht, fie mögen in Geduld
Ihm alle drei verzeih'n die Schuld.
Doch Petrus, wie Johannes jpridt:
„Did trog der Wein — du jchlugit
nicht!“
„Und dennoch hieb ich dreimal drein, —
„„So traf id, Herr, nur did allein?!““
Da Sieht der Herr den zagen Mann
Ein Weilchen til und finnend an:
„Ja“ — jpricht er drauf — „’3 ift wunder:
lid,
„Wer nad den Meinen zielt, trifft mich!“
Der Beßenstrank.
63 war einmal vor alter Zeit —
Die Welt war noch nicht Hug, wie heut —
Ein König hoch in Nahren,
Der hatt’ das Leben gar zu lieb
Und ward aud ſchon jein Auge trüb,
Er mochl's nicht laflen fahren,
uns
Er rief den Medicus heran
Und lieh fih von dem Wundermann
Gin Lebenstränflein brauen;
Das trug er heimlich ftets bei ſich,
Und tranf davon allabendlid
Mit gläubigem PVertrauen.
Sein Knappe war ein ſchlauer Knab'
Der lauft’ ihm das Geheimnis ab
Und pflegt’ vom Trank zu naſchen.
Doch Ubermuth ift jelten Hug —
Er lieh bei einem vollen Zug
Sich eines Tags erhajden.
Der König war dem Knappen hold,
Doch lieber war, als Gut und Gold,
Ihm dieſer Trank des Lebens.
Gelöpft mufst’ der Verräther jein
Und jelbjt des Königs Töchterlein,
Sie bat und weint’ vergebens.
Sie fajsten ihn und banden ihn,
Da trat er vor den König bin:
„Mir geht's nun an den Kragen —
Dod wenn mich trifft des Henters Schwert,
Dann hat dein Trank fih ſchlecht bewährt,
Das mujst du jelber jagen.”
Erſt fieht der König finfter drein,
Dann läuft’s ihm grufelnd durchs Gebein,
Wie leifes Todesgrauen:
„Gebt mir den freden Burſchen frei!“ —
Dod der, als wär's ihm einerlei,
Thät bleih zur Erde jchauen!
„„Und iparft du mir das Hochgericht,
„Dein Tranf, der taugt nod immer nit —
„Ih mujs ja dennoch fterben
„Bor Herzeleid und Liebespein,
„Darf ih von deinem Töchterlein
„Ten Brautkujs nicht erwerben !“*
Boll Ingrimm fährt der König auf,
Schon greift er nah dem Degentnauf,
Dann thät er fi befinnen: —
„Ich ſeh's, mein Tränklein Wunder ihut,
„Wo fänd’ ein Knappe jonft den Muth,
„Ein Königstind zu minnen?!
„Ein feder Muth ift edlen Bluts —
„Hei! Knapp’ und Königskind, was thut's —
„Mein Zranf, der bleibt in Ehren!
„Spielt auf! jentt ein! und wenn Bott mag,
„So will id erft am jüngften Tag
„Das Ichte Gläslein leeren!”
Wie die GKathsherren einen (Uns
feßufdigen Benken.
Der Herrgott hat fein Land Tirol
Mit Berg und Burg gefeftigt wohl
Nah Außen und nad Innen,
Alleın die Zeit friist Berg und Thal,
Zerlaut das Eiſen und den Stahl
Und fegt den Staub von hinnen.
Der Bergmwall ließ den Franzmann ein,
Bom Burgwall brödelt das Geftein,
Trop Schwert und Weihbrunnwedel —
Doch was noch immer unentweiht
Und dämm'rig, wie vor aller Zeit,
It ein Tiroler Schädel.
Ich weiß nit warn, ich weiß nicht wo,
Da brannt’ es einmal lichterloh
In allen Rathsherr'nlöpfen;
Es ſchwitzt die ganze Schöffenſchaft,
Um aus vereinter Weisheit Kraft
Hilfreihen Rath zu ſchöpfen.
Der Bürgermeifter hebet an,
Gr redt den Kopf, jo gut er fann,
Aus feiner Fälbelfrauje:
„Ihr, werte Amtsgenofien, wiſst,
„Dais dit mit Gras bewadien ift
„Der Thurm am Gotteshauje!“
„In nomine sancti spiritus,
„Wir müſſen fommen heut! zum Schlujs,
„Wie wir's entfernen werden!
„Entweihung liegt darin zunächſt
„Und dann, bedenti, was drüber wädlt,
„Entbehren unf're Serben!”
„Ich ſag'“ — ruft einer — „mäht das
Kraut!“ —
„„Nein, unfer'n Schügen ſei's vertraut!
„Ich mein’, daſs die's verftunden,
„„Es abzuſchießen, wie es iſt —““
Natürlich war zu dieſer Friſt
Das Pulver ſchon erfunden!
512
Da hebt ein dritter ſich bedadt:
„Ich weiß nicht redht, wie man es madt,
„Doch wie ich's fann ermeſſen,
„Nath’ ich, vom Thurme lafjen wir
„Ganz einfadh den Gemeindeftier
„Das Gras herunterfrefien!*
Und morgens weht ein langer Strid
Bom Thurm herab bis ans Genid
Dem ärniſten aller Rinder —
„Run ſchleift ihn an!... Sol... Auf:
gepajät!....
„Ihr habt nicht richtig angefafst,
„So macht's doc, wie der Schinder!*
„Nur zul... So redt!... Nun drauf
und dran!”
Die Schöffen faſſen jelber an,
#3 dampfen alle Zungen...
„Da jeht einmal das led’re Has,
„Schon redt es nah dem fetten Gras
„Heishunrig "raus die Zungen!“
„Nun, friist er ihon?... Zum Teufel nur,
„Mufs man mit jolcher Greatur
„Bottsjämmerlidh fich balgen! —
„Raist nur nicht aus! ... Noch einen Rud!*
Da thut der Bull den legten Zuch —
Der Kirchthurm ward zum Galgen!
Die Schöffen glogen dämlich drein,
Der Bürgermeifter nur alleın
Thät ſchnell ein Herz fih fallen:
„Ihr Herr'n, der Himmel hat's gewollt,
„Dais Gras dort oben wachſen jollt' —
„Wir müflen’s wadjen lafjen!*
Das Belößnis.
E83 war ein Mann in Schlemmersgau,
Der hatt’ einen Ejel und eine Frau;
Doh was noch jonft vor mandem Fahr
Un Hab’ und Gut fein Eigen war,
Verzeichnet ſtund's zu jeinem Leide
Schon längft in weißer Wirtshausfreide.
‚Und weil denn Mann und Weib ein Leib,
So theilte feinen Zeitvertreib
Sein freu Geſpons und tranf, wie er,
Bis ihre Brautihagtruhe leer
"Und bis dem Hanımer fiel zum Raube
Ehringelein und Spitenhaube,
Doch eines Tages fam den Mann
Urplöglid eine Andadt an.
„Weib!“ — ſprach der Bauer — „hör’
mid nun:
| ‚Mir wollen ein Gelöbnis thun
„Und feierlid vor Gott veripreden,
„Kein Stüdlein Geld mehr zu verzehen!“
Tie Frau, die ſtutzt, doch allgemad
Wird auch in ihr die Andacht wad:
„Ja“ — ſpricht fie feft und gudt ins Glas — .
„Es wär’ denn, wir verlauften was!” —
„„But!** — jagt der Bauer — „„ſo ſoll's
fommen,
Der eine Fall bleibt ausgenommen !*"
Ta gieng ein großes Falten an,
Nur Mil flojs aus der Branntweinlann’,
Die Zunge jhrumpft vor Trodenheit,
Wie Nüfe um die Weihnachtszeit —
In Dürre will die Welt vergehen,
Sie ftodt und will ſich nicht mehr drehen!
Schon waren vierzehn Tag’ dahin,
Als vor den Bauer die Bäuerin
Hintrat und ihm drei Baten gab:
„Sch lauf’ dir deinen Ejel ab!" —
„„Du mir? Weib, laſs das dumme
Schwahen!““ —
„Mann! Wie viel Maß gibt's um Drei
Batzen?“ —
Da geht dem Bauer ein Lichtlein auf:
Bei Gott! Das war ja ein Berfauf!
„„Hör', Weib, du bift verteufelt Hug!”*
Fort, Arm in Urme geht's zum Krug,
Und ch’ die Woche abgelaufen,
Thät' er von ihr den Ejel Taufen!
Nun tanzt der Ejel hin und ber,
Als ob's ein Glodenjchiwengel wär’;
Am Morgen mein, am Abend dein,
Ein Gläshen Schnaps, ein rüglein Mein —
Und felbi der Pfarrer fann’s nicht wehren,
Denn das Gelöbnis bleibt in Ehren,
So gieng der Handel mandes Yahr
Und als der Ejel geftorben war,
Da trat die Haut an jeine Stell’!
So wurde mit dem Eſelsfell,
Bis dafs die zwei ins Gras gebiffen —
"Der Durft geftillt und das Gewiſſen!
Sicheres Merkmal,
Ich blidte hinaus zum Fenſterlein
Beim Morgenionnenitrahl,
Da fah durch die Scheiben die Liebe herein
| Zum allererftenmal!
‚ Den lähelnden Blid, jo warn und mweid,
Ich jah ihn noch nie vorher
Und doch — wie fam’s? — ich mujät’ es
| gleich,
| Dais es die Liebe wär’!
Doch lieh ih eine kleine Frift
——328 das Fenſterlein,
|
Ich mujste, wenn e3 die Liebe ift,
Sp ſchlägt fie die Scheiben ein!
Robert Yamerling als Philofoph,.
“ns
o
ch könnte es zur Erbauung der
775 Fachleute wieder einmal vers
S ſuchen, über ein Ding zu plau—
dern, don dem ich gar nichts verſtehe.
63 ift aber zum Glüd ein Ding, bei
dem jeder dreinreden kann, weil es
jeden angeht und weil es feiner fertig=
bringt.
Nämlih die Philoſophie.
Bhilofophie, wie fie in ihrer doctri—
nären Weife gelehrt wird, ift mir
zwar zu allen Zeiten gottlos gleich-
giltig gewejen. Wenn fie aber aufs
ei
drängeriſch au mich herankam, jo habe |
ih mich über fie weidlich geärgert
oder närriſch gewundert. Da ſoll
bemwiejen werden, daſs ich bin, oder
Kofegger's „Ötimgarten“* 7. Geft. XV,
Diele |
auch nicht bin; daſs es einen Raum
und eine Zeit gibt, oder auch nicht
‚gibt; daſs es eine Umendlichkeit im
großen. und im Heinen gibt, oder
auch nicht gibt; und fo weiter. Mit
Verlaub, ihr gelehrten Herren, das
ift mir alles viel zu geicheit. Bei jo
einem Bhilofophen find mur zwei
Dinge möglich, entweder er betreibt
ein ſolches Studium wie ein Gejchäft,
ohne prattiih daran zu glauben und
'zu Halten, dann fann er troß aller
Beweiſe für das Nichtjein fich Die
Havanna reht wohl jchmeden laſſen;
‚oder er nimmt es wirklich ernſt —
dann ſchnappt er über.
| Ih bin Halt der Meinung, ein
33
—
514
ſolches Philoſophieren Hat Für das ein bifächen von oben herab geblickt
menjchliche Leben feinen Wert. Es auf diefen Gymnaſialprofeſſor; nun
paſst ja nicht für unfere realen Ver- | offenbart ſich's aber, da]s der Gymna—
hältniffe, für unfere Beltrebungen, es ſiallehrer, der zudem noch Dichter
ift höchſtens nur geeignet, den Mens war, nicht minder grümdlich und
ſchen miſstrauiſch oder gleichgiltig zu. wiffenfchaftlich denfen und jchreiben
machen gegen feine geiftigen und ‚fonnte, als ein „wirklicher“ Profejlor.
moralifhen Güter. Der vorgebliche | Der Unterfchied ijt nur, dafs Hamer—
Drang des Menſchen nah Erforfchung | lings Stil und Ausdrudsweije einiger-
der abjoluten Wahrheit war wohl fo maßen leichter verftändlih ift, als
lange ein gefunder und berechtigter, | die jattfam befannte Manier, in wel—
als man zuverjichtlich glaubte, dieſe cher unjere deutſchen Fachgelehrten
Mahrheit einmal ergründen zu können. ihr Wiſſen darlegen, mandmal auch
Seit dem Tage aber, als die Philo- ihr Nichtwiſſen verfchleiern.
jophie auf den Standpunkt kam, bes Das neue Werl, an weldem
fennen zu müllen, daſs es Für den Damerling viele Jahre gearbeitet und
Menſchen abjolut unmöglich fei, die auf das er felbft viel Gewicht legte,
abjolute Wahrheit zu finden, feit die- zeigt, wie der Dichter alle Bereiche
jem Tage iſt das Streben nad ihr des menschlichen Denkens durchwandert,
unberechtigt und unmoraliſch, weil fih mit ihnen abgefunden Hat und
eine vergebliche Kraftverſchwendung. als urfprünglier Denker und ge=
Ich finde es, troß Leſſings bekanntem wiſſenhafter Prüfer felbitändig ger
Ausſpruche, einfah dumm, ein Ziel blieben ift. Alfo ift er aud nit an
anzuftreben, von dem mir alle Ver- | jenes Ziel gelommen, an welches die
nunft jagt: du wirft es micht er= | meiften Schüler moderner Philoſophen
reihen, du kannſt ja auch gar nie gerathen: zum Materialismus und
erfahren, wo es liegt oder ob es über: Pellimismus, fondern vielmehr zum
haupt eriftiert. Die abfolute Wahre | Entgegengejeßten, des Jdealismus, der
heit, wie alles, was der Menfch ſich Welt- und Menjchengläubigteit.
vorftellen, wie einen Begriff bezeich- Das Werk „Atomiftit des Wil—
nen kann, ift ja eben auch ein Ding, lens“ zerfällt in vier Bücher: Theorie
über dejien Sein oder Nichtjein ge= der Erkenntnis. Theorie des Seins.
firitten werden kaun. Alſo friſſt dieſe Theorie der Wirkung. Theorie des
Art von Philofophie ſich ſelber auf. Willens. Es iſt ein vorzugsmweife pole-
Zu ſolchen Betrachtungen Hat mich | mifches Merk, man fönntefagen, er wollte
neuerdings ein Wert von Robert die Philofophie dur Philojophie auf:
Damerling angeregt, welches unter | löjen. Wenn es ftellenweife der trodene,
dem Titel: „Die Atomiftif des | rein abftract docierende Gelehrte ift, dem
Willens.“ Beiträge zur Kritik der wir anfangs verblüfft zuhören, dann
modernen Erlenntnis (zwei Bände) aber bewundern, jo iſt es im legten Buche
in Damburg eben erfchienen ift. der Dichter, der Apoftel der Sittlich-
Schon in Hamerlings Dichtungen Leit und der Schönheit, den wir lieben
haben wirgejehen, dafs das Naive von müſſen. Scharf verurtheilt unfer Autor
Principiellen, das Sinnliche allmählich die landläufigen Folgerungen des wiſ—
von dem Gedanklichen überwogen wurde. ſenſchaftlichen Materialismus, 3. ®.,
Zum Dichter Hatte ih der Denker dafs der Menjch keinen freien Willen
gejellt, und jenem wie diefem war habe, dafs er ein Thier jei und nur
nichts Menfchliches fremd, alfo auch thieriſch Handeln könne, daſs der Be—
nicht die Philoſophie, in welcher den | griff des Guten, des Schönen nur
Menſchen fo viel Menfchliches paſſiert. anerzogen ſei, u. ſ. w. Mit unmider-
Die Univerfitätsprofefjoren hatten ftets | leglichen Gründen weist er den Peſſi—
Eee
mismus zurüd und ſetzt den „heiligen
Dafeinswillen“ in jein Recht. Mit
glühender Beredfamfeit weist dieſer
Philoſoph in dem Menfchen einen
natürlihen Adel, einen Grad von
Göttlichleit nad, der den Menichen
jtrenge vom gemeinen Stoff unters
jcheidet. Aber er fieht jelbit auch noch
im gemeinen Stoffe die Spur einer
ewigen, zwedbewufst leitenden Kraft.
Bei ſolchem Standpunkte für den
Augenblid verblüffend und leicht miſs—
zuderftehen ift die Lanze, die Robert
Hamerling, der Berfünder des Schönen,
für — Zola bridt. Aber er ver-
theidigt nicht den belannten Unflat,
den allein Zolas Jünger mijsverftehend
zur „naturaliftiichen Schule“ machen,
fondern er würdigt die tiefen foctalen,
philofophifhen und Dichterischen
Gründe, aus denen Zolas Werke ent-
ftanden. Manchem wird e3 aber nicht
möglich jein, dem Philojophen Hamer—
ling in folder Wertſchätzung des
| Das Wert „Atomiſtik des Willens“,
‚welches in jeiner Art einzig daſteht,
flingt in dem Leitmotive des „Homunz
fulus* aus. „Wijst ihr, woran die
Melt zugrunde gehen wird? Durd)
das Umfichgreifen jenes vernichtenden
Princips, da8 wir Verftand be—
nennen. — Das Leben ift nicht auf
Klarheit, fondern auf Dunkelheit
gebaut. — Das geiftig wahrhaft
Schöpferifhe, Lebendige, Göttliche
ruht immer im Unbewufsten.”
Durch diefe Säße zieht dermit ſchar—
fem Berftande nad Klarheit ringende
Philoſoph ſich Freilich das Brett unter
den eigenen Füßen weg, aber das
befümmert ihn nicht. Mich dünkt,
als hätte er den weiten philofophifchen
Meg nur unter ironischem Lächeln
zurüdgelegt, um alle jpibfindige, un—
praktiſche Gedanfenarbeit, die fich jo
wichtig und weltbauend dünft, mit
dem einen Worte zu verurtheilen: „Das
Unglüd der Menjchheit ift der Ver
franzöfifhen Romanſchreibers beizu- ftand; ihre Rettung ift das Ge—
pflichten. Hat ihr doch auch der Dichter müth,
Hamerling nicht beigepflichtet.
ihre Seligkeit ift Die
Myſtik“. R.
Der Ratechet.
Bild aus einer Gebirgsſchule. Mitgetheilt von P. R. Rofegger.
N
“3
Heise und Communion waren |
Gars borüber. Der tiefgebildte preft=
vs Hafte Greis, welcher in feinem
entlegenen Berghaufe die Sacramente
empfangen, ja nun am Zifche, ftüßte
jeinen Ellbogen jchwerfällig auf die
Tiſchecke und ſchaute mit trüben Augen
dem Priefter zu, der ſich labte an dem
kleinen Mahle, welches die Leute ihm
aufgetifcht hatten.
Der Priefter war ein junger, hüb—
jher Mann mit frifhem Gefichte und
offenen, treuherzigen Augen, er ließ
fih den Eierfuden und das Glas
Wein wohl munden und blidte manch—
mal auf den Greis, aber jetzt nicht
wie ein Verzeihender auf den armen
Sünder, fondern wie ein junger Menſch
auf den alten, lebenserfahrenen, ge=
prüften Mann.
Diefer wadelte ein wenig mit
jeinem Heinen, jchneeweißen Haupt
und fagte "dann: „Rechtſchaffen ift’s
mir zuwider, daj3 der geiftliche Herr
meinetwegen fich fo oft und jo weit
beraufplagen muſs auf den Berg,
und jetzt gar im Winter. Aber ich kann
halt nicht mehr Hinab, und meine
chriſtliche Sad’ möcht’ ich doch gern
haben.“
33*
516
„Aber, Steinbauer!” entgegnete
der Prieiter und legte dem Alten die
weiße Hand auf den zitternden Arm,
„ich thue es gerne, es iſt ja mein
Amt, und in meinen Jahren ift das
Bergfteigen eher eine Annehmlichkeit,
als eine Plage. Bin das gewohnt,
ftamm’ ja auch von der Bauernſchaft.“
„Werden halt andere Verfehgänge
auch jein, es ift fein gefunder Winter“,
fuhr der Alte fort. „Denk mir oft,
der Geiftlihe hat wohl ein ſchweres
Amt. Zu Blatterntranten gehen, zum
Mervenfieber! Und nachher, wenn er
müd und matt von allerhand Gefahr
zurüdfommt in den Pfarrhof, findet
er die froftige Stube — niemand
daheim!
„Ich verftehe euch ſchon“, lächelte
nun der Kaplan von St. Johann, „es
iſt nicht jo ſchlimm. Daheim ift frei—
lid niemand, fo wie Ihr meint, aber
meine Familie habe ich doch auch, und
eine größere als der brave Steinbauer.
Auf langes Leben, Bater!*
„a, ja, auf mein langes Leben!“
ficherte der Greis, „dafs Ihr noch recht
oft heraufmüjst! 's ift mir halt alle»
mal jo getröftet, wenn ich meine Sachen
gemacht hab’ und Ihr könnt einem
das Herz recht leicht machen mit dem
riftlichen Zufprucd. Nicht genug fann
ih Euch danken.“
Alfo ward gejprochen, bis der
Vriefter Überrod, Hut und Stod nahm
und ſich nach frohfriſchem Händedrud
auf den Heimweg madte. Diejer war
im Schnee eigentlih doch beſchwer—
licher, als es Sich der junge Priejter
jelber gejtehen wollte.
Nah ftundenlanger Wanderung
fam er im Pfarrhofe zu St. Johann
an, hatte Zeit, ſich ein Vietelftündchen
auszuraften, dann ſchlug die Kirchen-
uhr Stunde zwei. Es war Zeit, in
jene Familie zu gehen, von der er
oben gejprochen hatte. Ein Buch nahın
er zu ſich und Schritt wohlgemuth hinab
zum Schulhaufe. Am Eingange be=
gegnete ihm der Lehrer, fie begrüßten
jich freundlih und der Lehrer jagte:
Ich
begreife es auch, das Rechnen und die
„Sie freuen ſich ſchon wieder.
Sprachlehre will unſeren Bauern—
findern nicht immer eingehen. Kann
ihnen nicht helfen, muj3 aud jein,
gönne ihnen aber die Religionsitunde,
wie Sie fie halten, vom Herzen.“
Als der Priefter in die Schulftube
trat, erfcholl ein einftimmiges, helles
„Gelobt jei Jefus Chriſtus!“ und die
jungen Geſichter leuchteten ihm Fröhlich
entgegen.
„Nun, wie ſteht's, Kinder ?* fragte
der Kaplan, indem er ſich auf feinen
Platz jebte, „habt ihr das Hauptjtüd
von der chriftlichen Gerechtigkeit gut
auswendig gelernt ?“
„Sa, alle!“ riefen fie munter.
„Brad, So werde ih zu Lohn
fortfahren, euch das Leben Jeſu zu
erzählen !*
„Ich bitte, ich bitte!“ Hierauf viele
Stimmen, und in der rüdwärtigen
Bank rieb fich ein ganz Heines Mädchen
die Hände: „Der liebe, liebe Katechet!“
„Wo find wir denn ftehen geblieben,
das letztemal?“ fragte der Prieſter.
„Wie der Herr Jefus auf einem
Ejel in die Stadt Jerufalem einreitet!”
gaben mehrere Stimmen an.
„Richtig“, beftätigte der Geiftliche,
und fuhr fort: „jebt aber, liebe Kin—
der, fommen wir zum allermerfwürdig-
ften Gapitel, voll Heiliger und tiefer
Trauer. Wir haben gejehen, wie arın
und verlaffen das Kindlein Jeſu ges
wejen ift, wie es dom König Derodes
verfolgt wurde —“
„Der falſche Herodes!“ flüfterte
das Mädchen in der hinterſten Ban.
„Wie feine Eltern mit ihm durch
die heigen Wüſten ins ferne Egypten—
land Haben fliehen müſſen, wie er
jpäter mit zwölf Jahren ſchon ein
recht geſcheites Büblein gewejen iſt
und gar die hochgelehrten Männer
überwiefen bat im Tempel. Haben
nachher gejehen, wie der Herr Jeſus
jich hat mit Waſſer begiegen lafjen vom
Johannes am Fluſſe Jordan, zum
Zeichen, daſs er reinen Herzens jei
G (1 ed
—
.)
vor Gott; wie er in der Steinwüſte | gleich einfangen und tödten laſſeſt. —
das Hungerige Volt hat geipeist mit Der Pilatus jagt: Es wird fo ſchlimm
wenigen Broten, wie er Kranke Hat | nicht fein, aber ich will ihn vor Ge—
gejund gemacht und der troftlofen | richt rufen, dafs er fich ſelber verant—
Mutter zu Naim den geftorbenen Sohn
hat auferwedt von den Zodten. Wir
haben gehört feine heilige Lehr, wie
wir leben und uns gegeneinander be=
tragen müſſen, wenn wir auf Erben
zufrieden und nad dem Tode ewig
jelig werden wollen. Und jehet, meine
Kinder, diejen lieben Jejus, der vofler
Demuth und Geduld war, voller Ges:
rechtigkeit und Liebe zu allen Menjchen,
und der gejagt hat: Der Armen ver:
geſſet nicht, fie alle find eure Brüder
und Schweitern — diefen Mann wollen
fie jeßt peinigen und tödten.“
Bei diefen Worten fonnte man in
einzelnen Bänken ein wenig ſchluchzen
hören, und die allgemeine Aufmerkſam—
feit war bergeftellt.
Der BPriefter fuhr ernft und ruhig
fort, jo zu ſprechen: „Die Wunder,
welche Jeſus gewirkt hat, haben die
meilten Leute für Betrug oder Zau—
berei gehalten, weil fie es nicht glauben
wollten, dafs er vom himmlischen Vater
gejandt jei. Seine Lehre haben fie ges
hajst, weil fie eine neue Lehre war
und mit jener alten der Schrift»
gelehrten und Hohen Priefter nicht
ſtimmte. Und diefe Feinde haben heim—
lich getrachtet, ihn zugrunde zu richten,
haben es aber nicht recht anzufangen
gewujst, weil der Landpfleger und
Richter Pontius Pilatus nichts gegen
die neue Lehre einzuwenden gehabt.
Wie aber jeßt der Herr Jeſus in die
Stadt Jeruſalem einreitet, umgeben
bon jeinen Jüngern, wie ihm alles
Volk zujubelt: Gelobt und gepriejen
ſei, der da kommt im Namen des
Herrn: und ſie Balmzweige wie Fahnen |
in den Lüften ſchwenken — da laufen
die Feinde Jeſu durcheinander und
zum Pilatus: Siehft du es jeßt, wie,
die Leute ihm folgen! Der wird ge—
fährlich, der ftürzt dich und den Kaiſer!
Mehe dir! Schlecht kann's dir gehen,
wenn du den Aufrührer nicht alljo=
worten kann. Die Freunde Jeſu haben
gehört von dieſem Anſchlag und
haben dem Meifter gerathen: Fliehe!
die hohen Prieſter kennſt du ſchon,
das find jchlimme Herren, die ruhen
nicht, bis fie dich aus dem Weg ge=
räumt haben werden. — Jeſus aber
it ganz ruhig gefeilen beim Abendmahl
mit feinen Jüngern und hat gejagt:
‚fliehen will ih nicht, wie es ges
ſchehen mufs, jo foll es gejchehen. Die
grimmen Feinde fürchte ich nicht, viel
ärger können die Freunde fein! Ach
fage euch: Einer der Meinen wird
mich verrathen! Da ſchauen jich die
Sünger erfhroden an, das wäre nicht
möglid, und einer unter ihnen, der
Judas hieß, Thüttelte gar heftig das
Haupt: Was das für thörichte Reden
wären, einer der Seinen ihn verrathen!
möchte jchon willen, wer jo jchlecht
jein könnte! — Der jet mit mir
in die Schülfel fährt! fagt hierauf
Sefus, da zudt der Judas mit dem
Arm zurüd, denn juft Hat er mit der
Gabel ein Stück vom Dfterlamm
aus der Schüffel ftehen wollen. —
Bachmeier! Lajs jebt das Kribeln auf
der Bank und pajs auf, du wirft mir
alles wiedererzählen müſſen!“
Alſo unterbrach ſich der Katechet,
und der Nachbar des Bachmeier gab
dieſem einen kleinen Ellbogenſtoß, eut—
rüſtet darüber, wie man nicht könne
aufpaſſen bei einer ſo merkwürdigen
Geſchichte! Der Bachmeier bequemte
ſich dazu und der Prieſter fuhr fort:
„Ein anderer Jünger, Petrus ge—
heißen, iſt auch aufgebracht, über das
Wort, es wäre bei Tiſche ein Ver—
räther. — Na du, ſagt Jeſus zu
dieſem, ſei nur demüthig! Du biſt
auch keiner von den Berläjslichiten !
Ehe zur nächſten Morgenftunde der
Hahn fräht, wirft du mich verleugnet
haben! Petrus Hat Hierauf nichts
‚mehr gejagt, mag aber bei jich gedacht
5
haben: ch erkenne ihn nicht wieder,
jo herb ift er heute! — Jeſus bricht
das Brot und mit freundlichem Ange—
jicht jagt er die Worte: ch werde
num nicht mehr mit euch eſſen und
trinfen, bis wir beifammen an der
Seite des himmlischen Vaters fißen.
Wenn ihr mich haben wollt und mir
etwas Gutes thun, jo thut es den
Armen. In eneren armen, geringen
Mitbrüdern und Schweitern bin ich
immer bei eudh. Und wenn ihr zum
Ofterfefte Brot und Wein genießet,
jo denfet an mid. Es ift mein Fleisch
und mein Blut. — Das haben fie
freilih nicht verftanden. Nach dem
Abendmahle gehen jie Hinaus auf den
Ölberg. Es ift eine wunderſchöne
Eternennadt und alles voller Frieden
ringsum. Die Blumenkelche des Früh—
lings duften, und vom Thale herauf
rauscht der Bach Kedron. Den Jüngern
iſt ums Schlafen und Jeſus jagt zu
ihnen, fie möchten nur ruhen, wer
weiß, was der nächte Tag bringen
würde. So legen fie ſich unter Ol—
bäumen Hin und Ichlafen ein. Der
liebe Jeſus fißt auf einem Stein und
fügt fein Haupt auf die Hand, er
fann nicht Schlafen, es ift ihm bange.
Schweißtropfen ftehen ihm auf der
Stirn. — Er hat ja fein böjes Ge-
willen, hat alles vollbradt, was ihm
jein himmliſcher Vater aufgetragen.
Alles? Das legte bleibt noch übrig,
das Sterben. Und deswegen zittert
jein ſchwaches Fleiih. Er fniet hin
auf den Stein, bebt die Hände
gegen Himmel und ruft: Vater, es
ift hart! Ich hätte es nicht gedacht,
dajs dieſer Menfchenleib jo heiß am
Leben ſollt' bangen! Wenn's möglich
ift, jo laj3 mich noch leben. Schütze
mich mit deinen Engeln vor meinen
Feinden, die ſchon aus find nach mir,
Wenn's aber jein muſs, fo ergebe
ih mich in deinen Willen, — Alles
iſt ſtill geweſen nad diefem Gebet.
Eine Sternichnuppe fällt nieder dom
Himmel. — Jeſus steht auf, thut
einen ſchweren Seufzer und jagt: Es
|
Zain, 2
—
muſs geſtorben ſein für die Sünden
der Welt, Meine Lehre mujs ih auch
mit den Zode befennen und mein
unſchuldiges Blut foll ihr Merkmal
jein. — Diemweilen Jeſus Jo ganz allein
ift mit feiner AUngft und mit feiner
Ergebung, Hat auch Judas nicht ges
ſchlafen. Er jchleicht fi fort von den
Süngern, Hin gegen die Stadt und
denkt bei fih: Den Meifter habe ich
recht lieb, aber Geld Hätte ich noch
lieber. Mit dem Meifter kann man
Unglüd haben, denn es fteht jchlecht
mit jeiner Sache; mit Geld aber kann
man alles faufen, was das Herz ver-
langt, auch gute Werke damit ver—
richten, jo gleicht ſich's wieder aus.
Ich will Hug fein. — Aus dem Stadt-
thore fommt eine Rotte von Kriegs—
fnechten, jie fuchen den Aufrührer Jefus.
Judas huſcht zum Hauptmann, der
fie führt und zifchelt ihm zu: Ich
weiß, wo er ift. Was wollt ihr mir
geben, wenn ich es jage? — Dreißig
Silbermünzen! Ganz neu geprägt mit
dem römischen Kaiſerkopf. Der Haupt-
mann hält jie hin in der hohlen Hand,
die Sterne der Nacht funfeln in den
Münzen. Judas erhafht fie mit gie=
tigen Fingern und jagt: Kommt nur
mit mir! Ganz leife! Auf den Olberg !
Es find ihrer mehrere. Einen werde
ich füllen, der ift es. — Bachmeier!*
unterbrach ſich der Katechet, „ich jage
es dir zum leßtenmal, wenn du nicht
aufmerfit, jo wirft du mir bi morgen
aus dem Katehismus das zweite Haupt—
ftüd auswendig lernen!”
Diefe Drohung wirkte, und der
Priefter konnte in feiner Erzählung
fortfahren.
„Der liebe Jeſus fteht noch da
und Schaut betrübt hinab auf die Stadt
Jeruſalem, da kommen im Dunfeln
Leute herangeſchlichen. Einer davon
geht zu ihn, ſagt: Spät bift noch
wach, Meiiter! und küſst ihn auf die
Wange. Jeſus wendet fi von ihm
ab, den Kriegsfnechten zu, und ruft:
Man Hat euch ausgeichidt, um mic
zu fuchen, da bin ich. Dann haben jie
ihm die Hände gebunden. Im Lärm
der Waffen wird Petrus wach und
wie er merkt, was da vorgeht, ſpringt
er herbei, reißt einem Knecht das
Schwert aus der Scheide und mill
ihm damit den Kopf fpalten. Freilich
hat er als Filher das Dreinhauen
nicht gelernt, haut dem Knechte mur
das Chr weg. Gibt ihm Jefus einen
Verweis, was er fi dreinzumijchen
habe? Wollte der himmlische Bater ihn
befreien, jo hätte er ſchon jelber Mittel
dazu. — Da macht ſich Petrus davon.
Den lieben Jeſus aber haben fie Hinab-
geführt in die Stadt zu den hohen
Brieftern und Richtern, gar bei nacht»
Ichlafender Stund. Der falſche Judas
Ichleicht ihnen nad) und fragt einen:
Was wollen fie denn mit ihm machen?
Ja, antwortet derjelbe, der fommt
ihnen gerade vet für das Dfterfeft,
der wird gefreuzigt. Da ift der Judas
freilich erjchroden, jebt ſieht er erft
ein, was er augeftellt hat, kann's aber
nicht mehr ändern. Er fchleudert die
Silberftüde von ih: Ih braud es
nicht, das verfluchte Geld! geht hinaus
in den Hain umd erhängt jich an einem
Baum.”
Dem Mädchen in der Hinterjten
Bank wurde unheimlich, es jchleicht,
den Finger im Mund und mit er-
Ihrodenen Augen, jebt zum Statecheten
heran und fauert ſich vor demfelben
auf den Boden hin.
„Du kannſt Schon dableiben, feine
Agnes Rainegger, muſst mir aber den
Finger aus dem Mund thun, weil er
nicht hineingehört.“ Alſo der Katechet,
das Dirndl willfahrte und ſchmiegte
ſich voll Aufmerkſamkeit und Andacht
an die Füße des Prieſters.
„Und wie iſt es mit dem lieben
Jeſus weiter geweſen?“ fragte einer
der Knaben.
„Ja meine Kinder“, fuhr der Ka—
techet fort, „den lieben Jeſus haben
jetzt ſeine Feinde herumgeſchleppt von
einem Hohen Herrn zum anderen, Und
dieweilen dieje aus dem Bett fteigen,
haben allerhand zufammengelaufene
Leut, auch folche, die ein paar Tage
früher ihm zugejubelt mit Palmzweigen,
ihn verfpottet und verhöhnt. Bei!
jagt einer, du bift ja der Juden—
fönig, wie man hört! Könige müſſen
doch eine Krone haben! Aus Dorn=
heden flechten Jie eine Srone und
preſſen fie ihm aufs Haupt. Das
fönigliche Scepter auch! ſchreit ein
anderer, und gibt ihm ein jchlechtes
Schilfrohr in die Hand. Und gejalbt
muſs er fein! johlt ein dritter,
darauf fpeit er ihm ins Angelicht.
Dann find fie über ihm Her, Haben
ihn geftogen und gejchlagen, bi3 der
Richter Pilatus endlich ‚Befehl gibt,
fie follten den Angeflagten vorführen.
Jeſus fteht mit gebundenen Händen
demüthig vor ihm und jagt alles, was
er gelehrt und vollbracht. -—- Wie das
geichehen ift, Äpricht Pilatus zu den
Anklägern: Was wollt ihr denn mit
diefem da? Was hat er den Schlechtes
gethan? Seht doch, wie er voller Blut
und Wunden ift! Habt ihr ihn nicht
Ihon mijshandelt genug? iſt euere
Rachgier noch nicht befriedigt? —
Oftern iſt! rufen fie, wir wollen
nach altem Brauch einen am Kreuze
jehen! — Gut, ſagt der Pilatus,
da hab ich einen anderen im Kerker,
einen Näuber und Mörder, der be-
rüdhtigte Barabbas, den könnt ihr
haben! Nein, nein! lärmen
alle, den Barabbas kannſt freilaſſen,
diejen Jeſus wollen wir am Kreuze
jehn! Einen folhen Haſs kann nun
Pilatus garnicht begreifen. Jetzt ſchickt
auch jein Weib zu ihm und läjst jagen:
Lieber Mann, thu' diefem Menfchen
nichts zuleid, es ift etwas Bejonderes
mit ihm, ich Hab Heut die ganze
Naht von ihm geträumt. In leuche
tendem Gewand ift er durch die
dunkle Vorhölle gegangen, Hat die
Voreltern erlöst und hinaufgeführt
ins Paradies. — Spridt Pilatus
wieder zum Wolfe: Ach finde nichts
Böjes an dieſem Menjchen. Aber die
Leutmenge lärmt: Aus Kreuz mit
ihm! Ans Kreuz mit ihm! Und weil
520
fie Schredbar jchreien und wild find,
und die Schriftgelehrten und Hohen—
priejter das Volk immer noch aufheben,
meint der Pilatus, es könnte ein Auf—
ruhr entitehen, fie fönnten Feuer werfen
in feinen Palaft. So nimmt er den
Stab, bricht ihn entzwei und wirft
die Stüde dem armen Jeſus vor die
Füße. Und das bedeutet joviel: jeßt
bift du verurtheilt zum Tode! —
Dann taucht der Pilatus feine Hände
in eine Schale mit Waſſer, als ob er
die That abwaichen wollte, und ruft
in das Bolf hinab: Ich fage euch,
er ift unſchuldig, aber macht mit ihm, |
was ihr wollt! — Kinder, was jagt‘
ihr zu einem ſolchen Richter ?”
Von den Kindern waren nad) und
nach mehrere aus ihren Bänken ge=
treten und hatten ſich rings um den
Katecheten hingeſetzt. Dort knirſchte
nun ein Knabe mit den Zähnen:
„Dieler Pilatus iſt noch Schlechter wie
der Judas!“
„Ganz richtig“, ſagte der Katechet,
„die anderen ſind von der böfen
Leidenschaft verblendet geweſen, Pila—
tus bat aus reiner Feigheit der
Volksmenge zulieb ein ungeredhtes
Urtheil geiprochen. Wer mit kaltem Her—
zen jo kann jündigen, der iſt gottver-
laffen ganz und gar. Aber jchaut, liebe
Kinder, feiner, und wäre er noch jo
tugendhaft, joll jich übernehmen. Pe—
trus war gewiſs einer der frömmiten
Jünger des Herrn, und was geſchieht?
Wie er am Dlberg nach der Gejchichte
mit dem Ohr, wegen der er ih arg
geihämt haben wird, dem gefangenen
Meiſter von weitem nachgeht, und
jeßt im Hof des Richters heimlich jo
herumfchleicht, ruft ihn auf einmal
eine Magd an: Was machſt denn
du da, fremder Menih? Gehörſt
vielleicht auch zu Ddiefem Verbrecher ,
Jeſus, den fie Freuzigen werden ?
Und Petrus antwortet in feiner
Angft vor dem Weibsbild: Was
füllt Euch ein ® Ach zu diefem Men»
Shen gehören ? Ich kenne ihn gar
nicht. Das Wort ift faum geſprochen,
jo kräht ein Hahn. Da füllt dem
Petrus das MWort des Meiſters ein:
Du wirft mich verleugnen, bevor am
nächſten Morgen der Hahn kräht! —
Den geliebteften Menſchen auf Erben
bat er verleugnet! Das ſchmerzt den
Mann jo tief, daſs er hinausgeht auf
die Gaſſe und anbebt, bitterlih zu
weinen. Boll tiefer Reue ift er ge—
wejen, hat aber nicht den Muth gehabt,
noch einmal hineinzugehen und fich zu be—
fennen. — Seht, meine Kinder, jo
ſchwach find jelbft die Jünger ges
wejen, bevor, als fie ihren Meiiter
haben fterben ſehen. Erjt fein Tod
hat fie aufgewedt und erlöst von den
jfündigen Banden, Und wie joldes
zjugieng, das wollen wir das nächſte—
mal hören,”
Kaum der Katechet jo geſprochen
hatte, entitand ein Aufruhr unter den
Kindern, und er mujste auch nod
den Reſt der Stunde der heiligen Ge—
ſchichte weihen. Alfo fuhr er fort:
„Das Kreuz ift ſchon gezimmert
gewejen, ein großes, Hohes Kreuz.
Und ſolches Haben fie nun dem lieben
Jeſus auf die Achjel gehoben, dafs er es
jelber jollte hinausſchleppen vor das
Stadtthor auf den Felshügel, wo
die Miljethäter Hingerichtet wurden.
Geduldig hat er das Kreuz gehalten,
aber dreimal ift er unter der ſchweren
Laft zu Boden gefallen und in diefem
Jammer ift ihm feine Mutter Maria
begegnet. Ihren gefangenen Sohn
wollt’ jie ſuchen und Fo bat fie ihn
wieder gefunden. Einen einzigen
traurigen Blid wendet er nad ihr
und Sagt: Mujst nicht weinen,
Mutter, der himmliſche Vater will
es 1: NER
Meiter fonnte der Priefter nicht
ſprechen. Denn mehrere finder Huben
an zu Schluchzen und ihm felber wollte
die Stimme verfagen. Nah einer
Meile fprah er: „Man mufs auch in
Beratung jeines Leidens und Ster—
bens tapfer jein, Kinder, Ich will
ganz kurz erzählen bis dahin, wo die
heilige Ofterfreude anhebt, damit ihr
im fühen Frieden nachhaufe gehen | det Jefus das mit Dornen gefrönte
könnt. — Ein weltfremder Menfch | Haupt und, felber in Schmerzen ver-
hat ihmendlich das Kreuz müſſen tragen | gehend, jagt er: Sei getröftet, reu—
helfen. Wie fie Hinaustommen an den | müthiger Menſch, Heute noch werden
Ort, der die Schädelftätte heißt, weil | wir zuſammen bei unferem Vater im
immer Todtenjchädel der Hingerichteten | Himmel fein! Die Bollsmenge be—
dort herumgelegen find, da haben ihm Tuftigt jih an feiner Bein und höhnt
die Henkersknechte gleich das Gewand [ihn laut; er folt! nur herab
vom Leibe gerifien. Das gehört nad) | fteigen vom Kreuz, ſchrien fie, er fei
altem Brauch den Henterstnechten, ja der Sohn Gottes. Jeſus blidt
aber weil ihrer ja mehrere find und empor und jagt: Hab Erbarmen
fie den Rod nicht zerfchneiden wollen, | mit ihnen am Zage des Gerichte: ;
jo jpielen fie ihn aus. Diemeilen | fie willen nicht, wie fchleht es iſt,
noch die Mürfel follern auf dem Ge= was fie thun. Dann Schaut er nieder
ftein, hört man ſchon den Hammer zu feiner ohnmächtigen Mutter und
Hingen an den Nägeln. Der liebe
521
Jeſus liegt auf dem Kreuze aus
geftredt! die langen Nägel werben
geihlagen dur feine Hände und
jeine Füße. Ein tiefer Seufzer aus
feiner Bruft, eine Thräne im milden
Aug’ ....— Weint, Kinder, weint euch
nur aus. Diejes fein Gekreuzigt—
werden erlebt ihr heute, daſs es euch
ein Gedähtnis bleibe in allen Ge—
fahren und Leiden dieſes Lebens.“
Denn die Kinder weinten alle.
Nach einer Zeit fuhr der Prieſter
fort: „Mit Stangen und Striden
haben fie es hernach aufgerichtet, das
hohe Kreuz, und in eine Steinkluft
geitellt, dajs es iſt dageltanden wie
ein Baum. Und daran hängt eine
Menfchengeftalt, ſchön und noch jo
jung, und von den Nägelwunden der
Hände und Füße rinnt das Blut
herab. Die Seinigen haben die Furcht
überwunden, find berbeigelommen,
tehen herum unter dem Kreuze, find |
ſprachlos vor Schred und Schmerz und
die Henfersfnechte Halten Wacht. Zur
Zeit find auch zwei Übelthäter ge=
freuzigt worden auf der Schädelftätte,
und jo hängt der bejte, der heiligite
aller Menjchenjöhne zwijchen Mördern,
wovon ihm der eine zur Linken höhnt:
Wenn du don Gott bift, jo Hilf uns
jet vom Marterholj! Der zur
Rechten ift demüthiger und fagt:
Wenn du zu Gott fommit, jo er:
barme dich meiner! Zu diejem wen—
ruft den Jünger Johannes: Führe
fie weit vom Kreuze hintan, tröjte,
füge fie wie ein Sohn die Mutter!
Sein Leib bebt, im heißen Todes—
fampf ift fein Gaumen troden. Dur—
fig! Durftig! ſtöhnt er. Ein Kriegs—
net will ihn laben, taucht einen
Schwamm in Eſſig und langt ihn
durch eine Stange Hinauf. Jeſus
wendet fein todtenblaſſes Angeſicht,
jein bredendes Auge zum Himmel,
‚und im Ubermaße der Bein ruft er
mit lauter Stimme: O mein Gott,
warum haft du mich verlaffen?! —
Wie er dieſe herzzerreigende Klage
dat ausgeſtoßen, geht ein Zuden
durch feinen Leib, mit ſchwerem
Seufzer ftöhnt er noch: Es iſt
vollbracht ! fein Haupt ſinkt
auf die Bruſt“ .... Nach einer Weile
ſetzte der Katechet leife bei: „Und
ſo ift unſer Heiland Jeſus Ghriftus
geſtorben.“
Die Kinder waren ſo athemlos
‚fill, dafs man meinte, man müſſe
die Fittiche des Engel® hören, der
‚durch das Zimmer jchwebte.
„Liebe Kinder“, ſagte der Geiſt—
‚lie, „wenn für eud einmal die
Stunde des Sterbens kommt, dann
Hammert euer angitvolles Herz an
‚den Gekreuzigten. Wenn ihr in treuer
‚ Pflichterfüllung, in Geduld und Opfer—
willigfeit, in Wahrhaftigkeit und
Gerechtigkeit feine Lehre befolgt habt,
‚dann braucht ihr das Sterben nicht
>
zu fürdten. Denn voller Glüdjeligfeit
fann ih euch verlünden: Es gibt
feinen Tod. Alle Entichlafenen ftehen
wieder auf zum ewigen Leben. —
Dafür bürgt uns dag, was ih noch
zu erzählen habe.“
Die Kinder ſchauten mit gerötheten
Wangen, mit leuchtenden Augen voller
Spannung auf zum Briefter. Diefer
fuhr fort:
„Als Jefus am Kreuz verſchieden
war, da iſt es auf einmal dunkel
geworden über dem Erdkreis. Alle
Zweige am Olberge haben gezittert,
alle Blumen im Garten Gethſemani
haben ihr Haupt geſenkt; der Bad
Kedron Hat nicht mehr geraufcht, ift
ftehen geblieben wie ein Ziümpel.
Kein Vogel Hat gefungen und am
Dimmel find trübe Sterne gejtanden
mitten im Tage. — Da jind die Leute
blaf3 geworden und einer hat zum
anderen gejagt: Was bedeutet das?
Am Ende ift er, den fie gefrenzigt
haben, wirklih der Gottesjohn ge—
wejen! — Jetzt hebt es an zu rollen,
zu donnern unter der Erde, frachend
ipalten jih auf der Schädelltätte die
Felſen und aus den Klüften fteigen
langjam und im weißen Gemwändern
2
—J
2
-
Herren Jeſus geiehen. Schön und in
der Jugendblüte, aber die Wund—
male an Händen und Füßen, jo ſei
er ernftfreundlich unter den Palmen
gewandelt. — Obzwar alle Weis
jagungen verkündet, er werde wieder
auferſtehen, wollten fie es doch nicht
glauben. Da, eines Abends, als jie
beiſammen ſind und in Trauer und
Sehnſucht von ihm ſprachen, ſteht er
ganz plötzlich unter ihnen und ſagt
voller Liebe: Erſchrecket nicht. Ich
bin es. Ich bringe euch den Frieden,
den die Welt nicht hat. Geht hinaus
in die Länder der Erde und ver—
fündet allen Bölfern meine Lehre
und meine Verheißung. — Mein Leib
geht nun zum Himmlischen Bater,
mein Geift bleibt bei euch bis ans
Ende der Welt.
Alfo ift es gefchehen. Und Die
Jünger des Herrn haben aller Orten
jeine Lehre verkündet. Und denen,
die fie in Demuth und mit Fleiß bes
folgen, ift die Auferſtehung von den
Todten und im Himmel das ewige
Leben verheißen.“ — — — —
— Aufden Thurme zu St. Johann
ſchlug die dritte Stunde. Der Katechet
erhob Sich, betete mit den Kindern
die Leiber längit begrabener Men- langſam und feierlich das Vaterunſer
ihen. — Raſend vor Schred laufen | und dann jagte er: „Nun nehmet
die Leute durcheinander und föhnen: | euer Übergewand und geht ruhig nad
Die Zodten ftehen auf. Er ift es hauſe. In der nächſten Stunde
gewejen! — Gegen abend, als e3 | werden wir das Dauptftüd von der
wieder geworden war auf Erden, wie | chriftlichen Gerechtigleit vornehmen aus
es jeden Tag geweſen, ift es den Jüngern | dem Katechismus.“
Jeſu erlaubt worden, den Leichnam Die Schullinder giengen in Grup—
von Kreuze herabzunehmen und ihn pen davon, theils beſprachen fie noch das
zu begraben. Sie legten ihn im ein Gehörte und im Evangeliumbud, das
Felſengrab, wo bisher noch fein Leich— ' lie in der Schultafche Hatten, wollten
nam gelegen war, wälzten einen ſie noch einmal nachleſen darüber, was
Ihweren Stein davor und als die ihnen erzählt worden war. Etliche
Kriegsinechte famen, um das Grab Jungen Huben freilih an luſtig zu
zu bewachen, giengen die Jünger in hüpfen — wozu denn ernthaft fein,
ihre Häufer heim und waren unaus- da doch alles jo gut ausgegangen ift!
ſprechlich betrübt. — Und jetzt höret
weiter, Kinder. Als nad diefem Er—
eigniſſe die Sonne zweimal unters
und aufgegangen war, braten zwei
Jünger die Botjchaft, fie hätten den
Nur das Heine Mädchen aus der
Hinterbant, die Agnes Nainegger,
gieng, forgfältig in ihr großes Umhäng-
tuch gewidelt, ganz allein und in lich
veriunfen, hinterher, Am Wege fanerte
age >
Hrn
5 *
»
im Schnee ein armes Weib mit einem |
Dad |
in Lumpen gewidelten Kinde.
Mädchen löste raſch fein wollenes Um—
hängtuch vom Leibe, lief Hin, warf
e3 dem armen Weibe zu und eilte
ftillvergnügt nachhauſe.
„Agnes! Wo Haft du denn heute
dein Zuch gelaffen ?* ruft ihr die
Mutter entgegen.
„Das Habe ich dem lieben Jeſus
geſchenkt; antwortet die Kleine nicht
ohne Befangenheit.
„Was find das für Gefchichten ?"
„sa“, jagte das Mädchen leiſe,
Eine Abhandlung über
„der Fetzen-Threſel habe ich's gegeben,
Meil halt der liebe Jeſus gejagt hat:
Was ihr den Armen gebt, das gebt ihr
mir. Die Mutter nahm ihr Töchter»
fein und füjste es vor Freuden. —
AS zu Ende des Schuljahres die
Religionsprüfung war, fragte der
Dehant unferen Satecheten, wie er
den Unterricht vertheile ?
„De eine Stunde in der Woche
Katechismus und je eine Evangelium.“
Der Dechant jchüttelte ein wenig
da3 Haupt, ſagte aber nichts
weiter,
die Zortfhritte unferes
Sahrhunderts.
2
Hs der junge, gejcheite, fleißige
"sagund idealiftiiche Student Peter
7, Oberleitner fich in die Hochſchule
aufnehmen ließ, im die philofophijche |
Facultät, Hatte ex folgende Aufgabe
erhalten: „Es ift eine Abhandlung zu
jchreiben über die Fortjchritte unſeres
Jahrhundert3 und deren Wirkungen
auf die menschliche Cultur.“
Der Student gieng tapfer ans
Werk, er jchaffte daran mit gewohnten
Fleiße mehrere Tage, indem er ein-
Ihlägige Schriften auffehlug, deren
Inhalt mit großem Gejchid verarbeitete
und dann nad eigenem gründliche
Denten die Folgerungen daraus zog,
ji dabei weniger an die Realität des
Lebens haltend, als vielmehr an die
Folgerihtigkeit der Ideen, wie folche
in feinen bisherigen Studien geübt
worden tar.
Die Arbeit wurde demnach auch
ganz ausgezeichnet, der Verfaſſer ſollte
fie im Collegium vorlefen und der
Profeſſor ftellte denjelben ſchon im vor—
hinein den Abdrud im „Jahresbericht“
in Ausficht, falls fie dafür tauge.
Die Abhandlung lautete aljo:
„Die Yortichritte der Menjchheit
in dieſem neunzehnten Jahrhunderte
jind fo enorm groß, daſs man die
Fortichritte der früheren Jahrhunderte
damit kaum vergleihen kann. Früher
hat ein Jahrtaufend nicht jo viel ge-
‚leitet, als dieſes Jahrhundert voll—
brachte; eine einzige der modernen
Erfindungen oder Entdeckungen wäre
ſtark genug, um einem ganzen Jahre
Hundert die Signatur aufzudrüden.
Ih will von den Erfolgen der Technik
gar nicht Sprechen ; dieſelben jprechen
für fi. Innerhalb weniger Tage machen
wir heute große Reifen, zu denen man
früher monatelang gebraucht hat; in
‚wenigen Minuten fliegt unfere Nach—
richt, unfere Anordnung um den ganzen
Erdball, wir erſparen aljo jehr viel
' Zeit und können die erfparte Zeit zur
‚Ruhe, Beichaulichleit oder irgend einem
Seelengenufje anwenden. Und wenn id)
die großen Humanitären Erfindungen
der gewaltigen Zerſtörungsmaſchinen,
‚des rauchlojen Pulvers, des Donamits
‚u. ſ. w. erwähne, jo jeht ihr alle
Zu. |
524
den ewigen Völkerfrieden ſchon gelichert. Jund wir find jeuchenfrei, ja damit
— Und die Induſtrie der Neuzeit,
welch erziehliche Rolle Hat fie über-
nonmen! die Induftrie Hat neue Bes
dürfniffe gefchaffen, und je mehr Bes
dürfniffe ein Menſch hat, deſto mehr
Cultur Hat er, deſto vollkommener iſt
er. Der Wilde braucht eine Hütte
und ein Fell und begnügt ſich mit
roher Nahrung; je mehr er braucht,
deſto mehr iſt er Menſch. Ein Menſch,
der Waſſer trinkt, ſteht in der Cultur
niedriger, als einer der Champagner
trinkt. Ein Menſch, der auf der Holz—
bank ſchläft, iſt unvollkommener, als
einer, der auf Seidenbetten ruht. Mit
den Bedürfniſſen ſteigert ſich die Ar—
beitskraft und wer mehr braucht, als
er erwerben kann, der macht Schulden,
ſteht alſo auf der Stufe hoher menſch—
licher Vollendung. Schmach dem Mittel:
alter mit jeinem Schuldenarreit! Der
lihten Neuzeit war es vorbehalten,
ſolch ſchändliche Inſtitute zu zer—
trümmern!
Welch wunderbare Entdeckung hat
in der Aſtronomie, in der Aſtrophyſik
die Spectral-Analyſe gemacht! Wir
kennen nun die Körper und Stoffe
der Geftirne und es wird gewiſs in
fürzefter Zeit dazulommen, diefe Stoffe
auch praktiſch auszunützen. In der
phyſikaliſchen Wiſſenſchaft iſt die Ent—
deckung des großen Princips von der
Erhaltung oder Unſterblichkeit der
Kraft gemacht worden, alſo dafs ſozu—
jagen der Tod überwunden ift und mit
einiger Vervollkommnung und prak—
tiſcher Ausnützung der Willenfchaft die
irdischen Weſen ewig leben werden. Und
ſollte in nächiter Zeit ſchon diefe berech—
tigte Hoffnung nicht in Erfüllung gehen,
fo hat die Medicin wenigftens die Krank—
heiten und Krankheitsſtoffe kennen ge—
lernt, an denen wir ſterben müſſen. Durch
Abklopfen und Abhorchen der Bruſt
faſt aller Krankheiten los und ledig.
Die neuen Forſchungen der Geo—
logie haben uns z. B. mit den Ur—
ſachen der Erdbeben bekannt gemacht,
ſo daſs wir in der Lage ſind, die ver—
heerenden, ſo unermeſsliches Unheil
bringenden Erdbeben zu vermeiden,
wenn wir die Urſachen, die in den
Geſtirnen, in der Ebbe und Flut
oder auch im Erdinnern liegen, auf—
heben. Die Anatomie hat durch die
Begründung der Zellenlehre die innere
Einheit der geſammten Lebewelt nach—
gewieſen, dadurch auch die Urzeugung
ſichergeſtellt; wir kennen alſo den
ganzen Proceſs von Anfang an ganz
genau und ſind gewiſs in wenigen
Jahren vermittelft der Chemie in der
angenehmen Lage, beliebige Lebewejen
jelbft zu erzeugen und durch rationelle
ſtunſtzüchtung raſch zu entwideln, To
daj3 wir nicht erft warten müſſen,
ob etwas und was auf dem lang=
weiligen Wege, der bisher beliebt war,
wachſen oder nicht wachſen will.
Den unleugbar größten Fortichritt
jehen wir in der Biologie, in der
Entdedung des Gefeges der Vererbung.
Mit dem albernen Sittengejeße iſt's
num vorbei; das Mejen ift, wie es
jein muſs, der Menſch it, wie er
jeinen VBorbedingungen nad fein muſs,
er fann nicht anders fein, als wie die
unzähligen Zufälle der Borzeit ihn
vorbereitet, gemacht haben, er hat feinen
freien Willen, kann alfo auch nicht
verantwortlich fein für feine Thaten,
und die gefündefte Bethätigung feines
Lebens ift, wenn er nur auf feinen
perfönlihen Vortheil fieht und alles
was ihm in feinen Kampf ums Da—
jein etwa binderlich fein könnte, kurz—
weg vernichtet. Durch dieſe Entdedung
ift das Menſchengeſchlecht vorurtheils—
los geworden und damit — ich brauche
zum Beifpiele fann man die ichönfte | es wohl faum zu betonen — der
Lungenſucht unwiderleglich feitftellen, | größte Sieg des menschlichen Geiftes
und den Wert der Bacillen für die errungen. Dajs wir die Schöpfung,
Medicin zu beweifen, braucht es wohl die Gottvorftellung, das Jenſeits in
feiner Worte mehr. Tödtet die Bacillen, das Reich der Phantafie und Sage
werfen fönnen, welch gewaltige Er>
rungenjchaft des menschlichen Geiſtes!
— Und nod) mehr: es gibt gar feinen.
menschlichen Geift, e8 gibt nur Nerven, '
e3 gibt nur eine Thätigfeit der Or—
gane, der Beſtandtheile, jo wie beim,
Thiere, jo wie bei der Majchine. Der
Menſch ift eine durch fich aneinander: |
reihende Zellen und Keimbläschen ge-
wachlene Mafchine, und er nimmt in
dem Zeitalter der Majchinen den eriten |
Pla: Nr. 1, ein. Weld ein erhe—
bendes Gefühl, das unſere armen, |
unglüdlihen Vorfahren nicht gefannt
haben! Darum ein Hoch dem Yort- |
Ichritte des Jahrhunderts, ein Ho
den Erfindungen und Entdedungen,
ein Hoch der Wiſſenſchaft!“
Der Student Peter Oberleitner |
‘hatte gelejen,
Nun wendete fich der
Profeſſor etwas unfiher zu ihm und
fragte: „Das ift Ihre Arbeit?“
„Jawohl!“ antwortete der Student
im ftolzen Bewujstjein der Leiftung.
, „Schön*, jagte der Profeſſor.
„Übrigens, im Jahresbericht wird
Ihre Abhandlung einftweilen nicht er—
iheinen. Die Seguungen des Fort—
Ichrittes find zwar fehr groß, aber
es iſt doch beffer, wenn nicht jeder
drum weiß. — Ihnen, lieber Herr
Oberleitner, nur eine Heine Frage:
Glauben Sie das alles, was Sie
bier zuſammengeſchrieben haben?“
„Jawohl, Herr Profeſſor!“
„Warum ſind Sie mit Ihrem
gläubigen Gemüthe nicht gleich beim
alten Glauben geblieben?“ H. M.
Die Cigarre.
Bon Zriedrid Hofmann,
SA
[7
er Jean Paul noch nicht ver⸗
AR geſſen Hat, kennt jeine ſchöne
Erzählung: „Die unſichtbare
Loge.“ Guſtav, der Sohn des Ritt-
meiſters von Falkenberg, wird in einer
unterirdiſchen Loge des Schloſsgartens
ſeines Vaters das erſte Jahrzehnt
‚hat,
borgen bleiben.
' geordneten Zwede zuführte, nicht lejen
fonnte, oder ob er das Gejchriebene
für das Gefajel eines Thoren gehalten
das wird uns immer ver=
Ich Halte die Auffchreibungen
Guſtavs aber für mittheilenswert, jo
jeines Lebens erzogen. Hierauf brachte | jonderbar feine Gedanken auch einem
man ihn an die Oberfläche diefer von der fortgefchrittenen Civiliſation
Erde, die ihm nun wie der Himmel | unferes Jahrhunderts erfüllten Men—
erfchienen wäre, wenn fie nicht anftatt | fchen vortommen mögen oder müſſen
der Engel Menjchen zu Bewohnern | und biete hier, was ich habe ent—
gehabt hätte. Guftav Hatte über diefe | ziffern können. „am
Bewohner und ihre Sitten feine eige- ich nicht dazu, die Menjchen, die
nen Gedanken, die er einem geheim— dieſe Erde bewohnen, zu betrachten.
geführten Tagebuche anvertraute. — Mein Auge war geblendet vom Glanz
Auf dem Fetzenmarkte erſtand ich des Himmels und ſeiner Wolken, vom
vor längerer Zeit ein altes, unſchein— Glutdall der Sonne, und mußste ſich
bar eingebundenes Buch, deſſen Decel erſt an dieſe Helle gewöhnen. Heute
auf den inneren Seiten mit Blättern aber zogen auch die Menſchen meine
jenes merkwürdigen Tagebuches beflebt Aufmerkſamkeit auf ſich. Aber wenn
waren. Ob nun der Buchbinder, der ich die Wahrheit jagen joll, fie ge—
ſolche wichtige Blätter einem fo unter= ‚fallen mir nicht und jcheinen zu
rt
ID
diefer Naturpracht, die mid rings
umgibt — nicht recht in Darmonie
zu ftehen, weniger jedenfalls als alle
Thiere, die mich jo Hoch ergüßen.
An meinem früheren Aufenthalt
zeigte man mir Bilder don Griechen
und Germanen, mit weldyen wir ber=
wandt fein follen. Das waren edle,
träftige Geftalten, der Leib von fal-
tigen Gewändern oder Fellen verhüllt,
Arme und Beine waren nadt und
froßten von Kraft. Sie kommen
mir wie Götter vor, gegen diejenigen,
die ich bis jeßt geiehen Habe. Dieje
haben Arme und Beine in Ofenröhren
iteden und der Leib ift mit mehreren
Schichten von fteifen Kleidern bededt,
jo ähnlich wie die Zwiebel von ihren
Schalen. Einer von ihnen hatte einen
fingerlangen dunklen Gegenftand im
Mund und jaugte daran, wie die
Heinen Kinder, die ich fah, an einem
Zußel. Bon Zeit zu Zeit fpie diefer
Mann Rauch aus dem Munde. So
jehr mich das entjegte, will ich den
Mann doch fragen, warum er es thut,
wenn ich ihm wieder begegne.
3. Mai. Heute begegnete ich bei
Ihönem Wetter vielen Menfchen im
Stadtgarten. Aber faft alle hatten
jenen brennenden Zußel im Munde
und thaten fo, als ob fih das von
jelbft verftehe.
4. Mai. Sie nennen es „Raus
hen“ und den Zußel mit einem
Fremdnamen „Gigarre*. Der
Dampf, den fie in die Luft ausftoßen,
jcheint aber fein gewöhnlicher Rauch
zu jein; er riecht abjheulih und
wirft, in der Nähe eingeathmet, be=
ängftigend. Er übertäubt den köſt—
lihen Geruch der Blumenwiefe. Mit
dem gewöhnlichen Rauch hat er das
gemein, daſs er auch in die Augen
beit.
5. Mai. Ich ſetzte mich Heute zu
einem würdig ausjehenden älteren
Heren auf die Bank und fragte ihn,
warum er rauche ? Er jah mich lange
Zeit groß und erftaunt an und
wujste feine Antwort. Endlich fagte
£}
er, wie mir jchien, etwas verlegen:
„Weil die anderen rauden.“
Das ift gewifs fein Grund, denn
er würde nicht ins Waller Ipringen,
wenn ein anderer e3 thun würde.
6. Mai. Heute habe ih ſchon
mehr Gründe gehört,” warum die
Menſchen ſich dieſer Sitte ergeben
haben.
Der eine fagte, er fchlafe beijer,
wenn er raude; ein zweiter aber
behauptete, er vertreibe fih den Schlaf
damit. — Ein dritter fjagte, es er—
rege ihm Ejsluft, wogegen ein vierter
aber Einſprache erhob und erklärte,
das Rauchen füttige ihn und ver—
treibe ihm den Hunger, jo dafs er weni«
ger zu eſſen nöthig habe. -— Ein Fünfter
gab an, es made ihn durftig und
das Bier Shmede ihm dazu befler,
was wieder ein ſechſter beftritt,
der behauptete, daS Rauchen erſetze
ihm das Getränk. Ein fiebenter
verſicherte, er arbeite beſſer dabei,
während ein achter höhniſch bemerkte,
es vertreibe ihm das Rauchen die
Langmweile, da er nicht nöthig habe
zu arbeiten. Ein neunter war unans
ftändig genug, von feinem Unterleib
zu reden und fagte, er leide an Ver:
ftopfung, da3 Rauchen fei ein gutes
Mittel dagegen. Der zehnte fchüttelte
ungläubig den Kopf und gab an, er
rauche gerade aus der gegentheiligen
Urfade.
So hatten fie alle Gründe genug,
aber alle widerfprehen einander.
Logik ſcheinen diefe Menjchen
nicht viel zu haben.
7. Mai. Ein Gelehrter, der Ges
fallen an mir gefunden bat, belehrte
mich heute, dafs die Menfchen alle
ihre Pflichten beſſer erfüllen können,
feit fie rauen. Dem Dichter flöflen
die Verſe beifer, ebenfo gehe dem
Maler feine Arbeit befjer vonftatten.
Der Advocat ſchreibe beflere Streit-
Ichriften, der Prediger erfinde fräftigere
Reden; allen fielen befjere Gedanten
ein, während ſie rauchen.
Dem fonnte ih innerlich nicht
beipflichten. Ich weiß, daſs Afchylos! raudhig.
und Eopholles bei den alten Grie-
hen, Wolfram von Eſchenbach und
Hans Sachs bei uns ſehr
Schönes gedidtet Haben, ohme vom
Rauch nur etwas zu willen. Rafael
und Albrecht Dürer Haben ihre un—
fterblichen Werte gemalt, Luther hat
mächtig gepredigt und eine neue Zeit
angebahnt, es geihahen große Thaten,
die uns immer zum Vorbild dienen
werden, ohne dajs man diejes Rauch
fraut gelannt hätte.
Wahrheit liegt aljo gewiſs nicht
in dem, was der Gelehrte jagte.
11. Mai. Ich empfieng heute den
Bejuch eines Vetter! von mir, der,
obgleich er nur wenig älter ift als ich,
doch ſchon raucht. Er lieg zwar feine
Gigarre draußen am Borplaß, aber
jeine Stleider rohen abjcheulich, eine
Dunftwolte umgab ihn unfichtbar, und
als er dom mir gieng und mir einen
Abſchiedskuſs geben wollte, fuhr ich
wider Willen zurüd, denn feinem
Munde entjtrömte ein unerträglich
übelriehender Athem. Ah mufste,
als er fort war, die Fenſter öffnen
und friſche Luft hereinlaſſen.
Kann das für fein gelten, was
jo übel riecht und ſchmeckt?
12. Mai. Die einzigen gottähn—
lihen Weſen auf diefer Erde find
die Frauen. Sie rauden nicht. Was
müflen fie aber leiden, da fie auf
den Umgang, ja fogar auf die Küſſe
diefer übelriehenden Männerwelt ans
gewiejen find. Und bat je einer, der
jeiner Geliebten verfprochen Hat, ihr
alles, fein Leben, fein Blut u. ſ. w.
zu opfern, ihr zuliebe aud nur die
Gigarre fih abgewöhnt? Ich glaube
nicht.
13. Mai. Das Rauchen macht die
Männer auch ungereht. Ich fuhr Heute
im Poftwagen nah D. und ſaß in
der Heinen Zelle, die für „Nichte
raucher“ beftimmt ift. Unterwegs jtieg
ein freundlicher Herr zu mir herein,
grüßte ſehr höflich und fagte: im
großen Coupe fei es ihm doch zu
Wenn ih es geitatte, fo
wolle er hier eine kleine Gigarre
rauchen, Ruhig antwortete ich, dafs
viel’ ich den Rauch verabjcheue und deshalb
ihn bäte, es bier nicht zu thun, wor—
auf er plötzlich eruſt wurde und fait
grob etwas von „Ziererei“ und
„Intoleranz“ brummmte. Die Eigarre,
die er bereits im Munde hatte,
brannte er aber nicht an und rauchte
jo „kalt“. Mich ſah er gar nicht
mehr an.
(Anm. Man Sieht, dafs Guſtav
die Noth eines Nichtraucher in uns
jeren Eifenbahnzügen nicht kennen—
gelernt hat.)
15. Mai. Mein gelehrter Be—
fannter, dem meine Zweifel an dem
Nugen des Rauchens offenbar zu
denfen gaben, ſagte mir Heute, ich
hätte feine Borftellung von dem gro»
Ben Segen diefer Gewohnheit für
Land und Volk. Taufende von Jochen
des beiten Bodens feien mit der
Tabakspflanze bebaut, vielhunderts
taufend Hände mit der Anfertigung
und dem Berfaufe der Gigarre be=
Ihäftigt und der Staat nehme die
ungeheuere Sunme von über adhtzig
Millionen Gulden jährlich als Gewinn
der Fabrication ein.
Auf meine bejcheidene Frage, ob
man denn nicht diefe große Fläche
beiten Ackerbodens zum Anbau von
Brotgetreide und anderen unentbehr-
lihen Lebensmitteln, an welchen die
Menjchen doch keinen Überflufs Hätten,
verwenden könnte, ob die Hervor—
bringung folder nicht ebenjoviele
Hände bejchäftigen würde, befam ich
feine Antwort. — Zuhauſe fonnte
ih lange wicht fchlafen; ich mujste
immer an die ungeheuere Summe
denken, die in Rauch aufgeht. Könnte
man nicht, dachte ich, alle Noth der
Zeit lindern, wenn man diefes Geld
auf einem Haufen hätte? Und die
Erkenntnis einer tiefen Verſchuldung
aller, die jo viel Geld in die Luft
blafen, wovon niemand Gewinn hat,
während um uns herum jo viel
Mangel an dem Allernöthigiten ift,
fiel mir ſchwer auf das Gemiljen.
Da verraucht oft ein einziger mehrere
hundert Gulden alljährlih; und da—
neben geht ein Genie zugrunde, das
die Welt beglüdt hätte, aus weiter
feinem Grunde, als aus Mangel
an Brot.
20. Mai. Ih Leibe fein Buch
mehr an einen Raucher. ch erhielt
ein ſolches zurüd, das von Tabak
wie gebeizt riecht, und troß allen
Auslüftens will der Geftant nicht
weichen.
21. Mai. Ein Arzt, der zwar
auch raucht, aber nur, wie er jagt,
des Abends in Gefellichaft, um es
dabei aushalten zu können, fagte
mir: Die Schäden diefer Gewohnheit
für die Gefundheit jeien größer, als
die Leute ahnen. Der Tabak enthalte
ein Icharfes Gift, das, auch in klein—
ten Dofen eingeimpft, Thieren den
Tod bringe Ein Theil des Giftes
miſche fich dem Speichel des Rauchen—
den bei und bewirfe eine langjame
Vergiftung. Es ftelle ſich beſchleu—
nigter Puls, Herzklopfen, Magen—
verderbnis und Nervenſchwäche ein.
Wer zum erſtenmale rauche, erkranke
unter allen Erſcheinungen einer Ver—
giftung. Doch nach und nach werde
die Natur abgeſtumpft, das heißt, ſie
unterliege im Kampfe mit den fort—
gejekten Eingriffen. Das nenne man
dann „gewöhnt“.
24. Mai. Uber den Urfprung
diefer Unfitte unterrichtete mich ein
chriſtlicher Prieſter. Die Spanier
haben. wie er jagt, das Rauchen von
den Wilden bei der Entdedung Ame—
rikas Tennengelernt. Die Eingebore=
nen tauchten dort, um ſich läſtige
‚528
und gefährliche Fliegen zu vertreiben.
Zu uns nah Deutichland fei das
Rauchen im 3Ojährigen Krieg gekom—
men und babe fich als das Vermächtnis
der unſeligen Zeit bei ung eingebürs
gert. Der Geiftliche ſagte auch, es
mache die ohnehin trägen Deutjchen
thatenunluftig und genügjam. Ein
Raucher fei, wenn feine Gigarre oder
Pfeife glühe, mit fi, mit Gott und
der ganzen Welt zufrieden, nnd das
jei eine niederträchtige Behaglichkeit,
die wirklichem, geiftigem Fortſchritt
abhold jei. Gott Liebe aber nur
den Raitlojen.
Unerfättlihe Genufsfucht der Mens
ſchen jei die Urfache der Verbreitung
des Rauchens über alle Länder. Efien
und trinten fönne der Menſch nicht im—
mer, dagegen wehre fi der Magen;
aber dem Rauchen fröhnen, das könne
er immer,
Mein geiftliher Belannter hat
hierüber viel nachgedacht und wird ein
Buch jchreiben, das er die „Rauch—
here“ betiteln will. *)
30. Mai. Ih Habe noch feinen
Mann getroffen, deſſen Bruder id)
hätte fein mögen, und wären nicht
die Frauen, jo würde ich mich wieder
nah meiner unterirdifchen Loge
jehnen.“ — — — —
Hiemit breden die Aufzeihnuns
gen unſeres Guſtav plößlid ab —
das Weitere iſt unbarmherzig weg:
gefhnitten. Hoffentlich Haben die
Frauen Guftav mit dem Menjchen-
geichlechte noch ausgejöhnt.
*) Dies ift inzwiſchen geſchehen. Die
„Rauchhere*, die Heiteres und Ernftes Über
Tabal und Eigarre enthält, iſt im Berlage
von H. Hartung & Sohn in Wubol-
ftadt i. Th. erfchienen,
Unfer modernes Gekenthum.
Von Auguf Kruhl.
2%
lſemal bin ich dabei! Ich bin für
e Sypas, was Aufklärung, was Eule
7 tur, was Fortſchritt, was irgend
ein Ideal hervorrufen oder fördern kann.
Ich bin für jede gefunde Kunftrichtung,
für modernen Geihmad, für Aſthetik
und für alles dasjenige, was mir
unter dem Namen „Geſellſchaftswiſſen—
ſchaft“ begreifen; ich bitte, mich ein—
zuladen zur Theilnahme an Vereinen
für werkthätige Liebe, für culturelle
und künſtleriſche Beitrebungen; ich
bitte, mich heranzuziehen zur Unter—
juhung von Problemen, die erjt in
fünfhundert, meinetwegen in taufend
Jahren reif zur Einführung ins Leben
fein werden; ich helfe die Lüneburger
Heide in einen engliichen Park, helfe
Lappland in einen Rofengarten um—
wandeln; ich helfe die Spiße des
Montblanc zu Sommerwohnungen ein=
richten und bin ferner bereit, mich
einer Actiengeſellſchaft anzufchliegen,
welche es fich zur Aufgabe macht, den
Mond zu unterfuchen, ob ich derjelbe
nicht möglicherweife zur Feriencolonien
eignen oder zu Bauftellen ausſchlachten
ließe, — — zu allem und jedem bin
ich bereit, nur eines: ſchafft mir diejes
moderne Geckenthum fort, das fich auch
an das Exrnftefte, an das Heiligjte und
Höchſte im Menfchenleben herandrängt,
um dasfelbe durch ſeine Gegenwart
zu proftituieren. Weg mit dieſem
Geckenthum, das ſich windbeutlig breit-
madht in Stadt und Land, in der
Kirche und in der Kneipe, im Luxus—
hotel jo gut wie im Armeleuteftübel, —
weg mit diefem Zappelmannsthum,
das ſich ſchon findet, wo fünf oder
ſechs faum der Schule entwachjene
Jungen einen Verein unter dem
Namen „Reunion“ ftiften, wie es,
Bofeager’s „„Geimgarten‘*, 7. Heft, XV,
”
nit Berlaub zu jagen, an den Büffets
der Reichs- und Landtage ich herum
drüdt, ftatt des Volkes wahre Rechte
zu vertreten — id wäre geneigt,
darüber die weitgehenditen Conceſſio—
nen zu machen.
Auch die Worte Phraſenthum,
Narrentgum, Hanswurſtthum oder
ähnliche würden es gethan haben; ich
hätte auch noch jpajshaftere und auch
Ihärfere auf Lager, laſſen wir's bei
dem Wort Gedenthum.,
In diefem Wort und im dieſem
Begriff liegt die ganze Selbitgefällig-
feit und Ichſucht des Menjchen
ausgeprägt. Im Verein mit der Groß:
jpurigfeit und Grofproßigfeit haben
wir dasjenige im einzelnen Mens
Ihen verförpet, mas zur An—
ftedung und Vergiftung der in einer
gewiſſen Natürlichkeit etwa noch ge=
jund gebliebenen Volfsclaffen mit bei=
trägt. Dundert und taufend Volks—
lehrer und Volksbildner vermögen
nicht gutzumachen, was zehn Phra—
jendrejcher des modernen Gedenthums
für Unheil anzurichten imſtande find,
umſomehr, als dieſes Phraſenthum
mehr und mehr Perſonen ergreift, die
ſich ſelbſt als die alleinigen Pächter
der Volksbildung aufſpielen.
Ich ſoll Namen nennen; ich ſoll
womöglich mit Fingern hinter be—
ſtimmte Perſonen und Geſellſchafts—
claſſen herzeigen, — — ich werde
mich ſchön hüten, in die Rolle eines
Phariſäers zu fallen, mit dem üblichen
„Andiebruſtſchlagen“ und „Herrherr—
ſagen“. Halten wir, einer wie der
andere, mit aller ſittlichen Kraft an
uns, daſs wir von dem allgemein
verderblichen Strom der Zeit nicht
mit erfajst werden und daſs wir
34
das don uns als wahr Erfannte auf
alten Lebengwegen für wahr Halten |
und vertheidigen. Halten wir nament—
lich dieſes zu einer Zeitkrantheit ges
wordene Gedenthum uns vom Leibe,
dafs wir micht von demfelben mit
durchjeucht werden.
Überall ift das Geckenthum ver-
treten, Kaum eine Biertelftunde darf |
über etwas Ernftes verhandelt werden,
wo nicht diefe Vertreter des modernen
Geckenthums ihre HLächerlichen und
faulen Wie reißen, — außer, e8 be-
trifft das Gefpräh die höchſteigene
Perſon, dann darf das Untergeord—
netſte, das Einfältigſte, das Abge—
ſchmackteſte verhandelt werden, es
kann nicht breit genug getreten wer—
den. Je ernfter, je würdiger ein
Ort, defto auffälliger und widerlicher
wird das Betragen eines ſolchen Ver—
treterd des modernen Gedenthums.
Im Rathhausfaal 3. B. wird in einer,
‚dernen Geckenthums die Dand
Ballſaal,
heit, dieſelbe Dünkelhaftigkeit wie im
‚Concert und im Theater. Ob es gilt,
läden, auf die Lindenfeite mit den
Promenierenden ; „wir kommen
zum Schluj3“ ſagt der Vorſitzende;
da hebt auch dieſe Species des mo—
zur
Abſtimmung, mechaniſch, bewußſst—
los, — Gottlob! es darf zum Früh—
ſtück gegangen werden. Alles andere
iſt Nebenſache.
Das Gebahren des modernen
Geckenthums bleibt ſich überall gleich.
Sm Gotteshaus bei einer kirchlichen
Geremonie ein bilschen ernſter die
Miene, Armbewegungen, Die
die
‚Schritte ein wenig anders wie im
ſonſt dieſelbe Gejpreizt-
Kunſt,
einzuheimſen,
Frömmigkeit und Stadtklatſch
immer wird dasſelbe
geckenhafte Weſen zur Schau getragen.
„Wir hatten heut Faſan“,
jagt die
Frau Zuderfiedereiinipectors » Gattin
Commiſſion über den Armen-Etat,
über Gefuche hilfsbedürftiger Perſonen
verhandelt. In grellen Farben Hat
der Bezirkscommiſſär das Elend einer
Anzahl von Familien gejchildert: in—
mitten des Laſters und des Schmupes
ift der Hunger zu finden; ekelhaäfte
Krankheiten wüthen an weltverlafjenen |
Stätten, — da werden feit geraumer
Zeit ſchon ein paar der Stadtväter |
jeher unruhig auf ihren Rathsftühlen, |
denn es ift eine Viertelſtunde über
die gewöhnliche Frühftüdszeit, — das |
heißt „gefrühftüdt”“ haben die Herren
Stadträtde ſchon, aber das Frühftüd
am Siammtiſch, das alltäglich ge—
wohnte in heiterer Geſellſchaft mit
den obligaten Stadtnenigleiten und
den Harlelinfpäßen, das fleht mod |
and, — — da werden die Beine
unter dem Rathstiſch unruhig, der
Rathsſtuhl wippt mit der ftadträth-
lihen Laſt hin und her: oben an der
Dede ſitzt zufällig eine Fliege, Hat
der Baumeifter hübſches Studwerf
angebradt, oder der Stuhl fteht nahe
dem Fenſter: welch prächtige Aussicht
auf den Marktbrunnen, auf die Schaus
Zeilig, ſobald fie von der Frau Ge—
heimen Kanzleirathsaſſiſtentens-Witwe
Buhrbank gehört, daſs dieſe zu Mit—
tag Haſenbraten gejpeist. Und dabei
ı gehen der Frau Zeifig Augen ſieges—
gewiſs im Kreis der Damen herum,
bis eine dritte einen weiteren Trumpf
in der Weiſe ausſpielt, daſs in
„ihrem“ Haushalt der Caviar direct
vom Ural bezogen würde.
Was Staatskunſt? was Politik?
Der wirklich erprobte Staatsmann
muſs erblaſſen, wenn ein Laffe des
modernen Geckenthums ſeine Weisheit
beim „Pilſener“ auskramt. Der aus—
gezeichnetſte Hiſtoriker und Literatur—
kenner muſs ſein Licht unter den
Scheffel ſtellen, falls ſolch ein Ver—
treler des modernen Gecken- und Lüm—
melthums „ſeine“ Zeitung zur Hand
nimmt und dieſe durchſtöbert nach
Heiratsanzeigen, Gummiartikeln, nach
Privathändeln, Meſſeraffairen u. ſ. w.
„Pſchorrbräu“ — „Spatenbräu“
„Acht Kitzinger“ — gewiſs! dahinein
werden die beſten Vorſätze, wird der
Arbeitstrieb, wird ideales Leben und
Streben verſenkt, und auferſtehen wird
vom Stammtisch — der ſich ſtets ſchneider, der Studiojus, der Schuiter-
gleich bleibende Vertreter des modernen | junge, die Näherin, — ganz gleich,
Gedenthums. jo gut wie der Dfonomies oder Com—
Überall find fie zu finden. Ich fagte, | miffionsrath, wie der Präfident, wie
auch im Armeleuteftübel. Auch die) die Vorſteherin eines Erziehungs—
Spitalbewohner willen ſich gegenfeitig | und Krankeninſtituts — alle haben
aufzuziehen, zu foppen, zu Haran= an der Dausjchwelle zum Fortgehen
guieren, zum Narren zu halten. Diefes | ihre capriciöfen Bewegungen zu machen,
gedenhafte Wejen verläjst den Men— | befleiigen fich erit der Zuſtutzung ihres
Ihen nicht, wenn eingelebt und an- Geſichts und ihrer Gliedmaßen und be=
gelebt, bis derjelbe hart an der Grube | zupfen immer noch einmal troß oft
herumgeht. Auch der Leichenftein hat jtundenlanger Toilette die Bändchen
öfter no Kunde zu geben von des und Schleifchen und fühlen nach der
Lebens Alfanzerei. Als ob der liebe | Uhrkette, ob die Baumel dafelbft auch
Gott fh um die vom Menfchen| in Ordnung fei; betrachten ſelbſt—
ausgehedten Thorheiten noch beküm- | gefällig immer noch einmal den Stock—
mern jollte! fuauf, die Ringe, die Handſchuhe,
Sie werden mehr und mehr die die Spiten und Manchetten, ſchämen
Macher der öffentlichen Meinung, dieje ſich aber in tiefiter Seele, daj3 fie —
Vertreter des modernen Geckenthums; zur, Arbeit zu geben haben!
fingen fromme Lieder, patriotifche Lie= Überall hat das moderne Geden-
der und reihen Zoten in einem Athen, | thum vom öffentlichen Leben Beſitz
immer wie es gefordert wird. Den| genommen. Diefe Schnaps=, Bierz,
größten Antheil wollen jie allezeit| Tabaks- und Vollsausdünftung in
haben an den Errungenjchaften des | den meiften der öffentlichen Locale it
Volfes und der Zeit; fie wiſſen kaum jo gefährlid, wie der fich da—
Früchte zu pflüden, wo fie nicht ge- jelbft zufammenziehende Qualın ekel—
jäet, willen den Schweih des Volkes hafter Borniertheit, der ſich in dem
ih nutzbar zu machen, den fie ſelbſt mehr und mehr die Mafjen ergreifen«
wenig zu vergießen haben, außer bei den Gedenthum ausgefprochen findet.
ihren Tafel» und Zechgelagen, und | Und dabei fprehen wir allgemein von
betrachten jo unferes Herrgotts Welt einer Corruption und einer Selbſt—
als eine ertra für fie Hingeftellte | überfhägung in den mur höheren
und im Stande gehaltene Vergnü⸗— Kreiſen! — Iſt das das Volks—
gungsanftalt. material zum Bau eines jchöneren
Zu allen Häufern ſehe ich fie | Zufunftsreihes? — Ich danke! — *)
herausfommen, die Vertreter des mo |
dernen Gedenthums, denn das Beifpiel . a
hat anftedend gewirkt. Der Confections— —— aıe bene, —
— — —— — — — — —— — —— — — —— —— — — —
Das Bodeln.
Eine Bollsbeluftigung aus den Alpen. Bon Ludwig v. Hörmann.
iR
std: oft bin ich ausgelacht wor—
rn, den und werde es noch, meil
ich in meinen „reiferen Nahe
ren“ noch dem edlen Sport des Ro—
delns Fröhne, ftatt im rauchigen Cafe
bei einer Tarokpartie die Sountags—
Nahmittage todtzufchlagen. Und doc
kann es nächſt dem Schlittichuhlaufen
fein geſunderes und ſchöneres Winter—
vergnugen geben, als entweder allein
auf einer Rodel (Knabenſchlitten) oder
mit mehreren auf einem Haändſchlitten,
von fiherer Hand geleitet, von einem
höher gelegenen Orte, 3. B. vom
Mittelgebirge Herabzufahren, bezie—
hungsweiſe ſich herabführen zu laffen.
Freilich gehört diefes Vergnügen, das
je nach der Landichaft rodeln, ſchlit—
tel, Schlittenreiten Heißt, in erſter
Linie der munteren Schuljugend an,
die nicht müde wird, mit ihren Hinz
gelnden „Rodeln“, wo es nur immer
gebt, von einer Anhöhe oder über ab—
ſchüſſige Straßen und Fußwege herab
zufahren, um dann zur MWieder-
holung des Vergnügens feuchend das
Velociped dußend- und dutzendmal
wieder hinaufziehen zu müſſen. Doc
nur bei uns in den Alpen iſt diejes
Vergnügen im großen und ganzen
auf die Jugend und bäuerlichen Kreiſe
beihräntt. In Norwegen und Schweden
fennt man das „Rodeln“ oder „Schlit—
teln“ längst auch als Vergnügen der Gro—
Ben wie der beiferen Stände. Beliebt
iſt es auch in Amerika, und wer
hätte nicht ſchon von den „Rutſcheis—
bergen” in Rufsland gehört, welche
hohe, abihülige Bahnen aus Holz—
gerititen eigens hergeitellt werden, um
dielen Sport der groben und „feinen“
Geſellſchaft zu ermöglichen ?
Und diejes Vergnügen, das mar
ih anderswo mit vielen Unkoſten
verichaffen mufs, können wir in den
Alpen unentgeltlich Haben, nebit der
Beigabe eines großen landjchaftlichen
Genuſſes. Fröhlichen Muthes fleigt
man noch bei behaglihen Sonnen—
ichein zu einem der Dörfer des Mit»
telgebirges hinauf, umſtellt von der
Pracht der Winterlandichaft, die in
der ganzen Großartigkeit ſich präfen=
tiert. Oben erfrifht man ſich mit
fräftigem Wein und wartet, bis das
Sonnengold, das ſich wie ein roth—
glühendes Band um die Bergfette
ſchlingt, allmählich verblajst und die
blaue Flut der Dämmerung nadhrüdt.
Dann leiht man ſich eine Rodel und
fährt allein oder im Gefellichaft auf
einem Handiclitten ins Thal. Dit
der Meg gut angefahren, jo braucht
das Gefährte kaum der Lenkung, denn
die eifenbejchlagenen Hufen halten ſich,
ohne auszufpringen, rutſchend im den
Geleifen. Das ſaust dann hinab, dafs
es eine hellichte Freude if. Noch
ihöner geftaltet fich die Fahrt, wenn
man diejelbe beim Mondjchein macht,
beſonders wenn der Weg dur einen
Tannenmwald leitet. Welch Licht»
gefunfel zwiihen den Bäumen,
welch gliternde Pracht blendender
Schneelager! Fürwahr, ein Winter:
nachtstraum mit all jeinem berüden-
den Zauber, nur fchade, daſs er jo
furz iſt, denn im 10 bis 15 Minuten
iſt die Thalfohle erreicht.
Das Rodeln ift jedenfalls ſehr
alt, wie ja felbjtverftändlih. Als die
„Urrodler* können, ſoweit fich die
Geichichte dieſes Sports verfolgen
läjst, ohne Frage die Gimbern anges
—533
ſehen werden, welche am Ende des
zweiten Jahrhunderts v. Chr. durch
die Engpäſſe der Alpen in Italien
einfielen und bekanntlich dem römi—
ſchen Feldherrn Catullus, der an der
Etſch aufgeſtellt war, viel zu ſchaffen
machten. Plutarch ſagt von ihnen in
der Biographie des Marius, Cap. 22:
„Letztere (nämlich die Cimbern) zeigten
ein ſolches Ubermaß von Hochmuth
und Keckheit gegen ihre Feinde, daſs
ſie, mehr um ihre Stärke und Beherzt—
heit zu zeigen, als um irgend etwas
Nothwendiges zu thun, nackt über
Gletſcher und tiefe Schneelager hinauf |
die höchſten Punkte erftiegen, droben
ihre breiten Schilde ſich unter den
Leib ſetzten, ſich dann losließen und
jo über die ſteilſten Anhöhen her—
unterfuhren.“ Iſt dies nicht die
reinſte Rodlerei? Die Cimbern
waren eben aus ihrer nordifchen |
Heimat das Rodeln gewohnt und|
machten fi einen Spais, vor den
im Lager verfchanzten Römern ihre!
Rodlerkunftftüde zu producieren. Der!
Eihnograph aber könnte vielleicht aus |
diefer Scheinbar ganz bedeutungstofen |
Stelle einen Schlufs auf die Beichafe |
fenheit der Schilde diejer germanis
Ichen Reden machen dürfen. Jeden:
falls waren fie nicht mit Leder über= |
zogen, wohl aber wahrſcheinlich mit
Eijenbleh. Dies führt uns auf die,
technische Seite des Nodelns und auf
die Schon oben angedeuteten Arten
diefes Vergnügens.
Fahrzeug des Rodlers ift die Rodel,
in alemanniichen Gebieten auch Reit—
fhlitten genannt, welches Debitel
in jeiner älteften und primitioften
Form, wie wir willen, aus zwei
durh die Unterkieferfnochen eines
Pferdes geftedten Hölzern befteht, auf
denen man rittlings ſitzt. Die jeßigen
Rodeln haben zwei paralleljtehende,
vorn abgerumdete und umten mit Eifen:
beichlagene Brettchen, die durch Quer—
hölzer oder ein Sitzbrett verbunden
find. Die niederen, oft zwei Drittel
Meter langen find die beiten, Unter: |
ſchieden davon find die ſogenannten
Böde. Diefe find Höher und haben
das Sikbrett durch „Spreizen“ mit
den Kufen verbunden; fie gleichen,
fönnte man jagen, Herrichaftsjchlitten
im Heinen. An der Seite find häufig
Hingende Wollen angebracht, um
ahnungsloſe Wanderer vor ihrem blitz—
ſchnellen Erjcheinen zu warnen und
ans Ausweichen zu erinnern. Es iſt
nicht unmöglich, daſs die Rodel von
dieſen Rollen ihren dunklen Namen
hat, denn Rodel bedeutet auch Kinder—
klapper. Gewöhnlich leitet man das Wort
vom Spätlateinifchen rotulus und rotula
(eartula convoluta) ab, was ich für un—
richtig halte. Im Spanischen bedeutet
rodela Rundjchild. Rodeln heißt über-
haupt herabgleiten, hinabrutichen, hin—
abrollen, *) man jagt 3. B.: der Stein
„rodelt herab“, und es dürfte wohl mit
dem mittelhochdeutfchen ruodern, ruo—
deln, rodeln — rudern zuſammenhän—
gen, da der Vorgang des Rodelus
damit wirklich Ahnlichkeit Hat.
Der Rodler ſitzt nämlich auf der
Rodel, die Beine entweder vorn ges
rade ausgeitredt oder jeitwärts über
die Nodel hängend, um nmöthigenfalls
mittelſt der Schuhabjäge den Schlit—
ten Ddirigieren zu können. Gewöhntich
aber hat man zum Lenten einen lan—
gen und ziemlich diden Steden
(Zremel), den man unter dem rech—
ten Arm gepreiät hält und hinten
nachſchleifen läjst und mittelft deſſen
man wie mit einem Steuerruder den
Schlitten lenkt, je nachdem man ihn
mehr rechts oder linf3 in den Boden
einfeßt. Auf beide Arten hat man
die Rodel in der Gewalt und ein
fleiner Drud mit Stod oder Schuh:
abjat genügt, um diejelbe jofort nad
rechts oder links zu wenden. Zum
Überfluf3 warnt noch der hinab—
jaujende NRodler die Leute am Wege
mit dem lauten Rufe:
*) In Steiermarf hat man thatiählicdh
für dieſes Echlittenfahren der Knaben und
Burihen das Wort „rollen”, auch „ſchan—
dern“, Die Ned. d. „Hg.“
534
„Aus der Buhn,
Mei Rodel hat Eijen un!“
Ein origineller Rodelbrauch beiteht
in der Schweiz, befonders in den
öftlihen Gantonen, jo im Engadin.
Da Haben die Burſchen bei ihren
MWettfahrten ganz niedere, lange, nur
aus zwei born ein wenig aufgeboge-
nen und mit Querhölzern verbundes
durcheinander. Bei Mondichein haben
jolhe Rodelpartien etwas ungemein
Romantifches.
Diefes Rodeln auf Reitjehlitten
it jowohl auf dem Lande, als in
Städten am beliebteften und auch
am meiften verbreitet. Selbft Bürger
älteren Schlages von Junsbruck konnte
man noch vor wenigen Jahren auf
den Kufen beftehende Schlitten. Auf einer NRodel vom füdlihen Mittel:
diejent liegt der Rodler bäuchlings,
den Kopf na vorn, auf die beiden
Ellenbogen aufgeftüßt, während die |den Fünfziger Jahren
Hände fih am oberften Querholz der
Kufen halten. Die Füße, die rück—
wärt3 über die Model hinausliegen,
dirigieren mit den Spiben der Schuhe,
die oft noch mit Eiſenhaken verfehen
find, den Schlitten. Das Lenten
des Schlittens muſs auf diefe Weije
äußerft leicht gehen, weniger bequem
dürfte die Lage des abwärts gerich—
teten Körpers erfcheinen. In Vorarl—
berg rodeln
Meife bei wenig fleiler Bahn; auf welche
gebirge herabfahren ſehen; ja noch
mehr, ein gar Hoher Herr, der in
unter dem
Jubel einer vieltaufendföpfigen Menge
in die „marianifche Stadt” einritt,
verihmähte es nicht, den prächtigen
Schlittweg vom Schloſs Amras herab
zu dieſem Vergnügen zu benüßen und
auf eleganter Rodel zum freudigen
Erſtaunen der meugierigen Amrajer
Sugend windſchnell herabzuſauſen.
Unten am Wege bei den mit Holz
eingeplankten Wehrſteinen ſtanden
die Buben auf dieſe rechts und links galonnierte Bediente,
beim jedesmaligen Vorbei—
einen Steilhang würde man Gefahr fahren des Hohen Herrn ehrerbietig
laufen, den Schädel einzurennen.
Diefes eigentliche Rodeln, näm—
fih auf Heinen Schlitten, ift, wie
eingangs bemerkt, die beliebtefte
MWinterunterhaltung nicht nur der
Kleinen, welche die Rodel ſogar beim
Hin= oder Herweg bon der oft weit
entfernten Schule benüßen, ſondern
auch der erwachſenen Burſchen und
Mädeln, die man nicht jelten zufammen
auf einem ſolchen Iuftigen Schnell:
jegler findet. Das ift natürlich dann
ein doppeltes Vergnügen, bejonders
in hellen Mondnächten. Born auf
der Rodel ſitzt das Mädel, dahinter
der Burſch. Während feine linfe Hand
an der Rodel ſich fügt, Hält die
rechte das Mädchen um die Mitte
feft. So faufen fie, zurüdgelehnt,
windſchuell über die glänzende Schnee=
bahn; Schlitten Hinter Schlitten, alle
einfah oder doppelt beladen, fährt
an ums vorbei. Jauchzen und Schreien,
dann wieder helles Gelächter, wenn
ein Baar umwirft, Hallt unabläflig
ihre Spanischen Dreimafter Tüpften.
Seit jener Zeit hat diefer edle Sport
bierlands zum Entjegen aller Zimper—
liden und Stubenhoder einen
neuen Aufſchwung genommen. Es
bildeten ſich eigene Rodlergefellfchaften,
welche die Kunſt des Rodelns pflegten,
regelmäßige Ausfahrten und Wette
fahrten machten und um die Palme
der Meifterihaft im Schnellrodeln
rangen. Der beite Rodler war weit:
aus, jo lange er noch lebte, der jo=
genannte Sprenger Danfele, der auf
jeiner Heinen Rodel wie angegofien
jap und, unbelümmert um Rünſte,
Bühel und Eisblafen, wie ein Vogel
pfeilſchnell dahinjchojs. Ihm zum
Andenfen hängt jein Bild im beit»
renommtierten Biller Wirtshaus, wo
die Rodler ihr Standquartier Haben
und wo auch noch gegenwärtig um
diefe Zeit in der mit Rodeln, Ems
blemen und Inschriften reich verzierten
oberen Stube der weitberühmte Rod—
lexball abgehalten wird.
= nee
Fir ® :
24
535
Die zweite Art des Rodelns iſt,
wie ſchon eingangs bemerkt, das
Herabfahren mit Handſchlitten. Es
ind Dies größere Schlittengeſtelle,
ähnlich denen, wie jie unjere Milche
mädeln zum Milchführen Haben, und
deren man zum Taxen- oder Stlein=
bolzrühren im jedem Bauernhofe an—
trifft. Diefe Art Schlitten werden
mit den Händen geſchoben oder gezogen.
Zu dem Zwede find die Hufen zu „Hör—
nern“ weit hinaufgebogen, wovon fie
auch Hornſchlitten heißen. Sind fie grö—
Ber, aljo Bergichlitten, ſo heißen fie
Granfer oder Granzger. Diefe haben
dann oft noch vorn an den Kufen eiferie
„Sperrtaßen“, die von dem zwiſchen
den Hörmern ſitzenden Lenker zum
Lenten und Einhalten des Schlitten
benüßt werden. Bei dieſem Fahren
mit Hand» und Hornjchlitten oder
Granſen betheiligen fish in der Regel
mehrere, die auf demfelben vertheilt
figen, während einer lenft. Iſt der
Schlitten ſtark belaftet und die Bahn
abihüjlig, jo erfordert die Lenkung
desjelben einen ftarken und im diejer
Sade geübten Dann, befonders wenn
die Geleife noch nicht ausgefahren
ind. Denn der Lenker mujs, um
dem Schlitten eine Abweihung zu
geben, denjelben mit den Händen nad)
rechts oder links reißen, indem er
ih zugleih mit dem entjprechenden
wir mit vereinten Kräften endlich
das hinabfaujende Gefährt zum Ste-
hen. Noch ſchlimmer gieng es bei
derjelben Gelegenheit dem hinter uns
auf eigenem Schlitten herabfahrenden
Director Sch. in Linz, der ebenfalls
das Gejpann nicht mehr zügeln
‚fonnte. Da er natürlich von feinem
Sitz zwiſchen den Hufen nicht heraus=
' Springen konnte, jo warf er fih in
fataliftiiher Anwandlung einfach mit
dem Rüden & la Mazeppa auf den
Schlitten und überließ denjelben feinem
Laufe. Bei einer Biegung warf e3
dann den Schlitten und ihn glüde
licherweife in den Schnee. So un—
gefährlich daher das eigentlihe Ro—
dein iſt, jo gefährlich faun das Fah—
ren mit Handjchlitten werden. Denn
‚ein im vollen Schwunge befindlicher
Handſchlitten fäjst ſich Fehr ſchwer
aufhalten. Infolge deſſen kann
‚auch für die auf dem Wege befind—
Tichen Leute ein ſolches Fuhrwerk
| gefährlich werden, beſonders went
plöglih durch einen Dohlweg jo ein
Gefährt geräufchlos herabgeſaust kommt
und man nicht ausweichen kann. Auch
in dieſer Beziehung Habe ich meine
Erfahrungen gemacht.
Gleihwie die Kleinen die Rodel
auch zum Weg nah der Schule be=
nüßen und jo das utile mit dem
dulei verbinden, jo werden auch die
Fuße am Boden anftenımt. Dies Ha Dandjchlitten oder Granzger
fordert Kraft und Gefchiclichkeit, | in derjelben Weife bei verjchiedenen
jonft gibt es Malheur. Ich Lie) Gelegenheiten, z. B. im Advent beim
mich ſelbſt einmal mit mehreren | Roratebejuch, als Fuhrwerk bemüßt.
Freunden auf dieſe Weiſe von der Hat man die Wahl zwiſchen den
Vuchau im Achenthal über den Kas- Kirchen zweier Ortſchaften, ſo wählen
berg nach Jenbach herabführen und die Ehehalten (Dienſtboten) gewöhn—
erinnere mich bei dieſer pfeilſchnellen lich die Höher gelegene, um den Rüde
Fahrt noch mit geheimen Schauer an weg zum Schlitten machen zu föns
den Moment, wo dem Lenfer, einem nen. Da geht es dann oft ganz ge=
baumftarlen Kerl, gerade an der miüthlich her, wenn bei gutem Sclitt-
fteilften und dazu noch beeisten Strecke weg jo ein Granzger mit 10 bis
das Sihbrett ausrutfhte und er auf 12 Leuten nad Daufe fährt.
den Boden zu liegen fam, während Zum Nodeln wie zum Fahren
die rechte Hand frampfhaft den Hebel mit Dandjchlitten gehört ein geeig—
der einen Sperrtaße gefajst hielt. Nur meter Schlittweg. Dat man feinen,
mit äußerſter Anftrengung brachten jo wird von Dorfbuben an einem ab»
—
536
ſchüſſigen Rain oder an einer Anhöhe
einer gemacht, indem man den Schnee
mit den umgekehrten Rodeln zuerſt
plättet und dann durch oftimaliges
Fahren zur Bahn glattjchleift. *) In
den Alpen, wo es abjchüjlige Straßen
und Wege genug gibt, ijt in der
Regel an guten Sclittbahnen fein
Mangel. Erfordernis ift, dafs Die
Bahn das richtige Gefälle habe, wicht
zu gering, aber auch nicht zu ſtark.
Erjteres gilt befonders für das Fah—
ven mit den Rodeln, welches jtärkeres
Gefälle erfordert, während der Hand—
jchlitten jelbit bei mäßiger Neigung
noch fortgleitet. Am angenehmften
find jene Bahnen, auf denen man
lange Zeit, ohne abzufiken, fahren
kann. Solde find 3. B. in Tirol
die Salzitraße im Hallthale, wo man
in einer Tour bis zur Saline von
Hall fährt, oder don Prarmar im
Selrainer Thal bis Gries. Auch die
alte Ellbögner- oder Römerſtraße,
welde fih von Matrei über das
Mittelgebirge bis Ball zieht, war
vor der Eröffnung der Unter-Inn—
thaler Bahn, als dieſer Weg noch
mehr befahren war, ein prächtiger
Schlittweg: ebenfo die obenerwähnte
Strape über den Sasberg. Eine
ganz vorzüglihe Bahn bietet noch die
Straße vom Predil bis Raibl, wo
man mit Bodjchlitten in einer halben
*) Iſt der Schnee hartgefroren, fo daſs
er den Schlitten trägt, was oft der Fall,
dann rollt man in Steiermarl aud ohne Weg
und Bahn fchnurgerade über die Lehne hinab.
Die Ned. d. „Dg*.
Stunde herabfährt. Kleinere Bahnen
hat fait jedes Dorf und jede Stadt
in den Alpen und ich ärgere mich
noch, dafs man mir feinerzeit in Graz
da3 Rodeln vom Schlojsberg herab
unterfagte. Beſſere und bequemere
Gelegenheit zu diefem Vergnügen
gibt es nirgends als in Graz, wo
man die Bahn mitten in der
Stadt hat.
Noch ein Erfordernis gehört zum
Rodeln, nämlich der richtige Schnee,
das heißt der Schnee darf nicht
„Ipear“ (troden) fein, denn fonit iſt
er rauh, und die Rodel gleitet nicht.
Die beite Zeit zum Rodeln ijt der
Februar, wo der durch viele Schnee—
fälle feitgewordene und gleihmäßig
gefahrene Schnee unter dem bereits
ſtärkeren Sonnenftrahl unter tags
aufthaut und dann machts wieder
gefriert. Da gleiten dann felbft bei
geringerem Gefälle die Rodeln luftig
dahin. Zum Schluſſe will ich noch
erwähnen, daſs bei den Bauernfindern
dad Rodeln auch im Schwange ilt,
indem jie auf Brettern und den großen
hölzernen Milchſchüſſeln über die
gemäbten Abhänge herabrutichen. Die
berühmtefte diejer ſommerlichen Rodel—
bahnen ift jedoh auf dem Lufcharie
berg in Kärnten, von dem man, wie
Maizer im den foeben erjchienenen
trefflihen „Eulturbildern aus Kärnten“
beichreibt, „Über den fteilen, eigens
angelegten Schlittenhohlweg“ in zwan—
zig Minuten bis zu den „Hütten“
Ichlittelt, eine Strede, die man zu
Fuß zu gehen dritthalb Stunden
braucht. Preſſe.“
Eine Sommernadt im Golfe von Heapel.
Aus alten Tagebude von P. A. Roſegger.
Do
Bris bon Neapel, auf den
ER, Höhen der phlegräifchen Fel- ausgetrodnete Gründe von Landjeen,
der liegt das alte Klofter Ca—
maldoli. Ich mietete mir auf dem
Corſo Bittorio Emannele ein Maul—
thier und ritt an dem Dörfchen Naz—
zaret vorüber und durch einen langen
verſchwemmten Hohlweg im Schatten
jaftiger Feigenbäume und Schöner hoher
Pinien hinauf zu dem alten Stlofter
Gamaldoli.
Das Maulthier blieb vor dem Thore
ftehen und machte Geſchmacksſtudien
in dem Dleander= und Cypreſſenlaube,
ih wurde gerne eingelaffen und ein
Frater, ein altes, gutmüthiges Männ—
fein mit weißen Loden, führte mich
durch das Gebäude und hinaus auf
die Lichtung, wo die weltberühmte
Aussicht iſt.
Ih Habe die Natur gejehen, wie
ſie arbeitet und Schafft auf den Fluren
der Wieſen und Felder, ich Habe fie
gefehen, wie fie ruht und ſchlummert
und träumend jpielt im Walde und im
Haine, ich habe fie gejehen, wie fie
trauert auf ſtillen, nebelumlagerten
Heiden, und wie jie droht und grollt
und wüthend die finjteren Wolken zer—
reißt mit ihrem feurigen Speere zwi—
ihen den Wänden der Alpen. Hier
aber, von diejen Höhen, in einem
bunten verklärten Kranze von Berg
und Thal, von Städten und Gärten,
von Wald und Waller, bier jah ich
die Natur, wie fie liebte. Hier ift es,
wo Gott feiner Erde am Buſen ruht,
fie auf die Lippen Eüjst, ihr ins
Auge blidt und lächelt.
Hier unten belle und dunfelgrüne
Wälder und Haine, in welchen fich
Ihimmernde Dörfer und Landhäufer
verjteden, und prangende Gärten und
Ichattige Wiefenfluren. Dort ftille,
buſchbewachſene Ajchentegel und düstere
Kraterkeffel von VBulcanen, die längft
ausgetobt haben. Dann Hügel mit
Villen und Schlöffern; und das Gaftell
St. Elmo funkelt herüber, und dort
die Schimmernden Mauern und Dächer
der Vorftädte und endlich, wie zur
Ruh’ am Meere Hingelagert, einen
fieberhaften, wülten Traum träumend,
das große Neapel.
Nücdwärts im NÜtherblau die
Zwillingskegel des Somma und Bes
ſuv. Leßterer raucht ein wenig; das
DObjervatorium leuchtet Herüber, wie
das ewige Lichtlein des „verwun—
jchenen“ Waldes im Märchen. Lints
davon ergießt jich der breite, glißernde
Lavaſtrom des legten Ausbruches nie:
der gegen ©. Sebaftiano. Mein geiſt—
licher Führer machte mich aufmerkſam
auf braunen loderen Staub zu uns
jeren Füßen — Veſuvaſche, wie fie
im April 1872 durch die weiten Lüfte
herübergeflogen iſt.
Den Gefichtsfreis begrenzen die
Berge von Sorento, Capri, Jschia
u.j. w., jelbit das ferne Capo Cirello
jendet uns einen Gruß. Nun die tief
blauen Buchten von Neapel, der grüne
lich ſchimmernde Golf von Gaëta, das
matte Grau der hohen See, von violet-
ten Linien, goldiggligernden Streifen
durchzogen, dann wieder jilberig flim—
mernd und endend in einem bläulichen
Braun am fernen, Haren, ſchnurgerade
gejchnittenen Horizont.
So jpielen Müden und Walter
auf ungeheuren Glastafeln der Garten=
häufer, wie hier unten die Segeljchifte
mit ihren geblähten Wangen, Die
Dampfer mit ihren braunen, nad»
ziehenden Rauchſchlangen, die bunten
Gondeln und Fiicherfähne fpielen und
Hingleiten. Draußen, nahe dem Rande,
wo „Dimmel und Erde mitjanmen
vermählt find“, iſt das einzig, weiße
Flügelchen eines großen Segelſchiffes
zu Sehen, vielleiht kommt es von
fernen Wegen und grüßt in Sit
Neapels fein Heim nad) langer Tren—
nung. Und noch weiter hin auf jemen
jpielenden, lebendigen Höhen treibt
vielleicht planlos und verlaffen ein
ſchwaches Schifflein.
Die Sonne ſank und ſchwoll und
wurde röther, je näher fie dem Hori-—
zonte fam. Leicht umhüllte fie ſich in
Nebel und lächelte noch einmal zurüd |
auf ihr Neapel und flieg ins Bad.
Aber jiehe, als ob fie jich gleich Dido von
Kartdago jelbjt den Tod gegeben, ſo
flutet’3_ num in Burpurftrömen über
das Meer, und die Nacht mit ihrem
blaſſen Mondesangeficht fteigt auf im
Diten.
Nun hörte ich draußen vor den
Thoren jhon mein Maulthier wiehern,
das e3 Zeit fei zum Aufbruch. Der
gute Bater ließ es ſich nicht nehmen,
nich mit einem Zeller Trauben und
Feigen zu bemwirten, ermahnte mich
aber dann zur Eile, da der Weg durch
die Büſche und Schluchten gegen Naz—
zaret hinab zur Abendftunde nicht der
ſicherſte ſei.
Zwei Stunden ſpäter verabſchie—
dete ich mich von meinem freundlichen
Halbeſel und gieng in Haſlers deutjche
Reſtauration. Aber als der Körper
gelabt war, da dürſtete es die Seele
wieder. Wohl war fie ſchon berauſcht,
aber von Neapels Naturfchönheit kann
man ewig trinken, ohne überjättigt
zu werden. Wie einladend leuchteten
die tauſend Lichter auf Plätzen, vor
Kaffeehäufern, Theatern und Freuden—
jälen, aber ich gieng an die Strada
Sta. Lucia und mietete mir eine
Heine Gondel. Ich nahm eine, an
deren Schnabel die rothe Laterne
brannte und bedeutete dem Führer,
er möge mir nur über das Gewirre
der hundert Kähne hinaushelfen, dann
zurüdbleiben. Jh wünſchte allein zu
jein, würde mir ſchon forthelfen;
etwa nach einer halben Stunde möge
er mit einem zweiten Fahrzeuge nach—
und der rothen Laterne zurudern,
um nich zurüdzugeleiten. Der Mann
ſah mich anfangs jehr ſchief an. Die
Gondel überlaffen ?_da3 war ihm
fiher no nicht vorgelommen. Er
weigerte fich entjchieden, es zu thun;
da ließ ich zwei öſterreichiſche Silber-
gulden jo im Monde blinten, und das
gefiel dem naturſinnigen Eicerone un—
gemein, Auf dafs er fih nach Belieben
diejes lieblichen Spieles erfreuen könne,
drüdte ich ihm die Silberftüde in die
Hand, und num war er mir zuwillen.
Durchgehen, mochte er denken, kann
er mir nicht mit dem Fahrzeuge, in
einer Stunde hole ich ihn zurüd und
' habe mir dabei mehr erworben, als
den Erwerb eines ganzen Tages. Er
‚leitete mich zwiſchen dem Deere der
Gondeln Hinaus, gab mir dann das
Ruder und einige Maßregeln und
Iprang flint über alle die Fahrzeuge
zum Ufer zurüd.
Ih trieb mich möglichſt ſchnell
‘hinaus auf die einfame Fläche, zog
dann das Ruder in den Kahn, lehnte
mich auf den Si meiner Reifedede
zurüd und war nunn allein auf dem
Meere. Die Naht war jo lau und mild,
das Waller jo glatt und ruhig, es
wiegte mich nur ſanft, das rothe Licht
brammte dor mir wie ein Altarlämp—
fein. Auf den Waſſer ſchwamm jein
MWiederfchein wie ein Tröpfchen Blut.
Der Mond ftand hoch am Himmel
und wob Silberperlen in das Meer
und in den Schleier feines Athers.
Dort lag das weit hingedehnte Lichter-
gefunkel der Stadt und ſenkte jeine
‚zahllojen Strahlen in das Meer. Die
ſchwarzen Ungeheuer der Schiffe im
‚Hafen ſchoben ſich ineinander und
‚einzelne Flämmlein zitterten auf ihren
Maſten. Bor ihnen und erhöht fun—
'felte der milchweiße Stern des Leucht—
thurmes. Unten Hin zogen Harzige
Punten und bunte Laternen von Luſt—
Ihiffhen, alles im Waller wieder:
jpiegelnd. Ih hörte das dumpfe Ge-
raljel der Stadt, das Gejohle der
Matrojen und mand hellen Aufſchrei
der Ausrufer am Hafen.
Ich erfajste wieder das Ruder
und glitt weiter hinaus und vorüber
beim dunkeln Gaftell dell’ Ora und in
den offenen Golf. Das Ruder plät-
jcherte in der Flut und das Sciff-
fein zog gemächlich dahin. Plötzlich
hörte ich in der Nähe von mir einen
flingenden, zarten, zitternden Ton.
Ich lieg das Ruder ruhen und horchte.
Eine Mundtrommel war's. Unweit
von mir zog ein Kahn dahin, zwei
Geſtalten tragend, die nun, als das
Inſtrument verjtummte, ſich mehr und
immer mehr näherten, ſich ganz zu—
ſammenſchmiegten und — eins wur—
den. — Kein Ruderſchlag mehr, das
Schiffchen ſchwankte nur leiſe, wie
eine milde Schaukel wie eine
Wiege. Die Mondesſtrahlen zeichneten
Herzchen und Ringe und Schlänglein
und Blitze auf die zitternde Meeres—
fläde ... .
Sch trieb abjeits und freute mich
an diefer Sommernadt.
Auf den Uhrthürmen von Neapel
ſchlug eseilf. Es ſchlug nur für die Stadt,
mich Hatte niemand erinnert an den
Verlauf der Stunde. Weiter ließ ich
mein Fahrzeug Hintreiben — abſichts—
los und ziellos, wie die Laune des
Glückes. Ich träumte von den Idyllen
der alten Zeit, e3 war dasjelbe Meer,
da3 ihnen geflüftert und ſie begrüßt
dat an den palmenbejchatteten Ufern.
Vielleicht kam die Welle, die mich jeßt
jchaufelte, den Indus herab, der Ur—
ftätte des Menjchengeichlehtes ent—
fprungen ; vielleicht glitt fie dereinſt
dem Zigris entlang, nachdem fie die
morgentlihen Haine des Paradiejes
durchrieſelt . . . . Iſt ja doch jeder
MWaflertropfen unſterblich und ein
ewiger Wanderer!
Plötzlich war ein Plätſchern, ich
fuhr auf, fprang empor — es war das
Ruder ins Waſſer gefallen. Erſchrocken
langte ih über den Rand — der
Kahn drohte umzulippen, ih fuhr
rüdwärts, ſtieß mit dem Ellbogen die
Laterne in Trümmer und das Licht
war verlojchen.
Ohne Ruder und Licht auf Hoher
See — mitten in der Nacht!
Mar mir denn das nicht recht ?
war e3 mehr als ich gejucht ?
Mir gieng's den Moment ein menig
Heiß durch die Glieder. Das liebliche
Meer hatte mich gelodt, gewiegt, ge=
ſtreichelt — gefangen, ich war jein
eigen.
Lange verfuchte ih das Fahrzeug
zu lenfen und mit Dilfe des Mondes
die entfallene Ruderftange zu erlangen.
Es war vergebens; um mit den
Wellen zu ringen, muſs man eine
entiprechende Waffe haben. Wie foll
mich mein beftellter Führer mun finden
in der Dunfelheit? Sollte ih rufen ?
Ein Ruf von Hier erreicht feines Men—
ſchen Ohr, und die Fiſche find taub. —
Hören es die Fiſche nicht, hört es der
Herr! jagt ein altes Lied beiläufig.
Aber ich ſchwieg und dachte: Nichts
miſche ſich ein, dem Zufalle freien
Lauf. Ich lehnte mich refigniert auf
meinen Sitz. Die Nacht ift heiter,
ruhig und milde — fie ift eine Som—
mernaht im Golfe von Neapel, ich
will fie genießen bis zum Morgen,
bis mich ziehende Schiffer bemerken
und erlöſen. — Der Cicerone wird
fluhen, wenn er vergebens nad
dem rothen Lichte ſucht, meine Ge—
führten in Neapel werden ftaunen,
daſs der ſonſt jo Pünktliche Heute
nicht zurückkehrt. Ich bin losgetrennt
von allem, wenn die Wellen wollen,
entführen ſie mich leicht an die jpa=
nische stülte oder durch die Meerenge
von Gibraltar hinaus im den atlans
tiihen Ocean.
Ora, ora pro nobis! jingt der
Schiffer.
Der Mond begann fich zu neigen,
die zadigen Felfen von Sorento traten
flarer hervor. Neapels Lichterfranz
5
war im Verblajien, nur der Stern
des Leuchtthurmes funkelte, er war
weit zurüd. So jtill war’, nur daſs
zumeilen eine Welle ihr Köpfchen bob
und zur Nachbarin flüfterte, oder ein
Thier emporfchnappte und gurgelte.
Einmal fähelte ein mildes Lüftchen
vom Lande heran und vorüber, dann
war’& wieder Hill und in dem dunfeln
Spiegel des Waflers lag der Mond,
lagen die Sterne.
Ich gedachte zu dieſer ſeltſamen
Stunde der Vergangenheit meines
Lebens und meiner fernen Heimat.
Aufthaute in meinem Herzen ein
Weihegruß, wie Sehnſucht und Heim—
weh:
Du liebes Haus auf ſtiller Bergeshöh',
Von weichem Mondesſilber mild begoſſen,
Wie grüß' ich dich aus ferner, mächtiger
See,
Von Frühlingswehn und Todeshauch um—
floſſen.
Gin ſchwankend Opferſchälchen auf dent
Meer,
Im Eden, das ſonſt nichts mit dir gemein,
Du arme Heide auf den Bergeshöhn,
Als Gottes Himmel und den Mondenjcdein.
Über dem Kegel des Veſuv flieg
ein leichter Feuerfchein empor, Menn
er jet losbräche! Wenn unter Donner
und Erdbeben dort der feurige Spring=
brunnen emporwogte in einem unge—
heuren Quell, Millionen Wollen von
Rauch und Aichen aushauchend, eine
riefige PBinie, Land und Meer be—
dedend mit ihren Schatten, mit ihren
fahrenden Steinen, ihrem wmwogenden
Staub.
Hängen die glühenden Ströme, das
furchtbare, kochende Lavameer auf die)
lieblichen Ortſchaften im Thale, Und
Blitz und Sturm in den Lüften aller=
wärts, und das Rollen und Branden
der wild aufgejchredten See...
Ein leichtes, ruhiges Feuerband
nur wallte empor zu dem nächtigen
Himmel, wie eine Friedensfahne. Aber
über die Berge von Capri gieng eine
lichte Nebelbant Hin, und der ſinkende
Mond hatte einen weiten Ring. Ofter
Und miederbraufen von den '
40
und öfter zifchte eine Woge lebendig
auf und raufchte ein wenig an der
Mand meines Kahnes. Bon Oſten
ber wehte ein fühles, faſt ſchneidendes
Lüftchen. IH ſchlug mich im meine
Reijedede und ftarrte auf den ſchau—
felnden Kahn. Zief in der Seele war
ich beforgt. Wie hätte ich vor wenigen
Stunden, al3 ich auf dem Klofterwall
von Gamaldoli geftanden und hinaus
geblidt auf das weite Meer, an eine
jolhe Naht gedacht! Dunkler wurde
es, und die Lichter Neapels hatten jich
verloren. ch orientierte mich micht
mehr, mir war, als ſtünde der Veſuv
in Welten und im Often der unters
gehende Mond. Es erhob fich eine
Brife, aus dem FFlüftern des Meeres
wurde ein Raufchen, und mein Fahr
zeug ſchwankte Haltlos Hin und ber.
Die Bedrängnis der Seele gieng jekt
auch auf den Körper über, mein
ganzes Weſen fam aus dem Gleich-
gewicht und die Augenlider waren
mir jchwer, ich wuſch meine Stirne
mit jalzigem Meerwaſſer.
Das proſaiſcheſte Sterben wäre e3
nicht, dachte ich mir, und legte mic,
noch in der Wollendede Fröftelnd, der
Länge nah in den Kahn.
Es war ein traumhafter Zuftand,
ich richtete mich nach einer Zeit wieder
auf, da war es Licht, und ich jah
deutlich das ewige Wogen und Gleiten
der Mellen, und ich hörte von Ferne
das Wollen und Branden. ber ich
Jah nicht mehr die Berge, nicht mehr
den Mond, ich ſah nichts als das
braune, lebendige Gewäfler und Grau
— ein lihtes Grau um und über
mich. .
Alſo auf hoher See?!
Ein Strohhalm fchaufelte auf dem
Rüden einer Welle, ich wollte ihn wie
einen Rettungsanfer erfaflen, nicht ein—
mal diefen konnte ich erlangen. Da riſs
ich das Sitzbrett auf und verjuchte zu
rudern, Mohin ? In demselben Augene
blid hörte ich einen lebhaften Gefang.
Sch blidte um mich — jo weit das
Auge reichte Fein menschlich Welen —
541
Himmel und Waſſer. Und weiter worden ſein zum Hafen; und
johlte der Geſang und trillerte luſtig. das, was ich für die Himmels—
— — Weh, das iſt die Sirene, die kuppel gehalten, war der brauende,
zieht mich hinab! — Ich wollte mich jeden Ausblick verdeckende Nebel, durch
hinwerfen auf den Boden meines welchen jetzt die aufgehende Sonne
Fahrzeuges und die Ohren verſtopfen, brach, und was mir wie das Rollen
da — mie das wunderbar war! — und Branden deö bewegenden Meeres
tauchte am Horizont ein hoher, riefiger | Hang, das war der Lärm der nahen
Mann auf, ſtramm in einem Schiffe Stadt. Ih war erfchöpft, durchnäjst,
ftehend und mit einem gewaltigen Ruder: und hatte ftellenmweife eine Salzfrufte
baume die Wellen jchlagend. — an den Stleidern, aber ich fang und
Doch, jetzt war mir's auch plöglich Har: | trillerte nun um die Wette mit der
nicht am fernen Horizont, am nahen, | Sirene.
aus dem dichten Mlorgennebel, der Ein gefälliger Matrofe leitete mic
auf dem Waſſer lag. tauchte De a Anterplaß von Sta. Lucia und
Schiffer hervor. Und gleichzeitig Jah. half mir den Eigenthümer meiner
ich einen zweiten Ruderer, und dort Gondel aufjuchen, den ich aus Sorgen
in anderer Richtung einen dritten, riſs und mit noch zwei Silbergulden
und ich hörte das Gefchrei und das | bedachte, damit er auch mwujste, mie
Getöſe des Hafens von Neapel, unſere öjterreihiihen Geldjtüde am
Mein Kahn mujste durch die Brife! Tage und in der Sonne blinfen.
aus dem weiteren Golf zurüdgejchoben
Bie Anti zu Abelsbero.
Eine Zeitgloffe.
a
er Maurermeifter Benjamin Gerz | Abelsberg gab "es Charaktere, aljo
Bann zu Abelsberg hatte feine Bau— waren fie Anti-Gharaktere. In Abels=
3 thätigkeit eingeftellt und einen berg gab es Friedensfreunde, aljo
Antir-Bund gegründet, al3 Generalftab | waren fie AntierFriedensfreunde In
einer großen Partei. Seine Bundesge- Abelsberg gab es etlihe Semiten, aljo
nofjien waren der Bader Teut-Hatzel waren fie Anti-Semiten. In Abels—
und der Buchdruder Leeb-Schultz. Hr berg gab es aber auch Ehriften, alſo
Wahlſpruch war: Anti, ihre Thätigkeit | waren unfere drei Bundesgenofjen Anti—
war: Anti, ihr Lebenszwed war: Anti.
Sie waren eigentlich feine Antipoden,
gut, jo wollten fie Anti Antipoden
fein. In Wbelsberg gab es Abels—
berger, aljo waren die drei Bundes
genojjen Anti-Abelsberger. In Abels—
berg gab es Rentiers, alſo waren ſie
Anti-Rentiers. In Abelsberg gab es
Arbeiter, alſo waren ſie Anti-Arbeiter.
In Abelsberg gab es Kunſtfreunde:
alfo waren ſie Anti-Kunſtfreunde. In
| Chriſten.
Um Anti-Semiten zu ſein,
war ihre Meinung, müjsten ſie ſehr
nothgedrungen Anti-Chriſten ſein,
maßen der Gründer des Chriſten—
thums ein Semite gewejen ift. Und
das war ſchön don ihnen.
Die drei Anti zettelten eine Chri—
ftenverfolgung an, dergleichen ſeit
Diofletian nicht dagemwejen. Ihr Richt-
beil, ihr Galgen und ihre Scheiter—
haufen war die Drudpreffe des Bun—
542
desgenoſſen Leeb-Schultze. In den Flug—
ſchriften, die dieſe Preſſe ausſpie, wurden
die Chriſten geſchunden, gezwickt, ge—
viertheilt, gehangen, verbrannt, ge—
köpft, gerädert, gekreuzigt, auf dem
Roſte gebraten und in Schwefel ge—
kocht. Sie wollten die Chriſten damit
zwingen, ihrem ſemitiſchen Bekennt—
niſſe zu entfagen und Bundesgenofjen
der Anti zu werden. Aber fie erreich-
ten e3 nicht. Die verftodten Chriften
waren Anti in ihrer Art und liegen
Rad und Galgen und Schwefel ruhig
über ſich ergehen.
Nun kam es aber einem der drei
etwas ungereimt vor, dajs die Bun—
desgenofjen jo hübſch zuſammenhielten,
und als echter Anti fiel es ihm ein,
heimlich Anti Bundesgenofje zu werden.
Diejer Treuloje war der Buchdruder
Leeb-Schulge. Zwar ließ er feine
ſchwarze Guillotine ununterbrochen
fnarren und die Blätter gegen alles,
was nicht Anti war, flatterten wie
Raben, Eulen und Geier hinaus in
die Welt. Nun betrieb Herr Leeb-
Schulte neben feiner Drudpreffe aber
noch einen Heinen Buchhandel mit
Traum und Lottobücheln, Kalendern,
Gebetbühern, den Heiligen Schriften
der vier Evangeliften u. j. w. Darin
fand nun der Ober- Anti Benjamin
German, welcher ſchon lange mit einem
gewiſſen Mifstrauen auf den Bundes»
genofjen geblidt Hatte, ein Arg. Leeb—
Schulge hatte eine große Anhänger:
Ihaft; im dem bei ihm gedrudten
UntieBlatte ward Schulfes Name
taft jo oft genannt, als der Benjamin
German's. Benjamin German hatte
dem Blatte in uneigennützigſter Weije,
nur im Intereſſe der Partei, eine
Subvention gewährt unter der Be-
dingung, daſs auf jeder Seite des
Blatte& der Name Benjamin German
wenigftens zehnmal vorflomme. Das
geihah auch und war ja recht jchön !
Allein unter diefem Weizen wucherte
überall üppig das Unkraut des Na—
mens Leeb-Schultze. Das muſs
anders werden! Alſo jchwor der
— — — —— — —— ——— — — —— —— — —
Ober-Anti, und bei einer nächſten
Bundesverſammlung ergriff er ſein
gewaltiges Wort und ſprach alſo:
„Ich muſs gegen den Bundesgenoſſen
Leeb-Schultze die Anklage erheben,
dajs er in feinem Buchhandel ſemi—
tiſche Schriften verbreitet, weshalb ich
beantrage, ihn aus dem Bunde der
Anti auszuſchließen.“
„Ich verbreite ſemitiſche Schrif-
ten?” wehrte ſich der Angeklagte
fragend. „Sch bitte, mir eine jolche,
die ich verbreite, zu nennen.”
„Mehr als eine!" jagte Benjamiu
German, die jüdifch näfelnde Stimme
nahahmend. „Er verfauft das Bud
Mofis, das Buch der Richter, das
Buch der Propheten, die Bücher der
Evangeliften !*
„Mit diefer Anklage dringeft du
nicht durch, Meifter”, ſprach der Bader
Teut-Hatzel, „denn die genannten
Schriften des alten und neuen Teſta—
mentes find den Chriften vorgejchrie=
ben. Bundesgenofje Leeb-Schulbe hätte
den ganzen Glerus auf jeiner Seite
und gegen uns, und mit dem dürfen
wir es einftweilen nicht verderben.
Erft wenn wir die römischen Herren
nicht mehr brauchen, laſſen wir die
altgermanifchen Götter auf fie los.”
Benjamin German war jehr ärger-
lih, dajs es ihm auf diefem Wege
nicht gelungen, feinen Rivalen zu
jtürzen. Er ſann auf ein anderes
Mittel und fand es.
Unter den Manufcripten der Bun—
desjchriften, die der Buchdruder Leeb—
Schulge zu druden hatte, fand ſich
eines Tages ein Flugblatt folgenden
Tertes: „Ih, Benjamin German,
Dber-Anti, thue allen werten Ge—
finnungsgenofjen fund und zu willen,
dafs fie bei dem Buchdruder Leeb-
Schulge nichts druden laffen, bei dem
Buchhändler Leeb-Schultze nichts kau—
fen jollen. Denn dieſer Mann ver-
breitet Schriften ſemitiſchen Inhaltes
und ift der Unterftügung der Partei
nicht mehr würdig. Ih, Benjamin
German, beabjichtige jelbjt eine Buch—
543
drucker-Officin und einen Buchhandel
zu eröffnen und werde beſtrebt ſein,
den Wünſchen aller geſchätzten Kun—
den, die mir ihr Vertrauen ſchenken,
auf das prompteſte nachzukommen.“
Buchdrucker Leeb-Schultze hatte
ſolches geleſen. „Und das“, ſo rief
er empört aus, „und das ſoll ich
drucken? Ich ſoll gegen mich ſelbſt
ſprechen, meine eigene Firma verleum—
den ? Nie.“
Bei der nächſten Verſammlung
theilte Benjamin German Folgendes
mit: „Der Buchdruder Leeb-Schultze
hat bisher unfere Bundesjchriften
gedrudt. Auf einmal weigert er
ih, das zu thun. Er weist eine
wichtige Kundmachung des Bundes
frech zurüd; er ftellt jeinen perſön—
lihen Bortheil höher, als die heiligen
Interefien des AntisBundes. Der
Buchdruder Leeb-Schulge iſt von dies
ſem Zage an ausgejchlofjen aus dem
Anti-Bunde, und fein Name fei ges
brandmarft.“
Alſo geſchah e3. Der Ober-Anti
triumphierte. Bon nun an beitand der
AntieBund aus zwei Perſonen, wo—
von die Partei aber nur eine aner—
fennen wollte, erflärend, daſs Benja—
min German zu eigenmädtig bor=
nicht vet aus. Und vielleicht ſtimmt
fie gerade darum.
gehe, zu eitel und zu jelbitgefäflig ſei,
zu herrſchſüchtig, zu rückſichtslos, zu
brutal und zu wenig redlich in der
Kampfweiſe, weshalb er als Ober:
Anti weiter nicht mehr anerkannt
werden könne.
Benjamin German zog ſich ſchmol—
lend zurück und verfluchte die undank—
bare Welt. Das war ſchön von ihm.
Nun beſtand der Anti-Bund, der
Generalſtab der Anti-Partei, nur mehr
aus einem einzigen Mitgliede, dem
Bader Teut-Hatzel. Teut-Hatzel war
durch und durch Anti, ein ehrlicher
Anti, der echteſte aller Anti. Weil
jedoch gegen ſeine Anti-Beſtrebungen
alle Welt ziemlich gleichgiltig geworden
war, weil ſich ſachte eine andere
Strömung fühlbar machte, welche dem
Schlechten und Verderblichen, den
Feinden eines tüchtigen und gefitteten
Volksthumes mit anderen, fittlicheren »
und praftifcheren Waffen zuleibe zog
— ſo beſchloſs Teut-Hatzel ein Anti—
Teut⸗Hatzel zu werden. Schon lange hatte
ihm heimlich eine ſchöne und reiche
Semitin gefallen, um dieſe warb er
nun und heiratete ſie.
Das iſt die Geſchichte der gewal—
tigen Anti zu Abelsberg, welche ihr
Princip heldenmüthig durchgeführt
hatten, bis zur Selbſtverneinung.
Man kennt ſich bei dieſer Geſchichte
Kleine Toube.
Die Krone des Scdjlofsberges.
Der Ruf des Grazer Schlojsberges
dringt etwas weiter hinaus als der belle
lang der „Liejel”. Der Grazer hat
faum eine Ahnung von dem Nufe, den
feine Alpenjtadt in der weiten Welt ge
nießt. Dom Örazer Schlojsberge erzäblt man
an der Spree und am Rhein, am Dniefter
und am Tiber. Selbit aus den Geländen
des Miſſiſſippi herüber fam jüngjt eine An—
frage, ob er noch jtehe, der merkwürdige
Berg mitten in der Stadt, und ob ben
Grazern jchon der Knopf aufgegangen wäre?
Mir verftanden die yrage nicht recht,
obzwar wir mancherlei Anöpfe haben
und man auf unſerem Schlojäberge
von Fremden häufig die Außerung hören
fann: „Merkwürdig, daj3 die Grazer
den ſchönſten, intereflantejten Punkt, den
fie haben, ja den ganz Steiermark hat,
nit ausnützen!“ Sie meinen damit
das Plateau auf dem Sclojsberg, und
da ftußen wir doch ein bijschen. Wie jieht
dieſes Plateau jegt aus, und wie fönnte
es ausjehen! Wie könnte es praktiſch aus—
genügt werden und landſchaäftlich ver—
ihönert! das, was heute auf der Höhe
des Grazer Schlojäberges jteht, hat weder
hiitoriiche Bedeutung noch landjchaftlichen
Meiz, noch praftiichen Wert. Es tit ein
itertler Punkt, und einzig nur die Erbe
bung über der Stadt und der Ausblid
ins weite Land gibt ihm die Berühmt-
heit, und den fremden fortwährend Ans
4
laſs zu jagen: die Grazer willen nicht,
was fie an ihrem Schlojsberge baben,
Die wertvollite Stelle ihrer jhönen Stadt
lajjen fie unbenützt liegen, als läge Sie
fernab von aller Eultur, in einer Einöde,
Allerdings kann Graz über das
Schlojsbergplateau heute nicht verfügen,
deun es gehört dem rar, Allein wir
willen, dajs das Arar geneigt iſt, das:
jelbe gegen einen geringen Preis an bie
Stadt abzutreten. Da bisher verfäumt
worden ijt, für das Hocplateau des
Sclojäberge3 etwas zu thun, jo joll
jest viel dafür gethban werden. Es
macht fih in Graz, angeregt durch einen
befannten, für dieſe Stadt hochverdienten
Mann, eine Bewegung bemerfbar, melde
dahin gebt, das Schloſsbergplateau mit
Ihönen Gebäuden zu krönen und es zu
einem großartigen Vergnügungsorte zu
machen. Die uns bereit3 vorliegenden
Pläne der Anlage und Bilder der Ge
bäude find wohl jo, daj3 man jagen
mus: Wenn ſolches zuitande fommt,
wird der Schlojsberg als Vergnügungs—
ort einzig in jeiner Art fein und jchon
vermöge ſeines Bildes zablloje Fremde
berbeiziehen aus aller Welt.
Mir haben uns uriprünglich diejer
Unternehmung gegemüber etwas ablehnend
verhalten, weil uns die Befürchtung nahe
lag, als könne durch fie das landichaft-
liche Bild unferes Schlojsberges zerftört
werden, fie fönne dem Gemeindefädel Geld
entziehen, das anderwärts nüßlicher ver-
wendet werben jollte. Wir geben von den
Schlojsberganlagen nicht einen Baum,
von Ausfichtsterrain auf der Höhe nicht
eine Handbreit.*) Und der Steuergulden
der arbeitenden Claſſen bat Wichtigeres
zu thun, al® den Wohlhabenden Der»
gnügungs:Ctablifjements zu bauen.
Bei näherem Einblid in die Pläne und
in da3 geradezu genial angelegte finan-
jiele Programm jcheinen unfere Bedenken
nicht gerechtfertigt zu fein. Die Draht:
jeilbahn gebt von der Saditraße an den
fahlen Felſen jchnurgerade hinauf zum
Plateau; an dieſer Seite it nichts zu
verderben ; die Anlagen an den jüdlichen,
öftlichen und nördlichen Hängen des Berges
bleiben, wie fie heute find. Auf dem Plateau
werden nah der Ausführung mehr
Bäume ftehen als heute, und troß der
drei jtattliben Gebäude, die dort fich
erheben jollen, wird die freie Fläche eine
größere fein ald gegenwärtig, da bejonders
die jegt unzugänglichen Punkte ausgenükt,
vor allem aber die Fläche der dann überwölb—
ten Cajematten zugänglich gemacht werden.
Jedermann kann die Ausfiht wie gegen-
mwärtig genießen, und mer dieſen Genujs
erhöhen will, dem fteht ein dreißig Meter
hoher Ausfichtsthurm zur Verfügung,
von welchem aus er ein ungeahnt anderes,
meitere8 und interellanteres Bild ſehen
wird, als es fihb auf dem Plateau des
Berges bietet.
Die Geldbeihaffung, auf die mir
uns nicht näher einlaſſen, ſoll — wird
verfichert — der Benölferung von Graz
nicht wehe thun, ihr nichts foften, und damit
find wir zufrieden. Durch freiwillige Bei-
ſteuerung ift in Graz ſchon vieles geleiftet
worden. Man verjpricht fich für die Ge-
meinde al3 die Eigenthümerin des Schlojt-
berges einen großen materiellen Gewinn.
Der Urheber des Planes, den eine große
Menſchenkenntnis nicht abzujprechen it,
jagt, daj3 man nur durch das Vergnügen
zum Gelde gelange, mit anderen Worten:
den Leuten Vergnügen machen, das rentiere
fh am beſten. Wenn die Zeitläufte jo
Gine Beihreibung des Grazer Schlojs:
berges findet fi im „Heimgarten“ VII. Jahre
gang, Seite 192.
Rofegger’s „„Geimgarten‘*, 7. Keft, XV.
find, daſs die Leute fih für Ver
gnügen was koſten laſſen können, dann
ift der Grundſatz vollfommen richtig.
Wir find fein Freund großer Städte,
und Luxus ift uns im Angefichte des
Mafienelendes überaus verhajit. Nadı-
dem Graz fih aber zu einer modernen
Stadt entwidelt bat, nachdem e3 auf
großen Fremdenzuzug rechnen mujs und
denjelben mit allen möglichen Mitteln
fördern will, und nachdem die unvergleich-
liche Lage diejer Stadt und die herrliche
Umgebung derjelben fürwahr dazu bered-
tigt, ja verpflichtet, unjer Graz aufzu-
zeigen und es auf Grund dieſer bejon-
deren Himmelsgaben groß und wohlha—
bend zu madhen, jo müllen wir auch
trachten, unjere Werte zu fructificieren.
Mir müſſen 3. B. traten, auch in der
Umgebung der Stadt den Anforderungen
de3 Fremdenweſens entſprechende Gaſt—
häuſer zu ſchaffen, vor allem aber auf
dem ſchönſten, beſuchteſten Punkte, dem
Schloſsberge, ein gutes und feines Reſtau—
rant erſten Ranges herzuſtellen.
Was außer dieſem für das Schloſsberg—
plateau noch geplant iſt, verrathen wir heute
noch nicht, bemerken aber nur, daſs mancher
ob der horrenden Idee die Hände über den
Kopf zufammenjchlagen wird. Und doch
muſs, wenn bei der Zeiten Gunſt die Städte
und der Fremdenverkehr fich weiter ent—
wideln, der Tag fommen, an welchem die
ſtolzen Bauwerke gleih einer Krone bes
Berges hinausleuchten ind Land uud auf
hunderttaujenden von Bildniffen der weiten
Melt die Kunde vom Grazer Schlojsberge
bringen. Wir haben diejen einzigen Berg
mitten in unſerer Stadt, wir haben
ihn, und feine andere Stadt auf dem
Erdenrunde. Seine jtrategiiche Aufgabe
bat diejer Schlojäberg erfüllt, jeine neue
Miſſion ift, das menschliche Leben zu
verjchönern, den in die Mauern verur-
theilten Städtern Erholung zu bieten und
fremden Pilgern, die ausbliden nad den
Wundern Gottes und den Werfen der
Menichen, eine angenehme Naftitatt zu jein.
Was einit die Großen und Mäd-
tigen geichaffen, das muſs heute opfer-
freudiger Bürgerſinn vollbringen. Die
35
u. en
Neihen werden ſich ihr Vergnügen jelber
zahlen, und das Armere Voll wird um-
jonft theilnehmen und fich freuen fönnen
an dem Grbolungsorte anf dem Berge.
In diefem, und einzig nur in dieſem
Sinne begrüßen wir das Project. Was
jeit zwanzig Jahren in Graz entjtanden
iit, hat unſeren Peſſimismus in Optimis-
mus gewandelt. Graz bat, troß allerlei
Oppofitionen und troß aller einjt jchein-
bar ftihhältigen Einwendungen dagegen,
die Induftriehalle, den Stadtpark, den
franz Joſefsbrunnen, die Mierdebahn,
die Hilmwarte u. j. w. befommen und iſt
dadurch nicht ärmer geworden. Und das
nädite Große, was zu geſchehen hat —
e3 geichieht auf der Höhe des Schlojs-
berges.
Nor kurzem erfchien bei „Leykam“
in Graz ein Büchlein: „Wie macht man
aus Graz eine Fremdenſtadt? Die Ziele
und Mittel zur Erreichung dieſes Zmwedes.
Dargeftelt von 3. K.“ (Mer hinter
dieſem J. 8. ftedt, wird der Grazer
leicht errathen.) Das genannte Büchlein
muſs man lejen, um zu jehen, daſs unier
projectierter PBalaft auf dem Schlojsberge
mehr iſt als ein Luftſchloſs.
Hoffentlih find wir in der Lage,
bald Näheres über das Unternehmen zu
berichten.
Graz iſt noch lange nicht am Ende
jeiner Tage, und da es faum jtehen bleiben
wird wollen, was joviel al3 Nüdihritt
zu bedeuten hätte, jo muſs es fortichreiten,
beionderz als Benfionopolis und Fremden—
jtadt, Die Concurrenz wird immer größer,
aber unjer Graz befteht fie — wenn
wir wollen. — Der Berfafler des ge
nannten Büchleins fieht eine Zeit fommen,
da der in feine Familie zurückgekehrte
Reifende Folgendes erzählen wird von
Öraz:
„Wie ihr wiſst, babe ih jomohl
die landichaftlichen Neize wie die Sehens:
würbdigfeiten der Städte Europas jo
ziemlich kennen gelernt, aber ähnliches,
was Graz auf jeinem Sclojsberge jchuf,
{ft mir doch noch nicht vorgefommen,
Ich war zwar ſchon zu wieberhol«
tenmalen in Graz, aber vor vielen Jahren;
nn
damals hatte man allerliebite landichaft-
liche Bilder ſchon von der Stadt aus, die
jegt durch Neubauten, die bis an die Berge
reichen, allerdings verdrängt find. Diejer
Nachtheil bringt wieder den Vortheil,
dajs, wenn man beute mit der Drahtſeil—
bahn in nur 11/, Minuten auf den
Schlojsberg gelangt, man einen geradezu
übermwältigenden, originellen Eindrud da—
durch genießt, dajs der 105 Meter hohe
Derg in der Mitte der Stadt ſich be-
findet. Eine ähnliche Stadt jah ih noch
nie! Die Bauten und Anlagen find rei«
zend und mahnen mich an Monte Carlo
an der Riviera. Someit ich mich erinnere,
war damals das Plateau am Schloi!-
berge Hein, beſchränkt und unbejchatter,
heute fommt es mir faft um die Hälfte
größer vor, obgleich drei pradtvolle Neu:
bauten entitanden find. Ein Prome—
nadeweg umſchließt den ganzen Berg, der
reizende Bilder zeigt, die ich damals
nicht kennen lernte,
Der vornehmite Bau ijt jedenfalls
do3 jogenannte Gallerienhaus, melde:
diejen Namen wohl verdient, weil es aus
vier Gallerien beftehbt, wovon jene die
größte ift, die mit der (Fläche des Daches
des zweiftödigen Gebäudes ſich zu einer
Terraſſe vereint. — Sehshundert Ver—
ſonen finden auf derſelben Raum, und
es iſt wahrhaftig ein ſeltener Genuſs,
16 Meter über dem Plateau dort weilen
und ſich nicht allein einer unbeichreiblich
jchönen Rundſchan erfreuen, jondern auch
über die feinften Genujsartifel verfügen
zu fönnen,
Dreimal in der Woche werden dort
nahmittags von den fünftlerijh wirfen-
den öjterreichijchen Militär-Gapellen Gon-
certe gegeben, und es iſt ein wahrhaft
großftädtiiches Bild, ſowohl auf den vielen
Terrafien wie auf dem großen Platcau
die elegante Welt von Graz nah Tau—
jenden vereint zu jeben !
Der dreißig Meter hohe Thurm
wird der Wusfiht wegen zahlreih be»
jtiegen, und am höchſten Punkte macht das
jogenannte Thurmzimmer den effectvollen
Schluſs; ih war entzüdt, als ich da ein-
trat! Welcher Unterjchied des Bildes, im
Ja —-
|
547
Nergleiche mit dem Plateau! Der Süd-
often der grünen Steiermarf lag mit
jeinen wechjelreihen Bildern zu meinen
‚Füßen! Der Nordmweiten rollte die Alpen
Oberiteiermarfs auf!
So viel Schönes auf einem Punkte
in der Mitte einer Stadt, die auch von
diefer Höhe mit neuem Reize übergoſſen!
Und mas dieſes Zimmerden, in
welchem vierzig Perfonen Pla haben,
alles in fi birgt!
Es ift ein Heiner Salon! Journale
liegen auf; telephoniihd mit dem Gafe
und den Reſtaurants verbunden, kann
in wenigen Minuten alles, was man
wünjcht, credenzt werden: eine allerliebite
optiihe Neuheit unterhält jehr.
Um fih auch im Winter in diejen Tus—
culum an einer Winterlandjchaft ergögen
zu fönnen, ift e3 zum Heizen eingerichtet
und mit Spiegelfenftern verjeben.
Höchſt originell ift, dajs von dem
riefigen Reftaurations:Gebäude mit jeinen
großen Sälen und Zimmern, welches eine
Bau-Area von 2570 Quadrat-Meter in
Anſpruch nahm, auch nicht ein Zoll des
Mauerwerfes von dem fib am großen
Promenadeweg ergebenden Publicum ge:
jehen werden fann, da des tiefer gelegenen
Baues wegen das Dach zu einer offenen,
vor Sonne gejhüsten Terraffe, in einem
Flächenraume von circa 1500 Quadrat»
Meter ausgenützt wird.
Hingegen iſt ber Effect diejes Ge
bäudes mit feinem Bogengange, von ber
nordweitlichen Seite der Stadt aus ge
jehen, ein äußerft impojanter!
Auch eine Sommer-Feſthalle hat man
geichaffen, wo durh Mufit, Gejang und
allerlei Productionen für das Vergnügen
des Publicums in abwechslungsreichſter
Weije geforgt wird. Sämmtliche Gebäude
nebft dem ganzen Berge jtrahlen abends
in eleftrifjchem Lichte, wahrlich ein reizen-
der Vergnügungsort !
Ich wollte mich eigentlih nur einen
oder zwei Tage in Graz aufhalten, aber
befonder3 die herrlichen Bauten, Anlagen
und Schönheiten des Schlojäberges feſſel—
ten mich derart, daj3 ich volle acht Tage
blieb und beim Fortgehen den feiten Ent«
ihluß fajste — nach Graz zu überfiedeln
und mich in dieſer Stadt bleibend nieder:
zulaſſen.“
Spottet nicht der Zuverſichtlichkeit,
mit welcher hier über ein großes Werk
geſprochen wird, ohne daſs eigentlich ein
Capital dafür vorhanden. Der Optimis—
mus iſt ſchöpferiſch! Der Gemeinſinn, die
Liebe zu unſerer Stadt wird es voll-
bringen. Und dann joll er nur kommen,
der Herr Amerifaner, wir werden ihm
ihon zeigen, daſs auch den Grazern ein—
mal der Knopf aufgeht ! R.
Mein focial = politifdyes
Glaubensbekenntnis.
Darf in diejer Zeit, wo jedermann
öffentlih ein Programm aufjtellt, nicht
auch der Poet eines aufftellen ? Solchen,
welche ohne jeine Schriften zu kennen
fih über ihn zu Gericht jeten zu dürfen
glauben, muſs es ja angenehm fein, des
Mannes Verhältnis zu den Tagesitrö-
mungen, jowie jeine Grundſätze und Jdeale
in wenigen dürren Worten zu vernehmen.
Ohne jelbjt Politiker zu fein, geht dem
Poeten die politiihe und gejellihaftliche
Entwidelung jeines Volfes nahe und er
hat wie jeder andere das Recht, vielleicht
die Prlicht, hiezu Stellung zu nehmen.
Jede der gegenwärtig in unjerem
Vaterlande wirkenden Parteien bat in
meinen Augen eine gute und eine jchlechte
Seite,
An der clerifalen Partei ift
gut, dajs fie chriftliches Leben fördern
und religiöje Güter wahren will.
Aber ſchlecht ift an der clerifalen
Partei, daſs fie politiihe Vortheile und
kirchliche Formſachen dem Geiſte des
Chriſtenthums vorzieht und daſs fie andere
Religionsformen mit blindem Zelotismus
verfolgt. — Deshalb kann ich nicht mit
ihr gehen.
Un der liberalen Partei if
gut, daſs fie die freiheitlihe Entwidelung
des Einzelnen und der Nölfer innerhalb
beitehender Geſetze begünitigen will und
eine freundin des Wiſſens und ber
Ihönen Künfte ift,
Aber ſchlecht iſt an der liberalen
Partei, dais fie in wirtichaftliden Din—
gen die Rechte der unteren Volksſchichten
nicht genug achtet und dem Cigenmuße
der Befigenden fröhnt. — Deshalb kann
ich mit ihr nicht gehen,
Under nationalen Partei ift
aut, dajs fie die Liebe zum angeitamne«
ten Volke heben und ſich in jeine Dienjte
jtellen will.
Aber ſchlecht ift an der nationalen
Partei, dajs fie die Vorzüge und gei—
ftigen Güter anderer Nationen verachtet
und die Nölfer von einander tremmen
möchte, anftatt fie zu verjöhnen. — Des—
halb kann ich mit ihr nicht geben.
Un der Antijemitenpartei
ift gut, daſs fie auf geiftigem und volfs-
wirtichaftlichem Gebiete das jüdifche Über—
gewicht eindämmen will,
Aber ſchlecht iſt an der Antijemiten-
partei, daſs fie den Raſſenhaſs predigt
und den Juden an Gut und Leben be
drohen möchte, bloß weil er Jude tft. —
Deshalb kann ih mit ihr nicht geben.
An der GSocialiftenpartei
ift gut, dajs fie die Armen aus unwür—
diger Knechtſchaft reiben und die Rechte
des Arbeiters zum Siege bringen will.
Aber ſchlecht ift an der Socialiiten-
partei, daſs fie die größten idealen Güter
des Menſchen, die Religion, die Wiſſen—
ihaft, die Kunft verleugnet und die Hab-
gier nah Materiellem anftahelt. — Des—
halb fann ich mit ihr nicht geben.
Meine Ideale find: Förderung des
hriftlihen Lebens, der ſittlich frei—
heitlichen Entwichelung des Menſchen,
Treue zum eigenen Volke, Verſöhnlichkeit
gegen fremde Volker, deutſches Gemüth
auf unſerem geiſtigen, deutſche Rechtlich—
keit auf unſerem wirtſchaftlichen Gebiete,
Befreiung der Armen aus geiſtiger und
materieller Unmündigkeit, und für die
ſchwerarbeitende Claſſe ein menſchenwür—
diges Daſein.
Daſs dieſes Programm ſich praktiſch
anſtreben läjst, glaube ih durch mein
Leben und meine Ecriften bisher be
wiejen zu haben.
P. K. Rojegger.
48
Liebe ein ſociales Programm!
Der Ernſt ſteigert ſich. Zwangs—
maßregeln und Waffen? Es iſt nicht das
richtige Mittel.
Nothwendig iſt Liebe, lautere Theil»
nahme für die Niedrigen, für die Arbei—
ter, für das Volk.
Sobald die Gebildeten den vierten
Stand lieben, lernt dieſer jene verſtehen
und würdigen. Es ijt nicht gemacht mit
Inftitutionen und Mohlfahrtseinrid-
tungen — perſönliche Theilnahme, Wohl:
wollen fordert das Herz des Arbeiters,
Der vierte Stand joll dem oberen nicht
ein Recht nach dem anderen abtroßen;
wir wollen ihm das jeine gerne freis
willig jofort geben, ſtatt ihm Wohl.
thaten aufzudrängen. Mit einem Worte:
der ideale Kern der jocialdemofratiichen
Bewegung will anerfannt jein.
„Es fehlt an Liebe!” Dagegen
Iprechen nicht die MWohlthätigkeitsanftal-
ten, die oft ein Sport, immer demüthi-
gend find,
Wir betrachten den Arbeiter nicht als
politiſch gleichberechtigt, Jondern als Neben-
menichen, als Machine. Statt uns in
perjönliche Beziehung zum Arbeiter zu
jegen, jehen wir mit verjchränften Armen
dem Spiel der einichüchternden Poliziiten
zu; man wißelt über die gutmüthige
Dummheit des Volkes, des Gulturdün-
gerd, Man eifert auf der Kanzel gegen
den Giftpfuhl der Selbitiuht und ver»
berrlicht die Bevorzugung der oberen
Claſſen dur den bequemen Hinweis auf
die göttliche Ordnung.
Worin liegt der Grund hiefür ?
In dem äſthetiſchen Mijsfallen unjerer
zarten Nerven an der wegen mangelt:
der Erziehung in graufiger Nadtheit und
Craſsheit fich jpreizenden Sünde.
„Berfehrt mit dem Volke!“
Macht den Anfang im kleinen, bei den
Dienitboten in und außer dem Hauſe.
Sucht fie in ihren Wohnungen auf, aber
nicht vom Diener, der die Weinflaichen
trägt, begleitet. Wie viel kann die Frau
der Frau jein, wenn fie fich gegenjeitig
ihr Leid jagen und tragen helfen. Da—
durch ſchlägt fih dann die Herzenäbrüde
zum Bertrauen, zum Verftändnis, Dann
ihwindet der Wahn, als habe die Bour—
geoifte einen Himmel auf Erden, als jei
die Geijtesarbeit fein ehrliches Handwerk.
Freilich, um die volle Würdigung der
Kopfarbeit zu ereichen, müflen mir für
die geiftige Hebung unferes Arbeiter:
ftandes jorgen, in der uns England viel
einzuholen gibt.
Geredtigfeit gegen die
Sünden des Volkes. Denken wir
an die Claſſenſünden, an die unerſetz—
lichkeit des Tamilienlebens. Ohne dies
wird die Genufsjucht nimmer ſchwinden.
Ye jeltener der Genuſs, deſto heißer wird
er erjtrebt, defto blinder gejudt. Unier
Beiſpiel bat das Voll verdor
ben. Unfere Prunkmähler und Prunk—
gemächer, die das Volk liefern und leiften
muſs, reizen die Begehrlichkeit. Auch der
Mittelftand ohne Gummiräder hat etwas
Großes vor dem Arbeiter voraus: die
Behaglichkeit der Familienſtube. Fan—
gen wir mit der Selbftinzuchtnahme an;
dann wird dort das Huhn im Sonntags—
topf und die Zufriedenheit jchon nach—
fonımen,
Achtung vor ber Arbeit des
Volkes. Sehet dem fittlihen Wert der
Arbeit. Für uns iſt fie nicht nur Mittel
zum Genuſs, jondern jelbjt Genufs. Aber
weldh ein Unterichied zwiichen Beruf im
echten Sinne, und Fabrikarbeit. Wir
wählen uns nah Wunſch und Drang
die Arbeit, für die wir Luft und Kraft
jpüren. Unfere Eigenart vermebt ſich
ganz allmählich mit unjerem Werk, dem
wir unbewujst den Stempel unjeres Seins
aufdrüden. Leber neue Sieg bringt
größere Kraft und Macht; e3 wächſt der
Menſch mit feinen höheren Zielen, es
wählt aub das Glück und die Freude
am MWeiterfhaffen. Wie anders beim
yabrifarbeiter: nicht die Wahl, jondern
der Lohn entjcheidet, nicht gejtalten, nicht
ſchaffen gilt es, ſondern fabrizieren,
Die Fabrik fordert vom Menjchen nichts,
und darım alles, Cine tödtlihe Mono: |
tonie dDurchichneidet die Lebenskraft; es gibt |
fein Biel, fein Plus, fein Glüd im Erfolg.
des Arbeiters.
Soll man darım die Fabrikarbeit
beflagen ? Das nützt nichts, fie ift nöthig.
Aber es gilt, das ftumpf und kalt ge
wordene Herz des zur Majchine gewor-
denen Wrbeiter® auf das Gebiet hinzu-
lenken, wo es wieder Menich jein darf
und kann. Die Religion ſoll dem Volke
erhalten bleiben, nicht weil fie es noth—
dürftig im Zaume hält und es meniger
gefährlich macht, ſondern weil es darin
Muth und Kraft zur Ausdauer, und den
Frieden mit fich und feiner Familie wie
derfindet. Das Familienleben mit jeinem
goldenen, verflärenden Ampelſchein iſt
unmöglihd ohne Sonntagsruhe, mit der
mehr und mehr Ernſt gemacht werben
muſs. Es genügt auch nicht, dajs mir
den Arbeiter nur bezahlen, und dod
Intereſſe, Sparſamkeit, Aufmerkſamkeit
für die uns zugutekommende Arbeit er—
warten. Wir müſſen ihn unſere Achtung
fühlen laſſen. Denken wir nur einmal
wieder an den Dienſtboten, der immer
bereit, nie verdrießlich, nie mit eigener
Angelegenheit beſchäftigt ſein darf. Wie
viel kann da oft ein nachfragendes, theil—
nehmendes Wort, befonderd aus dem
Munde der Frau nützen. Eine Bäuerin
nimmt die milde Gabe der Gutsherrin
oft gedanfenlos nnd als jelbitverjtänd-
(ih bin; dais fie von ihr auf dem
Kirchweg angeiproden iſt, vergiist fie
nicht jo leicht.
Achtung vor dem Ehrgefühl
des Molkes. Das Rolf fordert jie;
jonit wählt das Milstrauen. Im Drang
nach voller Selbitändigfeit jchreit der
Unterdrüdte jcheinbar gemein auf. Robert-
ion jagt: „Die wildeſte Auflehnung gegen
faljche Autorität ift nur der erite Schritt
zur Unterwerfung unter wahrhafte Aus
torität.*” Der Arbeiter will auf jeden
Fall Staatsbürger und Mitarbeiter, nicht
Nebenmenid und Maſchine jein, das
fordert er mit dem beiligiten Recht der
jelbftbemujsten Menjchenbruft. Die mio»
derne Wohlthätigfeit verlegt den beijeren
Iheil des Volkes; denn die Wohlthat
wird ihm aufgenöthigt. Die blane Bluje
ijt das allgemeine Ehrenzeichen, der Talar
Tarım: der ideale
fern diejer nach Selbitän
digfeit jtrebenden Bewegung
zwingt und, das Emancipatis
onsbeſtreben bes vierten Stam-
des zu fördern Mie hat fich der
Vater dem mündig werdenden Sohn ge
genüber zu benehmen ? Nicht zu gebieten,
jondern zu bitten, nicht zu verbieten,
jondern zu warnen. Es ift heutzutage
Mode, zu mijsbilligen, wo man nichts
kennt. Man redet von Pietät, wo man
die geiftige Trägheit rechtfertigen will.
An Stelle des Peifimismus der Trägheit
wollen wir Liebe üben und ausüben.
Wer's ernjt meint, der nimmt jeine Zeit
zuſammen, um fie dafür übrig zu haben.
„2ertraut dem Bolfe, das liebt jeine
Idealiſten.“
Solche Weiſungen finden wir in einer
Schrift „Evangeliſch-ſociale Zeitfragen“,
herausgegeben von O. Baumgarten in
Jena. Sie ſeien der Beachtung derer
empfohlen, die im Vortheile des Ranges
und des Reichthums ſtehen. Wohl immer
deutlicher wird es ſich zeigen, daſs Liebe
ein gutes ſociales Programm iſt. Möge
dieſes Programm nur auch eine Partei
finden !
„Bitte an den Clerus,“
Die Anregung läjst bereit3 wohl—
thätige Folgen erfennen. Eine Zeitungs-
ſehde wäre übrigens hier wohl ganz und
gar nnangezeigt. Das hieße die große
Sache entwürdigen,
Von den uns fortwährend zugehen:
den PBeijtimmungsbriefen ſei der nad»
jtehende abgedrudt. Er bietet, wie man
jehen wird, bejondere Bortheile.
Hocgeehrter Herr!
Sie werden überrafcht fein, von mir,
einem Ihnen wohl ganz unbekannten
Dianne, einen Brief zu erhalten. Der
Zwed desjelben ift, Ihnen zu jagen, daſs
ich mich herzlich freute, Ihre „Bitte
— — — — — — — — — —— —— — — — — — — — — — — — — — — — —
an den Clerus“ im „Heim—
garten” für Januar und Ihre neuere
Zuihrift im Märzbefte zu leſen. Ich
bewundere Ihren Muth und ſpreche
Ihnen meine aufrichtige Hochachtung aus.
Gott gebe nur, dajs Ihre mwohlmeinen-
den Worte bei vielen Anklang und Be—
achtung finden!
Das Evangelium Jeſu Chriſti iſt in
der That das beſte Lehrbuh für die
Hriftlihe Religion und Sitte. Alle an-
deren Religionsbücher follten dagegen
zurüdjtehen. Die Lehre Chrifti und der
Apojtel jind das Herrlichſte und Er—
babenfte, was je in Bezug auf Religion
und Sitte gelehrt wurde. Hätten die
Chriſten aller Zeiten und Confeſſionen das
„Meue Tejtament“ mehr gelefen, beberzigt
und befolgt, jo wäre viel Unheil verhütet
worden, E3 gäbe dann feine Spaltungen
und Secten in der Ghriftenheit, denn
der Wille Jeſu ift, dafs alle jeine Nach—
folger einander lieben, daſs fie „alle
eins jeien“, wie man bdeutlih aus
jeinen legten Reben an jeine Jünger fiebt
(3. B. Ev. Johannis, Gap. 15, Vers
12, 17, ſowie in Gap. 17, Ber3 21
bis 23). Dann hätte es niemals im der
Chriſtenheit Herenprocefje, Keperverbren-
nungen und dergleichen Dinge gegeben,
über melde wir Chriiten uns vor ben
Heiden jhämen müljen. Sie haben voll-
fommen rebt, wenn Sie jagen, ber
Staat jollte dafür jorgen, daſs das
Evangelium vom Wolle mehr geleien
werde; er würde dadurch für jeine Selbit-
erhaltung und Befeftigung ſorgen; denn
das Evangelium ſchließt den Elafjenhais,
Religionshajs, Nationalitätenhaid —
überhaupt jede Art von Haſs — aus.
Yejus lehrte: „Du jollft deinen
Nächſten lieben wie did jelbit“
(Mattb. 22, V. 39), und der Apojtel
Paulus ſchrieb an die Chriften in Coloſſä
(Gap, 3, ®. 11), es gezieme fih nicht
für Ghriften, Gewicht zu legen auf die
Abſtammung, den Stand und dergleichen,
jondern gegenjeitig „herzlides Er
barmen, Güte, Demuth, Sanft
mutb und Geduld“ zu beweijen.
Ihäten alle Ghriften nach diefen Ichönen
me
un A —
nn une
Vorſchriften, dann hätten wir jegt feine
oder doch weniger Kriege, feinen Anti«
jemitismus, feinen Socialismus, Nihilis-
mus und feinen Haj3 unter den ver-
Ichtedenen Nationen und Stämmen der
öjterreihiich-ungariihen Monardie. Wie
viel leichter wäre dann die Aufgabe ber
Fürſten und Staatsmänner, wie viel
glüdlider wären wir alle!
Bon ganzem Herzen wünjce ich des»
halb mit Ihnen, hochverehrter Herr, daſs
den Kindern unjeres Volfes — ja jedem
Ghriften, der's noch nicht hat — das
Evangelium Jeſu Chriſti gegeben werden
möge. Sollten Sie Arme kennen oder
fennen lernen, die es nicht kaufen können,
to bitte ich, demjelben zu jagen, daſs fie
da& „Neue Teftament” oder auch die
ganze Bibel dur mich umſonſt befom-
men können, und zwar die katholiſche.
Auch werde ich mit Vergnügen Ihnen
jo viele Eremplare des „Neuen Teſta—
mentes“ in fatholiicher oder evangeliſcher
Überfegung zujenden, als Sie an Arme
verichenfen wollen.
Mit dem Wunſche, daſs Gott Ihre
lobeuswerte Arbeit, jowie auch dieſe
meine Zeilen an Sie mit jeinem reichiten
Segen begleiten wolle, bin ih in voll»
fommener Hochachtung und berzlicher
Theilnahme Ihr ſehr ergebener
Ph. Wilhelm Reinmuth.
Graz, Zinzendorfgaſſe Nr. 24. Den
23. Februar 1891.
Bähme die Phantafie!
Aus dem Buche der Lebensweisheit eines
deutſchen Denters.
In allem, was unfer Wohl und
Wehe betrifft, jollen wir die Phan-
tafie im Zügel halten: aljo zu«
vörderſt feine Luftichlölfer bauen, weil
dieje zu fojtipielig find, indem wir gleich
darauf fie unter Seufzern wieder einzu—
reißen baben, Aber noch mehr jollen
wir uns hüten, dur das Ausmalen bloß
möglicher Unglüdsfäle unjer Herz zu
ängitigen. Wenn nämlich diefe ganz aus
der Luft gegriffen oder doch jehr meit
bergeholt wären jo würden wir beim
Erwahen aus einem ſolchen Traume
gleih willen, dafs alles nur Gaufelei
gewejen, daher uns "der bejjeren Wirk—
lichkeit umjomehr frenen und allenfalls
eine Warnung gegen ganz entfernte,
wiewohl mögliche Unglüdsfälle daraus
entnehmen. Allein mit dergleichen ſpielt
unjere Phantaſie nicht leicht; ganz
müßigerweile baut fie höchſtens heitere
Luftſchlöſſer. Der Stoff zu ihren finjtern
Träumen find Unglüdsfälle, die uns,
wenn auch aus der Ferne, doch einiger-
maßen wirklich bedrohen; bie Phantaſie ver-
größert fie, bringt ihre Möglichkeit viel
näher, al3 jie in Wahrheit ijt, und malt
das FFürdhterlichite aus. Einen ſolchen
Traum fönnen wir beim Erwachen nicht
jogleih abjhütteln, wie den beiteren ;
denn dieſen widerlegt alsbald die Wirk—
lichkeit und läjst höchſtens eine ſchwache
Hoffnung im Schoße der Möglichkeit
übrig. Aber haben wir uns den jchwarzen
Phantafien überlafien, jo haben fie uns
Bilder nahe gebracht, die nicht jo leicht
wieder weichen ; denn die Möglichkeit der
Sache im allgemeinen fteht feit, und den
Maßſtab des Grades derjelben vermögen
wir nicht jederzeit anzulegen; fie wird
num leicht zur Wahrjcheinlichfeit und wir
haben uns der Angſt in die Hände ger
lisfert. Daher aljo jollen wir die Dinge,
welche unjer Wohl und Wehe betreffen,
bloß mit dem Auge der Vernunft und
der Urtheilsfraft betrachten. Die Phan-
tafie joll dabei aus dem Spiele bleiben,
denn urtbeilen kann fie nicht, jondern
bringt bloße Bilder vor die Augen,
welche das Gemüth unnützer- und oft
jehr peinlicherweife bewegen. Am jtreng-
ften ſollte dieſe Regel abends be
obachtet werden, Denn wie Die
Dunkelheit uns furchtſam macht und
uns überall Schredensgrftalten erbliden
(äjst, jo wirkt, ihr analog, die Undeut—
lichfeit der Gedanken; weil jede Unge
952
wijsheit Unsicherheit gebiert: deshalb
nehmen des Abends, wenn die Abſpan—
nung Verftand und Urtheilsfraft mit
einer jubjectiven Dunkelheit überzogen
hat, die Gegenftände unjerer Meditation,
wenn fie unfere perlönlichen Verhältniſſe
betreffen, leicht ein gefährliches Anſehen
an und werden zu Schredbildern. Am
meiften ift dies der Fall nachts im Bette,
allwo der Geiſt völlig abgeipannt und
daher die Urtheilsfrait ihrem Geſchäfte
gar nicht mehr gewachſen, die Phantafie
aber noch rege it. Unjere Gebanfen vor
dem Cinichlafen oder gar beim nächtlichen
Erwachen find meijtens faft ebenjo arge
Derzerrungen und Berfehrungen der
Dinge, wie die Träume es find, umd
dazu, wenn fie perjönliche Angelegenheiten
betreffen, gewöhnlich pebihwarz, ja ent-
jeglih. Am Morgen find dann alle jolche
Schredbilder jo gut wie die Träume ver:
Ihwunden; dies bedeutet das jpanijche
Sprichwort: „Die Nacht iſt gefärbt, weiß
it der Tag.“ Aber auch ſchon abends,
jobald das Licht brennt, fieht der Ver—
ftand wie das Auge nicht jo Har, mie
bei Zage; daher dieſe Zeit micht zur
Meditation erniter, zumal unangenehmer
Angelegenheiten geeignet ift. Hierzu ift
der Morgen die rechte Zeit, wie er es
denn überhaupt zu allen Zeitungen ohne
Ausnahme, jowohl den geijtigen, wie den
förperlichen, ift. Denn der Morgen ift
die Jugend des Tages; alles ift heiter,
friſch und leicht; wir fühlen uns kräftig
und haben alle unjere Fähigkeit zu
völliger Dispofition, Man joll ihn nicht
durch ſpätes Aufftehen verfürzen, noch
auch an unmürdige Bejhäftigungen oder
Gefpräche verichwenden, jondern ihn als
die Quinteſſenz des Lebens betrachten und
gewillermaßen beilig halten, Hingegen ift
der Abend das Alter des Tages; wir
find abends matt, geſchwätzig und leicht-
finnig.
Zur anempfohlenen Bügelung der
Phantaſie gehört auch noch, daſs mir
ihr nicht gejtatten, ehemals erlittenes
Unrecht, Schaden, Verluſt, Beleidigungen,
Zurüdjegungen, Rränfungen und dergl.
uns wieder zu vergegenmwärtigen und aus:
zumalen; weil wir dadurd den längit
Ihlummernden Unmillen, Zorn und alle
gehäfftgen Leidenjchaften wieder aufregen,
wodurch unjer Gemüt wieder verun«
reinigt wird. Denn, nad einem jchönen,
vom Neuplatonifer Proflos beigebradten
Gleichnis, ift, wie in jeder Stadt neben
dem Edlen und Ausgezeichneten auch der
Möbel jeder Art wohnt, jo in jedem,
auch dem edeljten und erhabenjten Men—
ſchen das Niedrige und Gemeine ber
menschlichen, ja thieriichen Natur, der
Anlage nah vorhanden. Dieſer Pöbel
darf nicht zum Tumult aufgeregt werden,
noch darf er aus den Fenſtern jchauen,
— da er ih häſslich ausnimmt; die
bezeichneten Phantafieftüde find aber die
Demagogen besjelben.
Schopenhauer.
Wie dumm das junge Kind if.
Ein berühmter Naturforfcher hat num
auch die geiltige Entwidelung des Kindes
feftgeftellt und im Vergleiche mit den
Thieren folgende Entwidelungsitufen an«
gegeben.
Das neugeborene Kind fteht geiſtig
auf jo niedriger Stufe, wie ein Pilan-
zenthier. Das Kind im Alter von einer
Mode ift jo dumm wie ein Seeitern,
Mit drei Wochen kann es an Intelligenz
ſchon mit einem Ringelmurm wetteitern,
Mit fieben Moden tritt das Menjchen-
find an geiftiger Fähigkeit bereits
in die Reihe der Weichthiere ein. Mit
zehn Wochen Hat es die geiftige Höhe
der Spinnen erreicht, mit zwölf Wochen
gar ſchon die der Fiſche. Mit vierzehn
Mocen jteht es auf dem Niveau der höheren
Krebsthiere, und mit vier Monaten ift
die Seele des Menjchenfindes gleich der
eines Neptil3, Mit fünf Monaten ijt das
Kind jo geicheit wie eine Ameiſe, mit
acht Monaten wie ein Gimpel, und mit
zehn Monaten an geiftiger Größe eben-
bürtig einem Fuchs. Mit zwölf Monaten
bat es die Seele des Affen, mit fünf
zehn Monaten bereit3 die Seele des
Menſchenaffen . . . .
Weiter fommt der berühmte Gelehrte
in jeinen Offenbarungen nidt.
Wir
wagen ein paar Stufen höher zu bauen
und vermuthen nah dem Vorhergegan-
genen, dajs das Kind mit 11/, Jahren
doch ſchon reichlich fo vernünftig wie ein
Menſch, und mit 2 Jahren endlich jo
flug wie ein berühmter Naturforjcher fein
wird. M.
Beildien und Hefeln.
Zu einem Sträuflein gebunden von R.
In jedem Haus
Vor allem wert
Drei Dinge find:
Gine ſtarke Fauft,
Ein warmer Herd,
Ein Meines Kind.
O nein, mein freund, das will ich nicht,
Auf Menſchenherzen ziel’ ich nicht,
Mit Luft und Leiden jpiel’ ich nicht.
Viel lieber mit dem eitlen Tropf; |
Den aufgeblaj’'nen Menfchentopf, |
Den nehm’ ih mandmal gern beim Schopf. |
Gouvernanten, Erzieher,
Dieie beiden
Sind verflogen.
Das Leben, die Kiebe,
Das Leiden
Hat uns erzogen.
Dem Wählen folgt Müſſen,
Dem Fehlen folgt Büßen.
O Menſch, dein Zagen,
Das fann zu nichts führen,
Deine Pflicht ift wagen,
Dein Los ift irren.
Suche überall deinen Bortheil, nur!
dort nicht, wo er der Nachtheil eines anderen
wäre.
Ye mehr Bedürfniſſe du dir heute be:
friedigft, deflo mehr must du dein Ber:
mögen für morgen fparen, denn Die ange:
wöhnten Bedürfnifie often morgen nod
mehr Geld, als heute,
——
Die einfachſten Dinge fallen dem
Talente nicht ein, bloß dem Genie.
Es iſt rührend, wie mancher Menſch
lügend und verleumdend ſeinen Feinden zu—
liebe ein Spitzbub wird!
Was man fid; über Gottfried
Reller erzählt.
Viele Geihichten, die von der derben
Originalität Gottfried Kellers
zeugen, find in die Öffentlichfeit gedrun—
gen, ihnen fügt Dr. Schubert in der
„Deutſchen Romanzeitung” die folgen»
den hinzu.
Es war beim Feſtbankett gelegent-
lich des 25jährigen Jubiläums der Unis
verfität Zürich. Ein eigens zugereifter,
junger deutjcher Literat, etwas geſchnie—
gelt in Wort und Bewegung, genießt
den Borzug, Gottfried Seller vorgejtellt
zu werden. Mitten in jeiner Rede, wie
er die hohe Ehre zu ſchätzen wiſſe, einem
fo berühmten Manne die Hand drüden
zu dürfen, fährt ihn Gottfried Steller,
einen Schritt zurüdtretend, an: „Alſo,
Sie find au jo A verflucdhter Schmeichel«
hund ?*
Keller war bekanntlich nicht verhei-
ratet; jeines Hauſes in Zeltweg quter
Engel war jeine Schweiter. So lange
dieje lebte, waren feine freundjchaftlichen
Trinfgelage noch weniger häufig, als
nah ihrem Tode. Aber immerhin, fie
beitanden bereit? und ließen auch an
Gründlichkeit nicht3 zu wünſchen übrig.
Denn einmal — wie vielleicht jo manches:
mal — machten fich zwei feiner um einen
Grad weniger angetrunfenen Freunde an
das jchwierige Geichäft, ihn, den völlig
Wankenden, nachhauſe zu führen. Sie
nahmen. ihn in die Mitte und giengen
Arm in Arm mit ibm, indem ſich alle
drei feit aneinander fehmiegten. So famen
fie, unficheren Trittes, bis vor jein Haus,
läuteten und riefen der verjiblafen aus
dem syeniter herunterblidenden Schweiter
zu: „Jungfer Seller, bier bringet mer
Ahne au de Gotiried!” „Ja, wo
hänt' ere (babt ihr ihn)?“ fragte fie
erftaunt. Die beiden Freunde jaben ſich
betreten an: fie hielten wohl einander
feft im Arm, aber der Gottfried war
ihnen unterwegs herausgerutiht. Sie
giengen auf die Suche nah ihm und
fanden ihn, nicht weit davon, jtill an der
Seite der Straße liegen.
Jedoch nicht immer ließ fich Seller
aus der Kneipe geleiten, E3 traf ihn einft
in früher Morgenjtunde ein gleichfalls auf
der Heimkehr begriffener, feiner Herr, der
den Dichter nicht kannte. Als er den
alten Herrn irren und wanfen jab, erfajäte
ihn Mitleid ; er gieng freundlih auf ihn
zu und bot ihm jeine Begleitung an, bie
der rathloje Keller annahm, Als aber
der Fremde ihm mach jeiner Wohnung
fragte, fuhr er auf: „Du caibe (ver-
dammtes) Chalb, wenn i das wüſcht',
gieng' i allei!“
An ſeinem letzten Krankenbette ſaß
ſtets einer ſeiner Freunde, vorzüglich auch
der jeit einigen Jahren in Zürich ſeſs—
bafte Maler Bödlin. Als der kranke
Dichter einſt eingejchlummert war, jtand
Bödlin leife auf, jette fich hinter das
KHopfende des Bettes ans Fenſter und
las. Seller erwacht, ſieht ihn nicht, glaubt,
daſs er gegangen jei und jagt laut vor
ich hin: „Gottlob, daſs da Hagel (nicht3-
nußiger Kerl) ämal Furt iſcht!“ Weit
entfernt, dieſen aufrichtigen Gefühlsaus-
drud übel aufzunehmen (Keller wurde
überhaupt nichts und nie etwas übel»
genommen), bat Bödling ihn harmlos
weitererzählt.
Oft wohl mochte Keller geplagt jein
um jein „Autograph“, und vielleicht in
angeärgerter Stimmung jchrieb er, ſich
jelbit und unfere hohe Gultur verhöhnend,
1888 inein „Sünjtler- und Selbitichriften-
album”:
„Die Sonne lebt,
Die Liebe mwebt,
Der Streber firebt,
Tas Beh, das klebt,
Tie Erde bebt — —
Das Pech, das lebt,
Der Streber jtrebt,
Die Liebe mwebt,
Die Sonne lebt!"
Moderne Beridytigung
nah $ 19.
Es ift unwahr, dafs bei Herrn von Kramen,
Als wir neulih dort zujanımenfamen,
Ih beim Freundſchaftshumpen, bei dem
vollen,
Einen Silberlöffel hätt’ geftohlen.
Wahr hingegen ift bei meiner Ehre,
Dajs der Freundſchaftshumpen halb war
leere,
Und bei Kramen nicht, jedoh bei Kromen
Ich den Löffel heimlih Hab’ genommen.
x.
Luſtige Zeitung,
Der Poſtgehilfe Arthur Knutzel
war das, was Frig Reuters Unkel Bräfig
treffend mit „entfahnter Windhund“ be
zeichnet. Beim Schönen Geichlecht, dem
er mit ganzer Seele ergeben war, batte
er bisher wenig Glück gehabt. Was
halfen ihm Mouocle, Glacés, weiße
Weite, Enlinder — man überjah ibn
unbegreiflicherweile troß alledem, Aber
da fam ihm ein glüdlicher Bedankte. Wozu
hatte er auf dem väterliben „Gute“
(jein Bater war Holpächter und bejaß zwei
„ehr Fromme“ Pferde) dem Reitiport
gehuldigt ? Wenn er fi einmal hoch zu
Roſs zeigen würde, jo muisten ihm ja
alle Herzen zufliegen!“ So erſchien er
denn am einem Dienfifreien Nachmittage
geihniegelt und gebügelt, geitiefelt und
beipornt beim Poſthalter und bat Ddiejen,
ihm „ein anfebnliches, recht frommes
Pferd“ auf einige Stunden zu überlaſſen.
Der Mofthalter kannte feinen Mann,
„Bewijs, gern, Herr Secretär! Hier habe
ich ein schönes, ruhiges Pferd. Für ge
wöhnlih gebt e3 im Waletbeitellmagen,
it aljo ganz ohne Tücke. Uber mit den
Sporen müllen Sie fih ſchon in adt
nehmen, ſolche Dinger it das Thier
nicht gewohnt.“ Unſer Held jtieg auf,
und fort gieng ed. Doch die Gangart
des edlen Poſtgauls wollte ihm gar nicht
recht gefallen; ganz genau jo wie vorm
Tafetwagen trabte er. Dürfte er doc
nur die Sporen gebrauchen? Aber was
war denn das? Sept hielt die Rofinante
vor einer Schnapsfneipe und war
weder durch Schmeicdeleien, noch durch
Drohungen von der Stelle zu bringen.
Es wurde Knutzel klar, daſs das vor—
ſorgliche Thier ihn vor den Ort geführt
hatte, wo der Paketbeſteller ſich regel—
mäßig zu „ſtärken“ pflegte, und daſs
es nicht eher würde von der Stelle zu
bringen ſein, bis es das gewohnte Zu—
ſchlagen der Wagenthür hören werde.
Was war da zu machen? Schon erſchien
eine ſehr fragwürdige Geſtalt in der
Thür, ſich nach den Bedürfniſſen des
„Herrn Baron“ erkundigend, ſchon wollte
Knutzel um Hilfe bitten, das Pferd wie—
der in Gang zu bringen, da — nabten
zwei Damen, Töchter des Kaufmanns
Goldſtein; der einen detjelben batte er
ihon lange zu imponieren verjucht. Be—
merften ihn die Damen vor diejer Kneipe,
jo mujsten fie annehmen, er babe fich
bier erfriicht, hier, wo nur Plebs ver-
fehrte! Mit dem Muthe der Verzweif—
lung, uneingedenk der Warnung des
Poithalters, uneingedenk der Ihatjache,
daſs er noch nie in jenem Leben mit
Sporen geritten hatte, ftieß er dem Thier
mit aller Macht die Sporen in die
Weichen. Hoch bäumte es ſich auf, warf
Fritz Triddelfig — mollte jagen Arthur
Knutzel aufs Plaſter und trabte
heimwärts. Da lag nun der „Herr
Baron“, Gott ſei dank unverletzt, auf
dem Straßenpflaſter und hörte das
ſchadenfrohe Kichern der Goldſtein'ſchen
Damen. Entrüſtet ſprang er auf und
eilte mit heftig ſchmerzenden Gliedmaßen
dem Flüchtling nach. Dieſer war ange—
halten, und nachdem Knutzel Geſicht und
Kleidung nothdürftig gereinigt hatte,
vertraute er fih ihm noch einmal an,
um ihn dem Stalle wieder zuzuführen.
Knugel litt viel auf dieſem Ritt heim—
mwärts: Jeder, der ihn ſah, lachte ihm
umvilltürlih ins Geficht. Aber das
Schwerjte ftand ihm noch bevor. Ein
dienjttreuer Poſtgaul kennt feine Pflicht,
er weiß, daſs es niemals mach beendeter
Tour jofort in den Stall geht; erit zum
Poſtamte — abliefern. Dem Reiter
ftodte der Athem, als er die Abficht des
Thieres merkte, aber er wagte nicht, ſich
zu widerfegen — aus befannten Gründen,
Sp gieng’s denn im Paletitellmagentrab
auf den Poſthof; bald war das gefammte
Verjonal um Roſs und Reiter ver:
jammelt ; wa3 da an Spott dem Schaden
Knutzels hinzugefügt wurde, erlaſſe man
uns zu ſchildern. — ber die wohl»
thätigen Folgen blieben nicht aus:
Knutzel war zur Vernunft gekommen.
Des alten Wyneken, ihres
langjährigen Vorſitzenden, gebenft die
weit auögebreitete lutheriſche Miſſouri—
Synode in Nordamerifa noch heute mit
bejonderer Liebe und Freude. Er war
jeinerzeit, von jeinem Gewiſſen gedrängt,
binübergegangen, um den in Nordamerika
firhlih verfommenden Yutheranern zu
predigen, und wurde einer ber bedeus»
tendften amd auch originelliten Geift-
lichen des Landes. Einmal war er auf
jeinen Reifen in einem Gafthaufe einge-
fehrt, jaß ruhig am Tisch und verzehrte
jein einfaches Mabl, da trat ein junger
Laffe herein, erblidte den Prediger und
fragte ihn in unverihämtem Tone: „Na,
Sie find gewiſs ein Pfaffe?“ — „Ja“,
erwiderte W., „und dem Umjtande allein
haben Sie es zu danken, dak ih Sie
nicht zur Thüre hinauswerfe.“ — Wyneken
gab jehr wenig auf jein Äußeres. Ges
rabezu berühmt war jeine gelbe Hofe,
welche er wegen ihrer „Unvergänglich—
feit* bejonders liebte. Zu diejer war er
auf folgende Weile gefommen: In dem
Städthen Delatur kehrte er, um ver
Ichiedenes einzulaufen, in dem Laden
eines Mannes ein, der ein großer Säufer
war. Der ijt gerade dabei, einem anderen
ein Stüd jtarfes gelbes Zeug, jogen.
englifches Leder zuzumeljen. W., deſſen ſehen“, ſagte W. Indeſſen haben ſich
Hoſen zu jener Zeit gar jämmerlich aus- etliche zwanzig Zuhörer um beide ge—
jaben, jchaute zu, und vielleicht verriethen | jammelt, um zu ſehen, wo da3 hinaus
jeine Augen den Gedanken: eine Hole will. W. wendet ih an die Umitehen-
von jolhem Stoff würde auch mir gut | den und ſpricht: „Leute, ihr alle kennt
thun. „Willſt du aud ein Stüd haben ?* |diefen Mann ſchon lange Zeit. Was
fragte auf einmal der Kaufmann, W. meint ihr? Wer der Meinung ift, dais
jagte: „Nein, ich habe fein Geld.” —
„Und wenn ich dir eine Hole ſchenlte?“ —
„Ich will von Shnen nichts gejchenkt |
haben.“ — „So? warum denn mit?" —
„Weil mir dann der Mund gejtopft wäre
und ih Ihr Saufen nicht mebr ftrafen
koͤnnte!“ „So? Haha! iſt's das?
Nun, bier ift das Zeug, und nun jtraf
zu, was du Luft Haft.“ Wyneken
nahm die Gabe als ein Geſchenk Gottes
an. Er brachte das Zeug heim und ließ
ſich eine Hoſe daraus machen. Als aber
er ein Schweinigel ſei, der ſage Ja!“
— „Ja, ja“, ruft die ganze Verſamm—
lung. Und der Mann? Er geht ſtill
ſeiner Wege. W. aber eilte hinter ihm
drein, redete freundlich und ermunternd
mit ihm und hatte bald die Freude, ibn
als einen anjtändigen Menjchen rühmen
zu können.
Ein Arzt, ein leidenſchaftlicher
Nimrod, erlegt auf der Jagd einen
prachtvollen Steinadler. Hocerfreut trägt
er die Deute jorgfältig heim, da er be
jeine Rorfteher das neue Kleidungsftüd | abſichtigt, den Vogel als Hauptſchmud
haben, fragten fie erftaunt: „In aller seines Zimmers ausftopfen zu laſſen.
Zelt — wo bat denn ufe Taftor de Zuhanſe angelommen, hängt er das
gälen Bören ber?“ Sie hatten’s bald Thier in die Kammer, in welde er ftets
heraus, wollten aber wicht, daſs JENET | ſeine Jagdbeute, Rebhühner, Schnepfen
liederliche Saufer ſich rühmen ſolle, ihren „, ſ. w. bringt, md gebt dann ins
Paſtor bejchentt zu haben. Sie luden Wirtshaus, mo er von feinen Jagd
gemeinjchaftli einen Wagen voll Welſch- freunden beglüdwünfjcht und beneidet wird.
forn. Einer fuhr vor jenes Haus und
lud e3 da ab. Nun war das PVermwun-
dern bei dem. „Was machſt du ?* fragte
er erjtaunt, „ih habe dein Korn nicht
gefauft.” Jener aber fagte: „Da bajt!
du dein Geld für unseren Pajtor jeine
Böre. Du — Kerl ſollſt nicht jagen,
daſs dur unferen Baftor erhalten müjstejt. *
— Au einer anderen Zeit hatte Wyneken
einen Menjchen, der fich pöbelhaft betragen,
einfach einen „Schweinigel* genannt. Das
wurmte den Mann, und er brobte
öffentlih, er wolle ben Paſtor dafür
durdprügeln. Einige Tage jpäter begeg-
nen fich beide auf der Straße. „Sieh’“,
fagte W., „das ift gut, dais ich Sie
treffe, Sie wollen mich durchprügeln!
Dazu wäre nun Gelegenheit! — „Sa,
das will ih“, entgegnete jener halb ver—
legen, balb zornig, „Sie haben mic
einen Schmweinigel genannt!” — „Ganz
recht, und das find Sie ja au!”
„Mas? Kein Menſch kann das von mir
tagen!“ Tas wollen wir einmal
—
Als er abends heimfehrt, tritt ihm feine
Köchin, eine dralle Bauerndirn, entgegen
mit den Worten: „Aber, Herr Doctor,
was bees nor for e Vochel is! So
ſchwer han ich noch keen — geroppt!”
Gebejjert. Lientenant: „Ein
jähriger Kohn!“ — Unterofficier:
„Kuhn, Herr Lieutenant.“ — Lieute
nant: „Kuhn? Ih dachte Hohn...
Nun ja, der Mann hat ih überhaupt
in der legten Zeit ſehr gebeijert.“
Bider.
Die Bethanier. Eine biblifche Geſchichte.
Das vorliegende Heine Epos führt uns in
‚den Kreis der Geſchwiſter Eleazar, Martha
und Maria Magdalena. Sie harren des
Meſſias, jedes auf ſeine Weile; Eleazar
ſtarr ftrenggläubig, Martha rubig und
frohen Muthes, Maria jehnjühtig aus:
'ichauend nad dem Gotte der Milde, der
ı die Nächftenliebe gebietet. Im diejes jchöne,
Heilandes, um es zu verflären. Wie dies bei | Treue, die Stimmung und wiederum die
religiöfen Epen gewöhnlih der Wall ift, Phantaſie, welche in dieſen Illuftrationen
tritt das Iyriihe Element au hier durd; |jo mufterhaft zur Geltung fommen, heben
das ift die Klippe, welche jelbft Hlopftod | das Werk wejentlih über die jogenannten
und nicht einmal Milton umjdiffen konnte; | „Brachtwerke*. Der Freund von guten Holz:
indefien ift der Bau diejes kleinen Epos |jchnitten wird fich diefe Ausgabe der groß—
ziemlich feit gefügt und der Grundgedanke jartigen Dichtung nit entgehen laſſen
tönt überall jcharf genug durch. Mande | dürfen. M.
Partien, 3. B. die Verjuhung in der Wüſte
— obwohl nicht jeder mit der Auffafjung
eben diejer Stelle einverftanden jein dürfte,
— find recht fräftig durdgeführt und zus
weilen jogar von dramatifcher Lebhaftigfeit.
Der Bers ift gut gehandhabt und flieht
rhythmiſch dahin, zahlreiche Stellen find von
muſikaliſchem Wohllaut. Reine Stimmung
und zarte Poefie athmen bejonders die,
einen jeden Gejang einleitenden Verſe. Der
Verfaſſer (oder Berfafjerin?) hat ſich nit
genannt; wir fönnen in ihm jedenfalls ein
finniges, nad Edlem und Schönem ftrebendes
Talent begrüßen. E. S.
Der Pfarrer von Aßbach. Eine poetiſche
Erzählung von Alois von Warnus.
(Linz a. D. Hofbuhhandlung E. Mareis.)
Eine ſchlichte Dichtung, ein deutjames
Zeitbild aus Oberöfterreichs bewegten Tagen,
erbaulich zu leſen — aber mandem ein
Trutzlied.
Mirtala. Roman aus dem erſten Jahr—
hundert nach Chriſtus von Eliſe © rzeßko.
Autoriſierte Überfegung von Malwina
Blumberg. (Stuttgart. Deutſche Verlags:
Anſtalt.)
Uns nach Rom ins erſte Jahrhundert
nach Chriſti Geburt führend, zeichnet die
Verfaſſerin ein Bild der unter den Cä—
jaren mehr und mehr entarteten römi—
ihen Sitten, und läjst innerhalb dieſer
mehr blendenden als ſympathiſchen Kreiſe
das lautere, zum Herzen jprehende Weſen
der jhönen Heldin und die adhtenswerten
Seiten ihrer äußerlich bejcheidenen, inner:
lich aber gediegenen Familien- und Stam—
mesgenofjien zu um fo eindringlidyerer Gel—
tung fommen., Bi
Im Abendgold. Neue Dichtungen von
Otto Sutermeifter. (Frauenfeld.
3. Huber. 1891.)
In der Literatur Otto Sutermeifter zu
begegnen, freut uns immer, Sei es nun,
dass er als germaniſtiſcher Schriftſteller, als
Kinderlehrer, als Ethnograph, als Erzähler
oder als Dichter vor uns tritt, es ift immer
der reine, tief durchflärte und menjchenwarme
Beift. Seine neuen Gedichte „Im Abend:
gold“ gehören zu dem Beiten, was er uns
geichentt hat, Neben echten Herzensklängen
pofitive, frudhtbringende Weltweisheit. Im:
mer jpärlidher werden die welt: und himmel:
gläubigen Dichter; Hier fteht noch ein fol:
her, und wenn man die bedeutendften
Schweizer Poeten nennen will, jo mujs man
auh den Namen Otto Sutermeifter jagen.
In unferen Landen ift er no nicht genü—
gend befannt, darum rechnet es der „Heim—
garten” fich zur Ehre, ihn vorzuführen. In
einem nächſten Hefte findet der Leſer eine
Reihe Gedichte von Sutermeifter, die in
ihrer jchlichten Unmittelbarfeit mehr jagen,
als lange Beiprehungen beweijen fünnten.
Die Maltefer. Dramatifches Gedicht in
fünf Ucten, in freiem Bersmafße von Fries
drih von Kalchberg. (Als Manujcript
gedrudt. Brud. 1891.)
Die Zeit für diefe Art von Dramen
jcheint vorüber zu fein, umfomehr mutbet
uns eine Dichtung an, die wieder die Bah—
nen der Glajjifer wandelt. Doc fann der
Wert eines dramatiihen Werkes nicht ſowohl
durch das Lejen, als vielmehr auf der Bühne
beurtheilt werden, Vielleicht will's ein muthi—
ger Theaterdirector wagen! M.
Der Rönig von Zion. Epiihe Dichtung |
in zehn Gejängen von Robert Hamer: | —
ling. Illuſtriert von Adalbert von Rößler
und Hermann Dietrichs. (Hamburg. Ber: | Aus dem Wagebudre eines Preijährig-
lagsanftalt und Druderei Actiengejellicaft.) | Freiwilligen von Heinrih Harz. (Altona.
Diejes in dreißig Lieferungen erſchie— | Gebr. Harz.)
nene Prachtwerk ift nun vollendet. Die in Ohne viel Bier, wahr und ſchlicht fein
marfiger Manier fünftleriich durdgeführten | Soldatenleben erzählt! Wer es gerne willen
Sluftrationen find dem Text eine würdige |will, wie es draußen im Reiche in der Ka—
Zierde; einzelne der jehr zahlreichen Bilder 'jerne zugeht, der ſoll nur diejes Tagebuch
rührende Idyll tritt die hehre Lichtgeftalt des | find wahre Pradtitüde.. Die biftoriiche
leſen. Es ift recht liebenswürdig geſchrieben
und findet gewiſs bei allen, die einmal
Soldat gemweien, oder es noch find, reihen
Miederhall, M.
1888 bis 1891. Zoriale Briefe aus Berlin.
Mit befonderer Berüdfihtigung der jocial:
demofratifhen Etrömungen, Bon Otto
von Xeirner. — Verlag von Friedrich
Pfeilftüder in Berlin.
— J
Auf Schneeſchuhen durch Grönland. Bon
Dr. Fridtjof Nanjen. Lieferung 7 u. 8.
(Berlagsanftalt und Druderei W.:. im
Hamburg.)
Mit geipanntem Interefie verfolgt der
Lofer die Schilderung der Mühjeligkeiten
und Gefahren, mit welchen der fühne Nord:
polfahrer und jeine unerihrodenen Begleiter
Tag und Naht inmitten des Treibeiles an
Grönlands Ofilüfte zu fämpfen hatten. Nur
diefen Eharaftereigenichaften des Führers
ift es zugufchreiben, daſs die Erpedition
Nicht wie jonft in den meiften Schil: | nad unjäglicen Beichwerden feſten Fuß auf
derungen Berlins, bildet das äußere Genuſs—
leben den Stoff. Der Berfaffer führt uns
in das innere Leben der Reihshauptitadt
ein, fchildert die Kreiſe des Mittelftandes,
der modernen Million, der Künſtler und
Gelehrten, befonders der Arbeiter. Er zeich:
net die Frauen der verſchiedenen Stände
in ihrem Leben und Wirfen, führt uns den
Einflufs des Gafthauslebens in einer Reihe
von Betrachtungen vor. Wir lernen das
geiftige Proletariat fennen, die Bewegungen
innerhalb der Frauenwelt, den Einflujs
fremder Länder u. ſ. w. Bon befonderem
Werte find die Studien über das Wirt:
jhaftsleben in den Familien verjchiedener
Stände, von einem wohlhabenden Mdeligen
bis zu dem Arbeiter. Der größte Wert liegt
jedoh in den umfaſſenden Schilderungen
aus dem eben der jocialdemofratijchen
Arbeiterfreife, deren äußeres und inneres
Sein no niemals bei uns fo in die Seelen
eindringend bargeftellt worden ift. Hervor—
zuheben find noch die Abſchnitte, die die
religionsfeindlidhen Strömungen der unteren
Schichten behandeln und jene, die ſchildern,
wie Angehörige der oberen Stände zum
Anſchluſs an die Eocialdemofratie gelangen.
Das Werk bildet jo einen Beitrag zur
Geiftesgeihichte der Zeit, einen Führer zum
Verftändnis jener Bewegungen, die heute
den Bau des Neiches zu erſchüttern drohen.
V.
Natur und Menſchengeiſt im Lichte der Ent⸗
widelungslehre. Verſuch eines Ausgleichs
zwiihen Wiſſenſchaft und Weligion von
Dr. R. Rod. (Paul Hüttig. Berlin.)
In einer Zeit, in welcher fih das
deutjche Voll, wie viele Zeichen andeuten,
nach einer idealeren Auffaffung des Seins
und Lebens zurüdjehnt, will diefe Schrift,
die eine höhere und dod mit den Anforde:
rungen der Vernunft und Wiflenichaft ver:
trägliche Weltanſchauung bringt, viele zu
befriedigen und ihnen inneren Halt zurlid»
zugeben juchen. f
Grönlands eifiger Oftlüfte, dem Ausgangs—
punft der eigentlichen Eiswanderung, faſſen
lonnte. Die achte Lieferung unterrichtet den
Reier über frühere Verſuche, welche gemadt
wurden, um in das Innere Grönlands cin:
judringen, Verſuche, welche bislang ftets
erfolglos verlaufen find. V.
Die Hygiene der Haut. Bon Paul
Mantegazza. (Königsberg,Heinrih Map.)
Für die Pilege der Haut gibt Verfahler
vier Grundregeln: „Erhaltet die Blutcir—
culation in der ganzen Hautflädhe frei und
gleihförmig. Bewirkt und erhaltet eine freie
und harmonijche Ausdünftung. Entfernt
von der Haut alle ihre Ausiheidungsreite.
leiste, » die Berührung aller ſchädlichen
Stoffe, die von der Haut aufgenommen
werden können.“ Er gibt donn eine furze
Geſchichte der Waſſerheilkunde, bei Priebnig
und Fleury, den Begründern der modernen
| Kaltwafierbehandlung, länger verweilend.
Stalte Bäder unter 15° R. jollten nad jeiner
Unficht im allgemeinen nur auf ärztliche
Verordnung genommen werden, während
er die fühlen Bäder von 15— 20° R. aufs
eindringlichfte empfiehlt und ihre hygieni—
ihen Vorzüge dem Lefer in jeiner origis
nellen und anfhauligen Art ausführlich
begründet; nur müſſe man, jagt er, das
falte Waffer nicht als Allheilmittel betrach—
ten. — Zu den warmen Bädern über:
gehend, weist er auf ihre Nußen, aber aud
auf ihre phyſiſchen und moraliſchen Gefahren
bin; denn „im warmen Bade weht Der
Wind immer aus dem Orient*. Die Gründe,
weshalb viele ohne Verordnung des Arztes
heiße Bäder von über 30° R. nehmen,
geikelt er in überaus draftiicher Weiſe.
Angelegentlich empfiehlt erSonnenbäder
und Schwigcuren und gibt Mittel an,
am einfachſten in Schweiß zu gerathen, iſt
zurüdhaltend gegenüber den ruſſiſchen
und türkiſchen Bädern und widmet
den Vorzügen und Nachtheilen der Meer:
bäder eingehende Betrachtungen. — Im
nädften Gapitel behandelt er die Haut:
franfheiten, überall vorbeugende, bei
559
Vroftbeulen auch heilende Mittel angebend, Dem „Heimgarten* ferner zugegangen:
und ſchließt mit einer Qobrede auf die Nein: 2 e
lichfeit jein Büchlein, das im Gemwande Otto Fudwigs gefammelte Schriften.
einer unterhaltenden Lectüre eine Fülle von 2. Lieferung. (dr. Wilh. Orunow. 1891.)
Belehrung bietet. u P Lydia. Blätter der Erinnerung von
Franz Widmann. (Leipzig. R. Klaußne.
— — 1891.)
Aus dem Berlin Raifer Wilhelms I.
Die „Neue Wiener Büher:Beitung‘‘ (Ver⸗ Bilder und Skizzen von Paul Linden:
lag von 9. Bauers Buchhandlung, Wien)| berg. (Leipzig. Philipp Reclam jun.)
beabfihtigt, dem Publicum eine gediegene aifer Beinrih IV. Geſchichtliches
und gemeinverftändliche Literarifch = fritifche RL. fe a — von en
Lectüre zu bieten und die Lejeluftigen über) (Dresden. E. Pierfon. 1891.)
die neueflen literariſchen Erjcheinungen zu
orientieren. Es wäre eine öſterreichiſche Erzwungene Baden. Bon Joſeph
Bücherzeitung jehr zu unterftüten und wir) Joadhim. (Bajel. Beno Schwabe. 1890.)
wollen das neue, anftändig gehaltene Unter: Ammon. Traueripiel in fünf Aufzügen
nehmen im Auge behalten. M. |von®ernhardLömy:Lehlenyi. (Wien.
—— 2. Bergmann & Comp.)
Rinder-Sartenlaube. Farbig illuftrierte Aus den Sebenserfahrungen eines Bieb:
Zeitihrift zur Unterhaltung und Belehrung Leon: (Gotha. Friedrich Andreas Perthes.
der Jugend im Alter von 7—15 Jahren. ) j ö ü
X. Band. (Nürnberg) Wir weifen nur furz Edelweiß. Lieder eines Bergferen von
auf das Erſcheinen des neuen Bandes Hin., Hermann Eißler. Zweite Auflage.
Wie viele Kindesfreude ift wieder darin | (M. Breitenftein. Wien.)
M.
enthalten! Über Robert Hamerlings Lyrik. Cine
ar literarijche Studie von Dr. Ernit Onad,
(Graz. Leuſchner & Lubensty. 1891.)
Zür Begetarier. Wer das jchreibt, ift ; Hera,
ein Freund des Begetarismus, aber jelbft| zur. ———— ET
ift er noch nicht Vegetarier. Urfade: die) (Berlin. Hans Lüftenöder. 1891.)
leidige Gewohnheit und unjere — —
Einrichtungen, die es ſchwerer machen, Akademiſche Feſtrede zu Grillparzers
vegetariſch zu leben, als mancher glaubt, | hundertſtem Geburtstage. Gehalten in der
Aber das Richtige wäre es do! Und hoffent: | Aula des Garolinums. Bon Auguft
li bringe ih es no dahin, nur folge) Sauer. (3. ©. Calva'ſche Hof und Uni:
Nahrung zu mir zu nehmen, die dem menjch. | derfitäts-Buchhandlung. 1891.)
lien Gedeihen am förderlidften iſt. Das Sproffende Ranken, oder Wahrheit und
vegetariſche Kochbuch dazu habe ih jhon, | Irrthum. Grlebtes und Erdachtes von
es ift dasjelbe von der grau Charlotte Schulz | Seh, Geift (Münden und St. Paul,
verfafst —*— er age in un Minn. 1890.)
erſchienen. Man jagt, es ſei bisher das befte ;
; Ormus und Ahriman. Nadflänge von
aller vegetarifhen Kohbüger. Wenn man der Harfe Firdufis. Cine Sammlung von
nur aud die Köchin dazu Hätte! M. Balladen, Romanzen und poetiichen Erzäh:
lungen. I. Das Gejchent der Hölle. Bon
Adolf Teichert. (Berlin, Mar Breitfreuz.)
Wiener Humor. Sammlung der beften,
meift neuen bumoriftiihen Vorträge und
dramatiihen Gelegenheitsjadhen für Damen
und Herren. Herausgegeben von C. A.Frieſe.
Dritte Serie. 11. Heft. (Wien. C. Daber:
fow. 1891.)
„Bur Bee.‘ Vollsausgabe. Liefg. 7-9.
(Hamburg. Verlagsanftalt und Druderei
„Fleiſch für alle!“ Auf Veranlafjung
des „Allgemeinen Deutſchen Vereines für
Kaninchenzucht und Kaninchenverwertung“
iſt joeben im Verlag der „Neuen Blätter für
Kanindenzudt“ in Schöneberg: Berlin unter
dem Titel „Fleiſch für alle“ eine Anleitung
zur einfachſten und koftenlojeften Zucht ſowie
Maft von Schladtlaninden von Paul
Wajer erfhienen, welde den Betrieb der | Actien-Gefellſchaft.)
Kanindhenzudt nad einer ganz neuen, .
äußerft einfahen und nugbringenden Me: Deutfde illufrierte Bienenzeitung. Or:
thode lehrt. YV, |gan für die Gefammtinterefien der Bienen:
zudt. Herausgegeben von Gravenhorſt.
— (Braunſchweig. C. U. Schwetſchle & Sohn.)
Monatlich ein Heft.
BENENNEN VE EEE —
Iluftrierte Jühliche Blätter. Zeitichrift
für die gefammten praftiihen Bedürfnifie
und Interefien des täglichen Lebens, insbe:
fondere für Gartenbau, Blumenzudt im
Zimmer, Öejundheitspflege, Land: und Haus:
wirtfhaft und verwandte Zweige ꝛc. ꝛc.
Herausgeber und Redacteur: Otto Pfeif—
fer. (Wien.)
Ratehismus der Wäfdebehandlung. Prat:
tiiher Nathgeber für Frauen und Töchter,
zur rationellen Behandlung aller Wäſche—
gegenftände in Leinwand, Baummolle, Wolle
und Seide; nebit FFledenreinigung. Bon
H. Shlihting. (U. Hartleben. Wien.)
Louis Runges Internationale Eilgut-
Tabelle und Tariffilometer: Zeiger, (Louis
Runge. Berlin, NO.)
Yoftkarten des Yeimgarten.
m. S$., Gras: Antworten Ihnen mit
Tr. Kollmanns Worten, welche man heute
wahrlih über die Thüre eines jeden Fa—
milienhauſes jchreiben follte: „Jahrhunderte
hat es der Jugend nicht geichadet, ſich auf
der Gajie zu fummeln oder mit Spielge:
nofien durch Wald und Feld zu ftreifen.
Jetzt foll das plöglihd mit den äußerften
fittlichen Gefahren verbunden fein. Weil ein
paar Bürſchchen moraliſch verlommen, jetzt
wie in allen Zeiten, und die Freiheit miſs—
brauden, werden alle ins Gefängnis ge:
ftedt. — Grauſame Logik! Der nenefte Ruf
ift: Keine Gafjenbuben mehr. Die armen
Jungen, die fid nah der Schulzeit auf
der Straße herumtreiben, müflen eingefangen
und dann noch auf ein paar Stunden an
den Kleiftertiich, den Schraubſtock, die Dreh:
bank gefejlelt werden, um in ihnen den
Sinn für erwerbende Arbeit beizeiten zu
weden. — Um ®otteswillen, treibt e8 nicht
jo weit! Laist den Buben do die Freiheit,
durh Regen und Schlamm, glüdlih wie
ein König und pfeifend wie eine Drofiel,
hinaus in Feld und Wald zu ziehen, fümmert
euch nicht um jeden Schnupfen, den er heim:
bringt, um jede Obrfeige, die er gibt und
empfängt. Die Sade ift gewiſs ſehr wohl
gemeint, aber wollt ihr denn in den Städten
lauter geiftige und förperliche rüppel heran:
ziehen ?*
* Spenden für die Erhaltung und Er:
weiterung des jo wohlthätigen Knaben-Aſyls
und Maifenhaufes „Marianum* in Graz
560
—
wären zu jhiden an die Eammelitellen
„Tagespoft*, „Morgenpoft*, „Bolfsblatt*
undin den Pfarrhof zu St. Leonhard in Graz.
Die Anftalt ift von Menjchenfreunden ge:
gründet und auf deren weitere Beihilfe
angemwiejen.
3. 3. B., Wallenfadt: Die bewufsten
Kärntnerlieder erfienen bei Johann Herze
in Klagenfurt.
8. $., Gras: Zu tendenziös,. Auch die
Mundart mangelhaft, dem Sinne nad aller:
dings wader.
3. 3. B., Judenburg: Sie irren, wenn
Cie glauben, dafs die clerilalen Zeitungen
die Kirche find. Es find eben Zeitungen
wie andere — nit fhlimmer und nicht
beſſer.
E. P., Schönwald: Die Bemerkung war
eine Polemikt gegen die Kreutzer-Sonate“
von Tolftoi, welchen die Slaven gegen:
wärtig für ihren größten Dichter halten.
Zolftoi hat aber in jeinem genannten Werte
die Liebe zwiihen Mann und Weib jo tief
erniedrigt, daſs die Nation dagegen laute
Verwahrung einlegen müjste!
6. M. Wien: Ya, die Selbjtanpreiiung
mancher Reichörathscandidaten war diesmal
doch ein bilshen zu markltichreieriih. So
machen's die Seiltänzer, Schlangenbändiger
und Feuerfreſſer auf Jahrmärkten.
D. W., Angarn: freilich muſs es in jenem
Gedichte von U. v. Berger ftatt gold’nes
Schlüfjelein: gold'nes Schüfjelein heißen.
Damit entfällt auch die fritifhe Bemerkung
des Mecenjenten. Der Dichter wünſchte
übrigens, daS in einer jo jelbftverftändlichen
Sade die Berichtigung unterbliebe.
*Bitten, unaufgefordert Beiträge,
welder Art immer, nicht einzujenden.
Das gilt ein- für allemal!
* Im vorigen Hefte hat der Drud:
fehler:Kobold wieder allerhand Spaffetteln
gemadt. Im Aufjage über Hermann Hango
hat er anftatt Hango mit einer Confequenz,
die man ihm nicht zugetraut hätte, „auge“
gelegt. Auf Seite 467 heißt es Zeile 13
„treifli, überaus eigenartig,“ joll aber
beißen: ftofflidh überaus eigenartig.
Zeile 29 joll es heißen: Fine glüdliche
Verbindung von realem Denken und ide:
alem Gmpfinden u. ſ. w. Mit Vergunft,
Herr Kobold, Yhre Mitarbeiterihaft eins
für allemal danfend abgelehnt.
Für Die Redaction verantwortlih P. A. Bofegger. — Druderei ‚Leytam“ in Öraj.
— — nn — —
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Am Tage des Geridts.
Gin Bollsjhaufpiel in vier Aufzügen von P. R. Kofegger.
(Den Bühnen gegenüber alle Rechte vorbehalten.)
(Fortjegung.)
Dritter Aufzug.
Eirafe. Rechts von den Zuſchauern eine gemauerte,
balb verfallene Hütte, zu deren niedriger Thür ein
paar Etufen binanführen, Yinfs& ein großes roth-
angeftrihened Areuz mit einem Faft lebentgroken
Ghriftusbilde. Unter dem Sreuze eine Stniebanf,
Am Hintergrunde freie Gegend, ſchönes, ſonniges
Sandihaftsbild. Die Etimmung hochſommerlich.
Erſter Auftritt.
Der Schorſcher, ein vierihrötiger Dann in hoben
Stiefeln, grauer Anichofe, dunfler Wefte mit einer
Reihe von aroßen Eilberfnöpfien, in Hemdärmeln,
mit bunter Zipfelmübe, das Geſicht breit, geröthet,
bartlos, brutale Züge, ———— und Wimpern
aſchfalb.
Schorſcher (fteht mitten auf der Straße
und betrachtet die Hütte). Sind und Schad!
Was das für ein fauberes Häufel ift
gewejen vor ein paar Jahren! Und
wie ſchaut's jet aus! Das Dad) zer-
lempert, die Fenſterſcheiben zertrüm—
mert, der Zaun zerrifen und ver—
brannt. Und was die Alten übrig
lafien, das zerflören die Rangen. —
Mofegger’s „„Heimgarten‘‘, 8. Geft. XV.
Schad um die Hütten. Und feit zwei
Jahren nit einen Kreuzer Zins! —
‚Am allermeiften harb ich mich über
mich jelber, daſs ich jo gut bin und
es nit Schon lang nausgeſchmiſſen hab,
‚das Glumpert! — ber jebt, jest iſt
meine Geduld zu End. — Er ift ein—
geſperrt, fommt eh nimmer aus, vor
dem brauch” ich mich mit mehr zu
fürchten. Jetzt mag er läftern wie er
will. Lältermaul! Als Gemeindevor-
ftand und Armenvater ift es meine
Pflicht, dieſe Leut' zu verjagen, wir
ı haben unfere eigenen Bettelleut’. Ich
bin Armenvater und weiß, was meine
Prliht und Schuldigkeit ift. (Hinaus-
blidend.) Nau, was fteigt denn da für
eine verdbädhtige Greatur daher! Wird
ihnen doch der Straßl nit wieder aus—
kommen fein! — Ab, der Ameisgraber
iſt's. (Ihn anrufend.) Na, Seppel, ift heut
‚Feiertag bei dir, daſs du im jchönen
Gwand umgehit?
36
ee ee een Ws ea
Zweiter Auftritt.
Voriger Der Shwaryj«Seppel in feinem
jerfahrenen, abentenerliben Walbanzug fommt von
rechts die Strake heran.
Schwarz-Seppel. Heut hat
alles Feiertag. Heut wird der Straß
eintunft,
Schorſcher. Ab, zum Gericht
gehſt. Na, ſchaut's nur, ſchaut's, daſs
was ausricht's. Ich werd' derweil da
drin' Ordnung machen.
Tritt raſch in bie Hütte.)
Schwarz-Seppel (betramtet bie |
Hütte). Sas Maria, iS dad a Glum—
pert, de Hütten! Ich glaub’, es wohnt
fogar wer drinnen. Na, da möcht” ich
nit bleiben. Da iſt's mir erit in
meiner Wolfshöhlen noch Lieber.
Der Borige Lodel. Ebenfalls in ärmlichem,
aber ziemlich forgafältig gebaltenem Eonntagsgewanbde,
mit einem tod in der Hand, kommt dieſelbe Rich⸗
tung wie der Eepp, dieſen einholend.
2odel. Laſs Zeit, laſs Zeit,
Seppel! Schon a Weil Hab ich dich
vor mir dahergehen jehen, man meint,
du bift mit zum derwiſchen.
Shwarz-Seppel. Sie jagen,
wenn man zu fpat kam, wurd' man
geitraft.
Lodel. Mufst gewiſs auch in die
Stadt zum Gericht, des Straßl wegen?
Schwarz: Seppel. Freilich ver-
langen’3 mich, zum Ausſagen. Der
Straßl, das ift ein Dartgefottener,
Schwarz-Seppel. Nau?
Lodel. Rath’ einmal,
Schwarz-Seppel. Geh’ mit
dem Rathen da. Wenn einer einmal
‚Sagt: rath', da rat’ ih nit. Da
errath't man's gewijs nit.
Lodel wichtig thuend),. Eine Pech⸗
kratzen hat man bei ihm gefunden!
Der ſchlechte Lump wär' mir noch ins
Gei'gangen! Werd's ſchon fürbringen.
Werd’ reden heut' — ich red’! Pech—
kratzen wär' er 'gangen, wenn fie ihn
nit zum Glück Früher derwiſcht hätten.
Der miſerablige Kerl!
Schwarz-Seppel (mit der Fauft
niederwärts ſtoßend). Der Straßl, der
muſs abi!
| 2odefcin die Lüfte weifend). Auffi muſs
‚er, auffil! Und wir müffen abi —
in die Stadt. 's wird ſchon bald neuni.
Pritter Auftrift.
Die Borigen Altes Dännfein, meldes
etwas Polfterlih-Altweibiihes an fi hat, zahnios,
gebüdt und baflig, trippelt dieſelbe Richtung wie Die
frügeren daher.
Altes Männlein. Stad, Leuteln,
fajst’s mich ah mitkemma.
Lodel. Oh, ſchau, die zottete
Maus ift auch da. Bit auch vor»
geladen ?
Altes Männlein. Borgeladen,
‚das nit. Ich geb’ freiwillig. Will mir
amal an guten Tag anthun. Bin neus
mit dem g'ſchaffen's nir allein, die
gierig, was ihm gefchieht. Ich fürcht'
Richter. Müffen wir ihmen helfen. nur, er geiteht’8 ein, nachher wird er
Wenn wir nur den wegbradten! hat
unfer Gemeindevorftand gejagt.
Lodel. Jetzt, wenn wir zuſammen—
halten, bringen wir ihn weg.
Schwarz: Seppel. Du jag’,
friegen wir a Bezahlung ?
Lodel. Fürn Gang?
Schwarz: Seppel. Freilich für'n
Gang, weil wir nit fahren und mit
reiten. Der Weg vom Kreuzed her
ist weit.
Yodel. Umſonſt thu' ich's mit.
Fünf Gulden für den Gang wird nit
zu viel jein bei einem jo großen Spitz—
buben. Und weißt, was fie gefunden
haben bei ihm ?
am End gar nit gehentt.
Lodel. Die Leugner nit? und
die Eingefteher auch nit? Ja, wer joll
‚denn nachher überhaupt noch gehenkt
werden ?
Altes Männlein. Die ehrlicden
Leut'!
Schwarz-Seppel. Das wär’
ja ſchrecklich!
Lodel em Edwarz-Ecppel auf die Adfel
Hopfend),. Sei ganz ruhig, dir geſchieht
nichts.
Altes Männlein. Gehn ma,
gehn ma, dafs ma nit z'ſpat kema.
Bin ſchrecklich neugierig !
I (Ule drei ab.)
Vierter Auftriff.
Martha. An einfadhem, dunkelfärbigem Gewand,
ftaubigen Schuhen, einen gebrodenen Baumait als
Etod tragnend, fommt dieſelbe Richtung wie die
Porigen. Steht ein wenig fill, ſchaut aus, feht
ih dann auf die Stufe unter dem Areuze und
trodnet fh mit einem Zuh den Schweiß vom
Angeſicht.
Ma rtha— (in einem ernſten Bolfsfiedtone
balblaut vor fid hin).
Und wenn dein Lieb geftorben ift, geftorben ıft,
Eo graben fie ein tiefes Grub,
Und legen ein Kreuz ihm auf die Bruft,
wohl auf die Bruft,
Und fenten es ftill hinab.
So haft du dich don mir gemwend’t,
Und ih bin blieben dein,
Gott mit dir, Gott mit dir, du füßer Freund,
Es hat jo müſſen fein,
Meine jelige Mutter, wie oft hat
fie diefes Lied gefungen! Hat fich wohl
nie gedacht, daſs es einmal jo auf
mich wird paflen, und das ich ein—
mal den Weg follt’ machen müſſen,
den ich heute geh’. Zum Gericht. Freie
Lich wohl befjer als Ankläger, wie als
Angellagter. Gott mög’ uns behüten —
all’ miteinand’! Mein Weg ift hart
genug. US Zeugen gegen den, der
mein Alles hat zerftört. — Still ift’s
bier wie in der ewigen Ruh’. Dafs
es gar jo furz ift geweſen mein Glüd
auf der Welt. Daſs es gar jo ſchreck—
bar hat müſſen enden! Wochen und
Moden find jeither vorbei, und ich
kann's nit fallen und immer noch nit
glauben. Als ob mir einer einen
Schlag hätt’ gethan aufs Haupt —
und betäubt. So taumle ih hin. —
Jetzt ſoll ich ausſagen gehen, was 1“
weiß. Mein Gott, was weiß ich denn?
Wer kann's jagen? Mein Glauben ift
wohl, daf3 er's war. Geweſen wird
er's fein, es weist fich alles jo. (Mit in-
nerer Leidenſchaft. Jefus, ich bin nit rach—
gierig, aber für den, der’3 gemwejen,
ift fein Galgen zu Hoch. Gon der Ferne
hört -man das gleihmäßige Klingen einer Rirden-
alode. Martha horcht. Läuten thun fie.
Was fie nur fo läuten mitten im
Werktag? Freitag ift, die neunteStunde.
Das Verſcheiden Ehrifti. Eie fattet auf
dem Schoß die Hände, und mit geſenltem Haupte
betet fie, während die Glode noch leiſe Elingt.)
Fünfter Auftritt.
Die Vorige Vor der Hüfte wird ein Kleines,
etwa fünfjühriges Mädchen fihibar, Everl, mit
wirrem Haar, in jchlehte Lumpen gelleidet, barfuf,
mit mageren Gliedern. übſcheß Gejihthen. An
einem Finger lutſchend, fteht fie an der Hüttenecke
und ſchaut mit fhredigen Nugen, mifttrauiih und
neugierig zugleih, auf Martha.
Martha ivemerft das Mind, hebt den
Kopf. Für ih), Mein Gott, das Kind dort.
Arme Leut’. Überall voller Elend, wo
man hinſchaut. (Sreundti zu Evert.) Dirndl!
Geh her da, Dirndl, geh her zu mir.
Komm, ich thu' dir nichts.
Eder! imaht zögernd,
ES chritte vor Martha fichen).
Martha. Schau, biſt ja ein
braves Madel, du. Magft mir nit ein
Krügel Waſſer bringen ? Zum Trinken.
Kriegſt nachher von mir einen Kreuzer.
Gelt ja!
Everl {geht um die Hüttenecke und ver;
ihwindet.)
(In der Hütte erhebt fh ein Lärm, Geſchrei,
fradiende Döbel.)
Sechster Auftritt.
Die Vorige. Der Schorſcher. Jeſſel, noch
jugendlih, Nicht unfichönes, aber blaſſes, ein-
gefallenes, krankes Geſicht, ſchwarzes Haar in loſen
Strähnen, dunkle, große, wirre Augen. Nothdürftig
mit grauer Leinwand belleidet, eine mattfarbige
Bertdede Hühtig um den Oberleib gewunden.
S ch Dt j ch er (tritt mit gebaflten Fäuſten
lebhaft gefticulierend aus der Hütte, indem er einen
daneben ftehenden Holzſechter mit dem Fuß fortftöht.
In die Hütte zurüdihreiend). Das will ich
doch Sehen, ob diefe Brut nicht zu ver—
tilgen ift! Wimmern und betteln die
Her’, die faule!
N [4 ij £ [ (wanft jur Thür heraus. Mit vor-
geſtredten, fleiſchloſen. gefalteten Händen dem Schor-
ſcher nachflehend.. Herr Borjtand! Mein
bleibt aber einige
| Herr Vorftand! Nur noch kurze Zeit
Gnad' und Barmderzigfeit! Bei dem
am Kreuz bitt’ ih, mur heut noch
Geduld! Nur Heut noh! Wer weiß,
wie ſich's ändert! Gott wird's ver-
gelten an Euren Kindern.
Schorſcher war. Hab ich ihrer ?
Gott fei dank, nein,
Seljel {int vor Schorſcher aufs Anie).
Gott foll Euch fegnen an Eurem Haus
und Stall, an allem, was Ihr lieb
babt, Nur unfer Elend laſst Euch
erbarmen.
36*
Schorſcher. Ich hab's gejagt.
Ich bin Armenvater. Hab auf unſere
Leut' zu ſchauen. Du weißt, was ge—
ſchieht. Gehſt nit hinans, ſo fliegſt
hinaus! mitſammt deiner Brut. In
einer halben Stund wird auskehrt!
Ich hol' meine Knechte. Hinweg da!
EStößt dab ihm mit dem unglafierten Waſſerkrug
über den Weg laufende Everl beifeite.) Bande,
verbädtige!
Siebenter Auftritt.
Martha. Everl, Aeifel, Lebtere iſt an ber
Etufe der Hiltenthür zufammengefunfen.
Everl, dem bei dem Etoße der Waflertopf zu Boden
gefallen und zerichellt ift, hebt an zu Fchluchzen.
Martha tgütig zu Ever. Malheur
haft gehabt mit dem Waffer. Der harte
Mann! Der grauslihe Menſch! —
Komm her, Kind, deinen Kreuzer kriegſt
du doch. Seh’, greif am! (Evert naht zu-
traufiger.) Einen weißen friegft, einen
Schimmel. Da ſchau, dafs du dir
eine Semmel kannt kaufen, eine recht
große. (Gibt dem Everl eine Silbermünge.) Bil
ja ein liebes Dirndl, du. — Die dort,
das ift deine Mutter, gelt?
Eder! inidt mit dem Kopf).
Martha. Sag mir einmal, Kind,
wie thuſt denn du heißen, han?
Everl. Eva Straßl.
Martha. Wie? Wie fagft?
Everl. Eva Strahl.
Martha. Strafl! Straßl! Und
dein Water ?
Everl. Eingefpertt.
Martha dislänt die Hände zufammen.
Für ib.) Da hat man's. Die Straßl-
564
|
Toni-Leut'. — Gott, da ſchaut's aus!
Jeſſel ür ir. Iſt das ein Leben!
Martha échennehmend). Iſt Euch
ſchlecht?
Jeſſel qiets bitier und hetb). O Gott!
Martha. Was iſt denn das mit
Euch?
a e ij el taufzwdend),
Das Elend ift das.
Martha. Ihr jeid kranf. Und
jo allein,
Jeſſel (auf mehrere hübſche, aber ver—
wahrloste Ainder deutend, die in der Thür zum
Vorſchein kommen). Yeider Gottes, nein.
Was das ift?
Martha. Steht Euch denn nie—
mand bei?
Jeſſel. Uns? Uns beiftehn? —
Frau, bift denn du nit gefcheit ? oder
fremd? Bift nit auch du gelommen,
uns einen Fußtritt zu geben? Nur
zuftogen, da find mir.
Martha. Weib, was find das
für Reden ?
Seffel teren. Alfo was willſt?
Martha. Auf dem Weg in die
Stadt bin ich. Wollt' ein wenig raſten
da, und — wenn dir ſchlecht iſt, und
ſonſt niemand bei dir —
Jeſſel Gitier). In die Stadt, da
musst Schnell machen, fonft verfäunft.
Iſt große Unterhaltung dort.
Martha. Weiß nichts. Ich küm—
mere mich um feine Unterhaltung.
Jeſſel. Zu der ſollſt aber doch
gehen. Dan ſieht's nit alle Tag, wie
einer gehenft wird.
Martha. ch weiß nur, dafs in
der Stadt eine Gerichtsverhandlung ift.
Jeſſel. So viel wie gehentt. Iſt
ja der Straßl-Toni. Natürlich. Hat
ja einen Jäger derſchoſſen.
Martha. Iſt es doch wahr!
Jeſſel. Natürlih! Sagen es ja
alle. Alle ſagen's. So muſs es wahr
fein. Da Hilft ihm nichts. — Morgen,
wenn die Sonne unten ift — oh!
(Birgt ihre Geſicht ſchaudernd in bie Lappen.)
Martha Geugst fi nieder zu Jeſſel, um
ie aufzurichten). Mufst nit, Weib, mufst |
nit fo. Gott iſt barmherzig. Und du |
bift ja unschuldig.
Jeſſel. Unſchuldig? Mitſchuldig,
muſst du ſagen. Mitſchuldig! Ich und
die Kinder ſind ſchuld, wenn er mit dem
Gewehr in den Wald gehen muſs.
Wir haben ja nichts! Oh, die
Leut’ verfolgen uns,
Mart h a (üb gegenüber auf einen Holz
blod jehend). Aber mein Gott, das muſs
doch eine Urſach haben!
Jeſſel. Freilich hat's eine!
Martha. Thut er trinlen oder
jpielen, oder was ?
Jeſſel. Dazu haben wir fein
Geld. Aber foviel fhimpfen, wenn er
wild ift und zornig und trußig. Der
Trutz ift fein größter Fehler. Und ſonſt
ih Halt auch nit ſchicken können zu
den Leuten, Aber das thät’ alles nichts
machen, unjere größte Untugend ift,
daj3 wir arm find. Arm und fremd,
Haben keinen Heimgang. Jeder Bettler
kanu heimgehen und jein Elend ab»
laften auf der Heimatserden. — Wir
find ander? dran, mein du. Der
Straßl-Toni ift fahrender Leute Kind,
hat keine Schriften, gar nichts. Überall,
wo wir mögen jein, hätten fie uns
gerne fort und willen mit, wohin mit
uns. Was wir fchon Hin» und ber»
geſchummelt worden find wie die Zi—
geuner! Möchten gerne arbeiten und
feftftändig werden — fie laffen uns
nit. Nichts als getreten, nie was
Gutes, feine Brüderlichleit bei den
Leuten. Man muſs verzagt werden.
Schier wild und liftig ift er worden,
der Straßl, aber ſchlecht nit. Gewiſs
wär's ausgebliebendamalg, daserjtemal,
aber verführt ift erworben. Hat ihn ein
ſchlechter Kamerad in den Wald mit-
gelodt. Den Hirfchen Hat der andere
geſchoſſen, erwischt und eingejperrt ift
der Straßl worden.
Martha. Iſt das wahr?
Jeſſel Giebt au. Was fragft denn?
Willſt mir glauben, jo thu's aufs
eritemal. — Häit' er ihn verrathen
dazumal, den Kameraden, leicht wär’
er früher ausfommen. — Ob Narr,
immernoch früh genug. Hätt's drinnen
beſſer gehabt wie heraugen! Der
Sündenbock! Allemal, wenn in Wald
was ift geftohlen worden: der Straß
hat's gethan, und fein anderer als
wie der Straßl. Um Wrbeit Hat er
herumgebeten wie ein Menſch mur
bitten kann, und wär’ die härteſte,
er wollt’ ſie mit Fleiß verrichten und
feinem Menſchen was Ubles. — Was
hat’3 ihm geholfen? Der verdächtige
Lump Hat er fein müſſen und aller
weil alles hinter ihm ber. Gott,
wie mir diefer Menfch oft hat erbarınt!
(Eintt wieber an der Thürtreppe nieder.)
—
———— — — — ꝰꝰꝰ ꝰ ꝰꝰꝰꝰꝰꝰꝰ ꝰ —————— ————— — ——— — —
Martha. Ih glaub dir's, Weib,
dajs du verzagt bijt und verbittert,
ih glaub dir's. Aber ſchau', jollit es
ihnen mit fo ſchwer anschreiben, jollit
ihnen verzeihen.
3 4 ſſel llacht grell auf).
Martha. Ich weiß wohl, ver—
zeihen iſt das Allerſchwerſte, aber auch
der größte Segen Gottes. Man erlöst
ſich ſelber, man macht ſich ſelber ſelig,
wenn man anderen gut iſt.
Jeſſel. Sollen uns nit ſo ſchlecht
machen, wenn ſie uns gut haben wollen!
— Sie ſchlagen ihn ja in uns
hinein, den Teufel. — Wie im vorigen
ſtrengen Winter. — Der Toni geht
in den Wald und klaubt Holzäſt' zu—
ſammen — Aſtlein, wie ſie der Wind
vom Baum bricht. Derwiſcht haben
ſie ihn dabei und zuſchanden ge—
ſchlagen. Dazumal hat er vor dem
Kreuz dort die Hand aufgehoben und
geſagt: „Herrgott, hüt' mich, daſs es
fein Unglück gibt!“ — Durch Mark
und Bein iſt es mir gegangen, das
Wort. Arbeit hab ich gerucht, um
Gotteswillen, nur Arbeit, daſs ihm
ſolche Gedauken vergehen. Gethan hätt’
er nichts, aber ſchon die böſen Ge—
danken vergiften den Menſchen.
(In der Hülte Kindergeſchrei und Gepolter.) Everl,
geh' hinein! Fried geben ſollen ſie!
Everl geht in die Hütte) Der einzige Uber—
fluf8, den wir haben, Kinder und nichts
als Heine Kinder.
Martha. Wie viel habt's ihrer?
Jeſſel. Sieben thäten fein, wenn
fie alle am Leben wären. Zwei find
an der Auszehrung geitorben, ein
drittes —
Everl (von der Hütte herausſchreiend).
Raufen thun fie jo viel, und der
Jaderl Hat dem Micherl mit dem
Hammer ins Geficht geihlagen. Weil
er's Brot will haben.
Jeſſel cineinrufend). Das Brot follen
fie theilen!
Everl. Ya, der Micherl Hat’s
ſchon 'geſſen.
Martha dürfe. 's if ein
Sammer!
Seffel. In Zeit und Weil bete
ih zu unjerm Herrgott, dafs er die
armen Würmer zu fich nehmen möcht’,
und geſchwind darauf bet’ ich wieder
zu unferer lieben Frau um Fürbitt',
dafs der Herrgott doch mein Gebet nit
erbören möcht’! Ich Hab ja jonft fein
Leben und feine Freud auf der Welt,
wie dieſes großes liebe Kreuz, die
Kinder. (Sie weint.)
Martha dest ihr die Hand auf die Adlel).
Mein dich Hl aus, dann wird dir
leichter.
Se j jel (fieh wieder fammelnd, zu Martha
aufblidend). Ich weiß nit — jo gut wie
du ift mie Schon lang fein Menſch
mehr gewejen, Und kenn' dich gar nit.
Martha. Sollt's dir wohl tun,
dafs du dich ausſprechen kannſt, jo
thue es — thue es zu mir, Armes
Meib «indem ihr felber der Schmerz den Hals
zufsnürt, erbarmen thuſt mir bis ins
Herz. — Wie hat’3 denn können fein,
was jeßt ift gejchehen ?
Jeſſel. Mit ihn, meinft!
Bei der Hohwand oben haben fie einen
Steg gebaut. Weil ſich fonft Feiner
binaufwagt in die wilde Wand, hat
der Straßl dort die Eijenflammern
eingebohrt. Dafür zwei Gulden Lohn.
Wir Shiden gleih das Dirndl hinaus
ind Dorf zum Bäder. Woher nehmen
denn diefe Leut’ das Geld? hat's ge=
heißen. Sind eh’ jchuldig bei uns,
gib’a nurher! Weinend kommt's Dirndl
zurüd, und mit ein Krümmel Brot
bringt's mit! Da ift der Toni ftill,
fein Wort Hat er gejagt und geht fort.
Martha. Erzähl’ weiter.
Jeſſel. Den!’ ein Unglüd, Frau,
aber dent’ nichts Schlechtes von ihm.
Die Naht vergeht, und am Morgen
iſt mein erfter Blid auf den Herd hin,
wo er jonft fchlaft. Iſt nit da. Am
Vormittag kommt der Plattel-Franz,
jein Holzichlagfamerad von ehezeit her
und fragt nad feinem Kugelſtutzen.
Mir gleih ein Stih ins Herz, wie
ih vom Schufsgewehr hör’. Wieder
wildern, Wieder eingefperrt werden! —
Gegen Mittag kommt er felber. Ohne
66
Gewehr und ohne Wildbret. Lehnt in
den Winkeln herum und redet nicht®.
Iſt dir was, Toni? Hab ih ihn noch
g'fragt. — Lafst’3 mi mit Fried’!
jchreit er auf, und nachher wieder
nichts. — Ruft auf einmal der Weg—
macher beim Fenſter herein: Habt es
Ichon gehört? Der Kreuzjäger ift er»
ſchoſſen! — Ich ftill, Schau den Toni
an. Daft es gehört? fag’ ich, der
Kreuzjäger! — Wegen meiner, gibt
er Antwort, wer fo tief im eigenen
Elend ftedt, der jieht fremdes mit mehr.
Und geht wieder fort. Mir ift ad
und weh’ gewefen und hab nit gewufst
warum, Es wird Nacht, und e& wird
Früh, und er ift nit da. Kommt die
Nachbarin und fchreit: Gut, dafs fie
ihn haben. «Erben fi.) Men? frag ic.
Den Straßl-Toni. Er ſitzt ſchon, ſagt
fie, er iſt's geweſen. — Id, gar mit
einmal foviel erſchrocken, ſag: Na—
türlich, allemal, wenn was geſchieht,
iſt's der Straßl geweſen. Zum Laden
iſt's. Gut, wenn du dir's nit
ſchwer legſt, ſagt die Nachbarin und
geht wieder. Und ich allein mit meiner
Angſt. Geſchoſſen kann er haben, aber
nit auf einen Menſchen! Auf einen
Menſchen nit, dafür leg ich meine
Hand ins Feuer.
Martha. Dein Vertrauen zu ihm
iſt brav.
Jeſſel Guſſchreiend). Mas Hilft das?
Er fteht vor dem harten Gericht. Die
Zeugenfchaft lauter Feinde. Die ſtreuz—
jägerin felber fol dabei fein. Aile
werden fchreien: Er hat's gethan.
Und feiner, der ihm zur Seiten fund. —
Martha iberusigendn. Mufst dich
nit jo aufregen. Schau, dent’ an deine
Kinder.
Jeffel tauftreiinend). Hei, dieKinder!
Das wird noch Iuftig werden mit diefen
Kindern! Wenn fie einmal fragen:
Mo ift unfer Vater? Was werde ich
antworten ? Soll ich warten, big fremde
Leut' zu Schand und Spott Hinfchreien:
Gehenkt ift er worden! — Ad, meh,
weh, ich weiß mir mit zu Helfen!
(Bricht an den Etufen zufammen und ftöhnt.)
—
Martha mit Innigkeit ihr beiftehend).
Armes Weib. Du denkt nur an das
Schlimmſte. E3 wird anders fein und
bejjer als du meinft. Schau, mufst
mit vergeſſen auf den da oben! Dft
lange bleibt er aus und läjst den
Menſchen ſinken, aber in der aller:
größten Noth, wenn niemand jonft
mehr helfen fann, fteht er da mit
feiner Barmherzigkeit und Allmadt.
Zu diefer Stund fanıı er Erleuchtung
und Erbarmen legen in das Herz
feiner Richter, Mitleid in die Bruft
jeiner Ankläger und ſtillen Troſt in
feine eigene. Sei in Frieden, meine
arme, gute Schweiter, du wirft nit
verlafjen fein. — Sonft kann ich dir
nichts mehr jagen, ich mußs jeßt fort,
habe einen wichtigen Gang. Da nimm,
ich bitte dich, nimm, was ich bei mir
habe (egt ihr die Geldbörfe in den Shoh), und
ftärfe dih und faſſe Muth.
J e j jel (erflaunt zu Martha aufblidend).
Wer? Wer bift denn du? Eeibt fi) die
Augen.) Ich kenn mich nit mehr aus.
Eve tl (won der Thür aus aufgeregt in bie
Gegend zeigend). Mutter! Er fommt! Er
fommt ſchon wieder!
Sessel «uffahrend). Mer kommt ?
Everl. Der grausliche Menſch!
(Stürzt in die Hütte jurüd.)
Adıter Auftritt.
Schorſcher mit zwei Anchten,
Schorſcher {ju den Anechten gegen
Deſſel weifend). Da padt an! Das ganze
Glumpert hinaus! Weg mit der!
Martha dur is). Jf das nit der
Schorſcher-Bauer? Der Gemeindevor=
ftand von Sarleiten ?
Schorſcher «su den Ancchten).
wird’ ?!
Ein Knecht wögend. Die da?
Aber Bauer, die ift ja ganz Trank!
Schorſcher im sucht. Mas?
Willſt vielleicht du mir Weifung geben!
Schlingel, du fauler, gib acht, daſs
dir nichts paffiert! — Hinaus mit
dem Gefindel! Oder ich greif jelber
an, und bei dir zuerft!
Die Vorigen.
Na
567
Martha {gegen den Schorſcher tretend).
Das ift nitEuer Ernft, Herr Gemeinde
vorftand. Leute, die in einem fo großen
Elend fteden, wie die da, ſtoßet Ihr
nicht auf die Straßen.
Schorſcher. Die Bagaſch ſoll
arbeiten! Diebs- und Mordsgeſindel!
Martha ter.) Gebt acht auf Eure
Red, ſie kunnt Euch ſchaden. Noch iſt
er nit verurtheilt.
Schorſcher. So! Und ſonſt
nichts? — Warum iſt er denn ein—
geſperrt geweſen? Und was ſagt denn
das Zuſtändigkeitsgeſetz? Han?
Martha. Blümel blamel, Bauer.
Nit weil der Straßl-Toni eingejperrt
ift gewejen, und nit, weil das Zur
ſtändigkeitsgeſetz was jagt, macht Ihr
diefe Leute obdachlos, als vielmehr,
weil fie den Zins nit können zahlen,
Schorſcher. Soll id, der Schor-
Icher- Bauer, der fein Lebtag einen ehr—
baren Rod tragt, foll ich mein Geld
an Herlaufern und Wildſchützen ver—
lieren ?
Martha (leifer und bebeutfam). Mas
den Wildſchützen betrifft, mein lieber
Schorfcher-Bauer, jo feid Ahr jelber
einmal jo nahe an der Arreſtmauer
vorbeigejtreift, dafs an Eurem ehrbaren
Rod der Armel ift weiß worden.
Schorjcher (auffaprend). Wer jagt
das?
Martha. Ich.
Schorſcher. Höll’ Teufel, Sag—
germent! Wer! Wer lann mir was
Schlechtes beweifen ?
Martha. Ihr folltet das mit fo
laut ausfchreien. Im Forfthaus oben,
noch von früheren Zeiten her, liegt ein
G'ſchrift vom Bauer Johann Schorfcher,
der fih für den geftohlenen Rehbock
nit einem Baar Ochſen ausfaufen will.
Schorſcher. Wer? Mit einem
Paar Ochſen? Der Johann Schorfcher?
Ich? Hi hi — wer ift denn die rau,
daſs fie jo viel weiß?
Martha. Ich bin das Weib des
verftorbenen Oberförfters.
Jeſſel chorqt auf. Für id). Die Kreuz—
Jägerin.
Schorſcher (einlentend). So, ſo.
Die Fran Oberförfterin. Iſt wohl ein
rechtes Unglüd, das Euch getroffen hat,
Frau. Wohl zu bedauern. Die Leut’
reden all jo gut von Euch. Recht der-
barmen thut Ihr mir,
Martha. Ich bedank' mich für
Euer Mitleid, mir Hilft es nichts. Aber
die da (auf Yefiel zeigend), Die braucht's.
Schorſcher werwundert. Und der
redet die Frau Oberförfterin das Wort?
Martha. Ich frag Euch im guten,
Bauer, werdet Ihr jebt diefes Franke
Weib, diefe armen, unfchuldigen Kinder
aus der Hütte vertreiben ?
Schorſcher. Iſt kein Spaß nit!
Eine alleinſtehende Frau! Iſt eh viel,
wie die Frau Forſtmeiſterin feſtſteht,
iſt eh viel!
Martha Gagdrüatich. Werdet Ihr
diefe Leute aus der Hütte vertreiben?
Schorſch er (eutietig thuend). Ah ıra,
na, das nit. Freilich, die Kinder, die
Kinder ſind unſchuldig. Will ſchon
noch ein Randel zuwarten, ah halt ja,
halt ja. Das laſst ſich der Schorſcher
nit nachſagen, dafs er hartherzig wär”.
Auf die Urmen hab ich alleweil gefchaut.
Sollen Halt noch bleiben, dieweil, ah
freilich, jollen noch bleiben.
Martha. Na, ich dent’ auch. —
Und weil der Schorſcher ein fo braver
Mann if, jo gar mir hartherzig —
und Armenvater, fo wird er auch noch
ein Übriges tun. Ein biffel die Hütten
da errichten laſſen, gelt?
Schorfcher. Was meint die Frau?
Ah, die Hütten? Iſt ch noch paffabel,
die Hütten.
Martha. Hat ja kein Dach und
fein Fenſterglas mehr.
Schorſcher. Werden’s halt aus-
fliden.
Martha. Und ein Aderl dazu,
und ein Wiejerl dazu, Herr Gemeinde-
voritand!
Schorſcher. Oho! Das nit!
Martha. AH freilid. Ein Erd—
äpfelgarterl und eine Kuh ift das beft’
Mittel gegen Bettelleut'.
68
568
Schorſcher. Das Gejindel wollt’
reih machen und mid zum Bettler?
Martha tironiig ſchmeichelnd). Nach—
ber thut der brave Schoricher- Bauer
noch was, wie ih ihn fenne. Dafs
die armen Leut' da recht ſchön und
friedfam fönnen haufen und bauten
und ihren Zins zahlen, fo lajst ihnen
der Herr Borftand das Gütel ver:
ſchreiben auf zehn Jahr”.
Schorſcher taufsegehrend. Was nit
noch? Warum nit gleich ganz fchenten!
Und jelber ihr Knecht werden. Nit?
Die Hütten hergeben! Und ausfliden!
Ader und Wieſen! Jeſſes, wer joll
denn da d’ransfommen! Nein, ich
thu's nit! Ich thu's nit!
Martha. Nachher, Herr Gemeinde:
vorftand, nachher fahren wir!
Schorſcher. Fahren? Wohin?
Martha. Mit ein Paar Ochfen
in den Slotter.
Schorſcher eht raſch über die Bühne
auf und ab), Verfluchtes Weibsbild!
Martha chau ihm die Hand pin). Alſo?
— Abgemacht?
Schorſcher. Ich geh'! Ich geh'!
(Zu den Knechten) Kommt's, Buben! mit
den Anechten ab.)
Martha innen nad). Wir reden
noch darüber. Du laufft mir nit davon,
Die Kette, an der ich dich Hab, it
lang, aber reißen thut fie nit. Mand
mal einen Wildfhügen laufen laſſen,
hat auch was Gutes. — Der geizige
Schorjher- Bauer wird noch ein recht
großer Armenfreund werden, — Aus
der Wei’ iſt's, wie ich mich da ver:
weil’. Und ſollt' ſchon lang dort fein.
(Zu Jeſſel) Behüt' Euch Gott, beiſamm'.
Auf dem Heimmeg meld’ ich mich
wieder. Gefcheit fein! «mb.
Jeſſel Ghiat ihr nad, tann fih noch
immer nicht faſſen). Jetzt iſt das die Ober:
förſtersfrau geweſen! Und ſo iſt eine
zu mir, der mein Toni den Mann
erſchoſſen haben ſoll! — Er iſt un—
ſchuldig, jetzt weiß ich's gewiſs.
(Vorhang fällt.)
— Er
569
Bierter Aufzug.
Gerichtsſaal. Am erhöhten grünen Tiſch mit Erucifir
und brennenden Kerzen das Nihtercollegium,
nebenbin der Ecreiber. Die Beihwornenbant mit
3wölf Geſchwornen, lauter Gharaftergeitalten
aus dem Bürger und Bauernflande, Tiſche des
Staatsanmwalted nnd dei Vertheidigers
in berfömmlider Ordnung. Seitwärts hinter Holz«
Ihranten ein Theil des Gerihttfaalpublicums
fichtbar. Die Richter in AmtsHeidung, hohe, ernfle
©eflalten. Staatsanwalt ein ruhiger, behäbiger
Mann, biöweilen Schriftliche Aufzeihnungen mahend,
Bertheidiger mit dunklem Bollbart, blättert viel
im Geſetzbuche. Anflagebant, an welder pwiſchen
ſchwerbewaffneten Gendarmen der angeflagte
Straßl-Toni ſteht in feiner gewöhnliden Holz
fnedhifleidung, unbeweglih und vor fih zu Boden
ſtarrend.
In dem Augenblide, als der Vorhang aufgeht, ſtehen
vor dem Richterfiuhle mehrere Zeugen, der Lodel,
der Ehmarzj-Eceppel, der Eimmerl, die
Waberl. Der Gerichtödiener löſcht die Kerzen:
fichter aus,
Erſter Auftritt.
Richter (der Borfikende des Berichtes).
Das Zeugenverhör ift beendet. Die
Zeugen können abtreten. (Die Zeugen
miſchen Ah ruhig in daB Eaalpublicum.) — Anz
gellagter, num können Sie fpreden,
wenn Sie noch etwas zu jagen haben.
Straßl. Es ift nit wahr, was
fie jagen, es ift nicht wahr! Sie
wollen mich zugrund richten.
Richter Warum follte man ges
rade Sie ohne Urſache zugrund richten
wollen ?
Straßl. Weil fie mich nit mögen.
Weil ih nit in den Ort gehöre, weil
fie fürchten, daj3 wir ihnen zur Laft
fein funnten. Geſchimpft hab ich fie
auch, und deswegen gehen fie los auf
mid. Bis daher Haben fie mich ge-
hebt und jagen aus, was fie nit wifjen.
Sie haben gar nichts gejehen und
willen nichts, und ift alles nit wahr!
Richter. Aljo erzählen Sie uns
nochmals, wie es gemwejen ift.
Straßl. Ich bin ein armer Menſch.
Meine Familie hat nichts zu eſſen —
Richter tunterbregend. Das haben
wir Schon gehört. Es handelt fich um
den Mord auf dem Sreuzed. Sie find
an dem verhängnisvollen Morgen auf
das Kreuzeck gegangen.
Straf. Ih bin nit auf das
Kreuzek gegangen, um den Jager zu
erichiegen.
Richter. Waswollten Sie denn
ſchießen?
Straßl. Ih bin in den Holz—
Iihlag gegangen, um Arbeit zu ſuchen.
Richter Mit demSchujsgewehr?
Straßl. Ich Hab kein Schufs-
gewehr.
Richter Der Holzknecht Seba—
ftian Ebner Hat ausgeſagt, dafs Sie
von ihm ein Schujsgewehr entlehnt
haben.
Straßl. Das mag früher einmal
gewefen fein.
Richter. Einen Tag vor der That.
Straß! (oweigh.
Richter Was fagen Sie dazu ?
Straßl. Mein Gott, Gemehre
leihen viele Leute aus; wenn fie da
allemal wen umbringen wollten!
Richter. Man hat dasfelbe Ge-
wehr im Didicht gefunden. Die Kugel,
‚mit der gejchofjen wurde, pajst genau
‚in das Rohr.
| Straß!l. Was geht das mich an?
Kann mir das Gewehr nit einer ge—
ftoglen haben?
Richter Ein Zeuge hat aus
gejagt, daf3 er Sie damals auf dem
Kreuzeck mit dem Gewehr gejehen Hätte.
' Straßl. Kann mir's nit der
genommen haben ?
Lodel (aus dem Saalpublicum) Bedank
mich ſchön!
Richter. Das iſt keine Antwort.
Stragl. Warum dennih? Warum
denn juſt ih? Als ob der Förſter
Ferdinand feine anderen Feinde hätte.
Richter. Nennen Sie uns welde.
Strapl. Einen Jager mag
niemand.
Richter Warum weichen Sie
meinen Fragen aus? Anton Straß,
antworten Sie mir nun deutlich und
beftimmt, ob Sie den Oberförjter
Ferdinand Stamhardt ermordet haben
oder nicht ?
Straßl. Warum fol ih den
| Oberförfter ermordet haben ?
Richter. Antworten Sie mit ja
oder nein.
Straßl ceregh. Meine Herren!
Mir alle find Mörder! Die Sterbenden
in den Spitälern, die Verſchmach—
tenden auf den Straßen, die Todten
auf den Friedhöfen, wie viele find
denn dabei, die nicht zugrunde ges
gangen an unferen Todſünden? Der
Starfe würgt den Schwaden, der
Reiche jagt den Arbeiter um Gold ins
finftere Bergwerk zu fchlagenden Wet:
tern, der General führt die Soldaten
aufs Schlachtfeld, der Richter verur-
iheilt den armen Sünder zum Tode,
als ob wir nit alle arme Sünder
wären!
Richter dauy Nicht weiter!
Straßl (mit wilder Leidenihaft). Und
mich haben fie auch ermordet! Er-
mordet, hingerichtet mein feines, be=
jcheidenes Glüd, meine Ehre, meine
arme Seel und meinen Leib, der jet
zufammenbricht in jungen Jahren,
morſch wie ein Baum, den der Wurm
hat zernagt. Nichts ift mehr übrig von
mir al3 ein böfer Geift, vor dem mir
jelber graut und der immer noch ge=
peinigt wird, gepeinigt von den Teu—
feln diefer höllifchen Welt! Gniat zu-
famınen.)
Nichter (rubig und ernft gegen den Staats»
anwalt. Es fragt fih, ob man nicht
einen Arzt für Geiftestrante herbei-
ziehen ſollte.
Staatsanwalt. Ich jehe dafür
feine Deranlafjung.
Richter, Ein einziger Zeuge ift
zur Stunde noch nicht erjchienen,
nämlich die Frau des Ermordeten,
welche zur Zeit der That am Thatorte
anmejend gewejen fein foll. Es ift
nun die Frage, ob die Verhandlung
fortgeführt oder unterbrochen werden
ſoll bis zum Erjcheinen diefer Zeugin,
die allerdings einen weiten Weg hat.
Vertheidiger (erhebt ſich.
Richter. Der Herr Vertheidiger
hat das Wort.
Vertheidiger. Hoher Gerichts—
hof! Ich ſtelle den Antrag, daſs die
Gerichtsverhandlung eines abweſenden
Zeugen wegen nicht unterbrochen werde,
70
und berufe mich auf den 8 242 der
Strafprocefgordnung. Den Zeugen ift
die Stunde, fowie die Pflicht, pünkt—
lich zu erfcheinen, befanntgegeben wor—
den, und der Frau des Verunglüdten
läge es wohl im eigenen Intereſſe, ſich
rechtzeitig einzufinden. Übrigens kann
ih auf diefen Zeugen fein beſonderes
Gewicht legen. Wir haben es ſchon
bei der VBorunterfuchung geſehen, dajs
die Ausfage der Förftersfrau nicht we—
niger vage ift als die der übrigen Zeu—
gen. Ich beantrage alfo, dafs die Ver—
handlung fortgeführt werde. Eceht fe.
Im Eaalpublicum Zeichen des Miftfahens.)
Staatsanwalt teidt ein Zeiten,
dais er ſprechen will).
Richter. Herr Staatsanwalt, ich
bitte!
(Im Eaalpublicum wäbrend ber Rede des Staats⸗
anmaltes ſtets Grften der Beiftimmung.)
Staatzanmwalt. Jh kann unter
gar feinen Umftänden zugeben, dais
mit Umgehung einer fo überaus wich—
tigen Zeugenſchaft die Verhandlung
fortgeführt werde. Ich verlange auf
das entjchiedenfte, dafs die Verband:
lung unterbrochen, beziehungsweiſe —
fall3 Zeugin überhaupt verhindert fein
follte, heute zu erſcheinen — vertagt
werben muſs. — Wenn der Herr Vers
theidiger von vagen Ausſagen der
Zeugen zu fprechen beliebt, jo weiß
ich nicht, was er will. Haben die bis—
her vernommenen Zeugen nicht ein-
ftimmig ausgefagt, daſs der Anton
Stragl ein verlommener Menfch ift,
der nicht arbeiten will, der wegen —
Straß! caufgerea). Ich bitt, fie
geben mir feine Arbeit, fie geben mir
feine!
Richter irenge). Angeklagter, Sie
haben zu ſchweigen, bis Sie gefragt
werben.
Staatsanwalt ortiaprend). Der
wegen Wilddiebereien ſchon einmal ges
jeflen ift, der ſeit ſeinem Arrefte einen
Hafs gehabt Hat auf den Oberförfter
und fogar einmal die Außerung fallen
ließ: Diefer Kreuzjäger wird nod
einmal an mich denken! Es ift nicht
1
1
Ben — — —
571
nachweisbar, dafs der Oberföriter, ein | mit Händen ertappt wurde. Verbrechen,
braver, pflichteifriger Mann, fonft die der Thäter eingeftanden hat. Und
Feinde gehabt, es iſt auch nicht nach- dieſe Thatſachen ſollen nicht überzeu·
weisbar, daſs es in der Gegend auch gender ſein als der vorliegende Fall, wo
andere Wilderer gibt als den Straßl⸗ der Verbrecher bei der That weder er—
— * aber sh ne — nn 2 a besser — —
na ndem er behauptet, er wäre nichts, aber auch gar nichts vorlieg
an jenem unfeligen Morgen ruhig gegen den Angeklagten, als Vermu—
jeinen Weg in den Holzichlag ge» thungen und Bermuthungen, (Im Pubs
gangen, um Arbeit zu fuchen, fagen | ticum Mifsfanensäußerungen.) Meil der Anton
die Zeugen einhellig aus, daſs er uns | Straßl einmal gewildert bat, darum
— nach F That am gr muss er an jenem Morgen mit einem Ges
gefehen worden iſt. Man hat jchon wehre auf dem Kreuzeck gewejen fein!
dort mit Fingern auf ihn gezeigt, ihn | Weil er einmal gejagt haben joll: Der
als den Mörder bezeichnet. Und, meine | Jäger wird noch an mich denfen, darum
Herren, eine fo ſpontane, jo einmüthige | mufs er ihn niedergeſchoſſen Haben! Ja,
Voltsftimme trügt nie! — Seit vielen kann einer, den ich getödtet Habe, an
Jahren, da ich an diejer ernjten, ver:
antwortungsvollen Stelle ftehe, bin ich
nie fefter von der Schuld eines An—
getlagten überzeugt gewejen als in
dem gegenwärtigen Falle. Nichts
Ipricht für den Angeklagten, nichts als
jein hartnäckiges Leugnen, und das
jpricht erſt reht gegen ihn, weil es
von einem gründlich verdorbenen Ge—
miüthe, von einem verftodten Sünder
zeugt, der feiner Nachficht, feines Mit-
leides wert fein kann. (Seht fh. Im Eaal-
publicum Außerungen des Beifalls.)
Shwarz=-Seppel wu feinen Ger
nofien.. Das iſt unfer Mann!
mich denken? — Und hauptſächlich ſtützt
‚die Anklage fih auf den Umftand, daſs
der Anton Straßl zur Stunde am
ı Thatorte anmwejend geweſen ift. Da,
meine Herren, ift nur diefer Mann
allein dort anweſend gewejen? Nicht
auch andere? Sind am Thatorte un—
mittelbar nach dem Morde nicht auch
‚jene Perfonen anweſend gewejen, die
heute al3 ehrenwerte Zeugen bier ge-
ftanden? Was haben denn die zu
thun gehabt am jenem Morgen auf
dem Kreuzeck? Der eine will Pech ge=
ſchabt, der andere Ameiseier gegraben,
ein dritter Wurzeln geftochen haben.
Vertheidiger. Möge mir hier Ich frage nicht nach ihrem Gewerbe:
noch eine Bemerkung geftattet fein!
Richter. Bitte!
Bertheidiger Die eben ger
Iprochenen Worte des Herrn Staats»
anmwaltes könnten mid faſt heraus»
fordern zu einem der Sache vorgrei—
fenden Plaidoyer. Wenn der Herr
Staatsanwalt erklärt, er jei nie feiter
von der Schuld eines Angeklagten über»
zeugt gewejen als im dem gegenwär—
tigen Falle, fo beneide ich ihn um
jeine großartige Phantafie, welche ihm —
Richter tunterbregend). Ich erſuche
den Herrn Vertheidiger, perlönliche
Bemerkungen zu unterlafien.
Bertheidiger. Es find Ber:
brechen verübt worden, bei welchen der.
Thäter von vielen Augen gefehen und
ſchein, ich frage mur, ob ſolche Yeute
denn immer die intimften Freunde
| eines Forſtmannes find? Wenn ich
den Spieh umlehren wollte —
Lodel aus dem Gerihtsfaalpublicum mit
dünner, ſcharfer Stimme). Verdächtigen? Ver⸗
dächtigen?
Vertheidiger. Ich habe nichts
geſagt.
Mehrere aus dem Publicum.
Ja, ja! Er hat's geſagt! Es könnten's
auch wir einer gewejen fein. Wider-
rufen! Abbitten !
Richter. Ruhe! Echellt mit der Glode,
e3 tritt wieder Ruhe ein, doch gährt es ftill,)
Bertheidiger éahrt for. Ende
(ih führt der Herr Staatsanwalt noch
einen Beweis für die Schuld des An—
at
=
to
geffagten, der jo merkwürdig ift, daſs
auch ich ihm nicht umgehen kann. Erft
reht gegen den Angeklagten, jagt
der Herr Staatsanwalt, jpredhe das
Hartnädige Leugnen desjelben! Alſo,
weil einer ein ihm zur Laſt gelegtes
Verbrechen leugnet, darum muj3 an—
genommen werden, dajs er es ber»
übt hat!!
Staat3anmwalt taufipringend). In
diejem Sinne habe ich nicht geiprochen!
Bertheidiger iertia. Ja, Fo
muſs es verftanden werden.
Staatsanwalt. So habe ich
es nicht geſagt!
Vertheidiger. Ich bitte das
Protofoll vorleſen zu laſſen!
Schwarz-Seppel (ars dem Pub-
Kaum). Er verdreht alles! Er fälſcht
alles !
Mehrere Stimmen aus dem
Publicum aufgeregt. Das ift ein jau-
berer Rechtzgelehrter, der alles ent»
ſtellt! Mit Gaunern und Lumpen halt
er's. Und ehrliche Leut' verbächtigen!
Herab mit ihm! Dinaus mit ihm!
Richter Ruhe! Ruhe! «Er ſchellt
vergebens mit der Glode.) Gerichtädiener !
Säubert den Saal!
Lodel Mh leidenſchaftlich vordrängend)
Den werden wir ſäubern! Wir brauchen
feine Flechputzer für die Spitzbuben!
Hinaus mit ihm! Hinans!
(Das aufgeregte Rublicum burdbridt die Echranfen,
Hürzt gegen den Bertbeibiger, der fidh gegen Die
Geihwornen flüchtet, Richter und Geſchwotne er»
beben ih. Allgemeiner Aufruhr. In diefem Augen»
blide tritt Martha auf.)
Zweiter Auftritt.
Die Borigen. Martba, eine ernſte Erſcheinung.
Man macht ihr Pla, das Publicum drängt zurüd.
Stimme aus dem PBublicum.
Sie tommt! Die Förftersfrau! Ruhig
jein! Die wird's jchon jagen !
(Die Maſſen berubigen Ab und nehmen wiedet
ungefähr ihre Pläße ein.)
Strap! (weldier während der Rebe bes
Vertheidigers ſich Selbfibemuiäter aufgerichtet hatte,
tnidt bei Martbas Erſcheinen wieder zufammen.
Für ih). Aus iſt's. Ich bin geliefert.
jelben ganz ruhig und nach Ihrem
|
Richter Martga). Sie find Frau
Martha Stamhardt, die Witwe des
Oberföriters ?
Martha. Ja.
Richter Wollen Sie fih jegen.
(Martha bleibt ftehen.) Ich muſs Ihnen
einige Fragen ftellen und bitte die—
Wiſſen und Gewiſſen zu beantworten.
Pauſe. Begen den Angellagten.) Frau Stam—⸗
hardt, kennen Sie dieſen Mann?
Mart h a (btidt lange und ruhig auf ben
Etraßl).
Richter. Kennen Sie ihn?
Martha. Es wird der Anton
Straßl jein.
Richter. Woher fennen Sie ihn?
Martha. Ich Habe ihn einmal
geſehen.
Richter. Wann war das? —
Und wo? — War es nicht auf dem
Kreuzeck?
Martha. Es wird wohl ſein.
Richter. Sie find bei der Unthat
auf dem Kreuzeck anweſend gemejen ?
Martha. Ja, ich bin mit meinem
Mann dur den Wald gegangen.
Richter. Und wie war es? Sie
erinnern fich wohl noch genau!
Martha. Wir haben miteinander
geplaudert. Bemerkt mein Mann auf
einmal im Bufchwerl einen Menjchen,
der Schießen will.
Richter. Aufwas will er ſchießen?
Martha. Das wei ih nidt.
Auf ein Thier glaube ich, weil mein
Mann gefagt hat: Ein Wildſchütz. —
Nachher geſchoſſen.
Richter. Wer hat geſchoſſen?
Martha. Mein Mann.
Richter. Damufs er wohl bedroht
gewefen fein.
Martha. Ih weiß es nicht.
Richter. Und weiter?
Martha. Da hat’s auch im Buſch
gekracht. Mein Mann fagt: Mir icheint,
der Kerl hat mich angefchoflen!
und ſinkt um.
(Bermegung.)
—
Richter Mir fcheint, der Kerl
Hat mich angejchofien, jagte er. Wen
ſoll er damit gemeint haben ?
Martha. Das weis ich nicht.
Richter. Haben Sie früher je-
manden begegnet ?
Martha. Nein,
Richter. Oder von einem be=
ſtimmten Menfchen geiprochen ?
Martha, Wir haben früher vom
Straßl geſprochen. Aber ich weiß nicht,
ob der gemeint war,
Richter. Sie willen es nicht,
ob der gemeint war. Und Sie jelbit,
Sie haben wohl auch gegen den Buſch
bingeihaut? Haben Sie jemanden
gejehen ?
Martha. Mein Gott, ich bin
jo im Schred gewejen. Hab an nichts
mehr gedacht, als nur, wie ich ihm
das Blut kunnt ftillen.
Richter Zu mehreren Perſonen
haben Sie geäußert, dajs Ihr erfter
Gedanke an den Strahl gewejen wäre.
Martha. Ya, das habe ich wohl
gejagt.
Richter. Und das es Ihnen vor—
gelommen wäre, Sie hätten durch das
Didiht einen Mann Hufchen gefehen.
Martha. Es ift mir wohl fo
vorgelommen.
Richter. Und daſs Sie in der
Geſtalt des Fliehenden den Straßl—
Toni erkannt zu haben glaubten.
Martha tieweien.
Richter. Sönnen
wiederholen ?
Martha (mit einem
Es iſt jchwer.
(Paufe).
Richter, Spreden Sie.
Martha. Es ift ſchwer ſprechen.
In fo einem Schred und in der Angft
weiß man nit, was man fieht und
hört. Für gewiſs kann ich nicht jagen.
Ih Tann nicht behaupten, dafs es der
Strapl mit iſt geweien; aber —
diefer Mann, er kommt mir heute'größer
vor al3 die Geſtalt damals . . ..
Mehr kann ich nit ſagen.
(Pauſe. Im Eaal große Spannung.)
Sie mir das
tiefen Athemzug).
| Richter. Liebe Frau. Sie find
‚die Schwerbetroffene. Sie jind der
Imatürliche Ankläger deijen, der Ihr
Lebensglück zerftört hat. Rufen Sie
ſich im dieſem Augenblick das Ge—
ſchehnis auf dem Krenzeck recht leb—
haft vor die Seele. Wenn Ihnen jetzt,
zu dieſer Stunde, vor Gott und dem
weltlichen Gericht freigeftellt wäre, dem
Mann, der hier als Angellagter vor
uns fteht, die Feſſeln abnehmen und
nachhauſe gehen zu laſſen oder ihn
ins Gefängnis zurüdzufhiden — was
würden Sie thun ?
Ma rtha (macht einen Schritt gegen den
Richtertiſch. Fine Hand auf der Bruft, fait leife
ipregend). Es iſt hart. Er hat ein krankes
Weib und Heine Kinder. Sie find fo
arm. So verlajjen find fie und fo
jertreten. Alles iſt gegen fie, alles. —
Wenn ich mein Gemifjen frage, ob ich
ihn verdammen joll — (fodenp).
Richter Würden Sie ihn ver—
dammen ?
Martha tisüttelt das Haupt).
Richter. Sie würden ihn nicht
verdammen.
Stra BI (er mit vorgebogenem Haupte
die Ecene verfolgt bat, flöhnt nun auf. Man merft
an ihm ein Ringen mit fi felbit, plötzlich ſtürzt er
aufs Anie, die gefeflelten Arme aufbebend gegen
Martha). Du Heilige! du Heilige! Wer
bijt denn du? Deinen liebften Men—
Ihen hab ich umgebradht. Und du mir
jo! Und du mir jo!
— — — — — — — —
(Große Bewegung.)
Rufe im Gerichtsſaalpub—
licum. Geftanden Hat er's!
Murmeln der Gejhwornen.
Geftanden hat er's!
Richter. Eingeitanden hat ers.
Straßl. Eingeftanden hab ich's.
— Jetzt iſt's vorbei. — Dem Haſs
bin ich geſtanden, die Liebe wirft
mich nieder. — Ihr Herren Richter!
Ja, ich hab's gethan — ich leugne es
nimmer.
Richter. Stehen Sie auf. Sie
ſind geſtändig und werden nun ein
volles Bekenntnis ablegen vor Ihrem
irdifchen Richter, als ftünden Sie vor
dem Richterſtuhle Gottes.
Straßl terre. Ich weiß es wohl.
Und ich ruf’ es zum barmherzigen Gott:
Ich bin der Mörder! — Uber jo nit,
wie fie gejagt haben, fo mit!
Richter. Beruhigen Sie ſich umd
erzählen Sie alles. Erleichtern Sie
durch ein aufrichtiges Belenntnis Ihr
Herz.
Straßl. Ich bin ausgegangen
um Wildbret. Das iſt wahr und kann's
nit leugnen. Der Jäger ijt bei den
Holzknechten im Karwald, hat's ge
heißen, ſo geh ich aufs Kreuzeck. Dort
leg ich mich hin und denk: Heut iſt's
nichts, es gibt zu viel Leut'. Da hör
ich ſingen und verſteck' mich hinter
einem Buſch. Steht der Jäger dort
und ich kann nit mehr aus. Duck
mich nieder und denk: Joſef und Anna,
wenn er mich jetzt ſieht! Der Menſch
iſt grob! — Da hat er mich ſchon.
Sein Rohr auf mich und ſchreit, ich
ſollt's Gewehr wegwerfen. — So ſteht's!
denk ich, und wer vor dem Feind iſt,
wirft kein Gewehr weg. Singt mir
ſchon die Kugel am Kopf vorbei. —
Haben noch eins, Canaille! ſchreit er.
Ich nichts mehr denken als wie: Mein
Leben gilt's! Fahr zur Wange, druck
los . . . Und fo — jo ift’3 geſchehen.
(Nah einer Paufe auffahrend.) Hat das ſein
müffen? Iſt's meine Schuld, wenn ich
leben will? Iſt's meine Schuld, wenn
ich ſchwächer bin als fie alle zufammen,
die wider mich find! Sie haben ftarfe
Kameraden, haben an ihrer Seiten das
Geſetz. Ich bin nichts als ein Hilfe
lofer Menſch. Und dajs ich leben will,
das ift mein Verbrechen. Still hätt’
ich follen verhungern, die laute Klag
funnt anderen den Appetit verderben.
Ruhig hätt ich mich jollen todtichieken
laffen wie ein arglojes Thier im Wald.
Am beiten wär's für mich, ihr Herren,
am bejten wär’s gewejen. Aber fann
man das? Iſt einer in diefem Saal,
der mir's lernt, wie man mit ber
Waffe in der Hand ich wehrlos um—
bringen läjst? — Es ift eine Frage,
574
wer bier zu richten hat, ihr oder ich!
Was andere an mir haben gejündigt,
‚an dieſem ſchuldloſen Weib Hab ich's
vergolten — und Fie verzeiht. Ihr zu—
lieb verzeih’ auch ich. Jeſus Chriſtus
wird mir gnädig und barmherzig jein!
M art ha (wanft, als wäre fie einer Ohn⸗
macht nahe).
Richter qu Martha). Segen Sie
fich doch, liebe Frau.
Straßl. Diefes Weib! — Das
erftenal, daſs ein Menſch den Fuß
auf meinem Naden hat und tritt mit
nieder. — Wenn ich fo was früber
hätt’ erlebt, e3 funnt anders fein. Du
heiliger Gott! Jetzt ſeh ich's.
Diefes Weib Hat mich aufgewedt, mit
anders, als wie der Engel die Todten
wird weden am jüngften Tag. Barm—
berzigfeit Hab ich erfahren. Jetzt bin ich
wieder Menſch. OH, gar jo ſpät! —
Sterben müffen, was liegt dran. Aber
haſſend fterben müſſen, das hätt’
mi verdammt gemadt. — Selig.
glüdjelig, daj3 ich wieder auf gleich
bin mit euch, ihr böjen guten Leut! —
Nur eine Gnad, nur noch eine. (Bor
Marita mit gefalteten Händen aufs Knie nicder-
fintend.) Sch bitt um Berzeihung! Büren
will ich's mit Leben und Sterben,
Nur meinem Weib thu’s nit entgelten,
meinen Kindern — fie fönnen nichts
dafür ou. (Hann vor Schmerz mit weiter
ſprechen, birgt fein Beficht in die Arme.)
Ma rtha tihm liebreich die Hand auf bie
Achſel Tegendy. Anton Straßl, mufst mit
verzagen. Sei ftandhaft. Das Urtheil,
fällt e3 aus wie der Will, deine Fa—
milie wird nit verlaflen fein. Meine
Kräfte find freilich gering, aber wenn
man will, kann man viel. Das
ſchwere Kreuz, das unſer Herrgott uns
hat auferlegt, wir wollen es geduldig
tragen und einander alles verzeihen.
Wir alle find arme Sünder und wer—
den um Barmherzigkeit flehen am
Tage des Gerichts. — Und au zum
Troſt einer armen Seele faſs' ih zu
‚diefer Stund ein heiliges Fürnehmen,
‚dafs ich alles will vergefjen und deinen
Leuten beiftehen. Die Kinder follen
—
575
aufwachſen zu braven Menfchen, follen
eine Heimat haben und nimmer ver—
achtet jein. — Sei getröftet !
(Straß! bricht num in heftiges Schludhzen aus.)
Staatsanwalt. Jh verlange
die Berurtheilung des Mörders.
Vertheidiger Was wir da
eben gehört, davon bebt wohl jedem
von uns das Herz. — Die Liebe warf
ihn bin, jo richte Liebe ihn wieder
auf! — Das Redt ſich zu verthei-
Digen, diejes ewige, allgemeine Men—
ſchenrecht — ihm ift es zur Schuld
geworden. Diejer Angeklagte gehört zu
jenen unſchuldigen Schuldigen, die
fein Sinder richten darf. Mit den
wundenfte Anklage und die einzig
‚mögliche Bertheidigung liegt in feinem
‚Worten des Dichters bitt’ ich für ih
um Gnad’ und Huld. Wir wandeln
felbft noch nicht den Weg des Lichtes.
Auch uns iſt jeder Tag ein Tag der
Schuld, und jeder Tag ein Tag aud
des Gerichtes.
Richter (eierlich Nach diejer un—
borhergejehenen Wendung haben wir
nits mehr zu jagen. Die unum—
eigenen Geſtändniſſe. — Barmherzigkeit
it ihm geworden, nun rufe ich die
| Gerechtigkeit !
(Vorhang fällt.)
An die Unduldfamen.
Wer an fi jelber Liebe nicht erfahren
Und ernfter Kämpfe jammervolle Bein,
Darf fih nicht rühmen: Alle fjeid ihr
Narren
Und weise, tugendhaft bin ich allein!
\Wer niemals nod im Feuer hat geftanden,
| Der rufe nie: Die Kugel trifft mich nicht !
| Und wer gef hmachtet nicht in finftern Banden,
Der lennt die Sehnſucht nach der Freiheit nicht!
| Sophie von Ahuenberg,
a
0
Der Traum eines zum Tode Verurkheilken.
Von Armando Palario Yaldes. *)
Mohnung verließ, ſchlug der
ſcharfe, ſchneidende Klang einer
Glode an mein Ohr. Ich legte die
Hand an den Hut und meine Blide
ſuchten den Priefter, welcher das hei—
lige Biaticum trug, aber ich konnte
ihn nicht entdeden.
Dagegen fielen meine Augen auf
einen Schwarzgelleideten Greis, welcher
eine filberne Medaille um den Hals
gehängt trug; ihm zur Seite gieng
ein Mann, der in der einen Hand
eine Heine Glode und in der anderen
eine grüne Gafjette trug, im welch
leßtere die meiften Worübergehenden
fleine Geldftüde warfen. Bon Zeit
zu Zeit wurde da umd dort ein
Fenſter geräufchvoll geöffnet und eine
weiße Hand warf einen in Papier
gewidelten Gegenftand auf die Straße
herab; alsdann büdte fih der Mann
mit der Glode, hob den Gegenſtand
auf, widelte ihn aus der Papierhülle
heraus und warf ihn fofort — e3
waren auch Geldftüde — in die grüne
Gafjette; bis er dann die Augen zu
dem betreffenden Fenſter erhob, war
diejes Schon wieder geichlofien.
SH errieth den Zufammenhang.
Ein leichtes Zittern fuhr mir
durch die Glieder und ich entfernte
mich jo ſchnell als möglich von der
Stelle. Bergebens lief ih kreuz und
quer durch die Stadt, um den lang
der verhängnisvollen Glode nicht mehr
zu hören, aber allenthalben begegnete
die gleihe Scene meinen Bliden.
Ich bemerkte, wie die Vorüber—
gehenden einander mit entjeßten Bliden
2
—*
ER ins Morgens, als ih meine
betradhteten und mit geheimnisvoller
Miene leiſe geflüfterte Fragen an ein»
ander richteten.
Die Heinen Zeitungsverläufer
fchrien ſich ſchon Heifer mit Dem
Ausruf: „Das Salve, weldes Die
Gefangenen dem Berurtheilten in der
Kapelle fingen.”
Seitdem ich das Alter der Ber:
nunft erreicht habe, weiß ich wohl,
dafs die Todesftrafe in unferem Lande
eriftiert; troßem hatte ih, wenn ich
daran dachte, fie immer ungefähr in
derjelben Weife angejehen, wie etwa
die Folter oder Scheiterhaufen- Ber:
brennung, d. 5. wie Dinge, die zwar
zur Gefchichte gehören, aber ebenfo
auch zur Vergangenheit. Dies erflärt
ih aus meinem fortgefeßten Aufents
halte in einer Provinz, in welcher
glüdliherweife die Todesſtrafe jeit
Jahren nicht mehr in Anwendung
gebracht worden war. Ich wujste von
der Hinrihtung eines Berurtheilten
überhaupt nur einige wenige Einzel-
heiten, die mir Greife erzählt hatten,
welche ich, während fie erzählten, un—
ausgejeßt mit einem Gemifh von
Staunen und Entjeßen betrachtete.
Ich erinnere mi noch, wie ich
an einem Falten, regnerischen Herbſt—
morgen zu jehr früher Stunde meine
Heimat verließ, um nah Madrid zu
reifen. Ih nahm Abſchied von meiner
Mutter und beunruhigt, erregt wie
noch nie zuvor in meinem Leben,
eilte ich in Begleitung meines Vaters
die Treppe hinab. Beide waren wir
bis zu den Augenbrauen hinauf in
unfere Mäntel gebüllt, theils um uns
) Die obige Skizze ift dem neuerſchienenen Buch Aguas Fuertes (Radierungen)
des belannten ſpaniſchen Romanciers entnommen.
vor der Kälte zu ſchützen, theils um
vielleicht unſere Gefichter nicht jehen
zu laſſen. Dumpf erflangen unfere
Schritte in den einjamen Straßen;
das matte ſchwache Morgendänmern
ließ die noch brennenden Laternen
faft erfcheinen wie Fadeln eines Lei—
Henzuges und die Häufer, von deren
Dächern einzelne Schwere Regentropfen
berunterfielen, ſchienen gleichfam über
meine Abreife zu weinen.
Al wir ein Feld durchſchritten,
welches ganz am äußerſten Ende der
Stadt lag, jagte mein Vater: „Dies
ift der Ort, wo die zum Tode Ver-
urtheilten Hingerichtet wurden.“
Damals fühlte ih den gleichen
Schauder durch meine Glieder riefeln,
wie heute beim Anblid des Mannes
mit der grünen Gafjette. Wie war in
diefem Momente mein Herz jo weit
davon entfernt, an jene Ecenen des
Schredens zu denten! Den ganzen
Tag hindurch blieb ich aufgeregt und
unrnhig und den ganzen Tag hin:
Wirklichkeit nichts gethan Hatte, als
zwecklos in den Straßen umherzu—
laufen ; ich begab mic) daher früh zur
Ruhe. Lange konnte ich feinen Schlaf
finden, wie das ja immer geht, wenn
das Gehirn ſehr thätig ift, und zwei
oder dreimal, wenn ich bereit3 am
Einjchlafen war, wurde ih daraus
wieder emporgerifien mit einem Ruck,
ähnlich dem, den man empfindet, wen
man auf den Knopf einer eleftriichen
Batterie drüdt.
Endlich gelang e3 mir aber doch
einzufchlafen. Wie ich e8 im voraus
befürchtet hatte, träumte ich natürlich
die ganze Naht hindurch von nichts
| als Schafott und Henkern, aber dieje
‚Träume waren jehr merkwürdig und
bedeutjam; und darumı Jchreibe ich ſie
bier nieder, wie ſchwer es mir auch
wird, Ih träumte, ich würde eines
ſchweren Verbrechens bejchuldigt und
die ganze Polizei don Madrid wäre
hinter mir. Meine Liften und Ränke,
‚fie von meiner Fährte abzubringen,
durch verfolgte mich der düftere Ton | waren zu Ende, al3 ih im vollen
der Unglüdsglode. In Wahrheit könnte Laufe aus der Thüre von Santo
ich nichteinmal jagen, ob ich fie wirk= | Vincente herauskam und mir ein
ich fortwährend hörte oder ob mir Nachtquartier in den Wäſcheſpülbän—
nur die Ohren fangen. Ih kaufte fen am Manzanares ſuchen gieng,
alle Berichte über die Verurtheilung wo ich mich völlig geſchützt vor mei—
und den Beruriheilten, die man in nen Verfolgern glaubte.
den Straßen verlaufte, und verichlaug Während ich dort aber lag und den
ihren Inhalt mit ängftlicher Spannung. , Wäfcherinnen zuſah, wie fie ihre Wäfche
Aber ich wagte es doch nicht, am auf die Leinen hiengen, fielen plößlich
Gefängnis vorbeizugehen und nach der der Präfident des Minifterrathes, der
Zelle des Berurtheilten Hinaufzufehen, | Präfident der „Katholifchen Jugend“,
obwohl man mir gejagt Hatte, dafs der Minifter des Innern und der
eine ganze Menjchenmenge ich dort Juftizminifter über mich ber, knebel—
befände. Dafür gieng ich mehrmals | ten mich und führten mich ins Ge—
an dem Haufe vorbei, in welchem, fängnis. Der Minifter des Innern
jeine Frau fich befand. machte den Borfchlag, mich an den
Dieſes unglückliche Gefhöpf war Füßen dorthin zu fchleifen, aber der
weit hergekommen, um Gnade für ihn Präfident der katholischen Jugend be—
zu erbitten, und logierte im einer merkte, daſs das meine Kleider ruinieren
Heinen, ſchmutzigen, elenden Hütte würde, jo wurde denn der Vorſchlag
am äußerſten Ende einer der Bor= fallen gelafien.
Htädte von Madrid. Als es Abend Das Gefängnis war ein foloffales,
wurde, fühlte ih mich jo ermüdet, | finfter ausfehendes Gebäude, mit einer
als hätte ih den ganzen Tag über , großen Anzahl vergitterter Fenſter ver:
ſchwer gearbeitet, obgleich ich doch ini sehen, was mich troß meiner Angft
Rofegger's „Grimaarten“ 8. Heft. XV, 37
und meines Schredens ſehr verwun- | zuerjt die dee, diefen Tag bis auf
derte, da ich mir eingebildet hatte, | einen undefinierbaren Termin hinaus
dafs Gefängniffe immer jehr ſchlecht zuſchieben, aber mein Zartgefühl hielt
ventiliert fein müſſen. mich hievon zurüd, und ich bat aljo,
Man fperrte mich in ein rundes man möge mich am folgenden Tage
Kerkerloh, welches gar fein Fenſter | hinrichten.
hatte, fo dafs ich mich im der denf-‘ Das mufs man zugeben — an
bar undurchdringlichſten Dunkelheit Wirde und Stolz fehlt e8 mir im
befand. Kurze Zeit darauf wurde die meinen Träumen nicht. Nachdem ich
Thüre weit geöffnet und ein Schließer ſomit den Moment meiner Hinrich—
erſchien, der eine brennende Kerze in tung fixiert hatte, blieb mir nur noch
der Hand trug und mir mitthitt, | ein Gedanke, welcher mich völlig be-
dafs fogleih der Richter und der Ges | herrjchte, — der, mit Seelenruhe und
tichtsfchreiber fommen würden. Ende Feſtigkeit zu fterben.
lich erichienen Ddieje beiden und ich Nah der Ausfage aller derer, die
war nicht wenig überrajcht, in ihnen | mich umftanden, zeigte ih in der
zwei Herren zu erfennen, mit denen ; That diefe Haltung während der
ich jeden Abend im Cafe Suisse Bil- | Stunden, die ich im Gefängnis zu:
lard zu Spielen gewohnt war. brachte. Ih ap, ich fchlief ruhig,
578
Sie ftellten fi natürlih, als ob
jie mich nicht erlannten, und begans
nen jogleich mich zu verhören, jedoch |
nicht ohne mir vorher einige Baifers
offeriert zu haben, welche, wie fie
fagten, meine Stimme Hären jollten.
Der Richter, welcher von den beiden
und ich unterhielt mich jogar einige
Augenblicke mit den Redacteuren von
„La Correspondencia*.
In diefer Unterhaltung ſuchte ich
von Zeit zu Zeit eine hübſche Phrase
oder eine geiftreiche Wendung anzu—
bringen, damit fie in dem Zeitungs
die Rüdzieher im Billard am beften berichte erwähnt würde und damit
machte, ließ mich eine ganze Anzahl das Publicum meinen Muth bewun—
Verbrechen eingeftehen, eines immer | derte.
furchtbarer als das andere, und machte Endlih kam der fürchterliche Mo—
dann feinem Begleiter ein ſehr aus- ment, da ich den Weg nad) der Richt—
drudsvolles Zeichen, indem er Die, ftätte antreten muſsſste, und ich that
Hand an feine Gurgel legte und zu= es mit der größten Saltblütigkeit.
gleih die Zunge weit hHervorftredte. Was mich aber dabei genierle, das
Sch deutete mir dies Zeichen in dem war ein ftarkes Gefühl von Schande.
Ihlimmfimöglihen Sinne und vers Ich erinnere mich, dajs ich mich
ſprach mir nunmehr feinen guten dicht an den Priefter drüdte, welder
Ausgang meiner Angelegenheit. neben mir gieng, und dabei rief:
Nah Berlauf von etwa zwei! „Ah, um Gotteswillen, dafs man mich
Stunden öffnete fih die Thüre meines | nur nicht fieht — daſs man mid nur
Kerfers von neuem und der Gerichts= I nicht ſieht!“
Schreiber kam, mir mein Urtheil zu Merkiwürdigerweife war mir bis
verliefen, Ich war zu nichts mehr und zum Augenblid, da ich die Gefäng-
nichts weniger als zur Erdrofjelung nisſchwelle übertrat, der Gedanke gar
verurtheilt, aber da ich mich bei vollem nicht gelommen, daſs ich mich nun
Beritande befand, wurde mir die einer riefigen Menſchenmenge gegen
Gnade gewährt, den Tag meiner Hin= über finden würde, und dajs taujende
richtung ſelbſt auszuſuchen und feit: von Augenpaaren fih mit dem Aus—
zufeßen. Da ih mid nun eigentlich | druch der Berfpottung oder Verachtung
für eine ſolch niederträchtige Zodes= auf mein Antlig Heften würden.
art noch recht jung fand, Hatte ich Diefer Gedanke ließ nun meinen
Muth finten — er war mir weitaus
Ichmerzlicher als die Ausfiht auf das
Schafott. Ich fühlte wohl die Kraft
in mir, dem Tode ins Angeficht zu
jehen, aber zugleich fühlte ich auch,
daſs ih die auf mich gerichteten
Blicke einer feindfeligen oder neu—
gierigen Menge abjolut nicht ertragen
könnte.
Beklommenen Herzens und halb—
todt vor Scham überſchritt ich die Ge—
fängnisſchwelle inmitten einer Schar
von Prieſtern, Soldaten und Schlie—
bern. Ich wagte es nicht, meine Blicke
vom Boden zu erheben, weil ich be=
fürdtete, ſonſt ohmmächtig zu werden ;
aber die wahrhaft erjchredende, laut—
loſe Stille um mid ber veranlafste
mich, dennoch aufzufehen. Welche
Uberrafhung — welches Glüd! Die
Straße war menjchenleer. Außer dem
Zuge, der mich begleitete, war weit
und breit auch nicht eine menjchliche
Geſtalt zu erbliden. Die Balkonthüren
und Fenſter der Häufer, wie auch die
Thüren und Läden waren ſämmtlich
feſt gefchlofjen. Die Priefter, Soldaten
und Schließer blidten die Straße
hinunter und wieder hinauf und ſahen
einander dann mit dem Wusdrude
gropen Schredens an. Der einzige
Gegenftand, der in diefer Einfamteit
das Auge verlehte, war der elende
und verhängnispolle Karren, welcher
mich erwartete. Bevor ich diejen be=
ftieg, betrachtete ih den Himmel, Er
erichien mir wie mit einem Wolken—
jchleier überzogen, doch war Ddiejer
Schleier jo leicht, dafs er den Him—
mel nicht gänzlich verdeckte — etwa
wie ein Spikenfaum auf lichtblauem
Untergrunde. Der heiße Blid der
Sonne, welcher durch) die Öffnungen
in diefem Wolkengewebe herunterfiel,
war der einzige neugierige Blid, der
uns beobadtete.
Langſam fehte das Fuhrwerk ſich
in Bewegung. Ohne den Ermahnun—
gen des mir beigegebenen Beichtvaters
auch nur die geringfte Aufmerkſamkeit
zu ſchenken, lehnte ich meine Stirn
579
an das feine MWagenfeniter und lieh
meinen Blid über die Straßen, Die
Thürme, Ballon: und enter der
Häufer jchweifen.
menschliches
Nichts; nicht
Weſen in Sit.
Außerhalb der Stadt bemerkte ich
zwei Kinder, die athemlos auf eine
offene Hausthüre zurannten, von
welcher aus die Mutter fie rief. Bis
wir aber an dieſem Haufe vorüber
famen, waren Mutter und Kinder
bereit3 verſchwunden.
Ein wenig weiter begegneten wir
einem Manne, der einen Sad auf
den Schultern trug; kaum erblidte er
uns, jo ſchwenkte er rechtsum, begann
zu lanfen und fchlug ſchleunigſt den
Meg in eine Seitengaffe ein, wo er
bald unferen Bliden entſchwand.
Endlich langten wir bei der Richt-
ftätte an. Auf einem weiten Felde
war das Schafott errichtet. Hier
wuchs mein Staunen. Weder um das
diüftere Gerüft herum, noch auf dem
ganzen weiten Felde war ein menjch-
liches Weſen zu erbliden. Ich ſtieg
die Stufen zum Blutgerüſt hinan,
paufierte aber bei jeder und blidte um
mich herum, denn ich konnte das alles
noc immer nicht begreifen. Der Him—
mel bot jebt einen merkwürdigen An—
blid. Sein Woltenfchleier war dichter
geworden ; ſein dunftiger Spitenüber-
wurf hatte einem grauen Vorhange
plabgemadt, welcher das Himmels»
gewölbe gleihjam hermetiſch abjchlofs;
die Sonne fand kein Löchelchen mehr,
duch welches fie uns betrachten konnte.
Aus der düfteren, traurigen Ebene, in
welcher Madrid liegt, ftieg ein durch—
fichtiger Dunft empor, welcher fich bis
zu jener feinen, unbeſtimmbaren Linie
hinzog, die den Horizont abſchließt.
Alle Gegenftände um mich herum er=
Schienen undeutlich und Fchwanlend,
als hätten fie ihre Umriſſe verloren,
und die Lichtitrahlen drangen mühſam
aus diefem Himmel von Watte her—
vor und verloren fich raſch wieder in
der Schwarzen, feuchten Erde.
37*
ein
380
In diefer diden Atmofphäre, in
der faft fein Laut zu hören war,
athmete man wohl eine gewiſſe Ruhe
ein, aber feine erfrifchende, ſondern
eine erjtidende Ruhe.
Ih wandte meine Blide der Stadt
zu, Es jchien faſt, als glitten die
Lichtſtrahlen über diejelbe Hinmweg,
ohne in fie Hineinzudringen; ihre
taufende von Heinen Thürmchen hatten
nicht die Kraft, den dunklen Schleier,
der fie einhüllte, gänzlich zu zerreißen.
Indem ich noch aufmerkſamer Hinjah,
bemerkte ich, wie aus ihrem Bufen
heraus eine endloje Zahl Heiner Rauch—
ſäulen langjam zum Himmel aufities
gen, welche ſich in der Luft verbreis
teten, vermiſchten und, immer weiter
emporfteigend, den Schon dichten
Schleier, der die Sonne verbarg,
immer mehr verdichteten. Dieſe Rauch
ſänlen veranlajsten mich, an die
Mohnungen zu denken, welche ſich
unter ihnen befanden, und in einem
Augenblick ward es nun klar in mir.
An dieſen rauchenden Herdfeuern
lebten zahlreiche Weſen, welche weder
die abſcheuliche Neugierde empfunden
hatten, in die Straße hinabzukom—
men, um mich borbeiziehen zu jehen,
no die, jeht das Schafott zu um—
ringen, um mich fterben zu jehen. Ich
fühlte mich darob in tieffter Seele
ergriffen.
Wie ein Himmelslicht durchfuhr
auf einmal tieffte Dankbarkeit mein
Herz — wie ein beraufchender Balz
jan, und die wenig irdiſchen Wünfche,
die mich bis jetzt noch an das Leben
gefeffelt Hatten, verſchwanden nun
völlig.
„O du Bolt von Madrid“, rief
ih, mich gegen die Stadt wendend,
„ih dankte dir! Ach danke dir, du
großmüthiges und zartfühlendes Volk,
dajs du nicht hHerbeigefommen biſt,
um das Scaufpiel meines ſchmach—
vollen Todes zu genießen! Was hätteſt
du au dabei gewonnen, wenn du
die Todeszudungen eines Unglüdlichen
mitangejehen hätteſt? „Du Haft nicht
gewollt, dajs diefer fürchterliche Moment
mir durch die Schande und Schmad der
Offentlichkeit noch ſchrecklicher würde!
Du bift zu gut, um der Gehilfe eines
Henlers zu fein! Wenn du gefommen
wäreft, wenn du mit raffinierter Grau—
ſamkeit meinen ſchmachvollen Tod mit-
angejeben hätteft, jo ſchwöre ich dir,
dajs bei deiner Heimkehr deine Blide
nicht fo ruhig gewefen wären, wie fie
e3 heute find, und dafs die Hülle
deines Weibes und deiner Tochter dir
nicht Fo für erfchienen wären. Der
Anblid meiner Berzweiflung hätte
deinem Herzen die Ruhe genommen,
ja, hätte für Stunden deinen Seelen=
frieden vergiftet! Du Haft es ver:
mocht, dieſe brutale, graufame Neu—
gierde zu bekämpfen, welche dich ſehr
leicht hätte veranlaſſen können, Zeuge
meines Todes zu ſein, weil du es
wohl begriffſt, daſs, indem du mich
erniedrigteſt, du dich ſelbſt erniedrigen
würdeſt. Du biſt menſchlich und barm—
herzig geweſen, du Haft die Achtung
gewahrt, welche du deinem eigenen
Herzen ſchuldeteſt. Ich dante dir, edles
Bolt, ih danfe dir! Möge der all—
mächtige Gott dich für dein gutes
Werk belohnen !*
Ein Thränenftron entjtürzte bei
diefen Worten meinen Augen; aber
e3 waren ſüße Thränen, wie die der
Dankbarkeit es ftet3 find. Ruhiger
und muthiger febte ich mich endlich
auf die verhängnisvolle Heine Bant
nieder und betrachtete unausgefeßt die
Stadt, welche eben anfieng, den Nebel
zu zerreigen, der fie umhüllte, und
die Lieblofungen der Sonne in Ems
pfang zu nehmen.
Eine rauhe Hand bemädhtigte fich
plöglich meines Kopfes, ein Schleier
bededte meine Augen, ich empfand
einen ftarlen Drud an der Kehle,
und .... ich erwachte.
Mein Hemdkragen würgte mid in
einer fürchterlihen Weile. Schnell
riſs ich den Knopf auf und verfant
bon neuem in tiefen Schlaf.
pr” m, mund
are
Das Rofenfräulein.
Eine Skizze aus dem Poetenleben von Yans Malfer,
en Raufhart hatte ein Luft:
jpiel geichrieben, Der Mann
255 war bisher nur als Lyriker
befannt und gefeiert gewejen. Den
Sünglingen hatte er von Sehnſucht,
den Frauen von Liebe, den Männern
von Ehre gejungen, Als er Umſchau
gehalten nach einer Genofjin, Hatte er
die Wahl unter den Jungfrauen der
Stadt; fie liebten den Dichter, weil er
ein hübſcher Mann war, und liebten
den hübſchen Mann noch mehr, weil
er ein Dichter war. Des Stadt»
baumeifters Qöchterlein Hatte ihn
herabgeholt von der Dachkammer und
in ein ftattliches, wohlausgeftattetes
Haus geführt. Sein Arbeitszimmer
ward geſchmückt mit ſammtenen Siten,
mit meilterhaften Olgemälden. Das
Gemach der jungen Frau ward geziert
mit einer Wiege und einem Kindlein
drin. Und diejes glüdliche Heim war
befchattet von Lorbeerfränzen, denn
der Lorbeer war dem Here Fritz
Ranſchart lieber, al3 alle Blumen
und Sträucher des Paradiejes.
Nun Hatte er ein Luſtſpiel ges
Ichrieben, welches benamfet war: „Das
Rojenfräulein.* Die Theaterdirectoren
der Stadt Hatten ſich überboten an
Piebeswürdigfeiten und Verſprechun—
gen; der Dichter gab das Stüd dem,
der die vollendetite Aufführung und
die größten Ehren zufichern konnte.
Die Theaterfreije waren in Aufregung
und ſchon tagelang vor der Erſt—
aufführung waren die Pläße ver-
griffen.
Rauſcharts Familienfreis beftand
um diefe Zeit in feinem Weibchen
und jeinem fiebenjährigen Zöchterlein
Riderl, welches er vor Lieblofungen
manchmal fait erjtidte.
Diejen beiden las er eines Abends
in frober Laune das neue Stüd vor.
Frau Paulinga war entzüdt über das:
jelbe und äußerte nur ein Bedenken
über den legten Act. „Für diejen
fürchte ich nichts“, jagte der Dichter,
„Die Leute find derlei bereits gewohnt
worden und je naturaliftiicher heut:
zutage, defto ficherer der Erfolg. Der
Hauptzwed des Dramatiker iſt die
Wirkung, der Erfolg, alle anderen
Ziele find nebenjächlich.“
„Du wirft ja rechthaben, Fri“,
jagte fie, „ich freue mich darauf wie
ein Kind.” Und in der That, fie
dachte voller Glüdjeligleit an die
Ehren, die der Abend bringen werde.
Klein Riderl, welches in feinem Bett:
hen Hodend dem Vorleſer zugehört
hatte, jubelte in eitel Luſtigkeit be=
fonders über das Rothhöfelein, wie
der Luftigmacher hieß, der im Stüd
vorkam.
„Halte dich nur hübſch unter der
Decke, Kind“, mahnte die Mutter,
„wenn bis zur Aufführung dein Huſten
heil iſt, darfſt du mit in die Loge
kommen!“
Der Tag der Erftaufführung kam
immer näher, aber der Huften ward
nicht Heil umd der Arzt meinte, dem
blaffen Mägdelein thue das Bett beijer
als die Aufregung, die im Hauſe
herrichte. Deshalb mujste Frau Pau—
lina die Schneiderin und den Juwelen—
händler in einem anderen Zimmer em—
pfangen, deshalb konnte Herr Raufchart
die Künſtler, mit denen er angelegent—
lich zu thun Hatte, nicht in ſeinem
Haufe fehen, denn die Herren Haben
fo vernehmliche Stimmen und ein fo
lebhaftes Gehaben.
Beim Rider! ſaß ftets eine wohl-
gemuthe Kindswärterin, die dem Finde
fleine Gefchichten vorlas, frohe Lied»
fein fang und von Stunde zu Stunde
ein Silberlöffelhen voll Honigfeim
ihm zwijchen die Lippen flößte. Die
zarten Lippen waren ſchier roſenfar—
big, — denn es gibt aud weiße
Nojen. Aber manchmal nah den An-
fällen des Krampfhuftens lag es auf
diefen Lippen wie Kleine rothe Blüt—
lein. Das Kind war in den le&ten
Tagen fehr brav geworden, e3 vers
langte nicht mehr jo aus dem Bette,
es ließ die blaue Seidendede ruhig
auf ji liegen, ſonſt jedoch war es
überaus aufgewedt und wollte immer
von dem „Rojenfräulein” hören, und
wie das im Theater vorfichgehen
werde,
Am Tage der Aufführung, als
an allen Straßen die großen Plakate
angefchlagen waren, in den Blumenz
handlungen Sträuße und Kränze bes
ftellt wurden, die Vornehmen der
Stadt ſich noch riffen um Pläße zum
Feſtbankette, welches dem Dichter zu
Ehren nah der Vorftellung gegeben
werden follte, als in den Zeitungss
drudereien ſchon die Beſprechungen
des neuen Stüdes fertiggeftellt wur—
den, jo daſs der morgige Tag noch
ein größeres Ruhmesfeſt als der heutige
zu werden verſprach, trat Frau Pau—
lina tiefbelümmert in das Zimmer
ihres Mannes und begann vor ihm
zu ſchluchzen.
Was das bedeute? Ob etwa gar
die Aufführung verjchoben ſei? fragte
Herr Raufchart erfchroden.
Davoı Habe fie nichts gehört.
Aber es wäre vielleicht ein Glüd,
denn heute würde fie faum ins
Theater gehen können. Der Arzt habe
zur Kindsfrau eine eigenthünmliche
Außerung fallen gelaffen. Der Abend
fei ihr jedenfalls verdorben, und fo
wolle fie lieber daheim bleiben beim
franten Kinde.
„Beim kranken Kinde?“ ſagte
Herr Rauſchart. „Wenn Kinder, die
im Winter huſten, deshalb ſchon krank
wären, da liefen wenig geſunde Kin—
der auf der Gaſſe herum.“
„Meinſt du, daſs es nichts auf
fich hat?“ -
„Natürlich nicht. Die Arzte mit
ihrer MWichtigtäuerei und Angſt—
macerei! Es war überhaupt über—
flüffig, einen Arzt zu rufen.“
„Du beruhigft mid, Mann.“
„Wir wollen das Kind jelber
fragen.“
Und als fie vor dem Bette der
Kleinen ftanden, die aus dem ſchmalen
Sefichtlein mit den großen Augen
herichaute, und als fie fragten: „Wie
geht es dir, Rickerl?“ antwortete das
Mädchen leife und traurig lächelnd:
„But geht es mir.“
„Nun alfo. Du bift ja unjer
liebes, Huges Kind“, ſprach Herr
Raufchart, anf die Saduhr blidend,
es waren nur mehr eine Stunde und
zwanzig Minuten bis zum Beginne
der Vorſtellung. „Sage einmal,
Rickerl ... Siehe, deine liebe, gute
Mama geht fo gerne ins Theater,
fage, iſt es dir unangenehm? Dann
wird ſie zuhauſe bleiben.“
„Mama ſoll ins Theater gehen“,
antwortete das Kind. „Es wird ſchön
ſein! Es wird ſo ſchön ſein! Mama
wird mir dann vom Rothhöſelein er—
zählen, nicht wahr?“
„Sa ſicher, mein Kind, wir werden
dir alles erzählen und ein anderes—
mal wirft du auch dabei fein.”
„Bitte“, hauchte das Riderl,
„Bann mufs ich aber fchnell ans
Toilettemachen geben“, jagte Frau
Paulina, „es ift die höchfte Zeit.“
Ein Freudenroth blühle auf ihren
Wangen und eine Stunde fpäter trat
fie in weißen Seiden und Hermelin
gehüllt in das Zimmer des Kindes.
Die KHindsfrau deutete mit dem
Finger: Stille! Sie ſchlummert jegt !
— Auf den Zehenſpitzen huſchte Frau
Banlina davon, um bald nachher am
Arme ihres Gatten die Treppe nieder»
zuraufchen zum harrenden Wagen.
|
Als unfer Baar an der Theater»
caſſe vorüberfam, fluchte dort ein alter
Cavalier. Fünfzig Gulden hatte er
für einen Plab geboten und der
Caſſenwart hatte, den Schalter jchlie-
Bend, für diefes jchöne Angebot nichts
als ein bedauerndes Achjelzuden.
Driunen rauſchte ſchon die Muſik.
Als der Dichter in der Loge erſchien,
erhob ſich ein mächtiger Applaus.
Bald gieng der Vorhang auf. Laut—
loſe Stille, ſchon die erſten Scenen
feſſelten. — Fräulein Roſa, auch ges
nannt das Rofenfräulein, liebt einen
Lieutenant und verlobt ſich mit einem
braven Kaufmanne. Der Lieutenant ift
arm und will fie entführen, der ſtauf—
mann ift reich und drängt zur Hochzeit.
Fräulein Roſa fleht den Geliebten um
Geduld an, um nur fo viel Geduld,
daſs Jie ruhig den Kaufmann heiraten
fönne. Man ift entzüdt über die
liebenswürdige Schalkheit, mit der fie
den Galan foppt, und das Nothhöfe-
lein, der dummverſchmitzte Burſche
des Lieutenants, bejorgt die Heiter-
feit. — Schon nad dem erften und
zweiten Acte wird der Dichter Hürmifch
gerufen, er verneigt ſich in feiner
Loge. Frau Pauline ift ſelig. Nach
dem dritten Acte wächlt der Beifall3-
ſturm jo gewaltig an, dafs der Director
den Dichter Holt und auf die Bühne
führt. Da fliegen Blumen, bunte
Bänder und Kränze durch die Lüfte,
das Freudengefchrei ift großartig und
Frau Paulina, die glüdliche Gattin
des Gefeierten, fchluchzt vor Wonne,
als fie fieht, wie er, der ala dünnes
ſchwarzes Geftaltlein auf der Bühne
fteht und fih nad allen Seiten mit
der nöthigen Ungejchidtheit eines Dich-
ter3 verneigt, von Blumen und Rofen
faft eingemauert wird. Die Logenthür
geht jachte auf. — Der Director fommt,
um auch mid auf die Bühne zu
führen, das ift ihr erfter Gedante, ftatt
deſſen ift e& aber ihr Stubenmädchen,
welhes auf vieles Suchen nad) der
Loge die Nachricht bringt, das Rider!
habe wieder die heftigen Krampf:
anfälle.
„Armes Kind!“ ſagte Frau Pau—
lina, „die Kindsfrau ſoll ihm nur
Honigſeim reichen, ich komme bald,
um nachzuſehen. Das Stück iſt in einer
halben Stunde zu Ende.“
Das Stubenmädchen entfernt ſich
wieder. Solche Tage, wie der heutige,
kommen ſelten, dachte Frau Paulinga,
man muſs fie genießen, das Sind
werde ich noch pflegen und Tiebhaben
genug.
Herr Raufchart fam nicht mehr in
die Loge, blieb hinter den Couliſſen,
damit er am Schluffe Jofort wieder auf
die Bühne treten könne. Der lebte Uct
begann. — Die junge Kaufmannsfrau
Rofa nimmt die Caſſe ihres Mannes und
entflieht mit derfelben in Begleitung
ihres Lieutenants. Unter einer frivolen
Berhöhnung des Kaufmannes ſchließt
das Stüd. — Während diejer Vorgänge
waren im PBublicum verjchiedenartige
Meinnngsänßerungen laut geworden,
als der Vorhang fiel, Hub ein Hände—
Hatihen an, das aber fofort durch
febhaftes Ziſchen ſtumm gemacht
wurde, um mum eimem fchredlichen
Spectafel Pla zu mahen. Man
ziſchte, man pfiff, man trampelte, man
trommelte mit Yäuften auf den Brü—
tungen, man rief: „Dummes Stüd!
Nichtswürdige Komödie! Wer unter»
flieht fi, uns fo etwas zu bieten !”
Das Gefchrei war fo ohrenzerreikend,
dafs don der Gaffe Feuerwehrmänner
bereineilten, in der Meinung, es fei
ein Brand zu löſchen. — Frau Pau—
line war zur Thüre hinausgeftürzt
und irrte in ben Gängen umber, Als
die Leute aus dem Theater drängten,
wandte fie ihr Gelicht der Wand zu,
dafs man fie nicht erkenne. Endlich
fand fie eine Nebenpforte, nur für
Feuersgefahr hergerichtet, durch die fie
entlommen konnte. Wie ein gehebtes
Wild Hufchte fie Hinter das Theater-
gebäude in finfterer Nacht, um ihrem
Manne zu begegnen, fie fand ihn
nicht, fo eilte fie endlich laut weinend
ihrer Wohnung zu,
Die Thüren derjelben fanden
offen, in dem Zimmer hörte fie eine
männliche Stimme, es war die des
Hausarztes. Das Stubenmädden fam
der Frau ſchluchzend entgegen und
mit dem Wusrufe: „Ach, gnädige
Frau! ad, gnädige Frau!“ rang fie
die Hände.
„Wifst ihr's ſchon?“ rief Frau
Paulina, „ah, es ift eine ſchändliche
Niederträchtigkeit !*
„Gehen Sie nur herein, gnädige
Grau. Wie fie Schön daliegt, gleich
einem Engelein! Ob weh, das liebe
Kind!“
„Was ift denn gefchehen?” fragte
jegt Frau Paulina.
Man führte fie vor das Bett des
Kindes und Hier lag, wie ſüß ſchla—
fend, nimmer Huftend und nimmer
lahend — das weiße Leichlein.
Frau Paulina ſchrie nicht auf,
fiel auch nicht in eine Ohnmacht,
einen Seufzerhauch that fie und eilte
danıı durch die lange Flucht der
Zimmer. Im legten, wo fie nicht
mehr weiter konnte, ſank fie hände—
ringend zu Boden,
Das einzige Kind tobt! Das
Mifsgefhid im Theater war ausge—
löſcht, nad ihrem Manne jchidte fie,
daf3 er schnell nachhauſe komme.
Der Bote lehrte mit der Nachricht zu—
rüd, Here Raufchart jei nirgends zu
finden und das Feſtbankett wäre ab—
gejagt worden.
Fran Paulina warf ihren Mantel
um und gieng hinaus auf die Straßen
und Pläße, das erftenal im ihrem
Leben bei eitler Nacht allein. Sie
dachte an nichts, als ihren Mann zu
fuchen, zu begegnen; was fie zu ihm
fagen würde, das wujste fie nicht —
in ihrer Bruft wüthete es arg. Ein
Belannter begegnete ihr — der Friſeur,
der wufste zu Sagen, dafs Derr Raus
Ihart die Niedergalle entlang geeilt
ſei und auf Zurufe von Freunden
feine Antwort gegeben Habe. Die
Niedergafie führte hinab zum Fluſſe.
Frau Paulina lief nun ebenfalls
dieje Gaſſe entlang ; die Gegend wurde
immer öder und büfterer und die
wenigen Gaslaternen zeigten ärmliche
Hänfer mit ein paar Brotläden und
Branntweinſchänken. Durch die Glas—
thüre einer ſolchen forfchte fie ganz
unwillkürlich hinein, zerlumpte Männer
und freche Dirnen trieben ihr Wejen im
Dunftqualn, und im dunklen Wintel
fauerte er, Glas um Glas in die
Gurgel ſchüttend. Frau Paulina ftürzte
hinein und ftand vor ihrem Manne.
Er wehrte ab: „Lajs mich, ich
will nichts mehr. Ich kann nicht mehr
leben, ih kann mit mehr! Die
Schmach iſt unerträglih. Sie find
meine Feinde, alle, alle, die ganze
Stadt ! Morgen Schadenfreude, Hohn,
Schimpf in allen Blättern, in aller
Leute Mund, od, gräjslich, gräfstich !”
Die beiden Fäuſte ſchlug er ih ins
Geſicht.
Frau Paulina beugte ſich auf den
Kauernden nieder, legte auf ſeine
Achſel ihre Hand und ſagte faſt ruhig:
„Fritz, das alles iſt nichts, das iſt
ein Spiel, der Erfolg wäre ein Spiel
geweſen und der Miſserfolg iſt eins.
Das vergeht wie Theaterſchminke. —
Fritz, ich weiß etwas anderes! —
Unſer Rickerl iſt geſtorben.“
Herr Rauſchart iſt nicht hinaus—
gegangen zum Fluſſe. Der Schmerz
hatte die Verzweiflung überwunden.
Seinem Heim zu wandelte ſtill und
ernſt das Ehepaar. Auf dieſem kurzen
Wege gieng in dem ruhmſüchtigen
Dichter eine Veränderung vor, zu der
andere eines halben enttäuſchungs—
vollen Menfchenlebens bedürfen. Mit
allen Leidenfchaften des Herzens nad
Raufhgold gerungen und diemweilen
das liebe Kind verloren...
Als fie in die Wohnung kamen,
war diefe belebt von Menjchen. Aus
derjelben Stadt, welche vorher erbar—
mungslos wie ein Henker das Lufte
jpiel gerichtet, waren nun Menſchen
gelommen, welche treue Theilnahme
hatten für das ſchwere Familienun—
glüd, das hier eingefehrt. Das jchöne
blaſſe Rider! hatte die Heinen Händ—
hen gefreuzt auf der Bruft und mar
bedeckt mit weißen und rothen Roſen.
Herr Raufchart, als er fo feinen
Liebling wiederfah, that er einen
dumpfen Schrei und unheimlich gel—
end lachte er auf: „Das Roſen—
fräulein!*
Im Abendgold.
Gedichte von Olto Sutermeifter, *)
Mein Leben.
O junger Liebe ſüße Luft!
Du Gattenftolz, ihr Vaterwonnen —
Heil mir: noch in des Alten Bruft
Raufht ihr, ein nie verfiegter Bronnen !
*
* *
O Erdenleides bitt're Qual:
Du Trennungsſchmerz, ihr dunklen Stun:
den —
Seid mir gejegnet tauſendmal,
Dais ih auch euch, auch euch empfunden!
*
* *
Was ich gejubelt, was gegrolit,
Mas mir der Himmel auserlefen —
Nicht um der Erde ganzes Gold
Wollt’ ich, dafs es nicht mein gewejen.
Erbfeßaften.
Wir find nie völlig unfer; nie
Der eignen Thaten ganze Thäter;
Halb find wir nur wir jelbit, halb wie
Uns vorgebildet unjre Väter.
Ein jeder hat fein Ebenbild,
Ob zart und mild, ob rauh und wild
In einem Ahn aus fernften Zeiten;
Und ob e8 war ein frommer Dann,
Dder ein Schallsknecht, ein Tyrann,
Es ſchwebt jein Geift ihm ftets zur Seiten
Und raunt ihm, hier wie Engelston
Und dort, als krächzt' ein alter Rabe:
„Du bift mein Sohn, mein echter Sohn,
An dem ih Wohlgefallen habe!“
Geburtstags⸗Gedenken.
Da feiern fie mit Liebesgruß
Mich heut, und Wiegenfeſt-Geſchenlen;
Doch ih, o Mutter, Mutter, muſs
In ſtillem Yubel dein gedenfen!
Dein ift der Tag: Wohl hat dich hier
Mein irdiſch Auge längft verloren;
Doch tief im Herzen wirft du mir
Mit jedem Jahre neu geboren.
Du biſt ſchuld!
Dais ih gern in blaue
Mädchenaugen jchaue,
Dran find, Liebfte, deine Augen jhuld;
Meil die goldnen Wellen
Dir von Haupte quellen,
Drum nur fchent ich Blonden meine Huld.
Hätt’ dein Kinn fein Grübchen,
Glaube ſicher, Liebchen,
Nicht gefiele mir’3 an andern fo;
Wenn von Rofenlippen
Mic verlangt zu nippen —
Darum machten deine mich fo froh!
Mit Bott Bab’ ich gerungen.
Mit Gott hab’ ich gerungen
Des Tages für und für:
Ich will von meinem Leben
Dir ja die Hälfte geben,
Nur lajs mein Kind, o laſs es mir!
) Aus der neuen gleibnamigen Sammlung Eutermeifters. Frauenfeld. J. Huber 1801. Eiche
Heimgarten Eeite 557.
586
Nun Hat er doch genommen
Mir meines Lebens Bier;
In meines Herzens Jammer
Klag’ ih aus ftiller Kammer:
Mas joll, o Gott, dies Leben mir?
Doch willſt du, dajs ich lebe,
En leb' ich völlig dir;
Zu meinem Rinde fahren
Werd’ ih in kurzen Jahren,
Tenn nimmer fommt e8, ad! zu mir.
Aus dem alten Jahr.
Aus dem alten Yahr, aus dem alten
Yahr
Klingt ein Lied ins neue hinein:
Das was id dir war, das was ich dir war,
Wird leins mehr fein!
Wohl von vorne geht's, wohl von vorne
geht's
Wieder an mit Luft und Leid,
Über anders flet3, aber anders flet3
In Ewigkeit.
Wohl die Schwalbe fingt, mohl die
Schwalbe fingt,
Wie fie immer fang zuvor;
Aber anders klingt, aber anders Hingt
Es dir ins Ohr. _
Wohl die Rofe blüht, wohl die Roſe
blüht,
Ändert Kron’ und Farbe nie;
Aber anders fieht, aber anders fieht
Dein Auge fie.
Jedes junge Jahr, jedes junge Jahr
Macht um eins dich älter ſchon,
Und das jüngfte gar, und das jüngfte
gar
Trägt di davon,
Aus dem alten Jahr, aus dem alten Jahr
Klingt ein Lied ins neue hinein:
Das was id dir war, das was id dir
war,
Wird keins mehr fein!
“
“ *
Wer ohne jegliche Beſchwer des Geiſtes
freies Reich durchmiſst,
Gilt darum noch bei Gott nicht mehr, als
wer fein Brot mit Sorgen ifst.
Die Ehwielenhand des ruß'gen Manns,
der fonnverbrannten Bauerndirn,
Sie ficht in ihres Schöpfers Dienft, wie
die gefurchte Denkerftirn.
*
* *
Ein jeder Reiche, der ſein Gut nicht mit
dem braven Armen theilt,
Trägt Mitſchuld an dem Rieſenkampf, dem
heut die Welt entgegeneilt.
E
* *
Einmal im Jahr ein reihlih Gericht
Macht nur lüftern die Armen;
Lieber forgt, dafs fie hungern nicht
Und dafs fie im Winter erwarmen.
Gleichmacher.
Ewig beneidet ein niedriger Sinn den
höher Begabten,
Während ein höherer juſt ſich an dem
höchſten erbaut.
Großes erlennt nur, wer eiwas vom Großen
felber an fih hat;
Wenn nit erhaben der Geift, rührt ihn
Erhabenes nicht.
*
* *
Mögt immer euch meſſen Haupt an Haupt,
Mögt euch auch widerſprechen;
Nach Zweierlei trachten iſt Brüdern erlaubt,
Nur Zwietracht iſt ein Verbrechen.
Jugendleben.
Bildet nur immer die Jugend fürs Leben;
aber vergejät nicht,
Daſs fie vom Leben ja jelbft au ſchon
ein löſtliches Std,
Niht um der Herbftfrudt willen allein er=
ſchließt ſich der Lenzflor,
Grade der duftigfte ja blüht nur, um eben
zu blühn.
*
* *
Stets ſpricht — und daran erkennt ihr
ihn bald —
Der Pedant in zweierlei Zungen:
Zu den Jungen jpricht er, als wären fie
alt,
Zu den Alten, alt wären fie Jungen.
Der Dutzend⸗Philologe.
Sechs Epraden hat er gelernt und gelehrt,“
Doc geſprochen nichts, was der Rede wert.
987
* — *
Nein, was ihr immer mir jagt von bes
glüdendem Wiſſen und ſtönnen —
Glücklich im Innerften ift nur, wer im
Innerften gut.
*
* *
Das Wahre ift nit wahr, bewirkt's ein
Butes nidt;
Das Schöne ift nit jhön, wenn’s Hohn
dem Guten fprict.
Spredt Wiſſenſchaft und Kunft von Zucht
und Sitte frei,
Und wieder neu erfteht uralte Barbarei.
*
* *
Keines Menſchen Gewiſſen
Iſt völlig heil und geſund;
Wen es nicht quält mit Biſſen,
Dem ſchläft es nur zur Stund.
* * *
Es laſſen ſich zum höchſten Ziel
Nicht gleich die Menſchen lenten:
Die einen haben’s im Gefühl,
Die andern müſſen's denfen.
„Mundus vult decipi.‘
Vertraue nie ganz eines Mannes Wort,
Es Tann ih ſchmählich wenden über Nadt:
Mit Abſcheu ſprach mir mander ſchon vom
Mord,
Und Hat ſich ſchließlich ſelber umgebradt.
*
* —
Nicht reif iſt noch, wer nur Negierens ſich
befleißt,
Und kindiſch ſchwach nicht, wer demüthig
Großes preißt.
Nur ſeine Kleinheit zeigt, der klein das
Große nennt,
Und nur das eigne Nichts, der da für nichts
entbrennt.
*
* +
Wer über andrer Edelmuth von Herzen
noch fi freuen fann,
Iſt, was er immer jonft noch jei, jelbft
auch noch fein verlorner Mann,
*
* *
Ein Prediger jein ſchon durd fein Bei:
fpiel nur;
Sid Frieden ſuchen, Andern Frieden geben;
Zum Gotteshaus erheben die Natur,
Zum Gottespdienft fein ganzes Sein und
Streben;
Des Guten, Wahren, Schönen fein beflifien,
So ohne Furt, wie ohne Falſch und Lift;
An Demuth doc ſich hoch begnadet wiſſen —
O weld ein Segen jold ein Leben iſt!
*
* *
Die Feinde lieben heißt nicht: lieben
Feindes Sünden,
Nicht: ſelbſt dich geben preis und dich dem
Feind verbünden.
Es heißt: das Unrecht nicht ihm thun, das
er dir thut,
Beſiegen ſeinen Haſs durch deinen Edel—
muth;
In ihm des Guten Trieb, den unterdrückten,
ſchwachen,
Durch deines Beiſpiels Macht zum Leben
neu entfachen.
*
* *
Neue Münzen dürfen prägen
Große nur von Rechtes wegen:
In dem Staat die Majeftäten,
In der Sprade die Poeten.
*
* *
So iſt die Welt voll Widerſpruch
In ihren Thaten und Zügen:
Malt einer getreu fie in ein Bud,
So ſcheint er tüchtig zu lügen.
Dichten und Dieter.
Was aufzuhellen dem Berftand
Die Wiflenihaft umſonſt fih müht,
Das zaubert Har mit Feenhand
Die Boefie vor dein Gemüth.
Stoffe.
„Alles Vergängliche
Iſt nur ein Gleichnis,
Das Unzulänglicde
Hier wird’3 Ereignis —“
Selber der Feinheit
Diejer Bemerkung
Gibt Reim-Unreinheit
Neue Beftärlung.
Kosmos.
Ihr meint, der Kosmos, den ihr ſchaut,
die Welt voll Harmonie,
Bon jelbft hat fie fi fo erbaut, ein Zufall
zeugte fie?
Dann haben auch zufällig einft die Leitern
fih gefunden
Und aus dem Seterfaften fih zu Goethes
„Fauſt“ verbunden.
Beift.
Ihr glaubt an manchen großen Geift, der
alle andern Heut bezwingt,
Und an den heil’gen glaubt ihr nicht, der
ihon Jahrtauſende umſchlingt?
Und an den ew'gen glaubt ihr nicht, der
alle Welt und Zeit durchdringt?
Conſequenzen.
Gebt acht, ſo wird's in Bälde kommen:
Aufſchreien wird die arme Herde:
„Ihr habt den Himmel uns genommen,
So gebt uns num dafür die Erde!”
Wer weiß!
Blond war mein Haupt, als einft der Arzt
verhieß: „Die Wende
Des Jahres naht und mit ihm, Freund,
deines Lebens Ende,“
Mein junges Herz erſchrak; ſchon fühlt ich
Todesſchweiß:
Krank war der Leib, doch ſtark ſprach mir
der Geiſt: Wer weiß!
Grau iſt das Haupt mir heut und eine
Stimme ſpricht:
„Ein Hügel, Pilger, naht, da drüber
fommft du nicht.“
Doc ruhig jhlägt mir heut das Herz bei
dem Verheiß;
Denn ob auch müd der Leib, ftarf ſpricht
der Geift: Wer weiß!
*
*
Nicht weil volllommen ich ſei, erhoff' ich
unſterblichen Lohn mir;
Nein, weil ich hier es nicht bin, hoff' ich
und glaub' ich ein Dort.
Mein Weg gebt weiter!
Da brichſt du, der du taufendmal
Auf hohem Berg, im tiefen Thal
Mit mir gewandert auf und ab,
Du Fieber, alter Wanderftab —
Da bridft du endlid mir entzwei
Und alles Wandern ift vorbei —
alles vorbei ?
Dir, der fo gedient mir hat,
Wie gönn’ ich dir die Nuheftatt,
Mein freundlicher Begleiter —
Mein Weg geht weiter!
Einft brichſt du, der jo mandes ‚Jahr
In Glüd und Freud, in Noth und Fahr
Mich treulich ſtets begleitet hat,
Mein Erdenleib, jo müd und matt —
Einft brichſt du endlih aud mir ein
Und alles foll zu Ende fein —
Zu Ende fein?
Dir, der jo treu gedient mir hat,
Wie gönn’ ic dir die Nuheftatt,
Mein freundlier Begleiter —
Mein Weg geht weiter!
(Maß Pascal.)
Mie Pocfie nur den bewegt,
Der Poeſie ſelbſt in fich trägt,
So fühlt au Gottes Liebe nur,
Wer felber göttlicher Natur.
* *
Wohl mancher Doctor der Theologie
Iſt weiter von Gott entfernt,
Als viele, die ihr Lebtag nie
Den Katechismus gelernt.
Rirche.
Und kehrſt du auch in hundert Tempel ein
Und in dein Herz nicht, wird's vergeblich
jein.
*
Es läjst des Chriſten Sonntagspflicht
Sich in zwei Worte faflen:
Kann er erbauen jelber nicht,
Mußſs er erbauen fi laſſen.
*
*
x t
Er ſpricht: Bon Gloden lajs ich nicht
Mich in die Kirche commandieren.
Jedoch zur Tafel madt den Wicht
Die Speijeglode flugs marjdieren.
Daus: und Seekenapotßehe.
Zwar liebt ein Arzt nicht, dajs im Haus
Sic jelber helfen au die Kranken,
Und aud der Pfarrer möchte ſich
Für Laienpredigten bedanten. —
Ih aber möcht’ in feinem Haus,
Wo nur der Arzt curierte, leben;
Und aud die Seele möcht' ih nicht
Nur in die Cur dem Pfarrer geben.
un ——
580
EBriftus.
Kleiner nur werden, je mehr ihr fie mefjet
die Großen der Erde;
Toh an des Göttlichen Geift ſcheitert der
Mefienden Maß.
Ayoflaten.
An taufendfält'gem Ehriftenruhm
Gehn fie vorüber blind und ftumm;
Doch ſchaffen Pfaffen oder Laien
Hier etwas ſchief, dort etwas krumm,
Gleich fangen alle an zu ſchreien:
Seht, ſeht da euer ———
Perfugium humanitatis.
"| Als verzehrt von niedrer Sinne Gluten,
Schwand der edlen Hellas Kunſt und Ruhm,
Nettete den Kern des ewig Guten,
Ewig Schönen nur das Chriſtenthum.
*
® *
Wenn der Yettzeit riefige Stoffgedanlen
Münden einft in Sittenbarbarei,
Macht den Geift von aller Stoffe Schranten
Erſt der Geift des Chriftenthumes frei.
Mein Pebensgang.
Bon Yans Grasberger. *)
% ch ericheine als am 2. Maui 1836
aan und getauft; nach mütter—
lihem Gedenken habe ich aber am
1: Mai an einem Sonntage das Licht
der Welt erblidt. Dafs ich Gras= und
nicht Graßberger jchreibe, beruht auf
einer Weiſung meines Vaters, der
mir auch mittheilte, daſs dieſe Gras—
berger einft ein Wappen geführt und
die Werke im Thörlgraben bejeflen.
Ich Habe diefen abweichenden Anga—
ben nie näher nachgeforſcht. Daſs ich
mich bald nah den Studentenjahren
Hans ſchrieb, langes Haar trug und
nach einem weichen, breitfrempigen Hut
griff, hat mir für längere Zeit die
polizeiliche Aufmerkjamfeit zugezogen.
Mein Bater Jofef war Weihgärber,
ein Gewerbe, das damals, als man
ſich noch vorwiegend „irchen“ gewan-
dete, eine ui Bedeutung Hatte
als heutzutage; er hatte in Graz, in
verfchiedenen Klöftern, im Salzburgis
ſchen gearbeitet, ehe er fich in Obdach
niederließ. Den Apotheler Grasberger
in der jalzburgiichen Vorſtadt Mülln
bezeihnete er mir ausdrücklich als
nahen Verwandten, den ich auf meiner
erften größeren fFerienwanderung 1854
ja aufjuchen follte. Ich ftellte mich
diefem Herren Onkel in feiner Officin
auch vor, mit einem ftolzen Zeug:
nis mich ausweijend; als derjelbe
aber, wie um mich auf die Fürzefte
Weiſe abzufertigen, in die Geldlade
griff, zog ich mein Papier wieder an
nich und fagte, kehrt machend: „So
war's nicht gemeint!“ Seither hab’ ich
mich um meine reicheren Berwandten
nicht mehr gekümmert, wie auch fie
nicht um mich. Um 1816 jollen meine
Eltern geheiratet haben und nad Ob—
4 Der deutſch-öſterreichiſche Dichter Hans Grasberger ift im Verhältnifie zu
feinen literarischen Leiftungen bisher nod) viel zu wenig belannt. Er lebt in bejcheidener
Zurüdgezogenheit in Wien und war erft nad wiederholten Einladungen zu bewegen,
für den „Deimgarten* eine autobiographiiche Skizze zu jchreiben. Nach unjerer Meinung
haben ſolche Selbftihilderungen einen größeren Wert, als fremde biographiiche Arbeiten,
die zumeift nad) zufanımengeftoppelten Notizen handwerlsmähig gemadt werden. Jeder
weiß jelbjt am beiten, was er erlebt hat, und der ſich jelbftfennende Schriftjteller wird
uns in wenigen Zeilen über ſich mehr jagen, als der Literarhiftorifer in langen Auf:
ſätzen, die oft jehr geiftreich jein mögen, aber der Individualität entbehren, zu jagen
pflegt. Würden bedeutende Charaktere aljo fi offen und redlich jelbft beſchreiben, es
wäre für Literatur und Leier ein großer Gewinn. Die Red.
390
dach gezogen fein. Sie hatten daſelbſt
ein bürgerlihes Anweſen und ift
mir als dasfelbe das heutige Nagel»
ſchmiedhaus am Bach bezeichnet worden.
Feuer⸗- und Waſſerſchäden follen fie
aber um ihre Habe gebracht haben, |
fo daſs fie früh verarmten, ihre Selb-
ftändigfeit verloren und „Einwohner—
leute” wurden. Fortan brachte ich
der Vater als Anftreiher, Aushilfs-
arbeiter, Taglöhner fort; dafs er aber
gelegentlid auch Heiligenbilder auf
Glas malte, derlei Glasbilder aus—
bejjerte, daf3 von ihm noch Heute ein
Herz Jelu- Aquarell vorhanden ift und
daſs er als Erzähler oder „Lügner“
da und dort die langen Winterabende
verfürzte, wie er auch Schübenjcheiben !
und Transparente fertigte, das darf
vielleicht nicht unerwähnt bleiben. Er
mag an die 60 Jahre alt geworden
fein; ich erfuhr feinen Tod am Aus—
gange meiner Studienzeit in Wien.
Meine Mutter Anna war eine ge=
borene Reinerin; fie Hatte beim
Patrimonialgeriht Authal auf dem
Murboden ein Heines Erbe zu erheben
und blieb troß vieler Wanderungen
dahin der Meinung, dafs fie nie völlig zu
dem gelangt fei, was ihr gebührte. Sie
ftarb mit 92, ihrer eigenen Ausſage
nad mit 94 Jahren. Noch als Acht: :
zigjährige ließ fie die Nadel nicht
raften, Bettdeden abjtoppend nach Zie-
raten, die fie ſich jelbft mit der Kreide
auf den Stoff vorgezeichnet Hatte. Sie
war arbeitfam, frohmuthig, geru ges
litten, redegewandt, und ihre Laune,
ihr Wiß Hat felbft im ihrem hohen
Alter nicht verfagt. Wenn ich Munde
artliches dichtete, achtete ich im Geiſte
immer auf Sang und Klang und
Ausdrucksweiſe meines lieben Mütter: |
chens, das eben nur zur Noth Ge-
drucktes leſen lonnte. Von zehn Kine
dern war ich das vorletzte; der ältere,
Alois, ift 1849 in Italien, der jün—
gere, Romuald oder Roman, 1866 bei
Chlum gefallen; von den übrigen Ge—
ihwiftern babe ich feine Erinnerung.
Als Knabe trieb ich mich Lieber
beim „Birner-Bäden“, meinem
Paten, als daheim herum, obwohl
ih mit der Mutter oft auch in den
Wald „Holz klauben“ gieng. Halter-
bub war ich in den Vacanzen. Die
Zrivial= Schule behielt mich länger
als nöthig; im „Ehrenbuch“ ftand ich
obenan; der Gooperator P. Mein
rad lieh mir Bücher, und die Ritter»
geihichten von Cramer, Spiek und
Lafontaine verfhaffte ih mir um
Miniftrantengrofhen aus dem nahen
Judenburg. Der mufifeifrige Schul—
meilter Yranz Swoboda lehrte nich,
wie andere Finder, fingen, Triangel—
und Tichinellenfchlagen und auch Wald-
hornblaſen, fo daſs ih anno 1848
und 1849 mit Rudolf Falb in der
„Banda” der Obdacher Nationalgarde
meinen Mann stellen Fonnte.
Un einem Octobertage 1849, da
gerade im Ort ein Kalb mit drei
Hörnern zu fehen war, bejtiegen ich,
der ältere, und Falb das Steirer-
wagerl, da3 uns unter den Schutze
des guten diden Herrn Schulmeilters
al3 Süngerfnaben ins Benedictiner-
tift St. Lambrecht brachte, Nun,
al3 Sänger und Mufiter leiftete ich
wohl wenig — „unficher im Treffen,
gemüthlos im Vortrage“; aber das
Studieren machte mir fo wenig
Schwierigkeiten, dafs mir meine geift-
lihen Lehrer beijpieläweife in einem
Jahre über die dritte, vierte und
fünfte Schule hinmweghelfen konnten.
Nah vierjährigen Aufenthalte im
Klofter konnte ih in Klagenfurt die
Aufnahmsprüfung für die fiebente La—
teinjchule beftehen. Die Convictzzeit
ift mie eim Lichtes, freundliches Er»
innerungsgut; Lehrern wie P. Odilo
und P. Justus zolle ih danfbares
Gedenken; Conrad von Forcher, Lan—
desgerichtsrath Iberer, P. Benno,
jest Hofmeiſter des Stiftes, find mir
ſeither Freunde geblieben; wir Con—
victsjungen hatten unſer eigenes Pa—
piergeld (S 1 „Die Bank iſt eine —
Republil*), unfere Fehden, Fehmen
und Gaftereien; tolle Streiche, bei
denen nichts Böswilliges mitunterlief,
wurden gelinde bejtraft; wir befamen
fein gehäfliges Wort gegen Welfche
oder Andersgläubige zu Hören und
ih durfte — Berje maden, die an
Prüfungstagen mitunter ſogar herum—
gezeigt wurden, auch Liebesgedichte,
„aber nicht Früher, als bis ich wüſste,
was Liebe ſei“.
In Klagenfurt beendete ich
das Gymnaſium, die Reife Prüfung
mit Auszeihnung beitehend. Einen
Rückhalt fand ih da an dem fiudenten-
freundlichen Daufe des Stadtphyſicus
Dr. Adam Birnbadher, deſſen edle
Gattin mir in der Folge den Weg
nah Wien bahnte. So fam ih au
zu Freitiſchen und Lectionen. Bücher
über den Schulbedarf hinaus liehen
mir Brofeflor Karlmann Flor von
St. Paul und der fpätere Fürſtbiſchof
Beter Funder. Ich lernte das färnt-
neriſche Volkslied fennen und lieben —
daher jo manche Anklänge daran in
meinen mundartlihen Schriften.
Wien betrat ih am 3. October
1855. Ich hörte Jus ohne fonderlichen
Herzensdrang, doch war ich Fein
enthalten in dem von Wiener Stu—
dierenden herausgegebenen „Album zur
Schillerfeier“. Nah der Drientfahrt
fam ich zunächſt als Hofmeifter und
Eoncipient ins Haus des Advocaten
Dr. Wolfgang Tremmel; aber ih
ſchickte mich ſchlecht in die Kanzlei—
praxis, jo dafs ih bald lieber ganz
der Tugesjchriftitellerei angehörte. Ich
dab’ es demnach auch nicht völlig zum
Doctor gebradt. 1865 und 1866 ge=
hörte ich der Redaction der „Preſſe“
an. Ich wollte heiraten, aber ehe es
dazu fan, war ich wieder ohne Stelle.
Dreimal Hab’ ih mi auf Grund
meiner „Sonette. aus dem Drient”
und anderer jchriftitellerifcher Anläufe
um ein Dichterftipendium beworben,
aber vergebens. In den erjteren Mo—
naten von 1867 beredete mich der
mir wohlwollende Dichter Carl Bed
zu einer gemeinfchaftlichen Fahrt nad
Italien, Das machte ſich überrafchend
leiht; die Regierung gab mir als
geweſenem „Volksfreund“ = Redacteur
‚einen Vorſchuſs von 300 fl. auf Be-
richte, die ich für die „Wiener Zei-
tung“ jchreiben jollte, und aud an—
ſchlechter Student und die theoretifchen, | dere Blätter verſprachen, ihre Spalten
die geihichtlichen Fächer Hatten viel | meinen Reijebriefen zu öffnen. Sch
Reiz für mich. Freundliche Aufnahme | ftrebte denn auch bald weiter, als
fand ich im den Familien des Thee- | meinem Neifegefährten lieb war; id
händlers Carl Trau, des Oberfinanz- | trennte mich in Venedig, beſah mir
rathes dvd. Hausegger, des PDirec-
tor3 d. Plenter, des Kaufmannes
Franz Breither, der in der conjer=
vativen Welt eine hervorragende Rolle
jpielte, und anderer Gönner. Der
Leßtgenannte war ein Bruder des
Lambrechter Geiftlihen P. Rudolf,
der mich getauft hatte; er vermittelte
meine Theilnahme („gleihjam an feiner
ſtatt“) an der öfterreichifchen öfterlichen
Pilgerfahrt nah Jerufalem 1859;
er nahm meine Reiſebriefe in fein
Tagesblatt „Ofterr. Volksfreund“ auf;
er machte mich zum Mitarbeiter, ja
felbft zum Leiter diefes Organes —
ein Verhältnis, das über 1864 hinaus
gedauert bat. Im Jahre 1859 er—
jchienen auch meine erjten Gedichte,
Bologna und Florenz, vermweilte in
Rom, drang nach Neapel vor und
blieb ſieben Monate aus.
| Die zweite Romfahrt erfolgte ſchon
‚im nächften October; ich weilte über
ein Jahr in der ewigen Stadt, jchrieb
‚für ein Halbdugend deutfcher Blätter
‚und ließ mir’3 jauer werden. Nachdem
‚ich fo bereits die Gentenar- und Ca—
'nonifationsfeier, ſowie die Garibaldi-
niſche Invafion miterlebt Hatte, traf
ich dajelbit zum drittenmal, und zwar
al3 Eoncilöberichterftatter der „ Preſſe“
‚ein. Auch das war ein anftrengender
und heikler Dienft. Im Jahre des
Krachs und der Wiener Weltausftellung
war ih neun Monate lang in Italien,
und anläjslich der ſlaviſchen Pilger:
fahrt ſah ih die Siebenhügelitadt
wieder.
Dies meine italienischen Wander:
jahre. Die freie Zeit widmete ich
Kunftftudien; zunächſt Hatte mir's die
Malerei, fodann die Architeltur, und
zuletzt erſt die Plaftit augethan. Mit
Künftlern verkehrte ich viel und gern,
in den Ateliers war ich wohl gelitten,
aber daS ungebundene Leben machte
ih nur wenig mit, denn ich hatte mein
Herz in Wien zurüdgelaffen; es ges
hörte einer jelbjtändigen Frau, die
nah der Wanderſchaft mir eine forg-
jame Hauswirtin geworden und troß
allem Wandel eine edle Freundin ge
blieben ift bis zu ihrem lebten Athem—
zuge. In Rom begann ich meine Nach—
Dichtungen der„Rime diMichelangelo“,
von Franz Lifzt ermuthigt umd
unterftüßt.
1871 war ich überflüffiger Kriegs—
correfpondent der „Preije“ ; ich jollte
mich nämlich ausschlieglich auf deut—
chem Boden Herumtreiben. 1873 er-
ſchien mein „Garneval der Liebe* —
der naide Mensch Hatte ja doch auch
Ihon manchen Tiefblid ins gejellfchaft-
lihe Leben gethan. Ich Hatte nun
als Kunftreferent und FFenilletonredac-
teure der „Preſſe“ einen ruhigen Dienft.
Da mir aber die nationale Bedrängnis
nicht gleichgiltig bleiben konnte, ver—
fieß ich das genannte Blatt im
Jahre 1883, als Kunſtreferent bei der
„Deutschen Zeitung“ eintretend. An
förderlichem Umgang hat es mir in
Wien nie gefehlt; Ferd. Kürnberger,
Friedr. Uhl, E. Oberleitner, Ludwig
Speidel, Garl v. Thaler und im
früherer Zeit der Componift Winters
592
— — — — —— — — — — — — — — — — — —
berger, der Dramatiker Schneegans,
die „Wartburg-Brüder“ u. A. haben
mit mir verkehrt. Deutſchland habe
ich zumal auf verſchiedenen Aus—
ſtellungsfahrten kennen gelernt. Was
jetzt noch mein Leben verſchönt oder
erfreut, gehört nicht hieher.
An die fünfzehn Jahre hatte
ich die heimatlichen Berge nicht wieder
gefehen. Als in den Ferienmonaten
1876 Steiriſches, Kärntnerifches mir
aufs neue traut zu Ohren klang, kam
etwas zum Durchbruch, das ih in
mir gar micht vermuthet Hatte —
meine Dialectpoefie, ein Tribut, den
ich der lieben Heimat zoflte! Und auf
diefem Gebiete ift mir Rojeggers Zu:
ſpruch zuftatten gefommen.
Ahnlich wollen alle meine Schriften
aufgefafst fein: als Dank an das
Leben, ſoweit es mich berührt, hat,
als Dank an den Boden, darauf ich
Gaftfreundfchaft gefunden. Die „So=
nette aus dem Orient“, die Novellen
„Aus der ewigen Stadt“, die Geſchich—
ten „Auf heimatlichem Boden“ jprechen
dies klar und offen aus. Anderes be—
begreift ſich unſchwer daraus, daſs
meine Denkweiſe mehr geſchichtlich als
philoſophiſch, meine Anſchauung mehr
realiſtiſch als idealiſtiſch und mein
Weſen mehr Hingebend als jelbftfüchtig,
mehr beihaulich als thätig if. Ob,
was das Pult birgt, bei meinen Leb—
zeiten noch ans Tageslicht gelangen
fan, weiß ich nicht. Sch darf mich
eines arbeitfamen Lebens rühmen, ſo—
wie auch, meinen Namen nie feilge=
boten oder preisgegeben zu haben.
Das Ubrige fteht in Gottes Hand.
Etwas vom Buhmadher-Handwerk.
weimal fucht der gewiljenhafte | Handbuch für Autoren von J.H.Wehle”.
Leſer nach, ob es im Titel nicht | (Wien. U. Hartleben.) In demfelben
Tuhmacer =» Handwerk heißen wird genau vorgefährieben, wie man
ſoll. Rein, e3 heißt Buchmacher- Hands | die Gedanken zu formulieren, die Verſe
wert und Hat damit feine Richtigkeit. | zu ſchmieden, die Romane zuzufchneis
In Deutfchland und Deutfchöfterreich | den, die Dramen zu bauen hat; es
follen alljährlih an 14.000 Bücher | wird dargethan, wie das Manufeript
gemacht werden, heißt es; nehmen | beichaffen fein mufs, wie man einen
wir an, dafs jedes im Durchſchnitte Verleger jucht, mit demfelben und mit
in einer Auflage von 500 Exemplaren | der Buchdruderei verkehrt. Dann fol—
ericheint, jo wären das ſieben Milli |gen Juftructionen über das Geſchäft—
onen Stüd Bücher. Das ift viel. | liche des Verlegers, des Büchermarktes,
Aber, lieber Freund, Hüte, Hemden | und als Anhang die beftehenden Reichs-
und Stiefel werden noch weit medr gejege und Verträge für die literaris
gemacht des Jahres! Und das Buch ſche Broductian.
ift do ein Bedürfnis geworden, fol Zwei Eapitel ftibigen wir aus dem
gut wie dad Tafchenmefler, die Stahl- Buche heraus (der Verleger erlaubt'3
feder, die Augengläfer u. ſ. w. Ihon!), und zwar folde, die auch für
E3 gibt zwar auch Bücher, die wirkliche Schriftftellee und Dichter
nicht gemacht werden, fondern die viel- paljen und unsere literaturbefliffenen
mehr entitehen, wachſen, Werke der | Lefer und Leferinnen recht interejfieren
Schöpfung find wie eine Blume, wie | werden.
ein Vogel, wie ein Löwe. Das jind ;
die Werke der Dichter, von diefen jo; Der Berkehr mit dem Berleger.
Ein Buchwerk entjteht entweder
bier eigentlich die Rede nicht fein. Die
literariichen Dilettanten, die Dichter- | durch eine vom Verleger angeregte Idee
linge aber — und folcher gibt es in | oder infolge des ſchöpferiſchen Gedankens
Deutichland allein gegenwärtig mins | des Autors. Im erfteren Falle ift es
der Verleger, der anregend und bes
deitens 12.000! — müſſen wir jchon
fruchtend auf den Wutor einmwirkt.
niiteinbeziehen in die Gilde, von
der hier die Nede fein fol. Sie ge: | Er findet, dafs irgend ein Werk einem
hören, foferne fie Bücher jchreiben und | Bedürfnis entgegenfomme, oder daſs
druden lafjen (zumeift Hauptjächlich zu |ein ſpecieller DVerlagsartifel günftige
den Zwecke, um fich Geld zu ver- | Abjah = Chancen verſpreche. Er jucht
dienen) zum Buchmadher » Handwerk. | dann in Jchriftjtellerifchen Kreiſen nach
Und gerade diefe Meifter, Gejellen und | dem Mann zu der Idee, nach jenem Au—
Lehrlinge wird es außerordentlich in- | tor, deſſen literariiche Individualität
terejfieren, wenn wir fagen, daſs ein |fih zur Ausführung des Merfes am
Buch erfchienen ift, im welchem man | beiten eignet, oder wenn e3 ein Sam—
das Büchermahen lernen kann, amd melwerk it, jene Fachmänner, deren
zwar lernen vom erften Federftriche an | Fähigkeiten und Kenntniſſe gediegene
bis zum verfauften Eremplar. Diefes | und zwedentiprechende Durchführung
Lehrbuch heißt: „Das Buch. Tech: | des Werkes verbürgen. In diefem Falle
nit und Praris der Schriftitellerei. Lift es meiltens der Verleger, welder
Rofegger’s „Geimgarten‘‘, 8. Heft, XV. 38
in mehr oder weniger bejtimmten Um—
riffen den Plan des Ganzen aufitellt,
den Umfang feitfeßt u. j. w. Der
Autor ift dann in der angenehmen
Lage, ſich ausſchließlich feiner jchrift-
ftellerifchen Aufgabe widmen zu kön—
nen. Alles andere beftimmt der Ver—
leger allein oder in gemeinfamer Bes
rathung mit dem Autor. Den leteren
kommt hierbei die reiche Erfahrung des
Verlegers zugute, der ihm die einzu—
haltende Richtſchnur angibt und im
vorhinein die Mängel bezeichnet, welche
bei der Ausführung zu vermeiden find.
Anders ift es, wenn die dee vom
Autor ausgeht. Er empfindet das Be-
dürfnis, dem Publicum oder einem
Ipeciellen Kreiſe desfelben, den Fach—
genofien, Schülern u, f. w. irgend
etwas mitzutheilen, ſei es eine Schö—
pfung feiner Phantafie, eine neue Er—
findung oder Entdedung, die geſam—
melten Erfahrungen auf einem fpe=
ciellen Gebiete der Induſtrie, der
Wiſſenſchaft u. ſ. w. Das Ganze ift
in feinem Kopfe fertig und braucht
nur zu Papier gebracht zu werden.
Uber um fein Wert dem PBublicum
n94
tor, der dadurdh die Sorge um den
Vertrieb und das Rilico der Herftellung
auf den Verleger überträgt.
Es entjteht nun die Frage, ob
der Autor, fobald er die dee zur
Herausgabe eines Werkes gefalst, jo-
fort mit dem Berleger in Verkehr
treten fol? Wenn er am Sibe des
Verlegers wohnt und mit demſelben
in gejchäftlicher oder gejelliger Ver—
bindung ſteht, dann kann eine jolche
geſprächsweiſe Erwähnung feinesfalls
Schaden. Der Verleger wird ihn dann
aufmuntern, die Idee detaillierter aus—
zuarbeiten, oder er wird ihn abmahnen,
oder er wird fi das Urtheil vorbe—
halten, bis ihm ein überjichtliher Plan
des ganzen Werkes vorliegt.
Und dies ift die wahrfcheinlichite
Eventualität. Denn mit der bloßen
dee weiß der Verleger in vielen Fällen
nichts anzufangen. Es ift dies umſo
begreifliher, als bei der hohen Ent:
widelung der literarifchen Production,
bei der großen Mafle von Büchern,
die jährlich erfcheinen, eine neue dee
ſelten ift. Meiftens wird es fich um
die Verbefjerung von etwas ſchon Bor«
zugänglich zu machen, bedarf er eines |handenem, um die Adaptierung für
Mittelmannes, Mit dem Druden allein
ift es nicht gethan. Gegen entfpre=
hende Bezahlung übernimmt wohl
jede Druderei die Derftellung der ge-
wünschten Auflage. Aber dann ift das
Merk nur vervielfältigt, nicht in Ver-
fauf gebradt. Wenn er auch den
Drud aus eigenen Mitteln beftreiten
wollte, ift er noch immer zum Zweck
des Vertriebes auf die Vermittlung
des Derlegerd angewiejen, der das
bejißt, was ihm und dem Druder fehlt,
den Vertriebsapparat. Alſo jelbit dann,
wenn der Autor das Riſico des Ver—
lagsgejchäftes auf fih nimmt, wenn
er die Koften des Drudes bejtreitet,
wird er der Hilfeleiftung des Berle-
gers nicht entrathen können. Die Thei-
lung der Arbeit Hat ſich auch auf dem
Gebiete der literarifchen Production
als vortheilhaft für alle Theile ers
wielen, namentlich aber für den Aus
neue Kreiſe Handeln. Denn die gege—
benen Elemente, auf welchen jedivede
Schriftftellerifche Leiftung beruht, find
zweierlei Art, entweder jolche, welche
allen Menfchen zugänglich find, welche
fozujagen auf der Straße liegen, aljo
das menſchliche Gemüth, der Veritand,
das Walten der Naturfräfte. Das ift
das Feld, auf welchem ſich Dichter und
Philoſophen unfterbliden Ruhm er—
werben können. Oder fpecielle Kennt-
niffe, welche nur durch ausdauernden
Fleiß, durch Mühen und Gefahren zu
erlangen find, das find die willen
Ihaftlihen Entdeckungen und For—
ſchungen.
Von beiden Seiten gilt dasſelbe.
Die neue Schöpfung der Phantaſie
oder das neue philoſophiſche Syſtem,
die letzte wiſſenſchaftliche Forſchung
oder technische Erfindung muſs fertig
vorliegen, bevor fich ein Urtheil über
[4
595
diejelbe bilden läfst. Schriftiteller, die
jich bereit3 einen literarischen Namen
erworben, jind meiltens von dieſer
Aufgabe befreit, denn die Flagge dedt
in diefem Tale die Ware, man
nimmt im vorhinein an, daſs ihr
neues Product auf der Höhe des bis—
ber Geleijteten ſich erhalten oder
diefe noch überflügeln werde, oder man
rechnet mit dem Kreis von Freunden
und Verehrern, den fie ſich bereit3 er=
warben. Uber ein homo novus —
und für diefe ift diefer Aufſatz vorzüg—
ich gejchrieben — muf3 feine litera=
riſchen Sporen erft verdienen. Er muſs
etwas vorlegen, woraus zum mindes
ften der Plan des Werkes erfichtlich
it. Und felbjt das genügt nicht in
allen Fällen. Der Verleger wird mei-
tens verlangen, daſs ihm nebft dem
Snhaltsverzeichnis wenigftens ein Theil
des Manufcripts übergeben werde.
Mo es die Natur des DVerlegers
erfordert, alfo namentlich dort, wo es
jih um wifjenfchaftliche Verlagswerke
handelt, wird der Verleger eine An—
zahl Fahmänner um ſich geſammelt
haben, welche als Eonfulenten fun—
gieren. Ihnen wird in dieſem Falle
der Verleger die angebotenen Manu—
ſcripte zuerſt zuweiſen, und da, wo er
in der ſpeciellen Sphäre keine Kennt—
niſſe befitzt, ſich nach deren Gutachten
richten. Dasſelbe wird auch dann ein—
treten müſſen, wo der Verlagsartikel
jo viele find, dafs der Chef aus
Mangel an Zeit die eingelaufenen
Manuferipte nicht bewältigen fanın.
Ob die Prüfung in der einen oder
andern Weile gefchieht, immer wird
es den Intereſſe des Autors förder-
ih jein, wenn der Lefer des Manu
ſcripts im der Lage ift, fich fchnell zu
orientieren.
Der Verleger ftellt die Anforderung
an den Autor, jo ſchnell als möglich
in das Weſen des Merfes eindringen
zu können. Er will wilfen, was be=
handelt wird, wie es behandelt wird
und melden Umfang das Buch haben
foll. Das Ganze vom Anfang bis zum
Ende durchzuleſen, dazu hat er kaum
Zeit, der vielbejchäftigte Verleger ge—
wiſs nicht. Darum wird er zuerſt nad
der Vorrede greifen in der Voraus
jeßung, daſs diefe den Standpunkt
des Autors und den Zweck des Buches
Harlege, fodann nach dem Inhaltsver—
zeihniffe, um den Inhalt des Wertes
fernen zu lernen. Zugleich gibt ihm
dies einen beiläufigen Überblid über
den Umfang, indem er ein Gapitel
als Durchſchnittsmaß annimmt. Um
ih über die Form der Behandlung
zu unterrichten, wird der DBerleger
Stihproben madhen. Er wird ein oder
das andere Gapitel lefen und nad
einzelnen Theilen auf das Ganze
ſchließen. — Ein befonderes Intereſſe
wird er dem Titel widmen, denn dieſer
wird als ein wichtiger Factor des
Werkes betrachtet. Der Ausſpruch:
„Der Titel verkauft das Buch“ ſtammt
von einem der hervorragendften Buch—
händler, von dem Gründer der
„Sartenlaube*, Ernft Keil, alfo von
einem Manne, der jein Geſchäft
gründlich verftanden.
Wenn Titel, Inhalt, Umfang,
Unlage u. ſ. w. den Beifall des Ver—
legers finden, wenn er jich durch Stich—
proben überzeugt Hat, dajs auch die
ftiliftifche Form dem Werke entjpre=
hend ift, dann erklärt er jeine Bereit-
willigfeit, den Berlag zu übernehmen,
und e3 folgen dann die Verhandlungen
über die Modalitäten der Ausführung.
Der directe Verkehr, die perfönliche
Berührung zwifchen Autor und Ver—
leger wird hier am ſchnellſten zur
Einigung führen. Wo dieſe wegen
räumlicher Entfernung nicht möglich,
da widelt fi die Sache langjamer
ab. Die Schwierigkeit beginnt für dei
Autor Schon beim erſten Schritt, beim
Auffuchen des Verlegers. Es ift wohl
wahr, daſs im allgemeinen die Willig-
feit der Berleger ganz außer allem
Verhältnis fteht zur Aufnahmsfähig—
feit des deutschen Leſepublicums. Aber
das ift für den unbelannten Autor
nur ein theoretifcher Troft. Jrgendwo
38°
596
in den deutfchen Gauen exiftiert gewiſs
der gefällige Mann, welcher bereit ift,
gerade folhe Werte zu druden, wie
er eben eines fertig gebradt. Aber
wie diejen einen Richtigen unter den
etwa 1500 Berlagsfirmen heraus—
finden? Es wird dem Anfäuger in
den meiften Fällen die Mühe einer
directen Umfrage nicht eripart bleiben.
Für den fchriftlihen Verkehr mit
dem Berleger gilt natürlich derjelbe
Grundjag wie für den mündlichen,
nämlih Klarheit in der Auseinanders
jegung des Verlagsprojectes. Der erſte
Brief wird nebſt der Anfrage eine
Skizze des Werkes enthalten. Das
genügt in den meilten Fällen für den
Verleger, um ſich ein Urtheil zu bil—
den, ob das Werk für ihn paſſe oder
wicht. Der erite Eindrud, den der
Vorſchlag auf ihn macht, iſt gar oft
entjcheidend für das weitere Schidjal
des Berlagsobjected. Wenn der Ver—
leger — um uns eines Börjenauss
drudes zu bedienen — „Meinung“
hat, das heißt, wenn er eine günftige
Meinung für ein ihm entmwideltes
Project gefafst Hat und im Principe
das Werk zu verlegen geneigt iſt, fo
hat der Autor leichtes Spiel. Denn
„Meinung haben“ ift die Hauptfache,
die Übereinftimmung im den Neben
fragen wird, dann ſchnell erzielt. In
diefem legten Falle erbittet fich der
Berleger die Zufendung des vollftän-
digen Manuferipts3 und die Mitthei-
lung der Bedingungen des Autors.
Im entgegengejeßten Falle, das heißt,
wenn der Verleger principiell nichts
mit dem ſpeciellen Verlagsobject zu
thun Haben will, erfolgt die Ablehnung
mit oder ohne Angabe der Gründe,
und in mehr oder weniger gefälliger
Form. Die einen pflegen die bittere
Pille mehr zu verzuckern, die anderen
weniger. Der Effect iſt immer der
nämliche, und ein erfahrener Autor
wird auf ſolche Außerlichfeiten nicht
mehr Wert legen, als fie verdienen.
Was er vom Verleger mit Recht bes
anfpruchen darf, ift eine prompte Ant—
wort, alfo ein kurzes ja oder nein,
und zwar jo fchnell ala möglich. Ein
Verzögern der Antwort um Wochen
oder gar Monate it entichieden eine
Unbilligfeit, die aber, wie wir jofort
hinzufügen wollen, fehr jelten vorzur
fommen pflegt. Selbſtverſtändlich ift
es aud, daſs der Berleger ein ihm
zugeſendetes Manufcript mit der ge—
bührenden Pietät behandeln fol. In
diejer Beziehung ift die kaufmänniſche
Anſchauung des Verlegers nur geeignet,
den Autor über das Scidjal feines
Manuſcripts zu beruhigen. Dem Ver—
leger bedeutet Manufeript Ware, aber
eine ihm anvertraute Ware, er wird
daher Sorge tragen, daſs es dem
rechtmäßigen Eigenthümer volllommen
und ficher gewahrt bleibe.
Recapitulieren wir nun die gegen=
jeitigen Rechte und Pflichten im Ver—
fehr zwiſchen Verleger und Autor, fo
finden wir, dafs fie fi im zwei
Worten erfhöpfen lafjen: Klarheit und
Schnelligkeit. Der Autor ſoll fein Vor—
‚haben Fury und klar vortragen, der
Verleger joll fo jchnell als möglich
antworten. Damit ift beiden Zheilen
gedient.
Die mündlichen oder fchriftlichen
Unterhandlungen zwifchen Verleger und
Autor finden ihren Abſchluſs in einem
mündlichen oder jchriftlichen Verlags—
‘contract, Im wejentlihen wird ein
ſolches Ubereinkommen folgende Punkte
enthalten:
1. Das Honorar für den Autor, für
die eriten und für die eventuell
folgenden Auflagen.
. Den Umfang des Wertes.
. Die Höhe der Auflage.
. Die Höhe der Frei-Exemplare für
den Autor.
5. Die präcife Befchreibung der vom
| Verleger erworbenen Rechte.
| 6. Den Termin für die Ablieferung
|
* Co
des Manuſcripts.
Mas die Höhe der Auflage be=
trifft, jo ift die Beſtimmung derjelben
Sache des Verlegers; der leßtere it
jelbjtverftändlih an die Einhaltung
KHIEBE v
597
der einmal feitgefeßten Auflageziffer Frei-Exemplare betrifft, wird dieſe Ge—
injoferne gebunden, als er fie ohne
Willen und Einwilligung des Autors
nicht überjchreiten darf. Es wird wohl
die und da von Beifpielen gefprochen,
dafs manche Verleger in diefem Bunte
ein weites Gewiſſen haben und ohne
Willen des Autors Höhere Auflagen
druden. Doch werden ſich in den meisten
Hüllen ſolche Verdächtigungen auf
überjpannte Autoren» Eitelfeit zurüde
führen laſſen.
Der Umfang des Werkes und der
Ablieferungstermin für das Manu:
jeript werden am eheſten Anlaſs zu
Differenzen zwifchen Autor und Vers
leger bieten. Es ift Bier der Bunt,
in welchem die fchriftitellerifche Pro—
duction mit den Anforderungen der
faufmännifhen Ordnung in Zwiefpalt
kommen kann. Das Gebilde des Beiftes
ift nicht mefsbar wie der Faden am
Webſtuhl. Das geiftige Product kann
nicht abgejchnitten werden wie eine
Bandrolle. Wenn aljo das Manufeript
den urfprünglich beflimmten Umfang
nicht einhält, wenn das Werk das
Marimum der Drudbogen überfteigt,
jo muſs nicht immer böfer Wille des
Autors angenommen werden. Auch
dann nicht, wenn der Autor den Ab—
lieferungstermin nicht pünktlich ein—
hält. In gar vielen Fällen ift der
Autor an der unfreiwilligen VBerzöges
rung ganz unfchuldig. Die angebliche
Faulheit eines Schriftftellers ift häufig
nichts anderes als ein momentane
Verſiegen feiner Schaffenskraft. Hier
jollte der Berleger billig Rüdficht
nehmen, dafs die jchriftitelleriiche Thä—
tigfeit feine mechanijche ift. Der Au—
tor wieder foll feine Verpflichtung
übernehmen, weiche er nicht unter allen
Umftänden zu erfüllen vermag. Jeder
joflte trachten, ſich auf des anderen
Standpunkt zu verfeßen, und Diele
gegenfeitige Kenntnis der eigenthüm—
lihen Bedingungen des Schaffens und
des Betriebes wird am eheiten die
Berftändigung erleichtern.
pflogenheit, wenn fie im größerem
Maße gefordert wird, don Seite des
Verlegers als eine Laft betrachtet.
Er findet e3 unbillig, daſs der Autor
dem Verleger dur Verſchenken der
Eremplare Goncurrenz made. Die
Dedicationd-Eremplare find vom ver—
fegerifchen Standpunkt ein Miſsbrauch,
deflen Befeitigung anzuftreben wäre.
Mit der Ausfertigung des Ver—
lags⸗Contractes ift das Werk aus dem
Stadium des Projectes in jenes der
Ausführung getreten. Der Autor Hat
— foferne er nur einen Theil des
Manufcripts vorgelegt — das Fehlende
bis zur beſtimmten Friſt zu ergänzen
und an den Merleger abzuliefern.
Diefer Hat mittlerweile für die Druck—
legung, durch Vereinbarung mit einem
Druder, Sorge getragen. Wenn er
ſelbſt Drudereibeliger ift, entfällt na—
türlich diefe Nothiwendigkeit, und dem
Verleger bleibt nur die Aufgabe, die
nothwendige Quantität Papier aus
der Fabrik zu beftellen. Die Herftellung
des Buches kann beginnen.
Bas Becenfions-Exemplar.
Mir jind über das Stadium der
Herftellung des Buches hinaus. Die
legten Gorrecturen find vom Autor
erledigt, die Bogen gelangen der Reihe
nad in die Majchine, Fein jünberlich
geglättet kommen fie nacheinander in
die Hand des Buchbinders, der ſie
falzt, brojchiert, bindet und ſchließlich
— gar manche harte Nufs hat der
Verleger in diefer legten Zeit noch
zu fnaden gehabt — liegt das Bud
vor uns!
Das Erfcheinen des Wertes ift
ihon während des Drudes in den
Buchhändler » Organen angezeigt ges
weien, Hunderte und taujende bon
Zetteln find eingelaufen, die Erpedition
der Eremplare iſt durchgeführt, das
Werk gehört der Öffentlichkeit an.
Der junge Autor eilt von einem
Buchladen zum anderen, fpäht ängſt—
Was die dem Autor zugelprochenen lich darnach, ob gewiſs nur überall
fein Buch recht günftig ausgeftellt ift,
beſucht — wenn er unbekannt genug
ift, um es riskieren zu fönnen —
wohl felbft eine Buchhandlung, um
ſich — ſelbſtverſtändlich lobend — über
das grofartige neue Werk ausſprechen
zu fönnen und erlebt gar manche
heimliche Freude, da der Sortimenter
politifch genug ift, jedes Buch jedem
Neflectanten gegenüber zu loben. Er
blidt täglich in die Zeitung, ob nicht
an leitender Stelle oder im Feuilleton
in flammenden Worten auf das epoche=
mahende Werk Hingewielen if. Er
ift inftande, einen ganz unbelannten
Menschen im Geifte zu fegnen, der
zufällig mit feinem Buche in der
Hand die Straße betritt — furz, er
befindet ih in einem hochgradigen
Fieber, gegen welches das Trema der
Schauſpieler vor der Ranıpe die reinite
Sleichgiltigkeit ift. Er liest Tag für
Tag Dutzende von Zeitungen. Nichts
darin!
Wenn du, verehrter Autor, ein
Neuling und noch dazu ungeduldigen
Temperamentes bilt, dann iſt zehn
gegen eins zu wetten, daf3 du am
zweiten oder dritten Tage zum Ber:
leger ftürmft, um ihn zu fragen, ob
er auch die Recenſions-Exemplare rich:
tig verichidt habe. Der zeigt dir darauf
nit der Ruhe eines fchlachtenergrauten
Feldherrn die ftattliche Lifte der ver—
jendeten Frei-Exemplare und gibt dir
noch gratis eine Kleine ſtatiſtiſche Ab»
handlung über Bücherkritit auf den
Meg. Diefe Zahlen lauten aber durch»
aus nicht tröftlih. Denn auf hundert
verjendete NRecenfions» Eremplare ent»
fallen im beiten Falle fünfzig Be—
jprehungen, alfo fünfzig Percent!
Und was die Zeit betrifft, jo variiert
diefelbe je nach Umftänden zwiſchen
14 Tagen und 6 Monaten. Aber eine
Woche ſei das Minimum der Zeit,
welche die Beſprechung eines Buches
erfordert. Das ift für deine Ungeduld
eine viel zu lange Friſt, aber die Zeit
98
Te — — — ——— — — — — — nn — —
und mit der Reſignation kommen nach
und nach die Beſprechungen, aller—
dings nicht in hellen Haufen, aber
wenigſtens tropfenweiſe, und unter
normalen Umſtänden hat die Kritik
in der Zeit von einigen Monaten
ihres Amtes gewaltet.
Ein Blid in das Getriebe der
Redactionsftuben, in die Sündflut
von literariſchen Erjcheinungen, mit
welcher diejelben Tag für Tag über»
ftrömt werden, wird die Langſamkeit
des Verfahrens erklären. Im ganzen
fommen für das deutſche Sprachgebiet
etwa 100 Blätter erften Ranges in
Betracht, wenn nicht das betreffende
Werk zu bejonderer Popularität be=
ſtimmt ift, in weldem alle bis zu
6000 Zeitungen in deutſcher Sprade
zu Gebote ftehen. Nehmen wir aljo
den bejheideneren erften Yall, der
Verleger verjendet 100 Frei-Eremplare
an hundert bedeutende Blätter im In—
und Auslande. Manche Zeitung und
mancher Redacteur wird die Liebens-
wirdigfeit haben, das Buch alsbald
zu lefen und eine mehr oder minder
große Beiprehung zu Schreiben, wo—
mit die Sache abgeſchloſſen iſt. Der
Verleger befommt feinen Beleg, der
Autor, der jelbitverftändlih immer
neugierig ift, wie die Melt über fein
Genie denkt, wird ihn lejen. Anders
und complicierter ift es ſchon, wenn
die Sache weniger glatt abgeht. Der
Redacteur, der aus Mangel an Zeit
oder Luft nicht ſelbſt Beiprehungen
Schreibt, übergibt das Bud einem Mit:
arbeiter, der mitunter der Sache vergiſst
und oft erft nach einer oder mehreren
jpäten Mahnungen daran geht, dem
Wunſche des Verlegers und Autors
nachzukommen. Dann gibt es Blätter,
namentlich größere, denen der Raum
jo foftjpielig it, daſs fie Pprincipiell
nur die Titel literariicher Novitäten
bringen; dagegen läſst jih kaum eine
Einwendung erheben, ift ja doch die
Grwähnung im textlichen Theil joviel
zeigt ſich auch Hier als Die allgeilende | wert, als eine nichtsfagende Beipre-
Tröſterin, ſie lehrt dich Reſignation, hung, und bei der Verbreitung großer
Zeitungen von bedeutendem Nutzen.
Ein anderer Fall ift es, wenn die
Blätter aus Läfjigfeit oder Gewohn—
beit feine Beſprechungen fchreiben, und
für diefe Hat der mit allen Factoren
rehnende Berleger eine Abhilfe Er
fegt dem Recenſions-Exemplar außer
dem obligaten gejchriebenen oder ge=
drudten Begleitbrief ein Heines Reſumé
bei, eine Urt Projpect des Werkes, der
den Inhalt und die Tendenz verrät,
mit einem mehr oder minder bejchei-
denen Lobe des Verfaſſers und Vers
feger3 Erwähnung thut und den
Redacteur der Pflicht überhebt, das
Buch auch nur leſen zu müſſen. Es
ift dies meiftens nur bei kleineren
Blättern der Fall, doch Hat fich der
Verfafler erzählen laſſen, daſs auch
größere und größte Blätter dem „ein—
ſtimmigen“ Urtheile des Verlegers
vollinhaltlich beipflichten.
Doch kehren wir zu den Recen—
ſions-Exemplaren zurück, da wir ja
nit alle Leidensftationen derjelben
aufgezählt haben. Es kann gejchehen,
dafs ſchon der erſte Schritt des Buches
in die Öffentlichkeit ein verhängnis—
voller if. Das betreffende Paket kann
3. 3. auf der Poſt in Verluft geratben.
Erfahrene Verleger willen auch hier—
von zu erzählen. Ja felbft in der
NRedaction ſitzen manch liebenswürdige
Literaturfreunde, die ohne große Ge—
LE
wilfensfcrupel die einlangenden Exem—
plare einfteden, bevor jie der betreffende
Redacteur zu Geficht befommt. Auch
die Zeitereiguiffe find jo Häufig der
Bücherkritik nicht günftig; die Fülle
des politiihen Stoffes verjchuldet,
daſs bereit3 gejchriebene und gejehte
Recenfionen erft verfpätet zum Abdrud
gelangen. Kurz, an allen Seiten und
Enden drohen Gefahren, jo daſs man
an der ganzen Organifation der Kritik
verzweifeln möchte. Aber dieſes depri—
mierende Gefühl erhält man nur, wenn
man die Sade vom individuellen
Standpunkte auffafst und das Getriebe
aus zu großer Nähe betrachtet. Stellt
man fih in eine gewille Entfernung
und ift man mit feiner eigenen werten
Berfon außer dem Spiele, dann wird
man finden, dafs im großen und
ganzen die Einrichtung ziemlich zweck—
mäßig iſt und daſs namentlich inter-
eſſante Bücher und folche, die mit
der Tagesliteratur in Beziehung ftehen,
faum in Gefahr find, von der Zeitungs
kritik todtgefchwiegen zu werden. Daſs
die Literatur freilihd ein Ajchenbrödel
der Tagespreſſe ift, läfst ſich nicht
wegleugnen und finden wir eher hun—
dert Notizen über die Gaſtſpiele des
Mimen Schmierer in Hotzenplotz, als
eine eingehende Beiprehung eines
bahnbrechenden Werkes. Gott beſſer's!
Die Cigarre
in ihrer erziehlichen Bedeutung.
Eine Plauderei von Friedrid von Yausegger. *)
22
ch bin fein Raucher, kenne den
ag Genufs des Tabafqualms nur
® aus dritter Hand, halte mic
daher mehr als jeder andere für ges
eignet, darüber zu fchreiben. Man
wird mich nun vielleicht für einen
Kritifer halten und meinem Urtheile
mit jener Achtung entgegenkommen,
welche die jogenannte Objectivität er—
fährt. Ich erhebe aber befcheidenere
Anſprüche. Ih will nämlich mein
Thema von einer Seite beleuchten,
von welcher es noch niemals beleuchtet
worden iſt. Gewiſs befcheiden, wenn
man bedenkt, dafs dies Heute ja all—
gemein Brauch und auch viel leichter
ift, als don einer Sade das zu Jagen,
was man zu erwarten berechtigt wäre.
Ih will nämlich die erziehlide Seite
des Rauchens beleuchten. Die Cigarre
als Erzieher! Warum nit? Wer
führt nicht Heutzutage einen Erzieher
im Munde? Warum jollte es nicht
die Eigarre fein, welche jedermann im
Munde führt?
Um gründlih zu fein, mußs ich
mit dem Stammpvater der Cigarre be-
ginnen, das ift die Pfeife. Die erzieh-
lihe Wirkung der Pfeife wird nur
derjenige zu würdigen willen, welcher
einen Begriff von dem WRüdeinfluffe
der phyſiognomiſchen Bewegungen auf
den Charakter hat. Die Phyiiognomit
lehrt uns nämlich, daſs Bewegungen
der Gefichtsinusfeln, welche gewiſſen
Leidenschaften eigen find, auch wieder
rüdwirfend entjprechende Leidenschaften
erweden. Wer die Miene des Zornes
annimmt, wird bald wirklich zornig
werden, janfte Ausdrudsformen werden
das erregte Gemüt milder fimmen, ja
das bloße Schiefziehen der Naſe foll
ſchon in mandem Menſchen das Ge»
fühl des Neides in ſolchem Grade er-
regt haben, dafs der Nichtlenner der
Urſache fih gedrängt fand, nad den
zwingendften Erflärungsgründen im
Außenleben zu fuhen — natürlich
vergebens.
Betrachten wir denn bon dieſem
Geſichtspunkte aus den Raucher eines
Tſchibuks. Der Mund ift halb geöffnet,
die Unterlippe fchlaff Hinuntergezogen ;
die Nafe hat eine unnatürliche Länge
gewonnen, die fanften Bewegungen
der Nüftern haben jeden Rapport mit
dem Gentralorgane verloren nnd be=
Ichäftigen fich einzig mit dem Wohl—
geftant des fie umqualmenden Dam-
pfes; die Augen — vielleiht das eine
oder das andere mehr, je nachdem
rechts, lints oder in der Mitte ges
raucht wird — verändern ihre Con—
turen; das horizontale Oval wird ein
verticales. Außen nichts fuchend, ſcheint
der Blid nad innen gewendet; innen
nichts findend, verliert er jede Bedeu—
tung. Die Diagnofe des Pſychiaters
würde hochgradigen Blödfinn feftitellen.
Wir wiſſen, daſs der Pſychiater irrt;
er hat ja bei der Zujammenfafjung
der Symptome auf die im Munde
hängende Pfeife vergeffen. Dies iſt
einer der vielen Fälle, in melden die
Wiſſenſchaft durch das Urtheil des
Laien gefhlagen wird. Der Rauchge—
nofje wird vielmehr gerade dieſem
Ausdrude einen gewiflen Grab von
Hochachtung entgegenbringen. Die da-
mit verbundene Ummöglichleit, etwas
.® Seitenſtud zum Aufſatze „Die Cigarre“ von Friedrich Hofmann. Seite 525.
601
zu jagen, bringt die Beruhigung mit
ich, dafs auch nichts Dummes gejagt
werden könne. Wie angenehm für den
Beobachter jelbft, wenn er etwa nicht
in der Lage wäre, nichts Dummes zu
jagen, jobald er etwas jagen müfste.
Hanc veniam damus, petimusque
vieissem — auf diefen Grundjaß ſich
berufend kann er — ebenfalls rauchen.
Und nun zeigt die Gegenüberftellung |woujst waren.
fümpft. Schwerlid hat man geahnt,
welches Erziehungsmittels man ſich
damit hätte berauben können. Man
vertheile Tabak unter die Völker, und
der Friede ift dadurch mehr gelichert,
als dur das rauchloſe Pulver. Und
dennoch lag in jenem Berbote eine
Weisheit verborgen, welcher ſich die—
jenigen, welche e3 erließen, kaum be=
Aus dem Untergrunde
zweier Menjchen, welche nicht das mins | des Unbewuſsten hatte fih nämlich
deite Bedürfnis haben, von einander
etwas zu fordern oder einander etwas zu |
bieten, das Bild vornehmer Gleichgils
tigkeit. Gewiſs eine der fchönften |
Formen des Zufammenlebens.
Damit ift es aber nicht abgethan.
Der erwähnten, fo günftig rüdwirken- |
Stellung des |
den phyfiognomifchen
Raucers folgt plößli eine andere:
Er ſtößt den mit Behagen infichge-
zogenen Rauch von ſich. Nun wird
in feiner Miene alles anders.
Sefihtsmusteln. Die jchlaff gewefenen
Wangen fpannen fi übermäßig zu
thatlräftigem Vollbringen, die Nüftern
zittern in action&luftiger Erregung,
das Auge kehrt ſich nach außen und
wirft feine verborgen gehaltenen Blitze
in die Welt, der Kopf hebt fich raſch
in bedrohliher Bewegung. Der Phy—
fioguomifer wird eine
würde auch folgen, wenn nun das nad) |
außen gemwendete, gleihjam emporges |
ichnellte Leben des Raucher mit der
Welt in unmittelbare Berührung träte.
Das ift aber nicht der Fall. Zwifchen
ihn umd die Außenwelt fchiebt ſich
eine dide Wolfe Rauches, dieſe ver-
hüllend und feine Aufmerkfamfeit voll
in Anspruch nehmend. Der Eontraft,
welcher fih nach phyliologiichen Ge=
jeßen ergeben mufste, hat jede Geführ-
Die Bürgertugend
lichfeit verloren.
der Ruhe, zu welcher den Raucher feine
Pfeife erzogen, bleibt in allen Stadien
des Rauchen: gewahrt.
Regierungen das Rauchen ſtark be=
Eine,
imponierende Energiebemächtigt fich aller
Zhat von
befonderer Bedeutung erwarten. Sie
damals vielleicht ſchon die leife Vor—
ahnung einer Erſcheinung emporgerun ·
‚gen, welche im heutigen Leben eine
geradezu maßgebende Rolle jpielt —
ich meine die Cigarre.
„Wie anders wirft dies Zeichen
auf mih ein.” Man braucht fein
Lavater oder Piderit zu fein, um zu
erfennen, daſs das Rauchen der Eigarre
ganz andere Musfelcombinationen in
‚der Miene des Rauchers bervorbringe,
als das der Pfeife. Der Raucher
nimmt die Cigarre zwifchen die Zähne,
prejst diefe bis zu einen gewiſſen
Grade zufammen, zieht, um fie in der
jo imponierenden wagrechten Lage zu
erhalten, die Unterlippe empor, ver—
(eiht feinen Baden eine Spannung,
welche fie kürzer und dider erjcheinen
lafjen, hält die Nafe aufrecht, wie zum
' Angriffe bereit, und richtet feine Blide
ſcheinbar geradeaus vor fih hin. Ich
ſage jeheinbar, denn eigentlich faſst er
ebenjowenig etwas ind Auge, ala der
'Pfeifenraucher. Er gewährt den As
blid großer Erregung. Diefe Erregung
'mufs fi feinem Innern mittheilen.
Da fie für den Augenblid feinen Ge—
genftand Hat, jo würde der Pſychiater
dieſen Zuftand für eine Form des
Wahnſinnes erflären, wenn er zu den
Symptomen im Gefichte nicht auch
noch die Cigarre dazuaddieren müjste,
welche allerdings in feiner Wiſſenſchaft
noch nicht die gebührende Stelle ge=
funden hat. Der Pfeifenraucher drüdt
die ohnmächtige, der Cigarrenraucher die
unternehmende Gedanfenlofigfeit aus.
Man hat einmal von Seite der;
Rauchen der
Dazu kommen noch andere mit dem
Gigarre verbundene
Thätigfeiten, welde dazu dienen, den
erwachten Unternehmungsgeift in Die
Bahnen der That zu leiten. Welch
zahlreiche, ſelbſt Heftige Handlungen
macht die richtige und wirkſame Hand—
habung der Gigarre nothwendig!
Viel öfter, als der Tſchibuk, veran-
lafst fie zu dem jo bedrohlichen Her—
vorftoßen des Rauches, welches mun,
nachdem ihm eine Abjpannung, wie
beim Pfeifenraucher, nicht folgen kann,
zu ganz anderen Wirkungen führt,
als bei diefem. Dazu kommt noch das
nothmwendige jo häufige Epielen mit
dem Feuer bei Abjtreifung der Afche,
MWiederanzündung des Stummels u.ſ. w.
Die Neizungen all diefer Thätigkeiten
wirken nicht nur für den Augenblid
höchſt aufregend für das Gemüth, fie
hinterlafien auch eine dauernd erregte
Stimmung, welche, verbunden mit
einem finnlofen Thatendrang, höchit ge—
fährlich werden kann. Gänzliche Dent-
unfähigfeit verbunden mit zügellojem
Thatendrang, und wir haben den Nihi—
lijien von heute. Wer könnte fich einen
jolden mit dem Tſchibuk im Munde
vorjtellen! Während die erfie friedliche
Hälfte unferes Jahrhundertes unter
dem Zeichen der Pfeife ftand, befindet
ſich die zweite unter den der Gigarre.
Wären unjere Staatsmänner befiere
Phyſiognomen, jo würden fie, ftatt
der jogenannten jocialen Frage nad)-
zufpüren, eine Statiftil der Gefichts-
musfelbewegungen und der fie beein—
fluffenden Urfahen anlegen laſſen.
Man würde da auf die merkwürdig—
ften Ergebnifje fommen, Man würde
erfahren, daſs es weniger das Eſſen
und Trinfen ift, welche die Gemüther
in der jocialen Frage bewegen, als
das Rauchen. Unser Zeitalter wird
mit Recht das des Dampfes genannt.
Es ift es auch in diefer Beziehung.
Wir werden uns mun erklären
lönnen, warum ſich an den modernen
focialen Bewegungen auch Frauen fo
lebhaft beiheiligen, was in früheren
Jahrhunderten niemals in fo hohem
Maße der Fall war. Das Gigarren-
UB
rauchen ift nämlich auch ſchon bei den
Frauen allgemein geworden, Muſs
ihon geraucht werden, jo geitatte ein
vorfichtiger Ehemann feiner rau nur
den Tſchibuk zu rauchen. Gelingt es
ihm, dies durchzuſetzen, jo ift der
Friede jeiner Ehe gelichert; nicht um—
jonft rauchen wilde Völker die Friedens-
pfeife; don einer Friedenscigarre hat
noch fein Menjch etwas gehört. Wehe
aber dem Haufe, wo die Gigarre
herrſcht! Der zartefte Mund fpeit da
Wuth, Jobald nämlich die Zeit vorüber-
gegangen ift, in welcher es anderes
ipeit. Das ewig Weibliche erleidet eine
eigentümliche Veränderung und büßt
einen guten Theil feiner Emwigfeit ein.
Die Frau, welche raucht, macht feinen
Anfpruch mehr, durch ihre Schönheit
zu reizen, jondern will dies nur durch
ihre Kühnheit. „Obſchon ich meine
Schönheit entjtelle, muſs ih dir doch
gefallen“ — dies meint fie, wenn jie
ihren Mund häſßslich zufpist, ihre
Baden aufbläst, ihr Näschen in die
Höhe wirft, ihre Augen in gedanfen-
lofer Begaffung der Rauchringe em—
pordreht, ftatt fie zielbewufst zu lenken
und ſchließlich von ihrem Nachbar ſtatt
ſtiller Verehrung — Feuer heiſcht.
Ein ſolches Weib will nicht erobern,
um zu gewinnen, es will erobern um
zu vernichten. Es will nicht Genius,
es will Dämon ſein. Wäre ich Czar,
ſo würde ich jedes rauchende Weib
nach Sibirien ſchicken.
Mit dieſen Ausführungen wollte ich
der erziehenden Wirkung der Cigarre
nicht nahetreten. Sie wirkt erziehend,
wie die Koch'ſche Tuberkellymphe hei—
lend, nämlich nur, wenn ſie mit ent—
ſprechender Vorſicht angewendet wird.
Wie man die Tuberkellymphe anwen—
den mujs, noch lange ehe der Patient
‚bon QTuberfeln ergriffen ift, womit der
Erfolg erzielt wird, daf3 er vor Tu—
berkeln, welche aus anderen Urſachen
entſtehen könnten, geſchützt ift, weil
| fie jedenfall früher infolge der An—
wendung des Vorbengungsmittels ent-
ſtehen, jo muf3 auch rechtzeitig dafür
603
geforgt werden, dafs die Fchädlichen | legenheit, welche Bejonnenheit, welches
Mirkungen des Gigarrenrauchens in | Selbfibewufstjein. Was fonft erft lange
ähnlicher Art bintangehalten werden. | Erfahrung, umfaſſendes Willen, geübte
Es wird fich empfehlen, ſchon dem
Kinde in der Wiege die Cigarre ftatt
des Lutſchels in den Mund zu fleden,
nicht nur, um es micotinfeft zu machen,
fondern auch, um” rechtzeitig die er—
ziehlihen Eigenschaften der Cigarre
wirffam zu machen. Es bedarf feines
tieferen Eindringen: in das Innere
der Sade, um aus dem bloßen Eins
drude, welchen das Sind mit der
Cigarre im Munde bervorbringt, zu
entnehmen, daſs dies das Bild eines
künftigen Charafters fei. Die Gewohn-
beit, mit diefem Symbole der That:
fraft umzugehen, läſst dasfelbe förm—
lich zu einem integrierenden Theil des
mentchlicen Organismus werden. Der
phyſiognomiſche Ausdrud verliert fein
Befremdendes, er wird ſtetig und flarr
und erzeugt rüdmirkend nicht mehr
Außerungen rapider Heftigfeit, jondern
vielmehr die Ruhe und Ausdauer jelbit-
bewujster Kraft. Man betrachte doch
einmal den Jungen, welcher vielleicht
noch nicht bis Zwei zählen kann, mit
der Gigarre im Munde. Welche Uber:
Kraftbethätigung in ihrer Nüdwirkung
auf den Charakter hervorzubringen
vermögen, die Gigarre bewirkt dies
am blödeften Jungen, ohne daj3 zur
Erzielung dieſes jo vielverjprechenden
Ergebnifjes das Gehirn durch feine
Inanſpruchnahme gefährdet werben
müſste. Früh krümmt fi, was ein
Haken werden will, früh raucht, was
ein Charakter werden foll.
Zu diefem Ergebnifje gelangt, Fällt
es mir zu meinem micht geringen
Schrecken in den Sinn, dafs ich felbit
nie eine Gigarre im Munde gehabt
babe, daher der Borbedingung zu einem
Charakter der Neuzeit ganz entbehre.
Eine traurige Sache das, etwas als
gut zu erfennen, und es doch nicht
'zu üben. Eine Folge mangelnder
Charakterentwidelung. Dieje aber wie»
der eine Folge des Nichtrauchens. So
ward dem zur Lehre das Beifpiel
gegeben, und wenn ich mit dieſem
ichließe, wird es mir niemand ver—
argen.
604
Zurück aufs Pand! Zurük in die Hatur!
nter den zahlreichen reformato⸗
Wriſchen Schriften über die eu—
© ropäifche Menfchheit der Ge—
genwart, deren Zuftände und deren
Beitrebungen, befindet fich eine mit
dem Titel: „Elend und Zufriedenheit.
Über die Urſachen und Abhilfe der
wirtfchaftlichen Notb von Leopold
Heller“ (Dresden. E. Pierjon. 1890),
mit welcher wir befonders einverſtan—
den jein müſſen. Sie bläst zwar viel—
fach ins alte Horn, aber gewiſſe Wahr:
heiten kann man nicht oft genug
fagen ; taufendmal muſs eine Wahr-
heit angekündigt werden, bis fie ein—
mal geglaubt wird. Der Begetaris-
mus wird empfohlen; ferner wird
verlangt geringere Überbürdung der
Jugend mit Wifjenskram, Ausbildung
der Körperfraft, Begünftigung klei—
nerer Städte (da die großen zum
Unheile werden), Verlegung der Fa—
briten aufs flache Land, ein Welt:
Arbeits-Bermittlungs= Verein, der die
arbeitenden Kräfte dahin vermittelt,
wo fie am beften zu brauchen und zu
verwerten find, dann Regelung des
Handels, weil zwar alle Dinge, die
der Mensch zum Leben und zum Ge—
nuſſe braucht, in Überflujs vorhanden
a
Städte gibt, der” MWohlftand größer
iſt, als in ſolchen Ländern, wo nur
auf große Entfernungen große Städte
vorkommen. In Ländern mit kleinen,
dicht gefäeten Städten kann der Bauer
leichter und ohne Verluft von Zeit
feine Producte gegen Erzeugniſſe des
Gewerbefleißes austaufdhen, und die
Berforgung der Städte mit Lebens-
mitteln geht leiht und billig von
ftatten. Meine zahlreichen Reifen
haben mir den Unterſchied vor Augen
geführt. Ungarn befigt, trogdem es
nicht dicht bevölkert ift, eine ziemliche
Anzahl von großen Städten über
20.000, ja fogar Dörfer über
‚20.000 Einwohner, aber im Ver—
hältniſſe dazu ift die Zahl der Heinen
Städte gering. Das jehr dicht bevöl-
ferte Böhmen mit über 200 kleineren
Städten, beſitzt an Städten über
20.000 Einwohner nur Prag, Pilfen,
Reichenberg, Budweis, Teplitz u. f. w.,
im ganzen 5 oder 6 Städte. Der
böhmische Bauer ift auch in der That,
trotzdem er fchledtere und meit we—
niger Felder hat, als fein transleitha=
nifcher College, beifer ſituiert, als
diefer.
Es regelt ſich am beften alles von
find, nicht aber an rechter Stelle, ſelbſt; dieſes Grundprincip der Manz
nicht immer dort, wo man fie braucht. | hefterpartei ift in gewilfer Hinficht
Zahlreiche beherzigenswerte Vorfchläge | wahr. Die Noth ſchafft Gefege und
finden ſich in dem Hargefehriebenen | reguliert alles. Die Noth wird alfo
Büchlein, dem wir eine weite Vers auch die Menfchen zwingen, fih zu
breitung wünſchen. Laſſen wir e3 im decentralifieren; SPriege und Epide—
einigen Punkten jelbft jprechen. 3. B. mien werden viele dahinraffen, Res
über die MWohnftätten der Menfchen. | volutionen werden andere veranlaflen,
Für das allgemeine Wohl wären ihrer Heimat den Rüden zu fehren
beijpielsweije SO Mittelftädte in einer — und wie einft, werden ganze Völfer
gewifjen Entfernung von einander | auswandern. &3 bleibt nun die Frage
beſſer, als eine Riejenftadt von vier offen: Iſt es gut für die Menfchheit,
Millionen. Ich babe gefunden, daſs wenn fich alles duch die treibenden
in folden Ländern, wo es viele Heine | Factoren Noth und Elend regelt, oder
605
wäre e3 bejler, wenn durch die Weis» [jehr vielen Fällen in dieſem einzigen
heit der mapgebenden Kreife jene „vor= | Raume Schlafftellen. Dabei wohnen
beugenden“ Mapregeln ergriffen wir= | mehr al3 10.000 Menfchen im nicht
den, welche die Srifen vermeiden | heizbaren Räumen und 478.000
Helfen ? Wir befehren uns zu der Menſchen in Wohnungen, die nur
letzten Anſicht. Wir erinnern an die ein heizbares Zimmer enthalten. Das
Chiueſen, welche alles durch Geſetze iſt das reiche, emporblühende” Berlin.
regeln, bei denen die Kriege fehr jel- | — Sind aber genügende Wohnungen
ten find und focialer Friede herrjcht, | vorhanden, dazın vernimmt man die
und welche bei ſehr ftarker Bevölkerung | Klage vom Niedergange der Städte.
doch ungleich weniger Noth kennen, | Dat denn wirklich die Menfchheit ein
als die europäischen Staaten, welche) Intereife daran, dicht gedrängt auf
fih an der Spitze der Gipilifation |einem Heinen Fleck Erde zu woh—
befinden. nen? den Nutzen haben die wenigen
Die Unterlaffungsfünden der Ge= | Baufpeculanten und die Hausbefiger
ſetzgeber rächen fi durch blutige Auf- in gut frequentierten Straßen, deren
ftände, Revolutionen, Sriege, Unzu- Häuferwert ins Unermejsliche jteigt ;
friedenheit und Seifen, Noth und aber den erwerbenden Ständen follte
große Sterblichkeit. Innerhalb eines es recht fein, wenn die fleineren
Sahrhunderts war Europa der Schaue | Städte der Provinzen projperieren,
plaß entjeglicher Blutvergießen und das ift die befte Garantie, daſs Die
Umwälzungen der großen franzöfilchen | Geichäfte der großen Städte in dem—
Revolution, der darauf folgenden | jelben Berhältniffe blühen werden.
Kriege, der Revolution dom Jahre! Produciert wird aber auf dem Lande
1848, des Srimfrieges, der ak Loire billiger. Schon jest können die
ſchen, ſchleswig-holſteiniſchen, ae Vorſtadt⸗ Fabriken mit den
franzöſiſchen und ruſſiſch— türliſchen Fabrilen in Böhmen ſchwer concur—
Feldzüge — gänzlich abgeſehen der rieren — aber noch mehr. Der kleine
Heinen Kriege. — Handelskriſen und Erzeuger in der Provinz lebt ruhig
fein Ende. Das find die Arzneimittel | und ohne Sorgen, und gute Jahre
aus dem Laboratorium der Social« | vorausgeſetzt, erwirbt er ſich mit der
fataliſten. Zeit ein beſcheidenes Vermögen. Der
Unſer Standpunkt der ſocialen Großſtädter arbeitet über ſeine Kräfte,
Frage gegenüber iſt uns klar vorge- um die große Regie verdienen und
zeichnet. Wir werden jede Maßregel „ſtandesgemäß“ leben zu können.
freudig begrüßen, welche den Zweck Einige ungünſtige Jahre, und er iſt
einer friedlichen Löſung der ſocialen auf der ſchiefen Ebene des Nieder:
Frage verfolgt. Wir verfchliegen uns | ganges. Dabei find die Verhältniſſe
nicht der Anficht, dafs es für die Bes | Berlin! und Wiens noch nicht auf
völferung von Nußen fein wird, wenn! die Spike getrieben. Wir glauben,
die Fabriken im Laufe der Zeiten auf | dafs in nächſter Zeit die Goncentra=
das flahe Land verlegt werden. tion der Menſchen duch den Dang,
Die MWohnungsnoth der großen in den großen Städten zu wohnen,
Städte ſcheint unheilbar zu fein. noch weitere Fortſchritte machen wird.
„Deutſchland“, ein focialpolitiiches Wie wird es dann möglich werben,
Blatt, bringt im einer feiner neueren | die Menſchen zufrieden zu Stellen,
Nummern folgende Daten über die; wenn die wenigen wunentbehrlichen
MWohnungsverhältniffe in Berlin. Jede Werte, welche jedermann benöthigt,
dritte Familie muſs fich mit einem ein= | Sonnenlicht, friſche Luft, reines
zigen Raume als Wohnung begnügen; Trinkwaſſer und endlich das Obit den
dieje Familien vermieten aber noch in! meilten nicht zugänglich find? Des»
606
halb, und weil das BDrüdende auf ſich öfter als nöthig mit tragiſchen
Schritt und Tritt dem vergoldeten | Effecten ab. Der Arbeiter ſieht es
Elende und dem Reichihume begegnet, vom Mittelitande, und diejer fieht es
gedeiht die Befcheidenheit und Zur | bei den oberen Zehntaujend, was man
friedenheit jo jchlecht im der Luft der | „Itandesgemäß leben“ nennt. Schon
großen Städte. die Erziehung nährt diefe eigenthüm—
Wer wollte leugnen, dafs die liche Richtung. Man Heidet die Kinder
großen Städte nicht auch bedeutende | jeßt auch jchon ftandesgemäß, und die
Vortheile hätten? Man findet Arbeit, Kinder der Reichen find dadurd um
weil ih Nachfrage und Angebot ihre kindlichen Freuden verkürzt. Cs
leichter treffen, Bildungsanftalten, | follen, das muſs doch einleuchten, die
Zerftreuung und für ftarfe Nerven Spitzenkragen nicht gefnidtjein, die Rolle
das lebhafte Treiben in den Straßen. |der Heinen Pagen erlaubt nicht die
Doch die Arbeitsgelegenheit könnte | natürliche Luftigkeit, und das créme—
überall dur einen Welt-Arbeitsverz | farbige Gahemirkleid der Heinen Elfa
mittlungsverein gejchaffen werden, die | würde Grasfleden befommen, wenn
Bildungsmittel könnten decentralifiert | fie ſich beifallen Tieße, auf dem Raſen
werden und für edle Zerftreuung kindlich zu fpielen.
fönnte überall gejorgt werden, wenn D die unzufriedenen Reichen!
weniger dem Bachus, und mehr den Wenn fie das Leben von allen Seiten
Genien der Kunſt geopfert würde, kennen würden, wer weiß, ob fie nicht
Zurüd auf das Land! rufen wir den |die armen Siebenbürger Bauern be=
unzufriedenen Arbeitern zu. neideten, welche ruhig ihre Tage ver—
Die Beſchäftigung des ländlichen | eben und beichliegen und fo einfäls
Urbeiters unter freiem Himmel, in tig find, im Vollbeſitze ihrer körper—
guter Luft ift erträglich, gejund und lichen Fähigkeiten bleiben zu wollen,
anregend und verlangt nicht gebie= | daher das Leder bei den Schuhen
terifch jene Ruhepaufen, wie die Ar- nicht ſparen und nicht freiwillig ent—
beit in rauchigen Fabrilen, wo das jagen, leicht zu athmen, oder der
mit dem Schidjal verföhnende Grün engen Taille zuliebe ungenügend zu
der Natur fehlt. Deshalb leidet der eſſen. Es ift auch nur zu natürlich,
Sohn der Natur nicht unter dem daſs im Unglüd man unzufrieden
Weltſchmerz, er genießt nicht viel von | und verdroffen zu den Neizmitteln
jenen fragwürdigen ftandesgemäßen | Zuflucht nimmt, um wenigftens im
Dergnügungen, melde dem Groß- Rauſche oder in der unnatürlichen
Hädter zum Bedürfnis geworden find, , Aufregung zu vergefjen an die Wohl
aber er verlebt mit Ruhe die wenigen thaten einer Givilifation, welche, auf
Jahre, welde uns Menſchen zuge- die Spitze getrieben, aus den Men—
meſſen find. ſchen weiße Sclaven madt.
Wir wollen „tandesgemäß leben!“ Der Lurus nimmt fortwährend
Diejer Begriff wird zu der Kette der | ıeue Formen an — auch der Kern
Abhängigkeit und Sclaverei für alle. | des Volles ift bereits von der Hyper—
Als wenn jeder Stand ein Einkomz cultur beledt. Wenn man feit einigen
men garantiert hätte! Sollte es nicht | Jahren die Beobachtung machen kann,
richtiger heißen: „nach feinem Ein» daſs jetzt auch fehon die dreijährigen
fommen leben?“ Mie viel Hummer, Kinderchen in der Lage find, ſich vor
verlegter Ehrgeiz, Wucherfchulden, der Sonne zu ſchützen, jo winken
blieben erjpart, und um wie viel uns jchöne Auslichten für die Zu—
eingebildetes Unglüd wäre weniger kunft. Nicht Tange wird es dauern,
auf dem Erdball! Die jümmerliche und auch die Stallmägde werden mit
Komödie des irdischen Dafeins fpielt Miedern verjehen fein und die länd—
607°
lichen Arbeiter werden in diejer glück—
lichen Periode nur danıı den Dünger
verladen, wenn er vorher jorgfältig
mit Garbolfäure desinficiert jein wird.
Die Verhältniffe find auf die Spike
getrieben. Wir find Sclaven der An—
nehmlichleiten; wir treiben keinen
Lurus, der Luxus treibt uns haftig
vorwärts, um zu verdienen, viel;
zu verdienen. Der Lurus bat be—
reits aufgehört, ein Mittel zum
Zwede verfeinerten und veredelten |
Lebensgenuffes zu fein, er iſt
Selbitzwed. Wir alle jeufzen unter
jeiner Zyrannei, welche uns micht!
des Lebens froh werden laäſst.
Nützt es uns, wenn unfere Stuben-
mädchen mehr SKleideraufwand ent—
wideln, als einft Fürftinnen im Alter—
thume? Dieſer Foriſchritt fteht nicht
im Verhältniſſe zu der angewendeten
Mühe, zu dem Apparate, beſtehend
aus Überarbeitung, erblindeten Augen,
jchlaflofen Nächten, Thränen, Kum—
mer, Elend und Broftitution aus
Noth, welche alle diefe jo jchönen
Saden gefchaffen, die wir als
moderne Kunſtwerke der Toilette an—
ftaunen. Die Schneider find Künftler
geworden , verlangt man doc zu⸗
weilen, dafs die Kleider zeigen, was nicht
ift, und das verbergen, was vorhanden. |
O glückliche Zeit, wo, wie noch
zu Zeiten Goethes, ein neuer rad
wichtig genug jhien, um im Tage—
buche verzeichnet zu werden, die Men:
ſchen aber auch ruhiger und jorglojer
ihre Jahre verlebten. Wir jind über—
haftet in der Arbeit und im Genuife ;
wir fommen nicht zu Athen. Die
Natur hat gelorgt, daſs das Gefühl
‚des Genießen: nicht endlos in Die
Höhe wähft. Die Blaſiertheit iſt die
Folge der Unmäßigkeit im Genuſſe,
die Nervoſität die Folge der über—
mäßigen geiſtigen Anſpannung. —
Einen, der ſo ſpricht, nennen unſere
Socialiſten und Nationalökonomen
heute vielleicht einen Idealiſten. Will
man zuwarten, bis etwas, das für
die Länge nicht haltbar iſt, ſich ſelbſt
gewaltſam ändert? Revolutionen wer—
den durch Reformen verhindert. Wir
werden nicht müde, immer wieder den
Hilferuf: Land! Land! auszuſtoßen,
gleichſam wie Untergehende. Nicht
auf dem Ocean gehen wir unter,
ſondern im Steinmeere großer Städte.
Zurück aufs Land! Zurück in die
Natur! Einen beſſeren Rath gibt es
nicht, um dem modernen lende
der Menfchheit einigermaßen zu
ſteuern.
60
Auf den Hochlantſch.
Ein Spaziergang in der Heimat von R.
a legtverwichenen Sommer darf
R ich wohl in den Rauchfang
2 binauffchreiben wie das
Sprichwort fagt, wenn eine rechte
Seltſamkeit anzumerken ift. Seit zehn
Jahren, da ich mich Schon ganz ver—
traut gemacht mit der legten dunklen
Tiefe, wieder auf hohe Berge fteigen
zu fönnen! Und als ich oben mar,
tief ih: „Hoch Krainer!“ Ich rief
es auf dem Thalerfogel, ich rief es
auf der Rar und ich rief auf der
Spige des Hohen Lantſch: „Hoch
Krainer!* Bis fih denn einmal ein
danebenftehender Tourift laut darüber
wunderte, daſs und warum ich doch
die Krainer jo hoch leben liege?
Die Krainer, aljo antwortete ich
dem Wijsbegierigen, das wären ganz
brave Leute, die follen leben, wie fie
fönnen, doch ihretwegen, und um
ihnen jo begeifterte Hochs auszubrin—
gen, bejtiege ich feine Berge. Bin:
gegen wüſste ich einen Dann namens
Krainer, der die Bergwelt mir gleid)-
ſam wieder erfchlofjen habe und dem mein
Gruß gelte auf den Alpengipfeln. —
Für immer hatte ich von diefen Alpen=
gipfeln einft Abjchied genommen. Aber
meine perjönlichen Freunde meinten, |
ein Dichter müſſe unter allen Um—
ftänden in die Höhe, und wenn er
förperlih jo jehr berabgefommen fei,
jo folle er in Graz die kraineriſche
Waſſercur gebrauden, welde ja we—
niger eine Eur, als ein Genujs ei.
Die Eur befteht darin, dajs man |
eine Zeit lang täglich einige Minuten mit
warmen und kaltem Waller über einem
Leintuch, in das man gefchlagen ift, ſich
abklatſchen läjst. Das fördert und regelt
vor allem den Blutumlauf, macht die
Haut athmungsfähig, regt die gleich—
mäßige Thätigfeit der Organe au, er»
frifcht die Nerven und härtet den Körper
ab gegen Kälte und Hitze. Damit ift für
manchen Leidenden viel, für manden
alles gewonnen. — Herrje! ih wollte
hier eine Alpenpartie bejchreiben und
mache Reclame füreine Waflerheilanftalt!
Allein der kluge Lefer merkt ſchon, es ge—
hört dazu. Zur Vervollſtändigung meiner
Krantengefchichte, die ih im „Heinz
garten“ XIII. Jahrgang, Seite 629,
mir zu erzählen erlaubt habe, mujs
hier machgetragen werden, daſs ein
ſechswöchentlicher Gebrauch der Krai—
ner'ſchen Waffercur, die ih mit Miſs—
trauen, ja mit Widermillen, nur auf
dringenden Wunfch meiner Freunde
im leßtvergangenen Frühjahre unter—
nahm, mich eigentlich wieder flügge
gemacht hat. Als der Sommer kam,
flatterte ich mit Zagen aus — und
fiehe, ih konnte fliegen! Ich konnte
wieder gehen, wandern, fteigen wie
einst. Mit friſchem Muthe, ohne Uber:
muth, ſachte empor gieng’3 an den
Bergen, aus Thal und Wald empor,
‚dur die Wollen empor bis zu den
fünf- und jechstaufend Fuß hoben
Gipfeln. — Nun wird man meinen
dankbaren Jubelruf verftehen.
Zuerſt unternahm ich kleinere Fuß—
partien in der Heimat, dann wagte
ih mih auf Thalmanderıngen in
Oberfärnten und Oberbaiern — und
‚endlich auf Berge. Schödel, Sulzen—
'togel, Nennfeld, Rax, Hochlantſch,
heißen die Eulminationspunfte meiner
legtjährigen Sommerfreuden. Auf den
meiſten diefer Wanderungen begleiteten
mich meine zwei Anaben und fo ift
mir auch diefer Wunſch, mit meinen
Söhnen das theuere Land zu durch—
‚ziehen, in Erfüllung gegangen.
4 609
Verhältnismäßig die umftändlichite
diejer Partien war die Belteigung des
Hohen Lantſch. Ich unternahın fie das
erftemal mit meinen beiden älteiten
Kindern, wir wurden aber jchon in
der‘ Bärenſchütz zurückgeſcheucht von
einem großen Ungemwitter, demfelben,
welhes am 21. Auguft in Graz jo
rajend gewüthet Hat. Acht Tage ſpäter
versuchte ich es mit meinem ältejten
Knaben das zweitemal. Um 3 Uhr
nachmittags verliefen wir Mirnik
unter tröpfelnden Wollen, welche ſich
aber bald lichteten; ein lebhafter Süd—
weit jchenerte den Himmel aus, bis
er tief blau war. Die Gegend der
Bärenfhüg mit dem Waflerfall (jiehe
„Heimgarten“ XII. Jahrgang, Seite
868) hatten wir nach einer guten
Stunde erreiht. An der Köhlerhütte
verließen wir den Bad, links quer-
anfteigend am felligen, mit mehreren
Höhlen durchlöcherten Dange. Bald
war der grüne Keſſel erreicht, wo das
ſchöne Bauerngut „zum Schwoager“
liegt; hernach gieng’s auf einem Hol:
perigen Fahrwege Stets bei guter Mar-
kierung in Schlangenwindungen bergan,
ftellenweife über weiße unebene Stein
platten, die wie Schneerefte anzuſehen
auf dem Wege lagen. Nach einer
Stunde war der Pafs erreicht, welcher
ung einließ in die Hochwelt des Lantſch.
Wir waren in Wlpenregion, es jah
aber Hier nicht wilder, im Gegentheile
faft zahmer aus, als unten in dem felfigen
Thale von Mixnitz. Dier gab's ſchöne
Maldberge, grüne Almen, Hare Wäſſer,
gebahnte Wege und Wirtshäuſer da=
neben. In der Mitte erhob fich die
Kuppe des Hochlantſch, mit Wald und
Holzſchlägen bededt bis zum mit Knie—
holz bewachjenen Felſenkamm empor; die
wilden Felſenabſtürze nach Norden
hin waren nicht zu ſehen. Der Weg
führt Hinein zur ſchönſten Alm der
Steiermark, der ZTeichalpe mit dem
berühmten Forellenbache und dent ftatt-
lihen Bauernwirtshauje.
In diefem Hochthale war einmal
eine große Stadt gejtanden, deren
Uoſtgger's „Grimaarien‘*‘, 8. Heft, XV.
Bewohner ein fo üppiges und mwollüs
ftiges Leben geführt haben, dafs jie
und die Stadt eines ſchönen Tages
von der Erde verjchlungen wurden.
Unten in der Drachenhöhle bei Röthel-
ftein findet man noch die Knochen.
Die heutigen Bewohner diefer Almen
find fo brave Leute, dafs fie ſich bis—
her immer noch auf der Oberfläche der
Erde erhalten haben. Die weiten friſch—
grünen Auen diejes Hochthales werden
im Süden und Often begrenzt von
den Hochgipfeln des Oſſers- und des
Plantogels, mit denen dann der Alpen—
zug abfällt in das Mittelgebirge der
öfllihen Steiermark.
Wir ſchlugen am erften Wirts-
hauſe unferen Weg links ein über
Almrafen und Farftartigen Steinboden.
Hie und da fteht ein Schirmbaum,
fnorrig und wetterfeit, und friedlich
grafen dort Rinder und Pferde. Gegen
Süden verdedten uns die Türnauer—
alpe, die Röthelwand und der Röthel—
ftein die weitere Ausficht; gegen Weiten
fliegt das Auge bis zum Soralpenzug
und weiter links bis zu den Gebirgen
bei Knittelfeld und Vordernberg. Nach
Norden Hin Hatte und der Bergrüden,
an welchen unfere Naje ftieß, alles
verdeckt; dieſe Wand fiel plößlich. Links
das fteinige Lantſchgrat, rechts den
hohen Lantſch mit feinem ſchauerlichen
Abſturz, Jo ftanden wir da und ſtarr—
ten in das Thal von Breitenau,
welches wie ein gähnender Abgrund
vor unferen Füßen lag. In der Tiefe
ein enges vielichluchtiges Wiejenthal
nit ein paar Dörfern und Gewerk—
ihaften, an den Hängen Bauernans
fiedlungen und Wald, überall Wald.
Gerade uns gegenüber die Höhe mit
der fahlen Kuppe ift das Rennfeld,
wo einmal zwei feurige Ritter um
eine Herzliebfte gerungen haben. Da-
hinter die blauenden Zaden des Hoch—
Ihmwabenzuges, der Veitich, der Rax,
des Schneeberges. Einzelne Wände
dieſes Gebirges waren von der Abends
ſonne beleuchtet, auf der Hochſchwab—
jpiße lag ein roftbraunes Wolfenbänt-
39
610
lein wie eine Schaufel, wie eine Wage Schüfferlbrunn in den legten Jahr—
zwiihen Schön und Regen. ‚zehnten in dem Maße in Bergeilenheit
Wohin mollen wir denn heute gerathen, als es von den Touriſten
noch? Wo ift denn das Schüfferlbrunn, aufgeſucht wird. Ich meine, daſs es
von dem wir kaum mehr drei Minus ‚feiner Lage nad einer der jeltfamften
ten entfernt fein jollen? Tief im Ab- ‚und merkwürdigſten Wallfahrtsorte fei,
grunde, an der Wand wie Vogelhäufer welche die reich mit Wunderorten ge=
flebend, winfen ein paar Bretterdäcer. jegneten Alpen aufzumeifen haben.
Auf einer Holztreppe mit hundert Im Wirtshaufe am Schüſſerlbrunn
Stufen fteigen wir hinab; mitten im raſtet ſich's prächtig. Wo einſt jene
grauenhafteſten, überhängenden Ge» Einſiedlerklauſe geftanden, die in einer
wände ftehen wir, rechts das Walls | ſtürmiſchen Nacht mitſammt dem Ein—
fahrtskirchlein, lints das Touriſten⸗ ‚fiedlerpanre zur Tiefe gefahren, ift jett
wirtshaus. Erfteres ift ein meuer, ein freundliches Touriſtenhaus mit
zierlicher Holzbau, der eher an einen |warınem Herd, wohlbejegten Tiſch und
Ausftellungspavdillon als an eine Slirche | zwölf guten Betten. Für lange Abende
erinnert. Der Frauenaltar reich mit | bietet das Fremdenbuch eine Unter»
Blumen und Kerzen geziert, an den haltung, deifen übliche Poeſie und künſt—
Mänden die üblichen Votivbilder; auf leriſche Leiftungen übrigens ſattſam
dem Chore aber feine Orgel, auf den | befannt find. Hier waren mehrere
Thurme feine Glode. Hinter der ‚Kirche | Bergfteiger darauf erpicht, ein Wort
fidert aus der Felskluft Waſſer in eine auf Lantjch zu reimen. Da dichtete
ſchüſſelähnliche Steinnifche ; davon der vor Jahren einer:
Name Schiüfferlbrunn. — Dort Hinter |
dem Rennfelde jteht die große Wall: |
fahrtskirche Maria-Rehlogel. Ein von |
fürftlihen Jägern verfolgtes Reh ſoll
fih in feimer Noth unter einen Baum
geflüchtet Haben, an welchem ein Mutter
gottesbild Hieng. Einer der Jäger, |
das zitternde, vor Erfchöpfung, auf die
Norderbeine gefunfene Thier dort ent= |
dedend, fagte: „Rehlein, armes! Wenn |
dur Dich unter ſolchen Schuß begibit,
da muſs man dich freilich verfchonen!
Auch wir find gehetzt von mächtigen
Feinden, im Thale der Mürz wiüthet
der grimmige Türke. Vielleicht ſchützt
die Mutter Gottes, dor deren Bilde
du Inieft, auch uns!“ Es muſs wohl
jo gewejen fein, denn an jener Stelle
wurde die Gnadenkirche Maria-Reh—
fogel gegründet. — Dieſe lieblichſte
der Sagen rührt mich, ſo oft ich an
ſie denke. Die Sage vom Schüſſerl—
brunn weiß von einem frommen Ein—
ſiedler, der die aus dem Felſen ſickernde
Heilquelle entdedt und den Gläubigen
zugänglich gemacht hat. Belonders für
frante Augen foll das Waſſer heilſam
fein. Bon den MWallfahrern iſt das
Wer will auf den Lantſch,
Der nehm’ was mit zum faufe,
Aber ja feinen Pantſch,
Sunfter fummt er nit auffe.
Einer Epigonenjeele ließ dieſe
Dichterthat feine Ruhe und fie über
trumpfte den Meifter mit dem folgen«
den Gefühlsergufs:
Wann man den Lantid,
Eo breit und fo hoch,
Umdraht wir an Handid.
uh — das wär a Lod!
Mir legten uns bald auf den
Dachboden zur Raft. Bor dem Ein:
Ichlafen dachte ih an die ungeheneren
Steinwuchten, die über dem Dache
dräuten und wie e3 wohl wäre, wenn
es in diefer Nacht geichähe, was Thon
oft geichehen ift und noch geihehen
wird, wenn die Felſen ihres Anklam—
merns endlich müde — plötzlich nie=
derftürzten! das wäre ein Krachen
weitum, das Hüttchen aus Menjchen=
hand aber vergienge lautlos, fpurlos...
Und doch drüdte der Felskoloſs über
mir mich bei weitem wicht jo bart,
als mand anderer Stein, der mir
mandmal ſchon am Herzen gelegen.
611
Ein Knattern auf dem Dade! Horn hoch emporragen fieht, aus dem
wedte uns auf. Regen praijelte nieder.
Das Wahrzeichen unferer modernen
Sommer: Regen und Nebel, es hat
uns in diefem Jahre feine einzige Partie
ganz unverjehrt gelafjen. Der ftillen hei—
teren Tage, wo der Wanderer von feinem
Nais genedt, von feinem drohenden
Unmetter geheßt worden, waren kaum
ein Dußend in unferem Lande, Na—
türlih, wenn e& die grüne Steier—
mark jein foll, fo muf3 es für aus—
giebige Befeuchtung Sorge tragen,
und dann wird aus der grünen halt
manchmal die graue. Als wir am
Morgen ins Freie giengen, waren alle
Höhen mit Nebel bededt und der Blid
ins Thal Hinab war jo trüb und matt,
als fähe man durch ein halberblindetes
Glas. Endlich ſank der Nebel au in
die Tiefe hinab und daraus ſchloſſen wir,
dafs etwa die Bergipiten frei werben
fönnten. Um neun Uhr begannen wir
den Aufftieg auf den Hochlantſch durch
Mald, über blumige Matten; um halb
zehn riſs über unjeren Häuptern der
ind ein Loc, jo daſs uns auf ein
paar Augenblide die Sonne anſchien.
Um zehn Uhr giengen wir oben über
die ftumpf und glatt gewaſchenen
weigen Steine des Felsgrates Hin,
umjchritten noch im Halbkreis den
ungeheueren Felsſchrund, der den höch—
ften Gipfel Scheinbar vom Grate trennt,
und endlich fanden wir auf der
1722 Meter hohen Spibe des Berges.
Mir waren mitten im Deere ber
fliegenden Nebel, die vom Thale aus
wohl wie Bergſpitzen einhüllende Wols
ten zu ſehen gewejen fein mögen.
Uber uns öffnete jih manchmal die
Himmelsbläue, unter uns enthüllte jich
manchmal der Almboden der Teichalpe
oder das tiefe Thal von Breitenan, zu
welchem vom Scheitel de3 Berges die
Lantſchwände faft ſenkrecht niedergeben.
Weit und breit ift fein hoher Berg mit
jo ungeheueren, aus dem Grünen aufs
fteigenden Wänden, wie hier der Hoch—
lantſch, deſſen Spite man deshalb
von der Ferne aus wie ein ſteiles
Gebirgszuge. Bisweilen wurbe eine
nachbarliche Kuppe fihtbar, um als—
bald wieder Hinter den vom Winde
gejagten Nebel zu verichwinden ; eine
mal gieng auf längere Zeit der welt-
liche Borhang auf und vor uns ftand
der Murthaler Alpenzug. Es jollen vom
Hochlantſch aus auch mehrere Spitzen
der Sulzbaher Alpen und der Malniker
Tauern fichtbar fein, alfo dafs man
neben dem größten Theile der Steier-
mark nicht allein Theile von Ungarn,
Niederöfterrih, Salzburg, fondern
auch Berge von Kärnten und Krain
Ihauen fann. Die nördlichen Alpen
waren eingehüllt von einem Wolfen:
meer, dejien dem Himmel zugefehrte
Seite in der Sonne ſchneeweiß wie eine
Minterlandfchaft leuchtete, deſſen den
Thälern zugewendete Seite — wie wir
jpäter erfuhren — gemüthlich regnete.
Wir Hatten uns zu Schuß vor
dem heftigen Winde in eine Felsſpalte
gefauert und wollten die vollitändige
Klärung abwarten. Doch die Thäler
füllten jih wieder mit Nebel; nur im
grünen Thale von Bärnegg ſchien noch
die Sonne, leuchtete an den Gebäuden
ſchimmerte in der Mur, bis endlich
auch über diefes Bild ein ſchmutziger
Wolkenfetzen niederhieng. Über unferem
hohen Standpunkte in tieflter Him—
melsbläue war der Sonnenftern. Und
al wir jo am Rande des Gewändes
ftanden und niederjchauten in den
grauen Nebel de3 Abgrundes, lachte
mein junger Genoffe plößlih auf und
rief: „Vater, ich bin ein Heiliger!“
Das war mir erft was Neues an den
weltluftigen Jungen, bald ſah ich's
aber, wie es gemeint war, an mir
jelbft. Ih jah unten etwa 20 Meter
tief, auf der von der Sonne beichie=
nenen Nebelfläche, den ſcharfgeſchnittenen
Schatten meines Hauptes und rings um
denjelben einen jiebenfarbigen Heiligen-
jhein. Du grundgütiger Himmel,
dieſe Auszeihnung laffe ich mir ges
fallen, fürchte aber, dal3 du es für
die Länge nicht wirft verantworten
39*
612
fönnen, all deine Regenbogenlichter a
dem durchaus irdischen Kopfe eines
Bolkspoeten verichwendet zu Haben.
— Ih könnte nun an diefe Natur-
ericheinung Höllifch weife Bemerkungen
nüpfen, ſagte aber nur zu meinem
Sohne: „Dat nicht viel zu bedeuten,
Sepp, im Nebel ſieht der Menſch
mandmal einen Heiligenſchein um
ih.“ — Ich Hatte eine ähnliche
Erſcheinung, deren natürliche Erklärung
freilich nahe liegt, bisher nie gejehen.
Höchſt zufrieden über die Duldi- -
gung, welche die Sonne uns darge—
bracht, jtiegen wir den Berg herab,
über Almmatten und auf jleinigen
Wegen wieder dem Thale von Mirnik
zueilend, denn die Nebel hatten ſich
unheimlich verwoben über das ganze
Land. Und zur Stunde, als ich der
hübſchen Kellnerin zu Mixnitz ſchäkernd
ans Kinn griff, fiel mein Heiligen—
ſchein al3 Regen herab.
Eine fteirifhe Bienenmutter.
Reifeerinnerung an die XXXV. Manderverfammlung deutſcher und öſterreichiſch—
ungarischer Bienenzüdter in Graz.
Von Bob. Ph. Glok, Pfarrer in Zuzenhaufen, Baden. *)
Hoch vom Dachſtein an, wo der Yar nodı baust, |
»is zum Wendenland am Bett’ der Sann,
Wo die Eennerin frobe Jodler fingt
Und der Aäger kühn fein — ſchwingt:
Dieſes ſchöne Land iſt der Sieirer Land,
An mein liebes, theures Heimatland.“
0)
1
a, es ift fürwahr ein Ihönes
Land, der Schönften eines im
sg Schweiterreigen Alt-Auſtrias,
die alte, jangesfrohe grüne Steier-
mark mit ihren alpengefrönten Thä—
lern voll raufchender Waller, mit!
ihren dunklen Forſten voll edlen Hod-
wild, mit ihren Smaragdgrünen
Matten voll duftender Alpenfräuter,
mit ihren Freundlich ftillen Dörfern, |
gewerbreichen |
ihren aufitrebenden,
Städten, mit ihren biederen ſtämmi—
gen Männern, denen deutiches Blut
durch die Adern rollt und deutſche
Treue und Ehrlichkeit aus den blauen
Augen Schaut, mit ihren edlen ſchönen
Frauen, denen deutsche Zucht und
Eitte, dentſche Sprache und deutſches
Lied jo wohl fteht, daſs man noch
beute von ihnen rühmen mußſs,
am fFangesberühmten Hoflager feines
fürftlihen Gönnmerd in der Oſtmark
|des Reiches zu ihrer Ehre gefungen Hat:
„sh han ande vil gejehen
Und nam der beften gerne wahr:
Übel müffe mir gejcheben,
ı Könnt’ ih je mein berze bringen dar,
Dais ihm wohl gefallen
Sollte fremde fitte:
Deuijhe Zucht gat vor in allen.
Deutihe man find wohl gezogen,
Recht als engel find die wip gethan
Wer fie fchilt, der ift betrogen.
Tugend und reine Minne,
Wer die fuchen will,
Der fol fommen in unfer land:
Da ıft Wonne viel.*
Die köftlihe Perle diefes ſchönen
Landes ift aber die Landeshauptitadt
Graz.
„Sei gegrüßt von meinem Pjalter,
Du reizende Grazienftadt;
Du rubft wie ein prangender fFalter
Auf einem Lorbeerblatt.
Hold ruhft du auf grünenden Auen,
Du Perle der Steiermarf;
Non Seele deine Frauen,
was | Und deine Söhne voll Mark!"
ein Walther von der Bogelweide einit |
(Robert Hamerling.)
*) Abgedrudt aus der in Braunſchweig erjcheinenden „Deutichen illuftrierten
Bienenzeitung”.
Malerifch gebettet an die beiden Ufer
der raſch jtrömenden Mur, eine alte,
ehrwürdige Stadt, voll großer Erin
nerungen an eine weltgefchichtliche
Vergangenheit, mit altersgrauen Pas
läften, Kirchen und Klöſtern, und doc)
wie wenige ihres Alters eine moderne
Stadt mit allen Zeichen eines auf—
blühenden Gemeinweſens, mit hoch—
entwidelter und reicher Fabriksthä—
tigfeit, auf den Höhen ringsum von
einem weiten Kranze prächtigiter
Villen umrahmt und der berühmte
Sig einer deutſchen Hochfchule, deren
Genius die Fackel des Lichtes und
der Kunſt bier an der Oftgrenze
deutſchen Volksthums leuchten läfst.
Der Glanzpımft des herrlichen Stadt-
bildes ſelbſt ift der inmitten der Stadt
gelegene, hochragende Schlojsberg mit
feinen zeriprengten Baftionen und
zerichoffenen Wällen, dem altehrwür—
digen, grotesfen Uhrthurme, dieſem
Mahrzeichen von Graz, im der Fronte,
und dem don gefangenen Mohame—
danern gegrabenen Türkenbrunnen in
der Mitte, deſſen Sohle viele Hun—
derte Fuß tief mit dem Waſſerſpiegel
der Mur zugleich liegt. Wer je ein—
mal hier oben auf hoher Ausſichts—
warte geſtanden und dieſes nächſt
Salzburg ſchönſte deutſche Städtebild
geſchaut hat, wird den wunderlieb—
lichen und erhebenden Eindrud zeit—
lebens nicht vergeſſen. Es iſt ein
ſchönes Stück Erde. Nach Süden be—
gleitet der Blick im breiter, frucht—
barer, volfreiher Thalfohle das Silber-
band der Mur faft bis zu der in blauer
Ferne auffteigenden Felſenwand der
Karawanken; nach Norden und Weiten
thürmt ji Berg über Berg, immer
fteiler und majeftätifcher fteigen die
Schroffen und Spigen empor, bier
Ihauen wir die Vorläufer der mäch—
tigen Alpenwelt; nah Often aber,
den Laufe der nahen Raab folgend,
dehnt ſich, nur wenige Meilen ges
trennt, Schon magyarisches Land aus.
Es ift zugleich Hiftorischer Boden, auf
dem unfer Fuß fteht. Hier an dieſen
613
Wellen ift die von Diten verderben
Ihwanger einbrechende Türkenmacht
mehr wie einmal zerſchellt worden.
Auch hier haben die Erbfeinde deut—
ſcher Macht und Größe, die Franzoſen
(unter Macdonald im Jahre 1809),
dasjelbe barbarifche Zerſtörungshand—
werf geübt, deſſen Spuren unſer in
Trümmer gelegtes Kurfürftenichlojs in
Alt-Heidelberg zur Schau trägt. Im
Oſten wie im Weiten dasjelbe Schid-
ſal desfelben Volkes durch denſelben
Feind!
Doch, ih wollte ja nicht von dem
Schönen Steirerland erzählen, nicht don
jeiner lieben Landeshauptitadt Graz,
deren Gaft ich fein durfte*), auch nicht
bon den biederen, ftarten und kühnen
Mannen des Hochgebirges oder den
jhönen Frauen diejes Landes, das
haben andere vor mir und beſſer ge=
than. Das hat einer vor allen an—
deren als berufener Steuner und Mei—
fter geihan, der gottbegnadete. edle
Dichter der Steiermark, der wohl
wusste, warum er gerade im jchönen
Graz feinen Wohnſitz aufgefchlagen
hat — MRojegger. Seine Dichterhand
bat e3 verftanden, der trefflichen, in
ihrer Art einzig artigen Ausftellung
feines lieben Heimatlandes , zu der
al3 fogenannte temporäre Ausjtellung
auch die Austellung der XXXV.
Manderverfammlung von Bienen—
‚wirten gehörte, die poetifche Weihe
zu verleihen. Er that es auf furze
aber fernige und zugleich geiftreiche
und gemüthvolle Weile in allerlei
trefflichen Sprüchen und markigen
'Sentenzen, die für mich, als einem
'Verehrer der Roſegger'ſchen Muſe,
ebenſoviele ſchöne Bekenntuiſſe einer
deutſchen Dichterſeele und eines freien
deutſchen Mannesherzens ſind. Wie
ſchön hat er, um nur ein Beiſpiel
anzuführen, die alten, immerhin ehr—
*) Dem Verfaſſer war zu dieſem Zwecke
| von der großherzogl. Regierung ein dans
ı fenswertes Staatsftipendium zur Berfüt:
gung geftellt worden.
614
würdigen, deuljchen Farben „Schwarze |der Herren vom Gomite jeinen Ein=
Roth-Gold“ beſungen:
„Schwarz-Roth-Gold mag ich gern,
Schwarz ift ihr Augenjlern,
Roth ift ihr Lippenpaar,
Gold ift ihr Haar.”
Iſt das nicht ein duftender Kranz
ltebender Verehrung, den Hier ein
DOfterreiher im Bewufstfein der
Stanmesgemeinfhaft der Mutter
Germania auf die Stirne drückt?
Habe Dank, edler Sänger im fernen
Graz, für dein treues deutjches Herz
und jeine Liebe! Was du im Alpen
thale der Mur gejungen, was du als
deine Feſtgabe im Tempel der Ges
werde und Künſte deines Heimat—
landes niedergelegt haft, ift nicht ver—
geſſen; als ein Dichterwort unſterb—
licher Art ift es fortgeflungen und
wird fortflingen, jo weit die deutjche
Zunge Hingt und Gott im Himmel
Lieder fingt.*)
Auch über die XXXV. Wander-
verfammlung und deren oben berührte
Austellung in Graz will ich Hier
nicht berichten. Das Hat ebeufalls
Ihon einer vorausgethan. Derfelbe
hat auch im dem in diefen Blättern
veröffentlichten Grazer Feitbericht nur
die Wahrheit gejagt, wenn er be=
hauptet, dafs die öffentlichen, wollte
jagen officiellen Empfangsfeierlichtei-
ten bei diefer Wanderverfanmlung auf
Seiten der dazu Berufenen fehr viel
zu wünſchen übrig ließen. Es that
uns im Stillen in der Seele weh,
al3 wir am Empfangsabend die lieben
Veteranen der Wanderverfammlung,
voran unferen nachgerade auch gran
und alt gewordenen ftändigen Präſi—
denten, den um die Sache diejer
Berfammlungen hochverdienten Vogel,
fo ohne Sang und Stlang, ohne jed—
wede billige Aufmerkjanteit von Seite
*) Dieſe Worte, die mid jo hoch
ehren, will ich doch nicht ſtreichen; fie aner:
fennen mein redliches Wollen und haben
zug halten ſahen. Das war in Stutt—
gart und Regensburg ganz anders.
Dffenbar fehlte es in diefer Richtung
bier irgendwo. Da man aber von
einer geſchehenen Sade das Beſte
reden joll, wollen wir dieje für ein
Feſtcomite unverzeihliche Unterlaſſungs—
ſünde lieber mit dem Mantel der hrift-
lihen Liebe bededen und feine Namen
nennen, obwohl wir ſolche jehr wohl
fennen. Nur fo viel jei verrathen: es
fehlte nicht unten, d. h. bei deu
Grazer Jikern, die als echte Steirer
die liebenswürdigften Gaftfreunde von
der Melt waren und gerade uns
„Reichsdeutfchen” gegenüber Herz und
Haus öffneten, jondern mehr nad
oben, dort wo gemifje Herren, wie
vom „bohen Olymp“ herab, das
Mandervolf der Imker betradteten
und die große Mafje in fol reſpect—
voller Entfernung von ſich zu halten
wujsten, daj3 man 3. B. troß der
ausdrüdlihen Ankündigung vom Prä—
fidententifh am Schluffe des erſten
Berhandlungstages auch nicht einen
einzigen der betreffenden Herren da
traf, wo man fih zum gemeinfamen
Mittaggmahl im Ausftellungsraume
verſammeln wollte. Es brauchte des-
halb einer nicht, wie Freund Wiß-
gall, der leidend ankam und durch
Reifeftrapazen und jchlaflofe Nächte
herabgeftimmt war, übel Ddisponiert
zu fein, um die XXXV. Wanderver-
jammlung im Gegenfage zu ihren
Vorgängerinnen in etwas trübem
Lichte zu betrachten. Troß alledem
waren die acht Tage, welde wir in
Graz verlebten, recht ſchön, belehrend
und Herzerquidend ; fie zählen in mehr
als einer Dinficht geradezu zu den
'fchönften unferes Lebens. Das Feſt—
‚comite der Wanderverjammlung frei=
lich war nicht ſchuld daran.
Aber, nun zur Sahe! Etwas hat
weder der Dichter Rojegger bejungen,
Nahficht mit meinen mangelhaften Werken. noch der vollsthümliche Kalendermann
Danlbar erwidere ih dieſen lieben Gruß !
aus deutſchem Meiten.
P. A. Rofegger.
aus Baiern in feinen Ausſtellungs—
fimmungsbildern erwähnt, und daran
möchte, ſofern diejes befcheidene Etwas
gerade bei diefer Wanderverſammlung
und auf deren Ausftellung zu jehen,
zu hören und zu bewundern war,
den Lefern unferer Bienenzeitung
als dritten im Bunde etwas erzählen.
Ich Habe das feltene Glüd gehabt,
der freundliche Lejer höre und ſtaune,
auf der Wanderverfammlung in Graz
eine wirkliche Bienenmutter,
dazu eine gut fteirifche, von
Angeficht kennen zu lernen. Bienen»
mutter? höre ich da einen Zweifler
wonisch fragen. Was foll denn das
für eine Bekanntſchaft fein? Wir
tennen bloß Bienenväter bei uns
zu Lande. Meine Bienenmutter,
die jteirifche mämlich, deren Lob und
2eben ich hier fingen und jagen
will, ift feine edle oder hochedle
Bienenkönigin , fondern eine
einfache, brave, im der praftifchen
Bienenzucht wie wenige erfahrene,
fteirifche Frau, vor deren Tüchtigkeit
und Leiftungen jeder Bienenvater den
Hut abnehmen darf. Unſere Bienen-
mutter ift nicht etwa eine Dilettantin
und bloße Liebhaberin der edlen Bie—
nenzucht, wie es deren auch fonft
geben mag, zumal jolange die Bienen
nicht zu ſehr ftehen und unangenehm
werben, fondern eine wirkliche Mutter, |
welche ihrer Bienen mit mütterlicher |
Sorgfalt und Liebe wartet, Feine |
fremde Hand fie berühren läjst, aud) |
die mühevolliten Operationen an ihren |
Pfleglingen ohne jede männliche Bei:
hilfe eigenhändig bejorgt, wie eben
nur eine Mutter ihre Kinder warten
und pflegen und lieben kann. Auch
ift diefe ſteiriſche Bienenmutter feine
Novize, d. h. ein Neuling in der
Bienenzuht; fie imkert ſchon ihre
30—40 Jahre, hat alfo das filberne
Ehejubiläum mit ihrem Bienenvolt
längſt Hinter fi und geht, jo Gott
will, rüftig und gejund ihrem gols
denen entgegen. Dieſe wirkliche Bie—
nenmutter, Deren ganzen
Dor- und Zunamen nebit Heimatsort
Namen, | alfo zu.
615
fahren wird, und deren interejlante
Lebensgeſchichte, ſo wie ich fie aus
ihrem Munde vernahm, Hier zu Nuß
und Frommen der Imker mitgetheikt
werden ſoll, habe ich alfo perſönlich
kennen gelernt. Manches Stündlein
haben wir zwei während der Feſt—
tage uns mit einander unterhalten,
notabene über die Bienenzucht oder
genauer gejagt, über ihre Bienenzucht.
Beim Bankett im großen Saale der
Verſammlungstage ließ ich die hohen
Herren Bräfidenten und Vicepräſi—
denten, unter denen nicht wenige hod)-
geborene Herren waren, ſowie die
jonftigen weltlichen und geiftlichen
Honoratioren, die uns fahrenden Im—
fern die Ehre gaben, fißen wo fie
ſaßen, und wählte mir als bejchei-
denes Vis-A-vis meine jpecielle Be—
fannifchaft, die Bienenmutter ; mit ihr
Habe ich converfiert und toaftiert, fo oft
wieder einer der üblichen Toaſte aus—
gebraht wurde. Sie jelber aber Hat
beim Abjchied gemeint, wollte meine
Hand, die fie unter Thränen küſste,
ı nicht loslaſſen und meinte zum Schlufs,
das war ihr letztes Wort: „B'hüt
Gott, Hohmwürden, auf diejer Welt
jehen wir und wohl nimmermehr;
aber vergeſſen thu' ich Sie mein Leb—
tag nicht; b'hüt Gott!“ Sie fteht als
ehrſame Witwe an der Schwelle der
Sechziger und fieht bereits mit groß«
mittterlicher Autorität auf Finder und
Kindeskinder. Aber obwohl in grauen
Haaren, ift fie doch noch eine Bienen-
mutter, die ſich's nicht nehmen lieg,
die Feſttage in der nahen Laudes—
bauptjtadt wie der ftrammfte Biene
vater von Anfang bis zu Ende mit-
zumachen. Auch Hatte fie doppelt aus—
geftellt, was der geneigte Lejer gleich
erfahren wird. Es ift mir unvergeſs—
lid, wie und wo ich ihre Bekannt—
ihaft machte. VBorgeftellt wurden wir
nämlich einander nicht. Aber daſs
wir fo fehnell bekannt wurden, gieng
Es war am Nadınittage
eines Mittwochs, am Vortage der zu
der geneigte Lejer zum Schlufs er= | eröffnenden Bienenausftellung. Noch
waren erſt wenige Feſtgäſte ange—
kommen, da führte mich mein Weg
von dem großen Ausſtellungsplatz,
wo eben das vortreffliche Muſikcorps
des Infanterie-Regimentes „König
der Belgier“ ſein Nachmittagspro—
gramm beendet hatte, hinüber zu dem
in der landwirtichaftlichen Abtheilung
tefervierten Plage für die Bienenaus—
ftellung. Afles war bier noch wüſte
und leer wie am eriten Schöpfungs-
tage. Nur einige Herren des Feſt—
comités waren eben damit bejchäftigt,
mit Hilfe einiger dienjtbaren Geifter
eine Unmaſſe Kiften und Kaſten zu
öffnen, auf melden das ominöfe
„Vorſicht“, „nicht ftürzen”, „zerbreih-
lich“, „Achtung“, „piano“, „pianifs
ſimo“ (dad magyariiche Wort habe
ih vergeſſen) jehr deutlich aufgeklebt
war, Trotzdem muſste es während des
Transportes mit einem Theile der
Kiften doch nicht „piano“ genug her—
gegangen jein, denn micht weniger
als ſechs Völfer waren umgekommen;
beim Öffnen ſchwamm eine wüſte
Maſſe von Honig, Wachsbruchtheilen
und Bienenleichen in den betreffenden
Wohnungen herum, Ein trauriger
Beweis, dafs ein guter Theil ausſtel—
lender Imker es bier immer und immer
wieder an der nöthigen Vorficht fehlen
läfst. Während nun unter dem uns
vermeidlihen Hämmern und Klopfen
Kiften und Kaften geöffnet und die
lebenden Bienen duch die Hände der
beihelfenden Dienftmänner auf die
zurechtgeftellten Lager mehr oder we—
niger piano oder auch nicht verbracht
werden follten, hörte ich auf einmal
aus dem Munde einer bis jebt ruhig
dabei geftandenen bejahrten Frau in
ſteiriſcher Landestracht — dem ein—
zigen weiblichen Weſen in unſerem
Kreiſe die laut gerufenen, faſt
drobend Hingenden Worte im fteiri-
Shen Vollsdialect: „Fön Se mir meine
Beinle*) ſtehn! Sie; lön Se die Beinle
*) „Beinen® oder „Beinen“ ift im
Steiriihen und in Oberbaiern das Pialect:
wort für Bienen.
— — — — —
ſtehn: die dürfen net ſo verpolleret
werden; ich leid's nit; ich kann meine
Beinle ſelber hinſtellen.“ Solche
Sprache hatte feiner von uns An—
wejenden erwartet. Die Herren vom
Gomite ſahen fi die Frau etwas
verblüfft an und die Dienftmänner
ließen auf einen Augenblid die Arbeit
ruhen. Bei der Frau aber hie es:
Gejagt und gethan! Sofort padt fie
Beute um Beute, die ihr gehörten,
und stellt fie mit praftifchem Griffe
jo fiher und feit und doch jo zart
und fauft, als es nur der zärtliche
Familienvater vermag, auf ihren
Platz. Nicht genug damit. Alsbald
öffnet ſie die Fluglöcher. Die „Beinle“
ſtürzen hervor, ſchon will eine Ab—
theilung der ſchwarz und dicht heraus—
gequollenen Maſſe im neugewonnenen
Lichte der Freiheit über den Rand
des Flugbrettes ſich herabwälzen; wie
leicht könnte ſie auf die gerade naſſe
Erde fallen! da tritt die Bienenmutter
furdtlos und ohne Bedenten in die
Hronte dor das Flugloch und
reiht mit der bloßen Hand zart
und janft die mit dem Herabſtürzen
Bedrohten wieder dem Flugloche zu.
Dieje Manipulation wiederholt die
Fran einige Minuten, und faft jcheint
es, als ob die „Beinle” ihre Mutter
kennen. Sie beruhigen ſich zujehends
und laufen bald friedlich an der
Öffnung bin und wieder, meift fröh—
lich brauſend, dajs fie jeht wieder
Licht und Luft haben. Das war der
Fran offenbar ein gutes Zeichen. Doch
begnügt fie ſich nicht damit. Jetzt
tritt fie — notabene ohne Bienen-
haube, Helm, Bilier, Brille und wie
die don kühnem Muthe zeugenden
Schutmittel der Herren Bienenpäter
alle heißen — von hinten zu ihren
Völkern, die in mobilen Lagerjtöden
untergebracht find, öffnet die Thüre
und das Dedelbrett, nimmt mit der
bloßen Hand (ohne Wabenzange)
Wabe um Wabe heraus, bis jie er-
kannt bat, daſs dur den Transport
fein Schaden entitanden ift. Es
gr
eu
iſt alles in Ordnung. Mit fichtlichen
MWohlbehagen ſchließt ſie ihre Woh—
nungen und ſchickt ſich an zum Weg—
gehen, aber nicht ohne den Herren
vom Comité und deren Dilfsarbeitern
noch einmal, jegt im milderen Zone,
die Vermahnung zu geben: „Lön Se
mir meine Beinle ftehn; lön Se je
bigott ſtehn; ich hab's Ihnen gjagt.“
Diefe Frau hatte auf einmal mein
lebhaftes Intereſſe erwedt. Alles, was
ich joeben an ihr beobachtet hatte, die
ganze Art, wie fie ſprach, handelte,
operierte, ihr ganzes Auftreten, feſt
und bejtimmt, faſt männlich ſicher,
imponierte mir. Sp trat ich denn
ohne weitere Gomplimente zu ihr hin=
zu, gab ihr im wenigen, aber herz»
lichen Worten meinen Beifall an ihrem
joeben an den Tag gelegten Verhalten
fund, lobte insbejondere ihren Muth
in Dantieren umd Operieren an den
Bienen, worin e8 ihr in der That
nicht jeder Bienenvater gleichthun
dürfte. Sie nahm alle diefe Bemer—
tungen anfangs kalt auf, meinte ſo—
gar zwijchenhinein, da gebe es im
Imkerleben noch ganz andere Beweife
von Muth und Unerſchrockenheit ab»
zulegen. Sie faſſe ihre Schwärme
ohne Ausnahme mit unbeſchütztem
Geſicht und freien Händen; es fomme
nur darauf an, wie man ſich bes
wege und wie man angreife. Da—
mit hatte jie in der That das ganze
Geheimnis enthült und da ich Hierin
aus eigener Erfahrung ebenfalls zus
ftimmen fonnte, erwedte ih in ihr
Vertrauen. Meine Worte hatten auf
einmal eingejchlagen. Die Brüde des
offenen gegenfeitigen Austaufches der
beiderjeitigen Erfahrungen war ges
ihlagen und nun hielt fie, nachdem
ih zur vollen Beruhigung meine We-—
nigfeit nah Stand, Herkommen und
Zwed des Hierſeins freimüthig vor:
gejtellt hatte, nicht mehr zurüd, ſon—
der geftattete mir — und dafür bin
ih der fchlichten, braven Frau zum
Dante verpflichtet — einen Einblid
in ihre Bergangenheit, welche ſelbſt
wieder ein Beweis dafür ift, dajs die
folgenreichſten Wendungen in unferem
menschlichen Leben nicht ein Refultat
unſerer Berechnung, fondern Schidun:
| gen von Oben, Winte von höherer Hand
find, denen wir folgen müſſen, ob
wir wollen oder nicht. Oder ift’s
ı nicht ſeltſam und geradezu eine Fü—
gung Gottes gemwejen, wie dieje Frau
zur Imkerei kam? Laflen wir jie
ſelbſt erzählen.
„Ich bin“, jo Hub fie an, „von
Haus aus ein arınes Soldatenfind.
Mein feliger Vater focht unter den
Grenadieren des Erzherzogs Karl bei
Alpern und zog dann jpäter, nach—
dem die blutigen Kriegsjahre endlich
| friedlichen Zeiten gewichen waren,
nad Mimik an der Mur. Hierher
| hatte ihm fein bewegtes Leben zuletzt
geführt; Bier fand er Wrbeit im
Manrerhandiwert, das er in jeiner
Jugend erlernt Hatte; hier gründete
‚er jeinen Hausſtand, und bier wurde
ich geboren. Jetzt willen Sie, lieber
Herr, woher ih bin und warum ich
gerade in Mirnig geboren werben
mujste. Mein feliger Vater war aber
jelber fein geborener Steirer oder
Öfterreicher ; er hatte nur als Söldner
unter öfterreichifchen Fahnen gelämpft.
Er ftammte aus dem Nachbarlande
zu Ihrer badiſchen Heimat, aus dem
Elſaſs. Biel Schönes und Gutes Hat
er uns Kindern von dieſer jeiner
Heimat am Rhein erzählt, befonders
von Strafsburg, „der wunderjchönen
Stadt” und feinen: herrlihen Münfter,
dejjen Thurm fogar Höher fein joll
als der Stephanstgurn der Wiener,
der doch auch ſchon ungemein Hoch
fein mufs. Wohl haben des Vaters
Freunde und Verwandte dann und
wann noch einmal einen Brief aus
dem Eljajs gejchrieben, aber mit des
Vaters Tod hörte auch dieſes auf.
Jetzt wiſſen wir gar nichts von des
Vater Brüdern und Schweitern und
deren Kindern. Bielleiht Haben fie
und gar vergefien, wie das im der
Melt eben jo geht. O wie gerne hätte
a,
ih meines Vaters Heimat einmal ges
jehen und den Freunden am Rhein
die Hand gedrüdt, aber es hat nicht
jollen fein; früher war der Weg ohne
Bahngelegenheit viel zu weit, und jeßt
bin ich einfach zu alt zu folcher Reife.
Aber denken thu' ich noch manchmal
dahin umd gerade heute, wo ich mit
Ihnen zufanımentreffen mufs, dent’ ich
doppelt gern dorthin.
Nun bin ich aber felber im Laufe
der Jahre Gattin, Mutter und zuleßt
Sropmutter geworden. Mein feliger
Mann, dem ich die Hand für diejes
Leben am Altare reichte, war ein
Mirniger wie ih. Wir Haben in un—
jerem eigenen Haufe gut gehaust und
gut miteinander gelebt, wie es bei
Ehriften fein fol. Doc ftarb er für
mich und unfere Kinder viel zu früh.
Sp mufste ih manches Jahr als ver:
laſſene Witwe Haufen und die Finder
Waiſenbrot effen. Das ift ein ſchwerer
Etand, lieber Herr, wer den micht
fennt, der weiß nicht, warum nad
dem Worte der heiligen Schrift gerade
die Witwen und Waifen ihre Sade
dem Herren anbefehlen ſollen, wie ge—
rade fie den gnädigen Beiftand Gottes
und guter Menſchen fo nothwendig
brauchen. Auch uns ift Gott beige-
ftanden, bei Gebet und Arbeit hilft
er allezeit; und an beiden hat es bei
uns nicht gemangelt. Aber wir hatten
noch einen ganz befonderen Segen,
von dem follen Sie jet hören. Es
war aber ein Dausfegen, den uns
ein unbelannter fremder in das Haus
bereingebradht hat. Das gieng aljo
zu. Noch zu Lebzeiten meines jeligen
Mannes zog eines Tages in unjer
Mirnig ein fremder Herr aus Wien
ein. Er war mutterjeelenallein, ſchon
bei Jahren und wollte, wie er angab,
den Meft feines Lebens im unſerem
ftillen Orte zubringen. Was ihn ge=
rade zu der Wahl unferes Ortes trieb,
fann ich Ihnen nicht beftimmt jagen.
Jedenfalls gefiel ihn unfer Murthal
mit der „Bärnſchützſchlucht“', dem
„Waſſerfall“, der „Drachenhöhle“ und
den herrlichen Waldungen in der
Nähe gar wohl, denn er war ein
Naturfreund und bradte mande
Stunde auf ftillen, einfamen Ge—
birgspfaden und Waldmwegen zu, wo
ihn die Leute nicht förten. Doc
nicht blof3 die jchöne Natur zog den
infichgelehrten Mann in unfer Thal
und Ort; vielleiht war ihm auch
das Treiben der MWeltitadt, in der er
bisher gelebt Hatte, zumider geworden;
am Ende Hat ihn gar dort ein ſchweres
Schidjal getroffen, daſs es ihn nicht
mehr da lieg, jo daſs er fort mujste,
um der Ruhe feines Herzens willen.
Wohl haben wir es ihm in der erften
Zeit an manchem Tage angejehen,
wie er um diefe Ruhe kämpfen mujste
nit fich jelbft. Aber e8 war immer
bald überftanden und dann war er
jo ruhig, fill, zufrieden und gott»
ergeben, als nur der beite Menſch und
frömmſte Chriſt mit Gottes Beiftand
jein kann. Und willen Sie, Hod-
wilrden, wann unſer lieber Haus—
freund- — denn das wurde mit der
Zeit der jonderbare Fremde, am aller=
ruhigſten, ftilliten, zufriedeniten und
jogar glüdli war, er, der einjame,
alleinftehende Dann? das errathen
Sie nicht, aber wenn Sie ein echter
Imker find, der mit den lieben Bie—
nen zu leben und zu fühlen veriteht,
wie e3 die guten ZThierlein verdienen
und wie ed gute Menjchen follen, dann
werden Sie es jet ahnen — dann,
wenn er bei feinen Bienen war.
Gleich nah feiner Anfiedelung hatte
er fih Bienen getauft; fie ſaßen in
zwei Strohlörben, wie jie bei den
fteirifchen Bauern vor den Häufern und
in den Gärten jtehen. Aber lange hat
unser Hausfreund die altmodiichen
Strohlörbe nit vor unferem Daufe
ftehen laſſen. Sobald die Bienen ge=
fauft waren, wurde bon demfelben
auch eine Dobelbanf, ſowie das nö—
thigfte Schreinerhandwerkzeug nebſt
trodenen Brettern aus der Sägemühle
herbeigeſchafft. Nun gieng’3 an ein
Sägen, Hobeln, Nageln und Häm—
2
mern, daſs wir die wahre Schreiner=
werfjtätte im Haufe hatten. Nur ge=
leimt Hat unſer Hausfreund nie;! danke.
denn ein rechter Bienenfchreiner, | Sie jehen, lieber Herr, wie viel
pflegte er im Scherze zu jagen, es das gute Beifpiel eines einzigen bra—
liegt aber eine Wahrheit darin, darf|ven und tüchtigen Menſchen mirken
feinen Leim an die Finger friegen. | kann; es thut und leijtet mehr als
zu den Bienen babe ich alfo dem
fremden Dansgenofjen allein zu ver—
Und nun hätten Sie ſehen follen,
was für nette, ſaubere, praftifche
Bienenhäuslein, die Bereinsherren
nennen Solche „Wohnungen“, mit
completer Einrichtung zum Ein= und
Ausitellen, mit Fenftern und allem
Zugehör aus der kunftfertigen Hand)
unſeres HDausfreundes, der in den
legten Jahren auch unjer Haus—
genoffe wurde, hervorgiengen! Die
Mirniger Bienenzüchter fahen anfangs
mit Spott auf diefe Dolzvergeudung,
wie ſie's nannten, und redeten nicht
ohne Hohn unter fih von der neuen
Wiener Mode in der Bienenzucht, die
lie beffer verftehen mujsten. Aber die
durch den Fremden nah Mirmik ges
brachte Wiener Mode war eben doch
die richligere und befiere. Wenn das
Frühjahr kam, dann hatten nicht die
Mixnitzer, jondern der fremde Herr
aus Wien, unfer Dausfreund, die
volljten, duftigften Honigtöpfe. Das
fam aber daher: unſer Hausfreund
itberließ feine Bienen nicht dem Zus
fall; ſolches, pflegte er zu Jagen, fei
für einen vernünftigen Menfchen, der
feinen ihm dom Schöpfer verliehenen
Berftand befige, ein underantwortlicher
Leihtfinn. Der vernünftige Bienen»
züchter müſſe zur Zeit nachjehen, nad =
helfen, corrigieren und verbefjern, wo
und wie es gerade nöthig fei. Gerade
bei den Bienenhäuslein unſeres Haus—
freundes gieng dieſes Nachjehen und
Nachhelfen aber am leichteften. Alſo
war feine Methode oder Mode, wie
ſie's nannten, gewiſs die richtige. Ye
länger, je mehr hatten wir alle, die
Kinder, mein Mann, bejonders aber
ih, unſere Herzliche Luft und Freude
an den Bienen, die wir borher, wie
jo viele Menſchen, gar nicht beachtet,
ja nur gefürchtet hatten. Dieje Liebe
er — —— — — — — —
ganze Bände voll Bücher und Schrif—
ten, aus denen unfereind oft gar nicht
Hug wird. Aber no war ich feine
Bienenzüchterin. Ich hätte auch zuerft
gar nicht die Zeit dazu gehabt. Die
Pflichten des Daufes ald Mutter und
Witwe machten mir Heiß genug ; doch
habe ich dem Hausfreund immer gerne,
wenn es wie beim Schwärmen oder beim
Honigichleudern dem altgemwordenen
Herrn zu bejchwerlih wurde, beiges
ftanden, und dabei habe ich gelernt, was
mir jpäter jehr zu ftatten kommen ſollte.
Zum eigenen Betrieb kam ich aber auf
diefe Weile. Der gute liebe Herr, der
fo manches Jahr in unferem Haufe
gewohnt hatte und einer der Unferen
geworden war, fieng eines Tages an
zu fränfeln und diefe Sranfheit, im
der wir ihn jo gut verpflegten, wie
es leibliche Angehörige nicht beſſer
vermögen, war eine Krankheit zum
Tode. Sein Gott hatte ihm dieſe
legte Krankheit als einen Boten don
Oben gefhidt, dafs es bald für ihn
Zeit fei, aus der Fremde dieſer Erde
in die ewige Heimat dort Oben ein=
zufehren. Den Wink diejes Boten
verftand unſer lieber Hausfreund,
darum machte er als gehorfamer
Knecht, der geht, wenn fein Herr
dort Oben ihm zuruft, fich reifefertig.
Da rief er eines Abends, es war fein
legter auf diefer Erde, mid an jein
Bett, nahm meine Hand in die feine
und dankte mir noch einmal für alles,
was ich und die Meinen an ihm, dem
Fremden, Gutes gethan hatten. Dann
fant er vor Schwäche in das Kiffen
zurüd; Schon meinten wir, fein leßtes
Stündlein ſei jebt gelommen, die
kinder, die herbeigerufenen Nachbarn
und ich beteten unter Schluchzen und
vielen Thränen für ein gnädiges
620
Abſcheiden feiner Seele. Da ſchlug er ſelige Dausfreund; wenn mir tm
noch einmal die lebensmüden Augen | Leben etwas wider den Kopf gebt
auf, juchte mit zitternder, erfalfender und mein Herz anfangen will, unges
Hand die meine, weil ich neben ihm |duldig und unruhig zu werden, damır
ftand, und öffnete noch eimmal die gehe ich zu meinen Bienen, da ift
Lippen zum Testen Worte: „Ver- mir's, als wirde der alte Freund bei
gefät“, ſprach er, „meine lieben Bie- mir jtehen und mich tröften. Da zieht
nen nicht; fie gehören Euer, wie Ruhe und Friede in das Herz hinein.
alles, was ich habe, aber vergejät fie Und das ift aud etwas wert im
nicht, verkauft fie auch nicht, es iſt Leben. Schon manchmal hätte ih von
ein Segen darin.“ Das war ſein Liebhabern für die Bienen und ihr
legter Wille, fein furzes, aber Heiliges |zierliches Haus, im dem fie mit ihren
Teftament, dann wendete er das Haupt | Häuslein als unter einem Schuß
zur Wand hinüber, wo des Heilandes und Schirm gegen Wind und
Bild zu ihm herunterſah — und ver: |Wetter untergebracht find, ein jchönes
ihied. So bin ich, eine alte Witwe, | Stüd Geld eintaufchen können. Aber
eine Bienenzüchterin geworden. ch ſie find mir nicht für Geld feil. So
mufste es merden, denn das Zefta= lange ich lebe, will und mußs ich fie
ment eines Sterbenden, auch wenn |behalten, pflegen, lieben und hüten.
es fein Notar gefchrieben und ver: | Sie haben mir's jet angethan und,
fiegelt Hat, ift einem Ghriften Heilig. |wa3 die Hauptſache ift, es ift ein
Schon mandes Jahr iit gelommen | Segen darin.
und gegangen, feit wir den Haus— Zum Scluffe aber mujs ich gar
freund zur Ruhe gebracht haben. Was ſchön bitten, Hochwiürden, halten Sie
aber der Sterbende. deffen leßter Ges mich ja nicht für ftolz und hoffärtig,
danfe feine verlafjenen Bienlein waren, |daj3 ich alte Banersfrau von Mirxnitz
mir auf die Seele gebunden Hatte, hier in Graz die Landesausftellung
habe ich gehalten. Mit aller Sorgfalt mit Bienen und Honig befuche. Von
und Zreue, jo gut ich's vermag und ſelbſt hätte ich es nie gethan. Es Hat
gerade fo, wie ich's bei ihm gejehen | mich Überwindung genug gekoſtet.
und gelernt habe, bin ich den ver= Aber die Grazer Herren vom Bienen—
waisten Lieblingen unjeres Hanse |vereine find an allem ſchuld. Dieje
freundes eine liebende Mutter gewor= | haben mir, weil fie meinen Stand kennen
den; darum thut mir’ jedesmal einen und mich dann und wann bejuchen,
Stih in das Herz, wenn ich wie vor= |feine Ruhe gelaffen, bis ich zur Bes
hin jehen mujs, dass unverftändige | [hidung der Ausstellung einwilligte
oder herzlofe Menfchen die arınen und meine Theilnahme an der großen
Bienen Jo unfanft ftoßen und quälen. |Wanderverfammlung verfprad. So
Auch Habe ih es micht zu bereuen |bin ich hiehergekommen. Ich will
gehabt, dafs ich eine Bienenmmtter, Gott danken, wenn ich exit wieder
wie jie mich im Thale heigen, ge= |mit den armen Bienen die Stadt
worden bin. Manch Schöner Gulden |verlaffen kann und wir mit einander
ift mir duch die Bienen und ihren wieder zu Haufe find.“ Soweit die
Honig zu rechter Zeit in das Dans jeinfache, aber ergreifende Erzählung
gelommen. Ich ſelber aber Habe der Frau. Der geneigte Leſer und die
noh einen befonderen Segen davon noch geneigtere ſchöne Leferin des
gehabt. Meine Kinder lernten an den Blattes willen jeßt, warum ich mir
Bienen die unfhäßbaren Tugenden herausnahm, die Gejchichte von der
des Fleißes, der Sparjamfeit, der fteiriichen - VBienenmntter, welche der
Ordnnungsliebe und der Eintracht. Ich |gejegnetfte und gemüthvoflfte Ertrag
jelber habe es jeßt gerade jo wie der meines Grazer Aufenthaltes war, bier
zu erzählen. Die liebe Bienenmutter
möge mir wegen diejer Tchriftitelleris |
ſchen Freiheit nicht böje werden.
Damit aber der freundliche Leſer
nicht an der hiftorischen Wahrheit des
von mir mit etwas poetifcher Licenz |
behandelten Stoffes zweifele, nenne
621
licher denn Gold, und viel
Gold.
Nun ade, liebe Bienenmutter von
Mirmig! B'hüt Gott im neuen Jahre
1891, und einen herzlichen Imkergruß
von dem Sie hochſchätzenden geiftlichen
Heren aus Baden, aus dem ſchönen
feines
ich bier zum Schluſs den ganzen | Nachbarlande de3 wiedergewonnenen
Namen unjerer Bienenmutter. Sie deutſchen Elfajs, wo einft die Wiege
Heißt Magdalena Hermann Ihres in Gott ruhenden Vaters ge—
ve. und lebt, fo Gott will, bis | ftanden hat.
auf diefen Tag in Mirnik an der Noch raufht der Rhein mit feinen
Mur bei Graz in Steiermark. In der grünen Wellen zmwifchen den beiden
That, es war fo, wie die Frau, die) Nachbarlanden mit ihren Brubderftäm-
vor mir, dem Fremden, ihr gutes men mächtig durch die Ufer Hin!
treues Herz ausgejchüttet hatte, exr= Noch grüßen des Schwarzwaldes fin-
zählte. Einige Grazer Imkerfreunde, ftere Tannen im Morgen, und im
mit denen ic im Laufe des Tages | Abendroth des Wasgaues blaue Berge!
noch über den intereffanten Zwiſchen- Noch ragt Meifter Erwins herrlicher
fall redete, Haben die Selbſtbekennt- Münfter zu Straßburg, „der wun—
niſſe der braven, ehrenwerten Frau | derichönen Stadt“, majeftätifch zum
mit Freuden beftätigt und die hohe! Dome des Himmels empor! Noch lebt
Preisrihtercommiffion Hat diesmal | dentfche Art und Zucht, deutſche Sitte
ihres Schwierigen Amtes gut gewaltet: | und deutſcher Glaube in dem treuen
fie hat der Bienenmutter von Mirnig | Herzen eines biederen Volkes! Und
zwei jchöne Preisauszeihnungen zu- deutihe Worte und deutſche Lieder
tHeil werden lafjen. Dadurch iſt vor | klingen mächtiger und verheißungs-
den Augen der Imkerwelt ihrem ftillen voller als je aus dem Munde eines
Berdienfte die gebührende Anerken- | neuen Geſchlechtes zur Ehre des großen
nung widerfahren. Den beiten Lohn deutſchen Vaterlandes!
trägt die ftille Frau, wie ih weiß, B'hüt Gott!
in ſich ſelbſt: diefer Lohn ift köſt—
Als id den Gimmlifhen Altäre gebaut.
Eine Erinnerung aus der Waldheimat von P. R. Rofegger.
SAT
I enn wir Finder die Woche
—* über brav geweſen waren, ſo
durften wir am Sonntage mit
den erwachjenen Leuten mitgehen in
die Kirche. Wenn wir aber beim lieben
Vieh daheim benöthigt wurden, oder
wenn fein Sonntagsjöppel oder fein
guter Schub vorhanden, jo durften
wir nicht im die Kirche gehen, auch)
wenn wir brav gewejen waren. Denn
die Schafe und die Rinder bedurften
unſer wejentlich nothiwendiger als der
liebe Gott, der nachgerade einmal Poſt
Ichiden ließ: Leute, feid auf die Thiere
gut, das ift mir fo lieb wie ein
Sottesdienft.
Wir blieben jedoch nur unter der
Bedingung zuhauſe: „wenn wir einen
Altar aufrichten dürften“. Gewöhnlich
wurde und das erlaubt, und zu hoben
Feſttagen ftellte der Bater das Wachs—
licht dazu bei. Hatten wir unfere
häuslichen Beihäftigungen vollbracht,
etwa um neun Uhr vormittags, wäh
rend im der Kirche das Hochamt mar,
begann in unferem Waldhaufe Fyolgendes
zu gejchehen. Die Haushüterin, war
es nun die Mutter oder eine Magd,
dub an am Herde mit Mehl und
Schmalz zu Schaffen; der Haushüter,
war es num der Vater oder ein Knecht,
holte von der Wand „die Beten“, den
Roſenkranz herab, vom Wandfaftel den
Wachsſtock heraus, aus der Truhe das
Gebetbuh hervor; und der Kleine
Dalterbub, war e3 num mein Bruder
Jackerl oder ih, huben an, die Heilig:
thümer des Hauſes zufammenzufchlep-
pen auf den Tiſch. Bon der Kirche
waren wir weit, feinen Glockenklang
hörten wir jahraus und jahrein; alfo
mufsten wir uns felber ein Gottes»
haus bauen und emen Altar. Das
geſchah zuhalb aus kindlichem Spiel-
hange und zuhalb aus kindlicher Chriſt—
gläubigkeit. Und wir — mein Bruder
Jackel oder ich, oder beide zuſammen —
nadhten es ſo: Wir ſchleppten das
alte Leben-Chriſti-Buch herbei, das
Heiligen-Legenden-Buch, die vorfind-
lihen Gebetbücher, unſere Schulbücher,
das Vieharzneibuch und jegliches Pa—
pier, das fleif gebunden war. Solches
gab das Baumaterial. Die Bücher
ftellten wir auf dem Zifche jo, dajs
fie mit dem Längenichnitt auf der
Platte ftanden und ihre Rüden gegen
Himmel redten; wir bildeten daraus
ein zufammenhängendes Halbrund,
gleihwie der Raum des Presbyterinums.
Un die Wände diefes Halbrundes
lehnten wir Hierauf die Papierenen
buntbemalten Deiligenbildchen, welche
in den Büchern zwijchen den Blättern
aufbewahrt geweien, zumeift von Ber:
ſchiedene Heilige darftellten. Die hei-
ligen Florian und Sebaftian kamen
in der Regel ganz vorne zu ftehen,
denn der eine war gegen das Feuer
und der andere gegen das Waſſer,
alfo gegen die zwei wilden Schreden,
die den Menſchen alleweil auf kürzeſtem
Mege den Himmliſchen zujagen. An
Namenstagen von uns, oder an Jonftigen
Heiligenfeften erweilen wir aber dem
betreffenden Heiligen die Ehre, im
Bildchen ganz vorne ftehen zu bürfen.
Am Dfterfefte, am Chrifttage, fand ſich
wohl ein Oſterlamm mit der Fahne,
oder ein holdes Kindlein auf dem Heu.
Letzteres wollte einmal am Ehriftfeite
mein Bruder nicht anerkennen, weil
fein Ochs und fein Eſel dabei jei,
worauf der alte Knecht fih ganz ruhig
zu und wandte und jpradh: „die müſſet
halt ihre zwei fein!“
Maren nun die aus Büchern be=
ichriebenerweife geformten Wände mit
ſolchen Bildlein, auch Heine in Glas
gefajste „Breverln“ darunter, beiehnt,
jo fam vom eigentlihen Hausaltare
hoch oben in der Wandede das
Grucifir herab und wurde mitten
in das Halbrund geftellt. Das war
der eigentliche Mittelpunft unſeres
Heiligthumes. Bor dem Erucifir kam
hernach der Wachsſtock zu ftehen und
wir zündeten ihn an, Nicht zu jagen,
welche zeierlichkeit, wenn nun das
Kreuz umd die Deiligenbilder röthlich
beleuchtet wurden, denn jo ein ger
weihtes Wachsliht gibt einen ganz
anderen Schein, als die Flebrige Talg—
ferze oder der harzige Brennſpan,
oder gar im Waflerglafe das Ollicht—
fein, „welches bei der Nacht nur jo viel
jcheint, dajs man die Finfternis ſieht“.
Die Sonne, welde draußen leuchtete,
wurde abgejperrt, inden wir die Fen—
fter verhüllten mit blauen Sacktüchern,
wir wollten den himmliſchen Schein
ganz allein Haben im unferen Tem—
pelchen. Wenn nun gar erit Allerjeelen
war und ein Bildchen mit den armen
wandten, Bathenleuten, Wallfahrten | Seelen im Fegefeuer vor dem Kreuze
als Angedenken ftammten und ver= | lag, da gab's eine Stimmung, die zur
*
v
623
Andacht nachgerade zwang. Knieten
wir dann um den Zijch Herum, fo
daſs unfere Knie auf den Sigbänfen,
ungjere Ellbogen auf der Platte fich
ſtützten, umd beteten laut jene lange
Reihe von Baterunjern und Avemariens
mit Ausrufung der „Geheimniſſe“ aus
dem Leben des Herrn, welche der
Rojenkranz, oder auch der Pſalter ge—
ntannt wird. ch wendete während des
ganzen Gebetes feinen Blid von den
bildliden Darftellungen. Natürlich jah
ich nicht das Papier und nicht die
Farben, ja felbft die Bilder als ſolche
nicht, ich jah die Heiligen leibhaftig,
fie waren mir in der That anweſend,
fie hörten freundlich auf unfer Gebet,
fie liegen uns hoffen auf ihren Schuß
und Beiftand in Tagen der Noth und
Gefahr, fie nahmen gütig die Liebe
unferer Herzen an, und alfo Fchlofjen
wir mit ihnen vorweg ſchon Bekannt—
Ihaft für die ewige Gemeinſamkeit im
Himmel, der wir ja entgegenftrebten.
— O meld ein herrliches Gut ift der
Glaube, unendlich mächtiger, ſchöpfe—
riſcher, bejeligender, erlöfender, als
alles Willen und Wähnen der Jrdifchen.
War endlich die Andacht zu Ende,
jo loſch der Knecht die Kerze aus und
wir hüpften aufs Fletz hinab; bald!
krochen wir freilich wieder auf den
Tiſch, um gemächlich den Tempel zu
zerftören und feine Theile wieder an
Ort und Stelle zu bringen, woher
wir fie genommen, denn der Tijch
jollte nun Schauplaß anderer Ereig-
niffe werden. In der Küche war aus
Mehl und Schmalz eine Pfanne voll
Sterz fertig geworden und dieje Fam
herein, um unfere fonntägige Andacht
zu krönen. So war's der Braud
am Sonntag Vormittage von der
neunten bis zur zehnten Stunde,
während die anderen in der Kirche
ſaßen oder vor derjelben ſich für das
Wirtshaus vorbereiteten. — Solches
waren freilich Freumdlichere Wandlungen
des Tiſchaltares, als es jene geweſen im
Hauſe des Waldpeter. Halten die
aufſichtsloſen Kinder in der Chriſtnacht
auf dem Tiſche aus Büchern und
Papierbildchen einen Tempel gebaut,
denſelben mit einem nach unten halb—
offenen Buche eingedeckt und eine
brennende Kerze in das Heiligthum
geſtellt. Noch zu rechter Zeit kam der
(Maldpeter herbei, um die auf dem
| Zifche entitandene Feuersbrunſt zu
löfhen. Darauf ſoll es feinen Sterz
gegeben haben, jondern Fiſche.
Noch erinnere ih mich an einen
'befonderen Tag. Ein gewöhnlicher
‚Wochentag war's im Winter; ich be—
Ihäftigte mich in der dunklen Futter—
ſcheune, um mit einem Eiſenhaken,
dem Heuraffel, Deu aus dem feſtge—
tretenen Stoße zu reißen umd in die
Ställe zu tragen. Da fiel es mir
plöglich ein, ich müſſe diefe Arbeit
bleiben laffen, in die Stube gehen und
auf dem Tiſche einen Altar bauen.
Die Mutter war mit meinem jüngften
franfen Schweſterchen beſchäftigt,
kümmerte ſich alſo nicht um mich und
ich ſtellte aus Büchern und Bildchen
den gewohnten Tempel auf, als ſollten
die Leute nun zuſammenkommen wie am
Sonntage und beten. Wie ich hernach
| das hölzerne Erucifir Hineinftellen wollte,
that ich es nicht, ſondern gieng durch
die Stube zu einer Sigbanf hin, über
welche ich das Kreuz vermittelfi eines
Schnürdens an die Wand hieng.
Und da war es, als ob auch die an—
deren Ähnliche Gedanken hätten mitten
im Werktage; der Bater wurde ins
Haus gerufen, er holte aus dem
Schrank den Wahsftod hervor, zün—
dete ihn an, doch anftatt ihn an meinen
Altar zu Stellen, gieng er damit ans
Bettlein, two das zweijährige Trauterl
lag; fie begannen halblaut zu beten
und die Mutter neßte mit Eſſig die
Stirn des Schmwelterleins. — Plötz—
lich hielten fie im Gebete ein, da war
es till, jo grauenhaft fill, wie es
bisher nie geweſen auf der Melt.
Dann hub die Mutter an zu Schluchzen,
erſt leife, hernach heftiger, bis fie, in
ein lautes Weinen ausbrehend, ſich
über das Köpfchen des Kindes nieder-
624
beugte und es mit wilder Gier berzte !Sarge, neben mir die Mutter, der
und küſſste. Das Schmweiterlein aber
that nichts desgleihen, die hageren
Händchen auf der Dede ausgeftredt,
im Gefichte ſchneeweiß, mit halbgeöff-
neten Augen lag es da; die flads-
zarten Loden giengen nad rüdwärts
und waren noch feucht von dem Eſſig.
Der Vater trat zu uns übrigen
Kindern und ſagte leife: „Jetzt Hat
uns die Trauderl halt ſchon verlaffen.*
„Sie ift ja da!“ rief der Bruder
Jackerl und ftredte feinen Finger aus
gegen das Bett.
„Ihre unfchuldige Seel’ hat der
liebe Herrgott zu fi genommen, fie
ift Schon bei den Engelein.”
Wer von uns es nicht wujste,
der ahnte nun, unfere Heine Schweiter
war geftorben.
Wir Huben an zu weinen, aber
nicht fo fehr weil das Schweſterlein
geftorben war, jondern weil die Mutter
weinte. Im meinem Leben Hat mich
nichts fo jehr ans Herz geitoßen, als
wenn ich meine Mutter weinen jah.
Das geihah freilich jelten, heute ver-
muthe ich, dafs fie viel öfter gemeint
hat, als wir es ſahen ... .
Nun kamen die Knechte und Mägde
herein, fanden um das Bettlein
herum und fagten mit flüfternden
Stimmen Liebes nnd Gutes von dem
Finde. Der Vater Iniete zum Tiſche,
wo — Siehe da! — der Altar auf-
gerichtet fand, und begann laut zu
beten; er rief daS Kreuz und Leiden
des Heilandes an, feine heiligen Wun—
den, feine Todespein und feine Auf—
erftehung. Er jagte den Spruch vom
jüngften Tage, wie auf des Engels
Poſaunenſchall die Todten aus den
Gräbern fteigen werden. Ich ſah alles
vor mir. — Dunfel war's und däm—
mernd wie im Morgenrothe; der
Himmel war verhüllt mit Wolken die
einen vothen Schein hatten, wie Rauch
über dem Feuer. Aus allen Gründen
— foweit das Auge reichte — fliegen
Menſchen aus der Scholle empor. Ach
jelbit jah mich hervorgehen aus dem
Bater in langen weißen Gemwändern,
und aus einem Hügel, der mit Roſen
bededt war, froh — ſchier ſchalkhaft
lugend mit Heflen Auglein — das
Trauderl und hüpfte zu uns heran...
Während wir beteten, ſenkte die
Nachbarin Katharinga das Leichlein in
ein Bad, befleidete es dann mit weißem
Hemde und legte es auf ein hartes
Bett, auf die Bank zur Bahre. Mit
Leinwand ward e3 zugededt; an jein
Haupt ftellten fie den Wachsſtock mit
dem Fichte und ein Weihwaſſergefäß
mit dem Tannenzweig. Vom Wltare
nahmen fie die Heiligenbildchen, um
jolhe als lebte Gabe der Heinen
Trauderl an die Bruft zu legen. Der
Bater Hub an das Cruzifix zu juchen,
um es zu Däupten der Bahre hinzu—
jtellen, ex fand es nicht, bis die Nach—
barin Katharina ſah, daj3 es jchon
an der Wand hieng, gerade über dem
Leichlein.
Alfo ift e8 geweſen, daſs eine
Stunde vor dem Sterben de3 Schwe—
fterleins mir Ahnungslofem eine un—
ihtbare Macht die Weifung gab: gebe
in die Stube, denn fie werden bald
alle hineingehen ; baue den Altar, denn
fie werden beten; hänge das Kreuz
an die Wand, denn es wird dort ein
todtes Menfchentind Hingelegt werden.
Mir giengen hin und jchauten die
Trauderl an. Es iſt nicht zu bejchrei=
ben, wie lieblih ſie anzuſchauen war
und wie ſüß fie Schlief. Und da dachte
ih daran, wie fie noch wenige Tage
früher voll hallender Freude, glühend
am Wänglein und glühend im Aug—
lein, mit uns Berftedens geſpielt.
Sie veritedte fih immer hinter dem
Dfen, verrieth ſich aber allemal jelbit,
noch bevor wir an Sie heranlamen,
durch ein helles Laden.
Bald kamen die Nachbarsleute, fie
knieten nieder vor der Bahre und beteten
‚Hill. Im ganzen Haufe war eine große
Feierlichteſt und ich — der ih fo
umberftand und zuſah — empfand
etwas wie Stolz darüber, das ich
eine Schweiter hatte, die geſtorben war
und foldhes Auffehen und ſolche Weihe
bradte.
Nah zwei Tagen am frühen Mor:
gen, da e3 noch dunkel war, haben
fie in einem meißen Trühlein die
Trauderl dadongetragen, Wir Ge—
ſchwiſter konnten fie nicht begleiten,
denn wir hatten feine Winterfchuhe
für den weiten Weg nad dem Pfarre
dorfe. Wir blieben daheim. Und als
alle laut betend davongezogen waren |
und das bon dem Haufe hinweg»
meine ältere Schwefler mit niederge-
Ihlagenen Augen in der Stube um—
gieng, angetan mit rofenfarbigent
Kleide und dem grünen Rosmariu—
Hamm im braunen Haar, und ein
Ihöner junger Menfch unfern von ihr
ftand, fie heimlich anblidend in Glüd-
jeligfeit, hob ich meinen lieben Chriſtus
wieder einmal auf den Tiſch herab,
ob er vielleicht zufehen wolle, was da
war und werben follte.
' Da traten die zwei jungen Leute
vor den Tifh Hin, nahmen ih an
ſchwankende Laternlicht noch feinen der rechten Hand und fagten ganz
zudenden Schein warf durd die Fen- leiſe — aber wir hörten es doch alle —
fter in die Stube herein, ftand ih | „Wir wollen treu zufammen leben,
(meine Geſchwiſter fchliefen noch ruhe bis der Tod uns ſcheidet.“
jam in ihrer Kammer) eine Weile vor) Auf meinem Lebensmwege bin ich
der Bank und ſchaute auf die Stelle, fhon an vielen Altären vorüberge—
hin, wo das weiße Geftaltlein gerubt wandelt. An Altären der Liebe und
hatte. Das Weihmwafjergefäß war noch | des Haffes, an Altären des Mammons
da, und beim Morgenroth, das matt | und des Ruhmes — ich habe jedem
auf die Wand fiel, ſah ich dort daS | geopfert. Aber mein Herz, mein ganzes
Kreuz hängen mit dem fterbenden Chri- Herz habe ih nur an jenem einen
us, der nun mein einziger Genofje Altar niedergelegt, der einft in der
war in der ftillen Stube. armen Stube des Waldhaufes geftan-
Ich nahm ihn von der Wand und |den. Und wenn ich weltmüde dereinft=
begann ihn auszufragen, was die malen die Himmelsthür fuche, wo
Seele der Trauderl denn wohl made kann fie zu finden fein, al3 in dem
im himmlischen Reid. — Es ift feine | dämmernden Wandwinfel über dem
Antwort auf Erden. Ich ftellte das | Tische, wo das Heine hölzerne Erucifir
Erucifir wieder auf den Hausaltar, | geftanden. Kreuze habe ich gejehen
der hoch im Wandwinfel war, und aus Gold und an Ehren reich, Kreuze
dort fand es im Heiliger Ruh, es aus Elfenbein, gefhmüdt mit Dia-
mochte Kummer fein in der Stube, manten, Kreuze, an weldem Weihe
oder Freude, beides war oft und manch- und Ablaf3 hieng — bei feinem habe
mal im rafhen Wechfel, wie es Schon ich je Gnade gefunden. Das arnıe
geht auf diefer Welt. Kreuz in meinem Baterhaufe wirh
Nah Jahren, als eines Tages | mich erlöfen.
Rofgger’s „„Ürimgarten‘, 8, Heft, XV. 40
Kleine Saube.
Brieger-Bundes-Pied
der fteirifchen Deteranen,
Den Frieden im Herzen, das Schwert in
der Hand,
So fteh'n wir zur tapferen Wehre
Im fröhlien glorreihen Kriegerftand,
Dem Landesvater, dem Baterland,
Der Heimat zu Schub und Ehre.
Groberungsluftig nicht droh'n wir der Welt
In eitlem Ruhmeswahne.
Der urdeutfchen Erbe ein ferndeuticher Held
Vertheidiget jeder auf blutigem Feld
Des Kaiſers heilige Fahne.
Tor Muth und die Treue find unſer
Geipann,
So ſchlagen wir uns fonder Bangen
Trog Feind und Wicht und viel jchledhten
Mann
Durch Tod und Teufel zum Himmel hinan,
Die Palme des Sieg's zu empfangen.
V. R. Roſtgger.
Vom Erzherzog Johann.
Das ſeit 1878 ben Haupfplatz in
Graz zierende Brunnen-Denfmal
verewigten Erzherzogs Johann it ein
fo Schönes und gedanfenvolles Kunit-
wert, daſs man fih wundern mujs, jo
jelten jemanden in Betrachtung des—
jelben zu jehen. In den erften Jahren,
wo die Statuen noch nicht jo rußig
des |
ſchwarz waren, wie fie es (vielleicht durch
‚die erfünftelte jog. Patina) geworden
find, war dies noch weniger erflärlid.
Für den oft zu Reclamezweden gerühm-
ten Kunſtſinn der Grazer jpricht das
gerade nicht, mwenigftens in Bezug auf
ı bildende Kunſt; mit Theater und Muſik
iſt es wohl |
| dies
bald als alltäglih und jelbftverftänd-
‚li überjehen zu werben, auch bie
anders, Übrigens theilen
Schickſal öffentliher Denkmäler,
zahlreihen, auf den Wiener Plägen
und Neubauten berumjtehenden, mit»
unter koſtbaren Sculpturmwerfe; aber
wir hieran armen Örazer hätten umſo
weniger Grund, über einen jo hervor—
ıragenden Schmud unjerer Stadt jo bald
zur Tagesordnung überzugehen. Gleich»
giltigfeit für den Wohlthäter der Steier«
mark, welden das Denkmal feiert, iſt
es fiher nicht, und die Inſchrift bleibt
| wahr: Unvergeffen bleibt im Volke, der
des Volles nie vergab. Was den Haupt-
'gegenftand betrifft, jo hätte fih der Erz—
berzog wohl etwas minder gealtert dar-
‚stellen laffen, wenn man auf frühere
Bildniſſe zurüdgegriffen hätte. Natürlich
‚wird dies Perfonen feiner fteten Umge—
ı bung nicht befremden, ja fie werden ihn
jo am friicheften im Gebächtniffe haben;
aber jemandem, der ihn in feiner rüjtig-
jten Lebenszeit geliehen bat und jeither
nicht, muſs es auffallen. Ich ftand bald
nad Errichtung des Denkmals dort
neben einem alten Bauern, der diejelbe
Bemerkung machte. „Miajelfühti” fand
er gar die Darftellung. Das war wohl
ein übertriebener Ausdruck; krankhaft it
das Ausjehen nit; aber jo wie der
hohe Herr in feinen 30er, 40er Jahren
über Berg und Thal gieng, das Joan—
neum, bie Landwirtichaftsgeiellichaft grün-
dete :c. ꝛc., möchte ihn ein alter Zeit«
genofje verewigt jehen. So mag er mım
eben jeinen Abſchied von uns vor
jtellen; auh gut! —
Da taudhen einige Erinnerungen aus
den erften Zwanziger-Jahren auf, die be
zeichnend für jeine Natürlichkeit und
Menichenfreundlichkeit find, kleine Züge
zu jeinem Oejammtbilde. Bei einer
Einkehr des Erzherzogs in unjer bürger-
liches Haus wurden zur Erfrifhung eben
reife SJohannisbeeren angeboten; alle
feine Begleiter aßen fie mit Zuder; nur
er nannte dies eine Verfünitlung und
Zederei, und ab fie ſauer, wie fie waren.
Um jene Zeit war Verwalter ber Ad—
monter Stiftsherrſchaft Gſtatt im oberen
Ennsthale Herr Karl Schweighofer, ein
für Volksbildung und Gemeinwohl be—
geiſterter junger Mann, alſo dem Erz—
herzoge, welcher damals viel in jener
Gebirgsgegend verkehrte, anhänglich und
öfters in ſeinem Gefolge. Dieſer erlebte
Folgendes: Anf einem Gange in den
Sölker Alpen der Niederen Tauern, wobei
auch Schweighofer war, lag fchattenjeitig
noch jtellenweile Schnee. Die Kleine Ge-
tellichaft gieng in einfacher Reihe an einem
fteilen Abhange fort und überquerte eine
lange Echneerunje, auf welder ſich eben
Schmeighofer befand, al3 der zugführende
Jäger zurüdrief: „Aufg'ſchaut! hiaz
femmen die Öfen (Felswände).“ Dies
war das lebte, was Schweighofer hörte;
in demfelben Augenblide verlor er das
Bewuſstſein, denn der Schnee unter jeinen
Füßen fuhr ab in die jchwindlige Tiefe,
mwobin auch er geftürjt wäre, wenn er
nicht nad kurzer Strede mit einem Arme
tief in älteren Schnee geſtoßen märe,
wodurch er hängen blieb und der Neu—
ſchnee ohne ihn weiter abſchoſs. Es galt
nun, den Ohnmächtigen zum Pfade her—
aufzubolen; um zu ihm hinab zu ge
—— — —— — — — —— — — — — — — — — — — —
—
langen, bildeten auf Vorſchlag des Erz
herzogs alle mit ausgeftredten Armen
eine Fette, im welche auch er jelbit ſich
einfügte, und deren oberjtes Mitglied
fih an einem Steine fejthielt. So wurde
der Verunglüdte mühſam beraufgebract,
in die nächte Sennhütte getragen, wo
er bald wieder zu jih fam und banfbar
die Hilfeleiftung des hohen Herrn erfuhr.
— Deſſen Gönnerjichaft fand bald noch
weiteren Stoff. Als Herr Schweighofer
die jchöne und fanfte Johanna v. Gun—
dersdorf aus Kärnten als Braut beim:
führte, veranftaltete der Erzherzog ein
national gefärbtes Hochzeitfeft in Gitatt,
wozu zahlreiche Herren und rauen aus
nädjter und fernerer Umgegend (bis
Auffee und Admont) als Gäſte geladen
wurden, mit der Aufforderung, in ober-
fteiriiher Volkstracht zu erjcheinen. Es
foll ein jehr lebhaftes und heiteres Feſt
gewejen jein, wobei natürlich fleißig
jteirifch getanzt wurde, unter anderen
vom Erzherzog jelbit mit feiner ebenfalls
dort erjchienenen künftigen Gemahlin, jo
dafs wohl jener Tag als eine Station
in jeiner Liebes: und Eheſtandsgeſchichte
anzunehmen fein dürfte, Es ijt eine
meiner frübeften Jugenderinnerungen, wie
damals meine Eltern in fteiriichem Au—
zuge zur Gftatter Hochzeit abfuhren.
Ich muſs hier bezeugen, dajs Die
bei unjeren Gebirgsferen beliebten nadten
Knie nicht Steirertradt, jondern
eingeführte Tirolertracht find, und auch
in Zirol nicht allgemein, wie man aus
dortigen Coſtümbildern jehen kann, Bon
den hochrotben Bruftfleden mit Goldbörtl
weiß ich dies nicht jo beftimmt, wie von den
Hofen. Seine Leder⸗(„irchene“)Hoſe trug
der Steirer, jung und alt, über das
Knie und den Anfang de3 Scienbeins
hinab, dort auf der Außenſeite etwas
aufgeichligt und mit ein paar Knöpfen
und einem Bändchen zu jchlieken oder
nach Bedarf für freie Beweglichkeit und
Kühlung offen zu laffen; auch wohl zur
längeren Schonung der Hole, da bie
Aniebeuge die geichloffene Hofe am Knie
nach und nad ausdehnte und abnüßte,
Anker bei der Arbeit und beim Berg-
40*
fteigen aber war der Steirerburjche nett
gefnöpft und geknüpft, nicht jo Ichlotterig
und zerlumpt, wie mitunter Herren zu
vermeinter Ländlichkeit ſich masfierten,
ehe jene Xirolertradt bei uns auffam,
Sb börte einmal am Ufer des Alt:
ausjee3 einen Fremden jein entrüftetes
Staunen ausſprechen, daſs er bort
Damen mit einem in folder Maske ſich
hinflegelnden Doctor aus Wien freund«
628
tiſcher Beziehung, nämlich in Bezug auf
Gefundheit und Bequemlichkeit, dürfte ih
Bortheil und Nahtbeil des Aniebededens
oder Nichtbededens jo ziemlih die Mage
halten. Aber die allerpraftiichefte Rüd-
fiht wird vermuthlich die Tirolertradt
erfunden haben; einer, deſſen Hoje am
Knie „bin“ war, und aud deſſen Strümpfe
an Ferſe und Zehen, ſchnitt wichſeriſch
die jhadhaften Theile an beiden ab und
lich converfieren jah: „mit jo 'nem zer» gieng in Wadenftügeln herum; die leidige
lumpten Burſchen“. Da ich furz zuvor | Erfahrung, dajs die Hojen am Anie und
Zeuge war, wie fi der junge Herr den
Spaſs gemacht hatte, einen Fremden
über den See zu rudern und den an—
gebotenen Lohn mit Eröffnung ſeiner
Doctorſchaft abzulehnen, ſo konnte ich
den anderen Herrn über dies Verhältnis
belehren; er meinte: „Aber doch, aber
doch!“ Die eigentliche Steirertracht,
wenigſtens in Bezug auf die Beinbeklei—
dung, iſt unter anderem erſichtlich auf
dem bekannten Bilde des Erzherzogs
Johann „auf dem Hochſchwab“ von
P. Krafft 1818. Ich weiß nicht, ob
unſer Kaiſer die Tiroler Hoſen in ſeiner
Jagdkleidung zuerſt bei uns eingeführt
hat oder andere Herren. Der Monarch
kann natürlich jede ihm gefällige Tracht
ſeiner Völker wo er will tragen, auch
die ungarische, polnische oder dalmati-
niiche, jowie ein König von Großbritan—
nien die jchottiiche ohne Holen tragen
könnte, (Die Verfeinerung bei der fteiri«
ihen Hojenform, am aufgefnöpften Knie
eine weiße Unterhoje jehen zu laflen oder
herauszuzupfen, ift allerdings auch nicht
jtilgemäß.) Die Tirolertracht mit den
nadten Knien und eigentlich auch nadten
Füßen ohne Strumpf in den Schuhen
bat den Reiz des Eigenthümlichen, Sons
berbaren, ſteht beſonders joldhen, die fich
eines hübjchen Knies bewujst find, und
macht auch den Eindrud männlicher Ab-
bärtung. Im ſchottiſchen Hochlande hat
zwar ein Bergführer den Hofrath Tunner,
auf deilen theilncehmende Frage, ob e3
ihm bei diefer Hochlandstracht nicht kalt
in den Beinen jei, entgegengefragt:
„Have you cold in your face ?* (Sit
denn Ihnen im Geſicht kalt?) In praf-
die Strümpfe im Tritt zuerjt zugrunde
gehen, machte das Auskunftsmittel bei
den Burjchen der Gegend allgemein. Es
ift, ſowie ich glaube, daſs auch die
Heinen sFenjter der Bauernhäuſer und
die Steinbeijhwerung der Dächer nicht
eine Geihmadsjache, fondern Sparjam-
keitsſache waren megen uriprünglider
Theuerung des Fenſterglaſes und der
Dachnägel. — Was die übrige fteiriiche
Traht anbelangt, jo haben Rod ımd
Hut (erjterer wohl immer grau und
grün, legterer grün) von jeher zwiſchen
leihteren und jchwerfälligeren Formen
gewechjelt.
Bom Erzherzog Johann habe ic er-
zählen gehört, daſs er bei den Jagden
auf jeinem Brandhof an jeinen dort ein
quartierten Jagdgäſten Zimpferlichleiten
und Anjprühe auf Eleganz, als zum
edlen MWeidwerfe nicht pafjend, ſcharf
bemerkte und fie in Verlegenheit zu jegen
juchte, 3. B. Spiegel aus den Gaft-
jimmern entfernte und badurd unter
anderem das Nafteren, wenn es jemand
wollte und nit ohne Spiegel konnte,
wie er jelbft, verhinderte. Wie muſste
es ihn erft empören, al3 er im Zimmer
eines älteren Herrn ein Fläſchchen wohl-
riechendes Waſſer fand! Es wurde aus-
geleert und anftatt deſſen mit Pechöl
gefüllt ; die Überraſchung für den Beſitzer
mag übel genug geweſen ſein, beſonders
wenn er ſich etwa den Parfum haſtig
auf Hand oder Sacktuch oder wohl gar
auf den Kopf goſs. Sein Berdadt fiel
aber fofort auf ein anderes Mitglied der
Jagdgejellibaft, einen nedereiliebenden
Mürzthaler Gewerken, und diejen jtellte
BRETT
er
am Sammelplage darüber heftig
zur Rede und das Wortgefecht wurde
jo arg, dajs ein Wiſſer den beleidigten
Stadtherrn auf die Möglichkeit eines
anderen Urheber aufmerfjam machte.
L. S.
Des Bauernhelden lekter Brief.
Mitgetbeilt von Roloman Ralfer.
Die landſchaftliche Schönheit des Raj-
feierthales ift allgemein befannt. Die
terrafienförmig auffteigende Thalfläche rechts
und links mit Wald, Feld und Gehöiten,
die zerjtreut umherliegen, bieten jchöne,
reizende Bilder, und ber jtille Frieden,
der über der ganzen Landſchaft jchmwebt,
verjegt den wandernden Fremdling in eine
mweihevolle Stimmung. Und aud die Er-
innerung wird wach, denn mir find
in der Heimat des berühmten Freiheits—
fämpfers Andreas Hofer. Derjelbe
ward im Wirtshaufe „Am Sand“ (da-
ber der Name Sandbmwirt), eine Viertel.
ftunde von dem Kleinen Pfarrdorfe St.
Martin entfernt, am 22. November 1767
geboren und hatte hier als Gaftwirt,
Getreide» und Pierdehändler ein ruhiges,
einfaches Leben geführt, bis ihn em
merkwürdiges Gelhid zum Helden, Mär:
tyrer und berühmten Manne machte.
Das Sandwirtshaus, auf welchem
jegt ein entfernter Verwandter Hofers die
Wirtſchaft führt, ijt ein einfaches Bauern-
baus mit Söller und Giebeldah. An den
Außenwänden des Gebäudes hängen ver-
ſchiedene Schügenjcheiben und unter dieſen
ein Schild, auf weldem folgende In—
ſchrift ſteht:
Andre von Hofer und Anna von Hofer,
geb. Ladurner.
Bor dem Haufe jprudelt im Schatten
riefiger Bäume ein Röhrbrunnen und
nebenan fließt die wilde Paſſer rauichend
vorüber, Im Innern des Haufes jelbit
ift alles lieblih und anbheimelnd, Der
freundliche Befiger führte uns durd alle
629
“
Räumlichkeiten, in denen Hofer gewohnt
hatte, und zeigte uns Die noch vorhan-
denen Erinnerungsftäde: Kleider, Waffen
u. dgl. Auch ein „Gedenkbuch“ liegt auf,
in welchem im bunten Gemijche zahlreiche
Namen von Bejuchern aus aller Herren
Länder zu lejen find. Auch ich und mein
Vegleiter jchrieben unjere Namen ein.
In dieſem intereflanten Gedenkbuche
befindet fih auch ein Facſimile des legten
Briefes, den Andreas Hofer am 20. Fer
bruar 1810 um 5 Uhr früh ummittel-
bar vor ſeinem Tode mit fefter Hand ge-
ihrieben hat. Da ich von diefem merfe
würdigen Briefe eine Abjchrift befige,
theile ih den Inhalt desjelben in der
Orthographie de3 Originals hier unver:
ändert mit. Der Brief lautet :
Liebiter Herr Prueder, der götliche
willen ijt es gemößn das ich habe mießen
bier in mandua mein zeitliche mit den
Ebigen verwörlen, aber gott jeie dankh
um feine gödliche gnad, mir iſt eb jo
feicht forgefhomn das wan ich zu waß
anderen ausgefiert wurde, gott wirth mir
auch die gnad verleihen, wiß in löften
augen Plidh auf das ich fhomen fhon,
alwo fidh mein jehl, mit alle außer wölte,
ih ebig Ehr freien mag, albo ih auch
fir alle Bitten werde Bei gott ob jonder-
fih fir mwölliche ich in mereſten zu bitten
Ihuldig Bin, und fir fie und ihnen frau
liebjt wegen den Piechl, und andern quet
Tatten, auch alle bier noch lebente guete
freint jollen für mih PBittn, und mir
auß die heißen flamen belfen, wan ic
noch in fegfeir pießen muß,
die gottes dient jolle die liebite mein:
oder Wirthin zu ßanct marthin halten
laffen, Bein roffen farben Pluet, Bitten
in pede Pfaren, den freintn Beim Unter
Wirth iſt ßuppe und fleijch zu göbe laſſen
nebjt Einder halben Wein,
Und gelt waß ich da habe gehabt,
babe ich in armen aufßgetheilt. Und waß
drinen noch gelt ift nim was du brauchſt
wis du mit den mair hanfien khonſt
Nöden. Er Wirtb wohl ſPröchen mit den
Lhrr (Leuten) und mögen den gelt fir
die armen in yberigen Rait ab mit bie
Leite jo rödl du fhonft, damit ich nicht
—
zu Pieſſen habe lieber Herr Pikhler, gien
ſie mir hinein, und bein Untter Wirth Werk ſeine Überzeugung zu bekennen.
zu ßanct marthin, zeigen ſie die ßache
an, Ehr Wirth, ſchon angeſtald machen,
und machen ſie ſonſt niemand nicht khomper
V. diſſer ſache, ſie machen Ihnen die
50 f göben, nebſt alle unkhöſten.
In der Welt lebet alle wohl, wiß wir
in himel zamkhomen und dortten gott
loben an ent, alle Paſſeirer und Bekhontte
ſollen mir Einge denkht ſein in heiligen
ge Beth und die Wirthin, ſolle ſich nicht
ſo Bekhimern ich werde Piden Bei gott,
fir fie alle.
a de mein ſchnede Welt, fo leicht khombt
mir das fterben vor, das mir nit die
augen naſſ werdn
geſchrieben um 5 urr in der frue, und
um 9 urr Reißj ich mit der hilfe aller
heilig zu gott.
mandua den 20. februari 1810
bein in leben geliiebter
n moren dei ; -
J andere hofer in ſant in
rg Paſſeyr in namen des
Viſſen hern Wille ich auch di
Reiſſe ſornemen mit gott.
So ſtarb denn der treue Hofer, der
tapfere „Sandwirt vom Paſſeier“ wie
ihn die Deutſchen, der „General Barbone“
(Großbart), wie ihn die Franzoſen nannten,
unerjhroden wie ein Mann und wie
ein Held!
Sein Andenken wird fortbeftehen in
ber Erinnerung des deutichen Volkes,
Fin Fragebogen,
Jemandem wurde von einer Dame
einer jener Fragebogen zugeſchickt, mit
der Bitte, Die vorgedrudten Fragen
schriftlich zu beantworten. Man pflegt
jonft die gejtellten Fragen jcherzbaft zu
behandeln, ſie geben Anlajs geiftreich und
wißig zu jein. Unjer Jemand aber nahm
die ragen ernit und gab durch deren
Beantwortung ein fömliches Belenntnis
jeiner Weltanſchauung, wie folgt:
Melde Eigenſchaft ſchätzen
Sie an dem Manne?
Vor allem den Mutb, in Wort und
Melde an der Frau?
Der Überzeugung ihres
möglicht gerecht zu werben.
Was ift Ihre hervorragendfte
Eigenidaft?
Mohlwollen für das Redliche, Kampf⸗
luft gegen das Schurkiſche.
Wie verftehen Sie das Glüd?
Das Glück beiteht im Frieden des
Herzens.
Wie das Unglüd?
Das Unglück beſteht in einem böſen
Gewiſſen.
Wo möchten Sie leben?
Im Lande meiner Kindheit und
Jugend.
Was wünſchen Sie am ſehn—
liditen?
Meinem Volke etwas zu jein.
Mer ift in Ihren Augen der
erftte Dichter, Schaufpieler,
Muſiker, Maler?
Mage ih vor mir jelbft micht zu
entjcheiden.
Melde Hiftorijde Einrid
tung mijsfällt Ihnen am meijten?
Das Inſtitut der Scheiterhaufen.
Melde Fehler finden Sie
am verzeihlichſten?
Jeder ift verzeihlich, jobald er ein—
geſehen wird.
Lieben Sie das Ideale oder
das Reale?
Das erjtere ift größer,
bejeeligender, als das letztere.
Was iſt am ſchwerſten zu er
reiben?
Die volllommene
eigenen Weſens.
Welchen Rath würden Sie
der yrau geben, die Sie lieben?
Treu zu jein, nicht meinet-, jonbern
ihretwillen.
Welches ift Ihre Liebling“
beibhäftigung?
Die Ausübung meines Lebensberufes.
Welche politifde Richtung
iſt Ihnen am ſympathiſcheſten?
Die dem chriſtlichen Geiſt huldigt und
Mannes
mächtiger,
Harmonie dei
Die Zufammengehörigfeit aller Menjchen
auf Erden befennt,
Was denfen Sie über
Che?
Daſs fie — richtig gelebt — das
bejte ift, was die menſchliche Eultur auf-
gejtellt hat.
Welches PVergnügen ift Ihnen
das liebjte?
Die Beihanlichkeit in
Natur. .
Melde Blume, weldes Ge
tränf, welde Farbe ziehen Sie
vor?
Die weiße Melle, den rothen Wein,
den blauen Himmel,
Definieren Sie die Liebe!
Die wahre Liebe beftehbt in dem
leidenſchaftlichen Mitempfinden aller Freu—
ben unb alles Leides an ber bejtimmten
Perſon.
Definieren Sie die Frau!
177
die
ländlicher
Bas Bud der Bücher
in einer neuartigen Ausgabe,
Sch babe es unternommen, für das
Evangelium und deſſen größere Berbrei-
tung in unferer Schule und in unjerem
Volke einzutreten. Dabei machte ich die
merkwürdige Erfahrung, daſs diefe Be—
ftrebung, das Evangelium Jeſu Chriſti
zu verbreiten, eine heftige Gegnerſchaft
bat; aber nicht etwa an dem „glaubens-
loſen materialiftiichen Zeitgeiſte“, jondern
an einem Theile der katholiſch—⸗
clericalen Preſſe. Ih hatte das nicht
erwartet und bebauere e3 jehr. Umſo
entjchiedener will ich nun für die große
Sache eintreten und thue e3 mit freudigem
Mutbe.
Heute ift aufmerfjam zu machen auf
eine neue Bibelausgabe in Lieferungen,
an welcher ich jeinerzeit dem Neuen Teſta—
mente volle Aufmerkjamteit zuwenden werde.
Die neue illuftrierte Ausgabe der
Heiligen Schrift für Katholiken beginnt
joeben im Verlage von Friedrich Pfeil
ftüder in Berlin zu erjcheinen. Der
„BE
Drud ijt nach der vom päpftliden Stuhl
und von vielen Biſchöfen approbierten
Überfegung von Allioli, ebenfo die Er:
läuterungen des Textes; auch enthält
das erite Heft nah den Vorſchriften der
fatholiichen Kirche eine Einleitung mit
Anweiſung, wie die Bibel gelejen werden
joll. Was nun die Bilder anbelangt, jo
find dieſe, abgejehen von der jedes Heft
jhmüdenden, in Farben gedrudten Kunſt—
beilage, nad) den Meifterwerfen der chrift-
lihen Kunft, ganz neuer Art. Abweichend
nämlich von den bisherigen Bilderbibeln,
welde nur Scenen und Greigniffe der
bibliſchen Geſchichte mit mehr oder weniger
Phantafie zur Darftelung bringen, wird
bei diejer Ausgabe zum erjtenmal unter«
nommen, das Verjtändnis ber Heiligen
Schrift durch Darſtellung von Gegen»
ftänden, Stätten und Plätzen dur
Karten, ſowie durh Abbildung von
Pflanzen, Thieren, Alterthümern u. ſ. w.
nad den Forjhungen und Ausgrabungen
zu unterjtüßen, welde in den letzten
Jahrzehnten in Paläftina, Aſſyrien und
Egupten von jo merkwürdigem Erfolge
begleitet waren, In vielen Fällen wird
dur die Denkmäler, deren Kenntnis wir
diefen Forſchungen verdanken, die Wahr-
beit alter biblijcher Geſchichten beglaubigt,
und gerade dieſer Umftand verleiht der
neuen Bibelausgabe einen bejonderen
Wert. Bejonders auch beim Religions»
unterricht dürfte diefe Bibel von großem
Werte jein; denn das Hleinfte Bild er-
flärt durch bloße Anſchauung beſſer, als
alle mündlichen Erläuterungsverfuche von
Dingen, die unjerem Verftändnis doc
meiſt jo fern liegen. Das ganze Werk
wird in nicht ganz zwei Jahren vollendet
fein; die Ausgabe von 30 Kreuzern alle
14 Tage vertheilt fih aljo auf einen
jo langen Zeitraum, daſs auch Minder-
bemittelte imftande fein werben, fich bie
Bibel anzujhaffen. Beim Schluſſe des
Werkes erhält jeder Abnehmer unent»
geltlih das in Farben- und Lichtdrud
ausgeführte Kunftblatt: Der Kreuzweg
unferes Herrn Jeſu Chriſti, eine Dar-
jtellung der 14 Stationen, wie fie in ber
Wirklichkeit ausfehen, Nah in Jerujalem
gemachten photographifchen, aljo watur-
getreuen Aufnahmen nebit illuftriertem
Tertbuche.
Soviel heute des Sachlichen über
die neue Bibelausgabe. Ein andermal
mehr barüber. R.
Gloſſen
von Arpad Sor.
Willſt du der Freundſchaft Glück genießen,
So halt’ di ferne von den Frauen —
Doc ſoll dir Eheglüd erfprießen,
Dann darfft du feinem Freunde trauen,
Der Ehrenmann fhentt jelbft dem Gauch
Das blindefte Vertrauen —
Der Gau wird jelbft im Ehrenmann
Stets einen Lügner ſchauen.
Die Tugend wird vom Spott verzerrt,
Wenn fie nur der Geringe liebt —
Doc ſcheint das Lafter Iobenswert,
Wenn fi der Große ihm ergibt.
Wen böjes Beispiel ſchaden kann,
Hat's befjer nicht gewollt:
‚Der Roft frijst wohl das Eifen an,
Doch nimmermehr das Bold.
Wenn man fid Sünden aus-
borat.
Eine luſtige Geſchichte von U. Nitiel.*)
Tas werde ih in meinem ganzen
Leben nicht vergeffen, wie ih habe vom
hochwürdigen Herrn Bifchof mit den an-
deren Kindern gefirmt werden follen und
den dabei üblihen Badenftreich ſchon viel
früher befam! Nein, jo etwas vergifst
man nicht; unter allen Eindrüden auf
das findlihe Gemüth nimmt eine Ohr—
feige bezüglich ihrer Nachhaltigkeit um-
ftreitig den erjten Rang ein, bejonders
wenn ihr Empfang von fo außerorbent-
lihen Umftänden begleitet ift, wie dies
bei der meinigen der Fall war,
*) Aus „Nordböhmische Dorfgefhichten®
vom Berfaffer der „Geſchichten des Hocke—
wanzel“. Warnsdorf, Ed. Strade. 1889.
In unfer abgelegenes Gebirgsborf
war ſchon jeit Menjchengedenfen fein
Biſchof mehr gelommen, um zu firmen,
und was von alten Leuten davon erzählt
wurde, das fang alles jo märdenhaft,
jo wunderbar, dajs uns Rinder ein hei—
liger Schauer nah dem anderen über:
lief, wenn mir börten, welde Pracht
mit jeiner Anweſenheit verbunden werbe.
Da werden am Eingange des Ortes
herrliche Triumphpforten gebaut, jagten
fie, alles, was Peine hat im Borfe,
geht ihm entgegen, und bie Schulfinder
machen zu beiden Geiten de3 Weges
Spalier. Dann fommt er in einer präch—
tigen Kutſche gefahren, Böller krachen,
Gloden läuten, und wenn er bei ber
Triumphpforte angelangt ift, fteigt er
aus, bleibt ftehen und ein weißgefleibetes
Mädchen hält eine Anrede. Und am
anderen Tag erft, bei der Firmung! Da
jtehen die Firmlinge, fo lang die Kirche
ift, wieder in zwei Reihen aufgeitellt ;
der Bilchof geht von einem zum anderen
und gibt jedem einen Kleinen Backenſtreich.
Das alles ftand uns jetzt nahe
bevor. Der neue Biſchof hatte beichlofien,
das lang vernachläffigte Gebirge einmal
zu bereifen und feine Ankunft in unferem
Dorfe auf einen bejtimmten Tag ange»
jagt. Von dem Pfarrbofe, wo man hie-
von jelbjtverftändlih die erfte Kunde er-
halten hatte, verbreitete fih die Auf-
tegung bierüber, die faft einem Schreden
glih, in alle Häuier und bemädtigte
fihb ganz insbejondere unferer finder-
herzen. Der kleine Badenftreih jpielte
bei uns natürlih die Hauptrolle; ein
fleiner Badenftreid vom hochwürdigſten
Herrn Biſchof, und in der Kirche noch
dazu! Ich weiß Heute noch nicht, ob ich
mich über die neuen Stiefel, die mir
mein guter Vater aus der Stadt holte,
damals mehr gefreut hatte, als über die
bevorftehende Auszeichnung. Wohl hundert-
mal erzählte ih der Mutter und Groß«-
mutter und anderen Leuten: „Wir bes
kommen eben einen Keinen Badenftreih”,
und ich Armer abnte nicht, daſs ich ba=
mit, wie man zu jagen pflegt, ben Teufel
an die Wand malte. Freilich habe ich
— —“ — —
einen Badenitreih befommen; aber Elein
war er nidt.
Der Pfarrer und jein Kaplan hatten
jegt außerordentlich viel zu thun. Das
ift eben nichts Kleines, wenn jo ein
Biſchof einmal nah langer Zeit in eine
Gemeinde fommt. Der fieht dann feinen
Untergebenen gar jharf auf die Finger
und forſcht nad, ob aud alles bübich
in Ordnung war bie lange Zeit daher,
und wehe! wenn e3 nicht der Fall war.
Unjer Pfarrer war vor Schreden faſt
vom Stuhl gefallen, ald er die Nach—
richt erhielt, und der Herr Kaplan gieng
von der Stunde an in fein Wirtshaus
mehr. Nah vierzehn Tagen konnt' der
Herr Pfarrer ſchon mit der geballten
Fauſt unter feine Weſte fahren, fo
ſchlotterig hieng fie ihm jeht über den
Bauch, und er jagte, wenn das lange
noch jo fortgehe, würde man ihm bald
fönnen Haber dur die Wangen blajen,
jo dünn würden fie jein. NAın meiften
Arbeit machte ihnen die Schule. Port
war der Herr Pfarrer, jo weit unjere
Erinnerung zurüdreichte, nicht oft geweſen,
und wir riffen die Augen gar gewaltig
auf, als er das erftenal zu uns fam
und faſt täglich erſchien. „Kinder“,
iprad er, „Sinder, lernt fleißig und
macht mir feine Schande!“ Der Kaplan
half ihm treulih bei der Arbeit und
trachtete, das Verjäumte einzuholen. Wir
hatten ihn auch nur ſehr felten geſehen,
und e3 war zu umjerer Zeit auch gar
nicht nothwendig, dbajs fich die geiftlichen
Herren viel um die Schule fümmerten.
Damals gieng der liberale Teufel noch
nicht jo herum im Lande, um unfchuldige
Seelen zu fangen, wie das gegenmärtig
der Fall. Ja freilih, heutzutage, da
heißt es zeitig auf den Strümpfen ftehen
und wachſam jein mie ein Schäferhund,
dajs feine verloren gehe!
Pater Janaz, jo hieß er, war ganz
ausgewechjelt jeit der Ankündigung des
Biſchoſs. Seine beiten Freunde fannten
ihn nicht mehr. Vorher im Berfehr mit
ben Dorfinjaflen die jorgloje Heiterkeit
jelbft, gieng er jetzt nachdenklich mit
finfteren Bliden umber, mied jede Ge—
E⸗
ſellſchaft und warf ſich mit wahrem
Feuereifer auf den Schulunterricht.
Eines Tages kündigte er uns an,
wir ſeien nunmehr hinlänglich vorbereitet
und vor der Firmung müfsten mic erſt
zur Beichte gehen. Er gab uns dann die
nöthige Anleitung zur Gewiſſenserforſchung
und ſprach, wir jollten uns unjere Sünden
auf einen Zettel jchreiben, den könnte
jeder, der ihn fih nicht auswendig zu
fernen getraue, mit in den Beichtſtuhl
bringen. Nun giengen wir arme Sünder
auch mit nachdenklichen Mienen umber,
zogen uns öfters in die Einjamfeit zurüd
und verzeichneten gewillenhaft uniere
ihwere Sündenſchuld.
Da kam des Nahbars Franz, mein
beiter Freund, zu mir und theilte mir
mit trauriger Miene mit, der Bandel—
Fritz habe dreißig Sünden. Der war
ftet3 der erfte in der Schule gemejen
und übertraf uns nun abermald. Wir
gehörten doch auch nicht zu den jchlechte-
ten Schülern und hatten jeder doch nur
zehn bis zwölf. Nach einigem liberlegen
bejchlofjen wir, zu ihm zu gehen und
ihm unfere traurige Lage zu offenbaren.
Wir wären, jagten wir zu ihm, in
augenblidliher Berlegenheit, und ob er
nicht die Gefälligkeit habe, uns einige
Sünden zu borgen. Bandel-Frit lehnte
anfangs rundmweg ab und meinte, «3
babe ihm Mühe genug gefoftet, es ſo
weit zu bringen, und wir möchten uns
nur jelbjt kümmern; endlich gab er un—
jeren vereinten Bitten nad, zog ſein
Verzeichnis aus der Taſche und erlaubte
jedem von uns, fih drei Sünden davon
auszuſuchen, mehr aber nicht. Wir lafen
fein Regifter aufmerfjam durch und hielten
mebreremal vor Bewunderung inne, weil
er jo jchöne Sünden hatte. Am beiten
von allen aber gefiel uns die legte, die
lautete: „Ich habe eine budlige Schweiter
und babe jie ausgelacht.“ Wir beſchloſſen,
fie mit feiner bejonderen Genehmigung
unſerem Berzeichniffe einzuverleiben.
Am Tage der Beicht ftellte der
Kaplan uns Anaben in eine lange
Reihe, melde zum Beichtſtuhl des
Pfarrers führte; wir drei, der Bandel-
Frig, mein Freund und ih kamen nad
einander zu ſtehen. Nur langjam rüdten
unjere Vordermänner vor, und je näher
wir famen, umſo börbarer klopfte mir
das Herz, und das nicht allein wegen
der Wichtigkeit des Nugenblides, jondern
vorzugsweife des herben Benehmens
halber, welches der Pfarrer auf feinem
Site an den Tag legte. Zwei Stunden
lang hatte er ruhig ausgebalten und nur
von Zeit zu Zeit jchwer geieufjt und
fihb mit jeinem blauen Taſchentuch oft
die Stirn getrodnet. Danı ließ er ab
und zu ein dumpfes Stöhnen und
Brummen hören, zuleht ftand er auf,
gieng bis zur Kirdhenpforte und wieder
zurüd, zählte, mit dem finger deutend,
den noch ſehr anſehnlichen Reſt feiner
Beichtlinder und blickte zur Kirchendecke
empor. Ohne Zweifel war er entſetzt über
die Menge ſchwerer Sünden, die er hören,
über den Abgrund der Verworfenheit, in
welchen er in dieſen Stunden ſchauen
muſste. „O mein Gott!“ ſeufzte ich im
Stillen, „was wird er erſt zu den
meinen ſagen!“
Mittlerweile war Bandel-Fritz vor—
getreten und ward wieder entlaſſen, ohne
dem Herrn Pfarrer befondere Gemüths—
bewegung verurjaht zu haben. Mein
Freund Franz ftand jetzt im Beichtſtuhl.
„Sonderbar“, börte ich den Pfarrer laut
brunmen, „der hat auch eine,“
Die Reihe fam nun an mid. Mit
laut Elopfendem Herzen trat ich näher,
ſprach leife und mit zitternder Stimme
die Einleitungsmorte und fieng dann jo»
gleih mit meiner jchönften Sünde an:
„Ich habe eine budlige Schweiter und
babe fie ausgelacht.“ Da ſchnellte der
Pfarrer abermal® von feinem Sitze
empor, fuhr aus dem Beichtftuhl berans
und rief: „Was, du haft auch eine bud«
lige Schweiter ?” und gab mir dabei
eine jo fräftige Obrfeige, daſs ich mic
einmal um mich jelbjt herumdrehte. Auf
den leiſen Badenftreih des Biſchofs
musste ich verzichten, hatte übrigens an
dem des Pfarrers genug.
Raifer Friedrid als Borf:
ſchullehrer.
Der damalige Kronprinz liebte es,
ganz plötzlich in der Schule ſeines Gutes
Bornſtedt zu erſcheinen, in welcher die
Kinder des Dorfes ohne Unterſchied des
Geſchlechtes in die Kunſt des Leſens und
Schreibens eingeführt wurden. Eines
Tages nun kam der hohe Herr wiederum
ganz unerwartet und traf den Lehrer im
großer Beſtürzung und Berlegenheit, Die
derfelbe vergebens vor dem Kronprinzen
zu verbergen ſuchte. Der Armite hatte
wenige Minuten vorher die Nachricht er-
balten, jeine alte Mutter, eine Prediger:
witwe in Schlefien, liege im Sterben, er
möge eilends nachhauſe kommen, doc
fonnte er die Schulftunden ohne Erlaubnis
feiner Vorgeſetzten natürlih nicht aus»
ſetzen. Als aber der Kronprinz darauf
beitand, zu erfahren, welcher Kummer den
Lehrer drüdte, und diejer tiefbewegt den
vorausfihtlihen großen Schmerz mit»
theilte, jagte der hobe Herr in freund—
lihem, tbeilnabmvollen Tone: „Fahren
Sie jofort nah Haufe, ich übernehme Die
Verantwortung und — die Schulftunden,
eilen Sie und gebe Gott, dajs Sie Ihre
Mutter noch lebend antreten, ich weis,
was einem Sohne die Mutter ift.” Und
faum batte der Lehrer das Schulzimmer
verlaflen, al3 Kronprinz Friedrich den
Säbel abſchnallte und an Stelle bes
Lehrerd den begonnenen Lejeunterricht
fortſetzte. — Nah der Leſeſtunde hieß
es: „Jetzt wollen wir Geographie treiben,
holt 'mal den Globus her!“ Die Kinder,
an das leutjelige Weſen ihrer Gutsherr—
ihaft gewöhnt, waren feineswegs ver-
jchüchtert durch ihren neuen Lehrer, und
im Chor erhielt der Kronprinz die Ant«
wort: „Einen Globus haben wir nicht,
der Lehrer nimmt immer ben großen
Gummiball da.“ Und richtig, der „neue
Herr Lehrer“ nahm denn aud den großen
Ball und führte jo die Heine Schar in
die jchwierigen Geheimniffe der Erbfunde
ein. Als aber der beurlaubte Lebrer
nah wenigen Tagen zurüdfehrte, ftrablte
ihm beim Eintritt in die Claſſe ein —
Funfelnagelneuer Globus entgegen, ein
Geſchenk deſſen, der ihm erſetzt hatte,
während er zum Sterbebette jeiner Mutter
eilte, Seitdem brauchen die Born-
ftedter nicht mehr an einem Gummiball
Geographie zu lernen.
Poetenwinkel.
(Pflichtvergeffen.
Haft mit deines Zaubers Kraft
Mid jo ganz in deine Haft,
Fremde Maid, gezogen.
Kam, vom Vater ausgefandt,
Bor drei Wochen her ins Land
Über Berg und Wogen.
Sollte Rauchwerk zart und fein
Tauſchen gegen Elfenbein
Hier im Kaufbegehren;
Und mit gutem Handelsglüd
Zu den Meinen dann zurüd
Ohne Säumen kehren.
Aber als ich pflichtgemuth
Ausgeſchifft am Ziel das Gut
Schön und unvermeſſen;
Da erſah mein Auge dich,
Und zur Stunde hatte id
Alle Pflicht vergefien.
Schutzlos nun an fremdem Ort
Liegt die edle Ware dort
Preis jedwedem Gafte;
Während ich, dem Bettler gleich,
Zagend und doch hoffnungsreid)
Dir zu Füßen rafte.
Neige dich mir endlich zu,
Laſſe, Wunderholde du,
Mid dein Herz erringen;
Will dih dann mit frommem Sinn
Als den herrlichſten Gewinn
Meinen Eltern bringen!
©. Bibns.
Earnevaf der Liebenden.
Nicht auf der Inſel, oceanumfpielt,
Nicht auf dem Gletjcher unter Eis und
Schnee,
Hier unter lauten Menjchen wird uns meh,
Bon denen feiner unsre Sehnſucht fühlt!
Ad, wüſsten fie, was tief im Herzen wühlt,
Und ſchäumt und brandet, wie die blaue See,
Dann ftünd’ es ſchlimmer noh um unjer
Weh,
Denn es verdammt die Welt, was ſie nicht
ühlt!
Komm, laſs uns tanzen! da mit dieſem
Mädden,
Das nah dir blidt, ih will mit jenem
andern
Der luſtig plaudert durch die Neihen
wandern;
Doch in der warmen Luft ichlingt fi als
Fäden,
Das unlösbar um unſer Herz ſich windet,
Ein hoffender Gedanke, der uns bindet!
Sophie von Ahuenberg.
Der afte Dieter.
Frohe LKieder hör’ ih klingen
In der alten, ernften Bruft,
Bühl’ aufs new’ im Herzen ringen
Jugendfraft und Yugendluft,
Fühle, wie auf feihten Schwingen,
Schatten glei, mir faum bewuist,
Töne in mein Herze dringen,
Denen einft ih lauſchen mujst’!
Kehrt ihr wieder, Träumereien,
Und mein Geift erfennt euh kaum?!
Ach, für euren fonn’gen Maien
Hat mein Bujen feinen Raum:
Keine Blätter fann verleihen
Neuer Lenz dem dürren Baum,
Jahr fah ih an Jahr ſich reihen,
Sah zerftieben mander Traum,
Aus des Lebens wildem Streiten
Barg ih nur ein einzig Gut:
Blieb mir doch aus alten Zeiten
Treu der liederfrohe Muth,
Ob der Erde Herrlichleiten
Mit fih riſs der Jahre Flut:
Keinen Menſchen kann beneiden,
Wem das Lied im Bufen ruht!
©. Fiſchdach.
Wo wir uns fanden.
Wo wir uns fanden, fennft du nod den
Ort?
Die Rofe blüht, es blüht die Nelfe dort,
Und Nadtigallen ſchlagen immerfort,
Wo wir uns fanden!
Als wir uns fanden — welch ein ſchöner
Tag!
Der Thau in Perlen auf den Blättern lag,
Und Lenzesahnen bebte durd den Hag,
Als wir uns fanden!
Seit wir uns fanden, ift jo ſchwer mein
inn,
Ich weiß es faum, gieng gleih ein Jahr
dahın,
Ob ih unglüdlih, ob ich glüdlich bin,
Seit wir uns fanden!
©. Fifhbe.
Mur ein Rüſschen.
Ich hab dich gebeten
Ya nur um ein Küfschen,
Mas mahft du mir, Mädchen,
Den Sinn jo verwirrt?
Ein nedendes Spielen,
Ein liebendes Koſen —
Was blideft du, Mädchen,
So ernſt vor did hin?
Was ſprichſt du von Liebe,
Bon ewiger Treue?
Ich hab’ nur ein Küſschen
Bon dir ja verlangt,
©. Fifhbad.
Im Früblenz.
Unter der blühenden Rüſter
Saß ih am Frühlingstag,
Im Herzen war's traurig und düfter,
Der Schmerz wie ein Alp auf ihm lag.
Da hört’ ih das Summen der Bienen...
Es Hang mir fo traulid ins Ohr:
„Geiroft nun, der Lenz ift erihienen !
Nun blide vertrauend empor." —
Ih wandte den Blid nah oben...
Dort glänzte das himmliſche Zelt!
Und danfend mujst’ ih nun loben
Den gütigen Schöpfer der Welt.
Und zu lenzen begann’3 aud im Herzen,
Die Hofinung auf beflere Zeit,
Sie fegte hinweg meine Schmerzen
Und bannte das tödtliche Leid;
Und gab mir die tröftlihe Lehre:
Was Gott fhidt, geduldig ertrag'!
Der wilden Verzweiflung wehre!
Auch dir fommt der Ienzende Tag!
Job. Peter.
Ode an Zacherk.
(Aus dem Fremdenbuch einer Gebirgsher:
berge.)
Hochzupreifender Mann, der du vom
ſtaukaſus
Flöhegepeinigtem Voll ferne nach Weſten her
Roſenrothes Pyrethrum
In die fhmuden Gemächer ſchickſt!
Wohl am fiebenten Tag, während die
Scöpfertraft
Froh der vollendeien Welt, freundlicher
Weſen voll,
Harmonieumflungen
Sorglos finnender Ruhe pilag —
Sä’te der lauernde Feind jenes Geziefer
drein,
Das dem Menſchen zur Laft, höhnend fein
Herrſcherthum,
Grauſe Höllengeſtalten
Unter winziger Kleinheit birgt!
636
Süß erquidenden Schlaf raubt's dem
Bedürftigen,
Medt das Böſe im Mann, brütend im
Duntel
Rachluſt, ſchlechte Gedichte,
Und noch anderes Teufelszeug.
Dreifach weiſe darum treibet das Frauenvolk
Raſch umſichtigen Blich's eifrig die niedre
Jagd;
Doch dies haftige Morden
übt fie leider in Grauſamkeit.
Du, o Trefflicher, ftellft wieder den Frieden ber,
MWahrefi dem mwandernden Manne fauer
errung’'ne Ruh:
Aus entfiegeltem Fläſchchen
Streut er gelblidhes Pulver hin —
Siehe, daS Lager verlehrt wie ein Schladt:
feld fi,
Mo fih Ruf’ und Tſcherlkeſſ' würgten im
letzten Kampf;
Da zudt ſterbend ein Rois noch,
Dort wanft eines dem Rande zu. —
erwadht munter im
Morgenroth,
Schnürt fih hurtig die Schuh', ſchlingt
einen Schnaps hinab;
Plaidumhüllt und bebergftodt
Stapft er wonnig den Wollen zu.
%. 3. aus Leoben.
Aber der Schläfer
Die Morbedeufung.
Als Vorbedeutung gilt im Leb’n,
Bei mandem jhwachen Geift,
Wenn ihm die Hand, das Aug’ und fonft
Am Körper eiwas beikt;
Doch zeigt fih die Bedeutung oft
Ganz anderes, ja contrair,
Mit Beifpiel zu beweifen ift
Dies wahrlih nicht fo ſchwer.
Es beikt einem die linte Hand,
Da hofft man feft auf Geld,
Da wird dur einen Boten ihm
Ein Brief ſchon zugeftellt. —
Sein Doctor fhreibt ihm vom Proceſs
Mit aller Schonung zwar,
Dais er verloren und dafs anbei
Auch liegt das Erpenfar.
„Das linke Aug’ beißt mich heut ftarf*
Sagt einer freudenvoll,
Das joll bedeuten, dajs ich heut
Was Lieb's noch ſehen joll* —
Und wie er ausgeht und von fern
Da eine Dame grüßt,
Da fieht er erft, daſs fie ja nur
Die Schwiegermutter ift.
=...
Ein and’rer jagt:
Meil mir die Naje beißt,
Beim B’vaterbitten fürcht' ich dies,
Bor allem wohl zumeift.” —
Doch wie er heimlommt, hört er fchon,
Was Neu’s im Haufe war, —
Die Gattin ja, beglüdte ihn,
Mit einem Zwillingspaar.
Ein Etuger Hagt: „Die Hühneraug’n,
Sind wohl fein Gottesjeg’n,
Sie ſchmerzen mich, d'rum gibt es aud
Ganz fihher heut’ noch Reg'n.“ —
Und als bei einem Haus er geht,
Fliegt ihm gleih auf den Kopf,
Vernichtend den Eylinder ihm,
Ein großer Blumentopf.
Franz X. Freiheim.
Maßnung.
Hat mich allmol verdroſſ'n,
Hon ich g’hört oda gſeg'n,
Dia fih zwa volla Feindſchaft
In Haarn fan glegn.
Is leicht ſoviel füaß
Ewi Streit und Vaklogn?
Mich zimp, es war beſſa
A hülfreichs Vatrogn.
Oba mehr noh vodriaßt mich
Und bringt mich in Zorn,
Dais d' Leut mit dr Welt fan
Sp unz’friedn worn.
Und is doh die Welt
Volla Wunda onz'ſchaugn,
Man muaſs na voſteahn —
Zu mas hobbs enfri Augn?
Für all fallt dr Regn und
Die Sunn leucht jo jean —
Theits ent S’fornehma, Leutl —
'S is zwegn 'n Vadean!*)
Hans Franngruber.
Reerut und Bauer.
Necrut:
Heint ham j’ mih ghaltn,
Hiaz bin ih Soldat,
Diaz friag ih a Roſs und
Loſchier in dr Stadt.
A Knecht bin ih gwen
Und mwerd’3 neamamehr,
Hiaz trag i an Sabl
Und bin endla wer.
Dös nothigi Lebn
Am Land hon ih ſatt
He, Baua, ruck's Hüatl —
35 bin a Soldat!
*, Echt zu, dafs ihr’& verdient!
„Heut gibt's Verdruſs,
Bauer:
A niads Radl rennt,
So renn zua in Gotsnom!
Bol ma z'grund gonga fan,
Kem ma ah wieda ziom.
Baus Fraungraber.
Bekenntniſſe eines Seiltänzers,
Blondin, der berühmt Seil:
tänzer, gibt über feine Berufser-
fahbrungen nähere Mittheilungen,
denen wir Folgendes entnehmen: „Man
ftellt mir oft die Frage” — jo äußert
fih der „Künftler” — „wie e& mir zu«
muthe jei, wenn ich auf dem hohen Seil
gehe. Falls man damit meint, ob ich
etwa ein Gefühl von Bangen oder Un—
ruhe verfpüre, jo muſs ich entſchieden
mit „nein“ antworten. Ich blide dabei
etwa 18 bis 20 Fuß aufwärts und
pfeife Teile oder jumme eine Melodie vor
mich bin, wie ich gerade aufgelegt bin.
Auch halte ich mich jtet3 im Tact mit
der unten ſpielenden Muſik, ich finde
nämlih, daſs dies mir die Erhaltung
des Gleichgewichtes außerorbentlih er-
leichter. Übungen made ich gar nicht
mehr, und einzelne Kunftftüde, 3. B. den
Sprung über einen Stuhl mitten auf
dem Seil, führe ich gewöhnlich ohne alle
Vorbereitung aus, wie mich die Laune ge-
rade anmwandelt. Ich nehme nie anregende
Mittel, ehe ih das Seil befteige. Nach
Beendigung meiner Arbeit lafje ih mid
von meinem Gehilfen jorgfältig abreiben
und nehme ſodann eine leichte Erfriichung
zu mir, Im Übrigen lebe ich eben ein»
fah und regelmäßig und vermeide es
lediglich, furz vor einer Vorſtellung mir
den Magen ftarf zu füllen, Endlich darf
ih noch jagen, dajs ich liebe, ohne
Sicherheitäne aufzutreten; ich glaube,
ein jolches würde mich jo nervös machen,
daſs es den Unglüdsfall gerade herbei»
führen fönnte, den es verhüten joll.
Werde ich jelbit niemals unruhig, jo
muſs ich dagegen annehmen, daſs Die
vielen Leute, die ich fchon oft auf meinem
Rüden über das Seil getragen habe,
ſtets dabei einiges Herzklopfen gefühlt
638
haben, joweit es nicht Gehilfen vom
Fach waren, In Wirklichkeit haben die-
jelben nicht die mindejte Urſache von der
Welt, fih zu ängjtigen. Alles was jie
zu thun haben, ift, vollfommen ruhig zu
figen, achtzugeben, daſs fie mich nicht
zu feit um den Hals fallen, und das
Meitere mir anheimzuſtellen. Wenn ich
jemand zum erftenmale binübertrage, jo
plaudere ih mit ihm über die gleich—
giltigjten Dinge und ſuche dadurch feine
Ängftlichkeit zu mindern; ſtets jchärfe ih
ihm ein, ja nicht hinunter zu jchauen,
wenn er fih mitten zwiſchen Himmel
und Erde befindet. Ganz wohl iſt es
jedoch, jcheint es, dem Berreffenden nie
dabei und immer vernehme ich einen
Seufzer der Erleichterung, wenn das
Ende de3 Seils und die Plattform er-
reiht it. Mehr als einmal hat das
Opfer in lantem Musruf feierlich gelobt:
„Nie wieder !*
Wie groß müfste der Mann fein,
der den Biephansthurm als Bahnfloder
brauden könnte?
In einem alten Blatte aus längft-
entſchwundenen Tagen, finden wir folgende
Frage aufgeworfen: „Wie groß müjste
ein Rieje fein, der ſich des Stephans—
thurmes als Zahnftocher bedienen wollte ?“
— Die unmittelbar darauffolgende Ant-
wort, welche wohl gleich der Frage in
dem Gehirn eines Ipleenigen Engländers
mochte entitanden jein, ſtellte fich folgen:
dermaßen heraus: „Nimmt man an, daſs
ein Mann von mittlerer Größe fich eines
Zahnſtochers von zwei Boll Länge be
dient, jo müjste derjenige, der fich des
Stephansthurmes zu gleichem Zwecke be»
dienen wollte, im Berhältnifie eine Höhe
von 142.256 Schub oder 2376 Wiener
Klafter haben. Zu jeiner Kleidung ber
dürfte er, und zwar zu einem Frack
6480, zu einem Beinkleide 3888, zu
einem Mantel 15.552 Wiener Ellen
Tuch; daran würden 300 Schneider vier
Mocen arbeiten. Zu einem Hute benö«
thigte er 7776 Dafenbälge und zu einem
Hemde 348 Stüd Leinwand. Seine
Stiefel wären 864 Slafter hoch, 216
Slafter weit, und mit einer Sohle der:
jelben würde er einen Raum von 898
Quadratllafter bededen. Würde er zum
Frühftüd Kaffee trinken, jo brauchte er
16 Gentner der arabijhen Bohne. Als
mittelmäßiger Eifer würbe er zu Mittag
verzehren: 13 Eimer Suppe, 56 Ceutner
Rindfleiſch, nebſt verhältnismäßiger Por-
tion Sauce oder Gemüſe, und 12.000
Paar Hühner oder 3000 Gänje. Sein
gewöhnliches Trinfglas würde 160 Eimer
fafjen. Sein Wohnzimmer müfste 66°,
Quadratmeilen groß fein, Eine Reife von
Mien nah Paris würde er in 5 Minuten
zurüdlegen. Es wäre ihm ein Leichtes,
nah eingenommenem Frühſtück über
Deutihland eine Heine Luftpartie nad
Teheran und Peling zu madhen, und
nachdem er dem Schah von Perjien und
dem Kaiſer von China jeinen Morgen«
befuch abgejtattet, nach einer Waſſerpar—
tie über den Stillen Dcean über bie
Sandwichsinſeln nach Amerika zu gelangen,
um nah eingenommenem Mittagsmahl
in den Vereinigten Staaten einen Ab—
fteher nah Brafilien zu machen und dann
über Marocco und Stalien — nachdem
er vorher noch die Raubnejter Tripolis
und Tunis mit einem Fußtritt vernichtete
— oder über Guinea, Egypten und die
Türfei nah Europa zurüdzufehren. Eben»
jo leicht könnte er über die jo lange ge-
ſuchte Durchfahrt aus dem Atlantiichen
Ocean in das Stille Weltmeer mit freiem
Auge entjcheiden, als er überhaupt über
die Beichaffenheit des Nordpols Bericht
erftatten fünnte. — Wer dies alles nicht
glaubt, ſoll ſich's nachrechnen.
Bücher.
Robert Yamerling als Syriker, Eine
literariihe Studie von Dr. Ernſt Gnad.
(Graz. Leufchner & Lubensky, Univerfitäts:
buchhandlung. 1891.)
Bornehmer und geiftvofler wird unjer
großer Dichter als Lyriter wohl faum jemals
gewürdigt worden jein, als es in dieſer
Schrift geſchieht. Die Gedankenlyrik Hamer:
639
— u.
Iings erfährt ſcharfe Charafterifierung und
Die dazu angeführten Beiſpiele erjcheinen
mir jo treffend gewählt, dajs dieje Aus:
wahl jhon an und für fih ein fleines
Meifterwert ift. Die edle Sprade der Studie
pajst fih fein und faft fünftlerifh dem
Gegenftande an, und jo haben wir hier ein
Mufter ritiiher Abhandlung, wie es immer
feltener wird, weilgewöhnlich Unverftändnis,
Gleichgiltigfeit, Oberflächlichkeit oder jub:
jective Gereiztheit die Feder des Kritifers
führen. Der Verfaſſer diejer Studie hat
feinen Dichter nicht fo fehr als Kritiker,
jondern vielmehr als warmherziger Menſch
gelefen, darum die liebevolle Literarijche
Beleudtung desjelben. Ohne Liebe zum
Künftler jollte keiner fritifieren, und zwar
aus dem einen Grunde, weil er ihm ohne
ſolche nicht gerecht werden Tann. Abſolute
Objectivität! Geht mir weg damit, die lann
es beim Sunftempfinden gar nicht geben.
Kunft und Dichtung verftehen, heißt jchon
mit dem Herzen darüber urtheilen. Der
Dichter jhreibt vorwiegend für das Herz,
darum kann der Kopf allein, und wäre er
jelbft ein eminenter, mit ihm nit fertig
werden. Aus vorgenannter Schrift ſpricht
Kopf und Herz, und das wird dem Dichter
gemäß und dem Lejer angenehm. R.
Die Porfhexe. Eine Bauern: Komödie
mit Gefang in drei Acten von Philo
vom Walde. (Großenhain. Baumert &
Rongi.)
Das erfte ſchleſiſche Vollsſtück, und
zwar im ſchleſiſchen Dialect. Als Leſedrama
bezeichnet e3 der Verfafler, und als joldes
erfüllt es feinen Zwed in vorzüglicher
Weiſe; ih glaube jogar, dajs es fih aud
auf der Bühne mwohl jehen lafjen dürfte!
Dem „Geigenfranzel* bin ih in Philo
vom Waldes Dichtungen ſchon begegnet,
hier tritt er wieder auf, und zwar als Ur:
typus des Schlefierd, möchte ich jagen. Das
wäre ja jo hübſch, wenn jeder deutſche
Vollsiftamm, der Weftfale wie der Schleſier,
der Medlenburger wie der Märler, der
Schwabe wie der Steirer, der Bayer wie der
Franle, der Sachſe wie der Tiroler u. f. w.
je als Typus künſtleriſch geflärt auf die
deutihe Bühne käme Philo vom Walde
hat in jeiner „Dorfhere” mit dem „Geigen—
franzl*eine ſolcheGrundgeſtalt dargeftellt und
Ihon dieſe Thatjahe gibt dem Drama
Bedeutung. Weitere Schönheiten, bejonders
der jchlefiihe Humor, durdleudten und
durhmwärmen das Stüd, und die Liebe zum
Volke gibt ihm bejondere Weihe, R.W.
Nordböhmifche Dorfgelhihten. Bom Ber:
fafjer der „Geſchichten vom Hodewanzel*
(Warnsdorf. Ed. Strade. 1889.)
Wer fih an die „Geſchichten vom Hocke—
mwanzel* erinnert, für den braude ich über
diefes Buch fein Wort zu jagen, fein ein:
jiges, als dafs es da ift. Er wird fofort dem
Boten einen Groſchen geben und gleich jelber
in die Buchhandlung laufen, um die „Nord:
böhmischen Dorfgeihichten* zu holen, wird
fih nadher damit in jeine Stube ein—
jperren, fie lefen und ſich den Bauch halten
vor Laden. Es ift fein Spajs, wenn der
Menih jo viel lahen muſs, daher warne
ih vor dem Buche! — Uber man fann
fih allmählich daran gewöhnen, zu ſolchem
Ende bringt der „Heimgarten“ eine Heine
Dofis davon. Wem fie behagt, der ſoll
nachher mehr nehmen. R.
Ahasver, Ein Mahnruf in der Juden:
frage. Vom Pfarrer W, Schirmer.
Düffeldorf. (Danzig. U. W. Kafemann.
1891.)
Ein furzes, kräftiges, zeitgemäßes Wort
gegen den Antijemitismus, Die Befleren des
deutihen Volkes erheben endlih häufiger
ihre Stimmen gegen diefe Geiftesfrantheit.
Wenn der Untijemitismus eine gejunde
Bewegung wäre, fo miljste den Anhängern
desjelben klar jein, was fie wollen. Deſſen
find fie fih nıdt Mar, Wenn man zehn
Antifemiten fragt, wieſo fie fi den Erfolg
ihrer Sade denken, jo wird man zehn ver:
ſchiedene, meift recht verſchwommene Meir
nungen hören. Der Aufrichtigfte wird jener
jein, welcher gefteht: die Aufgabe des Anti:
jemtismus ift, foviel als möglich und mit
allen Mitteln den Hajs gegen das Juden—
thum aufzuftaheln; das übrige gibt ſich
dann von jelber. — Solden frommt freilich
auch W. Schirmers Broſchürchen nicht.
Ruhiger Denkenden aber iſt es zu em—
pfehlen. R.
Maientraum und Winterſchnee. Gedichte
von Joſef Schwab. (Münden. E. Nißler.)
Conſervativen Poeſiefreunden fann dieſe
kleine Sammlung beſtens empfohlen werden.
Schwab geht ſchlicht den Weg der Alten
und findet auf demjelben mandes friſche
und anmutbhige Blümlein, das von Bor:
gängern überjehen worden ift. M.
Bibliothek der Gefammtliteratur. Otto
Hendel. (Halle a. ©.)
Eben ift die zweite diesjährige Serie
der 25: Pfennig: Yusgabe erſchienen. Diefelbe
640
enthält folgende Werke: Alfred Steuer,
Galiziſche Gheltogeſchichten und Bilder;
Leifing, Hamburgijche Dramaturgie; Bret
Harte, Der Pflegling der goldenen Pforte,
deutſch von Paul Heichen, eines der neueften
Werfe des befannten amerilanifhen Humo—
tiften, das bisher noch nicht in deuticher
Überjegung erichienen war; Claude Tillier,
Mein Ontel Benjamin, deutjh von Theodor
Bergfeldt; E. Th. 4. Hoffmann, Das
Majorat; Jules Berne, Eine Idee des
Doktor Or, deutihd von Karl Albredit;
dranz Freiherr von Gaudy, Aus dem
Tagebude eined wandernden Schneider:
gejellen.
Wiener Rünfller»Dekamerone. Heraus:
gegegen von Rudolf Wittmann und
Moriz Brand, (Wien.)
Mit den erjchtenenen Lieferungen 6-8
ift diefes Werk feinem Programme gemäß
mit hundert Beiträgen und Porträts her:
vorragender Wiener Fünftler zum Ab:
ſchluſſe gebradt. Das Durchblättern des
zu einem ftattlihen Bande gewordenen
Buches wird jedem freunde der Wiener
Kunftwelt eine ganz reizende Sammlung
zumeift recht Iuftiger Geſchichten aus der
Weder unjerer Künftlerinnen und Künſtler
jeigen. Die Erzählungen, jowie die einge:
ftreuten Gedichte jcheinen einander an
Anmuth überbieten zu wollen. @inhun:
dert Porträts erhöhen den Reiz des
Buches, V.
Die Erziehung der Eltern. Meines Bruders
Hüter. Zwei Laienpredigten vom Berfafjer
von Yohn Halifar. Gentlemen. (Berlin.
3. 9. Scorer.)
Eine äußerft feine, pilante Leltüre!
Uber den Damen rathe ih, das Büdlein
bei verſchloſſenen Thüren zu lejen, . x
Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen:
Der Mönd; von Berdtesgaden und andere
Erzählungen, von Richard Voß. Stutt-
gart. 3. Engelhorn. 1891.)
Verfönlide Grinnerungen an Robert
Hamerling. Bon P. K. Roſegger. (Wien.
A. Hartleben 1891.)
Für die Redaction verantwortlid 2. 8
Bilder aus der Beit der Gegenreformaliem
in Oſterreich. (1564—1618.) Bon ®r.
a. J Scheichl. (Gotha. F. U. Perihes
1590.
Dante Alighieris Stellung zur Kirche
und Staat, Kaijertbum und Papftthum.
Eine Etudie von ®. C. Schirmer. (Düfiel:
dorf. Schrobsdorff'ſche Buchhandlung. 1891.)
Im Rretfham zu SFihtenthal. Unter:
baltungen über den Liechtenſtein'ſchen Schul:
antrag. Vom Berfafler der „Geſchichten
vom Hodewanzel*, (Warnsdorf, E. Strade.
1889.)
Das Wiener Burkhard» Cheater. Bon
Karl Goldmann. (Wien. R.Löwit. 1891.)
Stille Gedanken eines der vierzehn
Nothhelfer, oder „Friedensbiſchöfe“ Deutſch—
lands, Verrathen von Aleth Chriftian.
(Halle a. d. ©. Eugen Strien. 1890.)
La questiin de la femme c'est la
qnestion de Ja mere par Michel de
Zmigrodzki. (Paris. L. Sanvaitre,
editeur, librairie generale.)
.. 6. Freytag, Heidhsrathswahlkarte von
Öferreid mit den Ergebnifien der Wahlen
im März 1891. (Verlag von G. Freytag &
Berndt, Wien, VII.)
Poftkarten des „Heimgarten‘.
@ A. R., Wien: Auch über Ihre Ge:
dichte kann nichts anderes gejagt werden,
als über hundert andere Einjendungen.
Eine gewifle Formgemwandtheit, Nachempfin—
dungen, aber leine Urfprünglidleit, feine
padende Eigenart.
* Im Gedichte „Wie der Bater Rhein
Hochzeit machte“ (Seite 468) muſs es in
der 6. Strophe „In ihrem bangen Sehnen”,
und in der 22, Strophe „Berjüngt fie
auf zum Throne“ heiken.
R. J., Bruk a. d. Feitha: „Irchen“
gegerbtes Thierfell; irchene Hoſe: Lederhoſe.
B. 3., Berlin: Bei Preisausſchreibungen
bitte ih mich gütigft umgehen zu wollen.
Ich babe mid an literariihen Preis: ons
eurrenzen nie betheiligt und werde e8 auch
nie thun. :
Bofegarr. _ Druderei „Reylam* in Gray.
Bortor Rumpf.
Eine Erzählung aus der Theaterwelt von Hans Malfer.
er nagelte Viſitkarte. „Doctor
Rumpf.“ Nichts fonft als diefe Worte;
e3 war auch genug; jedermann der
Stadt wujste, wer Doctor Rumpf war.
Er war die Kunftmeinung der Be—
mwohner und dad Schidfal der Künſtler,
er war Redacteur der „Hohen Warte”,
Referent in Theater- und Kunſtſachen.
So wie der Bäder die Semmeln des
Morgens den Leuten ins Haus jchidt,
jo Ihidte Doctor Rumpf die Meinung
über das Theater für den täglichen
Gebrauh. Die Bürger der Stadt
waren arbeitfam und hatten etwas
anderes zu thun, als fich eine Mei—
nung über Kunſt und Literatur jelbit
zu bilden, die mufste aljo Doctor
Rumpf maden, und man bezahlte für
die tägliche Lieferung ins Haus ‚einen
mäßigen Abonnementsbetrag. Doctor
Rumpf befriedigte feine Kunden ſeit
Jahren zur volliten Zufriedenheit.
Rofegaer’s „„Grimaarten‘‘, 9, Geft,. XV.
rüland fand an der Thür und| Die Künſtler, Schaujpieler,
ſtarrte auf die am diefelbe ge= | beteten ihm am oder verfluchten ihn.
Boeten
Ihr Schidjal ftand in feiner Hand.
Wen er für gut erklärte, der war
vom Bublicum bewundert; wen er
tadelte, der war gerichtet. Doctor
Rumpf war objectiv und unbeſtechlich.
Nur eine alte Hausfreundin hatte er,
von der böje Zungen jagten, dafs jie
ihn beeinfluffe — die Gicht. Wenn
das Podagra zwadte, war er ftrenge
aber gereht; wenn es wicht zwackte,
war er manchmal milde, aber gerecht.
Gerecht immer! er jagte es jelbit.
Zu diefem gewaltigen Manne nun
jollte der junge Früland eintreten.
Sein Herz pochte lauter, als feine
Finger an der Thür.
„Herein!“ Sonor und ernft war
diejes Herein. Doctor Rumpf jah an
jeinem Screibtijche und war von drei
Seiten eingemauert mit Büchern. Die
Bücher find des Gelehrten Gehirn,
Der Doctor war ein älterer breitjchul-
teriger Mann mit vorgeneigtem Haupte.
Eine große Glaße und rüdwärts über den
Naden binabhängendes kohlſchwarzes
Haar, dejlen Strähnchen ſich am Ende
ein wenig ringelten. Graue, freund—
lihblidende Auglein, ziemlih lange
Naſe, breite, forgfältig rajierte Baden,
buſchigen Schnurrbart, der auch Schwarz
war, ja heute jogar einen Stich ins
Bläuliche hatte, weildie yarbenmiichung
nicht mit der nöthigen Sorgfalt ge=
macht worden,
Der Doctor blieb natürlich ſitzen,
als der junge Mann eintrat. Aber
nicht ohne MWohlgefallen blidte er auf
die in mufterhaft gehaltenem Salon
anzug dor ihm ftehende hübſche Geftalt.
„Wünjchen!” fragte er.
„Herr Doctor, ich bitte jehr um
Entihuldigung, wenn ich ftören follte“,
fagte der junge Dann mit einiger
Bellommenheit. „IH erlaube mir,
mich vorzuftellen als Ernft Früland.“
„Ah, der neuengagierte Liebhaber!“
tief Doctor Rumpf, „bitte, nehmen
Sie Pak. Wir hören, dafs Sie ein
hübjches Talent find. Sie kommen
bon Brünn?“
„War feit einem Jahre dort en—
gagiert und glaube mir jchmeicheln
zu dürfen, daſs da3 Brünner Pub:
licum mit mir micht unzufrieden ge—
weien. Bei meinem Abjchiede ward ich
mit einem großen Lorbeerfranze ausge:
zeihnet —“
642
ftanden, daſs ih Schauspieler werden
wollte,“
„Und warum find Sie e3 denn
geworden 2”
„Herr Doctor!“ ſagte der junge
Mann, und in feinem ſchönen Auge
lag ein lebhafter Glanz. „Ih liebe
meinen Vater jehr. Aber diefes Opfer
fonnte ich ihm micht bringen, wenn
ich micht mich ſelbſt ganz und gar hätte
verneinen wollen. Das Theater iit
mein Leben. Ich bin nichts, ich kann
nichts, wenn nicht die Bühne unter
meinen Füßen ift, auf diefem Boden
bin ih Meuſch und werde ein großer
Künſtler werden, ich fühle es.“
„Na na“, lächelte Doctor Rumpf
und legte dein jungen Manı die Haud
auf die Achſel. „Keine Suppe wird
jo heiß gegeijen, als fie gelodht if.
Jeder junge Schaufpieler fühlt einen
Devrient oder mindeftens einen Son:
nenthal in ſich. Der Kerl da drinnen
wird allmählih ſchon mürbe werden.
Nun, was an uns liegt —”
„Ich bitte, Here Doctor, um Ihr
Wohlwollen.“
„Seien Sie nur hübſch fleißig.
Wir ſind gerecht. Sehen Sie,
was wir für nette Sachen haben.“
Der Doctor wies an die Wände feines
Zimmers, wo wertvolle Olgemälde
biengen, Kiünftler-Borträts in Photo—
graphie, jeidene Schleifen, auf Heinen
Tiſchen filberne Zintenfäjschen, elegante
„Brunn bedeutet nichts, lieber | Gigarrenjtänder, an den Winkeln elfen—
Früland“, unterbrach ihn der Doctor,
beinerne Spazierftöde und dergleichen
„erit Hier wird ſich's zeigen, ob der/mehr. „Lauter Präſente. Freuen uns,
Ihnen dorausgegangene gute Ruf ein
gerechtfertigter ift oder nicht.“
„Um gütige Nachſicht werde ich
unter allen Umfländen bitten müſſen“,
ſagte Frülaud beſcheiden.
„Wer ſind Sie von Haus aus?“
„Mein Vater iſt ein Heiner Staats: |
beamter in Wien; er wollte auch mich
für die Beamtenlaufbahn beitimmen,
allein mich zog's zum Theater, Es
hat einige Kämpfe gegeben.”
„Mit wem? Mit Ihrem Bater ?“
„Er war durchaus nicht einver—
aber beitimmen uns nicht. Unſer Cha—
rafter geitattet es uns, ſolche Dingel-
hen ruhig anzunehmen, ohne Gefahr
zu laufen, unſere Objectivität zu ver—
lieren. Wir find immer gercht. Wann
treten Sie auf?“
„Morgen, Herr Doctor.”
„Alſo recht viel Glück bei uns.
Hoffen, dafs wir gute Freunde bleiben
werden,“ Sp der Doctor und jchüttelte
dem jungen Manne wärmftens die
Hand.
Entzüdt über die Liebenswürdigs
643
feit des Kritikers, über den er manches
Schlimme gehört und den er jo ſehr
gefürchtet hatte, verließ Früland deſſen
Wohnung und mit frohem Muthe jah
er jeinem Debut entgegen.
Diejes kam. „Cabale und Liebe“
wurde gegeben. Früland fpielte den
Ferdinand, Er jpielte mit
Friſche und Herzglut, die ich allmählich
bis zur gewaltigen Leidenjchaft ſtei—
gerte und die Zuſchauer zu einem
wahren Beifallsſturm hinriſs.
In der darauffolgenden Nacht
ſchloſs der junge Schauſpieler fein
Ange, er war allzuglüdlich. Und wenn
man jo glüdlich it, kann man nicht
ſchlafen — und joll auch nicht. Der
Schlaf ift etwas für Unglückliche.
Früland dachte au feinen Vater, wie
er diefen durch den Erfolg verjöhnen
werde, dachte an feine Zukunft, die
er num ſachte begründen wolle und
nahm ſich feſt vor, au im Glüde
gleich ftrebjam und beicheiden zu blei=
ben. Als es ein wenig tagte, verlieh
er das Bett, gieng auf die Straße
und dort jpazieren, bis einer der Zei—
tungsläden geöffnet werden würde.
All jeiner Tage hatte Früland nichts
mit folder Sehnſucht erwartet, als
an dieſem Morgen das Frühblatt der
„Hohen Warte”. Kaum die Bude ge—
öffnet war, ftürzte er hinein, erhafchte
ein Ereimplar des noch feuchten Blattes,
fegte einen Zwanziger hin, ohne die
Herausgabe des Überſchuſſes abzu—
warten. Mitten auf der Gaſſe ſtand
er im Nebelgranen und durchflog Die
Zeitung. — Theater. Gabale und Liebe,
Ein langer Auffag! Saperlot, da
geht's anders zu als in Brünn! Da
würdigt man die Glafjiter! — Eine
gelehrte Abhandlung über Schillers
Drama, einige Vergleiche Ddesjelben
mit anderen Theaterjtüden verſchie—
dener Literaturen, ein paar nette Anek—
doten, ein paar ſehr beberzigens=
werte Rathſchläge auch, die der Dichter
großer
die Kritik über die fchaufpielerifchen
Leitungen. Here X. veranfchaulichte
uns den Präfidenten gut. Herr Y. war
geitern minder, jo ſchien uns auch
Frau U. nicht disponiert zu jein,
wohingegen Fräulein 3. als Lonije
zu dem Anmuthigſten und Reizenditen
gehörte, was wir jeit langem geſehen.
Diefe junge Dame — und hier ward auf
das Eingehendite ihre körperliche Er:
Iheinung gewürdigt. Endlich hieß es:
Herr Früland gab den Ferdinand mit
allen Eigenfchaften eines Anfängers;
wir wollen hoffen, dafs der junge
Mann in anderen Rollen das Enga=
gement auf dem hieligen Theater recht—
fertigen wird. Blau wurde dem
armen Menfchen vor den Augen, als
er dies las. Er taumelte einige Schritte
dahin, er lad nochmals und es hie;
nicht anders.
Er verkroch ſich wieder in feine
Wohnung und gieng den ganzen Tag
nicht hervor. Selbit der alten Bes
dienerin getraute er ſich micht ins
Gefiht zu Schauen vor Scham. Es
war ihm, als müſſe jedermann Die
Kritik gelefen haben und jo erfüllt
von ihr jein, als er jelbit, aber
nicht erfüllt von Schmerz und Trauer,
wie er, ſondern von Miſsgunſt und
Schadenfreude. Und wahrlich, er täufchte
fih nicht. Bald war die ganze Stadt
davon überzeugt, daſs der neue Lieb»
haber ein Stümper jet.
„Darum age ich“, meinte einer zum
anderen, „auf den Applaus darf man
nicht gehen, der kann bezahlt fein.“
„Über Freund, du haft ja ſelber
mit applaudiert !* rief der andere.
„Weil mich der Kerl überrumpelt
hat. Ich Hielt ihn geitern abends wirk—
lich für einen guten Schaufpieler und
nun ſehe ich, dals alles BVeritellung
war.“
Für Früland gieng nun ein raſt—
(ofes Leben an, nein, nicht ein Leben,
jondern ein hartes Arbeiten und Ringen,
ch leider nicht mehr zunußge machen | Ex wurde viel beichäftigt und für der»
fonnte, etliche Bemerkungen über die ſchiedene Rollen; er mujste Liebhaber
Infcenierung des Stüdes und endlich | jpielen, und claffiiche Helden und
41*
644
moderne Lebemänner, Er lernte ohne | gewaltigen Dannes. Etwas von „hoher
Unterlajg, in den Nächten noch ſchritt | Ehre“ ftotterte er.
er in feiner Kammer auf und ab und „Recht brav waren Sie heute!“
lernte. Er gieng in Büchereien und |fagte der Doctor. „Sie haben Wen—
ftudierte Dramaturgien, er gieng auf dungen gebradt, die unſere Anficht,
Gaſſen und Markt und ftudierte Men- daſs Sie ein ganz hübſches Talent
jhen. Er gab auf der Bühne feine | find, nur betätigen. Immer friſch fort
Kraft, fein ganzes Weſen aus. Seine ſo! Und gönnen Sie fih aud etwas
Mitjpielenden wurden oft duch raus [mehr Erholung, lieber Früland, Sie
ihenden Beifall geehrt, bei Früland
regte jih faum eine Hand, denn die
Kritik that ihn ſtets ſo nebenbei und
furz ab, dajs die Leute ſchon im vor-
hinein ihm das Intereſſe verweigerten.
Nur hoch oben auf der Gallerie ward
manchmal ein Zeichen laut, das für
ihn ſprach. Denn das Galeriepublicum
liest nicht regelmäßig die Zeitung.
Eines Abends nach der Vorftellnng
des „Pfarrers von Kirchfeld“ ſaß
Früland im Gafthaufe und verzehrte
ein paar Würſte und ein Glas Bier. |
Er ſaß allein an einem rüdwärtigen |
Tiſche und hieng jeinen ſehr gemifch-
ten Empfindungen nad. Innerlich war
er mit feiner heutigen Leiftung nicht
unzufrieden, ein Theil des Publicums
hatte auch ein paarmal Anlauf ges
nommen, ihm zu rufen, war aber
niedergeziicht worden. Und mie heiß
dürftete er nach einem Erfolg, ſchon
jeines Vaters wegen, von dem immter
nur Vorwürfe famen über den „mijs=
rathenen Sohn“, der noch als Theater:
ftatift verbummeln und verlottern
werde. — Und dann war in leßterer |
Zeit noch ehvas geworden. Gin Mäd= |
hen Hatte er fennen gelernt... |
In jeinem bitterfühen Sinnen
wurde der junge Schaufpieler unter=
broden von einem Herrn, der an
feinen Tisch kam.
„Nun, Herr Pfarrer”, redete BIEIER
ihn an, „mir fcheint, es ftedt Ihnen
jehen etwas angegriffen aut. Man
muss auch feine Gejundheit nicht ver—
nachläſſigen. Guten Abend, Lieber!“
Und freundlich, wie er herange—
kommen, gieng er zufrieden noch feine
langen Locken ſchüttelnd wieder von
binnen.
Früland war auf das tieflte und
freudigfte erregt. Endlich die Achtung
diefes Mannes errungen zu haben —
dad mar eine günftige Schickſals—
wendung.
Sm nächſten Morgenblatt, von
dem Früland ih mehrere Stüd
fommen lieg, um folde an feinen
Vater und an feine Belannten zu
Ihiden, ward fürs erjte das Volks—
ftüd „Der Pfarrer von Kirchfeld“ in
wenigen Zeilen abgethan: „Es gehört
zu jenen Dramen, in welden Rühr—
jeligfeit mit aufdringlicher Moral ſich
unangenehm vermiichen. Der zweite
und dritte Act enthält einige padende
Scenen, im eriten bleibt uns das
Bauerngejodel nicht erjpart, ein Rea-
lismus, der fich auf der Bühne immer
mehr breit zu machen beginnt. Der
vierte Act ift mijslungen, der Schluſs
fehlt ganz. Unter den Daritellern hatte
nur Fräulein 3. Gelegenheit, ihre
glänzende Begabung neuerdings zu
befunden. Der bezaubernde Liebreiz
diefer Schauspielerin hat einen Hauch
über das Stüd gelegt, deswillen wir
uns auch weitere Borftellungen dieles
immer noch die Anna Birkmeier im an und für ſich unbedeutenden Bühnen—
Kopf, dais Sie fo verfunfen find in werkes gerne gefallen laſſen wollen.
tiefe Traumereien. Darf man ſich ein Der «Wurzelſeppy, ja doch nur eine
bijschen zu Ihnen fegen?“
Doctor Rumpf war's. Früland
Ichredte empor, berührte zitternd und
erröthend die Hingehaltene Dand des
Epiſodenrolle, drängt ſich zu jehr vor.
Der «Pfarrer Hell» des Herrn Früland
möge jich das Agieren mit der rechten
Hand abgewöhnen.“
645
Das war die Kritik. Und darum
hatte Früland mehrere Eremplare der
„Hohen Warte“ gefauft, um fie zu
verichiden an feinen Vater, an feine
Belannten, und au — fie,
An einem der fpäteren Abende
ſaß Doctor Rumpf wieder im Gaſt—
baufe, das Früland zu befuchen pflegte.
Diesmal gieng diefer zu ihm und der
Doctor lud ihn freundlich ein, ſich
an feinen Tisch zu ſetzen. Der Schau—
jpieler war nun jchon etwas muthiger
geworden, wenn er auch noch immer
nicht3 von jenem überlauten Wejen
hatte, das jonft dem Mimen in der
Geſellſchaft eigen ilt.
„Ich habe etwas auf dem Herzen“,
ſagte er leiſe zum Kritiker, „Jeien Sie mir
nicht böje, Herr Doctor! Ich bin ſchon
faft lahm. Die verehrliche Kritit —“
„Sind Sie mit uns nicht zu—
frieden ?“
„So ftrenge, Herr Doctor!”
„Wir mit Ihnen ftrenge? Aber
lieber Freund, wir befallen uns ja
gar nicht mit Ihnen. Sie geben ja
nur felten Anlafs, Sie zu rügen.“
„Finden Sie denn gar feine gute
Seite an mir, wicht einen einzigen
Vorzug an meinem Spiele? Nicht ein
einziges ermutbhigendes Wort? ch
gebe mir jo jehr Mühe.“
Doctor Rumpf legte dem jungen
Mann die Hand auf die Achſel und
jagte lähelnd: „Nun ja, ich weiß,
ihr wollt immer gelobt fein.
dazu iſt dod die Kritik micht da!
Loben mujs euere Leiſtung ſich jelber.
Auch das Publicum joll euch loben,
ich Habe nichts dagegen. Die Kritik
hat nur das Fehlerhafte aufzuzeigen,
damit es verbejjert werden kann.“
„Herr Doctor”, ſprach nun Frü—
land, „habe ich bei der zweiten und
dritten Borftellung des »Pfarrers«
auch wieder zu viel agiert ?”
„Nein, da waren Sie ſchon brav.“
„Ih bin ein junger Menſch, ein
Anfänger, der danfbar ift für jeden,
Mint, wie er ih vervollkommnen
lönne.
Uber
Sie find jachverftändig, Sie;
haben die Güte, meinem künſtleriſchen
Streben Beahtung zu ſchenken. Sie
find mir perſönlich immer jo wohl—
wollend entgegengelommen. Wenn ich
Sie bitten dürfte, auf die hervor—
tretendften Fehler, die ich auf der
Bühne wohl begehen mag, mid
perjönlih aufmerkſam zu machen.
‚Wenn Sie mir legten dort an jenem
Tiſche nur mit einem Worte ange—
‚deutet hätten, daſs ih als Pfarrer
Hell zu jehr agiere, jo wäre die öffent-
liche Rüge nicht nöthig gewejen.“
Der Doctor blidte faſt verblüfft
auf Früland. „Sie find doch ein biſs—
hen zu naid, mein Lieber!” jagte er
‚dann, bald darauf erhob er ſich und
gieng.
Am nächſten Tage theilte Früland
ſolches Geſpräch einem jeiner älteren
Collegen mit. Diejer lachte ihn aus.
„Diesmal Hat er wirklich recht, der
‚Herr Doctor Rumpf, du biit gar
zu naiv“, fagte er. „Unfere Fehler,
die find ja der Stoff, don dem er
‚leben muf3. Und dieſen Stoff ſoll er
dir unter der Hand wie ein Almojen
ſchenken, anftatt ihn zu verkaufen, die
Zeile um ſechs Kreuzer!“
Früland gieng fait betäubt von
hinnen. Er dachte nach über Diele
ſonderbare Einrichtung, über den Wert
‚einer ſolchen Kritik — und er fonnte
lich die Dinge nicht veimen. Er gieng
‚in das Haus des Kaufmannes Knopper,
dort fand er immer Troſt, wenn er
‚betrübt war. Denn dort lebte fie.
Untonia, das liebe, Ichlichte, geicheite
Mädchen, welches in dem jungen Mann
nicht bloß den menſchlichen, ſondern
auch den künftleriichen Gehalt bereits
erfannt Hatte. Sie allein dachte nicht
au die „Hohe Warte”, jie allein war
ganz Seele bei jeinen Spiele, lie ver=
ſtand ihn, fie litt mit ihm, fie Sprach
ihm Muth zu.
„Beliebtes Kind!” rief er Heute,
„mein Muth will alle werden. Wen
es jo fortgeht, wirit endlih auch du
Ich spiele ju
eine armfelige Rolle in diejer Stadt.“
dich von mir wenden.
640
„Spiele fie nur gut, Ernſt!“ ſagte
das Mädchen und legte ihren Arm
um feinen Naden.
„Deinetwegen will ich Gewifsheit
haben, dann ertrage ich alles. Ge: |
ftatte es endlich, Antonia, daſs id
mit deinem Water Ipreche.”
„Mein Vater ift dir gut, aber ich
weiß nicht, ob es ſchon an der
Zeit it.”
„sch ertrage es nicht mehr länger,
ich will heute mit ihm ſprechen.“
„So thue es.“
Was aber jagte der alte Knopper?
„Lieber Früland“, jagte er, „wie
fönnen Sie an die Gründung eines
Hausftandes denken, jolange Sie
Ihre Stellung nicht befeftigt haben !
Mifsverftehen Sie mich nicht, nad
meiner Anſicht find Sie ein guter
Schaufpieler, aber was nützt das, jo»
lange die öffentlihe Meinung das
Gegentheil annimmt. Es ift nun ein«
mal bon ton zu jagen: Der Früland
ift eine höchſt mittelmäßige Kraft,
heute fteht ja fchon wieder in der Zei:
tung, dafs — und fo weiter. —
Übrigens, Sie find ein anſtändiger
Menſch, im Principe habe ich gegen
eine Verbindung meiner Zochter mit!
Ihnen nichts einzuwenden. Ich bin;
auch nicht gegen eine vorläufige Ver-
lobung. Ai die Hochzeit aber denken
Sie erft, bis Sie Stellung gefafst
haben.“ |
Nach diefem Geſpräche vergiengen |
nicht viele Tage und Früland mit)
Antonia meldeten jich bei Doctor Rumpf |
und ftellten fi vor als Derlobte. |
Überwindung koitete es ihnen freilich.
„Was Zeibel!“ rief der Doctor!
luſtig aus.
Unverheiratete Schauſpieler ver—
ſumpfen leicht. Haben ſich auch ein
friſches Röslein erwählt!“ Ein biſschen
ans Kinn langte der Schäfer den
Mädchen. „Werden Sie fi auch der
Bühne widmen, mein Fräulein?“
„Nein, Herr Doctor. Ich bitte,
Sie aber, daſs Sie meinem Ernſt gut
ſind, auch in der Zeitung. Solange
„Na, es ift ja ſehr hübſch. J
En Sm /
. 7
Sie gar ſo arg ſtreng ſind, dürfen
wir nicht zuſammenheiraten.“
Der Doctor blidte fie ſchmunzelnd
an und rief: „Ein prächtiges Mädel!
das follte man in ein Luſtſpiel ſtellen.
Apropos, Früland, wiſſen Sie ſchon
das Neueſte? Nicht? Ich will es Ihnen
anvertrauen. Hier!“ Er ſchlug mit
der flachen Hand auf ein Manufeript,
das auf dem Schreibtiſche lag. „Eine
Komödie! Von mir! Wird nächſtens
aufgeführt! Nehmt euch zujammen !
Früland hat darin eine magnifique
Rolle. Wir jprehen davon. — Ich
gratuliere euch, Kinder! Uber uns jollt
ihr feine Stlage haben, wir find immer
gerecht.“
Der beiten Hoffnungen voll ver—
ließen fie den Doctor. Allein Frülands
älterer Gollege war nicht jo ver—
trauensfelig.
„Schlimmeres könnte uns nidt
leicht paſſieren“, ſagte diefer, „als
dajs wir die Komödie des Doctor:
Rumpf aufführen müſſen.“
„Warum, Freund, da können wir
ja mit Einfegung aller Kraft ihn uns
verpflichten.“
„Das Stüd fällt duch!“ rief der
andere. „Ih Habe es gelefen. Es
fällt, und dann denke dir die Folgen!“
Früland dachte fie und jchauderte.
In die Schaufpielerischen Kreife von
M. war eine merkwürdige Erregung
gefahren. In Vorbereitung ſtand: „Der
Engel.“ Luſtſpiel von Jonas Rumpi.
eder der darin Beichäftigten mollte
fein Beſtes, fein Allerbeites leiften. Die
Dauptrolle, Angelina, lag in den Hän—
den des Fräuleins Z.; ſie war dieſer
Schaujfpielerin auf den Leib gejchrie-
ben. Früland follte den liebenswürdigen
Verführer geben, der nach allen Regeln
franzoſiſcher Luſtſpiele ſchließlich den
Sieg davonträgt. Er ſtudierte ununter—
brochen, er wollte eine Muſterleiſtung
— —
bieten, um den geſtrengen Kritiker
endlich von ſeinem Talente zu über—
zeugen und für ſich zu gewinnen.
Es war aber kein glücklicher Abend.
Außer einigen ſehr lebhaft Applau—
dierenden, die in faſt verhängnisvoller
Symmetrie vertheilt waren im Parterre
und auf der Gallerie, rührte ſich keine
Hand. Als der Galan der Angelina
einen ſehr frivolen Antrag ſtellte,
wurden ſogar Ziſchlaute gehört.
Die am nächſten Tage folgende
Kritif über das Etüd war natürlich
nicht von Doctor Rumpf gejchrieben,
jondern von einem anderen Mitgliede
der Redaction. In derjelben war die
Rede von einer höchſt eleganten Lei=
fung franzöſiſcher Schule, von einer
jpannenden Schürzung und feinen
Löſung des Knotens, von einem ftellen-
weile geradezu brillanten Dialoge.
Leider jei durch ſchlechte Auffaſſung
und mangelhafte Wiedergabe der
Dandelnden jeitens der Darfteller das
trefflihe Stüd nicht zur vollen Gel:
tung gelommen.
Meiter ließ dieſer Kritiker Sich
nicht ein. Um jo grümdlicher gieng
an einem nächſten Tage, als „Wilhelm
Tell” gegeben wurde, wieder Doctor
Rumpf daran, der zu jeinem übrigen
Arger auch wieder ftart an Podagra
litt. — Es wäre endlich an der Zeit,
jo fchrieb der Doctor, mit diejer ſich
überlebt habenden Richtung zu brechen.
Er jei ja auch ein Freund der Elafjiker,
er leſe felbft noch manchmal einen,
allein auf der Bühne hätten fie aus
gejpielt. Eine moderne Zeit habe ihre
modernen Dichter, und dieſe jollte jie
pflegen und hochhalten. Ubrigens,
wenn der Zell nicht Schon todt wäre,
Herr Früland hätte ihn nun umge—
bracht für alle Zeiten. Frülands Tell
jei alles eher als ein Held. Diejer
Menſch (Früland) Scheint ſich den Ein—
tritt in den Muſentempel nur erſchlichen
zu haben, um dramatiſche Meiſterwerke
zugrunde zu richten. Wenn er ſchon
nicht jo viel Feingefühl Habe, die ihm
legtlih gewidmeten unzweideutigen
— — — — — —— — — — — — — U — — —— — — — — — — ——— — — — —— —
647
Ziſchlaute zu verſtehen, ſo möge er
wenigſtens den Rath eines zwar ſtren—
gen, aber ftet3 gerechten und erfahrenen
Mannes beherzigen, der darauf hinaus—
geht, daſs Herr Ernſt Früland von
der Bühne ſich stille entfernen und
ein Handwerk lernen folle.
Fräulein Antonia, welches an dem—
jelben Morgen als die Erſte jolches
Referat las, vertilgte das Blatt jofort.
Uber e3 Half ihr nichts. Am Mittag,
als der Bater vom Gabelfrühftüd nach—
hauje kam, jagte er: „Ya meine liebe
Tochter, den Herrn Früland wirjt du
dir mohl aus dem Stopfe jchlagen
müſſen. Was ſoll's mit dem? Ein
ganz talentlofer Menſch. Du Haft mir
zwar die heutige Zeitung verftedt,
aber ich Habe von ungenannt bleiben
mwollenden Wohlthätern vier Eremplare
davon zugeſchickt bekommen, eine gewiſſe
Stelle blau angeſtrichen. Antonia, ich
wünſche, daſs du ihm höflich aber
entſchieden den Abſchied gibſt.“
Antonia antwortete nichts, ſie
weinte nur. Und fie ſann darüber
nad, wie das erlaubt fein könne, dafs
ein Menjch den anderen jo geradehin
zugrumde richten darf. Eine Lüge iſt's,
was Doctor Rumpf jagt. — Früland
iſt ein Künstler! Ich will ihn nicht
verlafien, Wenn er den freundlichen
Rath diefes Deren befolgen und ein
Handwerk lernen follte, jo will ich eine
brave Handwerfersfrau werden. Und
wenn er Schaufpieler bleibt, was er
ja muſs, weil er nicht anders Tann,
und wenn er die hiejige Bühne ver—
laſſen muſs und Fein Engagement
findet, jo will ich doch ſehen, ob und
ein Zeitungsfchmierer auseinander:
bringen kann. —
An Nachmittage kam Früland.
Er war ſehr ruhig, aber blajs.
„Die Zeitung Haft du gelejen“,
jagte er zu feiner Braut, „nun lies
auch diejen Brief.“
„Ein Brief? Von Doctor Rumpf
an dich ?”
„Lies ihn.“
Doctor Rumpf ſchrieb an Früland:
„Lieber Herr!
Mie ich erfahre, jollen Sie über
unjere Bemerkungen in der «Hohen
Marte» gefränkt fein. Daran thun
Sie unrecht. Ein öffentlich Wirkender
muſs auch fcharfen Tadel vertragen
lönnen, bejonder® wenn er über-
jeugt fein kann, daj3 der Tadelnde
es wohlmeint. Wir haben vor Ihrem
Können eine zu hohe Achtung, als
dajs wir Sie immer nur mit eitlem
Lobe regalieren möchten. Das brau—
hen Sie nit. Seien Sie über-
zeugt, daſs Stets Ihr Beſtes will
davon. Mit Beklommenheit blidte fie
ihm nad, als er draußen raſch die
Gaſſe dahingieng, die gegen die Donau—
auen führte. Sie wird ihm morgen
ein Wort jagen, daj3 er nicht unbe—
fonnen handeln jolle.
Das Mädchen ahnte nit, daſs
ihr Bräutigam im der Bruſttaſche
einen Revolver bei ih trug. Er war
heute in diefes Haus getreten mit der
feiten Abjicht, von dem Mädchen kurzen
Abjchied zu nehmen, dann Hinaus zu
gehen in die Au und fich zu tödten.
Nun war das Wort: Pflicht gefallen.
Er mufste heute noch jpielen. Aber
Ihr wohlgewogener morgen joll die „Hohe Warte“ anjtatt
Dr. Rumpf.“
Das Mädchen hatte diefes Schrei—
ben gelefen und blidte nun mit ver—
blüffter Miene auf den Bräutigam.
„Was fagft du dazu?" Fragte
diejer.
„Das ift jchleht oder dumm,“
„sh vermuthe das letztere. Wenn
er glaubt, dajs ein anerfennender
Privatbrief den taufendfah in die
Welt gejchleuderten Schimpf aufwiegt,
jo ift es das letztere.“
„Ernſt, laſſe dieſen Briefabdruden.”
„Wo? Wir haben kein Blatt, als
die «Hohe Warte». Und hier würde
den Brief Doctor Rumpf lächelnd in
Empfang nehmen und beifeite legen.“
„Mas mwillft du thun ?“
„Lebewohl jagen. Ich bin une
möglih. Noch Heute will ich fort.“
„Wohin, Ernſt?“
„Das weiß ich nicht.“
„Du ſtehſt ja Heute auf dem
Theaterzettel. Wer foll für dich den
Pfarrer Spielen? Sei ruhig, mein
Burſche, du haft nicht das Necht, fo
davonzugehen.”
der üblichen Berfidvien die Notiz
bringen bon dem Gelbitmorde des
Schauſpielers Ernſt Früland.
Des Abends auf der Bühne vor
den Rampen vergaß er des Leides.
Er war wieder in feinem Elemente,
er dachte nicht an jeine Braut, nicht
an Doctor Rumpf, nicht an das Pub—
licum und nicht an den Revolver —-
er war ganz der Pfarrer Hell von
Kirchfeld. Ein tiefer elegiicher Ernit
lag über der ganzen Geftalt. Im
dritten Acte, als er den vor ihm zu—
jammengebrochenen Wurzeljepp aufs
richtete mit innig liebreihen Worten,
gieng ein Hauch der Bewegung dur
das Daus; und im vierten Acte, als
er mit zitternder Stimme Wbjchied
nahın von Anna Birkineier, ward im
Publicum vielfach geſchluchzt. Doctor
Rumpf ſaß ruhig auf jeinem Platze
und jchrieb mit freundlihder Miene
ein paar Worte in das Notizbuch des
Sinnes, das Früland ein andermal
doch das Tremolieren laſſen jolle.
Als nach Schluſs des Stückes der
Schauſpieler zwiſchen den Couliſſen
hinausgieng, rief der Theaterdirector
„Es iſt wahr. Meine Pflicht ver- auf ihn Hin: „Nun, Herr Früland,
langt, daſs ich heute noch fpiele. es geht nicht recht, wie?" Diefe Be:
Dann aber fündige ich der Direction, Imerfung beantwortete Früland mit
und M. foll mich nie, nie wieder- ‚einem Achjelzuden. Als er hernad in
jehen. — Antonia, ich danfe dir. der Barderobe feinen Rod anzog, ſchlug
Lebewohl.“ un etwas hartes an die Bruft —
Ehe fie ſich's verfad, war er gleichſam mahnend an das, was er
ee .
ich vorgenommen. Ju demfelben Augen | Als die beiden Herren noch ge:
blit kam der Iheaterdiener mit der müthlid — denn nun war auch Frü—
Nachricht, dafs im der Vorhalle ein land gemüthlich geworden — bei einem
fremder Herr warte, der Früland zu Glaſe Rheinwein beiſammen ſaßen,
jprehen wünfche. Auf der überreichten |fam Doctor Rumpf herbei, welcher
Karte ftand der Name: Hofrath v.
Scholl.
Früland gieng hinaus, wurde von
dem Fremden artig begrüßt und einges
laden, mit ihm in das Rejtaurant des
Hotels zu kommen, in welchen letzterer
wohnte. Es war dasjelbe, wo aud
Früland zu ſpeiſen pflegte.
Eine Viertelftunde nachher ſaßen
jie dort beifammen und der Dofrath
jagte das Folgende: „Auf der Durch
reife war ich heute durch ein Kleines,
aber Gott jei Dauk vorübergehendes
Unmwohljein genöthigt, Hier in M.
einen Rafttag zu Halten. Den Abend
wusste ich nicht beifer auszunüßen,
al3 dafs ih mir das hieſige Thea—
ter anjah. Ich fand's, wie man es
eben in einer Heineren Stadt finden
fann, mit Ausnahme Ihrer Leitung.
Diefe Hat mich überrafht. Sie find
noch in der Entwidelung, aber ich jage
Ihnen, Sie haben ganz bejondere
Mittel. Auf wie lange find Sie hier
engagiert ?“
„Mein Contract gebt heute aus“,
antwortete Früland düjter, jeine Hand
an die Brufttajche legend.
„Spielen Sie nur als Gaſt?“
„Sozuſagen ala Gaft.“
„Wollen Sie ein Engagement in
unferem Hoftheater zu W. annehmen ?*
„Habe dahin nie einen Antrag
erhalten.”
„Ich mache Ahnen eben einen
ſolchen, Ich, der Hoftheater-Intendant
zu W,, bin gerade auf der Suche nad
einem erjten Helden und nehme Sie wie
Sie find. Siebenhundert Mark Gage.“
„Siebendundert“, jagte Früland
ziemlich gleihgiltig nad, „it zwar
nicht viel —“
„Per Monat, jelbitverftändlich.”
Früland horchte auf.
Wenige Minuten ſpäter waren ſie
einig.
von ſeinem Tiſche aus die Männer
ſchon ſeit einem Weilchen beobachtet
hatte.
„Grüß Sie Gott, lieber Früland“,
ſagte er etwas nebenbei und gegen den
Fremden: „Mein Name iſt Doctor
Rumpf.“
„Mein Name iſt von Scholl“, ſo
der andere.
„Scholl? von Scholl? doch nicht
etwa ein Verwandter des Hofrathes
Scholl, des Generalintendanten in W.“
„Der bin ich jelber.*
Ungenehme Überrafchung, ausges
ſuchte Höflichleiten, der Doctor jeßte
is zum Tische.
„Ih entführe Ihnen Ihren Lieb:
haber“, jagte der Hofrath, auf Frü—
land weiſend. „Ich ſtelle Ihnen, Herr
Doctor, Ihren alten Bekannten vor
als den Heldenjchaufpieler Herrn Frü—
land vom Hoftheater zu W.“
„Ad, das! das ift aber hübſch!“
rief der Doctor, und dann dem jungen
Marne die Hand auf den Arın legend:
„Sehen Sie, jehen Sie, lieber Freund!
Was Habe ih immer gejagt? Jetzt
jehen Sie es doch ein, wie wohl Ihnen
meine Strenge befommen hat. Ya, ja,
nur unter eimer tüchtigen Weifung
lernt ihr etwas. — Wahrlid, manch—
mal hat man feine liebe Noth mit den
jungen Leuten, aber endlich bringt
man fie doch voran. Na, Früland, ich
fann es Ihnen nicht fagen, wie es
mich freut, Sie jo weit gebracht zu
haben. Es it feiner, der Ihnen herz=
liher gratulieren kann als ih, Ihr
alter Doctor Rumpf. Geben Sie mir
doch die Hand!“
Früland zog die Hand aus der
Brufttafjhe und legte den Revolver
auf den Tiſch.
„Kennen Sie das, Herr Doctor
Rumpf?” fragte er mit finfterem Auge.
„Beben Sie acht, das Ding ift
50
geladen. Die Kugel, die drin ſteckt, ſollte
der Schluſspunkt ſein in meinem ver—
fehlten Komödienleben, verſtehen Sie
das? Der Schluſspunkt meiner jäm—
merlichen Exiſtenz im Kuuſttempel, in
welchen ich mich geſchlichen, um dra—
matiſche Meiſterwerke zugrunde zu rich—
ten. Verſtehen Sie das, Herr Doctor
Rumpf?“
„Aber beſter Früland, Sie werden
ja ganz tragiſch?“ Der Doctor lachte
überlaut; die Gäfte des Pocals wurden
aufmerkfjam auf den Vorgang. Frü—
fand erhob jih und jagte: „Herr
Doctor! Oft habe ich andere gejpielt
und es gefiel Ihnen sicht, unn werde
ich mich einmal jelber jpielen. Ich bin
ein Menſch, der auch fein eigenes Leben
febt und deſſen Meinung gerade fo viel
Recht hat, ausgeſprochen zu werden,
als etwa die Jhrige. Und dieſe Mei-
nung will ich Ihnen jegt jagen, Herr
Doctor! Die Kritik, wie fie in unferen
Zeiten geübt wird, ift eine Ungerech—
tigleit an der freien Kunſt und den
Künftlern, denn fie iſt eine willkür—
fie Beeinfluflung des Publicums,
Entweder der Kritiker dociert nad) der
alten Schablone, dann veriteht er die
Zeit nicht, oder er will feine perſön—
lihen Liebhabereien zur Geltung
bringen, jeine Launen jpringen lafien,
dann wird er ebenjo einjeitig und ins
conjequent jein, wie jeder andere. Er
ist geichult auf die Kunſt, heißt es.
Aber zumeijt veriteht er nur den Buch—
ſtaben und nicht den Geift. Im beiten
Falle ift die Kritik der Ausdruck der
Meinung eines einzelnen; oft aber
glaubt es der Recenjent jelber nicht,
was er anderen glauben machen will.
Und jelbjt der wohlmwollendite Recen—
jent iſt Stimmungen unterworfen,
jein verdorbener Magen oder fein Por
dagra wird das böſe Scidjai der
Künstler. Und erſt der gewiſſenloſe
Recenjent! Wir armen Teufel mögen
uns plagen und zufammennehmen wie
wir wollen, ex nörgelt, er wißell, er
iſt perfid und wenn er in den Zeilen
auch ſcheinbar anerkennt, jo fteht doch)
— — — — — — EEE —— — — — — — — ——— — —— — — — —
ns
zwijchen den Zeilen allerlei Bosheit
und Tücke. Inter allerhand feinen
Winkelzügen verjteht er dein Publicum
den Künstler zu entfremden, ihn kalt—
zulegen, ihn nah und nah unmög-
lich zu machen. Das Publicum kennt
den Schreiber oft gar nicht, weiß
nichts von jeinem Charakter, ſeinen
Fähigkeiten, und glaubt ihm doch. Viele
behaupten zwar, auf Zeitungstkritit
hielten fie nicht3, und beten ihr doch
nah. Wir find ohnmächtig, ſchutzlos,
der Willkür des erftbejten Scribentent,
der weder Lehr! noch Ehr' hat, aus—
gejeßt. Aus dem Buche der Anony—
mität darf jeder Strauchritter auf uns
giftige Pfeile abſchießen, und wehe
dem Schaufpieler, der etwa einmal
Gelegenheit nimmt, ſich zu vertheidigen !
Uns jhüßt fein Geſetz, wir find vogel=
frei und noch niemand hat die Opfer
gezählt, die, von einer boshaften Hritit
in Verzweiflung geheßt, zugrunde ges
gangen find. Da gibt es noch eine
dritte Sorte don Kritikern, das find
die Hohmüthigen, die Dünkelhaften,
die eitlen Tröpfe, die gar feine Abficht
haben, jemandem wehe zu thun, Die
nur immer einen Wiß machen wollen
oder ihre äfthetiiche Gelehrfamteit aus—
framen, immerfort durch beftändiges
Rügen und Meiftern gerne zu ber»
ftehen geben, wie hoch fie über Künſtler
und Publicum Stehen. Auch ſpielen fie
gerne die Unbeeinflugbaren und Selbit:
ftändigen, welche manchmal etwas ge:
ade darum nicht loben, weil es gefällt.
Berfönlih glatt und liebenswürdig.
in der Zeitung rüpelhaft oder hämiſch,
jo üben fie Gerechtigkeit. Um einen
guten Wit, um eine Hübjche Wendung
in ihrem Feuilleton iſt ihnen das
Wohl der Künſtler feil. Unter der
dinfelhaften Form, den Schaufpieler
durch Strenge erziehen zu wollen,
machen fie ihn durch Härte und Rück—
ſichtsloſigleit kopfſcheu und verzagt.
— Zu dieſer Sorte, mein ſchätzbarer
Doctor Rumpf, gehören auch Sie.
Zugegeben, daſs Sie nicht böswillig
ſind, und doch iſt Ihr Lächeln, mit
dem Sie mich jo oft perfönlich beglüdt
haben, ein Grinfen der Graujamteit.
Haben Sie eine Ahnung, was ich
unter Ihren Kritiken gelitten? Wie:
ih mich in Wuth und Scherz ge=
wıunden babe unter dem Hohne der
Menge, wie ih den unterminierten
Boden unter meinen Füßen wandten
fühlte und ohnmächtig, ohnmächtig
war gegenüber meinem Peiniger? Und
Sie, in Ihren Dünkel verpeljt, waren
naid genug zu glauben, daſs das Als
moſen eines perfönlihen Dändedrudes
mich für alles tröften werde. Sie ge—
brauchen die Prefje frivol und ver»
langen, daſs man jie ernft nehme; und
doch fiel es Ihnen nicht einmal ein, dafs
Ihr Wort, ernft genommen, Herzen
brechen könnte! Ja, Herr, Sie glauben
jehr mächtig zu fein, ich aber jage
Ihnen, Sie find noch mächtiger als
Sie glauben. Sie können tödten, ohne
daſs der Arm der Gerechtigkeit Sie
zu erreichen vermag. — Dier, meine
Herren, fehen Sie ein Heines In—
jtrument. Bei der heiligen Kunst, ich
hätte mich jeiner bedient in dieſer
Naht! — In Ehrfurcht danke ich es
einem gütigen Geſchicke, daſs ſtatt
651
mächtig und nur immer den Kopf ſchüt—
teln, das war alles, was er vermochte,
Diejer aber hatte die Notiz über
die heutige Borftellung ſchon in die
Druderei gefhidt, jo dajs im nächſten
Morgenblatte nichts über Früland zu
fejen ſtand, als daſs er abſcheulich
tremoliere. Unter ſolchen Umſtänden
willigte der Theaterdirector zu M.
gerne im die Löſung des Bertrages,
welche Früland an diefem Morgen ſich
erbat. Als der Director aber hörte,
dafs er — einen Hofjchaufpieler jo
leichten Kaufes entlaflen, that es ihm
leid,
Bon der Direction gieng Eruit
geradewegs zu feiner Braut und hielt
ihr den neuen Contract vom Generals
intendanten unterjchrieben jo nahe
vor die Naje, dass fie ihn erſt recht
nicht leſen könnte. Trotzdem war fie
nah menigen Wochen die „reizende
Gattin des Hoffchaufpielers Früland“,
wie Doctor Rumpf in einer Notiz der
„Hohen Warte” berichtete. Die Notiz
ſchloſs mit den Sätzen: „Und alfo
wünjchen wir Ernft Früland zu feinen
großen Talente, welches unter unſerer
Leitung fich fo glänzend entwidelt Hat,
des Revolvers ich mich jelber entladen ! das Belte auf feinen ferneren Wegen
fonnte. — Guten Abend, mein Herr!” und wir gejtehen, dajs die dankbare
Alfo entließ Heute der junge Schau- Anhänglichkeit dieſes Künftlers zu uns
jpieler Ernit Früland des lohenden angenehm entichädigt für jo manche
Zornes voll den gewaltigen Doctor | Unbill, die wir in unjerem jchwierigen
Rumpf. Diefer war feines Wortes Berufe leider auch erfahren müſſen.“
Penzgewitter.
Bon 6. v. Berlepfd.
2
—8
E— war eine prächtige Hochzeit
Se gewejen! Erſtens im wunders
7 ſchönen Monat Mai, an einen
Tage, wo der Himmel jelber die hell:
ften Hochzeit3iadeln angezündet hatte;
dann ſechs Kranzjungfern, eine hübſcher
al3 die andere, ſämmtlich mit Roſen
geihmüdt, in weißem Tüll — ein
Anblick, der gar mandem, nicht allein
den bemeideten Gavalieren der ſechs
Schönen, das Der; warın gemacht.
Dann die rührende Trauungsrede des
Geiftlihen, der fo poetiſch-fromm, fo
innig von Liebe, Ehe, Familienglück
geiprohen und hierauf unter leifer
Begleitung der Orgel — es lang
ganz melodramatiihd — den Segen
des Himmels auf „dieje zwei jungen
Herzen“ herabflehte, dajs alle Taſchen—
tücher in Bewegung famen und der
verftodtefte Hageftolz dabei hätte weich
werden müſſen. Und hierauf das Feſt—
mahl voll Heiterkeit, Toaften, Viel—
liebhen und lichterloher Verliebungen
— ja man redete noch lange von
diefer ſchönen Hochzeit, und die ſechs
Kranzjungfern, deren jede ihre eigenen
Erimmerungen an diefen Tag hatte,
thaten es ganz bejonders.
Indeſſen war das junge Paar
nah einer kurzen Hochzeitsrerje gleich
in feine funkelneue Häuslichkeit ein—
gezogen. Hier waltete nun die blonde,
blutjunge Adelheid als Frau, als
ſelbſtändige Regentin eines Haus—
haltes, d. h. ſie repräſentierte dieſe
Würde, denn in Wirklichkeit wuſste
ſie vorderhand noch nicht viel damit
anzufangen. Leider — das war nach
Anſicht der Mama der einzige Schatten
in diefer Verbindung — hatte Adel:
heid mweggeheiratet, wenn auch micht
weit fort, aber doch an einen anderen
Ort, ald wo die Eltern wohnten.
Da ſaß fie denn zum erftenmal allein,
abgetrennt von all den lieben, alt«
gewohnten Beziehungen zu Eltern.
Brüdern, Freundinnen und — hatte
nun aljo die Verpflichtung, glüdlich
zu jein.
Verpflihtung — als ob fie es
nicht wäre! Oder iſt das nicht eitel
Glüd, wenn die Thürglode läutet,
wenn fein Schritt hörbar wird und
fie ihm entgegenftürmt wie ein Sauſe—
wind, ftrahlend vor Freude, daſs er
nach der unendlich langen Zeit von
zwei, drei Stunden wieder da ift?
„Grüß Gott, Karl!”
„Grüß Gott, Heidel!“
Und ihre Augen leuchten, ſie um—
ſchlingen und küſſen ſich, als ob er
von einer großen, großen Reiſe heim—
kehrte, nicht von ſeinen zwei Stunden
Colleg, die er in der nahen Univer—
fität ſoeben abſolviert hat.
„Ja, wenn «ihr» Karl zuhauſe
iſt, dann geht alles gut, dann iſt ſie
zufrieden, verguügt, und unter Um—
ſtänden auch folgſam wie ein Kind.
Dann lacht ihr friſches Roſengeſicht,
und das ganze niedlich eingerichtete
Neſt iſt voll Frohſinn und Übermuth.
Aber auch hübſch ſtill kann ſie mit
ihrer Stickerei am Fenſter ſitzen, wenn
er ſchließlich ſagt: „Jetzt Heidel,
silentium — jetzt muſs gearbeitet
werden!“
Mit dieſem Folgſamſein und Still—
ſitzen hat es ſeine eigene Bewandtnis.
Das hat fie erſt und ſchon in ihrer
Ehe gelernt. Ein Schlimmer Tag war's,
als fie in diefer Kunſt die erſte Lection
empfangen, der erjte Gewittertag im
Eheſtand! Das war jo gefommen:
Er wollte bei aller Werliebtheit, oder
gerade deswegen, jein Weibchen nicht
im Studierzimmer haben, wenn er
arbeitete und jagte ihr das ganz uns
verhohlen. Da hatte es Thränen ges
gegeben, die erſten Thränen! Himmel,
was das heißen will, bei ſo zwei Ver—
liebten, die erſten Thränen! Er ſtand
völlig betäubt dieſem Phänomen gegen-—
über, er wuſste gar nicht mehr, was
er geſagt hatte und kam ſich plötzlich
wie ein ganz rückſichtsloſer Mann,
wie ein Bär vor. — „Aber Schatz —
begreifſt du denn nicht Heidel,
hör' mich an! Siehſt du nicht ein,
daſs alles ſeine Zeit haben muſs —
Arbeit und — und Vergnügen?“
Keine Antwort.
„Sei kein Kind!“ verſuchte er
möglichſt männlich zu ſagen und das
Tuch von ihren Augen wegzubringen.
„Weshalb meint du eigentlich ?*
late er, — freilih einigermaßen
unficher — aber er lachte.
Da wid das Tuch freiwillig von
ihren Augen. Sie blitzten durch
Thränen zu ihm hinüber. „Zum
Vergnügen alſo nur haft du mich
geheiratet!“
Er fah fie an und ein fehallendes
wirkliches Lachen brach nun los; er
hatte jeine ganze Fallung wieder und
zog das jchmollende Weibchen in feine
Arme.
„Laſs mich“, fagte fie erftict,
„du wollteſt ja allein fein.“
„Recht fo! Stolz will ich den
Spanier! aber ohne Kuſs gebe ich dich
nicht frei!”
Sie jedoch, glühend, jchwer be=
leidigt, juchte ſich loszumachen.
Klammern feit und lächelte nun ganz
gelaſſen.
„Ich muſs gehen —
ſagte ſie leiſe.
„Nicht bevor du zahm
Heidel! In der Ehe, jagte deine
Huge Mama fur; dor unſerer Hoch—
zeit einmal natürlich nur als
Marime für deine Praris — kann
man, wie bei Kindern, nicht frühe
653
Er)
hielt ihre Hände wie mit eifernen |
laſs mid!“ |
genug mit der Erziehung anfangen.
Gleich am eriten Tage muſs es ge—
ſchehen, und zwar ſyſtematiſch. Dieſes
weiſe Wort iſt mir im Gedächtnis
hängen geblieben, Schatz!“
„Und — mas foll e3 heißen!“
fragte jie, ohne ihn anzufehen, mit
zwei tiefen zürnenden Furchen über
dem Näscen.
„Es foll heiten, daj3 auch wir
gleich damit anfangen wollen“, gab
er ganz luſtig zur Antwort; „weiht
du, es gebt beifer jo nah und nad)
im Heinen, als eines Zages plößlich
im großen.“
Sie bijs mit ihren runden weißen
Zähnchen die Lippen, wie verzogene
Kinder thun, wenn fie eine Straf:
predigt hören müflen. „Gut“, fagte
fie, nun auch ihrerfeit3 lächelnd, „fo
wollen wir damit beginnen!“ Und eh’
er fich deſſen verſah, mwufste fie fi
mit einem gewandten Rud zu bes
freien, um im gleichen Augenblick
hinter der Thür zu verſchwinden.
Der Gatte ftarrte ihr nah mit
einem jener Blide, die felbft bei be-
deutenden Menſchen nicht gerade be=
deutend ausfehen. — „Oho!“ mur
melte er und that einen Schritt, als
wollte er ihr folgen, doch blieb er
fteben. „Bad — Sie wird Schon
wieder kommen.“
Sie tam aber nit! Damit war
es um jeine Wrbeitsruhe natürlich
gejchehen. Er horchte auf, wenn eine
Thür gieng. „Jetzt!“ dachte er jedesmal
geipannt und ftrich ſchon feinen hüb-
ichen blonden Privatdocentenbart, aber
fie war es nicht. Sie troßte alfo wirt:
lid. Er blätterte zeritreut in Büchern,
Manuferipten, ſchrieb einiges, legte
die Feder wieder hin.
„Zum Teufel!“ rief er endlich,
„Joll man dazu verheiratet fein ?*
—
biſt, fprang auf und überlegte, wodurch
feiner geipannten Stimmung ein Aus-
weg zu ſchaffen fei. Sollte er hinüber
geben, fie zur Rede ftellen — oder
fie ruhig ſich austroßen laſſen?
Er hatte es ſich jo einfach gedacht,
— ⸗
ſein junges Weibchen zu erziehen; bis
jetzt war auch alles jo glatt, jo be—
quem gegangen: fie war nicht nervös,
er fonnte rauchen wo und jo viel er
wollte; fein Schreibtifch wurde mit
dem nöthigen Rejpect behandelt; die
Speiſen, die er liebte, famen auf den
Tisch, wenn auch hie und da etwas
angebrannt oder verjalzen oder über—
haupt ein bijschen anders jchmedend,
als er’3 gewohnt war — aber da3
fonnte ja alles beijer werden, und
dann war fie immer zum Küſſen, wenn
fie, ein weiße® Schürzchen vorgebun—
den, mit hochgerötheten Wangen zu
Tiſche kam und ſagte: „Pajs auf,
Karl, heut gibt’3 was Gutes — id
habe gekocht!“ Er verzog die Miene
nicht dabei, obgleich er wuſste, dafs
dies meiftens nichts Gutes bedeutete.
Aus dem Gelichtspunfte des „Ent—
wickelnlaſſens“ ſchluckte Karl gar
manchen zähen Biſſen. Er hatte eben
noch die Rojenlaune des Jung-Ehe—
mannes; ja er trieb den Humor oft
jo weit, je wunderlicher ein Gericht
ihm gefhmedt, umſo höher feine
„liebe Hausehre“ leben zu laſſen, mit
Gläſerklang und Gaudeamus, jo daſs
es nicht jelten wie auf einem Commers
bergieng, zumal wenn die junge Frau
Doctorin, die Schon don ihren Brüdern
her alle akademiſchen Lieder prächtig
im Kopfe hatte, auch noch einſtimmte.
Ein paar wunderbare Wochen hin
durh war das fo gegangen: follten
nun Schon die erſten Molfen auf:
fteigen ? Und weshalb ? Weil er bei der
Arbeit allein jein mufste, weil er es
ganz einfach einmal jo gewohnt war
und fie das nicht einfehen fonnte?
Oho! Hier alfo hieß es im Ernſte
mit der Erziehung beginnen !
Nah längerem Überlegen entſchied
ih Karl für die Taktik des Trotzen—
laſſens. Da er zur Mrbeit abiolut
nit mehr geitimmt war, nahm er
vorerft den Hut und gieng — ohne
Adien! — zu einer ganz ungewohnten
Stunde jpazieren.
— „Iſt der Herr Doctor noch ausge—
gangen ?* fragte das Dienftmädchen ver-
wundert, da es ſchon bald Eſſenszeit war.
„Ausgeg...? Ya richtig! Er
wird bald wiederflommen“, antwortete
die junge Frau und ſchaute dabei
zum Fenſter hinaus, weil fie jpürte,
wie fie über und über roth wurde.
Der Tiſch fand gededt — Die
Mahlzeit wartete — Adelheid wartete
— Sarl fam nicht. Mit jeder weiter
vorrüdenden Biertelftunde Hopfte ihr
Herz ängftliher. Sol ein Wütherich
fann er fein, fie jo ſtrafen, jchon vier
Moden nah der Hochzeit!
Jetzt — Hoch! geht endlich die
Thür — Sie macht eine Bewegung, |
ihm entgegenzueilen — ja jo — heute
zum eritenmal mit — es wäre ja
charakterlos.
Er kommt herein; ſie ſetzen ſich
zu Tiſch.
„Ob ſie mir nicht einen Vorwurf
machen wird?“ denkt er.
Sie verliert aber kein Wort ob
der Verſpätung. Sie ſitzt mit tief ge—
rötheten Wangen da und berührt
kaum die Speiſen, während er einen
wahren Zornappetit entwidelt. „Seine
Silbe der Entjhuldigung hat er!”
grollt es im ihr.
Das erſte ſchweigend eingen ommene
Mahl im Eheſtand — es ſchien beiden
endlos!
Nach Tiſche ſtanden ſie unſchlüſſig
an den Fenſtern, das eine da, das
andere dort. Sie ſchenkte ihm den
Ihwarzen Kaffee ein und ſtellte die |
Gigarren dazu; er zimdete ſich jedoch
feine an.
Das abtragende Mädchen warf
verſtohlene Blide auf die beiden.
„Aha“, dachte fie, „zwiſchen denen |
hat's was abgejegt!“ und räumte
das Feld, um einer allfälligen Ber: |
jöhnung, für welche ihr die Zeit nach
Tiſche gerade die günftigfte dünkte,
nicht im Wege zu fein.
In Dingen der Liebe empfinden
Herr und Diener gleih, das bewies
das zögernde Verhalten der zwei Ehe—
leutchen, von denen jedes auch jo
655
etwas erwartete. Aber die „Erziehung“,
dieſes ſchlimm-weiſe Wort, das heute
morgens gefallen, hielt fie ausein—
ander.
Adelheid Hatte ihre Stickerei ge—
nommen und jaß jo tief wie möglich
über diefelbe gebeugt. Karl fonnte fie
ungeltört von der Seite betrachten.
„Ein herziges Gefchöpf ift fie“, ſprach
e3 in ihm, mährend fein Auge die
kleinen goldigen Ringellödchen jtreifte,
weiche über ihrem Halle glänzten,
„Aber, wie aljo die Erfahrung zeigt,
ein ganz veritabler Troßfopf!" Ein
verliebtes Lächeln ſtahl ſich troß allem
und allem auf jein Geficht.
ſequent ſein!“ gebot eine Stimme in
ihm, als eine blinde Verſöhnungs—
ſchwäche ihn anwandelı wollte.
Abichenlih unbequem iſt's, fo ein
Dadern zu zweien! Ja, wenn noch
dritte da find, welche die ſchwüle
Stille einigermaßen unterbrechen,
dritte, an die man gelegentlich ein
Wort richten kann, das für den
zweiten geſprochen ift, danı geht es
noch. Aber jo ein ungeltörtes Trotz—
tete-A-töte — umerträglih für tem:
peramentvolle Leute !
Der Doctor jchien das plößlich zu
empfinden, oder wollte er jich den
Gefahren dennoch möglicher Juconſe-
quenzen entziehen? Kurz, er trant
baftig den Wet feines Kaffees aus
und jagte im nüchternften Ton: „Ic
werde heute jpäter nachhauſe fommen, “
Ein Laut, der kaum für ein Wort
genommen werden konnte, Hang une
deutlich von der Stiderei her.
Als die Thüre fich Hinter ihm
geſchloſſen, entſank Adelheids Händen
die Arbeit. Wieder ohne Gruß fort!
Ein tiefer Seufzer entrang fich ihrer
Bruſt — ſie ſtarrte hinaus auf die
ſonnenbeſchienene Straße und dachte
nach, wie denn eigentlich alles ge—
kommen, Wort für Wort, was er
geſagt, was ſie geantwortet, dann
das ſtumme Spiel des Feſthaltens
und Entfliehens. Anfangs war jie
die Herrin der Situation geweſen;
„Eonz |
ein Wort von ihr hätte genügt, um
‚alles gut zu machen! Hernach aber
kam das mit der Erziehung. Das
‚durfte jie nicht jo hinnehmen; was
follte jonft mit der Zeit daraus
werden? Noch einmal ſich erziehen
laſſen, nachdem fie mit dem eiuemmal
| gerade genug gehabt und jich gefreut
hatte, als Frau nun felbitändig zu
werden? Nein, fie Hatte ganz recht
und charaktervoll gehandelt — wenn
auch — vielleicht — nicht ganz klug.
Sie jollte den Unfrieden um Kleinig—
feiten jo viel wie möglich vermeiden,
hatte Mama gejagt !
Die Arbeit wurde wieder aufge:
nommen und geitidt, geitidt mit
wahrer Fieberhaſt.
Stunden lang gieng das jo fort.
Es war mäuschenftill in der Woh—
nung; mit einmal der Kanarien—
vogel in dem zierlihen Bauer gab
einen Ton von fih. So anhaltend
‚ruhig war e3 noch mie gemwejen, feit
‚der junge Haushalt überhaupt be—
‚Hand. Der dienitbare Geijt in der
Küche, ein rothbadiges Ding, Halb
‚neugierig, halb theilnehmend, jagte jich
endlich: „Jetzt muſs ich doch einmal
hinein und hauen, was meine gnädige
Frau treibt.“
Da ſaß fie noch auf demfelben
"Plage, wie nah dem Eſſen, mit
glührothdem Kopfe und ſah ganz ver—
ftört auf, als das Mädchen zu ihr
trat.
„Snädige Frau, wanı werden
wir denn einmal eine Wäfche machen ?*
‚fragte die Magd in der löblichen Ab-
ſicht, ihre Herrin auf andere Gedanken
zu bringen.
Wäſche?“ fragte Adelheid mit
grogen Augen. An diefen hochwichtigen
Act im häuslichen Leben hatte jie
noch gar nicht gedacht. Ihre Schränte
‚waren jo reich gefüllt, alles fo neu,
noch mit rojafarbenem Wande um—
Ihlungen — es war ihre wirklich
noch nie die Idee gekommen, dajs in
‚einem neuen Dausftand auch einmal
‚die erite Wäſche ftattfinden müſste!
656
Ganz heiß ſtieg es ihre plöglich auf|der in eine wunderſchöne Nacht über:
und fie beeilte fich zu jagen: „Morgen | gieng.
— oder fangen Sie gleih heute an Drüben in feinem Zimmer batte
— jeßt.“ er die Lampe angezündet; das ſah
„5a, das geht aber micht gleich |fie am Scheine, der aus dem Fenſter
jo ohne alle Vorbereitung“, war die | fiel. Er arbeitete alſo — oder las er
breitipurige Antwort. — oder — war ihm zumuthe toie
Nun entjpann Sich über diefes ihr, daft er gar nichts thun konnte?
Thema ein Meinungsaustaufh, bei! Sie bog fih vor und fog die Luft
welchem die junge Hausfrau in arge | bon draußen ein, um zu willen, ob
Verlegenheiten gerieth. Bei den Eltern |er rauche. — Nein, er rauchte nicht.
daheim war das alles fo jchön un | Das berührte fie mit imnerlicher
jichtbar vorbeigegangen, ohne dafs fie | Freude. Das Zerwürfnis gieng ihm
viel davon merkte. Jetzt hieß es auf alſo doch zu Herzen — vielleicht mehr,
einmal alles kennen, alles wifien, wo als fie glaubte.
fie ſelbſt das Scepter führte. Auch Nur einen Blid jet in feine
das noch Heute! Seele oder auch nur auf fein Gelicht
Könnte fie jih bei Mama jetzt thun können! Wenn fie wüjste, daſs
Raths erholen, ad! könnte fie über- er die Scene vom Morgen fo bereute
haupt an einem fo fchredlihen Tag wie fie — daſs er nicht triumphieren
heimeilen, nur eine Stunde, ein | würde, wenn fie nun käme und ibn
Viertelftündchen, ein paar Minuten!
Heim, wo alles jo ruhig, jo jelbit-
verftändlich feinen Gang geht, wo die
Eltern jo friedlich miteinander leben und
jorgen und dies alles ohne Aufhebeng,
ohne viel Kopfzerbrehend. Wenn fie
dort wüſsten, wie ihre Adelheid jet
daſitzt, rathlos, unglücklich, allein in
der fremden Stadt, ohne eine nahe
Seele, al3 den Einen, mit dem fie
— Schon in Unfrieden gerathen!
„D ihr Eltern, ihr Freundinnen, ihr
ſechs Kranzjungfern, die mich damals
alle bemeideten, wie glüdlich feid ihr
in diefem Augenblide gegen mich!” —
Karl blieb wirklich jehr lange aus,
Der Tisch ftand abermals gededt und
wartete auf ihn.
fragte — ja was gleich fragte? irgend
etwas, ob er Durft hätte oder der—
gleihen — wenn fie das wüßste, Tie
gienge hinüber und wollte ja das
erſte Wort — natürlich ein möglichit
gleihgiltig Hingendes — zu ihm
ſprechen. Sie überlegte — that einen
Schritt, blieb wieder ftehen — mie
ſchwer jo etwas ift!
Endlich ſchlich fie leiſe, ganz leife
zur Thür, um wenigftens einmal
durchs Schlüffelloh zu jpähen. Es
war dunkel in ihrem Zimmer; fie
muſste ſich der Wand entlang taten,
vorfihtig, langjam, damit er fie ja
nicht höre. Jebt war fie an der Thür
und laujchte, dann kauerte fie geräufch-
108 nieder, um durch die Heine Öffnung
Endlih erſchien er. zu Schauen. Der Schlüffel ftedte drinnen
Wiederum ein ſchweigſames Mahl, — nur ein ſchmales Kitchen Licht war
wobei felbjt Karl feinen fonft gefunden |zu ſehen — doch halt! auch feine
Appetit nicht mehr entwidelte. Er Hand, die eben eine Bewegung machte
ſah erhigt und ernft, faft grimmig | — dann nichts — jebt wieder die
aus. Gleih nah Tische fand er auf| Hand und fiehe! eine Partie feines
und begab ih in feine Studier- | Gefichtes, doch nicht genug, um den
ftube, Ausdrud wahrnehmen zu können.
Verwirrt, gequält, ja gefoltert | Mit angehaltenem Athem ſpähte und
von dieſer unerwarteten Gonjequenz | ftarrte fie.
des Zürnens blidte Adelheid in den Plöglih gab es ein Geräufd
dämmernden Sommerabend hinaus, drüben — er ftand auf,
nn — — —— —
657
In jähem Schred fuhr fie zu—
fanmen und ftieß gegen das Schloſs
— o Himmel! Sie wollte aufſtehen,
fliehen, doch ihre Fuß verwidelte ſich
in die Falten des Kleides.
Da wurde don drüben die Thür
geöffnet der volle Schein des
Lichtes fiel heraus.
Ein Moment ſprachloſen Staunens
einerſeits peinvollſten Verſinken—
mögens, hundert Klafter tief, auf der
anderen Seite.
„Wer wollte denn da zu mir
herein?“ fragte mit verſtecktem Humor
der Belaufchte.
„Ich — nicht!“ murmelte fie,
noh am Boden, da den Füßen die
Kraft zum Aufftehen verjagte.
Er bob fie auf und jah fie ganz
nahe lächelnd an. „Nicht lügen!”
Wie mit Glut übergofjen fand
fie da.
„Du willft vernünftig fein, nicht
wahr ?“ ſagte er väterlich, den Arın
um fie legend.
Sie warf einen ſchnellen, viel—
fagenden Blid auf ihn und zog die
Stirn zufammen — doc über ihre
Lippen blitzte ein heiterer Schein.
„Berzeihen will ich dir”, jagte fie, in
ein eigenthümliches Lachen ausbrechend,
wobei ihr aber die Thränen aus den
Augen ftürzten,
„Die großmüthig!“ rief er und
ſtimmte in das eigenthümliche Lachen
ein, aus dem, obwohl möglichit ver-
ftedt, der Jubel über den wieder-
gefundenen Zmeillang tönte.
— — — um — — —
Seit diefem Tage war Heidel
„vernünftig“, ob nur aus Stolz oder
aus wirklider Vernunft, bleibt dahin—
geitellt. Ganz till und folgfam ſaß
fie nebenan, wenn ihr Mann drüben
in feinem Zimmer arbeitete, und be-
trat nicht eher jeine Schwelle, als
bis e3 don drinnen Heidel! rief oder
er herauskam, um nah „langer“
Trennung wieder einmal feines Troß-
fopf3 Mund zu füllen.
Aufenfpielen.
Gin Bild aus dem oberländifhen Vollsleben von P, RA. Roſegger.
N
M dem Obſt ſchaut's bei uns
er halt ſchlecht aus; ein biſſel Wald—
kirſchen, ein biſſel Schlehen,
ein biſſel Holzäpfel und ein biſſel
Lethfeigen“, ſo ſagte der Staggel-
hofer, meinte mit den Lethfeigen aber
ſchon die Burſchen, die zu bequem
und zu feige ſind, um am Kirchtag
mit ein paar Stuhlfüßen ein paar
Kameraden blau zu machen. Die
„blauen Montage“ waren faſt abge—
kommen zu Scherersbach. „Das beſte
Obſt“, ſo fährt der Staggelhofer fort,
Roſegger's „Grimaarten‘‘, 9. Heft. XV,
„it bei uns noch das, welches unter
der Erde wachſst. Was bei uns im
Sommer nicht unter der Deden ift,
das wachst nicht — ſo friſch iſt's bei
uns zu Scherersbach.“ Unter der
Dede wähst es umſo beſſer, die Erd—
äpfel meint er.
Deswegen geſchieht es, daſs der
Staggelhofer im Spätherbſte eines
Tages ein paar Ochſen einſpannt
und auf einem Leiterwagen etliche
Säcke mit Erdäpfel ins Untergai
ſchleppt. Dort werden die gelben Erd—
42
äpfel mit rothiwangigen Baumäpfeln
aufgemeifen und als Draufgabe be=
fommt der Aipenbauer noch ein volles
Sädlein dazu, weldes jchauderhaft
rafchelt, ald es auf den Karren ge=
worfen wird. Dann fährt er heim.
Die Apfel werden zum SJaufenbrot
genofien, die Kinder bekommen deren
extra, wenn fie folgjam jind; der
Halterbub ſchleicht manchmal heimlich
zum Sacke. „Hat der Adam auch
Apfel geſtohlen“, meint er in Erin—
nerung an den genofjenen Satecheten-
unterricht, und jeßt aus Eigenem bei:
„Der Adam Hat’s der Eva willen
laffen und jo iſt's aufkommen. Ich
will geicheiter fein und das Apferl
allein efjen.“ Nah Jahren, wenn er
ganz groß geworden, will er's bei
einem luftigen Plaufh im Wirtshaufe
dem Staggelhofer einmal jagen: „Du
Bauer, deine Apfel, die ih dir ge—
ftohlen, haben jehr gut geichmedt!“
Wenn man's eingelteht, nachher iſt's
nicht mehr Sünd, denkt er und will
ein ordentlicher Menfch fein. Zur
Zeit ijst der Halterbub feinen Apfel
mebr allein, jondern läſst jchon alle-
mal auch eine Eva mithalten, Hat
alfo wicht mehr nöthig, feine Sünden
jelber auszufagen.
Herr Jeſſes, ich verweile mich da
bei den Apfeln und ſollt' Schon lang
bei den Nüflen fein.
An Tage des heiligen Nicolaus,
am langen Abende, da die Leute nad
verrichtetem furzem Tagewerk in der
Stube beifammen fißen — ſpäue—
flieben, bejenbinden, rauchen, ſchuh—
nageln, fliden, Spinnen, ſtricken,
tratichen, dufeln und was jo der
häuslichen Arbeiten mehr find, raſchelt
auf einmal etwas, Der Bauer fommt
langſam zur Thür bereingeitiegen und
bringt eine hölzerne Schüfjel voll Nüſſe.
Etliche Schreien vor Freuden auf,
bejonders die Weibsbilder, und der
Großknecht langt ſchon nach dem
Spielkartenbüſchel.
„Nuſſenſpielen!“
Alles verläjst feine Arbeit und
558
drängt an deu Tiſch, was nicht ſchon
dabei fißt. Eine Kerze wird ange—
zündet, denn das Kienfpanlicht iſt
nicht Heilig genug fürs Kartenſpielen
und die Öllampe ift nicht ficher genug,
wenn fie raufend werden — das größte
Unglüd fönnte gejchehen.
„sa, ja, Nuflenfpielen!* jagt der
Staggelbauer und ftellt feine Holz—
Ihüffel neben fih auf die Bank, „nir
Nufjenjpielen! Vorher Nuffentaufen!
's Baar um ein’ Kreuzer!“
„Da mögen die Weiberleut' ein
laufen, mir find fie zu theuer!“ ent-
gegnet der Weidknecht.
„Narr!“ verjegt diefem der Ober—
knecht, „die Weiberleut find immer
theuer!“
„Die Nuſſen find mir zu
theuer, du Pölli!“ jchreit der MWeid-
knecht und fährt auf.
„Di, Hi, Hi!“ kichert der Kleine
Bub, der alleweil die Hände im Sad
hat, weil ohnehin die Läufeln bar—
fuß ſind.
„Was lachſt denn, Lecker?“ fragt
ihn der Stallbub.
„Weil ſie ſchon raufen wollen und
ſpielen noch gar nit!“
„Wem's Paar um ein' Kreuzer
zu theuer iſt, der ſoll zehn um ein’
Batzen haben“, jagt der Bauer.
„Sp wegen meiner!“ antwortet
der Großknecht und kauft ſich um drei
„Batzen“ Nüſſe. Der Weidknecht auch
jo viel, der Stallknecht nicht weniger.
Die Kuhdirn will auh um einen
Kreuzer.
„Du friegft nur achte“, fügt der
Bauer, „weil du fie eh jammt der
Schalen ist.”
Gelächter. Aber die Kuhdirn jagt:
„Kannft du felber thun, Bauer, mir
thäten ſie zu viel reireln im Magen.“
„Der Bauer iſst ja aud die Erd-
äpfel in der Haut“, jpöttelt der
Weidknecht.
„Nau, abziehen werd' ich ſie mir
nit laſſen vor dem Nachtmahl“, ent—
gegnet der Bauer und zählt jedem die
gewünſchte Anzahl Nüſſe vor.
So ſitzen fie nun beim Tiſch und
jedes hat vor ſich einen Haufen Nüſſe.
Die ſind anſtatt Münzen, und für
„Nuſſen“ wird jetzt geſpielt. Sie
ſpielen „um den letzten Stich“, wer
den Hat, der belommt von jedem eine
Nuſs. Das ilt leicht Fajslih, da kann
ſogar das Abwaſchdirndl mithelfen;
wenn ſie auch die Karten noch nicht
fennt, allemal eine Nuſs hergeben, das
fann fie doch — Heißt das, jolange fie
ihrer hat. Auffallend ift es, wie bei
FE
59
wit zugrund.“ Dabei jchielt er ein
bijschen auf ihre Karten, die fie wie
einen Fächer in der Hand hält, prüft
danı feine Karten in der Hand und
tritt dem Nachbar ein wenig auf die
Sehe. Diejer wirft keck das Blatt aus
und wird „gezwidt“, denn der Fuß—
tritt war ein faljcher gewejen, Hatte
den Spieler mijsleitet. Die Stalldirn
macht den legten Stich und ift über«
raſcht von ſolchem Glüd, dafs fie vor
|Sihret aufichreit, als hätte fie mit
joldem Spiel zwijchen beiderlei Ge= jihrem Stiche wirklich jemanden er—
ſchlechtern faſt allemal die Männer ſtochen. est vollen ihr die Nüffe zu
gewinnen und die Weibsbilder büpen. und bald darnach erklärt der Bauer,
Man mufs aber willen — das heißt,
man darf es nicht willen — wie jich
erftere beim Spiel unter dem Tiſche
einander auf die Zehen treten, ohne
daj3 auch nur ein einziger „Au meh !“
ſchreit.
An der männlichen Seite häufen
die Nüſſe ſich zum Verwundern, „und
wo Tauben ſind, da fliegen Tauben
zu!“ ſagt die Küchenmagd und ſchupft
mit der Hand die neuerdings ver—
ſpielten hinüber.
„Die redet jetzt von Tauben!“
bemerkt der Weidknecht.
„Ja, von tauben Nüſſen“, jagt
der Großknecht. „Die muſs lauter
jolhe haben, von der mag ich feine.“
„Hat der Fuchs gejagt wegen der
Trauben !* jchreit die Küchenmagd
und hebt die auszufpielende Starte
wie einen Dolch: „Geſtochen!“
Diesmal hat fie den legten Stich
und nun rajcheln ihr von allen Seiten
Nüffe zu, daſs fie dor Freuden kichert.
Umfo Hleinlauter ift die Kuhdirn,
ihr Vorrath ift alle, zwei einzige Nüfs-
lein und noch dazu Heinwinzige (denn
die großen Hat fie im ihrer Gut—
müthigkeit zuerſt Hergegeben), Liegen
an ihrer Seite; — zwei feindliche
Stiche noch, und fie ift fertig.
Und auf diefe paar Nüſſe lugt
ein mitletdiges Auge — das Auge
des Stallknechtes. „Nit verzagen,
Grethel“, jagt er ſchmunzelnd, „ſo—
lang noch das Paar ift, geht die Welt
e3 wäre morgen auch noch ein Tag.
„Zum Spielen!* jagt der Weid—
knecht.
„Zum Korndreſchen!“ ruft
Hausvater, „früh auf heißt's.
jetzt ſchlafen gehen!“
„Ich thu' früher meine Nuſſen
eſſen“, meint der Dalterbub und zer—
drüdt die erfte mit dem Handballen
auf dem Tiſch. Der Großknecht öffnet
feine Gewinnſte mit einem Fauſt—
ſchlag. „Daun!“ fchreit er, als der
roſtige Kern zum Borfchein kommt,
„iſt jo ein kohlſchwarzer Teufel drin!”
| Ein ſchneeweißer Engel wird
init dein fein in Nuffen, die einer
‘erfalichelt“, bemerkt der Weidknecht.
„Wer Hat erfalichelt 2 jchreit der
Großknecht und Haut auf den Tiſch,
dafs die Nüffe zum Tanzen anheben.
„Ho“, jagt die Küchendirn zu
den Nüſſen, die fie fängt, „im Advent
it das Tanzen verboten !”
„Wer Hat gefalfchelt?* ſchreit der
Großknecht, „du!“ und jchleudert
dem Weidknecht eine handvoll Nujs-
ihalen ins Gefiht. Jetzt Führt der
Meidfneht los, padt den Gegner am
Hemdfragen ; die anderen wollen ab—
wehren, aber da die Arme fchon ein»
mal zugreifen follen, fo fchlagen Sie
auch munter drein, die Karten flattern
wie Unzücht, die Nüſſe fliegen raſchelnd
in den Lüften und ſpringen wie ge—
herter Hagel an alle Wände, Käſten
und Wänfe, bis fie zu Boden follern.
42
der
Und
Der Heine Bub reibt ſich vergnügt
die Heinen Fäuſte ineinander, denn
der Gewinn ift fein, Alle Nüſſe, die
ih in den Winkeln verkollern, fallen
ihm zu, morgen, wenn er Jagd dar—
nah Hält. Heute iſt's ſchon zu finiter
dafür, denn auch die Sterze hat ihre
Tadel befommen, und der Bauer ruft
heftig: „Die Saggra follen aufhören zu
balgen, ihre Arme und Beine zuſam—
menfuchen und fich ins Neft troflen!*
„Kein Wunder wär's mit, wenn
ich ftatt meinem einen fremden Fuß
derwiſch, bei der Finſtern!“ fcherzt
der Weidknecht.
„Und ich mufs meinen Kopf ver-
loren haben“, knurrt der Großknecht,
„der, dem ich jetzt aufhab’, der paſst
mir nit, Brummen thut er.”
Unter ſolchem Warteln zerftrenen fie
fi und bald wird's ftill im Staggelhof.
Das „Nuffenfpielen“ wiederholt
ih nun jeden Abend, gerade jo oder
ein bifjel anders, durch den ganzen
Advent, über die Weihnachtsfeiertage
bis Neujahr,
Und in der Neujahrsnadt iſt's,
dafs die Stalldirn, die Grethel, bei
ſtets verjchlofjener Thür, auf ihrem
Bette fit und die Nuffen zählt, die
fie in einer Schürze eingejadelt hat.
Sie weiß felber nicht, wie jie da—
zufommt, kennt mit einmal alle
Karten und Hat einen Gewinn von
etlihen Dutzend aufzumeilen. Hat
aber nod) feine gegeljen. Sie ijt ihnen
juft nicht Feind, den Nufsternen, die
Leute jagen, man würde fett davon,
befonder® wenn man auch fleihig
Schweinsbraten dazu eſſe — doc fo
ganz allein mag fie nicht nafchen, da
ihentt fie das ganze Schürzel voll
lieber weg.
Natürlich fragt jebt einmal wer
zum Fenſterl herein, ob fie feinen
Nufstnader brauchen könne?
natürlich iſt's der Stallbub. Wie er
heist? Wenn fie Grethel heißt, fo
wird er Hanſel Heiken, natürlich.
„Ich hab’ mir’s ch gedacht”, jagt
die Gretel.
Und |
660
„Was haft dir eh gedacht?“ Fragt
der Danjel.
„Dafs du mir die Nuffen haft
zugeſchanzt, weil du ein falſcher Ding
bit! Und dafs du fie jeßt wieder
haben willft, das weiß ih aud.“
„Das alte Jahr dauert nur mehr
eine Viertelftund“, jagt draußen der
Burſche, „aber ih erfrier noch im
alten Jahr, wenn du nit aufmadhit.“
| „Lapp, jo geh in dein Bett,
dort wird's offen fein.“
„Mein Bett ift mir nir feltfam.
— Grethel, was zu reden hätt’ ich
mit dir.“
„Haft dir auch die richtige Ge—
fegenheit dazu ausgeſucht.“
„Weil ich mir vorgenommen hab’:
noch im alten Jahr red ich. Jetzt iſt
nimmer lang Zeit. Geb ber, greif
meine Hand an. Wie ein Eiszapfen
jo kalt.“
Das Handangreifen ift ja nichts
Schlechtes, denkt jich die Grethel und
‚geht zum Fenſter; aber die Hand ift
wärmer, als fie geglaubt hat.
„Gernhaben ſollſt mid!“ flüftert
ihr der Hanſel an die Wange.
Diefe wird — ſoviel man beim
matten Amplein fieht roth und
das Dirndl haucht: „Gernhaben ift
Siünd.“
„Wer hat denn das gejagt ?“
„Der Pfarrer Hat’3 gejagt. Das
Gernhaben ohne Heiraten ijt grob
Sind! Geh, laſs mich aus, du brichit
mir ja die Finger ab.“
„Das Patſcherl gehört mein“,
flüftert er, umd ich möcht gern, dafs
wir zwei zufammenbeiraten.“
„Ja“, meint fie, „auf was denn?“
„Auf dich und mic.“
„Haft ja fein Örtel, feinen Heim:
gang, und ih Hab’ auch nit viel
mehr.“
„Dal3 du aber jet an folde
Saden denfen magit! Wo mir fo
falt iſt!“
| „Der Pfarrer“, fo drauf fie, „der
will das Heiraten nit erlauben, went
lzmwei & Leut nix haben.“
= mn mE vun. — — — —
— — = — —
0
Sebt wird dem Hanſel warn.
„So!“ jagt er, „der Pfarrer will
das Gernhaben nit erlauben, ohne
Heiraten! und das Heiraten will er
auch mit erlauben? — Was jollen
wir denn nachher machen?“
„Halt ſchön brav bleiben !* meint
da3 Dirndl.
„Brad bleiben! Brav bleiben!
Sollen’3 audere probieren!” So der
Danfel. Zornig, zornig ift er und
alfo lauft er in die finftere Nacht
Hinaus, ins neue Jahr Hinein.
Die Grethel geht traurig zu ihren
Bettftufen zurüd und fagt: „In
Sottesnamen, muſs ich halt meine
Nuſſen allein eſſen.“ Iſst aber feine
einzige, Und vor dem Einfchlafen
fonımt es ihr noch zu Sinn: Wer
weiß, wie kalt ihm gewejen tt!
Am Neujahrstag in der Kirche
nimmt fie ſich Feit vor, brav zu
bleiben, auch im nenen Jahre wie im
alten. Freilich, jo denkt jie, zwei,
wenn fie nichts haben, wie follen ſie
denn zulammenheiraten ? Bettelleut’
machen. — Bleiben fie aber allein,
jo iſt's auch nicht viel beſſer. Sie hat
niemanden als ein paar arme Bere
wandte, davon find ihr jene die lieb—
jten, die ſchon geitorben ſind. Die
Lebendigen möchten fie nur ausnutzen,
folang fie arbeiten kann, nachher
nit dem Santmelforb gehen laſſen
von Dans zu Haus: „Ach bitt’, ein
armes Dienftbot, das nit mehr arbeiten
kann!“ — Fa, da heißt's wohl auch:
Verlaſſen, verlaſſen, wie ein Stein
auf der Straßen! — In der Kirche
betet die Grethel ſchon lange nicht
mehr um Glück und Segen, das hilft
bei ihr nicht viel, jondern um Geduld,
und die erbittet jie. — Nah dem
Sottesdienfte muj3 fie an der Kugel—
bahn vorüber, two mehrere Burjche
fugelichieben. Auch der Hanſel ift
dabei; der hat's eilig, daſs er von
der Kirche auf die Kugelbahn kommt!
Weiß er's nicht mehr, was der
Pfarrer einmal gepredigt hat: der
661
Eckſteher oder der König in der
Mitten; und das Schickſal iſt die
Kugel, rollt vielleicht im Augenblick
ſchon den Laden heran und ſchlägt!
— Weiß er's nicht mehr? — So
denft das Dirndl, an dem ſogar noch
bon einer Predigt was hängen bleibt.
— Aber ichieben thut er nicht un—
eben, der Hanjel! Die Grethel bleibt
ein wenig ftehen, als ob jie das
wollene Umhängtuch beſſer knüpfen
wollt, dieweilen iſt ſie nur neugierig,
ob er was trifft. Jetzt ſchiebt der
Schachen-Knecht; Jeſſes, der wirft
weich. Wenn einer nicht einmal den
Laden trifft, wie erſt den Kegel! So
ein Mann, das wär' eine Freud! —
Jetzt ſchiebt der Domer-Franzl. Hau,
der zielt laug! Mit einem ſchreckbar
großen Schwung ſchleudert er die
Kugel ſo heftig hinaus, daſs ſie
draußen anftatt im die Kegel an die
Wand fchlägt, hochauf bis zur Dede
Ipringt, zurüdpralli und wieder eine
Strede nah rückwärts rollt. Alle
Kegel Stehen. Wenn des Menfchen
Schidjal nicht Schlimmer wär’! Denkt
ih die Grethel. — Jetzt ſchiebt der
Hanfel. Der zielt ruhig, und ohne
viel Anftrengung ſchupft er die Kugel
aus der Hand. Ganz ebenmäßig rollt
fie den Laden hinaus, ſchlägt zwei
Edjteher, drei Seitenfteher und den
König. —
Gerade einen Stoß ans Herz
gibt's dem Dirndl, daſs der Hanſel
gar jo gut teifft. Auf jo einen kunnt
man ſich Schon was einbilden, denkt
fie und geht weiter.
Am darauffolgenden Abend Hopft
er wieder aus Fenſter. Sie verriegelt
eilends die Thür, löſcht das Latern-
licht aus und gibt feine Antwort.
Sp wird’3 bald wieder ftill. — In
derfelben Nacht träumt ihr, es wäre
Sommer. Auf den Baum ſtünde ein
Mann und ſchüttle Nüſſe herab und
fie halte die Schürze auf. Der Mann
habe ein Geficht, jo ſchön wie ein
Engel, aber ein falbes Schnurrbärtchen
Menſch iſt jelber ein Kegel, ob ein|drin. Schneeweiße Zähne und fohl-
662
ſchwarze Augen und die Nüfle jo
groß wie eine Kugel auf der Kegel—
bahn. Jebt ſchaukelt er fih auf einem
Aſt, himmliſcher Bater, wie jchön er
ih ſchaukeln kann! Sie wendet
fein Aug’ von diefen lieben Menfchen.
Auf einmal bricht der Aft, und in ihrer
Schürze liegt der Danjel.
So ein dummes Tränmen, wo man
patſchnaſs wird vor lauter Schwißen !
Am nächſten Tag iſt Arbeit.
Arbeit ift doch ein rechtes Glüd, denft
fich die Grethel, auf was der Menſch
für närrifche Gedanten käm', wenn er
alleweil müßig umgienge! Der erite
Teiertag gehört dem Herrgott, der
zweite daneben jchon ein bijjel dem
— Mrbeit macht müd und)
wenn man müd ift, will man fchlafen, |
und wenn man jchlafen will, muſs man |
Teuxl.
das Fenſter vernageln mit einem Brett,
daſs die fürwitzigen Leut nicht herein—
Mit großem Fleiße verrammelt ſie
das Fenſter und rückt noch vorſichts—
halber einen alten ſchweren Trog hin,
daſs die Bretter nicht weggetaucht
werden können. Jetzt ift fie allein
beim lieben Vieh und fein Menjch
fann ihr an. Noch ein wenig an
ihrer Truhe ſitzt fie und flidt ein
geflidtes Yöppel. Je mehr Fliden
drauf, defto wärmer hält ed. Der
Arbeitsmenſch muſs geflidtes Gewand
zweimal jo lang tragen, als ungeflidtes.
„Noch fleißig bift, Grethel!“ jagt
er, denn auf einmal fteht er vor ihr.
Dat fie das Fenſter bummfeſt ver—
nagelt und vergefjen, die Thür zu
verriegeln!
„Was thuft denn du da?“ fährt
fie ihn an.
„Ein biffel Nuffen eſſen helfen“,
flüftert der Daniel.
Ah Gott, Herr Pfarrer, freilich,
Ihanen können, jonft it kein Fried. — | freilich Jollten fie brav bleiben!
© mein Gott, gebt einen Gott mir!
Gedicht von Robert Hamerling.
O mein Gott! gebt einen Gott mir!
Stedt denn feiner in den leeren Winfeln allen
Des weiten Weltbau’s? Kein Gott mit Ohren,
Mit weiten off'nen Chren, mid zu hören?
Mit großen ftarken Händen, mir zu helfen?
Kein Gott, der Augen bat, die übergeh'n
Vor Mitleid, und mit — einer Gallenblaje
Die itberläuft im Born, wenn er bemerft,
Mas ich erdulde? Heiner, der da jagt:
„Ja, ja, mein Eohn, du bift unſäglich elend,
Dir mus geholfen werden!“ Kleiner, der
Nah einem Blitzſtrahl greift und endlich züchtigt
Das gottvergesjenftevon allen Weibern,
Das aljo ſchnöd' mid quält.
O! wie die Leute
Der Sidjeeinjeln, jchnöde Fetiſchdiener,
Ohrfeigen ihren Gott, wenn fie zufrieden
Mit ihm nicht find, jo zürn’ ih meinem Gott,
Dais er fein Gott mit Obren ift, fein Gott
Mit großen ſtarken Fäuften, mir zu helfen,
Dajs er niht außer, neben, vor mir iſt.
Nur in mir, und in alle Emigfeit
Nicht ffärter als ich ſelbſt ..
eg ——
E
Der literariſche Geiſt Berlins.
Eine geſellſchaftliche Studie von Otto von Leixner.“)
IJꝓ Großſtadt hat ihr geiſtiges
Klima, das für einige Anſchauun—
7 gen günftig ift, für andere nicht,
Mit dem Übergange zur Weltitadt ſcheint
die Eigenart diefer Luft etwas ab:
zunehmen, nach manchen Richtungen
vollzieht ih ein Umſchwung vom
jelbftändigen Weſen zur Einförmig-
feit. Wie Traht und Äußeres Be—
nehmen Sich einer Durhichnittsform
nähern, jo aud Empfindung und
Denten. Es fommt ein „juste milieu“
heraus, das die große Mehrheit alle
mählich ſich ganz unterwirft, die An—
fichten über Staat und Kirche, Sitt-
lichkeit und Gejhmad modelt und ein
weltjtädtiiches Philiſterthum entwidelt.
Wohl wird jehr viel über Yortjchritt
geiprochen, und in Außerlichleiten des
Leben gewijs mit Recht. Aber dabei
erhalten ſich Anſchauungen über ge-
wife Dinge mit einer Zähigleit, die
mit der nervöſen Haft des äußeren
Lebens in auffallendem Widerjpruche
fteht. Der Zopf ift nicht jo leicht ab—
gejchnitten, weil er — man verzeihe
das Bild — in die Köpfe Hinein-
wähst. So hat der Wiener feinen
Zopf, der Londoner den jeinigen und
wir Berliner den unferigen.
Diejes zähe Feithalten läjst ſich
nun vielleicht gejchichtlih erklären.
Wer ſich jemals mit der Gejchichte
der Berliner Gejellichaft von Friedrich
des Großen Zeit an befajst hat, wer
die Zeit: und Wochenſchriften, die
kritiſchen Blätter, aus jpäteren Jahren
die politifchen fennt und wen die
Memoirenwerke u. ſ. w. nicht unbe»
*) Aus deſſen jehr empfehlenswertem Merle:
fannt geblieben find, der wird eine
merhvürdige Beobahtung machen
fönnen. Der gebildete Durchſchnitts—
Berliner war, jo oft jeit 1750 die
Moden des Empfindens auch ge—
wechjelt haben mögen, ſtets vorwie—
gend Verſtandesmenſch. Er fajste die
Dinge raſch und flug auf; er urtHeilte
ichnell, jehr gern mit ironischen Wen—
dungen fein Mijsfallen umkleidend.
Bei feinem ſtarken Wirklichkeitsſinne
ftand er ftet3 dem Nüchternen, Klar—
verftändlichen, dem Logifchen näher,
al dem Startempfundenen, dem
freien Spiel der Phantajie. Er liebte
Geiſt, Witz, befonders den Verſtandes—
witz, das Wortſpiel, die Satire, da—
gegen fehlte ihm der unmittelbare
Sinn für ſtillen, gemüthvollen Hu—
mor; er mußste ſich zu deſſen Ver—
ſtändnis erſt erziehen. Nicht mit ſehr
großem Erfolg. Der Berliner Verſtand
haſſte das Rührſame, aber in dem
Berliner Gemiüth lag doh Hang zur
Sentimentalität, der jehr oft das
Übergewicht erhielt, worauf die Selbit-
ivonie das geftörte Gleichmaß wieder
herzuftellen juchte. Uber die Töne
derjelben verfügte er ſchon im vorigen
Jahrhundert; die Neigung dazu ift
gewachfen mit dem ſich mehrenden
Geift der Kritik. Es find im diejer
Aufführung vortrefflihe Eigenjchaften
betont neben Mängeln. Dieje legteren
ließen fich vielleicht kurz als „feh—
lende Naivetät“ bezeichnen. Es
Scheint zwar etwas dagegen zu ſprechen.
Selbit die Kreife der Gebildeten jind
jehr leicht Durch irgend eine Strömung
„Sociale Briefe aus Berlin“,
mit befonderer Berüdjihtigung der focialdemolratiihen Strömungen. (Berlin. Friedrich
Pfeilftüder. 1891.) Siehe „Heimgarten“ Seite 558.
664
beeinflufst und unterwerfen ſich in ftets mehr oder minder die Kräfte des
Fragen der Bolitit wie der Kunst | Geiftes und nicht die des Gemüthes.
oder Literatur Fehr ſchnell dem re | Ihre Werke vermochten den fritiichen
theile eines einzelnen. Aber das iſt Berftand, die Einficht aufs ſtärkſte
eine Erfcheinung, die man anderswo | ‚anzuregen, fie entfalteten bleundenden
ebenfo beobachten kann. Die Viel- und oft auch echten Geift, Wis und
feitigfeit des Weltftadtlebens macht | Satire in reihem Maße. Dagegen
es unmöglich, fi außerhalb eines wird man jelten wahrnehmen Un—
beftimmten Kreiſes eigene Urtheile zu.
die Geſellſchaft fordert aber, ifchaft des Herzens — es gibt auch
bilden ;
dafs man auch über Nichtverftandenes
urtheile, und jo iſt's am bequemften,
fi) fremde Anfichten eigen zu maden.
Es gehört da3 zur meuzeitlichen Bil—
dungsheuchelei, Die leider
wuchert und faum jemals auszurotten
fein wird.
Diefer Mangel an Unmittelbarkeit
und naiver Friſche des Gefühlslebens
hat ſich von je in der eigentlichen
Berliner Literatur gezeigt. Gewiſs
find Ausnahmen vorhanden, aber die;
Mehrzahl derjenigen Schriftiteller und
Dichter, die geborene Kinder Berlins
waren oder fih ganz in deſſen Eigen
art eingelebt hatten, bejlätigt die obige,
Behauptung. Niemals hätte die nüch—
terne Aufklärung eine ſolche Stellung
gewinnen fünnen, wie zu Nicolais
Zeiten,
fie auf unferem Boden entjtand, den
Mengel an Naivetät des Gefühlslebens.
Tied ift dafür eine kennzeichnende
Ericheinung. Die Neigung, mit dem |
Verſtande über der Empfindung und,
der Phantafie zu ſchweben, die Ironie
ift viel weniger als Ergebnis der Ro—
mantit im allgemeinen, denn als
folches des Berliner Geiftes anzujehen.
Die weitere Entwidelung hat troß ,
des MWechfels der Stimmungen das
Weſen des Berliner Geiftes nicht ge—
ändert. Die hier geborenen Vertreter
der jungdeutſchen
zwar nicht mit Selbftjpott, aber fo
bedeutende — ſie ſein
mochten, wie z.
Herrſchende ihres
a bildeten
überall |
wäre das geiftige Klima ihr,
nicht jo günftig gewejen. Wohl wandte
ſich dann die Romantik gegen diejen
Geiſt, aber auch diefe zeigt, infofern |
Strömmmg jpielten |
Gutzkow, das
mittelbarfeit des Gefühles, Leiden-
eine folche des Kopfes, wie fie z. 2.
Gutzkow beſaß —, tiefgründenden
Humor.
Der folgende Zeitabſchnitt ſeit
etwa 1848 hat dieſe geiſtigen Grund—
züge auch nicht umgeſtaltet. Die
| führenden Männer waren zum Theil
bedeutend beanlagt, reich an Willen
und Verſtand, als Schriftiteller geiſt—
voll, nicht ohne Geſchmack, weniger
phantaſiereich, als Dichter ausge—
zeichnet durch einen Zug von reali—
ſtiſchem Gefühl, das z. B. bei Fon—
tane eigenartig hervortrat. Die reine
Lyrik brachte dagegen auch in dieſem
Zeitabſchnitte bis zur Gründung des
Reiches wenig Bedeutendes hervor.
Die jüngſten Jahrzehnte zeigten
vor allem die Erſcheinung, daſs die
neuen Stimmgeber der Kritik und
die Schaffenden in gediegener Bil—
dung an die Berufsgenoſſen der
früheren Zeiten nicht heranreichten,
und dafs der Einfluſs des Auslandes,
vornehmlich Frankreichs, ſtärler denn
je ſich geltend machte. Unterſucht
man die MWerfe, die der Mehrzahl
gefielen, auf ihren Gehalt, fo wird
‚man jehr leicht die alten Beitandtheile
erkennen; Verſtand, Wiß, Satire,
‚daneben Empfindſamkeit. Aber dieſe
Eigenſchaften ſind gegen früher ab—
geſchwächt; dem Berjtande Fehlt meiſt
‚der philoſophiſche Anhauch, den der
ı Berliner durch das Hegelthum erhal-
‚ten hatte, der Wiß iſt überwiegend
Wortwitz geworden, die Satire ent»
behrt ethiſchen Schwunges und die
Empfindſamkeit wurde, wie beſonders
in der „Bußenfcheiben-Epit“, füßlich
und verſteckt-ſinnlich.
nz
we
6065
Nun aber begann ſich die An—
ziehungskraft Berlins zu ſteigern und
lochte Talente aus allen Theilen
Deutſchlands herbei. Ein Theil der—
ſelben iſt von der ſtärkeren Strömung
ganz mitgeriſſen worden; einige be—
wahrten ſich die Unabhängigkeit,
fonnten aber eben deshalb tiefer
reichende Wirkungen nur im engeren
Kreiſen erzielen.
Daneben dauerten und vermehrten
ih fremde Einflüſſe, befonders die
des franzöſiſchen Naturalismus und
des nordiſchen und ruffiihen Schrift:
thums und wirkten auf das jüngite
Geſchlecht auch dort ein, wo dasjelbe
jelbftändig zu fein glaubte,
Betrachtet man die Schöpfungen
dieſer Schule, jo tritt uns die gleiche
Erſcheinung entgegen: je mehr ber—
liniſch die Erzeugniffe find, deito mehr
überwiegen die Cigenfchaften unferer
Eigenart. Gemüthshumor mangelt
ganz, Verſtand herrſcht vor, Die
Leidenschaft ift mehr im Kopf als im
Herzen; die Wendung zur Jatiriichen
AnklagesLiteratur Hat ſich vielfach
vollzogen ; die Phantafie iſt zurück—
gedrängt zugunften einer Beobachtung
eines Wirklichen, das bei den meiſten
ein Phantaſtiſches ift. Künſtliche
Schreis und Springpuppen find die
geihilderten Menfchen, Mechanismen
mit einzelnen jehr wirklich ſcheinen—
den Bewegungen, aber innerlich leb—
los. Die aufgefammelte Lebenserfah:
rung und Menfchenkenntnis Fehlt und
ebenſo die intuitive des Dichtergemüths,
denn nur wenige ſind Dichter; und
manche, die es im Kerne find, ſchämen
ih deſſen und werden Nachbeter
fremder Vorbilder und eines im tiefs
ſten Weſen undeutichen Naturalismus.
Wieder andere haben fich einer eroti—
ſchen Richtung zugemwendet, die ganz
nah Frankreich hinweist und nur
fittlih angefaulten Menschen wohlge—
fällt. Und zu den Gruppen der
ſchaffenden Schriftiteller geiellen ſich
die entiprechenden Stunjtrichter, die
mit hohlen Phrafen, bejonders unver—
ftandenen naturwiſſenſchaftlichen, wm
Jich werfen. Unterfucht man ihr Willen
auf diejem Gebiete, fo jieht man, daſs
jie bloße Bruchſtücke aufgelefen Haben
und nicht auf einem einzigen Natur—
wiilensgebiet, weder in Philoſophie,
noch fonftwo etwas Gründliches ver—
jtehen. Gründlich find fie nur im der
Flachheit. Die aber Willen, wenig»
tens literargefchichtliches beligen, ent—
‚behren des Gemüthes faſt vollitändig.
Troß aller echten Begabung, die
mancder der jüngften Schriftiteller
beſitzt, trotz einzelner wertvollen
Schöpfungen, befonders in Roman,
Lyrik und Gedankendichtung, iſt die
| Bewegung nur infofern von Nußen,
< fie einerfeit3 den Bid für das
Schablonenhafte mancher Berühmte
(heiten gefchärft, amdererjeit$ gezeigt
hat, wohin der Naturalismus in
Deutichland führt. Sie hat Efel und
Langeweile erregt. Auch das ift ver-
dienftlih, wenn es auch gegen Die
Abſicht erreicht wurde,
Us Berlin der ftaatlihe Mittels
punkt des Meiches geworben war,
machten fich vielfah Stimmen geltend,
die auch für das geiftige und litera=
tische Leben eine größere Einheitlich-
feit verlangten. Sie find niemals
mehr ganz verftummt Das Vorbild
von Baris ſpukt in den Köpfen. Wie
diejes, jollte auch die Reihshauptitadt
die Beſten des Reiches an lich ziehen, nun
jo allmählich die unbedingte Herrſchaft
in WUngelegenheiten der Kunſt, des
Ihönen Schrifttgums, des Geſchmacks
zu erringen. Der örtlichen Heimats—
liebe mag die Vorftellung ſchmeicheln,
daſs alle anderen deutichen Stüdte
als aufmerkſame und gehorlame Diener
einfach die Vorſchriften der Reichs
hauptitadt zu vollziehen hätten, daſs
nichts auf Erfolg und Auerkennung zu
rechnen hätte, was nicht zuerft Hier
bei uns als würdig verbrieft und ver—
fiegelt worden ſei. Jeder Berliner aber,
der wahrhaft deutich denkt, wird dieſe
‚Voritellung von ſich abweilen, deren
Verwirklichung ein Unheil wäre,
Ich weiß, was uns die Klein—
ftaaterei, die Eiferfucht der Stämmte
gefoftet Hat ſeit Väter Zeiten. Es
bedeutet den taatlihden Unter—
gang des Reiches, wenn jemals der
Sondergeift, der noch immer nicht
ganz erlojchen ift, die Übermacht ge—
winnen follte Nur in der Einheit
liegt unſere politiiche Kraft, in ihr
unfer Einfluf3 auf Europa, unjere
Bedeutung für die Welt. Alle die
grogen Anderungen, die in gewiſſen
Grenzen eine Neuordnung der Ge:
ſellſchaft und Verſöhnung der Gegen-
ſätze anſtreben, alle Beſtrebungen,
uns einen Antheil an dem noch freien
Reſt der Erde zu gewinnen, und ſo
vieles andere: mit dem Reiche gienge
alles in Trümmer.
Uber jo ſehr das zu beklagen
wäre, ebenjo gefahrvoll müſste es
für unfer Geiftesteben wirken, wenn
Berlin ein Paris werden follte. Die
Neihshauptitadt kann nur einem
Theile des deutſchen Weſens gejunde
Luft bieten, nur einen Theil deſſen
liefern, was wir Deutſche an geiftiger
Nahrung bedürfen. Der Reichthum
und die Vielgeftaltigleit unferes Volks—
wejens ift aus der Eigenart der
Stämme hervorgewachlen. Schwaben
md Helfen, Franken und Bayern,
Rheinländer und Preußen find die
einzelnen Saiten der Riejenharfe, die
der deutjche Genius handhabt. Jede
hat ihren beftimmmten Klang, und nur
aus aller Zuſammenwirken ift das
hohe Lied hervorgegangen, deſſen
Melodie in den Schäßen deutjcher
Dihtung niedergelegt if. Natur und
Geihichte Haben jeden Stamm be—
fonders erzogen zu einem Eigenwefen,
das ih micht aufgeben könnte, ohne
jein Beſtes zu opfern. Und dazu ges
jellen ſich noch Deutfch-Ofterreich und
die deutiche Schweiz.
Die Vielfältigkeit der Stammes-
eigenart ift micht mur zu Fchonen wie
eine wunde Stelle, fondern als ein
Borzug zu pflegen. Gin Hebbel hätte
nicht in Hamburg, ein Schiller nicht
666
in Berlin, ein Gußfow nicht in
Stuttgart, ein Goethe nicht in Wien
das werden können, was jie geworden
ind; Uhland, Juſtinus Kerner, Fritz
Reuter wären niemals in Berlin zu
ihrer Eigenart gekommen, ebenſowenig
wie etwa Alexis, Gutzkow oder Spiel—
hagen in Stuttgart oder Weinsberg.
Gewiſs lag in all diefen Männern
eriten und zweiten Ranges ein Stern,
der umabhängig war von der Um—
gebung und Stammesart. Aber durch
diefe erhielt daS Gewächs jeine be=
ſtimmte Farbe und Richtung.
Der Schwung des Südens, der
gemüthliche Humor des Bayern, die
ſtachliche Herbigkeit des Schwaben,
die naide Lebensfreude des Rhein:
länder, fie alle haben ihren Wert
und ebenjo Hat ihn die Eigenart des
Berliners. Aber nur ebenfo und nicht
mehr. Die vielen kleineren Mittel:
punkte und Bildungsjtätten jind ein
foftbares Beſitzthum und ihre Ber:
ftörung bedentete Verarmung des
deutschen Geiſtes- und Gemüthslebens.
Gerade die Heineren Hauptſtädte haben
auch den Vorzug, dafs fih in ihnen
Begabungen freier entwideln können,
während in Weltftädten die Mode zu
einer gefährlichen Macht heranwächst
und mit ihr eine Abtrennung vom
Naturleben fich vollzieht. Es werden
jtetig mehr künstliche Lebensbedingungen
entwidelt, aus denen fünftliche Gefühls:
und Denfweijen hervorgehen. Das Ur—
jprünglide kann ſich nur ſchwer
halten, das Ungeſunde, Erregte, Über:
reiste findet eher den Boden zum Ge:
deihen. Das raſche Alltagsleben bringt
ftets Neues und vergijst es ebenjo
raſch. Die ftille Einkehr in ſich wird
dein Schaffenden erſchwert, Gedanken,
Gefühle und Geftalten Haben felten
Zeit, ruhig der Reife entgegenzu—
wachen, und die Sunftgeniegenden
find ſelten geneigt, ſich in das Ernſte,
Eigenartige fill himeinzuleben. Alles
was pridelt und vielleicht fogar un—
gefunden Trieben jchmeichelt, was
raſch vom Verſtande begriffen werden
Lu U) 2 CE ug Gen nn 0 0 5 7
—
«
fan, was mit Witz zu ſpotten ver- | Spiegel vorhalten.
jteht und die Fragen des Tages ges!
Ihidt zu derwerten weiß, all das
findet jofort jeine Verehrer. Blitzen—
den Geift verſteht man, Tiefſinn nicht ;
Eleganz wird begriffen, nicht ruhige,
echte Schönheit ; bewegliche Frivolität
findet taufend Gönner, ftille Anmuth
bleibt faſt unbeachtet; ſpielender Wit
und oberflächliche Satire zünden, ge—
müthvoller Humor lebt ein Stilleben.
Ich ſpreche hier nur von der herr-—
ihenden Mehrheit, welche die Stim—
mungen und Geſchmacksrichtungen
macht.
So ergibt ſich in den heutigen
Weltſtädten ein geiſtiges Klima, das
der Entfaltung der echten Poeſie im
allgemeinen wenig günftig it. Man
hört wohl oft die Behauptung: „Die
moderne Poeſie muſs mit dem voll
entfalteten modernen Leben in innigite
Verbindung treten. Darum kann fie
nur in den großen Mittelpunkten
gedeihen.“ Beweiſen läjst ſich natür—
lich auch das. Aber vorher müfste
dargethan werden, ob das, was ſtreng
modern iſt, ſich dichteriſch geftalten
läſſt, zu bleibenden Gebilden ver—
| 667
Das aber wird
er nur fönnen, wenn in feinem Ges
müthe die Leitbilder leben des Höch—
ften und Edelften, dejien der menjch-
liche Geift fähig if. Diefes Edelite
und Höchfte ift aber in dem nur
Modernen in geringem Maße enthal—
ten und verkörpert ich jedenfall nicht
in dem, was man Weltjtadtleben zu
nennen pflegt. Der Lärın und das
wilde Treiben desjelben wird int Ge—
gentheil zumeift daS Ohr des Geiſtes
taub machen für die ftille Stimme
der eigenen Bruſt. Ohne diefe zu
vernehmen, vermag jedoch feiner Werke
echter Kunſt hervorzubringen.
Gefährlich ift auch, daſs ein Theil
der jungen Kräfte meint, die Poeſie
jei nur durch einen Bund mit der
Wiſſenſchaft, natürlich der „moder—
nen“ zu erneuern, Diefe Anficht kann
noch manche Begabung zugrunde rich—
ten. Kunſt und Wiſſenſchaft find aber
nicht dasjelbe, wurzeln in anderen
Kräften, arbeiten mit anderen Mit—
teln. Dier Logik des Verjtandes, ſinn—
lihe Erfahrung, unbedingte Gebun—
denheit — dort Gemüth, Einbildungs-
kraft, Freiheit dem Stoffe gegenüber.
wendet werden kann, oder ob es nicht; Der echte Dichter ergreift die Vor—
vielmehr durch fein ganzes Meien! ſtellung der Außenwelt und belebt fie
auf Verförperung durch Mittel ans | durch fein eigenes Wejen, aus der
gewiejen ift, die dom Gebiete der! Fülle eigenen Lebensgefühles ftellt er
Kunſt überhaupt weit abliegen. Aus fie als Ganzes, als Einheit Hin; die
dem gährenden Stoffe der Gegemwart Erfahrungswifjenichaft aber muſs ftets
tann meiner Überzeugung nah nur ein Stüdhen äußerer Wahrnehmung
der Berftand und die That, die un- an das andere fnüpfen, aber kann
mittelbar auf Lebensformen gerichtetelniemals Leben ſchaffen, denn das
That ein feſtes Gebilde ſchaffen. Im} Leben ſelbſt iſt für fie eine unlösliche
dieſem Sinne aber ilt der echte Dichter] Erſcheinung. Kunſt und Wiſſenſchaft
niemals Thäter. Läſst er ſich von)
dieſem Zeitgeiſte dennoch überwinden, | haben.
dann bleibt ihm nur eins: Tendenz—
dichter im üblen Sinne des Wortes
zu werden und jeine Kraft zu ders
Ihwenden. Damit ift nicht verlangt,
dafs er fih ins Schnedenhaus des
jogenannten „Rein Menjchlichen“ zus
rüdziehen jolle. Er kann und foll die
Zeit zu begreifen ſuchen, ſoll ihr, |
wenn feine Kraft ausreicht, den!
en darum nie diejelbe „Methode“
Nie, troß Zola, denn das
Gute, was er gefchaffen, ift nicht auf
dem Wege des „Erperimentes, Der
Erfahrung“ gewonnen, jondern aus
der Einbildungsfraft, aus dem Ge—
miüthe geboren. Aljo mit dem gleichen
Mitteln, mit denen die geſchmähten
Alten und Uberwundenen gearbeitet
haben. Da aber der Hauptitoff der
Dihtung — der Menih — im Weſen
va ern
ſich nicht viel ändert;
der Dichtkunft:
al3 den fie von einzelnen Hitföpfen |
bingeftellt wird. Am wenigiten ein
ſchon gejtorbener, deſſen Leiche zum
Himmel ſtinlt. Einige junge Herren
arbeiten an einem Homunkulus der neu—
eren Äſthetik — er wird das Schick—
jal des Bathybius Haeckelii theilen.
Komiſch aber wirkt die ftete Be—
rufung auf die Naturwiljenichaften,
weil fie die Unkenntnis derjelben be-
fundet. Die Gründer der meuen
Aſthetik kennen meiſt kaum einige
„populäre“ Darſtellungen und haben
feine Ahnung davon, wie die ftrengite,
ehrlihe Wiſſenſchaft heute jich gegen!
jo viele Glaubensjäße der materialis ,
ftifchen Dogmatik kühl, ja einfach ab—
da die Mittel)
Einbildungsfraft und
Gemüth die gleichen bleiben, fo ift auch
die Aſthetik, wie fie ſich als Wiſſenſchaft
entwidelt hat, nicht der ſterbende Maun, dieſe Erneuerer der Dichtung
668
lehnend verhält. Hüte, die in den
Städten nicht mehr Mode find, trägt
man ſtolz Sonntags auf dem Lande.
Mit demjelben Selbftgefühl tragen
und
Afthetit abgetragene Gedanken number
und dünken jich „modern“.
| Soll ſich vielleiht das übrige
Deutichland auch diefe Seichtheit zum
Borbilde nehmen? Das alles find
Bährungsvorgänge, die ſich als jolche
umſo deichter veritehen laſſen, da
ähnliche Erjcheinungen auf allen Ge—
bieten zu beobachten find.
Übrigens jei bemerft, daſs ich
gegen die „Jüngſten“ unter den noch
Jüngeren eine entjchiedene Gegen:
ſtrömung erhebt, und dajs in diejer,
'troß der Anerkennung gefunden Wirk:
lichkeitsſinnes, fich der lebendige Puls»
ichlag eines warmen Idealismus be=
merkbar macht.
Da Didterling.
(In Vollsmundart.)
Heind war ih dichteri, heind mecht ih dichtn,
Wir mar afn Tiih gleih a
AU Bladi Bapier, a federn,
Schreibzeug herrichtn,
a Tintn, \
An Streufond, an fein, wern mar nachher wul jindn.
Diaz, warn ma gor einfolln ah noh wos medt !
Ah däs wa nit Shleht! Ah däs wa nit ſchlecht!
Pochen.
Bon Olto Ludwig. *)
Reines Herz.
Eelig, dem
Die Götter geben
Ein reines, edles Herz.
Er trägt den Zauber in der reihen Hand,
Was er berührt, mit Wonne zu Durd:
ſchwellen.
Die enge Hütte dehnt ſich zum Olymp,
Wohin er ſeine Bruſt voll Götter bringt.
Nur den ıft arm daS Lehen,
Der es mit armen Augen fieht.
Ihm ſchmilzt der Dinge Frühling
Unter der gierigen Hand,
Drum, gütige Götter, erhaltet
Ihm, dem Glüdlihen, dem ihr fie gabt,
Die jelige Babe, erhaltet ihm
Im Bufen das reine, edle Herz.
zu ſtille Liebe.
Zwei liebten fih und mollten ſich's nicht
jagen,
Und kitisten fih auf eines Kindes Munde,
Und fahen fih nur in des Kindes Augen,
Und ſprachen fih nur durch den Mund
des Kindes.
Da ſtarb das ſtind. Nun lonnten ſie nicht
küſſen,
Nicht mehr ſich ſehn und auch nicht mehr
ſich ſprechen;
Da haben ſie ſich ganz in ſich gezogen,
Und immer fremder find fie ſich geworden
Und haben immer heiker fich gelichet,
Nah Kuſs und Blid geſehnt und ſüßer
Rede,
Und find? am End’ vor Sehnſucht gar
geftorben,
Das Mofkstied
ouß dem „Engel von Augsburg”.
Es hat ein Anab’ zwei Mädchen ſchön,
Kathrinden, die war blond,
Und Elsbeth braun, die muſs es jehn —
Er füjst den rothen, rothen Mund
Ohne Schmerzen.
Was ftiehlft du mir den Liebſten mein;
Und 's fehlt an Knaben nicht?
Du nennft ihn dein, er ıft nicht dein,
Zu fhön für dein Geficht
Ohne Schmerzen.
Und Hab’ ih nun zwei Augen Mar,
Dazu den jchlanfen Leib;
Der feinfte Knab', jo pajst’s fürwahr,
Freit um das feinfte, feinfte Weib
Ohne Schmerzen,
Mich Hat der Knab' zum Lieben fein
Und ‘did zur Narretei!
Braun Elsbeth zog ein Mefjerlein,
Stad ihr das Herz, das Herz entzwei
Ohne Schmerzen.
Da ſprang wohl längs der weißen Brüft’
Ihr rojenfarben Blut.
So geht es, wer zwei Lieben Kitist;
's thut wunder — munDderjelten gut
Ohne Schmerzen.
Blauer Himmel, Rüßne Keffenbänge.
Blauer Himmel, fühne Feljenhänge,
Durch das milde Grün Poetengänge,
Und ein kühles Flülshen drum gemwunden.
Ya, ein traulich Bild Hab’ ich's gefunden,
Mit dem Mak der Schönheit vollgemeffen.
Nur ein Mädchen, das mich juft verflände,
Das in mir, in dem ich alles fände —
Nur das Beſte ift dabei vergejien!
*, Aus defien ‚Geſammelten Schriften”, (Leipzig. Fr. Wild, Orunom, 1891.)
Die Abrede.
Drei Stufen hinauf und drei Schritt zu
der Thür,
Mein Mädchen, mein Schähchen, Schnell
öffne mir!
„Meine Hand jouf du faſſen, ſollſt jehn
mein Geficht;
Doch die Thüre, die Thüre, die öffn’ ich
dir nicht;
Mein Schat, das iſt wider die Abred’,*
So bin ich zur Liebe, zur Lieb’ dir zu
ſchlecht?
Und liebteſt mich wirklich, du liebteſt mich
recht!
„Sollſt frieren nicht auf dem kalten Stein,
Sp komm denn, mein Liebchen, mein
Lieben, herein.
Doch außerdem bleibt’3 bei der Abred',*
Wie heimlich, wie traulich dies Kämmerlein,
O ſollt ih Hier ewiglich heimisch fein!
Nun nimm mid, mein Mädchen, mein
Schäden, in Arm,
Laſs jhlagen die Herzen am Herzen jo
. warm!
„Mein Schab, das ift wider die Abred'.“
It die Lieb wohl über Nacht geworden jo alt?
Und das junge Blut jo bleih und jo kalt?
„Den Mund noch, da Haft ihn, mein
Lieben, zur Luit;
Und wiegen und klopfen mag Bruft an)
der Bruft,
Doch außerdem bleibt'3 bei der Abred'.*
Nun laj3 die Gewänder, mein Schäden,
mein Meib,
Tafs die Lieb fi erfreue, am Herzchen,
am Leib.
Wie bift du fo Tieb und fo Hart doch
zugleich;
Wie bift du jo geizig und bift doch jo reich, -
Mein Schäshen, o laſs doch die Abred'.
„Und bin ich fo lieb und bin ich jo reich,
Mein Liebchen, jo bin ich doch Hug zugleich.
Iſt alles gegeben, ift leer das Haus,
Dann bleiben die loſen, die Bettler aus.
Nein, Schätzchen, es bleibt bei der Abred’.*
Und fannft du mid jehen jo weh und
betrübt,
So haft du mid nimmer und nimmer
geliebt,
Und bift du jo falt und bift du fo flolz,
So drechsle dir einen Liebjten von Holz,
Der hört dir gemwijslich die Abred'!
„Nein, gehen im Zürnen, das follft du
mir nicht,
Nun zeig’ mie nur freundlih dein liebes
Geſicht.
Und können die jungen Glieder dich freun,
Da nimm mich, nimm alles, es ift ja dein;
Ad, Lieben, ach, dente der Abred’!*
„Was thuftdu, du Lieber, bu Böfer, du Dieb?
Darauf gieng dein Schmeideln, darauf
deine Lich’?
O lieh ih dich harren, o lieh ih dich achn!
Nun iſt's um die Ruh und die Freude
geihehn!
O hätt’ft du gehalten die Abred'!“
So geht's, ift das Liebchen dem Liebchen
fo gut,
Kommt zu ſchanden das junge, das arme
Blut,
Wenn die Wange glüht, und die Jugend lacht,
Wie bald im bergenden Arme der Nadt,
Wie bald ift vergeſſen die Abred'!
Erinnerung an den
w erite Studienjahr war vor—
iv über. Ich hatte während des—
— ſelben weder Hunger gelitten,
noch mir je einmal den Magen durch
Uberladung verdorben. Nun waren
die Ferien im Anzuge, die Seit,
welche den Studenten gemeiniglich
als zur Erholung und Beluftigung
bejonder3 geeignet erjcheint. Mein
Dater hatte mir bereits jchreiben
laſſen, daſs man mich in den paar
Herbſtmonaten zuhauſe - recht gut
brauchen könne, es ſei das Korn zu
Ichmeiden, der Dafer zu heimjen, das
Grummet zu mähen, das Vieh zu
hüten, das Brennholz für den Winter
zu bereiten. Meine Herren Profeſſoren
hingegen legten mir nahe, über die
Ferienmonate jene Unterrichtsgegen-
Hände nachzuholen, die von meinem
jechiten bis zu meinem dreiundzwan—
zigiten Jahre verfänmt worden waren.
Damit war die Art meiner Erholung
gegeben. Aber die Grundlage! In
der Stadt konnte ich micht bleiben,
denn ich Hatte mir im Laufe des
Schuljahres zu oft das Wort ges
geben: Wenn du brad lernft, dir die
Spaziergänge und andere Luſtbar—
feiten verſagſt, auch hübſch die Nacht
zubilfe nimmft, um den Geheimniſſen
der Arithmetik, der Sprachlehre u. ſ. w.
Ein Piebling der Steiermark.
Grafen von Meran.
Bon P. R. Rofegger.
eines davon Dach und Fach bieten
für einen fleigigen Studenten? Ach,
wenn der Prinz Johann noch lebte!
jo war mein Denken. Und da fiel
mir ein: Er lebt ja, und ziwar in
jeinem Sohne, dem Grafen von
Meran, noch dazu in meiner nächften
Nähe, zu Graz im Palais Meran.
— Mas that ich?
Ih that etwas ſehr Dreiftes. Ich
jeßte mich hin und jihrieb einen
Brief an den Grafen von Meran mit
der Bitte, er möge über die Monate
Auguft und September in jeinem
Sagdichloffe Brandhof am Fuße des
Hochſchwab mir eine Wohnung an—
weilen. Ich hätte viel zu lernen,
daher bedürfte ich der Ruhe, auch beab-
ichtigte ich Natur» und Bolksftudien
zu machen, wozu der Brandhof ein
bejonders günftiger Punkt jei. Meine
Bitte gründete ich auf den Umftand,
«dafs, wie ich gehört, das Jagdſchloſs
ohnehin die längfte Zeit leer ſtehe,
ih zudem nur ein Heines Zimmer
bendthige mit der Ausficht auf Berg
und Wald, die ich in der Stadt jo
lange entbehren gemufst.
Diefen Brief ſchickte ih ab an
jeine Adreſſe. Dann gieng ich zu
meinem Freunde Robert Wagırer,
einem jungen Schriftſetzer, und ges
dahinterzufommen, jo darfit du über |ftand ihm meine gute Hoffnung, die
die Ferien in die oberfteirischen
Berge! — Jetzt war die Zeit da.
Wohin aber, um auch Muße zuhaben
fürs Lernen ?
Die Hütten find alle überfüllt, aber
Ihöne Jagdhäufer und große Schlöſſer
ftehen leer im Oberlande. Sollte nicht
bevorftehenden Ferien an einem fehr
angenehmen Orte verleben zu können
— auf dem Schloſſe Brandhof in
Oberfteiermarf,
„Bilt du dort eingeladen ?* fragte
Robert.
„Einftweilen Habe ih mich nur
felbit eingeladen und in dieſem Sinne! „Wann haft du ihn in den Brief—
an den Eigenthümer, Herrn Franz kaſten geworfen ?*
Grafen von Meran, gejchrieben.“ | „Heute morgens.“
„Bift du mit dem Grafen bes „Dann ift er bereit an Ort und
faunt ?* Stelle. Du, vielleiht ſteht morgen
„Das nicht, ich Habe ihn noch nie | die Grafentalefh vor deiner Thür,
geſehen.“ mit Lakaien, einer hinten und einer
„Kennt er dich?" born, und der Graf läjst dich vier—
„Ich glaube nicht.“ pännig auf den -Brandhof Fahren.
„Sa, mit welchem Nechte kannt Haft du das nicht mit dazu befohlen ?*
du dem Herru ein folches Begehren „Ich bitte dich, mach' mich nicht
vortragen ?* raſend!“
Etwas befremdet mag ich drein— „Es iſt dir geſund. Du ſollſt nur
geſehen haben. „Mit welchem Rechte? einmal die reichen Leute, die hohen
Nun, ich brauch's eben und er hat Herren kennen lernen!“
es überflüſſig.“ Mein Freund war nämlich Social—
Magner ftarrte mich am und demofrat und wir hatten manche Schöne
fragte: „Bift du heute ſchon geküfst | Jugendftunde darüber verftritten, daſs
worden? Nicht? dann mußs ich dich ich dem Ariftofratismus der Grafen
füllen, du Heilige Einfalt!“ und Bauern das Wort redete, er aber
„Warum Einfalt? Du wirft ja tapfer die Rechte des Plebs verthei—
jehen. Morgen habe ich die Antwort.“ |digte, nur die Arbeiter al3 Edelleute
„Und du erwartet wirklich eine bezeichnete, dabei aber fat allemal
Antwort? Junge, du dauerft mich. zum Angriff übergieng und den Bes
Ich fagE dir, es wird Feine Antwort ſitzern Hof und Burg niederbramite.
lommen auf deinen keden Brief, und | Zum Glüde nur mit glühenden Wor—
wenn eine kommt, fo ift es eine, |ten, wobei feine Feuerwehr auszu—
die du wahrfcheinlich nicht viel ums rücken brauchte.
berzeigen wirft. — Ein Schloſs Recht verftimmt giengen wir an
wünſcht er fich zum Ferienaufenthalt, demſelben Abende auseinander, ber»
der Herr Beitelfiudent, das Lieblings | ſtimmt legte ich mich auf den Stroh:
ſchloſs des Erzherzogs Johann — |fad und mit dem Bewufstfein, tags»
weiter nichts. Ich kenne dich ſchon über eine große Dummheit begangen
jeit einem Jahre, du machit wirklich zu haben, ſchläft ſich's nicht gut.
feine großen Anſprüche an das Leben, Am nächſten Tage war Schule
aber für jo bejcheiden hätte ich dich | ſchluſs. Meine Kameraden reisten einer
nicht gehalten.“ nah dem anderen mit den Eiſen—
„Dein Spotten kannſt fein laſſen, bahnzügen in das Land hinaus, nad
Robert.” allen Richtungen hin, ich ſchaute ihnen
„Und wie die hohen Herrichaften | betrübt nach und wartete erſt noch
laden werden”, fuhr er unbarmherzig |auf das Antwortjchreiben des Grafen
fort, „wenn dein Brief die Runde | Meran. Ganz muthig ſah ich ihm
macht um die Tafel, und mie der entgegen, war auf alles Beite und
Graf ausrufen wird: Nein, einejauf alles Schlimmfte gefajst — aber
ſolche Frechheit ift mir noch micht es fam nicht.
vorgefommen !* Am übernähften Tage padte ich
„Meinſt du im Ernfte, dafs es denn mein NRänzel, um nach Alpel zu
unfchidlih war?“ fragte ich völlig | wandern und dort meinem Vater
verzagt. „Dann möchte ich meinen haufen und bauen zu helfen. Die
Brief doch Lieber zurücknehmen, viele | Grundfäge der Mathematit und der
leicht liegt er noch auf der Poſt.“ Grammatil werden in Gottesnamen
673
auch ohne mich nicht in Vergefjenheit
gerathen — aljo heimwärts.
Kam die Magd meiner Quartier
frau ins Zimmer: Ein Derr wäre
draußen, der habe gefragt, ob der
Studioſus R. zuhauſe jei.
Stand er auch ſchon in der Thür.
Ein Schlanker, ftattlicher, noch jugend=
licher Mann mit hoher Stirne, läng-
lichem, wohlgefärbtem Gefichte, darin
ein dunkelblonder Schnurrbart und
frifchhlidende blaue Augen. Um den
Arm hängend einen braunen Über—
rod, in der Hand einen jchwarzen
runden Hit, jo jtand er da und jagte:
„Ich finde Sie doc, lieber R. Sie
wohnen aber ganz hübſch, mit der
Ausfiht auf den Schlojsberg. — Ya,
ih fam, um Ihren Brief an mid
perjönli zu beantworten.”
Begann ich ſchon zu zittern; ihm
einen Pla anbieten! fiel mir ein.
Vielleicht ſchickt es ſich aber nicht.
Wenn er’3 wirklich ift! Ich deutete
ſtumm auf den Stuhl, er blieb ftehen
und fich mit der Dand ein wenig
den Schnurrbart über die Oberlippe
ftreihend fuhr er fort: „Sa, recht
gerne würde ih Ihnen auf dem
Brandhofe eine Wohnung für Ihre
Herienzeit einräumen; wie ich höre,
find Sie fleißig, allein Sie würden
dort verhungern und erfrieren. Das
Schloſs ift jegt ganz unbewohnt und
die Bedienung vom Meierhofe aus
liege manches zu wünſchen übrig ;
ſelbſt für einen anfpruchslofen Stu—
denten. Das Wetter iſt im Spät—
ſommer oft ſchon recht kalt im Ge—
birge, Sie würden ſich nicht behaglich
fühlen und die Einſiedelei thut einem
jungen Manne für die Länge au
nicht wohl. Wo feine Menfchen find,
fann man auch feine Boltsftudien
machen. Ich Habe es mohl überlegt
und mujs Ihnen von Ihrem Plane
entjchieden abrathen. Aber miſsver—
ftehen dürfen Sie mich nicht, mich
freut es ja, daſs Sie ſich jo offen-
herzig an mich gewendet haben, ich
möchte gerne etwas für Sie thun und
Kofegger’s „‚Ürimgarten‘‘, 9. Heft, XV.
hoffe, dafs ſich auch noch Gelegenheit
dazu finden wird, Was Haben
Sie denn da auf dem Schreibtifche
für ein bübjches Bild?“
„Es ift mein Vaterhaus.“
Hierauf fragte er, ob ih das
Bild jelber gezeichnet hätte, ob meine
Eltern noch lebten, welchem Berufe
ich zuftrebte, ob ich glaubte, dajs die
Naturdihtung einmal ihren Mann
ernähre? Denn man hieß mich zu
jener Zeit etliher Dialectgedichtchen
wegen, die bon mir veröffentlicht
worden, den jteirifchen Naturdichter,
ein Zitel, den ich immer jehr hoch
gehalten habe, obgleich ich weiß, daſs
mancher darunter etwas recht Ge—
ringes verftand. Nicht ein Unnature
dichter, jondern ein Naturdichter,
einer, der von Natur aus als Dichter
geboren und dazu beſtimmt iſt!
Shatejpeare, Goethe, Schiller haben
diejen Titel verdient; ich wollte, ich
hätte immer die Zupverficht, ein Na—
turdichter, wenn auch nur ein kleiner,
zu fein. Wohl auch der Kunſt—
dichter mufs es endlich fo weit brin—
gen, bis er dem Naturdichter aufs
Haar ähnlih ſieht. — Nicht etwa,
als ob ich meinem Gafte das fo vor—
dociert hätte! Im Gegentheil, ich
brachte nicht einmal die nothwendig—
ften Worte Heraus,
„Fahren Sie nur fort“, ſprach
dann mein jeltener Beſuch, „unfer
Steirerland zu befingen und Die
Steirer jo hübſch zu bejchreiben, wie
fie e8 verdienen. Sammeln Sie auf
den Ferien für Ihre jpäteren Studien
und Arbeiten recht viele Kraft und
rüden Sie zu Anfang des nächſten
Schuljahres wieder gejund ein. Leben
Sie wohl!”
Lebhaft jchüttelte er mir die Hand
und dann verließ er mich. Ich ftarrte
noch lange auf die Thür, die fich
hinter ihm gefchloflen Hatte. — Das
war der Sohn des Prinzen Johann
gewejen.
Hochbeglüdt über die Herablafiung
und Güte des Grafen und beforgt
43
dabei, ob mein ungeichidtes Benehmen,
meine faſt abſolute Spradloiigkeit
ihm etwa mißſsfallen Habe, padie ich
nun den Reſt meiner fieben Sachen
zufammen. Und als ih in Ordnung
war, feßte ich mich in der Küche zu
dent Teller mit aufgemwärmten Rüben,
den mir die alte Daushälterin als
MWanderjaufe aufgetifcht Hatte. Auf—
gewärmte Rüben jind nämlich außer-
ordentlich gut und noch am allerbeiten
ohne Zufpeife, das heißt, wenn man
ſonſt nichts hat. Während ich jchwelgte,
räumte die Alte drinnen mein Zimmer
in Ordnung. Plötzlich kam fie aber
zu mir im die Küche gefahren md
gab ihr offenes Mijsfallen fund über
diefe Schlamperei. Sie ſei die Stu-
dentenwirtichaft feit Jahren einiger=
maßen gewohnt worden. In allen
Eden herumliegende Papierfegen, alte
Stiefel, ſchmutzige Hemdkrägen, ſtin—
kende Tabakspfeifen, das kenne und
verſtehe ſie, aber eine ſolche „Praſſerei“
mit Geld ſei ihr noch nicht vorge—
kommen. Auf dem Schreibtiſch liege
ein Hanfen Ducaten!
Ich ſtürzte in das Zimmer, um
die wunderbare Erſcheinung zu ſehen.
Und richtig! Dort auf dem Schreib—
tiſch, wo der Graf ih zu ſchaffen
gemacht Hatte, um das Bild meines
Geburtshanfes zu betrachten, lag in
Papier loder eingeichlagen ein Häuf—
fein Goldfüchſe! Gerade jo viel, daſs
ih mir jede Woche in den Ferien
mit einem Ducaten vergolden fonnte.
„Aber“, Fam mir das Bedenten,
„Te werden halt nicht mein fein. Ein
Graf war da, der wird fie nur ver—
geſſen haben.“
Die alte Haushälterin rang die
Hände, „OD Gott!“ rief fie, „diefer
Menih will was lernen! Und io
vernagelt!“
Sch Tief mit dem Gelde zu meinem
freunde, dem Socialdemofraten, und
er ließ ſich Fehr gerne zwingen, mit
mir eins auf das Wohl des Grafen
zu trinken. „Ja, wenn Sie alle jo
wären!“ jagte ex, „Ach muſs es nun
674
wohl zugeben, daſs e3 aud unter dent
Ariitofraten Edelleute gibt.“
Am nächſten Morgen reiste ih ab
in meine Heimat, wo ich jeden Morgen
den Studien oblag und jeden Nach:
mittag meinen Eltern bei ihrer Arbeit
half. Die Goldfüchſe aber gab ih im
das Geftüt der Steiermärkischen
Sparcaffe, wo fie jich feither vermehrt
haben,
Alſo ift es zugegangen, daſs ich
den Grafen von Meran, den Sohn
des Prinzen Johann, kennen gelernt
hatte. Seit jenen Zeiten ift er mir
oft genaht, um mir Beweife feines
MWohlwollens zu geben. Manchmal
war e3, daſs wir gemeinfam arbeite=
ten, er war überall dabei, wo e3 das
Wohl und die Ehre unjeres Heimat»
landes galt. Voran drängte er id
nirgends, jeine rührende perjönliche
Beicheidenheit liebte es, ungenaunt
zu ſein. Als Steirer fühlte er ſich,
daraus machte er kein Hehl, und am
wohlſten war ihm in ſteiriſcher Tracht.
Er, deſſen Vater dem Kaiſerhauſe,
deſſen Mutter dem Volke entſtammte,
hatte für ſeine Heimatsgenoſſen ein
wahrhaft brüderliches Herz. Bei wich—
tigen vollswirtſchaftlichen und Dilfs-
vereinen Stand Graf Meran obenan,
jeine Perſönlichkeit war nah allen
Seiten hin eine Bürgichaft; fein
klarer Berftand, ſtets das Richtige er-
fennend, fein gutes Herz, alle Men—
Then, auch den ärmſten, achtend, iſt
wohl bekannt. Die Berehrung und
Liebe, weldhe Franz Graf Meran im
Bürger und Bauernthum der Steier»
mark genof3, ift noch nicht gemug be:
tont worden. In den Gegenden, wo
der Graf Befigungen hatte, weih je—
dermann zu erzählen von feiner Leut—
ſeligkeit, Theilnahme und Mitjorge,
die er für alle Anliegen der Leute
‚bezeugt hat. Diejes Blatt dürfte noch
einmal Gelegenheit haben, eine Reihe
Charakterzüge des vortrefflichen Men-
ſchen, der jo hoch in der Gefellfchaft
ſtand und doch treu zum Volke hielt,
mitzutheilen.
Der Charfreitag, an
weldhen aus Abbazia jo unerwartet
die Nachricht fan: Graf Meran ift
gejtorben! wurde zu einem wahren
TIranertage für das ganze Land.
Nur zweiundfünfzig Jahre war er
alt geworden. Seine fegensreiche
Wirkſamkeit, mit der er manches
große Werk feines erlauchten Waters
frönte und manches Neue ſchuf, wird
unvergeſſen bleiben.
Ich kam wiederholt in die Lage,
ihn verfchiedene Anliegen Dritter vor—
zutragen. Mit welcher Zuvorkommen—
heit trat er allem entgegen! Mehr:
mals ftieg er in den dritten Stod
binauf zur Poetenſtube, berathichlagte
und fand ftets ein Mittel, den Wün—
jchen anderer gerecht zu werden oder
ihnen wenigftens jeine Bereitwilligfeit
zur bezeugen. Die äußere Liebens-
würdigfeit der Ariſtokraten iſt ja
nichts Neues, doch hat ihre Höflichkeit
mandmal etwas Djtentatives, als
wollten fie damit jagen: Sehet,
Bourgeois, wiegentlemanlife unſer Bes
tragen iſt, wir find eben Ariſtokraten!
— Bei Graf Meran Hatte ich das
Gefühl, als wäre er mein Bruder,
der von Jugend auf mit mir gemeine
jame Sache gehalten. Diele gemein
jame Sade war unfere Steiermark,
unfer heimiſches Vollsthum, mit dem
er innig vertraut war. Manchen
Charakterzug aus der oberländijchen
Bewohnerſchaft Hat er mir mitgetheilt,
manchen Stoff für volksthümliche Er—
zählungen geliefert. Graf Meran war
mir in jeiner ganzen MWejenheit ein
wahrer Typus des Steirerthumg, in
ihm war es verlörpert. Die Ver—
tranensfeligfeit, mit der ich dazumal
als Bauernftudent ganz gegen meine
Art, inſtinctiv möchte ich jagen, ihm
den Brief gefchrieber, mag von
anderen vielleicht anders genannt
werden, dieſem Manne gegenüber war
fie gerechtfertigt, denn er rechifertigte
lie ſelbſt. —
Am DOfterdienstag diejes Jahres
haben ſie feinen Leib beigefeßt im
Mauſoleum zu Schönna bei Meran
in Zirol, wo auch die Weite jeiner
Eltern ruhen. Der Abordnung der
Steiermarf, die an jeiner Ruheſtätte
den Kranz der Dankbarkeit nieder:
legte, Habe ich) mich nicht anſchließen
fönnen,
Als alles vorüber war und Die
Trauergäſte ſich zerftrent hatten, fiel
es mir ein, num wäre der Beſuch zu
eriwidern, den der Graf Meran einſt
dem armen Studenten gemacht. Ich
‚that mich auf zur Reiſe nach Tirol,
| Die Herrlihen Berggipfel Steiermarfs,
Kärntens, des Puſterthales, des Eijad-
thales und der Etich, Tie hatten zwei
Tage früher niedergeblidt auf den
Tranerwagen, der fern dom Quarnero
her den Liebling der Steiermark ges
bracht bis zu dem Gejtade an der
rauſchenden Paſſer. Das ſchöne ftolze
Meran Hand noch unter dem Ein—
drucke des Ereigniſſes. Ich ſtieg
hinan das Rebengelände gegen
Schönna mit dem ragenden Schloſſe
und dem feierlich = ernften Mauſo—
leum. Bor der ftillen Pforte des
Todes, über deren Zinnen die Etſch—
thaler Ferner leuchten, zu Füßen die
‚heilige Heimatserde Andreas Hofers,
‚getränft von dem Heldenblute der
Tiroler Landesvertheidiger — ſo ſtand
ih da und die Betrübnis meines
‚Herzens gieng im eine Hochſtimmung
‚über, wie ich fie felten noch jo rein
‚und trojtreich empfunden, Habet
Dant für alles! Welcher Steirer
ſchiede nicht mit dieſem Gruße von
dem Mauſoleum zu Schönna! —
Dieſes Thal gehört zu den ſchön—
ſten Gegenden auf Gottes Erde; die
wackeren Tiroler haben auch ein Recht
auf das dreifache Grab und doch thut
'eö mie wehe, dafs ihr, unfer Erz—
berzog Johann, unjere Anna von
Auſſee umd unfer Franz Graf von
‚Meran nicht bei ung ruhet im der
grünen Steiermarf.
43*
Ein Geſpräch
D I.
octor. Ich muſs es offen jagen,
3, Heimgärtner, Sie gefallen mir
® nicht. Sie paſſen nicht mehr
in unfere Zeit.
Peter. Ob ih im die Zeit paſſe
oder nicht, ift mir gleichgiltig, aber zu
den Menfchen will ich paflen.
Doctor. Sie paſſen auch zu den
modernen Menjchen nicht. Sie predigen
3. B. der neuen Zeit, die nur den
Kampf ums Dafein kennt, das Ehriften-
thum mit einer Einfältigleit, als
fünden Sie in den erſten Jahrhun—
derten.
Beter Die Menſchen haben
wieder Heimweh bekommen nach dem
Ghriftentgume, und um jo tieferes
Heimweh, je weiter fie fich bon dem—
felben entfernt hatten.
Doctor. Ya, lieber Freund,
glauben denn Sie, es ift den Leuten
ernft, wenn fie heute von Religion
Iprechen, fich religiös Itellen, wenn fie
etliche confeifionelle Gebräuche, die
ihnen gerade am Wege aufftoßen, mitz |
machen, oder wenn fie ſich zuſammen—
Idun zu einer Partei der vereinigten
Chriſten! All diefe Beltrebungen find
vom wirklichen Chriftenthum mins
deftens jo weit entfernt, als ich mit
meinem Atheismus es bin. VBerfuchen
Sie doch einmal einen von ſolchen,
die immer nur das wahre Chriſten—
thum im Munde führen, die aus lauter
wahrem Chriftenthum den Juden haffen,
aber auch die Kirche und den Cultus
verachten, die da immer wieder be=
haupten, Religion jei eine rein pers
Jönliche Angelegenheit und da habe
ih Fein zweiter dreinzumifchen und
was derlei landläufiger Phraſen mebr
ind, — verfuhen Sie nur einmal
676
über Religion.
einen ſolchen, wie es mit jeinem inneren
Chriſtenthume fteht: es ift nichts da.
Oder wird fo ein gewöhnlicher Philiſter,
der fih im Gegenjage zum Juden
oder Katholiken oder Türlen „Chriſt“
nennt, ſich bemühen, ſeinen Feinden
zu verzeihen, ihnen Gutes zu thun, für
den Nächſten beſtändig große und frei—
willige Opfer zu bringen, feine eigenen
finnlihen Neigungen abzutödten, den
Gütern und Freuden der Welt zu
entjagen, ſich ganz zu vergeifligen in
der Liebe zum Bater im Himmel? —
Im Gegentheile, unfere modernen
Chriften ftellen ſich Ddiefen Ideen
principiell feindlich entgegen; fie haben
ih felber ein Chriſtenthum am den
Leib geſchnitten, das für ihre welt»
lichen Begierden, eigennüßigen Beſtre—
bungen und gelegentlihen Gefühls—
ſchwärmereien ganz gut pajst, mit der
Strenge und Heldenhaftigkeit der Lehre
des Nazarenerd aber nichts gemein
hat. Aus verfchiedenen Gründen der
Klugheit nennen fie ſich Ehriften, und
der Name genügt.
Peter. Sie ſind ſchrecklich, Doctor,
denn Sie haben recht.
' Doctor. Freut mich, daſs Sie
es zugeben.
Peter. Bedauere, dajs id es
‚zugeben mufs. Denn dajs es fo ift,
davon gewinnen weder Sie no id).
Doctor. SCH, diefe modernen
Chriſten! Manchmal glauben fie, dafs
jie etwas glaubten ; wenn fie ſich aber
' gründlich prüfen oder in beftimmte Le—
benslagen fommen, fo ftellt fich heraus,
‚dafs fie eigentlich gar nichts glauben.
| Peter. Das läſst fih umkehren.
Es gibt Leute, die bei Gott ſchwören,
daſs es feinen Gott gibt! Leute, welche
im gewöhnlichen Leben glauben, daſs
677
fie nicht3 glauben und in den Stunden
der Noth den Allmächtigen anrufen.
Auch im Weltkinde lebt tief verborgen
ein Verlangen und Sehnen nad) Gott.
Und dieſes DVerlangen und Sehnen
ſelbſt Schon ift eine Art von Glaubens:
betenntnis. Der Flachling, der in Geift
und Gemüth verfommene Glüdsjäger
und ſinnliche Genuſſsmenſch mag jich
zeitweilig begnügen mit dem, was
diefe Erde ihm bietet; der ganze herz—
tiefe Menſch begnügt ſich nicht mit
diefem irdischen Jahrmarkte, nicht mit
den zweifelhaften Errungenfchaften des
weltlichen Geiftes, nicht mit jenen |
Vorftellungen und Redensarten, dafs
alles unsterblich jei im Kosmos, dafs
fein Atom verloren gehe, dajs alles
in irgend einer Form, wenn auch ich |
feiner jelbft nicht bewusst, immer vor—
handen jei, u. ſ. w. — Nein, dieſe
Kaleidojlopen = Philofophie ift dem
ganzen Menschen nicht genug, ja ihm
gerade zumider, zu erbärmlid. Er
will als ein beftimmtes, ſich ſelbſt
dentendes Weſen bejtehen, ſich als
ſolches immer reiner entwideln, alls
mählih alle Unlauterfeiten von Sich
abftreifen, und endlich frei von allen |
peinigenden Leidenjchaften im heiteren
Frieden fortleben, vereint mit dem
Ideale aller Bolllommenheit, das er)
Der Menih iſt etwas
Großes, alles erdentliche Erdenglüd
iſt ihm nichtig und alles Erdenunglüd, |
Gott nennt.
das er ertragen mußſs, erträgt er nur,
weil er weiß, es reinigt, ftärkt, adelt
ihn auf feinem Wege zur Vollkommen—
heit. Er will höher hinaus, als alle
Weltmacht und aller Menjchenwig ihn
heben können, er will eine Größe und
Unendlichkeit erlangen, die er jich mit |
jeinem endlichen Berftandsorgan noch
gar nicht vorftellen kann.
Doctor. Das ftimmt ja mit der
Philoſophie der Darwiniften. Seine
Wiſſenſchaft hat das Fortbeitehen und
Sichveredeln des Menfchengefchlechtes
jo Har und begreiflich dargeftellt, als
der Darwinismus; feine Einficht ift
jo troftreih für uns und fo erhebend,
al3 die, wie weit wir es feit dem
Urſchleime Her ſchon gebracht haben,
denn eben darin liegt für uns, die
wir immer in der Fortentwickelung
begriffen ſind, die Gewiſsheit, daſs
wir es noch weit bringen werden.
Peter. Lieber Doctor, das iſt,
bon meinem Standpunkte aus be—
trachtet, eine traurige Gefchichte mit der
Naturwiſſenſchaft. Einerjeits ftellt fie
uns im Ausficht, daſs die Menjchheit
es auf Erden zur größtmöglichen Voll:
fommenheit bringen kann, andererjeits
ftellt fie feit, dafs nach dem Berlaufe
einer gewiflen Zeit der Erbball er-
ftarren und kein Lebewejen ähnlich
dem Menjchen mehr beherbergen wird.
Iſt leßteres richtig, jo wird der Menſch
nah dem Darwin'ſchen Grundjaße
Jich nicht immer vervollfommmen können,
denn die allmählih kümmerlicher
‚werdenden Eriftenzbedingungen müfjen
ihn vielmehr degenerieren und zum
Raubthiere erniedrigen, das die noth-
wendigften momentanen Bedürfnifie
‚deden muſs, jo lange e3 irgend noch
‚möglich ift. Oder ſoll der Menſch ge—
ade durch die wachjende Ungunſt feiner
Eriftenzbedinguungen Sich vergeiftigen
‚und vergöttlihen, dann könnte es
vielleicht gerade zufammtreffen, dajs
an dem Tage, da der vollkommene
Menſch fertig if, die Welt zugrunde
geht. Und dann ift alles miteinander
umſonſt gewejen.
Doctor. Kann ich dafür, dafs
es fo fein wird ?
Peter. Vielleicht haben Sie einen
Theil der Schuld daran. Sie haben
durch die Verbreitung Ihrer Philo—
ſophie mit dazu beigetragen, daj3 viele
Menſchen in dieſes Gedankenſyſtem
hineingedrillt worden ſind, bis ſie ſich
hineingelebt haben, ſo daſs ſie meinen,
es müſſe ſo ſein, wie ſie ſich's
vorſtellen. Das iſt aber nicht ausge—
macht. Für den Menfchen ift alles
freilich genau jo, wie er ſich's voritellt,
aber an und Für Sich kann es ganz
anders fein. Die Gefchichte der Philo—
jophie hat uns bewiejen, dajs die
678
menſchliche Art zu denken und die
Dognen der Syſteme überaus unver—
täfslih find. O ja, es kann recht
gut anders fein, als der Menjch es
duch feine Sinne zu erfallen glaubt,
das Menſchengehirn es ſich einbildet.
Und gerade dadurch, dafs ihr Mate-
rialiften den menſchlichen Geift nur
zu einem Ausflujs der Materie ernie—
drigt Habt, Habt ihr ihn gleichfam
unmündig erklärt und unfähig, der
abjoluten Wahrheit nachzugehen und
fie zu erfennen. Und doch wollt ihr,
mit dieſem von euch jo armfelig ge
machten Geijt die abjolute Mahrheit
ergründen, Welch ein Widerfpruch !
Jedenfalls teilt es ſich ſchon heraus,
dafs die Art der Naturaliften zu philos
jophieren eine unglüdliche ift, denn
fie führt uns ſchließlich in eine Wüſte,
wo fein Troſt und feine Rettung
jein kann.
Doctor,
Erfahrungen es erlauben ?
Beter. Biele Millionen Menſchen,
die auch diefelben Erfahrungen machen
und auch geiftig gefund find, denken
doch anders, als etwa Sie. Und denfelben
fommt ihr Denken und Willen nicht min—
der richtig umd der Mahrheit entjpre=
hend vor, als Ihnen das Ihrige. Viele
von ſolchen Haben noch dazu den Vor—
tbeil, dafs ihr Denten und ihre Vor—
ftellungen fie bejeligen, ſtark, tren und
edler machen und auf eine Höhe er-
heben, auf der ſie dem unermeislichen
Elende diefes Lebens faft entrüdt find.
Doctor. Welch eine Höhe ift
denn das? Nennen Sie mir fie.
Peter. Die Religion.
Doctor. Die Religion. Aber
jagen Sie mir doch, find Leute, die
eine jogenannte Religion haben, denn
Aber läſst ſich logifchers |
weife denn anders denfen, als die!
lichjfein denn gar jo widhtig? Dit es
nicht edler, der Wahrheit willen auf
alles Glück zu verzichten ?
Vetter. Das Wahre ift für ums
das, was uns glüdlih macht. Gehen
denn doch alle menſchlichen Beſtrebungen,
ja auch die der Naturforſcher, darauf
aus, den Menſchen erſt viele Vortheile
zu verſchaffen, daſs ſie ſich möglichſt
behaglich und glücklich fühlen. Warum
ſoll gerade jene Gedanken- und Vor—
ſtellungsweli nicht Geltung » haben,
durch welche wir uns am beiten mit
diefem Leben und feinen Widerwär—
tigfeiten abfinden fönnen ? E3 handelt
ih nur um das.
Doctor. Der Menſch ift auf
Erden, um die Wahrheit als ſolche
zu ſuchen.
Peter. Wer hat ihm das auf
getragen? Sein Schöpfer? Er Hat ja
feinen, wie Sie jagen. Wlfo er ſich
feldft ? Und wann ? Als Urzelle? Als
Affe?
Doctor. As Menid.
Better Nur als Gelehrter kann
er ſich diefen Luxus erlauben. Der
Menſch als ſolcher hat andere Strö-
mungen, und die längften derjelben
münden allemal und überall nur ins
Meer der Ewigkeit und des Gott:
gedanfens.
Doctor. Freund, aljo glauben
Sie wirllih an einen Gott und au
die Uniterblichteit Ihrer Seele ?
Peter. Ih glaube das nicht,
denu id weiß es.
Doctor. Hätten Sie Ihre Un—
fterblichleit geglaubt, jo würde ich
geichwiegen haben, Weil Sie die Sache
aber wijfen, fo wollen Sie die Güte
haben, fie mir zu beweifen.
Peter Ih bin, ih war, ich
werde fein. Denn dafs ich bin, em—
auch um fo viel beiler, als die foge= | pfinde ih. Daſs ih war und jein
nannten Atheilten ? werde, gründe ich auf Erfahrung,
Peter. Beiler? Schon aus Nez denn in aller Zeit, die ich weiß, war
ligion dürfte man das nicht jo hoch- | ich und ich habe feine Zeit erfahren, in
müthig bejahen. Jedenfalls aber | der ich nicht war und nicht fein werde.
glüdlicher. Doctor. Sie find wigig vielleicht
Doctor. Sit Ihnen das Glüdz | zu unrechter Zeit.
gr | RE
«ri 4
F
679
Peter. Menſchenwitz. Ähnlich Fährdet wären. Sind das nicht Spuren
beweilen ja auch Ihre Philoſophen. Gottes? Sind das nit Wunder, die
Doch es foll nit gelten, auch bei |täglich gewirkt werden? Daſs in dem
mir nicht. Umendliches läſst ſich mit
endliden Mitteln ja nicht beweijen.
Wirriale der Stoffe und der geiftlojen
Kräfte, wie Ihr jagt, ein Menfch
Man mußs es fühlen, wie man fein leben und Ideale hegen kann, die mit
eigenes Weſen fühlt.
Herrn an meiner Seite und das macht
mich muthig und fröhlich. Wie hätte
ich armer irrender Menjch durch die
unzähligen Fährlichleiten der Welt,
durch all die Verfuchung, das Leid,
das Unglüd, durch all die heuchleri—
ſchen Widerſacher und grimmen Feinde
den Weg finden können bis hieher ?
Er war mit mir. Im Taumel der
Luft, des Erfolges, des Beifalls, ja
jelbft in den füßen Wonnen des häus—
lihen Glüdes hätte ih müſſen über-
müthig werden; von Feinden gehet,
fauernd an Gräbern zerftörten Glüdes,
im Banne der Lafter, im Bewußſstſein
perfönlider Schuld und Armfeligfeit
hätte ich verzweifeln müſſen. Doc er
war mit mir. Immer überlegener fühle
ich mich den Dingen, die mich einft
unterjocht Hatten; immer fräftiger in
Belämpfung des thierifchen Theiles
an mir; unbedenklich wage ich heute
Unternehmungen, zu demen mich meine
gebrehlihe Natur, meine geringen
Fähigkeiten nicht berechtigen — denn
an meiner Seite jteht der Herr. —
Ihr beitreitet die Wunder, die er
einst gewirkt hat, ich jehe die Wunder,
die er heute noch wirkt. Er läfst den
guten Willen fiegen und den böjen
zu Schanden werden, wenn ſchon nicht
immer heute, jo doch morgen. Er hat
jeine Schöpfung jo eingerichtet, dajs
alles Unzweckmäßige fachte ansgerottet,
das Zweckmäßige endlich herrjchend
werden kann. In ewiger Planmäßig-
feit geht diefer Procef3 vor ſich —
Doctor. Und das viele Unrecht,
welches gejchieht ?
Peter. Empfinden wir als folches
und find fofort beftrebt, es zu corri—
gieren, weil wir willen, daſs durch
die Uberhandnahme desjelben der Eins
zelne umd das ganze Gejchlecht ge—
Ich weiß den den Stoffen und Kräften gar nichts
zu thun Haben, daſs er troß dieſer
Oppofition gegen die Herrichenden
Mächte doch nicht zugrunde geht, ſon—
dern gerade im den Idealen Friede
und Stärke findet, ift das nicht ein
Wunder?
Doctor, Und warum diefe Um—
tändlichleiten einer fünmerlichen Ent—
widelung unter Elend und Unrecht ?
Warum Hat Ihr weifer Gott die Welt
nicht gleih anfangs volllommen er=
ichaffen ?
Peter. Das weiß ih nidt.
Menn ich das wüjste, brauchte ich
feinen allweifen Gott, danı wäre ich's
jelber.
Doctor. Sagen Sie mir dod,
wie ftellen Sie ſich die Wefenheit
Gottes vor?
Peter. Wie ih kann. Als eine
Perſönlichkeit. — Sie erjihreden über
meine Einfalt. Schuld daran tt die
Unzulänglichteitdes menschlichen Geiſtes.
Mögen wir uns etwas nod) jo abitract
denken, brauchbar wird es erjt, wenn
es ſich concentriert zu einer finnlichen
Vorſtellung. Der Mathematiler 3. B.
verlinnlicht den mathematischen Punkt
durch einen Zintentupfer auf dem
Papier. Er weiß recht gut, daſs das
mathematiſch unrichtig ift, kann ſich
aber nicht anders helfen. Mit der
Gottvorſtellung geht es uns ebenſo.
Er iſt der Unendliche, Unfaſsbare,
aber wir müſſen ihn ſo nehmen, wie
wir ihn tragen können. Glücklich der,
welcher in naiver Unmittelbarkeit den
unendlichen Gott in Menſchengeſtalt
ſehen kann.
II.
Doctor. Nah dem früher Ge—
ſagten zu Schließen, ift Ihnen die Ver—
ehrung Gottes eine Pflicht.
Peter. Nein, ein Bedürfnis. Gott
fteht auf meine Dankbarkeit und Ber:
ehrung nit an. Und eine pflicht:
ſchuldige Berehrung, ein Halb er-
zwungenes Lob ift überhaupt etwas
Zweifelhaftes. Das Bedürfnis, dem
Wohlthäter zu danken, ihn zu ehren,
entjtehbt in uns jelbft, und die Be—
thätigung desſelben empfinden wir
wie einen Genuſs. Darımı gereicht
frommen Menſchen der Gottesdienft
zur wahren Bejeligung.
Doctor. Wenn aber der Gottes-
dient reine Yorınfache wird? Wenn
man in die Kirche geht, bloß weil es
Sitte ift umd weil es vom Cultus
verlangt wird?
Peter. Dann ift die Wirkung
auf unfer Gemüth oft gleich Null.
Der Menfch mußs zuerst zu fich felber
fommen, dann erft zu Gott. Wer in
fein Herz nicht einfehrt, der kehrt in
die Kirche vergebens ein.
Doctor. Sie meinen wohl, dajs
man Gott auch im grünen Walde
verehren kann ?
Peter. Das meine ich freilich,
bin aber fein Freund dieſer Phrafe.
Mit einem Gottesdienfte in Einſamkeit
ift den allerwenigften gedient. Die
Religion führt uns micht allein zu
Gott, fie will uns auch zu den
Menſchen führen. Die Gemeinfamfeit
der Gottesverehrung in der Kirche
erwedt in ums immer wieder das Ge—
fühl der Zufammengehörigkeit. Brüder
und Schweftern find es, die vor den
Füßen des himmlischen Vaters knien.
Nichts Nührenderes weiß ich, als eine
andädtige Gemeinde, mie fie fich bei
großen erichütternden Ereigniffen, im
Elementarunglüde zu zeigen pflegt.
In ſolchen Zeiten fällt es auch felten
einem ein, feinen Gott feparat im
grünen Walde oder im einfamen
KHämmerlein zu verehren, den Mens
ſchen zieht’ in fchweren Tagen zu
Menſchen und alle zufammen zu Gott.
Doc gibt es Gemüther, und ich verftehe |
fie gar wohl, denen die Andacht, die
Erhebung des Herzens zum Urquell
alles Guten und Schönen in der Eins
ſamkeit befjer gedeiht, al3 inmitten
der Leute und des Gepränges.
Doctor. Sie jind alfo wohl
fein Freund des prunfhaften fatholi=
ihen Gultus, der Geremonien, welche
mit dem kirchlichen Gottesdienfte ver—
bunden find?
Peter. In Hinblick auf die
Millionen, die ohne unjeren kirch—
lien Eultus leben und doch auch
Kinder des himmlischen Vaters find,
ſteht es mir nit an, zu jagen,
daſs Geremonien zur Seligkeit uner=
läfslih find, man kann auch ohne
fie tief religiös und fromm fein, Die
erften Ehriften Haben weniger Gere=
monien geübt, als die katholiſche
Kirche in jpäterer Zeit, aber in der
hriftlihen Religiofität werden fie es
wohl mit den Chriften aller Zeiten
und Kirchen aufnehmen können. —
Und dennoch bin ich ein Verehrer
de3 katholiſchen Eultus. In dem
jelben vereinigen fich alle Künfte, um
den Herrn zu preifen. Wenn die
Künfte Schon als folche, weltlih ge—
übt, veredelnd wirken, um in wie
höherem Grade erft bei dem Zwecke
der Verherrlihung Gottes? Wie arm
an Kunſt wäre das Volk der Dörfer
und Wälder, wenn die Kirche ihm
nicht Bildnerei und Schauftellung,
Lied und Mufit gebracht hätte!
Doctor. Als wahrer Chriſt ver-
halten Sie ſich vielleicht ablehnend
gegen die fünf Gebote der katholiſchen
Kirche?
Peter. Wieſo? Diejelben, tiefer
erfafst, find für die Gläubigen ein
außerordentliher Behelf. Ich Habe
Ihnen Schon angedeutet, dafs auf den
finnlichen Menschen die Religion in
linnlicher Geftalt am beiten wirkt;
alles Geiftige, Unfafsbare muſs ver-
finnbildlicht werden, wenn es in uns
praktiſch fruchten ſoll. Dinge, die uns
verborgen find, nennen wir Geheim—
niffe, und jolhe dem Menfchengemüthe,
fromme Vertraulichkeit mit Gott, die | wenn ſchon nicht der Wefenheit, fo
681
doch der Auffaffung gemäß zu verſinn—
bildlihen, wäre Aufgabe der kirch—
lichen Forınen und Handlungen.
Doctor. Sie neigen bedenklich
der Moftit zu!
Peter. Ich geitehe es, ich liebe
die Myſtik. Warum man vor diefem
Worte eine ſolche Abfchen hat, weiß
ih nit. Sind wir doch alle in
lauter Geheimniffe eingefponnen. Die
ganze Welt ift uns ein Geheimmis,
die Vergangenheit, die Zufunft, die
Urſachen umferer Neigungen und
Ihaten find uns ein Geheimnis, und
ihre legten Wirkungen find es aud).
Wir jelbft find uns ein Geheimmis,
das wir fo wenig durchdringen und
löjen fönnen, als jenes hinter den
Pforten der Ewigkeit. Alles um uns,
vor uns, hinter uns, über uns, unter
uns, in ums ift dunkel. Grelle Lichter,
die zeitweilig auffladern, blenden und
mehr, al3 jie ung erleuchten. Wenn
wir nun das Geheimnis zum Symbol
machen, ſinnbildlich e$ unjerem Herzen
näher bringen, es mit unſerer Bhan-
tafie vermenjchlichen, verflären, jo it
das ja noch das Beite, was wir thun
fünnen. Wir beten im Sacramente
nit Brot und Wein au, fondern
das heilige Geheimnis, im deflen
Schoß unſere ewigen Gejchide ruhen.
— — — übrigens find die Gebote | Lebens.
|
Verlaſſene, Verfolgte, der feinen
Freund hat, dem er feine Seelenlaft,
jeinen Summer mittheilen könnte, er
findet Troſt am Bufen deſſen, in dem
er den Stellvertreter Gottes Sieht
und durch melden Gott ihm Rath
und Muth ertheilt. Daſs dieſe kirch—
lichen WUngelegenheiten jo jeelenlos
und nur wie eine Formſache aus—
geübt zu werden pflegen, iſt ſchuld
der Leute; wer die Bedeutung erfajst,
mit ganzem Herzen ihnen anhängt,
dem werden ſie eine Quelle des
Segend. Das Gebot der Sonntagd-
ruhe. Diejes Hat ſogar der Staat
durch ein Geſetz unterftüßt, die Kirche
verlangt noch obendrein, daſs am
Feiertage der Menjch den Staub der
Erde von fich ſchüttle und einen Blid
nah dem Emigen und Göttlihen
richte. Wie das gefund ift! Beitändig
auf der feuchten Erde Friechend wird
man ganz ſchimmelig. Jedes Erden—
wejen braucht von unten und bon
oben etwas, um leben zu können.
Was ift Schon ein Sonntag mit jeiner
friedlichen Ralt! Und was find erit
der Chriftenheit beſondere Feſte!
Weihnacht, das Feſt der ewigen Liebe.
„So jehr hat Gott die Welt geliebt,
daf3 er feinen eigenen Sohn Hin
gab!" Oftern, das Feſt des ewigen
„SH bin die Auferſtehung
der Kirche nicht jo ſehr myſtiſch, als | und das Leben!“ Pfingften, das Feſt
vielmehr praftiich und unferem Leben | der ewigen Weisheit.
Das Gebot des Faſtens | den Tröſter, den heiligen Geiſt!“ —
angemefjen.
entfpricht unferer Gejundheitspflege;
„Ich ſende euch
Welche Offenbarungen! Keine Reli—
zeitweilige Einſchränkung im Genuſſe, gion ſonſt hat ſolche Botſchaft je ver—
in den Luſtbarkeiten, zeitweilige Un- kündet, feiner der Propheten, Poeten
terbrechung der Fleiſchſpeiſen: man
brauchte durchaus fein Katholik zu
fein, um die Bedeutung dieſes Ge—
botes zu würdigen. Die heutigen
Naturärzte, und es gibt Heiden
darunter! legen ihren Jüngern ein
als! ihm leicht werden, über alle Blajen
weitaus firengeres Faſten auf,
die Kirche mit ihrem einmaligen mehr |
auf Abwechslung zielenden Fafttage in |
der Woche. Das Gebot der Ohrenbeichte
bat ein Menfchentenner und Men—
Ichenfreund aufgeftellt.
Der Arme, aus,
und Philoſophen der Erde hat ſolche
Verheißung gelehrt. Ewige Liebe und
Weisheit! Ewiges Leben! — Jeder,
der das erfajst, muſs jubeln und
jauchzen, und bei ſolchem Wusblide
in eine göttlihe Ewigkeit kann es
diefer vergänglichen Welt gelaffen Hin
wegzufchreiten.
Doctor. Menſch, ich beneide Sie!
Warum Haben Sie e3 dor vielen vor—
jo denken und empfinden zu
682
fönnen! Das ift nicht allein eine zu
erwartende Seligfeit im anderen
Leben, das iſt ja Ihon Seligleit auf
diejer Welt. Aber ich veritehe Sie
nicht, ich muſs meinen ganzen Auf—
wand von Einbildungsfraft zuhilfe
nehmen, um aud nur annähernd
zuzugeben, dajs Sie wirklich fo glau—
ben, wie Sie jagen.
Peter. O Freund, wie möchte ich
Ihnen jegt um den Hals fallen und
befennen, wie oft und wie bange ich
um diefen Glauben beten muſs! Denn
man kann ihm micht ertwerben, nicht
anlernen, nicht anmempfinden. Man
muſs ihn geſchenkt erhalten als eine
Gnade des Himmels. Manchmal,
wenn man fchier ſtolz auf Dielen
Glauben pochen will, ift er plößlich
nicht da, iſt e3 Öde im Herzen, und
ftatt den lieben heiligen Geſtalten, er-
füllen e8 die Dämonen des Zweifels
und der ZTrofilofigfeit. Und ein ans
deresmal, wenn ein irdiiches Ber:
hängnis uns zu Boden wirft, dafs
man meint, jegt gibt es fein Er—
heben mehr, jet iſt alles aus —
liebe, da iſt auf einmal der Glaube
vorhanden, der Glaube, die Hoff:
mung, die Liebe, und das Unheil löst
ih wie Mebel in der Frühlings—
fonne,
Doctor. Nah Ihren Ausein-
anderjeßungen erjcheint die Religion
als eine Art von Genufsmittel zur
Yabung, zum Zrofte und zur inneren
Befeligung.
Beter. Ih weis, wo Sie hin—
ans wollen. Sie verlangen von der
Religion vor allen eine erziehliche
Wirkung.
fei.
ih ſelbſt ins Meine bringen,
den Frieden geben, den die Welt nicht
geben kann. Daſs der Menſch recht:
ichaften fei, muſs wohl unter allen
Sie verlangen, daſs der
Religiöfe nicht bloß für ſich glüdlich, |
jondern auch, dafs er für andere gut
Ich verlange von ihr dasielbe |
und fie leiftet es. Leßteres durch das.
erjtere. Gut ift nur der Glüdliche, daher |
will fie den Menjchen vor allem mit
ihm
Umſtanden und bei allen Glaubens—
bekenntniſſen vorausgeſetzt werden;
aber ſtandhaft zu bleiben und immer
vollkommener zu werden, das kann
er am beſten durch den Geiſt des
Chriſtenthums.
Doctor. Nun müſſen Sie mir
aber eine perfönliche Bemerkung er—
lauben. Ih fand allerdings in Ihren
Schriften mit einer gewiſſen Vorliebe
‚religiöfe Gegenftände behandelt, Men:
ſchen gefchildert, die der chriftlichen
Ergebung und Liebe Sich befleiken;
‚andererfeits aber haben Sie wieder:
‚holt eine ſcharfe Satire jpielen laſſen
gegen kirchliche Gepflogenbeiten. Wie
erklärt fich das?
Peter Das erklärt ſich einfach.
Die Religion ift mir niemals gleich:
giltig geweien. Wäre fie das, dann
würde ich ftet$ an ihr vorübergegangen
fein, wie Zaufende an ihr vorüber:
‚gehen, ohne ein Wort der Begeiſte—
rung für ihre Erhabenheit, ohne
ein Wort des Tadels für Entartun—
gen ihres Cultus. Nichts jehnlicher
würnſchte ich, als die Kirchen möchten
‚ihre Forderungen ftet3 jo einrichten,
daſs auch der gebildete, der vergeiftigte
| Menich an ihrem Leben und MWalten
ſich erbauen fönnte, dafs fie weniger
unduldſam ſeien in firdlichen Vor:
‚Schriften, Hingegen umſo ftrenger und
'eifriger in der Berfündung des Evans
geliums Jeſu Ehrifti. Nur jo Lönnen
die Vöolker und ihre weltlihen Führer
wieder ganz für das Chriſtenthum
und die Kirche gewonnen werden. —
‚Manchmal aber vermilst man die
geiftlihe Klugheit, und das gott»
juchende Gemüth mußſs ſich nach anderen
Quellen umjehen. Lage Zeit Habe
ih alle Zuftände, die mit unſerer
Kirche zufammenhängen oder mittel—
bar von ihr herftammen, vertheidigt ;
als ich aber genauer zuſah, hat mir
einiges nicht gefallen können, weil ich
in mandem eine Schädigung des
chriſtlichen Gefühles erblidte. Ich habe
geſehen, wie die Formen (die bei rich—
‚tigem Verhältniſſe zum Inhalt ja auch
> ra
683
löblich find) das Übergewicht befamen |
und den Geift zu erprüden drohten, |
Ich habe erfahren, dajs mit der Re—
ligion mancherlei Mifsbräuche ge:
trieben wurden und der Glauben zum
Aberglauben gemacht. Solche Erſchei—
nungen geißelte ich mit Spott und
Zorn und werde das thun, fo lange
ich lebe und mir die chriftliche Religion
als das Heiligite gilt, was der Menſch
auf Erden hat.
Doctor.
von Ihnen.
die einflujsreihen Gegner, die Sie
jih damit ſchaffen, Ihre perjönliche
Eriftenz verbittern, wird man Sie
vor den Volle auch al3 einen Irr—
lehrer erllären und die Wirkung
Ihrer Schriften umntergraben, mit
denen Sie doh den rijtlichen Geift
fördern wollen.
Das ift aber unklug
Abgejehen davon, dajs
Peter (zudt die Achſeln und
ſchweigt).
Doctor. Ihre
waren mir ganz intereſſant,
haben fie mich aber nicht.
Beter. Wollte ih denn das? Ich
will nur, daſs Sie meinen Stand»
punkt verftehen und achten follen.
Doctor. Das haben Sie erreicht.
Peter. Und ih wünfche, dafs
der moderne Geift nicht mehr zu Felde
ziehe gegen Sottesglauben und Ders
zenseinfalt, wie er es bisher oft ge=
than bat. Die menschliche Gefeflichaft
it im eine verhängnispolle Unruhe
gefommen; was ihr vor allem noth—
thut, was das Zeitgemäßeite fein wird
nah den Epochen dinfelhafter Auf—
Härung und zerfegender Sfepfis, das
einzig Rettende und Aufrichtende —
es iſt Religion.
Ausführungen
bekehrt
Ein 2dealiſt.
Bon Bophie von Rhuenberg.
Im Käfig halt’ ih ihn, ein Gimpel iſt's, S
Mit rothem Bruſtlatz,
Köpfchen
Und klugen, runden Augen. Wie zufrieden
glänzend ſchwarzem
Er hüpft und ſingt vom Morgen bis zum
Abend. |
Uns alle kennt er und verneigt ſich
zwitichernd,
Wenn wir uns mähern jeinem blanten |
Häuschen,
Nimmt Futter aus der Hand, fo lieb gefällig,
Auch wenn er eben appetitlos wäre,
Um undanfbar und jcheu nicht zu ericheinen.
Ein Junggeielle iſt der kleine Vogel,
Und traurig einft, an warnen Frühlings:
togen,
Sentt’ er das Köpfchen, grad’ als dächt' er
ſchmerzlich:
Wie's draußen jubelt! Alles paart ſich fröhlich
Und ich nur bin allein!! Da fühlt’ ih Mitleid
Und eilig kauft' ich ihm ein eines Weibchen,
Ein goldig lieblides Kanarienweibchen,
Das mir jo recht geeignet jchien, fein Herz,
Das unbefriedigte, behaglih auszufüllen!
Doc) welde Täufhung! Statt erfreut zu fein,
Schlug er beängjtigt mit den grauen Flügeln
Und wehrte fih der ſchüchternen Verſuche
Des Weibchens, feinen Sproſſenſitz zu theilen.
Mit aufgejperrtem Schnabel ſaß er drohend,
Erzürnt, empört, dajs dieſes gelbe Ting
ich's heimisch machte und mit leiiem Piepen
Kolett fi wiegte, von dem Futter najchend,
‚Das ihm gehörte! Und die erſte Nacht!
Wie feindlih ferne wählt’ er fih den
Schlafplatz!
Er fühlte ſich verdrängt, unglücklich, krank!
Da nahm ich ihm das Weibchen — und allein
Blieb er von neuem, wie er's einſt geweien,
Erſt ftaunte er, nun iſt er froh; jo fröhlich,
Dais er den ganzen Tag vergnüglich pfeift.
Und wenn ein fFederden im Sprung fich löjet,
Faſst er's im Schnabel und mit luft'gem Eifer,
Die bunten Härchen flaumig aufgeblajen,
Sich brüftend, wiegend, mit dem Schwänzchen
ſchlagend,
Fliegt er im Käfig zwitſchernd auf und nieder,
Als wähnt’ er ſich in luft'ger Waldesfreiheit
Und eilte, fich ein heimlich Nejt zu bauen
Im dämmernden Gezweig, wo jein daS
Weibchen,
Das ungeduldige harrt
Bethörter Vogel!
Das nahe Glüchk, das traulich dich umflattert,
Hat unbefriedigt dein Gemüth gelaſſen!
Nur nach dem Fernen pilgert deine
Sehnſucht,
Und nicht den ſicheren Beſitz begehrſt du,
Den Wahn der Freude nur willſt du
genießen —
Ein großer Idealiſt im kleinen Käfig!
Die Bteuerezecution.
Eins auß dem Bolfsichen von Rarl Heilerer. *)
wo oft hernehmen — und nicht ſtehlen:
Imwo nichts ift, hat der Kaiſer 's Recht
verloren! jempert der zahlungsun-
fähige Landwirt. Aber diefe gemüth—
teuererecutor — Gerichtsdiener,
32 Gendarn. Keiner von diefen,
7 jagt der Landmann, bringt
Gutes ins Haus; meiftens gibt es in
der Folge Unannehmlichkeiten ,
„Seiereien“ — wenn der eine oder
andere den Bauern auffucht. Natürlich.
Eben weil fie jogar in die friedſame
Baueruſtube dringen, ſelbſt die Be—
wohner des hinterſten Weltwinkels
nicht ungeſchoren laſſen, find fie bei—
nahe zu fürchten.
Der Herr Bezirksrichter bleibt
ſchön in ſeiner Kanzlei. Dort wühlt
er unter beſtäubten Acten herum —
oder wiſcht mit dem undermeidlichen
„Dafenharl” den im Drange der Amts—
geichäfte reichlich verftreuten Streufand
liche Rede will bei den „Herren“ nicht
wirken. „E, was, Bauer!“ ſchnauzt
‚ber graubärtige Erecutor den armen
Hiuterwäldler — und wäre er in der
verzweifeltften Lage — unbarınherzig
an, „haft ja noch Kühe im Stalle.
Heraus damit, fie werden ſchon noch
ein Sümmchen abwerfen, groß genug,
daſs die rüdjtändigen Steuern und
Executionskoſten beglichen werden kön—
FEN ae
Es ift ein heißer Sommertag.
Die Vögelein ziefen Frögli im Walde,
durch den fich ein Saumweg jchlängelt.
vom Schreibtifche. Der „Herr Bezirls- Um die Nachmittagsftunde ädhzt ein
vorftand“, wie auf dem Lande der, Wanderer durch den Waldweg: es ift
Richter eines Bezirkes genannt wird, der dide Steuererecutor aus Erings—
bleibt aljo jauber daheim. Und er hat hofen. Blumen und Blüten prangen
recht. Braucht er den Hinterhuber lieblih am Wege, füher Duft und
oder Oberreiter, jhidt er diefem feinen | ſtärkender Harzgeruch ſchwängert die
Diener nad. Der Stenereinnehmer, | Lüfte, in denen die Ammern, Buch»
diejer gefürchtete, aber unſchuldige finten und Kohlmeifen in ungejtörter
Beamte, läſst fich ebenfalls felten in | Harmonie fih ihres Lebens freuen.
einem Gebirgsdorfe bliden. Wozu auch? Doch was kümmert dies alles den
Will der Schergerlebauer nicht Steuer Diden? Er hat weder Aug’ nod
zahlen, oder beifer gejagt, kann er. Ohr für feine Umgebung, fondern
nicht zahlen, weil er jeinen Hafer oder
feine Maftochfen nicht an den Mann
bringt, ſendet ihm der Stenerein—
ziicht, da ihm die Tageshige unerträg—
lich zu fein ſcheint, einen wilden Fluch
zwifchen den Zähnen hervor. „Hunde—
nehmer den „Erecutor* nad. Es iſt brot ... Bauernpad; ſaumſeliges im
ein Kreuz auf der Lieben Welt! Zahlen... Weiter Weg, verteufelt
Zahlen, ja zahlen wär's leicht, aber | weit zu diefem Schergerlebauer ...“
*) Der Verfaffer Ddiefer elwas tibermütigen Schilderung ift Schullehrer in
einem Mocgebirgsdörfchen Oberfteiermarts (Tonnersbahwald bei Irdning im Enns:
thale). Er hat jhon eine Reihe von Bildern aus dem Volksleben in verjchiedenen Zeit—
ſchriften veröffentliht. Der Mann hat manchmal eimas zu jagen, jeine reihe volfs:
thümliche Erfahrung eignet ihn zu einem Schilderer des Vollslebens. Möchte fih nur
aud der Berleger finden, welcher eine Sammlung diefer Vollsbilder in die Welt gäbe.
Die Red.
685
fnurrt der einfame Wanderer. Er!
verwünfcht feine Erxiftenz. Sechs volle |
Stunden mufs er ins Gebirge, Hin»
um ih zu „exe | unteren Extremitäten fichtbar.
auf zum Schergerle:
quieren*, wie der fandesübliche Aus:
druck heißt.
lauf dir nur die Beine ab! Mufs ſich
der Bauer auch fein Brot im Schweihe|
des Angeſichtes verdienen, warum
nicht auch der, der ſeine „gewiſſe“
Beſoldung hat?
„Alle heiligen vierzehn Nothhelfer,
ſteht mir bei!“ ruft die Bäuerin er—
ſchrocken, da ſie den Executor dem
Hauſe nahen ſieht. Nicht jo erſchrecken,
meine liebe Schergerlebäuerin, es iſt
nur der Steuererecutor, der dich heute
Mast
mit einem Beſuche beehrt.
Wie? Der Steuererecutor iſt's? „Hab
mir's gleich denkt, daſs der Roth:
fappelte nir Gutes bringt!” bedeutet
die Bäuerin ihrem Manne, der auch
zum Fenſter hinauslugt und fein
Weib aufklärt, wer der ſei, welcher
ſich dem Hauſe, das auf einem Ab—
hange iſoliert ſteht, nähert. Der
Bauer, der gleich weiß, was der Be—
ſuch bedeuten ſoll, macht ſich auf und
davon: er gebt ſich veriteden! Nur
geſchwind hinauf auf den Heuboden,
oben gräbt man ſich ins duftende
Almdeu, das riecht nichts weniger —
als nach rüdjtändigen Steuern.
„Serum, jejstl jeruml“ ruft die
Bäuerin. Ja, 's iſt ein Elend, man
weiß e8, die Steuer: „Schraube* func—
tioniert vortrefflih. Ob fie nicht ein—
mal ihren Dienft auffagt ? Wer thät
nicht gerne zahlen ? Aber wo immer
’3 Geld hernehmen? „Bon der Haut
kann ich mir's nicht herausſchneiden!“
ſinnt der Schergerlebauer und verbohrt
ſich noch tiefer ins Heu, als gelte es,
einen Breiberg durchzunagen. „D'
Schuh auf die Seite treten, den
armen Leuten in den Sad greifen,
dem Bettler 's Brot wegnehmen, das
fann bald wer!“ wißelt
Schergerle. Und es iit gut,
der gute,
daſs er.
zu ſchäkern vermag, obgleich ihm vor
lauter Zahlen ſchon das Waller in
den Mund läuft. Äühnlich, wie der
Bogel Strauß — vergräbt der Bauer
feinen Kopf, es find nur mehr die
Brad!
„Soll’3 meine Alte mit dem Roth»
Nur zu, mein Belter, | fappelten ausmahen! Was fie machen
werden in der Stube?" finnt der
Flüdtling auf dem Heuboden. Was
|der Herr Erecutor macht? Soeben
betritt er die Stube. „Grüß Ihnen
Gott tauſendmal!“ ruft die Schergerlin
mit fürjänerliher Miene dem Ein
tretenden entgegen. „Guten Morgen,
Saterment, die Hitz!“ ift die Gegen-
begrüßung. Nun entſpinnt fich zwi—
ihen der Hausfran und dem unge—
betenen Gaſt eine lakoniſche Conver—
jation.
„Was will der Herr?“
„Dunume Frage!“
nicht,
„Kenn' den Herrn
nicht!“
„So? — Iſt ſie die Schergerle—
bäuerin?“
„Wird wohl ſein!“
„Ich bin der Steuerexec ...“
„Jeſſus Maria und ein klein'
biſſel Joſef, mich trifft der Schlag!“
„Verdammte Hitz'!“
„Mir wird ah warm.“
„Wo iſt der Bauer?“
„Wird gleich kommen, gleich, iſt
im Schaden droben Randling ſchnei—
den.“
„23 Gulden 86 Kreuzer — ſammt
Unkoſten.“
„Ein Randl niederſitzen.“
Der Mann mit der ſtrengen Amts—
miene ſetzt ſich. Er rückt dicht an die
Bäuerin heran. Wie herablaſſend!
He, Herr Executor, nicht wahr, die
Schergerlebäuerin iſt ein rundes Leutel?
Das lichtblaue kattunene Röcklein
ſchmiegt ſich innig an zarte Körper—
formen. Über dem hochgewölbten Bu—
ſen lagert ein „brennrothes“ Buſen—
tuch mit langen Franſen. Zwei roſige,
keck aufgeworfene Lefzen winken ein—
ladend. Faſt träumeriſch blicken die
hellen klugen Augen den Executor an.
„Ein Eichterl ſoll das Amt noch
gar
di
ro
086
warten, ich laff’ den Herrin Einnehmer |die Bäuerin, ihr wird angit und bang
gar Schön bitten!” Fleht die Bäuerin. neben dem Diden. „Mufs man aber
„Das diefe verfcharnagelten Bau- | heut’z’tags rennen, eine Execution
ern fo hoch ihre Anwefen hinaufbauten! drängt die andere!“ murrt der Manır
was das Bergfteigen nicht Schweiß | mit der vothen Mütze.
tropfen koſtet!“ iſt die Antwort, Alle Wetter, jauer it das Brot
„Slaub’3 wohl, glaub’3 wohl!“ eines Erecutors, der hügelauf, hügelab,
darauf demüthig das Weib, im Stillen |üuber Berg und Thal laufen mufs!
jedoch denft fie fih: Steigt mur zu Mei, mei, man glaubt e3 gar nicht,
— ums Geld, fteigt nur... viele werden Sich keinen Begriff davon
Die hellen Schweihtropfen perlen | machen können, wie viel jo ein Exe—
dem Diden von der Stirne. Wo iſt cutor von heute zu thun Hat! Es gäbe
denn gefchwinde dad Schnupftuch zum | für Statiftiter ein ſchönes Stüdf Ar:
Abtrodnen? „Mein Gott, kann man |beit, in einem Landel alle vorkom—
nichts machen!“ hebt die Bäuerin an. | menden Stenererecutionen zuſammen—
„Alles kann nicht auf der Ebene | zuftellen, zu gruppieren, zu zählen, ein=
bleiben, e3 muſs auch Leute auf den |zutheilen ꝛc. Ah, was braucht man
Höhen geben! Soll man die Sonn- es zu willen, wie viel Elend e3 unter
jeiten brach liegen laffen ? Man müſst | dem Volke gibt ? Natürlih. Wer wird
ein Narr fein! Unfere Borfahren |nachgrübeln ?
führten ein Schönes Leben, aber mein Ob er nit weich wird? erwägt
Gott, die Verhältniſſ' ändern fi, die die Schergerlebäuerin. Er fcheint ein
Zeiten werden jo rar, das Geld wird grantiger Herr zu fein, der Erecutor!
ug, der Staifer lajst viel zu wenig 'Nu, Mutterl, bleib’ nicht ſitzen, geb’
Geld Schlagen. Oder foll zu uns kein's um einen Haustrunk, das Weitere
heraufkommen? Daben halt gar Fein wird fich zeigen! Hm, womit joll man
Se...“ denn jo einem feinen Deren aufwarten ?
Was kümmert's den Steuereres |grübelt das Weib, Wein oder Bier
cutor? Er jchert fi auch nicht darum, |hat der Scergerle nur zu den hei—
warum 83 beim Schergerle abwärts |ligen Zeiten im Haufe, „Mag der
gieng, auf einem Gute, wo ſich die | Herr einen Dolzapfelwein, einen vor:
Ahnen des gegenwärtigen Belibers | jährigen? Oder ein «Glinggerle»
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hindurch | Bogelbeerbranntwein?* wendet jich die
hielten, Er will nur Geld! Herrgott | Hausfrau an ihren Nebenſitzenden.
im Himmel, hätte es ein Urſtamm- | Der Erecutor figt ſtumm da, dehnt
halter einftens ahnen können, dafs |jeine Glieder, zieht jeine große
num Stenererecutoren den langver: | Schnupftabafdoje heraus und nimmt
erbten Hof belagern? In Ehren iſt eine gewaltige Prije. Es erfolgt feine
auch der Schergerlebauer, der nun | Antwort? Nur nicht lange fragen,
auf dem Heuboden jtedt, grau gewor= | Schergerlebäuerin, wer lange fragt,
den. Nun mufs er die Schand er- — jagt man — gibt nit gerne
eben, dajs ein Erecutor zwangsweile | Der Herr wird als Amtsperſon doc
die Rüdftände hereinbringt. Es iſt nicht etwas begehren, jo g’jcheit!
aus aller Weif’! | „Freilich, freilich“, murmelt die
Stumm ſitzt der Diener des Ge- Bäuerin, ihre Frage gleichſam ſelbſt
ſetzes in der Stube. Wiederholt zieht beantwortend, „es iſt mir halt aller
er ſein Sacktuch heraus und trocknet Verſtand faſt ſtehen blieben.“ Stein
ſich den Schweiß auf der Stirne, Wunder. Der Erecutor nimmt feine
wiederholt flucht er. „Wenn er nur Mütze ab und legt fie auf die Bant
nit So arg ſchelten möcht’, ich nehm’ nebenan. Das Weib eilt in die Speiſe—
die Sind’ nicht auf mich!" calculiert kammer um Butter, füge Milch — die
en —
| 687
fühlt — und einen „Bogelbeerenen”.
— Mittlerweile verirrt fich der Groß—
Ineht Jok ins Haus. In der Stube |
bemerkt er gleich den fremden Manır. |
Mer ijt denn der da? fragt fich Joh
und gloßt den Fremdling forſchend an.
„Iſt er der Bauer?“
Dide den Knecht.
„Ih der Bauer, ich?” gibt ol
zurüd und lacht grell auf.
wär ſchon recht, wenn ich der Bauer
wär!” Der Burjche weiß nicht recht,
wie es der Fremde meinte, wollte er
ihn ſpötteln? Ein tüchtiger Gropfnecht |
— und Jok ift einer! — hat Bauern=
holz. Wart, Fremder, du ſollſt es
jehen, daſs mit dem Schergerlebauer
Großknecht nicht gut anbinden ift.
„A ſchön's Wetter!” beginnt Jok,
damit das weitere Geſpräch einleitend.
„Eine Schandhitz' — und nicht
ein ſchön's Wetter, der Kuckuck mag ſo
eine Witterung holen!“ entgegnet kühl
fragt der
„Ha, |
Allgemach nähert ih der Groß—
fnecht dem Tiſch, an dem der Fremde
ſitzt. Laſs es, Jok, der Mann gibt
dir ja doch keine Audienz, laſs das
Plaudern und zudringliche Nahen —
zur Bank, auf der die Mütze liegt!
Knapp neben dem Freinden jest
ſich Jok auf die Bank. Krach!.
Nu, was hat's denn? uͤngefchictier
Schlingel, haſt dich ja auf dem Un—
bekannten ſeine Kopfbedeckung geſetzt,
mit aller Wucht auch noch!
„Oha!“ lautet die Entſchuldigung
des Knechtes. Er erhebt ſich bedächtig
vom Sitze. „Herrjeſſus, meine Mütze,
Saft... Das auch noch?“ tobt der
vermeintliche Biehhändler. Eine Mütze,
eine Mübe, hat der Herr eine Mütze?
Keinen Hut? Dann kann's fein Vieh-
händler oder Lunganer fein! klügelt
Sof.
Indejjen ift die Hausmwirtin aus
der Speiſekammer zurüdgelehrt. Sie
und einigermaßen ärgerlich der Gaſt. | bringt dem Gafte eine Klein Erquidung.
„G'rad' recht das Wetter zum Nun, was jchneidet derjelbe denn Für
Heurechen!“ ift die gegentheilige Mei= | ehı ſaures Gejicht? Und der Groß—
nung des Knechtes, der beim offenen |
Herd ſteht und eine glühende Kohle,
in fein Pfeiferl ftedt.
Beim „Antenten“
fort veritohlen auf den Mann, der
beim Tiſche figt, hinüber. Iſt's ein!
Herriicher? AH, verſteht ſich. Jok
ahnt es. Aber er verſtellt ſich und
meint: „G'wiſs auf'n Viehhandel aus?
Oder iſt er ein Sauſchneider?“ —
Bit, Jok, wirft ſtill ſein! Ein Exe |
cutor gleicht doch feinem „Oſter—
reiher”, noch weniger einem‘ „Qune |
gauer“! — Der Vitellte (Werzeh: |
rungsfteuerbeamte) wird's halt fein!
denkt ich der Knecht. Einen „Des
ftellten“ fieht man im Bauernbofe
nicht gerne. Wohl wahr, wer liege
ich gerne beim Branntweindrennen
zur uͤnrechten Zeit erwifchen ? of!
jieht die Mühe des Erecutors auf der
Bank nicht. Wenigftens thut er, als
bemerfe er diejelbe gar nicht. Bürſch—
hen, vielleicht willit du fie micht
jehen, he? Weiß man’s ‘
lugt Iof alle,
knecht jteht blöde d’reingaffend neben
ihm?
„Es iſt zum Haarausreißen!“
ruft der Mann auf der Bank der
Bäuerin entgegen. Was iſt geſchehen?
„Der da, der...“ wird Jok ange:
Hagt, „der Hat mir meine Mübe total
| zufammengegueticht, auf meine ftich-
neue Amtsmütze ift er mir d’raufs
geſeſſen . . .‘
„Joa!“ Fällt Jok d’rein. Was,
ja? „Ein Trottel biſt!“ ruft grimmig
die Bänerin. „Dimmel, thu dich auf!
Bilt ja auf'n Herrn Erecutor fein’
Kappel d'raufg'hockt! Tollpa ...!“
— „Executor? Kappel d'raufg'hockt?“
gurgelt verlegen der Knecht. Umſinken
möcht’. die Schergerlin, den Teller,
den fie in der Hand trägt und auf
dem Sich eine Butter befindet, möcht’
jie fallen faflen. Sold eine Ung'le—
genheit!
„Heren Executor fein Sappel
war's? Häitt's nit g’glaubt, daſs 's
'n Herrn Executor ſein Kappel war!“
688
murmelt halb verlegen, Halb erfreut
ot.
„Schau, dafs d’ mir anßikommſt!“
herricht die Bäuerin den Knecht an.
's fommt eine furchtbare Strafpredigt?
Der Unpheilftifter zieht es vor, Die
Stube zu verlaflen. Er fennt die
Bäuerin, fie ift feine Gute, wenn fie
einmal fuchtig ift. Und „Fuchtig” ift
jie jet Schon verteufelt geworben.
„G'rad' dem Herrn Erecutor muſs
ſo was in meinem Hauſe paſſieren!“
ſtammelt entſchuldigend das Weib und
ſetzt dem Gafte die Erfriſchungen auf
den Tiſch. Jetzt wird der Herr wohl
gar keine Nachſicht Haben!“ raitet die
Bäuerein. Sie ſucht den Executor zu
beruhigen. „Ein bifjerl zugreifen, mein
beiter Herr. Nur Befcheid thun!“ Die
Hausmutter wiſcht mit ihrem Fürtuch
hernach ſäuberlich die Tiſchplatte ab.
„Siſt grauſet's dem Herren epper.“
— D meine Schergerlebäuerin, deinem
Gafte elelt es beim primitiven Eichen-
bolztifche vor nichts, weder vor den
Speijen, noch vor der einfahen Tafll.
„Iſt ja alles fein geſcheuert!“ belobt
der Erecutor feine Bewirterin. Er
langt eifrig zu. Der Vogelbeerbrannts
wein Scheint ihn zu munden. Schon
zweimal wurde das Schnapsgläschen
prüfend zum Munde geführt. Es iſt
Dat ihn die) fünften Gläschen naht der nun unge
ein gutes Tröpferl.
Bäuerin jelbft gebrannt? Halt ja!
Die Stubenthür ift angelweit
offen. Die Schwalben zwitjchern eifrig
im Vorhauſe. Sie ätzen forgfam ihre
Jungen. Die lieben Viecherln! „Sie
jüen nit und ſammeln nicht in die
Scheuern ...“
„Hat die Frau Mutter kein
Kleines?“ unterbricht der Dicke das
Weib.
„Eines wohl, iſt mir aber ge—
ſtorben.“ Thränen treten der armen
Bäuerin in die Augen. Unglückliche
Mutter!
Dem ſonſt ſo
die Schergerlebäuerin, der Himmel wird
ſchon noch eine Kleinigkeit ſchicken.“
Damit ergreift der Executor das
Gläschen und leert es. Iſt recht—
ſchaffen gut, das Tröpferl. Gleich
geht die Bäuerin um ein zweites
Gläschen.
„Was macht die Frau Einneh—
merin?“ ſagt heiter das Weib nach
der Rückkunft. „Geht's ihr gewiſs
alleweil gut? Wär' zu wünſchen!
Herrjeh, fo eine Frau muſs aber ein
Ihönes Leben haben? Geld wird’
haben, fhrediich viel Geld.“ — So
die Bäuerin. Bielleiht niht? Die
Bauern tragen das Geld ja jahraus
jabrein in die Steuerfanzlei, foll die
Frau Einnehmerin nicht auch von den
Ihönen Einkünften ihres Mannes
einen Nußen niegen? Auch wenn's
ein Schauerjahr abſetzt, bekommt das
Steueramt noch Geld. „Aber mein
Gott, unfereind, was ift unjfereins
nicht für ein armes Leut’ auf der
Welt. — Austrinten, Derr Erecutor!*
Dringt die Schergerlin in ihren Gaft.
Austrinten? Das läjst man fi nicht
zweimal jagen!
Ein drittes, viertes, fünftes Gläs—
hen wird getrunken. Recht jo. Der
Herr Grecutor iſt Halt doch ein
commodes Leut! Ganz gut. Beim
zwungen Sich zeigende Gaft feiner
Wirtin. Sein heiger Athem ftreift die
Wangen derjelben. So fommt es?
„Hoho!“ ruft der Bauer plötzlich
bei der Thür, „wird heut’ meine
Bäuerin erequiert?* — „Jeſſus,
der Bauer!“ haucht das Weib, dann
fteht jie auf und Lifpelt dem Bauern
etwas ins Ohr.
„Muſs Schon gehen!“ fallt der
Gaft und ſetzt feine Mütze auf. „Noch
ein wenig bleiben!“ — „Geht nicht.“
MWiefo? Zum Grabler, einer Klein—
ı häuslerin auf der untern Schattjeiten,
ftrenge d'rein- muſs der Erecutor noch. Was, zu
blidenden Dann wird warm ums der noch? Es ift ja ſchon zu jpät heute!
Herz. Er tätjchelt der Hausfrau auf
Die Bänerin blidt ihre Ehehälfte
die Wange. „Sit eine faubere Gredl, | vielfagend an.
6809
„Übernachten da, nicht g'fällig?“
meint der Bauer zuvorfommend. „Sit
Schon zu Fpät zum MWeitergehen, geht
Ichon die Sonn’ hinunter!“ weiß die
Hausfrau zu fagen. Saperlot. Richtig,
es ift — der Erecutor begudt feine
Uhr — ſchon Halb fieben Uhr. Zu
fpät! — Alſo bleibt der Erecutor.
Diefer für die Schergerlebän’rifchen
unliebfame Erecntionstag endet damit,
dafs die Bäuerin abends ihren Mann,
da er ins Bett fteigt, fragt: „Jetzt
ſag' mir nur 'mal, Witer, wo bift
dem du nachmittags fo lange g'ſteckt?“
— Der Bauer antwortet: „Im Heu,
aber mir ift’3 Halt vorfommen, als
daıtere die Erecution z'lange!“ und
blinzelt mit den Augen, —
Der gefoppte Geizhals.
Ein dramatiſcher Schwank aus dem Volke. Mitgetheilt von Anton Schloſſar.“)
Tiefer vollsthümliche dramatiſche Schwank gehört zur Gattung der jogenannten
„Nachipiele*. Es find dies kurze Spiele, welche auf dem Dorfe gemöhnlid der Dar:
fielung eines ernfteren Etüdes, 3. B. der Hirlanda, Sujanna oder dergleichen folgen
und in denen derber Humor befonders zutage tritt. Im folden Nadipielen dient
meiftentheils die Figur des „Kaſperl“, des Hansmwurftes befonders zur Beluftigung der
Zuhörer. Die Handlung des „Nachſpieles“ ift gewöhnlich eine dürftige, auf die derben
Scherze und Späſſe wird das Hauptgewicht gelegt, und ift den betreffenden Darftellern
bierfür ein weiter Spielraum gelaffen. Auch Heine lomiſche Scenen aus dem Bauern:
leben u. dgl. bilden wohl den Vorwurf zu folden Turzen Spielen. Bisher wurden
meines Wiſſens feine derjelben veröffentlicht. Eie lommen in den Gebieten der deutjchen
Alpenländer jhon jeit dem vorigen Jahrhundert vor, wie ja aud auf der Kunſt-—
bühne derartige burleste Nachlomödien fhon im achtzehnten Jahrhundert und früher
üblih waren.
Perfonen.
Ein geiziger Alter.
Leobinus, deiien Sohn.
Hansmwurft, jein Diener.
Melanie | ec
» = nen.
Siivao j zwei Echäferinnen
Gin türkiiher Räuber.
Erfier Auftritt,
Leobinus und Hanswurſt.
wann du mir alfo in meinem Anliegen
Hilfe leifteft, auch in allem verſchwie—
gen und geheim dich Halteft, jo ver—
ſprich ich dir kräftig, dafs ich dich
Leobinus. Komm ber, Hans- |hinfüro nicht mehr als meinen Be—
wurft, ich hab dir was zu vertrauen | dienten, jondern als meinen leiblichen
und bin deiner Hilfe fehr bedürftig; | Bruder anjehen werde.
*) Deutiche Volfsfhaujpiele, in Steiermark gefammelt von Dr. Anton Schlofjar.
Zwei Bände. (Halle, Mar Niemeyer. 1891.) Siehe Seite 477.
Kofenger's „Beimanrten, 9. Geft. XV. 44
690
Hanswurſt. Das könnt’s leicht |
versprechen, denn das willen die Leut
eb, dafs mir a gleihs Paar Narren
z'ſamm fein: alfo fein ma glei ſamma
Brüder, mir is Schon recht, fo kann
i di duezen. Sch wir Hernach mein
Fleiß nit Sparen, wann ich dir was
helfa fanıı, und weg'ns Schuehpußen
weiß i a ſchon, wia ma thain: ein
Tag pußt du mir meine, den andern
Tag ich dir deine, da wern ma ab»
wechſeln.
Leobinus. Nein, nicht alſo,
ich mein' es anders: ſage mir nur
anjetzo aufrichtig, ob du mir zu etwas
helfen willſt oder nicht, welches auch
dein Nutzen und Vergnügen ſein kann:
wegen der Bruderſchaft werden wir
ein anderesmal reden.
Hanswurſt. Ja, ja, ich ver—
ſprich dieſes aufrichtig, wann's nur
was eintragt: aber ſag ma na bald,
was mir vor ein Nutzen und Ver—
gnügen ſein wird.
Leobinus. Ich werde es dir
gleich melden und vertrauen; aber
eines bitte ich mir aus, du muſst mir
doch gleichwohl mein' Reſpect geben,
als deinem Herrn, ob mir ſchon im
Herzen Brüder ſein: dann erachte
ſelbſt, was wurden die Leute denken,
wann du mich auch per du nenneſt.
Hanswurſt. Ha, ha, ich ver—
ſteh jhon: mit dem Maul bin i nix
Brueder, wanns aufs Duezen und
guet freflen und ſaufen ankäm; ich bin
nur Derzensbrueder, wanns in Der
Noth ſeids; aber es thuet mir, wann
ih nur jelm Brueder mit bin, wann
einmal Enter reicher Water ftirbt.
Leobinus. Ja, Hanswurft, du
haft dich drauf zu verlaffen: wann
du mir anjebo helfen kannſt, ſo ſollteſt
du ein guten Theil von meines reichen
Vaters Vermögen überlommen.
Hanswurſt. Nu, wanns jelb
ift, fo wag i mein Leben, mein Hab
und Guet; das wilsts ja, daſs mir
nir unmöglich ift, warın ich was arte
ftellen will: jo ſagts os nur, mit was
ih Ent helfen kann.
geobinus Das ift ınir alles
‚bewujst. Nun Höre mid nur: Du
‚weißt, dafs vor etlichen Tagen ein
türkiſches Schiff Hier anfoımmen, auf
welchem die zwei ſchönen Schäfers—
mädl, die mir ſchon öfters befucht
haben, gefangen ſitzen.
| Hansmwurft. Ja, das weiß id.
weil's alle Tag 24mal Hingebts.
Leobinus. Du weißt aber
nicht, daſs fie mich jo inftändig ge=
beten, fie von ihrer Gefangenjchaft
loszufaufen, und mit was Vergnügen
wollte ih meines geizigen Vaters
ſchimmlige alte Thaler und Ducaten
darauf anwenden! Wäre e& nicht ein
echt chriftlihes und dem Himmel
wohlgefälliges Werk, diefen zwei armen,
holdjeligen Gfchlaven die Freiheit zu
verſchaffen? Erwäge es felbit, Hans—
wurſt.
Hauswurſt. Ja, freila war's
a himmliſches Werk, wanns Ent a
paar eigne Menſcha kafet's: aber, he,
i verſtehs ſchon, i ſoll Enkern Vata
halt 's Geld ſtehlen dazu! Gelts?
Leobinus. Du muejst dir feine
jo üblen Gedanken machen von mir,
dann wiſſe, ih bin gelinnt, ſobald
ich's erhalte, eine davon, nämlich die
‚Melonia, zu meiner Gemahlin zu
‚nehmen. Die zweite behalte ih zu
unſerer Bedienung. Erden alfo nur
‚eine Pill, wie mir von meinem Bater
Geld befommen, Der nächſte Preis
oder Auslosgeld ift 500 Ducaten, und
der Termin it kurz. Heunt bis zehn
Uhr nachts fein fie noch im ihrem
Gaſthof, nachdem aber werden fie
wiederum auf die Öalere geführt, auf
welder fie um Mitternachtäzeit ab—
jegeln: alsdann jehen wir fie in un—
jerem Leben nimmer,
Hanswurft. 500 Ducaten ko—
jtens, das ift weita fein Bagatell:
der Teufel, das ift a theure War, da
tauffet i mir ſchon lieber a hundert
‚Startin Wein, da hätt ana länger
zu leden, als an die zwei Menſcherln.
Aber was frag i darnad, ös därfts
Enk ſchon verlaffen, weil ih Ent’s amal
—
2
691
verſprochen han. Hiatzt wir ich halt
gehn Shaun, dafs ich Geld krieg.
(Beide ab.)
weiter Auftritt.
Der Alte, dann Hanswurft.
Alter. Ja, ja, es ift eine aus»
gemadhte Sad, wenn einer einmal
alt ift, da kommen einen erjt die guten
Gedanken: aber da ift es ſchon zu
fpät. Ach, was hätte ich mir in meiner
Jugend erfparen können! Wie vieles
babe ih muthwillig verichwendet !
Könnte mein Vermögen nicht in einem
weit beſſeren Stande fein, wenn ich
wirtjchaftlih gelebt hätte? Ad, du
trauriges Zurückdenken!
Hansmwurft fommt. He, Haus—
knecht, Kuchelmenſch, B'ſchließerin! Wo
ſeids denn alle? Zum Teufel, wiſsts
ma nit dem alten Geizhalsmeiſter an—
zurathen? Ich ſoll ihm in' Augen—
blick haben.
Alter. Was fehlt dir, Hanswurſt,
daſs du ſo grauſam ſchreieſt? Iſt
etwan ein Unglück vorbeigangen?
Sage mir's eilends.
Hansmwurft A was wir i Ent
da jagen, mein alten Herrn Bater
mueſs ich haben, ſonſt is s aus. Hin
ift er, hin ift er, auf ewig ift er hin!
Alter Um des Dimmelswillen,
was ift denn, Hanswurft, jage an?
Hier fiehft du mich ja zugegen: jo
erhole dich doc).
Hanswurſt. U, Herr, i hätt
Ent vor lauter Verwirrung bald nit
datennt. Hiazt lofts nur glei, was
z’lojen ift und denlts, was mir vor
a Unglück ghabt ham: das ift ein
Unglüd weit größa als a Fueder Heu;
ihauts nur glei, ich und Enfer Sohn,
der Herr Leobinus, ſein jpazieren
ausganga aufn Meerhafn aufla, und |
da haben nıir a türfifches Schiff g'ſehn,
dös Ham mir a weil betrat, weil's
jo viel ſchön is geweſen; aft is glei
a türtifcher Glatzkopf auſſakemma und
hut uns auf an Käuer eing’laden, das
ham mir ihm aus Höflichkeit nit ab»
Schlagen wollen und fein Halt aufs
Schiff ganga und dam Käuer trunka;
daweil fein dö türkiſchen Spitzbueben
davong'fahren und haben uns als
Gſchlaven wollen mitnehma; ſobald
ich aber das Ding hab wahrg'nomma,
jo Hab ih g'ſchwindt zum Bitten
g'ſchaut und Hab g’jagt, dafs mein
Herr an’ reihen Water hat, der fein’
Sohn gewiis nit wird fißen laſſen.
Alter. Aber warum denn jo eins
fältig? Was habt ihr im Schiff zu
mahen? Ad, ad, das wird gut
herauskommen, mir flehen ſchon alle
Daare geg'n Berg. Wo ift demm mein
Sohn Leobinus anjego ?
Danswurft. Sa, Herr, wo wird
a jein? Er ift halt noch in der Ga—
lern beim Türken. Mi aber habens
zurudg’schict, ich joll Ent jagen, ob's
ihn wöllts auslöfen oder nit.
Alter. O türkiſcher Galgendieb,
du raubeit mir mein Leben. Eilends
lauf, Danswurft, hole die Wacht,
dafs fie das türkiſche Raubſchiff ein—
holen und mir mein’ Sohn wieder
erlöjen.
Danswurft. Ach, wie einfältig
denkt Ihr, Herr. Eine ganze Arınee
Soldaten find nicht imftand, das ein—
zige Türfenschiff zu erobern, dann es
it größer und ſtärker als das ganze
Land Steyer. Da ift fein anderes
Mittel, als mit Geld kann man ihn
wieder erlölen, und das in möglichiter
Kürze; im zwei Stunden jein fie
ſonſt weg.
Alter. Wo aber hernehmen, du
Ochs? Warum jeid ihre fo dumm und
jeid Hineingegangen! O du mörde—
riſcher Türk, o du leichtfertiger Sohn!
Iſt das erlaubt, mich um das Meinige
zu bringen? Es müjst fein Necht mehr
auf der Welt fein, wann diejes gebt.
Uber ſage mir, Danswurft, joll denn
gar fein anderes Mittel mehr zu er—
denfen fein, meinen Sohn zu ent—
ledigen ?
Hansmwurft. Nein, im diejem
Stüd ift wicht leicht zu helfen, und
kann auch feine Obrigfeit, fein König,
44°
642
fein Kaiſer helfen, al3 das einzige
Geld, und das leidet gar fein Auf—
hub mehr. Ih ſag Ent zum lekten-
mal, wollt3 ansruden oder nicht ?
Alter. Ah, gerechter Himmel,
du weißt, wie hart es mir aufommt,
nur zu fragen, wie viel es dann koſten
möchte, aber doch mueſs ich mich über-
winden, weil es nicht anders fein kann.
Sage mir, Hanswurſt, wie viel Gro—
Shen er dann Trinkgeld verlangt,
wann er mir dann meinen Sohn
wieder zurudididt.
Hanswurft. Ei ja, Groſchen,
da wär gar fein Reden davon. 500
Ducaten müſſen fein, und wenn einer
abgeht, jo laſſt er'n nit aus.
Alter. Aueh, Hanswurft, Halte
mich, labe mich und erquide mic).
Diefe 500 Ducaten werden nich mein
Leben koſten, fie werden mir ben
Schlagfluſs zuziehen, und das wird
mir das Herz abitopen. «Fäut um.)
Hanswurft Nu, das ift brav.
Hiazt, wann der Alte marirelt, ſo
frieg’n ma's Geld all mitanander,
wanns nur jein Ernft war! Mueſs
ſchon gehn vifitieren, (Schaut den Alten an.)
Es if, mein Aid, fein G'ſpaſs net,
der Alte ift völlig in da Tattna.
Aber was frag ich darnach? Defto
leichter will ich's Geld kriegen. Stirbt
a, jo kriegts ohnedem mein Herr und
fimmt a wieda davon, fo foll a ma's
nit amal wahrnehmen, daſs ich ihm
500 Ducaten g’holt han. Hiazt wir
i ihm gehn in fein Zimmer bringa
und wir ſchön gemachla ausziehen
und ins Belt legen; aft wir i wohl
in Schlüfel finden, wann i amal
d'Hoſen in Händen Han, zu feiner
Geldtruhen. Nur ſchön ftat hiazt.
(Nimmt den Alten, zieht ihn binein.) Da, ba,
ba, ba, Ha, ha! (Beide ab.)
Pritter Auftritt.
Oliva und Melonia fisen geſchloſſen und
von einem Türlen bewadt.
Dliva. O, meine allerliebite
Schweiter, wie hart erwarte ich die
erwünfchte Zeit, da unſer Erretter
uns zu kommen verſprochen hat. Ich
zweifle fehr, ob er mehr kommt.
Melonia. Ei, Habe dod keine jo
Ihlimmen Gedanken. Ih kann dich
gewiſs verſichern, daſs er ſein Wort
treulich halten werde, du biſt immer
ungeduldig und kannſt nichts erwarten.
Oliva. Ja, es iſt die Waähr—
heit: aber wäre es denn ein Wunder,
in unſerm Unglück verdrießlich zu
werden, da wir unſchuldig ſo vieles
leiden müſſen? Und wer weiß, was
noch vor Elend uns bevorſtehet, wann
wir anjetzo nicht auskauft und erlöſet
werden: kommen wir einmal unter
die türkiſchen Völker hinein, jo können
mir an Seel und Leib unglücklich ſein.
Melonia Meine Schweiter,
denfe immer an diefes: Wir fein jo
viel Schon als in der Freiheit, denn
ich kenne mein’ Geliebten fein treues
Herz und weiß gewij3, daſs er uns
nicht verlaffet. Sei nicht fo melan—
choliſch, fing viel lieber ein Schäfer:
lied von unferem vorigen Vergnügen.
Vierter Auftritt.
Dliva und Melonia fingen ein Lied, darauf
tritt Leobinus auf.
Leobinus. Ach, wie angenehm,
meine Schönen, waren eure Stimmen
zu vernehmen. Ihr beflaget zwar billig
Eure Harte Gefangenschaft, aber ich
erfreue mich vielmehr euer Erretter
zu jein, weil ich vergewijjert bin, daſs
ihr mehr meine Perſon als meine
Gutthat liebe. Seiet getröft, eure
eiſernen harten Feſſeln jollen in Kürze
in Liebesfeffeln verwandelt werben,
mein getreuer Bedienter wird das
Löſegeld wohl bringen.
| Melonia. Dante Ihnen der
‚Himmel, mein englifher Leobinus,
vor hr gutes treues Herz, das Sie
mir gefchentet und welches verurjacht
hat, daſs Sie uns arme Gſchlavinnen
‚aus denen wiüthenden türkiſchen Hän—
‚den gerilfen. Ich verſpreche Ihnen,
‚Sie zu lieben und zu ehren meine
en
693
ganze Lebenszeit, wie die allerver—
liebtefte Braut ihren Bräutigam immer
lieben fann. Meine Schweiter kaun
Ihnen ebenfalls tauſend Dank erftatten.
Dliva. Ih ſage Ihnen gleichen
Danf, mein großmüthiger Erretter und
allerliebiter zufünftiger Herr Schwager.
SH verſprich ein Gleihes, Sie in
Ihrem Dienft jo zu ehren und zu
Init recht fenna, ich Hab ihm anftatt
Ducaten lauter Kupferpfennig geben.
Hiazt fein die Ducatl mir blieben.
Leobinus. Biſt du fchon rich»
tig, Danswurft mit dem Handel?
Weil der Türk fchon fort ift, jo gehen
wir aud.
Hanswurft. Ja Herr, d' Menſcha
fein Schon unfa; aber no ans, eine
dienen, dafs alle Ihre Befehle nad | müjsts mir laſſen, dann ſchauts, das
Ihrem Augenwunjc vollzogen werden;
der Himmel zahle das Mehrere.
Leobinus. Unterlafiet dieſes,
es ift genug, ihr ſchönen Seelen;
ener gutes und dankbares Gemüth
erſetzet mir dieſe Kleinigkeit genugſam.
Fünfter Auftritt.
Hansmwurft und Türke treten auf.
Hansmwurft. Ha, ha, ich mein’,
65 habts enk ſchon veriprochen g’habt
mitanander. He, Herr, wart3 a bifiel,
63 müſst ma ane zuefomma lafjen.
Leobinus. Bit du hier, Hans—
wurft? Das ift gut. Gib dem Türken
das Geld. Erhandelit du was, fo ge—
Hört e3 dein. Ich Habe indeſſen mit
ihnen zu ſprechen.
Hansmwurftl Schon redt, das
wir ich probieren. Allo Meifter Ratz—
bart, los auf: wann du Handeln lajst,
friegft Geld. Wie theuer find die
Kalmerin da ?
Türke. Kuraſco fcheppertolly na
ticoth.
Hanswurſt. Was? Steruvoll
iſt der Dickkopf.
Türke. Nergo Nollorumb 500
Tugatt.
Hanswurſt. Ja; ja, 500 aufn
Hintern. (Gählt Geld auf) No ſchau,
Bruder, laſs g'ſcheha, da haft Geld.
Türke. Scherbo, jcherbo dukh
bologarfchi. (Nimmt das Geld und gebt ab.)
Hanswurſt. Scherfy, ſcherfy —
und bol di der —, du verzweifelter
Grindſchipl, du
war g’feilt. Meints weils jo hübſch
fein jein, wöllts ös alle zwei g’halten ?
Aber das geht mit; ſchauts, Jö Ham
mi a viel Müh koft.
Leobinus. Es ift wahr, du
haft in diefem Stud dich ſehr mohl
gehalten; wann die fihöne Oliva mit
dir zufrieden ift, jo wünſche ich euch
viel Zaufend Glüd zu eurer Ver—
lobung.
Dliva. Ich bin mit ihm voll:
ſtändig zufrieden, er fcheinet mir ein
Inftiger Menfch zu fein, und einen
jolhen Hätt ih mir ſchon längſt ge=
wunſchen.
Hanswurſt. Schon recht,
Schatzerl, mir is af a Haar a jo;
fie ſcheint mir a hübſches Menſcherl
zu ſein, und a ſölteri hätt ich mir
längſt gern zueg'legt. Aber ſtat, es
kommt der Alte herein, ich hab ihn
ſchon rochen g'hört, wir müſſen uns
a weng auf die Seiten machen und
zuhörn, was er ſagt.
Leobinus. Ja, gehen wir etwas
abſeits: du aber, Hanswurſt, hör ihm
zu und wann du Gelegenheit haſt,
ſo rede mit ihm wegen unſerer Hoc.
‚zeit-Beranftaltung fo gut du kannſt.
(Geht mit den Mädchen ab.)
Sechster Auftritt.
Alter tritt auf.
Alter. Dem Himmel jei Dank,
dafs ich mich von meiner Ohnmacht
| wiederum erholt habe! Aber was nutzt
glagihädlater du, es mich? Wie lang wird es dauern ?
weil3 d’ nur amal fort bift. Das | Sobald ich von meinem Sohn wiederum
bat g’rathen. Den Kerl hab i an- Nachricht erhalte. Ein Weiteres: iſt er
g'ſchmiert, er mueſs 's deutjche Geld | verloren, oder ich mus 500 Ducaten
694
geben, und dieſes ift mir ein gleicher |
Donnerſchlag in mein Herz. Wann
ih nur diefesmal noch gute Nachricht |
von ihm erhielte!
Danswurft. U, das is brav,
dajs ich Enk wieder g’funder antriff.
Wijsts was Neues? Enter Sohn is
wieda zurudfemma; wijsts aber, wer
ausg’löst hat? Schauts, fein’ Liebite
i8 fo guet g’wejen und Hat 500 Du—
caten hergeben vor ihn; aber halt 's
Heiraten hat er ihr verſprechen müflen.
Alter. Was fagft du, Hanswurſt?
Ah, du gibft mir das Leben wieder!
Das is ein ehrlich Madl, dieſe möcht
ih bald jehen und als meine Schwie—
gertochter begrüßen. Geh’, laſs fie zu
mir kommen.
Hanswurſt. Ja, Herr, jie fein
juft Ent hamfuehen ganga: wann's
ös jeha wöllts, müeſsts g’jchwind ham
gehn, ſonſt möchts ſö verdrießen.
Alter. Das ift auch wahr, werde
feine Zeit verfäumen. Komm nad,
Hanswurft. (Ab
Hanswurſt.
Geh nur, Alter, biſt g'nung b.
Ich werd ſchon nachlommen,
Du ſollſt deine Ducaten büßen,
Die ich dir hab genommen.
Nun ſieh ein jeder und betracht,
Wie's Geizigen thuet gehen:
Indefien wünſch ein’ gute Nacht
Bis aufs Wiederſehen.
Pehrling-Peben
vor ſechzig Iahren.
Erzählt von Zebaflian Geif,
achdem ich weit in der Welt
E herumgekommen, alt geworden
*- bin und allerhand erfahren
habe, erſucht mich der Heimgärtner,
zu bejchreiben, wie e8 mie einst im,
guter alter Zeit als Lehrling er=|
gangen if. Man will eben wieder
einmal erinnern an dazumal. |
Gut, ih bin von dazumal und will
die höchit gewöhnliche Hijtorie, die jo
vielen pafliert ift, gerne erzählen. |
Hier eine kurze Beſchreibung
meiner Lehrzeit in Wien bis zum.
jelbftändigen Geſchäftsanfang. |
lich föniglihen Haupt und Refidenz-
ftadt Wien, und dem Bei ft Sebaftian,
12 Jahre alt, aus Stadt-Volkach
im Untermainfreis de3 Königreichs
Bayern.
Diefelben Schließen folgenden Lehr-
‚vertrag ab:
I. Seiberl Johann nimmt bes
nannien Lehrling auf ſechs Jahre von
‚heute ab in die Lehre und veripricht,
denſelben in feinem Handwerke gut
zu unterrichten, zu verköftigen, zu
logieren und zu Heiden.
Der Lehrherr hat bei guter Auf—
führung des Lehrlinge, und wenn
Lehrvertrag derſelbe imſtande ift, fein Gefellen-
zwiſchen ſtück gut zu machen, mach abgelaufener
Herrn Seiberl Johann, bürger- Lehrzeit — zur Freiſprechung —
lichen Uhrmachermeifter, Schottenfeld, !demjelben ein neues Gewand machen
Kaiſerſtraße Nr. 309 in der faifer= zu laſſen.
rer r:
695
II. Der Lehrling Geift
hat jeinem Lehrherrn in allen Dingen
unbedingt Folge zu leiten, ihm zu
gehorjamen, ſich im jeder Weife der
Hausordnung zu fügen, durch Fleiß
und Aufmerkſamkeit im Handwerk,
jowie durch fittliches Betragen fich der
Zunft würdig zu erweifen, anfonft
derjelbe nicht freigefprochen würde,
Aufgedungen durch die Beiliker
der Groguhrmacher in der faif. fünigl.
Haupt und Refidenzftadt Wien, am
25. Auguft 1831.
Schießl, I. Beiliger.
Pleitinger, Il. Beiliker.
Winter, III. Beiliger.
Sp etwa lautete die Unterwer—
fungserflärung eines Kindes unter
Jehsjährige Sclaverei.
Mein guter Vater, felbft in per-
manentem Nothitande, jhäßte ich und
nich glüdlich ob des gelungenen Unter-
ftandes, denn der Uhrmacher Seiberl
war, troß ſeiner Klumpfüße, ein, wie
man jo fagt, ordentlicher Uhrmacher.
Hatte doch mein Bater das Geichid,
dafs ih zum viertenmale im die
Lehre fam. Erft zu einem Wagen-
ladierer, dort war ih 6 Wochen lang.
Man ſchickte mich mach diejer Zeit,
als zu ſchwach für diefes Handwerf,
nachhauſe. Ich konnte nicht kräftig
genug Farben reiben und zum Wagen:
Ihieben war ich gleich gar nicht zu
gebrauchen. Nachher kam ich zu dem
Gürtlermeifter Tettenborn, da lief ich
jelbft davon, denn als Kindsmagd
und Laufjunge auch noch ſchmale Koft
und Brügel zu belommen, das behagte
mir gar nit. Dann fam ich in den
Miener Borort, nach dem Luftigen Neu—
lerchenfeld, wo in manden Straßen
jedes einzelne Haus ein Wirtshaus
war, zu einen Uhrmacher im die
Lehre. Das war doch etwas Nobles!
Denn Schufter oder Schneider wollte
ich auch gerade nicht werden, obwohl
mir die Wahl frei ftand. Auch war
mein Vater zu folz, als Maler jo
tief herabzufteigen. Sein Elend war
immer noch nicht groß genug, um
Seb. | feine werten Nachkommen in jo nies
derer Sphäre zu ſehen. (7) Leider
hörte mein Vater, daſs bei meinem
Meifter feine ganzen Uhren, jondern
blog Theile davon gemadht würden,
und dafs derfelbe bloß ein „befugter“,
fein „bürgerlicher“ Meifter wäre, und
jo holte er zu meiner freude mich
nah Umfluſs von 14 Tagen wieder
ab. Ah wie viele Schufter und
Schneider waren Fürſten gegenüber
diefem Uhrmacher! Ich war zufrieden,
aus dieſer Spelunfe wegzulommen.
Alſo trat ih nah einiger Zeit bei
dem Herrn Joh. Seiberl, „bürger-
lihem Großuhrmacher“, in die Lehre.
Wir machten neue Pendeluhren aus
Mejliing von U bis 3. Meinem
Meifter gebe ih Heute noch das
Zeugnis, welches er mir bei meinem
Abſchied in die Heimat gab: er war
ein rechtichaffener, fleißiger Mann. Er
bedauerte nur, daſs ich weggieng,
und meinte, daſs ich ſchwerlich wo
anders, als bei ihm, was Rechtes
lernen könne. Er gehörte allerdings
ſchon zu den bejleren Uhrmachern,
hatte er doch jogar eine „Räderein—
Ihneidmafchine”, was die Wenigiten
hatten, denn eine folche koſtete bei—
nahe hundert Gulden, Wie
freundlich dieſe ſechs Jahre ver—
floſſen, das zu erzählen, erlaſſe man
mir. Obſchon mein Meiſter ein gerecht
denfender Mann war, aber in immer
währenden Stampfe mit der Noth,
was läſsſt fih da thun? Es waren
ſechs Gejellen da und auch meiltens
drei Lehrjungen. Wir arbeiteten jeden
Tag im Sommer von früh 5 hr
bis abends 8'/, Uhr, im Winter von
früh 6 Uhr bis abends 10 Uhr.
Sonntags wurde nur vormittags
gearbeitet. Pauſen unter dieſer
Arbeitszeit gab e$ nicht, mur fo
lange Zeit, als wir zum Eſſen brauch—
ten. Das Frühſtück, welches immer
nur in einem Stüd trodenen Brotes
beitand, konnten wir beim Arbeiten
eſſen. Mit fünf bis jehs Biſſen war
das abgemadt. An den Mittagstiich,
696
der in der Werkſtätte ftattfand, gieng
jeder, fein dreibeiniges Sitzgeſtell au
den Hintern baltend, zur „Tafel“ ;
der ältefte Gejelle ja dem Meiſter
zur Linfen, dann famen die anderen
je nad) der Zeit ihres Arbeitsantrittes,
nachher der älteite Lehrling in der—
jelben Reihenfolge. Zur Rechten des
Meilters ſaß die theuere Gattin mit
der ſpitzen Naſe und den fcharfen
Augen. Ihr ſchloſs ſich das jüngite
der vier Finder an und fo weiter,
bis der ältefte Sohn ſich dem jüngiten
Lehrling anſchloſs. Conſequenz und
ftrifte Ordnung herrſchte nach dieſer
Seite im „Haufe Seiberl*. Mit dem
Eſſen gieng’s etwas anders. Die Frau
bekleidete die erite Stelle am Tiſche.
Sie legte vor: zuerſt dem Herren,
dann den Kindern, nachher kommt
der Ultgejelle zum Herausnehmen der
Speifen, danı der zweite u. ſ. w.
Der jüngfte Lehrling iſt bei dieſem
Geichäfte immer der legte, Für ihn
beiteht nun die fatale Gebräuchlich-
feit, daſs Gehilfen und Lehrlinge ſich
gleichzeitig vom Tiſche erheben und
an die fofortige Wiederaufnahme der
Arbeit gehen. Da der Altgefelle zuerjt
anfängt mit dem Eſſen, jo ilt er
natürlich auch am fehnellften fertig,
aber der jüngfte Lehrling hält da noch
bei der Suppe, und bei aller Haft
gelingt e3 ihm nur jelten, zur rechten
Zeit fertig zu fein, und im Schweiße
ſeines Angeſichts wendet er die Blide
zagend zum Altgeſellen, der jchon
räufpert al3 Mahnruf an dem eifrigen
Schüler, fih zu fputen. Endlich jteht
er aber doch auf, ewig kann er ja
nicht Hoden bleiben, die anderen mit
ih, jo iſt's einmal Brauch, hämiſche
Blide von allen Seiten, hungrig nod,
mit verbrannter Zunge entjchliegt er
ih endlih, unter dem höhniſchen
Läheln feiner Freunde, fi vom
Schauplatz zurüdzuziehen, unter hef—
tigem Würgen der lebten Biſſen. Als
bejondere Gnade rechnet er es, wenn
nicht die Bemerkung fällt: „Schau
den Waitel, wie fleißig der iſt, beim
Arbeiten da ſchwitzt er nie!" Mit:
unter, wenn des Morgens, nachdem
die Herrfchaft ihren Kaffee getrunken
dat und wenn der jüngfte Lehrling
den Gejellen ide Frühſtück, Brot, Vier
oder Schnaps, Käſe, Wurft oder Sped,
gebracht hat, nimmt derfelbe den Yaib
Brot und geht damit zum „Deren“,
der dann für die Lehrlinge die Stüde
abjchneidet, wenn aber der Herr gerade
feine Zeit bat, zur Frau. Dieſe bat
nicht felten mir gegenüber die freund—
lie Anjprache getan: „Na, darauf
vergefst ihr nicht, nicht wahr?“
Das Abendeſſen beftand aus einer
dünnen Suppe und einem vorge—
legten Stüd Brot’3. Selten fam eine
Schüſſel Kartoffeln oder etwas übrig-
gebliebenes Gemüſe. Die Gejellen
hatten blog Mittagstifd und Bett.
Jeder arbeitete nebſtdem ſtets nad
Stüdzahl. Was lag auch daran, wenn
jo ein angeftrengter ausgehungerter
Junge krauk wurde und ftarb; er kam
ins Hojpital, wo täglih 30 bis 40
Leihen zur Beerdigung kommen, ganz
abgejehen von jener größeren Zahl,
die nachts, im einen geſchloſſenen
Magen gebradt, wie Dünger in die
Grube geworfen wurden. Denn Gräber
gibt es da nicht. Lange Gräben wer—
den aufgeworfen und dort werden
jene, die Särge befommen, kreuz und
quer eingejhichtet, die anderen aber
nachts nachgefüllt, dann zuges
worfen mit Erde. Das ift das Schichſal
von Hunderten täglih in den „be=
deutenden Gentren“, den groken
Dauptjtädten. Was it da der Ein—
jelne wert, wo Hundert Thon auf
jeinen Tod warten? — So war es
Ihon vor 60 Jahren in der „Metro=
pole” Wien, jo it es wohl überall
in den großen Städten. Ich finde
faum Worte, die VBerwunderung oder
die Entrüftung auszudrüden über den
Blödfinn oder die Niedertracht, welche
darüber zu Schweigen veriteht! —
Weit es im Dunkel der Naht ge—
ichieht, weil die Schandthaten der
Böſen ih in abgejchloffenen Räumen
zutragen, weil die Bedrängten, un—
fähig des Wortes, in tiefer jocialer
Lage find, verhallen die Schredens-
rufe lautiös, denn die jogenannte
„gute Geſellſchaft“ fühlt fich
ſonſt in ihrem Lebensgenuffe geftört,
und ein Drittel der Prefslafeien ver:
kündigen Größe und Wohlftand, weil
fie Mitgenießende jind, und wer e3
wagt, öffentlih davon nur zu
ſprechen, it Socialift oder gar
Anarchiſt, d. H. ärger als Räuber und
Mörder. Nah dieſer Abſchweifung
fehre ich wieder zur Suche zurüd.
Wenn ich in jenen Tagen manch—
mal in die eigentliche Stadt fan, wo
die Hauptpolizeidirection war, jo fand
ich des Morgens von 9 Uhr an jeden
Tag 200—300 zugewanderte Hand-
werfsburfchen, die dort, in Reih' und |
Glied aufgeftellt, der Dinge harrten,
denn an den Durchbrüchen der Linien-
umwallung ftanden Polizeipoften, wo
jeder fremde Arbeiter ſeinen Paſs oder
ſein Wanderbuch abgeben muſste, das
er dann des anderen
ein rüder Burſche war, wieder der
betreffenden Polizei vorzuſtellen, wo
die gleiche Procedur von vorne an—
gieng, oder wenn er nur den Amts—
bezirk durchreiste, wurde ſein Wander—
buch unterſucht und mit Datum und
Stempel verſehen. Wie ein Verbrecher
ſtand er unter fortwährender Polizei—
controle und jeder Gendarm hatte
das Recht und die Pflicht, wo er
irgend den Geſellen antraf, ihn um
ſeine Reiſepapiere zu viſitieren, und,
wenn derſelbe nicht alles in ſtrenger
Ordnung fand, zum letzten Gerichts—
ſitze zwangsweiſe zurückzuführen. Mit-
unter kam dieſes des Tages zwei- bis
dreimal vor, daſs er „viſieren laſſen“
muſste. Sein Weg, den er zu nehmen
hatte, wurde ihm vorgejchrieben, und
jede Abweichung geahndet. Der junge
Mann konnte deshalb des Tages mur
kurze Streden zurüdlegen, blieb er
aber länger al3 vier Woden, ohne
Arbeit zu finden, auf der Fußreiſe,
‚wurde er per Gendarm in die Hei:
Tage dort, | matgemeinde abgejhoben, wo natür—
nachdem es geprüft worden, wieder lich wieder nichts zu holen war. Die
abholte, um entweder ſofort wieder
ausgewiejen zu werden, d. 5. per
Schub oder mit bloß freundnachbar-
liher Weifung die Stadt zu verlaflen.
Oder es wurde ihm die Herberge an—
gewiefen unter den Bedenten, Fich
drei Tage lang um Wrbeit zu erkun—
digen, nad Verlauf diefer Zeit aber
fofort jich wieder zur Polizei zu be=
geben, wo ihm jein Wanderbuch mit
der Bilierung nah dem nächſten Ge—
richtöfie wieder zugeftellt. Bevor dies
aber geſchah, mujste der Gefelle ſich
in das Zimmer des Phyſikus (näm—
li eines verdorbenen Barbiers) ver-
fügen, wo er umterfucdht wurde, ob er
nicht mit einer anftedenden Krank—
heit, der Krätze oder dergleichen, be=
haftet wäre, in welchem Falle derfelbe
in ein Spital dirigiert wurde, wm
dort curiert und dann erft entlaffen |
An nächſten Amtsbezirk |
zu werden.
hatte ſich der Arbeiter,
gleichviel, ob | werden wollte, verworfen.
Heimatpolizei difierte ihn alfo wieder
weiter, und der Rundgang begamıı
von vorne. Jeder junge Handwerler
war zugleich gezwungen, Drei
Jahre im der Fremde zuzubringen,
jonft durfte er weder heiraten noch
ein Geſchäft beginnen. Außerdem
muſste zu jener Zeit jeder taugliche
junge Mann in Öfterreih 14 Jahre
Militärdienfte Für das Baterland
leiten, in Bayern aber blog 6 Jahre.
So waren die Dinge beſchaffen. Wenn
nun ein junger Maun Wanderjahre
und Militärdienftzeit überftanden Hatte
und jelbit ein Gefchäft anfangen wollte,
jo mujste er erſt ein Meiſterſtück
machen, das meinem ehemaligen Eol-
legen Böll in Würzburg jieben Mo—
nate Zeit und mindeitens 200 Gulden
Geld foftete. Nachdem er fertig war,
wurde e3 von den alten Gejchäfts-
meiftern des Ortes, deren College er
Er musste
e5 ein gebildeter junger Mann oder, mun ein Jahr lang weiter warten,
dann begann die Meifterftüdmacherei I mujste erſt Vermögen nachgewieſen
aufs neue. Jetzt mujste er um die
Erlaubnis, fein Gefchäft beginnen zu
dürfen, ſich bewerben, welches Geſuch
nicht ſelten einige Jahre unbeſchieden
blieb, denn — „das Gewerbe iſt
überſetzt!“ hieß es. Da Hatten die
alten Zunftmeifter gute Tage, näm—
ih feine Concurrenz. Ahnlich gieng
es auch mir. Doc gelang mir dies
eher. Mit der Erlaubnis, arbeiten zu
dürfen, im der Hand, begann ein
neuer Trubel. Da mufste man erft
noch das Bürgerrecht erwerben und
ih militärisch als Landwehrnann
auf eigene Koften ausrüften. Jeder
neue Bürger hatte gleichzeitig einen
werden und es gieng die Hab von
neuem an. Bei nur wenigen gieng
dies alles glatt ab, nur die „redt-
Ihaffenen Zeute*, d. h. jolche, die
ziemlich Geld Hatten, fiegten leicht.
Warum ich diefe alten Gejchichten
auftifche, die doch längft überwundene
Standpunkte find ? Keineswegs über-
wunden, jondern wur — verändert.
Es ift der permanente Ringlampf
ums Wohljein der Menjchen unter:
einander. In diefen Trubel hält es
ſchwer, ehrlich aufrecht zu
ſtehen. Aber die geweckten Geiiter,
die nicht im Duſel leben, jene, welche
die Ohren ſpitzen und die Taſchen
anzu- zuhalten, dieſe werden am wenigſten
geſchoren!
Die umworbene Schöne.
Ein ländliches Bildchen von R.
neuen ledernen Feuereimer
ſchaffen. Wollte er num heiraten, fo!
igen fie da, ihrer drei, jedes
2, mit feinem Inſtrumente. Sai—
7° ten md Pfeifen! Aber die
leßteren werden geblajen, ohne daſs
fie tönen, anftatt Klang — Rauch!
Da haft du etwas Armfeliges gelernt,
du derber, zuhabiger Burſch! Wird
dir nicht unbehaglich, wenn du fiehft
und hörſt, wie die Töne der anderen
Snftrumente fo lieblich ſchmiegſam,
jo verftändnisinnig und trant zuſam—
menklingen ?
Was mögen fie fpielen auf ihren
bäuerlichen Lyren? Was mögen fie
fingen dazu ? Bon Hals? Bon Hel—
denthaten hoch zu Roſs? Von Schlach—
ten und vom Sterben? ch glaube
nicht. Da klingt durch der Menfchheit
Kette von Glied zu Glied ein fühes,
glutheißes Lied, verftanden von allen
Geſchlechtern, verjtanden zu
allen |
Zeiten. Die gewaltigften Thaten, die
gräjslichiten Leiden, die unergründ—
lihiten Sünden, die herrlihiten Tu—
genden werden wie bunte Berlen an—
einander gefügt, zufammengehalten
von dem goldenen Faden des Liedes,
defjen erſter und letzter, deſſen einziger
Laut das jauchzende, zagende, weinende
Stammeln iſt: Ich liebe dich!
Ob nun einer ſeinem Schatze
dieſes Lied ſingt oder ſpielhlt,
oder ſchweigt oder raucht, das iſt
eigentlich einerlei, die Hauptſache da—
bei ſind funkelnde Augen und friſch—
rothe Lippen. — Na alſo, da ſitzen
ſie beiſammen.
Die beiden alten Knaben ſtrengen
ſich tapfer an um die dralle Agathel.
Am Sonntag nachmittag iſt's,
dachte ſich die Agathel, ſie nehme ein
wenig die Zither auf den Schoß, um
699
Gott zu Ehr einen Steirischen aufzu—
ipielen. Und wenn's die Mannslente
hören, die draußen borbeigehen und
ftehen bleiben, jo ift das auch fein
Unglüd. Na freilich iſt's fein’s, du
feines Dirndel, du!
Und der Sägemeifter Luidel hört's,
ftelft fich bald ein mit feiner „Zupf—
geigen“, die er gerade dom Wirts—
haus mit heimtragen will.
„Bit leicht allein daheim, Dirn—
del?“ fragt er. „Nachher will ich dich
ein biſſel begleiten.“
„Wenn du gut begleiteft“, ant—
wortet fie, „jo thun wir halt eins
miteinand.“
Er zwinkert ſie an. Er iſt in den
Jahren, wo die Liebe das zweitemal
blüht — eine ganz verherte Zeit,
wenn der Apfelbaum zarte Röslein
trägt im Herbſt, da auf anderen
Bäumen fhon die reife Frucht prangt.
Aber e3 macht nichts, die Leute eilen
zufammen und rufen: Seht, da blüht
noch ein Apfelbaum !
gudig werden die jungen Dirudeln,
wenn ein Mannsbild den Johannes—
trieb anjfeßt.
Der Luidel weiß jo alte Vollks—
lieder und erwiſcht alsbald das rich-
tige,
Klimp — klimp — klimp, auf
den Saiten, und er hebt an:
„Ih Hab’ di lieber als Haus und Ham
(Heim)
Und als mein Bett, wo ich jchlaf und tram
- (träume).*
Hier wird er jchon unterbrochen.
Der Halter-Michel Hat im Vorbei—
gehen das Klingen gehört, und hätte
er es auch micht gehört, er wäre doch
in die Hütte geſchlichen, denn draußen
unter freiem Himmel fönnte es regnen.
63 war zwar ganz heiter und fein
MWölthen ftand am Himmel; umſo
beifer, braucht fich einer nicht zu eilen
auf dem Heimweg, kaun fi ein wenig
aufhalten bei der Agathel.
Eintretend Sieht er, der Michel,
es ift fchon einer da. Das macht
Und jchier ſo
!
fahrung, — ihm wird nicht leicht einer
gefährlich. Er braucht fein Liebeslied
gar nicht zu fingen, er ſchweigt es
den Weibern vor, und jede hört ihm
zu, jo jchön kann er fchweigen. Der
Michel ſetzt ſich neben das Dirndel
auf die Bank und ſagt bedächtig:
„Ra, ſpielt's eins, allzwei, ich hör’
euch zu.“ Sonft jagt er nichts, zündet
die Pfeife an und Hört auch ſchön zu.
Der Luidel läjst die feine gar
nicht ausgehen, auch beim Singen
nicht. Ufo — klimp — klimp —
und führt fort, zwifchen Zähnen und
Schnurrbart hervor alfo zu fingen:
„Ich hab’ did Iieber als Haus und Ham,
Und als mein Bett, wo ich ſchlaf' und tram,
Ich hab’ dich lieber als Roſs und Wag’n.
Sp lieb — ih kann dir’ gar nit fag'n.”
Jetzt Himpert auch fie auf ihrer
Zither, Schlägt die Augen nieder und
ſingt mit feiner, weicher Stimme:
„Ich hab’ dich lieber als Kuh und Gas
(Geiß),
Als Milch und Butter, als Rahm und Has
(Käſe),
Ich hab' dich lieber als Zucker und Meth,
Mein feiner Burſch, du glaubft mir's net.”
Hierauf wieder der alte Luidel:
„Ih hab’ did lieber als die Kugelftatt,
Wann's auch neun neue Segel hat,
Ih hab’ dich Lieber als Bier und Wein,
O wann ih nur oft bei dir funnt jein.*
Dann das Dirndel:
„Ich hab’ dich lieber als mein’ Mutter gar,
Ih hab’ dich lieber als das Kranzel im
Haar,
Lieber als Better und Muhm, als Godel
und Göd,
Mein Knab' nur weiter ſag'n thu’s net.“ \
Und jegt klingen Zither und
Guitarre, ihre Kehle und feine Kehle
zufammen:
„Wir haben uns gern, jo gern, jo gern,
Kunnt eins dem andern nit lieber wern.
Das Gernhab’n, ad), das ift ein’ Freud,
So groß, wie Die himmliſch' Seligfeit!*
Das Lied ift aus. Der Luidel
flimpert eine Weile nad, der Michel
bläst ein paar Rauchwölklein von ſich
und ſchmunzelt. Die kann ſich ver—
nichts, ihm — das weiß er aus Er— ſtellen! Das iſt ſein Gedanke.
700
Die Agathel tut, al3 wäre er gar
niht da, der Halter-Micel. Sie
jpricht nur mit dem Luidel und jagt:
„Willft du Heut’ noch Hinüber in den
Kargraben ?“
„Na freilich”, jagt der Luidel.
„Nachher Haft bald Zeit, dafs du
gehit. Der Weg ift weit hinüber in
den Kargraben.“
„Wenn ih auch im die Nacht:
fomm’, das macht mir nichts“, jagt
der Luidel.
„Es wird aber Hodfiniter werden
unterwegs in den Kargraben“, gibt
das Dirndel zu bedenfen, „und mor—
gen wirft zeitig bei deiner Holzſäg' jein
müjlen. In deinem Alter braucht der
Menſch ſchon nachtſchlafend' Stund.“
Jetzt ſchaut der Luidel einmal auf.
Er ſchaut das Dirndel an, er ſchaut
den Burſchen an, der neben ihr ſitzt
und jetzt ſachte ſeinen Arm um ihren
Nacken legt.
„Ihr Saggera!“ murmelt er end—
fi, „mir ſcheint, ihr wollt mic
draußen Haben! Iſt ja rechtſchaffen
lieb von dir, Agathel, daſs du dich jo
befiümmerft um meine nachtichlafend
Stund; Follteft es aber ſchon wieder
vergefien haben, was du mir juft
voreh zugejungen haft ?“
„Was Hab’ ich dir denn zuge⸗
ſungen?“ lacht ſie. „Ich hab' halt
ein altes Lied geſungen, du Haft mich
begleitet, und wen ich gemeint hab’
im Lied, das geht niemand nichts an.“
„So!“ murmelt er. „So! Seine
hageren Finger zupfen noch ein paar»
mal an den Saiten, dann jagt er:
„Iſt mir Schon um jeden Ton leid,
den ich da Hab’ losgelaſſen, meiner
Seel'!“ Padt die Guitarre zufammen,
wirft den Rod über die Achjel und
ftolpert fchiefedig zur Thür hinaus,
„Und jeßt, Michel, jetzt ſingen
wir zwei!“ jagt die Agathel ſchneidig
zum Burſchen.
„Singen ?* antwortet diejer lang—
jam, „Singen ift mir zu ödmeilig.”
„So ſpielſt Halt eins auf der
Zither.“
„Zitherſpielen? Ah na, das kann
ich nit.“
„Ja, was willſt denn nachher da?“
„Ich? — Was ih mil! —
Dirndel!“ Er legt den Arm mod
enger um ihren Naden und will es
jo einrichten, dafs jeine Wangen den
ihren nahe kämen,
Die Ugathel fteht raſch auf und jagt:
„Bübel, du irrſt dich! Geh du nur hinab
ins Kroißdorf, dort ift eine, die ver—
fangt jih nah dir. Im Tannerhof
wartet auch eine auf dich. Willſt du
‚eine dritte foppen in diefem Monat ?“
„Warum“, jo meint mun der ge—
däftete Michel mit träger Geberde,
„warum haft dem nachher den Säge:
meifter fortgeſchickt?“
„Damit ich dich nachſchicken kann.“
„Wenn ich aber nit geh ?*
„Nachher wirft Halt fliegen.“
In dem Wugenblide weiß der
Halter- Michel wicht recht, wie das
gemeint ift. Wie kann er denn fliegen,
wenn er fein Vogel if? — Nicht
lange Zeit vergeht und er begreift.
‚Ein ſtrammer, bildhübjcher Jäger
tritt in die Stube. Die Agathel geht
ihm entgegen, gibt ihm die Hand und
jagt: „Grüß dich Gott, Anton!”
Der Jäger hat ein glühendes Auge,
mit diefem Schaut er zuerit das Dirndel
an und dann den Dalter, der miſs—
muthig in der Ede kauert.
„Was will denn der da!“ jagt
der Jäger, zwar faft leiſe jagt er's,
aber der Michel ift nicht ſchwerhörig.
Ziemlich Flint ſteht er auf und eilt
zur Thür hinaus.
Auch wir glauben, dajs wir über—
flüffig find in der Hütte, daher treten
wir ins Freie — wegen der gefunden
Luft. Doch mögen wir es nicht laſſen,
an der Wand ein bilschen zu horden.
Drinnen wiegen und ſchmiegen zwei
ihöne Stimmen fih aneinander und
fingen trautfam leiſe:
„Wir Haben uns gern, jo gern, jo gern,
Kunnt eins dem andern nit lieber wern.
— — — — —
Das Gernhab'n, ach, das iſt ein’ Freud,
So groß, wie die himmliſch' Seligkeit.“
Der Geſchichtenerzähler.
Gin3 aus dem Wlpendorfe.
Wer Himmel dämmerig, die Luft | Stuben, um den wunderlihen Mann
63, froftig, die Wege verjchneit, die zu fehen und feinen Ruf zu hören,
= Füße fteif, der Magen leer — | Die Bäuerin trat herbei und wollte
alfo fah und empfand der alte Gigeri- dem Wlten eine fleine Gabe über:
Gogg die Welt Gottes. Aber Gott reichen, dieſer lächelte danfend, nicht
läjst fich feiner Welt nicht fpotten, | „wegen jo was” wäre er gelommen,
jelbit einem alter Manne gegenüber er könne Halt nicht vorübergehen,
nicht, der mit allerlei Fabeln und ohne die guten Stödeldofleut’ zu
frommen Sprüchen von Hof zu Hof|grüßen, fein Glückwunſch wäre ein
haufieren geht und für die ſchönen, | echter, und echte Glückwünſche thäten
C
wohlgeſetzten und gereimten Segens—
ſprüche milde Gaben einheimst.
Alſo ſteht auf der hohen Eigen
der Stöckelhof da, mit Wohlſtand ge—
ſegnet und munteren Kindern in allen
Größen und Farben. Was ſoll der
Gigeri-Gogg dem Stöckelhof wün—
ſchen? Der Stöckelhofer hat ja alles,
was er braucht, und gar noch etwas
dazu. Der hat Scheunen voll von
Getreide, Ställe voll von Vieh,
Truhen voll von Leinwand, Loden,
Häuten, Speck und Silbergeld, hat
kräftige Knechte und emſige Mägde,
ein häusliches Weib und eine Nach—
kommenſchaft, an welcher Gott im
Himmel und der Kaiſer auf Erden
ihre helle Freude haben können. Rich—
tig, der Gigeri-Gogg hal's, er ſtellt
ſich vor die Hausthür, hebt ſeinen
gewohnten eintönigen Spruch an und
beſchließt ihn mit folgenden Worten:
„Kindeln, ſo luſtig wie Schwalben um
den Giebel,
Eine jaubere Mutter dazu, macht fih gar
nit übel,
Der Tiſch voller Epeijen und Geld wie
Mitt,
Gott fjegne das Haus, dajs es bleib’ wie
es iſt.“
Solches hatte er ausgerufen, der
Gigeri-Gogg, dor der Thür des
Stödelhofes, und nun kamen fie here
vorgetrippelt, die Kleinen aus den
nichts koſten. Wenn er ſich aber ein
Tabakfener ausbitten dürfte!
Als er am Feuerherde fand, that
er mit der Zange, mit der glühenden
Kohle und mit dem Rauchzeug fo
lange um, bis e3 draußen ganz finfter
war. Und als die dunkle Nacht zur
offenen Thür hereinſchaute, ſprach er
‚wie für fich, aber jo laut, dafs es
‚die Bäuerin Hören konnte: „Yet
muß ich aber weitertradhten, daf3 ich
über die Alm hinüber komm’, ehe es
dunkel wird. Der Meg ift wolter
ſchlecht.“
„Leicht ja, daſs der Weg ſchlecht
iſt“, ‚rief die Bäuerin, „weil gar
‚feiner ift, weil ihn der Winter ver:
ſchneit hat und weil’s freuzunmöglich
‚it, um folde Jahreszeit über die
Alm zu gehen.“
Der Gigeri-Gogg zog fein Geficht
‚in die Länge und machte jehr er—
ſchrockene Augen.
„Stödelhoferin, du Fprichit mir
die Seel’ ab!“ röchelte er nachher,
‚denn der Schred ſchien ihm in die
Bruſt gefahren zu fein. „Hätt' ih
‚den weiten Weg bis da herauf um—
ſonſt gemacht? Und foll ihm jeßt
‚wieder zurüdgehen ?“
| „Das kann ſich der Gogg morgen
ausdenken, wie er's machen will. Heut’
‚wird ihm nichts anderes übrig bleiben,
‚al3 jeinen Sad dort auf die Ofen
702
banf zu legen und bei uns über
Nacht zu bleiben.“
Der te war ſprachlos vor
Rührung, er verjtand das fehr gut
zu machen, dann taftete er jo ein
wird! — Während des Eſſens fragte
ihn plößlich der Snabe, ob er Ge—
Ihichten erzählen könne ?
„Rau, verfteht ſich!“ antmortete
der Gogg, „freilich weiß ich ihrer.
wenig gegen die Hand der Bäuerin: | Im Sommer, wenn wir einmal mit—
„Man hört viel davon, wie gut einand auf der Weid’ ligen, erzähl’
fie find, die Stödelhofleut”, diel ich dir Geſchichten! Ei ja freilich
hört man! Aber Fo berzensgut! ſo weiß ich ihrer.“
chriſtlich! — Vergelt's Gott für dich | Nun war etwas angeridhtet! —-
und alle deine Kinder! Haft ihrer jo! Im Sommer! Gott, wer weiß, wann
viel Jaubere! jo viel jaubere! Ei ja,! Sommer fommt! Oder ob überhaupt
die guten Stödelhofleut’ kommen mit wieder einmal einer fommt! Nein, To
ab! Thät gar nimmer Iuftig fein auf lange kann ein munterer Junge nicht
der Welt, wenn die Stödelhofleut’ | warten. — Als das Nachtmahl vor-
abtommen wollten! — Ya, mit Ver—
laub, da leg’ ich ab! Ab, wie
commod, fo eine warme Dfenbant!
Gott vergelt’s, daſs es jo gute Leut'
gibt auf der Welt!“
Später, ald3 es zum Nadhtmahl: | früh.
eſſen kam, dudte ſich der alte Gigeri-
Gogg beicheidentlich Hinter den Ofen nun aud der Hausvater:
in den ſogenannten Bettlerwintel und |
er dor der;
that ſchier, als wolle
Schüſſel flüchten. Aber die Bänerin
[ud ihn ein, ſich nur zu den Leuten
an den großen Tiſch zu ſetzen.
„SH!“ wehrte der Alte ab, „für
mich iſt's micht heilel, Hab’ eh geitern
etwas gegeſſen. — Ja, wen ich ſchon
Berlaub Hab’, zum Efjen laſs ich mich
nit lang bitten, ich.“
viel Platz verſitze. „Da“, ſagte er
hernach, „neben meiner hätt' noch wer
Platz. Wollt! ſich nicht das brav’
Bübel zu mir jegen? Oder ein Jauberes |
Menſchel? Weil ich jo viel gern einen
Beiliger hätt’. Geh’, Knaberl, komm'
ber, ih thu' Die mir,
no bekannt werden miteinand.“
ihm und ſie aben.
der, ih auf mehrere Tage ſatt zu
eifen, denn der Menich und befonders
der Bettelmann, weiß heute nicht,
was ihm der morgige Tag bringen |
Und ſaß au.
ichon auf der Tiſchbank. Er that ſich
ganz Hein zufammen, dafs er ja nicht
| jchöne Gemahlin gehabt.
bei war, umringten die Kinder den
Alten: „Gigeri-Gogg! Geſchichten er—
| zählen! Gejchichten erzählen !*
Die Abende find lang um Weib:
uachten, Fürs Bett iſt's noch zu
Die Knechte ſitzen ohnehin fo
nichtsthuerifch Herum, und jo jagt
„Wenn
der Gogg was wei, nur heraus
damit!”
„Etwas Luftiges, vom verwun—
ſchenen Prinzen!“ erbitten fich Die
Weibsleute.
„Mir wäre eine recht ſchauder—
hafte Räubergefhichte lieber, und wo
Geſpenſter vorlommen und allerhand
ſo Dinger!“ ſagt ein Knecht.
„Vom Wünſchhütel oder
Tiſchel deck' dich.“
„Oder vom ſchönen Grafenſohn,
bom
der eine KHöhlerstochter nimmt!“
So gaben fie verfchiedentlih ihre
‚Neigungen fund.
Der alte Gigeri-Gogg machte ich
‚auf der Ofenbant zurecht, zündete fich
‚eine Pfeife an
wollen jchon |
und, umgeben von
einer jehr begierigen Zuhörerſchaft,
hub er an, aljo zu erzählen:
Der größere Junge wagte ſich zu
O wie bedädhtig |
und ausgiebig betrieb der Gogg dieſe
Beſchäftigung! Vielleicht galt es wies
„a, meine Leut', jet paſst's
auf! Das ift aus der Weis. — Pit
einmal ein Graf gewest, Ein fürs
nehmer, tapferer Graf. Der Hat Sieg—
| Fried geheißen. Und Hat eine junge
mit Namen
Leui' haben ich
Genovefa. Die zwei
gar lieb gehabt und glüdlih mitein-
703
ander gelebt. Und jeßt, da heißt's auf
einmal, der Graf Siegfried mufs fort
ins fremde Land, in den Krieg. Die
ſchöne Genovefa ift ihm gleich um den
Hals gefallen und Hat bitterlich ge—
weint vor Jammer und Angiten. Aber
der Graf Siegfried hat gejagt: Mufst
nit jo betrübt fein, mein liebes Weib.
Ich bin in Gottes Schub, mir ges
ſchieht nichts, ich komm' dir wieder
glüdlih Heim. Die Aufficht über
das G'ſchloſs und alles übergebe ich
derweil meinem braven Hofmeiſter
Golo.“
Alſo begann der Gigeri-Gogg die
merkwürdige und rührende Geſchichte
von der Pfalzgräfin Genovefa. Er
ließ das hohe Paar herzbewegenden
Abſchied von einander nehmen, ließ
den Grafen unter Fackelſchein und
Hörnerſchall Kinausreiten zum Burg—
thor, ließ die Gräfin vor Schmerz in
Ohnmacht fallen, ließ den Golo ſie
auffangen mit beiden Armen und ließ
ihr nach einiger Zeit von Golo einen
heftigen Liebesantrag machen.
Darüber vergieng eine gute halbe
Stunde. Der Erzähler aber lieg die
ihöne Gräfin mit großer Entrüftung
den Dofmeilter abweijen; der Golo
entbrennt vor Wuth und jchafft an,
die Gräfin in das Gefängnis zu
werfen. Dem Grafen jchreibt er jofort,
er hätte die Gräfin Genovefa bei einer
groben Untreue ertappt, und was er
mit ihr anftellen jolle? Kommt vom
Grafen der Befehl zurüd: Der Une
trene das Ihre!... Neun Uhr ift ſchon
ſchlafen.
die Genovefa von zwei Knechten hinaus: |
führen läjst in die Wildnis, um fie
dort zu enthaupten; und ihre Augen
mufsten fie dem Golo zurüdbringen
zum Zeichen, dafs der Befehl ordent-
mit „Mund und Augen“, jtodt der
Gogg und fagte: „Ich merke, dafs es
ihon ſpät in der Nacht ift und a heimgebracht und gejagt:
alleweil noch ſchöner. Ich dent’, ich
erzähl’3 ein andermal.“
Heben die Finder an zu lärmen:
er ſoll die Geſchichte auserzählen !
Und eines der Mädchen jchluzt vor
der ſchredbaren Möglichkeit, dafs hier
abgebrochen werde.
Da legte fich die Mutter ins Zeug
und fagte: „Sinder, wenn ihr den
Gogg ſchön bittet, vielleicht bleibt er
einen Tag da und erzählt morgen
abends die Gejdhichte zu Ende. Denn
jegt iſt's Zeit zum Schlafengehen,
und dabei bleibt’s !*
Set toste ein heftiger Sturm an
den alten Mann, da doch ein leijes
Lüften genügend gewejen wäre:
„Better Gogg, bleib’ da! Vetter Gogg,
erzähl’ uns morgen die Gejchichte
aus!“
Der Gigeri-Gogg war ein grund
falſcher Menſch, er that noch eine
Weile unentjchlofien. „Ich weiß nit,
ob ſich's thut, dafs ich dableiben kann.
Wird's halt nit recht tun. Zwar —
verjäumen thu' ich mit viel, jetzt im
Winter. Haben eh überall genug Leut’.
Kunnt ja dableiben einen Tag. Wird
‚der Himmel nit herabfallen deswegen.
Gehen wir halt jeßt in Gottesnamen
Morgen werden wir's jchon
hören, wie es der armen Genovefa
weiter ergangen iſt!“
Im Stödelhof blieb er, der Gigeri-
Gogg, und gut ließ er ſich's geſchehen
im warmen Neft und bei voller
Schüſſel, und die Kinder machten ſich
‚gar trautfam an ihn und konnten den
vorüber im Stödelhof, als der Gogg |
nächſten Abend kaum erwarten.
Um zweiten Abende nach den
Mahle und als jie wieder jo recht
gemüthlich beifammen ſaßen, fuhr der
‚Alte alfo fort zu erzählen,
wie die
Knechte aus Erbarmen die liebe Gräfin
lich ausgeführt worden. — Jetzt aber, nicht umgebracht hätten, aber ihr das
während dem Erzähler alles zuhört | Verſprechen abgenommen, dafs fie in
|
|
‚der Wildnis verbleiben müfste. Dem
Solo Haben fie ein paar NRehaugen
Die find der
zum Schlafengehen. Die Geſchicht' ift Pralzgräfin ihre! Die Genovefa fand
aber noch lang’ nit aus, und kommt's
‚eine Höhle, wo fie wohnte, eine Hirſch—
kuh, von der fie Nahrung erhielt, und!
dann wurde der Heine Schmerzenreich
geboren. So vergiengen fieben Jahre,
und während in der Wildnis bie
jieben Jahre vergiengen, verftrich im
Stödelhof eine Stunde, und als end—
ih der Graf Siegfried vom Felde
heimfam und jehr betrübt war über,
das Unglück mit feiner Gemahlin und
eine Jagd in der Wildnis anftellte,
um ſich aufzuheitern, und gerade, als
er dort eine fliehende Hirſchkuh ver:
folgte, ſchlug e& neun Uhr, umd der
Hauspater rief: „Rinder, jetzt ins
Bett!“
Lade
lich, jedoh in dem Augenblide,
‚die dem Teufel verjchriebene
des NRäuberhauptmannes bon einem
unſchuldigen Knaben zurüdgefordert
hauptmann und dem frommen Ein—
fiedler. Die Kinder waren überglück—
als
Seele
wird, war die Stunde aus. Der
Alte brach plöglic ad, und der Zu—
ftand war unerträglid.
Auf alljeitiges Bitten Lieb ſich
der Gogg erweichen, au noh am
nächſten Tage zu bleiben, er erzählte
des Abends die Gefchichte zu Ende
und begann eine meue, noch weit
jpannendere, als die bisherigen ge—
Alles war troftlos, und jelbft der |wejen. Er erzählte die Geſchichte vom
Goag jagt: „Das Schönfte kommt erft,
ich erzähl’ euch's ein andermal, vielleicht
im nächſten Sommer auf der Alm.“
„Nein, er mujs noch dableiben
und morgen weiter erzählen!“ fchrie
der ältefte Knabe, und die Mutter
jagte darauf: „Nau, thut ihn Halt
ſchön bitten, vielleicht bleibt er morgen
noh da!“
Ei freilich blieb er morgen noch
da im warmen Neſt und bei der
vollen Schüffel. Und am Abende er»
zählte er unter der geſpannteſten Auf-
merkjamfeit von Groß und Stein
weiter, wie der Graf Siegfried in
der Felſenhöhle, wohin die verfolgte
Hirſchkuh geflohen, feine Gemahlin
Genovefa und feinen Sohn Schmer—
zenreich gefunden, wie ihre Unfchuld
an den Tag gelommen, wie fie in
Ehren und Freuden wieder in die
Burg eingeritten und wie der faljche
Solo mit vier Pferden in vier Stüde
zerriſſen worden.
Der Berwunderung unter den Zur
hörern war fein Ende, aber als die
Geſchichte aus war, ftand der Uhr:
zeiger erft auf Halb neun, jo dafs
etliche meinten, es märe noch Zeit
für eine zweite Geſchichte. Der
Gigeri-Gogg ließ ſich bereden und
Robinſon, vom daumenlangen Hanſel,
von den vier Haimonskindern, von
der ſchönen Meluſina, vom bayerischen
Hiefel, vom Till Eulenfpiegel, von
den fieben Schwaben, vom verzauber:
ten Prinzen u. ſ. w. eine lange Reibe
der Märchen und Sagen, die der
Alte im Kopfe hatte und die anderen
in den Kopf kriegen wollten. Und jo
war es, dafs diejer alte Bettelmann,
ohne auch nur einmal von „Zaujend
und eine Naht” etwas gehört zu
haben, e3 haargenan der Scheherajade
nahmadte; nur daſs dieſe durch
ſpannende Erzählungen ihr Leben ver—
längern wollte, dem Gigeri-Gogg es
aber darum zu thun war, die Weih—
nachtsfeiertage über und bis Neujahr
im gaſtlichen und gemüthlichen Bauern—
hofe zubringen zu können. Der Ein—
fall war ihm erſt am zweiten Abende
gekommen und die Lift zu allſeitiger
Zufriedenheit beftens gelungen.
Nah Neujahr z0g er ſchmunzelnd
fürbaſs mit der ftillen Abſicht, es
anderortS ebenfo zu machen. Sollte
der Gigeri-Gogg auch einmal bei uns
zufprechen mit feinem Segenswunjche,
‚fo laden wir ihn vielleicht ebenfalls
‚ein zum Gefchichtenerzählen — heit
das, wenn er neue fann, Die wir
begann die Gefchichte vom Räuber- nicht ſchon willen.
ar - "(an ze ru
Kleine Saube.
Heimmeh.
Es weht ein rauher Wind,
Es herrſcht ein roher Sinn,
Gottlob, dajs ih fein Kind,
Kein junger Menſch mehr bin.
Dais ich gelebt die Zeit,
Bevor fie nahtwärts gleist,
Die Goethe hat geweiht
Mit’ jeinem milden Geift.
Das Ideale flieht,
Es tobt die wilde Kraft,
Im Sinn der Menjhen glüht
Wahnmwitige Leidenichaft.
Was oft harmoniſch Hang
Wird jeht zum Sturmgewühl,
Die Stimme, jonft Gejang,
Iſt, traun, ein Hampfgebrüfl,
Die Hand, die oft jo froh
Zur jhönen That bereit,
Als Klaue firedt fie roh
Eih aus zu Raub und Streit.
Das Herz, wo Lieb’ gelebt
In warmer Menjchenbruft,
Und Freudedrang, es bebt
In Hajs und Radeluft. --
Und ift denn etwa Krieg,
Wo harte Wehr erlaubt,
Auf das ein edler Sieg
Den Lorbeer jhmiegt ums Haupt?
O tiefer Frieden lebt!
Nicht Miſswachs und nicht Pet,
Nur Friedensſehnſucht webt
Und bangt in Oſt und Weſt. —
Und doch die rohe Zeit,
Und doch die heiße Gier
Nach Miſſethat und Streit.
Und doch das wilde Thier!
Am dunklen Himmelsſaal
Ein einziger Stern noch ſtand
Als letztes Ideal:
Die Lieb’ zum Vaterland.
Sie ftrebten auf zu ihm,
Rofeaaer's „„Grimgarten‘, 9, Geft, XV,
| Als zu der Liebe Bahn,
Und zündeten an ihm
Des Hafjes Fadel an. —
Wie Talt, wie fremd ifl’s da!
Wie roh der Menſchen Sinn!
Gottlob, dafs ih ſchon nah’
Dem ewigen fFrieden bin.
P. #. Nofegger.
Zwei Briefe von Bobert
Hamerling.
Mitgetbeilt von Ada Falke.
Zu jener Zeit beichäftigte mich die
\ Frauenfrage und ihre Löjung. Die Be-
tanntſchaft mit Robert Hamerling, die
ich zufällig gemadt, bemüßte ih, um mit
dem Dichter einmal über die mich ganz
bejeelende Frage zu ſprechen. Er billigte
manches, was ich vorbradte, bei anderem
verhehlte er jein Bedenken nicht. Später
firierte ich meine Gedanken über die rau
und ibren Beruf, ſowie über das moderne
Erziehungsmeien und, jandte das Manus
jeript: „Unjere ‚rauen in ihrer Stellung
zu Welt und Haus“ dem Dichter zur
Einfiht. Er theilte mir jeine Meinung
bierüber in einem Briefe mit, den ic,
mit Hinweglafjung einiger rein perſön—
‚licher Stellen, wörtlid bier mwiedergebe.
|
|
„Hochgeehrte Frau!
| Ich habe von Ihrem Manufcript über:
| Erziehung und Beitimmung der rauen
45
706
mich ebenſo ſympathiſch berührt gefühlt,
wie jeinerzeit von Ihren Feuilletons über
die Frauenfrage. Ihre Anfichten ftimmen
nun einmal mit den meinigen faft durch—
gehends merkwürdig zufammen. Das ift
eine Freude für mich; ob aber aud ein
Lob für Sie und eine Anwartſchaft auf
günftigen Erfolg Ihrer Darlegungen im
Publicum — darüber maße ih mir fein
Urtheil an. Nun, allein werden wir mit
unjeren Anfichten denn doch nicht ſtehen,
und wenn Sie, wie ich vorausjege, mit
diefer Arbeit fih in die Öffentlichkeit
wagen wollen, jo wird man Ihnen die
Beredhtigung dazu jchwerlih abſprechen
fönnen. Ihre Schreibweife har de3 Ge-
bildeten, des Männlichen, des ſpecifiſch
Schriftſtelleriſchen, faſt möchte ich jagen
eher zu viel als zu wenig an fi, und
unfereiner vom literarijhen Handwerk
fönnte, wenn er Purift ift, wie ich, höch—
ſtens in ein paar ſprachlichen Kleinig—
feiten mit Ihnen rechten.
Der Hauptgrund des Gefallens, das
ih an Ihrem Werke finde, liegt in Ihrem
Feſthalten am echt MWeiblichen, mit welchem
unter allen Umftänden auch das echt
Schöne innig verwoben und das äſthe—
tiiche Princip neben dem moraliichen ge-
rettet bleibt.
Ih würde mich gerne noch des wei-
teren über das Werk auslaffen, aber ich
bin jehr leidend, und mit dem täglichen
Anforderungen, die fih an eine Schrift:
fteller-Eriftenz fnüpfen, und die auch in
diejen heißen Tagen nicht paufieren, bis
zur Erihöpfung überhäuft.
Nehmen Sie deshalb das MWejent-
fihe und Wenige freundlih auf und
bleiben Sie wohlwollend auch ferner ein:
gedenf - ihres
in wahrer Hochſchätzung ergebenen
Robert Hamerling.
Graz, 9. Juli 1884.“
Dart man mich der Kühnheit bes
Ihuldigen, wenn dieſe mich mit berech—
Muth gaben, den Weg zur Öffentlichkeit
gelernt, dajs dem der Welt unbelannten
Namen ein Wall fait unbefiegbarer
Schwierigkeiten gegenüberfteht ; jo wagte
ih noch einen legten Appell an Hamer-
lings® Güte und bat ihn, mir bei dem
Verfuche, dem Buche einen Pfad in die
literariihe Welt zu bahnen, bilfreiche
Hand zu leiften. Damerling ſchrieb mir
hierauf den folgenden, beſonders für feine
Anfichten und Erfahrungen in betreff der
Handwerksſeite des Literatenthums höchſt
charafteriftiihen Brief :
„Hochgeehrte Frau!
Eben wieder ſchwer leidend und durch
meine Gorreipondenzpflichten ala Scrift-
jteller in geradezu aufreibender Weile in
Anſpruch genommen, hoffte ih von Tag
zu Tag vergebens, Ihnen ausführlicher
antworten zu können, Ich thue es, um
Sie nicht länger warten zu laſſen, fo
gut ih eben kann. Sie wünſchen Ihr
Buch von mir in die Öffentlichfeit ein—
geführt zu Sehen und verjprechen fich
davon das Beſte. Ich babe mit joldhen
Einführungen unvergejslih traurige Er-
fahrungen gemacht, habe gehäffige Angriffe
deshalb erdulden müflen, und meinen
Schüglingen nit wügen fönnen, ihnen
vielmehr meine Feinde auf den Hals ge:
hegt, ſo daſs ich feſt entichloiien bin,
dergleichen jobald nicht wieder zu wagen.
Auch einfahe Empfehlungen an Ver—
leger find eine Sache, zu mwelder ih
mih aus guten Gründen jebr jchwer
entjchliege. Ihnen gegenüber aber wäre
e3 mir allzu peinlich, ſchlechterdings ab—
lehnend aufzutreten, und ich thue das
Außerfte, was ich unter den gegenwärtigen
Umftänden thun fan, indem ich einige
empfehlende arten hier beilege, von
welden Sie nad Belieben bei den Ver—
legern, an die Sie fih wenden wollen,
Gebrauh machen mögen. Über die Ans
nahme eines Verlagsartikels entjcheidet
Ihlieblih doch die Meinung, melde der
| Verleger von dem dabei zu hoffenden Ge—
winne bat.
tigter Frende erfüllenden Worte mir den |
Und Erftlingsmwerfe finden
‚in der Negel den Weg in die Öffent-
‚lichfeit nur dadurch, daſs der Autor die
zu verſuchen? Ich hatte bereits erfennen | Drudtojten entweder von vornherein be-
ftreitet und den Ertrag mit dem Nerleger
tbeilt, oder wenigjtens für den Ausfall
Der nah einem Jahre nicht hereingebrad-
ten Unlojten Bürgichaft leiftet. Ob Sie
jo glüdlich jein werden, eine Ausnahme
von diefer Regel zu bilden, ift nicht
vorauszubeitimmen, aber vom Herzen
wünſcht es Ahr
hochachtungsvoll ergebener
Rob. Hamerling.
Graz, 2. September 1884.
Diejem Briefe waren mehrere arten
beigelegt, zur Empfehlung an Berleger,
die aber freilih feinen Erfolg hatten.
Ich verſchloß mein Manujcript in die Lade,
jeinen bejonderen Wert darin erfennend,
daſs es Urjahe ward des kleinen brief-
lichen Verkehrs mit dem großen Dichter.
An Graz.
Wie ein Edelſtein von Gold umfloſſen,
Liegſt du, lieber Schloſsberg, hingegoſſen
In der herrlich blühenden Natur.
Blaue Berge thürmend dich umſchließen,
Rauſchend ſendet dir ein frohes Grüßen
Rauher Berge Kind, die wilde Mur.
Paradieſeslüfte dich umfächeln,
Die herab mit väterlichem Lächeln
Uns der gute Bott aus Wollen ſchickt.
PB lagt dich Krankheit, haft du Seelenwunden, |
Komm nah Graz, hier wirft du Schnell
gelunden,
Von den Reizen der Natur umftridt.
So war ih genaht mit tiefen Schmerzen
In dem jugendlihen Künftlerherzen,
Mande Blüte war vom Sturm gefnidt. |
Doch durh deine Reize, „zauberiſch'
Städtchen“,
Durch den Feuerblick der holden Mädchen,
Ward ich bald mit Linderung beglückt.
Gute Menſchen pflegten dann den Armen,
Hatten mit dem Fehlenden Erbarmen,
Hüteten mir Engel gleich die Spur;
Treue Freundſchaft, die ich hier gefunden, |
Sie lieh Leib und Seele bald gefunden
Und den wärmften Kujs gab mir Natur.
| dient”,
| aus zugs weiſe
Habet Dank aus meiner tiefſten Seele.
Wenn ich einſtens mir das Plätzchen wähle,
Wo nach manchem ausgefocht'nem Strauß
Ich, der arme Komödiant, mufs ſterben,
Lafst, ich bitte, mich das Recht erwerben,
Auszuruh'n in Grazias grünem Haus.
Sufan Starke.
Eine Bitte an den Kultus:
minifter.
Zur vermeintlichen Widerlegung meiner
befannten „Bitte an den Glerus“ wurde
mir der Lehrplan („Lehritoffvertheilung
für den Neligionsunterribt an Volks—
ihulen.“ Graz. Styria) zugeididt.
Nah diefem Lehrplane nimmt durch
alle Claſſen der Katechismus die Haupt»
jtelle ein. Der Katechismus zerfällt in
drei Lehrbücher: „Der Heine Katechismus“,
„Auszug aus dem großen Katehismus“
und der „Große Katechismus in ragen
und Antworten“. Diefen drei Büchern
des Katechismus beigegeben iſt ein Gere
monienbuch der katholiſchen Kirche und
ein Auszug aus der biblischen Geſchichte,
„loweit fie zur Erklärung des Katechismus
Nah den Lehrplane ſoll zum
Lejen des alten wie des neuen Tejtaments
beiläufig gleih viel Zeit verwendet
werden. Ihatjächlich aber wird in ben
meiften Schulen das alte Teftament ein-
gehender vorgenommen und wegen Mangels
an Zeit über das neue flüchtiger hinweg—
gegangen. Im Lehrplane ift auch die
Rede von „Evangeliumlejen“; doch gibt
es in den erjten vier Volksſchulclaſſen gar
fein Evangeliumbuch ; was man dort etwa
| Evangelium nennt, iſt wohl nur eine
Bearbeitung des neuen
Bundes für die Kirche. Das Evangelium—
buch iſt erſt von ber fünften Claſſe an
vorgeſchrieben, kommt aber ſehr ſelten
dran, weil das ſtreng verlangte Aus—
wendiglernen des großen Katechismus
und das Studium des Ceremonienbuches
dafür faum eine Zeit übrig läjst.
Eine elerikale Stimme hat neuerdings
darauf aufmerkſam gemacht, daſs der
45”
Religionsunterriht in unſeren Volks—
jhulen nit ganz in den Händen der
Kirche jei, jondern daſs nah dem be
jtehenden Gejege darüber der Staat
da3 oberjte und entjcheidende Wort zu
ſprechen babe; daher ergeht, gewiſs im
Sinne de3 ganzen hriftlihen Volkes auch
an den Staat, an den Gultusminifter,
die Bitte, es möge dahin gewirkt werden,
daſs das Evangelium als völfer-einigende
Grundlage des Chriftenthbums unter den
religiöjen Lehrmitteln nicht bloß als Hilfs-
buch gelte, wie e3 gegenwärtig der Fall ift,
iondern daſs es im Terte der Evangeliften
als Hauptbuc erklärt und benützt
werde. P. 8. Roſegger.
Wie Mufik auf die Leute
wirkt.
Der Üithetiter Hirt machte eines
Tages ein merkwürdiges Erpertment. Er
hatte eine Anzahl Leute zu fich geladen,
von jener Durchſchnittsgattung in Ans
lage und Bildung, wie fie überall um—
ergehen, die Gejellihaft ausmacen, die
Mode mitleben, recht Flug zu plaudern
wilien, im Grunde aber hübſch naive
Menſchen find.
Als diefe Leute bei Doctor Hirt
verjammelt waren, hielt er an fie fol-
gende Anſprache: „Meine Herrichaften !
Sch plane heute an Ihnen ein Attentat.
Ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen
zuzumutben, daſs Sie einmal ganz aufs
richtig jein ſollen. Aufrichtig gegen fich
jelbit und aufrihtig gegen mid. Es
bandelt jib um eine äſthetiſch-wiſſen—
ibaftlihe Wrobe, deren Bedeutung und
Mert ih Ihnen ſpäter darlegen werde.
Vorlänfig werde ich Ihnen ein Muſik—
jtüd aufführen laſſen; Sie haben nichts
zu thun, als zuzuhören. Dabei hat jeder
von Ihnen genau achtzugeben auf die
Wirfung, welde das Muſikſtück in ihm
erzeugt, welche Empfindungen und Ger
danfen durch die Muſik in ihm ent—
jteben, und mir mach Beendigung des
08
Mufitjtüdes darüber Bericht zu erjtatter.
Uber um eines bitte ih Sie wohl drin«
gend, meine Herrichaften, jeien Sie bei
diefer Selbſtbeobachtung recht unmittel-
bar, denken Sie nicht an die Vorzüge
oder Mängel der Production, jondern
nur an die Empfindung, die Sie bei
Anhörung der Muſik als jolder habeı.
Daſs das Stüd möglichft vollendet zum
Bortrage fommt, dafür habe ich gejorgt.”
Darauf wurden die Gäfte in den
Saal geführt, und als fie platzgenom—
men und ſich gejammelt hatten, begann
ein mohlbejegtes Orcheſter die Mufit.
Die Anmejenden hörten mit größerer
ober geringerer Spannung zu; in einiger
Augen leuchtete Entzüdung, andere
ichauten ruhig vor fih bin, ein paar
gähnten verftohlen, obzwar das Stüd
fur; war.
Nach Beendung desjelben begann der
Hausherr feine Bäjte abzuhören, nachdem
er fie nochmals um ftrenge Gewiſſenhaftig—
feit in ihren Ausſagen gebeten batıe.
Und in der That, es iſt ſchwer glaub:
haft zu machen, daj3 die Leute allen
Ernte auf die Abfiht des Gaſtgebers
eingiengen und fi wahrhafter Aufrich-
tigfeit befliſſen.
Das Muſikſtück war faft feinem ganz
fremd gemwejen, man hatte es jcdon
irgend einmal gehört, wuſste es aber
doch micht eigentlich zu bezeichnen.
„Es war“, jagte der U, einer von
denen, die gegähnt hatten, „es war jo
eine Kirchenmuſik.“ Weiter mujste diejer
gar nicht3 vorzubringen.
Der B erflärte: „Mir hat's jehr
gut gefallen; ein luſtiger Ländler und
gleih zum Tanzen.“
Der E jagte: „Ih bin ganz ernit«
halt dabei geworden, habe gedacht, wie
es doch traurig ift auf der Welt, dais
die Leute mit Muſik fih aufbeitern
müſſen.“
Der D berichtete: „Mir hat's
warm gemacht. Es iſt ſo ein Jubel in
dieſer Muſik geweſen, als wollte jemand
hinausjauchzen: Sieg, Sieg! Deutlich
habe ich's geſehen, wie die Böſen flüch—
teten und die anderen — die Gottes—
709°
finder, möchte ich jagen — gegen Him:|ob der Papſt feinen Einzug bielte in
mel ſchwebten.“
„So iſt's mir auch geweſen“, ge
ftand der E, „und ich jelber jchwebte
mit. Es war mir jo mohl, jo glüdlich
ums Herz, weiß gar nicht warum, und
hätte alle Menichen umarmen mögen.”
Der F berichtete: „Ich kann nur
das jagen, ih babe während dieſer
Muſik Oſterbraten gerochen.“
„Wenn auch gerade nicht Braten“,
fügte der © bei, „jo doch etwas wie
Meihbraub und darunter Dunſt von
feuchten Kleidern, wie in der fire,“
„Ich habe während der Muſik eine
Proceffion in Abenddämmerung gejehen,
mit Prieitern im Ornat und vielen Lid:
tern, auch Wöllerijhüffe waren.“ Alſo
berichtete der 9.
Der J jagte: „Mir ift bei biejer
Muſik eingefallen: Ab, was das für
ein Glüd wäre, wenn man viel Gelb
hätte!“
„An Geld habe ich nicht gedacht“,
meinte der K, „eber find mir jchöne
Weiber in den Sinn geſtiegen. Der
türfiihe Sultan wird fih eine ſolche
Mufif maden laſſen, wenn er durd den
Harem geht und die jchönfte Sklavin
wählt.“
Der 8 erzählte, er hätte grünende
Felder und blühende Bäume gejehen und
ſich gedaht, wir befommen heuer ein
fruchtbares Fahr.
„Und mir“, gejtand der M, „nr
ift e8 gerade gemwejen, als ob ich einen
goldenen Becher mit Wein an die Lippen
bielte und das ftröme jo mild und feurig
in die Gurgel.“
„Mich Hat das Waldhorn, das dar
bei war, erinnert an die große Hirjch-
jagd im vorigen Herbſt“, jagte der N.
„War denn ein Waldhorn dabei?”
fragte der O. „Der Teufel auch, es
mufs jo ein Marterinftrument gemejen
fein, Noch jet gellen mir die Obren
vor dem Höllenlärm. Und das nennt
ihr Kunſtgenuſs! Mir ift die Muſik am
liebften, welche man nicht hört.”
„Ab, es war wunderſchön, e3 war
herrlich !* rief der BP aus. „Gerade als
Rom,“
„Mich hat diefe Mufif ganz traurig
gemacht“, geiland der U, „da möchte
man fich gleich hinlegen und jterben.”
„Im Gegentheile!” rief der A, „ein
wahrer Löwenmuth fam in mid, wie
das Blut von den Klängen erhikt durch
die Adern ftürmte,“
„Und Sie, lieber S?“ fragte ber
Hausherr, dem Genannten die Hand auf
die Achſel werfend,. „Sie haben ja nafle
Augen bekommen!“ —
„Ich dachte bei der Muſik an meinen
Sohn, der im fernen Lande iſt“, ent—
gegnete der ©. „Wie wird er leben?
Wann werde ich ihn wiederjehen ?”
Der T verfiderte: „Ich würde mich
bei dem Stüde költlid unterhalten haben,
wenn ich hätte mitjingen dürfen. Eine
hübſche Muſik und nicht mitthun dürfen,
das verdirbt einem den ganzen Genujs.“
„Mir war“, jagte der U, „als
börte ih Wäller raujhen und Donner
rollen und dazwiſchen Lüfte jäufeln und
Vögel fingen.”
„Ih hätte nur gewünjcht”, gejtand
der VB, „daſs ih ſchon Mittag gejpeist
und auf dem Sopha mein Verdauungs—
Ihläfhen machen fönnte. Bei jo präch—
tigen Stlängen ließe ſich's munderbar
ſchlafen.“
„Ich habe bei dem Muſikſtücke gar
nichts anderes denken können“, ſagte
der W, „als immer nur: Gott ſei
Dank, daſs ich ein Menſch bin!“
„Ja“, fügte der X bei, „man ver—
gijst alles Leid, man fühlt fich wie ein
von aller Materie befreite Wejen, das
jelig im Ather ſchwebt.“
„Hört mir auf!“ ſchrie der Y.
„Das iſt alles Schund. Da müjstet ihr
Rihard Wagner hören !*
Der 3 war jchweigend zur Seite
getreten und als der Hausherr ihn um
den Eindrud befragte, jchüttelte er dieſem
die Hand — ſtumm — ftumm und tief
bewegt.
Alſo Hatte fich jeder der Herren über
das Stüd geäußert und der Aithetifer
710
Hirt fchüttelte über den Erfolg jeines
(rperimentes den Kopf.
Händels „Halleluja“ war's, das er
batte jpielen laffen und von dem er
num Jah, welch verjchiedene Eindrüde es
auf die verjchiedenen Perſonen gemadt
hatte. — Alſo ift es doch wahr, dachte
er, dajs auch die Muſik nichts Neues
in den Zuhörer legen kanu, dajs jie
nur das wedt, was in ihm jchon vor-
handen ilt. Die Mufif potenziert wohl
den Menjchen, aber jeden nur in dem,
was er iſt; den Sanguinifer macht fie
noch luftiger, den Melandolifer noch
melandolijcher, den Schwärmer hebt fie
in Verzüdung, den rohen Sinnesmenjchen
macht fie noch genufsgieriger. Die Muſik
macht den Menſchen erft ganz zu dem,
was er iſt. Und einen, der hohl und
ihal ift, den läſsſt fie eben hohl und
ihal, und einen, der verbohrt ift, den
verbohrt jie noch tiefer. — Und jo fann
man aus den Außerungen mancher Leute
über Muſik recht mohl entnehmen, wer
fie find. Bemerfenswert ift aber aud,
dafs bejonders hoch entwidelte Naturen
für Muſik oft gar feinen Sinn haben;
jolde leben nämlich auch ohne Potenzier-
mittel ein Seelenleben, das faum einer
Steigerung mehr fähig it.
Befriedigt im einzelnen, aber ein
wenig verjtimmt im ganzen, rief ber
Hausherr jeine Gäfte nun zum Souper
und fiehe, bier war e3 wejentlich leichter,
den Geihmad aller zu treffen. Die Em—
pfindungen und Auberungen über das
Eſſen waren barmonischer, als jene über
die Muſik. R.
Die Frau als nichts.
Über die Lage der Frauen in
Korea gibt der „Oſtaſ. Lloyd“ feſſelnde
Mittbeilungen. Dort zu Yande hat die
Frau nicht einmal einen Namen; fie
ift lediglich als die „Schweſter“
die „Tochter“ des Soundſo bekannt.
a ü —————————— ———
oder | gewechielt.
Iſt "eines geichriebenen Vertrages, befteht bierin
ihre Ehe von Kindern geiegnet, jo sit
jie „die Mutter“ von dem und Dem.
Greignet es fi, dals eine Frau vor
Gericht, in einem Proceſſe ericheinen muſs,
jo gibt ihr der Richter einen bejonderen
Namen für die Zeit der Unterfuhung,
um die Verhandlung zu vereinfahen. —
Sobald ein Mädchen beiratsfähig wird,
darf niemand, ausgenommen ihre nächiten
Verwandten, fte jeben oder mit ibr
jpredben, und nad der Heirat iſt es un—
möglich, fih den trauen zu mähern; fte
leben in ihren Gemäcdern förmlih ein-
geſchloſſen. Dieje Gemächer find Heilig-
thümer, in welche jelbft die Volljtreder
des Geſetzes nicht eindringen bürfen ;
nur in Fällen von Empörung oder Hoch—
verrath darf man einen Mann aus ihnen
berausführen. Schidt fih ein Mann an,
das Dad jeines Hauſes auszubeſſern, jo
macht er feinen Nachbarn davon Anzeige,
damit fie ihre Thüren und Fenſter
ſchließen und nicht einen Blid in Die
Frauenfammern werfen. Wie in China,
ift auch in Korea die Heirat eine Ange-
legenheit, mit ber die frauen nur wenig
oder gar nichts zu thun haben. Der
Bater des jungen Mannes jegt ſich ent—
weder brieflih oder perlönlid mit dem
Vater des Mädchens, weldes er für
feinen Sohn wünſcht, in Berbindung.
Häufig geichieht dies auch durch einen
Mittelämann. Der Vater bejtimmt den
Hochzeitstag, nachdem der Heiratävertrag
geſchloſſen morden ift; die Aftrologen
werben ſteis zu Nathe gezogen, um einen
günftigen Tag feitzuftellen. Am Hochzeits-
tage wird in dem Haufe des Bräutigams
eine Erhöhung errichtet und dieſe mit
gewebten Stoffen reihlib geihmüdt ;
Eltern, Freunde und jonftige Bekannte
verfammeln ſich zu diefer Gelegenheit.
Die Brautleute, welche ſich nie gejeben,
noch miteinander geiprocdhen haben, werden
ins Zimmer geführt und betreten Die
Erhöhung; dort bleiben fie Angeficht zu
Aungefiht einige Minuten lang Stehen,
worauf fie ſich gegenfeitig begrüßen,
dob wird nit ein einziges Wort
Abgejehen von der Übergabe
Die ganze Geremonie. Das Paar zieht
ſich dann in jeine Gemächer zurüd.
Wenn dann der jungen Frau die Glüd-
wünſche dargebracht werden, mujs fie das
ftrengfte Stilljhmweigen beobadten.
Sie jegt fih in eine Ede des Zimmers,
Ichwer beladen mit verjchiedenen Kleidungs—
ftüden; jollte fie jprechen oder nur eine
Bewegung machen, jo wird fie von dem
Haushalte ihres Mannes ausgeladt. Aber
Die rauen Koreas haben auch ein Vor—
recht, das in Anbetraht ihrer ganzen
Stellung bejonders auffällig ericheint.
Die Sitte verbietet es nämlih den
Männern, fihb nah acht Uhr abends auf
der Straße jehen zu laſſen. Sobald die
foreaniiche Abendglode ertönt, müſſen fich
alle Herren der Schöpfung in ihre Häuſer
zurüdziehen, während e3 den Frauen
freifteht, bis ein Uhr morgens auf den
Straßen zu wandeln. Der Witwe geziemt
es nicht, ſich wieder zu verheiraten; man
erwartet von ihr, daſs fie ihren verjtor-
benen Mann beweint und zeitlebens
Trauerfleider trägt.
Ber Hadıtwädter.
Dom Nacht wächter alter und
neuer Zeit und verjchiedener Länder weiß
Fr. Regensberg in den „Münchner Neueiten
Nachrichten“ Aniprechendes mitzutheilen.
Dem alten frommen, väterlich ermahnen«
den Ruf der näcdtlihen Wächter wurde
bald ein Ende gejeßt: entweder wurde
er zur bloßen Angabe der Stundenzeit
oder er hörte ganz auf oder aber die
neue, praftiiche Zeit machte jeine Poeſie
ih dienjtbar. So find von einem Wächter
zu Wohlen im Margau in der Schweiz
folgende Rufe überliefert :
„Wer jeht prächtiges Fleiſch win kaufe,
Soll zum Ghappeli-Mofes Laufe,
Der gibt's Pfund ohne Etrapaje
But gewoge um fünf neue Balte,“
Am nächſten Abend aber lautete der
Spruch des nädtlichen Barden, jedenfalls
auf Beranlafjung eines Goncurrenten des
„Ghappeli-Mojes *:
„Saufet hin zum Dlebger Zeifer,
Der aibt alles viel wohlfeiler,
leiih vom Ochſe, die Rieme,
ibt er um fünfzig Gentime.*
Die Angabe der Stunden lag dem
Nachtwächter noch bis in unſere Zeit
hinein faſt überall ob und iſt vielfach
noch heute ſeine Pflicht. Schon zu ſeiner
beſſeren Controle ſeitens des bewachten
Bürgers. Aus Salonichi berichtet
ein Orientreiſender von einem türkiſchen
„Nadtrath*: „Bon Zeit zu Zeit hörte
ih ein merkwürdiges Geräuſch: ein. Auf
Hopfen auf das Wflafter mit einer
metallenen Keule. Ich hörte es in regel«
mäßigen Zwiſchenräumen wieder und
wieder und merfte nun, daſs es ber
orientaliihe Nachtwächter war, der durch
das Aufichlagen mit jeinem metallbeichla-
genen Stode jchallend verkündete, mie
gewiſſenhaft er feines Amtes malte.“
— Erwähnt jei bier, daj3 in der deut—
ihen Reichſshauptſtadt noch bis vor
furzem die vollen Stunden der Nadt
dur Pfeifen angegeben wurden, mas
erft am 3. Januar 1878 aufgegeben ward.
In der „guten alten Zeit“ gieng dort
der Sommer officiell mit dem Tage des
einftmal® berühmten „Stralauer Fiſch—
zuges“ am 24. Auguft zu Ende und
vom 25. Auguft ab ſchloſſen die Wächter
nicht mehr um elf, jondern um zehn Uhr
die Hausthüren. Der Nachtwächter des
Schlojärevieres aber erjchien noch unter
Friedrich Wilhelm IV. in der Sylveſter—
naht regelmäßig im Schlofje und fündete
der dort verjammelten Hofgejellibaft um
Mitternacht den Anbruc des neuen Jahres
durh zwölf Hornftöße und Abfingung
eines Choral an, wofür er vom Könige
jedesmal einen blinfenden Friedrichsd'or
erhielt. — Die Nachtwächter von Yondon
hatten noch im vergangenen Jahrhundert
die Aufgabe, nah Mitternacht den Ber
wohnern der engliihen Hauptſtadt die
Beſchaffenheit des MWetters zu verkünden,
Indem fie durh die Straßen giengen,
tiefen fie mit lauter Stimme ihr: „Rainy*
oder „frosty morning*, und wer die
In deinen Augen hab’ ic einft gelefen,
Es blitzte drin von Glüd und Lieb’ ein
Schein;
Behüt’ dich Gott, es wär’ zu ſchön geweſen!
Behüt' did Gott, es hat nit ſollen fein!
Anfündigungen diefer eigenartigen Wetter
propbeten hörte und beachtete, wuſste
beim Aufftehen, ob er waſſerdichte Stiefeln
anziehen oder fih wärmer kleiden mujäte.
Ebenſo rief der Wächter in italienijchen
Städten neben der Stunde auch das
Wetter aus: „Piovento, fa sereno,
tempo nuvolo“, je nachdem es regnete,
ſchönes Wetter ober bebedter Himmel
war. In Spanien befteht diefer Brauch
noch heutigentages. Die Wächter rufen
dort die Stunden von elf Uhr nachts
bis morgens früh um vier Uhr in hohem,
halbfingendem Tone aus und fügen jedesmal
eine Angabe über das Wetter bei. So
3. B.: „Sei gegrüßet, heilige Jungfrau!
Elf hat's gejchlagen! Heiterer Himmel!“ | 3. Schwäbiſch.
Da nun in dem „ichönen Land de3 Weines Ders iſcht im Lebe wüicht und gar net
und der Gejänge“ der Himmel die weitaus lieble,
meifte Zeit heiter iſt, jo dajs die Nacht- Dafs bei den Rögle glei die Dörnle ſchtehe;
wächter jelten etwas Anderes als „Cielo | Und, fist das — Pr mal beim
sereno!“ (beiterer Himmel) zu rufen Sie müfjet, denn exit auseinander gebe.
haben, jo bat ihnen das Volk ſchon in In deine Äugle ha’n i au mal g’leie,
alter Zeit den Spottnamen „Serenos*“ eg Pr ee ae
gegeben, deſſen Entftehung und eigentliche | Lt? Ding wär jo weit au net übel g weile,
Bedeutung aber längſt u Vergeſſenheit Raaferei
gerathen iſt. Kein Nachtwächter in Spanien
erwartet heute, wenn ſeine Dienſtleiſtung —————
irgendwo begehrt wird, eine andere An- Dat is in't Lewen ſnaal'ſch man inricht'
u worden,
rede als: „Senor Sereno! Dat bi de Roſen ſo veel Stacheln ſtahn,
Un, dröppt man ſick in’t Süden oder Norden,
Zaulegt möt'n wedder untenannergahn.
Du wierfi mi mal veel leiwer as mien
2. Berlinerifd.
Det is in't Leben eene dolle Nummer,
Det mang die Roſen lauter Dornen fhteh'n.
Un jan; beſonders macht's mid ville
Kummer,
Det Allens ſchließlich aus'n Leim muis
In deine Ojen ha'k mal wat gelejen,
Du kielteſt mir jo freundlich an, mein Kind!
Na Sache! det wär’ wirklid nett jeweſen,
Indeſſen doch, det hat nich jollen find!
Lewen,
Id dacht', du haaft mi ol tau'n Ehrman
— nahm'n;
Es wär zu ſchön geweſen Min ſäute Diern, dat hadd en Spaſs
afgewen!
in verſchiedenen Mundarten. Min Zuderfnut, de Sad is anners lam'n.
Dem deutſchen Verein „Arion“ in 5. Sachfiſch.
New-York gehört ein Mitglied an, das! 7
verſchiedener „Töne Meifter“ ift. Das Nee, heern Se mal, des iß Sie far nich
: . r . . . eene,
zeigen die folgenden jcherzhaften dialecti- Deſs bei die Rofen * Dornen ſteh'n!
ſchen Umſchreibungen der erſten Strophe Ich find's, Kottſtrambach kradezu femeere,
des befannten Scheffel'ſchen Liedes. Wie's eenen armen Luder oft lann gehn.
Ih hatt Sie nemlih mal 'ne Braut in
Dräſen,
1. Urtert. Da fiel ’H Sie awer eklich mit'n 'nein!
Der Spaſs is nemlich far nicht billig
Das ift im Leben häfslih eingerichtet, !'weien!
Dajs bei den Roſen gleich die Dornen fteh'n. 8 hätt’ freilich fönnen no viel dheirer
Und was das arme Herz auch plant und fein.
dichtet,
Zum Schluſſe lommt das Voneinandergeh'n.
Zwoa lufigi Gfdidtin
in fleirifher Mundart von Hans frauem
gruber.
Almraufdj.*)
Morgen is der Binderjagglin ihr
Namenstag, und weil die Binderjagglin
fopiel gern 'n Almrauſch fiaht und ihr
jel das allerliebſt Bleaml i3 af dr Welt,
denkt eahm dr Bindajaggl, ihr Man:
„Madit ihr a Freud und bringjt an
Buſchn Almraufh hoam, der fojt nir.“
Stedt alt a groß Meflar ein zan
Ahſchneidn und fteigg auffi af d’ Sand-
lingalm, wo die ganze Xeitn voll Alm—
rösl ſteaht, als wann d' Abndröthn
von Himmi gfalln war aba auf d’ Stoan«
leitn. Intawegn, wiar er jehon bol**)
obn i3 af dr Alm, fimp 'r bein Salz.
berg vorbei; ſteht der Beugicaffer
beraußt, der zmoa Kröpf bat und an
guatn Wein und jagg: „Wo gehſt dan
bin, Bindajaggl? Ih hätt a meuchs
Weinl, magit’s koſtu?“ Denkt eahm dr
Binderjaggl: „Da Almraufh voblüaht
nob nit; dr Zeugichäffer hätt a guats
Weinl, däs fojt nix“ — und geht eini. —
Ba'n erſtn Glasl jaggr: „Du, däs
Wein! is guat!“ Ba'n zweitn jchnalzt 'r
mit dr Zung’ und jagg: „Du, das Wein!
i3 fitriih guat!“ Ba'n drittn Glasl
baut 'r afn Tiſch und jagg: „Du, däs
Meinl is jchoa ganz vÄhöllt ſikriſch guat
ah!“ Ba'n viertn jagg 'r nir meh und
ba'n fünftn ligg 'r intern Tiſch und hat
an Raufh. Dr Zeugihaffer lacht, und
af d' Nacht gengan an etla Bergleut, dö
mit da Schicht firti jan, abi ins Dorf.
Dö zarın 'w Binderjaggl mit und loahn
ihn za jein Häusl an d' Wand.
Die Binderjagglin ſchlaft noh mit
und hört allweil ba dr Thür daußt
wen gronen und kreißtn. Sie nimmb d’
Latern, und wia j' außileucht, findt j’
ihr'n Mann. „Iſſas Maria!“ jchreit j’
„der hat ja an Rausch!“ — „I ja”, ſagg
dr Man, „Binderjagglin, an Almranſch
han i dr bracht.“ —
Almrauſch — Almrofen.
*) bald.
713
Wie der Brudnwirt feine Kinder zählt.
„Wiavül Kinna habt's Ös hiazd,
Brudnmwirt ?” fragg der Gollacher Seppl,
wia eahm dr Wirt 's volli Weinglasl
bringg und afn Tiſch ſtellt.
„Vieradreißg!“ ſchreit der Brudn-
wirt. „Sel wird doh nit ſein“, moant
der Gollacher Seppl, „däs wa deant a
wenf z'viel zar an Gſpoaß.“ Der Brudn»
wirt Hopft jein Pfeifn aus und — „Du
Saumagn!* kirrt d' Wirtin hinta dr
Schank füra, „muafst dein ftinfati Pfeifn
allmal af dr Xijchplattn auslaarın ?
Zwegn was i3 dan dr Stubnbodn da?
Soll mr all bot nachwiſchn, wan mer eh
d' Händ volla Arbat hat!" — „Sei ftad,
Alti“, brummt dr Brudnwirt, „wanı
mr vierabreißg Kinna bat, fimps af dö
Pag ah neama an,“ Br Gollader
Seppl gibb eahm an Tauder mit'n Ell-
bogn und lacht: „Geh, Narr, red’ nit
ſöchti Dummheiten, filt friagft es noh
z'ſamm ab.“ — „Was ’r dan allmol mit
dd vieradbreiig Kinna bat?“ kirrt d’
Wirtin wiada, „der narriſchi Tonl der!
A d' Lebt glauben’s d' Leut noh,
ſchamen müaßt er ſih frei ah.“ — „Na,
na, eppa nit?“ ſchreit dr Brucknwirt,
„ich han ſiebazehn Kinna und mein Weib
hat a ſiebazehn, jan aft däs nit viera—
dreißg?“
Das Grab gefallener Steierer
bei Königgrätz.
Dem Herausgeber dieſes Blattes
gieng vor Kurzem das folgende Schrei-
ben zu, welches von vielen Steirern mit
Rührung und Dankbarkeit gelejen werben
wird,
Königgrätz, am 29. April 1891.
Hocgeebrier Herr!
Vor einigen Jahren hatte ich im
Wien Gelegenheit, Ihre Schriften kennen
— — — i i—⸗
714
zu lernen und aus dieſen auch die Sit- |
ten und Gebräuche des Volles der öjter-
reichiſchen Alpenländer, insbeſondere jenes
der Steiermarl, welches Sie mit jo viel
Liebe in feinen Freuden
ichildern, daſs ich als Nichtdeuticher eine
innige Sympathie zu diejen Alplern ge-
mwonnen babe, und das umſomehr, dba
auch Sie in Ihren Büchern wiederholt
unferes Böhmermwaldes jo freundlih er
wähnen.
Es gereicht mir zum bejonderen Ver—
gnügen, Ihnen mitzutheilen, daſs durd
Veranlafjung des bier beitehenden Co—
mités zur Erridtung und Erhaltung von
Dentmälern der im Feldzuge des Jahres
1866 in Böhmen gefallenen Krieger —
zehn Ihrer in der Schladt bei König—
gräb am 3. Juli 1866 gebliebenen
Landsleute vom jteiriihen 27. Infan-
terie-Regimente (König der Belgier) eine
würdige letzte Ruheſtätte und ein jchönes
Denkmal errichtet wurde,
Zu joldem Zwede mujsten die Ge-
beine diejer Todten, welche bisher an einem
Orte mitten in Feldern rubten und der
zur Aufjtellung eines Denkmals ganz
ungeeignet war, ausgegraben und an
einen geeigneten, ungefähr 50 Schritte
vom alten entfernten, hart an der Land—
ftraße gelegenen Ort übertragen werden.
Dieje Ausgrabung fand am 21. April
I. $. vormittags am nördlichen Saume
des beiläufig 8 Kilometer nördlich von
unjerer Stadt an der Elbe gelegenen
Dorfes Lochenitz ftatt im Beiſein des
ft. u. k. Landwehrhauptmannes Steinsky
als Obmann, des k. u. k. Lieutenants
in der Reſerve Franz Waldel alt Schrift.
führer de& Gomit6s, des Med.-U.-Dr.
Emil Waldef, des Ortsvorftandes und
einiger wenigen Dorfinſaſſen, ſchließlich
war auch ich dabei. Nah 9 Uhr Bor»
mittags begaben wir uns zum alten
Grabe, welches nahe an jener Ziegelet,
bei deren Vertheidigung die Soldaten
gefallen find, lag, und machden alle
Vorbereitungen zur traurigen Arbeit ge
troffen waren, begann dieſelbe um
7,10 Uhr. In einer Tiefe von einem
N beftehend aus Knochen,
‚ Überreften von Monturen,
und Leiden:
balben Meter fanden wir die Leichenreite,
vermischt mit
Riemenzeug
und Schuhwerk, von Bajonnetticheiden und
Waffenbejtandtheilen. Weiters wurde in
einer Batronentaicte, welche fait durd-
wegs mit Mumition gefüllt war, ein
Gebetbüchel gefunden, deſſen Tert nicht
mebr gelejen werden founte; weiters
fand man einen Nojenfranz, zwei Ge:
benfmünzen mit Muttergottesbild aus
Mariazell, welche die num Todten vielleicht
um den Hals getragen hatten, ein Notiz-
buch, eine Feldflaſche mit dem Weite einer
jtärfenden Flüſſigkeit, einige Gjsbeftede,
eine Schere, eine Erinnerungsmebaille
aus dem FFeldzuge in Schleswig. Holftein
im Jahre 1864 mit jehr gut erhaltenen
Bande, eine Tabakspfeite und eine Menge
anderer Stleinigfeiten. Bon den Schädeln
wurden bloß fünf ohne fichtbare Ver—
legungen gefunden, bei den übrigen
waren größere und Heinere Schujätrac-
turen zu jehen, bei einem waren Die
oberen Partien von einer Kanonenkugel
volljtändig zerichmettert, aus einem an—
deren fonnte die tödtende Gewehrkugel
herausgenommen werden, Die Beden-
knochen einer Leiche waren ebenfalls ganz
zertrümmert,
Ale dieje Leichenrefte wurden ſorg—
fältigjt gefammelt und im zwei bereit:
jtehenden Kiſten verſchloſſen, in einer
dritten Stifte wurden die übrigen gefun—
denen Oegenjtände verwahrt. Als die
drei Kiſten in eine am Fuße des mit
einem Kranze geichmüdten Kreuzdenkmales
bereiteten Grube gejenft waren, nahm
der hochwürdige Herr Ortäpfarrer P.
Alois Soufup die Einweihung des
Kreuzes und hierauf die Einjegnung des
gemeinjamen Grabes vor. Nach der kirch—
lichen Geremonie jprach er zu den wenigen
Verjammelten eine kurze aber ergreifende
Nede, bei welcher alle Zuhörer zu Thränen
gerührt waren. Er jagte unter Anderem:
„Dieje Armen baben ein volles Recht
auf unſer Mitleid, denn vielmalä traus
tiger ift ihr Los, indem fie bier tm
fremden Lande ein vorzeitiges Grab ge»
funden haben ; in ihrer fernen Gebirgs—
Zr
„Mei’ Kind ſchau, i moan,
715
Heimat weint vielleicht mande Mutter Gftattn Dichtn.
zum ihren Liebling, trauert mancher ' .
Vater um einen einzigen Sohn, um Mei Muada 55 jagt oft:
Teine Stüge im Alter. — Wie groß und
verdienjtvoll ift die Aufgabe, welche jich
einige chriftlih und patriotiich geſinnte
Männer gejtellt haben, am ihrer Spitze
der Herr f. n. f. Hauptmann Steinsky,
die irdiichen Überreſte jener Tapferen,
welche unter den Fahnen Sr. Majeftät
für die Einheit des Neiches den Helden»
tod ſtarben, unter das Banner der fatho-
liſchen Kirche — das heilige Krenz —
zur jammeln, ihnen Denffteine zu errich—
ten, damit fib an ihrem glänzenden
Beiipiele die Nachkommen erheben und
erbauen fönnen. Und dieje, welche mir
nah fait fünfundzwonzig Jahren zum
zweitenmal in die Erbe beiten, find des
Kreuzes gewiſs wert, denn fie waren
wicht nur treue Söhne der heiligen Kirche,
wie es das bei ihnen gefundene Gebet-
buch, der Roſenkranz und die Gedenk—
münzen mit dem Muttergottesbilde be—
weifen, fie waren auch pflichttreue und
gewilienhafte Diener ihres Kaiſers, was
fie durch ihren im feinen Dienften ges
fundenen Tod befräftigten.“
Hierauf wurde das Grab gejchlofien
und die Feier, welche ohne alle Bor:
bereitung und Prunk durch ihre herzlich
rührende Einfachheit allen Theilnehmern
gewij3 unvergeſslich bleiben wird, mar
zu Ende,
Theilen Sie im „Heimgarten“ Ihren
Landsleuten mit, daſs es bier nod Leute
gibt, welche das Grab Ihrer unglüd.
lihen Stammesgenofjen pflegen und
darüber wachen werden, dais dieſe letzte
Ruheſtätte in Ebren gehalten und jähr-
lich mit frischen Blumen geſchmückt
werde. Mehmen Sie die Merjicherung
meiner vorzüglichiten Hochachtnug ent
gegen, womit ich mich zeichne als
Ihr ergebener
Joſef Udalrif,
Peamter.
u — — — — — — — —
Du kunnt’ft ſtatt dein Dichten
Obb's G'ſcheitas wohl thoan.“
Draf Sag i: „Schau Muada,
Mir is bäufti gmua,
Dais i ftatt mein Dicht'n,
Nir Dummas nu thua!“
6. Tobiſch.
LiedIn aus dem obern Kainad)-
Thale.
Mitgetheilt von Y. ©.
Sollt' jhon a Moarknedt jein,
Kann noh loan Zaun z'jammzäunn,
Tangeln fann ih ah nit recht,
Dais’s a Schneid hätt.
D'r Summer geht umer, die Heumahd,
'r Schnitt;
3 d’r ſchönſten Zeit
Sieh ih mei’ Dirnerl nit! —
Ih bin a Epielmann
Und du bift a Tanzer!
Ih bin a halber Rarr
Und du a ganzer.
„Haft du nit a jhöne Dir —n?“ —
Ya wol! an Knecht ah. —
„Thant fie nit a weni ſchmier —n?“ —
Ya wohl! is recht ab.
Ban Mofer i d’r Lölling
Bin ih Borfahrer, ih;
Groaße Nudel iſs ih gern,
Kloane mag ih nit, ih.
Ban Kropfbauer i d'r Lölling
Bin ih döſswegn entrunn',
Is an ungroaßer Koathkäfer
J d'r Mehljuppen umg'ſchwumm.
Bücher.
Gewmiſchte Geſellſchaft. Gin berühmter
Dichter, berühmt durch ſeine Erfolge im
Luſiſpiel und in der Novelle — eine junge,
ihwärmeriiche Amerifanerin mit unbeftrit:
tenem Talent zur Anatomie des weiblichen
716
Herzens
ein gemüthvoller Schilderer Anblich“,
ruft fie enthufiaſtiſch, „das
der bayriſchen Gebirgswelt — eine Did: | Steigen und Fallen der Wogen!" —
terin, Die der Liebe, nicht der geſchlecht- „Thu’ mer den B’fall’n,*
lien, nein, der verwandtihaftliden Liebe,
eine Idealmwelt an Entjagungs: und Opfer:
freudigfeit aufbaut — zwei Verfaffer ter:
niger Geſchichten aus den fteirifchen Bergen
und dem Böhmerwalde — der Maler von
Gabinetsftüden Heinbürgerlier Verhält—
niffe — und nod einige andere — iſt das
feine gemiſchte Geſellſchaft allerdings
nicht im landläufigen Sinne.
Der vornehmſte in dieſer Geſellſchaft
iſt wohl Adolf Wilbrandt, der in
ſeinem Romane ‚Adams Söhne“ (Berlin,
Wilhelm Herk) auf 456 Drudjeiten zu bes
weijen verſucht, daſs man ein großer Dichter
fein und doch — einen mittelmäßigen Ro:
man jhreiben kann. Er benügt die alten
ausgefahrenen ®eleife des idealiſtiſchen
Romanes mit jeinen Geftalten ohne Fleiſch
und Bein, ohne Blut und Leben, zu einem
Eintagsſcheinleben erwedten Schemen, bie
Ideen verlörpern ſollen. Allerdings leuchtet
hie und da ein origineller Zug der Cha:
rafteriftif, eine geiftreihe Wendung durd,
würdig eines Wilbrandt, aber das Ganze
dient doch nur dazu, dem Leſer eine arge
Enttäufhung zu bereiten. Was im „lebten
Haufe“ vorgeht, ift gewils fpannend, ja
dramatijch belebt, derart, dajs man fagen
mödte, Wilbrandt jei zu jehr Dramatiter,
um guter Romanjchreiber zu fein, wenn
man nicht wüßte, daiß er ſchon befiere Er:
zählungen, ja muftergiltige, geihrieben hat.
Es fehlen an diefen Ecenen in „legten
Haufe" niht einmal die Wriftotelijchen
Einheiten des Dramas. Der Stil ift nicht
immer Mar, nicht immer ganz correct, ein
Beweis, daſs der Roman troß einiger
tieffinnigen Sentenzen flüchtig gearbeitet
wurde,
Aud Marimilian Shmidt liefert
uns mit dem Cultur- und Lebensbilde:
DerShußgeiftvon Oberammergau
(Leipzig, A. ©. Liebestind) feines feiner
befieren Bücher. Die Naturjhilderungen
find wie immer bei Marimilian Schmidt
anfhaulid, aub die Überammergauer
Paſſionsſpiele haben in feiner Wiedergabe
einen culturbiftoriihen Wert — das ıft
aber au daS befte an dem Bude. Der
jonftige Inhalt, die eigentliche Erzählung,
die wie ein roiher Faden die Schilderungen
durchzieht, ift ohme großen Wert. Der
Städter fol gehen und ſich dieje groß-
artige Gebirgsmwelt anſehen, aber, man
verzeihe mir, er nimmt fih doch nur wie
ein „Alpengigerl* darin aus. Daran mögen
die Dichter ſchuld fein, fie bringen es nicht
zuftande, den Städter jo in die Welt hin:
einzuftellen, dajs er zu ihr pafst. Ich mujs
mid unwillkürlich an jenes jüdifche Ehe:
paar im Bade erinnern, „Ein herrlicher
jagt er, „und
ipreh mer im Bade nicht von’s Geſchäft!“
Ein ganz eigene® Buh das: „Der
Lebende oder der Todte?* von
Amelie Nives. Überjegt von Denny
Koh. (Franffurt a. M. GE. Kvenitzer.)
Barbara ift jo untröftllid über den Tod
ihres heißgelichten Gemahls und lebt derart
nur in der Erinnerung en ihn, daſs fie
den Better des „Seligen* wegen jeiner
frappanten Ähnlichkeit zu lieben beginnt
— jie fieht ja in ihm nur den „Seligen. *
Die Frage: „Der Lebende oder der Todte?*
ift mit fo feiner pſychologiſcher Spigfindig:
feit geftellt, dafs der Lefer nicht immer die
Antwort weiß. Wie jenfitiv die Verfafierin
in ihrem Buche wird, jollen einige Stellen
dartdun. „— aber — jelbft die Haare, die
fih in jeinem Naden kräuſelten, jchienen
durhdrungen von dem Bewuſstſein — *.
Das gebt doch über die Seelenriederei!
Neizend ift auch der gefühlvole Rüden
eines Ktutſchers. „Es gibt nichts ausdruds-
volleres als der Nüden eines jhwarzen
Kutiers, nit einmal die Augen eines
hungerigen Hundes find imjtande, das zu
übertreffen“ u. dgl. Wie hoch entwidelt
das Senjorium einer jungen amerifaniihen
Schriftitellerin ift! Am Ende erhält der
Tode jein Recht und der Lebende befommt
den Laufpajs. Das ift doch echt europäiſch
und gar nit amerikaniſch.
Der adte Band der Gefammelten
Schriften von Heinrich Seidel ent:
hält die Fortjegung von Lebereht Hühn—
hens Lebenslauf: Leberecht Hühnchen
als Großvater. (Leipzig. U. ©. Liebes:
find.) Wir haben Heinrih Seidels Schrift:
ten jhon an anderer Stelle beiproden,
insbejondere den gutmüthigen, harmloſen
Humor und die feine, zarte Charafter:
jeihnung hervorgehoben. Erwähnung ver:
dient noch der forgfältig geglättete Stil.
Arthur Adhleitner, von dem uns
als 2696. Bändchen der Reclam'ſchen Uni—
verjalsBibliothel Geſchichten aus den
Bergen vorliegen, ift nit nur ein tüch—
tiger Kenner des bayriiden Hochlaudes
und jeiner Bewohner, jondern aud ein
wahrhaftiger Dichter, der die Perjonen
mit ihrer Umgebung, das wetterfefte Alpen—
volk mit der grandiofen Natur feiner Hei—
mat in Beziehung zu bringen verftebt.
Diefe Farbe tragen aud feine Erzählungen.
Nicht ganz jo heimisch ift der Dichter auf
fteirifhem Boden, wenn er einmal dahin
eine literariiche Ercurfion madt.
Mie Adhleitner in den bayriichen
Bergen, ebenfo daheim ift Johann Peter
im Böhmerwalde Seine Dorfgeihid:
ten aus dem Böhmermwalde (Leipzig,
Buftav Körner) muthen uns thaufriſch und
-
117
-
urjprünglid an, wie frifhgebrodte Wald: | dem Gejchrei junger, nafeweifer Prediger
beeren. Die „Todtenihau” ift ein präch- das goldene Wort des Greifes nicht über:
tiges Stüd derber Boltsthümlichleit, dem | hört werden.
wirklichen Leben abgelaujdt.
Unna Hartenftein erzählt in zwei
Novellen: Aus dem Bürgerhauje
(Dresden u. Wien, Berlag des Univerjum)
von der Aufopferungsfähigfeit der Schweller
und von dem Opfermuthe der Todter, Biel:
leicht wäre e8 dankbarer gewejen, die Gatten:
liebe oder die Mutterliebe zum Vorwurfe
einer Erzählung zu nehmen. Lobenswert
ift die reine, geihmadvolle Darftellung.
Nicht ſehr geſchmackvoll Hingegen ift der
Inhalt der Novelle: Frau und Braut
von Emil Taubert (Leipzig, Georg
Meyer). Johann befitt eine Frau und eine
Braut. Damit er mit feiner Braut glüd:
lih werden fann, tödtet ji die Frau —
und fiehe da, er nimmt dieſes Glüd aus der
Hand jeiner todten Frau an. Das ift doch
nicht Sehr geſchmackvoll und vom äfthetifchen
Standpunlte aus tadelnswert.
Zum Schluſſe wollen wir der Briefe
einer alten Bäuerin an ihre ftädtiiche
Freundin von Agnes von der Delen
(Hirſchberg, Volksarzt-Verlag) gedenten, die
in ſchleſiſcher Mundart die jüngften Erleb:
niſſe und Erfahrungen der alten Bäuerin
drafifh und lehrreich zugleich mieder:
ipiegeln. tt—
Aus deu SLebenserinnerungen eines
Siebzigers. (Gotha. Friedrich Andreas
Perthes 1891.)
Wenn die Jungen jchreien, pflegen die
Alten zu fhmweigen. Oder ihre ernitruhige
Stimme wird überhört. Und das ift ein Un—
glüd. Wenn die Wortführer früher Erfah:
M.
Des Bern Friedrich Oſt Erlebniſſe im
der Welt Bellamys. Mittheilungen aus den
Jahren 2001 und 2002. Herausgegeben
von C. Wilbrandt.
Diefes Bud ift feine trodene Polemit
gegen das allbefannte, in hunderttaujenden
von Eremplaren verbreitete Buch Bellamy's
„Im Jahre 2000*, jondern ein Roman,
wie der Bellamy’iche. Für trodene national:
ölonomifche Belehrungen würde das große
Publicum keine Empfänglichleit haben,
wohl aber für eine Erzählung, melde ſich
auf dem Boden jenes erträumten Zulunfts:
ftaates abfpielt und in ihrem Berlauf, an
der Hand von ganz unausbleibliden Be:
gebenheiten, die Haltlofigleit und Unaus—
führbarfeit der Idee der Verftaatlihung
der Gejellihaft in jo ſchlagender Weile
docuntentiert, dafs es jelbft dem Lefer, den
‚die menichenbeglüdenden Zulunftsträume
Bellamys gänzlid gefangen genommen
rungen jammeln, al& Belehrungen austheilen |
wollten, wie anders ftünde es um die ges
jammte Lebensweisheit eines Volkes, Neues,
Überrajchendes, Revolutionäres mollen fie
verfünden, unſere jungen Schreihälie, und
binnen furzem müſſen fie ſich ſachte jelbft
corrigieren, wenn fie jehen, daſs das Leben
e3 anders will, als phantaftiihe Hitglöpfe
e3 fich eingebildet. — Wie wertvoll ift die
Stimme eines vielerfahrenen Mannes, und dodtentanz“ (Berlin.
hatten, wie Schuppen von den Augen fällt.
Unbefangenere Leſer des Bellamy’ichen
Buches aber werden fi ungemein erheitert
fühlen, wenn fie hier den Herrn Friedrich
Dft genau die Spuren des Herrn Julian
Weſt verfolgen, aber ihn dabei zu Ergeb:
nifien fommen jeben, welche die bejeeligen:
den Erfahrungen de3 erfteren und die Be:
richte des Dr. Leete in wahrhaft draftiicher
Weiſe beleuchten,
Das Bud) ift Teineswegs eine Parodie;
weit entfernt davon. Der Herausgeber ift
ein erfahrener Mann, deſſen Anihauungen
auf jehr reellen nationalölonomiihen Stu:
dien beruhen, der mit ruhigem Humor
und unerbittlier Gonjeauenz den amert:
laniſchen Phantaften auf feinen verzmweigte:
ſten Pfaden verfolgt, und der dabei durch
feine flotte, überzeugende Schreibweife und
glüdlihe Erfindung die Leſer zu feileln
V.
und zu unterhalten verſteht.
1
Von Karl Prölis „Modernem
Dans Lüftenöder.),
jene Lchensphilojophie wird wohl die rich: | der bei feinem Erſcheinen berebtigtes Auf:
tigite fein, die nad allerlei geiftigen Irr—
fahrten der Greis prüfend endli zur
jeinen gemadt hat. Die Lebenserin—
nerungen des Siebzigerd, die oben ange:
jehen machte, ift bereit3 eine neue Folge
erſchienen. Nicht leicht wäre es, dieſem
eigenartigen Schriftfteller unter den Ro:
mancierd und Dichtern feinen Pla anzu:
führt find, jagen uns nicht viel Neues, weiſen. Weitab von den ausgetretenen Pfa⸗
aber ſehr Richtiges, Alterprobtes, immer den der Belletriſtikl und neuzeitlichen Lyrik
Beherzigenswertes. Das Büchlein, welches bewegt ſich dieſer originale Geiſt, der uns
die wichtigſten Fragen des Lebens berührt, anzieht und feſſelt, auch dann, wenn er
liest ſich wie Lehr und Rathſchlag eines ſich in Regionen verſteigt, wo die Phan⸗
älteren wohlwollenden Freundes. Möge in |tafie Herricherin iſt. Karl Pröll iſt durch
und durd Idealiſt, und der ideale Grund:
zug feines Wejens verleugnet fi in keiner
feiner Skizzen, in feiner feiner Erzählungen.
Ein hoher Sinn, eine tiefe und wahre
Begeifterung für das Edle und Schöne
ſpricht aus allen feinen Schöpfungen. Wer
Unterhaltung im vulgären Sinne des
Wortes ſucht, möge fein Bud nicht erft in
die Hand nehmen, dem ernfler denfenden
Leſer, der auch vor Abhandlungen über die
fociale Frage und anderen Problemen in
Staat und Leben nit zurüdjchredt, wird
Pröl’s Todtentanz* eine reihe Fülle gei:
ftiger Anregung und Genufs bieten.
Die õſterreichiſche Gebirgsmwelt in Chromo⸗
lithograpbien nad Natur:Aufnahmen von
U Gerajd.
Die Berlagshandlung „Leylam“ in
Graz hat es unternommen, die fchönften
Puntte der öfterreihiihen Gebirgswelt,
durd Künftlerhband aufgenommen, in einem
farbenprädtigen Chromo-Lithographien—
Cyclus bildlih darftellen zu laſſen. Bis
jeßt liegen vierzehn Hefte zu je ſechs Bil:
dern von diefer prädtigen Sammlung vor.
Diefelben enthalten BDarftellungen aus
Steiermart, Kärnten, Salzburg, Ober:
öfterreih und werden weiterhin ihre Fort:
jegung für die übrigen Alpenländer finden.
Die Bilder find nad meifterhaften Natur—
aufnahmen des Malers U. Geraih ber:
geftellt, gediegene Zeihnung, ungemein leb—
baftes und nmatürlides Eolorit, glüdliche
Auswahl des Stoffes, vornehmer Ton und
jierliche Ausftattung find die ſchäßenswerten
Vorzüge diejes Albums, welches als ein
ausgezeichnetes Dentflüd allen Freunden
der Wlpenwelt beftens empfohlen werden
lann. Wollte man eine oder das andere
der Bilder namentlih erwähnen, jo wäre
dies ein Unrecht gegen die übrigen, denn
jedes einzelne Blatt der Sammlung hat
Unfpruh auf unjere ungetheilte Bewun—
derung.
Diefen Bemerkungen des Bozener
„Sonntagsboten* jdließen wir uns an
und werden feinerzeit auf die ichöne Aus:
gabe noch zurüdlommen. M
Bpamer’s Alluſtrierles Konverlations-
Serikon. Zweite, gänzlih umgearbeitete
Auflage, in größtem Lexikon-Octavformat.
Mit 8000 Tertabbildungen,
Tonbildern, Karten :c.
Werte liegt nunmehr Band VII, Lieferung
151 —174, vollendet vor; er umfaist Die
Budftaben ©, R und S und flieht in jeder '
718
Dinfiht auf derjelben wiſſenſchaftlichen und
fünftlerifhen Höhe, wie jeine Vorgänger.
Neue Mufikzeitung. Redacteur D. 4.
Spoboda,. (Stuttgart. Earl Grüninger.)
Dieſe Zeitſchrift, welche heute in ihrem
zahlreichen |
Beziehbar in 200 |
Lieferungen oder in 8 Bänden. Bon dielem |
zwölften Jahrgange fteht, ıft ein Blatt für
Mufiter und Mufitfreunde und erfreut ſich
großer Verbreitung. Es ift feine trodene
Fachzeitung, fondern ein Unterhaltungs:
blatt vornehmfter Art für Gebildete. Außer
den gemwifienhaften Berichterftattungen über
Neuigkeiten und Vorgänge in der mufi:
falifden Welt bringt e3 Novellen, Efiays
und Plaudereien voll Warmberzigfeit und
geiftiger Friſche, trefflih ausgeführte Illu—
ftrationen aus der Künftlerihaft und Noten:
beilagen beliebter Componiſten. Eine der
feinfinnigften und beliebteften Rubrilen des
Blattes find die launigen Geſchichtchen aus
dem Leben befannter Muſiker. Mit einem
Worte, das jehr hübſch ausgeftattete Blatt
bringt vieljeitige Anregung im reichen
Make; man wird mir Danf wiſſen, dais
ih darauf aufmerffam made. i
Der gute Aamerad. Wenn man jchon
im Principe den Nutzen von Jugendichriften
zur Erholung und zur Herzens: wie Geiſtes—
bildung unjerer Rinder anerfennt (was
übrigens noch eine offene Frage bleibt),
jo wüjsten wir wohl faum eine Zeitſchrift
| zu nennen, welde für die Jugend em:
pfehlenswerter wäre, als die bei Spemann
in Stuttgart erjcheinende, jehr hübſch illu—
ftrierte Wochenſchrift „Der gute Kamerad“.
Vormwiegend ift das eine Lectüre für Kna—
ben und ihr Inhalt auf muthige Bethäti-
gung des Lebens geridtet. Spiel und
Ernſt durdheinander, Erzählungen, Länder:
und Bölterbeihreibungen, Geſchichte, Er:
findungen und hHunderterlei interefiante
Sachen bringt diejes Blatt. Wer über:
haupt will, dais feine Knaben durd Leſen
für daS Leben angeregt werden, der möge
daraufhin den beliebten „Buten Kameraden *
prüfen. M.
— — — —— — —— —— — —————— —
Das neue Bud der Uahur. Von U. v.
Schweiger-Lerchenfeld. (Mit circa 400
Illuftrationen, darunter zahlreihen Boll:
bildern.) Wien. A. Hartleben. 1891. Später
complet in 2 Bänden Grokoctav mit zu:
fammen 70 Bogen.
Fin Ausiprudh eines unferer hervor:
ragendften Denter (Feuchtersleben) jagt:
„Wie das echte, innige Studium der Natur,
wenn es tiefe Cffenbarungen gewähren joll,
9
Tindlihe Gemüther verlangt, jo erzeugt es jer ſich jo glücklich erholt, jahte vorüber:
aud wieder in denen, die fi ihm weihen, | gehen, ja daſs jelbit Georg Schönerer
eine eigene Sindlichleit, und gibt ihnen inod einmal gejund werden wird. — Nun,
ihre Jugend wieder,“ Diejen Eindrud ge- unmöglich ift nichts. M.
winnt man bei der Lejung der erfien vor:
liegenden Lieferung des neuen, auf 2 Bände
berechneten Wertes Schweiger:Lerchenfelds.
Ausgerüftet mit einer reihen Wiülle ein: Soeben giengen uns die Hefte des
Tchlägiger Kenntnifle, Stellt fi der Ver: | „Miener Humor“ (Wien. C. Daberlom),
fafier auf den Standpunkt eines Mentors, | dritte Serie, zu und fönnen wir nit ums
der jeinen Zuhörer in Wald und Flur hin, auf den reihen Inhalt diejes Unter:
hinausführt, um ihn auf die vornehmften | haltungs- und Bortragswerfes hinzumeijen,
Erjheinungen des Naturlebens aufmerliam |an dem, wie die vorliegenden Hefte aufs
zu maden. Beionders bemerlenswert ift neue bemeilen, ein guter Theil der deutſchen
Das liebevolle Eingehen in jheinbar un: | Schrififtellerwelt mit vorzüglichen Beiträgen
weſentliche Einzelheiten. Der Stil ift Har | betheiligt ift. V.
und plaſtiſch, häufig von ſtimmungsvoller
Getragenheit. Borzügli find die un —
tionen.
Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen:
‚ Grinnerungen einer öſterreichiſchen Offi- aueru⸗Gold. Eine Gejhichte aus dem
riersfrau aus dem Prriegsjahre 1866. Bon | Knappenleben in den SHodalpen von
4. v. Holzhaujen-Bablenz. (Gotha. Amand Freiheren von Schweiger:
Friedr. Andr. Perthes. 1891.) An mander: Lerchenfels. (Wien. 9. Hartleben, 1891.)
lei Hrieg3erinnerungen aus dem Jahre 1866
fehlt e$ wahrlich nicht, hier aber tritt ein| Das deutſche Fied. Erzählung aus den
Gedentbüclein von eigenthümlichem Reiz nationalen Verhältnifien Böhmens, von
Hinzu, ſchon dadurd intereffant, daſs e& Anton Oborn. (Berlin. Hans Lüftenöder,
eine Officiersfrau iſt, no dazu eine öfter: | 1891.)
reichiſche, melde auf nur vier Drudbogen Gefammelte Schriften von Heinrich
ein lebendiges Bild jener bewegten Seit | Seidel, IX. Band: Sonderbare Geſchich—
vor uns entfaltet. Sie ſchaut überall mit | fen, (Leipzig. U. ©. Liebestind. 1891.)
dem Auge der Frau und enthüllt daher jo j i
manden feinen Zug, ber dem Blide des Wundercuren. Ein Arbeiterroman von
Mannes entgeht, wie auch dur das Em: | Wolfgang Schild. (Berlin. Mar Breit:
pfinden der frau fi mande Dinge in den | freuz. 1891.)
Ereignifien jener Zeit in ein bejonderes Konny, die Heimatlofe. Erzählung aus
Licht ftellen. V. dem ſchweizeriſchen Eultur: und Vollsleben
— in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts.
Bon Joſeph Joachim. (Baſel. Benno
Bibliothek des Yumors, Band IV. Schwabe. 1889.)
Lehrer und Schüler. (Berlin. Friedrich
One f Sefdihten von Fri Mauthner.
Pfeilſtücker) Der Band diejes Anekdoten⸗ Zehn
ihates bildet ein Charalterbild von Lehrern (Berlin. 3. G. Scorer. 1891.)
und Schülern, Profefforen und Studenten, Cheoderih. Trauerjpiel in fünf Auf:
für fich, ſowie aud im Berhältnis zu ein- zügen von Franz Wolf, (Leipzig. Oswald
ander, mie es heiterer nicht — werden Mutze. 1891.)
fann, Wer jemals auf der Schulbanf ge: :
jeffen bat oder vor dem Katheder des Hoch— ahl — EEE SERIEN —
ſchullehrers, an deſſen Auge ziehen beim —*
Leſen des Buches die heiteren Bilder ver— E. Pierſon.)
floſſener Zeiten aufs neue vorbei. Aus den fa Plata-Btaaten. Eine Reiſe
nah Südamerila von Wilhelm Kreuth.
uftriert. (Wien. U. Hartleben. 1891.)
{os vom Antifemitismus. Offener Brief Zlora von Peutſchland. Jlluftriertes
an einen Unverfälſchten. (Seipzig 1891. | Pflanzenbud. Anleitung zur Kenntnis der
I. Wimmer.) Ein ehemaliger leidenjhaft: | Pflanzen nebft Anweiſung zur praftiichen
licher Untifemit fommt zur Bernunft, | Anlage von Herbarien, von Dr. Wilh.
macht jeine Belenntniffe und ftellt die Medıcus. Mit über 300 feincolorierten
Hohlheit des gegenwärtig jo heftig wüthen: nach der Natur gezeichneten Abbildungen
den Antiſemitismus dar, Er hegt die Hoff- auf 78 Farbendrucktafeln. Erſcheint in 10
nung, daſs dieſe Geiftesfrantheit, von der Lieferungen. (Raiferslautern. A. Gotthold.)
720
— — — —
Die Entwickelung der Menſchen. Studien
von D. And erjen. (Berlagsanftalt und
Druderei A.“B. 1891.)
Die heilige Bchrift des alten und neuen
Teſtamentes. Iluftrierte Bollsausgabe.
(Berlin. Friedrich Pfeilfüder) Bis zur
10. Lieferung eridienen.
Olto Sudmwigs gefammelte Schriften. Bis
zur 9. Lieferung erfchienen. (Leipzig. Fr. |.
W. Grunow. 1891.)
Hod vom Säntis an. Neue Gedichte von
Alfred Beetſchen. Illuftriert von 3.
Stauffader. (St. Gallen. F. Hafjelbrud.)
Didtungen und Gedihte von Franz
Widmann. (Dresden. E. Pierjon.)
Hit raſten und nicht roten. Jahrbuch
des Scheffel-Bundes in Öfterreih für 1891.
Beleitet von Franz Pomezuy. (Wien,
U. Hartleben.)
Deutſche Bolkslieder. In Niederheflen
aus dem Munde des Bolles gejammelt,
mit einfacher Elavierbegleitung, geſchicht—
lihen und vergleichenden Anmerkungen
herausgegeben von Johann Lewalter.
(Hamburg. Guflav Frigfche. 1891.)
An den Raifer. Fine deutiche Bitte von
Adolf Graf von Weftarp, (Berlin.)
Das Sefebud; in der Dolksfhule. Natur:
gemäße Forderungenvon GeorgSeydner,
(Nürnberg. Fr. Kori'ſche Buchhandlung.
1891.)
Blaue Blätter für Humor, Laune, Wit
und Eatire. Von M. ©. Saphir, aus
feinen Schriften gepflüdt. Fünfte Boll:
ausgabe. (Wien. A. Hartleben.)
Berliner Autoren. Bon Ernft
Wechsler. (Leipzig. W. Friedrich. 1891.)
Schweijeriſche Rundſchau. 2.-3. Heft.
(Zürih und Bern, Orell Füßli.)
Auf Bchneefhunen durch Grönland. Von
Dr. Fridtjef Hanfen. 20. Lieferung.
(Hamburg. PBerlagsanftalt und Druderei
A.:6. 1891.)
Von den uns zugehenden Monats:
ſchriften find die empfehlenswerteiten :
Weflermanns Dllufrierte Monatshefte (Braun:
ſchweig), Deulſche Rundſchau (Berlin), Deutfche
Revue (Breslau), Vom Fels zum Meere (Stutt⸗
Für die Rebaction verantwortlid P. A. Bofegaer. — Druderei . Leytam · in ra}.
gart), Belhagen & Rlafings Yeue Monats-
hefte (Beipzig), Schweijeriſche Kundfdhau
(Zürid).
Moderne Aundfhau, Halbmonatsihrift
herausgegeben von Dr. 3. Joachim und
EM. Kafka. (Wien. 2. Weiß.)
Poftkarten des „Heimgarten“.
* Auf die einlaufenden Briefe zu ant:
worten find wir nit imftande, bitten
aljo auch feine Marten für Antwortſchreiben
beilegen zu wollen.
6. £, Hamburg: Der „Heimgarten*
will fein modernes Blatt um jeden Preis
jein. Hat er die Wahl zwiſchen ſchlechten
neuen und guten älteren Saden, fo ent:
ſcheidet er filh ohne Gewiſſensbiſſe für legtere.
Dr. A. M.: Wer den Ibſen nit mag,
jagen Sie, der verftehe ihn nicht. Wir aber
glauben, dajs es fih hier weniger ums
Berftehen, als um den Geihmad handelt.
Und es ift nit nad jedermanns Ge:
jhmad, im Kunſttempel für gutes Geld
ſich feelifches Unbehangen zu holen. Das
bat man im Leben umjonft.
Hamerling-Berehrer, Wien: Leider rührt
fih Hamerlings Berlag in Hamburg bis:
ber noch immer nidt, dem lebhafteften
Wunſche des Dichters zu entiprehen und
eine billigere Gefammtausgabe zu veran:
ffalten. Es wäre wohl an der Zeit.
® O. R., Villach: Wollen Sie ein
fräftiges Wort über unjere miislihe Wald:
eultur, jo lefen Sie Rudolf Armings Auf—
fa: „Die Geheimnifje des Toblacherſees
und der ihn umgebenden Wälder“ im Eljafs:
Lothringiſchen Samstags:Blatt, Strafburg.
Aprilnummern 1891.
2. £., Wien. 6. A. B., Olmüb. H. &.,
Berlin, 8t., Berlin. M. V., Gras u. ſ. w.:
Dankend abgelehnt. Bitten nichts mehr zu
jhiden, find mit allem verfehen. Unverlangt
eingeihidte Manufcripte werden nit zu:
rüdgelandt, Wir erwähnen das in faft
jedem Hefte und die Einjender haben den
Verluft des Manufcriptes ſich jelbft zuzu—
ſchreiben.
nn ———— ——
D
a
=] Pinmgarlen *
Ein kräftiger Iunge.
Schwanf in einen Aufzug von Bophie von Fihuenberg.
(Aufgeführt im Theater am Franzensplage zu Graz, 1891.)
Perfonen:
Dr. Brig Walter, Arzt (übermüthig, etwas leicht).
Matthias Walter, fein Onkel (älterer Bonvivant, Mnurrig, gutmüthig, drollig).
Hermann Koller, Journalift.
Lucy (junges Mädchen, jehr hübſch, naiv, ohne ein Gänschen zu fein).
Franz, Diener des Arztes (normale Bedientenerfheinung, nit jehr jung, etwas
plapperhajt).
Spielt in einer deutfhen Provinzftadt.
Zimmer des Doctors: Schreibtiſch, Bücherſchrank,
gelehrter Anſtrich. Fritz Walter (am feinem Schreib -
che ſißzend, mit verzweifelter Miene über eine
Depeſche gebeugt; Huber ihm franz in erwartungs«
voller Etellung).
Fritzz (aufipringend. Na, da haben
wir's, er kommt jelbit! Es ift zum
Verrücktwerden — (nad einer feinen Paufe
des Nacdentens). Franz! nimm Dich zu—
jammen! Du mufst jegt Hug fein
wie ein Diplomat, und verjchwiegen
wie ein Maulwurf.
Franz Geſchmeicheth. Das kann ic.
Fritz (während Hermann unbemerkt eintritt),
Du kaufſt jegt fehnell ein paar Saug-
Kofrgger's „Heimgarten‘‘, 10, Heft, XV.
flafjhen mit Stoppeln, etwas Milch,
danır ein wenig Kinderwäſche, ver=
ftehft du, — fo eine Art von Leibchen,
Häubchen, — das legt du alles, wie
zufällig, hier und dort hin, dann ſtellſt
dur dich unten im Flur auf, und wenn
ein behäbiger Alter mit Reifegepäd
angefahren fommt, jo ftellft du dich
ihm al$ meinen Diener vor, führft ihn
hieher, trachteſt auch, daſs er nicht
laut ſpricht, — du ſagſt ihm einfach —
der Kleine jchläft, verftehit du, der
Kleine ſchläft! — —
46
7
Franz terftaund. Der Kleine?
Herman 1 (vortreiend,, Tadıend). Ya,
zum Zeufel, Freund, was treibt du
denn! Das ift ja der reine Yalt-
nachtsulk!
Fritz. Ah, Hermann, gut, daſs du
kommſt, du findeſt mich in der ärgſten
Klemme meines Lebens — u Fran)
raſch — raſch, in einer Biertelftunde |. .
kann er bier fein.
Franz (opffütteind ab).
Hermann. Ja, wen erwartejt
du denn?
Fritz. Wen? meinen Onfel, den
alten Brauſekopf.
Hermann. Und für den braudhft
du Kinderwäſche und Saugflaſchen?
Fritz Grgerlich. Für ihn — und
nicht für ihn. Hermann, ich ſage
dir, es iſt eine verteufelt dumme
Geſchichte.
Hermann. Aber ſo erkläre dich
doch!
Fritz (ſich zur Ruhe zwingend). Alſo,
in aller Kürze. Du weißt, ich war,
was man ſo einen leichten Vogel
nennt. Ich hatte Schulden, und Onkel
Mathias, mein einziger naher Ver—
wandter, bezahlte fie. Er bezahlte fie
ein=, zweimal, das drittemal riſs ihm
die Geduld. Er erklärte mir allen
Ernftes, ih bekäme von ihm weder
Brief noch Geld mehr, es ei denn —
dass ich ein ordentlicher Menfch würde,
einen Hausitand gründete und er
Großontelfreuden erlebte... ahnſt
du aljo?
Hermann. Nicht das Leifeite.
Du haft doch nicht plöglich geheiratet?
Fritz. Nicht im Traum, das iſt's
ju eben. Aber ich bin wieder in Geld—
verlegenheit , diesmal ohne meine
Schuld. Eine junge Praxis foftet
mehr, als fie trägt. Die größere
Wohnung, die Inferate, der Wageır,
nit dem ich zweimal täglich durch die
Stadt fahre.
Hermann dasend). Jawohl, zu
deinen guten Bekannten, die allefammt
ganz gefund find, Dier rauchft du eine
Gigarrette, dort ſchneideſt Du einer
22
hübſchen Frau die Cour, und wenn
man dich danach mit ernfthafter Miene
in den Wagen jteigen jieht, jo jagt
man fih unwillkürlich: Der Dr. Walter
mußſs ein jehr geſchickter Menfch fein —
er hat fo viel zu thun. Und man er:
findet die abjonderlichjten Operationen,
die dir fänmtlich geglüdt fein follen
. 0 ich feune das!
Fritz. Dir übertreibft ein bijschen,
aber wie dent fei ih brauche
meines Onkels Freundihaft! Er war
durh eineinhalb Jahre auf Reifen
und wir hörten nichts von einander.
Endlich erfahre ich durch einen Freund,
dajs er auf kurze Zeit heimgekehrt
jei in jein ftilles Landſtädtchen. Brief-
(ih mochte ich weder lügen, noch ihm
die Wahrheit geftehen. Ih faſſe alfo
einen verzweifelten Entſchluſs. Ich
jeße mid Hin und ſende folgende
Depeſche ab: „Onkelchen, ich Habe
eine frohe Botſchaft für Sie. Bin jeit
einem Jahre verheiratet und Heute
ind Sie Großonkel geworden! Ein
fräftiger Junge ift angefommen!
Seien Sie verföhnt und wieder
gütig gefinnt Ihrem dankbaren Neffen
Fritz.“
Hermann Gufſpringend). Menſch,
du haſt einen Muth, um den dich
der tapferſte Reitergeneral beneiden
fönnte!
Fritz. Sag’ lieber, e war ein
dummer Streih! Ich Hatte gehofft,
er werde mir einen gnädigen Brief
Ichreiben und ein paar Hundert: Mart-
feine für den Jungen beilegen —
und nun kommt er! Da, lies
ſelbſt! GGibt ihm die Depeſche.)
Hermanındiet taut. „Profit, Her—
zensjunge! Ich treffe heute noch bei
dir ein. Onkel Mathias.“ Eachend): Nun
begreif' ich alles. Die Kinderwäſche,
die Saugflaſchen, — er ſoll alſo
wirklich daran glauben ?
Fritz. Er muſs, ſonſt bin ich
verloren!
Hermann. Famos! Und wenn
er nun den Jungen ſehen will und
deine Frau?
7
Fritz. Sehen?! Teufel, daran
hatt’ ich noch gar nicht gedacht!
Hermanı. So, an die Haupt:
ſache denkſt du nie! Das ift doch
ganz natürlih. Wie ich ihm Feine,
hält er's nicht eine Viertelflunde lang
aus.
. Briß. Du folterft mich! (Rasventend)
Ubrigens, ih werde meine Rolle zu
Ende jpielen, ih werde den Arzt
heraustehren und ihm far machen,
dafs ſein lautes Weſen bier von
ſchädlichſtem Einflufs fein könnte,
Hermann. Das fannft du ver—
juchen, aber ich zweifle an dem Erfolg.
Und dann — er bleibt vielleicht ein
paar Wochen bier, — (laden) wartet
ab, bis deine Frau gänzlich erholt
IB. 2%
Fritz. Wir müffen ihn fern-
halten, du mufst mir helfen! Oder —
(tebhaft) weißt du was? Im Notbfalle
must du mir deine Frau borgen,
ſHermann macht eine Bewegung bes fomifchen Ent-
febens? o — nur auf Stunden, verfteh’
mich recht, fie fpielt mir die kleine
Komödie Jicherlich zuliebe !
Hermann. Meinft du? Und
mein Heines Mädel dazu, dafs du es
für deinen „Jungen“ ausgeben fannit !
Na, das gäbe ſchöne Geſchichten!
Fritz. Ich bitte dich, Hermann,
bring’ mich nicht in Verzweiflung!
Sch will in Zukunft alle deine Zeitungs
enten für paradiefiihe Schwäne er—
Hären, will über jeden deiner ſchlechten
Witze lachen und deine Nefrologe aus—
wendig lernen, — nur jchüße mich
vor meinem Onfel, errette mich vor
diejer tödlichen Blamage . . .
Hermann (mit luſtigem Pathos). Was
ih thun kann, foll geſchehen! Ich
werde jeine Wege freuzen, ihn ab-
halten von aller läftigen Neugier —
aber er wird bei dir wohnen wollen !
Fritz. Ih werde ihm jagen,
dafs ich nicht Raum habe, ich müſſe
mich ohnedies einjchränten.
Hermann. Und menn deine
Befannten davon Wind bekommen,
3. B. die fleine Lucy?
23
Fri. Lucy?! Im Gottes Willen,
nein, fie darf nichts von alleden er—
fahren !
Franz (fommt athemlos mit Paketen).
Co, Herr Doctor, da bin ich wieder.
Mar ich nicht ſchnell? Alle Strafen
bin ich abgelaufen wegen der dummen
Flaſche. Überall waren die langen
Schläuche daran, vor denen der Herr
Doctor immer warnt und endlich —
Fritzz Cungeduldigh. Ich bitte Dich,
Franz, für dieſes Kind wäre doch
jede Flaſche recht geweſen!
F ranz {unbefümmert um dieſen Einwurf),
Na, alfo endlich Hab’ ich doch das
Richtige gefunden. Und im Wäſche—
geſchäft, als ich eben dabei bin, fo
ein Häubchen auszufuchen — tippt
mich was auf die Schulter. Ich drehe
mich am, steht Fräulein Lucy vor
mir.
Fritz dür ib). Verdammt.
Fr anmz (fortfahrend, indem er die Pabete
öffnet). Ja, was machen denn Sie
da? fragt fie lachend, umd ich werde
jo rot, wie ein ertappter Schuljunge
und made ein ganz dummes Geficht. —
Fritz (ars für ſch. Iſt ihm wohl
nicht Schwer angekommen.
Franz. Ja, find Sie denn Kinder—
fran geworden, jagte fie, mit einem
Blid auf das Häubchen, das ich noch
immer in der Dand Hatte, und will
fih Halb todt lachen. — Ah nein,
gnädiges Fräulein, jage ich Heinlaut,
ih habe nur ein Pathchen, das Hat
morgen jeinen erften Geburtstag! —
Aber für ein einjähriges Kind ift ja
dad alles zu Hein, lieber Franz!
„Lieber“ das fagte fie jo mit eigener
Betonung.
Friß Grserlich. Dummkopf, was
weiter!
Franz. „Willen Sie was, — ich
werde Ihnen auch etwas für das Kleine
Ihiden“, fagte fie dann und — fort
war fie!
Friß (m Hermann). Schöne Ge—
Ihichte! Wenn ich mun Hinfomme, wird
fie mich ausfragen.
Hermann. Weißt du was, ich
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124
werde fie zu begegnen ſuchen, ich
werde ihr jagen, du ſeieſt verreist
auf ein paar Tage, — bis dahin
trachteit du, den Onkel abzujchütteln,
kurz, die Hauptgefahr iſt vorüber!
Fritz. Thu das, mein Alter,
geh gleich, Jag’ ihr auch derſtreuy mein
fag’ ihr lieber nichts . . .
Hermann. Auf Miederjehen
aljo! «as.
F r ittz ſſinkt jeufzend in ein Fauteuil und
jündet ſich eine Gigarrette an). ch möchte lieber
in der Haut meines Fchwindjüchtigen
Stanzleirathes jteden, als in meiner
eigenen! Da preifen fie das Jungge—
jellenleben und ſchmähen die Ehe —
was gäb’ ih in diefem Augenblick
darum, in Mahrheit jo ein armer
Verheirateter zu fein! O — ich würde
meine rau auf Händen tragen, ich
würde jo einen Heinen, herzigen
Bengel die ganze Naht auf diejen
Armen wiegen, wenn es fein müfste —
aber Haben, Haben wollt’ ich fie!
(Epringt auf, wirft die Gigarrette in die Aſchenſchale
unb tritt ans fyeniter.)
Franz (der indeſſen ausſspacktt, in Betrad-
tung eines Meinen Hemden. Es iſt kaum glaub»
ih, dafs man auch einmal fo Kein
und herzig war.
Fritz. Was fäufelft du da?
Franz. Es ift doch eigentlich
jammerſchade, Herr Doctor, dajs wir
nicht im Ernfte jo ein Kindchen da
haben, — da wäre auch eine liebe,
gnädige Frau da und eine nette Köchin,
und ih brauchte mich nicht um das
leidige Kaffeelodhen zu kümmern und
Sie würden hübſch fein zuhaufe bleiben
des Abends.
Fritz dagelnd. Meinft du?
F ra 13 (fi allmählid in die Hike rebend).
Das ift überhaupt gar fein Leben, wie
wir es führen — dieſes verdammte
Gafthausgehen bei jedem Wetter und
ih von den ſchmutzigen Stellnerbuben
weismachen laffen, daſs die zäheſte
Hammielkeule delicat ſei, — oder glauben
Sie etwa, dafs Ihnen dies ungeſunde
jehen, Doctor, wohin das führt, und
vollends — — dieje Briefchenſchickerei
mit den niedlichen Keinen Bouquets
in Seidenpapier gewidelt — verzeih’
mir’s der Himmel, aber es ift hohe
Zeit, Herr Doctor, dafs Sie unter den
PBantoffel fommen !
Vriß (halb beluſtigt, bald ärgerlih). Alle
Teufel! Du wirft mir doch nicht
Moral predigen wollen, alte Daumens
ſchraube; das fehlte noch, daſs man
ih von feinem eigenen Bedienten für
künftige Gardinenpredigten vorbereiten
ließe! Sieh zu, daſs du fertig wirft —
der Onkel kann jeden Augenblick Hier
fein.
DOnfel Mathias tin die Thür
teetend). Fa, da ift er, der Onkel! Tu
Gapitalsjunge, du Schwerenöther «öfinet
die Arme gegen Friß).
Fritz (ihn umarmend). Onkelchen —
ih finde feine Worte.
DOnfel «emüthlich. Glaub’ dir's,
it auch nicht vonmötben. Ich weiß
alles, was du mir jagen willft; und
was id noch nicht weiß, das haft du
vollauf Zeit, mir zu jagen, denn ich
bleibe jeßt hier, Jolange es mich freut —
man ift nicht umjonft jo ein glüdlicher
alter Müffiggänger.
F ti tz (hinter ihm eine verzweifelte Geberde
machend; Tut): Sie ahnen nit, was
ih alles auf dem Herzen habe.
Onkel (is bequem machend). Na, ich
will dir Helfen! Du Haft dich in ein
braves Mädel verliebt, das vielleicht
feine große Mitgift bekommen hat.
Du Haft deshalb deinem alten Ontel
früher nichts mitgetheilt, weil du
dachteit, das ift ein gefühllofer Philiſter,
ein verknöcherter Junggejelle, der mir
vielleicht abräth und mir irgend eine
„gute Partie” auf den Leib hetz —
turz, du haft jelbftändig Handeln wollen,
du haft mich überrafhen wollen mit
deinem doppelten Glüd! Nicht wahr,
mein Junge? GSrit niat mit dem Kopfen
Kneipen bis in die Nacht hinein gut Und nun bin ih da und will mic
thun kaun, na, Sie werden ſchon ſo recht von Herzen freuen — na,
7 ee — nn
8 = ®
und wo ilt er denn, der fleine, ſüße
Kerl, und deine Frau? Gewiſs ein
allerliebftes appetitlihes Weibchen,
was?!
Fritz auf die Thür weiſend). Still,
Onkelchen, fill! es jchläft alles da
drinnen — du mufst dich vorläufig
gedulden, wistis) die größte Ruhe iſt
nothmwendig.
Dntel Gweifelnd). Oho, es gebt
doch nicht etwa ſchlimm?
Fritz. Nicht im geringſten; aber
du wirſt einſehen, Onkel, als Arzt
muſs ich doppelt ſtreng ſein!
Onkel. Na, hör' mal, zu meiner
Zeit war man nicht ſo ängſtlich in
ſolchen Dingen. Ich erinnere mich,
daſs ich mit acht Tagen mit den
Eltern meine erſte Schlittenfahrt machte
und mit vierzehn Taden mein erſtes
Butterbrot verzehrte, während meine
Geſchwiſter mit Trommeln, Trompeten
und Tſchinellen an meinem Korb
ſtanden und ein Concert executierten —
(Ad in die Bruft werfend) — das ſtärkt die
Nerven, da wird man fo ein Kerl!
Frittz dasend. Sie Nibelung !
(Franz, der bem Onfel ſchon früher das
Neifegepäd abgenommen, macht ih damit zu ſchaffen.)
Fritz. Apropos, Onfel, wo find
Sie abgeftiegen ?
DOntel werrust. Abgeitiegen? Na,
du wirft mich wohl dabehalten, Junge?
Fritz wertegen. Verzeihung, Ontel,
Sie find wohl nicht böfe, aber mir
find fehr bejchräntt im Raum. Hier
ordiniere ich, dort it das Wohn—
zimmer, — drüben hat Franz ein
Stübden.
Onkel. Sofo, naich verſtehe . . .
(u Fran) alfo marſch, das Heine
Kofferhen zum „Deutſchen Kaiſer“.
Franz. Und der große?
DOntel. Bleibt hier, — da find
lauter Spielfahen drin für den Jun—
gen. Soldaten, Beitichen, ein Schaukel—
pferd.
Fr ih (ringt verzweifelt die Hände).
Franz ab.
Fritz. Onkel, Sie find von einer
drüdenden Fürſorge . .
Onkel. Lächerlich! Aber dafs ich
nicht vergefle, Fri — Misere) — du
wirft vielleicht jo verſchiedene Aus—
lagen haben, auf die du nicht gleich
gefajst bift — (sicht die Brieftaſche).
Fritz eblehnend). Nein, mein Onkel.
Onkel. Keine Umſtände! Man
hilft ſich gegenſeitig ibt ihm ein paar
Tauſend ⸗Marlſcheine).
Fritz (was gepreſsth. Sie find zu
gütig ... nimmt die Papiere an ſich).
Onkel ns in einen Stuhl werfend). Ich
fann die gar micht jagen, wie mich
diefe Nachricht gefreut Hat! Meine
alte Katharine Hat gemeint, ich fei
plöglih irrfinnig geworden, jo ein
Iuftiges Donnerwetter Hab’ ih ge—
ſchlagen. Ach habe ſelbſt einen zweiten
Römer vom Gläſerſchrank geholt und
fie hat mit anftogen müfjen auf deinen
Jungen, dafs ihr die Thränen über
die Nafe liefen. — (Etwas gerührt.) Na,
du weißt ja, ich Habe niemand als
dich, und wenn man auch noch feine
ftrammen Glieder beifammen hat, fo
will man doc wiſſen, wie ſich das
bifschen Familie weiter entwidelt und
in welde Hände man einjtmals die
Frucht feiner Mühen legen kann.
Fritz. Onkel, ih bitte Sie, Sie
ahnen nicht, wie Sie mir das Herz
ſchwer machen.
Onkel seiten). Aber nun mufst
du mir wenigitens da3 Bild deiner
Frau zeigen.
Fritz Mürfis). Das hat noch ge—
fehlt! aut) Ahr Bild — ja gewiis,
warten Sie nur.
Onkel Gündet ſich behaglich eine Gigarre
an). Man darf doc hier rauchen?
Fritz. O, natürlich. (Öffnet ein paar
Laden des Schreibtiſches, fuchend.) Mo hab’ ich's
nur gleich?
Onkel. Du kannſt dir denken,
daſs ich ſehr neugierig bin!
F ri b (für fi, eine Photographie findend),
AH, — Luchs Bid! Soll id? — —
Bad, er kennt fie nicht wendet das Bi
um), es fteht nichts oben, — Hilf,
was helfen kann! — (aut) Hier, lieber
Onkel! Gibt ihm das Bi.)
Onkel. Ale Wetter, die Hat
Race! Ein pifantes, ſchneidiges Frauen—
zimmer. Profit, Junge, das nenn’ ich
Geſchmack! Eschniſch) Weißt du, bei—
nahe etwas zu hübſch für einen
Provinzdoctor! Na, ſag' einmal, ſie
iſt jedenfalls auch ſonſt ein Engel, gut
erzogen, von feinen Manieren.
Fritz (cuthuſiaſtiſchy. Eine Heine Voll—
kommenheit!
Onkel Greudigch. So? Na — das
hab' ich mir auch erhofft, wenn ſo
ein Junker Leichtſiun einmal Hochzeit
macht, dann muſs es auch etwas
Ordentliches ſein. — Und der Kleine,
du kannſt dir gar nicht vorſtellen, wie
ich mich auf ihn freue, — trinkt er
fleißig. ja? (Frik nid Die Flaſchen bemer-
tend.) Ach dur lieber Gott, da fteht ja
fein Humpen, — tin zärtlich betrachtend).
Wohl befomm’s dem Jungen, — fag’
einmal, was bat er denn für Augen ?
Fri (ungewiss. Blaue, — ja,
blaue, — das Heißt, fie wechjeln noch
die Farbe bei den Kindern,
Onkel ci). Ya, ja, verſteht
ih! Du, hör’ einmal, bis deine Frau
wieder wohl ift, dann laſſen wir uns
alle photographieren, weißt du, fo
ein ungezwungenes Gruppenbild, —
der Stleine auf meinen Knien im
Hemden.
Fritz dur ns). Barmherziger Him—
mel! (aut) Das lafjen wir für ſpäter,
Ontel, vorläufig ift an das alles nicht
zu denfen.
Ontlel, Und was ich dir fagen
will, — du mufst den Jungen ab»
bärten, weißt du, recht abhärten. Salt
waſchen, das ift die Hauptſache, und
ihwimmen muf3 er lernen, turen,
fechten, reiten, ein richtiger flotter
Menſch muſs aus ihm werden, Und
wenn er einmal ftudiert, dann ſchickt
man ihn nach Heidelberg, das ift ganz
nah’ von mir, und da will ich wacker
mit ihm —
Fritz dechend. Büffeln?
Onkel éeviah. Ne, — trinken, —
das wird eine Luft werden! Meibt fi die
Hände, dann etwas nahdentlih) Das heißt,
‚IS
—
per
wenn ich noch lebe, — aber wir Walters
find ja alle zäh und feit.
Fritz. Wir wollen’3 Hoffen !
Franz can der Ahüy. Der Herr Ge—
heimrath laſſen ſchleunigſt bitten.
Fritz. Da, ja, ich komme gleich.
Iſt mein Wagen unten ?
Franz. Zu dienen, Herr Doctor !
Friß Gum On. Sehen Sie,
Ontel, das ift jo ein leidiger Beruf!
Kaum dafs ih Sie begrüßen konnte,
werde ich Schon mieder weggerufen.
Onkel daqchend ergänzend). Um jemand
ins bejiere Jenſeits zu befördern —
ja, ja, das mag oft feine leichte Auf—
gabe fein, wenn der Betreffende eine
gute Conſtitution hat,
Fritz daunigh. Sie haben aber eine
recht nette Meinung von meiner ärzt—
lichen Kunſt, — das muf3 ich Jagen,
vertrauen Sie diejelbe ja niemand
an, fie könnten mir alle Patienten
vertreiben,
Onkel (Gleichfalls launich. Nee, Fällt
mir gar nicht ein, die Leute ſollen
nur ſelber durch Schaden klug werden
— aber was ich ſagen wollte, wenn
du jebt da Hinein gehft, um Adieu
zu fagen, — da — da lajs ein
bijschen die Thür offen, ein ganz Hein
wenig, — nur dur den Epalt
möcht’ ich guden.
Fri. Unmöglich, Onkel, ganz
unmöglich, — ih bin gleih wieder
da.
Onkel. Alſo in Gottesnament,
ich warte hier.
(Fri ins Wohnzimmer ab.)
Franz Gurüdtommend. Habe alles
beforgt, befehlen Sie noch etwas, Herr
Malter ?
D nkel orüd ihm einen Thaler in die
Hand). Da — trinten Sie jih "mal
ein ganz winziges Räuſchchen an, zu
Ehren unferes Jungen.
Franz (mit froher Verbeugungh. D,
der gnädige Herr ſollen ſich nicht be—
Hagen dürfen.
Friß Gmrüdteheend. So, da bin
ich wieder.
1
Dntel mit einer fragenden zärtlichen Ges
berde nad der Thür).
Fritz ci. Alles ſchläft.
(Zu Franz) — Gib gut acht auf alles
— e3 darf niemand eingelafjen werden,
hören Sie, niemand!
Franz. Sehr wohl, Herr Doctor!
Fritz (sum Ontel, Hut und Etod nchmend).
Sie begleiten mich doch, liebfter Ontel ?!
DOntel wer aub ſchon Hut und Plaid ger
nommen). Alſo vorwärts, ich gehe ein
Stüd mit dir, dann in mein Hotel.
(Zu Franz.) Grüßen Sie meinen Groß—
neffen, wenn er aufwacht — «mit einem
Blid anf den Koffer). — Der wird Augen
machen! (Beide ab.)
Yranz. Das möcht’ ich jelber
jehen, was der für Augen macht!
Nein, fo eine Verrüdtheit von meinem
Herrn; da fieht man's wieder deut—
lid, daſs die fludierten Leute leicht
überjchnappen (hebt AG in ein Fauteuil im
Hintergrunde des Zimmers). Mas nur der
Alte jagen wird, wein er erfährt,
dajs das alles nicht wahr ift. Ich
fann auch gar nicht begreifen, was
meinen Doctor jo plötzlich irrſinnig
gemacht Hat, vielleicht wärs am
Hügften, wenn ich den Ontel darauf
aufmerffam machte, dafs es da nicht
ganz richtig ift — Geigt auf die Etirn. —
Sqläfrig) Ah, wir wollen’3 abwarten,
— ih hab’ mir jagen laffen, man
müfle auf jo fire Ideen ganz einfach)
eingehen. — Nein diefes Herumlaufen
heute, hat mich ganz mid’ gemacht,
(säpu) — des Abends will ich mir
meinen Thaler zu Gemüthe führen —
wenn ich nur wüſst'! ... Eglummert
ein. Aleine Paufe, dann)
Lucy. (Sie tritt Teife, vorfictig ſpähend
ein, im hellen Eommerlleid, mit Hut und Schirm,
ein Päcchen im Arm.) Much Hier niemand
— jollte Franz mitgereist fein? —
Aber dann wäre ja die Wohnung
verfperrt. (Sich umblidend.) Ah — dort
liegt er ja. Er ſchläft — fol ih
ihn mweden? Nein — ich lege ihm
meine Heinen Gejchenfe dort auf das
Tiſchchen «put dies) und fehe mich ganz
heimlich Hier ein wenig um. Wie mir
toller heute erzählt, dafs „er“ ver=
reist jei, da kommt es wie eine Offens
barung über mid. Lucy, fage ich zu
mir, du ſchickſt das Paketchen nicht
durh das Dienftmädchen, nein, du
trägit es ſelbſt Hin und begudft dir
dabei die Räume, in denen der „Herr
Doctor* haust. Und da bin ich wirk—
ih! Na, wenn Mama das wüjste!l...
ESchlägt die Hände zufammen, wendet fih um und
um) Alſo Hier!? Brrr — die Ddiden
Bücher da oben, das find gewijs
lauter gedrudte Krankheiten, mit latei=
nischen Schmerzen. Was joll denn
der große Soffer da? Er wird ihm
wohl nicht nachgeſchickt, jo lange bleibt
er wohl nicht fort! Was Hat er dem
bier? (Die Bücher auf dem Schreibtiſch mufternd,
tiest) Schopenhauer! Natürlih, der
darf nicht fehlen bei diefen abſcheulichen
Männern. Übrigens «sefrievign, er ſieht
jehr verftaubt aus, der alte Weiber:
feind wurde alfo lange nicht gelejen.
Und Hier? Zolas „Germinal“ und
„La terre“, ganz frifh aus der
Buchhandlung! Na, warte nur, du
Ungeheuer ! (Das Bud etwas durchblätternd.)
Wenn ich einmal feine Frau bin,
dann, — dann ef’ ich das alles
auch — ſſich befinnend, etwas fentimentaf).
Seine Frau? Ja, wer jagt mir den,
dafs ich e8 werde?! — (Einen Meinen
Strauß erblidend.) Ach, meine Veilchen von
der lebten Maifahrt, er hat fie aljo
aufgehoben ? Ob er mich wohl fo lieb
hat, als er's merlen läſst? Euſtis.)
Mar das hübſch, damals, als Herr
Koller Mama fo angelegentlih von
dem großen Gilenbahnunfall unter-
hielt und wir ung plößlich allein jahen
auf der frifchen, grünen Wieſe. Der
Himmel war jo blau, dafs es mid
blendete und ich meinen großen Sonnen
Ihirm über uns beide wölbte; und
da faiste er nach meiner Dand und
ließ fie nicht eher los, bis ich ihm
einen Kuſs zufagte. Und dann bei
der Heimfahrt, al3 der Mond über
den Wald heraufitieg — ad, wie das
Ihön war! «fteine Paufe,dann wieder ſchneller.)
Warum er fich nicht empfohlen hat,
18 _
vor jeiner Abreife, der ſchlechte Menſch? nun fperren Sie aber rafh Hinter
(Geht an ein nächſtes Tiſchchen und findet ein Album.) | mir zu umd berrathen Sie niemand,
Laſs einmal fehen, am Ende eine! dajs ich bier war, hören Sie, ni e—
Schönheitsgallerie , (stättert darin. Ein mand.
paar Burſchenſchafter mit geflidten Franz (no verſchlafen) Aber Fräu—
Wangen, ein alter Herr, — Herr) lein, ich werde doch nit, taufend
Koller im Frad und Claque, — ein! Dant!
paar hübſche Mädchen im Empire— Onkel (ommt eitig in Gedanten). Ich
Coſtüme, — zwei Ballettänzerinnen — |will nur den Koffer öffnen, um zu
na warte (fie eilt zum Edreibtif und taucht die | ſehen «bemerkt Lucy und fährt erflaunt zurüd).
Beder ein; ſchteibt ins Album). Als Geſammt- | Seh’ ich recht? oder träume ich ?!
titel: Doctor Walterd Patienten. Und | Und meineidalben wären Sie alſo jo
zu jedem einzelnen Bild «asend) ein plößlih aufgeftanden? Nein, nein,
Kreuz Geichnet überall Haftig cin Arenz Hin). | das ift ja gar nicht möglich!
So, wenn ih nun ein MWartender Luch wertegen. Ich verftehe nicht.
hier die Zeit vertreibt, wird er fi Dutel. Na, mad dod feine Um—
böchlich beruhigt fühlen! (alappt lacend ftände, liebes Kind, da fomm, komm
das Bud zu; bemerkt die Saugflaſchen und nimmt | an mein Herz, ich kenne dich kaum,
eine zur Sand.) Mas ift denm das — aber ich liebe dich ſchon.
ab, auch für Heine Kinder, für das Lucy (erſchreah. Um Ootteswillen,
„Pathchen“ wahrfcheinlih. Das mufs | Franz, erklären Sie dodh dem Herrn.
doch die größte Freude jein, jo ein Franz wistie. Die Dame — —
Heines, zappelndes Gejchöpf im Arm Onkel. Schweig er ftill, dummer
zu haben! Mama fagt immer, e3 ſei Kerl! Die Dame ift meine Nichte,
eine große Plage, ein Kind aufzus | meine reizende, liebe Nichte.
ziehen. Mag fein. Ih denke mir!) Lucy. Mein Herr, ich kenne Sie
aber doch gar zu hübſch. Das Anz! gar nicht!
und Ausziehen und Wafchen, und: Onkel. Na, ih bin doch der
wenn e3 zu plappern anfängt, — ich | Onfel Matthias, vor einer Stunde
glaube, ich würde den ganzen Tag angefommen, fonnte kaum erwarten,
damit zubringen. — — Mama hat dich und den Kleinen zu fehen, aber
wirklich recht, — ich habe fein Talent | dein Mann wollte vor lauter Fürſorge
zur alten Jungfer. Esalthaft finnend.)| nichts davon wiſſen und nun machft
Aber wenn mich num der nicht nimmt, | du mir die große Freude, — ſiehſt
den ich möchte und der, den ich möchte, | du, das ift lieb von dir, zu lieb, —
mich nicht nimmt, — — dann, 2 aber wenn e3 dir nur nicht fchadet —
Ah, bab, wie jagt doch Klärchen (mit (beſorghh, weißt du, dein Manı bat
etwas Patbos:) „Laſs die Zeit kommen, | eigentlich recht, man kann nicht vor=
wie den Tod, — dran vorzudenken fihtig genug fein, in diefer Zeit, —
iſt Schredhaft!” — Aber nun muſs ich | und dann, was ſehe ih?! Du Haft
wirtiih fort, eh mich jemand hier! ja fogar einen Hut auf, du willſt
findet. (Mast unverfehens etwas Lärm mit dem | fort, nein, nein, mein liebes Sind,
Schirm oder dergleichen.) mit dem Ausgehen iſt's nichts. Bom
Franz (ermwadend, etwas verbtüftt, Das | Bett heraus an die frifche Luft, was
gnädige Fräulein ? dir nur einfällt! O, du haft gewiſs
Lucy. Jawohl, das gnädige mein unbejcheidenes Drängen gehört
Fräulein. Das Heißt, ich bin gleich | und wollteft meiner Neugierde dies
nicht mehr da, die Thüren ftanden | Opfer bringen, — aber wahrhaftig,
alle weit offen, da kam ich herein, das ift zu viel, das Tann ich nicht
um Ihnen das Verſprochene für Ihr | dulden.
Pathenkind zu bringen, — — je, Lucy Galb weinerlich. Mein Herr,
Sie haben fiherlih die Thür ver-
fehlt, — es if ein Irrthum, ich
babe ja gar feinen Ontel, feinen
Mann.
Onkel. Thür verfehlt ? «wicht ſich
um.) Nee, ih bin ganz recht, aber ich
begreife nicht dieſe Ahnlichkeit, —
freilih, wenn Sie feinen Mann haben,
dann bin auch ich nicht Ihr Onkel, —
aber vielleicht find Siedie Schweiter, —
ja, ja das wird es fein.
Lucy Wefangen). O, ih bin gar
nicht verwandt, ih fam nur, id
wollte nur —
Onkel. Alſo eine Freundin, die
nachſehen wollte, wie’3 dem Kleinen
geht, nicht wahr? Gut geht's ihm,
prächtig geht's ihm, trinkt wie ein
Heidelberger Student, hab’ ihn zwar
noch nicht gefehen, aber ich weiß ed, —
ih bin nämlich der Ontel, Heute erft
angelommen.
Luch (eiremde). Er ſcheint doch
im Irrthum zu fein,
F ran 3 (ringt im Hintergrunde bie Hände;
für fo). Geht bricht das Wetter los,
ich drüde mich! (Ab durd die Thüre links.)
Luch ür ſich. Ein unausftehlicher
Menſch, — betrunfen oder irrfinnig.
Onkel dür is). Allerliebftes Ges
ſchöpf, wenn feine Frau Fo ift, allen
Reſpect! aut.) Wollen Sie jih’s nicht
bequem machen, liebes Fräulein? (Mur
ein Fautenil weifend, heimlich, Sagen Sie
einmal, waren Sie ſchon da
drinnen ? (Auf die Ihr zeigend.)
Lucy (ie ſich ängftlid niedergefcht, fhüttelt
den Kopf. Sch verſtehe Sie nidt.
Onkel Wario. Alfo nicht einmal
Sie hat man eingelafien, — na, das
nenn’ ich doch wirklich übertrieben.
Ich Hatte mich Schon gefreut, aus
Ihrem Munde Keine Details über
den Herzigen Wicht zu erfahren. —
(uch immer ängſtlichere, erftanntere Augen ma«
Send.) Aber finden Sie nicht, er ſchreit
ja gar nit, — das reine Muſter—
find, — natürlid, das liegt fo in
der Familie,
Lucy fängktih für fi), Er mujs
wahnfinnig fein, wenn ich nur fort
—
könnte — (aut). Sie entſchuldigen —
aber ich werde erwartet Guagt ihm eine
Verbeugung und eilt der Thüre zu).
Ontel wätt fie zurüd). Aber warten
Sie doch noch einen Heinen Augen
blid, liebes Fräulein, fehen Sie, Sie
dürfen nicht ungehalten fein, — aber
mein Herz ift fo voll von dieſem
frohen Ereignis, dafs ich meine Zunge
nicht halten kann.
Luch (bald angſtlich, halb ärgerlich. ES
frent mich, wenn Sie glüdlih jind,
aber ih weiß abjolut nicht, wie
ih dazu komme, Ihre Glüdjeligkeit
zu theilen und worin jie befteht.
Onkel use. So? Ja freilich, ic
habe mich noch nicht vorgeftellt, aber
ih dachte, Sie hätten ſchon von meiner
Anweſenheit gehört, ih Heike
Matthias Walter und bin der Ontel
meines Neffen, des Doctor? . . „ver
neigt fidh).
Puc y (verbindfih und verlegen). Sehr
erfreut, Herr Walter, aber .
DOntel. Na, nun willen Sie
aljo auch, weshalb ih fo närriſch
vergnügt bin!
Lucy (derupigter, Tähelnd). Nicht im
mindejten.
Dunkel Gußer ih. Ja, Donner»
wetter, jo willen Sie aljo noch nicht,
dajs mein Neffe einen Jungen bes
fommen bat?
Lucy das).
Ontel tefauny. Sie laden, mein
Fräulein?
Lucy dür na). Er iſt allen Ernſtes
verrückt — (Saut. nod immer lachend). Ihr
Neffe? Doctor Fri Walter? Das
ift zu komisch !
Dntel als beleidigt). Na, erlauben
Sie mir, was daran jo fomifch ift,
weiß ich wahrhaftig nicht ! Wenn ich's
Ihnen doch fage, ein Mords-
junge, kräftig, ausnehmend talentiert.
Lucy dfinft lachend in ihr Fauteuil
zurüch Aber er ift ja doch gar nicht
verheiratet!
DOntel wütsend. Nicht verheiratet?
Ih glaube wahrhaftig, Sie machen
730
ſich luſtig über
kennen ihn nicht.
Luch (noch immer lachend). O doch.
Onkel wor ſich bin, ohne Lucy anyufchen).
Vielleicht ganz oberflählih, — kann
jein, daſs er Ihnen zufällig nicht
erzählt Hat, daſs er verheiratet fei.
Aber er ift es, und zwar fehr glüd-
id, — Sie hätten ihn fehen follen,
wie er beforgt war, wie er leije
ſprach, — hätte nie gedacht, dafs ſich
der Taugenihts jo zum Ehemann
beranbilden würde,
Luc ) (unficer, aber noch immer lächelnd).
Verheiratet ? Sie ſcherzen — — wer
wäre denn die Glückliche?!
O Ekel tetwas von oben herab mit Genug»
tyuung). Wer? Hm, jehr neite Frau,
aus guter Familie, feingebildet, wunder:
hübſch, — Sieht Ihnen, mie gejagt,
ſehr ähnlich — Mas Bild jugend). Aber
da, jehen Sie ſelbſt, — das ift fie,
wie fie leibt und lebt, — famos
getroffen.
L u ch (das Bild nehmend, mit leiſem Auf⸗
ihre). Ich!! im Ballkleid — tür ſich
was hat das zu bedeuten? Ach, ich
errathe alles! Sicher ein Schelmen-
ſtreich! Na, warte nur, auch ich will
euch ein wenig necken! — (Laut. ihm das
Did heftig zurüdgebend.) Sie irren fi, Sie
müſſen ſich irren, Herr Walter !
Onkel eifrig und ärgerlich. Menn
er mir's aber doch gerade ſelbſt ge-
geben hat!
Lucy. Ihnen ſelbſt gegeben! Ja,
ift er denn nicht verreist ?!
Onkel. Berreist? — Nicht die
Spur, zu Geheimraths ward er ge:
rufen.
Qu ch Ghwantt, mit erheucheltem Schmerz,
Hatbtaut). Der Elende! mich jo zu bes
lügen.
Oukel 6Gltlich aufmertfam). Was ift
da5? Sollte er am Ende eine Heine
Liebjchaft von früher her — Teufel,
das war ein dummer Streih von
mir! Das Heißt, er ift Schuld an
alledem, oder jollte eine geheime Nei«
gung des Mädchens? — Wenn die
Frau da drinnen das erführe.. . .
mih! Oder Sie
aut und fanft). Darf ich fragen, mein
liebes Fräulein, — ich fürdte — —
L u od (ihn überhörend, Für fi, ſchmerzlich.
Verheiratet! Und mir zu jagen, dafs
er mich liebt! — D, num fällt mir’s
wie Schuppen von den Augen, —
Franz, die Kinderwäſche . . . werbänt
ihr Gefidt).
Onkel ün Verzweiflung, einbringlich).
Verzeihen Sie mir, mein Fräulein, —
wenn Sie mir nur jagen wollten, mit
wen ich — wie ich meine unwifjentliche
Kränfung wieder gutmachen kann.
Lucy dis faſſend). O, es ift nichts,
ich bin nur eine Patientin, ich wuſste
nicht, dafs der Doctor... .
Onkel weten. Eine Patientin?
Ja, ja, ich dachte mir's gleich (ür im.
Offenbar herzleidend . So eine
Heine Liaifon von früher her, — da
bin ih nun Hübfh in die Klemme
gerathen.
Luc ) (dem Onkel die Hand reichend, mit
feinem za. Jh gehe nun, — Sie
werden ganz vergeljen, daſs ich da
war, dafs ich überhaupt eriftiere, nicht
wahr, Herr Walter, ih bitte Sie
darum !
Onkel «erähry. Das wird mir
wirklich ſchwer falle, liebes Fräulein,
denn ehrlich geftanden, Sie gefallen
mir jo gut, jo ausnehmend gut, ver—
geben Sie mir meine Ungefhidlich-
feit, ich könnte mir dieſe thörichte
Zunge ausreißen,
Lucy. Es war nidht3 als ein
feines Mifsverftändnis, — ich dente
nicht mehr daran. Leben Sie wohl.
(Geht an die Thlir, wo fie mit Fritz zufammentrifft,
der eilig tommt.)
Frih Geſtürzth. Lucy, Sie bier?
(Fast ihre Sand.)
g uc 1") (entzieht ihm ihre Hand und will fort).
Yri B (erregt, drängt fie ins Zimmer zurüd).
Lucy, ih beſchwöre Sie, ich werde
Ihnen alles aufllären, denken Sie
nicht Schlecht von mir!
Lucy ceftigh. Laſſen Sie mid,
ih dveradhte Sie, ihre Ontel hat mir
alles gejagt.
w-
—
Fritz Gußer ih. Mein Onkel iſt
ein Narr!
Onkel wütend. Na, hör’ einmal,
das iſt mir zu viel! Erſt Hintergehft
du ein unſchuldiges Mädchen und
dann haft du noch die exemplariſche
Frechheit, mich für verrüdt auszu—
geben.
Luch (mit erheucheltenn Schmerzje). D,
Ihr Ontel Scheint durchaus fein Narr
zu fein, — aber id, ich bin eine
Thörin geweſen, daſs ih Ihnen ges
glaubt Habe. Wie können Sie es
wagen, verheiratet zu fein, wenn Sie
mich lieben, Sie Ungeheuer.
Onkel tin Hit). Jawohl, wie
fannft du es wagen, ein jo veizendes
Mädchen fo zu behandeln.
Fritz (heimlich und dringend zu Lucy).
Luch! Ich flehe dich an, ſei ver—
nünftig, — ich bin ja gar nicht ver—
heiratet, es war nur ein Scherz, eine
Nothlüge, ich liebe dich, nur dich, Luch,
und du allein kannſt mich zum glück—
lichſten Ehemann machen, wenn du
willſt! — Hilf mir ihn zu verſöhnen,
ich will dir alles, alles beichten, ſüßes
Geſchöpf! Gumſchlingt fie Hard.)
Onkel. Du biſt ein ganz un—
verſchämter Kerl!!
Fritz. Ich geb' es zu, — aber
es war ein verzweifeltes Mittel, deine
Freundſchaft zurückzugewinnen, die ich
nicht entbehren will, — Onkel —
Onkel. Na hör' einmal — ſo
mit meinen Gefühlen zu ſpielen — —
Frittz. Verzeihen Sie mir! Ich
bin ſo ledig und kinderlos, als man
es nur ſein kann, — aber hier dieſe
holde kleine Luch, — wenn ſie wollte —
Lucy. O ich bin ſo bös — ſo
bös — was haben Sie nur alles
angeſtellt!
Fritz. Heiraten Sie mich, Fräu—
fein Lucy — ich bitte Sie, heiraten
Sie mich! So wahr dies mein legter
toller Streih war, fo wahr will id
Sie glüdlih machen!
Lucy. Kann man Jhnen denn
noch glauben ? Meicht Hm lähelnd die Hand.)
Onkel. Mein Kopf brummt, wie
eine alte Thurmglode, — mid jo an
der Nafe herumzuführen! Und id
hatte mich Schon fo gefreut — der
Junge! der Junge!!
Fritz deifer zu ihm. Der kommt
nad, ich verfpreche es Ihnen! Alſo
Verzeihung, Onkelchen.
Dntel. Das ift dein Glüd, daſs
‚ 2 uch dauter zum Ontel). Da hören du dir gerade dies Bräutchen aus:
Sie nur — er jagt mir bu, der —| gefucht haft — wir Walter Hatten
der — Schlechte Menſch.
Onkel. Um Gotteswillen, nicht
jo laut — wenn die arme Frau — —
Fritzz. Lafst mich doh zu Wort
fommen — ich bin außer nie! Lucy —
Onkel — verzeiht mir! Meine Ver—
heiratung war nichts als ein Scherz.
Onkel. Ein Scherz — na erlaube
mir, das ijt ſtark.
immer Geihmad.
Lucy. Sie find alſo wieder gut?!
Onkel trögtis). In Gottes Namen
denn, ja, ich gebe mich überwunden.
Ein’3 aber fag’ ih euch, Kinder!
Heut’ über's Jahr muſs er wirklich
da fein, der fräftige Junge!
(Ende.)
Eine gute Kameradfhaft.
Bild aus dem fteirifhen Volfsleben von Kofegger.
—
a, Seppel, am Montag
rn must du zum Gericht!“
we „Ber, ih?“
„Du.“
„Biſt aber nicht geſcheit.“
„Das bitte ich mir aus, der
Gerichtsbote iſt immer geſcheit.“
„Ja, was ſoll denn ich beim Ge—
richt? Hab’ ih was angeſtellt?“
„Stehen haft dich laſſen“, ant—
wortete der Bote.
„Ach, alleweil noch diefe dumme
Geſchichte!“ rief der Seppel aus. „Wer
bat ihn denn verjchergt, den Klachel—
Schneider ?*
„Haft denn nicht du ihm jelber
verklagt, daſs er dir das Meſſer in
den Leib gerannt hat?“
„Geh’, wer wird der Dummheit
wegen jo Gefhichten machen! Ich
hab’ nichts gejagt.”
„Alsdann hat der Herr Staats»
anmwalt die Anzeige gemacht”, fagte
der Bote,
„Das geht denn das den Staals—
anwalt an?“ begehrte der Seppel
auf, „den Hat er ja nicht geſtochen,
der Schneider!”
„Den Staatsanwalt geht das ſchon
was an, mein Lieber!“ belehrte der
Gerichtsbote. „Wer geftochen wird, der
iſt ihm Freilich gleichgiltig, aber wer
fticht, den padt er. Der Herr Staat,
mufst du willen, kümmert ſich nur
um die ſchlechten Leut’, nicht um die
braven. Und ift in Ordnung, das;
der ſchlechten wegen ift er da, die
braven brauchen gar feinen Herrn
Staat.“
„So foll er auch mich im Fried’
laſſen!“ ſagte der Seppel, „ich will
-1
=
to
nichts mehr willen vom Handel, und
der Hlahel-Schneider ift mein Ka—
merad, über den laj3 ich nichts auf—
fommen.”
„Mufst am Montag zur Tag—
faßung, gegen ihn Zeugenſchaft geben,
da haft die Vorladung. Und da auf
diefen Zettel fchreibft deinen Namen
ber, daſs das Gericht weiß, ich hätt’
dir die Zuftellung richtig zugeftellt.
Kannſt nicht jchreiben, fo mach’ ein
Kreuz.“
„Deswegen hat's mir, ſchreiben
fönnen wir ſchon!“ jagte der Seppel
und zeichnete mit ſchwerer Noth, aber
innerem Stolz, feinen Namen aufs
Papier. Damit gab der Bote fid) zu—
frieden und gieng feines Weges.
Der Seppel war ein etwa fünfe
undzwanzigjähriger Bauernburſche von
hünenhafter Größe. Über jehs Schub
an Länge, bei den Achſeln faſt drei
Schuh an Breite, aber mit gewöhn—
fihen Schuhen gemeflen, nicht mit
den feinen, denn von diefen war jeder
zwei Schub lang; großknochig an den
Gliedern und musfelftark, aber ſchwer—
fällig an Bewegungen. Auf dem ſonn—
gebräunten Stiernaden ein ftattlicher
Kopf mit Schlichtem rothblondem Haar,
das breite Gejiht wohl geröthet, aber
bartlos, die Augen mattgrau und gute
müthig dreinſchauend in die Welt,
die er gerade jo nahm, wie fie war.
Als der Montag kam mit der
„Tagsſatzung“ (der Berhandlung),
fand nun dieſer Burfche vor dem
Geriht. Vor demfelben ftand aber
auch ein feines, mageres, überaus
rührfames Kerlchen in fchmarzem,
Halb ftädtifchen Anzug, und ihm zur
ae
- . ziee. naa
Sum m a
Ben —-
— 1. 20
Seite ragten zwei baumſtarke Gen:
darmen mit aufgeitedter Waffe.
„Alſo, Joſef Lichtenbacher“, fagte
der Richter nach einigen Vorfragen
zum Bauernburſchen, „wie war es?“
„Ja, wie war es!“ antwortete
der Seppel achſelzuckend. „Eine Dumm—
heit!“
„Warum iſt an jenem Abende im
Wirtshanſe gerauft worden?“
„Aus Unterhaltung.“
„Aus Unterhaltung bringen ſich
ja doch vernünftige Leute keine Wun—
den bei”, meinte der Richter, „es muſs
einen Grund gehabt haben.“
„Freilich hat's einen gehabt”,
verießte der Seppel, „weil wir haben
willen mwollen, welcher ftärker ift.“
„Wie viele waren ihrer ?*
„Mein Gott, wie viel werden ges
wejen fein?“ ſagte der Burfche nach—
jinnend. „Da war einmal der Blajer-
Natz, nachher war der Schwaighofer
Simmerl, nachher war auch noch der
Klopfer-Sohn, der Franzi."
„Waren das alle?“
„Ich bin halt auch dabei geweſen.“
„Und — ?“
‚Nachher wird auch der Fleiſch—
bader-Steffel gewejen fein und der
Röfjelwirt. Sonft weiß ich feinen
mehr. Richtig, ein etlich Weiberleut’
find auch noch geweſen.“
„Und der Anton Pöllersberger?“
fragte der Richter.
„Der Anton Pöllersberger — wer
ift der ?“
„Genannt der Hlahel-Schneider!“
„Jeſſes, der Klachel-Schneider!“
rief der Seppel, „den hätt' ich bald
vergeſſen.“
„Der hat Ihnen ja das Meſſer
in den Leib geftedt!” rief der Richter.
„Aber fie haben’3 ja wieder her—
ausgezogen.“
„Sind Sie mit ihm in Feind—
ſchaft geweſen?“
„Ah beileib' nit“, ſagte der Burſche.
„Der Mirzl wegen iſt's halt hergangen.
Mir haben fie halt jeder Haben wollen.“
„Der Schneider und Sie?“
„Ah mein, ih und der Simmerl.
Und die Mirzt Hat gefagt: Den
Stärferen nehm’ ich. Alfo haben wir
halt wiſſen wollen, welcher der Stär-
fere iſt.“
„Wie fam aber der Scheider
dazu ?“
„Sa, der ift Halt auch dabei ge—
weſen.“
„Mit dem Schneider ſollen Sie
ja gar nicht gerauft haben!“ ſprach
der Richter.
„Na freilich nit“, entgegnete der
Seppel ſchmunzelnd, „da haben wir's
ſchon fo auch gewuſst, welcher der
Stärkere iſt. Mit dem Natz und dem
Simmerl hab’ ich gerauft.“
„Und wie war es weiter?“
„Der Burſche zuckte die Achſeln:
„Wie ſoll's denn geweſen ſein? Wir
haben halt gerauft.“
„Fenſter zerſchlagen, hat ein Zeuge
ausgeſagt, heidenmäßig geſchrien, mit
den Fäuſten aufeinander losgedroſchen
und zwei Stuhlfüße abgebrochen.“
„Na freilich, weil wir gerauft
haben.“
„Und der Anton Pöllersberger?“
„sa — der Schneider“, ſagte der
Burſche, „der hat zuerft nur jo zuge—
ſchaut. Nachher, wie er geſehen Hat, der
Schmwaighofer- Simmerl liegt unten»
auf, da Hat er ihm geholfen, weil er
jein Kamerad ift.“
„Wie Hat er
fragte der Richter.
„Halt aushelfen hat er ihm wollen,
weil ih dem Simmerl jo auf dem
Bauch bin gefniet und der Simmerl
alleweil ſchreit: Du Gimpel, du drudit
mir ja das ganze Bäuſchel heraus!”
„Und was hat der Schneider ge—
macht ?*
„Ich Hab’ nichts gefehen. Wie
wir nachher aufgeltanden find und
brav gelacht haben, Jchreit auf einmal
ein Weibsbild: Jeſſes Maria, Seppel!
Dir ftedt ja ein Meſſer im Budel! —
Ich drah mich um, jeh’ noch alleweil
nichts. Teuxel! ſag' ich, hab’ ſchon
a Weil was beißen geipürt! Hab’
ihm geholfen ?*
Bil.
nachher hinüber’griffen mit der Dand
und ftedt richtig das Meſſer drin!“
„Soll ja gute zwei Zoll tief ge:
jtedt fein“, jagte der Richter.
„Kann fchon fein“, antwortete der
Burſche ruhig, „weil es gar nicht
heraus hat wollen. Ich gwiglaß’ (Hin:
und herziehen) eine Weil, g’ichaif’
aber nicht. Simmerl, ſag' ich, fei
jo gut, zieh mir das Mefier heraus.
Der Simmerl gwiglaßt auch eine
Weil und g'ſchafft auch nichts. Geht
der Teuxel denn mit aufjer! jagt der
Simmerl, ſchon damiſch Hat es ſich
verklemmt zwiſchen den Knochen und
das Heft iſt blutſchlatzig. — Probier
du's, Natz! ſagt der Simmerl. Müſst
doch a Schand ſein! ſagt der Natz
und gwiglatzt und gwiglaßt und end—
ih hat er's heraußen.“
Nun fragte der Richter den Bur—
ihen: „Was haben Sie nachher ge=
macht ?*
„Wer, ich ?* fragte der Seppel
entgegen. „Das Meſſer hab’ ich an—
geſchaut. Iſt ein langes Brotmefjer
gewejen, aber weiter nit abgebrochen.“
„Und das Loch ?*
„Das Loch in der Jaden hat der
Schneider ja wieder zugeflidt.“
„Ich meine die Wunde, die er
Ihnen geftochen hat!“
„Sa jo, die Wunde auf dem
Budel. Die Weiberlent' Haben ein
Pflaſter draufgelegt — *
„Und dann — ?*
„Danı nachher find wir arten
jpielen gegangen.“
„Und der Anton Pöllersberger?“ | mächen's feine
„Er Hätte Sie ja todtitechen
fönnen!“
„Sa“, meinte der Burjche, „das
hab’ ich ihm auch gejagt, ein anders—
mal jollt’ er nit jo ungeſchickt fein.
Das größt' Malheur kunnt man haben
bei einer ſolchen Dummheit!“
„Joſef Lichtenbacher!“ ſprach nun
der Richter, „Sie fordern wohl
Schmerzensgeld.“
„Ich? Wegen was?“
„Iſt die Wunde jetzt heil?”
„Ich glaub’ ſchon. Hab' nachher
nimmer nachgeſchaut.“*
„Alſo verzeihen Sie ihm auch?“
„Wem?“
„Den Anton Pöllersberger!“
„Ah“, fagte der Seppel, „ver=
zeihen! Warum denn? Bin ja gar
nie harb (beleidigt) gewejen auf ihn.
Er Hat mich Halt a biſſel juden
wollen.“
Jetzt wendete der Richter fich zum
Angeklagten und ſprach: „Nun, Anton
Völlersberger, was fagen Sie dazu?“
Der Anton Pöllersberger zudte
erſt recht die Achſeln.
„Warum haben Sie geftochen?*
Der Schneider antwortete ganz
beflommen: „Weil ih dem Schwaig-
bofer-Simmerl hab’ helfen wollen.“
„Mit dem fcharfen Mefjer ?“
„Sa, mit den Händen allein hätt’
ich Halt nichts ausgerichtet“, geſtand
der Schneider treuherzig zu.
„Pöllersberger, ich werde Sie ein—
ſperren laſſen!“
| Nun trat der Seppel vor und
ſagte: „Ih Bit’, Herr Richter,
Geſchichten. Der
„sa, der Schneider! Der Schneider | Schneider ift halt juft ein biſſel gut
hat auch mitgeſpielt.“
„Und haben Sie ihn nicht zur
Rechenſchaft gezogen ?“
„Freilich haben wir gejtritten.
Der Schneider hat alleweil falfch aus»
geipielt.*
„Und des Mefjerftiches wegen ?
Haben Sie es gleich gemwufst, dajs
der Pöllersberger geitochen hat ?*
„Ad Freilich.“
aufgelegt gewejen. Hat ein etlich’
Glaſerl Schilder 'trunken gehabt.
Einjperren wegen jo einer Dumme
heit! Iſt mein guter Samerad, der
Schneider, Ich bitt’, laſſen's es gut
jein.“
Der Richter rüdte auf feinem
Sitze etwas unftet hin und ber und
dann ſprach er: „Ach fürdte, der
Pöllersberger könnte wieder einmal
|
|
}
gut aufgelegt werden und will ihm
nun Zeit geben zum erniten Nach:
denfen, dafs man bei guter Laune
nicht dem guten Stameraden das
Meſſer in den Leib rennt. Dreizehn
Monate Arreft werden nicht zu viel
fein.“
Der Schneider fagte fein Wort,
Der Seppel rief ihm zu: „So, Toni,
jest haft die Dummheit!“ und gieng
miſsmuthig nachhauſe. —-
Dieſe Geſchichte hat ſich vor kur—
zem zugetragen mitten in Steier—
735
marf, mag ſich ähnlich oft ſchon
ereignet haben und wird ſich immer
wieder ereignen, denn der Seppel
geht im Lande taufendfah um. Er
it — getraue ih mir zu jagen —
das Urbild des ſteiriſchen Baners:
nicht wehleidig und nicht rachgierig,
einer, der erlittener Unbill ſich oft
kaum bewuſst wird, und wenn auch,
ſo am liebſten kein Aufhebens davon
macht. Ein paar Meſſerſtiche wegen
hört die gute Kameradſchaft ſchon
lange nicht auf.
Ein Mord auf Entfernung.
Merkwürdiger Irrfinnsfall, Mitgetheilt von Caroline von Scheidlein-Wenrid. *)
ae
Kr
=] ndergejälich wird mir ftets ein
Sets Beſuch bleiben, den ich vor
° etwa zwanzig Jahren während
meines Aufenthaltes in B. P. au der
Seite de3 berühmten Piychiatriden
Dr. X. in der dortigen Jrrenanftalt
machte. Ich Hatte mich von jeher
böhlih Für die unglüdlichen Weſen
interefliert, welche uns durch das Er—
löſchen oder unregelmäßige Auffladern
ihres geiftigen Lichtes ebenjo ent»
fremdet und ein Gegenftand des
Grauens werden, wie diejenigen uns
jerer Nebenmenschen, welche uns durch
das Erlöfchen des phyſiſchen Lebens—
lichtes entrüdt find. Ich durchſchritt
alfo, geführt von meinem geiftvollen
IN
und Gommentare, die dem Elend der
Menfchheit geweihten Hallen und ge—
wann im meinem tiefften Innern die
Überzeugung von der Wahrheit meiner
längit gehegten dee, daſs Krankheiten
des Geiſtes fo gut anfteden können,
wie phyſiſche. Ich wenigſtens hätte
kaum mehr als einige Wochen Auf—
enthaltes in dieſem Irrenhauſe und
in der Geſellſchaft ſeiner Bewohner
bedurft, um ſelbſt unheilbarem Wahn—
ſinne anheimzufallen.
Ich ſah dort viele Unglückliche,
denen vom Menſchen nichts übrig ge—
blieben war als die äußere Geſtalt,
da ſelbſt ihre Stimme unmenſchlich
wie das nächtliche Geheul eines Raub—
und gelehrten Cicerone und belehrt thieres klang, ihre tief eingeſunkenen,
durch feine intereſſanten Bemerkungen blutunterlaufenen Augen wild und
*) Entnommen den ipannenden Bude: „Aus dem Irrenhaufe.* Dreizehn Er—
en merfwürdiger Irrfinnsfälle.. Bon Caroline von Scheidlein-Wenrich. Wien.
A. Bauer,
2
7 36
mordiuftig wie die eines Tigers leuch- | Gompliment, dafs es ihn Schiene,
teten. Anderen war der Stempel des als hätten alle Narren eine befondere
Wahnſinns noch nicht ſichtbar aufge: | Sympathie für die Dame.
drüdt: Sie hatten menschlichen Blid, Da ih mi natürlich für den
Stimme, ja jelbit ziemlich vernünftige | arınen Kranken lebhaft interejfierte,
Antworten auf die an ſie gerichteten ſo war Dr. X. liebenswürdig genug,
Fragen, und e3 bedurfte irgend eines mir ſeine Geſchichte, die Urſache ſeines
Schlagwortes oder äußeren Anlaſſes, traurigen Zuſtandes geweſen, mitzu—
um den „ſchlafenden Löwen“ zu theilen, welche ich den geneigten Leſern
wecken. Es gab Unglückliche, deren nicht vorenthalten will. Es war am
Außerungen ihrer Geiſtesſtörung haus- Sylveſterabende des Jahres 18**,
backener Natur waren, wenn ich mich als ſich in dem Speiſeſaal des
jo ausdrücken darf; andere hingegen | Banquiers S. in W. eine luſtige
benahmen ſich in ganz beſonders auf- Herrengeſellſchaft um eine Tafel ge—
fallender Weiſe. Unter dieſen letzteren reiht hatte, welche ſich unter der Laſt
machte den tiefſten Eindruck auf mich der feinſten Leckerbiſſen und Cham:
ein Mann, der, wie mich Doctor X. pagnerflaſchen bog. Da, wie gejagt,
verficherte, erſt 50 Jahre zählte, den |der Hausherr die Gene, welche die
aber jein Leiden zum reife gebeugt | Auwejenheit von Damen dei Herren
und fein Haar gebleicht hatte, obwohl | auferlegt, feinen Gäften erfpart hatte,
es ihm die rafchen Bewegungen feines | jo Herrfchte die lautefte, ungebundendite
wirklihen Alters und eine lebhafte | Fröhlichkeit unter ihnen. Nur einer,
Redeweiſe gelafjen.
Er ſaß bei einem Tiſche, welcher |von trüben Gedanten abjorbiert,
ein bleiher Mann, ſaß, wie es ſchien,
am
mit PHotographien, ſämmtlich Por: Tiſche, ohne dem Guten, was gegelien,
träts, bededt war, welche er eine nad
der anderen mit einer großen Nadel
durhbohrte, jo daſs Sie alle durch—
löhert waren wie Siebe.
uns ihm näherten, blidte er auf, ſah
mich mit einem eigenthümlichen Blick
an, reichte mir die Nadel und ſprach:
„Wollen Sie aud ftehen? Ich erlaube
e3 Ihnen; aber nur einmal.“ ch
blidte fragend den Doctor an, „Thun
Sie es“, ſprach diefer in franzöfifcher
Sprade. Ih nahm die Nadel und
durchſtach die Photographie, welche
mir der Mann Hinfchob. „Mitten in
die Bruft, ind Herz müſſen Sie
ftechen“, belehrte mich der Irre. Ich
gab ihm die Photographie zurüd und
dankte, welchen Dank er mit gnädigen,
wohlgefälligem Lächeln annahm. Der
Arzt und alle Wärter waren erftaunt
über feine jeltene Herablaſſung gegen
mich, die er in den ſechs Jahren
feines Aufenthaltes im Irrenhauſe
noch niemandem Hatte angedeihen
lajfen, und ein Wärter machte mir
fogar das zweidentige, zweifelhafte
getrunfen und auch geſprochen wurde,
die mindefte Aufmerkjamteit zu ſchenken.
Der Hausherr, der es bemerkte,
Als wir | hatte Schon mehreremale den ftummen
Gaft in ein Geſpräch verwideln
wollen; doch vergebend. Er wendete
fih nun zu einem Freunde, der den—
jelben bei ihm eingeführt Hatte, mit
den Morten:
„Was in Himmels Namen fiel
dir ein, mir einen Bruder Karthäuſer
in meine fuftige Geſellſchaft zu brin—
gen? Iſt er immer in jo brillanter
Laune wie heute?“
„O, du mußst ſchon entſchul—
digen“, antwortete ſein Freund, „ein
paar Gläſer Champagner werden ihn
ſchon ins rechte Geleiſe bringen. Der
Urne Hat Urſache genug zum Kopf—
hängen. Als Chef eines reihen Hand:
lungshaujes in Croatien hatte er das
Unglüd, durch die Schuld eines Han—
deläfreundes jein ganzes Vermögen zu
verlieren, jo dafs er, um eriftieren zu
fönnen, wohl aud, um in der Stadt,
die ihn als reihen Dandeläheren ge=
fannt hatte, nicht in abhängiger Stel»
lung zu leben, einen Antrag, als
Eaflier in das Wiener Handlungs»
haus B. einzutreten, annahm und
jeiner Baterftadt Balet ſagte. Seine
junge Frau, die er weder mitnehmen
noch ernähren konnte, kehrte mit ihrem
vierjährigen Knaben in ihr Eltern—
haus zurüd, wo fie noch weilt. Der
arme Mann, der die Seinen zärtlich
liebt, iſt unglüdlih über die Maßen
über die lange Trennung. Er arbeitet
mit übermenfchlicher Kraft und Aus—
dauer und darbt fi den Biſſen vom
Munde ab, um bald imftande zu fein,
feine Familie in ein neues Heim in
unferer Stadt einzuführen. Aber ob»
gleich er das Leben eines Geizhaljes
rührt, fo ift do, wie er mir neu—
(ih geftand, eine ganz unzureichende
Summe die Frucht feiner harten,
langjährigen Entbehrungen, und hat
er die traurige Berjpective, noch jahres
lang allein zu fein. Der Arme hat
wohl ſchon längjt vergefien, wie der
Champagner ſchmeckt. Scente ihm
mit deiner gewohnten Gaftfreundfchaft
und Liebenswürdigfeit fleißig ein, fo
erwirbit du dir das Verdienjt, dem
Armen wenigftens den lebten Abend
eines für ihn traurigen Jahres ver=
Thönt zu haben.“
Der gutmüthige Amphitryon ließ
ſich das nicht zweimal jagen. Er fühlte
herzliches Mitleid mit dem ftillen Gaſt,
jeßte fih zu ihm und füllte den kry—
ftallenen Kelch jo oft mit dem ſchäu—
menden Nafs, dafs die blafjien Wan—
gen des fteinernen Gaftes ſich bald
rötheten und glühten und fein trüber,
erloſchener Blick fich belebte und euer
fprühte, Er wurde gefprädig und der
Geift und Humor, die jeine Reden
würzten, ließen den Hausherrn be—
dauern, dafs dieje jeltenen Gaben von
den Banden trauriger Verhältnifje ge—
feifelt werben konnten.
Da fündete die Uhr der nahen
Kirche Mitternacht, die Sterbe- und
Geburtsftunde des alten und neuen
Jahres. Die Gejellichaft erhob ſich,
Kofegger’s „‚Ürimgarten‘‘, IV. deſt. XV.
—
— — — — — — — — —— — —— — — — — — — — — — —
die Gläſer klirrten beim fröhlichen
„Proſit das neue Jahr!“ und bei den
gegenſeitigen Wünſchen.
„Möge das neue Jahr Ihren
Wünſchen gerecht werden“, ſprach der
freundliche Hausherr, ſein Glas er—
hebend, zu dem nun nicht mehr ſtillen
Gaſte, den wir Frank nennen wollen.
Diefer dankte mit warmen Worten
und Sprach endlih: „Der Haupttreffer
der Staatslotterie, welcher übermorgen
fällt, wäre die wünjchenswertefte Gabe
des neuen Jahres.“
Hier miſchte ſich ein Kleiner, dider
Mann in das Gefpräh der beiden
Herren mit den Worten: „Haben Sie
den Wunſch gedacht, während die
Glode joeben zwölf ſchlug? Dann
wird er erfüllt; denn was man fid
in dieſem Augenblid wünjcht, wird
vom Schidjal bejtimmt gewährt.“
„Schäme did, Amadeus“, rief
der Hausherr, „ein bel esprit Dichter
und fo abergläubijch !*
„Weißt du nicht“, ſprach der
kleine Mann mit großem Selbſtbe—
wuſstſein, „was der große Napoleon
ſagte: Ce ne sont que les pauvres
esprits, qui ne sont pas superstitieux
(nur die Geiſtesarmen ſind nicht aber—
gläubiſch). Ich ſchäme mich nicht, ich
bin ſtolz auf meinen Aberglauben.“
Der arme, Heine Dichter war,
wie fo viele Menjchen, gerade darauf
ſtolz, was ihm die wenigfte Berech—
tigung zum Stolz hätte fein follen:
Auf feine Geftalt, welcher die Na—
tur die Elle, die fie ihm an Länge
ſchuldig geblieben, an Breite zugelegt
hatte — und auf feinen Aberglauben
— weil er behauptete, alle großen
Männer feien Hein und abergläubifch
gewejen.
„Ich Habe leider, gerade während
die Glode ſchlug, nicht an den Haupt—
treffer gedacht“, ſprach Frank.
„Das macht nichts“, rief der
Kleine wichtig. „Ich ſage wie Karl
Moor: Dem Manne kaum geholfen
werden! Wer von den Derrichaften
hat zufälligerweife eine Photographie
47
bei fich, eine für ihn wertlofe, feinen | für uns alle. Machen Sie den Spajs,
lieben Gegenftand darftellend, die er Herr Frank, ſchon um unſerem chine—
733
mir zur Dispofition ftellen kann?“ ſiſchen Hofe und Leibdichter einen
„Das kann ich“, rief einer der
Herren. „Sch Fand diefer Tage eine
Photographie auf der Straße, welche
ih in mein Portefenille ftedte und
dort vergaß. Hier ift fie,”
„D, das trifft ſich herrlich“, rief
der Heine große Dann freudig. „Jetzt
hören Sie zu, Herr Frank, was id) |
Ihnen jagen werde, ift ein Zauber,
welchen die Chinefen anwenden, um
einem Lieblingswunſch Erfüllung zu
verschaffen.“
„Mein Freund Amadens ift näm—
lich Hof und Leibdichter des Kaiſers
von China“, rief der Hausherr, „und
daher in allem, was er thut und
ſpricht, ein Chineſe.“
„Spotte, ſo viel du willſt“, ſprach
der Kleine. „Jetzt hören Sie, Herr
Frank, was Sie thun müſſen: Neh—
men Sie eine große Nadel, eine Bu—
ſennadel etwa; ab, Sie haben ſelber
eine. Mit diefer Nadel durchbohren
Sie das Bild in der Gegend des
Herzens und denken dabei Ihren lieb—
ſten Wunſch. In demfelben Augen—
blicke ſtirbt das Original des Bildes,
aber Ihr Wunſch wird auch ſicher
erfüllt.“
„Ich danke Ihnen“, ſprach Frant,
„ih bin nicht jo egoiftiih, die Er—
füllung eines, wenn auch meines
liebften Wunfches mit dem Tode
irgend eines, wenn auch unbelannten
Menſchen erfaufen zu wollen.“
„Was“, rief der Banquier lachend,
„it der Aberglaube jo anftedend, dafs
auch Sie, Herr Frant, daran glauben
und den Tod des fremden hübſchen
Burſchen, den das Bild darftellt,
fürchten ?*
„Ich glaube nicht daran, und da
it es Schade, die Photographie zu
verderben.“
„O“, rief der Herr, welcher fie
zur Dispoſition geftellt hatte, „was
liegt an einer gefundenen Photo—
Gefallen zu thun.“
„In Gottes Namen, geben Sie
her“, jprach Frank, nahm feine Nadel
aus der Gravatte und ftach jie dem
Bilde in die Bruſt.
„Mein Gott, das Geficht des
Bildes zudt”, rief Amadeus in höch—
ſtem Entjeßen.
Frank erbleichte.
„Mir Scheint, der Champagner
jpriht aus dir, Heiner Chinefe“,
ſprach der Hausherr unwillig. „Was
haben Sie bei diefem Mord in efligie
gedadht, Herr Frank?“
„Ratürlih, dafs mir Fortuna
übermorgen den Haupttreffer befcheren
möge,“
„Nun ich wünsche es von Herzen“,
ſprach der Bangquier, „aber ich begreife
nur eines nicht, warum nämlich unjer
Freund aus China nicht ſchon längſt
Photographien durchſtochen und Treffer
gemacht Hat?“
„Dichter leben von Nektar und
Ambrofia”, ſprach diefer mit Suffi—
jance, „und brauchen fein Geld.“
„Er lebt vom Schmarogen und
pumpt feine unglüdlichen Freunde um
Geld an“, flüfterte einer der Herren
jeinem Nachbar ins Ohr.
Der Spivefterabend oder vielmehr
die Naht gieng zu Ende und die
luſtige Geſellſchaft trennte fih unter
wiederholten Glüdwünichen.
Aber wie maßlos erftaunt waren
die Theilnehmer des heiteren Feſtes,
als ih nad einigen Tagen das Ge—
vücht verbreitete, der Haupttreffer der
ftattgerundenen Staatälotterie jei Herrn
Frank zugefallen,
Und es war fein Gerücht, es war
Wirklichkeit. Der Heine Amadeus war
um eine Elle größer geworden, und
wenn er auch vielleicht heimlich be=
dauerte, fein Los befeffen und das
Erperiment nicht ſelbſt gemacht zu
Haben, jo fchritt er doch ſtolz einher,
graphie; die ift doch ganz wertlos dünkte ſich eine Pythia und. wollte,
wie der luftige Bangquier behauptete,
auf feinem vierbeinigen Stuhle, fon»
dern nur auf einem Dreifuß figen.
Dem armen entinuthigten Frank
wirbelte es im Kopfe, als er fich fo
unerwartet am Ziele feiner heißeiten
Wünfhe jah, und wenn ja dann und
wann ein Gedanke über das Schidjal
des Originals der durchſtochenen Pho-
tographie in ihm aufftieg, jo vergaß
er ihm über den Vorbereitungen zum
Empfange der Seinen, die er fo bald als
möglich nah W. kommen lajjen wollte,
Frank Hatte anfangs die Abjicht,
jeine Familie ſelbſt aus Groatien ab—
zuholen, doch war er jo überhäuft mit
Gejchäften, die große Wohnung, die
er gemiethet, reich zu möblieren und
jeine Geldangelegenheiten zu ordnen,
dafs er beſchloſs, feine Heine Familie,
Frau und Sohn, allein reifen zu
faifen, fie am Bahnhof in W. zu er—
warten und im Triumph im die zu
ihrem Empfange reich geſchmückten
Appartements zu führen. Er jendete
jeiner Gattin eine bedeutende Geld»
jumme und bat jie, die erite Claſſe
der Eijenbahn, die bequemſte Fahr-
gelegenheit, zu benützen. Seine Gattin
beantwortete daS vor Freude über:
ſchwengliche Schreiben in einer Weile,
die ihn befremdete, da jie fein Ent:
züden über das ımerwartete Wieder:
jehen verrieth. Doch er jchrieb dies
der Überrafhung zu, die ihr jein Brief |
bereitet Hatte, umd zählte die Stunden
bis zu dem Tage, den ſie ihm als
den ihrer Ankunft bezeichnet hatte.
Sie ſollte morgens ftattfinden, und
der glüdlihe Frank, den die freudige
Erwartung die ganze Nacht fein Auge
ſchließen ließ, fand ſich in feiner
Ungeduld einige Stunden früher, als
der Zug erwartet wurde, auf dem
Bahnhof ein. Hier geftand er einem
Belannten, den er zufällig traf, dafs
ihm ein Gefühl die Bruft beenge, von
dem er Sich nicht Nechenichaft geben
fünne, ob es die Erwartung des jo
langerfehnten Glüdes, oder die Vor—
ahnung eines großen Unglüds jei.
739
wortete nur mit Schluchzen.
‚reichen.
| freudlofen Einjamfeit hatte er gemeint,
Endlich brauste der Zug in die
Halle; Frank pochte das Herz, als ob
es ihm die Bruft ſprengen wollte.
Jetzt hielt der Zug; aus den geöffne-
ten Waggons ftrömten die Neifenden.
Frank blidte nach der eriten Claſſe;
da, e3 war feine Täuſchunug — 0
Wonne, ja, fie war e3, die Liebe
jeiner Jugend, die Mutter feines
Sohnes war es — freilich gealtert
und bläljer als ehemals — die vor
ihm ftand, Er ftürzte ihr entgegen
und umfchlang fie ſtürmiſch; ſie lag
feife weinend an feiner Bruft. Doch
es gab ja noch ein Wefen, das au
jein Herz zu drüden er Sich jehnte;
wo blieb e3? Er fragte jeine Gattin,
und ein banges Gefühl beengte feine
Bruſt: „Mo ift Hugo?“ Diefe ant—
„Mein
Gott, jollte ihm etwas begegnet ſein?“
tief der arme Bater in höchſtem Ent:
jegen. „alle dich, Wilhelm“, hauchte
jeine Frau mit erftidter Stimme, „lei
ein Mann und ertrage mit Geduld
die Schwere Prüfung, die auch ich,
ſchwaches Weib, ertragen mufste.“
„Er iſt todt, todt!“ ſchrie Frank
verzweifelnd. Seine Gattin widerſprach
nicht und der unglüdliche Mann war
einer Ohnmacht nahe. Welch grau:
jamer Hohn des Schidjals! Zehn
lange Jahre Hatte der Arme fich ges
ſehnt nach Weib und Kind, gedarbt
und entbehrt, ohne jein Ziel zu er—
Sn den Stunden feiner
ihm fei von allen Menfchen das här—
tefte Los zugefallen, und jebt, nach—
dem ein jeltener Zufall ihn für
Augenblide auf den Gipfelpunkt irdi-
ihen Glückes erhoben, Fchleuderte ihn
fein unerbittliches Geſchick zurück in
des Jammers Tiefe, um ihm zu bee
weiſen, daſs es noch größeres Elend
auf Erden gebe!
‚Sn willenlofer, ſtumpfer Verzweif—
lung lieg ſich das unglüdliche Eltern
paar dom Diener zu dem harrenden
Magen geleiten, und erit in der pracht—
‚vollen Wohnung, die ihm ohne feinen
47*
Liebling ein Kerker erichien, war Frank
imftande, feine Gattin um die näheren
Umftände des jchweren Berluftes und
auch darum zu befragen, warum fie
ihm die Trauernachricht nicht jogleich
nah des Sohnes Hinſcheiden mitges
theilt habe,
„Ach“, ſprach diefe, „ih war nad
Hugos Tode jelbit ſterbenskrank umd
außerftande zu jchreiben, wollte aber
auch niemandem erlauben, es an
meiner Stelle zu thun. Unterdeſſen
fam der Brief, in dem du uns nad
W. bejchiedeit, und ich beſchloſs, dir
die Trauerkunde nur dann mitzu—
theilen, wenn ich bei dir und imftande
wäre, dir in der harten Prüfung zur
Seile zu ftehen.“
„Glaube ja nicht, Wilhelm“, fuhr
die arme Frau fort, daſs der Tod un—
jeres Lieblings durch Sorgloſigkeit oder
Vernachläſſigung verjchuldet wurde.
Hugo war ſtets geſund, ſah blühend
aus; nur hatte er manchmal ſtarkes
Herzklopfen, dem der Arzt, den ich
deshalb befragte, nicht die geringfte
Bedeutung beilegte. Da kamen Weih-
nachten; wir brachten jie jo Fröhlich
zu, als es ohne dich möglich war.
Hugo, als ob er jein nahes Ende
geahnt hätte, lieg fi von dem Ta—
jchengelde, welches die guten Groß—
eltern ihm gaben, drei Photographien
jeiner jelbit machen, deren eine er ihnen,
die zweite mir und die dritte dir be=
ftimmte. Du Haft fie natürlich er—
halten %*
„Ih habe nichts erhalten“, rief
Frank.
„Nun kam das Neujahr. Zwei
Tage vorher ward Hugo von einem
heftigen Schnupfen befallen, den je—
doch der Arzt ebenfalls für ungefähr—
lich erklärte; nur durfte er nicht, wie
wir ſonſt zu thun pflegten, Mitter—
naht außer Bett erwarten, ſondern
mufste früh abends zur Ruhe gehen.
Hugo war ein geborfames Kind; «ic
gehe alſo zu Bett», ſprach er, «aber
du, gute Mama, bleibe bei mir, ſetze
dich zu mir und wir wollen zufammen
740
das neue Jahr begrüßen und uns be
glüdwünfhen.» Ih that, wie er
wünſchte, und der Spivefterabend
gieng in traulichen Geſpräch ſchnell
vorüber. Zumeift ſprachen wir bon
dir und davon, wo und wie du wohl
den Jahreswechſel begiengft. Da ſchlug
die Glode zwölf, wir umarmten uns und
beteten um unfere baldige Wiederver—
einigung mir dir; da entwand ſich
Hugo plößlih meinen Armen, fein
Antlitz überzog ſich mit Todesbläſſe,
und er rief mit erſtickter Stimme:
«D Mama, wie es mich in der Bruſt
ſticht, welcher Schmerz!» Ich erjchrat
tödtlih, ohne das Schredliche zu
ahnen, das mir bevorftand. «Lege
dich nieder, theueres Kind», rief ich,
«ich ſende augenblidlih nah Doctor
3.2; aber Hugo ließ mich nicht los,
noch einmal rief er: «O, welcher
Stih!» Im nächſten Moment jchlois
er die Augen, fein Daupt ſank zu—
rück und ich hielt eine Leiche in den
Armen.“
Frank, der mit athemlojem Ent-
jeßen der Erzählung feiner Frau ge-
lauſcht hatte (vielleicht dämmerte ſchon
eine fchredliihe Ahnung in feiner
geängftigten Seele), ergriff ihre Hand
und rief: „Wo ift Hugos Photo=
graphie? DO, laſs mich fie ſehen!“
Die Fran zog ein Bild aus dem
Bujen, ihr Gatte warf einen Blid
darauf, lallte einige unverftändliche
Morte und fanf, wie vom Schlage
gerührt, zu Boden.
Die vereinten Bemühungen ſchnell
berbeigeholter Arzte brachten den Un—
glüdlichen nur für jo lange zum Bes
wufstlein, als er brauchte, um feiner
arınen Frau das Geftändnis zu machen,
er habe feinen Sohn getödtet, da jenes
Bild, welches er in der unfeligen Syl—
vefternacdht durchbohrt Hatte, dasſelbe
war, welches ihm feine Gattin als
die Bhotographie jeines Sohnes zeigte,
der fih in den zehn Jahren ihrer
Trennung jo zu feinem Bortheile ver—
ündert hatte, daſs ihn fein Vater
nicht erfannte. Frau Frank hatte das
dl
Bild einem jungen Manne, der nach | gänzlich entfremdete. Dieſe letztere
W. reiäte, gegeben, um es dem Vater | überlebte den doppelten Berluft, den
zu überbringen ; doch mufäte es der- Tod und Wahnfinn ihr bereitet, nicht
jelbe verloren haben, da er ſich nicht lange. Nach zwei Jahren, welche fie
bei Frank bliden ließ, und einer der nur der Pflege ihres kranken Gatten
Säfte des Banquiers es auf der|gelebt Hatte, löste ein barmberziger
Straße gefunden und zu dem Spiel] Tod die jchweren Feſſeln ihres freute
geſchenkt Hatte, welches alle für einen | denlofen Dafeins. Frank zeigte nicht die
Scherz hielten, daS aber dur das mindeſte Erregung, al3 er die Ge—
Malten eines der jonderbarften Zus | führtin - feines Lebens im Sarge
fülle dem armen Frank jo verderblich | liegen ſah, fondern ſprach gleich—
wurde, giltig: „Meinetwegen, meine Schuld
Und in der That Hätte das un— iſt es nicht; ihre Bild Habe ich nicht
erflärliche Zufammentreffen von des durchbohrt!“
Sünglings jähem Tode mit dem Da er feine Berwandten in W.
Slüdsfall in der Lotterie — welche| hatte, wurde er durch die Vermitt—
Ereignijfe Frank für ſein Werk Hielt lung eines Better: in B. P. in die
— aud ein felteres Nervenſyſtem, ein | dortige Jrrenanftalt gebracht, wo ich
ftärferes Gehirn zerrütten können, als, ihn fah, und wo das arme Opfer
der unglüdlihe Mann beſaß, welcher | unglüdliher Zufälligleiten bis zu
dur jahrelange Aufregungen und feinem Tod verweilte.
Entbehrungen prädeftiniert und vor— Wie der Banquier aber erzählte,
bereitet für den traurigen Ort worden | Joll auch Amadeus den von ihm vor—
war, an dem ich ihn Später fennen geſchlagenen Zauber einmal zu ſeinen
lernte. Vergebens waren die Bemü- eigenen Gunſten geübt haben, und
hungen der berühmteſten Pſychiatriden, zwar in einer der in feinem Dichter—
welche ihm beweijen wollten, dafs das, | leben nicht jeltenen Kriſen, im der
was er für fein Werk hielt, nur ein | ihm ein Herzlofer, philiftröfer Gläu—
fonderbarer Zufall geweſen jei. Ver- | biger mit feinen Drohungen das Da—
gebens ftellte ihm feine Gattin vor, | jein verbitterte, Da er zur jelben Zeit
er habe ja das Bild jeines Sohnes, |ein Los der nächſten Staatslotterie
den er feit deſſen viertem Lebensjahre bejaß und zum Hundertfünfzigftenmale
nicht gefehen, nicht erfennen können. |ein Luftipiel bei der Intendanz des
Der gute Banquier, deifen Haus der) Hoftheaters eingereicht hatte, jo ver—
Schauplatz des verhängnisvollen Scher- ſchaffte er ji das Bildnis des Ma—
zes gewejen, und alle feine Gäfte be- nichäers, durchbohrte e3 in ftiller
juchten den armen Kranken und bes | Mitternahtsftunde und mwünjchte da=
mühten ji, ihm die entſetzliche Ein- bei einen Daupttreffer und die Auf—
bildung zu benehmen. Umfonft! Jeder | nahme jeines Stüdes, Aber der
Tag, jede Stunde brachten ihn dem) Manichäer ftarb nicht, der Haupt—
Wahnſinn näher, der wicht bon feiner treffer fam nicht und das Luftjpiel
Beute ließ. E3 war ein ftiller, uns |fam unaufgeführt zurüd. Die Wir-
ſchädlicher Wahn, der ihm aber feiner) fung des Zaubers hatte ſich nur bei
unglüdlihen Gattin und dem Leben ; dem armen Frank bewährt.
|-a
| in
LS
Elegien aus
Don Mar Ralbek.*)
Freiheit.
Re ih begrüß ih, Natur, mit friich
5 aufathinender Seele,
* Wie ih, Ewige, did fröhlih als
? Knabe begrüßt;
Wenn im glühenden Sommer, erlöst von |
der hölzernen Schulbant,
Uns dein Iodender Auf endlih ins Freie
geführt.
Dann mit Jubelgeſchrei gieng's über die
Treppen des Haufes,
ülber den Kirchhof fort und vor die Thore
hinaus.
Freiheit, herrliches Wort! Auch heute ver: |
nehm ich es wieder,
Hör’ es im Rauſchen des Stroms, hör’ es
im Säufeln des Wald's;
Heimlih raunt es die Wieſe mit taufend
flüfternden Halmen,
Käfer: und Bienengeifhwärm fummt es und |
brummt es mir zu,
Neben mir zwitſchern's die Schwalben und
unter mir pfeift es die Drofiel,
Hoch von blauen Gezelt ſchmettert's die
Lerche herab,
Schaffender Geift der Natur, ihr freien
Geflügelten alle, .
Nehmt zum Gefpielen mid an, aber ver:
rathet mich nicht!
Keiner erſpäh! und wiſſe die Steige des
ſchweifenden Wanderers,
Tief im dichten Gebüſch ſchwinde des
Glücklichen Spur!
Steiermark.
Unterwegs.
Vieler Befährten erfreuteft du dich im Ge⸗
tümmel der Städte,
Über die Thore hinaus giengen die Me:
nigfien mit.
l
Etliche folgten dir nod entlang die jonnige
Straße,
Sie auch blieben zurück bei den Gehöften
des Dorfs.
Einer erſtieg mit dir zur Hälfte den
| zadigen Bergpfad,
Doch zum Gipfel empor Himmft du als
letzter allein.
1
Aufſtieg.
Schaudernd blick' ich hinab vom ſteilab—
ſtürzenden Felsgrat,
Wehe, wie hämmert das Herz! Wehe, wie
| finten die Knie!
Doch ein erfriſchender Schneehauch kühlt
mir die glühende Wange,
Und das legte Gefühl menſchlicher Schwach—
heit entweidht.
Bon mir hab’ ih gethan, was jonft mid
hemmt und zurüdhielt,
| Tief im Nebel verfanf unten die rauſchende
Melt,
Nur ein Adler umzieht mein Haupt in
gewaltigen Kreiſen,
Wie der Geift des Gebirgs, den ih vom
Schlummer erwedt.
‚Um mic feiert das All, reglos in heiligen
Schweigen,
[eis in Innern auch ruht die begehrlidhe
Luft.
) Entnommen deſſen jchöner und reichhaltiger Gedichteſammlung: „Aus
alter und neuer Zeit.“ (Berlin. Freund &
edel. 1891.)
743
Kaum entjinn ih mich nod, was and're
gequält und erfreuet,
Was mid jelber bewegt, jcheint ein ent—
Ihwundener Traum.
Emige Zeiten und Räume durdfliegt die
entfeſſelte Seele,
Bis jie heiter verfinft in das unjterbliche
Nichts.
Abſtieg.
Sei willkommen von Herzen, du friſch auf—
ſprudelnder Bergquell,
Der du aus hartem Geröll weich und ger
jprädig entſpringſt!
Siegreich bridft du hervor glei einer
verborgenen Weisheit,
Die ein ſchweigſamer Mann tief im Gemüthe |
genähtrt.
Ginfam glaubt id zu fein und verirrt im
unendlihen Steinfeld,
Und nun find’ ich in dir plößli den
Führer und Freund!
Furchtlos folg’ ich dir nad, nit achtend
der Trümmer und Blöde,
Die der zerflüftete Berg feindlich entgegen
uns thürmt.
Raum noch gönnft du dem Iletternden Fuß
zum rüftigen Abitieg,
Und dein freundlich Geſpräch kürzt mir die
Mühen der Fahrt.
Eich, Ihon wächſt zum Thale die Schludt,
und trauliche Hütten
Künden dem jhweifenden Blick menſchliche
Wohnungen an.
Du auch ftredteft im Wandern dich aus,
ein behäbiges Bächlein
Shwimmt zur Seite mir bin, Taum nod
erkenn' ich den Freund.
Wie? zum Häuschen zieht du mich fort?
Bon ranlendem Weinlaub
Sind ihm Fenſter und Thür heiter und
zierlih umrahmt.
Dankend entlajs ih dih nun; dort winken
mir Frieden und Eintehr,
Und den Erwarteten grüßt lächelnd der
Liebften Geſicht.
Erdbeeren.
Euch Erdbeeren lieb" ih vor allen den
Früchten des Waldes,
Die im Schattengebüjh heimlich zur Reife
gedeihn.
Ein paar winzige Krumen des allernähren:
den Erdreids
Gaben des lofen Geranks Würzelchen Boden
und Kraft.
Und fie entjandten vom bräunlichen Stiel
dreifaltige Blätter,
Draus im zarteften Weiß ſchimmernd die
Blüte jih ſchwang.
Mäßiger Negenerguis und die wechſelnden
Strahlen der Sonne
| Beitigten purpurne Frucht aus dem be:
| jheidenen Kelch.
Zwiſchen Geflein und Moos, wie taufend
glühende Lippen
| Schelmijcher Kinder der Flur, lat es den
Manderer an.
Und er neigt fih hinab und pflüdt die
Lieblichen alle,
Kräftige Würze des Walds jaugt mit den
Beeren er ein,
Jegliche Frucht ein Kuſs, wie Kinderlippen
ihn küſſen,
Rein, unihuldig und fü — küſst mid,
vo Kinder des Walds!
Hochſtes Leben.
Karg zwar hat mid das Glüd mit irdi:
ihen Gütern gelegnet,
Aber ein himmlijches Theil wurde dem
Armen beichert;
|
| Dais er beſcheidenen Sinns zufrieden mit
Wenigem baushält
Und fein dürftiges Los heiteren Geiſtes
erträgt,
Fern einft blieben der Wiege des Kindes
die Mächtigen alle,
Die als Götter des Tages preist Das
geſchäftige Volk,
744
Eine der Emigen nur, unhörbar, jhweben: | Wie fih das Auge gejättigt am Wedhfel
den Fluges der Formen und Farben,
Kam, und Gutes verhich jeden ihr freund: | Trinft das gefühlige Ohr Ströme von
licher Blid. füher Mufit.
Über das Lager gebeugt des friedlich | Durch das Geflüfter des Walds und das
Ihlummernden Knaben, Rauſchen der hüpfenden Wellen
Legte fie leife die Hand auf des Ent⸗— Zittert melodifher Hauch rhythmiſchen
ſchlafenen Bruft; Schwunges einher.
Küfst ihm Augen und Lippen und rührte
mit wedendem finger
Sein vom Erdengeräuſch nimmer getroffenes
Ohr.
Mas ich erlaufch' und eripäh' und erträum”
und lebendig empfinde,
Quillt als begeiftertes Lied mir von den
Lippen dahin;
Dais ich verfünde dein Lob, troſtſpendende
Muſe des Dichters,
Die den verworrenen Gang wandelt zur
ebenen Bahn,
Und feither bewahr' ih im Herzen die
heilige Flamme,
Die zu reinerer Glut läutert das trübe
Gefühl,
Über die jhimmernden Höhen hinweg, durch
nädtige Tiefen,
An Abgründen vorbei wall’ ih mit fiherem
Schritt.
Sehnſuchtsvoll durchſchweif' ich die Welt,
zu beſſeren Sternen
Ziehen den ſinnenden Geiſt ernſte Gedanten
empor;
Und mein Auge berauſcht ſich im Glanz
der unfterbliden Schönheit,
Die mir täglih das Al immer von neuem
verjüngt;
Denn du jchreiteft voran in rofig däm—
mernder Klarheit,
Streueft Blumen und fingft über Gewitter
und Sturm.
Wiedergeboren begrüß’ ih am Morgen bie
fteigende Sonne,
Dais ein Schöpfungstag jegliher Tag mir
erjcheint.
Willſt du heute den Fuß zum Pfade des
Todes bewegen,
Ungern folg’ id dir nad, aber ich habe
gelebt.
— — — — — —— — —— ——— ——— ——
}
?
i
|
Das goldene Zeitalter.
Sorialifiiihe Studie von Rihard Graf Bermage.
3
G
E⸗ geht ein allgemeines Vor- ternd, mit elementarer Macht jeden
ahnen, ein ſtummes Einver« Widerſtand zerſchmetternd auftreten,
ſtändnis aller durch die Welt, daſs das Schreckensjahr der großen
bald ein gewaltiger Wandel der | Rebolution in Frankreich, welches
Zeit kommen werde. Bei den zünfti- Victor Hugo „das ſchrecliche Jahr”
gen Forſchern, welche ſich mit der nannte, nur ein Kinderfpiel dagegen
Deutung der Menfchenfchidfale be—
faffen, ift diefe Ahnung längſt zur;
feften Überzeugung geworden md
feßt, von der Hütte bis zum Thron,
jegt die Geifter in Bewegung. Sind
doch die Zeichen der Zeit allen wahr:
nehmbar und die Propheten, welche |
die neue Zeit verkünden, ja ſogar
Thon die Jahreszahl für den Beginn
der neugeftalteten Weltordnung feſt—
geftellt haben, finden willig Glauben. |
Noth lehrt beten, aber fie lehrt
auch das Thier ſich feiner Kraft be=
dienen; fie lehrt demſelben die Selbit-
hilfe, und das Thier im Menfchen
folgt diefem Gebot.
Alſo ſchaut die lebende Generation |
in zmwei große Lager getheilt der Zus
funft entgegen: die einen hoffend und
betend, daſs fie und ihre Kinder *
furchtbaren Tag des Umſturzes alles
Beitehenden nit erleben möchten,
die anderen gewappnet und kampf—
luftig, dieje alte Weltordnung zu be=
friegen, flet3 zum Sprunge bereit,
diejelbe in Trümmer zu jchlagen, da=
mit eine neue, beijere daraus erwachſe.
Viele meinen, e8 würden die be—
vorstehenden Kämpfe, welche diefe
Krife, den Läuterungsprocel3 bedeu—
ten, jo grauenhaft und welterfchüt-
wäre, Aber es gibt auch einige we—
nige — und das ſind gerade die
neueſten Propheten der Zukunft, die
Tröfter aller Troftbedürftigen — die
es beſſer meinen und ein goldenes
Zeitalter für alle Völker weisfagen,
das fozufagen in aller Güte fih von
jelbit ergeben würde, ohne vorher»
gehenden Sturm und Drang, ohne
Blut.
Solde Friedensapoftel find in
Deutichland, Frankreih und England
eritanden, aber das lieblichfte Phan—
tafiebild, da3 reizendfte Utopium aus
dieſer beſſeren Welt der Zukunft ſen—
det uns die neue Welt. Als ob Ame—
rila, dieſes ſpäteſte, aber früh geal—
terte Kind der europäiſchen Civiliſa—
tion, ihre Unhaltbarkeit am härteſten
empfände.
Wie prächtig ſchildert Delamy in
ſeinem Rückblick auf dieſes Jahrhun—
dert den Frieden, das Glück der Cul—
turvölker im zweitauſendſten Jahre
unſerer Zeitrechnung: „Hätten unſere
Vorväter — ſagt er — ſich einen
Zuſtand der Geſellſchaft vorſtellen kön—
nen, in welchem die Menſchen wie
Brüder in Eintracht zuſammenleben,
ohne Streit und Neid, Gewaltthat
und Übervortheilung, wo fie in ihrem
746
erwählten Beruf gegen Leiftung eines | wird, two nad) der allgemeinen Gejell»
Maßes von Arbeit, das nicht größer | jchaftsregel Barmherzigkeit und Edel:
iſt, als es der Geſundheit zuträglich, |muth als Thorheit gelten; gerade
völlig befreit fein würden von der dort muſste in den Köpfen der Wahn
Sorge um den nächſten Tag und fich |entftehen, dajs alles Böje auf der
nicht mehr um ihren Lebensunterhalt | Welt nur aus dem grellen Unter—
witrden kümmern müſſen, als die ſchiede zwiſchen Reih und Arm ent—
Bäume eines Waldes, die durch einen ſtünde, daſs alles Übel duch die tofle
umderfiegenden Bach bewällert werden; Jagd nad Geld erzeugt werde; dajs
hätten fie fich einen ſolchen Zuftand | hier die Quelle aller Gejellichaftsteiden
vorjtellen können, jo wäre ihnen der- zu ſuchen jei, und daſs man nur diefe
jelbe geradezu al3 Paradies erſchienen. Quelle zu verftopfen brauche, um dem
Sie würden in ihrer Borftellung vom | ganzen Jammer ein Ende zu machen.
Dimmel diefen Zuftand mit demfelben | Aber den Forichenden und Wiſſenden
verwechfelt und fich vielleicht nicht |aller Zeiten ift es längft bekannt, dafs
haben träumen laflen, dafs es darüber |diefe Behauptung falſch it. Religion
Hinaus etwas zu wünſchen geben und Philofophie haben e3 jeit langem
könnte . . . Und die Erreichung dieſes feſtgeſtellt, daſs von allen Hemmniſſen
herrlichen Zuſtandes — ſo meint |der Eintracht unter den Menjchen jene
Delanıy weiter — follte nicht mehr nicht die allerſchlimmſten find, welche
Kampf und Blut foften, als etwa der bloß durch die Noth und den harten
Wechſel einer Dynaftie in einem Lände | Daſeinskampf gezeitigt worden, und
hen der alten Welt... . denn im daſs der Jammer nicht hinweggeſchafft
Zeitraume eines Menfchenalters bra- würde, wenn das Gold aus der Welt
hen die Menjchen mit den ſocialen verſchwände.
Traditionen und Sitten der Barbaren | Nähme man das Geld aus dem
— jo nennt er die Eulturvölfer des | Verkehr, jo hätte man nur das Wert—
nennzehnten Jahrhunderts — md zeichen bejeitigt, die Werte jelbit aber
nahmen eine Geſellſchaftsordnung an, |wirden bleiben, das heißt, alle jene
die vernünftiger Wejen würdig iſt, zum Leben umnentbehrlichen oder das
und fo fanden fie auf einmal das Leben verjchönernden Dinge wür—
Geheimnis, reich und glüdlih zu den bleiben, um derentwillen jet ge=
werden... arbeitet, gedarbt und gejpart, aber
Sole milde Pöjung des großen auch gerungen, gelogen, betrogen und
focialen Problems aber erblict diejer | gemordet wird.
Hriedensapoftel zum größten Theil Würde man alle diefe Lebens:
nur in der Abſchaffung des Geldes, \nothwendigkeiten und Güter gleich-
in der Gleichftellung aller Bürger und ‚mäßig unter die Bürger eines Staates
in der gleichen Vertheilung von Arbeit vertheilen, indem man den Staat
und Unterhalt. ſelbſt, das heißt einen Theil feiner
Dajs dem KHopfe eines Ame- Bürger, zu VBerwahrern und oberiten
vifaners dieſes Traumland fo klar Hütern derſelben beitellte, damit
und faſslich vorſchweben konnte, dieſes Heer von Vertrauensmännern
wäre leicht erklärbar, denn in ſeiner und Beamten Sonne und Regen,
Heimat gilt faſt uneingeſchränkt das Arbeit und Entgelt jedem nach ſeiner
Dichterwort: Am Golde hängt, zum Fähigkeit bemeſſen; ſo hätte man ein
Golde drängt doch alles. In Amerika, Volk von Millionen in zwei Hälften
wo der nimmerruhende Kampf aller getheilt, in die Gebenden und Neh—
gegen alle die höchſten Wellen wirft, menden, die Herrſchenden und die Be—
wo für Leben und Gewinn ſo häufig herrſchten. Weil aber dieſe Herrſchen—
alle menſchliche Regung niedergetreten den auch nur ſchwache, fehlerhafte,
-
‘
genuſs- und habjüchtige, haſs- und
fieberfüllte Menſchen find, fo fünde
es um das Los der Gejammtheit nicht
beſſer als jetzt. Statt der oberen
Zehntaufend, gegen welche fich jebt
die unteren Millionen aufbäumen,
hätte man viele Hunderttaujende von
Bürgern als Bollftreder des Staats—
willens beftellt, welche, gleich den Be—
vorzugten aller Zeiten und Länder,
wenn jie die Macht in Händen haben,
fich des Lebens reicheren Antheil zu—
wenden würden, indem fie, ihre Ge—
walt milsbraucdhend, ſich von allen
Erdengütern den Löwenantheil ans
eignen möchten und ter den Bes
herrſchten nur jene bevorzugen wür—
den, die ihnen bei dieſem Miſsbrauch
der Macht behilflich wären. Alle
anderen, die an den Staat Auſprüche
zu Stellen hätten, wären, fo wie heute,
auf das Bitten, Hoffen und Darren,
wenn fie ehrlich find, auf das Be—
ftehen umd Betrügen, wenn fie une
ehrlich find, angewieſen.
Das Jahrtauſende alte Wechſel—
ſpiel der Corruption, auch jetzt eines
der ſchlimmſten Leiden des neunzehn-
ten Jahrhunderts, wäre zu erhöhter
Blüte gebracht auch ohne das leidige
Geld. Aber — ſpricht der Apojtel
aus Bofton — eben darin liegt der
Irrthum, denn es ward bald völlig
Har, was die Geiftlihen und Philo—
fophen der alten Welt nie geglaubt
baben würden, daſs die menſchliche
Natur im ihren wejentlichen Eigen
ichaften gut und micht schlecht, daſs
die Menjchen von Natur edelmüthig
und nicht graufam find...
Der beftändige, feit zahllofen Ge-
nerationen laftende Drud der Lebens
bedingungen, der ſelbſt Engel hätte
verderben müfjen, hatte es nicht ver—
mot, den inneren Adel des Men—
Ichengefchlechtes zu tilgen. Sobald die
Bedingnifje der Verderbnis entfernt
waren, ſchnellte der Menſch wie ein
gewaltfam niedergebeugter Baum in
feine aufrechte Haltung zurück.“
47
So ſpricht der Verkünder des gols
denen Zeitalters für das Jahr 2000,
und dor ihm haben andere fo ge:
ſprochen, haben Fourier, der geiftige
Vater der Phalanfteren, und Proud—
bon, der das Eigentum Diebftahl
nannte, den monumentalen Sab als
oberites Princip ihrer Lehren aufges
ftellt: Der Menſch ift von Natur gut,
nur die Bultur Hat ihn verdorben.
Die Schriftfteller der Neufchule
hingegen, die vielgelefenen Naturalijten
haben es in jüngjter Zeit bis zum
Überdrufs nachzuweiſen gefucht, dafs
nicht die Eulturepoche, im der wir
leben, an allem ſchuld trage, ſon—
dern dafs das Thier im Menjchen
noch ungebrochen in alter Wildheit
fortlebe ; daſs unſere Inſtincte Häufig
jo ungebändigt und gattungsmörderifch
auftreten, wie einft im jenen Tagen
grauer Vorzeit, da uns die Eultur:
völfer, die nun jchon vom Erdball
verſchwunden find, Barbaren nannten,
Nur dajs wir jet mit verfeinerten
Mitteln arbeiten, weil die höhere
Bildung alle Bürger de3 Staates
über die Gemeingefährlichleit des
Thieres belehrt Hat, welches in jedem
einzelnen wohnt, und jedem gegen
dasfelbe die Hilfe der Geſammtheit
zutheil wird; daſs demzufolge auch
die Schranten Höher gezogen Sind,
dauerhafter und ſicherer erſcheinen,
welche von ſtaatswegen gegen die
Ausſchreitungen des einzelnen errichtet
wurden.
Alſo ſprechen die realiſtiſchen Wahr—
heitsſchwärmer und fo kommen denn
die einen und die anderen, die opti—
miſtiſchen Friedensapoſtel und ihre
peſſimiſtiſchen Gegner, kurz alle, die
das Schickſal der Menſchheit zu er—
gründen trachten, darin überein, daſs
es mit dem Sittlichleitszuftande der
Menichen gegenwärtig mod ſehr
ſchlimm beftellt jei.
Und dennoch ſoll dieſe halbe
Milliarde culturentarteter Menjchen,
welche als civilifierte Nationen jetzt
die Erde bevölfert und deren Werde—
748
gang nun ſchon an die vier Jahr |jelben, weil fie unabänderlich mit dem
taufende dauert, mit einemmal, etwa | Menjchen geboren werden. Mit diefem
ihon im nächſten Jahrhundert, ihre Angeborenen muſs derjenige rechnen,
ganze Eigenart ablegen
und den |der mit ernfter Ablicht umgeht, ein
innerften Stern ihres Weſens ändern. | Zufunftsbild für die jeht lebenden
Aus Menſchen des neunzehnten | Eulturvölfer zu entwerfen oder ein
Jahrhunderts, von denen Delamy
fagt: Bleihe und wäſſerige Strahlen
aus einem durch Furcht und Zweifel
bewöltten Himmel erhellten allein
das Chaos der Erde, und weil fi
die Menſchen jelbft verabfcheuten, ver—
abjcheuten fie auch ihren Schöpfer.
Aus folden unglüdlihen, hoffnungs—
ofen Geſchöpfen ſollten ſchon im
Jahre 2000 Weſen ganz anderer
Art geworden ſein, die das Band
unzerſtörbarer Brüderlichkeit zu einer
großen Völkerfamilie vereinigt und
die — wie der Verkünder meint —
an einen Gott als den Vater der
Menſchheit glauben.
Ein ſchöner Traum — ein herr—
liches Märchen!
Dennoch aber liegt ein echter, ein
edler Kern und ein gewaltiges Mahn—
wort der Zukunft in dieſer Fabel.
Die Socialiſten der ſchärferen Ton—
art wollen mit Blut und Eiſen die
Welt zu einem Zuchthausſtaate zuſam—
menſchweißen und ſetzen an die Stelle
des goldenen Zeitalters ein ehernes,
welches fie der Menjchheit in kürzeſter
Friſt aufzwingen wollen, beide aber,
jowohl die Dränger und Stürmer,
al3 auch die Schwärmer für eine
harmonische Löſung des ſocialen Räth-
jels, haben für ihren Zukunftsbau
feine beſſere Formel gefunden, als
die Gleihftellung aller Bürger und
den Arbeitszwang.
Sie bedenten nicht, dafs es für
den Menſchen nur drei Motive der |
Arbeit gibt: die Noth, den Ehre!
Spitem zu erdenfen, welches die fociale
Kataſtrophe hintanhalten foll.
Die ergiebigfte Quelle aller Thä—
tigkeit ift die Noth, oder vielmehr die
Angft vor der Noth. Sie ilt es,
welche ungezählte Millionen Hände
beftändig in Bewegung erhält, um
die unerläfslihften Bedürfniſſe des
täglichen Lebens zu befriedigen und
Güter Herbeizufchaffen, die nur durch
Schweiß und Plage, nur dur die
bärteften Entbehrungen, oft bei be=
ftändiger Todesgefahr gewonnen wer—
den können.
Die Noth macht den Verſchwender
ſparſam, den Trinker nüchtern, ſie iſt
die Gründerin der Familie mit ſelbſt—
gefhaffenem Wohlſtand, die Schöpfe-
rin jener Erfindungen, ohne welche
der Eulturzuftand der Gegenwart nicht
gedacht werden kann.
Es gibt keinen Arbeitszwang, den
der Menſch fo willig ertrüge, als die
Angſt vor“der Noth. Nur wenn Die
Noth ſelbſt mit ihrem ganzen Grau—
jen über ihn hHereinbricht, wenn es
ihm verfagt wird, durch Arbeit die
Noth zu bannen, dann erſt bäumt fich
fein Iunerftes auf; das Thier im
Menschen, welches duch Hunger und
Kälte gereizt wurde, erwacht und kün—
digt der Gejellihaft den Krieg an.
Kein weiſer Gejeßgeber, kein Staats=
mann würde die Angit dor der Noth
aus dem Wölferleben ganz bejeitigt
willen wollen.
In dem großen Zuchthanfe der
Socialiften gibt e3 feine Noth. An
geiz und die Liebe, und daſs Uns ihre Stelle tritt der ftaatlihe Zwang
gleichartiges gleichartig zu behandeln | zur Arbeit, die Zuchtruthe des Vor—
immer als größtes Unrecht empfunden geſetzten, des Erziehers.
werden wird.
Diefer Nöthigung beugt ſich der
Gewiſſe Triebe und Empfindungen | Selbitbewujste und Strebende nur
der menschlichen Natur bleiben unause |widerwillig, der Läjfige leiftet dabei
tilgbar immer durch alle Zeiten dies ſchlechte Arbeit, die Schlimmiten aber
verfagen diefelbe ganz und fallen dem
Staate, das heißt ihren arbeitenden
Mitbürgern, zur Laſt.
Der Ehrgeiz, jener andere Thä—
tigfeitöerreger menſchlichen Fleißes,
zeitigt ſeine ſchönſten Früchte nur in
voller Freiheit. Als Beiſpiel hier nur
eines. Der Entdecker, welcher unter
tauſend Mühſalen der Menſchheit
neue Wege des Verkehrs bahnt und
der Zukunft Schätze erobert, iſt nicht
um kärglichen Lohn eines Sternes
auf der Bruſt oder einer öffentlichen
Belobung zu haben. Er will ſich ſelbſt
das Maß ſeines Lohnes feſtſtellen und
den Ruhm, welchen er erworben, nicht
bloß dem Staate, welchem er dient,
zutheil werden laſſen. Was er er—
worben, will er auch vererben; ſeine
Kinder und Enlkel ſollen des Segens
theilhaftig werden.
Vom ſocialiſtiſchen Zukunftsſtaate
iſt die Familie ausgeſchloſſen und
jener Ehrgeiz, der den einzelnen über
ſeine Mitbürger dauernd erhebt, und
das Erworbene auf die ihm zunächſt—
ftehenden vererben will, ift verpönt.
Wenn auch zu den Proben männlichen
Muthes, die mit Ruhm und Ehre gelohnt
werden, ſich Tapfere herandrängten, die
bei Bertheidigung des Vaterlandes, im
Kampfe wider die empörten Elemente
den Gefahren muthig Troß bieten;
jelbft ihr Leben dem Dienfte der Ge-
fammtheit zum Opfer bringen möch—
ten, wo fänden fich jene unerſchrocke—
nen Ehrgeizigen, welche die allgemeine
Scheu vor niedriger, unrühmlicher,
abftogender Arbeit überwinden möch—
ten? Und wo erft jene Legion bon
unverdroſſenen Arbeitern, die, ver—
bannt vom Licht des Tages, dem
frühen Siechthum unter bejtändiger
Zodesgefahr zuftenern, um jenes une
entbehrlihfte aller Verbrauchsmittel,
die Sohle, an den Tag zu fördern ?
Nur die Noth allein vermag als
dräuendes Geſpenſt ſolche Leitungen
zu erzwingen und nur ihrem Zwange
Ihaffung Harter Arbeit; fie wollen
nur, dafs fie gefichert bleiben, ſtets
Entgelt für ihre Arbeit zu finden, und
Hinreihenden Lohn, um auch danı
nicht darben zu müſſen, wenn ihre
Kraft gebrochen ift. Und nun erit die
Liebe, die Gatten» und Kinderliebe,
jenes mädhtigite aller Eulturmittel des
Abendlandes. Sie hat feinen Platz
in jenem Spftem, dur welches jie
herabgewürdigt wird zur Vereinigung
der Gefchlechter für den einzigen Zweck
einer Fortpflanzung der Gattung, mit
Rüdfiht auf die Zuchtwahl, die der
Staat zu Überwachen hätte.
Das Einzelnrecht ift verbannt aus
dem focialiftifchen Gattungsinfteme.
Die Liebe ift vor allem ein Einzeln»
recht und ihr reinfter Ausdrud iſt die
Familie. Sie ift die durch die Jahre
taufende geheiligte Grundform aller
Staaten, in denen Culturvölker leben.
Uber ebenfo unmöglich, als der
Aufbau eines Staates, in welchen
Noth, Ehrgeiz und Liebe feinen Plab
haben, ift deſſen dauerhafte Feltigung
auf dem Grundſatze der Gleichftellung
aller feiner Bürger.
Die Gofllectiviften, diefe kühnen
Gleihmaher der Gefellfehaft, welche
alle Kraft in einem Punkte verſam—
meln und den Staat zum einzigen
Duell alles Volkslebens machen wollen,
fordern , dafs der einzelne ſich als
Glied des Ganzen fühle und nad
Maßgabe feiner Kräfte arbeite; doch
joll er dafür nicht nah Makgabe
jeiner Leiftung entlohnt werden —
denn aller Lohn ift abgefchafft.
Wie könnte auch Arbeit dort ent—
lohnt werden, wo Gleichheit herrjchen
joll, Schon in der ungleihen — wenn
gerechten — Entlohnung der fo un—
endlih verjchiedenen Leiftung eines
jeden läge der erfte Keim zum Ran:
gesunterfchied, und wo fände man
Menjchen, die ihre höhere Veran—
lagung wicht allein ſchon als ein
beugen ſich die Bedürftigen ; ja fie) Geburtsrecht auf reicheren Antheil an
verlangen auch gar nicht die Ab= den Lebensgütern empfänden ?
Freilih ſoll dagegen jeder die! Jener Unterſchied der Lebensform
volle Freihaltung genieen am Zifche läſst fih, wenn auch in einem ver—
des Lebens. Für feinen Unterhalt ift wiſchten Bilde, auch in unferen Ta—
bis zu feinem Ende gejorgt, denn er gen noch erfennen; denn der ärınfte
wird zum PBenjionär des Staates. Bauer zur Beit "der Milsernte im
Wäre ein jolches Leben noch des Le— | feiner elenden Hütte ift nicht fo be=
bens wert? tlagenswert als deſſen Leidensgenofie,
Mas ſoll die todte Kraft, der der Induſtrieproletarier. Der Mangel
Geiſt, der ſich nicht regt, weil er kein allein iſt nicht die ſchlimmſte Klage;
Ziel hat für fein Streben? Der Ge: erſt wenn Obdadlofigkeit, Krankheit
danfe, dafs wir für die Erhaltung |des Ernährers, Siehthum von Weib
der Gattung leben jollen, hat noch und Kind ſich zur Arbeitslofigteit ge—
feinen verhindert, das Leben zu ver= |fellen, dann ift da3 Maß des Un—
meinen. Was ſoll ein Leben ohne | glüds voll!
tramilienliebe, ohne Ehrgeiz, ohne, Solange einer unter dem eigenen
Hoffnung auf ein Fortwirfen im! fchlechten Dache, auf eigener färglicher
eigenen Geifte durch die eigenen Sin= ‚Scholle fein Leben friftet, ift er nur
der, die im Cocialiftenftaate
mehr unſere, Sondern des Staates
Kinder geworden ſind?
Der Lebensüberdrujs, der jebt
einzelne hinrafft, würde im Collectiv—
ante Maffenfelbitmorde gebären, denn
blog die Ausjicht, nicht zu verhungern,
hat noch feinem das Leben lieb ge=
macht.
Und dennoch liegt den umerfülle |
baren Phantafiegebilden aller dieſer
Gefellfchaftsretter nicht nur ein guter |
Kern zugrunde; ihre Theorien ent—
halten auch eine Prognoje der Zu—
funft, eine wohlvernehmbare Weiss
ſagung der Menſchenſchickſale.
Was ſie alle wollen, dieſe Ver—
künder der Erlöſung vom unbarm—
herzigen Daſeinskampf, iſt doch immer
nur eine Geſundung unſerer Lage,
eine Heilung von unſeren Culturent—
artungen. Es weht in vielen ihrer
Pläne die Sehnſucht nach jenen glück—
licheren Zuſtänden, die einſt in der
Epoche des goldenen Zeitalters ges!
herrſcht haben ſollen; nur daſs ſie
die Hilfe nicht in der Rückkehr zu
jenen der Natur des Menſchen an—
gepaſſten einfacheren
formen ſuchen, dagegen aber etwas
ganz Unmögliches verlangen, indem
ſie die Umprägung des innerften | 1
Kernes menschlicher Veranlagung in
Ansicht nehmen,
nicht |
Lebens⸗
ein Armer, kein Elender. Um den
Jammer in feiner ganzen ſchauerlichen
Größe zu verſtehen, muſs man jene
Höhlen aufſuchen, welche der beſitz—
loſe nur vorübergehend gebildete Fa—
brils- und Bergwerksſclave bewohnt.
Der hat kein Neft, wo er den grim—
migiten Sturm der Noth überdanern,
mit etlichen Süden felbitgebauter Star:
toffel den ärgften Dinger ftillen könnte.
Niemand borgt dem Fremdling, und
einer vermag dem anderen nicht aus—
zuhelfen — wie dies zwijchen beijer
und Schlechter geitellten Bauern in
Dungerjahren gejhieht — denn die
Urbeitsproletarier haben afle zuſam—
men michts; die Heimloſigkeit wird
für fie zum lud.
Doch wie leicht wäre dem abzu—
‚helfen, wie leicht fönnte ihr Los ge—
bejjert und dieſe elendften der Armen
wenigitens den armen Bauern gleich-
geitellt werden.
Wie e3 feine Bauernfamilie gibt,
die nicht ihren eigenen Herd und ein
Fleckchen Land als Eigentum hätte,
ſo jollte es auch keine Arbeiterfamilie
‘geben, die gar nichts beſäße.
Gleich den Taglöhnerdörfern, Die
‚zu den großen Landgütern gehören,
ſollte es auch Fabriks- und Berg=
werksdörfer geben, wobei die Arbeits-
| geber jelbit ihre Rechnung fänden,
denn die Kuh im Stalle würde manchen
A
7
Arbeiter abhalten, ſich am Arbeits—
ausitande zu betheiligen.
Es hat eine Secte in der Neu»
ihule der Socialiften den Grundſatz
aufgeftellt, der Staat müjste vor allem
Herr von allem Boden des Landes
werden, um jo der Jchädlichen An—
ſammlung des Reichthums bei ein—
zelnen zu ſteuern.
Uber brauchte es denn fo viel,
um jegensreih zu wirken? Das
Staatseigentgum in den meilten Län—
dern Wäre groß genug dazu, das
eigene Proletariat zu befiedeln.
Gleich dem Agrargeſetze der Römer
wäre das eine große, volksthümliche
Ihat der Rettung. Aber wo fände ſich
der nee Grachus, der die modernen
Batricier dazu vermöchte, die Arbeits:
Iclaven mit Land zu betheiligen ?
Die Rückkehr zu einfacheren Les
bensformen der Menfchen verlangt es,
dajs der einzelne nicht das Herden
thier der Cultur bleibe, daſs er nicht
immer wieder in den großen Pferch
geiperrt werde, den man Arbeiter—
wohnung oder Zinskaſerne nennt.
Die Nüdfehr zu einem gefunden,
freieren Walten im fteter Berührung
mit der Natur, das MWiedererwacen
der dur das allgemeine Drängen
nach der Großftadt jet arg verläſter—
ten Liebe zur Scholle würde heilbrin—
gend wirken.
Denn nicht bloß dem Hörigen der
Induſtrie wäre damit geholfen. Sie
alle, die da belaitet jind durch ein
prefäres, ungejundes Leben, auch das
vielgeprüfte Kleingewerbe, das in der
Großſtadt lungernde Proletariat der
Intelligenz würden ihr Los gerne au
die Scholle fetten, wüſsten fie erſt,
daſs ſie dieſelbe durch Arbeit und
Ss
Fleiß als Eigentgum erwerben könn—
ten. Doc für dieje alle hat fein Land
im weltlichen Europa Raum genug,
aller Boden der Eulturftaaten würde
nicht genügen, fie zu bejiedeln. Aber
ihon haben allwaltende Kräfte auch
hier Hilfe geboten; ſchon gibt es ein
Neu-Deutſchland, wie es längft ein
NeusEngland gab und auch ein Neu—
Italien und Neu-Frankreich entſtan—
den iſt. Bald wird jeder Deutſche,
Italiener oder Franzoſe, der mit der
Teder oder der Selle zuhanfe nicht
mehr weiter kann, in der neuen Hei—
mat hinter dem Pfluge ein geſundes
und gefegnetes Brot genieken können.
Ein großes Nüdjtauen des über»
füflten, 'culturentarteten Weftens nad
Oſt und Süd wird anbrechen und aud)
jene unruhigen, beutegierigen, jeder
wohlgemeinten ftaatlicden Abficht wider-
ftreitenden Elemente, vor denen der
ruhige Bürger zittert, wird es mitreißen.
Sind diefe nur einmal als Ge—
jellfchaftsfeinde überführt, dann fteht
der gezwungenen Bejiedlung des ſchwar—
zen MWelttheiles durch die rothe Schar
nichts mehr im Wege und die Weis-
heit der Parlamente wird Sich micht
tweigern, dafür Gejege und Mittel zu
bewilligen.
In der Befreiung von der dee
des Maffencultus, welder den Socia—
liiten als Ideal vorjchwebt, welcher
aber die Vernichtung der Einzeln
eriitenz und die Tilgung der Familie
bedeutet, in der Wiedergenefung durch
eine auf gefunde Bajis gejtellte Lebens—
führung des Menfchen wird man die
Anzeichen einer Beſſerung der jocialen
Zuftände, das Anbrechen eines glück—
ficheren, wenn auch nicht des mythi—
schen goldenen Zeitalters erfennen.
Die neue Bittenlehre, die wir erſt kriegt haben.
e
N
JWlas „Magazin für Literatur“ in ſes Grumdideal der Nächitenliebe als
65, Berlin, das man fonft gewohnt ;veraltet, thöriht und ſchädlich zu
s® if, ernſt zu nehmen, bringt
einen Aufſatz: „Das Grumdideal
der neuen Ethik“ von Curt Grotte—
wis, Friedrich Niegiche ift der Erfin-
der der neuen Ethik, und Curt
Grottewig fein Dandelsreifender. Die
neue Ethik geht Hand in Hand mit
der Aſthetik der Jungdeutichen, „die
wir eben auch erft ’Eriegt haben“. Es
wird da ein nagelneuer Culturmenſch
conftruiert, der mit dem alten, jeinen
Bedürfniffen und Idealen nichts mehr
zu thun bat. Wir wollen uns ein
wenig belehren laſſen und ziehen aus
oben angedeutetem Aufſatze einiges
Köflliche hervor.
Der neue Prophet jagt aljo:
„Das Grundidal der alten Welt-
ära war das: Du jollit Gott lieben
und deinen Nächften wie dich felbft.
Der erfte Theil diejes Jdeals, der im
gegebenen alle eines Miderftreits
der Pflichten die Menfchen dem je=
weiligen Gotte zu opfern befiehlt, ift
natürlich jet vollftändig gegenſtands—
[05 geworden. An dem zweiten Theile
des Grundideals, du follft deinen
Nächſten lieben wie dich jelbft, Halten
indefjen noch jegt auch diejenigen feit,
welche den Aberglauben an Götter längft
aufgegeben haben. Die Nächftenliebe,
fie gilt jetzt noch faft allen Philo—
jophen, jelbjt denen, weldhe unter Dar—
wins Einfluffe die Relativität der
Ethik als ihr Princip erkannt haben,
kennzeichnen.
Die neue Ethik bekämpft dieſes
‚alte Grundideal indeſſen wicht amır
‚negativ, fondern bejonders pofitiv da-
durch, dafs fie ihm ihr eigenes Grund—
ideal entgegenftellt. Dasſelbe aber be—
fteht in der vollperfönlihen Höher—
entwidelung der Menjchenfamilie, d. i.
in der phyſiſch-geiſtigen Höherzüchtung
der zoologiſchen Species «Menjdhn».
Die neue Ethik will ebenfalls
das Mohl der Menjchheit fördern.
Dabei bevorzugt fie weder die phy—
fifche, noch die geiftige Seite zu Un-
gunften der einen oder der anderen.
Da Geift und Leib jo wenig von
einander zu trennen find wie die
Drehungserfheinungen eines Rades
von dieſem jelbit, jo betrachtet die
neue Ethik den Menjchen als phyſiſch—
geiftiges Weien — ein Begriff, für
den wir leider noch fein bezeichnendes
Wort Haben, für welchen ich bier
Bollperfon (Adjectivum: vollperſön—
lich) ſetzen will.
Die neue Ethik hat daher als
Ziel das Wohl der Geſammtheit von
Vollperſonen im Auge oder, beſſer ge—
ſagt: das vollperſönliche Wohl der
Geſammt-Menſchheit. Das poſitive
Ziel iſt Höherentwidelung : vollperſön—
liche Höherentwidelung der Menſchen—
familie ift das Grumdideal der neuen
Ethik,
Diefes moderne Grumdideal ift
als Grundideal. Es bleibt der neuen nun aber nicht immer zu verwirk—
Entwidelungs-Ethit vorbehalten, die:
‚lichen, ohne daſs dasjenige der Nädh-
Ttenliebe verlegt wird. Die Pflege des] Lebenzluft werden hohes Anſehen er-
Kranken und Schwachen, ald des der
Nächſtenliebe am meilten Bedürftigen,
ift die Folge diefer Nächitenliebe-
Religion. Die Sorge für das Un—
tanglihe und Kränkliche aber wird
fünftighin in dem Grade unterlafjen
werden müſſen, als fie ſich der ge-
Tunden Höherentwidelung der Menſch—
beit Hinderlihd in den Weg ftellt.
Man wird zwar niemanden mehr
verhungern laſſen, aber es iſt ein
Vergehen gegen die moderne Sittlich-
feit, wenn man aus Nächitenliebe
diejenigen Perfonen, welche die Raſſe
ſchänden, welche gebrechlich oder erb—
lich belaſtet oder ſonſt irgendwie un—
tauglich ſind, künſtlich Exiſtenzbedin—
gungen verſchafft, welche ebenſo gün—
ſtig oder günſtiger ſind als diejenigen,
langen, Selbſtloſigkeit, Geduld, Lang—
muth, Ergebenheit, Aufopferung wer—
den ihre Bedeutung mehr und mehr
verlieren.
Die jegige Ethit baut zum Unter—
jchiede von den bisherigen ihr Grunde
ideal auf empirische Erlenntnis. Ya,
es iſt möglich, daſs die beginnende
Hera der empirischen Erkennis fo
lange dauert, wie es überhaupt Men»
ſchen gibt.“
Sit denn das nicht eine Stimme
aus den Irrenhauſe? wird der Lefer
fragen. Warum nicht gar! Es ift nur
das Geſchrei einer Vo Il perfon.
Unterhalten wir uns ein wenig mit
den Kumpanen, und zwar ganz un—
geniert. Denn Nachſicht, Langmuth,
Geduld find ja nichtsnußige Eigen
unter denen raffennügliche Individuen | ſchaften; wir wollen einmal fittliche
itehen.
die neue Sittlichkeit die Aufopferung
des einzelnen für dem anderen im
allgemeinen verwerfen. Denn gerade
dadurch, dafs jeder für ſich jelbit ein—
tritt und auf den anderen feine Rüd-
ſicht nimmt, wird derjenige, der am
ftärkften ift und dasjenige, das am
bedeutendften ift, fiegen.
Das fittliche Ideal der Nächten»
liebe ift eine fünftlihe Zuchtwahl,
die der perfönlichen Höherentwidelung
der Menfchheit ungeheuer gejchadet
bat und noch ſchadet. Sie ift ſchuld
daran, daſs das Schwache, Geiftes-
arme, Niedere, Glanzloje, Bejcheidene
al3 gut gefeiert und gezüchtet wor—
den iſt.
Dem gegenüber wird die moderne
Ethik nah Nietzſche'ſchem Vorbilde
alles letztere als ſchlecht verachten und
dasjenige als gut, als Tugend be—
zeichnen, ſchätzen, pflegen, was dazu
beiträgt, die Menſchheit geiſtig und
phyſiſch höher zu entwickeln. So wird
im Gegenſatz zu früher das Selbſt—
bewuſste, Sraftbewufste, Schaffens-
frohe, Energifche, Lebensüberfprus
delnde einen hohen ſittlichen Wert be-
fommen, SKampfluft, Schaffensluft,
Nofegger’s „Geimgarten", 10. Heft. XV.
Bor allen Dingen aber wird) Menfchen in ihrem Sinne fein.
Wenn dieſe Herren überfchnappen,
jo geben wir fie nicht in eine Heil—
anftalt für Geiftesfranfe, denn wozu
das gejellfchaftlihe Budget unnütz be—
ſchweren; fondern wir wollen fie lieber
gleich todtfchlagen. Auch die Feder—
fuchferei, die fie treiben, ift eine ein—
feitig geiftige, den Körper ſchwächende,
der „vollperfönlihen Höherentwides
lung” ſchädigende Thätigfeit, fie find
aljo unnüße Individuen, die bejeitigt
werden müſſen. Die Schonung folcher
Tagediebe, die Achtung fremder Ber:
fönlichkeiten, die Nächftenliebe hat un—
geheuer gejchadet. Der Nächſte iſt
vielmehr unſer gefährlichiter Feind,
denn er ist an unferer Tafel, an
unferem Zeller mit, trinft aus uns
jerem Becher, und das jchadet unferer
eigenen vollperfönlichen Höherentwicke—
lung.
Das bürgerliche Geſetz ift auch ein
verwerflicher Zopf. Es verlangt Rück—
ſichtnahme auf die Exiſtenz anderer.
Wir brauchen fein Geſetz, unfer Geſetz
ift die förperliche Kraft und die Klug—
heit. Der Starfe hat den Schwaden
zu tödten, der Schlaue den Einfältie
gen zu übervortHeilen, jo lautet das
48
754
neue Sittengeſetz; denn die Schwäche die alle ihre Brut Jahr für Jahr
und die Einfalt müſſen im Menſchen- erwürgt, wird als hehre Tugendheldin
geſchlechte ausgetilgt werden. in Marmor prangen.
Es iſt zwar ſchon einmal ſo ge— Aber miſsverſtehe ich nicht?
weſen unter den Menſchen, daſs die Spricht der moderne Heiland Curt
rohen Kräfte zartere Naturen ftraflos | Grottewig nicht von einem vollperför=
vernichtet haben, es iſt jeher lange lichen Wohle der Geſammt-Menſch-
Zeit fo gewefen. Wie kommt es aber| beit? Ganz richtig. Doch die Ge—
nur, daſs dieſe rohen Kräfte doch | ſammt-Menſchheit befteht im Sinne
nicht die herrfchenden geworden find, | des neuen Meifias firenge genommen
dafs die chriftliche Ethik der Nächſten- immer nur in dem vollperjönlichern
liebe fiegbaft wurde? Das wird freis | Individuum. Angenommen, e3 hätte
ih daher fommen, weil ſich mit der|der Stärfere immer den Schwäcderen
Brutalität nichts Gefellichaftliches | vernichtet, und es ftünden ſchließlich nur
Ichaffen ließ, weil die rohe, rückſichts- die zwei färkften, lebensfähigften Paare
loje Kraft trennte und zerrifs, die auf Erden da, jo wäre das die Ge—
Individuen ifolierte, während die! jammt-Menfchheit. Diefe zwei Theile
Nächftenliebe das Einigende, Concen- | der Menjchheit find aber nicht abjolut
trierende, alfo das Machtbildende iſt. gleich ftarf und lebensfähig, der eine
Oh, excusez! dafs ich mich von iſt der ftärfere, der andere der ſchwächere;
allen Vourtheilen wieder einen Mo=|e3 ift nun Gefahr vorhanden, daſs
ment hinreißen ließ! Here Gurt hat) der relativ jchwächere Theil ebenfalls
ja Schon alles fertig, die Nächitenliebe | eine ſolche Nachkommenſchaft erzeugt.
ift jene Erbjünde, an welcher bisher | Das mufs aber der ftärkere, der ganz
die Menjchheit jo ſchrecklich laboriert | vollperfönliche Menſch verhindern, den
bat. Herr Eurt hat fie abgethan im | anderen Theil alfo aus reiner Tugend
Namen Niebjiches, des meugermaniz | haftigleit vernichten,
ihen Heilandes. Ich ſehe die Zukunft | Der „neuen Ethik” handelt es ſich
im Glanze der neuen Ethik vor mir) wicht mehr darum, wie die Menjchen
liegen. Der baumftarte Lümmel wird und Völker auf Erden fich gegenfeitig
als wahrer fittliher Menſch den am beften vertragen, jondern darum,
ſchwächeren Wandergenoflen auf der daſs auf Koften aller anderen nur
Straße tödten und ausrauben; tödten, wenige Körper- und Geiftesreden
weil er damit die Menfchheit von | derrichen, ja dafs endlih nur mehr
einen läftigen Elemente befreit, aus= | einer als abjolute Vollperſönlichkeit
rauben, weil die Beute dem eigenen | eriftiert.
Vortheile, der vollperſönlichen Höher— Diefer eine, vollperfönliche Geiftes-
entwidelung des wahren Straßen !rede — Herr Curt Grottewoig
räubers dient. Umd die wahre fittliche wird es nicht fein. Ich glaube, der
Mutter wird den Säugling, der buch— | Schreiber des Aufſatzes: „Das Grund—
ftäblih an ihrem Blute jaugt und ideal der neuen Ethif* hätte jehr viel
ihrer bollperfönlichen Höherentwider | Urfahe, zu wünſchen, daſs Geduld
lung ſehr hinderlich iſt, mit friſchem und Nachſicht noch einige Zeit im
Muthe erwürgen, und eine Mutter, Courſe bleiben. M.
Gefelligkeit.
Belenntniffe aus meinem Weltleben von P. R. Roſegger.
ie meiften Denfer und Menſchen—
6 fenner ftimmen darin überein,
> dafs den Menjchen feine eigene
Geſellſchaft beſſer mache als fremde,
oder wenigſtens nicht ſchlechter. Im
Principe mag das angenommen wer—
den, wenn nicht etwa die vielen
Ausnahmen dagegen proteftieren. Es
kommt eben darauf an, ob einer
von Haus aus ein braver Kerl
it oder nicht. Ein Schledtling wird
in feiner eigenen Geſellſchaft nur
noch ſchlechter.
Der Trieb nah Geſellſchaft it
am meiften ausgebildet bei Durch—
ſchnittsmenſchen. Es gibt Leute, die
nicht einen Augenblick allein ſein
fönnen,
weilige Geſellſchaft ift ihmen lieber
als ihre eigene, und jedenfall hat
diefe, wenn auch unbewufste Gering—
ſchätzung des eigenen Gehaltes ihre
guten Gründe. E3 gibt Leute, denen
der Verftand till fteht, wenn fie allein
find, die nur mit dem Munde oder
ir
*
— — —— — — — — — —
jede noch jo ſchale, lang:
ohne Gejellichaft bald melancholiſch
werden, abmagern und zugrundegehen.
Berner gibt es Leute, die jo unglüd-
lihe Artung haben, daſs ihnen, wenn
fie allein find, lauter unangenehme
Saden einfallen; um den jchlimmen,
peinigenden Borftellungen zu ent:
fliehen, ſuchen fie Gefellichaft, und ift
ihnen die unbedeutendſte lieber, als
gar feine. Auch die heimlichen Qualen
eines böfen Gewiſſens find Hetzhunde,
die den Menfchen von einer gefelligen
Zerftreuung im die andere jagen, wo
die Armen wohl Betäubung finden,
aber nie Behaglichkeit und Erholung.
Solche Flüchtlinge vor fich felber
bevölfern zum großen Theil unfere
Unterhaltungszirkel, Vergnügungseta—
blifiements, Wirtshäufer, ſelbſt Con—
certe und Schauſpielhäuſer. Es dürfte
wohl wenige Theaterfreunde geben,
die, wie weiland König Yudwig, ganz
allein im Zuſchauerraum einem Stüde
beimohnen fönnten; die meilten gehen
nicht ins Theater, um Schaufpiele,
mit den Ohren denken, das heit, ſondern um Leute zu ſehen. Ja ſelbſt
nur ſprechend oder hörend eine gewiſſe
Gehirnthätigfeit entwideln. Solche
ſuchen Gejelligfeit, um fich im der—
jelben als feidlihe Vernunftwejen zu
fühlen. Es gibt Leute, welde einen
jolhen Überflujs von Weisheit in fich
fühlen, daſs fie damit haufierengehen
und jedermann davon mittheilen
wollen. Es gibt Leute, die ſich ganz
hohl vorlommen, wenn jie nicht alls
täglih eine ordentlihe Tracht von
Neuigkeiten und Tratfch in ſich aufs | dränge
in die Kirche gehen manche Leute
lieber, wenn fie voll von Menjchen
it; „eine Urjache, weshalb es leer
bleibt, wenn wenige Leute drinnen
jind“, wirde der Abelsberger Pro—
feſſor Jagen.
Am deutlichjten kann man die
Leuteluft auf öffentlihen Promenaden
beobachten. Wie leuchten die Gelichter !
Sehen und getehen zu werden! Wo
das Gewoge am lebhafteiten, das Ge-
am dichteiten ift, dorthin,
nehmen können. Sole brauchen Ge- dorthin! — a, der Menich fommt
ſellſchaft, ſuchen Gejelichaft, würden in Herden vor.
45*
756
Mo er aber einzeln auftritt, da
it es eine Abart.
Der tiefer angelegte Menſch Hat
Stunden der Einſamkeit und Stunden
der Geſelligkeit vonnöthen, und eritere
dringender, als lebtere.
Des Poeten Rath ift folgender:
Magft du willen, warn du follft gejellig
Und wann einſam jein?
Wilft du Freude, juhe Menſchen,
Willſt du Glüd, jo bleib’ mit dir allein.
Wiſſe, wann dein Werk am jchönften
Und am reinflen mag gedeihn:
An der Arbeit juhe Menſchen,
Doch im Schaffen bleib’ mit dir allein,
Wie's auch jeder hält nad feiner Weife,
Laſſe eins gejagt dir fein:
Wenn du haſſeſt, meide Menſchen,
Wenn du liebft, bleib' nicht mit dir allein.
Ausnahmsmenſchen pflegt man in
der Geſellſchaft Ausnahmsitellungen
einzuräumen. Allein, wie follen fie
dieje ausnützen? Gerade Geiſtesariſto—
fraten haben zu zeigen, daſs fie vor
anderen nichts voraushaben wollen,
dafs fie alles das gerne erfüllen, was
von jedem anderen beanfprucht wird.
Darım wird man bei hochgeitellten
Perjönlichleiten ftets finden, dafs fie
ſich in geſellſchaftlichem Verkehre ftreng
an die Norm halten, um ihre Achtung
vor den Mitmenſchen zu zeigen und
um nicht für hochmüthig angeſehen
zu werden. Ich kannte einen berühm—
ten Mann, der in Gefellfehaft ſtets
befangen war, weil er immer fürch—
tete, gegen die Form zu verſtoßen,
und der deshalb im Verkehr mit
Menschen ich überaus förmlich gab,
Ein folddes Benehmen verrät Men
Ihenadtung und iſt ein ſchöner Ge—
genfaß zu jenen „Genies“, die in
übermägigem Bewufstfein ihres Wer-
tes ihren Launen freien Lauf laſſen
und daher mehr intereffant als lies
benswiürdig fein mögen.
Es gibt für ſolches Sichgehenlafjen
wohl auch andere Gründe, als den
der Eingebildetheit; es kann aus
Naivetät, Bummelwigigfeit und Uns
überlegtheit geichehen, ja fogar aus
jeelifcher Verftimmung, wie noch ges
zeigt werden joll.
Wenn ein Menjch gefellig unter
Leuten fitt, jo gewinnen die Leute,
der Menſch aber verliert. Dieier,
wenn er mit fich ſtrenge ift, wird auf
der Heimkehr von einer Gejellihaft
jelten mit fich zufrieden fein, wird
fich immer etwas vorzuwerfen haben.
Entweder er hat anderen Unrecht ge=
than oder fich felber. In der Geſell—
ihaft darf keiner ganz wahr jeim,
weder gegen andere, noch gegen ſich.
Iſt er wahr, fo kommt er auf den
Grobian hinaus.
Was in diefem Punkte ich zu be»
fernen habe, iſt vecht ſchlimm. Bin
ih mit mir aflein, fo geht es leid-
lich; am beften ift jeder Menſch bei
der Arbeit, und bei folcher babe ich
da3 Bewußstſein volliter Redlichkeit.
Auch auf meinen einjamen Wander
rungen ertappe ich mich nur jelten
bei einem Schelmenftüde, obzwar
manchmal ein oder der andere loje
Gedante etwas zu wünſchen übrig
fäfst.
In Gefellfchaft wird das anders.
Bin ich mit derfelben nicht vertraut,
fo find es leere Worte, die ich höre
und ſpreche und die in mir Ode und
tödliche Langweile erzeugen. Um über
diefen Zuftand hinauszulommen, werde
ih freimüthig, gerathe raſch im eine
Vertrauensfeligkeit, die nachträglich
manchmal zu bereuen ift. Der Menſch
begeht ein großes Unrecht an ſich,
wenn er dem Erftbeiten offenen Ein»
blid in fein innerftes Wefen geftattet.
„Fremden ift der Eintritt verboten!“
Was müßt der vorfichtige Sprud,
wenn der Dausherr felbit alle Thüren
und Thore jperrangelweit aufmacht!
Bin ih nun einmal in der Ber
trauensjeligfeit befangen und pade ich
im warmen Redeflujs meine Seele
aus, fo liegt die Gefahr des Sich—
ſelbſtſchönmachens, des Selbitlobens
nabe. Zu derlei find die meilten
Menjchen aufgelegt und um folches
zu vermeiden, gerathe ich manchmal in
das Gegenteil, verfchweige die bei-
jeren Seiten, erzähle meine Schwächen,
1
Gebrehen, Fehler und Lafter, ftelle
mich jozufagen mutternadt, — und
ich bin auch feelifch fein Adonis, —
vor den erftaunten Zuhörer hin. Diefer
addiert noch hübſch fein Theil dazıı,
weil er fih denkt: Wenn er ſchon fo
viel gefteht, wie viel wird er erſt ver-
Schweigen!
Allerdings ift in uns da3 Bes
dürfnis vorhanden, innere Schäden,
Gewiſſensanliegen einem Mitmenjchen
zu offenbaren; auf diefem Zuge un:
jeres Weſens beruht die Obrenbeichte, :
die eine weit größere Bedeutung hat,
als der meltlihe Sinn eingeftehen
will. Ich fagte es jhon einmal: Wer
die Ohrenbeichte aufgebracht hat, der
war ein großer Menfchenkenner und
ein großer Menfchenfreund. Mancher
armer Sünder, der nicht zugrunde
gegangen an der Sünde, geht zugrunde
an dem Geheimniſſe. Freilich thut im
diefem Sinne ein treuer Freund deu—
jelben Dienst al3 der Priefter. Was follen
aber die taufende von Armen und
Niedrigen anfangen, die feinen Freund
haben! Für ſolche fit ein Menfch
im Beichtftuhle, der fein Ohr willig.
und theilnehmend dem Bedrängten
feiht, der ihn tröftet, beruhigt, ihm
Rathichläge weist und der auf das
ftrengfte verpflichtet ijt, das ihm Anz |
vertraute al3 fein tiefftes Geheimnis
zu wahren. Die Firchlich geheiligte
Seite diefer Anſtalt laſſe ich unbe—
rührt, in unſerem Falle handelt es
fih nur um die rein menfchliche, die
nebenbei hier Erwähnung finden
mufste.
Uber es ift ein Unterjchied, ob
man Sich einem Eeelenfreunde mit-
theilt, oder einem Fremdlinge; eriteres
ift ein Recht, das man üben, lebteres
ein Unrecht, das man an ich felbit
begehen kann. Es gibt Geheimniffe,
die man nicht einem einzelnen anders
trauen ſoll, wohl aber taufenden auf
einmal. Leßteres thue ich joeben, ine
dem Ih mich anklage, manchmal
erfteres zu thun.
Außer ſolchem Unrechte an mir‘
57
begehe ich in Geſellſchaft auch noch
recht häufig Unrecht an anderen. Ich
ergreife im geſelligen Geſpräche gerne
die Gegnerſchaft, vertheidige die von
mir aufgeſtellte Behauptung manchmal
‚mit einer Härte und Nüdjichtslofig-
‚feit, die zu dem Gegenſtande oft in
‚gar feinem Berhältnifle ſteht und
empfindſame Gemüther leicht verleht.
| Allerdings geſchieht Diejer heftige
Widerpart fait allemal nur, um ein
Geſpräch zu beleben und einem Ge—
Iprächsgegenftande verfchiedene an—
\regende Seiten abzugewinnen. Meine
Freunde willen das auch, halten im
Hisigen MWortgefechte tapfer fand
und wir befinden uns bei jold
‚tapferer Spiegelfechterei ganz wohl.
Und Fremde, die mic) Fechten Hören,
werden ſich höchitens darüber wun—
dern, daſs es noch Leute gibt, die
ſich über rein theoretische Fragen und
'idenle Dinge jo glühend ereifern kön—
nen, wie etwa der Kaufmann über
ein Zollgeſetz oder die „gnädige Frau“
über ein ſtörriſches Stubenmädchen.
Und fo wie ich rüdjichtslos bin
gegen Anweſende, jo kann man leicht
rückſichtslos werden gegen Abweſende.
Das Durchhecheln Abweſender, das
Ehrabzwiden, wo der Gezwidte ſich
gar nicht rechtfertigen kann, weil es
ja meuchlings geichieht, das Berleums
den im den befannten feigen Formen
it wohl eine Sade, die einem auch
nur halbwegs anftändigen Menjchen
vollkommen ferne liegt. Doc was
man ſchon jelbft nicht thut, das läjst
jman in der Geſellſchaft von anderen
geichehen, fährt leider vielleicht gerade
hier nicht mit dem richtigen Donner—
wetter drein und macht fich jo mit»
Ihuldig an einem der abjcheulichiten
geſellſchaftlichen Laſter.
Wenn ich mich ernſtlich frage:
Ja, wann gibſt du dich eigentlich in
Geſellſchaft ganz ſo, wie du biſt?
Wann zeigſt du dich ohne UÜber—
ſchwänglichkeit, ruhig, heiter, ver—
ſtändnisinnig, duldſam, wohlwollend
empfänglich für die Eigenart fremder
Perſonen? Wann bilt du das? —
Und die erfahrungsgemäße Antwort |
lautet :
ebenfo entgegenfommt, wenn er ohne
Ziererei und Spipfindigfeit ift, natür—
lich und ſchlicht. — Eine ſolche Ge—
ſellſchaft thut wohl bis ins Herz
hinein. Aber ſie iſt ſelten zu finden.
So äußerſt wenig Menſchen gibt es,
die gegenſeitig aneinander den rich—
tigen Kern ergründen und ihn frucht—
bar aufgehen machen können.
Das Schlimmſte, wohin ich in
ungezwungener Geſellſchaft bisweilen
gerathe, habe ich noch gar nicht ein—
bekannt. Die Spottſucht! Denn ärger
als Widerſpruch iſt das Beiſtimmen
mit verzogenen Mundwinkeln, das
Beiſtimmen unter allen Umſtänden, faſsten Vorſatz,
das tendenziöſe Verneinen ſeiner ſelbſt,
das ironiſche Bejahen des anderen.
Danı geht's weiter; bevor ich mir's
jelbjt gejtehe, bin ich Mephifto der
Hinkende, ſachte, ganz ſachte fange ich
an, das Gemeine zu entjchuldigen,
dad Niedrige zu beichönigen, das
Lafter zu preifen. Sch nenne den
Erzgauner einen gejcheiten Mann,
den Straßenränber einen Helden, den
Strebling einen hochfliegenden Geiſt.
Ich verhöhne die redliche Beſcheiden—
heit als Heuchelei, die Tüchtigkeit als
Ehrjucht, heiße dumm die Ehrlichkeit,
wader den Eigennutz, chriftlich des
müthig die Striecherei, weltklug die
Falſchheit, reinmenfchlich die Unzucht,
edle Sparſamkeit den Geiz, Mannes»
muth die Gewaltthat, nationale Tu:
gend den Raſſenhaſs. — Die Zus
börer, welche ſolchen Hang zum Sar—
kasmus mifsverfichen, ſtutzen anfaugs,
horchen immer mehr auf,
endlich an mir den verlorenen Men—
ichen oder freuen ſich heimlich, dafs
der ſonſt läflige Moralprediger jo
grumdichlecht geworden ift. — Und in
jolhen Stunden fühle ich mich wirk—
lih gottverlaſſen, das
Verzagtheit und Bein über jo Vieles
bedauern |
Herz voller,
‚gute und gedeihliche Gejellichaft fein.
En in der Welt vor fih geht. In Der
Geſellſchaft fog ich tropfenweije das
dann, wenn der Genoſſe mir! Gift in mich, um es alfo in ruchlofer
Verzweiflung erbarmungslos gegen
andere wieder von mir zu ftopen.
Unter Umftänden ift die Satire
gewiß eine gute Sade, allein fie ver—
jengt die Herzlichkeit und ift in Ge—
jellfichaft, wo das Gemüthlide vor—
bereichen fol, nicht immer gut ange»
bradt.
In welder Gemüthsverfaflung
man ſchließlich von folder ſeelen—
äßender Gejelligleit nachhauſe gebt,
das läſst jich denfen. Beltändig mahnt
das Gewiſſen: das war eine abſcheu—
lide Stunde, du Haft nichts Gutes
geftiftet. Deinen in Einſamkeit ge=
im Umgange mit
Menſchen milde, treu, liebreih zu
jein, Haft du Schlecht gehalten. Zur
Strafe dafür verbanne did nun für
lange Wochen in die Einjamteit und
|terne in den Fährlichkeiten wilder
Elemente die Menjchen beiter achten !
An Särgen lerne die Reue, an Grä—
bern gedente der Frivolität, in der
die mit ihnen umgiengelt, da fie noch
Menſchen waren, irrend, leidend, das
Rechte erjehnend wie du!
Ja, erft in der Einfamteit kom—
men ſolche Gedanken, in der Gejellig«
keit fommen fie nie. Aber was ilt das
für eine Menfchenliebe, die nur dann
ſich meldet, wenn man von Menjchen
fern ift! Die Urſache, daſs es jo
fteht, liegt nicht allein an den an—
deren, ſondern auh an dir, mein
gutes ego, das merte dir muır. Im
Umgange mit dir allein ift es leicht,
Net zu üben, denn Unrecht läfst
du dir eben auch von dir felbit micht
gefallen. Unrecht erfährft und thuſt
dur im Verkehr mit Menjchen. Weißt
du das einmal, jo meide fie nach
Möglichkeit, Liebe fie im Gedenken,
thue ihnen gutes in der ferne, und ſie
werben im Erinnern deiner Seele eine
|
——
Zwei Bilder aus Südamerika.
ei in öfterreichifcher Officier, Ober-
a lieutenant Wilhelm Kreuth
xy aus Graz, hat vor zwei Jahren
eine Reife nah den La Plata-Staaten
gemadt und über diefe Reife und
Erfahrungen eine Hoch intereifante
Schrift herausgegeben: „Aus den
La Plata-Staaten”. (Wien. U. Hart:
leben. 1891.) Wer fih für Land
und Leute ferner Welttheile interefliert,
der leſe diefes Buch, das gut ges
jchrieben, mit mehreren Bildern und
einer Karte verjehen if. Zwei dem
Heimgarten zwar fremdartige Skizzen
druden wir zur Probe heraus, die eine
aus dem Cultur-, die andere aus dem
Naturleben jenes Landes, welches wohl
die wenigiten unferer Leſer perfönlich
betreten, die meijten nur duch Wort
und Schrift kennen lernen müſſen.
Ber Zaladero in Sta. Elena.
Intereffant ift der Befuch der Eta-
bliffements von Sta. Elena. Der
beiuchende Fremde wird von ber
Fabriksdirection Höflih empfangen,
höchſt gaftfreundlich bewirtet und es
wird ihm ohne weiteres geftattet, die
Fabriksräume, fowie die verichiedenen
Betriebsmanipulationen in Augen—
Schein zu nehmen,
Man könnte das Etabliſſement
mit einer Riefenküche vergleichen, denn
das ganze Thal duftet nach Fräftiger
Bonillon. Draußen auf den weiten
MWeidegründen, fie umfaflen über 22
Quadratleguas (1 Legua circa 1,
geographiiche Meilen), tummelt jich
das
man dor der Schladhtung noch fett
„Rohmaterial“, d. h. 40.000)
bis 50.000 Stüd Rindvieh, welches |
werden läjst. Aus Hunderten von Leguas
Entfernung werden nämlich die Thiere
in Tropas (Herden) in der Stärke
von 300 bis 500 Stüd von den
verwegenen Zroperos über Land ge=
trieben ; natürlich langen die Rinder
in ziemlich herabgelommenem Zuftande
in Sta. Elena an, jo dafs es noth—
wendig ift, fie vor der Schlachtung
noch wochen-, ja oft monatelang auf
den üppigen Wieſen des Saladeros
wieder in einen beſſeren Nährzuftand
fommen zu laſſen. Der jährliche Be—
darf beträgt 60.000 bis 80.000
Stüd Rindvieh, welches man an Ort
und Stelle zu Fleiſchextract und
Tleifchpepton verarbeitet; man vers
fertigt Pölele und Conſervenfleiſch,
Zungenconjerden, Fleiſchmehl (als
Dünger), Knochenaſche, Rindsfett und
Klauenöl; man verichifft Häute und
Hörner,
Diefes, don einem unternehmens
den Arzt aus Montevideo, Here Dr.
Kemmerich, gegründete Etabliijement
ift ein wahrer Segen für die ganze
Umgebung; den Viehzüchtern aus ganz
Entre Rios und Sta. Fe bietet es ein
permanentes, ficheres Abſatzgebiet, es
jteigert den Wert des Grumdbefiges in
weiter Runde und Schafft für taufend
Hände lohnende Arbeit. Eine Kleine
Republit in der Republik — jedoch
mit ftrammerer Disciplin und vor—
fichtigerweife unter deutſcher Flagge
ftehend — iſt e& unberührt von den
blutigen Reibungen, die das Yand jo
oft durchwühlen, ein ficherer Hort für
die bier waltende rege und redliche
Thätigfeit, im Gegenſatze zu anderen
in Sübdamerifa bejonders blühenden
Ihwindelhaften Überſpeculationen. Der
Vorgang bei der Schlahtung und
Verarbeitung des Rindes ift furz ges
ſchildert folgender:
Da3 Quantum an Schlachtvieh
für die drei nächſten Tage ift in drei
große Umzännungen (orale) getrie=
ben. Der legte Coral mündet direct
in die Schlahthalle mit einer Heineren
ffnung, über welche die etwas er-
höhte Schlahtbrüde angebracht if.
Zur Schlahtung werden nun die ein-
zelnen Thiere aus der Herde mit
einem Geile lafjiert, das Seilende
mit der größten Schnelligkeit an ein
Pferdepaar befeftigt, welches das ge—
teffelte Rind zur Schlahtbrüde
ſchleift. Dort werden die Thiere, ehe
fie fich’3 verfehen, von einem Manne
mittelft eines Dolchſtoßes in den
Naden fofort niedergeftredt. Man wäre
geneigt, die Nerven diefes blutdürftis
gen Matadors zu bewundern, wenn
man bedenkt, daf3 derjelbe zumeilen
an 600 Thiere per Tag tödtet. Da—
bei raucht er ruhig feine ſchlechte Ci—
garre und freut fi, da er per Stüd-
anzahl bezahlt bekommt, über fein
gutes Gefchäft.
Und weiter; der eben gefallene
Ochſe kommt auf einen Heinen Wag—
gon, welcher nun Hurtig mit feiner
Laſt auf Schienen bis zu den Tiſchen
rollt, wojelbft die Enthäutung und
Zerlegung vorgenommen wird.
Noch mehr ftaunt man über dieſe
Manipulation, Mit weldher Schnellig-
feit, welcher Geſchicklichkeit iſt das
Thier enthäutet, zerlegt, die ſchönen,
großen Musfelpartien und die ſchlech—
teren Fleiſchtheile geſondert! Der Ochſe
wird auf dieſe Weiſe von manchen
Leuten in 10 Minnten verarbeitet und
manche bringen es bis zu 40 Stück
pro Tag und darüber. Junge, hoff—
nungsvolle Argentiner bearbeiten mit
ihren haarſcharfen Meſſern die großen
Knochen, um auch die letzten Reſte
der fleiſchigen Beſtandtheile abzulöſen.
Man nennt ſie ſcherzweiſe die Caran—
chos (Geier), und in der That könn—
ten ſie trefflich mit ihren Namens—
— — — — — — — — —— — — — — — — — —— —— ——— nn m —— — —
vetiern draußen im Campe concur—
tieren.
Das ſchönſte Musfelfleifh wan—
dert nun ebenfalls per Eifenbahn in
die großen Keſſel, wo es bei hoher
Temperatur tühtig ausgekocht wird.
Dan leitet jodann die Brühe in breite
flache Pfannen und bei Anwendung
größerer Hitze wird diejelbe noch dick—
flüfjiger. Diefes befannte Verfahren
wird in verfchiedenen Keſſeln und Be—
hältern jo lange fortgejeßt, bis der
in Europa fo beliebte, vortreffliche
Tleifchertract herborgeht.
Die übrigen Beltandtheile des
Nindes erden wieder in anderen
Hallen verarbeitet und daraus die ſchon
früher erwähnten Producte erzeugt.
Will man einen noch vollftändi-
geren liberblid auf diefes Bild ſpeci—
fiſch ſüdamerikaniſchen Induſtrielebens
haben, fo verlaſſe man jetzt die höchſt
peinlih rein gehaltene Rieſenküche
und werfe einen Blid in das Arbeiter-
dorf. Dort find an 1500 Leute unter-
gebracht! fie beſitzen ihre Schule, ihr
Wirtshaus und ide Cafe; man hält
ihnen einen Doctor und eine Apothefe.
Ferner find bier etabliert: ein Poli—
zeipoften, ein Poſt- und Zelegraphen=
amt und eine Zollftation,
Für die ledigen Burfchen beſtehen
größere Fafernartige Banlichkeiten,
während den Yyamilienvätern ganz
nette Häuschen mit Gärten zugewiefen
werden. Eine Ausnahmsftellung ift
den einheimischen Viehhütern einge—
räumt, die bauen ſich ihre Luftigen
Ranchos nah Geſchmack und Bedürf-
nis. Der liederlihe Gaucho hält wenig
auf Bequemlichkeit, gar micht jelten
aber trifft man in feinen elenden
Wohnräumen Lurusgegenftände, die
er Gott weiß woher erhalten haben
dürfte: Nähmaschinen, Yarbendrude,
ja ih ſah auch einmal ein Glavier.
Es fei mir bier geftattet, ganz
frz eine Heine Epifode zu berichten,
welche die Gejchidlichleit der Gauchos
in ihrem Metier, im Reiten und
Viehſchlachten, charakterifiert:
761
Als ih einſt an Bord eines La
PlataeDampfers reiste, lief der Dam—
pfer, da der Waſſerſtand jehr gefunten
war, an eine Sandbanf auf. Durch
diejen unfreiwilligen Aufenthalt gieng
der Frleifchvorrath der Vorrathskammer
zur Neige, jo dafs der Gapitän ein
Boot mit dem Auftrage ausjegte, eine
in der Nähe gelegene Eftanzia aufs
zujuchen und dort einen Ochſen an
zufaufen. Ich ſchloſs mich der Expedi—
tion an, obgleich ſich das Wetter recht
ſchlecht anließ und die Bergfahrt viele
Stunden beanfpruchte. Es war finftere
Nacht, ehe wir das Ziel erreichten.
Der Eftanziero gab fofort zwei be—
rittenen Leuten den Befehl, einen
fetten Novillo einzubringen, troßdem
natürlich niemand ahnte, an welcher
Stelle fih die große, in voller Frei—
heit lebende Herde zeritreut Hatte
über daS weite Terrain, welches über-
dies mit dichten Maldparcellen, Grä—
ben und Siümpfen bededt war; zus
dem gab es eine finftere Naht. Es
vergieng feine Stunde, jo trieben die
beiden ſchon einen gemäfteten Jung—
ochjen herbei; bei Fackelſchein war er
in faum 15 Minuten zerlegt und
ind Boot gebracht, jo daſs wir jehr
bald die Rüdfahrt zu unferem feſt—
gejefienen Dampfer zur allgemeinen
Zufriedenheit antreten konnten.
Nach diejer Heinen Abichweifung
beichließe ich die Betrachtungen über
Sta. Elena: Die Wohnungen der
zumeift deutfchen Beamten befinden
ih auf den umliegenden Höhen und
find ſehr bequem eingerichtet. Den
ganzen Thalkeſſel dominierend, erhebt
ih das ftattliche Gebäude des Chefs
eines
der Gtablifjements3 inmitten
üppig grünenden Gartens,
Drunten am Fluffe, unter einem
riefigen Tonnengewölbe, lagern die
fertigen Waren, zur Verſchiffung be-
reit; an der langen Landungsbrüde
aber anfern die großen Seeſchiffe,
welche die Producte diefer füdameri-
kaniſchen Induſtrie nach allen Gegen
den der Windroje verfradten.
Eine Tigerjagd.
Droben auf der Hohen, fteil ab-
fallenden Barranca ſammelte fih am
frühelten Morgen eine bunt zuſam—
mengeitellte Geſellſchaft.
Mir ftanden im Garten des deut«
jhen Conſuls. Der Garten grünte
und biühte und ein ſüßer Duft ums
gab uns; Kinder der heimatlichen
Ylora gediehen rings umher, dazwi—
chen fremdartige Gewächſe, neben den
goldenen Orangen prangten unſere
enropäifchen Obſtbäume fruchtbeladen,
und am Eingange des mit Jchmwerer
Mühe gefchaffenen Gartens ftand eine
doppelte Reihe ernfter Cypreſſen. Dieje
Schöne Begetation fiel umſomehr auf,
al3 die Umgebung von Sta. Elena,
jowie der übrige Camp von Entre
Rios in diefer Hinſicht wenig das
Auge Ergögende darbot. Doch ent=
behrten hier die niederen, vielförmigen
Hügel mit dem im Frühjahre jo fri-
‚Shen Grün, den verfchiedenen Baum-
gruppen und Gefträuchen, einer ges
willen Lieblichleit nicht.
Grogartig war der Ausblid von
jener hohen Uferbildung auf den
‚mächtigen Paranä. Unbegrenzt er-
ſchien im leichten Morgennebel fein
Horizont. Und in der That ift der
| Strom, welcher hier ein Labyrinth
‚don Inſeln bildet, wo Jagdluſtige
eine reihe Beute Enten und anderer
| Wajlerthiere erhoffen können — an
7 Kilometer breit. Doch nur der er—
fahrene Schiffer kann es wagen, dieſes
ſchier unentwirrbare Labyrinth von
Inſeln, todten Armen, Sümpfen und
Moräſten paſſieren zu wollen, und
ſelbſt dieſer kann oft tagelang unter—
wegs bleiben.
Im vortrefflichen Hafen von Sta.
‚Elena ankerten große Seeſchiffe; an—
‚dere ſegelten — die Segel waren von
‚einer fait permanenten Briſe geichwellt
— ftromauf und -ab. Wir richteten
jetzt unfere Aufmerkſamkeit auf das
‚unten veranferte amerifanifche ſtriegs—
ſchiff „Tallapoſa“, an deilen Bord
e3 Schon lebhaft zugieng, wo eben der
Sternenbanner unter Spiel und Com—
mandos gehijst wurde, Sekt gieng
ein Boot an Land. Endlich erichien
der von uns noch Erwartete, der
Commandant des Kriegsſchiffes. Die
Sagdgefellichaft war nun vollzählig.
Ein arger Störenfried hatte im
jüngfter Zeit wieder unter der großen
Viehherde des Saladeros von Sta.
Elena übel gehaust. Es vergieng fein
Tag, ohne daſs ein Wiehhirt die
Meldung überbracht hätte: „El tigre
habe wieder einen fetten Novillo
(Jungochſen) oder eine Mutterftute
zerriſſen.“
Selten zeigt ſich der nomadiſie—
rende, unheimliche Gaſt in dieſen
Gegenden Südamerikas; das nördliche
Corrientes, ſowie Paraguay und Bra—
ſilien ſind die eigentliche Heimat des
auch Menſchen höchſt gefährlichen Ja—
guars (Unze) oder amerikaniſchen
Tigers.
Die Gelegenheit, welche ſich uns
heute bot, des die Umgebung Sta.
Elenas unficher machenden Raubthieres
habhaft zu werden, war gerade ſehr
günftig, denn ein nordamerifaniicher
Kriegsdampfer, die „Zallapofa“,
welche in den Gewällern des Paranäs
freuzte, anferte den Vortag im Hafen
von Sta. Elena und die Seeovfficiere,
unfere Gäfte, muthige, gewandte
Schüßen, brannten ſchon lange vor
762
Diefe jumpfige, mit hohem Schilfe
und Bampasgräjern bedeckte Niede—
rung hatte der Räuber offenbar als
fichere Balis jeiner Raubzüge in das
mit prächtigen Rindern und Pferden
wohlbevölferte Hügelland gewählt.
Seit einigen Tagen konnte man es
beobadhten, wie er mit dem erften
Morgengrauen von dort gegen Norden
Ihlih, um fih an den beiten Stüden
irgend eines fetten Thieres, welches
er zerriſs, zu fättigen. Wenn wir alfo
in einer langen Stette von Norden
ber, gegen die Sich zu einer ganz
ſchmalen Spitze verjüngende, zwiichen
den beiden Stromläufen gelegene Land—
junge vorrüdten, jo war es faft be—
ſtimmt anzunehmen, den auf Raub
ausgehenden Tiger zu erlegen oder
zum mindeiten auf Nimmertwiederjehen
über den Strom zu jagen. So ge—
Ihah es. Wir waren an 50 Schügen.
Die äußerſten Weiter folgten den
beiden Fluſsläufen. Wir hielten einen
gegenjeitigen Abftand von circa 50
bis 100 Schritten, die Hunde bou=
hierten alsbald die Spur witternd
voraus.
Anfangs konnte man in dem
wechjelnden Zerrain feine Nachbarn
nicht wahrnehmen. Die niederen Hügel
ſchnitten fich im jehr fteilen Schluch—
ten, wo die Vegetation, die ſehr friſch
und üppig war, die Überfiht außer—
ordentlih erſchwerte. Noch ftöberten
Begierde, einen Tiger zu Schießen, | wir die zahlreichen Rinder und Pferde
Für heute früh 3 Uhr Hatten wir/auf, die, im weichen Grafe gebeitet,
mit ihnen ein Rendezevous im Gars | hinter dichten Büſchen im Morgen—
ten des deutschen Gonfuls verabredet.
Außerdem Hatten ſich einige Beamte
des Stabliljements, benachbarte Eftan-
zieros, ſowie eine Anzahl Gauchos,
mit den Hunden und ſonſtigem Be—
darfe verjehen, eingefunden.
Man gab den SOperationsplan
aus: Nah den erhaltenen Meldungen
waren die frifchen Tigeripuren in den
legten Tagen auf jener Landſpitze ges
fehen worden, welche gebildet wurde
duch den in einem ſehr ſpitzen Wintel
in den Parana mündenden Feliciano.
Ihlummer lagen; wir ftörten die
Rebhühner, die fih in großer Anzabl,
jedoh immer nur einzeln oder höch—
tens paarweije bei unferem Nähere
fonımen mit ihren eigenthümlichen
Rufe erhoben; krächzend flogen Die
Geier von den blätterarmen Geäft,
‚welches ihnen Schuß für ihre kurze
Nachtruhe geboten; an jandigen, gras=
fofen Stellen gewahrte man deutlich
die frifhen Spuren, welde auf Raub
ausgehende Frühaufſteher gezeichnet
hatten; man jah in lang gemundenen
|
Furchen die Spuren der Schlangen
und die Yußtapfen der Zatus oder
Giürtelthiere, die hurtig von ihrem ellen
Schmanje *) der fiheren Höhle zu—
eilten, Trifft man das Gürtelthier
bei Tags außerhalb feiner Behaufung,
jo ift es ſehr ſtumpfſinnig und leicht
zu erlegen. Das Fleiſch der Tatus
ſchmeckt jehr zart, doch muſs man es
gut würzen umd werden die Gürtel:
tiere hierzulande im ganzen gebraten
und ebenfo auf den Tiſch gebracht. —
Häufig fließen wir auf Reſte gefallener
Thiere, Knochen und gebleichte Schädel.
Hin und wieder zeigte fih uns ein
Rind im friiher Todesftarre oder ein
Pferd, durch Genuss giftiger Pflanzen
verendet, mit geborftenem Leibe. Der
Himmel war noch grau. Ein Wind
ftrih fühl von Süden.
Später wurde das Terrain eben,
überfichtlih, der Boden wei, mit
Sumpfgrad3 und hohem Schilfrohre
bededt, während Bäume feltener, je=
doch nur in ganz großen Eremplaren
vorlamen, Meine Nachbarn zu beiden
Seiten wurden ſichtbar. Man hörte
abjolut nichts. Die Natur ſchien wie
ausgeftorben. So gieng es nod eine
Meile vorwärts. Da wurde uns das
Jagdglüd günftig. Man gewahrte eine
Bewegung der ganzen Seite nad
lints, die Hunde ſchlugen ſämmtlich
wüthend au, und ein langgezogenes,
fürchterliches Brüllen verrieth die An—
weſenheit des Tigers,
Es läſst ſich denken, daſs jeder
von uns ſeinem Gaule die Sporen
gab, um der erſte zur Stelle zu ſein.
Als wir den Schauplatz erreichten,
hatten die zahlreihen Hunde den
Tiger, ein großes männliches Thier,
geftellt; derjelbe war auf den niederen
Aſt eines Baumes geiprungen und
brüllte und pfauchte in wilder Wuth
und ſchien nur unſchlüſſig, gegen
welchen jeiner vielen Feinde er ſich
7 Ddie Tatus nähren ſich hauptiächlich
von Cadavern.
zunächſt wenden jollte. Der erite
Schüte zur Stelle war ein alter
Peon, welder Hurtig vom Pferde
ftieg, Furchtlos ji dem Naubthiere
auf circa zehn Schritte näherte und
demjelben, ehe es noch zum Sprunge
ausholte, mit Starker Pulverladung
jeine drei Kugeln aus glattem Laufe
in den Kopf jagte. Der Tiger fiel
Schwer zur Erde, Wie rajend ftürzten
jih die Hunde auf ihn, welcher noch
im Zodesfampfe mehrere jeiner Feinde
ſchwer verlegte. Um das jchöne Fell
des Tigers zu reiten, waren Gauchos
bemüht, Durch Fleiſchbrocken die
wüthende Meute abzuloden. Mit nur
mäßig zerzaustem Felle lag das präch—
tige Thier nunmehr todt in feinem
Blute.
Es herrſchte über den überrajchend
guten und fchnellen Ausgang der
Jagd allgemeiner Frohſinn in der
Geſellſchaft, die ſich allmählich zu—
ſammengefunden hatte. Freilich be—
dauerten wir, nicht ſelbſt zum Schuſſe
gekommen zu ſein, indes wurde der
glückliche Schütze von allen Seiten
beglückwünſcht. Derſelbe machte ſich
hurtig an die ihm ſo geläufige Arbeit
des Enthäutens. Die Unze hatte die
beträchtliche Yänge von zwei und die
Höhe von fat einem Meter. Das ſammt—
artige Fell war roſtgelb, am Bauche
weiß und an den Seiten mit jechs
Längsreihen großer, ſchwärzlicher
Ringfleden mit einem Mittelfled ge:
zeichnet; dasjelbe erwarben wir als
Geſchenk für Mr. D., den liebens—
würdigen Commandanten des Kriegs—
ſchiffes. Jeder von uns brach ſich mit
vieler Mühe als Andenken an diele
feltene Jagdbeute einen der mächtigen
Zähne aus dem furchtbaren Gebifie
oder eine der haarſcharfen Krallen.
Die allgemeine Heiterkeit hielt
auch während des Rückmarſches an
und erreichte jpäter bei einem opulen—
ten Frühſtück an Bord der „Zallapofa“
‚ihren Höhepuntt,
7
64
Die goldene Zlöte.
8 L.
* ie Schäflein graſen bergauf, bergab
e Im lahenden Sonnenſcheine:
/ Um Waldesrand liegt der Hirten:
@ Inab,
Seine Augen ſchweifen ins Thal hinab,
Dort wohnt die Traute, die Reine.
„Du liebes Kind, du holde Maid,
Mir will mein Herzlein zeripringen!
Nicht kann ich mehr Schweigen vom fühen
Leid,
Von der Liebe, der Liebe, dir geweiht —
Ich mujs es dir fagen und fingen!
„DO hör' mich, hör’ mich und ſprich zu mir:
Mein guter, mein herzlieber Ainabe!
Und ſchläf're in Schlummer die milde
Begier,
Denn die Liebe, die Liebe verzehrt mich
ſchier,
Die ſtumm in mir ich begrabe!“
Da, wie er noch ſingt, lommt die Schäferin
Gar hold in der Wieſe gegangen:
„Was klingt für ein Lied durch die Auen
hin?
Von der Liebe klagſt du mit grämendem
Sinn
Und mit gebleichten Wangen?
So mufs ja die Liebe was Trauriges fein!
Ich kann die Lieb' nicht begreifen —
Drum ſingſt du wohl beſſer vom Sonnen⸗
ſchein
Und von Blumen und Lenz, wie die Vö—
gelein,
Die munter die Lüfte durchſtreifen!“ —
Die Schäferin ſpricht's und lächelt ſo traut:
Ihm iſt's in die Seele gedrungen —
Er ſagt ihr nichts; nur ſein Herz pocht
laut,
Und ein helles Thränlein vom Auge thaut,
Tas trinlen die Blumen, die jungen.
II.
Wie tönt von lindem Flötenſpiel
So wei, jo voll die Nadt?
Das iſt ein Herz, das brechen mill,
Das Hagt mit folder Mad.
Mas jchmweigt die kleine Nachtigall,
Des Mondes liebe Braut?
Sie laufcht, denn fie verfteht den Schall,
Der Wehmuth Schmerzenslaut.
Am See, dort figt der Hirtenfnab
Und fpielt auf gold’'nem Rohr!
Und klingt's zur grünen Flut hinab,
Danır taucht die Well’ empor. —
Sie plätfchert Teifen Gegengruß:
„Berzag', verzage nit;
Bald waſchen wir mit ſanftem Guſs
Dein weinend Ungeficht!*
Und lauter, höher rauſcht und quillt
Heran der dunfle See —
Ihm iſt's, als wär’ fein Bram geftillt,
Als taucht' hinab fein Weh.
Da Ichwebt der Nir zum feuchten Bort,
Schliekt ihn ans Lühle Gerz,
Küjst ihm den leiten Seufzer fort
Und zieht ihn niederwärts,
II.
Der Tag hat ſtumm fih aufgefhwungen
Und ſucht mit rofenrothem Licht
Den Hirten, der ihm fonft gelungen
Scin Morgenlied — doch heute nicht.
Der Sonnenftrahl, der firedt die Leuchte
Vergebens in den grünen Ficht;
Dort wiegte fonft das Moos, das feuchte,
Den jungen Anaben — heute nicht.
Und wie der Sterne gold'ner Reigen
Sih um die Stirm des Himmels flicht,
Die MWipfel fih im Nahtwind neigen
Und finden ihren Schäfer nicht. —
Da ihlendert müd’ den Wald hinunter
Das wunderihönjte Mägdelein:
„Ah Gott! Was fann ich denn nicht munter,
Nicht lindiſch mehr und fröhlich jein ?*
„Seit feine Lieder nicht mehr fchallen,
It mir jo bang, wohin ich geh’:
Da führt das Mägpdlein fie zum Mund.
Und wie als ob aus Herzensgrund
Ein Strom zerriſs'ner Wehmuth quol,
Klingt auf ein Lied jo zaubervoll,
So wund und weh und jchmerzberaujct,
Dais jedes Blatt vom Baume lauft,
Und ſchweigt die Heine Nachtigall,
Weil fie verftieht den linden Schall.
Doh auch das Mägdlein immer mehr
O ſprich, mein Herz, was dich befallen? | Verfteht der Klänge Wiederkehr:
Mein Herz, was thut dir denn jo weh?“ Iſt's nicht des Schäferfnaben Lied,
IV.
Am See, am waldumfränzten See,
Dort grast im Sternenfchein das Reh,
Dort küljst die Flut zu ftiller Ruh’
Den Blumen leis die Augen zu.
Um Eee, am waldumfränzten See,
Gleich einer lichten Bergesfee,
Das Mäögdlein niet und ftredt die Hand
Hernieder nad des Ufers Rand.
Da liegt ein gold'nes FFlötenfpiel,
Dran glitern Waflerperlen viel,
Wie Thränen, die ein Aug’ geweint,
Mit herzenstrantem Lied vereint.
Doch horh nur! horch! Iſt's Traum? iſt's
Wahn?
Die Flöte fängt zu ſprechen an:
„Lieb’ Mägdlein! O verſuch's mit mir!
Bar jühe Lieder fing’ ic dir!“
Das jet von ihren Lippen zieht?
Und wie fie’3 fühlt, da zwingt fie nit
Die Thräne, die vom Auge bricht:
„Ach, wärft du mein! Ad, wär’ ih dein!
Nun fterb’ ich wohl aus Liebespein!“
Und mie fies ruft, da braust zur Höh'
Bon jähem Sturm bewegt der See,
Und aus den Wellen, mondumblintt,
Taucht auf ein Haupt, das nidt und winkt.
Gin bleihes Haupt — und doc fo traut!
Kennft du den Liebſten, holde Braut?
Sie fennt ihn wohl — o Buß! o Harm!
Und fintt in feinen feudten Arm.
Am See, am waldumfränzten See,
Dort grast im Sternenihein das Reh,
Dort küfst die Flut zu fliller Ruh'
Zwei Blumen leis die Augen zu.
Wolfgang Madiera.
Das Zegefeuer des Pfarrers auf dem Berge.
Bon 3. B. Rider,
*
Ara Siebenbrunn auf dem Berge
“er, haust ein alter Pfarrer. Aus
— Nah und Fern eilen Leute
herbei, möchten beim Pfarrer fein —
wenn der Berg mur nicht gar jo fteil
wäre! Sie laden ihn ins Thal, wo
ein großes Wirtshaus jteht, fie bitten
ihn zu kommen, fie verſprechen ihm
goldene Berge, wenn er ihnen den
aus Stein erjparen wollte — aber
der Pfarrer geht nicht herab.
Oft ſchon Hat er verfichert, daſs
er fein Wundermann jfei, aber fie
glauben ihm nicht, denn die Kranken,
die zu ihm nah Siebenbrunn auf
dem Berge lommen und jeine Rath»
ichläge befolgen, werden gejund. Faſt
alle! Je weiter fie hergefommen, je
tiefer fie aus einer Stadt gekommen,
je übler fie durch ein üppiges Leben
zugerichtet worden, defto jicherer wer—
den Sie geſund. Je erbärmlicher fie
Ihnaufen den Berg hinan, je jäm—
merlicher fie winmern bei Anwendung
der vom Pfarrer verordnneten Mittel,
je gottsfträfliher fie anfangs fluchen
über die Lebensweile, die fie da oben
führen müſſen, deito ficherer werden
fie gefund. Der Pfarrer zu Sieben:
brunn iſt ein Tyrann, feine Darther:
zigleit Tennt feine Grenzen. Seine
Säfte müſſen wohnen in
Kammern, wo durch allerlei Fugen
Zugluft ftreicht, müſſen ſich nähren
von Kleienbrot, Hülſenfrüchten, Obſt
und Milch. Wenn ſie Durſt haben,
müſſen fie Waller trinken — pures
froſtigen
Brunnenwaſſer! Sieben Brunnen
quellen im der Gegend aus dem
| Berge, einer wäljeriger wie der an
‚dere! Zu diefen Wäflern jchleppt Der
Pfarrer feine Kranken, begießt fie am
Haupte, an den Schultern, an der
Bruft, an den Knien und überall jo
herum und Hat folcdhergeitalt viele
Juden ſchon getauft. Und dann follen
‚fie begofjen und ohne Schuhe und
| Strümpfe umberlaufen auf kaltem
| Geitein, im bereiiten Graje, bis jie
‚an dem ſcharfen Bergwinde wieder
‚troden werden, — „Es ift ein reiner
Mord!“ ſchrie da einmal in DBer-
'zweiflung ein aljo behandelter Mil-
lionär, „aber meinetwegen! So elend
krank mag ich nicht mehr weiterleben !“
Ein paar Wochen jpäter war er höch—
lich eritaunt darüber, daſs er an die—
jem „Morde“ nicht zugrunde geganz
gen, jondern völlig geſund geworden.
Was er Schuldig ſei für das
Wunder? fragte er den alten Pfarrer,
Diefer antwortete: „Loben Sie Gott
und fteigen Sie in Frieden wieder
hinab!*
„Uber!“ flüfterte der Badediener
dem Pfarrer zu, „Ihr feid doch nicht
'geicheit, Herr Pfarrer, diefer Mann
'ift ja ein Millionär!“
„So!“ rief der Prieſter und
ſchüttelte ſein weißes Haupt, „ein
Millionär ſind Sie? Na, da müſſen
Sie für die Cur extra fünf Gulden
zahlen! Ich brauche juſt Geld für
ein armes Bauernweib, das zwar
—_ — — — — ——
⁊ — 7* 7
» 8 r &
-
767
bergeftellt it, aber ſich die Heimreife
nicht bejtreiten kann.“
Man Sagt, der Millionär habe
die fünf Gulden fofort hingelegt. Ich
meine doch, er hätte feine Gefundheit
höher bewertet, obzwar die Geſund—
beit der Reichen im Grunde nicht
ganz den Wert hat, als die der Ar—
beitäleute.
Eines Tages trugen zwei jtarfe
Holzfnehte einen Mann auf den
Berg. Er kauerte in einem Lederjeijel
und ſchwitzte mehr als die Träger.
Im Bfarrhofe zu Siebenbrunn anges
kommen, mufste er in der Warteitube
eine lange Weile verharren unter
Bauern und anderem Volle. Da
Ichidte er feinen Diener hinein: „Ein
Graf ift draußen und läjst erfuchen. “
Das Half nicht und fchadete nicht,
der Herr mufste warten, bis die Reihe
an ihn fam. Der Pfarrer war bäuer—
lihen Geblütes und veritand jich nicht
auf allzugroße Höflichleit. Als der
fremde Herr vor ihm jtand, redete er
ihn an: „Jetzt weiß ich nicht, heißen
Sie Graf oder find Sie ein Graf!“
„Graf Leo Adelftein !”
„Was fehlt Ihnen dem? *
Einen dihtverbundenen Arm hatte
der Herr, Mährend er fich denjelben
entblößen ließ, erzählte er, wie er
ſchon ſeit langer Zeit an einem böjen
Finger leide, unzählige Arzte conful-
tiert habe, endlich auch den berühmten
Profeſſor Doctor Fleiſcher in der Re:
ſidenz. Diefer habe, den Finger kaum
gefehen, fofort den Ausſpruch gethan:
„Amputieren!“ Darauf habe er, der
Graf, eilig die Flucht ergriffen, denn
wegichneiden wolle er ich den Zeige:
finger nicht fallen, er brauche ihn zu
nothwendig zum Schiegen auf der
Jagd.
„Ah, dann natürlih darf man
ihn nicht wegichneiden!“ gab der
Pfarrer bei. „Zum Jagen! Das ift
freilich eine große Sad’ !”
Hernach unterſuchte er das Franke
was
läſst.“
Schon am ſelben Tage gieng das
naſſe Treiben an, die armſelige Koſt,
das Umherlaufen im Freien, um den
kranklen Finger aber kümmerte ſich der
Pfarrer gar nicht mehr.
„Wozu denn die Procedur?“ rief
der Graf eines Tages ungeduldig aus,
„mir fehlt ja ſonſt nichts. Nur der
Finger, der Finger!“
„Ja, der Finger, der Finger!“
entgegnete der Pfarrer, „dem müſſen
wir von rückwärts beilommen. Sind
nur erjt die Säfte gejund, dann wird's
der Finger von ſelber.“
Bisweilen ſchickten hundsföttiſche
Menſchen Briefe ohne Unterſchrift auf
den Berg, in welchen Briefen der
„Wunderdoctor“ verhöhnt wurde. Der
alte Pfarrer ſchupfte nur die Achſeln,
die rechte war etwas höher, als die
linke, und zwinkerte mit den grauen
Auglein. Sonſt that er nichts des—
gleichen. Manchmal kamen Zeitungs—
blätter, in welchen der Alte auf dem
Berge Charlatan und Schwindler
genannt wurde; da zuckte er wohl
zwei-, dreimal mit den Augen, that
aber im übrigen, al3 gienge ihn der
Schimpf nichts au. Eines Tages
fan ein langer Artikel, in welchem
geradezu verlangt wurde, dafs die
Behörde dem „empörenden Treiben
des Curpfuſchers von Siebenbrunn“
ein Ende machen folle. Der Mann fei
ein Betrüger, feine Eur tödte jieben
Zehntel der Patienten, aber die
Ihweigjamen Todten würden ver—
ſchwiegen und die zufällig vermöge
ihrer kräftigen Natur Genefenen als
Locktuf Hinauspofaunt in die Welt.
Der Staat habe die Pflicht, das
arme, leichtgläubige Volt vor diejem
Gewiſſenloſen zu ſchützen! Unterzeichnet
war der Aufſatz von Profeſſor Doctor
Fleiſcher.
Gerade am Tage, da der Finger
des Grafen Adelſtein als vollkommen
ſich mit Gottes Hilfe thun
Glied und jagte: „Bleiben Sie nur | heil erfannt war, kam dem Pfarrer
ein paar Wochen da. Wollen jehen, dieſes Zeitungsblatt in die Hand.
768
Er pflegte ſonſt feine Zeitung mehr | fein Blut vergoffen. Mein Anwalt ift
zu lejen, allein diesmal war ex doc) |
ein wenig neugierig, was die Capa—
eität über fein Heilverfahren jagen
würde. Während des Leſens begannen
dem alten Mann ein wenig die Hände
zu zittern, dann zudte er wieder mit
den Augen und fie wurden feucht.
— „Guden Sie einmal in Diejes
Bapier hinein!“ ſagte er mit ganz
leifer Stimme und überreichte das
Blatt dem Grafen. Diefer las. Zuerft
fchnupperte er mit der Nafe, als wolle
er einen fremden Körper losſtoßen,
dann fuhr er fich mit den Fingern —
auch der geheilte that mit — heftig
ins Haar, danı begann er mit den
Füßen, Heute Hatte er jchon wieder
Stiefel an, den Boden zu flampfen,
und endlich jchleuderte er das Zei—
tungsblatt zur Erde und jprang darauf
herum, bis es in Fetzen zerzaust war.
Dhne ein Wort zu jagen, jchritt er
davon, gieng feinen gewohnten Wald»
weg und blieb lange aus. Nach zwei
Stunden kehrte er zurüd, verlangte
ihredbar hHerriih den Pfarrer zu
ſprechen und zu diejem fagte ex nun
folgendes:
„Herr Pfarrer! Diefer Menſch
mus zufchanden gemacht werden. Ich
habe Ihr wohlthätiges Wirken kennen
gelernt und an mir felbit erfahren.
Nicht blog Jagdſport treibt der Ca—
valier, er weiß zu rechter Zeit auch
die Unſchuld zu ſchützen, die Ehre eines
Rechtſchaffenen zu verteidigen —“
„Sie werden fi doch nicht ſchla—
gen wollen mit dem Mann!" hauchte
der erjchrodene Pfarrer.
„Darüber babe ih niemandem
Rechenschaft zu geben.”
„Um Gotteswillen, Graf! Meinet-
wegen ein Zweilampf! Schon des
einen Fingers wegen waren Sie fo
verzagt, und jet wollen Sie die ganze
Hand verlieren oder gar das Leben.
Meinetwegen? Weil der Mann da
unten ein biſſschen Brotneid hat. Nein,
Herr, das dürfen Sie nicht thun. Ich
verbiete es Ihnen. Meinetiwegen wird
Gott, der wird Schon Wege finden,
mir Ehre und Recht zu verſchaffen,
wenn es fein Wille iſt. Seien Sie
nur in Frieden, Herr Graf, es ift ja
alles gut, e& iſt alles gut.“
Der hohe Herr ſtand ſtumm da,
endlich hielt er dein Pfarrer die Hände
bin: „Sie jind nicht bloß ein großer
Arzt, Sie find auch ein echter Prieiter.
— Gut, ih will Ihren Willen achten,
hingegen ſoll etwas anderes meine
Sorge fein. Über Jahr und Tag wird
hier ein Bau entitehen, der Ihrer
Eur und der großen, ſich ja immer
fteigernden Anzahl Ihrer Gäfte ent»
fpriht, Ihnen zur Ehre und den
Leidenden zum Segen jein foll. Das
habe ich jetzt gejagt.”
Und was der Graf Wdelftein da—
mals gejagt Hatte, das ijt nach we—
nigen Jahren zur That geworden.
Der Nfarrer leitete den Bau der An-
ftalt und Hatte feine Tiebe Noth mit
dem Grafen. Der wollte überall ein
bifschen Comfort anbringen und dem
Pfarrer wurde übel, wenn er dus
Mort „Comfort“ vernahm. Kein Bol»
fterfefiel und fein Teppih und feine
Mandtapete, das verftand ſich wohl
von jelbft; allein der Pfarrer wider—
feste fih auch gegen die Fenſtervor—
hänge, gegen die luftdicht verſchließ—
baren Fenſter, ja faſt auch gegen
Zimmeröfen, „Licht und Luft! Und
viel Waller! Und auf der Holzbant
ſchlafen. Wer müde ift, ſchläft auch
auf dem Breite gut, und wird es
ihm zu hart, jo hat er ausgejchlafen
und foll aufitehen. Wem ein Zimmer
zu froftig ift, der foll Hinaus und
hübſch Bewegung machen — den beiten
Dfen haben wir au uns felber, “
Der Graf mufste fich fügen und
endlih ftand eine Anftalt da, au
welcher jeder Spartaner feine Freude
gehabt hätte. Doch die Weltleute waren
feine Spartaner und jo lange fie fich
gejund fühlten, wißelten fie maßlos
über die Bärenhaftigfeit zu Sieben«
bruun. Wurden fie krank, jo Huben
ww. mer:
°
D
7
ſie an zu ſchelten, verſuchten alle denk—
baren Heilmethoden, beſuchten alle
berühmten Arzte und erſt wenn ſie
aufgegeben waren, kamen ſie auf den
Berg und gaben ſich mit gläubiger
Andaht dem Pfarrer anheim.
Au allen Deilanftalten dürfen
Leute fterben, wehe aber, wenn dem
Pfarrer zu Siebenbrunn einer ftarb!
Es geſchah nicht oft; die meijten
fräftigten fi oder genafen ganz und
in der Kirche zu Siebenbrunn hängt
mande PBotivtafel aus Dankbarkeit
für wiedererlangte Gejundheit.
„Aber, Herr Pfarrer!“ ſagte eines
Tages ein Kranker, dem das Waſſer
jo naſs und das Bett fo hart vor-
fanı, „fol e3 denn wirklich; nothwen—
dig jein, dafs die Menjchheit lebe
wie die Wilden, ohne alle Bequem-
lichkeit? Wozu bat uns Gott fo viele
Güter und Genüffe entveden und er—
finden laſſen?“
„Daſs wir fie weile anwenden
follen“, antwortete der Pfarrer. „Nur
wer es zu toll treibt, der muſs zu
mir. Der Siebenbrunnerberg ift das
Tegefeuer, wo ſie ihre Sünden ab»
büßen.“
Der Ruf dieſer Anſtalt war immer
weiter in die Welt gedrungen. Unter—
nehmungsluſtige Leute wollten auf
dem Berge hübſche Villen bauen, feine
Wege anlegen laſſen, Beluſtigungen
veranſtalten.
„Bleibt mir vom Leibe mit ſolchen
Sachen!“ rief der alte Pfarrer.
„Dperieren die Stadtdoctoren mit
Sammt und Seide? Nein, fie ope—
tieren mit Stahl und Gift, und ich
mit der rauhen Natur.“
Der Alte war endlih body über
feine Achtzig binaufgefommen und
hatte immer jein jchneeweißes Haar,
immer fein frifchrothes Geliht. Es
waren Leute in ihren „beiten“ und
Leute in ihren „Ichönften Jahren“ zu
ihm heraufgejchleppt worden, er war
unter allen der Jugendlichite, Herzens
frifchefte, derb in feinem Gehaben,
mild in feinem Gemüthe. Er tröftete
Rofegger’s „Geimgarien‘‘, 10. Heft. XV,
769
feine Gäfte nicht damit, dafs fie ja
balb wieder geſund werden wirden,
er verjicherte jie vielmehr, dafs jie
gar nicht Frank jeien, bloß welt und
matt; umd wenn der Menjch am Leibe
jo erſchöpft und in der Seele jo auf:
gerüttelt jei, da würde er grauenhaft
wehleidig. Und wer jo mwehleidig ſei,
den müjje man jo lange fragen und
walten, bis er über die neuen Leiden
feiner alten vergeſſe. Es war Halb im
Spaſs und Halb im Ernft, wenn er
jo fprad, die Kranken aber hörten
ihm gerne zu und glaubten jeinen
Worten,
Freilich waren auch Störrifche
darunter und wenn fie ftörrijch blie=
ben, jo wurde der Pfarrer ausnahms—
weile ganz Höflih mit ihnen und
machte fie darauf aufmerkſam, daſs
es bergabwärts leichter gienge, als
bergaufwärts.
Eines Tages war ein bejonders
wunderliher Patron namens Paulus
angelommen. Ein Stadtmenſch, juft
noch nicht alt, aber aſchfahl an den
Wangen und aufgedunfen, gaſtriſch,
aſthmatiſch, rheumatiſch, ischiatiſch,
das war einer, der ſeine Krankheiten
hübſch lateiniſch oder griechiſch zu
nennen wujste; er erklärte wiſſen—
ſchaftlich ganz genau, wie die Krank—
heit hieß, worin fie ihre Urſache hatte,
welche Eigenschaften fie aufwies, wels
chen Berlauf fie zu nehmen pflegte,
fonnte fie aber nicht heilen. Gelehrte
Patienten find ftets die allerfchlimm-
ften, der alte Pfarrer hätte mit dem
Manne kaum etwas anzufangen ge=
wujst, wenn nicht der Gaftricismus
und das Aſthma und der Rheumatis—
mus und die Gicht feine energijchen
Helfershelfer gewejen wären, die end=
lich den ungeduldigen, herrijchen, miſs—
muthigen und mifstrauischen Kranken
jo mürbe machten, dafs er alle Ver:
fügungen faft gleichgiltig über fich er:
gehen ließ. Sollte Herr Paulus —
was doch insgeheim jeine Hoffnung
war — in Siebenbrunn ſchon nicht
Erleihterung finden, jo wollte er
49
„Kränkt Sie denn das?“ fragte
der Pfarrer. „Na, wenn nicht, dann
ijt’3 recht, und Sie können in Frie—
den nachhauſe gehen.“
„Was werden Sie von mir den—
fen, Herr Pfarrer? Meine Hilfsmittel
al3 Arzt waren die Medicin und das
Meier. Mo erftere nicht angriff, all»
jogleich das letztere. Vom Seciertiich
des Studenten zu den PVipijectionem,
von diejen zu den“ Aınputationen im
den GSpitälern immer wieder das
Meſſer! Mie viel Blut vergofien,
Leben vernichtet im Namen der
Wiſſenſchaft, und wie wenig Erfolg!
Und doch Hatte ſich mein Selbftbe-
wuſstſein, meine Prari3 und meine
Ruhm gefteigert von Tag zu Tag.
Ich Hatte hohe Patienten. Ach ftieg
von Würde zu Würde, id) ward reich,
ih ward krank. Denn ich arbeitete,
ſtudierte fort und fort, redlich wollte
ich der Wiſſenſchaft dienen, das müſſen
Sie mir glauben. Aber fie rieb mid)
auf. Und als ich matt und fieh war
und die Mittel meiner Wiſſenſchaft
fehlſchlugen, da mufste ih mich don
einem Landarzte belehren lafjen, daſs
er in gleicher Lage gewejen und durch
die Naturheillunde gerettet worden
jei. Ich, mifstrauifch geworden gegen
unfer medicinifches Können, und nichts
mehr zu verlieren, entſchloſs mich,
das in unferen Tagen jo jehr ge-
rühmte Naturheilverfahren zu vers
juchen. Ich gewann dabei jedenfalls,
entweder die Gejundheit oder eine
neue Überzeugung, daſs aud dieſes
Naturheilverfahren nichts tauge. Mit
einer gewiſſen Genugthuung für mich
wäre ich da bei Ihnen auf dem Berge
geftorben, während ich nun genejen
demüthig eingeitehen muſs, daſs ich
ſchwer Unrecht gethan, als ih Sie,
Herr Pfarrer, und Ihre Art zu heilen
verurtheilte,*
„Diefe Art, zu heilen“, fprach
nun der Pfarrer, „jo uralt fie eigent—
(ih ift, mufste in unferer Zeit doch
wieder neu entdedt werden; fie wird
gewifs auch noch ihre Mängel Haben. *
wenigitens ein Beifpiel dafür werben,
wie der „Alte vom Berge die Leute
umbringt“.
Natürlich gieng e3 raſch abwärts.
Der Rheumatismus wurde zeitweilig
heftiger, der Kranke verlor an jeiner
Gefihtsfülle, an Gewicht, an Kräften,
an Energie. Der Pfarrer lieg ihn
die vorgejchriebene Lebensweile ruhig
fortführen. Einfache Koſt, Bewegung,
Luft, Waſſer — immer dasjelbe und
immer dasfelbe. E3 vergiengen Wochen
und Moden. So unerträglich ward
die Langweile, daj3 der Herr Paulus
aus lauter Langweile anfing — zu
genefen. Die Hilfenfrüchte, das Obſt
begannen ihm zu munden. Die Be-
wegungen in freier Luft wurden ihn
lieb, das Waſſer war ihm Erfriſchung;
fein ſchwammiges TFleifh gewann an
Teftigkeit, feine Musteln an Spann»
fraft, fein Auge an Glanz, jein Ge—
fiht an rofiger Farbe und freund
lihen Zügen. ;
Und eined Tages ließ er den
Pfarrer in feine Kammer rufen.
„Beihten, Herr Pfarrer !*
„Oho, To ſchlimm ſteht's nicht!“
lachte dieſer.
„Nur eines plagt mich mod“,
ſagte der Mann, „wenn das auch
heraus iſt, dann bin ich geſund.“
„Brauchen wir eine Zange dazu?“
Nur ein paar Minuten Gehör,
wenn ich drum bitten darf. — Bor
allem habe ich mich der Falſchmeldung
zu verklagen. Ich beige nicht Paulus,
wie Sie mich eingeschrieben, ich heiße
Guido Fleifcher, bin derjelbe Doctor
und Profeſſor, der Sie einst in der
Zeitung jo herb angegriffen.“
„So, jo*, antwortete der Pfarrer,
„na, das macht nichts.“
„Ihnen macht es freilih nichts,
aber ih muſs mich ſchämen. Meine
Wiſſenſchaft, auf die ich jo ſtolz war,
bat mich verlaſſen. Bei dem Natur»
arzte, über den ich jo hochmüthig ab—
geurtheilt, Habe ich Hilfe juchen müſſen
und Hilfe gefunden,“
— — —ñ— — — — —— — — — — — — — — — — — — — ee — — — —— ——— ———
„Im ganzen, Herr Pfarrer, iſt Wunfch wäre nur, dafs die Menfchen
e3 der richtige Weg“, ſagte Doctor
Fleiſcher, „das erfenne ich nun, und
wie ih ſtets gewohnt war, nad) mei-
nem Erkennen freimüthig zu urtheilen,
jo wird es auch jet gejchehen. In
— gerade, wenn e3 ihnen recht gut
gebt — eingedent fein möchten der
einfachen Natur, von der man fich
nicht ungeftraft entfernt. Wer duch
Üppigteit Jündigt, der mufs ins Fege—
demjelben Blatte, welches Sie dazır= | feuer der Entbehrung, Entjagung uud
mal geſchmäht hat,
eingeftehen, daj3 ih — bon mir und.
meinen Coflegen aufgegeben — bei
Ihnen auf dem Berge Heilung ges
funden habe. Sind Sie zufrieden ?“
„Ich bin immer zufrieden“, ents
gegnete der Pfarrer. „An mir liegt’3
auch nicht. Ich bin nur ein Werks
zeug dejjen, der Herr ijt über Leben
und Tod. Ich werde troß der Heil—
fraft zu Siebenbrunn ja auch nicht
ewig leben auf diefem Berge, Mein
werde ich offen | Abhärtung, bis er ſich das Gebot
Gottes einprägt: Du ſollſt einfache,
ungekünftelte Nahrung zu dir nehmen,
in Licht und Luft fein, deinen Körper
einhalten und abhärten.“
Mit diefer Lehre ift Doctor Flei—
ſcher herabgeftiegen in feine Stadt, um
durch eine Erfahrung reicher, als Arzt
neue erjprießliche Thätigkeitzu beginnen.
Der alte Pfarrer auf dem Berge
lebt heute noch und fein SeBeIeUE
wird vielen zum Heile.
Die Engländer.
Ein Bild aus den Alpen von P. R. Kofegger.
9,
“
n der Holzfnehthütte jagen fie |tränfen eitel Wafler.
3° zufammen beim Nachmittags:
2 trunke. Die Männer Brannt:
wein, die Weiber Milch. Die Milch
war jeit einiger Zeit ſchlechter ge-
worden, weil e3 viel gereguet Hatte
auf der Alm, und alfo das Futter
wäflerig ift, wie die Sennin jagt;
der Branntwein jedod war jeit fur-
zem bejjer geworden, weil ihn der
Bezirkshauptmann verboten hatte und
er jeßt nur gefchwärzt zu befommen |
war. Sie tranfen ihn.aus Wafler: |
gläfern, damit, falls ein Aufjeher er-
jhiene, fie nicht entdedt werben
fonnten. Alſo geichah es wohl manch—
nal, daſs fie vor den Augen der
Aufpaffer den Schnaps ſeitelweiſe
joffen, während jene glaubten, fie
‚brauchen Straft,
Zwar Hatte zu
Staudah der Pfarrer gepredigt,
ſchlechte Mil wäre beijer als guter
Schnaps. Der Pfarrer hat leicht pre=
digen, der trinkt Magdalenerer Roth:
wein, ja dieſe Milch ift freilich
beſſer als Schnaps. Kuhmil aber
ift für Weiber und finder, Männer
und die liegt im
Branntwein. Kräftig find . fie
allerdings, doch haben fie ihre Kraft
nit dom „Höllenwaſſer“, fondern
bon der friſchen Bergluft und der
harten Arbeit. Arbeit nimmt Kraft
und gibt Kraft und macht zur Noth
gut, was der Schnaps Tchlecht macht.
Doch das glauben fie nicht.
Sind es Aufpaffer ? — Denn es
hat jemand an die Thür geklopft.
49*
—
Ein auftändiger Menſch Hopft nicht
in der Bauernwirtihaft, macht die
Thür ohneweiters auf, er überrafcht
ja niemanden, gebt es doch recht—
Schaffen zu in der Stube.
„Wer iſt's denn?“ fchreit der
Alttneht, „Jo Dummpheiten da!“
Langfam öffnet fi die Thür —
fremde Leut’! herriſche Leut'! Ein
alter Herr, ein Studentel oder jo
was, und ein bildfauberes Mädel.
„Good morning, my good people!
Can we get milk here?“ jagte der
alte Herr.
Die Holzleute bliden einander
an. „Der redet fo hochdeutſch, dafs
man ihn gar nicht verſteht“, lacht
Jocherl, der Jungknuecht.
„Oh! Papa, how interesting!
they are certainly robbers!“ ruft
der fremde Junge dem alten Heren
zu. Das Fräulein hält ſich ein lang—
beftieltes Augenglas über das Näschen
und haut: „Upon my soul, what
goodlooking people!“
„Oh yes, my child!“ verſetzt der
1
alte Herr.
„Das find Krowaten!“ murmelt
einer der Holzknechte den anderen zu.
„Ich weiß nicht, was die Leut’
im Mund haben, dafs fir nicht reden
lönnen!" jagt der Mathes.
„Dabt’3 ein’ Bungenfehler ?*
fragt der Altknecht die Eingetretenen.
„Be so kind as to tell us, my
Ta
Denn die Holzinehte meinen fo:
Wenn wir fie nicht verftehen, fo ver=
ftehen auch fie uns nidt. Und der
Fürwitzigſte von ihnen, das ift der
Mathes, jagt ganz laut: „Bergferen
werden’s fein. Willen ihnen vor lauter
gut Leben nicht zu Helfen, müſſen im
Gebirg umklettern, und ift ihnen nicht
wohl, jo lang, bis fie nit wo ab—
gefugelt find. Was doch unfer lieber
Herrgott für närriſche Softgänger
hat!"
„Der Alte kann fih eh nimmer
ſchleppen!“
„Der Hein’ Bub ſoll Geißhalter
werden, dann fann er auf den Bergen
umlaufen mehr al3 er mag.“
Jocherl, der Jungknecht, ſtreicht
ſich mit der Pfeifenſpitze den Schnurr—
bart, ſchaut ſchier ſchwärmeriſch auf
das Fräulein und ſagt: „So ein
Blitzmädel! Das wär' eine Paſſion,
wenn die Sennerin thät ſein! Der,
wenn man ein Buſſel aufs Göſcherl
funnt drucken!“
Dem Fräulein iſt's gerade, als
müſste es jetzt dem Burſchen um den
Hals fallen. Ach, dieſe Naturmenſchen!
Wie ſie gar ſo treuherzig daherreden!
‚Willſt dableiben bei uns, Dirn—
del?“ ruft einer auf fie hin.
„I don't understand!“ antwortet
fie, in der Hoffnung, fie würden ihre
Bemerkungen fortfegen. Aber fie jagen
good friends, what’s the name of nur nod: „Bei uns hätteſt e3 nicht
that rocky mountain one sees so
well from here !* fo der alte Herr.
Die Holzleute Schweigen und find
hier rathlos.
„How is it called in the coun-
trey ? round about here ?*
„Ab, ja — ja“, antworten fie
knurrend, denn jet will es Einigen
bedünken, die Schuld wäre an ihnen
jelbft, wenn fie nichts verftünden.
Das junge hübſche Fräulein ver—
fteht wohl deutsch, läjst aber nichts
davon merken, jondern betrachtet es
als das nettefte Abentener der Welt, | lauter
diefe Naturmenſchen zu belaufchen. | deutfch
ſchlecht, Schagerl. Berftehen wollten
wir und aud. Beim Schwahßen vers
ftehen ſich gar mande Liebesleut’
nicht, aber beim Schmeigen. Das
beft’ Gernhaben ift das ftumm’ Gern=
haben.“
Iſt es dem Fräulein das zweite:
mal, ald miüjste es einem dieſer
prädtigen Mannsbilder um den Hals
fallen. Da fagt der Altknecht: „So
viel verhungert und verdurftet hauen
die Leut' aus!“
„sa, am End’ können fie vor
Hunger nimmer ordentlich
reden“, meint Jocherl, der
Sungfnedt. — „Rathrin, gib ihnen
eine Schüfjel voll Mil !*
„Eine ganze Schüſſel voll hab’
ih nimmer“, antwortet die Kathrin.
„So thu’ Wafler dazu, bis jie
voll wird.“
„Jeſſas, fie ift eh ſchon ganz
blau, weil e3 fo viel hat geregnet.”
„Schneid’ ihnen Brot hinein.
Mufs ja noch da fein, was die Jagd
Hund’ haben übrig gelajjen in voriger
Moden.“
„Wachſt ſchon der
drauf“, jagt die Sennin.
„Macht nichts, die Milch waſcht
ihn ſchon herab.“
Richtig, eine ſolche Mahlzeit wird
den Engländern nun vorgejegt. Sie
fallen arg darüber ber, laſſen fich’s
trefflih munden, und der Alte jagt
ein= ums anderemal: „What deli-
eious milk! that is real milk from
the Alps, children !*
Nachdem fie die Schüffel bis zum
legten Reſt blankgemacht haben, zieht
der alte Herr jeine Geldtajche hervor
und beredet fi mit feinen Kindern,
wie hod er den Imbiſs wohl ent:
lohnen folle. Der Sohn ift für einen
Ducaten, die Tochter meint, ein
Ducaten, wo ihrer drei gegejien, wäre
do die höchſte Knauſerei. Das ſeien
jo liebe, gute, unverdorbene Menfchen,
denen müſſe man das köſtliche Mahl
anftändig bezahlen.
„You are right, child!“ jagt der
alte Herr und legt drei funfelnde
Ducaten auf den Tiſch.
Die Holzleute guden fo ein wenig
fhief darauf Hin, der Mathes ftellt
ih an den Tiſch und jagt: „O je;
drei Kreuzer geben ſie her, ha, ha, ha!”
„Du!“ Spricht jetzt der Altknecht,
„hau die Kreuzer gut an! Das find
fürnehme Kreuzer! Haft ſchon einmal
einen Ducaten gejehen ?*
Schimmel
773
„Jeſſes, drei Kälber liegen da auf
dem Zijch I” fchreit der Mathes.
„Ja, und ein viertes fteht davor!“
jagt der Jungknecht.
Die Sennin ſchlägt die Hände
über den Kopf zufammen: „Was
find das für Leut’, die für eine
Schüſſel Milh einen ganzen Reich—
tum hergeben? Das find Fchlechte
Leut'. Ordentliche Leut’ haben nicht
jo viel Geld! — Ich nehm’ nichts,
Gott behüt’ mich!”
„Sch nehm’ auch nichts von dem
verzauberten Geld“, verfeßt der Mathes,
ftedt jeine Hände in die Hojentafchen,
al3 traue er ihnen nicht. „Bafst's
auf, morgen find’3 drei Stüd Kohlen.
Ich weiß eine Gefchichte, wo der
Teufel einen Hut voll Geld bringt,
und am andern Tag ift der Hut voll
Aſchen! So ein gezaubertes Geld!
Zum größten Unglüd kann's führen.
Dem Teufel verfchreiben! Heiliger
Schußengel, bewahr mich, daſs id
nichts nehm'!“
„Nimmſt nichts 2” fragt der Jung—
knecht.
„Bei meiner chriſtlichen Seel', ich
nehm' nichts!“
„Nachher“, ſagt der Jungknecht
und ſtreckt die Hand aus nach den
Ducaten, „nachher nehm’ ich fie.”
„Bravo!“ ſchreit das englifche
Fräulein auf.
„Was Hat fie gejagt?”
Jocherl, der Jungknecht.
„Brav biſt, hat fie gejagt”, be—
lehrt der Altknecht.
„Brad, Hug und hübſch!“ ſchreit
fie und Hatfcht in die Hände. „Lieber
Alpenmenſch, du mujst mit uns,“
Jetzt Schauen die Holzleute ein—
ander erfchroden an. Deutſch redet
frägt
fie! Deutfch verfteht fie! Und alles
joll fie verftanden haben !
„Mit uns mujst du!” jagt das
„Gehört wohl davon, aber gejehen | Fräulein und padt den Jungknecht
ihrer noch feinen,“
an der Hand, „auf den Berg mufst
„So jhau her da! So ein Heines|du uns führen und plaudern unter»
Goldpagel da ift dir jo gut wie ein wegs; ac, es ift gar fo nett, wenn
ganzes Kalb!”
du plauderjt!”
174
Nun bliden ſich der alte Engländer
und jein Söhnlein an. Was fie nur
jo lebhaft mit dem jungen Menſchen
ſpricht! Die beiden find aber bald
darüber einig, der Jungknecht fpringt
für den Reit diefes Tages von der
Holzarbeit aus und geht mit deu
fremden Herrſchaften auf den Berg.
Die Engländer bleiben oben im
Schutzhauſe, um zum nächften Morgen
den herrlihen Sonnenaufgang aus dem
Bädeker zu lejen ; der Jungfnecht kommt
um Mitternaht zurüd in die Hütte.
„Biſt denn wieder da?“ ruft der
Kamerad Matthes vom Schaublager
herüber.
„Hab' ihrer noch drei befommen!“
jagt der Jungknecht und hebt mit
zwei Fingern etwas empor, das beim
Scheine der glojenden Herdglut röth-
lich funkelt.
„Jetzt hab' ich aber heilig gemeint,
die Schöne will dich heiraten!“ be—
merlt der Mathes.
„Dieweilen hat ſie nur gefragt,
ob ih mit nah England mollt’”,
erzählt der Jungknecht, „nein, Jungfer,
ſag' ih, nah England will ich nicht
mit. — Ja warum denn nicht? fragt |
lie. Sa weil ich daheim bleiben
will, fag’ ih. — Ja, warum willit
denn daheim bleiben? fragt fie, Halt
vielleiht einen Schatz daheim? —
Freilich, ſag' ih. — Stedt fie drauf
ihre Glasaugen an und jchaut auf
mid her mit einem jo gluthheiken
Aug’, dafs ih ſchon hab’ gemeint,
fie brennt mir im Bruftfled ein Loch.“
„Anzunden bat fie dich?“ ruft
ein anderer von einem anderen Win—
fei her.
„Ah beileib’*, antwortet der Jung=
fneht. „Wenn man einen Strob-
fopf auf hätt”, funnt’3 wohl brennen,
fonft nit. Wie wir oben Sind ge—
wejen, wo der Scharf! Wind geht, da
nachher —”
„Run, was ift nachher gewejen 7“
„a, da Hab’ ich gefagt: Da
heroben geht ein ſcharfer Wind. Nach—
her haben jie mir die drei Fuchſen
gegeben, und ich bin verabjchiedet ge=
wejen.“
| „Was thuft denn mit den dreien?“
„gu den anderen dreien thu’ ich
ſie.“
„Und nachher?“
„Nachher Hab’ ich ſechſe. So viel
wie jehs Kälber, Nachher kann id
heiraten. “
„Du, Jocherl!“ ruft jebt Der
Knecht Mathes von feinem Stroh
‘ber, „ich Hab’3 gejagt, die Ducaten
find noch dein Unglück!“
Wan d’Hausgloggn ſcheebert.
(Sieiriſch.)
BR
>
ri
„e
5
m
— an d Hausgloggn ſcheebert,
I To jaucdzt der Geredti;
2... Wan d Hausgloggn ſcheebert,
Do zidert der Schlechti.
Ter vani muaſs fürdtn,
Der ondri därf houffn,
Wan's ſcheebert, jo fimbb wos
Und d' Hausthür ſteht ouffn.
Der Bauer auf dem SMarkte.
Ein Bild aus dem Tiroler Volksleben von Aarl Wolf. *)
er
Ur
elten wird man fo viel Gele: |
2:0 genheit haben, die Charaktere
unferer Bauern zu ftudieren, |
wie auf den drei Fleiſchmärkten, die
im Winter in Meran abgehalten
werden. |
Es ftrömen da die Bauern aus
der ganzen Umgebung Merans zus
ſammen. |
Da kann man den behäbigen
Burggräfler mit feiner Bäuerin, die,
fat refpectvoll immer Hinter dems
jelben berläuft, bei feinen E Ginfäufen
beobadten. |
Da kommt der Bauer aus dem
Mittelgebirge mit feiner furzen, lodes |
nen Kniehoſe und ſchwarzwollenen
Strümpfen. Der Haflinger mit feis |
nem langhaarigen Saumpferde, be—
laden mit den ledernen Getreidejäden,
dann der Paljeirer, der Ultner, der
bedächtige Vintſchgauer mit der ſin—
genden Mundart, kurz Material zur
Beobachtung menfchlicher Eigenthüms |
lichkeiten in Hülle und Fülle.
Der Marktplaß bildet ein be=
megtes, buntes Bild. Die ganze lange,
Laubengafie ift eine große Fleiſchbank
und dazwiſchen durch winden jich die
Scharen von Banersleuten „wos es
lei derſchoppet“.
Der Struzer hat für die Marltz
leute glattweg zwei Eintheilungen.
Solche, die „lei a fezzele (biſschen)
*) Aus deſſen vortrefflichem Bude:
Nr
ſchaugn kemmen und blind unfoaln“,
das will jagen, ohne eigentlich zu
faufen, ſich um die Preiſe erfundigen ;
zweitens aber in „fafete Leut“, die
wieder in zwei Stategorien eingetheilt
werden, in „Gleime“ und „Raare“.
Zwiſchen den Fleiſchſtänden haben
‚die Grödner, das Handelsvolf Tirols,
ihre Waren auf die verlodendfte
Meife ausgelegt und die Verfäuferin-
nen madhen mit ihren Blasengels
gelichtern heute die freundlichite Miene.
Und wie umdrängen die fichern-
den Bauerndirnen dieje Stände, hans
deind, feilſchend und — wünſchend.
Es iſt eine Eigenthümlichkeit, daſs
unſere Bauerndirnen oft die längſte
Zeit damit zubringen, ſich alles mög—
liche zu wünſchen.
„Sigſt Moida, wenn i Geld gnua
hätt, nahm i in ſeln Fürtigſtroaf, in
ſeln biown, ober von jeln Miader-
leibl müaßatn die roathen Blüamlen
und geln Stroafn drinn fein”,
Weiter oben gegen den Pfarrplag
„udn“ die Bauernmweiber mit ihren
verjchiedenen Waren, nicht etwa,
daſs fie diefelben, abgejehen von der
verſaumten Zeit,
theuerer verkaufen
können, wenn ſie ſelbſt zu Markte
gehen; o nein! ſondern weil da das
‚Geld in ihre Tafche fließt; „derhuam
ſtöckt olls der Baur in und wou
ſolleſt nor in Kaffee hernemmen.
„Der Burggräfler“. Bilder aus dem Volls—
leben. (Innsbruck. Wagner'ſche Univerfitäts: Buchhandlung. 1890.) Tas Wert ift einer
der wertvoliften Beiträge zur Ethnographie der deutſchen Alpler.
176
In weiten Körben find da die
verschiedeniten Bodenproducte ausge—
breitet. „Ausgfüſlte Verföln*, weiße,
halbweife oder „VBledarfchlen“,
„Höchſtagüatlen“, „gfpregglte und
glotte Schwobm“, „Köſtkearn“,
„Schnitz“ und „Kloatznu“, „Mogn“,
dann Zwiebel, Rüben u. ſ. w.
Das neue Maß haben ſich die
Weiber am allerſchnellſten angeeignet,
weil „af die nuidn, ſturzenen Maßlen
bam khaufetn Meßn long nit ſou viel
audn geat, wia ba die oltn hülzenen“.
Weiter oben kommen dann die
Knoblauchhändler, ihre Ware mit
großem Geſchrei ausrufend. Knoblauch
ſpielt in der Küche unſerer Bauern
eine große Rolle, denn er „treibt ban
foaßtn Eſſn die Wind oubm und
untn“.
Pardon, wenn ich etwas zu deut—
lich geworden bin; ich bin eben Beob—
achter in jenen Schichten unſerer Be—
völkerung, wo man feine franzöſiſchen
Umfchreibungen kennt. Und im Grunde
genommen bliebe die Ungezogenheit
glei, ob franzöſiſch oder deutjch.
Den Pfarrplatz ſelbſt nehmen die
Eifenframer ein, an welde ſich die
Schuhnägelhändler, die Hutmacher,
die Sarnthaler Strid» und Strumpf—
waren = Händlerinnen, die Käſeaus—
jchneider, die Uhrmacher und Schufter
anschließen.
Dies wäre alfo mit kurzen Wor—
ten die Bildflähe, auf der wir den
Bauern beobachten wollen.
Am Mearlttag ift Bauernfeiertag
und biezu legt er ſich „'s Kluan—
feirtiggwond un“, nie wird aber die
weiße Schürze beim Meraner Bauern
fehlen. Ih ſah einmal bei einer
Feuersbrunſt einen Bauernknecht, der
ih nur noch mit fnapper Noth retten
konnte, ohne Hoſen herumlaufen; die
Schürze aber Hatte er felbit in dieſer
großen Gefahr nicht vergeſſen.
Treten wir an jenen Fleiichitand
heran. Der Handel zwilchen dem
Bauern und dem Struzer hat eben
begonnen. Miſstrauiſch wird das
„Fockene“ (Schmweinerne) auf allen
Seiten betraddtet und betaftet, „’S
fannt oft a ſötts kraneriſches Fleiich “
fein, wie e3 jpeculative Schweine—
mebßger einführen und von Paſſeirer
Struzern ausſchroten laffen. Endlich
erkundigt er ſich, „wos es gitent“,
und der Struzer antwortet, um die
Billigkeit ganz befonders zu markieren :
„o lei a zwoaafufzig SKreuzerlen“,
worauf die Kundſchaft, und wenn der
Preis auch wirklich noch jo billig
wäre, unfehlbar anmwortet: „a ſell
war nit übl.“
Nun kommt eine lange Gedichte,
wie er ſchon vor drei Jahren, „a
amol a ſötta Stüdl, der Sped werd
um an zwerden Finger fchmäler
gwein fein“, gelauft hat, und „'s ift
gor nicht ergiebig gwein“. Der Ver—
füufer verfichert aber, „'s Yadl ſei
völli 's Kind in der Hütt’ gmwein“
und die Bäuerin hat „lei ogloßne
Milch“ gefüttert und die „Ichianfin
holb roggenen und grifchenen Friegl“.
Es ſei eigentlih eine Sünde ein
joldes Futter für die Schweine,
„aber Holt a Fleiſchl werds, woach
wia a Butter.“
Und mun wird lange bin= und
bergerathen, was das Stüd etwa
wiegen könnte. Dabei betheiligen fich
die Hibite, es gibt auf den Märkten
gerade wie beim Sartenjpiel folche.
Endlih fommt der Handel zum Ab—
Ihlufs, die „Schnöllwog* wird vom
Käufer genau controliert, noch ein
Biertelftündchen herumgerathen, „wos
mochets epper in oltn Gwicht“ md
dann Holt der Bauer, immer mit
einem Seufzer, feine Brieftafche her—
vor, die er in der inneren Weiten
tafhe trägt, blättert einige Zeit in
den Guldenzetteln, bläst wohl auch
vorfihtig Hinein, um micht zwei auf
einmal zu erwijchen, und dann wird
Rechnung gemadt. Kauft er ein
Schaff 3. B., jo wird jelbes genau
und eingehend bejichtigt und dabei
die Geſchichte des alten Schaffes, für
das er nun eimen Erſatz ſucht, er—
zählt und befonders deſſen gute Eigen-
ſchaften hervorgehoben. Dabei hat e3
immer die Hälfte von dem gefojtet,
welches er nun kaufen will.
Eine Lieblingäbeihäftigung der
Bauernburfhen ift es, an den Stän-
den der Eiſenkrammer oft halbe Stun=
den lang die Schaf» und Kuhſchellen
auf den lang zu probieren und es iſt
etwa nicht ausgemacht, dafs jeder diefer
Burfche ein Käufer if. „O baleib“,
jagt der Meraner. Ich beobachtete
einen ſolchen Menfchen gewiſs gut
eine halbe Stunde, wie er immer
ſuchte und klingelte und probierte,
als gelte e& für jein Kuhgeläute einen
Ihön Hingenden Fünfklang zuſam—
menzufinden.
Endlich zudte es wie helle Freude
über jein Gefiht und triumphierend
ſagte er zu feinen geduldig zufehen-
den Kameraden: „Sell hon i miar
dentt, daſs i uma find, de ſou thut
wia unjerer Blaß ihre*, und ver—
gnügt wanderte er feines Weges.
Bei den Uhrmachern kann man
oft beobachten, daſs die bäuerliche
Kundſchaft eine Taſchenuhr vollftändig
in den Mund ftedt, „um in Schlog“
beiler zu hören. Auf einen lauten
Schlag der Unruhe in den Taſchen—
uhren gibt der Bauer fehr viel.
„Menſch, dös ift a guate Uhr,
de hearjt aus 'n Sod außer ſchlogn“,
ſagt er.
Nie aber lauft der Bauer für fich,
fondern immer für andere, um fo
jein Handeln zu beſchönigen. „Mei
für mi ward miar gleich, ober für
ondere kafn iſt ſoufl Hort.”
Sehr ſchwer wird ihm die Wahl
bei den Schuhnägeln. Da klaubt er
halbe Stunden lang an den Häufchen
herum, mijst die Dicke feiner Schuh—
ſohlen, ſucht zu errathen, wie viel
Stücke etwa auf ein Pfund gehen,
endlich kauft er ein kleines Quantum.
Und nun kommen die Senſen an
die Reihe. „Menſch, a Segnes muaſs
klinglen“, und auf den Klang wird
fie dur Anjchlagen auf den Boden
17
genau geprüft. Auch mit dem Dau—
mennägel wird die Härte der Schneide
unterfudt und dann beginnt der
Handel mit denjelben Modalitäten,
wie ſonſt üblih. Er macht vielleicht
auch ein Angebot und entfernt fich
langfam mit der Bemerkung: „Krod
müaſsn hobm thua i fie filt nit, die
Segnes.“ Aufmerkſam horcht er aber
zurück, ob ihn der „Srumer* nicht
zurüdruft.
Am allerhärteften ift aber Die
Mahl mit den Wesfteinen, Da mwird
eine Ewigkeit unterfucht, gemweßt, ges
fopft und jogar an den Steinen mit
der Zunge probiert, „ob fie firnig
fein und epper nit muasn“. Ein
Wepftein gilt als ein wichtiges Uten—
jil, und wie es berühmte Rennpferde
oder Jagdhunde gibt, fo finden fich
in unferer Umgebung Weßiteine, die
darin berühmt find, „daſs fie a
Schneid mochn, wia a Gift“.
Die Händler haben beim Verkauf
der Wetzſteine einen eigenen Kniff.
Iſt ein Bauer recht wähleriſch, fängt
der pfiffige Wälſche ebenfall3 an
Steine zu unterfuchen. Hiebei wird
er vom Bauern aufmerkfam beob=
achtet. Auf einmal verftedt er einen
Stein auffällig unter den übrigen.
Er kann nun ficher fein, dafs er
diefen, wenn er nicht gerade auf»
fallende Fehler Hat, verkauft. „Aha“,
denkt ſich der Bauer, „der Walfche
hot an Giftftuan gfundn und will 'n
verftödn. O baleib, Menſch, fou
bin i mit, daſs i dös mit gſpür.“
Man mußs aber auch bedenken, daſs
„a Schneid wia a Gift“ für den
Mäher allerdings bei dem Umftande
eine große Erleichterung feiner Arbeit
it, als ihm das Heu faft bis an die
Hüften reicht.
Beim Käſehändler ftiht er ſich
erft ein Quantum „Softer“ ab, bis
er endlich jein „Trumm“ kauft.
Wie komisch ift es zuzufehen,
wenn er eine geftridte wollene Jade
von allen Seiten betaftet, anprobiert
und wieder auszieht, um die Probe
778
gleih don vorne zu beginnen, allen
Rathſchlägen der Umftehenden ein
geneigtes Ohr ſchenkt und mit der
Hand das Gewicht der Wolle ver-
juht, um den Wert. der Jade eher
beſtimmen zu können,
Einen hübſchen Zeitvertreib findet
er am Stande der Buchbinder. Er
bewundert da in Gejellichaft die Ka—
lendersJlluftrationen und vor allen
Dingen wird nachgefehen, „wia viel
Feirtig af Verluhr gian“ (mie viel
Feiertage auf Sonntage fallen und
fo verloren find).
Der „billige Jakob“, ein Stand
jude, der mit feinem Schund die
Märkte unfiher madt, findet am
Bauern ſelbſt eine Heine Kundſchaft.
Ein Bauer bemerkte mir gegenüber
ganz treffend: „Wenn jei Woor eppes
nuß war, braudet der Menjch nit
foufl zu rödn.“
Selten wird der Bauer beim
Schuhmader „'s Gſchüach“ anpro=
bieren. Er dreht die Schuhe, die er
faufen will, lange Zeit hin und ber,
verfucht fie an den Sohlen abzu—
biegen, gibt feinem Zweifel Ausdrud
„ob fie a für eppes ſein“ und wenn
endlih der Handel abgeſchloſſen ift,
bindet er fie an den Schnüren zu—
fammen und hängt fie über Die
Schultern,
Ebenfo kauft er beim Hut—
madher die Hüte für feine Buben
aufs Augenmaß, heißt das, er pro=
biert jeden Hut, und wenn er ihm
auch diel zu Hein ift, auf. Zum
Schluſs ftülpt er die erworbenen
Hüte alle über feinen eigenen und
wandert jtolz feines Weges.
Und mun bat er vom Marfte
genug. Die Hände hinter die grünen
Hofenträger geftedt, jchlendert der
Bauer die Gaſſe entlang bis zu einem
„Buſchn“, wo er von eimem guten
Wein erzählen hörte. Da pfercht er ſich
num in der mit Rauch geſchwängerten
Stube Hinter einen Tisch, beſtellt fich
„a Halbele“, ſchneidet mit feinem
Rebmeſſer „an Wetzſtuan“ (Brod-
weden) eutzwei, fördert aus der Taſche
feiner Joppe, in der er eine unglaub—
lie Menge von Sachen unterbringen
fann, den eingelauften Käſe zutage
und ift dann vorderhand für eine
halbe Stunde nicht mehr zu jpreden.
Zum Schlußs ftreiht er mit der ein—
gebogenen Hand die „Broadbruſn zom“,
fie geräuſchvoll einfchlürfend, und zeigt
durch ein gedehntes „Joa“ an, dals
er num zur Gonverjation geneigt jei.
Dge» — — — — —— — — —_ — ——
An einem Strohhalm.
Zur Badeſaiſon.
on zehn Perſonen, welche in nach dem Schmerze zu urtheilen, bis
8 die Gefahr des Grteinfeng | auf die Kochen.“
gerathen, werden zum mins „sn unſerem Metier“, ſagte der
deiten neun gerettet”, behauptete der Major, „hat man nur zu Häufig Ge—
Schwimmlehrer. — „Das mag in ;legenheit, ſolchen Momenten beizu=
einer Schwimmanftalt zutreffen“, | wohnen, und nach meiner Erfahrung
meinte der Major von den Pion— | wirkt ein träftiger, ermunternder Zus
nieren ; „nach meiner jedenfalls lang- ſpruch bei einem Ertrintenden häufig
jährigen Erfahrung liegt die Sache | mehr als ein blindes Zugreifen. Man
im offenen Waller, zumal an einem | muß den Ringenden vor allem nicht
reißenden Strom oder Fluſs, durch- um den Leib faflen, fondern wo—
aus nicht jo günftig. Wenn da von | möglih den Arm unter der Achjel,
zehn Perſonen, welche in die Gefahr ' ſo daſs man ihn halten und fügen
des Ertrinkens gerathen, fünf gerettet | kann, wobei man ihm Muth zus
werden, dann wird man der Wahre ſprechen muſs.“
heit näher kommen.“ „Das iſt auch meine Praris“,
„Es iſt auch ein Unterichied zu | bemerkte der Schwimmtlehrer; „man
machen zwijchen Gefahr und Gefahr“, mujs im Nüden des Mannes ich
warf der Arzt ein; „ein leichter halten und ihn vorwärts, gegen das
Krampfanfall hindert einen geſchickten Ufer bugfieren. Schlimmer ift es
Schwimmer nicht, noch ſchnell das | freilich, wenn er ſchon Waſſer gefchludt
Ufer zu erreichen ; bei einem ſchweren hat, dann fängt er an, um ſich zu
Anfall Hilft ihm ale Geichidlichkeit | ſchlagen.“
oft nicht mehr und er bringt aud „Dann greift er nah einem
noch die Genoſſen, die ihm beiſpringen Strohhalm“, warf der Arzt ein.
wollen, in Gefahr.“ | „Es ift in der That der fatalite
„Das Allerfatalite, was einem | Moment“, fuhr der Major fort; „der
Menschen paflieren kann“, fagte ein Mensch, welcher den Krampf hat und
vierter don den Herren, die in der Waſſer ſchluckt, verliert die Beſin—
Cantine der Schwimmſchule beiſam- nung. Da Hilft auch fein Zureden
menſaßen, „iſt, von einem Ertrinken- mehr; es kommt dann nur noch auf
den, ich meine von einem Menſchen, die körperliche Kraft, auf die Ge—
der in wirklicher Lebensgefahr iſt, wandtheit und beſonders auf den
angefajst zu werden. Ich Habe noch Opfermuth des Helfenden an; da
die Nägelmale am Arme, die mir ein | heißt es zugreifen —“
ertrinfender Arbeiter in der Schwimm— Der Schwimmlehrer nidte zuſtim—
ſchule eingeprejst hat; der Drud gieng, | mend, dann jagte er: „So lange als
möglih über dem Waſſer erhalten;
der Ertrinfende, der das eritemal
unter den Waſſerſpiegel finkt, ijt noch
nicht verloren, er taucht regelmäßig
wieder auf und ift dann erjchöpfter;
jedenfalls kann man jebt jchon mit
weniger Gefahr ihm beifpringen.
Taucht er zum zweitenmal auf, dann
ift er ſchon völlig erſchöpft.“
„Und ijt eine Rettung noch mög-
lid, wenn er nicht mehr auftaucht,
wenn der Ertrinkende auf dem Grunde
liegt ?” frug der Arzt.
„Sch jelbit habe Schon drei Men-
fhen vom Grunde heraufgeholt“,
jagte der Schwinmlehrer,; „mein
früherer Gehilfe, ein ehemaliger Pion—
nier, hatte eine bejondere Gejchidlich-
feit darin, die Ertrintenden unter dem
Waſſer heraufzuholen.“
Der Major war in Nachdenken
verfunfen und jchien nur mit Halbem
Ohr der Bemerkung zu laufen.
Dann jagte er plößlih: „Ja, ja,
vom Grunde herauf; das geht aud;
es gehört viel dazu, um einen Er—
trunfenen unter Wafler zu ſuchen,
ihn vom Grunde heraufzuholen, aber
es gebt. Ich Habe jelbit einen Fall
erlebt, der merfwürdigite Fall, der
vielleicht jemald3 da war und der ale
unglaublich erjcheinen würde, wenn
nicht noch jebt viele Zeugen lebten,
die bei dem Brüdenjchlag bei K. da-
mals zugegen waren. Die Sade war
jo: Wir waren im Begriffe, eine
Brüde abzufahren und mit den lebten
Pontons beichäftigt; e3 war in der
Nähe des Ufer, aber auf einer jtar-
fen Strömung. Plöglih hieß es:
»Ein Mann ift im Waſſer!« — Er
war jofort von der Strömung er—
griffen worden, aber al3 guter Schwim—
mer hielt er fih tapfer, Er Hatte
einen Strobhalm im Munde, den er
auffallenderweife nicht loslich. Zwei
Mann hatten fich gleich ihrer Ober—
Heider entledigt und waren nachge—
Iprungen. Der Hilfskahn wurde los—
gemacht, Hatte aber ſtark mit der
Strömung zu thun. Einer der zubilfe
780
geeilten Soldaten Hatte den Kame—
raden erreicht, jchrie aber in dem»
jelben Augenblide laut um Hilfe.
Der Mann Hatte ihn mit eijernem
Griffe erfafst und nun rangen die
beiden in den Wellen. Es gelang dem
Netter, fich frei zu maden — aber
im nächſten Nugenblide wurde der
zweite Sfamerad von dem Berzweifel-
ten erfafst und krampfhaft feſtgehal—
ten. Auch dieſem gelang es, ſich frei
zu machen. Nun ſank der Unglüd-
liche. In der nächſten Nähe kämpften
die beiden Kameraden und der Nahen
mit der Strömung. Nah einem Mo—
ment, die Sade jpielte ich blitzſchnell
ab, erfchien der Ertrinkende wieder
an der Oberflähe: er hatte den
Strohhalm noch feit zwiſchen den
Lippen. Nun ftredte er die Arme
bilfeflehend in die Luft, dann gegen
das Ufer, wo ein Manı vom Bas
taillon, ein Officiers-Aſpirant, der
aber Patient war und unferer Arbeit
zugeſchaut hatte, ſtand.
An dieſen Mann erinnere ich mich
genau. Er war im Regiment belannt
als ein flarfer, muthiger Soldat.
Das Hatte er Schon in Italien be=
wiefen; von Italien war er fieber-
krank zu uns zurückgekehrt. Dabei
war ihm ein Malheur pajjiert. Er
war aus der Gegend und die Dauer
in feiner Freundſchaft Hatten ihm
beim Wiederjehen einen Raufh ans
gehängt. In feinem Taumel war er
in ein fremdes Mannjchaftszimmer
gekommen, hatte jih in ein fremdes
Bett gelegt und war von dem infpis
cirenden Officier ertappt worden. Die
Strafe lautete auf zwölfftündiges
Krummfchließen. Der bravde Soldat,
der ſchwermüthig am Ufer ftand, war
von den Kameraden mitleidig be—
trachtet worden. Jetzt ſahen fie, wie
er Schnell feine Uniform abwarf. Es
war ein Fühler Maitag und das
Fieber rüttelte ihn. Ein Kamerad,
welcher ebenfall3 die Kleider abgelegt
hatte, mahnte ihn, von dem Rettungs—
verjuche abzuftehen. Ohne die Worte
781
zu beachten, eilte der Brave zwanzig
Schritte weit am Ufer hinauf, warf
ih in den Strom und murde von
der Strömung fofort an die fritifche
Stelle getragen. Der muthige Mann
hatte einen Namen, der abjolut nicht
für ihn pajste, er hieß — Feig.
Er war ein guter Schwimmer, ftarf
und breitfhulterig; er hatte einen
rothen Bart und einen Kopf wie ein
Löwe. Bei der kritiſchen Stelle tauchte
er unter. Mit einer unbejchreiblichen
Spannung blidte alles dorthin. Es
vergieng eine qualvolle Minute, zwei
Minuten — dann tauchte der Brave
wieder auf; er ſchüttelte feinen rothen
Bart — er hatte nichts gefunden...
Mit einigen mächtigen Stößen
erreichte er das Ufer. Er ſchwang ſich
hinauf und eilte wieder am Ufer
hinauf. Aber diesmal nur etwa zehn
Schritte. Nun hatte die Spannung
den höchſten Grad erreiht. Es waren
geradezu entjegliche Augenblide. Die
Kameraden zählten, zwei, drei, fünf
Minuten; fie glaubten, dafs es jo
viele Minuten wären, während die
unbejchreibliche Erregung eine perferte
Zählung nicht zuließ. Endlich tauchte
der rothe Bart wieder auf: Wurzeln
und Wafjerpflanzen waren in denjelben
verflodten ; er war anzufehen wie der
Kopf eines Meergottes und im linten
Arm Hielt er feft den Körper des
verunglüdten Stameraden, während
der rechte Fraftvoll die Wogen theilte.
Die Helfer waren bei der Hand, aber
er hatte fie micht nöthig; er brachte
den Entjeelten jelbft an das Ufer.
Ein Arzt war ſchon zur Stelle und
nah mehr als Halbftündiger Be»
mühung, befonders durch ftarfes Frot—
tieren, fieng der Soldat wieder an,
Lebenszeichen zu geben. Teig hatte
ihn unter einer Baumwurzel dicht
beim Ufer bervorgehoft; die Körper
der beiden waren mit Schlamm und
Lehm bededt. Der Gerettete hatte den
Strohhalm noch im Munde; er hatte
den Krampf im Munde und Hals
und vielleicht erklärt jicd dadurch der
längere Widerftand genen das Ein
dringen des Waſſers. — Der Retter
hatte die Wiederbelebung abgemwartet
und eilte dann in Begleitung der
Kameraden in die Stadt.
Am nächſten Tage, damit ich das
gute Ende der Begebenheit erzähle,
erhielt Feig, welcher die Naht im
heftigen zyieber zugebradt, aber am
Morgen ruhig eingefchlafen war, die
Mittheilung, dafs er ſich nicht beim
Profoßen zu melden habe. Die Strafe
war ihm erlaflen... Nah einigen
Tagen war die Mannſchaft auf dem
Stajernenhofe verfammelt worden und
e3 fam ein Regimentsbefehl zur Ber-
lefung, in weldem es hieß: „Dem
DOfficierd- Stellvertreter Auguft Teig
wurde wegen Rettung eines Kame—
raden mit eigener höchſter Lebens»
gefahr das Verdienſtkreuz mit der
Krone verliehen.“ . . . An der freude
der Mannjchaft nahmen die DOfficiere
und die Bürger der Stadt theil, die
dem braven Manne ſehr zugethan
waren. Schade, dajs er nicht beim
Militär geblieben it. Vielleicht ſitzt
er jebt irgendwo in einer Provinz—
ftadt und muſs Acten copieren ...“
„Preſſe.“ B—o.
Kleine Saube.
's Hoanmeh.
A Hoans Bildl aus'n fteiriihen Oberland
von franz X. freiheim,
Perſonen:
Mil, a junger Bauernſohn aus'n Murthal.
Waitl, ſei Nachbar. a Zithernichlager.
Eeppl, a Bauernburſch aus'n Mürzthal.
Dans
Beitl
Yöral
Stefl
Lux. a Bauernfanger.
Ort: Eine Stadiſchente.
Bauern aus'n Murthal,
Han, Reitl und Jörgl Ipielen mit Pur Karten, wobei
Stefl zuftcht, Jeder Spielende Bauer wirft fein Ichtes
Blatt erzürnt aufn Tiſch und alle fpringen auf.
Bauern-Quartett:
Da Kuku ſull das Zwicken hull'n,
Es is a Teuxelsſpiel,
J hon koan vanzign Stich no g'macht,
Mag ſpiel'n ſchon wia da will.
Ta Lur is mit alle Solman gſchmiert,
Da gibts an Zweifel net,
Der ſpielat van die Hoſen ab,
Ten Janka und das Bett.
SKörgl und Stefl:
Es jcheint mir a, daſs bei den Gſpiel
Nöt zuagangen nah Hecht,
Daſs falih g'ſpielt wurd'n is, daſs ma
drauf
An Eid ſchier ableg'n möcht.
Eur zieht den Gewinnit und die Karten ein und
ſchleicht heimlich ab.
Hans und Veit:
Ja, richtig is, was OÖs habt's giagt,
Da Lur is ſchon abg'fahren,
Dos is a Bauernfanga g'west,
Und wir waren ſeine Narrn.
Alle:
Hiazt ſan halt unſ're Taſchen leer,
So tiaf ma eini grab'n,
A Glüd is, dajs im Wirtshaus da
‚Wir an Credit no hab'n.
(Zefen fi wieder zum Tiſch und trinfen.)
(Mid! und Waftl treten ein, Epäter Seppt )
Mil.
|
|
|
|
— Nachbar, ſetzt's Enk her za mir,
II zahl ja gern an Wein, a Bier,
‚Und jpielt’$ ma fein was auf;
‚Was Steieriiches do muaſs es jein,
Doös geht van recht ins Herz hinein,
J zahl ja gern was drauf.
(Waftl jest ih mit feiner Zither zu einem Tiſch.)
Mit.
3 mwilät's ſchon, was jo recht mi g’freut,
Denn i bin halt grad luſti heut,
So is dös gar net ſchwer; —
Stimmt's nur die Klampfen a recht guat,
Daſs ma foan falſchen Ton hören thuat,
Denn i bon a feing G'hör ...
(Wal ftimmt feine Zither und fpielt dann ein
gemüthliches fteirifches Lied.)
(Scppf tritt ein und hört mit ſichtbarer Theilnahme
dem Spiele zu.)
Mi
7
Seppl:
O mein! — was hör’ i da für Zön’?
Als wia Zither klingt's jo ſchön,
Und dringt in& Herz bei mir,
Grad’ jo hat a mei Deandl g’jpielt,
J fiah vor mir ja ganz ihr Bild,
Ja woanan möcht i jdier.
Michl, imelher Eeppl bemerkt):
No, Landsmann, was macht's den für a
Gſicht?
Grad' ſo, als wann das Herz oan bricht,
So traurig und voll Gram — —
Hebt's auf den Kopf und ſchaut's auf
dv’ Hoͤh',
Thuan Enk vielleicht die Hianaaug'n weh?
No, nehmt's als Mann Enk zſamm.
Seppl:
Ds habt's leicht red'n, do was ma fehlt,
Da gibt's koa Kräutl anf da Wilt,
Mas heilen kunt mei Herz.
Michl:
No, red's halt auſſa, was Enk fehlt,
Is d' Kuah hin wurd'n, — oder habts
ka Geld,
Plagt Enk da Liebesſchmerz?
Seppl:
Ana! — mi drudt was anders, daſs
Mir gar oft macht die Augen najs,
Das Hoamweh is es nur,
Michl:
No, ſeid's do g'ſcheid und nehmt's a Dirn,
Da wird ſi's Hoamweh glei valiern,
's gibt ſaubre DeandIn gnua.
Seppl.
So lang’ i net mei Hoamat find'
Pin i für alle Deandln blind,
Da bleibt mei Herz ganz kalt.
Bei mir dahom im Oberland,
Is d' Hoamatliab a gar feit's Band,
Das reiben thuat net bald.
Mil:
So ſchaut's Ent da a bilferl um,
Und macht's a G'ficht net gar jo dumm,
Reißt's auf do Enfere Aug'n.
(Zeigt gegen dad Publicum.)
Schaut’3 all de jaubern Deandl aı,
Da wett’ i d’rauf, daſs leiht wo kann
Für Ent do Dani taug'n.
Seppl tfreundlic gegen das Publicum ſchauend):
A ja, — Se jan net z'wider gwiſs,
Weil mande da jhön aufgitagt is,
So mulat und jo friſch —
J woaß ſchon, was zur Schönheit g’hört,
Grad jo als wias mei Herz begehrt,
Da bin i a foa Fild.
Mich:
Darum ſeid's a g’icheid, denkt's vor da
Hand,
Schön is ja 's ganze Steirerland,
Wo ſulchi Deandl'n jan.
Und wird Enf '3 Herz do no net woad,
Is wia a alter Stiefel zoach,
Den gar nir anhab'n kann,
Seppl.
ös ſchauts halt nur mit Enkeren Aug'n,
Ent freili that a jede taug’n,
Ban Liab'n wurd's Öſs net müad.
Damit mi aber jeds vaſteht,
Was drin in Herzen um mir geht,
So fing i hiazt a Lied,
Mil:
Und daſs das Lied viel ſchöner Elingt,
Und van jo recht zan Herzen dringt,
Mach Waitl halt an G'ſcheidten,
Und thua dabei jo wia ſi's g'hört,
Hübſch laut, damit ma's weit a hört,
Das Liadl ſchön begleiten.
(Lied mit Zitherbegleitung).
Mei Deand! hoaßt Miazl,
Hat Aug'n wir a Reh,
Red’ a jo recht ſteiriſch,
Tamit i's vaſteh'.
Wann ma ſan z'ſammkumman,
War “s Erſte wuhl glei,
A fteirisches Lidl
Mit an Jodler dabei \ Rep.
(IJodler vom Quartett der Bauern.)
Die Zither. hat's gihlag'n a,
Eo fein, dajs a Pradt,
Zwoa Grüaberln in d' Wangerln
Hat's g'habt, wann's hat g'lacht:
Und fteiriih hat's tanzt, no
Dös war jhon a Freud,
Wann’ mit mir hat tanzt, hat |
Mi alles beneid’t.
(3odler)
Wann i ihr was g’jagt ho,
War's ihr a glei redt,
Hat fi a net gmwihrt, wann
A Buflerl i mödt;
Nia hats widajproden,
Mas gern d' Weiberleut,
De jeltene Tugend hat }
Z’meift mi no g’freut. \
(Jodler)
(Mid! und Sepp zujammen mit den Bauern.)
So was muaj3 ma lob'n ja,
&o laut ma nur fann,
Denn 's is ja im Eh'ſtand
A Glüd für den Mann.
An Weib dem alla reht is,
Dem g’hörat auf d'Letzt,
Daſs nah ihrem Tod u
A Denkmal ihr jekt.
(Jodler.)
Rep.
Rep.
Rep.
Aus dem Zremdenbud zu
Rohitſch-Sauerbrunn.
Mitgetheilt von Roloman Raifer.
Wie in den meiſten Badeorten und
Bergſtationen der Alpen, liegt auch zu
Rohitſch-Sauerbrunn in der Directions—
kanzlei ein Fremdenbuch auf, in welches
Curgäſte ihre Anſichten und Urtheile über
den ſchönen Curort in mehr oder weniger
beredter Sprache eingezeichnet haben. Von
den mannigfachen Sprüchen, Verſen und
Gedichten in Poeſie und Proſa ſind ins—
beſondere zwei intereſſant und merkwürdig
genug, um ſie den Leſern des „Heim—
garten“ mittheilen zu können.
Auf der erſten Seite des Gedenkbuches,
das im Jahre 1810 angelegt wurde,
ſtehen folgende inhaltsreichen Worte des
allbeliebten und jedem Steirer und Tiroler
unvergeislihen Erzherzogs Johann,
welcher im genannten Jahre in Rohitſch—
Sauerbrunn zur Cur weilte:
„Nach zurückgelegten, kummervollen
Zeiten, wo ich die Welt und ihre Tücke
kennen lernte, geſchwächt am Körper durch
mancherlei Leiden, abgeſtumpft an Geiſt,
fand ich in dieſem ſtillen Thale Ruhe und
Geſundheit wieder. Die gute Luft, der
heilſame Brunn gaben meinem Körper
neues Leben. Der Aufenthalt in dem ge—
liebten Steiermarf, unter dieſem in Tagen
der Gefahr erprobten, treuen, berzlichen
guten Volke, die Anihauung der jhönen
Natur; einfame Stunden dem Nachdenken
gewidmet, jeelenftärfende Lejung vergan-
gener Geihichten, Entfernung aller widrige
Erinnerungen erregenden Gegenjtände, und
von der Teidenichaftlihen, lärmenden
Hauptjtabt, heilten meinen Geiſt und er-
boben ihn mit neuer Straft.
Das zum bdanfbaren Andenken an
diejen mir werten Ort am 16. Julius18 10,
am Tage meiner Abreije,
Erzberz. Johann.”
Dreizehn Jahre ſpäter jchrieb der
gemüthliche niederöjterreihiihe Dialect-
dichte Johann Gabriel Seidl,
der damals al3 junger Gymnaſiallehrer
in Eilli wirkte, nachſtehende hübſche Verſe
ein, von denen bejonders die zwei legten
Zeilen eine tiefe Weisheit enthalten. Das
Gedicht lautet:
Motto:
Jedes Gedicht ift ein Ampromptu,
aber nicht jebed Impromptu ein Gedicht!
Im grünen Wälderrahmen eingeichlofien,
Quillt ber Geneſung heilungsreicher Born,
Woran jo mandem nur Blüten ſproſſen
Und mander Ritz vernarbt von mandem
Dorn.
Nicht die Genejung fam ich bier zu juchen,
Da die Gejundheit, lebensfroh, mir ladt;
Doh hier am Quell, im Laubdach dieſer
Buchen,
Fand ih jo Manches, was mich fröhlich
macht !
Fand ich Geſpräche, die das Herz erqutiden, | Geliebter Ort im grünen Wald,
Die jühen Früchte der Gejelligkeit,
Manch' Tiebevollen Strahl aus off'nen
Bliden, _
Manch’ Stündden, beiterem Verkehr ge-
weiht.
O, flöße allen, die dies Buch durchleſen,
Das Leben hier, wie mir ſo traut und
hell:
Denn von der Seel' aus muſs
der Leib geneſen
Und in dem Herzen ſpringt der
Heilung Quell!
Joh. Gabr. Seidl,
Prof. am Gymn. zu Gilli.
Am 19. Auguft 1833.
Schließlich ſei gejtattet, auch jenes
Gedichtehen mittheilen zu dürfen, das der
Schreiber diejer Zeilen auf jonniger Ans
höhe, im Angefichte von Sauerbrunn, mit
dem bochaufragenden Donati im Hinter
grunde, inmitten der herrlichen Natur
gefühlt, gedacht und gedichtet und zur
danfbaren Erinnerung an den ihm lieb
gewordenen Curort ins Fremdenbuch ein—
geichrieben hat. Dieſe Verje lauten:
Un Robitid-Sauerbrunmn.
O Sauerbrunn im grünen Thal,
Im lieben warmen Sonnenftrabl,
Wie freundlid-ftill und ſchön du bit,
Sei mir aus froher Seel’ gegrüßt !
Wenn id von luft'ger Höbe
Auf dich hinunterſehe,
Wie iſt mein Herz erfriſcht, erfreut,
Ob deiner holden Lieblichkeit!
Und deine Quellen ſanft und lind,
O wie ſie gut und heilſam ſind!
Wie ſtärken ſie die Glieder,
Wie ſtählen ſie die Bruſt
Und bringen neue Luſt
Zu friſchem Lieben wieder!
Drum wer erkrankt an ſchweren Wunden,
Er komm' hieher, er wird geſunden;
Er wird in deiner Zauberluft
In deiner Wälder Blumenduft
In anmuthsvollen Gründen
Wohl Lind’'rung feines Leides finden.
Rofegger's „„Ürimgarten'‘, 10, Beft. XV,
Du herrlih jchöner Aufenthalt
Für Kranke und Gejunde,
Heil dir zu jeder Stunde!
O mögeſt allen Kranken du
Stets Heilung bringen, Glück und Ruh',
Auf daſs ſie treue Lieb' dir ſchenken
Und immer gerne dein gedenken.
Koloman Kaiſer.
Rohitih- Sauerbrunn, im Mai 1890.
Wie Bictor Scheffel zu feinen
Orden kam.
Wie Joſef Victor v. Scheffel zu
Adel und Orden fam, darüber erzählt
der Dichter in einer Erinnerung an Fries
drich Geisler Folgendes :
„Eines Tages erhielt ih in Radolfs—
zell eine Einladung des Großherzogs, auf
Mainau zu kommen. Ich Flopfte und
bürjtete meinen Frack aus und langte
zur bejtimmten Zeit an. Ws ich eben
auf der Inſel eintraf, kam mir der Groß:
herzog entgegen und jagte: „Herr Doctor,
die württembergiichen Herrſchaften baben
fich heute unerwartet von Friedrichshafen
zum Bejuche anjagen laſſen. Wir mollten
Ihnen noch abtelegraphieren, aber e3 war
zu jpät. Nun fließen Sie fih einfach
an!“ ch wurde vorgeftellt und auf dieje
Weiſe mit dem königlich württembergifchen
Hofe befannt. Die Folge davon war,
dajs ich einige Zeit darauf eine Einladung
nah dem Hoflager zu Friedrichshafen
erhielt. Ich bürftete wiederum den Frack
und ſtellte mich auch allda ein. Da wurde
ih denn einen langen Nadmittag in
ernftliche äſthetiſche Auseinanderfegungen
mit der Herzogin Vera vermwidelt, während
deilen König Karl in einem Saale nebenan
eifrig Billard jpielte. Beim Abjchied war
der König jehr freundlich, drüdte mir
die Hand und jagte mit etwas ſchwäbiſcher
Hecentwierung: „Es iſt jehr ſchön von
Ihnen, daſs Sie mir meinen Hohentwiel
50
786
bejungen haben!“ Ich fuhr alfo mit dem
Bewufätjein eines gerechten Menjchen nad
Haufe und erhielt in Folge dieſes Be-
ſuches den württembergijchen Kronenorden,
mit welchem befanntlic der Perjonaladel
verbunden ift. Als darauf die Karlsruher
Rolytechnifer auf den Gedanken kamen,
meinen Geburtstag öffentlih zu feiern,
da mochte wohl unſer Hof gedacht haben,
den mwöürttenbergiichen Kronenorden zu
überbieten, und jo fam von dieſer Seite
der Erbadel. Alles Zufall! Hätte mich
das Telegramm des Großherzogs von
Mainau noch treffen können, jo wäre id)
nicht mit dem württembergiichen Königs»
baufe befannt geworben. Der Beſuch in
Friedrichshafen wäre unter», der Kronen—
orden aber ausgeblieben. Der ausgeblie-
bene Kronenorden hätte aber höchſtwahr—
fcheinlich den badiſchen Erbadel nicht im
Gefolge gehabt. So bin ich denn durch
reinen Zufall adelig geworden,
Man jagt, daſs diejer Zufall dem
Dichter nicht unangenehm geweſen ijt und
dais ihm die beiden Orden mehr Freude
bereitet hätten, als der Zorbeerfranz, den
das deutſche Voll ihm aufs Haupt ge
jegt bat.
Wo foll id; beten...
Wo ſoll ih beten,
Die Hände falten, die Stirne jenen,
Reuelallend die Knie beugen,
Öffnen die Riegel des Herzens,
Die Lippen rühren,
Bußeflüfternd?. .
Im knirſchenden Kies
Gelbſandiger Heide,
Das Auge geblendet,
Den Scheitel geſengt
Vom Glutblick der Sonne? ...
In demuthſüßer Waldesſtille,
Umtost von heiligem Dunkel,
Von Silberthau gebeugter
Andachtliſpelnder Gräſer umnickt,
Gewiegt in weiche weibliche Sqhwaͤchheit?. PR
Mo foll ich beten?.
Auf finfterjchroffen, ſtarrem Gefels,
Tie blutenden Finger gellammert
Un ſpitze ſteinerne Bergesrippen? ...
Wo ſoll ich münzen
Das Gold
Aufgeſpeicherter Andacht,
Den hellen Reichthum
Meiner Liebe? ...
Auf fothiger Gaſſe
Bon geipenftigem Schatten
Hung’rigen Elends,
Klagender Noth verfolgt?...
Wo foll ich beten?.
Auf gleikendem, fpiegelglattem Getäfel
Moderner Salons,
Bon katenbudelnden Sclavenmenſchen,
Bon gefchniegelter Roheit,
Bon geihmintter Gefallſucht umlogen? ...
Wo mag ich beten?
Wo die weichen
Sehnſuchsſaiten des Herzens ſtimmen,
Wo meines ſtolzen Fühlens
Lichte Quellen ergießen? ...
Im Arm eines Weibes,
Von luſterzitterndem Goldgewoge
Gelöster Flechten umftrömt,
Bon heißhauchigen Lippen beraufdt,
Vom Weinestaumel die Sinne trunfen,
Im tollen Genuis ———— Wohl⸗
eins? ...
Wo mag ich beten?...
Soll ih verfriehen
An darbende Keuſchheit,
In geiftesumnadtete Finſternis
Blinder, bleiher Asteje?..
u. — — — — — — —
Armer Erdenſohn,
Wälze von dir
Die Centnerlaſten
Quälender Zweifel,
Verjage die freudemordende Schar
Unftäter Gedanken.
Liebe, lebe dir ſelbſt,
Knie, büße und bete,
Genieße und ſchwelge
In der keuſchen Kammer der Seele,
Deiner himmelanringenden
Herrſcherſeele.
Gngo Grotht.
Hat Chriſtus ſich ſelbſt ver—
leugnet?
In einem Aufſatze „Der moderne
Pflichtbegriff“ von E. Gnad (,Tägliche
Rundſchau“) findet ſich folgende beachtens-
werte Stelle:
„Im erjten Augenblid will e3 jcheinen,
als jtände der moderne Pflichtbegriff im
denkbar jchroffiten Gegenjag zu dem
Grundgedanfen Chriſti. Hier die Pflicht
der Selbitliebe, dort die Pflichten der
Nächitenliebe; hier das Verlangen, die
eigene Perjönlichkeit frei auszuleben, dort
der tieffinnige Ruf des Meifters: Ver:
leugne did jelbit und folge mir nad!
— Trotzdem müſſen wir ung davor hüten,
diefe Forderung des Chriftenthums jo
einjeitig und oberflählih aufzufaſſen, mie
das nicht felten geſchieht. Vielleicht iſt fie
zuweilen gerade von den berufenen Lehrern
und sFührern des Volkes in jtrenger
Buchftäblichkeit aufgefajst worden, weil
die menſchlichen Leidenſchaften und Ber
gierden fich jo gut an dieſem Zügel leiten
laffen. Wer aber mit gereiftem Urtheil
und freiem Blid die große Lehre bes
Chriſtenthums und die erhabene Geftalt
ihres Begründers anjhant, der wird er—
fennen, daſs auch dort den Rechten der
Perjönlichkeit ein weiterer Raum gewährt
wird, al& man im allgemeinen annimmt.
Chriſtus hat in der That fich jelbjt aus»
gelebt. Er hat jeine Werfe und jeinen
Mandel zum Ausdrud jeiner Überzeu—
gung gemacht und allem miberjtanden,
was ihn veranlafjen wollte, jeinem Ich
untren zu werben. Die beilige Liebe,
die ihn in ben Tob trieb, bildete den
tiefen, ungerftörbaren Stern jeines Weſens.
Und jo hat Ehriftus in diefem Tode jeine
Perjönfichkeit nicht aufgeopfert, ſondern
fie zur höchſten Entwidelung gebradt.
Kann man überhaupt jagen, daſs er fich
jelbft verleugnet habe? In der eigen-
tbümlichen Bedeutung diefes Wortes nicht.
Der göttliche Lehrer der Menſchheit be—
jaß eine jo Mar und rein ausgeprägte
Individualität, wie fein anderer vor und
nah ihm, und wich um feines Haares
Breite von den Geſetzen ab, die ihm jeine
Individualität vorſchrieb. Die irbijchen
Rüdfichten des Glüds und des Wohl—
behagens, denen jein Leben nicht Rechnung
trug, waren für ihn nur etwas Äußer—
liches, das nicht3 mit jeiner wahren Natur
gemein hatte. Sein Leiden und Sterben
waren jeinem Weſen gemäß, und nicht
er.
feinem Mejen zumider. Von der Menid-
heit verlangt Chriftus aber nichts, was
er nicht in feinem eigenen Leben vorbild-
lih verförpert hat. Wenn er aljo jagt:
Verleugne dich jelbit, jo kann nach feinem
Beilpiel dieje Forderung nur bedeuten:
Überwinde alles Niedrige und Unedle in
dir, das dich hindert, meinen Spuren
nachzufolgen!“
Sonntagsgedanken.
Schau’ ih mir die großen Lichter,
Alle Philofophen und Dichter
Und Naturerforfher an,
So ſeh' ich, dafs ihre Lehre Wahn,
Alles, was Heine gejhrieben,
Waren die böfen Sieben,
Alles, was Darwin gejagt,
Hat uns unglüdliher gemadt,
Alles, was Ibſen gelehrt,
Hat unfer Unglüd nur vermehrt;
Und wenn Goethe jagte: mehr Licht!
So war auch dies ein Großes nicht.
Sehen die Blinden? Und können
Kinder das Leben ergründen?
Kunft und alles Wifien,
Können wir vermijien!
Doch die Liebe nicht,
Wo fein Herz thut ſchlagen,
Um mit mir zu fragen,
Nust uns nicht das Licht
Alles Thun und Denten
Auf das Gute lenfen
Sit nur Glüd allein;
Denn allein zu ftreben
Für fein eigen Leben,
Iſt doch gar zu Elein.
Der ſchlechten Menſchen Schlechtigkeit
Iſt Schuld an aller Guten Leid.
Himmelweit —
Iſt großer, guter Menjchen Leid.
Menihengröße und Gott
Sind unerreihbar vom Hajs und Spott.
Hafs und Liebe find Gemwalten,
Die die Welten umgeftalten.
P. 3. Siſcher.
Ausgenommen den Bürger-
meifter.
Als der Schaufpieler Foote auf einer
Reife im weftlihen England eines Tages
in einem Gaſthauſe jeine Mahlzeit eins
genommen, wurde er bei Bezahlung der
Rechnung von dem Gaſtwirt gefragt, ob
er mit dem Eſſen zufrieden wäre „ch
habe gejpeist”, ſagte Foote, „mie fein
Menſch in England.“ — „Ausgenonmen
den Bürgermeiſter“, entgegnete der andere
lebhaft. — „Ah nehme niemand aus.”
— „Sie müfjen den Pürgermeifter aus—
nehmen,“ Foote wurde heftig. „Selbit
nicht den Bürgermeiſter“, wiederholte er.
Der Streit wurde fo bitter, dajs ber
Gaftwirt, welcher zugleih Polizeirichter
war, den Schaufpieler vor den Bürger—
meifter brachte. „Herr Foote“, jagte dieſer
ehrwürdige Beamte zu ihm, „Sie werden
willen, daſs es jeit unvordenklichen Zeiten
in diejer Stadt Brauch ift, den Bürger:
meister ſtets auszunehmen, und damit Sie
fünftig unjere Sitten und Gewohnheiten
nicht vergefien, jo ftrafe ich Sie mit einem
Schilling oder fünf Stunden Haft, nad
Ihrer Wahl.” Foote fah fich gezwungen,
die Gelditrafe zu zahlen. Als er aus dem
Saal gieng, ſagte er: „Ich habe in
meinem Leben feinen größeren Ejel ge
jehben, als diejen Gaftwirt ausge⸗
nommen (und hier verbeugte er ſich vor
Seiner Herrlichkeit) den Herrn Bürger—
meifter.
Ber Lump in Lafalle.
Lange genug haben die glänzenden
Eigenihaften Lajjalles das Urtheil
der Geſchichte zu beftechen gewuſst; nur
zu leicht vergab man über jeinen Gaben
die Schwächen und Mängel jeines Cha—
rafters, oder beſſer: jeine Charafterlofig-
feit. Wes Geiftes Kind er eigentlich war,
wird durch das Tagebub, das er als
Breslauer Gymnaſiaſt vom 1. Januar
1840 bis zum Frühjahr 1841 geführt
bat, und meldes nım in der Monats
ſchrift „Nord und Süd“ veröffentlicht
wurde, far genug ans Licht gehoben. Wir
gewinnen bier ein ungeihmeicheltes Bild
von ihm, wie er die Schule ſchwanzt,
um in die Gonditorei zu geben, wie er
pfiffig mit Büchern und Taſchenmeſſern
Mitihülern wie Eltern gegenüber allerlei
fleine vortheilhafte Handelsgeichäfte macht,
durh Spielergewinne jeine Ausgaben
zu deden jucht und im übrigen neben
einer ausgeſprochenen Selbitgctälligfeit
eine unerjättliche leidenſchaftliche Rachſucht
als fennzeihnenden Charakterzug verräth
— das alles ift vorbildlihb für das
Leben und Denken des Mannes. Aus
diefen Berichten jehen wir nicht nur ihn,
wir jehen auch jeine ganze Familie leib-
haftig vor Augen.
Es iſt übrigens bemerfenswert, mie
die Altflugheit in dem jungen Burſchen
man möchte jagen geflilfentlich großgezogen
wird. Und er zeigt ſehr deutlich die bei
halberwachſenen jungen Leuten übrigens
feineswegs jeltene Neigung, mit Vorliebe
den Verkehr mit älteren und reiferen auf—
zufuchen. Bor allem mwird ihm von den
Seinigen in der Familie eine Stellung
eingeräumt und eine Bedentung beigelegt,
die bei der Jugend Ferdinands jehr ſelt—
jam erjcheint. In der Angelegenheit, Die
die Familie zu jener Zeit am tiefiten
bewegt, in der Frage, ob Friederile ihren
Netter Ferdinand Friedländer heiraten
ſoll oder nicht, wird die Stimme bes
jungen Bruders nit nur gehört, fie
findet auch die ernithaftefte Beachtung.
Mit befremdliher Nüchternbeit und Ge—
ichäftlichfeit erörtert der junge Ferdinand
mit den Seinigen für den Fall der Auf-
löjung der Verlobung Friederikens mit
ihrem Vetter die Möglichkeit einer anderen
Verbindung. Er fennt ganz genau bie
Vermögensverhältniffe des neuen Heirats«
candidaten, und er folgert aus den ihm
befannten Thatſachen die Forderungen,
die jener wohl aufftellen würde Er be
rechnet jodann, was der Pater jeiner
Schmweiter geben werde, warnt die Mutter
vor übertriebenen Opfern und ſchätzt die
äußeren Vorzüge und die Bildung feiner
Schweiter — auf zehntaufend Thaler !
ee — urn © u 20 — ——
789
Aus ſeiner Eitelkeit erklären ſich viele
Unarten: ſein vorlautes Weſen in der
Geſellſchaft Älterer, ſeine Luſt am Kra—
fehlen, ſeine Aufſäſſigkeit gegen ben
Lehrer. So ſchrieb er auf eins jeiner
natürlich ſchlechten Zeugniffe: „Wahrheit
und Dichtung“. Und er ſcheint fih noch
darüber zu wundern, daſs er deswegen
vom Lehrer einen Rüffel befommt. Er
iſt überhaupt ein miferabler Schüler, Er
befigt eigentlih alle Eigenſchaften, die
einen jchlebten Schüler ausmachen, Sein
Betragen läjst mabezu alles zu wünjchen
übrig. Dajs die Lehrer ihm nicht wohl—
gefinnt find, ift durchaus erflärlid. Es
kann ihnen nicht entgehen, daſs der
Schüler ungewöhnliche Berjtandesgaben
beſitzt, eine leichte Auffaſſungsgabe, ein
ausgezeichnetes Gedächtnis, eine für jeine
Sabre höchſt beachtenswerte Schärfe des
Urtheils. Dem entiprehend jollten auch
die Leiftungen fein. Dieje find aber auber-
ordentlich mäßig; denn der junge Fer—
dinand ift namenlos faul. „Gonduiten“
mwurden die Zeugniffe auf dem Breslauer
Gymnaſium genannt. Und da dieje nicht
nah dem Munjche des Secundaner3 aus
fielen und er unangenehme Auftritte mit
feinem beftigen Vater fürchtet, jo macht
er furzen Proceſs. Er fälſcht die Unter:
ichrift jeiner Eltern. Mit der ihm eigen:
thümlichen Freude an jpintifierender So—
phiſtil macht er ſich Har, dajs er eigent-
(ich ſehr wohl berechtigt jei, die Unterjchrift
jeines Vaters nachzumachen. Denn jein
Vater nähme die Geihichte viel zu tragiid.
Er würde fih vielmehr über ein jchlechtes
Zeugnis ärgern, als e3 die Sade ver
diene. Er witzelt jogar über jeine Fäl—
hung: „Am andern Tage bracdte ich
meine Genjur, vom Vater unterichrieben,
nämlich von mir, der ich nah Bedürfnis
Bater, Mutter und Sohn bin,*
£uftige Beitung.
Ein Franciscaner hielt an dem
Feſttage eines Märtyrer eine jehr rüh—
vende Predigt. Faſt alle feine Zuhörer
meinten und jähluchzten laut. Das gieng
dem gutmüthigen Menjchen zu Herzen,
er hielt inne und jagte dann bejänftigend:
„Meine Brüder und Schweſtern! Weint
doch nicht jo heftig! Wer weiß aud,
ob's wahr ijt!*
Gemüthlich. Des is doch recht
bart für unjere Gegend, daſs der alte
Medicinalrath geitorwe is. Er hat's jo
verjtande, mit de Yeut zu rede, dajs mer
gleih e rechtes Zutraue zu em gehabt
bat. Wenn einer zu em fam un Elagt
immer Schmerze, da fieng er gleih an:
„So? Kommite auch e mal mwidder, bu
altes Kameel?“ Oder: „Was hajtu denn
diesmal für e Preiten, Du altes Rind-
vieh ?* und jo fort in dem herzigen Ton !
Kanzleiftil. Ein Gerichtsvollzieher
pfänbete einer Frau, die zum zweitenmale
verheiratet war, ein Schwein, das nod
aus ihrer eriten Wirtſchaft ſtammte, und
trug folgenden Vermerk in das Protokoll
ein: „Bepfändet ein Schwein aus erjter
Ehe.”
Ein Soldatenbrief. „Theire
Minna! Diſſen Brief wird dich mein
guter Freind Strumpfe iber Bringen.
Ich bin den Kerl 3 March Schuldig und
er fan fie bei dich abejjen motor ich diſſe
Woche nich zu aben Brod bei did
fommen Werde wenn er dir küßen will
Gieb das Rinzviech eine maulſchele.
Dein Rarel.“
Großartig! „Haſte gehört, der
junge Cohn ift durchgegangen mit 100.000
Markt.” — „Oroßarlig, und dabei hat
er vor vier Jahren angefangen mit nilcht.“
Guter Rath. „Ib kann mid an
Ihrer Tochter gar nicht jatt ſehen.“
— „Na, da beißen ©’ halt an!“
Ein großer Gejhäftsmann in Buda=
peſt befab eine hübſche Frau und
einen hübſchen Buchhalter Die
Frau war zwar etwas „ſcharf“, hielt
aber das Hausmejen trefflih in Ordnung ;
der Buchhalter war ein Don Juan, aber in
Geldjahen die Treue jelber. Doch wer
it vor Tänfchungen ficher 2 Eines Tages
war der Buchhalter, welcher den vertrauen«
erwedenden Namen Armin Graubolz führt,
verſchwunden, und mit ihm 5000 Gulden,
MWüthend eilte der Betrogene auf die
Polizei, um die Anzeige zu erftatten,
Nachhauſe zurüdgekehrt, wollte er jeiner
Elugen rau die Niedertradht des Bud
halter3 erzählen, Sie war jedoch nicht
zu finden, wohl aber ein Zettel, welcher in
furgen Worten meldete, daſs fie mit
Grauholz durchgegangen ſei. Abermals
eilte der Betrogene in größter Erregung
zur Polizei, ſuchte den Commiſſär auf
und bat ihn, die Verfolgung des Flüch—
tigen zu — unterlaſſen. Seine Anzeige
habe auf einem Irrthum beruht. Als der
Vereinſamte aus dem Polizeigebäude trat,
leuchtete Zufriedenheit aus feinen Mienen:
„Ein Narr, der Graubolz; ih hätt! ihm
die rau auh — thbeurergelajien!*
Amerifaniijde Heiratsan-
zeige: „Ein junger Witwer, jehr ge-
fühlvoll, wünſcht jih, da er noch im
Trauerjahr fich befindet, mit einer Negerin
zu vermählen. Mufattinnen könnten erjt
vom Herbſt ab Berüdfihtigung finden.“
Aus der Prinzenihule. Pro-
feſſor: „Nun, mit welchem Jahre beginnen
die Kreuzzüge?“ — Prinz: „Im Jahre
1520 !* Profeſſor: „Die Zahl,
Durchlaucht iſt ja an fich jehr gut —
aber hier passt fie doch nicht ganz genau!“
Prinz (auf die Landkarte zeigend):
„Dies iſt wohl Spanien?“ Erzieher:
„Sa, Hoheit! Aber nur von lauter
Franzoſen bewohnt. Die Spanier jelbjt
wohnen mehr jüdlich.“
Ein NRenommijt. „Ja, ja, Leute,
voriges Jahr war ich fehr krank!“ —
„Was haft denn gehabt 2?” — „Gehirm
entzündung!“ „Aber Menſch,
renommier' doch nicht jo!“
Der große Chirurg K. iſt Hypo—
chonder. „Mir macht nichts mehr
Freude“, ſagt er eines Tages zu einem
Berufsgenoſſen, „nicht einmal mehr das
Abſchneiden eines Armes oder Beines.“
Der amerikaniſche Eiſenbahnkönig
Jay Gould kaufte, wie New-Porfer
Blätter berichten, vor furzem während
feiner Anweſenheit in Bofton von einem
„Newsboy“ mit ſchmutzigem Gefiht eine
Zeitung, gab ihm einen Nidel und jagte:
„Behalt’ die drei Gents, kauf’ dir Seife
dafür und waſch' dein Gefiht!* Der
Junge aber, ftolz wie ein — Boftoner,
gibt Herrn Gould die drei Cents wieder
mit den Morten: „Behalten Sie das
Geld und faufen Sie fih 'n Buch über
ben guten Ton!” Der Junge war ber
erite „Mann“, der Herrn Gould in jeinem
Leben imponiert bat.
Marum er abreist. „Herr Baron
reifen ſchon ab ?* — „Sa, liebe Milla.
Die befte Zeit ift vorüber, was jegt zur
Eur kommt, ift Plebs, Leute, von denen
man nicht einmal — eine fleinigfeit
pumpen kann.“
Er glaubt'3 aud. Baron (zu
jeinem nicht mehr ganz jungen Diener,
den er auf einer neuen Fahrläſſigkeit
betroffen bat): „Ih glaube, Johann,
du wirft alt!” — Johann (Ichmunzelnd) :
„Glaub's jelbit, Herr Baron, — mein
Vater jelig wurde auch jo an die achtzig!“
Wirtsbaus- Humor Gaſt:
„Herr Wirt, dies Deeffteal leidet an
einem Übel!“ — Wirt: „An mweldem
denn?" — Gaft: „An Größen
wahn!“
Profejior (in der höheren
Töchterſchule): „... Ich habe Ihnen,
meine Damen, in der legten Stunde mit-
getbeilt, dajs das Gehirn des Mannes
größer iſt, als das der Frau Was
jchließen Sie daraus, Fräulein Bertha ?
— Bertha: „Dajs es beim Gehirn
nicht auf die Quantität, jondern auf
die Qualität anfommt!“
Auf feinen Fall. „Mama, darf
ich dem Herrn Aſſeſſor mein Bild ſchenken ?*
— „Aber Kind, das ift doch im höchſten
Maße unpaſſend, auf feinen Fall — darf
ih davon wiſſen!“
-.
Berubigend. Mutter: „Wie, der
Herr Lieutenant war den ganzen Nad-
mittag bier? Ich hatte dir doch verboten,
mit Herren allein im Zimmer zu fein!”
Todter: „E3 war ja aud nur einer,
Mama !*
Inder Prüfungder höheren
Töchterſchule. Lehrer: „Geben
Sie mir dob mal furz an, was Gie
von der alten Geſchichte willen!“
— Höhere Tohter: „Sie bleibt
ewig neu, und wem jie juft pajfiert,
dem bricht das Gerz entzwei!“
Glüdlihes Einvernehmen.
„Lebft du denn jegt glüdliher mit
deinem Mann?“ — „DO, jetzt find mir
ein Herz und eine Seele.” — „Hat er
fih denn das viele Biertrinfen abgemöhnt,
worüber du immer jo unglüdlich warft ?*
— „Nein — er hat's mir angewöhnt !*
Dfteologiides Miſsver—
tändnis, NAugufte: „Na, Rieke! Bei
jo ’en Doctor Dienftmäden zu find, det
iS feene Kleenigkeit. Denke dir, jeden
Morgen bat er feine Knochen im janzen
Zimmer "rum zu liegen.“ — Rieke: „Derr-
jejes! Nimmt fih denn der Mann det
abends janz ausenander ?*
Ein befdjämter Wikbold.
Don Joſef Wichner.
Wie eines Tages im großen Wien
der Reichsrath aus war, und die Herren
Abgeordneten, weil ſie eben ihre Pflicht
redlich erfüllt hatten, mit gutem Gewiſſen
auseinandergiengen, alle in ſchwarzen
Fräcken und großen Cylinderhüten, da
ſtand eine Menge gaffenden Volkes auf
der Straße, und die Herren Berather
mujsten förmlich Spießruthen laufen mitten
zwiſchen den neugierigen Bliden hindurch.
Es wollte eben jeder diejenigen jehen,
welde jo tapfer zum Wohle der Völfer
geredet und ſich fein Blatt vor den
Mnnd genommen hatten, wo es gegolten
hatte, Friede und Recht zu jchüten,
Schaden abzuwehren, Gefittung, Bildung
und Wohlftand zu heben.
Und unter dieſen vielen QTaufenden
von Zufchauern jtanden auch zwei, bei
denen bald ein Wort das andere geben
mujste, ein Sandmann nämlich, der gerne
fragte, aber nicht immer gerade das Ge-
ſcheiteſte, und ein luftiger Wiener , der
gerne antwortete, aber manchmal pudel-
närriihe Dinge, wie man fie einftmals
von dem berühmten Pfaffen am Kahlen—
berge, dem Wigand von Theben uralten
Andenfens zu hören gewohnt war.
Das macht eben der Mein, der in
den heißen Sommer- und Herbjttagen
an den Hängen des Sahlenberges über
Scallitreihe und Narrenpofjen brütet,
als „höchſter Heuriger“ den Leuten in
die Köpfe fteigt, obſchon fie ihm in den
Magen hinabtrinten, und jo luſtige
Käuze und Spajsvögel ſchafft, die jedem
etwas anhängen und jeden hänjeln, oft
zur rechten, oft aber auch zur unrechten
Zeit, wie gerade bier.
Der gute Landmann jchaute nämlich
ganz verwundert auf die große Zahl
vornehmer, ehrwürdiger Geftalten, die
da feierlich ernjt aus dem Tempel de3
Reichswohles herausjchritten, und er
meinte, bier könne er alle berühmten
Männer jeben, von denen er als Schul:
büblein etwas gehört hatte oder jonit
ipäter bie und da ein Wort.
Darıım gab er jeinem Nachbarn
einen höflihen Stoß mit dem Ellenbogen
und fragte:
„Suter freund, jagt mir einmal, iſt
nicht da auch der Grillparzer dabei?“
Kun weiß der Lejer ganz wohl, der
berühmte Dichter Grillparzer iſt ſchon im
Jahre 1872 eines ſanften Todes ver-
jhieden und darum fonnte er im Sabre
1890, wo ich dies zugetragen bat, un—
möglich über die Wiener Ringftraße gehen.
Das wuſste aber der gute Landmann
nicht, und es iſt ihm gewiſs nicht zu
verargen.
Den Wiener Schalt aber figelte des
Mannes einfältige Frage und jo ant-
wortete er ernſthaft:
„Ja freilih, Herr Vetter, gleich dort
der Eleine, vorgebeugtee Mann iſt's, der
die linfe Hand auf die Bruft legt, als
ob ihm das Herz weh thäte, Mit ihm
gebt der Schiller, der lange, magere,
aufrechte; es find die zwei ja alleweil
Dutzbrüder gewejen von den Windeln an,
und darum fiten fie aud nebeneinander
im Reichsrathe.”
Der Leſer weik wiederum, der Schiller
iſt Ihon im Jahre 1805 verjchieden,
wie ber Grillparzer noch ein junger
Student war; auch ijt er nie im Neichd«
rathe gemwejen, wohl aber hört und fieht
man jeine Werke im Theater und erhebt
fih an ihnen.
Der Landmann aber war über-
glüdlich, die zwei Berühmtheiten einmal
feibhaftig jehen zu fönnen, und wie ber
Epajsvogel bemerkte, wie gläubig jein
Nachbar jei, da zeigte er ihm in feiner
übermüthigen Qaune no ein ganzes Schod
von Dichtern und Denkern, Kriegsherren
und Landesfürften, Entdedern und Er—
findern, lauter jolche, deren Gebeine ſchon
längjt die Erbe dedt, den Goethe und
den Franklin, den Walther von ber
Vogelweide und den Anaftafiıs Grün,
den Radetzky, der ſich ſonſt in Wetzdorf
aufhalte, den Kaiſer Karl, der jebesmal
aus dem Untersberge bei Salzburg zu
den Situngen ericheine, aber in Wien
natürlich feine Krone tragen dürfe.
Sb all dem jtrahlten die Augen des
Landmannes vor lauter Seligfeit und
Begeifterung, und er wäre hoch aufge-
jprungen vor Entzüden, wäre er nicht
eingefeilt gewefen in bie ſich drängenden
Volksmaſſen.
„Nein“ — ſagte er — „das hätte
ih mir nicht gedacht, daſs ich fie alle da
finden würde! Fit das eine hbellichte
freude! Da mujs ich aber gleich nach—
baule fahren und meinem Weib und
meinen Sindern erzählen, wie ich fie ger
fehben babe und wie ihr mir alles jo
ihön erzählt habt. Ich weiß gar nicht,
792
ihr einmal nach Stronsdorf, jo kehrt beim
Rohrbrunner Poldl zu, unb nachher
gehen wir mitjammen in den Seller!“
Damit drängte fih der Rohrbrunner
Poldl kräftig durch bie Menge und war
im nächſten Augenblide verſchwunden.
Jetzt wenn ich erzähle, der Iujtige
Wiener habe fih nun den Baud gehalten
vor lauter Lachen über den gelungenen
Witz, und er babe bis in den Prater
hinaus jeden Belannten am NRodzipfel
gepadt und ihm die Geihichte brühwarm
aufgetiiht, dann bin ih ein Lügner;
und wenn fich einige Leer etwa die Hände
reiben und fih darob freuen, dab der
dumme Bauer in Wien drin'n jo ange-
ihmiert worden ift, dann fiub fie mir
in der Seele zuwieder.
Die Sade ift vielmehr jo ausge
gangen:
Der vorichnelle Mund des Iuftigen
Wieners machte manden Spais, von
dem jein Herz nicht3 mwujste. So war es
jet auch gemwejen, und darum fonnte das
Lachen nicht Herr werden über die Scham-
röthe, die auf einmal fein ganzes Ge-
fiht überzog.
Es dünkte ihm plöglih, als ob er
an einem für alles Große empfänglichen
Herzen ein ſchweres Unreht begangen
bätte, und dafs der unmwillende Mann
eigentlich weit über ihm ftände.
Mas er hatte belächeln wollen, das
fam ihm jetzt unjäglih jhön vor, daſs
nämlich das Wolf feine Helden nicht unter
dem Raſen im Sarge ſucht, jondern,
ihres Scheidens vergeffend, fie wirkſam
ſieht allfort, wie damals, als fie noch
im Fleiſche wandelten, rechtipendend und
trojtipendend, beilend und belehrend.
Darum drüdte es ihn ſchwer, daſs
der gutmüthig vertrauende Mann daheim
vielleiht von feinen eigenen gelebrteren
Kindern verjpottet werden jollte, während
doch jein einfältig kindliches Gemüth
jene großen Männer mehr geehrt hatte,
al3 dies Tafeln und Standbilder ans
Erz und Marmelitein zu thun vermögen.
So wurde der Inftige Wiener, dem
Zuge ſeines Herzens und einer beijeren
wie ih euch danken joll; aber kommt | Erfenntnis folgend, beinahe ſchwermüthig
und ein reniger Sünder, umd jchnell ent:
ſchloſſen, winkte er, wie die Leute Fich
verliefen, einem Fiaker und fuhr jo jchnell,
wie das nur die Wiener zuftande bringen,
dur Gaſſen krumm und grad und über
den Donaucanal dem Nordweitbahnhofe
zu und leitete dem Rohrbrunner Poldi
aus Stronsdorf eine demüthige Abbitte.
Jetzt alle Achtung vor dem luſtigen
Wiener und vor dem Leſer aud, wenn
er ihm Beifall flaticht, wie er es ver
dient hat!
Bücher.
Aufjeihnungen eines Danziger Rloſter⸗
bruders von Anna Conventz. (Weimar.
Jüngſt & Comp.) Ein bemerkenswertes
Werkchen, bemertenswert durch den Inhalt
und die Form, Der Kampf des nach ewigen
Wahrheiten ringenden Geiftes gegen das
GeldprogenthHum innerhalb einer PBatrizier:
familie der guten alten Stadt Danzig
oder „Gdancgk“ im fiebzehnten Sahrhun:
dert, und der Sieg des Geiftes durd die
Dazwiſchenkunft des immer in Geldnöthen
befindlihen Schugherrn von Danzig, des
edlen Polentönigs Bladislav — das ift
beiläufig der Inhalt, der in fein humori—
ftiiche Form gebradht wurde. Dadurd, dais
ein glüdlih harafterifierter, luftiger Klo:
fterbruder jener Zeit die Geſchichte nieder:
ichreibt, gelingt es der Berfaijerin, indem
fie fih der damals üblihen Schreibmweiie
bedient, den Schein der Verfünftelung und
Verihnörkelung zu vermeiden. Den Ab—
fihten der Dichterin kann man alleroris
beiftimmen, auch der, daſs ein Jungfräulein
Philoſophie betreiben und doch eine gute
Hausfrau bei Rochen und Hausherd ab:
geben fann. Warum joll mit ein ehrbar
Weibien während bes Hantierens mit dem
Kochlöffel ohne Bitternus über Nirvana,
die getröftlihe Brüde über fo trüben Er:
fennens:Strom, finnieren dürfen? Warum
nit beim Striden des Strumpfes für den
geitrengen Eheherrn das weile Bruhmanen:
wort: „Tat twam asi* — zu bdeutid:
„Das bift du!“ — fi zu Gemüthe führen
dürfen? Wenn nur der Braten nidt an:
brennt und bein Strumpf nicht der Zwickel
vergefien wird, Der vielihönen Leſerin
wird dieſe Bemerkung jehr unnöthig er:
ſcheinen; fie wird einmwenden, daſs die Da—
men es ja nit nothwendig haben, zu
fochen und zu ftriden; wozu wären alddann
die böhmischen Köchinnen und die englifchen
Stridmajhinen auf der Welt? Richtig!
Doch trug fih unſere Geſchichte zu einer
Zeit zu, in der der Roden nod fein bloßer
Sierat in der Kemnate der deutjchen Frau
war, jondern ein widhtiger Dausrath, der
ohne des Platonis erbauliche Meditationes
und Metaphyfica zum vergnügliden Schnur:
ren gebradt wurde, —tt ⸗
Die zürderifhe Dialecidichtung. Ein
Literaturbild von J. €. Heer. (Zürich.
J. C. Heer.) Eine fleißige Arbeit, zu der
der Berfafler nit nur Liebe für jeinen
heimiſchen Dialect, fondern auch das nöthige
Verftändnis, die nöthigen Vorftudien mits
bringt. Wenn wir nur recht viele fo ge:
diegene Ürbeiten über deutſche BDialect:
dichtung hätten! Solde Bücher fommen ja
felbft wieder der Schriftſprache zugute, die
mit ihrer entihiedenen Neigung, „ſich
immer mehr zu vergeiftigen, lautlih und
begrifflich zu verflüdtigen, fort und fort
das Bedürfnis hat, geipeidt und getränft
zu werden von den lebenden Vollsdialecken“
— — „den umenibehrlihen und unverfieg:
lihen Cuellbühern der Schriftiprade”. —
Es ift ja die Gefahr nit ausgeſchloſſen,
dais die Dialecte ausfterben und einer
fünflih gemachten Allerweltsſprache Platz
maden; vor dieſer Gefahr werden uns
vielleiht nur die Dialectdihter und die
Dialectforſcher, die eine ebenjo warmherige
Liebe ihrem Dialecte entgegenbringen, wie
J. C. Heer, jhüsen. tt—
Gedidte von Rönigsbrunn. Hat die Sudt
nad Originalität auf manden Gebieten der
Kunft geradezu Verheerungen angerichtet, ich
erwähne nur die moderne Dramen: und
Romanliteratur, jo ift es andererſeits nicht zu
leugnen, daſs ohne Originalität ein nachhal—
tiger Erfolg jelten möglich ift; dies gilt vor
allem in Bezug auf die Lyrik; denn dieje
wird nit wie das Drama, der Roman
oder das Epos durd das Intereſſe an der
Handlung getragen. Sobald die letztere
eine inhaltsreihe und bewegte, die Sprache
eine gefällige, die Durdführung eine ab:
gerundete ijt, wird die Originalität Neben:
jadhe, das einmal geipannte Intereſſe für
das Dargeftellte tritt in den Vordergrund.
Dem Fehlen diefer günftigen Momente
hat es auch unfere Lyrik zu verdanken, daſs
fie heute ein Stieffind geworden ift.
An Stelle der Handlung muſs bei
diefer Gedanlenreichthum, Klarheit und
Schönheit der Sprache treten.
Originalität ift es vor allem, welde
uns wohlthuend in den Gedichten von
Königsbrunn: Shaup in die Augen fällt
und noch ehe die Kritik ihr jharfes Mord:
beil ſchwingt, uns feſſelt und gewinnt.
Eine ungewöhnlide Klarheit und
Blätte der Sprache — es fommt kein Eat,
fein Wort darin vor, welches fih nicht
durd Prägnanz auszeichnet — erzeugt die
Empfindung, als ob feiner der ausge—
ſprochenen Gedanten fürzer und zugleid
ihöner ausgedrüdt werden fönnte.
Der Inhalt überragt wejentlih den
Umfang, das ſchlichte Gewand feiner Berie
wirft wie vollgewidhtiges Gold.
Dies gilt insbefondere von feinen
Tendenz:Gedichten, unter denen ich folgende
erwähnen mil: „Das Schächerkreuz“,
„Kreuz und Lorbeer”, „Zu Damerlings
Heimgang* und die „Schranlen*. Cines
derjelben fei mir als Beleg für das Gejagte
geftattet wiederzugeben:
Kreuz und Lorbeer.
Als Anabe trat ih an des Vaters Hand
Einſt in ein ftilles, fremdes Aümmerlein.
Ich ſeh's noch heut’: In einer Ode ftand
Ein ſchwarzes Areuz auf einem Büderichrein,
Und auf dem Kreuz ein Aranj von Porbeer bieng.
So jeltiam ſchien mir diefe neue Hier,
Dais fe zu fragen ih mich unterfieng.
Barum der Lorbeer bei dem Kreuze bier.
Der Bater, burd die Frage mein bebrängt,
Bermweilend fprab: „Ei, du vorwitzig Kind,
Der Mann, der feinen ran; and Areuj gehängt,
Der that's, weil Leid und Ruhm verſchwiſtert find,
Wer war der Mann? Ih weiß ed nimmermehr,
Was nod der Bater jprad, vergaß ich ganz;
Es find jo viele, viele Jahre ber,
Doch deutlich ſeh' ich Areuz und Vorbeerfrang.
Ebenfalls in Form und Empfindung
gelungen, wenn aud jeiner Individualität
ferner liegend, find die rein Inrifchen Ge:
dichte; auch fie thun uns wohl durd die
Ginfahheit und Ruhe der Sprade, die
mehr empfindet, als fie jagt, und in der
Subjectivität nicht untergeht, jondern durch
einen leijen Shimmer von Handlung oder
unmerklich eingeftreuten Bildern angenehm
anregt.
Nur in einem einzigen Gedichte, dem
„Beburtstagsgruß*, welcher mit einer wun—
dervollen Beihreibung jfüdlichen Früblings:
zaubers beginnt, bat fih unſer Dichter zu
der verfängliden Subjectivität einer Fünfte
lih erdachten und gejhraubt combinierten
Empfindung verleiten laflen; dadurd, daſs
94
diefes Gedicht einzig unter den übrigen
dafteht, tritt der Hauptvorzug der anderen
ganz beſonders hervor. Als bejonders jhön,
eine Perle rein lyriſchen Stiles, möchte ich
das Meine Gedicht: „Verlorene MWette* er:
wähnen.
Dajs auch jubjecive Empfindung,
wenn fie nicht durch unwahre Gefühlsver—
renfungen entftellt und entfräftet wird, er:
greifen und rühren fann, zeigt uns der
Dichter in jeinem tief empfundenen Ge:
dichte: „Schnellfiederiang“.
Wenn auch nit ganz ohne Cynik,
doc reizend in Gedanken und Form find
die beiden Gedichte: „Novellenftoff* und
Urzeugung”.
In den beiden Gelegenheit3:Bedichten:
„Begafo* und dem „Prolog zu einem
fteirijchen Künftlerfefte*, zeigt er den form:
und geiftgewandten Dichter, beionders in
legterem durch die Satire, in der er fi
jehr ftarf erweist.
Können diefelben auch als Gelegen:
heits-Gedichte feinen wirklichen Anſpruch
auf poetiſchen Wert machen, ſo ſind ſie doch
ein beredtes Zeugnis ſeines techniſchen Kön—
nens und ſeiner geiſtigen Vielſeitigkeit.
Beſonders hervorzuheben iſt das me—
lancholiſch romanzenartig erzählende Ge—
dichtchen: „Ach, wenn du wärſt mein eigen.“
Ein Meiſter der Sprache verdient
Königsbrunn deshalb genannt zu werden,
weil er die heterogenften Formen mit der
Vollendung eines Specialiften behanbelt.
Dies zeigt er in den beiden in reim:
lofen Jamben geicdhriebenen Gedichten:
„Sapriccio* und „No Hebten die Lippen
vom Todesſchweiß“. Im „Gapriccio* ıft es
eine krankhaft überreizte Romantif, in
leterem eine realiftifche Kraft voll drama:
tifchen Lebens, welde nur der Form, aber
nicht mehr dem Inhalte nad Lyrik genannt
werden kann, den Leſer gefangen nimmt
uns bis zum Schluſſe feſſelt.
Dieſe beiden Gedichte find indeſſen,
jowie aud daS Meine, herb ſarkaſtiſche Ge—
dit: „In der Menagerie*, jo gewagt in
Bedanten und Darftellung, dais diefelben
wohl den meiften Anfehtungen von Eeite
der Leſer ausgeſetzt fein dürften,
Die rüdhaltslojefte und freudigfte
Bewunderung jedod verdienen die beiden
Balladen: „Gabrino von Eremona* und
„Die Spiken®. In der erften derjelben,
„Brabino von Eremona*, muthet uns die
anmutbige, ruhig fortichreitende und leben:
dige Handlung, ſowie die humorvolle ſcharfe
Gharalterifierung an,
Auf der Höhe ſeines Könnens fteht
der Dichter jedoh in der Spigen:Ballade,
einer Ballade des großen Stiles.
Die Handlung ift durchaus neu und
originell, jedoch infolge ihrer theilweiſen
Schlüpfrigkeit heilel und ſchwierig.
Von diefer Ballade kann kühn bes
bauptet werden, dajs fie jedes wahrhaft
großen Dichters würdig wäre und zu dem
Beiten zählt, was die Balladen-Literatur
des legten Jahrzehnts geichaffen hat.
Die Sprade flieht wie ein filberflarer
fprudelnder Quell; Entwurf, Dialog, Epi—
ſoden, Höhepunft und Kataftrophe find zu
einer feftgefügten Handlung zuſammen—
geihmolzen und verdienen muftergiltig ge:
nannt zu werden.
Diele Ballade intereffiert mit der erften
Zeile und ift von einer nicht nur relativ,
fondern abfolut jpannenden Wirkung.
Nah zwei jehr treffenden, kriliſchen
Scherz-Gedichten auf Ibſens „Geſpenſter“
und Tolſtoi's „Kreutzer-Sonate“, folgt die
prädtige Scherz. Dihtung in fteiriicher
Mundart: „Der Berfuader*. Der „Heim:
garten“ wollte dieſe für ihn wie gejchaffene
quasi ſteiriſch-bibliſche Humoreske jhon vor
Jahren feinen lieben Lejern bringen. Die:
jelbe wurde jedoch, weil unfer lieber Heiland,
ohne daſs es eine approbierte Erbauungs—
ſchrift ift, darin vorfommt, confisciert; heute
ift es uns auf dem Umwege über das Ausland
möglich, dasjelbe im Gefolge mit anderen
Gedichten des inzwiſchen durd feine No:
vellenjammlung: „ZTaujendluf* und das
romantiihe Gediht: „Der Mond* ſchon
vortheilhaft befannten Verfaſſers zugäng:
lih zu maden.
Und fo ſchließe ich die Beiprehung
des jüngften Werlchens unferes Dichters
mit dem herzlichen Wunſche, dajs dieſes
Büchelchen rajchen und verdienten Eingang
in den Leferfreis des „Heimgarten“ finden
möge.
Die Anerkennung wird nah Goethes
Ausſpruch: „Wer vieles bringt, wird man:
chem etwas bringen“, nicht ausbleiben.
9. v. R.
Menſchen und Schichſale. Von Fritz
Lemmermayer. J. C. C. Bruns Verlag.
Minden i. W. 1890.
Ein neuer öfterreihiicher Novellift, der
berufen jein dürfte, dereinft neben Ebner
Eihenbad, Saar u. j. mw. feine Stelle ein:
zunehmen. Brig Lemmermayer ift einer,
der die Nealität des Lebens mit den Far:
ben der Poeſie malt, der als echter Künftler
über Gemüth und Leidenjhaft, über Bart:
heit und Derbheit verfügt und einen tiefen
Blick thut in die Natur und Ecele des
Menihen. Als hervorragend müſſen die
drei Novellen: „Der verjeite Herrgott“,
„Das Bettelconcert* und „Ein alter Tiſch“
gelten. „Der verjegte Herrgott“ jpielt auf
Wiener Boden und jhildert das Schickſal
Karten, Plänen u. j. w. gegeben.
eines Ehepaares aus den niederen Ständen,
das an ihren Laftern und Schmwäden all:
mählich zugrunde geht. Geftalten von
Fleiſch und Blut find die Helden. Ernft
und tragiich rollt fi ihr Verhängnis ab,
Die Erzählung ift in allen Faſern modern,
ohne je aufdringlih oder, geihmadios zu
werben. Ein finniges, jchlichte und ans
muthiges Stüd Seelengemälde bildet die
Geihichte des „alten Tiſches“. Bon er:
greifender poetiiher Macht ift „Das Bettel:
concert“. Das jchwere geiftige und materielle
Elend des jüdiſchen Bettelconcertiften und
feiner zahlreichen Familie ift mit bewäl—
tigender Wahrheit geſchildert. Jonathan
Schnepf ift ein meifterhaftes Seitenftüd zu
Ferdinand von Saars ESeeligman Hirſch
in der gleichnamigen Novelle. „Hamlet im
Marti“ und „Der Flidtiihler* befunden
die Ddichteriihe Hand eine gemwandten
Genremalerd. Unter „Erlebteg und Gr:
träumtes“ finden wir eine Reihe Stiyzen
und Stimmungen. Bedeutend ift „Der
Inurrende Magen“. Eine Sammlung von
Aphorismen über „Menih und Leben“,
„Bolitit und Geſchichte“, „Kunft und
Philojophie* bilden den Beihlujs des
Buches. Diejelben find wahr, ernft und
mutbig, ftellenweije nicht gerade neu, aber
dur die Individualität des Verfaſſers
intereffant geformt und gegofien.
Hugo Grothe.
Die heilige Bchrift des Alten und Neuen
Teſtamentes. Aus der Bulgata überjegt von
Dr. Joſef Franz von MWllioli.
(Berlin. Friedrich Pfeilftüder.) Bon dieſer
ganz merfwürdigen Bibelausgabe find bis:
ber 15 Hefte erſchienen. In unjerer fatho:
liſchen Kirche hat vielleiht nur eine über:
triebene Oppofition gegen proteftantijche
Theorien zur PVernadläffigung der Bibel
geführt. Das wird fih ändern mülſen,
wenn der hriftliche Geift wieder tiefere und
frudtbarere Wurzeln faflen foll bei den
Katholifen. Das Alte Teftament ift un:
wejentliher; der Ehrift glaubt das Neue
Teftament auch ohne bejondere Beweiſe des
alten, denn der Glaube bedarf ja willen:
ſchaftlicher Beweiſe nit. Indes ift aud
das Alte Teftament eine unerfhöpfliche
Wundgrube von Anregung und Belehrung,
aber Erläuterungen bedarf es, und dieſe
find hier in der Pfeilſtücker'ſchen Ausgabe
bejonder3 in den beigedrudten Abbildungen,
M.
Nicht raften und nidt roften! Jahrbuch
des Scheffelbundes in Öfterreih für 1891.
Geleitet von Franz PBomezny. (Wien.
U. Hartleben.)
In der That eine reizende Sammlung
neuer und neuefter Perlen unierer Dichter!
Haft alle find fie gelommen, theils mit
ganz wertvollen Beiträgen in Poeſie und
Proja. Handjhriftlihes und Handzeid:
nungen von Sceffel jelbft frönen das
Werfen, weldes wir als das vornehmite
Jahrbuch, das diejes Jahr in Öfterreich die
Preſſe verlafjen, zu bezeichnen haben. M.
Cauern:Gold. Eine Geſchichte aus dem
Knappenleben in den Hodalpen. Bon
Umand Freiherrn von Schweiger
Lerhenfeld. (U, Hartleben. Wien.)
In dem unter dem Namen der „Hohen
Tauern“ belannten Gentral:Alpengebirge
befinden fi uralte Goldberge. Ihre Ge:
ſchichte iſt zugleih ein Spiegelbild cul—
tureller Zuftände, welche den ausgedehnten
Zeitraum von den Kelten und Römern bis
zur Gegenwart umfafien. In Sagen und
Überlieferungen leben die Erinnerungen
der glanzreihen Epode des 15. und 16.
Jahrhundert3 nad, während melden in
den Thälern von Gaſtein und Rauris
Reichthum und Wohlleben herrjchte, wie
nirgends ſonſt wo im Wlpengebiete. Seit:
dem jind Nahrhunderte vergangen, die
alten Bergbaue jind größtentheils verjiegt,
aber in den Borftellungen des Boltes
wirlen noch verſchollene und vergangene
Geſchehniſſe in märchenhafter Ausgeſtaltung
nach. Die eiſigen Höhen, auf welchen die
Gletſcher lagern, erſcheinen verflärt von
Sagen und mwunderjamen Stimmungen,
welde die Derzen der Nachgeborenen, die
auf dem einft goldreihen Boden wandeln,
durdzittern, Mitten in dieſe Welt der
ftarren Eisftröme, der öden Kare und der
menſcheneinſamen Wildniffe verlegt der
Verfafler in einer äußerſt jpannenden und
von brillanten Naturjchilderungen durch—
tlodhtenen Erzählung Geſchehniſſe aus halb—
vergangener Zeit, welche dem Intereſſe
vieler Lejer ſchon aus dem einzigen Grunde
nahegelegt werden, als fie jih auf einem
Boden abjpielen, der von Reiienden viel:
fa betreten wird. Die Hauptperjonen
diefer mit dramatiicher Verve und mit bes
merlenswertem Erzäblertalente gejchriebenen |
Hochlandsgeſchichte find zwei Knappen, deren
wunderjame Schidjale von umjo nadhal:
tigerer Wirfung find, als bier Berirrungen
von schier unheimlicher Folgerichtigkeit
vinhologiih meifterhaft gezjeihnet find,
Neben der Charakterzeihnung der Haupt»
acteure machen ſich lebenswahre Scenen
aus dem Snappenleben in jenen eifigen
Wildniffen angenehm bemerkbar. Allent-—
halben begegnen wir hier Menſchen, die
ebenjo mit ihren eigenen, von den Bildern
des Wahnes und Truges erfüllten Bor:
ftellungen, als mit den Schrednifien einer
wilden, unerbittlihen Natur zu kämpfen
haben, V.
Sind die Reichsdeulſchen berechtigt und
verpflihtet, das Deutſchthum im Auslande zu
Rügen? Bon Karl Pröll. (Kiel. Lipfius
& Tiſcher. 1891.) In marliger Sprade,
voll Begeifterung für das Deutihthum und
voll harter Schärfe gegen defjen Feinde unter:
nimmt der bewährte Vorlämpfer des gei—
fligen All-Deutihlands, Karl Pröll, im
dieier Schrift einen neuen Waflengang. Er
erörtert fein Thema nad folgenden Ge:
fihtspunften: Wollszahl, Nationalgebiet,
geographijche Vofition, Grenzvertheidigung,
Bündnisfähigkeit, Eultur, Wirtihaftsaus:
dehung und nationales Innenleben. V.
Sefundheitsiehre für das Volk. Bon
\Dr. Hoeber. (Wien, K. Fromme.) Wenn
jemals ein ausgejchriebener Preis dem
vollen Berdienfte zugefallen, jo war's bei
Dr. Hocber der Fall, deſſen Leiftung zu—
gleih dem gehobenen Anlaſſe des Preis:
ausjhreibens vollflommen entipridt. Die
zweite Auflage ift mit dem Gapitel: „Ent:
widelung und Lehre von den Balterien”
bereichert. Somit ftellt e8 ein Vollsbuch in
des Wortes befter Bedeutung dar, welches
die hygieniſche Richtung mädhtig zu för—
dern veripridt. Das Buch ift im Feuille-
tonftil geichrieben und behandelt in 20
Briefen die widhtigften und interefjanteften
hygieniſchen Fragen in leicht faislidher
Weiſe. V
— — —— nn
{
— — — EEE
Wagnerianer-Bpiegel. Eine Charalteriſtit
der wirklichen wagnerianiihen Geiftesarbeit
| und Weltanihauung, dargeftellt dur hun—
[dert Ausſprüche aus den Schriften der nam:
hafteſten Wagnerianer, gefammeltvon Hans
Baulvon Wolzogen. (Hannover. Louis
Örtel.)
Das Büchlein in allen Ehren. Doch
nod lieber als die „Wagnerianer“, hätten
wir Wagner jelbft gehört. Noch lieber als
Aphorismen über Wagner, wären uns
Aphorismen von Wagner gemwejen. Vielleicht
mödte man doch von den beiten und allge:
mein verſtändlichſten Schriften
Wagners eine Heine Bollsausgabe machen.
Boran der Meifter, dann erft die Jünger.
M.
Der Freiberg und Vöran bei Meran.
Eine Monographie von Fridolin Plant.
(Meran.)
Wer für Meran, diejen überaus jchönen,
geſchichtlich und vollsthümlich interefjanten
Ort, eine ſtille Neigung hat, der möge dieſes
Schriftchen leſen, es iſt ein ſchäzbarer Bei:
trag zur Meranliteratur. M.
100 Ausflugsziele von einem age bis
zu drei Tagen. Für Wiener Naturfreunde
und Touriften zujammengeftellt von Joſef
Rabl. (Hartleben, Wien.)
Wem nur eine lurz abgemejiene Zeit
zur freien Verfügung fteht, der müht ſich
oft lange ab, um eines der verjcdiedenen
Ziele, welde ihm durh den Sinn gehen,
in den Nahmen jeiner Zeit hineinzubringen.
Das vorliegende Bud erjpart ihm nicht
nur diefe Mühe, jondern in den meiften
Fällen auch jedes andere Führerwerk; es bietet
dem Wiener Reifeluftigen 100 Ausflugsziele
für ein: bi$ dreitägige Touren, mit Angabe
der günftigften Reijerouten zur Auswahl
an, und wenn damit aud) die Fülle lohnender
Neifeziele noch lange nicht erſchöpft ift, hat
der Verfafler doch getradhtet, alle Geſchmacks—
rihtungen zu berüdjichtigen.
Perſönliche Grinnerungen an Hobert
Bamerling. Bon P. K. Rojegger. (X.
Hartleben. Wien.)
Der langjährige und vertrautefle Freund
des heimgegangenen Dichters weiß uns den
I
Nidhard |
i
1
Das Buch enthält zahlreiche Briefe Hamer—
lings an den Freund, Geipräde, melde
die beiden Männer über allgemein bewe—
gende, fjowie über perfönlide und ihre
literariihen Angelegenheiten miteinander
führten, freimüthige Belenntnifie, die der
Berfafler in dem Merfe von fi jelbft
madt, u. j. w. V.
Bugendlaube. Bon HermineProſchko.
(Graz. Leyfam.) Die „Jugendlaube“ ift im
chriſtlich-patriotiſchen Sinne gehalten und
erscheint unter Mitwirkung bewährter Kräfte
‚ auf-dem Gebiete der Jugendliteratur. Die
‚ einzelnen Bändden der
Jugendlaube“
enthalten einen Bilderſchmuck. Als erſtes
Bändchen erſchien ſoeben: „Bilder aus
Habsburgs Chronik.“ Von Dr. Iſidor
Proſchko. Dieſes Bändchen bietet zugleich
eine wertvolle Erinnerungsgabe zur 600:
jährigen Gedenifeier des Todes des eriten
gefrönten Herrfchers aus dem Haufe Habs:
burg, Kaiſer Rudolfs I., welches in feiner
Schul: oder Hausbibliothel bei diefem Ans
lafie fehlen jollte.
Die weiteren Bändchen, deren 4—6
jährlich erijcheinen, werden eine Reihe inter:
eſſanter, unterhaltender und belehrender
Arbeiten von der Herausgeberin und ber
währten Jugendichriftjtellerin des In- und
Auslandes enthalten, nämlich: Erzählungen
aus dem Kinderleben und aud hiftorijchen
Inhaltes, dann Gejhichtliches, Reijebilder,
Sagen, Märden, Lebensbilder hervor—
ragender Perſönlichkeiten, Wiſſenſchaft—
liches verſchiedener Art, kleine, leicht auf—
führbare Theaterſtücke, für Inſtitute und
Familienkreiſe geeignet.
Wir empfehlen dieſes ſchöne patrio—
tiſche Unternehmen auf das beſte. V.
Die Fibertad. Novelle. (Zürich. 1891.
Verlags:-Magazin.) „Die Libertad“ ftellt
originellen Menſchen und bedeutenden Geiſt
von einer neuen, intimen Geite vorzus|
führen. Hamerlings perjönlihe Eigen: |
thümlichleiten in Lebensführung und Häus: |
lichkeit, jein Verhältnis zu Freunden, zu
Frauen, zu jungen Dichtern und Dichter:
in Inappfter Form ein Stüd modernen,
ja modernften Lebens dar, den Kampf der
Frau um Selbftändigleit. Die drei Frauen,
welhe ihn unternommen haben, treten
uns als Anwalt, Philologe und Malerin
entgegen, jede mit ihren eigenen Erfahrun:
lingen, jeine Art zu tadeln, feine Welt- gen und Schidjalen. Die gemeinfam ver?
ſchüchternheit
perſönlichen Anſichten über Kritik, Peſſi—
mismus, Parteiſachen, Antiſemitismus, ſo—
gar ſeine Geſchäftsführung, ſeine Erbſchafts—
ſorgen u. ſ. w., endlich ſeine Krankenge—
ſchichte und ſein Tod, alles das und noch
allerhand anderes iſt mit aller Ummittel:
barkeit und voll Pietät erzählt. Das Ber:
hältnis der beiden Dichter zu einander ift
und Bereinjamung, ſeine jebte Studienzeit in Paris dient als Hin:
tergrund und Erklärung des Ganzen. V.
Seo N. Bolftois gefammelte Werke.
Vom Verfafler genehmigte Ausgabe von
Naphael Lömwenfeld. (Berlin, Rihard
MWilhelmi.) Heute liegt uns Band I abge:
ein inniges, wahrhaft rührendes geweſen. ſchloſſen vor, Erenthält unter dem zufammens
faflenden Titel „Lebensftufen® die drei in
innerem Zuſammenhang ftehenden Erzäh—
lungen „Kindheit“, „Rnabenalter“, „Büng:
Iingsjahre”. Es iſt eine wahre Erfrischung,
diejes Werk des großen ruifiichen Dichters
zu leſen, nahdem man im jüngfter Zeit
nur Moftiiches und Unflares von ihm em:
pfangen hat. Die „Lebensftufen“ find
feineswegs, wie man wohl in Deutihland
oft las, eine Selbftbiographie Tolftojs,
fie find vielmehr, wie uns der Heraus:
geber in einer kurzen Einleitung erläutert,
ein gauz jelbftändiges Dichtwerk, in dem
natürlich die Lebenserfahrungen des Did:
ters einen weientlihen Antheil bilden. Dan
darf aber feineswegs das von dem Helden
diejer Geſchichten, Nicolaj Irtenjew, Er:
zählte als die Schidjale Toljftojs an:
ſehen. V.
Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen:
Viola Tritolor und andere Novellen
von Karl Guntram. (Dresden. €.
Pierſon. 1891.)
Erutnadtigal. Bon Karl Henkell.
(Stuttgart. 3. G. W. Dies. 1891.)
Gelcicte der Bmpfung von Lady Mon: |
tague bis zu Jenners Tod. Nah eng:
98
‚ Die fhlimmen Brüder. Schaufpiel in
vier Acten und einem Borfpiel von Paul
Heyſe. (Berlin, Wilhelm Hertz. 1891.)
Das neue" Bud der Natur. Bon U. v.
Schweiger-Lerchenfeld. (Mit circa
400 YMuftrationen, darunter zahlreiden
Bollbildern.) (Wien. A. Hartleben. 1891.)
In 35 Lieferungen.
Moderner Todtentanz. Kohlen-Skizzen
von Karl Pröll, (Berlin. Hans Lüften-
öder. 1891.)
Die Seewiefe, Ein Märden aus Alt—
Auffe. Bon Hermann Maerheim.
(Wien. Karl Konegen. 1891.)
Scherzgedihte.BonYohannesTrojan.
Zweite neubearbeitete Auflage. (Leipzig. U.
\®. Liebestind. 1891.)
Mein Elſaſs. Sktizzen und Rovellen
von Hermann Stegemann. (Colmar.
Mar Wettig. 1891.)
Sefammelte Schriften von Otto Lud—
wig. (Leipzig. Fr. W. Grunow, 1891.)
Zwölfte Lieferung.
Seltfame Geſchichten. Gin Liederchclus
von Rihard Boozmann (Zürid.
Verlagsmagazin. 1891.)
Aus dem Grokfladtbrodem. Bon Wil:
helm Arent. (Züri, Verlags: Magazin.
1891.)
Drei Weiber, Bon Wilhelm Arent.
lichen Quellen von Adolf Graf Zedt: (urich. Verlagsmagazin. 1891.)
wit. (Dresden. F. E. Bilz. 1891.)
Fine epochemachende Neuheit auf dem
Das moderne Barokfpiel. Eine Anleitung | Gebiete des Schul-Unterrichtes! Keligions-
zur gründlichen Erlernung desielben nebjt
zahlreihen erläuternden Beiipielen. Von
Anterrigt in Tabellen. Bon Adalbert
ft. Merner, Zweite, vermehrte und ver: Falinski, Prieſter der Erzdiöceſe Mien.
befjerte Auflage. (U. Hartleben. Wien.)
I, Katehismus. (Wien. Dreſcher & Comp.)
Nufruf.
» In der Reihshauptftadt Hat ſich ein |
Comité gebildet, welches fih zur Aufgabe
ftellt, dem verftorbenen Dombaumeifter
Freiherrn von Schmidt in Wien ein Dentmal |
zu errichten. Dasſelbe hat folgenden Aufruf
erlafien: „Alsbald nad dem tiefbetrübenden |
Dingange des großen Meifters Friedrid |
Schmidt ift aus der Bewunderung für
den genialen Künftler und aus der Liebe
zu dem edlen Menſchen der Wunih laut
geworden, ihm ein Dentmal zu jeten,. Hat,
auch jeine Kunſt jelbft dafür gelorgt, daß
fein Name in die Zukunft getragen wird,
jo fol ein Denfmal Zeugniß ablegen von
der Verehrung und Dankbarkeit jeiner Zeit:
genojjen für immerdar. Mit heiliger Bes
geifterung hut er die Heberlieferungen jeiner
Kunft in jeinen Werfen weitergetragen und
in hinreibenden Morten fortgepflanzt in
einen Kreis Tunftbegeifterter Schüler. Er
war ein Meifter alter Art, der nur aus
ſich ſelbſt, aus jeiner ftarfen Empfindung
’
{
|
een | GE
und reihen Phantafie heraus ſchuf, dabei
aber nie vergaß, daß es in feiner Kunſt
fo ſehr des Willens und Könnens bedarf,
um die Ydee ins Leben umzujegen, als in
der feinen. Wie in die berühmten Meifter:
ſchulen vergangener Jahrhunderte, wander:
ten die Schüler aus allen Ländern zu ihm,
Denn jein Ruf ging dur ganz Europa
und darüber hinaus, und wo es galt, eine
Trage feiner Kunft zu entiheiden, da wurde
er gerufen und fein Wort entichied. Taufend:
fah find die Spuren dieſes Mannes, der
feinen höheren Zwed fannte als die Arbeit,
und fein höheres Biel, als jein reiches
Können ganz dem Wohle jeiner Mitbürger
zu weihen. In mannigfaden Stellungen
des Öffentlichen Lebens hat er feine Ein:
fiht, Erfahrungen und Thatfraft wichtigen
Zweden in flet3 ausgezeichneter Weiſe ger
widmet. Er, der gelernte Künftler, hat es
nicht verſchmäht, jelbft Meißel und Schlägel
in die Hand zu nehmen und feine Laufbahn
beim Handwerk zu beginnen. So mehrte
er fein Berftändniß für das Bolt, jo ſchärfte
er jeinen Blid für die Erlenntnik der
Meienheit des Volkes. Darum wurden er
und feine Werte aud jo jehr vom Bolte
verfianden und die Steine fpraden zum
Volke, wie er ed als das Ideal feiner Kunft
Graz, im Mai 1891.
angeftrebt hat. Weitbefannt in allen freien
der Bevöllerung, war er der Schöpfer fo
vieler Meifterwerfe, jo vieler Stätten der
frommen Erhebung des Herzens, der Wieder:
erbauer des Stephanäthurmes, der Erbauer
des Nathhaufes, des alten und neuen Wahr:
zeihens der Stadt Wien. Wir wollen die
voltsthümliche Geftalt des großen Meifters
im Bolfe erhalten, wir wollen ihm aber
im Namen der ganzen fTunftbegeifterten
Menichheit unjere Huldigung darbringen,
denn es heißt: „Ehret Eure Meifter!“
Un Alle gebt unjer Ruf und unjere
Bitte! Jede Gabe wird willlommen
jein, denn jede ift eine Liebesgabe
jur Ehre und zum Ruhme des
unvergebliden Künſtlers.“
Auch in Gras, wo der große Künſtler
eine feiner erften Kirhenbauten ausführte,
hat fih aus Berehrern und Schülern des
Meifterd ein Comite conftituirt, welches
beftrebt ift, für das in Ausfiht genommene
Monument Geldmittel zu fammeln, und fid
daher erlaubt, alle Verehrer des genialen
Meifters aufzufordern, ihr Scherflein bei—
jutragen, damit den Manen des Dahin-
gegangenen ein feiner Bedeutung würdiges
Monument errichtet werden könne.
Das Grazer Local: Comits für die Errihtung eines Schmidt: Dentmales.
Der Obmann:
Pr. Ferdinand Portugal,
PBürgermeifter.
Der Obmann: Stellvertreter:
Bofef Waller,
f. f. Regierungsratb, Rector der k. k. techniſchen Hochſchule.
Der Gafjier:
Moriz putſchar,
ſtädt. Ober- Ingenieur u. Obmann d. polytechn. Glub.
Dr. Franz Bayer,
Pürgermeiiter-Ztellvertreter.
Hans Brandfeiter,
Bildhauer.
Dr. Julius von Verſchatta,
Reibörathb-Abgeordneter.
Adolf von Gabriely,
k. t. Regierungsratbh, Prof. an der f. k techn. Hochſchule.
Bohann Graus,
Profefor im f. b. Priefterhaufe, F. b. geiftl. Rath,
t. t. Goniervator.
Dr. Wilhelm Gurlitt,
Profeſſor der f. k. Univerftät.
Franz Ritter von Hodenburger,
t. t, Cberbauratb.
Georg Höhel,
Ingenieur, Stadt-Baumeifter.
Alexander Roller,
Bürgermeifter- Stellvertreter.
Der Schriftführer:
Bohann Wil,
Architell, Brofeffor der k. k. tehniiben Hochſchule.
Carl Sauzil,
Architelt, Director ber f. f. Staatbgewerbeſchule.
Ferdinand Fudmig,
Reihsrathb-Abgeorbneter,
Pr. Eugen Jetoliczka,
t. t. Statthalterei · Rath.
Catl von Raab,
Chef ⸗Redacteur der Grazer „Zagespoft'".
Hermann Bcanoni,
Arhitelt, Ober-Angenieur.
Pr. Moris Ritter v. Schreiner,
ft. Landes ⸗Ausſchuß.
Heinrich Schwach,
Director der I. Zeihen-Alademie.
Seopold Theyer,
Architelt, Profefior der f. f. Etaatögewerbeihufe.
Dr. Franz Bifler,
f, Rath, Chef- Redacteser der „„Brager Zeitung” und
„Grazer Morgenpoft”.
Beiträge übernehmen alle hier angeführten Herren Komite-Mitglieder, die Redactionen
der Grazer „Tagespoſt““, der „Grazer Beitung‘‘, der „Grazer Morgenpoſt“, die f. f. Uni:
verfität3-Buchhandlung der Herren Leuſchner & Subensky, das Bankhaus Heuhold,
Die Spenden werden öffentlid ausgewieſen.
800
“Ich habe nichts anzuziehen. Und ſelbſt
Voſtkarten des „Heimgarten | wenn fie alle Kiften und Käſten voll Kleider
F. ©. £., Wien: Die ganze Größe von | bat, e8 bleibt dabei: Ich habe nichts an:
Hamerling’3 „Homunfulus* ift bisher noch)! zuziehen. — Hat Stettenheim mit diejem
nicht gewürdigt worden. Wer diejes Wert | Ausſpruche recht oder mit? Laſſen Sie
nicht in feiner großen und tiefdeutfamen | unter den Eheherren abſtimmen. Gerade die
Einheit auffajst, der kann aud die ein: | Beltfituierten werden Frauen befiten, die
zelnen Abſchnitte nicht verftchen. Abſolut | nichts anzuziehen haben, Frauen willen,
mifsverftanden haben z. B. die Untifemiten | daſs es recht kleidſam iſt, fih mandmal
das Gapitel „Im neuen Israel“. Im Die: |
jem Abjchnitte find die Juden daralteri:
fiert und ihre ſchlimmen Eigenſchaften ver:
jpottet, fowie in dem Werfe ja aud die
Auswüchſe der
überhaupt, des Profeſſorenthums, der Lite:
raten, der Peifimiften und jelbft die Eigen:
ihaften der modernen Frauenwelt auf das
unbarmberzigfte gegeihelt werden. Wo
fommt in dem Capitel: „Im neuen Israel“
auch nur eine leije Andeutung vor, dais
man die Juden rechtlos maden, ausweiſen,
verfolgen jolle? Im Gegentheile, diefe Be:
ftrebungen der Antifemiten belommen im
„Homunfulus“ manden Nafenftüber. Siehe
Seite 116, Zeile 7, Seile 148 und 149,
Seite 206, Zeile 22, Seite 210, Zeile 15,
Seite 211, Zeile 24, Seite 225, Zeile 23
u. ſ. w Aus all diefen Wendungen gebt
doh wohl Har hervor, was der Dichter
von den Antijemiten hielt. Es war faft
poffierlich zu jehen, wie die „Unverfäljchten*
durh fortwährenden demonftrativen Ab—
drud der nah ihrer Meinung antifemiti:
ihen Stellen aus „Homunkulus“ die leb-
hafteften Anftrengungen madten, um zu
beweifen, wie vollommen ihnen der Beift
diefes grandiofen Werles mit fieben Siegeln
verſchloſſen ift.
R. $., Wien: Jede Ehefrau ift bettel:
arm. Yede wird zu ihrem Gemahl jagen:
modernen Geihäftswelt |
fleine Blößen zujugeftehen.
B., Sraz: Dieje ſchönſte der Geſchichten
„Joſef und jeine Brüder* lälst fi mund:
artli für den Spaſs nit gut behandeln.
3. M., Schluczenau: Bellen Danf für
die dem Herausgeber gewidmete fo hübſche
Compofition zum Beteranen-Bundesliede.
a. 2., Pfäffikon: Für die Aſchenurne
vielen Dank. Diejelbe wird, da bei uns
die Leichenverbrennung noch nit einge:
führt ift, einftweilen als Gigarrenaiden:
becher verwendet.
R. M. Donnersbahmwald: Prädhtig war
der große jhwarze Vogel! Allein ein folder
ziert weniger fein die Schüffel eines Pfingſt—
mahles, als die Wipfel eines oberländi-
ſchen Bergwaldes. Nihisdeftoweniger Dan.
F. R., Troſaiach: Schönſten Tant für
die Widmung.
Vielen Anderen dasſelbe. Können aber
all die ſchönen Sachen nicht in ihrem
vollen Maße würdigen.
* Bitten unaufgefordert Manuſcripte
nicht ſchicen zu wollen. Wir bürgen nicht
dafür. Es iſt bei uns unmöglich, all die
Handſchrifien unter Dach und Fach zu
bringen, geſchweige ſie zu leſen, zu beur—
theilen oder gar zu druden.
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garen,
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Die Hordpolfahrer.
Eine Erzählung von Hans Malfer.
ei
oi bo! nah dem Nordpol!
Seemannsreden! wer will
mit 2?“ jo ſcholl es im weiten
en und von Stiel zu Kiel, von
' Maft zu Maft tönte der Ruf. Aus
| Kajüten kamen fie hervor, von den
Tafelwerfen kletterten jie nieder, auf
Jollen glitten fie heran, die jchwarze
und rothbärtigen Männer in ihren
blaugeftreiften Zwilchkleidern. Sie
jprangen ans Ufer taumelnd falt,
man merkte, jie waren bei den Land—
ratten nicht daheim. Sie eilten einem
Gebäude zu, das, ſonſt als Waren
magazin verwendet, heute einem anu—
deren Zwecke diente.
Auch aus der Stadt, aus den
finfteren, ſchmutzigen Gafjen der Ar—
beiterviertel hafteten Leute heran
und dem Gebäude zu; es war zus
meift verfommenes Boll in Lumpen
Rofegoger's „Stimgarten‘“, 11, Geft. XV.
.
.
“
er
(ge
a 3
©
— — — We —“
——— —
und Verwilderung, roch nach ſchlech—
tem Tabak und Brantwein.
Spähend, lauernd und einander
ſtoßend und drängend, kämpften ſich
dieſe Maſſen durch die Schubthüren
des Gebäudes. Aber Weiber und Kin—
der wurden zugewieſen, und dieſe
ſchrien und fluchten und klagten, dajs
man Männer, Väter und Söhne
ihnen entreiße.
Im Gebäude wurden Theilnehmer
zu einer bevorſtehenden Nordpolfahrt
geworben.
Man bedurfte abgehärteter Ma—
trojen, tüchtiger Handwerker, gedie=
gener Gelehrter; die Bolarfahrt, durch
die Hochherzigkeit einzelner Gavaliere
und den Gemeinfinn des Volles aus»
gerüftet, jollte im Namen der Wiſſen—
ſchaft unternommen fein, Das ftolze
Schiff, der „Siegfried“, eigens zur
Sl
RETTET TE — ——— — —
802
Grpedition erbaut, ftand bereit3 aus leuten und Landratten. Da erjchien
gerüftet im Hafen, reich beflaggt mit | Hauptmann Prachwald.
Farben der civilijierten Länder. Die Ein Theil der Verfammlung
Bolitil, die anmapende und eigen= |murrte, Prachwald trug weder die
nüßige, mujste diesmal ſchweigen; | Officiersuniform, noch die Seemanns=
nicht Deutichlands oder Frankreichs, |tracht, in einfachen, ſchwarzen Tuch—
nicht Europas oder Amerikas war | Heidern ftand er da und ſprach.
die Fahrt gegen den Bol: jie gehörte As er den Zwed der Nordpol-
der ganzen Welt, denn die Willen fahrt und die Verdienfte der Theil-
haft ift und fei aflgemein, wie das |nehmer an derjelben dargethan Hatte,
Sonnenlicht. jchilderte er in Meatrojenausdrüden
Seitdem dur die Chinefen die |die Gattung diefer Expedition in den
magnetiiche Kraft entdedt worden und |fhwärzeften Farben. Er ſprach von
jeit der Italiener Flavio Gioja (mm |den monatelangen Nächten, von der
das Jahr 1302) den Compajs er: |grimmigen Kälte, von den Eutbeh—
funden, weist die Magnetnadel nad) |rungen und Gefahren, wies hin auf
Norden, — ein ewiger Fingerzeig |die jahrelange Abgejchloffendeit von
nach dem Geheimniffe des Poles. Die den Menfchen, auf die Unmöglichkeit,
Geſtirne reifen über Oft und Weit; |denfelben Nachrichten zukommen zu
die Völker ziehen von Oſt nach Weit; laſſen oder jolche zu erhalten.
aber was muſs dort in den Nächten Der Redner ſchwieg eine Weile
des Nordens fein, dafs die zitternde |und forderte dann die Männer, welche
Eiſenſpitze jo ruhelos dahinfirebt ? !gefonnen wären, die Fahrt mitzu—
Und jo liegt's im Menfchenherzen, machen, auf, ihre Hände zu erheben.
daj3 wir die Erdenheimat, die uns Da trat eine jchwere Stille ein,
Gott angewiejen, bis auf den legten und fiehe, der erhobenen Hände waren
Winkel fennen lernen wollen. Oft: nur wenige. Die große Maſſe ſtrömte
mals Schon ift verfucht worden, nad zu den Thüren Hinaus. Kaum an
den Polen der Erde vorzudringen, hundert Männer waren geblieben.
um zu ſehen, ob dort fefle Länder | Das jedoch waren derbe, trogige Ge—
oder offene Durchfahrten gegen die ſtalten.
andere Seite der Weltfugel hinüber, Ein noch junger, aber ſtämmiger
welche Naturerfcheinungen dort vor: Mann, der an einer Ede ftand und
tämen, oder ob und im welcher Weife I mit geballten Fäuſten firfter drein—
aus jenen Himmelsftrichen etwas ſtarrte, übertraf ungeachtet feiner fei-
Nubreiches für die menſchliche Geſell- neren Kleidung alle übrigen an Derb-
haft zu Holen wäre. Die einzige |heit und Troß. Die Glieder diejes
Erfahrung war, daſs die Pole mit | Mannes waren maſſig und kraft—
ewigem Eiſe umgürtet jeien und ein |ftrogend, aber das Antlif war
weiteres Vordringen gegen diefelben blaſs; dichtes, gefraustes Haar und
zur Unmöglichleit gehöre. Das wollte ein junger ſchwarzer Bart ummallte
der Schiffshauptmaun Prachwald nicht |es, und im den großen, tief= und
glauben. Diejer Mann gab Anregung | finfterliegenden Augen jprühte ein
zu einer neuen Erpedition, und als |ryeuer, als wäre es entzündet, um
diefelbe gefichert, übernahm er die |die Eisberge des Poles zu ſchmelzen.
Führerfchaft. Prachwalds Hauptforge | Wie eine Bildfäule fand er da und
war nun, in der deutjchen Seeftadt hatte die fcharfen Lippen feit zu—
eine tüchtige, tauglihe Bemannung ſammengekniffen. Er ſchien nit auf
zu werben. die Worte des Capitäns zu achten ;
Das große Gebäude am Hafen- er lauerte gegen einen anderen
plaß war gedrängt von Seemanns- ljungen Mann Hin, der nahe an dent
— —h — — — — — een — — —— — — — —— —— — — —— —
———— — — — — — —
Spredenden ftand und jedes Wort
it Gier erfafste. Diefer aufmerkſame
Zuhörer war ein etwa vierundzwan—
Atgjähriger Jüngling von feltener
Schönheit. Das blaue Auge und das
ein wenig gebrännte Geficht und die
vollen lebensfriſchen Lippen, über
Denen ein weiches, blondes Schnurr—
bärthen lag, und die Hohe männliche
Stirne gaben ihm ein gar anmuthiges
Weſen. Nur ſchade, dafs er die gols
Digen Loden nicht mehr trug, die ihm
vor fünf Jahren noch jo reizend auf
die runden Schultern niedergewallt
waren. Damals hießen ſie ihn aller—
dings in feiner Baterftadt den jchönen
Waldemar. Er war armer Eltern
Kind und fchon in feiner frühen Ju—
gend zur Handarbeit gewieſen. Kauf—
leute und Künstler fahndeten nad ihın
und wollten mit dem jchönen, ver—
wendjamen Jüngling ihr Gejchäft
machen. Das verdroj3 den Burfchen,
auch war ihm das MWeibervolf, das
ihn allerwärt3 umfchmeichelte, vom
Herzen zuwider; er bejchlojs, der
Stadt den Nüden zu fehren und ſich
dem Seemannsleben zu widmen. Dar
mals mujste er fich auch die goldenen
Poden bejchneiden. Er war feither im
Dienfte des Hauſes Grüneberg zwei—
mal in Oſtindien geweſen; das zweite—
mal Hatte er ſelbſt am Steuerrade
jtehend das Kauffarteiſchiff der Hei—
mat zugeführt.
Mittlerweile war die Tochter feines
Kaufherrn zur Jungfrau herange—
wachſen, und als der gute Waldemar
die liebliche, heitere Litta ſah und fie
ihm freundlich lächelte, da vergieng
ihm alles Orientierungsvermögen, und
er steuerte dem Leuchtthurme dieſes
Frauenherzens zu, ohne zu unter—
juchen, ob derfelbe im ficheren Hafen
oder auf ſchroffem Felſen ftand.
Unter dem Schuße feiner Anmuth
wusste Waldemar dem Mädchen zu
nahen, und im Zeichen feiner mu—
thigen Seemannsitirne wagte er es,
der Jungfrau feine Neigung zu bes
feinen. Litta, don manchem bereits
ug.
ummorben, ließ ihre zarte Hand nur
von dem Schönen Schiffer küſſen. Herr
Grüneberg aber war des micht zu:
frieden.
„Lieber Freund!” ſagte er eines
Zuges zu Waldemar, al3 es dieſer
in jeiner jugendlichen Begeiſterung
gewagt hatte, um Littas Hand zu
bitten, „lieber Freund, ich glaube,
Ihr Amt, daſs Sie mit Ihren Hän—
den nach der Weifung des Gapitäns
dad Steuer leiten, madt Sie fühn,
verführt Sie zu Thorheiten. Sie find
ein gewöhnlicher Schiffsarbeiter, ver:
geſſen Sie das nicht! Wenn Sie aber
einmal Dfficier geworden und den
Obliegenheiten eines Steuermannes
thatfächlih gewachjen find, dann viel-
leicht mögen Sie anfragen.”
Das: war ein gewidhtig Wort.
Schiffsofficier! Steuermann ! das war
ein hohes Ziel. Waldemar, der arıne
Burſche, muſste alltäglich um jein
Dafein fümpfen und ſah feine Mög-
lichkeit, die Seemannsschule befuchen
zu können. Sein jo prädtig vom
Stapel gegangenes Liebesglüd hatte
Schiffbruch gelitten, oder zum mitte
deiten, es ſaß auf einer Sandbant.
Troftlos irrte Waldemar in den rate
ihenden Straßen der großen Seeftudt
umher; unter all der Pracht und Herr-
lichkeit kam er ſich gar verlaffen vor,
und wie einen beimlofen Hund ges
treten und für nichts geachtet. Er
fluchte der Armuth und er fluchte dem
Reichthum und er jehnte jich nach dem
Segel, das ihn wieder hinausführen
follte auf das hohe Meer.
Uber Waldeınar wollte nicht mehr
unter der Flagge des Kaufherrn die—
nen, der ihn abgewiejen; gleichwohl
mufste fi) der Burfche Jagen: der
Mann konnte und durfte nicht anders
Handeln, und für den armen Jungen
gäbe e3 denn einmal fonft fein Ding,
als die Thorheit aus dem Kopf und
die Lieb’ aus dem Herzen zu jchlagen.
Aber Litta mag ihn ja leiden
und auch fie, die Tochter, ſtürzt der
herzloſe Mann in die Verzweiflung.
51*
804
— Der Schiffe liegen heute im Hafen, | mit dem fprühenden Auge ftand immer
die morgen in den Weiten treiben, noch unbemweglich in der Ede; er hatte
die jeden aufnehmen, feine Verant- weder Miene gemacht, den Saal zu
wortlichkeit geben, aber auch feine |verlaffen, noch die Hand erhoben. Die
fordern. Die Jungfrau entführen! — |Nordpolfahrt gieng ihn aud gar
Der Gedanke war groß. Aber nichts an, er hatte Geld; Geld aber
Waldemars Charakter war größer. |gilt nicht dort im arktiihen Eije. Der
— Ube Treu’ und Redlichkeit! — | Finftere war da, um dem jungen
So hieß die ganze Erbſchaft Walde: | Mann zu belauern, den fie den ſchö—
mars von feinem Water. Mufs er die |nen Waldemar hießen, und den er
Geliebte denn fahren laffen, das beſte als einen ZTodfeind glühend hafste.
von ihr, die Liebe wird ihm bleiben, Er hieß Robert Wadar; man
Dieje will er bewahren, fie ſoll in hatte ihn nie den Schönen genannt,
jeiner Lebensnacht der freundliche | wohl aber den Wilden und den Eher:
Stern jein. Und nun wieder dem nen, der unbeugjam war und bei jedem
gemeinjamen Streben der Menfchheit | leichten Schlage Funken gab, Man
zu und den Kampf nah dem Ziele) hatte ihn nie verhätjchelt und geför-
weiter geringen ! dert, wohl aber unterſchätzt und unter—
Waldemar, ſtreng gegen ſich ſelbſt drückt. Auch Robert war armer Leute
und unerſchütterlich in dem, was er Kind; ſeine Eltern waren aus Italien
beſchloſs und ihm nöthig ſchien, war eingewanderte Arbeiter und ſtarben,
mit ſich im Reinen. Die Tochter des noch bevor ſie ihren Sohn erzogen
Kaufherrn war es nicht. und geborgen batten. Robert hatte
Und zu diefer Zeit wurde für die dann die Schlofjerei gelernt und war
Nordpolfahrt geworben. Da tamen | als Schlofier zu den Seeleuten ge—
alle Heimat- und Glüdlojen herbei; gangen. Er befand jih manches Jahr
durch fremde oder eigene Schuld zu- auf einem und demjelben Schiffe mit
grunde gegangene Eriftenzen, Schelme, | Waldemar, den er anfangs wie einen
Geſindel, Leute mit einer dunklen | Bruder lieb Hatte, Freilich nicht lange ;
Vergangenheit fanden ſich ein, um der anmuthige, beitere Waldemar
der verhajsten Stätte ihres Elendes wurde in den Kreis der Schiffsoffi—
zu entfliehen und die abentenerliche |ciexe gezogen und bei jeder Gelegen-
Fahrt dem ſchimmernden Polarfterne | Heit bevorzugt; den ftillen, verjchloffe-
entgegen mitzumachen. ‚nen Robert lieg man unbeachtet im
Aber des Dauptmannes lebendige | feiner finfteren Werkitatt und bürdete
Schilderung von den bevorftehenden ihm Arbeit über Arbeit auf. Da warf
Beichwerden und Nöthen der Erpedi= er eines Tages den Hammer an Die
tion jonderte den Spreu von dem Wand und ſprang auf das Ded und
Korne. Kaum hundert Perfonen waren | wollte, wie er jagte, eine Stelle im
im Saale verblieben. Und als Prad: | Tageslichte haben. Der Capitän wies
wald noch einmal das Wort ergriff jihn zu feinem Handwerk zurüd, da
und fagte: „Im allergünftigften Falle | wollte er fih in das Meer ftürzen.
werden wir nach Jahren zurückkehren Was ließ ſich mit dem überfpannten
mit vderfrorenen Gliedern, mit zer= | Burfchen anfangen? Es wurde ver—
rifjener Gefundheit, vielleiht nur mit |fucht, ob er im Zafelwerf zu ver—
den nadten Leben!” da entfernten wenden jei; da gieng Robert in jeiner
ih auch noch von dieſem Reſte zwei | Selbjtüberfhägung jogar zum Logg—
Drittdeile; aber in den Augen der | breit, durch welches die Geſchwindig—
wenigen noch übriggebliebenen leuch= |teit der Fahrt bejtimmt wird, und
tete die Glut der Begeilterung. welches zu den Meifungen eines außer—
Der jo auffallend finftere Mann jordentlich geübten und verläjslichen
305
Mannes bedarf! und endlich ftellte ſich
Mobert auch an das Steuerrad, um
zu zeigen, was im ihm jtede. Aber
fiehe, da war e3 wieder der ſchöne
Waldemar, der fich ihn überall vor—
drängte und wie ihm zum Trotze
alles beffer zu machen wujste. Robert
mujste wieder in jeine finitere Kam—
mer, Den Waldemar aber konnte er
nicht mehr ausftehen, und wenn er
feinen Hammer auf den glühenden
Stahl ſauſen ließ, jo bildete er ſich
ein, der Stahl jei Waldemard Haupt
— und fiehe, da lieferte er gute Arbeit.
As endlih das Schiff mit den
beiden Burſchen in die Vaterſtadt zu—
rüdfehrte, da war eine feltene Gele—
genheit für Robert, jih an Waldemar,
an dem Shiffscapitän und an allen |
jeinen Genofjen zu rächen. Ein alter |
Oheim war geltorben, nachdem er
Robert Wadar zum Erben eines be—
deutenden Bermögens und eines hüb—
ſchen Landhauſes gemacht hatte. Am
tiebiten hätte nun Robert den Wal—
demar und alle Schiffsgenofjen, die
ihn mifsachtet hatten, zu einer großen
Tafel eingeladen, um ihnen feine
Stellung und Herrichaft fühlen zu
lajien ; allein, er beſchloſs, mit jolchen
zu wollen, ſich hingegen aber mehr
und inniger in der vornehmen Ge—
ſellſchaft zu befeſtigen. Zu dieſem
Zwecke führte er ein großes Haus,
gab Feſte, und da wuchſen ihm die
Freunde wie Pilze aus der Erde.
Nun dachte Robert Wackar aber
auch ans Heiraten,
eine ſchöne, reiche Braut ſuchte, fiel
ſein Auge auf die Kaufherrntochter
Litta. Der Kaufherr war für dieſen
ſo vermögenden Eidam ſchier gewon—
nen, auch Littas Bruder, Oskar,
lobte den Hengiten, welchen ihm Ro—
bert zum Geſchenke gemacht hatte —
allein das Mädchen wollte von dem
Freier nichts wiſſen. Litta war ein
tühnes Kind und fagte es offen, wenn
man ihr denn zutraue, dafs fie ſchon
an einen Mann denten jolle,
fie bereit$ einen, der ihr gefiele,
Bald erfuhr es Robert, fein Neben
buhler und Bevorzugter jet auch bier
wieder der ſchöne Waldemar. Osfar
meinte zwar, der junge bettelhafte
Mensch ſei leicht beifeite zu ſchieben;
allein der Kaufherr fagte, Princip
jei es ihm gerade nicht, einen reichen
Schwiegerfohn zu Haben, er müſſe
billigerweife doch auch ſeinem Kinde
einige Wahl laſſen, und Hätte ſich
Waldemar nur erſt eine anjtändige
Stellung verſchafft, jo könne er, der
Bater, eigentlich gegen ihn nichts ein—
zuwenden haben.
Nun jah es Robert wohl, hier
galt’3 einen Kampf mit jeinem Nebenz
bubler, einen Kampf auf Leben und
Tod, Littas Bruder hatte er gänzlich
zum Verbündeten gewonnen,
Oskar jedoh war gejchmeidigerer
Natur als fein anzuhoffender Schwa=
ger, er meinte, Gewalt tauge Hier
wicht, aber Lift...
Es war jedoh ganz überflüflig,
als fi eines Tages Oskar auf der
Safe zu dem betrübten Waldemar
gejellte und Folgendes zu ihm jagte:
„Suter Freund, Sie dauern mic
von Herzen, aber Sie fennen meinen
Menſchen nichts mehr zu thun haben | ı Vater; er iſt unbewegſam in dem,
und indem er!demar war mit
io wifle, S
was er einmal will und jagt. Und
mein Bater äußerte gelten: Wenn
er zu den Helden der Nordpolerpedi-
tion geht und fehrt jiegreich zurüd,
jo ſoll er mein Eidam fein. Und,
Waldemar, er meinte Sie.”
Das war aber überflüfjig, Wal:
jih bereits völlig
einig, daſs er die große Fahrt im
Dienite der Wiſſenſchaft mitmachen
wolle. Er hatte fich zum Ywede der
Aufnahme eben erſt ein ärztliches
Zeugnis feiner vollfommenen Ge—
jundheit und körperlichen Tüchtigkeit
ausftellen laſſen.
Oskar kam triumphierend zu fei-
nem Freunde und rief: „Er geht und
kehrt nicht mehr zurück; nicht mehr
oder zu ſpät. Ehe ein Jahr vorbei:
chwager Robert!“
806
Des war Robert allerdings recht
zufrieden. Und als nun die Werbung
der Nordfahrer ftattfand, mifchte er
ih unter die Menge, um Sich zu
überzeugen, ob Waldemar denn aud
wirklid beitrat und den Schwur ab=
legte.
Und als Hauptmann Prachwald
aus den wenigen, die im Saale ge—
blieben waren, jeine achtzehn oder
zwanzig Mann auserlefen Hatte, da
war unter diefen Erwählten auch der
Ihöne Waldemar. Und als der Haupt»
mann von feiner nen angeworbenen
Schiffsmannſchaft den Eid der Treue
und der Beftändigleit forderte und
darauf Hinwies, dajs der Eidſchwur
nicht Geringeres bedeute, als eine
polle und unwiderrufliche Losjage von
allen geſellſchaftlichen Verhältniſſen
und allem Lieben und allem Eigen—
thume der Heimat, da erblaſste Wal—
demar und ſtürzte aus dem Saal.
„Der elende Feigling!“ murmelte
Robert, und mit einem ganz unheim—
lichen Zucken ſeines wild glühenden
Auges verließ auch er die kleine Gruppe
könnte man mit Freuden in dieſem
Schiffe zubringen.
Die theilnehmenden Officiere hat—
ten noch allerlei weſentliche Obliegen=
beiten in der Stadt und correipon-
dierten vermiitelft der Kupferdrähte
mit allen fünf Welttheilen. Die an—
geworbene Mannſchaft verbradte die
legten Tage noch in ihren Yamilien
oder in den Schenken. Die Leute
machten ihre Teftamente, und mancher
jagte: „Ich überlafje der Welt das
einzige und befte, was ich habe,
dieſes mein Brantweinglas. Präch—
tige Räuſche laffen ſich daraus trin—
fen; ſie jeien getrunken auf mein
Wohl!“
Der finſtere Robert ſpähte noch
an Abende vor der Abfahrt des
„Siegfried“ am Hafen. In einen
ernten Zuge, don Windlichtern bes
gleitet, fchritten die Männer auf das
Schiff; allein, der Schöne Waldemar
war nicht darunter. — Waldemar
bleibt daheim, um den Robert Wadar
zu verderben. Es foll ihm micht ge=
lingen! — Krampfig preſste der
der waderen Männer, die eben ihre schwarze Burſche feine Finger in bie
Hand zum Schwure erhoben.
*
* *
In den nächſten Tagen war am
Hafen ein außerordentliches Treiben.
eigene Bruſt, als wollte er den Dolch,
den er am Buſen trug, ſich ſelbſt vor
Verzweiflung ins Herz drüden.
Robert haftete dur die Gaſſen
der Stadt, in deren Gasflammen der
Hunderte don Neugierigen eilten die Wind eines mahenden Gewitterd rüt—
Dämme au und ein und drängten
ich gegen den neuen, befränzten und
beflaggten Dampfer „Siegfried“. Ein
rihtungen und Vorräthe aller Art
wurden in das ftattlihe Schiff be=
fördert. Speife und Trank, Kleidung,
venerftoff für mehrere Jahre wurden
beigefhaftt. Wahlen und Werkzeuge
für die feltenften Kämpfe und Ber:
rihtungen wurden im Schiffe ver—
ſammelt; ein chemifches Laboratorium
und ein phyſikaliſches Gabinet und ein
Bücherzimmer wurden eingerichtet.
Eine Heine Welt wurde in dem geräu—
migen Fabrhaufe gejchaffen ; und alles in
zwedmäßigiter, ja vornehmfter Meife,
dajs man meinte, fein ganzes Leben
telte. — Eine große Schwüle laſtete
über allen und in den Scläfen des
finfteren Mannes lag es jchwer wie
Bleigervicht. Gegen eine Borjtadt tried
es ihn Hin und gegen das Garten
haus des Kaufherrn, wo er Litta oft—
mal3 wandeln gejehen im Haine.
Und als er num plößlih am Ein—
gange des Baumgartens jtand, Siebe,
da huſchte eine behende Geltalt au
ihm vorüber. Sie war ſchnell wieder
jeinen Augen entfchwunden, allein bei
dem drüben Scheine einer Laterne,
die an der Pforte fand, Hatte er
MWaldemars Geficht doch erkannt. Wie
ein entfadhtes Glutmeer fprühte es
duch Roberts Nerven; er fürzte in
ie
uupmge:7”
den Garten und duch die finfteren
Lauben Hin. „Herr Jeſus, bewahre
mich!“ flammelten feine Lippen, aber
jeine Hand haſchte nad den Griffe
des Dolches. Alle Farben des Lichtes
tanzten ihm vor dem Auge, als plaßte
eine Granate vor feiner Stine. Ein
wüſter Sturm rüttelte in den Eichen:
fronen. Athemlos vaste Robert hin,
wie eine dom Gturme getragene
Flamme, kaum berührten jeine Füße
den Boden. — Hei, da hielt er an,
dort hinter dem Strauchwerke war
wieder die Geſtalt. Stöhnend vor
Begier ſtürzte Robert auf ſie zu und
ſtieß ihr den Dolch in die Bruſt ...
Unter Blitz und Donner und
unter dem Strome des Regens floh
Robert Wackar dem Hafen zu. Er)
wollte dem Mörder entfliehen — dem!
Mörder in feiner eigenen Bruſt. Er
empfand es: fein eigenes Leben war
jebt zugrunde gegangen, da jener tobt
im Haine lag. Litta war vergefjen. Den
langen, jchmalen Damın raste er hin»
aus, um fi in die See zu ftürzen.
Doch Siehe, dieſer Meg führte ihn
ſchnurgerade dem „Siegfried“ zu.
Da gieng dem Fliehenden ein
Gedanfe auf: „Mörder, ſetze dein
Leben für ein Gutes ein, ziehe mit
nah dem Nordpol!”
Um Mitternadt, eine Stunde vor |
der Abfahrt, begehrte Robert Wadar
Einlaj3 auf dem „Siegfried“. Es
war eine lebhafte Unterhandlung ;
Hauptmann Prachwald wollte den
Mann nicht aufnehmen. Da trat ein
zweiter Officier dazwijchen ; dieſer
fannte den Bewerber al? einen, wenn—
gleich rauhen, jo doch redlichen Cha—
rakter, der bereit3 größere Seereifen |
mitgemacht und auf denjelben das
Schloſſerhandwerk betrieben habe. Der
Dfficier meinte, obgleih die Mann—
Ihaft auf dem „Siegfried“ vollzählig
wäre, fo dürfte vielleicht ein zweiter
Schloſſer doch nicht von Uberflufs fein;
auch jei in den legten Zagen ein ange:
worbener Matroje an einem Augen—
807
! leiden erkrankt, der ſohin nicht an Bord
gehen könne. Der nene Bewerber,
eine jo fräftige und wohl auch ab—
gehärtete Natur, jei denn anzunehmen,
Robert Wadar ward Mitglied der
Nordpol: Erpedition.
Das Glödlein ſchrillte; die Mann—
ſchaft erwiderte den vielſtimmigen
Abſchiedsgruß, der am Ufer hallte.
Die Dampfmaſchine puſtete, die far—
bigen Lichter des Hafens huben ſich
an zu bewegen und nach rückwärts
zu gleiten.
Der „Siegfried“ war von Stapel
gelajjen, um aus dem Bereiche der
Menfchen den fernen Regionen des
Eifes zuzuſegeln. — Ob fie wieder:
fehren werden? ob auch nur einer
wiederfehren wird? und wann, und
wie? oder ob fie alle verloren find,
die zu diefer ftillen, nächtlichen Stunde
von der ficheren Hafenftadt hinaus
gleiten auf das hohe Meer?
Luftigen Sang und Klang gab e3
auf dem Ded; Robert aber lehnte ſich
an einen Maft und ftarrte hinaus
gegen das Ufer, an welchem die lebten
Lichter nun verſchwanden.
Das Gewitter war vorüber, mur
vereinzeltes Metterleuchten zudte noch
und wies dem Hinftarrenden die Ge-
gend, wo der Eichenhain war, in
welchem der Erjchlagene hingeſtreckt
lag; wies ihm die Gegend, wo fein
| Landhaus auf der Anhöhe ftand, das
nun berrenlos daftehen und herrenlos
verfallen wird.
Als der Morgen graute, zog der
„Siegfried“ auf hoher See.
* *
Bon günftigem Winde und Wetter
getragen, glitt das Schiff raſch dahin.
Manchem Segler, der gegen Deutſch—
land 309, gaben umfere Fahrer noch
ein Lebewohl mit an die Heimat.
Eines Tages Holte fie ein Schnell:
dampfer ein, der an den „Siegfried“
ein paar Kiſten abgab und dann
jeinen Weg links gegen England
nahm. Es waren heitere Tage. Das
808
bläuliche Gewäller war fo Kar, daſs
auf ruhiger Fläche treibende Boote
gleichſam im der Luft zu hängen
ihienen. — Einfamer wurde das
Meer; rechts tauchten zumeilen Höhen
der dänischen und bald auch der nor:
wegiichen Stüfte auf. An Bord des
„Siegfried* war alles guter Dinge;
für die Bemannung gab es wenig
Arbeit, jedoch allerlei Ergößlichkeiten.
Hauptmann Prachwald hatte nichts
jo jehr gefürchtet, al3 die Langweile,
und hatte dieſer Plage durch allerlei
Spiele und angenehme Übungen vor:
gebeugt. Die Officiere und Gelehrten
des „Siegfried“ waren theils auf dem
Ded, theils in ihren Gabinen une
unterbrochen mit Arbeiten bejchäf-
tigt. Reifebücher, naturwiffenfchaftliche
Werle und Karten gaben den vor—
läufigen Stoff dazu. Die Fahrt follte
auf möglichft geradem Wege dem
Nordpol zugehen, und wäre der Pol
zu paflteren, jo follte der Meerenge
zwiſchen Aſien und Amerika zuge:
ſteuert und durch diejelbe über Die
Gewäſſer des Großen Dceans gegen
Japan und Oftindien gefahren werden,
— Jetzt war Frühſommer.
doch ſchien fie überflüſſig
zu ſein: Jeder that mit Liebe das
Seine, und Einigkeit und brüder—
licher Sinn beſeelte die Mannſchaft.
Auch Robert Wadar oblag ſeinem
Geſchäfte; ununterbrochen jchaffte er
mit dem Hammer und der Feile, To
daj3 feinem Arbeitsgenofjen kaum
etwas zu thun übrig blieb, Er war
der thätigfte und auſpruchsloſeſte und
ftillfte von allen. Er war fait unheim—
lich till, und fein Auge ftarrte noch
finfterer al3 fonft. Und wenn Robert
merkte, daſs er allein war und ihn
niemand Jah, jo legte er die Hand
an feine heiße Stirne; da drin war
ein Bochen und Hämmern zum Wahn
finnigwerden. Er jehnte jih nad den
Eisgegenden; dieſe würden ſeine
Guten doch kühlen, che er dem
MWahnfinne ganz umd gar verfiele.
Zwar das Ungeheuer fühlte er bereits
in feinem Gehirne nagen, und er
konnte ſich einer fürchterlichen Erſchei—
mung nicht entſchlagen, die er in den
legten Tagen mehrmals gejehen hatte.
Auf dem Deck war er gewandelt,
hatte einen trüben Blid über das
aufgeitellt,
Für den | lebendige unbegrenzte Meer hin, und
Tall des Gelingens der Durchfahrt | zum nebelgrauen Himmel emporge=
waren zwei Winter in den Eisregio—
nen vorgejchlagen , der dritte Minter
konnte vielleicht ſchon unter den
warmen Himmelsſtrichen zugebracht
werden. Im Falle des Nichtgelingens
war Untergang oder Rückkehr ſchon
vor Verlauf dieſer Zeit wahrſcheinlich.
Immerhin iſt von der öſtlichen
Halbkugel, d. h. von Europa aus das
Gelingen einer Nordpolfahrt am wahr=
ſcheinlichſten; hier wird die Fahrt durch
die wärmeren Gewäſſer, welche aus
dem mexikaniſchen Golfe gegen den
Norden von Europa ſtrömen, begün—
ſtigt, während eine Expedition von
Aſien oder Amerika aus mit den
eiſigen Polarſtrömungen, die aus dem
Norden kommen, zu kämpfen hat.
Auf dem Schiffe herrſchte die
grögte Ordnung und Bünktlichkeit.
Eine militäriſch ſtrenge Sakung war)
worfen — da jah er oben im Zafel-
werk des Schiffes, nahe an der weißen
Flagge — den erjchlagenen Waldenar
ſitzen. Robert verhüflte fein Auge und
Hürzte in die Sajüte. Aber am näch-
ften Tage zur jelben Stunde jah er
die Erſcheinung wieder und Diesmal
fletterte das Geſpenſt die Taue auf
und nieder und fpanute die Segeln.
Bebend ſaß Robert in feiner
Merkftatt und murmelte: „Nein, Ein—
bildung iſt es nicht, ich Habe ihu ge=
jehen, er verfolgt mich, verfolgt mich
noch im Tode und wird micht eher
jeine Ruhe finden, als bis ich ver—
nichtet bin!“
Bon dieſer Stunde au war der
Mann nicht mehr auf das Ded zu
bringen. Eines Tages wurde ein
plötzliches Sinfen des Seethermo=
ohne dafs ſich jonft
meters bemerkt,
809
ein Fühlbarer Temperaturwechſel offen
barte. Der Capitän ſchloſs daraus das
Bevorftehen eines Sturmes oder die
Nähe verborgener Klippen. Und thats
jählihd war beides zu überwinden.
Schon in der nächftfolgenden Nacht
brach das wüſte Ringen der Elemente
(os. Alles mufste aus den Kajüten,
um im Falle der Noth thätig Dand
anzulegen. Der „Siegfried“ freuzte
in der Nähe der berüchtigten Lofoten-
gruppe und e3 galt hier, den zahl—
loſen Riffen und ihrem Strudel aus—
zuweichen oder denfelben zu parieren.
Woltenfegen flogen, vom Sturme
gepeilcht, über das braufende, wild:
wogende Gewäſſer; durch die Rifie
des jchwarzen, blitichleudernden Ges
wölfes blidte ein einzigmal der blaffe
Mond, um aber jofort der Finfternis
des losbrechenden Gewitterd vollends
zu weichen. Jeder zudende Blitz war
zweifach, da er jich, wenngleich viel—
fach gebrochen, im Meere jpiegelte.
Die Donner aber waren plößliche
und Furze Schläge und machten die
Wände des Schiffes erzittern.
Robert Fanerte wimmernd in
einem Winkel des Dedes. Er hatte
manden Sturm ſchon miterlebt und
hatte nie gezagt, im ©egentheil, in
den wildbewegten Elementen fand er
ih wohl und leicht.
Heute aber erbebte ihm das Herz.
Die Spiegelungen der Blitze waren
ihm Blutitröme auf der See; er jah
ein Gottesgericht.
Das Schiff ſchoſs raſch dahin und
als Robert einen Bli gegen den auf:
und niederwogenden Stiel that, ſah
er im Scheine der Bliße wieder —
den Ermordeten. Waldemar ftand am
Drehrade und ftenerte den „Sieg-
fried“.
„Alle, alle ſind wir verloren“,
ächzte Robert. Aber der Sturm legte
ih und am nächſten Tage leuchtete
die Sonne wieder auf die beruhigte
See.
An diefem Tage war es, als fich
Robert Wadar bei den Capitän Prach—
wald meldete, um mit ihm zu Sprechen.
Leutjelig empfieng ihn der Hauptmann,
war aber jehr überrafht, als der
Ichwarzbärtige Schloffer an ihm die
frage ftellte, ob es Heutzutage auf
Erden noch Geſpenſter gebe,
„Das ich nicht wüſste“, ent»
'gegnete indes der Gapitän, „es wäre
denn, daſs fie zumeilen in hohlen
müpigen Köpfen ſpukten. Unſere ein—
zigen wahrhaftigen Geſpenſter find die
Dinge, die wir wohl wahrnehmen,
aber nicht kennen und begreifen. Ein
ſolches Geſpenſt ift auch der Nordpol,
der die Menjchheit jeit Jahrhunderten
Ihon beunruhigt. Unſer braver „Sieg—
fried“ zieht aus, um diejes Ungehener
zu daumen, zu beſchwören, und wenn
es ein guter Geift iſt, zu erlöfen.“
Der Schloffer jihüttelte den Kopf:
„Herr Gapitän*, jagte er, „unfere
Fahrt nimmt fein gute Ende; das
Gejpenft eines Zodten ſteht am
Steuer. Gapitän, wir jegeln dent
Verderben zu!“
Nun verfiniterten ſich allerdings
die Züge des Dauptmannes. Es iſt
nicht angenehm, auf ſolcher Fahrt
einen Irrſinnigen an Bord zu Habeı.
Nobert wurde den Schiffsarzte über:
geben und mu lag er tagelang in
der wohleingerichteten Krankenfammer,
„Wie glüdjelig!* rief er ein= um
das anderemal aus, „wenn ſie recht
hätten, wenn ich irrſinnig und afles
nur Fiebertraum gewejen wäre!”
*
* *
Als im Kalender der Monat Au—
guſt ſtand, huben die Tageszeiten an,
unregelmäßig zu werden und wollten
mit der europäiſchen Uhr nicht ſtim—
men. Die Sonne lag tief, aber ſie
gieng erit um zehn Uhr unter und nach
vier Stunden wieder auf. Um diele
Zeit begegnete unferen Schiffern das
legte Fiſcherboot, das der nördlichſten
Küfte der Finnmarken zuftenerte. Und
um diefe Zeit begegnete ihnen, troß
de3 bier noch wirkenden warmen
Solfitromes, das erjte Eisftüd, das
aus dem Norden ber trieb, Der
„Siegfried“ lief im zweinndfiebzigiten
Breitegrad.
Gegen Ende September war auch
in diejen Strichen, wie überall auf
der Erde, Tag: und Nachtgleiche.
Jetzt wurde jhon erklecklich viel Treib—
eis gejehen. Es war grünlichgrau
und in größeren Stüden zuſammen—
gebaden. Selbit auf dem freien Meere
huben ſich bei ruhiger See ſchnee—
artige, feine Kryſtalle zu bilden an,
die, ſich aneinanderjchliegend, mehrere
Zoll lange Eistäfelhen bildeten.
Auch begann nun die Magnete
nadel umfihere Schwankungen zu
machen, bejonders zur Zeit der zahl:
reihen und heftigen Nordlichter.
Erft jetzt wurde es nöthig, daſs
der Gapitän unter der Mannjchaft
die Pelze vertheilen lieg. Die Ge=
lehrten des „Siegfried“ wendeten fich
nun von ihren Schriften ab und der
Natur zu; da gab es bereits allerjeits
zu unterfuhen und zu beftimmen,
Die Matrojen trieben mit großem
Erfolge Fiſchfang. Der Steuermann,
den wir ja jchon kennen, ſchoſs vom
Dede aus den eriten Eisbären, der
auf einer Inſel von Padeis trieb.
Bisher war die Fahrt glücklich
und durch die günftige Windſtrömung
gefördert vonftatten gegangen, gleich:
wohl die Eismafjen bereits anhuben,
hemmend einzuwirken und jchlieglich
gefährliche Preſſungen zu verurſachen.
Die Ausdehnung der treibenden
Eisihollen war bereits unüberjehbar.
Einzelne Scollen waren von aufer-
ordentlicher Gröge und hatten eine
Dide von 20 bis 30 Fuß. Bisweilen
ftiegen ſolche ſchwimmende Eisfelder
zufammen und geriethen dadurd in
eine drehende Bewegung. Die Zu:
jammenftöge diefer viele taufend Mil:
lionen Tonnen jchweren Maſſen fans
den mit einer folch Fürchterlichen Ge—
walt ftait, wie ähnliches die Men
Ihen nur bei den größten Natur-
revolutionen der Erdbeben und Berg-
ftürze erfahren. Der gute „Siegfried“,
810
zwiichen ſolchen Gewalten verichlagert,
hätte das Scidjal gehabt, wie etwa
ein Glaskäſtchen zwijchen zwei zu—
fanmenftogenden Eifenbahnzügen.
Tag und Naht mujsten nun
unfere Nordfahrer auf der Hut feier,
um ſolch treibenden Feldern und
Bergen auszumweihen. Es mag be—
Hemmend genug gewejen fein, Die
blafjen, nebelhaften Maſſen mit ihren
phantaftifch wunderlihen Geftaltungen
nahen zu jehen.
Mehrmals mufste das Schiff enge
Sunde pafjieren, in welden über—
hängende Laſten der Eisberge den
düftergrauen Himmel verdedten. Man—
ches Walrojs, mancher Eisbär fauerte
und lanerte in dem Gejpalte; allein,
die Seefahrer durften im ſolcher Um—
gebung dad Schujsgewehr nicht an—
legen ; die Erjchütterung des Knalles
hätte leicht das Losbrechen der foloj-
ſalen UÜberhänge bewirkt, und der
Menſchen Fahrzeug wäre zerjchmettert
und in den Untiefen begraben gemwejen.
Mehrere folder Einftürze Batten
in Sicht des „Siegfried“ ftattgefun-
den; fie wühlten das Meer in feinen
Gründen auf und verurjadten eine
meilenweite, fturmähnliche Bewegung
der Wellen,
So bradte fih der „Siegfried“
noch einige Zeit mit unjägliher Ans
ftrengung weiter; aber immer tiefer
janf der MWärmemejjer, immer unbes
fiegbarer wurde das Eis. Und als der
Stalender ſchrieb: das Feſt Allerheili-
gen, und die Naht anbrach, da war
das Schiff im ftarren Eiſe eingefroren.
Nun kam die Zeit der Prüfung.
Dem Erzähler ift es unmöglich, in
dem Heinen Rahmen diejes Bildes
die Thaten und BDrangjale unjerer
Helden eingehend zu fehildern. Alle
Verſuche, das Schiff wieder flott zu
machen, waren vergebens; in Der
Gegend des neunundjiebzigiten Breite—
grades lag der „Siegfried“, mit den
nimmerruhenden, ewig treibenden Eis—
feldern verwachſen.
Und nun fam die Nadt.
|
|
|
Don
811
Tag zu Tag länger war die Sonne Rettung; o Herr, verweile nicht zu
ausgeblieben, von Tag zu Tag tiefer
hatte fie fid am Horizonte Hinges
ſchoben; und am Tage, als die Nord»
fahrer durch einen Fackelzug um das
Schiff das Gedächtnis der Zodten
begiengen, war die Sonne nicht mehr
aufgegangen, und die Mittagsftunde
fündete nur ein rother Schein im
Süden.
Um diefe Zeit begannen auch ge—
waltige Schneejtürme zu wüthen und
der „Siegfried“ wurde eingehüllt in
Schnee, aus welchen nur die Maften
ragten.
So mußſste denn unſer Häuflein
Menſchen für die Winternacht hier
häuslich ſich bequemen. Heiter war
das Völklein immer noch, und die
Officiere ſetzten ihre Forſchungen fort,
ſoweit es die Umſtände erlaubten.
Bei Fackel- oder Nordlichtſchein, oder
unter dem blaſſen Glanze der Ge—
ſtirne des ſchönen Polarſternes mach—
ten ſie kleine Wanderungen über
das Eis, welches wüſte Gebirge
mit Schluchten und Schlünden und
Spitzen und Wänden bildete, Und
ſie trieben Beobachtungen über Licht,
Wärme, Elektricität, Magnetismus,
Meteorologie u. ſ. w. Die Tempe—
ratur fonnte mit dem Quedjilber«
Thermometer längjt nicht mehr ge=
mejlen "werden, denn das Queck—
filber war gefroren ; der Spiritus aber
zeigte fünfunddreißgig bis vierzig Grad
Kälte.
Die Sonn= und Treiertage wurden
ſtets Fejtlih begangen, nicht bloß bei
Tiſche, wo Erbswurft und Eisbären
braten die Lederbifjen waren, jondern
auch unter frommen Liedern und
geiftlihen Betrachtungen, Der See—
manı betet gerne; auf den Waflern
iſt e8 nicht für jeden gut, Atheift zu
fein; im Eife noch umſo weniger.
Aus der Bibel wurde gelejen und
gefungen. Wie ganz anders als jonft
fangen bier die Worte: „Gott, ſteh'
mir bei! Herr, eile, mie zu helfen!
Denn du bijt meine Hilfe und meine
lange!”
Auch Robert, der Schlofier, an
welchem ſich ein Hartnädiges Bruſt—
leiden zu offenbaren begann, wohnte
ſolchen Andachten bei, gleichwohl er
das erſtemal entjegt zurückwich. Der,
welcher aus der Bibel die Worte der
Schrift las, war wieder niemand an—
derer als Waldemar, der Erfchlagene.
Zwar date der jo fehr vermirrte
Mann nun das erftemal an die Mög
lichkeit, dajs3 er in jener böfen Nacht
einen anderen getroffen, und Waldes
mar noch am Leben und wahrhaftig
auf dem „Siegfried”" ſein könne.
Allein, der Gedanke, daj3 der Er—
mordete als Räder ibn auf jeiner
Nordfahrt begleitete, Hatte einen zu
tiefen Eindrud in ſein phantafies
reiches Gemüt gemacht, als daſs er
ih desſelben jo plöglich entjchlagen
fonnte, Erſt als er aus dem Munde
des Borlefers den Pſalm vernahm:
„Herr, Handle nicht nach umjeren
Sünden und vergelt uns nicht nad)
unferen Ubelthaten. Laſſet uns beten
für unfere abwejenden Brüder, laſſet
uns beten für unfere Feinde!“ —
da war es dem geiftesfranten Manne
flar: Er betet für feine Feinde, das
fann fein Rächer fein. Er Hagt ſich
jeiner Sinden an, fo ift es ein
Menſch mit Fleiſch und Blut.
Mit einem lauten Schrei jtürzte
Robert Hin und umarmte Waldemars
Knie.
Waldemar hatte in diefen Fernen
jtet3 ſeinen bejonderen Troſt in den
glühenden Gefängen der heiligen
Schriften gefunden. Sie erinnerten
ihn an feine Kindeszeit, da er, weil
die Bibel armer Leute Zeitung ift,
mit feinen Eltern oftmals darin las.
Und wenn er nun die Erzählung vor
ih Hatte, wie Jakob bei Laban dreis
mal Sieben Jahre um die Rachel
diente, jo gedachte er mit blutendem
Herzen an Litta, die ihm nach der
Rückkehr aus dem Norden zum Preije
ſein jollte.
812
Der gute Junge Hatte es kaum haupt troßiger und verjchloffener als
vermocht, ih von dem lieben Mäd- je fchien, jo Hatte er nie verfucht, Jich
hen zu trennen. Noch. zur Stunde dem alten Bekannten zu nahen. Zwar
des Eidjchwures vor dem Dauptmanne war e3 ihm auffallend, dafs der nun
Prahwald brah ihm das Herz und durch eine Erbſchaft wohlhabende
er eilte zu Litta, Erft jpäter ermannte Mann die ernfte Fahrt mitmacte,
doch kam dem guten Jungen die wahre
Urſache diejes Schrittes gewiſs bei
weitem nicht in den Sinn. Um ſo
überrafshter war Waldemar in dem
er ſich; dem Mädchen zuverſichtlich
jeine glüdlihe Rückkehr verheißend,
riſs er ſich los, und nur wenige Stun
den dor der Abfahrt fand er ſich auf
dem „Siegfried“ ein, wo er, ein
braver und getreuer Arbeiter, bei allen
Verrichtungen verwendbar war und
zuletzt am Steuerhebel feinen bes |
flimmten Pla fand. Wohl war ihm
nicht unbekannt geblieben, daſs ſich
auch fein ehemaliger Genofje Robert |
Madar auf dem Schiffe befand, doc |
da ihm diejer ftet3 auswich und übers |
Augenblicke, als im Betſaale der fin-
tere Mann vor ihm miederfiel und
‚feine Knie umfajste,
Doh wurde der Vorfall jofort
dem Irrſinne in die Schuhe gefchoben,
und der Schiffsarzt nahm den armen
Schloſſer wieder in Verwahrung.
(Schluſs im nächſten Hefte.)
Das Ständden.
Gine muſikaliſche Dorfgeſchichle aus
2
. ar
En⸗ Tages ſah der junge Mi—
eo niſtrant Giedel bei feinem
Ns) Parrer in Schwandau ein
Holzlifthen. Er betrachtete es über
und über; es war von länglicher
Form, inmwendig leer, und hatte fehr
dünne Wände. Als der Herr Pfarrer
dem Knaben den Miniftrantenantheil
von der Meſſe — einen Kreuzer das
Theil — ausbezahlte, jagte der Giedel
beijcheidentlih: Auf Bargeld gehe er
weniger, aber wenn der hochwürdige
Herr ihm das Holzkiſtel Schenken
wolle, jo würde er dafür gerne den
Winter über umſonſt miniftrieren,
„Kind!“ rief der Pfarrer, „wozu
willft denn das Ding? Es ift ja ganz
leer!” |
Steiermark, Von P. R. Roſegger.
„Juſt deswegen“, antwortete der
Kleine, „ih kann bloß die leeren
Saden brauchen.“
„Du bit nicht flug, Giedel. Das
Gigarrenfiftel kannſt mitnehmen, und
für die Meſs Triegft täglich deinen
Krenzer, wie ſonſt. Bift ja ein braver
Bub du! Gott behüte dich!”
Voller Freude lief der Knabe mit
feinem hohlen Schage heim in des
Baters Hütte. Dort Hub er an zu
Ihaffen. Er bohrte durch das Kiſtchen
Löcher, zog einen Ballen durd, jo
daſs diefer an beiden Seiten hervor:
ftand. Dann erbettelte er von der
Mutter mit Lift einige Fäden Hanf—
garn, glättete diefelben mit Harz und
ſpannte fie über das Kiſtchen, ähnlich
wie man auf eine Geige die Saiten
jpannt. Und als er mit den Fingern
die Fäden zupfte, wahrhaftig, da
gab's einen Zon, der im Stifichen
eine Weile nachklang. Der Giedel
hatte auf dem Kirchenchor herrliches
Pfeifen- und Saitenjpiel gehört, er
war dabei bis in den dritten Himmel |
18
über den Rüden. Dieſem Menjchen
das Haar frauen! „Die Mutter lajst
mich Halt nicht“, ſagte er dann gar
verzagt, „aber das Mintitrantengeld
bis Heiligdreikönig!“
„So wart’ ein wenig“, ſprach
der Pferdeinecht, und der Giedel be=
fam einen jilbergrauen Strähn vom
verzüdt gewejen, aber jeßt war er's jalten Schimmel. Jetzt war's gewonnen.
bis in den fiebenten, denn der Klang
war von ihm jelbit erfunden und er-
zeugt, und je nachdem er mit dem
Finger den Faden trammer oder loſer
ipannte, gab es einen höheren oder
tieferen Ton, Als das jo weit war,
wagte der Heine Giedel einen ſchweren
Gang. Der Pferdefnecht des Nach—
bar3 war fein Feind, denn er war
ein roher, wüſter Gefelle, und die
Töne, die der rothe Rupert durch
Fluchen, Beitihenfnallen und andere
Mittel Hervorbrachte, waren dem Giedel
verabſchenenswert. Und gerade diejer
Mensch konnte ihm jeßt helfen.
„Suter Rojstnecht Rupert!“ redete
ihn der Kleine au. „Halt du feinen
Roſsſchweif?“
„Ich nicht,
Pferd.“
„Verkauf mir davon ein Strähn—
lein?“
„Was zahlit ?”
Narr, aber mein
Er ſchnitt einen Weidenzweig,
Ipannte daran die Haare, und der
Fiedelbogen war fertig. Dann Hub er
an auf feiner Geige zu fiedeln. Es
war auferordentlih! E3 war darum
außerordentlich, weil das ganz anders
ftimmte, als andere eigen, wenn
auch nicht schöner, aber durchaus
anders. Tagelang jpielte der Kleine
Muſikant auf feinem ſeltſamen In—
ſtrumente, anfangs mit großer Selbſt—
befriedigung und Hoffnung, dafs ſich
das Zeug vervollkommnen laſſen werde,
allmählich aber mit weniger Zuver—
ſicht, und als gar fein Vater, der
Weber Franz, ein Donnerwetter lo3:
ließ über das ſchaudervolle Gefrächze,
das da fein Bub Hervorbringe, war
es gefchehen. Der Giedel legte feine
Geige mit zitternder Hand auf den
Holzblod, gieng Hinaus unter den
Apfelbaum und begann zu weinen.
Jetzt auf einmal ward er ſich bes
„Das Niniftrantengeld bis Meih- wuſst, wie arm, mie ungejchidt, wie
achten.“
Der rothe Knecht gloßte mit feinen
unterlaufenen Augen den Hübjchen,
treuberzigblidenden Knaben ein Weil«
hen an, dann fagte er: „Pferde—
ſchweifhaare willft. Sollit ihrer haben.
Dein Miniftrantengeld? den Bettel
behalt’ jelber, aber zu mir hHerüber
in den Stall kannſt du manchmal
fommen, wenn du Zeit haft. Weißt,
wenn ich am Feierabend meinen Ta—
bat rauch’, da hab’ ich's gern, wenn
mir wer das Haar kraut. Bin's von
Iindesher jo gewohnt. 's thut mir
Halt jo wohl. Wenn du manchmal
berüberflommft frauen, fo kannſt
Pferdeſchweif haben, fo viel du willſt.“
Dem Knaben gieng es ganz Falt
glüdlos er war, Muficieren, geigen !
Das wäre feine einzige Freude. Er
Ichnitt Pfeifen und blies Hinein, er
machte Bauten und trommelte darauf.
Alles gieng leidlich, nur die Geige nicht.
Wenn erdann am Sonntage den Schuls
meifter das Mejslied geigen Hörte, da
vergaß er jeine lateinischen Sprüchlein
und Horte verfunten dem Spiele.
Minutenlang konnte der Pfarrer ſei—
nen Kelch Hinhalten, der Knabe hielt
die Weine und Wallergefäßchen in
den Händen und goſs nichts hinein,
Er Horte auf das Geigen, Der
Pfarrer Schalt ihn nicht, es wurden
ihm die Augen Feucht. In dieſem
Kinde der glühende Drang nach dem
Schönen, und e3 kann ſich nicht helfen ?
Wie reih if die Welt an Herr:
lichkeit und Kunjt! Wie üppig blüht
ir den Städten und Höfen der
Großen die göttlihe Muſik auf! Die
Harfe, die in einem Dorfe zu Gottes
Lob ertönt, ift mur ein Stammeln
dagegen! Und jelbit dieſes Stammeln
ijt dem Knaben unerreichbar ... .
Gieng der Pfarrer zum Meber
Franz und beitelte ihm mit vieler
Mühe den Giedel ab für eine täg-
liche Muſikſtunde.
„Du lieber Gott!” jagte der
Meber: „Eine Stunde des Tages
haben ihn Hochwürden ohnehin bei
der Meſſe; jet ſoll ich ihn noch eine
zweite Stunde herlaſſen? Mufs ihn
ja doch für mich abrichten und er
joll arbeiten lernen. Wir find halt
arme Leute, Aber wenn er um eine
Stunde früher auffteht, — der Range
liegt mir jetzt alle Zage bis ſechſe in
der Früh’! — jo kann er meinet-
wegen feine Mufikftunde haben,“
Nun, da Hätten wir ihn los.
Seht gieng der Pfarrer zum Schul—
meiſter und ſagte: „Unſer Giebel.
Mir thut er ins Herz hinein weh.
Probieren Sie es alle Tage ein
Stündel mit ihm. Zahlen kann ſein
Vater nichts, aber ich meine, es iſt
jo viel als SKirchenmufit zum Lobe
Sottes, wenn Sie diefem muſikbegei—
fterten Finde das Saitenfpiel lehren?“
Der Schulmeifter reichte dem
Pfarrer Shweigend die Hand, da war
es abgemadt.
Afo geſchah es mun, dajs der
Giedel täglich in das Schulhaus kam
und auf einer alten Geige, die der
Schulmeifter ihm lieh, nach müheſam
eingelernten Noten die Saiten ftrid.
Es war ein Glüf und es war ein
Fleiß und es war eine Plage. Nah
etwa einem halben Jahre waren fie
joweit, daſs der Schulmeifter zum
Pfarrer jagte: „Mit dem Knaben iſt
es ein Elend. Ich bringe ihm feine
Noten und feine Regeln in den Kopf.
Mo er nah der Vorfchrift ſich üben
joll, ift es gar nichts; er vergreift
2
ich, und man kann ihm auf die Finger
fiopfen wie man will. Wenn er aber
für fih phantafieren fanır, da ift es
mäanchmal erftaunlid, geradezu er—
ftaunlih! Das Hilft alles nichts,
wenn er das Theoretiiche nicht ine
friegt, jo iit alle Mühe verloren.”
Doch thaten fie eine Weile Fo
fort. Allmählih aber änderten ſich Die
Zeiten. Der gute alte Pfarrer zu
Schwandau gieng als Beneficienten =
priefter in ein Kloſter. Der Schul—
meifter wurde verjeßt, der Weber
Franz ftarb und der Giedel mujste
als Majoratsherr in der arınen Hütte
die Ernährung der Familie über ich
nehmen. Die Geige, ſchon mit Ab =
gang des Schulmeiiters ihm aus der
Hand gefunfen, muſste er ich nun
auh aus dem Sopfe fchlagen. Es
fumen die Jahre, in weldhen dem
Menjchen der Himmel voll Geigen zu
hängen pflegt; an Giedels Himmel
hieng nichts als eine große Flöte,
auf der er Trübſal blajen konnte,
wenn er das Blajen überhaupt ges
lernt hätte,
Eine halbe Wegitunde von Shwan-
dau in einem Seitengraben ſtand ein
feiner Eijenhammer. Beute ift er
ganz verfallen, nur der blodige Schorn-
ftein fteht noch da, und rings um ihn
wuchert Holundergefträuche und Neſſel—
wert. Der voreinftige Beier iſt hin—
ausgezogen in das weite Thal, Hat
dort ein großes Senſenwerk gegrün=
det, hat Ländereien und Wald dazu—
gefauft, und als der Belit recht groß
und die Werkſchaft recht angeſehen
war, hat er alles an eine Actien—
gejellichaft abgetreten und jich ſelber
in die Stadt gezogen, wo er fein
Geld in vornehiner Weife und ſor—
genlos genießen konnte. Zu jener
Zeit, von der hier die Rede ift,
pochte das emſige Eifenhämmerlein in
der Waldfhluht Tag für Tag, und
den Weber Giedel pochte fait noch bef-
tiger das Herz, wenn er es hörte.
Denn im Hammerhauſe war eine!
Jung und gut und lieb! Das war
wer 7 [ur
Hm ſchon recht, wenn fie nur wicht
To jchön geweſen wäre! Wie kann
ein armer Weberburſche ſich an eine
Dammerjchniedstochter wagen, wenn
tie jo gottlos ſchön ift! Er kriegt fie
nicht. Hundert andere jind, reiche,
vornehme, kecke! So gern kann Tie
freilich feiner haben, als der Giedel,
aber fie weiß es nicht und er fann
e3 ihr nicht jagen, und jo wird der
jüngfte Tag kommen und die Paula
MNadhuberin wird es immer noch nicht
wiflen, dajs fie auf Erden einer jo
über alle Beſchreibung gern gehabt
hat. Dem wie fann er es jagen und
Ichreiben, wenn es unjagbar und un—
beijchreiblih ift! Einmal an einem
Sonntage hatte er fie von der
Kirche aus begleitet bis zur Brüde,
über welche der Meg zum Eijen=
hammer Hinanführt. Garnkaufen müſſe
er gehen, hatte der Giebel gelogen,
um eine Weile neben ihr herjchreiten
zu Dürfen. Sie plauderten und es
wer don ſehr wichtigen Sachen die
Rede: Dajs doc die Straße einmal
gejchottert werden follte! Dajs es
wieder gar jo viel regnete in diefem
Sommer! Daſs Korn und Obft ver
derbe! Nur das Heu würde gerathen!
Und beim Deu hielten fie Sich jo
lange auf, bis die Brüde fan. Dann
wünſchte fie ihm einen guten Garn»
handel und er jagte: „Dant’ ſchön!“
und aljo fand er wieder allein.
Hinter einer Fichte ftand er und guckte
ide nad, folange der rothe Punkt,
denn fie hatte ein kirſchrothes Kitt—
lein, im Hohlweg zu fehen mar.
Nah dieſem Spaziergange ver-
ſchloſs fi) der junge Weber in feine
Stube und verfajste ein Schreiben
an die ehr= und liebjame Jungfrau
Paula Radhuberin. Als er das Schrei-
ben durchlas, war es troden wie ein
dürrer Aſt. Kein grünes Blatt und keine
rothe Blüte war daran und doch wucherte
in feinem Herzen ein fo üppiger
Rojengarten, daſs der arıne Junge faft
erftidte. Den Brief zerfmitterte er
Leute, die vielleicht noh Hemden
am Leibe tragen aus jener Zeit und
von jener Leinwand, die der verliebte
Meberburjche Giedel gewoben, müfsten
e5 eigentlich) heute noch jpüren, dus
troftlofe Herzweh, das er in die Fä—
den hineingewebert. Damals Hat’s
fein Menſch geahnt, wo es fehlte;
weil er jo blaf3 und traurig war,
der Giedel, fo meinten etliche, er
hätte es auf der Bruft. Sie hatten
recht, aber anders, al3 fie meinten.
Seine alte Mutter rietd ihm oft, er
folle nicht immer am Webſtuhl ſitzen,
er ſolle ſich befier zerftreuen. — Wies
jo denn? Lieben darf ich nicht, und
geigen kann ich nicht. — Denu er
hatte gar feine Geige und es war
noch nie möglich geweſen, ſich eine
anzufhaffen. Da kam eines Tages
eine große Aufregung.
In Schwandau lebte ſeit Furzer
Zeit ein penfionierter Major, der eine
große Geigenfammlung beſaß. Wie es
ichon allerhand Sammler gibt auf der
Welt: Käferſammler, Tabakspfeifen—
ſammler, Hoſenknöpfeſammler, Spiel—
kartenſammler, Spazierſtöckeſammler,
Uhrſchlüſſelſammler und immer ſo
fort, ſo kam es dem Major, als er
in ſeinem Ruheſtande nichts zu thun
hatte auf der Welt, plötzlich in den
Sinn, er müſſe eine Geigenſammlung
haben. Da er, wie gejagt, ſelbſt nicht
geigte und fein Mufeum auch jelten
einem neugierigen Auge aufſchloſs, fo
hatten die guten Leute zu Schwandau
faum eine Ahnung von all den Wals
zen, Ländlern und anderen Weifen,
die ungewedt in ihren Mauern ſchlie—
fen. Da kam jener Sonntagnadnit-
tag, an welchem der Weber am Wald»
bange die zwei Ziegen weidete. Sein
Schwefterlein, das fonft den Hirten
dienft zu beforgen hatte, war in den
nächſten SKirchort zur Firmung ges
gangen. Wie er im Moofe jo dalag
und ganz gedanfenlos in das offene
Fenſter eines gegenüberitehenden Hau—
jes blidte, gieng es ſachte und traum—
und warf ihn in die Aſche des Ofens. |haft in ihm auf wie eine übernatür—
s16
liche Ericheinung. Dort drin an der
Mand Hieng eine Geige, ihr zur
Rechten Hieng auch eine jolche, ihr zur
Linten hiengen deren zwei Heine, ihr
zu Füßen war eine Riefengeige — aus
dem Stubenfchatten immer deutlicher
bervortretend Geigen und Geigen.
Dem Burſchen begann Fat zu
Ihwindeln, die Wangen, die Stimme
waren ihm Heiß, das Herz wurde
ungeberdig, die leidenfchaftliche Gier
zur Geige war wieder da. Als er am
Abende nachhauſe fam und die Mutter
nach den Ziegen fragte, war er ver—
wundert, weshalb juft er von den
Ziegen etwas wiſſen jollte Zum Gfüd
famen fie felbit Heim und mederten
ihre Ankunft. In der darauffolgenden
Nacht jchritt der Giedel den Weg hin
und wieder von Schwandau bis zum
Eifenhammer, Als er das erftemal
vor ihr Fenfter kam, war noch Licht
darin, das zweitemal war jchon alles
finfter. Unterwegs begegneten ihm
Nachbarsburſchen, die zu den Fenſtern
ihrer Liebiten giengen, dort allerlei
Ständen brachten und getröftet heim-
Ichren fonnten. Der eine jpielte unter:
wegs eine Mundharmonila, der an—
dere eine Maultrommel, der dritte
jodelte hell und der vierte pfiff ver—
anügfich vor fih Hin, Und jener, der
ganz fill war, athmete die Harmonie
inneren Glüdes. Alſo ift die Liebe
ftets mufifalifh. Nur der arıne Gie-
del empfand feinen Wohlklang in
jeinem Weſen. Er kam ſich dumm
und häfslich vor, ihm mangelte jener
Rhythmus des Herzens, der zu rechter
Zeit muthig macht, ein Glüd zu ers
ringen. Im Dorfe ftand der Giedel
vor dem Haufe, in welchem der Major
mit den Geigen wohnte. — Dafs es
jo Herzzerbrüdend ſtill ſein kann auf
diefer Welt! Da Haben die Leute
einen Mund und eine Sprache, und
ind doch ftumm,
Lange nah Mitternacht gieng er
zu Bette, erft gegen Morgen fchlief
er ein und geigte und geigte.
Noch ganz verfchlafen war er,
al3 übertags zwei Frauenzimmer ins
Haus famen mit Körben Garn; Das
eine war die Magd vom Eijenhanmmer,
da? andere war die Paula. Diefe
blidte den schlanken, blondhaarigen,
ſanftdreinſchauenden Burſchen friſch
an und ſagte: „In vier Wochen
müſſen wir Leinwand Haben. Sie iſt
zur Ausftattung!“
„Will wohl traten“, antwortete
der Giedel, hatte aber nicht den Muth
zu fragen, wer denn Heirate? Mar
athmet ja gern noch eim wenig in
der ſüßen Ungewifsheit, Dann ift
ohnehin alles aus.
Auf dem Heimweg fagte die
Magd zur Hammerſchmiedstochter:
„Etwas antappert ift der Weber?“
„Ich dent’, der ijt ein bifjel ge=
jcheiter wie du!“ entgegnete ſtrafend
die Paula. Weiters wurde nicht ge=
jprochen.
Der Giedel wujste wohl, dajs er
al3 einzige Stüße feiner Familie
militärfrei war. Dennoch gieng er
eines Tages zum Major um Rath
bitten, wie er dem Soldatenleben
enttommen fönne.
Der Major, eine ſchlanke, hagere
Geftalt, deren einzige Lebensaufgabe es
noch war, den dummen, krummen, plum—
pen Dorfleuten militärifche Haltung
zu zeigen, ftrich heftig feinen martia-
lifhen Bart und ließ den Burſchen
die Oberkleider ausziehen.
„Bravo!“ ſchnarrte der alte Officier,
„das ift wieder einmal ein Bruftlorb !“
Mit der Fauſt bieb er darauf, dafs
es dröhnte. „Dören Sie! Das it
Grundton. Nein, nein, lieber Junge,
Sie brauchen fich gar nicht zu grämen,
Sie find tauglich. Gerad’ halten!“
Giedeld Blide waren mittlerweile
wirr im Zimmer umbergeflogen, aber
nicht jo fehr aus Angſt vor dem
Militär, als vielmehr aus Hoffnung,
duch irgend eine halbgeöffnete Thür
ins Geigenzimmer lugen zu können.
Da er aber nichts dergleichen ent—
dedte, da er wieder volllonmen ans
gekleidet zum Fortgehen bereit war
— — — — —
und feine ganze Falſchheit umſonſt
zu fein jchien, bob er mit einem
tiefen Athemzug jein Herz aus der
Bruft und fragte: „Haben der Herr
nicht eine Geigenjammlung ?*
„Wiflen Sie mir ein interefjantes
Inſtrument?“ fragte der Major raſch
entgegen.
„Das nicht, aber“, ftotterte der
Siedel, „ein wenig anfchanen, wenn
ich fie dürfte!”
Aljogleid war die Thür offen
in das Nebenzimmer,. Ehrfurchtsvoll
wie in ein Heiligthum trat der
Burfche ein, jo daſs er vor lauter
Andaht über die Schwelle ftolperte
und „oha!“ rief. Er war ganz roth
im Geſicht, theils wegen jeiner Uns
geichhidlichkeit, theil3 vor innerer Er—
regung. Die Wände des Zimmers
waren mit grauen Tuche überzogen
und daran biengen fie num in allen
Größen, Arten und Formen. Wie
ſchön geflammt war das Ahornholz
diejer Inſtrumente, wie fein ge—
jhwungen und gewölbt war der
Bau, wie reizend waren die langen
Hälfe mit ihren köſtlich gewundenen
Schneden! Und die Fiedelbögen:
ſchlanke und furze, breite und jchmale,
gerade und gebogene in allen Farben!
Der Major, ih darüber freuend,
dajs einmal eine menjchliche Seele
Antheil nahm an jeinen Scäßen,
begann zu erflären, von men Diele
und jene jtamme, welche Seltenheit
an diejer und jener wäre, er halte
da Geigen von Amati, von Montana,
von Guarneri, von Bergonzi, don
Jalob Stainer u. ſ. w. „Und Hier!“
flüfterte er, eine ſehr flachgebaute
Bioline mit fat hellrothem Anstrich
feierlih von der Wand nehmend,
„bier, die ift von Stradivarius! —
Eine. Eremonejer! — Geradhalten,
Saperment!”
Unjerem Giedel waren nun zwar
die fremden Namen ziemlich gleich-
giltig, doch hörte er fie mit Ehr—
erbietung nennen, Als der Major an
der Cremoneſer mit dem dinger Die
Hofegger’s „Geimgarten“, 11. Seft, XV.
817
— — — — — — — — — — — — — — —
Saiten berührte, um den herrlichen
Ton zu zeigen, ſagte der Burſche:
„Bitte, geigen Sie eins!“
„Ih spiele nie“, antwortete der
Major, hieng das Inſtrument mit
größter Sorgfalt wieder an jeinen
Plot und ſchob den Burſchen fachte
zur Thür hinaus.
Seit diefem Tage war's ſchier
vorbei mit dem Giedel. Er dachte
Geigen, er weberte Geigen, er träumte
Geigen, und menn er Zeit hatte,
gieng er hinaus und ſchaute auf das
Daus Hin, in welchem der Major die
Geigen hatte. Eines Tages hörte er vom
Schulmeiiter jagen, der Major fei ein
Fer. Hoffentlich habe er einft den
Sübel beiler zu handhaben gewujst,
als jeßt den zFiedelbogen, denn er
fünne gar nicht Biolin fpielen und
habe die Sammlung nur jo aus
Rappelföpfigfeit zufammengefauft und
erbettelt. &3 jei an dem ganzen Quark
nichts, eine einzige ausgenommen. —
Schulmeiſter! dachte ſich der Giedel,
wie du nur jo fpreden fannft! Ich
wollte, ich hätte die geringfte dieſer
geringen! Uber, daſs er nicht joll
geigen können? So viele Geigen
haben und nicht geigen können! —
Nur auf ein paar Stunden möchte
ih eine haben!
Nicht lange hernach, und es ergab
fi eine zufällige Gelegenheit, daſs
der Weber den Major fragen konnte,
ob er ihm nicht eine Geige borgen
wolle für einen Tag, nur für einen
einzigen! Und nur jene, an der ihm,
dem Herrn Major, etwa am wenigiten
gelegen wäre! Er, der Giedel, jeße
eine Ziege dafür zum Pfand,
Ein plumpes Lachen ſtieß er aus,
der Herr Major, ein jchredbar hoch—
müthiges Laden, dann wandte er jich
ab. Und das war der Beicheid ge—
weſen.
Ein ſtiller, warmer Herbſtſonntag.
Die Dorfleute ergiengen ſich draußen
auf Feldrainen oder jagen im Wirts—
haufe. Der Major war mit einem
Steirerwägelein in den nächſten Ort
52
gefahren zu einem alten Kameraden,
der ihm — jo viel verlautete — ge—
Ichrieben, daſs er irgendwo eine ur—
alte Violine entdedt Habe. Sie ſtamme
noch aus den Zeiten der Troubadoure
und ein Zigeuner gehe damit um,
der darauf ohrenzerreigend jpiele und
von dem Werte des Inftrumentes ge=
wijs feine Ahnung habe. Hau, das
mufste unjer Major näher erfahren
und er fuhr Hinüber, In der
Wohnung des Majors waren ein paar
Fenſter offen geblieben. Der Giedel
fauerte am Berghang und ſchaute
hinein zu den Geigen. Die Haus:
hälterin des Major3 war auch fort:
gegangen, nachdem jie das Hausthor
mit großem Geraſſel verjchlofien hatte.
Der Giedel blidte hinein zum offenen
Fenfter. „Der hat jo viele, und ic)
hab’ gar feine!” murmelte er. Plöß-
ih jchlug er mit dem Daumen ein
Kreuz über fein Geficht und lief da=
von. Er gieng den Weg hinein bis
zur Brüde, er ſchritt hinan bis zum
Dammerhaus. Auf dem Fenster, hinter
welchem fie wohnte, ftanden fchöne
Blumen, ſonſt ſah er nichts. Das
Waſſer raufchte und der Berg legte
ihon feinen dunkelblauen Schatten
über das Haus. Ein paar junge
Männer giengen im Garten umber
mit ſpitzen Schnurrbärten und unter
nehmenden Mienen. Dann traten fie
ins Haus. Ob das Verwandte find
bon ihr oder Eijenhändler ?
Der arme Giedel gieng wieder
gegen das Dorf zurüd. — Am Wert:
tage, dachte er bei fi, da ift die
Arbeit, da geht's zur Noth; aber am
Sonntag, wenn einer in der Müßig—
feit jo umherſchlenkert, da iſt's jchier
nicht auszuhalten. Der Drud in der
Brut, der graufame Druck! Mit dem
Taſchenmeſſer ein Loh aufmachen
hinein, dajs diefes wilde Blut heraus
tönt’ ſpringen ...
Als er zum Hauſe des Majors
kein Heimchen, kein Mühlrad
nichts. Daſs es doch fo ſtill ſein kann
auf der Welt! ...
Um das Haus war es öde, und
nichts rührte ſich. Die Fenſter ſtanden
offen. Der Giedel kletterte an einem
Mauervorfprung empor und flieg zum
Fenſter hinein. An der Wand hufchte
er hin, nahm die Gremonejer Geige
mit dem zFiedelbogen von der Wand,
barg fie unter feinen Rod, ſpraug
raſch zum Fenfter hinaus und eilte
davon gegen den Wald Hin.
In ‚der darauffolgenden Nacht
war's. ber den Wipfeln des Berg:
waldes jtand der Mond. Der Eijen=
hammer ſtand ftill, das Waſſer riefelte
leife über das hinterjeitige Floſs. Wer
das Rauſchen und Pohen gewohnt
ift, dem wird's unheimlich. Paula lag
in ihrem Bette, founte aber vor lauter
Ruhe, die fie umgab, nicht jchlafen.
— Sie dahte an ihre Mutter, die
jeit langem ſchon auf dem Kirchhof
lag. Sie dachte jeufzend, wie das jetzt
werden würde, wenn der DBater wieder
heiratet. Die reihe Senſenſchmied—
Mitwe von Tiefwafler. Daun will er
den Heinen Eifenhammer bier ver-
faufen und hinüberziehen und in
Tiefwaſſer eine Gewerkſchaft bauen.
Was das noch werden wird?...
Als das Mädchen im einjamen
Stübchen jo ſann und dabei recht
traurig ward, hörte es draußen einen
zarten, Hingenden Ton. Es war an—
fangs wie eine leije vor ſich Hin fin-
gende menjchliche Stimme, Sie wurde
lebhafter, es Hang wie ein jüßes
Loden und dann wieder wie ein be=
trübtes Klagen. Es war wie ein all«
mähliches Auffchwingen, wie ein Anz
Hopfen und treues Belennen und end-
ih wie das Treiwerden und Uber—
fprudeln eines warmen, leidvollen
Menſchenherzens. — Nie in ihrem
Leben noch hatte Paula fo fingen, fo
weinen gehört. Sie war jelbft einmal
fam, dunfelte es jchon ein wenig und in einer Singſchule geweien, aber
im Thale dem Bache entlang war ein |diefer unendlich rührende Zonhaud,
bläuliher Dunſthauch. Stein Vogel, |den fie jetzt vernahm, er hatte feine
2
819
Ähnlichkeit mit anderen Kehlenklängen biſs die Zähne zufammen und Tief;
und doch war er nichts als das un—
mittelbare Anfquellen menschlichen
Herzblutes. — Sie konnte ji das
nicht fo denken, aber ein Gefühl ward
in ihr wach, als ob jie in dieſem
Augenblide fterben müſste, und als
ob jie im nächſten Augenblide ein—
gehen würde zur himmliſchen Selig»
teit. —
Nah einer Weile richtete fie fich
auf und blidte hinaus zum Fenſter.
Da unten auf weißem Kieswege ftand
eine dunkle Geftalt. Sie erfannte den
Weber Giedel und ſah jebt, wie er
eine Geige ſpielte. Sie verhielt ſich
ganz ruhig, Jah Hinab und horchte.
Sie horchte fo lange, bis ihr die Tropfen
von den Augen rannen. So über alle
Mapen lieb hatte fie diefen Menjchen.
So viel Mitleid Hatte fie empfunden,
jeit fie ihn kannte, weil er fo janft,
jo freundlich und ftill, jo brav und
jo verlaffen war. Als fie einſt ein
fleines Mädchen das erjtemal in die
Kirche mitgenommen wurde, war am
Altar neben dem Prieſter ein ſchöner
blonder Knabe geftanden, und jo oft
fie an Engel dadte, von Engeln
hörte, kam ihr diejer Knabe zu Sinn.
Allmählich, ganz allmählich wuchs
diefer Engel heran zu einem Men—
ſchen ...
Paula öffnete das Fenſter, da
hörte der Burſche unten auf, zu
geigen.
„Giedel“, ſagte ſie mit vor In—
nigkeit zitternder Stimme, „Giedel,
geh' jetzt heim. Die Nacht iſt kühl.“
Da trat er ein paar Schritte
gegen das Fenfter und flüfterte her—
auf: „Paula, ich Hab’ dich lieb!”
„Nimm ihn Hopp!” rief plößlich
eine rauhe Männerjtimme. Da ſpran—
gen aus dem Schatten zwei Gefellen
nit Waffen und glänzendem Riem—
zeug herbei und riſſen den Burjchen
nad rüdwärts zu Boden. Noch hielt
der Giedel troß des Schreds die Geige
hoch in die Luft, dafs ihr nichts ge
ſich feſſeln.
Mittlerweile war es im Hammer—
baufe lebendig geworden, die Leute
eilten auf die Gaſſe: was da gejchehen
wäre, was das bedeute ?
„Den Dieb haben wir”, berichtete
einer der Gendarmen. „Dem Herrn
Major Stramper ift er in die Woh—
nung geftiegen. Kine Bioline ge-
jtohlen.“
„Der Weber Giedel !” jchrien nun
die Schiniede und das Geſinde. „Das
ift nicht übel! Der Duckmauſer! Der
Scheinheilige! Der Einbrecher! Ah,
das ift zu nett!“
Auh der Schmiedmeifter war,
flüchtig in feine Bettdede gehüllt, her—
vorgekrochen. „Ein Dieb? Ein Eiſen—
dieb?“
„Ein Bettelgeiger.“
„Der Strolch!“ knurrte der
Schmiedmeiſter, „was bat er denn
vor meinem Haufe gejucht, bei der
Nacht?“
„Das Töchter! hat er angegeigt!“
lachten Sie.
„Ein anderesmal ftiehl Butter»
brot! Das frijst man ungehört.“
Höhnte ein Knecht. „Geigen krächzen
zu viel, kommſt allemal auf.“
„Was hkoſtet der Bettel?“ rief
jetzt Paula, die fich ſchneidig in den
Dandel miſchte.
„Jungfer!“ antwortete der Gen-
darm, „es handelt fih nicht um die
Geige, e3 handelt jih um den Dieb-
ſtahl.“
„Sag' etwas!“
Mädchen den Giedel auf.
dige dich!“
„Das hilft nichts“, antwortete
der Burſche ganz ruhig. „Sie glau—
es mir nicht. Morgen hätt' ich ſie dem
Herrn ja wieder zurückgebracht. Sie
glauben es mir nicht, und ich muſs
ſitzen. In Gottesnamen, jetzt iſt mir
ganz leicht. Sei nur fo gut, Paula,
und stell’ fie ihm zurüd. Und dafs
ihe nichts gejchieht. Mein Elend hab’
forderte das
„Bertheis
ſchehe, weiter wehrte er fich nicht, ich mir herausgefiedelt. So leicht iſt
52°
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mir ſchon lang’ nicht mehr gewejen,
wie jebt. Vergiſs nur nicht ganz auf
mich, Paula, wenn ich geitorben bin.“
Das Mädchen wollte darauf etwas
jagen, konnte aber vor Weinen nicht
mehr ſprechen, und alfo führten fie
den armen Jungen davon in ber
ſtillen Mondnacht, führten ihn hin—
aus in das Dorf und thaten ihn in
den Gemeindelotter.
Um nächſten Morgen war ganz
Schwandau aus Rand und Band.
Das Unglaublide! Das Unerhörte!
Manche meinten, der Giedel fei irr-
finnig geworden. Etliche Fluchten über
die Here, die ihm's angethan. Nur
wenige gaben ſich ſtiller Schaden—
freude hin. Im Gemeindehauſe kamen
um die Mittagsſtunde mehrere Männer
zuſammen, der Dorfrichter, der Pfarrer,
der Hammerſchmiedmeiſter und auch
der Major Stramper.
„Iſt es Ihr Ernit, daſs Sie
klagbar werden wollen?“ fragte der
Richter den Major.
„Bare achtzig Gulden hat fie mich
gefoftet, die Cremoneſer!“ antwortete
der Major.
„Aber fie ift ja doch wieder in
Ihrem Beſitze“, ſprach nun der
Pfarrer, „und gänzlich unverſehrt.
Den Burſchen haben wir alle gern,
er iſt fleißig, gutmüthig, keiner weiß
etwas Ungutes von ihm. Die dumme
Lieb'! Auch wir haben Thorenſtreiche
gemacht im der Jugend. Laſſen Sie
es gut fein, Herr Major!“
„Bon mir ſoll niemand jagen,
dajs ich fein Unglück geweſen bin“,
antwortete der alte Soldat. „So
vernarrt zu fein! Gerad’halten foll er
ih! Es ift gut.“
„Wenn's gut if“, verjegte jetst
der Hammerjchmiedimeifter, „Jo möchte
ih auch noch ein paar Worte jagen.
Mein Mädel ift wie verrüdt. Ich Habe
feine Ahnung gehabt. Wenn es fo
fteht mit dem zwei jungen Leuten,
und daſs fie toll werden, wenn ſie
einander micht kriegen — ih fag’:
in Gottesnamen.“
Denn er hatte ſich's überlegt, daſs
e3 beſſer ift, wenn er die erwachſene
Tochter an Mann bringt, ehe er jelbit
noch einmal zugreift drüben in Zief:
wafler. Es bleiben auf ſolche Weile
allerhand Unannehmlichleiten aus.
Das Mädel Hat feine miülterliche
Sad’, damit fanı es dem Weber
aufhelfen und die Wirtfchaft berrich-
ten. Alſo ift’s recht, und der Water
und die Tochter jollen an einem Tage
Hochzeit halteır.
Als der Giedel aus dem Slotter
trat, wartete ſchon die Paula, fiel ihm
lachend und ſchluchzend um den Hals:
„Wir haben uns!“
Am Tage der Hochzeit fam der
Major mit der Geige. Die Cremonejer
war's.
„Mir Steht ein Duplicat in Aus
ſicht“, fagte er einleitend. „Auch dem
Zigeuner mit der alten Fiedel bin ich
auf der Spur. Diefe da — ein jehr
jeltenes Stüd! fie gehört dem
jungen Bräutigam. Er hat damit der
Seinigen das Ständen gebradt, er
wird fie noch öfter brauchen können.
Sit die Geige verftimmt, jo ſoll er
füllen, und iſt das Weibchen ver—
ftimmt, jo fol er geigen. Und jeßt
einen feden Steirifchen aufgefiedelt!
Gerad’palten, Junge!”
"7
Hadbarfdaft.
Von ®, v. Berlepfd.
OH
yon einem jpikbogig vorſprin⸗
Hoarden Giebel breit und behaglich
überdadt, jchaut mein Fenſter
ins Freie, Es hat den großen Vor»
zug, dafs niemand außer den Vögeln
und dem Dachdecker, der jährlich einmal
drüben auf dem Nachbarhauſe umher—
frabbelt, herein guden, ich aber umfo
unumſchränkter hinaus ſehen kann
auf Nähe und Weite, nach der Stadt
mit ihren Thürmen, die oft jo fein
im Sonnennebel oder auch im grauen
MWetterdunfte bis auf ihre nur feis
umriffenen Gonturen verfchwimmen,
und dann über das Häufermeer hin—
weg nad Fernen, wo Wald und Feld
in Ruhe liegen. Es iſt hübſch, da
binanzzubliden zu jeder Jahreszeit,
od Schnee die Dächer und Gärten
wannen fie kommen, wohin fie ziehen;
ih erichaue überhaupt manches, was
denen in den unteren Regionen oder
gar Leuten, welche in den engen Gaſſen
drinnen Haufen, entgeht.
Das Betrachten dieſer Erſcheinun—
gen hält mich aber nicht ab, auch dem
Näheren und Nächſten mein Intereſſe
zuzuwenden. Der Menſch iſt ja ſo;
aus der Freiheit kehrt er zeitweilig
gern zur Beſchränkung, vom großen
zum Heinen zurück, und gerade der—
jenige, welcher der Natur und ihren
Wundern mäher tritt, beobachtet das
Unfcheinbare andäcdtiger, als alle
Sonn- und Feiertags- Natur Enthus
liajten miteinander.
Zu diefen Näheren und Näd)-
ften gehörten für mich ein paar Nach—
dedt, oder blühende Wipfel von unten | barın, die im Laufe der Zeit in meinen
grüßen und im Lande draußen fonnig
beleuchtete Höhenzüge ſich entjchleiern
— immer gibt diefer Au&blid ein Ge—
fühl der Freiheit und friedlichen Ent—
rüdtjeing vom Lärm des Tages.”
Wenn jenjeits der legten Häuſer—
reihen die Felder zu grünen beginnen,
wenn der Buchenwald jeine eigen
thümlih grauröthliche Lenzfarbe be—
lommt, jo bin ich die erjte im Haufe,
die das Sieht, und wenn im Oſten
des Abends der Vollmond aufgeht, jo
jhaut er mit feinem runden jovialen
Gefichte zuerft in meine Stube, bevor
er die weiter unten aufjucht, als
wollt’ er jagen: „Grüß Gott, du da
oben, nun, Haft du dir noch immer
fein anderes Neft gewählt?" —
Sch ſtehe mit den Geſtirnen des
Himmels, mit Wolfen und Wetter
Jozufagen auf du und du, weiß von
Geſichtskreis kamen und mit denen
ich in einen gewiſſermaßen vertrauten,
wenngleih ftummen Verkehr trat.
Da hatte im legten Sommer eine
große, ehrmwürdige Kreuzipinne, Die
ihre Kunſt aus dem ff verjtand und
ganz wie eine Stammutter unzäh-
liger behender Spinnelein ausjah,
gerade im Spigwinfel unter meinem
Dache fich angeliedelt. Zwiſchen dem
Giebelbalfen war immer ein präch—
tiges Neb gefpannt, im dem manche
arglofe Müde ihr Leben aushaudte.
Ih ſchaute ihr oft zu, wie fie nad)
Gewitterregen, nah Windjtögen, die
ihr Gewebe zerrilfen, unermüdlich
immer von neuem wieder zu ſpinnen
begann, wie fie geichicdt die erſten
langen, faum fihtbaren Fundamen—
talfäden zu befeitigen wujste, zwijchen
die hinein, wie in die Lüfte, fie ihr
Netzlein fpannte, bei jedem Knoten—
punkte mit demſelben rechtsjeitigen
Füßchen eine fohlingende Bewegung
ausführend, und wie jie dann, im
Centrum anlangend, wo das Gewebe
immer feiner und regelmäßiger ge=
worden, augenjcheinlich von der Ar—
beit ruhte und fich behaglich ſchaukeln
ließ, wenn ein Püftchen das wunder—
jam feine Gejpinft bewegte, das viel
zu zart fchien, um den großen Körper
jeiner Schöpferin zu tragen. Sie hatte
etwas greijenhaft Klausneriſches, ja
Böſes, wie fie da fo einfam in ihrem
Nebe ſaß und der Beute harrte, welche
der Zufall ihr ins Gehege trieb, immer
lautlos nnd allein, während draußen
im Sonnenjchein die Schmetterlinge
miteinander gaufelten, die Vögel ſich
paarten und das kleine Boll der
Bienen, Fliegen, Müden Iuftig bin
und ber fummte. Wie gierig ſchoſs
fie aus ihrem Dinterhalte, wenn jo
ein armes, zappeludes Geſchöpfchen
mitten aus jeiner Pebensluft ihr ins
Garn gerieth, wie Schnell und bündig
machte fie ihr Mordgeſchäft ab, ohne
Pardon, ohne Anftrengung, — eine
furze Umarmung, und der Lebensodem
war dem Opfer auägejogen. Es lag
etwas Märchenartiges in dem graufam
ftillen Treiben diefer Einfiedlerin, die
ihre bewundern&werte Kunſt nur für
ihr Mordhandwerk, zum Unheil an=
derer Mefen trieb. Und doch wurde
jie mir eine traute Nahbarin. Sie
behauptete ihr Revier mit großer
Standhaftigfeit bis in den Herbſt
hinein, bis ein rauher Sturm eins»
mal ihr legtes Gewebe zerriis und fie
verfcheuchte, wer weiß wohin? Ich
blidte noch öfters nah ihr aus —
aber fie war und blieb verſchwunden.
Dafür zog bald, — falt war es,
als hätte meine Klausnerin eine Bot»
ſchaft hinterlaſſen, daſs da oben une
term Giebel micht ſchlecht haufen fei
— ein Erſatz für fie ein. Ein paar
Spapen waren’s, ob Mann und Frau,
Vater oder Mutter und Kind, das
fonnte ich nicht gleich herausbringen,
— kurz, es waren ihrer zwei. Im
Spätherbfte um die Zeit, wo draußen
auf den Feldern nichts mehr zu holen
ift, und die Nähe der Menfchen
manches Thierlein nähren muf3, hielten
fie ihren Einzug in einem geſchützten
Winkel unterm Dache und gaben als.
bald mit der befannten Spatzen-Un—
verfrorenheit durch Lärm und Din
und Herflattern ihre Anweſenheit fund.
Jetzt jagen fie auf dem geſchnitzten
Snauf des Dachſparrens, der dicht
neben meinem Fenſter war, damı
drüben auf dem Kamin des Nachbar—
baujes, auf der Dachrinne oder ſonſt
einem freien Standpunft,, der ihnen
gerade behagte. Es war ein ewiges
Gehen und Kommen, Zwitſchern,
Tlattern, Balgen; kam einer mit einem
Stückchen Brot oder anderer Beute
dahergeflogen, jo gab es gleich einen
großen Lärm, ein Abjagen und Streiten,
dem fi oft nod eine ganze Schar
diefes ewig ſchmausluſtigen Völkchens
anſchloſs. Es machte mir Spaß, bei
jolhen Gelegenheiten in die Action
einzugreifen, indem ich dur Auf—
Iheuchen der verfolgenden Bande dem
einen zu feinem echte zu verhelfen
ſuchte. Aber ich ſollte nicht fehen, dafs
es hier gerade jo wie bei den Men—
Ihen zugeht, wo auch mancher dem
anderen, wenn er nur die gehörige
Unverfehämtheit hat, den Biſſen vom
Mund mwegjchnappt.
Die Verfchiedenheit der Geitalt
zwifchen den zwei Heinen Kumpanen
brachte mich auf den Gedanken, dajs
ie doch ein Ehepaar fein miüfsten,
Einer von ihnen war ein robuftes
Kerlchen mit braun und weiß gezeich-
neten Flügeln, einem ſtreitbaren
Schnabel und behäbiger Rundung;
der andere, etwas Heiner, zarter, mit
hellgrauem Gefieder, ſchaute gewiſſer—
maßen weiblih in die Welt, das heißt
naider, lebensluftiger und dabei doch
ihüchterner als fein KHamerad. Auch
im Benehmen der beiden glaubte ich
Anhaltspunkte für die Nichtigkeit
meiner Vermuthung zu finden. Flog
Nr. 1 zum Beifpiel davon, jo folgte in deſſen Seele nur der eine Seufzer
Ne. 2 gewiſs gleih nah. Lie Nr. 2]
zu wohnen ſchien: Lumpiges Leben!
lich aber in auffallende Schaufeleien — Wenn ih an die Fenftericheiben
mit anderen ein, jo fuhr der Stärtere
dazwiſchen, pidte und raufte die Un-
berufenen wie einer, der ſich von
rechtswegen ald Herr des andern fühlt,
— ein Benehmen, deilen ich, in feiner
groben Rüdjichtölofigkeit, von der ans
deren Seite nie gewahr wurde.
Als die ftürmifchen falten Regen—
tage famen, die dem Winter voran
gehen, führte das Paar ein häuslicheres
Leben. Da ſaßen fie ftifl und flaufterig
uebeneinander und ſchauten wie in
Sorgen um die Zukunft in die graue
Welt hinaus. Lange vor Abend jchlüpften
fie ſchon im ihr verborgenes Winfel-
hen und ließen das Weiter draußen
toben.
In den mageren Zeiten, mo der
Schnee die Erde bededt, freute ich
ihnen zuweilen futter, was fie gleich
fröhlicher ftimmte und auf meine Nad)-
barſchaft nun erft recht aufmerkſam
madte; denn von da an redten fie die
Hälfe, um durchs Fenfter zu jehen, ob
nicht bald wieder etwas füme, oder gaben
auch durch Rufe und Anflattern gegen
die Scheiben in kecker Spagenart ihre
Wünſche zu erfennen.
Einmal fiel es mir auf, dafs der
fleinere der beiden fehlte, und zwar,
wie ich mich jet erinnerte, nicht erſt
jeit geftern. Ich jah täglich nach, ob
er nicht wieder da ſei — aber er
blieb fort. Ob Treulofigfeit oder eine
tückiſche Katzenkralle ihm entführte,
wer wujste es? kurz, ein melancholi—
iher Witwer ſaß fortan draußen vor
meinem Fenſter. Dajs jein Los meine
Theilnahme nur in erhöhtem Maße
noch wedte, ift begreiflih. Seinen
Morgen febte ih mi an meinen
Arbeitsplag, ohne zuerst nad ihm
auszuſehen. Da war er dann meilt
Ihon auf feinem Poften, froftig den
Kopf eingezogen, das Gefieder aufges
biafen, oft geſchwärzt vom Ruß der
Schornfteine, deren Wärme er aufge
jucht, ein trübjeliger Heiner Proletarier,
trat, wandte er den Kopf mur halb
nach mir, ungefähr wie frierende Eden-
jteher fich begrühen: So — du auch
wieder da?
Diefer mein melancholiſcher Spatz,
und dann noch ein anderer Nachbar,
ein Menfchentind, welches jicherlich
nicht ahnte, daſs es für mich ein
Gegenstand theilnehmenden Intereſſes
wurde, belebten meine winterliche
Einfiedelei.
Wenn die frühe Dämmerung
hereinzubrehen begann, ſchaute ich
gern eine Weile, bis es Zeit mar,
die Lampe anzuzünden, im den finken-
den Abend. Da ſah ih dann häufig
am Fenſter eines der Nachbarhäufer
eine Schlotterige, etwas gebeugte
Mänmergeftalt in äußert bequemer
Schlafrodtoilette, mit einer dunklen
Haarmähne, die ein bleiches Geficht
umrahmte. Er konnte oft eine halbe
Stunde lang in die meblige Luft
binausftarren, ohne ſich zu rühren;
manchmal aber gefticulierte er aud,
wie einer, der mit fich felber redet,
oder er öffnete das Fenſter, um mit
feiner blaſſen mageren Hand den
Schnee zu betaften, der auf dem Ge—
fimfe lag. Ich wurde nicht Hug dar-
aus, ob der Mann jung oder alt fei.
Er hatte den Habitus eines Gelehrten
und eines durch überanftrengende Ar-
beit oder fonftige Factoren etwas ver—
fümmerten Menfchen. Sein Kopf mit
der mächtig gewölbten Stirn und den
tiefflaugenden Augen konnten ebenjo
einem Fünfziger wie einem Dreißiger
angehören. Ich wufste nicht wer, noch
was er war, kümmerte mich auch nicht
weiter um ihn; nur des Abends —
da wir offenbar eine gewifje gleichartige
Liebhaberei für die Dämmerung hatten,
— ward meine Aufmerkſamkeit immer
wieder durch fein Erfcheinen am Yeniter
auf ihm gelentt. — „Auch ein Eins
famer, wie es in der Großſtadt jo
manche gibt“, dachte ich mir, da ich nie
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jemanden bei ihm ſah, und meine dachte ich, ſtaunend und beluſtigt zu—
Phantaſie reimte ſelbſtverſtändlich in gleich, über meine Täuſchung. Da
ſolch müßigen Momenten mit der Ge- |drüben Hatten die Nebelſtudien in Der
ftalt des Unbelannten allerlei inter: | Dämmerung num jedenfalls ein Ende!
eflante Schidjale zufammen. Während ich jo ftand, flog mit
Als die Tage länger, die Abende | wahrhaft raufchendem Schwung mein
heller wurden, jah ich ihn anf einmal | „melandoliiher* Spab heran, und
feltener, und wenn es geſchah — dies | fiehe! ebenfalls nicht allein, ebenfalls
fiel mir auf — nicht mehr im Schlaf: in heiteriter Geſellſchaft.
tod, ohne Fragen, mit verworrenem Gab’3 da ein Scharmußieren, ein
Haar, Jondern, joweit es bei feiner Rufen, Hüpfen, Auffliegen, Hajchen !
Erſcheinung überhaupt mögli war, „Alter Kerlh!“ ſprach ih entrüftet,
in bedeutend gefchniegelterem Zuftand. | „was für ein toller Geift ift in dich
Einmal jah ih ihn gar mit einem |gefahren ?“
Handjpiegel am offenen Fenſter ftehen War das noch der mijsvergnügte
und in großer Andacht fich jelbit be= | Witiber von ehedem?
traten. Ein andermal hörte ich ihn Er aber würdigte mich nicht ein=
grenlich Falfch pfeifen. Was beden- mal eines Blides, gefchweige einer
teten diefe Zeichen ? Antwort, fondern ſchwang fih mit
Die Antwort ließ gar nicht lang ſeiner Gejellfchaft Hinüber aufs Nach—
auf ſich warten. bardach, wo die Schäferei fortgejegt
Eines Nachmittags im März, an wurde.
einem jener goldig milden Vorfrüh— Ich jah dem Treiben eine Meile
lingätage, wo die Vögel ihre Melos zu, danı ließ ich den Blid ins Blan
dien anſtimmen und in den Gärten des Himmels jchweifen, das weit und
das erſte Grün fih aus der dunklen ſelig über der Landjchaft ſich mwölbte.
Scholle ringt — was erblidte Kal oben lächelte e3 wie eine Erklä—
Un dem Fenſter meines Einfamen rung meiner heutigen Erlebniſſe herab.
ftanden zwei Damen, eine ältere und | — 's ift eben wieder einmal Lenz
ein hübſches junges Weſen, welches auf Erden! kicherten Iuftige Früh—
lächelnd herausſchaute, aber gleich lingsgeiſter hinter einer Schar Roſen—
wieder ſich umwandte nach ihm, deſſen wöllchen hervor, die hoch am Himmel
Geſicht Heute völlig verändert erſchien. gegen Sonnenuntergang ſegelten. Und
Un feinem Lachen ſah ich plöglich,| als hätte es die Amjel, die ganz ſtill
dajs er ein noch junger Menfch jein | auf dem Kirſchbaum drunten fah, ver—
müfle; es hatte etwas bärenhaft Süd | ftanden, hub fie jet zu fingen an,
liches, Jugendliches, Verliebtes, dieſes ein ſüßes Lied, das jchier feierlich
Lachen. durch die noch unbelaubten Wipfel
„Wie man ſich doch irren kann“, klang.
2.
Des Herrn Daters Hochzeit.
Gine finftere Gedichte.
IR
HA dem Kirchplatze zu Berchtes—
ag hofen an der Friedhofsmauer—
2 ede ſaßen zwei Männer und
hatten volle Obſtkörbe vor fich ſtehen.
Beide waren barhäuptig, übrigens in
grobem, grauem Loden gefleidet, jeder
hatte um die Lenden eine blaue
Schürze gebunden, die bis zu den
Unterfchenfeln reichte. Der eine Hatte
graues Haar, ein hageres, glattrajier-
tes Geſicht; feine Scharftantige Bade
bewegte fi wie bei einem raschen
Kauen, denn der Manıı betete, weil
in der Stiche, aus der man die Orgel
tönen Hörte, gerade Gottesdienft war.
Der andere Mann Hatte braunes,
furzgefchnittenes Haar, ein rundes,
jugendlihes Gefiht mit blonden
Schnurrbärtichen, kurzer Plattnafe und
zwei Heinen Auglein. Diejes Gelicht
hatte den immer wechſelnden Aus—
drud großer Verſchmitztheit, vielleicht
jogar Bosheit, auch an ihm bewegten
ih die Hinnbaden, denn der Burjche
brummte über die langwierige „Um—
raundlerei“ in der Kirche. Mährend
des Gottesdienftes hatte der Kirch—
thurmſchatten, in den fie fich ur-
jprünglich niedergelaffen, ſich fo ger
wendet, daſs fie jegt in eitel Sonne
jagen, aber nicht das Recht hatten,
weiterzurüden, weil fie nur den Platz
an der Mauerede gemietet.
Endlich begann es ſich am Kirchen—
thor zu rühren und zu löſen. Die
Leute ftrömten heraus; unfere beiden
Höder ſetzten ihre Schwarzen Filzhüte
auf und begannen zu rufen: „Kauft's
Apfeln, Pfirſiche, Zwetichten! Schön
jan’3! Gut ſan's! Wohlfeil jan’s !“
Der Ulte rief lauter als der
Junge, denn das Obit des Jungen
ſah ſich friſcher und ſchwellender an
und erfuhr mehr Zuſpruch; der Ver—
fäufer verftand es, die ſchönſten Stüde
obenauf zu legen, Ddieje riefen dann
für ſich ſelber, und dem Burfchen
blieb die Lunge gejpart.
Unter den Leuten, die au Die
Körbe traten, um zu kaufen oder das
Unfhauen und Riechen des Objites
umſonſt zu Haben, war aud ein ftatt=
licher Mann in Halb bäuerlicher, Halb
‚bürgerlicher Tracht; er trug einen
langen braunen Rod, gewichste Stie-
jel, die bis zu den Knien herauf—
langten und dem Manne das Aus
jehen eines Landpfarrerd verliehen.
Sein Gefiht war wohlgenährt und
glatt raſiert, Hatte aber eine auf:
fallend lange, ſchmale Naje und dar—
über ein paar eng zuſammenſtehende,
graue, jcharfe Augen ohne merkliche
Brauen. Die Leute machten ihm fait
ehrerbietig Platz, als er jet zum
Obſtkorbe des Burjchen trat. Mit den
hageren Fingern bob er einen Pfirfich
um den anderen heraus, drehte und
drüdte ihn und warf ihn wieder in den
Korb zurüd.
„Was koftet fo ein Bummerlh?“
fragte der Herrenbauer.
„Das ſind Feine Bummerln“,
antwortete der junge Obitverfäufer,
„das find Pfirfihe. Zwei um einen
Groſchen.“
„Darf man einen koſten?“ fragte
der ftattliche Bauer.
„Nur zu!” fagte der Burjche.
Der behäbige Mann Hob das
Ihönfte Stüd heraus, biſs hinein und
verzehrte es mit ſchmatzendem Munde.
826
Als er damit fertig war, jpudte er
den Kern weit von fih und murmelte:
„Sind nit gut. Sind feine Kern—
geher.“
„Bitt' gar ſchön!“ begehrte der
Burſche auf, „wenn das keine Kern—
geher ſind, nachher will ich den ganzen
Korb in den Straßengraben ſchütten.“
„Wenn es Kerngeher find,
warım tragt fie denn nachher im
Korb daher?” lachte der Grokbauer
und wendete fich feithin.
Der Burſche wollte etwas ent»
gegnen, aber die in ihm müthende
Empörung verſchlug ihm die Stimme.
„Soll das ein Wit gewejen fein?“
fragte er endlich jeinen älteren Ge—
nofjen.
„Graſſel“, entgegnete diejer, „haft
du dir den Mann gut angejhaut?
Dem Hätteft du die Hand follen
buſſen.“
Joſel⸗
„Wie meint Ihr das,
Vater?“
„Ich meine nur, weil der Mann
ſo würdig iſt und morgen ſeinen
Ehrentag hat. Kennſt ihn nicht?
Das iſt der reiche Pfleger im Hof,
der Richter und Armenvater von
Berchteshofen, Bezirksausſchuſs und
Schulrath, und was weiß ich, welche
Ehrenſtellen er noch hat. Haſt unten
über der Straßen nicht den grünen
Schwiebbogen geſehen, Graſſel? Der
geht den Pfleger im Hof an, der
morgen ſeine ſilberne Hochzeit feiert
mit ſeiner Familie. Drei Buben,
glaub' ich, hat er. Vornehm wird's
hergehen! Kannſt dir's denken, ſo ein
Ehrenmann!“
„Wie viel um einen Kreuzer ?*
fragte ein altes Mütterlein, in den
Zwetjchten des Obſtlers wühlend.
„Sechſe.“
„Nachher bleiben Euch alle über.“
„Die heut' nicht gehen, werden
morgen gehen. Morgen iſt auch noch
ein Tag.“
„Und was für einer!“ gigfte das
Mütterlein.
„Morgen ſind ſie noch theuerer.
Die Schande darf man dem Pfleger
im Hof nicht anthun, an ſeinem Ehren—
tag die Zwetſchken wohlfeiler zu
geben. Wie viel willſt denn um einen
Kreuzer, Mutterl?“
„Ihrer zehn ſind nicht zu viel.” ”
„Nimm ihrer zehn, weil du’s
fagte der alte Obſtler.
„Kennft mich denn?“ fragte Das
Mütterchen.
„Das nicht, aber du biſt es doch,
wenn ich dich auch nicht kenne.“
Später, als die Leute ſich ver—
laufen hatten und der alte bſtler
das eingenommene Geld zählte, that
der junge den Mund auf und fagte:
„Joſel-Vater, wie ift denn das ge=
meint gewejen, daſs ih dem Proßen-
baner die Hand buſſen ſollt'?“
Der Joſel-Vater jchielte fo ein
wenig auf den Burſchen Hin und ent-
gegnete dann: „Neugierig bift du
immer gewejen. Haft auch recht,
font erfährt der Menfh nichts.
Schon als feiner Bub haft du gern
gehört Geſchichten erzählen. *
„Das ift mir noch nicht zumider.“
„But, jollft eine hören. Ach dent”,
du wirft noch feine Geſchichte haben
gehört, bei der du die Ohren fo ge—
jpißt, wie du fie bei der heutigen
wirft jpigen. Jetzt wollen wir unsere
Mittagsiuppen eſſen gehen, nachher
jegen wir uns draußen vor dem Dorfe
unter den Lindenbaum.”
Und fpäter, al3 fie vor dem Dorfe
unter dem Lindenbaume waren
der Joſel-Vater jah an jeinen Korb
gelehnt auf dem Raſen, der Grafiel
lag ſchlank ausgeftredt und legte als
Kiffen feine Arme unter das Haupt
— begann der Alte zu erzählen.
„Weit iſt's nicht gefehlt, Bub,
dafs du mit der filbernen Hochzeit
des Pflegers im Hof, die morgen ift,
deinen fünfundzwanzigften Geburts=
tag feiern könnteſt.“
„Sa, wenn's auch ein filberner
wär'!“ jagte der Burſche.
„Kunnt einer fein“, fo der Alte.
„Paſs jeßt einmal auf. — Vor fünfs
bit”,
undzwanzig Jahren bin ich auch noch
einer gewefen, fo einer, der von diefer
Welt ein gutes Trum bat haben
wollen. Bon meinem Bater das Hänjel
übernommen, hätt’ ich heiraten können,
Hab’ auch beinahe ſchon eine gehabt
ein prächtige Weibsbild, eine
Holzhändlerstochter iſt's geweſen. Wir
find fon ein paar Wochen mitein-
andergegangen und haben ums gern
gehabt. Jetzt ift aber ein Deichgräber
im Land, einer aus Böhmen oder
woher, ein baumftarter Lümmel, und
der hat jih auf die Weibsbilder ver—
fanden. Und wie es jchon geht, auf
einmal iſt meine Dannerl weg und
der Deichgräber heiratet fie. Denn fie
bat Geld gehabt, einen Haufen Geld
von ihrem Vater. Das Geld, meinet-
wegen, hätt? er Haben mögen, zu
Geld kann man’s felber bringen, aber
das Mädel bin ich ihm nicht willig
gewejen, denn fo eins gibt's nicht
mehr, nad meinem damaligen Glau—
ben. Wild bin ich worden und ver—
jagt. Hat mir nichts geholfen, find
fort alle zwei, weit weg, in die dalige
Gegend her und haben ſich den Pfles
ger⸗Hof gekauft. — Schlafſt ſchon,
Graſſel?“
„Solche Geſchichten habe ich ſchon
genug gehört“, verſetzte der Burſche
ſchläfrig.
„Bleib' noch ein biſſel munter,
Graſſel, ich rath' dir's“, fuhr der
Alte fort. „Jetzt, wie die Zwei davon
ſind geweſen, da hat ſich ein junges
armes Dirndel gemeldet. Die ſchöne
Veferl haben ſie's geheißen. Aber arm
und ſauber, das iſt nichts nutz! Und
die Veferl, die hat er angeſetzt, der
Böhm, und nachher verheirateterweis
natürlich wicht mehr von ihr willen
wollen. Im Wochenbett ift fie ge—
ftorben und jet Hat ſich niemand
ums Kind wollen fümmern. Das
Gericht ftellt darüber einen Vormund
auf, und der follt’ ich fein. — Ad
bitte, Hab’ ich gejagt, wie fomm’ ich
dazu! Der Bater von diefem Wurm
ift mein größter Zodfeind, — Es
—
wäre ja nur der Form wegen, hat
darauf das Gericht geſagt, ich brauchte
ja für das Kind nicht zu ſorgen, das
bekomme einen Koſtort und würde
ſchon dafür gezahlt werden. — Wenn's
nur der Form wegen iſt, ſage ich gut! —
und fie Schreiben mih al3 Vormund
ein. Hab’ mir aud vorgenommen,
dafs ih mich gar nit will um—
ihauen nach dem finde, Wie komm’
ih dazu ? — Aber was wirft machen?
Nicht bekümmern um ein arınes We—
jen, daS unter rohen Leuten jein
muſs, der Dater Hat ſich mit ein
paar hundert Gulden abgefunden und
ihaut weiter niht nad. Und mir
haben ſie es angebunden, wenn auch
nur braucdhshalber, Zum Jammern
hat es ausgeſchaut, dag Kindel, wie
ich's einmal Hab’ beſucht, und ſag'
ih zu mir: Erbarmt’s dir nicht?
Du bift Gerhab darüber. Bift auch
jo ein Dundling und lajst es liegen ?
Juſt zur Rad’ follft ihm's thun,
diefem Schandmenjchen, der dich um
deine ganze Freud’ hat gebracht, juft
zur Schmach und Rah’, daſs du
diefes hilfloſe Geſchöpf nicht verläfst !
Dielleiht, wenn es groß if, kommt
einmal ein zahlender Tag. Und hab's
zu mir genommen,
„Joſel-Vater!“ Tallte nun der
Burfche, immer noch mit halb ges
ſenkten Augenlidern. „Dasfelbige Kind
bin ich ; das weiß ich Jchon.“
„Das weißt du freilich, Graſſel,
weißt du aber aud, dajs dein Vater
dir heut’ einen Pfirfich geftohlen hat?“
Seht wurde der Burjche wach.
Er richtete ih auf und fragte ganz
ruhig: „Und den Hätte der Teufel
noch nicht geholt ?“
„Lajst ſich Zeit, denkt ſich, das
it ein Schelm, der immer noch wachst.“
„Und diefer Menſch, den fie jept
den Pfleger im Hof heißen und Vor—
ftand und Armenvater und Schul
rath, der foll meine Mutter verführt
haben ?*
„Hat es.“
828
„Sie verlajien, dir die deinige Bon der Küche Her vernahm er
abipenftig gemacht?“ die keifende Stimme der Wirtin, im
„Hat es.“ Hofe lungerten etliche Burfchen ge—
„Diefer Großbauer und Bürger | langweilt umher, raudten Gigarren
zu Berchteshofen fol mein Bater| und warfen jih manchmal gegenjeitig
jein ?* ein biffiges Wort zu.
I De „Das werden wohl die Herren
„Und der Dann hat morgen feine) Brüder fein“, dachte fih der Graffel.
jilberne Hochzeit ?“ Dann gieng er ins neue Haus und
„Hat fie.“ ohne anzuklopfen öffnete er im Flur Die
„Joſel, da muſs ich dabei fein.“ | erfte Thür. Da drinnen ſaß der Bauer
„Wird dich Halt nicht einladen!” | qm Zifche, vor ſich Papiere, die er nun
„Ich werde dabei fein!“ fagte der) paftig zufammencaffte.
Burſche und rieb fich die Hände. Er „Wer denn?“ fuhr der Pfleger
hatte ſich ganz aufgerigjtet. „Wo iſt den Eintretenden an. „Tritt man
er denn, der Pflegerhof? ‚mit folder Manier in ein Haus?“
„Schau hinüber dort auf bie „Um Berzeihung“, antwortete der
Anhöhe. Der mit den vielen 5 N 2 BE (opit
den, wo vor dem Haus die ” un. Era en Kopf
mit dem Thurm steht. Das große Mas foll das? Wer if Er?
Wirtshaus.“ * —
Auiwart „Ihr müſst mich ja vom ſtirch⸗
— ——— platz her noch kennen, wo Ihr mir
machen“, ſagte der Burſche. — = >
— ja a verſetzte heut' ſo viele Pfirſiche abgelauft habt.“
der alte Obſtler, „aber ſei geſcheit! — fein Obſt. Bei mir wachst
Es kann dir was fragen, wenn du F
geſcheit biſt. Kaunſt auch verdammt „Deswegen bin ich auch nicht ba“,
abbligen, wenn du dumm bift. Willen fagte ber Burſche und zog jept erſt
thut er ſchon eh davon, aber kennen bögernd den put nn Kopf.
wird er dich nicht. Da, diefe G'ſchtift »Alſo, was iſts
nimmſt mit, hab' fie gerad’ alleweit| „Spottſchlecht iſt er“, murmelte
in meiner Brieftaſchen. Die zeigſt der Graſſel und drehte feinen Hut im
ihm, aber nicht aus der Hand geben!|der Hand hin und her. „Auch das
— Probier's halt!" andere Gewand“ — er blidte auf
Und gegen Abend desjelben Tages | Teinen fadenſcheinigen Lodeurock —
war's, dafs der Graffel eintrat beim | „das ift fein Hochzeitsgewand, Herr
Pfleger, Eine dralle Kellnerin fragte] Vater. Kunnt ih nicht ein beijeres
ihn, was er begehrte. haben ? Selber hab’ ich mir noch alles
„Den Wirt“, antwortete der) weil fein’s anichaffen mögen.“
Burſche. Nun ſtand der Pfleger raſch auf,
„Den Deren Vater? Der hat heut | trat mit ein paar heftigen Schritten
nicht Zeit.“ gegen den Burſchen und rief: „Seht
„Ich will nur willen, wo ich ihn will ich willen, was das heißen foll!
finde,“ Mill Er mas, jo geh’ Er ins Wirts-
„Das ift ja der Obſtler“, rief haus hinüber, Heut’ bin ich für nichts
einer der Gäfte drein, „halt leicht! da!“
Moft zu verkaufen ?" „Soll mir einer meiner Brüder
Hierauf der Beſcheid, der „Herr das Hoczeitsgeiwand geben ? Oder die
Vater“ würde im neuen Haufe drüben | Frau Mutter? Die Stieimutter wird's
fein, wo er wohne, halt nicht thun wollen.“
Der Graſſel gieng über den Anger. „sh glaub’, bei Ihm iſt's nicht
829
rihtig oder Er irrt ſich im Haus,
bei mir heißt's beim Pfleger im Hof.“
„Das ftimmt”, jagte der Burſche.
„Der Pfleger im Hof hat ja morgen
Hochzeit!“
„Und — ?“
„Schau der Herr Vater, und juit
bei diefer Hochzeit will ich dabei fein.
Kann mir's auch denken, dafs ihr fie
gern alle beifammen habt Euere Leute
an jo einem Tag, und jo bin id
halt da. — Noch gar nicht vorge-
ftellt hätt' ich mi? Uber jo unge»
jhidt! Der Grafjel bin ich, Vater,
Euer Alteiter, jo viel ich weiß.“
„Gar nichts verfteh' ich.“
„Die ſchöne Beferl, in Sanct
Georgen, dazumal! — Nun, ich bin
der Sohn.“
Etwas ungleih fühlte ſich jetzt
der Pfleger.
„Dahier wär’ die G'ſchrift. Wird
alles richtig jein.“
Er hielt daS Papier Hin, der
Pfleger warf einen zudenden Blid
darauf.
Der Burſche fuhr fort: „Sind
auch andere Zeugenjchaften da, wenn
fie der Herr Vater verlangt. Hier,
bitt’ Schön, Hier fteht mein Geburts—
tag. Wird eh’ stimmen. Denk’ der
Vater nur nad.”
„Jetzt wird’3 mir aber zu viel!”
fuhr der Pfleger auf. „Und wenn
was gewejen wär’, dazumal, jo bin
ih der Menſch, der jeine Schuldig-
keit kennt und die Dirn gejegmäßig
abgefertigt hätte!“
„Richtig, mit dreihundert Gulden.
Hat nicht weit Hedt, Vater. Davon
red’ ich jeßt nicht, das fönnen wir
jpäter ausmachen. Heut’ will ich nur
mein Hochzeitsgewand haben. Ihr
werdet jelber jagen, dajs ich morgen
bei Euch nicht Fehlen darf.“
Der Pfleger ergriff den Rodflügel
des Burfchen und ſtieß haftig, doch
faft leife heraus: „Du — wie heißt
gleich ? Graſſel! Du Graffel,
wenn's Schon ſollt' fein, mach’ feine
Dummpbeiten, ich bitte di, mad’
mir jebt feine Dummbeiten. SKonım
ein anderesmal, wir bereden’s nach—
ber. Heut’ hab’ ich für nichts Zeit,
Red’ nicht3 derweil, da — leicht
brauchit Geld !*
Er wollte dem Burfchen eine
Banknote geben, dieſer blidte ſtarr
darauf Hin und ſagte: „Na, das
nicht, Geld nicht jet, Geld erſt jpäter.
Heut” bin ich nur wegen der Hoch—
zeit da. Den Ehrentag lajs ich micht
aus! Und krieg ich Fein Hochzeits—
gewand, jo komm’ ich jo, wie ich bin!
Iſt mir Schon alles eins. Zu der
erften Hochzeit meines Vaters bin ich
ohnehin mit eingeladen worden , jo
will ich wenigftens bei der zweiten fein.
Den Ehrentag lajs ih nit aus.“
Jetzt erſt erkannte der Pfleger den
Ernft der Lage. Nur mit der grökten
Klugheit konnte Hier pariert werden
und auf feinen Falle durfte es an
diejem Tage laut werden, was diejer
Mensch, diefer ſchreckliche Menſch zu
jagen wuſste. Sein Weib, ohnehin
ein Drache, die ihm das von ihr zu—
gebrachte Vermögen ſchon hundertfach
büßen lieg; was würde das für ein
Auftritt werden! Ein fauberer Hoch:
zeitstanz! Und exit die Leute, vor
denen er ehrengeadhtet daſtand! —
Nein, nie und nimmer durfte es fein,
dafs diefer Obſtlerburſche auftrete —
am feitlich begangenen Ehrentag eine
alte Schande.
„Graſſel“, jagte der Pfleger ganz
ſänftiglich: „Mir liegt's ja auch an,
und mir wollen es ausmachen, dafs
dur zufrieden bift. Aber da in der
Stube läſst fih nichts reden. Es
fann alle Augenblid wer hereinkom—
men und uns ftören; und wer nicht
fommt, der hordht draußen. Das ge—
j&heitejte wird fein, wir machen oben
in meinem Kellerhaus Zujammenver=
laſs. Weißt es, das Sellerhaus ?
Oben am Rain beim Schaden. Es
it unbewohnt, dort haben wir Ruh’.
Dorthin fommft heut” ums Dunkel—
werden. ch weiß meine Pflicht und wir
werden zufrieden auseinandergehen.*
—
830
„Mir iſt nur um die morgige
Hochzeit”, ſagte der Burfche.
„Sollit dabei jein. Will aber noch
ein weiteres für dich thun, deswegen
fomm fein gewijs in das Kellerhaus.“
Der Graffel jagte es zu und au—
jtatt dem Joſel-Vater nach gen Sanct
Georgen zu wandern, flieg er in der
Abenddämmerung Hinan zum Keller—
haufe. Der Pfleger war fchon dort,
hatte eine Talgkerze angezündet und
hielt einen Weinheber und zwei Trink—
gläfer bereit vor einem Faſſe. Als der
Graſſel eingetreten war, verjchloj3 er
die Thür. „Wir wollen Fried’ Haben“,
jagte er. „Du haft gewifs jchon lange
feinen Quttenberger mehr getrunfen,
Hab’ ein Gebind mit feinem Aus—
bruch. Nu, koſt' einmal.“
Der Grafjel tranf. Das war gut.
„Bit mie auch ein jauberer
Sohn“, jagte hierauf der Pfleger
Icherzend. „Das eritemal mit dem
Bater trinfen und aufs Anſtoßen
vergeſſen. Na, macht nichts. Leben
ſollſt!“ Und fie ftiegen an.
Es war ganz heiter, Der Grafjel
mujste viel erzählen, wie es ihm er—
gangen fei. Freilich wohl kümmerlich,
allein der Burſche Hatte es ja nicht
gewuſst, daſs es viel beffer fein
tönne, und im Ungejichte einer guten
Lebenswendung brachte er alles hübſch
munter vor.
Der Pfleger geftand, er hätte es
ja gewujst, dajs der Grafjel beim
Jofel in Sanct Georgen gut aufges
hoben jei, und das jei ihm immer
ein Zroft gewejen.
„Und dafs wir auch ernjter Weis
reden“, jagte der Pfleger plöglih —
„geh', trin®, Grafjel! — daſs wir
auch ernjter Weiſ' reden, ich will was
für dich thun. Dur mufst aber gejcheit
jein und dein Glüd nicht verfcherzen.
Ein Heiratägut, wenn du einmal dazu
kommſt, und ſonſt brauch’s für dich
allein. Du kriegſt jeßt fo viel auf die
Hand, als ich deiner Mutter gegeben
hab’, umd dur gehit fort und zeigft dich
nimmer zu Berchteshofen.“
„Damit bin ich auch zufrieden“,
antwortete der Burfche, „und will
nad der Hochzeit gern fortgehen.“
„Heut? mußst noch fort, jeht bei
der Naht noch!”
„Ad, das nit, Vater, bei Der
Hochzeit erwert ih Euch ſchon Die
Chr. Ih will an Euerer Seiten
ſitzen.“
„Graſſel, ich bitt' dich! Thu' mir
die Schand nit an vor den Leuten.
Man weiß von nichts. Es wäre mein
Unglück noch in den alten Tagen!“
„Das macht nichts“, antwortete
der Burſche ruhig und trank. „Ihr
habt ja auch meine Mutter ins Un—
glück gebracht, Ihr habt Euer Kind
verſtoßen, ihr habt dem Joſel die
Braut weggenommen, er hat zum Lohn
dafür Euer Kind auferzogen, Ihr habt
es gewujst, dafs er arm ift und nichts
für ihn, nicht einen Sreuzer. Lieber
Herr Vater, Ihr jeid ein —“
„Was bin ich ?*
„Ein Ehrenmann natürlich.“
Der Pfleger war jchon aufge»
Iprungen, nun jeßte er ſich gelaſſen
wieder auf feinen Schemel, während
der Grafjel auf einem leeren Fäſschen
ritt und ſich gemädlich Hin und Her
ſchaukelte.
„Du ſollſt doppelt ſo viel haben,
als ich vorhin geſagt“, verſetzte der
Pfleger.
„Nicht ums Zehnfache!“ ſagte der
Burſche, „nicht ums Zehnfache ver—
kaufe ich die morgige Hochzeit. Einen
Ehrentag will ich auch haben mein
Lebtag.“
„Und wenn ich dir das Zwanzig—
fache gebe“, flüſterte der Pfleger halb
bittend, halb drohend, „daſs du dir
einen Bauernhof kannſt kaufen zu
Sanct Georgen. Mehr wirft nit ver—
langen von einem alten Mann, dem
einmal was pafjiert ift, was jedem
paflieren fanı, und der Widerwärtig«
feiten genug muſs ausftehen. Du
weißt es nicht, was ich ausjtehen
muls bei meinem Weib und den
Buben, Beſſer hätt’ ich's wohl getroffen
— 2
mit deiner Mutter, und wenn wir warf. Diejer that einen Schrei und
auch arım geblieben wären. — Schlimm | blieb ftöhnend liegen.
Das Anſehen bei den |
bin ih dran.
Leuten iſt das einzige, was ich noch
habe. Freilihd Hat mir mein Weib
das auch verderben wollen, aber nicht
recht können, weil ich gerecht daſtehe
vor der Leut’ Augen. Die ganze Ger
meinde thut ſich zuſammen zum Feſt.
Meines Weibes wegen halt' ich's
nicht, das kannſt mir glauben. Aber
die Ehr'. Der morgige Tag, auf den
ih mich ſchon jo lang hab’ gefreut,
ſoll mir ein Troft jein. Graffel, weun
du mir diefen Tag verdirbt! Wenn
du mir diefen Tag verdirbft, Grafjel!”
Mit geballten Fäuſten meigte er ſich
vor gegen den Burſchen.
Diejer ſaß behaglic da, die Hände
in den Dofentafchen, und fagte: „Ih
erde nicht vergeſſen, daſs ich Euer
Alteſter bin und mich an Euerer Seiten
recht ehrbar betragen.”
„Es darfnict fein. Du mujst
fort, du mufst!*
„Nein, lieber Herr Bater,
bleibe da.“
„Zwing' mich nicht, Graſſel!“
Der Burfche wiegte ſich wieder
und ſchante mit lächelnden Hohne
auf den Pfleger: „Und wenn's uns
den Pflegerhof koſtet, ich bleibe da!“
Jetzt ftürzte der Pfleger ſich auf
ihn.
Der Graſſel war aber auf der
Hut geweſen. Blitzſchnell ſtand er
fampfbereit und nun gieng ein heißes
Ringen an, welches unter wechſeln—
dem Glücke damit endete, daſs der
Burſche den Alten heftig an die Wand
ich
Der Burſche
ſchloſs die Thür auf und eilte davon.
In der Angft, jein Gegner würde ihn
verfolgen, lief er durch den Schaden
über ein Feld dem Walde zu, dort
lauerte er und laufchte, ob er nicht
Wuthausbrüche des Pflegers vernehnte.
Aber er hörte nichts.
Plöglid ward ihm bange. Er
gieng zurüd zum Sellerhaufe. Die
Thür ftand noch offen. Er gieng hin—
ein, die Kerze brannte noch ruhig, und
auf feuchtem Erdboden lag der Pfleger
— lautlos, vegungslos, kaum noch
ein wenig zudend — im Berbluten.
Er war mit dem Haupte an eine
Iharfe Steinede gefallen.
Am nächſten Frühmorgen gieng
e3 laut ber beim Pfleger im Hof.
Aber nicht Feſtlärm war e3; die ge—
ladenen Pöller wurden nicht abges
ſchoſſen; es war Aufruhr des ver—
mijsten Hausherren wegen. In der
Verwirrung und dem Din= und Her—
laufen der Leute war auch der Objt-
träger Graſſel da. „Wollt ihr's wifjen,
wo er ift!“ rief er mitten im Hofe,
„jo lommt mit mir!”
Er gieng hinab gegen das Ge-
richtshaus. Mehrere folgten ihm, deun
jie meinten, der Pfleger ſei über Nacht
eingejperrt worden. Vor dem Wichter
ftehend, ſagte der Graſſel, der Pfleger
liege oben im Kellerhauſe und ſei todt.
Und erzählte den ganzen Hergang,
jowie die Urſache desjelben.
Viele Jahre werden vergehen, bis
der Obſtträger Grafjel wieder Pfirfiche
fann verkaufen auf dem Kirchplatz zu
Berchteshofen.
Das Märdhen von der claſſiſchen Bildung.
Nah Hans Frifd.
5
E
— 3 iſt auffallend, wie wenig die
a Studenten der Jeßtzeit ſich an—
Wyderen jungen Leuten gegenüber
an wirklicher Bildung hervorthun. Es
ift auffallend, wie umwiljend fie oft
gerade in Sachen ihres eigenen Volkes
find und wie wenige ihre Mutter:
ſprache beherrſchen! Junge Beamte
lönnen keinen deutſchen Auffat machen.
Unter Hundert jungen Leuten können
fünfzig Clavier Himpern, aber kaum
fünf unvorbereitet eine Seite aus
einem Buche mit guter Betonung vor—
leien. Iſt es aber ein Wunder?
Merden unfere Studenten in den
Gymnaſien deutſch gebildet? Die
Hälfte aller Unterrichtsftunden gehört
den alten Spraden. Die Schule jagt:
den Homer und den Sophofles, den
Horaz und den Birgil u. a. müſst
ihr ganz genau fennen, wenigftens in
Form und Grammatik, ob ihr euch auch
die Kenntnis der deutschen Literatur
aneignet, das ift uns gleichgiltig. —
Der deutſche Kaiſer Hat Scharf darauf
bingewiejen, da er fagte: Wir mwollen
Deutjche heranbilden und nicht Griechen
und Römer!
Wir find nicht für die einjeitige,
nur nationale Bildung. Wir find für
eine auf deutjcher Grundlage fußende,
den Idealismus und die Sittlichkeit
fördernde Weltbildung, und hierin ift
das Erbe der Griehen und Römer
ungenügend geworden. — In diejem
Sinne veröffentlichte vor einiger Zeit
Dans Friih in Schorers „Familien—
blatt“ einige Auffäße, aus welden
wir das Folgende bejonderer Ermwäs
gung empfehlen.
Wie e3 kam, dafs die urtheilslofe
Begeifterung für da3 jogenannte cla)-
ſiſche Altertum gehätjchelt wurde, wie
jie die Herrſchaft im Schulunterricht
zu erlangen wujste, das iſt furz zu
jagen. Der deutfche Humanismus er-
wuchs weniger aus innerlihem Triebe
al3 aus einer Nahahmung der huma—
niſtiſchen Schwärmerei, melde im
Italien Mode war. Als es galt, Ge—
ſinuung und Überzeugung in Sachen
der Religion und der Denffreiheit zu
äußern, da zogen fich die Führer des
deutihen Humanismus beängftigt und
befremdet vom Geift der Reformatoren
zurüd, ja fie nahmen theilweiſe jogar
eine feindliche Stellung zu der meuen
nationalen Bewegung ein. Und als
dann im Anfang unferes Jahrhun—
dert? die Gymnaſien wiederum auf
humaniftiicher Grundlage eine neue
Drdnung empfiengen, da fam das
Verſenken in die Welt der Griechen
der reactionären Regierung ſehr will-
fommen, die vor dem Deutjchthum
der Studenten zitterte. Die Regie:
rungen freuten fich, dafs die Beichäf-
tigung mit den alten Spradhen den
Gymnafiaften feine Zeit ließ, ſich mit
vaterländifcher Literatur und Geſchichte
zu befreunden, diefen beiden Geiftes-
helfern zur Erwedung eines gejunden
Nationalgefühls. So fam es, dajs
der Nimbus der „claffischen Bildung“
immer größer ward. Und doch — dies
wollen wir im Nachfolgenden beweijen
— iſt die Behauptung, daſs die allein:
jeligmadhende Bildung die durch das
griechiſch-römiſche Vorbild fei, durch—
aus falſch.
> 2 —
’ :
Es jei hier bemerkt, dafs der Ver—
fafier dieſes Aufſatzes den Unterrichts—
gang des Gymnaſiums durchgemacht,
und dieſen mit den Abiturientenexamen
abgeſchloſſen hat, welches ſeine Lei—
ſtungen in den beiden alten Sprachen
als gut bezeichnete, daſs er, obwohl
er dem Beruf nah den PhHilologen
nicht zuzuzählen ift, noch heute ganze
Oden de Horaz zu citieren weiß,
Lateinisch wie Deutſch liest und Ho—
mer auch ohne ftarfe Beihilfe des
Lexikons zu verdeutfchen vermag; ja,
dafs er ſich ohne Borbereitung latei=
niſch mit jedem PHilologen unters
halten kann. Das Rüſtzeug zur Bes
fünpfung des Gegners ift alſo in
jeinem Bei. Und zum andern fei
bier bemerkt, daſs der Verfaſſer troß
aller Bekämpfung des Borurtheils
von der Unfehlbarteit der Antike die
Kenntnis derjelben durchaus nicht ganz
aus den Gymnaſien befeitigt ſehen
will. Dafür aber will er eintreten,
dafs die griechiſch-lateiniſchen Studien
nicht al3 das Weſentlichſte des Unter:
richtes gelten, jondern daſs fie den
andern wichtigeren Geiſteswiſſenſchaften
unter» oder beigeordnet (ſtatt wie jeßt
übergeordnet) jein jollen. Am aller:
wenigſten will er gegen die Lehrers
jchaft jelbft Front machen, ſondern fie
vielmehr erlöfen von dem drüdenden
Formalismus. Dies mujste gejagt
werben, um den Standpunkt des Ver:
fajlers zu kennzeichnen und Mijsver:
ſtändniſſen vorzubeugen.
Die Phrafen von der alleinjelig=
machenden Sraft der Antike find in
Schlagworte der „formalen Bildung”
und der „Gymnaſtik des Geiftes" zu—
jammengefaist. Ein Gymnafialdirector
ſpricht in einer Echrift es geradezu
in den Morten aus: „Die höhere
Menfchenbildung kann nur auf dem
Gymnaſium, der einzigen VBermittlerin
der Cultur des Altertdums, gewonnen
werden.”
Thatſache ijt, daſs der formale
Bildungswert der 'alten Sprachen in
logifcher Beziehung dem der Beſchäf—
Kofegger’s „„Geimgarten’‘, 11. Heft, XV.
—— — — — — — — — — — — — — —
tigung mit anderen Sprachen völlig
gleichwertig iſt. Eine andere Phraſe
behauptet, daſs die claſſiſche Bildung
zum Beherrſchen der Mutterſprache be—
ſonders geſchickt mache. Dieſe alles
Ernſtes aufgeſtellte Behanptung iſt
eine Lächerlichkeit. Es ſei auf die
komiſche Unbeholfenheit, die geichmad-
loſe Satzeinſchachtelungsmanier des
Lateindeutſch hingewieſen. Sowie
früher, leiſten auch jetzt die Philologen
darin Wunderbares. So ſchreibt einer
der größten und einflußsreichſten
Philologen, der Leipziger Profeſſor
Gottfried Hermann, in einer Abhand-
lung vom Jahre 1826 unter einer
Fülle undeutſcher Stilblüten folgenden
Sap:
„Man weiß nit, was man von denen
denfen joll, die öffentlich die Denfart derer
als die ihre ausſprechen lafien, die, um
ihre eigenen Fehler zu bejhönigen, an dem,
von dem fie getadelt werden, etwas auf:
ſuchen, das fie ihm vorwerfen lönnen, und
fie für gerechtfertigt halten, wenn fie ihren
Tadler gefhmäht haben.“
Mit Recht fragt man Hier, ob ein
jolder Stil möglid gewejen wäre
ohne Hermanns Gewöhnung an latei«
nischen Ausdruck. Und man Halte
diefer Handhabung der Mutterfprache
das Deutich entgegen, welches vor
wenigen Wochen ein Gymmafialdirector
gelegentlich eines Ertemporales feinen
Primanern dictierte:
„Gäbe es doch auch andere, ſchon aus
dem Grunde größeren Lobes würdige
Männer, dajs fie ebendenſelben Hannibal,
welcher im Stolz über joviel Siege in
Italien eine Niederlage feineswegs fürdten
zu müjlen geglaubt hätte, zuerft zu täujchen
anfiengen, eine Aunft, dur welche der
jhlaue Karthager allen überlegen zu fein
geichienen hatte, dann aber befiegen, jo
daſs es wahrjcheinlidh war, wenn nicht vor:
ber andere große Männer feinen Ruhm
erihüttert hätten, dais Scipio faum im:
ftande gewejen jein würde, den joviel Jahre
hindurh mit Hannibal geführten Krieg
glüdlih zu beendigen. Auch könnteſt du
es nicht billigen, daſs Scipio von den
Böttern jelbft ihres Rathes und ihrer
Hilfe am würdigften gehalten zu jein habe
ſcheinen wollen.“
„Behalten zu fein habe Tcheinen
33
834
wollen!“ Wie ſchön und Har! Sa,
ja, ſchlechte Ertentporalienbeifpiele ver-
derben gute Spradjitten !
Dass durch ſolche Miſshandlung
der Mutterſprache der Sinn für einen
reinen deutſchen Stil in den Schülern
erftidt wird, wer hätte den Muth,
das zu leugnen?
Eine dritte, und wohl die gefähr-
lichſte Phraſe ift die von der Förde—
rung des Idealismus, welche den
Schülern durch die Beichäftigung mit
den Autoren der Griechen und Römer
zutheil werden folle. Wir wollen diefer
jehr Ichönklingenden Behauptung doch
einmal gründlich zu Leibe gehen.
Jedermann wird mit uns einverftane«
den jein, daſs ideale Gefinnung ohne
wahre Sittlichfeit nicht möglich fei.
Nun möchten wir zunächſt die Ant-
wort auf die Frage ſuchen: Waren die
Alten Sittlichkeitevorbilder für unſere
Zeit? Der Lefer wird, wenn er hifto-
riſche Kenntnis und claſſiſche Belefen-
heit beſitzt, ſich dieſe Frage leicht be=
antworten können. Auch mit dem
unbewaffneten, kritikloſen, geiftigen
Ange erkennt man die inmere Faul—
heit autifer Charaktere und Zuftände;
it doch die Geſchichte Griehenlands
nichts weiter, als die Verkörperung
des crafjeiten und beſchränkteſten Ego—
ismus der griehijchen Staaten, und
wenn man aus ihr die Perferfriege
fortnimmt, jo bleibt nichts übrig,
woran ſich unſer Herz erfreuen könnte,
Und jelbit der Glanz der Perjerkriege,
wird er nicht durch jolhe Thatſachen
bedeutend verdunfelt, wie das empö—
rend gemeine Benehmen des Ariſta—
goras während des joniſchen Aufftandes,
die Haltung der Thebaner während
des nationalen Kampfes, die Fleinen
Eiferfüchteleien der griechiſchen Staa—
ten untereinander im Angeſicht der
Feinde; die Veftechlichleit des Themi—
itofles, die verrätberiichen Pläne des
Pauſanias, der beifpiellos ſchnöde
Undanf der Athener gegen den Mil:
tiades und die niederträchtige Hetze
Da man aber der Jugend immer von
der Kalokagathie (das iſt Schönheit
und Güte) des Helenenthums vorge—
predigt, stellt fie fich jeden Griechen
in der Geftalt des Apollo und mit
den Geifte des Berikles vor. Und
doch war das von der Nachwelt ver—
götterte Volk nicht viel anders, als
die heutigen Griechen, die durchaus
nicht, wie man früher meinte, ftart
mit jlaviihem Blut verjeßt, jondern
im weſentlichen die richtigen Nach
fommen der Dellenen find. Zreulos,
beftehlih, zu Lug, Trug und Liſt
geneigt und gefchidt, den häſslichſten
Laftern ergeben ; jo find die Griechen,
jo waren fie — mögen alle Zeufe vom
Sculfatheder ihren Donner gegen
uns jchleudern — auch damals, tros
ihrer Schönen Statuen und Baumerte.
Der redlichite, wahrheitsliebendfte Ge—
ſchichtsſchreiber des Alterthums, Poly:
bios, ſelbſt ein Grieche, nennt alt
die Hauptfehler feiner Landsleute die
Beitechlichfeit und die Treuloſigkeit,
wie denn die „griehifche Treue“ da—
mals wie heute als Ironie galt.
Selbit ein von den Philologen fo
verberrlichter Charalter wie Demo:
ithenes ift von dem Vorwurf der Be—
ftechlichkeit nicht freizuſprechen, Die
nun einmal ein griechiſches Nationalz
lafter war. Und jo kommt es, dafs
die Uneigenmüßigfeit des Ariftides von
den griechiſchen Schriftitellen als
etwas ganz befonderes hervorgehoben
wird. So ein armer Tropf von
Quartaner aber, dem fein Cornelius
Nepos es als etwas ganz Ungewöhn-
liches hervorhebt, daſs Ariſtides arın
geitorben ift, obgleich erMillionen unter
jeiner Verwaltung Hatte, zerbricht ſich
vergebens feinen Heinen Kopf über
die Frage, worin denn dieje befondere
Tugend des Ariftides beftanden haben
jol. Bei den Deutichen ift ja doch
dieje Art von Tugend bei Caſſenver—
waltern jelbjtverjtändlih, und daſs
hochgeitellte Beamte ihre Angehörigen
in bitterer Noth Hinterlaffen, iſt eine
der Spartaner gegen den Themiſtokles? | beinahe alltägliche Erſcheinung.
Bei den Griechen finden wir aljo
diejes höhere Maß von Idealismus,
welches dem Altertum angedichtet
wird, keineswegs. Und noch viel we
niger finden wir e& bei den Römern,
deren Gejchichte mit ihrem Ocean von
Blut, Schmutz und Thränen jich höch-
ſtens als Beweis dafür verwenden
täjst, dajs nicht den Guten, ſondern
den Klugen die Welt gehört. Die
römiſche Staatskunſt iſt auf einer
diplomatiſch-juriſtiſchen Heuchelei er—
baut; denn vor jedem Kriege ſuchten
die Römer dem Gegner mit den
ſchönſten Redensarten zu beweiſen,
daſs ſie das Schwert nur zum Schutz
der gerechten Sache zögen, um dann,
wenn ſie Sieger blieben, das Land
ihres Schutzbefohlenen unter irgend
einem rechtsartigen Schein zu annee—
tieren. Schlimmer noch als dieje Ver—
gangenheit ift es für unſere Zeit,
dafs unfer modernes Recht nach diefen
haarſcharfen Spigfindigfeiten des bür—
gerlihen römischen Rechtes gemodelt
wurde; daſs das deutjche Recht zurüd-
gedrängt, und unjerem Bolt ein Recht
aufgedrängt ward, welches aus den zu—
dem noch Häufig mijsverjtandenen
Überlieferungen altrömifcher Rechts—
pflege an dem verderbteiten, unſitt—
lichften Hofe der Welt in Byzanz, vor
dreizehuhundert Jahren zuſammen—
geitellt wurde. Dass die Deutſchen an
diefe römische Rechtsbibel noch heute
glauben und fich nad ihr richten jollen,
das ift vielleicht der ſchädlichſte Ein-
flufs des Römerthums auf unfer
Volk.
Und nun wird unſeren Knaben
und Jünglingen die als heilkräftig
auspoſaunte Medicin der claſſiſchen
Bildung von Arzten eingegeben, deren
geiſtiger und ſittlicher Wert ſehr frag—
würdig iſt. Wir meinen die Autoren,
insbeſondere die römiſchen, welche in
der Schule geleſen werden. Oder trägt
die Perfidie, mit welcher Julius Cäſar
Freund und Feind in Gallien behan—
delt, Die ſchönredneriſche Geſchichts—
fälſchung des Livins, die phrajenhafte
Schwätzerei des Cicero, die patriotifche
Tendenzmacerei des Aneisdichters
zur Förderung des Idealismus unſerer
Schüler bei? Von Horaz ganz zu
ſchweigen. Denn wenn er auch ein
hochbeanlagter Dichter iſt, jo kann
man bei ſeiner Lectüre doch nicht ver—
meiden, daſs der Schüler Einblicke in
die verwerflichſten und unnatürlichſten
Laſter der alten Welt erhält. Nein,
meine Herren Philologen! Wenn die
Kenutnis der alten Schriftſteller dem
Idealismus bejonders förderlich wäre,
dann böte uns die Geſchichte micht
ein merkwürdige Schaujpiel zur
Zeit der erften Renaifjance. Damals,
als die Studien des claffiihen Alter
thums zu neuem Leben erwedt wur—
den, waren gerade die Stätten, wo
die humaniſtiſch am feinsten gebildeten
Geifter weilten, der Zummelplag
der verworfenſten Gejellihaft, welche
(die römische Kaiferzeit ausgenommen)
die Geſchichte kennt. Die Paläſte der
italienifchen Renailjancezeit, die von
den begeifterten Recitationen griechi—
ſcher und römischer Autoren wieder-
fingen, triefen von Greueln des Mor:
des, der Wolluft, von verruchten
Thaten des brutalften Egoismus.
Man braucht Hier nur an die Borgia
zu erinnern.
Der Idealismus verträgt fich ebenfo
ſchlecht mit der Unfittlichkeit, wie mit
dem Egoismus. Lebterer aber iſt ſtets
mit der Gemüthslojigfeit eng verbuns
den, und auf das Gemüth im deut—
ihen Sinne bat die antife Bildung
jehr wenig Einflufs. Es kann behauptet
werden, daſs in den römiſch-griechi—
jhen Werten für das Gemüth fait
gar feine Ausbeute zu finden jei, daſs
fein Moment uns im Innerſten tief
ergreife, ausgenommen die Homerifchen
Schilderungen von Heltors Abſchied
und Odyſſeus' Heimtehr. Wir möchten
zu Ddiejen beiden gemüthsergreifenden
Momenten noch ein drittes hinzufügen:
der rührende Ausdrud des Heimat:
gefühls der zehntaufend Griechen
Xenophons, als ſie dag Meer erblidten.
59*
Im Ganzen läftt die antife Bildung |
das Gemüth leer.
Aber, fo fragen wir mit Recht,
und gewils im Sinne von Millionen:
Iſt denn, wie dies nah den Behaup-
tungen der Altphilologen anzunehmen
wäre, der Idealismus allein bei
Studierten oder denen, die das Abi—
turienteneramen bejtanden, zu finden?
Mas ift Idealismus? Ideale Geſin—
nung eines Menfchen ift die Bereit-
willigteit, für Zmwede, die außerhalb
des Bereiches feiner finnlihen Wahr-
nehmung liegen, und die fein perſön—
liches Wohl oder Wehe nicht unmittel=
bar berühren, das heißt eben für ſo—
genannte „Ideale“, Opfer zu bringen. |
Das Maß der idealen Gelinnung iſt
offenbar lediglich nach der Größe der
Opfer zu ſchätzen, welche jeder für
ſeine Ideale bringt. Es iſt aber nach—
weisbar, dafs bei Vereinen mit idealen
Sweden (mögen diefelben der religiöfen
oder politiichen Agitation, dem deut—
ſchen Schulverein, dem Eolonialverein,
dem Berein zur Rettung Sciffbrü-
chiger gelten) die Studierten verhält»
nismäßig in viel geringerem Maße
beitragen, als die Unftudierten. Man
denfe ferner an die Arbeiter und ihre
Opferfreudigleit für ihre idealen Zivede,
mögen dieſelben auch auf jocialen
Irrlehren berufen. Und nun mehme
man dazu die großen, weiten Berufss
freife des Soldaten, der fein Leben
dem Vaterlande weiht, und des Volks—
Ichullehrers, der unter kümmerlichen
äußeren Verhältniſſen mit größter
Anspruchlofigteit und Gewiſſenhaftig—
feit dem deal jeines Berufes lebt.
Man Hört auch unter den Apoſteln
der allein jeligmachenden Antike viel
davon fabeln, dafs ein Kunſtver—
ſtändnis ohne das Verftändnis der
alten Kunſt unmöglih fe. Was
von diefer Behauptung zu Halten ift,
wird jeder Leſer ſich jagen können,
wenn er an die großen Meijter
der verſchiedenſten Kunſtgebiete denkt,
von denen nur ein verſchwindend
Heiner Theil gymnaſiale Bildung ges
836 =
noſſen Hat.*) Man müfste, um diefes
für die Gegner der antifen Bildung
ehr dankbare Thema weiter auszu—
führen, auf den Gegenjag zwifchen
gelehrter und volksthümlicher Kunſt
zu Sprechen kommen, und das würde
bier zu weit führen. Schmeding hebt
hervor, daß die clafliihe Bildung eine
Anſchauung geichaften Hat, nad der
man das Anreht auf das Prädicat
eines „Gebildeten“ nur dur eine
gewiſſe, wenn auch erheuchelte Begei-
fterung für Gegenftände der Kunſt
beanspruchen kann, die ihren Stoff
aus dem Alterthum entnahmen. So
entfteht denn jenes mwiderliche Koket—
tieren mit der Antike.
Nehmen wir aber mın einmal an,
daſs wirklich die Begeifterungsphrafen
der antifen Schwärmer wahr fein
jollten, was thun denn die Lehrer
dazu — und auf diefe kommt es Doch
wohl vorzugsweife an — den Schüler
mit dem Geift des Alterthums zu
befreunden? Darüber find wir uns
do völlig Har, daſs in den lateini«
ſchen und griechischen Unterrichtsitun«
den zu vier Yünfteln Grammatif und
nicht römiſch-griechiſche Cultur- und
Kunftgeihichte getrieben wird. Es
herrſcht immer noch der ftarre grammas=
tikaliſche Formalismus. Die claffiichen
Autoren, die mit den Schülern ge—
lefen werden, find nichts als die
Klettergerüfte zu den Höhen der
Grammatif, auf denen die 30 Beden-
tungen der Bartifel &v, die Verba auf zu,
die Verſchränkung des lateinischen
Periodenbaues und andere erhabene
Dinge thronen. Es ift eben ein inter:
richt im der Lateinisch » griechischen
Grammatik, und nicht eine Belehrung
über Geift und Weſen des griechiichen
und römiichen Staates und Volkes.
Geſetzt aber, alle unjere Einwände
*) Es iſt richtig hervorgehoben worden,
daſs drei der größten Meifter moderner
Kunft: Franz Lenbach, Hans Malart und
Franz Defregger dem Boll entitammen und
feinen ſyſtematiſchen Unterridt in unferem
Sinne genoiien haben.
gegen den Bildungswert der Antike
wären nicht ftihhaltig, und die Uns
entbehrlichleit clajjiicher Bildung für
die ideale Geſinnung des Deutchen
wäre nicht zu leugnen. Wenn es fo
wäre — was wir auf das Entſchie—
denite beitreiten — warum könnte
man den Geift des Altertfums nicht
ebenjo aus Überjegungen kennen lernen
al3 wenn man die claſſiſchen Autoren
in der Urſprache liest ?
Haben wir denn, um ein Beifpiel
unter vielen herauszugreifen, einen der
größten Geifter aller Zeiten nicht
auch aus der UÜberſetzung kennen ges
lernt? Bon taujend Gebildeten find
des unfterblichen Shakeſpeare gewaltige
Geltalten und Gedanten 999 allein
dur die Schlegel-Tied’she Verdeut—
jung bekannt geworden, und wir
citieren die Worte des großen Herzens—
fündigers in deutjcher Sprade, gleich
als ob er ein deutſcher Dichter geweſen
wäre. Und geht es uns mit der
Voß'ſchen Homer » Überfegung nicht
ganz ebenfo ?
Ein Hauptbeweis dafür, dafs
gummnafialerzogene Deutjche jich für die
claſſiſche Bildung weder zu begeiftern
noch jie nachhaltig zu ſchätzen ver=
mögen, ift folgende Thatſache. Abge—
jehen davon, daſs das Gymnaſium
dem Schüler fein innerliches Intereije
an den claſſiſchen Autoren zu erweden
vermag, denn fein Gymnaſiaſt liest zu
feinem Bergnügen einen griedhiichen
oder römischen Autor, nicht einmal in
der Überjegung, wie kommt es denn,
daj3 nah dem Abiturienteneramen
feiner, der nicht gerade Philologie
ftudiert, einen antiken Autor zu feiner
Erquidung lieſt? Und weiter, wie
fommt es, daſs nach dem Abiturienten«
eramen troß aller grammatifaliichen
Drefiur die mwenigften imſtande find,
einen lateinifchen, gejchweige denn
einen griehijchen Autor ohne Gram—
matit und Wörterbuch zu lefen? Der
Grund hiefür kann doch nur in dem
Mangel an Inhaltsintereſſe der an—
tifen Autoren, oder an der Mangel:
haftigkeit des grammatifaliichen Drifls
ſyſtems, oder an der Unfähigkeit der
Lehrer liegen, ein ſolches Intereſſe
zu erweden. Die eben angeführte
Thatjache wird felbft von den Philo—
logen anerkannt. In einer Gonferenz
preußiſcher Gymnaſialdirectoren ift es
geradezu ausgejprochen: „Mögen wir
uns noch jo ſehr gegen die Bemer—
fung jträuben, die Gemeinjamleit der
Urtheile jpricht entjchieden dafür, daſs
die Gymnaſiaſten jelten die Fähigkeit
erwerben, auch nur einen antiken
Schriftſteller mit Freude zu lejen.“
Mit dem Verlaſſen der Schulſtube iſt
die ganze claſſiſche Weisheit wie weg—
geblajen ; die lateiniſchen und griechi—
Ihen Bücher werden zum Antiquar
getragen, damit man luſtige Maul—
ejelzeiten Habe, oder frohen Herzens
den jüngeren Brüdern überlaſſen. Nie-
mehr in der Sprache diefer jungen
Humaniften Hört man den Namen
Cicero oder Horaz, Plato oder So»
photles.
Jetzt gehen wir zur Dffenfive
über. Wir behaupten, dafs der Ein—
flufs der antiken Bildung auf die
deutsche Jugend in vieler Beziehung
ein ſchädlicher if. Die zunächſt lies
gende Schädlichkeit beruht in dem uns
heilbaren Gonflict zwifchen der Ans
ſchauung der antifen und der chriftlich»
germanischen Welt. Diejer Zwielpalt
muj3 naturgemäß die harmoniſche
Ausbildung des Gymnaſiaſten ftören.
Wenn ihm die Schule mit ihren
ftarken Anforderungen nur irgendiie
Zeit zum Nachdenfen läjst, jo mujs
ihn der Gegenſatz der beiden Melt-
anſchauungen beunruhigen, denn zwei
Seelen wohnen in feiner Bruft, und
er fann fie nicht vereinen. Die antife
Welt unterjcheidet fih von der mo—
dernen durch Drei tief eingreifende
Gulturmomente:: dur die niedrige
Stellung des Meibes, die Sclaverei
und die Kaftenabjonderung. Infolge
der niedrigen Stellung der Frau fannte
das Alterthum fein Yamilienleben in
unjerem Sinne und darum auch fein
Ba
Gemüthsleben. Ferner möchten wir
die Phrafe von der „reinen Menjchlich-
feit“ (daher der Name Humanismus),
die angebli durch die clafliiche Bil-
dung erzielt werden fol, in das rechte
Licht ftellen. Wie kann bei einem
Volksweſen, bei dem die Minorität
der bevorzugten Freien auf Koſten der
gefnechteten Majorität der Sclaven
lebt, von einem menfchenmwürdigen
Dafein des Volkes die Nede jein?
Und wie verträgt jich die Thatſache
der drüdenditen Sclaverei mit Chriſti
welterlöfendem Grundfaß der Gleich—
berechtigung, Gleichheit und Menſchen—
liebe? Niemals wird dem Schüler
gefagt, daſs der Begriff Menfch in
dem erhabenen Sinne, wie ihn der
Heiland der leidenden Menſchheit ver—
tündet, dem antifen Heidenthum völlig
fremd gewefen ift; dafs erft das
Chriſtenthum die Menfchheit innerlich
frei gemacht Hat, und dafs es mit
jeiner erhabenen Lehre don der uns
bedingten Gleichheit der Menfchen vor
Gott und der Näcdhftenliebe die einzige,
wahre, allumfaflende ewig undergäug:
liche Idee der Menjchheit bildet. Und
jo ift gerade das Gegentheil von dem
der Tall, was die Antikefchwärmer
behaupten. Durch die ftarfe Gegen
fäglichfeit dieſer beiden Geifteswelten
wird die junge bildfame Seele des
Schülers in arge Verwirrung der
Anschauungen und Begriffe verjeßt.
Nehmen wir, um ein draftifches Weis
jpiel zu verfuchen, an, der Schüler
fonımt aus der Religionzftunde, in
der ihm die tiefen Wahrheiten der
Bergpredigt oder eines Paulinischen
Briefes ins Herz gedrungen, in die
lateinifhe Stunde, wo er Giceros
Geſchwätz „Über die Natur der Götter“
überfegen muſs.
Der Segen der ehrlichen Arbeit
it das moralifche Fundament, auf dem
die Cultur unſerer Zeit begründet ift.
Und nun folgt der Gefchichtsftunde
die griehiiche Stunde, wo der Schüler
die Worte des Nriftoteles vernimmt,
in denen deſſen Staatsauffaffung
gipfelt: In den am vollkommenſten
eingerichteten Staaten treiben Die
eigentlihen Bürger fein Handwerk,
noch Führen jie ein Krämerleben;
denn eine ſolche Lebensart ift unedel
und der Tugend Hinderlih.“ Oder
aber, der Lehrer lieſt Platos,Republik“
mit den Primanern, jenes Werk,
welches die Arbeitsverachtung verherr:
fit. Der Arbeit Jchreibt Plato be—
kanntlich einen ſehr ſchlechten Einflufs
auf den Charakter zu. Er verbietet
den Vollbürgern nicht allein Handel
und Gewerbe, ſondern er will ſie ſelbſt
vom Landbau ausschließen; im ſeiner
Sdealrepublit werden die Gewerbe—
treibenden und die Landbauern zu
vollftändiger politifher Unmündigteit
herabgedrüdt.
Wirkt dieſer Conflict zwijchen
zwei Weltanfchauungen verwirrend
auf den Schüler, jo wird eine Cha—
rafterihwäche, die Eitelkeit, durch Die
claſſiſche Bildung befonders gefördert.
Ein unleidlicher Beſſerdünkel beſeelt
den Gymnafiaften gegenüber den aıt=
deren unglüdlihen Sterblihen, Die
nicht der claſſiſchen Bildung theilhaftig
wurden. Wie ſchön flingt in der
Unterhaltung ein lateiniiches Kitat,
auch wenn dasjelbe durh ein ganz
dasjelbe bejagendes deutſches Citat
zu erjeßen wäre. it es nicht vor—
nehmer zu jagen: „Principibus pla-
cuisse viris non ultima laus est“
als: „Wer den Belten jeiner Zeit
genug gethan, der hat gelebt für alle
Zeiten !?*
Wie recht Hat Profeſſor Paulſen
in jeiner „Geſchichte des gelehrten
Unterricht3*, wenn er über den Schul«
hochmuth klagt, welcher glaubt, dafs,
„wer nit mensa beclinieren könne,
auch fein Urtheil über göttliche und
menschliche Dinge Habe.“
In einem eifern freilich die Herren
Philologen nicht ihren clafiiichen
Vorbildern nah; bei den Griechen
und Römern finden wir vollite Ans
erkennung und Hochachtung der Dichter
ihres Volkes. Dajs die Deutichen jo
— — — — — —
| 839
wenig Bücher kaufen, daran jind die
Gelehrten nicht ohne Schuld. Schule
und Univerjität jagen e3 den Jüng—
lingen fortwährend, daſs nur die an—
tife Literatur lefenswert fei, und daſs
Jich fein moderner Autor mit den ge-
feierten Größen der altclaſſiſchen Bil—
dung mejlen könne, Wir aber fragen:
Wie fommt es, daſs von Goethes
Werfen diejenigen die größten und
am nachhaltigſten auf die Nation und
alle Welt wirkenden find, welche mit
dem clafjischen Alterthum nicht das
mindeite zu thun Haben: ſeine
Lieder, jein Werther, jein Fauft ?
Für unfere Auffafjung Sprit auch)
Baulfens bedeutjames Wort: „Eine
eigene deutſche Literatur beginnt erft
mit der entſchloſſenen Abwerfung des
Jochs der lateiniſchen Jmitation,
weiches das deutſche Volk im jech-
zehnten Jahrhundert auf fich genommen
hatte. Klopſtock und Herder, Goethe
und Schiller find, was jie jind, nicht
durch das tiefere Berftändnis oder
gar gejhidte Nachahmung des Alter:
thums, wie hin und wieder, aller
hiſtoriſchen Wahrheit zum Trotz, be—
hauptet wird, ſondern dadurch, daſs
ſie wieder eigene Gefühle und Gedanken
des deutſchen Gemüths in eigener
Form und Sprache ausdrückten.“
Man ſieht, die Anklage gegen die
Bildungstyrannei des philologiſchen
Claſſicismus iſt ſchwer zu eutkräften.
Wie aber, wenn wir die Meiſter der
Alterthumswiſſenſchaft ſelbſt als Be—
laſtungszeugen gegen die angellagte
claſſiſche Bildung vorführen? Die
Vertheidiger der claſſiſchen Bildung
werden wohl alle die berühmten Phi—
lologen Gottfried Hermann und Auguft
Böckh als claffiihe Zeugen gelten
laſſen. Gottfried Hermann jpöttelt
in einer Umniverjitätsrede folgender—
mapen: „Wer kennt nicht jene der
Wirklichkeit fremden Stubengelehrten,
die e3 für die göttlichite aller Künſte
halten, Griechiſch oder Lateinisch zu
fünnen ? Das halten fie für das Eine
und Wahre, alles andere adten jie Bildung an Stelle der
für gar nichts; Griechiſch lefen können,
gilt ihnen für den Gipfel menschlicher
Bolllommenheit, und Eiceronisches La—
tein schreiben für unfterblihen Ruhm.
Ja, fie meinen, eigentlich feien die
Griechen und Römer allein Menjchen
gewejen, und wenn fie könnten,
machten fie aus uns allen Griechen
und Römer.” Und Auguſt Bödh ge-
ſteht in einer feiner Schriften offen
ein: „Aber davon farm ich mich nicht
überzeugen, daj3 man die alten
Sprachen der jogenannten formalen
Bildung wegen treiben muſs; Dem
ich fehe nicht, daſs Leute, die eine
vorzüglihe Kenntnis der griehiichen
und lateinifchen- Grammatik bejigen,
die übrigen Sterblihen an Hoher
Geiftesbildung weit überragen.” Zu
diefen Altmeiftern der Philologie ges
ſellt ſich die gewichtige Stimme
Schleiermaders, den man als dei
beiten Plato » Überjeger wohl auch zu
den PHilologen rechnen kanır. Er kam
zu der Erkenntnis: „Der Grund, dafs
die alten Sprachen der geeignetite
Stoff für die allgemeine Bildung feien,
hat ſich nicht bewährt.“
Wie diefe drei Meijter, jo denken
gewifs Hunderte von claſſiſchen Philo—
logen, die an den Gymnaſien unter-
richten ; aber jie wagen angefichts des
Fanatismus ihrer altphilologiſchen
Collegen nicht, ihre Uberzeugung ans
Licht treten zu laſſen. Hätten ſie den
Muth dazu, ſo würden ſie gewiſs
freudig in den Ruf einſtimmen: Es
muſs anders werden! Die claſſiſche
Bildung liegt, wie es kürzlich in der
Unterrichtsdebatte im norwegiſchen
Storthing ausgeführt wurde, „weit
hinter den Gedanken zurück, die unſere
Zeit bewegen. Sie liegt vor allen
Dingen hinter dem Chriſtenthum zu—
rück; es iſt eine Bildung, die nicht
das Geringſte mit dem großen Auf—
ſchwung zu thun hat, der mittelſt des
Chriſtenthums geſchah.“
Was aber beginnen? Soll die
mathematifh = naturwiſſenſchaftliche
claſſiſchen
S40
treten? Wenn wir diefe Frage be=
jahten, jo giengen wir ins andere
Ertrem und machten uns der Förde—
rung einer verderblichen Einfeitigkeit
jhuldig. Es ift bei der Schulrefornm
bewegung gerade von den Vertretern
der Naturwiflenfchaft mehrfach über
das Ziel hinausgeſchoſſen worden, und
dadurhd Hat man der Schulreform
jene Philologen entfremdet, welche
durhaus nicht von der Unfehlbarkeit
der claſſiſchen Bildung überzeugt find.
Es jei fern von uns, die alte Gram—
matit durch die Mathematik erjegen
zu wollen, ſoweit diejelbe in ihrer
heutigen Abitractionsmethode betrieben
wird. Huch die Mathematiler nehmen
gleih den Grammatitphilologen für
ihre Wilfenfchaft das Monopol in
Anſpruch, die einzige Schulung für
die Logik zu bieten. Die Widerlegung
diefes Vorurtheiles der Mathematiker
iſt nicht ſchwer, fie würde aber au
diefer Stelle zu weit führen. Nur
jei hier die Thatjache erwähnt, daſs
auf der Schule die beften Mathema—
tiker die ſchlechteſten deutſchen Aufſätze
ſchreiben, nicht nur im ftiliftischer,
jondern in logiicher Hinficht. Beide
Richtungen find alſo ſchädliche Ertreme,
die zur Dreſſur eines öden Formalis—
mus führen, der don jedem Intereſſe
des Geiftes und Nachdenkens abführt.
Der formalifiiichen Drefjur ift es nun
gerade genug. Unſere Jungen müſſen
auch einen Inhalt haben.
Mas aber, jo wird man den Ver—
faſſer fragen, willit du denn eigentlich,
wenn du die grammatitaliihe und
mathematische Unterrichtsinethode zu
bejeitigen wünſcheſt? Die Antwort
darauf ift einfach. Der Erkenntnis der
Untile ſoll zum mindeiten gleich—
berechtigt, beijer noch übergeordnet jein
das gründliche Studium der Mutters
ſprache und der Geiftesihäge ihres
Schriftthums. Dazu tritt, innig mit
der Erkenntnis des Deutfchen verbun—
den, der Unterricht in der vaterländi- |
chiſch-⸗römiſchen Bildungsgrundlage,
auf germaniftifhen Fundamente er—
baut wird. Aber nicht nur die vater:
ländifche Geſchichte von der Entwicke—
fung des mittelalterlihen Kaiſerreichs
an, Sondern auch die Geſchichte der
ınodernen Gulturftaaten, insbelondere
die engliſche und franzöjiihe, wäre
hier forgfältig, dem Verſtändnis und
Intereſſe der Schüler angemefjen, zu
behandeln, und nicht nur der öde
tabellarifche Gedächtnisfram der Zahlen
und Namen berühmter Schlachten und
Feldherren, ſondern vielmehr Die
Eulturgeihichte, der Nachweis Des
Einfluffes hiſtoriſcher Ereigniffe und
Zuftände auf Bollägefittung und
Volksdenkart. Daran wäre die bis
jest arg vernadläfligte Geographie
zu Inüpfen, die jedoch nicht wie bisher
ih faſt ausjchlieglih mit den außer—
europäischen Welttheilen befchäftigen
und die Vaterlandskunde vernahläfli«
gen dürfte. Der germaniftiichen Gei—
fteswillenichaft möge dann als Gegen—
gewicht der Unterrichtsbalance Die
Naturwiſſenſchaft gegenüber treten,
jo daſs die beiden Gebiete menjch-
licher Erkenntnis, nämlich Geift und
Natur zu ihrem Recht klommen. Werner
müjste dem Unterricht in den beiden
modernen Gulturipradhen, dem Engli-
ihen und Franzöſiſchen eine größere
Stundenzahl und die Gleichberechtigung
mit den alten Spraden eingeräumt
werden. Daſs auf den Religions=
unterricht als wichtigften Factor der
Bildung des Gemüths und der Sitt—
lichleit befonderer Wert gelegt werden
mufs, ift felbitverftändlich.
Und der griechiſch- lateinijche
Unteridt? Soll er etwa ganz
verschwinden? Nein das joll er nicht.
Er fol nur in anderem Geifle wie
bisher gehalten fein umd von Der
Anmaßung fern bleiben, zur Oberherr=
ſchaft über alle anderen Unterrichts—
gebiete berufen zu fein. Und jedenfalls
muſs die Kenntnis der Antile auf
ihen Geſchichte, fo daſs die dentfche | ganz anderem Wege als bisher er=
Schule Statt wie bisher auf der grie- worben werden. Die Philologen müſſen
umlernen. Nicht die Sprade und ihre
Grammatik ift Endzwed des Willens
vom Altertum, fondern der Geift des
Volkes und Schriftthums, das fich der
Sprade als des Inſtruments bediente,
auf dem jener Geiſt zum Ausdruck
fan. Von allen Schriftitellern der
antiten Welt gewähren nur drei den
Idealismus, wie er vom Deutjchen
verftanden wird, Stärfung und Er-
quidung. Es find dies Domer, So:
pholles und Tacitus. Alle Dichter der
antiten Welt überragt an Hoheit der
Meltanfhauung und Naturwahrheit
der Schilderung der unfterbliche Domer.
Er ift nicht allein Grieche, er ift ein
Meltdvihter im höchſten Sinne, und
es ſtünde um die Eultur der Menſch—
heit ſchlecht, wenn einft eine Zeit
fommen würde, in der man Homer
nicht mehr zu würdigen weiß. Homer,
Shakeſpeare und Goethe find die drei
Meltdichter, in deren Werken Die
Menſchheit ihre ſchönſte und wahrfte
Spiegelung erlebte. Homer vertritt
die antite Welt, Shafejpeare das Re—
formationsjahrhundert, Goethe die
höchſte Blüte des deutichen Geiftes;
an Domer ift die bedeutendfte alte
Sprade, an Shafefpearedie bedeutendite
Sprache des modernen Auslandes, an
Goethe die Schönheit der Mutter-
jprache zu lernen. Die beiden anderen
antiten Autoren, welche allein für die
Sdealbildung in Betraht kommen
841
fönnen, find Sopholles und Tacitus.
Dem letzteren ift durch die hiſtoriſche
Kritit das Lob der Parteilofigfeit
längft aberfannt worden. Mag man
auch den Stil des großen Hiftorifers
nicht natürlich finden, immerhin ift
von allen lateiniſchen Schriften die
herrlihde „Germania“ das Lehrreichite
und erhabenfte antite Proſawerk für
den deutſchen Jüngling. Bei der
Scullectüre der „Gerinania” läſst
ich Leicht die Brüde jchlagen, welde
vom claſſiſchen zum germaniftiichen
Unterricht führt.
Es gibt glüdlicherweife noch ge—
ihmadvolle, fein empfindende Altphi-
lologen, die das Altertum nicht nur
aus der griehifhen und lateinischen
Grammatik, fondern aus feinem innern
Weſen, jeiner hiſtoriſchen Entwidelung,
jeinem Gulturleben heraus ihren
Schülern darzuftellen vermögen, An
diefe — gewiſs eine ftattlihe Zahl
waderer Männer, die durch geiftuolles
Wiſſen und charaltervolle Perſönlich—
feit Achtung und Zuneigung ihrer
Schüler zu erringen willen — au
diefe wenden wir uns mit der Bitte:
Verzichtet auf die Oberherrfchaft der
Antite im Unterriht, dann wollen
wir auch das Recht der clafliichen
Bildung gelten laſſen, ſofern diejelbe
nicht als Endzweck, ſondern als Vor—
ſtufe moderner Nationalbildung auf—
gefaſsſt wird,
Ein Btadtdidter von Frankfurt.
Friedrid) Stolbe und feine Werke.
Bon Otto Yörkh.
Er
i an mwilrde dem Manne der dies
a geichrieben hat, Unrecht thun,
»7wenn man glauben wollte, er
wäre ein bornierter Localpatriot ges
wejen. Friedrich Stoltze, der es jchrieb,
hat weit über die Mauern jeiner
VBaterftadt hinaus gefhaut; er war
ebenjo begeiftert und fampfgerüftet
für Vaterland, Freiheit und Menſchen—
tdum wie für den Ruhm und das
Gedeihen Frankfurts. Auch war er
nie blind für die Schwächen feiner
Mitbürger; mit dem Hochlöblichen
Senat und den wohlregierenden älteren
Herrn Bürgermeifter der freien Reiche»
und Krönungsſtadt Frankfurt hat er
manden Strauß ausgefochten, und
wenn die liebe Vaterſtadt irgend einen
dummen Streich machte, da hat er's
ihr immer bald humoriſtiſch fein, bald
jatirifch derb ins Geficht gefagt. Sie
Haben ihm trogdem immer gern ges
Habt, die Frankfurter, und als er am
dritten Ofterfeiertag diejes Jahres auf
den Friedhof getragen wurde, geſchah
es unter einer Betheiligung der Ber
völferung,, wie fie in Frankfurt feit
Jahrzehnten nicht mehr vorgefommen
war, Stolge war der populärfte Man
Frankfurts; ein Brief, der vor ein
paar Jahren mit der einfachen Adreſſe
„An den populärften Mann in Frank—
furt“ kam, wurde von der Ffaiferlichen
Reichspoſt kurzweg an Stolte beför-
dert. Er verdiente diefe Popularität
vollauf.
Friedrich Stoltze wurde am 21.
November 1816 in Frankfurt als
8
Es will mer net in den Hopp enei:
Wie fann nor a Menib ned von
Frantfort jei!
Sohn des dortigen Gaſthalters „zum
Rebitod” geboren. Sein Bater ſtammte
aus dem Waldel’ichen, feine Mutter
war eine geborene Frankfurterin, deren
Eltern aber auch nit von Frankfurt
waren; Stoltze's Großvater mütter—
licherſeits ſſammte aus Süddeutſchland,
die Großmutter aus Thüringen. So
war an ſeiner Abſtammung, wie er
ſcherzhaft einmal ſagte, das ganze
Deutſchland betheiligt. Das Haus „zum
Rebftod“ war in den zwanziger und
dreißiger Jahren ein Mittelpunkt der
freiheitlih nationalen Bewegung und
ein Zufluchtsort aller von der Reaction
und der heiligen Allianz Berfolgten.
Dort kamen die Patrioten zufammen,
um verbotene Lieder zu fingen, vom
einigen und freien Dentjchland zu
Ihwärmen und politiihe Zulunfts-
pläne zu machen. In diefer Atmo—
ſphäre wuchs der junge Stoltze auf;
er ſang die Lieder mit und dichtete
bald jelber ſolche. Seine drei Jahre
ältere Schweiter Annette, die ein
Ichönes, begabtes, aber auch ſchwär—
merisches Mädchen war, förderte fein
poetiiches Talent und übte überhaupt
auf den Jungen, der jehr wild war,
einen wohlthätigen Einflufs. Beide
Geſchwiſter, die einzigen am Leben
gebliebenen Kinder, erhielten eine vor—
trefflihe Erziehung, die nah damali-
gen Begriffen über den Stand der
Eltern weit binausgieng; zu den
Lehrern des jungen Stoltze gehörte
unter anderen auch Dr, Tertor, der
Neffe Goethes. Ein großes Ereignis
8
im Rebſtock war der Durchzug der
Polen, die nah Niederwerfung des
Aufftande® von 1830 aus ihrem
Vaterlande flüchteten; noch bedeut—
jamer war der Sturm der Studenten
_
rothe Schornfteinfeger”, „Polen und
Studenten“ u.a. mit vielem Humor
und recht anfchaulich geichildert. Mit
Bezug auf die in der Gonftabler- Wache
gefangenen Studenten jei hier noch die
auf die Frankfurter Hauptwache | folgende Reminiscenz beigefügt. Die
(3. April 1833). Der Anfchlag war | Unterfuhung führte der Frankfurter
zwar gelungen, aber die Meinung der | Bolizeiratd Dr. Pfeiffer, der die Stu—
Studenten, dajs man im Beſitz der \denten in jeder erdenklichen Weiſe
Hauptwache ohne weiters die deutjche chicanierte und quälte. Zuletzt ließ
Einheits-Republik proclamieren und er die Fenſter ihrer Zellen mit Latten
einrichten fönne, erwies ſich als ein | zunageln, um ihnen das Licht zu
Traum, dem ein Jchredliches Erwachen nehmen. Etwa dreißig Jahre ſpäter
folgte. Die Hauptwache wurde von begegnete Dr. Pfeiffer dem Dichter
den Truppen des Bundestags er= mit feiner Gattin, und es entjpann
ftürmt, die Studenten theils getödtet,
theils verwundet, gefangen und in hoch»
nothpeinlihen Proceſs genommen.
In der Stadt trug man fich mit viel—
fahen Plänen zur Befreiung der Stu—
denten, und namentlich im Rebſtock
wurde diefe Trage lebhaft erörtert.
Fräulein Stolge ſelbſt nahm Antheil
daran, was ihr, infolge eines aufges
fangenen Briefes an einen der Stu—
denten, eine VBorladung vor den
Unterfuchungsrichter und ein jcharfes
Verhör eintrug. Weiter geihah ihr
nichts. Im der dichteriichen Phantaſie
des jungen Stolße, der damals erjt
16 Jahre alt war, verdichtete Tich
aber das Berhör zu einer förmlichen
Haft umd er ſchrieb auf die nicht lang |
darnach verftorbene, don ihm leiden
ichaftlich geliebte Schweiter die folgen
den zwar recht bübjchen, aber der
Wahrheit nicht ganz entjprechenden
Strophen:
Im Thurme hinterm gothiſchen Erler,
So ſtark vergittert ganz und gar,
Saß eine Taube in dem Kerker,
Weil fie gedacht hat wie rin Aar.
Gefangen hinter Eijenjtäben
Stand eine Roje manden Tag,
Werl in dem lieben Blumenleben
Das Rauſchen ciner Eiche lag.
ſich ein Gefpräh, in welchem Dr.
Pfeiffer ji darüber beflagte, dafs er
faſt gar nichts mehr ſehe und bald
völlig blind fein werde. Da fonnte
fih Frau Stolge nicht enthalten, ihm
zu erwidern: „Ja, willen Sie, Derr
| Doctor, die Studenten auf der Gon=
ftabler- Wache haben auch nicht ge=
ſehen!“ Das war eine Nemejis, die
nicht unverdient erſchien.
Der junge Stoltze ſollte Kauf—
manı werden. Das war das Ideal
der alten Frankfurter überhaupt und
das Ideal des Gajthalters „zum Reb—
ſtock“ insbejondere, und diefer jeßte es
trotz des Widerjtandes Annettens und
‚des Abrathens Dr. Tertors durch, daſs
Fritz zu dem Kaufmann G. C. Meldior
in die Lehre fam. Sein Mitlehrling
war Hermann Hendrichs, der jpätere
berühmte Schaufpieler; beide bewieſen
in Gemeinſchaft duch mancherlei
Thaten, daſs der kaufmänniſche Sinn
ihnen ganz und gar abgieng. Das
Gefchäft, in dem der junge Stoltze
‚lernte, befand ſich in einem Daufe,
das denn Geheimratd dv. Willemer,
|dem freunde Goethes gehörte. Frau
| Marianne, die in dem Haufe wohnte,
Iinterefjierte fih für den poetiſchen
| aufmannslehrling, der, ftatt Hinter
feiner Gorrefpondenz zu figen, dichtete
|
Die Verhältniffe im Rebſtock ſelbſt und von ſeinem Comptoir zu ebener
und überhaupt das damalige Leben | | Erde zu ihren Fenstern Hinauf ihr
und Treiben in Frankfurt Hat Stolge Lied fang: „Ad, um deine feuchten
jpäter in feinen Erzählungen „Der Schwingen, Welt, wie jehr ih dich
844
beneide!“ Als Stolße ihr einmal fein
Elend Elagte, rieth ihm Frau Maris
anne einfah, aus der Lehre durch»
zubrennen, was er auch gewifs befolgt
ergebene Grabbe verlieh Frankfurt bald
und verfam in Elend.
Ende der dreißiger Jahre gieng
Stolge auf Reifen. Er jah die Schweiz
hätte, wenn nicht im anderer Weile | und Franfreid. Im Paris bejuchte
vom Schidjal eingegriffen worden er unter anderen auch Beranger. In
wäre. Er wurde jchwer frank, und | Qpon dichtete er zum Stiftungsfeite
als er genejen war, ftarb jein Vater | des dortigen deutjchen Gejangvereines
(im November 1833). Dadurch wurde das ſchwungvolle Feitlied, das Men—
er frei und er konnte nun jeinen | delsjohn= Bartholdy componierte. Wieder
ſchriftſtelleriſchen Neigungen leben. | heimgefehrt, gab Stolfe eine Samm-
In die Zeit feiner Genefung fiel ein
eigenthümliches Zujanunentreffen mit
dem Dichter Grabbe. Stoltze erzählte
darüber Folgendes: Er trank in einer
Conditorei Zuderwafler und traf da
einen Fremden, der ihn fragte, warum
er nichts Beſſeres trinte? Stoltze er-
widerte, er fei ſchwer frank gewejen
und könne noch feine geiftigen Getränte
vertragen. Das Geſpräch gieng weiter
und ſchließlich lud der Fremde, der
ih als Grabbe vorftellte, den Jüng—
ling ein, ihn in der Bodenheimergajie,
wo er wohnte, zu beſuchen. Stoltze
ergriff mit Freude die Gelegenheit,
dem damals viel genannten Grabbe
näher zu treten, und führte den Bes
juh aus. Er Hopfte an, auf das
„Herein“ öffnete er die Thüre, in dem
Zimmer war aber feine lebende Seele
zu erbliden. Dagegen lag in der Mitte
ein großer Sleiderjchranf der Länge
nah auf dem Boden, und aus diejem
erſcholl plögli eine Stimme: „Dier,
junger Herr, bier!“ Stoltze trat
näher und bemerkte nun, dajs Grabbe
den Stleiderfchrant zu feinem Bette
gemacht Hatte. Auf Stoltzes Frage,
wie er dazu fomme, fih ein jo
unbequemes Lager zu bereiten, er=
widerte Grabbe, in feinem Bette
liegen ihn die Wanzen nicht ruhen,
deswegen habe er es ſich auf andere | furt,
lung jeiner Gedichte in einem Bänd—
hen heraus, deſſen Haupterfolg darin
lag, daſs er ihm in dem reichen und
angeſehenen M. G. Seufferheldt einen
Gönner und väterlichen Freund ge—
wann. Seufferheldt machte ihn, da
er ſich endlich um einen regelmäßigen
Erwerb umſehen mußſste, zu ſeinem
Hauslehrer, und da Stoltze mit gutem
Erfolge unterrichtete, glaubte Seuffer—
heldt in ihm ein pädagogiſches Genie
entdedt zu haben, und er ſchickte ihn
zu Fröbel nah Thüringen, um das
Spitem der Kindergärten zu ftudieren,
welche Seufferheldt in Frankfurt ein»
führen wollte. Aber mit dem Päda—
gogen war es auch nichts, gerade wie
mit dem Kaufmanne; Stoltze Hatte,
wie er jelbjt erzählte, viel mehr In—
tereffe für die großen Kinder Thü—
vingens als für die Heinen. Auch zog
es ihn immer wieder nah Frankfurt
zurüd. Dort finden wir ihn jpäter
in nahen Beziehungen zu dem alten
Amſchel Rothichild, dem er als Vor—
lefer diente. Bon dem einfachen, ge=
müthlihen und wißigen alten Herrn
wujste Stolße manche Anekdote, man:
hen originellen und ſchönen Zug zu
erzählen. Mit voller Begeifterung
ftürzte ſich Stolge in die Bewegung
‚des Jahres 1848, die gerade in Frank—
wo die Hoffnung Deutſchlands,
Weiſe bequem gemacht. Bequem war's das Parlament tagte, einen Haupt»
nun freilich nicht,
erhob, waren auf feinem Rüden jehr |
deutlich die Eindrüde der Kleiderhaten |
zu ſehen.
denn als er ich | centralpuntt
Zu einem fruchtbaren Ber: | züchtigen.
tehr führte indeſſen dieſer Beſuch nicht, Humor zur Satire.
hatte. Stoltzes Feder
bekam viel zu thun, die Bewegung
zu fördern, aber auch die Reaction zu
Da entwickelte ſich ſein
Im Jahre 1849
denn der geniale, aber dem Trunke zog er in die Pfalz, wo um die Reichs—
verfaſſung gefochten wurde,
führte nicht das Schwert, fondern die
Feder; er jchrieb dem Maler Schald
die köſtlichen Verſe zu feinen Skizzen
aus dem Freiſcharenleben. Als die,
Reaction allentHalben gejiegt Hatte,
war es im Frankfurt immer noch ver—
hältnismäßig am ficherften; die Frank—
furter waren nicht übermäßig revo—
lutionär gewejen und darum brauchte
der Senat auch feine bejondere Re—
prejlion eintreten zu laflen.
Noch im Jahre 1849 gründete
Stolge feinen Hausftand; er verheis
ratete ſich mit einer Frankfurterin,
Marie geb. Meifenzehl, die zur treuen
und bejorgten Gefährtin feines Lebens
geworden ift. Es folgte eine Zeit
fruchtbaren Schaffens; Stolte war Mit»
arbeiter am Hadermann’schen „Volks—
aber er er die Grenzpfähle nicht
dem Pfahl,
ergangen.
überjah.
Dft genug lauerte ein Gendarm Hinter
doch ftet3 umjonft. An
Spott darüber lieg es Stolke in
‚feiner „Strebbelzeitung“ nicht fehlen.
Einmal wäre e3 ihm beinahe ſchlimm
Stolge Hatte ſich durch
Überarbeitung ein nerböjes Leiden
augezogen, zu deſſen Heilung ihn die
Ärzte, obwohl es Winter (1859)
war, in das naſſauiſche Taunus—
Städthen Königftein ſchickten. Die
Sade wurde ruhbar, und die Heflifche
Regierung verlangte von der Naſſaui—
ihen auf Grund des Auslieferungs—
|bertrages, der zwijchen beiden Staaten
beſtand, die Verhaftung und Auslie—
ferung Stoltzes. Naſſau genehmigte
das Gefuh und Stoltze ſollte wirklich
verhaftet werden. Das war aber eben—
freund“, gab dann ſpäter die „Krebbel- falls ruchbar geworden, und zwei
zeitung“ heraus, die in zmanglofer | Frankfurter Freunde
Folge erjchien und in Frankfurter
Mundart die localen und die Zeit«
ereigniſſe humoriſtiſch-ſatiriſch beſprach
und kritiſierte. Die „Krebbelzeitung“
hatte ungeheueren Erfolg; ihr Er—
ſcheinen war jedesmal ein wichtiges
Ereignis. Stoltze gieng darin nicht
bloß mit manchem Zopf ſeiner Vater⸗
ſtadt unglimpflich um, ſondern er bes |
fänpfte auch die politifche Reaction |beichrieben.
de3 Bundestags und der Nachbar—
ftaaten, namentlich Heſſens und Cur—
heilens. Die legteren verjtanden feinen
Spaſs; fie ftrengten Proceſſe gegen
ihn an und erließen Stedbriefe, konnten
ihm aber nichts anhaben, da es damals
noch feine Rechtshilfe zwiſchen den
Mitgliedern des deutſchen Bundes
gab. Nur das erreichten fie, daſs
Stoltze jegt feinen Schritt mehr aus
dem Frankfurter Gebiet thun konnte,
ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu
werden. Da das Reich Frankfurt
nicht groß war, mufste Stoltze ſchon
auf feinen Spaziergängen nad dem
heiliichen Offenbah oder dem curs
heſſiſchen Bodenheim, die nur eine
halbe bis eine Stunde von Frankfurt
entfernt find, genau achtgeben, daſs
Sie froh,
des Dichters
eilten nach Königſtein und rettete
in fchneidig = falter Winternadht den
franten Stolge auf das Frankfurter
Gebiet. Als am anderen Morgen früh
die Gendarmen kamen, war das Neft
der Vogel war ausgeflogen.
In feiner humoriſtiſchen Erzählung
„Die Flut don Königftein“ Hat
Soltze dieſe Vorgänge recht wirkſam
In dieſen Tagen hat die
Geihichte noch eine Erweiterung er—
fahren. Anläſslich des Todes Stolges
erzählte nämlich der Großherzog Adolf
von Luxemburg, der damals Herzog
von Nafjau war, wie der Amtmann
von Königftein, der die Verhaftung
vornehmen follte, in höchſter Aufre—
gung perfönlich in die Reſidenz Wies-
baden fuhr, um dem Herzog die Flucht
Stolßes zu melden und von feinem
eigenen Haupte da3 Unheil, das er
deohend kommen fah, abzuwenden.
Wie angenehm war er aber überrafcht,
als ihm der Herzog ſagte: „Seien
dajs Sie ihn los find!”
Im Jahr 1860 begann Stolke
in Gemeinschaft mit dem Zeichner
und Maler Schald die Herausgabe
der „Frankfurter Latern“, eines hu—
846
moriftiich = jatirischen
Mochenblattes, |
das die localen und die politijchen | linie entzweigeriffen, Frankfurt hatte
Dentjchland war durch die Main:
Begebenheiten in Proja wie in Verfen | feine Freiheit verloren und im Jahre
erörterte und kritiſierte. Es war die,
bewegte Zeit des deutjch = nationalen |
Aufſchwunges.
1867 verlor die alte Kaiſerſtadt auch
noch ihr altes Wahrzeichen, den Dom,
Auf das Schillerfeſt der in Flammen aufgieng. Dies alles
(1859), das beſonders in Frankfurt gieng Stoltze tief ins Herz; er ſang
unter hervorragender
Stoltzes großartig gefeiert wurde,
folgte die Gründung des National:
vereines, das Frankfurter Schützenfeſt
(1862), der Fürſtencongreſs (1863),
der jchleswig = holftein’fche Srieg, Die
Anträge Preußens zur Reform der
Bundesverfaſſung, endlich der Krieg
1866. Stoltze war begeijtert für die
Einheit und Größe, aber auch für die
Freiheit Deutjchlands, und gegenüber
der preußifchen Gewaltpolitit und dem
Kleindeutſchland des Nationalvereines
ſtand er gleich dem geſammten Frank—
furt auf der Seite des großdeutſchen
Gedankens und Oſterreichs. Stolße
führte gegen Preußen eine jcharfe
Feder, und es war nicht zu verwun—
dern, dafs er bald von preußifchen
Gerichtshöfen zu einer erkledlichen
Anzahl von Gefängnismonaten ver-
urtheilt war. Als daher die Preußen
in Frankfurt einrüdten, mufste Stoltze
fliehen. Er .gieng zuerft nah Stutt-
gart, dann an den Bodenjee und in
die Schweiz. Was er im Eril ſchrieb,
das beweist, daſs er weder den Humor,
noch den Glauben an das Baterland
und an die Menjchheit verloren hatte.
Die Amneftie öffnete ihm Ende 1866
die Heimat wieder. Als er nach Frank—
furt zurüdtehrte, fand es fich, dafs die
Preußen in der Nedaction und Erpes
dition der „Latern“ alles mitgenommen
hatten, was nicht niet und nagelfeft
war, darımter jämmtliche alten Jahr:
gänge des Blattes, die Stoltze auch nie
mehr zu jehen befam, Er hatte dies
ſchon im Eril erfahren, weswegen er in
dem Gedichte: „Auf der Sanct Geb-
hards-Kapelle bei Bregenz“ auch jagte:
Der heilige Nimmbard, ein Herr aus ®erlin,
Der trieb zum Eanct Gebhard aus Franf:
furt mich hin.
Theilnahme unter anderen:
Alles was uns lieb und theuer,
Was uns heilig, hoch und werth:
Unjre Tempel frak das feuer,
Unjre Freiheit frak das Schwert!
In den Eturm des jähen Falles,
In der höchſten Flammennoth:
Vaterland, du über alles!
Dieje Glut dein Morgenroth!
Mitten zwiihen Süd und Norden
Ragt am Main der Kailerdom;
Deutſche hier und Deutſche dorten —
Baterland, dich trennt ein Strom!
Eh’ du jolft als Markſtein ragen,
Alter Pfarrthurm, bier am Flufs,
Lieber ſoll dich niederſchlagen
Flammend Deutihlands Genius!
Die „Latern“ war jelbjtverftänd-
ih verfhwunden, und der Heraus—
gabe eines neuen Blattes ftellten ſich
unter dem ftrammen preußifchen Re—
giment große Schwierigkeiten entgegen,
nicht bloß polizeiliche, jondern auch
materielle, wie Gaution und Zeitungs
ftempel. Erſt im Jahre 1872, als
Frankfurt ſich allmählich in die neuen
Verhältniffe einzuleben begann, konnte
die „Laterne“ wieder erjcheinen, und
Stolge veröffentlichte in ihr in ge=
wohnter Weile die Beiprehung von
localen und Zeitereignifien, Humores—
fen, Erzählungen, Lyriſches, Näthiel,
u. j. mw. bis furz vor feinem Tode.
Das Blatt wird von jeinen Hinter—
bliebenen weitergeführt. Stolge hat
feine Reichthümer Hinterlaffen; es
war ihm nicht gegeben, zu ſammeln.
Dafür hat er auch feine Feder rein
bewahrt, was in den bewegten Zeiten,
die er durchlebte, nicht immer leicht
war, und er iſt als ein Ehrenmann
geftorben, ein Mufter deutichen Schrift-
jtellerthbums für alle Zeiten. In dem
tapferen Kämpfer lebte das Gemüth
eines Kindes, und er war bon einer
rührenden Belcheidenheit und Anz | ih an den betreffenden Stüden ge—
ſpruchsloſigkeit. Manchen hat er in der | radejo wie die Chriften. Hier ift eines:
Hitze des Streits verlet, aber niemand
fonnte ihm auf die Dauer gram fein, Der Prophet Jonas.
und jo ließ er auch thatfächlich Feine
Feinde zurüd. Im feiner zahlreichen
Familie erlebte er den Schmerz, dal3| Won acht bis neun war Unnerricht
ihm zwei Söhne im blühenden Alter| Stets in der biblifge Geſchicht, —
von 20 und 22 Jahren ftarben. Am —— — — — Sr
3. Auguft 1884 vaubte ihm der Tod| Gehorzelt i8 bei Ninive,
auch die treue Gattin, und dieſen, ort war er, unner, bleede!)
Verluſt hat er nie ganz überwunden.
Am 21. November 1886 begieng er & Walfiih hat en Taum gegudt,
unter großartiger Theilnahme der Bes a nen Bin mEndN;
völferung das Feſt feines Eintrittes Drei Dag lang ohne Stuhl un Diſch
in die Siebziger Jahre, Er blieb friſch Saß der Profet jo in dem Fiſch
und gefund bis im verflofjenen Spät: | Un war net zu verbaue.
jahr, wo er zu kränkeln begann. Ein :
Magen⸗ u Leberleiden brachte ihn 2 Pe ee 2.
bald von Kräften, und am Abend des| Grad uff die Ufertrappe.®)
28, März, unter dem Klang der) Der Jonas rafft fi mihſam uff
Sioden, die das Dfterfeft einläute | Um lobt den Herrn und Friegt enuff
ten, hauchte er ſchmerzlos feine Serie) Un mecht fih aus de Kappe‘)
aus.
Und nun zu einigen Proben aus
feinen Werken. Da tut einem aller=
dings die Wahl weh, jo groß ift die
Menge des Bortrefflichen, des Erniten
wie des Spajligen, des Humoriſtiſch—
Heinen wie des SKomifch » Derben.| Der ſecht un mecht e dumm Geficht:
Stolge leiftete auch im Hochdeutſchen „Ei legt in der Nadurgeichicht,
als Dichter und Erzähler Bedeutendes,) Da dhate Se dod ſage,
|
(Frinnerung aus de Schuljahre.)
So etwa bracht's der Lehrer vor,
Mit annern befiern Worten nor,
Denn dafor war's der Kehrer.
Mir Buwe horchte fromm der Redd,
Nor Näner hat’3 bedappelt’) net
Der von Begriff war ſchwerer.
aber jeine Hauptſtärke liegt in der * er — nn eo
Handhabung des Frankfurter Dialectes. Nir Großes in fein Mage.
Aus dem Volke hervorgegangen, bat
er Denken und Fühlen, Handeln und
Mandeln des Volkes mit ſcharfem Blide
erfafst und mit Fünftlerifcher Kraft
zum Schriftwerf geftaltet. Zahllos
ind die Humoresken, die er fchrieb,
die beiten umd wirkſamſten leider zu
lang, als daſs jie hier zur Probe
mitgeteilt werden könnten, Wir
müſſen uns daher mit etlichen kürzeren
begnügen. Eine Befonderheit des
Stoltze'ſchen Dialect-Humors ift es,
daſs er die jüdische Eigenart ganz
vortrefflih aufzugreifen und darzu—
ftellen verfteht, und zwar im einer
Form, die nad feiner Seite verletzend
wirft. Die Frankfurter Juden ergößen
Un e3 beftänd jei Middagsdiſch
Aus lauter ganze Määne Fiſch,
Un Seegewerm un Schnede.
Bei jo 'me enge Gorjelihlaud,
Wie fam der Yonas in den Baud
Un blieb im Hals net ftede?*
Der Lehrer, der ſprach ganz verblifft:
„E Walfiihihlund, was des betrifft,
38 zwar e enger, Hääner;
Doch deshalb fei ganz außer Sorg,
E Judd drüdt imerall fih dorch,
Un Jonas war ja ääner!*
t) = pleite, ein jübiidher Musprud: bedeutet
banferott, jugrunde gegangen.
*) friegte, befam,
3, treppe,
2) ſich davonmachen.
>) verſtanden.
—
Hier ein anderes:
Levi un Rebekkche.
63 lag Rebekkche uff der Bahr,
Sie war des Dods verblidye
Un bat jeit fünfundzwanzig Jahr
Zum erſchſtemal gejhwiche.?)
Ihr Mann, der Iſat Feidel Stern,
Sist da im Schawes-Fräckche,
Un Thräne, did wie Kummerfern,
Die flennt er um's Rebekkche.
Un wie er flennt un wie er greint
So in feim Schmerz, ſeim größte,
Kommt Meyer Herſch zu geh, jei Freind,
Er fimmt un will en tröfte.
Der Iſak in jein Schmerzgefihl
Dhut em entgegerenne,
Doh Meyer fegt: „Was e Schlemihl!
Wie fann mer nur fo flenne!
Was greinft de der die Mäge roth
Un heulſt der jo unbändig?
Mas Stuß! Geb mer dei fyrää, dei dodt,
Ih geb der mei lewendig!“
Und noch ein drittes:
Er fann net.
Ter Gedallje, als Schmarotzer war er
iwerall befannt,
Wo's mas Gutes gab zu adle,?) war er
immer bei der Sand,
Un der Nathan hat geärjert zwar ſich iwer
fo e Wanft,
Un dod jegt er'm: „Komm zum Eſſe morje
Mittag, wenn de fannft!”
Der Gedallje hat zum Eſſe fi ääch plünft:
lich eigeftellt,
Tod die Hausthür war verſchloſſe. — Der
Gedallje hat geſchellt;
Hat geſchellt un hat geriffe, hat gezoge un
gezoppt,
Hat Parademärſch getrommelt uff der Dhür
un Siorm gelloppt.
Gud, da öffnet fi e Fenſter un der Nathan
gudt eraus,
Und er rieft enab: „Wer trummelt, lärmt
un ſchellt jo an mei Haus?"
Un Gedallje jegt: „Herr Nathan, ich bin’s
doch, Herr Nathan, ich!“
„No, was gibts dann, Herr Gedallje?* jegt
der Nathan ärjerlid.
!) geichwiegen.
°) eſſen.
„Was es gibt? Wie kann ich's wiſſe?
Ebbes Gutes werd's doch ſei;
Haft de mid doch eigelade; awer lan id
denn erei?
Haft geiagt doch: Komm zum Eſſe, fomm
zum Eſſe, wann de fannft,
Un jet bin id da, Herr Nathan, dod das
Hausthor is verihanzt!*
Un der Nathan rieft enuner: „So?veridlofie
i8 der Dhor?
Is verſchloſſe, Freind Gedalljie? Werklich?
Doch wer kann derfor?
Ya, ih hab' der eigelade, awer was haw'
ich gereddt?
Wann de kannſt, jo komm zum Efje. Kannſt de?
Nää, du fannft ja net“!
Die Wahrnehmung, daſs Frank—
furt für jeinen außerordentlich großen
Wohlthätigkeitsſinn nicht überall Dant
gefunden hat, veranlajste Stolge zu
folgenden Strophen:
Bald brennt der’s in Hamburg bei unjerer
„Schweſter“,
Bald ſitze als „Brüder“ im Waſſer die
Peſter,
Un hat ſich die Flut von der Donau verloffe,
So fin in der Rhon ſoviel „Nahborn”
erſoffe,
Un is in den Süde e Unglüd geſchlicht.
So wird e Malheer aus dem Norde bericht.
Dann hungern die alte Boruffe un Wende;
In Sadje, faum fin da verhagelt die Saate
So fin in der Rhön die ftadoffle miisrathe,
Un fterzt ſich Fels ufn Schweizer Barad,
So macht's uns in Frankfurt e Loch im
de Sad.
Un fegt e Orlan uns de Beutel aus Ofte,
So eisgangt's im Weſte uff Frankfurter Kofte,
Un hat wo e Blig in e Säuftall geſchlage,
&o hat mer in Frankfurt die Kofte zu trage,
Un bridt e alt Bolleul den Hals un
de Bäs,
So wendt fih ihr Stiefbaas nah Frankfort
am Mää,
So gebt der des fort un jo geht der des
jemper ')
Vom erjhe Janwari bis letzte December,
Un zehlt mehr zujamme die Batze un Bohne,
So gebt des aus Frankfurt enaus zu
Millione,
Es koſt ääm e Geldipiel, e3 18 der zu toll —
UnhinnenahjihändtmerdeBudel
uns voll!
t
!
Da is vor die fchlefiihe Weber zu ſpende,
| +) immer.
— — — — nn — — —
Von den Stoltze'ſchen Humoresken
und Gedichten find —— Samm—
lungen erſchienen (in Fraukfurt a, M.
bei Heinrich Keller), die zahlreiche
Auflagen erlebt haben. Jetzt wird eine
Geſammtausgabe ſeiner Werke vor—
bereitet.
849
Stoltze zu jenen Männern gehört,
welche die Himmelsgabe beſitzen, nicht
blos mit dem Volke zu denken und
zu fühlen, ſondern auch das, was
das Volk denkt und fühlt, in Worten
zum Ausdruck zu bringen, ſo daſs
Tauſende und Abertauſende an feinen
Wenn fie hinausgeht, dann werden
Schöpfungen ſich freuen und erheben
die Deutschen ſich überzeugen, dafs
fönnen bis in ferne Zeiten.
Mitleid.
Gedicht von Kobert Hamerling.
5
8
E ſeltſam Weib! Ich ſprach ſehr lang zu ihr
Von Liebeselend, das fie mir bereitet,
Wie fie mi ſchnöd' gebragt um Glüd und Ruh’,
Mie fie zur Furie fchier an mir geworden,
Sie hörte ftil und mwohlgefällig zu.
Doch als ich weiter jprah: „Mich reitet nur
Ein Wunder noch — Vielleicht gejhieht dies Wunder!
Vielleicht erfteh’ ih aus den Todesihmerzen
Zum Leben wieder, ja, zu neuen Leben,
Zu befierm Glüd an einem edlern Herzen,
Das wahrhaft lieben fann* — Ws ich jo ſprach,
Un aus dem Aug’ ein Hofinungsftrahl mir brad.
Erft jet begann die Stirn fi ihr zu trüben,
Kalt hatte fie gehört von meinen Beinen,
Doch als ich hoffend ſprach von künft'ger Luſt,
Da ſtahl ein Seufzer fih aus ihrer Bruft,
Und fie begann vor Ärger ftill zu weinen ..
Rofegger’s „Geimgarten‘‘, 1. Geft. XV, 54
Offenes Schreiben an Herrn Henrik Ibfen.
F
2
as war geſtern ein Schreck, Heute morgens war mein erſter Gang
3, mein beſter Herr Ibſen! Ich in die allernächſte, doch da höre ich
wohne gerade dem Theater ge- | jagen: das Bud ift vergriffen. Ihre
genüber. Acht Minuten nah halb „Dedda Gabler“ vergriffen — id
Zehn wars, als ich plötzlich vom gratuliere! Ein Mitteljchulprofefjor,
Mufentempel her einen gräfslichen | der im Haufe wohnt, hört von meiner
Lärm vernahm. Ach, du großer Gott, | Notd und Läjst mir fagen: unter
ein Theaterbrand! Es wurde Ihr feinem Tiſche läge ein Exemplar
neues Schaufpiel: „Hedda Gabler“ | „Hedda Gabler* zufanntengelnüllt,
aufgeführt, das Haus mar ausver- |er rühre es nicht mehr an, wenn ich
kauft. Ausverlauft, Herr! Ich gratu= es haben wolle, jo ftehe es zur Verfü
liere! — Zweitaufend Menjchen ein|gung. So kam ih zum Buche und
Dpfer der Flammen! Aber das war's | las es allſogleich.
nicht, es war ſchlimmer. Was be— Ich bin ſchon fertig.
deuten Menjchenleben, denken Sie nur! Und mun, mein werteiter alter
Den Ausspruch eines alten, ach wie Herr, nun geftatten Sie die höfliche
armfeligen Poeten, verbeijern wir da= | Anfrage: Warum Haben Sie diejes
bin: „Das Leben ift der Güter) Stüd geſchrieben? Was wollten Sie
Höchftes micht, der bel größtes aber damit? Jeder Dichter will etwas mit
ift der Mifserfolg!* Denten Sie an: feinem Werke, er will entweder eine
ausgezifcht ift e$ worden, diefes herr- Hunftgeltalt Hinjtellen, die wohlthut,
lihe Stüd, mit dem Sie die Welt erheitert, erhebt, erjchüttert und ver—
beglüdt Haben, ausgeziicht, ausge- ſöhnt, oder will eine beftimmte dee
pfilfen, ausgetrommelt, ausgefreufcht, | zum Ausdrude bringen,eoder er will
mit dem Bejen ausgejagt. Und darum | lehrhaft wirken. Sie, mein Herr,
der Lärm. wollen bier das alles nicht. Ihre Ab—
Ale Zeitungen Hatten wochenlang ſicht ift doch wohl, eine ausgejuchte
die beitorganifierte Reclame fpielen | Geſellſchaft von dummen, faden, leicht:
laifen, denn es war ja ein modernes | finnigen, blöden, diebijchen, viehiichen,
Stüd, ein „naturaliſtiſches“ Stüd, ſchurkiſchen, überhaupt erzniederträch—
und was die Hauptfache ift, ein aus- tigen Perfonen vor uns auf die Bühne
ländiiches Stüd! Allein ich war nicht | zu ftellen und dreift zu behaupten:
neugierig. Nun aber jweitaufend | Das it die Wahrheit! Wenn Sie
Menihen auf einmal lärmten, nun) beifeßen: Es ift die Wahrheit des
wurde ich neugierig. Aufgeführt, jagt | Irrenhaufes, des Zuchthaufes, jo mö—
der Intendant, wird’ nicht mehr, gen Sie vielleiht der Sade näher
allein es gibt noch Buchhandlungen. | kommen. Die Menſchen im allgemei-
nen, befonders in Streifen, die ich feit
fünfzig Jahren fennen gelernt, find
nicht jo, wie Sie fie uns glauben
machen möchten. Und Sie glauben e3
ja jelber nicht, dürfen es nicht
glauben, wenn Sie fih nicht ſchämen
wollen, ſelbſt einer von diefer Gattung
jo hübſch behaglih unter den Beitien
zu leben. — Sa aber was haben
Ihnen denn die Leute gethan, Ihre
Vorfahren, Ihre Brüder und Schwe-
ftern, Ihre Nachkommen, dass Sie fie
jo beitändig und jo fchmählich ver:
leumden ? Außergewöhnliche, pſycho—
logifhe Probleme wollen Sie löfen!
Gut, jo löjen Sie! Sie ftellen aber nur
auf, Sie ſchürzen nur, dann ſchicken
Sie das gepeinigte Publicum davon,
und jeder — meinen Sie — foll
jelber daraus machen, was er will,
Das ift aber doch wirklich eine Leute:
fopperei! Ich mufs offen geftehen,
Ihre „Hedda Gabler“ hat keine an—
dere Empfindung in mir zurüdgelaffen,
als das der redlichiten Empörung.
Mag ja fein, dafs ich's nicht ver—
ftehe, danır verftehen’3 Taufende nicht
und dann, bitte, dichten Sie deut»
liher. Die Slarheit ift eine Haupt-
bedingung der Kunft und wird wohl
auch auf dem menen Parnaſs, dem
Blodsberge, eingeführt werden müſſen,
— —— — — — — — nn — —
davon.
Dieſe „Hedda Gabler“ iſt eine
ſaubere Perſon. Erſt heiratet ſie, um
verſorgt zu werden, einen Private
docenten; das iſt aber ein philie
jtröfer, fader Patron, Gott nein, und:
die Frau Gemahlin liebt ihn nicht,
denken Sie nur. Sie liebt nad) ihrer
Hand, damit er Tich felbit erſchieße,
„im Schönheit jterbe*. Denn jie will
bloß einmal eine That fehen. Die
Männer kommen ihr alle jo träge
und jo feige vor und der einzige, den
fie noch achten will, fol den Muth
haben, ſich die Kugel duch den Kopf
zu jagen. Und warum ? wegen nichts!
Es handelt fich nicht etwa um eine
Heldenthat oder um die Ehre, um
nichts, nur um den Muth, ſich zu
tödten, will fie, daſs er ſich tödte.
Um diejen Bettelpreis zwar thut er's
nicht, feine thatfächlihe Veranlaſſung
ift noch viel bettelhafter, er erichiept
fich, weil, nachdem sie ihn bejtohlen
bat, feine Eriftenzbedingungen dahin
find. — Nach einem ſolchen Schelmen—
ftüde Happt’3 natürlich nicht bei Frau
Hedda Gabler, daher fhieht fie Tich
auch jelbit über den Haufen. Iſt auch
die rühmlichite That, die fie in ihrem
Leben geleiitet.
Nun aber frage ih Sie, mein
theuerfter Here Ibſen, warum?
Warum Haben Sie diefes Geſpenſt
aufgewedt? In den eriten Acten
macht ſie's allerdings ganz wie eine
moderne Frau, was fie aber weiters
plant, das fommt im Leben nicht vor,
da3 kann man alfo nicht nachempfinden,
das iſt eine geiftreihe Spibfindelei
Oder Haben Sie mit
diefem Stüde jagen wollen, wie es
gut wäre, wenn die Männer all:
mählih zum Selbjtinorde dreſſiert
würden? Was? Soll die Helden:
baftigfeit Ihrer Heldin darin liegen,
dafs fie zu verſtehen gibt, das Leben
jei juft noch einen Schuſs Pulver wert
und die männliche Größe und Schönheit
Art (wohl gewiſs nah ihrer Art!) | liege darin, ſich felber todtzujchiegen ?
einen anderen, der aber ohnehin u — Mein lieber Herr! Wenn dieſe
mit einer Ehebrecherin glüdlich it. Welt jo elendig iſt, dafs man das
Wohl die Eiferfucht, der Neid, angeblich | By dem Sein vorziehen mag.
aber andere, ganz unerhörte Gefühle! f o werden die Leute ſchon ſelber auf
und Beitrebungen veranlafjen Hedda, |die Idee kommen, ſich zu tödten; um
ihn (ihn, den Geliebten, nicht ihnen diefen Rath zu geben, dazu
die MNebenbublerin) in den Tod zu brauchen wir feine Dichter und feine
hegen. Zu dem Zwecke beſtiehlt ſie Bühnen, das beſtreitet der Hinlende mit
ihn, drückt ihm die Piſtole in die | dem Pferdefuße einfacher und billiger.
54*
jonft läuft Ihnen im Wirrwar PR Dichters.
852
Ih würde fehr gerne annehmen,
dafs Sie mit der Hedda Gabler aber
doh was Rechtes beabjichtigen. Viel—
leicht wollen Sie ein dämoniſches
Weib aufzeigen, vielleicht wollen Sie
die Männerwelt warnen dor MWeibern,
die fofett, falſch find und fein Herz
haben. Es wäre etwas. Allein, wie
mi bedünken will, liebäugeln Sie
mit der Hedda Gabler, laſſen mehr:
mals durchblicken, daſs fie eigentlich
nicht unrecht Hat. Nicht unrecht Hat,
zu jein, wie fie ift — natürlich!
Allein, jo ift feine von folchen, die
frei umlaufen dürfen. Die arme Hedda
gehört ins Jrrenhaus und nicht ins
Theater; aber es ift ja wahr.
Herr, ih frage Sie, was wollen
Sie nur do mit Ihren Dramen ?
Ih weiß, was Sie jagen, wonit Sie
ih redtfertigen und andere täufchen.
Dadurch, daj3 Eie immer predigen,
wie jchleht die Leute find, wollen
Sie fie angeblich beſſer machen. Ganz
die gleiche Methode haben auch die
ungeſchickten Sanzelredner. Sie ſpre—
hen, wie alle zumideren Geſellen,
immer nur bon dem, was nicht fein
jol. Wie Sie es Haben wollen,
wie es werden ſoll, darüber fein
Wort. Sie reißen die Gewölbe der
Abzugscanäle auf und Schreien: Sehet
unjere Wafferleitung! Und das nennen
Sie Wahrheit! Sie, mein Herr, zum
Vebensführer zu haben, der Sie nur
Sumpf und Jauche willen! Aber,
rufen Sie, Sumpf und Jaude ift ja
Wahrheit! Gewijs, es gibt Sumpf
und Jauche. Die taufend frifchen
Quellen, die fliegen, verleugnen Sie.
Und das nennen Sie Wahrheit !
Wenn es wirklich jo wäre, mie
Sie jhildern, dann müſste man ich
Ihämen, Menſch zu fein, und dann
wäre es gar nicht der Mühe wert,
über ein jolches Lumpengeſindel aud |
nur ein Wort zu fchreiben.
IH gebe ja zu, dafs unfere Ge—
Jellichaft zum großen Theile grund»
verderbt und unſere Gultur gründlich
verfahren ift. Das wiſſen wir ſchon
' Lärm
Leute find
faft alle; daſs es jo nicht fortgehen
fann, ſehen wir aud, dazu brauchen
wir feine Dichter. Aber wie ändern,
wie beſſern! Dajs fie uns das ſagen,
dazu brauchen wir große Geilter.
Die Menfhen find Nachahmer.
Zeigen Sie ihnen den Lumpen, wie
gelehrig find fie! Zeigen Sie ihnen
große, edle Vorbilder — nit aus
der Phantafie, fondern aus dem wirf-
lichen Leben geholt — maden Sie ihnen
diefe Vorbilder begreiflich, liebens—
würdig, erreihbar, ſchmücken Sie die—
jelben mit Schönheit und Ehren, und
Sie werben jehen, wie die Yeute
wieder Freude finden daran und ſo—
wohl bewujst als unbewufst ihnen
nachftreben. Aber, jagen Sie unge
duldig, das ift ja die alte Methode.
wir jehen ja, wie weit und dieſe alte
Methode gebracht Hat. Ich gebe
zu, dajs die Menfchen immer jeltener
werden in der modernen Welt. Aber
ich verjichere Sie, lieber Herr, ohne
diefe alte Methode fänden Sie heute
feinen Menfchen auf Erden, feinen
einzigen Menschen, lauter wilde Thiere.
Sie ſchmähen die Poeſie, verſchwei—
gen die ewigen Quellen des Troſtes.
Unter der Etiquette der Kunſt locken
Sie die wenigen und faſt verſchmach—
tenden Menfchengemüther zu Ihren
Cloaken. Was wollen Sie denn mur
damit erreichen ?
Sie wollen die Revolution.
3a, Herr, die will auch ich. Aber
die Revolution muj3 einen Blau
haben, ein Zufunftsbild, ein Ziel.
Ihren Wäflern ſieht man nicht auf
den Grund; aber nicht, als ob fie
fo tief wären, fondern weil fie trüb
find, Ich möchte willen, was „Hedda
Gabler” bedeutet.
Sie werden, mein Herr, mit Ihrer
Art von Idealen (denn Idealiſt Find
Sie durchaus, und von der jchlimm-
ften Sorte) noch ein paar Jährchen
machen, denn es ift was
Neues, da3 Sie bringen, und die
neugierig! Aber bilden
Sie ih ja nicht ein, mit Ihrer Dich—
tung bahnbredend zu werden. Die
Mode wechjelt, die Menjchen bleiben
ich gleih. Die Menjchen wollen lieber
leben al3 fterben, lieber fröhlich fein
als fauertöpfiich, lieber Gutes geniepen,
als Böſes, lieber Schönes jehen als
Miderliches. Und jo wird die Dich-
tung, wenn aud in der Form ſich
ändernd, im Geiſte bleiben, was fie
bei Homer, Shatejpeare und Goethe
gewejen, nicht ‚eine Stridleiter in den
Abgrund der Hölle, jondern ein
Ariadnnes Faden aus dem Labyrinthe
der Leidenjchaften, eine Jakobsleiter
zu lichten, troftreihen Höhen.
—
853
Nein, abgebrannt ift es nicht, bei
dem SHeidenfpectafel gejtern, das
Theater; ich hoffe, daſs in demjelben
bald wieder Lebensmuth und menſch—
lihe Größe verkündet werden wird.
Unter allen Umſtänden wünſche ich
Ihnen, mein lieber Herr, das, was
Sie ſich ſelbſt am innigften wünfchen,
troß Piſtolenknallens auf der Bühne
— ein langes Leben.
Übrigens — machen können Sie!
Desgalb in Bewunderung hr
ergebener
6. Stammer.
Geburt und Taufe.
Aufzeihnungen aus der Gegend des Sollinger-Waldes. Von Heinrich Sohnrey.
m gEHi®
es neh miet!!) Sp Hat der
Spajsmaher an der Hoch—
zeitstafel gerufen — und er hat recht
prophezeit: Eine gewiſſe Zeit iſt ver-
gangen — und die eine Frau im
Dorfe raunt es der anderen zu:
„Wat ſeggſt Döu, met Bormarns
junger Fröuen is't wat anders.”?)
Ein dunkles Wort, auf das aber die
andere jo verfländnisvoll nidt, als
wüjste fie ſchon feit Wochen um das
Geheimnis. Weißt du es auch, Les
jerin? Niht? Ei nun beruhige dich
nur, du wirft es ſchon merken.
Kinderpäpige is wonnen hat,
das gejchieht jegt: fie
bietet ihrer Erzfeindin einen guten
Tag. Es mag ihr Schwer genug an»
gefommen fein; aber ſie fteht mit
einem Fuße im Grabe und jie weiß:
grüßt fie die Feindin nicht, jo wird
fie ein — ftummes Kind zur Welt
bringen, denn jo geht der Volks—
glaube. In der Zaubftummen-
anftalt zu Hildesheim befindet fich ein
taubftummes Mädchen, in deijen Dei:
matsorte ich die Leute verjichern hörte,
daj3 das Kind taubſtumm geboren
jei, weil die Mutter dem Verführer
ihrer Schwefter nit die Tageszeit
Bormarns junge Frau begegnet | geboten hätte.
ihrer Erzfeindin — und was fie feit
Hoffnungevolle Frauen dürfen
Jahr und Tag nicht über ſich ge= keinerlei Unrecht begehen, wenn fie
9» Hochzeit — Kindtaufe ift nicht weit.
2) Was jagft du, mit Bormanns junger
Drau iſt's was anders!
nicht wollen, daſs ihr Kind mit den
entiprechenden üblen Eigenichaften ge=
boren werden joll.
—_ — —
864
Die Zeit iſt um — und plößlich
geht ein Raunen durchs Dorf: Man
hat den jungen Bormann im blanken
Sonntagsfittel haſtig vom Hof gehen
jehen, und er hat nicht den geraden
Meg durchs Dorf, jondern einen
Ummeg außerhalb des Dorfes einge-
Schlagen, um zur Stadt zu fommen.
— Mad dies verichämte Eilen zu
bedeuten Hat, nur zu bald wird's
offenbar, Auf einmal heißt's: „Wetet
je at wat Negges? Bormanns hHebbet
'n Hein Meken ekregen!“,) Alſo die
„Bamutter* (Bademutter, Hebamme)
war’3 gewejen, der das verjehämte
Gilen des jungen Mannes gegolten
hatte. Bormanns hätten zwar zuerit
lieber einen Heinen Jungen genoms
men, um den Stammbaum gerettet
zu ſehen; es war jogar der Bade»
mutter, wenn auch nur fcherzweife,
ein enijprechender Auftrag gegeben
worden ; indeflen, als fie das „grall«
äugige* Mädchen jehen, da find fie
e3 auch zufrieden und jagen: „Wat
fümmt, mant ewehnt werden !“?)
Nachdem das Kind glüdlich zur
Melt gelommen, geht der Bater in
feiner Herzensfreude eiligft auf die
„Radböhne* (Rauchbühne), um Die
für dies Ereignis bejonders aufges
fparte „dide Wurft“?) herunterzu—
holen, welche danı von den verſam—
melten nächiten Werwandten und
Nachbarn in freudigfter Aufregung
einmüthig verzehrt wird, wobei man
jelbftverftändlich einander auch fleißig
mit dem Bramntmweinglaje zuproftet.
Kommt gerade ein guter Bekannter
am Daufe vorüber, pflegt man auch
ihn wohl hereinzunöthigen: „Kumm
herin un drink emol un probere al
de dide Woſt emol!“)
) Mifst ihr auch mas Neues? Bor:
manns haben ein feines Mädchen gelriegt.
?) Was lommt, mujs gewöhnt werden.
) Man jagt auch wohl jcherzweije
noh Bameumenwoſt“ — Bademutterwurft,
welde Benennung zur Ahnenzeit üblich war.
) Komm herein und frinf einmal und
probiere auch Die dide Wurft einmal,
Der alte Aberglaube äußert ſich
bauptfählih bei der Taufe in den
verjchiedenften und feltiamften Vor—
ſchriften, mit deren Befolgung es aber
heute jo genau nicht mehr gehalten
wird, wenn wir uns auch nicht ver»
hehlen dürfen, daſs noch mandhe
Handlung allein duch den Aberglaus
ben beſtimmt wird.
Bezüglih der Pathen heißt Die
verbreitetite und befanntefte Regel:
„Dei dredde Ader fleit nah'n Paen.“
(Die dritte Ader Schlägt nach dem
Pathen.) Ein Glaube, welcher beſagen
will, dafs ſich eine gewiſſe Eigenfchaft
vom Pathen auf den Zänfling ver—
erbt.
Eine Fran, welche jelbft ein Kind
erwartet, ſoll man nicht zur Gevat-
terin bitten, es könnte jonft dem Täuf—
ling das Leben toten.
Manche Eltern ftellen das aus:
drüdliche Verlangen au Pathen und
Bathinnen, dafs diejelben ji, bevor
fie den Taufgang antreten, den Mund
hübſch mit Waſſer ausfpülen und fich
darnad aller jpirituofen Getränte ent—
halten, auf dem Taufgange ſelber
aber feine leiblihen Bedürfniffe mehr
befriedigen, mweil das Kind fonft mit
üblen Eigenſchaften behaftet werde.
Im übrigen ift für den Zaufgang
die Regel maßgebend, dafs der Jüngite
vorangeht und immer der Nächitälteite
ſich anſchließt.
Bor dem Altare hat die Bade—
mutter Sorge zu tragen, daſs das
Kind von ſämmtlichen Pathen ein
MWeilhen auf dem Arme gehalten
wird; der Jüngſte hat in der Regel
das Kind über die Taufe zu halten.
Dabei ift nun noch ein bejonderes
Mertzeihen zu beachten, und es jolt
wirklich Leute geben, die durchaus
nicht nur des Spafses wegen auf
das Zeichen achten: der Pathe näm—
ih, auf deilen Armen das Sind
weint, „bat es nicht gern gethan”.
Das Pathenamt bringt ja Freilich
aflerhand Berpflihtungen mit fich;
\aber dafür verſpricht es auch einen
herrlichen Lohn, heißt es doch: So
viel mal einer Hat Pathe ftehen
müfjen, fo viel Sitze („Stehen
Stellen“) werden ihm im Himmel
bereitet.
Ein großer Widerwille herrfcht
dagegen, mehrere Kinder gleichzeitig
zus Taufe zu bringen, denn man
glaubt, eines müſſe dann fterben.
So fam es 3. B. vor, daſs eine
Mutter, welche mit den Gevattern
ihres Kindleins bereit vor der Kir—
chenthür ftand, wieder mit der ganzen
Gejellihaft umfehrte, meil fie eines
zweiten Zäuflings anſichtig geworden
war.
Läſst ſich aber eine Doppeltaufe
durchaus nicht umgehen, jo mujs,
falld die Täuflinge verſchiedenen Ge—
ſchlechtes ſind, das Mädchen vor dem
Knaben getauft werden, damit es
feinen Schnurrbart bekommt.
Manchenorts wird aus eben dieſem
Grunde der Küſter veranlajst, bei
jedem Kinde „neues“ Wafler zu be—
jorgen, und da leider zumeift noch
diejer KHüfterdienft von dem Orts—
lehrer verrichtet werden muſs, Ddiejer
aber den unfinnigen Aberglauben zu
befämpfen bat, jo kommt es da mit»
unter zu recht jeltfjamen Auftritten
und Conflicten.
Die kirchliche Handlung ift vor—
über und der Heimweg wird in
gleiher Weife zurüdgelegt, wie der
Hinweg. Iſt man auf der Hauspdiele
angefommen, wird zunächſt das aus
barem Gelde (6 Mark und darüber
oder darunter, je nad) Vermögen) be-
ſtehende Pathengeſchenk „beigebunden“,
das aber wegfällt, wenn die Eltern
„freie“ Kindstaufe halten, was aller—
dings nur alle „Jubeljahre“ einmal
vorkommt.
Der jüngſte Gevatter muſs darauf
den Täufling über ein vor der Stu—
benthürſchwelle niedergelegtes Geſang—
buch in die Stube tragen und es mit
folgender Anrede auf den Mutterſchoß
legen:
„se hebbet med egeben 'n Heidenlind,
ed bringe jöck weer 'n Chriſtenkind;
wenn je't raupet von der Straten,
denn ſöll je raupen (folgt der Name).“!)
Hiernach hebt der Vater daS vor
der Thür liegende Gefangbuh auf
und legt es, blindlings aufgefchlagen,
in die Wiege unter das Kopfkiſſen,
worauf das Kleine jchlafen gelegt
wird. Wenn es lange und gut jchläft,
wird folches auch in der Folge der
Fall fein, Verziehen fih im Schlafe
die Mienen des Kindes wie zum
Lächeln, jo jagt man: Die Engel im
Himmel jpielen mit dem Kinde.
Iſt der Täufling endlih wach
geworden, jo wird das Gejangbud
genommen und der getroffene Gejang
gelefen: Je nachdem er einen traurigen
oder fröhlichen Inhalt hat, fteht dem
Finde ein trauriges oder fröhliches
Leben bevor.
Don dem Geſangbuch dor der
Thür jagt man übrigens, es folle
bezweden, daſs das Kind Hug werde.
Somit wären wir endlich beim
Kindstaufſchmauſe angeflommen und
fünnten uns nun, wenn wir wie
der Herr Paſtor umd der Herr Lehrer
dazu geladen wären, bejonders an
dem mit einer prächtigen Kruſte ge=
bratenen Schweinsichinten, dem präch-
tigen Butter» Reisbrei, den ſüßen
„Habutchen“ (Rofinenbrei) und dem
ewig Freifenden falten Grog gütlich
thun. Es ift ein Inftiges Efjen, reich—
ih gewürzt wicht nur durch Pfeffer,
Senf und Salz, jondern auch durch
manche deutſame Späße und Schuurs
ven der überjprudelnden Laune,
Die Gevattern müſſen jedes Ge—
riht „probieren“, lautet ein Para—
graph im alten Derfommen.
Die Mutter des Täuflings ſchnei—
det ji eine Brodjcheibe und beftreicht
fie mit Butter, wobei fie fich aber
', Ihr habt mir gegeben ein Heiden:
find, ich bringe euch wieder ein Chriſten-—
find; wenn ihr es ruft von den Straßen,
dann jollt ihr rufen (folgt der Name).
nur der linfen Hand bedienen darf.
Vielerwärts Hat der jüngite Pathe
diefes Taufbutterbrod zu ſchneiden
und mit Rosmarin zu ſchmücken.
Abgejehen davon, daj3 man auf
dem Dorfe den Feittag am Liebften
zwifchen den vier Wänden zubringt,
verbietet auch ein alter Aberglaube
den Pathen das Ausgehen am Tauf—
tage, denn wenn die Pathen aus:
geben, jo wird das „Pathchen“ ein—
mal ein „Wanderer“.
Auch die Mutter fol am Tauf—
tage das Haus nicht verlaffen, denn
in dem Hauſe, das fie an dieſem
Tage befuchte, würde in dem jelbigen
_ 886
Jahre viel Töpfergeichirr entzweige—
worfen werden.
Eine gelittete Mutter würde fich
übrigens ſchwer dazu verftehen, aus—
zugeben, ehe fie die kirchliche Ein—
jegnung empfangen hat, welche, wenn
es ihr Geſundheitszuſtand erlaubt, in
der Regel unmittelbar nah der Tauf-
handlung vor dem Altar erfolgt.
Damit wäre nun meine Stenntnis
der Dinge im weſentlichen erſchöpft,
und ich will nur noch Hinzufügen,
daſs die geneigte Lejerin ſich einen
blanken Thaler verdienen könnte, wenn
fie jo glüdlih wäre, den — erften
Zahn des Kindes zu finden.
Gedichte.
Von Fudwig Anjengruber.“)
Des Gettlers Lied.
se i . j
ab’ fFliden nur, fein ganzes Kleid,
“SH Hab’ Sorgen ftets, fein halbes
e) Leid,
=“ Doch mag’
ih nit zu Grabe
gehn,
Die Sonne jheint zu froh und ſchön,
Menn fie e8 gar fo ehrlih meint,
Mir auf den breiten Rüden jcheint,
Weiß nicht, was ih drum gäbe,
Weil ih nur lebe!
Sitz' Sonntags vor der Kirchenthür,
Da fpenden Yung’ und Alte mir,
Manch Kinderlöpfchen, fpielzerzaust,
Drüdt mir das Pätſchchen in die Fauft
Und Schaut mit großem friſchem Blid
Nah mein'm „DVergelt es Gott“ zurüd.
Der Herr viel Glüd ihm gebe,
Weil ih nur lebe!
*) Gejammelte Werfe von Ludwig
3. 6. Gotta. 1890.)
Tann fehr’ ih in der Scene ein
Und trin!' mein Gläshen goldnen Wein,
Und fpielt es dur die Adern leij’,
Da klingt in mir die alte Weil’ —
Da ihleih’ ih mih zum Waldeshang,
Vergef’ all Sorg und jeden Bang;
Mein Lied ich froh erhebe,
Weil ih nur lebe!
Da kriecht die Ameiſ' übers Blatt,
So hurtig, jeh’ fie niemals matt,
Da jhlägt der int, da gligt der Thau,
Sort drüben fingt des Förfters Frau, —
Nun blintt durchs Laub der Abenpdftern,
Grau winft das Dörflein in der Fern’,
Wüjst' nicht, dafs ſich's begäbe,
Wenn ih nicht lebe!
JB finn’ der alten Kabel nach.
Ih finn’ der alten Fabel nad,
Die ernithaft uns belehret,
Dais alles, was geweſen war,
Dereinftens wiederfehret.
Unzengruber. Fünfter Band. (Stutigart.
Zwar wiederlehrt nad langer Friſt,
Nach vierzigtaujend Jahren,
Dann aber aud genau, wie wir's
Das erftemal erfahren.
Nun ift mir fo, als hätt’ ich did
In einem frühern Leben,
Unboldes Lieben, jhon geiehen
Und mid dir ganz ergeben.
Und du, du hätteſt alle Treu’
Und Lieb’, die ih empfunden,
Mit berbem Spotte mir gelohnt
Und tiefen Herzenswunden.
Mir tönt, ad, jo vertraut und doch
Ernüdternd deine Sprade,
Mid höhnt, wie einmal ihon gehört,
Die filberhelle Lade.
Ich liebend ohne Hoffnung und
Du herzlos ohne Reue,
Es ift als wie ein altes Spiel,
Das mwiederlehrt aufs neue.
Ein altes Spiel — wir können dreift
Die Wiederholung wagen,
Du bift im Quälen mwohlgeihult
Und ih für das Ertragen.
Und überläuft’s mir oft das Herz
So bang und maienfröftlid,
Dann däudt mir — albern wie fie ift —
Die alte Fabel tröſtlich!
Im Innern gefeftet.
Menn Jahre gehn und fommen,
So nehme du in adt,
Was fie dir wohl genommen,
Was fie dir wohl gebradt.
Was dir au im Verlaufe
Der Zeiten ward beichert,
Nicht Gut, noch Glück es taufe,
Gar trüglich ift fein Wert.
Nicht graufam heiß das Leiden,
Richt Raub nenn den Berluft,
Weiß fill dich zu beicheiden
Und trage, was du mujst.
Rur der ift hochgemuthet,
Der gleih im Glüd ſich fühlt,
Und wenn das Herz ihm blutet,
Die Wunde feufh verhüflt.
Das Glüd, es will nicht währen,
Das Leid bleibt nicht befteben,
Das ift: wie Tage fehren
Und wie die Nähte gehen.
857
Nur das haft du genojjen,
Erftritten das allein,
Was in die Seel’ geihloffen
Du bir zu tiefft hinein.
Das einzig ift das Wahre,
Was du in dir erfährft,
Dem du, trotz Flucht der Jahre,
In Treuen di bewährft.
Ob fie undunkeln Schmerzen,
Ob Freude fie erhellt,
Du trägft in deinem Herzen
Dann eine FFriedenswelt.
Wie Jahre gehn und fomnten,
Des haben jie nicht Madt,
Davon wird nichts genommen,
Dazu dir nichts gebradt!
Stilfes Geſcheiden.
Bei ihres Anblids Lieblichkeit, —
Der alle Sinne mir berüdet,
Der mich bejeligt und entzüdet
Und doch zu tiefft bedrängt mit Leid —
Nie werd’ ih nur mit einem Blid
Der Herrin meine Lieb geftehen,
Nie ihre Gegenliebe flehen
Und ſtumm ertragen mein Geidid!
Ein Frevel wär's an holder Frau,
Wenn ih den eitlen ®lauben hegte,
Daſs mid, nur mich allein, bewegte
AN ihrer Anmut reihe Schau.
Nein, nein, ih bin der einz’ge nicht,
Den ihre Nähe froh befeelet!
Der legte wär’ id, den fie mwählet;
Ich ſteh' im Banne harter Pflicht,
Nicht Jugendtraft, noch Wohlgeftalt
Vermag mir mehr das Wort zu führen,
Ih kann vielleiht durch Lieder rühren,
Doch Mitleid wehrt der Lieb" Gewalt.
So faſſ' ih denn den einen Muth,
Es im Beginne fhon zu enden.
Wie läm’ zu eines Bettlers Händen
So hohes überreihes Gut?
Ergeben will ih meine Laſt
Auch fürder ſtumm des Weges tragen,
Es foll fein Blid der Herrin jagen,
Wie mächtig es mid ſtets erfasst
Bei ihres Anblids Lieblichkeit,
Ter alle Sinne mir berüdet,
Der mich befeligt und entzüdet
Und doch zu tiefft bedrängt mit Leid,
St. (Peters Klage.
St. Peter fprad in trübem Ton:
„Hör mid, Gott Vater und Gott Sohn
Und aud du, lieber heil’ger Geift!
858
Die Menihen werden jett fo dreift,
Sie fürdten Teufel nit, noch Tod,
Und gar ein Leben ohne Gott,
Das planen fie mit frevulem Sinn!" —
Gott Vater fpriht: Wie frob ich bin,
Betrübt dich das, du treuer Ktnecht?
Ich jag’, mir fommt es eben redt,
Du weißt, ih war der ganzen Brut
AM meine Tage nit gar gut,
Ich habe Wafler und au Brand
Vergeben: doch an fie gewandt,
Und Sündflut nit, noch Sodoms Not,
Nicht Noahs Warnung, noch des Lot
Grrettung war zu etwas nüß:
Die Sonne war’ in trüber Pfütz',
Die Perle war es für die Säu',
Sie fündigten nur ſtets aufs new‘,
Bis mein Herr Sohn in Jugendſtärlk'
Beiorgte das Erlöfungswert.
Doch wie's gedieh und wie's gerieih ?
Ich den!’ mein Theil und fag’ ed nit.
Und wenn es fommen thut aljo,
Wie du geiagt, des bin ich froh.
Wenn fie nunmehr in Theorie
Ohn' mi zu leben find beftrebt,
's ift recht, in Praxis haben fie
Ya allzeit ohne mich gelebt,
Wenn ftatt von ewiger Vernunft
Sie fih von einer tollen Zunft
Stodblinder Kräfte der Natur
Betreuet glauben, ift die Spur
Von Beflerwerden jhon in Sicht,
Und alles lommt in gute Ridt’!
Dann bat es fürder wohl ein End’,
Daſs man mein’ Namen eitel nennt,
Und fommt zu Hauf' und fommt zu Nand,
'ne große Dummheit wo zu fand’,
Dann fniet fein Schuft mehr wie zum
Spott
Und fingt: Nun Tobet afle Gott!
Und finden fie mit einemmal
Ihr Leben 'ring und eng und ſchal,
Daſs fie in Scham davor erglüh'n,
Erſt unfereinen zu bemüh'n,
Ei, dann ift mir — bei meinem Bart! —
Das halbe Regiment eripart,
Denn wenn ich ihnen nimmermehr
Das Gute jpend’, das Üble wehr',
So iſt's vorbei mit trägem Ruh'n,
Das Gute müfjen jelbft fie thun,
Des Böfen felber ſich erwehr'n,
Das wird jie Lieb’ und Klugheit lehr'n —
Nicht kränk' ich gern der Frommen Schar —
Doch dann behagen mir fürwahr
Die gottlof’ Rader allermeiit!
Wie Hug das Ganz’ gezielt, geplant —
Das Stüchchen ift vom heil’gen Geiſt!
St, Peter, haft du's auch geahnt?“
Herr Wirt.
Herr Wirt, was war das nächtens für
Fin gottverfludter Tropfe?
Es ſchmerzt mid heute morgens jdier
Ein jedes Haar am Kopfe!
Wie mus die edle Gottesgab'
Verihändet und verhunzt fein?
Fe: Seel’, was ih getrunten hab,
| Das war wohl eitel Kunftwein!
| 6i, heb die Hand betheuernd nidt,
| Daf diefer Soff Natur ift,
Man weiß ja doc, verdammter Wicht,
| Dais leicht wie Spreu dein Schwur ift.
1b’ lieber Treu’ und Redlichkeit,
Schreib's an die Etikette,
Damit ſich ſachte noch beizeit
Gin Chriſtmenſch davor reite.
Du hätteft nur wie vor und eh’
"was fellerei betrieben,
Und dir jei anorganische
Chemie ganz fremd geblieben ?!
Hör du, es ift doch ganz umjunft,
Hier Lügen zu erjtinfen,
's ift Runftwein, denn 's ift eine Kunſt,
Von dieſem Wein zu trinken.
Gegoffen wird nun und gebauen.
' Gegofien wird nun und gehauen,
Was jih im „Brodhaus” finden will,
Es ift beuttags das Dentmalbauen
Ein ſehr beliebt’ Geſellſchaftsſpiel,
Juſt was man jo ins Haus bebürfe,
s langt nicht für höhere Entwürfe;
Es ſcheint, man will nur eben
| Das Kleingewerbe heben.
Mit: und Hadwelt.
Eine Gitaten-Studie von Dr. €, M. Schranka *).
„O glaubt, dal unfre Zeit Ach lichter
Einſt ipäten Enkeln offenbart;
So war's unb bleibt ed: Großer Dichter
Hat feine Gegenwart!”
®
Pr
Sehr ih in diefem Gapitel viel anerkennt, wenn ihr die Augen aufs
)
65 werde ‚tieren müjjen, fo be= |gegangen, und danı heißt e8: „Das
se ginne ich gleich mit einem Ci— iſt ja einer von den unfern, ift unfer
tat aus dem Gedichte „An der Sonnen»
wende“ von Stephan Milom.
Wie wahr! „Großer Dichter Hat
feine Gegenwart.“ Man könnte wohl
auch variierend jagen: Dichter Hat
nur die Zukunft.
Die Mitwelt ift es, die ihre An—
erfennung verfagt, denn die Mitwelt
ift nicht unparteiiich ; ihr Fehlt es an
jeglicher Objectivität, und wenn es je
einem Dichter gelungen ift, ſich etwas
Beahtung und Bedeutung zu errin—
gen, das Augenmerk auf ich zu lenken,
dann gelang es ihm meift nur in der)
Fremde, denn
„Das Vaterland madt heimatlos
Die Kinder jeines Dichters“
jagt Freiligrath, und ſchon ein
alter römischer Sat lehrt uns „Nemo |
propheta in patria“. Ein ähnliches |
Spridwort lautet: „Der Thaler gilt |
dort nichts, wo er geprägt iſt“ und
wie viele können mit Anton Oborn
jagen:
„Die Heimat, die ich oft beſang,
Die nennt und fennt mid nicht.”
So mujs man ih gewillermaßen
erft hinausbegeben in die Fremde,
um von dort aus ſich der eigenen Heimat
zuführen zu laffen, die den Dichter
dann übrigens felbit als ihr eigen
Landsmann!“
So geht die Mitwelt an ihrem
großen Mitbürger oft vorüber. Doc
wenn es mur das wäre, wenn es
nur beim bloßen UÜberſehen bliebe:
„Wenn ich, die gleichzeitig gelebet,
Mit einem Stoff vergieichen foll,
Aus Rohem ift der Stoff gemwebet,
Nur mander Faden Wertes voll;
Dann fann ich eines nicht begreifen,
Wie man oft jenen überjieht,
Der, wie ein breiter gold’ner Streifen,
Sih echt durch das Gewebe zieht.“
Uber im Gegeniheil: er wird oft
dem Spotte preisgegeben, wenn er
prophetifchen Geiftes voll, wie ein
echter, gottbegnadeter Sänger oder
ſonſtiger Götterfohn (demm ich möchte
jin diefe Plauderei die Koryphäen auf
allen Gebieten der Künſte und Willen
Ihaften mit hineinziehen) ein ſelbſt—
bewuſstes, ſtolzes Wort ausſpricht; er
wird des Größenwahns geziehen von
temporären und localen gemachten
Größen, die, mit momentaner, ephe—
merer Geltung ſich brüftend, auf des
wahren Götterfohnes Haupt die Dor—
nenfrone preilen möchten, indem fie
fuchen, ihn mit dem Mantel der
Lächerlichkeit zu umkleiden.
Bodenſtedt hat recht, wenn
er ſagt:
*) Aus dem eben erſchienenen zweiten Band feines „Neuen Demokrit“. (Berlin,
Hans Lüfteneder 1891.)
„Wer feiner Zeit vorausgeeilt,
Hat ihre Schäden nie geheilt,
Doch war’ ein Genius, ein echter,
Wird er zum Heiland fommender Ge:
ſchlechter.“
Faſt jeder Große hat für ſeine
Mitwelt ſtolze Worte, ſelbſt unver—
Ihämte Verſe, wie Schopenhauer
die ſeinen nennt, geſprochen, die erſt
die objective, unparteiiſche Nachwelt
gelten läjst und ſelbſt emſig fammelt*).
— Dies gefchieht aber erft dann,
wenn bon ihm ein anderer Dichter
jagen kann:
„Unfterblih prangt ſein Name
Und ſteht im Zeitenbuch,
Er ftarb in Noth und Grame,
Das ift des Sängers Fluch.“
Zu jpät — zu fpät die verdiente
Anerfennung. Wie jagt doh Adolf
Böttger in feinem Diftichon ?
„Lebend verlümmert als Null, mit Adiel-
zuden verhöhnt jelbft,
Nah dem Verhungern jedoh unter die
Sterne verſeht.“
Darım mahnt der Meifter mit
Redt:
„Weniger Erz aber mehr Herz für uns“
und auch Saphir meinte:
„Zum Dichter muſs man geboren, zur An:
erfennung geitorben jein.“
Dod
„208 Elend ift des gold’nen Ruhmes Wiege,
Ter Rummer ift jein ewiges Geleit,
Der Geiſt lebt immer mit der Welt im Kriege,
Sein Schaffen ift ein unruhvoller Streit“
und wer will Naturgefege ändern ?
„Es ift ſchon jo der Welten Lauf,
Beitimmung jcheint’S zu jein,
Es nimmt das Elend mit in Kauf,
Mas ein Genie joll jein.”
Sa, die Noth, jelbit die Noth mit
der Fritit, iſt die zehnte Mufe, die
ihrem Sohn den Kuſs auf die Stirne
*, ch verweile auf eine von mir an—
gelegte große Sammlung wertvoller Stellen
unter dem Titel „Etolze Worte“,
800
\gebrüdt; ihre Devije lautet in den
diverſen Variationen:
„Durch Naht zum Licht“
„Through night to light“
„Post nubila Phoebus.“
| Die Eintagsfliegen find es, die
das freilich erſt entglimmende Licht
umſchwirren und glei einer Wolke
dafjelbe zu verhüllen traten; ſie
fünnen mir feine rechte Achtung ab—
zwingen. Diefe ephemeren Größen, fie
find mir zu raſch groß geworden,
fie glänzen momentan zu grell und
„Mas glänzt, ift für den Augenblid geboren,
Das Echte bleibt der Nahmelt unverloren.“
Und 9. Grieben jagt:
„Was unfterblid im Geſang jol leben,
Muß im Leben untergeh'n.”
| Sangiam über Dindernifje aber jicher,
jchreitet die wahre, fünftige Größe.
„Große Geifter müflen ringen,
Müſſen Ahtung ſich erzwingen,
Soll ihr Stern nicht einft erblinden;
Haben fie fih Durdgerungen,
Haben Adtung fie erzwungen,
Ewig wird ihr Geift entzünden.“
Und gerade diejenigen, von denen
Emanuel Geibel jagt:
„Mas hilfts, auf Flügeln der Reclame
Gin Stündlein flattern durch die Welt,
Wenn ſchließlich doch, o Thor, dein Nante
Wie Ilaros ins Waſſer fällt“
gerade ſie ſind es, die den wahren
heiligen Gottesfunten im Entglimmen
zu erftiden juchen, weshalb Boden-
ftedts Worte eine micht zu verach—
tende Marime find:
„Leiien Schritts durchs Leben wandre,
Biſt du groß, ſo ſtell' dich klein;
Ungeftraft darfſt du als andre
Größer einen Zoll breit jein.”
Fürwahr, der Weg des Genius
ift eine fteile, fteinige und dornenvolle
Bahn und
„Der Lorbeer blüht gar bod.“
Ih Habe in meinem Stubdier-
zimmer ein Bild gar ſeltſamen Motives
hängen. Es ftellt ein paar Knochen,
ein Pergament und einen Todten—
fchädel vor, der leßtere von Epheu
ummunden. Auf dem vergilbien Ber-
gament ftehen die Verſe Hamerlings:
„Der Lorbeer traun hat feine Sympathie
Für üppiges Lodenhaar; viel lieber ranlt er
Um lahle Stirnen, graue Häupter ſich,
Am liebflen find ihm nadte Todtenjchädel.*
Ich vermöchte eine dide Anthologie
mit ſolchen Stellen zu füllen, doc
will ih nur noch mit einer Heinen
Ausleje für diesmal mich begnügen:
So heißt's bei Tiedge:
„Der edle Mann lebt nie vergebens,
Er geht einft, hemmt fich hier jein Lauf,
Nah Sonnenuntergang des Lebens,
Als ein Geftirn der Nachwelt auf;*
bei Raupad:
„Es fteht geichrieben im Schidjalsbud:
Soll einft die Nachwelt did mit Segen
nennen,
Mujst du den Fluch der Mitwelt tragen
fönnen.“
Bei Hermann Lingg:
„Epigonen oder nicht, —
Thue jeder feine Pilicht.
Nicht die Meinung, nicht die Stunde,
Nur die Zukunft iſt's im Grunde,
Die ein giltig Urtheil jpricht.*
Derjelbe jagt ein andermal:
„Erft zerren die Banditen
Uns Dichter in den Koth,
Gemeuchelt werden wir, zerjchnitten
Und, wenn wir gründlich todt,
Ginbalfamiert mit aller Glorie
In eine — Riterarhiftorie.*
Dstar Blumenthal
fih vernehmen:
läjst
„Sollen die Menichen ein Lob dir gönnen,
Eo darfft du’3 nit mehr hören lönnen“
u. ſ. w. u. ſ. m.
Obwohl ich nun ungern genug
noch ſo vielen anderen ihre ſchönen
Worte für diesmal entziehen muſs,
Albert Möſers prächtig poetiſches
Bild „Der Albatros“ mußs hier
noch Plab finden:
„Ruhig getragenen Shwungs hinjchwebt er,
der Segler der Lüfte,
Königlih, herrlich und frei trinkt er
ätheriichen Hauch,
Ueber ihm leuchtet im Blau des Kreuzes
erhabenes Sternbild,
Unter ihm dehnt fih das Meer, dehnt
fih Auftraliens Strand.
Seht, nun ſchwebt er herab, gelodt von
dem nahenden Meerſchiff,
Liſtig umgarnende Kunſt ſtellt mit der
Angel ihm nach,
Arglos fliegt er heran und läfst von dem
Köder fih äffen,
Raſch den Betrogenen zieht Tüde aufs
hohe Berded.
Ach! der joeben noch erft die Weiten des
Üthers durchflogen,
Welcher der Anmuth Bild, ſtolz ih in
Lüften gemiegt,
Linkiſch jchleppt er fih hin und plump auf
den Planten des Schiffes,
Gleich wie gebroden und matt hängen
die Schwingen herab,
Schnöd mit dem Nuder ihn nedt, Fein
Mitleid fennend, der Schiffsbub,
Höhnend und ladhend im Kreis ſtehn
die Matroien herum —
Segler der Lüfte, dein Los vergleich’ ich
dem Loſe des Dichters,
Welchen in leuchtende Höh'n hehre Be:
geifterung trägt,
Sieghaft jhwimmt er und leiht im ſtär—
fenden Äther des Geiftes;
Über fih himmliſches Licht, unter ſich
irdifche Noth;
Weh! da zieht ihn herab des Tages
gemeine Bedürfnis,
Der fih ob Wolfen gemwiegt, taudt nun
ins ird'ſche Gemirr,
Hilflos zieht er und jcheu, ein Kind, die
Pfade der Menſchen,
Straudelt und wantt, und fremd wird
ihm des Genius Flug,
Kichernd jhauen auf ihn die Werftagsjeelen,
ihn höhnend,
Dass, der zu fliegen gewujst, jet nicht
zu gehen verfteht.”
Haben wir an den bisher ver-
nommenen Citaten die Stellung derMit-
und Nachwelt zu den großen Dichtern
gekennzeichnet — freilich, Ausnahmen,
wo die Anerkennung noch bei Lebzeiten
erfolgt, gibt es ſchon, aber fie find
jelten — fo fei auch eines umgefehrten
Falles gedacht, wo die Mitwelt an—
erfennt, die Nachwelt aber vergijät.
In diefem Falle befinden ſich der
dramatische Künftler, der Briefter und
die Priefterin des Gefanges und der
Mufif, ferner jene des Tanzes.
„Begeifterung ift feine Heringsware,
Tie man einpödelt auf lange Yahre*
jagt unfer Altmeifter, und mur zu
momentaner Begeifterung reißen dieſe
Künftler Hin,
Freilich liegt dies auch in der
letzt⸗
Natur der Sache; denn die
genannten Künſte erfordern die mo—
mentane, perſönliche Ausübung, die
Präſenz ihres Vertreters. Da gibt
es Applaus, Kränze und allerlei an—
dere Ovationen; ſchließlich aber wird
der Gefeierten Name zwar auch mit
goldenen Lettern in den Anmnalen
ihrer Kunſt eingetragen und zumeift,
wenn auch nicht immer — vergeifen.
Man erinnert fih wohl dann, wenn
einer ihrer Nachfolger in derfelben
Kunft durch Leitungen an des weiland
Sefeierten Namen erinnert, um mit
Zinkgref zu fprecden:
„Alte Komödien, neue Komödianten.“
Übrigens brauchen die Vertreter
diefer Künſte noch nicht einmal ges
ftorben zu fein, um, wenn nicht ver—
gejien, doch im den Hintergrund ges
jtellt zu werden. Es genügt dazu jchon
die Nichtausübung der betreffenden
Kunſt jelbft, wenn dieſe Unterlafjung
durch unabwendbaren Verluſt phyſi—
ſcher Kräfte (Stimmmittel u. dgl.)
hervorgerufen ift.
Der franzöfiihe Poet Boulay-
Paty behauptet dieſes Los auch
vom Dichter, wenigſtens lauten zwei
Stellen in ſeinem Sonette „Der Ruf“:
„Wie ſchritteſt du Poet aus deiner Dunlelheit
Von allen hochgerühmt, und ſchon biſt du
vergeſſen!
Bevor ein Buch du ſchreibſt, verlangſt du,
welch Vermeſſen,
Um zu empfinden erſt und nadzudenten,
Beit.
Trudt Denter, Dichter druckt! Nur neues
in den Dandel,
Aus leichtem Stoffe wird gewebt des Nuhmes |
Mantel,
Gr nüht ſich ab und will, daſs man ihn
oft erneut.“
_802 _
Doch gilt dies, wie bereits gefagt,
wohl mehr von den genannten dar—
ftellenden Künſtlern.
Der Gelehrte, Schriftiteller, Dichter,
Maler, Bildhauer, Architekt u. j. m.
binterlaffen ſichtbare und greifbare
Werke, die ihr Andenken ftets Friich
und rege erhalten. Dadurch genießen
fie auch die Anerfennung eines viel
größeren PBublicums, denn, hat jie
auch das mitlebende verkannt, jo ftehen
fie vielleiht groß da vor dem Pub—
licum künftiger Jahrhunderte. Bon
diefem Standpunkte lafjen fih ſämmt—
liche Künfte in eine gewifje Eintheilung
und Ecala bringen.
Hauptſächlich ift es aber der Poet,
dem oft bei Lebzeiten die erinunternde
Anerfennung verfagt wird; er allein
hat meift nur den Troft der Hoffnung
auf feine Unfterblichleit. Dafür
erntet oft der Künſtler, der eine Rolle,
die jener jchrieb, trefflich darzuitellen
weiß, den Ruhm ein und erhält den
Kranz.
Diefe Künftler find es vornehm:
lich, welche das ſchon vom römischen
Dichter geſchilderte Dochgefühl des
„monstrari digito et dieier hic est“
genießen.
Geduld — es kommt die Zeit,
wo ſich das Blatt wieder wendet,
darum Sei diefen der ephemere Ruf
gegönnt, dem
„Dem Mimen fliht die Nadhmelt feine
Fränze.
Auch Theodor
fagte:
„Auf den Kränzen der Mitwelt ruht es ſich
chlecht“
Mommſen
und Menſchen gehen und Menſchen
kommen und einſt kommen gewiſs
doch auch objeckive,
Menſchen. —
Zum Schluſſe zur Erhärtung
dieſer meiner Behauptung noch Guſtav
Kötters „Zweierlei“:
„Dem Mimen wirft berauſcht die große
Menge
| Den Lorbeer als des Augenblides Kohn,
vorurtheilsfreie
863
Tod bald en als ob der Brand ihn Recht ſchön und troftreih, aber
enge, . 3 2 —
Umſchlingt er dürr das Haupt von Thaliens ich meine, es dentt doch jeder, der
Sohn. ih zu etwas Beilerem berufen fühlt,
Toch ewig grünt es um des Dichters mit Paul Heyſe:
Schläfe,
Des echten Lorbeers unverwelklich Reis, „Soll Ruhm mir blühn, komm' er beizeit!
Und wie der Mitwelt Undant ihn auch Was hat die Nachmelt mir zu geben?
träfe, Ih möchte von meiner Unfterblichkeit
Ihm blüht der Lorbeer als fein ew’ger Preis." | Doch ein paar Jährchen miterleben! —
Was große Menfhen über Thiere fagen.
Aussprüde, gefammelt und mitgetheilt von Roloman Raifer in Wien.
(Neue Folge *).
Motto:
Jemehr wir uns mit der Seele der Thiere. dem Aöftlichiten,
mas auch fie haben, beichäftigen, deſto ahtungswertber wird uns das
Thier, defto herrlicher Die Natur, deito anbetungswurdiger Bott, Mangel
on Einn für die Thierſtelen deutet auf Gedankenloſigkeit. Hobeit,
Unſittlichteit. Arrelintöfttät und die Miishbandlung der Thiere und jet
es aub nur eines Wurmes, acht aus irreligiöfer Unwiſſenheit hervor.
Alle alten Völker achteten, weil fie religiös waren, dad Thier ho!
Prof. Peter Eheitlin.
BR
BE die Thiere können denken Ein jedes Thier merkt feiner
"up und dadurch ſich einen gewillen | Seele Fähigkeiten, und wozu ihm
7 Grad von Slugheit erwerben. | jeine förperlihen Gliedmaßen nuße
Sie unterfcheiden jich hierin mur durchs | find zum voraus. Die Natur der
Mehr oder Minder. Manche Klugheits- Thiere darf von niemand belehrt
eigenſchaften Hat der Menſch, andere das ; werden. Galenus.
Thier in vorzügliderem Grade, ir eine Empfßi
Noch andere Eigenſchaften der Men— — A N N ne den
ſchen und Thiere ſind einander nur ihre Natur und ihren Sik nicht eins
ähnlid. Ari ſtoteles. ſehen, ſo haben auch alle Thiere eine
Milde gegen die Thiere übt der Empfindung und obgleich rohe und
Menſchenfreund und der Barmherzige. dunkle Vorſtellung von ihrer weſent—
Porphyrius. lichen Beſchaffenheit. Seneca.
Das beſondere Gute widerfährt
auch den Thieren, daſs die Götter
ebenfalls Vorſorge für ſie tragen und
ſie weder verachten noch verſäumen.
Wenn ihnen gleich keine Vernunft —
zutheil en E jo haben fie doch lebendiges au eigentlich jei, davon
jo viel Berftand und Weisheit be= hat es feinen Begriff. Seneca.
fommen als fie angeht. Der Rechtſchaffene wartet jeines
Helianus. Viehes. Yejus Sirad.
Es fennt ein Thier feine Bes
Ihaffenheit, aber worin fie eigentlich
bejtehe, weiß es nicht; es fühlt ſich
als lebendiges Thier, aber was ein
) Siehe „Heimgarten“, XIII. Jahrgang, Seite 582,
Der Schöpfer jcheint die Dinge! Gerechtigkeit und Menſchlichkeit for-
verschiedener Natur allmählih mit» | dern, daſs man die Thiere freundlich
einander verbunden zu haben, dafs behandle und auf ihr Wohljein gerade
alles Geſchöpfe durd die Verwandte | eben jo gut Rüdjicht nehme, wie auf
ſchaft miteinander eins wird; wor—
aus Hauptfählich erhellt, daſs mur
ein einiger Schöpfer jei von allem,
was ift. Wie er nun auch von ben
unvernünftigen Thieren zu den ver—
nünftigen, nämlih den Menfchen,
fehreiten wollte, jo hat er dies nicht
auf einmal gethan, jondern hat zu—
vor aud den anderen Thies
ren gewifje natürlide Ein:
ſichten, Kunſtſtücke und wißige
Handgriffe zu ihrem Wohle
mitgetheilt, jo dafs fie denen,
melde Bernunft haben, nahe zu
ftommen jheinen. Sodann Hat
er erſt den Menfchen als ein eigent-
lih vernünftiges Thier gejchaften.
Biſchof Nemefius.
Milde Barmherzigkeit ift das echte
Merkmal von Seelenadel.
Shatejpeare.
Der betet reiht, wer innig liebt
So Menſch wie Thier, jo groß wie
klein,
Der allen gerne hilft und gibt
Und freundlich lindert jede Pein;
Blickt Gott doch aus dem Himmels—
zelt,
Mit gleicher Lieb' auf alle Welt!
S. T. Coleridge.
Wer irgend ein Geſchöpf des Höchſten
Verächtlich wagt gering zu ſchätzen,
das unſeres Nächſten.
Jeremias Bentham.
Man erkennt, daſs manche Thiere in
vielen Eigenſchaften dem Menſchen
gleichſtehen und in Liebe, Treue,
Pflihtgefühl, Gewiſſenhaftigkeit und
Aufopferung Größeres leiften als die
Mehrzahl der Menſchen, welche jo
hochmüthig auf fie Herabbliden.
Samuel Smiles.
Wenn man zugibt, dafs die Thiere
gleihartige Wefen wie wir felbft find,
weil nad gleihen Plan angelegt und
nur graduell verfchieden — mag man
fie anfehen wie man will — jo muſs
man auch zugeben, dajs fie ebenfalls
Rechte haben. Diefe Rechte jollten in
feinem Falle Haftig und unehrlich bei—
feite gejegt, vielmehr umfo gewiſſen—
after erwogen werden, weil Civili—
fation und Erfindungen den Thieren
täglih mehr und mehr unmöglich
machen, ihre Unabhängigkeit zu be=
haupten oder gewiflermaßen in ber
Sache ſelbſt gehört zu werben.
Lawſon Zait.
Die Thiere Haben, wie wir,
‚Schmerz und Luft, fie erfennen das
Gute und Böſe nit, aber fie
empfinden 8... Gie willen
nicht, dafs fie da find, aber fie
fühlen es. Buffon.
Der zeigt ſich als beſchränkter Geiſt. Diejenigen Thiere, welche unter
Wordsworth. der unmittelbaren Herrſcheft des
In dem Auge jedes Thieres liegt Menſchen leben, fühlen ihren
ein Schimmer von Menſchenverſtand, Schavenſtand; fie wiſſen, daſs
ein ſeltſamer Strahl höheren Lichts, das Weſen, welches ſie ſtraft, die
der nach dem Geheimnis unſerer Freiheit hat, es zu thun oder zu
Oberherrſchaft zu forſchen und den laſſen; fie ſchmiegen und unterwerfen
Beſitz einer Seele zu beſtätigen ſcheint. ſich daher, wenn fie ſich ſchuldig
John Ruskin. glauben oder wenn ſie meinen, den
Die Frage iſt nicht: Können die Menſchen erzürnt zu haben.
Thiere denken? oder können fie jpre- Cuvier.
chen? ſondern: Können ſie leiden? Die Thiere find bewunderungs—
das iſt der Hauptpunkt bei der Sache. würdige Bücher, in welchen das große
Weſen die fennbarften Züge feines
höchſten Verſtandes in der Kürze zu—
jammengefajst hat. Bonnet.
Die Thiere ſogar lernen viel.
Sie haben Sinne, ſie müſſen Gebrauch
davon machen lernen; fie Haben
Bedürfnifie, fie müſſen dieje zu be=
friedigen lernen; fie müſſen freilen,
gehen, fliegen lernen. Die vierfüßi-
gen Thiere, die fich gleich von ihrer
Geburt an auf den Beinen erhalten,
verftehen deswegen noch nicht zu lau—
fen; man fieht es ihren erſten Schrit=
ten an, dafs es fehr ungewiſſe Ver—
ſuche find. Die aus ihren Kaäfigen
entwifchten Sanarienvögel können
nicht fliegen, weil fie niemals geflo=
gen find. Kür befeelte und mit
Sinnen begabte Weſen ift
alles Unterridt.
Rouſſeau.
Die Thiere lernen und vervoll—
kommnen das, was man fie lehrt, fie
corrigieren ſich, kennen die Freude,
haben Gedächtnis und eine gewiſſe
Zahl von Ideen.
Voltaire.
Wie kann man behaupten, daſs
der Menſch allein die Fähigleit des
Sprechens habe, und daſs ſie den
Thieren fehle? Man mußs blind fein,
um nicht zu jehen, daſs die Thiere
imftande find, jich ihre Gedanken ge—
genjeitig wmitzutheilen durch Mittel,
welche, wenn auch verjchieden von
denen des Menſchen, nichtsdeſto—
weniger die verſchiedenen Formen der
Sprache darſtellen.
Profeſſor Broka.
Unleugbar empfinden die Thiere
Schmerz und Vergnügen; ſie haben
Zuneigung und Abneigung, in zwei—
felhaften Fällen denken ſie nach, ſie
erinnern ſich der Vergangenheit,
änßern Traurigkeit, Liebe, Haſs,
Furcht, Zutrauen u. ſ. w.
Jenkin Thomaſins.
Roſegger's „„Grimgarten‘‘, 11. heft. XV.
Nicht beſſer als ein Thier
Iſt jedes Menſchenkind,
Da Thiere beſſer noch
Als böſe Menſchen ſind!
Saadi.
Alles was eine Seele Hat, dentt;
alles was Gefühl Hat, empfindet;
alles was liebt, hat das Recht, ge—
liebt zu werden, und alles was leidet,
bat Anspruch auf unfer Mitleid. Da
fehlt keine Stufe auf der Leiter der mit
Empfindung begabten Gejchöpfte vom
Thiere bis zum Menſchen Hinauf.
Ohne Trage fteht der Menſch auf
diefer Erde auf der höchſten Stufe,
aber er Sieht unter fich feine irdijchen
Mitbewohner, er ift ihr König, darf
aber nie ihr Tyrann werden, Gerech—
tigkeit hat Gott angeordnet nicht nur
zwifchen Menſch und Menſch, fondern
zwifchen Menſch und der ganzen be=
jeelten Schöpfung. Ungereht fein,
heißt fih an Gott verfündigen. Wenn
wir unfere Herrſchaft über die Thiere
nicht mifsbrauchen, finden wir in
ihnen Diener und Freunde, beim
Miſsbrauch nur Schlahtopfer, durch
welche der Tyrann ſelbſt demoralifiert
wird. Zwiſchen Graufamfeit gegen
Thier umd gegen Menſch liegt der
Unterfchied nur in der Berfchiedenheit
des Opfers. Schließt man das Thier
in den Kreis der Pflichten und des
Mitleides ein, wie fie uns geboten
find, jo arbeitet man an der Ver—
befierung des Menſchengeſchlechtes
ſelbſt. Lamartine.
Man hüte ſich wohl zu jagen,
daſs die Gerechtigkeit gegen unſeres—
gleichen und diejenige gegen die Thiere
verſchiedene Dinge ſeien. Es gibt
nur ein Recht für alle. Jedes Ge—
ſchöpf auf dieſer Erde Hat dadurch,
daſs es empfindet, leidet und arbeitet,
Rechte, und dieſe Rechte ſind heilig!
umſo unantaſtbarer werden Diele
Rechte, wenn es ſich um Weſen han—
delt, die in der That zur Familie
gehören, da fie unſere Hausfreunde
r
55
866
und die Gäſte an
ind...
Immer bleibt noch das
fiherftie Mittel, fih in der
Menfhenliebe zu üben, dafs
man damit anfange die
Thiere zu lieben.
Gharles Gilde.
Es ift der Gipfel der Thorbeit,
den Thieren die intellectuellen Fähig—
feiten abzufpreden. Sie fühlen, jie
denken, fie urtheilen und vergleichen,
fie zeigen Liebe, und oft find ihre
Sinne feiner als die unferigen.
„Systeme de la nature.“
Mie feltfam ift des Menjchen Stolz!
Ih ſag' dir: alle jene Wejen,
Für die des Grafes Schwacher Halm,
Der mit dem Morgen ſprießt
Und vor dem Mittag dorrt,
Ein umbegrenztes Weltall ift; —
Ich fag’ dir: jene unfichtbaren Wejen,
Die in dem Heinften Theil
Des freien Athers wohnen,
Sie denten, fühlen, leben
wie der Menfd;
Und ihre Liebe und ihr Hals erzeugt,
Wie bei dem Menjchen, das Geſetz,
Das all’ ihr Thun beherricht ;
Und die geringite Wallung,
Die ihren zarten Leib
Unmerklich faſt durchzuckt,
Iſt unerläſslich und beſtimmt,
Wie das erhabene Geſetz,
Das jene Sonnen lenkt.
Shelley.
unſerem Herde | werdet fie dadurch zugleich in der
Achtung und dem Wohlwollen be—
feſtigen, die ſie als Menſchen den
Menſchen ſchuldig ſind.
Kirchenpropſt Prof. Dr. 2. Smith.
Die religiöje Ehrfurcht vor dem,
was unter uns ift, umfajst natürlich
auch die Thierwelt und legt dem
Menſchen die Prliht auf, die unter
ihm stehenden Gejchöpfe zu ehren und
zu ſchonen. Goethe.
Im Fleiß kann dich die Biene meiltern,
In der Gejchidlichfeit der Wurm dein
Lehrer fein.
Stiller.
Der Menfchen ältere Brüder find
die Thiere. Ehe jene waren, waren
diefe . . . Freilich it die Erde dem
Menfchen gegeben, aber nicht ihm
allein, niht ihm zuvörderft.
Herder.
Hier bemerfe ich nur, daſs die
Menfchen, indem fie fih allmählich
die Herrſchaft über die Thiere er=
worben, das Meiſte von Thie—
ren ſelbſt lernten. Dieje waren
die lebendigen Funken des göttlichen
Verftandes, von denen der Menich in
Abſicht auf Speije, Lebensart, Klei—
dung, Gejchidlichkeit, Kunft, Triebe
in einem größeren oder kleineren
Kreiſe die Strahlen auf ſich zuſam—
menlenkte. Herder.
Die Schöpfung iſt für jedes ein—
Eine jede Miſshandlung des zelne Glied Mittel, und jedes Mittel
Thieres ſtößt den Menschen von dem
Grade der Vollkommenheit Hinab,
worauf er ftand, und legt der Boll:
ift wieder Zwed. Nicht blog für den
Menfchen fließt das Ganze, um ihn
zu tragen, zufammen; auch für jedes
kommenheit, die er fonft erreicht haben | Thier gehen die Strahlen in einem
würde, Hindernilje in den Weg.
Kirhenpropft Prof. Dr. 2. Smith.
Lehrt die Jugend, dem Thiere | worin
das Mohlwollen, die Achtung und! und alle einem dienen.
Brennpunkte der Wärme Ddesjelben
zufammen. Die Schöpfung ijt gleiche
fam die größte organische Natur,
ein Glied allen Gliedern
Für das
das Recht widerfahren zu laflen, die) Schaf ift die Wiefe und der Bach
ihm al3 einem lebendigen Wefen und | gefchaffen. Der Menſch kann nur das
Geſchöpfe Gottes gebühren, und ihr für etwas Beltimmte für ein Drittes
—
T a
— — —— — — —
867
beſtimmen, und zwar folglich durch |vergebliches Streben, die Schranken
einen Sprung und Zwang; die Na—
tur aber hat Schon alles eingeleitet.
Jean Paul.
Das Thier werde auf jede Weiſe
dent Kinde nahe gebracht, die Berech—
tigung von deilen Leben und Wohl—
befinden möglichit dargeftellt und die
fleinften Wejen durch ein Vergröße—
rungsglad dem Seh: und Denfver:
mögen anheimgegeben. Leibnitz
ſetzte ein Thierchen, das er lange an—
geſehen, ungetödtet auf ein Blatt;
dies jei Gebot dem Kinde!
Jean Paul.
Das Kind lerne alles thierifche
Leben heilig halten.
Sean Paul.
63 ift der Menſch, der in dem Men:
ſchen Handelt;
Im Thiere waltet die Natur.
Das Thier lebt immer jebt, der
Menſch lebt immer künftig.
Thier ift Halbvernünftig durch
Inſtinct,
Indes der Menſch Halb unvernünftig
Herab von ſeiner Würde ſinkt.
Tiedge.
Das
Mir kennen die Thiere ſehr wenig.
Wir unterſcheiden viel zu wenig die
einzelnen Thierclaſſen. Beim Dreſ—
ſieren der Thiere, wodurch wir eine
beträchtliche Biegſamkeit ihrer Anlage
kennen lernen, wird meiſt ein falſcher
Be griff zugrunde gelegt wie bei ſchlech—
ter Erziehung des menschlichen Kindes.
Das Thier nimmt feine Dreffur an,
außer nach den inneren Geſetzen feines
Wejens, und der größte Theil
des Dabei angewandten Zwan—
ges ift ohne Zweifel grobe
Miſshandlung, jelbit wenn der—
jelbe nützlich fein follte zur Erreichung
des Zweckes, da man das Thier nur
als Thier gebrauchen will. Wer junge
Ihiere beobachtet hat, dem kann die
Bemerkung nicht entgangen fein, wie
ort fie fich bemühen, ihre Vorder—
pfoten als Hände zu gebrauchen, ein
ihrer Organifation zu überſchreiten.
Herbart.
Ein wahrer Menfchenfreund küm—
mert ſich jelbit um die Noth eines
Wur mes. Bogumil Golf.
Es iſt gewiſs, daſs der Menſch
nicht eher und nicht anders gegen
jeinesgleihen barınherzig werben wird,
bis er es gegen die Thiere geworden.
Bogumil Golktz.
Man kann die Thiere verachten
und hochſchätzen, haſſen und lieben;
Unwiſſenheit und Hochmuth lehren
uns das erite, Kenntnis und Demuth
das zweite,
Prof. Beter Scheitlin.
Thierquäler Herren oder
Knechte, Eonductenre oder Poſtillons,
Schlächter, Jäger oder Arzte, Mägde
oder Naturforfcher — find der Melt
Fluch.
Prof. Peter Scheitlin.
Die Thiere ſind nicht nur in
phyſiſcher, ſondern auch im intellec—
tueller und moraliſcher Beziehung ein
auseinandergelegter Menſch.
Prof. Lorenz Ofen.
Die Criminalgefhichte zeigt uns,
wie viele Menfchenquäler und Mörder
vorher Ihierquäler gewejen find. Wie
eine Nation durchſchnittlich die Thiere
behandelt, ift ein Hauptmaß ihres
Humanitätswertes.
David Strauß.
Nur die Furcht, nicht die Liebe
treibt die meilten Menfchen, die Rechte
ihrer Mitgefchöpfe zu achten, während
lie durch die Zuneigung zu ihren
Mitgefhöpfen und das Gefühl der
Heiligkeit ihrer Rechte von Verletzunu—
gen derjelben fern gehalten werden
jollten. Der kleine Käfer, der auf die
Hand eines Meuſchen friecht, das
Lamm, das er am Stride führt,
kaun feine Rechte gegen ihm wicht
geltend machen. Allein der Mensch,
55*
J
der Liebe und Gefühl für Recht nehmungsgabe, Urtheil, Schlufsfähig-
bejigt, wird fie dennoch achten. feit; es bewahrt ſich gemachte Erfah:
Guſtav Strupde, rungen auf und benußt fie; es erkennt
Forscht man nach den Urſachen Gefahren und denkt über die Mittel
der Thierquälerei, ſo findet man zwei nach, um ſie zu vermeiden; es be—
Hauptmomente, auf welche ſich alle weist Neigung und Abneigung, Liebe
anderen zurückführen laſſen: Roheit gegen Gatten und Kind, Freunde und
des Gemüthes und mangelhafte Kennt- Wohlthäter, Haſs gegen Feinde und
nis über das Weſen des Thieres. Widerſacher, Dankbarkeit, Treue, Ad:
Prof. Ludwig Shmarda. kr und ae a Er
Vereine, welche ſich die beſſere Shmerz, Zorn und Sanfmuth. 1
Behandlung der Thiere zur Aufgabe und Klugheit. Ehrli chleit ‚und Ver⸗
ſtellen, wirken veredelnd auf die Ge— ‚Thlagenpeit. Das Unge Zhier rechnet.
ſammtmaſſe und jeder, der die Thiere bedentt, erwägt, ehe es handelt. das
aus Grundſatz und Überzeugung wohl— gefühlvolle jept mit Bewufstfein
allen en er ih — Freiheit und Leben ein, um ſeinem
i i Drange zu genügen. Das
zu feiner Mifshandlung feines Reben- Uneren ‚ger
menschen hinreißen lafjen. Umgekehrt Thier hat von Gejelligteit ehr hohe
' a 5 | Begriffe und opfert fih zum Wohle
aber fehen wir, daſs ein granjames | 9 h
Verfahren gegen die Thiere nachtheilig der Geſammtheit; es pflegt Krante,
auf den Charakter wirkt, das Gemüt Unterſtützt Schwächere und theitt mit
verhärtet und endlich ſehr leicht zu Dungerigen feine Nahrung. Es über:
einer harten Behandlung der Merz windet Begierden und Leidenſchaften
ſchen führt. und lernt ſich beherrſchen; es zeigt
Prof. Ludwig Schmarda. alfo auch ſelbſtändigen Willen und
Die Thi den für den IR Willenskraft. Es erinnert ſich der
fh = a en Vergangenheit jahrelang und gedentt
nehmen en deren Handlungen ex | [080 r : Zutunft; ie ea en
beobachtet, und manche, die ihm vor— —— Eu:
theilhaft dünken, in feiner Weife nach- Dean darf bei allen Fragen der
ahmt. Gewiſſe Thiere Haben zum Geiſtesthätigkeit der Thiere nicht ver—
Menjchen einen ſympathetiſchen Zug, geſſen, daſs unfere Erklärungen von
wie er die gleiche Freude an Jagd gewiſſen Vorgängen im Thierleben
und Kampf, und fo konnte fich der kaum mehr als Annahmen find. Wir
Mensch den Hund und das Pferd zus verſtehen das Thier und fein Wejen
gefelten, während andere ſich feiner im günftigften Falle nur zum Theil.
Herrichaft unterordneten. So gelang | Bon jeinen Gedanten und Schluſs-
es dem Menſchen, im Laufe der Jahr» Folgerungen gewinnen wir zumeilen
taufende eine Anzahl nüplicher Thiere eine Vorftellung ; inwieweit diejelben
zu domefticieren, von welchen einige aber richtig find, wiſſen wir nicht.
jo wichtig find, dafs er ohne Brehm.
lie ta * die höheren Cultur— Noch ſind wir weit entfernt, das
ſt ner erreicht hätte, thieriiche Leben erkannt zu haben und
Prof. Marimilian Perty. noch Studieren wir am Thiere in der
Das Säugetdier befigt Gedächtnis, |Abjicht, uns ſelbſt kennen zu lernen.
Veritand und Gemüth und hat daher | Aber fchreiten wir in unferer Erkennt»
oft einen ſehr entichiedenen, beſtimm- nis dor von Jahr zu Jahr, von Tag
ten Charakter. Es zeigt Unterfcheis zu Tag und ſchon lange haben wir
dungsvermögen, Zeite, Orts, Farben uns einverſtanden erklärt mit Scheit—
und Tonfinn, Grlenntnis, Wahr: |lins goldenen Worten: „Alles
868
| _ .
869
Thier it im Menſchen, aber
niht aller Menſch ift im
Thiere,“ Brehm.
Es ift heute ein von allen empi—
riihen Piychologen oder nah Er—
fahrung urtheilenden Seelenkundigen
angenommener Grundjag, daſs auch
die höchſten Seelenfähigfeiten des
Menjchen im niederen Regionen zu
feimen anfangen und dafs die geiſti—
gen Thätigkeiten, Fähigkeiten, Gefühle
und Neigungen de3 Menjchen bis zu
einem faft unglaublichen Grade in der
Thierfeele bereit3 vorgebildet und vor=
handen find. Liebe, Treue, Dankbar—
feit, Pflichtgefühl, Gemifjenhaftigfeit,
Freundſchaft und Nächſtenliebe, Mit-
leid und höchſte Aufopferung, Gefühl
von Recht oder Unrecht, aber auch
Stolz, Eiferfuht, Haſs, Heimtücke,
Hinterlift, Rachegefühl, Neugierde
u. ſ. mw. kennt das Thier ebenjomwohl
wie berechnende Überlegung, Klugheit,
höchſte Schlaudeit, Vorausſicht, Sorge
für die Zufunft u. ſ. w.; ja fogar
die dem Menfchen allein zugefchriebene
Sourmanderie oder die Fähigkeit des
Fortſchrittes theilt es mit dem erjteren.
Es kennt und betreibt auch die Ein
rihtungen oder Principien von Staat
und Gejellihatt, von Sclaverei und
Rangordnung, don Haus- und Feld—
wirtſchaft, von Erziehung, Kranken—
pflege und Heilkunde; es macht die
wunderbarſten Bauten von Häuſern,
Höhlen, Neſtern und Wegen; es hält
Verſammlungen, gemeinſchaftliche Be—
rathungen und ſelbſt Gerichte über
Verbrecher oder Schuldige ab; es
trifft die genaueſten Verabredungen
mit Hilfe einer ausgebildeten Laut-,
Zeichen- und Geberdenſprache; es
erinnert ſich der Vergangenheit und
lernt aus Erfahrung und iſt mit
einem Worte ein ganz an—
deres und weit höher begab-
tes Weſen, als die Mehrzahl
der Menjhen weiß oder aud
nurahnt.
Prof. Dr. Ludwig Büchner.
Die Zeit ift vorüber, wo man
dem freien Menfchen die Thiere als
wandelnde Maſchinen, al3 Automaten
ohne Seele gegenüber ftellte. Eine
eingehendere Betrachtung des Thier—
lebens, die eifrige Bemühung und
das Berftändnis ihrer Sprache und
der Motive ihrer Handlungen Hat
gezeigt, dal der Menſch von den
höchſten Thieren, ebenjo wie die Thiere
untereinander, nur graduelle, aber
nicht wejentliche Unterſchiede der gei-
ftigen Befähigung zeigt.
Eduard von Hartmann.
Der Schmerz des Thieres fteht im
Berhältnis zu der Empfindungsfähig-
feit desjelben; aber wenn er aud in
niederen Sphären geringer fein mag,
fo ift er dennoch micht minder reell
und im der That für das Thier nicht
weniger ein Übel, al3 füc uns.
Karl Bogt.
Auch an den Thieren beobachten
wir ja Erjcheinungen, die auf ein
Empfinden, Fühlen, VBorftellen und.
fogar Denken hinweiſen.
Brof. Wilhelm Wundt.
Das Thier Spricht durch Mienen,
Geberden und Laute eine ſehr deut—
fihe Sprade und es gelingt bei mur
einigermaßen anhaltender Aufmerk—
ſamkeit immer, diefe Sprache zu er—
lernen . Die Laut» und Geber:
denſprache enthüllt uns vollkommen
die Zuſtände des thieriichen Gefühles
und das Begehren der Thiere ertheilt
uns auch über ihr Erkenntnisvermö—
den genügenden Aufichlufs.
Prof. Dr. Guftav Jäger.
Unfer Schlufs in Betreff der
Menfchenwürde ſei dahin gefafst,
dafs dieje genau erſt auf dem Punkte
fih Pdocumentiere, wo der Menfch vom
Thiere fih durch das Mitleid auch
mit dem Thiere zu unterſcheiden ver—
mag, da wir vom Thiere andererjeits
jelbjt das Mitleiden mit dem Mens
ſchen erlernen können, Sobald Ddiejes
—
870
vernünftig und menſchenwürdig von
uns behandelt wird. Auffaſſung,“ als ob der Schuß der
Richard Wagner. | Thiere bloße Sache des Gefühles jei.
Es gefchehen viele Grauſamkeiten | Die Ihierfreunde rufen das Gefühl für
an den Thieren. Da muſs man da= ihre Schüßlinge an; aud die Gegner
gegen arbeiten und das Mitleid er- | bekämpfen meiftens die humanitären
weden. Ich wirke viel auf meine Beltrebungen für die Thiere eben—
Kinder ein, dajs fie fich ein gefühl: | Falls im Namen des Gefühles. Allein
volles Herz auch gegen die Thiere die Tragweite des Thierſchutzes reicht
bewahren — wir alle im Kaiſer- | weit über die bloße Gefühlsſphäre
baufe sind thierfreundlich hinaus. Er ift eines der wichtigften
gefinnt Ich bin and der Meiz pädagogiſchen Hilfsmittel und beein:
mung, dafs einer, der Thiere quält, Flujst Wollen und Handeln
fein auter Mensch fei, und auch von bis zu den höchſten ſittlichen
Verbrechen gegen die Menſchen wicht Beziehungen.
zurüdjchreden wird. i Franz von Nemmersdorf,
— a 8 de Die Worte des Lehrers, des Prie—
Die ethiſche Seite des Thierſchutzes fters der Humanität, die ftrengften
beiteht darin, dafs derjelbe die Ge- Vorſchriften des Geſetzes werden ewig
ſinnungsroheit nicht nur im Intereſſe nußlos bleiben, wenn nicht ſchon im
der Thiere, jondern und vorzugsweile) Eiternhaufe feldft der Grund gelegt
zum Beſten der Menſchen jelbft bes | wird zu jener einzig menſchenwürdi—
dämpft ... Das Mitgefühl, das Erz gen Dent» und Gefühlsweife, die
barmen entjpringt feinem Nützlichkeits- Juch in den Thieren Sejhöpie
principe, es iſt Herzensſache. Das Gottes erblidt.
reine Mitleid iſt es, welches uns ber ——
wegen ſoll, dem Thiere unnöthige rei, nr —
Martern zu erſparen und es zu jchos) Wir Haben Beweiſe, daſs auch
nen, ſoweit es möglich ift. ı Thiere die Begriffe des Guten und
Propſt Qandfteiner, des Böſen unterſcheiden, ſomit bes
ſitzen. Dr. Eduard Reid.
Die überwiegende Mehrzahl der! i ,
Menſchen ift gegenüber dem Ihiere| Der jeufzenden Greatur ihr ges
von einem wahren Hochmuthsteufel Plagtes Leben zu erleichtern, ift eine
beſeſſen und lebt in dem verhängnig- heilige Pflicht, aber auch eine köftliche
vollen Wahne, die bloße Ihatfache, Aufgabe für jeden Menſchen, der
als Menſch auf die Welt gekommen barmherzig fein will, wie jein Vater
zu jein, verleihe ihm das Necht, über | IM Himmel barmherzig iſt. Sage
alle anderen Mitgeſchöpfe eine unein= mir, wie du mit den Thieren
geichränfte Herrſchafi auszuüben. Nun umgehſt, jo will ich dir jagen,
hat Gott den Menſchen allerdings zum | wer du bi ft.
Es beiteht ziemlich allgemein die
Herrn der Schöpfung gemadt, wohl:
gemertt zum Herrn, nicht aber zu
ihrem Satan. Gebrauchen dürfen wir
die Thiere, müſſen es jogar, indeſſen
iſt es uns wicht gejtattet, fie zu miſs—
brauchen. Der Menſch, welcher grau:
ſam ift gegen ein Ihier, entäupert
ſich ſelbſt der Krone, die ihm fein
Gott auf das Haupt geſetzt hat.
Emil Marriot.
Pfarrer Emil Knodt.
Nah dem Naturrechte haben Die
Menjchen gegen die Ihiere ebenfo
heilige Pflichten wie gegen die Men—
Ichen. Juriſt Dommel.
Die Ihierfchuß- Vereine find ver—
pflichtet,“ mit äußerſter Anjtrengung
zu verhindern, dafs der Menich an
| Thieren zum Teufel werde; denn Die
s71
Pflege der Menjchenwürde ift die |bürger haben, inftändig, das Beſtre—
erfte Aufgabe diefer Vereine.
Dr. jur. von Hönigsberg.
Das vom Weltenmeiſter geichaffene |
Thier ift dem Menjchen untergeordnet
und fieht zu feinem Nuben zwar in
dejien Dienften, aber auch in Gottes
Schuß. Jedem das Seine. Dem Men—
jhen, was dem Menjchen gebührt,
aber aud dem Thiere, was diejem
gebührt. Amtsrichter E. O pi.
Der jämmerlichite Yump, welcher
feine Spur menſchlicher Würde und
Tugend in ſich trägt, hat immer noch
das Recht, das geiftig entwideltite
Thier zu mijshandeln, zu tödten nad)
jeinem Belieben!
Karl Wartenburg.
Es ift zu loben, daſs Thierfreunde
den Abſchen oder den Haſs gegen
widerliche Thiere, wie Kröten, Spin=
nen und dergleichen zu bekämpfen
ſuchen. Man rieth, dies dadurch zu
thun, dafs man auf den wunderbaren
Organismus auch der geringften und
bäjslichften Geſchöpfe oder auf gute
und nützliche Eigenichaften derjelben
aufmerkſam made. Solde Betrach—
tungen jind wohl geeignet, den Wider—
willen gegen verachtete Thiere zu
heben. Edmund Dorer.
Nachdem ich viele Jahre, joweit
mir möglich, Für Abſchaffung von
ben der deutfchen Thierſchutz-Vereine
für Abſchaffung der beim Schladhten
vorkommenden unnöthigen Thiermar—
tern zu unterſtützen.
Elpis Melna.
Es nicht lediglich mangelndes Ge—
fühl, wodurch das Recht der Thiere
verletzt wird, ſondern ebenſoſehr Ge—
dankenloſigleit oder Miſsachtung,
hervorgegangen aus einer
irrigen Weltanſchauuug. Denn
die Thiere Haben wohlbegründete
Rechte, welche zu verletzen ſtrafbarer
Frevel iſt; ſie Haben nicht bloß An—
ſpruch auf unſer Mitleid, ſondern
auch auf unſere Gerechtigkeit .
Die Moral aller Religion erlennt an,
dafs wir Pflichten gegen die Ihiere
haben. Im Alterthume bildeten Thiere
einen weſentlichen Beſtandtheil des
Cultus, und es iſt dies bei manchen
Völkern noch der Fall; die Philo—
ſophie und Religion der Inder räumt
den Thieren eine hohe Stelle in der
Reihe der Weſen ein, die des Islam
berückſichtigt ſie mit Sorgfalt und die
moſaiſche und chriſtliche Religion ent—
halten Vorſchriften zur Wahrung ihrer
Rechte.
Dr. Auguft Aderholdt.
Ich will nicht Ruhm, nicht Lob, noch
Ehre,
Ihierquälerei zu wirken juchte, habe | Biet’ ich der Thiermifshandlung Truß;
ih in leßter Zeit eingefehen, dajs die | Ausbreiten nur will ich die Lehre,
Quälereien bei dem jet üblichen | Daſs Thiere ſchützen — Menſchenſchutz.
Schlachtverfahren weitaus die vers
breitetften find. Ich bitte deshalb
unfere Gejeßgeber, unſere Verwal—
tungs= und Gemeinde-Beanten, un—
jere Geiftlihen und Lehrer, unſere
Schriftiteller und Zeitungsredacteure,
fowie alle guten Menjchen, welche
Einfluſs auf das Thun ihrer Mit:
| W
ir pred'gen in dem Schuß
der Thiere
Zum Deil der Menſchen —
Menſchlichkeit.
Wir ſind nur erſt die Pion—
niere
Für eine ſpät're beſſ're Zeit.
J. F. 6. Kühtmann.
Was zieht Geld aus dem Bentel? | mord, eine Leidenberaubung, eine Revolte,
das Treiben einer Falſchmünzerbande
Die beiten Bücher find e3 befanntlih u. j. w. — oder auch „Romane“ wie
nicht, die das Volk liest umd zu lejen die von Söndermann und Victor v. Falk,
befommt. Alles Liest zwar heutzutage. | der beiden „Lieblingsjcriftiteller des
Und da3 naive Bolf, es ift wahr, e3 will | deutichen Volkes“ (!), mit Gapitelüber-
vorzugsmweile etwas Wadendes, Inter: | jchriften, wie 3. B. die folgenden: Der
effantes, einen ſtarken Außeren Neiz in Mord auf der Liebesinjel; Die Beichte
jeiner Zectüre haben — e3 ift nun ein» der Dirne; Die Piraten der Spree;
mal jo, und die „Gebildeten“ machen es ja
oft nicht viel beſſer in dieſen Dingen. Dieſen
Reiz aber haben allzu kluge Specus
lanten, die niederen Triebe gerade im
Menſchen bercechnend, mit der Zeit zum
Überreiz gefteigert, das Inter
ejjante zum Senjationellen zu—
zuipigen verftanden und das Packende
ſchlechtweg nur mehr als das Pikante
genommen. Solche Koft, ſolche geiftige
‚Gift und Dynamit; Hinter der Kirch—
hofdmauer ; Die Bauernfänger von Ber:
lin; Im Bellengefängnis zu Moabit;
Die Geliebte de3 Prinzen; Die ſchöne
Nipiliftin; Das Bombenattentat; Die
Ihönen Frauen des Harems; Das Ver:
|breden im Kerker; Der Hoditapler ;
Galgenvögel; Die unheimlihe Kiſte;
Auf Piſtolen ... ꝛc. ꝛc.; jo allein nur
iſt es endlich zu erklären, wenn einer
Nahrung iſt es vor allem, bie heute | ber Hauptmifjethäter auf diefem Gebiete
von gewiſſenloſen Freibeutern in jenen | eine neue Ausgabe des „Schinderhannes “
zabllojen „Schund-, Schand- und Schauer- | mit nachitehenden, ſchier unglaublih dün-
romanen“ dem gemeinen Mann als Leſe. | tenden Worten onfündigt: „AS eine
ftoff vorgejeßt wird; jo nur fonnte es | kräftige, feurige Jünglingsgeftalt, ringend
fommen, daſs unjerem Nolte in jeinen | und fümpfend mit feinem tragijchen (!)
ärmeren Schichten zu unjerer Zeit ein Geſchick, tritt uns Schinderhannes,
Roman, wie der nichtswürdige „Scharf:
richter von Berlin“, geboten werben
durfte, der auf den eriten 240 Seiten
nicht weniger als 12 ausführlich ge
Ihilderte Schand- und Grenelthaten ent:
hält, darunter eine unrechtmäßige Hin-
richtung, einen Kinderraub, eine Orgie
in der Banditenfneipe, einen Watermord,
einen Einbruch, einen verjuchten Gift
Deutſchlands größter Räuber-
bauptmanın, Hier entgegen, Wenn
auch die Leidenjchaft diefen mild und
‚ zügellos, in trüber, trauriger Zeit auf-
gewacdjenen Sohn der Rheinlande auf
‚die Dahn des Verbrechens getrieben, jo
‚war e3 auch wiederum die ihn ganz be»
herrſchende Macht der Liebe zu Julia,
dem jungen, unjchuldigen Mädchen, Die
jeinem mildbewegten Räuberleben ein jo
eigenthümliches Gepräge verlieh. Immer
wieder verſuchte e3 Julia, die durch ihre
imponierende Schönheit, jowie durch ihr
tiefes, fittenreine® Gemüth einen unbe»
zwinglichen, veredelnden Zauber auf den
fübnen Banditenchef ausübte, den
geliebten Helden (!) dem Verberben zu
entreißen ; aber das Verhängnis (!) er-
faiste nur zu bald wieder den Wankel—
müthigen, um ihn anf diejenige Bahn
zurüdzufchleudern, die ihn ins Verderben
führen muſste und ſchließlich auch auf
das Blutgerüjt brachte“ u. ſ. f. u. ſ. f.
Fürwahr, man braucht dabei noch
gar nicht an die möglichen und that—
jählihen Wirkungen diejer Lectüre zu
denfen, deren Nachipiel wir gewöhnlich
dann im den Gerichtsjälen begegnen, um
fich zu jagen, dafs es bier die Menjchen
zum mindeften von einem „Seelenjtaube*
zu reinigen gilt; man braucht auch nicht
eritt an Ericheinungen wie den Geld»
brieiträgermorb Francesconis und jeine
Gefolgen oder den Mädchenmörder Schenk,
noh an jene Unzahl von Golportage-
Romanen zu erinnern, welche nad der
Kataftrophe von Schloſs Berg oder dem
Drama von Meverling wie Pilze aus
der Erde hervorſchoſſen, um fich einzu-
gejtehen, daſs hier eine planvolle Ber:
giftung der Volksſeele vorliegt, deren
Folgen nicht ernjt genug von uns ins
Auge gefajst werden können. Mit gutem
Rechte jagt ſchon Müller-Guttenbrunn in
jeiner vortrefflihen Heinen Schrift über
„Bolfslectüre” : „Als ein erſchweren—
der Umftand jei es zu erachten, daſs
die Leſer dieſer Romane gevade den
tiefiten Schichten der Bevölkerung ange
hören.“
Der Golportage-Roman, indem er
die Schledtigkeiten in der Regel oder
doch mit einer gewillen Vorliebe in Die
höheren Schichten verlegt, die Schurfen
und Äntriguanten vorzugsweile in den
böchiten Kreiſen juchen lehrt, dagegen die
Räuber und Mörder mit dem Glorien—
jchein der Tugend umgibt und die Ver-
brecher zu Volkshelden erhebt, hat nicht
nur ein Zerrbild der Welt wie des Le
ben3 dadurch geichaffen, jondern auch
jeine 2ejer mehr und mehr entwöhnt,
den Dämon des Menſchen da aufzu-
fuchen, wo er thatjächlih wohnt: in der
Brujt eines jeden, ob hoch oder niedrig,
und wo er für einen jeden, er jtebe
auf welcher Stufe er wolle, zur Schuld,
zum Fehl der Gejinnung wird!
Alein die Sade hat noch ihre volks—
wirtichaftlihe Seite. Ein anjtändiges,
gutes Buch erreicht günftigen Falles und
der Regel nach befanntlid nur eine
Huflage von 1000— 5000, höchſtens
10—30.000 Eremplaren. Hier wird
ſchlechteſte Waare nahmeisfih in
einer Anzahl von 50.000 —100.000,
ja 200.000 und mehr aufgelegt, und
— was dabei jehr in die Wagſchale
jält — während bdiejelben Claſſen ſich
gar wohl befinnen würden, ein gutes
Bub bit zum Werte von 5 und 6 Mart
fich zu beſchaffen, hier laſſen fie ſich
in wöchentlichen kleinen Raten von 10
oder 20 Piennig mit der Zeit 10, 12,
13 bis 15 und 18 Mark bequem aus
der Taſche jpielen. Und die jogenannten
„Berleger”, fie bereichern fich dabei. Es
it notoriih, dajs man den Roman auf
ben Mäbdchenmörder Schenk jeinerzeit fait
in jedem Haufe Bayerns und Öfterreichs
vorfinden könnle; auf den König von
Bayern erichienen 13, auf den Tod
des Kronprinzen Rudolf entfielen allein
22, und über Johann Orth circufieren
jetzt ſchon wieder 4—5 jolder Madı-
werke, obwohl man doch noch Farm
Sicheres über die wirklichen Schidiale
de3 unglücklichen Erzherzog: erfahren
bat. Bon den „Todtenfeldern in Si—
birien“, einem Werke, das erit noch im
Erjcheinen begriffen iſt, jollen bereits
über 150.000 Exemplare abgejegt jein;
vom „Scarfridhter von Berlin“ weiß
man es beitimmt, daſs er in nicht we—
niger als 260.000 Eremplaren jeiner-
zeit „umgieng“. Bedenkt man, dafs ein
ſolcher Roman oft die Zahl von 130
Lieferungen erreicht, jo bedeutet das für
den betreffenden Verleger einen Umjat
von 1'%, Millionen Mark an einem
einzigen Werte! So befannte auch ein-
874
mal ein Golportage Buchhändler Süd»
deutichlands, deſſen Golporteure eine
ganze Provinz verjorgen, daſs er mit
dem „Einfiedler am Starnbergerſee“
allein einen Umjat von 45.000 Marf
fpeciell für fein Gejchäft erzielt habe;
Werner Grofje verjichert jelbit, daſs jo-
gar „Handlungen in Eleineren Orten
das Glüd gehabt hätten, bereit in
wenigen Wochen Taujende von Abos
nenten auf das Werk «Scinderhannes»
zu gewinnen“, und der Gommis eines
größeren Colportage-Groſſo-Geſchäftes
verrierh gelegentlih einmal: „bei ihnen
gehe es nicht mehr mur nach Hunderten
von Heften, jondern jchon Pfund» und
centnerweije ber“.
Niemals hat es einen himmeljchreiens
deren, dabei jo handgreiflihen und jo
iehr in die Augen jpringenden Noth—
und Übeljtand gegeben ; es ift die höchſte
Zeit, daſs ſolchem öffentlichen Unfug mit
durchgreifenden Mitteln entgegengearbeitet,
jenen Speculanten endlih durch eine
vox populi jelber das Handwerk gelegt
werde!
Mancherlei iſt jchon dagegen ver:
ſucht worden, aber noch nichts hat an—
geihlagen, weil man das einfachite md
beite Mittel bisher noch viel zu wenig
und nicht in der richtigen Meile ange»
wandt bat. Das greuliche Unweſen der
Golportageromane iſt nur dadurch mit
Erfolg zu befämpfen, dajs gute, volfs-
thümliche, unterbaltende, wirklich feifelnde
Erzählungen für jedermann auf dem
gleichen Wege, ebenjo bequem und da»
bei viel billiger zugänglich gemacht wer-
ven, als bisher die jchlechten zu haben
waren, Es ijt ein falſches Vorurtheil,
welches den Golportage-Buhbandel für
jene Schäden und Auswüchſe verant-
wortlich macht, auf den man fich viel—
mehr jtügen, mit deſſen Hilfe man ger
rade vorgehen muſs, wenn anders man,
jo wie die Dinge bier gelagert jind,
zum Biele fommen will. Und wenn jolche
Bücher künftig in vielen taujenden oder
hunderttanjenden von Stüden gleich auf
einmal gedrudt würden, dann wären fie
—
auch ein jeder ohne Ausnahme ſie ſich
anſchaffen fünnte.
Wie hoch die Wolken ſtehen.
So tief bei ſchlechtem Wetter Die
Wollen auch manchmal berabiinten, im
allgemeinen ſtehen jie doch viel höher,
al3 wir etwa anzunehmen pflegen. Über
zahlreihe Meflungen der Wolfenhöhen,
welche die ſcandinaviſchen Forſcher Haag»
jtröm amd Fall im Sommer 1887 zu
Storlien ausgeführt haben, liegt jett
eine Beröffentlihung vor, aus der zu
erjehen ift, daſs die neueren Beobach—
tungen mit älteren mehrfach überein-
itimmen, während anbererjeit3 gewiſſe
AUbweihungen vorhanden find. Als gleich
itellte ih hauptjächlid die mittlere Höbe
des Cirrus- oder Federgewölks heraus ;
fie betrug 8870 Meter über dem Meeres-
jpiegel. Doch erhob fih in Storlien dieje
Wolfenform im Marimmm bis zu 11.000
Meter und janf andererjeits bis auf
6750 Meter herab. Auf alle Fälle
ſchwankt jomit ihre Höhe um eine Meile.
Der Nimbus, jenes dunfle und dichte
Gewölk von großer Berticalausdehnung,
welches uns Regen und Gewitter bringt,
zeigte ähnliche Schwankungen; er gieng,
während er eine mittlere Höhe von
2260 Metern aufwies, bis 1200 Meter
berab und ſtieg bi 6350 Meter empor
(die Höhen immer auf den Meeresipiegel
bezogen). Der Stratus, die ausgedehnte
graue Schichtwolfe, ſchwebte in einer
Höhe von ungefähr 1600 Metern. Die
Methode, nah welcher die Wolken—
meſſungen vorgenommen wurden, bejtand
darin, dajs von zwei Standpunften,
deren gegenjeitige Entfernung gemeijen
wurde, diejelben Punkte der Wollen,
über welche ſich die Beobachter auf tele»
phoniichem Wege verjtändigten, mit Iheo-
dolithen beobachtet wurden, um jo Die
Winkel zu beftimmen, welde die nach
ihnen gerichteten Sehlinien mit der Hori-
zontalen bildeten, Mit Hilfe trigono-
jo billig herzuſtellen, dajs jeder, aber metriſcher Berechnung fonnte hienach Die
ſenkrechte Höhe der beobachteten Punkte
über der Standlinie und dur Addition
der Seehöhe der Örtlichkeit auch die
jenige über dem Meeresipiegel gefunden
werden. In einer Höhe von 12.000
Metern iſt ewig beiterer Simmel und
doh würde es in derjelben jelbjt zur
Hochſommerszeit fein Menih auch nur
eine Stunde aushalten können, ohne zu
erfrieren, Die Wolfen find uns auf
unjerem gewöhnlichen Erdenjtandpunfte
da®, was der Pelz dem Ungar: im
Winter jhügen fie vor Froſt, im Sommer
vor Hite. Aber wenn dieſer Pelz am
Himmel mandmal ein Lob befommt, jo
find wir darüber nicht unglüdlid. M.
Da blodagfteppadi Hons.
(A Schüknfiaur von E. 5. freuntballer.)
Enta da Kuhlftott, ban Molded, aum Onga
hindon ſteht a Keuſchn
Oanſchichti do; 8 ghert in blodagfteppatn
Honin; die Jaga
Suachan an gor fo gern hboam und d
Stondarn, wos jür n Honin
foa Freud i$,
Wüldara war er, bihauptn i, un gengan eahm
3 Tram noch olln Seitnan.
Ruah hot er foani, ba Tog un ba Nocht mit!
fie moanan, fie münjänan
Kriagn! Da gonz Wold i5 mit Mahn cin:
ghagat: „dös konn nar
da Hons thoan!“
Imarigsmoi krocht a Schufs, dafs olls hollt:
„das je konn nar da
Hons thoan!“
Eogn olli Jagar und fuachan ano un vaftölln
eahm oi Steigal,
Paſsn moaft hoiwati Wocha long um ba
da Keuſchn aum Molded,
Fluachan un ſchältn grobmentiih un finnan
hoit ewi nir findn,
Kinnan nir zweiß bobn mit eahm. Wia
I dahin ſein, oft longt er ſein
Elugn
Owa von Wipfl (er hengt jo die Zeit aufr
a Tanne) und jagat
Lufti drauf los un ſchuiſſt Reherl und Dir:
Icher! und Hajerl und Henderl,
Olls, wos eahm intafimmt, ſchuißt er; in
Nah ſchuißt er | nida, daſs
f fugln,
Trogt J oft zar Kuühlſtott, vagrajst I un
geht hoam Noch an Rond
tltimmt a Kuhlbaur,
Londt oft zerijht 3 Wüldbrat auf, nochat
jet Kohl un fohrt ſchnolzat
in Morf zua.
Sunntas nod n Omt holt da Hons oit
in Mork int ſei Schujsgätd
un faft fi
Zuga, Kaffee, weng a Solz und a Mähl
für ſei Wei und die Kina,
Geht wida hoamzua, richt jeint Mahn un
püriht oft ban Monicdein.
Meingad und olls braucht jei Kunft und jei
Wifenichoft, d WMilldareicha!
33 eppin 8 Manat zan voll wern, ja hengt
er die Maßn weng hecha;
Wia:r owa 5 Manat zan fronf wern on:
hebt, oft hengt er j oi tuifa;
Moak era Haierl in Loga, fa geht er mit n
Michl, fein öldan
Sühn! aufn Fong aus, da Michal voron
und da Hons hintn nodi
Mit r an loan Ramkorb. Dawei fo der
ban Haſerl vabeigeht,
Thuat, ols wia wonn er in Hoſn nitgwohrad,
ja fimmt da Hons zumi,
Schmeißt inra Gihmwindileit huft fein Nam:
forb aum Hoſn un fongt n.
Olls braudt jein Vorthl. Un geht er auf d
Purſch, müaſsn d Kina mit aui
Müaſsn an Eichtl vor eahm zäm in Waldl
mausboamla r an froas
ſchlogn,
Ebn zwegn die Jaga. Da Kroas wird bold
engar und engar und 8 Wüld—
breat,
Wos zämat drein is im Kroas, ſchuißt da
Sons, daſs 3 a Luft und a
Freud is,
Woi nit für d Jaga; denn dö wern eahm
lemma ba Zeitn! owa d flina
Mohn nochen Schuis oft eahn Kroas wida
weida un gröka, bis s Nocht
wird,
Wonn | leiht nit eppin no chnta vajogt
wern; denndYaga fan granti,
Sudan un jpürn mit die Jogdhund un
Stedan un frogn d oldn
Weiwa,
Suachn kloan o ba die Wirtsleut un Kroma,
ban Honin fihrn j a zua.
„Hon jo foa Birn, do finnt 3 iazt meints:
mwegn die gonz Keuſchn ums
drahn!
Hon ah koa Faſerl vo Wüldbrat in Haus,
nit a Boanl, nit a Häutl!
Draht 3 ma die Kenjchn, bitt gor ſchön!
nit gor a jo üwa! Bamwüajt
s ma —
Aufrichti wohr is 3! — mein ehrlign Nom
und die jündthuirn Soden!
Jeſſas — wos müaſsn fih denna die Kinar
ah denla von Bodan?
Roat'ks amol noh! Wonn eng wirlla wos
dron ligt wegn d Schühn
ofonga,
2
—]
0
Daſs amol Frid is — mocht 3 deant mih
jan Hega! J wurd eng ſchon
aufſchaun,
Guatwurd i aufſchaun un nix derft vakemma,
i that s a loan rothn!
Wias⸗r ös holt wöllts!“ ſogt da blodagſtep—
padi Hons za di Jaga.
D Jaga, dd lochan hell auf, ſchaun ſih
gottaleit on noch da Seitn.
„S wurd a aum gſcheidern ſein!“ moant
drauf da Ferſchtna; „i ſtechs
heunt in Grofn.
Meingad, da Grof hot an Einfegn, er mocht
eng wohl gwiſs jan an Sega,
Daſs amol Auch und a Frid is! In Diab
muajs ma moda zan Hitata!”
„Schlagara!“ ſchreit iazt da Hons auf;
„5 s wohr, oda wöllt $ mi
leicht frozzin?
Himml — dös gang ma mu o! Nau dös
war ma a Gſchicht, gor a
feindi!
Aufſeha jein und dazua in Vadocht ftehn? |
Do ſuacht 3 eng an ondern,
Mih Lojst 5 in Ruah — vaftondn?" Da
Ferſchtna ſchupft d Ogſfln.
„Wos moch ma?
Ruah mecht i denna wohl hobn do in
Waldl! Wos thoan ma?
Wos treibn ma?
D Hegaſtell will er nit nehma, der Norr,
ſo long er vadächti!“
Steht iazt da Hons auf. „Herr Ferſchtna,
i wurdat jo ch geena Hega!
Meingad, um olls in da Wält geen!|
Nur van: that i ruadıa,
Herr Ferſchtna.
3 is zwegn mein ehrlign Nom und a zwegn
meini unſchuldign Kinda!
Hobt s mi dawiſcht wo? Und hobtes leicht
oa Harl von an Wuüldbrat
wo gfundn?
Gebt 3 mar iazt d Hond drauf! J bitt
eng, Herr Ferichtnar und eng
ah, ös Yaga!
Gebt 5 mar iazt d Hond und fogt 3 noch,
wos i fürjog: da Hons is a
Ehrnmonn!“
Meingad, in Jagan fimmt 8 faur vir und,
hanti. „Da Hons is an Ehrn—
monn!“
„Nau!* jogt da Ferſchtna, „da Wülln is
dafült iazt, — da Hons
is an Ehbrnmonn!*
„Endli — nau endli! wonn d Jaga dös
fogn”, ſogt da Hons, aft
muajs s wohr ſein!
Schiach freut mi dös, muais i ſogn, meint
Herrn! und iazt gehn ma
jan Grofn!
z
Poetenwinkel.
Sommerregen.
Der Sommerregen trieft mir aufs Haupt,
Ein Falter umgaudelt den Wein;
Die jungen Buden fteh'n hell belaubt
Und jprühen in Glanz und Schein.
Und fo trinle die
Licht!
Dein Abend, du Träumer, iſt nah.
Mit Auge und Herz aud die fette dir
bridt —
O Leben, mein 2eben, hurrah!
Luft, und jo trinfe das
!
Hurrab, hurrab, in dem friſchen Wind,
In Sommerregen und Duft!
Und ob meine Fahnen zerihojien
jind,
Sie flattern frei in der Quft!
Maria von Fhre.
Morbei!
Der Schnellzug jagt durd tiefe Nacht,
führt mid) der Stätte wieder zu,
Dahin er mich jo oft gebracht
Im Hoffnungstraum von Glüd und Rub.
\
|
Am Bahnhof zwei Minuten Raft:
So dumpf und düfter ſchweigt der Ort |
- Berraufcht des Lebens frohe Haft —. |
Als wäre Lieb’ gellorben dort.
|
Ich ichrede auf aus tiefer Nadt: \
Ein ſchriller Pfiff — wie Schmerzensſchrei, N
Und weiter rast die wilde Jagd
An tiefe Naht — vorbei, vorbei!
Konrad Zcipio.
Die Schnitterin.
Es ſchwingt die ſchöne Schnitterin
Das Korn für das Gelege
Und ſchneidet fort mit frohem Sinn,
Wie ift ihr Herz fo rege! ı
Mas war ed, das troß Sonnenglut
Ahr Schwül’ vertrieb und Bangen,
Was, das ihr all das junge Blut
Trieb in die braunen Wangen?
Auf nächſtem Feld ihr Herzgeſell
Lud Korn auf einen Wagen
Und pfiff jein Lied, Das wurde Hell
Bon Wind ihr zugetragen.
Iofef Schubert.
— —
877
Reue.
Einen Trunk aus des Vergeſſens Scale,
Einen Funten Luft zum Sentersmahle,
Einen frommen leilen Glaubensjhimmer,
Einen ihrähnennafjen weichen Flimmer,
Ein geheimes Reueathmen nur
Gib mir, gib mir, gütige Natur...
Einmal möcht' id nur die Hände falten,
Büßend ftumme Andacht bei mir halten,
Einmal mit der Unfchuld mich vermählen,
Einen Tropfen jühen Frieden ftehlen,
Ein geheimes Reueathmen nur,
Gib mir, gib mir, gütige Natur. .
qjugo Grothe.
Wiar an Enger biſt.
Wiar an Engerl biſt, mei Dianderl,
Wannſt beim Fenſter außaſchauſt
Und da d' Augerl, wia zwoa Veigerl
Kam a wengal aufz'ſchlagn trauft.
Wiar a Bleamerl, auf dös d' Sunn jdei't,
Wiad dei Gfichterl, wannjt mi fiagft, —
Ama ſoi thuaſt wohl am jhenftn,
MWannft vo mir a Buffer! kriagft;
Denn da bift ala wiar a Däumerl,
Dös mitn Daumwa ſchnawlat gern,
Awa fürdt, as kinnat draus nu
Mit da Zeit an Darl wean.
Iohenn Steljhammer.
Da Modafögn.
Jan Diandl bin i gihlidha
Dis nart amal a weng, —
Rang mehtö han ma g’jöjin
Baun Häusl auf da Beng.
% han iahr meini Finga
Aufs kloani Herzal glögt
Und wollt gern außabringa,
Ob drein foa Falſchheit ftödt.
Auf ihra heazigs Göſchal
Han i a Buſſal drudt, —
Da hat bei'n Hammafenfta
Ta Voda auagudt.
„Na wart, du Erzlump", jchreit a,
„Pot Blitz und Dunnarögn!
Mia icheit, as fait iakt grad nu
Da Nodajdgn.“
Iohann Steljbammer.
Irrthum eines Gäuerleins.
Don Hans Viſchner.
3 hatt amol 3 nadts in die Stadt krat
an Gong
Da bon i voa meina a Liachtl woahr gnom'
Hör ebas umaläutn, 'S wia '3 Vaſechglöckl
trat
Und moa daf3 a Geiftlan zan an Kronkn
gen that.
% Inia aft rund nieda, machs Kreuz weita
gſchwind,
Aft war 's ah dahi ſchoa, ſel Ding wia
da Wind.
Hör hinta mir lachn — ho’ mi görgaidt
a5 wia —
Ban 'n fo heilig'n Sachn — is dös fon
Monier,
Aft hat vana gjag da: Du Bauer — Ios
rödn,
Das is koa PVajehgong, nur a — Radl—
foahra gwön.
Bider.
Oswald von Wolkenſtein. Erzählendes
Gediht von Angelica von Hörmann.
Dresden. Ehlermann. 1890.
Frau von Hörmann hat ſich ſchon vor
mehr als zwanzig Jahren mit ihren Ge:
dichten „Grüße aus Tirol“ als lyriſche
Dichterin einen guten Namen gemadt. Mit
reiner Empfindung, in klarer Form, durd:
aus nicht dilettantiih find ihre Gedichte
gefchrieben. Robert Hamerling hat fie nach
der Lectüre ihrer erften metriſchen Erzäh—
lung „Die Saligen* zu weiterem Schaffen
fehr aufgemuntert. JIm „Oswald“ hat nun
frau Angelica einen großen, ja überreichen
Stoff aus der Tiroler Vergangenheit er:
griffen. Der Woltenfteiner, dejlen Bedeutung
als letter Minnefänger am Ausgang des
14. und 15. Jahrhunderts tiroliide For—
jher gerade in den letzten Jahren erfolg:
reih nachgewieſen haben, ift wohl ein epi:
ſcher Held, wie man ihn jobald nicht wieder
findet. Abenteuer auf der im Minnedienfte
unternommenen Kreuzfahrt nad Jeruſalem
— Manderungen bi5 nah Spanien —
Kämpfe in Tirol jelbit, wo Oswald eines
der bedeutendften Häupter im Kampfe der
ftolzen Adeligen gegen den vollsfreundlidhen
und jchliehlich fliegenden Herzog Friedrich
mit der leeren Tajhe war — Theilnahme
an den größten Greignifjen jener Zeit: am
Concil zu Conftanz anläjsli der Huſſiten—
bewegung jaß Oswald an der Seite des
Kaifers Siegmund — ein Held und ein
Narr, ein Polititer und ein Poet mit dent
merkwürdigſten Wechſel von Glück und Un:
glüd: Gefangenihaft, Elend, Ehebruch,
Auszeihnung und immer und überall Ber:
liebtheit — — das ift die faum überſeh—
bare Fülle epiſch ergiebiger Motive aus der
Geſchichte des Wolkenſteiners. Dieſe Fülle
ganz zu bewältigen oder doch nur von der
Hshe hiſtoriſcher Betrachtung die wichtigſten
Thatjahen auszuwählen, dazu reichte die
jarte Hand der Inriihen Dichterin aller:
dings nit aus. So ein Kernmann mie
der Oswald wartet anf die fräftige Hand
eines großen männlihen Dichters, um im
Liede aufzuerftehen. Wenn wir uns aber
ganz unvoreingenommen blok an das
halten, was frau von Hörmann nad) ihrem
Einne zu erzählen fih ausgewählt und
wie jie diefe Auswahl dargeitellt bat, dann
mujs man inihrer Dichtung viele Schönheiten
anerfennen. Sie fent idylliſch mit der Liebes—
geſchichte Oswalds zu Margeretbe von
Schwanſtein ein und nimmt nad und nad
den Wufftieg zu den großen politifchen
Kämpfen des Helden. Die treuloie Gefan:
gennahme Oswalds durch jeine boshafte
Jugendliebe Sabina Hausmann fteht in
der Mitte der num erjt jpannenden Erzäh—
lung. Mit Wärme und Kraft wird Dswalds
Verzweiflung im dunklen Verließ geſchildert,
und jehr effectvoll die dDramatiich bewegte
Ecene, in der Oswald unmitielbar aus
dent Kerler an die glänzende Tafel Herzogs
Briedrih zu Meran in den frei feiner
freudigen Standesgenofjen gebradt wird,
weil zur Sieges- und Friedensfeier fi
fein anderer Sänger vorfindet, Diefe Scene
ift der Höhepunkt der liebenswürdigen Er:
zählung, und es iſt jehr Klug, daſs fie fnapp
am Schluſſe ftebt. Ihre jorgfältig gefeilte
Sprade (vierfühige Jamben, kreuzweis ge:
reimt) verdient bejondere Anerfennung ;
denn in der Sorgfalt, den der echte Dichter
auf die Echönheit und Turdbildung jeines
Aunftmaterial®, der Eprade, verwendet,
untericheidet er fih vom Dilettanten und
vom journaliftiihen HDandmwerler. In unjerer
Zeit fann der Erfolg einer Erzählung in
Verjen nicht raujhend mehr fein, Der
„Oswald“ der Frau von Hörmann trägt
aber die Gewähr wirllider Dauer in fid;
er wird die meiſten Nomane der Echubin,
Mariot u, dal. überleben. M. N.
Die Erkenntnis, Fine naturwilienichafts
liche Studie über den caujalen Zuſammen—
bang der Naturerfheinungen, enthüllend
den Zwed der Schöpfung, den Zwed unferes
Tafeins, und den wahren Begriff der
menſchlichen Seele. VonLudwigRümelin.
(Leipzig. Mar Spohr)
Fürwahr, ein vieljagender Titel,
fonders für ein jo dünnes Büchlein. Und
doch will es uns bedünfen, daſs hier der
Verfuch, die moderne Erlenntnisphilojophte
mit dem Glauben an Gott, mit den Be:
dürfniſſen der Geſellſchaft ſowie mit den
Wünſchen und Doffnungen des Einzelnen
zu vereinigen, nahezu gelungen iſt. Wenig:
ftens jchen wir aus diefem wohlwollenden
Werlchen, daſs die Kluft zwischen Glauben
und Erlennen lange nicht jo tief ift, als
bes
es der Zelot bier und der Wiflenichafts-
pharijäer dort gemeiniglih zugeben will.
“U.
Evangelium Johannis 3, 16. in 296 ver⸗
ſchiedenen Sprachen. (London. Bibelgeiell:
Ihaft.).
„Mio bat Gott die Welt gelicbet. dais er
feinen eingebornen Sohn gab, auf dais alle,
die an ihm glauben. nit verloren werden,
fondern das ewige Leben haben.”
Diefer Sprud iſt von unierem geliebten
Deutih an bis hinab zu dem Lallen der
Zululaffern in faft 300 Epraden überiegt.
Um den ganzen Erbball geht die Offen—
barung des Chriſtenthums, und zwar zu
einer Zeit, da in unjerem eigenen Vater:
lande rajende Geifter den Atheismus pre:
Digen im Buch und auf der Bühne, Mit
dieſen Geiftern treffen auch mande Kirchen
Gemeinichaft in dem Sinne, als fie ſich der
Verbreitung der Bibel im Volle möglichft
widerjeßen. R.
Zehm Gefdhidten von Frit Mautbner.
(Berlin. I. H. Scorer.)
Fri Mauihner, das iſt dieſer Menſch,
der fich in jeinem „Rad berühmten Muftern*
über allerlei Dichter und Schriftfteller Iuftıg
gemadt bat. Den jollte man, fo oft er nun
jelpft als Dichter und Scrififieller auf:
tritt, tüchtig zanfen! Bei dieſen zehn Ge:
ihichten gebt das aber nicht, mit dem beiten
Willen nit! Schon jeit eıner Weile ift
nichts gelommen, das mir ſoviel Spaß ge:
madt hätte, als dieſe Geſchichten. Wir
macht etwas nur Spaß, wenn es mich zum
Laden zwingt und mir das Auge feucht
werden läjst. 's ıft beides nicht leicht, wer's
niht fann — für Mauthner ift es aber
leiht. Bon der heiteren oberbayeriichen
Dorfgeſchichte: „Peter der Grobe* bis zur
merfwirdigen polnifgen Novelle: „Der
Todten-Toctor*, meld’ ein Abftand! Und
die eine in ihrer Art jo vortrefilid wie die
andere. Ganz löltlih dünft mir „Ein legter
Wille“ zu jein, meshalb er in Dielen
Blättern belannt gemadt werden fol.
Mauthner ift Recenjent und jchreibt jelbit
jo norzüglide Bücher? Seit warın reißt in
der Literatur denn dieſe Abnormität ein?
R.
Anfprudjslofe Sefdhihten von PB. Hann.
(Leipzig. WU. ©. Liebesfind 1891.)
Diefe aniprucslojen Geſchichten löunen
wohl Uniprud machen auf eine freundliche
Beahtung. Wer kleine Genrebilder liebt,
die mit einem liebenswürdigen Humor er:
zählt find, bei welchen unterwegs das Glüd
der Helden bedentlid auf dem Spiele ſteht,
die aber doch gut ausgehen, der wird an
diefen anſpruchsloſen Gejchichten jeine Freude
m”
haben. Echon die Eingänge zu jeder diefer
Novelletten jind ftets jo feflelnd, dais man
ihnen nicht mehr entkommt, darum ift allen
jenen, die feine Geſchichte zu Ende leſen
mögen, gerathen, hier ja feine anzufangen,
denn fie würden ihrer Gewohnheit abhold
werden. Erzählungen wie „Sein bedeutender
Freund“, „Ein Aprilfcherz*, „Ein Unglüds:
mensch“ u. ſ. w. werden jeden ergößen,
der fih über Zola, Ibien und Nachtreter
hinaus einen froben Sinn für herzer:
quidende Literatur bewahrt hat. M.
Aus dem Süden. Neue Gedichte von
Stefan Milom, (Stuttgart. U. Bonz
& Comp.) Sinnig und geiftvoll, mehr em:
pfindjam als leidenſchaftlich, mehr weije
Selbitihau als ein Sidyverlieren und Din:
dämmern in unflaren Gefühlen, nicht Inrijche
Grgüfje eines überquellenden Herzens: ges
reifte Früchte der Erfahrung und des Nach—
denfens, zumeilen von feinem Humor durch:
tränft — fo muthen uns dieje Gedichte an.
Gine Probe ohne Wahl:
Tas Schönſte bleibt doch ſteißs das Schnen,
Der Liebe erite Wendezeit,
Das bange Zagen, jühe Wähnen,
Die ftille Traumesſeligkeit.
Denn was du damals vorempfunden,
Die Bruft von Gimmelöglanz erhellt,
Tas bringt, wie viel du auch qelunden,
Dir jpäter fein Beiih der Welt.
tt
Vagabunden» Lieder von Bhilo von
Malde. (Großenhain u. Leipzig. H.Ronge.)
Von den beiden Abtheilungen des Buches
enthalten die „Lenzfahrten“ friſch und fed
geichriebene Lieder wir brauden nur
den „Srüneberger Wein" anzuführen. Gin
fahrender Gejell joll vom Leben zum Tode
gebradht werden, „Da fehlt es an dem
Stride.* Auf den Rath des Henfers wird
dem Delinquenten „Brüneberger* credenzt.
Ter Burſche nabın das Frinfglas.
Und rief: „Grünberg! ib briuge das
Dir dar als Räder ſchwer — =
Danı bat er's ausgetrunfen,
At jählings Kingelunten
Und rührt fein Glied wicht mehr.
Heut bringen Grünberg: Reben
war feinen mehr ums Yeben,
Weil man fie oculiert.
Der Saft doch, den fie jchufen,
Der ift im Yand werrufen,
So weit man poculiert. —
——
Der alte Uaderer. Roman aus dem
Wiener Vollsleben von Anton Langer.
(Wien. Jakob Dirnböds Buchhandlung.)
Ausgehend von dem büfteren, verhäng:
879
|
u ——— ee a —
auf dem Hochgericht verbluten, führt die
Erzählung den Leſer mitten in die Revo—
lution der Märztage, die ereignisreichiie
Periode von Neu-Oſterreich, um endlich in
den geheimnisvollen Baläften Benedigs,
defien Verluft der Verfaſſer im abnenden
Geiſte vorausjah, zum Abſchluſs zu fommen.
Der Held des Nomanes felbft ift die ſym—
pathiiche Beftalt eines echten biederen Wie—
ners, und mit Theilnahme verfolgen wir
von Anfang bis zu Ende feine wechſelvollen
ES chidjale, jeine Freuden und Leiden, die
wir mitiühlen und mitenpfinden. Charaf:
tere und Situationen, Land und Leute find
mit Friſche, Naturwahrheit, mit Dramati:
icher Effectlenntnis gezeichnet.
Dem „Heimgarten“ ferner zugegangen:
Bon Dr. E. M.
(Berlin. Dans
Der neue Demokril.
Schranfa 2. Band.
Lüjtenövder. 1891)
Ein Mönd. Epiſche Erzählung von
Theodor Salburg =» Falltenfteim
(Dresden. €. Pierjon. 1891.)
Der Student von Padua. Die Promotion.
— Eine gute Haut. Bon Urnaldo Fuſi—
nato. (Halle, Otto Hendel.)
Wiener Bolkstheater. Unter Mitwirkung
hervorragender Dramatiler. (Wien. G. Da:
berfow. 1891.)
Das Sefebedürfnis des Volkes und deffen
Befriedigung. (Nach einen Vortrage.) Bon
F. Mey er, Reallehrer in Idſtein. (Weinar.
Verein für Maſſenverbreitung guter Schrif—
ten 1891.)
Tagebuch von Tſcherkeſskiöi. Zufammen:
geräubert von einem achttägigen Unfrei—
willigen. Herausgegeben von MKraemer.
(Berlin. H Lazarus. 1891.)
Der kleine Rechenmeiſter. Gin Lehr—
miltel für den Redhenunterriht im unbe:
ftimmtenZahlenfreile. DasEinmaleins durd;
Unihauung zu lernen und zu dehren.
(Leipzig. Dermann Hude.)
Poftkarten des „Heingarten‘“.
H. T., Dresden: „Gleiche Vollser—
ziehung durch den Staat* und „Gleich—
ſtellung“ aller Individuen im Staate iſt
wohl nicht wörtlich zu nehmen. Bei der
unendlichen Berihiedenheit der menſch—
lichen Fähigkeiten wäre eine abſolute Gleich—
nisvollen Schickſale einer ungariſchen Mag- ſtellung und gleiche Erziehung ungerecht,
natenfamilie, deren Glieder durch Mord !zu undenkbar.
Anders, wenn Sie eine
880
rn
relative Gleichſtellung wollen, in dem Er mujs all derlei Zumuthungen, wobei
Einne, dajs jedem das Seine werde je
nachdem er es durch Fleiß, Talent, beſon—
dere Fähigleiten u. ſ. w. verdient, dann
wird e8 jeder rechtlich denlende Menſch mit
Ihnen halten müflen und Sie haben Aus:
fiht auf Erfolg, — Wenn ein Maurer:
gehbilfe jein Arbeiterlos verbejjern will,
jo hat er gewiſs redht, aber wenn er fi
dem Baumeifter gleihftellen will, jo ift
er thöriht und wird in Ewigkeit nichts
erreichen.
3. ©. Wien: Es flimmt in der Haupt:
ade thatſächlich. Chriſtus wurde gefreuzigt
den 3. April des Jahres 33, das war ein
Freitag. Am Abende desjelben Tages, um
die Zeit des Sonnenunter: und Mondauf:
ganges, fand nad Berehnung der heutigen
Atronomen eine in Jeruſalem ſichtbare
Mondesfinfternis ftait.
* Zu Ende des Jahres 1899 wird ein
großer Zeitungsfrieg entftehen; die einen
werden behaupten und wiſſenſchaftlich bes
weiſen, daſs das neue Yahrhundert mit
dem 1. Jänner 1900 beginne, die anderen
werden behaupten und mathematiſch feft:
ftellen, dajs das neue Jahrhundert erft
vom 1. Jänner 1901 zu zählen fein wird.
Dem gegenüber machen wir (hoffentlich früh
genug) darauf aufmerfiam, dafs Schiller
und Goethe zu Weimar das neunzehnte
Jahrhundert mit dem 1. Jänner 1801 be:
gannen. Goethes Mutter ſchreibt am 8. De:
cember 1800 an ihren Eohn: „Man hat
mir gejagt, dais herrliche Anftalten bei
euch gemadht werden, um das neue Jahr—
hundert mit Freude und Würde zu em:
pfangen und zu begrüken — Gott! laſſe
es eud allen gefegnet jein.“
9. W. Straf; In oberfteirifcher Mund:
art heißt „aumwazn* jo viel al& wiederholt
aumeh rufen; „findIn“: bei einer Krankheit
im Halbihlummer jeufzen und wimmern;
„pfnechn“: pfauchen, ſchnaufen.
*Beſten Dank für die Namenstags-
gratulationen. Allein der Peter beim Paul
iſt nicht der richtige „Heimgarten-Peter“.
R. R., Donnersbahmwald: Den Aufſatz:
„Die Steuererecution“ haben wir als eine
zum Theil bumoriftifche Arbeit aufgefaist
und von diefem Standpunfte aus an ihr
feinen Unftoß gefunden.
* Der Herausgeber dieſes Blattes bittet,
unaufgefordert ihm keinerlei Manuferipte
„sur Beurtheilung“ u, j. mw. zu ſchicken.
Für die Rebaction verantwortlih P. A. Bofegger. — Druderei Ledtam· in Ora,.
er doch nichts nüten Tönnte, entihieden ab:
lehnen.
* Die clericale, Welfer Zeitung * (Über:
öfterreich) hat in den legten Monaten eine
Arbeit veröffentlicht, welche den Titel führt:
„Rofegger, der Schneiderpoet von Graz”, in
fiebzehn langen Eapiteln. Dieſe Auffätze find,
jomweit fie mir vorliegen, eine muflerbafte
Schwindlermoſaik von Berdrehungen, Ent:
ftellungen, Fäljhungen, Verhöhnungen, Ber:
dädtigungen und anderer Art von Lügen
gegen meine Schriften und meine Perion.
Was ich feinerzeit gezwungen war, einer
ähnlichen Läfterzunge des „Linzer Bolfs:
blattes* in der „Linzer Tagespojt* zu ent:
gegnen, das gilt aud für dieſes Pamphlet
wahricheinlih von demjelben Verfafier, der
fih auch diesmal nicht zu nennen beliebt bat.
Soutane und Anonymität — unter ſolchen
Hüllen faun man jchon was wagen. — Ich
habe meiner perfönlichen Überzeugung in
Saden der Religion wiederholt, beionders
auh in dem „Beipräde über Religion“
(„Deimgarten*, XV. Jahrgang, Seite 676)
Husdrud gegeben. Freilich habe ih Miis-
bräude, die aus kirchlichen Satungen im
Volle fih entwidelt haben, oft hart ge:
jhlagen und dem Spotte preisgegeben,
nicht als ob derlei Dinge an und für fich
gar jo ſchädlich wären, als vielmehr, meil
fie von dem göttlichen Urquell der Neligion
ablenlen. Freilich babe ih für uniere
Vollsihulen eine gründlichere Pflege des
Evangeliums verlangt, als fie heute vor:
handen ift — aber das Tann doch nicht
berebtigen, mid einen Bolfsverführer,
Heuchler, Antichriſten u f. w. zu nennen.
Ich getraue mir's gar nicht zu jogen, was
die clericale Prefie mir ſchon alles ange:
dichtet hat. In einzelnen Provinzen Öiter:
reich8 und Bayerns werden die Verhetzun—
gen gegen mich jeit Jahren ſyſtematiſch und
mit unglaublider Leidenichaftlichteit bes
trieben. Bei folden Erfahrungen ift es für
mich wirklich jchwer, dem Elerus jene Hoch—
achtung zu zollen, die er beaniprudt. Aber
ich denfe mir halt: Alle find nicht jo. Es
‚gibt, was ih auch wieder aus Erfahrung
weiß, viele Priefter, ja die der großen
Mehrzahl, die mein redliches Streben er:
fennen und die Irrthümer, melde freilich
auch ich begehe, nadhfichtig beurtheilen. —
Dais ih unter allen Umftänden fortfahren
werde, Zeit meines Wirkens Mijsftände
und jeelenverderbende Gntartungen im
Eultus, jomie unwürdige Vertreter der Re—
ligion munter zu geikeln, verfteht ſich von
ſelbſt. P. 8. Roſegger.
I beinugarlen ©
— Fr a — —
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12. Heft.
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4—
*
Ein Zwiegeſpräch auf der neuen Murbrücke zu Gras.
1
I: furzem wurden mitten auf
» der neuen Murbrüde zu Graz
gr zwei eherne Gejtalten aufges
ftellt. Sie ftehen zur Rechten und zur
Linten einander gegenüber und ftellen
zwei herrliche Frauen dar: die „Aus
ſtria“ und die „Styria“.
Modelliert Hat fie der Heimifche
Bildhauer Hans Brandftetter, gegofjen
wurden fie in der Erzgießerei von
Carl Zurbain’3 Söhne in Wien.
Und nachdem dieje Geftalten mit jo
vieler Liebe und Freude gejchaffen
waren von gottesgejegneter Künſtler—
hand, und als die Menjchen im treuer
Begeilterung aufblidten zu den Bild«
niſſen — fiehe, da wurden dieje Bild»
niffe lebendig. Denn im Stünftler
liegt es, daſs er jelbit dem Stein und
dem Erze Leben einhauden kann,
wenn er die falte Maſſe umarmt, und
im Volke liegt es, dajs es jein Glüd
Rofegger’s „‚Heimgarten‘‘, 12, Geft. XV,
und Leid, jein Wünfchen und Hoffen
in die ehernen Gebilde jenft und dies
jelben von diejen wieder, und zwar
geflärt und ſinnlich geformt, zurüd
vernimmt wie von lebendigen Wejen.
Da alſo die zwei neuen Geftalten
auf der Brüde von aller Welt nicht
wie todtes Erz, ſondern wie lebendige
Weſen betrachtet, beitaunt, bewundert
und verehrt wurden, jo ereignete es
fi eines Morgens, dajs fie thatjäche
lich lebendig wurden und anhuben,
miteinander zu ſprechen. Ein Sonn—
tagsfind, weldes die Gabe bejigt, die
Sprade von Thier und Pflanze, von
Erz und Stein zu verjtehen, und
welches zur jelben Stunde über die
Brüde gieng, hat das Zwiegeſpräch
zwifchen der Auftria und der Styria
vernommen, umd dieſes Sonntagskind
hält es nicht für unredlich, jeinen
Landsleuten, die im Drange ihrer
56
2
382
werftägigen Obliegenheiten das Ge—
ſpräch etwa überbört haben, davon in
Kenntnis zu ſetzen.
Die Auſtria
redeten alfo:
Styria: Guat morgn, Frau
Muada. Bift Schon auf?
Auſtria: Dobre jitro. Nemohu
pro starost späti. Bin immer auf.
Styria: Wos is dan dos?
Sul dos mei Muadaſproch jein? 3
veriteh dih mit.
Auftria: Rozumie sie sam?
Styria: Mei liabi, herzliabi
Muada. Mir fteht’s nit zua, dajs ih
dar an guatn Roth gib, ih woaß 3
wul. Oba ſchau, wias uns do af der
Bruggn ollzwog nebnanonda bergitellt
bobn, fa zimbb mid, je müaſſn uns
gern hobn ollzwoa, it hättu 3 uns
nit bergftellt. Und hiaz, wan d Leut,
de hin und berrenen über die Bruggn,
zan uns aufſchaun und ums grüajin,
ja moan ih doh, mir jultn unfer:
Dont ſchön! in eahna deutihn Sprod
jogn. .;
Anſtria: Und wie du fprichit,
das nennſt du deutih? O sancta
simplicita.
Styria: Olt ehrwürdi Voders—
ſproch derf ma nit verochtn, mei Muada!
Auſtria: Eine merkwürdige Zeit,
wenn die Kinder klüger ſein wollen,
als die Eltern! Viele fremde Spra—
chen zu lernen iſt doch immer gut!
Styria: Däs wul. Oba ſein
oagni vageſſn, däs is mit guat.
Auſtria: Kind, du biſt herb
und ich bin bekümmert. In der Nacht,
wenn alles ruht in der weiten Stadt
und nur das Waſſer rauſcht unter
meinen Füßen, blide ih hinab in den
Strom und denke an den Strom der
Zeiten. Ewig fließt er fort und riejelt
und raucht, und doch wie anders
heute als geſtern! Vergangen ſind die
Zeiten, da Auſtrias Kinder fich liebes-
innig vereinigt haben um die Mutter,
auf ihr Wort nur bHörend, unter
ihren Schuß nur fliehend, ihr alle
Kraft mur weihend. Es war ein
und die Styria
gefürchtet in der Welt und mit ver
einten Kräften gieng's an gleiche Ziele.
— Und Heute? die Kinder wenden
ih von der Mutter, bauen Ah in
ihren Meinen Geburtsländern eigene
Häuſer, wollen für ſich allein wirt»
Ihaften, befeinden einander, und ans
jtatt der Mutter Kraft und Stüße zu
geben, geben ſie ihr nur gute Lehren.
— Hier, mein Kind, ſtehſt du mir
gegenüber mit gezüdtem Schwerte! Du,
die heitere, waldluſtige Maid, mit
gezüdtem Schwerte! Was bedeutet das?
Styria: Muada, glaub mas !
Diaz möcht ih in liabait pa mein
Stoderl hupfn, die Brarn wedjchmeifin
und dir um an Hols folln. Ins
Herz eini ſchreckt $ mid, wan du
großes Familienhaus, geachtet und
2
moanan kuntſt, mei Schwert war epa
gor gegn meini oagnan Bluatsfreund
gericht. Muada, Muada, wia muals
da jein, daſs da jo wos funt eine
folln! — Schau mid doh on! Den
grean Kronz in Hoor und s Edel:
weiß, bin ih jo oflaweil noh dei wold—
luſtigs Dirndl, däs in greanan Thol
Korn ſchneidt und fingg, däs in Dügel-
lond Traubn left und focht, däs auf
der Olm umſpringg und juchazt.
Suchazn kunnt id Tog und Nocht,
und bein für mei liabs Doamatlond.
Oh, Muada! Däs ſchöni Hoamatlond
is mei größti Freud af der gonzn Welt !
Auftria: So pflüde Roſen, flicht
Kränze, meine Tochter. Wozu das
Schwert?
Styria: O Goud, Muada, wos
that ih liaber a3 wia Bleamerl brodn
und Kranzerl flehtn! Du friagaft —
Ihönfti davon! — Oba dent da’s,
heint ba da Nocht, wia $ olls ja ſtill
is gwen um umd um, und na &
Woſſa bot amwend gmwijchbelt — do
lous ih, und hör va weitn, gonz da
weitn, a3 wia warn do unten ba da
Sann, da draugt ba da Moldau und
weita gegn rechtahond viel Hundert
Schmied thatn hämmern afn Ambop.
— Als wia wan Meſſer und Sabel
wurdn gmocht, grod a fo klinggs. —
——
883
Wir ih däs hör, do fohrt mei Hond
ſtad zan Schwertgriff! Wan a Gfohr
war, i hauat drein!
Auſtria: Willſt du denn nicht
warten, heißblütige Tochter, bis ich
commandiere?
Styria: Cumadirſt oder nit,
warn a Gfohr is, hau i zua!
Auſtria: Kinder! Leichter würdet
ihr euch verftändigen, ließet ihr das
Schwert in der Scheide ruhen. Mit
Drohen macht man jich feinen Freund.
Belränze dem hHerben Nachbar die
Yausthür mit Rojen, und es tritt dir
aus derjelben ein Genofje, ein Bruder
entgegen. Willft du, mein Kind, dafs
dein Land blühe, jo halte Frieden mit
dem Nachbar.
Styria: MWoana kunt ih, mei
Muada, wan ih da zuahör! So mwohr
und güati is dei Ned. Oba ſchau, ih
thua mid Holt fürdtn. Wan Dans
an Schoß hot, und olli Fenfter und
Thürn fein offn, und immer a frembbi
Totzn greift her, iss dann a Wunder,
Daſs jedes dieſer Kinder ſeine Eigen:
art bewahre, daſs es kräftig ſei und
gelittet, daſs eines das andere achte,
daſs jedes ſich unterordnne der ganzen
großen Familie und jo in diefer Fa—
milie jeinen Halt und Schuß finde
und feine fittliche Vollendung — das
it meine Aufgabe, an deren Löſung
ich arbeite jeit hunderten von Jahren.
Gütig gegen die Meinen und jtark
gegen die Feinde meiner Sendung bin
ih. Möchtet ihr nie vergeflen, Kinder,
was ihr einst gewejen und was ihr
unter meiner Hut gemorden jeid ?
Ofterreih! Eines der gepriejeniten,
‚beneidetiten Länder der Erde. Und der
DOfterreiher! Siehe feine herrlichen
Eigenschaften, die ja auch in dir jind:
jein helles Daupt, fein heißes Derz,
jeine Shöpferiihe Hand! ein fühn und
froh zur Erde niedergeftiegener Sohn
des Himmels! Wenn ihm der Glaube
an fich ſelbſt nicht Fehlt, dann fehlt
ihm michts. Kinder, diefen Glauben
an euch, an mich, an die Größe uns
warn ma 3 Schwert nit will aus da ſerer Gemeinfamfeit bewahret, und ihr
Dond legn? Und mei Steirerlond, |habt den Frieden und den Sieg. —
mei ſchöns, mei gſegnets, fruchtbors | Styria! diefe Vrüde, auf der wir
Steirerlond is der Schoß, den ma ſtehen, iſt ein Sinnbild, daſs keinerlei
meint Voreltern hobn Hinterloffen, den
mar unjer Herrgott Hot omvertraut,
den ih will behüatn und bewohrn in
Lebn und Sterbn. — Onfonga thua
ih jo nit zan dreinjchlogn, im Friedn
will ib ſchoffn und baun, liaba wia
5 Schwert ſchwing ih jo d Sichel
afn Kornfeld, und däs woaß ih ah:
befjer wia da Streithelm fteht ma $
greani Kranzerl af mein Kopf. Ofli
Obnd, wan die lieb Sun omilinkt
hintern Dochſtoan, is mei Gebet und
mei Herzusſchrei: Friedn für ınei Stei—
rerlond! Glück und Segn für mei Volk!
| Strömungen uns trennen, wenn wir
es veritehen, mit vereinten Kräften
zu bauen, Und alfo wollen wir neben-
einander Hier ftehen heute und in
künftigen Jahrhunderten, den unter
uns Dahinwandelnden als bedeutjame
Geitalten des Vaterlandsſtolzes und
der Heimatsliebe.
Styria: Muada, dei liab Redn
mocht ma 3 Herz worm. — Du fenft
mih, wir ih bin: grodwek bin ih und
freimüati jog ih $, wan ma wos mit
recht 18. Und nochher wieder guat.
Und want in da Noth biſt, dajs ih
Auftria: Styria, meine Tochter, dih mit verlofs, dafs ih feit und treu
fo erkenne ich dich wieder! Die Freude bei dir fteh in Unglüd und Feindes—
an deiner deutichen Heimat, die Angit
fie zu verlieren — ich verftehe dich.
Aber ſei beruhigt und laſs auch mich
ein wenig deine Borjehung ſein.
Was bin denn ich für mi allein ?
Ih lebe ja nur in meinen Sindern.
gfohr, däs woaßt. — Und deramegi
glaub ih und Hoff ih ah auf did.
Oll meini Leut, de Heint Hin und
hergehn über de Brugg und in jpä=
terer Zeit Hin und hergehn wern, ih
befilh dir 3. Duft immer i$ ah da
56*
834
Steirer in Bedränknus und Schaut! die Grazerlent, ſtulz fein s auf
in Bertraun auf zu dir — nim dih eahner geofi Stodt, auf eahner
feiner on! Schau Hin auf die ſchön greans Hoamatlond, und zjomholtns
fteiriichn Berg, de um und um einalochn | mit Herz und Hond, wons gilt, wos
in d Stodt! So freundla lochn 3 einer; Rechts für 3 Doamatland! zichofin.
und ma fiacht eahmers mit on, wia] — 5 meugi Yohrhundert is neama
viel Kumer und Ormuat im eahnere weit. Wia viel Feſtzüg und wia viel
Hütn ie. Mei größter Kumer iS hiaz Todinbohren wern über de Bruggn
unfer Bauernftond. Der kons völli| gehn! An ewiger Strom von Mofjer
neama dermochn. Sei Tüchtigfeit und! unter uns und a ewiger Strom von
Fleiß will nie mehr ausgebn, er| Menjchn auf der Bruggn. Vul Gier und
wird ſcha grechn verzogg. Wan da Ongſt und Luft und Load jogn 5 Oll in
Bauernftand z Grund muaß gehn, | Glüd noch, bis's owi ſinkn in die dunkli
aftn iS 5 gfahlt, aftn woaß ih! Gruabn. — Wos ab mog fein im
nit, wos mar onftelln. Mir brauchn | fünftign Zeitn: Muader Auftria! Sei
an Armee zan Währn und brauchn an) unfrer liabn, deutſchn Steiermark a
Armee zan Nähen. Muader Auftria, | ftorker, treuer Hort, in Glaubn und
mim did on um unjern Bauernſtond! Hoffn blidn mar auf zu dir!
— Ind ah für unfer braves Bürger: Baur
thum möcht ih dih bittn. Däs bot ———
großi Feind oben und hot vieli Feind Auſtria: Meine geliebte Tochter!
unten und ollahond Feind unter eahm So wie du vertrauend aufblickſt zu
felber. Da Bürgerftond is unfer Lehr mir, fo blide ih auf zu Dem, der
und Ehr — Muada, thua n günti \aller Menschen und Bölter Schidjale
behüatn. Schan auf de prächtigi Stodt, |leitet! Neige du deine befränzte Stirn,
auf unſer liabs Graz. Friſch und ſowie ich meige mein gefröntes Haupt
glund wohlt 3 auf wir a träftiger | vor Ihm. Unfer it die Pflicht der
Eichbam, umd friſch und frei wia d Arbeit und der Treue, fein ift die
Bögerler in Aſtn und Wipfeln fein Macht, uns zu fegnen.
58:
r
Die Abbrandler.
Eine Geſchichte aus dem Dorfleben,
Pr.
1
J.
An
BE alte Krauter, die alte Krau—
ausjegen, verfallt alles miteinander,
Diefe Verfiherungen, wenn fie einen
einmal angehafelt haben, jind des
S ierin umd der Srauter- Sohn | Teurels, Alleweil Geld hergeben, Geld
2ſaßen beifammen in ihrem Häuss | hergeben und hat nichts dafür. Schon
lein. SonntageAbend war's; in der
Stube fein Licht, zu den zwei niederen
Fenſterlein ſchimmerte noch die Abend»
vöthe herein und brachte die erdfahlen
Wangen der alten Leute hübſch zu
Ehren, Der Sohn lehnte im finsteren
Tiſchwinkel und wenn die Kohle feiner
Tabakspfeife gloste, da Jah man auch
fein verjchmigtes Gefiht mit den
wailerfarbigen Auglein.
Mehr weiß ih nicht von den
Leuten. Belaufchen wir fie, vielleicht
erfahren wir etwas.
„Ein Heidengeld! ein bfutiges
Heidengeld!* ftieß der Alte mit be=
bender Stimme heraus,
„Das wievieltemal Haft heute
eingezahlt, Vater?” fragte mit einem
ſchrillen Filtelton die Krauterin.
„Das viertemal Hab’ ich ſchon
geſchwitzt!“ jagte er.
„Wär' nit weniger al3 zweiund—
dreißig Gulden“, verſetzte fie.
„So viel ift das ganze Glumpert
nit wert“, warf der Sohn ein und
blies ins Rohr, daſs fein etwas jpibes
Gefiht im Scheine der Pfeifenglut
blutrotd hervorftarrte aus der Dun—
felheit.
„Haft eh recht, Nah“, Ficherte der
alte Krauter.
„Meiner Seel’!* fagte der Sohn.
„Sa, du heiliges Kreuz, wie lang’
joll denn das noch fortgehen mit dem
Einzahlen ?” fragte das Weib.
„Das geht afleweil fort, Jahr
und Jahr. Und wenn wir's einmal
|
|
verfluchtlet gereut hat's mich immer
einmal, daſs ich aufgeſeſſen bin. Aber
das Maulmachen, das können ſie,
dieſe Agentenleut, dieſe verſchwefel—
ten!“
„Herr Jeſſeles, einmal wird's doch
aus werden mit dem Einzahlen,“ ſagte
die Krauterin.
„Einmal wird's aus“, ſprach der
Kraͤuter leiſe.
„Ja, wenn's Häuſel niederbrennt!“
lachte der Sohn. Da gab's wieder
Schein aus der Pfeife.
Der Krauter trampelte mit der
Schuhſpitze auf dem Fletz, dann wen—
dete er ſich ein wenig ſeitlings und
murmelte: „Wär' eh 's Geſcheiteſte.
So eine Moderhöhlen, wo in der
Wand ſchon der Holzwurm verreckt,
weil er kein friſch' Stückel Holz mehr
zu freſſen Hat. Wär’ eh mir beſſeres
wert!“
„Meiner Seel'!“ fagte der Sohn.
„Und das Dad!“ rief die Krau—
terin. „Gar fein’3 wär’ beſſer, da
kunnt's wenigitens nach dem Regen
wieder austrodnen in der Stroh—
kammer.“
„Eh ſo, eh wohl ſo!“
Krauter zu.
„Was kriegen wir denn, wenn
wir Abbrandler werden?“ fragte das
Weib.
„Achthundert auf die Hand!“
„Uh, davon möcht' man ſich ja
ein ſauberes Hänſel ganz neu auf—
bauen laſſen!“ war ihre Anſicht.
gab der
SS
„Meiner Seel’!“ jugte der Sohn.
„Für's MNiederbrennen zahlſt
ein“, ſprach die Krauterin.
„Eh ſo, iſt eh ſo!“
Krauter. „Derleben möcht” ich ei:
neues Häuſel, derleben möcht ich's.“
„Vom Hagelgruber haben ſie's ja|
auch geſagt.“
„Was haben fie vom Dagelgruber |
gejagt ?”
„Dafs er felber hätt’ anzumden.“
„Mordspräcdtig hat er wieder aufs
gebaut. Haus und Stall. Mordspräd:
tig. Iſt bei derjelbigen Berfiherung
dabei „gewest, wie wir.“
„Das Däufel,
Einſchicht ſteht!“ warf die Krauterin
din. „Wenn fein Menfch ein’ Scha—
den hat! „Jeder macht jich’S beiier,
wenn er kann.“
„Meiner Seel’!* jagte der Sohn.
„sit jo einer alten Hütten ift bald
was”, fuhr fie fort, „das Holz zun—
derbürr. Auf dem Dah Stroh. Dazu
der offene Herd, der hölzerne Rauch»
fang. Bettelleut gehen mit brennen
den Pfeifen vorbei.
bald geichehen —
was dafür!”
fein Menſch kann
„Es geht mit jo leicht, wie man
„Die,
Hütten steht Schon zweihundert Jahr‘
glaubt“, verjegte der Krauter.
lang. Und ich wart’ jetzt ſchon jeit
vier Jahren drauf .
„'s Warten wird nit viel helfen“,
meinte die Krauterin. „Der Meufch
muſs ſich umthun, wenn er’s zu was
will bringen ...“
Der Krauter ſchwieg
Weilchen, dann ſagte er: „Ich nit,
ich thu's nit. Ich will ehrlich ins
Grab ſteigen. Andere ſollen machen
was ſie wollen.”
„Wirt noch lang leben, Water”,
rief der Sohn.
„Thu's auch geru”, antwortete der
Alte. „Will aber niemandem im Weg
jein. Dir laſs ih das Häuſel ver:
Ichreiben, Nat. Wirft heiraten wollen.
Meinetwegen; aber nit da ins Stübel
herein. An den Strohſtadl hinauf,
“
-
jetzt ein
meinte der
wie es anf der
Ein Unglüd it!
wenn du willit. 's iſt ein Elend,
ja wenn die Hütten jo Hein it.“
„Meiner Seel’!* rief der Sohn.
„Das Gründel thät's tragen, aber
das Häuſel tragt’s nit“, meinte nun
auch die Krauterin.
„Meine lieben Leut', es kann noch
lang dauern!“ gab der Alte zu be—
denken. „Aber ich mit, ich thu's mit.
Will auch nichts gejagt haben.”
„Kunnt "Teicht nit recht
jagte die Krauterin.
„ingejperrt wird einer, der's zu
Fleiß thut!“ verjeßte der Natz. „Zu
Fleiß thu' ich's mit, das weiß ich.“
„Geh, Alte“, ſagte der Krauter,
„zünd' ein Licht an. 's iſt Zeit zum
Roſenkranzbeten.“
ſein“,
II.
Heiße Sommertage waren ge—
kommen. Gewitter gab's und die
Blitze ſchlugen im nahen Schaden
ein, und ins flache Feld und jogar
in den alten Eſchbaum, der unweit
des Krauterhäuschens Stand. Der
Eihbaum brannte lichterloh. Die
| Krauterleute fanden in Aufregung
vor ihrer Thür und der Alte mur—
melte: „Wenn jet der Wind fommt,
jo kann uns ein Unglüd treffen, Die
| brennenden Moosfeßen tragt's ver—
fluchtlet weit herüber!“
„Geh, ſchau, Natz, ob der Brun—
nentrog voll Waſſer iſt!“ befahl die
Mutter.
Der Sohn gieng hinter die Hütte
hinaus zum Brunnen, ſchlug im
vollen Troge den Zapfen los und
als das Waſſer ausgeronnen war,
kam er zurück und ſagte: „Der Trog
iſt leer. Wenn ein Unglüd ſollt' ſein,
wir kunnten uns nit helfen.“
„Sch dent‘, wir heben an und
tragen die Sachen heraus”, ſchlug der
Alte vor; in demfelben Augenblide
erhob fich ein Wind, der brennende
Baum lobte neuerdings auf, Die
| Ylammen flogen weit durch die Luft,
aber nad) der entgegengefekten Rich—
887
tung, als die war, wo Die Hütte
land.
Miſsmuthig giengen die drei Leut—
hen wieder ihren Gejchäften nad. .
Am jelbigen Abende meinte die
Krauterin vor dem Roſenkranz: „Das
Florianigebet funnten wir auslaſſen;
wird jonft allemal die Suppen kalt.
Er weiß es fo wie jo.”
„Eh jo!“ kicherte der Alte, „er
wird's ſchon willen, wie es für nuus
am beſten iſt. Ich hab' doch mein
Vertrau.“
„Mir geht ſchon die Geduld aus“,
„Auf mein Häuſel!“
Da lachte die Schöne Hell auf.
„Das alte Glumpert nennt er ein
Häufel! Du, da hinein bringit mich
tt. 's kunnt z'ſammfallen.“
Gegen Mitternacht gieng die Grün—
büſchl zu ihrem Vater, fo freute es
auch den Krauter Natz nicht mehr im
Wirtshaus. Er machte ih langſam
auf den Heimweg. Als er durch den
‚Schaden war und auf dem Felde,
'wo die Schöber des gejchnittenen
Kornes ſtanden, ſah er vor ſich das
Häuſel. Es ragte in der Sternen—
ſagte der Sohn. „Das Jahrl ift bald uacht wie ein ſchwarzer unförmiger
um, nachher kann man das fünftemal
Haufen auf der Fläche. Der Burſche
acht Gulden hinauswerfen. — Meiner zündete ſich in der deckelloſen Thon—
Seel'!“
Bald nach dieſen Tagen war un—
ten im Dorfwirtshaufe Freimuſik. Der
Natz Fand ſich auch dabei ein und
weil er gerade zurecht fam, wie junge
Burſche in einem großen, wirren
Knäuel beifammen waren und mit!
Fäuſten auf einander losdrofchen, jo
beteiligte er ſich raſch an dieſem
Geichäfte. Zwar mwufste er nicht, um
was e3 gieng, das macht nichts, er
jhlug eben tapfer drein. Und weil
er der Flinkſte war und ausgiebig
dreinſchlug, ſo blieb er Sieger und
wie die Jungen auseinander ftoben,
blieb dem Natz die Grünbüfchl in der
Hand.
ein Frifches, rundes Mädel, deret—
wegen der behendige Dandel losge—
brochen war,
Die Grünbüfchl, als fie jah, fie
ftünde. an Seite des Stärkeren, blieb
an Seite des Stärferen ſtehen. Der
Natz lud fie ein, Fich zu ihm zum
Wirtshaustiich zu ſetzen — und was
jie trinfen wolle?
„Einen Süßen!“ jagte fie ſchämig
und war dabei ganz reizend anzu—
ſehen.
Eine halbe Stunde ſpäter ver—
ſprach er ihr das Heiraten.
| noch
die
hinein aufs Stroh, wo zur Some
Die Magdalena Grünbüfchel, |
pfeife eine frische Ladung Tabak an
und dachte fich jo fein Theil: Unrecht
hat fie eh nicht. 's ift ein Glumpert.
Man iſt feines Lebens nicht mehr
licher drin. Niederreiien? Neu aufs
bauen? Wohin mit der Welt? Wo—
her mit dem Geld? — Na, jebt gehn
wir Schlafen, für heut’ wird's es wohl
halten.
Er gieng hin, Hetterte von außen
Leiter hinan, beim Dachthürlein
merszeit jein Lager fich befand. Im
Gewand, wie er war, jo legte er ſich
bin; wird ja jo bald wieder zum
Aufitehen fein, im Sommer wird's
früh Tag. So knapp unter dem Firft
lag er, dass die Fetzen des zerzausten
Strohdaches ihm ins Geſicht hiengen.
Er pfuſtete den ihm in den Mund
fliegenden Staub aus und rauchte ruhig
weiter. Dabei dachte er natürlih an
die Grünbüjchl. Sie war ſchon lange
jein Gedante gewejen und heute hatte
er fie ganz zufällig ergattert. Wenn
der Menſch Glüd hat, geht alles,
Heißt dag, wenn er's hat. Der Naß
ift ihr gut genug, aber das Häuſel
it ihe zu Schlecht. — Was, Ratten?
Ich glaub gar, es find Ratten da,
weils jo Herumfahrt im Stroh.
„Wartet, Rabenvieher, euch will id
„a“, entgegnete fie, „auf was | Helfen !" Mit diefen Worten jprang
denn?”
er auf, ſchleuderte die Tabakspfeife
888
ins Strob, daſs die Funken ftoben, alte Krauterin mit ihrem Blechmodel
und flieg eilends die Leiter hinab. | Talgterzen. Man nimmt ihrer in der
„Wer ift denn da?“ zetierte die | Laterne mit, wenn's mächtiger Zeit
alte Kranterin, als der Natz unten zum Wandern ift. Noch ſuchte der
in die Stube trat. „It denn kein’ Natz in der dunklen Strohfammer
Fried zum Schlafet?“ ‚feinen ZTafchenfeitel, fand ihn aber
„Es ift fein Fried zum Schlafen“, nicht, und bald darauf, gegen Abend,
antwortete der Burfche. „In der | trieben die Leutchen ihre zwei Kühe
Strohfammer oben müſſen Ratten und die Ziegen in den Schaden,
fein. Meiner Seel'!“ |verfperrten ihre Hütte und machten
„Und du bift es noch mit ges |jih auf den weiten Wallfahrtsweg
wohnt, das Unzücht?“ ſchnarrte jebt gegen Schußengelberg.
auch der alte Frauter drein. Spät in der Nacht, als fie Ihiweig-
„Baterleut,“ fagte der Natz, „ich ſam den Berg hinanftiegen zur Kirche
dent, ihr fteht auf und wir tragen | und zum Einfehrhaus, blidte der Naß
Saden hinaus . . .“ zurüd in die Gegend, von der ſie ge=
„Was ſagſt, Natz?“ flüfterte der fommen. Hinter der Dügelfeite war
Alte, „wird doch das mit fein? Ein ein rother Schein, als gienge der
verfluchtleter Schelm bift.* Mond auf. Es war aber nit mm
Da waren die Alten auch ſchon ſolche Mondeszeit, der Burſche wen—
in ihren Kleidern. Der Nab öffnete dete raſch jein Geſicht, ftieg rüftig
die Staflthüren, dafs die Dausthiere | bergan und jagte nichts. Als fie ſpäter
hinaus fonnten. Und dann Huben alle) in der Wirtsfheune unter anderen
drei an, Gewandzeug, Garnfträhne, | Wallfahrern ichliefen, Hub die alte
Hausgeräthe, Schmalztöpfe und an- Krauterin auf einmal an zu ſchluch—
derlei Dinge aus der Hütte zu ſchlep⸗ | zen. Um die Hühner thäte es ihr fo
pen. Auf dem Felde unter den Korn- | leid, jagte jie, die armen Vieher wären
ihöbern verbargen fie die Saden. in ihrer Steige hinter dem Derd ver:
Bei ſolchem leiten, haſtigen Hin- und geflen worden. — „Traumreden thut
Herlaufen blidte der Nat manchmal ſie“, murmelte der Alte, „Weib, du
aufs Häufeldah . . . Es war aber |jollit in Gottesnamen jchlafen.*
nichts. — Endli tagte der Morgen, Am nächſten Tage während des
die Hütte ftand, wie fie geftern ges | Gottesdienites ſchob ſich im Kirchen»
ftanden, und die Familie gieng ver- gedränge der Scaffel = Franz, ein
drieglich an ihre gewohnten Verrich- Zimmermann, zum alten Krauter hin
tungen. und flüfterte ihm die Frage ins Ohr:
An einem der nächlten Tage gieng | „Biſt du gejtern Schon hergegangen ?“
ein Nachbar des Weges, der rief den Der Krauter nidte mit dem Kopf,
Kranterleuten zu, fie follten doch die ohne ſich weiters in feiner Andacht
Kornjhöber einheimen, der Anzeichen ſtören zu laſſen.
nach käme ſchlecht Wetter. „Wirft einmal ſchauen, wenn du
„Bis übermorgen muſs es noch heimkommſt!“ jagte der Schaffel-tFranz,
aushalten”, antwortete der alte Kraus | „wenn du einen Zimmermann ſollteſt
ter. „Wir möchten germ eine Kirch- | brauchen, ich bin jet zu Haben.“
fahrt machen auf den Schutzengel— Der andere betete ruhig weiter.
berg, wo morgen das Felt ift. Schuß Nachmittags auf dein Heimweg
und Segen hat der Menfch alleweil | giengen die Krauter-Leute mit meh—
zu brauchen.“ teren anderen. Bei einem Wirtshaufe
„Halt eh recht“, jagte der Nach: | wollte der Na einfehren, doc jeine
bar und gieng feiner Wege. Mutter ſagte, fie müſſe nachhauſe
Am ſelbigen Nachmittage goſs die eilen, die Ziegen zu füttern, Als fie
1
889
durch den Schaden Hinausgiengen,
jagte die Krauterin: „Was nur das
für ein Starker Geruch ift, Heut?“
„Sie müſſen irgendwo Stroh
verbrannt Haben,“ meinte der Nab.
„Jeſſes Maria!” ſchrie jegt auch
ſchon der Alte auf. Sie waren aus
dem MWäldchen getreten und fahen es.
Wo das Häuslein geftanden, da lag
ein grauer, glojender Aſchenhaufen
und mitten empor ragte die roftbraune
Dfenmauer. Etlihe Nachbarn ftanden
umher und betradhteten die Brands
ftätte.
Zu diefen trat nun der E
Krauter weinend Hin, hielt feinen
Hut in der Hand umd rief: „Ihr
jeht es, ihr jeht es! Bill’ gar
Ihön um eine Brandjtener!”
„Nur ein Glüd, dafs das Vieh
nit mitverbrannt iſt“, bemerkte einer
der Nachbarn. Denn die Kühe und
die Ziegen waren im Schaden.
„Jetzt thun fie Halt nichts melfen“,
fagte die Krauterin. „G'alt' find fie.“
„Es verfolgt uns wohl hart!“
jeufzte der Alte,
„Müd' und Hungerig und
keine Heimſtatt!“ ſo klagte ſie und
weinte heftig in ihre Schürze hinein.
„Dieweilen wir die heilige Kirchfahrt
machen, hat uns Gott verlaſſen. Was
haben wir denn verſchuldet und was
heben wir jetzt an?”
Einer der Nachbarn lud fie ein,
in fein Haus zu fommen. In wenigen
Tagen würde ja eine Nothhütte auf:
gerichtet jein und e3 würden wieder
bejiere Tage werden.
„Verhoff's wohl, verhoff's!“ ant—
wortete der alte Krauter.
Es wäre nur ein Glück, dajs die
Feldfrüchte noch nicht unter Dad
geweien.
„Iſt wohl ein Glück!“ ſagte der
Alte und ſtarrte wie verloren vor
ih Hin.
Mit einer langen Stange begann |
er hierauf Eifenbeitandtheile aus der
Aſche zu frauen. Der Naß half ihm da—
bei. Die Nachbarn hatten ſich all»
mählich verzogen. Yn der Abenddäm—
merung, als ein Lüften ftrich, lohten
einzelne Kohlenbrände noch einmal
hell auf.
„Das iſt ſchon eine Paſſion!“
flüſterte der Alte dem Jungen zu und
wühlte in der Aſche.
„Meiner Seel'!“ gab dieſer bei.
Nachher ſtrichen die beiden aufs
Feld Hin und gudten unter die Korn—
Ichöber.
„Roc gut aufgehoben“, ſagte der
Alte. „Müſſen's aber befjer verwah-
ren. Wird bequem herzunehmen fein
für das neue Haus.“
„Das wird ein bifjel anders aus—
ſchauen, als wie die verdächtige Hüt-
ten. Gut weg ift das Glumpert —
meiner Seel’, ih bin froh.“
„Das neue Daus wird gemauert
— und ein Ziegeldadh.”
„Und drei Stuben wenigitens.“
„Verſteht ſich. Wirft ja auch eine
brauchen, Nab, oder gar zwei. Haft
fie redlich verdient,“
„Meiner Seel’ !*
„Nu wird's doch einmal beiler
werden. Dafs wir uns können helfen.
Morgen geh’ ich zum Agenten, dafs
wir bei Zeiten das Geld Kriegen.
Wenn’ gut geht, mögen wir das
neue Haus noch vor dem Winter
unter Dach bringen.“ Alfo der Alte.
Und ih möcht” vor dem Winter
auch noch die Grünbüjchl unter Dach
bringen, dachte der Junge.
Hernach giengen fie in den Scha—
Ken und molken die Ziege. Diefe
hatte ſchon erbärmlich gemädert, ihres
übervollen Euters wegen. In Er—
mangelung eines Gefähes wussten fie
ſich's nicht recht anzuſchicken; fie
molfen einander in die hohle Hand
und tranken alfo das Nahtmahl aus
lebendiger Scale.
„So nobel haben wir es jchon
lang mit mehr gegeben", jagte der
Alte und ſchlürfte.
„Meiner Seel’*, jagte der Junge
und jchlürfte ebenfalls.
Und nachdem afl das jo gefchehen
nn
890
war, trotteten fie ſachten Schrittes! den eingetretenen Bauern zu ſich,
hinaus zu einem Nachbarshof und | ftand aber nicht auf und lieg den
legten Fich im der Schener aufs Heu. Antömmting auch nicht niederligen.
| „Ihr jeid der Mathias Krauter ?”
Der Angeredete glättete mit ber
Hand das verfiörte, jihüttere Haar
Am nächſten Morgen giengen die | über die Stirn herab und nidte mit
alte Nrauterin und ihr Sohn mit dem Kopf: er wäre es.
Eiſenkrampen hinauf zur Branditätte, „Ihr habt euer Haus angezüns
Wer ihnen in den Weg Fam, den | det!” ſagte der Richter.
bettelten fie Hagend an um eine Knidte der Alte ein wenig mit
Brandftener; jahen fie fich allein, jo | den Knien ein, that aber, als hätte
waren fie guter Dinge. Warum denn er das Wort nicht verjtanden.
nicht? Abbrennen iſt zwar ein Un— „Dat mich Halt wohl ein großes
glüd, aber wenn man dafür Geld | Unglüd getroffen, jet“, ſagte er.
befommt! Ein Unglüd, das gut be= | „Dieweil wir auf der Kirchfahrt find
zahlt wird, ift immer noch zu er- | gewejen, ift uns das Häuſel nieder«
tragen ... gebrannt.“
Der alte Krauter gieng an dieſem „Ihr Habt es ſelbſt angezündet“,
Tage hinab in den Marktflecken. Je- | verjegte der Nichter ganz fühl und
dem erzählte er das große Unglüd, ruhig.
welches ihn getroffen und al$ er vor Der Bauer antwortete: „Eine
der Aſſecuranz-Agentur ſaß, da die folche Red’ it aus der Weis, Derr
Amtsſtunde noch nicht gelommen war, | Richter. 's iſt fein Menſch daheim
verdedte er fein Gejicht mit dem ruf= | gewejen. Ih, meine Alte und der
figen Händen — er hatte jie zu Sohn, der Natz, find auf den Schutz—
Fleiß nicht gewaschen — und weinte. |engelberg gegangen und über Nacht
Die Leute blieben vor ihm ftehen und | ausgeweſen.“
ſagten: „Armer Mann! Wenn er nur „sa, ja, und Habt vorher euere
gut verlichert war!” Hausthiere ins Freie getrieben, und
Nun fam ein Mann mit farbigen | habt aud Geräthe, Kleidungsitüde,
Rodaufichlägen herbei, blieb ftehen | Ejsvorräthe vorher aus dem Hauſe
vor dem eingenidten alten Mann | getragen und auf dem Felde unter
und fragte ihn: „Ihr feid ja der! Kornichöbern verborgen. Wie?“
Krauter-Bauer?“ Der Alte ſtarrte drein.
„Geweſen, lieber Herr, geweſen“, „Ihr ſeid dabei geſehen worden.”
antwortete der Alte, „jetzt ein Bettler.” Der Alte blieb ganz ruhig und
„Mir ift es recht, daſs ich nicht gab an, dafs er der vielen Gewitter
weit umzugehen braude. Eine Vor: | und Bligfchläge wegen etlihde Sachen
III.
ladung habe ich für euch.“ auf freiem Felde geborgen habe, was
„Aha, von der Verſichernng.“ ler auch im früheren Jahren, ſchon
„Bom Gericht.“ von jeinem Water ber, fo gehalten.
Stußte der Kranter. — Frei: | Und das Vieh bleibe zur Sommers=
fih wohl, dachte er ſich dann, man | zeit nachtsüber ftets im Freien, auch
muſs das Feuer ja beim Gericht an- bei den Nachbarn jei es jo. Das wäre
zeigen. Man denkt halt nit auf alles. | ihm doc jein Lebtag nicht in den
— Die NAgenturfanzlei war ohnehin | Sinn gelommen, dafs ſolche Umftände
noch nicht offen, er gieng daher rajch einen ehrlihen Menſchen könnten in
ins Gerichtshaus. Verdacht bringen.
Ein paar Derren jagen an Schreib= Hierauf mufste der Krauter alles
tijchen herum, Einer derjelben wintte | haargenau erzählen, wann er fein
Haus veriihert habe? wie hoch?!
unter welchen Bedingungen ? Mufste |
bernach angeben, wie er mit jeiner|
Hamilie am betreffenden Tage das
Haus verlaſſen babe, was ihnen
unterwegs begegnet ſei und allerhand
jo Dinge, die eigentlih gar nicht zur
Sade zu gehören ſchienen. Endlich
zündete man an einem Grucifir zwei
Lichter an und er musste jchwören,
dafs feine Ausfage ſich der Wahrheit
gemäß verhalte, und daſs er jein|
Haus nicht angezündet habe. |
Der Stranter legte ganz ruhig
darauf den Eid ab. — Als das ge—
Ichehen war, wurde er zu jeiner großen
UÜberrafhung in den Arreit geführt.
Am Nachmittage wurde die alte
Krauterin verhört. Sie konnte mit
ihrem Manne jeit feinem Verhöre jich
nicht verftändigt Haben, fagte aber ähnlich
aus, wie er. Und auch fie ſchwur,
da3 Haus nicht angezündet zu haben.
„Habt Ihr auch keinerlei Anlaſs
dazu gegeben ?* fragte der Richter
angelihts des Erucifires.
Da ftotterte fie. — Anlaſs? Wie
jo das gemeint jei?
„Etwa eine Verabredung ?“
„Mein Gott”, antwortete fie,
„freilich Spricht man bisweilen von
Feuersgefahr, wenn man unter einem
Strohdah wohnt!”
„Da ihre ziemlich Hoch verjichert
waret, fonnte euch bei dem Fchlechten
Zuflande des Gebäudes der Brand
nur zum Vortheile ſein“, bemerkte
der Richter.
„Lieber Gott, das leugne ich auch
gar mit. Wir haben öfter gejagt:
Wenn einmal ein Unglüd jollt’ fein,
wenigltens funmten wir uns was
Neues banen. Für was zahlt man
denn in die VBerlicherung, wenn man
nachher nit einmal das ſollt' denten
und jagen dürfen!“
„Könnt ihr es beichwören“, jagte
der Richter, „daſs weder bei Euch,
noch bei Euerem Manne, och bei
euerem Sohne jemals die Abjicht |
war, in Euerem Hauſe euer zu
2»
legen, oder bei einem zufälligen
Brande das Feuer zu begünftigen,
zu ſchüren, oder e3 wenigitens ohne
Löſchungsverſuch brennen zu lajien 2“
„So weit hab’ ich nie nachge—
dacht“, antwortete das Fuge Weib,
„und was die anderen denken, das
weiß ich nit.“
„But“, jagte der Richter, „einit-
weilen find wir fertig.“
Sie wurde in Gewahrfam gebradt.
IV.
Der Natz war noch nicht damit fertig,
die unter den Kornſchöbern verborgenen
Gegenſtände im Schachen unter Moos
und Heidekraut zu verſtecken, als ein
des Weges kommender Schulknabe die
Nachricht brachte, ſein Vater und ſeine
Mutter ſeien eingeſperrt, weil ſie das
Häuſel angezündet hätten.
„So ſteht's ?“ ſagte der Burſche
laut zu ſich ſelbſt. „Meine Eltern, das
iſt zu dumm! Meiner Seel'!“
Er warf noch einige Arm voll
Moos auf die Garnſträhne und
Schmalztöpfe und machte ſich dann
auf den Weg in den Marfifleden.
Die werden mich nicht Haben
verraten wollen, dachte er unter«
wegs. Werden auch nichts echtes
willen. Iſt recht, jo werde ich alles
erzählen, wie es geweſen it. Was
fann mir denn geichehen? Wegen
Unachtſamkeit ein paar Tage einge—
jperrt; steht wohl nit dafür, wegen
jo was einen falſchen Eid ablegen.
In ein paar Wochen iſt die ganze
Geichichte vorbei, wir haben das Geld
und können anfangen zu bauen.
Bei Gericht trat der Burfche ziem—
lid vorlaut auf, wie einer, der da
fei, um Ordnung zu machen.
Er begehrte, ſeine Eltern freizulaſſen,
und Leute, denen das Haus nieder=
brennt, wegen nichts und wieder nichts
einjperren, das veritehe er nicht. Was
fie wüjsten, das wiſſe er auch.
Aljo, wie es gewejen ſei? Wel—
des von den dreien dor der Wall:
fahrt das legte im Haus gewefen ?
„Wir alle Drei. Zugejperrt hat
die Mutter“, erzählte der junge Krauter.
„War da irgend ein Brandgeruch
zu bemerken ?* fragte der Richter.
„Den müfste ich wahrgenommen
haben, ich hab’ noch meinen Taſchen—
feitel geſucht.“
„Wo Haben Sie Jhren Tajchen
feitel geſucht?“
„Im Häufel, In der Strohkam—
mer, wo mein Bett iſt.“
„Die Strohlammer ift wohl dun—
tel ?*
„Was Halt bei den Dachlucken
hereinſcheint.“
„War Ihnen das hell genug, um
den Feitel zu ſuchen?“
„Ich habe eine Kerze angezündet.“
„Und mit der brennenden Kerze
ind Sie in die Strohkammer ge—
gangen ?*
„Das fommt oft vor,“
„Haben Sie Ihren
gefunden ?“
„Rein, An der Hausthür Hat die
Gegenftaud
Mutter geſchrien, 's wär die höchſte | dafür da.
Zeit zum Fortgehen.“
„Wie Haben Sie die Kerze ge—
halten ?*
„Ich Hab’ fie hingeſtellt.“
„Bo Hingeftellt ?*
„Auf den Schaub,“
„Und natürlih ausgelöjcht,
Sie fortgiengen.”
„Es kann ſchon fein. Ich weiß
das nit genau, die Mutter iſt jchon
art ungeduldig geweſen.“
als
einmal fo viel angejchlagen Haben
ſoll. Auch Kopfweh hab’ ih am ſel—
bigen Tage jo viel gehabt.”
„Es ift Schon gut,“ ſagte der
Richter, indem er emjig etwas auf
das Papier jchrieb.
Der Natz Stand da umd dachte bei
ih: Das haft doch einmal gut gemadt.
Daft es eingeltanden und fönnen dir
nichts machen. So Umftändlichkeiten
da, bei jedem Stegen. Meiner Seel’!
Der Bezirlsrichter Elingelte. Der
Diener trat ein.
„Rufen Sie
die Gendarmeı.
ı Diefer Mann wird fofort den Lan:
desgerichte eingeliefert 1”
Da fuhr er einmal in die Höhe,
der Ignaz Krauter. „Wiefo, Lan—
desgericht 7“ rief er. „Das iſt ja das
Verbrechergeriht! Bin denn ich ein
Verbrecher, weil ih aus Unachtſam—
feit meine eigene Hütten angebraunt
hab’? Wen geht’3 denn was an, wenn
ih meine Hütten niederheiz ? — Die
Verſicherungs-Geſellſchaft? Die ift ja
— Fr was zahlen wir
denn ein?“
So lange raijonnierte er in jeiner
Bauernlogit, bis die Gendarmen ihn
davonführten.
Bei dem Landesgerichte geitand er
e3 ohne viel Umftände ein, dals er
mit Abſicht die bremmende Kerze in
den Strohſchaub geftedt hatte, damit
fie einige Stunden jpäter, wenn die
drei Bewohner jchon auf weiten Wegen,
das Stroh erfaffen follte. — An dem—
„Alſo haben Sie das Licht in der | felben Tage wurden die alten Krauter—
Strohfammer brennen gelaffen ? Wie?* | Leute freigelaflen; Na aber erhielt
„Das weiß ich jegt mit mehr.“
„Iſt es Ihnen später nicht eine
ſechs Jahre Kerker. — Die Verſiche—
rungsſumme, wegen welcher alles ge=
gefallen, al3 Sie gehört, das Dans ſchehen, war verfallen.
jei niedergebrannt ?”
„Sa, da hab’ ich gedacht:
Und die Krauter-Familie, welde
MWirft | früher in der feinen Hütte arbeitiam
doh mit die dumme Kerze brennen und ruhig dahingelebt, beitand jekt
gelaſſen Haben!”
„Haben Sie fi gedacht!”
„Ich bin oft jo zeritrent, Weil
aus zwei alten Bettelleuten und einem
jungen Wrreftanten.
Auf der Brandftätte des Krauter-
ih mich als Kleines Kind den Kopf) Häuſels wuchjen Neijeln und Difteln.
803
Die Hordpolfahrer.
Eine Erzählung von Hans Malfer.
(Schlufs).
un war aber der Geiſteszuſtand
Rn, des finſteren Mannes noch ſelt—
* jamer geworden. Wie auch die
Welt im Norden erjchrediich, wunder:
bar und berüdend fich geftaltete: jene
legte Nacht in der Heimatlihen Stadt
ihwand nicht aus dem Gedächtniſſe,
und fie war fein Traum. Robert
fühlte es noch heute in feinem Arme,
wie er damals der Geſtalt im Daine
das Meier mitten im die Bruft ge—
ftogen hatte. Völlig lautlos war der
Getroffene zufammengeftürzt. Wer nun
war e3 gewelen? wen hatte er er=
mordet? — Ad, dafs feine Brüde
gezogen tt und fein Bote wandeln
kann zwilchen jener Stadt und diejen
ftarren Gefilden! So muſs im Jen:
feit3 der unerlösten Seele eines Ab—
gejchiedenen zu Muthe fein, wie die—
ſem Manne, der nun ſelbſt wie ein
ein riefiges Feuerband über den Him—
mel, oder e3 ftand in ftiller Ruhe das
ungeheuere Glutrad des MNordlichtes
wie die Fata Morgana des prophe-
zeiten Weltbrandes.
Mit verdedtem Antlitze wankte
Nobert zurüd in feine Hammer; nein,
er vermochte es nicht, der Majeftät
Gottes ins Auge zu bliden. —
So gieng e3 immer tiefer in die
nächtliche Zeit. Die Officiere des
„Siegfried* hatten Stoff über Stoff
zu wilfenfchaftlichen Arbeiten, Steiner
dachte an eine MWeiterreife oder au
die Rückkehr; es wäre wahrhaftig auch
nicht gut gewejen, an jo unmöglich
Scheinendes zu denten. Was aud)
fommen und werden mochte, ihr Geilt
juchte die Gegenjtände Ddiefes Him—
melsftrihes, die noch fein Nature
forfcher bisher vor Augen gehabt, zu
Geſpenſt einhenwantte, blaſs und ab-ierfaflen und zu durchdringen. Die
gehärmt und mit erlöjchendem Auge. | Maunſchaft aber, die nichts als Eis
Zuweilen ftand Robert, wenn die
Genoſſen ruhten, auf dem Dede des
eingefrorenen Schiffet, und ftarrte
hinaus in die Eiswüſte. Zu ſchauer—
lich phantaftifchen Mailen hatten fich
die Scollen und Blöde gethürmt.
Hier dräute ein überhängender Berg,
der heute noch niederbrechen konnte
auf den eingeflemmten „Siegfried“,
dort Stand ein Rieſe mit gehobenem
Arme, weithin ragte ein wildes Horn
ihief in die Naht hinein, Dann
wieder war das Krachen des berſten—
den Eijes vernehmbar. Und über die
jen Schreckniſſen zog ſich bisweilen
und Dunkelheit ſah, begann an Lang—
weile zu leiden. Das erſte, was ſie
zur Feier des Feſtfrierens that, war
ein Begraben in die Pelze, um nach
den Kämpfen mit dem Treib- und
Packeiſe fih einmal gründlich auszu—
Schlafen. Aber gefunder Schlaf gibt
neue Kraft, die ſchaffen will: und
bier gab es nichts zu thun.
Müpigang ift ein böfes Ding
und kann auch Helden gefährlich wer-
den. Das wufste Gapitän Prachwald
wohl; und im December, als die
Zeit gegen Mitternacht gieng, ließ er
in der Nähe des Schiffes auf einem
804
flachen Felde aus Eis einen Bau auf:
führen. Da wurde nun bei Tadel:
ſchein luſtig geſtemmt und gejägt und
gemeißelt, und als das Weihnachts—
feft nahte, Stand ein Heiner Balaft
mitten im der flarrenden Wildnis,
und wenn eben nicht jchwere Nebel
lagen über den Gefilden, jo fpiegelte
ich Nordlichtſchein und Sternenglanz
in den Wänden des nenen Hauſes.
Nun wurden einige Geräthe in
den neuen Bau geitellt, aus Holz.
jpreizen und farbigem Papier wurde
ein Weihnachtsbaum geichaffen und
mitten im Eispalafte aufgepflanzt.
So kam das fiebe Chriſtfeſt, zu
welchem vom Oriente bis zum Occi—
dente die Glödlein läuten. Zur nächt—
lihen Stund’ ein Freudenruf jchallt
dur die Melt, und die Lichter und
die Augen ſtrahlen wie ein Diaman-
tengürtel um den Erdball.
Am Pole, im ewigen Nchzen und
Krachen des berftenden Eijes Klingt
fein Slödlein. Aber wohin das Mens
ihenherz mit feiner Liebe vermag zu
dringen, da wärmt und leuchtet auch
die Flamme.
Zur Stunde, in welcher das liebe
Feſt der Weihnacht in allen chriftlichen
Yändern gefeiert wird, waren auch
unjere Neden hoch oben im Norden
verjammelt in dem Daufe, aus Eis
Angehörigen daheim, Jeder las mit
| Begierde und wiederholt das beilie-
gende Briefchen an ſich, nicht achtend,
dafs ſelbes jchon in den Tagen ges
Ichrieben worden, als der „Siegfried“
noch im Hafen der heintatlichen Stadt
lag, oder eben erſt vom Stapel ge—
gangen war. Denn die für das Weih—
nachtsfeſt beſtimmte Kite war den
Nordfahrern durch jenen engliſchen
Schnelldampfer nahgeihidt worden.
Die Freude im Eishauſe war un:
befchreiblich. Nur der kranke Schloſſer
Hand einſam und vergeſſen da; für
diefen fand Jich feine Gabe vor,
Aber auch Waldemar Hatte an der
gejelligen Freude nicht theilgenommen.
Ihn verlangte es, zu dieſer Stunde
allein zu jein. Dicht in jeine Pelze
gehüllt, fand er auf einer Schnee-
warte und Hatte jein Antlitz gegen
Süden gerichtet. Ein reicher, unjäg-
fh reiner Sternenhimmel hatte lich
gebaut, und die Geitirne schienen
‚immer tiefer und tiefer niederzuſinken,
und manche prangten im blauen und
röthlichen Farben.
| Faſt im Zenith leuchtete lebendig
und Hell wie eine feine Sonne der
Polarſtern. Ein weiger, völlig freund
licher Schein lag auf der Eiswüſte,
der aber mit einemmal auhub, ich
ein wenig zu vöthen. Es Hatte Tich
die Temperatur gebrochen, fie war
gebaut, und mitten unter ihnen ftrahlte | plöglich geftiegen, und jo ſah Wal—
fill die Lichterkrone des Weihnachts- demar jet eine über alle Veichreibung
baumes. Wie funfelte das ringsum! gerrliche Erſcheinung. Da war es jäh-
in den glatten grauen Tafeln, und lings, als ob rings um den weiten
in den Augen der bärtigen Männer! Gejichtsfreis mattröthliche Flammen
„a, Kameraden!” rief der Ca—
pitän plößlich, „fie denten unſer da=
heim; ſie ſenden uns Chriſtgaben.“
emporzuckten. Sie hoben und ſenkten
ſich, stiegen im ganzen aber immer
höher herauf und leckten immer weiter
Und eine Stifte wurde vorgefhoben, in die Dimmelstuppel hinein. Ein
die der Hauptmann öffnete, und aus | Stern um den anderen wurde von
der er unter dem hellen Jubel der den Flammenzungen ergriffen und
Männer, Die Heute wieder Kinder ge= |mum jtrahlten ſie duch den Rojen-
worden, anhub, Heine Geſchenke zu ſchleier in verfchiedenen Farben. Ends»
vertheilen. Es waren niedliche und lich ftand, von Horizonte abgehoben,
iinnige Dinge, beionders aber viel) die ungehenere Fenertrone am Him—
Feuerzeug und Tabat; und die Ge- mel, und die Geftirne jchimmerten
genftände kamen wahrhaft von den Jin diefer Krone wie Smaragden,
Rubinen und Diamanten. Und fiehe,
aud auf den Eisgründen lag der
Miderichein, und das glühte auf dem
blaffen Gerilde, wie taujend fproijende
Blümlein.
Waldemar Sieg vor Entzüden
einen Schrei aus; „Litta!“ rief er,
„ad, könnteſt du jeßt bei mir fein!“
Doch, da fam die Wehmuth wie
der. — Sie ilt im Feſtſaal, ift von
Pracht und Schmeichlern
umgeben: jie denft nicht an dich ...
vielleicht,
| Robert
895 |
glüdlich zurüd zu deiner armen, ber-
laſſenen Litta,‘
Hatte der junge Mann den Brief
laut vor ſich Hingelefen oder Hatte ihm
ein unberufenes Auge über die Achſel
in das Blatt geſehen? Ein plößliches
Wimmern wurde Hinter ihm laut.
fa auf dem falten Boden
und rief mit gerungenen Händen ;
„Derrgott, ihr Bruder ift es geweſen!“
„Ihr einziger Bruder!’ jtöhnte
‚er wiederholt.
Ein feder Ruf vom Eishaufe her
wedte ihn aus feinem Sinnen: „Der
Ihöne Waldemar=Grillenfänger! er foll
kommen um ſein Chriſtgeſchenk!“
Waldemar trat in das Haus.
Bor dem noch ſtrahlenden Weihnachts= |
baum auf dem Kryſtalltiſche lag ein
Degen mit filbernem Griffe und mit
Schärpe ftanden im gothiſchen Gold—
buchſtaben die Worte:
lihen Norden Waldemar.“ Auf der
anderen Seite des Bandes, mit rothen
Fäden geftidt: „Von jeiner Litta.“
Wie neuer Nordlichtſchein ſtieg es
jetzt auf über das Antlitz des jungen
Mannes, und in feiner Bruſt war
eine Wärme, als
Eisregion auf der ganzen Welt.
beiliegenden Brief mit ſchwarzem Rand
und Schwarzen Siegel.
„Mein Lieber Freund!“ ſchrieb
die Tochter des ftaufheren, „Mo Dich
meine Zeilen, die ich einen Tag nad) |
Deiner Abreife mit zitternder Hand
niederjchreibe, auch finden und bes
grüßen mögen, wenn Weihnacht ift,
nimm freundlich das Andenken von
gübe es gar feine
zuſammengeführt.
mir, und laſſe Dich ein wenig damit
erfreuen. Die Sendung gebt bereits
ab und ich vermag kaum zu jchreibent.
Diefer Brief erſt joll Dir jagen, was
heute Nacht Hier geichehen if. Mein
Bruder Oskar ift im Garten ermordet
worden. Alles Nübere iſt noch im
Dunkeln. O, mein Waldemar, der
Dimmel ſchütze Dich! fehre bald und
j Aa ne ⸗ leicht geworden.
einer weißſeidenen Schärpe; auf der —X
Endlich in das Schiff zurückge—
kehrt, hat Robert Wackar den Capitän
und Waldemar zu ſich an ſein Lager
rufen laſſen, bat alles geſtanden.
Offen und ohne Hinterhalt hat er
erzählt, was der Lejer dieſer Gefchichte
bereits weiß, und al3 er damit zu
Ende war, jagte er: „Vest ift mir
Sch Hoffe, dajs ihn
Gott in Gnaden aufgenommen Hat;
mir Hat es ja auch das Leben ge=
„Dem tittere joſtet. Das nordiihe Eis bat meine
Liebe und meinen Haſs und meinen
Jähzorn gefühlt. Ich verdiene nicht,
daſs ih noch einmal zurüdtehre, ich
fühle es wohl, ich bleibe hier. Nur
‚eins wollte ich mir noch erbitten vor
meinem Ende.‘
Der Kranke ſchwieg und in feiner
Bruſt wogten die Stöße des Schmerzes.
Da bemerkte MWaldenar auch den |
„Armer Kamerad“, verjeßte der
Gapitän, „dein Wunſch, fo er in
unferer Macht ſteht, ſoll erfüllt fein.’
Robert langte nah Waldemar
Dand und ſagte leije:
„Wenn du mir verzeihen fönnteft !
's iſt wohl lange ber, daſs wir
Freunde geweſen; das Geſchick Hat
uns entzweit und doc immer wieder
Waldemar, wenn
du in der legten Stunde twieder mein
Freund jein könnteſt!“
„Ich habe dich nie gehajst, Ro—
bert“, entgegnete Waldemar mit feuch—
tem Auge.
„So kehre heim in unſere liebe
Stadt und beſchütze Litta!“
Der Arzt trat dazwiſchen und
verordnete dem Kranken ſtrenge Ruhe.
Der Athen war furz und jtodend;
Zeichen stellten fich ein, daſs der
Proceis in der Bruft durch das herbe
Klima und vielmehr noch durch die
gewaltigen Gemüthsbewegungen einen
raschen Verlauf nehmen würde.
Das Weihnachtsfeſt war vorbei.
Eine plötzlich eingetretene Eispreffung,
weile auch den „Siegfried“ von
neuem gefährdete, Hatte den kryſtalle—
nen Weihnachtspalaſt wieder zeritört.
Gewaltige Mafjen Hatten fi darüber
bingejchoben und zu Bergen aufges
thürmt, an denen manchmal ein ſchwer—
fälliger Eisbär jihtbar wurde, der mit
vielem Erſtaunen auf das Sciffwert
und jeine jeltjamen Bewohner nieder»
lugte. Wer hätte auch dieſen zottigen
Geſchöpfen gelehrt, vor den zweibeini-
gen Fremden zu fliehen ? Sie flohen
nicht; erſt der Blitz und der Knall
erjchredte fie, aber da ftürzten fie auch
ihon von den Eiswänden nieder,
Für den armen Robert waren es
böje Stunden; allein Waldemar blieb
ftet3 an jeinem Lager. Einmal aber,
während Waldemar auf furze Zeit
das Gemach verlafjen hatte, bat der
Kranke den Wärter um ein Stüd
Bapier und Feder. Nachdem er mit
Mühe einige Worte gejchrieben hatte,
barg er das Blatt unter fein Pelz—
tijlen, und als Waldemar wiederfehrte,
machte der Kranke ein vergnügtes Ges
licht.
Wenige Stunden jpäter aber war
es, als Robert jagte: „Euch alle führe
Gott in das Vaterland zurüd! Der
Verbrecher ſei ausgejchloflen von der
Gemeinschaft, er ſoll im Eiſe ver-
bannt jein. — Nur das Tageslicht
möchte ich gerne noch einmal jehen.
Und unter einer handvoll Erde möchte
ih ruhen.‘
Der eine Wunſch des Armen
wurde nicht erfüllt; zu Anfang des
Monates yebruar, ehe es noch zu
tagen begann, drüdte ihm Waldemar
die Augen zu. Eine Stapelle aus Eis-
quadern wurde gebaut und darin der
Zodte aufgebahrt.
Noch in demjelben Monate begann
es zu tagen. Im Süden tauchte, ans
fangs in Zwilchenräumen von viers
undzwanzig oder wenigeren Stunden
das blafje Licht auf, das von Tag
zu Tag lebhafter wurde und länger
andielt, bi5 zum Beginne des März
unter einem unbejchreiblichen Jubel
der Mannjchaft die rothe Scheibe der
Sonne auftauchte.
Nun war es Zeit für unjere
Norden, ſich aufzuraffen. Nur wenige
blieben beim Schiffe zurüd, die an—
deren zogen auf Schlitten über Die
nun goldig rothen Eisgefilde Hin in
nördliher Richtung. Sie wandelten
nicht auf dem Lande, aber von einem
Gewäfler feine Spur, alles eritarrt.
Doch fahen fie manch außerordent—
liche Herrlichkeit. In wunderlichſten
Gebilden ſtarrte das Eis; Baden
ragten auf, Zacken hiengen nieder;
Säulen und Statuen, mwunderfam
durchbrochene Tempel, tiefe Höhlen,
ſchauerliche Überhänge. Und in alle
das ewige Schrillen und Berften, umd
in allem das Lebendige Farbenſpiel
des Lichtes, zudend und zitternd in
den Kryſtallen. Manchmal jhwirrte
vor den Manderern eine Schar Eis—
vögel auf; mitunter lugte auch der
neugierige Stopf eines Robben aus
einer Kluft. Zuweilen Hatten Die
Männer ungeheuere Tiefen, Waden
genannt, zu umgehen, aus deren finz
fteren Gründen das glanzloje Auge
des Waſſers ſtarrte.
Als die Reiſenden manchen kurzen
Tag über den wüſten ſchründigen
Boden des Eiſes hingefahren waren,
und nachdem fie mande lange Nacht
aneinandergellammert in gemeinfamen
Belzen auf ihren Schlitten gerubt
hatten, jahen fie endlich graue Fels—
malen, und unter dem Schnee kni—
fterte Sand — Erbe!
Sie hatten Land entdedt.
Mit neuem Muthe gieng’s zu
Lande nun mach neuen Fahrten.
Selbit mujsten die Männer ihre
Schlitten ziehen. Die Dunde, die fie
897
zu diefem Ywede mitgenommen hatten,
wurden vor Kälte und Wafjerınangel
trank md mufsten erfchoffen werden.
Das Rennthier, auf das fie gehofft,
war nirgends zu finden. Jedoch ent»
dedten fie Spuren von Hafen und
Füchſen, und die Felſen waren voll
freiichender Vögel, welche die noch nie
gejehenen Menjchengäfte ununterbro=
hen begleiteten.
Es waren Schludhten nnd Thäler
mit Sand und Geftein; das verein-
zelte Eis war dünn und dunkel—
grünlih. Die Berge waren fteil,
fegelförmig, fäulenartig, oder hatten
wildzerrifjiene Geftalten. In ihren
Mulden lagen Gletfcher. Nur wenige
Mooje und Flechten famen vor, ſonſt
war von Pflanzen nirgens eine Spur.
Diefe Gegenden Hatten, auch wo jie
nicht mit Schnee bededt waren, ftet3
einen weißen jchimmernden Hauch,
und die jehr verküimmerten, ewig
blütenlofen Pflanzen waren ſtets mit
Reif überzogen.
Eines Tages jahen die Männer
einen Gletjcher, der über eine Land-
zunge bis in das offene Meer hinab»
gieng, ſich mit einem wuchtigen Ges
falle loslöſen und niederjtürzen, daſs
die Wäſſer viele Klafter Hoch giſchte—
ten. Dann glitt der Eisberg mit all
jeinen Hörnern und Riffen ſchwankend
hinaus auf die hohe See.
Troſtlos waren die Schlittenreijen ;
auch war Gefahr vorhanden, den Rüd-
weg zum Schiffe nicht mehr zu fin—
dringen gegen den Pol platterdings
unmöglich fei.
Noch pflanzte der wadere Mann
auf diefem nördlichften Cap, das im
zweiundachtzigſten Breitengrade lag,
die Fahne der lieben fernen Bater-
ftadt auf. Dann meißelte er in die
graue Doleritwand, die gegen Norden
ftand, folgende Worte ein:
Heut noch iſt der Weg verichlofien,
Und dad Heiligthum umgofien
Mit des Eiſes ehernem Wall.
Wahrlich doch, die Berge wälzen
Und des Norbpols Rinde Jchmelzen
Wird dereinft das Ideal!”
Dann flieg der Hauptinann nieder
und trat den Rüdweg an. —
Als er nad mehreren Tagen mit
jeinen Schlitten zurüd fam an den
Rand des Landes, wo über dem
Meere wieder die feſtgewachſenen Eis—
berge begannen, da begegneten ihm
Maldemar und nod einige Männer,
die den Sarg mit dem Todten trugen.
Waldemar war eben ſchon früher zum
„Siegfried“ zurüdgelehrt, und wieder
die Todtenfapelle vor Augen, hatte er
fi erinnert an den legten Wunſch
Robert3, unter einer Handvoll Erde
ruhen zu fönnen. Das war Heimmeh
nach der lieben Mutter !
So ließ denn Waldemar, eine
zweite mühe und gefahrvolle Reife
über das Eis nicht achtend, dem neu—
entdedten Lande jeinen erjten Ein»
wohner zutragen.
Am Fuße eines ſchroffen, pyra—
midalförmigen Felſens grub er dem
den; denn der Himmel war zumeift Manne, der ihm einft das Mefjer in
mit Nebel bededt umd der Compaſs
hatte hier jeine Bedeutung vollends
verloren. Die Magnetnadel hüpfte
ziellos Hin und ber wie ein geäng-
jtigtes Hündlein, das die Spur feines
Herrn verloren . . .
Doch beftieg Hauptmann Prach—
wald noch ein nordmweitlihes Gap,
um von demjelben aus in ein wildes
Meer von treibendem, wogendem Eije
zu Schauen, und um Sich endlich zu
überzeugen, dajs hier ein Weiter: |
Roſeager's „Örmgarten‘, 12. Geft. XV.
die Bruſt vermeint, ein ſechs Schuh
tiefes Grab. In dasjelbe jenkten fie
den Sarg, der aus des Todten Bett-
jtatt gezimmert war, nieder. Dann
ſagte Waldemar die Worte. des Jo—
hannes: „Gott der Herr wird über
ihm leuchten und fein Wächter jein
bis in die ewigen Ewigkeiten!“
Und als das Grab gejchlojjen war,
verließen jie die Stätte und zogen
durch die Eiswüſteneien ihrem Schiffe zu.
*
* *
57
Die nachtloſen Tage mit ihren
langen Schatten zogen nun fait ge=
ruhfam dahin. Die Gelehrten der
Erpedition füllten die Zeit mit For—
Ihungen und Beobadhtungen aus,
und fortan wuchs ihre Spannfraft
und fie wünſchten fich taufend Organe
des Geiftes, um an diefen neuen
Quellen für die Wiſſenſchaft zu
ſchöpfen.
Die übrige Manuſchaft war ſtets
auf Eisbärenjagd und Seehundsfang,
und ſie häufte von ſolcher Beute
große Vorräthe in ihren Eisſcheunen
auf. Pelzwerk, Nahrung und Lichte
material war ſomit im Wberflufs;
nur an trinkbarem Waſſer litten jie
harten Mangel — gleichwohl alles,
was ſie umgab, Waller und nichts
als Waller war. Iſt das Eis aud
frei von dem Meerjalze, jo war doch
das Löſen desjelben außerordentlich
ſchwer. Das Deftillieren des Waſſers,
welches gleichfalls das Salz befeitigt,
war wegen Mangels an Brennftoff
nicht durchführbar.
Die Sonne war ſchon monatelang
nicht mehr untergegangen. Im Laufe
von vierundzwanzig Stunden zog fie
einmal um den ganzen Kreis des
Horizontes. Jm Süden ftand fie am
höchsten, im Norden am tiefiten. Und
als fie endlih wieder anhub, im
Norden auf kurze Zeit unterzutauchen,
da fragten ſich unſere Reden: „Was
nun?“
Die gegenwärtigen Zuftände waren
unterfucht, das neuentdedte Land nach
Möglichkeit durchforſcht. Ein Weiter:
binausdringen war nicht denkbar.
Das Schiff aber war aus der furcht—
baren Umarmung des Eijes mit
menſchlicher Macht micht Frei zu
machen, — Was um aljo?
Es wurde aber doch verſucht; alle
Kräfte der Dampfmafchinen ließ man
jpielen. Vergebens, das Schiff rührte
fh nicht. Es war die letzte Zeit her
noch tiefer eingefunfen, und das Ge-
ſchiebe preiste zuweilen, daſs die
Wände ädhzten.
898
— — — — — — — — — —— — —— —— eu
Der „Siegfried“ war verloren.
Es gab nur noch ein einziges und
allerlegtes Mittel, Die Rüdtehr über das
Eismeer und über die offene See mittelit
tleinerer Fahrzeuge zuverſuchen.
Die leichtbeweglichen Schlitten-
Ihiffchen wurden aus dem „Sieg—
fried“ hervorgeholt und mit Lebens
mitteln für jeht Monate veriehen.
Der Eapitän lieg die jeltenen Thiere,
welche in dieſen Strichen erlegt wor—
den waren, fowie Steine, Metall
u. ſ. w. und auch die willenichaft-
lichen Aufzeihnungen und Karten auf
die Schlittenfhiffhen bringen, und
diefe wurden fofort nach beftem ſön—
nen inftand gejeßt.
So mujste denn der „Siegfried“
verlafjen werden.
Ein Felt wurde noch abgehalten
in dem Schönen, ftattlihen Schiffe, in
welhem man jo mande Freude und
jo mande Drangjal erfahren hatte.
Die Refte an Speiſe und Tran, die
wicht mitgeführt werden fonnten,
follten bei einem frohſamen Mahle
möglichft geichmälert werden. ber
an diefem Tage empfanden fie feinen
Hang zum Efjen und zum Trinken,
und Die Lippen biieben ſtumm.
Das Mahl jah aus wie ein Todten—
mahl. — Noch waren der gejunden
Köpfe neunundzwanzig; aber eine See=
reife vom neumundfiebzigiten bis zum
dreiundfünfzigften Breitengrad ſtand
bevor — eine Seereife ohne Schiff!
An einem Sonntagmorgen, als
die rothe Sonnenfcheibe im Norden
auftauchte und langfam an der zadigen
Schneide des Horizontes dem Oſten
zumwallte, brah die Mannſchaft auf
und verließ den „Siegfried“. Mit
unſäglichen Beichwerden bradten fie
die drei Schlittenfchiffhen auf dem
Eisgeſchütte weiter. Unzähligemale
blidten fie zurüd auf das liebe treue
Haus, das mitten im emigen Eije
einfam liegen blieb und mit jeinen
hohen Maften noch tagelang die müh—
ſam Davonziehenden grüßte.
— — — — — —
899
Freeilih gieng’3 nun dem Süden
zu, aber in welcher Weile? Sie
mussten ih durch Engen und
Schründe winden, mujsten durch
Schueemafjen friehen, Thäler und
Mulden durchziehen, wo viele felbjt
zuweilen mitfammt den Schlitten
einbrachen. Auf aflen Bieren mufsten
jie fich fortbewegen, und im Schnee
mufsten die Schlitten getragen wer:
den. Stredenweile wurde diefer Weg
des Gepädes wegen dreimal und auch
fünfmal gemadt. Kaum eine See—
meile fonnte täglich zuridgelegt
werden.
Endlih Hub das Eis an, mit
Waſſer abzumechfeln, wo die Schlitten-
bote zu ihrer beiderfeitigen Geltung
famen. Nun aber begann erft die
Gefahr. Die Eismaſſen glitten Hin
und her und drüdten und prefäten.
Dann auch ſchoben fie ſich in- und
übereinander und bauten ſich zu hohen
Mauern, die wieder einftürzten. Bei
einem ſolchen Einfturze war eines der
Boote mit Lebensmitteln zugrunde
gegangen,
Ein Theil der Mannſchaft wollte
zum „Siegfried" zurüdtehren, auf
daſs er im Frieden eines Menſchen—
baues fterben könne, Allein der größere
Theil bejchlojs, den Kampf bis auf
den letzten Athemzug auszuringen ;
nur eines fehlte den meilten ſchon —
der Tabak. Und diefer Mangel raubte
manchem auch den Humor. Ein paar
Burihen jedoh waren dabei, Die
fangen fortweg keckluſtige Yieder und
pfiffen mit zugeſpitzten Lippen, wie
es andere machen daheim beim Fiſch—
fang im Teiche.
Freilich genoſſen dieſe Männer den
Vorzug, nicht auf Erden geboren zu
ſein. Auf hoher See hatten ſie vielleicht
das Licht der Welt erblickt; der Tum—
melplatz der Kindheit war das Schiff
gewejen, ihre Heimat das Meer.
Maldemar, ftet3 einer der Erſten,
Thätigſten und auch Anſchickſamſten
der Mannjhaft, war weder über«
müthig noch muthlos. Bor allem
juchte er feinen Degen zu wahren ;
und der Capitän ſagte einmal laumig
zu ihm: „Juſt von diefem Degen
hoffe ich alles; er iſt der Preis einer
treuen Liebe. Er ift unfer Talisman.“
Indes wurde die Lage immer
troftiofer. Ein heftiger Luftiteom
machte die Gewäller wogen; das
Schieben und Preſſen des Eiſes wurde
noch ftärker, und das Anſtemmen und
Abftopen mit Stangen war dagegen
erfolglos. Tag und Naht lag die
Maunſchaft in Streit mit den Ele—
menten; dabei litt fie außerordentlich)
an Froft und bald auch an Ermü—
dung.
Am ſiebzehnten Tage, nachdem ſie
den „Siegfried“ verlaſſen, war in den
Preſſungen das zweite der drei
Schlittenbote zugemde gegangen.
Der Gapitän jelbft kam dabei im Die
höchſte Lebensgefahr und mußste
unter Eismaſſen hervorgezogen wer—
den. Waldemar war es, der, auf die
Weihe ſeines Degens vertrauend, ſich
mitten in die treibenden Schollen ge—
ſtürzt hatte, um aus dem zerdrückten
und untergehenden Bote aud noch
die wiſſenſchaftlichen Aufzeichnungen
der Erpedition zu retten.
Und num ftanden fie mit ihrem
einzigen Bote auf einer ungeheneren
Eisſcholle. Nun war nichts mehr zu
thun, nun mufste es dem Zufalle
überlaffen werden, wie viele Stunden
lang er ihr Leben noch ſchonen wollte.
Eine jchwere Abjpannung mar
über die Männer gelommen. Nur vor
dem Erfrieren fuchten fie ſich noch zu
ſchützen. Aber die Verfuche, Feuer
anzumadhen, waren in dem naflen
Elemente vergebens.
Die Officiere ſchlugen unter ein
ander vor, die aufgejchriebenen Er-
fahrungen und Beobadhtungen in ein
Fäſschen zu verſchließen und dasfelbe
auf gut’ Glüd dem Meere preiszuges
ben. Denn fie wollten ji mit allem
zufrieden geben, aber nur mit dem
Bewuſstſein fterben, daſs ihr Wert
der Menfchheit nicht verloren bleibe.
57°
90
Gapitän Prachwald jedoch wollte
das koſtbare Fälshen bis auf den
legten Nugenblid bei ſich bewahren,
Die Eisftrömung und im diejer
auch die Scholle mit unferen Tapferen
wurde von einem anhaltenden Winde
rajch weiter getrieben. Die Magnet:
nadel war wieder ein wenig berubigter
und bejtändiger geworden, jedoch ſtand
fie nit gegen den Lauf der Strö-
mug. Die Echolle trieb nicht füd-
lich, ſondern dem Nord-Often zu.
Es gieng wieder in die graufige:
Naht und tiefer in den ewigen |
Minter hinein.
„Wohlan!“ rief der Gapitän,
„jebt endlich geht es flott dem Nord»
pol zu! Er ſelbſt Hat uns zum Em—
pfang das Kryſtallſchiff geſendet!“
Der Belze waren genug vorhan—
den. So fauerten ſich alle in das
einzige Boot, genofjen nach Thunlich: |
feit von den fetten Speilen und,
dedten jich zu. Nebel, nur von Nord»
lichtſchein durchdrungen, verhüllte den
Sternenhimmel. Die Schiffer, nun
auch bereit3 der meiſten Orientie—
rungs-Inſtrumente entbehrend, wuſs⸗
ten nicht mehr, wo und
wie ſie
trieben. — Verloren irrten ſie in den
ungeheueren Weiten der Polargewäſſer.
Jun dem krachenden, ſturmum-
brausten Eiſe, wer hat ihr „Ora pro
nobis!“ gehört? —
*
* * |
Die deutſche Hafenftadt lag von)
einer üppigen, herbſtlich prangenden
Landichaft umgeben im Segen des
Friedens und der Arbeit da. Alles
gieng jeinen geregelten Lauf. Dundert
und Hundert Schiffe jogen aus und
liefen ein, und iiber das Meer wehten
lebendige aber milde Lüfte, wie fie
den Seefahrern fo förderſam find.
Seit dem Abzuge der Nordpol:
fahrer waren über jechzehn Monate
verfloffen. Man hatte in diejer Zeit
doch irgend eine, etwa durch mordliche |
Fiſcher vermittelte Nachricht von der‘!
Erpedition erwartet, Allein, fein Le—
0 .
bengzeichen ; ſeitdem der „Siegfried “
die Cape Norwegens pafjiert hatte,
blieb er verfchollen.
Im Haufe des Kaufmannes
Grüneberg war es recht öde. Grüne=
berg war feit dem plößlihen Tode
jeines einzigen Sohnes alt und grau
geworden. Der Mörder, jowie die
Urfache des Mordes war bisher voll—
ſtändig unbefannt geblieben. Oslar
war Spieler geweſen und da dachten
mande au Selbfimord. Der Dold
ftaf dem Todten mitten in der Bruft.
Andere wieder gab es, Die wollten
das Verbrechen zu Robert Wadar in
Beziehung bringen. Und thatſächlich,
der ſchwarze finftere Belier des Land—
hauſes auf der Birkenhöhe war und
blieb jeit dem blutigen Ereignifje ver—
ſchwunden.
Litta Hatte ein blaſſes abgehärmtes
Geſicht und trug ſchwarze Kleider.
Stundenlang ſaß fie einſam und ver—
loren auf dem Hohen Söller des
Gartenhaufes und blidte Hinaus in
das weite Meer. Schiffe aller Farben
und Größen kamen gezogen. Den
„Siegfried“ hätte fie aus weitelter
Ferne ſogleich erfannt.
Im Laufe dieſes zweiten Herbſtes
kam eines Tages ein Telegramm aus
dem hohen Norden:
„An den Magiftrat von...
Die See hat hier eine Korklapſel
an das Ufer geſchwemmt. Der In—
halt verjelben iſt ein Brief mit
folgenden Worten: Im zweiund—
achtzigſten Breitengrad Land ent—
dedt; unfer Schiff verloren; auf
einer Eisfcholle verfchlagen worden.
Hauptmann Prachwald.“ Aufgabs=
ort des Telegrammes: „Hammer—
feit.“
Diefe kurze Nachricht entfachte
einen Seelenfturm in der Dafenjtadt,
ja im ganzen Lande. Zur rajchen
Ausrüſtung von neuen Expeditionen
wurde gejehritten, um die Manujchaft
des „Siegfried* aufzufuchen. Allen
Seemächten der Erde wurde der Ber:
luft bekannt gegeben und Prämien
901
wurden ausgefchrieben für die Wie-
derbringer der fleinen Heldenſchar.
Litta trug feit diefer Kunde ihr
Antlig mit einem grauen Schleier
verhüllt; "und eines Tages, als jie
weinend an der Bruft ihres Vaters
lag, entdedte diejer graue Fäden in
ihrem Haar.
„Das ift Eis, mein Kind!” fagte
der Kaufmann.
„Das ift ein Gruß don ihm!“
tief das Mädchen, und mit ihren
grogen Augen aufblidend: „Vielleicht
ift er doch nicht verloren!“
Es vergiengen Tage und es ver-
gieng manche Woche. Sein Schiffer
bradte Kunde; man gab die Nord—
polfahrer für verloren.
Da war es am dreiumdzwanzig-
ſten Tage des Octobers, daſs zur
mitternächtigen Stunde auf dem
Kupferdrahte die Botſchaft geflogen
fam: „Wir find gerettet und in we—
nigen Tagen daheim. Prachwald.“
Aufgegeben in der norwegischen Stadt
Bodoe.
Unbeichreiblih ift die freudige
Aufregung, welche diefe Nachricht in
der großen Hafenſtadt entzündete.
Schon am erjten Tage eilten Men-
ſchenſcharen dem Hafen zu, um die
Heimtehrenden zu begrüßen. Alles
war auf und allerfeitS wurden groß—
artige Empfangsfeierlichleiten vorbe—
reitet.
Kaufmann Grüneberg zeichnete zu
den Heltlichfeiten eine Summe von
vielen tauſend Thalern. Seine Tochter
Litta Hatte den Schleier von ſich ge—
worfen und band Kränze, und ftidte
goldene Worte auf Seidengrund.
Indes war vollauf Yeit zu den
Borbereitungen. Tage um Tage ver—
giengen. Die Thurmwächter wurden
beitürmt, die Sicht der Heimkehren—
den zu verkünden. Bon jedem Dam—
pfer, der aus nördlicher Richtung
fommend einlief, wurden die Nord:
polfahrer verlangt.
*
* *
Zwar hatte Hauptmann Prach—
wald durch fein lakoniſches Telegramm
jede Entgegenfahrt vereitelt, der Leſer
diefer Geſchichte jedoch, der den
Maderen in Noth und Drang Genofje
gewejen, hat wohl das Redt, auch an
ihrer glüdtichen Rettung und Heim—
fehe Antheil zu nehmen.
Mir müfen e3 uns gleichwohl
befhänmt geftehen: wir Haben fie in
der größten Noth verlaffen. Aber zur
jelben Bedrängnis war ihnen Gott
am nächſten.
Nachden die Mannfchaft des
„Siegfried“ viele Tage lang in den
Eiswülten Herumgetrieben worden,
ward die Richtung der treibenden
Scholle plöglich eine ſolche, daſs Die
Magnetnadel nah rückwärts zeigte,
Eine lebendige Prife aus Norden
wehte, und raſch glitt das feltfame
Schiff dahin. Das Treibeis lichtete
ih) mehr und mehr und der dunkle
Grund der hohen See wurde immer
freier. Freilich verkleinerte fih in
demjelben Make auch die Scholle,
welche unfere Reden trug, und Stüd
um Stüd fiel ab in dem wärmer
werdenden Klima. — Ehevor fie noch
in das Bereich der Menſchen gekom—
men, wird der Boden unter ihren
Füßen gefhwunden fein... .
Diefen bald eintretenden Tall
wohl vorausjehend, beeilten fie ſich,
das einzige Boot, welches fie noch
hatten, zurecht zu machen, und deme
jelben zuzummuthen, die neunundzwan—
zig Mann etwa an die Küſte von
Lappland oder Finnmarken hinzu—
tragen. Nur das AUllernothivendigite
und Nahrung auf kaum zehn Tage
fonnte behalten, afles UÜbrige jollte
über Bord geworfen werben.
Und endlih war die treue Eis—
ichofle jo jehr zernagt und zerfreflen
und zerfprungen, daſs fie Hin und
ber fippte und feinen Halt mehr gab.
Da rutſchte das überfüllte Boot in
die weiche Welle hinab. Tief ſank es
ein und die Schiffer warfen alles
002
über Bord, was für die allernächften
Stunden nicht unbedingt nöthig war.
Aber das Boot wollte ſinken und
finfen.
Ein paar müſſen hinab!” rief
plöglih einer aus der Mannuſchaft.
„Beller ein paar als alle!“ rief
eine andere Stimme,
„Wer Hat fein Weib und Sind
daheim ?*
„Die älteften don uns müſſen
hinab!”
„Ins Maler, ins Waller!“ jo
rief es wild durcheinander — eine
Revolution in der ſinkenden Schale.
„Wer wagt ?* donnerte die Stimme
des Capitäns, „das Los entjcheide !”
Neunundzwanzig gedrehte Wollen
fügelchen in einer Mütze; ſiebenund—
zwanzig Stüd waren weiß, zwei
waren jchwarz.
Das Wafler Hub an über Bord
zu riefen; die Männer fuhren mit
zitternden Hände in die Mütze. Ein
rothbärtiger Matrofe und — Waldes
mar zogen den Tod.
Ohne ein Wort zu Jagen, jchnallte
Waldemar feinen Degen los und legte
ihn in die Dand des Gapitänd. Der‘!
Rothbärtige wollte fich fofort in das
Meer ftürzen. Da ericholl der Ruf:
„Ein Schiff! ein Schiff in Sicht!“
Unbejchreiblicher Jubel. Alle wars
fen ihre Pelze und Beſchuhung in
die See. Das Fäſschen mit den
Nachrichten ſchwamm Hinter dem
Boote her; der Gapitän führte es au
einer Schnur.
Die Mannschaft ſchrie aus Leibes—
fräften und ſchöpfte zugleich mit den
Händen dad Wafler aus dem Fahr:
zeuge und ruderte mit aller Macht.
Wenige Stunden fpäter ſtanden
die Nordpolfahrer wohlbehalten auf
dem Ded eines ruſſiſchen Schooners.
Die Fahrt gieng füdweſtlich; am
zweiten Tage nach der Rettung paſ—
jierte das Schiff bereit das Nordcap
und wenige Tage ſpäter lief es in
Bodoe ein,
Von bier
ſandte Hauptmann
Prachwald die Nachricht in die Hei—
mat und ftellte dem ruſſiſchen Capitän
mit taufend Dank die Anweiſung auf
das Auffindungsprämmm aus, von
deiien Thatfählichleit ihn die mın
vorliegenden Zeitungsblätter unter—
richteten.
Und dann fuhren die waderen
‚Männer auf einem norwegiſchen
| Dampfer der Heimat zu. —
\ Am lebten Tage der Fahrt, als
die bianen Höhen der deutjchen Küſte
bereit3 in Sicht waren, und zahl—
reihe Segler über die Wäſſer kreuz—
ten, fielen ſich die rauhen bärtigen
Männer um den Hals und riefen:
„Das ift ein glüdfeliger Tag!“
Hauptmann Prachwald erfaſste
zur ſelben Stunde Waldemars Hand
und ſagte: „Junger Freund, ehe wir
nah den ſchweren ausgeſtandenen
Gefahren und Drangſalen nun aus—
einandergehen werden, möchte ich
Ihnen beſonders danken für Ihre
treuen und tüchtigen Dienſte. Dieſen
Degen aus lieber Hand tragen Sie
als Riiter; Sie kehren heim als ein
Dfficier des „Siegfried*. — Ferner,
Kamerad, habe ich mich vor Ahnen
auch noch einer Miffion zu entledigen,
‚die ich von unferem verlaffenen Schiffe
‘her mit mir trage. Unter dem Kopf:
‚kiffen des verftorbenen Robert Wadar
fand ſich diefe Schrift, durch welche
er Sie zum Erben jeines hinter»
laſſenen Vermögens einfeßt. Ich theile
Ihnen die Urkunde erſt heute mit,
weil ih Sie, fo lange wir noch in
Gefahren fchwebten, nicht mit einen
neuen Bande an das Leben ketten
wollte, Nun, da wir hoffentlich bald
geborgen fein werden, fei mit meinem
Glückwunſche das Blatt in Ihre
Hände gelegt.”
Die NRadichaufeln des Dampfers
arbeiteten mit ununterbrochener Kraft
in den Fluten, aber es gieng nod)
ein Tag hin, bis endlich zur jpäten
Abendſtunde der befannte Leuchttgurm
mit feinem lieben Sterne ſichtbar
wurde,
Still und ohne Prunk wollten! fried”.
die waderen Männer in ihre Heimat: | Haus
ſtadt einziehen, aber ein geſchwätziger
Bootsmann hatte es doch veritanden,
von Dänemark aus der deutjchen
Hafenſtadt zuzuraunen: heute kom—
men fie!
Gerade um Mitternaht war's,
al3 der nordiſche Dampfer in den
Hafen einlief. Ein ungeheuerer Lich»
terkranz glühte und loderte in allen
Farben. Fadelzüge wogten über die
Dämme, auf den Thürmen läuteten
Sloden, auf den Anhöhen Tnallten
Freudenſalven; Zrommelmirbel und
Muſik ſchmetterten an allen Enden.
Ehe das Schiff noch ankerte,
wurde es von mehreren Seiten beſtürmt
und erklettert; es war ein erſchüt—
ternder Augenblich, als die Menge
hinſtützte und die heimkehrenden
Nordlandsrecken umarmte. Auf den
Händen wurden ſie an das Ufer ge—
tragen, mit Bändern wurde ihr rauhes
Pelzwerk geziert, mit Lorbeern wur—
den ihre ſtruppigen Häupter bekränzt.
Durch Triumphbögen wurden ſie ge—
führt, und in einem herrlichen gold—
ſchimmernden Saal voll ſchwerer
Pracht und üppiger Bequemlichkeit
ſtand ihr Abendmahl bereit.
Die Erſten des Reiches ſaßen an
der prunfenden Tafel, und obenan
die aus den nordiichen Regionen heim—
gefehrien Söhne des Landes.
Seltſam ſtachen die rauhen, her=
ben, völlig abgezehrten Geftalten in
der nordländifchen Kleidung ab von
den vollen und ſtets lächelnden Ge—
fihtern der jchwarzbefradten Gaſt—
geber.
Mitten in der Jubelftimmung er=
hob ſich Hauptmann Prachwald und,
das jchäumende Glas in der Hand
jagte er:
„Zweier Freunde ſei zu Ddiejer
Stunde nicht vergeiien. Im hohen
Norden, fturmumbranst und eisum—
gürtet, fteht verlaſſen unjer „Sieg—
Welchem Gejchide das treue
auch verfallen wird, ihm ein
Gedenten unfer lebelang! — Und ein
Gedenken auch unferem Zodten, dem
wir im mitternächtigen Lande dort
ein neues Grab gegraben, Einfam
ſchläft er nun am Bole, wo als
ewige Gloriole ihn der Nordlichtjchein
umftrahit!”
Wie Todtenglodenklingen war es,
als die Gejellichaft nun wortios fich
erhob, und die Gläſer aneinander
ſchrillten.
Ehe zur Morgenſtunde die Tafel
noch zu Ende, und den Heimgelehrten
in Paläſten ihre Schlafkammern an—
gewieſen wurden, kam ein eleganter
Magen angefahren, um Waldemar zu
holen. Die Thore des Haufes Grüne—
berg, und die Arme des Kaufherrn
thaten ſich dem jungen Officiere auf,
und Litta ftürzte ihm mit einem lauten
Schrei an die Bruft.
So waren die Nordpolfahrer heim-
gekehrt. Die Feſtlichkeiten dauerten
tagelang. und das Volk trieb Götzen—
dienft mit den tapferen Reden.
Und che die Mannjhaft des
„Siegfried“ ſich trennte, auf dafs
jeder im bejonderen durch das Meer
des Lebens feine weiteren Fahrten
ziehe — nahm fie theil an dem fröh—
lichen Hochzeitsfefte ihres Genofjen
Waldemar.
Roberts Erbe aber lehnte der
junge Chef des Haufes Grüneberg
ab. Das Landhaus auf der Birken
höhe wurde zu einem freundlichen
Lazaretde für Kranke md alters»
ſchwache Matroſen geeignet.
Und als ſich all die Wogen der
Aufregung, Begeiſterung und Freude
endlich gelegt hatten, giengen die Ge—
lehrten des „Siegfried“ an ihre Arbeit,
um die wichtigen Erfahrungen und
Beobachtungen ihrer Nordfahrt der
Welt zurechtzulegen und dieſelben den
Büchern der Wiſſenſchaft beizufügen.
Ein letzter Wille.
Von Frik Mauthner, *)
Mein verehrier Herr Profeſſor!
de: wird noch acht oder vierzehn
er Tage dauern, Nicht wahr?
87 Sie werden weiter in treuer
Liebe die drei dunklen Treppen zu
mir emporklettern, werden Ihre reich»
ften und jchönften Kranken auf den
berühmten Arzt warten laſſen, um
mir eine Stunde zu vertreiben, eine
meiner legten Stunden. Sie werden
mir jedesmal von den Wundern pre
hen, die der Mai aus Dankbarkeit
für meine Frühlingslieder an mir
vollbringen ſoll. Aber Sie verfchreiben
mir Schon Morphium. ch werde es
nicht erleben, dajs Frau Sagebuſch,
Morten überreihen: Er is tot, der
jute Menfch. Für zwei Monat is er
mich die Miethe jchuldig jeblieben.
Es is nur ein Jlüd, dafs er vor dem
Erften jeitorben is. Der jute Menich.
Verwandte habe ich nicht auf der
Welt, Obengemeldeter Frau Sagebufch
bitte ich Für ihre Thränen zu über»
geben: meine beiden Anzüge, meinen
Belz, meine Wäfche und meinen gol=
denen Ring, falls derjelbe bei meinen
Tode noh am Leben fein jollte.
Denn die Begräbnisfoften wird
der Verein „Preſſe“ auf fih nehmen,
welchem ich ſeit zwei Jahren, das if
jeit dem Abdrud meines erſten Feuille—
tond, anzugehören die Ehre habe.
Sie werden auf dem Kleiderſpind
meine wadere Wirtin, die Fenſter der etwas getröfteten Fran Sagebufch
meiner Stube für den heilſamen Mais
duft öffnen darf. Die Stube war
mein Empfangsfaal, mein Rauch—
zimmer, meine Trinklaube und mein
Schlafcabinet; fie wird nun mein
Sterbezimmer, weil fie nicht mein
Arbeitszimmer war.
Ih danke Ihnen. Punctum. Und
damit Sie fih von Ihrem Mitleid
nicht ſobald wieder Ihre Zeit ftehlen
laſſen, will ih Ihnen zum Lohn für
Ihre vergebliche Mühe eine Laſt auf:
bürden. Sie follen der Boflitreder
meines lebten Willens fein. Meine
Anordirungen erfahren Sie eben aus
diefem Schriftitüd. Eines Tages wird
es Ahnen Frau Sagebufh unter
Thränen ungefähr mit folgenden
einige Bücher finden. Sogenanute
Claſſiker, römische und griehiiche; ich
habe jeit meiner Gymnaſialzeit feine
Bücher mehr gelauft. Bitte, jenden
Sie doh die alten Schmöler an
Heren Weber, Lehrer in Ruhla; er
veriteht die alten Sprachen nicht,
wird die Bände aber mit Stolz auf
jeinen Schreibtiſch Stellen und die
gebührende Freude daran haben. Der
wadere Mann hat mich jchreiben ger
lehrt, ohne mich je zu prügeln.
Die paar Dutzend Recenſions—
eremplare, die ich unter dem Sofa
und hinter dem Ofen verwahrt habe,
Gedichtſammlungen unbefannter junger
Leute, vermache ich dem Buchhändler
Cornelius alldier, Er hat es nicht
*) Zehn Geſchichten von Friß Mauthner, Berlin. J. H. Scorer.
anders verdient. Ich war drei Jahre
fang fein Lehrling.
Mein Tintenfafs und meine Feder
hinterlafie ich dem einzigen Menſchen
meiner Belanntichaft, der von diefen
Marterwerkzengen feinen Gebraud)
machen fanı, dem Verleger der „Allge—
meinen Damen= Zeitung.“ Leben umd
Ichreiben lafjen, das ift ſein Wahlſpruch.
Auch mich Hat er zu meinem erften
Feuilleton verführt. So mögen ihn
Feder und Zintenfal3 daran mahnen,
was er für die deutſche Literatur ge=
than bat. Auch nach Friedrich dem
Großen nennt man jegt eine Epoche
der deutſchen Dichtkunſt, troßdem der
große König fein richtiges Deutſch
ſchreiben wollte.
Nah meinem erſten Feuilleton bin
ich plößlich berühmt geworden, vom
Café Kaiferhof bis zum Cafe Bauer.
Ih war jo zufrieden mit mir, dafs
ih Monate verftreichen ließ, bevor ich
der Welt ein neues Werk von Hundert
Zeilen ſchenkte. Mag der Zahlkellner
im Kaiſerhof zur Erinnerung an diefe
glänzende Zeit meine beiden Schlapp-
hüte, den alten und den neuen, tragen,
wenn er incognito ausgeht und fich bes
ſcheiden für einen Schriftiteller ausgibt.
Ih kann die Frauen nicht alle
bedenken, welche mir durch Gunft und
Gunftverfprehen das müßige Leben
jo leicht machten. Ich habe die Namen
der meilten vergeſſen, jo lange habe
ich fie nicht gefehen, jo lange bin ich
krank. Den wenigen, deren ich mich
auch noch jet gerne erinnere, bitte
ih meine Grüße zu jenden mit Heinen
Erinnerungszeichen.
Der Schönen Geheimrätin S...
(Sie fennen fie ja au, wenn Sie
es auch natürlich ableugnen) ſende ich
den Hermes des Prariteles zurüd.
Sie hat mir die Büfte einmal zum
Geſchenk gemacht, weil der griechifche
Krauskopf in ihrer Phantafie mir
ähnlich ſah. Ich ſende ihn zurüd,
Ih bin todt und der fleinerne Jüng—
ling bat keine Arne, Und überhaupt!
Wie er mir ähnlich Sieht.
Der nicht minder Schönen Bantiers-
frau 8... . bitte ih den Stop
Schreibpapier zu übergeben, den ich
unterlaffen Habe in das Manufcript
einer unſterblichen Novelle zu ver:
wandeln. Sedesmal, wenn ich das
Ende eines Gedanfenfadens zu er—
hafchen glaubte und an die Arbeit
gehen wollte, holte mich ein Briefchen
diefer Dame in irgend eine unmög—
fihe Stadtgegend, wo fie mir danır
unter Küſſen Vorwürfe machte über
meine gottiträfliche Faulheit. Sie fol
mein Screibpapier in anmuthige
Stüde ſchneiden und fich nicht ſchämen,
die einfachen Blätter zu neuen Liebes-
briefen zu benußen. Bielleiht kann
fie mit dem Borratd bis zu ihrem
vierzigften Jahre aushalten.
Dem freigebigen Herm 8...
bitte ich meinen unverwüſtlichen Pro—
pfenzieher und meinen Gigarrenab=
Schneider zu überreichen. Ich unter:
ftüßte ihn gern in der Hauptbeſchäf—
tigung feines Lebens.
Meine Wiener Kaffeemafchine ſoll
den ehrenmwerten Gollegen Näthing
gehören, der Edle Hat mir einmal
Vorſchuſs verſchafft, um mich anpum—
pen zu können.
Dem gelehrten Goethe-Forſcher
Gotthold widme ich meine faſt ganz
ungebrauchte Studierlampe. Aber er
ſoll ſie ſtets ohne Cylinder benützen,
dieweil derſelbe zerbrochen iſt, und
damit Gotthold erfahre, wie wenig
die Flamme leuchtet, deren Rauch man
nicht der Wahrnehmung entzieht. In
dem Futter meiner Weſte dürfte ſich
ein Markſtück vorfinden. Frau Sage—
buſch ſoll es heraustrennen und es
dem Drehorgelſpieler hinunterwerfen,
wenn er am Montag wiederkommt.
Wenn ich noch ein Feuilleton zu
ſchreiben hätte, ſo würde ich mich ge—
wiſs über den Mann luſtig machen.
Uber er hat allwöchentlich die Kinder
auf dem Hofe zum Jubeln gebradt.
Meine Uhr Habe ich leider ver-
Hopft, doch beſitze ih wahrſcheinlich
noch den Uhrſchlüſſel. Er iſt in gutem
Stande, ich Habe fie felten aufgezogen.
Der Schlüffel ohne Uhr fei hinfort
das Eigenthum des Doctor Schelger,
denn er ift Philoſoph und National:
ökonom.
Das iſt alles . . ., nein, ich be—
ige no ein Dutzend Photographien
berühmter Scaufpieler mit höchſt
ſchmeichelhaften Widmungen. Ver—
theilen Sie freundlichſt die Auto—
gramme in den Häuſern, in denen
man mich meiner wachſenden Berühmt—
heit wegen zu Geſellſchaften zu ver—
langen pflegte. Das war nach der
Aufführung meines dummen Einacters,
Ich Hatte am Tage nach der Premiere
dreipig Einladungen. Man weiß dort
eigenhändig unterfhmintte Schau—
jpielerbilder zu würdigen. Und die
Herren Mimen werden es vielleicht
doch nicht bemerken, dajs ihr Enthu—
ſiasmus einem anderen als dem Haus:
heren galt. Mein Name kann überall
ausgelöjht werden, — ausgelöfcht
überall,
Nun befike ich aber wahrhaftig
nichts mehr, worüber ich letztwillig
verfügen könnte. Und doch habe ich
zweier Menfchen nicht gedacht, die ich
nicht vergejlien darf. Was verinadhe
ih meinem Feunde Albert und meiner
Freundin Mathilde ?
Mein Freund Wibert Hat’s ja
nicht gerade nöthig, etwas zu erben.
Sein Bater iſt ein fleinreicher Holz—
händler, er jelbit ift Nejervelieutenant.
Sonſt Hat er auf der Welt nichts zu
thun gehabt. Er war der erfte, der
meinen jungen Ruhm auspojaunte,
meinen Namen im Cafe über alle
Tiſche hinwegſchrie und mir durch
ſeine Cigarren eine ariftofratifche Ver—
achtung des leichteren Unkrauts ein—
flößte. Er Hatte mich wirklich Lieb.
Ebenfo lieb wie jeine engliiche Fuchs—
ſtute und feine famoje Schlafzimmerz
einrichtung. Er machte gern von fich
reden. Im Knopfloch Hatte er immer
eine rothbraune Orchidee fteden, die
wie ein wahnfinniger Käfer ausfah.
Im Opernhaufe Hatte er den auf:
fallenden Edplaß, an den jeder Vor—
übergehende ſich ſtoßen muſſste; nun
beſaß er in mir auch einen durch
Schönheit und Begabung auffallenden
Freund. Verehrter Herr Profeitor, ich
wünſche Ihnen, dajs Ihr Söhnen
niemals einem griechiſchen Gotte gleiche
oder zwei Worte aufeinander reimen
könne.
Albert ſollte auf Wunſch ſeines
Vaters Heiraten, eine entfernte Ver—
wandte, deren kluge Mutter den Alten
herumgefriegt Hatte, Albert jedoch
wünjchte fich eine auffallende Frau,
mit der er Staat machen konnte, Das
fagte er mir no an dem Tage, au
welchem er mich bei dem für ihn
unbedeutenden Mädchen einführte.
Sie hieß Mathilde, Mir kam fie
auffallend genug vor. Dieſe ftabl-
harten, ftahlblauen Augen. Dieje un:
bändigen blonden Haare. Profeſſor,
war e3 denn nicht möglich, mich am
Leben zu erhalten ?
Sie hatte ihre Lehrerinnenprüfung
gemacht, fie wuſste mehr als ic.
Aber fie lernte meine ſämmtlichen
Werte, fünfzehn Gedichte, zehn Feuille—
tons und den dummen Einacter, bei—
nahe auswendig. Mit ihren barten
Augen blidte fie mich, jo oft ich kam
und jo oft ich gieng, begeifternd an;
jo muj3 Egeria den betreffenden alten
Römerklönig angefchaut Haben.
Frau Sagebuſch betrachtet jedes
befchriebene Papier als wertlos und
ihr verfallen. Hätte fie damit nicht
immer eingeheizt, jo wären nad
meinem Zode jehr viele Verſe au
Mathilde zu finden gewejen. Ja, denn
ich liebte fie leidenjchaftlich, keuſch,
ehrlih, zwanzigjährig. Niemals Hat
fie meine Leidenschaft gepeiticht bis
zur ſelaviſchen Ergebung.
Sie wohnte in der Mohrenſtraße.
In diefer Gegend war ich bejonders
berühnt. Bald ſprach man im ber
Kleinftadt von zwanzig Familien,
welche für Mathilde und Albert Berlin
bedeuteten, ebenjo viel über das Mäd—
hen wie über mid. Mathilde ſchil—
0907
derte meine glänzenden Wusfichten,
vergaß aber nie zu bedauern, daſs
fie mich noch Lieben könnte. Und ich
forderte jeden zum Kampfe heraus,
der nicht zugeben wollte, dafs Mathilde
das ſchönſte, befte und bedeutendfte
Meib der Erde fei. Einer nach dent
anderen unterwarf fich mir und im
vergangenen December jpielte Fräulein
Mathilde in der Mohrenftraße und
den umliegenden zwanzig Familien
ſchon eine hervorragende Wolle.
63 war am erjten Januar, ich
jpielte mit Mathilde eine Bartie Schach.
Nebenan ſprach Albert lebhaft mit
der Mutter. Eben hatte ich meine
Königin eingebüßt, als die Mutter,
von meinem Freunde gefolgt, feierlich
hereintrat und ſprach:
„Dein Better hat um deine Dand
angehalten, liebe Mathilde. ch wei
ja, dajs du ihm längſt gut biſt.
Seid glüdlich.“
Ich gab die Shachpartie für ver—
foren und ſprang auf. Es hat für
den Schriftiteller einen gewiſſen Weiz,
der eriten Umarmung eines Brauts
paares zuzufehen. Aber die erfte Line
armung jollte mir gelten.
Albert fiel mir um den Hals.
Der gute Junge Shluchzte: Dir allein
habe ih mein Glüd zu verdanfen,
Ohne deine unglüdliche Liebe hätte
ich vielleicht niemald3 MatHildens ganz
zen Wert erlannt. Du mujst ihr
aber auch deine Gedichte widmen,
wenn du ſie herausgibit.
Ich erwiederte: „Allerlei Hochach—
geworben,
tung! Sie hat mich matt gemacht,
'troßdem fie wufste, dafs du eben um
ſie wirbit.*
Mathilde fafste meine
beiden Hände und rief mit funkeln—
den Egeria-Augen: „Ich bin glüdlich
weil ein Schimmer Ihres
Ruhmes auch auf mich fiel, weil Sie
nich auszeichneten. Möge der Schmerz
Sie zu ftrengerer Arbeit und zu noch
größerem Ruhme führen.“
Auch Albert murmelte etwas von
fleigig arbeiten, dann ſahen mich beide
ungeduldig an. Ich verjtand fie und
gieng. Am nächſten Morgen mußſste
ih Sie, lieber Profeffor, zu mir
bitten,
Ja, und diefen Freund und diefer
Freundin habe ich nichts zu verma—
hen, nicht ein Streihholz,, um die
rofige Ampel ihres Sclafzimmers
damit anzufteden, So Hinterlajje ic)
denn den Albert der Mathilde und
die Mathilde dem Albert. IH glaube
nicht, dafs ich ungleich getheilt habe,
einer iſt jo viel wert, wie der andere.
Ihnen, mein lieber, guter Pro—
feſſor, foll mein Schädel gehören,
wenn er nicht mehr ſchmerzt.
Diefen Brief werden Sie ver—
brennen, wenn Sie feine ernjthaften
Anordirungen ausgeführt haben. Dies
ift mein allerlegter Wille,
Ich wünjhe Ahnen Ruhe im
Leben. Yın Tode erringt fie ein jeder.
3
Berlin, den 1. April 1885.
RS
Wie id dem Gern Verwalter "was gepfiffen hab’.
Eine Erinnerung von P. R. Roſegger.
N
ArT%°
ie
Hl: diefer Zeit erinnern ſich die
55 Steiter wieder einmal an Jakob
2 Schmölzer, den fteirifchen Lieder-
componiften, welcher vor fünf Jahren
geftorben ift. Damals hat diejes Blatt
etwelches von dem Künſtler erzählt Ich ſpreche aus perſönlicher Er—
und heute iſt Gelegenheit, ihm noch! fahrung und mufs im die Zeit meines
= rauſchte, und er eilte, um
ein Gedenfblatt zu weihen. Handmwerferlebens zurüdgreifen.
daraus zu jchöpfen. Und wenn der
Brunnen Jogar einmal in feinem
eigenen Haufe fprudelte, war ihm das
umſo lieber.
In Kindberg, wo Jakob Eduard Bor Tiebenundzwanzig Jahren
Schmölzer viele Jahre lang gelebt, | war's, an einem ftillen Sommterabende.
gewirkt, gelitten hat und geftorben ift, | Mein Meifter ftedte die Nadel ins
wird ihm in diefen Tagen ein wenn! Kiffen und ſprach: „Laſſen wir’s gut
auch nur bejcheidenes Denkmal gefeßt, | fein für heut und grüßen wir unfere
welches die Steirer ihrem Liederfänger liebe Frau. Im der Kirche thun jie
dankbar widmen. Diejes Denkmal ber | gerade Ave Maria läuten.“
fteht kurz angedeutet, aus einem Kopf— Alfo legte auch ich Loden umd
bilde Schmölzers anf dem Sodel.| Nadel hin, wir falteten die Hände
Darüber fteht ein Knabe („Kindberger | und beteten ftille: „Der Engel des
Kindl*), welder, ein Notenblatt in | Herren brachte Maria die Botſchaft —“
der Hand, jingend dargeftellt iſt. Es Da gieng die Thür auf, ein
wurde von Meifter Brandfteiter, dem | fremder Menſch trat in die dämmerige
das Land ſchon fo viel Schönes ver- | Stube und fragte: „Sind da die
dankt, in Stein gehauen, und foll auf) Schneider ?*
dem Marktbrunnen zu Kindberg ftehen Wir unterbrahen das Gebet nicht
als ein Zeichen, daſs das Volkslied der und gaben feine Antwort. Als die
ewige Jungbrunnen aller Mufik ift. | Andacht vorüber war, fragte mein
Aus Anlaſs der erhebenden Freier | Meifter: „Wer iſt's denn? Und was
will ich die etwas drollige Gefchichte will Er denn von uns ?“
wieder erzählen, wie es Schmölzer| „Für den jungen Schneider habe
anzugehen pflegte, Volkslieder und | ich eine Botſchaft“, ſagte der fremde
Volksweiſen habhaft zu werden. Menſch, welcher ein Knecht des Bür—
Nöthigenfalls war ihm keine Mühe ſcherwirtes aus Krieglach war. „Der
zu groß, um derlei zu ſuchen und zu junge Schneider ſoll an einem näch—
ſammeln, da wanderte er in die fern: ſten Sonntage nah Kindberg gehen
ten Gräben, ftieg auf die Berge, | und ins Sclofs kommen.“
ſchlug ſich in die Wälder, fletterte zu „Ins Schloſs? Ja warum denn?“
Almen empor; feinem Ohre entgieng | fragte ich erichroden, denn jo viel ich
es nicht, wenn irgendwo ein Jung- | von anderen wufste, war es nie ein
909
gutes Zeichen, wenn der Bauers—
menſch ins Schloſs gerufen wird.
Wir hatten die Zeiten der Hörigkeit
noch wicht weit Hinter uns. Ins
Schloſs — hinters Schloſs! Dod
wufste ich mich nicht ſchuldig, ich
war weder Raufbold, noch ein Wild—
ſchütze, noch ein Nachtſchwärmer, ich
hatte niemandem die Ehre abgeſchnitten,
und folder Sünden wegen, deren ich
nich ſchuldig wuſſte, wird niemand
eingejpertt.
„Kennft du jemand im Schloſs zu
Kindberg?“ fragte mich mein Meifter.
„Keinen Menſchen und feinen
Ziegelftein, ich bin noch niemals dort
geweſen.“
„Nachher möchte ich an deiner
Stelle dem Schloſsherrn was pfeifen“,
meinte der Meiſter.
„Das könnt gefährlich jein“, war
mein Bedenken, „Mufs verklagt wor-
den fein, oder fo etwas. Ich fürchte
nur eins.“
„Was fürchteſt du?“ fragte der
Meilter.
„Daſs ich dichten thu', wird aufs
gelommen fein, und ich werde dafür
Steuer zahlen müjjen.”
„Babe ich nicht immer gejagt,
deine dummen Reime bringen dich noch
ins Unglück!“ rief der Meiſter.
„In Gottesnamen!* feufzte ich.
„Werden es ja jehen, was mir ges
ſchieht.“
„Da wäre ich ſchon ſelber begierig“,
meinte der Meiſter. „Kannſt gleich
morgen gehen, wenn du Luſt haſt.“
Und am nächſten Tage auf dem
Kirchplatze ward es mir neuerdings
hinterbracht. Ich ſolle nur die Füße
ausgreifen laſſen, nach Kindberg hin,
bedeutete mir ein Bekannter, und auch
den Kopf mitnehmen.
Den Kopf? Meinen Kopf wollen
ſie? Nein, tröſtete ich mich, einem
Schneidergeſellen kann nichts geſchehen,
es müſste denn fein, daſs er bös—
artige Verſe machte und bisweilen auf
die Herren ſtichelte. — Ganz fühlte
ich mich nicht rein von Schuld, doc
es — — — —
rief ich die Schneidercourage an und
machte mich auf den zwei Stunden
langen Weg nach Kindberg.
Das ſtaatliche Schloſs liegt auf
der Anhöhe und leuchtet weit hinaus
ins Thal. Ich ſtieg hinan und ſtand
am Einfahrtsthore und im Hofe auf
dem Steinpflafter eine Weile jo uns
jiher und jo unfchlüffig umher, bis
ein Vogt oder dergleihen fam und
mich fragte, was ich wolle.
„Nun war das hübſch. Ich wollte
nicht3, aber von mir wollte man etwas,
nur wufste ich nicht was und wer.
Mehrere Leute kamen zufammen und
riethen jo eine Meile Hin und ber,
bis es plöglich einer alten Frau ein—
fiel: „Das ift gewiſs der Schneider
gefelle, den fich der Herr Verwalter
beiteflt hat. Ein Wunderjchneider,
der allerhand LiedIn machen kann.
Kann Er das?“
„Wegen ein paar Liedeln werde
ih noch nicht betteln gehen“, war
meine Antwort, „die mach’ ich mir
ſchon jelber.“
„Er iſt es!“ rief die Alte und
führte mich eine Schmale Treppe hinauf
in das Gebäude.
Ein großes Zimmer mit vielen
Gemälden, Notenheften und mit einem
Klimperkaften. Ein ftaatlider Mann
in granem grünausgejchlagenem Stei:
reranzug. Das Haupt etwas vorgeneigt,
von der Stirne waren die langen ſchon
Ihimmeligen Haare nad rückwärts
gekämmt, im breiten einäugigen Ges.
jichte ein bufchiger grauer Schnurrbart.
Das war der Mermalter des
Schloſſes Oberkindberg, der fteiriiche
Liedercomponitt Jafob Schmölzer.
Ich erkannte ihn jogleih nad dem
Bilde, das beim Wirte zu Krieglach
bieng, wo oftmals Schmölzgers Lieder
gejungen wurden. ch wunderte mich
darüber, daſs berühmte Männer, Die
ſchon im Stahlitihen an der Wand
hängen, zu gleicher Zeit auch lebendig
wie andere Menichen auf den Füßen
ftehen können.
Schmölzer trat auf mich zu und
910
als er erfahren, daſs es der ſchön—
geiftige Schneider aus dem Gebirge
jei, der vor ihm fand, jchüttelte er
das Haupt und reichte mir die Dand.
„Recht Schön, daſs Sie gelommen
find. Nicht wahr, ſolche Bilder gibt
e3 bei Ihnen im Alpel nicht ?" Das
fagte er, weil meine Augen an den
Mänden umherglotzten und die Ge-
mälde und ihre ſchweren Goldrahmen
anflarrten,
„Iſt es wahr, daſs Sie Gedichte
machen?“ fragte mich Schmölzer, nach:
dem wir uns auf Stühle geſetzt
ich verſchämt.
„Da willen Sie wohl auch vet
viele Bauernlieder, jo Geſangeln, wie
fie die Burschen den Dirndln vorfingen,
oder die Dirndeln den Burjchen, oder
die Bäuerinnen beim Epinnen, oder
bei Hochzeiten, Leichenbegängniſſen und
zu verjchiedenen Feſten. Willen Sie
ſolche?“
„Das ſchon!“ war meine Ant—
wort.
„Auch Schelmenſtückeln, vierzeilige,
die recht hübſche Weiſen haben?“
„O ja“, ſagte ich.
„Ei bitte“, ſprach der Herr Vers |
walter, „fingen Sie mir etliche vor!“
Sch biidte ihm lange ins Geſicht.
Doch ſeltſam, dajs ein Verwalter bittz |
weite kommt! Und antwortete endlich:
„Der Herr wird beim Unrechten fein.
Der Schneider Lonis zu Fiſchbach
fann Schön fingen. Ich kann Halt
nicht.“
So möchte ih ihm die Liedlein
wenigftiens vorjagen, wenn ich jo
gut wäre! |
„So gut bin ich gerne“, war mein |
Beſcheid.
„Na freilich“, lachte er, und hier—
auf Hub ih an zu jagen und er zu
Ichreiben. Uber es gieng arınjelig mit
dem Dictieren; man weiß e3 ja, bei
ſolchen Liedern Fällt einem der Text
nur ein, wenn man ihn ſingt. Ich
manchmal“, antwortete
‚fingen,
jedermann, wenn gefungen — gelungen
muſste, um weiterzulommen, mir im—
mer die Melodie vergegenmwärtigen
und das konnte ich ohne Stimmittel
nicht.
„Vielleicht Haben Sie bei Ihrem
Schulmeifter ein wenig Orgelfpielen
gelernt”, meinte Schmölzer und ſchlug
den Klimperfaften auf, „veriuchen Sie
e3 bier, mir einige einfache Volks—
weifen mitzutheilen,“
Halb zu Tode ſchämte ich mich,
denn ich Hatte gar nichts gelernt von
Musik, als Ohren aufmahen und zu—
hören, wenn andere muficterten. Sch
geitand ihm das und er entgegnete
mir auf die Achjel Hopfend: „Junger
Freund, zuhören können, das iſt auch
etwas. Mer gut zuhört, iſt ein
beiierer Mufifant als der, welder
ſchlecht fpielt. — Ei der taujend, ich
babe ja ganz darauf vergeſſen, daſs
Sie durftig fein werben nad dem
weiten Wege!" Gin Glas Bier lie
er mir auftifchen. Und als ich mich
gelabt Hatte, verjuchten wir es noch
einmal mit den Liedern. Um den
Tert zu finden, wiſperte ih fo ein
wenig die Melodie vor mich Hin.
„Was, Sie können pfeifen ?* rief
Schmölzer, „das ift ja prädtig! So
pfeifen Sie mir die Weilen vor.”
„Pfeifen ift eine Kunft“, meinte
id, „aber — “
„Run?“
„Ich muſs zu viel lachen dabei
und da geht der Schnabel auseinan—
der.”
„Sie müfjen noch ein Glas Bier
trinfen“, rieth er und ſchenkte ein.
Und mit ſolchen Kunftftüden brachte
er es richtig fo weit, dafs ich anhub,
allerhand Volksweiſen zu pfeifen, ohne
dafs dabei der Schnabel auseinander-
gieng. Er ließ die Sachen ſich wieder
holen und fchrieb die Vollsweifen in
Noten auf Papier, dafs fie der Wind
nicht vertragen fonnte. Endlich Hub
ih, muthig geworden, gar an zu
denn fingen kaun endlich
it. Ih fang Lied um Lied, wie fie
von meiner Mutter, von meinen Lehre
meilter, von Liebesleuten und frommen
EHriften gehört worden waren und
Schmölzer jchrieb mit flinfer Hand
die Zeichen auf.
As ih mich mach einer guten
Weile ausgepfiffen und ausgefungen
hatte, jegte er fich zum Klimperkaſten
und fagte: „Nun wollen wir einmal
ſehen.“
Zu ſehen gab's nun zwar nichts,
umſo mehr aber zu hören. Entzückt
über die Maßen war ich, als meine
einfältigen Bauernweiſen in herrlichen
Klängen zu mir zurückkamen.
Schmölzer ſelbſt ſchien hochbefrie—
digt zu ſein. Als er die Lieder wie—
derholt und in verſchiedenen Arten
geſpielt hatte, ſtand er auf und ſagte:
„Nun, mein Lieber, haben wir zu—
ſammen etwas gemacht. Manchen Holz—
hauer und Almer, manche Sennerin
fange ich, wie ich ſie heute gefangen,
und wenn die Herzen ſonſt nicht klingen
wollen, ſo ſtoße ich mit einem Wein—
oder Bierglaſe an dieſelben und ſie
klingen ſicherlich. Alſo pflege ich die
Volksweiſen zu ſammeln, aufzumerken,
und dann in der Welt zu verbreiten.
Sie werden dieſe Lieder bald von
—
Ihrem Krieglacher Geſangvereine hören.
Horchen Sie nur recht wader umher
bei den Bauern und wenn Sie wieder
einen Buckelkorb voll neuer, oder viel—
mehr alter Volksweiſen haben, dann
fommen Sie wieder zu mir. Wir
wollen miteinander gute Freunde
bleiben,“
Bald darauf verabjchiedete ich mich
von ihm und unterwegs nachhauſe mag
ich wohl viel den Kopf gejchüttelt Haben
über meine merkwürdige Sendung.
Nahhanfe gekommen, wurde ich
von aller Seiten befragt, was es
dem gegeben habe auf dem Kindberger
Schlofie? Ih machte mich wichtig
und ſprach: „Da, Leute, das ift noch
nicht dageweſen. Dem Herrn Ver—
walter habe ich was gepfiffen !”
Alſo machte ich vor fiebenundzwanzig
Jahren die Bekanntſchaft mit dem
Liedercomponiften Jakob Schmölzer.
Mir Haben jpäter die Unterhaltung
mit dem Pfeifen und Singen oft
wiederholt und alfo war es mir gegönnt,
ein bejcheidenes Theilchen beizutragen,
um einen Schab von Sangweijen
unferer Steirer zu heben, dem Lande
zu erhalten und dem gefammten deuts
Ihen Volke zu vermittelt.
912
Gewitteranaft.
Eine Plauderei für die Sommerzeit.
en
a. großartigiten Natur-Er-
Iheinungen, die den Sinnen
des Sterblichen ſich offenbaren,
bleiben faſt unbeadhtet und ohne
Wirkung aus dem einzigen Grunde,
weil fie alltäglich find. Wer zittert
bei den Interfinfen der Sonne? Wer
gerätb in VBerzüdung, wenn fie in
jiegreicher Herrlichkeit auffteigt? Unter
Sentimentalen nur die Sentimental-
len, und dieſe laufen Gefahr, ſich
damit lächerlich zu machen. Das müde
Hinfinfen eines Theiles der Natur im
Herbfte und das prangende Auferftehen
desjelben im Frühlinge richtet im
menschlichen Gemüthe ſchon eine größere
Dewegung an. Dieje Erjcheinungen
rechtfertigen bisweilen ſogar noch ein
Bändchen Iyrifcher Gedichte.
Nun gibt es Vorgänge, welche
naturgemäß und unter gewifjen Bes
dingungen vorausfichtlich immer wieder:
tehren und troßdem doch fo viel Angit
und Screden verurfahen. Denn jie
treten unregelmäßig und im verſchie—
denen unbejtimmbaren Formen auf,
ihre Wirkungen Find im Verhältniſſe
zu den vorgenannten unvergleichlich
geringfügig, aber fie erzielen focale
Effecte und erweden deshalb das Er-
zittern der Herzen. Wir denken an
die Gewitter in den Sommertagen.
Der Wechjel der Tages und der
Jahreszeiten im Jahreslauf wird un:
endlich mehr lebenden Weſen, bejonders
auh Menjchen gefährlich, als alle
Gewitter desfelben Jahres zufanımen
es werden fünnen, Der Maifroft einer |
einzigen Nacht tödtet mehr, als aller,
Hagel des darauffolgenden Sommers.
Und anders: Im Brantweinraufche
verunglüden jährlih mehr Leute, als
unter Blitzſchlägen, und die unbewachte
Siut der Tabakspfeife ftedt mehr
Häufer in Brand, als das Feuer,
welches vom Himmel fährt. Wer aber
bangt vor einer Brantweinflafche,
wer erblajät vor einer Tabakspfeife?
Hat doch der Menſch das Bewufstjein,
dajs er den Brantwein in die Gojie
giegen, die Tabalspfeife hüten oder
auslöjchen kann (wenn er eS gleich—
wohl nicht tut), während er dem Ge—
witter ganz ohnmächtig gegenüberfteht.
Ferner der Effect eines Gemitters:
das ſchwer miederjinfende, alles in
Duntelheit hüllende Woltengewölbe !
Das unheimliche Saufen in den ſchein—
bar noch todten Lüften! Das braufende
Nahen des Sturmes, der Wolfen von
Staub vor ſich Herfegt, Dachſchindeln
bob über die Giebel der Häufer
Ichleudert, Bäume wie Grashalme um—
biegt und tnidt! Das Niederprafjeln
des Hagels mit dem Aufjpringen der
Cisjtüde, das Fliegen der Yaubfeßen,
das Klirren der beritenden Fenſter—
jcheiben! Der im mogenden Nebeln
niedergießende Regen, weldher in we—
nigen Minuten blühende Gärten in
einem See verjentt, auf welchem
Eismaſſen Schwimmen! Das donnernde
Heranſchießen der Wildbähe, Schutt,
Trümmer, Felsblöde mit ſich führend!
Das ſchmetternde Niederzuden des
Blitzes, der alle Augen blendet, alle
Ohren zerreigt, alle Sinne betäubt !
— 63 ijt ein furchtbares Scaufpiel!
)
|
913
mwimmern die einen; es ift ein herr- | jcheiden ſind Wetterkreuze errichtet,
liches Schaufpiel! fagen die anderen |das jind vier bis Fünf Meter Hohe
entzüdt. Der leßteren find nicht allzu=
viele. Ich kenne manchen, der das Bes
trachten eines Gewitters angeblich als
den größten Hochgenufs preist und doch
blajs bis über die Lippen, ftarr und ban—
gend den rajenden Gemwalten zufieht. —
Gleichſam vierfpännig, mit dem fenri—
gen Rappen der vier Elemente fährt
das Gewitter heran; die Luft kann
dir das Haus zerreigen, das Waſſer
tann dich überſchwemmen, das Feuer
kann dich tödten, die Erdlawine kann
dich begraben. Doch es geht vorüber,
dein Haus fteht und du lebſt. Kühl
und rein ift die Luft, erfrifcht ift dein
Mejen und alle Angft ift vergelien.
Zu wundern ijt freilich nicht, wenn
die Menjchen bei dem Herannahen
jolder Natutgewalten unruhig werden,
merft man ja jelbjt den Thieren eine
außergewöhnliche Erregung an. Wins
der, Schafe, Ziegen verlaflen ihre
Weiden und trachten den Menfchen
zu; ja jelbit Halbwilde Thiere, wie
3. B. Vögel, Rebe, Hirſche verlieren
ihre Furcht vor dem Menschen, wenn
das Ungewitter heranrollt. Freilich
liegt ſchon in der dem Gewitter vor-
ausgehenden drüdenden Schwüle eine
Urſache zur Bellenmung und Bangig:
feit, melde von manchem Menſchen
wie eine Vorahnung mahenden Une
heiles empfunden wird.
In fatholifhen Ländern fucht man
den Unheile durch mancherlei außer—
natürliche Mittel vorzubeugen. Wäh-
rend der Hochſommermonate, jolange
noch das Getreide unter freiem Him—
mel steht, werden feine Tänze und
jonftigen öffentlichen Luftbarleiten ab-
gehalten, um den Himmel micht zu
erzürnen, Erſt wenn die Früchte unter
Dad und Fach find, mag's wieder
losgehen. Auch ſoll in manchen Ge»
genden um die Zeit der Dochgemitter
niemand überjiedeln, weil in das Haus,
in welchen der um ſolche Zeit Über—
fiedelte ſich miederläjst, der Blitz ein»
jchlägt. Auf Berghöhen und Waller:
Bofegger’s „„Gejmgarten‘‘, 1%. Arft. XV,
dachloſe Holzlreuze mit drei Quer—
balten und den Leidenswerkzeugen
Chriſti. Das Bild des Gefreuzigten
jelbft ift nicht vorhanden. Dieje Wetter:
freuze, welche kirchlich geweiht ſind,
bejigen nach der Meinung mancher Leute
die Kraft, die Herannahenden Gewitter
aufzuhalten, dafs fie fi im Nachbars—
thale entleeren follen. Jene Wetters
löcher auf hohen Bergen, von denen
man glaubt, daſs aus ihnen die Ge—
witter hervorfteigen, können durch ge=
weihte Weidenzweige, die man an
ihrem Rande aufitedt, unſchädlich ge—
macht werden, In manchen Dorfkirchen
wird am Charjamstage eines jeden
Jahres Feuer geweiht, glofende Kohlen,
wovon die Bauer in Thongefäßen mit
nahhaufe nehmen; diejes euer wird
auf den Herd gethan und es foll den
Sommer über nicht ausgehen, denn
es jchüßt vor dem Einſchlagen, weil
angenommen wird, daſs das heilige
Teuer jenes unbeilige, welches aus
den Lüften kommt, überwindet.
Nebenbei bemerfe ih, daſs man
auf dem Lande nur „vom Donner
erichlagen” wird. Der Blik geht nad
einer Volfsmeinung dem jchlagenden
Donner um ein furze3 voraus, als
himmliſches wohlmeinendes Zeichen,
daſs man ſich mun auf den Tod vor—
zubereiten Habe. Und thatſächlich be=
freuzigen jich die Leute nad dent
Bligfcheine, jagen: „Helf uns Gott!“
oder jonft einen frommen Spruch und
erwarten dann oft in Zodesangit den
Donner. Als ich einft in einer Bauern—
gefellihaft zu erklären juchte, daſs
nit der Donner, jondern mur der
Blig tödten könne, ward ich ein „neu—
modiſcher Schulfuchſer“ genannt, und
ein Geiitlicher, dem ich das gelegent-
lich erzählt, meinte, da ſei mir jchon
recht geichehen, die schlichten Leute müſſe
man bei ihrem alten Glauben laſſen,
fie hätten jonft auch nichts Gutes auf
der Welt. — Darauf Habe ich wohl
tiefbeſchämt geſchwiegen.
58
914
Wenn das Gewitter naht, gipt | Sara zu machen. Es wären zahl»
e3 im fchlichten Volke weitere Mittel |lofe Sitten und Gebräude, die in
dagegen. unferem Gebirgsvolke bei Gewittern
Auf Thürmen von manchen Kirchen | üblich find, anzuführen, es ift aber
und Sapellen werden MWettergloden |nicht viel Erbauliches dabei, mandes
geläutet; in vielen Gegenden werden bei iſt jo lächerlih und unfinnig, daſs
nabendem Gewitter Pöller abgeſchoſſen, es auch als Angjtvertreiber nicht ge=
au im Freien oder auf SKochherden | rechtfertigt werden fan, denn der
euer angezündet aus geweihteın Holze, | Aberglauben, als ob man mit derlei
deffen in die Lüfte fteigender Rauch die | den Willen Gottes ändern oder jeine
drohenden Wolken ohnmächtig machen | Kraft bredden könne, iſt eine mahre
fol. Gewiſſe heilkräftige Kräuter | Gottesläfterung. Die Anſicht, als ob
werden mit unfinnigen Beſchwörungs- |der böſe Feind die Herrjchaft führe
formeln ins Feuer geworfen, um das | mitten in der Ehöpfung des all-
Gewitter, falls es von böfen Mächten | mächtigen und gütigen Gottes, iſt im
erzeugt ift, unſchädlich zu machen. | wahren Sinne des Wortes irrgläubig.
So weit bat der Aberglauben die Solche althergebradhte thörichte
die Leute gebracht, das fie die Macht | Mittel und Anwendungen gegen das
des Teufels für mächtiger halten, als ®ewitter, ſelbſt wenn fie ſich relis
die Macht Gottes, dajs ſie wähnen, | giöfen Anjtrich geben, jollten jo lange
Gott mit Hokuspokus zubilfe kommen | und jo fcharf verjpottet werden, bis
zu müfjen, wenn er über den Böfen | man fich derfelben ſchämt. Wen jenes
jofl jiegen können, Manche Hausfran | alte Weib die leere Weihwafjerflaiche
will bei nahendem Gewitter mit dem auf eine fange Stange ſtülpte und jich
Gruzifir oder mit Heiligenbildern ins | dadurch gefeit glaubte, jo ijt das nicht
Freie, um unter gemurmelten Gebeten | weiter der Rede wert; wenn aber
das heranfahrende Gewölle zu be= [nachher der Mepner kam und fagte:
freuzigen und zu beſchwören. Es gibt | „DO einfältiges Weib, was müßt Die
auch beiondere Zeichen md Bewe- |leere Weihwaſſerflaſche! Mit dem
gungen, die im die Lüfte hingemacht Weihwaſſer ſelbſt mufst du die böjen
werden, All dieje und andere Dinge | Geifter der Lüfte vertreiben!“ — jo
erreichen thatjächlich ihren Zwed, wenn |ift das wohl der Rede wert und möchte
fie imftande find die Angſt zu mins ich vor allem ein Weihwafjer und
dern und die Zuverſicht zu weden. einen Sprengwedel Haben, mit dem
In vielen Häufern pflegt man ſich man den Wehner ſelbſt verjagen
bei drohendem Gewitter in der Stube könute! — In den. Lüften gibt es
zu verſammeln, an den Tiſch zu knien | feine böfen Geifter, jolche gibt es nur
und gemeinfam die Litanei von den in abergläubiichen, rohen, übelgefinn-
Heiligen Gottes und Gebete zum heis | ten Menjchenherzen. In den Lüften,
ligen „Wetterpatron“ Tonatus zu und wenn daſelbſt Eis und euer
iprehen. Dabei brennt eine geweihte | niederpraffelt, Herrjcht der Geiſt des
Wachskerze aus irgend einem Waltz | Herrn, der nicht wie ein Fetiſch be=
fahrtsorte; aber die Leute hören unter! handelt fein will, jondern als der
dem Braufen des Gemitters oft ihre ewige Gott, in deſſen Willen der
eigenen Worte nicht. Fallen Schlogen, Menſch fih demuthsvoll ergeben joll.
fo werden einzelne Körner unterfucht, MWeltlicher gefinnte Menjchen tra:
ob nicht Menſchenhaare in denjelben | ten dem Gewitter, befonders den Bliß-
find; im diefem alle müjste das | jchlägen auf andere Art vorzubeugen.
Hagelforn mitſammt dem Haar raſch | Sie löfchen auf dem Herde das euer,
verbrannt werden, um das geherte/ weil gejagt worden ift, daſs der auf:
Metter zu dämpfen und der Here den ſteigende Naud eine Blikitrake werden
—
könne. Sie verſammeln ſich in einer
Stube, möglichſt in der Mitte derſel—
ben und von Schornſteinen entfernt,
damit ein an dieſen und an der
Wand niederfahrender Blitz fie nicht
treffe. Die einen jagen, man müſſe
die Fenſter geichloffen halten und feine
Thür aufmahen, damit feine Zugluft
al3 guter Elektricitätsleiter entitehe;
die anderen meinen, man müſſe Fen—
fter und Thüren offen laffen, damit
im Falle eines Blitzſchlages die Er—
ftidungsgefahr abgehalten, und den
Halbbetäubten Möglichkeit geboten fei,
hinauszukommen. Ich glaube, die Zug—
luft ift zu vermeiden, ein Fenſter aber
offen zu laſſen. Ein Bogel Strauß’:
ſches Mittel iſt es, die Fenſterläden
zu verjchließen oder ſich gar in den
Kellern zu verfteden. Der Blitz flattert
ja nicht wie eine Taube zum Fenſter
herein, er nimmt feinen Meg von
oben nach unten, von unten nach oben,
jo daſs er den Keller jo gern aufjucht,
als den Dachgiebel. Wehe aber dem,
der bei einem plößlichen Brande im
Keller fih befindet! —
Ratdjam ift es, während eines
Gewitters ih nicht unter die offene
Hausthüre zu ftellen, oder in die Nähe
von gießenden Dachrinnen; auch von
Metallgegenftänden halte man fich fern.
Der, den das Gemitter im Freien
überrafcht, Hat auch mancherlei Maß—
regeln gegen den Blitzſchlag gehört.
Er möchte am liebſten nach Kräften
laufen, um ein ſchützendes Obdach zu
erreichen, allein das Laufen ſoll ja
den Blitz anziehen! Irgendwo heißt
es, nichts ſei gefährlicher, als auf
freiem Felde der einzige hervorragende
Körper zu ſein — alſo in den Wald!
Anderswo wieder wird vor dem Walde
gewarnt, nie ſolle man bei einem Ge—
witter jich unter einen Baum ſtellen.
Am gefährlichiten fei die Eiche, in
Eichen ſchlage der Bli am liebſten.
Wenn mich im Freien ein Gewitter
überrafcht, jo pflege ich keinerlei Mög:
lichkeiten zu erwägen, jondern meines
Weges zu gehen, womöglich jo ruhig
und forglos, als ob über mir die holde
Sonne ftünde. Scleudert mich der
Sturm zu Boden, jo ftche ich wieder
auf; durdhmäfst mich der Regen bis
auf die Haut, jo werde ich fpäter
wieder troden, jehlägt mir der Hagel
Beulen, jo werden fie wieder heil, und
tödtet mich der Blitz, jo rechne ich
mir das fürs Sterben an.
Es ift der Bligableiter erfunden
worden. Seine wohlthätige Wirkung iſt
weder theoretiih noch erfahrungs-
gemäß zu beftreiten, allein joweit hat
er es noch nicht gebradt, daſs die
Leugner feiner pojitiven Erfolge end-
giltig gefchlagen wären. Nach meiner
Meinung erfüllt der Blikableiter einen
großen Theil feiner Aufgabe dadurch,
daſs die Leute, die unter feinem
Scepter wohnen, ſich für geichüßt
halten. Denn diefes Sichfürgeſchützt—
halten, die Schlichtung der Angſt, iſt
Ihlieglih das Wichtigite, was wir
unabänderlichen Naturgewalten gegen
über zu erreiden haben. Die heiße
Angjt bei jedem Gewitter durch ein
ganzes Menjchenleben Hin iſt ja weit
Ihlimmer als der Blitz, der einmal
in das Dach führt. Vom Blitzſchlag
bis zum Sünden und Brennen ift
auch noch ein weiter Weg, von zehn
Blisichlägen zündet kaum einer; und
ebenjo felten wird vom in das Ge—
bäude fahrenden Bliß ein Hausbe—
wohner getödtet. Sicherer iſt es in
einem Daufe, welches auf Felsgrund
ſteht, als in einem auf feuchten leh—
migem Boden. Zu warnen ift vor
Heuhaufen und Heuhütten, ſolche
ſcheinen vielleicht des davon aufſtei—
genden Dunites wegen den Blik an—
zuziehen. Verhältnismäßig ſicher vor
dem Bligfchlage ift es auf jehr hohen
Bergen, auf Gletſchern und auch in den
Tiefen der Engthäler, die von fteil-
anfteigenden Bergen begrenzt find.
Noch Sicherer ift es in Eifenbahn-
zügen; man bat wenige Beijpiele,
daſs Eijenbahnreifende vom Blitz
erichlagen wurden; ſelbſt wenn es
in einen Zug einjchlägt, pflegt der
58°
016
nichts wahrnimmt und nichts weiß.
— Und diefer glühende Athen des
Schöpfers ift allzeit über und. Der
Blitz iſt faſt die einzige vernichtende
hohen Bäumen ſteht, obzwar ich ein-| Kraft, vor welcher der Menſch abſolut
nal geſehen Habe, wie der Blitz unter machtlos daſteht, da kann er nichts
Schlag, ohne zu ſchaden, abgeleitet
einem hohen Fichtenbaum, ohne EN und lindern, nichts abſchwä—
zu werden.
Ih fühle mich am beruhigtiten
in einem Daufe, das in der Nähe von
zu berühren, im eine niedrige Hütte) den und binausschieben; er kann
Ihlug. Erfahrungsgemäß ſchlägt der|diefer Gefahr weder entgegengehen
Big z. B. viel öfter in den Schaft noch ausweichen, er ift ihr unbedingt
eines Baumes, als in den MWipfel. | unterworfen.
Und es ſchlägt in den Kirchthurm Ich ſchließe mit der Meinung :
faum jo oft ein als in Häuſer, die die Angft vor dem Blike fteht in
ringsum ſtehen, aber die Vorftellung, ! keinem Berhältniffe zum Unheil, das
dafs ſolch Hochragende Gegenftände, |er anrichtet. Wenn uns auch gefagt
befonders der Blißableiter, fir niedri= | wird, dajs die Blitzſchläge ſich von
gere eine ſchützende Wirkung haben, | Jahr zu Jahr mehren, jo fönnen wir
joll nur in Gottesnamen gepflegt wer- getroft darauf antworten: das ift nicht
den. Der Menſch ift ja zu verzagt, erwieſen, früher Hat man die Fälle
wenn er gar nichts weiß, was ihn von | eben nicht jo aufmerkjam verbucht und
dem blinden Zufalle oder dem Straf- | allgemein befanıt gemacht, als es
gerichte eines Bligichlages ſchützen kann. heute durch die Zeitungen gejchieht.
Der leidlofe Tod eines vom Blitze Diefe Zeitungen mit ihrer vollgerüt-
Erſchlagenen ift Freilich nur ein ge- telten Unglüds » Chronik, die fie uns
ringer Troſt; ja die Plößlichkeit des» | Tag für Tag vorjegen, könnten that=
jelben vermehrt nur noch unjere Angft | Fächlih in uns den Glauben an die
umd macht jeden Augenblid unheim= | gute alte Zeit beftärfen, im welcher
lich, den wir in Gewitterluft verleben. | man „derlei nicht gehört“. In ges
Mir können es zwar micht willen, witterſchweren Tagen ift der Himmel
wie es einem vom Blie Getroffenen zu aller Zeit erfüllt gewejen von
im Augenblide des Sterbens zumuthe fliegenden Flammen, jo zahllos wie
ist, denn ſelbſt die plauderhafteften | die Yeuchtwürmer auf Erden; zu allen
Leute bewahren, wenn fie todt find, ; Zeiten jind die Blitze wagreht und
die Geheimnijje der Natur. So viel! jenkreht gegangen ; und wenn in volk—
uns aber folche zu jagen willen, die) veihen Städten heute ein Menſch ge=
ans der Betäubung des Schlages wie | troffen wird, wo früher nur ein Baum
der erwachten, ijt es ein urplößliches | geitanden, jo Fährt der Blitz draußen
Verlöſchen des Bewuſstſeins. Die Ge- | auf dem Lande jebt vielleicht in ein
troffenen erinnern Sich nicht einmal, | wildes Geftrüppe, wo einft eine Menz
den Schein des Blitzes gefehen zu Haben, | [henwohnung geweſen, jetzt aber feine
noch viel weniger fönnen jie den Ge- Seele mehr vorhanden ift, So gleiht
danlen ans Sterben gefaßt haben. Ihre ſich's aus. Im ganzen find von
unangenehmen Empfindungen verichies | Hunderttaufend Menjchenleben, die täg-
dener Art gehen erft in dem Augen lich vergehen, kaum zehn, welche ver—
blide an, da fie dem Leben wieder | zehrt werden, wenn Feuer vom Himmel
gegeben find. Dem Menfchen kann's | fällt.
paflieren, dafs er fi achtzig Jahre | Das rollende Rad der Majchine
lang dor dem Sterben fürchtet, und, ‚ift dem Menjchen gefährliher ala der
ihlieglih ſtirbt er gar nicht. Das | Big; das vom Erdenſohn erfundene
beißt, er wird durch Gottes Gnade jo Feuerrohr foftet unvergleihlih mehr
plöglich ausgeblajen, dajs er von allem | Leben als der Blitz; die menjchlichen
917
Lüfte und Leidenschaften fordern un»
endlich mehr Opfer, als der Blitz,
warum jenen fröhnen und vor diejem
beben! Man Hat in der angeblich jo
lichtfreundlichen Gegenwart verlernt,
zu den Sternen aufzubliden und be»
gnügt ſich mit dem Fünklein im Staube,
nur zu dem effect
Gold genannt;
volleren Himmelsliht, dem Blitze,
zudt das Auge noch ſchaudernd auf.
Marum Shaudernd? Warum nicht an—
betend ? — Menn Gott dur das
finftere Gewölke feinen Leuchtipan
niederhält, thut er es denn, um Die
Menſchen zu erichreden? Nein, jondern
um fie zu juchen. R.
Dom Sittenridter unferes Herzens.
Eine Betradtung.
ar
X uf die Gefahr hin, dajs nicht
"ugp jeter gerne daran erinnert
7 fein mag, meijen wir die
Aufmerkjamfeit des freundlichen Les
ſers (demm gerade diejer wird feine
Urſache Haben, ih in die Büjche zu
ſchlagen) auf eine Rede, die Profeſſor
G. Rümelin in der „Deutfchen Runde
ſchau“ (Mai 1891) abdruden lien.
Es ift eine Abhandlung über die
Lehre vom Gewiſſen. Derjelben ent—
nehmen wir bier jenen Theil, der
weniger philofophifch und mehr prak—
tisch gehalten ijt und der im ſich fo
manches gute Wort enthält, welches
wert fein dürfte, auch in moeiteren
Kreifen gemerkt zu werden. Denn in
unferer Zeit wird auch der Laie nicht
jelten eingeladen, ſich an ethiſch—
philofophifchen Fragen zu betheiligen
und aud der Laie zeigt immer mehr
Intereſſe an
Vorgängen der menschlichen Seele, in
welcher Glüd und Unglüd teimt.
Wir treten ein, wo Rümelin jagt:
Alle Menfchen kennen den Unter—
jchied von Gut und Böfe und fühlen
ſich durch allgemein giltige Normen
verpflichtet. Aber dieſe Normen ſelbſt
fönnen außerordentlich verjchieden jein
und Find es thatſächlich, nach der
Bildungsitufe von Zeitalter, Volt und
Individualität,
dem Wejen und dei |
Demnach müſſen wir jagen, dajs
nicht nur alle Menſchen überhaupt
ein Gewiſſen, ſondern dafs fie inſo—
fern auch das gleihe Gewiſſen haben,
als deſſen einfache Grumdfunction zu
prüfen, ob unjere Handlungen mit
den von uns als bindend anerfannten
Normen, wie diejelben um auch lauten
mögen, übereinitimmen oder nicht, ſo—
nit dies entjcheidende Ja und Nein für
alle dasjelbe bleibt und nur dem einen
Gewiſſen ftärfere Verſuchungen und ges
tingere Beihilfe aus jonftigen Facto—
ren geboten jein fönnen, al3 dem an—
deren.
Sch verfuche noch von den gleichen
Borausjegungen aus, wenn aud nur
in flüchtiger Andeutung, die Fragen
zu berühren, die über den pſychologi—
ihen Standpunkt hinauszuſtreifen
‚feinen, ob und wie die fittliche
und die religiöie Anlage zuſammen—
hängen, ob und wie insbeſondere ge—
tade das Gewiſſen als eine Stimme
und Offenbarung Gottes bezeichnet
werden famı.
Daſs etwas, was irren kann und
thatſächlich in zahllofen Fällen irrt,
fih nicht das Anjehen einer gött-
lichen Beglaubigung beilegen kann,
ift von ſelbſt einleuchtend. Ebenſo
wenig wird die Erfahrung zu beftrei-
‚ten fein, dafs thatfjählih und Häufig
918
mit einer jehr Schwachen Empfäng-
lichkeit für reliöfe Gefühle ein recht:
Ichaffener Wandel, eine edle und ges
wiſſenhafte jittliche Yebensführung ver—
bunden erjcheint, und daſs anderers
jeit3 auch die ausgeſprochenſte Erreg—
barkeit für Eindrüde religiöjer Art
feineswegs eine Jihere Bürgfchaft auch
gegen grobe ſittliche Berfehlungen
bietet.
Gleichwohl ift das Verlangen des
Menjchengeiftes nach einer Einheit
jeines gefammten Denkens und Lebens
ftart und mädhtig genug, um den
Gedanken nicht zu ertragen, daſs die
Erzeugniſſe der höchſten menſchlichen
Triebe und Kräfte, daſs die Ideen
des Wahren, Schönen, Guten, der
Gottergemeinfhaft, je in ifolixte
Spipen neben und auseinander aus—
laufen, ohne dafs auch lie noch irgend
ein höheres Band unter ſich verfnüpfte.
Wer num aber in der Idee des Guten,
in dem Gefühl der Gebumdenheit an
unbedingt wertvolle und verpflichtende
Ziele und Normen unferes Willens
den höchſten Maßſtab menschlichen
Werts oder Unwerts, die Beglaubi-
gung unferer wahren VBeltimmung
erkennt, dem wird jih die Schlujs-
folgerung nahe legen, dafs die ſitt—
liche Ordnung, die für die Vernunft—
wejen unferes Planeten gilt, ein
Glied und Beltandtheil des allgemei«
nen Weltplaus fein, in den Gedanken
und Zwecken der Gottheit ihre lebte
uelle haben möge. Die Yolgerung
ift nicht logisch zwingend, weil wir die-
jen allgemeinen Weltplan nicht kennen
und auf Unerfennbares keine Schlüjfe
zuläfjig find; fie ift mehr eine Ahnung,
ein Glaube, im logiichen Sinne eine
Hypotheſe, die ich weder beweifen
noch widerlegen läjst, aber für einen
gegebenen Thatbeſtand eine Erklärung
bietet, die wenigftens befriedigender
it als jede andere, bon der wir
willen. Die Neligionen aller Cultur—
völler machen uun aber dieje Folge—
rung gleih zu cinem laubensjaß
und feiten Ausgangspunkt. Da ung;
ein anderer Weg, eine Vorſtellung
von der Gottheit auszubilden, nicht
offen ſteht, als daj3 wir das, was
wir an uns ſelbſt als das Höchſte
und MWertvoflfte erkennen, ihr im
idealer Vollendung beilegen, fo ftatten
wir fie mit den potenzierten fittlichen
Eigenfchaften der Weisheit, Gerech—
tigfeit, Liebe, Heiligkeit aus und
leiten alle jittlihen Forderungen bon
ihrem Willen ab. Damit tritt aud
dad Organ, das dieje fittlihen For—
derungen erzeugt und vertritt, eben
jener fittlihe Trieb, der angeborene
Theil des Gewiſſens, im eine höhere
Stellung, in eine engere Verbindung
mit den religiöfen Anlagen ein, wie
er nah der anderen Richtung Hin
auch mit dem Sinn für Wahrheit
ud Schönheit Fühlung ſuchen wird.
Nur wird fich dabei die philojophiiche
Betrachtung von dertheologischen immer
darin unterscheiden, daſs jene von
unten nach oben, von dem gegebenen
fittlihen Berwufstfein auf einen Zu—
jammenhang mit der allgemeinen Welt:
ordnung und den Willen der Gottheit
ſchließt, dieſe von oben nad unten
die jittlihen Gefege als geoffenbarte
Gebote Gottes verfündigt.
Das Gewiſſen iſt ausjchlieglich
nach innen gewendet; e3 dverfehrt nur
mit feinem Inhaber; mit der Außen—
welt hat es nichts zu ſchaffen; über
fremde Dandlungsweife urtheilen wir
nicht mit dem Gewiſſen, jondern mit
dem PVerftand. Wir menden dabei
zwar die gleichen Normen an, die
wir für uns felbjt al3 verpflichtend
erkennen, nur im der Regel Schärfer,
mit weniger Nahfiht und Billigkeit
als gegen uns felbft, weshalb ja Die
jittlihe Meinung der Maſſen glüd-
licherweife ſtels ftrenger und beſſer
it, als fie jelder find. Sodann it
das Gewillen darin auch etwas ganz
Subjectives, dafs es gar nichts an—
dere und weiteres erftrebt, al3 den
inneren Frieden, die Harmonie uns
ſeres Trieblebens; fein Trieb ſoll und
kaun ausgerottet werden, feiner jo
dominieren, daſs die anderen gar
nicht mehr zum Wort fommen, Sein
deal liegt in der individuellen ſitt—
lihen Bollendung, in der höchſten
Ausbildung der Perjöntichkeit.
Nun gibt es eine höchſt achtens-
werte, von hervorragenden Denkern
vertretene Theorie, welche als oberites
Moralprincip nur das Wirken für
fremdes Wohl, die ſelbſtloſe Liebe
gelten läjst. Die Bemühung um die
eigene Wohlfahrt und Glüdjeligkeit
jei zwar natürlich umd nicht zu ta=
deln, aber auch nicht verdienftlich,
nicht jittlih im engeren Sinne des
Wortes. Prlihten gegen ſich ſelbſt
gebe es nur infomweit, als fie be—
zwecken, den Einzelnen tüchtig zu
machen für ein gemeinſames Wirken.
Ich kann in dieſer Auffaſſung
nur eine, wenn auch beſtgemeinte
Einſeitigkeit erblicen. Sie thut dem
Grundprincipe des ſittlichen Triebes,
eine Ordnung und Harmonie unſeres
geſammten vielgeftaltigen Trieblebens
zu Schaffen, Gewalt an, indem fie das
Gefühl des Mohlwollens nicht blos
zu einem Hochgiltigen Factor, jondern
zum Alleinherrſcher macht, dem alles
andere zu dienen bat. Ih jprad
von einem Wusgleih der ſelbſti—
ihen und gejellfchaftlichen Neigungen
als einem der beiden Grumdpfeiler
aller Sittlichkeit ; ich nannte es Aus—
glei, nicht Naturordnung. Ich alaube
mich dafür auf die höchſte aller Auto-
ritäten berufen zu dürfen. Der Spruch
Chriſti lautet: Liebe Gott und deinen
Nächſten, wie dich ſelbſt, nicht: ftatt
deiner jelbft; auch nicht: mehr als
dich ſelbſt. Die Selbftliebe wird als
das Natürlihe, das Unvermeidliche
vorausgeſetzt.
In der That führt jene Anſicht,
wenn man vollen Ernſt mit ihr
macht, zu ganz unhaltbaren Folge:
rungen,
Wenn die Glüdjeligkeit aller übri-
gen Menjchen ein vollberechtigter
Selbftzwed ift, dem ich zu dienen
habe, warum jollte nur meine eigene
919
eine Ausnahme, und zwar fo, daſs
nur ih nicht darauf bedacht fein
dürfte, wohl aber alle übrigen Mens
jchen hiezu verpflichtet wären. Was
müjste dabei Herausfommen, wenn
jeder des anderen Gejchäfte betreiben,
ihm die Güter und Genüſſe verichaf-
fen und aufdringen jollte, auf die er
jelbft zu dieſem Zwecke zu verzichten
fih verbunden Halten müjste, wenu
jeder das Seelenheil, die geiftige und
jittlihe Bildung des Nebenmenjchen
für die Hauptſache Halten, jeder jeden
belehren und beflern wollte, ftatt vor
allem vor der eigenen Thüre zu lehren.
Die Sade ift damit freilich auf
die Spibe getrieben und nicht jo
ſchlimm gemeint, Das aber jcheint
mir unzweifelhaft, das jich die ſitt—
lihen Gebote feines im Bemühen um
fremdes und gemeines Wohl erjchö-
pfen. Sehr vieles, was jedermann zur
Sittlichfeit rechnet, was von jedem fein
jittliches Gefühl verlangt, hat feine
oder nur jehr fernliegende Beziehungen
zu den MNebenmenjchen. Schon die
formellen Verbindungen aller Sitt—
lichkeit, Selbſtbeherrſchung, Conſe—
quenz, Beharrlichkeit, Geduld, Mäßig—
keit, Beſonnenheit, noch mehr die Be—
zwingung der Leidenjchaften und Be—
gierden, die ganze inmere Zucht des
jerfahrenen, unſteten, widerjpruchs=
vollen Wollens, die gefammte Cha—
rafterbildung, joll alles dies micht
einen Wert in ſich ſelbſt Haben, jon-
dern mur um des Nubens willen,
den es für eim erfolgreiches Wirken
zu freindem Glüd haben fann? Wenn
die Wahrheit, die Weisheit und die
Erkenntnis, wenn die Freude am
Schönen in Natur und Kunſt zu den
edelften umd menſchenwürdigſten Gü—
tern gehören, kann fie jemand anders
geniegen, al$ der, der fie für ich er-
ftrebt und erwirbt, und joll ihr Wert
jtets nur im Mittheilen und Weiter-
geben beftehen ? Alles wahre religiöje
Leben, der unmittelbare, andächtige
Aufihwung der Seele zu Gott, wird
und nıufs er nicht immer etwas Sub—
92
jectives, am Einzelnen Haftendes blei- | derjenige, der die fittlihe Durdbil-
ben, wofür Mittheilung und Gemein: dung feiner Perjönlichfeit und feines
Ihaft zwar förderlid, aber niemals
bedingend und umerläfslich fein kann ?
Sollte, um dies bei den Moraliften
beliebte Beifpiel zu gebrauchen, ein
Robinjon allein auf einer verlaffenen
Inſel darum feine fittlihen Aufgaben
mehr haben, weil er feinen Neben
menschen Hat, das Heißt: ſollte er
Charakters vor Augen ftellt, wenn fie
verftändige Leute find, zu dem glei=
hen Schluſsergebnis gelangen, dafs fie
an dem beſtimmten Plaß, auf weichen
ſie ſich geitellt finden, die Aufgaben, die
ihr Tagewerk mit fih führt, gewiſſen—
haft und mit dem ganzen Aufwand
ihrer Kräfte zu vollbringen haben.
aufhören ein Menjch zu fein? Es iſt In dem Gefühl der Pflichten, die
aber gar nicht einmal möthig, zu jo
vereinzelten und abnormen Fällen zu
greifen. Es ſind allezeit Hundert:
taufende und Millionen in der Ge-
ſellſchaft, für welche das Gebot, frem=
des Wohl zu Fördern, feine oder nur
jehr wenig praftifche Bedeutung haben
fan. Es find alle Unmündigen, alle
Kranken und Gebrechlichen, die von
jedem wieder in bejonderer Geftalt
nach Alter und Geſchlecht, nah Stand
und Beruf, zuhauſe und nah augen
vorgezeichnet find, verliert jich der
Gegenſatz don Selbit- und Nädjften-
liebe, der der Theorie jo viel Schwie-
rigfeiten bereitet,
Ich will mich auf ein Heines, aber
nächitliegendes Yeifpiel berufen. Wenn
fremder Hilfe leben, die Unzähligen, ich Hier eine Rede halte und bemüht
die im Bann der Selbfterhaltung, im|bin, der Aufgabe nad Kräften gerecht
harten Kampf ums Dafein gar nicht | zu werden, fo würde ich der Wahr:
daran denken können,
fremdes Wohl zu fördern. Müſste
man denn schließlich nicht dazu ge—
langen, zwei Sittengeſetze aufzuftellen,
ein höheres und volles für die dur:
bietenden, activen, nah Mitteln und
Bildung bevorzugten Perſonen, ein
niedrigere und halbes für die Em—
pfangenden, die Yeidenden, die feine!
auch noch | heit nicht die Ehre geben, wenn ich
jagen wollte, dafs die Liebe zu mei—
nen Zuhörern oder Zuhörerinnen, oder
die Meinung und Abjicht, ihre Bil—
dung zu fördern, einen erheblichen
Antheil an meinen Motiven habe. Aber
noch viel weniger treibt nich die Selbit-
liebe dazu; ich fühle es als eine Be-
läftigung, von der ich gerne enthoben
jelbftlofe Liebe zu bethätigen ver= | wäre. Ich thue einfach, was mir ob»
mögen ?
Allein die Sache näher angejeben, | Und wenn
will mir dies alles doch mehr nur fragen wollte:
wie ein Gegenjag von Schulmeinuns
gen erjcheinen, welche für die Praris
des Lebens faum in Betracht fommen.
Ob der Einzelne feine eigene Vervoll—
kommnung, die Fittlihe Arbeit an ſich
ltegt und thue e3 jo gut ich kann.
man dann auch noch
warum erfüllt Du
deine Prlicht, jo müfste ich antwor—
‚ten: abjehend von äußeren Motiven,
| weil ich ſonſt mir Vorwürfe zu machen
hätte und unbefriedigt wäre. Und
wenn man dann immer noch weiter
jelbjt oder die Förderung feine: Näche | fragte: warum musst und willit du
ften und des Gemeinwohls zum Leit- denn aber befriedigt fein, fo gibt es
ftern für fein Wollen und Handeln | meines Erachtens feine andere Ant»
erhebt, das mag für die Theorie recht | wort mehr als etwa die ganz allge=
weit auseinanderrüden und wie ein) meine: jedes bejeelte Wefen, es mag
nnausgleihbarer Dualismus erſchei- wollen oder micht, wird und muſs
nen, im der Wirklichfeit werden jo= | nad Befriedigung, nah Stillung der
wohl derjenige, der ſich morgens beim | Strebungen trachten, Die im jeine
Erwachen fragt, was fanın ich Heute! Natur gelegt find, und diejenigen, die
für fremde Wohlfahrt leiſten, wie auch das noch Egoismus und Eudäs
monigmus nennen, die willen entweder
überhaupt nicht mehr, dafs fie ſich noch
flüger, jittlich ftrenger und conſequen—
ter vorkommen als andere Menfchen»
finder.
Das ift das Bedeutende und Ent-
ſcheidende in dem Begriffe der Pflicht,
daſs er alle anderen Motive in ſich
auflöst. Die Frage, warum erfüllt
du deine Pflicht, Stellen wir micht
mehr; wir bedürfen umd wiſſen feine
Antwort darauf. Es ift dies der ein—
jige vernünftige Sinn des ſonſt
anfehtbaren und miſsverſtändlichen
Satzes, man müſſe das Gute um des
Guten willen thun. Es ift wohl aud
das, was Haut mit der Verwerfung
jedes Motiv der Glüdjeligfeit ge=
meint haben kann, nur dafs er ohne
Noth zu einer unhaltbaren Polemik
gegen die jittlihe Berechtigung aller
der Momente fortjchritt, auf welchen
ſich der fachliche Inhalt unferer Pflich»
ten im bejonderen allein aufbauen
läfst.
Die gejellihaftlihe Sitte und
Ordnung weist jedem begrenzte reife
von Thätigkeiten, beſtimmte Ziele und
Tagewerfe zu, der Jugend, die fich
für die Aufgaben der Zukunft tüchtig
zu machen, und dem Manıe, der
jeinem Erwerb nachzugehen hat, der
Hausfrau, den Eltern, Kindern, Ge—
ihwiftern, dem Bürger in Gemeinde
und Staat, dem öffentlichen Diener,
dem Gelehrten und SKünftler, den
Herrfchenden und den Dienenden. Sie
wiljen in der Regel nicht und brauchen
ſich nicht darüber zu befinnen, ob jie
dies um ihret- oder um anderer willen
thun; faſt in allen Fällen wird beides
nebeneinander plaßfinden. Im Ein-
zelnen und in der Ausführung behält
dabei Selbitjuht und Nächitenliebe
den mweitelten Spielraum, aber Recht
und Sitte feßen der Willfür die
nothwendigen Schranken, noc engere
das natürliche jittliche Gefühl, deſſen
Organ das Gewiſſen ift. Es gibt je-
doc auch neben der Pflicht noch etwas,
das außerhalb des Gegenfaßes von
Egoismus und Nächitenliebe fteht und
zu dem bejten gehört, was dem Men—
ſchen bejchieden iſt: es ift die ſelbſt—
vergejjende Verſenkung des Geiftes in
die Objecte jeiner Thätigfeit. Alle die
großen Geijter, au deren Werfen wir
uns erfreuen und bilden, die Deuter
und Dichter, die Künſtler, Erfinder
und Entdeder hatten Feine Pflicht,
originell und ſchöpferiſch zu fein; fie
thaten es micht um anderer und nicht
wm ihres Vortheiles willen, oft genug
mit Aufopferung ihres Lebensglüdes,
aber fie folgten einem unwiderſteh—
lihen Drang ihres Genius; der innere
Gehalt deijen, was fie fuchten, zog
fie an und ließ fie nicht mehr los.
Dabei konnten immerhin noch Die
Nebenmotive des Verlangen nad
Beifall, Ehre, Ruhm, auch nah Er—
werb einigen Antheil haben. Objchon
in ſchwächerem Mage, gilt das auch
für die mittleren und kleineren Geifter ;
und die jelbftlofe Vertiefung in das
Object der geiltigen Arbeit, die reine
Hingabe an den Wert der Sade, die
ih im Heinen als cin ahnungsvolles
Borbild höherer Dajeinsforımen einem
bewussten Aufgehen im Weltganzen
vergleichen läjst, gehört zu den glüd-
lichjten Momenten, zu den Höhepunk—
ten des Menjchenlebens.
Es Hat fih ſchließlich für unfere
Beratung der Begriff der Pflicht
dem Gewifjen jo an die Seite geitellt,
dafs die beiden Sprüche: Folge dei—
nem Gewiflen und erfülle deine Pflicht,
ganz das Gleiche zu befagen jcheinen.
Es wird auch in den allermeilten
Fällen in der That fo fein, dais der
Zeiger des Gewiſſens und des Pflicht:
gefühls genau auf den gleihen Punkt
hindeuten. Aber dennoch können fie
auch auseinandertreten. Die Pflicht iſt
concret und fachlich beſtimmt, ſehr oft
auch äußerlich bindend. Das Gewiſſen,
ein innerer Drang aus idealen Wur—
zeln jproffend, übt feine Functionen
frei von Fall zu Fall. Die Prlicht
kann auch zweifelhaft werden; es
treten Eollifionen verſchiedener Pflich—
09292
a ——
ten ein. Für ihre Löſung kann es
feine allgemeinen Regeln geben, jo
wenig al$ es Theorien gibt, um
Räthſel oder verichlungene Knoten
aufzulöjen. Jeder Fall ift ein indi—
vidueller, und die Caſuiſtik pflegt
ſtets nur Beifpiele zu behandeln, die
jih nicht gemeralifieren laſſen. Die
beite Entjcheidung muſs immer beim
Gewifjen ſtehen oder genauer durch
die vom fittlihen Gefühl geleitete und
controlierte Vernunft erfolgen. Das
Gewiſſen ift in diefem Sinne jchon die
Magnetnadel der Sittlichleit genannt
worden.
Ih glaube mich hiefür wie für
einige Hauptpunkte meiner ganzen
Ausführung auf eine in meinen Augen
auch in diefer Richtung große Autor
rität berufen zu können.
Der deutiche Dichter, deſſen Wer—
fen tiefere Einblide in die Geheim: |
niſſe der Menjchenfeele zu entnehmen
find als allen Hand» und Lehrbücdern
der Pſychologie zujammen, Hat in
hohen Jahren, im charakteriftifchen
Stil jeines Alters, die Summe jeiner
Vebensweisheit in einem denkwürdi—
gen Lehrgedicht, das den Titel „Ver:
mächtnis“ Führt, in gedrängten Wor«
ten zuſammengeſetzt. Nachdem er von
der Uniterblichleit der Seele und von
dem reichen Schaf der bereits feit-
ftehenden und nicht erft noch zu ſuchen—
den Wahrheit geſprochen hat, Fährt
er fort:
Eofort nun wende did nadı innen,
Das Gentrum findefl du da drinnen,
Woran fein Edler yweifeln man.
Wirft keine Regel da vermiiien ;
Denn das ſelbſtändige Gewiſſen
It Eonne deinem Zittentag.
Er Sieht in dem Gewiſſen die Sonne,
die auch in die dunkelſten Lebenspfade
noch Helles Licht wirft, fügt aber das
bedeutjame Beimort, „das jelbjtändige
Gewiſſen“, Hinzu und fann darunter
nichts anderes verftehen, al3 das von
jeder äußeren Autorität, der weltlichen
wie der geiltlihen unabhängige, nur
dem reinen und unbeirrten jittlichen
Gefühle folgende Gewiſſen.
Un einem anderen Ort, in einer
jeiner Spruchſammlungen, jagt Goethe
in Frage und Antwort: „Wie kann
man ich jelbft kennen lernen? Durch
Betrachten niemals, aber durch Hans
dein. Verſuche deine Pflicht zu thun
und du weißt glei, was an dir ift.
Was aber ift deine Pflicht? Die For—
derung des Tages.“
[6 4
Was man dor Beiten gerne las.
Eine Studie zur Geihmads: und Bildungsgeihichte unferes Volles,
Von Dr. Georg Bteinhaufen. *)
icht alle Bücher, die gedrudt auch in jenen Zeiten nicht das Be—
>>, werden, werden auch gelejen, | dürfnis geiftiger Unterhaltung. Das
- und ganz gering iſt erit diellebendige Wort galt damals mehr
Zahl derjenigen, die nicht nur gelefen, jal3 heute. Formelhaft und feierlich
jondern auch gern, Häufig und alle |flingt die Rede und leicht haftet fie
gemein gelefen werden. Sole Mode: im Gedächtnis. Heute liest der Deut:
bücher Hat es zu allen Zeiten gegeben, ſche unendlich viel, aber das Gelefene
foweit man wenigitens in diefen über- |derweht meiftens wie Spreu, und Die
haupt von literariſcher Production | Augen werden noch dazu verdorben.
reden kann. Sie ftellen aber feines | Damals vernahm man wenig, aber
wegs immer die höchſten Schäße diefer !der Sang, die Sage, die Redtsformel,
Production dar, fie fönnen uns mies |die man hörte, vergaß man nicht.
mals den wahren Wert und Gehalt | Das niedere Voll Hört noch heute
einer Literaturperiode veranſchaulichen. lieber, als dafs es liest; und im
Wohl aber können fie uns über den Orient und im Süden Europas haben
Geſchmack und die vorherrfchende Gei- die Erzähler noch immer ihr großes
ſtesrichtung einer beftimmten Gene: |und aufmerfjames Publicum. So
ration hinreichend Aufſchluſs geben. |war es auch einft vor Seiten bei
Und es ift lehrreih und interefjant, |unferen Vorfahren.
an dem geiltigen Unterhaltungsbedürf: Die Unkunde des Lejens dauerte
nis vergangener Zeiten derartige Stus |in den größten reifen des Volkes
dien zu machen. faft das ganze Mittelalter hindurch
Das allgemeine und große Leje= fort. „Singen und Sagen”, das blieb
bedürfnis unferer Zeiten freilich ift das Hauptmittel der Verbreitung ; wo
der Vergangenheit, vor allem dem man heute jagen würde: „Sch Habe
Mittelalter durhaus fremd, dem es gelejen“, da Hiej3 es damals:
Mittelalter, indem alle geiftige Bil= | „Ich hörte das jagen.”
dung einzig und allein von Geiſtlichen Aber ganz allgemein gilt Diele
gepflegt wurde, die große Maſſe der | Erfcheinung doch nicht. Abgejehen von
vornehmen wie der miederen Laien den Hauptträgern der Bildung, den
aber nicht leſen und ſchreiben konnte |Geiftlihen, waren auch mande, na—
und oft miſstraniſch a.'f- die krauſen | mentlich fürftliche Laien für jie em—
Zeichen fehen mochte. Und doch fehlt pfänglich. Und der Laie, der die Klo—
*) Unter diefem Titel brachte die ftei3 interefiante tägliche Rundihau in Berlin
einen ganz vortreiflichen Auffag, dem Hier auszugsweije das Folgende entnommen ift.
Tiefer Auszug bietet uns eine Ueberſicht über die Literatur der Bergangenheit des
deutichen Boltes.
924
ſterſchule beſucht Hatte, mochte we—
nigſtens nicht immer die mühſam
erlernten Künſte des Leſens und:
Schreibens raſch zu vergefjen beftrebt |
jein.
bon einer a. Lectüre
im Mittelalter ſprechen.
Das Grundprinzip der mittelal—
terlichen Weltanſchauung, war die
Weltentſagung. Den Außerungen
der Weltluſt ſollte vor allem der Geiſt—
liche feindlich geſinnt fein, daher
auch der weltlichen Literatur. Ein fo
geiſtlich geſinnter Mann, wie der Kai—
fer Ludwig der Fromme, wollte, wie
jein Biograph erzählt, die alten Volks—
gejänge, für die fein Vater doch In—
tereile gehabt hatte, weder hören noch
leſen. Hauptſächlich galt der Kirche
aber die antite Literatur als ein zu
befämpfendes Ubel. Sie zog, wo jie
tonnte, gegen fie zu Felde, und wollte
fie höchſtens dulden, Sprachkenntnis
und Formgefühl daran zu fehlen.
So btieb denn die Lectüre der Geiſt—
lichen vor allem auf die Werfe geiſt—
lihen Inhalts gerichtet. Aber die
lateinijchen Autoren, an denen der
Kloſterſchüler die lateinische Sprache
erlernte, oder die der Mönch in der
Zelle lat, wirkten doch auch weiter,
als durch ihre Form. Man warnt
zwar vor ihnen, wie zum Beifpiel
Roter von St. Gallen den jungen
Salomo, den jpäteren Biſchof von
Konftanz, von den unnützen heidni—
ſchen Scrifftellen zu den Werken
des Glaubens hinweist; aber die na—
türliche Freude an dem verbotenen
Inhalt ließ ſich doch nicht ganz zu—
rückdrängen. So mochte mancher Geiſt—
liche ſich mit Genuſs der Lectüre der
alten Heiden hingeben, mochte er auch
ſpäter darüber Gewiſſensbiſſe em—
pfinden.
Am angeſehenſten aber und am
meiſten geleſen war das ganze Mittel:
alter hindurch Virgilins. Die Schön«
heit feiner Aneis galt als vollendet ;
um Seine Perſon bildete ſich fogar
ein Sagenkreis, und der „Zauberer
Inſofern läſst ſich auch ſchon
Virgilius“ ſpielte im Mittelalter eine
große Rolle. Oft eiferte man gegen
dieſe Lectüre, aber ebenſo oft wurde
fie begeiftert empfohlen. Freilich ver—
anlafst ſolche Lieblingslectüre, wie
gefagt, in der Regel Gewiſſensbiſſe.
Der Mönch Ermanrid von Ellwangen,
der den Birgil einmal unter das Kopf—
tiſſen legte, hatte in diefer Nacht einen
böjen Traum, in dem ihm der Teufel
arg zuſetzte.
Die Lectüre der Laien,
welche lejen fonnten, richtete ſich na—
turgemäß nad) derjenigen der Geilt:
lichen. Die Zahl diefer Laien war
freilih nicht allzu groß. Es wird
ſchon als etwas Beſonderes angejehen,
wenn ſolche Kenntnis von Kaiſern,
wie von Heinrich IL. und Heinrich IV.
berichtet wird, Das Lejen war auch
für Ddiefe Bevorzugten immer noch
eine Arbeit. Man liest nicht raſch,
wie wir, fondern langfam und in
der Regel laut. „Sie liest did mit
ihrem rothen Mund“, heißt es jehr
harakteriftiih im einem Liebesbrief
des vierzehnten Jahrhunderte. Im
jpäteren Mittelalter nimmt die Zahl
der lejenden Laien immer zu.
Bon einem allgemeinen Lejes
bedürfnis läſst ſich aber doch
im Mittelalter nicht reden: erſt mit
dem Ausgang des 15. Jahrhunderts
macht ſich ein ſolches bemerkbar. Zwei
Momente ſind da weſentlich, einmal
die ſeit dem 14. Jahrhundert immer
größere Schulbildung, die mit
dem kräftigen Aufſchwunge des Bür—
gerthums Hand in Hand gieng, ſo—
dann die Erfindung der Buch—
druckerkunſt, die überhaupt erſt
eine allgemeine Verbeitung des Leſe—
ſtoffes ermöglichte. Es kam auch die
Zeit des Humanismus, in der
die autike Bildung, nen verjüngt, das
Denten der Völker wirkfan zu beein—
fluffen begann.
Wenn man die Bücherproduction
in der erften Zeit der Erfindung der
Druckerkunſt muſtert, findet man zwar
‚eine Reihe Glaflifer: aber weitaus
025
am meilten wurden Bibeln und
tirchlich-theologiſche Shrif-
ten, daneben Gebet- und Er:
bauungsbüder für das Volk ge-
drudt. Auf diefe Bücher war bei
den im Grunde doch durchaus fromm—
firhlichen Geifte jener Zeit zunächſt
das allgemeine Bedürfnis gerichtet.
Aber daſs naturgemäß die Unter:
baltungslectüre nicht vernaächläſſigt
wurde, zeigen die zjahlreihen Bolfö-
büher, Liederjammlungen
und Shmwänfe, die damals all
gemein verbreitet waren. Am Aus—
gange des Fünfzehnten Jahrhunderts
wurde im deutjchen Volke ſchon recht
viel gelefen. Aus den Niederlanden
fonnte damals Johann Bufch berich-
ten: „Die Vornehmen des Landes,
das gemeine Volk, Männer und Frauen
haben bier in umferer ganzen Gegend
viele deutſche Bücher, worin fie lejen
und ftudieren.“
Zur Unterhaltung la$ man na—
mentlih ger die Volksbücher,
in denen ja größtentheils Ddiejelben
Stoffe verarbeitet jind, deren Vortrag
Ihon im früheren Mittelalter die
Dörer erfreute. Die asketiſchen Bücher
eiferten jehr dagegen. In den „See
fenführer“ Heißt es: „Alles Volk wil
in yetziger Zit lefen und fchriben,
und es iſt lobelich und geraten, wan
es gute Bucher int, aber nicht lobe=
ih, wan es jint böje, dy did an«
reisen zur Wolluftigkeit und Unzucht.
So ſint vile Maerebucher, dy ſolt
du nit leſen.“ Und der „Seelentroſt“,
ein geiſtliches Vollsbuch, ſagt: „Vyl
lude ſint, die leſen werntliche Bücher
und horen den zu (alſo man las auch
noch vor) und verliefen all yr Arbeit,
wan jie finden nit darin der Seelen
Troft. Etliche Lude Iefent Bücher von
Triftant, von Dietrih don Bern und
den alten Reden, die der Werlde
(Welt) dienten und nit Got.“ Sehr
beliebte Volksbücher diefer Art find
die Hiltorie vom Herzog Ernſt, Die
Geſchichte von der Meerfee Melufine,
von Triftan und Iſolde, von Griſel—
dis, don dem fieben weiſen Meijtern
und dem Wunjchhütlein des Fortu—
natus.
Außerordentlich gern las man in
dieſer ſo ſehr auf Scherz und Spott
gerichteten Zeit ſodann die komiſche
Literatur, die Faſtnachtſcherze und
die Schwänfe. Der „Eulenjpiegel”
warweitaus das beliebtefte dieſer Bücher.
Was aber in diejer Zeit bald am
meiften gelefen wurde, das waren jene
zahllofen fliegenden Blätter
und die „Nenen Zeitungen“,
die jeit ungefähr 1500 überall Hin
verbreitet wurden. Einerſeits befries
digen auch diefe das Unterhaltungs:
bedürfnis, dann aber auch vor allem
die Luft, Neuigkeiten zu erfahren. In
jener verfehräarmen Zeit, in der auch
die Briefe die heutigen Zeitungen
theilweife erjegen muſsten, war jolche
Flugliteratur jehr wichtig und jeder-
mann äußerſt willlommen. Die flie=
genden Blätter zunächſt waren meiſt
nit einem Holzſchnitt bedrudt, unter
dem ein erflärender Tert Stand, der
von einer großen Schlacht, von einem
furchtbaren Kometen, von einer wun—
derbaren Mifsgeburt handelte. Die
Holzſchnitte waren vorwiegend für die,
welche nicht leſen konnten, berechnet.
Das war 3. B. aud das Prinzip der
Bilderkatehismen.
Mit Holzſchnitten waren auch oft
die „Neuen Zeitungen“ geziert, Die
wnfangreicher als die fliegenden Blät-
ter, von allen neuen Ereigniljen Mit—
theilung machten.
So ftellt ih um 1500 das Bild
der Volkslectüre dar.
Auch die Flugſchriften politiichen
Inhalts, die oft die Form von Ge-
Iprächen erhielten, und die „Neuen
Zeitungen“ nährten im jechzehn-
ten Jahrhundert vorzugsweile
das allgemeine Lejebedürfnis.
Bezeichnend ift zunächſt, dajs ein
Buchhändler auf der Meile 5918 Bis
her meift vollsthümlichen Inhalts
abjegen konnte. Als vorzugsweiſe ge—
leſene Bücher ſtellen ſich einmal die
Ritterromane dar, von denen
der Ritter Pontus in 147, der Ritter
Galmy aus Schottland in 144 und
der weiße Ritter in 64 Eremplaren
verlauft wurden, ferner andere Vobts—
bücher, von denen die ſieben weiſen
Fingerzeige geben auch die Bücher—
verzeihnifie aus dem Nachlaſſe vor
Privatperfonen. Zwar findet fich bei
reichen Leipziger Bürgern noch im
zweiten Drittel des jechszehnten Jahr—
hundert faſt nur die Fromme Erbau—
Meiſter in 233, der Fortunatus in 196, | ungsliteratur — fait im jedem pro—
die ſchöne Magelone in 176, die Meerfee | teftantiichen Haufe war damals, um
Melnfine in 158 Eremplaren forte,
giengen, endlih die Shwänfe und! Bet—
Erzählungen, namentlich des Bar—
füßermöndhs Johann Pauli Schimpf
und Ernit (202 Gremplare) und
Kirchhoffs Wendunmuth, die Schild»
bürger und Till Eulenfpiegel. Sehr
gut giengen auch Sebaftian Brants
Narrenfhiff und der Grobia-
nus. Die theologiſche Erbau—
ungsliteraturfehlt natürlich nicht.
Von den vorzugsweiſe praktiſchen Bü—
chern, den vielgekauften Arzneibüchern,
Rhetoriken und Formularen ſehe ich
bier ab, da Sie nicht Gegenftände
wirklicher Lectüre. Dagegen wurden
äußerit gern gelejen die Blaneten-
bücher, die Bauerupraftifen
oder Wetterbücdlein
Brophezeiungen „Das kleyn
Planeten Büdhlin. Eins jeden Menſch
nad
den er under einem Planeten gebo—
ven ift, zu erkennen“, wurde 3. B.
Sehr!
endlih die Teufels)
büder, die ſich gegen die Laſter
richteten.
Sauftenfel wurden in 69, Hofteufel
Art, Natur vnd Gomplerion,
in 150 Gremplaren abgejeßt.
gefucht ſind
und Gebrehen der
Zeit
und Die:
I
in 67, Eheteufel in 64, Fluchteufel
in 56 Eremplaren verkauft.
Fin Wolf Günther hat viele Lieder
(Gaſſenhauer, Oberländiiche Yiedlein, |
Piedlein),
Große Liedlein, Teutſche
ferner Volksbücher bis zu 20 Erem—
plaren: Hürnin Seifried, Hugſchaägler,
Kaiſer Octavian, Melufine, Magelone,
Ritter Pontus, Schilobürger, Eulen:
jpiegel, Pfaff von Galenberg, Fortu—
natus u. 7. w., ferner Dedefinds
Grobianus, Widrams Goldfaden und
Rollwagenbüdlein, Reineke Fuchs;
endlich Planeten- und Traumbücher. handelten,
das hier zu erwähnen, z. B. Luthers
und Leſebüchlein vorhanden:
aber das wird man doch nicht als
allgemeinen Beweis gelten lajjen könen.
Auch kaun von der vielgelefenen Flug—
Ichriftenliteratur im Nachlaſs nicht mehr
viel übrig fein. Und dieje Flugſchriften,
die „Neuen Zeitungen“ und ebenjo die
Wunder: und Schauerliteratur wurden
doc) fehr begierig gelefen. In Janſſens
deutjcher Gejchichte findet man die
ungeheure Verbreitung der „erichröd-
lichen“ Schriften von Mifsgeburten,
Stometen, Verbrechen und Morithaten”
ausführlich geihildert. Und Guſtav
Freytag jagt von der Lectüre der
Landbewohner: „Und was im Haufe
am liebſten gelejen wird, das ilt der
aftrologische Unfinn einer Prophezeiung
des alten Wilhelm Frieſe, des Gott»
fried Phyller und Hebenſtreit, eine
Beichreibung der Augsburger Todten:
feier Kaiſer Karls V. oder vom gott-
jeligen Ende des frommen Ehriftian,
Königs zu Dänemark.” Solde Yieb-
lingstectüre fonnte jo wenig aufbe-
wahrt werden, wie heute unjere Zei—
tungen.
Gegen Ausgang des Jahrhunderts
begann im den oberen Claſſen eine
verderbliche Ausländerei zu bereichen.
Jeder „Cavalier“ mufste reifen, vor
allen nad Frankreich; daheim begann
man franzöfifch zu fprechen und franz
zöſiſche umd italienische Romane zu
lejen, deren Hauptftoff galante Aben-
teuer bildeten. Schon im fünfzehnten
Sahrhundert Hatten vornehme UÜber—
ſetzer franzöfifche Romane in Deutich-
land einzuführen verſucht; aber der
Geſchmack an dem höfiſch-ritterlichen
Treiben, don dem diefe Schriften
war nicht mehr fräftig
genug. Ungleich beifere Aufnahıne
fanden aber die romanischen Diftorien
des ſechzehnten Jahrhunderts im
Deutfchland. Die Amadisbücher,
um deren Verdeutſchung ſich zuerft
Herzog Chriſtoph von Württemberg
mühte, konnten bald als die eigent-
lihen Berireter des Zeitgeichmades
gelten. Dieſe „lieblichen, doch wahr—
haften Hiſtorien“, die namentlich von
galanten „Aventuren“ und Zauber—
geſchichten handelten, ſollten vor
allem den „ehrliebenden vom Adel“
„ſehr nützlich vnd kurtzweilig zu leſen“
ſein und wurden in der That auch
in dieſen Kreiſen die Lieblingslectüre.
Und bald verbreiteten ſie ſich weiter.
1581 tagt Johann Fickler, „wie ge—
mein folh Buch worden bei Weib
und Mannen, hoch und niederen
Standes, bejonders aber bei wicht
wenigen großen Frauen, jo dennoch
für ſehr evangelifh wollen gehalten
fein“; es werde „jolh Melt: und
Buelbuch mehr als ihre Gebetbücher
in Händen umgezogen und viel fleigiger
als das Evangelium Chrifli”.
Gieng ein junger Menich auf
Reifen, jo nahm er 3. B. den Deca—
merone „auff dem weg darinnen zu
leſen“. Man verlangte Bücher, ich
„nach Verrichtung feines beruffs woll
darinnen zu eluftiren*. Wer Liebes-
briefe ſchrieb, Stahl die affeltierten
Phraſen aus feiner Lectüre zuſammen.
Das Dauptlefefutter waren die
Romane. Das weiblihe Gejchlecht
icheint theilweife von dieſer Lectüre
noch fern gehalten zu fein. Aubery
de Maurier, der 1637 nah Hamburg
und Lübeck kam, erzählt in feinen
Memoiren von den reinen Sitten der
Frauen und Jungfrauen und führt
dafür an, daſs man Feine Romane
lefe, das Berderben der Jugend. Life
Lotte von der Pfalz jchreibt einmal:
„So lang ich zu Heydelberg gewejen,
bab ih auch nie feine romans ges
legen.“ In Frankreich holte fie dus
allerdings wieder ein: „Tender ich hir
bin, Habe ich dieße zeit wider einge—
bracht; den es ift feiner, jo ich micht
gelegen.“ Unter den neuen Romans
gattungen, die übrigens meiſt nad)
fremden Muſtern eritanden, Hatte der
Schäferroman jeine Zeit nicht viel
über den dreikigjährigen Krieg hinaus.
Grimmelshauſens Simpliciffimus ver—
aulaſſte Abenteuerromane. In der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts wa—
ren dann die Helden- und Liebes—
romane, die möglichſt lang ausge—
ſponnen wurden, namentlich Zieglers
„Aſiatiſche Baniſe oder das blut- doc
muthige Pegu“ ſehr beliebt. Gegen
Ausgang der Epoche laufen dieſe in
den oft ſchlüpfrigen Romanen der
„galanten Scribenten“ aus.
Die ausländiihe Bildung bradte
es ferner mit ſich, daſs man in vor—
nehmen Kreiſen deutſche Literatur
ſehr wenig, in der Regel italieniſche
und franzöſiſche Sachen liest.
Hervorzuheben iſt weiter, daſs die
Erbauungsliteratur nach wie vor ein
weſentlicher Beſtandtheil der Yectüre
blieb und für den noch immer fromm—
kirchlichen Geiſt Zeugnis ablegt. Der
mehrfach erwähnte Karl Ludwig liest
auch Zauler und Thomas a Kempis,
deſſen „Nachfolge Chriſti“ noch font
überall gelejen wird. Pater Cochems
„Leben Jeſu“ war auf fatholijcher
Seite jo volksthümlich, wie auf pro=
teftantiicher Johann Arndts „Wahres
Chriſtenthum“. Jene Gräfin Maria
von Mollenftein verzeichnet Ausgaben
für „das Himbelifch „Frawenzimmer“,
den „Zugendtipiegel“ und Thomas
a Kempis „Nahvolgung Ehrifti”.
Und ein Büchelchen, das aus den
eriten Jahren des achtzehnten Jahr—
hunderts ſtammt, „Frauenzimmer-Bi—
bliothelchen“ betitelt, und für „Frau—
enzimmer don gewecktem Verſtande“
beſtimmt iſt, empfiehlt neben prakti—
ſchen Büchern noch ausſchließlich Er—
bauungsſchriften.
Endlich iſt als mafjenhafter Leſe—
ftoff wie im. fechzehnten jo auch in
dieſem Jahrhundert die Flugſchriften—
und Ylugblätterliteratur zu erwähnen.
Sie befriedigte das Nenigfeitsbedürf-
nis und den ausgebreiteten Siun für
Wunderbares und Euriojitäten. Da-
mals entftanden auch die erften regel-
mäßigen Zeitungen.
Die erften Jahrzehnte des act:
zehnten Jahrhunderts folgen
noch ganz und gar den Richtungen
und Strömungen der eben gejchilderten
Epode.
Da kam in die Lefewelt ein neuer
Anſtoß von England. 1719 erjchien
der „Robinfon Erufoe* von
Defoe und eroberte binnen kurzem
die Welt. Viel wurde er überfegt und
noch mehr nachgeahmt. Der Robinjon
blieb fortan auch für die Deutjchen
ein Lieblingsbudh. Aber der Einflufs,
den um diefe Zeit England auf
das deutsche Geiftesleben, und zwar
zu jeinem Heile gewann, war damit
nicht beſchränkt. In den Gemüthern
der Menjchen vollzog jih allmählich
ein Wandel; don den nichtigen Außer—
tichleiten der fervilen „Complimen—
tierer“ und dem galanten Wejen
richtete ih der Blid mehr und mehr
auf das Innere. Die Bewegung des
Bietismus Hatte dazu ſchon den An—
ſtoß gegeben: jet famen die Schlag»
wörter auf, welche die neue Richtung
bejtimmten: Moral, Natürlichkeit, und
man darf Hinzufügen, obgleih das
Wort nit als Schlagwort gebraucht
wurde, Bürgerlichfeit. In diejer Bes
ziehung waren einmal die englifchen
Wocheuſchriften von großem Einflufs,
ſodann die englifchen Romane. Die
Wochenſchriften wurden in Deutjch-
land, zunähft von Gottſched, nachge-
ahmt: von beftimmender Bedeutung
wurden namentlich die über Gottjched
hinausgehenden „Bremer Beiträge”.
Von den Romandichtern wirkte na—
mentlih Rihardfon auf die Deuts
jhen. Seine bürgerlihen Romane,
die ungeheuren Anklang fanden, vers
nichteten den Gejchmad an jenen blöd»
finnigen Helden» und Liebesgeſchichten,
die man bis dahin verichlungen hatte,
028
und bald beſtimmten fie auch die
deutfche literariiche Production.
Unter den Mitarbeitern der „Bremer
Beiträge“ befanden Jich zwei Schriftitels
ler, die bald die am meilten gelefenen
in ganz Deutſchland werden follten:
Gellert und Klopitod. Beide jehr
von den Engländern beeinflujst. Bon
dem Anjehen, das Gellert in Dentjch-
land genofs, macht man fi Heute
faum eine Borftellung ; der gute mo=
ralifche, etwas fpießbürgerliche Sachſe
war in der That der Bildner des
Geihmads in ganz Deutichland. Wie
Goethe fagte, war „an Gellert und
an die Tugend glauben, beinahe gleich—
bedeutend“. Gellert genojs in den
vornehmen Streifen außerordentliche
Verehrung, aber er war vor allen
Dingen auch ein Boltsfchriftiteller.
In Gellerts Schriften wurde der
alte Drang nah Erbauung jo gut
befriedigt, wie der Sinn für Unter:
haltung. Seine Schriften ficherten
ihn die höchſte Verehrung, bei Fürften
und Grafen, bei Studenten und Of—
ficieren, bei Handwerkern und Bauern.
Noch lange nach jeinem Tode fonnte
man, wie MattHifjon erzählt, in einer
einfachen Schweizer Hütte jeine Schrif-
ten neben Bibel und Gejangbud fin-
den. Das moralijhereligiöje Element,
welches zu dieſem ungeheuren Ein—
fluſs Gellert’s beitrug, war aud we—
jentli der Grund, warum das be=
rühmtefte Wert Klopftods, der
„Meſſias“, jo ungeheures Aufjehen
erregen fonnte. Auch der „Mejlias“
wurde für die Deutihen ein Erbau—
ungsbuh und im beiten Sinne ein
Volksbuch. In ihm, meinte Bodmer
enthufiaftiih bei dem Ericheinen der
erſten Abjchnitte, würden „ganze Nas
tionen Seligkeit finden“. Man ver-
götterte diefes Bud).
Klopftods Einflufs vertiefte und
veredelte das religiöje und damit das
Sefühlsleben überhaupt. Und feitdem
diejes im deutſchen Volke einmal mäch—
tig geworden war, wuchs es bald über
die religiöie Sphäre hinaus.
929
Roufjeau begann dann die Ges
müther zu beeinfluflen. Bald kam
die Epoche der äußerſten thränenz
reihen und überfihwenglihen Em—
pfindſamleit.
Und dieſe Epoche erhielt wieder
ein Lieblingsbuch: „Werthers Lei—
den”. Der Dichter ſelbſt urtheilt dar—
über alfo : „Die Wirkung dieſes Büch—
leins war groß, ja ungeheuer, und
vorzüglich deshalb, weil es genau im die
rechte Zeit traf. Denn, wie es nur eines
geringen Zündfrauts bedarf, um eine
gewaltige Mine zu entjchleudern, fo
war auch die Erplofion, weldhe ſich
hierauf im Publicum ereignete, des—
halb jo mächtig, weil die junge Welt
ih Schon ſelbſt untergraben hatte,
und die Erjchütterung deswegen jo
groß, weil ein jeder mit feinen über-
triebenen Forderungen, unbefriedigten
Leidenschaften und eingebildeten Leiden
zum Ausbruch kam.“ Eine gewaltige
Aufregung, ein wahres „Werther:
fieber“ entftand durch dieſen Keinen
Roman; alle Welt las ihn und alle
Melt weinte über ihn.
Alles fieng an zu leſen; 1778
waren ſchon vier Büchergeſellſchaften
im Gange. Die Leſewuth, die doch
ihon im der vergangenen Epoche zu
jpüren war, wurde ungleich ſtärker.
Bald entjtanden überall die Leihbi-
bliothefen, um dem ungeheuren Be—
dürfnis entgegenzufommen,
Mas den Leſeſtoff aulangt, jo
darf man zunächſt darauf hinweilen,
daſs man in gebildeten Streifen gern
lyriſche Gedichte zu leſen begann. Die
Almanade und Tajchenbücher, die feit
1770 Deutichland überſchwemmten,
enthielten vorzugsweije Gedichte. Die
Dauptlectüre der Mailen, der gebils
deten und ungebildeten, war aber
noch mehr wie früher der Roman.
Auch um die Wende des Jahr:
Hunderts und jpäter gehörte den Ro—
manen das Bublicum. Dean Paul
war e3 freilich nicht, der die Menge
entzückte. „Sehen Sie einmal, Belter“,
jagt der alte Leihbibliothelar bei Wil—
Kofegger’s „„Geimgarten’‘, 12, Geft, XV,
beim Hauff, „jene lange Reihe von
Bänden an, die weißen Pergament—
rüden jind jo rein, al3 Hätte man
fie nie oder nur mit Dandichuhen
angefafst. Wer ift wohl der Autor,
der jo vergejlen und gleichſam in
Ruheſtand verjeßt dort ſteht? Es ift
Jean Paul; fein Schidjal teilten
auch nicht minder edle Gefährten.
Für die gebildeten Bürgersleute war
damals der Familienroman Lieblings:
lectüre, namentlih Johann Jakob
Engels „Herr Lorenz Start”, Die
große Menge aber hieng an den zahl»
reichen Ritters, Räuber- und Geiſter—
tomanen, deren grobe und rüdrjelige
Romantik ihren Urſprung theilweife
von Goethes „Götz“ und Schillers
„Räubern“ berleitete. Der edle Räuber,
den der graufe Ritter im Burgverließ
ſchmachten lieg und den eine holde
Maid minniglich befreien will, das
war eine Lieblingsfigur des Volkes.
Es iſt intereffant, dafs theilweife noch
die Stoffe der alten Vollsbücher Hier
wieder aufleben, freilich im romanti—
ihen Gewande. Diefe Romane der
Spieg und Cramer und dazu die
jüplichen, oft höchſt ſchlüpfrigen Lie—
besgeſchichten eines Albrecht und ſpä—
ter eines Clauren waren im Anfange
unſeres Jahrhunderts die geiſtige Nah—
rung des Volkes. Hauff ſchildert ein—
mal einen Leſezirkel von Geſellen und
Handwerkertöchtern, wo „Rochus Pum—
pernidels Tod” von A. v. S. unter
allgemeinem Schluchzen und Weinen
vorgetragen wird, und ſeine Schil:
derung ift jehr treffend. „Unfere mitt—
leren und unteren Stände”, fagt er,
„leſen ſehr viel, nur natürlich nichts,
was auf den gefunden Menſchenver—
fand Anspruch machen könnte. Sie
haben ihren Spieß, ihren Gramer,
ihren Lafontaine, in neuerer Zeit
bauptfählih ihren Glauren. Alles
liest, aber unjchädliches Zeug, das
ihren Berjtand ganz gelinde afficiert,
Geſpenſtergeſchichten, Mordihaten, Räu—
berhiſtorien, Heirat! - Affairen mit
vielem Gelde u. ſ. w.
59
930
Ein vielgelefener Räuberroman Mehr und mehr forgten auch für
war Heinrih Zſchokkes „Abällino, | das literariſche Unterhaltungsbedürf-
der große Bandit”. Zſchokke war aber, nis belletriftifche Zeitfchriften, zuerſt
auch ſonſt ein Lieblingsfchriftfteller | jene Taſchenbücher mit mehr oder
im erften Drittel unferes Jahrhunderts, | minder blumenreihem Titel, die alle
einmal wegen feiner Erzählungen und | Jahre erfchienen, daun noch Monats—
Novellen,. jodann aber wegen feines) fohriften und zwanglofe Hefte. Ebeuſo
moralifcherationaliftiihen Erbauungs: | richteten die Zeitungen bald ihr Aus
buhes: „Stunden der Andacht“. | genmerk darauf, nad dem Grundſatze
Denu das Bedürfnis der Erbauung | zu Handeln: „Wer vieles bringt,
in häuslicher Lectüre hatte die Zeiten | wird manchem etwas bringen.“ Die
hindurch fortgedauert, und die „Stun: | Romane „unter den Strich“ ſind
den der Andacht“ waren ein Lieblings | heute für viele Leute oft die einzige
buch unferer Großeltern. belletriftifche Lectüre. Und die Cri—
In der weiteren Schilderung der minalerzählungen und ſonſtigen im
bevorzugten Lectüre unferes Jahre | miferabelften Stil gefchriebenen Schund-
hunderts will ich kurz fein. Es ſei romane der Heinen Kreisblätter wer—
erinnert an die durch die zahlreichen | den auch von dem niederen Wolfe
und äußerst billigen UÜberſetzungen gierig verfählungen und gefpannt ware
Malter Scott3 hervorgerufene Bes | tet das Nähemädchen und der Arbeiter
liebtheit des Hiftorifchen Romans. auf die „Fortfegung“. Weit iſt es
Karoline Pichler, van der Velde und von diefer Lectüre nicht zu der elen-
Karl Spindler hatten ein großes Pır= | den modernen Golportageliteratur, die
blicum. Ein Lieblingsbuch, namentlich | Kopf und Herz der Heinen Leute ver—
auch der Yugend, wurden die Goo= | dirht.
per’fhen Erzählungen. Alle welt: Es ift des Lobes wert, wenn
Ihmerzlich angehauchten und lieben- gegen dieſelbe in unſeren Zeiten
den Gemüther fanden ihren höchſten gefämpft wird, und man fi müht,
Genuſs in der Lectüre der Lieder| für Verbreitung guter Bücher zu
Heinrich Deines. ſorgen.
>
— — — — —
Pr u —
— — — — — — m —
931
Eine Männer-Peitfce.
Von Ehusmelde Bortmann,
Meränderter Standpunßt.
2
Deutſchen, die
Jugend,
Sie feiern ſtets mit hellem Sang
Die deutſche Ehre und Tugend.
Blüte der
Und Heimatslieder, rührend und hehr,
Sie brüllen begeiftert herunter,
Bis alle die Bänke ftehen leer,
Und die Sänger liegen darunter.
Maͤnnlich⸗ſittlich.
Männlich-ſittlich heißt mit Würde
Tragen ſeiner Fehler Bürde:
Bummeln, rauchen, Unfug treiben,
Renommiern, ſchuldig bleiben.
Trinken, bis nicht Kopf, noch Magen
Können länger es vertragen,
Was nicht immer appetitlich,
Aber eben männlihefittlid.
Heimlich zu der Liebften gehen,
Doh auf Zudt der andern jehen
Und im Haufe unerbittlid,
Das ift alles männlid:fittlid.
fjerner no gehört das Spielen
Zu den männlicdh:ernften Zielen,
Gi, was kann es Schön’res geben,
Als jo männlichefittlich leben!
Einer jungen Frau.
Wie friiher Epheu an dem morſchen Stamm
Sch” ih did, junge Gattin, träumend
lehnen
Un deinem Gatten, wie ein Opferlamm!
Getroſt! Iſt auch fein Haupt
Denken“ lahl
Und iſt er auch verlebt, blaſiert und müde,
Das deutet auf Verſöhnlichkeit zumal,
Denn ſeine Ruhe iſt ihm lieb, ſein Friede.
Und wenn ihn längſt des Lenzes Roſen
flieh'n,
Wenn ſeine Augen trüb, und gelb die
Wangen;
Und hat er gar die Gicht und ſie hat ihn,
Lafs dich die Zeichen, junges Herz, nicht
bangen:
Er mag vielleiht dem großen Zweck nod
dienen,
Denn neues Leben blüht aus den Ruinen!
‚vom
Brößenmwaßn.
Wie ſchmückt fie euch, hebt euch, erweitert
die Bruft,
Die Frauenveradtung! Welh hohe Luft!
D'ran klettert empor eure Männlichkeit
Und dann erft ertennt ihr, wie groß ihr
jeid!
Denn Männerbünfel und Größenwahn,
Die ſtoßen ſchon gar an die Sterne an,
Und die Vergött'rung eures Ich
Iſt eine Aunftleiftung an fi;
Ya, ihr feid erhaben! — „Doch die Frau'n
find gering,
Unmündig, unfähig zu jeglidem Ding.
Unreine Wefen, defect am Hirn" —
So habt ihr behauptet mit freder Stirn.
Und doch ift es leider nur allzumahr,
Dais jeden von euch ein Weib gebar!
Wie mögt ihr nun edleren Stoffes
Als euer Urſprung, der jo gemein?
Das hat Meifter Storh aber dumm ges
madt,
Der euch nit direct aus dem Himmel
gebradt!
fein
O undantbares, verlehrtes Geſchlecht,
Ihr habt ja in eurer Verachtung recht:
Verachtet die Pflanze, die euch gehegt,
Was quälet dich in unbewufsten Sehnen? | Darum, dais fie ſolche Früchte trägt!
59*
Der Männermarkt.
Hier gibt es Männer zu verfaufen,
Derbei, ihr Mädchen, fommt gelaufen!
Wollt ihr aud meine Courſe jehn,
Wie diefe Herren im Breiie ftehn?
Ei, bringt nur die Sädel hübſch wohl:
gefüllt,
Sonſt bleibt euer Sehnen ungeftillt.
Seht, hier dieſes Gräflein! Ganz ohne
Tadel,
Ei! ift jein Schneider und jein Adel,
Wenn er die Bürg’rin freit und ehrt,
Iſt er wohl Hunderttaujend wert!
Doch eud verlangt nah Dfficieren,
Um mit den Gatten zu fiolzieren?
Hab’ eine Schachtel voll von Soldaten,
Sind alle von innen ganz glei gerathen,
Und loften doch mande ganz enorm,
Je nah dem Tuch und der Uniform,
Die meiften aber belfommt ihr ſchon
Auch um die einfahe Gaution.
Biel billiger, ſeht, find Eiviliften,
Mählt!Hier find Heiden, Juden und Ehriften,
Die lafjen fi faufen und ſich entlohnen
Auch mit Geihäften und Gonnerionen,
Dod ganz umjonft belommt ihr keinen!
Gi nun, mein Fräulein, was ift da zu
weinen?
Mas rinnen die perlenden Augentröpfchen
Aus Ihrem hübſchen, romantiſchen Köpfchen?
Nun, ſchönes Kind, was erregt Ihr Bangen?
Was? Idealiſten Sie möchten erlangen,
Die nicht fih verſchachern mit Hand und
Seelen
Und nur fih aus zarter Liebe vermählen?
Mit Shmachtenden Augen und lodig und
hager?
Hab’ ſolch Raritäten gar nicht auf Lager,
Die werden, mein Fräulein, auch ſchwerlich
finden,
Die Race ift vor der Gultur im Schwinden ;
Eold’ KHäuze find immermehr rar und
ſpärlich,
Sah einen vor Jahren, hübſch ausgeſtopft
In einem Muſeum; dem wurden alljährlich
Der Staub und die Schrullen heraus—
gellopft!
&or Gericht.
Behüt' mich der Himmel, das ſei mir fern,
Zu inculpieren die alten Herr'n
Von dem Gerichte! daſs ſie beſtechlich
Und daſs fie noch ſonſtwie moraliſch ge:
brechlich;
Schwach ſind fie zum ſchwachen Geſchlechte
nur,
Da Üübermannt fie die Männernatur,
Und hören ein alies Weib fie Hagen,
Das können fie nimmermehr vertragen,
932
| Sie fnurren und fahren fie zornig an,
Als hätt’ fie ihnen ein Leid geiban,
‚Und ſelbſt die Beten barſch mit ihr ipredhen,
Als hätt’ fie begangen ein arges Verbrechen !
Iſt aber die Ungellagte ſchön,
‚Da jolltet ihr nur die Wandlung febn,
| Wie alle die Richter und die Geſchwor'nen
NS blinzeln bin nad der jhönen Ver—
lor’nen,
Gar väterlih find fie zu ihr gefinnt,
Betitelt wird fie mit „liebes Aind*,
Und alle die Blide voll Behagen
Ihr heimlich flüfternd und zärtlid jagen:
„Mein Fräulein, ſei'n Sie heiter,
‚Wir helfen Ihnen meiter!“
| Beſſer wohl ließen die Sachen fi jhlichten,
Lieb’ man die Frauen durch Frauen richten.*)
Geſtändnis.
O die Männer, böſe Männer,
Unfre Freude, unſre Bein,
Wenn ſie ſchleichen und ſie ſtehlen
Sich in unſre Herzchen ein,
Denn wie ſchützt man ſich vor Dieben,
Die nichts wollen, als uns lieben?
Die voll Achtung ſich uns nähern,
Sind uns ſtolzen Frauen recht,
Doch die frech ſind und verwegen,
Sind ein widerlich Geſchlecht,
Nimmer ſollen die Barbaren
Echte Frauenlieb' erfahren.
Doch wie find die Kühnen, Starfen
Gar jo wonnig anzufehn,
Wenn fie zahm und jcheu verlegen
Bor uns jhwaden Frauen ftehn,
Schonend unjre Shwadheit ehren,
Als ob wir die Stärfern wären.
Wie fie wohl verſtehn zu meiden,
Was den zarten Sinn verleßt,
Und fo finnig zu errathen
Mas ein Frauenherz ergößt,
Mit beiheid'nem Wort und Bliden
Unier Dajein zu entzitden.
Ach, fie ſollten's nie erfahren,
Wie wir ihnen hold gefinnt,
Doch es haben, weil gefittet
Sie unwiderftehlidh find,
Ihre zarten Huldigungen
Dies Geſtändnis abgerungen.
", Wehe, da mwirb’s den Angeklagten ſchlecht
ergeben! Niemand richtet firenger über bie Frauen,
als — ihresgfeichen. Der Ecker.
Zu On Ce
933
Gegen Atzung und Zoais.
Ehedienft auf Lebenslang
Bietet wenig Lohn und Dant,
feine Freiheit, Poefie:
Hält ihr Herr den Leib gefangen,
Muis ihr Herz auß an ihm bangen —
Gegen Atzung und Logis.
Ihren Namen gibt fie ber,
Ihre Meinung, ihre Ehr',
Und fie dient ihm fpät und früh
Als ein Spielball, bald zum Spielen,
Bald die Saunen ihm zu fühlen —
Gegen Asung und Logis,
Nicht genug, dajs fie fih gab,
Ihm geopfert Gut und Hab”,
Ihre Urbeit, Zeit und Miüh’,
Nimmt er ihr ganz unverfroren
Jedes Kind, das fie geboren —
Gegen Ayung und Logis.
Überzeugt bin ich, die ſchöne Les
jerin wird noch mehr hören wollen
von dieſen jchmetternden Fanfaren—
Hängen. Daher rathe ih ihr, das
Büchlein zu beftellen, welches unter
dem Titel „Lyriſch-ſatyriſche Nadel»
ftihe einer verjpäteten Jungfrau.
Miedergegeben von Thusnelda Vort—
mann“ bei „Leykam“ in Graz er-
jhienen if. Es find in demfelben
noch mehr Peitſchenhiebe gegen die
böjen Männer enthalten. Nadelitiche
jind das nicht, vielmehr Speerwürfe
einer zornigen Amazone. Und melde
Erfahrungen! Welche Paſſionen! Die
„verjpätete Jungfrau“ wünſcht nicht
etwa, daj3 die Männer den Frauen
treu jein follen, fie begehrt auch für
die Frauen das „Recht“, untreu fein
zu dürfen. Was ihm erlaubt ift, Toll
ihr nicht verboten fein! Man hört
diejes Begehren ſehr Häufig im un—
jeren Tagen und ich kann nicht genug
ftaunen über die bodenloje Naivetät!
Wie fagte jene! Backfiſchchen gleich,
als es von der Mutter gehört,
es | angezogenen
daher fingt fie im Namen der Ehe—
gattin, die für freie Liebe ſchwärmt:
„Laſst uns die Kinder, die wir ung
geboren!“ Und den Männern vreibt
jie'3 ſehr fein unter die Naje:
Was ift der Aönig auf dem Thron?
Was ift der gröhte Dichter ?
Hat taufend Menſchen ſich erdadt,
Nicht einen einz'gen ſelbſt gemadht.*
So iſt 8. Den Mann geht das
Kind gar nichts an; will er ein’s
haben, jo kann er ſich auf dem Marfte
ein’3 faufen, für Geld und gute Worte
werden fie leicht zu Haben jein. Die
Mutter, die ih zu den Dragonern
recrutieren läjst, wird ja weder Zeit
noch Luft Haben, „ihr“ Kind ſelbſt zu
aben,
Und Ihnen, meine tapfere Dich»
terin, gegenüber, gejtatten Sie mir den
Zweifel daran, daj3 Sie eine ver—
jpätete Jungfrau find. Eher eine ver=
frühte Ehefrau, Ihr Los mag fih in
vielen Fällen des modernen Lebens
wiederholen, aber bilden Sie fih gar
nicht ein, das Sie in der Mehrzahl
ind. Gottlob, nein! Es gibt noch
frauen, deren Seele feinen Schnurr—
bart trägt. Wenn e3 aber einmal fo
eingerichtet wird, wie Ihre Emanci—
pen; es wünſchen: die Mänuer ver:
lieren dabei wahrlich nicht. Die leicht:
finnigen am allerwenigften, dieſe wer:
den den größten Vortheil dabei haben.
Allerdings gibt es Männer, Söhne
de3 Adam, „welcher war der trew’ite
Gatte, weil er ja nur Eine hatte”,
die jelbit bei den beiten Eigenfchaften
ihrer rauen falihe Ganaillen find,
jolche verdienen die Hundspeitſche auf
öffentlihem Markte. Im allgemeinen
aber bitte ih Sie, meine fampfes-
freudige Dame, davon überzeugt zu
jein, daſs au der von Ihnen fo oft
Treulofigteit der Männer
werde ja auch einmal einen Mann auch ein wenig die Frauen Schuld find ;
heiraten. „Einen? Mama, ich möchte nicht bloß jene, die drangen (oden,
gern alle heiraten und recht viele wohl aud) ein wenig jene, die daheim
Kinder bekommen!“ Allerdings | liten und Nadelftiche ſiunen. Ich
will unſere Jungfrau dem — — es Ihnen ganz offen, wenn
feine beſonderen Unkoſten verurſachen, zuhauſe eine emancipationsluſtige
234
Gemahlin meiner harrte mit ihrer geilt-
reich ſpitzen Zunge und ihren nicht
minder jcharfen (wenn auch nur mo—
raliſchen) Fingernägeln — jo miede
ich mein eigenes Haus mit einer ſol—
hen lieben Frau wie das hölliſche
Teuer und furchte meines Lebens ans
derswo froh zu werden, jo gut es
gehen möchte.
Und eine Frau, die ihrem Gatten
nur immer borwirft, dafs er ihr nicht
das Recht einräumt, einen anderen
zu lieben, wird für den Gemahl wahr:
lich Fein großer Magnet fein.
Übrigens, Madame, meinen vollen
Refpect wegen Ihres männlichen Ein—
ftehens für das MWeiblihe! Finden
ih in Ihrer Sammlung doch auch
Gedichte, in welchen das goldene Ges |
müth des Weibes fich offenbart. Es
fäme nur darauf an, dajs Sie einen:
Mann fänden, den Sie jo recht aus
ganzem Herzen lieben fönnten, und
Sie würden Ihre jo furchtbare Män-
ner⸗Peitſche in zarte Fäden ausein—
anderlöſen, um mit denſelben unter
allen erdenklichen Liebeskünſten den
theueren Mann an ſich zu feſſeln.
Vielleicht laäſst ſich der „Herr der
Schöpfung“ von dem herzigen, für
die Familie opferfreudigen Eheweib—
chen lieber gefangen halten, als die
modernen Mannweiber glauben rollen.
Vergejlen Sie nicht, dajs ein Manns
weib nur einem weibijchen Manne für
ein Weilchen gefallen kann; ein echter
Mann nimmt ſich ein echtes Weib
und bleibt ihn treu. Das echte Weib
wird damit zufrieden fein, wird weder
eine Ausrede ſuchen, noch gelten lafien,
um eigene Sondergelüfte zu rechtfer—
‚tigen. M.
A por Sprüderla.
Steiriſch.)
“uns
vs 9
a jungi Menſch is unglüdle,
Won er foa Glüd dajogg,
B 3. » Der olti i8 ſcha glüdla,
Man an foan Unglüd jhlogg.
Ultramontandel,
Schreits na, verftehts enk nit,
Leut,
Do loſst ſih nix wendn.
Wan oana herenters Berg ſteht,
Und der onderi entn.
Däs war a goudloſer Menſch,
Der 's Erdnlebn verocht't bot.
D Welt muaß ma liabn und leidn,
Und denkn af Den, der's gmocht hot.
Der Dumi i3 $ geborn,
Der Schlechti iS 8 erjt worn;
Der Dumi bitafts berentn,
Der Schlechti oft erſt entn. R.
Der Eragner.
Eine Torfgeftalt aus Niederöfterreih. Von E. 3. Freunthallr,
Se
er ift wohl jener hagere, bart—
Le loſe Mann dort mit der Trag-
bitte fammt Korb am Rüden,
der eben dem Bauernhauje zufchreitet ?
Der Fragner iſt's, ein Händler,
der mur das Flachland kennt, ein
Mann, der von allen geldbedürftigen
Bäuerinnen jenfzend und doch jo ſehn—
ſuchtsvoll erwartet wird, weil er das
„Geldhäfen“ (Geldtopf) der Bäuerin
wieder füllt, dafür aber überflüjfige
Eier, Butter, Schmalz, Hühner, Tau:
ben u. m. a. mitfortnimmt.
Gehen wir mit ihm.
Langſam tritt er im dem geräu—
migen „Hof“ und jchreitet mit ſchwei—
fenden Bliden (feine Blide mögen
fogar wedeln) dem Mohngebäude zu.
Angelweit fteht die Dausthür offen,
als ahne fie feinen Eingang, aber der
Mann mußs vorerſt die aufgemauerte
„Zwieſelſtiege“ hinan — eine Stiege
rechts, eine Stiege links. Ihm fteht
die Wahl frei, jede führt hinauf zur
Thür. Er wählt die nächltliegende
und oben pocht er mit feinem „Steden“
heftig an die Hausthür. Pocht und
Ichreit dazu:
„Der Fragner ift da!“
Mit diefer Meldung betritt er die
Hausflur. Inzwiſchen eilt jchon die
Bäuerin herbei.
„Grüß Gott, Frau! Hat die rau
heute wieder was für mid?“ So der
Fragner. Die Bäuerin dawider: „Grüß'
dem Fragner! Und wanın er chriftliche
Preife machen wollt’, jo wären die—
jesmal nicht nur Eier, fondern auch
Butter, Schmalz, Hühner und Tauben
für ihn bereit!“
In der Stube laltet der Fragner
ab und gibt den Korb von der Trag-
butte.
Die Bäuerin möchte nur bringen ;
jeien die Saden „rar“, zahle er
auch rar!
Die Bäuerin bringt in einem frohe
geflochtenen „Simperl* fünfzig wohl—
gezählte Eier.
„Wie viel er wohl gäbe?“
Achſelzuckend entgegnet er: „Was
halt recht und billig! Habe fo immer
nur meinen Schaden dabei!” Nimmt
die Eier zählend aus dem „Simperl“,
prüft fie chart und gibt fie zählend
in feinen Korb.
„Macht geradeaus ſiebzig Eier!“
feufzt er dann.
Nun bringt die Bäuerin ihre
Butter.
Wie viel fie befäme? Schwer
wäre der ganze „Strißel“ fünfzehn
Pfunde und diefesmal vom beiten
Rahıne !
Der Fragner nickt dazu und
ſeufzt.
Ein wahres Kreuz iſt's — eben
der Bäuerin zulieb nähme er den
Stritzel, wenn er auch in der Haupt—
ftadt unten allemal jein gutes Geld
dabei verlieren müſſe. Geben könnte
er halt nur fo und jo viel!
Die gutmüthige Bäuerin füllt ihm
ein großes Henkelglas ſchier übervofl
936
mit Moſt, auf dafs der leidende |dictiert, was gewiſs felbitverfländ-
Fragner feinen Kummer auf der Stelle lich ift.
elendiglich erfäufen möge. Schmun—
zelnd jchlürft der Fragner, begudt
das Glas und jehlürft wieder, nad
ber beftimmt er den Drud der Butter
anf feine blecherne Unterlage nad
metriſchem Spiteme.
„Kaum act Kilo!“ betheuert er
und rechnet der im mächtigen Zweifel
laufchenden Bäuerin „kopfraitend“ vor,
wie viel fie befäme. Kopfſchüttelnd
bringt diefe noch viel Mifstrauen auf
der Zunge, etwas Schmalz in der
hölzernen Doſe und einige gefeljelte
Hühner und Tauben in den Händen
vor den ftrammen Fragnerleib. Der
Mann aber macht viel Falten in fein
bageres Geficht und klagt und jan:
mert mehr als die Hühner nnd Tau—
ben in ihren Feſſeln.
Eben der braven Bäuerin zulieb
Das Jahr Hat zweiundfünfzig
Wochen und ebenjo oft jeht er fein
Geld im Gejhäfte um, da er allwö—
hentlich mit feinen exrfauften Natu—
ralien zur Hauptftadt fährt. Und bat
die Woche ſechs Werktage, jo hat ein
rechter Fragner auch feine ſechs Gare
(„Bäu*, wie er ſagt). Man ſieht
alfo, wie der Mann mit der Zeit es
hält, wenn ihm auch der Zeitgeift
mitunter ein Schnippchen ſchlägt.
So ein Gau umfasst etliche Dörfer,
die er alle Haus für Haus zu „durch—
fragen“ Hat, und darum ift er eben
Fragner. Vorm Dorfwirtshanje fteht
jein Wagen mit etlichen Körben, But—
ten und Kiſten. Ihn zieht das Fragner-
roſs, daS der vielen Eier wegen fein
Schnellänfer jein darf. Meift iſt es
ein ausgemuſtertes Poſtroſs und könnte
— in der Hauptftadt unten leide er das viele Fett anf dem Magen an
Schaden, dort verjpiele er bei dem
Dandel allemal jein armes Geld!
Und trinft das zweite Moſtglas leer.
Kauft Hagend, zahlt feufzend,
geht jammernd. Und fo Hagt und
feufzt und jammert er fi von einem
Danfe zum anderen, aus einem Dorfe
in das andere und treibt’s fo Gau
für Gau den ganzen Tag, von einer
Moche zur anderen, Jahr für Jahr,
und ſchlürft fleigig Bauernmoft dazu.
Moft ift nämlich ein gutes Bin:
demittel zwilchen dem Herzen des
Fragners und jener der Bäuerin, ift
feinem eigenen Leibe brauchen ; daher
ertönt fein Wiehern ſtets wie höh—
niſches Gelächter.
Sit das Torf „abgefragt*, nachher
feucht der fchmwerbeladene Fragner dem
Wirtshaufe zu, wo er in der Ede
nachprüft und nachrechnet. Er nimmt
Buch und Stift und notiert — lä—
chelnd, ſchmunzelud.
Zur Hauptſtadt fährt er mit vol—
fen Körben und leeren Tajchen, heimzu
treibt er's umgelehrt. An die Greißler
der Stadt verlauft er im großen, an
Private im Heinen. Und jo wird der
auch eine gute Salbe und Schmiere Fragner auf den verjchiedenen Markt:
für die Fragnerhand, auf daſs fie
ſchneller das Geld aus der Taſche
führen möge.
„Heute war bei diejer und jener
Bäuerin ein gehöriges Thanuwetter!“
fagt er nachher allemal daheim. Wird
er jedoch nicht bewirtet, dann meint
er, e8 wäre bei der ımd der Bäu—
erin eine „trodene Zeit“ eingerüdt,
obgleich er mitunter auch ein „Don
nerwetter“ erlebt, in&belondere, wenn
es jich berausitellt, dafs er in ver—
plägen meift auch von den Schönen
am bäuslihen Herde umringt; dazu
gehört aber nicht allein ein ficheres
Derz, ſondern auch ein fefter Sinn
in den allfort jammernden, Hagenden
Fragnerleib.
Im Hochſommer und auch oft
'fpäter tief im Herbite bringt er noch
verjchiedeneg Obſt mit nah Groß—
Mien und „verjchleudert es mit Ver—
luſt“. So geht nämlich fein Gerede
und dabei legt er fein Fragnergelicht
ſchiedenen Hänfern verjchiedene Preife zu entjeßlichen Falten.
937
In einer feiner Butterkiſten liegt
mitunter ein Häschen, ein Rehlein
wohlgeborgen — dieſen Schabernad
bat ihm nur ein boshafter Feind ans
getdan. Er jagt jo und ſchüttelt den
Fragnerkopf dazu.
Im Herbite fauft er von Tag—
löhnerleuten und Kleinhäuslern auch
Knoppern und verhandelt fie an Ger—
bern. Aber er verliert auch bei dieſem
Gefchäfte, wie er mit ſaurer Miene
geſteht.
Und jo jammert er wöchentlich
ſechsmal in den einzelnen Gauen und
jährlih zmweiundfünfzigmal im der
Hanptitadt unten und wird dabei
wohlhabend und grundreid.
Hreilich fommt es dann und wann
vor, daſs er von Ddiefer oder jener
Bäuerin übertölpelt wird und in its
gend einer Butter einmal einen. Erd—
apfel oder gar eine Rübe findet. Doch
fein Fragnerauge ift geübt, es erkennt
an jedem einzelnen „Stritzel“ auch
die Meifterin, die fie geliefert hat.
Eine ſolche Geberin ftreicht er hernach
aus feiner Kundenliſte.
Alle Bäuerinnen find ihm „brav“
und werden ihm allzeit „jünger“ umd
„ſchöner“, ja er kann ſelbſt zärtlich
und überfreundlich werden, meiſt zum
Arger der plöglih Lieblofeten und
zum Ergößen der Männer.
Nicht immer und überall betreibt
er feinen Handel allein, meiftentheils
hat er noch Fragnerlnechte und Frag—
nerdirnen, die in den einzelnen Gauen
ihn handeln Helfen müſſen.
In jenen trüben Tagen, wo der
Schulmeifter noch Zehent und Natu-
ralabgaben von den Bauern empfieng,
oder befler gelagt, perjönlich zu Holen
hatte, kam der Fragner auch in das
Schulhaus und faufte ganze Körbe
voll Eier und Schmalz. Aber auch
dort jammerte er und klagte, dajs es
erbärmlich war, während den Schul—
meifterleuten über das viele Geld in
den abgemagerten Händen das Geficht
förmlich „zerrann“.
Und wie gelebt, jo auch geitorben.
Im Zodtenbette Hagt er noch:
„Seht geht's ins leßte Gäu —
werd’ doch nicht kommen zu Schaden ?*
Und iſt er endlich aus dem Leben
gejchieden, dann jammern ihm die
Bäuerinnen nad:
„Zröfte Gott feine arme Seel’
— es werde ihm die Erde fo leicht
und gering, wie er feinerzeit unſere
Butter auf feiner Wage leiht und
gering fand!”
Gott Hat aber in feinen lichtfuns
felnden Geſtirnhimmel eine rieſige
Mage geftellt, eine Wage mit zwei
Schüſſeln. In der einen liegt der
Fragner, in der anderen all das, was
er zeitlebens unnöthig gejammert und
geklagt Hat.
938
Der dreifühig” Chriſtl.
Ein Bilden aus dem Volle der Alpen von P. R. Kofegger.
LAIEN
a er den Schaden hat, der hat
— auch den Spott! Die Ver—
läſslichkeit dieſes Spruches
hat auch der Kohlenmeſſer Chriſtian
Ebner erfahren. Dieſer Mann wurde,
weil er nur einen Fuß Hatte, der
dreifüßige Ehriftl genannt. Eine ftür-
zende Kohlenfuhr hatte ihm einft den
linfen Fuß in Splitter geichlagen,
weshalb er mit einer Holztrüde, alfo
einem dritten Fuß, umberhumpeln
musste. Er machte fich aber nicht viel
darand, denn während feine zwei an—
geborenen Beine bisweilen arg gich—
tiich waren, that ihm das dritte, das
verjpottete, gar nie weh, auch nicht
wenn die Hunde drein biffen. Die
Hunde thaten das, was die Leute
auch thun wollten, aber wicht thun
durften; fie waren recht biſſig auf
den armen krüppelhaften Mann, deſſen
Erſcheinen ihnen allemal einen Kreuzer
toftete, Er bettelte zwar nicht eigent=
fi, allein wenn der gute, abgehärmte
Alte fo daherhumpelte, da Hub im
anderen allemal das Gewiſſen an:
Du, da kommt der dreifüßige Chrifil,
das ift ein armer Haſcher, kann ich
nichts verdienen, iſt auch zu g'ſchamig,
um zu bitten, dem muſst einen Kreuzer
geben. — Gab der von feiner inneren
Stimme alfo Angeſprochene fait allemal
im Gedanken zur Antwort: ch Hab’
nichts bei mie! oder: Ich müjst' exit
die Handſchuhe ausziehen, den Über—
rock aufneſteln und in den Sad grei—
fen, und das ift mir zu umftändlic.
— Darauf das Gemillen: Du, wenn
du diefem Armen keinen Kreuzer gibit,
jo wirft du mit viel Glüd Haben
mit deinem Geld und Gut und in
deinen Gefchäften. — Da madt der
Bedrängte, der fein Gewiſſen wegen
Erpreſſung verklagen fönnte, ein
ſaures Geficht, hebt an zu ſuchen,
findet, und ſchenkt dem Chriſtl einen
Kreuzer.
Diefer unbequeme alte Menſch,
der Chriſtl, ftieg denn Jahr für Jahr
in der Gegend umber und jeden,
den er begegnete, lächelte er mit feinem
Heinen weißbärtigen Gefichtlein gut—
müthig an. Er, der von Wohlthaten
anderer leben mujfste, hätte auch gerne
Gutes gethan, war aber ſo ſchwach,
arm und undermögend, konnte gar
nichts tun, al3 die Leute freundlich
anlächeln.
Im ganzen hielt der dreifüßig'
Chriſtl ſich lieber an unſern Herrgott,
als an die Lente. Bei dem konnte
er fiher fein, dafs er nicht ſchalt und
nicht ſpottete, dafs er ihn ruhig anhörte,
wenn der Ehriftl feine Leibes- und
Seelennöthen vortrug im andächtigen
Gebet. Wenn der Küfter früh mor—
gens gieng, um das Kirchenthor auf—
zujperren, jo ftand davor ſchon der
Chriſtl und lächelte ihm entgegen, in
Demutd und Freude auf Einlaſs
039
wartend. Und nad dem Gottesdienfte, | halt Hart. Aber mufst ſchön geduldig
wenn die lebte alte Frau mit ihrer]
Andacht fertig geworden und der Küſter
ſchließen wollte, faß in feinem Wintel
hinter dem Muttergottesaltare immer
noch der Ehriftl. Er wurde heimatlos
gemacht, mufste hinaus. Dann fuchte
er Stapellen auf, vie nicht verjchloffen
waren, oder Feldkreuze, vor denen
er knien oder jigen konnte.
Der Chriſtl war nicht eigentlich
dad, was man einen Beibruder meint,
dafür war.er zu feelenheiter, zu warn»
berzig gegen die Leute, zu bejcheiden,
zu ſchamhaft in feiner Andacht. Wenn
Leute in der Nähe waren, da berbarg
er jein Gebet, lächelte und wuſste
ein gemüthliches Wort zu jagen, Wenn
er aber allein war, da unterhielt er
ih mit den Hinmmliſchen jo vertraut
und vertraulich, als ob jie jeine beften
Kameraden wären. Manchmal war er
auf Wallfahrtswegen nad einem Gna—
denorte, wollte es aber nicht recht
eingeftehen, fondern fagte, er ftreiche
nur jo ein wenig umber, daſs er eine
andere Luft athmen, eine andere Ge-
gend jehen könne; er jei jo viel neu—
gierig. Insgeheim war er für Natur:
Ihönheiten herzlich gleichgiltig; mur
wo folche bejonders auffielen, wie in
fruchtbaren Thälern oder im wilden
Hochgebirge, da that er einen Seufzer
und jagte: „Was er doch alles zuweg
bringt, der allmächtige Gott!“
Am meilten bejchäftigt war der
Dreifühige in der Faſtenzeit, da hum—
pelte er zu den Galvarienbergen um—
ber, wie foldhe im Lande mit Bild»
niſſen aus der Leidensgefchichte her—
gerichtet find. Er müſſe unſern lieben
Herrgott tröften gehen, jagte der Chriſtl,
fein Menſch kümmere ſich um den
Herrn in jeinem heiligen Leiden und
Sterben. Und da ſaß der alte find
lide Mann denn manchmal vor der
Station, wo der Heiland am Olberge
dargeftellt ift, und redete jo Halblaut
vor ich Hin: „'s iſt Hart um dich,
mein lieber Seins. Ich glaub’ dir's,
dafs dir bang ift, das Sterben tft
fein, Schau, unſer Herrgott hat auch
leiden müſſen.“ Derlei jagte er zum
Heilandbilde, in feiner Einfalt ver—
geſſend, daſs ja gerade diejes den
„Herrgott“ darftellte, „der ach but
leiden müſſen“.
Bei der Station, wo die Geike-
lung und Krönung mit Dornen dar-
geitellt ift, wurde der Chriſtl allemal
ganz boshaft und jagte zu den Hen—
feröfnechten: „It Schon recht, ſchlagt
nur zu auf den armen Jefus! Thut
ihn nur recht peinigen! Werdet jchon
jehen, was euch geichieht! Werdet
Ihon winfeln in der Höll, ihr fals
ichen Juden, ihr!“ — Auf der Höhe
des Berges angelangt, war alle Bits
terfeit wieder vorüber und er ſprach
am Fuße des Gekreuzigten laut Sterbe=
gebete, im welchen er dem fterbenden
Heilande der Fürbitte unferer lieben
Frau und dem heiligen Schußengel
empfahl.
Und einmal, da Halte der drei—
füßig' Chriftl bei einer ſolchen Cal—
varienbergbefteigung ein Erlebnis. Die
Märztage waren fonnig und warm,
dafs der Schnee von den Hängen
rann, die Nächte waren kalt. Und an
einem froftigen Morgen bejtieg unfer
Alter den Galvarienberg bei Kindorf.
Er war jchier der einzige Streuzpilger,
alle anderen vergaßen wieder einmal
ganz und gar des leidenden und ſter—
benden Heilandes.
Der Calvarienberg zu Kindorf it
ein jehr fteiler Felshügel, ſtellenweiſe
mit fenkrechten Wänden. Bon Station
zu Station führen Holztreppen hinan,
die an mehreren Stellen himmelan—
ftrebend wie eine Leiter find. Unfer
Alter Heiterte wohlgemuth über Holz—
balten und Eiskruſten empor und bei
jeder Station unterhielt er ſich in
feiner gewohnten Weiſe mit den
Figuren. Als er endlich etwas mühe—
jam faft bis zur Höhe des Berges
fam, auf welcher unter freiem Him—
mel die drei Kreuze ftehen, jah er,
dafs die legten oberiten Stufen arg
vereist waren. Steine Handbreit ebene
Stelle war zu ſehen, auf welche
man den Fuß hätte ſetzen können,
alles in einen glatten welligen Eis—
mantel gehüflt, der fich chief über
die geländerlofe Treppe gegen den
Abgrund zog.
Der Ehriftl Stand auf feinen drei
Füßen feft und ſann nad, was da
zu maden wäre. Sein Schuh war
nicht mit Nägeln befchlagen und feine
Krüde nicht mit einer eifernen Spike.
Es war diesmal alles fo glatt, wie
es in dem Leben armer Menjchen
Jonft felten abläuft. Er verjuchte es
wohl, mit dem Stabe Scharten in
das Eis zu ftoßen, aber ohne jeglichen
Erfolg, Hart wie die Welt war das
Eis.
Der Chriſtl lächelte nun ein wer
nig und kraute ih am Naden.
„Schau“, jagte er, „da thut's mid
ein biljel reizen (neden)! O du Mait:
fau, dur zaundürre — oder was! Mie
fomm’ ich jet mur drüber hinauf!
Unfer lieber Herrgott wollt" mir ge=
wiſs gern die Hand herabreichen, daſs
ih kunnt anfallen, aber dem geht's
jelber miferabel, dem haben fie die
Hand feftgenagelt. Da heißt's ſchon
einen anderen Vortel probieren. Ich
weiß was, ich leg mich Hin und krauch'
über das Eis ſchön langfam hinauf.“
Das that er nun. Er jehmiegte
ih an, krallte ſich mit den hageren
Fingern ein, jo gut es gieng, ſtemmte
ih mit dem Fuß, mit der Krücke,
griff nun aus, zog das Bein nad und
fam vorwärts. Als er ſchon fait an
der oberften Stufenwelle war, lieh
es aus und unfer Chriftian Ebner
begann ſachte zu rutichen. Aber nicht
treppabwärt3, wo er heraufgefommen,
ſondern ſeithin gegen den Abgrund.
Der hölzerne Fuß, die Krücke, die
jeiner Hand entfallen, war jchneller,
glitt luſtig hinab und fprang über
die Felswand tief ins Geſtein des
Ihalgrundes, dafs e3 Elapperte.
„Bau!“ ſchrie der Alte in feiner
TE — —ñ —ñ— —— m — —— — — — — — — — —— — —
940
fahren ?* Immer friſcher gieng's die
beeiste Lehne hinab und al3 der Ehrifti
Thon fehr neugierig ift, wie es bei
der Felswand fein werde, erwiſcht
feine Hand ganz zufällig einen her—
vorstehenden Birkbaumſtrunk und Hält
fich feit. „Wart du, der Nagel it mir
juft recht!“ ſagte er, wuſste ihn mit
dem Arm zu umfangen und jo hieng
er nun am fteilen Eisfeld, unmittel—
bar über dem ſenkrechten Abgrund.
Das erite, was der dreifüßig'
Chriſtl in dieſer neuen Lebenslage
that, war, dafs er zu kichern anhub.
„Da Haben wir jet den Narren!“
fagte er zu fich jelber. „Kunnt jchon
unten fein, aber wenn's wicht jein
muss, ih kann's derwarten.” Sein
Geficht wandte er dem Dimmel zu,
der war jhön blau, und über der
Zinne des Berges ragte das Haupt
des Gefrenzigten auf. — „Sehen thät
er mich ſchon, jehen“, fo tröftete der
Alte fih, „aber Mirafel wirken, meinet-
wegen, das kann ich doch nicht ver—
langen.”
Der Heiland jedoch dachte ander2.
Seinen Diener, der immer jo des
müthig und treuherzig an ihm ges
bangen, den mollte er nicht verlaffen
in der Noth. Sterben! der Chriftl
wirde fih zwar willig ergeben, aber
lieber ift’3 ihm ſicherlich noch etliche
Jahre auf Erden. Ih will ihm's
zeigen, was fein Erlöſer kann, troß
der gefreuzigten Hände. . ..
Unten jtand die Galvarienlirche.
Ron deren fteilem Dache rutichte jetzt
eine große Schneelaft ab, daſs der
Boden dröhnte. Ob diejes Getöjes
lief der Küfter Hans aus feinem Daufe
und der fah den alten Ehriftian hän—
gen Hoch oben an der beeisten Lehne.
Au, denkt er, der hat's unkamodt
dort oben! Erfafst einen langitieligen
Feuerhaken, der in einem Winkel der
Kirchenmauer lehnt, eilt die Treppen
hinauf, haft den Alten beim ledernen
Hofenhalter feſt und zieht ihn beran.
Der ChHriftl ift fehr erftaunt, als
Überrafhung, „thun wir fchlitten= |er bemerkt, dafs er wieder verläſs—
— —— — —_ — — — — —
—
—
lichen Grund unter ſich Hat. „Du“,
ſagt er endlich zum Küſter, indem er
ſich mit dem Armel den Schweiß von
der Stirne wiſcht, „hätt's nicht ver—
meint, daſs einem auf dem Eis ſo
warm werden kunnt!“
Als ihn nachher der Hans hinab—
führen will die Treppen, ſagt der
Alte: „Ah mein, ih muſs ja da
hinauf!“
„Willſt denn noch einmal rutjchen ?*
fragt der andere.
„Rutfchen nimmer!” entgegnet der
Alte, „nur ein paar Wörtl zu reden
Habe ich mit ihm.”
Er lieg ſich nicht abbringen, der
Küſter bieb mit dem Hafen Stufen
ins Eis und jchleppte den in feiner
puren Zweifüßigkeit jeher mühjeligen
Ehrijtian auf die Höhe des Berges.
Dort fant der Alte Hin, umarmte
daS Kreuz und jagte mit zitternder
Stimme: „Bilt wohl brav, lieber
Herrgott, daj3 du mir den Hanfel
haft geihidt. Thu’ ihm's recht gut
meinen, jo lang er lebt, und wenn
er geitorben ift, Jo gib ihm ein jchönes
Plagel im Himmel. Iſt ein braver
Menſch, der Hanſel. — Und jet
will ih zu Ehren deines heiligen
Leidens ein Vaterunſer beten... .“
Schweigen wir, jolange er betet,
ſchweigen wir Still im Ehrfurcht vor
der Kraft des Glaubens.
Ein Breislauf.
(Alter Eprud.)
&
emut bat mid lieb gemadt,
“ Lieb’ hat mid zur Ehr gebradt,
2 Ehre bat mir Reichthum geben,
ss Reichthum thät nah Hochmut fireben,
ochmut ſtürzt in's Elend nieder,
lend gab mir Demut wieder.
Kleine
Ein Gruß
den Gäften vom Peulſchen und ölerreichiſchen
Alpenvereine.
(Belegentlib der Jahresverſammlung in Graz
im Auguft 1891.)
Ihr Herren, ach wäre ich gut bei Fuß,
Ih wollt’ mit Euch fteigen und jchreiten,
Anftatt auf hinkendem Pegaſus
Euch ſacht' entgegenzureiten.
Ihr habt im lieben Deutſchen Reich
Mich oft jo Fröhlich empfangen,
Ich bin, ftatt bergmwärts, gern mit Euch
Zu tiefem Grunde gegangen,
Den ſchönſten Blid in das Weltenrund
Hat man — id ward es inne —
Bom tiefen, fühlen Kellersgrund
Und von der Alpenzinne,
Das Leben fann nur vertieft, erhöht.
Den Erdenpilger bejeelen, |
Gott ſchütze uns gnädig vor flaher Od,
Und flachen Alltagsgeiellen !
Des Menſchen Geift gleich der Blume jprießt |
Aus dunkler Tiefe nad oben,
Und unjere Jakobsleiter ift
Aus Fels und Gletſchern gewoben.
Die Bergesipige fie ſei jedoch
Als Endziel nicht unier Eigen,
Mohl ungeahnte Höhen no
Die Menſchheit hat zu erfteigen.
Saube.
| Seid ſchön gegrlüßt Ihr, im grünen Land
Der Hirten und der Muſen,
Dem Edelweik auf der Felſenwand
Und Eifen wädst im Bujen.
Des Bergiohns Lorbeer, der Zannenwald,
Belränz’ Eure Stäbe und Stirnen,
Auf blumiger Alm, wo der Jodler fallt,
Steigt an zu den leuchtenden Firmen,
Und bringet mit aus des Kellers Grund
Das Vollblut der ſteiriſchen Reben,
Und lajst mir dort oben mit Herz und
Mund
Die vielliebe Steiermark leben.
Und lajst mir aud leben die Heimat fern,
Die Lieben an Eurem Herde.
Vom Fels bis zum Meere ſei Gott dem
Herrn
Empfohlen die deutſche Erde.
V. A. Koltagert.
Fin Brief Hamerlings.
Das folgende Schreiben Robert
Hamerlings vom 24. Juli 1866 iſt
‚an jeinen Gollegen Prof. Raab in Wien
| gerichtet.
was in jenen Tagen vorgieng und mie
‚damals die Stimmung in unferem Ofter-
‚reih war,
Mern man vor Augen bat,
jo muj3 man ſich wohl ver:
wundern über den merkwürdigen Brief,
Finftweilen übe fich jedermann
Im Ringen und im Sleitern,
Wer hohen Bergen irogen Tann,
Der troßt auch böfen MWettern.
‚in welchem jo viel Prophetiiches
liegt.
Wir haben die Erlaubnis, ihn abzu-
druden.
x. > L\ 2 EL 6
T irn T an a .u van
943
„Lieber Freund!
nimmt. Hauptjache ijt, daß die deutiche
Bermegung einmal in Gang fommt; die
Ihr Brief vom 14. hat mich erfreut, | gegenwärtigen Friedensſtipulationen der
und e3 mar mir intereflant, dab Sie | Diplomaten haben nur eine vorüber:
fih darin auch ein wenig über die Sir gehende Bedeutung.
tuation ausgelaßen haben; glaube ich |
Sie fragen wie es in Bezug auf
doch, dab in dem was Sie jagen, ſich meine dienſtlichen Verhältniſſe fteht ? Ich
die Stimmung und Anficht der von den
Preußen bedrohten Reſidenz überhaupt
babe um meine Penſionirung an—
gejucht, und ſehe berielben jeden Tag
einigermaßen wiberfpiegle. Jch theile ganz |entgegen. Meine Stelle in Trieft wird
Ihre Anſicht, daß ſich für Deutjchland
wichtige Dinge vorbereiten, und wenn
aljo vacant; vielleicht ſetzeu Sie in
Mien es durh, dab man Sie dafür
aus Ihren Zeilen hervorgeht, daß Ihnen ernennt. Schreiben Sie mir bald wieder ;
der Gedante, Deutihland werde fich die
Suprematic Preußens gefallen laſſen
müjlen, nicht fern liegt, jo muß ich ge
ſtehen, dab eben diejer Gedanke jchon
vor dent gegenwärtigen Striege meine |
Überzeugung gemweien it. Glücklicherweiſe
bat jih jetzt herausgeſtellt, dab es deu
Preußen wenigftens an der Kriegstüch—
tigfeit nicht fehlt, um Deutichland zu |
führen und nah außen im Notbfall |
kräftig zu vertreten. Um Dauerndes|
zu begründen, gehört aber freilich noch
dazu, daß fie verfiehen, moralijde:
Groberungen zu machen. Verſtehen fie
das nicht, jo ſteht es Ichlimm um Deutjch-
land und jeine Einheit, deren Zuftande»
fommen nun einmal ganz und gar vom
vernünftigen Verhalten des zur Supre—
matie berufenen Stammes abhängt. Das
wir Deutich » Ofterreicher für jegt aus
Deutſchland ausgeſchieden werden jollen,
iſt ſehr ichlimm, aber wenn die Aus»
iheidung Ofterreih3 aus dem Bunde den
öfterreichiich » preußiichen Zwieſpalt, der
Teutichland bisher getrennt bat und
immer trennen würde, wirklich ausgleicht
und es dem übrigen Deutichland möglich
macht, fih zu conjolidiren, jo mö-
gen wir ums patriotiich über eine Maß—
regel tröften, die doch auf jeden Fall
nur provijorijc tft. An das com
jolidirte Deutſchland werden jid
die deutichen Provinzen Ofterreihs gewiß
wieder anſchließen mollen, und der
Roltswille wird entjheidend
jein, beſonders wenn einmal ein dentſches
Parlament veriammelt tft und die Nation
jelbft die Angelegenheiten in die Hand
vom Orte Ihres Aufenthaltes gibt es
ja jegt immer Jutereſſantes mitzutheilen.
Ach würde viel drum geben, wenn ich
in Wien jein, Stimmung und Verhält—
niße in der Nähe betrachten könnte. Mit
berzlibem Gruß
Ihr
Rob. Hamerling.“
Graz; 24. Juli 1866.
Fin Rindermärden.*)
„Ein Märden, Onkelchen, geihwind !*
So höre, Heines Närrden:
Es war einmal — aljo beginnt
Doc jedes deutihe Märden —
Alſo: es war einmal, mein Kind,
Ein liebes Brüderpärden,
Das lebte ohne Zank vereint
Beinah’ ein volles Jährchen!
Du glaubft es nit, mein Heiner Freund ?
Nun ja — 88 ift ein Märden!
Iofef Allram,
Die Bogelleide als Franenpub.
Die Speculation auf die @itelfeit
des Weibes hat zu einer Mode geführt,
die läberlihb und empörend zu—
gleich iſt. Es ift dies die Mode, Frau—
enhüte und Kleider mit Bogele
ieihen aufzjupußen.
England und Frankreich führten in
einem Jahre 1,600.000 Bogel-
bälge ein. In der legten „Saiſon“
*) Aus dem Scheffel ⸗·Jahrbuche. Wien.
betrug diefer Import in Frankreich allein
eine Million Colibri!
Ernjte Forſcher berichten mit Ent-
züden über dieſe wundervollen kleinen
Geichöpfe, dieſe „Stleinodien der Natur“,
diefe „beflügelten Blumen und Edelſteine“
der Tropen. Buffon nennt den fleinen
Vogel „das Meiſterſtüch der Natur.“
Burmeister jchreibt: „Man mujs die
wundervollen Gejchöpfe lebend in ihrem
Vaterlande gejehen haben, um den Lieb-
veiz ihrer Natur volljtändig bewundern
zu fönnen.*
Bald werben die Landſchaften, denen
dieje wunderbaren Geſchöpfe paradiefischen
Reiz verlieben, verödet jein. Millionen
Ihierchen, die in ihrem ätheriſchen Leben
ihr leuchtende Gewand mie mit dem
Staub der Erde beſchmutzt, werden nicht
mehr von Blume zu Blume gaufeln —
num werden ihre traurigen Reſte im
Staube des Balljaales, oder als weibli«
cher Kopfputz in kurzer Spanne Zeit ver—
dorben jein, .
Mit Widermillen wird jede feinfüh-
lige Frau jich von einer Mode abwenden,
die dem barbarifchen Geſchmack der Ans
dianer entjpricht, aber in einem Volke,
das Anspruch madt, zu den Gulturvölfern
zu gehören, unmöglich fein jollte.
Es iſt eine VBerjündigung an ber
Natur, dieſe Vernidtung ihrer jchöniten
Gebilde zur Befriedigung thörichter Eis
telfeit, jowohl wie an dem, was dem
Menichen und beionders dem Weibe das
Heiligite jein follte: das Mitleid,
das Erbarmen.
Die Martern, welde Millionen und
Millionen armer Geſchöpſe um weiblicher |
Eitelkeit willen erleiden müſſen, find ſo
grauenhaft, daſs fie ohne das Zeugnis
hochangeſehener Männer unglaublid er
icheinen würden, Es ift die Thatſache
feitgejtellt, dajs die Vögel mittelft an,
den Zweigen befeitigter Angelfchnüre ger |
fangen und häufig jogar lebendig
abgebalgt werden, damit das
Gefieder nichts von feiner Farbenpracht
verliere,
Welche gefittete Frau wird den Muth,
zur |
haben, nachdem dieſe Thatſache
öffentlichen Kenntnis gebracht, ſich noch
mit Vogelleichen auſzuputzen? Mitihul-
dig an ſolchem barbariſchen Treiben iſt
jeder Kaufer der jo zu Tode gemarterten
Thierchen.
Es gibt Übertretungen des Sitten-
gejeges und Verſtöße gegen das geiell-
ihaftlihe Herlommen, auf denen Die
Strafe der gejellicaitlichen Achtung jteht.
Und doch, wie jelten verratben jolche
Vergehungen einen Mangel fittlihen Ge—
fühls, wie cr durch die Berheiligung
an der hier in Frage ftchenden ſchänd—
lichen Mode fih äußert.
Wir find überzeugt, daſs feine edel»
denfende Frau ſich zur Mitichuldigen an
der nichtswürdigiten aller bis jetzt be—
fanntın Modethorheiten machen wird.
And hilft ka guals Kedn umd
ka Scheltu —
Slelriſch⸗
Wanſt mit r an Menſchn muaist lebn,
Der grob is und ſchlecht is,
Sa ſulſt eahms an etlamol jogn,
Wos Shid id und redt is.
Mit Giatn und Deamuat muajst bitn,
Und will däs nix nußı,
Sa muajstn mit zornmwildn Wetern
Recht ſchauderlih putzn.
| Und hilft fa guats Redn und fa Scheltn,
Su nutzt ah fa Klogn,
Und muaist n, wir er id, in Gottsnomen
Geduldi datrogn.
A Kreuz is 's a ſchwars, a lebendigs,
'Wul a traurigi Welt!
A Lebn iS a bort3, an elendigs,
Ober trogs wir a Held. ir
Die wunderschöne Rede.
Sie fennen fiherlid den Baron S;.,
Mitglied des ungariſchen Herrem
hauſes, den jchmweigiamften aller Ge—
ſetzgeber jo läjst ſich Koloman v.
Mikszaths in ungariſchen Blättern ver—
nehmen. Eine kleine, gedrungene Geſtalt,
mit kurzem Halſe, das weiße Haar kurz
geſchoren, auf dem ausraſierten, feiſten
045
Gefihte ftrablt die Gemütblichfeit. Er
hatte die fchlechte Eigenschaft, während
einer jeden Sigung des Herrenhauſes zu
erzählen, wie viel er alles zu jagen
hätte, aber er dürfe micht Sprechen,
jein Gelübde verbiete es ihm ...
Mas? Ein Gelübde? Was für ein Ge
fübde? ... Der Baron bat mur auf
dieje Frage gewartet, Er entlaitet, guts
müthig und gemüthlich wie er tjt, jein
Herz mit folgender Geicichte: Beim
1841er Ständetag wohnten wir in
Preisburg mit meinen lieben Freunden
Georg Majlath und Barthel Sjemere
zuſammen. Wir hatten zwei große Zim—
mer und ein gemeinjamer Buriche be-
diente uns. Wir febten herrlich für uns.
Sowohl Georg als auch Barthel waren
vortrefflihe Männer und gute Kamera—
den. Sie jpielten beide eine große Rolle
auf dem Ständetag, bejonders der
Barthel. Eines Tages begann ich, fie
um ihre Lorbeeren zu beneiden und
jagte zu mir im Selbjtgeipräh: „Du
Baron, wie jchön wäre das, wenn du
pohte laut. Und in diejem erbabenen
Augenblide läutet der Präfident und
fragt: „Wer hat etwas dagegen zu be—
merten ?* Ich blide bochmüthig umher.
Die Abgeordneten jaßen jtill auf ihren
Plägen und unbeweglich wie die Ähren
in der Windſtille. Doch ſchau, was ſehe
ich? Wer ſteht auf? Bartholomäus
Szemere. Was kann denn der Barthel
haben wollen? Was mujs ich hören?
Iſt es Wahrheit oder bin ih von Sin—
nen? — Er beginnt: „Verehrte Stände!
Was der Herr Vorredner ſprach, iſt
von VA bis 3 unridtig und
grundlos.” — und damit geht er
darauf los, zergliedert und widerlegt
meine Rede gründlid. Darauf bin ich
aber auch in Wuth gerathen, mein Kopf
brannte. „Slauben Sie ihm nicht, ver-
ehrte Stände!” rief ich dazwiſchen —
„er jelbit Hat ja meine Rede
gemacht!” Erlaſſen Sie es mir, die
Wirkung diefer Worte zu beichreiben. —
Da that ich das Gelübde, nie mehr
eine Rede zu halten.
auch eine Nede halten würdeſt“, worauf |
ih mir jelbjt zur Antwort gab: „Dazu
gehört Geiſt, Baron!“ ... „Nun“,
entgegnete ih, „wenn ich feinen habe,
werde ich mir melden vom Barthel
leihen.“ (Er pflegt e3 auch jo zu machen,
wenn er fein Geld bat.) . . . Ich rufe
auch jogleih Barthel Szemere beijeite:
„Mein lieber Barthel, geh’, mach’ mir
eine Rede!“ — „Redt gern, mein
Lieber. Morüber?* — Das iſt mir
egal, nur ſchön joll fie jein . .. . wun—
derbar ſchön!“ — „Wie nur bein Ohr
und Mund begehrt!” — So geichah es
aud. Tags darauf gibt er mir fie ganz
fertig ber, ich ochſe fie ein und jage jie
am dritten Tage ber. Ah! Die Begei-
jterung hättet ihr jehen jollen, der Saal
dröhnte nur jo von dem ftürmiichen Bei-
fallflatichen, und wie ein Donner ericholl
e3: „Vivat, Vivat!“ Der Palatin jelbit
fonnte nicht genug Beifall winken und
rufen: „Valde bene, bravissimo!“
. +. Damals foftete ic zum eritenmal
den Ruhm. Ich kann jagen, ein füßes
Gift. Meine Augen glänzten, mein Herz
Luſtige Beitung.
Der Arzt und der gebildete
Dorfihneider Arzt: „Guten Tag,
Herr Wedemeyer! Nun, mie geht'3 denn
Shrer Frau?” — Dorfidhneider
(jeher gebildet): „Danke reſpectvollſt,
Herr Doctor, für dero unterthänige
Nachfrage. Zu loben ift e8 zwar noch
nicht, je dennoch auch nicht gänzlich zu
verachten. Bettlägerig iſt fie eigentlich
nur eine Nacht gemeien. Ach jehe zu
meiner ‚Freude, daſs fie wieder ganz
appetitlih wird, denn die Eis und
Irinfjucht nähert fich wieder jo ganz
allgemäblih, und damit wird fie auch
wieder umgänglider und ausgänglicher
werden.“ — Arzt: „Ya, ja, der
Winter ift immer die ſchlimmſte Zeit,
wenn es nur wieder Frühling wäre,
daſs fie viel in die Luft könnte!" —
60
946
Dorfihneider: „Mit dem Früh—
ling macden wir fabula rosa mit allem
Krankjein. Dann kann ich fie ordentlich
lüften, umd dann wird auch ihr ver
floffenes Tiebliches Ausſehen ſich wieder
einitellen. Wünſche alleruntertbänigiten
guten Morgen!“
Verdiente Strafe „Doctor,
ich leide ſchrecklich!“ — „Ab, ich glaube
nun nicht jo recht an Ihre Schmerzen !”
— „Willen Sie, was hre verdiente
Strafe wäre?” — „Nun?“ — „Dujs
ib Ihnen vor der Naje jtürbe!“
Der Studiojus Müller lag
jhwer am Nervenfieber darnieder,
Seine Freunde wadhten Tag und Nacht
bei ibm und lösten ſich alle drei Stun-
den ab. Um Mitternacht trat der Stu—
dent Klein die Wache an. Sein Vor—
gänger war jehr betreten: „Sieh' zu,
wie Du ihm die Medicin beibringit.
Der Arzt bat gejagt, dajs jeine Rettung
davon abhängt. Müller hat mir immer
den Löffel weggeihlagen. Es ift wohl
feine Rettung mehr!” Und mun war
Klein bei dem Kranken allein. Jeder
Verſuch, ihm die Arznei beizubringen,
ihlug fehl. Kaum war der Yöffel am
Munde, jo ſchlug ihn der Kranke fort.
Klein war in Verzweiflung, alles Zu—
reden war vergeblid. Da fam ihm ein
glüdlicher Gedanke. „Müller“, rief er,
den gefüllten Löffel in der Hand, mit
lauter Stimme, „Müller, ich komm' dir
'n Halben!” „Proſt! Sch komm’
gleih mit!” gurgelte der Kranke mit
matter Stimme, tranf mit Fräftigem
Zuge die Medicin aus dem Löffel —
und war gerettet.
Arzt: „Eſſen Sie mit zu viel,
trinfen Sie mäßig, bleiben Sie abends
zuhauſe, rauchen Sie wenig und machen
Sie fih täglib dur Turnen und Spa-
jterengeben ordentlihb Bewegung !*
Patient: „Herr Doctor, was glauben
Sie eigentlib! Wen ih das alles be-
jolgen wollte, denn braucht’ ich doc
feinen Arzt!“
Sein Dralfel. Studio (zum
Gommilitonen): „Du hör’ mal, ich hab’
einen Bombenmoraliichen, ich möcht’ heut’
mal ins Golleg.“ „Geht mir aud)
jo, aber bier iſt es gerade wieder jo
verfluht gemütblih; weißt du was,
lafien wir meinen Gäjar darüber ent-
ſcheiden!“ — „Deinen Köter — mie
wilft Du denn das anfangen ?*
„Sehr einfach, wir laſſen vom Stellner
'n Stüd Wurft bringen; friſst's der
Bund, dann bleiben wir hier, frijst er's
aber niht — dann «beim Zeus» wird
unter allen Umjtänden ins Golleg ge:
gangen !“
Als Erinnerung an die alte luftige
Zeit in Jena jchreibt ein Lejer: Wer
hatte die Koſten für die eingemorfenen
enfterjcheiben zu tragen? Doch nicht
etwa der „betroffene“ Er-Rector ?
Keineswegs. Vielmehr wurden dieſe all
jährlich wiederkehrenden Ausgaben, wie
die Übertieferung bejagt, den „Fonds
für unvorhergeſehene Feſtlich—
keiten“ entnommen.
Ein kleiner Junge erhielt von
ſeinem Lehrer eine Vorſchrift mit dem
bekannten Reime: „Geh' treu und red—
lich durch die Welt, das iſt das beſte
Reiſegeld.“ Der Schüler war ein
Philoſoph, und einer Erleuchtung fol—
gend, ſchrieb er: „Geh' treu und red—
lich durch die Welt, das beſte iſt das
Reiſegeld.“
Stolz. „Der Meiſter ſchickt Ihnen
hier die Rechnung — ſie iſt ſchon
quittiert!“ — „Nimm fie wieder unbe—
zahlt mit nachhauſe! Ich laſs mir
grundſätzlich nicht ſchmeicheln!“
Ein Pfarrer in der Gegend von
Köln bielt des Mittags Bibelſtunde
ab, in welcher er aus dem Leben der
Heiligen möglichſt rührende Geſchichten
erzählte. Unter den Zuhörern bemerkte
er eine rau, deren Züge immer trau—
tiger wurden, bis fie in belle Thränen
ausbrab. Diefe Schöne Wirkung jeiner
047
Morte Teuerte den Priefter immer mebr
an, immer rübrjeliger murden Erzäh—
lungen, in denen er fich nicht genugthun
founte: je länger er ſprach, umjo hei:
tiger jchluchjte die Frau. Endlich fajste
ihn aber das Mitleid, er trat an die
Frau heran mit den tröftenden Worten:
„Liebe rau, weint nicht fo, denn es
geihah ja alles Gott zu Ehren.” Darauf
die Scluczende: „Ab, Herr Paſtor,
dat eb et mit, äwwer ich gläuve, minge
Brode (Braten) brennt underbejs an.“
Aus deu VBorträgen eines
Profeſſors. „Ber ſolchen Einjchnit-
ten, meine Herren, wenn fie noch jo
ſchön heilen, bleibt immer eine Stelle,
welche der Heilung bartnädig widerfteht“
(will mit der Sonde eindringen), „und
auch dieje iſt ſchon volljtändig geheilt!“
— „Meine Herren, Sie werben natür-
lich nicht den Magen und Darm eines
nengeborenen Kindes zur Demonitration
benugen, jondern etwa den eines Schläch-
termeifter8 oder eines anderen fleiſch—
freſſenden reißenden Thieres.“ — „Meine
Herren! Indem ich Ihnen zum neuen
Jahre meine herzlichſten Glückwünſche
darbringe, wende ich mich zu den Ein—
geweiden und lege Ihnen den Magen
eines Schnapsjäufers vor.“ „Bor
drei Krankheiten, meine Herren, warne
ib Sie befonders: es iſt die Tuber—
enlofe, der Typhus und das Slindbett«
fieber. *
Bezeichneud it die traditionelle Ver»
achtung, mit mwelder der ruſſiſche
Bauer auf den Popen ſieht. Man
leſe nur ruſſiſche Volksmärchen oder lafile
ſich vom erſten beſten Bauern eines über
den Popen erzählen, ſo wird
überzeugen, daſs das Volk ſeine Geiſt—
lichen und ihre Frauen als „Typen“ der
Unmäßigkeit im Eſſen und Trinken, der
Habſucht, Scham- und Sittenloſigkeit mit
trefflibem Humor darftellt. Wie jedoch
z. B. die Slovenen ihr Spridmort, daſs
die Hölle mit Pfaffenläppchen gepflajtert
jei, nicht hindert, die Geritlichen ohne
Rückſicht auf ihre menſchlichen Schwächen
man fich |
als Bermittler zwiſchen ih und Der
Gottheit anzujchen, jo denken auch die
Rufen nicht im entjernteiten daran, von
ihren Anforderungen an die Geiſtlichkeit
bezüglich der Erfüllung gewiſſer religiöter
Geremonien, welche jie für jehr wichtig
halten, abzugeben, Sogar für ihre aber:
gläubiſchen Gapricen nehmen die ruſſi—
ihen Bauern ihre Geiitlichleit in Ars
ſpruch. Wenn die Ichwere Stunde einer
Frau berammabt, eilt der Mamı zum
| Geiftlihen, um einen kräftigen Gebet:
ſpruch für zwei, drei Kopelen von ibm
zu erhandeln, worauf der Geistliche ſpricht:
„Halte deine Kappe, und ich werde das
Gebet bineiniprechen.“ (Nachdem er e3
geiproden :) „Drüde die Kappe feſt zu,
trage das Gebet ſchnell heim und über-
gib es der Gebärenden.“
Vor einiger Zeit verbeiratite ſich der
Londoner Bankbeamte Wiljon mit
| einem jungen Mädchen, dus er zärtlich
‚liebte, Einer Seiner Freunde bot dem
jungen Ehemann für die Flitterwochen
die Benutzung eines Vandhäuschens tu
| Shenflin au. Der Antrag wurde ange
nommen und das Paar verbrachte Die
jenen fünf Mocen der Ehe in dieſem
Haufe. Am Tage ſeiner Abreije über:
| rafchte es der Eigenthümer mit einem
Beſuche. Zu ſeinem namenloſen Entſetzen
fand derſelbe die geſammte Einrichtung
und das Geſchirr zertrümmert. Er glaubte,
das Paar wäre tobjüchtig geworden, doch
Wilſon erklärte ihm mit der größten
Gemütbörube: „Ich erſetze den Schaden,
allein ich will nicht, daſs irgend etwas,
das meine jüße Braut und ich im den
‚slitterwochen bemußten, noch zu weiteren
Gebrauche dienen ſoll!“
Gin Tämpier. In einer Geſell—
jchaft weih ein junger Mann nicht ger
nug von jeiner Menjchenkenntnis zu bes
richten. „Ich ſehe beiſpielsweiſe auf den
erjten Blid, was andere von mir denken.“
Allgemeines Staunen bis eine
Tame das Schweigen bricht mit den
Worten: „Das muis für Sieaber
ſehr unangenehm jein!“
60*
048
Unſchädlich. Der Lehrer der Na-!förfter", „Die Makkabäer“ und den
turfunde jegt in einer oberen Claſſe
der höheren Töhterihule die ge—
fährliben Wirkungen der Koblenjäure
auseinander und will an einem praftis
tiſchen Beiſpiel die allenfalls .anzumens
denden Morfichtsmaßregeln erläutern.
Lehrer: „Run, Wilhelmine, wenn Sie
zum Beijpiel im Seller eine gefährliche
Entwidelung dieſes Gajes befürchten
müjsten, wie würden Sie fih auf un—
ſchädliche Weije überzeugen, ob Ge—
fahr da ſei?“ — Wilhelmine (nach
kurzem Befinnen): „Ach mürde mein
Dienſtmädchen binunterichiden.“
Zwei Herren werden im Cafe beim
Ntartenipielen von zwei „Kiebitzen“
ungemein beläftigt; mad einer Weile
jtebt der eine der Spielenden auf und
bittet jeinen Kiebig, ihm anf eine Mie
nute die Karten zu halten; er fomme
jofort wieder, Unmittelbar darauf folgt
der zweite der Spielenden dieſem Bei-
ipiel, Die beiden Kiebige vertiefen ſich
jofort in das Spiel und erit nach läns
gerer Zeit fragen fie den Kellner: „Wo
find denn die zwei Herren geblieben,
die hier geiejlen haben ?* worauf die
Antwort erfolgt: „Die Herren ſitzen im
anderen Zimmer und jpielen Karten.”
Büder.
Otlo Ludwigs geſammelle Schriften,
herausgegeben und eingeleitet von Adolf
Stern und Erich Schmidt. (F. W.
Grunow in Leipzig.) Auf 30 Lieferungen
und 6 Bände berechnet. Wie groß aud
das Anſehen geweſen ift, das fih Otto
Ludwig bei Lebzeiten mit jeinen wenigen
aufgeführten Dramen und mit jeinem er:
zählenden Meifterwerfe „Zwiſchen Himmel
und Erde“ erworben hat, jo treten dod
der ganze Erfindungsreihihum, die Fülle |
geftaltender Kraft und die Tiefe der Welt:
und Menſchenkenntnis, die dem thüringi—
Ihen Dichter eigenthämlih geweſen find,
erft in diefer Ausgabe ganz hervor. Im
Verein mit den Tichtungen „Der Erb:
Frzählungen „Jwifhen Himmel und
Erde" und „Die Heiteretbei und
ihr Widerfpiel”" werden bier nidt nur
die ſeitdem gedrudten, aber wenig belannt
gewordenen Dramen „Das Fräulein
von Scuderi* und „Die Rechte des
Herzens”, jondern vor allem eine ganze
Reihe jeither ungefannter Schöpfungen des
ı Dichters veröffentlicht, durd; die das mäch—
ı tige, tiefinnerlide Talent Otto Ludwigs
in eine ganz neue Beleudtung tritt, und
die den Entwidelungsgang der großange:
legten Natur poetiſch ifluftrieren. Ein flüch—
tiger Einblid in die bis jest vorliegenden
| Bände genügt, um erlennen zu lajien, daſs
das Neue, was zum Belannten geboten
wird, nicht mit den vielfach wertlojen Über:
bleibjeln verwechjelt werden darf, die man
jonft aus dem Nadhlais großer Schrift:
ſteller zuſammenkehrt, jondern dais hier
ein ähnlicher Fall, wie bei Heinrih von
Kleift vorliegt, der im Leben und unmit—
telbar nad jeinem Scheiden nur zur Hälfte
gewürdigt und faum zur Hälfte erfannt war.
V.
Schopenhauers Werke. Geſunde, geiſtes—
normale Menſchen ſollen keine Philoſophen
leſen, weder alte noch neue, weder Opti—
miften, noch Peſſimiſten. Das Nachgrübeln
über Urſprung und Zwech der Welt, des
Menſchen u. ſ. w. taugt nicht. Das Natur—
weſen denkt nicht, warum es lebt, es lebt
einfach und die Philoſophiererei iſt ſchon
‚eine Entartung. Glückliche Menſchen philo—
ſophieren nicht viel und philoſophierende
Menſchen find ſelten glüdlid.
Ta wir aber bei unſerer „Bildung“
ſchon einmal jo weit gelommen find, und
"jedes Feitungsblatt uns Feten von aller:
hand Geift und Grienntnis ins Haus
bringt, da jeder für ungebildet, ja jogar
für dunm gilt, der da nicht mitfpreden
fann, und da mander wirklich den Drang
in fi gewedt fühlt, zu willen, was große
Geifter wujsten oder zu willen glaubien,
io ift es jhon am beiten, alles zu leien,
'wo möglih ſich aber von nichts beein—
fluffen zu laſſen. In der That hebt ja ein
Buch das andere auf, zerftört der Eindrud
des einen den des andern; freilih it in
der Seele des Lejers damit aud der Bold-
ftaub des Urſprünglichen, Ratürlichen weg.
Dieſer iſt eben einmal weg und fo iſt nichts
zu verderben. Wer jo vieles Andere, jo
vieles „Moderne* gelejen bat, der joll nur
auch den Schopenhauer leſen; einigen bat
er zwar Schlecht belommen, anderen wieder
gut, am beiten denen, die fih von ihm
nicht unterlriegen ließen, denn dieſe wur:
949
den ihm „Über“. Der kluge Leſer wird's
ihon erfahren, wie das gemeint ift.
Bei Dtto Hendel in Halle a. d. ©.
it von Schopenhauers Werten cine außer:
ordentlih billige Ausgabe erichienen, der
große Beifimift wird hunderttauiendfad in
das Volk geworfen. Wir jagen nit, hütet
euch! mir jagen nur: leſet ihn, aber laſſet
ihn nicht zu tief in euer Derz hinein, ſo—
fern er nicht ſchon drinnen tft. Denn man
hat immerhin einige Zeit zu thun, bis der
Dorn fih wieder herausgeeitert hat. Doch
dringt er nicht ganz fo tief hinein, als man
glaubt, Manchem frivolen Weltfinde ift
aber jolder Dorn recht heilſam. Aus dieſem
Grunde läjst der „Heimgarten* den Mann
des Weltſchmerzes auch bisweilen zu Worte
fommen, M.
Der Student von Padua, — Die pro—
motion. -— Eine gute Haut. Bon Arnoldo
Fuſinato. Autorifierte Überſehung von
Friedrich Adler (Mr. 510 der „Bibliothet
der Geſammtliteratur“. (Otto Hendel,
Halle a. d. ©.) Ber Berfafjer diefer in
einer vorzüglichen Überfegung vorliegenden
Dichtung ift einer der populärften Männer
Staliens, der fein ganzes Leben lang
(f 1888) mit fieghaftem Spott für jein
Jdeal, die Einheit des Waterlandes, ge:
ftritten hat. Zwar läjst die launige Schil—
derung des italieniihen Studentenlebens
zur Zeit der Vierziger Jahre nichts von der
Wucht feiner Satire, die ihn fo oft zum
gefürchteten Gegner machte, erratben, doch
lernen wir aus den mit ehtem Humor ge:
wärzten Berjen des „Studenten“, Die zu
dem beften gehören, was er im dieſer Art
geihrieben hat, immerhin die hohe dich:
teriiche Bedeutung dieſes Mannes kennen.
V.
Brieſe aus meiner Mühle Bon Als
phonje Daudet. Deutih von Th. Berg:
feldt (Nr. 517, 518 der „Bibliothel
der Geſammtliteratur“. Otto Hendel,
Halle a. d. ©.) Mehr noch als aus jeinen
Romanen, ja im jcheinbaren Gegenjah zu
denjelben, lernen wir aus den vorliegen:
den reizvollen, eines tiefen ethiichen Ge:
haltes nidt entbehrenden Plaudereien Die
optimiftiiche Weltanihauung des befannten
Autors fennen; er überfieht nicht die dunf:
len Seiten des menſchlichen Charakters,
aber jelbft im Häjslihen findet er noch ein
Element des Guten, das einen verföhnenden
Schimmer über das Abſtoßende breitet, Die
land nod nicht jo befannt, wie fie es ver—
dienten. V.
Unterwegs. Schilderungen und Natur:
anfichten von den beliebteiten Reifewegen.
1. bis 3. Bändchen. (Die Salzlammergut:
bahn. — Die Salzburg: Tirolerbahbn. —
Die Urlbergbahn.) Bon U. v0. Schweiger:
Lerhenfeld. (Hartlebens Verlag in Wien).
Obwohl an Reijebühern fein Mangel it,
führt fi die vorftehend genannte Gollection
in jo vortheilhafter Weile ein, das fie die
allgemeine Beachtung verdient, und zwar
in mehr als einer Beziehung. Zunädft it
hervorzuheben, dafs die Bändchen friſch und
anmuthig geichrieben find und eine jehr
anregende Lectüre darbieten, Bei aller Sad:
lichfeit wird vielfad der Plauderton ange:
ihlagen. Ein weiterer Vorzug der Bändchen
ift die Abgrenzung der geſchilderten Gebiets
nah Eijenbahnlinien, wobei jedes nächſt—
folgende Bändchen an das vorhergehende
anſchließt, wodurd dem Leier ein ausführlich
durcdgearbeitetes Material in die Hände
gelegt wird. Die drei vorliegenden Bändchen
find mit 150 Abbildungen geihmüdt. Die
Abſchnitte über Gmunden, Iſchl, Aus:
fee, über Gaftein und Zell am See,
über den Uchenjce, Innsbrud und die
mannigfaden Schauftüde der Arlberg:
bahn find Gabinetäftüde der ae
ſchilderung.
Schweizeriſche Rundſchau, herausgegeben
von Orell Füßli in Zürich und Prof.
Dr. Vetter in Bern, nennt ſich eine neue
Monatszeitfchriit, welche „ein Spiegelbild
des geiftigen Lebens im jchweizerijchen
Baterlande bieten und einen Bermittlungs:
dienft leiften will zwiſchen der Gedanten:
arbeit der durch Sprade und Politik ges
jhiedenen Bollstheile der Schweiz und des
flamm: und gejinnungsverwandten Aus:
landes*. In der That ein ſchönes Piel.
Es fteht zu erwarten, dajs das verdienft:
volle Unternehmen bald die Zahl feiner
jest ſchon zahlreichen Freunde fi ver:
vielfadhen jehen wird. Die uns vorliegenden
Hefte entiprecden dem Programme. V.
Unter fünf Rönigen und drei Raifern.
Unpolitifhe Erinnerungen einer alten Frau.
Bon Thella von Schober. Zweite Auf:
tage. (Ologau. Carl Flemming. 1891.)
„Briefe aus meiner Mühle“ find in Deutjch: | Diefes Bud mag wohl vor Allem für
Norddeutihe von Intereſſe fein, enthält!
450
Tünf Erzählungen für Jung und Wit
aber doch manches, was auch unjere jüd: | von Hermine Möbius. Mit 4 Boll:
licheren Frauen gerne lefen dürften. M.
Die auf den Menfden übertragbaren
Parafiten der Yausihiere. Vortrag von Dr,
Yudmwig von Graff. (Graz. Leuſchner &
LZubensty. 1891.) Auf diefes in feiner Art
ſehr wichtige Werlchen maden wir auf:
merliam. Bejonders wird in demjelben den
Hundebeſihern mandes beberzigensmerte
Wort gejagt. M.
Generalkarte von Schweden, Hormegen,
Dünemark etc. (Blogau, Karl Flemming.)
Mahftab 1:3000.000, Auf der Höhe der
modernen fartographiihen Technik ftehend,
erfüllt die Karte alle PVedingungen, die
man an ein vollendetes Merk ftellen darf.
Durchaus correct in der Zeichnung, ſcharf
und Har in Drud und Nomenklatur, leb—
baft und angenehm in der Farbengebung,
welche Länder und Grenzen ſcharf ausein:
anderhält, bietet dieſe faſt plaftiih ausge:
führte Karte einen überraichenden Reich—
thum von Angaben, j
Dem „Heimgarten” ferner zugegangen:
Deutfhe Welt: und Tebensanfhauung
begründet durch den Verſuch einer neuen
Lehre von den fittliden Ericheinungen von
Dr. Bruno Brudner (Berlin. Adolf
Neinede. 1891.)
Vorausſichtlich unmiderlealihe Behaup:
tungen über die Nothwendigkeit und Möglid-
keit der Teſtſtellung der Wahrheit. Bon
M. Rovin. (Trautenau.)
Die erlebten und Literarifhen Grund—
lagen von Goethes „Klavigo“. Bon Prof.
Emil Soffe, (Brünn, Carl Winiler.)
Berihold Schwarz.
Traueripiel von
bildern vom Maler Bartid. (Dresden.
u. Köhler.)
Gefhichten aus dem Leben, Kurze Er—
zählungen aus dem Volksleben von Yofef
% Stolz. Neue Folge (Wien. U. Hart:
leben. 1891.)
Der Zauber des Bodelhals. Ein Harz:
märden von E. Föriter. (Quedlinburg.
Gar! Boges. 1889.)
Prinzels Dife. Märchen von €. Förſter.
(Halberitadt. 3. Schimmelburg’ihe Ber:
lagshandlung. 1890.)
Der hinkende Teufel. Bon Le Sage.
Deutih von Friedrich Gleih. (Halle a. d.
S. Otto Hendel.)
Bortüfe, Bon Moliere. Deutih von
Eduard BDuller. (Halle a. d. ©. Dtto
Hendel.)
Aus der Mappe eines Bolksfreundes.
Lehrreiche Erzählungen und luftige Schwänke
vor Jo. Wichner. (Wien. Heinrich Kirſch.)
Germania. Deutjche Dichter der Gegen—
wart. Herausgegeben im Wuftrage der
National Exhibition Association Ltd. Bon
Guftav Dahms. (Berlin. Gebr. Paertel.
1891.)
Bergluft. Neue Gedichte und Sprüche
in Odenwälder Mundart von Georg
Bolt. (Offenbach a. M. Th. Steinmeg’:
ihe Hofbudhhandlung. 1891.)
Wiener Humor. Sammlung der beiten,
meift neuen humoriftiihen Vorträge und
bramatifchen Gelegenheitsjadhen für Damen
und Herren. Derausgegeben von E. A.
Frieſe. II. Serie. (Wien. C. Daberlow )
Variationen Über das Thema „Saure
am Klavier“. Nahdidiungen von Ulrich
Klein. (Charlottenburg. Alfred Michow.
1891.)
Aus dem deulſch-böhmiſchen Elbegau.
Lieder und Sprüche von Th Held.
(Warnsdorf. E. Strade.)
Trautenau 1866. Erinnerungen, Erleb—
niſſe und Schriftſtücke aus dem ſtriegsjahre
Johann Unzengruber. (Wien. D. H.|in und bei Trautenau. Bon Dr, Bern:
Weichelts Verlag.)
Roman von
(Stuttgart.
Unter füdlihem Himmel.
Ferdinand Scifforn.
Teutihe Berlagsanitalt.)
Hedda. Roman von Hojepbine!
Gräfin Shwerin. (Davos, Hugo Rich—
ter, 1891.)
kenden Boten
hard Bauer. (Trautenan. I. Bamberger.
1891.)
Großer DVolkskalender des Lahrer Hin-
fur 1892. (Lahr. Moritz
Schauenburg.)
Tremdwörterbud. Lexikon füür Fremd—
wörter und fremdſprachliche Redensarten
—
951
des Deutſchen. Von Dr. Erwin Rex— Kein freundlides Herz mög’ in:
(Verlag für Sprach- und Handelswiflens | zwiſchen vergefien: Die liebenswürdigſte,
ihaft 1891.) ausdauerndfte Geſellſchaäfterin und Lehrerin
2 der Völker war zu allen Zeiten die ein—
Die Holzbrandtedhnik in allen ihren hildſame Denfart oder, was dasſelbe iſt,
Anwendungen. Mit Berüdfihtigung Des die freudig mittheilende, finnreiche Phan—
Brennens auf Leder und Stoff. Anleitung |tafie — ſinnreich und ſieghaft Yon dlion
für Dilettanten. Von Oskar von Sa: |pis Weimar!
bransfi. Mit 9 Abbildungen. (Hartleben, | Der „Freien deutſchen Geſellſchaft für
Wien.) | Literatur“ viel Glüd zu ihren Beitrebungen !
Iwanzigfier Iahresberigt über die k. k.
Oberrealſchule in dem II, Besirke won Wien. |
Beröffentiht am Schluſſe des Studien: |
jahres 1890/91 von Wilhelm Kufula. !
(Wien. Verlag der E. f. Oberrealihule im
II. Bezirke. 1891.)
Im Monate Mai des Jahres 1891
bat jih in Wien unter dem Namen „Iduna“
eine „Freie deutiche Geſellſchaft für Literatur”
gebildet. Den Vorſtande gehören an: als
Ghrenpräfident Derzog Elimar von Olden:
burg, Präfident Karl Brudniof, Präfident:
Stellvertreter Fri Lemmermayer, Secretär
Franz' Chriſtel, Schriftführer Karl Maria
Heidt, Caſſier Guido Lift, Beiräthe Fercher
v. Steinwand und Peter Philipp. In der
Gründungsverfammiung hat der Alters:
präfident Ferder v. Steinwand den med
der Geiellihaft dargelegt und bei dieſer
Gelegenheit bemertt: „Wir find feine
Partei, befaffen uns als Gejellihait mit
feinem Warteifriege und haben gelernt,
jede Nationalität, jede Neligionsform zu
achten. Als unjere Aufgabe jegen mir feit:
die Hut und die Pilege des edlen deutichen
Ausdrucks ohne irgendwelchen Beigeihmad
von Leichtſinn und Selbfterniedrigung.
Mas uns auh durch Menichen und Ber:
hältniſſe beichieden ſei: ſtets reell auch ohne
Nealismus, oder zu deutich, ſtets weſen—
haft ohne Weſens- und Verweiensprunf
daS jei der Stern unjerer innerlichen
Wanderung !*
Und weiter heißt es: Bildung ift nod
feine Lüge, Sitte noch lkeine Heuchelei,
Realismus noch feine Wahrheit. Denn die
Wahrheit ift eine Tochter der Ginfiht und |
des Gemüthes und ihre Erzieherin ift die
Wiſſenſchaft. Wahr fein heißt zugleich gut
fein, heißt zugleih ſchön ſein. Die Schön:
beit und die Güte find der Leib und das
Leben der Wahrheit, =, Syrus Au oder das
wahre Sein, Chne die Schönheit und die
Güte ift die Wahrheit das — Nichts, Nihil!
Gür die Hebaction verantwortliid F. A.
ı Poftkarten des „Heimgarten‘“,
|
* Rührt fih niemand in Steiermarl,
daſs aud der heimische Dichter Gottfried
Ritter von Leitner ein Denkmal befomme ?
Nicht prunlooll und Hoftipielig, jondern
fhliht, wie der Tichter war, und monu:
mental, wie feine Lieder und Balladen es
find, io denke ih mir Leitners Denkmal.
Die Steiermark wird fi nur ſelbſt ehren,
wenn fie einem der edeliten ihrer Söhne
ein fihtbares Zeichen der Erinnerung *
a
| * Eine immer mehr um fi greifende
Unfitte iſt es, von befannten Perjönlichleiten
Privatbriefe der Oftentlichleit zu übergeben.
Ohne beiondere Erlaubnis des Brief:
ichreibers iſt ſolches nicht geftattet.
O. U., Laibach: G. Volk jagt in feiner
CO denwalder Mundart:
Ebb mich die Leut Liewe,
Is ıbr Sach;
Dais ſe mich achte,
I mei Sad.”
Zu Ihrer Erinnerung.
*Für alle Beweije von Wohlgefiunung
| und Freundſchaft, die dem Herausgeber
dieſes Blattes anläfslih des 31. Juli aus
Nah und Fern zugegangen find, jei hiemit
der verbindlichfte Dank gelagt.
|
* Yım Gedichte „Die goldene Flöte“
(Juliheft) mujs es anftatt „o Buß“ heiken:
|,o Luft".
| * Mir eriuden, unaufgefordert uns
feine Manuferipte zu ſchicken. Es ift uns
nicht möglich, unverlangte Ginjendungen zu
| berüdfihtigen.
| $. M., Wien: Im nächſten Jahr:
gange. Auf Wiederjehen!
Boſegget. = Truderei Leytam“ in Gray.
An die Lofer des Heimgarten.
Mir find in der Lage mitzutheilen, daſs P. K. Rojegger
einen nenen Banern-Roman vollendet hat, welcher unter dem Titel: „Ein
Rebell, Geſchichte aus deutſcher Deldenzeit“, im mächften Jahrgange
erfcheinen wird. Diefes Werl, in welchem merkwürdige Thaten und
Creigniffe erzählt werden, und im welchem berzerfreuender Humor mit
erjchütternder Tragit harmoniſch abwechjeln, beginnt ſchon im nächſten Hefte
des Heimgarten.
Ferner kündigen wir eine größere Original-Erzählung von Robert
Hamerling an, welche durch ihren Inhalt und ihre claſſiſche Form
Aufmerkſamkeit erregen dürfte.
Meitere interejfante Original- Beiträge erzählender, dramatischer, ſchil—
dernder und pilofophifcher Art von Adolf Bihler und Heinrich No,
fowie von Hans Grasberger, Carl Morre, Joſef Lewinzsfn,
Hans Maljer, Karl Reuterer, Rihard Graf Sermage,
Theodor Bernalefen, Karl Wolf und anderen werden dem folgenden
Jahrgange zur befonderen Zierde gereichen.
Der Heimgarten wird unter der Leitung und Dauptmitarbeiterichaft
P. K. Rojeggers auch in Zukunft feine gefunde, erfrifchende Eigenart
bewahren.
Die Perlagshandlung.
2101 065278903
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