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Full text of "Die Methodik der praktischen Arithmetik in historischer Entwickelung vom ausgange des Mittelalters bis auf die Gegenwart"

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1887 



Beträge 
M I -\ 



Tage 



Deb. Cred 



Zahlen 



Deb. Cred. 



Juli 1 



n 



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5 



14 



Aug. 10 



26 



Sept. 15 



D 2542 
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80 



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C 2000 



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D 802 
C 2735 



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C 1843 
ü 1000 



12 



30 



Okt. 18 



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1) 1215 



12 

04 



1) 372 

C 304 



52 
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24 



Nov. 1 



Febr. 15 



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20 



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1) 567 

0 240 



92 



D 327 
D 750 



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I) 1077 
C 463 



92 
58 



1) 614 34 
D 391 36 



D 1005 70 
C 350 



Vom 1. Juli Ins 5. Juli 



„ 5. Juli „ 14. Juli 



„ 14. Juli „ 10. Aug. 



„ 10. Aug. „ 26. Aug. 



„ 26. Aug. w 15. Sept 



„ 15. Sepl „ 30. Sept. 



„ 30. Sept. „ 18. Okt. 



„ 18. Okt. „ 24. Okt. 



„ 24. Okt. „ 1. Nov. 



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9 



26 



1. Nov. „ 31. Dec. 



„ 31. Dec. „ 15. Febr 



„ 31. He . „ 20. Febr. 



„ 31. Dec. „ I. Hirz 



15 

18 

6 

7 

50 
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10 



127 



260 



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636 
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50 



Die Methodik der praktischen 
Arithmetik in historischer ... 



Lredum 
Zinsen 774:72 — 10,75 M 



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0 Cx.- 

DIE METHODIK 

DER 

PRAKTISCHEN ARITHMETIK 

IN 

HISTORISCHER ENTWICKELUNG 

VOM 

AUSGANGE DES MITTELALTERS BIS AUF DIE GEGENWART 

NACH DEN OUIGINALQUELLEN BEARBEITET 

VON 

FRIEDRICH UNGER, 

OIIKRI.KUHEK AN DKK KKA LSl IU'l-K ZU I.KI l /.Ill -UKCDN 11 Z. 




LEIPZIG, 

DRUCK UND VERLAG VON IL O. TKURNEK. 

188«. 



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"Wer in einer Kunst Meister worden will, studiere 
deren Geschichte. Ohuo historische» Fundament bleibt 
alles Können unvollkommen und das Urteil über dio 
Erscheinungen der Gegenwart unsicher und unreif. 



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Vorwort. 



Historische Nachrichten müssen verbürgt sein. Unter steter Beobach- 
tung dieses obersten Grundsatzes eines gewissenharten Geschichtsschreibers 
ist vorliegendes Werk entstanden und trägt daher im Gegensalze zu 
mancher Schrift der Neuzeit keinen kompilatorischen Charakter. Der Ver- 
fasser stützt sich für den behandelten Zeitraum durchweg auf die Original- 
quellen. Er hat keine Mühe gescheut und kein Mittel unversucht gelassen, 
dieselben aufzusuchen und sich zu verschaffen. Die Mühe war reichlich 
belohnt; denn durch das sorgfältige, umfassende Quellenstudium wurde er 
in den Stand gesetzt, die bezüglich r des bearbeiteten Themas bereits be- 
kannten Resultate wesentlich zu ergänzen und viele, selbst von Autori- 
täten begangene und von Kompilatoren nachgeschriebene Irrtümer zu be- 
richtigen. So sind beispielsweise diejenigen Partien, welche dem rein 
kaufmännischen Rechnen angehören, bisher von allen Historikern vernach- 
lässigt worden, und die ersten gedruckten Rechenbücher haben die meisten 
garnicht gesehen; über das älteste (Wagners Rechenbuch 1482) steht 
noch nirgends eine Nachricht, dasselbe aufgefunden zu haben ist ein 
Verdienst des Verfassers. 

Die Berichtigungen sind meist stillschweigend geschehen und es ist 
nicht immer und immer gesagt: dort und dort steht irrtümlich so und so. 
Nur bei Vorführung der ältesten gedruckten Rechenbücher hat sich der 
Verfasser die Mühe genommen, eine Anzahl von den bekanntesten Historikern 
zu nennen, welche Widmanns „Behede vnd hübsche Rechenung" 1489 
als das älteste deutsche Rechenbuch bezeichnen. Bei hinlänglicher Be- 
nutzung der bibliographischen Hilfsnüttel hätten jedoch alle wenigstens 
Kenntnis haben können von dem „Rechenpüchlein", welches Petzensteiner 
1483 zu Bamberg druckte. Der Leser wird darin einen Beweis erblicken 
für die grofse Vertrauensseligkeit, mit welcher einer die Resultate des 
andern hingenommen hat, was freilich leichter und bequemer ist als das 
Aufsuchen und Herbeischaffen der ersten Quellen. Wie mühevoll, zeit- 
raubend und mitunter auch kostspielig dieses Geschäft ist, wird derjenige 
wissen, der jemals nach Inkunabeln gesucht hat. — Bei großen Selteti- 

a* 

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IV 



Vorwort. 



heilen ist der Fundort angegeben, womit manchem ein Dienst geleistet 
sein wird. 

Liefe es demnach der Verfasser einerseits au Quellenstudium nicht 
fehlen, so suchte er auch der andern Pflicht eines Historikers zu ge- 
nügen, indem er die Vorarbeiten andrer gehörig würdigte, und er glaubt, 
in dieser Hinsicht jedem das Seine gelassen und keinem den Flcifs der 
Nächte geraubt zu haben. Ungeprüft wurde, soweit thunlich, keine An- 
gabe hingenommen. 

fn den gelegentlich beigebrachten historischen Nachrichten für weiter 
zurückliegende Zeiten hat sich der Verfasser meist auf Cantor (Vorlesungen 
über Gesch. der Math. 1880 I) gestützt. Dieser um die Geschichte der 
mathematischen Wissenschaften hochverdiente Gelehrte dürfte allen als 
sichrer Gewährsmann hinreichend bekannt sein. 

Unzweckmäßig wäre es, das Thema für eine Schulgattung allein, bei- 
spielsweise für die Volksschule zu stellen; das würde eine einseitige Be- 
handlung ergeben. Umfang und Auswahl des Stoffes richten sich stets 
nach dem vorhandenen Bedürfnisse, und dieses war zu verschiedenen 
Zeiten und an verschiedenen Orten ein sehr verschiedenes. Wie von 
einander abweichend sind nicht gegenwärtig in den bestehenden Schul- 
gattungen und selbst in . Schulen einerlei Gattung Ziel und Methode des 
Rechnens! Das Thema mufs in seiner Allgemeinheit bearbeitet werden. 
Im Laufe der Zeit haben sogar die Schulgattungen gewechselt, welche als 
die jeweilig vorzüglichsten Pflanzstätten der praktischen Arithmetik zu 
nennen sind. Die lateinischen Schulen haben sich dieses Ruhms niemals 
erfreut, ihn auch nie erstrebt und werdcn's wohl auch nimmer Ihun. Am 
Ausgange des Mittelalters und Anfang der Neuzeit konnte die Rechenkunst 
nur in den Rechenschulen erlernt werden. Gar langsam und mit sehr 
bescheidnen Anforderungen bürgerte sich dieses Unterrichtsfach in den 
Volksschulen ein, ging dann als Hauptfach auf die Realschulen über, und 
jetzt laufen die Handelsschulen im Rechnen allen übrigen Schulen den 
Rang ab. 

Es sind drei Perioden abgegrenzt worden: In der ersten bis ca. 1700 
war der Mechanismus, das Operieren nach gegebenen Regeln verbunden 
mit der dogmatischen Lehrart, vorherrschend; in der zweiten (1700 bis 
1800) begegnen wir dem Rechnen mit Betonung der Gründe, und in der 
letzten sucht man durch Aufstellung von Principien der Methodik des 
Rechenuntcrricbts eine sichere Grundlage zu geben. An äufserem Um- 
fange übertrifft die erste Periode die beiden andern; die Notwendigkeit 
dazu liegt in dem Umstände, dafs für jenen Zeitraum neben der Methode 
auch der Stoff darzulegen war, um damit zu zeigen, aus welchen Anfängen 
die heuligen Resultate erwachsen sind. Für die folgenden Zeiten war es 



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Vorwort. 



in unlieb, nur die neuen und hauptsächlichsten Erscheinungen heranzu- 
ziehen, und der Verfasser begnügte sich, die Marksteine der Entwickelung 
zu bezeichnen. 

Weil die Geschichte eines einzelnen Unterrichtszweiges nur völlig 
versländlich wird in Verbindung mit der Geschichte der gesamten Päda- 
gogik, so ist für jeden Abschnitt mit kurzen Worten derjenigen Faktoren 
gedacht worden, deren Vorhandensein und gehöriges Zusammenwirken 
einen wohlgeordneten Schulorganismus bedingen. Auch diese Partien sind 
mit urkundlichen Stellen belegt worden; und die hier gegebene Übersicht 
über den Schulbestand im Reformationszeitalter wird hoffentlich auch ge- 
eignet sein, auf verschwommene und irrtümliche Meinungen über die 
Schulverhältuisse jener Zeit klärend und berichtigend zu wirken. 

Somit ist die ganze Darstellung geworden zu einer Summe von 
Wahrheiten, welche dokumentiert sind, wovon sich der aufmerksame Leser 
leicht selbst überzeugen wird. 

Die schicklichste Einleitung zu dem Werke wäre ein kurzer Über- 
blick über die Entwickelung der Rechenkunst von ihrem Ursprünge bis 
ins Itcformalionszeitalter. Dieselbe wird jedoch an dieser Stelle unter- 
drückt, weil der Verfasser selbst schau in einer Programmschrift (Real- 
schule, Leipzig-Reudnitz 1883) die Haupterscheinungen aus der Geschichte 
der elementaren Arithmetik von den frühesten Zeiten bis zur Wende des 
15. Jahrhunderts in übersichtlicher Darstellung vorgeführt hat. Da ge- 
nannte Abhandlung ursprünglich nicht selbständig, sondern in Verbindung 
mit dieser Arbeit erscheinen und demgemäfs nur einen einleitenden Cha- 
rakter tragen sollte, so war dazu das Zurückgehen auf die ersten Quellen 
nicht absolute Redingung, und es sind dort deshalb auch die Forschungen 
andrer benutzt worden. 

Am Schlüsse dieses Vorworts möchte es der Rerichterstatter nicht 
unterlassen, seinen wärmsten Dank auszusprechen gegen alle Ribliolheks- 
vorstände, welche ihm nicht allein den Zugang zu den Bibliotheken bereit- 
willigst eröffnet und die Benutzung selbst der kostbarsten litterarischen 
Schätze ermöglicht, sondern ihn auch in liebenswürdigster Weise durch 
eingehende Beantwortung von oft sehr belangreichen Anfragen wesentliche 
Dienste geleistet haben. 

So ist der Verfasser denn bemüht gewesen, mit diesem Werke der 
Wahrheit einen Schrill näher zu kommen, was ja der eine Zweck jeder 
wissenschaftlichen Arbeit sein soll. Den praktischen Zweck, der zugleich 
mit verfolgt wurde, wird dem Leser das Motto sagen. 

Möge das Werk freundliche Aufnahme linden und Segen stiften! 

Der Verfasser. 



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Quellen. 



a) Zur mathematischen Bücherkenntnis. 

Christ. Wolf, Kurtzer Unterricht von den vornehmsten math. Schriften, 1750. 

Scheibel, Einleitung zur math. Bücherkenntnifa, 1769—1787. 

Panzer, Annalen der älteren deutschen Litteratur, 1788 — 1806 

Panzer, Znsätzo zu den Annalen d. ält. d. Litt., 1802. 

Murhard, Litteratur der math. Wissenschaften, 1797. 

Hain, Kepertorium bibliographicum , 1826—1838. 

Grässe, Lehrbuch einer allgem. Literärgeschichte Ii, 2, 2 S. 850—855, 1837 — 1842. 
Enal in, Bibliothek der Handlungswissenschaft, 1846. 

b) Für biographische Nachrichten. 

Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematieis und 

Künstlern, 1730. 
Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, 1750 — 1751. 

Dunkel, Historisch kritische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten und.ihren 

Schriften, 1763—1757. 
Buck, Lebensbeschreib. der verstorb. preufs. Mathematiker, 1764 (als Buck I 

citiert). 

Buck, Nachrichten von dem Leben uud den Erfindungen dor berühmtesten 

Mathematiker, 1788 (als Buck II citiert). 
Poggendorff, Biographisch literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der 

exakten Wissenschaften, 1863. 
Allgemeine deutsche Biographie. 

c) Vermischten Inhalts. 

Schmidt, Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens. 
Ersch u. Gruber, Allgemeine Encyklopädie d. Wissenschaften u. Künste. 
K. v. Raumer, Geschichte d. Pädagogik, 4. Aufl. 1872. 
Vormbaum, Evangelische Schulordnungen, 1860 — 1864. 
Joh. Müller, Vor- und frühreformatorische Schulordnungen, 1885— 188C. 
Job. Müller, „Quellenschriften" in Kehr, Geschichte der Methodik, 1882 IV. 
Sorapeum, Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft, Handschriftenkunde und 
ältere Litteratur. 

Fischer, Beschreibung einiger typographischen Seltenheiten, 1800—1803. 
Süfsmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen 

Geschlechts, 4. Aufl. 1775. 
Schiebe, Universallexikon der Handelswissenschaften, 1837. 
Noback- Steger, Allgemeine Encyklopädie für Kaufleute, 1864. 
Schiebe- Odermann, Die Contorwissenschaft, 7. Aufl. 1871. 



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Quellen. 



Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute, 26. Aufl. 1880. 
Mone, Zeitschrift f. d. Geschichte des Oberrheins, 1851, 2. Bd. 
Heppe, Geschichte d. deutschen Volksschulwesens, 1868—1860. 
Heppe, Das Schulwesen des Mittelalters, 1860. 
Sohultheifs, Geschichte der Schulen in Nürnberg, 1863—18(7. 
Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 2. Aufl. J876. 
Faulmann, Illustrirte Geschichte d. Buchdruckerkunst, 1882. 

d) Für Geschichte der Mathematik im allgemeinen. 

Kästner, Geschichte der Mathematik, 1796—1800. 

Klügel, Mathematisches Wörterbuch, 1803 — 1831. 

Ofterdinger, Beiträge z. Gesch. der Math, in Ulm, 1867. 

Suter, Geschichte der math. Wissenschaften, 1873 — 1875. 

Hankel, Zur Gesch. d. Math, im Alterthum u. Mittelalter, 1874. 

Günther, Vermischte Untersuchungen z. Gesch. d. math. Wissenrchaften , 1876 

Günther, Beiträge zur Gesch. d. neueren Mathematik, 1881. 

Gerhardt, Geschichte d. Math, in Deutschland, 1877. 

Cantor, Vorlesungen über Gesch. der Mathematik, 1880, 1. Bd. 

Crelle, Journal f. d. reine u. angewandte Math. 

Zeitschrift für Mathematik u. Physik, Schlömilch-Kahl-Cantor. 

Zeitschrift f. math. u. naturwiss. Unterricht, Hoffmann. 

e) Für Geschichte der Arithmetik insbesondere. 

Job. Gottf. Büchner, Kurtzer Entwurff von der Historie der Rechenkunst^ 
Waldenburg 1719. 

Fried lein, Die Zahlzeichen und das elementare Rechnen der Griechen, Römer 
u. des christl. Abendlandes vom 7. bis 13. Jahrhundert, 1869. 

Wildermuth, Rechnen in Schmidts Encyklopädie, Bd. 6. 

Kuckuck, Die Rechenkunst im 16. Jahrhundert, 1874 (Progr. Gymn. graues 
Kloster Berlin). - [Kuckuck h ei fst jetzt Kallius.] 

Troutlein, Geschichte unsrer Zahlzeichen, 1875 (Progr. Gymn. Karlsruhe). 

Treutlein, Das Rechnen im 16. Jahrhundert, 1877. 

Stoy, Zur Geschichte des Rechenunterrichts, 1876 I (Dissertation). 

Weissenborn, Die Entwickelung des Zifferrechnens, 1877 (Progr. Eiseoach). 

Jänicke, Geschichte des Rechenunterrichts in Kehr, Geschichte d. Methodik 
Bd. 1, 1877. 

Villicus, Das Zahlenwesen der Völker im Alterthume u. die Entwickelung d. 

Zifferrechnens, 1880 u. 1881 (Progr. Staatsrealschule Wien). 
Günther, Gesch. des math. Unterrichts im deutschen Mittelalter bis 1525 in: 

Monumenta Germaniae Paedagogica, 1887, 8. Bd. 

f) Arithmetische Schriften. 
Scritti di Leonardo Pisano . . Vol. I: II Liber abbaci di Leonardo Pisano 

1202, publicato da Boncompagni Roma 1857. 
Jordan Nemorarius, Algorithmus demonstratus, ediert 1534 von J. Schoner. 
Pe urbach, Elementa Arithmetices. Gedruckt 1536 zu Wittenberg. 
Ulrich Wagner, Rechenbuch, gedruckt 1482 von Petzensteiner in Bamberg 

(Fragmente). 



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Quellen. 



„Rechnung in mancherley weya in Babenberg." Gedruckt von Petzensteiner in 
Bamberg 1483. 

Widmann, Behede vnd hübsche Rechenung auff allen kauffmanschaft .. . 1489, 

1508 und 1526. 
Lucas de Burgo, Summa de Arithmetica . . Venet. 1494. 
Algorithmus linealis, gedruckt von Lotter, Leipzig 1490. 

Algoritraus integrorum von Joh. Karl v. Landshut, gedruckt in Leipzig 1504. 
Balthasar Licht, Algorithmus linealis, bei Lotter, Leipzig 1509. 
Gregorius Reisch, Margarita philosophica, 1604. 
Joh. Boschenstey n, Ain New geordnet Rechenbiechlin . . . 1514. 
Jac. Köbel, Eyn New geordet Vysirbuch . . . 1516. 
„ „ Das new Rechepüchlein Wie man vff den Linien ... 3. Aofl. 1618 
(1. Aufl. 1614). 

„ „ Mit der Kryde od' Schreibfedern durch die zeiferzal zu reche . . . 
1620. 

,, „ Zwey rechenbüchlin: vff den Linien vnd Zipfer / Mit eym ange- 
henkten ViBirbuch . . . 1631 u. 1573. 
Grammate u s, Ein new künstlich behend vnd gewifs Rechenbüchlin, 1618 u. 
1572. 

Adam Riese, Rechnung auff der linihen . . in massen man es pflegt tzu lern 
in allen rechenschulen . . 2. Aufl. 1525 (1. Aufl. 1518). 
Rechenung auff der linihen vnd federn in zal / mafs / vnd ge- 
wicht auff allerley handierung . . 2. .Aufl. 1525 (1. Aufl. 1522). 
Desgl. Ausgaben von 1530 und 1574. 
,, ,, Rechenung nach der lengc auff der Linihen vnd Feder. Darzü 

forteil vnd behendigkeit . . 1550 und 1611. 
Ein Gerechent Büchlein auff den Schöffel / Eimer vnd Pfund- 
gewicht, 1636. 

Christoff Rudolff, Künstliche Rechnung mit der Ziller vnd mit den Zal- 

pfennigen . . 1574 (1. Aufl. 1526). 
Apianus, Eyn newe vnd wolgegründte vnderweysung aller Kauft'mannfsrech- 

nung, 1527. 

Joh. Brandt, Kvnstliche Rechenung mit der Zyffern vnd Pfennigen, 1532. 

Wül ekle, Die Wälscb practica, 1536. 

Eysenhut, Ein künstlich Rechenbuch, 1538. 

G emma-Frisius, Arithmeticae practicae Methodus facilis, 1540. 

Joh. Albert, New Rechenbücblein auff der Federn, 1544. 

Leonhard II egelin, Ein künstlich Rechenbuch auf Ziffern, 1544. 

Joh. Obers, Newgestelt Rechenpüchlin, 1545. 

Stifel, Arithmetica integra, 1544. 

„ Deutsche Arithmetika, 1545. 

„ Die Coss Christoff Rudolffs, 1563. 
J. Fischer (Piscator), Ein Künstlich Recheubüchlein, 1569. 
Pet. Ramus, Arithmeticae libri duo, 1581. 
Tartaglia, General trattato de numeri et misure, 1657 — 1560. 
Jac. Frey, Exempelbüchlein allerley Kaufmannshandel betr., 1669. 
Joh. Otto, Calculator, 1679. 

Isaac Riese, Ein neues nutzbar gerechnetes Rechenbuch, 1580. 
Clavius, Epitome Arithmeticae Practicae, 158.1. 



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Quellen. 



IX 



Joh. Krafft, Ein neues vnd wohlgegründtes Rechenbuch, 1692. 
Simon Stevin, Los oeuvres mathematique3 . . . par Albert Girard, Loy den 1634. 
Ch. Müller, Rechenbuch, 1640 (1. Aufl. 1603). 
Herwart v. Hohenburg, Tabulae Arithmeticae, 1610. 
Schwenter, Deliciae Pbysiko-Mathematicae . . 1686 und 1677. 
Reyher, Arithmetica, 16. Aufl. 1714 (1. Aufl. 1663). 
* Zubrodt, Vnderricht der Wechselhandlung, 1669. 
Beutel, Arithmetica, 7. Aufl. 1693 (1. Aufl. 1668). 
Siegmann, Resolvir- und Wechselbüchlein . . 1669. 
Ch. Schessler, Arithmetischer Hauptschlüssel , 1692. 
Wendler, Arithmetica practica, 1698. 

Rademann, Der Stadt Hamburg stete Blühender Wechselbaum, 1698. 

Sturm, Kurtzer Begriff der gesammten Mathesis, 2. Aufl. 1710. 

Ch. Wolff, Anfangsgründe aller math. Wissenschaften, 2. Aufl. 1717. 

„ „ Auszug auB den Anfangsgründen aller matb. W., 1713 u. 1724. 

„ „ Elementa Matheseos universae, 9. Aufl. 1730 (1. Aufl. 1713). 
Ch. Clausberg, Licht u. Recht der Kauffmanschaft . . 1724 — 1726. 

„ „ Demonstrative Rechenkunst, 4. Aufl. 1772 (1. Aufl. 1732). 

Polack, Mathesis Forensis, 2. Aufl. 1740 (1. Aufl. 1734). 
Kästner, Anfangsgrunde d. Arithmetik, Geom. u. Trig. 1768. 

„ Fortsetzung der Rechenkunst, 1786. 
Kruse, Allgemeiner u. besonders Hamburgischer Kontorist, 1761. 
Nelkenbrechers Taschenbuch f. Münz-, Mafs- u. Gewichtkunde, 1799. 
Pescheck, Vorhof der Rechenkunst, 9. Aufl. 1736. 
„ Italiänische Rechenstunden, 6. Aufl. 1762. 
„ Arithmetischer Hauptschlüssel, 1741. 
de Rees, Allgemeine Regel der Rechenkunst, 6. Aufl. 1787. 
Schmalzried, Anleitung zur Reeaischen Rechnung, 2. Aufl. 1786. 
Hübsch, Arithmetica Portensis, 1748. 
Creuzberger, Vollständiges u. gründl. Rechenbuch, 1764. 
Wilborn, Der wohlunterwiesene europäische Negociant, 1773. 
de Florencourt, Abhandlungen aus d. jurist. u. politischen Rechenkunst, 1781. 
Basedow, Uberzeugende Methode der auf das bürgerliche Leben angewandten 

Arithmetik, 1763. 
J. Lamboy, Die Rechenkunst in ihrem ursprünglichen Lichte, 1780. 
Busse, Gemeinverständliches Rechenbuch, 1786. 

„ Anleitung zum Gebrauche meines Rechenbuchs, 1803. 
Rechenmeisterin , 1791 (anonym). 
Bier mann, Anleitung zum Rechnen im Kopfe, 1796. 

Pestalozzis Anschauungslehre der Zahlenverhältnisse, bearb. von Kriisi 1803. 
Jos. Schmid, Die Elemente der Zahl, 1810. 

Hoffmann, Die Pestal. Zahlenlehre und die Schmidschen Elemente, 1810. 
Till ich, Allgemeines Lehrbuch der Arithmetik, 1806 u. 1821. 
Stephani, Ausführliche Anweisung zum Rechenunterrichte, 1816. 
v. Türk, Leitf. zur zweckm. Behandlung d. Unterrichts im Rechnen, 18 16. 
Cr eile, Rechentafeln, 2. Aufl. 1857 (1. Aufl. 1820). 

Diesterweg n. Heuser, Method. Handbuch f. d. Gesammtunt. itn Rechnen, 
3. Aufl. 1839. 

Diesterweg, Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer, 3. Aufl. 1844. 



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X Quellen. 

Stern, Lehrgang des Recheuunterrichta, 1832. 
Hentschel, Hundert Aufgaben elementarisch gelöst, 1837. 

„ Lehrbuch des Rechenunterrichts, 1842. 

Grube, Leitfaden f. d. Rechnen in der Elementarschule, 2. Aufl. 1852. 
Böhme, Anleitung zum Unterricht im Rechnen, 1862. 

Kuhsam, Anfg. f. d. prakt. Rechnen . . in 3 conc. sich erweiternden Kursen, 1866. 

Schurig, Lehrbuch der Arithmetik, 1883—1884. 

R. Adam, Der Rechenkünstler, 1886. 

Schiebe, Lehrbuch d. kaufin. Arithmetik, 1834. 

Feller-Odermann, Das Ganze d. kauf'm. Arithm., 18412. 

Montag, Die vorzüglichsten prakt. Richnungtivortheile, 1841. 

Dittmann, Anweisung ein Conto-Corrent aufzumachen, 1846. 

E. Amthor u. Gerothwohl, Comptoir und Börse, 1875. 

Kitt, Über Conto- Corrente, 1866 (Progr. Handelsakademie Wien). 

Schulten, Erklärung d. Conto-Corrente, 1875. 

Berger, Die Contocorrent-Zinsenrechnung, 1880 (Progr. Handelsakademie Graz). 
Tanck, Päd Rechnen auf der Unterstufe, 1884. 
Knilling, Zur Reform des Rechenunterrichts, 1884 — 1886. 



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Inhalt. 



Erste Periode: von ca. 1450—1700. 
Mechanismus. 
Erste Hälfte: das 15. und 16. Jahrhundert 
Erstes Kapitel: Übersieh l über die Schulverhältnisse. 



Seite 

§ 1. Aufschwung des Schulwesens . 1 

§ 2. Lateinische Schule .... 4 

§ 3. Volksschule 6 

§ 4. Deutsche Schule 8 

§ 5. Einführung und Ausbreitung 

der indischen Ziffern .... 13 

§ 6. Scrifschole und ' Schreiber . . 17 

§ 7. Madchenschule 20 



Seit« 

§ 8. Winkelschule 21 

§ 9. Hindernisse des Schulwesens . 23 
§ 10. Arithmetische Leistungen der 

latein. Schulen und Universitäten 24 

§11. Rechenschule ....... 20 

§ 12. Unterricht durch Briefe und 

. Geheimhaltung von Kenntnissen 33 



Zweites Kapitel: Arithmetische Schriftsteller und ihre Schriften. 



Seito 

§ 13. Peurbach 35 

§ 14. Regiomontanus 36 

§ 15. Wagners Rechenbuch 1482 . 36 
§ 16. Das Bamberger Rechenbuch 

1483 37 

§ 17. Joh. Widmann 40 

§ 18. Lucas de Burgo 42 

§ 19. Margarita philoaophica . . 43 

§ 20. Algorithmus 43 

§ 21. Köbel 41 

§ 22. BöBchensteyu 46 

§ 23. Grammateus 47 

§ 24. Adam Riese 48 



Suitu 

§ 25. Brandt 53 

§ 26. Christoff Rudolff 53 

§ 27. Apian 54 

§ 28. Besondre arithm. Schriften . 64 

§ 29. Lateinische Rechenbücher . 57 

§ 30. Cardanus 67 

§ 31. Gemma-Frisius 57 

§ 32. Stifel 68 

§ 33. Ramus 59 

§ 34. Tartaglia 69 

§ 36. Clavius CO 

§ 36. Stevin 61 

§ 37. Titel und Vorreden .... 62 



Drittes Kapitel: Arithmetik. 



Seit« 

§ 38. Fingerrechnen 64 

§ 39. Rechnen auf Linien .... 66 

§ 40. Zahlzeichen und Numerieren 70 
§ 41. Anzahl und Reihenfolge der 

Species 72 

§ 42. Definitionen 72 

§ 43. Addition 73 



Süito 

§ 44. Subtraktion 73 

§ 45. Multiplikation 71 

§ 46. Division 78 

§ 47. Probe 82 

§ 48. Gemeine Brüche 83 

§ 49. Regeldetri 86 

§ 50. Terminrechnung 88 



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XII 



Inhalt. 



Seite 

§ 61. Gesellschaftsregel 88 

§ 52. Zinaeszinsrechnung .... 88 

§ 63. Wechselrechnung 89 

§ 64. Kettensatz 91 

§ 66. Welsche Praktik 92 

§ 66. Tolletrechnung 94 

§ 57. Tabellen 96 

§ 58. Progressionen 98 



§ 59. Radicieren 99 

§ 60. Regula virginum 100 

§ 61. Regula falsi 101 

§ 62. Decimalbrüche 104 

§ 63. Scherzexempel 106 

§ 64. Zauberquadrate 109 

§ 66. Rückblick 111 



Zweite Hälfte: das 17. Jahrhundert. 



Seite 

§66. Allgemeine Zustände . . .112 

§ 67. Schulwesen 113 

§ 68. Arithmetische Bestimmungen 

in den Lehrplänen 116 

§ 69. Stoff und Methode im allge- 
meinen 117 

§ 70. Rechenmaschinen 118 

§ 71. Mathematische Unterhaltungs- 
schriften 121 



Seite 

§ 72. Arithmetische Poesie . . .123 
§ 73. Einflufs des Münzwesens Huf 

die Arithmetik 125 

§ 74. Tabellen 126 

§ 76. Zinseszins - und Rabattrech- 
nung 132 

§ 76. Wechselrechnung 133 

§ 77. Rückblick ....... 136 



Zweite Perioden von 1700—1800. 
Betonung der beweisfahrenden Lehrart. 

Seite 



§ 78. Schulwesen 137 

§ 79. Arithmetische Anforderungen 

in den Lehrplänen 139 

§80. Mathematische Ausbildung der 

Lehrer 142 

§81. Nutzen mathemat. Kenntnisse 142 
§ 82. Reform der Methode . . .145 
§ 83. Pormalbildendc Kraft des ma- 
thematischen Unterrichts . . .148 
§ 84. Arten der mathematischen 
Lehrbücher 148 



Seite 



§ 85. Arithmetischer Stoff für kauf- 
männische Kreise 149 

§ 86. Schularithmetik ..... 160 
§ 87. Algebraische Beweisart . . 163 
§ 88. Methodische Grundsätze . .164 
§ 89. Methodische Handbücher . .166 

§ 90. Kopfrechnen 168 

§ 91. Die Reesische und die Base- 
dowsche Regel 169 

§92. Politische Rechenkunst. . .171 
§ 93. Rückblick 173 



Dritte Periode: von 1800 bis heute. 
Verfechtung von Principien. 



Seite 



§ 94. Schulwesen 175 

§ 96. Anschauungsprincip .... 176 
§ 96. Das Princip der allseitigen 

Zahlbehandlung 188 

§ 97. ZiVhlprincip 195 ; § 101 

§ 98. Das Princip der konzentrischen 

Erweiterung 198 



Seit« 



§ 99. Einflufs des decimalen Münz-, 
Mafs- und Gewichtsystems auf 

die Schularithmetik 199 

§ 100. Anschauungsmittel .... 203 
Ausführung der Species . .213 
§ 102. Kaufmännische Arithmetik . 219 
§ 103. Schlufs 232 



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IUI I 



Die erste Periode: von ca. 1450 — 1700. 

Einseitige Gedächtnisknltnr oder Mechanismus. 

Erste Hälfte. 
Das 15. und 16. Jahrhundert. 

Erstes Kapitel. 

Übersicht über die Schxüverhältnißse. 

§ 1. Aufschwung des Schulwesens. Die Reformation, die vorher- 
gegangene Wiederbelebung des klassischen Altertums, die Erfindung des 
Buchdrucks, die bevorzugte Pflege der Astronomie, die Entdeckung neuer 
Wellteile, der aufblühende Handel mit dem daraus fliefsenden Wohlstande 
der Hörger: das sind die Momente, welche mit dem Anfange der neuen 
Zeil auch den Aufschwung des Schulwesens veranlagt und mächtig geför- 
dert haben. 

Der Humanismus, welcher der Reformation wie das Morgenrot der 
aufgehenden Sonne voranleuchtete, ist eine Erscheinung, ebenso einzig in 
der Geschichte dastehend wie die Reformation selbst. Die Bewegung, 
welche ihren Anfang in Italien nahm und hier durch die nach der Zer- 
trümmerung des oslrömischen Kaiserreichs einwandernden griechischen 
Gelehrten wesentlich gefördert wurde, verbreitete sich, unterstützt durch 
Konzile und kaiserliche und päpstliche Sendboten, bald über die Länder 
diesseits der Alpen: Frankreich, Deutschland, die Niederlande. Die Werke 
der allen Griechen, welche bisher nur in verderbler Übersetzung und 
mangelhaften Kommenlaren bekannt waren, wurden nun in der Original- 
sprache studiert. Die Hingabe der Träger der humanistischen Bestrebungen 
war so vollständig, dafs das Studium der Alten in der gänzlichen Auf- 
gehnng des Ichs gipfelte. Kein Wunder, dafs jene Zeit die Pflanzstätten 
des Humanismus, die lateinischen Schulen, in grofscr Zahl erstehen sah. 
In den Ländern der preufsischen Monarchie wurden im IG. Jahrhundert 
über 70 Gymnasien gegründet, während im 17. Jahrhundert nur 28 und 
im 18. Jahrhundert mir 21 neue hinzukamen. 

U.noeu, Methodik. 1 



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2 



§ 1. Aufdchwnng des Schulwesens. 



Von der gröfsten Bedeutung für die Ausbreitung des Humanismus 
wurde die Erfindung des Buchdrucks. Sein Einfluß auf die Entwickelung 
der Wissenschaften und Entfaltung des menschlichen Geistes ist der gewal- 
tigste geworden. Durch ihn wurden die Schöpfungen des gelehrten Alter- 
tums dem Staube der Klöster entrissen, durch ihn den Erzeugnissen des 
Geistes Flügel und Ewigkeit verliehen. Scholastik und Hierarchie sanken, 
Licht und Freiheit traten an ihre Stelle. Zu keiner günstigeren Zeit konn- 
ten die türkischen Horden in das morgenländischc Kaisertum einbrechen. 
Die vor ihnen flüchtenden griechischen Gelehrten brachten die griechische 
Sprache und Littcratur nach dem Westen, und der Buchdruck verband 
damit seinen mächtigen Einflufs. Bisher war die Vervielfältigung der Bücher 
mit ungeheurer Mühe verbunden und zur Beschaffung einer auch nur 
kleinen Bibliothek gehörten fürstliche Mitlei. Der Buchdruck ermöglichte 
auch den minder Bemittelten den Besitz einer Bibliothek, ja er trug die 
Früchte des Geistes selbst in die Hütten der Armen. Mit dem Buchdruck 
ward die wichtigste Vorbedingung zur Ausbreitung der Wissenschaft, korrekte 
und billige Herstellung der Bücher, erst erfüllt. Mit der Entstehung von 
Druckschriften wurden die Bildungsstätten fürs gemeine Volk zum Bedürfnis 
und zur Möglichkeit, denn aus Handschriften konnten Bauernkinder nicht 
lesen lernen. 

Anfänglich war die Philologie die bevorzugte Disciplin des Unterrichts, 
doch trat ihr bald die Mathematik ebenbürtig zur Seite. Es war dies einer- 
seits eine Folge der philologischen Studien selbst, da man nicht nur die- 
jenigen Werke studierte, aus denen Gewandtheit der Sprache und Kunst 
der Rede flössen, sondern sich auch in den Inhalt der mathematischen 
Werke des Altertums vertiefte; beispielsweise erschienen im 16. Jahrhundert 
die Schriften des Euklid, Ptolemäus, Archimed, Diophant in der Original- 
sprache. Andrerseits erforderte die eifrige Pflege der Astronomie das 
Studium ihrer mächtigen Helferin, der Mathematik. Beobachtung und 
Rechnung müssen einander korrigieren und bestätigen, nur in ihrer Über- 
einstimmung liegt das sichere Kriterium von der richtigen Erkenntnis der 
Erscheinungen. Kaiser und Könige hatten damals ihre Hofmathemaliker 
und Hofastronomen. Freilich trugen die Fürsten weniger Verlangen nach 
den rein wissenschaftlichen Ergebnissen astronomischer Forschung, sondern 
begehrten vielmehr die Dienste der Astrologie, der mystischen Schwester 
der Astronomie, derjenigen geheimen Kunst, welche aus den verschiedenen 
Konstellationen der Gestirne die Zukunft ergründen wollte. 

Dem wissenschaftlichen Antriebe gesellte sich auch ein praktisches 
Bedürfnis zur Pflege der mathematischen Wissenschaften bei. Dieses ent- 
sprang dem aufblühenden Handel, welcher die Entdeckung neuer Wellteile 
zur Voraussetzung und den zunehmenden Wohlstand der Bürger zur Folge 



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§ 1. Aufschwung des Schulwesens. 



3 



hatte. So flössen aus derselben Quelle, dem Handel, Bedürfnis und ma- 
terielle Mittel zur Pflege der Wissenschaften. Solange man Ware gegen 
Ware lauschte, war eine Rechnung nicht erforderlich; erst mit der Ein- 
führung des Geldes als Zahlungsmittel machten Mafs- und Gewichtver- 
gleichungen und Preisberechnungen die Operationen mit den Zahlen nötig. 
In der neuern Zeit sind an der Börse gewisse Kaufgeschäfte zu reinen 
arithmetischen Operationen geworden, indem dabei vom Geben und Neh- 
men der Ware vollständig abstrahiert wird. 

In den Kloster- und Domschulen, welche lediglich die Ausbildung für 
den Kirchendienst im Auge hatten, ist die Pflege der praktischen Arith- 
metik nicht zu finden. In kaufmännischen Kreisen müssen wir die Träger 
dieser Kunst suchen, der Kaufmannslehrling erlernte sie von seinem Lehr- 
herrn. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts hatte Nordilalien die Vermittelung 
zwischen dem Orient und Europa übernommen, und der Welthandel ging 
von Italien durch Deutschland über Augsburg, Nürnberg, Frankfurt a. M 
und verzweigte sich von hier nach Leipzig und den nördlichen Hansa- 
städten einerseits und nach Köln und den Niederlanden andrerseits. In 
Frankreich erhoben sich Lyon und Paris, in Osterreich Wien, Linz und 
Ofen zu Hauptbandelsplätzen. Die Italiener waren nicht nur die klügsten 
und unternehmendsten Kaufleute jener Zeit, sondern auch die gewandtesten 
Rechner und den Deutschen weit überlegen. Sie wurden in der Rechen- 
kunst die Lehrmeister der deutschen Kaufleute; ihre Methode, welsche 
Praktik genannt, galt für die beste und hat sich bis auf den heutigen Tag 
in deutschen Rechenbüchern erhalten. Ed. Amlhor beginnt seine 'Quint- 
essenz des kaufm. Rechnens 1862* mit einem Kapitel der welschen 
Praktik. 

Der Beginn des 16. Jahrhunderts, die Grenze zweier Weltgeschichts- 
perioden, bildet auch für das Schulwesen den Anfang einer neuen Epoche; 
jetzt erst gewann nach den schwachen Anläufen früherer Jahrhunderte der 
Gedanke, Volksschulen zu gründen, Gestalt und Leben. Vornehmlich waren 
es die Reformatoren, die ihre Fürsorge der Schule zuwandten; in der 
Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis und in der Kultur des Geistes 
überhaupt erkannten sie die notwendigen Mittel für den Forlbestand ihres 
Werkes, durch welches die Christenheit vom blinden Autoritätsglauben zu 
geistiger Freiheit geführt werden sollte. 

Zur Gründung einer Schule war es vor dem Rcformalionszeitalter au 

den meisten Orten gar nicht gekommen, und die wenigen vom Klerus 

unterhaltenen befanden sich in trauriger Verfassung. In der Einübung 

höchst dürftiger Kenntnisse der lateinischen Sprache und der kirchlichen 

Gesänge bestand der ganze Unterricht. Schüler waren die künftigen 

Kirchendiener. Unter den Lehrern gab es nicht wenige, die alles andre 

l* 



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4 



§ 2 Lateinische Schulen. 



nur nicht Träger der Kultur waren. Der auf Kündigung 1 ) angestellte 
Schulmeister (scholasficus) wählte nach beliehen seine Schulgesellen (sco- 
lares vagantes), welche nicht selten durch ihr anstößiges Lehen 2 ) sich 
die Verachtung des Volkes zuzogen. 

Die Reformation erhöh die Schule, indem sie die Veredelung des 
Menschen als Ziel ins Auge faßte und Bibel und Klassiker zu den Quellen 
der Bildung machte. „So lieb nu alls vns das Euangelion ist / so hart 
last vns vher den sprachen hallten." 8 ) Mit ihrer Aufforderung, Schulen 
zu errichten, wandten sich die Reformatoren nicht mehr an den Klerus, 
der nur Sinn für die Machtstellung der Kirche halte, sondern an die auch 
andere als kirchliche Interessen ihrer Unterthanen vertretende weltliche 
Obrigkeit. 4 ) In richtiger Erkennung ihrer Aufgabe greifen nun auch 
Landesfürslen und Stadlräte das ebenso segensreiche als schwere Werk an, 
die für nützlich erachteten Ratschläge der Reformatoren auszuführen; die 
Fürsten erlassen Schulordnungen, die Stadlräte gründen Schulen. 

§ 2. Lateinische Schulen. Es ist ein nicht selten gehörter Irrlum, 
als wurzele die gegenwärtige Volksschule in den direkten Bestrebungen 
der Reformatoren das Schulwesen zu verbessern. Jene Bestrebungen sind 
jedoch ausschließlich auf Hebung und Ncugründuug lateinischer Schulen 5 ) 
gerichtet, damit man gelehrte Männer, tüchtig für kirchliche und well- 



1) Auf Kündigung bezügliche Bestimmungen findet man in Müller, Vor- 
und frühreformat. Schulordnungen SS. 12, 13, 33, 49, 51, 8C, 298, 135, 191, 
193, 101, 289, 247, 275. 

2) Vergl. Thomas Platters Selbstbiographie 1572 in Raumer, Gesch. der 
Päd. 1872 I, 335 ff. 

3) Luther, An die Radherrn . . . Wittenberg 1524, S. 11 (herausgeg. von 
Israel, Sammlung selten gewordener päd. Schriften 1879). 

4) „Darumb heben herrn / last euch das werck anligen / das Gott so hoch 
von euch foddert / das ewer ampt schuldig ist / das der jugent so not ist / vnd 
das wedder wellt noch geyst empern kau. Wyr sind leyder lang gnug yni 
finsternis verfaulet vnd verdorben. Wir sind allzu lange deutsche bestieu ge- 
wesen. Last vns eynmal auch der vernunft brauchen.*' Luther, An die Rad- 
herrn S. 20. 

5) „Und last vns das gesagt seyn / das wyr das Euangelion nicht woi werden 
erhallten / on die sprachen. Die sprachen sind die scheyden / darynn dis messer 
des geysts stickt. Sie sind der schreyn / darynneu man dis kleynod treyt. Sie 
sind das gefefs / daryunen man diesen tranck fasset. Sie sind die kemnat ' da- 
rynnen diso speyse ligt. Sie sind die körbe / darynucn man dise brot vnd fische 
vnd brocken behellt Ja wo wyrs versehen / das wyr (da Gutt für sey) die spra- 
chen faren lassen, so werdeu wir nicht alleyn das Euangelion verlieren / sondern 
wird auch endlich dahyn geratten / das wyr wider lateinisch noch deutsch recht 
reden odder schreyben küuden." Luther, an die Radherrn S. 12. 



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§ 2. Lateinische Schulen. 



5 



liehe Ämter, und Frauen, geschickt zur Erziehung der Kinder, aus- 
bilden möge. 1 ) 

Melanchlhon schreibt in dem kursächsischen Schulplane 1528 das 
Kaiviu als Unterrichtssprache vor: „Vnd die Schulmeister sollen selbs, 
soviel möglich nichts dann lateinisch mit den knaben reden, dadurch sie 
auch zu solcher vbung gewonet vnd gereitzt werden." Die Schulordnung 
für Stuttgart 1501 befiehlt dem Schulmeister, diejenigen Schüler, welche 
unter sich deutsch gesprochen hatten, mit schmaler Kost zu strafen. 
Sturm (1507— 1589) und Trotzendorf (1490— 1556), die gröfsten Schul- 
pädagogen des 16. Jahrhunderts, betonen ausschließlich die fremdsprach- 
liche Bildung, weshalb deutsche Sprache, Geschichte, Geographie, Physik 
und Mathematik in Sturms Lehrplane keine Stelle haben, und von Trotzen- 
dorf, der in den Schulgesetzen vorschrieb, „die Schüler sollen nie ihre 
Muttersprache gebrauchen, sondern mit den Lehrern, Mitschülern und Ge- 
lehrten latein reden" 2 ), rühmte man: „So hat er die römische Sprache 
allen eingegossen, dafs es für Schande galt, in deutscher Zunge zu reden; 
Knechte und Mägde konnte man latein sprechen hören, man hätte glauben 
sollen, Goldberg liege in Latium." Bei alledem hatte Luther nicht den 
Standpunkt eines engherzigen Philologen behauptet, sondern auch die 
übrigen Gegenstände nach Gebühr gewürdigt. „Wenn ich kinder helle vnd 
vermocht« / Sie müsten mir nicht alleync die sprachen vnd historien hören / 
sondern auch singen / vnd die musica mit der gantzen malhematica lernen." 3 ) 

Unter Schule schlechtweg verstand man im Reformationszeitalter 
immer die lateinische Schule. Für die übrigen Schulgattungen bediente 
man sich einer der folgenden Bezeichnungen: scrifschole, Rechenschule, 
Jungfrawen- oder Mägdleinschule, dudesche Schule, Winkel- oder Beischule. 
Die hier genannten Schulen sind ebenso viele Schulgatlungen, und es ist 
unrichtig, wenn — wie oft geschieht — dieselben nicht gehörig ausein- 
ander gehalten werden. Schon ihr Vorkommen nebeneinander 4 ) beweist 
ihre Verschiedenheit. 



1) „Wenn nn gleich koyn seele were / vnd man der schulen vnd sprachen 
gar nichts dürfte vmb der achrifft vnd Gottis willen. So wäre doch alleyn dise 
vrsach genugsam / die allerbesten schulen beyde für knaben vnd meydlin an 
allen ortten auszurichten / das die wellt / auch yhren welltlichen stand eusserlich 
zu halten / doch bedarf feiner geschickter menner vnd fraweu. Das die menner 
wol regiren künden land vnd leutt. Die frawen wol ziehen vnd hallten künden 
haus / kinder vnd gesinde." Luther, An die Radherrn S. 17. 

2) Ähnliche Vorschriften über den Gebrauch des Latein als Unterrichts- und 
Umgangssprache kommen auch anderwärts vor. Siehe Müller, Schulordnungen 
SS. 82, 115, 140, 148, 162, 189, 176, 232. 

3) Luther, An die Itadherrn S. 18. , 

4) Aus der Paktverschreibung des Nördlinger Schulmeisters 1443: „Auch sol 



6 



§ 3. Volksschule. 



Wie in den lateinischen Schulen das Latein den Hauptunterrichts- 
gegenstand bildete, so stand auch in der deutschen, der Hechen-, der 
Schreib -Schule je ein Gegenstand im Vordergrunde. In der deutschen 
Schule war dieser die deutsche Sprache d. h. deutsch Lesen; Schreiben 
schlofs sich später an; von der Rechenkunst wurde höchstens das Nume- 
rieren gelehrt (vergl. unten den arithmetischen Stoff in den ältesten deut- 
schen Elementarbüchern). In den Schreibschulen bildete die Schreibkunst 
den bevorzugten Uutcrrichtsgegenstand, und manchmal (namentlich bei 
Erwachsenen) den einzigen. Im letzteren Falle bandelte es sich dann 
nicht um die gewöhnliche Handschrift, sondern um Erlernung von Zier- 
schriften aller Art und um Anfertigung von Geschäftsaufsätzen 1 ), „brevc" 
genannt. In den Rechenschulen wurde nur die Rechenkunst gelernt; wer 
hierher kam, mufste schon lesen und schreiben können, weil nur schrift- 
lich gerechnet wurde. — Deutsche Schule und Schreibschule kommen 
hier und dort vereinigt vor, die Rechenschule ist aber immer eine von 
jenen getrennte Anstalt; auch dünkten sich die Rechenmeister etwas 
Höheres zu sein als die deutschen Schul- und Schreibmeister. Dafs all- 
mählich auch in die deutschen Schulen das Rechnen als Unterrichtsgegen- 
stand Eingang fand, bedarf kaum der Erwähnung. 

§ 3. Volksschule. Die Anregung zur Gründung von Volksschulen 
ging zwar auch von den Reformatoren aus, aber mehr unbewufet als be- 
wirfst legten diese den Grund zu den Bildungsstätten fürs gemeine Volk. 
Die Katechisationen, welche nach der Kirchenvisitation durch die kursäch- 
sische Schulordnung 1528 den Pfarrern mit der Jugend abzuhalten anbe- 
fohlen wurden, sind die ersten Anfänge der heutigen Volksschule. Der 
Katechumencnunlerricht wurde anfangs des Sonntags vom Pfarrer gehallen, 
dann auf die Woche verlegt und dem Küster übertragen. Die Katechismen 
gehören zu den ältesten Elementarbüchern 8 ), der von Brenz erschien 1527, 



nyemaut kein teutsche schul hie haben, damit mir die knaben vfa der schul ent- 
zogen mögen werden, es were dann ob ein lantfarer k&me, der ein monat vn- 
geuarlich die kint schreiben lernen wölt, da solte ich nit yn reden allez on- 
geuarde." Müller, Schulordnungen S. 61. — Eine ähnliche Bestimmung traf 
man 1456 in Überlingen; siehe Müller, SchulordiL S. 69. 

1) Hierzu gab es frühzeitig Hilfsbücher, Briefsteller nach moderner Bezeich- 
nungsweise. Der älteste Briefsteller mit Jahrzahl erschien 1483 in Strasburg 
unter dem Titel: „Formulare vnd Tutsch rhetorica"; Panzer, Annalen I S. 140. 
Wie beliebt diese Briefsteller waren, kann man aus der wiederholten Druck- 
legung schliefsen; Panzer zählt solche Drucke aus den Jahren 1491 (1 S. 190), 
1600 (I S. 246), 1501 (I S. 255), 1507 (I S. 282) und noch andere auf. 

2) Das älteste noch erhaltene deutsche gedruckte Elementarbuch ist: „Eyn 
Bökeschen vor de leyen vnde kinder. De teyn Bade Gades. De loue mit eyner 
vthlegynge. Dat vade vnse mit eyner vthlegynge. Dat benedicito vnde gratias. 



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§ 3. Volksschule. 



7 



der von Lachmann und Gräler für Heilbronn 1528, der von Rürer und 
Auhammer Tür Ansbach 1529. Das Evangelium bildete auch den ersten 
Unterrichlsgegenstand, Lesen und Psalmensingen traten später hinzu und 
Schreiben war das Höchste, was gelernt wurde. Da nun der Küster zum 
Schulmeister geworden war, so mufste bei Besetzung der Küsterstellen die 
Lchrtüchtigkeit zur Bedingung gemacht werden. Die Synode 1 ) zu Heidel- 
berg 1563 bestimmte demgemäfs, nur solche Glöckner anzunehmen, welche 
die Kinder den Katechismus zu lehren befähigt wären; die kursächsische 
Kirchenordnung 1580 will die Küsterstelle nur an des Lesens und Schrei- 
bens kundige Personen vergeben wissen; die pommersche Konsistorialord- 
nung 1573 befiehlt den Küstern, sie sollen des Sonntags den Kindern und 
dem Gesinde Luthers Katechismus vorsagen und beten 2 ) lehren. 

Wie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die Pflege des 
kirchlichen Lebens der Grund gelegt wurde zur Volksschule, so kam in 
der zweiten Hälfte durch Vertretung des konfessionellen Interesses, her- 
vorgerufen durch die Spaltung der evangelischen Kirche, ein zweites Mo- 
ment hinzu, den Bau zu fördern. — Da in jenem Zeitalter die Fürsorge 
für die Schulen vornehmlich ein Werk der Kirche und nicht des Staates 
war, so sind auch die auf die Schulen .bezüglichen Bestimmungen den Kir- 
chenordnungen einverleibt. Bahnbrechend für die Schulgesetzgebung wurde 
Kursachsen durch den von Melanchthon verfafsten „Vnterricht der Visitation 
ym Kurfürstenthum Sachsen, Wittenberg 1528", worin sich als Anhang 
der sächsische Scbulplan befindet, den man an vielen Orten zum Muster 
wählte. Was Melanchthon bezüglich der Schulorganisalion für Mitteldeutsch- 
land war, wurde Bugenhagen für die nördlichen Territorien und Brenz 
für Süddeutschland. Bugenhagen verfalste 1528 die braunschweigischc, 
1529 die hamburgische, 1531 die lübeckische, 1535 die pommersche, 
1537 die dänische, 1542 die schleswig-holsteinische Kirchenordnung und 
traf die darin enthalteneu Schulbestimmungen nach Melanchthons Vor- 
schlägen; Bugenhagens Anordnungen enthalten das Ideal der reformatori- 
schen Schuleinrichtung. Die ausführlichste Schulordnung des 16. Jahr- 
hunderts ist in der von Brenz verfafsten grofsen württembergischen Kirchen- 
ordnung 1559 enthalten. 3 ) 

Van der Döpe. Van dem Sakramente. Van der BychL De düdesche tall mit 
den eifern. Dat titel bökeschen. Wittenberg 1525." Exemplar in Wernigerode. 
1527 erschien es zu Erfforde als: „Der Leyen Biblia", Exemplar in Wolfen- 
büttel. 

1) Hcppe, Gesch. der Volksschule I, 26. 

2) Das Recitieren des Katechismusinhalts war ein betweises Hersagen. Der 
Ausdruck „beten" hat sich in diesem Sinne bis heute erhalten; auf Dörfern sagt 
man für die Teilnahme am Konfirmandenunterrichte: „Sie gehen beten." 

3) Die hier genannten Schulordnungen sind abgedruckt in Vormbaum, Evang. 



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8 



§ 4. Deuteche Schule. 



§ 4. Deutsche Schule. Das Aufkommen der deutschen Schulen 
wurde überall vom Scholasticus aus materiellen Gründen gehindert. Der 
Magistrat zu Memmingen schuf deshalb 1469 durch eine Schulordnung 
eine Rechtsbasis für das Bestehen deutscher Schulen. „Item ain rat will 
zwo tütsch schulen hie haben und nit mer, nämlich aine, darfun man 
knaben, und aine, darfun man töchler lere." 1 ) — An einzelnen Orlen war 
die Errichtung einer deutschen Schule rundweg verboten, so in Nörd- 
lingcn 1472: „Auch soll niemant kain tutsche schul hie haben, damit mir 
die knaben vfs der schul mögen entzogen werden." 2 ) In Württemberg 
sollten sogar 1546 auf herzoglichen Befehl alle deutschen Schulen ge- 
schlossen werden. 3 ) Die güstrowsche Schulordnung 4 ) 1662 gestattet nur 
denjenigen, „so wegen ihrer ungeschickten Köpfe und lngeuia zum Stu- 
dieren untauglich und deretwegen vom Rcctor Scholae ausgemustert sind", 
den Besuch einer deutschen Schule, damit sie darin schreiben und rech- 
nen lernen möchten. 

Durch Aushängeschilder luden die deutschen Schulmeislcr zum Be- 
suche ihrer Schule ein. Die Baseler Bibliothek bewahrt zwei derartige 
von Holbein 1516 gemalte Tafeln r ') auf. Auf der einen sieht man Kinder 
mit ihren Büchern am Roden kauernd und den Schulmeister mit der Rute 
in der Hand einen Knaben am Katheder unterrichtend, während in der 
Ecke eine Frau ein Mädchen lehrt. Auf der anderen ist das Innere eines 
Schulzimmers abgebildet, in dem Jünglinge unterrichtet werden. Beide 
Tafeln haben folgende Unterschrift: „Wer jemand hie der gern woll lernen 
dütsch schriben vnd läsen vfs dem allerkürtzisten grundt den jemand er- 
denken kann do durch ein jeder der vor nit ein buchstaben kann der 
mag kürtzlich vnd bald begriffen ein grundt dodurch er mag von im selbs 
lernen sin schuld vlTschriben vnd läsen vnd wer es nit zelernen kann so 
vngeschickt wäre den will ich vm nüt vnd vergeben gelert haben vnd ganz 
nüt von im zum Ion nemen es syg wer er wil burger oder handwerks- 
gesellen frouwen oder junkfrouwen wer sie bedarf der kumm har jn der 
wirt drüwlich gelert vmb ein ziemlichen Ion aber die jungen Knaben vnd 
Meillin noch der fronfasten wie gewohnheit ist." 



Schulordnungen Bd. I. — Die älteste gedruckte evang. Schulordnung ist die 
Zwickauer 1523, abgedruckt in Müller, Schulordnungen S. 234 ff. — Die braun- 
Bchweigischeu Schulordnungen von 1251 — 1828 enthält Monumenta Germaniae 
Paedagogica Bd. I. 

1) Müller, Schulordnungen S. 302. 

2) Müller, Schulordnungen S. 87. 

3) Heppe, Gesch. der Volkschnle II, 122. 

4) Vormbaum, Schulordnungen II. Bd. 

5) Fechter, Geschichte deB Schulwesens in Basel 1837 S. 27. 



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§ 4. Deutsche Schule. 0 

Die deutschen Schulen teilten ihre Schüler gewöhnlich in drei Ah- 
teilungen (Sachsen, Württemberg), seltener in vier oder mehr (Braun- 
schweig). „So 1 ) der Schulmeister die Schulkinder mit nutz lernen will, 
soll er sie in 3 Häuflein teilen, das ein, so anfallen die Buchstaben, das 
ander, so anfallen die Syllaben zusamen schlahcn, das dritte, so anfallen 
lesen 2 ) und schreiben." Die Abteilungen kamen alle gleichzeitig zur 
Schule, der Unterricht war Einzel- nicht Massenunterricht, jeder Schüler 
kam an des Lehrers Pult und sagte sein Pensum auf, während die übrigen 
nnthätig, lärmend oder schreibend dasafsen. 

Über den Lehrstoff in der deutschen Schule giebt uns der Inhalt 
einer Handschrift (Cod. germ. 216) der Münchner Hof- und Staatsbibliothek 
Aufschluß». Müller hat denselben auszugsweise veröffentlicht. 3 ) Der arith- 
metische Teil umfafst darin eine Zusammenstellung der Münzsorten und 
Hohlmafse und einige Notizen über falsche Gulden. 

Vom Rechnen war im Lehrplane der deutschen Schule fast nie die 
Rede. Wenn's hoch kam, lernten die Kinder die Ziffern schreiben und 
lesen und memorierten das Einmaleins. Die Witlenberger Kirchenordnung 4 ) 
1533 enthält folgende Bestimmung: „Nachdem sie lesen, schreiben und 
singen können, soll man sie mit der Zeit auch lernen Ciffern und etwas 
von der Arithmctica." Will man Kenntnis dieses „Etwas von der Arith- 
metica" haben, so mufs man die ersten Lcsefibchi, denen damals der 
arithmetische Stoff einverleibt war, zu Rate ziehen. Wir teilen hier diesen 
Stoff aus zwei derartigen Büchern mit und zwar aus dem, das ihn in 
knappster Form, und aus dem, das ihn in umfänglichster Form enthält. 

In „Eyn Bökeschen 5 ) vor de leyen vnde kinder ... Wittenberg 1525" 
findet man nur eine Zusammenstellung von Zahlen, welche als Anweisung 
aufzufassen ist, wie man jede „deutsche Zahl" (d. h. eine mit römischen 
Zeichen geschriebene Zahl) mit Ziffern (d. Ii. mit indischen Zahlzeichen) 
schreiben soll. Hier ist das Kapitel. 

„Hyr volget na de dudesche tall mit den eifern. 

i ij iij iiij v vi vij viij ix x xi xij xiij xiiij xv xvi 

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 

xvij xviij xix xx (etc. forllaufend bis) cx (dann folgen noch) cxx 

17 18 19 20 110 120 



1) Württemberger Schulordnung 1569 in: Vormbaum I, 160. 

2) Die damalige Lesemetbode ist beschrieben in Schultheils, Gesch. der 
Schulen in Nürnberg II, 14—19. 

3) Müller, Quellenschrilten S. 329 im IV. Bd. von Kehr, Gesch. der Methodik. 

4) Vormbaum I. 

5) Exemplar in Wernigerode. 



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10 



§ 4. Deutsche Schule. 



cxxx c\l rl clx clxx clxxx cxc D M 

130 140 150 160 170 180 190 500 1000. Hyr volget dat 

litel Bökeschcn. Dem Keyser." 

„ENchiridion 1 ): das ist Ilaudbüchlin tütscher Orlhographi li'chlülsche 
sprach artlich zcsehryben vnd läsen sampt eynem Regislerlin über die 
gantze Bibel . . . Auch wie man die Cifer vnd Indische zaal verston sol 
durch Joannem Kolrofs lüdtsch Leermeystern zu Basel. M.D.XXX" ent- 
hält folgendes arithmetische Kapitel 8 ): 

„Die Cifer zecrfaren vnd zelerncn. 

Zu dem ersten soll du wissen / dz in der gantzen Ciferzaal nit incer 
dann zehen figuren sind / durch die sy beschriben würt / Nämlich Neun 
bedüdtlich / als 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. vnd ein vnbedüdlliche 
glych dem Stimmbuchstaben o (0) Difse figur heyfst drumm vnbedüdt- 
lich / das sy nichts thut wo sy für sich selbs allein stodt / der halb sy 
ouch nulla genant / So sy aber by andren bedüdtlichen figuren stodt / 
macht sy die selbigen meer bedüdten / als 1 bedüdt eins / setz die vnbe- 
düdllich figur / genant nulla / dafür also 10. so bedüdt es zehene / Also 
ouch mit allen andren / [etc. bei 2, 3 und mehr Nullen bis] 9000000 ist 
nun tusent mal tusent. . . . Hie slhest du wo! das die nullen nichts hcys- 
send für sich selbst / sy geben aber den bcdüdllichen figuren (denen sy 
zugesetzt werden) ein statt durch welche sy gemeert / vnd ir bedüdtung 
empfahend / als ein null meerct ir bygesetzt bedüdtlich / mit so vyl zehen/ 
als sy für sich selbst heyst vnnd thut / zwo nullen meerends mit so vyl 
hinderten. Dry nullen mit so vyl lusenten ... so für vnd für on end / dann 
die zaal hat kein end. So vyl sey gesagt von den nullen. Nun mit den nun 
bedüdtlichen figuren / nämlich 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. hat es die gestalt. 
So man über die zchende zaal (welche mit der nullen gemacht) zeelen 
will / so mufs man die nun gemellten figuren widerumb rucben / dicwbyl 
nit meer eifern sind / Damit du nun wissest / so zwo. iij. iiij. v. vj. oder 
vij figuren nach einander stond / was ein yede figur thu / so meerk eben. 

Zu dem ersten soll du wisseu / das als vil der figuren (bedüdtlich 
oder vnbedüdtlich) ordenlich nach einander stond / die mit keinem puneten 
(dz ist tüpfflin) vnderscheydet sind / so vyl stett halt die selbig zaal. 

o 

Zu dem andren solt du mercken / das man die stett anhept zerechnen 
von der rechten band vnd feert hinderlich gegen der lincken / vnd heifst 
die erst cifer gegen der rechten / die erst statt / die ander glych hernach/ 
die ander vnd die drit / die dritt statt / die vierd / die Vierde / vnd also 
nach vnd nach bifs vIT die letste statt / das ist / bifs vff die erste gegen 

1) Abgedruckt in Müller, Quellenschriften S. 64—91. 

2) Ebenda S. 89—91. 



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§ 4. Deutsche Schule. 



11 



der lincken hand. Das man aber von der rechten zu der lincken feert/ 
das kumpt von der natürlichen bewegung här / dann was wir mit den 
ougen besähen / vnd mit der hand thun wellen / als houwen / schlahcn/ 
stächen / wärflen oder säyen / dz geschieht alles natürlich von der rechten 
zur lincken / darumb ouch die Ebreer vnd Chaldäer (von denen die zaal 
erfunden) von der rechten gegen der lincken schrybend. 

Zum dritten solt du wissen / das ein yegklichc vnder den nün figuren 
an der erstem statt / sich selbst ein mal bedüth / als 1. bedüth eins / 2. 
bedüth zwey . . . [etc. bis 9]. So aber difscr figuren eine an der anderen 
statt / stodt / so bedüth vnd thut sy sich selbs zehen mal 1 ... [an der 
1. bis 3. nachgewiesen; dann] so für vnd für /was für ein eifer an der 
andere statt stodt / die thut so vyl zehene als sy sunst für sich selbs heyfst 
vnd thut. Hie merck das so zwo bedüdtlich figuren an den zweyen ersten 
stellen stond / soll man sy mit einander vfssprechen / als 29. ist nün vnd 
zwentzig / 31. ist ein vnnd dryssig / 99. ist nün vnnd nüntzig. 

Item wz für ein figur an der dritten statt stodt / die thut sich selbs 
hundert mal / das ist / sy thut so vyl hundert / als sy für sich selbst 
heyfst / als 529. das ist / fünff hundert xxix. vnd sol das hundert allweg 
allein vfsgesprochen werden. Item an der Vierden statt bedüth sich eyn 
jede figur selbst lusent mal / als 1529. das ist M. D. xxix. Item 9999. 
ist ix tusent. Dcccc. xcix. Hie inerck aber das man an der Vierden statt 
wider umb anhept vflstygen (glych wie im anfang von der ersten statt bifs 
v(T die vierde) eins / zehen / hundert / tusent / vnd das in sinem ward / das 
ist / von eim tusent bifs vff tusent mal tusent / vnd würt dann die vierd 
statt widerumb für die erst / in sinem ward gerechnet / dorumb setzen 
ettlich ein puneten drob / als 1145632. was nun an der Vierden vnd 
fünfften statt für bedüdtlich figuren stond / soll man ouch (wie die erst 
vnd ander statt) mit einander vfssprechen. Was dann an der fünfften statt 
stodt / bedüdt sich selbs zehen mal tusent / an der sechsten / hundert mal 
tusent / vnd an der sibenden 1 statt hept man aber an vfizestygen / vnnd 
feert also für vnd für on end / ist nit not hie vyl daruon zeschryben / welcher 
rechnen will lernen / der würt wol von sinem meyster wyter vnderricht werden. 

Zum Vierden solt du wissen / wie wol man die slett zu zcelen / vnnd 
vfszerechnen / von der rechten / zu der lincken anhept / sol doch das vfs- 
sprechen / von der lincken zu der rechten gschähen. 




Exemplum 

D xx ix 

5 2 9 



rechte hand 



O. Cw Q~ 

«M« mm» «■•» mm* 

cd es ca «> « 




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12 



§ 4. Deutsche Schule. 



Zum Iii ii O l eil soll du oticl» wissen / wo die eifern mit puneten ver- 
zeychnet vnd vnderscheydet sind / das z wüschen jedem puneten ein be- 
sonder zaal ist | vnd werden nit alle zusamen in ein Summ gezeelt / sunder 
ein yegklichs (wie es verzeychnet vnnd mit dem tfipITlin vndersclieydet) 

würt für sinen ward gezeelt / vnd geschieht solliehs offl in den concor- 
dantzen / als do in eim buch oder epistcl an vyl enden oder capiteln / von 
cinerley geschriben stodt / do würt ein jedes capitel / oder ort mit eim 
puneten vnderscheydet. Exemplum. von der foreht Rottes lifst man Deut, 
am 4. G. 10. 17. 31. verstand capitel. Item . . . [Beispiele]. 

o e 

Zu ein» beschlufs will ich den cinfalltigen so nit begaren zulernen 

o 

rechnen | ein lychten wag zeygen die vier sielt zeerkennen / in welchen 
die iar zaal sydt der gehurt Christi / ia ouch von anfang der weit (vnd 
wol ze mutmassen byfs zu end der weit) begriffen ist / vnd würt / vnd 
das also / So vier bedüdllich Figuren ordenlich nach einander gesetzt 
sind on vnderscheyd (das ist / do kein punet dar zwüschen stodt) So heb 
hy der lincken an vnd fahr gegen der rechten / vnd was die erst eifer 

o 

gegen der lincken für sich sclbs thut / so vyl lusent thut sy an derselben 
stall / vnd die nächst darnach gegen der rechten so vyl hundert / die drill 
so vyl zehene / die vierd (das ist die erst hy der rechten) stodt für sich 
seihst ein mal. 

Damit nun ein einfalltrger solliehs dester bafs verstand / hab ich hie 
nach ein Exempcl gesetzt in einer Figur . . . [Das Exemplum ist dem obigen 
ähnlich, verwendet sind die Zahlen 1521», 1530, 6728, 8900, 8010.] 

Ein Tafel über die eifer von eim bifs vff tuseul uiol tu seilt. 

1. 2. 3. 4. 5. (*,. 7. 8. 9. 
10. 11. 12. 13. 14. 15. IG. 17. 18. IM. 



00. 91. 1)2. 93. 114. 95. 96. 97. 98. 99. 
[dann] 100. 200. [bis] 2000000; [darnach 7 beliebige noch größere 
Zahlen]. 

Von der geineyncn tüdtscheu zaal ouch ein kurtzer bericht. 
Die gemein tüdtsch zaal würt durch siben buchslahen vfs dem abc 
heschriben / namliGh durch j. v. x. I. c. d. vnd M. Dann ein j thut eins, 

o 

ij. thut zwey, iij. drü ... Hie merck aber ein gemeine rcgel / was über 
fünfte bifs vfT zehene ist / würt durch j. gemeeret / als vj. vij. viij. viiij. 
oder also ix. was aber über zehne / bifs vff lusent / würt mit dem j. v. 
vnd x gemeeret. Exemplum. xj. xij . . . Item 1. Ij . . . also ouch c. ej. . . . 



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§ 5. Ausbreitung der ind. Ziffern im Abendlande. 



13 



Doch soll du wissen so ein i. gegen der lincken vor dem x. slodt / also 
ix. so nimpt es dem x. eins ab .... also ouch was vor dem 1. vnd c. 
gegen der lincken slodt / das thund sy minder denn ir bedüdtung ist / als 

o 

xl. thut vierlzig / xc. thut neünlzig . . . 

Ein Tafel der verglychung tüdtscher vnd ciferzaal. 

i 1 xxv 25 xlix 49 
ij 2 xxvj 26 1 50 
. • . . . . 

• • • . . a 

• • • • • « 

etc. in drei Kolumnen die doppelten Zahlen bis 113 fortlaufend, dann noch 
die Hunderle, von 500 an in dreifacher Schreibweise: v c , D, 500; darauf 
noch: M, ij m , iij m , x m , c m , dann: „M. thut tusent / wie ob stat / so aber 
ein c. gegen der lincken im glych stodl / also CM. so nimpts im hundert 
ab / wans aber also stodl / C m . so bedüdls hundert tusent etc." 

Aus Vorslehendein erhellt, dafs die arithmetische Belehrung in den 
deutschen Schulen nur die Erklärung des Positionssyslems und das Nume- 
rieren umfafsle. 

Damit nun der Leser dieses Minimum alles Rechnens nicht gar zu 
gering achten möge, lassen wir einen Paragraphen Ober Einführung und 
Ausbreitung der indischen Ziffern im Abendlande folgen. Aus den in Aus- 
sicht gestellten Nachrichten wird man sogar die Überzeugung von der 
Notwendigkeit jener minimalen arithmetischen Belehrung gewinnen. 

§ 5. Einführung und Ausbreitung der indischen Ziffern im Abend- 
lande. Die Einführung 1 ) der indischen Ziffern nach Europa ist noch eine 
ungelöste Sireitfrage, die uns aber hier nicht berührt. Die ältesten in 
Deutschland nachgewiesenen indischen Ziffern sollen dem 10. Jahrhundert 
angehören 2 ); indessen gebührt das gröfsle Verdienst um Einführung dieser 
Zahlzeichen und des Rechnens mit denselben dem Pisaner Leonardo 
Fibonacci 3 ) 1202. Dafs aber die indischen Zahlzeichen und die neue 
Hechnungsweise nach diesem Zeitpunkte bald Volkseigentum geworden wäre 
— wie manche behaupten — , läfsl sich durchaus nicht erweisen. Das ge- 

1) Siehe hierzu: Zeitschrift für Math. u. Pbys. I, 65—74. — Friedlein, Ger- 
bert, Die Geometrie dos Boetius und die ind. Ziffern 1861 S. 59 ff. — Tveutleiu, 
Geschichte unsrer Zahlzeichen, Karlsruhe 1875. — Cantor, Vorlesungen 1880 I, 610. 

2) Friedlein, Gerbert S. 41. 

3) Friedlein, Gerbert S. 42. — Desgl. Ersch und Gruber XXXX11I, 445. 
Das arithm. Werk des Leonardo Fibonacci „11 über abbaci 1202" wurde 1857 
von Boncompagni in Horn herausgegebeu als I. Band von „Scritti Leonardo 
Pisano". 



14 



§ 6. Ausbreitung der ind. Ziffern im Abendlande. 



meine Volk bediente sich vielmehr nach Leonardo noch drei Jahrhunderte 
lang der römischen Zahlzeichen, welche um 1500 in Deutschland geradezu 
„deutsche Zahlen" im Gegensatze zu den „Ziffern" hiefsen. 

Vor dem 15. Jahrhundert lassen sich für das Vorkommen indischer 
Ziffern aufserhalh des Abacus nur wenige Spuren entdecken. Heinrich 
Hoffmann sagt in seiner Handschriflenkunde: „Im 15. Jahrh. findet man 
die indischen Ziffern mitunter bei Jahrzahlen und Registern zu Hand- 
schriften, in Rechnungsbüchern und Urkunden aber noch selten. Auf 
öffentlichen Denkmälern von Erz und auf Gemälden lassen sie sich in 
Deutschland vor dem 15. Jahrh. nirgends nachweisen." — Zu ähnlichen 
Ergebnissen gelangte Denzinger, der den Gebrauch der indischen Ziffern 
im Würzburgischen verfolgt und darüber sehr dankenswerte Mitteilungen 
veröffentlicht hat. 1 ) Er erörterte die Fragen: wann hat in Unterfranken 
der Gebrauch der indischen Ziffern begonnen? welche Formen derselben 
brauchte man anfangs? welche andre nahm man dann an? um welche Zeit 
wurde ihr Gebrauch allgemein? — Auf Gebäude, Denkmäler, Rechnungs- 
bücher, Protokolle, Münzen erstreckte er die Untersuchungen, deren Resul- 
tate er selbst in folgenden Sätzen 2 ) zusammenfafsl: „1) Es wird kaum 
möglich sein zu beweisen, dafs vor dem 15. Jahrh. bei uns der Gebrauch 
der indischen Ziffern statt hatte. 2) Der Gebrauch der indischen Ziffern 
begann erst gegen die Mitte des 15. Jahrh., zuerst auf Denkmälern, dann 
an Kirchen und Privalwohnungen. 3) Die Monumente mit indischen Ziffern 
nehmen im 16. Jahrh. bedeutend zu. 4) Im 16. Jahrh. erscheinen diese 
Zahlzeichen auch in Rechnungen, zuerst blofs im Vortrag, nie in den Haupt- 
teilen der Rechnungen, erst gegen 1566 treten sie in den ganzen Bau 
der Rechnungen ein, wo sie den Gebrauch der römischen Zeichen ver- 
drängten. Nur in sehr wenigen Rechnungen finden sich Spuren indischer 
Zeichen gegen das Ende des 15. Jahrh. 5) In Protokollen erscheinen 
indische Ziffern erst gegen die Milte des 16. Jahrh. und werden gegen das 
Ende desselben gebraucht. 6) Auf Münzen findet man sie schon gegen 
das Ende des 15. Jahrb." 

Nicht wesentlich anders als im Würzburgischen wird auch anderwärts 
die Beantwortung der Frage über Einführung und Fortgang des Gebrauchs 
der indischen Ziffern ausfallen; indessen sind zur Verallgemeinerung des 
Urteils derartige Aufzeichnungen, wie sie Denzinger gesammelt hat, aus 
allen Gauen Deutschlands von nöten. Einen kleinen Beitrag zur Erledigung 
der Frage liefern auch folgende einzelne Nachrichten. 



1) Archiv des hist. Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg, Würzburg 
1848, Bd. IX, Heft II, 160—184. 

2) Denzinger bringt zahlreiche Belege zu diesen Sätzen a. a. 0. bei. 



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§ 5. Ausbreitung der ind. Ziffern im Abendlande. 15 

In einer Regensburger Chronik vom Jahre 1167 fand man die Zahlen 
1—68 wie zur Übung geschrieben. 1 ) In einem Nolatenbuchc des Dithmar 
von Meckelbach in Schlesien aus der Zeit Kaiser Karl IV. (1346 — 1378) 
stehen zwar die 10 indischen Ziffern, in den Einnahme- und Ausgabespalten 
aber die römischen Zeichen. 2 ) Der Rechnungsauszug aus dem Rechnungs- 
buche des Strafsburger Stifts, welcher Gutenbergs Schulden von 1458 — 1474 
umfafst, enthält nur römische Zeichen 3 ;; ebenso enthalten die Buchholzer 
(in Sachsen) Bergrechnungen ?on 1509 — 1516 und 1543 nur solche. 4 ) 
In den Ausgaberegistern der Kreuzschnie zu Dresden bis 1539 überwiegen 
auch die römischen Zeichen. 6 ) Von der gleichen Tliatsache kann man 
sich durch Einblick in Müllers Sammlung überzeugen, welche 128 Schul- 
ordnungen 6 ) und Schulverträge in deutscher und niederländischer Sprache 
aus der Zeit von 1296—1523 enthält. 

Kalender, welche unter den Volksbüchern den ersten Rang einnehmen, 
aus den Jahren 1457, 1460, 1483, 1486, 1493, 1496 weisen sämtliche 
Zahlen in römischen Zeichen auf. 7 ) Im grofsen römischen Kalender, welchen 
Jacob Köbel 1518 ins Deutsche übersetzte 8 ), stehen zwar auf den Tafeln 
(aus Raumersparnis) indische Ziffern, im Register, zur Blattnumcricrung 
und im erklärenden Texte aber nur römische. Auch in einer anderen 
Art von Volksbüchern, den Praktiken 9 ), trifft man nur römische Zeichen. 
Eine Praktika enthielt im allgemeinen Prophezeiungen über Krieg, Krank- 
heiten, Mifswachs, gegründet auf die Konstellation der Gestirne. 

Köbels Visierbuch l0 ) 1515, welches für die Weinhändler bestimmt war, 
enthält nur auf den angehängten Tafeln indische, sonst überall (Register, 
Vortrag, Blattnumerierung) römische Zeichen. Ja Köbel hat sogar in seinem 
für den häuslichen Gebrauch bestimmten Rechenbuche 11 ) ausschließlich 
römische Zeichen verwendet; ausgenommen ist nur die Stelle, an welcher 
ausdrücklich die „Zifferzal" durch die „deutsche Zahl" (= römische Zeichen) 
erklärt wird. Ein Excmpel 12 ) sieht so aus: „Ich setz ein Register zu 
Sumiren mit inhallung sollicher wie hiernach voigen. 

I) Schmidt, Encyklopiidie VI, 726. 2) Ebenda VI, 726. 

3) Faulmann, Gesch. der Buchdruckerkunst S. 109. 

4) Beriet, Über Ad. Riese 1865. Programm. 

5) Meitzer, Die Kreuzschule zu Dresden 1886. 

6) Müller, Schulordnungen 1886 u. 1886. 

7) Fischer, Typogr. Seltenheiten. 

8) Jacob Köbel, Der Ncwe grofs Römisch Kalender .... Oppenheim 1518. 
Exemplar in Leipzig, Universitätsbibl. 

9) Joh. Virdung von Hafsfurt, Hofmathematiker des Pfalzgrafen Ludwig boi 
Rhein hat mehrere verfafst; Exemplare in Leipzig, Universitätsbibl. 

10) Mehr dar Aber steht unten. 

II) „Das new Rechepüchlein ..." 1618. 12) Ebenda Bl. XIII. 



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16 § 5. Ausbreitung der ind. Ziffern im Abendlande. 

Item XXVII gülden vor ein Affen 

„ XII Albus dauon zu weinknuff in Schnörges haufs 

n II Ib IUI ß III hlr vor fawl Eyer 

w I Ib XVI ß vor Slinckenden Bullern 

„ VIII gülden vor Nyefswortz 

„ XII Albus dauon zu zoll < 

n IUI Albus vor Grintsalben 

„ VI hlr vor C Stecknolen 

„ VIII ß vor Nafswasscr 

„ XVI hlr vor ein Ib Affenschmere" elc. 

In der Bruchlehre springt die Schwerfälligkeit des römischen Systems 
noch mehr ins Auge: „VViltu Summiren ') Als -j^- zu so schreibe sie 

creutzweifs vnder die Linien [= Uechenbank] also -fifX ^ Vnd manch- 

faltig die creutzweirs also / sag III mal III ist IX vnd II mal IUI ist VIII. 
die VIII vnd IX leg zusamen / so wil l es XVII. vnd ist der zeler. darnach 
mangfallig die Nenner auch durch eynander also III mal IUI ist XII die 
XII schreib vnder die XVII vnd mach ein slrichlein dazwischen stel also 

XVII - V 

-^yj— vnd ist recht gemacht vnd hell in ym ein ganlz vnd -^f ." — Ein 

Beispiel fürs Kürzen: «(j^^cLX^Yf * st a ' s v '' a ' s "HIT*" 

Im Orbis piclus steht: „Die Bauern zählen mit Kreuzen und halben 
Kreuzen." 2 ) (Also Zehnen X und Fünfen V.) Hiervon dürfte das Sprich- 
wort: Du willst mir ein X für ein U (früher schrieb man ja V für U) 
machen, seinen Ursprung haben. 

Das älteste bekannte Buch, in dem die indischen Ziffern zur Nume- 
rierung der Blätter angewendet worden sind, ist: „Uber 8 ) de remedii.s 
utriusque fortunae Coloniae, Aroldus ter Hoernen, Köln 1471" (ein Werk 
Petrarcas). 

Aus den angeführten Nachrichten geht unzweifelhaft hervor, dafs ums 
Jahr 1500 die indischen Ziffern noch nicht Volkseigentum geworden waren. 
Im Lichte dieser Thatsache fällt auch das Urteil über den eigenartigen 
arithmetischen Stoff in den Lescfibcln nicht so ungünstig aus, als es an- 
fangs schien. Wir sehen in der Erklärung der mit indischen Ziffern ge- 
schriebenen Zahlen durch römische Zeichen nur ein Moment des Kampfes, 
den die indische Bechnungsweise bei ihrem Eindringen noch um 1500 
gegen die römische zu bestehen hatte. 



1) „Das new Rechepüchlein" Bl. XX111 ff. 

2) Arnos Comenii Orbis sensualium pictus . . . Ausgabe vou 1805, S. 341. 

3) Fischer, Typogr. Seltenheiten. 



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§ 6. Scrifschole und Schreiber. 



17 



§ 6. Scrifschole und Schreiber. In größeren Handelsstädten waren 
sehr früh Schreibschulen errichtet worden. JVir haben bereits (§ 2) be- 
merkt, in welcher Bedeutung die Schreibschule als besondere Schulgattung 
aufzufassen ist, und in welcher sie mit der deutschen Schule zusammen- 
fallt. Das Bestallungsdekret des Schreibmeisters von Winterthur 1416 be- 
stätigt diese Ansicht: „Der schriber hat versprochen einem rat by siner 
trüw an eides statt, einen jegklichen, der ihm zugesetzt wird, getrüwlich 
zu leren, in eim monat zeschriben ein solich gut geschrift, damit er sich 
fürgetragen mag fürsten, herren vnd stellen, vnd das er einen darinnen 
nichts bergen soll, by sinen trüwen. Vnd wär, das einer vorhin nützid 
kündt odir sust alz vnwisig wäre, dem welli er ein wuchen zu dem monat 
zugeben, das er so die geschrift sölli können." 1 ) 

Die Schreibkunst genofs im Mittelalter ein weit höheres Ansehen als 
heule, was vor dem Buchdruck nicht wunderbar erscheint. Sämtliche 
Schreiber jener Zeit gruppiert Walteubach 2 ) unter die drei Titel: Mönche, 
Kanzelisten und Lohnschreiber; wir fügen noch die Gruppe „die Schreiber 
auf der schule" hinzu. Das Abschreiben von Büchern durch Mönche 3 ) ist 
allgemein bekannt. Es brauchte aber auch jeder Mann von Bedeutung 
einen Beamten, der ihm seine Briefe schrieb und las. Protonotarii 4 ) hieben 
die Schreiber der Fürsten, Stadtschreiber auch Sluhlschreiber nannte man 
sie in der städtischen Verwaltung. 

Zu den Lohnschreibern gehören vornehmlich die fahrenden Schreiber 5 ) 
und Modisten. Erslere zogen von Ort zu Ort und erleilten kurze Schreib- 
kurse (1 bis 2 Monate). Letztere sind die Kunst- und Schönschreiber und 
bilden die beste Klasse der Schreiberzunft. Sic besafsen das Geschick, 
allerhand kunstvolle und zierliche Schriftarten 0 ) herzustellen, sie zogen 
nicht umher. Doppelmayr erwähnt 7 ) als Nürnberger Modisten: Job. Neu- 
dörfler 8 ) den Älteren, Job. NeudörlTer den Jüngeren, Antonius Neudörfler 

1) Muller, Schulordnungen S. 272. 

2) Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter 1875. 

3) Ausführlich bei Wattenbach, Schriftwesen S. 369— 385. 

4) Der Scholasticus Herrn an Dwerghe, mit dem 1418 der Vertrag wegen der 
vier lübeckischen Schreibschulen geschlossen wurde, war „prothonotarius des 
romeschen stoles"; Müller, Schulordnungen S. 36. — König Wenzel bat den Papst 
um Pfründen für die „honorabiles protonotarii , registratores atque scriptores 
litterarum noatrarum regalium 44 ; Wattenbach a. a. 0. S. 386. 

5) Vgl. oben S. 6 Note 4. — Ein weiterer Beleg in Müller, Schulordnungen 
S. 279. 

6) Proben sind zu finden in: Faulmann, Gesch. d. Buchdruckerkunst S. 281. — 
Ebenso in Müller, Quellenschriften S. 362. 

7) Doppelmayr, Hiator. Nachricht.. S. 201, 204, 217. 

8) Er ist der Schöpfer der Fraktur; siehe Faulraann S. 279. — Schultheifs, 
Gesch. der Schulen in Nürnberg II, 3 u. 20. 

U.sokb, Mothodik. 2 



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18 



§ 6. Scrifschole und Schreiber. 



und Paul Kaufmann. Im 16. Jahrhundert blühte überhaupt unter Paul 
Fischer in Nürnberg eine Schule der Modisten. 

Die Lohnschreiber übten nicht nur Lohnscbreiberdienste, sondern auch 
notarielle Funktionen aus, indem sie für Ulitteraten Briefe, Formulare und 
andere Schriftstücke anfertigten. 

Nicht selten widmeten sich die Modisten und Stadtschreiber auch dem 
Lehrgeschäfle, indem sie eine Privatschule eröffneten; so wird zu Frank- 
furt a. M. 1421 Heinze 1 ) als „schriber der modiste" und 1423 als „kinde- 
lerer" bezeichnet. In Rotterdam wurden 1328 das Schulamt und Stadt- 
schreiberamt durch Graf Wilhelm von Ilencgau an Peter Haren 2 ) verliehen, 
und durch ebendenselben 1342 an Claus Merren. 3 ) Der Ratsstuhlschrcibcr 
zu Freiberg in Sachsen hat bis 1830 Unterricht im Lesen, Schreiben und 
Rechnen erteilt. 

Am Ausgange des Mittelalters wurde der Titel Modist nicht nur zur 
Bezeichnung eines Schreibkünstlers, sondern auch noch in andrer Bedeu- 
tung gebraucht. Über Modista als Lehrer der modi significandi und über 
die Bezeichnung der Musiklehrer mit dem Titel Modisten sei auf einen 
von Joh. Müller verfafsten Artikel 4 ) verwiesen. 

Schreiber auf der Schule, auch Schulgcsellen oder Locaten, wurden 
diejenigen genannt, welche sich auf das Lehramt vorbereiteten 5 ), und auch 
die schon Ausgelernten, welche bei einem Schulmeister oder einer Schul- 
ineisterswitwe als Gehilfen 6 ) dienten; Seminaristen und Hilfslehrer würden 
moderne Bezeichnungen für jene „Schreiber" sein. Diese Schreiber wurden 
vom Scholasticus auch zu mancherlei Neheridieiisleu *) herangezogen. 

Wie die deutschen Schulmeister, so boten auch die 'Schreibmeister 
durch ein Aushängeschild dem Publikum ihre Dienste an. Den Wortlaut 
des ältesten derartigen Dokuments, welches noch gerettet ist, hat Watten- 
bach veröffentlicht. 8 ) 

Diejenigen Schreibmeister, welche Kinder lehrten, waren praktischer 
Bedürfnisse halber genötigt, gleichzeitig auch Leseunterricht zu erteilen; 
denn die Eltern konnten ihre Schüler wegen zweier Fächer doch nicht 
in zwei verschiedene Schulen schicken. Sobald dann das Schreiben der 
Ziffern an die Reihe kam, brachten die Schreibmeister ihren Schülern 

1) Müller, Quellenschriften S. 320. 

2) Müller, Schulordnungen S. 13. 

3) Ebenda S. 16. 

4) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1878 Sp. 234 ff. und 364 ff. 
6) Schultheifs a. a. 0. II, 31. 

6) Ebenda S. 32. 

7) Siehe hierzu Meitzer, Die Kreuzschule zu Dresden bis 1639, S. 24, 26, 
48, 61. - DesgL Müller, Schulordnungen S. 22, 23, 116, 116, 126, 127. 

8) Wattenbach, Schriftwesen S. 413. 



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§ 6. Scrifschole und Schreiber. 



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auch den „Verstand der Ziffern" d. h. das Numerieren bei und schlössen 
eventuell auch „Etwas von der Arilhmetika" (siehe § 4) an. 

Über kaufmännischen Rechenunterricht in Schreibschulen ist uns nur 
eine einzige urkundliche Stelle begegnet. Der Schreib-, Rechen- und 
Sprachmeister Jacop van Scoenhoven zu Amsterdam hatte sich mit einer 
Bittschrift an den Rat gewandt, weil er sich mit seiner Familie von der 
Schreibschule nicht ehrlich unterhalten könne. In der Antwort des Rats 
1509 heifst der letzte Artikel: „Item dat nyemant masculini sexus tot 
synder schoelen en sal moghen coomen, dan die ghene, die hem alleelycken 
willen begeven tot bryefture in duytsche oft in franchoise te leeren lesen 
ende scriven ende tot rekenen tc leeren mit tgene dat totte coopmans 
scape dienen mach." 1 ) 

Als die ältesten Scrifscholen werden die vier lübeckischen, je eine in 
den vier Kirchspielen genannt. Ihre Gründung scheint bald nach 1300 
erfolgt zu sein. 2 ) Der Scholaslicus zu Lübeck erhob Widerspruch gegen 
ihr Bestehen und erwirkte sogar das Interdikt. Jedoch wurden 1418 durch 
einen Vertrag zwischen Rat und Scholaslicus die Streitigkeiten beigelegt, 
und das Bestehen der Schreibschulen war von da ab gesichert unter fol- 
genden drei Bedingungen: dafs die Zahl genannter Schulen höchstens vier 
sei, dafs der Unterricht auf deutsch Lesen und Schreiben beschränkt 
werde, und dafs man dem Scholaslicus den dritten Teil des Schulgeldes 
zufliefsen lasse. 3 ) — Im Jahre 1420 wurde zu Braunschweig durch Vertrag 
zwischen Magistrat und Scholaslicus die Errichtung von Schreibschulen 
unter der Bedingung als zulässig erklärt, dafs sich der Unterricht nur auf 
deutsch Lesen, Schreiben und Briefstil erstrecke. 4 ) 

Das Gründungsjahr der vier Hamburger Schreibschulen ist nicht fest- 
gestellt, liegt aber vor 1400; denn auf Veranlassung des Scholaslicus ver- 
bot 1402 Papst Benedikt IX. unter Androhung von Bann und Interdikt 
die Eröffnung derartiger Schulen. 5 ) Trotzdem bestanden diese unter dem 
Schutze des Rates fort, und 1456 wurde „een eendracht gemaket van 

1) Müller, Schulordnungen S. 340. 

2) Heppe, Schulwesen deB Mittelalters S. 38. — Maller, Schnlordnungen S. 38. 

3) „bynDen Lubeke Scholen uthgenomen de schole veer schole wesen, dat 
acryvescbole synt ghenomet, dar men allenen schal leren kindern lesen vnde 
scryven in dem dudeschen unde anders nerghen ane . . . Item dejenne, de so- 
danne Scholen hebben unde regeren, de Scholen dem herrn scolastico one alle 
vormynderinghe unde alle bedrechnisse antwerden unde overgheven den drudden 
pennyngh des lones dat se entfanghen van den scryvescholeren unde de andere 
twe parte de Scholen se vor syk ane alle jeghensproke beholden Müller, Schul- 
ordnungen S. 36 - 37. 

4) Ebenda S. 43. 

5) Ebenda S. 72. 

2* 



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§ 7. Mädchenschule. 



deme capittele vnde rade lo Hamborch, (zwischen meyster Theodorico 
Wichmann, alsse enem scholaslico, vnde den borgheren van der scolen 
weghen to Hamborgh." *) Die Bedingungen waren dieselben wie in Lübeck 
und Braunschweig. 8 ) — Etwa 50 Jahre später wurde in Hamburg die 
Nikolaischule mit einer deutschen Schule verbunden, welcher die Ham- 
burger Kirchenordnung 3 ) 1529 Art. VI mit folgenden Worten gedenkt: „ld 
ifs vor gudt angesehen, dat eene dutsche Schole werde geholden in S. 
Niclas Schole. De Meister mit twe anderen Hülpen scholl de Schole fry 
hebben, un wat Ihom Gebuwte gehöret, Wohnungen schölen se ock 
darinnen hebben, davor schölen se schuldig syn, ock wat Christlicks ehren 
Schölern tho lehren, ock christlicke Gesänge. Ehren Sold auerst schölen 
se nehmen von eren Schölern. De Vorwesern, de de Schole buwen, schölen 
de SehrifT-Meister annehmen uud verlohnen, ock darup sehn, dat he solcke 
Hülper holde un belohne, de tho solcker Sacke verständig vnd mog- 
haftig synd." 

Ziehen wir das Besume, so ergiebt sich, dafs die deutschen und die 
Schreibschulen nur unter dem Widerslande des Scholasticus errichtet werden 
konnten, weil sich bei der eignen Schulgelderhebung durch den Abgang 
von Schülern dessen Einkommen verminderte. Der Vergleich kam dann 
dahin zustande, dafs der Scholasticus einen Teil des Schulgeldes zog, sich 
das Beslätigungsrecht des Schul- und Schreibmeisters vorbehielt, die Unter- 
lichtsgegenstände auf deutsch Lesen, Schreiben und Briefstil beschränkte 
und die Schule zeitweilig visitierte. 

§ 7. Mädchenschule. Neben der lateinischen und deutschen Schule 
für Knaben kennt das 15. und 16. Jahrhundert auch schon eine Mägdlein- 
oder Jungfrauenschule. 4 ) Diese war nicht für alle, sondern nur für die 
Töchter aus höheren Ständen bestimmt, um ihnen dasjenige Mafs von 
Wissen zu geben, welches sie geschickt mache zur Führung des Haus- 
wesens und Erziehung der Kinder und des Gesindes. Die Jungfrauen sollten 

1) Müller, Schulordnungen S. 69. 

2) Ebenda S. 70—71. 

3) Vormbaum, Schulordnungen I. Bd. 

4) Aus der Brannschweiger Kirchenordnung 1528: „Die Jungfrawenschulen 
seindt sehr nützlich vnd wol erdacht, darumb aollen die Bürger ihre Töchter 
darinnen Lesen, Schreiben, Bethen vnd Christliche Gesenge lernen lassen." 
Vormbaum I, 229. — „Über das (der Thomas- und Nikolaischule) seindt vier 
deutsche Schulen / da die knaben nur rechnen und fein reinliches schreiben 
lernen / Desgleichen auch etzliche Jungfraw Schulen / darinnen die Meydlein 
Beten / Singen / Lesen / Schreiben / Nehen vnd wirken / auch feine höffliche vnd 
züchtige geberde von ihren Schulmeisterin gelehret werden." Aus: „Wahrhaftige 
Beschreibung der Stadt Leiptsrigk Ulrich Grefte 1687; Handschrift der Stadt- 
bibl. Leipzig. Rep. II S. 139. 



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§8. Winkelschule. 



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nur eine oder zwei Stunden täglich und auch nur einige Jahre zur Schule 
gehen; sie wurden von Lehrfrauen unterrichtet und zwar im Lesen, 
Schreiben, Beten und feinen Sitten. Rechnen lernten sie nicht. 

Die Existenz von Mädchenschulen vor der Reformation läfsl sich für 
viele Orte nachweisen, so für Mainz 1 ) um 1300, Brüssel 2 ) 1302, Speier 3 ) 
1362, Frankfurt 4 ) 1364, Memmingen 5 ) 1400, Emmerich 6 ) 1445, Bam- 
berg 7 ) 1491, Amsterdam 8 ) 1503, Leisnig 9 ) 1523. 

Luther trat ebenso kräftig für den Mädchen- wie für den Knaben- 
unterricht ein 10 ) und wünschte zum Lehrpersonal „gelerte vnd züchtige 
meystcr vnd meysterynn". 11 ) Fast in allen Kirchenordnungen 12 ) Bugcu- 
hagens ist der Mägdleinschulen gedacht. 

§ 8. Winkelschule. Eine verbotene Schulgattung damaliger Zeit 
waren die biischolen oder Winkelschulen, d. h. die ohne Privileg errichteten 
Privatschulen. Wer genug Kenntnisse und Lehrgeschick zu besitzen glaubte, 
allein kein öffentliches Schulamt erlangen konnte, that auf eigne Faust 
eine Schule auf. Der Unterricht erstreckte sich so weit als das Wissen 
des Lehrers. Lesen und Schreiben waren die hauptsächlichsten Gegen- 
stände, doch pfuschten die Winkelschulmcister auch gern ins Latein und 
Rechnen. Sie boten schon der Frequenz halber alles, was in ihren Kräften 
stand. Durch alle möglichen Mittel: geringes Schulgeld, grofse Freiheit, 
lockere Disciplin suchten sie Schüler an sich zu ziehen. Damit zogen sie 
sich aber auch zugleich Hafs und Feindschaft von seilen der Scholastici ,3 ) 
und der privilegierten Rechenmeister zu. Von letzteren wurden sie als 
„Kalmäufser und Brotdiebc" arg verfolgt; erstere erwirkten obrigkeitliche 



1) Mone, Zeitschrift f. Gesch. des Oberrheins 1861 II, 165. 

2) Müller, Schulordnungen S. 8. 

3) Mone a. a. 0. II, 164. 

4) Kxiegk, Deutsches Bürgerthum. Neue Folge S. 77. 

5) Müller, Schulordnungen S. 269. 

6) Müller a. a. 0. S. 55. 

7) Ebenda S. 108. 

8) Ebenda S. 341. 

9) Ebenda S. 235. 

10) „Also kan eyn meydlin ia so viel zeyt haben / das es des tags eyne 
stunde zur schule gehe / vnd dennoch seyns gescheffts yin hause wol warte / Ver- 
schleffits vnd vertantzet vnd verspielet es doch wol mehr zeyt"; Luther, An die 
Radherrn S. 19. 

11) Luther, An die Radherin S. 18. 

12) Vergl. die Hamburger 1529, pommersche 1563, brandenburgisebe 1573, 
Nordhauser 1683; in Vormbaum I. Bd. 

13) Kämmel, die lat. Schulen des 16. u. 17. Jahrb. im Kampfe gegen die 
Winkelschulen, Zittau 1865. 



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22 



§ 8. Winkelschule. 



Verordnungen, wodurch entweder die gänzliche Aufhebung 1 ) der Winkel- 
schulen oder Beschränkung ihrer Lehrfreiheit bezüglich der Unterrichts- 
fächer (nur Lesen und Schreiben) und auch bezüglich des Alters der 
Schüler (nur solche unter 7 Jahren, und solche über 14 Jahre) verfügt 
und dem Scholasticus eine Entschädigung für den Schulgeldausfall zuge- 
standen wurde. Wegen der letzten Bestimmung war ihm die Visitation 
der Beischulen und Einsichtnahme in die daselbst geführten Namcnlisteu 
gestattet. Wurde dem Scholasticus die Zahlung des zugestandenen Ent- 
schädigungsgeldes verweigert, so stand ihm das Pfandrecht zu. 

Am schärfsten ging der Rat zu Amsterdam gegen die onderscholen 
oder biischolen vor. Die Verordnungen 2 ) von 1485, 1487 und 1496 über 
die Haupt- und Beischulen enthalten die Gesamtheit aller derjenigen Hinder- 
nisse, welche zu jener Zeit dem Privat- resp. Winkelschulwesen in den 
Weg gelegt wurden. Wir geben dieselben auszugsweise wieder: „Schult- 
heis, Schöffen und Rat gebieten, dafs alle Eltern, welche Knaben unter 
14 Jahren haben, die sie zur Schule halten wollen, dieselben in eine von 
den Hauptschulen setzen sollen; und wofern sie dieselben in eine andre 
Schule gehen liefsen, dafs sie den Schulmeistern (d. h. den Hauptschul- 
meistern) das Einkommen davon geben sollen, als ob sie unter ihnen zur 
Schule gegangen wären, und dafs die vorgenannten Schulmeister darum 
sollen pfänden können an deu Gütern der Eltern vorgenannter Kinder, 
gleicherweise wie man thun darf mit Schöffenbriefen (1485). — Schult- 
heifs etc. gebieten, dafs niemand innerhalb dieser Stadt Schule hallen soll, 
um Knaben unter 15 Jahren schreiben und lesen zu lehren als die Schul- 
meister von den grofsen Schulen der Stadt; oder er soll den Schulmeistern 
von den grofsen Schulen alle Vierteljahr geben zwei Stüber von jedem 
vorgenannten Knaben . . . Wäre es der Fall, dafs die Beischulmeister diese 
zwei Stüber nicht bezahlen, das wäre bei Verlust von einem Pfunde zum 
Vorteile des Herrn (des Grafen) und der Stadt . . . Die Beischulmeisler 
sollen gehalten sein, den vorgenannten Schulmeistern ihr Verzeichnis und 
Buch lesen zu lassen, darein sie die Kinder geschrieben haben, und ihre 
Schule visitieren zu lassen, und sie sollen den Schulmeistern einen Eid 
thun wegen der Kinder, die sie gelehrt haben, sofern sie das begehren, 
bei Verlust von einem Pfunde Hcrrengeldes" (1487). Ähnlich lauteten 
die Bestimmungen 1496. — Aus der raschen Aufeinanderfolge dieser Ver- 
ordnungen läfet sich ein Schliffs auf ihre Wirkungslosigkeit ziehen. Thal- 
sächlich bestanden in Amsterdam die Beischulen trotz der erheblichen 

1) Vergl. Pommersche Kirchenordnuog 1663, kureächs. Kirchenordnung 
1580, Nordhäuser Schulordnung 1583, in Vormbaum I. Bd. — Desgl. Müller, 
Schulordnungen S. 8 und S. 276. 

2) Abgedruckt in Müller, Schulordnungen S. 323—327. 



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§ 9. Hindernisse des Schulwesens. 23 

Hindernisse ohne Schaden fort, ein starker Beweis, wie wenig der ein- 
seitige Lehrplan der lateinischen Schulen den praktischen Bedürfnissen der 
Amsterdamer Kaufleute genügte. 

Die Wiukelschulen haben den Stadtschulen nicht allein, sondern dem 
Erziehungswesen überhaupt geschadet, da sie eine sichere Retirade für 
diejenigen Schüler wurden, die sich in unverantwortlicher Blindheit ihrer 
Eltern der geziemenden Anhaltung zu Fleifs und guter Sitte entziehen 
wollten. Desgleichen liefen die Schulgeldrestanten gern aus einer Schule 
in die andre. — Trotz aller Verhole bestand das Winkelschulwesen fort 
auch noch in den nächsten beiden Jahrhunderten. Zu Marburg 1 ) wurden 
bei einer Visitation 1628 fast in allen Gassen Nebenschulen gefunden, 
manche hatten nur zwei oder drei Schüler. Kassel 2 ) hatte 1738 nicht 
weniger als 34 Nebenschulen. 1784 wurden in Gotha von 11 Winkel- 
schulen 5 verboten. 

§ 9. Hindernisse des Schulwesens. Die Erfolge entsprachen bei 
weitem nicht den Anstrengungen, welche um die Hebung des Schulwesens 
im 16. Jahrhundert gemacht wurden. Die Volksschule kam auf Dörfern 
fast nirgends zustande. Wenn der Küster lesen und schreiben konnte und 
Lust zum Unterrichten hatte, und wenn die Bauern gewillt waren, ihre 
Kinder zu schicken und Schulgeld zu zahlen, so wurde von Martini bis 
Fastnacht Schule gehalten; im Sommer brauchte man die Kinder zur Feld- 
arbeit. 

Der Grund zur Erfolglosigkeit der Bemühungen lag darin, dafs die 
drei wichtigsten Vorbedingungen eines geordneten Schulwesens fehlten, 
nämlich Lehrerbildungsanstalten, der Schulz wang und ausreichende Besol- 
dung der Lehrer. 

Dafs Unterrichten eine Kunst sei, wufste man damals noch nicht, der 
Besitz der Kenntnisse allein genügte zur Übernahme eines Lehramts. 

Bezüglich des Schulbesuchs gab es zwar Verfügungen, widerstrebende 
Eltern zu bestrafen; doch wäre die Bestrafung bei der grofsen Armut des 
Volks eine grausame Härte für viele gewesen. Und so blieben die obrig- 
keitlichen Anordnungen meist fromme Wünsche. 

Die damaligen Besoldungsverhältnissc der Lehrer bieten kein erfreu- 
liches Bild. Einen grofsen Teil ihres Einkommens bezogen sie in Natura- 
lien: Holz, Kerzen, Korn, Brot, Wein, Eier, Hühner. Dazu kam, dafs 
dieselben den Leuten gewöhnlich abgezankt werden mufslcn. — Überdies 
beschwerte der Gutsherr (Schulpatron) den Schulmeister nicht selten mit 
Hof- und Jagd-, und der Pfarrer ihn mit Frondiensten, als Glockenläuten, 



1) Heppe, Gesch. des Volksschulw. I, 302. 

2) Ebenda S. 313. 



III II I I •!•."•"" Uli 



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24 § 10. Arithmetische Leistungen der lat. Schulen u. Universitäten. 

Kirchefegen, Manteltragen etc. — Im Lehrstaude findet man auch den 
Verhältnissen entsprechend halhverkommene Elemente aller Stände: abge- 
dankte Soldaten, entlaufene Diener, verdorbene Gymnasiasten, verpfuschte 
Studenten. 

§ 10. Arithmetische Leistungen der lat. Schulen n. Universitäten. 
Wir haben bereits § 1 bemerkt, in den vorreformatorischen Kloster- und 
Domschulen habe sich der Unterricht auf die Erlernung einiger Sprach- 
kenntnisse und die Einübung der kirchlichen Gesänge beschränkt, was 
man zur Ausbildung eines künftigen Kirchendieners für genügend hielt. 
Die mathematischen Wissenschaften waren hier so gut wie ausgeschlossen. 

Bezüglich der Förderung des mathematischen Unterrichts auf den 
lateinischen Schulen müssen namentlich die Bemühungen Melanchthons 
rühmend erwähnt werden. Er las selbst mathematische Kollegien und versah 
mathematische Kompendien andrer mit Vorreden 1 ), in denen er die Mathe- 
matik als eine der Astronomie und Physik unentbehrliche Hilfswissenschaft 
nennt und den formalen und ethischen Nutzen ihres Studiums hervorhebt. 

Die mathematischen Leistungen waren in jener Zeit auf den lateinischen 
Schulen sehr minimale. Die ineiste Zeit absorbierte der lateinische Unter- 
richt, für*die Mathematik war meist nur in den beiden obersten (oder 
auch nur in einer) Klassen wöchentlich eine Stunde angesetzt. Dafs in- 
folgedessen die mathematischen Leistungen zu den sprachlichen in argem 
Mifsverhältnis 2 ) stehen mufsten, ist ganz natürlich; in einer Klasse, in der 
man Terenz und Cicero las, die Syntax beendete und Prosodie begann, 
lernte man die vier Species in ganzen Zahlen. Weiter als bis zur Bruch- 
lehre und Regeldetri kam man selten. 

Die Lehrpläne des 16. Jahrhunderts stellen denn auch gar keine oder 
nur geringe Anforderungen bezüglich der Mathematik. Wir lassen hier 
die in einigen Schulordnungen auf die Arithmetik bezüglichen Bestim- 
mungen folgen. 

„Der 3 ) Sechser Übung: Die Zyphern vnd zal. Die Übung der fünfer: 
Gemeyner rechnung. Der vierer Übung (steht nichts da). Vbung der 
dreyer: Musik / Arithmetjk / vnjl Astromei." (Für die beiden obersten 

1) Peurbach, Elementa Arithmetices, Wittenberg 1536. — Stifel, Arith- 
metica integra, Norimbergae 1544. 

2) „Daselbst [in der obersten Klasse] soll man Proaodiam lehren und sie 
ernstlich dahin halten, dafs sie Versus schreiben. Es ist auch nötig, dafs die 
Knaben gelehrt werden Elementa Arithmetices; denn die Species in Arithmetica 
und Kegulamdetri können die Knaben leichtlich lernen, wenn es ihnen apte et 
breviter proponiert wird"; aus dem Lehrplane für Partikularachuled der poni- 
merschen Kirchenordnung 1563, siehe in Vormbaum I, 174. 

3) Aus der Zwickauer Schulordnung für die sechsklassige Lateinschule 
1523, abgedruckt in Müller, Schulordnungen. 



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§ 10. Arithmetische Leistungen der lat. Schuleu u. Universitäten. 25 

Klassen steht nichts da.) — »Auf 1 ) den Freitag soll von 12 — 1 Uhr die 
Arilhmetica gelesen werden. Es sollen aber die Praeceptores keine andre 
Arithmeticam dann Piscatoris brauchen und daraus in quarla Classe (<= die 
zweitoberste, wo Terenz und Cicero gelesen wurde) alleine die species, in 
quinta (oberste Klasse) aber die ganze Arithmeticam lesen/' Aus den zur 
Einführung genannten Kompendien 2 ) läfst sich ein genaues Bild über den 
Umfang des vorgetragenen Stoffes gewinnen. Die praktischen Teile der 
Arithmetik, d. h. kaufmännisches Rechnen, enthalten die auf lateinischen 
Schulen gebrauchten Lehrbücher nicht; um jene zu erlernen, waren die 
Schüler auf Privatunterricht oder auf den Besuch einer Rechenschule an- 
gewiesen. 

Nicht viel höher als auf den lateinischen Schulen waren die arith- 
metischen Leistungen auf den Universitäten. Von Grammateus 3 ) erfahren 
wir, dafs der Algorithmus M. (leorgii Peurbachii 4 ), der etwa dasjenige 
arithmetische Mafs von Wissen enthält, welches gegenwärtig zehnjährige 
Kinder besitzen, „gemacht sei für die Studenten der hohen schul zu Wien". 
Über den Inhalt mathematischer Belehrung auf der Universität Wittenberg 
zu Melanchthons Zeiten giebt uns die Einladungsrede eines Docenten der 
Mathematik Nachricht. Dieser Docent lobt die Arithmetik und bittet die 
Studenten, sich nicht durch die Schwierigkeit dieser Disciplin zurück- 
schrecken zu lassen. Die ersten Elemente seien leicht, die Lehre von der 
Multiplikation und Division verlange etwas mehr Fleifs, doch könne sie 
von Aufmerksamen ohne Mühe begriffen werden. Freilich gebe es schwie- 
rigere Teile der Arithmetik; „ich spreche aber", fährt er fort, „von diesen 
Anlangen, die Euch gelehrt werden und nützlich sind." 5 ) 

Man darf sich jedoch nicht allzusehr wundern ob der mäfsigen mathe- 
matischen Anforderungen und Leistungen; denn am Anfange des 16. Jahr- 
hunderts stand die Mathematik noch auf einer tiefen Entwicklungsstufe, 
kannte man doch noch nicht die Auflösung kubischer Gleichungen und 



1) Ans dem Lehrplane der fQnfklassigcn Partikularschulen in Kursachsen; 
siehe kursächsische Kirchenordn. 1580 in Vormbaum I, 243. 

2) In Altdorf war eingeführt: Gemma-Frisius, Arithmeticae practicae Me- 
thodaa facilis 1640. „Der Mathematicus soll die Arithmeticam, so gut er die 
in lateinischer Sprach bekommen kann, ausdrücklich und verstendlich lesen und 
explicieren. Vnd solches fürnehmlich aufs dem libeHo Gemmae Frisii"; Altdorfer 
Gymnaaialordnung 1576; Vormbaum I, 612. — In Kursachsen war Joh. Fischers 
lat. Compendium vorgeschrieben: „Joh. Piscatoris Arithmeticae Compendium, pro 
Stndiosis hu jus artis tyronibus recognitum, Lips. 1549" uud später. 

3) Grammateus, „Ein new künstl. behend vnd gewifs Rechenbnchlin" . . . 
Wien 1518 Bl. 6. 

4) Georg Peurbach 1423-1461 in Wien. 

5) Raumer, Gesch. d. Päd. I, 288. 



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§11. Kechenschulc. 



der praktischen Arithmetik fehlten beispielsweise noch die Decimalbrüche, 
und die gegenwärtige Divisiousmethode, der Logarithmen gar nicht zu 
gedenken. 

Wir wenden uns nun zu derjenigen Schulgatlung, welche in jenem 
Zeitalter als die eigentlichste und ausschliefslichste Pflanzstätte der prakti- 
schen Arithmetik zu gelten hat. 

§ 11. Rechensclmle. Die Gründung der Rechenschulen begann mit 
dem Aufblühen des Handels im 13. Jahrhundert. Der Haiisabund 1241 
beweist, dafs auch der dritte Stand sich erhoben hatte zu einer Macht, 
stark genug, die eigenen Interessen selbst zu vertreten. Da die vom Klerus 
unterhaltenen Schulen dem Handelsstande nicht diejenige Bildung gewährten, 
welche er brauchte, nämlich aufser Lesen und Schreiben auch Buchhaltung 
und vorzüglich Rechnen, so mufsle der Kaufherr anfangs selbst der Lehr- 
meister seiner Lehrlinge und Söhne in den kaufmännischen Wissenschaften 
sein, bis ihn die Rechenmeister in dieser Tbätigkeit ablösten. Des hin- 
reichenden Auskommens wegen erhielt gewöhnlich ein (oder einige) 
Rechenmeister das Unterrichtsmonopol für eine Stadt, sein Titel war dann 
privilegierter städtischer Reebenmeister. Nicht selten war ein solcher 
Rechenmeister gleichzeitig in der städtischen Verwaltung thätig, er führte 
die Stadtrechnungen, visierte die eingehenden Fässer, funktionierte im 
Münzwesen etc. Stadtschreiber war der Titel dieses vielseitigen Beamten. 
Ein tüchtiger Rechner war damals ein gesuchter Artikel. 1 ) 

Bei der Bestallung wurde dem Rechenmeister eine Urkunde, seine 
Pflichten und Rechte enthaltend, von dem Magistrate ausgefertigt. Die 
Urkunde, welche 1627 zu Rostock einem aus Wittenberg dahin berufenen 
Rechenmeister ausgestellt wurde, hat folgenden Wortlaut. ; ,Wir Bürger- 
meisler und Rat zu Rostock Urkunden hiermit, dafs wir den ehrenfesten 
und wohlgelahrten Jeremias Bernsterlz zu unserm und gemeiner Stadt 
Schreib- und Rechenmeister, bis ein Teil dem andern diese Bestallung ein 
halbes Jahr zuvor gebürlich aufkündigen wird, bestellt und angenommen 
haben, bestellen ihn auch in Kraft dieses Briefes dergestalt, dafs er 
wöchentlich des Montags, Dienstags, Donnerstags und Freitags eine Stunde 
in der lateinicheu Schule allliier aufwarten, die junge Jugend daselbst ohne 
Unterschied umsonst, andere aber außerhalb der Schule wöchentlich alle 
Tage, es seien Knaben, Mädchen und andere, so es von ihm begehren, für 
billiges und leidliches Monats- und Wochengeld im lateinischen und deutsch 
Schreiben, Rechnen, Buchhalten und anderen nützlichen Künsten und 
guten Sitten fleifsig lehren und sonst alles andere, so einem fleifsigen 
und gelreuen Schreib- und Rechenmeister eignen und gebüren will, nach 



1) Vormbaum 1, 166. 



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§ 11. Rechenschule. 27 

seinem besten Verstände und Vermögen mit höchstem Fleifse verrichten 
solle. Damit ihm aber auch seine getreuen Dienste gebürlich belohnt wer- 
den mögen, als haben wir ihm jährlich zu seiner Besoldung 400 Mark 
sündisch aus dem gemeinen Kasten zu den gewöhnlichen 4 Quartalen, und 
dann auch frei an Schofs, Wacht, Accise, Grabengehen, hundertsten Pfen- 
nig, Soldalengeld und aller andern Kontribution, wie die Namen haben 
möge, so vor oder nach aufkommen, wie dann auch freie Bürgerschaft, 
freien Ab- und Zuzug, endlich auch eine freie Wohnung versprochen: 
Alles getreulich und ohne Gefährde." 1 ) 

In größeren Handelsstädten vereinigten sich die Bechenmeister zu 
Innungen mit ähnlichen Satzungen und Gebräuchen wie die Handwerker- 
zünfte. Der Lehrling, Junge genannt, wurde mittels Kontrakts von einem 
Innungsmeister aufgenommen ; nach beendigter Lehrzeit, welche sechs Jahre 
dauerte, wurde er losgesprochen und konnte nun unter dem Titel „Schrei- 
ber" von einem Schulmeister oder einer Schulmeislerswitwe als Gehilfe 
sich engagieren lassen. War ein „locus" offen, d. h. eine Stelle vakant, 
so rückte der älteste Anwärter ein, d. h. er wurde Meister, mufste sich 
aber vorher einem Examen vor den Vorgehern der Innung unterwerfen, 
dann seine Tafel (Aushängeschild) schreiben und den Innungsmeistern zur 
Schau stellen und schlicfslich die Statuten der Innung unterschreiben. 

Wir wollen zunächst im folgenden einen Kontrakt, die arithmetischen 
Examenfragen und ein Zeugnis über eine bestandene Prüfung mitteilen. 

Ein Lehrkontrakt. 

„Im Namen der heiligen Dreieinigkeit. 

Kund und zu wifsen sei hiermit Allen, so daran gelegen, dals heute 
auf uulengesetztem Dato zwischen Herrn J. F. Bruchmann, Schreib- und 
Rechnenmeister dieser Stadt an einem, und Herrn P. II. Schliemann am 
andern Theil folgender Lehr- und Dienslcontract verabredet und geschlos- 
sen worden: 

1. Es gibt Herr P. Ii. Schi, seinen Sohn II. Ii Schi, auf sieben 
nacbeinandcrfolgende Jahre, als von Ostern 1801 bis Ostern 1808 wol- 
bedächtlich bei dem Hrn. J. F. B. in die Lehre, um von ihm die löbliche 
Schreib- und Rechnenkunst wie auch das italienische Buchhallen zu er- 
lernen und bezalt dafür einhundert Mark Lübisch Courant, nemlich 
50 Mark bei Unterschreibung des Contracts und 50 Mark nach Verlauf 
der Hälfte der Dienstjahrc. Hierbei verpflichtet sich 

2. der Hr. H. P. Schi, seinen Sohn in währender Dienstzeit mit 



1) Heppe, Gesch. des VolksBchulweaens V, 394. 



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28 



§11. KecbenBchule. 



Kleidern, Bett und reiner Wäsche hinlänglich zu versorgen, für seine 
Treue Bürge zu sein und ihn anzuhalten, dafs er sich jederzeit fromm 
aufführe, seine Herrschaft gebührend respektire, ihren Befehlen und denen, 
durch die sie befehlen, gehorsam folge, ohne ihr Vor wissen sich weder 
hei Tag oder Nacht aus ihrem Hause finden lassen, ihren Nutzen und 
Bestes allezeit beobachten und nach allem Vermögen befördern helfe, keine 
zur Verführung Gelegenheit gebende örter besuche und besonders die 
Schulkinder und Kostgänger ohne Unterschied, ohne Gunst und Gaben zu 
aller Freundlichkeit fleifsig und unverdrossen unterweise, mit Niemand sich 
gemein und dreist mache, sich auf keine Weise von seinem Herrn ab- 
wendig machen lasse, und überhaupt sittsam, redlich, getreu, verschwiegen 
und willig sein soll, welches auch II. II. Schi, hiermit feierlich angelobt. 
Sollte es sich aber zutragen, (welches Gott verhüten wolle), dafs der 
Bursche sich von bösen Leuten verführen liefse, obigen Punkten zuwider 
zu handeln, oder von seinem Herrn heimlich oder öffentlich wegzu- 
gehen, so verpflichtet sich Hr. II. P. Schi., wenn er solches nicht hindert 
oder stört, 300 Mark Courant an das_ S. Annen Armen- und Werkhaus 
zu bezalen und der ausbezalten Gelder verlustig zu sein. Hiegegen ver- 
pflichtet sich 

3. Hr. J. F. Br. erwähnten H. H. Schi, während dar 7 Lehrjahre an 
seinem Tische ordentlich zu versorgen, (wenn er nicht durch eine unbe- 
scheidene Aufführung die Zurückweisung von demselben sich selbst zu- 
zieht), ihn zu allem Guten anzuhalten und im Schreiben, Rechnen und 
Buchhallen so zu unterrichten, dafe er bei Anwendung seines Fleifses 
sowol bei der Schule als auch am Comptoir damit bestehen kann, wozu 
ihm sein nunmehriger Principal dem hoffentlich guten Verhalten gemäfs, 
durch hinlängliche Empfehlung selbst beförderlich zu sein sich hiermit 
erbietet. 

4. Nach Verlauf dieser Lehrjahre wird ihm sein Herr entweder als 
einen Gesellen gegen gewöhnliches Salair (10 Thlr jährlich) selbst behalten 
oder auch anderswo empfehlen. Dagegen mufs er, wenn seine Gesinnungen 
wären, sich weiter etwas zu versuchen, es seinem Herrn ein Vierteljahr 
vorher ankündigen, welches der Herr auch zu lluin schuldig ist. 

5. Sollte es aber Gott gefallen, seinen Herrn während der Dienstzeit 
aus der Welt zu nehmen, so sollen dessen Erben, falls sie die Schule 
fortsetzen, ihn entweder selbst behalten oder im Gegentheil Sorge tragen, 
ihn bei einer andern Schule unter zu bringen, damit er völlig auslerne, 
wogegen aber gedachten Erben das noch restirende Lehrgeld ausbezalt 
wird. Zu mehrerer Versicherung sind hiervon 2 gleichlautende Exemplare 
ausgefertigt und von beiden Theilen ohne Arglist und Gefährde mit dem 
Vorsatz diesen Contract fest und unverbrüchlich gegen alle zu machenden 



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§ 11. Rechenschule. 



29 



Ausflüchte zu hallen, eigenhändig unterschrieben, wovon jeder eins zu 
sich genommen. 1 ) 

So geschehen Lübeck d. 11. April 1801. 

Jos. Fr. Bruchmann/' 

Das Examen, welches beispielsweise in Nürnberg zu bestehen war, 
war ein schriftliches und ein mündliches; es bezog sich auf die Schreib- 
und Rechenkunst. Der Examinand erhielt vom ältesten Vorgeher der In- 
nung bezüglich des Rechnens folgende Fragen zur häuslichen schriftlichen 
Beantwortung: 

„1. Was ist Arilhmetica und was lehrt sie? 

2. Wie viele Zahlzeichen werden dazu gebraucht? Was haben sie für 
ein figürliches Ansehen? Und wie werden sie ausgesprochen? 

3. Was ist eine Zahl? Wozu wird das 1 angenommen und was für 
Eigenschaft hat das Null? 

4. Wie werden die Zahlen eingelheilt und unterschieden? und wieviel 
Unterschied hat jeder Teil? 1 

5. Was sind die fürnehmsten Eigenschaften der Zahlen? und wie wer- 
den sie zum Gebrauch gezogen? 

G. Wieviel sind Species Arithmelicae? Was lehret jede? und wie wer- 
den sie probirt? 

7. Was sind gebrochene Zahlen? Ists auch nützlich, darin zu labo- 
riren und sowohl die Jugend als andere in solchen zu informiren? 

8. Wie vielerlei Arten sind die Brüche oder gebrochenen Zahlen? 

9. Wie kann man einen Bruch durch eine Mensur in seine kleinste 
Form bringen? 

10. Wie werden die Brüche ungleiches Namens zu gleichen Nennern 
oder gleichnamig gemacht? und wie kann man unter 2, 3 und 4 
und mehr Brüchen erkennen, welcher unter ihnen dem Wert nach 
der gröfsestc sei? 

11. Wie werden die Brüche nach ihrem Wert resolvirt? und der Wert 
oder Geltung des Bruches wieder zu einem Teil des Ganzen gemacht? 

12. Wie werden die Brüche nach den Speciebus auf das Vortheilhaftesle 
behandelt? 

13. Wozu werden die Species Arithmelicae sowohl in gemeinen Ganzen, 
als auch gebrochenen Zahlen applizirl? 

14. Was ist und lehret Regula de Tri? Was hat sie für eine Ordnung 
und wie wird damit procedirt? 

15. Müssen in der Regula de Tri alle weg drei Dinge bekannt seyn? 



1) Heppe, Gesch. des Voiksschulwesens V, 310. 



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30 



§11. Rechenschule. 



16. Mufs die Fragzahl jederzeit hinten zur rechten Hand stehen? und die 
vordere der hinteren Zahl dem Namen nach gleich seyn? 

17. Warum multiplicirt man die hintere und mittlere Zahl mit einander 
und dividirt das Produkt durch die erstere oder vordere Zahl? 
Woher hat dieser Prozefs seinen Grund und Demonstration? 

18. Kann einer bei diesem bishero angerührten arithmetischen Wissen 
für einen Rechnenmeister passiren und erkaunt werden? oder wird 
eine mehrere Wissenschaft von einem Arithmetico erfordert? 

19. Was ist Progressio? und wie vielerlei sind Progressiones? 

20. Wie werden die arithmetischen und geometrischen Progressiones gegen 
einander unterschieden und erkannt? auch ihre Progressional-Zahlen 
vortheilhaftig in eine Summam gebracht? 

21. Was ist Progressio Harmonica und deren Eigenschaft? Wie wird 
sie erkannt und gefunden? 

22. Was sind Partes aliqnotae? und wie werden sie gefunden? 

23. Was sind Perfect-, Excess- und Defecl- Zahlen? und wie werden 
sie von einander erkannt und gefundeu? 

24. Was ist Algebra oder Coss? und was für Signa oder Zahlen wer- 
den dazu gebraucht? 

25. Was sind Radices? Quadrat- und Kubikzahlen? und wie werden sie 
generirt und formiret? 

26. Wie exlrahirt man radicem quadratam oder cubicam? und wozu 
dient solche Extraction? 

27. Was sind Pronic- Zahlen? Wie werden sie gefunden und ihre Wurzel 
exlrahirt? [S. unten § 71.] 

28. Weil in Cossischer Operation vielfältigmal solche Quanlitates oder 
Potestates vorkommen, welche durch die Signa -j- und con- 
neclirt und in dem Algorithmo der Cossischen Specierum behandelt 
werden müssen, so fragt sich's: Was ist in jeder Species dabei zu 
obseruiren? 

29. Was sind Rational-, Irrational- oder Surdische Zahlen? auch Com- 
municantes? und wie wird mit denenselben in denen Speciebus 
procedirt? 

30. Was sind Uinomina und Residua? und wie werden sie in den Spe- 
ciebus applicirl? 

31. Kann man aus Binomiis und Residuis Radicem quadratam et cubi- 
cam extrahiren? 

32. Was sind Universal-Zahlen? und wie wird in denen Speciebus mit 
ihnen procedirt? 

33. Was seynd Polygonal -Zahlen? und was ist dabei zu obseruiren? 

34. Was ist die Diff. einer Chilioheplacosioheptacontatetragonal - Zahl? 



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§ 11. Recbenschule. 



31 



Wie wird solche generiret und vom primo termino an bis auf den 
Sechsten extendiret? 
35. Wie wird besagte Chilioheplacosioheplacontatetragonal-Zahl, deren 
Latus 6 formirt und aus solcher gefundenen Polygonal -Zahl die Wur- 
zel wieder extrahirt?" 1 ) 
Ein Prüfungszeugnis: 

„Wir die Vier hernachbenandte mit Namen August Wildsaw, Johann 
Heer, Sebaldt Winckler vnnd Sebastianus Curtius Rechenmaistern Alfs von 
Einem Edlen, Ehrnvesten, Hoch- vnd Wolweisen Rath der Statt Nürnberg 
vnscrer HochverEhrten lieben Obrigkeit verordnete Inspectores, Visitatorcs 
vnnd Examinalores über die Teutschen Schreib- vnnd Rechen -Schulen 
dieser Statt, Uhrkunden vnnd Bekennen hiemit gegen Jeder mennigklich 
in Krafflt dieser Schrifft: Dafs Fürweiser derselben, der Ersam Joachim 
Schräm, auch Mitbürger, aufs ob HochEhrngedachts Eines Edlen, Ehrn- 
vesten Raths, vnnd deroselben Wol verordneten Beyden Herrn Scholarchen 
über die Teutschen Schulen, Dem auch Edlen, Ehrnvesten, Fürsichtigen 
vnnd Wolweisen Herrn Georg Pfinzing, vnnd Herrn Georg Christoff Volcka- 
mers Grofsgunstiges anbefehlen, den 29. Aprilis dieses Instehenden 1620 
Jahrs vor vnns im Examinc erschinen, vnnd vnsrer habenden Pflicht nach, 
mit Fleifs Examiniret worden ist. Alda wird dann seine Person vnnd 
qualitet also qualificirt befunden, Dafs wir daran fT in unsrer gethanen Re- 
lation bey unserm Gewissen aufsgesagt, Dafs Er zu einen Schul- vnd 
Rechenmeister wol zuzulassen, auch die liebe Jugendt in Gottesforcht, 
Lesen, Schreiben, Rechnen, Visiren vnnd andern hierzugehörigen Künsten 
zu Instituiren vnnd zu vnterweisen wohlgeschickt seye. Weiln Er sich 
auch sonslen, vonn Jugendt auf, vnnd sonderlich [in seinen Ehrlich aus- 
gestanden Sechs Dienst Jahrn dessen Ihme dann sein Herr vor vnnfs guts 
Zeugnus geben. Jeder Zeit fromb, Gottesförchtig, Getreu, verschwiegen, 
vnnd also wie Einem Ehrlichen Menschen gebürt, vnnd wohl anstehet, 
Erwisen vnd verhalten hat. Darauf Ihme dann von der Lieben Obrigkeit 
Alhie eine Teutsche Schul anzufangen vnnd zu halten, Grolsgunstig erlaubt 
vnnd zugelassen worden. Dieweil Er aber seine Wohlfahrt ausserhalb die- 
ser Statt, an andern Orten zu suchen verhofll vnnd gemeint. Vnns dero- 
wegen vmb einen Schein vnd Zeugnus, Obangedeuten Verlaufls, solchen 
seiner Notturlft. nach, haben zu gebrauchen, Dienstlich ersucht vnnd ge- 
betlen. Haben wir Ihme solchen der Wahrheit zu Steuer nicht abschlagen 
oder verweigern können noch sollen. Sondern Ihme diesen vnder vnserer 
aigenen Handt Subscription vnnd fürgedrückten Pettschafften wissentlich 
zugestellt. Der geben ist den 12. Julii Im Jahr der Gnadenreichen Ge- 

1) Schultheiß, Gesch. d. Schulen in Nürnberg II, 109 ff. 



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32 



§11. ftecbenachule. 



burt vnsers Lieben Herrn vnnd Heilandt Jesu Christi, Ein tausend Sechs 
hundert vnud zwanzig. 

(L S.) August Wildsaw, Rechenmeister, Inspector vnd Visitator. 

(L. S.) Johann Heer, Arit. Insp. vnnd Visitator in Körnberg. 

(L. S.) Sebaldus Winckler, Arithmetic. etc. Insp. Sc. Scholarum pro- 

pria manu. 

(L. S.) Sebast. Curtius, Arithm. et G. Inspect. vnnd Visitator." 1 ) 
Ehrbar, wohjgelehrt und kunslberühmt waren die Prädikate 2 ) der 
zünftigen Rechenmeister. 

Die Lübecker Schreib- und Heclienmeisterinnung 3 ) bestand bis 1813. 
Nürnberg, welche Stadt durch den Kunslfleifs ihrer Bürger alle Städte 
Deutschlands überstrahlte 4 ), hatte auch die berühmtesten Hechenschulen. 
Schultheifs 5 ) nennt eine grofec Anzahl Nürnberger Rechenmeister, unter 
denen die bedeutendsten sind: Jobann Heer 6 ), welcher ein Kompendium 7 ) 
schrieb zur Vorbereitung auf das Rechenmeisterexamen; Zacharias Lochner 8 ) 
(t 1608), welcher in der Herstellung magischer Quadrate bedeutende 
Fertigkeit besah; Sebastian Kurtz (= Curtius 1576— 1G59), dessen Re- 
chenschule einen weit über die Grenzen des Nürnberger Weichbildes gehen- 
den Ruf genofs und dem der Kaiser Ferdinand III. 1654 durch Verleihung 
einer goldenen Kette 9 ) als Geschenk für die Überreichung eines geodäti- 
schen Werkes seine Gunst bewies. — Ein Nürnberger Rechenmeister, Ulrich 
Wagner, ist der Verfasser des ältesten deutschen Rechenbuchs 1482. 

Die Zahl der Rcchenschuleu wurde 1613 in Nürnberg auf 48 fest- 
gesetzt und 1665 auf 28 reducierl. Die Zunftverfassung 1665 bestand 
aus 5) Artikeln (betreffend die Anzahl der Schulen, Lehrzeil, Gehilfenzeit, 
Neuwahl der Vorsteher, lunungsbeilräge, Rechnungsablegung, Schulzeit), 
welche Schultheifs mitteilt. 10 ) In dessen Werke findet man auch Nach- 
richten über die Amtsverwaltung 11 ) der Innungsvorgeher, beispielsweise 
wie diese einen nichtzünfligen Schulmeister an der Ausübung des Lehr- 



1) Schultheifs II, 96. 

2) Ebenda S. 34. 

3) Heppe, Volksschulwesen V, 308. 

4) Vergl. Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Ma- 
theniaticia und Künstlern 1730. 

6) Schultheifs II. 

6) Schultheifs II, 26 und Doppelmayr S. 166. 

7) Arithmeticae et geometricae Qnestiones für diejenige, so eich ins Examen 
uud folgends zu dem teutscheu Schulstand zu begeben gesinnt, Nürnberg 1616. 

8) Doppelmayr, Hist. Nachricht. 

9) Schultheifs II, 27. 

10) Ebenda S. 105. 

11) Ebenda S. 98 ff. 

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i Sil St II I II II (II II l Wr I 



§ 12. Unterricht durch Briefe und Geheimhaltung von Kenntnissen. 33 



amts hindern wollten und wie es dabei sogar zu Thällichkeilen (Haar- 
raufen, Maulschellen) kam. 

So wohlthälig die Zunft Verfassung der nechenmeister im 16. Jahr- 
hundert auch war, so hat sie doch in der Folgezeit die Entwickelung des 
Nürnberger Schulwesens stark gehindert. Weil den Innungsmeistcrn das 
Zwangsrecht für ihre Schulen zustand, so waren sie wenigstens aus Kon- 
kurrenzrücksichten nicht genötigt, den Forderungen und Fortschritten auf 
pädagogischem Gebiete zu folgen. Durch unverändertes Festhalten an ihren 
Salzungen kam es dahin, dafs sie sich überlebten. Im Jahre 1808 wurden 
die Vorsteher zur Wahrung ihres alten Rechts sogar vorstellig 1 ) gegen 
einen königlichen Erlafs, der auf Organisation von Volksschulen abzielte. 
Der letzte Nürnberger Rechenmeister, Zacharias Schmidt, amtierte bis 1821. 
Neben Nürnberg hatten auch Augsburg und Ulm berühmte Rechenschulen. 
Die Ulmer wurde 1545 von dem in Wittenberg unter Stifcl gebildeten 
C. Marchlaler gegründet und behielt lange Zeit in der Vertretung und Ent- 
wickelung der Stifclschcn Ideen ihre Eigentümlichkeit. Johann Krafft, ein 
Hauptvertreter der welschen Praktik im 16. Jahrhundert, war ebenfalls 
ein Ulmer. Zu ganz besonderem Ruhme gelangte Ulm 8 ) im 17. Jahrhun- 
dert durch das Geschlecht der Faulhaber 3 ), sodafs man im deutschen 
Reiche rühmte: Ulmenses sunt mathematici. 

In Nürnberg und Ulm erkennt man zwei Centren für die Ausbreitung 
mathemalischer Wissenschaften im 16. Jahrhundert, das historisch erste 
in Deutschland ist Wien. Den Ruhm dieser Stadt begründete der Astro- 
nom Georg Peurbach (1423 — 1461), dessen Elementa Arilhmeliccs zwar 
nicht bei seinen Lebzeiten, wohl aber im folgenden Jahrhundert gedruckt 
wurden. Grammateus, welcher zuerst über Ruchhaltung in deutscher 
Sprache schrieb, und Christoff Rudolff, dem wir die erste deutsche Algebra 
verdanken, sind in Wien gebildet. 

§ 12. Unterricht durch Briefe und Geheimhaltung von Kennt- 
nissen. Eine damals übliche eigentümliche Art der Ausbreitung der mathe- 
matischen Wissenschaft war die Sitte hervorragender Gelehrten, sich in 
Briefen gegenseitig Aufgaben zu stellen. 

Auch gab es umherziehende Rechenkünstler, welche die Lösung selt- 
samer und amüsanter Aufgaben wie Kunstslückchen für Geld zeigten. Hans 
Conrad, ein Freund des Adam Riese, hat sich einmal von dem Mönche 
Aquinas und ein andres Mal vom Magister Alexander die Auflösung eines 
Exempels aus der Coss um 1 Goldgulden weisen lassen. 4 ) Dieses Deispiel 

1) Schultheifa II, 63—55. 

2) Ofterdinger, Beiträge zur Geach. der Math, in Ulm, 18G7. 

3) Ofterdinger a. a. 0. und Allgemeine deutsche Biographie VI. 

4) Beriet, Die Cor* von Adam Riese S. 6. 

ükub«, Methodik. 3 



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34 § 12. Unterricht dorch Briefe und Geheimhaltung von Kenntuisseu. 

ist zugleich ein ßeleg für die Geheimhaltung von Kenntnissen, was in 
jenen Zeiten gar nichts Seltenes war und in direktem Gegensatze zu der 
heutigen Sitte steht. Bei den Gelehrten mochte meist gelehrte Eitelkeit 
den Grund hierzu bilden; wir erinnern beispielsweise nur an die Geheim- 
haltung der Auflösung kubischer Gleichungen, wobei die Namen Scipione 
del Ferreo, Antonio del Fiore, Tartaglia und Cardanus eine Rolle spielen. 
Bei den niederen Schulmännern mochte der Grund zur Geheimhaltung 
ihrer Kenntnisse beziehentlich Geheimnislhuerei mit denselben wohl nur 
materieller Art sein. Sie suchten ihre Gelehrsamkeit finanziell so sehr als 
möglich auszubeuten, was durch mündlichen Unterricht weit ergiebiger 
war als durch den Druck. Joann Gotlieb 1 ), ein Nürnberger Bürger, giebt 
eine höchst abfällige Kritik über die verkehrte Lehrmethode der Buchhal- 
tung, „so in rechen- und schreybschulen gelehrt wird"; der Grund sei 
das Ungeschick der Lehrer; er bringe jedem das Buchhalten in 14 Tagen 
bis 4 Wochen aus dem Grunde bei, man solle nur zu ihm kommen. — 
Marchlaler 2 ) schrieb an den Bürgermeister zu Ulm, er wolle eine Bechen- 
schul anrichten, „dergleichen weder in Nürnberg, Augspurg oder Ulm sein 
soll, denn ich hab gott lob jelz den Vorteil, den nicht alle Rechenmeister 
haben." — Auch die Bücherlitelzusätze: „desgleichen fürmalfs weder in 
Teutzscher noch in Welscher sprach nie gedruckt . .." 3 ), oder „zuvor 
der weis nie ausgangen" 4 ) etc. stehen in gewisser Beziehung zur Ge- 
heimhaltung von Kenntnissen. 

Müller 5 ) hat bezüglich des Lese- und Schreibunterrichts ähnliche Be- 
merkungen über Geheimhaltung von Geschicklichkeilen gemacht. Ickelsamer 
klagt: „Wie man die buchstaben recht nennen soll / wissen nicht viel / die 
es aber wissen / die sind so gerne alleine gelerl / vnd behalten* nur in 
jren schulen vnd köpffen." 

Treutlein 6 ) hat Aussprüche von Christof! RudohT, Adam Biese und 
Michael Stifel gesammelt, welche die Geheimhaltung der Algebra in jenen 
Zeiten darthun. 



1) Er schrieb „Ein Teutsch verstendig Buchhalter* 1531 (fclx. in Leipzig 
Universitätsbibl.). 

2) Ofterdinger, Beitr. zur Gesch. der Math, in Ulm. 

3) ApiauB Rechenbuch 1527. 

•1) Joh. Obers, Rechenbüchlein 1545. 

5) Müller, Quellenschriften S. 347. 

6) Treutlein, „Die deutsche Cosa' 4 in Abhandlungen zur Gesch. d. Math. 11,11. 



§ 13. Georg von Peurbach. § 14. Regiomontanus. 



35 



Zweites Kapitel. 
Die arithmetischen Schriftsteller und ihre Schriften. 

§ 13. Georg von Penrbach 1 ) ist der Bahnbrecher für die Aufnahme 
der mathematischen Studien in Deutschland seit dem Wiederaufleben des 
klassischen Altertums. Er war 1423 in Oberösl erreich geboren, genofs 
(nicht unter Joh.Gmündcn) seine Ausbildung in Wien, unternahm darnach eine 
Bildungsreise nach Italien und wurde Magister der Astronomie zu Wien. 
Vom Kardinal Bessarion, der als Nuntius am Wiener Hofe weilte, lernte 
er Griechisch, um den Ptolemäus in der Ursprache zu lesen. 1401 starb 
er unvermutet. Wesentliche Verdienste erwarb er sich um die Astronomie; 
er strebte die Herstellung einer korrekten Übersetzung des Ptolemäus an, 
verbesserte einige astronomische Instrumente und fing an, die Sexagcsimal- 
brüche aus den astronomischen Rechnungen zu verdrängen. Seine zahl- 
reichen Werke sind meist Manuskript geblieben, nur einige wurden nach 
seinem Tode gedruckt, darunter auch das Werkchen, um deswillen er hier 
genannt wird: Elemcnta Arilhmetices . . . Wittenberg 1536 (Oktav, 54 
Blätter, ohne Seitenzahlen). Es enthält Numeration, Addition, Subtrak- 
tion, Mediation, Duplation, Multiplikation, Division, Progressionen, Ex- 
traktion der Quadrat- und Kubikwurzel, Regula falsi und Proportionen. 
Man üudet durchgängig nur Beschreibungen des Verfahrens; Definitionen 
und Begründungen fehlen, für die Species in ganzen Zahlen und die 
Kubikwurzclausziehung sogar die Beispiele; sonst ist jede Operation nur 
durch ein Beispiel illustriert. Nach dem Zeugnisse des Grammaleus war 
dieses Werkchen „für die Studenten der hohen schul gemacht". 2 ) Aus 
diesem Zeugnisse und dem Inhalte des Buches geht hervor, dafs um jene 
Zeit die indische Positionsarithmetik in weitereu Kreisen noch unbekannt 
war. — Wildermulh nennt 3 ) einen aus sieben Quarlblätlern bestehenden 
Algorithmus Peurbachs, welcher 1505 gedruckt ist. 

. § 14. Regiomontanus 4 ), auch Joannis de Mout^regio, eigentlich 
Johann Müller, geboren 1436 zu Untied bei Königsberg in Franken, stu- 
dierte in Leipzig und Wien (hier unter Peurbach) und unternahm dann 
eine Bildungsreise nach Italien. Nach Beendigung derselben war er thälig 
in Wien, Raab und Nürnberg, wo ihm der sehr begüterte Beruhard Wallher, 
ein Liebhaber der Astronomie, eine eigene Druckerei unterhielt. 1474 gab 

1) Doppelmayr. — Poggendorff. — Gerhardt, Gesch. der Math. 

2) Grammateus, Rechenbüchlein 1518 Bl. 6. 

3) Schmidt, Encyklopädie VI, 731. 

4) Doppelmayr. — Poggendorff. — Ziegler, Regioinantanus, ein guist. Vor- 
läufer des Columbua 1874. — Chasles, Gesch. der Geom. 1839 überseht von 
Sohncke S. 622. 

3* 



36 § IG. Das älteste gedruckte deutsche Rechenbuch. 

Regiomontan auf 32 Jahre (1474— 150G) berechnete Ephemeriden heraus; 
diese Leistung veranlagte den Papst Sixtus IV., den Verfasser 1475 zur 
Kalcnderreform nach Rom zu berufen. Schon 1476 starb Regiomontan in 
Rom zur Zeit einer Pest , ob an der Pest oder durch Gift seiner Feinde, 
ist nicht entschieden. — Die grofsen Verdienste 1 ) dieses Mannes zu wür- 
digen, lallt ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit. Wir nennen ihn hier, 
weil er Anteil hat an der Erfindung der Dccimalbrüche (siehe daselbst) 
und weil er lange Zeit für den Verfasser eines (nur von ihm verbesser- 
ten) Werkes gehalten wurde, welches Joh. Schöner (ein Nürnberger Mathe- 
matiker 1477—1547) edierte unter dem Titel: Algorithmus demonstratio, 
Norimbergae Jo. Petrcium, MDXXXIHI" (Quart, 32 Rl. ohne Seitenzahlen). 
Der ungenannte Verfasser ist jedoch Jordan Nemorarius 2 ) (aus dem An- 
fange des 13. Jahrhunderts). In dem angeführten Algorithmus findet man 
die Species in ganzen Zahlen, die Ausziehung der Quadrat- und Kubik- 
wurzel, die Lehre von den gemeinen und sechzigtciligen Brüchen und die 
Proportionen. Die Definitionen sind korrekt; für die Rechnungsschemala, 
Regeln, Demonstrationen und Beweise sind allgemeine Zahlen gewählt. 

§ 15. Das älteste gedruckte deutsche Rechenbuch erschien 1482 
bei Heinrich Petzensteiner in Bamberg, Verfasser desselben ist Ulrich 
Wagner, ein Nürnberger Rechenmeister. Es ist ein Pergamentdruck, und 
von der ganzen Auflage ist kein einziges Exemplar mehr vorhanden, nur 
wenige Reste (9 kleine Pergamentstreifchen in der Gröfsc einer Visiten- 
karle) eines solchen bewahrt die Konigl. Bibliothek zu Bamberg auf. Kein 
einziger Historiker kennt das Buch und kein bibliographisches Nachschlage- 
werk enthält eine Notiz 3 ) darüber. Am Ende des Buches steht mit roten 
Lettern: „Anno dni . . . 1482 kl' 16. Junij p. Henr. peezensteiner Babcn- 
berge: Unit Dlrich wagner Rechcmeister zu Nürnberg.'' Das Buch ist mit 
denselben Typen gedruckt, mit denen Petzensteiner 4 ) 1483 ein zweites 
Rechenbuch (auf Papier) druckte; neben den allen ZüTerformen 8, q, A 
für 4, 5 und 7 sind auch schon die neueren zu finden, letzlere jedoch 
seltener; jede Kolumne trägt eine rote Überschrift. Eine von uns ange- 
stellte Vergleichung der beiden Drucke (von 1482 und 1483) ergab, dafs 
sie inhaltlich nicht gleichlautend sind. — Solange nicht ein ganzes Exem- 
plar des Druckes vom Jahre 1482 aufgefunden wird, lassen sich weitere 
sichere Nachrichten darüber nicht geben. 

1) Den Katalog seiner Werke siehe bei Doppelmayr; auch in Hain, Re- 
pertorium bibl. Nr. 13775 ff. 

2) Siehe über ihn: Treutlein, Abhandlungen z.Geach. d. Math. 1879 II, 127 ff. 

3) Aufaer im Serapeum 1847 S. 126, wo es der Besitzer anzeigt. 

4) Petzensteiner druckte von 1482 — 1490 in Bamberg; vergl. Faniniann, 
Gesch. d«r Buchdruckerknnst S. 173. 



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§ 16. Das Bamberger Rechenbuch 1483. 



37 



Die Auffindung dieses deutschen arithmetischen Druckes hat eine ge- 
wisse nationale Bedeutung und zwar insofern, als nun die Italiener zeitlich 
den Vorrang nicht mehr geniefsen ; denn wir haben mit dem Wagnerschen 
Rechenbuche 1482 die arithmetischen Drucke in Deutschland bis zu dem- 
selben Jahre zurück nachgewiesen, aus welchem der erste italienische 
Druck arithmetischen Inhalts stammt. (Bei Hain Nr. 3659 und 4955.) 

§ 16. Das Bamberger Rechenbuch 1 ) 1483. Wie bereits in § 15 
erwähnt ist, druckte Petzensleiner in Bamberg 1483 ein zweites deutsches 
Rechenbuch (Papier, Duodez, 77 Blätter, ohne Titel, jede Kolumne mit 
roter Überschrift), dessen Ende (mit roten Lettern) lautet: „In zale Xpi. 
1483. kl. 17. des Mcyen Rechnung in mancherley weys in Babenberg durch 
hefir£ petzensleiner begriffen: volendet." Man könnte mit Müller 2 ), ge- 
stützt auf den damals üblichen Gebrauch des Wortes „begreifen" 8 ) für „ein 
Buch verfassen", den Drucker Petzensteiner zugleich auch für den Ver- 
fasser des Buches halten. Wir sind aber, ausgehend von der Erwägung, 
dafs wenn Petzensleiner 1483 ein Rechenbuch abzufassen im stände war, 
er das 1482 auch schou gekonnt haben würde und dann nicht die Dienste 
eines anderen (des Nürnberger Rechenmeisters Ulrich Wagner) in Anspruch 
genommen hätte, der Ansicht, dafs Petzensteinern die Autorschaft nicht 
gebührt, sondern ihm höchstens redaktionelle Verdienste zukommen. Wahr- 
scheinlich ist genannter Wagner der eigentliche Verfasser; wir werden aber 
das Buch stets als „Bamberger Rechenbuch 1483" bezeichnen. 

Allen neueren Historikern*) über Arithmetik ist auch dieses Buch 
völlig unbekannt, obgleich sie bei hinlänglicher Benutzung der bibliogra- 
phischen Hilfsmittel 5 ) Kenntnis davon haben konnten. Drobisch schrieb 
1840 über Widmanns Rechenbuch 1489 und bezeichnete 6 ) dasselbe, auf 
Fischer 7 ) fufsend, als das älteste deutsche Rechenbuch. Diesem Gewährs- 
mann folgten die übrigen Historiker 8 ), von denen sich mancher nicht 

1) Exemplar in Zwickau, Ratsschulbibliothek; wahrscheinlich Unicum. 

2) In Mann, Deutsche Blatter für erzieh. Unterriebt 1879 S. 69 ff. 

3) Schindler, Bayerisches Wörterbuch 1872 I, 990. 

4) Beriet, Wildermuth, Treutlein, Jänicke, Villicus. 

6) Anzeigen stehen in: Brem- und Verdischo Bibliothek 1756 II, 243. — 
Panzer, Zusätze zu d. Annalen d. ält. deutscheu Litteiatur 1802 S. 50. — Placid. 
Braun, Notitia historico-litteraria de libris ab 1480 — 1500 impress. Augsb. 1788 
II, 107. — Hain, Repert. bibl. Nr. 13718. — Grässe, Literärgeschichte 1837—42 
II, 2, 2 S. 854. — Allgem. deutsche Biographie XVI, 346. — Müller, Quellen- 
schriften S. 334. — Wappler im Gymnasialprogr. Zwickau 1887 S. 10. — Mouu- 
menta Germ. Paed. 1887 III, 303. 

6) Drobisch, DeJoannisWidmanniCompendio Arith. Mercatorum Lips. 1840S.3. 

7) Fischer, Typograpb. Seltenheiten II, 39. 

8) Beriet, Über Ad. Riese 1855 S. 10. — Wildermuth, Schmidts Encykl. 
VI, 734. — Treutlein, Rechnen im 16. Jahrb. S. 11. — Jänicke 1877 S. 289. 



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38 



§ IG. Das Hamburger Rechenbuch 1183. 



einmal um das Widmannsche Buch bemühl hat, ohsehoii es nicht allzu 
selten ist. Gerhardt 1 ) machte zuerst wieder auf das „Bamberger Rechen- 
buch 1483" aufmerksam, konnte es aber nicht auffinden; er setzt es in 
das Jahr 1473, in seiner Quelle*) sieben nämlich beide Jahrzahlen 1473 
und auch 1483. Der Fundort für ein Exemplar dieses Rechenbuchs war 
schon 1839 3 ) und abermals 1848 4 ) bekannt gegeben. 

Das Bamberger Rechenbuch 1483 ist hinsichtlich der Gruppierung 
und Anordnung des Stoffes von mehreren deutschen Rechenmeistern zum 
Muster genommen oder stark benutzt worden. Letzteres geschah vornehm- 
lich, jedoch mit Verschweigung der Quelle, von Joh. Widmann 1489, wel- 
cher viele Stellen wörtlich entlehnt hat. Das Bamberger Buch erinnert 
an keinen lateinischen Algorithmus, sondern ist ein rein kaufmännisches 
Rechenbuch; es enthält nichts von dem arithmetischen fiallastc (griechische 
und römische Einteilung der Zahlen, Proportionen, Radicicren, Regula 
lalsi, Regula virginum etc.), mit welchem sich die Rechenmeister des 
16. Jahrhunderts beschwerten. Auffällig ist auch das Fehlen der welschen 
Praktik und das Rechnen auf Linien. Der Inhalt zielt nur auf Rechen- 
fertigkeit ab und berücksichtigt ausschliefslich praktische Bedürfnisse, diese 
jedoch ausreichend; Erörterungen über die Anzahl der Spccies und Kunst- 
ausdrücke, sowie Definitionen sind fortgelassen. Gruppierung und Anord- 
nung des Stoffes sind wohlgelungen, der Vortrag ist einfach und klar, der 
Ton einnehmender Art. Die Aufgaben sind zahlreich, die beigefügten Re- 
sultate fast sämtlich fehlerfrei; bei jeder ersten Aufgabe einer neuen Gruppe 
ist der Lösungsweg gezeigt. Die Einkleidung der Aufgaben ist fast durch- 
gängig nach demselben Muster getroffen: zuerst wird das Gegebene 
(Zahlen und Bedingungen) im Erzählston vorgetragen, darnach das Ge- 
suchte mit der Frage „Nu willdu wissen" etc. markiert, hierauf der 
Lösungsweg beschrieben „Machs also" etc. und geschlossen mit einer tröst- 
lichen Wendung wie „vnd ist gemacht" oder „vnd kumpt recht" und dergl. 
Es folgt eine Probe (Bl. 31 a): 

„Rem drey machen ein geselschafft. der erst legt 20 fl vnd stet 
damit 4 moned der ander legt 30 fl vnd vber 5 moned hebt er sein gell 
wyder. d' dril legt 50 fl vnd stet damit 6 moned. Nu haben sie gewunen 
120 11 wildu wissen was yglichc zu seine teil gepurde. Machs also mul- 
tiplicir yglichs gelt mit sein monedK als hernach stell 



1) Gerhardt, Gesch. der Math. 1877 S. 30. 

2) Brem - und Verdische Bibliothek 1756 11, 243. 

3) Köhler, Incunabulorum bibliothecae Zwiccaviensis fasciculua primus, 
Zwickaucr Gymnasialpiogr. 1839. 

4) Serapeum 1848 S. 150—157 und S. 163—169. 



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§ 16. Das Bamberger Rechenbuch 1483. 



39 



20 n 4 moned 80 Fac 18 fl g 3 

30 5 150 33 j? 3 

50 6 300 67 g 

Summir die «[emulliplicirUf zal mit cinäder werden 530. Nu machs als 
ein and' gesclschaft Sprich 530 «eben 120 was geben 80 vnd komen 

18 fl |? g vnd souil gepurt dem der 20 fl gelegt hat. Nun mach die andern 

auch also vnd kumpt als ohii stet." 

Die Ziffern haben folgende Gestalt: 

iZ3«c,6A8go 

3 4 5 7 

Die doppelten Formen für 3, 4, 5 und 7 kommen untermischt vor, der 
Bruchstrich fehlt. 

Wir lassen eine Inhaltsangabe folgen. Der Anfang lautet: 

„Das Register. 

Hienach volget dz Register dieses Rechcnpuchleins nach seynen Capiteln 
vnd was in eynem yczlichen begriffen" ... Kap. 1: Numerieren. Kap. 2: 
Addieren unben. Zahlen. Kap. 3: a) Subtrahieren unben. Zahlen; im Falle 
einer zu grofsen Sublrahendenziffer wird dereu dek. Ergänzung gesucht 
und dazu die Minuendeuziffer addiert, und die nächste Subtrahendenziffer 
um 1 erhöht, b) Addieren und Subtrahieren mehrsortiger Zahlen, c) Die 
pythag. Einmaleinstafel. Kap. 4: Multiplicieren unben. Zahlen nach 5 Me- 
thoden, deren Verschiedenheit sich auf die Beschaffenheit der Faktoren 
gründet: a) zwei Faktoren, bestehend aus einer bedeutlichen Ziffer mit 
Nullen; b) ein einstelliger und ein mehrstelliger Faktor; c) zwei zwischen 
10 und 20 liegende Faktoren, gelöst nach der unten als dritte alte Ein- 
maleinsrcgel angeführten Vorschrift; d) zwei Faktoren mit je 2 bedeut- 
lichen Figuren, gelöst durch Multiplikation ins Kreuz; e) zwei vierteilige 
Kakloren, gelöst nach unsrer Einrückungsmethode. Kap. 5: a) Dividieren 
unben. Zahlen; die Gruppierung ist nach der Gröfse des Divisors ge- 
schehen; b) Progressionen; die Summationsrcgeln (für die geom. und 
arithm. Progressionen) sind in Worten gegeben. Kap. 6: Multiplikation der 
Brüche; unterschieden sind drei Gruppen: Bruch mal Bruch, Bruch mal 
ganze Zahl, gemischte mal gemischte Zahl. Kap. 7: Addieren der Brüche, 
je zwei auf einmal durch kreuzweises Multiplicieren; vom Generalnenner 
ist nicht die Rede. Kap. 8: Subtrahieren der Brüche ausgeführt wie vor- 
her. Kap. 9: Dividieren der Brüche in zwei Abteilungen, Bruch durch 
ganze Zahl, Bruch .durch Bruch (gelöst durch kreuzweis Multiplicieren). 
Kap. 10: „Die gülden Regel"; a) Aufgaben mit der Einheit im I oder 

• 



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40 



§ 17. Johann Widmanu. 



Hl Gliedc; Ii) in keinem Gliedc die Einheil; c) in einem Gliedc ein Bruch; 
d) in zwei Gliedern ein Bruch; e) in drei Gliedern ein Bruch; f) Anwen- 
dung der Regeldetri in Wareneinkaufsrechnungen. Kap. 11: „Vom Wechsel" 
= Umrechnungen von Geldsorten nach "Cours, „auöwechsel" genannt; 
z. B. „Wieuil Duc. sind 1578 Reichsfl. wenn man auflgibt 25| auf 100 duc. 
Sccz also 125 fl l gehen 100 duc. was geben 1578 fl." Kap. 12: Waren- 
rechnungen mit Gewinn- oder Verlustermittelung. Kap. 13: GeselUchafts- 
rechnung, sehr zahlreiche wohlgeordnete Aufgaben, a) Verschiedene Ein- 
lagen und gleiche Zeiten; b) Einlagen und Zeiten verschieden; c) gegebene 
Teilzahlen (A 2 Teile, B 3 Teile etc.); d) gegebene Teilbrüche; e) aufein- 
ander proportionierte Teilzahlen; f) Gewiunberechnung, wenn die Einlagen 
während der Dauer der Unternehmung durch Vermehrung und Vermin- 
derung variieren. Kap. 14: Tolletrechnung (siehe unten). Kap. 15: Stich 
= Warentausch. Kap. 16: „Goltrechnung" = Preisberechnungen Tür den 
Einkauf ungemünzten Goldes, wozu Rauhgewicht (in Mark, Lot und Quint), 
Feingehalt (in Karat und Gran) und der Preis für 1 Karat fein Gold ge- 
geben sind. Kap. 17: „Von rechnüg vb' laut genät" = Preisberechnungen 
zur einfachen Regeldetri gehörig. Kap. 18: Resolvicren von Gulden und 
SchilHngbrüchcn in die kleinere Sorte. Kap. 19 bis 21 enthalten nur 
Tabellen, mit deren Hilfe die bei Gold- und Silberrechnungen vorfallenden 
lästigen Multiplikationen umgangen und die Resultate durch Addition ge- 
funden werden können. Kap. 19: Der Preis für 1 Karat Feingold ist 
durch alle Tabellen fest, nämlich 3^ fl; der Feingehalt variiert, er steht 
bei jeder Tabelle als Überschrift, hebt an bei 1 1 Karat und steigt (immer 
um 1 Gran zunehmend) bis zu 24 Karat, dem puren Golde. Aufgenom- 
men sind in jede Tabelle 10 Preise für folgende Gewichlsmengeu Rauli- 
gold: 1 Mark, £ Mark, 4 lot, 2 lot, 1 Iot, % lol, 1 quint, \ quin!, 1 Pfennig- 
gewicht, 1 Hellergewichl (sie steigen nach dem Gesetze der Halbierung 
abwärts). Kap. 20 enthält ebenfalls Goldtabellen, in denen jedoch der 
Preis für 1 Karat Feingold zu 3^ fl und 3 Heller angenommen ist. Kap. 21 
enthält ähnliche Silbcrtabellen. 

§ 17. Johann Widmann von Eger, Meisler der freien Künste und 
Lehrer der Mathematik an der Universität zu Leipzig, gab 1489 „Behede 
vnd hübsche Bedienung auff allen kauflmanschaiTt" ! ) heraus; am Eude: 
„Gedruckt in der Fürstlichen Stalh Leipczick durch Conrad!» Kacheloffen 
lui 1489 Jare." (Oktav, 232 Blätter, ohne Seitenzahlen und ohne Blatt- 
zeichen.) Der Inhalt ist in drei Abteilungen gebracht: 

I „vö kunst vfi art der zal an yr selbst" (die Spccies in unben. gan- 



1) Exemplare in Leipzig (Stadtbibl.), Zwickau (Ratsschulbibl.), Karlsruhe 
und München. 



Uli Ii J - " |J 



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§ 17. Johann Widruann. 



41 



zeu und gebrochenen Zahlen); II „vö der ordenung der zal" (Proportionen, 
Kcgeldetri, Zinseszins- und Terminrechnung, Mischungs-, Stich-, Gesell- 
schafls-, Gold- und Silberrechnung, Regula falsi, schimpfliche Exempel); 
III „von der art defs messen die do geometria genant ist", umfafst die 
letzten 32 Blätter. 

Die Dreiteilung des Inhalts hat Widmann auch noch weiterhin durch- 
geführt. Die Veränderung der Zahlen geschieht bei ihm durch Mehrung 
(Addieren, Duplieren, Multiplicieren), durch Minderung (Subtrahieren, Mc- 
dicren, Dividieren) und durch Mitlelmofs (Numerieren, Progredieren, Radi- 
cieren). „In diesem theil wirt gesagt dye tzal auft" kaufTmanschafTt geord- 
net / vnnd zum ersten aufT kaufTmanschafTt nach der tzal / zum andern vff 
kaufTmanschafTt nach dem gewicht. Zum dritten auff kaufTmanschafTt nach 
der mafs." 

Die von Widmann eingeschlagene Ordnung ist in der Hauptsache von 
den folgenden Autoren beibehalten worden, namentlich weil sie Adam Riese 
und Jacob Röbel aeeeptiert hatten. Widmanns Vortrag ist stellenweise 
dunkel; Erklärungen findet man keine, sondern nur Regeln und Beispiele 
Auffällig sind die vielen Namen für seine Regeln, von denen sich jede fast 
nur auf je ein Beispiel bezieht: „Regula inventionis, fusti, pulchra, detri 
conversa, transversa, Ligar, positionis, cqualitatis, legis, augmenti, deerc- 
inenti, plurima, sententiarum, suppositionis, residui, excessus, collectionis, 
pagamcnli, alligationis, bona, lucri" etc. — Um Widmanns Art zu zeigen, 
wollen wir ein Beispiel der „Regula lucri" hersetzen (Bl. 134): „Item 
1 Leb «id 1 hunt vnd 1 WolfT. Die essen mit eynander 1 SchofT. Vnd 
der Leb efs das SchofT allcyn in eyner stund. Vnd der wolff in 4 stunden 
Vnd der hunt in 6 stunden. Nu ist die frag, wen sy das SchofT all 3 
mit eynander essen in wie langer Zeyt sy das essen. Machs also mulli- 
plicir 1 Stund 4, 6 mit eynander facil 24. Nu ny 1 gancz von 24 ist 24 
vnd \ von 24 ist 6 vnd £ von 24 ist 4. Danach addir zusammen facit 
34. seez also $£ facit j$ macht 42 minute ^ vnd ist die Zeyt." 1 ) 

Die Beispiele zu den Regeln sind durch kleine Holzschnitte, welche 
auf den Gegenstand Bezug haben, verschönert. Proberechnungen kennt 
Widmann die entgegengesetzte Species und die Neunerprobe. Als Quellen 
nennt er Jordanus, Campanus, Johannes de Sacrobusto, Boecius. Die Be- 
nutzung des „Bamberger Rechenbuchs 1483" verschweigt er, obgleich er 
demselben viele Stellen wörtlich entlehnt hat. Die Ziflerformen sind bereits 
die gegenwärtigen, nur eine alte 7 ist auf einem Holzschnitte zu finden. 

1) Sie ist den Brunnenaufgaben nachgebildet, vergl. Cantor, Vorlesungen 
1, 329 und 393 und 525 und 718. — Leonardo Pisano führt (Scritti I, 182) eine 
gleichartige Aufgabe an, bei ihm verzehren 1 Löwe, 1 Leopard und 1 Wolf das 
Schaf, der Löwe in 4, der Leopard in 5, der Wolf in 6 Stunden. 



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42 



§ 18. Lucas Pacioli. 



1508 erschien eine neue Ausgabe 1 ) des Widmannschen Buches unter 
demselben Titel, am Ende: „Gedruck zu Pfhortzhcim von Thomas Aniselm 
Im jar als man zalt 1508." (Oktav, 162 numerierte Blätter.) Diese Aus- 
gabe ist im wesentlichen ein Abdruck der vorigen, nur ist der Inhalt an 
einigen Stellen erweitert. 

1526 besorgte Haynrich Stayner in Augsburg eine neue unveränderte 
Ausgabe. 1 ) — Panzer 2 ) führt noch eine Ausgabe an, welche 1519 von obigem 
Thomas Anfselm in Hagenau gedruckt wurde. Den Fundort für die letzte 
Ausgabe konnten wir nicht ermitteln, doch zweifeln wir sie nicht an, da 
Ansfelm um jene Zeit in Hagenau druckte. 3 ) 

Ausführlich handelten über Widmanns Buch (1489) Fischer 4 ) und 
nach ihm Drobisch 5 ), jener über die typographische, dieser über die mathe- 
matische Seite. Diesen beiden folgend haben fast alle neueren Historiker 
das Widmannsche Rechenbuch als das früheste deutsche bezeichnet. 

§ 18. Lucas Pacioli 6 ), auch Lucas de burgo saneti sepulchri, hat 
das nach Inhalt und Form bedeutendste mathematische Werk im 15. Jahr- 
hundert verfaßt. Er war um die Mitle des 15. Jahrhunderts in Borgo 
San Sepolcro in Toskana geboren, trat in Perugia, Neapel, Mailand, Flo- 
renz, Horn und Venedig als Lehrer der Mathematik auf und starb 1500. 
Sein Werk: „Summa 7 ) de Arithmetica geometria. Proportioni et propor- 
tionale . . . 1494" (2. Aufl. 1523) zeichnet sich sowohl durch lückenlose 
Vollständigkeit und wohlgeordnete Gliederung des Stoffes, als auch durch 
Einfachheit und Klarheit des Vortrags aus. Es enthält neben der prakti- 
schen Arithmetik die ganze Algebra und Geometrie, sodafs darin die ge- 
samte Summe mathematischen Wissens jener Zeit niedergelegt ist. Die 
Arithmetik umfafst neun Dislinktionen, von denen man in der ersten einiges 
von den Leistungen der Griechen und Homer findet, vornehmlich Erklä- 
rung, Einteilung, Entstehung und Eigenschaften der Zahlen. Darauf folgt 
das indische Rechnen: Numeration, Addition, Subtraktion, Multiplikation 
(neun Methoden), Division (vier Methoden), Progressionen, Radicieren, 
Bruchlehre, Regeldetri, Proportionen, Regula falsi, Gesellschafts-, Zins-, 
Zinseszins-, Termin-, Mischungsrechnung, Buchhaltung, Tarifla. Unter 
letzterem Titel findet man Münz-, Mafs- und Gewichtvergleichungen und 



1) Beide Auegaben von 1508 und 1526 in München und Hamburg (Kom- 
merzbibl.). 

2) Panzer, Annalen I, 433. 

3) Faul mann, Gesch. der Buchdruckerkunst S. 290. 

4) Fischer, Typogr. Seltenheiten 1800 II, 39—52. 

5) Drobisch, De Johannis Widmanni Compcndio . . . 1840. 

6) Poggendorft'. — Kästner, Gesch. der Math. I, 65 ff. 

7) Exemplar in Leipzig, üniversitätsbibl. 



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min Ii Ii u i Ii* u I 



§ 19. Margarita philosophica. § 20. Algorithmus. 



43 



die Wechsehisancen der Haupthaiidelsplätze. Hierauf folgen Algebra und 
Geomelrie. l ) 

§ 19. , Margarita philosophica von Grcgorius Heisch 1504 mit einer 
Vorrede von 1496, ein encyklopädisches Werk, enthält einen kurzen Ab- 
schnitt über Rechnen, welcher in Frage und Antwort verfafst ist. Der 
Inhalt ist höchst dürftig. Man findet die spekulative Arithmetik nach grie- 
chischen Überresten, die römische Zahlencinteilung, die Species in ganzen 
und gebrochenen Zahlen, die Scxagesimalbrüchc. Hierauf wird das Rech- 
nen auf Linien eingeschaltet und mit der Regeldetri abgeschlossen. Die 
Holzschnitte zeigen noch alte ZhTcrformen für 4, 5 und 7, während die im 
Intext durch bewegliche Typen gedruckten Ziffern die neuere Gestalt haben. 

§ 20. Algorithmus. 2 ) Unter Algorithmus versteht man für damalige 
Zeit eine Schrift, welche das Rechnen nach indischer Weise lehrt; wäh- 
rend man mit Abacus oder abacistisches Rechnen die römischen Rcchnungs- 
methoden bezeichnet. Schriften mit dem Titel Algorithmus erschienen um 
die Wende des 15. Jahrhunderts mehrere 3 ) in Deutschland. 

Algorithmus lincalis 4 ), lateinisch, 6 Rlälter, ohne Titel, am Ende: 
„Impressum Lipzik per melchiorem Lotler Anno xc" (= 1490). Der 
ungenannte Verfasser lehrt nur das Rechnen auf Linien, welches von Ap- 
pulejus erfunden und eine nützlichere, leichtere und bequemere Art als 
das Zifierrechncn sei. Jede der neun Species ist mit einem Rcispiele in 
Wort und Rild vorgefühlt; nur für das Radieieren fehlt die Ausführung. 

Algoritmus integrorum 5 ) von Johann Karl von Laudshut, Leipzig 
1504, 12 Rlätter. Das Buch enthält acht Species (nur in ganzen Zahlen), 
ein Regeldetri- und zwei Gesellschaftsexempel. Bezüglich der Ausführung 
sind die beiden alten Einmaleinsregeln (s. unten) und die „Multiplicalion 
über sich" bemerkenswert. Der Verfasser beruft sich mehrmals auf Joh. 
de sacro buslo (Joh. von Sacrobosco f 1256). 

Algorithmus lincalis 6 ) cum pulchris conditionibus Reguledelri: 
septem fractionum regnlis • socialibus et semper exemplis idoneis. Balthasar 
Licht. Am Ende: Impressum Lipczk per Melchior Lotter 1509. — 15 Blät- 
ter. Man findet das Rechnen auf Linien, die Regeldetri in verschiedenen 
Abteilungen, je nachdem in den einzelnen Gliedern ganze oder gebrochene 

1) Frühere ital. Recheuwerke bei Hain Nr. 3659, 1109, 4234, 15138. 

2) Algorithmus ist der verstümmelte Name Aichwar izuii, der Beiname 
eines arabischen Gelehrten. Cantor, Vorlesungen I, 612. — Den ersten deut- 
schen bisher noch ungedruckten Algorithmus vom J. 1445 haben wir heraus- 
gegeben in Zeitschrift für Math. u. Phys. 1888. 

3) Siehe solche bei Hain Nr. 824—830. 

4) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. „Math. Nr. 291". 

5) und 6) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 



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44 



§ 21. Jacob Kübel. 



Zahlen auftreten, zum Schliffe die Gesellschartsregel. Treullein 1 ) führt 
eine Ausgabe von 1500 und Kästner (Geschichte der Mathematik) eine von 
1513 an. Aus der wiederholten Drucklegung kann man auf die weitere 
Verbreitung des Werkchens schliefsen. 

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts haben auch Gelehrte 
(Grammateus, Rudolf!", Apian, Stifel) an der Bearbeitung der praktischen 
Arithmetik in deutscher Sprache teilgenommen, während in der zweiten 
Hälfte jenes Zeilraums dieses Geschäft ganz den Rechenmeistern und 
deutschen Schulhaltern überlassen blieb. Die Verfasser schrieben „ihren 
Schülern" oder „dem gemeinen Mann" oder „den Unwissenden und Lieb- 
habern der Kunst zu nutz" ein Lehr- und Übungsbuch der Rechenkunst, 
so gut sie dies vermochten. Aus diesem Umstände wird es begreiflich, 
warum die Rechenbücher hinsichtlich ihres pädagogischen Wertes in keiner 
Zeit eine so auffallende Verschiedenheit zeigen wie im 16. Jahrhundert. Je 
nach Darstellungsgeschick und Umfang ihres Wissens liefern die Autoren 
ein mehr oder minder vollkommenes Werk. 

§ 21. Jacob Köbel*) war um 1470 in Heidelberg geboren, studierte 
daselbst Rechtswissenschaft, Mathematik und Astronomie, bezog 1490 (?) 
zu weitrer Ausbildung die Universität Krakau und wurde 1511 Stadtschreiher 
zu Oppenheim, in welcher Stellung er bis zu seinem Tode blieb. Er besafs 
eine vielseitige Bildung, welche im Zeitalter des Humanismus so manchen 
Gelehrten zierte. Er war Baccalaureus beider Rechte, Prolonotar, Rechen- 
meister, Dichter 8 ), Zeichner, Holzschneider 4 ), Buchdrucker und Verleger. 
Seine zahlreichen Schriften gehören der deutschen Lilleratur, der Mathe- 
matik und der Rechtswissenschaft an. 

1514 druckte Köbel sein erstes Rechenbuch: „Eynn Newe geordent 
Rechöbüchlcin 5 ) vf den linien mit Rechepfenigen / den Jungen angeuden 
zu heüslichem gebrauch vnd hendeln leichllich zu lernen / mit flguren 
vnnd Exempeln / volgt hernach clerlichcn angelzcygt"; am Ende: „Getrückt 
zu Oppcnheym. Anno MCCCCCXIIH." (Quart, 6 unnumerierte und 24 
römisch numerierte Blätter.) 1516 gab es Köbel in zweiter Auflage und 
1518 in dritter heraus unter dem Titel: „Das new Rechepüchlein 6 ) Wie 
mann vff den Linien vnd Spaden / mit RechCpfcnninge / KauiTmanschafl 
vnd Tegliche Handelunge / leichllich reche lerne mage / zum Dritte male / 



1) Treutlein, Rechnen im 16. Jahrhuudert S. 24. 

2) Allgem. deutsche Biographie XVI , 345 ff. 

3) 1492 verfafste er „Tischzucht", eiu gereimtes Lehrgedicht über das 
Verhalten bei Festmahlen. 

4) Proben giebt Faulmann, Gesch. d. Buchdruckerk. S 317 ff. 

5) Exemplar in München. 

6) Exemplar in Leipzig, Universitätsbibl. 



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§21. Jacob Köbel. 



45 



gebessert vn zu Oppenhey m getrückt 1518." Letztere ist eine verbesserte 
und vermehrte Auflage, sie hat 4 ungezählte und 46 römisch numerierte 
Blätter. Der Inhalt umfafst: Erklärung der römisch und indisch geschrie- 
benen Zahlen durch Zahlwörter, Vorführung der Münzen, Malse und Ge- 
wichte, Anfertigung einer Rechenbank, Einteilung derselben in Bankire, 
Bedeutung der Linien und Spacien, Aufheben der Marken, Ausführung der 
Species auf Linien, Regeldetri, Gesellschaftsregel, Scherzexempel. — Der 
Vortrag ist überaus präcis und einfach. Besonders hervorzuheben ist der 
ausscbliefsliche Gebrauch römischer Zahlzeichen, welcher Umstand beweist, 
dafs dem gemeinen Volke die indischen damals noch nicht geläufig waren 
(vgl. § 5). Das eben besprochene Rechenbuch war ein sehr beliebtes 
Volksbuch, denn es wurde von 1514 bis 1520 sechsmal gedruckt. Autor 
deu drei Köbelschen Auflagen erlebte es noch drei Nachdrucke von Erhart 
Öglin in Augsburg 1514 1 ), 1516 2 ), 1520. 2 ) 

Für das Ziflerrechnen schür Köbel 1520 ein neues Rechenbuch: „Mit 
der kryde od' Schreibfedern / durch die zeiferzal zu reche / Ein neüw 
Rechepüchlein 3 ) / den angenden Schülern d' rechnüg zu cre gelruckt. Vfs 
Kayserliche gewalt begnadigt / In sechs Jarcn bey Pcne X mark golls nil 
nachzutrücke . . . Geben zu Oppenheim Anno 1520." (Quart, 4 ungezählte 
und 40 römisch numerierte Blätter, Titelbild, Register.) Inhalt: 1) Nume- 
ratio (Ursprung, Lesen und Schreiben der Zahlen, römisch und indisch); 
2) Additio; 3) Sublraclio; 4) Duplatio; 5) Medialio; 6) Multiplicatio; 
7) Divisio; 8) Progrcssio; 9) Proben (die entgegengesetzte Species, Neuner- 
probe); 10) Bruchlehre (sehr dürftig); 11) Fünf Regeldetri- und zwei 
Gesellschaftsexempel. „Hie wil ich diessem Rechepüchlein sein end geben. 
. . . Ich wil auch mit der gnade Gottes / noch ein grösser werke der rech- 
nung / darin begriffen / Vfszyhung der wurtzeln / die Regeln des Falschen / 
Etlich Regeln Algobre / vnd ander lustig kunstlich rechnüg mit yren excin- 
peln an Tag pringen." Die Beschreibung des Verfahrens ist überall mit 
grofser Ausführlichkeit und Einfachheit gegeben, sodafs das Buch bedeutend 
leichler verständlich ist als der oft kurze und dunkle Vortrag des Adam 
Riese. Übungsmaleriai enthält es nicht. 

1515 erschien Köbels Visierbuch: „Eyn New geordet Vysirbuch. 4 ) 
Hell yn Wie man vlT eins yden Lands Eych vn Mals / ein gerecht Vysirrut 
mache vn do mit ein ygklich onbekant Vafs vysiren / auch seynen inhalt 
erlernen solle .... Oppenheym 1515." (Quart, 4 ungezählte und 28 
römisch numerierte Blätter, viele Holzschnitte.) Über Visieren ist unten 

1) Panzer, Annalen I, 373. 

2) Exemplar in Nürnberg, Germ. National-Musenin. 

3) Exemplar in Bamberg, Königl. Bibl. 

4) Exemplar in Leipzig, Univorsitätsbibl. 



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4G 



§ 22. Job. Böachensteyn. 



besonders gesprochen, wir heben hier nur den ausschliefsUchen Gebrauch 
römischer Zahlzeichen hervor. 

Die genannten drei Köbelschen Bücher: Rechebüchlein vf den linien", 
„Mit der kryde", „Vysierbuch" gab der Verfasser 1531 zu einem Werke 
vereinigt heraus unter dem Titel: „Zwey rechenbüchlin 1 ): vff den Linien 
vnd Zipfer / Mit eym angehcnkten Visirbuch / so vcrslendtlich fürgcben / 
das jedem hieraufs on ein lerer wol zu erlernen. Durch den Achtbaren 
vnd wol erfamen II. Jacoben Röbel. Statschreiber zu Oppeheym. 1531." 
(Oktav, Titelbild: 4 rechnende Personen verschiedenen Alters darstellend.) 
Diese Gesamtausgabe ist nicht ein einfacher Abdruck der Einzelausgaben 
jener Teile, sondern enthält stofflich bedeutend mehr, namentlich betreffs 
der angewandten Aufgaben. Die Deutlichkeit und Einfachheil des Vortrags 
eignen das Buch allerdings für den Selbstunterricht, wie der Verfasser 
durch den Tilelzusalz selbst meint. Gbungsmatcrial hat es jedoch nicht; 
die Ziffern sind die indischen. 

Vorgenanntes Buch erlebte 1532 durch Christian Egenolff in Frank- 
furt a. M. einen Nachdruck: „REchnen 2 ) vnd Visieren / so verstcndlich 
vnnd leicht fürgeben / das eim ieden hieraufs von sich selb wol zu lernen. 
Durch Jacoben Röbel Statschreiber zu Oppenhey in. Mit vil schönen Excm- 
peln der Mathematik vnd Aslronomei gemehrt vnd gebessert." — 1573 
erschien Röbels Buch noch einmal unter dem Titel: „Rechenbuch 3 ) auff 
Linien vnd Ziffern . . . Gerechent Büchlein auf alle Wahr vnd Eauflmann- 
schafl / Müntz / Gewicht / Ellen / vnd Mafs viler Land vnd Stett ver- 
glichen." Arge rechnerische Versehen lassen vermuten, dafs diese Ausgabe 
von einer mit der Sache nicht völlig vertrauten Person besorgt wurde. 
Anhangsweise sind 92 inländische und fremde Münzen, welche damals in 
deutschen und welschen Landen im Handel gäng und gebe, verrufen oder 
verboten waren, zur Abbildung (Avers und Revers) gebracht. In Ansehung 
der ungeordneten Münzverhältnisse jener Zeit war dieser Anhang eine sehr 
praktische Zugabe für die Raufleute. 

Röbel hat in seinen Büchern sich allen gelehrten und entbehrlichen 
Beiwerks enthalten und nur praktische Bedürfnisse berücksichtigt, sodafs 
sich der Titelzusatz „zu heuslichem gebrauch vnd hendeln" völlig bewahr- 
heilet. Adam Riese hat diesen beliebten Volksbüchern manches entlelml, 
ohne die Quelle zu nennen. 

§ 22. Joh. Böschensteyn. Gleichzeil ig mit Röbels Rechenbüchlein 
vf den linien" erschien: „Ain New geordnet Rechenbicchlin 4 ) mit den 

1) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 

2) Exemplar in Wolfenbuttel. 

3) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 

4) Exemplar in Leipzig, UnivcrHitliisbibl. 



I -IUI III 



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§ 23. Grammateug. 



47 



zyffcrn den angenden schulern zu nulz Inhalte! die Siben species Algorilhmi 
mit sampt der Regel de Try / vnd sechs regeln d' prüch / vü der regel 
Fusti mit vil andern guten Tragen den kindern zum anfang nutzharlich 
durch Joann Böschensleyn von Esslingen priesler neulych aufsgangen vnd 
geordnet"; am Ende: „Getruckt in . . Augspurg durch Erhart öglin Anno 
1514 Jar. rt Es enthält nicht das Rechnen auf den Linien, sondern nur 
das Zifferrechnen. Anfang: „Welcher lernen will anfänglich rechnen durch 
dye zyffer yst not das er wysse die figurenn der Zyffer / Darnach lerne 
dye crafft vnd hedentnus der stell (Stellenwert) daran die Ziffer gesetzt 
werde / Vnd seyn der hedeutlychen figuren newn / vn ain figur ausserhalb 
dero wirt genant nulla / 0/ dye nichts für sich selbs bedeül / Aber dye 
andern bey ir mer bedeuten macht." In einfacher kindlicher Weise werden die 
sieben Species gelehrt, wobei die mehrfachen Verdeutschungen der fremden 
Namen interessant sind: „Additio hayst Sumirung / Zusamenraytung / Ain 
zal zu der andern zölen vnd häuften / Vil zalen in ain suma zefüren — 
Multiplicatio haist Merung / Manigfaltigung / aulTsteygung / Vilmachung." 
In der Bruchlehre sind für jede Species je nach Beschaffenheit der ge- 
gebenen zwei Zahlen (ob ganz, gebrochen oder gemischt) acht verschiedene 
Fälle tabellarisch zusammengestellt. Verschieden sind sämtliche acht Fälle 
nur in der Division, in der Multiplikation reducieren sie sich auf fünf und 
in der Addition auf einen, in der Subtraktion sind mehrere unlösbar. 

Die Regeldctri wird erst ohne, dann mit Brüchen gelehrt und hierauf 
in Einkäufen von „ayer, tuch, Samat, korn, Zin, wein, silber, Saffian, 
öll, Inber" angewendet. Gemischte Zahlen werden eingerichtet, das Kürzen 
wird nicht gezeigt. Eine Anzahl anmutiger Exempel („hüpscher fragen 
den jungen zu gut") machen den Beschlufs. — 151G 1 ) erschien eine 
neue Ausgabe dieses Buches und 1518 2 ) eine von Abraham Böschensteyn, 
dem Sohne des Job. Böschensleyn, besorgte. 

§ 23. Grammatens, eigentlich Heinrich Schreiber, stammle aus Er- 
furt und genofs seine Ausbildung auf der Wiener Universität, wo er auch 
den Magistergrad erwarb. Der lange Titel seines 1518 3 ) zu Wien ge- 
druckten Rechenbuchs giebt den Inhalt vollständig an: „Ein new künstlich 
behend vnd gewifs Rechrnbuchliu / vff alle Kauffmanschafft. Nach gemeinen 
Regeln detri. Welschen praklic. Regeln falsi. Etlichen Regeln Cossc. Pro- 
porliö des gesangs in Diatonio / aufszulheylen monochordum. Orgelpfeiffen, 
vn andere Instrumet / durch erfindung Pythagore. Buchhallen durch das 
Zornal (Journal) / Raps (von Kapsel = Kassabuch) vnd Schuld buch. Visir 



1) Treutlein, Rechnen im 16. Jahrb. S. 13. 

2) Panzer, Zusätze zu den Annalcn S. 160. 

3) Exemplar in Hamburg, Kominerabi bl. 



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48 



§ 24. Adam Riese. 



Ruthen zu machen / durch den Quadrat / vnd Triangel / sampt andern 
lustigen stücken der Geometrei. M. Henricus Grammateus. Wien. M.D.X.Viij." 
(Oktav, 96 Blätter mit ßlaltzeichen A Aij etc., Titelbild.) 1572 1 ) wurde 
es unverändert in Frankfurt a. M. mit der Vorrede von 1518 von neuem 
gedruckt. — Das Buch ist für „Unwissende und Liebhaber der Kunst" 
bestimmt; die Darstellung trägt ein wissenschaftliches Gepräge. In der 
Anordnung der Species (Add., Mult., Subtr., Div.) ist deren Verwandt- 
schaft mafsgebend gewesen. Die Bruchlehre findet durch eine General- 
regel ihre Erledigung, indem in der Add., Subtr. und Div. auf gleichnamige 
Brüche zurückgegangen wird. Irrationale Quadrat- und Kubikwurzeln 
werden näherungsweise durch Anhängung von 2n bez. 3n Nullen an den 
Radikanden berechnet. Durch die Regula falsi sind auch solche Aufgaben 
gelöst, welche auf Gleichungen zweiten Grades führen, auch ist immer 
die I^ösung durch die Algebra beigefügt. Eine ältere Darstellung des 
Buchhaltens in deutscher Sprache als die von Grammateus giebt's nicht. 

Das Buch ist besonders deshalb leicht versländlich, weil die einzelnen 
Stufen eines Verfahrens gehörig von einander geschieden und als besondere 
„Regeln" (die Addition in drei Regeln, ebenso die Subtraktion etc.) vor- 
getragen sind. 

Von Grammateus existiert noch ein zweites Rechenbuch, „Eync kurz 
newe Rechen und Visyrbuechleynn 2 ) gemacht durch Heinricus Schreyber 
von Erfind t . . gedruckt zu Erfurdt durch Matthes Maler. 1523." 

§ 24. Adam Riese. Wer hätte noch nicht „nach Adam Riese" ge- 
sagt, um diese Redensart als scherzhafte Begründung eines Resultats ein- 
fachster Rechnung zu gebrauchen. Adam Riese ist der berühmteste und 
cinflufsreichste Rechenmeister des 16. Jahrhunderts, er ist der einzige, 
dessen Namen das Volk heute noch kennt und nennt. Über seine Lebens- 
schicksale hat Beriet 3 ) zuerst berichtet, die Berletschen Nachrichten sind 
seitdem an vielen Orten 4 ) wiederholt aber nicht ergänzt worden. Man liest 
hin und wieder auch Unrichtigkeiten. Was wir geben, ist sicher. Adam 
Riese (auch Ries, Rys, Ryse) war 1492 zu Staflelstcin bei Lichtenfels in 
Franken geboren, 1522 ist er Rechenmeister zu Erfurt, 1525 linden wir 



1) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 

2) Murhard I, 166. 

3) Beriet, Über Adam Riese 1855. — Beriet, Die Coss von Adam Riese 
1800, Progr. Realschule Annaberg. 

4) Adam Ryse . . erläutert von A. Böhme im Schulblatt f. d. Prov. Branden- 
burg 1858 Heft 7 u. 8. — Westermann, Monatshefte 1864, Miirzheft S. 593-598. 
— Treutlein in Abhandinngen zur Gesch. d. Math. 1879 II, 14. — Adam Riese 
. . von Max Allihn im Daheim 1878 S. 600—502. — Adam Riese im Vogtländer 
Anzeiger . . . Planen 1880 Nr. 199. 



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§ 24. Adam Riese. 



49 



ihn mit demselben Prädikate in Annaberg. Von 1523—1530 war er Reccfs- 
schreiber beim Bergwesen daselbst und hatte als solcher die Ausbeute der 
Erze ins Recefsbuch einzutragen. 1530 wurde er Gegenschreiber, als 
solcher führte er das Gegenbuch, in welches die Namen der Gewerke ein- 
getragen werden, die Kuxe 1 ) an den verschiedenen Gruben haben. Eine 
private Rechenschule leitete er nebenbei. 1559 starb er zu Annaberg. 
Ob er vorübergehend in Bamberg 2 ) und Nürnberg 3 ) gewesen ist, wird 
sich kaum entscheiden lassen. — Ad. Riese hatte keine Hochschule be- 
sucht, besafs aber kein geringes Mafs von Wissen; er verstand Latein und 
war sehr geschickt in der Geometrie, sodafs er einst einem Ingenieur eine 
Wette abgewann, die meisten rechten Winkel in der kürzesten Zeit zu 
zeichnen. Ehe der Ingenieur mit der Konstruktion der Senkrechten fertig 
war, halte Riese schon eine Menge rechter Winkel im Halbkreise gezogen. 
Auch gemeinnützig war dieser berühmte Rechenmeister thätig, so stellt^ 
er 1533 im Auftrage des Annabergcr Rates eine Brolordnung auf, d. i. 
ein Verzeichnis wie bei festem Brolprcisc das Brotgewicht mit dem Ge- 
treidepreise steigen und fallen müsse; 1536 wurde genannte Brotordnung 
gedruckt. 

Überall wird berichtet, Ad. Riese habe nur zwei verschiedene Rechen- 
bücher, ein Oktav- und ein Quartbuch, verfafst; wir haben vier 4 ) ver- 
schiedene Rechenbücher von ihm aufgefunden. 

I. „Rechnung auff der linihen gemacht durch Adam Riesen vonn 
Staffelsleyn / in massen man es pflegt tzu lern in allen rcchcnschulen 
gruntlich begriffen anno 151 8/') vleysigklich vberlesen / vnd zum andern 
mall in trugk vorfertiget"; am Ende: „Getruckt tzu Erflbrdt durch Malhes 
Maler M.CCCCCxxv Jar." (Oktav, 43 von A bis Fviij signierte Blätter, 
Titelbild.) Das Büchlein enthält nurxdas Rechnen auf Linien, das Ziller- 
rechnen ist nicht gelehrt; es ist jedoch kein einziges Beispiel mit Marken 
ausgeführt, nur ein Linienschema ist erklärt; das Verfahren ist überall 
beschrieben. Die Unterrichtsordnung ist diese: „Zum ersten sol ein yeder 
anhebender schuler lernen erkennen / die zifTer / darnach die linihen / alls 
den nidderlegen vnd aufheben." Inhalt: Numerirn, Addirn, Sublrahiru, 
Duplirn, Mcdirn, Mulliplicirn, Dividirn, Progrcssio, Detri, Wechsell, Ge- 
wandt, Sylber vnd golltrechnüg, gcselschafTt, Stich, Resolvirung. Unter 



1) Ein Kux ist y ifl0 einer Grube. 1 Grube = 10 Teile ä 4 Viertel a 4 Kuxe. 

2) Serapeum 1847 S. 126. 

3) Abbandlungen z. Gesch. der Math. II, 65. 

4) Die Kommerzbibl. zu Hamburg besitzt alle vier. 

6) Von der ersten Auflage 1618 scheint kein Exemplar gerettet zu sein. — 
Ein Exemplar der dritten Auflage 1527 besitzt die Seminarbibl. zu Planen im 
Vogtlande. — Exemplar der 2. Aufl. 1525 in Hamburg. 

Unobr, Methodik. 4 



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50 § 24. Adam 

den eingekleideten Aufgaben giebl's manche heitrer Art, Stifel nennt sie 
„holdselig". liier ist eine solche aus der Gesellschaftsrechnung. „Itera 
ann eynem tantz seyndt 546 personn darunder seyndt eynn dritteyll Junge- 
geselln / \ burger / £ edelleut | pauern vnd f Junckfrawen / Nun seyndt 
der Junckfrawen nit so vil / darmit sie alle tzu gleychenn tantzenn 
mögen / dann so o(Tt 6 Junckfrawen tantzen / so manches mal niufs 
1 person vnnder gemelten geschlechtern feyern / Frage ich / wieviel eynes 
ytzlichenn geschlecht in sonderheyt scy." Riese berechnet durch die unten- 
stehenden Ansätze die Anzahl der Personen jedes „Geschlechts" und dann 
die Zahl der „Feiernden" 



i Anzahl. 
8 Jungges. ! 112 
6 Bürg. 84 



39 546 4 Edel. 56 



3 Bau. ! 42 
18 Jungf. ! 252 



; 



Feiernde. 
112 ! 16 Jungges. 
84 1 12 Bürg. 
294 42 56 : 8 Edel. 

42 ; 6 Bau. 



II. „Rechenung auff der linihen vnd federn in zal / mafs / vnd ge- 
wicht auff allerley handierung / gemacht vnd zusamcn gelesen durch Adam 
Riesen von Slaffelstein Rechenmeister zu ErlTurdt im 1522 Jar. Itzt vlT 
sant Annabergk durch in fleyssig vbersehen / vnd alle gebrechen eygent- 
lich gerechtfertigt / vnd zum letzten eine hübsche vnderrichtung ange- 
hengt"; am Ende: „Gedruckt ... zu Erffordt durch Mathes Maler . . . 
1525." (Oktav, 76 signierte Blätter.) — In diesem Buche ist zuerst ganz 
kurz das Rechnen auf Linien gelehrt, dann folgt ausführlich das Ziffer- 
rechneu. Die Ordnung des Inhalts ist genau dieselbe wie in vorigem 
Buche, nur ist der Stoff beträchtlich erweitert. Wir finden hierin auch: 
Stichrechnung, Regula lalsi, Regula cecis oder virginum, neun- und sech- 
zehnzellige Zauberquadratc. 

Das eben beschriebene Buch ist dasjenige, welches überall als das 
kleine Rechenbuch von Adam Riese bezeichnet wird; es hat viele Neu- 
auflagen und Nachdrucke 1 ) erlebt und wurde später (1533) 2 ) mit einem 
Visierbuche durch Ehart Helm vermehrt, wodurch der Umfang auf 112 



1) 1527 in Nürnberg, wovon ein Exemplar in München. — 1529 in Erfurt, 
Exemplar in Berlin; S. 1 — 20 dieser Ausgabe sind reproduciert von Olto Kühler 
im XXIV. Jahresbericht d. K. Wilhelm -Gymn. Berlin 1884. — 1530 in Erfurt, 
Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. — Exemplar von 1535 und 1556 in Anna- 
berg. — Wildermuth benutzte eine Ausgabe, welche 1544 von Egenolph in 
Frankfurt a. M. gedruckt ist; Schmidt Encykl. VI, 734. — 1574 bei Egenolphs 
Erben, Exemplar in Leipzig, Univeraitätsbibl. — Kästner (Gesch. der Math. I, 109) 
bcBafa eine Magdeburger Ausg. 1579. 

2) Exemplar im Gymn. zum grauen Kloster in Berlin. 



I Uli 



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§ 24. Adam Riese. 



51 



Blätter wuchs. Dafs die erste Auflage 1522 erschien, sieht aur Bl. 72: 
„Gehen am Freitag nach Michaelis im 1522"; auch bezieht sich Ad. Riese 
in seinem grofsen Rechenbuche 1550 (Bl. 105) auf diese Ausgabe: „In 
meinem vorigen Büchlein / so 1522 in Erfurdt getruckl." In späteren 
Auflagen ist der Titel oft ein wenig geändert, doch sind die Worte: 
„Rechnung auf Linien und Federn in allerlei Hantierung" überall bei- 
behalten. Der Inhalt stimmt meist wörtlich überein. 

III. „Rechnung 1 ) nach der lenge / aufT den Linihen vnd Feder. Darzu 
forteil vnd behendigkeit durch die Proporliones Practica genant / Mit 
grüntlichem vnterricht des visirens. Durch Adam Riesen im 1550 Jar." 
(Bildnis des Adam Riese mit der Umschrift: „Anno 1550 Adam Ries seines 
Alters im LVIIL") Am Ende: „Gedruckt zu Leipzig durch Jacobum 
Berwalt." (Quart, 196 Blätter.) Die drei bis jetzt genannten Bücher von 
Adam Riese unterscheiden sich wesentlich durch Stoflerweiterung von 
einander. Das erste (von Jahre 1518) enthält nur das Rechnen auf Linien, 
im zweiten (von 1522) steht das Ziflerrechnen im Vordergrunde und im 
dritten (von 1550) nimmt die „Practica" einen sehr grofsen Teil des 
Raumes ein; auch ist das letztere in allen Teilen erweitert und das Auf- 
gabcnmalerial stark vermehrt. — Carolus Riese, der Enkel des Adam Riese, 
besorgte ICH noch eine unveränderte Ausgabe 2 ) des Quartbuches von 
1550. Murhard 3 ) zeigt noch einen Neudruck von 1656 an. 

Rieses Rechenbücher sind ein Jahrhundert lang die beliebtesten und 
brauchbarsten Volksbücher gewesen. Stifel 4 ) sagt: „welches (Rieses Oktav- 
buch 1522) bei uns geachtet wirt für das allergebreuchlichst". Das Quart- 
buch 1550 ist auch thatsächlich das beste Rechenbuch seiner Zeit. Der 
Inhalt befriedigt die praktischen Bedürfnisse, dem schwereren Ziflerrechnen 
geht das volkstümliche Rechnen auf Linien voran, der Vortrag ist einfach 
und meist deutlich, das Übungsmaterial ist ausreichend und in angenehmem 
Gewände 5 ) gegeben. Viele Schriftsteller reproducieren sein allerwärts für 
mustergillig gehaltenes Buch; wer den Inhalt desselben beherrschte, galt 
für einen Rechenmeister. 6 ) 



1) Das Buch ist nicht selten. 

2) Exemplar in Leipzig, Universitätsbibl. 

3) Murhard 1, 164. 

4) Stifel, Deutsche Arithm. 1646 fol. 17. 

6) Stifel entlehnte dem Adam Riese die Exempel der Regula falsi mit der 
Bemerkung, „die seinigeu könnten nicht so holdselig ausfallen als die des 
Adam Riese"; Stifel, Deutsche Arithm. 1646, fol. 31. 

6) „Man achtete sein Buch vor gar künstlich, dafs man sagte, wer Riesens 
Exempla solvieret, der soll für einen Meister in der Rechenkunst gelten*'; Doppel- 
mayr S. 169. 

4* 



52 



§ 24. Adam Riese. 



Rieses Unterrichlskursus besteht aus drei Stufen: a) dem Rechnen 
auf Linien (Species und angewandte Aufgaben), b) dem Ziflerrcchnen 
(Regeldetriaufgaben nach der gewöhnlichen Methode), c) dem Rechnen 
mit „forteil und behendigkeit 1 )" (hier werden alle Rechnungsvorteile ge- 
zeigt, als: verschiedene Multiplikations- und Divisionsarien, Kurzen in der 
Multiplikation und Division der Brüche, welsche Praktik als leichtere Lösnngs- 
art der Regeldetriaufgaben). Als Zugabe des Werkes folgen noch: Regula 
falsi, cocci, magische Quadrate, Visieren. 

In dem Gange der Übungen sind einige methodisch richtige Grund- 
sätze erkennbar: vom Konkreten zum Abstrakten (auf Linien — mit der 
Feder), vom Einfachen zum Zusammengesetzten (ohne — mit Kürzen). 
Auch die bewahrte Regel repetitio est mater studiorum kommt in erspriefs- 
licher Weise zur Anwendung, indem derselbe StolT fünf- bis sechsmal 
durchgearbeitet wird, jedoch immer in andrer Form. 

Das Unterrichtsverfahren selbst ist rein dogmatisch. Die Aufgabe be- 
ginnt, die Regel folgt, dazu kommt der Defehl: „thu ihm also". An zahl- 
reichen gleichartigen Aufgaben wird die Regel eingeübt, Entwickelung und 
Begründung derselben fehlen. Das Resultat wird durch eine Probe er- 
härtet. — Da jedoch die Methode wesentlich durch die Pädagogik bestimmt 
wird und diese Wissenschaft damals erst im Entstehen war, so verdient 
Riese mit seiner Lehrarl alle Achtung. Fertige Rechner hat er durch die- 
selbe sicher gebildet. 

IV. „Ein Gercchcnt Büchlein 2 )/ aulT den Schöflel / Eimer vnd Pfundl- 
gewichl / zu ehren einem Erbarn / Weisen Rathe aulT Sanct Annenbergk 
durch Adam Riesen 1533. Zu Leiptzick halt gedruckt difs gcrechent 
Büchlein Melchior Lotter. Volendet vnd aufgangen am abendt des Newen 
Jars 1536." Quart. Dieses Buch ist kein Rechenbuch im gewöhnlichen 
Sinne des Worts, sondern enthält Tabellen, welche zu Preisberechnungen 
dienen (siehe § 57). 

Adam Riese hatte fünf Söhne: Adam, Abraham, Jacob, Isaac und 
Paulus. Abraham R. scheint der Amtsnachfolger seines Vaters in Anna- 
berg geworden zu sein, später war er Kurfürstlicher Malhematicus in 
Dresden. 3 ) Isaac R., Bürger und Visierer zu Leipzig, verfafste 1580: „Ein 
neues nutzbar gerechnet Rechenbücblein" . . . (siehe § 57). 

Kästner 4 ) schreibt: „Reich hat sich der ehrliche Mann (Adam Riese) 
wohl nicht gerechnet; seine Tochter Anna hat im dreißigjährigen Kriege 

1) Behendigkeit bedeutete damals Kunstgriffe und schlaue Wege; Schindler, 
Bayr. Wörterbuch I, 1122. 

2) Exemplar in Hamburg, Kommerzbibl. 

3) Beutel, Arithmetica 1693 S. 488. 

4) Kästner, Gesch. der Math I, 111 



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§ 25. Johann Brandt. § 26. Christof!* Rudolff. ' 53 

zu Annaberg als Magd gedient." Das letztere ist wegen des Alters wenig 
wahrscheinlich; das erstere ist leicht glaublich, denn von der wiederholten 
Drucklegung 1 ) des Oktavhuches (von 1522) wird der Autor wenig bis 
keinen Nutzen gezogen haben. Für das Quartbuch (von 1550) hatte er 
sich gegen Nachdruck geschützt: „Cum gratia et priuilegio Caesareo." 

§ 25. Johann Brandt ist einer der ersten, welche den Adain Riese 
nachgeahmt bis abgeschrieben haben. Sein Werkchen 2 ): „KVNSTLICHE 
IIKCIIENUNG MIT DEN Zyflern vnd Pfennigen, Auff allerley handltierung 
durch M. Job. Brandt synen schulern zur sunderlicher vbung vnd nutzung 
gemacht. Im Jar 1532. Collen" (Oktav, 39 Blätter), hat schon denselben 
Titel wie Adam Biescs Oktavbuch von 1522. Es hat aber auch die gleiche 
Gruppierung und Anordnung des Stoffes, viele Stellen sind wörtlich ent- 
lehnt und ganze Reihen voii Aufgaben herübergenommen; auch das poetische 
Loblied auf die Arithmetik, welches man bei Adam Riese 1520 findet und 
also anhebt: „Pythagoras der sagt fürwar", hat Aufnahme gefunden. 

§ 26. Christoff Rudolff, gebürtig aus Jauer in Schlesien und auf 
der Wiener Hochschule gebildet, hat unabhängig von Adam Riese sein 
Rechenbuch verfafst: „Künstliche Rechnung mit der Ziffer vnd mit den 
Zalpfeunigen sampl der Wellischen Practica / vnd allerley vortheyl aufl' die 
Regel de Tri / allen Liebhabern der Rechnung vnd sonderlich derselbigen 
kunst anfallenden Schülern zu nutz / Wien 1526/' Spätere Ausgaben er- 
schienen 1546, 1574, 1588. Genanntes Rechenbuch ist nach des Autors 
eigner Aussage eine Erweiterung des ersten Teils der 1525 edierten Coss. 3 ) 
Es zerfallt in drei Teile: Grundbüehlein, Regelbüchlein und Exempelbüch- 
lein. Im Grundbüchlein lindet man: Numerieren, 4 Species in unbenannten 
Zahlen, Resolviereu, 4 Species in benannten Zahlen, Brüche (alles mit 
Zifiern), Rechnung auf Linien. Das Regelbüchlein enthält die Regeldelri 
(Herleitung aus den Proportionen) und die welsche Praktik. Das Exempel- 
büchlein (nur Aufgaben und Resultate) ist eine Aufgabensammlung zu den 
beiden vorigen Teilen; die einzelnen Titel sind: Gewinn, Verlust, Wechsel 
(heutige Kettensatzcxcmpel, hierbei findet man den Kettensatz mit Anlei- 
tung zur Bildung und den Vorteilen des Kürzens), Über Land (Waren- 
rechnungen), Gesellschaft und Theilung, Faktorei, Stich, von Bergwerk, 
Regel Alligationis. — Die „SchimpITrcchnung" (= Scherz) bildet den An- 
hang und umfafst: Progressionen, Regula falsi, Regula virgiuum, Wurzcl- 
ausziehuug. Rudolfl's Rechenwerk ist ebenso wie Rieses Buch ein Musterbuch 



1) Mnrhard führt I S. 164 als Druckorte an: Erfurt, Frankfurt, Breslau, 
Leipzig, Nürnberg, Magdeburg, Wittenberg, Stettin. 

2) Exemplar in Hamburg, Kommerzbibl. 

3) Vgl. hierzu Treutlein, Abhandlungen zur Gesch. der Math. 11, 15. 



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54 § 27.' Petrus Apianus. § 28. Einige urithui. Schriften, besondrer Art 



für andere geworden; der Verfasser trägt den Ansprüchen des praktischen 
Lebens Rechnung, macht als gewandter Rechner überall auf Rechnungs- 
vorteile aufmerksam und zeigt als erfahrner Lehrmeister Klippen und 
Fehlerquellen. — 1530 licfs Christoff Rudolff ein andres Rechenbuch aus- 
gehen: „Exempel Buchlin. 1 ) Rechnung belangend ... Augsburg bei Heinrich 
Stayner." 

§ 27. Petrus Apianns 8 ), eigentlich Biene witz, geboren 1495 zu Leisnig 
in Sachsen, ordentlicher Professor der Astronomie an der Universität zu 
Ingolstadt, Lehrer Karl V. und dessen Günstling, 1540 geadelt, gestorben 
1552 zu Ingolstadt, ist einer von den wenigen Professoren an Hoch- 
schulen, welche die praktische Arithmetik in deutscher Sprache bearbeiteten. 
Allerdings hat Apian kein selbständiges Werk geschaffen, sondern Rudolffs 
Buch stark benutzt. Der vollständige Titel ist: „Eyn newe vnd wolgc- 
gründle vnderweysung 8 ) aller Kauflmannfsrechnung in dreyen Büchern 
mit schönen Regeln vnd fragslucken begriffen. Sunderlich was forll vnd 
behendigkeit in der Welschen Practica vnd Tollelen gebraucht wirdt. Des- 
gleichen fürmalfs weder in Teutzscher noch in Welscher sprach nie ge- 
druckt. Durch Petrum Apianum von Leyfsnick d' Astronomie zu Ingolstadt 
Ordinariü verfertigt"; am Ende: „Gedruckt vnd volendt zu Ingolstadt durch 
Gcorgium Apianum von Leyfsnick im Jar nach der geburt Christi 1527 
am 9. tag Augusti." — Apians Buch unterscheidet sich von dem RudohT- 
schen nur in der Anordnung der Stoffe. Aus den beiden ersten Büchern 
Rudolffs hat Apian nur eins gemacht und darin das Rechnen auf den 
Linien vorangestellt. Das zweite Buch bei Apian enthält die Partien der 
Rudolffschen „Schimpfrechuung" und aufserdem die Kettenregel und Zinses- 
zinsrechnung. Das dritte Buch bringt die welsche Praktik und Tollet- 
reebnung. — Einiges Eigentümliche in Apians Reebenbuche ist: die Ver- 
wendung der 7 und 6 als Probezahlen neben der 9; die Berechnung der 

Zinseszinsen nach zwei Methoden (der einen liegt die Formel \ ° t ^ P ) 



zu Grunde, die andre vermehrt von Jahr zu Jahr fortschreitend das Kapital 
nach der Formel 100 -f ^-); das Unterwärtsdividieren; die seltene Tollel- 
rechnung. — Beweise giebt auch Apian keine. 

§ 28. Einige arithmetische Schriften besondrer Art. Unter den 
folgenden Autoren deutscher Rechenbücher des 16. Jahrhunderts ist keiner, 
der von hervorragender Bedeutung wäre. Sie reproducieren Rieses oder 

1) Exemplar in Wolfenbüttel. 

2) Poggendorff. — Gerhardt, Gesch. der Math. — Allgemeine deutsche 
Biographie I, 506 ff. 

3) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 



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§ 28. Einige arithmetische Schriften besondrer Art. 55 



Rudolfls Buch. Der Stoff ist mehr oder weniger gekürzt, die Definitionen 
sind gewöhnlich sehr inkorrekt, die Hegeln mangelhaft, der Vortrag ist 
stellenweise dunkel: sodafs im allgemeinen schwächere Leistungen geschaffen 
werden. Wir übergehen sie und führen nur noch einige von besondrer 
Eigentümlichkeit an. 

Die für bestimmte Schulen geschriebenen Rechenbücher ermöglichen 
ein Urteil über den Stand des arithmetischen Unterrichts in der betreffen- 
den Schulgattung. 

Joh. Fischer 1 ) schrieb für die Fürstenschüler zu Pforta und Grimma, 
hat in der Anlage Rudolffs Buch nachgeahmt (Grundbüchlein, Exempel- 
liüchlein, Practicierbüchlein) und folgt in der Methode dem Adam Riese, 
von dem er viele Aufgaben entlehnt hat. Fischers lateinisches Compcn- 
dium*) war zum Gebrauch in den lateinischen Schulen Sachsens anbe- 
fohlen. 3 ) Jacob Frey 4 ) (Augsburg) und Hegelin 5 ) (Ulm) schrieben für 
ihre „Schulknaben", Alberl 6 ) und Gülfferich 7 ) für „angehende Rechner". 
Wälckle 8 ), Krafft 9 ) und Ilelmreich 10 ) liefern spezielle Bearbeitungen der 
welschen Praktik, unter denen die Krafftsche die beste ist. Sie besitzt 
auch die Form des Dialogs, eine seltene Eigentümlichkeit. Jede Definition, 
Regel oder Beschreibung trägt eine darauf gestellte Frage als Überschrift, 
sodafs dadurch dem Rechner dasjenige Moment markiert wird, worauf er 
sein Augenmerk jeweilig zu richten hat. 

Nach Kraffts Zeugnis ist Simon Jacob von Coburg (gestorben als 
Sladtschreiber zu Frankfurt a. M. 1564) der „fürtrefflichste" Rechenmeister 
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderls; seine Schriften sind uns nicht 
zu Gesicht gekommen. 

Die Bücher von Adam Riese 11 ), Joh. Weber 12 ), Joh. Otto 13 ) und 

1) Joh. Fischer, Ein Künstlich Rechenbüchlein . . . Wittenberg 1569 bis 
1592 vier Aufl. 

2) Joh. Piscatoris Arithmeticae Compendium . . . Lips. 1545 und später. 

3) Vormbaum, Schulorduuugen I, 281. 

4) Jacob Frey, Exempelbüchlein . . . Nürnberg MDLXIX. 

5) Leonhart Hegelin, Ein künstlich Rechenbuch . . . Ulm 1544. 

6) Job. Albert, New Rechenbüchlein . . . Wittenberg 1541 und später. 

7) Hermann Gülfferich, Ein new kurz Kechenbüchlein . . . 1559. 

8) Georg Walakle, Die Wälsch practica . . . Strafsburg MDXXXVI. 

9) Joh. Krafft, Ein neues . . Rechenbuch . . . durch die Welsche Praktik . . 
Ulm 1592. 

10) Andreas Helmreich, Rechenbuch . . . nach der welschen Praktica . . 
Halle a. S. 1595. 

11) Adam Rieso, Ein Gerechent Büchlein / au ff den Schöffel . . . Leipzig 1030. 

12) Joh. Weber, Gerechnet Rechcnbüchlein . . . Erfurth 1670. 

13j Job. Otto, „Calculator. Ein newes . . . ausgerechnetes Rechenbuch 
. . 1579. 



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56 § 28. Einigo arithmetische Schriften besondrer Art. 

Isaac Riese 1 ) enthalten mir Tabellen, aus denen die Warenpreise für 
eine beliebige Mehrheit bei gegebenem Preise, für die Einheit entweder 
direkt entnommen oder durch leichte Additionen gefunden weiden können. 
Vgl. § 57. 

Job. Obers 2 ) und Georg Rcichelstain 8 ) versuchen sich in der arith- 
metischen Poesie, indem sie Definitionen, Regeln und Beschreibungen 
in poetischem Gewände bieten. Sic leisten damit der Methodik aber keinen 
Dienst, denn gar zu oft sind Genauigkeit und Schärfe des Ausdrucks dem 
Versmars und Reime geopfert. Einzelne Verse finden sich auch anderwärts. 
Hier sind einige Proben. 

„Numeratio die Erst fiur [= Species] 
Thut vns yn der rechnung dyse stuer 
Zöl ains Zway dreu vier / acht 

So hast du die ersten figur mit macht." (Böschensteyn 1514.) 

„Hab achtuug neun sein der figur / 

On all beschwer auszusprechen pur. 

Bei solchen ferner merk auch mich 

Ein uulla steht vnaufssprechlich 

Rund vnd formirt recht wie ein o / 

Wirt dann dasselb versteh also 

Ayner deutlichen fürgemalt 

Bringts zehenmal so vil als bald. 

Mit den kanstu recht numerireii 

All zal aussprechen vnd volfüren." (Obers 1545.) 

„Addition lernet vil zal kürlzlich verslehu 

Zusammcnthun groschen vnd floren. 

Schau wo zwen pfennig im spatio 

Ligen hebs auff vnd leg ayn do 

AufT d' nechsten lyni vbersich / 

Desgleich so fünf liegen halt dich 

Auff eyner lyni merk vnd guck / 

Ins spatium drüber ain ruck." (Obers 1545.) 

„So du magst von der obem nit 
Ein Ziffer subtrabirn mit sitt 
Von zehen soll sie ziehen ab 

Der nechst vnder addir eins knab." (Reichelstain 1532.) 

1) Tsaac Riesr, Ein neues nutzbar gerechnetes Rechenbuch . . . Leipzig 1580. 

2) Joh. Obers, Newgestelt Rechenpuchlein . . Augsburg MDXLV. 

3) Georg Reichelstain, Kautf'mans handtbüchlein . . . 1532. 



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§ 29. Lat. Rechenbücher. §30. llierou. Cardauus. §31. Reioerus Ucmnia-Frisius. 57 

„Lern wol mit vleifs dafs eyn mol eyn 

Szo wirt dir alle Rechnung gemeyn." (Widniann 1489 «. andre.) 

§ 29. Lateinische Rechenbücher, Im Zeitaller des Humanismus, 
der das Latein als Unterrichtssprache vorschrieb, durften die für die 
lateinischen Schulen bestimmten Rechenbücher selbstverständlich in keiner 
andern als der lateinischen Sprache abgefafst sein. Der arithmetische 
Unterricht bezweckte in den lateinischen Schulen nur Kenntnis der Opera- 
tionen; es war nicht einmal auf Rechenfertigkeit abgesehen, weshalb in 
den lateinischen Rechenbüchern Ühungsheispicle überall fehlen. Sie ent- 
halten neben den Hegeln nur ein Reispiel zur Illustration. Der Ausdruck 
ist bestimmter und die Darstellung wissenschaftlicher als in den deutschen 
Rechenbüchern; hie und da finden sich korrekte Definitionen und einige 
Versuche zur Begründung der Regeln; doch enthalten die allermeisten nur 
Regeln mit je einem Beispiele. 

§ 30. Hieronymus Cardanus 1 ), geboren 1501 zu Pavia, gestorben 
1576 in Rom, besafs medicinische, juristische und mathematische Bil- 
dung, führte ein vielbewegtes Leben und trat in mehreren italienischen 
Städten als Lehrer der Mathematik auf. Seine wichtigsten mathematischen 
Werke sind: Practica arilhmeticae generalis et mensurandi siugularis 1539. 
— Ars magna arithmeticae. — Artis magnae sive de regulis algebraicis 
Uber unus, Norimb. 1545. — Obwohl die Cardansche Formel mit Unrecht 
seinen Namen trägt, so wird Cardan doch immer einen ehrenvollen Platz 
in der Geschichte der Algebra einnehmen. — Die zuerst genannte Schrift 
umfafst das heutige Zahlenrechncn; die Darstellung ist zwar wissenschaft- 
lich, doch stehen die Regeln ohne Begründung. 

§ 31. Reinerus Gemma-Frisius 2 ), geboren 1508 zu Dockum in 
Friesland, wurde Professor der Medicin an der Universität zu Löwen und 
starb 1558. Sein Werk „Arithmeticae practicae Methodus facilis 1540" 
war in den lateinischen Schulen so beliebt wie Adam Rieses in den 
Rechenschulen, es erlebte ca. dreifsig Auflagen. Noch Christ. Wolf rühmt 3 ) 
Gemmas leichtfafsliche Methode; er (Wolf) habe, da er in den Species 
noch nicht wohl fortgekommen sei, aus Gemmas Buche alle Regeln der 
Rechenkunst in wenigen Tagen erlernt. Genanntes Buch ist klein an Um- 
fang (37 Blätter, Quart), aber reich an Inhalt, der aus Regeln mit je 
einem Hlustralionsbeispiele besteht. Man findet: vier Species in ganzen 
Zahlen, Regcldetri, Brüche, Regula societatis, Regula alligationis, Regula 

1) Cantor in Zeitschrift f. Math. u. Phys. Bd. II. — Poggendorff. — 
Scheibel, Einl. z. math. Bticherkenntnifs II, 369. 

2) Poggendorff. — Kastner, Gesch. d. Math. I, 129. 

3) Wolf, Kurtzer Unterricht v. d. math. Wissenschaften 1750 S. 9. 



58 



§ 32. Michael Stifel. 



falsi. — In Alldorf war durch die Gymnasialordnung 1575 der Gebrauch 
dieses Hccheu werks vorgeschrieben. 1 ) 

§ 32. Michael Stifel, geb. 1487 zu Eislingen, wurde Augustinei- 
mönch, entwich 1522 aus dem Kloster, kam 1523 nach Wittenberg, ge- 
wann die Freundschaft der grofsen Witteuberger Reformatoren und er- 
langle auf Luthers Empfehlung mehrere Pfarrslellen (Mansfcld, in Ober- 
österreich bei Christof Jörger von Tollet, Lochau, Holzdorf). Darnach 
ging er nach Frankfurt a. 0., Memel, Eichholz, Uaffstrom bei Königsberg i. P., 
Brück bei Treueubrietzen. Seine letzten Jahre verlebte er in Jena wahr- 
scheinlich nicht in amtlicher Stellung, sondern als Privatlehrer der Mathe- 
matik; er starb 1567 daselbst. Das wechselvolle Leben Stifels mag wohl 
die Ursache sein, dafs die biographischen Nachrichten 2 ) über ihn erheb- 
lich von einander abweichen, die sichersten enthält die Real-Encyklopädie 3 ) 
für prot. Theologie 1884. 

Stifel gab sich nicht allein ernsten theologischen und mathematischen 
Studien, sondern auch Träumereien über die Geheimnisse der Zahlen hin. 
Die erste Frucht seines schwärmerischen Spiels mit den Zahlen war: „Ein 
Nethen Büchlein vom End Christ. Apocalysis in Apocalysim, Wittenberg 
1532/' Darin benutzt er die Trigonalzahlen, um die Heimlichkeiten der 
Schrift, der Kirchen- und Papstgeschichte zu entdecken. Darauf berech- 
nete er den Eintritt des jüngsten Tages auf den 19. Oktober 1533 und 
teilte das Resultat seinen Lochauer Pfarrkindern mit, welche ihr Hab und 
Gut bis dahin verzehrten. Stifel kam wegen seiner falschen Prophezeiung 
in Gefahr 4 ) und nur Luthers persönliches Eingreifen entwand ihn den 
Händen des weltlichen Richters. Dieser Mifserfolg hatte Stifel das Weis- 
sagungsrechnen verleidet, und er gab sich nun nur noch slrengwisseu- 
schafllichen Studien hin, deren Frucht die berühmte „Arithmetica iulegra 
1544" wurde. Stifel hat sich durch dieses W r erk als einer der bedeutend- 
sten Mathematiker des IG. Jahrhunderts dokumentiert. Er hat in jenem 
Werke die damals noch geheimen Vorteile der Algebra veröffentlicht und 
diese Wissenschall durch eigne glückliche Untersuchungen über Polenzen, 
Progressionen und Figurenzahlen erweitert; er war der Entdeckung der 
Logarithmen nahe und Meister in der Herstellung magischer Quadrate. Im 



1) Vormbaum, Schulordnungen I, 612. 

2) Buck II, 256. — Kästner, Gesch. d. Matb. I, 112 — 128. — Panzer, 
Annalen II, 99. — Cantor in Zeitschrift f. Math. u. Phys. II. — Poggendortt". 
— Westermann, Monatshefte 1863, Oktoberheft S. 1—40. — Gerhardt, Gesch. 
d. Matb. S. 60. 

3) Real-Encyklopädie f. prot. Thcol. 1884, XIV, 702—706. 

4) Sehr ausführlich hiervon in Westermann Monatshefte 1863, Oktoberheft 
S. 1—40. 



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§ 33. Petrus Raums. § 34. Tartaglia. 



Gebrauche der Regula falsi ging er noch einen Schrill weiter als Gemma- 
Frisius und löste durch sie Aufgaben, welche die Unbekannte in der fünf- 
ten Polenz enthalten. — Durch eine Deutsche Arithmetik 1 ), worin die 
Rechnung auf den Linien deutlich und sehr ausführlich erklärt ist, leistete 
er dem gemeinen Volke einen Dienst. Die selten gewordene Coss 8 ) Bu- 
dolfls beförderte er mit Erläuterungen zu jedem Kapitel 1553 aufs neue 
zum Druck. 

§ 33. Petrus Ramus 3 ), geboren 1515 in Cuth bei Soissons, trat 
als Gegner der Scholastik auf. Weil er sich den Hugenotten anschlofs, 
mufste er Paris uud 1560 Frankreich verlassen. Nach längerein Aufenthalte 
in Deutschland und der Schweiz kehrte er 1571 nach Paris zurück, wo 
er ein Opfer der Bartholomäusnacht wurde. Seine Bedeutung für die Philo- 
sophie ist gröfser als für die Mathematik. Die hierhergehörigen Schriften 
sind: „Scholarum mathematicarum libri XXXI, Basel 1569" und „Arilh- 
nieticae libri duo, Basel 1567". In letzterem Werkchcn sind die Spccies 
in ganzen Zahlen, die Brüche, Proportionen, die Uegeldelri, Gcsellschafls- 
rechnung, Mischungsrechnuug und die Progressionen behandelt. Die Dar- 
stellung ist deutlich, doch ohne Beweise, da die Sache so offenbar sei. 
Rechnungsvorleile erwähnt er keine. Die Aufgaben sind praktisch, manche 
unterhaltend, einige in poetischem Gewände. 

§ 34. Tartaglia*) (Tarlalea), von geringer Herkunft, Autodidakt, 
um 1506 zu Brescia geboren, verstand Latein und Griechisch, trat von 
1530 in mehreren Städten als Lehrer der Mathematik auf: Verona, Pia- 
cencia, Venedig, Brescia. Er erklärte den Euklid und löste kubische 
Gleichungen, deren Auflösung er zwar selbständig doch nicht zuerst ent- 
deckte. 5 ) Alle seine Entdeckungen beabsichtigte er in einem grofsen Werke: 
„General trattato de numeri et misure" 6 ) niederzulegen, doch starb er 
1557 über der Ausarbeitung des dritten Teils; die crslen beiden .Teile 
waren 1556 vollendet, die übrigen vier Teile sind von Curtio Trajano 
1560 fertiggestellt worden. — Es giebt im 16. Jahrhundert keine prak- 
tische Arithmetik, welche dem Meisterwerke dieses Italieners an die Seile 
gestellt werden könnte. In Anlehnung an seinen Landsmann Lucas de 



1) „Deutsche Arithmetica. Inhaltend die Haufsrechnung, deutsche Cosa, 
Kirchrechnung. Nürnberg 1545." (Exemplar in Leipzig, Stadtbibl.) 

2) Die Cosa Christofi Rudolffs mit schönen Excmpcln derCos3 durch Michael 
Stifel Gebessert und sehr gemehrt, Königsberg 1553. (Ex. in Leipzig, Stadtbibl.) 

3) Cantor in Zeitschrift für Math. u. Phys. Bd. II. — Poggendorff. 

4) Buck II, 260. — Hankel. — Poggendorff. — Zeitschrift für Math. u. 
Phys. Bd. XXU. 

5) Vergl. Ersch und Gruber XXXXI1I, 235. 

6) Exemplar in Leipzig, Universitätsbibl. 



00 



§ 35. Christoph ClaviuB. 



Burgo 1494 traf Tartaglia die änfscre Anlage seines Werkes und teilte es 
in sechs Teile, diese in Bücher, letztere in Kapitel. Der erste Teil ent- 
hält die kaufmännische Arithmetik. Der Umfang des Stoffes ist hei beulen 
Autoren, Lucas und Tartaglia, im grofsen und ganzen derselbe; die metho- 
dische Behandlung ist jedoch bei Tartaglia eine feinere. Dieser hat sein 
Augenmerk beständig auf das in der Praxis Notwendige gerichtet. Als 
Frucht dieses Streben» erkennt man eine erleichternde Sichtung der Materie 
einerseits und eine zweckmäßigere Anordnung der einzelnen Teile andrer- 
seits; so sind die überflüssigen Betrachtungen über Einteilung und Eigen- 
schaften der Zahlen ausgeschieden, die Progressionen, das Radicieren und 
die Proportionen als für kaufmännische Geschäfte entbehrliche Partien ab- 
gesondert und im zweiten Teile vorgeführt. Hinsichtlich der Behandlung 
der einzelnen Teile überragt Tartaglia alle seine Zeitgenossen. Bald schickt 
er der Hauptübung zur Überwindung auftretender Schwierigkeiten passende 
Vorübungen voraus (der Addition das Einundeins, der Subtraktion das 
Einvoneins, der Multiplikation das Einmaleins, der Division das Einineins), 
bald läfst er Nachübungen zur Befestigung des erledigten Pensums folgen 
(Inversionsaufgaben nach der Bruchlehre). Hier zeigt er verschiedene 
Lösungsarten für dieselbe Operation (sieben Multiplikationsarien, drei Divi- 
sionsmethoden, fünf Wege zur Berechnung der Zinseszinsen), dort unter- 
scheidet er verschiedene Fälle derselben Operation (Bruchlehre). In der 
bevorzugten Behandlung der Reduklionszahlen (vielseitige Verwendung der- 
selben bei Multiplikationen und Divisionen) zeigt sich besonders die ge- 
hörige Würdigung des praktischen Bedürfnisses; ja er erweist demselben 
sein Entgegenkommen so weitgehend, dafs er neben der „natürlichen und 
künstlichen Practica" auch eine „Venetianische Practica" unterscheidet, 
welche nur auf venetianische Mafs-, Gewicht- und Münzverhältnisse ge- 
richtet ist. Um die Anforderungen, welche Tartaglia an den Rechner 
stellt, nur durch ein Moment zu charakterisieren, sei erwähnt, dafs er 
das Einmaleins der ersten 40 Zahlen einzuüben befiehlt, und dafs er in- 
folgedessen diese Zahlen wie einziffrige Multiplikatoren und Divisoren be- 
handelt. Das sind Leistungen, welche ihm unsere volle Anerkennung 
abnötigen und welche zugleich darthun, dafs die Italiener damals allen 
Nationen in der Rechenkunst überlegen waren. 

§ 35. Christoph Clavirts 1 ), Jesuit, geboren 1537 zu Bamberg, stu- 
dierte in Coimbra und wurde Lehrer der Mathematik am Collegium seines 
Ordens in Rom, wo er 1612 starb. Geschrieben hat er über alle Zweige 
der Mathematik: „Opera mathemalica, Mainz 1611"; 5 Bände. Ein Aus- 



1) 13uck II, 63. — Jöcher I, 1943. — Kästner, Gesch. der Math. I, 145. 
Poggcndorff. — Allgem. deutsche liiogr. IV, 298. 



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§ 36. Simon Stevin. 



61 



Spruch des Papstes Sixtus V. giebt Zeugnis von dem ausgezeichneten Rufe 
dieses Gelehrten. „Hätte der Jesuitenorden nichts weiter hervorgebracht 
als diesen Clavius, so wäre derselbe desfalls schon zu empfehlen." Wesent- 
liche Verdienste erwarb sich Clavius durch die Mitarbeit an der Kalender- 
reform unter Gregor XIII. 1582. „Christophori Clavii Bambergensis e 
societatc Jesu Epitome Ärithmeticae Practicae, Rom 1583" sollte ^nur der 
Vorläufer einer vollständigen Arithmetik sein, welche leider nicht erschienen 
ist Hinsichtlich des Stoffes reicht Clavius bei weitem nicht an Tartaglia 
heran; deun es fehlen ihm die spezifisch kaufmännischen Partien: welsche 
Praktik, Zins-, Rabatt-, Zinseszins-, Wechselrechuung. In der methodi- 
schen Behandlung steht er aber mit ihm auf gleicher Höhe. 

Aus den überall gegebenen zweckmäfsigen Anmerkungen, durch welche 
er bald das Verständnis eröffnet (warum das Produkt zweier Brüche kleiner 
sei als jeder Faktor; warum zuweilen bei Brüchen der Quotient gröfser 
als der Dividend sei, was doch der Definition des Teilens zuwiderlaufe), 
bald die Rechnung erleichtert (Herstellung eines Hilfstäfelchens mit den 
neun ersten Produkten des Divisors; Umkchrungsregel in der Division der 
Brüche), bald vor Fehlern bewahrt (Behandlung der Null im Multiplikator, 
desgleichen im Quotienten), bald deu Wert eines Verfahrens kritisch be- 
leuchtet (Unzulänglichkeit der Proben durch 9 und 7), bald die Verwandt- 
schaft der Spccies hervorkehrt (Divisio est compendiosa quaedam sub- 
traclio, quemadmodum multiplicatio est compendiosa quaedam addilio), bald 
die Genauigkeit des Resultats erörtert (Näherungswerte der Quadratwur- 
zeln), erkennt man in ihm sowohl den gründlichen Mathematiker als auch 
den erfahrnen Lehrmeister. Nach Tartaglia ist Clavius der bedeutendste 
Schriftsteller über Arithmetik im 16. Jahrhundert; sein Compendium erlebte 
sieben Auflagen und wurde nach seinem Tode noch gedruckt. 

§ 36. Simon Stevin, geboren 1548 zu Brügge in Flandern, war 
Buchhalter in Antwerpen, dann Steuerbeamter in Brügge, Lehrer und Günst- 
ling des Prinzen Moritz von Nassau, welcher von ihm die Buchführung lernte 
und seinen Lehrer dann zum Deichinspektor in Holland ernannte. 1620 
starb Stevin. In der Geschichte der Physik ist er bekannt als Entdecker 
des hydrostatischen Paradoxons; in der Geschichte der Arithmetik hat er 
seinen Ruhm durch die Erfindung der Decimalbrüche l ) begründet. Auch 
hat Stevin die ältesten Rabatt- Tafeln publiciert, worin zwar die Decimal- 
brüche nicht zur Anwendung kommen, die Vorteile dieses Bruchsysteins 
aber durch Annahme eines sehr großen Grundkapitals (10 Millionen) er- 
reicht werden. Stevins Werke wurden von Girard herausgegeben: „Les 
oeuvres mathematiques de Simon Stevin de Bruges. Le tont revu, cor- 



1) La diame 1585; auch enthalten in Girards Gesamtausgabe 1G34. 



62 



§ 37. Titel und Vorreden der Bücher. 



rige et augmenlc par Albert Girard, Leyden 1634." Der arithmetische 
Abschnitt ist im wesentlichen nach Art der lateinischen Kompendien ver- 
faßt, jedoch bemerkt man das Eigentümliche, dafs samtliche Definitionen 
vorangestellt sind, dafs jede Operation als Problem auftritt, worauf die 
Auflösung und eine etwaige Begründung folgen. In dieser Vortragsweise 
erkennt man bereits den Übergang zu der später durch Sturm und Wolf 
wieder aufgefrischten „mathematischen Methode". 

§ 37. Titel und Vorreden der Bücher. Die Titel sind durchgängig 
lang und geben den Inhalt meist vollständig an; daneben enthalten sie 
mitunter einen als besondere Empfehlung geltenden Zusatz, wie „auf alle 
Kaufmannschaft" oder „nach der Welschen Praktika" gerechnet; auch 
zeigen sie durch Wort und Bild diejenigen Kreise an, für welche das 
Buch bestimmt war. Rieses Holzschnitt zeigt zwei Knaben, einer mit 
Marken, der andre mit Ziffern rechnend; Albert bildet vier rechnende Män- 
ner ab; Köbel führt vier Rechner verschiedenen Alters vor. 

Die Vorreden enthalten fast immer eine Lobrede auf die edle Rechen- 
kunst, als eine Kunst, die nach Piatons Ausspruche den Menschen erst 
vom unvernünftigen Tier unterscheide. Man redet von der hohen Bedeu- 
tung der Arithmetik mit den Worten der griechischen Philosophen, der 
christlichen Kirchenväter, der heiligen Schrift. Man spricht von ihrem 
praktischen Nutzen und betont ihren Wert als Hilfswissenschaft. „Keiner, 
der nicht rechnen kann, soll sich zu weltlicher noch zu göttlicher Kunst 
kehren." Nur mit ihrer Hilfe könne man den Gipfel der Philosophie er- 
reichen, nur durch sie die Heimlichkeilen der Schrift erforschen. Und 
nichts kann, der nicht rechnen kann; aber omnia tunc novit, qui numerare 
polest. — Wir teilen eine Vorrede in Versen mit. 

„In') Zal / in Mafs / vnd in Gewicht / 
All ding von got sein zugericht 
Clerlich Salomon das sagt / 
On zal / on Mars / got nicht behagl 
Beschreibt vns auch Sant Augustin 
Vnd mandt vns fleifslich in dem syn 
Sich sol kein mensch nit vndersten 
Kein götlich / weltlich kunst begpn 
On Rechensart / durch wäre zal 
Bewert ist das in manchem val 
Eyn mensch dem zal verborgen ist 
Leichtlich verfurt wirt / Der / mit lisl / 



1) Röbel, Das new Rpchepüchlcin 1518. 



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§ 37. Titel nnd Vorreden der Bücher. 



63 



Hör / was Plalo geschrieben hat / 

Alle Künsten ist Reche» not 

Tegliclien das wirt offenbar 

Mit fleifs bedenkt ob nit sey war 

Inn anfang aller Ding vff erdt 

Clein / Grofs / Hübsch / gut / böfs oder werdt 

Hat die Rechnung die erst stat / 

Geleicb die mutier zu yrem kind hat 

Eyn Senger Syng / on zales kunst 

Mefs Geometer / on yren gunst 

Astronomus / den lauff der stern 

Clar antzeig on Rechens begern 

Herkenn (— erkenn) / Breit / Höh / Dick vnd auch schmal 

Tarff doch Rethoric auch der zal / 

Drumb kauft" deym kind zu dieser stundt 

Difs Buch / vnd Spar dich got gesundt. Amen." 

Adam Riese schrieb einen Teil dieser Verse ab ; obwohl er das Reimen 
ebenso gut versland wie Röbel. Hier sind seine Verse: 

„Pylhagoras 1 ) der sagt furwar 

All ding / durch zal werd offenbar. 

Drumb seh mich an / verscltmcel» mich nit / 

Durchiefs mich vor / das ich dich bit. 

Vnd merk zum anfanck meine leer / 

Zu Rechens Kunst / dadurch ich keer. 

In zal / ynn Mafs / vnd ynn Gewicht / 

(Es folgen Kübels Verse wörtlich bis:) 

Leichtlich der wird verfurt mit list. (Dann weiter:) 
Difs nym zu hertzen / bit ich secr 
Vnd yder seyn Kind Rechen leer. 
Wie es gehn Gott vnd weit sich halt / 
So werden wyr ynn Ehren alt." 

Wenn uns jetzt solches Rühmen und Anpreisen sonderbar erscheint, 
so ist zu bedenken, dafs mit dem Stande der Arithmetik auch die An- 
sichten über dieselbe andre geworden sind. Erwägt man, da(s es sich 
damals um die erste Ausbreitung der neuen Kunst in Volkskreisen han- 
delte, so wird man die starke Hervorkehrung des materiellen Nutzens gut- 
heifsen können; und in Erwägung der mächtigen religiösen Strömung des 



1) Ad. Riese, Rechnung auff der linihen vii Federn ... 1529, auch in 153a 



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G4 



§ 38. Fingerrechnen. 



glaubensstarken Jahrhunderls wird man auch die Erwähnung geistlicher 
Aussprüche erklärlich finden. Ebenso natürlich ist es, dafs im Zeitaller 
des Humanismus die Aussprüche der griechischen Philosophen besondere 
Würdigung erfuhren. 

Drittes Kapitel. 
Arithmetik. 

§ 38. Fingerrechneii. Geübt wurde im 10. Jahrhunderl das „Rech- 
nen «nur Linien" und das Ziflcrreehnen. Das letztere ist die heule noch 
übliche Weise, während ersterc Art jetzt nicht mehr gebräuchlich isl. 
Einige 1 ) versuchen noch eine drille Art zu rechnen, ein Fingerrechnen, 
nachzuweisen. Wenn man jedoch das Rechnen definiert als ein Verfahren, 
ans gegebenen Zahlen unter gegebenen Bedingungen neue Zahlen herzu- 
leiten, so läfst sich das Fingerrechnen als Rechnungsmethode nicht be- 
zeichnen. Durch dasselbe wurden keine Resultate ermittelt, sondern nur 
Zahlen auf kurze Zeit gemerkt. Es ist nichts mehr, als eine Zahlendar- 
stellung durch die Finger zur Unterstützung des Gedächtnisses. 

Die Fiugerrechnung, wie sie unten Apian meint, ist wahrscheinlich 
römischen Ursprungs. Die Römer benutzten bestimmte durch Beugen und 
Strecken der Finger erreichbare Stellungen, um dadurch die Zahlen von 
1 bis 1000000 auszudrücken. Die Einer und Zehner stellte man durch 
die linke, die Hunderter und Tausender durch die rechte Hand dar; Legen 
der linken Hand auf Brust, Hüfte, linke Seite bedeutete die Zehntatisender, 
dasselbe mit der rechten Hand die Hunderltausender; Falten der Hände 
galt eine Million. Genannte Fingerstellungen wurden benutzt, um beim 
Kopfrechnen Zwischenresultate so lange als nötig festzuhalten. 

Alle Zeugnisse über Fingerrechnung enthalten einen weiterreichenden 
Gebrauch der Finger nicht. Man findet Abbildungen der Hände, Beschrei- 
bung der Fingerstellungen und die zugehörigen Zahlenwerte, begleitet mit 
der Bemerkung, dafs dieser Gebrauch der Finger beim „Rechnen im Sinne" 
sehr dienlich sei. Bei Lucas de Burgo 1494 stehen (auf fol. 36) 36 Hände 
mit gebogenen Fingern und der Zahlbcdeutung, das Rechnen damit ist 
nicht gewiesen. Stoy 2 ) und Villicus 3 ) haben die Abbildungen reproducierl, 
die ausführlichste Beschreibung der Fingerrechnung gab Friedlein. 4 ) Das 
letzte Zeugnis über jene Methode ist eine Stelle in Apian 1527: „Er- 

1) Treutlein, Rechnen im 16. Jahrhundert S. 22. 

2) Stoy, Zur Gesch. des Rechenuntenichts I, 1876. 

3) Villicus, Entwicklung des Zifferrechnena , Wien 1881. 

4) Friedlein, Zahlzeichen und elementares Rechnen d. Griechen und Römer. 
1869 S. 5, 6, 25, 56. 



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§ 38. Fingerrechnen. 



65 



wechst aber eine zusammengesetzte zal (zweiziflrig), fso schreib vnder die 
lini die fingerzal (Einer), vnd behalt die glidtzal (Zehner) im syn wie 
fuhr. Ob aber einer fso gar vngeschickt wehr, vnd die zaln im sin zu 
behalden nit vermocht, sol er die finger der linken Handt nach derselben 
zal, welche behalten sol werden, legen vnd heben. Darnach fso er kom- 
met zu den andern figurn, soll er die zal, welche er im syn behalten 
nach anleitung d' finger addirn. — Wie auch ein jetliche zal mit einer 
andern zal durch die finger heder hendt soll multiplicirt, dadurch auch die 
keuff im syn gemacht werden, wirstu in meinem Gentiloquio *) finden." 

Spuren von einer Zahldarstellung durch die Finger sind vielfach nach- 
gewiesen worden, so bei den Ägyptern 8 ), Römern 8 ), bei dem schottischen 
Mönche Beda Venerabiiis 4 ), den Griechen 5 ), Arabern 6 ), Chinesen 7 ). 

Ein wirkliches Operieren mit den Fingern, d. h. Ermitteln von Re- 
sultaten, soll sich bis heutigen Tages in der Wallachei erhalten haben. 
„Man 8 ) bedient sich dort der Finger, um das Produkt zweier einziffriger 
Zahlen, die gröfser als 5 sind, zu finden. Die Finger beider Hände er- 
halten vom Daumen zum Kleinfinger aufsteigend die Werte 6 bis 10. Hat 
man nun z. B. 8 mal 9 zu multiplicieren, so streckt man den Achterfinger 
(Mittelfinger) der einen und den Neunerfinger (Ringfinger) der anderen 
Hand vor. Die nach dem Kleinfinger hin noch übrigen Finger beider 
Hände (2 Finger und 1 Finger) multipliciert man mit einander und hat 
damit die Einer (2 mal 1=2) des Produkts. Die von dem Daumen aus 
vorhandenen Finger mit Einschlufs der vorgestreckten (3 Finger und 4 
Finger) addiert man und hat damit die Zehner (3 + 4 = 7) des Pro- 
dukts. — Beweis: Heifsen a und b die Faktoren, so sind 10 — a und 
10 — b die noch übrigen Finger bis zum Kleinfinger hin, a — 5 und 
b — 5 die Finger vom Daumen an. Die Regel läfst also (10 — «) (10 — b) 
+ 10 (« — 5 -f b — 5) bilden, das ist gleich ab." 

Ein ähnliches Verfahren soll sich bei französischen Bauern 9 ) finden. 
Soll beispielsweise das Produkt 6 mal 8 gesucht werden, so schlagen sie 
von den ausgestreckten 5 Fingern der linken Hand ebensovielc Finger ein, 
wie 6 mehr ist als 5, nämlich einen, und von den Fingern der rechten 

1) Ist nicht erschienen. 

2) Cantor, Vorlesungen I, 42. 

3) Ebenda S. 446 und 480. 

4) Ebenda S. 710. 

6) Ebenda S. 108, 435, 666. 

6) Ebenda S. 609. 

7) Lüben, Päd. Jahresbericht 1870, XXI, 8. 

8) Hoffmanns Zeitschrift für math. Unterricht 1874, V, 67. 

9) Haus und Schule. Päd. Zeitblatt. Hannover, herausgeg. von Spieker 
1876 Nr. 60 u. 63. 

Ungm, Methodik. 5 



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66 



§ 89. Das Rechnen auf Linien. 



Hand so viele, wie 8 mehr ist als 5, nämlich 3. Die eingeschlagenen 
Finger werden stets addiert (1 -f- 3 = 4) und bilden die Zehner für das 
zu suchende Produkt. Die gestreckten Finger beider Hände werden mul- 
tipliciert (4x2 = 8) und bilden dann die Einer des Produkts. — Man 
sieht bald, dafs dieses Verfahren mit dem vorigen identisch ist; denn es 
läfst sich die allgemeine Begründung für das französische Verfahren ebenso 
geben wie vorher. Sind nämlich a und b die gegebenen (über 5 betragen- 
den) Faktoren, so sind die gestrecklbleibenden Finger beider Hände gleich 
10 — a und 10 — b, die eingeschlagenen dagegen sind gleich a — 5 
und b — 5. Verfährt man nun nach der Vorschrift und vereinigt die 
zehnfache Summe der eingeschlagenen Finger 10 (a — 5 -f- b — 5) mit 
dem Produkte der gestreckten (10 — a) (10 — b) f so ist in der That 
10 (a - 5 + b - 5) + (10 - a) (10 - b) — ab. 

§ 39. Das Rechnen auf Linien. Wir werden uns hierbei sehr kurz 
fassen, weil dieses instrumentale Rechnen kein lebendiges Glied in der 
Geschichte der Methodik bildet, da ein bleibender Gewinn für diese daraus 
nicht entsprungen ist. Dem heutigen Methodiker ist das Rechnen auf 
Linien völlig unbekannt, es hat nur historisches Interesse. Unsere Kürze 
ist auch deshalb gerechtfertigt, weil diese veraltete Methode in neuerer 
Zeit eine Behandlung 1 ) erfahren hat so ausführlich, wie man sie kaum in 
den Originalquellen, den Rechenbüchern des 16. Jahrhunderts, findet. Die 
beste Darstellung gab Stifel in seiner „Deutschen Arithmetica 1545". 

Das Rechnen auf Linien ist ein Verfahren, mit Hilfe von Marken 
(Rechenpfennigen) und eines Linienschemas (Rechenbank) die Zahlen dar- 
zustellen und die Operationen zu vollziehen. Man zog auf dem Tische 
(auch auf Leder, Blei, Filz, Pergament) je nach Bedürfnis eine beliebige 
Anzahl paralleler Linien in wagerechter Richtung und gab jeder Linie und 
jedem Spatium einen Zahlenwert. Die Linienwerte von unten nach oben 

fortschreitend waren 1,10,100, 
1000 etc., die Werte der Spa- 
tien 5, 50, 500 etc. Die ganze 
Anordnung entsprach demnach 
den römischen Zahlzeichen: I V 
X L C D M. Die Zahl 1887^ 
wurde aufgelegt, wie neben- 
stehende Figur zeigt. Sieben 
Linien reichten für gewöhnliche Bedürfnisse aus. Mit Kreuzen markierte 
man die Linien, auf denen die „Tausender", „Tausendmal Tausend" lagen j 









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1) Kuckuck, Die Rechenkunst im 16. Jahrhundert; Festschrift des Gymn. 
zum grauen Kloster, Berlin 1874. 



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§ 39. Das Rechnen auf Linien. 



67 



es liegt hierin das Analogon 1 ) zur Abteilung der in Ziffern geschriebenen 
Zahlen. — Bevor das Rechnen auf Linien gelehrt werden konnte, mufste 
das Numerieren in Ziffern erledigt sein, um den Rechner zur Umsetzung 
seiner mit Marken dargestellten Zahlen in Zifferschrift zu befähigen. Wir 
wenden uns jedoch sofort zur Ausführung der Species auf Linien. 

Wollte man addieren auf Linien, so legte man die einzelnen Sum- 
manden nach einander auf und zog die Summe in ihre kürzeste Form 
zusammen, d. h. 5 Marken auf einer Linie wurden durch eine im nächsten 
Spatium und 2 Marken im Spatium durch eine auf der nächsten Linie 
ersetzt. Schliefslich wurde das Resultat in Zifferschrift umgesetzt. Behufs 
Addition mehrsortiger Zahlen wurde das Linienschema durch senkrechte 
Striche in so viele Abteilungen (cambi, Bankire) gebracht, als man Sorten 
hatte, und jede Sorte gesondert addiert. — Sollte eine Proberechnung 
angestellt werden, so inufsten die einzelnen Posten von der Summe weg- 
genommen werden; „bleibt nichts, so hast du recht gethan." 

Beim Subtrahieren wurde der Minuend aufgelegt, der Subtrahend 
aufgeschrieben. Die Subtraktion erfolgte stückweise, mit der höchsten 
Stelle begann man. Die liegengebliebenen Marken stellten den Rest dar. 
Unser „hebt sich auf" rührt her vom Subtrahieren auf Linien. 

Fürs Multiplicieren wurde der Multiplikand aufgelegt, der Multi- 
plikator geschrieben. Bei der Ausführung hätte nun jede Marke des Multi- 
plikanden so vielmal niedergelegt werden müssen, als der Multiplikator 
Einheiten hat und zwar an denselben Ort. Weil aber dies Verfahren bei 
mehrstelligen Multiplikatoren sehr weitläufig geworden wäre, so geschah 
die Multiplikation mit Einern, indem man das Vielfache auf dieselbe Linie 
legte, mit Zehnern, indem man es eine Linie höher legte etc. Die den 
Multiplikand darstellenden Marken wurden successive entfernt. Die letzte 
Arbeit bestand in der Zusammenfassung der Marken zur kürzesleu Form 
und Übertragung in Ziffern. 

Die Division war eine wiederholte Subtraktion. Man legte den Divi- 
dend auf und nahm den Divisor so oft fort, als es ging, wobei der Quo- 
tient durch Marken auf den betreffenden Linien dargestellt wurde. 

Die meisten Autoren begnügten sich, die Species in unbenannten 
ganzen Zahlen auf Linien gelehrt zu haben. Ad. Riese liefs auch die 
Regeldetri auf Linien üben. Zur Ausführung sei bemerkt, dafs er den 
Ansatz aufschrieb und nur die nötigen Multiplikationen und Divisionen auf 
Linien vornahm. 

Auch der Summierung arithmetischer Progressionen auf Linien be- 



1) „Wo über der Zahl ein Punkt steht, setz auf die Linie ein Kreuz," 
Stiföl, Deutsche Arithm. 1545. 

5* 



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68 § 39. Das Rechnen auf Linien. 

gegnet man und zwar nach Art einer Additionsaufgabe oder unter Be- 

nutzung der Summenformel («-{-/) y . 

Das Radicieren war auf den Linien nicht üblich, weil bis zu der- 
artigen Materien vorgeschrittene Rechner, hinreichende Fertigkeit im Ge- 
brauch des ZifTersystems hatten und des schwerfälligen Instruments der 
Linien nicht n*hr bedurften. Nur bei Stifel *) und Kübel 2 ) haben wir 
die Radicierung auf Linien gefunden; ersterer berechnet die Beispiele 

}/82 573" 569 — 9087 und ^644 972 544 = 864, letzterer das Beispiel 

yT86 624. Die Berechnung selbst geschieht nach den Formeln d* + 2 ab -\- b~ 
und a 8 -f- (« -f- b) Sa • b -\- b 9 . 

Die Frage nach dem Ursprünge des Rechnens auf Linien harrt 
noch der Entscheidung. Am häutigsten wird die Entstehung mit dem 
römischen Abacusrechnen in Beziehung gebracht. Der Abacus 3 ) ist eine 



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X 



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Platte mit 7 langen und 7 kurzen Gleisen; erstere sind mit Kopfzahlen 
versehen, deren Werte von 1 anfangend in geometrischer Zehnerprogres- 
sion bis 1 000 000 fortschreiten. In den langen Gleisen befinden sich vier 
Knöpfe, in den kürzeren nur einer. Der eine Knopf im kurzen Gleise 
gilt soviel als 5 Einheiten in dem zugehörigen laugen Gleise. — Die übrigen 
rechts abgesonderten Gleise gehören nicht zur Darstellung des Zahlsystems, 
sie sind bei Gewichtberechnungen nötig und bedeuten Unzen und Bruch- 
teile von solchen. — Sollen die Knöpfe zur Zahldarstellung benutzt wer- 
den, so müssen sie nach den Kopfzahlen, „dem Zähl -Ende", hingeschoben 
werden; am Rande gelten sie nichts. 

Wenn man den römischen Abacus um 90° dreht, die langen Gleise 
durch Linien ersetzt und die Werte der kurzen Gleise auf die Zwischen- 
räume überträgt, so hat man dadurch die deutsche Rechenbank gewonnen. 

1) Stifel, Deutsche Arithm. 1546 Bl. 42. 

2) Röbel, Zwei Rechenbüchlein . . . 1573 Bl. 46. 

3) Friedlein, Zahlzeichen und elementares Rechnen der Griechen u. Römer 
1869. — Desgl. Cantor, Vorlesungen I, 448 uod 494. 



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§ 39. Das Rechnen auf Linien. 



69 



Gegen diese Ansicht hält Gerhardt 1 ) die Annahme aufrecht, dafs das 
Rechnen auf Linien die graphische Darstellung der chinesischen Rechen- 
maschine 8 ), swän pän, sei, welche während des 15. Jahrhunderts durch 
den Handel in Deutschland bekannt geworden sei. Der swan pän ist ein 
Rahmen mit parallelen Drähten, welche durch einen Querstab in längere 
und kürzere Stücke geteilt werden. Die langen Stücke tragen je 5, die 
kurzen je 2 verschiebbare Kugeln; erstere haben die Werte 1, 10, 100 etc., 
letztere gelten 5, 50, 500 etc. Der Querstab ist das Zähl -Ende. Bei 
Vertretung der Gerhardtschen Ansicht ist es immerhin auffallend, dafs bei 
den Italienern, welche doch die damaligen Vermittler des Handels zwischen 
dem Orient und Deutschland waren, das Rechnen auf Linien nicht geübt 
wurde. Es war aufser einigen französischen Spuren nur in Deutschland 
heimisch. 

Im 15. und 16. Jahrhundert glaubte man ziemlich allgemein, Appu- 
leius (2. Jahrh. n. Ch.) habe das Rechnen auf Linien erfunden; doch ist 
diese Annahme ein Irrtum, denn sie hat bis jetzt aus den Schriften des 
Appuleius noch nicht bestätigt werden können. 

Mag man die deutsche Rechenbank für die Nachahmung eines fremd- 
ländischen Apparats ansehen oder für eine rein deutsche Erfindung halten, 
so steht doch ihr Zweck unzweifelhaft fest, der kein andrer war, als 
dem gemeinen Volke das Rechnen nach indischer Weise dadurch zu er- 
leichtern und zu vermitteln. 3 ) Wer die Linien und das Auflegen verstand, 
konnte auch schon rechnen, wenigstens addieren und subtrahieren. 

Mit der Ausbreitung des indischen Rechnens unter die breiten Volks- 
schichten in Deutschland tauchte das Rechnen auf Linien auf, und es 
schwand in dem Grade, in welchem das bequemere Zifl'errechnen Boden 
gewann. 

Der arithmetische Wert des Rechnens auf Linien ist sehr scharf von 
einem berühmten Rechenmeister, Simon Jacob von Coburg, aus der zwei- 
ten Hälfte des 16. Jahrhunderts charakterisiert worden. Dessen Kritik 
lautet: „Wahr isls, dafs sie zu Hausrechnungen, da man viel Summierens, 
Ausgebens und Einnemens bedariT, etwan förderlich erscheinen, aber in 
Kunstrechnungen, die ein wenig etwas wichtig, zum offtermal verhinder- 
lich. Nicht sag ich, dafs man auf den Linien dieselben Rechnungen uicht 



1) Gerhardt, Gesch. der Math. S. 29. 

2) Vgl. Cantor, Vorlesungen I, 571. 

3) „Die kunst des zelens vnd Rechnens mit den Rechenpfennigen ist er- 
dacht vmb deren willen, so die buchstaben der Ziffertal nit gelernt. Vnd ist 
nützlich vnd dienstlich den Leyen zu häuslichem Gebrauch, auch zu ihren 
ämptern, Kellereien, Kauffinansebafften , Krämereyen, Wirtschaften vnd andern 
geworben." Köbel, Das new Rechepüchlein . . . 1618 Bl. XII. 



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70 § 40. Das Reebnen mit der Feder. Zahlzeichen und Numerieren. 



auch machen konnte, sondern soviel vortheils ein Fufsgänger, der leicht- 
fertig und mit keiner Last beladen ist, gegen einen, der unter einer 
schweren Last stecket, hat, soviel vortheil hat auch ein Kunstrechner mit 
den Ziffern für einen mit den Linien." In ähnlicher Weise hatte sich schon 
Ch. Rudolff 1526 geäufserl. 

Der methodische Wert des Rechnens auf Linien liegt in der Anschau- 
lichkeit desselben. Wer darin geübt war, erlernte mit geringerer Mühe 
das Zifferrechnen. Diese Thalsache halte Ad. Riese empirisch erkannt und 
auch klar ausgesprochen: „Freundlicher, lieber Leser 1 ), ich habe befunden 
in Unterweisung der Jugend, dafs alle weg die, so auf den Linien anheben, 
des Rechnens fertiger und lauftiger werden, denn so mit den Ziffern, die 
Feder genannt, anfahen. In den Linien werden sie fertig des zelens und 
für alle exempla der kauffhendel und Hausrechnung schöpften sie einen 
bessern grund. Mügen alsdann mit geringer Mühe auff den Ziffern ihre 
Rechnung vollbringen." 

Im 17. Jahrhundert verlieren sich die Spuren des Rechnens auf Linien 
mehr und mehr. Einer der letzten Darsteller desselben ist Leonh. Christ. 
Sturm, welcher es aber dem Zifferrechnen nicht voranstellt, sondern nach- 
folgen läfet. Bis zu diesem Autor hatte sich auch die Ansicht über die 
Leichtigkeit dieser Rechnungsweise in ihr Gegenteil verkehrt. „Wenn ich 
die Wahrheit bekennen soll, so habe ich erfahren, dafs einem, der nicht 
gut rechnen kann, die Sache gar schwer ankomme. Wer es demnach 
nicht zur Curiosität und zu weiterer Confirmirung in dem judicio zu rech- 
nen gebrauchen will, der lasse es lieber ganz bleiben." 8 ) 

§ 40. Das Rechnen mit der Feder. Zahlzeichen und Numerieren. 
Unter den Titeln : „das Rechnen mit der Feder", „mit der Kreyden", „auff 
Ziffern" trilt uns im 16. Jahrhundert unser gegenwärtiges Zifferrechnen 
entgegen. — Die Formen der Ziffern stimmen seit Petzensteiners Drucken 
1482 und 1483 mit den heutigen sämtlich überein, nur ihre Namen sind 
andere. Statt Ziffern sagte man „Figuren" und stellte regelmäfsig das 
zehnte Zeichen 0 den übrigen neun gegenüber. „Es sein neun bedeutlich 
üguren, und die zehend ist ein vnbedeutliche." 8 ) Gleichzeitig führte man 
die Null mit einem der Namen: zero, eifra, zypfer 4 ), nulla ein; letzteren 
gebrauchte zuerst Lucas de Burgo 1494, nach ihm Röbel 5 ) 1515. In 
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der Name Ziffer auf alle Zahl- 
zeichen übertragen und „Null" für das zehnte Zeichen festgehalten. 

1) Ad. Riese, Rechnung . . . nach der lenge 1650. 

2) Sturm, Kurtzer Begriff d. g. Mathesie 1710 II, 16. 

3) Köbel, Grammateus. 

4) Vgl. Cantor, Vorlesungen I 482 und 610. 
6) Köbel, Vysirbuch 1515 Bl. XV. 



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§ 40. Das Rechnen mit der Feder. Zahlzeichen und Numerieren. 71 

Das Numerieren galt damals bei den meisten Autoren für die erste 
Species. Für höhere Stellenwerte als 1000 fehlten besondere Namen 
sodafe aus der lästigen Wiederholung des Begriffs Tausend eine höchst 
schwerfallige Lesart grofser Zahlen entstand. Das Abteilen geschah durch 
Lücken, Punkte, Bögen 1 ) oder Striche nach Triaden. Gemma-Frisius teilt 
durch Striche ab 23|456|345|678 und liest: „vicics et ter millies millena 
millia, quadringenta quinquaginta sex millena millia, trecenta et quadra- 
ginta quinque millia, sexcenta et septuaginta octo." In deutschen Rechen- 
büchern findet man meist übergesetzte Punkte als Abteilungszeichen 

"3 629 528 614 und liest: „Dreitausend Tsd mal Tsd, sechshundert Tsd 
mal Tsd und 29 Tsd mal Tsd, 528 Tsd, 614." — Nur wenige: Lucas de 
Burgo, Köbel 2 ), Tarlaglia, Clavius kennen den Begriff der „Million". Obgleich 
La Roche 3 ) 1520 die ganze Reihe der Zahlbegriffe Million, Billion, Tril- 
lion etc. vorführt, tritt in Deutschland diese kompendiöse Numeration erst 
1681 bei Heckenberg in Hannover auf und gelangt nicht vor dem 18. Jahr- 
hundert zu allgemeiner Anwendung. 

In der Behandlung des Numerierens leistet Clavius das beste. Alle 
seine Vorgänger und Zeitgenossen begnügen sich damit, gezeigt zu haben, 
wie eine möglichst vierteilige Zahl im Zusammenhange gelesen wird, sodafs 
sie thatsächlich nur den sprachlichen Ausdruck üben. Clavius erhebt aber 
auch den arithmetischen Inhalt einer Zahl, die Summe ihrer Einheiten, 
zum Bewufstsein, indem er die vorgelegte Zahl nach der Zehnerordnung 
zergliedert, den Wert jeder Ziffer durch angehängte Nullen vor Augen 
führt und durch Summierung der Teile die gegebene Zahl wieder gewinnt. 

Tartaglia holt bei der Numeration etwas weit aus. Er geht zurück 
bis zu den des Lesens und Schreibens unkundigen Völkern, welche ihre 
Zahldarstellung*) durch Striche und Punkte nach der Menge der Einheiten 
bewirken, und welche auf Kerbhölzern ihre Conti in Soll und Haben halten. 
Er erwähnt hierauf die kompendiösere Zahldarstelluug der Semiten und 
Griechen durchs Alphabet, die der Römer durch Buchstaben und Zeichen 
und schliefet mit dem Positionssystem der Inder. 

Viele Schriftsteller des 16. Jahrhunderts lassen bei Gelegenheit des 
Numerierens die römische (numeri digiti, num. articuli, num. compositi) 
und griechische Einteilung der Zahlen 5 ) (numeri primi, num. compositi; 
num. pares, num. impares; num. lineares, num. quadrati, num. eubi; Po- 



1) Scritti di Leonardo 1202 S. 4. 

2) Köbel, Mit der Kryde . . . 1620 BL IV. 

5) Treutlein, Rechnen im 16. Jahrh. 8. 42. 

4) Vgl. Unger, Gesch. der element. Arithm. Progr. Reudnitz 1883 S. 4 ff. 

6) Vgl. hierzu Unger, Gesch. der element. Arithm. 1888 S. 23. 



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72 § 41. Anzahl, Reihenfolge u. Behandlung der Speciea. § 42. Definitionen. 

lygonal-, Pyramidalzahlen; uum. defecti, num. superflui, num. perfccti) 
mit einfliefsen, obgleich die Kenntnis davon zur Erlernung der Operationen 
ganz uberflüssig ist. 

§ 41. Anzahl, Reihenfolge und Behandlung der Speeles. Die 
meisten Autoren zählen mehr als vier Species auf, einige geben neun 
an: Numerieren, Addieren, Subtrahieren, Duplieren, Medieren, Multipli- 
eieren, Dividieren, Progredieren und Kadicieren; nur wenige begnügen 
sich mit vier. — Der Mangel an Cbereinslimmung bezüglich der Anzahl der 
Species findet seine Erklärung in dem Umstände, dafs man unterliefs, den 
Begriff der Species zu definiereu. Gemma - Frisius ist der einzige, der 
eine Definition versucht: „Vocamus autem species certas operaudi per nu- 
meros formas." Bemerkungen über die gegenseitige Beziehung der Species 
sind äußerst selten. Den Gegensatz derselben berührt Röbel bei Gelegen- 
heit der Probe: „Zu dem Ersteu soltu wissen / das beinahe alle species 
vnder ynen selbs eynander wyderwertig sein;" ihre Verwandtschaft hebt 
Clavius deutlich hervor: „Divisio est compendiosa quaedam subtractio quem- 
admodum multiplicatio est compendiosa quaedam additio." 

In der Reihenfolge der Species beobachtete man die obenstehende 
Ordnung, Abweichungen davon sind nur ausnahmsweise zu nennen; Gram- 
mateus ordnete: Addition, Multiplikation, Subtraktion und Division. Ge- 
wöhnlich liefs mau in jeder Species das Rechnen mit benannten Zahlen 
auf die unbenannten unmittelbar folgen; doch kommen auch Doppelkurse, 
einer in unbenannten und einer in benannten Zahlen vor, zwischen beiden 
steht dauu das Resolvieren und Reducieren. 

Die methodische Behandlung geschah durchgängig nach demselben 
Muster, das im wesentlichen fünf Stücke enthielt: die Definition, die Auf- 
gabe, die Regel, die Übung und die Probe. 

§ 42. Definitionen. Die Definitionen sind je nach dem wissenschaft- 
lichen Standpunkte des Verfassers mehr oder weniger inkorrekt, dienen 
gewisserraafsen nur als schickliche Einleitung zur Operation und werden 
mit deren Ausführung in keinerlei Beziehung gebracht. Häufig sind sie 
mehr Nominal- als Reaideunitionen. Wir begnügen uns mit einer Probe 
aus einem guten deutschen und einem lateinischen Buche. Grammateus: 
„Additio oder Summirung zeyget an die Summa viler zal. — Multiplicatio 
oder Mehrung beschreibt ein zal durch die andre multipliciren oder meh- 
ren. — Subtractio oder Abziehung offenbart die zal zu subtrahiren, oder 
ziehen ein zal von der andern, dafs da werde gesehen die vbrig. — 
Divisio oder Teilung giebt zu erkennen, wie offt ein zal in der andern 
wirt beschlossen." Clavius: „Multiplicatio est duetus unius numeri in 
alium. Tunc autem numerus quilibet in alium duci dicitur, cum alter 
ipsorum toties augetur, quoties in altero continelur unitas. — Divisio est 



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§ 43 Die Addition ganter Zahlen. § 44. Die Subtraktion ganzer Zahlen. 73 

ioventto numeri, qui toties unitatem contineat, qnoties numerus dividen- 
dus divisorem continet." 

§ 43. Die Addition ganzer Zahlen. Ein ausgerechnetes Additions- 
exempel hat damals schon dieselbe Form wie heute. Man Qndet regel- 
mäfsig die erforderlichen Vorschriften für richtiges Untersetzen, für die 
Ordnung in der Addition der Kolonnen, für die Herübernahme etwaiger 
Ziffern aus den Kolonnensummen zur nächsten Ordnung. Alles geschieht 
durch Regeln, welche nur ein mechanisches Thun ohne Eröffnung des 
Verständnisses umfassen. Grammateus giebt drei Regeln für die ganze 
Addition: „Die erst Regel. Hab fleifs dafs die flguren gleich stehen vber 
einander, also dafs die erste sey gesalzt vber die erste, vnd die ander vber 
die ander etc. vnd ein linien darunter gezogen, vnder welche wirdt gesalzt 
die summa. Die ander Regel. Nimm den anfang von der rechten haudt, 
vnd thu zusammen alle zal die da stehen an der ersten stat, als ofll dann 
kommen in der zusammenfügung zwo flguren, so schreib die erst, vnd 
bebalt die ander im sinn, welche ist zu geben der nechsten, vnd ist wie- 
der zu thun wie vor also mit allen andern. Die drilt Regel. Zuletzt ist 
nichts im sinn zu hallen, sondern es soll alles geschrieben werden. — 
Die wetfs zu reden: Hab allemal im muud das wort vnd oder zu, als 3 
zu 4 oder 3 vnd 4 machen 7." 

Dafs die Fertigkeit in der Addition auf der raschen Vereinigung je 
zweier Einerzahlen beruht, hob Tartaglia genügend hervor. Er verlangle 
auch, dafs man die Summe je zweier „numeri digiti" im Kopfe haben 
müsse und stellte das Einundeins von 1 + 1, 1 + 2 etc. bis 9 + 9 
tabellarisch zusammen. Gleiche Tafeln finden sich schon bei Leonardo 1 ) 
1202, welcher auch noch die Zehnersummen bis 90 + 90 aufgenommen hat. 

Die vorkommenden technischen Ausdrücke in der Addition sind fol- 
gende: Additio, Summirung, Zusammenthuung; addiren, summiren, zu- 
sammenthun; termini addendi, colligendi, aggregandi, congregandi, sum- 
mandi, posita; Summa, Aggregat, Collect, Product. Tartaglia vermittelt 
dem Leser den BegrifT des Addierens durch zwölf synonyme Verben: ag- 
giongere, aggregare, assunare, raccogliere, colligere, congiongere, coad- 
unare, aeeozzare, combinare, amontanare, poner insieme, summare. 

§ 44. Die Subtraktion ganzer ZaMen. in guten Büchern begegnet 
man einer Klassifikation der Aufgaben in zwei Hauptfalle, je nachdem die 
Subtrahendenzifler kleiner oder gröfser als ihre gleichnamige Minuenden- 
ziffer ist. im letzteren Falle können drei Wege zur Lösung eingeschlagen 
werden: a) mit Entlehnen oder Borgen; b) mit Vermehren der Minuenden- 
Ziffer um 1 und der nächsthöheren Subtrahendenzifler um 10; c) mit 



1) Scriti di Leonartdo I, 6. 



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74 



§ 45. Die Multiplikation ganzer Zahlen. 



Hilfe der dekadischen Ergänzung (man ergänzt die Subtrabendenzifler bis 
zu 10, fügt die Minuendenziffer der Ergänzung hinzu und vermehrt die 
nächsthöhere Subtrahendenziffer um 1). Nur Lucas de Burgo und Tar- 
taglia lehren alle drei Lösungswege neben einander, in Deutschland ist der 
dritte Weg der gebräuchlichste. Clavius schenkte auch der Null im Minuen- 
den besondre Aufmerksamkeit und Tartaglia schuf durch eine tabellarische 
Zusammenstellung des Einvoneins eine Vorübung für die Subtraktion, analog 
dem Einundeins in der Addition. 

Als technische Ausdrücke figurieren hier: Subtractio, subductio, An- 
ziehung; subtrahieren, abziehen; integrum, numerus minuendus, superior: 
subducendus, subtrahens, subtractor, inferior; Rest, residuum, reliquum, 
Relict, differentia. 

§ 45. Die Multiplikation ganzer Zahlen. In der Ausführung der 
Multiplikation herrschte grofse Mannigfaltigkeit, Bücher mit einem halben 
Dutzend Multiplikationsarten sind gar keine Seltenheit. Von allen Autoren 
wird die Kenntnis des Einmaleins als unerläfsliche Vorbedingung bezeichnet. 
„Nu soltu merke das aller grünt des multipliciren leyt an diefsen nach- 
uolgenden taffein" (Widmann). — „On difs fundament bavvstu in diesser 
kunst vff ein eyfs / das wollest allezeit bedenken" (Röbel). — „Du mufst 
vor allen Dingen das einmaleins wol wissen"; (Ad. Riese). 

Die Einmaleinstafel findet man in mancherlei äufserer Form, Quadrat 
und Triangel sind die herrschenden. 



1 


2 


3 


4 


5 


6 


7 


8 


9 


2 


4 


6 


8 


10 


12 


14 


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18 


3 


6 


9 


12 


15 


18 


21 


24 


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4 


8 


12 


16 


20 


24 


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32 


36 


5 


10 


15 


20 


25 


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6 


12 


18 


24 


30 


36 


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7 


14 


21 


28 


35 


42 


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56 


63 


8 


16 


24 


32 


40 


48 


56 


64 


72 


0 


18 


27 


36 


45 


54 


63 


72 


81 



2 4 



3 6 9 I 







4 8 12 16 f 




5 | 10 


15 


20 


25 


6 12 


18 24 


30 36 


7 


14 1 21 


28 


35 


42 | 49 


| 8 16 


24 


32 | 40 


48 | 56 


64 



9 18 i 27 36 45 54 63 72 81 



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§ 45. Die Mnltiplikation ganzer Zahlen. 



75 



Beutel (Arithmetica 1693) begleitet den hier mitgeteilten treppen- 
artigen Triangel mit dem hübschen Reime: „Gleichwie man einen Thurm 
durch Staffeln mufs ersteigen, so mufs das Einmaleins den Weg im Rech- 
nen zeigen." 

Einige fordern noch mehr als das kleine Einmaleins. Bei Köbel findet 
man beispielsweise auch: eine Tafel mit den ersten neun Produkten aller 
Zehner, eine mit den Quadraten der Zehner, eine mit dem grofsen Ein- 
maleins. Die höchsten Anforderungen stellen in dieser Beziehung die 
Italiener Lucas de Burgo^ind Tartaglia; letztrer Hefs die ersten neun Pro- 
dukte der ersten 40 Zahlen lernen und behandelte demgemäfs die zwci- 
ziffrigen Zahlen bis 40 wie einziffrige Multiplikatoren, z. B. 375 • 36 = 
36 mal 5, 36 mal 7, 36 mal 3. 

Solch hohen Anforderungen gegenüber betonte Grammateus die Hin- 
länglichkeit des kleinen Einmaleins: „Auch ist nicht nötig zu lernen, als 
etliche sprechen, das grofs Einmalein, denn es giebt sich alles mit hilf 
dieser Tafel im setzen der Multiplication viler zalen." 

Nach Vorführung der Einmaleinstabelle werden gewöhnlich zwei oder 
drei Wege als alte Einmaleinsregeln erwähnt, um das kleine Einmal- 
eins zu berechnen. Solcher Regeln giebt es drei, sämtlich zu finden bei 
Widmann 1489 und RudolfT 1526; Grammateus 1518 lehrt zwei. 

Erste Regel. Multipliciere den einen Faklor mit 10 und subtrahiere 
davon das Produkt dieses Faktors mit der dekadischen Ergänzung des 
andern; z. B. 7 X 8 = 7 (10 — 2) = 70 — 14 = 56; in allgemeinen 
• Zahlen ab = 10a — a (10 — b). 

Zweite Regel. Multipliciere die dekadischen Ergänzungen der ge- 
gebenen Faktoren mit einander, ihr Produkt setze als Einer; subtrahiere 
irgend eine jener Ergänzungen von dem andern Faktor und füge die etwa 
gemerkte Ziffer hinzu, so erhältst du den Zehner des Gesamtprodukts. 
Beispiel: 7x8, die dekadischen.Komplemente sind 3 und 2, deren Produkt 
6 bildet die Einerzahl des gesuchten Produkts, eine der Differenzen 8 — 3 
oder 7 — 2 = 5 ist die Zehnerzahl des Produkts; in allgemeinen Zahlen: 
ab = 10 [a - (10 - b)] + (10 - a) (10 - b). 
Dritte Regel. Suche die dekadischen Komplemente der gegebenen 
Zahlen und multipliciere sie, ihr Produkt bildet die Einerzahl des gesuchten 
Produkts. Addiere die gegebenen Faktoren und füge die etwa vorhin ge- 
merkte Ziffer hinzu, so hast du die Zehnerziffer des verlangten Produkts, 
nachdem du die linke Stelle jener Summe weggeworfen hast. Beispiel: 
7x8; die Komplemente sind 3 und 2, ihr Produkt ist gleich 6, das ist 
die Einerziffer; 7 -f- 8 =15, davon die 1 weggeworfen, bleibt 5 als 
Zehnerziffer; in allgemeinen Zahlen: 

ab — (10 - a) (10 - b) + 10 (a + *) - 100. 



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7f» 



§ 46. Die Multiplikation ganzer Zahlen. 



Ein praktischer Wert ist vorstehenden Regeln schon damals nicht zu- 
gesprochen worden, trotzdem haben selbst die besten Schriftsteller ihnen 
die Aufnahme nicht versagt (Stifel, Clavius). — - Der Wortlaut ist gewöhn- 
lich sehr dunkel gehalten, weshalb wir auf die Wiedergabe verzichten, 
die allgemeine Begründung fehlt auch. Zum Beweise wollen wir nur Adam 
Rieses Worte für die zweite Regel anführen: „Multiplicir das da feit ao 
10 mit einander, was wird, setz. Darnach nimm von einander vbereck 
vnd das da bleibt, setz dabinder." 

Im Bamberger Rechenbnche 1483 sind nadfe der dritten Regel auch 
Produkte aus Faktoren, zwischen 10 und 20 liegend, berechnet. 

Die „alten Einmaleinsregeln" oder besser gesagt die komplementäre 
Multiplikation sind Reste römischer Rechnungsweisen. 1 ) Ob sie nach 
Griechenland *) zurückführen, weüs man nicht; indische 3 ) Spuren sind 
jedoch nicht vorhanden; desgleichen kennen die Araber 4 ) keine komple- 
mentären Methoden. Dafs das oben (§ 38) genannte Fingereinmaleins 
hierher gehört, bedarf nur der Erwähnung. 

Mulliplikationsarten hat Lucas de Bnrgo acht zusammengetragen, 
welche Tartaglia wiederholte; jede trägt ihren eigneu Namen, der gewöhn- 
lich die Form des Schemas charakterisiert. 

a) Die Multiplicatio per scachero (schachbrettartig) ist die heutige 
Methode mit Einrücken; schachbrettartig deshalb genannt, weil man um 
jede Ziffer der Teilprodukte ein kleines Quadrat zog. 

b) Die Multiplicatio per castellucio geschah mit Ausrücken und Ver- ( 
wendung überflüssiger Nullen an den Teilprodukten , sodafs alle Stellen 
rechts ausgefüllt waren. 

c) Die Multiplicatio per tabuletta wendete man an bei solchen zwei- 
ziffrigen Multiplikatoren, deren Einmaleins gelernt war resp. der Tabelle 
entnommen werden konnte; die Ausführung geschah nicht anders als mit 
einem einziffrigen Multiplikator. 

d) Die Multiplicatio per crocetta (kreuzartig) bildet zuerst das Einer- 
produkt, dann alle Produkte, welche Zehner liefern, dann alle, welche 
Hunderter ergeben etc., sodafs keine Zwischenresultate geschrieben werden. 
Bei vierteiligen Faktoren erfordert sie immerhin einige Aufmerksamkeit. 
Adam Riese sagt über sie: „Sie nimpt viel kopfls." — Diese Methode ist 
indischpn 5 ) Ursprungs, sie wurde die blitzartige genannt. 



1) Cantor, Vorlesungen 1, 496 und 754. 

2) Ebenda S. 447. 

3) Ebenda S. 520. 

4) Ebenda S. 616 und 655. 
6) Ebenda S. 619. 



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§ 45. Die 



n ganzer Zahlen. 



77 



e) In der Multiplicatio per quadrilatero wird weder aus- noch ein- 
gerückt; die Ziffern gleicher Ordnung der Teilprodukte kommen in diago- 
nale Richtung zu stehen, in welcher dann die Additionen zu vollziehen sind. 

f) In der Multiplicatio per gelosia bedient man sich eines Quadrat- 
netzes mit einfacher diagonaler Teilung; sämtliche Ziffern der Teilprodukte 
werden geschrieben, in diagonaler Richtung wird addiert. 1 ) Faktoren und 
Produkt stehen außerhalb des Netzes. — In Italien gab's vor den Fenstern 
der Damen dem Liniennelz gleichende Gitter, und gelosia heilst Eifersucht. 

Beispiel e. 



Beispiel d. 



5 6 



5 
5 



4 
4 



3 
3 



2 
2 



Beispiel f. 
9 8 7 




6 



6 



2 0 7 9 



6 



1 


0 


8 


6 


4 


1 


6 


2 


9 


6 


2 


1 


7 


2 


8 


2 


7 


1 


6 


0 



2 



4 
2 
6 
6 




9 5 0 

g) Die Multiplicatio per aschapezza (spezzare — zertrümmern) operiert 
mit Hilfe der additiven Zerstreuung eines Faktors; z. B. 67 x 26 == 
67 (3 + 4 + 5 + 6 + 8). 

h) Die Multiplicatio per repiego bedient sich der multiplikativen Zer- 
streuung; z. B. 234 X 48 = 234 x6x8. — Adam Riese wendet diese 
Methode auch noch mit nachfolgender Korrektur an, der Faktor 23 wird 
als (6 X 4) — 1 behandelt; 46 = (5x9) + 1. 

In deutschen Büchern t rillt man noch zwei auffällige Schemata, eins 
(Beispiel i), welches die Teilprodukte in Form eines Triangels anordnet; 
das andre (Beispiel k), welches die Teilprodukte über die Faktoren stellt. 
In Beispiel i beginnt man links und schreibt die Ziffern der Teilprodukte 
immer in die höchstmögliche Stelle. — In Beispiel k beginnt man auch 
links und addiert fortwährend die neuentstehenden Produkte zu den schon 
vorhandenen; das Produkt wird gebildet aus den obersten Ziffern der 
senkrechten Reihen. 



Beispiel i. 

8 3 7 
3 5 9 



4 

4 



9 1 

2 5 

0 3 

1 2 
7 2 



5 
7 
6 



3 



3 0 0 4 8 3 



Beispiel k. 359 X 837. 

4 

0 0 

0 7 9 8 

9 6 7 2 

3 8 7 2 7 3 

2 4 0 8 3 7 

3 5 9 9 9 

3 5 5 
3 



i) 



den Indern bekannte Methode. Cantor, Vorlesungen I, 620. 



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78 



§ 46. Die Division ganzer Zahlen. 



Es wäre ein Irrtum, wollte man aus dem Vorhandensein so vieler 
Multiplikationsmelhoden den Schlüte ziehen, als seien diese der Mehrzahl 
nach in Gebrauch gewesen. Man bediente sich vielmehr nur der Methode 
mit Einrücken. Die Zugabe der übrigen geschah dem Herkommen gemäfs 
oder aus Grofsthuerei. 

Zum Schlufs wollen wir noch eines nicht ungeschickten Verfahrens 
des Tartaglia gedenken, zweistellige Zahlen im Kopfe zu multiplicieren. 

I. Zwei Faktoren mit gleichen Zehnern: Man fügt zu dem einen 
Faktor die Einer des andern, multiplicierl die Summe mit dem Zehner 
und vermehrt dies Produkt noch um das Produkt beider Einer; Bei- 
spiel: 24 X 28 = (28 + 4) 20 + (4 X 8); in allgemeinen Zeichen 
(m -\- n) (m -f- r) = m (m -f- n + r) -f- nr, worin n und r die Einer- 
zahlen und m die Zehnerzahl bedeuten. 1 ) 

II. Zwei Faktoren mit ungleichen Zehnern: Man addiert zu dem 
gröfseren Faktor den Einer des kleineren, multipliciert diese Summe mit 
dem kleineren Zehner und fügt noch das Produkt hinzu, gebildet aus dem 
Einer des kleineren Faktors und dem Überschusse des gröfseren Faktors über 
den kleineren Zehner; Beispiel: 38 X 47 = (47 + 8) 30 -f 8 (47 — 30) = 
1786; in allgemeinen Zahlen: (m n) (m -\- r) = m (m -\- n -\~ r) nr, 
worin m den Zehner und n den Einer des kleineren Faktors und r die 
Differenz des gröfseren Faktors und kleineren Zehners bedeuten. 

Technische Ausdrücke: Multiplikation, Mannigfaltigung; multiplicieren, 
mannigfaltigen, mehren; Multiplicandus; multiplicans; Produkt, proveniens 
summa. 

§ 46. Die Division ganzer Zahlen. Die Division wurde dem an- 
gehenden Rechner immer als die schwierigste Species bezeichnet. Die 
herrschende Methode war das Überwärtsdividieren, ein Verfahren, welches 
der gegenwärtigen Methode garnicht ähnlich ist, es ist schwerfallig und 
undurchsichtig zugleich. Die charakteristischen Momente desselben sind: 
1) Das Unterschreiben des Divisors unter den Dividend und sein Fort- 
rücken bei jeder neuen Quotientenziffer, 2) das Uberschreiben der Reste, 
3) die Berechnung der Teilprodukte von links nach rechts, 4) die stück- 
weise Subtraktion der Teilprodukte. Das folgende Beispiel a aus Lucas 
de Burgo 97 535399:9876 = 9876 Rest 23, von dem links nur der 
Anfang (bis zur Erledigung der durch die erste QuotientenzifTer verur- 
sachten Rechnungen), rechts die vollständige Ausführung steht, soll die 
Methode vorführen. 



1) Die leichtesten Fälle, bei denen sich die Einer beider Faktoren (23 x 27) 
zu 10 ergänzen, werden gegenwärtig hie und da als Paradestückchen in Schulen 
benutzt. 



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§ 46. Die Division ganzer Zahlen. 



79 



8 6 



Beispiel a. 



0 0 

15 0 

7 6 5 

0 8 2 9 0 

1 4 5 4 4 



07535399|9 



0 875 

1 6 3 0 1 



»870 



8 6 1 0 2 2 

0 9 7 5 5 6 5 

1 6 3 0 1 5 7 
9 7 5 3 5 3 9 



3 

9 | 9 8 7 6 
6 



9 8 7 6 6 6 

9 8 7 7 7 

9 8 8 
9 



Rest 23 



Erklärung dazu: Der Divisor 9876 wird unter den ersten Teildivisor 
97 535 gestellt, erste Quotientenziffer 9, 9 x 9 = 81, 97 — 81 = 16 über 
97 geschrieben, 9 im Divisor und 97 im Dividenden gestrichen; 9 X 8 = 72, 
165 — 72 = 93 geschrieben, 8 im Divisor und 165 im Dividenden ge- 
strichen; 9 x 7 = 63, 933 — 63 = 870 geschrieben, 7 und 933 ge- 
strichen; 9 X 6 = 54, 8705 — 54 = 8651 geschrieben, 6 und 8705 
gestrichen. Damit ist die Subtraktion des Produkts 9876 X 9 beendet. 
Die Ziffern des zweiten Teildividenden 86 513 stehen in 4 verschiedenen 
Horizontalreihen. Der Divisor wird eine Stelle nach rechts gerückt, zweite 
Quotientenzifler 8. Die weitere Ausführung ist eine Wiederholung des 
vorigen Verfahrens. — Die oben angegebenen charakteristischen Merkmale 
des Oberwärtsdividierens sind ebensoviele Mängel dieser Methode. Das 
Aufsuchen eines Rechenfehlers ist in einem solchen Schema ohne Wieder- 
holung der ganzen Durchrechnung unmöglich. Trotz dieser augenfälligen 
Mängel büeb das Überwärtsdividieren, wenn auch nicht die allein bekannte, 
so doch die allein geübte Divisionsart bis ins 18. Jahrhundert hinein. 

Es wäre dem thatsächlichen Hergange nicht entsprechend, wollte man 
behaupten, jene Methode sei in ihrer wunderlichen Mifsgestalt erfunden 
worden; sie ist vielmehr die treue graphische Wiedergabe der indischen 
Rechnungsweise auf der Sandtafel. Auf dieser wurde mit einem Griffel in 
Sand geschrieben, alle Ziffern der Zwischenrechnungen beseitigte man 
durch Einebnung des Sandes, sobald man ihrer nicht mehr bedurfte, sodafs 
das Schema sich in grofser Einfachheit darstellt. Man sieht in jedem 
Stadium der Ausrechnung nur die notwendigen Zahlen: den Dividend in 
der Mille, darunter den Divisor, darüber den Partialdividend resp. Rest, 
rechts den Quotient. Obiges Beispiel präsentiert sich nach der Ausrech- 
nung in folgender Gestalt: 



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80 § 46. Die Division ganzer Zahlen. 

2 3 

97535399|9876 
9 8 7 6 

Mit der Verwendung von Tinte und Papier wurde die spurlose Til- 
gung der Ziffern unmöglich, ihre Häufung war die natürliche Folge; zur 
Erleichterung der Übersicht nahm man seine Zuflucht zur Durchstreicliung 
der verbrauchten Ziffern. 

Slifel bewirkte eine Verminderung der Ziffern dadurch, dafs er die 
abzuziehenden Produkte in ihrer Gesamtheit bildete und wie gegenwärtig 
subtrahierte. An dem Überschreiben der Reste und dem Fortrücken des 
Divisors hielt er fest. Beispiel b 1 902942 : 2978 = 639. 

Bei vierteiligen Divisoren wurde es nötig, die abzuziehenden Produkte 
zu notieren, was Glavius nebenan that. Beispiel c 1902942 : 2978 = 639. 
Beispiel b. Beispiel c. 

2 0 8 2 9 7 8 

Ußlö 19029426 3_9 

1902942|639 1161.. TT~8 6 8 

«»78 2680. 8934 

2 6 8 0 2 

Mit Einschiebung der Produkte zwischen die Reste wäre Glavius zu 
dem heuligen Unterwärtsdividieren gelangt. Er wäre aber mit der Erfin- 
dung zu spät gekommen, denn jene Methode lehrte schon 1494 Lucas de 
Burgo (fol. 34) unter dem Titel divisio a danda (Beispiel d). — Auch 
Apian (1527) kannte diese Methode, nur stellte er alle Zahlen der Zwischen- 
rechnung unter Nichtbeachtung des Stellenwertes senkrecht unter einander 
(Beispiel e). Apian leitet diese Divisionsart mit den Worten ein: „Ehe das 
ich anzeige wie man Practica dividiren sol, wil ich von wegen der fleifsigen 
Schüler, fso alle Ding vnd heimlichkeit der rechenkunst erforschen wollen, 
einen besondern brauch setzen, wi wol darinnen gar keine geschwindig- 
keit gespürt wirt." 

Beispiel d. Beispiel e. 

Divisor. Proveniens. a b c 

9876 9876 97535376 (9 876 

97535376 9876 
88884 88884 



86513 8651 3a 

79008 79008 



75057 75057b 
69132 69132 



59256 5925 6c 

59256 592 5 6 



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§ 46. Die Division ganzer Zahlen. 81 

Adam Riese lehrt in dem Abschnitte: „Rechnung mit forteil" auch 
• das Unterwärtsdividieren mit Unterschreibung der Reste, doch ohne Notie- 
rung der Produkte und ohne Herunternähme der Dividendenziffern. Jacob 
Frey benutzt dieselbe Methode und nimmt auch die Dividendenziffern 
successive herab, sein Schema gleicht dem der sogenannten österreichi- 
schen Divisionsart. — Ohne Anschreibung der abzuziehenden Produkte 
und der sich ergebenden Reste lehren Lucas de Burgo und Tartaglia solche 
Divisionsaufgaben berechnen, die einen Divisor haben, dessen Einmaleins 
gelernt ist resp. der Tabelle entnommen werden kann (von 1 bis 40). — 
In dem Kapitel der „Practica" begegnet man oft auch der successiven 
Division, welche dann angewendet werden kann, wenn der Divisor in 
Faktoren zerlegbar ist. 9876 : 48 = (9876 : 8) : 6. 

Als technische Ausdrücke kommen vor: Dividendus, divisus; divisor, 
dividens; quociens, procedens, exiens, egrediens, proveniens. 

Die Mannigfaltigkeit der hier gegebenen Divisionsmethoden könnte die 
Meinung erwecken, als sei es um die Division nicht übel bestellt gewesen; 
dem gegenüber müssen wir ausdrücklich betonen, dafs man überall nur 
das Überwärtsdividieren nach Schema a übte. Selbst Lucas de Burgo und 
Tartaglia berechnen in ihren Werken nicht eine einzige Aufgabe nach der 
Methode unterwärts. 

Im Unterrichte beging man den Fehler, den Unterschied zwischen 
Teilen und Messen garnicht oder nicht genügend hervorzuheben, was doch 
bei benannten Zahlen unerläfslich ist. Tartaglia ist der einzige, der es 
mit Schärfe thut. Eben dieser Autor hat wie die übrigen Species auch 
die Division mit einer Vorübung, dem Einineins, versehen; es werden die 
Zahlenreihen 0 bis 9, 0 bis 19, 0 bis 29 etc. 0 bis 89 beziehungsweise mit 
1, 2, 3 etc. 9 dividiert 1 ), wodurch eine Erleichterung für die Ermittelung 
der QuotientenzilFern geschaffen wird. — Die besten praktischen Winke 
gab Clavius, seine Bemerkungen enthalten in der That alles, was zur Aus- 
führung nötig und nützlich ist einschliefslich der Korrektur begangener 
Fehler. Er bestimmt die Anordnung der gegebenen Gröfsen, erörtert die 
Anzahl der Quotientenziffern, erwähnt das Maximum des Restes, bespricht 
das Auftreten der Null im Quotienten, giebt den Weg zur Ermittelung * 
der Quotientenziffern durch die erste Divisorziffer an. Zu den Schwierig- 
keiten der Species rechnet er die Korrektur eines Fehlers; hierbei zeigt 
er die Berichtigung einer zu grofsen und einer zu kleinen Quotienten- 
ziffer. — Mit den Schlufsworteu des Kapitels über die Division: „Diese 
vier Species bilden die Fundamente, und alle arithmetischen Fragen können 



l) Die Tafeln hat schon Leonardo 1202; Scritti di Leonardo l, 25 u. 26. 
Uxobb, Methodik. 6 



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82 



§ 47. Die Probe. 



durch sie aufgelöst werden" dokumentiert Clavius seine Erkenntnis über 
die Leistungsfähigkeit der Grundrechnungsarten. 

§ 47. Die Probe. Zur vollständigen Erledigung einer Species ge- 
hörte damals auch eine Proberechnung als Erhärtung des Resultats. Mit 
den Worten: „Die Prob ist ein zweyfel gewyfe machen. Eyn ygklich werke 
ist zweifelhofft vnd onuolkomme geacht / ee es zu end volnpracht / vi! ge- 
nugsam probirt vn bewert worde ist/" sucht Röbel 1 ) deren Notwendig- 
keit darzuthun. Gelehrt wurde die Probe durch die entgegengesetzte 
Species und durch Hilfszahlen; die Neunerprobe 2 ) hatte die Herrschaft. 

Die Neunerprobe ist gegründet auf die Gleichheit der Reste, welche 
sich ergeben, wenn man einerseits aus den gegebenen Zahlen und andrer- 
seits aus dem Resultate die Neuner auswirft und die Reste aus den ge- 
gebenen Zahlen zu einem Reste nach Anleitung der Species vereinigt, 
d. h. die Reste der Summanden addiert, die aus Minuend und Subtrahend 
gewonnenen subtrahiert oder statt dessen die aus Subtrahend und Differenz 
erhaltenen addiert, die Reste der Faktoren multipliciert, desgleichen auch 
die Reste des Divisors und Quotienten. Diese so gefundenen Reste müssen 
dann stets gleich sein dem Reste des Facils. — Zur schnellen Auffindung 
des Restes oder der „Probezahl" einer Zahl ist nur die Berechnung der 
Quersumme und die Subtraktion des gröfstmöglicheu Neunerprodukts davon 
nötig; von 9673 ist 7 die Probe. Mit Ausnahme der Addition treten in 
jeder Species vier Probezahlen auf, welche gewöhnlich in die Winkelräume 
eines liegenden Kreuzes 3 ) gestellt wurden. 



Die Mängel der Neunerprobe liegen in dem Umstände, dafs ganz ver- 
schiedene Zahlen dieselben Probezahlen liefern, dafs demnach ein Resultat, 
welches die Probe hält, doch falsch sein kanu. Schon Lucas de Burgo 
(1494) deckte die Mängel der Neunerprobe in ihrer Vollständigkeit auf: 
a) Zahlen, welche um ein ganzes Neunerprodukl von einander abweichen, 
liefern dieselbe Probe z. B. 156 und 219; b) fehlende und überflüssige 
Nullen entdeckt die Neunerprobe nicht, 1064, 164, 10604 liefern die- 
selbe Probezahl; c) Umstellung der* Ziffern (ein häufiger Schreibfehler) 
zeigt sie nicht an, 64735 und 46735 haben gleiche Probe. — Ansatzfehler 

1) Köbel, Mit der Kryde 1620 Bl. 29. 

2) Im Schulblatt f. d. Prov. Brandenburg 1868, VI, 376-384 hat Richter 
ausführlich über ihre Anwendung gehandelt. 

3) Auf dem Brustbilde Ad. Rieses im Quartbuche 1660 befindet sich ein 
solches Probeschema, welches Jänicke, Gesch. d. Rechenunterrichts S. 290 falsch 
als Kieses „Wappen" deutet. 



35 X 34 
1190 




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§ 48. Gemeine Brüche, Minutiae vulgares sou mercatoriae. 83 



können garnicht in Betracht kommen. — Die besseren Schriftsteller empfehlen 
denn auch wegen der Trüglichkeit der Neunerprobc die Siebenerprobe, bei 
welcher man mit den nach Auswerfung der Siebenerprodukte hervorgehen- 
den Resten ebenso verfahrt als bei der Neunerprobe. Jene hat zwei Mängel 
weniger als diese; denn Umstellung der Ziffern, und fehlende und über- 
flüssige Nullen bleiben durch sie nicht unbemerkt. Lucas de Burgo und 
Tartaglia probieren alle ihre Rechnungen durch 9 und 7. 

Mit der Einführung der Siebenerprobe hätte man sich begnügen 
können, weil andre Hilfszahlen auch nichts mehr leisten; trotzdem schreiben 
RudolfT (1526) und Apian (1527), man könne durch jede Zahl probieren, 
und führen auch Proben mit 8, 7 und 6 aus. Fischer (1559) probiert 
mit 5, 6, 7, 8, 9 uud 11. 

Alle Proben durch üilfszahlen sind mit dem Mangel behaftet, dafs sie 
die Abweichung einer Zahl um ein ganzes Vielfache der Hilfszahl nicht 
entdecken. Die Neunerprobe blieb darum die herrschende, weil sie die 
Probezahlen am schnellsten liefert. 

Alle, welche den Wert der Neunerprobe in Zweifel zogen, empfahlen 
der gröfseren Gewifeheit wegen eine Proberechnung durch die entgegen- 
gesetzte Species. 

Das Anstellen einer Probe war weniger ein spezielles Bedürfnis jener 
Zeit als vielmehr eine historische Überlieferung. Weil die Inder und Araber 
auf der Sandtafel rechneten und auf diesem Apparate alle Ziffern der 
Zwischenrechnung verschwanden, so kounte man sich nicht auf dem Vt%ge 
der nochmaligen Durchrechnung von der Richtigkeit des Resultats über- 
zeugen. Es standen zu diesem Zwecke nur die gegebenen Zahlen und 
das Facit zur Verfügung. Die Neunerprobe ist nun eine Methode, welche 
das Geforderte unter den gegebenen Bedingungen leistet. Mit der indischen 
Rechenkunst wurde auch die indische Probe überliefert und anfangs geübt, 
kam jedoch in der Folgezeit aufser Gebrauch. 

§ 48. Gemeine Brüche, Minutiae vulgares seu mercatoriae. Mit 
der Vorbemerkung, dals in der Bruchlehre auch nur zu addieren, sub- 
trahieren, multiplicieren und dividieren sei, bahnt sich Clavius den Über- 
gang von den ganzen zu den gebrochenen Zahlen. Fast könnte es scheinen, 
als sei er damit dem Rate Rudolffs gefolgt: „Allhie soll ein jeder beflissen 
sein, den anfallenden Schülern einzubilden die völlig Gleichheit der Species 
in ganzen und gebrochenen Zahlen. Würden alsdann den Gräuel so ihnen 
zusteht hinlegen, brüch anuemen vnd endlich zu aller rechnung mehr 
geschicklichkeit erlangen/' Die Vorstellung von der Schwierigkeit der Brüche 
war grofs, wurde sprichwörtlich und blieb es bis beute für ein Gebiet, 
auf dem man nicht weils, wo ein noch aus („in die Brüche geraten"). 

Auf die Entstehung des Bruches wurde nicht eingegangen, er war 

6* 



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84 



§ 48. Gemeine Bräche, MinoHae vulgares seu mercatoriae. 



einfach da. Den Anfang machte man mit dem Lesen und Schreiben: „Es 
ist zu merken / dafs ein ieglicher Bruch hat zwo flguren dazwischen ein 
linien. Die ober würt genannt der zeler / vnd die vnder der nenner. 
Die aussprechung der bräche ist also: nenne zum ersten die obere figur / 
darnach die vnder mit dem Wörtlein theyl als $theyl" (Grammateus 1518). 
Hierauf folgte eine Vorschrift über das Gleichnamigmachen zweier (selten 
mehr) Brüche: „Multiplicier ins Kreutz vnd die nenner mit einander." 
Darnach wurde vom Kürzen gehandelt, wobei die Aufsuchung des gröfsten 
gemeinsamen Mafses auf dem Wege der fortgesetzten Division (VII. Buch 
der Euklidschen Elemente) gezeigt wurde. Kennzeichen über die Teilbar- 
keit der Zahlen trifft man spärlich und selten. Hierauf wurden noch vier 
Regeln für die Species mit je einem Beispiele vorgetragen: „Wenn du 
hast reducirt brüch mancherley namen in einen nenner vnd wilt addiren, 
thu die zeler samen vnd setze den gemeinen nenner darunder; subtrahiren, 
ziehe einen zeler von dem andern, vnd vnder das vbrig setze den ge- 
meinen nenner; dividiren, wirf den gemeinen nenner hindannen, vnd teyl 
einen zeler durch den andern. In der Multiplication multiplicirt man 
schlechthin zusamen die zeler vnd auch die nenner" (Grammateus 1518). 
Damit war die Bruchlehre erledigt; Übungsbeispiele fehlen überall. In der 
eben charakterisierten Weise unterrichtete der grofse Trofs der deutschen 
Rechenmeister. 

Besseres leisteten Lucas, Tartaglia, Stifel, Clavius. Sie führen die 
En&tehung des Bruches zurück auf Divisionsaufgaben, welche einen Rest 
lassen 46:7 = 64- Die Herleitung aus einem Ganzen war allgemein. 
Der doppelten Entstehungsart hätte auch eine zweifache Definition ent- 
sprechen müssen; doch nahm man darin nur Bezug auf die Teilung der 
Einheit: „Est autem numerus fractus, una pars vel plures partes alicuius 
totius in plures aequales partes divisi" (Clavius). 

Clavius hat in seiner Einleitung zur Bruchlehre alles das zusammen- 
gestellt, was zur Erledigung der Species nötig ist. Er behandelt: Die 
Wertveränderung eines Bruches durch Wachsen und Abnehmen des Zählers 
und Nenners, das Resolvieren, das Heben, das Gleichnamigmachen unter 
Benutzung des kleinsten Generalnenners, die Verwandlung unechter Brüche 
in gemischte Zahlen und umgekehrt. 

Bezüglich des Kürzens stehen Grammateus und Ad. Riese auf sehr 
tiefer Stufe, gerade Zahlen werden so lange mit 2 gekürzt, bis sie un- 
gerade sind, die ungeraden werden probiert mit 3, 5, 7, 11, 13 etc. 
RudolfT giebt (in Künstliche Rechnung) Kennzeichen für die Teiler 2, 3, 
5 und 10, in der Coss aber für sämtliche Teiler von 2 bis 10. Wertlos 
ist das für die Zahl 7: „Durch 7 geht jede Zahl aulT, die eine summa 
ist der geometrischen progrefs genannt dupla von drey oder sechs oder 



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§ 48. Gemeine Brache, Minutiae vulgares seu mercafcoriae. 



85 



neun oder zwölff steten." Beispiel 3 + 6 + 12 + 24 + 48 + 96 = 189. 
Beweis. Je drei aufeinanderfolgende Glieder einer solchen Progression 
lassen sich unter der Form n (1 + 2 -f- 4) darstellen, welche wegen des 
zweiten Faktors durch 7 teilbar ist. — Stifel und Kraffl (1592) führen 
ebenfalls die Kennzeichen für alle Teiler von 2 bis 10 vor. Als historische 
Merkwürdigkeit wollen wir von Krafft das Kennzeichen für 7 anführen. 

Dividiert man die aufsteigenden Zehnerpoteuzen (10°, 10 l , 10 2 . . .), 
also die Stellenwerte unsers Zahlensystems, durch 7, so erhält man die 
Reste 1, 3, 2, 6, 4, 5, 1 welche Krafft „Instrumentzahlen" nennt. 
Nun ist klar, dafs wenn man von der vorgelegten Zahl jede Stelle geson- 
dert durch 7 dividieren wollte, die zugehörige Instrumentzahl so oft als 
Rest bleiben würde, als die betreffende Stelle Einheiten hat. Man hat 
also die Instrumentzahlen mit den zugehörigen Ziffern zu multiplicieren 
und die Summe der Produkte auf ihre Teilbarkeit durch 7 zu untersuchen. 
Deshalb schreibt Krafft: „Setz die Inslrumeutzahlen gehörig unter die ge- 
gebene Zahl. Multiplicir sie mit den überstehenden Ziffern, wirf auf dem 
Produkt die Siebener aus und setze die Reste unter. Ist die Summe der 
Reste durch 7 teilbar, so ist es die vorgelegte Zahl." 

Das mitgeteilte Kennzeichen läfst sich bis zu Ibn Albaunä (13. Jahr- 
hundert, Marokko) zurückverfolgen. 1 ) Dafs einfaches Probieren die Frage 
über die Teilbarkeit durch 7 schneller zur Entscheidung bringt, bedarf 
kaum der Erwähnung. 

Die Rechenmeister lehrten immer nur je zwei Brüche auf einmal 
addieren; vereinigten sie mehr als zwei gleichzeitig (Stifel), so benutzten 
sie das Produkt aus allen Nennern als Generalnenner. Darum verdient 
es besondrer Erwähnung, wenn einige (Tartaglia, Clavius, Krafft) den 
kleinsten Generalnenner zu finden wissen, und es freut den Historiker 
umsomehr, wenn dies nach einer im Kopfe ausführbaren Methode geschieht. 
Diese besteht darin: dafs man zuerst den Generalnenner für die ersten 
zwei Brüche sucht, darnach den zu dem ebengefundenen und dem dritten 
Nenner, dann nimmt man den vierten Nenner hinzu etc. Bei den Nennern 
2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10 steigt man durch die Zahlen 6, 12, 60, 120 zu 
360 als Generalneuner auf. — In der Multiplikation unterschied man nicht 
selten mehrere Fälle, im Maximum fünf als die möglichen Kombinationen 
zweier der drei verschiedenartigen Faktoren (ganze, gebrochene, gemischte 
Zahl). Diejenigen Autoren, welche in der Division auf gleichnamige Brüche 
zurückgingen, behandelten die Multiplikation entweder an erster (Lucas) 
oder an vierler Stelle (Grammateus). Durch eine Erörterung über die 
Gröfse des Produkts, das bei zwei Brüchen stets kleiner als jeder Faktor 

1) Cantor, Vorlesungen I, 689—692. 



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81) 



§ 49. Regeldetri. 



sei, was doch der Definition der Speeles zuwiderlaufe, wurden aufsteigende 
Zweifel zerstreut (Rudolff, Tartaglia, Clavius). 

Ähnlich wie in der Multiplikation gewann man auch in der Division 
verschiedene Fälle und zwar neun. Auf dreifach verschiedenem Wege 
wurde der Quotient gefunden. 1) Wem es ohne jedwede Eröffnung des 
Verständnisses zu thuu war, „multiplicirte ins Creutz", wobei er sich in 
der Placierung der Produkte bezüglich der Quotientenbildung nach dem 
Dividenden richten mufste. 2) Andere gingen auf gleichnamige Brüche 
zurück und machten den Fortfall der Nenner mit dem Hinweis auf die 
Division zweier benannten Zahlen plausibel. 3) Stifel und Clavius wenden 
die praktische Umkehrungsregel an: „Ego Divisionis regulam redueo ad 
regulam Multiplicationis hoc modo: Divisoris terminos commuto" etc. (Stifel). 

Dafs die Vorstellung des Teilens nicht statthaben kann, wenn der 
Divisor ein Bruch ist, wird ebenfalls (Rudolff, Tartaglia, Steviu) berührt. 
Es sei absurd zu sagen: 4 durch $ zu teilen, hier könne nur der Aus- 
druck „messen" Anwendung finden, nämlich: wie oft sind $ in 4 ent- 
halten? (Tartaglia). 

Didaktisch wertvoll sind die Inversionsaufgaben, welche man bei 
einigen Autoren (Tartaglia, Clavius) am Ende der Bruchlehre als Repetitious- 
exempel findet. Z. B.: Zu welcher Zahl wurden 4$ addiert, wenn man 
20£ erhielt? Welche Zahl wurde durch 4} geteilt, wenn man 2-J- erhielt? 

§ 49. Regeldetri. Die Regeldetri 1 ) galt als die vornehmste unter 
allen Regeln, weil durch sie alle kaufmännischen Fragen aufgelöst werden. 
Man bezeichnete sie unter jeweils andrer Begründung mit folgenden Namen: 
Heguladetri, Kaufleulregel, clavis mercalorum, regula magistralis, regula 
aurea, die gülden Regel. „Vus habn die meyster d' freynkunst vö d' zal 
eiu regel gefunde die heisl gülden regel Danö das sie so kospar vud nuez 
ist. dan alle ander regel zu gleicher weys als golt vbertrifft alle and' 
metall Sie wirdet auch geuenet regula d'tre nach weliscber züg§ als die 
sagt vö dreierlei vü beschleust drei zall in ir. Sie hat auch vile äder 
namß die las ich vö kurcz wegö an stan" (Bamberger Rechenbuch 1483). 

In der Behandlung der Regeldetriaufgaben tritt der Mechanismus jener 
Zeil in der allergröbsten Art zu Tage. „Selz hinden das du wissen will, 
das ihm am uamen gleich setz forn vnd das ein ander Ding bedeut, setz 
mitten. Darnach multiplicir das binden steht mit dem mittlem, was kompt, 
teile in das förder, so hastu berichtung der frag vnd am namen gleich 
dem mittlem wie hie" (Ad. Riese). Eine ähnliche Regel enthält die Probe: 
„Verker die Regel, also das hinden gestanden ist setz forn, das facit 



1) Über ihr Vorkommen bei den Indern vgl. Cantor, Vorlesungen l, 508 
und 524. 



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§ 49. Regeldetri. 



87 



mitten, vnd das forn gestanden binden, machs alsdann nach gesetzter 
Regel, so mufs wider kommen, das vorhin mitten gestanden ist" (Ad. Riese). 

Es war zwar vielen nicht unbekannt, dafs die Kegeldetri aus der 
Proportion erwachseu ist, allein der Versuch der Herleitung jeuer aus 
dieser mifsglückte immer. Selbst der treffliche Clavius brachte Zahlen ver- 
schiedener Qualität in ein Verhältnis; er schreibt: 4 11 12 U 20 fl ? 
statt: 4fi:20fl=12&:a;flf. 

Eiue besondre Abteilung bildete immer die indirekte Regeldetri 
(regula conversa, regula eversa, regula inversa), bei welcher es freilich mit 
der Begründung des Ansatzes noch übler aussah als bei der direkten. Es 
wurden sofort Beispiele angezogen, sodafs der Schüler mehr instinktiv als 
durch Überlegung zur Unterscheidung direkter und indirekter Verhältnisse 
geführt wurde. „Wenn der Maller Frucht 12 Weifspfennig gilt, mufs der 
Bäcker 22 Lot Brot für 1 heller geben. Wieviel Lot Brot mufs er geben, 
wenn der Preis für den Malter auf 15 Pfennig gestiegen ist. Nach der 
Regeldetri kämen 27 £ Lot. Nun kann aber ein jeder Vernünftige ein- 
sehen, dafs der Bäcker nicht soviel Lot Brot geben kann, wenn das Korn 
im KaulT gestiegen ist. Darumb mustu die Frage vmbwenden vnd ver- 
kehrt in die Regeldetri ordnen vnd also in deinem sinn gedenken 15 Pf. 
geben 22 Lot, wieviel Lot geben 12 Pf. Nach solcher Ordnung manig- 
faltig, theil vnd rechne diese frag: so kommen 17 f, vnd ist gemacht" 



Bezüglich der zusammengesetzten Regeldetri (regula de quinque, regula 
de Septem etc.) bemerkte Clavius, in solchen Aufgaben seien 3 Zahlen 
die wichtigeren und die übrigen nebensächlich und jenen im Ansätze an- 
zuhängen. Die Aufgabe: „Für 12 Ctr 36 Meilen weit zu fahren, zahlt 
man 15 11 Fuhrlohn, wieviel für 20 Ctr 25 Meilen weit?" steht in der 
Regula de quinque: 



Solange alle Verhältnisse einer Aufgabe einerlei Art sind, so ist die 
Vorschrift des Clavius brauchbar; sobald aber direkte und indirekte Ver- 
hältnisse untermischt auftreten, nicht mehr; und in solchen Fällen ging 
Clavius auch die allgemeine Heerstrafse, derartige Aufgaben durch so viele 
Dreisätze zu lösen, als Verhältnisse vorhanden sind. 

Die Regeldetri bildete die Lösungsform für die Aufgaben der ange- 
wandten Rechnungsarten, welche man unter den sonderbarsten Titeln vor- 
trug, indem man als solche den Handelsartikel (Korn, Wein, Zimt, Lein- 
wand, Käse etc.) oder ein Stichwort des Geschäftsvorfalles wählte (Knecht- 
lohn, Münzschlag, Stich, Gewinn etc.). Nach und nach schwand der Wust 
von Titeln und Tartaglia trug schon die weiteren Stoffe unter den noch 



(Köbel). 



12 




20 



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88 §50. Termin rechnung. §51. Gesellachaftsregel. §52. Zinseszinarcchnung. 

heute üblichen Rubriken: Zins-, Sconto-, Termin-, Zinseszins-, Gesell- 
schafts-, Wechsel- und Mischungsrechuung vor. 

§ 50. TerminrecllllUllg. Zur Bestimmung des mittleren Zahlungs- 
termins von mehreren Posten dergestalt, dafs weder der Schuldner noch 
der Gläubiger Schaden leide, dienten zwei Wege, a) Zahlte der Schuldner 
alle Posten am Fälligkeitstermine des ersten, so würde er die Zinsen ver- 
lieren, welche er von den übrigen bis zu ihrem Verfalltage noch ziehen 
könnte. Nachdem nun die Gesamtsumme jener Zinsen ermittelt war, suchte 
man die Zeit, in welcher die Kapitalsumme die gleichen Zinsen abgeworfen 
hätte, woraus der mittlere Zahlungstermin folgte (Lucas de Burgo). b) Die 
zweite Methode geht zwar auch von derselben Erwägung aus, ist aber in 
der Ausführung kürzer, indem sie nur mit den „Zinsnummern" (Produkt 
aus Kapital mal Tagen) statt mit den Zinsen selbst operiert. Es ist dies 
das noch gegenwärtig übliche Verfahren, von Widmann und Tartaglia 
schon gelehrt. 

§ 51. Gesellschaftsregel. Die hierher gehörigen Aufgaben löste man, 
abweichend von der gegenwärtigen Weise, durch so viele Dreisätze, als 
Teilhaber waren. Die Summe der Teilzahlen kam ins erste Glied, die zu- 
teilende Summe ins zweite, die Anteile der einzelnen Teilhaber ins dritte. 
Man brachte die Teilzahlen nicht auf ihre kleinsten Werte und führte die 
Division auch nicht vor der Multiplikation aus. — Clavius hat in seinen 
26 Gesellschaftsexempeln die verschiedensten praktischen Verhältnisse be- 
rührt. Auch die 17 Aufgaben im Bamberger Rechenbuche 1483 können 
als ebensoviele Musterbeispiele für Gruppen von Exempeln angesehen 
werden. — Nicht selten finden sich Gesellschaftsexempel vorzüglich in 
Testamenten mit Brüchen statt ganzer Teilzahlen, wobei aufser acht ge- 
lassen ist, dafs die Summe der Brüche gleich 1 ist (von 200 fl soll A die 
Hälfte, B das Drittel und C das Viertel erhalten). Tartaglia eifert gegen 
derartige Aufgaben, weil ihre Lösung nicht gemäfs den Bedingungen voll- 
zogen werden kann. In solchen Fällen kann nicht realiter sondern nur 
proportionaliter geteilt werden, d. h. die Beträge müssen sich verhalten 
wie jene Brüche. Tartaglia hat recht. Wenn in Testamenten solche un- 
ausführbare Bestimmungen vorkommen, so mag das hingehen; wenn aber 
noch in Rechenbüchern derartige Aufgaben angetroffen werden, so ver- 
raten diese mindestens die Nachlässigkeit in der Einkleidung. 

In der Lösung der Mischungsaufgaben herrschte dieselbe Abweichung 
von dem gegenwärtigen Verfahren wie in der Gesellschaftsrechnung; nach 
Aufstellung der Mischungszahlen kam auch hier eine Reihe von Dreisätzen 
zur Anwendung. — Mehrere Lösungen einer Aufgabe findet man häufig. 

§ 52. Zinseszinsrechiiuiig. Zinseszinsen zu nehmen war damals eine 
Handlung, nach dem Gesetze strafbar und vom Volke verachtet. Man meinte, 



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I 

§ 63. Wechaelrechnong. 



89 



der Gesetzgeber sei von der Erwägung ausgegangen, dafs derjenige , der 
nicht die einfachen Zinsen abzutragen fähig sei, erst recht nicht in der 
Lage sei, Zins von den schuldigen Zinsen zu geben. In deutschen Rechen- 
buchern gehören deshalb derartige Aufgaben zu den Seltenheiten, „vom 
Wucher" ist ihr anröchiger Titel, ein Jude mufs den Gläubiger spielen. 

Da man damals der Decimalbrüche und Logarithmen noch entbehrte 
und da überdies in den Münzsystemen die decimale Unterteilung nicht 
herrschte, so war die Berechnung eines durch Zinseszins angewachsenen 
Endkapitals ungemein mühsam. Die Italiener kannten mehrere Wege dazu, 
Tartaglia giebt deren vier an. Beispiel: 300 Duk. Kap., 10%, 4 Jahre, 
a) Man berechnet das Endkapital fürs erste Jahr, daraus das fürs zweite 
etc. stets unter Anwendung des Dreisatzes, b) Der zweite Weg bedient 
sich der Formel aq n f jedoch ohne Anführung derselben, c) Man kann 

die einjährige Vermehrung des jeweiligen Kapitals durch einen Bruch ^ 

ausdrücken, und das Kapital fortschreitend von Jahr zu Jahr um diesen 
Bruchteil seines Betrages vermehren, d) Nach der vierten Methode wird 
das Anwachsen eines beliebig angenommenen Kapitals (Hundert) unter den 
gegebenen Bedingungen (Prozente und Zeit) ermittelt und die gefundene 
Summe mit dem Verhältnis des gegebenen Kapitals zum angenommenen 
multipliciert. Die letzte Methode enthält schon das Princip, welches der 
heutigen Berechnung mit Hilfe von Tabellen zu Grunde liegt. 

Zur Umgehung des unbequemen gemeinen Bruchs rechnete KudohT 
(vor Erfindung der Decimalbrüche) mit Decimalteilen ; sein Beispiel: 
375 fl, 5%, 10 Jahre, sieht so aus: 

375 fl (Anfangskapital) 

18 75 

393 | 75 Hauptgut und Gewinn des ersten Jahres 

19 6875 

413 1 4375 andern 

20 671875 

434 [109375 dritten 

610 1 835 485 041 540 527 343 75 

Ohne Tabellen und Logarithmen kann die Rechnung nicht einfacher 
stattfinden. 

Über die ältesten Interessetafeln sprechen wir § 57. 

§ 53. WechselrechnUDg. Die Entstehung der Wechselgeschäfte reicht 
hinauf bis zur Erfindung des Geldes. Sobald dir Volker mit verschiedenem 
Gelde in Handelsbeziehung traten, machte sich die Werlvergleichung und 
Umrechnung der Münzwerfe nötig. Die Wechsler schlugen ihre Wechsel- 



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90 



§ 53. Wechselrechnung. 



bänke in großen Handelsstädten auf dem Markte auf. Jesus stiefs die 
Tische der Wechsler im Tempel um. Der direkte Umtausch verschiedener 
Münzen bildet den Anfang des gesamten Wechselhandels. Die Erfindung 
der Wechsclbriefe wird den Juden zugeschrieben 1 ), welche im 7. Jahr- 
hundert aus Frankreich vertrieben wurden und sich in die Lombardei 
begaben. Die Italiener machten von den Wechselbriefen wegen ihrer Nütz- 
lichkeit gern Gebrauch. Die aus der Lombardei vertriebenen Ghibellinen 
brachten die Erfindung mit nach Amsterdam, von wo aus die Verbreitung 
über ganz Europa sich vollzog. 1246 soll schon bei einer Anleihe, welche 
Heinrich Raspe bei Frankfurter Kaufleuten machte, ein Trattengeschäft 
vorgekommen sein. 1315 erhielten die Hanseaten in Brabant das Privi- 
legium zur Betreibung von Wechselgeschäften durch Johann Herzog von 
Lothringen. 1445 wurden die Wechselbriefe in Nürnberg eingeführt. 2 ) 

Die Not schuf den Wechselbrief, Gründe der Zwcckmäfsigkeit haben 
ihn erhallen; denn durch dieses bequeme Zahlungsmittel schwanden Mühe, 
Kosten und Gefahr, welche mit direkten Geldsendungen verbunden sind. 
Es konnten nun auch erst Zahlungen im Auslande unbehelligt gemacht 
werden, denn es gab Zeiten, in denen die Ausführung von einheimischer 
Münze aus dem Lande bei Strafe der Konfiskation verboten war. 

In deutschen Rechenbüchern findet man wenig zur Wechselrechnung 
Gehöriges, nur Umrechnung verschiedener Münzen nach gegebenem Kurse. 
Ausführlich wird die Materie von den Italienern Lucas und Tartaglia be- 
handelt. Erstrer teilt das älteste Wechselformnlar 8 ) mit, bespricht vier 
Arten des Wechsels (1. cambio commune = Umlausch von Münzen, 2. 
cambio reale = Tratten und Rimessen, 3. cambio seeco = trockener 
Wechsel, 4. cambio fittito = eine besondre Art des trockenen Wechsels, 
der zu mancherlei Betrug benutzt wurde) und markiert die wesentlichen 
Erfordernisse eines Wechselbriefs. Tartaglia handelt noch von weiteren 
Formalitäten: von der Beschaffung des Accepts, der Protesterhebung, der 
Anfertigung der Retoure. 

Die Wechselrechnungen sind noch im ersten Entwickelungsstadium, 

1) Ausführliches in Savary, Der vollkommene Handelmann 1676 S. 223. 

2) Noback- Steger, Encyklopädie für Kaufleute S. 1252. 
^3) „1494 adi 9 Agosto in Venetia 

Pagate ^per questa prima nostra a Lodouico de francesco da fabriano e com- 
pagni once cento doro napolitane insu [*= in usu] la proxima fiera de 
Fuligni per la valuta daftretanti recouuti: qui dal Magnifico homo miser 
Dooato da Legge: quondam Miser Priamo. e ponete per moi. Idio da 
mal ve guardi. 

Vostro Paganino de paganini da Brescia. jj j? 
Domino Alphano de Alphanis e compagni in Peroscia." 
Lucas de Burgo, Summa Arithm. 1494 Bl. 167. 



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§ 54. Kettensatz. 



91 



Arbitrage- und Wechselkommissionsrechnungen fehlen gänzlich, es handelt 
sich nur um Trassieren und Remittieren. Beispiele: „100 fiorini in Peroscia 
sind gleich 104 fiorini in Florenz. Wieviel ist für 45 Ii. in Peroscia zu 
Florenz zu zahlen?" — „Einer in Lyon trassirl per Nürnberg 1440 Kro- 
nen ä Kreuzer 92| per 1 Krone. Ist die Frag, was in Nürnberg müsse 
dafür erlegt werden? Fac. 2229 fl." 

§ 54. Kettensatz. Die Regel, wie die Vergleichung zweier Gröben 
von verschiedener Einheit durch Mittelgrößen erlangt wird, führt in ihrem 
letzten Ursprünge zu den Indem zurück; Brahmeguplas Arithmetik aus 
dem 7. Jahrhundert enthält bereits einen ähnlichen Ansatz. Die allmähliche 
Vervollkommnung geschah im 16. Jahrhundert, die Verbreitung und all- 
gemeine Anwendung fallt ins 18. Jahrhundert, ati* welcher Zeil auch der 
Name Kettensatz stammt. Vorher trug man diesen Ansatz unter dem 
Titel: „Vom Wechsel" oder „Vergleichung von Mass und Gewicht" vor; 
Joh. Widmann 1489 nennt ihn Regula pagamenti. 

Aufgaben trifft man gewöhnlich nur eine. Widmanns Beispiel bezieht 
sich auf die Umrechnung von Münzen, doch bemerkt er, dafs man bei 
„Verwechselung von Mass und Gewicht" in gleicher Weise verfahren könne. 
Das Rechnungsschema läfst die Multiplikatoren und Divisoren in gebroche- 
ner Linie erscheinen; die beiden Reihen sind wagerecht. Beispiel: „Eyner 1 ) 
geet zu wyen yn ey wechfselpanck vnd hat 30 ^ Nurmberger. alfso sprechen 
zu dem wechfseler über wechfsel mir die 30 A vn gieb mir wiener darfür 
als vil sy dan wert seyn. also weyfs der wechfsler nit wie viel er ym 
wiener fzol geben, vnd begert der muncz vnderrichtüg. also unterweyst 
genner de wechfsler vnd spricht 7 wyener gelten 9 linezer vnd 8 linezer 
geltn 11 passawer vnd 12 passawer geltn 13 vilfshofer vnd 15 vilfshofer 
gelten 10 regenfperger vnd 8 regenfperger geltn 18 neumerker vii 5 neu- 
merker geltn 4 nurmberger wie vil kummen wiener utnb 30 nurmbr. 
Wiltu dz wissen vud alles desgleichn Secz die figur gleich wie die do steht. 

7 9 12 13 8 18 30 



8 11 15 10 5 4 

Vn mulliplicir in kreuez durchaufe auff 2 teyl*) vi! dividir! 

7 • 8 • 12 • 16 • 8 • 6 - 30 _12 0 ^ 000 i Q ü 
9 • 11 • 13 • 10 18 4 926640 ' ~~ 429 

Alfso magstu auch deyn rechnüg seezen in gewicht vn mofs gleicher weyfs 
wie in der muncz. yn aller landt art vnd kumpt albey recht" 



1) Widmann, Behede Rechnung 1489 Bl. 162 ff. 

2) Ein gleiches Schema geben: Apian 1627 und Obers, Newgestelt Rechen- 
pfichlein 1646. 



if2 



§ 65. Die welsche Practic. 



Die Art, die Zahlen eines Kettencxempels in zwei wagerechten Zeilen 
zu schreiben und dann im Zickzack zu multiplicieren, stammt aus Italien; 
man begegnet ihr schon im Uber ahbaci 1 ) des Leonardo von Pisa 1202. 
Beispiel: „De baractis monelarum cum plures monele inter similes. Im- 
periales 12 nalent pisaninos 31, et soldus Januinorum ualet pisaninos 23, 
et soldus turnensium ualet Januinos 13, et soldus Barcellonensium ualet 
turnenses 11; querilur de impcrialibus 15 quot barcellonenses ualeant" 
(1 Soldus = 12 danari). 

tarn. Jan. pisan. imp. 

12 13 31 12 




barcell. turn. Jan. pisan. imp. 

12 11 12 23 15 

Als Quelle des Keltensatzes wird von Ch. RudoltT 1526 die Regeldetri 
genannt, doch die Herleilung nicht gezeigt. „Aus vielfeltigem setzen und 
multipliciren bey der Regeldetri allhie wird vermerkt gar ein behender 
Auszug." RudolfT giebt eine deutliche Anleitung zur Bildung des Ansatzes 
und erwähnt auch schon die Vorteile des Kürzens. Sein Schema unter- 
scheidet sich von dem heutigen nur dadurch, dafs darin das Gliederpaar 
mit der Frage zuletzt steht. Den Zusammenhang zwischen Kettensatz und 
Regeldetri setzt Apiau 1527 vollständig klar auseinander. 

Stifel 1544 schrieb sämtliche Zahlen eines Kettenexempeis einschliefs- 
lich des gefragten Gliedes in eine einzige senkrechte Reihe und gewann 
die durch einander zu dividierenden Produkte dadurch, dafe er die an 
gerader Stelle stehenden Glieder für sich multiplicierte und ebenso die 
an ungerader Stelle stehenden. — Lucas de Burgo und Tartaglia schrie- 
ben alle Zahlen in eine wagcrechte Reihe und verfuhren dann analog 
wie Stifel. 

§ 55. Die welsche Practic. Die welsche Practic hat im 16. Jahr- 
hundert eine ganz bedeutende Rolle gespielt und im 17. sogar den Glanz 
der goldnen Regel in Schatten gestellt, obgleich sie doch nur deren Magd 
war. Standen im zweiten und dritten Gliede einer Regeldetriaufgabe mehr- 
sorlige Zahlen, so umging man die Bildung gebrochener Faktoren und 
deren Multiplikation. Zur Ermittelung des Produkts jener beiden Glieder 
wurde der eine gebrochene Faktor (der garnicht als solcher dargestellt 
war, sondern in den niederen Sorten stehen blieb) in eine Reihe von 
Slammbrüchen zerlegt, wodurch das Produkt selbst in der Hauptsache 
durch einfache Divisionen und eine nachfolgende Addition zu finden war. 
Beispiel [1 n = 30 ä 18 A, 1 U = 32 LotJ aus Ad. Riese: 



1) Scritti di Leonardo Pisano I, 126—127. 



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§ 66. Die welsche Practic. 93 



5$ U kosten 32 fl 13 n# 12 * was 47 U 15 Lot? 

6 



35 194 A 22 n<tf 



16 

8 



1358 fl 10 1 i A l 
10 i 

2 £ aus \ 



776 

15 fl 20 n# 



3 „ 4 » 
97, 11 „ 



] 



15 „ 20 „ — 22 mal 47 



48 „ 20 „ 9 \ = Preis für 25 Lot 

. 9304 fl 18 n# Ii A Summa 
* ; 1860„ 27 „ ll^o „ 



7) 



265 fl 25 o# 6«$* 



Der Rechnungs verlauf ist folgender: durch Erweiterung der ersten 
zwei Glieder mit 6 ist der Bruch aus dem ersten Gliede beseitigt; darauf 
ist 194 fl mal 47 berechnet, hierauf 22 n# mal 47 mit der Zerstreuung 
des Geldes, darauf der Preis für 25 Lot mit der Zerstreuung des Gewichts. 
Die Summe ist successive durch 5 und 7 dividiert. 

Je geschickter die Zerlegung in Summanden geschieht , desto einfacher 
gestaltet sich die Rechnung. Am einfachsten wird dieselbe, wenn jeder 
folgende Bruch ein Teil des zunächst vorhergehenden ist, weil dadurch 
die Dividenden stets kleiner und kleiner werden. 

Erfunden wurde diese Art zu rechnen in Italien 1 ) und kam durch 
Überlieferung der Kaufleute nach Deutschland, wiewohl Ad. Riese in natio- 
naler Entrüstung gegen die vermeintliche Importierung protestiert. „Es 
haben andere es die welsche Praktik genannt. Man hat es aber auch vor 
viel 100 Jahren in deutschen landen gewist, wenn man ein Mafs wein 
umb 16 A. kauflt, das ein uössel umb das halbe gelt sol bezalt werden/ 1 

In der welschen Practic unterrichten zu können, war kein kleiner 
Ruhm und ein diesbezüglicher Tilelzusatz eines Rechenbuchs vermehrte 
den Absatz. 

Bei den Vorteilen der Multiplikation blieb man nicht stehen, man 
suchte überall nach solchen; und so kam es, dafs man alle Abkürzungen 
der Rechnung und Abweichungen von dem allgemeinen Verfahren dem 

1) „Praxis Italica Praxis illa quam ab Italis ad nos devolutam esse arbitra- 
mur, est ingeniosa quaedam ioventio, quarti termini regulae de Tri, ex tribus 
terminis, mediante distractione varia eorundem terrainorum , distractaruiiique 
particularum proportionatione, atque denominationum vnlgarium translatione" 
(Stifel, Antbm. int. 1644). 



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94 



§ 56. Tolletrechnung. 



Kapitel der Practica einverleibte, sodafs schließlich der Begriff welsche 
Practic die Gesamtheit aller Rechnungsvorteile uinfafste. „Rechnung mit 
forteil vnd behendigkeit, die practica genannt" Ad. Riese. Freilich lief 
dabei auch Spreu und leichte Ware mit unter, wovon die kurioseu Rech- 
nungsmethoden spätrer Zeit Zeugnis geben. 

Allgemeine Regeln 1 ) zur Erlernung der Practic giebt's nicht, nur 
vielseitige Übung führt zur Meisterschaft. Die Autoren legten sich in der 
Ausrechnung von Musterbeispielen auch keine Beschränkung auf. Ad. Riese 
hat fol. 121 — 148 sämtliche Aufgaben nach der Practica vorgerechnet, 
RudollT und Apian geben ebenfalls viele ausgeführte Exempel, Slifel 
(Arithm. int.) löst eine Aufgabe auf mehrfache Weise, von Wälckle (1536 
Strafsburg) und Krallt (1592 Ulm) rühren selbständige Schriften der 
Practic her. Dafs auf diesem Gebiete die Italiener den ersten Platz be- 
haupten, bedarf kaum der Erwähnung. Tartaglias Darstellung trägt ein 
systematisches Gepräge, indem für alle vorkommenden Mehrheiten der 
niederen Sorten (in Münzen, Mafs und Gewicht) die vorteilhaftesten Zer- 
streuungen tabellarisch zusammengestellt sind. 

Wir schliefen diesen Abschnitt mit einer Bemerkung Stifels (Deutsche 
Arithm. 1545 Bl. 15), welche nicht nur Trostworte enthält für diejenigen, 
welche die welsche Practic nicht verstehen, sondern zwischen den Zeilen 
auch ein kühles Urteil über die Leistungsfähigkeit dieser gerühmten Me- 
thode durchblicken läfst. „Die Wellisch Praktik ist nichts anders, denn 
eine künstliche vnd kurtz weilige erfindung mangfaltiger forteil bey der 
Regeldetri. Aber doch, wer die Welsch praktik nicht weist, der bleibe 
bey der einfeltigen Regeldetri, so findet er eben das, welches jener findet 
durch die Wellisch practicam." 

§ 56. Tolletrechnung. In vier Büchern haben wir diese eigentüm- 
liche Methode gefunden: Bamberger Rechenbuch 1483, Widmann 1489, 
Apian 1527, „Ein nützlich und künstlich Rechenbuch . . . Gehrl 1577". — 
Die Aufgaben, welche nach diesem Verfahren gelöst wurden, sind Preis- 
berechnungen einer mehrsorligen Vielheit aus dem gegebenen Einheitpreise 
(letztrer auch in mehreren Sorten gegeben). Zum Zwecke der Auflösung 
werden die kleineren Sorten nicht etwa reduciert, auch werden die grös- 
seren nicht resol viert, ebensowenig kommt die welsche Praktik zur An- 
wendung, sondern man stellt für jede Aufgabe eine eigne Hilfstafel auf. 
In diese werden das Ein-, Zehn-, Hundert-, Tausendfache etc. des ge- 
gebenen Einheitpreises und ebenso die Preise für die Einheilen der 



1) „Sie hat warlich der künstlichen geschwinden griff soviel , als nicht wol 
müglich, das man sie durch gewisse regeln herfür streichen, . . . muß derhalben 
durch Exempel vnd täglichen brauch erlernt werden" (Cb. Rudolff 1526). 



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§ 67. Tabellen. 



95 



kleineren Gewichte resp. Mafee aufgenommen. Die genannten Beträge sind 
nun mit den ihnen entsprechenden Ziffern der gegebenen Vielheit zu mul- 
tiplicieren und die Produkte zu addieren. Schon im Bamberger Rechen- 
buche 1483 ist bemerkt, dai's die Regeldelri eine weit kürzere Methode 
sei. Widmann 1489 hat die Stelle über die Tolletrechnung wörtlich aus 
jenem Buche abgeschrieben; Apian arbeitete freier; Gehrl haben wir nicht 
gesehen. Beispiel: „Es hat eyner kauffl 4367 1b jngwer 29 lot 3 quent 
je 1 lb für 13 ß in golt, secz also 

Hilfslafel: 

4 M 650 fl 2600 Ii 

3 C 65 fl 195 „ 

6 X 6 fl 10 ß 39 „ 

7 lb 13 ß 4 „ 11 ß 



0 Y 130 260 . 

J Ä 82 32" ^ 

Q Int 13 117 ? 

y lot ää Iis" / J 



32 32 
o 13 39 , 

3 4 UeiU 128 128 ß 



12 ß 1 hell ~ 



l 

32 



facit 2839 fl 3 ß 1 hell ^ . 



Apian führte aufser ähnlichen Preisberechnungen auch eine höchst 
komplicierte Rechnung über den Einkauf eines Silberbarrens mit Goldgehalt 
durch die Tolletrechnung aus. Die Aufgabe ist: „Es kauf einer ein stück 
Silber, wigt 82 Mark 14 Lot f & ^ ^. Vnd hell die Mark an der 
Prob 1 lot £ ^ golt. Vnd ein Mark helt auch -fein Silber 13 lot $ ^. 
Kost 1 Mark fein Silber 8 fl 18 s. Vnd 1 Mark Gold 93 fl 10 s. Vnd 
man gibt von einer Mark schaiderlobn 8 s 10 heller. Ist die frag, wie 
teuer etc." Auf die Wiedergabe der Lösung müssen wir verzichten, sie 
würde mehrere Druckseilen füllen. Erwähnt sei nur, dafs Apian sich dabei 
eines Bruchsystems bedient, dessen Nenner die Form 2" haben, wodurch 
die Addition sich wesentlich vereinfacht. 

Ein praktisches Verfahren ist die Tolletrechnung keineswegs, sie kürzt 
die Rechnung nicht ab, sondern macht sie unnötig weitläufig. 

§ 57. Tabellen. Wenn man unter einer Tabelle eine Gesamtheit 
von ordnungsmäfsig zusammengestellten Resultaten versteht, um bei vor- 
fallendem Gebrauch derselben ihrer erneuten Berechnung überhoben zu 
sein, so findet man nur geringe Spuren von den gegenwärtig so wichtigen 
Hilfsmitteln fürs praktische Rechnen. Die Logarithmen waren noch nicht 
erfunden, der Zinseszinserhebung standen die Landesgesetze entgegen, 
Rentenaustallen, Versicherungswesen und Statistik sind Schöpfungen spä- 
terer Zeit. Von den trigonometrischen und astronomischen Tabellen muls 
hier abgesehen werden. 



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96 



§ 67. Tabellen. 



Die Einmaleinslafelu und Rechenknechte (= eiue Zusammenstellung 
der ersten neun Produkte des Divisors) sind kaum als Tabellen zu be- 
trachten; demnach bleiben nur die Preistabelien und Rabatllafeln übrig. 

a) Preistabellen enthält der „Calculator 1 ) von Otto 1579". Sie 
dienen zu Preisberechnungen für eine beliebige Mehrheit aus dem ge- 
gebenen Einheitpreise ohne Multiplikation, nur durch Addition. Die an- 
genommene Wareneinheit ist 1 Ctr (doch kann selbstredend auch jede 
andre reale Einheit: Pfund, Elle, Stück etc. gesetzt werden). Auf der 
ersten Tabelle ist der Cenlnerpreis gleich 1 Pf. angenommen, ausgerechnet 
sind die Preise für die Quantitäten: \ | j. 1 2 3 . . . 19 20 30 . . . 
100 200 ... 700 Ctr, desgleichen für \ \ £ 1 2 . . . 108 Pfund. Ebenso 
sind alle übrigen Tabellen eingerichtet; die Warenmehrheiten sind die- 
selben, nur der Preis für die Einheit steigt, verwendet sind die Werte: 
1, 2 ... 11 \, 1, H, 2, 2± ... 20} i, 1, h I, i, 1, 2 ... 70 fl. 
flfl = 21^f a 1 Ctr = 110 U.] Wollte man beispielsweise 

ausrechnen, wie teuer 3^ Ctr 19 U Baumwolle, der Centner zu 27} fl 
seien, so entnahm man der mit 27 fl überschriebenen Tabelle die Preise 
für 3 Ctr, ^.Ctr und 19 U t desgleichen der mit ^ fl überschriebenen 
Tabelle die Preise für dieselben Mengen und addierte die 6 Posten. 

Ein Jahr später (1580) gab Isaac Riese ein Tabellenwerk: „Gerech- 
netes Rechenbuch" 2 ) heraus, welches genau dieselbe Einrichtung hat wie 
Ottos Calculator. — Von geringerem Umfange sind die 116 Tabellen des 
Ad. Riese. 8 ) Jeder Tabelle ist einer der folgenden Preise für die Einheit 
überschrieben 1 \, 2 . . . 11 \, 1, 2 ... 20 1 fl, 1 fl 1 # bis 5 fl; 
in der ersten Kolumne links stehen folgende Warenmehrheiten 1, 2 ... 9, 
10, 20, 30, 40, i, i . . . mW, die übrigen Kolumnen enthalten die 
Beträge dazu. — Dasselbe Buch von Ad. Riese enthält auch die berühmte 
Annaberger Brotordnung. Sie besteht aus drei Tabellen, je eine für das 
„Halbgroschenbrot", das „Pfennigbrot" und für ein „Semmelpaar". Jede 
Tabelle hat drei Kolonnen: die erste (fürs Halbgroschenbrot) enthält die 
Kornpreise steigend von 20, 21 ... 84 #; die zweite enthält das jedes- 
malige Gewicht eines Brotes fallend von 6 # 9 Lot bis 1 Ä5 16 Lot; die 
dritte enthält die Anzahl der Brote, welche jedesmal aus einem Scheffel 
gebacken werden sollen steigend von 40, 42 bis 168 Stück. — Preis- 
tabellen für den Ein- und Verkauf von Wein hatte schon Kübel 1515 
seinem Vysirbuche 4 ) einverleibt. 

1 1 

1) Exemplar in Leipzig, Universitätsbibl. 

2) Exemplar in Dresden, Königl. Bibl. 

3) Ad. Riese, Ein Gerechnet Büchlein auff den Schöffel ' Eimer vnd Pfuudt- 
gewicht . . . 1530. Exemplar in Hamburg, Kommerzbibl. 

4) Siehe § 21. 



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§ 57. Tabellen. 97 

b) Intercssetafeln. Die ältesten hat Stevin publicicrt, wiewohl er 
sich die Erfindung nicht zuschreibt. Er besafs nur Uneigennützigkeit 
genug, diese praktischen von den holländischen Bankbeamten und Geld- 
wechslern geheimgehaltenen Hilfsmittel bekannt zu machen; es geschah 
dies zuerst in flämischer und zwei Jahre später in französischer Sprache. 
Bevor Stevin den Gebrauch der Tafeln erklärt, löst er ein Beispiel nach 
der herkömmlichen Weise, um die Mühsamkeit der Rechnung zu zeigen. 
Beispiel: Es sind innerhalb 6 Jahre 324 L in gleichen jährlichen Baten 
(also 54 L am Ende jeden Jahres) zu zahlen; welches ist der Barwert bei 
12% einfachem Rabatt auf 100? Antwort: 48yV -f 43^ + 39}^ + 
3<>H + 33} + 31 H = 233 ÄVvWc L 

Die Decimalbröche hat Stevin — obwohl er deren Erfinder war — 
auf den Tafeln nicht benutzt, jedoch gewann er den Vorteil derselben 
dadurch, dafs er eine grolse dekadische Einheit, nämlich 10 Millionen, als 
Kapitaleinheit zu Grunde legte. Damit nun Aufgaben wie die obige durch 
eine einzige Operation lösbar sind, konstruierte Stevin ein „Täfelchen für 

einfachen Rabatt". Die Zahlen 1 bis 8 sind Jahre, 

1. 8 928 571 jede der übrigen ist gleich dem Bar werte einer 

2. 16 993 087 njährigen Rente von 10 Millionen, wenn 12% ein- 

3. 24 346 028 facher Rabatt gerechnet wird. Für den Gebrauch 

4. 31 102 785 ist nur ein Dreisatz nötig, zu obigem Beispiele 

5. 37 352 785 folgender: 60 Millionen sind gleich dem Barwerte 

6. 43 106.738 43 166 738, welchen Barwert haben 324 L? 

7. 48 601 521 facit 233 6 Vu 2 oVöVo l 

8. 53 703 562 p ul - Jen doppelten Rabatt berechnete Stevin 

16 Tafeln, „Interesse -Tafeln" genannt, für 1 bis 
16%- Jede ' ial drei Kolonnen, in der ersten stehen die Jahre (1 bis 30), 
die zweite euthält den Barwert eines nach n Jahren zahlbaren Kapitals von 

10 Mill. unter Berechnung von doppeltem Rabatt, die dritte den Barwert 
einer «jährigen Rente von jährlich 10 Millionen. — Die Konstruktion der 

zweiten Kolonne erfolgte nach der Formel 10 000 000 • (j^^^f j die 

dritte wurde aus der zweiten durch Addition gewonnen, denn jedes nie 
Glied der dritten Kolonne ist gleich den n ersten Gliedern der zweiten. 

Stevins Intercssetafeln sind eigentlich Rabatt -Tafeln, können aber 
auch wie Zinseszinstafeln gebraucht werden, welchen Gebrauch der Ver- 
fasser selbst schon zeigte. Beispiel: „Ou veut seavoir combien monlera 
le capital 380 L, avec son interest compose de 8 annees, a raison de 

11 pour cent par an." Man entnimmt der Tafel für 11% aus der zwei- 
ten Kolonne neben dem 8. Jahre die Zahl 4 334 266 und erhält mit Hilfe 

U.nüeu, Methodik. 7 



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98 § 58. Progressionen. 

des Dreisatzes: 4 334 266 L geben 10 Mill. L, wieviel geben 380 L? 
das Resultat 875 H4HM L 

Will man die Tafeln benutzen, um das Endkapilal zu berechnen, das 
entstellt, wenn jährlich dieselbe Summe auf Zinseszins angelegt wird, wie 
in folgendem Beispiele: „Quelcun doibt en 12 ans 5000 L, ä s^avoir a 
chascun an le ^ qui est 416 L 13 s 4 Combien vaudront elles toutes 
ensemble au bout de 12 ans; payant interest compose au denier 15 par 
an?" so ist folgender Weg einzuschlagen. Man betrachtet 5000 L als eine 
12jährige Rente, zahlbar in 12 gleichen Raten am Ende eines jeden 
Jahres, und berechnet nach der dritten Kolonne den Barwert derselben. 
Der Zinsfufs bedeutet ^ des Kapitals; man findet neben dem 12. Jahre 
die Zahl 80 857 255 und setzt nun an: 120 Mill. haben einen Barwert 
von 80 857 255, welchen Barwert haben 5000 Vi facit 3360 f fuSoo 
Hierauf läfsl man diesen Barwert durch Zuschlag von Zinseszinsen 12 Jahre 
lang anwachsen; die dazu nötige Zahl 46 01)1 515 steht in der zweiten 
Kolonne; der Dreisalz: 46 091515 wachsen zu 10 Mill., wie grofs werden 
3369 T f«^ü ? Iiefc,t das Resultat 7308 -j?g-3f Jfjj L. 

Da Lucas de Burgo 1494 (Bl. 174) schon von der Konstruktion 
der Interesselafeln spricht: „del modo a sapere componere le tauole de 
merito", so dürfte die Erfindung dieser Tabellen den Italienern zuzu- 
sprechen sein. 

§ 58. Progressionen. Das Progredieren galt für eine Species des 
praktischen Rechnens und fehlte zu Anfang des 16. Jahrhunderts selbst in 
dem kleinsten arithmetischen Schriflchen nicht, während es gegen das 
Ende jener Zeitperiode in den Hintergrund trat und im folgenden Jahr- 
hundert ganz aus den praktischen Rechenbüchern verschwand. — Eine 
Definition versuchte Slifel in einem Zusätze zu Rudolffs Coss 1553: „Es 
ist aber Progressio ein Ordnung viler zalen so nach einander aufsteygen 
oder absteygen nach eyner rechten richtigen regel." Die Einteilung in 
arithmetische und geometrische Progressionen hob man immer hervor, die 

Summationsregeln gab man in Worten; die für die arithmetische ist der 

( <j -4- t) ti 

wörtliche Ausdruck der Formel s = 2 — , die für die geometrische 

derjenige der Formel = j^-y — Clavius lehrte auch das letzte 

Glied ohne Kenntnis sämtlicher Zwischenglieder berechnen und erledigte 
damit ohne erhebliche Mühe die bekannte Schachbrettaufgabe 1 -f- 2 -f- 
4 -\- 8 + • • • 2 C5 von 64 Gliedern. — Über das Vorkommen von Zahlen- 
reihen bei den alten Kulturvölkern: den Ägyptern, Babyloniern, Indern, 
Arabern, Griechen sei auf Cantors Werk 1 ) verwiesen. 

1) Cantor, Vorlesungen I, 35, 72, 508, 655, 80. 



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§ 59. Badicieren. 99 

§ 59. Radicieren. Das Radiciercn war die letzte Speeles der ge- 
meinen Rechenkunst. Fast in allen Rechenbüchern findet man die Aus- 
ziehung rationaler Quadrat- und Kubikwurzeln gelehrt, in besseren ist auch 
die Bestimmung irrationaler Wurzelwerte gezeigt. Der Quadratwurzelaus- 
ziehung lag die Formel er -j- 2ab + b~ zu Grunde und Grammateus 1518 
lehrte schon die kürzeste Form der Ausführung. 

Näherungswerte irrationaler Quadratwurzeln bestimmte man nach ver- 
schiedenen Methoden, a) Man fügte dem Radikanden 2n Nullen bei, radi- 
ciertc und dividierte die Wurzel durch diejenige Zehnerpotenz, welche 
n Nullen besitzt. Adam Riese giebl im Oktavbuche 1522 eine Tafel mit 
den Quadratwurzeln der ersten 240 Zahlen genau bis auf Tausend teile, 
im Quartbuche 1550 eine solche mit den Wurzeln aus den ersten 200 Zah- 
len, b) Sind x die Ganzen einer irrationalen Quadratwurzel ]/x- -f- r 

und ist r der Rest, so galt x -j- . )t ij a ' s naher Wert (Stevin). 
c) Clavius halle ein doppeltes Verfahren, wovon das eine immer nähere 
aber stets zu kleine, das andere immer nähere doch stets zu grofse Werte 
liefert. 



Aufgabe: ]/x'- -f- r Zu kleine Werte: 

x -\- 0 a .-_py = w 'i (erster Näherungswerl). 

w l -+- ' x _j_ t ^ {c = u\ (zweiter Näherungswert). 

w., -f- T ! = ir :i (dritter Näherungswert). 

Aufgabe: ]/;ir -\- r Zu grofse Werte: 

x 2 -f- ^ = w x (erster Näherungswert). 

w i 4" ' .> <r = w * ( zweiter Näherungswert). 

wj* -f- 2 tJ \ = w 3 (dritter Näherungswert). 

Die Ausziehung der Kubikwurzel findet man der gröfsereu Schwierig- 
keit und geringeren Anwendung wegen seltener. Die Berechnung beruht 
zwar auf dem Ausdrucke ö 3 -j- 3a 2 ö -\- 3ar£ 2 + b' i 1 jedoch herrscht in 
der Ausführung wegen verschiedener Anordnung der Hilfszahlen grofse 
Mannigfaltigkeit 1 ), welche vorzuführen wir hier Abstand nehmen können. 
Zur Berechnung von Näherungswerten verwendete man 3n Nullen oder 

auch (Stevin) die Formel y'x* + r = . r + . 
1) Vgl. TreutleiD, Rechnen im IG. Jahrhundert S. 71 ff. 



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100 § 60. Regula virginum. 

§ 60. Regula virginum. Durch die Regula virginum (auch regula 
potatorum, reg. Zekis, cekis, coecis, ceci, coeci) löste man im IG. Jahr- 
hundert unbestimmte lineare Gleichungen. Beispiel: „20 Personen, Män- 
ner, Frauen und Jungfrauen haben 20 A vertrunken; ein Mann giebt 3 
eine Frau 2 \, eine Jungfrau £ «\, wieviel waren es von jedem Ge- 
schlecht?" Setzt man die Personen — p t die Summe = die Männer 
= Xj die Frauen = y } und 3 \ => a f 2 \ = b f \ \ = c , so besteht 
folgende Gleichung 

ax -j- by -f- c(p — x — y) = s, woraus folgt 
(a — c) x -f- (b — c) y = s — cp. 

Die letzte Gleichung enthält den Lösungsweg. Man subtrahiert von der 
Geldsumme j? das Produkt aus der kleinsten Zahlung mal den Personen 
cp und zerlegt den Rest in zwei solche Summanden, dafs der eine durch 
die DilTerenz der gröfsten und kleinsten Zahlung n — c und der andre 
durch die Differenz der mittlem und kleinsten Zahlung b — c teilbar ist. 
Sind viererlei Personen, so mufs der Rest s — dp in drei Summanden 
zerlegt werden, welche der Reihe nach durch (a — d), (b — d) und 
(c — d) teilbar sein müssen. — Ohne jedwede Erklärung enthält die An- 
weisung von Ad. Riese ein so überaus mechanisches Operieren, dafe der 
Rechner wie ein Blinder zur Lösung geführt wird. „Setz links die Per- 
sonen, rechts die Summe und in die Mitte, was jeder gegeben hat. 

Mann 3 A 6 

20 Pers. Frau 2* 4 40 \ " 1 ° die teyler. 

i ,1 , 3 4 — 1 = 3 ( 

Jungf. A 1 

Multiplicir das kleinste an Bezahlung mit der Zahl der Personen (20 • 1 \ 
= 20 vnd nimms von der vertrunkenen Summe (40 — 20 = 20 \). 
Was da bleybet ist die zal, welche geteilt soll werden. Auch sollst du 
wissen, dafe ein Teiler weniger ist, denn Geschlecht vorhanden. Die 
Teiler mach also, nimm das geringste au Bezaluug von den andern. Sind 
zween Teiler, so mach aus der zal, welche sol geleilt werden, zween Teil 
also, dafs ein Teil gar mit dem gröfseren Teiler vnd der ander mit dem 
kleinern Teiler mag aufgehoben werden. Alsdann summir vnd nimm vou 
den Personen, so hast du die Zahl des dritten Geschlechts." — Da die 
Zerlegung obigen Beispiels nur auf einerlei Art statthaben kann, so hat 
die Aufgabe nur eine Lösung (1, 5, 14). Apians Darlegung stimmt mil 
der von Ad. Riese überein; Rudolff sagt, er löse solche Aufgaben durch 
Probieren, weil er die Regel bei mehr als dreierlei Personen zuweilen 
unvollkommen befunden habe. Bei mehr als vier Personen kann die Zahl 
der Lösungen zuweilen erstaunlich grofs werden. 

Gewöhnlich handelt es sich um eine Zeche und die Frage ist auf die 



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§ 61. Die Regula falsi. 



101 



Personen gestellt; doch kommen auch Einkäufe von Waren und Vieh vor. 
Bei Wareneinkäufeu sind die einzelnen Waren mit ihren Preisen genannt, 
die Gesamtzahl der Pfunde und die ganze Einkaufssumme, gesucht wird 
das Gewicht jeder Ware. Ähnlich ist's beim Einkauf von Vieh, hier ist 
die Frage auf die Stöckzahl jeder Tiergattung gestellt. 

Die mancherlei Namen der Regel virginnm haben ebensoviele Deu- 
tungen veranlafst. Regula potatorum heifse sie, weil sie von Trinkern 
handle; reg. virginum deshalb, weil meistens Jungfrauen unter den Zechern 
seien; reg. coeci darum, weil man die Lösung wie ein Blinder tastend 
suchen müsse, oder weil es wegen der mehreren zulässigen Lösungen nicht 
wahrscheinlich sei, dafs man diejenige Antwort treffe, welche der Propo- 
nent verlangt, es müsse denn blindlings geschehen. Noch andre suchen 
den Ursprung der Wörter coeci, ceci, cekis, Zekis in Zeche. 

Hierher gehörige Aufgaben machten einen Bestandteil der Kloster- 
gelehrsamkcit 1 ) im Mittelalter aus. 

§ 61. Die Regula falsi. Die Regula falsi findet man in der Mehr- 
zahl der arithmetischen Schriften 2 ); sie ist bestimmt für solche, „so in 
der Coss nicht gegründet sind", um durch sie bestimmte lineare Glei- 
chungen aufzulösen. Weitergehende Anwendungen der Regula falsi kom- 
men zwar auch, doch nur ausnahmsweise vor. 

Mit Rücksicht auf Namen und Zweck definiert Apian: „Diese Regel 
wird von etlichen Regula positionum genannt. Vnd heifst nil darum falsi 
dafs sie falsch vnd vnrecht wehr, sunder, dafs sie aufs zweyen falschen 
vnd vnwahrha fügen zalen, vnd zweyen lügen die wahrhaftige vnd begehrte 
zal finden lernt." 

Aufgabe aus Ad. Riese: „Gott grüfs euch Gesellen alle 30. Drauf 
antwortet Einer, wenn unser noch soviel und halb soviel wären, so wären 
unser 30." Behufs Lösung wählt man zwei beliebige Zahlen und vollzieht 
an ihnen die durch die Aufgabe vorgeschriebenen Operationen; erhält man 
bezüglich des vorgesetzten Resultats einen Überschufs, so wird dieser mit 
dem Pluszeichen angemerkt, ein Mangel mit dem Minuszeichen. Die bei- 
den angenommenen Zahlen heifsen „Positionen" oder „falsche Zahlen", die 
Abweichungen aber „Fehler" oder „Lügen". „Alsdann nym — fahrt Riese 
fort — ein Lügen von der andern (d. h. bei gleichen Vorzeichen), was 
do bleybet behalt für deinen leyler, mulliplicir danach ym Kreutz eine 
falsche zal mit der andern lügen, nym eins vom andern, vnd das do bley- 
bet teyl ab mit fürgemachten teyler, so kommt berichtung der frag. Leugt 



1) Cantor, Vorlesungen 1, 719. 

2) Über ihr Vorkommen bei den Ägyptern, Indern und Arabern vgl. Cantor, 
Vorlesungen 1, 36, 524, 628. 



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102 



§61. Die Regula fahi. 



aber eine Falsche zal zuviel, vnd die ander zu wenick (d.h. bei ungleichen 
Vorzeichen), so addir zusamen die zwo Lügen, was do kommt, ist dein 
teyler, danach mulliplicir im Creutz, addir zusamen, vnd teyl ab, so ge- 
schieht Auflösung der frag. — Nimm (für obige Aufgabe) 16 vnd examinir 
die, 16 -f- 16 + 8 = 40, das ist 10 zuviel, nimm 14, die Ieugt 5 zuviel, 
steht also: 

16 plus 10 r / i \ 
' 5 (leyler) 

14 plus 5 

14 mal 10 = 140, 16 mal 5 = 80, subtrahiert giebt 60, teyl ab durch f> 
kommt 12, soviel seind der Gesellen gewesen." Der Wortlaut des vor- 
stehenden Verfahrens rührt von Widmann 1 ) 1480 her. 

Mit algebraischen Zeichen läfst sich ein mathematischer Ausdruck für 
obige Hegel entwickeln. Es sei x die gesuchte Zahl, so genügt der Auf- 
gabe die Gleichung 1) ax = b. Wählt man nun für x die Werte n und 
m, erfüllt jene Gleichung und nennt die Fehler 8 und «, so erhält man 

2) an = b — 8 und 3) am — b — s. Durch Subtraktion der beiden 
letzten Gleichungen von der ersten ergeben sich 4) a(x — n) = 8 und 
5) b(x — m) = £, aus denen die Proportion (x — n) : (x — m) = 8 : 8 

folgt, deren Auflösung zu x = # Ir7~ funrt « 

Abgehandelt wurde die Regula falsi in zwei Abteilungen unter den 
Titeln: Reg. falsi simplicis positionis und Reg. falsi duplicis posilionis. In 
letzterer Abteilung unterschied man drei getrennte Fälle, je nachdem beide 
Fehler das positive, oder negative, oder verschiedene Vorzeichen hatten. 

Würde man obiges Beispiel mit einer Position rechnen und 10 als 
solche wählen, so wäre 5 der Fehler und 25 das falsche Resultat; die 
Proportion 10 : 25 = x : 30 liefert dann das richtige Resultat 12. Den 
mathemalischen Ausdruck für diesen Lösungsweg gewinnt man wie folgt. 
Ist x die gesuchte Zahl, n die Position, b das gegebene, und d das fehler- 
hafte Resultat, so hat man 1) ax = b und 2) an = d, und folglich 

3) x : n = b : d. 

Einen Hinweis auf den Unterschied der Aufgaben, bei denen mit 
zwei Positionen operiert werden mufs und bei denen bereits eine genügt, 
findet man nirgends. Wahrscheinlich fehlte die Kenntnis davon. Die 
Scheidung der Aufgaben hat nach folgendem Umstände zu erfolgen: Ent- 
hält die Procedur nur Multiplikationen und Divisionen, so genügt das 
Operieren mit einer Position; ist aber die Reihe der Multiplikationen und 
Divisionen untermischt von Additionen und Subtraktionen, so mufs die 
doppelte Regula falsi angewendet werden. 



1) Widmann, Bebede Rechnung 1489 Bl. 194—197. 



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§ 61. Die Regula falsi. 103 

Aufgaben für die Regula falsi trifft man oft in erheblicher Menge, 
bei Tarlaglia 205 für eine Position. Bezüglich der Schwierigkeit herrscht 
grofse Verschiedenheit. Clavius löst nach der einfachen Regula falsi 14 Auf- 
gaben; nach der doppelten über 20, unter denen sich vier Gleichungen 
mit zwei und drei Gleichungen mit drei Unbekannten finden. Hier ist eine 
solche Aulgabe: Zu suchen drei Zahlen, von denen die erste vermehrt um 
73 gleich dem Dupluin der beiden andern ist; und die zweite vermehrt 
um 73 gleich dem Triplum der beiden andern ist, und die dritte ver- 
mehrt um 73 gleich dem Vierfachen der beiden andern ist. 

Wie man Gleichungen höherer Grade durch die Regula falsi lösen 
kann, lehrte zuerst Gemma-Frisius 1540 und nach ihm Stifel 1544. Gemma 
nimmt dies Verdienst für sich in Anspruch: „Et jam finem facerem, nisi 
in memoriam veniret promissionis de Regula falsi, qua ratione ea liceal 
uti in exemplis secundae, tertiae et quartae regulae qua voeät Cos. quod 
ante nos nemo tentavit." Aufgabe aus Stifel (Arithm. int. 1544): Zu 
suchen zwei Zahlen, welche in dem Verhältnisse 1:1^ stehen und deren 
Produkt gleich 864 ist; also x : y = \ und xy = 864. Zur Auflösung 
ist die Regula falsi zweimal anzuwenden: 

I. II. 

10 368 576 

2 4 23 328 1296 



3 6 
minus 858 840 minus 



4 16 

9 36 

18 858 840 



18 

Die beiden Positionen 2 und 4 des Schemas I können beliebig ge- 
wählt werden; im zweiten Schema sind aber dann die Quadrate jener 
Positionen als Positionen anzunehmen. Die Fehler des ersten Schemas 
behält man im zweiten bei. Es ergeben sich nun in gewöhnlicher Weise 
die Dividenden 10368 und 23 328, der Divisor 18 und die Quotienten 
576 und 1296, deren Quadratwurzeln 24 und 36 die verlangten Zahlen 
sind. — Sind drei Zahlen unter einander proportioniert und ist aufserdem 
ibr Produkt bekannt, so erfolgt die Lösung analog der vorigen; nur sind 
in das Schema II die Kuben der Positionen aus Schema 1 aufzunehmen 
und aus den Quotienten die Kubikwurzeln zu ziehen. — Stifel steigt bis 
zu fünf mit einander multiplicierten Zahlen auf; die Lösung erfordert dann 
die Auszichung der fünften Wurzel. 

Wir schliefsen diesen Paragraphen mit dem Urteile Slifels (Deutsche 
Arithm. 1545) über die Regula falsi: „Man erhebe die Falsi so hoch mau 
wolle, man bessere sie auch oder mehre sie soweit vn tieff man ymmer 



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104 



§ 62. Die Decimalbröche. 



könne, so bleibt sie doch gegen die Coss wie ein Punkt gegen einen 
Zirkel" [= Kreis]. 

§ 62. Die Decimalbrüche. Die Erfindung der Decimalbrüche mufs 
Simon Slevin von Brügge (vergl. § 36) zugeschrieben werden, weil er die 
erste zusammenhängende Darstellung davon gegeben hat. Zerstreute An- 
wendungen von decimalen Bruchteilen kommen jedoch schon vor ihm vor. 

In astronomischen Hechnungen waren von alters her die Sexagesimal- 
brüche herrschend. Peurbach bahnte den Übergang zu den Dccimalteilen 
an, indem er in deu trigonometrischen Tafeln den sinus totus gleich 600000 
setzte. Sein Schiller Regiomontan berechnete eine Sinustafel mit dem sinus 
totus 6 Millionen und eine mit dem sinus totus = 10 Millionen, wodurch 
die reine dccimale Unterteilung erreicht war. Zu den Decimalbrüchen 
ging nach Keplers Zeugnis') Jobst Bürgi 2 ) über, welcher den Radius 
gleich 1 setzte und damit die Sinus als echte Brüche erhielt. Bürgis 
Siuustafel ist von 2" zu 2" berechnet und zwar bis auf 8 Decimalen. 
Bürgi schreibt 0.723 für 0,723 und 364 0 2 für 364/2; das Decimalkomma 
führte Kepler ein. 

Aulserhalb der astronomischen Rechnungen bediente man sich der 
Deeimalleile zur Berechnung irrationaler Wurzel werte. 8 ) C.rammateus be- 
nutzte sie zur Erkennung des Unterschiedes zweier gemeinen Brüche; 
z. B. | und $; er setzte zwei Nullen an die Zähler und dividierte durch 
die Nenner und gewann 75 und 87^ zur Vergleichung. „Und diese Regel 
— fährt er fort — dienet einen bruch von dem anderen ziehen." — 
HudollT wendet Deeimalleile bei der Zinseszinsrechnung 4 ) an. 

Simon Stevin hatte schon vor Bürgi den letzten Schritt zur Vollen- 
dung des decimalen Bruchsystems gethan, indem er das Gesetz des Stellen- 
wertes auch jenseits der Einheit bis in infmitum fortsetzte. Sein kleines 

Schriftchen La disme 1585, das zuerst flämisch, 
Beisp. 0,000378 X 0,54. (jann f ra¥lzö sisch erschien, enthält eine vollstän- 
® ® ^ e Darlegung der Lehre von den Decimalbrü- 

eben. Das Komma hat er noch nicht, die Zehntel 
Hundertel etc. heifsen Priincs, Secondes, Terces 



1 ^ 1 2 e t c> lH1( | werden durch Indices kenntlich ge- 

1 8 9 0 macht; er schreibt 8(u) 9® 3® 2® statt 8,932. 

2 0 4 1 2 Die Operationen führt Stevin ebenso wie wir aus. 
(4)0® ©0 Er sah aucil > dafs ein grofser Nutzen für das 



1) Gerhardt, Gesch. der Math. S. 78. 

2) Burgi, Byrgius, Burgk, Borgen 1652—1632, Gehilfe an der Sternwarte 
in Kassel, dann Hofuhrmacber der Kaiser Rudolf II., Matthias und Ferdinand II. 
in Prag. Vgl. Gerhardt, Gesch. der Math, und Allgemeine deutsche Biographie, 
Artikel Burgi. 3) § 59. 4) § 52. 



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§ 62. Die Decimalbrüche. 



105 



praktische Rechnen dann aus seiner Erfindung Iii eisen würde, wenn überall 
decimale Währungszahlen herrschten, und legte demnach in seiner Schrift 
seine Ansicht über den groben Wert eines decimalen Münz-, Mals- und 
Gewichtsystems nieder. 

Stevins Schrift ist seinen Zeilgenossen nicht hinreichend bekannt ge- 
worden, sonst würde Kepler nicht seinem Mitarbeiter Bürgi die Erfindung 
der Decimalbrüche zugeschrieben haben. 

Die Ausbreitung der Decimalbrüche in Deutschland nahm ihren An- 
fang mit dem Werke des Jon. Hartmann Beyer 1 ) (1563—1625), welcher 
die Erfindung sogar für sich beansprucht; denn er bemerkt, es habe 
ihn, indem er sich zuweilen in den mathematischen Künsten erlustiret, 
die Praxis der Astronomen, geringere Teile, als Grade mit 60teiligeu Scru- 
pcln zu messen, aur den Gedanken gebracht, dafs statt der sechzigleiligen 
Brüche, welche einen mühsamen Calculum erfordern, wol auch eine andre 
Denomination anwendbar, und dafs hierzu die 10 eine sonderlich bequeme 
und gleichsam privilegirte Zahl sei, welche im Addiren, Subtrahiren, vor- 
nehmlich aber im Multipliciren und Dividiren grofse bei keiner andern 
Zahl zu findende Vorteile gewahre. Beyer nennt die Bruchteile: erste, zweite, 
dritte etc. Zehnder, oder erste, zweite, dritte etc. Scrupul, oder Primen, 

Secunden, Terzen etc. und bezeichnet sie durch überschriebenc Indices, 

v 

nach den Ganzen setzt er einen Punkt. Er schreibt also 8.798 für 
8,00798. 

Aufnahme ins praktische Rechnen haben die Decimalbrüche mit Aus- 
nahme der Zinseszinstafeln nicht gefunden, weil sie damals bei weitem 
nicht den Wert wie heule hatten. Wir können bei unserm decimalen 
Münz-, Mafs- und Gewichtsystem den Decimalbrüchen reale Bedeutung 
[0,25 M = 25 6,224 kg = 6 kg 224 g] unterlegen, was früher nicht 
geschehen konnte. Es mufslen die Decimalbrüche der Resultate erst re- 
solviert werden und infolgedessen nahm das ganze Bruehsyslem nur einen 
untergeordneten Rang ein. 

Dafs die Einführung decimaler Währungszahlcn eine grofse Erleich- 
terung in den praktischen Rechnungen schaden würde, wurde mehrfach 
betont, zuerst von Stevin. Christian Schefsler sagt (Arithm. Hauptschlüssel 
* 1692): „Das ist gewifs, wenn Alles nach decimaler Art abgeteilt wäre, 
dafs mau sehr vorteilhaftig rechnen haben würde. Es wird aber nimmer- 
mehr geschehen, dafs in allen Sachen eine decimale Einteilung gemacht 
wird, ebensowenig als auf der ganzen Welt einerlei Sprache, Münz etc. 
einzuführen. Deshalb ist die Decimalbruchrechnung wohl in allen mathe- 

1) Joh. H.Beyer, Logistica decimalis, das ist KunstrechnuDg mit den zehn- 
teiligen Brüchen . . . Frankfurt 1603 und später. 



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106 



§ 63. Scherzexempel. 



malischen Wissen Schäften mit grofsem Vorteile zu gebrauchen, in der Praxis 
ist aber ihr Nutzen eben grofs nicht." Frankreich führte am Ende des 
18. Jahrhunderts decimale Währungszahien ein, Deutschland fogte erst in 
diesem Jahrhundert. Bis zu dieser Neuerung wurden die Decimalbrüche 
in den Rechenbüchern nur schüchtern bis garnichl vorgeführt; ja die 
Unkenntnis dieses Systems war in unserm Jahrhundert noch so grofs, dafs 
Stern (Lehrgang des Rechenunterrichts nach geistbildenden Grundsätzen 
1832) die Decimalbrüche in gemeine umformte und sie dann nach den 
Regeln dieser erledigte. Nur in Tabellen 1 ) über Münz-, Mafs- und Gewicht- 
vergleichung verschiedener Länder fanden die Decimalbrüche Eingang. 

§ 63. Scherzexempel. Die Scherzexempel (von Peurbach „Enigmata 
varia", von RudollT „ SchimpfTrechnung" genannt) sind arithmetische Rätsel, 
deren Lösung auf einem verborgenen Kunstgriffe oder auf algebraischen 
Regeln beruht. Ihr Zweck war Übung des Scharfsinns, Zeitvertreib, Be- 
lustigung. Sie bilden gewöhnlich eine angenehme Zugabe der Rechen- 
bücher. — Kenntnis davon läfst sich nur durch Vorführung der Stoffe 
gewinnen. 

1) Ein Winzer 3 ) mietet einen Arbeiter mit der Bedingung, ihm für 
jeden Tag an dem er arbeitet 10 A zu zahlen, und für jeden Tag an 
dem er feiert \2 \ abzuziehen vom Lohne. Nach 40 Tagen sind sie quitt. 
Wieviel Tage hat jener gearbeitet und wieviel gefeiert? (21-^ Tage, 
18 A Tage.) 

2) Ein Turm 3 ) steht \ im Erdreich, \ im Wasser und 100 Schuh 
in der Luft. Wie hoch ist er? 

3) Ein Hund 4 ) verfolgt einen Hasen, welcher 100 Sprünge voraus 
ist; wenn der Hase 12 Sprünge thut, macht der Hund 15. Wann hat 
dieser jenen ein? 

4) Ein Fafs 5 ) hat 3 Zapfen, durch den ersten läuft's leer in 2 Tagen, 
durch den zweiten in 3, durch den dritten in 4 Tagen. In welcher Zeit 
wird's leer, wenn alle drei geöffnet sind? 

5) Ein Dieb stiehlt eine Summe Geld und mufs auf dem Rückwege 
drei Pförtner passieren. Der erste begehrt die Hälfte der gestohlenen 
Summe, giebl aber dem Diebe 100 fl zurück. Der zweite begehrt die 



1) Clausberg, Licht und Recht der Kaufmannschaft 1724-1726. — Kruse, 
Hamburgischer Kontorist 1753. — Nclkcnbrcchcrs Taschenbuch 1762. — Gerhardt, 
Allgemeiner Contorist 1791. 

2) Bamberger Rechenbuch 1483 Bl. 46. 

3) Ebenda Bl. 52. 

4) Ebenda Bl. 54. Vgl. Cantor, Vorlesungen I, 718. 

5) Bamberger Rechenbuch 1483, Bl. 64. — Viele solche Aufgaben in Scritti 
di Leonardo 1202 I, 183 ff. 



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§ 63. Scherzexempel. 



107 



Hälfte des Restes und giebt 50 fl zurück; der dritte begehrt die Hälfte 
des neuen Restes und giebt 25 11 zurück. Wieviel stahl der Dieb? (Röbel.) 

6) Eine Schnecke ist in einen 32 Ellen tiefen Brunnen gefallen; sie 
kriecht tags 4$ Ellen aufwärts und nachts 3£ Ellen abwärts. Wann kommt 
sie heraus? (30$$ Tage.) Adam Riese, 1525. 

7) Erraten einer gedachten Zahl. „Lafs zur Zahl ihre Hälfte zahlen, 
entsteht ein Bruch, so mach ihn voll; lafs zur Summe deren Hälfte zählen, 
entsteht ein Bruch, so mach ihn voll; lafs durch 9 teilen und frage nach 
den Ganzen des Quotienten." Um zur gedachten Zahl zu kommen, setz 
4 für jede Einheit des Quotienten, und 1 für den ersten und 2 für den 
zweiten Bruch (Köbel, Grammateus). — Erklärung. Ist x die Unbekannte, 

so ist: (x + -| ) + y -f y (x + y -f- + y der mathematische 

9 x 5 

Ausdruck für den Gang der Rechnung. Die Summe ist — -f" ~± > wobei 

jedesmal das Auftreten eines Bruches angenommen ist. Der zu x gehörige 
Faktor £ bedingt die obige Division mit 9 und Multiplikation mit 4. — 
Ob und wann das Produkt wegen der auftretenden Brüche um eine, zwei 
oder drei Einheilen vermehrt werden mufs, ergiebt eine Betrachtung der 
allgemeinen Zahlformen: 4n, 4w -}- 1, 4w + 2, 4n -(- 3, unter denen 
jede gedachte Zahl dargestellt werdeu kann. Die Behandlung dieser Formen 
nach der Aufgabe giebt Aufschlufs über das Auftreten von Brüchen und 
demnach über die Addition von 1, 2 oder 3 Einheiten. 

8) * „Drei Personen trinken aus 3 Flaschen, zu erraten, aus welcher 
jeder trank." Lösung. „Mach eine Ordnung unter den Personen A, B, C; 
den Flaschen gieb die Zahlenwerle 1, 2, 3. Ä multipliciere seinen Flaschen- 
wert mit 2, B den seinen mit 9, C den seinen mit 10. Die Summe heifs 
von 60 subtrahieren und den Rest anzeigen. — Dividierst du nun den 
Rest durch 8, so zeigt der (ganze) Quotient die Flasche des A und der 
Rest die Flasche des B an" (Rudolff). — Erklärung: Die Faktoren 2, 9, 
10 sind konstant, die Flaschenwertc variabel und mögen a, b, c sein. 
Dann erhält man 2 a -f- Ob -f- 10c = s als Summe, wenn jeder seinen 
Flaschenwert mit dem ihm zukommenden Faktor multipliciert hat. Weil 
nun a -f b + c = 6, so ist 10(a -f b + c) = 60, folglich 60 — & ' = 
10(a + b -f- c) - (2a + 9* + 10c), das ist 60 — * = 8a — fc; die 
letzte Gleichung begründet das vorgeschriebene Verfahren. 

9) Zwei kaufen 60 Fuchsbälge 1 ), je 5 Stück zu 2 fl, und verkaufen 
sie, auch wieder je 5 Stück für 2 11 und gewinnen 1 11. Wie geht das zu? 
Lösung. Einkaufssumme 24 fl. Sie sortieren die Bälge in 30 gute und 

1) Eine ganz ähnliche Aufgabe ans dem frühen Mittelalter bei Cantor, Vor- 
lesungen I, 718. 



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108 



§ 63. Scberzexempel. 



30 geringe, von den guten verkaufen sie je 2 für 1 fl, von den geringen 
je 3 für 1 fl; folglich ist die Hinnahme 15 fl + 10 fl = 25 fl." (Rndolff).— 
Der Nutzen kommt daher, dafs Verkaufspreis und Einkaufspreis nur 
scheinbar gleich sind. Heim Einkauf verhalten sich die guten zu den 
geringen Bälgen wie 2 : 3, während im Verkaufe gleichviel von jeder Sorte 
angenommen sind. Bei andrer Sortierung kann der Nutzen noch ver- 
gröfsert werden. 

10) Der Ring. 1 ) Unter einer Anzahl von Personen hat Einer einen 
Ring an einem Finger; zu erraten die Person, den Finger und das Glied. 
Zuerst bestimme man die erste Person und die Ordnung unter den Per- 
sonen. Der Daumen der linken Hand sei der erste, der Kleinfinger der 
rechten Hand der sechste Finger, das Nagelglied das erste Glied. Heifs 
die Zahl der Person, welche den Finger hat, dupliren, addir 5, multiplicir 
mit 5, addir die Zahl des Fingers, woran der Ring steckt, multiplicir 
mit 10, addir die Zahl des Gliedes; frage nach der Summe, vermindere 
diese um 250. Ist der Rest eine dreistellige Zahl (742), so hat die 
siebente Person am zweiten Glicdc des vierten Fingers den Ring. Ist die 
vorletzte Stelle eine Null, so steckt der Ring am zehnten Finger, z. B. 
1201 = elfte Person, zehnter Finger, erstes Glied. Die Erklärung ist 
einfach. 

11) Eine gedachte Zahl zu erraten 2 ), welche kleiner als 105 ist. 
Man läfst die Zahl durch 3, 5, 7 dividieren und jedesmal den Rest 
nennen. Den Rest durch 3 gewonnen multiplicierl man mit 70, den Rest 
durch 5 gewonnen mit 21, den Rest durch 7 gewonnen mit 15. Die 
3 Produkte addiert man, zieht davon 105 ab so oft es geht, so ist der 
Rest die gedachte Zahl. (Röbel, RudolfT.) 

Erklärung. Die drei Reste r 3 , r 5 , r 7 bilden eine gewisse Kombination 
dreier Zahlen (z. B. für 23 ist sie 2, 3, 2); jede der ersten 105 Zahlen 
hat eine ihr eigentümliche Kombination, von 106 an wiederholen sich die 
Kombinationen, desgleichen von 211 an, sodafs also 1, 106 und 211 die- 
selbe Kombination haben, desgleichen 2, 107 und 212 etc. Der Rechen- 
künstler stellt nun durch die Summe 70r 3 + 21 r 6 + 15r 7 eine Zahl M 
her, welche dieselben Reste läfst als die gedachte Zahl x. Wird dann die 
Zahl M um n • 105 vermindert, so gewinnt man x selbst. Dafs M = 
70r 3 -j- 21 r 5 + 15r 7 dieselben Reste läfst als x, kann schnell erwiesen 
werden. Seien diese Reste p 3 , Q b und Q 7f so ist klar, dafs p 3 nur von 
70r 3 abhängt, weil 21 r 6 und I5r 7 durch 3 teilbar sind; wird aber 70r s 
durch 3 dividiert, so erhält mau r 3 als Rest, folglich ist q 3 = r 3 . Dcs- 

1) Dieselbe Aufgabe bei Leonardo Pisano 1202, I, 305. 

2) Bekannt als die chinesische Erweiterungsregel, Zeitschrift f. Math. u. 
Phys. III. 



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§ 64. Zauberquadrate. 



109 



gleichen ist Q b nur von 21r 5 abhängig, welches durch 5 dividiert den 
Rest r 5 läfst, folglich p 5 = r 5 . Ebenso ') ist q 1 =■ r-. Zusatz. Es lassen 
sich auch mit andern Divisoren ebensolche Regeln bilden, a) Für die 
Divisoren 2, 3, 5 sind 15, 10 und 6 die Hilfsfaktoren; 30 ist die Perioden- 
zahl. Die gemerkte Zahl mufs kleiner als 30 sein. — b) Divisoren 2, 3, 7, 
Hilfsfaktoren 21, 28, 36, Periodenzahl 42. c) Divisoren 2, 5, 7, Hilfs- 
faktoren 35, 56, 50, Periodenzahl 70. d) Divisoren 2, 5, 9, Hilfsfaktoren 
45, 36, 10, Periodenzahl 90 etc. 

12) „Das Testament" ist eine Aufgabe aus der Gesellschaftsrechnung, 
welche mehrere Jahrhunderte in den deutschen Rechenbüchern eine Rolle 
spielte, zeugend von der Streitlust unsrer Altvordern. „Ein sterbender 
Vater hinterläfst ein schwanger Weib und bestimmt über die Erbteilnng: 
gebiert sie einen Sohn, so erhält dieser 2 Teile und die Mutter 1 Teil; 
gebiert sie eine Tochter, so erhält diese 1 Teil und die Mutter 2 Teile." — 
Man läfst nun die Mutter Zwillinge (Apian), auch Drillinge (RudollT) 
beiderlei Geschlechts gebären und verlangt die Ausführung des Testaments. 
Noch Clausberg 2 ) eifert mit Spott und Humor gegen dieses alte Streit- 
stückchen der Rechenmeister, welche die Verwickelung so weit trieben, dafs 
sie nicht nur 2 und 3 Kinder sondern sogar einen Hermaphroditen ge- 
boren werden liefsen. — Die Aufgabe hat ihre Quelle im römischen 
Erbrecht. 3 ) 

§ 64. Zauberqnadrate. In einigen arithmetischen Schriften des 
16. Jahrhunderts (Adam Riese, Slifel, Ottos Calculator 1579, Remmelin, 
Lochner) findet man magische oder Zauberquadrate. Man versteht darunter 
eine derartige Anordnung von n* Zahlen einer arithmetischen Progression 
in ein quadratisches Zellennelz, dafs bei Summierung jeder Horizontal-, 
Vertikal- und Diagonalreihe dieselbe Summe resultiert. Zauberquadrate 
mit ungerader Zellenzahl sind leichter herzustellen als solche mit gerader 
Zellenzahl. Die Erfindung der Zauberquadrate weist zu den Arabern 4 ) 
und Indern*) zurück, sie dienten dort zu Zaubereien. Anfangs hatten sie 
auch bei den christlichen Völkern einen mystischen und magischen Beige- 
schmack 6 ), welcher jedoch nach und nach abgestreift wurde. Für Einzelne 
wurde der arithmetische Inhalt Stoff zu tieferen Studien 7 ) (Stifel, Fremde, 

1) Zur Erklärung vgl. auch Zeitschrift f. Math. XIX, 270 ff. und ebenda 
XXVI bist. Abteil. S. 33 ff. Desgl. Zeitschritt f. math. Unterricht VII, 78 ff. Auch 
Cantor, Vorlesungen I, 586. 

2) Clausberg, Demonstrative Rechenkunst 1772 S. 1332. 

3) Cantor, Vorlesungen I, 476. 

4) Günther, Vermischte Untersuchungen, Cap. Mag. Quadrate. 

5) Cantor, Vorlesungen I, 539. 

6) Doppelmayr S. 164. 

7) Vgl. Günther a. a. 0. 



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30 


39 


48 


1 


10 


19 


28 


38 


47 


7 


9 


18 


27 


29 


Iii 


r, 


8 


17 


20 


35 


37 


5 


14 


IG 


25 


34 


30 


45 


13 


15 


24 


33 


42 


44 


4 


21 


23 


32 


41 


43 


3 


12 


22 


31 


40 


41) 


2 


11 


20 



110 § 64. Zauberquadrate. 

Poignard, De la llirc, Sauveur); für die Meisten blieben die magischen 
Quadrate jedoch nur eine arithmetische Spielerei. 

Die indische Vorschrift zur Herstellung der magischen Quadrate mit 
(2m -f" l) 2 Zellen ist folgende. „Nachdem das Quadrat in seine (2n -j- Vf 

Zellen eingeteilt ist, setze man die 
Zahl 1 in die mittlere Zelle der 
obersten Zeile und die Zahl 2 in 
die Zelle, welche bei der Bezeich- 
nung durch doppelle Indiees mit 
«2n + i> n + * charakterisiert wer- 
den müTste. Alsdann schreibe man 
die Zahlen in ihrer natürlichen 
Reihenfolge in diagonaler Richtung in die Zellen ein und zwar so, dafs nach 
erfolgter Durchlaufung einer Nebendiagonale von p Zellen die auf der andern 
Seite der Hanptdiagonale belegene Nebendiagonale von (2rt -f- 1 — p) Zellen 
an die Reihe kommt. Stöfst man hierbei auf eine schon besetzte Zelle, so 
gehe man senkrecht eine Zelle herab und fahre in gleicherweise fori." 1 '» 
Der Byzantiner Moschopulus gab ums Jahr 1400 in einem Traktat 2 ) 
über magische Quadrate zwei Regeln zur Füllung für ungeradzellige 
22 47 IG 41 10 35 4 *> M ' 1 'K"°»a'.'r Füllung: 

5 93 48 17 49 11 9 9 SeUe e Unler * mitu ' ,ste 

*J0 "Ii ?4 49 18 30 19 Ze,,e "" {] tUt ' f,hrigcn Za,,,en in ihrer 
% * r ' " natürlichen Reihenfolge in diagonaler 

1*J "-t i 4t> Ii' «3< . . , _ , 

38 14 3 9 1 90 44 90 ,l,, ,,l,,n ^ 1,1 * ,,c ,eemi 1 ,r,lze - Slöf$;t 

91 39 8 33 9 97 45 ,na " auf * " ,e SC,, ° n ,K ' setzlc Ze,,e > 
" ' - in !i "o «o so gehe man in senkrechter Richtung 

40 lo 40 9 34 3 28 ,„,. . . 

2 Zellen herab. 

h) Füllung nach dem Springerzug. Mau trage in die mittlere Zelle 
der obersten Zeile die 1 ein und besetze die Plätze nach dem Springer- 

38 14 32 1 26 44 20 "* S "* 1 ma " cin ^ ^ 
5 93 48 17 42 11 9 9 sclztes '> so gohe man ,im 4 e 

21 39 8 33 2 27 Ab he . rab ' M f t^n 

30 0 24 49 18 30 12 ^ 1^ ° aa 1 r I lbuch " 155 ° 
46 15 40 9 34 3 28 02- lOo zur Herstellung un- 

13 31 7 25 43 19 37 8 eradzc,I, 8 er ^auberquadrate fuhrt 

22 47 16 41 10 35 4 auf d,e er * le Rt ' gel <Ies Moscho P ulus - 

Riese teilt ebenda auch die Schemata 

für 4 2 , 6* und 8 2 mit, doch ohne Anleitung, welche er im Oktavbuche 



1) Günther a. a. O. S. 189. 

2) Günther a. a. 0. S. 195 ff. 



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§ 65. Rückblick auf das 16. Jahrhundert 



111 



1522 gegeben hat. Sie ist aber sehr dunkel: „llem zu setzen 1.2.3.. 

16 in vier zeile das allenthalben 34 komen. Alachs also setz nacheinander 
wie hie 

1 2 3 4 Vorwcchssel ' 10 2 3 13 

5 6 7 8 aufewcndigk 5 11 10 8 

9 10 11 12 vii inwendig 9 7 0 12 

13 14 15 16 stet also 4 14 15 1 

Vnd also mach nach diesem exempel andere derglevchon." 

Stifels (in Arilhm. integra) Konstruktion der Zauberquadratc geschieht 
abweichend von den gegebenen Methoden. Er füllt jeden Umgang einzeln, 
von aufsen nach innen fortschreitend. Unterschieden werden die zwei 
Fälle (2n + l) 2 und (Amf. Schemata giebt er bis zu (16)* Zellen. 
Wir verzichten auf die Wiedergabe und erwähnen nur noch von ihm, dafs 
er auch zwei Quadrate (9 zellig und 16zellig) mit den Gliedern einer 
geometrischen Progression gefüllt hat. Darin liefern die Zahlen einer Reihe 
nicht gleiche Summen sondern gleiche Produkte. Die Herstellung ist ein- 
fach; man formiert erst aus den Exponenten (welche eine arilhm. Pro- 
gression bilden) ein magisches Quadrat und ersetzt dann die Exponenten 
durch ihre Potenzen. 

§ 65. Bückblick auf das 16. Jahrhundert. Von einer Theorie des 
arithmetischen Unterrichts zeigt sich noch keine Spur, methodische Grund- 
sätze kannte man noch nicht. Die Unterrichtsweise war rein dogmatisch 
und bestand, gleich der leiblichen Gymnastik, nur aus dem Vorthun und 
Nachthun. „Machs nach der Kegel wie hie und kumpt recht", drückt die 
ganze didaktische Weisheit der damaligen Rechenmeister aus. 

Der Unterricht war Einzel-, nicht Massenuntcrricht. Jeder Schüler 
rechnete still für sich; war er fertig, so sagte er auf; sticfs er auf Hinder- 
nisse, so kam er fragen. Nur schriftlich wurde gerechnet, im Kopfe nicht. 

Die Rechenbücher enthalten nur Regeln und Übungsbeispiele, Gründe 
lind Beweise fehlen, sodafs höchstens Rechenfertigkeit ohne Verständnis 
des Verfahrens erreicht werden konnte. 

Der materielle Nutzen, der Gewinn fürs praktische Leben, galt als 
alleiniges Unterrichtsziel. Der allgemeine Bilduugsgewinn konnte auch wegen 
der mangelhaften Methode garnicht hervortreten. 

Der Stoff war hinsichtlich des Umfangs, wenn auch nicht ganz, so 
doch im allgemeinen derselbe wie heute; Erweiterungen erfuhr er in der 
Folgezeit nur noch in den rein kaufmännischen Partien (Wechsel-, Zinses- 
zins-, Rentenrechnung, Decimalbrüche, Logarithmen, Konto-Korrenten). — 
In Anbetracht des praktischen Bedürfnisses präsentiert er sich allerdings 
noch nicht in der gegenwärtigen Reinheit. Er ist vielmehr überladen mit 



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112 § 66. Allgemeine Zustände. 

Resten griechischer und römischer Rechnungsweisen einerseits und mit 
algebraischen Partien andrerseits. 

Die Gliederung des Stoffes, worauf die Methode besonders Gewicht 
legen mufs, läfst am meisten zu wünschen übrig. Das Zahlengebiet trat 
dem angehenden Rechner — klein oder grofs — auf einmal in seiner 
ganzen Unendlichkeit entgegen und hierauf wurde der gesamte Stoff an 
der Hand der Spccies in einem Zuge vorgeführt. Da gab es keine perioden- 
weise Einführung in das Zahlengebict, keine Abgrenzung für verschiedene 
Altersstufen, keine koncentrische Erweiterung der Operationen. Aus diesem 
Ilmstande erklären sich die ungünstigen Resultate des Rechenunterrichts 
im allgemeinen und bei jungen Schülern insbesondere. Wer Rechnen lernen 
wollte, mufste bereits Lesen und Schreiben können. Weder in der latei- 
nischen noch der deutschen Schule konnte ordentlich Rechnen gelernt 
werden; wer ein fertiger Rechner werden wollte, mufste seine Ausbildung 
in der kaufmännischen Berufsschule, der Rcchenschule, suchen. — Tüchtig 
rechnen können galt für keine leichte Sache, sondern für eine Kunst im 
vollsten Sinne des Worts. 

In zweifach verschiedener Weise handhabte man die Rechenkunst, 
„auf Linien" und „mit der Feder", jenes als Nachklang des Abacusrech- 
nens, dieses die indische Methode repräsentierend. 

Die charakteristische Lösungsform für die angewandten Rechnungs- 
arten war die Regeldetri, goldene Regel. Hinsichtlich der Prüfung des 
Resultats dominierte die Neunerprobe. Unter den Divisionsmethoden herrschte 
das unbequeme ßberwärtsdividieren. 



Zweite Hälfte. 
Das 17. Jahrhundert. 

In der Darlegung der eben beendeten ersten Hälfte dieser Periode 
mufste eine gröfserc Ausführlichkeit walten, als von jetzt ab stattfinden 
wird. Sic war geboten, einmal wegen der Eigenarligkeit jenes Zeitraums 
an sich und zweitens deshalb, um ein genaues Bild über Stoff und Methode 
unsres Gegenstandes in der Gründungsepoche des allgemeinen Schulwesens 
zu gewinnen als Basis für den weiteren Bau. In rascherem Tempo können 
und sollen nun die folgenden Jahrhunderte durchlaufen und nur diejenigen 
Erscheinungen herbeigezogen werden, welche neu und von Bedeutung sind. 

§ 66. Allgemeine Zustände. Aufschwung auf allen Gebieten: in 
Wissenschaft, Schulwesen und Kunst, in Handel, Gewerbe und Industrie 
kennzeichnet das 16. Jahrhundert; Niedergang und Verwüstung leiten als 



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§ 67. Schulwesen. 



113 



traurige Folgen des 30jährigen Krieges das 17. Jahrhundert ein. Ganze 
Gegenden waren verödet, Städte und Dörfer niedergebrannt, die Bewohner 
zur Hälfte durch Hunger, Seuche und Schwert dahingerafft, zur Hälfte 
verarmt, Handel und Gewerbe vernichtet, die Keime wissenschafllicher 
Bildung erstickt. Auch die Anfange des niederen Schulwesens, die der 
evangelische und konfessionelle Geist im 16. Jahrhundert geschaffen hatte, 
begrub der Kriegssturm in seiner Verwüstung. Die Lehrer waren den 
Trommeln der Werber gefolgt, das Geschlecht wuchs in Verwilderung auf. 
Kaum dafs die lateinischen Schulen ein kümmerliches Dasein fristen. Die 
Kirchenbehörden mufsten froh sein, wenn sie die kirchliche Ordnung not- 
dürftig wieder herstellen konnten. Dazu kam, dafs der religiöse (evange- 
lische) Geist gewichen und starre Orthodoxie eingezogen war. 

Die Staatsregierungen hatten vollauf zu thun mit der Regelung der 
Landesverwaltung, um nur das bitterste Elend zu mildern; ans Schul- 
wesen konnten sie nicht denken. Für Gelehrte hatte niemand Geld; selbst 
der Kaiser konnte seinen Hofmathematikus (Kepler 1 ) 1612) nicht bezahlen, 
weshalb dieser ihn verliefs und seine Forderungen an den Kaiser auf dem 
Reichstage zu Regensburg 1630 geltend machen wollte. 2 ) Wer dächte bei 
diesen traurigen Umständen nicht an Kästners Epigramm auf Kepler! „So 
hoch war noch kein Sterblicher gestiegen > als Kepler stieg, und starb in 
Hungersnot" etc. 

§ 67. Schulwesen. Weil überall die äufseren Mittel fehlten, so 
schweigt im 17. Jahrhundert die Schiilgesetzgebnng fast ganz; Schul- 
ordnungen fürs Volksschulwesen wurden von Staalsregierungeii mit Aus- 
nahme des Gothaer Schulmethodus nicht erlassen. In Preufsen geschah 
garnichts. In Kursachsen erschien nur 1673 von J. Georg II. ein „revi- 
diertes synodales Dekret" 3 ), welches befahl, keinen ungeprüften Küster 
anzustellen, vornehmlich solle er eine Probe im Schreiben und Buchstabieren 
schwerer Wörter ablegen. Württemberg setzte auf einer Synode 1649 
die Schulpflichtigkeit der Kinder fürs sechste Jahr fest und befahl: die 
Schulen mit tauglichen Schulmeistern zu besetzen, diesen gebührenden 
Unterhalt zu geben und den Eltern bei Strafe einzuschärfen, ihre Kinder 
zur Schule zu schicken. Das ist alles, was in den grofsen Ländern ge- 
schah. Und was nützte das, da die Ilauplbedingungen, Seminare und 
hinreichende Besoldung der Lehrer, fehlten. Wo sollten taugliche Lehr- 
kräfte ohne Seminare herkommen, und wer sollte einen Beruf erwählen, 
in dessen Ausübung er beständig zu darben hatte! Ein besserer Lehrstand 



1) Vgl. über Kepler Allgem. deutsche Biographie XV, 603-624. 

2) Gerhardt, Gesch. d. Math. 

3) Heppe, Geschichte d. Volksschulw. I, 177. 

Uhobb, Methodik. 8 



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114 



§ 67. Schulwesen. 



wurde erst Schritt für Schritt mit der Verbesserung der äufseren Lage 
gewonnen. 

Die niederen Lehrer waren meist unwissend und ungeschickt , mit- 
unter auch roh und verachtet. In einem Visitationsberichte 1 ) aus Hessen 
sagt Superintendent Hütlerodt, „man habe Lehrer, welche docieren sollten, 
was sie selbst nicht gelernt hätten". Nr. 12 der Erinnerungspuukte für 
Gothaer Lehrer heifst: „Viel Schulmeister sollen sich im Rechnen besser 
üben, als bis anhero geschehen, denn sonsten sie der Bestimmung im 
Schulmethodo vom Rechnen nimmermehr nachkommen können." 2 ) Über 
Tauglichkeit, Amtsführung und Einkommen der Lehrer hat Mone eine 
grofse Anzahl urkundlicher Nachrichten aus Baden veröffentlicht 3 ), welche 
durchgängig unerfreulich sind. 

Wenn auch die Staatsregierungen zur Hebung des Volksschulwesens 
nichts thun konnten, so haben doch die Städte wenigstens ihre lateinischen 
Schulen gelordert. Beweis dafür sind die vielen im 17. Jahrhundert er- 
lassenen oder erneuerten Gymnasialordnungen. Vormbaum hat im 
II. Bande circa 50 Schulordnungen zusammengestellt, von denen sich die 
meisten auf Gymnasien beziehen. — Wenn auch Preufsen für die Volks- 
schulen garnichts that, so hat Friedrich I. sich doch um die Hebung des 
höheren Schulwesens redlich bemüht; er stiftete die Universität Halle, zog 
Leibniz in seine Umgebung, gründete die Akademie der Wissenschaften in 
Berlin, die Friedrichsschule in Frankfurt a. 0., das Collegium Fridricianum 
in Königsberg, das Gymnasium illustre Fridricianum in Halle, verlieh dem 
Pacdagogium regium daselbst ein Privilegium. An den Lehrern der lateini- 
schen Schulen waren auch Mängel aller Art zu rügen, vornehmlich (nach 
der Landgräflich hessischen Schulordnung 4 ) 1618) anstöfsiger Lebens- 
wandel, methodisches und erzieherisches Ungeschick. Die erforderlichen 
Eigenschaften eines Lehrers wurden dahin angegeben, er solle gottes- 
fürchtig und gelehrt, tüchtig andre zu 'lehren, fleifsig und arbeitsam, auf- 
richtig und treu, angesehen, ohne Begierden und unparteiisch, nicht 
mürrisch und zu hart, nicht zu gelinde und liebkosend, sparsam, mäfsig, 
nüchtern und tugendhaft sein und seine Stunden aufs genaueste halten. 

Die Rechen schulen bestanden im 17. Jahrhundert fort in den 
gröfseren Städten und waren die besseren Schulen fürs gemeine Volk, 
weil die Rechenmeister 5 ) infolge ihres Zunftzwanges die tauglichsten und 

1) Vormbaum 11, 448. 

2) Ebenda II. 

3) Mone, Zeitschrift f. Gesch. d. Oberrheins 1851, II, 181 ff. 

4) Vormbaum II, 189. 

5) Rechenmeister waren (nach Büchertiteln): Christ. Müller 1603 in Berlin, 
Gebhard Overheyde 1638 in BraunBchweig, Joachim Siegmann 1669 in Budissin, 
Job. Georg Haken 1670 in Zittau, Georg Wendler 1698 in Regensburg. 



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§ 67. Schulwesen. 



J15 



ehrsamsten Schulmeister waren. Und wenn ihnen das Patent fürs Lehr- 
amt auch nicht von einer staatlichen Unterrichtsbehörde ausgestellt wurde, 
so mufsten sie doch, um zünftig zu sein, ihre Lehrzeit treulich aushalten 
und vor verordneter Innungsprüfungskommission ein Examen bestehen. 
Auch eine Art Probe 1 ) erforderte hie und da der Stadtrat von dem an- 
zustellenden Rechenmeister. 

Auch Winkelschulen, die Konkurrenzanstalten der Rechenschulen, 
waren an vielen Orten vorhanden. Ihr Lehrpersonal hat aber nach der 
Schilderung 2 ) des privilegierten Berliner Rechenmeisters Christian Müller 
(1603—1640) den Titel „Schulmeister" nur geschändet. Die Verbote der 
Winkelschulen seitens der Behörden werden aus diesem Umstände er- 
klärlich. 

Kann demnach in diesem Jahrhunderte von der Schulorganisation 
und dem Lehrstandc im allgemeinen nur Unerfreuliches berichtet werden, 
so erregt das rüstige und erfolgreiche Schaffen 3 ) des Herzogs Ernst von 
Gotha umsomehr unsre Bewunderung. Noch während der Kriegsunruhen 
begann er seine segensreiche Thätigkeit mit der Berufung des Schleussinger 
Rektors Reyher 1673) zum Rektor des Gymnasiums nach Gotha 1640. 
In Reyher hatte der fromme Fürst denjenigen Schulmann gefunden, der 
ihm bei seinen weitgehenden Plänen die wesentlichsten Dienste leistete. 
1641 wurde eine (fünfjährige) Generalvisitation über Kirchen und Schulen 
veranstaltet, deren Resultat unglaublich traurig ausfiel, die meisten Er- 
wachsenen wufsteu nichts mehr von den Hauptstücken des Katechismus. 
Daraufhin erschien 1642 eine neue Schulordnung für Gotha unter dem 
Titel: „Special- und sonderbahrer Beriebt 4 ) / Wie . . die Knaben und 
Mägdlein . . vnterrichtet werden können und sollen." Erst die späteren 
erweiterten Ausgaben 1648, 53, 62, 72 und 85 heifsen Schulmethodus. 
Uns interessieren daraus die Bestimmungen über den Rechenuntei rieht. 
Es gab drei Klassen, und man trieb in der mittleren: „Numerieren und 
wenn möglich auch Addieren und Subtrahieren und das Einmaleins", in 
der oberen: „Regeldetri und wenn möglich Bruchlehre." — Neben der 
Schulordnung liefs Ernst der Fromme durch den Rektor Reyher eine Anzahl 

1) In Güstrow, vgl. Vormbaum II, 605. 

2) „Als Zitterschläger und Lediggänger, auch Tauben-, Fisch- uud Vogel- 
fänger, verdorben Lantzknecht, Butterhöcker und lahme Plintzen- und Euchen- 
bäcker und dergleichen Gescbmeifs. Wann einer kaum dio allgemeinen Species 
und Regeldetri recht gelernt und nach | Jahr aus der Schule gewischt und 
keinem Herrn dienen und gut thun wollen, und wenn er weder hinter sich noch 
vor sich kann und sich redlich zu ernähren weifs: alsdann fängt er an Winkel- 
achul zu halten." Aus Ch. Müller, Rechenbuch 1603, Vorrede. 

3) Hoppe, Volksschulw. II, 207 u. Vormbaum II, 295. • 

4) Neu herausgegeben: Müller, Sammlung päd. Schriften Nr. 10. 

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116 § 68. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. 



neuer Schulbücher: ABC und Syllabierbüchlein, Lesebüchlein, Leseübung, 
Psalterium, Evangclicnbüchlein, Rechenbüchlein (1653) ausarbeiten, deren 
Einführung in den Schulen des Herzogtums Gotha durch fürstlichen Be- 
fehl angeordnet war. 

Auch Lehrerbildungsanstalten mit Staatsbeihilfe fafste Ernst der 
Fromme ins Auge, mufste aber von ihrer Errichtung wegen Abgangs äufserer 
Mittel abstehen; jedoch versäumte er nicht, die Verwirklichung dieser 
Idee seinen Nachfolgern durch sein Testament 1 ) 1675 ans Herz zu legen. 

Noch vor Ablauf des Jahrhunderts verlieh Friedrich II. von Gotha 
durch die Gründung der zehn „Seminaria scholastica 2 ) anno 1698" der 
ersten deutschen Lehrerseminarien, dem Gedanken Emsts Gestalt und 
Leben. Doch folgte bald nach ihrer Entstehung auch ihre Auflösung 
wegen — Mangel an Beihilfe. 

§ 68. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. Abge- 
sehen von geringen Erweiterungen, sind die Lehrpläne in der Haupt- 
sache nur Erneuerungen der Lehrordnungen des vorigen Jahrhunderts. 
Die arithmetischen Anforderungen kehren darin unverändert wieder; über 
die Regeldetri und die Brüche geht man in den niederen Schulen nicht 
hinaus, in den lateinischen fordert man nur wenig mehr. Wollte man von 
einem Fortschritte reden, so müfste man die Aufnahme des Rechnens unter 
die Unterrichtsgegenstände der deutschen Schule einerseits und die Ver- 
legung des Anfangs des Rechnens in ein früheres Alter auf den lateini- 
schen Schulen andrerseits anführen. Wir nehmen die Bestimmungen über 
das Rechnen aus einigen Schulordnungen hier auf. 

a) Für niedere Schulen. Weimarischc Schulordnung 1619: „Es soll 
auch den Knaben, wenn sie etwas lesen und schreiben können, ein wenig 
von der Rechenkunst gewiesen werden, dafs sie die Ziffern und Zahlen 
kennen lernen, und nur das leichteste vom Addiren, Subtrahiren und 
Multiplicircn verstehen und brauchen mögen." 3 ) — Schulmethodus Gotha 
1648: „Das Rechnen ist in der Mittelklasse soweit anzufallen, dafs ihnen 
die Zahlen nebst dem Einmaleins beigebracht, und wenn es weiter zu 
bringen zum Addiren und Subtrahiren geschritten werde. Das Einmaleins 
soll aus dem Lesebüchlein, da es am Ende zu befinden, in der Rechen- 
stunde durch vielfältiges Herumlesen auswendig gelernt werden. — In der 
Oberklasse wird das Rechnen durch die vier Species nach Anweisung des 
Rechenbüchleins (von Reyhcr) fortgetrieben, hernach die Rcguladetri und 
endlich, wenn es soweit gebracht werden kann, die Brüche vorgenommen, 



1) Schmidt, Encyklopädie X, 50. 

2) Ebenda S. 50. 

3) Vormbaum II, 239. 



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§ 69. Stoff und Methode im allgemeinen. 



117 



und wie nun der Präceptor ein Kind nach dem andern eine Probe an der 
Tafel thun läfst, also soll er ihnen auch mündlich durch allerhand Exempel 
den Grund recht beibringen." 1 ) 

b) Für Gymnasien. Kurpfälzische Schulordnung für fünfklassige Gym- 
nasien 1615: „Tertiani discant Numerationem, Additionem, Subtractionem. 
Secundani addant superioribus Mulliplicationem, Divisionem et Regulam 
de Tri. Primani cum bis omnibus Fractionum initia, prout ea in libello 
Arithmetico sunt exposita, conjungant." 2 ) — Landgräflich hessische Schul- 
ordnung für sechsklassige Gymnasien 1656: „Die Inferiores (Quartaner) 
sollen in der Arithmetik das einmalein vnd die zahl lernen vnd schreiben, 
die miltein die 4 specics gantz fertig, die superiores aber auch die 
doctrinam de numeris fraclis vnd proporlionibus wohl fassen vnd vben." 3 ) 
Güstrower Gymnasialordnung 1662: „Sexta: Diese fangen an, von dem 
Einmaleins, soviel ihr capitis zuläfst zu lernen. Quinta: Etwas mehr vom 
Einmaleins. Quarta: Von der Arithmetica etwas mehr. Tertia: Arithmetica 
geht auf mehr species. Secunda: Die Arithmetica wird hoher. Prima: 
Mathematica und Chronologica." 4 ) 

§ 69. Stoff und Methode im allgemeinen. Die Abfassung der 
Rechenbücher war ausschliefslich Geschäft der Rechenmeister geworden. 
Adam Riese übte auch in diesem Jahrhundert seine Herrschaft noch aus, 
bis 1650 wurden Neuauflagen seiner Bücher veranstaltet. Christian Müllers 
Arithmetik (aufgelegt von 1603—1638) und Wendlcrs Arithmetica practica 
1698 sind nur gekürzte Kopien des Ad. Riese. Reyher 1653 behandelt 
den ganzen Stoff vom Numerieren bis zur Ausziehung der Kubikwurzel 
wie im Fluge, das Aufgabenmaterial ist das denkbar leichteste; einen 
Gymnasialrektor würde man in dem Verfasser nicht vermuten. Und 
Reyhers Buch wurde 1714 zum 16. Male aufgelegt. 

Besondre Hervorhebung verdienen die Erfindung der Logarithmen 
und der abgekürzten Multiplikation, die Erweiterung der Wechselrechnung 
und die richtige Grundlage der Rentenrechnung durch Leibniz. 

Den Unterricht suchte man vornehmlich augenehm und leicht zu 
machen; diesen methodischen Bestrebungen verdankt mau die „mathema- 
tischen Erquickstunden" (siehe § 71) und eine Menge „Rechenmaschinen" 
(siehe § 70). 

In den Büchertiteln 5 ) findet grofse Mannigfaltigkeit statt, nur die 
wenigsten Verfasser wählten eine kurze Bezeichnung wie: Rechenbuch oder 

1) Vormbaum II, 308. 

2) Ebenda S. 162. 

3) Ebenda S. 465. 

4) Ebenda S. 693. 

5 Vgl. Murhard, Litt, der math. Wisu. 1. 



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118 



§ 70. Rechenmaschinen. 



Arithmelica. Gewöhnlich ist der Titel lang und marktschreierisch 1 ) und 
täuscht üher den Iuhalt. Mitunter klingt er seltsam und ergötzlich. 2 ) 
Einige wählten nach Faulhahers Vorgange: Arithmetischer Wegweiser. 

Die Verfasser widmeten nach allgemein üblicher Sitte damaliger Zeit 
ihre Bücher dem Landesfürslen oder einem einflufsreichen Ratsherrn. Die 
Widmungen haben durchgängig wegen der sehr kriecherischen Form einen 
widerlichen Beigeschmack; sie schliefen ausnahmslos mit der Bitte um 
Schutz gegen die „Lästerer" (Kritiker), welche von einer Sache redeten, 
die sie weder verstünden noch hesser machen könnten. 

§ 70. Rechenmaschinen. 3 ) Einige suchten ihre Schüler von der Plage 
zu erlösen, die ihnen das Lernen des Einmaleins verursachte, und er- 
sannen Hilfsmittel, von denen die bei vorfallenden Multiplikationen, Divi- 
sionen, Wurzelausziehungen etc. »öligen Produkte abgelesen werden konnten. 
Andere konstruierten Maschinen, auf denen durch einfache Kurbeldrehungen 
die Ausführung der Species bewirkt wurde. 

a) Unter den Hilfsmitteln ersterer Art stehen obenan die Neperschen 
Rechenstäbe 4 ), erfunden von Joh. Napier (Napeir, Neper, 1550 — 1618) 
Baron von Merchiston in Schottland und beschrieben in dem Werkchen: 
Rhabdologiae seu numerationis per virgulas libri duo cum appendice de 
expeditissimo Multiplicationis promptuario 1617. 

Nepers Stäbe sind vierkantige Säulchen und tragen auf jeder Seite 
das kleine Einmaleins einer der ersten 9 Zahlen; die Reduktionsstäbe 
tragen die ersten 9 Produkte der Reduktionszahlen; auf den Wurzel- 
stäben stehen die Quadrate und Kuben der ersten 9 Zahlen. Der Stab 
mit den ersten 9 Zahlen heifst Index und wird überall gebraucht. 

Anwendung der Neperschen Stäbe. Soll beispielsweise 4097 X 753 
berechnet werden, so legt man die vier Stäbe mit den Kopfzahlen 4, 0, 
9, 7 in dieser Reihenfolge an einander, den Index davor und kann nun 
aus den durch den Index angezeigten Horizontalreihen (hier der dritten, 
fünften und siebenten) die Partialprod ukte ablesen, wenn man dabei die 
beiden zusammengehörigen Ziffern vereinigt. — Soll 2546208:5894 be- 
rechnet werden, so schreibt man den Dividend auf und legt diejenigen 

1) Nikolaus Kauffunger, „Rechenkunst auf den Linien und Ziffern samt 
allerhand Vortheilen, Geschwind- und Behendigkeiten, so deutlich und verständ- 
lich fürgeben, dafs sie jeder, der ziemlichen Verstandes, daraus von ihm selbst 
begreiffen möge" etc. 1612. 

2) Meichsner, Arithm. Kunstspiegel 1671. — Scharf, Arithm. Rosenkranz 
1688. — Joh. Hemeling, Arithm. Trichter 1677 u. später. 

3) Vgl. hierzu Klügel, Math. Wörterbuch II, Instrumentales Rechnen. — 
Desgl. Wolf, „Kurtzer Unterricht v. d. math. Schriften " 1750 S. 6 ff. — Desgl. 
Kästner, Fortsetzung der Rechenkunst 1786 S. 678. 

4) Erklärt von Kefsler 1619, ürsinus 1623, Stritter 1749, Hederich 1729. 



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§ 70. Rechenmaschinen 



119 



Stäbe an, welche mit ihren Kopfzahlen 5, 8, 9, 4 den Divisor bilden. Nun 
wird untersucht, in welcher Horizontalreihe sich das Produkt befindet, 
welches vom Stückdividenden 25462 abgezogen werden kann, das ist hier 
in der vierten; also ist die Quotientenziffer 4; das Produkt wird dann 



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abgelesen und in gewöhnlicher Weise subtrahiert. Mau entnimmt also 
den Stäben die abzuziehenden Produkte. Bei Reducieren und Radicieren 
werden den Rcduktions- resp. Wurzelstfiben die abzuziehenden Produkte 
entnommen. 

Das Versprechen, die Operationen ohne Kenntnis des Einmaleins zu 
vollziehen, ist eingelöst; doch ist mit diesem hölzernen Hilfsmittel der 
Methodik ein Dienst nicht geleistet. Trotzdem bediente man sich der 
Neperschen Stäbe beim Unterrichte, noch die Philanthropen gebrauchten 
und empfahlen sie. 

Von der Beschreibung andrer gleichartiger Hilfsmittel stehen wir ab; 
wir nennen nur noch einige. Gaspar Schott (1608— 1G6G, Professor in 
Palermo und Würzburg) brachte das Einmaleins auf drehbare Cylinder 
und vereinigte dieselben in einen Kasten, den „Rechenkasten". 1 ) — Leupold 
brachte das Einmaleins auf bewegliche „Scheiben". 2 ) — Samuel Reyher 
stellte 1688 Stäbe, ßacilli sexagenales genannt, mit den Vielfachen der 
ersten 60 Zahlen her, um eiu Hilfsmittel fürs Rechnen mit den Sexa- 
gesimalbrüchen zu schaffen. 3 ) * 

b) Die Rechenmaschinen, auf denen die Species durch Kurbel- 
drehungen ausgeführt werden konnten, waren kompilierte, unvollkommene 
und kostspielige Apparate. Die Ankündigungen und Beschreibungen davon 
enthalten oft arge Täuschungen über die wirkliche Leistungsfähigkeit. Im 
Unterrichte wurden sie nie gebraucht. 

1) Organum math. Würzburg 1668. 

2) Leupold, Schauplatz der Maschinen. 

3) Wolf, Kurtzer Unterricht S. 11. 



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120 § 70. Rechenmaschinen. 

Pascal (1G23 — 1662) erfand schon im Alter von 19 Jahren eine 
Maschine, welche zur Ausrechnung nur Stellen der Ziffern und nachfol- 
gendes Drehen erforderte. Die Beschreibung der Maschine sei jedoch 
ebenso schwer zu verstehen als eine neue zu erfinden. 1 ) 

Leibniz 8 ) sah in Paris ein Modell der Pascalschen Maschine und 
wurde dadurch angeregt, etwas Vollkommneres zu erfinden. Doch blieb 
seine Maschine, obwohl er der Herstellung derselben 24 000Thlr. opferte, 
mangelhaft. Sie bestand aus 16 Scheiben und lieferte durch blofses Drehen 
IGstclligc Produkte. 3 ) 

Joh. Polenus, Professor zu Padua, erfand 1709 eine ähnliche Ma- 
schine 4 ) wie die Leibnizsche. 

Martin Knutzen*) (1713 — 1751) liefs eine grofse und eine kleine 
Rechenmaschine herstellen, welche zwar ein andres äufseres Ansehen als 
die Leibnizsche Maschine hatten, aber dasselbe leisteten als diese. Ein 
Exemplar der kleineren sandte er mit einem Traktat „Arithmetica mecha- 
nica" dem Prinzen Heinrich nach Berlin. 6 ) 

Matthäus Hahn, ein Pfarrer, erklärte seine Rechnungsmaschine (1778) 
als die beste unter den bis dahin existierenden. Sie lieferte Resultate bis 
zu 14 Stellen. Die Beschreibung 7 ) giebt über die innere Einrichtung 
keinen Aufschlnfs, sondern hält sich an das äufsere Ausseheu und giebt 
eine Anweisung zur Handhabung. Die Ziffern der gegebenen Zahlen wer- 
den auf die gehörigen koucentrisch angeordneten Plätze gebracht; hierauf 
die Kurbel gedreht und das Resultat erscheint in den seitlichen Öffnungen, 
14 an der Zahl. Additionen und Multiplikationen werden mit schwarzen, 
Subtraktionen und Divisionen mit roten Ziffern ausgeführt. Die Multipli- 
kation ist aufs Addieren und die Division aufs Subtrahieren zurückgeführt. 
Soll beispielsweise 1 397 520 : 3235 mit der Maschine gerechnet werden, 
so stellt man 3235 unter 13975 (wie in der Subtraktion) und dreht die 
Kurbel so oft, bis die obere Zahl kleiner als die untere geworden ist 
(viermal kann das Drehen geschehen). Hierauf rückt man den Divisor 
um eine Ziffer nach rechts, fügt die 2 des Dividenden dem Rest hinzu 
und dreht abermals die Kurbel (drei Drehungen). Dann wird der Divisor 
wiederum um eine Stelle gerückt und die Kurbel noch zweimal gedreht 
(Quotient 432). — Über den Nutzen schreibt der Erfinder selbst: bei 

1) Wolf, Kurtzer Unterricht S. 10. 

2) Allgem. deutsche Biogr. XVIII, 172—209. 

3) Klügel, Math. Wörterbuch Ii, 736. 

4) Wolf, Kurtzer Unterricht S. 10. 

5) Allgem. deutsche Biogr. XVI, 384. 

6) Buck, Lebensbeschreibungen preufs. Math. S. 189. 

7) Der deutsche Merkur 1779 May 8. 139-154. 



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§ 71. Mathematische Unterhaltunggschriften. 121 

* 

kleinen Rechnungen werde man auf dem Papier eher fertig, bei seiten- 
langen Additionen sei die Maschine schneller; aufserdem ermüde die Ma- 
schine nie, rechne fehlerfrei, und die Rechnung könne jederzeit unter- 
brochen und wieder fortgesetzt werden. 

Job. Helfrich Müller, Ingenieur, zeigte 1784 zu Göttingen eine Rechen- 
maschine 1 ), welche vor der Leibnizschen einige Vorzüge hat. Sie liefert 
Resultate bis zu 14 Stellen, besteht aus Zahlenscheibeu und ist so ein- 
gerichtet, dafe ein Glöckchen die Fehler anzeigt, welche beim Stellen der 
Zilfern und Drehen der Kurbel begangen werden. Ist beispielsweise beim 
Dividieren der Dividend kleiner geworden als der Divisor, so ertönt beim 
Weiterdrehen der Kurbel das Glöckchen, ebenso schlägt es an, wenn der 
Rechner in der Subtraktion die gröfsere Zahl von der kleineren abziehen 
wollte. Es sind zwischen einem fertigen Rechner und der Maschine 
103 Proberechnungen angestellt worden; bei kleinen Zahlen war der Rech- 
ner, bei grofsen die Maschine schneller. Der Rechner hatte vier Stunden, 
die Maschine nur zwei gebraucht. 

§ 71. Mathematische Unterhaltungsschriften. Man suchte die Be- 
schäftigung mit der Mathematik, dieser trocknen Materie, auch angenehm 
und ergötzlich d. h. zur Unterhaltung zu machen. Schon das vorige Jahr- 
hundert brachte uns mit den eingestreuten „Scherzexempeln" einen Vor- 
schmack von den Früchten dieses Strebens. In diesem Jahrhundert 
erschienen viele selbständige Bücher dieser Art, Bücher, in denen ausge- 
sprochenermafsen die Mathematik zur Schärfung des Verstandes, zum Zeit- 
vertreib und zur Ergötzlichkeit getrieben wurde. Selbstverständlich klingen 
auch ihre Titel 2 ) ergötzlich: arithmetische Erquickstunden, mathematische 
Delectationen, math. Curiosi täten, arithm. Lustgärllein, arithm. Raritäten- 
kasten, math. Sinnenkonfekt etc. 

Ein sehr reichhaltiges Werk dieser Art edierte ein ungenannter Fran- 
zose: „Recrcations mathematiques composees de pliisieurs problömes d'Arith- 
metique, Geometrie, Astrologie, Optique, Perspective . . . Rouen 1628." - 
Unter starker Benutzung des vorgenannten Werkes sammelte Daniel 
Schwenter 3 ) (geb. 1585, seit 1608 ord. Prof. der orientalischen Sprachen 
in Alldorf) in seinen Mufsestunden: „Deliciae Physiko -Mathematicae oder 
mathematische und physikalische Erquickstunden, darinnen 663 schöne, 
liebliche und angenehme Aufgaben und Fragen aus der Rechenkunst, Land- 
messeu etc. . . . begriffen seindt. Allen Kunstliebenden zu Ehren, Nutz, 
Ergötzung des Gemüths und sonderbarem Wohlgefallen an den Tag ge- 



' 1) Göttinger Magazin der Wiss. III. Bd. 6tes Stück. 

2) Siehe dieselben bei: Murhard, Lit. d. math. Wies. I, 27 ff. 

3) Biographisches über ihn bei: Doppelwayr S. 95. 



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122 § 71. Mathematische Uoterhaltungsschriften. 

geben, AltdorlT 1636." Schweibers Werk wurde durch G. Ph. v. Hars- 
dörlTer 1 ) 1651 um einen zweiten und 1653 um einen dritten Teil ver- 
mehrt und 1677 noch einmal aufgelegt. 

Zur Orientierung über die mathematischen Ergötzlichkeiten überhaupt 
geben wir hieraus einige Proben, vermeiden aber Wiederholungen bezüg- 
lich § 63. Schwenters Buch enthält aus der Arithmetik 90 lustige Auf- 
gaben, aus der Geometrie 56, Stereometrie 60, Musik 26, Perspektive 32, 
Katoptrik 28, Pyrobolia 69, Pneumatik 25, Hydraulik 59, Schreibkunst 13, 
Architektur 33, Chemie 32. Den Anfang der arithmetischen Aufgaben 
bilden eine Menge Regeln, gedachte Zahlen zu erraten, unter denen die 
„chinesische Erweiterung" (§ 63) die werlvollste ist. Minderwertig ist: 
„Heifs die gedachte Zahl tripliren, dies halbiren, dies tripliren; lafs dirs 
Produkt sagen, verdopple es und teile durch 9, so hast du die gedachte 
Zahl (x • 3 • ^ • 3 • $ = x). Nach anderen Regeln wird die gedachte Zahl 
durch Subtraktion oder Division eliminiert, und der Künstler ist dann so 
klug, das Resultat nennen zu können. Von etwas befsrer Qualität ist das 
schon in Slifels Arilhm. integra 1544 gelehrte Kunststück, eine gedachte 
Zahl durch Proniczahlen zu finden. Eine Proniezahl 2 ) ist ein Produkt 
aus zwei Faktoren, welche um eine Einheit verschieden sind (35 X 36 
= 1260). Die gedachte Zahl mufs kleiner als die Proniezahl sein. Bei 
Verwendung der Proniezahl 1260 heifst die Regel: „Lafs die gedachte Zahl 
durch 35 dividieren und den Rest nennen; multipliciere diesen mit 36; 
lafs die gedachte Zahl durch 36 dividieren und den Rest nennen, diesen 
multipliciere mit 35 2 . Addire beide Produkte, teile durch 1260, so ist der 
Rest gleich der gedachten Zahl" (Schwenter Nr. 13; eine Erklärung steht 
nicht da). Folgende Entwickelung begründet das Verfahren: 

x = 35 w -f q 
x = 36« + r 
36 x = 36 • 35/w -f- 36p 
35 2 * = 35* • 36w -f 35 2 r 
36:c + 35 2 >r = 36 • 35m + 3fr- 36/t -f 36p -f 35 2 r 
(1260 + \)x = 36 • 35m + 35 2 - 36« + 36p -f 35 2 r. 

Wird die linke Seite der letzten Gleichung durch 1260 dividiert, so er- 

giebt sich x als Rest, folglich mufs derselbe Rest bleiben, wenn die rechte 

Seite durch 1260 dividiert wird. — Schwenters 15. Aufgabe: „Es trägt 

einer eine unbekannte Anzahl Eier zu Markte, welche sämtlich zerschlagen 



1) Bekanüt als Gründer der „pegneeischen BlumengesellBchaft" zu Ntbrn 
berg 1642. 

2) Ein derartiges Produkt hiefs bei den Griechen „heteromeke Zahl". 



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§ 72. Arithmetische Poesie. 



123 



werden. Er weifs nur, dafs bei ihrer Abzahlung zu je 2, 3, 4, 5 und 6 
stets 1 übrig blieb, während bei Griffen zu je 7 keins übrig blieb." Wie- 
wohl die Aufgabe viele Lösungen (301, 721, 1141, 1561 etc.) habe, so 
werde (bemerkt Schwenter) man aus der Gröfse des Korbes und Stärke 
des Trägers auf die richtige Zahl scbliefsen. Erklärung: Zu 2, 3, 4, 5 
und 6 ist der kleinste gemeinsame Dividend 60; 60 : 7 läfst den Rest 4. 
Es mufs also 60« -j- 1 durch 7 teilbar sein. Für « hat man die Be- 
stimmungsglcichung 4« -f- 1 = 7w, aufgelöst für ganze Zahlen kann « 
die Werte 5, 12, 19 ... haben; also ist 301 die kleinste Zahl, welche 
der Aufgabe genügt. — Schwenters 16. Aufgabe ist ähnlich der vorigen: 
„Eine solche Zahl zu (Inden, dafs sie mit den Divisoren 2, 3, 4, 5, 6 
geteilt die Reste 1, 2, 3, 4, 5 läfst und bei 7 aufgeht." Erklärung: 60 
ist der kleinste gemeinsame Dividend für die gegebenen Divisoren, 60 — 1 
= 59 liefert zwar die verlangten Reste, doch 7 geht darin nicht auf. Es 
mufs 60« — 1 einer Siebenerprodukt werden. Die Bestimmungsgleichung 
für n ist 4« — 1 = 7;«, welche für « die ganzzahligen Werte 2, 9, 16 
liefert. — Die als wahrscheinlich angenommene Vermehrung eines Senf- 
korns in 12 Jahren, einer Sau in 14 Jahren und dergl. dienen als Bei- 
spiele für die Summierung geometrischer Progressionen. Die Beantwortung 
von Fragen, wie viele Wörter aus den 23 Buchstaben des Alphabets 
(gleichviel ob mit oder ohne Sinn) gebildet werden können, oder wie oft 
12 Tischgäste ihre Plätze wechseln können, bieten StoiT zu den Permu- 
tationen. — Mit einer Aufzählung von Gegenständen, welche beständig in 
bestimmter Zahl vorzukommen pflegen (12 Stämme in Israel, 12 Steine 
im Jordan, 12 Edelsteine im Brustschilde Aarons, 12 Brunnen in Helim, 
12 Kundschafter, 12 Apostel, 12 Zeichen im Zodiakus, 12 Monate, 12 mal 
wirft der Hase jährlich, 12 Monate trägt das Kamel etc.) schliefst die 
arithmetische Abteilung. Auf Proben aus HarsdörfTers beiden Bänden ver- 
zichten wir. Er hat nach eigner Aussage dem Schwenter Nachlese ge- 
halten wie Ruth den Schnittern des Boas. Leider hat er mehr Stroh als 
Ähren gefunden. Er unterhält den Leser 48 Seiten lang „von der Be- 
deutung der Zahlen" und 32 Seiten lang noch „von anderen Curiositäten" 
derselben. Seine Erörterungen sind weit schwächer als die von Schwenter 
und die Materie oft kindisch. Mehr mifsvergnügt als ergötzt legt der 
Historiker die bibeldicken Bände der „mathematischen Erquickstunden" 
aus der Hand. 

§ 72. Arithmetische Poesie. In enger Beziehung zu den mathema- 
tischen Unterhaltungsschrifteu steht die arithmetische Poesie, welche im 
17. Jahrhundert ihre reichsten Blüten trieb. Der Zweck war bei beiden 
derselbe, was jene durch den Inhalt leisten wollten, suchte diese durch 
die Form zu erreichen. Es liefsen sich eine Menge Bücher anführen, in 



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124 



§ 72. Arithmetische Poesie. 



denen Regeln und Aufgaben in gröfserer oder kleinerer Anzahl gereimt 
sind. Wir wollen einige Proben aus der so oft (1693 zum siebenten Male) 
aufgelegten Arithmetica des Tobias Beutel mitteilen, worin alle Erklärun- 
gen, Regeln und die Mehrzahl der algebraischen Aufgaben poetisches Ge- 
wand tragen. 

Numerieren lehrt im Rechen 
Zahlen schreiben und aufssprechen. 

In Summen bringen heifst addiren 
Difs mufs das Wörtlcin Und vollführen. 

Theilen oder Dividiren, 
Mufs das Wörllein In regieren. 
Hier merke, dafs noch insgemein 
Zwey Species mit nöthig seyn, 
Denn allhie werden allemal 
Der Tbeiler und gefunden Zahl 
Erst beiderseits multiplicirt, 
Hernach das was kommt sublrahirt, 
Das Facit bey der rechten Hand 
Wird auch der Quotient genandt. 

Wie eine Hand an uns die andre waschet rein 
Kann eine Species der andern Probe seyn. 

Allhier [Gesellschaftsrechnung] addirt man die Posten allzumal, 

Die der Gesellschaft seyn / das bringt die fördre Zahl; 

Steht Mond und Zeit dabei, mufs man multipliciren 

Die Zeit mit jeder Post, eh dafs man sie addirt, 

Ist dann addirt, kann man nur durch die Detri führen 

Und rechnen jeden Satz, dann kommt was sich gebührt. 

Die Regel [R. falsij ist nicht falsch, sie wird nur so genannt, 
Weil sie durch falsche Zahl das Facit macht bekannt; 
Wo gleiche Zeichen seyn, da mufs man subtrahieren, 
Die aber ungleich seyn, dieselbigen addiren. 

Ich [Springbrunnen] bin aus Ertz gemacht, 

Dafs ich dem Wasser muls 

Hier lassen seinen Flufs 

Durch meiner Glieder Pracht; 

Wenn von sich nur allein 

Mein weiter Rachen speyt, 

Kann in sechs Stunden Zeit 



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§ 73. Einflufs des Münzwesens auf die Arithmetik. 



125 



Der Brunn' voll Wasser seyn. 
Zwcy Tage darf's genau 
Wenn mein recht Auge rinnt, 
Zum linken dreye nöthig sind. 
Und wenn die rechte Klau 
Ausfleufst vier Tage, füllt 
Sie diesen Brunnen voll. 
Fragt sich, was Zeit seyn soll, 
So alles vieres qvillt? 
Antwort: vier Stunden Zeit 
Und vier und viertzig ein 
Und sechzig theil mul's seyn 
Zum facit hier bereit. 

§ 73. Einflufs des Mimzwesens auf die Arithmetik. Jeder Wechsel 
in den Münzverhältnissen zieht naturgemäfs auch Veränderungen im Rech- 
nungswesen nach sich. In früheren Jahrhunderlen herrschten Willkür und 
Unordnung im Münzwesen. 1 ) Wer ein Stück reichsunmittelbares Gebiet 
besafs, mafste sich das Münzrechl 2 ) an. Da überdies die Ausübung des- 
selben verpachtet (gewöhnlich an Juden) war, so wurde infolge schnöder 
Gewinnsucht eine solche Schinderei getrieben, dafs das Geld im Metall- 
und auch im Kurswerte grofsen Schwankungen 8 ) unterlag und infolgedessen 
von Zeit zu Zeit behördlich geprüft 4 ), im Auslande aber meist nicht als 
Zahlungsmittel genommen wurde. 5 ) Des Mittels der Münzveränderung be- 
dienten sich die Staatsregierungen vor dem Aufkommen der Tontinen und 
Renten, um sich aus der Geldnot zu helfen. Die Schwankungen des Fein- 
gehalts der Münzen wurden Veranlassung zur Entstehung des Agio. Uhk 
an grofsen langausstehenden Stiflungskapitalien wegen Verminderung des 
Feingehalts der Münzen am Kapitalwerte keine Einbufse zu erleiden, so 
kam man überein, die Summe der Pfunde oder Mark in demjenigen Fein- 
gehalte festzusetzen, der zur Zeit des Vertrags im Wohnorte der Kontra- 
trahenten gesetzlich war, d. h. man schlofs nach x Mark n lötigem Silber ab. 
Die Zahlung konnte dann in allerlei Münzsorten von beliebigem Feingehalte 
erfolgen. — Die Gründung der Banken 6 ) und die Einführung des Banko- 



1) Vgl. Rademann, Der Stadt Hamburg stets Blühender Wechselbaum, 
Hamburg 1698. — Marperger, Beschreibung der Banquen 1710. — Mone, Zeit- 
schrift für Gesch. des Oberrheins II, 386—431. 

2) Mone, a. a. 0. II, 398, 402, 403. 

3) 1630 galt der Reichsthaler 31 /?, 1BC0 32 /?, 1609 33 /?, 1621 64 ß. 

4) Mone II, 429. 

6) Süfsmilch, Göttl. Ordnung II, 388. 

6) Barcelona 1349, Genua 1407, Amsterdam 1609, Hamburg 1619, Nürnberg 



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126 



§ 74. Tabellen. 



geldes gab dem Münzwesen einen gewissen Halt. Anfangs wurde das 
Bankogeld 1 ) geprägt und kursierte, später unterblieb die unnötige Aus- 
prägung und so wurde es zur fingierten oder Rechnungsmünze. Noch 
mehr Ordnung kam in die Münzwirren durch die Münzkonventionen, von 
denen die erste 1690 unter Festsetzung des Leipziger Münzfufses [1 köl- 
nische Mark fein Silber zu 12 Thlr. = 18 fl] ausgeprägt ! von den Fürsten 
der drei Staaten Kursachsen, Brandenburg und Braunschweig- Lüneburg 
geschlossen wurde. 1694 ordnete der Augsburger Konvent die Münzver- 
hältnisse für Franken, Schwaben und Bayern; 1753 schlössen Österreich 
und Bayern eine Münzkonvention. 

Die grofse Verschiedenheit im Münzwesen wurde einerseits die Ver- 
anlassung zur Entstehung von Specialschriflen 2 ), bestimmt für einzelne 
Länder, um den einheimischen Bedürfnissen zu genügen; andrerseits machte 
sie Resolvierungstabellen (siehe § 74) nölig, um dem Kaufmann als Rat- 
geber für den Handel mit dem Auslande zu dienen. 

§ 74. Tabellen, a) Die Resolvierungstabellen dienen zur Um- 
rechnung und Vergleichung von Münzen, Mafs und Gewicht verschiedener 
Provinzen und Länder. Wie notwendig solche Hilfsmittel damals waren, 
kann man aus der Zusammenstellung der vielen Münzen schliefsen, welche 
nach Siegmanns Resolvir- und Wechselbüchlein (1669) in der Mark Meilsen 
und Lausitz, diesem kleinen Gebiete, kursierten; es waren nicht weniger 
als 11: Schock (= 60 Groschen), Thaler, Gulden, Görlitzer Mark, gute 
Groschen, kleine Groschen, Weilsgroschen, gute Pfennig, kleine Pfennig, 
Weifspfennig, Kreuzer. 

b) Kolossale Einmaleinstafcln. Das W r erk des Herwart von 
Hohenburg: „Tabulae Arithmelicae ÜPOZ&A^AJPEZESIE universales 
. . . MDCX" enthält auf 999 Seiten sämtliche Produkte, welche sich aus 
je 2 der ersten 999 Zahlen bilden lassen. Jede Seite hat 11 Spalten, 
welche mit Ausnahme der ersten mit den Zahlen 0, 100, 200 . . . 900 
überschrieben sind. Jede erste Spalte enthält die ersten 100 Zahlen. 
Jede zweite Spalte beginnt der Reihe nach mit den Zahlen 2, 3, 4 ... 999 
und enthält das 1-, 2-, 3-, ... lOOfache der ersten Zahl der Spalte. 
Nimmt man nun die Summe von einem Hunderter, mit dem die Spalte 
überschrieben ist, und einer der ersten 100 Zahlen der ersten Spalte, so 
ist die Zahl, welche der betreffenden Vertikal - und Horizontalreihe zugleich 

1621, Wien 1703, Paris 1716, London 1694. — Noback - Steyer, Allgem. Encykl. 
für Kaufl. 1864, S. 171—298. 

1) Zu Amsterdam 1 U Viaems, zu London 1 £ Sterling, zu Venedig 1 Duc. 
di Banco. 

2) Rechenbüchlein für Preufsische oder Württembergiscbe oder Pfalzgrafiache 
Währung und dergl. (Vollst. Titel in Murhard Lit. d. math. Wiss. I.) 



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§ 74. Tabellen. 



127 



angehört, das Produkt, dessen erster Faktor die genannte Summe ist und 
dessen zweiter Faktor die erste Zahl der zweiten Spalte ist. Die elfte 
Seite sieht so aus: 



0 



100 200 



300 



400 



500 



600 



700 



800 



000 



1 

2 
3 
4 



12 
24 
36 
48 



o 
6 
7 
8 



60 
72 
84 
96 



9 
10 
11 
12 



108 
120 
132 
144 



1212 
1224 
1236 
1248 

1260 
1272 
1284 
1296 

1308 
1320 
1332 
1344 



2412 
2424 
2436 
2448 

2460 
2472 
2484 
2496 

2508 
2520 
2532 
2544 



3612 
3624 
3636 
3648 

3660 
3672 
3684 
3696 

3708 
3720 
3732 
3744 



4812 
4824 
4836 
4848 

4860 
4872 
4884 
4896 

4908 
4920 
4932 
4944 



6012 
6024 
6036 
6048 

6060 
6072 
6084 
6096 



7212 
7224 
7236 
7248 



8412 
8424 
8436 
8448 



9612 
9624 
9636 
9648 



10812 
10824 
10836 
10848 



7260 
7272 
7284 
7296 



8460 
8472 
8484 
8496 



6108 
6120 
6132 
6144 



7308 
7320 
7332 
7344 



8508 
8520 
8532 
8544 



9660 
9672 
9684 
9696 

9708 
9720 
9732 
9744 



10860 
10872 
10884 
10896 
10908 
10920 
10932 
10944 



Cft 



100 



1188 
1200 



2388 
2400 



3588 
3600 



4788 
4800 



5988 



7188 
7200 



8388 
8400 



9588 
9600 



10788 
10800 



11988 
12000 



Wie man mit Hilfe dieser Tafeln Produkte vielstelliger Faktoren be- 
rechnet, zeigt folgendes Beispiel. Die Aufgabe 461235 987 mal 789 654 
wird zerlegt in: 

( (461 000 000 -f 235 000 -f 987) 654 J 
l (461 000000 -f- 235000 + 987) 789 000 1 

Gesucht werden auf Seite 653 die Produkte für den Faktor 654 und auf 
Seite 788 diejenigen für den Faktor 789. Man stellt die Produkte gehurig 
unter einander und addiert wie folgt: 



654 • 987 = 
654 • 235 = 
654 • 461 — 
789 • 987 = 
789 . 235 = 
789 . 461 = 



.... 645498 
. . 153 690 
301 494 
. . 778 743 
185415 

363 729 

364 216 842 078 498 



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128 



§ 74. Tabellen. 



Ein Divisionsexempel sieht so aus: 

235 987 in 186 348 078 498 — 789 654 

( 185 415 \= 789.235 auf Seite 234.; 

\ 778 743 } = 789 . 987 auf Seile 788. 

186 193743^ 

Rest 154335 498 

153 690 ... \ = 654.235 auf Seite 234. 
645 498 )_== 654 . 987 auf Seite 653. 

154 335 498 

Das Hohenburgsche Werk, ein unhandlicher Band von 10,5 cm Dicke 
und einer ßlallgröfse von 52 und 27 cm, ist in diesem Jahrhundert in 
handlicher Form wieder auferstanden und zwar als: A. L. Grelle, „Rechen- 
tafeln, welche alles Multiplicieren und Dividieren mit Zahlen unter Tau- 
send ganz ersparen, bei gröfseren Zahlen aber die Rechnung erleichtern 
und sichrer machen"; 1820 und 1857. Crelles Tafeln enthalten ebenfalls 
die Produkte aller zwei Zahlen von 1 bis 1000; auch ist die Anordnung 
der Produkte darin ganz dieselbe wie in den Hohenburgschen; nur ist 
die Einrichtung in jenen kompendiöser, sodafs sich der Umfang des Werkes 
auf 450 Seilen reduciert hat. Jede Seile hat zwei Spalten, jede Spalte 
enthält 1000 Produkte. Auf jeder Spalte sieht oben links eine fettgedruckte 
Zahl, welche den einen Faktor für sämtliche Produkte der Spalte bildet 
und somit für das Aufschlagen mafsgebend ist. Die fettged ruckten Zahlen 
der Spalten wechseln von 2 bis 999. Die Zahlen mit Nullen am Ende 
sind aus begreiflichen Gründen ausgelassen. Von dem anderen Faktor 
stehen die Hunderter mit der fettgedruckten Zahl auf gleicher Horizontal- 
linie, die Zehner und Einer aber in derselben Verlikalreihe. Neben der 
ersten Vertikalreihe, welche alle Zahlen vou 1 bis 100 (excl. derjenigen 
mit Nullen am Ende) fortlaufend enthält, stehen die Produkte derselben 
mit der fettgedruckten Kopfzahl; in der nächstfolgenden Verlikalreihe findet 
man die Produkte jener um 100 vergrößerten Zahlen mit der fettgedruck- 
ten Kopfzahl [die zweiten Faktoren sind also der Reihe nach 101, 102 
. . . 199], weshalb diese Kolumme mit 100 überschrieben ist etc. Die 
vorletzte Kolumne ist mit 900 überschrieben, wo die Produkte der um 
900 vermehrten Zahlen der ersten Kolumne anzutreffen sind. Die beiden 
letzten ZilTern der Produkte in den mit 100, 200 . . . 900 überschriebe- 
nen Kolumnen sind fortgelassen und in die letzte Kolumne gestellt. Dies 
ist angängig, weil die zwei ZilTern beziehungsweise gleich sind [in den 
Produkten 176 X 143, 176 X 243, 176 X 343 stimmen die letzten 
zwei Ziffern überein]. Die Spalte, welche wir S. 127 aus dem Hohen- 
burgschen Werke mitteilten, sieht bei Crelle so aus: 



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§ 74. Tabellen. 



129 



1 et 

12 





1 Art I 

100 


200 


300 


400 


500 


bOO 


I7AA 

100 


800 


900 


. 


1 


12 


12 


24 1 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


ioT 


12 


2 


24 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


24 


3 


36 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


36 


4 


48 


12 


1± 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


48 


5 


60 1 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


60 


6 


72 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


72 


7 


84 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


84 


8 


96 


12 


24 


36 


48 


60 


72 


84 


96 


108 


96 


9 


108 


13 


25 


37 


49 


61 


73 


85 


97 


109 


08 


11 


132 


13 


25 


37 


49 


61 


73 


85 


97 


109 


20 


12 


144 


13 


25 


37 


49 


61 


73 


85 


97 


109 


32 


13 

• 


156 

• 


13 

• 


25 

* 


37 


49 


61 


73 


85 


97 

• 


109 

• 


44 

• 


98 


1176 


23 


35 


47 


59 


71 


83 


95 


107 


119 


76 


99 


1188 


, 23 


35 


i 47 


59 


71 


83 


95 


107 


119 


88 



187 363 267 
Wurzel 



Wie man mit diesem kolossalen Einmaleins mullipliciert und dividiert, 
haben wir schon gewiesen. Wir wollen noch eine Quadratwurzel mit Hilfe 
der Tafel berechnen. ]/35 104 993 961 032 008. Man teilt den Radi- 
kanden von rechts nach links in Klassen von je sechs Ziffern. Die Wurzel 
der ersten Klasse 35104 mufs nach gewöhnlicher Weise ermittelt werden; 
man findet 187. Von nun an operiert man mit Hilfe der Tafel. Sind 
Nullen nötig, so müssen je sechs auf einmal angehängt werden. 

^35 104 993 961 032 008 
Quadrat von 187 « . . . 34 969 
2mal 187 = 374 135 993 961 

374mal 363 = 135 762 

Quadrat von 363 .... . . 131 769 

zusammen . . . 135 893 769 

bleibt 100 192 032 008 

£mal 187 363 = 374 726 
267mal 374 726 = .... f 99 858 

l 193 842 
Quadrat von 267 = ... . 71 289 

zusammen 100 05 1 913 289 

Rest 140 118 719 

Unokb, Methodik. 9 



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130 



§ 74. Tabellen 



Auf ähnliche Weise verfahrt man beim Ausziehen der Kubikwurzel. 
Mit einem Worte: man rechnet vermittelst der Tafeln jedesmal ebenso mit 
je drei Ziffern zugleich, wie ohne Tafeln mit einer Ziffer. Vor Erfindung 
der Logarithmen war dieses Hilfsmittel in trigonometrischen Rechnungen 
nicht zu verachten. Der Nutzen besteht darin, dafs dadurch sämtliche 
Multiplikationen und Divisionen, die eigentlich ermüdenden Teile aller 
numerischen Rechnungen, erspart oder wesentlich abgekürzt werden. Sind 
beim Multiplicieren die Faktoren und beim Dividieren der Divisor und 
Quotient kleiner als Tausend, so erspart der Gebrauch der Tafeln die 
Rechnung ganz, weil solche Produkte darin berechnet sind. Größere Rech- 
nungen werden vermindert in dem Verhältnisse, wie man mehrere Ziffern 
zusammennehmen kann. Ein gröfserer Nutzen als die Ersparung der Mühe 
ist der, dafs die Rechnung an Sicherheit gewinnt Denn die Gelegenheit, 
im Rechnen zu irren, vermindert sich offenbar im gleichem Verhältnisse 
mit der Anzahl der Operationen. 

c) Die Logarithmen 1 ), das unschätzbare Hilfsmittel bei der Multi- 
plikation, Division, Wurzelausziehung und Potenzierung vierteiliger Zahlen, 
bilden die kostbarste Bereicherung der praktischen Arithmetik im 17. Jahr- 
hundert. Das Bestreben, die Irigonomclrischen Tafeln auf einen immer 
höheren Grad der Genauigkeit zu bringen und die dabei vorfallenden 
Rechnungen zu erleichtern, hatte schon zur Erfindung der Decimalbrüche 
geführt. Mit der zunehmenden Genauigkeit jener Tafeln wuchs gleichzeitig 
die Mühsamkeit in den astronomischen Rechnungen. Freudig begrüfetc 
man daher Nepers (1550 — 1618?) Arbeit: „MiriGci Logarilhmorum Cano- 
nis descriptio, ejusque usus, in utraque trigonometria; ut eliam in omni 
logistica Mathematica, amplissimi, facillimi et expeditissimi explicatio. Au- 
thore ac luvenlore Joanne Nepero 1614", in welcher er die Rechnungen 
mit trigonometrischen Funktionen durch die Rechnung mit deren Loga- 
rithmen ersetzte. Er bemerkte, dafs, wenn die Sinus (von 90° anfangend) 
in geometrischer Progression abnehmen, dann die Strecken, die auf dem 
horizontalen Durchmesser bis zu den Sinus hin abgeschnitten werden, in 
arithmetischer Progression stehen, und dafs man mit diesen statt mit den 
Funktionen rechnen könne. Neper nannte jene Zahlen Logarithmen. Wenn 
hie und da erwähnt wird, die Neperschen Logarithmen seien identisch 
mit den natürlichen, deren Basis e = 2,71828 . . . ist, so ist das ein 
Irrtum. Neper hat an eine Basis überhaupt nicht gedacht, und überdies 
stimmt die Basis seines Systems nicht überein mit der Zahl e. Der Lon- 
doner Professor Brigg 2 ) (1562—1630) machte Nepers Erfindung mit den 

1) Vgl. Buck II, 44 und 258. — Gerhardt, Gesch. der Math. — Gunther, 
Vermischte Untersuchungen. — Allgera, deutsche Biogr. Artikel Burgi. 

2) Von 1619 ab Professor zn Oxford. 



L 



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§ 74. Tabellen. 



131 



höchsten Lobsprüchen bekannt und opferte seine ganze Kraft dem Ausbau 
und der Verbesserung des Neperscben Systems. Er bemerkte bald die 
praktische Unzulänglichkeit desselben und fand, dafs die Einrichtung der 
Logarithmen viel bequemer ausfalle , wenn man dieselben mit dem Decimal- 
syslem in Verbindung bringe und mit dun Zahlen wüchsen lasse, also 
log 1 = 0 und log 10 = 1 setze. Dieser Vorschlag fand Nepers Beifall 
und nun berechnete Brigg das erste Tausend der Logarithmen. 1624 gab 
er ,,Arithinelica logarithmica" heraus, worin die Logarithmen für die Zah- 
len von 1—20 000 und von 90 000 bis 100000 enthalten sind. Der 
gelehrte Buchhändler Vlacq aus Gouda in Holland ergänzte die von Brigg 
gelassene Lücke, indem er die Logarithmen für die Zahlen von 20000 
bis 90 000 berechnete. 1(528 gab er das ergänzte Werk Briggs unter Bei- 
behaltung des Titels „Arithmelia logarithmica" heraus. Somit waren durch 
Brigg und Vlacq die Grundlagen für die neueren Tafeln geschaffen. 

Unabhängig von Neper und auch schou vor 1 ) ihm entdeckte Jost 
Bürgi die Logarithmen, ohne sie zu publicieren. Erst als Nepers Er- 
üudung in Deutschland Eingang fand, trat Bürgi mit seinen „Progress- 
Tabulen ... Prag 1620" hervor, berechnet schon 16 iO. 2 ) Er geht darin 
von dem Zusammenhange der Glieder einer von 1 anfangenden geometri- 
schen Progression mit den in arithmetischer Progression fortschreitenden 
Exponenten aus und sagt: „Betrachten l 3 ) die cigenschaül und Correspon- 
denz der zwei progressen alfs der Arithmetischen mit der Geometrischen, 
das was in der ist Mullipliciren ist in jener nur Addiren, und was in der 
ist Dividiren ist in jener nur sublrahiren, und was in der ist radicem 
quadratam extrahiren ist in jener nur halbircn ... so habe ich nichts 
nützlicheres erachtet, alfs diese tabulen so zu conlinuiren, dafs alle Zahlen 
so vorfallen in derselben mögen gefunden werden etc." 

Schon vor Bürgi und Neper war es bekannt, dafs jeder geometri- 
schen Progression eine arithmetische entspricht 4 ), und dafs die Multipli- 
kationen, Divisionen, Potenzerhebungen und Wurzelausziehungen an Zahlen 
in der erstem nur Additionen, Subtraktionen, Multiplikationen und Divi- 
sionen an Zahlen in der letztem sind. 

Die praktische Arithmetik verdankt dem gewandten Rechner Jost Bürgi 
aufser den Logarithmen auch noch die Vorteile der abgekürzten Multipli- 
kation, woraur Kepler aufmerksam machte. 5 ) 

1) Gerhardt, Gesch. der Math. S. 119. 

2) Allgem. deutsche Biogr. III, 604—60(5. 

3) Gerhardt, Gesch. der Math. S. 117. 

4) Stifel, Arithm. integra 1644 Bl. 31 und 37. — Grammateus, Ree he n- 
büchlein 1518 Bl. 45. 

6) Günther, Vermischte Untersuchungen S. 133. 

y* 



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1 32 



§ 75. Zinaeszins- und Rabattrechnung. 



§ 75. Zinseszins- und Rabattrechnung. Zinseszinsen konnte da- 
mals ein Gläubiger von einem Schuldner nicht erstreiten. Wenn aber auch 
der Richter in der dem Schuldner auferlegten Verzinsung unbezahlter 
Zinsen eine Härte für diesen erblickte, so konnte doch der Gläubiger nicht 
gehindert werden, bezahlte Zinsen an einen zweiten Schuldner als Kapital 
auszuleihen, und somit war für ihn der Effekt des ursprünglichen Kapitals, 
nämlich Abwerfung von Zinseszinsen, derselbe. Mit der Errichtung von 
Banken und Einführung von Renten kam die Zinseszinsberechnung von 
selbst in Gang, weil hier ein zahlungsunfähiger Debitor nicht vorausgesetzt 
wird. — Fehlerhaft ist diese Rechnung nie ausgeführt worden, nur war sie 
vor Erfindung der Zinseszinstafeln und Logarithmen mühsam. Vgl. § 52. 

Anders verhielt es sich mit der Rabattrechnung, bei welcher grobe 
Fehler unterliefen, vorzüglich dann, wenn der Barwert einer in mehreren 
Terminen zahlbaren Summe zu ermitteln war. Zwei Fehler beging man 
dabei, man rechnete einfachen Rabatt statt doppelten uud diesen in statt 
auf 100. Carpzov sagt beispielsweise: „100 Thlr. geben nach 2 Jahren 
10 Thlr. Zinsen, soll man nun die 100 Thlr. gleich bezahlen, so ziehe 
man die 10 Thlr. ab." War also eine Summe s nach n Jahren lallig, so 

stellte bei dem üblichen Zinsfufse 5% = p die Differenz s — ^ den 

Barwert dar, eine Berechnuugsart, nach welcher der Kreditor starken 

100 

Schaden leidet. Denn wird n = — , so wird das Kapital durch den 

P 

100 

Rabatt aufgezehrt und der Gläubiger erhält nichts; wird n > so wird 

die obige Differenz negativ und der Gläubiger müfste dem Schuldner noch 
hinauszahlen. Obgleich mau aber die Carpzovsche l ) Methode ihrer Un- 
gereimtheit wegen nicht erst anführen sollte, so war sie doch in Kur- 
sachsen die vor Gericht gebrauchte. 

Leibniz reformierte die herkömmliche falsche Rabattrechnung, indem 
er die Notwendigkeit zeigte, den Rabatt auf statt in 100 zu berechnen. 
Die Schlufsweise der Leilmizschen „Anticipationsrechnung" 8 ) ist folgende. 

100 

Setzt man — = m, so sind die einjährigen Zinsen des Kapitals C gleich 

- . Empfangt nun der Gläubiger die Zahlung 1 Jahr zu früh, so mufs 

m C 
er dem Schuldner die Zinsen auf 1 Jahr vergüten, deshalb ist C — - zu 

zahlen. Da aber dem Gläubiger die Zinsen gleich jetzt abgerechnet wer- 
den, während sie doch erst nach 1 Jahre fällig sind, so mufs der Schuld- 

1) Carpzov ist der Name einer auf dem Gebiete der jurist. und tbeolog. 
Wissenschaft ausgezeichneten Familie; Meyer, Konversationslexikon 3. Aufl. 

2) Acta erud. Lips. 1683 Octob. S. 425. 



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§ 76. Wechselrecbnung. 133 

ner dem Gläubiger wieder die Zinsen der Zinsen auf 1 Jahr vergüten, 

C C 

also ist C — — I = zu zahlen. So gehen die Schlüsse fort in inf. 

Mithin ist der Barwert einer nach 1 Jahre fälligen Summe gleich 

c(l - J- -f JL , _ JL + JL _ + . . .) das ist c- * oder C : 100 

\ m 1 in- m 8 1 m* 1 /' m 4- 1 



-f l " 100-f p 

Der Barwert wird demnach gefunden, wenn man bei 5% vom Kapital 
^j- desselben abzieht und nicht wie herkömmlich ■ 2 1 5 . 

Die Einführung der Lcibnizschen Methode vollzog sich keineswegs 
rasch; manche verstanden sie falsch, indem sie lehrten 1 ), wenn für 1 Jahr 
vom Kapitale abzuziehen sei, so müsse man für 2 Jahre -fc etc. ab- 
ziehen. Erst im nächsten Jahrhundert kam der Leibnizsche Kalkül nach 
langem heftigen Streite 8 ) zwischen Mathematikern und Juristen zur An- 
erkennung und Aufnahme. 

Ein Mittelweg zwischen der ungereimten Carpzovschen und der kor- 
rekten Methode, welche doppelten Rabatt und diesen auf 100 rechnet, 
bildete die Hoffmannsche Methode, nach welcher einfacher Rabatt auf 100 
gerechnet wurde. Diese Methode konnte bei den vorhandenen Landes- 
gesetzen bestehen, während die Leibnizsche denselben zuwiderlief. 

Die Hoflmannsche Rabatt-Tabelle 3 ) ist 
sehr bequem eingerichtet; sie hat drei 
Kolumnen; in der ersten stehen die Jahre, 
in der zweiten die „Brüche", welche den 
Betrag des Rabatts als Bruchteil des Ka- 
pitals ausdrücken, in der dritten die Rabatt- 
beträge von 1000 Thlr. 

Zur Gewinnung der Brüche dient eine 

leichte Regel. 1Q0 ^|_ p giebt den ersten 

Bruch, aus welchem die folgenden dadurch 
entstehen, dafs man den zunächst vorher- ^ ' s 600 

gehenden im Zähler und Nenner um 1 vermehrt, sobald -.„J*. die Form 

1 100 -+- p 

eines Stammbruchs hat, wie dies bei p = 5, p = 4 der Fall ist. Die 
Kegel gilt auch für halbjährliche Termine. 

§ 76. Wechselrechnung. Schon § 53 haben wir erwähnt, dafs 
durch die Korrespondenz der Amsterdamer Kaufleute der Gebrauch der 
Wechselbriefe in Europa allgemein wurde. Aus diesem Umstände erklärt 



5°o 


Brüche 


1000 Thir. 
geben Rabatt 


w 


A 


24« 


1 - 


A 


47« 


H - 


A 




2 - 


A 


901»- 


• 
• 


• 

• 


• 
• 



1) Polack, Mathesis Forensis 1. Aufl. 1730 § 44. 

2) Orientiert wird man über denselben in Polack, Mathesis Forensis 2. Aufl. 1740. 

3) Zu finden in Polack, Mathesis Forensis 1740, desgl. in Creuzberger, 
Vollst. Rechenbuch 1764. 



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I 



134 § 76. Wechselrechnung. 

es sich, dafs die Holländer anfangs in Ausbeulung der Wechselgeschäfte 
den anderen Nationen überlegen waren. Aus den Kursschwankungen zogen 
sie dadurch Gewinn, dafs sie auf ausländische Plätze an offen gehaltene 
Ordre remittierten, die Gelder aber zur Vermeidung von Provision und 
Mäklergebühr nicht auszahlen liefsen, sondern wieder trassierten oder 
Rimessen verlangten, wenn ihnen der Kurs günstig stand. „Diese Wechsel- 
gewohnheit aber von Amsterdam ist auf keinem Ort so praklikabel als auf 
Frankfurt, dahin jährlich viel Geld disponirt wird, und gleichwohl die Frank- 
furter wenig davon geniefsen, also dafs es mehr zum Scheine dient als zur 
That." 1 ) — Zur gewinnbringenden Betreibung solcher Geschäfte sind die 
Arbitragerechnungen die notwendige Voraussetzung, welche bei den Hol 
(ändern auch erfüllt war, indem sie die Wechselrechnung auf eine höhere 
Slufe als anderwärts gebracht halten. Zu einer Zeit, in der man in Deutsch- 
land kaum die ersten Spuren der Wechselrechnung antrifft, besafsen sie 
schon Specialschriften 2 ) darüber. 

In Frankreich nahm der Wechselhandel seinen Ausgang in Lyon. Karl IX. 
bestimmte 1563 zur Errichtung einer Wechselbank die Hinterlegung einer 
Kaulion von 50000 Thlr., führte die Wechselhaft ein und ernannte ein 
Schiedsgericht zur unentgeltlichen Rechtsprechung inWechselslreitigkeiten. 3 ) 
1667 wurde in Lyon die Verpflichtung zur Acceptation verfügt. 

Wechselrcchtliche Satzungen pflanzten sich ursprünglich durch Über- 
lieferung fort, darnach wurden sie den Bank Ordnungen 4 ) einverleibt, end- 
lich erliefs man specielle Wechselordnungen. 5 ) 

Zubrodts Wechselunterricht ist nach den europäischen Hauptwechsel- 
plätzeu geordnet, 26 an der Zahl, darunter Amsterdam, Paris, Lyon, 
Venedig, Frankfurt, Hamburg, Nürnberg etc. Die Behandlung befolgt für 
jeden Wechselplatz dasselbe Schema. Voran steht der Kurszettel, auf dessen 
Grundlage die verschiedenen Wechselrechnungen der Schwierigkeit nach 
geordnet in drei Abteilungen vorgeführt werden. Die erste Abteilung be- 
handelt nur einfaches Trassieren und Remittieren, die zweite enthält die 

1) Zubrodt, Unterricht der Wechselhandlung 1669 S. 10. 

2) Znbrodts Unterricht der Wechselhandlung ist die Übersetzung eines hol- 
ländischen Werkes; vielleicht des folgenden: v. Velde, T'Onderrecht des Wissels 
ende Wisselhandeling ouer gantsch Christenryck . . . Amsterdam 1647. — J. 
Phooneen, Wissel Styl tot Amsterdam vervattende, niet alleen wat men gewoon, 
maar ook wat een voorsichtigk koopmann tot syn securiteyt, in de Wisselhandel 
dienstig eu noodigk is 1676. 

3) Savary, Der vollkommene Kauf- n. Handelsmann, Genf 1676 S. 225, 361,259. 

4) Marperger, Montes pietatis 1716; — Marperger, Beschreibung der 
Banquen 1716. 

5) Zu Amsterdam 1601, Hamburg 1608, Österreich 1663, Frankfurt a. Main 
1676, Leipzig 1682, Braunschweig 168G etc. Noback-Steyer, Encyklopädie S. 1262. 



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§ 76. Wechselrechnung. 



135 



Rechnungen für solche Geschäfte, in denen die Verbindung jener beiden 
Operationen vom eignen Platze aus vorkommt; die dritte umfafst die 
Wechselkommissionsrechnungen (Kommissionär am fremden Platze). Die 
Methode ist ganz dem Geiste der Zeit entsprechend, nämlich eine Be- 
schreibung des Verfahrens ohne Begründung, nur mit Angabe äufserlicher 
Anhaltepunkte für den einzuschlagenden Weg. Zur Charakterisierung füh- 
ren wir einige Beispiele auf, zunächst eins für einfaches Remittieren: 
„Amsterdam wechselt auf London, Und gibt 35 s 6 \ Viaems mehr oder 
weniger, um zu London zu haben 1 U Sterling. Um nun zu wissen, wie- 
viel Sterling man haben solle vor 500 U Viaems im vorgemeldtem Preis 
35^ Viaems auf uso von einem Monat, so multiplicir die 500 U Viaems 
zu \, wie auch den Preis der 35 s und 6 A und dividire hiermit jenes, 
was dann kombl, das sind Pfd Sterling, den übrig bleibenden Rest mul- 
tiplicir mit 20 Schill. Sterlings, das Produkt aber teile ab durch den 
vorigen Teiler des Wechsels, was kombt, das seynd Schill. Sterlings, wann 
dann noch was restiret, so multiplicir es mit 12 und teile wie zuvor, so 
kommen A. Also dafs Amsterdam vor 500 U Viaems ä 35 s 6 A zu 
London credit haben soll 281 U 13 s ^ Sterlings." 

Die Grundsätze der Arbitrage sind folgendermafsen ausgesprochen: 
„Wenn man im remittiren einen ungewissen (= veränderliche Valuta) vor 
einen gewissen Preifs (= feste Valuta) gibt, dann bestehet vor den Re- 
mittenten der avance im wenig geben. Wenn man aber Geld will einziehen, 
dann ist der ungewisse höhere Preifs besser. Der Zieher und Remittirer 
haben ungleiche Wünsch und Gedanken, der erste sucht einen hohen Preifs 
zu ziehen, welches sein Vorteil ist, wenn das Ort, da er ulT ziehet, ge- 
wissen Preifs giebt; der ander aber sucht wenig zu geben, wann das Ort, 
da er sein Geld hin remittirt, gewissen Preifs giebt. Dieses ist eine ge- 
wisse Regel, dafs man allzeit im ziehen mufs trachten viel zu bedingen, 
hingegen im remittiren, so man anders mit Nutz wechseln will, das con- 
trarius zu observiren. Und ist ganz das Widerspiel, wann man einen 
gewissen gegen einen Ungewissen Preifs wechselt, wo der Zieher viel ge- 
wisse Preifs vor wenig ungewisse, und der Remittirer wenig gewisse gegen 
viel ungewisse zu gehen sucht." (Zubrodt S. 55.) 

In Befolgung dieser Grundsätze hat der Kommissionär die Vergleichung 
der Kurse entweder nach der direkten oder nach der indirekten Regel- 
detri vorzunehmen. Zur Entscheidung, welche von beiden im jeweiligen 
Falle anzuwenden ist, sind zwar praktische aber doch sehr äufserliche 
Kennzeichen gegeben. „Wenn das Ort, in welchem man sein Commission 
soll eflfectuiren an die beide Ort, darauf sie trassiren und remittiren 
mufs, das unsichere giebt, dann mufs der Calcul durch die rechte Regel- 
detri gemacht werden, also dafs man vor die erste und zweyte nombre 



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130 



§ 77. Rückblick auf das 17. Jahrhundert. 



nimmt die geordonnirte Preiseu und vor die letzte nombre den Preis, so 
man coursable findet/' Der Ansatz wird auch dann nach der direkten 
Regeldetri formiert, wenn der Ort des Kommissionärs für beide Orte die 
feste Valuta hält 

Beispiel: „Venelia ordonnirt Amsterdam ihr zu remittiren ä 101^ A 
und auff Nürnberg zu ziehen a 68£ \. Amsterdam findet den Cours auf 
Venedig ä 102 \. Um nun den Schaden von der remesse in Tratos zu 
ersetzen, zu was Preifs soll man auf Nürnberg trassiren. Dieses zu er- 
fahren, setze durch die Regeldetri: Wenn 101^ auf Venedig geben 68^ A 
auf Nürnberg, was geben 102 A auf Venedig, facit 68f \." — „Wenn 
aber ein Ort, wo die Commission geschehen soll, gibt au die Ort, da sie 
soll trassiren und remittiren, nämlich an den einen das sichere und an 
den andern das veränderliche, so mufs man den Calcul durch die Regel- 
detri inversa machen. Z. B. Danlzig ordonuirt Amsterdam ihr zu remit- 
tiren a 201 Groschen und auf Venedig zu ziehen ä 102£ \. Amsterdam 
findet Brief auf Dantzig ä 199 Groschen. Es fragt sich, dieweil man 
Schacfen in der Rimesse vermerket, zu wafs Preifs sie dann auf Venedig 
solle ziehen? [Amsterdam hat fest 1 U Viaems = 201 Gr. veränderlich 
für Da ii zig; 102 A verändert in Amst. = 1 Duc. fest in Venedig], also 
199 Gr . . . 102^ \ ... 201 Gr, fac. 103-& \ ca." 

§ 77. Rückblick auf das 17. Jahrhundert. Der 30jährige Krieg 
hatte das Land verwüstet, die Bewohner verarmt und das Schulwesen 
geschädigt. Die Staatsregierungen konnten wegen des Abgangs äufserer 
Mittel dem niederen Schulwesen gar nicht, dem höheren nur wenig auf- 
helfen. Nur die Städte stellten aus eigner Kraft durch Gymnalsialord- 
nungen die lateinischen Schulen wieder in einen leidlichen Zustand. Neben 
den lateinischen Schulen existierten noch deutsche, Winkel- und Rechen- 
schulen, letztere waren die besten. Lehrerbildungsanstalten traten noch 
nicht ins Leben. Die Lehrer waren im allgemeinen ungeschickt, viele roh 
und von anrüchiger Vergangenheit, alle schlecht besoldet. 

Die praktische Arithmetik erhielt durch die epochemachende Erfindung 
der Logarithmen ein wichtiges Hilfsmittel zur Abkürzung der Rechnungen; 
erwähnenswert sind auch die Methode der abgekürzten Multiplikation, die 
Vervollkommnung der Wechselrechnung und die Reformierung der Rabalt- 
rechnung durch Leibniz. 

Die Methode blieb nach wie vor Mechanismus, d. h. Operieren nach 
Regeln ohne Begründung. Das Bestreben, die Erlernung der Rechenkunst 
leicht zu machen, führte zur Erfindung von Rechenmaschinen. Die Be- 
mühungen, dem trockenen StofTe auch eine ergötzliche Seite abzugewinnen, 
rief die mathematischen Unterhaltungsschriften hervor. 



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» 



Die zweite Periode: von 1700—1800. 

Betonung der beweisführenden Lehrart. 

Das 18. Jahrhundert läfst sich nicht mit einem Schlagworte charak- 
terisieren, das alle Erscheinungen umfaßte. Unsere Überschrift bezeichnet 
nur die hauptsächlichste Strömung. Nicht selten berühren sich die Extreme, 
so auch hier. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts stellte man die in 
dem mathematischen Unterrichte liegende Verstandcsübuug höher als die 
Gewandtheit in der Kunst selbst; doch liefsen die späteren Methodiker die 
Rechenfertigkeit wieder in das ihr gebührende Recht treten. — Bevor wir 
aber auf die Details unsres Gegenstandes eingehen, müssen wir die Ent» 
Wickelung des Schulwesens in den Hanptzügeu markieren. 

§ 78. Schulwesen. In der Gesetzgebung suchten die Regierungen 
jetzt nachzuholen, was sie im 17. Jahrhundert versäumt; fast kein Jahr 
verging, ohne dafs eine Schulordnung 1 ) publiciert worden wäre, und 
gegen das Ende des 18. Jahrhunderts war fast kein deutsches Ländchen 
mehr ohne eine solche. Dieselben enthalten mehr oder weniger voll- 
ständig alle die fundamentalen Bestimmungen, deren Gesamtheit gegen- 
wärtig zu einem wohlgeordneten Schulorganismus gehören. 

Die Führerschaft unter den Pädagogen hatten in diesem Jahrhundert 
nach einander die Pietisten und Philanthropen. Jene fanden, beseelt 
von dem Geiste helfender und rettender Liebe, in der Ausübung des Er- 
ziehungswerkes ihr eigentlichstes Arbeitsfeld. Die grofsartigen, unvergäng- 
lichen Schöpfungen des Pietismus, die Franckeschen 2 ) Stiftungen in Halle, 
die sich aus kleinen Anlangen zu Instituten entwickelten, welche die 
kühnsten Erwartungen der Gründer weit übertrafen, beweisen den späteren 
Geschlechtern noch heule, dafs christliche Liebe alles vermag. Als aber 
den Pietisten der fromme Sinn schwand und sie nur noch frömmelnde 
Gebärden zeigten, verloren sie in der öffentlichen Meinung, und die Phi- 

1) Vormbaum, III. Bd. 

2) Raumer, Gesch. d. Päd. II, 112 ff. 



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t 



138 § 78. Schulwesen. 

lanthropen ') wurden nun mit ihren „Schulen der Aurklärung" die Führer 
unter den Pädagogen. Leider rückten sie mit ihrem Weltbeglückungs- 
liheralismus die Schule weg von ihrer einzig wahren Grundlage, dem 
Chrislentume. Wellbürger zu erziehen, nicht durch sprachliche und kirch- 
liche Belehrung, sondern durch frühzeitige Aufklärung und Mitteilung von 
Realien waren Ziel und Weg ihres Erziehungssystems. Mögen sie aber 
auch in dieser Hinsicht viel gesündigt und manche methodische Thorheit 
begangen haben, so ist doch ihr Streben und Wirken von dem segens- 
reichsten Einflufs 2 ) auf die Entwickelung der Methode geworden. Alle 
ihre Zeitgenossen schwärmten mit ihnen für Methode. 

Der Reformator des Dorf Schulwesens wurde der edle Freiherr 
von Rochow zu Rekan bei Brandenburg. Er liefs in Rekan durch Bruns 
eine Schule errichten, die in solch ausgezeichneten Ruf kam, dafs man 
nach Rekan pilgerte wie später nach liierten. Binnen 10 Jahren waren 
1000 Personen in Bruns' Schule gewesen. Der preufsische König liefs 
1773 nach jener Mustcrschule die preufsischen Landschulen organisieren. 

Den Rechenschulcn erstand in der durch den Pietismus neugeschaffenen 
Realschule 3 ) eine überlegene Konkurrcnzanstalt. Die Realschule (erste 
von Semler in Halle 1739, nächste von Hecker in Berlin 1747) war die 
höhere Bürgerschule für Knaben und legte ursprünglich das Hauptgewicht 
auf Realien und Mathematik, sie entzog durch ihre besseren Leistungen 
den mittelalterlichen Instituten (Rechenschulen) die Lebensfähigkeit. In 
raschem Fluge nahm die Realschule ihre Entwickelung aufwärts und trat in 
diesem Jahrhundert als Realschule I. Ordn. dem Gymnasium ebenbürtig zur 
Seite. Durch die in neuester Zeit geschehene Umwandlung der Realschule 
I. Ordn. in das Realgymnasium ist der eigenartige Eutwickelungsgang dieser 
Schulgattung durch starke Annäherung an das Gymnasium geändert worden. 

Die Pädagogik trat nun auch als gesonderte Wissenschaft auf die 
Tagesordnung. 1733 veröffentlichte Rambach den „wohlunterwiesenen 
Katechet" und hielt in Jena und Giefscn die ersten Vorlesungen über 
Pädagogik. 1774 wurden in Fulda vom Landesherrn pädagogische Vor- 
lesungen angeordnet. 4 ) In der Heckerschen Realschule sprach man von 
einer Technik des Unterrichlens. Den Philanthropen blieb es vorbehalten, 
alle für Methode zu begeistern. Sie brachten die Wahrheit zur Anerken- 

1) Raumer, Gesch. d. Päd. II, 212 ff. — Niemcyer, Grundsätze d. E. u. d.U. 
1819 III, 864 — 377. 

2) „Das Dessauer Philanthropin in seiner Bedeutung für die Kefornibe- 
strebuugeu der Gegenwart", abgedruckt in: „Verhandlungen der XXX VII. Ver- 
sammlung der Philologen und Schulmänner zu Dessau." 

3) Raumer II, 212 ff. — Schmidt, Encyklopädie VI, 673 ff. 

4) Ileppe II, 15. 



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§ 79. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. 



139 



nung, dafs das Unierrichten nicht nur darin bestehe, dem Schüler suc- 
cessivc eine Summe von Wahrheiten vorzusagen und einzuprägen, sondern 
dafs es eine Kunst sei und methodisch eingerichtet werden müsse. 

Man ging nun auch mit der Errichtung von Seminaren zur Aus- 
bildung tauglicher Lehrkräfte vor. Schon Francke erkannte die Notwendig- 
keit solcher Anstalten und schuf in Halle das Pädagogium. 1732 wurde 
in Stettin mit dem Waisenhause ein Seminar (das erste) und 1748 eins 
mit der Heckerschen Realschule in Berlin verbunden. In dem letzteren 
liefs Felbiger (1724 — 1788), der Reformator des katholischen Schulwesens, 
heimlich drei begabte katholische Jünglinge ausbilden und gründete dann 
1765 die katholischen Seminare zu Leubus, Grüssau, Räuden, Breslau. 1 ) 
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte noch die Gründung 
vieler Seminare, zu Hannover 1757, Breslau 1767, Meiningen 1778, 
Kassel 1779, Kiel 1781, Gotha 1780, Dresden -Fdchst. 1785, Wcirsenfels 
1796, Ilildburghausen und Freiberg 1797, Plauen 1800. 

Das stärkste Hindernis, welches der Entwickelung des Schulwesens 
entgegenstand, liefs man unbeseiligt, nämlich die quälende Sorge der Lehrer 
ums tägliche Brot. Aussprüche, wie: „Es 2 ) wird auf die Versorgung des 
Viehliirten mehr als auf die des Kindererziehers gesehen" oder „man 3 ) 
giebt den Schulbedienten Zeisigfutter und legt ihnen Eselsarbeit auf", 
charakterisieren die traurige äufsere Lage hinreichend. Durch Nebencin- 
künfte mufsten sich die Lehrer, vorzüglich auf dem Lande, diese ver- 
bessern. Nach einer Verordnung 1738 durfte in Brandenburg auf dem 
Lande nur der Schulmeister das Schneiderhandwerk betreiben. 4 ) Die 
Gothaer Lehrer waren angewiesen, sich durch Hopfen-, Obst- und Gemüse- 
bau, durch Seiden- und Bienenzucht, durch Handel mit Sämereien und Schreib- 
materialien, durch Bücherbinden, Papparbeiten, Notenschreiben u. s. w. 
Nebenverdienst zu verschaffen/ 1 ) — Es war aber nicht allein die äufsere 
Lage der Elementaiichrer eine höchst traurige, sondern auch die Besol- 
dung der mathematischen Professur war mangelhaft 6 ), so dafs diese nur 
aus Not angenommen und bei erster Gelegenheit mit einer einträglicheren 
vertauscht wurde; nicht selten wurde dann die mathematische als Neben- 
fakultät beibehalten. 

§ 79. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. Die latei- 
nischen Schulen verharrten auch fernerhin in der bisher geübten Ver- 

1) Heppe I, 97. 

2) Heppe I, 248. 

3) Heppe I, 264. 

4) Heppe HI, 9. 

5) Heppe II, 261. 

6) L. Ch. Sturm, Kurtzer Begriff der g. Mathesis V, Vorrede. 



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140 



§ 79. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. 



nachlässigling der praktischen Arithmetik. Die im Lehrplane für das Rechnen 
bemessene Zeit war eine Stunde wöchentlich, in manchen Klassen gar keine. 
Über die Regeldetri ging man nicht hinaus, der Erlernung praktischer 
Vorteile wurde keine Zeit gewidmet. Der Lehrplan für die Fürstenschule 
zu Pforta 1748 bestimmt: „I. bei den Untern die ganzen Zahlen und die 
Brüche nach dem langen Wege; II. bei den Mittlern die Praktik in Ganzen 
und Brüchen, die Regeldetri; III. bei den Obern die Decimalrechnung und 
Trigonometrie." 1 ) 1773 kam der Passus hinzu: „Die Rechenkunst sollen 
die Knaben so lernen, wie sie theils dieselbe künftig in den Geschäften 
des Lebens brauchen können, theils um zur Geometrie vorbereitet zu 
werden. Dahero sind sie in den öffentlichen Stunden mit Erlernung der 
schweren Rechnungen und künstlichen Vortheile, die nur im Handel nütz- 
lich seyn können, nicht aufzuhalten." 2 ) Kästner 3 ) führt noch an, manche 
hätten die praktische Rechenkunst unter der Würde lateinischer Schulen 
gehalten. 

Die Lehrpläne 1 ) für deutsche Schulen schrieben auch (gewöhnlich in 
drei Abteilungen) als StofT die Speci,es in ganzen und gebrochenen Zahlen 
und die Regeldetri vor. Der Unterricht war nicht Massen- sondern Einzel- 
unterricht. Ein deutliches Bild über den Verlauf der Rechenstunden ent- 
rollt uns der Lehrplan 5 ) für die deutsche Schule der Franckeschen Stiftungen 
zu Halle 1702, weshalb wir die betreffenden Bestimmungen aufnehmen. 
„§ V. Zu der Arithmetica sind alle Kinder, die fertig lesen können, an- 
zuführeu. § VI. Weil es nicht angehet, wie man solches aus der Erfahrung 
hat, dafs man in Arithmetica Classen mache, indem die ingenia varia, und 
einer im Rechnen hurtiger ist als der andre, und also einer mit dem 
andern aufgehalten wird, so hat man es bisher auf andre Art versuchen 
müssen. Nemlich es wird ein gedruckt Rechenbuch gebraucht, darinnen 
mancherlei Aufgaben durch alle Species, Rcgulamdetri, Practicam und 
andre Rechnungen zu finden, wozu man sonderlich gut befunden Tobiae 
Beutels Rechenbuch. Nach demselben soll der Rechenpräceptor die Arilh- 
meticam lehren. § VII. Bei diesem Rechenbuch braucht der Präceptor 
keine Aufgaben zu dictiren, sondern ein jedes Kind kann solche aus dem 
Buche abschreiben und in der Stille elaboriren. Da unterdessen der 
Präceptor herumgehet und nachsiehet, was ein jegliches machet, und 



1) Enthalten in Hübsch, Arithm. portensis 1748 S. 15. 

2) Vormbaum III, 631. 

3) Kästner, Gesch. d. Math. III, 429. 

4) Für Waldeck 1704 bei Vormbaum III, 148. — Für Sachsen- Eisenach 
1706 bei Vormbaum 111, 17,1. — Für Württemberg 1729 bei Vormbaum III, 
330. — Für die Oberlauaitz 1770 bei Vormbaum III, 681. 

5) Vormbaum III, 21. 



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§ 79. Arithmetische Anforderungen in den Lehrplänen. 



141 



wo eins nicht fortkommen kann oder gefehlt hat, es ihm zeiget und 
forthilft. 

§ VIII. Weil aber der Präceptor nicht allen Kindern auf einmal helfen 
kann, so mufs eins auf das andre warten. Damit aber diejenigen, die 
elwan sich nicht helfen können und der Präceptor doch nicht alsbald bei 
ihnen seyn kann, nicht dürften müssig sitzen, sollen sie unterdessen 
etwas von den elaborirten Exempeln in das Reine schreiben, bifs der 
Präceptor auch zu ihnen kömmt. Und weil manche nachlässig sind, und, 
da der Präceptor bei andern Kindern ist, nichts rechnen, so sollen die 
Kinder alle Rechenstiinden das Datum ins Buch schreiben, damit man, 
wann die Rechenbücher Sonnabends besehen werden, alsbald könne er- 
kennen, ob einer faul oder fleifsig gewesen. 

§ IX. Demnach an dem sogenannten Einmaleins viel gelegen, soll 
allzeit beym Anfang der Rechenstunde ein Kind das Einmaleins entweder 
auswendig deutlich hersagen, oder nur laut lesen, welches die andern 
Kinder heimlich nachsagen müssen. Denn da wird es geschehen, dafs sie 
es unvermerkt lernen, und also nicht nöthig seyn wird, solches absonder- 
lich in kurtzer Zeit lernen zu lassen, als wodurch die Kinder nur marce- 
rirt und vom Rechnen abgeschrecket werden. 

§ X. Wenn in Beutels Rechenbuch Exempla mit unbenannten Zahlen 
vorkommen, wie solches sonderlich geschieht in speciebus, so kann der 
Rechenpräceptor solche durch Zusetzung der Thlr, fl, U etc. benannt 
machen, damit die Kinder alsbald den Nutzen von dem Rechnen sehen. 
Es kann auch alle Stunden ein Knabe ein Exempel laut an der Tafel 
machen in derjenigen Rechnung, darinnen er begriffen ist, jedoch, dafs 
alle Tage nach der Ordnung ein andrer sey. 

§ XI. Es wird sehr gut seyn, wenn der Rechenpräceptor des Beutels 
Rechenbuch selbst durchrechnet, so wird er den Kindern desto hurtiger 
forthelfen können. 

§ XII. Was die Practicam anlanget, so kann der Präceptor insonder- 
heit Struntzens Rechenbuch (= Neuaufgerichtete Rechenschule Leipzig 
1717) vor sich gebrauchen, weil darinnen solche Rechnung ex professo 
tractirt worden, damit er solche desto deutlicher die Kinder lehren kann. 

§ XIII. Hat etwan ein Knabe des Beutels Buch durchgerechnet, so 
kann man ihm in allen speciebus noch etliche andre Exempel geben und 
elaboriren lassen, damit er nicht nur alles kürtzlich wiederhole, sondern 
auch es desto weniger vergesse. 

§ XIV. Die Discipuli müssen Freyheit haben, ihre Dubia vorzubringen, 
weil sie nicht alles gleich fassen können und der Präceptor mufs ihre 
Dubia mit Gedult anhören, und sie mit Sanftmut unterweisen, doch nicht 
mehr als einen allzeit reden lassen, und wenn solchem sein Zweiffei be- 



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142 . § 80. Mathem. Ausbildung d. Lehrer. § 81. Nutzen mathem. Kenntnisse. 

nommcn, auch eines andern Zweiffei hören. Der Präceptor soll zum öfftern 
die Kinder zum Flcifs im Rechnen ermahnen, und ihnen vorstellen, was 
es für grofsen Nutzen im menschliciien Leben hat." 

§ 80. Mathematische Ausbildung der Lehrer. Die mathematische 
Ausbildung der Lehrer erstreckte sich nicht über das Mals von Wissen, 
welches sie einst seihst zu lehren hatten. Für die lateinischen Schulen 
war die Beherrschung des Wolfschen „Auszug aus den Anfangsgründen 
aller mathematischen Wissenschaften" ausreichend und für die deutsche 
Schule genügten schon weit geringere Kenntnisse. Durch die hie und da ge- 
nannten Lehrbücher ist mau in der Lage, den Umfang genau fixieren zu 
können. Im Pädagogium zu Halle war fürs praktische Rechnen 1 ) des 
Slruntze „ISeuaufgerichtele Recheuschule 1717" und für die Mathesis 2 ) 
Wolfs „Auszug etc." zur Benutzung vorgeschrieben. Im Seminar zu Gotha 
1780 bildeten die Seminaristen bezüglich des Rechnens zwei Klassen und 
lernten in der einen die vier Species und die Regeldetri, in der andern 
die Brüche, die Gesellschaftsrcchnung, Praktik und die Anfertigung einer 
Kirch-, Gemeinde- und Vormundschaflsrechnung. 

§ 81. Nutzen mathematischer Kenntnisse. Die Aufmunterung zu 
eifrigerer Betreibung der mathematischen Wissenschaften als bisher ging 
von den Gelehrten aus, namentlich von den beiden Sturm, von Wolf und 
Kästner. Da in allen Wissenschaften das Ulilitätsprincip betont wurde, so 
konnte es nicht fehlen, dnfs man es auch in der Mathematik hervorkehrte. 
Murhaid zählt eine grofse Menge Schriften aus jener Zeit auf, in denen 
die Uiientbehrlichkeit mathematischer Kenntnisse für alle Fakultäten und 
alle Berufsarten nachgewiesen wurde. Der Nachweis des Nutzens der 
Mathematik wurde für Förster und Militärs ebensogut geführt wie für 
Theologen und Juristen, für Moral und Erziehung ebensogut wie für 
Physik und Chemie. Die Quintessenz aller Aussprüche über den Nutzen 
der Mathematik ist enthalten in folgenden Worten: „Die Mathematik ist 
also der Inbegriff vieler Wissenschaften, von denen schon jede einzelne 
von sehr grolsem Umfange ist, und enthält daher einen Schatz von Er- 
kenntnissen, deren Wichtigkeit und Nutzbarkeit wohl keiner weitläufigen 
Schilderung bedarf. Ihr EinlUds auf die Befriedigung unsrer wichtigsten 
Bedürfnisse und auf die Annehmlichkeilen und Bequemlichkeiten des 
menschlichen Lebeus macht sie jeder cultivirlen Nation achtungswürdig, 
und die Verbreitung ihrer Kenntnisse ist daher schon aus diesem Grunde 
reelle Beförderung des Menschenglücks. — Einem jeden Gelehrteu aber 
ist ihre Kenntnifs, ohne einmal auf die besonderen Vorlheilc zu sehen, die 

1) Vormbaum III, 91 

2) Ebenda S. 246. 



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§81. Nutzen mathematischer Kenntnisse. 



143 



sie dem Theologen, Juristen, Arzneiverständigen, dem Geschichts- und 
Alterthumsforscher verschafft, schlechterdings unentbehrlich. Der Nutzen, 
den sie leistet, läfst sich hauptsächlich auf folgende Punkte bringen. 
1. Sie liefert ihm einen Schatz von Wahrheiten, von denen er mit der 
vollkommensten Gewifsheit einsehen kann, dafs sie lauter Wahrheiten sind, 
uod zwar solche, die er ohne alle Begriffe der Erfahrung hlos aus sich 
selbst geschöpft hat. 2. Ohne Mathematik ist keine gründliche Kennt nifs 
der Natur möglich. Und die Physik . . kann sich nur dort einer voll- 
kommenen Gewifsheit rühmen, wo sie Mathematik anwendet, die Vorgänge 
in Formeln kleidet. 3. Sie ist das geschickteste Mittel, sowohl unsern 
Geist zu erheben, als ihn vor thörichtem Eigendünkel zu bewahren, indem 
keine Wissenschaft fähiger ist, uns die menschliche Vernunft einestheils in 
ihrer wahren Gröfse und Würde darzustellen, andcrntheils aber, uns ihre 
Schranken selbst da sichtbar zu machen, wo man die gröfsle Leichtigkeit 
und Klarheit erwarten sollte. 4. Sic belohnt die Mühe, mit welcher man 
ihre Bekanntschaft sucht, schon reichlich durch das reine unschätzbare 
Vergnügen, das sie ihren Liebhabern gewährt. Dieses Zeugnifs hat ihr 
von jeher ein Jeder ihrer Kenner gegeben. 5. Ihr wichtigster Nutzen 
aber ist die Schärfung des Verstandes, und die Übung desselben im gründ- 
lichen Urtheilen, ja selbst im Erfinden. Neue Wahrheiten zu erfinden ist 
zwar nicht jedermanns Sache; aber desto angenehmer mufs es doch dem, 
der sich mit der Analysis bekannt gemacht hat, sein, wenn er sich 
wenigstens im Stande fühlt, verlangte Sätze, ohne zu wissen, ob sie be- 
reits entdeckt sind, selbst zu erlinden. Schärfung des Verstandes aber 
und Übung im gründlichen Urtheilen ist unentbehrliches Bedürfnifs für 
jeden Studirenden. Allein diesen einem jeden Studirenden so Hölingen 
Vortheil kann ihm keine Wissenschaft in dem Grade verschaffen als die 
Mathematik. Denn da die Urlheilskraft überall Anschauung, folglich Klar- 
heit und Evidenz zur Seite hat, so geht sie in der Anwendung der Hegeln 
der Logik bei jedem Schritt sicher, folglich ist sie im Stande, jeden Fehl- 
schlufs und jede Lücke, so versleckt sie immer sein mögen, sehr leicht 
zu entdecken. Auf diese Art gewöhnt sie sich unvermerkt immer mehr, 
wahre Einsicht von scheinbarer Täuschung mit Sicherheit zu unterscheiden, 
und so ist das Studium der Mathematik eine beständige und zwar die 
zuverlässigste praktische Logik, mithin die beste Schule für die Urlheils- 
kraft. Dieser Vortheil aber wird noch destomehr durch die strenge Methode 
befördert, die sich aufscr der Mathematik nirgends so genau und voll- 
kommen anbringen läfst. Will man sich also denselben vollkommen ver- 
schaffen, so mufs mau das Studium der Mathematik auch durchaus nach 
dieser slrengen Methode unternehmen. Euklides wufste selbst Königen 
keinen Weg zur Geometrie zu ebnen, und in der That wird auch durch 



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144 § 81. Nutzen mathematischer Kenntnisse. 



jedes solches versuchte Ebnen des Weges, so angenehm es auch scheint, 
das Studium der Mathematik weit mehr erschwert als erleichtert. Es ist 
also nöthig, dafs man sich gleich anfangs von der mathematischen Methode 
eine richtige Vorstellung macht." 1 ) 

Die Notwendigkeit zur Betonung des Nutzens mathematischer Kennt- 
nisse für alle Kreise verbunden mit der Aufforderung zu eifriger Betreibung 
der Mathematik war begründet in der argen Vernachlässigung, welche das 
Studium dieser Wissenschaft von den Nichtfachgelehrten bis dahin erfahren 
hatte. Fast unglaublich klingen die Äußerungen, welche über die Un- 
kenntnis der Mathematik in höheren Kreisen gethan wurden. Professor 
Thomasius habe behauptet, der Satz von der Winkelsumme im Dreiecke 
lasse sich nicht geometrisch beweisen. 2 ) Professor Sturm in Frankfurt a. 0. 
klagte, die Ausgaben für Tanzen und Fechten bezahle der Vater lieber als 
das mathematische Kolleg. 3 ) „Wolf durfte von einer Wissenschaft, die 
dem gemeinen Haufen der Studenten und Professoren kaum dem Namen 
nach bekannt war, nur das Leichteste vortragen." 4 ) „Ich habe mich eines 
ganz leichten Vortrags bedient, auch alle höheren Rechnungen, sonderlich 
durch algebraische Zeichen vermieden, damit ein angehender Studiosus 
juris davor als vor Egyptischen Abenteuern nicht erschrecken möchte." 5 ) 
Da die lateinischen Schulen die praktische Rechenkunst unter ihrer 
Würde hielten, so verstanden die Inhaber der politischen Ämter, weil sie 
alle jene Schulen durchlaufen hatten, nichts vom Rechnen. Diese Ignoranten 
werden dafür in Schupps Regentenspiegel arg mitgenommen: „Wenn grofse 
Herren ihre Rechnungen lassen abhören, so wohnen sie gemeiniglich den- 
selben nicht selbst bei, sondern depuliren dazu ein paar vom Adel und 
ein paar Doctores und Räthe. Solche Edellente und Doctores wollen als- 
dann das Ansehen nicht haben, dafs sie das Einmaleins nicht wissen, 
sitzen da wie die guldnen Kälber zu Bethel, und lassen sich in die Nase 
vexieren, wenn summa summarum gemacht wird." 6 ) 

Aufser den mathematischen Vorlesungen für Fachmathematiker wurden 
auch solche für Studierende aller Fakultäten und solche für Juristen ins- 
besondere eingeführt. Den mathemalischen Vorlesungen für alle Fakultäten 
legte man ein halbes Jahrhundert lang Wolfs „Anfangsgründe der mathe- 
matischen Wissenschaften" oder auch nur den „Auszug" daraus zu Grunde. 
Über den Inhalt der mathematischen Vorlesungen für Juristen wird man 

1) Murhard, System der Elemente 1798 S. 12 ff. 

2) Polack, Mathesis Forensis 1740 Vorrede. 

3) Leonh. Ch. Sturm, Kurtzer Begriff d. g. Mathesis 1710 V, Vorrede. 

4) Kästner, Anfangsgründe d. Arithm., Geom., Trig. 1758 Vorrede. 

5) Polack, Math. Forensis 1740 Vorrede. 

6) Büchner, Kurtzer Entwurff 1719 S. 12. 



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§ 82. Professoren, welche f. Ausbreit, d. Math. u. Reform d. Methode wirkten. 145 

aus den Werken von Polack 1 ) und de Florencourl 2 ) orientiert. Ersterer 
hat in der Ordnung der Pandekten geschrieben und aus der Arithmetik 
die Kapitel über die Progressionen, Erbschaftsteilung, Havarey- und Gesell- 
schaftsrechnung, vom Konkurs und Rabalt aufgenommen. Der Inhalt 
des Werkes geht nicht über diejenigen Leistungen hinaus, die man heut- 
zutage in einer guten Bürgerschule überall findet. Die beste Leistung von 
Büchern über juristische Rechenkunst sind die schon genannten Abhand- 
lungen von C. Ch. de Florencourt. Der Verfasser, Professor in Göttingen, 
geht darin im Gebrauch der mathematischen Hilfsmittel bis an die Grenze 
der Differentialrechnung heran. Der Stoff umfafst: Zinseszins-, Rabatt-, 
Termin-, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Mortalitätstabellen, Renten, Tontinen, 
Witwen-, Waisen-, Aussteuer-, Totenkassen und Assekuranzen. Die Enl- 
wickelungen sind durchgängig in allgemeinen Zahlen geführt. 

§ 82. Professoren, welche eifrig für die Ausbreitung der Mathe- 
matik und die Reform der Methode wirkten. Auf dem Gebiete der 
Methodik vollzog sich ein völliger Umschwung; der Mechanismus wurde 
beseitigt, an seine Stelle trat die beweisführende Lehrart. 

Die Gelehrten leiteten mit der Erneuerung der strengen mathemati- 
schen Methode die Reformbeslrebungen ein. — Job. Christoph Sturm 8 ) 
war zuerst in dieser Richtung thätig und zwar durch Wort und Schrift. 
Seine „Mathesis Compendiaria, Altdorf 1670" wurde auf vielen Universi- 
täten den mathematischen Vorlesungen zu Grunde gelegt, und seine „Mathesis 
juvenilis 1699 und 1701" war (im Auftrage des Nürnberger Rats) zur 
Hebung des mathematischen Unterrichts im Nürnberger Gymnasium ver- 
fafst. — Leonhard Christoph Sturm 4 ), Sohn des vorigen, schrieb 
1708: „Kurtzer Begriff der gesamten Mathesis" (1710 2. Aufl.), welches 
Werk als mathematisches Kompendium für die Studierenden aller Fakul- 
täten bestimmt war (das früheste in deutscher Sprache). Inhalt: „ Uni- 
versal -Mathesin; Wissenschaft der Zahlen, der GrÖfse, des Mafses, der 
Schwere, der Bewegung; Algebra; Rechenkunst, Mefskunst, Militairbau- 
kunst, Civilbaukunst, Artollerie, Mechanica, Astronomie, Geographie, Chro- 
nologie, Sonnenuhren, Optik, Perspective, Akustik, Tabellen." 



1) Polack, Mathesis Forensis 1780 und 1740. 

2) Carl ChaBBot de Florencourt, Abhandlungen aus der juriat. u. polit. 
Rechenkunst 1781. 

3) Geb. 1636 in der Pfalz, studierte in Jena Theologie und Mathematik, 
1664 Pfarrer in Dehlingen, 1669 Prof. d. Math, in Altdorf, wo er 1703 starb. — 
Doppelmayr S. 114. 

4) Geb. 1669 zu Altdorf, studierte Theo]., Math, und Baukunst, wurde 1694 
Prof. d. Math, zu Wolfenbüttel, 1702 Prof. d. Math, zu Frankfurt a. 0., 1711 Herzog- 
lich MecklenburgBcher Baudirektor, 1719 starb er. — Doppelmayr S. 129. 

Usoeb, Methodik. 10 



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146 § 82. Professoren, welche f. Ausbreit, d. Math. u. Reform d. Methode wirkten. 

Weit einflnfsreicher als die beiden Sturme wirkte Christian Wolf. 1 ) 
Durch eigne Erfindungen und Entdeckungen hat er seine Berühmtheit nicht 
erlangt, wohl aber brachte er diejenigen andrer in systematische Ordnung 
und machte sie dem Studium zugänglich. Für die Studierenden aller Fakul- 
täten schrieb Wolf: „Anfangsgründe der mathematischen Wissenschaften, 
Halle 1710"; für die An langer einen: „Auszug aus den Anfangsgründen 
aller mathematischen Wissenschaften 1713"; für das mathematische Fach- 
studium: „Elementa Matheseos universae 1713" (1730 erschien die 9. Aufl.). 
Die in den „Elementa" zur Arithmetik gehörigen Kapitel umfassen: Defini- 
tionen, Zweck der Arithmetik, Operalionszeichen, Numerieren, vier Species 
in ganzen Zahlen, Proportionen, gemeine Brüche, Radicieren mit Decimal- 
brüchen, Logarithmen, Decimalbrüche, Sexagesimalbrüche. Die Behandlung 
ist nach der synthetischen Methode eingerichtet. — Wolf hat durch seine 
Schriften den niedrigsten und höchsten Bedürfnissen entsprochen und mit 
seiner Methode und seinen Büchern die deutschen Hochschulen ein halbes 
Jahrhundert beherrscht Selbst jenseits der deutschen Grenzen fand er 
durch Übersetzung der „Anfangsgründe" ins Holländische und Französische 
Anerkennung. 

Abraham Gotthelf Kästner 2 ), Mathematiker und Dichter, ver- 
drängte mit seinen inathematischen Lehrbüchern die Wolfschen. Sie sind 
auch reichhaltiger und tiefer als die Wolfschen und nach der analytisch- 
synthetischen Methode eingerichtet. Die „Anfangsgründe der Arithmetik, 
Geometrie und Trigonometrie 1758" enthalten im arithmetischen Teile: 
Definition der Zahl, Ableitung der Species, vier Species mit Beweisen, 
Rechnen mit benannten Zahlen, Potenzen, Decimalbrüche, Sexagesimal- 
rechnung, Radicieren, Proportionen, Regeldetri, Gesellschaftsrechnung, 
Kettenregel, Logarithmen. Wichtiger für uns ist Kästners: „Fortsetzung 
der Rechenkunst in Auwendung auf maueuerley Geschäfte, Göttingen 1786", 
auf welches Werk wir unten zurückkommen. 

Der für uns wichtigste Abschnitt in den Büchern von Sturm, Wolf 
und Kästner ist das Kapitel von der „mathematischen Lehrart". Es waren 
zwei Methoden in Gebrauch, die Synthesis und die Analysis. Sturm und 
Wolf hielten beide streng auseinander, während Kästner ihre Verschmelzung 
zur analytisch-synthetischen Methode zum Vortrage der Anfangsgründe der 
Wissenschaften für die bequemste Unterrichtsweise hielt. — In der Syn- 

1) Geboren 1679 zu Breslau, 1706 Professor der Mathematik zu Halle, 1703 
von hier vertrieben (ging nach Marburg), Friedrich II. rief ihn nach Halle zurück, 
wo er 1754 starb. 

2) Geboren 1719 zu Leipzig, gest. 1800 als Prof. zu Göttingen, war der 
fruchtbarste math. Schriftsteller seines Jahrhunderts. — Siehe den Katalog bei 
Poggendorf. Vgl. Allgem. deutsche Biogr. XV, 439- 451. 



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§ 82. Professoren, welche f. Ausbreit, d. Math. u. Reform d. Methode wirkten. 147 

thesis herrscht folgende Ordnung: Axiome, Postulate, Nominal- und Real- 
definilioticn, Lehrsätze, Folgerungen, Zusätze. — Die Analysis beschreitet 
folgenden Weg: sie stellt ein Problem, geht zur Denomination über (d. i. 
zur Erwägung der Umstände und Ersetzung der Gröfsen durch algebraische 
Zeichen), stellt die Gleichung auf, redimiert und löst diese; zuletzt folgt 
die Konstruktion des gefundenen Resultats. 

Wolf begnügte sich aber nicht allein mit dem Vortrag der beweis- 
führenden Methode, sondern wufste diese Art auch überzeugend zu ver- 
fechten. Er schreibt 1 ): „Es ist nicht genug, dafs der Lehrer die Wahr- 
heit sagt, sondern die Schüler müssen auch begreifen, dafs es Wahrheit 
sei. Es ist aber ohne Erinnern klar, dafs man den Nutzen von der Mathe- 
matik nicht zu erwarten hat, wenn nicht die von den allen Geometris 
gebrauchte „Lehrart" in allem auf das sorgfältigste in acht genommen 
wird. Denn nicht die mathematische Wahrheit, sondern die Ordnung, 
io welcher sie gründlich erkannt wird, ist das Milte], wodurch der Ver- 
stand des Menschen geändert wird. Daher lallt der Nutzen der Mathe- 
matik weg, wenn man ihre Lehren auf gemeine Art vorträgt, nach welcher 
sie mehr in das Gedächtnifs als in den Verstand gefafst werden. Man 
mufs nicht allein in der Erklärung der Rechenkunst die Regeln zeigen, 
nach welchen man die verlangten Zahlen finden kann, sondern man mufs 
auch deutlich begreifen, warum durch selbige Regeln die verlangten Zahlen 
können gefunden werden. — Die Schüler müssen allezeit gefragt werden, 
warum sie dieses so und nicht anders machen, damit sie nicht allein den 
Grund der Rechnung einsehen und sie daher besser behalten, sondern auch 
gewöhnt werden, Nichts ohne Grund von Jemand anzunehmen, ingleichen 
in Allem, was sie sehen und hören, um seinen Grund sich zu bekümmern." 

Auch Kästner wufste treffliche Gründe für die beweisführende Methode 
anzugeben: „Vorschriften, denen man folgt, ohne ihre Gründe zu wisseu, 
können an sich unrichtig sein, wenn unser Lehrer nicht Einsiebt oder 
Aufrichtigkeit genug hat. Sind sie auch richtig, so können wir bei ihrer 
Anwendung fehlen, weil wir ihre rechte Bedeutung und ihre Grenzen nicht 
zu bestimmen wissen; und endlich wird es uns allzeit schwerer, wenn 
wir sie blos im Gedächtnisse behalten sollen, als wenn wir die Verbindung 
mit ihren Gründen durch den Verstand einsehen. — Die mathematische 
Methode ist die einzige, die zur Gewifsheit führt, und man hat sich ihrer 
zu bedienen, wenn man vor Irrthümern sicher sein will. Das Wesent- 
liche derselben besteht darin, Alles was man lehrt aus Gründen, deren 
Wahrheit ungezweifelt ist, durch Schlüsse, deren Richtigkeit den Verstand 
zum Beifall zwingt, darzuthun." 2 ) „In die Ausübung mathematischer 

1) Aaszug aus den Anfangsgründen . . 1713. 

2) Kastner, Anfangsgründe der Arithm. . . . 1758 S. 9. 

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148 § 83. Die formalbildende Kraft d. math. Unterrichte. § 84. Math. Lehrbücher. 

Lehren wird sich schwerlich jemand allemal gehörig finden, der nicht 
Nachdenken genug gehabt hat, die Gründe von ihnen, einzusehen. Denn 
einen mathematischen Satz nur auswendig wissen, heifst nichts mehr, als 
sonst eine Wahrheit oder ein Märchen im Gedächtnisse haben." 1 ) 

Gleichen oder doch ähnlichen Inhalts sind die Vorreden fast aller 
mathematischen Lehrbücher im 18. Jahrhundert. 

§ 83. Die formalbildende Kraft des mathematischen Unterrichts. 
Mit Einführung der streng beweisführenden Methode wurde dem mathe- 
matischen Unterricht in allen Zweigen ein neuer bisher ungekannter 
Nutzen, die formalbildende Kraft, abgewonnen. In guten Rechenbüchern 
ist die genügende Hervorhebung und Würdigung dieses Nutzens auch nicht 
versäumt. „Es ist bekannt, dafs die Arithmetik in allen Rechenbüchern 
als eiu Gedächtniswerk getrieben wird, welches man aus der blofsen 
Übung lernt, ohne den Grund der Regeln zu verstehen. Allein diese 
Lehrart hat mir allzeit sehr seichte geschienen und daher habe ich ge- 
glaubt, dafs man im Unterrichte von der Rechenkunst vornehmlich auf 
den Verstand zu sehen habe. Dieser empfindet nun ein grofs Vergnügen, 
wenn er ein Ding aus dem Grunde verstehen lernt und begreifen kann, 
warum man durch diese Regeln ein solch Exempel auflösen könne und 
wie man auf solche Regeln gekommen sei." 2 ) 

Joh. Georg Gotth. Hübsch (Mathematicus in Pforta) nannte die 
Schärfung des Verstandes einen der Nebenzwecke des mathematischen 
Unterrichts; „denn die Rechenkunst ist wie ein Schleif- oder Wetzstein, 
und man lernt distinct, ordentlich und vorsichtig denken." 5 ) — „Die 
Arithmetik ist eine reine Vernunftwissenschaft. Bei allen reinen Vernunfl- 
schlüssen sollte man, wo nicht mehr, doch zum mindesten ebensoviel auf 
den formalen als auf den materiellen Nutzen sehen, den die Beschäftigung 
mit derselben verschafft." 4 ) 

§ 84. Arten der mathematischen Lehrbücher. Die mathematischen 
Lehrbücher scheiden sich in drei Klassen. Zur ersten gehören die Kom- 
pendien 5 ) zum Gebrauche auf Universitäten und zwar giebt es solche für 
Mathematiker von Fach und solche für Nichtmathematiker. Die zweite Klasse 
bilden die Lehrbücher 6 ) zum Gebrauche auf höheren Schulen, den Vor- 
bereitungsanstalten für die Universitäten. Die dritte Klasse umfafst die 

1) de Florencourt, Abhandlungen . . . 1781, S. II der Vorrede, welche von 
Kastner ist. 

2) Clausberg, Demonstrative Rechenkunst . . 1732, Vorrede. 

3) J. G. G. Hübsch, Arithmetica portensis 1748. 

4) Hauff, Lehrbuch d. Arithmetik. 
6) Titel bei Murhard I, 69—81. 
6) Titel ebenda S. 210 ff. 



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§ 85. Der arithm. Stoff für kaufmannische Kreise. 



149 



Rechenbücher für den Handelsstand und die niederen Schulen, es domi- 
nieren darin die kaufmännischen und ökonomischen Rechnungen. 

Auch in den Büchertiteln kam die Reform zum Ausdrucke. Während 
bisher das Rechnen „geschwinde und behende", „leicht und kurz" oder 
„unterhaltend und mit allerlei hübschen Regeln" auf den Büchertiteln 
angepriesen wurde, so wollten es die „Anweisungen" „Anleitungen", „Weg- 
weiser" etc. nun vor allem „deutlich", „gründlich" und „vernünftig" lehren. 

Bezüglich der Form der Abfassung arithmetischer Lehrbücher für die 
lateinischen Schulen wurden durchgängig Wolfs Schriften nachgeahmt, 
auch wenn man es nicht ausdrücklich auf dem Titel vermerkt findet. An 
die Stelle der Regeln traten nun Lehrsätze mit Beweisen, resp. Vor- 
schriften mit Begründung. 

§ 85. Der arithmetische Stoff für kaufmännische Kreise. Wir 
können den arithmetischen Stoff in seinem neuen Gewände nicht besser 
vorführen, als wenn wir uns etwas eingehend über Clausbergs 1 ) „Demon- 
strative Rechenkunst" (1732 1. Aufl., 1772 4. Aufl.) verbreiten. Um 
aber keine irrtümliche Vorstellung aufkommen zu lassen, sei bemerkt, dafs 
damit nicht die Schularithmetik charakterisiert wird, sondern die echt 
kaufmännische. Die lateinischen und deutschen Schulen standen mit ihren 
arithmetischen Leistungen auf einem weit tieferen Niveau. Clausbergs 
Rechenwerk galt als das vorzüglichste des ganzen Jahrhunderts, kein Kon- 
kurrent macht dem Verfasser diesen Ruhm streitig, und wer sich etwas 
zu gute thun wollte, sagte, er habe den Clausberg durchgerechnet. Von 
einer gewissen Weitläufigkeit kann man das Werk nicht freisprechen — 
es hat den ganz respektabeln Umfang von 1520 Seiten — ; Hübsch warf 
dem Verfasser gelehrte Eitelkeit vor: Clausberg habe zwar vieles, was zum 
Nachdenken Gelegenheit gebe, allein er künstle meist in den Vorteilen, 
nur um sein Ingenium sehen zu lassen. Man kann das Buch ein aus- 
reichendes Übungsbuch, eine gründliche Anleitung für den Informator und 
einen Wegweiser für den Selbstunterricht nennen. Jedes Excmpel ist mit 
vollständiger Durchrechnung und Beweis versehen. Die Aufgaben sind 
weder erfundene noch entlehnte, sondern solche, „die ich bei berühmten 
Kaufleuten selbst unter den Händen gehabt". — Als zweckmäfsigste Art 



1) Christlieb von Clausberg, geb. 1689 zu Danzig, Israelit, zu Clausthal 
getauft, erteilte Unterricht in hebräischer Sprache und kaufmännischer Rechen- 
knust in Danzig, Leipzig, Hamburg, Lübeck. 1733 wurde er dänischer Staatsrat 
und Revisor der Königl. Privatkas.se. Nach Christian VI. Tode 1746, welcher 
viele Schulden gemacht hatte, wurde Clausberg entlassen. Er starb 1761 in 
Kopenhagen. Vgl. Jucher, Allgem. Gelehrtenlexikon 1760 1, 1944. Deagl. Dunkel, 
Uiator. krit. Nachr. von verstorb. Gelehrten II, 627. Desgl. Allgem. deutsche 
ßiogr. IV, 286. 



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150 



§ 86. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 



der Benutzung schlägt Clausberg selbst folgende vor: „Beginne mit den 
Exempeln, gehe dann zurück zu den allgemeinen Regeln und willst du 
mehr als rechnen lernen, so siehe die Beweise und Gründe an." Noch 
heute herrscht in der Methode die gleiche Ordnung. — Das Werk hat 
vier Teile. 

Der I. Teil enthält die vier Species in ganzen und gebrochenen Zah- 
len und die Regeldetri. Die Einleitung beginnt mit der Entstehung des 
Zahlbegriffs und leitet aus der Veränderlichkeit der Zahlenwerte die vier 
Species ab. Das Numerieren lehrt den Aufbau des dekadischen Zahlen- 
systems aufwärts und abwärts der Einheit. Das Dividieren geschiebt unter- 
wärts ohne Anschreihung der abzuziehenden Produkte. Die Regeldetri ist 
auf die Proportion gegründet, doch möge mau wegen der Vertauschbarkeil 
der mittlem Glieder den Ansatz bilden, wie man spricht. — In der Ein- 
leitung zu den Species mit gemeinen Brüchen ist über Entstehung, Wert- 
vergleichung, Erweitern, Kürzen und Resolvieren gehandelt. Die bekannte 
Multiplikationsregel zweier Brüche wird so behandelt: „Wenn ein Faktor 
weniger als 1 ist, so wird nicht der ganze andre Faktor, sondern nur 
ein Teil desselben verlangt." Die Divisionsregel gleichnamiger Brüche wird 
auf den Satz gegründet, dafs in der Fortlassung der Nenner eine Multi- 
plikation beider Brüche mit derselben Zahl liegt, wodurch der Quotient 
keine Änderung erleidet. Die Umkehrungsregel wird aus ebengenannter 
Regel abgeleitet. Für die Regeldetri mit Brüchen ist nur eine Anleitung 
zur Beseitigung der Brüche nötig, was durch Multiplikation zwei betref- 
fender Glieder mit derselben Zahl geschieht, tber die Zulässigkeit dieser 
Multiplikation wird der gehörige Proportionssatz angezogen. 

Der II. Teil enthält „die Rechnungsvorteile" oder „Practica". Praktika 
definiert er als eine Anweisung, das Resultat auf einem kürzeren oder 
leichteren Wege zu finden als das gewöhnliche Verfahren ist. Kürzer ist 
der Weg, der weniger Ziffern schreibt; leichter ist der, welcher statt der 
Multiplikation und Division die Addition resp. Subtraktion, statt der Divi- 
sion die Multiplikation etc. anbringt, oder welcher die Brüche vermeidet 
oder die Rechnung mit kleinereu als den gegebenen Zahlen ausführt, mit 
einem Worte: welcher die Operation bequemer macht. 

Da bei den Additionen und Subtraktionen keine Zwischenrechnungen 
vorkommen, so sind kaum bequemere Wege zu entdecken, es beschränkt 
sich die Praktik wesentlich auf die Multiplikation, Division, Regeldetri 
und höhere Rechnungen. 

Das Auffinden von Vorteilen beruht auf der Kenntnis der Eigenschaf 
ten von den Zahlen, weshalb Clausberg erst davon handelt: von Prim- 
zahlen, Faktorenzerlegung, Teilbarkeit etc. Das wertlose Kennzeichen für 
die Teilbarkeil einer Zahl durch 7, welches wir § 48 anführten, bat 



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§ 85. Der arifchm. Stoff für kaufmännische Kreise. 151 



Clausberg ein wenig vereinfacht. — Ein andres ebenfalls werlloses ist 
folgendes: „Eine Zahl ist durch 7 teilbar, wenn der Unterschied ihrer dop- 
pelten Einer und der ihnen voranstehenden Zahl durch 7 teilbar ist." 1 ) 
Die Operation subtrahiert ein Siebenerprodukt (das 21 fache der Einer) 
von der vorgelegten Zahl und prüft dann den lOten Teil des Restes auf 
seine Teilbarkeit durch 7. — Wollte man dieses Princip durchführen, so 
liefsen sich noch mehr Kennzeichen für 7 und auch solche für andre 
Zahlen angeben; für 7: man subtrahiere das (2 -f- 7 «) fache der Einer 
von dem voranstellenden Teile der Zahl; für 13 mufs das (9 -f- 13«) fache 
der Einer subtrahiert werden, für 17 das (5 -f- 17«) fache der Einer. 

Von praktischem Werte ist folgendes, weil es zugleich über die Teil- 
barkeit durch 7, 11 und 13 entscheidet: Bei vier- bis sechsstelligen Zahlen 
subtrahiere man von den drei letzten Stellen den voranstehenden Teil der 
Zahl; ist der Rest durch 7, 11 oder 13 teilbar, so auch die Zahl. Bei- 
spiel: 456967; 967 — 456 = 511; 511 ist durch 7 teilbar, folglich 
auch 456 967. Die Operation zieht das 1001 fache des links von den 
Hunderten stehenden Teils von der gelegten Zahl ab. Da nun 1001 n = 
7 • 11 • 13«, so ist die vorgelegte Zahl durch 7, 11 oder 13 teilbar, falls 
es der Rest ist. Betragen die vorderen drei Stellen mehr als die hinteren 
drei (z. B. 967 456), oder hat die Zahl mehr als sechs Stellen, so ziehe 
man die drei letzten Stellen von dem vorderen Teile ab (967 — 456 = 511) 
und prüfe den Rest wie vorher. In diesem Falle wird von der gegebenen 
Zahl das lOOlfache ihrer drei letzten Stellen subtrahiert und nur X oVa 
des Restes untersucht. 

Unter den Vorteilen für die Multiplikation ist eine sehr praktische 
Methode von Interesse und zwar insofern, als sie eine Ausdehnung der 
(§ 45) angeführten Einmaleinsregel auf mehr als einstellige Faktoren ist. 
Verfahren: Man suche die Komplemente der Faktoren und der nächst- 
höheren Zehnerpotenz, addiere die Faktoren, multipliciere diese Summe 
mit der betr. Zehnerpotenz, lasse aus dem Produkte die höchste Stelle 
fort und addiere das Produkt der beiden Komplemente. (Beide Faktoren 
müssen gleichviel Stellen haben.) 



Faktoren 



Kompl. 



83 


17 


986 


14 


9976 


24 


99 


1 


997 


3 


9991 


9 



8217 983042 99670216 

Nachweis. Sind a und b die Faktoren, a und ß die Komplemente 
und n die Zehnerpotenz, sodafs man also hat: 

1) Hoffmanns Zeitschrift für math. Unterr. 1871 S. 337. 



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152 § 85. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 

a = n — a 
b = n — ß 

so ist a -f- b = 2n — (a -j- ß) 

(a + b)n = 2n* — (a + ß)n 
«ß + (* + b)n = 2n* — (a + 0)n + a/3 

— «* + (« + + n s -(a-f|J)» + «/J. 

Da nun aber ab = (n — a)(w — 0) = n* — (a-f- ß)n aß 

so ist auch 

— n 8 + (« + ft)n + a/3 = ab. 

Die linke Seite der letzten Gleichung enthält das obige Verfahren. 

Zusatz. Die Formel behält ganz dieselbe Gestalt, auch wenn a und b 
beide grölser sind als «, wenn also a und ß das positive Vorzeichen haben. 
Haben a und ß ungleiche Vorzeichen, so wird das Produkt aß negativ. 
In beiden Fällen ist /** nicht immer identisch mit der „höchsten Stelle"; 
man darf dann diese nicht ganz fortlassen, sondern nur »* subtrahieren, 
wie es die Formel vorschreibt. 

Erleichtert wird eine Multiplikation dann, wenn sie in der Haupt- 
sache auf eine Division durch eine kleine Zahl zurückgeführt werden kann, 
was durch Umformung des einen Faktors in einen uneigentlichen oder 

unechten Bruch geschieht [25 = ^; 88Si-2^2]. Am gröfsten ist 

dieser Vorteil, sobald der Zähler des fraglichen Bruches eine Zehnerpotenz 
wird. Die hierzu passenden Zahlen hat Clausberg tabellarisch zusammen- 
gestellt und erschöpfend vorgeführt. 





aus 10 


aus 100 


aus 1000 


aus 10000 


* 


5 


50 


500 


5000 


* 


3* 


33* 


333* 


3333* 


* 


^2 


25 


250 


2500 


i 


2 


20 


200 


2000 


* 




■ 16i 


166* 


1666* 


* 


H 


14| 


142f 


14284 


* 


H 




125 


1250 


* 


1* 


1H 


111* 


liiil 




» 


9tV 


90» 


909^ 



Tritt eine Zahl aus der Tabelle als Faktor aus, so wird mit der 
Kopfzahl mullipliciert und durch den Nenner des vornstehenden Bruches 
dividiert. — Geringer wird der ebengenannte Vorteil dann, wenn der 
fragliche Bruch nicht mehr eine reine Zehnerpotenz, sondern einen be- 
liebiger Zehner, Hunderter, Tausender etc. zum Zähler hat, weil dann die 



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§ 86. Der arithm. Stoff t'ur kaufmännische Kreise. 



153 



Multiplikation nicht allein durch Anhängung von Nullen vollzogen werden 
kann. Clausberg hat für jeden Zehner, Hunderter und Tausender eine 
Tabelle wie die obige hergestellt. 

In benannten Zahlen gewinnt man zuweilen Vorteile durch Ver- 
wandlung kleinerer Sorten in Brüche der höheren; 348 Thlr. 5 gr. x 29 

= 348t Thlr. X 29- 

Die Ermittelung des Produkts kann in manchen Fällen der Haupt- 
sache nach auch durch eine leichte Subtraktion geschehen; zu diesem 
Zwecke mufs sich der eine Faktor in eine bequeme Differenz umformen 
lassen; z. B. 

876 X 98 = 876 (100 - 2); 28 ngr. X 9 = (1 Thlr. - 2 ngr.) 9; 

8649x9^ = 8649 (10 - J). 

Die multiplicierte Zerstreuung kommt zur Auwendung, wenn der eine 
Faktor in einstellige Faktoren zerlegbar ist; 523 X 420 = 523-6- 7 10. 

Die addierte Zerstreuung, d. i. die eigentliche welsche Praktik, zer- 
legt den einen Faktor in eine Anzahl zur Heclmung bequeme Summanden; 

11 6 ! = 100 + 7; l 8 i-10 + £ 5 261- 1?2 +L 

Aufg. 5103 X 1253 Ausr. 637875 ... das sind ' h ° a«* <^m Tsdfachen 

15309 . . das ist das Dreifache 
6394059 

Um die Zerstreuungen für benannte Zahlen einzuüben, sind Tabellen 
entworfen, in denen jede Anzahl von ngr. [elc. andere Sorten] durch eine 
Summe von 11 -Brüchen etc. ausgedrückt ist, welche teils auf die Einheit, 
teils auf einander proportioniert sind. 



23 ngr. = 



15 j | fl \:> 
5 £ 11 21 ngr. = 

3 r \y A 



h von ^ fl 

| vou ^ von ^ 11. 



Die Vorteile in der Division. 1. Läfst sich der Divisor in ein- 
stellige Faktoren zerlegen, so kann die verlangte eine Division durch meh- 
rere auf einander folgende ausgeführt werden. 

2. Kann der Divisor in einen Bruch mit einem bequemen 

Nenner (von der Form 10") umgeformt werden, so wird dann die Division 
selbst der Hauptsache nach in eine leichte Multiplikation übergeführt; z. B. 
89 475:25 = 89 475- v j| 0 . 

3. Sehr erheblich können die Vorteile werden, wenn statt des ge- 
gebenen Divisors ein Hilfsdivisor eingeführt, d. h. wenn mit dem dekadi- 
schen Komplemente dividiert wird. — Hierzu hat Clausberg im wesent- 
lichen zwei verschiedene Methoden angegeben. 



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154 



§ 86. Der arithm. Stoff für kaufmäoniBche Kreise. 



a) Der ersten Methode, anwendbar auf solche Fälle, in denen der 
gegebene Divisor nur um einen Einer kleiner als eine reine ganze 
Zehnerpotenz [97, 994J ist, liegt die Entwicklung zu Grunde: 

a a . an . an* , an' , r 



d-n d ^ d* ^ d* ^ d* 

worin a den Dividend, d den Hilfsdivisor [von der Form 10 m ] und n das 
dekadische Komplement bedeutet. In Ziffern stellt sich die Ausführung 
folgendermafscn dar. Beispiel: 379 681:97 



100-3 3796 81 
113 

3 



88 .... das ist 3796 x 3 
39 ... . das ist 113 x 3 
9^ ... das ist 3 X 3 

3914|Y7 
6 

3914 Rest 23 

Zur Erkläruug: die Ziffern hinter dem Striche sind bei der Addition wie 
Decimalleile zu behandeln, sie stellen im Resultate den Rest vor, der noch 
zu berichtigen ist, sobald eine Ziffer aus der Kolonne hinter dem Striche 
vor denselben kommt. In diesem Beispiele durch 2 -3, weil 2 vor den 
Strich gekommen und 3 das Komplement ist. 

b) Die zweite Methode operiert in der bekannten algebraischen Weise. 
Ausführung: Man ermittelt jede Quotientenzifter nach gewöhnlicher Art, 
die Multiplikation des gegebenen Divisors unterbleibt, die Subtraktion des 
unbekannten Produkts besieht in der Fortlassung der höchsten Stelle vom 
Teildividenden und der Addition des Produkts aus Quotientenziffer mal 
dem Komplemente (Beispiel b). 

c) Ist der Hilfsdivisor nicht von der Form 10", sondern von der 
Form m 10 B , so bleibt das Schema ganz dasselbe, nur kann dann die Sub- 
traktion der «fachen des Hilfsdivisors nicht schon durch Fortlassung der 
höchsten Teildividendenzifler geschehen. Beispiel c): Man addiert 4 -2«= 8 
zu 3789 und subtrahiert darnach 4 • 800 von 3797, Rest 597 etc. 

Beispiel b) 22 987 822 : 997 Beispiel c) 3 789 546 : 798 

22987822 : (1000 - 3) = 23 056 3789546 : (800 - 2) — 4748 

3047 5975 
5682 3894 
6972 7026 

990 Rest 642 Rest. 



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§ 85. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 



155 



Vorstehende Methode ist römischen Ursprungs und schon hei Boetius 1 ) 
zu finden. In Grelles Journal 8 ) stehen allgemeine Beweise dazu. 

Zu verwundern bleibt, dafs diese höchst praktische komplementäre 
Division gegenwärtig nicht geübt wird. In der „Sächsischen Schulzeitung" 3 ) 
haben wir sie wieder ans Licht gezogen und dabei dargethan, für welche 
Divisoren sie vorteilhafter ist als die gewöhnliche Methode. Bei Divisoren 
mit Nullen in der Mitte (507, 9002, 8082 etc.) ist fast in allen Fällen 
die gewöhnliche Division vorteilhafter. Bei den Divisoren ohne Nullen 
entscheidet in der Regel die Gröfsc des Komplements; je kleiner dasselbe 
ist (1 bei 999, 799, 199 etc., 2 bei 998, 898 etc.), desto vorteilhafter 
ist die komplementäre Division. Die unbequemsten Divisoren (unter den 
dreistelligen Zahlen) für die komplementäre Division 4 ) sind 111, 211 ... 91 1, 
weil sie das gröfstc Komplement 89 haben. 1 und 89 sind demnach die 
Grenzen der Komplemente aller dreistelligen Divisoren ohne Nullen. Je 
näher nun das Komplement der unteren Grenze 1 liegt, desto vorteilhafter 
ist die komplementäre Division; je näher es der oberen Grenze 89 liegt, 
desto vorteilhafter ist die gewöhnliche Methode; je mehr es sich dem arilh- 
1-4-89 

indischen Mittel 2 = 45 nähert, desto mehr verringert sich der Vor- 
teil, den die eine Methode vor der andern gewährt. 

Ein Divisor, welcher um {, | . . . } s seines Betrages kleiner ist als 
eine Zchnerpolcnz, kann in diese selbst umgeformt werden, indem man 
den betr. Bruchteil addiert. Diese Addition macht auch eine Vermehrung 
des Dividenden um denselben Bruchteil seines Betrags nötig. Beispiel: 
268 415 : 87£ = 306 760 : 100. Erklärung: 87 ^ ist 12* kleiner als 100. 
12^- ist der siebente Teil von 87-£; man hat also 268 415 um seinen 
siebenten Teil 38 345 zu vermehren und dann zwei Stellen abzuschneiden. 
Oder allgemein, wenn I) den Dividend und d den Divisor bedeutet, ist 

Die Umformung des Dividenden und Divisors ist in gleicher Weise auch 

durch Subtraktion thunlich, es ist auch D : d = (l — * ) 1) : (l — d\ 

in Ziffern 2728:13-^; von 2728 wird der vierte Teil (682) abgezogen, 
bleiben 2046, und dieser Best durch 10 dividiert, also 204,6. 

In so grofser Menge, solch systematischer Ordnung und mit so klarer 



1) Friedlin, Boetii de institutione Arithmetiea . . . 1867 S. 399 ff. Deegl. 
Cantor, Vorlesungen I, 495. 

2) Crelle, Journal f. reine u. angew. Math. Bd. 52. 

3) Jahrgang 1884 Nr. 10. 

4) Weifsenborn führt eie (Entwicklung des Zifferrechnens 1877) mit dem 
anbequemen Divisor 128 vor. 



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156 



§ 85. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 



Begründung die Rechnungsvorteile vorgeführt zu haben, kann keinem 
zweiten Autor vor noch nach Clausberg nachgerühmt werden. 

Der III. und IV. Teil enthalten die kaufmännischen Rechnungsarten. 
Unter den Ansätzen ist die Kettenregel stark bevorzugt und mit einem 
arithmetischen und algebraischen Beweise ausgestattet, trotzdem dafs sie 
garnicht zum Beweisen angelegt ist. 

III. Teil. Wechselrechnung. Einleitungsweise ist das Nötigste über 
Wesen und Zweck des Wechsels und die beteiligten Personen (Remittent, 
Trassant, Präsentant, Acceptant, Giranten) erwähnt. 

Der ganze Stoff ist in sechs Abteilungen gebracht, von denen die erste 
die einfachen und zusammengesetzten Reduktionen ohne und mit Spesen 
behandelt. Wir reproducieren ein Beispiel mit Spesen: „Danzig trassirt 
auf Amsterdam 3000 fl Pol ä 286 ngr. für 1 L Viaems. Der Wechsel 
wird in Amsterdam protestirt, der Amsterdamer Inhaber trassirt deshalb 
Capital und Spesen zurück auf Danzig ä 291 ngr. Es werden folgende 
Spesen berechnet, Court. l%o; Prov. -\°/ 0J Proteslkosten 50 Stüb. Cour., 
Porto 18 Stüh. Cour. Wieviel ist in Danzig wieder zu zahlen?" (1 L Vis 
= 6 n Holl, a 20 Stüh. Banco.) 

x fl Holl Banco = 3000 0 Pol Danz. Tratte 
1 fl = 30 gr. Pol 

286 gr = 6 fl Holl B° . 

143 in 27000 fac. 1888 11 2 Stüh. B° ca in Amsterd. an Capital 

1-18 - Courtage vou 1888 fl 
9-9 - Prov. > 
3-5 - Porto u. Protestk. 68 Stüb. Cour. 

thuf 3 fl 5 Stüb. B°. 

1902 fl 14 Stüb. B°. = 38054 Stüb. B°. 

Also für die Amsterdamer Tratte: 
x fl Pol = 38054 Stüb. B° 
120 Stüb = 291 gr. Pol 
__ 30 gr . = 1 fl P ol 

6u0 in 1845619 fac. 3076 fl 1 gr. Pol ist in Danzig wieder zu zahlen. 

. In der zweiten Abteilung ist gelehrt: Gewinn und Verlust beim 
Wechselhandel a) an der ganzen Summe, b) am Kurs, c) in Procenten 
zu berechnen. Dabei ist ein „Hin- und Rückwcchsel" nötig, man mufs 
sein ausgelegtes Geld wieder empfangen, oder empfangenes wieder aus- 
zahlen, wodurcli erst Gewinn oder Verlust entstehen kann. Die Spesen 
wirken auf den Gewinn vermindernd, auf den Verlust vermehrend. 

Die dritte Abteilung handelt von den Wechsclarbitragen. Unter meh- 
reren für denselben Zweck vorhandenen Wegen wird der günstigste oder 



■ 

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§ 86. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 



157 



schädlichste ermittelt. Dm den gewünschten Aufschlufs zu erhalten , müs- 
sen die Resultate der einzelnen Wege insonderheit ermittelt und dann 
unter einander verglichen werden. Von selbst ist klar, dafs heim Em- 
pfangen der Weg der nützlichste ist, auf dem man am meisten erhält; 
während beim Geben derjenige der beste ist, auf dem man das wenigste 
giebt. Vier Fälle unterscheidet man in der Arbitrage: a) die Ermittelung 
des günstigsten Weges ohne Rücksicht auf die Gröfse des Nutzens oder 
Schadens; b) die Berechnung des Unterschieds der vorhandenen Wege an 
der ganzen Wechselsumme, c) am Kurs, d) nach Procenten. Mit der 
Entscheidung einer der drei letzten Fälle entscheidet man auch den ersten. 

Durch die Wechselkommissionsrechnungen in der vierten Abteilung 
ist gelehrt, wie weit ein Kommissionär, welcher nach einem vorgeschrie- 
benen Kurse zu remittieren und trassieren beordert ist, von diesen Kursen 
abgehen kann, damit der Ordre gleichwohl Genüge geschieht. Gewöhnlich 
findet der Kommissionär fürs Remittieren und Trassieren andre als die 
vorgeschriebenen Kurse und mufs untersuchen, ob der Auftrag nach ver- 
änderten Kursen ohne Nachteil des Kommittenten ausführbar ist. Diese 
Rechnungen erfordern viel Aufmerksamkeit, weil ein und derselbe Kurs 
für das eine Geschäft schädlich und für das andre vorteilhaft wirkt. Ist 
nämlich die feste Valuta am Orte des Kommissionärs, so wirkt fürs Tras- 
sieren der hohe Kurs schädlich, fürs Remittieren aber nützlich; ist jedoch 
die veränderliche Valuta am Orte des Kommissionärs, so wirkt im Tras- 
sieren ein hoher Kurs zum Nutzen, im Remittieren zum Schaden. Zur 
Vermeidung von Irrtümern im Ansätze empfiehlt Clausberg dem Rechner, 
sich bei jedem Geschäft die Frage vorzulegen: wieviel empfange ich? 
wieviel gebe ich? 

Findet der Kommissionär beide Kurse so verändert, dafs beide schäd- 
lich oder beide nützlich wirken, so ist eine Rechnung nicht erst notig; 
sie ist nur dann anzustellen, wenn der eine Kurs nützlich, der andre 
schädlich wirkt. Beispiel: Vorgeschrieben sind die Kurse 77^- und 101 J; 
der Kommissionär findet 78 und lOlf ; erstre Veränderung ^ wirkt schäd- 
lich, zweite ^ wirkt zum Nutzen. Da nun die Differenzen gleich sind, so 
würden Nutzen und Schaden sich ausgleichen, falls die Zahlen, durch 
welche sie verursacht sind, gleich wären. Da der Schaden von der kleineren 
Zahl herrührt, so wäre er bei einer grösseren Zahl grofser, folglich ist 
der Auftrag nicht ausführbar. 

Unter mehreren zu demselben Zwecke gegebenen Wegen den vor- 
teilhaftesten zu finden, bediente sich Clausberg einer selbst erfundenen 
sehr praktischen Methode. Beispiel: „Augsburg erhält Ordre entweder 
nach Amsterdam ä 107^, oder nach Hamburg ä 106-J-, oder nach Venedig 
ä 91£, oder nach Leipzig ä lOOf zu remittieren; jedoch dahin, wo es 



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3213 diff. 3 
425 difT. 3 



158 § 86. Der arithm. Stoff för kaufmännische Kreise. 

am besten sei. Wenn nun Augsburg nicht anders als zu 108^ per Am- 
sterdam, oder zu 107 per Hamburg, oder zu 92 per Venedig, oder zu 
101^ per Leipzig remittieren kann, und also alle diese Wege Schaden 
bringen, so wird gefragt, auf welchem Wege der kleinste Schaden entsteht." 

per Amsterdam 107 1 difT. 1 

„ Hamburg 106} difT. $ 

„ Venedig 91| difT. | 

„ Leipzig 100J diff. I 

Da Hamburg, Venedig und Leipzig dieselben Differenzen $ haben, so ist 
der Hamburger Weg am wenigsten schädlich, weil er die gröfste Zahl 
106} hat. Es sind also nur der Amsterdamer und der Hamburger zu 
untersuchen; um die Differenzen gleich zu machen, mute man die Amster- 
damer Zahlen mit 3, die Hamburger mit 4 multiplicieren, wodurch die 
Differenzen 3 und die Zahlen 32 1| und 425 entstehen: also bringt der 
Hamburger Weg den kleinsten Schaden. — Andre Autoren berechnen der- 
artige Aufgaben durch vier Dreisätze, ermitteln den Schaden auf 100 und 
vergleichen die Resultate. 

Die fünfte Abteilung enthält unter dem Titel: „Von vermischten 
Wechseln", Einkaufsrechnungen, in denen Einkaufssummen, Spesen und 
Wechselkurs auf die Höhe des Warenpreises wirken. 

Der sechste Abschnitt: „Vom Pary" ist ein Verzeichnis der euro- 
päischen Münzen, Mafse und Gewichte, nebst ihrer Vergleichung. Die Münz- 
vergleichung ist auf den Metallwert, den Feingehalt, gegründet. 

Teil IV. In der Zinsrechnung findet man gelegentlich der Berech- 
nung der Zinsen mehrerer Kapitale auf einmal den Gebrauch der Zins- 
zahlen, denen wir bis zu Clausberg noch nicht begegnet sind. Aus der 
Zinseszinsrechnung ist eine Methode von Interesse, welche auf eine Reibeu- 
entwickelung führt. Die Entwickelung ist etwas weitläufig. Die Zinsen 
des Kapitals in einem Jahre heifsen „erste Zinsen", die einjährigen Zinsen 
der ersten Zinsen heifsen „zweite Zinsen", die einjährigen Zinsen der zweiten 
Zinsen sind „dritte Zinsen" etc. Die ersten Zinsen sind bei 5% gleich 

C • * Q , die zweiten gleich C - ~ , die dritten gleich C • ~ 3 etc. Für 

i u a a * w . r t . w(n — 1) . „. n(n — l)(n -2) 

n Jahre findet man — erste Zinsen, - zweite Zinsen, ■ v — - 

1 1 . £ 1.2.3 

dritte Zinsen etc.; sobald der Zähler gleich Null wird, bricht die Reihe 
ab. Verbindet man nun die Formeln für die Gröfse und für die Anzahl 
der „ersten", „zweiten", „dritten" etc. Zinsen, so ist dann die Summe 
dieser Glieder gleich dem Endkapital mit Zinszins in n Jahren, man findet: 

'■+'- 100 " 1 + 6 llÖöJ l.i T + 'llOoJ 1.2.3 +'•• 



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§ 86. Der arithm. Stoff für kaufmännische Kreise. 



159 



(n vorstehender Reihe läfst sich jedes folgende Glied aus dem vorher- 
gehenden berechnen ; die dazu nötigen Faktoren sind der Reihe nach 

pn p(n— 1) p(n — 2) p(n — 3) 
100' 200 > 800 ' 400 

Für p = 5 und n = 4 hat man folgende Rrüche |., 4 3 ö , J 6 , Bei- 
spiel: „Wie grofs wachsen 10 000 Thlr. zu 5% in vier Jahren durch 
Zinseszinsen ?" 

Gegeben Kapital 10000 Thlr. Hieraus £ 

kommen 2000 „ Hieraus -fc 

kommen 150 „ Hieraus ^„ 

kommen 5 „ Hieraus ^ 

kommen ^ „ 

12155'Ä Thlr. 

Entwickelt man die gewöhnliche Formel für das Endkapital 0 (l -(- j^} " 

nach dem binomischen Satze, so erhält man die obige Clausbergsche Reihe 
viel schneller. 

Die übrigen Partien: Terminrechnung, Rabatt-, Tara-, Stich-, Ge- 
sellschafts-, Mischungsrechnung, Regula coeci, R. falsi, Radicieren, Pro- 
gressionen bieten nichts Besonderes. Erwähnenswert ist nur eine Tabelle 
mit 32stelligen Logarithmen für die ersten 100 Zahlen, zu deren Aus- 
rechnung er dadurch veranlafst wurde, dafs ihm die Aufgabe gestellt war, 
die Zahl 2 hundertmal hinter einander zu quadrieren und zu bestimmen, aus 
wie vielen Ziffern die lOOsteZahl bestehe (2 ist die erste Zahl, 4 die zweite, 
16 die dritte etc.). Er findet 190 800 427 345 073 528 122 179 413 681 
Ziffern, eine solch erstaunliche Menge, dafs sie alle Menschen seit Er- 
schaffung der Welt noch nicht würden hergestellt haben, wenn sie nichts 
weiter gethan hätten als Ziffern geschrieben. 

Was Clausberg in der Vorrede versprochen: „eine Wissenschaft gründ- 
lich und kurz zu rechnen", das hat er auch geleistet. Sein Rechenwerk 
ist iu dieser Periode hinsichtlich der grofsen Vollständigkeit und gelunge- 
nen Gruppierung des Stoffs, der sorgfältigen Auswahl und zweckmäfsigen 
Anordnung der Übungsbeispiele, der genauen Ableitung und strengen Be- 
gründung der Regeln, der zahlreichen Rechnungsvorteile und praktischen 
Auflösungsmethoden unerreicht geblieben. 

Clausbergs kaufmännisches Tabellcnwerk: „Lichl und Recht der Kauf- 
mannschaft. Danzig, 3 Teile 1724 bis 1726/' ist ein höchst praktisches 
Hilfsmittel für alle vorfallenden kaufmännischen Rechnungen. Die Tabellen 
sind in derselben Absicht hergestellt, wie die, welche wir § 57 als Preis- 
tabellen besprachen; auch ihnen können Rechnungsresultate entweder direkt 
entnommen werden, oder es lassen sich solche, welche mühsame Mullipli- 



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160 



§ 86. Schularithmetik. 



kationen oder Divisionen erfordern, durch einfache Additionen erreichen. 
Jedem Teile ist eine Anweisung zum Gebrauch beigefügt; dieser ist durch- 
gängig derselbe, nämlich Entnahme von Resultaten, um diese zu addieren. 
Man findet Tabellen zur Umrechnung von Münzen ohne und mit Agio, zu 
Wechselreduktionen mit den verschiedensten Kursen, zur Berechnung des 
Rabatts, zur Vergleichung der Münzen der ganzen Welt (mit Benutzung 
der Decimalbrüche), zur Lösung von Regeldelriaufgaben auf dem Wege der 
Addition .(Tabelle 73) etc. 

Heute« haben die Clausbergschen Tabellen keinen praktischen Wert 
mehr, weshalb wir eine nähere Besprechung unterlassen. Ihren Nutzen 
kann man erst dann begreifen, wenn man sich in die Zeit versetzt denkt, 
in welcher die Abwesenheit decimaler Währungszahlen alle praktischen 
Rechnungen sehr mühsam machte. 

Andere Autoren haben das Clausbergsche Tabellenwcrk stark benutzt, 
z. B. Graumann, Licht des Kaufmanns, Berlin 1754. — Kruse, Allgemeiner 
und besonders Hamburger Kontorist 1753 und später. — Nelkenbrechers 
Taschenbuch, Leipzig 1769. — Gerhard, Allgemeiner Contorist 1791. 

§ 86. «chtdarithmetik. Wir erinnern an die S. 149 gemachte Be- 
merkung, dafs Clausberg der Repräsentant des kaufmännischen Rechnens 
ist und dafs die lateinischen und deutschen Schulen mit ihren arithmeti- 
schen Leistungen, was die Darstellungsweise und mehr noch was die Stoff- 
menge betrifft, auf einer weit tieferen Stufe standen. 

a) Deutsche Schulen. Christian Pescheck 1 ) war der fleifsigsle und 
berühmteste arithmetische Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. Keinem 
zweiten Autor ist die Ehre so vieler Auflagen seiner Schriften so unver- 
dient widerfahren wie Peschecken. Er hat mehr als 30 verschiedene 
Rechenbücher verfafst; die wichtigsten davon sind: 1) Vorhof zur Rechen- 
kunst (von 1708 — 1768 zwölf Aufl.). — 2) Fortsetzung der Rechenkunst 
1712. — 3) Beschluis der Rechenkunst 1715. — 4) Der anfallende Rechen- 
schüler 1714 (neun Aufl.). — 5) Allgemeine deutsche Rechenslunden (von 
1723—1790). — 6) Italiänische Rechenstunden (von 1724—1762 sechs 
Aufl.). — 7) Allen drei Hauptständen nöthige Rechenstunden 1725. — 
8) Arithmetischer Löseschlüssel. — 9) Arithmetischer Hauptschlüssel 1716. 
10) Der getreue Rechenmeister 1727. — 11) ABC der Rechenkunst 
1730. — 12) Anführung zur Rechenkunst vor die Niedersächsische Jugend 
1734. — 13) Kaufmanns- und Ökonomische Rechnungen. — 14) Italiänische 

1) Christian Pescheck, geb. 1676 zn Zittau, besuchte das Gymnasium, wurde 
1690 Kopist in Bautzen, war von 1693 — 1698 Schreiber in Ungarn, bezog 1698 
die Wittenberger Universität, wurde 1701 Prediger in Nensaltz und 1704 Lehrer 
der math. Wissonschaften am Gymnasium zu Zittau, wo er 1747 starb. Jöcher 
III S. 1414. 



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§ 86. Schularithmetik. 



161 



Praktika (zehnte Aufl. 1747). — 15) Arithmetische und geometrische Er- 
quickstunden. Den Beweis Tür den vielseitigen Beifall und die weite Aus- 
breitung seiner Bücher erbringt Pescheck selbst durch eine Liste 1 ) von 
44 Schulmännern, meist Rektoren und Kantoren, aus allen Teilen Deutsch- 
lands, welche Peschecks Bücher gebrauchten. Hat man einige davon ge- 
lesen, so wundert man sich schier ob des ungeheuren Beifalls, denn er 
war in der That unverdient. Pescheck besafs nur das besondere Geschick, 
dieselbe Sache ein wenig abgeändert unter neuem Titel immer wieder an 
den Mann zu bringen; denn viele seiner Bücher sind in der Hauptsache 
übereinstimmend. Sie enthalten die Species in ganzen unbenannten, dar- 
auf in benannten Zahlen, dann die Brüche und die Regeldetri mit ihren 
einfachsten Anwendungen. Das Aufgabenmateriat ist durchgängig kinder- 
leicht und die Darstellungsweise weitschweifig bis einfältig. Obwohl er sich 
in den „Italtänischen Rechenstunden 1762" rühmt, 200 verschiedene Rechen- 
bücher zu besitzen, so hatte er den „Geist" der welschen Praktik nicht 
erfafst; denn er rechnet wiederholt sehr unpraktisch: bei2Thlr. 12 gr. 4 Pf. 
mal 36 multipliciert er erst mit 30, dann mit 6 und addiert, während 
die Praktik es so [2 Thlr. -f £ Thlr. + \ gr.] 36 viel kürzer lehrt. Die 
Multiplikationsmethode d in genanntem Buche sind mehr kurios als nütz- 
lich, sie sind ausgeführt in der Form des Triaugels, des grofsen Bären 
(Himmelswagen), des Rhombus, der Pyramide etc. Selbst Ungenauigkeiten 
liefen ihm unter: „Wenn Zähler und Nenner aus gleichen Ziffern bestehen, 
so läfst sich der Bruch mit 11 abbre vieren," was doch nur für 2n gleiche 
Ziffern pafst. Über die Zeitrechnung (Berechnung eines Zeitraums) hat 
Pescheck wacker mit gestritten, auch ein Schriftchen „Demonstration der 
Monatrechnung" verfafst. Wenn auch durch den Streit, der sich im An- 
schlufs an den Sprung in der Kalenderzählung vom 18. Februar auf den 
1. März 1700 entspann, herausgebracht wurde, dafs man den Monat event. 
zu 28, 29, 30 oder 31 Tagen und für das Jahr 1700 elf Tage weniger 
nehmen müsse, so wurde doch die Ungcnauigkeit, welche in der Anwen- 
dung von Monaten überhaupt liegt, nicht beseitigt. In der Angabe 35 Jahre 
5 Monate 12 Tage sind 5 Monate zwölfdeutig; man weifs nur, dafe es 5 
aufeinanderfolgende Monate aber nicht welche es sind. 

Trotz aller Mängel erfreuten sich die Pescheckschen Bücher einer 
grofsen Beliebtheit, und des Verfassers Ruf als eines vorzüglichen Metho- 
dikers konnte trotz vielfacher Angriffe nicht erschüttert werden. Pescheck 
hat mit seinen Büchern die bescheidenen Bedürfnisse der Schüler, des 
gemeinen Volks und der ungeschickten Lehrer zugleich befriedigt. Der 
grofsen Masse der Schüler brachten sie in den zahlreichen und leichten 



1) Im „Vorhof zur Rechenkunst" 1736 neunte Aufl. 
Uhubk, Methodik. 11 



162 



§ 86. Schularithmetik. 



Aufgaben eine ihren Kräften entsprechende Übung, der Autodidakt fand 
in der einfaltigen Lehrart ausreichende Erklärung, dem ungeschulten Leh- 
rer wurden sie durch die eingestreuten praktischen Winke, deren Gesamt- 
heit im „Arithmetischen Hauptschlüssel" niedergelegt ist, zum didaktischen 
Wegweiser. 

Obwohl Pescheck Gymnasiallehrer war, so repräsentiert der Inhalt 
seiner Bücher doch das Rechnen in den deutschen Schulen. 

b) Lateinische Schulen. Als Vertreter für das Rechnen in den latei- 
nischen Schulen wählen wir Job. Georg Gollhelf Hübsch, Lehrer der 
Mathematik an der Fürstenschule zu Pforta. Über die einfachsten Anwen- 
dungen der Regeldetri ging man im praktischen Rechnen auch hier nicht 
hinaus, wie der Inhalt des Rechenwerks von Hübsch beweist: „Arithmetica 
Portensis, Leipzig 1748" (Ganze Zahlen, Brüche, Praktik, Regeldetri mit 
Anwendungen); doch war die Behandlung bei weitem geistreicher. Übungs- 
material hat das Buch von Hübsch nur wenig, es ist daher weniger eine 
Aufgabensammlung, sondern mehr ein Lehrbuch. In der Anordnung des 
Stoffs trägt es einen logischen und in der Beurteilung der Materie einen 
kritischen Charakter. Die Definitionen werden auf ihre Richtigkeit, die 
Lösungsmethoden auf ihre Zweckmäfsigkeit, die Rechnuugsvorteile auf Ihre 
Anwendbarkeit, die Proben auf ihre Zuverlässigkeit untersucht. Hier 
macht er auf Inkorrektheiten aufmerksam, da scheidet er die kuriosen 
Methoden aus, da läfst er die gekünstelten Vorteile fallen, dort verurteilt 
er die betrüglichen Proben. Von der wahren, der Sache förderlichen 
Kritik weils er nutzlose Streitereien gar wohl zu unterscheiden und sich 
solcher zu enthalten. Z. B. „Die Beschreibung, was eine Zahl sey, ist 
vielen Controversen unterworfen, welche, wo nicht gar keinen, doch wenig 
Nutzen haben." „Das Wort dazuaddiren ist zwar ein Pleonasmus, der 
aber dem Rechnen selbst nichts schadet." „Um die Zahl der Species kön- 
nen sich die Rechenmeister noch nicht vergleichen welche Streitigkeit aber 
keinen zum Rechenmeister macht." — Aus dem Stoffe sind unter Befolgung 
des Utilitätsprincips alle entbehrlichen Partien (Progressionen, Radicieren, 
magische Quadrate etc.) ausgeschieden. 

Zur Vermeidung von Rechenfehlern betont Hübsch die so wichtige 
Sorgfalt in der äufsern Darstellung, was vor ihm noch niemand gelhan 
hat. Seine diesbezüglichen Winke haben bleibenden Wert. Er sagt (S. 41): 
„Um Irrtümern vorzubeugen, schreibe die Charaktere a) reinlich, b) deut- 
lich und c) ordentlich. Die Kalligraphie ist in Rechnungssachen weit mehr 
als die von Buchstaben zu excoliren. Ad a) Die Reinlichkeit leidet weder 
Rasuren noch Korrekturen; ad b) die Deutlichkeit erfordert sattsame 
Gröfsc und unzweifelhaften Ductus (damit man 6 von 0 und 7 von 1 
unterscheide); ad c) zur Ordnung gehört gebührender Raum (oben und 



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§87. Algebraische Beweisart. 



163 



unten, zwischen den Ziffern und zwischen den Zeilen), auch gleiche 
Disposition (d. h. Zeilen parallel, Colonnen senkrecht), auch gehörige Ab- 
sonderung durch Linien und Zwischenräume." — Das sind drei äufserst 
wichtige Forderungen, welche bei ihrer Vernachlässigung zu ebeuso vielen 
Fehlerquellen werden, bei ihrer Befolgung jedoch nicht allein die Richtig- 
keit der Rechnung fordern, sondern auch in dem Schüler den Sinn für 
Sauberkeit, Ordnung und Schönheit wecken und pflegen. 

Die Lehrthätigkeit des scharfen Kritikers und geschickten Methodikers 
Hübsch war auch erfolgreich; er selbst berichtet (I, 356): „Die Practica 
erleidet gar mancherley Variationen, wie denn ein ehemaliger Alumnus 
zum Exercitio ein von mir ohne diese Absicht vorgegebenes Exempel mehr 
als 200 mal anders ausgerechnet, wovon ich das Mauuscripl noch zum 
Andenken aufbehalte." Bei dieser Notiz begreift man das damals übliche 
Sprichwort: „Practica est multiplex." 

§ 87. Algebraische Beweisart. Algebraische Beweise trifft man in 
den Rechenbüchern nur selten, weil in der Uuterrichtsordnung die prak- 
tische Arithmetik der allgemeinen vorhergeht. Clausberg und Hübsch haben 
sich deshalb in ihren Darstellungen auch der algebraischen Mittel enthal- 
ten. Denselben Stoff wie Clausberg behandelte auch Kästner: „Fortsetzung 
der Rechenkunst in Anwendung auf mancherley Geschäfte, Göltingen 1786", 
stattete ihn jedoch durchgängig mit algebraischen Beweisen aus. Auf 
Deutlichkeit und Enlwickelung der Begriffe, auf Schärfe der Beweise und 
auf Anwendung der Vorteile der „mathematischen Rechenkunst", welche 
drei Stücke nach Kästners Urteile den gewöhnlichen Anweisungen abgingen, 
hatte er es abgesehen. „Denn die Vortheile, welche Algebra und Analysis 
gewähren, sind von solcher Wichtigkeit, dafs keiner ohne Schande ihrer 
unkundig sein kann, dafs es grofse Trägheit ist, sie nicht lernen wollen, 
und grofse Schwachheit, sie nicht lernen können. Wer ohne Buchstaben- 
rechnung rechnen lehren will, ist dem zu vergleichen, der Musik ohne 
Noten lehren will. Früher hat man ohne die neueren Hilfsmittel viel 
geleistet, aber mit Schwierigkeiten; und eben dieser Schwierigkeit wegen 
sind Erleichterungen gesucht worden. Ehe man die Logarithmen kannte, 
führte man auch grofse Rechnungen aus, rechnet aber eben jetzt mit Loga- 
rithmen. Wer die neueren Kunstgriffe nicht brauchen will, dem ist zu sagen, 
dafe die Römer zwar ohne Steigbügel aufs Pferd kamen, dafs aber der 
kein Reiter werden wird, der zu trag oder ohnmächtig ist, in den Steig- 
bügel zu treten." Algebra, Decimalbrüche und Logarithmen gewähren die 
von Kästner angedeuteten Erleichterungen. — Alle Entwickelungen sind in 
Buchstabenzahlen geführt und dadurch allgemeine, strenge Beweise gewon- 
nen worden. Wo es angeht, ist die Rechnung aufser mit den Zahlen selbst 
auch noch mit deren Logarithmen ausgeführt. Zur Charakterisierung der 

li * 



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164 



§ 88. Methodische Grundsätze. 



Kästnerschen Art wollen wir die Lehre von den Decimalbrüchen und die 
Ableitung der Kennzeichen über die Teilbarkeit der Zahlen skizzieren. — 
I. Der Decimalbruchrechnung ist die Lehre von den Potenzen voraus- 
geschickt, auf welche die Beweisführung für Multiplikation und Division 
sich stützt. Z.B. a • 10~ 5 • b • 10~ 8 = ab 10~ 8 , oder in Zahlen: 
3 • 10- 8 • 2 • 10- 3 = 6 • 10 - 8 = 0,00003 . 0,002 = 0,00000006. - 

Division: a • 10-»: b • 10— = • 10—»+". — II. Teilbarkeit der 
Zahlen. Für 2: Jede Zahl N kann auf die Form \0b -\- a gebracht wer- 
den; y = 5fc -f y wird eine ganze Zahl sein, wenn a d. i. die Einer- 
zahl gerade ist. — Für 5: Giebt man der Zahl N die Form 10 -f- a, so 
N a 

ist — = 2 b + --; und die Bedingung lautet: die Einer müssen durch 5 

teilbar sein. — Für 4 stellt man N in der Form dar 100c -f- \0b -\- a, 
für 8 in der Form lOOOrf -}- 100c -f- -f- ö » dividiert man nun be- 
ziehungsweise durch 4 und 8, so ergeben sich die bekannten Bedingungen 
bezüglich der letzten zwei oder drei Stellen. — Für 3: 

Wenn jV= a + iOb + 100^ + lOOOtf + ■ • • 



Da nun der untere Teil vorstehender Doppelreihe eine ganze Zahl ist, so 

N 1 
wird y eine solche sein , wenn y (a -f- b + c + d + ' ' ') d. i. der 

dritte Teil der Quersumme von N eine ganze Zahl ist. Ähnlich für 9. 

Gegenwärtig bedienen sich die Vertreter der praktischen Arithmetik 
nicht der algebraischen Beweisführung, sondern nur der arithmetischen 
Begründung. Jene muls auch so lange zurücktreten, bis die Schüler im 
Gebrauche allgemeiner Zahlen hinreichend geübt sind; von diesem Zeit- 
punkte an ist sie aber auch von unschätzbarem Werte. 

§ 88. Methodische Grundsätze. Wir haben § 78 als Verdienst der 
Philanthropen hervorgehoben, dafs sie ihre Zeitgenossen für das Streben 
nach Verbesserung der Methode zu begeistern wufsten. Diese Bestrebungen 
zeitigten als Früchte einige methodische Grundsätze, welche noch heute 
Anerkennung besitzen. Es sind folgende. 

1. Der Stoff ist mit Rücksicht auf den Schüler zu wählen, wobei 
Alter, Geschlecht und künftiger Beruf in Betracht kommen. — Die Be- 
folgung dieser Forderung wurde auf den Büchertiteln berührt: Bertram, 
Rechenbüchlein vor Weibsbilder 1725. — Rechenmeisterin oder Anweisung 
für ein junges Frauenzimmer (anonym), Budissin 1791. — Grüning, Rechen- 
buch für Kinder, Altona 1783. — Metternich, Gründliche Anweisung für 



dann ist 




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§ 88. Methodische Grundsätze. 165 

Anfänger, 1783. — Wilborn, Der wohlunterwiesene europäische Negociant, 
Leipzig 1773. — Kruse, Allgemeiner Kontorist, Hamburg 1753 u. 1761. — 
ßerger, Accurater Rechnungsbeamter, Dresden 1720. — Niese, Rechen- 
buch für Sehende und Blinde, Mannheim 1773. — Basedow erklärte 1 ) sogar 
hinreichende Befähigung zur Anwendung der vier Species für genügend: 
„Wenn sich jemand in Anwendung der vier Species Fertigkeit erworben 
hat, so besitzt er eine allgemeine Fertigkeit des Rechnens und bedarf 
nichts weiter. Es ist unnütz, den Schüler dann noch mit Exempeln von 
allerlei Ware, Tara, Zinseszins, Rabatt, Umwechseln der Geldsorten, Ge- 
winn- und Verlustrechnung etc. noch viele Jahre aufzuhalten." 

2. Schreite stufenmäfsig fort! — Bezüglich der ersten Rechenübuiigen 
kam man in Befolgung dieses Grundsatzes zur periodenweisen Einführung 
in das unendliche Zahlengebiet. Bisher hatte die Praxis geherrscht, die 
Schüler auf einmal in das unendliche Zahlengebiet einzuführen, indem 
man das Rechnen mit dem Numerieren zehn- bis zwölfstelliger Zahlen be- 
gann. In der Behandlung der Species war es ähnlich, auch hier wurde 
ein Fortschreiten von kleinen zu gröfseren Zahlen nur selten befolgt. 
Beispielsweise wählte Benj. Hederich („Anleitung zu den fürnehmsten math. 
Wissenschaften, 1728") für die erste Division keinen kleineren als einen 
sechsstelligen Divisor. Im Philanthropin zu Dessau drang dagegen, ver- 
treten durch Busse 8 ), die Ansicht durch: die ersten Zahlcnoperationen 
seien nur im Gebiete von 1 bis 10 vorzunehmen, dann sei ebenso das 
Gebiet 1 bis 100 und als dritte Stufe das Gebiet 1 bis 1000 zu behandeln. 
Übrigens seien die dreistelligen Zahlen zu bevorzugen, mit mehrstelligen 
solle man nur wenig und im Anfange garnicht rechnen lassen. „Erst müs- 
sen die Kinder 100 begriffen haben, ehe man sie von Tausenden und 
Millionen schwatzen läfst." (Busse.) 

3. Knüpfe an die Anschauung an! — Diesen Grundsatz verdankt die 
Methodik ebenso wie den vorigen den Philanthropen. Punkte, zu Zahl- 
bildern 3 ) formiert, bilden das erste durch Busse geschaffene Anschauuugs- 



1) Basedow, Überzeugende Methode . . . 1768. 

2) Friedr. Gottlieb von Buese, geb. 1766 zu Gardelegen in der Altmark, 
studierte Theologie, widmete sich dem Krziehungswesen und wurde 1779 Prof. 
am Philanthropin in Dessau, übernahm 1785 daselbst die Prinzenerziehung, trat 
1793 ganz in den Bofdienst (Feuerlöschwesen und Witwenkasse) und wurde 1801 
Prof. der Math, und Physik an der Bergakademie zu Freiberg, 1811 durch den 
König von Sachsen geadelt; er starb 1836 zu Freiberg. VgL Allgem. deutsche 
ßiogr. III, 649. Bezüglich seiner Verdienste als Mathematiker siehe Güntner, 
Beiträge zur Gesch. der neuern Mathematik. 

3) Busse, Rechenbuch . . . 1808, S. 6 ff., auch 1786. 



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166 §• 89. Methodische Handbücher. 

mittel für den Rechenunterricht. Genannte Zahlbilder haben folgende 
Gestalt: 

• •• ••• ••• ••• •••• •••• ••• ••• ••• ••• 

••• ••• •••• ••• ••• ••••• 

••• ••• ••• ••••• 

• • • 

Auf diese Weise geht es fort bis zur Zahl 30. Hundert Punkte sind zu 
je 10 in einer Reihe auf schmale Breltchen gebracht, deren Zusammen- 
schiebung eine quadratische Anordnung der Punkte ergiebt. Zur Zahl 
1000 ist das Zehnbild hundertmal in quadratischer Ordnung verwendet. 
Die Zahlbilder wurden in der Absicht gebraucht, dem Schüler die Menge 
der Einheilen einer Zahl zum Bewufstsein zu bringen. Beim Gebrauche 
verdeckte man einige Punkte mit der Hand und liefs dem Kinde aus den 
sichtbaren die verdeckten ermitteln. 

§ 89. Methodische Handbücher. Es ist fast selbstverständlich, dafc 
in jener Zeit, in welcher man für Methode schwärmte, auch methodische 
Handbücher, Anleitungen zur Erteilung eines erfolgreichen Rechenunter- 
richts, entstanden. Basedow erklärte bereits ihre Notwendigkeit; für eine 
wohleingerichtete Rechenschule seien drei Bücher: „eine demonstrative 
Anweisung, ein Aufgabenbuch zur Übung und ein System der Handlungs- 
wissenschaften, darin alle Commerzsachen erklärt sind", erforderlich. — 
Das erste methodische Handbuch ist Peschecks „Arithmetischer Haupt- 
schlüsscl 1741", „welcher den Präceptoribus, die seine Rechenstunden 
beim Unterrichte gebrauchten, zur Assistenz dienen sollte". Es enthält 
die ganze Rechenkunst mit ausführlicher Erklärung und überall für den 
migeschulten resp. unerfahrenen Lehrer notwendige und wertvolle didak- 
tische Winke. Bezüglich des Numerierens empfiehlt Pescheck: Lesen der 
Zahlen in, dann aufser der Reihe; Niederschreiben der Zahlen in, dann 
diclando aufser der Reihe; zur Verhütung von Irrtümern gebe man gewisse 
Anhaltspunkte z. B. zu Hunderten gehören stets drei, zu Einertausenden 
vier Ziffern etc. Basedows „Überzeugende Methode der auf das bürger- 
liche Leben angewandten Arithmetik zum Vergnügen der Nachdenkenden 
und zur Beförderung des guten Unterrichts in Schulen 1763" soll zwar 
auch ein methodisches Handbuch sein; doch enthält es nur einleitungs- 
weise einige methodische Grundsätze (trifT eine passende Auswahl des 
Stolfes, unterrichte deutlich, schreite langsam und stufenmäfsig fort, wieder- 
hole oft) und dann eine Aufgabensammlung. 

Busses „Anleitung zum Gebrauche meines Rechenbuchs" (1786, 1794, 
1800, 1804) ist die beste Leistung unter den methodischen Handbüchern 
jener Zeit. Der Verfasser war wohl der geschickteste Recheumelhodiker 
de? 18. Jahrhunderts. Er verlangt in allen Stücken Klarheit, Deutlichkeit 
und Verständlichkeit, daneben auch Akkomodation an die Denk- und 
Sprechweise des Schülers (weshalb die Proportionen als den Schlüssen 



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§ 89. Methodische Handbücher. 



167 



und Redewendungen des gemeinen Lebens zu fremdartig nicht zu gebrau- 
chen seien); er eifert gegen den unzeitigen Gebrauch der Definitionen 
(„Erklärungen stehen meist vorher, wo sie dem Anfanger nichts nützen; 
jedoch das andere Extrem wäre auch falsch, sie allemal ans Ende zu 
setzen"), betont die von einigen vernachlässigte Fertigkeit im Rechnen 
(„Schüler, die wegen mangelnder Capacität den Grund der Rechnung nicht 
einsehen können, müssen wenigstens rechnen lernen"), erklärt den zu 
häufigen Gebrauch von sinnenreizenden Gegenständen (Nüsse, Äpfel, Rirnen) 
als Anschauungsmittel für unzweckmäfsig und hält Künsteleien und das 
Streben nach einer Universalregel (wie die Reesische sein sollte) für un- 
erlaubt („Kunstgriffe und Methoden, welche nur für geniale Lehrer und 
Köpfe passen, sind zu vermeiden. — Man mufs nicht die Aufgaben für 
die Kunstgriffe einrichten, besonders nicht für selbsterdachte Lieblingskunst- 
grifle; sondern umgekehrt verfahren. — Mehrentheils erreichen diejenigen 
Wandrer am spätesten das Ziel ihrer Reise, welche allenthalben nach Fufs"- 
steigen fragen; und besonders ist es einem jeden, der während des Weges 
auf die ganze Absicht seiner Reise zu denken hat, gar sehr anzurathen, dafs 
er auf der Landstrafse bleibe, oder doch nur solche Richtwege einschlage, 
die sich ihm ganz ungesucht darbieten"). — Betreffs der Ausführung der 
von Busse aufgestellten Gesichtspunkte beschränken wir uns auf Anführung 
einiger Einzelheiten. Das Anschauungsmittel müsse möglichst qualitätslos 
sein, also nicht Nüsse, Äpfel etc., sondern Punkte, Striche. Das ganze 
Zahlengebiet sei abteilungsweise zu behandeln (1 — 10, 1—100, 1 — 1000, 
1 — oo). Behendigkeit im Addieren und Subtrahieren werde durch wieder- 
holtes Aufsagen arithmetischer Reihen mit allen Einerdifferenzen (steigend 
und fallend) erlangt. Springendes Addieren, um bequeme Summen zu 
erhalten, sei zu vermeiden, weil dadurch die Absicht, Fertigkeit im Zu- 
zählen jedes Einers zu erreichen, vereitelt und eine beständige Furcht 
vor gewissen Zahlen genährt werde. Nach den vier Species erörtert Busse 
die Behandlung der verschiedenen Ansatzformen: Dreisatz mit welscher 
Praktik, Kettensatz, Basedows Regel (siehe § 91). 

Zu den methodischen Handbüchern geboren auch noch: Splittegarb, 
Handbuch für Lehrer bei der Anleitung zum Rechnen 1784; und Bier- 
mann, Leitfaden zu einem Unterrichte im Rechnen für Lehrer 1792. 

Trotz dieser auf Verbesserung der Methode gerichteten Hilfsbücher 
war es am Ausgange des 18. Jahrhunderts mit dem Rechenunterrichte in 
der Volksschule immer noch übel bestellt, sodafs das preulsische Ober- 
schulkollegium Gelegenheit nahm, durch die „Anweisung 1 ) für die Schul- 
lehrer in Land- und Stadtschulen 1794" dem didaktischen Ungeschick der 



1) Wörtlich abgedruckt in Heppe III, 69. 



i. i. 



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168 



§ 90. Kopfrechnen. 



Lehrer an niedern Schulen zu Hilfe zu kommen. Der den Rechenunter- 
richt betreffende Abschnitt enthält die Grundzüge der Methode und läfst 
aus den positiven Vorschlägen Weg und Ziel des Rechnens deutlich er- 
kennen. Es wird darin betont: Die Erörterung über den Stellenwert, das 
Rechnen mit kleinen Zahlen durch alle Species im Kopfe, die parallele 
Retreibung des Kopf- und Tafelrechnens, das gemeinschaftliche Korrigieren 
eines an der Wandtafel gerechneten Exempels, die Wahl solcher Aufgaben, 
wie sie im Hauswesen des Landmanns und Rürgers vorkommen, die Füh- 
rung eines Haushaltungsbuches mit Einnahme- und Ausgaberegister. 

§ 90. Kopfrechnen. Soeben haben wir eine Anordnung über das 
Kopfrechnen berührt, als gesonderte Übung trat dasselbe erst gegen das 
Ende des 18. Jahrhunderts auf. Schon Hübsch hatte (Arilhm. portensis 
1748) für das Kopfrechnen eine Lanze gebrochen. Seines Wissens, sagt 
er, sei in keiner Practic ex professo davon gehandelt, ungeachtet es bei 
den meisten coneurrire; es sei das allergcschwindeste und bequemste 
Rechnen, da es ohne allen Apparat, allerwegen und zu allen Zeiten, sogar 
im Finstern geschehen könne. Erforderlich sei nur, dafs man das Unent- 
behrlichste auswendig lerne, nämlich das Einmaleins und die Reduktions- 
zahlen. — Aus der Remerkung aber, „wenn man viel mit der Feder ge- 
rechnet bat und fest darin ist, so entsteht nach und nach das Kopfrechnen 
von selbst", ersieht man, dafs Hübsch der Rechnung im Kopfe noch nicht 
die richtige (erste) Stelle einräumte. 

Im Philanlhropin zu Dessau betrieb Russe das Kopfrechnen als eine 
dem schriftlichen parallele Übung und er traf auch schon in den meisten 
Fällen das Richtige. So wurde beispielsweise in der Addition zweier drei 
stelliger Zahlen mit den Hunderten begonnen, dann wurden die Zehner 
und zuletzt die Einer hinzugefügt; in ebenderselben Ordnung subtrahierte 
man auch. Daneben lehrte er den Unterschied zweier Zahlen durch Anf- 
wärtszählen finden: 332 — 257 = 43 -f 32 = 75 und zog auch die 
Vorteile, welche durch Anwendung gewisser Zahlen in algebraischer Form 
(59 = 60 — 1) gewonnen werden, heran. Viele Regeln, meint er, könnten 
nicht gegeben werden, vielmehr bilde sich jeder seine Hilfsmittel von 
selbst; denn Freiheit und Raschheit in der Gruppierung und Verwandlung 
der Zahlen sind die Eigenschaften, durch welche sich der Kopfrechner 
vor dem, der mit der Feder nach festen Normen rechnet, vorteilhaft 
unterscheidet. 

Die speziellen Schrillen fürs Kopfrechnen nahmen mit der „Anleitung 
zum Kopfrechnen mit dem schriftlichen zu gebrauchen, Riermann" (1791, 
1795, 1812) ihren Anfang; die zweite ist: Köhler, Anweisung zum Kopf- 
rechnen 1797. Über den Wert des Kopfrechnens urteilte Köhler, es habe 
ihn eine langjährige Erfahrung hinlänglich von der Wahrheit überzeugt, 



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§ 91. Die Reefrische und die Basedowsche Regel. 169 

dafs linier seinen Rechenschülern immer diejenigen , weiche er neben dem 
Tafelrechnen auch im Kopfrechnen unterrichtet habe, die fertigsten und 
geschicktesten Tafelrechner geworden seien. Einen indirekten Nutzen des 
Kopfrechnens weifs bereits Biermann, Schreib- und Rechenmeister in 
Hannover, hervorzuheben: „Ihr bekommt dadurch ein herrliches Gedächt- 
nifs, könnt vieles schneller fassen und lange im Kopfe behalten, was andre, 
die nicht im Kopfe rechnen können, wohl bleiben lassen müssen." Schliefs- 
lich wird er poetisch und Iälst Louisens Freude über die Kunst, im Kopfe 
rechnen zu können, im Liede ausklingen: 

Ihr 1 ) könnt nur immer meine Tafel nehmen, 
Ich werde mich um sie gewifs nicht grämen! 
Was geht dem noch die schwere Tafel an, 
Der leicht und schnell im Kopre rechnen kann? 

Wie würd's mir armen Mädchen auch ergehen, 
Wie mir die Tafel bei den Schlüsseln stehen? 
In Küch und Keller lief und stiefs ich an, 
Wohl mir, dafs ich im Kopfe rechneu kann! 

Und ohne Tafel liefs ich mich betrügen, 
Mir manchen Groschen aus der Tasche lügen. 
Jetzt rechn' ich nach, und keiner sieht mirs an, 
Wohl mir, dafs ich im Kopfe rechnen kann! 

Auch wirds dadurch im Kopfe immer heller, 

Ich merk auf alles und begreife schneller 

Und lerne gern, sonst ging ich schwer daran, 
Wohl mir, dafs ich im Kopfe rechnen kann. 

§ 91. Die Reesische und die Basedowsche Regel, her Kettensalz 
und die Regel von Rees, diese beiden identischen Ansatzformen, galten 
im 18. Jahrhundert als verschiedene Ansätze. Einige Autoren (Lamboy 2 ), 
Busse) führen beide neben einander an, den Kettensatz erklärend und 
empfehlend, die Reesische Regel nur nennend und verwerfend. Die irr- 
tümliche Ansicht über die vermeintliche Verschiedenheit beider Ansätze 
bat vermutlich ihren Grund darin, dafs man beim Zurückgehen auf den 
Ursprung nicht auf dieselbe Quelle kommt. Der Keltensatz war in Deutsch- 
land schon im 15. und 16. Jahrhundert bekannt (siehe § 54), die Reesische 
Regel kam 1739 aus Holland zu uns. Die letzlere ist die Frucht des 



1) Biermann, Anleitung . . . 1795 S. 140. 

2) Laraboy, Rechenkunst in ihrem ursprünglichen Lichte, Prag 1780. 



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170 



§91. Die Reesische und die Basedowsche Regel. 



Strebens nach einer Universalregel, für welche man noch dazu den Ansatz 
fehlerfrei und ohne jedwedes Nachdenken aufstellen könne. Ein solches 
Streben fand zu allen Zeiten statt und jedes Jahrhundert hat eine Regel 
als allgemeine bevorzugt: das 16. den Dreisatz, das 17. die welsche Praktik, 
das 18. den Kettensatz, das 19. den Bruchsatz. 

„Bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Kettensatz in 
Deutschland den meisten Kaufleuten gänzlich unbekannt, in den Rechen- 
büchern gab es keine gründliche Beschreibung davon", schrieb Clausberg 
und bediente sich in der Wechselrechnung ausschließlich dieser bequemen 
Auflösungsmethode, deren Ausbreitung dadurch wegen der Beliebtheit des 
Clausbergschen Rechenwerks mächtig gefördert wurde. 

Da im 18. Jahrhundert keine Regel ohne Beweis erscheinen durfte, 
so mufste auch der Kettensatz bewiesen werden, obgleich er zur Beweis- 
führung garnicht angelegt ist. Bei besseren Autoren (Clausberg, Kruse, 
Lamboy, Busse) findet mau auch eine korrekle, wenn auch sehr weitfäufige 
Ableitung. Die Konstruktion des Ansatzes geschieht durch Vereinigung 
mehrerer Dreisätze. 

Auch in Spezialschriflen wurde der Kettensatz gelehrt: Koch, Der 
sich selbst lehrende Kettensatz, Dresden 1790. — Illing, Kurzer jedoch 
gründlicher Unterricht in der Kettenrechnung, Dresden 1791. — Hunger, 
Die Kettenregel theoretisch und praktisch erläutert 1793. 

Die Reesische Regel trägt den Namen von Caspar Franz de Rees, 
einem holländischen Lehrer (geboren 1690), der durch seine Bearbeitung 
die allgemeine Anwendbarkeit dieses Ansatzes zeigte und dadurch die Aus- 
breitung desselben veranlafste. „Allgemeine Regel der Rechenkunst von 
K. F. de Rees" kam zuerst holländisch heraus und wurde 1737 ins Fran- 
zösische übersetzt. Die französische Ausgabe übertrug Professor Kahle zu 
Göttingeu 1739 ins Deutsche. Für den Aufbau der Kolumnen ist nicht 
die kellenweise Verknüpfung der Glieder leitendes Princip, vielmehr herrscht 
noch Willkür in der Reihenfolge. Nur Beobachtung folgender Punkte ist 
geboten : Beginne mit dem Fragegliede, verwende alle Verhältnisse, bringe 
nie zwei gleiche Benennungen auf eine Seite, setze auf eine Seite dieselben 
Benennungen wie auf die andere. Die vier Stadien der Ausrechnung: Weg- 
schaffen der Brüche, Kürzen, Multiplicieren der Kolumnen, Dividieren der 
Produkte sind eingehend dargelegt. Um die allgemeine Anwendbarkeit der 
Regel zu erweisen, sind allerlei Exempel der einfachen und zusammen- 
gesetzten Regeldctri, der Gesellschaftsrechnung, sogar jsolche aus der 
Multiplikation und Division der Brüche mit ihrer Hilfe aufgelöst. Der 
umfangreichste Abschnitt ist jedoch derjenigen Gattung von Aufgaben 
gewidmet, auf welche die Methodik gegenwärtig die Anwendung der 
Reesischen Regel (resp. des Kettensatzes) beschränkt. — Nicht allein die 



• 



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§ 98. Politische Rechenkunst. 171 

zahlreichen Auflagen der deutschen Übersetzung (1743, 1751, 1753, 
1766, 1787, 1789 sämtlich von Lorenz Willig besorgt), sondern auch 
selbständige Anweisungen zur Reesischen Regel bezeugen deren günstige 
Aufnahme. 

Die Basedowsche Regel 1 ) ist zwar nach dem Muster des Kettensatzes 
konstruiert, doch kann der Ansatz nicht ohne einiges Nachdenken gebildet 
werden. Aufgabe: „1200 Mann verzehren einen Vorrat von 2400 Centner 
Mehl in 4 Monaten, wieviel Mann werden mit 4000 Ctr 3 Mt auskommen?" 
Ansatz: Nachdem die Aufgabe in zwei Zeilen geschrieben ist, wie folgt 

1200 Mann 2400 Ctr 4 Mt 
? „ 4000 „ 3 „ 

stellt man die ersten zwei Glieder einander gegenüber, die Frage in die 
„Unke Säule", welche aus lauter Divisoren, während die rechte aus lauter 
Multiplikatoren besteht. Nun entscheidet man, ob die Glieder in der 
unteren Zeile zu Multiplikatoren oder Divisoren werden. Multiplikatoren 
werden sie dann, wenn bei doppelt vorhandener Anzahl noch einmal so 
viel herauskäme; Divisoren dann, wenn sich bei doppelter Anzahl das 
Resultat in die Hälfte verwandelte. Die Glieder der oberen Zeile ordnen 
sich daun von selbst. Das Basedowsche Schema erhält die Gestalt a. 
Busse ging auf die Einheit zurück, wandte den Bruchstrich an und ge- 
wann Schema b. 

a) ? 1200 M |» M 

2400 4000 b) 1200 ' 40(K) ' 4 

3 4 2400 . 3 

Wir erkennen in der Basedowschen von Busse verbesserten Regel bereits 
den Übergang zu dem in unserm Jahrhundert beliebten Bruchsatze. 

§ 92. Politische Rechenkunst. Unter politischer Rechenkunst 2 ) 
fassen wir diejenigen Aufgaben zusammen, welch« durch die Rentenanstalten, 
Versicherungsinstitute und Aussteuerkassen an die praktische Arithmetik 
gestellt wurden. Man befragte die Arithmetik um die Dauer des mensch- 
lichen Lebens, verlangte Regeln zur Beurteilung über die Zunahme an 
Staatsbürgern, begehrte Auskunft über Hoffnungen und Wahrscheinlich- 
keiten. Statistik und Mortatitätstabellen wurden dadurch geschaffen. In 
dem zugehörigen Rechnungswesen spielen Wahrscheinlichkeit* und Renten- 
rechnung eine hervorragende Rolle. Da die politische Rechenkunst in die 

1) Baase, Anleitung . . 1808. 

2) Marperger ist der erste Schriftsteller über diese Materie. Vgl. Allgem. 
deutsche Biogr. XX, 405. 



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172 



§ 92. Politische Rechenkunst. 



Bureaux des Verwaltungswesens und nicht in die Schule gehört, so dürfen 
wir hier den Gegenstand nur ohenhin streifen. 

Die ersten Versicherungsinstitute waren die Tontinen. 1 ) Die Mitglieder 
der Tontine (Tontinisten) schliefsen unter sich und mit dem Enlrepreneur 
(Tontiiiarius) den Vertrag derart, dals jedes Mitglied ein gewisses Kapital 
einlegt und dafür jährlich bis zum Tode des letzten Mitglieds eine gleich- 
grofse Rente erhält und dafs die Rente der Verstorbenen an die Über- 
lebenden verteilt wird. Ihren Namen hat die Tontine von Lorenz Tonti, 
einem Neapolitaner, der in französischen Diensten stand; die erste nahm 
1696 unter Ludwig XIV. ihren Anfang. Jede Aktie kostete 300 U, 1726 
starb das letzte Mitglied und genofs eine Rente von 73500 U. Bei der 
Berechnung kommt neben dem Ziusfufse das meiste auf die Mortalität an; 
ist diese zu grofs angenommen, so leidet der Enlrepreneur Schaden, im 
andern Falle erleideu ihn die Interessenten. 

Errichten Gläubiger und Schuldner den Vertrag so, dars dieser jenem 
die von ihm empfangene Summe *• in n Jahren jährlich zu gleichen 
Teilen r abzahle, so ist dies eine Zeitrenle. Die Leibrente unterscheidet 
sich von jener nur dadurch, dals der Rentner die Rente bis an den Tod 
geniefst. Bei Leibrenten müssen ebenfalls Mortalitätstabellen zu Grunde 
gelegt werden. Durch Gewährung besonderer Freiheiten 2 ) an die Rentner 
mufste man anfangs das Publikum zum Ankaufe von Renten animieren. — 
Die Berechnung mufs folgende Punkte in Betracht ziehen: a) Die mittlere 
Lebensdauer, welche aus dem jeweiligen Alter und der allgemeinen Sterblich- 
keitsorduung gefunden wird, b) Beginn und Höhe der Rente, c) Einlage, 
d) den Zinsfufs, welcher nicht zu hoch angenommen werden darf. 

Die erste Sterblichkeitstabelle wurde 1691 von Caspar Neumann in 
Breslau hergestellt und von Halley 1691 zur Berechnung von Leibrenten 
benutzt. 1738 war Kerseboom für holländische Verhältnisse, 1746 Depar- 
cieux für französische und 1747 Hogdson für Londoner hierin thätig. 
1756 erschien Süfsmilchs „Göttliche Ordnung in den Veränderungen des 
menschlichen Geschlechts" (vierte Auflage 1775 besorgt von Baumann). 
Die Süfsmilch-Baiimannschen Mortalitätstabellen wurden bis in die neueste 
Zeil in den einschlagenden Rechnungen gebraucht. Süfsmilch hatte seine Er- 
fahrungen aus dem allmählichen Absterben von 1000 neugeborenen Kindern 
genommen, das höchste Alter war 97 Jahre. Jetzt bedient man sich in 
Preufsen der „Verbesserten Sterblichkcitstafel, Absterbeordnung und Lebens- 
erwartung der preußischen Bevölkerung", zu finden in: „Preufsische 
Statistik Bd. XLVIII A, Anlagen 66 und 67." 

1) Vgl. Marperger, Montes pietatis S. 258. — Desgl. de Florencourt, Ab- 
handlungeu . . S. 243. 

2) Die Renten waren keiner Verkümmerung unterworfen. 



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§ 93. Rückblick auf die zweite Periode. 



173 



In den Witwenkassen 1 ) kommt es auf genaue Bestimmung des Ein- 
satzes zur Einkaufung der Witwenpension an, wobei das Aller des Ehe- 
paares, das allmähliche Entstehen der Pensionswitwen und ihr Absterben 
und das Abnehmen der beitragenden Mitglieder in Rücksicht zu ziehen 
sind. Anfangs benutzte man auch hier die Süfsmilchsche Sterblichkeits- 
tafel. Kritter wies nach, dafs für die Witwenkassen 2 ) Tabellen hergestellt 
werden müfsten, welche auf das Absterben von Ehepaaren gegründet seien; 
er berechnete selbst solche Tabellen. 3 ) 

Die Aussteuerkassen 4 ) erforderten Tabellen über die Verheiratung von 
Mädchen. — Die Assekuranzen (gegen Schiffbruch, Hagel, Viehseuche, 
Brand etc.) müssen ihr Verhältnis zwischen Beitrag und Entschädigung 
auf Wahrscheinlichkeit über den Eintritt von Unglücksfällen gründen. 

§ 93. Rückblick auf die zweite Periode. Die auf Förderung des 
niederen Schulwesens gerichteten Bemühungen der Staatsregierungen äufser- Ä 
ten sich in dem Erlassen von Schulordnungen, und am Ende des 18. Jahr- 
hunderts war fast kein deutscher Landesteil mehr ohne eine solche. Die 
Führerschaft unter den Schulpädagogen hatten nach einander die Pietisten 
und Philanthropen; jene begründeten die Waisenpflege, Armen- und Real- 
schule und regten auch die Errichtung der Lehrerseminare an, diese rich- 
teten ihr Augenmerk auf Verbesserung der Methode. 

Den Nutzen mathematischer Kenntnisse suchte man für jeden Stand 
zu erweisen und empfahl demgemäfs allen Kreisen das Studium der Mathe- 
matik. Um die Ausbreitung der mathematischen Wissenschaften auf Hoch- 
schulen erwarben sich Wolf und Kästner hervorragende Verdienste. Claus- 
bergs „demonstrative Rechenkunst" ist die beste kaufmännische Arithmetik. 
Unter den Schulbüchern erfreuten sich, wenigstens in der ersten Hälfte 
des Jahrhunderts, Peschecks Schriften groiser Beliebtheit. 

Die Schulung des Geistes, der formale Bildungsgewinn, wurde neben 
der Vermittelung positiver Kenntnisse als neuer Zweck des mathematischen 
Unterrichts gekennzeichnet und angestrebt. Infolge dessen ersetzte man 
die mechanische Methode durch die beweisführende. Die Gesamtheit der 
methodischen Errungenschaften (StofTwahl mit Rücksicht auf die Schüler- 
kreise, Eröffnung des Verständnisses, Stufenmäfsigkeit im Fortschreiten, An- 
schaulichkeit) findet man niedergelegt in den methodischen Handbüchern, 

1) Gegründet die zu: Cassel 1760, Bremen 1764, Weimar 1757, Schwerin 
1769, Berlin 1776. 

2) Kritter ist der beste Schriftsteller darüber, er schrieb 1768 „Oekonomisch 
politische Auflösung der wichtigsten Fragen bei Errichtung dauerhafter Wittwen- 
kaseen". 

3) Gotting. Magazin d. Wisa. III. Bd., 2 St., S. 289. 

4) Krünitz, Ökonomische Encyklopädie. 



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174 



§ 98. Ruckblick auf die zweite Periode. 



welche als neue litterarische Erscheinung neben den arithmetischen Lehr- 
und Übungsbüchern in dieser Periode auftraten. 

Gewinnbringend für das schriftliche Rechnen wurden: Das Unter- 
wärtsdividieren, die von Busse verbesserte Basedowsche Regel, die all- 
mähliche Benutzung der Decimalbrüche und Logarithmen, die Beseitigung 
der gekünstelten welschen Praktik, die Verwerfung der unzuverlässigen 
Neunerprobe. 

Unter den allgemeinen Losungsmelhoden erhielt der Kettensatz (auch 
Reesische Regel genannt) den Vorzug. — Gegen Ende des Jahrhunderts 
betonte man das Kopfrechnen als eine von dem schriftlichen Rechnen ge- 
sonderte Übung. 



% 



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Die dritte Periode: von 1800 bis heute, 

Verfechtung von Principien. 



§ 94. Schulwesen. Das 19. Jahrhundert hat das Schulwesen in 
raschem Entwickelungslaufe auf eine ungeahnte Höhe der Vollkommenheit 
gebracht, sodafs sogar unter den politischen Parteien der Kampf um die 
Schule zu entbrennen droht, ein Kampf, welcher nur als der Ausdruck 
der hohen Bedeutung angesehen werden kann, welche man der Schule 
beimißt Möchten jedoch alle beteiligten Faktoren zusammenwirken, dafe 
die Schule unberührt bleibe vom Getriebe der Parteien und dafs sie un- 
entwegt festhalte an dem überkommenen Erziehungsideal, der harmonischen 
Ausbildung aller Seelenkräfte, und dafs sie von ihrer sichern Grundlage, 
dem Christentum, nicht weggerückt werde, was nur zu ihrem Ruine aus- 
schlagen mülste. 

Von dem alten Bestände der Schulgattungen haben das Gymnasium 
uod Seminar eine Differenzierung nicht erlitten, wohl aber entwickelte 
sich die Realschule nach vorhergegangener Zweiteilung in Realschule I. Ordn. 
und II. Ordn. zum Realgymnasium und zur Realschule, und die Volksschule 
stufte sich ab in eine höhere, mittlere und niedere. Als neue Schul- 
gattungen 1 ) kamen die Handels- 2 ), Gewerbe- 11 ), Landwirtschaftsschule und 
allerlei Fachschulen 4 ) (Web-, Uhrmacher-, Blech-, Klöppelschule etc.) hinzu. 

1) Fischer, „Über die zweckinäfsigste Errichtung von Lehranstalten f. d. 
gebildeten Stände" 1806. 

2) Die älteste Handelsschule ist die Hamburger, gegründet 1767; die zweite 
iflt die Lübecker; die nächste die Leipziger, 1831 von A. Schiebe gegründet; 
letztere gab durch ihren zweckmäßigen Lehrplan dem Handelsschulwesen einen 
neuen Aufschwung. 

3) Die älteste Gewerbeschule entstand 1817 zu Aachen; es folgte Frank- 
furt a. 0. 1820, Königsberg i. Pr. 1821. Ihre Organisation erhielten sie in Preufsen 
durch den 1821 von Beuth ausgearbeiteten Lehrplan. Vgl. Schmidt, Ency- 
Wopädie H, 1045. 

4) Vgl. Geisenheimer, Die preufs. Fachschulen, Breslau 1877. — DesgL 
Schultheifs, Heft IV und V. 



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170 



§ 96. Das Princip der Anschauung. 



Zur Leitung des Schulwesens sind besondere Behörden eingesetzt, an 
die Schulamtskandidalen werden in den Prüfungen immer höhere An- 
forderungen gestellt, regelmäßige Schulvisitationen sind angeordnet, der 
Schulbesuch aller schulpflichtigen Kinder wird mit Strenge überwacht. 
Gar sehr hat die Vergangenheit hinsichtlich der Besoldung der Lehrer 
gesündigt, in der Neuzeit suchen die Behörden auch die äufsere Lage der 
Lehrer erträglich und angemessen zu gestalten; schon viel ist in dieser 
Hinsicht geschehen, doch lange noch nicht genug. 

Das in dieser Periode für die Methodik des Rechnens Neugeschaffene 
bezieht sich im wesentlichen auf den Elementarunterricht. Drei Grund- 
sätze sind bezüglich dieser Stufe nach einander als oberste Principien 
alles Rechnens verfochten worden: Die Grundlage alles Rechnens ist die 
Anschauung (Pestalozzi 1803); die Grundlage alles Rechnens ist die all- 
seitige Zahlbehandlung (Grube 1842); die Grundlage alles Rechnens ist 
das Zählen (Tanck und Knilling 1884). 

§ 95. Das Princip der Anschauung. I. Pestalozzi. Pestalozzi, der 
Vater des modernen Erziehungswesens, ist der Name, an welchen sich 
auch die gänzliche Neugestaltung des elementaren Rechenunterrichls knüpft. 
Seiner Ansicht nach war die bisherige Unterrichtsweise zweimal eine ver- 
kehrte. „Es war eine Unterrichtsweise, die sich damit begnügte, das 
Gedächtnis mit einem Wust von Namen und Sachen (= Regeln) zu über- 
laden; ohne die Wechselwirkung dieser Seelenkrafl mit der Einbildungs- 
kraft, die lediglich auf Anschauung beruht, zu beachten und zu benutzen, 
oder wohl gar alle Entwickelungsslufen des menschlichen Geistes über- 
springend unmittelbar den Verstand des Kindes in Anspruch nahm und 
ihn, wie unverdaulich auch die Speise war, mit lauter Gedankenhülsen, 
mit trocknen Analysen der Begriffe, mit Definitionen und Distiuktionen 
übersättigte." 1 ) Dem gegenüber betonte Pestalozzi, der Rechenunterricht 
habe an die Anschauung anzuknüpfen und die Übungen seien, den 
psychologischen Gesetzen gemäfs, auf jeder Stufe mit der Entwickeluug 
der Denkkraft des Schülers in Übereinstimmung zu bringen. Vor Pestalozzi 
herrschte im Rechenunterrichte einseitige Objektivität, der Stoff wurde 
dem Schüler als eine abgeschlossene Kunst vorgeführt, die Ziffer war die 
Hauptsache. Pestalozzi fafste das Subjekt und dessen psychologische Ent- 
wickelung ins Auge, er abstrahierte vollständig von der Ziffer und behan- 
delte nur die Zahl. Durch diesen Fortschritt vom Zeichen zur Sache 
erhob er das Rechnen zum wichtigsten Fache des Elementarunterrichts, zu 
dem es bis dahin nicht gehört hatte. 

Zur herrschenden Ansicht über den Zweck des Unterrichts trat 



1) Pestalozzi, Anschauungalehre der Zahlenverhältnisse II, Vorrede. 



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§ 96. Das Princip der Anschauung. 177 



Pestalozzi in direkten Gegensatz. Nicht Rechenfertigkeit, sondern Ent- 
wickelung und Stärkung der geistigen Kraft war sein Ziel. „Ich hahe mit 
den Übungen dem Publikum nichts andres als durch praktische Anwen- 
dung entschieden bewährte Mittel zur Entwickclung, Übung und Bildung 
der Vernunftkraft in die Hand geben wollen. Der Zweck dieser Übungen 
ist durchaus kein andrer als der, die Vernunft anläge des Menschen zur 
Vernunftkraft zu erheben. Und es ist unrichtig, sie in dem engen Ge- 
sichtspunkte eines Mittels, die Kinder rechnen zu lehren, zu fassen. Diese 
Übungen sind nur Übungen der Kraft, der Kraft in der Anschauung reiner 
Verhältnisse." 1 ) 

Genannte Übungen sind niedergelegt in den drei Heften der „An- 
schauungslehre der Zahlenverhältnisse 1803", bearbeitet von Pestalozzis 
Schüler Krüsi. Die dazu gehörigen Anschauungsmittel sind drei 
Tabellen: Die Einheilenlabelle und zwei Bruchtabcllen, von denen jede 
ein Quadrat mit 100 quadratischen Zellen ist. Auf der Einheitentabelle 
sieht man zeilenweise zehnmal 1 Strich, zehnmal 2 Striche etc. bis zehn- 
mal 10 Striche. Auf der ersten Bruchtabelle sind die obersten 10 Zellen 
ungeteilt; die 10 Zellen der zweiten Reihe sind durch vertikale Striche 
halbiert, die Zellen der dritten Reihe sind durch zwei Striche gedrittelt etc., 
die Zellen der untersten Reihe sind auf dieselbe Art in zehn gleiche Streifen 
geleilt. Auf der zweiten Bruchtabelle ist die eben beschriebene Teilung 
zweimal, horizontal und vertikal, ausgeführt. Will man sie herstellen, so 
teile man erst die Zellen nach Anleitung der ersten Bruchlabelle, drehe 
dann die Tabelle um 90° so, dafs die ungeteilten Zellen links stehen, und 
wiederhole hierauf die Teilung noch einmal. Die erste Zelle ist dann 
ungeteilt und die letzte zeigt 100 kleine Quadrate. 

Pestalozzis Übungen. Das erste Heft lehrt in acht Übungen auf der 
Einheitentabelle die geometrischen Verhältnisse der ganzen Zahlen von 
1 bis 100. Die erste Übung bezweckt die Orientierung auf der Tabelle, 

das Kind zeigt und spricht: „1 mal 1, 2 mal 1 etc bis 10 mal 10." — 

Die zweite Übung verwandelt die Einheilen in Zweier, Dreier . . . Zehner; 
540 Sätze, etwa von der Form: „19 mal 1 ist 9 mal 2 und 1 mal der 
halbe Teil von 2." Die dritte Übung verwandelt die Zweier in Dreier, die 
Dreier in Vierer etc., die Neuner in Zehner, immer mit Zurückgehen auf 
die Einheiten, in 440 Sätzen von der Art: „9 mal 9 und 8 mal der neunte 
Teil von 9 ist 89 mal 1, 89 mal 1 ist 8 mal 10 und 9 mal der zehnte 
Teil von 10." In der vierten Übung wird der wie Teil einer Zahl mit 
einer der ersten 10 Zahlen multipliciert, 729 Sälze von der Form: „3 mal 
der zehnte Teil von 100 ist 3 mal 10, 3 mal 10 ist 30." — Die fünfte 



1) Anachauungslehre d. Zablenverhiütnisse III, Vorrede. 
Uwo«k, Methodik. 12 



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178 



§ 95. Das Princip der Anschauung. 



Übung bildet geometrische Verhältnisse mit ganzen Exponenten in folgender 
Form: „9 mal 1 ist 1 mal 9, 90 mal 1 ist 10 mal 9, folglich ist 1 mal 9 
der zehnte Teil von 10 mal 9." — Die sechste Übung dehnt die Bildung 
geometrischer Verhältnisse auf gebrochene Exponenten aus, 360 Sätze von 
der Form: „12 ist 2 mal 6, 18 ist 3 mal 6, folglich ist 2 mal 6 zweimal 
der dritte Teil von 3 mal 6." — Die achte Übung bildet Proportionen. 

Im zweiten und dritten Hefte (12 und 8 Übungen) sind auf den 
Bruchtabellen die Brüche behandelt. Die erste Bruchtabelle veranschau- 
licht die Brüche mit den Nennern 2 bis 10, die zweite diejenigen mit 
den Nennern bis 100. Auf der Einheitentabelle ist die Einheit durch den 
Strich, auf den Bruchtabellen durchs Quadrat dargestellt. — Die erste 
Übung auf der ersten Bruchtabelle lehrt die Entstehung der Brüche aus 
der Einheit. Die zweite Übung verwandelt Bruchteile in Ganze und um- 
gekehrt, 540 Sätze von der Form: „49 Fünftel sind 9 Ganze und viermal 
der 5te Teil von 1 Ganzen." Die dritte Übung bildet Verhältnisse aus 
gleichnamigen Brüchen, 17 280 Sätze von der Form: „17 Halbe sind 
2 mal 7 Halbe und dreimal der 7te Teil von 7 Halben." Die vierte 
Übung lehrt die Entstehung des Bruchs aus mehreren Ganzen. Die fünfte 
Übung multipliciert die Brüche, z. B. 10 mal der 4te Teil von 7 Ganzen 
sind 10 mal 7 Viertel, 10 mal 7 Viertel sind 70 Viertel, 70 Viertel sind 
17 Ganze und 2 Viertel. Die sechste Übung umfafst (5400 Sätze) Multi- 
plikationen und zwar als umgekehrte Divisionen. Die siebente Übung lehrt 
aus Produkt und einem Faktor den anderen suchen. Die achte bis zwölfte 
Übung bilden Proportionen; z. B. „Zu welcher Anzahl von Ganzen ver- 
halten sich 7 Ganze und 2 Neuntel, wie sich 3 Ganze und 5 Neuntel zu 
32 Ganzen verhalten?" Lösung: „7jj verhalten sich zu 9 mal 7§, wie 
sich 3 Ganze und 5 Neuntel zu 9 mal 31$ verhalten; 9 x 7$ = 65, und 
9 x 3£ = 32, folglich verhalten sich 7 Ganze und 2 Neuntel zu 65, wie 
sich 3£ zu 32 verhalten." 

Die acht Übungen auf der zweiten Bruchtabelle umfassen das Er- 
weitern und Kürzen eines Bruches. Dann folgt die Division der Brüche 
durch ganze Zahlen und die Multiplikation zweier Brüche. Hieran schlierst 
sich wieder die Bildung von geometrischen Verhältnissen und von sechs 
Arten Proportionen. 

Das ist die vielgepriesene „Anschauungslehre der Zahlenverhällnisse"; 
das alles wurde ohne Gebrauch der Ziffer auf den Tabellen vorgenommen, 
dabei hatte ein Ausspruch des Schöpfers jener wunderlich klingenden 
Übungen das lückenlose Fortschreiten von Übung zu Übung, von Satz zu 
Satz zur unerbittlichen Pflicht gemacht. „Um aber das Kind zu dem be- 
stimmten Grade der Denkkraft, welche die richtige Beantwortung der hier 
vorkommenden Fragen voraussetzt, zu führen, mufs man von der ersten 



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§ 96. Das Princip der Anschauung. 



179 



Übung der Tabelle an bis zu dieser achten niemals zu einer zweiten vor- 
rücken, bis das Kind zur unbedingten Fertigkeit in der vorhergehenden 
gelangt ist, oder bis die Anschauungen, auf welchen die Beantwortung 
einer jeden Frage beruht, in ihm zum unauslöschlichen Bewufstsein ge- 
bracht sind." 1 ) 

Anerkennung fand nur das Peslalozzischc Princip, alles andre nicht. 
Die Übungen und Tabellen verwarf man; die Erhebung der formalbilden- 
den Kraft der Zahlenübungen zum Hauptziel des Rechenunterrichts und 
fiie Hintansetzung der Rechenfertigkeit erklärte man für Irrtümer, nur den 
Grundsatz der Anschaulichkeil hat mau hoch gehalten bis auf diesen Tag. 

Kritik. Gegen die Übungen ist geltend zu machen: Der dekadische 
Aufbau unseres Zahlensystems, der doch so viele Rechnungsvorteile in sich 
schliefst, wird garnicht berührt; Addition, Subtraktion und Division treten 
nicht als gesonderte Übungen auf, nur die Multiplikation wird gepflegt; 
das sprachliche Beiwerk erstickt fast die Hauptsache in den Sätzen, nämlich 
die arithmetische Wahrheit; der Gebrauch der Ziffer tritt viel zu spät, 
das Rechnen mit benannten Zahlen garnicht ein. „Die Übungen an der 
Einheitslabelle gehören zu dem Ungeheuerlichsten, Bizarrsten, Extravagan- 
testen und Vertrakteslen, was auf dem Gebiete der Unterrichtsmethode 
jemals produciert wurde." 2 ) Wir meinen, dafs vorstehende Worte (ge- 
schrieben 1884) nicht von derjenigen Pietät eingegeben sind, welche die 
Nachwelt dem gröfsten Pädagogen und Menschenfreunde ihres Jahrhunderts 
schuldig ist. 

Die Pestalozzischen Tabellen entbehren der durch die Zahl selbst 
indicierlen wesentlichsten Eigenschaft eines Anschauungsmittels für die 
Zahl, nämlich der Veränderlichkeit. Die Zahlen sind der Veränderung fähig 
und alles Rechnen läuft auf ein Kombinieren gegebener Zahlen zu neuen 
hinaus, demgemäfs mufs auch das Anschauungsmittel veränderlich und 
kombinationsfiiliig sein. Pestalozzis Tabellen tragen aber das Gepräge 
vollendeter Starrheit. — Dazu kommt der Umstand, dafs sie in ihrer fer- 
tigen Gestalt mehr enthalten als jeweilig gebraucht wird, wodurch sie die 
Konzentralion der Aufmerksamkeit auf einen Punkt hindern. Schliefslich 
ist die vermeintliche Anschauung zum grofsen Teile ein leerer Wahn. Denn 
der Zahl begriff wird garnicht durch Anschauung, sondern durch den Zähl- 
akt gewonnen. Wir können einen Haufen Markstücke, Eier, Gurken, Nüsse, 
Stimmzettel etc. noch so lange und noch so aufmerksam betrachten, an- 
sehen, „anschauen", wir erfahren dadurch keineswegs die Anzahl der Ein- 
heiten, dazu ist das Zählen nötig. Kenntnis des Einmaleins kürzt den 



1) AnBchanuogalehre d. Zahlenverhältnisse . . I. Heft, Scblnfsbemerkung. 

2) Knilling, Reform d. Rechenunterrichta I, 68. 

12* 



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180 



§ 96. Das Princip der Anschauung. 



Zählakt ab, sobald die Einheilen gruppenweis, zu Zweien, Dreien, Vieren, 
Fünfen, geordnet sind. Mehr als fünf Einheiten oder Teilungen können 
wir überhaupt nicht anders als abteiluugs weise „übersehen", durch den 
Anblick der Skalen auf Instrumenten kann man sich von dieser Thatsache 
überzeugen; die Einschaltung längerer Teilstriche gewährt die nötigen 
Ruhepunkte und diese ermöglichen erst die Übersicht. — Wer nicht weifs, 
dafs das letzte Quadrat der Pcstalozzischen zweiten Bruchlabelle in 100 
kleine Quadrate geteilt ist, erfährt es durchs Anschauen nicht. 

Wie entzückt Pestalozzi anfangs von seinen Tabellen war, beweist 
folgender Ausspruch: „Wenn mein Leben einen Wert hat, so besteht er 
darin, dafs ich das Quadrat zum Fundament einer Anschauung erhob, die 
das Volk nie hatte"; wie gering er aber später von ihnen dachte, zeigt 
der folgende: „Dem Schüler auf einmal eine Tabelle zu zeigen, die zehn- 
mal 1, zehnmal 2 bis zehnmal 10 Striche enthält, ferner eine zweite 
Tabelle für die einfachen Brüche, die 10 einzelne Quadrate, hernach 10 
Quadrate, wovon jedes halbiert, und so weiter bis zu 10 Quadraten, wovon 
jedes in 10 gleiche Theile getheilt ist, darstellt, und endlich eine dritte 
Tabelle für die doppelten Brüche, die auf die nämliche Art, wie die Tabelle 
der einfachen Brüche einfach, doppelt getheilt ist, ist nicht geeignet, sein 
Anschauungsvermögen zu entwickeln, was doch im Anfange so nolhwendig 
ist. Die Ausdehnung der Anschauungsgegenstande soll eine Folge der Ent- 
wickelung der Anschauungskraft sein. Das, was wir in den Tabellen vor 
uns sehen, wäre das lelzte, was man diesfalls dem Schüler vorlegen 
dürfte." ») 

Die formalbildende Kraft der Pestalozzischen Zahlenübungen wurde 
begründet durch die Art der Durchführung des Princips. Konsequenz, 
Stufenmäfsigkeit und Lückenlosigkeit sind in die Augen springend; doch 
Einfachheit, Leichtigkeit und Bündigkeit fehlen. Dadurch, dafs auf die 
Benutzung bereits gewonnener Resultate verzichtet und immer wieder auf 
die Einheiten zurückgegangen wird, entsteht die überaus lästige Weit- 
läufigkeit. Durch die ungeheure Ausdehnung wird die so nötige Strenge 
in der Lückenlosigkeit der Übungen zur marternden Fessel für die nicht 
minder nötige Freiheit. Pestalozzis Unterrichtsordnung gestaltet kein Eilen, 
kein Weilen; sie hebt die freie Mitteilung des Lehrers an den Schüler 
und umgekehrt auf. Die Wechselwirkung, der Ideentausch, das Auffassen, 
das Berichtigen, das Fortbilden der Ideen im Kinde, das Üben der Kraft 
an jedem vom Zufall oder vom Lehrer herbeigezogenen Gegenstände: das 
alles fallt fort, wo ein unerbittliches Gesetz jeden belebenden Zwischcn- 



1) Pestalozzis sämtliche Schriften, Seyffarths Ausgabe, Stuttgart 1826 
XIV, 134. 



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§ 95. Das Princip der Anschauung. 



181 



gedanken zurückdrängt. — Schliefslich läfsl sich einwenden, dafs Pesta- 
lozzis Rechenübungen gar keine wahre Verstandesübung enthalten. Es findet 
weder ein Subsummieren besonderer Fälle unter allgemeine Sätze, noch 
ein Generalisieren, eine Abstraktion allgemeiner Sätze und Methoden aus 
Einzelurteilen, noch ein Schliefsen statt. Was von der Einheit gesagt 
wird, gilt zweimal von der 2, dreimal von der 3 etc. lückenlos bis zehn- 
mal von der 10. Diese Arbeit ist kein Schliefsen, sondern ein einfaches 
Weiterzahlen. Wenn ich einen Schlufs auf 10 brauche und ich mufs 
vorher die gleichen Schlüsse für 1, 2 bis 9 thun, so wird diese lückenlos 
fortschreitende Schlufsweise zum mechanischen Zusammenzählen. Die 
Pestalozzische Methode 1 ) ist daher weniger eine Übung der Denkkraft, als 
vielmehr ein logischer Mechanismus, weil sie nur die allereinfachslen 
logischen Gesetze unaufhörlich übt, nämlich von 1 auf 2, von 2 auf 3 etc. 
zu schliefsen. 

Die Unvollkommenheit seiner Rechenübungen erkannte Pestalozzi in 
den späteren Lebensjahren selbst und es war sein Wunsch, andre möchten 
vollkommener gestalten, was er mangelhaft lief*. „Oft sagte er mir, dafc 
er das Ganze nur als einen empirischen Versuch betrachtet wissen wolle, 
über dessen Werth oder ünwerth die Erfahrung entscheiden müsse; dafs 
er zwar seine Hauptgrundsätze für unbezweifelt wahr, aber die Versuche 
ihrer Anwendung für unvollendet und einer ungleich höheren Vervollkomm- 
nung fähig halte, als er ihr bis jetzt gegeben habe. Er nährt die Hoffnung, 
dafs Andere, und wenn auch in neuen Formen, vollenden werden, was 
er bei seinein Alter nicht mehr zu vollenden vermöge." 2 ) — Der Wunsch 
des Meisters wurde erfüllt; die besten Pädagogen und hochgestellte Schul- 
männer widmeten der Vervollkommnung der Pestalozzischen Methode ihre 
Kraft. Wir gedenken ihrer Erfolge unter dem Titel: 

II. Die Nachfolger Pestalozzis. Pestalozzi gewann durch die 
Wärme des Gemüts, durch die edle Hingabe an den Beruf und die Holf- 
nungsfreudigkeit, mit der er seine Ideen verkündete, alle Kreise. Wie ein 
Lauffeuer verbreitete sich sein Ruf über ganz Deutschland; aus allen Gauen 
pilgerten jetzt, wie zu den Zeiten Bruns' nach Rekan, die Pädagogen 3 ) 
nach Merten, um zu sehen und zu lernen. Mit Pestalozzi begann die Zeit 
der Schwärmerei für unseren Unlerrichtsgegensland. Schwärmerei schadet 
ja überall, indem sie der Sache eine gröfsere Wichtigkeit beilegt als ihr 

1) Zur Kritik darüber vgl. Niemeyer, Grundsätze d. Erziehung u. d. Unter- 
richts 1810, III, 393 — 476. Desgl. Holtmann, Die Pestalozzische Zahlenlehre .. . 
1810. Desgl. Knilling, Zur Reform des Rechenunterrichts 1884, I, 44 fi'. 

2) Passavant, Darstellung u. Prüfung d. Pestal. Methode, Lemgo 1804 S. 13. 

3) Raumer, Gesch. d. Pädag. II, 424 zählt über 40 nachmals berühmte 
Schulmänner auf, welche als Gäste in lfferton erschienen. 



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182 



§ 96. Das Princip der Anschauung. 



zukommt, indem sie über das rechte Ziel hinauswill und bezüglich der 
Mittel nur selten die glücklichste Wahl trillt. Am empfindlichsten rächt 
sie sich auf dem Gebiete des Unterrichts. Hier offenbart sie sich in der 
Anstrebung unmöglicher Ziele und führt zur Zeitverschwendung, zum nutz- 
losen Kraftverbrauch und zur Überbürdung der Schüler. 

Zweierlei Art sind die Jünger Pestalozzis. Die einen, ihrem grofseu 
Lehrer sklavisch folgend, klammern sich fest an die Tabellen und führen 
gewissenhaft die Übungen durch, über welche der Meister selbst deu Stab 
gebrochen hat. Da sie nichts ändern am Systeme, kommen sie auch 
keinen Schritt weiter. Die andern, den Geist der Methode erfassend, 
bessern und bauen aus, was der Meister unvollkommen liefs; sie allein 
sind für die weitere Entwickelung von Bedeutung. Erstens, zu denen 
Gruner, Götz, Kawerau gehören, übergehen wir. 

Die beiden Angelpunkte der Pestalozzischen Methode: die Anschauung 
als Grundlage und die formale Bildung als wesentlichstes Ziel, wurden von 
allen unverrückt festgehalten. 

Eine Umarbeitung der Pestalozzischen „Anschauungslehrc der Zahlen" 
lieferte Schmid, ein Mitarbeiter am Institut zu Uferten, in dem Werkchen 
„Elemente der Zahl (1810)*'. Schmid verliefs das Quadrat und brauchte 
als Realzcichen nur die Linie. Für jede Übung gab er ein spezielles, 
kleines Täfelchen, wodurch freilich das Tabellenmaterial (in jenem Buche) 
auf sieben Bogen anwuchs. Zu geeigneter Zeit entsagte er dem Gebrauche 
des Anschauungsmittels ganz; auf die gerühmte Lückcnlosigkeit legte er 
keinen Werl. 

Eine selbständige Bearbeitung des Rechenunterrichts nach Pestalozzi- 
schen Grundsätzen brachte zuerst Till ich, Direktionsmitglied eines Knaben- 
inslituts zu Dessau: „Anleitung zur Rechenkunst, drei Teile 1806." Das 
Ziel seines Unten'ichts ist „rechnend denken und denkend rechnen" zu 
lehren, der Weg dazu ein methodischer und systematischer Gang, ein 
langsames, besonnenes und stufenweises Fortschreiten. Das Kopfrechnen 
(gelehrt im ersten Teile) steht im Vordergrunde, weil die Kopfarbeit beim 
Rechnen die Hauptsache sei und die schriftliche Rechnung immer nur als 
Hilfsmittel fürs Gedächtnis angesehen werden müsse, das nicht imstande 
sei, allzu grofse Zahlenreihen zu behalten. Zur Einführung in das Wesen 
aller arithmetischen Operationen benutzte er nur das Zahlengebiet von 
1 bis 10. Das bei den Einern Gelernte übertrug man auf die Zige *), 
Hunderter, Tausender. Die Kopfrechnungen wurden hin und wieder auch 
schriftlich durch willkürlich gewählte Zeichen (Striche, Punkte — aber 



1) Z. U. „Bei 3x30 zu sagen: 3x3 = 9 und die Null aDgebängt, giebfc 
90, das macht dio Sache nicht deutlich; es mufs heifsen 3 X 3 Zig = 9 Zig." 



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§ 96. Das Princip der Anschauung. 



183 



nicht Ziffern) dargestellt. — Das schriflliche Rechnen (im zweiten Teile) 
ist ganz kurz behandelt, weil ihm nur eine untergeordnete Bedeutung 
beigelegt wurde. — Der dritte Teil enthalt den Stufengang der Übungen 
und die Beschreibung des methodischen Verfahrens. 

Die Fortschrille Tillichs gegen Pestalozzi bestehen: erstens in der 
Wahl eines zweckmäfsigeren Anschauungsmittels, zweitens in der Gründung 
des Slufenganges der Übungen auf die Zehnerordnung des Zahlensystems 
und drittens in der beim Fortschreiten in den Übungen gewährten Frei- 
heit. Tillichs Anschauungsmittel sind 100 Hölzer, gerade Prismen mit 
quadratischer Basis, und zwar 10 zchnzollige, 10 neunzollige etc. 10 ein- 
zöllige oder Kuben. Der Kubus repräsentierte die Einheit, das zehnzollige 
Prisma die 10. Operiert wurde damit auf folgende Art, beispielsweise 
mit dem Achterprisma: Man stellte dieses auf und daneben so viele 
kleinere (entweder gleichgrofse oder verschiedene) auf einander, bis die 
gleiche Höhe mit dem Achterprisma erreicht war; dann sah man nach, 
was man hatte, und fand etwa: 8 Einer oder 4 Zweier oder 2 Vierer 
oder 1 Fünfer und 1 Dreier etc.; schliefslich brachte man behufs (Jewiu- 
nung der arithmetischen Wahrheiten die gefundenen Ergebnisse in die 
gehörige sprachliche Form (etwa: 5+3 = 8, 8 — 5 = 3, 8x1=8, 
2 X 4 = 8, 2 ist in 8 viermal enthalten etc.). — In der Kombinations- 
fähigkeit der Tillichschen Hölzer liegt ihr Vorzug vor den Pestalozzischen 
Tabellen. 

Die Betonung der Zehnerordnung gegenüber dem immer erneuten 
Zurückgehen auf die Einheit nach Pestalozzischer Weise begründete Tillich 
damit, dafs es bei grofsen Zahlen schlechterdings unmöglich sei, sich aller 
ihrer Einheiten insbesondre bewufst zu werden, dafs dieses vielmehr nur 
gruppenweis geschehen könne. Die Mittel zur gruppenweisen Vorstellung 
der Zahlen (nach Einern, Zigeu, Hunderten etc.) gebe der dekadische 
Aufbau des Zahlensystems selbst an die Hand. Die gehörige Benutzung 
dieser Mittel, sowohl bei der Zahlvorstellung wie auch in dem Stufengange 
der Übungen, sei die Ausdehnung des Princips der Naturgemäfsheit der 
Methode, welches Pestalozzi ausschließlich in Rücksicht auf das Subjekt 
des Unterrichts (das Kind) durchgeführt habe, auch auf das Objekt des 
Unterrichts (das Fach); und die Naturgemäfsheit der Methode bezüglich 
des Objekts sei nicht minder notwendig als die bezüglich des Subjekts. 

Die so nötige Freiheit beim Fortschreiten in den Übungen erreichte 
Tillich dadurch, dafs er diese von Stufe zu Stufe nur andeutete und nicht 
in lückenloser Reihenfolge, wie Pestalozzi that, vorschrieb. 

Bezüglich der Einführung der Pestalozzischen Methode in die Schulen 
ging Bayern voran, wo im Anfange dieses Jahrhunderts der Kirchen- und 
Schulrat Stephani seine für die Hebung des Schulwesens so segensreiche 



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184 § 95. Das Princip der Anschauung. 

Thätigkeit 1 ) entfaltete. — Schon 1804 benutzte das bayerische „General- 
Schul- und Sludicndirektorium" in dem Lehrplane 8 ) für Volksschulen das 
durch Pestalozzi hervorgerufene pädagogische Schlagwort des 19. Jahr- 
hunderts „Anschaulichkeit"; die für die Unterklasse getroffenen Be- 
stimmungen lauten daselbst: ,,a) Anschauliche Entwicklung der Begriffe 
Einheit und Mehrheit, b) Zählfibungen von 1 bis 10 und dann bis 100 
vor- und rückwärts, c) leichte Beispiele vom Vermehren und Vermindern 
der Zahlen als Grund eines anschaulichen Einmaleins" etc. — 1809 
fährte man die Peslalozzische Methode durch das „Allgemeine Regulativ 3 ) 
für die Ordnung der Lehrerseminare" auch in den bayerischen Seminaren 
ein: „Die Hauptforderung in Ansehung der Lehrform — heifst es dort — 
besteht darin, dafs es jederzeit als die Hauptaufgabe zu betrachten sei, 
das Nachdenken der Lehrlinge zu erwecken, die Denkkraft und Beobachtungs- 
gabe derselben zu üben und den Geist zu freiem und vielseitigem Ge- 
brauche seiner Kräfte zu stärken. Diese Aufgabe ist nicht anders als 
dadurch zu lösen, dafs alles blofs mechanische Einlernen sorgfältig ver- 
mieden und unnachlässig darauf gedrungen werde, alle Lehrgegenslände 
zu einer lebendigen Anschauung zu bringen. Da nun diese rücksicht- 
lich der Form des Unterrichts hier eben aufgestellte Hauptforderung das 
Wesen der Pestalozzischen Lehrmethode zugleich enthält und das Haupt- 
verdienst der erwähnten Lehrart unstreitig darin besteht, mit Eifer darauf 
zu dringen, dafs der Unterricht für die unteren Volksklassen von dem 
geisttötenden Mechanismus endlich befreit werde, so ist klar, wiefern auch 
auf die Forderungen der Pestalozzischen Methode in dem Unterrichte der 
Seminare Rücksicht zu nehmen ist." — Stephanis Verdienste um den 
Recheiiunterrichl werden in den Geschichtswerken über Pädagogik in der 
Regel damit charakterisiert, dafs man sagt, er habe das „Denkrechnen" 4 ) 
in die Schule eingeführt. Er wollte das Bestehende nicht — wie die 
strengen Pestalozzianer — revolulionsmäfsig umstürzen, sondern nur das 
Unvollkommene bessern und das Neue nach Möglichkeit mit dem Alten 
vereinigen. Noch etwas Neues aufstellen wollen, sei Thorheit; das Vor- 
handene bessern sei die einzige noch übrige Arbeit. Eine solche Sprache 
wirkt ja immer, auch der am Alten Hangende schenkt ihr Gehör. 
Stephanis Verbesserungen des Rechenunterrichts bestehen nach seinen 
eignen Worten darin: „1. dafs ich das höchste Princip der Unterrichts- 
kunst: behandle jeden Gegenstand als einen Stoff, an welchem sich die 

1) Siebe darüber Schmidt, Encyklopädie IX, 178 — 186. 

2) Wörtlich abgedruckt in Ileppe, Gesch. d. Volksschulw. IV, 48. 

3) Vollständig abgedruckt in Heppe IV, 56. 

4) Stephani, Ausführliche Anweisung zum Rechenunterricht iu Volksschulen 
nach der bildenden Methode 1816. 



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II II III l l~ 1 1 



§ 96. Das Princip der Anschauung. 



185 



Kräfte deiner Schüler selbstthätig für den Zweck ihres Daseins entwickeln 
müssen, auf die Zahlenkunde aufs genaueste anzuwenden suchte; die 
Rechenkunst erscheint hier als eine Aufgabe für den jugendlichen Geist, 
die Zahlenwelt seiner Selbstkraft unterwürfig zu machen; für meine 
Rechenschülcr giebt es noch kein Zahlensystem, sondern sie müssen zur 
Begründung ihrer Geistesherrschaft dieses neue Reich sich selbst schaffen 
und ordnen; 2. dafs ich überall dafür sorgte, die Lehrer in den Stand 
zu setzen, sich dessen, was sie hier zu leisten haben, deutlich bewufsl 
zu werden; 3. dafs ich die bisherigen fünf Rechenspecics (mit Numerieren) 
durch eine neue, das Ponderiren, vermehrte; diese einzige kleine Lücke 
war auszufüllen, um dem bisherigen Systeme der Rechenkunst seine 
Vollendung und dadurch ewige Haltbarkeit zu geben; durch diese neue 
Species wird der Mechanismus im Rechnen völlig vernichtet und die 
Rechenkunst zu einem leichten Spiel des jugendlichen Geistes erhoben; 
4. dafs ich den Rechenunterricht richtiger abgestuft habe wie es der 
Gegenstand erfordert." Slephanis Lehrplan ist für die dreik lassige Volks- 
schule zugeschnitten, hat also drei Cursus. — I. Gursus: „Zahlenrechnen" 
d. h. Kopfrechnen, ohne Gebrauch der Ziffern; a) im Numerieren bauen 
die Schüler das unendliche Zahlensystem selbst auf, wozu die Finger als 
Anschauungsmittel Verwendung finden; b) das Ponderieren ist das Er- 
messen der Einheiten einer mehrzifferigen Zahl durch Zerlegung in 
Summanden nach der Zehncrordnung, etwa 347 = 300 -f- 40 -j- 7; 
c) hierauf folgt die Einübung der vier Species mit kleinen Zahlen. Der 
erste Gursus, das mündliche Verfahren, bildet nach Slcphani (und mit 
Recht) das sichere Fundament für den gesamten Rechenunlerrichl. — 
Der II. Gursus, „Zifferrechneu", ist dem ersten bezüglich des Inhalts 
und der Anordnung ganz konform; was man gelernt hat, im Kopfe zu 
vollziehen, wird nun schriftlich dargestellt und durch Herbeiziehung 
grösserer Zahlmassen erweitert. — Im III. Gursus, „die bürgerliche 
Rechenkunst", d. i. die Anwendung der erlangten Fertigkeit auf die im 
bürgerlichen Leben vorkommenden Aufgaben, findet man Beispiele aus 
dem Geschäftsverkehr, der Geographie, der Geschichte etc. 

Was Stephani für das südliche Deutschland war, wurde von Türk 1 ) 
für das nördliche. Sein „Leitfaden zur zweckmäfsigen Behandlung des 
Unterrichts im Rechnen" (von 1816—1824 vier Aufl.) ist ein methodi- 
sches Handbuch und ein Lehrplan und leistet daneben durch die Form 
des Dialogs angehenden Lehrern wichtige Dienste. Als Ziel ist die Ver- 

1) v.Türk, 1776 — 1846, ist einer von den berühmten Schulmännern, welche 
die preafsiache Regierung im Anfange dieses Jahrhunderts aus fremden Staaten 
in ihre Dienste zog. Er wurde 1806 aus Meiningen zum Konsistorialrat nach 
Potsdam berufen. 



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180 



§ 95. Da* Princip der Anschauung. 



einigung der Denkübung mil der Rechenfertigkeit hingestellt. Der Lehr- 
plan ist ebniso wie der Stephanische durch die weitgehende und wohl- 
gelungene (Gliederung des ganzen Lernstoffs ausgezeichnet. 

Zurückschallend auf die „Nachfolger Pestalozzis" erkennt man, dafs 
die Pädagogen Deutschlands das neue Bildungsmittel und die wunderlich 
klingenden Übungen Pestalozzis in eine zweckmäfsigere Form und in ge- 
hörigen Einklang mil den übrigen Materien des Hechenunterrichls brachten, 
dafs sie die Vorteile der allen Unterrichtsweise mit denen der neuen ver- 
banden und dadurch eine Methode gewannen, nach welcher der Rechen- 
Unterricht in den Schulen erfolgreich betrieben werden konnte. 

III. Diester weg. Pestalozzi und seine Schule schufen einen Gegeu- 
salz zwischen Kopf- und Ziflerrechnen (oder mit der Bezeichnung andrer: 
zwischen subjektiver und objektiver Methode, zwischen Subjektivität und 
Objektivität, zwischen formalem und materiellem Princip); die Ausgleichung 
dieses Gegensatzes knüpft sich an den Namen Diesterweg. l ) Indem er 
den Salz aufstellte: „es giebt nur ein Rechnen, nämlich ein Rechnen mit 
Verstand", hob er den so stark betonten Unterschied zwischen Kopf- und 
Ziflerrechnen vollständig auf. „Unterrichte so, dafs auf jeder Slufe die 
Selbsttätigkeit des Schülers ausgebildet werde", stellte er als oberstes 
Princip für die Methodik des Zahlenunterrichts hin. Cr gewann es da- 
durch, dafs er den Zustand des Kindes (vorherrschende Receptivilät) mil 
dem des vollendeten Mannes (vorherrschende Spontaneität) verglich. Dies 
Princip nötige aber dazu, stets auf vollkommene Einsicht zu dringen, und 
der einzige zu diesem Ziele führende Weg sei die heuristische Methode. 

Wir teilen die Diesterwegsche Theorie der Methodik fürs Rechnen 
nach dem „Wegweiser für deutsche Lehrer" (1835 und später) mit, da 
sie dort kürzer und bündiger gefafet ist als im methodischen Handbuche. 
„Jeder bildende methodische Unterricht verlangt einen Stufengang nicht 
nur im allgemeinen, sondern auch in der Art, dafs das Vorhergehende das 
Folgende vollständig begründe, unmittelbar zu demselben hinführe. Für 
die mathematischen Disciplinen sind fester Zusammenbang, übersichtliche 
Anordnung und sichere Begründung unerläfsliche Eigenschaften. Für alle 
Stufen müssen folgende Regeln gelten. 1. Die Entwicklung der Sache, 
die richtige Erkenntnifs, die Klarheit der Auffassung ist überall das Erste; 
die Übung das Zweite; die Anwendung das Dritte. 2. Die richtige Auf- 
fassung wird immer auf dem Wege der Anschauung, der äufseren und 
inneren, gewonnen. 3. Aus der richtigen Auffassung einzelner Bei- 
spiele lindet der Schüler die Regel, das Gesetz, das durch vollkommen 



1) Diesterweg und Heuser, Metbod. Handbuch für den Gesamnitunterricht 
im Rechnen. 1839 3. Aufl. 



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§ 95. Das Princip der Anschauung. 



187 



richtigen Ausdruck dargestellt wird. 4. Auf jeder Stufe wird zuerst das 
Neue rein für sich betrachtet, dann mit dem Vorhergehenden in Verbin- 
dung gebracht. 5. Auf jeder Stufe wird so lange verweilt, bis der Schüler 
Fertigkeit in der Übung und Auwendung gewonnen hat. 6. Allenthalben 
wird das Rechnen mit unbenannlen Zahlen mit dem angewandten Rechnen 
verbunden. Das Eine ist so nolh wendig als das Andere. 7. Der Gebrauch 
der Ziffer folgt unmittelbar auf die Übung mit reinen Zahlenvorstellungen. 
8. Erst mündlich, ohne sichtbare Zeichen, dann schriftlich. Beides ist Denk- 
rechnen. 9. Die angewandten Aufgaben haben vorzüglich das übliche 
Münz-, Mafs- und Gewichtsystem zu berücksichtigen. An den Grenzen 
zieht man auch das Fremde heran. 10. Auf vollständig genauen, deut- 
lichen mündlichen Ausdruck wird überall ein entschiedener Wert gelegt. 
Es kommt nicht nur darauf an, dafs die Schüler das richtige Resultat 
linden, sondern sie müssen auch den Gang der Entwicklung in reinem 
und geläufigem Deutsch darstellen können. 11. Auf allen Stufen leite 
man die Schüler an, selbst solche Aufgaben zu bilden, welche dahin ge- 
hören." — Diesterwegs Normen wurden bleibende. 

Die von Diesterweg bearbeiteten Rechenbücher galten als Musterbücher. 
Das „Praktische Rechenbuch für Elementar- und höhere Bürgerschulen" 
besteht aus drei Übungsbüchern, von denen das erste für gehobene Ele- 
mentarschulen, das zweite für gehobene Bürgerschulen ausreicht, das dritte 
über die gewöhnlichen Bedürfnisse hinausgeht. Das „Praktische Rechen- 
buch für die untern und mittlem Klassen der Elementarschulen, sowie 
für Mädchenschulen" enthält nur das Unentbehrlichste. Das obengenannte 
methodische Handbuch ist der Kommentar zu den Rechenbüchern. Wir 
gedenken aus dem praktischen Teile nur der ersten Zahlübungen und der 
Lösungsweise der Regeldetriaufgabeu. Das Zahlengebiet wird in Abteilun- 
gen (1 — 10, 1 — 100, 1 — 1000) behandelt; anfangs übt man im Anschlüsse 
ans Aufwärts- und Abwärtszählen nur Addieren und Subtrahieren. Erst 
nach erlangter Fertigkeit in diesen Species (bis 1000) treten die Multi- 
plikation und Division hinzu. In dem Gange der Übungen herrscht eine 
strenge und für den Schüler leicht erkennbare Ordnung, so figurieren 
beispielsweise die Einer der Reihe nach als Addenden, dann als Sub- 
trahenden, dann als Multiplikatoren, dann als Divisoren. Dadurch wird 
dem Schüler zugleich Einsicht in den Gang des Fortschritts verschallt 
und diese bildet; denn intellektuelle Bildung besteht weniger im Wissen 
des Einzelnen als in der Erkenntnis des Zusammenhangs. Für die 
schriftliche Ausrechnung wird nirgends eine Regel gelehrt; die ver- 
schiedenen Vorschläge der Schüler führt der Lehrer aus und aeeeptiert 
den besten. Diesem Streben gemäfs verwarf Diesterweg auch den Drei- 
satz und die Proportionen luid löste die einschlagenden Aufgaben im 



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188 



§ 96. Das Princip der allseitigen Zuhlbehaudlung. 



Anschlüsse an die Multiplikation und Division benannter Zahlen durch 
Zurückführutig auf die Einheit. Weil das praktische Leben die Aufgaben 
nicht in wissenschaftlicher Form darbiete, so dürfe man sie auch nicht 
nach wissenschaftlichen Regeln, den Proportionen, lösen. „Die auf die 
Lehre von den Proportionen gegründete Rechnungsweise ist in den Ele- 
mentarschulen überllüssig und schädlich; jenes, weil alle Zwecke auch 
ohne sie erreicht werden können, dieses, weil ihre Anwendung den meisten 
Schülern nicht deutlich wird." 1 ) 

Der Bruchsatz (zuerst von Stern 8 ) 1832 als Zweisatzrechnung dar- 
gelegt), dessen Ansatz zugleich als Resultat — nur noch nicht in einfach- 
ster Form — darstellt, hat den Sieg über alle allgemeinen Lösungsmethoden 
davongetragen. Er gilt gegenwärtig als das leichteste, natürlichste und 
schnellste Verfahren zur Lösung derjenigen Aufgaben, deren Resultat 
durch Multiplikation und Division gefunden werden kann. Er begnügt sich 
in der Thal mit Sätzen, die der Aufgabe selbst entnommen sind, und be- 
darf nicht des unwandelbaren „verhält sich" wie die Proportion, wobei 
gar leicht Gedankenstillstand eintritt. Daneben ist er durch Aufnahme der 
Brüche und Aufschub der Rechnung grofser Bündigkeit fähig. — Heuser 
zerstörte etwaige falsche Vorstellungen betreffs des Neulings, indem er mit 
Recht betonte, dafs bei näherer Betrachtung der Zweisatz sich als ver- 
kappter Dreisatz entpuppe und genau so viele Überlegung und Rechnung 
erfordere als dieser. Gleichwohl erhalte die Metliodik durch ihn einen 
Gewinn. „Was hie und da einzelne Lehrer thcils wie vom Inslinct ge- 
trieben, andere mit Überzeugung anwendeten — ein Verfahren, welches 
das ganze ununterrichtete Volk allgemein übte — das beginnt endlich 
allgemein von der Methodik als naturgemäfs und zweckmäfsig anerkannt 
zu werden." 3 ) 

Verbindung des reinen und angewandten Rechnens und die Befreiung 
der sogenannten „bürgerlichen Rechnungsarten" vom abstrakten Regelwerk 
sind die wesentlichsten Errungenschaften Diesterwcgs in der Methodik des 
Rechenunterrichts. 

§ 96. Das Princip der allseitigen ZaWbehandlung. Bis in unser 
Jahrhundert hinein ordnete man den Gang im Rechenuntcri ichte nach den 
Speeles, man lehrte zuerst Addieren, dann Subtrahieren, dann Multipli- 
cieren, dann Dividieren. Dabei spielte in früheren Zeiten die Gröfse der 
Zahlen fast gar keine Rolle; zumal da vor den Species das Lesen und 
Schreiben sehr grofser Zahlen erledigt wurde. Später hielt man (die 

1) Diester weg, Metbod. Handbuch S. 147. 

2) Stern, Lehrgang des Rechenunterrichts nach gcistbildendcn Grundsätzen, 
1832 und später. 

3) Diesterweg, Method. Handbuch S. 36. 



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§ 96. Das Princip der allseitigen Zahlbohandlung. 



189 



Philanthropen) es für angemessen, zur Betreibung der Species engere Gren- 
zen zu wählen (1 bis 10, 1 bis 100, 1 bis 1000, 1 bis oo), und diese 
successivc zu erweitern. Überall aber blieb die Ordnung der Species herr- 
schend. — Diesterweg und nach ihm Stern nahmen auf der untersten 
Unlerrichtsstufe mit jeder der ersten neun Zahlen die vier Species durch 
d. h. sie betrachteten jede von den genannten Zahlen als Addern! ? Sub- 
trahend, Multiplikator und Divisor, und zwar in den ihnen entsprechenden 
Gebieten (1 im Gebiete von 1 bis 10, 2 im Gebiete von 2 bis 20, . . . 
9 im Gebiete von 9 bis 90). 

Die Idee 1 ), auf der ersten Unlerrichtsstufe jede Zahl als ein Indivi- 
duum zu betrachten und a n ihr alle Operationen der vier Species zu voll- 
ziehen, ging von Grube 2 ) aus. Er erklärte die allseitige Zahlbehandlung, 
ausgedehnt auf die ersten hundert Zahlen, für die Grundlage alles Rechnens. 

Sein Unterrichtsprincip fand Grube dadurch, dafs er die Frage: auf 
welche Weise das Kind eine vollständige Vorstellung von dem Wesen 
einer Zahl d. h. von der Gesamtheit ihrer Eigenschaften gewinne, erörterte. 
Das Resultat dieser Erörterung war, dafs man zu diesem Zwecke alle 
Merkmale der Zahl aufsuchen, d. h. alle möglichen Veränderungen mit ihr 
vornehmen müsse. Er schreibt 3 ): „Das elementare Rechnen nach den 
Species auseinander fallen zu lassen ist dasselbe, als im Anschauungs- 
unterrichte dem Kinde die Gegenstände nach den Rubriken von Gröfse, 
Gestalt und Farbe etc. vorzuführen, oder die Botanik nach dem Linne- 
schen Systeme zu beginnen. Wie aber das Kind den Gegenstand nicht 
kennen lernt, wenn es nach einem Merkmale verschiedene Gegenstände 
anschaut, sondern wenn es den einen Gegenstand nach seinen verschie- 
denen Merkmalen betrachtet, so lernt der Schüler auch z. B. die Zahl 4 
nicht kennen, nämlich mit wahrer Durchdringung des Objekts, wenn er 
heute 2 -f- 2 = 4 lernt und nach einigen Wochen, wenn das Subtrahircn 
an die Reihe kommt, 4 — 2 =» 2 etc. Vielmehr hat er ja, wenn er weifs, 
dafs 2x2 = 4, damit zugleich die andern Anschauungen: 2 -{- 2 = 4, 
4 — 2 = 2, 4:2 = 2; und die Methodik hat Unrecht, wenn sie diesen 
objektiven Zusammenhang nach den Operationen zerreifst. Eine solche 



1) Grube, Leitfaden für das Rechnen in der Elementarschule nach den 
Grundsätzen der heuristischen Methode 1842 (2. Aufl. 1852). — Der Hauptsache 
nach sind seine Gedanken schon im „Schulblatt f. d. Prov. Brandenburg" 1840, 
Januarheft veröffentlicht. 

2) A. W. Grube, geb. 1816 zu Wernigerode, besuchte von 1833 das Weifsen- 
felser Seminar, wirkte seit 1840 als Hauslehrer und widmete sich später ganz 
der Schriflstellerei. Er starb 1884. Seine Schriften siehe in Mann, Deutsche 
Blätter f. erz. Unterricht 1884 S. 69. 

3) Grube, Leitfaden S. 28. 



J 

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190 



§ 96. Das Princip der allseitigen Zahlbehandlung. 



Theilung stärkt alier nicht sondern schwächt die Kraft der Anschauung, 
weil sie deren Konzentration auf einen Punkt und somit das Beobachten 
im Anschauen hindert. Der Elementarschiller lerne die Zahlen nicht ver- 
einzelt und abgerissen nach den Operationen des Addirens, Subtrahirens, 
Multiplicirens und Dividirens, sondern jede Zahl (von 1 bis 100) allseitig 
nach jenen Operationen in ihrer organischen Einheit kennen und behan- 
deln. Da der Zahlcnraum, welcher der Anschauung unmittelbar offen 
liegt und zugänglich ist, das erste Hundert ist und alles Rechnen mit 
größeren Zahlen nur durch Beziehung derselben auf das erste Hundert 
bewerkstelligt wird, so mute in diesem Baume jede Zahl nach ihren ver- 
schiedenen Bestandteilen klar vor der Seele des Schülers stehen; aus der 
allseitigen Anschauung der einzelnen Zahlen müssen die Operationen der 
Species von selbst hervorgehen und selbst die angewandten Aufgaben nur 
dazu dienen, um die Vorstellung der reinen Zahl desto mehr zu befestigen; 
dabei müssen endlich die einzelnen Stufen in einem solchen Zusammen- 
hange stehen, dafs die eine sich in der andern wieder und reichlich ent- 
fallet. Nur so wird der Grund gelegt für ein schnelles Kopfrechnen 
sowohl, wie für ein gründliches Denkrechnen. Der Schüler empfangt das 
nölhige Material, das er dann später zu jeder Operation gegenwärtig und 
bereit hat." 

Grubes Methode führt unzweifelhaft zur Konzentration der Aufmerk- 
samkeil auf einen Gegenstand (die Zahl) und zu dessen allseitiger Aus- 
beulung, wenn das nur der eigentlichste Zweck alles Rechnens wäre. 

Was Grube neu geschaffen hat, ist nichts weiter als die allseitige 
Behandlung der Zahl auf der Elcmcntarstufe. Weil die Ausführungen 
dieser Methode allgemein bekannt sind, so dürfen wir auf ihre Darlegung 
verzichten. — Grubes Idee fand Anklang, A. Böhme 1 ) (Berlin) griff sie 
zuerst auf, zog ihr aber engere Grenzen. Nicht die ersten hundert, son- 
dern nur die ersten zwanzig Zahlen sind nach ihm allseilig zu behandeln, 
„weil die für die Anschauung des Kindes unmittelbar zugänglichen Zahlen 
nicht über 20 hinausreichen und weil diese Zahlen auch hinreichen zur 
Grundlage für alle Species." Von den grölscren Zahlen bedürfen nur 



1) A. Böhme ist bekannt durch seine zahlreichen den Reebenunterricht 
betr. Schriften und Aufflätze. Die wichtigsten sind: 1) Anleitung zum Unterricht 
im Rechnen. 2) Aufgaben zum Rechnen, 5 Hfte, för die abschliefsende Volks- 
schule. 3) Übungsbücher im Rechnen, 5 Hfte, für die weiterführende Volks- 
schule. 4) Dazu 3 Hefte zur Erweiterung. 5) Wandrechentafeln. 6) Aufgaben 
zum Kopfrechnen, 3 Hefte. 7) Einflufs des metrischen Mafssystems auf den Rechen- 
unterricht im „Schulblatt f. d. Prov. Brandenburg" 1870 S. 411—414. 8) Das 
Uhrafferblatt als Lehrmittel in „Rheinische Blatter" 1886 S.58— 69. 9) Perioden 
der Decimalbrüche 1882. 10) Streitigo Punkte im Rechenunterrichte 1887. 



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§ 96. Das Princip der allseitigen Zahlbehandlung. 



191 



noch 24, 60, 50, 100, 1000 und 360 einer individuellen Behandlung; 
24 und 60 deshalb, weil sie in der Zeitmessung immer ihre Herrschaft 
behaupten werden; 100 und 1000 deshalb, weil sie als Währungszahlen 
eine wichtige Rolle spielen, und 360 deshalb, weil sie wegen der grofseu 
Anzahl ihrer Malszahlen (2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 12, 15, 18, 20, 24, 30, 
36, 40, 45, 60, 72, 90, 120, 180) für die Kreisteilung die passendste 
Zahl ist; auch rechnet man das Zinsjahr zu 360 Tagen. Für die durch 
Böhme vorgezeichneten Grenzen wurde Grubes Manier von den Schul- 
männern acceptiert und steht noch gegenwärtig bei vielen in hohem An- 
sehen, und das, trotz ungünstiger Urteile 1 ) über dieselbe und trotz offener 
Bekenntnisse über Mifserfolge 2 ) mit ihr seitens erfahrener Pädagogen. — 
Wir kommen nun zur Kritik 3 ) der Grubeschen Methode. 

Der Umstand, dafs nur einige wenige Zahlen allseitig betrachtet wer- 
den dürfen und dafs später die alte verachtete Methode, welche den Stoff 
nach den Species ordnet, wieder Platz greifen müsse, während doch die 
Objekte der Behandlung hier wie dort gleicher Art, nämlich Zahlen sind, 
sollte für jeden Didaktiker hinreichend sein, der Grubeschen Methode mit 
Mifstrauen zu begegnen. Wollte man ihre äufsersten Konsequenzen ziehen, 
so rnüfste man alle Zahlen allseitig behandeln, und der Rechenunterricht 
würde dann einem unendlichen Processe gleichen. Das Verlangen, einen 
solchen auszuführen, ist aber ein unsinniges Begehren. Wenn nun aber 
die mit Notwendigkeit aus einem Principe sich ergebenden Folgerungen 
widersinnig sind, so kann der Fehler nicht in den Folgerungen, er mufs 
im Principe liegen. 

Zu dem fehlerhaften Principe wurde Grube dadurch verleitet, dafs 
er dem Rechenunterrichte ein falsches Ziel steckte. Es handle sich 
um Gewinnung „einer vollständigen Vorstellung von der Zahl", führt er 
in den Eingangsworten bei der Darlegung seines Princips an. Es ist aber 
nicht die Vermittelung vollständiger Vorstellungen von den Zahlen ä la 
Grube, sondern vielmehr die Bewilligung zum Aufsuchen einer unbekann- 
ten Zahl unter gegebenen Bedingungen das einzig wahre Ziel des Rechen- 
unterrichts. Ergiebt sich nebenbei für das Kind noch ein andrer Gewinn 

1) Dagott, Die Zahlen von Eins bis Hundert, 1857 3. Aufl.: „Wer blofs die 
Formen der Grubeschen Anweisung ansieht, der kann sich wohl so entsetzen, 
dafs es ihm grün und gelb vor den Augen wird." Vgl. Kehr, Gesch. der Me- 
thodik I, 406, wo eine Menge ausführliche Urteile stehen. 

2) „Ich habe kleine Bursche gehabt, die keinen Tag Schule versäumt, also 
den vollständigen Rechenunterricht nnd aufserdem noch vielfach Nachhilfe hatten, 
und die doch am Schlüsse des Schuljahres noch nicht wufston, wieviel 2 und 2 
ist" Wiedemann, Lehrer der Kleinen, 1871 S. 208. 

3) Vgl. hierzu: Tanck, Rechnen auf der Unterstufe 1884, S. 37 ff. — Ebenso 
Knilling, Reform 1884, 1, 134 ff. 



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192 § 96. Dns Princip der allseitigen Zahlbehandhiog. 

(Stärkung der Denk kraft etc.), so ist dieser nicht zu verachten; aber die 
Rechen fertigkeil ist das Hauptziel und immer und nur allein anzu- 
streben. Ein guter Schütze zielt auch nur nach der Zwecke und nicht nach 
der ganzen Scheibe. Nicht dann kann ein Kind rechnen, wenn es sich über 
die Zahlen nach Grubes Manier aussprechen kann, sondern wenn es unter 
den unendlich vielen Zahlen eine unbekannte Zahl bei gewissen Voraus- 
setzungen zu finden weife. Hat es beispielsweise 97 als richtige Summe 
einer Additionsaufgabe gefunden, so ist es für die Richtigkeit gleichgillig, 
oh das Kind auch noch angeben kann, dafs 97 in „6x 16 und 1", „4x23 
und 5", „3x31 und 4" etc. zerlegbar ist, dafs es also nach Grube „eine 
vollständige Vorstellung" der Zahl 97 hat. Da nun die Mittel, unbekannte 
Zahlen zu finden, keine andern sind als die Species, so kann der Rechen- 
unterricht, auf keiner Stufe ein andres Ziel haben, als den Schülern diese 
Mittel zu verschaffen und sie in deren Anwendung zu üben. 

Zu dem falschen Ziele des Rechenunterrichts gesellte nun Grube sein 
falsches Princip, welches er aus dem naturwissenschaftlichen Unter- 
richte herübernahm. Er behauptete, die Zahlen seien genau so wie Natur- 
körper zu behandeln, und demgemäfs richtete er den Rechenunterriehl 
nach der botanischen Schablone ein. Wie man hier in monographischer 
Beschreibung von Pflanze zu Pflanze fortschreitet, so heifst er dort von 
Zahl zu Zahl fortschreiten. Es liegt hier keine Begründung sondern ein 
Analogiesehl ul's vor. Ist eine solche Schliefsarl schon bei gleichartigen 
Objekten mil Vorsicht zu gebrauchen, so werden ihre Ergebnisse voll- 
kommen hinfällig bei so grundverschiedenen Objekten, wie sie in der Natur- 
kunde und im Rechenunlerrichte [Naturkörper — Zahl] zur Betrachtung 
kommen. — Die Zahl ist durchaus kein Sinnending; denn von Sinnen- 
dingen hat man durch die Ansicht sofort einen Gesamteindruck (Habitus), 
während man diesen bei der Zahl nicht hat; und was bei Naturkörpern 
in die Sinne fallt (Gröfse, Gestalt, Farbe etc.), kommt bei den Zahlen 
garnicht in Betracht. 

Grubes Princip steht in enger Beziehung zu dem Pestalozzischerl. 
Jener hat dieses nur weiter entwickelt, die Anschaulichkeil bis auf die 
Spitze getrieben, die Zahl wie ein Sinnending behandelt und den Zahl- 
Unterricht nach Art der Naturbeschreibung eingerichtet. 

Der Stufengang der Grubeschen Übungen ist in mehrfacher Hinsicht 
mangelhaft. Er steht zuerst im Widerspruche mit den psychologischen Ge- 
setzen. Grube schreibt: „Aus der vollständigen Anschauung der Zahlen 
müssen die Operationen der Species von selbst hervorgehen." Also wird 
doch auf die Erlernung der Species als Ziel des Rechenunterrichts ein 
gewisses Gewicht gelegt; es ist das ein zweites Ziel bei Grube. Aber ab- 
gesehen davon, dafs derjenige, welcher gleichzeitig zwei Ziele anstrebt, in 



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§ 96. Das Princip der allseitigen Zahnbehandlung. 



193 



der Hegel Unglück hat — wie die Fabel von dem Hunde, welcher mit 
einem Stücke Fleisch durch einen Strom schwamm, überzeugend erzählt, 
so ist doch einzuwenden, dafs Grubes zweites Ziel, die Species, bei sei- 
nem ersten Ziele, „vollständige Vorstellung der Zahl", die Rolle der Vor- 
aussetzung spielt. Wenn der Rechenunterricht nach Grubes Methode 
beginnt, so sind die Species vorhanden; sie sind ja die leitenden Gesichts- 
punkte, nach denen Zahl um Zahl allseitig betrachtet wird, sie bilden 
arithmetische Kategorien, die successive mit Inhalt erfüllt werden, sind 
also durchaus nichts Gewonnenes, sondern etwas Vorausgesetztes. Da nun 
aber die Species in erster Linie nicht etwas Gegebenes, sondern etwas 
Abgeleitetes sind, so soll der Schüler Mittel anwenden, die für ihn noch 
garnicht existieren, und das heilst: gegen die psychologische Enlwicke- 
lung handeln. 

Grubes Übungen sind zweitens auch zweckwidrig. Sollen die 
Species erlernt werden, wohin ja Grube auch zielt, so mute jede eine Zeit 
lang für sich allein betrieben werden; der fortwährende Wechsel zwischen 
allen vieren stört die Erfassung jeder einzelnen. Wer glaubt, aus den 
Grubeschen Zerlegungsübungen der Zahlen flösse die Kenntnis und Fertig- 
keit der Species, der irrt. Beispielsweise beruht die Fertigkeit im Ad- 
dieren auf dem raschen Vorwärtsschreiten in der natürlichen Zahlenreihe 
und zwar in beliebig grofsen Schritten; je gröfser die Schrille, desto 
schneller ans Ziel. Im Rechenunlcrrichle sind demnach alle möglichen 
Schritte (Einerschritte, Zehncrschrilte, llundcrlerschrilte, gemischte Schritte 
etc.) der Schwierigkeit nach zu ordnen und einzuüben, womit die Addition 
erlernt ist. Wenn aber das Kind nach Grubes Manier gelernt hat: „14 
kann ich zerlegen in 6 und 8, desgleichen 15 in 7 und 8, desgleichen 
17 in 9 und 8", und nun die Addilionsresultatc 6 -f- 8 = 14, 7 -f- 8 
= 15, 9 -f- 8 = 17 besitzt, so hat es dadurch durchaus noch nicht den 
Achterschritt gelernt, und wenn es vergessen haben sollte, dafs man 13 
in 8 und 5 zerlegen kann, so stockt es, sobald die Aufgabe 5 -f- 8 ge- 
stellt wird. Wer aber den Achterschritt in gewöhnlicher Weise (durch 
Vorwärtszählen) gelernt hat, kann ihn dann an jeder Stelle der Zahlenreihe 
ausführen, sobald er nur über die Reihe selbst verfügt; es ist nur eine 
Wiederholung der erlangten Kunst nölig. Fürs Subtrahieren bildet das 
Rückwärtsschreitcn in der natürlichen Zahlenreihe die Grundlage und ist 
daher ebenso zu üben wie hinsichtlich des Addierens das Vorwärtsschreiten. 
Ein Auf- und Ablaufen der natürliche Zahlenreihe wird nach Grube- 
scher Methode garnicht geübt. Sic kann demnach den Zweck des Rech- 
nens, Fertigkeit in den Species, garnicht oder nur auf Umwegen erreichen; 
ihre Übungen sind deshalb zweckwidrig. Die Erlangung von Rcchcnrcsul- 
taten besieht nach der Grubeschen Methode auch nicht etwa in der Aus- 

Unobb, Methodik. 13 



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1 94 



§ 96. Das Princip der allseitigen Zahlbehandlung. 



Übung eines Könnens, sondern ist die Reproduktion von Wahrheiten, die 
man früher empirisch fand und behufs späteren Gebrauchs memorierte. 
Somit läuft der ganze Rechenunlerricht nach genannter Methode in der 
Hauptsache auf Gedächtniswerk hinaus. 

Grubes Stnfengang ist drittens langweilig und wirkt abstumpfend. 
Das Fortschreiten von Zahl zu Zahl ist nicht geeignet, das jeweilig auf- 
tretende Objekt mit demjenigen Reize der Neuheit auszustatten, der nötig 
ist, das Interesse der Schiller lebendig zu erhalten und zu stärken. Nach- 
dem einige Zahlen allseitig behandelt sind, merken die Kleinen bald, dafs 
mit den folgenden die gleiche Procedur wie mit den vorhergehenden vor- 
genommen wird. Ein ewiges Einerlei ist aber langweilig; doch der ßien 
mufs. Da nun die Schüler nicht wissen, wann das Fortschreiten von Zahl 
zu Zahl einmal aufhören wird, sie aber doch ahnen, dafs es bis in die 
Unendlichkeit fortgesetzt werden kann — zumal da die meisten schon 
weiter zählen können als es in der Schule erlaubt wird — , so eröffnet 
sich ihnen eine Perspektive endloser Arbeit ohne die nötigen Ruhepunkte 
zum Überschauen des zurückgelegten Weges. Das Bcwufstsein aber, am 
Anfange eines unendlichen Processes zu stehen, lähmt die Kraft und 
stumpft ab. 

Übrigens ist der Rechenunlerricht nach Grubes Manier eine saure 
Arbeit 1 ), welche der Mühe nur wenig lohnt. Schüler und Lehrer empfin- 
den es, dafs zur Erreichung des Ziels die Zweckwidrigkeit der Übungen 
einen gröfseren Kraftverbrauch erfordert als beim direkten Lossteuern 
auf das Ziel. * 

Wir glauben, dafs die Tage der Gru besehen Methode gezählt sind, 
und sind der Meinung, der Schöpfer würde, wenn er der praktischen 
Ausübung der Lchrthätigkeit treu geblieben wäre, seine Methode selbst 

1) „Mir scheint in dem für die ersten beiden Schuljahre bestimmten Stoffe, 
Zahlraum 1 bis 100, derjenige Gang leichter, der nach Operationen gliedert 
(Bräutigam, Göpfert, Schneyer) gegenüber der ullseitigen Betrachtung jeder ein- 
zelnen Zahl"; Schulrat Leidenfrost in: Mann, Deutsche Blätter 1883 S. 381. - 
„Sie (Grubes Methode) ist vielleicht ein Instrument, mit dem nur Meister um- 
gehen können"; Päd. Jahresbericht IX, 124. — „Sei selbst bewoglich. Scheue 
das Wort nicht! Habe recht viel Geduld; denke nicht, weil Du es sofort weifst, 
wieviel 3x3 ist, müfste es das Kind* auch gleich wissen. Nimm Dich der 
Pappenheimer unermüdlich an. Bleibt Dir dann doch Einer, oder bleiben gar 
Einige sitzen, so kannst Du Dir zum Tröste sagen, dafs Du Deine Pflicht an 
ihnen gethan hast! Ich habe überhaupt die Erfahrung gemacht, dafs in keiner 
andern Discipliu unter den Kleinen so viele Pappenheimer zum Vorschein kom 
men, als gerade im Rechnen. Oft sonst recht leidliche Köpfe bleiben zuweilen 
in diesem Fache auf den Hefen sitzen." Wiedemann, Lehrer der Kleinen 1871 
S. 208. — „Es giebt nichts Mühevolleres, Aufreibeudeies und Undankbareres als 
den ersten Rechenunterricht nach Grubes Manier"; Knilling, Reform I, 106. 



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§ 97. Das Ziihlprincip. 195 

begraben und die wenig erfreuliebe Totengrfibcrarbeit nicht andern über- 
lassen haben. — Der nächste Paragraph wird uns zu einer zweckmäfsige- 
ren Methode führen. 

§ 97. Das Zählprincip. „Die (Grundlage alles Rechnens ist das 
Zählen" wurde gleichzeitig von Tanck 1 ) und Knilling 2 ), zwei Gegnern der 
Grubeschen Methode, als Princip aufgestellt, nachdem Teupser 3 ) schon 
vorher gegen das Grubesche Princip polemisiert und einen auf das Zähl- 
princip gegründeten Stufengang der elementaren Rechenübungcn angegeben 
hatte, ohne das Princip selbst auszusprechen. Eine neue Wahrheit ent- 
hält es keineswegs, denn bis zu Pestalozzi hat man es stillschweigend be- 
folgt. Erst Pestalozzi und Grube drängten es in den Hintergrund. Aus- 
gesprochen hat es allerdings niemand, dazu lag die Notwendigkeit nicht 
vor, weil die Gegner fehlten. Wie klar es aber dem praktischen Busse 
vorschwebte, erkennt man aus dem Umstände, dafs er die Fertigkeit des 
Addierens und Subtrahierens auT die Geschwindigkeit im Hersagen arith- 
metischer Reihen gründete (siehe § 89). Er übte alle Reihen mit den 
Differenzen der ersten neun Zahlen tüchtig ein, vorwärts und rückwärts. 
Auch begnügte er sich nicht nur mit den wichtigsten Reihen, den Ein- 
maleinsreihen, sondern führte für jeden Einer alle Reihen vor, also für 
jeden Einer so viele Reihen, als er Einheiten besitzt; für 4 beispielsweise 
die vier Reihen: 1, 5, 9 . . . 2, 6, 10 . . . 3, 7, 11 . . . 4, 8, 12 . . . 
Man Übersicht augenblicklich, dafs mit der Ausdehnung dieser Übungen 
bis zur Grenze 100 eine sichere Grundlage fürs Addieren, Subtrahieren 
und Multiplicieren gewonnen wird. Genannte Übungen sind zunächst natur- 
gemäß in Beziehung auf das Objekt, indem dadurch das Addieren aufs 
Zuzählen, das Subtrahieren aufs Rückwärtszählen gegründet und die Mul- 
tiplikation als kompendiöse Addition aufgefafst wird. Sie sind nicht minder 
naturgemäfs in Beziehung auf das Subjekt, indem der Grundsalz der 
Stufenmäfsigkeit in aller Strenge durchgeführt werden kann; zuerst lernt 
das Kind den Einerschritt, dann die Zweierschritte etc., zuletzt den Neuner- 
schrilt. Sie sind daneben auch praktisch, indem jeder Schritt eine Zeit 
lang allein und so lange allein geübt wird, bis ihn der Schüler mit Sicher- 
heit thun kann, während nach Grubcs Manier bei jeder Zahl alle möglichen 
Schritte neben einander gelehrt d. h. durch einander gemengt werden; wo 
bleibt da der Fortschritt vom Leichteren zum Schwereren! Überdies ist 
schon im Anfange die Stellung ganzer Reihen von Aufgaben zu stiller resp. 
häuslicher Beschäftigung sehr leicht möglich, sobald nur die Schüler die 



1) Tanck, Rechnen auf der Unterstufe 1884. 

2) Knilling, Zur Reform des Rechenunterrichts 1884 I. 

3) In: Mann, Deutsche Blätter f. erz. Unterricht 1883 S. 46. 

13* 



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§ 97. Das Zählprincip. 



Zahlen lesen und schreiben können. Zu diesem Zwecke ist nur nötig, 
eine Menge Zahlen niederschreiben zu lassen und zu befehlen, von ihnen 
als Ausgangspunkte den Zweierschritt siebenmal oder zwölfmal oder fünf- 
zchnmal etc. zu thun. Später werden durch Wiederholung der bereits 
geübten Schritte die Übungen mannigfaltiger. 

Zur Aufstellung ihres Princips kamen Tanck und Knilling durch eine 
Untersuchung über die Entstehung der Zahlbegrifle l ) , wobei sich ergab, 
dafs der ZahlbegrilT nicht durch Anschauung, sondern allein durch den 
Zählakt gewonnen wird. Durch die blofse Anschauung wird weder eine 
Zahl erkannt noch ein Kechenresultat gefunden. Dafs ein Häuflein Mark- 
stücke zwölf Stück sind, kann durch Sinnenauffassuug nicht erfahren wer- 
den, sondern nur durch Zählen. Was wir von den Zahlen wissen, wird 
durch Zählen erschlossen; damit ein andrer glaube, er empfange 12, 15 
etc. Stück, so werden sie ihm vorgezählt, einen andern Beweis giebl's 
nicht. Da nun das blofse Anschauen der Mengen nichts nützt, so ist es 
auch verfehlt-, die blofse Anschauung zum obersten Principe des Rechnens 
zu erheben. Das Abzählen von kleineren Gruppen (bis zu fünf Einheilen) 
vollzieht sich bei Geübten so rasch, dafs es als solches nicht mehr zum 
Bewufstsein kommt und wie ein momentanes Erkennen („übersehen") er- 
scheint. Diesen Umstand benutzt man in Verbindung mit dem Einmaleins, 
den Zählakt abzukürzen; damit nämlich ein andrer den Zählakt schnell 
wiederholen könne, ordnet man die zu zählenden Einheiten in Gruppen 
zu je 3 oder 4 oder 5, und zwar in geradlinigen. Durch kreisförmige 
Gruppierung wird das Abzählen verlangsamt. 

• • • • 



• •• ••• . . . . 

• •• •>•• • • » • 

Das Zählen selbst ist keine einfache, sondern schon eine komplicierte 
Thätigkcit. Es erfordert erstens das Innehaben und schnelle Verfügen 
über eine feste Reihe, die natürliche Zahlenreihe; zweitens eine solche 
Beherrschung unsrer Muskulatur, dafs die Bewegung derselben das Her- 
sagen der Zahlwörter sicher und leicht begleitet, und drittens eine Ein- 
sicht in den Zusammenhang des Hersagens der Zahlwörter und des durch 
Muskelbewegung beschafften Fortschreitens an den Dingen oder Vorgängen*) 
(Fortschieben von Münzen, Betasten von unbeweglichen Körpern, Nicken 
bei Uhrschlägen etc.). 

Unsere Zahlvorstellungen und Zahlbegrifle tragen alle mit nur wenigen 



1) Tanck, Rechnen auf d. Unterstufe S. 6 ff. — Desgl. Knilling, Reform J, 23 ff. 

2) Tanck, Rechnen auf d. Unterstufe S. 24. 



■ 



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§ 97. Das Zählprincip. 



197 



Ausnahmen (etwa bis zu 6) den Charakter des Ungefähren: des Einigen, 
Mehreren, Vielen, Unendlichen. Bestimmtheit, Deutlichkeit und Klarheit ' 
fehlen ihnen. Will man sich irgend eine Zahl z. B. 17 recht lebhaft ein- 
bilden, etwa in der Form von Strichen, Punkten etc. und man richtet die 
Aufmerksamkeit auf den einen von ihnen, so entringen sich unterdessen 
die andern dem Bewufstsein. Wir halten 16 für einige, 163 für viele, 
15 635 für sehr viele, und 5 Milliarden für unendlich viel. 

Jede Zahl Vorstellung ist einfach; 1536 Personen stellen wir uns nicht 
als einmal 1000, fünfmal 100, dreimal 10 und sechs einzelne vor; die 
Dekadik haftet nur dem Worte an, nicht der Zahl; 1536 sehen wir 
für viele an. 

Die Zahlvorstellung wird auch nichts deutlicher durch bestimmte 
Gruppierung der Einheiten in geometrischer (rechtecksartiger) Ordnung. 

Ulibenannte Zahlen sind nur unvollständig gelassene Zahlbezeichnun- 
gen, die der Ergänzung bedürfen. Wir rechnen mit ihnen deshalb, um 
uns des unnötigen Ballastes (der Sachnamen) zu entledigen und die Über- 
tragbarkeit der Ergebnisse (z. B. in Tabellen) auf viele Fälle herbeizuführen. 

Bestimmte, deutliche und klare Vorstellungen und Begriffe von den 
Zahlen besitzen wir also nicht. Der Kechncr bedarf ihrer aber auch nicht, 
er kommt auch ohne sie zum Ziele. Wenn er nur weifs, dafs sein Er- 
gebnis die Summe, oder die DifTerenz, oder das Produkt, oder der Quotient 
gewisser gegebener Zahlen ist, so hat er seine Aufgabe gelöst, um die 
übrigen Eigenschaften der gefundenen Zahl braucht er sich nicht zu küm- 
mern. Es kommt beim Hechnen nicht auf die Beschaffenheit der Zahl an, 
sondern auf die Wege, sie zu finden. Welche Arbeit würde dem Gehirn 
des Rechnungsbeamten zugemutet, wenn er beim Addieren vieler Kolonnen 
jede 2, 3, 5 etc., welche er rasch zur Summe zusammenzieht, bestimmt 
und klar, anschaulich und greifbar denken sollte! Vielmehr drängt der 
Rechner jeden Gedanken und jeden Begriir zurück, der ihn in der Aus- 
übung der Zahlcngesetzc hindert. 

Mit vorstehenden Erörterungen ist die Theorie über das Zählprincip 
beendet, es folgt nun dessen praktische Durchführung. Tanck stellt fol- 
genden Stufengang der Übungen 1 ) auf: 

Erstes Schuljahr; Zahlraum 1 bis 10; a) Einüben der Zahlwörter, 
b) Zählen an Dingen (Fingern, Strichen, Kugelmaschine) bis 100, c) Zifler- 
schreibeu, d) Addieren und Subtrahieren neben einander ohne Überschrei- 
tung der 10 (z. B. 5 -f 3, 8 — 3), e) Multiplikation als besondrer Fall 
der Addition, f) Division, g) Wiederholung nach Grubes Manier. Zweites 
Schuljahr; Zahlraum 1 bis 100; a) Einüben aller Summen und Differenzen 



1) Tanck, Rochnen auf d. Unterstufe S. 41 ff. und 79 ff. 



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198 



§ 98. Das Princip der konzentrischen Erweiterung. 



bis 20, l>) Addieren und Subtrahieren reiner Zehner und Einer (z. B. 
40 -f- 8, 48 — 8), c) desgl. gemischter Zahlen und Einer, doch so, dafs 
die Summe der Einer unter 10 bleibt (z. B. 43 -f 6, 49 — 6), d) desgl. 
gemischter Zahlen und reiner Zehner (z. B. 43 + 20, 63 — 20), e) desgl. 
zweier gemischter Zahlen (z. B. 43 + 22; 43 -f 28), g) Wiederholung 
aller Additions- und SubtraktionslTdle, h) Faktor 2, Divisor 2, i) Faktor 5, 
Divisor 5, k) Quadralzahlen, 1) Faktoren, welche um zwei Einheilen dif- 
ferieren (5 • 7), m) die übrigen Faktoren, n) Wiederholung. 

Knillings Lehrplan 1 ) ist folgender: Erstes Schuljahr; Zahlraum 1 bis 
100; a) Zählen und ZiHerschreiben, b) die leichteren Übungen im Zu- 
zählen der 1, 2 . . . bis 9, c) die leichleren Übungen im Abziehen der 
neun Einer. Zweites Schuljahr; Zahlraum 1 bis 100; a) Ergänzen des 
Zehners, b) Zerlegen des Addenden zum Zwecke des Überzählens, c) Ad- 
dieren mit Überschreit ung des Zehners, d) Subtrahieren vom vollen Zehner, 
e) Subtrahieren mit Überschreitung des Zehners, f) das mehrmalige Zu- 
zählen (Multiplicicren) der 2, 3 . . . bis 10, g) das mehrmalige Abziehen 
(Messen) der 2, 3 . . . bis 10, h) Teilen, i) Wiedel holung. 

§ 98. Das Princip der konzentrischen Erweiterung. Das Princip 
der konzentrischen Erweiterung bezieht sich nicht wie die drei vorigen 
auf die elementaren Rechenübungcn, sondern auf den Stoff für die Übungen 
im angewandten Rechnen. Ruhsam -) hat es in seinen Rechenbüchern 
durchgeführt. Er teilte den ganzen Lern- und Übungssloir für die drei 
oberen Bürgerschiilklasscn in drei Jahreskurse dergestalt, dafs für jede 
Klasse die Aufgaben von gleicher Art, jedoch von wachsender Schwierig- 
keit sind. Es wird demnach in jeder Klasse der gesamte Unterrichtsstoff 
(Procenl-, Zins-, Diskont-, Gesellschafts-, Mischungsrechnung etc.) in 
seinem ganzen Umfange gelehrt und zwar so, dafs die dem Standpunkte 
der Schüler entsprechenden Partien aus jedem Gebiete ausgewählt und zu 
einem Ganzen vereinigt sind. 

Anklang und Nachahmung fand dieser Versuch nicht. Schulral Leiden 
lrost urteilte gelegentlich 3 ) sehr abfällig über die Anwendung des Princip* 
der konzentrischen Erweiterung in den mathematischen Fächern. — In 
der Anordnung der angewandten Rechnungsarten ist bis jetzt die einfache 
Aufeinanderfolge derselben herrschend geblieben. Sobald Bruchlehre und 
Bruchsatz erledigt sind, bieten jene Aufgaben keine neuen rechnerischen 
Schwierigkeiten mehr, das Neue liegt nur in den Sachverhältnissen; und 

1) Knilling, Reform II, 124 ff. 

2) Hubsam, Aufgaben für das prakt. Rechnen z. Gebrauch in duu untern 
drei Klassen der Realschulen und in den obern Klassen von Bürgerschulen in 
drei concentrisch sieb erweiternden Cuvseu 1866. 

3) In: Mann, Deutsche Blätter für erz. Unterricht 1883 S. 381. 



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§ 9U. Einflute d. dec. Münz-, Mafs- u. GewichtsysteniB auf d. Schularithtn. 199 

zu deren Beherrschung und richtigen Beurteilung dürfte der Schüler eher 
durch zusammenhängende als durch stückweise Vorführung gelangen. 

§ 99. Einflufs des decimalen Münz-, Mafs- und Gewichtsystems 
auf die Schularithmetik. Jahrhunderte lang sind die Stimmen der Rechen- 
meister unbeachtet geblieben, welche auf den hohen praktischen Wert 
eines decimal abgestuften Münz-, Mafs- und Gewichlsystems überhaupt 
und auf die große Erleichterung, welche durch Einführung eines solchen 
in allen kaufmännischen Rechnungen herbeigeführt werden würde, ins- 
besondere hingewiesen haben. Schon der Erlinder der Decimal brüche, 
Simon Stevin, pries die Einführung decimaler Währungszahlen an, und 
nach ihm wurde zu allen Zeiten die Anpreisung wiederholt. *) Frankreich 
ging voran und führte nach der Revolution 1789 das Decimalsyslem in 
Münzen, Mafs und Gewicht ein; zur Feststellung der Längeneinheit, des 
Meters (1 rn = der zehnmillionenste Teil eines Erdquadranten), wurde in 
Frankreich eine neue Gradmessung 2 ) angeordnet. Die Vereinigung der 
deutschen Stämme zum Norddeutscheu Runde 1866 räumte auch bei uns 
mit dem bunten Vielerlei der neben einander bestehenden Münz-, Mafs- und 
Gewichtsysteme auf. Am 17. August 1868 wurde die neue Mafs- und 
Gewichtordnung für den Norddeutschen Bund festgestellt und trat am 
1. Januar 1872 in Kraft. Zugelassen war ihr Gebrauch schon vom 1. Ja- 
nuar 1869 ab, sobald sich die beteiligten Parteien darüber geeinigt halten. 
Die Grundlage für Mafs und Gewicht bildet das Meter mit decimaler Tei- 
lung und Vervielfachung. Als Urmafs gilt derjenige Platinstab, welcher im 
Besitze der Preußischen Regierung sich befindet; er wurde 1863 durch 
eine Kommission mit dem im Kaiserlichen Archive zu Paris aufbewahrten 
Metrc des Archives verglichen und bei 0° C. gleich 1,00000301 m be- 
funden. 3 ) Als Urgewicht gilt das im Besitze der Preufsischen Regierung 
befindliche Platinkilogramm, welches 1860 mit dem im Kaiserlichen Ar- 
chive zu Paris aufbewahrten Kilogramme protolype verglichen und gleich 
0,999999842 kg befunden wurde. 4 ) 1 kg ist das Gewicht eines Kubik- 
dezimeters destillierten Wassers bei 4 U C. Der deutsche Bundesrat setzte 
am 8. Oktober 1877 für den amtlichen Verkehr und den Schulgcbraueh 
in Deutschland folgende Abkürzungen ohne llinzufügung von Punkten 
fest: l kg g mg; km m cm mm; ha <i qm qcm qmm; cbm hl 1 cem 
emm; M . 

1) Vgl. § 62. 

2) Ausführliches darüber: Harms, Das neue Mafn- und Gewichtssystem, 
Progr. der höheren Bürgerschule Oldenburg 1869. 

3) Artikel 2 der „Mala- und Gewichteordnung für den Nordd. Bund, vom 
17. Aug. 1868". 

4) Ebenda Artikel 5. 



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200 § 99- Einflul's d. dec. Münz-, Mafa- u. Gewichtsystenis auf d. Schularithm. 

Die Einführung des Decimalsyslems im Münz-, Mafs- und Gewicht- 
weseu üat auch den der Sehlde zugewiesenen Lehrstoff im Rechnen um- 
gestaltet; es war fortan Neues aufzunehmen und Hergebrachtes aufzugeben 
resp. zu beschränken. Von nun an erlangten die Dccimalbrüche das Bürger- 
recht in der deutschen Volksschule; bisher war für sie nur Raum in den 
Tabellen gewesen, für kaufmännische Rechnungen aber waren sie ein ent- 
behrliches Kunstmiltel geblieben, weil man eine reale Bedeutung den Bruch- 
teilen nicht unterlegen konnte, wie es gegenwärtig der Fall ist. 1 ) 

Die Preufsische Regierung zu Frankfurt a. 0. nahm rechtzeitig Ver- 
anlassung, durch eine Cirkiilarverfiiguiig*) darauf hinzuweisen, in welche 
Bahnen der Rechenunterricht einzulenken habe, damit den gesetzlichen Be- 
stimmungen bezüglich der Einführung der neuen Mafs- und Gewichtord- 
nung auch durch die Schule Genüge geschehe. Sie verwies dabei auf: 
Menzel, Leitfaden für den Rechenunterricht in der Volksschule nach der 
neuen Mafs- und Gewichtsordnnng vom 17. August 1868. Viele arith- 
metische Schrillen jener Zeil tragen den Titelzusatz 3 ) „nach der neue» 
Mafs- und Gewichlsordnung". Auch erschienen eine Menge Spczialschrif- 
ten 4 ) über die Decimaibrüche. Wertvolle Beiträge zu den Eigenschaften der 
periodischen Decimaibrüche lieferten Theodor Schröder 5 ) und A.Böhme 6 ). 
Das Verfahren der abgekürzten Multiplikation und Division lehrte mau 
schon in den ersten Schriften 7 ) über Decimalbruchrechnen. Die prakti- 
schen Regeln 8 ) zum Rechnen mit unvollständigen Dccimalbrüchen findet 
man in allen guten Lehrbüchern der Arithmetik. 

In den pädagogischen Zeitschriften erschien ums Jahr 1870 eine Flut 
von Artikeln 0 ), in denen über die Veränderungen, welche im Recheminler- 

1) Vgl. § 62. 

2) Abgedruckt im „Schulblatt f. d. Provinz Brandenburg" 1868 S. 648. 

3) Langenberg, Der Rechenmeister nach dem 1872 gütigen Mafs- und Ge- 
wichtssystem 1869. — Menzel, Das Bruchrechnen iu seiner durch diu Mafs- und 
Gewichtsordnung bedingten Umgestaltung 1870. — Frenzel, Die Neugestaltung 
des Rcchenuntert*. nach dorn neuen Münzgesetze 1872 etc. 

4) Menzel, Das Decimalrechncu 1869. — Wirth, Die Decimaibrüche 1870 
(6. Aufl.). — Schröder, Das metrische Mafs und Gewicht und die Deciinalbruch- 
rcchnuDg 1870. etc. 

5) Schröder, „Über die Qualität der Decimaibrüche" im Progr. der K. Stu- 
dienanstalt Ansbach 1870/71. 

6) Böhme, Perioden der Decimaibrüche 1882. 

7) Hentschel, Aufg. über d. Decimaibrüche 1866 S. 47—52. — Menzel, 
üccimalrechnen 1869 S. 48—60. — Paminer, Decimal rechnen 1872 S. 21—26 
und 35 ff. 

8) Auch in Hoffmauns Zeitschrift für matb. Unterr. V, 177 — 217. 

9) Schulblatt f. d. Prov. Brandenburg 1870 S. 125—127. — Ebeuda 1870 
S. 411—414. — Ebenda 1872 S. 45— 5t. 



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§ 99. Einflufs d. dec. Münz-, Mafs- u. Gewichtsystems auf d. Schularithm. 201 

richte durch die neue Mafs- und Gewichtordnung notwendig geworden 
seien, mehr oder minder gut gesprochen wird. Die Veränderungen gipfeln 
darin, dafs das Rechnen mit den dekadischen Einheilen (als Währungs- 
zahlen) und mit den dcrimalen Brüchen in den Vordergrund zn stellen sei 
und das Rechnen mit gemeinen Brüchen zurückzutreten habe. 

Die Stellung der Decimalhrüche im Lehrgange wurde zur Streitfrage, 
welche noch der Erledigung harrt. Es stehen drei Ansichten einander 
gegenüber: a) die Voranstellnng 1 ) der gemeinen Brüche vor die decimalcn; 
b) die in einander geschobene Behandlung 2 ) beider (d. Ii. dafs in jeder 
Species dem Rechnen mit gemeinen Brüchen die Decimalbrüche folgen, 
was von der ersten Ansicht unwesentlich abweicht); c) die Voranstellung 3 ) 
der decimalen Brüche vor die gemeinen. 

Dafs genügende Erledigung des Rechnens mit gemeinen Brüchen zn 
den schwierigen Kapiteln des Rccheniinterrichts gehört, ist bekannt; ebenso 
ist bekannt, dafs mancher Schüler nur in die Brüche gerät, aber nicht 
wieder herauskommt. Diese Umstände mögen wohl hei Vertretung der 
Ansicht c) mitwirken. Bei solcher Anordnung wird aber die begriffliche 
Schwierigkeit des Bruchs nicht erledigt, sondern umgangen, indem mau 
sich mit Analogien durch Aufstellung von Reihen bchilft*) (468x4; 
468 X 0,4; 468 X 0,04; 468 X 0,004 etc.). Dieser Mangel hat andere 
zu einer Trennung der zur Decimalbruchlehre gehörenden Partien veran- 
lalst dergestalt, dafs die Addition und Subtraktion ganz, von der Multipli- 
kation und Division aber nur diejenigen Fälle, bei denen der Multiplikator 
resp. Divisor ungebrochen ist, im Anschlüsse au das Rechneu mit mehr- 
sortigen Zahlen behandelt werden, während die übrigen Teile erst später 
ihre Erledigung finden. 5 ) Untersucht man, was bei dieser Behandlungsart 
von der Vorstellung der Brüche und Rechnung mit denselben noch übrig- 
bleibt, so ist es wenig bis nichts. Das Rechnen ist thatsäcblich nur ein 
Operieren mit ganzen Zahlen und auch die Vorstellung erstreckt sich 
nicht weiter; das Decimalkomma ist nur ein Trennungszeichen der zwei 
Sorten. 6 ) Somit enthüllt sich die decimalbruchartige Schreibweise 

1) Löwe und Unger, Aufg. zum Zahlenrechnen, Leipzig 1884 u. 1887 Heft Ii. 
Auch in Württemberg. 

2) A. Böhme, Streitige Punkte im Recheuuntcrrichte 1887 S. 6. 

3) Leidenfrost, „Die Stellung und Behandlung der Lehre von den Dceinial- 
brüobeu im Rechenuntci richte" in: Manu, Deutsche Blätter f. crz. Unterr. 1883 
und 1884 (sehr ausführlich, mit Streiflichtern auf allerhand Mängel des Rechen- 
unterrichts). 

4) Harms, Rechenbuch für die Vorschule, Oldenburg 1875 2. Aufl. Heft 2. 

5) Leidenfrost a. a. 0. 1883 S. 382 ff. 

6) Eine Angabe von mehr als zwei Sorten entspricht konkreten Verhält- 
nissen nicht; z. B. am Barometer liest man cm und mm ab, Wegstrecken giebt 



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202 § 09. Einflute d. clec. Münz-, Mala- u. Gcwichtsystenis auf d. Scbularithm. 

mehrsortiger Zahlen als einziger Kern der ganzen Sache; ein Rechnen mit 
Decimal brächen ist nicht dabei. 

Wenn man einmal die begriffliche Schwierigkeit der gebrochenen Zahl 
nicht zu erledigen diu Absicht hat, so hallen wir es für geratener, die 
Schüler nicht erst von Zehnteln, Hunderteln etc. schwatzen zu lassen, 
damit sich nicht Worte einstellen, wo Begriffe fehlen. Wir haben gezeigt 1 ), 
wie mau alle Species des Rechnens mit benannten Zahlen in decimalhruch- 
artiger Schreibweise betreiben kann, ohne von Bruchteilen zu reden. 

Der Vorteil, der aus der Voranstellung der gemeinen Brüche vor die 
decimalen Meist, ist so in die Augen springend, dafs er auch von den 
Vertretern der andern Ansichten anerkannt 2 ) wird. Es lassen sich bei 
solcher Aufeinanderfolge die wenigen Regeln der Rechnung mit Decimal- 
brüchen mit gröfster Leichtigkeit zu vollem Verständnis bringen.. Neue 
Regeln treten überhaupt nicht hinzu, da ja die Deeimalbrüche nur eine 
Abteilung (eine sehr kleine) der gesamten Brüche sind; den schon bekann- 
ten Regeln ist nur wegen der abweichenden schriftlichen Form der De- 
eimalbrüche ein diesbezüglicher Wortlaut zu geben. 

Einzelne wollen den gemeinen Brüchen gar keine Stätte mehr in 
Volks- und höheren Mädchenschulen gewähren. Wendt schreibt 3 ): „Ich 
halle das Bruchrechnen für einen zur Ausrollung völlig reifen Wasser- 
schöfsling am Unlerrichtsbaume der Volks- und Mädchenschule . . . und 
die höhere Mädchenschule würde sich ein Verdienst erwerben, wenn sie 
zuerst damit vorginge, das Bruchrechnen aus dem Lehrplane zu entfernen 
oder es wenigstens sehr zu beschränken." Weifs W T endl nichts von dem 
Auftreten der gemeinen Brüche in der Procent- und Zinsrechnung? weifs 
er nicht, dafs nicht alle Völker, mit denen wir in Handelsverkehr stehen, 
decimale Währungszahlen haben? L'nsre immer mehr an Ausdehnung ge- 
winnenden Handelsbeziehungen mit andern Nationen erfordern es, dafs 
gerade in den Schulen, deren Schülercötus sich aus den Kindern höherer 
Stände zusammenselzt, das Rechnen mit gemeinen Brüchen nach wie vor 
gründlich betrieben wird. Und unter den Schülerinnen der höhereu Mäd- 
chenschulen befindet sich manche Kaufmannstochter, die als Tochter dem 
Vater oder als Gattin dein Gatten im Komptoir helfend zur Seile Irin. 
Entweder ist das Bruchrechnen für Wendts „höhere Mädchen" zu hoch, 
oder sein vermeintliches Verdienst läuft auf eine methodische Verirrung 
hinaus. 

man in km und m an, Waren kauft man nach m und cm; ausgenommen ist nur 
das Flächenmafs, wobei ha, a und qm neben einander auftreten. 

1) Löwe-Unger, Aufg. zum Zahleurechnen 1884 und 1887 Heft A. 

2) Leidenfrost a. a. 0. 1883 S. 72. 

3) In: Mann, Deutsche Blätter für erz. Unterr. 1884 S. 96. 



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§ 100. Anschauungsmittel. 203 

§ 100. Anschauungsmittel. Ein Anschauungsmittel für die Zahl 
verdient nur dann seinen Namen im vollen Sinne des Worts, wenn damit 
alle Einheilen der Zahl durch ebensoviel« getrennte gleichartige Kör- 
per oder Zeichen dem Auge sichtbar gemacht werden. Findet eine zu- 
sammen Pas sende Darstellung statt, d. Ii. wird durch einen Körper oder 
ein Zeichen eine Menge Einheiten repräsentiert, so ist das Unterrichts- 
mittel dann kein wirkliches Anschauungsmittel mehr, sondern nur noch 
ein symbolisches. Wir unterscheiden demnach wirkliche und symbolische 
Anschauungsmittel und teilen jede Art in körperliche und graphische. 

A. Wirkliche Anschauungsmittel. — a) Körperliche. — Bei 
den hierhergehörigen Apparaten hat man Kugeln (Nr. 1 und 2), Stäbchen 
(Nr. 3—5), Würfel (Nr. 6-10), Knöpfe (Nr. 11-13) und Marken (Nr. 14) 
als Objekte für die Einheilen gewählt. 

1. Die russische Rechenmaschine. Dieser bekannte aus einem 
<piadialischcn Hahmen und 10 horizontalen Drähten mit je 10 beweglichen 
Kugeln (resp. Linsen) bestehende Apparat ist die einfachste, billigste und 
zweck mäßigste Rechenmaschine. Ort und Zeit ihres Ursprungs werden 
sich schwer feststellen lassen; sie soll in Rufsland erfunden sein und im 
Anfang dieses Jahrhunderts über Frankreich den Weg nach Deutschland 
gefunden haben. 

Kugeln auf Schnüren (katholischer Rosenkranz) oder Drähten sind 
schon in früher Zeit bei verschiedenen Völkern (Chinesen, Russen) zum 
Zählen und Rechnen benutzt 1 ) worden. 

Dafs der Schüler jederzeit alle 100 Kugeln sieht, auch wenn nur 
einige gebraucht werden, ist ein Ühelstaud, der aber dadurch beseitigt 
werden kann, dafs man die Drähte gehörig lang macht und sie zur Hälfte 
dem Auge des Zuschauers durch ein Brett verdeckt. Hinter diesem Brette 
sind sämtliche Kugeln zu verbergen; die jeweils zum Gebrauch heran- 
gezogenen schiebt man in den freien Teil des Gesichtsfeldes. 

2. Das Zahlenbilder- Rcchengestell 2 ) von G. Wille ist in der 
Hauptsache eine russische Maschine mit Verdeckbrett, wie vorhin ange- 
deutet. Von den 10 Kugeln jedes Drahtes sind die ersten 5 weife, die 
übrigen schwarz. Nach je zwei Drähten ist ein gröfsercr Zwischenraum. 
Die Veranschaulichung der Zahlen soll durch feste Zahlbilder (d. h. Kugeln 
in besonderer Gruppierung) geschehen, welche für die geraden Zahlen aus 
senkrechten Paaren : : : : : ; ; : ; ; : : : : : bestehen. Diejenigen für 

1) Siebe oben S. 69. — Mehr darüber in Unger, Gesch. d. elem. Arithiu.; 
Programm Realschule- Reudnitz 1883 S. 13—16. 

2) G. Wille, Zwei neue Veranschaulichungsapparate z. dement. Reebnen, 
Delitzsch Pabst 1870. 



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204 



§ 100. Anschauungainittel. 



die ungeraden Zahlen entstehen aus jenen dadurch, dafs an eine der vier 
Ecken noch eine Eins hinzutritt. 

3. Stabbnndel. Overberg 1 ) und Villaume*) benutzten Stäbchen, so 
dick wie eine Federspule und 1 Kufe lang, zur Darstellung der Einheiten 
und vereinigten sie zu dekadischen Bündeln. Man gebrauchte die Namen 
1 Stuckchen für 1, 1 Bündchen für 10, 1 Bund für 100, 1 Päck- 
chen für 1000, 1 Pack für 10 000 Stäbchen. 

4. Die Cussmannsche INuineriermaschine 3 ) ist ein dickes Brett 
mit Kolonnen von je 9 Löchern, in welche die Stäbchen (so grol's wie 
Streichhölzer) gesteckt werden. Die erste Löcherkolonne rechts ist für 
9 einzelne Stäbchen, die zweite für die Zehnerpakete, die dritte für die 
Hunderterpakete etc. bestimmt. 

5. Denzcls Leiter 1 ) ist eine Leiter mit 10 Sprossen (für das 
Zahlengebiet von 1 bis 10). Ein aus 10 solchen Leitern treppenartig 
zusammengesetzer Apparat veranschaulicht das Zahlengebiet von 1 bis 100. 
Zehn Leitern der letzteren Art repräsentieren die Zahl 1000. An den 
Leitern wird aufsteigend das Vorwärlszählen und absteigend das Rückwärts- 
zählen geübt. 

6. Tillichs Rechenkasten. Die Idee, die Einheilen einer Zahl 
durch cbcnsoviele Kuben zu veranschaulichen ist Tillichs Eigentum (siehe 
oben S. 183). II. Bräutigam suchte neuerdings das Interesse für die Tillich- 
scheu Hölzer wieder zu beleben. 5 ) Nach seiner Beschreibung haben die 
Prismen weifsen Anstrich, durch ringsumlaufende schwarze Striche sind 
die einzelneu Kuben, aus denen ein Prisma besteht, zu unterscheiden. 
Beim Gebrauch der Tillichschen Hölzer benutzen die Schüler eine Schiefer- 
tafel mit Quadratnetz und zeichnen die Anzahl der Kuben durch ebenso- 
viele Quadrate. 

7. Schneyers Baukasten 6 ) enthält (nach Tillichs Vorschrift ange- 
fertigt) 20 Kuben für die Einheiten, 10 Zweier (das sind zwei Kuben zu 
einem Prisma vereinigt), 8 Dreier, 4 Vierer, 4 Fünfer und je 2 Siebener, 
Achter, Neuner und Zehner. 

8. Heers Würfel 7 ) besteht aus 10 gleichen Kuben (10 Einheilen 

1) Overberg, Anweisung z. zweckuiäfis. Schulunterricht, Münster 17U3. 

2) Villaume, Trakt. Handbuch für Lehrer 1800, 2. Aufl. S. 128 ff. 

3) Deutsche Schnlzcitung 1874 Nr. 40. 

4) Denzel, ' Einleitung in die Erziehungs- u. üuterrichtslehre, Stuttgart 
1822 S. 191. 

5) Bräutigam, Tillichs ltechenkasten, Voranschaulichungsmittel für d. de- 
ment. Hechenunterr.; Jahresbericht d. Seminars zu Bielitz 1872. 

6) Schneyer, Der erste Hechenunterr. mit Benutzung des Baukastens und 
der Netztafel 1871. 

7) Heer, Lehrbuch des Denkrechnens 1836. 



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§ 100. Anschauungsmittel 



205 



repräsentierend), 9 Säulen, welche mit dem Einheitkubus gleiche Basis 
aber die zehnfache Höhe haben (jede die Zahl 10 darstellend), und 9 
quadratischen Platten, von denen jede aus 10 aneinandergelegten Säulen 
zusammengesetzt ist und die Zahl 100 veranschaulicht. 

9. Der Krämersche Apparat 1 ) ist dem Heerschen Würfel nach- 
gebildet. Er besteht aus a) 5 weifsen und 5 schwarzen Kuben für 10 Ein- 
heilen, b) 10 Prismen (für 10 Zehner), deren Gröfse und Anstrich derart 
ist, als ob 5 weifse und 5 schwarze Kuben in abwechselnder Reihenfolge 
auf einander gesetzt wären, c) 10 quadratischen Platten (für 10 Hunderter) 
von der Dicke des Kubus und von der Länge eines Prismas; der Anstrich 
ist schachbrettartig, die Oberfläche zeigt 100 quadratische Zellen, d) einem 
grofsen Kubus, der 1000 Einheitkuben enthält und auf jeder Grenzfläche 
ein schachbrettartiges Zellennelz von 100 Quadraten besitzt. 

10. Der Zahlenbilder-Rechenkasten 2 ) von G. Wille ist ein Kasten, 
in dessen Schubfache sich eine Menge gleichgrofser Kuben von verschie- 
dener Farbe (weifs, schwarz, braun, rot clc.) befindet, welche beim Rech- 
nen auf dem Deckel des Kastens zu Zahlenbildern (in gleicher Gestalt wie 
bei Nr. 2) aufgestellt werden. 

Die Veranschaulichung der Einheiten einer Zahl durch ebensoviele 
getrennte Kuben ist nicht zu bemängeln; die Verbindung der Kuben aber 
zu Prismen und Platten gereicht dem Anschauungsmittel nicht zum Vor- 
teile, weil dadurch die so nötige Beweglichkeit beeinträchtigt wird. Doch 
ist dies noch der kleinere Übelstand; der gröfserc liegt (bei den Prismen) 
in der geradlinigen Anordnung aller Kuben, wodurch das rasche Abzählen 
derselben erschwert wird. Die ringsumlaufenden Teilungsstriche erleich- 
tern den Zählakt; ohne sie dürfte es selbst Erwachsenen schwer sein, 
das Neuner- oder Zehnerprisma augenblicklich als solches zu erkennen. 
Aufserdem lassen sich mit den starren Platten viel weniger Übungen an- 
stellen, als wenn die 100 Kuben einer Platte getrennt vorhanden wären. 

11. Die Berliner Knopftafel, welche ihre Entstehung 3 ) dem Ber- 
liner pädagogischen Vereine verdankt, ist eine schwarze quadratische Tafel 
mit 10 Reihen von je 10 Löchern in gleichen Abständen. Zum Rechnen 
bedient man sich weifser Ilornknöpfe. — Der Apparat leistet dasselbe wie 
die russische Maschine, nur ist sein Gebrauch zeilraubender, auch weiten 
sich die Löcher nach und nach aus. 



1) Beschrieben in Prausek, Über die verwendbarsten Lehrmittel z. eisten 
Unterricht im Rechnen, Olmüz 1864 S. 16 ff. 

2) Wille, Zwei Veranschaulichungaapparate zum Rechnen, Delitzsch 
Pabst 1870. 

3) Schütze, Kvang. Schulkunde 1870 S. 408. 



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206 § 100. Anschauungamittel. 

12. Das Loofssche Rechenbrett 1 ) (fürs Zahlcngebiet 1 bis 10) 
ist eine Holztafel, doppelt so lang als breit. Man sieht zwei quadratische 
Felder, ein rotes und schwarzes, auf denen sich zum Einstecken der 
Knöpfe je 9 Löcher in quadratischer Anordnung befinden. 

13. Martens' Rechenapparat 2 ) zum Rechnen mit den ersten 
10 Zahlen ist eine rechteckige Tafel mit 3 Feldern und je 10 Löchern 

in nebenstehender Anordnung ::: ? Ü: ? ::: Auf den beiden 

• • • 

ersten Feldern kommen die gegebenen Zahlen (in Knöpfen) zur Dar- 
stellung, auf dem dritten das Resultat. Bei b steht immer das Gleich- 
heitszeichen, während man bei a eins der vier Operationszeichen (-f — 
X :) einsetzt. 

Die Erfindung der Löcherbreller reicht bis zu Joh. Gersbach (ca. 1840) 
zurück, welcher sich die Noteutafel in gleichen Absländen ä 1 Zoll durch- 
bohrt hatte und gedrehte Holzknöpfe zum Rechnen benutzte, worüber 
Stern 3 ) Nachricht giebt. 

14. Knillings Rechenlisch 4 ) ist ein Tisch, dessen Platte man 
durch parallele Striche in vier Kolumnen zur Aufnahme der Einer, Zehner, 
Hunderter und Tausender teilt. Gerechnet wird mit den deutschen Reichs- 
münzen. Die Einheit ist das Pfennigstück, der Zehner ist eine Rolle mit 
10 Pfennigstücken (oder 1 Zehnpfennigstück), der Hunderter eine Rolle 
mit 100 Pf. (oder 10 Zehnpfenniger oder 1 Markstück), 10 Hunderlerrollen 
bilden 1 „Säckchen" für die Zahl 1000. Beim Rechnen werden die Rollen 
nach Bedarf geöffnet (z. B. in der Subtraktion). — Der Hauslehrer wird 
sich dieses Mittels nicht ohne Nutzen bedienen; für eine Schulklasse von 
40 bis 50 Köpfen ist es ungeeignet, da es wegen der Manipulationen auf 
einer horizontalen Fläche nicht gleichzeitig für alle sichtbar ist. Auch 
ist es nicht angängig, jedes Kind mit diesem Hilfsmittel (selbst wenn es 
Marken wären) auszurüsten, weil die Kleinen zum Öffnen und Packen der 
Rollen noch kein Geschick besitzen; ganz abgesehen davon, dafs diese 
Ausstattung für viele zu kostspielig sein und andre zur Verleihung des 
siebeuten Gebots reizen würde. 

b) Graphische. — Striche (Nr. 15), Punkte (Nr. 16 u. 17), Quadrate 
(Nr. 18) und Kreise (Nr. 19 u. 20) sind die Zeichen, welche man zur 
Verauschaulichung der Einheiten bevorzugt hat. 



1) Loofs, Rechne o im Zahlcnrautu von 1 — 10, Dresden 1869. 

2) In: Haus und Schule, päd. Zeitschrift herausg. v. Spicker, Hannover 
1877 Nr. 3. 

3) Stern, Lehrgang d. Uecheminterrichts 1842 S. XXXll. 

4) Knilling, Reform d. Uecheminterrichts 1887 II, 20—24. 



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§ 100. Anschauungsmittel. 



207 



15. Die Striche brachte Pestalozzi auf seiner Einheitcntabelle 1 ) 
zur Anwendung. 

16. Punkte, zu Zahlbildern formiert, benutzte vor ihm schon 
Busse 2 ) und zwar in folgender Anordnung 



... 

... .... .... ... 

... ... .... Iii ••• 



Die folgenden Zahlen Ins 90 sind zusammengesetzt aus dem Zehnbild« 1 
und einem Eincrbilde. 100 wird dargestellt durch 10 Reihen von je 
10 Punkten auf 10 schmalen Brctlchcn. Zur Zahl 1000 verwendet er 
das obige Zehnbild hundertmal und zwar in 10 Kolonnen a 10 Stück. 



17. ßräunlichs Zahlbildcrtafel 3 ) enthält das Zehnbild 



hun- 



dertmal und zwar in 10 Kolonnen zu 10 Stuck, jedes ist mit einem 
Rechteck umrahmt. Jede Kolonne kann durch einen Schieber ganz oder 
teilweise verdeckt werden. Man kann mit dieser Tafel alle Zahlen bis 
1000 veranschaulichen. Will man beispielsweise 537 zeigen, so filmet 
man 5 Kolonnen ganz, von der letzten die untersten 3 Zehner und selzt 
die 7 daneben (die ersten 9 Zahlbilder sind einzeln vorhanden). 

18. Das Grasersche Fenster 4 ), welches als Zeichen für die Ein 
heit das Quadrat benutzt, besteht aus 2 oberen und 2 unteren Flügeln, 
erstere haben je 2, letztere je 3 Scheiben. Ein oberer Flügel repräsen- 
tiert die 2, beide die 4, ein unterer die 3, beide die 0, ein oberer und 
ein unterer die 5 etc. 

In der Zeichnung der Tillichschen Hölzer treten die Einheilen eben- 
falls als Quadrate auf. 

19. Heers Rechen figuren 5 ) sind gedruckte farbige Kreise in 
schwarzen Quadraten gemäfs der Anzahl der Einheiten, jede der ersten 
10 Zahlen darstellend. Stern 6 ) stellte den Kreis in den Dienst der Selbsl- 
thäligkeit, indem er die Schiefertafel mit einem Quadralnetzc versah und 
die Kreise (= „Ringel") von den Schülern in die Quadrate einzeichnen liefs. 

20. In Roms Rechenapparat 7 ) sieht man zweimal 5 kreisförmige 
Öffnungen § § § o o mit wifeem Hintergründe. Durch einen Zug kann 
man sämtliche Öffnungen rot, durch einen zweiten sämtliche schwarz er- 



1) Siehe oben S. 177. 

2) Busse, Gemeinverständliches Rechenbuch 1786 S. 1—6. 

3) Braunlich, Volkstümliches Rechnen 1877, 3. Aufl. S. 87—89. 

4) Gräser, Elementarschule fürs Leben 1821 S. 273. 
6) Heer, Lehrbuch des Denkrechneris, Zürich 1836. 

6) Stern, Lehrgang des Denkrecbneus 1842 S. XXXII. 

7) Born, Neuer Rechenapparat zur Veranscbaulichung der Rechenoperationen 
an Zahlbildern mit wechselnden Farben, Berlin 1867. (Patentiert.) 



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208 § 100. Anschauungsmittel. 

scheinen lassen. Durch Vcrdeckung mit einem Schieber gewinnt man die 
Zahlbilder ° g g ° g g elc. Die Einrichtung der Maschine läfst es 
zu, dafs man von den Kreisen eines Zahlbildes einige rot, die übrigen 
schwarz sichtbar machen kann, wodurch die Zerlegung der Zahl iu 2 
Summanden veranschaulicht wird. — Ein komplicierter Apparat thut's nicht. 

YVicdcmann ') beschränkte sich nicht nur auf ein einziges Element, 
sondern wählte die mannigfaltigsten (leicht herstellbaren) Zeichen wie: 
Striche, Punkte, Kreuze, Kreise, Räder, Vierecke, Briefe, Fenster, Stühle, 
Äpfel, Blätter, Häuser, Bäume, Gläser elc. 

Häufig stellt man die Zahlen durch sogenannte Zahlbilder dar, das 
sind konstante Gruppierungen der Elemente (Punkte, Striche, Kreise, 
Knöpfe, Kugeln etc.). Diese Bilder sind eine Erfiudung des Philanthropen 
Busse: „Ich 2 ) rathe, die Einbildungskraft der Schüler an jene ein für 
allcmahl gewählte Stellungen zu gewöhnen. Deshalb könnte man diese 
Bilder 3 ) etwas gröfser gezeichnet an die Wand des Lehrzimmers auf- 
hängen." Zum eisernen Bestände der Methodik gehören sie seit Zeller 4 ) 
1840, welcher jedoch für 5, 7 und 9 andere Gruppierungen V jY "*V 
wählte. Am beliebtesten sind die Berliner Zahlbilder, die mit den Busse- 
schen bis auf die Bilder "•' für 5 7 und 10 übereinstimmen. 

••••••••• / 

Willes Zahlenbildcrgeslell und Borns Apparat liefern naturgemäfs nur zwei- 
reihige Zahlbilder. — Eine glückliche Erfindung sind die Zahlbilder nicht, 
und wer das Hauptgewicht auf das „Bild" legt, thut einen MifsgrüT. Es 
sind beispielsweise 8 Punkte nicht nur in der vorgeschriebenen Gruppie- 
rung 8 Punkte, sondern sie bleiben es in jeder andern Anordnung; und 
jede beliebige Gruppierung der Punkte, Striche, Kreise elc. ist nicht nur 
zulässig, sondern sogar nötig, damit nicht die Vorstellung plalzgreife, als 
gehöre die eigenartige Gruppierung der Einheiten zum Inhalte des Zahl- 
begrifles. 

B. Symbolische Anschauungsmittel. — a) Körperliche. 

21. Der Jarichsche Rechenapparat 5 ) ist ein starker Querstab 
mit zehn senkrecht neben einander stehenden Drähten, auf jedem ist Raum 
für 9 Kugeln. Man legt den Drähten in derselben Richtung wie im 
Posilionssystem die dekadischen Stellenwerte bei. Es gilt auf dem ersten 
Drahte rechts jede Kugel 1, auf dein nächsten 10, auf dem dritten 100 etc. 



1) Wiedemann, Des Kindes erstes Rechenbuch, Dresden. 

2) Busse, Anleitung z. Gebrauche eines gemeinverständlichen Rechenbuchs 
1786 S. 1. 

3) Siehe dieselben oben S. 207. 

4) Zeller, Kleine Zahllehre in Zahlbildern, Stuttgart 1840. 

6) Beschrieben in: Prausck, Lehrmittel zum ersten Unterricht im Rechnen, 
Olmüz 1864 S. Uff. 



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§ 100. Anschauungsmittel. 209 

V 

22. Der Zivnj'schc Apparat 1 ) ist eine Rechenmaschine, welche 
eine doppelte Aufstellung zuläfst. Man kann sie so aufstellen, dafs die 
zehn Drähte (mit je 10 Kugeln verschen) wagerecht verlaufen und hat in 
dieser Aufstellung die russische Kugelmaschine. Man kann aber die Drähte 
auch in senkrechte Lage bringen, den oberen Teil des Rahmen fortnehmen 
und so die Drähte mit dem einen Ende zum Abnehmen und Aufstecken 
der Kugeln frei machen. Man legt den Drähten in senkrechter Stellung 
Stellenwert bei und giebt sich bei diesem Apparate ebenso wie bei dem 
vorigen der Täuschung hin, zehnstellige Zahlen veranschaulicht zu haben. 

23. Die Wunstorfcr Rechenmaschine 2 ) soll zur Veranschau- 
lichung des Positionssystems und der Decimalbrüchc bis zu den Zchn- 
tausendteln dienen. Die Drähte (mit Stellenwerl) verlaufen senkrecht und 
sind zu je drei gruppiert, um auch noch dem Aussprechen der Zahlen 
gerecht zu werden. Die Kugeln tragen ein unserem Münzsyslcm ent- 
sprechendes Kolorit; die Einerkugelu sind kupferrot, die Zehner nickel- 
farbig, die Hunderter silberweifs, die Tausender goldgelb, die Zelmtausender 
blau (Hundertmarkschein), die Hunderttausende!" seegrün (Tausendmark - 
schein). Rechts von den Drähten für die ganzen Zahlen folgen die Drähte 

— 1 — 2 

für die Decimalbrüche; letztere haben ebenfalls Stellenwert 10 ,10 , 
10 etc., tragen aber kleinere Kugeln als erstere. 

24. Durch die Rösenersche Rechenmaschine 3 ) sollen die ersten 
100 Zahlen als Einheiten dargestellt, darnach das Zehnersystem versinn- 
bildlicht und endlich die Decimalbrüche veranschaulicht werden. Zu diesem 
Zwecke besteht der Apparat aus Drähten mit Kugeln und hat drei Ab- 
teilungen, welche verdeckt werden können. Behufs Veranschaulichung der 
ersten 100 Zahlen stellt man ihn so auf, dafs alle Drähte wagerecht 
laufen, und verdeckt so viel, dafs nur eine russische Maschine sichtbar 
bleibt. Zur Erklärung des Positionssystems giebt man den Drähten senk- 
rechte Lage und Stellenwert, die Decimalbruchdrähte bleiben noch ver- 
deckt, Zur Zahlendarstellung werden die Kugeln hoch gezogen, ein Feder- 
mechanismus verhindert ihr Herabfallen. Die Kugeln der vier letzten 
Drähte tragen das Kolorit der ihren Werten entsprechenden deutschen 
Reichsmünzen. Die dritte Aufstellung geschieht so, dafs auch die (sechs) 
senkrechten Decimalbruchdrähte sichtbar werden; die Kugeln auf denselben 
sind von abnehmender Gröfse gemäfs ihres Wertes. Man will das Nume- 



1) Beschrieben in : Prausek a. a. 0. S. 18 ff". 

2) Beschrieben in Spiekers pild. Zeitschrift: Haus und Schule, Hannover 
1879 S. 391 ff. 

3) Rösener, Anweisung zum Gebrauche der Rösenerschen Rechenmaschine, 
Leipzig Klinkhardt 1879. 

ÜKOIR, Mothodik. 14 



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210 



§ 100. Anschauungsmittel. 



ricren, Addieren und Subtrahieren an der Maschine ausführen, letzteres 
ist im Falle des Borgens schon recht umständlich. 

2b. Raumers Reche u marken 1 ) sind für Eins, Zehn und Hundert 
weife und von wachsender Gröfse, für Tausend, Zehntausend, Hundert- 
tausend und Million gelb und auch von zunehmender Gröfse. Auf der 
einen Seite ist der Wert mit indischen, auf der anderen mit römischen 
Zahlzeichen aufgeprägt, ein kreisrundes Pappscheibchen vertritt die Null. 
Mit diesen Marken wird vor der Kenntnis der Zahlzeichen das Legen der 
Zahlen gelehrt. 302 liegt beispielsweise so © © © • ® OD. 

b) Graphische. 

26. Römische Zahlzeichen verwendet Zeller 2 ) und zwar X (für 
10 Einheiten) in neunmaliger Wiederholung. Über 99 geht er nicht 
hinaus. Bei Fortsetzung des Princips würden die folgenden römischen 
dekadischen Gruppenzeichen in neunmaliger Wiederholung auftreten. Zellers 
Bilder für die ersten neun Zahlen siehe oben S. 208. 

27. Willkürliche Zahlzeichen. Düten als Zeichen für 10, Säckchen 
für 100 und Kästchen für 1000 findet man hei Schweitzer 8 ), und zwar 
in neunmaliger Wiederholung. — Genannte Düten, Säckchen und Kästchen 
sollen von dem Philanthropen Busse erdacht sein 4 ) und sich in seinem 
„Gemeinverständlichen Rechenbuche 1800 3. Aufl." vorlinden; dessen wir 
aber nicht habhaft werden konnten. — Krancke 5 ) wählte das Quadrat als 
Zeichen für 10, den Kreis für 100 und das Dreieck für 1000. Die 
Wiederholung des Gruppenzeichens vermied er durch eingesetzte Punkte 
resp. Zilien) und schrieb 3245 = A 0 El v oder & © [±] 5. 

Die brauchbarsten Anschauungsmittel sind diejenigen, bei denen sämt- 
liche Einheiten getrennt und beweglich sind, weshalb unter den körper- 
lichen die russische Maschine (mit Verdeckbrett) und die Berliner Knopf- 
tafel, und unter den graphischen die Punkte und Striche, als einfachste 
Zeichen, den Vorzug verdienen. Sie machen jede Einheit sichtbar und 
gewähren für deren Gruppierung die gröfste Freiheit. Diejenigen Appa- 
rate, bei denen die Einheitkuben zu Säulen und Platten vereinigt auftreten, 
sind weniger zweckmäfsig; zwar bleibt bei ihnen noch jede Einheit sicht- 
bar, allein ihre Beweglichkeit ist gehindert und damit die Mannigfaltigkeit 
in der Gruppierung beeinträchtigt. 

Die symbolischen Anschauungsmittel sind für Unterrichtszwecke wert- 
los. Durch die Kugelapparate (Nr. 21 bis 24) werden immer nur 

1) Raumer, Geach. d. Päd. 1880 III, 458 ff. 

2) Zeller, Kleine Zahllehre in Zahlbildern, Stuttgart 1840. 

3) Schweitzer, Methodik f. Elementarlehrer 184f> S. 160. 

4) Nach Bräunlich, Volkuthüml. Rechnen 1877, 3. Aufl. S. 2. 

5) Krancke, Rechenfibel, Hannover 1829 S. 7 Off. 



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§ 100. Anschauungsmittel. 



211 



neun Einheiten veranschaulicht, der Inhalt der Stellenwerte Zehn, Hundert, 
Tausend etc. aher nicht; er wird von der Vorstellungskraft gefordert 
Derartige Apparate leisten bezüglich der Stellenwerte nichts mehr als die 
Zifferschrift selbst. Bei 435 sieht man 4 Kugeln auf dem dritten, 3 
auf dem zweiten und 5 auf dem ersten Drahte; und in der Schrift sieht 
man die Ziffern 4, 3 und 5 auf der dritten, zweiten resp. ersten Stelle; 
das ist dort wie hier genau dasselbe Kennzeichen, nämlich der verschie- 
dene Ort. — Das verschiedene Kolorit (Nr. 23 u. 24) ist eine schädliche 
Zugabe, weil es störend wirkt. Der Schüler soll nach den ersten neun 
Zahlzeichen (und der Null) keine neuen mehr lernen, sondern soll lernen 
mit diesen Mitteln jede beliebig grofse Zahl ausdrücken. Demnach müssen 
mit Kugeln von gleicher Farbe auch die gröfseren Zahlen bezeichnet 
werden; dasselbe gilt für die Decimalbruchkugeln (Nr. 24) bezüglich deren 
Gröfse. Aufser der Verschiedenheit des Ortes darf man ein neues Unter- 
scheidungszeichen (wie Farbe oder Gröfse) nicht brauchen, damit der 
Schüler die Vorstellung des Stellenwertes auch einzig und allein an den 
Ort knüpfe und an kein andres Merkmal. Deshalb verdienen die Apparate 
(Nr. 21 u. 22), welche nur Kugeln von gleicher Farbe und Gröfse haben, 
den Vorzug. Doch auch gegen diese besseren ist noch etwas Erhebliches 
einzuwenden. Wenn man auf einer Unterrichtsstufe, auf welcher man die 
Vorstellung der gröfeeren Werte 10, 100, 1000 etc. an die örtliche Ver- 
schiedenheil der Kugeln knüpft, für die kleineren Werte 1 bis 9 noch die 
Kugeln selbst beibehält und den Gebrauch der Ziffer verschmäht, so liegt 
darin ein methodischer Fehler. Sobald für die gröfseren Werte die sym- 
bolische Darstellung für genügend erachtet wird, so mufs sie zu dieser 
Zeit für die kleineren erst recht genügen und der Gebrauch der Ziffer 
hat einzutreten. 

Die symbolischen Zeichen (Nr. 27) sind nichts weiter als eine 
Nachahmung des römischen Zahlsystems und zur Einführung in Bau und 
Schreibweise des indischen Positionssystems ganz ungeeignet. Etwas nütz- 
licher wäre es schon, die willkürlichen Bilder (Dütcn, Säckchen, Kästchen, 
Kreise, Dreiecke etc.) durch die römischen Gruppenzeichen X, C, M zu 
ersetzen, wie dies Raumer und Zeller (Nr. 25 u. 26) thun, aus welchen» 
Gebrauche wenigstens ein praktischer Nutzen (wenn auch unbeabsichtigt), 
nämlich die Erlernung des römischen Zahlsystems, flösse. Indes ist der 
Gebrauch noch andrer Zahlzeichen aufser den indischen 0, 1, 2 . . 9 zweck- 
widrig, weil im Positionssysteme die über 9 hinausgehenden Zahlen nicht 
durch neue sondern durch die schon bekannten Zeichen ausgedrückt 
werden. Übrigens ist zu bemerken, dafs wenn die Vorstellung der Zahl 
durch ein Bild hervorgerufen werden soll, dieses Bild nur die Ziffer 
sein darf. 

14* 



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212 



§ 100. Anschauungsmittel. 



Vera nsc hau Ii c hung der Brüche. Quadrate, Stahe, Cylinder, 
Strecken, Kreise sind die Ohjekte, die man der Teilung unterworfen hat, 
um den Begriff der gebrochenen Zahl zu veranschaulichen. 

28. Auf Pestalozzis Bruchtabelle n spielt das Quadrat du? Rolle 
der Einheit; die Art der Teilung und den Gebrauch siehe oben S. 177. 

29. Pohlmanns Apparat 1 ) besteht aus 16 vierkantigen Stäben 
ä 16 Zoll lang, sie sind der Länge nach durchbohrt und befinden sich 
auf horizontalen Drähten. Der erste Stab ist ungeteilt und repräsentiert 
die Einheit, der zweite ist durch einen Querschnitt in 2 gleiche Stücke 
geteilt, der dritte ebenso in 3 etc., der sechzehnte in 16 gleiche Stücke 
geteilt. Die geteilten Stäbe veranschaulichen demnach die Brüche mit 
den Nennern 2 bis 16. 

30. Hermanns Apparat 2 ), erfunden vom Schulrat Hermann in 
Wien, ist eine Kopie des Pdhlmannschen. Man sieht auf 10 horizontalen 
Drähten 10 gleichlange Cylinder, den ersten ungeteilt, den zweiten in 2, 
den dritten in 3 etc., den zehnten in 10 gleiche Stücke geteilt. Die 
geteilten Cylinder veranschaulichen die Brüche mit den Nennern 2 bis 10. 

31. Knillings Teillineal 3 ) ist ein flaches 20 cm langes Lineal 
mit Teilungen an den 4 Rändern. An dem einen Rande ist es in Halbe, 
Viertel, Achtel und Sechzehntel, an dem zweiten in Drittel, Sechstel, 
Zwölftel und Vierundzwanzigstel, an dem dritten in Drittel, Neuntel und 
Achtzehntel, an dem vierten in Fünftel, Zehntel und Zwanzigstel geleilt. 
Das Lineal ist in den Händen der Schüler. 

32. Wagners Bruch tafeln 4 ) sind Pappscheiben, in Sektoren (Halbe, 
Drittel, Viertel etc.) geteilt. Die Sektoren einer Scheibe sind verschieden 
koloriert. # 

33. Körners Uhrzifferblatt*), bestehend ans einer Holzschcibe 
mit metallenen verstellbaren Zeigern, kann für eine beschränkte Anzahl 
von Brüchen zur Veranschaulichung dienen. Über die Benutzung dieses 
Hilfsmittels schrieb Böhme 6 ) einen Artikel, wo auch interessante Fragen 
für reifere Schüler mit eingeflochten sind, z. B. wann stehen beide Zeiger 
über einander, wann gegenüber, wann im rechten Winkel? 

Gegen die Bruchdarstellung durch Teilung von Strecken und solchen 



1) röhlmann, Prakt. Anweisung, Kindern die Rechenkunst beizubringen 
1804 II, Vorrede. 

2) Beschrieben in: Prauseck, Lehrmittel zum Unterr. im Rechnen, Olmüz 
1864 S. 14 ff. 

3) Knilling, Reform des Rechenunterrichts 1887 II, 35—37. 

4) Zu haben in Naumanns Buchhandlung, Dresden. 

5) Zu haben in C. Winters Buchhandlung, Chemnitz. Preis 6,5 M. 
0) In: Diesterweg, Rheinische Blätter 1886 S. 57 — 69. 



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§101. Ausführung der Species. 



213 



Körpern, bei denen nur eine Dimension ins Auge fällt, läfst sich ein- 
wenden, dafs man wohl lange und kurze, aber nicht ganze, halbe, drittel etc. 
Strecken unterscheidet. Erst bei benannten Strecken (m, km etc.) 
treten Bruchteile von solchen auf. Zwcckmäfsiger zur Teilung sind daher 
runde Objekte wie Kreise, Scheiben, Kugeln, Äpfel etc., weil bei diesen 
durch Verletzung der Form das Stück sogleich im Gegensatz zum Ganzen 
markiert wird. Auch in der Bildung besondrer Ausdrücke (Halbkreis, 
Quadrant, Sextant, Halbkugel) für Teile des Kreises und der Kugel kann 
man einen berechtigten Grund für die Bevorzugung runder Objekte von 
den Hnienförmigen finden. 

§ 101. Ausführung der Species. Bezüglich der Ausführung der 
Species ist nur über die Subtraktion und Division einiges zu erwähnen. 
Sehr gerühmt werden die österreichische Subtraktions- und Divisions- 
methode und ihr Wert wird vielfach überschätzt. 1 ) 

Das unter dem Namen „österreichische Subtraktion" 2 ) geübte 
Verfahren lehrt den Wert einer Differenz durch Aufwärtszählen, ausgehend 
vom Subtrahenden, finden. Man giebt demnach durch das Resultat an, 
um wieviel Einheiten der Subtrahend vermehrt werden inüfste, wenn mau 
den Minuend erhalten wollte, a) Das schriftliche Verfahren. Da die schrift- 
liche Berechnung des Wertes einer Differenz ziffernweis geschieht, so hat 
das Aufwärtszählen auf das „Dazulegen" geführt, ähnlich wie das Abwärls- 
zählcn des „Borgens" bedarf. — Man spricht, bei den Einern beginnend: 
g718 „2 und 6 ist 8, 6 und 5 ist 11, 5 und 2 ist 7, G und 3 

6462 iSt ^ 6 ^ etlen ^' n ° ern w ^ en den Rest. Erläuterung: 

Zur Einerdifferenz 8 — 2 = 6 ist nichts zu sagen. Die Be- 

ÖJOt> rechnung der Zehnerdifferenz 1 — 6 kann nicht in der Weise 
erfolgen, dafs man von 6 bis 1 aufwärts zählt, die Aufwärtszählung kann 
nur bis 11 erfolgen. 11 entsteht durch Vermehrung der Minuendeu- 
ziffer 1 um 10 (welche 10 aber nicht von 7 Hundert geborgt wird). Weil 
nun infolge der eben vorgenommenen Vergrößerung des Minuenden auch 
der Rest um 10 Zehner zu grofs werden würde, so zieht man zur Aus- 
gleichung 1 Hundert mehr ab; deshalb berechnet man 7 — 5 = 2 als 
Huudertdifferenz etc. 

Das schriftliche Verfahren der österreichischen Subtraktion hat vor 
der gewöhnlichen Methode (bei welcher man spricht: 8 minus 2 gleich 6, 
11 minus 6 gleich 5, 6 minus 4 gleich 2, 9 minus 6 gleich 3) den 
Vorzug der Kürze nicht. Bei jener hat man ebensoviele Einheiten dazu- 



1) Siehe einen Artikel von Hoch im Ccntralorgan fürs ltealschulwescn 
1883 Heft XI. — Dazu unsern Gegenartikel im Centraiorgan 1884 S. 269 ff. 

2) Vgl. unsern Artikel darüber in der Sachs. Schulzeitung 1884 Nr. 1. 



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214 



§ 101. Ausführung der Species. 



zulegen, als man bei dieser borgen mufs. Übrigens ist das Borgen (Ent- 
lehnen, Verwandeln, Auflösen) dem Wesen der Species entsprechender 
als das Dazulegen. — b) Das Aufwärtszählen im Kopfe, weniger bekannt 
und geübt als das schriftliche, wird durch passende Sprünge in der natür- 
lichen Zahlenreihe vollzogen und zeichnet sich infolge der Bewältigung 
gröfserer Zahlmassen auf einmal durch den Vorzug der Schnelligkeit aus 
vor dem Abwärtszählen, nach welcher Art der Subtrahend gemäfs der 
Anzahl seiner Stellen stückweis, beginnend mit der höchsten Ordnung, 
subtrahiert wird. Das Fundament für alles Aufwärtszählen bildet die 
Schlagfertigkeit in der Berechnung solcher Differenzen, deren Minuenden 
dekadische Einheiten sind (100 — 52, 1000 — 257 etc.). Durch einige 
Übung läfst es sich in dieser Fertigkeit weit bringen. Hierauf folgen Auf- 
gaben von der Art wie: 126 — 53, Antwort: 47 -f 26 = 73; oder 
645 — 269, Antwort: 31 + 345 = 376,- also solche Aufgaben, dafs aus 
der Summierung der beiden Stücke der Antwort kein neuer Hunderter 
erwächst. Ähnlich sind die Übungen bei vierstelligen Zahlen. Will man 
von dem Vorteile, der aus dem Aufwärlszählen entspringt, nichts einbülsen, 
so mufs in gewissen Fällen 1 ) die Differenz in zwei Teile zerlegt werden 
und zwar dann, wenn die beiden letzten Stellen im Subtrahenden weniger 
betragen als im Minuenden (669 — 245). Man könnte vorstehende Diffe- 
renz auch so berechnen wie vorher, nämlich: 55 + 369 = 424; kürzer 
ist es aber, die Differenz der Hunderter und diejenige der übrigen Stücke 
gesondert zu berechnen, also 600 — 200 und 69 — 45. Nach der ersten 
Art resultiert aus der Addition der Zahlen 55 -f- 369 ein neues Hundert, 
wodurch der Vorteil sich verringert. 

Der Vorteil des Aufwärtszählens im Kopfe, welcher besonders stark 
ins Auge springt, wenn die Glieder der Differenz zwei grolse nicht weit 
von einander abstehende Zahlen sind (4368 — 4357), ist begründet durch 
zwei Umstände, einmal damit, dafs man gröfsere Zahlen auf einmal be- 
wältigt, und zweitens damit, dafs das Vorwärtszählen uns geläufiger ist 
als das Rückwärtszählen. 2 ) 

Das Hinauszahlen („Wiedergeben") des Kaufmanns auf ein empfangenes 
zu grofses Geldstück ist keine wirkliche Subtraktion 3 ); denn wenn der 
Kaufmann beispielsweise 2,65 M zu empfangen hat und auf ein erhaltenes 



1) Methodisch geordnet sind die Aufgaben füre Aufwärtszählen im Kopfe 
in: Löwe-Unger, Aufg. zum Zahlenrechnen 1884 u. 1887 Heft A. 

2) „Im Rechenunterrichte ist die Subtraktion nach der Methode, welche 
dieselbe auf die Addition zurückführt, einzuüben Cirkularverfügung d. Bad. 
Oberschulrats 16. Aug. 1883, vgl. Centraiorgan fürs Itealschulwesen 1884 S. 268. 

3) Hoffmann ist gegenteiliger Ansicht, vgl. Zeitschrift f. math. Unterricht 
XIV, 107. 



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§ 101. Ausführung der Speoies. 



2.15 



Zehnmarkstück einen Fünfer, drei Zehner und sieben Mark hinauszahlt 
mit den Worten: „70, 3 M, 10 M", so ist das nur ein sprungweises 
Numerieren. Es fehlt noch die Addition jener Teile. Der Kaufmann weifs 
in den meisten Fällen garnicht, wieviel er wiedergab; von dieser Thatsache 
kann man sich überzeugen, wenn man das Geld schnell bedeckt und ihn 
nach dem Betrage fragt. Zu einer Subtraktion gehört aber notwendiger- 
weise die Angabe des Restes. 

Die österreichische Divisionsmethode. Das Charakteristische 
derselben besteht darin, dafs man jede DivisorzhTer mit der betreffenden 
Quotientenzifl'er multipliciert und das erhaltene Produkt, ohne es nieder- 
zuschreiben, sogleich vom Dividenden abzieht und zwar durch Aufwärts- 
zählen. — Bei nebenstehendem Beispiele spricht man: „4 mal 5 gleich 

167535 : 365 = 459 20 um * 5 isl 25; 4 mal 6 gleich 26 un<1 1 
2153 ist 27; 4 mal 3 gleich 14 und 2 ist 16; 3 

2285 herunter. 5 in den Quotient. 5 mal 5 gleich 

25 und 8 ist 33; 5 mal 6 gleich 33 und 2 

ist 35; 5 mal 3 gleich 18 und 3 ist 21; 5 herunter. 9 in den Quotient; 
geht auf" (die fetten Ziffern sind die Restziffern). Bei Berechnung der 
Differenzen müssen die Minuendenziffern (d. h. die Ziffern der Teildivi- 
denden) bald um 10, 20, 30 . . . oder 90 vermehrt werden, welche Be- 
träge mit dem nächsten Produkte wieder zur Subtraktion kommen. 

Die vermeintlichen Vorzüge, welche die österreichische Divisions- 
methode vor der gewöhnlichen (mit Anschreibung der abzuziehenden 
Produkte) besitzen soll 1 ), haben wir in einem Artikel 2 ) auf ihren wahren 
Wert reduciert. Bei Anwendung der österreichischen Divisionsmelhode 
sind zur Ausrechnung eines Divisionsexempels genau so viele Multiplika- 
tionen und Subtraktionen zu vollziehen als bei Anwendung der gewöhn- 
lichen Methode, und es besteht demnach bei jener bezüglich der zur Aus- 
rechnung erforderlichen Operationen ein Gewinn nicht. Dessen ungeachtet 
wird nicht selten eine grofse Ersparnis an Baum und Zeit als Vorzug 
der österreichischen Methode angeführt. Raum wird zweifellos gespart, 
weil man die abzuziehenden Produkte nicht schreibt; indes ist das Papier 
nicht teuer. Auch wird vielleicht jene Unterlassung eine Zeitersparnis 
zur Folge haben, welche jedoch nicht erheblich ist, weil Denken und 
Schreiben fast gleichzeitig geschelrcn. Zur Berechnung des Produkts 
365 X 4 spricht man nur: „20, 26, 14"; die fetten Ziffern werden im 
Augenblicke des Aussprechens geschrieben; alles andre denkt man. Damit 
wären die (sehr geringen) Vorteile der österreichischen Methode zu Ende. 



1) Centraiorgan fürs ßealschulweBen 1883 lieft XI. 

2) Sächs. Schulzeitung 1884 Nr. 1. 



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210 



§ 101. Ausführung der Spociea. 



Nun folgen die Nachteile, a) Kommt im Quotienl eine Ziffer mehr als 
einmal vor, so ist man bei der gewöhnlichen Division der erneuten Be- 
rechnung des abzuziehenden Produkts überhoben, was hei der österreichi- 
schen Methode nicht der Fall ist, da man das Gesamtprodukt garnicht 
bildet, h) Stehen Minuend und Subtrahend gehörig unter einander, so läfst 
sich der Wert ihrer Differenz oft mit einem Micke „übersehen", z. B. 

2260 2165 2485 

- 2160 2160 2160 

Da man nun bei der österreichischen Methode die jeweiligen Subtrahenden 
ihrem Gesamtwerte nach garnicht kennt, so geht man bei genannter 
Divisionsart dieser nicht selten eintretenden Erleichterung verlustig, c) EHe 
Aufsuchung eines Rechenfehlers durch nochmaliges Durchrechnen ist in 
dem nacli der österreichischen Methode ausgeführten Schema ungleich 
mühsamer als in demjenigen der gewöhnlichen Methode. Well rechnen, 
welche wir behufs Prüfung der beiden Methoden anstellten, lieferten immer 
das Ergebnis, dafs diejenigen Schüler, welche nach der österreichischen 
Methode dividieren mufsten, niemals eher fertig waren aber stets mehr 
Fehler halten als die übrigen. 

Nicht ihres praktischen Wertes sondern des historischen Interesses 
wegen nehmen wir hier Fouriers Regel der geordneten Division 1 ) 
auf, nach welcher bei einem vierteiligen Divisor in der Hauptsache nur 
mit den beiden höchsten Stellen des Divisors (oder auch nur mit einer) 
dividiert wird. Jene zwei Stellen heifsen Stückdivisor (im Beispiele ist 
H2 der Stückdivisor). Dezeichnet man die auf ihn noch folgenden Ziffern 
des Divisors von links nach rechts mit a, b, c . . und sämtliche Quotientcn- 
ziffern in derselben Richtung fortschreitend mit y, '/ a </ a '/., so läfst sieb 
der Rcchnungsverlauf folgendermafsen andeuten. 

I. Man dividiere mit dem Stückdivisor in den zugehörigen Teildivi- 
denden und subtrahiere wie gewöhnlich das Produkt, gebildet aus q x mal 
Stückdivisor. 

II. Ist der Rest > q Xf so ziehe man die nächste Dividcmlcuziffcr 
herab und subtrahiere aq x von der dadurch entstandenen Zahl (das ist 
die erste Korrektion). Der Rest wird nun zur Ermittelung von q 2 durch 
den Stückdivisor dividiert und um das Produkt, gebildet aus q % mal Stück- 
divisor, vermindert. 

III. Ist der nun erhaltene Rest ^> (q x -{- q 2 \ so hole man die nächste 
Dividendeuziffer herab und subtrahiere aq t -f- bq x (d. i. die zweite Kor- 

1) Fourier, Analyse des dquations deteruiinees, Taris 1831 S. 186 ff. Desgl. 
in: Schurig, Lehrbuch der Arithmetik 1883 I. — Desgl. in: Adam, Der liechou- 
künstler 1885 S. 51 tf. 



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§ 101. Ausführung der Species. 



217 



rektion). Der liest wird zur Ermittelung von q s durch den Slückdivisor 
dividiert und um das Produkt q 3 mal Stückdivisor vermindert. 

IV. Ist der neue liest ^> (q l -f- q t -|- q s ), so hole man die nächste 
Dividendenzifler herab und subtrahiere aq 3 -f- bq t + cq v (d. i. die dritte 
Korrektion). Der Rest wird zur Gewinnung von q i durch den Stück- 
divisor dividiert und um das Produkt aus Stückdivisor mal q± vermindert. 

Wird der betreffende Divisionsrest nicht kleiner als die Summe 
der bereits gefundenen QuolientenzilTern, so wird die Rechnung in an- 
gegebener Weise fortgesetzt. Der Herunternähme einer Dividendenzifler 
folgt allemal erst eine Korrektion, ehe die nächste Quotientenzifler be- 
stimmt werden darf. Die Korrektion besieht immer in der Subtraktion 
einer Summe von Produkten; das Bildungsgeselz der Produkte ist zu er- 
kennen aus folgendem Schema für die ersten 5 Korrektionen: 

Erste Korrektion: aq v 
Zweite Korr.: aq 2 + bq v 
Dritte Korr.: aq. A + bq 2 -J- cq v 
Vierte Korr.: aq x + bq 3 + cq 2 -f- dq v 
Fünfte Korr.: aq b + bq i -f- cq. A + dq 2 -f- eq v 

Angeführte Korrektionen haben jedoch mir Geltung, solange der Stück- 
divisor unverändert bleibt. Muts dieser aber um eine Zitier vermehrt 
werden — und das hat stattzufinden, wenn der Divisionsrest kleiner wird 
als die Summe der schon gefundenen Quotientenziffern — , so hat mau auch 
die verbleibenden DividendenzilTern neu zu bezeichnen, etwa mit a ß y ... 
(wie im Beispiele). 

V. In dem Falle, dafs der Divisionsresl kleiner ist als die Summe 
der schon gefundenen Quotienlenziffem, ist die letzte Division nicht zu 
gebrauchen; man mufs die letzte Quotieutenzifler löschen und die durch 
sie verursachte Subtraktion wieder rückgängig machen. Ist dies geschehen, 
so vermehrt man sowohl den Slückdivisor als auch den Teildividend um 
eine Ziffer und bezeichnet die nachfolgenden Ziffern des Divisors mit neuen 
Buchstaben aß?.... Vor der Bestimmung der neuen Quoticnlenzifler 
mufs erst noch eine Korrektion nach Art der oben erwähnten eintreten. — 
Hat man die neue Quotientenzifler endlich bestimmt und die erforderliche 
Subtraktion vollzogen und ist jetzt ebenfalls (wie im Beispiele) der 
Divisionsrest kleiner als die Summe der gefundenen Quotienlenziflern, 
so ist auch diese Division unbrauchbar, und der letzte Teildividend mufs 
wieder hergestellt werden. Stückdivisor und Teildividend sind je um eine 
Ziffer zu vergröbern und die noch übrigen DivisorzuTern neu zu bezeich- 
nen a b C b . . . . Hierauf hat eine Korrektion wie oben zu erfolgen und 
dann kann die neue Quotientenzifler bestimmt werden. 



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218 § 101. Ausführung der Species. 

Wenu jedoch der Divisionsrest gröfser als die Summe der bereits 
gefundenen Quotientenziffern oder ihr gleich ist, so kommt das unter I 
bis IV angegebene Verfahren zur Anwendung, welches stets eine giltige 
Quotientenziffer liefert. 

5024967581 : 92563 = 5428 7 
460 abc QiQ^^Qt, 

~424 .... 42 > 5 " o 
25 aq x = 5 • 5 = 25 

399 : 92 = 4 = q 2 
368 

319 .... 31 > 5 + 4 

J30 . . . . ar h + bq i = 20 -f 30 = 50 

269 : 92 = 2 = q z 

856 .... 85 > 5 + 4 + 2 
49 ... . aq^ + bq t + cq l = 10 + 24 + 15 = 49 

807 : 92 = 8 = q A 
736 



717....71>5 + 4 + 2 + 8 

.... «^ + ^ + ^ + ^ = 40+12 + 12 + 0 = 64 

653 : 92 = 7 



f 644 

unbrauchbar { 

[ 9 . . . . 



9<5+4+2+8+7 



6535 

54 . . . . aq 4 + ßq, s = 48 + 6 = 54 



unbrauchbar 



6481 : 925 = 7 
6475 



6....6<5 + 4 + 2 + 8 + 7 



64818 

24 . . . . aq^ = 24 



unbrauchbar 



64794 : 9256 = 7 
64792 



2 .... 2<5 + 4 + 2 + 8 + 7 



647941 : 92563 — 7 
647941 



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§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



219 



§ 102. Kaufmännische Arithmethik. Da unter den Faktoren der 
kaufmännischen Bildung die Rechenkunst die erste Stelle einnimmt, so 
ist es leicht erklärlich, dal's die Handelsschule, welche die Vorbereitung 
für den Kaufmannstand gewährt, diejenige Anstalt ist, welche gegenwärtig 
den wohlverdienten Ruf geniefst, die vorzüglichste Pflanzstätte der prak- 
tischen Rechenkunst zu sein. Kein andrer Stand hat sich so sehr unter 
die Macht der Zahl zu beugen als der Kaufmann; kein andrer kann aber 
auch die Zahl so sehr zu seinem Vorteile ausbeuten als dieser. 

Kaufmännische Arithmetik nennt man das in Handelsschulen gelehrte 
Rechnen. Es erstreckt sich auf alles, was Gegenstand des Handels ge- 
worden ist, auf Ware, Geld und Geldeswert; Die arithmetischen Grund- 
operationen mit ganzen und gebrochenen Zahlen werden als bekannt 
vorausgesetzt und der Kursus beginnt gewöhnlich mit der Procentrech- 
nung, worauf Zins-, Rabatt-, Gesellschafts-, Mischlings-, Termin-, Münz-, 
Effekten-, Wechselrechnung, Warenkalkulationen und Kontokorrenten folgen. 
Das Rechnen selbst mufs auch das Gepräge des echt kaufmännischen 
Verkehrs tragen; es mufs kurz und bündig, übersichtlich und von ge- 
fälliger Form sein. Um die thunlichste Kürze zu erreichen, werden nicht 
selten in einem Vorkursus sämtliche Rechnungsvorteile gelehrt, welche 
in kaufmännischen Kreisen als bewährt befunden worden sind und die 
wir der Mehrzahl nach auf unserem Entwickelungsgange kennen gelernt 
haben. In „E. Amthor, Quintessenz des kaufmännischen Rechnens 1862" 
ist die Gesamtheit aller Rechnungsvorteile einleitungsweise unter dem Titel 
„Wälsche Praktik" aufgenommen. Auf die Wiedergabc von Einzelheiten 
dürfen wir unter Hinweis auf die reiche Litteratur 1 ) verzichten. Wir be- 
schränken uns hier auf Vorführung einer bis jetzt noch nicht berührten 
Partie, des Kontokorrents, welches in diesem Jahrhundert erst in Auf- 
nahme kam, und werden vornehmlich die verschiedenen Methoden der 
Zinsenberechnung besprechen. 

Läfst ein Kaufmann seine Zahlungen durch ein Bankhaus leisten und 
auch seine Forderungen durch dieses einziehen, so nennt man die vom 
Bankier darüber geführte Rechnung ein Kontokorrent 2 ) (conto corrente, 

1) A. Schiebe, Lehrbuch d. kaufm. Arithm. 1834 u. später. — Feller-Oder- 
mann, Da8 Ganze d. kaufm. Arithua. 1866, 10. Aufl. — Braune, Kaufm. Arithm. — 
Schiebe- Odermann , Lehrbuch der Kontorwissenschaft 1871, 7. Aufl. — Salomon, 
Kaufm. Rechenbuch. — Amthor und Gerothwohl, Comptoir und Börse 1873, 
3. Aufl. — Rothschild, Taschenbuch für Kaufleute 1885, 29. Aufl. — Swobodas 
Schriften: a) Bankgeschäft, b) kaufm. Arbitrago, c) der internationale Arbi- 
tragen, d) Lehrbuch der Handclsarithmetik. U. a. m. 

2) Behandelt in: Schiebe, Universallexikon der Handelswiss. 1837 I, 373 ff. 
Montag, Die vorzüglichsten prakt. Regeln und Rechnungsvortheile, Weimar 1841. 
Dittmann, Anweiaung f. Comtoiristeu , eiu Conto-Corrent aufzumachen, Hamburg 



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220 



§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



comple courant, account current, der und das). Der Kommittent erhält 
davon jährlich oder halbjährlich eine Abschrift. Für die Debetposten for- 
dert der Bankier vom Verfalllage (auch Skadcnz) 'bis zum Abschlufslcrmiue 
Zinsen, während er für die Krcdilposlen solche vergütet. Ein Konto- 
korrent enthält demnach auf jeder Seile eine Kolumne für die Kapitale, 
eine für die Verfallzeiten, eine für die zu verzinsenden Tage, eine für 
die Zinsen resp. Zinszahlen. 

Die Zinsenberechnung kann auf vier verschiedenen Wegen geschehen. 

1. Zinsenberechnung mit Zinsposten. Nach dieser Methode werden 
die Zinsen für jeden Kapilalposteu gesondert berechnet und in die Zinsen- 
kolumne ausgeworfen. Der Abschlufs des Kontokorrents ist hierbei leicht. 
Mau berechnet zuerst den Zinsensaldo und stellt ihn auf die gehörige 
Seite, fügt dann die Beträge für Provision, Courtage, Porto und Stempel 
hinzu, zieht den Saldo und trägt ihn auf neue llechnung vor. 

2. Mit Zinszahlen nach progressiver Methode (Schema 1). Hierbei 
stellt man in die Zinsenkolumne nur die Zinszahlen („Nummern" in Öster- 
reich), d. h. die Produkte aus den Kapitalen mal den Tagen. Zur Ge- 
winnung des Zinsensaldo zieht man den Saldo der Zinszahlen und dividiert 
diescu durch den Zinsdivisor (auch „Schlüsselzahl"). Der Zinsenberech- 

nuug liegt die Formel 1Q ^ W g 6Q zu Grunde, worin c das Kapital, p die 

Procenle und n die Tage bedeuten; der variable Faktor cn jener Formel 

liefert die Zinszahlen, der konstante Faktor j^—ggQ gebt bxü geeignetem 

/> in einen Slammbruch über und liefert dann den Zinsdivisor, welcher 
für 3%, 3^%, 4%, 4}%, 5%, 6% der Reihe nach 120fX), 10800, 
9000, 8000, 7200, 6000 ist. Bisweilen verkürzt man die Zinszahlen um 
zwei Stellen und hat dann auch vom Zinsdivisor zwei Nullen fortzulassen. 
Zur Berechnuug der Zinszahlen bringt man vom Kapitale nur ganze Münz- 
einheiten in Ansatz und rechnet die Bruchteile der Einheit für eine volle, 
wenn sie 0,5 oder mehr betragen, während kleinere* Beträge ignoriert 
werden. Dasselbe Princip der Abrundung beobachtet man auch bei der 
Verkürzung der Zinszahlen um zwei Stellen. 

Enthält ein Kontokorrent Kapitale, deren Verfallzeitcn hinler dem 
Abschlufstermine liegen, so haben diese Posten offenbar am Abschlufs- 
lerminc einen geringeren Wert, sie müssen also diskontiert werden (es 



1846. — Noback- Steger, Allgemeine Eucyklopädie f. Kaufleute 1864 S. 619 ff. — 
Kitt, „Über Conto-Corrente" im Jahresbericht d. Wiener HaudelBakad. 1865. — 
Schulten, Erklärung der Couto-Correute, Duisburg 1875, 2. Aufl. — Derger, „Diu 
Conto-Corrent-Zinsenrecbnuog" im Jahresbericht d. Handelsak. zu Graz 1880. — 
Schiebe-Odermann, Die Contorwissenachaft 1871, 7. Aufl. S. 99 — 246. 



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§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



221 



geschieht vom 100). Um dies anzuzeigen, trägt man die Tage (zwischen 
Verfalltag und Abschlufstag) und die dazu gehörige Zinszahl mit roter Tinte 
ein (rote Zahlen). Die roten Zahlen tragen demnach einen subtraktiven 
Charakter, während die schwarzen Zahlen den additiven besitzen. Stall 
aber die roten Zahlen auf der Seile ihres Erscheinens zu subtrahieren, 
addiert man sie auf der entgegengesetzten Seite, was denselben Effekt 
giebt. Treten auf beiden Seiten rote Zahlen auf, so ist nur die Differenz 
ihrer Summen auf derjenigen Seite zu addieren, auf der die schwächere 
rote Summe sich ergab, weshalb man den Saldo der roten Zahlen erst 
zur Ausgleichung rot und dann zur eigentlichen Wirkung auf derselben 
Seite schwarz einträgt. Liefert die Debetseite die gröfsere Zinszahlcn- 
summe, so ist der Kommittent Zinsen schuldig, und er ist mit den aus 
der Zinszahlendifferenz sich ergebenden Zinsen zu belasten; liefert dagegen 
die Kreditseite die gröfsere Zinszahlensumme, so sind ihm die aus dem 
Zahlensaldo entstehenden Zinsen zu kreditieren. 

Sind die Zinsen gehörig entwickelt, so schreitet man zur Berechnung 
der Provision (gewöhnlich ^°/o n ' s Provision wird nicht von beiden 

Seiten des Kontokorrents berechnet, weil der Bankier von jedem Ge- 
schäfte nur einmal Provision zu fordern berechtigt ist. Sic wird stets 
von der stärkeren Seile berechnet, jedoch nach Abzug sämtlicher pro- 
visionsfreien Posten. Provisionsfrei sind: der aus voriger Rechnung über- 
tragene Saldo, weil dieser schon Provision getragen hat, die Frankoposten, 
die Warenposten. 

Courtage (Maklerlohn, Sensarie) wird bei Wechseln auf ausländische 
Plätze beansprucht, weil sich bei solchen Geschäften der Bankier eines 
Maklers (Sensal) bedienen mufs oder doch die Notwendigkeit seiner Ver- 
mittelung begründen kann. 

Zum Schlufs wird der Kommittent mit dem verlegten „Porto und 
Stempel" belastet. — Alle in das Kontokorrent beim Abschlüsse aufge- 
nommenen Posten erhalten das Datum des Abschlufstages. 

Die sich nun ergebende Differenz in den Beträgen beider Seiten des 
Kontokorrents ist der reine Saldo. Er wird zur Ausgleichung auf die 
Seite der schwächeren Summe mit der Bezeichnung „zu unserm" resp. 
„zu Ihrem Gunsten" eingestellt und dann auf die entgegengesetzte Seile 
als Guthaben mit der Bezeichnung „Saldovorlrag" gesetzt und geht schliefs- 
lich als erster Posten in die neue Rechnung über. 

Eine Erleichterung in der Berechnung der Zinszahlen gewähren die 
Multiplikationstabellen 1 ) von Hinrichscn. Das Buch hat 92 Seilen (Oktav); 

1) Hinrichsen, Multiplikationstabelle der Zinszahlen bei Conto- Corronten 
von der geringsten bis zur höchsten Summe zu allen Münzen der Welt, Ham- 
burg 1862. 



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222 



§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



auf der ersten stehen keine Zahlen; je zwei gleichzeitig aufgeschlagene 
Seiten gehören zusammen und zwar insofern, als sie in der ersten Ko- 
lumne stets die Zahlen 1 bis 99 für die Kapitale enthalten, die übrigen 
acht Kolumnen sind mit den Tagen (365, 3G4, 363 . . . 358 auf Hier 
und Hlter Seite) überschrieben und enthalten die ersten 99 Produkte 
•ihrer überschriebenen Zahlen. Für sämtliche ein- und zweistelligen Kapi- 
tale können demnach die Zinszahlen direkt entnommen werden, während 
man bei gröfseren Kapitalen noch einer Addition bedarf. Hätte man das 
Kapital 53 621 und 339 Tage, so würde die Rechnung mit Benutzung 

der Tabelle wie nebenstehend aussehen. Dazu 

5 1695 ist die Seite aufzuschlagen, auf welcher sich die 

36 . . 12204 m jt 339 Tagen überschriebenc Kolumne beiludet; 
21 7119 man findet daselbst neben den Zahlen 5, 36 und 

18177519 21 der ersten Kolumne die hier verwendeten 
Produkte. 

Der Zeitgewinn ist bei Benutzung der Tabelle nicht erheblich, wohl 
aber hat der Rechner die Gewähr gröfsercr Sicherheit für seine Resultate. 
Crelles Rechentafeln (siehe § 74) leisten bedeutend mehr. 

3. Mit Zinszahlcn nach retrograder Methode (Schema II); auch die 
Methode mit Diskontzahlen, brabanter, französische Methode, Epoche-Rech- 
nung 1 ) genannt. — Da sich am Ende des Geschäftsjahres in Bankhäusern 
die Arbeit häuft, so sucht man die Kontokorrenten vorher möglichst weit 
fertigzustellen. Weil nun aber auch der Fall eintreten kann (bei Konkurs, 
Todesfall), dafs das Kontokorrent an einem früheren Tage als dem postu- 
lierten Abschlufstermine (30. Juni, 31. December) abgeschlossen werden 
mufs, so wäre entweder jene Vorarbeit ganz umsonst gethan, oder man 
müfstc den für ultimo December berechneten Saldo auf den verlangten 
Abschlufstag diskontieren. Diese Umstände haben auf eine andre Methode, 
die retrograde Zinsenberechnnng, geführt, welche zwei Vorteile vor der 
progressiven gewährt: erstens den, dafs die Vorausberechnung des Konto- 
korrents sowie auch der Abschlufs an jedem beliebigen Tage möglich wird, 
ohne diesen vorher wissen zu müssen; zweitens den, dafs man der roten 
Zahlen nicht bedarf. Das Verfahren beruht darauf, dafs mau die früheste 
Skadenz (d. h. gewöhnlich den Eröflnuiigsleriniii) als Abschlufstag fingiert. 
Weil nun infolge dieser Annahme die Verfallzeilen sämtlicher Debet- und 
Kredilposlen hinter dem Abschlufslage liegen, so müssen die Posten selbst 
an diesem Tage einen geringem Werl haben und demzufolge diskontiert 
werden. Der Saldo ist nun auch zur frühesten Skadenz (zum fingierten 



1) Epoche (Epoque) heilst der Tag, auf welchen sämtliche Skadenzen der 
Zinaenberechnung wegen zurückgeführt werden. 



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§ 102. Kaufmannische Arithmetik. 



Abscblufstage) fällig; weil er aber erst am Tage des wirklieben Abschlusses 
fällig erscheinen inufs, so sind überdies noch die Zinsen vom Robsaldo 
(auch Brutto- oder Kapitalsaldo) auf die Zeit vom fingierten bis zum wirk- 
lichen Abschlufstage in Rechnung zu bringen, und zwar hat die zugehörige 
Zinszahl auf die Seite der schwächeren Kapitalsumme zu kommen; denn 
es ist klar, dafs beispielsweise ein Guthaben per 1. Juli ein halbes Jahr 
später einen gröfscren Wert haben raufs. Es tragen bei dieser Methode 
sämtliche Zinszahlen auf der Seite, auf der sie erscheinen, einschliefslich 
der des Rohsaldo den Charakter roter Zahlen. Dadurch aber wird aus 
der früheren Ausnahme inbezug auf rote Zahlen eine Regel und es liegt 
kein Grund mehr vor, für diese Zahlen die rote Tinte zu gebrauchen, 
wenn man nur den subtraktiven Charakter der Zahlen auf jeder Seite fest- 
hält. Dieser vermindernden Bedeutung wegen nennt man diese Zahlen 
Diskontzahlen. Nachdem die Zinsenberechnung erledigt ist, wird der weitere 
Abschlufs wie bei voriger Methode vollzogen (vgl. Schema II). 

4. Die Staffelrechnung (auch Hamburger Stufenleiter). Berechnet 
der Bankier dem Kommittenten für dessen Guthaben die Zinsen zu einem 
geringeren Zinsfufse als für sein eigenes, oder vergütet er ihm gar keine 
Zinsen, sobald er dessen Schuldner wird, so liefern die bis jetzt ange- 
führten Methoden kein richtiges Resultat. Bei zweierlei Zinsfufs mufs 
man stets wissen, wer der jeweilige Gläubiger ist, wie lange und mit 
wieviel er es ist. Daraus läfst sich ersehen, wer Anspruch auf Zinsen 
hat. Die Berechnung derselben läfst sich mit dem Kontokorrent nicht 
vereinigen, sie mufs auf einem besonderen Blatte, der Zinsnola, erfolgen. 
In der Zinsnota werden die Kapitale nach der chronologischen Reihenfolge 
ihrer Verfalltage (mit den Zeichen C oder D, Kredit oder Debet) unter- 
einandergesetzt. Nach jedem neu hinzugekommenen Posten zieht man den 
Kapitalsaldo und berechnet für diesen die Zinsen resp. Zinszahl auf so 
viele Tage als der betreffende Betrag keine Änderung erfährt. Zinszahleu 
für solche Posten, welche über den Abschlufstag hinausgehen und von 
diesem Tage bis zum Verfalltage berechnet werden, sind ihrer Natur nach 
rote Zahlen, welche man sofort in die entgegengesetzte Kolumne schwarz 
einstellt. Hierauf addiert man sowohl im Kredit als auch im Debet alle 
Zinszahlen und berechnet mit Hilfe des zugehörigen Zinsdivisors die Zinsen 
für jede Summe gesondert. Die Differenz der Zinsen gelangt dann als 
Zinsguthaben auf der gehörigen Seite im Kontokorrent zur Einstellung. Der 
weitere Abschlufs erfolgt wie bei den vorigen Methoden (siehe Schema III). 

Die Staffelrechnung ist sehr durchsichtig, jedoch wegen der Anfer- 
tigung einer besonderen Zinsnota etwas weitläufig. Angenehm ist dabei 
der Umstand, dafe jeden Augenblick das annähernde Schuldverhältnis vor 
Augen liegt. — Werden Posten, deren Verfallzeit hinter dem Ahschlufs- 



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224 § 102. Kaufm&anische Arithmetik. 



terminc liegen, in der Weise behandelt, wie hier geschehen ist, so liefert 
die Rechnung ein falsches Resultat, und zwar entspringt der Fehler 
aus den Zinsen der späteren Posten. Indem nämlich hinsichtlich dieser 
Posten nicht das jeweilige von Geschäflsvorfall zu Geschäftsvorfall wech- 
selnde Schuld Verhältnis ermittelt wird, werden die Zinsen entweder zu 
hoch oder zu niedrig eingestellt und man begeht eben den Fehler, den 
man durch die Slaffelrechnung vermeiden will. Von der Fehlerhaftigkeit 
des Endresultats kann man sich durch eine Proherechnung überzeugen. 
Man vollziehe den Abschluß des Kontokorrents an einem Tage, der nach 
dem letzten Verfalltage liegt. Wählen wir für das Beispiel in Schema Hl 
den 31. März als solchen, so würde die gewöhnliche staflelförmige Fort- 
führung der Zinsnota folgende sein: 

Debetzahlen Kreditzahlen 

D 1077 .92 M bis 31. Dec. 1380 455 

1077.92 bis 15. Jan. 15 Tg 162 - 
15. Jan. D 820 



D 1897.92 bis 15. Febr. 30 Tg 569 
15. Febr. C 463.58 



D 1434 . 34 bis 20. Febr. 5 Tg 72 

20. Febr. D 391.36 

D 1825.70 bis 4. März 14 Tg 256 

4. März C 350 . 



D 1475.70 bis 31. März 26 Tg 384 

Zinsensaldo 40 . 73 2823:60 4557 72 

(Prov. Court, etc.) 23 . 76 47.05M 6.32 M 

Saldo M 1540.19 per 31. März. 



Dieser Betrag müfste sich auch ergeben, wenn man (in Schema III) 
den reinen Saldo per 3t. Dcccmbcr 1518.93 um die 6procentigen Zinsen 
des Hohsaldo 1475.70 auf die Zeit vom I.Januar bis 31. März vermehrte; 
also 1518 . 93 M -f- 22 . 14 M = 1541 . 07 M per 31. März. Erheblich ist 
der Unterschied in diesem Falle nicht; er kann es aber werden, wenn 
die Posten gröfscr sind und das Schuldverhältnis zwischen Bankier und 
Kommittent wechselt. 

Soll die Staflelrechnung ein richtiges Resultat liefern, so müssen die- 
jenigen Posten, deren Verfallzcilen hinler dem Abschlufstage liegen, aus 
dem Kontokorrent ausgeschieden und auf neue Rechnung vorgel ragen 
werden. In gewissen Fällen kann zwar auch bei ihrer Aufnahme ein 



» 



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§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



225 



richtiges Resultat erscheinen, doch würde ein näheres Eingehen 1 ) auf die 
Sache hier zu weit führen. Unter das Kontokorrent setzt der Aussteller 
gewöhnlich die Anfangsbuchstaben S. E. et 0. von Salv Errore et Omis- 
sione d. h. unter Vorbehalt eines Irrtums und einer Auslassung; indes 
ist der Bankier auch ohne diesen Zusatz berechtigt, einen nachträglich 
entdeckten Irrtum zu berichtigen. 

Das rechtliche 2 ) Kontokorrentverhältnis ist eine Schöpfung neurer 
Zeit und wurde durch die französische Revolution 1789 veranlafst. Name 
und Sache sind jedoch älter. Der Hamburger Buchhalter Rademann lehrte 3 ) 
schon 1714 die Führung eines „Copeybuches" und darin die Aufstellung 
der „Conto-Couranti"; die Posten entspringen zwar reinen Wechsclgcschäf- 
ten, doch fehlt noch jedwede Zinsberechnung. Auch ist die Anrechnung 
solcher nicht erwähnt; und nach dem Motto, welches er seiner Buchhal- 
tung vorsetzte („Schäme dich nicht, alle Ausgaben und Einnahmen anzu- 
schreiben" Sirach XLII, 7), ist anzunehmen, dafs er selbst keinen Posten 
einzutragen unterliefs. Den Gebrauch der Zinszahlen nach progressiver Me- 
thode konnten wir nur bis Clausberg 4 ) 1732 zurückverfolgen. Die Zinsen- 
berechnung nach retrograder Methode kam erst im Anfange dieses Jahrhun- 
derts auf und zwar in Frankreich. Im Jahre 1816 sah Schiebe 6 ), einer 
der berühmtesten Schriftsteller über Handelswissenschaften, das erste nach 
retrograder Methode ausgeführte Schema; ein Lyoner Bankhaus legte es 
ihm zur Prüfung vor, woraus man sieht, dafs die Sache damals für die 
Kaufleute eine ungewohnte Neuheit war. Selbständige Schriften über das 
Kontokorrent datieren erst aus dem 19. Jahrhundert und zwar auch nur 
aus den letzten Jahrzehnten. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts 
waren die Zinsbcrcchnungsmethoden bei Kontokorrenten noch wenig be- 
kannt. So zeigt beispielsweise J. B. Montag, der sich ausdrücklich Lehrer 



1) Siehe darüber: Schiebe, Contorwissenschaft. Desgl. Kitt, Conto- Corrente 
im Jahresber. d. Wiener Handelsakademie 1865. 

2) Creizenach, Das kaufm. Conto-Corrent im Archiv f. prakt. Rechtswissen- 
schaft 1857 IV, 31—74. Desgl. Freudenstein, Die Rechtsverhältnisse aus dem 

•kaufm. Conto-Corrcnt 1883. 

3) Rademann , Der Wehrtgeschätzte Handelsmann, anweisend, wie eine drey- 
j übrige General band hing / welche sowohl inn als aufserhalb / zu Wasser und zu 
Lande / Proper, in Commission & Comp, geführt worden / in ein richtiges Memorial 
zu beschreiben / aus solchem ins Journal , Hauptbuch und andere Nebenbücher 
einzutragen / zu stylisiren und auffs allerkürzeste itziger Zeit und Usance der 
Negotie nach einzurichten / zu saldiren und zu bilantziren sey, Hamburg 1714 
Bl. 21—23. 

4) Clausberg, Demonstrative Rechenkunst 1732. 

5) Schiebe, Contorwissenschaft 1871 I, 135. 

Ukqkb, Methodik. ' 10 



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220 § 102. Kaufmännische Arithmetik. 

Schema I. (Zinsenbcrechnting nach progressiver Methode, mit roten Zahlen.) 



Herrn Gustav Damm, 

Soll 



18*7 


1 


| l'a-ge 


| Zahlen _ 


M 




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IVI.r. 

März 
April 

Maj 

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Juni 

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Juni 

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Juli 


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2 
9 
18 
18 
24 
25 
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19 
19 
19 

30 

m 
ff 

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An Salilo laut vor. Kontokorrent 
„ llire Tratte "/\. Kriug 

„ „ 7'fJ. Frieden 
„ iinsrre Pimesse auf London 
„ Ihre Trade "/J. Kaiser 

„ „ /W. Koni- 
„ Spesen aul 10 Sack Samen 
„ unsere Himessc aul Hamburg 
? , „ „ auf New -York 

fco Court. 
„ Ihr«' Tratte ,/A. Pollack 

„ „ "/.I. CoMinauii 
„ „ „ / II. Husch 

Au Saldo (l«;r Zinszahlen 
„ Pi ov. von M 23 007,30 ä \ % 
„ Court, von M 8 872,75 ä 1 
„ Stempel und Porto 


! Pec. :n 

.März 30 
April 10 
März 9 
Juli lf) 

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Mai 24 

Mai 25 

Juni 0 
Juli 15 
Juli 10 

Aug. lo 

Juni :i0 


180 
90 
80 

111 
15 
5 
30 
35 

24 
15 
10 
15 


424 020 
142 920 
184 000 
414 474 
09 375 
12 585 
5 616 
43 330 

04 752 
53085 
30 000 i 
162 990 

374 051 


2358 
1588 
2300 
3733 
4G25 
2517 
155 
1237 

2098 
3538 
3000 
3622 

• 

78 | 

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70 
80 

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— 

89 
87 

10 




1 053 763 f 


31472, 


56 


Au SaMovortrai; 


328035 ; 4299 


81 



Irrtum 

Berlin, den 
Becker 



Anmerkungen: Zur Zinsenberechnung. Saldo der roten (fetter) Zahlen im 
Soll ist 59 459, welcher hier subtraktiv, im Haben aber additiv wirkt, wo 
er doppelt eingestellt ist, einmal zur Ausgleichung rot und dann zur eigent- 
lichen Wirkung schwarz. Summa der schwarzen Zahlen plns des roten 
Saldos im Haben 1 653 7G3. Summe der schwarzen Zahlen im Soll 
1 279 712, folglich Saldo im Haben 374 051, das sind M 51,95 Zinsensaldo 
im Haben. 



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§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



22? 



Leipzig. Zinsen 5°/ 0 . 



Haheti 



1887 



Jan. 
Febr. 

» 

März 
April 
Mai 



Juni 

» 



10 
6 
21 
17 
14 
G 

25 
25 
12 
24 
24 
30 



Per Ihre Iiimesse auf J. Bar hier 
„ „ auf Paris 
Verkaufsrcchnung über Samen 
Ihre Rimesse auf Petersburg 
auf Rofs hier 
auf Magdeburg 

fco Court, 
auf G. Bossart hier 
auf A. Löwe hier 
auf E. Vogel hier 
auf M. Hahn hier 
auf C. Seemann hier 



V 

» 
ff 
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)} 

M 

V 
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V 



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V 

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ff 



ff 



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ff 



Saldo der roten Zahlen 



ni 30 

30 



Per Saldo der Zinsen 

ä 5% 374051 : 7200 
Saldo zu unsern Gunsten 



vorbehalten. 

30. Juni 1887. 
& Comp. 



Jan. 30 
Febr. 6 

n 21 

März 17 
Mai 25 

Juni 15 
Juli 23 
Juni 24 
Juli 31 
Aug. 11 
Juli 9 



Tage 



150 
144 
129 
103 

35 

15 
23 

6 
30 
41 

9 



Zahlen 



322 500 
203 616 
670 026 
256 161 
90 440 

42 825 
68839 

8 736 
10« 740 
91143 

1854 
59459 



M 

2150 
1413 
5193 
2487 
2583 

2855 
2993 
1456 
3558 
2222 
206 



75 
90 
40 
80 

30 

40 

8() 
45 



59 459 



51 
4299 



95 
81 



1 653 763! 31472156 



328 035 1| 



Berechnung der Provision. 

Die gröfsere Kapitalsumme ist im Soll 
M 31 375,70 davon ab 2358,80 1 „ 

5193,90 Haben 

7 70 8,40 
M 23 067,30 für die Provision. 



Courtage ist zu berechnen von: 

R° London 3733,80 jg^j 

R° Hamburg 1237,801 ° 

II* Paris H13,75 | IJaben 

R° Petersburg 2487,40 i 

M 8872,75 
16* 



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228 § 102. Kaufmännische Arithmetik. 

Schema II. (Zinsenberechnung nach retrograder Methode.) 



Herrn Gustav Damm, 

Soll 



1887 






Tage 


Zahlen 


M 




Jan. 


* 

1 


An Saldo laut vor. Kontokorrent 


Dec. 31 




— 


2358 




Febr. 


et 

2 


„ Ihre Tratte °/A. Krieg 


März 30 


j 90 


142 920 


1588 


— 




2 


„ „ „ °/B. Frieden 


April 10 


100 


230 000 


2300 


— 


März 


9 


j „ unsere Rimesse auf London 


März 9 


69 


257 646 


3733 


80 


April 


18 


„ Ihre Tratte °/J. Kaiser 


Juli 15 


195 


901 875 


4625 






18 


°/W Köniff 


5 

n ,J 


185 


465 645 


2517 


10 


Mai 


24 


! „ Spesen auf 16 Sack Samen 


Mai 24 


144 


22 464 


155 


70 




2o 


; „ unsere Rimesse auf Hamburg 


Mai 25 


145 


179 510 


1237 


80 


luni 
•null 


a 
*j 


„ „ „ auf New- York 
















fco Court. 


Juni 6 


156 


420 888 


2698 


20 




19 


„ Ihre Tratte °/ A - Pollack 


Juli 15 


19o 


690 105 


3538 


9i) 




19, 


,, /j. (lOiunidiin 




190 








» 


191 

i 


» » „ °/H. BlMCh 


Aug. 15 


225 


814 950 


3622 


40 


Juni 


30 


Prov. von 23 667,30 ä -J% 








78 


89 


» 


30 


Court, von 8 872,57 a 1%, 








8 


87 


» 


30 


Stempel und Porlo 










10 


Juli 






Juni 30 




4 696 003 1 


31472 


50 


An Saldovorlrag 


M | 


4299 


78 



Irrtum 



Berlin, den 

Becker 



Anmerkungen: Eapitalenmme im Soll 31 375,70 

„ „ Ilaben 27 120,80^ 

Robsaldo M 4 254,90 
Zur Berechnung der Zinazahl wird 4254,90 abgerundet in 4255. 



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§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 229 



Leipzig. Zinsen 5% 

Haben 



1887 


! 




Tage 


Zahlen 


M 




Jan. 
Febr. 

» 

März 
April 
Mai 

n 
}) 
Juni 

" 


10 
fi 
21 
17 
14 
6 

25 
25 
12 
24 
24 


Per Ihre Rimesse auf Bär hier 
„ „ „ auf Paris 
„ Verkaufsrechnung über Samen 
„ Ihre Rimesse auf Petersburg 
„ „ „ auf Rofs hier 
„ „ „ auf Magdeburg 

fco Court. 

„ „ „ auf G. Bossart hier 
„ „ „ auf A. Löwe hier 
„ „ „ auf E. Vogel hier 

:inf M Halm liii'i* 

Ulli 1JOIIII IJIV-1 

„ „ „ auf C. Seemann hier 


Jan. 30 
Febr. G 

März 17 
Mai 25 

Juni 15 
Juli 23 
Juni 24 
Juli 31 
Aug. 11 
Juli 9 


30 
36 
51 
77 
145 

165 
203 
174 
210 
221 
189 


64 500 
50 904 
264 894 
191 499 
374 680 

471 075 
607 579 
253 344 
747 180 
491 283 
38 934 


2150 
1413 
5193 
2487 
2583 

2855 
! 2993 
• 1456 
! 3558 
1 2222 
206 


75 
90 
40 
80 

30 

40 

MO 
4b 


Juni 

n 
» 


30 
30 
30 


Zinszahl vom Rohsaldo 4254,90 
Saldo der Zinszahlen, 5°/ 0 
„ zu unsern Gunsten 






180 


765 900 
374 231 ; 


« 

4299 






1 










4 696 003 


31472 


56 



vorbehalten. 



30. Juni 1887. 
& Comp. 



Die Endresultate der Schemata I und II differieren uuiSii, weil die Zinsen- 
saldi um 3 ^ verschieden sind. Die Abweichung ist sehr gering; ihren Grund 
hat aie darin, dafs wegen der Abrundung der Kapitalwerte zur Berechnung der 
ZinBzahlen in diesen dann nicht die äufaerute Genauigkeit herrscht. 

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230 



§ 102. Kaufmännische Arithmetik. 



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§ 102. Kaufiuäuuisohe Arithmetik. 



231 



Zins- Nota. 



(Zu Schema III, nach der Stalle! rech nun», mit verkürzten Zinszahlen, 

Debent 6%, Credunt 5%.) 



1887 




Betrüge 








!l T 


ige 


' Zahlen 






M 

Iii 










Deb. Cied 


Dell 




.lilli 1 


D 


2542 


80 


Vom 1. Juli 


bis 


5. Juli 


i 

5 




127 






I) 


350 




















D 


2892 


so 


5. Juli 




14. Juli 


9 




200 




77 


€ 


2000 




















1) 


892 


80 


„ 14. Juli 




10. An». 


20 




232 




Au». 10 


C 


2735 


92 


















C 


1 843 


12 


„ 10. Auu-. 




20. Au-. 




16 




2! »5 


„ 20 

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1) 


1000 


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19 




100 


Sept. 15 


I) 


1215 


04 


















D 


372 


52 


„ 15. Scjii. 




30. Sept. 


i 

15 




56 






c 


304 


00 


















1) 


07 


92 


30. Sept. 


» 


IS. Okt. 


18 




12 




Oki. 18 


D 


500 


— 


















1) 


507 


92 


„ 18. Okt. 




24. Oki. 


0 




34 






C 


240 


— 


















D 


327 


92 


„ 21. Oki. 




1. Nov. 


7 




23 




Nov. 1 


D 


750 




















1) 


1077 


92 


1. Nov. 


j> 


31. her. 


59 '' 




030 




Kohr. 15 


C 


403 


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„ 31. Oer. 




15. I'Ylu- 


45 1 




209 






1) 


014 


34 






1 


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März 1 


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350 , 




„ 31. Dce, 




1. März 


04 




224 






D 


055 


7« 
















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I) 


820 ; 





31 Oer. 


„ 


15. JiMI. 


i 


15 




123 




1) 


1175 


7o 












IS 13 


771 










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Zinsen 1*13: 


Oo 


= 30,22 M 


















Oi edunl- 






















zinsen 77 1: 


72 


lo,75M 











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232 



§ 10*. Schlufs. 



der kaufmännischen Arithmetik zu Erfurt nennt und mit seinem Buche 1 ) 
einen „Beitrag zur Schnellrechnung für Bankiers, Kau Heute und Rechnungs- 
beamte" liefern will, nur die progressive Methode, während er die übrigen 
mit keinem Worte erwähnt. Der pomphafte Titel seines Rechenwerks 
erregt freilich gröfsere Hoffnungen. 

§ 103. Schlafs. Durch die Aufstellung resp. Erneuerung des Zähl- 
prineips als einzig sichere und zweckmäfsige Grundlage alles Rechnens 
(§ 97) gegenüber der beliebt gewordenen Grubeschen allseitigen Zahl- 
behandlung (§ 96) ist zwischen den Methodikern ein Gegensatz bezüglich 
der elementaren Rechenübungen geschaffen worden. Wir hoffen, dafs — 
wie überall der Widerstreit der Meinungen zu einer Quelle der Wahrheit 
wird — auch dieser Kampf einen bleibenden Gewinn für die Methodik des 
Rechenunterrichts abgeben wird. 

Anschauungsprincip und Zählprincip lassen sich sehr wohl verbinden 
zum „anschaulichen Zählen". Die Anschauungsmittel für den Rechenunter- 
richt bleiben in Gebrauch, nur dieser wird ein andrer. Man läfst sie 
nicht mehr wie bisher „betrachten" (Zahlbilder), sondern benutzt sie zum 
Zählen, uud die Schüler werden zur derjenigen Thätigkcit angeleitet und 
genötigt, die sie bislang ungenötigt vornehmen mufsten, wenn sie über 
die Anzahl der Einheiten einer vorgelegten Menge Auskunft geben sollten. 
Finger, Striche, Kugelmaschine, Knopftafel sind die zweck mäfsigsten An- 
schauungsmittel; Striche die allerbesten, weil man deren immer so viele 
zeichneu kann, als man jeweilig braucht. Wer an Fingern und Strichen 
zählen gelernt hat, kann alles zählen. Alle Anschauungsmittel, bei denen 
nicht jede Einheit gesondert erscheint (wie etwa die Einheiten als kupfer- 
rote Kugeln, die Zehner als nickelfarbige, die Hunderter als silberweiß 
und die Tausender als goldgelbe), sind zu verwerfen. Ein solches An- 
schauungsmittel ist nichts andres als die Ausgrabung des römischen Zahl- 
systems; das Kind mufs sich unter M uichts mehr und nichts weniger als 
bei der „gelben Kugel" denken etc. Sobald aber beim Zeigen eines Kör- 
pers oder eines Bildes (Buchstaben) die zusammenfassende Vorstellung von 
kleineren oder gröfseren Gruppen der Einheiten beansprucht wird, so hört 
damit das Sehen der Einheiten d. h. die Anschauung auf, und es ist dann 
am zweckmäfsigsten, als Erinnerungszeichen für eine bestimmte Menge von 
Einheiten dasjenige Mittel zu gebrauchen, dessen sich das Kind später 
ausschliefslich zu bedienen hat, und dieses Mittel ist die „Ziffer mit Slellen- 



1) J. B. Montag, Die vorzügl. prakt. liege In u. Rechnungsvorteile. Nebst 
einer überaus kurzen Methode, an jedem beliebigen Tage des Jahres den Ab- 
schlufs des Conto- Corrents incl. der bis dahin aufgelaufenen Zinsen zwischen 
Wechselhäusern in wenigen Minuten zu finden, Weimar 1841. 



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§ 103. Schlufs. 



233 



wert" Eine gelbe Kugel oder ein M machen den Inhalt der Zahl 1000 
nichts deutlicher als eine 1 auf der Tausendstelle. 

Die zweckmäfsigste Reihenfolge in den elementaren Rechenübungen 
ist diejenige, welche nach den Species ordnet. Bezüglich der speziellen 
Ausführung dieses Stufenganges werden jedoch niemals alle Methodiker 
unter einen Hut kommen; geringfügige Meinungsverschiedenheiten schaden 
hier auch nichts. Es ist garnicht nötig, dafs alle Uhren gleichen Gang 
haben; es können doch auch ohne dieses eigensinnige Verlangen alle die 
richtige Zeit anzeigen. 

Grubes Manier kann im Unterrichte, solange es sich um Üben 
handelt, eine Stelle nicht mehr finden. Wer sie beibehalten will, kann 
am Ende des Kursus darnach repetieren; doch verliert die Methodik auch 
nichts, wenn sie ganz fällt. 

Wir schliefsen unsere Darstellung mit den Grundforderungcn, welche 
die Gegenwart an eine zweckmäfsige Methode des Rechenunterrichts stellt. 
Da alles Zweckmäfsige sachgemäß, natürlich und praktisch ist, so müssen 
auch einer Methode diese Attribute zukommen, wenn sie anders mit Recht 
zweckmäßig heifsen soll. 

Sachgemäfs ist sie dann, wenu sie der Natur des Gegenstandes' 
angemessen ist; wenn sie nicht der des ganz heterogene Objekte behan- 
delnden Anschauungsunterrichts analog konstruiert, sondern wenn sie auf 
dasjenige Princip gegründet ist, aus welchem der Zahlbegrilf allein ge- 
wonnen und jedes Rechnungsergebnis allein ermittelt und bewiesen wer- 
den kann, auf das Princip des Zählens. 

Naturgemäfs ist sie dann, wenn sie der Natur des Kindes ange- 
messen ist; wenn die Entwickelung des Stoffes gleichen Schritt hält mit 
der Entfaltung der geistigen Kraft, dafs also für das Subjekt wie für das 
Objekt jede folgende Stufe eine mit Notwendigkeit aus der vorhergehenden 
sich entfaltende und ebenso immer die notwendige Entwickelungsbasis für 
die ihr folgende darstellt. 

Praktisch ist der Rechenunterricht nicht etwa dann, wenn sobald 
und soviel als möglich Beispiele aus den ökonomischeu und kaufmännischen 
Verhältnissen herbeigezogen, sondern wenn durch ihn die Kraft des Schü- 
lers zu jener Stärke erhoben wird, dafs derselbe die Praxis des Lebens 
leicht und sicher beherrscht, sobald er mit ihr in Berührung kommt. 



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Register. 



Abacus 14. 43. 6iL 

Abkürzungen, amtlicbe IM 

Acccpt OiL üL 

Acceptant lftfi. 

Addition !il 12 Ii 195 

Ägypter 65. 

Albert 55. 62. 

Algebra 33. -12. 48. :,s n;:i 

Algorithmus 25. 35. 36. 43. 42. 

Altdorf 58. 

Amsterdam 10. 2L 22. 20. 
Amthor, E. iL 210. 
Aualysis 142. 142. 163. 
Anschauung 182. 1H4. 1 '.)(). 
Anschauungsmittel IM. 111 Ifiä, 2üiL 
Anschauungsprincip 170 
Anticipationsrechnung 122, 
Apian 44. 54. 64. 80. 83. 02. 24. 101. 1 00 
Appuleius 60. 
Araber 65, 

Arbitrage HL 135. 156. 

Arithmetik 2. 12. 21» 

Arithmetik, kaufmännische 219. 

Articulus 71. 

Assekuranz 115. 173. 

Astrologie 2. 

Astronomie 2. 21. 35. 

Augsburg 8. 34. 55. 

Ausdrücke, technische 73. 74. 7ft 81. 

Aushängeschild 8. 18. 22. 

Aussteuerkassen 1A5 173. 

Bamberg 2_L 36. 
Banken 125, 
Bankir 45. 61. 



Bankogeld 126. 

Uasedow 165. 166. liüL 

Basel 8. 10. 

Baukasten 20 1. 

Beda 65. 

Bcischule 5. 2_L 

Berger 220. 165. 

Bernstertz 26. 

Bertram 164. 

Bestallungsdekret 26. 

Beutel 15. 125. 140. 

Beweise, algebraische 156. 1C3. IG l. 

Beyer 105. 

Biermann 167. 168. 

Bildung, formale U& m. 177, 180. 

182. IM. 1112. 
Böhme 120. 212. 
Böschensteyn 46. 52. 
Boetius 155. 
Born 202. 
Bräunlich 202. 
Bräutigam 204. 
Brandt 53. 
Braunschweig 0. 10. 
Brenz 6. 7_ 
Brotordnung 40. 
Briefe 6. 33. 
Brigg 130. 
Bruchmann 22. 
Bruchsatz ilü. liL IM. 
Bruchtabelle 122. 
Bruchtafeln 212. 

Brüche 16. 24. 83. 150. 128 201. 242. 
Brüssel 21. 
Brunnenaufgaben 41. 



Register. 



Bruns 128. 181. 
Buchdruck Ii 
Buchhaltung M.älL£L 
Buchholz 15. 
Bürgi 121 131 
Bugenhagen L 

Busse LGJL L6Ü. HS. 12Ü. 2U2. 2UL 

Cainbi 6JL 

Cardanus 31 &7. 
Carpzov 132. 
Chinesen 6JL 
Cifra HL 

Clauaberg lüiL UiL UÜL 112. ITA 22Ü. 

Clavis mercatoruui 8jL 

Clavius 62. IL 11 HL 82. 83. 8L 

98. loa. 
Compositus 7_L 
Conrad 33. 

Cosa 32. 22. 02* 5JL IUI IUI 
Cossinann 221 
Courtage 221, 
Crelle 125, 222. 
Curtius 32. 

Decimalbriicko 22, 3fL fil 82. 2L 22. 

121 142. 123. 111. 222. 222. 
Decitnalkomma 104. 221 
Definitionen 12. 23. 1GJL 16JL 
Denkrechnen 18JL 184. 
Denzel 204. 
Deparcieux 17*2- 
Dialog 5JL 185. 
Diesterweg lfifi. 189. 
Differentialrechnung 115. 
Digitus LL 13. 
Dittmann 212. 
Division 22. 2L 12. 28. 128. 
Division, abgekürzte 200. 

„ Fouriers 216. 

„ komplementäre 154, 

„ österreichische 81. 215. 

„ unterwärts 174. 
Diviaionsmethodcn 80. 
Domschule 2. 21 
Dreisatz 170. 
Duplieren 22. 

EiitheitenUibellc Iii 22L 



235 
Einineins 81 

Einmaleins 2. 22. II IHL 1Ü1 122. 
Einmaleinsregeln 12. 
Einmaleinstafeln 127. 
Einteilung der Zahlen II 
Eiuundeins 73. 
Einvoneins II. 
Einzelunterricht Ü. 
Emmerich 2L 
Enchiridion 12. 

Erquickstunden, mathematische tsi 
Euklid 2. 

Examen 21. 22. 115. 

Faulhaber 33. 
Felbigcr 132. 
Feller 212. 
Ferreo, del 31 
Figur HL 17_ 7JL 
Fingerrechnen 21 
Fingerzahl üiL 
Fiore, del 34. 
Fischer 22. 5JL 83. 
Floroncourt, de 145. 
Fourier 2 lti. 
Francke 137. 
Frankfurt a. M. 2. 21 
Freiberg L S. 18. 
Frey 22. 81 

Gemma-Frislus 2JL 57, II iill 
Generalnenner 8a. 
Gerhard 12. 
Gerothwohl 212. 
Gersbach 206. 

Gesellschaftsrechnung 38. 88. MC. 
Gewichtsordnung, norddeutsche LüiL 
Gewichtssystem, dccimales IM 
Giraut 15JL 
Gliedzahl 62, 
Götz 1&2. 
Goldrechnung 40, 
Gotlieb 31 
Gradmessung 199. 

Grammateus 25. 33, 44 47. 72. 73. 84. 

22. 121 12L 131 
Grasers Fenster 207. 
Graumann lwi. 
Griechen 62, II 



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236 



Register. 



Grube 122. 122. 105. 
Grüniug IM 

Grundsätze, methodische 52. 164 186 
Gruner 182 
Gülffeiieh 55. 
Güstrow & 117. 
Gutenberg 15. 

Hahn 121. 
Halley 172, 
Hamburg UL 

Handbücher, methodische 166. 173. 

12IL 180. 
Harsdörtfer 122. 
Havareyrechnung U.'>. 
Hecken berg 7_L 
lleckcr 138. 
Hederich 105. 
Heer, Joh. 3JL 
Heer 224. 207. 
Hegelin 55. 
Helm 52* 
Helmreich 55. 
Hermann 212. 
Heuser 188. 
Uinrichsen 221. 
Hölzer Tillichs 2JLL 2o7 
Hofastronom 2. 
Hoffmann 123. 
Hofmatheniatiker 2. 1LL 
Hogdson 17'j. 

Herwart v. Hohenburg 121L 
llolbein 2. 

Hübsch IÜL 142. 122. 128. 

Jacob v. Coburg, Simon 55. 22. 
Jarich 208. 

Invcrsionsaufgabon 61L 86. 
Jungfrauenschule 5. 22. 

Kästner 1LL 142. LLL IM. 122. 

Kahle 170, 

Kalender 15. 61. 

Kassel 23. 

Katechismus iL 

Kaufmann 12. 

Kawcrau 182. 

Kepler IM. Iii IM. 



Kerbholz IL 
Kerseboom 172. 

Kettensatz 53. 54. M lüL 156. 142. 174. 

Klassenteilung 2. 140 

Klosterschule iL 24. 

Knilling 17JL 112. IM. 125. 202. 212. 

Knopftafel 205. 

Knutzen 120. 

Köbel 15.41.44.62.fia.7JL22.I4.M2. 

87. 96. 107. 
Köhler 122. 
Köln iL 
Körner 212. 
Kolrofs 12. 
Kontokorrent 219. 
Kopfrechnen 122. 111- IM. 
Krämer 205. 
Krafft 33. 55. 
Krancke 240. 
Kreuz lfL 
Kritter HiL 
Krüsi Iii 
Kruse 160. 165. 170 
Kubikwurzel 4JL 
Kunstgriffe 1G7. 
Kux 4JL 

Lamboy lßiL 
Lehrfrau M. 
Lehrkontrakt 22. 
Lehrplan IM. 125. 122. 19Ü 
Leibniz 112. 120. 122. 
Leibrente 122. 
Leidenfrost 128. 
Leipzig iL 
Lehmig 2L 

Leonardo 12. 22. 2L 22. 10Ü 

Lesetibel 2. HL 

Leyen Biblia 2. 2. 

Licht 42, 

Linz 3. 

Locaten 18. 

Lochner 3JL 

Löcherbrett 225. 

Logarithmen 22. 52. 132. 14T. 152. 122. 
Loofs 222. 

Lucas de Burgo 42, 5iL M. Ii! IL 22. 

22. 83. 85. 22. 22. 
Lübeck 19. 29. 32. 



Register. 



237 



Luther 5, 2. 2L 
Lyon 3. ISA. 

Mädchenschule iL 20. 

Mainz 2L 

Marburg 23. 

Marchtaler 33. 

Margarita phil. 43. 

Martens 206. 

Massenunterricht iL 

Mafsordnupg, norddeutsche 199. 

Maßsystem, decimales 1 '.)'.>. 

Mafszablen 191. 

Medieren 22. 

Melanchthon 6. 7. 24. 

Memmingen 8, 2JL 

Menzel 220. 

Methode, analytisch-synthetinche 140. 

„ beweisführencle 147. 

„ heuristische 180. 

„ mathematische 32. 

„ naturgeinäfse 1 H3 . 

„ objektive lfiü 

„ subjektive 186. 

ii synthetische 143, 
Metternich 164. 
Million 7_L 

Minutiae vulgares 8JL 
Modist IL lfi. 

Mortalitätstabellen 145. 17_L 172, 
Müller, Ch. 115. LLL 
Müller, Joh. 12L 
Münzen 14. 4JL 123. 
Münzsystem, decimales 190. 
Multiplikation 67, 72, 24, 122, 195, 
abgekürzte IM, 203, 
„ komplementäre 23. 151. 

Multiplikationsmethoden 16, 161. 
Multiplikationstabellen 122, 129. 22L 

Näherungswerte für Wurzeln 99. 
Napeir (= Neper) US, 130, 
Nelkenbrcchor 160. 
Nemorarius, Jord. 3JL 4L 
Nepers Stabe IIS. 
Nendörffer 12, 
Neumann 172, 
Neunerprobo 4L. 82. 174. 
Niese 165. 



Nördlingen fi, 

Nürnberg 3. 12, 23. 32, 3L 43. ÜÜ. 145. 
Null 7iL 

Numerieren 6, 13. 13. 52, 7JL 22. 
Numeriermaschine 20 V. 

Obers fei 

Objektivität m 
Odermann 219 
Orbis pictus 13. 
Otto 55. 9JL 109. 

Pari 153, 
Paris <L 
Pascal 123. 
Passavant 181. 

Perioden der Decimalbrüche 200. 

Pescheck 13£L 155. 173. 

Pestalozzi 1ÜL IM, 122. 135. 232. 212 

Petzensteiner 3JL 32. 23. 

Peurbach 25. 33. 3JL 104. 105. 

Pforta 140. 162. 

Philanthropen 113* 132, 13£L 

Pietisten 132. 

Piskator siehe Fischer. 

Pöhlmann 212. 

Poesie, arithmetische 55. 69. 12,i. 
Polack 133. 145. 
Polenus im 
Polygonalzahl Sö, 22, 
Pondericrcn 185. 

Positionssystem 13. 35, 7_L 2£)& 209, 
Potenz 58, 146. IM. 
Präsentant 155. 
Praktika 15. 

Praktik, venetianische 50, 

„ welsche 3. 33. 38. 51. 52. 65. 

GO. 62. 81. 92. 141. 150. 153. 161. 153. 

170. 174. 219. 
Preistabellen 9JL 153. 
Princip, formales 186, 

„ materielles 135. 
Probe 32. 72, 82, 152, 
Probezahlen 54. 31, 32, 
Progression 39. 41. 53, 68. 00. 08 72. 9&. 
Progrefs-Tabulcn 13L 
Proniezahl 33. 122. 
Proportion 4L 53. 50, 128, 132. 
Protest 91L 



238 



Register. 



Protonotarius LL iL 
Provision 221. 
Prüfungezeugnis 31. 
Pyramidalzahl 12, 

Quadrate, magische 32. 52. 53. lfiS, 
Quadratwurzel ÜL 6_L 129. 

Rabftttreclinung 132. 145. 
Rabatttafeln ß_L 21. 133. 
Rademann 2-25. 

Radicieren ßQ. M. Z2. 22. I21L 

Rambacb 138. 

Ramus bSL 

Realschule. 138. 

Receptivität IM. 

Rechenapparat von Born 207. 
„ „ Jarich 2Ü3, 

„ „ Marten» 2Q0. 

Rechenbank Iii. 4iL (ÜL 

Rechenbrett von Loofs 20G. 

Rechenfertigkeit HL H2. IM. 122, 

Rechenfiguren 207. 

Reebenkasten Tillichs 204- 

Rechenknecht 9JL 

Rechenkunst, juristische 145. 
„ politische 171 

Rechenmarken von Raumer 2JL1L 

Rechenmaschinen 118- 

Rechenmaschine, chinesische QiL 
„ russische 203. 

„ Wunstorfer 2fiiL 

Reebenmeister fi. 12. 2L 2fL 32. 14. 43. 
51. 55. 114. 

Rechenmeisterinnung 21. 3JL 

Rechenpfennige 44. 53. 62. üfi. 

Rechenschule 5. ß. 25. 22. M, 4iL LLL 

Rechentisch von Knilling 200. 

Rechnen auf der Feder 45. 51. HL 
ii auf Linien afi. 43. 42. 5iL 53. 
52. 24. fcfi, 

Redu eieren 12. 

Rees, de 170. 

Regel, Basedowsche 169. 174 
„ Reesische 107. 109. 174. 

Regeldetri 24 07. 80. 140 150 122. IM. 

Regiomontanus äü. 104. 

Regula alligationin 53, 51. 
„ cocci 50. 52. 1ÜL 



Regula falsi 4X 43. 5Ü. 52. 53. 1ÜL 

„ magistralis BJL 

„ pagamenti 4_L iLL 

„ potatorum 101. 

„ societatis 5L 

„ virginum 50, 53, 100. 
Reichelstain 5fL 
Reisch 13. 
Remittent 456. 
Remittieren 135. 
Rentenrechnung 117. Ufr. HL 
Resolvieren 72. 
Resolvierungstabellen 120. 
Retoure 90. 
Reyher 115. 117. 
Riese, Abraham 52. 

„ Adam 33, 4L 42. 48. 5A 6JL 22. 
03. Q7. 70. 74 70. 81. 80. 92. 
90, 99. 107. 109 111. 

„ Carolus 5J_ 

„ Jacob 5JL 

„ Isaak 52. 50. 90. 

„ Paulus 52. 
Rimesse 20. 
Rochow 138. 
Römer GiL 
Rösener 2Ö2. 
Rostock 2JL 
Rothschild 2ÜL 

Rudolff 3A1L53-7JLIA.8JL8JL8JL 

22* IfiÜ. IM. 
Rückwechsel 150. 
Ruhsam 123. 

Saldo 221. 
Sandtafel 7JL 33. 
Scala IM. 

Schachbrettaufgabe 9JL 
Scherzexempel IM. 
Schefsler lüiL 
Schiebe 212. 225. 
Schimpfrechnung 41. 53, 1 00. 
Schlüsselzahl 222. 
Schmid 132. 
Schmidt 33. 
Schneyer 204. 
Scholasticus 4. 3. 12. 2L 
Schräm 31. 
Schreiber Ii 21. 



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Register. 



239 



Schreibknnst 2. IL 
Schreibmeister fi. IL IS. 2fi. 2i 
Schale, deutsche ^ 8. Ii 20, 2L 11k 

149. 122. 
lateinische 4. 26. IIA. 112. 142. 

144. 149. 160. 162. 
Schalgesellen 4. 18. 22, 2L 
Schulmeister 2. 2. IS. 22. 22. 4i Iii 
Schnlmethodus 116. 
Schulten 222. 
Schweitzer 2ÜL 
Schwenter 121 
Scrifschole 6, iL IL 34 
Semler 13& 

Sexagesimalbrüche 36, 42, 105- 14fL 

Siebenerprobe 83_, 

Siegmann 12&. 

Skadenz 222, 222, 

Sorgfalt der Darstellung 122. 

Speciea 24. OL 22. 186, 138, 122. 132. 213. 

Speier 21. 

Splittegarb 12L 

Spontaneität 182. 

Sprichwörtliches 12, 48. 83, 

Stabbündel 204. 

Staffelrechnung 223. 

Stadtschreiber 11. lü. 22, 44 66, 

Stephani 183. 

Stern IM. 188. 22G. 207. 

Stevin 2L 2L 22. 104. 122. 

Stichrechnung 4L 52. 62. 

Stifel 33.44.5ü.öa.eJLGJL7JLS2.Bü. 

22. 24. 28. 123. 111. 122, 131. 
Strunze 141. 

Stufenleiter, Hamburger 223. 
Stnhischreiber IL 
Sturm, Johann 6, 

„ Johaun Christoph 145. 

,, Leonhard Christoph 10, 144. 
Subjektivität 182. 
Subtraktion 2L 12. 12. 126. 

„ österreichische 213. 
Süfsmilch 112. 
Sw&n pan 69. 
Swoboda 212. 
Synthesis 142, 

Tabellen 62. 26, 122. 122, 162. 12L 22_L 
Tanck 132. 121. 126. 



Tartaglia 34.62.21.23x12.18,81.86. 

8L 82. 22, 123. 
Teilbarkeit der Zahlen 84. 162. 124, 
Terminrechnung 88, 145. 
Teupser 195. 
Tillich 182. 224 22L 
Titel 22. 

Tolletrechnung 42. 64, 24. 
Tonti 122. 
Tontine 146. 122. 
Totenkassen 145. 
Trassant 162. 
Tratte 22. 
Trigonalzahl 68. 
Trotzendorf 6. 
Türk, v. 186. 

Uhrzifferblatt 212. 
Ulm 3JL 66. 

Unger 166. 22L 2Ü3. 213, 

Visieren 42. 48. 62, 62. 
Volksschule 3. 2. 33. 
Vorrede 02. 
Vorteile 160. 122. 128. 

Wahrungszahlen 105,. 122. 121. 122, 222, 
Wälckle 66. 
Wagner 212. 

Ulrich 32. 32. 2L 
Wahrscheinlichkeitsrechnung 146. 171. 
Waisenkassen 145. 
Weber 55. 
Wechselbriefe 22, 
Wechselkommission 157. 
Wechselrechnung 82. 123, 162. 122. 
Widmann 2L 42, 6L 24. 88. 21. 24. 122. 
Wiedemann 191. 228. 
Wien 3. 26. 33. 36. 
Wilborn 126. 
Wildsaw 32. 
Wille 223, 226. 228. 
Willig 171 
Winckler 22. 

Winkelschule 6. 21. 116. ♦ 

Wittenberg 26. 

Witwenkassen 146. 1 7«. 

Wolf 6L 142. IM, 142. 142. 123. 

Würfel von Heer 224. 



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240 



Register. 



X für ein U machen HL 

Zählakt 1ÜL 1ML 

Zählprincip Ufi. lSfi. 
Zähl-Ende fifi. Ü2. 
Zahlbilder lfifi. 202. 2ÜL '108, 
Zahlbilder-Rechengebteil 2Q& 
„ Rechenkasten 205, 
Zahlbildertafel 2ÜZ. 
Zahlbegriff 12£, 

Zahlen, dentscbe 9, 11 Ii Hl 

„ römische '1 Li 11 21 ÜL 4fL 
„ rote 221. 223. 

Zahlschnüre 203. 

ZahlwOrter 12fL 

Zauberqnadrate s. Quadrate, magische. 
Zehnerordnung 183. 
Zeitrechnung lfil. 
Zeitrente 122. 



Zeller 2m 2üL 
Zero IQ, 

Ziffern a. 12. 13. IS. 24, 4JL IfL 
Zifferformen 3i4L4i Ii 
Zifferrechnen 186. 
Zig m 
Zins 42. 
Zinsdivisor 22iL 
Zinsenberechnung 22Ü. 
Zinsen nach prog. Meth. 220. 

„ „ retrog. Meth. 222. 
Zinseszins IL 12. M. (ML 88. 132. L4IL 158. 
Zinseszinstafeln 105. 
Zinsnota 223. 
Zinanummem 220. 
Zinszahlen IM. 22Ö. 
Zivny 2üiL 
Z weis atz IM 



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