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Full text of "Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens"

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Bibliothek der 
Unterhaltung 
und des 
Wissens 




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libüütljek 

• ter 

^nferlicxtfmtg 

nnb öcs 

Witten*. 



Bit Briatnal-BEifrägcn 

ötr 

Ijcroorragcitliden ^djrift^eUcr nnb C&eleljrten. 



$a£rga*tg 1889 . 

gJanfr. . - ■ » . 

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Sfuffgarf. 

Verlag oon ^ennnnu Srijönlefns itadjfolgcr. 







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Ti 5 I;E\v i CH;». 

PUBLIC LIBRARY 

275346A 

A3TC», LENOX AND 
Tli-DtN FOUNDATIONS 



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Jn^alte-tferjetdfntfi ks ^ejjnten fitntks. 



ftamilienebre. fRontan uon Earl ©b. Stopfer (ftort* 


Seite 


fefcung) 


5 


$er Sormunb. JJioneUc 0011 31. ©. v. Suttner . . 


105 


C f i n $ r o n p r i n 3 als Hocbnerrätber. 9tad) arcbi« 


ralifcben OucHeit mitgetbeilt von Dtidjarb DJlard) 


180 


35 ie Sufd&männer. Silber auS Sübafrila. Son 


P. Peterfen 


195 


Piittelalterlicbe StriegSliften. $ulturgefcbid()tlicbe 


Sliije t>on 2ß. Pie&lmann 


208 


25 i e fVrau im Serbrecben. Äriminaliftifcbe Setrad)* 


tun« oon 31. DSfar ftlau&tnann 


220 


3lllerlei oont ©lepbanten. Seiträge ntr Sbierfunbe. 


Sou SRicbarb ftritfdje 


238 


Plan niafaltiaeS: 

3)ie öffentlichen Suftbarfeiten in Paris iwäbrenb ber 


Sd&redlenSäeit 


24G 


2)er eiferfüd&tige 2Ro*art 


250 


25er ftuc&S als 2Räufeiäger 


251 


Haartrachten ber ^Römerinnen 


253 


Soueber in St. Petersburg 


254 


,%t>ei Sriefe non Gbriftopb ßolumbuS jc. . . . 


255 


IRofenlultur in Gbina 


255 


3ludb eine Fürbitte 


256 


2 >er tolle ©eneral . , . . . a . . . . . 


256 



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£ « m i l i e tt t \) r c. 

Vornan 

/ 

\)0lt 

Carl Cb. Älopfrr. 

(ftortfefeung.) 



('Jladjbrud öcrbolcn.) 

3 rene Betrachtete beu SJtaler läd)elnb. $a, je^t hatte fie 
it)n, too jie if)n tjaben tooHte. burdj lange ßrfalj= 
rung gefdjärfter S3ticf erlannte augenblicftich bie tiefinner» 
liehe ©chtoache im GIjarafter beffelben. 2Bäre iljr berbor* 
beneS £era auch überhaupt einer ßiebe fällig gemefen — 
Sranbt hätte fie niemals erringen fönnen, allein beSbalb 
fc^on, toeil er fich mit feinem toeidjlic&en ©djmachten auf eine 
©tufe mit ben aafjflofen Anbetern fteKte, bie fjrau b. Ml)l s 
hoff atoar als eine fcbmeidjlerifdje Qrolie ihrer Sßerfon gerne 
um fich bulbete, aber bom ©runbe ihrer (Seele auS — ber» 
artete. Söranbt hatte fie auerft fürsten au miiffen ge» 
glaubt, aber jef}t mar natürlich babon leine 9iebe mehr. 
@S galt fa auch nur nodf), ihn am ftäbdjen au halten» 
baS fie fo meifterhaft au leiten berftanb, um if)n aum 
mittenlofen ©Haben au machen. Sirene foulte mabrbaftig 
fehr gut, mie biefe ©eifter au bannen feien, ©ie mu|te, 



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6 



Samtlieneljre. 



bafc fie iljn mit einem einzigen gnäbigen 2)ru<f iljrer 
|>anb, mit einem einzigen Slitf ifjrer Stugen beffer für 
fein ©tittfdjmeigen be^a^Xte, alg fie eg mit altem ©olbe 
berntocljt f)ätte. Unb mefjr mar fie iljm niemafg au ge- 
mäßen gefonnen. ©erabe fein emigeg „fangen unb 
Sangen" in ber „fcfjmebenben 5ßein" ber Ungemifjljeit, ob 
fie ifjn liebe ober nid(jt, mar ber Stagnet, ber biefen 
fdjmanfenben Gfjarafter an fie fetten mu|te, fo lange eg 
ifjr beliebte, i^n fefiautjalten. 

„£>öre auf bie ©timme 2)eiueg #eraeng unb fonft 
uidjtg ntefjr," rief ©te$)an jejjt mit flammenber Serebt« 
famfeit; er beutete iljr übertegenjöeg ©dfjmeigen alg iljren 
inneren Äambf atüifc^en ifjrer Siebe, ber er nun gemifj $u 
fein glaubte, unb ber teibigen Äonbeniena- „Sotge betu 
unbeaminglidfjen 3uge, ber unfere ©eeten au bereinen 
ftrebt — mag fümmert eg ung, mag engljeraige Sor* 
urtfjeile für 2)äntme bagegen aufbauen mögen!" 

„Um beg ^irnmelg mitten, fdjmeigen ©ie, icfj bitte 
©ie," flüfterte Srene. „Sa, märe idfj $errin meiner felbft, 
ein arnxeg Äinb aug bent Solfe, mie einfieng, fo fönnte 
idlj 3ffjrer ©tintme folgen, aber in beit Legionen, in 
beuen id§ nun lebe, gebeifjt nidf)t bie Slume beg ©lücfeg, 
mie fie Sfj* fd&öneg ©emütf), bag ©emütf) eineg Äünftlerg, 
Ijegen unb bttcQ^n fann. Sdj mufj mit bent allgemeinen 
©trome gef)en, ber in feft abgeftedften ©renaen bafjinfliefjt; 
idfj barf nid^t auf mein |>era fjören, bag fo gern bie 
nüchterne Sernunft Überreben mödtjte. Unb bann, felbft 
menn icfj eg mottte — eg ift au fpät, icf) fann nidfjt ntefjr 
aurüdf. Sa, mären ©ie mir früher, nodfj bor menigen 



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Dioman oon Sari Sb. Klopfer. 



7 



2Jtonaten, entgegen getreten, e3 toäre bielteic^t anber*, 
ganj anbetä gefommen. Slber — icf) toieberfjole eö 
S^nen — ba8 ift iefct borbet; idj barf, icf) fann ntd^t 
tnebr aurüdf." 

„Unb toarunt nicht?" 

„Söeil — toeil ich mich fdjon p einem Schritte hiu= 
reiften lieft, ben ich ntd^t mehr ungefdjehen machen fann. 
kennen Sie e§ eine plöftticije Saune, bic mich einft biefen 
fotgenfehtoeren Stritt thun tieft — gleichviel, ich barf 
toeber Sie, noch bie leife Stimme in meinem Innern 
mel)t andren, bie mit bietleidtjt ettoa3 pflüfteru fönnte, 
toaS mit 3h re n VerheiftungSboHen SÖorten in ßinflang 
fiiinbe." 

„2öie? So toäre e§ toahr, toa§ ich nur al8 ein teereö 
©erücfjt Betrachtete rief Stemmt, fd&meralidtj auffahrenb. 
„68 toäre toahr: Sie finb gebunbett, Sie fittb an ein 
SBort gefettet, ba8 atoifcheit un§ fteljt? Sie finb bie 33raut 
be8 ©rafen 2öem8haufen, toie man mir fagte? 5llfo 
bodfj?" 

Sie nicfte emft unb blidfte traurig ju SBobett. 

„Unb Sie lieben iljn?" fragte ber Italer nach einer 
brüefenben Spaufe. 

„fragen Sie mich nicht ! 2öie beut auch fei — ich 
barf Sie nicht hören, ich fann nicht mehr priidf!" 

„Unb toarunt nicht? 3öa8 fönnte Sie bop atuittaen, 
ba8 ©tfief 3bre§ $eraen8 einer h°hten Abmachung gu 
opfern?" 

„2)a8 Urteil ber 28elt, bie ©efefte ber ©efeüfchaft, ber 
idj angeljöre — nun angefjörc. @8 fann nicht anberg fein!" 



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8 



Samiliendjre. 



„0, fpridj nidjt fo, Breite," rief er teibenfd^aftlicl). 
„25u foEft, 2)u muftt mir folgen, feine fEtadjt her (Srbe 
foE 5Dich boit meiner ©eite reiften!" 

„SBir toerbcn feftett," ertoieberte fie. „2>ie Bufuuft 
foE e3 lehren." 

„0 ®u «Holbe, S)u einzig ©eliebte! «Hab’ 2)auf für 
biefen füften «Hoffnunggftrahl, ber mich neu belebt!" (£r 
füftrte ihre «$anb an feine brenuenbe ©üru. ,,9Jiad)’ mich 
311m ©lüdlichften, Brene, fpridj nur ein einziges äöört* 
djen, ba3 id) jum etoigen Stngebenfen in meiner S3ruft 
bctoahren fanu!" 

„©tep^an!" lifpelte fie unb lächelte i^nt mit feudjtein 
9luge p. 

(Sin Bubelfdjrei ftieg au8 feiner Äeftle. (Sr tboEte fte 
untfdjlingen, aber fie brängte ihn fauft, mit einem bit= 
tenben, ^ilfefle^enben 33licf prücf unb toanbte fidj ber 
2tuägang§tf)ür p. 

„Saft mich, laft mich ! ^m ©choft ber Bufunft ruhen 
unfere «Hoffnungen, jeftt finb fie noch nid^t reif." 

©ie toinfte ihm noch einmal p unb berlieft ba8 Sltelier, 
cbc ber 3Ealcr iftr folgen fonnte. 

9118 bie ^ortiöre hinter ber (Snteitenben pfamnteu* 
raufchte, feufjte SSranbt tief auf unb fuhr fidj über ba8 
crftiftte ©eftcftt. äöehmutft unb 3?reube ftritten fich in 
feinem Innern. (Sr toanbte fich um, nach ber ©taffelei, 
bon melier ba8 SSilb ber jungfräulichen SSeatvice herab* 
lächelte. (Sr fteEte fidj an ba§ ©ernätbe unb bcrfenfte 
fidf) auf’§ fJtcue in bie ^Betrachtung biefer Büge, übet: 
bie er 9lEe3 um fich h e * 3 U bergeffen geneigt fd;ien,\ 



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JRontan oou (Eart 6b. SUopjer. 9 

SlEcä, Söorfäße, glatte unb (Erinnerungen an frühere 
Seiten. 

©er junge Äünftler mod)te lange Seit f° gcftanben 
fabelt, atä ein fdjüdjterneä -pochen an ber äußeren XIjüre 
ihn emporfdjteden ließ. (Er ging unb öffnete, toar aber 
nicht toenig erftaunt, al§ ßubloig <Btampfel bie ©djtoeEc 
bc§ 2ltelier§ betrat. 

„(Sott grüß 5 ©ich, SBruberT rief ber Uniberfallünftter. 
„2llfo ©u tootjnft nnrltidj ba 1 ? Sch tooEte bent Sßortier 
braußen am ©h° re leinen ©tauben fcbenlen unb toar fdjon 
faft entfchloffcn, 2lngefid)t8 be§ flogen i}3alafteä, ber bod) gar 
3 U greE bon ber jtlbernen 9tübe abftidjt, toieber umaulehren." 

©ie 2Jtiene be§ 2Jtater§ brüdte jebenfaEä lein befoit» 
bereä (Entaüden barüber au§, baß ber 33efudjer beit er» 
mahnten Sßorfaß ber Umlrijr nicht auägefüljrt habe. 2lbcr 
„©ignor ©tameEi" benterlte e§ nicht, fotoie er nicht ein» 
mal barauf achtete, baß ©tepljan ihm toeber bie $anb 
reichte, noch ihm ein SBort be§ ©ruße§ fdjenlte. (Er toar 
febigtidj mit ber Betrachtung be§ eleganten Sltelierg be= 
fertigt. 

„<£>öre ’mal," fagte er mit erftauntem Äopffdjütteln, 
nach feiner ©etoohnheit fofort ben ©aftfinn bei feiner Be» 
fichtigung au t^ilfe neljmenb, ,,©u bijt bod) ein redjter 
©lüdäpila, alter fyreunb ! |>ier lönntc man ftd) ja gerabeau 
mitten in ein Biärchen hinein berfeßt glauben. £crrlid), 
tounberbar ! Unb bie§ ift 9lEe§ ©ein (Eigentum, gefpenbet 
bon jener holbeit $ee, ©einer ©önnerin 1 ?" 

„9tun ja bod), ioa§ ftrtbefl ©u baran fo Umoahrfdjein» 
ließet? Cber ßaft ©n benn mirltich gemeint, ich erblide 




10 



fjtomilieneljre. 



meine SebenäaufgaBe barin, einig im 9iü6enBof p Blühen? 
£ange genug Baben mid) jene grauen dauern eingeengt, 
ben ^tug meinet ©cifteä geBentmt, mein dmpftnben, mein 
IfinftterifdjeS (Schaffen berfTacBt unb jerfplittert." 

„9tun, nun, SDu fdjeinft ja mit einem 9)tale Don einer 
förmlichen S3ßutB gegen unferen guten 9JtufenBof erfaßt 
p fein, bie icB früBer gar nicht an 35ir Bemerlte. Erinnere 
2)idh bocB, bafs ioir im Qrreunbeäfreiä bafelBft fcBon biete 
angeneBme, Bittere ©tunben berteBt Baben, bie uns bie 
graue Äaferne ganj lieB machen tonnten." 

SSranbt luoHte ettoaä ertoiebern, Bradt; aBer ptöfjlidj 
aB unb pdte berädjtlid) bie 9tcBfeln. SDaitn, alä er 
Stampfet gerabe§toeg§ auf ba3 ©emälbe pfdjreiten faB, 
tarn er iBnt rafcB pbor unb feBrte baä 33itb auf ber 
©taffetei um. 

„SBarum berBirgft 3)u mir baä S3itb? 3d) Babe c§ 
ja bodj fdjoit gefeBen, e§ ift ja 2)eiu atte3 33ilb, bie SSraut 
bau s JJtebina ober bon 5Mfa, glaub’ idj." 

„9tun eBen be§Bat6, ich loitt baä töitb nicht met)r 
fetjen, ba§ mir nie fertig p merben fcBeint. 916er tümmere 
£id) nidjt barum. 2öie fteBt eä mit S)einent Äonjert?" 

,,©eBr gut!" erttärte ber 9)htfifu§ grabitätifcB. „3)iefeö 
auBerorbentticBe mufiJalifd^e ©reignifj — e§ ift ber eigent= 
liehe 3®ed meinet 33efucheä, 2>ir bie§ mitptBeilen — 
toirb B e bi e über brei Söodjen braunen im großen ©chicen* 
faat ftattfinben. 9lHeä ift fcBon in Befter SJorBereitung, 
bie üptafate unter ber treffe, bie 9tettamen an bie £agcS= 
Blätter berfanbt, unb bie ÄartenfuBfcription in ber 2ftufi* 
talienBanbtung bou ©parmann eröffnet." 



) 



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Vornan oon 6 arl 6 b. &lop|er. 



11 



Stampfe!, ber biefe SSorte mit grofjent üttacbbrud auä* 
gefprocben, machte jc^t eine 5|kufe, um bem ffreunbe Seit 
au taffen, bie ganae ßöichtigfeit biefer Senfationänachricbt 
in fidj aufaune^men. fDtittlertoeüe griff er in feine 23ruft* 
tafele unb tjotte barauä ein großes 9totiabuch ^eröor, bem 
er mehrere rotfje 5ßapierftreifen entnahm. 2 )ann ging er 
feierlich auf beit SJtaler 3 U. 

„2lu3 33orforge für ben ffaß, bafj bie Nachfrage nad) 
Äonaertbißetä eine fo ftarfc merben faßte, bafj 35u 3 )ict) 
nic^t rechtzeitig mit etlichen baPon Perfehen Jönntcft, bube 
ich 2)ir einige 5picipe im erften ^arquet referPirt, bie befteu 
Sifce im ganaeit Saal, bie ich 2) ir hiermit überreife, 
ißießeid^t ift bie Saroitin OT^t^off fo gütig, ebeitfaßö 
baPon ©ebraud) 3 U machen, moburch idj mich felbft* 
Perftänbtich fcb r geehrt fühlen mürbe. — Slpropoö, fanu 
man benit biefe intereffante 2 >ame, um bie fidj im fütufen* 
hofe febon ein förmlicher Sagenfreiä gemobeit ^at, nicht 
auch einmal au ©efidjte befommen?" 

2>abei fab er fi<h nad) aßen Seiten um, al§ ermarte 
er ben $opf ber SSaronin Ijinter biefem ober jenem $or* 
bang berPorguden au feben. 

„ßßoau?" fragte Stepban ärgerlich, medjamfcb bie ibm 
überreichten 33ißet§ entgegennebntenb. „üBift 2>u etma ein 
Slbgefanbter ber £eute au§ bem föübcnbofe, ber über bie 
eudj fo ftarl befchäftigenbc ffrau P. *Dtüblb°ff ^Bericht er* 
fiatten foß? 3 <h hätte e§ nicht gerne, toenn eS fich Piel= 
leicht Stemanb beifaßen liefje, fich ber SBaronin aufau« 
brängen, ihr läfiig au faßen." 

„Stephan," fagte Stampfei betreten, „mic fomrnft 2)u 



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12 



^amifietiefjre. 



mir benn mit einem Stale bor? 3 fdj toeifj uidfjt, ob idj 
nttdfj taufte, aber eg fdjeiut mir, alg fprädfjeft 2)u über 
©eine 3freunbe in einem ©oue, ber — mie fott idj fagen — 
ber eine gettriffe Stijjadjtung augbrudt. ©ie bon ©ir 
gepadjtete ©öntterin 3U ,beläftigen‘ liegt mir ferne, icfj 
moHte iljr nur meine ganj ergebene (Sinlabung au meinem 
^onjerte überbringen." 

„$dj foerbe fie in ©einem Flamen au bie richtige Slbreffe 
leiten," entgegnete Sranbt füljl; bann fcfjien er fidf; auf 
ettoag 3U befinnen. „ 9 lcfj ja, halb l)ütte idj bergeffeit — 
bie Sille tg — erf djeinen fie ©ir mit fünfzig Star! gc= 
uügenb bejaht?" 

ßr öffnete mit nadjläfjtger ^anbbetoegung ein Heines; 
Ääftd&eit, bag auf einem bergolbeten ©efintfe ftanb. 

„Sraubt, mag benlft ©u bon mir?" rief je|t ber 
^Jlufifer im ©one ber Äränlung. „Söilttft ©u mid^ bc= 
leibigen, bafc ©u mir ©elb bieteft? £>aft benn ©u alg 
mein fSreuitb uidfjt 9 lntljeil an meinem Suljrn, au meinen 
(Sr folgen? 3 dj merbe midj begeifiert füllen, menn idj 
midj bon ben lieben Äameraben umgeben felje, idj toerbe 
bag moljltljuenbe ©efüljt Ijaben, in meiner Sälje Störer 
3U befitjen, bie meine Aufregung, meine f^reube mit mir 
feilen. Unb iäj fott midj für biefeg Stitgefüfjl nod) 
bellen laffen? 6g ift mir überhaupt uidfjt um ben 
materiellen Sortljeil, nidfjt um ©elb <ju tljun, fonbern 
um (Sljre unb lünftlerifd^e Slnerlennung! 2 Bag mürbeft 
©u 3um Seifpiel fagen, menn idj ßntree beaaljlen motlte, 
um irgenb eineg ©einer fpdter einmal auggefteflten Silber 
3U feljen?" 



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iRoman non Sari Sb. Klopfer. 



13 



„9hm," ermieberte 23ranbt etmaS berfegen, „id(j tooEte 
©idfj nidjt hänfen. 3 $ badfjte nur, bafj ©u etma ein 
Bissen 9Eoo§ bonnötljen Ijaben fönnteff. 9Kein ©ott, 
fjaben mir unS benn nicfjt in früheren Seiten oft genug 
gegenfeitig auägef)olfen?" 

„Sn früheren feiten, ja — aber jefct ift e§ ettoaS 9fn* 
bere§. ©u moEteft mir ba§ ©elb offenbar audj nidf)t in 
biefem ©inne bieten. S3 fd^eint mir bielmefir, al§ moEteft 
©u bamit nuferem SSerfjältnifs für bie 3 «funft eine gemiffe 
EBenbung geben. S$ ^abe bergeben§ gemartet, bafj ©u 
©icf) nadj ben Sfreunben au§ bem 93tufenIjofe erfunbigen 
mürbefi; fie fdjeinen ©ir unbequem gemorben 3 U fein. 
9hm, baS Ijätteft ©u mir ja gleich ju Anfang fagen fönnen. 
Setjt foEft ©u bor mir 9htf)e l§aben!" 

Sn bem Eöefen ©tampfef^ mar eine rnerfmütbige 
Söeränberung borgegangen, ©ein ©efid^t mar ernft uttb 
traurig. Sr griff nadf) feinem -fpute unb ging ber ©ljür 31 t. 

„5ldj, ©u bift nicht redC)t bei ©roft!" rief ©tebfjan 
geärgert, „©eine lächerliche ©entimentatität nimmt 9lEe§ 
tragifdj, Submig. Eöenn ich ©ich nid^t fo genau fennte, 
ich müfjte mich über ©ich ernftlidj er 3 ürnen." 

„Si, feljt hoch einmal!" lächelte ©tambfel mef|mütf)ig. 
„9tun, mir moEen mit einanber nicht redeten. S<h f)«be 
©ich berftanben — unb bamit genug, ©ein Stfcfjeinen 
ober ©eine Slbmefenffeit beim $on 3 erte mirb mid) über* 
bie§ barüber belehren, ob ich mich in meiner traurigen 
^Beobachtung getäufcfjt ^abe ober nicht. 33eläftigung unb 
9lufbtingli<hfeit baft ©u iubeffen feinenfaES mel)r 31 t 
fürdjten, unb idj münfdje ber 3 lidjft, bafc ©u e§ nie be* 



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14 



fyamilienefjre. 



reuen mögeft, Dich jo leicht unb unbelfimmert bon ben 
©enoffen Deiner ehemaligen #rmuttj toägefagt 3 U höben. 
Slbieu!“ 

Damit entfernte er fidj raffen Sdjritteg au§ bem 
Sltelier, beffen ßuft ihm plötjtidh fehr unbehaglich ge= 
morben mar. 

SBranbt madhte fd^on eine SBetoegung, at§ ob er ben 
Scheibenbeu zurüdftjalten moltte, aber bannbrehte er ftchmifj= 
muthig unb adhfetäudlenb hetum unb ging an bie Staffetei, 
mo er ba§ SBilb mieber in bie frühere Stellung brachte. 

„G3 ifi beffer fo!" murmelte er bor fich 1)«^ toährenb 
er an ba§ Difthdhen trat, mo neben feinen SUtalerutenfitien 
ein SBecher mit türlifchen Gigaretten ftanb. Gr ftecfte 
fidh eine Gigarette an unb marf fich auf ben niebrigen 
orientalifchen Diban in ber taufdjigen Gdte. 

Sinnenb Hielte er ben buftigen blauen 9iaudhmot!en 
nach, bie fidh in zerfliefjenben Gingen amifdjen feinen Sippen 
herborbrängten unb langfam jur Decfe entporfiiegen. Gr 
badhte baran, ba| bor kurzem 3rene auf berfelben Stelle, 
auf bemfelben Diban geruht habe, unb in ben baran fidh 
tnüpfenben ©ebanlen bergafj er bie Scene mit Stampfet, 
mie überhaupt Me§, ma§ mit feinen früheren ^Beziehungen, 
mit bem alten <£>aufe „ 3 ur fitbernen Oiübe" 3 ufammenhtng. 

§epntes Kapitel. 

'^totarieffe <&ef<tjäftf. 

Der borgen, metcher jener 9tadht folgte, bie bem 
Slbbofaten Drenner auf ©ofedE bie Rapiere ber berftorbenen 
©räfin Slurelie in bie £önbe gefpiett hatte, mar trüb unb 



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ilomcm non Garl Gb. Stopfer. 



15 



unfreunblidj , fo recht geeignet, um eine unangenehme 
©emüthSftimmung $u ermeden; ein erfter Vorbote beS 
letannahenben SBinterS. i 

©raf SStabimir ö. SöernShaufen ftanb am genfter 
feines VibtiothelaimmerS unb fah in fd^ted^ter Saune 3 « 
bem regenfchmeren .fMmmel empor. Gr fühlte heute nicht 
bie geringfte Sufi, an feine 2ageSgefd}äfte 31 t gehen. 2>a 
trat ber Äammerbiener ein. 25er Vtinifter manbte ben 
$opf nach rüdmärtS. 

„2öaS gibt eS, Sorenj?" 

„<$err 2>oftor Qrriebrich Brenner bittet Gure Gjceltena 
um eine Unterrebung." 

„Sich, f^on fo früh?" 

„Gr fagte, eS hunbte fich um midjtige notarielle ©e* 
fd^äfte, bie leinen Stuffdjub bulbeten." 

„2)aS fennt man ! 3eber behauptet, fein Slnliegen märe 
fehr bringenb unb geftatte leinen Sluffdjub. 2)och ba fällt mir 
ein — Premier — baS ift ja ber SInmalt meines ©otjneS ! 
5Jtun benn, taffen ©ie iljn eintreten, fagen ©ie ihm aber, ich 
fei fehr befdjäftigt unb lönne ihm nicht lange ©ehör fchenlen." 

„©eh* moht." Soren 3 entfernte fid). 25er Vtinifter 
fetjte fich fehr mifjmuthig an feinen ©djreibtifch, um ben 
Vefudjer au ermarten. 

Gine tjaXBe Vtinute fpäter betrat 2renner mit einer 
ehrerbietigen Verbeugung baS Vibtiothelaimmer. Stachbem 
er bie gtügelthür forgfältig hinter fich gefchloffett tjatte, 
trat er mit gelrümmtem 9iüden öor. 

„Gjcetlena geftatten mir, rnid; ganj unterthänigft üor* 
juftellen — " 



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IG . $amUienefjre. 

„SDoltor Brenner, ja, ich |aBe foeben erfaßten. Sitte, 
faffett ©ie jt<b möglicbft Iura* Söomit fann ich Sbnen bienen ?" 

„3$ möchte mir erlauben, Gurer ©jceKenj einen SBerid^t 
über baS Grgebnife meiner SerlaffenfcbaftSaufnabme toor= 
aulegen, bie ich geftern im Aufträge #erm ©oljneS, 
beS ©rafen Herbert, auf bent SJlajorate ©ofeef Vorgenont= 
men bube." 

„ 2 lber erlauben ©ie, $err Mtor," marf ber Stinifter 
befrembet ein, „baS gebt boeb meinen ©obn an — " 

„MerbingS auch," entgegnete ber 9iotar mit einem 
eigentümlichen Säbeln; „nur bin icb getoifj, bafc ©jceHen 3 
baS näcbfte ^ntereffe baran haben bürften, infofem i(b 
ncimlicb bei bem genannten ©efetjäfte auf Umftänbe ge= 
ftofcen bin, bie in mehr als einer Seaiebung ber un= 
getbeilten 3lufmerlfam!eit Gurer Gjcellena toertb finb. 
2>eSbalb mufi i(b auch um Gntfcbutbigung bitten, menn 
ich 3 U Anfang meiner Stittbeilungen etfoaS meiter auS* 
bole, als Vielleicht im erften Moment für nötbig erfebeinen 
bürfte. GS entfpringt überbieS biefe meine 5lbfid§t nur 
ber befonberen 9?ücffi<btnabme auf Gure Gjcellena, bie 
meinen Gr Öffnungen getoifj gan 3 unb gar unvorbereitet 
gegenüberfteben bürften." 

SDaS feine, gelbliche ©efiebt beS fötinifterS gudCte Vor 
Ungebulb, fein lebhaftes Sluge fprübte. Gr lebnte ficb in 
feinem ©tubl aurütf unb beutete Iura nach einem ©effel 
in ber 9täbe beS ©cbreibtifcbeS, auf melden ficb ber 9iotar 
nieberliefj. 

„25aS bört fief) faft mie bie Ginfeitung 3 U ettoaS febr 
peinlichem an." 



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Vornan oon Pari (5b. .'RCopfer. 



'17 



,,3icf) fürste, es$ lüirb (htrer (SjccUenj fo erflehten — " 
„©teidjbiel, id) mitl ftetö rafcfjc ©emipeit fabelt. 
SOSoEen ©ie alfo bentnadj bon ber bon Sfyten nötljig bc= 
funbenen längeren SSorbereituug Slbfianb neunten unb mit 
tfjunlicfjfter ©ile auf ben Äern ber ©adje tommen." 

,,©el)r moljf, allein id) erlaube mir nodjmalö au ber= 
fiebern — id) fann unmöglidj fo gerabeau bie Reiften 
^unttc berühren — * 

„3unt leiden -iDtalc, fpredjeu ©ie!" 

„SOSie ©ure ©jcellena befehlen," eutgegnete Brenner fetjr 
rul)ig unb mit feinem früheren £ädjeln, bann fuljr er 
fort: „SBiffeit ©jcellena, bafi 3I)r -£)err Leiter, ber ber= 
ftorbene $ufarenmajor ©raf ©goit b. Sternhaufen nidjt, 
mie allgemein angenommen mirb, in ber fogenannieti 
Xcufelhdtjtudjt bei ©ofed fein traurige^ ©nbe gefuttbeu 
l/at? — $dj Ijabe mid^ tura gefaxt unb bin mit biefer 
ftrage unmittelbar bom gcmünfdjten Jlernpunft ausige^ 
gangen, ©jcellena!" 

S)aö glattraftrte ©efidjt beä SOiinifierä mar plöfclid) 
freibemeifj gemorbett. S)a$ mar allerbingä ein Ijödfjft frap= 
pirenber Anfang. 

„SOßaä fotl baS 1 ?" fragte ber ©raf nadj einer SOSeile, 
alle 9Jtülje aufmenbeitb, um fein biplomatifdfjeä ©leid)= 
gemixt au bemalen. ,,3d) begreife biefe S^re 3*age 
iticf)t, ^err SDoftor. SOteineä SOBiffenä fteljt bie 2obeöart 
meinet bebauern^mertljeu S3etter§ aujjer allem 3n , eifel- 
SOBie lommen ©ie Ijeutc — nadj bieraeljn 3a$ren — 
barauf 1 ?" 

„3)abon fpäter. ©3 genüge borläufig meine 3Jerfic§c a 
SJibliotljcf. 3a$rg. 1889. 3». X. 2 



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18' ^amitienefjre. 

; 

rung, bajj icfj feft überaeugt bin , ©raf ©gon ifi nicfjt 
burdj einen ©tura in ben bewußten ?lbgrunb berunglftdt. 
bieHeidjt gelingt e§ ©urer ©jceKcna, midfj int Saufe uitferer 
berljanblung boc^ 3 U ber allgemeinen Slnualjme au bc= 
feeren." 

25er Xon unb bie 9JUene be§ Notars Waren Bei biefen 
äöorten fo Ijarmloä, als lauere nicfjt bie geringfte Slnjiig* 
lidjfeit bafjinter. 

„$dj werbe au£ Sljren äöorten unb Streit Slbfidfjten 
wirllidj nicfjt ftug, mein Befter |>err 2)oftor," crwieberte 
ber ©raf nerbßö. „Söie benfeit ©ic beim, bafj ber btajor 
geftorBen ift? btan Ijat bodf) bie Elarften beWeife baöon, 
bafj er tfjatfäcfjlidj burcfj einen ©tura mit bem 5ßferbe — " 

„Karbon, bafj idj ©ure ©jcetfena unterbrecfje. $dj Eenne 
biefc angeblichen SSetoeife redfjt Woljl, bodj mßdjte idfj mir 
bie ©egenBemerfuitg erlauben, bafj man bic Seidje beä 
|>errn ©rafen nicfjt aufgefunben hat." 

„Natürlich nicfjt, weil — " 

„bkil ba§ Söaffer ber XeufelSfdjtudjt bic lobten nicht 
mehr äuriidEgibt fuT^r ber s Jtotar im unbefangenften 
Paubertone fort; „felbft ein — tebenbig begrabener 
Eontntt nicht fo leidet Wieber 3 unt borfdjein." 

SDcr btinifter fufjr empor, aber feine aitternben ©lieber 
liefen £fjn fofort Wieber auf ben ©tuljl auriidfinfen. 
Brenner fdjien babon nicfjt baS ©eringfte au inerten. 

„ s Jloch eine Stage! Söiffen ©ure ©icellena, bafj auf 
bem ©djtoffe ©ofed ein geheimes ©eWölbe eiiftirt?" 

2)er ©raf blieb ftumm, aber feine 3ähne Waren feft 
aufeinanber gebiffen, feine Sippen bebten wie im Sieber* 



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ÜRomatt t)oit Gart Gb. Klopfer. 



19 



froft. 2>er redete 2ltnt, mit meldjent er beu '.Notar $u 
fd^toeigen bebeutete, fchlotterte. SDann fcfjlug bie |>anb 
beä 5Jtinifter§ mit unfidjerent ©riffe auf ben £nopf ber 
filbernen Älinget, bie auf ber ©djreibtif cf; platte ftanb.' 

Soren^ erfdjicit im 2^iirra^men, ber ^Befehle feine§ 
.§erm gemärtig, aber biefer bermodjte feinen Saut ^ert>or= 
äubringen; er mufjtc fein ©eftcht beut 3fenftcr aumenben, 
um beut Wiener feine furchtbare Erregung ^u berbergen. 

„©eine ©jccttena münfehen, ba| 9tiemanb in ba§ S3or= 
jimmer gelaffen metbe," fagte ber s Jtotar rafch, bie 9lbfkf)t 
beä ©rafen fofort erratf>enb. „©ie follen bafilr forgen, 
bafj mir bollftäubig ungeftört bleiben; cö Ijanbett fidj um 
eine bertraulidje 9Jtittheilung im ^öd^ften ©taatSintereffe." 

5>er Äautmerbiener berliefe mit einer ftumtnen $er= 
beugung ba§ Simmer, itt meldjem noch lange Seit fein 
Saut bie peiubollc ©tille unterbrach- 

„Äura unb gut," nahm Xrenner plötjlich ba§ ©efpräch 
mieber auf, al3 ob gar feine Unterbrechung ftattgefunben 
hätte, „furj unb gut, ©raf ©gon 2öern$haufen ift nicht 
in bie 2eufel3fchlu<ht geftürjt, fonbern in beut ermähnten 
unterirbifdjen ©efaffe, bem ©eheimniffe beS ©djtoffeä -- 
fagen mir: internirt morben. 33ermuthen ©ure ©jceUen^ 
üietteicht — bott ment?" 

Slbertnals eine 5paufe bumpfen, briiefenbeu ©dhmeigettö, 
bann manbte fi<h ber ©raf um; fein ©eftcht mar erbfahl, 
bie ©efichtämu3fetn jueften mie unter eleftrifchen ©inflüffen. 

„Saffen ©ie unä ju ©nbe fontnten, «fperr," fagte er 
falt, mit anfdjeinenber s Jiuhc. „©ie miffen 9We§, SttleS, 
nicht mahr 1 ?" 



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20 



(frumlieneljre. 



,,3cf) glaube," ermieberte trennet mit einer ^ubor= 
fomntenben leisten Verneigung, mätyrenb er bie Vrief* 
tafd^c auä feinem Paletot Ijolte unb fie IjarmtoS täubelnb 
itt bett $änbcn breite. 

„Unfafcbar! SBer Ijat baS (Setyeinmifj , ba£ idj längft 
begraben glaubte, IjevauSgeljolt aus bem 25unfel unb e£ 
Sinnen berratfjen 1 ?" 

„2)aS üagebud) 3förer fyxbfeligcn $rau ®emal>lin, bcr 
©räfin 9lutclie," fagtc ber ÜJtotar gatta gelaffen. 

„Vtein ©ott, roaS reben Sie ba? $a3 2agcbud) — 
meiner tfrau?" 

„ßigenttid) uteljr baä £agebudj — feiner grau, 
menn mir nadj bem 3)atum gefeit moKen, ©iccUena." 

,,3id) fjatte feine Stiftung bon einem folgen ! Unb mic 
benn, mic tonnte benn Slurelic jemals — idj erfuhr mit 
feinem SBortc, bafj fie audj nur bie leifefte Äcuntnifj 
bon bem — " 

„2>aS mar eben ein 3>rrtljunt St^rcrfeitS, -£>err ©raf. 
Um Sie aber boltfiäubig barüber aufauflären, in mie meit 
jene 2agebuctjblättcr Sie 3U fompromittiren geeignet finb, 
merbe idj mir btc (5l)re geben, 3tf)uen ben J3fn^alt eines 
biefer Rapiere aur Äenntntfj au bringen." 

25er ©raf ftredte bie |>anb au§, um bie Rapiere ent» 
gegenauuefjmen, aber ber 9iotar 30g fie mit einem feljr 
berbtnblidjen Säbeln an fidj. 

„Karbon, ictj mill Sie nidjt bemühen, fclbft au lefen. 
25ann finb mir biefe Vtättdfjen audfj — a u liebe Paritäten, 
als ba| idf) fie gerne in anbere <&änbc gelangen liefje. 
$dj merbe mir alfo ertauben, baS SDÖiff ensmer tiefte bor* 



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Oioman oon Part Pb. ßlopfer. 21 

gulefen unb bitte für einige Minuten um 3ljr geneigtes 
©el)ör!" 

3)aS tagte et fo freunbticfj, fo Ijöflidfj, als buffe er 
ni(^t, bafj bet fütinifter mit jebent fJterb auf bie Söorte 
beS 9tbbo!aten Ijinlaufdje, bet jetjt feine 33rieftafdje öffnete 
unb ein 5päcfdfjen IjerauSnatjm. Pt 30g ein SBlatt Verbot, 
räufperte fiel) umftänblidj — bcn ©rafen botfäjjlicfj alle 
foltern burdjlofien laffenb — um enblid§ mit bem $or= 
lefen gu Beginnen. 

PS mar bieS bie Slufgeidjnung, bie baS 2>atum bont 
2. 3uli, 3 Uljt Borgens trug unb mit ben Söorten Begann : 
„ÜJteine fßulfe fliegen, baS 33lut BrauSt in meinen Cljten" 
u. f. tu. 

23ei bet ©teile: „Pgon fagte gu SBlabimir, et möge 
ben Slrmleudjter mitneljmen ..." ftö^nte ber ©raf fcf)metg= 
lid^ auf. Pt bedfte bie $äitbe bot’S ©efidjt unb fjörte, 
regungslos in feinem ©tuljl gurüdgeleljnt, auf ben Slert, 
ben bet fRotat langfam unb beutlidfj, aBer fo gefdf)äftS= 
mäfjig falt botlaS, als IjaBe er einen gang gleidjgütigeu 

.Eontraft in $änben: „ idj lief an’S 3?enfter — 

Sölabimit Ijielt ben boEftänbig aufgeräumten Etappen am 
3iigel unb führte iljn, Beljutfam neben ifjnt Ijerfdjreitenb, 
übet ben IRafen, bem ©artenttjore gu. 2)aBei festen eS 
mit, als fucfje et abfidjtlidlj bie ©teilen, too ber ©chatten 
bet SBäume Ijiitfiel, als betmeibe et äitgftlidj bie bont 
grellen SöoEmonb BefdEjienenen 2Bege ..." 

„@enug, genug, galten ©ie ein," ftöljnte bet ©taf, 
bie gitternben $änbe abmeljrenb bot fid} fjinljattenb. „Sdj 
felje, ©ie finb über bie gange ©adje boEftänbig im klaren." 



22 



Jvamifieneftre. 



„SDaS freut mict)," ermieberte Xrcnncr refpettboll, bie 
Rapiere mieber forgfältig 31t fic^ ftedenb; „mir merben 
baburdj ttnt fo eljer jum Sdjlufj unferer Unterrebung 
lommen." 

„Unb mag gebenfen Sie mit biefen berljängnifebollen 
papieren 3U tljun?" 

„3e nun, icfj lönnte mit ben SBlättem gor 9 ttandfye§ 
anfangen, bielleidjt gebe idfj $ljnen baS Späddjen 3ur $er» 
menbung nadj eigenem ©utbünlen. 2Die ©efdjidjte Ijat 
bantit einen befriebigenben Slbft^Xufe gefunben, nttb Sie 
tjaben rnicf), ma§ id) ja gleid) 31t beginn meiner Aubien3 
in baS SBereid) ber itöglidtfeit [teilte, bottftänbig babon 
überzeugt , bafj ©raf Ggon SBernSliaufen mirflidj mit 
bem 5 j 3 ferbe burdj ben Stur3 in bie Sdjludjt berunglüdte." 

„ 2 fcfj berfte^e, mein |>err. Sie Ijaben midj in Sförer 
£>anb unb lönnen mid), menn e§ 3fl)nen beliebt, mie eine 
Zitrone auSpreffen — " 

„Sie fetjen miclj in ©rftaunen burdj bie biplomatifdfjc 
Sdijarfficfjt, mit meldjer Sie ba§ Xerrain überbliden. 3 n 
ber £l)at, idj fann Sie auSpreffen — mie eine Gitrone." 

„Um Iut3 3U fein: miebiel?" 

„2öie belieben GjceUens 3U bemerten?" 

„Sfdj frage, miebiel? Söicbiel begehren Sie für bie 
Auslieferung biefer Sdjriftftüde, geehrter .£>err Mtor?" 

„Adj, Sie meinen — ©elb? Aber befter ©raf, moltten 
Sie benn mirflidj fo unborfidjtig fein? 33 eben!en Sie 
bod), melcfj’ geringe Sidtjerljeit $ljnen baburdj geboten 
märe, menn i<$ $ljnen ba§ 5 ßädct)en berlaufen mürbe. 3 )ie 
gefeptidjen SBemeife — menn man bie Aoti3en einer SSaljn* 



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Vornan tum Pari Pb. Klopfer. 



finnigen überhaupt als foldpe gelten taffen toollte — mären 
bann alterbingS aus her 2öett gefdpafft. 9tber mer bürgt 
3pnen benn bafiir, bap id) nidpt peute $pr ©etb nepme, 
Spnen bie ©dpriften übergebe unb morgen bie ganje 
©adpe auSplaubere, ober nodp fdptimmer: ©ie unter ber 
ftetigen Sllnbropung biefer SPubtifation <}u einer immer» 
mäprenben ©otbgrube für ntidj madpe, fo bap idp ©ie 
nadp unb nad) ruinire, ©ie auSpreffe mie eine ßitrone?" 

S)er SRotar patte fidp mäprenb biefer «Rebe bon feinem 
©ip erhoben unb toar langfaut an ben SDtinifter peran= 
getreten, ber unter jebent SBort mie unter einem Leuten» 
fdptag erbebte, unb jept, toie in fidp jjufammengefunlen, 
auf bem Fauteuil lauerte. 

,,©ie fepen, ^err ©raf, eS märe ein fcptedjteS ©e= 
fcpäft für ©ie, toenn idp bie Rapiere in ©otb umtoecpfelu 
toollte." 

„Silber bann begreife idp ©ie nidpt. 2öaS berlangcn 
©ie benn? ©etüftet eS ©ie nadp ©pren unb Sßürben, bie 
id) Spuen etma bermöge meines ©influffeS berfd)affen 
fottte?" rief ber SDtinifter erftaunt, mit einer gemiffen 
SHengftlidpfeit bem Söegepren feines Reinigers entgegen» 
fepenb. 

„Slludj nidpt übel, ©reellen^," fpottete Brenner, mäprenb 
er, toie um fidp feine ^orberungen au überlegen, mit be= 
bädptigen ©dpritten baS 3immer burdpmap; „©ie iootten 
mir bielleidpt ein Stemtdpen, ein paar Crben ober ber» 
gleidpen anbieten — in ber Xpat, ©ie fönnten mir baS 
SllteS berfdpaffen ! . . . Silber nein, |>err ©raf, baS ift mein 
©prgeia nidpt. ©elb pabe id) im Ueberflup felbft; unb 



24 



^amiUeneJjrc. - 



bie Söürbe einer borneljmen ©teEung, bie mir nur 
lofe geinbc fd^affen mürbe, Demütigungen, Saften unb fo 
meiter, bie miE it lieber entbehren. — Denfen ©ie nur 
an Slnbereä!" 

Der <$raf atmete ferner. „St fann bot Sljrc 
Söünfte nitt erraten? kennen ©ie alfo felbft ben 
5 preii Sljre§ ©tmeigen§." 

Der Dlotar mar auf feinem Diunbgang mieber 311m 
DJtinifter gefontmen, bor bem er jetjt fielen blieb, ©eine 
^XJliene mar falt unb fteinern. 

„6jceEen3," begann er, boEftänbig im Don, ber 311 
feinem ©efittäauäbrucf üafjte, bie .fjänbe auf bem Dlficfeit 
gefaltet, „mir Ijaben feinen ©runb, un§ irgenb etma§ 311 
Oeteimliten. Dllfo taffen ©ie mit 8 an 3 offen 3U Stjnen 
treten, bamit mir unfere gegenmärtige ©ituation rafte* 
Hären, ©ie miffen — ober miffen e8 bieEeitt out 
nitt — bajj it 3U ben erften Dlbbofaten ber 9iefiben3, 31t 
ben reitften DJlännern be§ gan3en Sanbeä gehöre. DJlein 
Vermögen geftattet mir, aEe bie Dlntyrüte 3U befriebigen, 
bie it aEenfaEä an ba§ Seben fteEen fönnte, it Ijabe 
nitt nötig, nat meiterem materieEen 33 eft 3U ftreben, 
ba it io bot feine mir meljr 3ufagenbe $ermettbung 
babon moten fönnte. 3 ll§ it in meiner ßarriöte begann, 
ba galt mir eine befteibene Diente al§ baS Ijötfte 3mt; 
nun, it l)abe, mic gefagt, biefeä 3iel meitauä überflügelt, 
meine Dotter l)at eine boEenbete @r3iel)ung genoffen, 
it fönnte in ben beften Familien meinen ©tmiegerfo^n 
futen, ja, it braute ©ie motjl nitt erft 3U berfitern, 
it fänbe manten Ijotabeligen |>errn, ber feinen ber= 



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Vornan r»on Pari Pb. $lopfer. 



25 



Staaten ?lbeläfd^i£b aXS ©ibam beS reifen Slbbofaten 
Trenner neu bergolben möchte; aber ich milt nicht mein 
ntühfam ermorbeneS Habitat einem fotdjen 4?errn auS= 
liefern, um mich bann bon ihm mit fjod&müttjigem 9tafe= 
rümpfen belächeln au taffen. Tennoch habe ich in meiner 
5prajiS, bie mich t»ieX mit ber 9lriftofratie in ^Berührung 
braute, ben SBertfj ber beborpgten ©tetlung fennen ge= 
lernt, bie ber Slbel im Allgemeinen bodj noch immer ein* 
nimmt. $dj mürbe eS nicht ungerne feljen, menn meine 
©nfetfinber ein gefröntes Söappen aufaumeifen Jütten — 
fura, um eS rücfhaltSloS au gcfteT^en, ich habe meine Ab* 
bofatur nur beShalb nicht aufgegeben, trot$bem ich eS mir 
längft geftatten fönnte, meil ich eben burefj fie baS lebte 
Siet meines ©hrgeiaeS au erreichen Ijoffte : einen borneljmen 
©dhmiegerfohn. deinen berfdjutbeten , banferotten, an 
Körper, Sugenb, ©eift unb ©emttth h^abgefommenen 
Sunfer, ber mich über bie Achfel anfeljen mürbe, nein — 
einen angefeljenen, reifen, begabten, eleganten AbelSfprofe, 
bor bem ich mich nicht au bemüt^igen Tratte, ber bietmehr 
Altes aufbieten rnüfjte, um ftcfj in meiner ©unft au er* 
galten. — Aidht mahr, ©raf, baS ift mohl ein ettoaS un= 
befdfjeibener Söunfdh für einen einfachen AedhtSanmatt, her- 
aus ber unteren — fagen mir meinethalben auS ber unterften 
©cf)idhte beS SöotfeS geftiegen ift, benn mein 33atcr mar 
ein armer Tagelöhner! Ahnen ©ie nun, #err ©raf, auf 
metefje SBeife ich a u meinem SW au fommeit gebenfe?" 

©r bliefte fein Opfer bei biefen Söorten mit feinen 
boshaften klugen an, in metdhen ber ganae unermeßliche 
Triumph funfeite, ben ihm bie gegenmeirtige ©ituation 



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2G ftamilienefjrp. 

getoäbrte. 3>cr ©raf fdfjtoicg unb fticrte tote geifteSabtoefeub 
öor fidj t)in, er fdtjien beit ©ittn ber Söorte ülrenner’ä 
fatim erfaßt 3 U haben. 

„SBiffen ©ie nun, $err ©raf, toa3 icf) für bie 9lu8= 
lieferung jener intereffanten ütagebudjblättcr berfange?" 

2 >er 9Jhnifter anttoortete nod^ immer nidf)t. 

„9hm bemt," fuhr ber 9lotar, bidjt an fein £>b r ge= 
neigt, im gltiftertone fort, „ 3 b* $err ©obn toirb fid) 
ba^u bequemen müffen, {fräulein ©da Brenner, bie Üodjter 
be§ 9lbbofaten, 3 U feiner ©attin — pr ©räfin Söernä* 
Raufen 3 U ertoäblen, unb ©ie toerben 3 b* en 3 « 

biefer S5erbinbung geben." 

,,©inb ©i e bei ©innen, .£>err?" fdf;rie jefct ber 9Jtinif!er 
unb fuhr auf; bie 3 orne§aber an feiner ©time fdjtooll an. 

„9)iein befter «fperr ©raf," ^ö^nte Brenner mit eiferner 
SKube, „©ie bergeffen bie ©ituation, Oergeffen, bafj ©ie 
in biefem Moment boöftänbig in meine .fpanb gegeben finb." 

28ern§baufen bifj fid) auf bie Sippen uttb fiel auf feinen 
©ifj äurfid; ber fdjneibenbe £on beS 9totar§ batte ibu 
toieber 3 um bollftänbigen 33etoufjtfein feiner bö<bft fatalen 
Sage gebraut. 

„53ertoünftbt!" 3 ifd)te er jtoiftben beit !nirfd)enben 
3 äbnen b^tbor. „SBenn idj mir nun lieber eine Äuget 
burdj beit Äopf jagte, als 3 b*e unberfdfjämten gorberungen 
3 U erfüllen?" 

„©elbft burdt) biefen bezweifelten ©ebritt fönnten ©ie 
nicht Oerbinbent, bafj icb an ber -fpanb meiner f oftbaren 
Rapiere ben ©rafen Herbert atoinge, bie ©cbmad) einer 
©ntbeefung ber ©ofeder ©ebeintniffe itt ber bott mir be= 



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föomcm t>on Part (Ft>, fttopfer. 



27 



bingten 2Beife gu behüten; 3tjr ©ol)n bürfte tüo^t etn= 
fcljen, baji eine fotdje $eirattj nod£) immer meitiger ©taub 
aufmirbett, als bie ^ubliairung eines ^amiliengeljeimniffeS, 
toie eS ftd£) in meinen £änben befinbet. deinen ©ie baS 
nidjt auclj, SjceHenj?" 

2öetttSf)aufen atmete miiljfam. 

„UebrigenS, beruhigen ©ie fidj. ©Ea Srenner ift 
aEerbingS nur eine SiirgerlidEje, aber bie Smdjter eines 
unbefdjoltenen 9tbbolaten, bie ©nletin eines eljr* 
lidjen 5£agelöl)nerS, unb idj glaube, fie fteigt tierab, 
toenn fie itjre $anb bem ©rafen SBernSljaufen reicht — 
bem ©ofjne eines 3ftÖrberS! — ©ie fefjen, baS ift aud) 
ein ©efidjtSbunlt!" 

„W" . • • 

©S mar ein qualboEcr ©eitler, meldfjer fid^ ber Söruft 
beS ©rafen entrang. 2)er SSticE feiner gläferneit, blut= 
unterlaufenen Slugeit ruljte lange auf bem aierlidjen 9te= 
bolüer, ber auf bem eleganten ?luffatj beS ©dfireibtifdfjeS 
lag. 2>ie farlaftifdjen SBorte beS Notars liefen ifjn baS 
9luSfidjtSlofe eines folgen SßorfajjeS mit fd^neibenber lieber* 
Beugung erlernten. 3a, er mar mirltidj mad^tloS. 

„S3eenben mir biefen unerquidtietjen Auftritt," ftöljntc 
er. „kennen ©ie mir 3tjre äufjerfte $orberung — bie 
genannte tann nidjt 3ljr ©rnft fein!" 

„3d(j glaube midf) mit genügenber ©eutlidjleit auS= 
gebriidt gu Ijaben," ermieberte Brenner lalt, „unb gelje 
lein 3ota bon meiner 58ebingung ab. Manien ©ie ©ott, 
£err ©raf, bafj id§ ein $inb Ijabe, beffentmegen idj fo 
leidet erfüEbare 9lnfprüdje fteEe!" 



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28 Samilienebre. 

„316er ich fage Streit : mein ©ohn toirb fidj nimmer* 
mehr <ju einem foldj’ ctenben ©chadher Oertoenben laffen! 
(Sie Hüffen überbieS, bafj er eine ©raut ertoätjlt l^at, bie 
er nnt jeben 5preiS erringen toill." 

„9htn, biefeS ©erhältnifj toirb einfach gelöst, ©eien 
©ie überzeugt, ©raf Herbert bätt bie @h re feiner Familie - 
ju bocb, um nicht felbft für baS ©erbrechen feines |>errn 
©apa ju büfjen. UebrigenS macht 3fh r ©oljn feine fo 
fcfjledjte ©arthie. teilte Softer ift jung, faum acht* 
jjefjn Sfo^re, befifjt leibliche Schönheit unb gibt an ©eift, 
©Übung unb bornefjmem Auftreten ber ©aronin ©tüljt* 
boff fidjerlich nichts nach; fte toirb alfo eine ganj ftanbeS* 
gemäße 9tepröfentantin einer ©räfin SBernS^oufen fein, 
©ie aber ^aben bie ©erufjigung, bafj Sh* ©etter ©gon 
toie bisher im 9lbgrunb ber 2eufelSf<hlucht Oermobert, 
toenigftenS toirb eS 9iiemanb anberS toiffett, toenn ich 
3 » 6 nen bie Rapiere am Sage ber -fpodfoeit übergebe. Unb 
bafj ich fernerhin über baS fatale fjamiliengeffeimnif} reinen 
©lunb holte, bafür bürgt Sljnen ber Umftanb, bafj eS bodj 
bann in meinem eigenen Sfutereffe liegt, ben ©djtoieger* 
öater meiner Xodhter — fur«j bie ganje Familie SBernS« 
Raufen nicht Oerungtintpfen 31 t laffen." 

„3lber — eS faitn ja nicht fein; toie foll ich meinen 
©ol)n ba^u betoegen?" 

„£>aS ift St^e Sache unb nicht bie meine. Sich flebe 
Shnen ©ebenfjeit bis morgen Nachmittag brei Uljr, too 
ich ®ie mit 3 f)*em ©ohne in meinem $aufe $um 2 >iner 
ertoarte. Sich Wn überzeugt, ©ie toerben fomnten, um 
beut ©rafen feine ©raut Porauftellen. — Sfa, morgen noch 



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Soman oon Gtart Cfb. .ütopfer. 



29 



inufe Herbert um bic $anb meiner Tochter anhalten 
unb — fagcn wir ^eute über fedjS Monate, Wo bie 
formelle ürauerjeit für ©räfitt Slurclie atS erlofdjen 
betrachtet Werben fann, foE bic feierliche yjermdhtung 
ftattfinben. — 9llfo, auf Söieberfehen , ©raf; feijen Sic 
fidj hewte itodj in ber Sitten gut bünfenben äüeife mit 
Syrern Sohne auSeittanber; morgen aut 25tuerftunbc er= 
warte id) Sie 33cibe bei mir; meine Tochter Wirb ^h^u 
bie -hontteurS machen. 3<h toitt fie h cu te nodh über beu 
gefehlten Jöefuch unb beffen $Werf unterrichten. 6Ka ift 
au gut exogen, um einen anbereu 2öittcn au h^en, alö 
ben ihreö SJaterS. — 9lbieu!" 

2Damit fchritt Xrenucr ftota erhobenen <£muütcö aus 
beut Sibliothefaimnter. 

(Elftes Kapitel. 

3Mer unb £olfn. 

3m ^ittifierpalaiS fchlich heute MeS mit utöglicbficr 
©erdufcblofigteit umher; bie Heine Äontteffe ^autiUa Würbe 
bon ihrer ©oubernante forgfättig in ihrem Zimmer ge= 
hatten, um ihr iebe ©etegenheit au benehmen, ben s 4$aba 
etwa au ftöreu, benn Seine ©jceltena fd)ien erfranft, Wie 
fid) bie SDienerfdjaft in’S €h r ftüftertc. 

2)er 9Jtinifter hatte nach beut SBeggang bcS 9lbbotaten 
baS SBibliothefaiinmer nicht mehr üerlaffett, beut Äammer= 
biener bie ftrengfte SBeifung gegeben, nicht bie gerittgfte 
Störung feiner ©infamteit au butben, unb ftdj barauf 
ben ganaett 2ag nicht mehr blicfen taffen. 9)iatt erwartete 
ihn bergebenS au ben 9Jtahtaeitcn, bie er fonft genteinfam 



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30 



^amifieneJjre. 



mit feinen beiben Äinbern im Speifefaalc ein^une^men 
pflegte ; bie fdjücfjterne Anfrage bcS Wieners bor ber Xfjür 
pm SiblioUjefaimmet, ob Güjcettena nic^t etwa baS Siner 
bott einauneljmcn wüttfdje, fattb eine furje, barfrfjc 2 lb« 
Weifung, fo bafj bet $auSl)ofmeifter Stöfjler c§ gar ttidjt 
wagte, aus eigenem (Srnteffen ttacfj bem JfpauSarat gu 
fdfntfen. 

2ltS eS aber fdjoit gegen fcdfjS Uljr 2lbenbS geworben 
mar unb ©raf Sölabimir Weber Sicfjt berlangt, ttod) fonft 
irgenb ein .geicfjen feiner Stntocfentjeit gegeben Ijatte, fonnte 
fief) ber alte fRöfjler nid^t tneljr galten. Änr^ entfdjloffen 
naljm er einen SlrmleudEjter mit brennenben SBadjSferaett. 
unb ging nad) bem SBibliotfjefyimnter. @r floate nid^t 
oljne ein banges ©efüljl an — fein Saut War in bem 
®etttacf)e bernefjutbar. fööfjler Ijielt cS für feine $füdf}t, 
jetjt nid)t me^r 3 U äaubern, unb öffnete bie Xljür, in baS 
ftodbunfle 3 tntmer eintretenb; er leuchtete mit jitternbem 
Sinn untrer, als fürste er, ben ©rafett irgenbwo bewußt» 
loS am 33obcn liegen ju fefjen. 

Scfjt fam 2öernSl)aufen auS ber genftcrnifdjc fyerbor, 
in Weidner er gelernt f>atte, unb falj ben ©intretenbeu 
erftaunt an. 

„äJerjeiljung, ©jceUenj." ftottertc ber greife ^au^of- 
mcifter, „iclj Ijatte mir nid^t geftattet, 31 t ftören, wenn 
td) nic^t berntutljet ljätte, ©uer ©ycellena Wünfd^ten bicl= 
leidet Sidjt." 

„©S ift gut. Stellen Sie ben Seudfjter auf beit 
Sdjreibtifcfj , löfdjen Sie aber alle Sidjter aus bis auf 
cine§ ; ber grelle Sdjeitt fdjmeqt micf)I" 2)amit ging ber 



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'Jtonum oon Gart Gb. Töpfer. 3l 

s 3Jtinifter auf unb ab unb toermieb cS forgfältig, beu Sitten 
fein ©efidjt fe^ett au taffen. GS foftete ihm fchon Ntiihe 
genug, feine «Stimme fo meit au bemeiftern, um itt ihr 
nid^t feinen furchtbaren ©emüthSauftanb micbertlingen au 
taffen. 

Nöbter ttjat, mie ihm befohlen, unb moltte fidj bann 
toicber entfernen. 

„Sich ja," fagte ber @raf plötjlich, als fiele ihm je^t 
eine gteidjgiltige Sac^c ein, „Sic tönnen im Sorbeigeheu 
bei meinem Sohne borfprechen unb ihm fageu, ich taffe 
ihn erfuchen, ftch heute uocf) &ei mit cinauftnben — 
ich höfa mit ihm au fprechen!" 

2)er -£>auShofmeifier beforgte biefeu Sluftrag natürlich 
fofort, um fo mehr, als er froh mar, ben (Strafen Herbert 
au feinem 33ater fchidteu au fönncit, bemt ber Ntinifter 
flöhte ihm in ber Stt)« 1 * ernfte Seforgniffe ein. — 

ftünf Minuten fpäter trat Herbert in baS 33ibliotljel= 
aintmer, nicht menig erftaunt über baS hiet h en 'f<^ en ^ c 
$albbunlet, baS ihm faunt baS ©eftdjt feinet 33aterS au 
feheti geftattete, metcher mieber int Schatten ber tiefen 
ftenfiernifchc lehnte unb beu ®rub beS SofjneS fauttt bcr= 
nehmbar ermieberte. 

„Sch t) 0 *^ bab Sic unpäßlich feien," begann Herbert, 
mährettb fein 33lid über ben Schreibtifd) flog, mo ein 
großes, amtliches Goubert tag, „unb nicht geftört fein 
mottten, aber ich feh* hmr, bab Sie fid) mohl mit einer 
midhtigen 2>ienftfache befchäftigten. Sft eS nicht fo 1 ?" 

„3Bie man’S nimmt," entgegnete äBernStjaufen mit 
unfidjeter Stimme, „ich hübe ben Nachmittag mit ber 



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32 



^aimüeneljre. 



Slbfaffung biefeö Schreibens pgebradjt — eS tft ein 3m* 
mebiatgefudh an Seine Stajeftät in eigener SIngetegen* 
beit." 

„2öic, ein 3mmcbiatgefudh? 2Buau?" 

„3a, mein Sobn," braute ber Sttinifter nur mit 2lit= 
ftrengung berbor, „cS enthalt bie Sitte um meine <5ni= 
laffung." 

(Sr fab gefpamit auf «Herbert, ber tut erften 3Jloment 
erfdhredt aurüdroidj uitb bann mit einer leidsten 9iötbe 
auf beit Söangen uttb gerunaelter Stirn bor fidj bin fab- 

„Sater," fagte er nach einer Skile gebrefjten SoneS, 
„glauben Sie fidj baS felbft fdplbig p fein, ober bat 
man cS 3bwn bon allerböcbfter Seite nabe gelegt — 
toegen meiner beborftebenben Sermäblunq mit ber Saronin 

robtboff?" 

„Unb — meint eS nun jufäEig fo märe?" 

„Staun — bann ntüfjte ich <Sie bebauern, Sater, baS 
Opfer eineä fo Xäd^erltd^en SorurtbeilS gemorben p fein." 

„ Unb tonnte bieS audj SDicb ntc^t bemegen — " 

„3reitc aufaugeben? Niemals! — Söabrbaftig, Sater, 
id) tarnt ni(bt. SBir bbü^n bieferbalb bod; fd^on febr 
cingebenbe unb ernfte llnterrebungen, bie meinen <Sntfd;lujs 
nicht au erfdjüttern bcrmod)tett; erfparen Sie baber mir 
unb 3bnen eine SBieberbolung biefer frucbtlofen 2luS= 
cinanberfeipngcn. Söeun Sie mirflidh 3b r Portefeuille 
baburcb einbiifjen, fo mögen Sie ficb tröften, nichts Se« 
fonbereS berlorett au b^ben; benn menn fo tleinlidhe -£>of= 
intriguen fdhon im Staube finb, 3b re Stellung a« e* s 
f füttern, fo — " 



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fRontan oon (Jarl @b. (opfer. 33 

„©cuug!" unterbrach i(jn ber ÜJlinifter. @r fal) ein, 
bafj ihm ein unumtouttbeneS ©eftänbnifj nicht erfpart 
bleiben tonnte. „Du irrft mit Deiner Sennutbung über 
ben Seloeggrunb meinet dntlaffungSgefuchS, baS boHftänbig 
meinem eigenen äöitten entfpriugt. SDiefen Setoeggrunb 
Dir mitjutheilen unb beS Näheren ju beleuchten, ift je^t 
meine Slbficht. ©et$e Dich bort in jenen ©tubt unb h^te, 
maS iih Dir 31t fagen bafo- ^Bereite Dich immerhin auf 
etmaS fehr Unerwartetes unb — Unerfreuliches bor, baS 
Deinem ßebenStoege Wie auch meinem Serbättniffe 31t Dir 
eine bebeutenbe SBenbung 31t geben geeignet ift." 

©eine ©timme Hang bei ben lebten Söorten hobt unb 
gebrochen. Herbert Wollte fpredjen, aber bie 3itternbe 
.jpanbbetoegung beS SaterS liefj i^n berftummen. dt nahm 
auf bemfelbett ©effel $latj, ber am borgen bent fJtotar 
Dtenner als ©itj gebient hatte, unb fab bem ßommenben 
mit begreiflicher ©pannung unb einem bellemmenbeti 
Sangen entgegen. 

„Sorerft," fuhr SSernShaufen nach einer fletnen $aufe 
fort, „muff ich auf einige Sfabre in unferer Sfamilien» 
gefdjichte aurüdgreifen; erfdjredc nicht unb berbamnte mich 
noch nidht fogteidj, Wenn ich Dir einige ©eftänbniffe — 
ettoaS betifater 9 tatur 3U machen geawungen bin. Du 
wirft Wiffen, bafj unfer ©efehteebt, ich meine bie birelte 
ßinie SöernShaufeit, burch bie ftranaofenfriege am Einfang 
unfereS SabrbunbertS fehr berarmte, fo bafj bie beiben 
testen ©rafen SBernSbaufen ihren ©ötjnen — dgon, bem 
Setter, unb mir — faft gar fein Sermögen hintertaffen 
fonnten. SBir mußten Seibe in ben ©taatsbienft treten, 
»iWUt$et. 3at)tg. 1889. 33 b. X. 3 



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ftamUienefjre. 



H4 

bet ©ine als Offizier, bet 9lnbete als 3)iblomat, unb 
maren babei faft gan,} auf bte Unterftö^ung bcS DnfelS aus 
bet meiblidjen Seitenlinie, beS dürften ©albatot auf ©ichen* 
bürg unb ©ofecf, angemiefen. S)er f^ürft, ber unS fcJjon nad) 
bem frühen £ob unfetet 23äter unter feine SSormunbfdjaft 
nahm, übte auf unS unb unferen ßebenSmeg begreiflicher 
SÖeife einen (Einfluß auS, bem mir unS nicht entheben 
tonnten. 3dj miß je^t nidtjt Unfdjulbige anttagen, aber 
märe ber Cnfel etmaS meniger ^art gegen mich gemefen, 
id) ftünbe Ijeute gemifj nicht fo bor 3Dit, mie ich nun 
mufj! 3m ©egenfatje ju ber |järte alfo, bie mir ber 
3rürft beS Cefteren bemieS, mar ©gon fein erftärter fiieb* 
ling, bielleidjt meil biefer jut Seit, ba er als faum jebu* 
jähriger $nabe in baS .jpauS beS CnfetS tarn, fich mehr an 
ben oft febt munbetlidjen Sormunb anfcblofi, mährenb ich, 
ber um gute elf 3aljre keltere, mit etroaS felbftftänbigeren 
9lnftdjten oft mit benen beS CnfelS in Äonftift tarn, 
©enug, ich fanb im dürften ©albator nur einen Sucht* 
meifter, ©gon aber einen bäterlidjen ftteunb. ©t ber* 
brachte bie Sferienaeit, bie ihm bie ßabettenfchule gönnte, 
ftetS auf ©ofed beim Dnfel, mo er bie liebeboHfte 9luf= 
nähme fanb. 3dj boHenbete inbefj in 5ßatiS meine ©tubien. 
2)u fannft $>ir benten, mie unangenehm nti<h eines 2ageS 
ein S3rief beS dürften ilberrafc^en muffte, in metchent mir 
bie 9tothmenbigteit nahegelegt mürbe, mich 3« berbeiratben. 
35er Orürfb hatte auch bereits, ohne nur im ©eringften 
meinen eigenen Söißen in 9tüdft<bt 3U Riehen, eine SSraut 
für mich ßemäblt: ßeonore b. £andenau. S)eine SJtutter 
mar bie (infelin eines ihm befreunbeten ©eneralS, meiner 



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JRontmt von Pari Pb. fl (opfer. 



bor Äußern geftorben mar unb baS 9 Jtäbd)en all unber= 
forgte äöaife 3urüdgelaffen hotte. Dnfef Salbator glaubte 
fic^ nun bem alten Söaffengenoffen gegenüber nodj nad) 
beffen £obe nicht beffer für geleiftete StounbfdjaftSbienfte 
rebandjiren ju fönnen, als inbem er feiner Snfelin ben 
Steffen junt 5 Jtanne gab. 9 hm, idj falj ein, bafj eS mir 
nichts nüjjen mürbe, gegen biefe 9 )erbinbung 311 proteftiren, 
unb fo fügte id) mi<h bem Söitlen beS dürften, 3 clj lehrte 
bon 5 ßariS 3urüd, lernte Ijier in ber Stefibenj bie mir 311= 
gebadjte SBraut !ennen unb bermü^fte mich mit iljr. 5 Dcr 
3?ürft berfetjaffte mir eine Stellung bei unferer SSotfdjaft 
in SSrüffel, mohin ich halb barauf mit meiner ©attin 
überftebelte. Unfere @Ije mar ein gleicljgiltigeS 9 iebeit= 
einanberhergeljen, baS beibe SLl^eite nicht gerabe betätigte, 
aber auch deines begfüdte. 2öit tonnten einanber eben 
nicht berfteljen, unb id) glaube, mir berfudjten eS aud£j 
nicht einmal. SDiefeS ge3mungene $erhättnifj erhielt audj 
feine Aenberung, als $>u nadj etma hier $aljren baS Sicht 
ber Söett erblidteft. 3<h berfenfte mich gan3 in bie ®e= 
fdtjäfte meinet Amtes unb fudjte ben Aufenthalt in meiner 
Familie nad) 2^unlid^feit 3U bernteiben. £aS ging fo an 
bie fteben 3 faljre, bis ich 3ur 2 )reSbetter ©efanbtfdjaft ber= 
fe£t mürbe. 3 <h reiste borauS nad) ber fäcljfifdljen $aupt* 
ftabt, um bafelbft erft feften ©oben 3U geminnen, midj 
über meinen bei 2 Beitem ausgehenderen SBirfungSfteiS 31t 
informiren unb für meine Qfamilie nad) einem paffeitben 
S)omi3il 3U fudjen. 3dj beeilte tnidj nicht fonbertid^ mit 
ber Abmietung biefer ©efdjäfte. UeberbieS berging mir 
bie 3 eit beS erften Aufenthaltes in SDreSben fehr angenehm. 



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ftantilienebvc. 



nr> 

3)cr ffrtirft ©albator l^atte eine auSgebreitcte Sefanntfchaft 
in ber 2)reSbener Slriftolratie, in bie ich mid) burdj feine 
Empfehlungen einführte. SefonbcrS mar eS eine ber* 
mittmete grau b. Earlomi^, in beren $auS ich mit Sor* 
liebe berlet)rte, benn hier fanb id} halb — " 

SöeraShattfen ftodte unb ftrid) fic^ mehrere State über 
bie hohe, gelichtete ©tim, ehe er jtch geniigenb gefammelt 
hatte, um fortaufaljren : 

„3cne Sfrau b. Eartomifj hatte auf bie Sitte beS dürften 
Eichenburg eine 9trt Sefchütjeramt über bie etma ätoan^ig* 
jährige 9lurelie b. ©türmer übernommen, bie in einer ber 
bornehmften Senfionen ber fädjfifchen giefiben j erlogen tourbe 
unb natürlich feljr oft im .$aufe ber fffrau b. Earlomi p 
berührte." 

„Slurelie b. ©türmer," mieberholte Herbert langfam, 
„baS toar bie fpätere Spante unb — ©tiefmutter 9luretie?" 

„3a. Slurelie mar mit bem dürften ©albator entfernt 
bermanbt unb, mie ich unb Egon, bon ihm abhängig. — 
Sun, um Iura p fein, ich lernte Slurelie lernten unb — 
lieben, ehe ich mir noch über mein ©efühl eigentlich Har 
marb. SBie hätte ich mich auch gegen biefe mächtige 
Neigung fchüfjen, mehren foßen, ich, ber ich — bantalS 
bereits bieraig 3ahre alt — bie mahre Ciebe nod) nicht 
lernten gelernt hatte. Slber man fagt nicht umfonft, bafj 
ftch eine folche Serfpätung furchtbar rächt. ES entmidelte 
fich eine 2eibenfd)aft itt mir, bie noch bebeutenb gefteigert 
mürbe, als ich bei Sturetie eine Ermieberung meiner ber* 
aehrenben ©luth au bemerlen glaubte. — hebert, ber* 
bamme mich uidjt, 2)u bermagft eS rnohf launt au er* 



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flioman von Carl Cb. Klopfer. 



37 



nteffeit, iuie tief eine foldje ßeibenfdfjaft im <£>crjeu eines 
gereiften 5 )tanncS muqelt. 3 fdj ftanb ber brennenben Siebe 
31t ienem tjerrlicfjen Söefen mit allen meinen ©ruttbfäßen 
macfjttoS gegenüber, id} toar bereit, iljr 2 llleS 3U opfern. 
3eßt erft füllte idfj, toie fcf)al, toie öbe meine Clje mar, 
mic gräßtidj ich mein £eben burdj bie gügfantfeit in ben 
2 BiHett beS alten gürfteu berpfufdjt hatte, unb mit biefer 
Crfenntnifj regte ftdj audj eine toilbe SSiberftanbSluft in 
mir, ich moHtc bie mir nun taufenbfadf) bcrljaßteu bc= 
engenben gcffelit, bie mich an ein ungeliebtes äBetb 
fetteten, abtoerfen, um jebeu 5 ßteiS nach beut SBefiß 2 lure= 
lienS flrcben, bie nun mein ganzes SJenfen unb gühleti 
bcljerrfchte. 2 turclie tuar Don mir fdjon ^alb unb Ijalb 
überrebet 3U bem bon mir befdjloffenen ©dritte; i<h Ijatte 
grau b. Cartomiß bon meinen 2lbfidjten bollftänbig unter» 
richtet unb fdjrieb enblid^ furjtoeg an ben gürften ©al* 
bator, baß idf) eutfchloffen fei, gegen meine grau bie 
©Reibung loegen unbefiegbarer Abneigung einjuleiten, um 
mich für immer mit ber heißgeliebten 311 berbinben." 

„2>ergfirft," faßte ^erBert gepreßt, „bertoeigerte na» 
türlicfj feine CintoiHigung ?" 

„3n ber entfehiebenfteu Söeife. 3ur gleichen 3eit, als 
ich feinen fefjr berben S 3 rief erhielt, ber mir unter 2 ln= 
bro^ung feines ^öd^ften 3o*neS unb Cntjieljung aller 
Unterftüßung befaßt, nidjt nur bon meiner Slbfidjt abju» 
fteljen, fonbern auch fofort meine grau unb meinen ©ofju 
nach SJreSben 31t berufen -- 3ttr felbeu Seit empfing 
2lurelie einen nicht minber encvgifd) gehaltenen Befehl, 
ungefäumt bie ^enfioii unb baS $aud bev grau b. Carlo» 



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38 



Jamilieneljre. 



toi|} 3U berlaffett unb nach ©ofecE au tommen, Um er jeine 
Verfügung über ihre 3u!unft 311 treffen gebähte. — Sch 
muffte mich fügen, bie ©etiebte in Serameiftuug nach 
©ofecE aieljen taffen unb ffrau unb $inb an mir be= 
rufen!" 

„Sinne ^lütter!" murmelte Herbert bor fidfj ^in. 

„Se|t mar mir meine ©he aur §öEe gemorben. Slber 
meine entfe|li<he Sage feilte nodj furchtbarer merbett. 
Slurelie, mit ber ich trojj beS fürftlicfjen SefehleS in heim 
lichent Sriefmechfet [taub, aeigte mir etma brei Stonate 
nach unferer geamungeuen Trennung an, baff Setter ©gon, 
ber aufättig auf Urlaub in ©ofeef bermeile, eine heftige 
Seibenfcfjaft für fie gefaxt au haben f cheine, bie ber ffürft 
begünftige. — Seijt mar baS Staff meines ©tenbS boE; 
ich tonnte mich nicht länger holten. £>hue Urlaub au 
nehmen, ohne mich bon meiner Familie au berabfehieben, 
reiste ich bireft nach ©ofedE; ich muffte anfangs nicht ein= 
mal gana genau, maS ich eigentlich bamit beatoecEen moEte, 
aber eine innere bämonifche Stacht trieb mich, auf ben 
©chauptah au eilen, auf metdf)em meine lebten £ebenS= 
tjoffnungen boEftänbig aertreten merben foEten. — Sch 
!am auf bem ©ute an, befchmor ben £>nfel, mich uicht 
3ur Serameiftung au treiben -- bergebenS, ber gürft 
metterte unb fluchte unb erltdrte fategorifch, ©gon hätte 
ein meit größeres Stnredjt, bem 3 uge feines .jperaenS folgen 
unb fich um Sturelie bemerbeit au bitrfen. ©gon mar 
mir burch bie offenfunbige Seboraugung, bie er bon ©eite 
beS dürften genoff, nie befonberS ftympathifch gemefen, aber 
je|t befiegte ich bie alte Stbneigung, meinen ©tola; ich 



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Vornan uon 6arl 6b. Äiopfer. 



39 



flehte üju an, toon feiner SSemerbung ab^ulaffeit , Slurelie 
tönnc iljn ja bod) nimmer lieben, toeil idfj unb fie für 
alle Smigleit mit ben fefteften Sanben aneinanber ge= 
fdjmiebet mären. 6 r lachte mir iit ’8 @efid£)t, nannte mid} 
einen alten Sporen, unb marf mir fdjliefjtidj $ßfüdjt= 
bergeffenljeii, Unbanlbarleit gegen ben £>n!el unb G^r= 
lofigleit bor. 3 d) mar gerabe^u befinnungSloä bor SButlj, 
ljätte fidj Slurelie nidfjt ümifdjen un§ gemorfen, idfj pttc 
6 gon 3 « ©oben gefd&tagen. (Später Ijatte idfj mit ifjr 
eine geheime Slugeinanberfetjung, idfj mollte fie jur ffludjt 
über ben Ccean bereben, aber fie fdfjien burdf) bie Ijart* 
nädigen Sorftellungen beä alten dürften bereite mürbe 
gemalt, fte bat ntidj, 3 U entfagen, meiner einmal unab* 
meiSlidfjen SpflidEjt 3 u geljordfjen — lurj, mir marb jebe $off= 
nung für immer abgefdjnitten. — 3 d(j reiste alfo, Söutlj, 
Serameiflung unb glüljenben 9iad}eburft im ^er^en, mieber 
nadfj 2 )re§ben in bag mid) anmibernbe |>eim 3 urüd. 
9tocf} im felbett -fjerbjte erhielt idfj bom dürften au§ ®ofed 
bie lur^e unb formelle Slnjeige, baf$ 6 gon fidf) mit 3lurelie 
bermäijlt ^abe unb mit iljt nadfj feiner ©arnifonsftabt 
abgereist fei. — £afj ntidf) einen ©djleier über bie Zöllen* 
qualett ber nun folgenben fünf bis fecfjS 3fat)re breiten; 
id) erfiaune Ijeute nod^ barübev, bafj id) fie ertragen bube. 
?lber id} mürbe nadfj unb nad), menigftenS nad) Slufjen 
bin, ruhiger; meinen ®ram bevfenfte id) in ben tiefften 
SBinfel meines $ei* 3 en£, mo er berborgen, aber ftetS le= 
benbig meiierfrafj. 3 df) l}5rtc nichts nteljr bott 6 gon unb 
feiner fffrau, id) bemühte mid} fogar .jumeiten mirtlidfj, bie 
örinnerung an 9lurelie aug meinem ©ebädjtniffe 31 t bei* 




40 



SumiUenetjre. 



mifdjeu, aber insgeheim lebte ein uidjt gaitj HareS ©e* 
fiil)l in mir, baS faft Hoffnung p nennen mar; tnir mar '8, 
als märe biefeS Drama noch nidjt auSgefpielt, als hätte 
id§ nodj eine Söenbung $u ermarten. 9 tun, biefe äöeu* 
buitg trat enblicfj ein; eS finb je|t faft Pieren Starre her. 
Deine ©tutter tag auf einem $ranlentager, bon meinem 
fie fiel) nicht mehr ergeben fotttc; bie ©tunbe, in melier 
fie nuferer Äamitta baS Seben gab, mar ifjrc te^te. DaS 
9 lntmortStelegramm auf meine 9 tadjricf)t nach ©ofeef über 
£eonoren8 Stob enthielt bie Reibung bon bent |>iu= 
febeiben beS CnletS; Qrürft ©idjenburg mar !aum Pier* 
unbaman^ig ©tunbeit nad^ beut 9 lbleben meiner Sfrau ge* 
ftorben. ©in fettfamer 3ufatl, in meldjern ich faft ben 
Ringer ber ©orfebung p erlennen glaubte: bie mir auf* 
gelungene ungeliebte ©attiu mar beinahe pr felbeu 3eit 
Perfd£)ieben, als ber Cnfet, ber Despot, ber mich mit eifer* 
nein SßiHen an fie geleitet Ijatte." 

Herbert mar fefjon feit geraumer 3^it in peinPoIler 
Unruhe auf feinem ©ip ^tn unb t)er gerüdt; nun lonnte 
er fiel) nicht länger galten. 

,,©er,jeiben ©ie, ©ater," bradj er Ijerbor, „meäbalb 
erzählen ©ie mir t)ier biefe Dinge, bie id) <$mar febon 
früher ^alb unb tjalb erraten 31t höben glaubte, bie aber 
nun in einer fo offenen Darlegung aus Syrern ©tunbe 
mid; hoppelt peinlich berühren?" 

,, 3 fdf) fann nicht attberS," entgeguete ber ©tinifter ge* 
prefjt, ,,idj mufj Dir meine ©ergangenbeit enthüllen - 
als ©inleitung 31t einem itod) meit entfeblidbnen ©eftäub* 
nifj. 3 >dj bitte Dieb, Herbert, faffe Didj unb b^rc inid) 




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SRomait oon Earl Eb. Klopfer. 



41 



gebutbig meiter an ; id) fann, idj barf 2 >ir nichts erfparen 
in meinen qualbo tten 33eEenntniffen." 

Herbert fdjüttclte befrembet baS .£>aul>t unb Ijeftcte 
feinen 33lidE auf ben üEepfndj unter feinen Qrüfjcn. 2)cr 
fDtinifter Trotte einige fötale tief Sittern unb mifcljte fidj 
ben ©djmeifj bom ©efid&te, clje er in feinen Eröffnungen 
fortfuljr. 

„S)u mirft 25icf) nodj erinnern fönneit, bafj mir am 
fetben 2 age, au melcf)em mir bie fötutter au ©rabc ge* 
leiteten, bie 9teife nadj ©ofecE antraten, moljin midj ein 
SBricf Egon’S berief, ftürft Eid^enburg mar näntlidj offne 
Ü£eftament geftorben, unb mir, feine einzigen birelten Erben, 
füllten nun feine £>intcrlaffenfdjaft nadf eigener Ueberein* 
funft amifdjen unS ttfeiten, moju uitfere Slnmefentfeit auf 
beut fölajorate unbebingt nötlfig erfdjien. ©leid) nadf ber 
Xrauerfeier — man tfattc mit ber föeerbigung beS dürften 
bis 31 t unferem Eintreffen gemartet — machte idf midj 
mit Egon baran, ben 91ad£)Iafj au orbnen. Unfer 9Berljätt= 
nifj au einanber mar, menigftenS äufjertid), ein gana un= 
gcamungeneS unb tjeralidjeS. 9lber idj Tratte meinen alten 
©roll unb ben Utadjefcljmur bon bamatS nidfjt bergeffeit, 
als idj umfonft bor bent Siebtinge beS £5nfelS um mein 
©lildf bettelte. $dj falj 9lurelie mieber, bie mit iljrem 
Änaben bem ©atten nadj ©ofedf gefolgt mar, id(j falj fie 
mieber, unb baS $aljre Ijinburdj fo forgfant aurfidgebräugte 
©efüljl einer freier iibermenfdjlidjen Seibenfdjaft au iljr 
ermatte mit berboppelter fDtadjt in meinem Tunern, 
mar nun fdjou fedjSunbbieraig ^aT;re alt gemorbeu, ber 
tfummer um mein berbittcrteS Sebeit tjatte meinem ©c» 



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42 



Samilieneljre. 



fickte galten eingegrabeit, mein £aar mar fc^on ergraut, 
icfj ftanb an ber ScljmeEe beg Sllterg, aber bie un« 
finnige ßeibenfdtjaft für bie Eiuaiggeliebte, für Slurelie, 
machte midj aunt feurigen Jüngling, mein $era brannte 
in IjeEfter ßolje unb gab meinem ©eifte SJtutlj unb $raft, 
itodjmalä bag 9leu|erfie an ben SBefitj beg angebeteten 
SBeibeS p fe^en. £>, jef|t mar mir ja nodjmalg bie Slug* 
fid^t bap geboten; ber Dnfel, ber Reiniger, unb meine 
5rau — fie maren nid^t meljr, idj fonnte midO alg frei 
unb ungebunben betrauten ... ja, Sluretic rnujjte mein 
merben um jeben freist" 

„Unb Cnfel Egon 1 ?" marf «Herbert erfdfjredft ein. 

„^a, er mar bag einige <£>inbernifj, bag fid^ mir 
in ben Sßcg fteEte. Sdf) grübelte ganae 9täd§te barüber, 
mein -£>afj gegen iljn erhielt neue Sialjrung, mein ganaeg 
25en!en mar nur stoifc^en ber Siebe au Slurelie unb bent 
glüljenben tRacljeburft gegen iljn, ben tRäuber meineg ©lüefeg, 
geteilt!" 

Siodj je^t, alg äöerngljaufen in jenen Erinnerungen 
mütjlte, burdjflammte iljn bie alte ßeibenfefjaft ; fein Sluge 
funfeite, feine 33ruft feuchte, unb bie |>änbe baEten fidj 
frampfljaft, alg fjätten fie nodfjmalg ben 33erl)afjten au 
üernid^ten. S)er SJtinifter mar entfliehen einem ©efüljl 
ber tReue niemalg entfernter gemefen, alg gerabe jejjt, mo 
fiel; iljnt bag ganae 93ilb ber entfdjmunbenen ©turmaeit 
bor bent geiftigen Sluge aufroEte. 

„Söir malten ung gufammen baran, bie Rapiere beg 
Cnfelg au unterfudjen," fuf)t er, tiadfjbem er fictj müljfaut 
mieber beljerrfdjt Ijatte, fort; „im ©dtjr eibepult, bag in 



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Momart oou Carl £b. Klopfer. 



43 



feinem ©terbejimmer ftanb, fauben hrir nad) forgfältiger 
£)urchfudhung einen jiemlidj umfangreichen 23rief: ,An 
ben fötajor ©raf ©gon b. Söern^aufen 1 abreffirt. 2)a§ 
©djreiben trug fein SDatunt, aber ba ©gott erft bor 
Äußern 3 unt fDiajor beförbert toorbcn toar, mufjte e§ ber 
fjürft toenige Sage bor feinem £obe abgefafjt ^aben. — 
Söarte, idj fann 2)id) baS ©djriftftüd felbft lefen taffen, 
benn i(3j tjabe eS aufbetbafjrt, tro^bem eä toeit mehr in 
meinem Sfittereffe gelegen f)ätte, eä au bernichtcn nadfj — 
ber üataftrophe." 

„SBeldje Äataftrophe meinen ©ie? $>en unglüdflid^en 
©tura Cnfet ©gon’SV' 

„©päter, fpäter," fagte ber fJJiinifter geprefjt unb öffnete 
mit einem fleinen ©djtüffet eine burdj ein funftboKeS 
5ßejirfdhlojj berfperrte ©dfjiebtabe im ©dljreibtifche. 2US 
er fo in ben ^Bereich be§ 2ichtfcheine§ trat, ben bie einzige 
Äerje auf bcra feuchter auäjfrafjlte, erfdljraf Herbert heftig 
bor bem ©efid^te be§ SöaterS. ©r faf) feine fDtunbtoinfet 
3 udfen, bie «fpänbe, bie in bem Qfad&e nach bem ©efud^ten 
tafteten, gittern. 

„Ah, ^ier!" ftiefj Söern^aufen enblich fjevbor unb 
entfaltete einen großen, fdfjou ettoaS bergilbten $apier= 
bogen, ben er rafdj überflog unb bann feinem ©ohne reifte. 
„ßieS biefen 2(ft — laut, ich toerbe baburch bieHeidjt ben 
föiuth getoiitnen, meine 39efenntniffe mit ber bisherigen 
Offenheit fort^ufehen. 

Herbert nahm mit einigem Söiberftreben baS ©cfjrift= 
ftiidf, baS ihm eine unerflütlidhc ©dfjeu einjagte. ©r fcfjob 
ben Armleuchter näh« au fich h^an unb laS, mährenb 



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44 Samilienefjro. 

fidh ber Diinifter luieber in baS 2)unfel feiner genfternifdfje 
auriitfaog. 

„Stein lieber @gon, ®°*) n meiner BielgetieBten jungen 
©djtoefter! äöenu man Bont 3rtfigetfd)tag beS 2obeS= 
cngctS geftreift mirb, fühlt ntan baS Sebürfnifj, feine 
aeitlidfjeu Slngelegenheiten au Beftetlen unb ftc^ BorauBereiten 
auf einen mohtgeorbneten 9tücfaug Bon bem ©d^Iad^tfelbc 
unfereS irbifdjen 2>afeinS. äöoht uns, toenn mir in bem 
auSgefochteuen Kriege bie SSaljtfiatt mit @^ren als ©ieger 
Bcrlaffen, tuenn unfere ftrategifd&en fehler gering unb 
unBebeutenb genug ftnb, um uns nidjt bie ßonbuitelifte 
Beim -jperrn iiBer alte Äampfpläije au BerberBen. 

3<h ^aBe SDid), mein Qrgon, mit ber ganzen Snnigfeit 
eines fonft Bereinfamtcn £eraeuS getieBt. 9lBer heute, an 
ber Sdjtoette beS Reiches , too etoiger Trieben ^errfd^t, 
lommt ein Banger 3toeifet üBer mich ; ich mufj mich fragen, 
oB icf; 2)idj nicht cttoa ju fehr getieBt IjaBe, baS Reifet 
deinen Setter SSlabintir SDeinethalBen au toenig mit ber 
gürforge Bebaut ^aBe, bie ich eudj aur Beit, als icJj euch 
Seibe unter meine CBtjut nahm, au gleiten feiten au 
mibmen gebadete. Sun, man fann feinem ^erjen nidjt 
immer Befehlen. 9tBer eBeit biefe ©rfenntnifj läfct eS midi) 
fd^toer empftnben, bafj ich gerabe an ein frembeS $era 
fotdje Slnforberungen geftettt t)aBe. SBlabimir ^at mir 
fdfjtoere Sitternijs au bauten, bie ich itjm bur<h energifdje 
Snfprfiche au feine ©ntfagung Bereitete. SDocfj ich fann 
mich entfdfjutbigen mit ber guten Sbfidjt, mit bem fyeft= 
halten au ehrenhaften ©runbfähen, bie mich baBei geleitet, 
tyiir baS ctumigc BuBict fauit ber emigc Sidjter nicht mit 



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{Roman von (varl Pb. jRCopfer. 4 r» 

mit testen, tuenn idfj eä bereue uub biefer {Reue baburdt) 
{ÄuSbrucf gebe, baß idfj getoiffc 33erfügungen umftoße, bie 
idj 31 t Ungunfteu SBlabimir’S getroffen Tjabe. 

31(3 Du Dictj mit Slurelie bermüßlteft, toar mein 3otu 
über Sßlabimir’S PJeba^ren fo rege, baß idj ein Deftament 
auffeßte, hteldjcS ißn fo gut mie enterbte, -fpeute toitt idj 
benörott gegen iljn begraben; er foE nidjt berührt toerben. 
Sfdfj toitt baran geljen, ftatt beS früheren, nun bernidjteten 
XefiamenteS ein neues ju errieten. 

Um nun nadj jeher .£>inftdjt mit bem Brbifdjeit abju» 
fdßließen, muß idj Dir nodj eine 3(rt fjramiliengetjeimniß 
anbertrauen, an toeldjeS ftdj mein leßter 28iEe fnüpft. 
2öol)I lönnte idj Dir baffelbe berfdjtoeigen , aber eS toäre 
mögtidj, baß ein BufaE, bauliche 33eränberungen, bie Du 
einmal an bem ©djtoffe borneljmen tooEtejt, baS ©eljeim* 
niß Dir entbedften, beffen ©efdtjidjte Du bann nidjt (ernten 
toürbeft. 

3n bem großen 33üdjerfdjrein bcS ©dßlaf 3 immerS toirft 
Du einige bidtteibige Folianten aufftnben: SBerfe über 
3Hd(jemie, 2Jtagie unb äljnlidße 3 meifel(jafte SBiffenfdjafteu ; 
berbrenne fie nidjt, beim fte ftnb baS 9lnbenfen an meinen 
2$ater, bett dürften |>ieront)mu3, ber ftdj anno 1768 biefeS 
©dfjtößdjcn neu erbauen ließ, in toeldjent icfj im Baljre 
1773 baS Sidjt ber 2Be(t erblirfte. — 3)tein SJater be= 
fcßäftigtc fiefj itt übergroßem ßifer mit jenen geheimen 
fünften, bie bantalS 3 a(jlreidje 5öeretjrer unb 9lntjäuger 
Ratten. <£r regnete fidj 31 t ben fogenannten „9lbepten", 
toeldfje ben ©tein ber äöeifeit gefunben (jaben moEten, mit 
toeld^em fie bie @o(bmacfjer(unft betrieben. 9tun, fo biel 



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ftamilieneljrc. 



ich meifj, ^at biefe ßiebhaberei beS $ater§ nur meiblict) 
©olb berfchtungcn, ftatt foldfjeS hetboraubringen. ©r liefj 
ficfj ^ier auf ©ofedf eigene ein Saboratorium Bauen, in 
meldfjern er mit einem ©e^itfen ober ßeljrer, ma§ meifj 
ich — ^ebenfalls einem abgefeimten Sfnbuftrieritter, einem 
eilten mälfdfjen SöinbBeutel — feine ©tubien Betrieb. 
üDiefeS ßaboratorium , ba§ er bor aller Söelt geheim 3 U 
Balten münfchte, mar unter einem Slheit beS ©chloffeS unb 
unter einem 2 h e tf be§ baran ftofjenben $arfe§ angelegt. 
3Der Zugang mar nur bon ber 93ibliothe! auS, mo eine 
geheime kreppe hiuabfüEjrt in ba§ unterirbifche ©etafj. 
25ie ßuft mttrbe burdfj Oeffnungen eiugeleitet, bie an einigen 
berborgenen ©teilen beS $ßarfe§ an bie Oberfläche beS ©rb= 
bobenS münbeten. 

fDiefeä ßaboratorium Befteht heute noch, unb ich teilt 
eS auch für bie gutunft als ein <£>eitigthum ber Familie 
gehütet miffen, benn mein Söater hat in jenem Staunte ba§ 
Zeitliche gefegnet. ©r mufj fcbliefjlich hoch 3 ur ©injtcht 
gefommen fein, bajj ihn ber Sllcbemift nur junt Starren 
gehabt, benn ich erinnere mich uodfj gan^ gut, bafj ber* 
felbe eines SEageS jum ^aufe hinausgejagt mürbe. Slber 
ber 33ater fchien tro^bem mit bent Vertrauen in ben 
Ouadffalber nicht auch ba3 Vertrauen pr ganzen ©olb* 
rnachermiffenfchaft berloren ju hüben, benn er [turnte fich 
eifriger als je in feine ©jperimente unb berliefj baS Sa* 
boratorium fafi gar nicht mehr. SDie Seute in ber Um* 
gegenb behaupteten fteif unb feft, ber ©djlofjherr bon 
©ofedf habe ben SSerftanb berloren, unb ich ~ ©ott ber* 
jjeihe ntir’S — ich fann mich heute biefeS SBerbachteS 




ffloman non C’vavI (*b. SHopfer. 



47 



ebenfalls nicht ermehren. 2Bir, baS Reifet mein älterer 
Stüber unb tdj, fanben ben Sater eines StorgenS tobt 
in bem ©emötbe; bie ©taSfdherbcn Pon Retorten, bie 
rings umher logen, liefen auf eine @£plofion fdtjtie^en ; bie 
tuftbidjte SE^ilr, bie nicht einmal ben leifeften (Schall auf 
bie Sßenbeltreppe beS ©emölbeS gelangen liefe, mar, mie 
gemöhnlidj, gefdjloffen gemefen, unb ber ßiiftlödtjer mochten 
moljl in bem unheimlichen ©elaffe zu menig gemefen fein, 
um ben ejplobirenben ©afen unb Kämpfen rafdj genug 
ben Slbzug zu geftatten. <So mar unfer Sater mährenb 
ber 9tadht elenbiglich erftidt. 2>ieS gefchah in ber Äadjt 
Pom 8. auf ben 9. (September 1794. ©ott fei feiner armen 
(Seele gnübig! 

Som ©efinbe mufete nur ein alter Wiener, ber bem 
Sater aufmarten mufete, etmaS Pon ber ©jiftenz jenes 
geheimen ßaboratoriuntS. Söir mottten bem ©erüchte Pom 
bebenHichen SEreiben beS (Sdfjlofetjerrn leine meiterc 9tah = 
rung geben unb Härten beSljalb and) jefet nod) nidjtS nadj 
jener «jpinftdjt auf. S)er 2)orfarjt bemieS in überaus moljt* 
gefefeter Siebe, (Seine burdfjtaudfjtige ©naben feien einem 
©ctjtaganfaHe erlegen — unb babei blieb eS and) für alle 
üErauergäfte, bie bem Seidjenbegängniffe beimo^nten. 3m 
S)orf freilich fd^mor man (Stein unb Sein, ben dürften 
habe ber leibhaftige ©ottfeibeiunS ermürgt. — Sruber 
S)ietrid§, ber nun StajoratSherr gemorben, moltte baS ganze 
©emblbe Permauern laffen; er hatte fchon bamit angefangen, 
bafe er alle bie Oeffnungen, bie in baS ©elafe hiuabführten, 
Perftopfen liefe. 3<h lonnte ihn aber nod) rechtzeitig über= 
reben unb baPon überzeugen, bafe baS ©emötbe hoch immer 



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tfamificneljrc. 



48 

eine intereffaute 9)leifn>ürbig!eit bot uub in Jhiegäaeitcn 
utib fonftigcit 0?äl)rlicl)!eiten gatta gut al§ Söerfiedf für 
fDtenfclfen ober (Selb unb Hofibarfeiten bienen fonnte, unb fo 
blieb ba8 Laboratorium erhalten. 2)ir, (Jgon, Pertraue idfj 
e$ an; Ijalte c§ in ©ffren! — Söenn SDu bie 3?olianten aus 
bem unterften $acf) be§ SBüdfferlaftenä alte fferPornimmft, 
fo mirb 2>ir in ber regten ßcfe hinten ein Heiner eiferner 
SBoljcn auffallen ; jjietje iffn IferauS, unb 2>u lannft bann 
ben ©darein offne fonberlicffe 3lnftrengung gleidf) einer Xffür 
öffnen, benn er läuft auf 9täbern unb ift mit ber geffei= 
men SIjür jur kreppe ein§. ©teigft S)u bie ©dfuedfen* 
fliege im ©emäuer ffinab, fo fontmft 2>u fdffliefjlidf an 
bie bidfe .^ebetffür, bie in’3 Laboratorium füffrt ; ffiite S)id() 
aber tooffl, bafj biefe Xlfür, nadfbem 3)u ben unterirbifdfeu 
9taum betreten, nidft ffinter 3)ir aufalle, bemt e3 !önnte 
leidet fein, bafj ber 2Redf)ani3mu3, ber baä biefe (Sifen* 
gefiige Poit innen öffnet, burefj 9foft unb fonftige 3er= 
ftörung ber 3eit Perborben märe, unb $>u toäreft bann 
unrettbar Pcrloren, benn fein nodfj fo ftarler ©dfrei bringt 
burdf) bie 2f)ür nadfj aufjen. 

Silin fei mir nodf) taufenbfältig gegrüßt unb gefegnet! — 
fernere Söeftimmungen über meinen lejjten Söitten magft 
2>u fpäter in meinem üTeftamentc nadf)fel)en. 3<$ fjoffe, 
baj} ©ott mir nodf) fo lange grift l)ier auf ©rben ge* 
toä^ren toerbe, um nodf) biefeä lefcte ©efc^äft in ßrbnung 
ju bringen. Sölabimir magft 3Du fagen, id) Ijätte ifjm 
in meiner lebten ©tunbe Peraiel)en. 

SDein getreuer Dnfel ©alPator." 



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Vornan oon ©arl ©b. Äfopfer. 



49 



„(Sr hat mir beziehen!" mieberholte ber 9Jiinifter in 
fdtjneibenbem £one, alä Herbert an ©nbe gelefen ^atte. 
„2)er gütige 9ftann ! 5tber ich fonnte ihm nicht ber* 
aeiljen — fann e§ felbft heute noch nicht! — «£>eute noch 
toeniger als bamalä," fetjte er bann halblaut Ijinau, atÄ 
fpräclje er mehr au fiel) felbft. 

„Unb fanb man ba§ in biefem Schreiben ermähnte 
Xeftament beä dürften , in meinem er fein Unrecht gut 
3 U machen fudhte?" fragte Herbert. 

„9tein ; entweber batte ber £>nfel feine 3«t mehr gehabt, 
ein foldbeS eraeuteä Seftament aufaufepen ober — er be* 
reute e§ mieber unb Oernidjtete eä." 

,;S5aä JCe^tere fann ich faum glauben, benn bann mürbe 
ber 3Fürft moljl auch bie barauf beaüglidjen fünfte in 
biefem ^Briefe geänbert, ober ba§ ganae (Schreiben neu Oer* 
fafjt haben." 

SSer 3Jtinifter aucfte bie ^chfeln unb fdfjmieg. 

,,©ie haben fith atfo mit ©gon auf gütlichem 3Bege 
über bie SSertheilung ber ©rbfcijaft geeinigt?" 

„©o aiemlidfj. ©ofedt hätte atä Majorat atlerbingS 
nadh bem ©efetje mir, bem Slelteren 3 ugefpro<hen merben 
müffen, möhrenb ©gon behauptete, e§ fei beä Dnfel§ äBitte 
gemefen, bafj er, ©gon, e§ übernehme — " 

„2)a§ fonnte er auch fetjr moht annehmen, benn biefer 
Sörief be§ dürften, ber nur an ©gon gerichtet ift, fpricht, 
mentt auch inbireft, einen foldfjen äöunfch au§. 2öem 
hätte ber ©rblaffer bie ©eheimniffe be§ ©ctjloffeä benn 
fonft empfehlen fönnen, als bem S3efi^er beffelben, feinem 
felbft crmählteu s Jtaihfolger? Ueberbieä mar bod) auch beä 
Sibliot&el. 3af)tg. 1880. «b. X. 4 



50 gamiUeueljre. 

dürften ä}erWaitbtfchaft mit bem Cnfet ©gon eine nähere, 
als bie — " 

„©enug," unterbrach ber ©raf feinen Sohn, „baS 
fcmrnt ja nun hier nicht mehr in Söetrad^t, W03U atfo 
bariiber nu|tofe SSßorte Wedjfetn! — SQöir fdfjoben bie 
llnterhanbtungen in ^Betreff ber Teilung beS ©rbeS atfo 
noch auf. 35aS geheime ©eWölbe, baS unS ber SSerfiorbene 
entbecft ^atte, er^i^te begreiflicher Söeife unfere fp^antafie 
nicht Wenig. 2öir hegten bie 23etmutf)ung, ber Onfel höbe 
bieEeicht, im testen Momente einen abweidfjenben ©nt* 
fdjtujs faffenb, fein ermähntet, nicht auffutbbareS 5£efta= 
ment in bem geheimen Laboratorium Verborgen. 9Zocf) 
cttt)a§ 9lnbereS tarn ba^u. ©S fchien unS Wohl möglich, bafj 
©ichenburg’S SJater, ber hotbberrücfte ffürft $ieront)muS, 
an ber Stätte, Wo er feinen atdfjemiftifchen Sßafftonen 
nachhing, Wenn auch feine (Scheine, fo hoch aEerlei in* 
tereffantc fReminiSceujen juriicfgelaffen höbe. 2Bir be= 
fchtoffen baher, baS geheimnifjboEe ©ewölbe in 9lugenf<hein 
3 U nehmen." 

S)ie Stimme beS ©rafen würbe hier foft tonlos, ber 
feudjenbe $them rang fidj faum toS auS feiner Söruft. 
„SEßir WoEten aber biefc Unterfuchung in einer ber nädjften 
Mächte, gana insgeheim unternehmen, um bem SBunfdhc 
beS dürften getnäfj bie $unbe bon biefem Laboratorium 
nicht in bie Oeffenttidjfeit bringen ju taffen. $ein 9Jtenf<h 
aufjer unS SSeiben Wufjte ja um baS ©eljeimnifj beS 
SchtoffeS " 

S)ie Stimme äöeraShaufen’S berfagte blöfcti<h- 

„fEtein ©ott, was ift 3hnen, Sßater?" rief Herbert 



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I K 



SRomau oon öarl (5b. Sllopfer. 



51 



liub moUte auf ihn geilen, aber ber SJtinifter ftrcdtc feine 
^änbe abmehtenb gegen ihn au§. 

„töleibe, mo S5u bift, Herbert, id^ bitte 2)idj! 3d) 
miß nicht, baß 3)u mich beritfjrft . . . ich lomme au 
einem — gräßlichen Ipunlt!" 

föiit einem rafdjen öntfchluffe trat er bei biefen Söorten 
an ben Sdhreibtifch unb blie§ bie einige brenncnbe 28ad£}§= 
ferae au§. 

„9Ba§ tfjun Sie, 93ater — ma3 foll ba£?" 

„ö§ ift beffer fo," ftieß ber SJMnifter herbor, „ich famt 
2 )ich nicht fehen bei bem furchtbaren ©eftäitbniß, ba§ ich 
SHr nun au machen höbe . . . T)öre! — 2 >ie 9iadjt bom 
1 . auf ben 2 . 3 uli mar bon uu§ aut Sluäfiihrung unfereä 
Vorhabens auäerforen. Söir aogen un§ gegen Slbeitb, mie 
fdjon oft borher, in ba§ Sterbeaimmer beä Cnfelä 3 uriid 
unb marteten, bis mir annehmen fonnten, baß 9lHe§ im 
tiefften Schlafe lag. 25amt näherten mir un§ bem intcr* 
cffanten 23tt<herf<hranf. 3<h 30 g unter 4?tlfe ögon’§ bie 
bemühten Folianten au§ bem Sradje, in metcheä ftc ein* 
geamängt maren. 3U§ ba§ 9iegal gefäubert mar, griff idj 
in bie un 8 beaeichnete öde; id) ftieß thatfächüdj auf ben 
töolacn, 30 g ihn heraus — unb maljrhaftig, mir fonnten 
ben Sdfjranf oljnelbefonberen Äraftaufmanb mit feinen 
9ioßen bon ber SBanb megrüden; abgleich acigtc fi«h eine 
Oeffnung in ber 28anb, unb mir fonnten in einen ^unä 
fchmara entgegen gähnenbett 9taum bliden. Unter ber 
Schmelle maren bie erften Stufen einer fteil fich hinab* 
minbenben Steintrebbe fidjtbar. SBir liefen auerft ben 
bumpfen, fdjmülen SJtobcrbuft einigermaßen berfliegen, 



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52 



Qfamilkiteljte. 



bann toar ($gon her drfte, ber enblitß bie Sambe bom 
©(ßreibtifcße naßm unb borftcßtig bor flc^ ßinleucßtenb btc 
Söenbettreppe ßinabftieg. 3<h folgte ißm mit einem feßau* 
bernben @effißt, ba§ mi<ß unmiElfirlicß befcßlich. 

9Int 3?uße ber Trebbe ermeiterte fteß ber enge Staunt 
einigermaßen; mir faßen un§ einer SIrt QuEtßür gegen* 
über, bie ftdj in einem feßrägen SBinfet aur ßrbe neigte, 
ßgon rüttelte baran, aber fte blieb unbemeglicß, gab nießt 
einmal auf unfer ^oeßen ben Mang bon fteß, ber auf 
einen baßinter beftnblicßen leeren Staum hätte f erließen 
taffen. <£gon gab mir bie ßambe au hatten unb unter* 
futhte bie eiferne 5£ßür genauer. CEnblicß fanben mir bie 
beiben feßmeren Stieget unb fonnten fte, bie halb eingeroftet 
in ben Moben ftalen, aurüdfeßieben. Siacßbent mir nodj 
eine Minie aufgefeßlagen , bie mit ber StebcrSfeite ber 
5£ßür in SBerbinbung mar, gelang e§ un§ feßtießließ, mit 
bereinten Kräften bie fernere Mabbe emboraußebeit. Sin 
ber SJtauer mar ein gebahnter, bemegtießer Maßn att= 
gebracht, in meteßern mir bie Stßür, bie nießt gana aurfid* 
aufdjlagen mar, befeftigen fonnten. <5in aiemlicß fteit 
abfaEenber @ang ftarrte un§ entgegen unb ßaueßte un8 
mieber ben moberigen SSrobent in’8 (Seftcßt. 2öir unter* 
fueßten bie Smtenfeite ber biden, amifd^en ißren difen* 
mänben boEftänbig mafftb auSgegoffenen Ißfir. ©in Heiner 
4?ebet baran feßte bie äußere Minie in Semegung, felbft* 
berftänblicß aber nießt ben SJoßbeltiegel , ber nur bon 
außen gefcßloffen ober geöffnet merben lonnte. 

3)ie bumbfe Suft, bie au§ bem abfeßfiffigen ®ang herauf* 
brattg, mürbe un§ unerträglich unb broßte bie Sarnbe au 




jRomon oou Sari Sb. Älopfcr. 53 

toertöfdhen. Sßit mufjten alfo borläufig nochmals um» 
lehren. 9iadhbem toir oben im 3 immet getoartet, bis fich 
bie fdhledhte, ein IjatBeä ^abrbunbert ^tnburc^ ba unten 
eingebrefjte 9ltmofPbäre bezogen batte, malten toir unä 
neuerbingS auf; Egon toieber boran mit bet Sampe, ich 
bidht auf feinen Werfen. 9113 er fdhon einige ©tufen auf 
ber £reppe ^inaBgefltegen toar, toanbte fidh ber Setter 
3 U mir um: „9timm ben 9Irmleudhter mit, Sötabimir, 
toir Jönnen bie Äer^en bielleidbt braunen, toenn mtS bie 
Sampe unten bertöfcben fottte. $dj gebe einfttoeiten bor= 
au3/' — 2 )amit flieg er toeiter binab. ^dh toanbte midb nach 
bem ©dhreibtifdh, um baS Verlangte 3 U beforgen. SBäb= 
renb idj bie Äerjen an^iinbete, ftieg eine nicht gan 3 flate, 
aber furchtbare Sfbee in mir auf. 3 d) fdpüttelte mich, 
al§ fönne ich bamit biefen ©ebanJen bon mir abftreifen, 
aber eine fatanifdje ©timme toifperte mir unaufbörlid) 
ettoaS in ’S £%, baS mich bom ©cbeitel bis <$ur fferfe 
erbeben tiefj. SBanfenben ©djritteS ftieg idj, ben $an= 
belaber bodh battenb, bie SBenbeltreppe binab — Egon 
nach- Sei jeher ©tufe, bie ich tiefer Jam, fteigerte fidj 
meine fieberhafte 9lnfpannung, mein ©d^äbel brobte mir 
3 U aerfpringen unter bem einzigen ©ebanlen, ber unauS» 
gefept barunter gliibte. 9lHe bie Erinnerungen an meine 
qualboEen ©tunben, bie idh bem CnJel unb Egon 311 
banJen batte, burd) 3 ogcn mein ©epim ; bie ©eftatt 9lure= 
lien’S lächelte mir fo berfübtetifdh 3U, bottenbete mit einer 
be 3 eichnenben ©ebetbe baS, toaS frdh als entfestiget 5ßtan 
langfam in meinen ©ebanJen 3 ufammenfepte. Ein toilber 
fRadjeburft flieg in mir auf, eine ©ier, bie fidp bämonifdj 



1 



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54 



ffamilienebre. 



auf bie ©eftalt ©gon’S heftete, auf iljn, ben tcf) als ben 
eigentlichen .fterftöter meines ©IfidfeS betrauten muffte. 
9hm ftanb idj plö^lich unten bor bent ©ingang in baS 
ßaboratorium. ©in fdjtoadjer ßidjtfdliimmer brang aus 
bem geneigten ©ang herauf — ©gon hielt unten im ©e* 
toölbe Umfcljau. HJteine Ringer 3 udften — ich fühlte mief) 
bom 9tadjeteufet gan^ unb gar erfaßt, aber idj toagte 
leinen Stritt, feine ©etoegung, toeil ic(j muffte, toaS 
bann gefcfjeljen muffte. 9Jtein 33lidf ftarrte unbemeglidj 
in ben ©ang hinab ; ber füioberbuft, ber fjeraufbrang, 
legte fleh brütfenb um meine Sinne, ein eiferner 9ting, 
ber fidj mit jeber Sefunbe immer mefjr jufammen^og, 
fchien meine $ef)le 3 U umfcJjnüren; bie ßieffter meines 
ßeucffterS flatterten unruhig l)in unb f|er unb färbten ftdj 
blutrot!} ... S5a mürbe ber ßampenfdjein bor mir beut= 
lieber, greller — ©gon erfdjien unb blicfte 311 mir auf, 
als toolle er mic§ fragen, marurn idj fo lange fäumc; 
mein 9luge mar feft in baS feine gebeert, ba fal) idj il)n 
plötftidj erfcJjredfen unb erbleichen — moljt über ben SluSbrutf 
meiner 5)tiene — er fchien eS jäl) 3 U begreifen, maS midi} in 
biefem Moment betoegte. ©r fiiefj einen fcfjmadjen Schrei 
aus unb tüollte f)eraufftür 3 en — ba rif$ ein $)ämon meine 
£anb, meinen 2 lrm empor — iclj fühlte ben Äraljn, ber 
bie 0raHtl)tire hielt , in meinen Ringern — ein fcIjmereS, 
buntpfeS Äraren, baS im feijaurigen ©d^o miberljaltte — 
ber ßithtfdfjein bon ©gon’S ßampc, ber ©ang bor meinen 
Sfugen mar berfdEjtounben — idj lag mit meinem Körper 
auf ber eifernen Ontltfjfir; bom ßeudjtcr, ben icfj um» 
ftammert Ijielt, tropfte baS Ijeiftc SSacf) S auf midfj f)crab — 



I 



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Vornan non Garl Gb. ftlopfer. 55 

jeher tropfen Brannte tote glüBenbci Stet, tote eine mitl/lenbe 
2)oldBfpitje auf meinen <£>ünben. 3dj fdjtoöre 2)ir, ^er= 
Bert, märe in biefent SlugenBlid nur her geringfte Saut 
au§ her £iefe zu mir gebrungen, ein nodj fo fdjtoadjer 
SammerfdBrei be§ UnglüdlidBen — idj Bütte iBm geöffnet, 
idj Bütte bie gatttBür toieber aufgezogen. — 2)ie laut= 
tofe ©title, bie midB umfing, fcBiett mir <£>oBn — .£>oBu 
auf mein fdjaleö, obeä SeBen; her alte .fpafj flammte 
toieber in mir auf — icB ftieB mit üBermenfdjlicBen 
Äraften ben erften — ben zweiten Siegel in ben JHoBen — 
icB faB nodj bie $linfe fid) rafenb fdjnett Betoegen — her 
SSegraBene mufjte unten toie maBntoiijig baran rütteln — 
aBer jeijt toar mein SJtitleib erlofdBen; idj lüdBelte über- 
bau oBnmücBtige ^Beginnen Ggon’3 — ein unenblidj be= 
friebigenbeä ©efüBl gefättigter tftadBe burdjriefelte midB- 
3cB überzeugte midB nodjmatä, baB bie XBür feft öer= 
rammelt fei, bann raffte id) midB auf — unb ftieg bie 
kreppe empor." 

S)er ÜJlinifter fdjtoieg — audj Herbert unterbradj bie 
©title nidBt einmal mit einem BötBaren SttBemzug. ©o 
ftanben ftdB SSater unb ©oBn gegenüber — morttoä, oBne 
baB Giner ben Slnberen Bütte feBen Jönnen. 

„äöarum fpridBft SDu nidBt“?" feuchte ber 9Jtinifter 
enblidB B erb0 *- 

Herbert fdBtoieg ; nur ba§ einförmige &iden ber SQßanb* 
nBr toar im ganzen SBiBliotBelzimmer OerneBmBar. 

„|>öre toeiter! — 3dj Butte meinen $pian Oollftänbig 
fertig, al§ idB in ba§ Simmer be§ Cn!el§ zurüdfeBrte; 
e§ mar, al3 Bütte ber unftdBtbare ©enoffe, ber ba unten 



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56 



ifatmftettefjre. 



im ©etoötbe an meinet (Seite fianb unb meinen teilten* 
tofen 9trm tentte, bcn ganaen $tan für ntid^ in aller 
©djneltigfeit auägetjedt unb mir jc^t mit einem State 
eingebtafen. Stit bottfommener Mfe fdjritt idj über 
ben Äorribor unb ftieg bic Hintertreppe nach bem ^art 
hinab; ich öffnete ba§ ©tattthor, legte ©gon’3 Wappen, 
ben er oft au feinen nächtlichen ©paaierritten beftieg, 
©attel unb ^aumaeug auf unb 30 g ihn mit mir hinaus — 
burd) ben ©arten — tjinauä auf bie ©trabe — ber 
SLeufeXSfd^Xud^t 3U. Hart am Slbljange blieb ich ftetjen 
unb Xaufdjte nach alten ©eiten — allenthalben feierlichfte 
Ütulje, nur ber Sadhtteinb rafdhelte im ©eateeig ber Säume 
unb ©träudfjer, bom ©runb ber ©dhtudht tönte ba§ ©e= 
tofe beS teilben SöafferS tjerauf. 5Der Slottb bertroch ftdj 
hinter einer 3öolte, aus bem tbaufeudjtcn StooS, ba§ ben 
9ianb ber ©d^Xud^t bebedte, fd^icncn Sebet emporaufteigen, 
teetche fich bumpf auf meine Stuft legten. 3d) gitterte 
an Hönben unb $üben, aber ich mubte mein SBer! bolf= 
enbcn, teenn eä mich nidjt betberben fottte. ^dj wfftc 
midj auf unb [djiütelte ben froftigen ©dhauer bon mir 
ab; ich trieb ben Wappen mit ber tpeitfctje borteärtS — 
er bäumte ftch teilb auf unb freute bor bem 9lbgrunb — 
aber ein neuer faufenber H^b mit @gon’ä Reitgerte, ein 
jäher ©tob ~ baS Sfetb ntadjte einen geteattigen ©ab 
unb berfdhteanb in ber SSiefe . . . 2)aS llebrige ift SMr 
belannt; man fuchte @gon am nächften borgen, id) felbft 
führte bie Seute aut ©d^Xud^t, 30 g ©gon’S fReitpeitfdje 
au§ bem Serfted im ©ebüfdtj, in tt>eXd^e§ ich fie gebracht 
hatte — hob einen mitgebrachten Hanbfdhuh bon ihm teie 




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Vornan von Sari Sb. Stopfer. 57 

pfällig steiferen ben IjalB im fDioog Perborgenen Steinen 
anf — ein gtüdflidjeg Ungefähr toar mir fotoeit au Statten 
gefommen, bajj ber SabaPer beg 9ieitpferbeg auf einem 
nod) ftcfjtbaren ^relfenPorfprung l)ing — fur 3 , eg toar fo= 
fort in bie Slugen fpringenb: fötajor Egon b. 2öem§= 
Raufen ift nadfjtlid§er SBeite fammt feinem üUjiere in bie 
Sd^lud^t geftürat." 

SBieber fjielt ber SJtinifter inne, alg toarte er auf eine 
Steuerung feinet Soljneg. 

„S3ater," Begann biefer enblidj, „Sie l>aben midi) mit 
2fljren furcfjtbaren Eröffnungen für immer in meinem 
Snnerfien gebrochen. 3dfj toage eg jejjt faum meljr, bem 
geringfien SSettter in’g Sluge au bliden!" 

„SSa§ toürbeft $>u erft fagen, mein Soljn," fuljr ber 
fÖtinifter leife fort, „toenn meine Sctjulb — ba§ fernere 
©eljeimnijj ber Familie SGßerngljaufen — ber Ceffentlicfj* 
feit preiggegeben toürbe?" 

„SSie?" fdjrie Herbert auf. „3ft bieg möglidj? 2llfo 
barum jeneg SDemifftonggefuclj, barum Sffjr 23efenntnifj 
mir gegenüber? Sie finb entbedft, ber fDtafet unfereg 
^aufeg ift offenfunbig? — Spreizen Sie! Ober foÜ idj 
3för Sd§toeigen alg bie fürd^terXid^e SBejaliung beuten? 
£), bann bleibt ung SSeiben nidjtg übrig, alg — " 

„Söeruljige 2)idj, Herbert, nodj ift biefer äufjerfte SrciTt 
nicf)t eingetreten — aber toir fielen Pietleid£)t nict)t toeit 
bapon — toenn SDu SDidj niefjt in’g Mittel legft." 

„SDBie bag? Sprechen Sie, 33ater!" 

„|)öre toeiter ! — SDu toeifjt, ba| idlj bie ©räfin Sturelie 
ein Sfaljr, nacf)bem fie Söitttoe getoorben, alg meine atoeite 



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58 



tfatnilienebre. 



©attin ^cimfü^rtc, S)u meifjt, baff SXureXte bon bem 2age 
an als geiftig geftört galt, an melchem fie ba§ einzige 
$inb ©gon’S, ihren |>an3, bertor, ber tfödlft mahrfchein* 
lid^ toirlltdj in bic £eufet§fchtud)t gefüllt ift, in beren 
Umgebung er fo gern fpiette. — ©enug, über biefe ganzen 
©efebithten bat bie Beit ©ra§ machfen taffen ; $an3 mürbe 
mit feinem Später geridjttid) für tobt erttürt ; ba§ fffa* 
milienbrama gerietb nach unb nadj in SSergeffenljeit — bis 
borige SBodje bie arme Sßahnjinnige ftarb ... 3dt) muffte 
nicht, baff ber ©runb au ihrer ©eifteäftörung fchon ein 
3fabr oor bem 33ertuft be§ Änaben in fie gelegt morben 
mar, icb hatte leine Sitzung, baff Sturelie — ba§ ©e= 
beimnifj bon ©gon'3 Zob lannie . . ." 

„SOßie*? S)ie (Stiefmutter muffte barum?" 

,,©ie batte e§ erratben. £>, menn ich nur bie teifefte 
Bbee bon ihrer ÜJlitmiffenfd§aft gehabt hätte! ©ie hinter* 
lieb ein STagebudj — in ihrem ©cbreibtifche, baS geftern 
SDein 9ted)t§anmatt, ber 25oltor Brenner, auffanb." 

„SUj! — Unb er hat getefen, 9tltc§ erfahren?" 

„2ltte§. Söir befinben uu§ mehrtoä in feinen Rauben, 
ftnb bon feiner ©nabe abhängig. @r broht, bie furcht* 
baren Rapiere au beröffentltiben, meinen, deinen tarnen 
an ben Pranger au febtagen — menn mir nicht bie bon 
ihm geftetTte S3ebingung erfüllen motten, um feine S)i§= 
fretion au erlaufen." 

„2Ba§ bertangt er?" 

2Bern§baufen hielt einen 2tugenblid inne unb überlegte, 
bann gab er bem ©ohne einen genauen Bericht bon ber 
am borgen amifdjen ihm unb bem 9lbbofaten ftattgehab* 

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SHoman oon 6arl 6b. Klopfer. 



59 



ten Unterrebung unb nannte i|nt ben 5j3rei§, ben Xrenner 
für fein ©djmeigen bcbungen hatte. 

„Unb ©ie haben eingemiEigt, in meinem Planten au= 
gejagt 1 ?" ftammelte Herbert, aitternb bor 3orn. Xie 9tarbe 
an feiner ©time färbte fidj blutroth, feine 3ähne fnirfcfjten. 

„9iein, mein ©ohn, baä moEte ich Xir überlaffett. 
Xrenner gibt un§ noch eine -fjenferäfrift — bi$ morgen 
Nachmittag. 9lEe§ liegt in Xeiner $anb" 

Herbert feufate fchmeralich auf unb fchtoieg. Xer 
Ntinifter trat langfam bor unb ftetfte bie 2öa<h3fer3en 
auf bem 9irmleu<hter an. 

„Nun, Herbert," begann er nach einer Tarife, „100311 
toiEft Xu Xich entfchliefjen, toa§ gebenfft Xu 51t thun?" 

„ßaffen ©ie mich ba§ ©rä^tid^c erft überbenlen," fagte 
Herbert bumpf, mit bem borgeftrerften 9lrm feine Nugen 
befchattenb. ,,©ie felbft glaubten btircb ein Sljnen bom 
Cnlel gugefügteg Unrecht bie ©eredjtigung au einem 93er* 
brechen ermorben au haben — unb berlangen nun bafür, 
baff ich, ber ©cijulblofe, bafür mein ganaeg £eben bergiftc. 
SBenn ich nun bie 93erantmortung abtoeifen mürbe, menn 
ich, unfere Familie ihrem bon 3th nen heraufbefd^morenen 
©chidfale überlaffenb, mit Srene fliehen moEte, bergeffeu 
moEte, baff auch ich ben tarnen eineg ©rafen b. SBerng* 
häufen trage, ben ©ie für immer gebranbmarlt haben'?" 

Xer Ntinifier liefj ben $opf auf bie ©ruft herab* 
finfen, er magte eg nicht, bem ©ohne eine ©egenborfteEung 
gu machen, er fühlte, bah ber ihm augefdEjleuberte 93or= 
murf ein nur au gerechtfertigter*"’ ’ • er fanb leine 9Borte, 
bie gegen ihn erhobene Nnllar V iaa entfräften ; boE unb 



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60 



^amiliene^rG. 



gana empfanb er bie SBitterfeit ciite§ SBaterberaenB , baB 
ftcfj bor bern eigenen Äinbe bemiitbigen mufe. @nbltch 
30 g er fidj geräufcbloB aurittf unb berliefe baB 35ibliotbe!= 
3 immer burcb eine ©eitentpr — ben ©obn mit feiner 23er= 
3 toeifIung allein laffenb. 

Herbert batte fein £af<bentuib an bie Singen gebrefet 
nnb atmete fcfjtoer. (Sr artete nicht barauf, bafe ber 
SSater binauB ging; fiumbf iiberliefe er ftc^ feinem ©djmerje, 
ber ihn im Verlaufe bon !aum einer ©tunbe im Sfnnerften 
gebroden butte. StegungBloB fafe er ba. (Sr bemerfte eB 
auch nicht, atB fich bie ©eitentpr toieber öffnete unb ber 
fDtinifter, ein aarteB 9ftab<ben an ber «fjanb fiibrenb, leife 
in’B 3immer trat. 

S5er ©raf neigte ftcfj 3 U bem Äinbe betab, baB mit 
feinen großen Slugen erfäjrecft unb berf<büd§tert auf|)er= 
bert fab, ber ba aufammengefunfen auf feinem ©tuble fafe. 

„©ehe bin, mein $inb, umfcblinge ben $alB S)eineB 
S3ruberB," fagte SöernBbaufen leife, mit bebenber ©timme, 
„unb flebe ibn an, SBarmberaigfeit 3 U üben ; i(b, 35u, mir 
Sitte, $amifta, bäugen jefet bon feinem (Sntfdjluffe ab." 

2)ie kleine toufete nicht, unt toaB eB fxdj bunble, fte 
begriff nicht, toaB man eigentlich bon ihr toollte, aber bie 
toebmütbtgen Söorte beB SSaterB, ber fcfjmeraliche ©eficfjtB* 
auBbrutf beB SBruberB, ber jefet feine ^änbe bom ©eficbt 
berabfinfen liefe unb fte mit einem unbefcbreiblidjen 33lid 
ftreifte — baB SlKeB brängte fich in ihrem linblidjen 
fersen 3 U einem ahnungBboEen ©cbntera aufammen, ber 
ibr bie betten Spänen in bie Slugen trieb. 

„Herbert!" rief fte toeinenb unb ftürate fich in feine Slrme. 



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Oioman oon 6arl (*b. JHoufer. 61 

2>te unaufZaltfant Zerborbringenben frönen erftidten 
iZre meiteren SBorte. Rettert bag junge SJtäbcZen 
frampfZaft mit feinen 2lrmen umfcZlungen, mätjrenb iijn 
felbft ein mitbeg ScZludZaen erfdjütterte. 

SDer 5Jtinifter manbte fld^ ab ; er füfjlte, bafj er feinen 
Streit Zabe an bem gezeitigten ScZmerj beg ®efcZtoifter= 
paareg, bafj er auggefdjtoffen fei aug biefer reinen Seelen- 
bereinigung, in toetcfjer bie $inber bag 2)erbred)en iZreg 
Sßaterg betoeinten. 

„Sei rutjig, kleine," flüftertc Herbert enblicZ, fein ®e= 
fitZt aärtlidj auf bag btonbe Sotfentjaupt ber ScZroefter 
briitfenb, „2>u foEft nichts bon bem ßeib erfahren, bag 
meine 33ruft burcZtoüZtt. S)u fotCft nicZt mitgeriffen mer= 
ben in ben 2£6grunb, 35ein reineg foE nidjt bergiftet 
tnerben, S)u foEft glücfticZ toerben!" 

ÄamiEa berftanb ben Sinn ber Söorte nicZt, meldje 
ber SSruber tjalbtaut bor fid§ ^in murmelte, fie erriet^ 
nur fo biet, bafj fie iZn umgeftimmt Zd6e, toie eg ber 
33ater bon iZr bertangt Zatte. Sie fdjlang beibe 9lrnte 
um feinen 9ia<fen unb tiijjte iZn. 

©nblidZ mad§te ficZ Herbert fanft log, ftricZ ber Sd^toefter 
bie £aare aug ber Stirne unb ftanb auf. 

„Äomm, 35u barfft nicZt länger Zte* bleiben, an 2)i<Z 
foE unfer SöerZängnijj nid§t rttZren fönnen. ©eZ’ Zibiiber 
3 u gräutein SPrud, eg ift fpät gemorben." 

S5amit brücfte er einen testen $ufj auf ÄamiEa’g 
Stirn unb führte fie aur 3:Z üre - 9tocZbent ber leidste 
SdZritt beg fEtäbdfjeng in bem ^leben^immer berZaEt mar, 
manbte ficZ Herbert mieber um, nadj bem SJatcr. 



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62 



ftamüienebrc. 



„SBentt idj mich überhaupt entfd^liefeen fann, baS 
Pertangte Cpfer <ju bringen, fo banfen ©ie eS biefent un* 
fdjulbtgcn $inbe," fagte er ernft, unb ohne ben SJtinifter 
ait^ufe^en, Perliefj er baS 3intmer. 

gioölftcs Kapttd. 

Per g?reiwb. 

Südjarb 3joEbred)t fab in ber nun bon i^nt aEein 
betoobnten *Dlanfatbeitflube beS SiübenbofeS, eifrig mit 
feiner 2ageSarbeit befdjaftigt, toetdje ihm toenig 3^it lieb, 
über bie entfdjtounbeuen fdjöncren feiten nadjjuftnnett. 

S)er junge ©dfjriftfteEer b a üe enblidj *Etufje gefunben, 
fidj feiner SieblingSibee $u toibmcn, ben 9toman fort^u* 
fe^en, baS äöetf, auf toeldjeS er bie fd^önfteu Hoffnungen 
fejjte. 

Slber je mehr ber Nachmittag borrüdte, befto mehr 
freien Nidjarb’S SlrbeitSluft $u erlahmen. Smmer öfter 
hob er ben $opf bont Rapiere unb fab bor fidj hinaus 
burdj’S Sanfter auin Herbftbimmel empor. Unb toenn er 
fidj bann getoaltfam ^toang, toiebcr $ur Arbeit prüdp* 
lebten, fo fonnte er ftdj bod) feinen neuen Eifer einimpfen, 
©eine ©ebanfen fdjtoeiften unabldfftg bon ber Nidjtung 
ab, bie er ihnen <ju geben bemüht toar, bie Qreber ftodte 
nadj jeber ^eitc. Er erhob ftdj öfters, um nach bent 
ätoeiten f^enfter ju geben, auf beffen S3rett bie ©onnenubr 
angebracht toar, bie bem 5ßoeten in Ermangelung einer 
Safdjenubr als gdtmeffer biente. Nber heute toar biefeS 
febr gefdjidt angelegte ©ebilbe aufjer Xbötigfeit gefegt, 
benn fein notbtoenbigfter töebelf, bie fjfrau ©onne, büßte 



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SJtoman uon Gart (5b. Klopfer. 



63 



fid) mit tjartnddigem ©igenfinn in fdjtoere graue Stegen* 
toolten unb tooKte fid^ nidjt aeigen. 

(SnbUd) fomtte Sticljarb beftimntt annetjmen, bafj bie 
bon iljm fo feljnlicfjft tjerbeigemünfctjte ©tunbe angerüdft 
fein trtüffe. ßr marf bie ^eber ijitt unb berliefj bie ©tube, 
in bie befdjeibenen SBoljnrdunte feiner Sßirtpleute l)inab= 
fieigcnb. 

Sßoltbredijt Ijatte für bie Äan^tei be§ Softor Brenner 
Äobirarbeiten übernommen, meldje iljm ber alte Söalfer 
jeben Sag nadj ©djlufi be§ SSureau’g mit Ijeintbrad)te. 
äöaren biefe Arbeiten, bie fcljr lärglidj bejaht mürben, 
audj nidjt baruadj aitgetljan, beit ©eift be§ ©djrififtellerä 
51 t ergeben unb an^uregen, fo bradjteit fie bodj menigftenä 
jo biel ein, al3 S3oEbred)t jur Seftreitung feiner anfprudjä* 
lofen 23ebürfniffe brauste. Ueberbieä boten fie üjm ©e= 
Xegen^eit , täglich mit ber Familie Söaller au berieten. 
Stidjarb maren bie Sßlaubcrfiunben beim Slbljolcn feiner 
Sageäaufgaben nadj unb nadj jurn S3ebürfnifj gemorbett, 
feitbem er bie Sttanfarbe al 8 ©inftebler betooljnte. SJtit 
ben Sfreunben beä SJiufenljofeä traf er nur am 3ttittag3= 
tifdje aufammen, ba meber SBurm, ber enblidj feine Steliefä 
in Singriff genommen, nod) ©tantVfel, ber ben ganzen 
Sag bor feinem üßiano fafj, Seit fanbeit, nadj bem ^inter= 
gebdube aunt 33efudj $u lontnten, mie früher. Ser 33e= 
rid^t, ben ber Älabierbirtuofe über S3ranbt unb feine ab= 
meifenbe Haltung gegen bie früheren ©enoffen geliefert 
Ijatte, fonnte natürlich audj nid§t baau beitragen, beit 
©djriftfteüer befonber§ Reiter au jtimmen. ©0 Ijatte er 
fidj allmdljftg immer nte^r aurüdgeaogeit uitb redjtfertigte 



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64 



^Qtmlieneljre. 



beinahe ben ©pt^noinen „ber Älaugner", beit itjm bie 
muntere Äünftlerfchaft angehängt hatte. — 

33oßbrecht bo^te fdfiüchtern an bie 2hür. S)a8 „.fper* 
ein!" au§ einer meiblidjen Äe^le liefe ihn etmaä ^ag^aft 
aurttcfmeidljen ; mie, füllte $err äöalfer mirflidfj noch nicht 
au ^)aufe fein? S)ann mufete Nictjarb mohl fffräulein 
Charlotte allein treffen, benn ^rau SQÖalfer hatte er fchon 
bor einer Stunbe mit einem großen 5ßacfet burch ben £>of 
gehen gefe^en; fie lieferte mohl ihre Näharbeiten ab. 

2ll§ er bie Schmeße betrat unb eben feinen ©rufe bor» 
bringen moßte, nidfte ihm £ottcf)en bon intern STifd^ her 
au unb legte ben Ringer, jur Nulje mahnenb, an bie 
Sippen. Nidfjarb fah fich berbufet um unb gemährte ben 
alten (Schreiber, ber auf bem altmobifchen Sobha lag, 
ein £uch über’3 ©eficijt gebreitet, unb au fdjlafen fchien. 

„2 Ih, 3th r £err 23ater fd^läft — ba miß ich nicht 
ftören!" 2)amit machte er Ntiene, ftch aurüdfaujiehen. 

„33itte, «fperr 23oßbrecht, bleiben Sie nur," fagte 
Sottdfjen leife unb fchob ihm einen Stuhl hin. „Sie fom» 
men, um 3hre eilten abauholen ? S5er 93ater hat fie bort 
auf bie Äommobe hingelegt, aber ich glaube, er hat Sfhnen 
noch einige 33emerfungen über bie 2lrt unb SQSeife ber 
©rlebigung ju machen. Söenn (Sie aber feine Beit ber» 
lieren moßen, fo fann ich ihn ia auch meefen, bafe Sie 
gleich an bie 2lrbeit gehen fönnen — " 

„Nein, nein," miberfbradt) S3oßbrecht eifrig, mährenb 
er neben bem Nläbdfjen 5ßtaf} nahm, „ich fann gana gut 
märten; c§ märe fchabe, ben alten $errn au§ feinem 
Schlummer aufauftören." 






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Vornan non Sari Sb. Klopfer. 



65 



„3a, IRuhe thut ihm mahrlich noth, nachbem er fchon 
faft eine ganaeSöoche hiuburdtj feinen guten Schlaf mehr 
gehabt hat. 3$ fürste, er toirb franf merben. 3<h hörte 
ihn in ben lebten Mächten mieberhott ftßhnen. «fpeute 9iach= 
mittag, alg er nach |>aufe fam, fiel mir gleich feine SBläffe 
unb feine mübe Haltung auf. Sr leugnete jmar ein 
Uebelbefinben, aber id£j bin gemifj, er thut bieg nur, um 
ung feine Sorgen au machen. — O, <£>err SoHbredjt, ich 
benfe mit Schaubern baran, mag merben füll, menn er 
ernfttidj franf mirb. Sr hat fidh in feinen alten £agen 
au fehr angeftrengt unb bebürfte unbebingt ber 9iuhe, 
auch bie Butter ift f<hoit betagt unb bie fortgefepte 5lr= 
beit mit ber 9iabel mirb ihr fauer. O, mie gerne moKtc 
ich £ag unb 5iad§t tfjätig fein, um ihnen jebe 2Kühe unb 
Sorge au erfparen, aber Sie miffen ja, mie farg bie fötobe* 
maarenhänbler beaahlen, reicht bodj felbft je^t unfer brei= 
facheg Sinfommen nicht ^in, Srfparniffe aurütf aulegen." 

£ottchen feufate ferner auf unb führte ihr Sluch an 
bie geröteten äugen. SBoUbrecht betrachtete fie OoE 
Üheilnahme. 

„Slrmeg $inb! Sie haben ferner au tragen." 

„O, noch nicht, noch nicht ! Slber mie bann, menn 
meine ^Befürchtungen eintreffen, menn bie guten Sltern . . . 
nein, ich mag gar nicht baran benfen! Unb menn Sic 
nur fehen fßnnten, mie fefjr ben SJater bie Sorge bebrücft, 
obgleich er eg mir ängftlicfj au berbergen fucht. Oft, 
menn er mir gegenüber ftfjt, fühle ich fein Sluge auf mir 
ruhen unb felje feine bcfümmerte Eftiene, höre bie ber= 
ftohlenen Seufaer, bie fi<h aug feiner gequälten 33ruft 

Sibliotljef. Sofirfl 1880. Sb. X. 5 



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G6 ftamilienebre. . 

ringen, ©eftern enblidj berlieb er feinen ©ebanfen Söorte. 
2)er gute 93ater ängftigt ficb um meine 3ufunft ; er [teilte 
mir bor, bafj id) bie Äraft meiner Sugenbjabre berfptittere 
mit einer Slrbeit, bie Jaunt ben nötbigften £ebenSunter= 
halt abtoerfe; er Jam, toaS er fonft ftetS a u bermeiben 
ftrebte, auf unfere bergangene 3eit au fpredjen, als er 
noch ein angefeljener, too^abenber Kaufmann getoefen." 

„3db glaube gehört au hoben, bafj ^»err SBalJer burdj 
einen betrügerifeben Kompagnon fein ganzes Vermögen 
berlor?" 

Gljarlotte nidte unb trodnete fidf) abermals bie 2lugen. 

„3dj foeifj, morauf er mit biefen traurigen 33etradj= 
tungen absielte. @r fpradj eS enblidj and) aus." 

„SBie? 3b* Später ^at alfo einen beftimmten Sßlan 
über 3b* e Brunft gefaxt? S)arf ich bieHeidfjt, menn 
biefe 33itte nicht tnbiöfret ift, babon buffen?" 

„Söarum füllte ich eS 3bnen befehlen, ber Sie fo 
großen Slntbeil an uns nehmen," ertoieberte @barlotte. 
„*Dtein 33ater beutete barauf bin, bafj icb bereits neun« 
3 ebn 3fabre a ä b^, bafj ich nicht etoig im ©Iternbaufe 
bleiben Jbnne, Jura — " 

„@r fpradb bon — einer ^eiratb?" rief SMbrecbt 
taf(b, erfd^raf aber gleich barauf über feine #eftigJeit, 
bie ütottdjen’S Später aus feinem Schlummer foeden unb 
bei feiner Tochter 23efremben erregen Jonnte, aber a« 
9ticbarb’3 ^Beruhigung gefcbab feines bon beiben. 

„3a," fagte baS 2Räb(hen unb lebnte ficb in ihrem 
Stuhl an^'üd, bie Näharbeit in ben Scbojj finlcn laffenb, 
„ja, baS tuar’S, toaS ber 23ater meinte. 3<b fuct)te il)n 



Vornan non Gart Orb. Stopfer. G7 

3tt)ar fofort bon bem Sterna abaubringen, mag mir auch 
mir!li<b gelang, aber ich meifj bodj fcbr gut, mag für 
eine 9Jtittfjeilung er mir noch machen mollte." 

©ie meinen, bafj |>err SJatfer fdjon einen Äan* 
bibaten für — jene gemünfchte $eiratb in Sorfdjlag hätte 
bringen motten?" 

„3cb fürste, ja. ©o oft ich bem Sätet bag 5rüb= 
ftücf nach bem Suveau braute, juchte fich mir einer ber 
ßonaipienten, ein gemiffer Stunt, au nähern. Gr mufjte 
mich in'g ©efpräcb 3U aietjen unb mich fonft auf alte er* 
benttid§e 3lrt aufauljalten; aber alg er enbtidt) in feinen 
Semerbungen beutlicber mürbe, fuc^te ich itjnt au§au= 
meinen. 3cb bat bie Siutter, mir bag ©efcbäft abau= 
nehmen, um bag Sureau nicht mehr betreten 31t müffen." 

„Unb jejjt, glauben ©ie, tjat fi<b ber nnerfd^üttertic^e 
Söerber trofc 3ft)rer abtebnenben Gattung an 3tf)reu -fpervn 
Sater gemanbt?" 

„<£g fcbeint fo." 

„|>m!" 9ti(barb übertam ein tebbafteg ©efübt ber 
Unruhe. Gr fcbien nacbaufinnen, ftreifte aber feine 9tacb* 
barin mit einem forfcbenben Sticf, alg fcbeue er fidb, bag 
augaufprecben, mag ibnt auf ber 3unge lag. 

„3?inben ©ie beu Sotfcblag, ben 9tatb 3b^§ Saterg 
mirtticb fo unannehmbar? — 3ft jener -jpetr Slum Diel* 
leidet fdbon ein alter Staun ober ein Gbarafter, mit 
met ehern ©ie nicht fpmpatbifiren fönnten?" 

„$ert Slum ift faum SDreifjig, unb mag feine @emütb§= 
eigenfehaften anbelangt, fo fenne ich ihn au menig, um 
überhaupt ein Urteil nach jener ^infiebt fällen au lönnen, 



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68 



gamilienehre. 



idj glaube fogar, er meint eS mirflidj ehrlich unb T^ätte 
ben reblidhen äöiüen, baS arme SDtäbchen, baS er hoch 
unmöglich auS digennuf} nehmen mürbe, als feine ©attin 
fo glücflich a« machen, als er eS bermag." 

„9lun," meinte ber Siterat aögernb, „bann tonnten ©ie 
ja immerhin ben SJerfuch machen, ihn näher tennen au 
lernen, biefleidht bermögen ©ie iljn nach nnb nadj — lieb 
au geminnen. ©omit ift Syrern SSater nur 9tedf)t au geben, 
menn er 3ftjnen räth, ben Eintrag biefeS SflanueS in @r= 
mägung au aietjen." 

2)aS blaffe ©eftcht beS jungen 9Jtäbd^en§ röthete ftdC) 
jäh bei biefen SBorten. ©ie neigte fidj auf il>re Arbeit 
herab unb bermieb eS, ben ©predjer anaufehen. 

„S<h ^offe bodj, mein Fräulein, ©ie fe^en baS Sßrat» 
tifdje beS bätertidijen 9tathfdjlageS ein? ©obalb ftctj beibe 
X^eile hodfjachten tönnen, merben fte fich niemals unglüct» 
lieh füllen, $reili<h rnüfjte bei beiben ©^eleuten eine 
^eraenSneigung au einer anberen 5ßerfon auSgefdjloffen 
fein." 

ß^arlotte manbte fich jejjt feitmärtS, um iljre frönen 
au berbergen, aber baS Rittern ihrer |>änbe berrieth fie. 
$otlbrecht mufjte nur au gut, mie graufam fie feine an» 
fd^einenb fü l^armlofen Sßorte bermunbeten, aber er mollte 
ßottdhen baburdfj berantaffen, fid) ihm anaubertrauen, um 
il>r bann feine hilfsbereite greunbeShanb au reifen. (Sr 
mufjte, bafj baS SDtäbdjen unter ber Sßereinfamung litt, 
an meldfjer fie ihr $eraenSgeheimnijj nötigte, unb bafj 
fte einer ©eele beburfte, ber fie fich auSfpredjen tonnte. 

„Äura unb "gut," fuhr er fort, „ich mürbe an Sh^r 



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Vornan ooit Sari 6b. Älopfer. 



69 



©teile mein |jera prüfen, bie nähere Sefanntfdjaft biefeS 
|>errn Slum machen unb mir barnach bie 3?rage bor= 
legen, ob ich iljn fo m§it ödsten lönnte, um feine Semer= 
Bung anpneljmen." 

Sottdjen berntodjte fidj nun nicht länger prüdfju^alten; 
fie toanbte föidjarb ihr thränenüBerftrömteS ©efi<ht 3 U 
unb fah iljn mit einem Slide an, in toeldhem ftdj eine 
fleljenbe Sitte auSfpradh. 2lBer eS loftete noch geraume 
3eit, Bi§ fie fid^ fo meit gefaxt Tratte, um ihm 5 U ant= 
toorten. 

„Sie meinen eS gut, |>err SotlBrecht, ich Bin babon 
überzeugt, aber — Sie mürben nicht fo fpredjen, menn — " 
fie ftodfte. 

„äöenn'?" fragte Sollbredjt. 

Sottchen „brüdEte iljr £uch Por baS ©efidjt unb ermie= 
berte nichts. So entftanb eine fcfjtoüle Saufe. ©üblich 
Berührte ber SchriftfteUer mie Begütigenb ihre $anb. 

„Seraeiljen Sie, mein ffräulein, i<h mollte Sie nicht 
Iranlen mit meinen Söorten, fie enthielten auch nur eine 
gana allgemeine SlnfidEjt bon mir. Sie tljeilen biefe 9ln= 
ficht eben gana einfach nicht — ober füllten jene Sebin- 
gungen, bie ich borauSfepte, Bei Sfpmn nicht autreffen 1 ?" 

„©leichbiel," ftammelte fie jept mühfam, „ich faitn 
ben 9?ath meines SaterS nicht Befolgen, ich lann -£>errn 
Slum leine ©attin fein." 

. „Unb marurn nicht ?" 

„28eil — meil, nein, ich mitt nicht lügen, aber — ich 
lann Sonett ebenfo menig bie SBahrljeit fagen. Sitte, 
erfparen Sie eS mir. ©S möge Stauen genügen, bafj ich 



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70 



jjamüienefjre. 



mid) für immer mit beui öebanlen bertraut gemalt habe, 
unbermdbtt gu Bleiben." 

„Verlennen ©ie nicht meine aufrichtige fjreunbfd^aft, 
mein fjrdutein, eS ift nid^t müjjige Veugierbe, fonbern bie 
lebhaftere 9 lntbeitnabme an S^nen — an 3§rem ©cbid= 
fatc, tuaS mich 31t meiner Srage beranlafjt. Vitte, Beant* 
toorten ©ie mir biefelbe. $dj fagte, bei einer $onbenien3* 
Beiratb biirfe leineS ber Beiben Xtyilt eine Neigung 3U 
einem ©ritten im «freien tragen, hangelt 3buen ettoa 
biefe Vorbebingung? SÖlit einem Sorte, (übartottc, ©ie — 
©ie lieben?" 

©ie toodte auffpringeu unb ihre tiefe Vetoegung ber= 
Bergen, aber SRidjarb ^ielt ihre £>anb feft. 

„Vertrauen ©ie ftcb mir an — ich fcbtoöre Stpien, 
©ie bürfen eg." 

„3fa, ja — ich habe geliebt," !am e§ rafdj unb faunt 
bernehmtich bon ihren audcnben Sippen. 

,,©ie buben geliebt?" fragte Vodbrecbt mit gait3 
eigen tbümli(ber Betonung. „Sarum fprcd^cn ©ie babon 
als bon ettoaS Vergangenem?" 

„Seil idj biefeS ©efttbl erftiden muffte — nad)bem eä 
!aum aufgeleimt tnar. 3 dj barf biefe Siebe nicht näbren." 

„©tauben ©ie toirllicb, baff bie CSinficbt, toie t)offnungä= 
loS eine fotd^e Neigung etma fei, auch fdjon biefe Neigung 
bcruidjten lönne?" 

Gbartotte fcbtoieg unb preßte bie |>anb auf’S ^erj. 
©ie tooHte in biefem Vtoment nicht toiberfprecben, tuo fte 
fühlte, h>ie febr fie bon jenem toarmen, berrdtherifchen 
©ing Sügen geftraft toorben todre. 



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I 



Vornan oon 6arl 6b. Klopfer. 71 

,,©ie berftuntmen, ba§ ift ruir ein .geidjen, baf* ©ie 
meine fe^r beredjtigtcn $meifel über biefen Quillt tbeilen." 

»•Bugegeben benit, ©ie Ratten Diedjt," fagte fte mit 
§eftigfeit, „zugegeben, bafj idj biefe ßiebe noch nicht auö 
meinem ^er^en tilgen fonnte, fo gern id} e§ tooKte — baä 
Stefultat ift auf jeben Qfatt baffelbe." 

„Fräulein ©bQ^otte," begann er nach furjem 3bgern 
mit überaeugenber #eralichfeit, „ich mill Bbuen gegenüber 
fo offen fein, mie ©ie eS eben ju mir maren. $cb mollte 
eigentlich nur au§ Sb rem ^ttunbe bie Seftätigung beffen 
bernebmen, toa§ icb fdjon längft geahnt habe. Sdj meijj 
eä, bafj 3b* -fpeta an einer brennenben Söunbe franft — 
icb meifj auch, mer biefelbe gefcblagen bat, toer ber 
©egenftanb 3b* e * bermeintlidf) fo boffnungälofen ßiebe ift." 

„(5r bat e§ Sfbnen geftanben 1 ?" frug fie, toafjrenb auf 8 
Bleue ein £b*äuenfcbieier ihren SSlidE berbunfelte. 

„3a, menn auch nicht auf gana gerabem Söege. ©eben 
©ie, mein Fräulein, ich habe über biefen 5ßunft feitber 
febr reiflich nad^gebad^t. ©tepban liebt ©ie. 6r bat ge» 
mifj nicht gelogen, als er 3buen baä im SDrange feiner 
(Befühle geftanb." 

„SJantalö — bieHeidjt. Biber je^t bin ich gemifj, bafj 
er e§ tief bereut, mir ein (Beftünbnifj gemacht au haben, 
toelcheS er beute unmöglich au§ ehrlichem |>eraen mieber» 
holen fonnte. 6ä mar ein flüchtiger fh'aufdj bon feiner 
©eite, eine launenhafte Eingebung feiner erregten Äünftler» 
Pbantafie, meldjer er nur au leichtfinnig SBorte berliebeit 
batte." 

„9Sir fönnen ba§ 33eibe nicht fo feft behaupten. 2öer 



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72 



ftamtlieneljre. 



meiff, ob mir ihm nid^t Unrecht tljun mit unferem 5Jtiff» 
trauen. 3dfj h&fa mich toieHeid^t $u meit htnreiffen taffen, 
bamatB, atB ich ihm feine £>anbtung8meife in fo fdhroffen 
SBorten entgegenljiett. ©ie fürsten, fo toie ich, baff jene 
©önnerin feiiteB latentes, bie SBaronin Mfftffoff, fein 
«£>era gefangen l^abe. 9iun, menn bent auch fo märe, fo 
tarnt er bodh bon einem gemiffeit ©tanbpuntt auB Gmt= 
fdjulbigung finben. SSebenten ©ie, biefe grau teifft ihn 
mit einem 2ftale auS ber trüben, gebrücften Sltmofphäre, 
in meiner ftdlj bisher fein ©enie bemegen muffte. 35iefer= 
halb f<hon tonnte er ihr ein ©efüfjl ber S)antbarteit nicht 
berfagen. Zehnten mir nun an, bie SSaronin mürbe neben 
ihrer Äunfttiebe auch bon einer ganj fpe^ietten unb pribaten 
^erjenSneigung jur 5ßrotettion be8 jungen 9JtaterB beran= 
lafft, fo tann eS bei bem leidet entjünbbaren ©emüthe 
Sranbt’B hoch nicht fo ungeheuerlich erfdheinen, menn ihm 
biefe ©eneigtheit ber ebenfo bornehmen atB fronen S)ame 
fdjmeidfjelt, ihn bielleicht auch mirtlich ju ähnlichen ©e= 
fügten begeiftert. 2öir bürfen beBljalb noch nicht bcn 
©tab über ihn brechen, menn feine fünftlerifdfje, für jeben 
Grinbrucf fo empfängliche ©eete itjn tffnreifft, ein menig 
bon bem Söege abaufchmeifen, ben ihm bie ftrenge bürger= 
liehe 9iedhtlidhteit bor^eichnet. 3a, er tljut ferneres Un= 
recht bamit, aber er fott beBtjalb noch nid^t otjue ©nabe 
berbammt merben. — ©ie befdhutbigen ihn, fein ©eftänb= 
niff 3h nc tt gegenüber fei nur bie Eingebung einer flüch 3 
tigen Saune gemefen — nun, bietteidjt ift eben ber ge= 
nannte tteine ©d^ritt bom geraben Söege nur einer feilten 
©efüh^berirruttg entfprungen, unb er bemahrt im ©runbe 



Vornan oon @arl @b. Klopfer. 



73 



fetne§ |>eraeuS bie ganae 33oEfraft einer ed^ten, innigen 
Siebe, bie früher ober fpäter mit alter 2Jtadfjt toieber er= 
machen toirb." 

(S^arlotte reichte bem eifrig ©predjenben mit einem 
me^müt^igen Sädtjeln bie <f?anb, bie er marm erfaßte unb 
atoifdjen feinen Ringern brüdfte. 

„(Sie finb ein madferer, f)errUd&er fEtenfcfj, ich baute 
^^nen für 3>ljre lieben EBorte! 2lber — ich famt nicht 
baran glauben, maS ©ie mir fo freunblidj in 2luS ficht 
fteUen möchten. SDodh ich toitt S^ren 9iath befolgen, midh 
3 u trßjten fudheit unb ftitt ergeben — toarten, maS mir 
bie gufunft bringen foE!" 

SSoEbrecht moEte nochmals feine Ijeralidfjc 9tebe be= 
fräftigen, aber er berftummte, als ^err Söalfer auf feinem 
Säger einen ©eufaer auSftiejj unb mit einer Setoegung 
aus feinem ©djlummer ertoachte. 

|>atte er ben lebten SL^eil beS StoÜQefprädjeS, baS 
nach unb nach lauter getoorbcn mar, bernommen? 

„2l§, -fperr SßoEbredht!" fagtc er mit mattem Sädjeln, 
inbcm er fidh erhob unb bem ©afte bie |>anb retdjte. 
„(Sntfdhulbigett Sie, bafj ich ©ie fo lange märten lief*. — 
f Mev toarum h&ft 25u mich nie^t getoedtt, Sötte?" 

„S)aS hätte ich feinenfaES angegeben," antmortete 
fRidfjarb an ©teEe beS fUtäbchenS. „(SS märe ©üitbe ge* 
mefeit, Sie beS erquicfenben ©chlumnterS au berauben. 
3<h berlor feine 3eit, -fperr Söalfer, unb lontme noch 
immer auredht, meine Elften au empfangen." — 

fElS SßoEbredht mit bem Söünbel bie kreppe aur fDtan* 
färbe emporftieg, glänate fein Sluge in feuchtem ©dhimmer. 



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74 



ftatnilieneljre. 



Grr maitbte ftd) nochmals aurücf gegen bie ©hür, rnclche 
ihn bon ber ©ochter beS ©djreiberS fc^ieb, unb murmelte 
mit einem fdjmer«}lidjen ßächetn bor fidj ^in: „SlrmeS 
Äinb ! — Slrmer äloltbrecht, ©u bift bodj ein bebauernS= 
merther $etl, inbent ©u fo auf ©einem eigenen 4?eraen 
herumtrittft!" 



s ilnt nächften Nachmittage burdjmafj ©oltor ©rennet 
ben ©aton feiner behaglichen Söohnung mit grabitätifchen 
©chrittcn, mährenb er ftdj nach feiner ©emoljnheit, menn 
er gut aufgelegt mar, bie |>änbe rieb, ©o oft er auf 
feinem Nunbgange an ber ftenftcrnifche borbeilam, mo 
©Ha bamit befd^äftigt mar, bie 33lumen ber pradjtbotten 
Sarbini^re ju begießen, marf er einen langen SSlidE auf 
bie ©ochter. <£t hatte fie fchon auf ben Sefudj ber beiben 
(Strafen SöernShaufen borbereitet, -feineSmegS aber noch auf 
ben eigentlichen 3h)ecf biefer Sifite. Nun fuchte er nach 
einer paffenben 3brm baju. 

©Ha hatte in ihrem 33etfehr mit beut SSater bon jeher 
eine gemiffe Äälte unb ©teidjgiltigteit gezeigt, bie fte in 
feinen Nugen faft befdjränft erfcheinen lief}. ©renner hatte 
eS alterbingS im ©ränge feiner ©efdjäfte niemals ber 
2ftühe merth gefunben, ftd^ mit feinem $inbe eingehenber 
3 U befaffen. ©aS blieb bon jeher ber ©oubemante unb 
ihren Sehrern — früher auch ber fliHen, gutmüthigen 
ffrau ©rennet übertaffen, bie c§ mit ©Ha <jmar her^tid^ 
gut meinte, fiel) aber ebenfalls nicht <)um älerftcmbnifj 



Dreijcfjntcs Kapitel. 

.Auf ber ^Srautfchau. 




SRoman oon Gurt 6b. ftfopfer. 



75 



ihres ganj eigenartigen GharafterS auffdjtoingen tonnte. 
So hatte ftch baS UJläbd^en frü^eitig baran gemöhnt, fidj 
in fief) fetbft aurütJau^iehen unb baS toenig fchmeichelhafte 
Urteil, baS ihre Umgebung über fie fällte, mit einem 
©leidjmutlje hiuaunehmen, in ben fidj fein geringer üUjeil 
Verachtung mifdjte. 3)urch eifrige Beobachtungen, bie fie 
im Vaterhaufe um fo leidster anfteKeu fonnte, als Brenner 
bem „einfältigen Äinbe" gegenüber nie einen ^etjl aus 
feiner ©cfinnung machte, hatte ftch Gfla eine VMtanfchau* 
uitg gebilbet, bie ihren ©eift tocit über ihre Sahre hütauS 
gereift unb — berfjärtet, Verbittert hatte. Sie mar ge* 
mof)nt, ftch ben Befehlen ihres VaterS mie benen ihrer 
Sekret ruhig unter^uorbnen, aber unter ihrer Schmeig* 
famfeit unb äußeren Stumpfheit lag ein marmeS, be= 
geifterungSfä^igeS ©emüthSleben berborgen, baS bis jefjt 
nur nodt) feine ©elegenheit gefunben ^atte, ftd^ ju ber ober 
jener Sache in Siebe ober |>a& <ju äußern. 

„f)öre, Gfla," nahm Brenner baS auf längere 3eit 
unterbrochene ©cfprädh mieber auf, „$)u fdheiuft 3)ith mohf 
gar nicht 3 U munbern über ben bornehmen Befudh, ben 
mir heute 3 U SEifdhe empfangen foUctt?" 

„Söarum auch, ^apa 1 ?" fagte bie junge SDame gelaffeit, 
ohne bah jte ifj* ©eftd^t bon ben Sßflanaen erhob, bereit 
pflege ihre ganje Stufmerffamfeit in Slnfpruch 3 u nehmen 
fchien. „3)u fagteft ja fetbft, ber Vtinifter fäme aur Be» 
fprechung eines michtigen ©efdjäfteS in unfer <£>auS. 3BaS 
fott ich baran ©rftaunlidheS fmben 1 ?" 

„<£>nt! Gin ©efdhäft — na ja, allerbingS einreiiteSSjßribat* 
gefchäft, baS aber auch 2>ich gemaftig iitterefjtren bürfte." 



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76 



^amtlienefjre. 



„SBiefo?" fragte 6tta fo rut)ig tt>ie borget, ohne baS 
fdjtaue SlugenaW intern au beachten, mit Welchem ber 9totar 
feine Söorte begleitete. 

,,©age ’mat, kinb, Su bift jet}t fcfjon adjtaebn $abre 
unb lönnteft bernünftig genug fein, ein Wenig um unb 
bor Sich au btidten." 

6Ha aucfte bie 9lcbfetn unb beraog ihre feft gefdfjtoffenen 
Sippen au einem geringfchäpigen ßücbetn. 

„|>aft Su Sir noch gar feine ©ebanfen über bie 3u= 
tunft, über bie SBeftiminung beS SöeibeS in biefer SBelt 
gemalt, eine 33eftimmung, bie bodj auch bie Seine fein 
fotl ? 3Jtit einem äöorte, ^aft Su noch nie baratt gebadet, 
bafj Su einft Sich berbeirathen wirft?" 

„$cb febe eiue folc^e 9totbWenbigteit nicht gerabe ein, 
aber — " 

„Su ftebft jener 9totbwenbigteit naher, als Su atjnft, 
liebes kinb. 2öaS Würbeft Su fageit, Wenn i<h Sir eines 
SageS — meinethalben morgen, übermorgen — einen 
23räutigam borfchlagen Wollte?" 

„Su fdjeraeft, Sßapa!" 

„keineswegs. 9imt, Wie Würbeft Su einen foldjen 
Söorfcbtag aufnebmen?" 

„3<h," fagte fte langfant, „ich Würbe mich, wie idb 
eS in aßen Gingen gewohnt bin, Seinem Söiüen unter* 
orbnen, 5ßapa." 

Ser $apa nterfte nicht bie leichte Färbung bon Ironie, 
bie in ihren Söorten tag, unb fdhmunaelte bor fi dt) f)'m. 

„SaS ift bübfdb gefprocben, @lta; gana fo, Wie ich cS 
bon Sir, als einem folgfameit kinbe erwartete, baS ja 



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'Jtomcm oon 6a'rl 6b. Klopfer. 



77 



fietg üBeraeugt fein fann, bafc icB nur fein SBefteg teilt. 
9hm, erinnere SicB biefer Seiner SBorte, toenn idj teirf» 
lief) ^ute ober morgen eine gute — eine fefjr gute 5ßar» 
tfjie für SicB in Sluäfidjt genommen Bütte." 

„$apa," fagte 6tla, je^t mit einem bottftänbig un* 
gelünftelten fiäctjeln, „Su toirft midtj nodj toirflicB glauben 
matBen, bafj Su ftfjon eine getoiffe SBaBl für rnicB ge= 
troffen. Seine SBorte Hingen fo eigentBümlicB, fo aBficf)t= 
licB, atg teotlteft Su micB bamit auf Seinen Süorfdjlag 
borBereiten." 

,,©ieB 'mal, Su BeoBadjteft ja redjt fd^arf, mein $inb, 
bag Bütte idj Sir gar nidjt — Bot! U)iÄ icfj fagen, bag 
Bütte icB gar nicBt geglauBt, bafj Sur mir ettoag Ser» 
artigeg in bie ©cBuBe fdjieBen fönnteft. 9lun, gteidjbiet, 
Su foUft Binnen $uraent erfaBren, teie i(B für SicB unb 
Seine 3ufunft geforgt Babe. 3<B B°ff e ^ toirft au= 
frieben fein." 

$n biefem SlugenBticf melbete ^einritB, ber Siener, 
bafj foeBen bie (Squipage beg 9Jtinifterg OorgefaBren fei. 
Srenner teanbte ftdB BliBfdjneE um. 

„91B, feBr pünftUcB — toie icB mir gebaut Babe. @ut, 
taffen ©ie bie Beiben Herren Bie* eintreten, ^einrid§." 

Ser Siener 30g ficB aurücf. 

„2Bie, *{Japa, Su toillft ©einer djcetlena nicBt ent» 
gegen geBen? $cB bücBte bocB, bie ©cBidftidEjfeit erforbere 
bieg einem folgen ©afte gegenüber." 

„Sag OerfteBft Su nicBt, 6lla," fagte Srenner, ftcB 
tooBlgefällig in ben lüften toiegenb, müBtenb feine bitfe, 
fette |>anb an ber fcBtoeren UBrfette fpiette. „3cB Babe 



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78 



^amiHenefjre. 



c§ toabrlicb titelt niHbig, bett lleberaufmerffanten jju fpteteit, 
als füllte ich mich befonberS geehrt bureb biefen SSefucb." 

2)a3 fagte er fo toegtoerfenb, als tjanble e§ fid^ barum, 
einen bemiitljtgen SSittfteHer ju empfangen. 2>ann natjm 
er toieber feinen bebäebtigen ©parier gang burdb baS 3im = 
mer auf; bie ©äfte fällten ja nicht benfen, baß er ißter 
Slnfunft mit einer getoiffen Spannung entgegen gefeben 
habe. (Hla blidtte Pernmnbert auf ihn, fie tonnte c§ 
ftd) nicht erfläreit, toie $apa, ber fonft Por Sittern, toaS 
nur eine einfache Sfreiberrnfrone trug, faft froeb, nun mit 
einem ftttale ein 35ene^men aur ©cßau tragen tonnte, ba§ 
gerabe an Mißachtung ftreifte — utib bie§ noch baju bem 
geloaltigen Minder SöernSbaufen gegenüber. 

„®u fpricbft feljr feltfam," fagte fie. „ 3 <b bädbte 
bodb, eS märe toirflidb ein ©reigniß, bie beiben ©rafen 
bei un§ 3 U felgen, |>aft $)u 35icb nicht eben Porbin erft 
getounbert, baß itb mi(b barüber fo toenig erftaunt geigte ? " 

„ 3 a, mein JHnb, toeil £>ir eine folcbe Stadbricbt boeb 
febr unertoartet fommen mußte. Sßüßteft 2 )u aber, fo 
toie icb, toarum eigentlich — bm, na, baS gebt ©ich ja, 
toenigftenS Porläuftg, noch nichts an. @3 mag 2>ir ge* 
nügen, baff icb meine ©rünbe habe, beit beiben Herren 
einigermaßen au feigen, mit toem fte 3 U tbun haben. — 
5lb, i<b böre fie fdjon auf ber Üreppe! — ©ebe bitter 
in’S ©peifc^immer unb ertoarte uns bort. 55u tannft in= 
jtoifeben audb nadbfeben, ob SlttcS in ber Orbnung ift, bie 
idb münfdbe. 3 cb miß ben ©rafen betoeifen, baß fte eS 
mit feinem armen ©d£)lucfer ju tbun haben, ber folcbe 
©äfte nicht ftanbeSgemäß ju betoirtben Permag." 



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Vornan »on Sari Gb. Klopfer. 



79 



GHa’g ©ejtdbt überflog mieber jeneg gemiffe tronifc^e 
£äcbeln, toätjrenb fte beit ©alon berliefj. 

Brenner fteHte fidb an’g fjenfter unb trommelte auf 
beit ©dbeiben; er fdfjien an alleg Slnbere eher p benten, 
als an bie ©äfie, bie er erloartete. Slber in feinen 
grauen, ftedjenben Slugen blifjte ein bogljafter ©trabt, 
ba§ ©efübt tiefinnerlicber SBefriebigung. $a, unb er 
tonnte auch mabrlicb pfrieben fein. Se&t ftanb er bor 
bem lebten unb ^öd^ften .Siele feineg ganzen Sebeng. 

TO bie beiben Herren eintraten, begrüßte ber 9lbbotat 
fie mit tüt)ter ftreunblicbfeit. „Sdj ^atte nicht gan<j fidler 
auf bie Gbre 3b*eg SBefucbeg gerechnet, meine Herren," 
fagte er, „boeb feien ©ie mir bon ganzem ^er^en n>itt= 
fommen!" 

3)amit ftreefte er ihnen feine $änbe entgegen, aber 
ber 9Jtinifter fd^ien bieg gar nicht p bemerfen. ©raf 
Herbert bagegen mafj ben Stbbotaten mit einem fo burcb* 
bobrenben SBlicf, bafj er feine $anb rafdb finfen liefe unb 
ein ©täubeben Don feinem föoefärmet blieS , bag ibn ba 
ptöfelicb febr getoaltig p geniren fd£)ien. ©o entftanb 
eine tur^e SSertegenbeitgpaufe. 

„|>err S)oftor," begann enbticb Herbert, „mir hoben 
Sb*er Ginlabung golge geteiftet, mie ©ie feben. Gg freut 
ung, 3b* *j?eintmefen fennen p lernen, ©ie mobnen 
toirKidb red^t bübfcb!" 

3)ag mar eine flare Slnbeutung, bafe ber junge Straf 
in bem gegenfeitigen 33er!ebr amifdfjen ihnen ben Xon ber 
Äonbeniena aufrecht p halten münfebte. 

Söäb^enb «Herbert, antnüpfenb an feine lebte 33e= 



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80 



^ramUieneljre. 



merhtng, ficb bem fpianino näherte, über tt>elc£)em an ber 
Sßanb ein Keines SanbfcbaftSaquarett hing, baS anfebei» 
nenb feine 2lufmer!f amfeit feffette, toarf Brenner bem 
fötinifter einen fragenben ötidE j}u, melden ber alte ©raf 
mit einem leisten Äopfnidfen beantmortete. 

,,©ut, er toeifi atfo, um ttrnS eS ficb b^nbelt/' mur= 
melte ber fJiotar für ficb, bann fetjte er taut binp, mit 
pobn auf ben öon Herbert angefdEjtageneu 5£on ber Qförm* 
liebfeit eingebenb: „3cb toitt bodf) hoffen, bafi ich bie 
Herren burdj meine ^öftic^e ©intabung nicht bon irgenb 
einem toiebtigen ©efebäfte abgeljalten höbe?" 

SöemSbaufen bifi ficb auf bie bünnen, farblofen Sippen 
unb fdbtoieg. 

„©in bübfdbeS ©emälbe!" meinte «perbert bon ber 
3immeredfe bet, als habe er bie S3emer!ung beS |>auS= 
berm überbört. „2öirflid& ein febr bübfcljeS ©tüd£! 2öer 
ift ber fötaler biefeS SlquareltS, perr SDoftor?" 

„föteine Tochter, perr ©raf!" 

2luf ber ©tim perbert’S jjeigte ficb für einen Slugen* 
blidt eine finftere 3?alte über biefe ÄuSfunft, bie ibn 
ettoaS unbemittelt an ben S^edE feines 33efucbeS in biefent 
paufe erinnerte. SDann muffte er ficb aber gefteben, bafi 
jenes SSilb tbatfäcbticb nicht ohne Talent, jebenfattS aber 
mit einem febr feinen ©efcbmadE auSgefübrt fei. ©r toarf 
nochmals einen brüfenben S3tiif barauf. 

Brenner, ber getoiegte fötenfdbenfenner, toar genug 
fPbbfiognomiEer, um fofort aus ber fDtiene perbert’S 
erraten, bafi biefer noch feineStoegS geneigt fei, auf baS 
ätoifeben bem SJtinifter unb bem 9totar b a ^ unb b<rib 



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iHomcm mm (Sari 6b. ftlopfer. 



81 



bereinbarte „®efdjäft" bebiitguitgSloS ein^ugeljen. 2)ieS 
betätigte auch her ängftlidje iölicf, mit meinem ©raf 
Sßlabimir bott 3^it 3U 3eit feinen Soljn berftoljlen be= 
trachtete. Brenner nmfjte jetjt, ba| Herbert erft prüfen 
tooße, eljc er fid) 31t opfern bereit mar, unb baute fofort 
ein Spiändjen auf, um iljn $u einem rafdjeren CSntfdjluffe 
3U brangen. 

„3l)re 2od)ter ift alfo ^Dilettantin in ber SDtalfunft ?" 
fragte ber Sütinifter, ftdjtlid) befriebigt. „2)aS ift in ber 
Xljat ein ebler geitbertreib!" 

„$alj, eine Spielerei toie jebe anbere, mit beiten bie 
s JMbdjen iljren grofjen Slorratlj bon 3Jtu§eftunben auS= 
fußen. 'Jiädjft ben 33üdjern bilbett biefe spinfeleiett iljre 
£ieblingSbef<$äftigung. Slufjerbem treibt fte aut$ ein toenig 
'Mufti." 

Herbert lächelte bitter. 3f>nt Hangen bie äöortc beS 
9totar§, fo gelaffen unb abfidjtSloS fte audj fdjeinen 
moßtett, toie bie 9te!lame, mit melier ber Kaufmann 
feine Söaarc anpreist. 

„@S ift immer feljr anerfeunenStoertl), toenn bie junge 
!3)aute ber Literatur unb ben fünften t^re 2lufmerffam= 
feit autoenbet," fagte ber alte ©raf, ttmljrenb er bent 
33litfe feinet SoljneS 31t begegnen fudjte. „2ßoßen Sie 
aber nidjt fo liebettStoürbig fein, bereiter «£>err SDoltor 
unS Streut tJräulein 2ocf)ter boraufteßen?" 

„Söenn Sie bieS toünfdjen, toerbe idj ntidj feljr geehrt 
füllen," entgegnete Xrenner mit einer $älte, toeldje bie 
beiben Slnberen fiujjen unb 31t ifjm Ijinüberblirfen lieft. 
„Darf idj alfo bitten, meine .^errett, mir 31t folgen?" 

tBibtiotfcf. 3al)rfl. 1889. 581». X. fi 



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82 



ganiilteitefjre. 



üDamit liefe er «Herbert einen ©djritt borauSgeben mtb 
trat unbefangen an bie ©eite bcS SJiinifterS, mäbrenb fie 
nach bem ©heifeflimmer gingen. 

,,©ic bürfen fidj burd) bie 3urütfbaltung meines ©ofytcS 
nid)t abfd)reden taffen," ftiifterte 2BernStjaufen feinem 53c= 
gteiter ju. „QrS mirb 3^nen hoch begreiflid^ erfdjeinen, 
bab er fid^ nur mit einigem 5öiberftreben in unfere 53er* 
cinbarung fügt — " 

„£> bitte," unterbrad) ihn ber Siotar rafdj, babei ab* 
ficbttidj feine ©timme fo ertjebenb, bab ber 53orangetjenbc 
jebeS 23ort bernebmen mubte; „rneber ©ie, ^jceHena, nod) 
3b r .£>err ©obn braunen jtd) ben geringften 8toang auf* 
Eierlegen. 3d? habe mir bie ©adje mitttermeile berart 
überlegt, bab ich gerne ben 3b nen öefiern unterbreiteten 
53orfd)lag prüdaiebeu möchte. 3<h fefee ein, bab id) bod) 
nicht gut baran t^un mürbe, meine 2odjter in ein 53er* 
bältnifj ju nötigen, baS ibr bietteidjt nid^t bet)agt." 

„5öie? ©o hoben ©ie Fräulein Brenner nod) nicht 
borbereitet auf — bm! — auf unfere Uebereinhtnft V 1 
S)ic ©timme beS SJiinifterS bebte unb feine $anb ftridb 
mit nerböfet .fpaft über ben $ut, ben er in ber Sittfen trug. 

„Stein, meit i<b eben, mic gefaßt, noch nicht meifj, ob 
bieS überbauet nöttjig fein mirb. 3<b habe mich befonnen 
unb gefunben, bab id) bon ben bemühten papieren einen 
für mich meit bortbeitbafteren Gebrauch machen fann." 

SCßernSbaufen bob ben .Hopf unb fab ben gan<j ge* 
fchäftSmäbig fpreebenben Slbbofaten entfett an. 

„$)a§ fann 3b* ®rnft nicht fein, 2>oftor, id) müfete 
Joabrbaftig nicht, metche fonftige 53ortbeite — " 



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Kornau uon Ctarl (5b. iUopfer. 



83 



SDoftor SLrenuer jurfte bic 9ld)felu uub fdjtug bie 
portiere auäeinanber, feine Säfte in baä Speife^immcr 
eintteten laffeitb, in toeldhem (Hk toeiltc. 

Söä^renb bie SSorftettung erfolgte, prefjte Herbert feine 
gähne in bie Unterlippe unb berbeugte ftdj fdjtoeigenb; 
ber fötinifter fuhr fidj mit jitternben Ringern burdh ba3 
ftarf gelistete $aar, mährenb fein ©lief mit ängstlicher 
Unruhe Pon ber jungen $)ame auf feinen Sohn unb bann 
ju bem Kotar hinüberfdjtoeifte. (Hla berneigte fid) tnr^, 
ohne ben Singetretenen mehr Kufmerffamfcit ju fdheitfen, 
al 8 fie eä bei allen anberen SSefannten ihres 2 kter§ ge= 
tbo^nt toar. 

Premier, ber mit innerlicher fffreube bemerfte, mie 
bortrefflidj feine abletjnenben SBortc beim 9Jiinifter unb 
auch bei beffeti Sohn getuirlt hatten, lub bie Säfte mit 
leichter £>anbbetoegung ein, ^laij 311 nehmen. (Stumm 
nahm gebeS beit betreffenben Stuhl ein. KedhtS bon bem 
Kbbofaten fafj ber alte Sraf, link beffen Sohn, unb 
ihrem 33ater gegenüber (Hla. 

Huf ein Älingetaeidjen erfdjieit ber Wiener mit ber 
Suppe. (Hla füllte fdhtoeigenb bie Heller, bie bor ihr 
ftanben, unb mattete mit Seloanbtheit ihres HmteS als 
^auäfrau. Herbert, ber fie berftohlett beobachtete, entging 
eS nid)t, mit bleicher Srajie fie fetbft bie einfadhften iöer= 
rid)tungen auSübtc. 2>abei ntufjte er fid) geftel)en, bajj 
biefeö junge, frifchc Sefidht mit bem leichten $aud) bon 
9)lelandholie unb ü£rotj ettbaS fetjr gntereffanteS befafj. 
VlllerbingS toar bieS nicht im Staube, fein SöohlflefaHen 
3 u erregen, ja itpi ärgerte fogar biefer. eigentümliche gug 



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34 



ftamilienehre. 



in bem Antlib beS 2JtäbtenS, baS fo gait^ unb gor anberS 
ausfah, als er erwartet hatte. 

©nblit lam burdj bie ^Bemühungen beS flttinifterS ein 
©efprät in ©ang, baS aber halb lebhafter Würbe, uitb 
au bem audj Herbert fit beteiligte, natbern iljn einige 
Antworten ©lla’S faft gegen feinen 2öißen intereffirt unb 
jum Söiberfprut gereift Ratten, ^mnter mehr mufjte er 
fit eingefte^en, bafj fte eine burtauS eigenartige Aatur, 
ein 9Jtabten bon ©eift unb ©haralter fei. SDaS War ihm 
unangenehm. ©r hatte fit bie Xotter beS Abbofaten 
al§ ein eitles, oberfIätlit e 3 flttobegeftöpf gebatt, baS 
fofort bereit fei, auf ben ftfauen !plan ein^uge^en, mit 
Weitem fie ihr beretnenber S5ater itt ben .§afen einer 
„bornehmen ©he" hinein $u lanciren bcabfittigte. Auit 
ärgerte tn baS ganj onbere Aefultat feiner bisherigen 
S3eobattung. 

5Dem alten ©rafen aber bangte jefjt not mehr unt bie 
SBerWirllitung jenes $Proje!teS, bon Weitem fein ferneres 
Stiötfal, feine ©h re > feine ©jiftenj abhing, ©r hatte fit 
bie Abwitfelung biefer Angelegenheit ebenfalls Weit leitter 
gebatt. 

33eim 2>effert wollte Brenner bem fDtinifter ©elegen* 
heit geben, auf ben eigensten 3wed feines SBefuteS 
jurüdjutommen. 

„Söie Wäre eS, ©lla, Wenn SDu unS mit einem Sor* 
trag auf bem Ätabier erfreuen wotlteft?" fagte er, fit 
lätelnb $u ihr hinüberneigenb. 

©Ha 30 g bie SBrauen aufammen unb matte eine un= 
muthige ^Bewegung, 



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SHonum oon ßavl ßb. fttopfer. 



85 



„ 3 a, mein QfTäutein, mir bitten Sie barum," ftimmte 
SöernS^aufen eifrig bei. 

Fräulein Brenner erhob fidj fchmeigenb unb begab fich 
in ben anftofjenbett Salon, in bem baS Snftrument ftanb. 
(Fine briiefenbe Üßaufe entftanb jefjt amifdfjen ben gurttet- 
bleibenbeit. ßtta fchien ber an fie ergangenen Sitte nicht 
Srolge leiften 3 U motten, benn eS mürbe lein 2on toou 
9Jtuftt auS bem Salon bernehmbar. Herbert fpiette mit 
einem .ffonfettlöffelctjeu auf feinem Heller unb Hopfte mit 
feiner Qrit^fpi^c ungcbulbig ben Heppidj unter bem Hifdje. 
ßr begriff, bafj fid^ biefeS eigenartige Stäbchen nicht baju 
fommanbiren laffen toollte, gleichfant feine Äunfiftütlchen 
bor bem gelabeneu Shtbitorium $u jeigen. ßin ungeberbiget 
Hrojjfopfl Cber mar baS nid^t blofje $o!etterie unb $o= 
möbie? Sie mufjte bodj ohne 3meifel miffen, mit meldjen 
9lbfiähten bie Sefuctjer gelommen maren. — 

„SBir motten nun jene Angelegenheit berühren, bie 
unfere lilnftige Stellung gu einanber betrifft, #err Hottor," 
begann enblich ber Stinifter. 

„Ah, Sie meinen meine anfängliche 3bee mit meiner 
lochter unb — hm! 3 dj habe Stjnen bereits gefagt, bafj 
ich nad) teiflicher ßrmägung ju einer attberen Anficht in 
biefer Sache gelommen bin. 3dj möchte junt Stinbeften 
erft nochmals überlegen, melche Sorfchläge ich Shnen be- 
treffs einer anberen £öfung ber bemühten belifaten fffrage 
machen tönnte." 

„Sein, laffen Sie uns fofort unb ohne Umfcljmeife 31 t 
ßnbe tommen," marf Herbert mit rauhem Hone ein. „Sie 
haben 3 hmi ßntfcfjlu& offenbar nicht fo boreilig gefafjt, 



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8 t> 



ftamitienebre. 



als Sie int 8 nun glauben machen toollen. @eftern haben 
Sie 3b re SBebingungen genannt, mobtan, ^eute gebe 
idj Sinnen in llebereinftinmumg mit meinem Söater bie 
3 ufage, auf jene Sebingungen — einjugeljen. 3 cb bin 
bereit — " 

@r fonnte nicht loeiter, feine Stimme berfagte ibnt 
bollftänbig ben 2)ienft. @r fuhr fidj mit ber Serbiette 
über baS fable ©cficbt, um einigermaßen feine furchtbare 
Erregung ju bcrbergen. Seine Ringer gitterten !ramüf= 
baft. 

„9lun benn," atbmete SöernSbaufen erleichtert auf, „fo 
batte ich hiermit im Warnen meinet SobneS um bie |>anb 
3brer Tochter, Fräulein (Ufa Xrenner, an." 

$er Wbbofat berbeugte ftcb leidet mit einem betbinb= 
lieben fricbeln uitb tebnte fidf; bann grabitätifcb in feinen 
Stubt 3 urücf. 

„3cb fit^le midi) bureb biefe Söerbung mirflich fetjr 
geehrt, meine Herren," ermieberte er nach einer Äunft* 
paufe in einem fo gefälligen 2 on, als miffe er nicht im 
Weringften, tnaS bod) eigentlich bie 3)eranlaffung 31 t biefer 
feltfamen Sörautloerbung bilbete. „ 2 (ch glaube 3 b nen benn, 
nachbem ich nun nachträglich mein geftern gegebenes 2 Bovt 
nicht aurüefnebmen Unit, eine Wbtoicfelung ber Ungelegen* 
beit in ber bon Stbuen gemünfebten 9lrt utib Söeife in 
SluSfidfjt ftellen 311 lönnen, baS heißt, ich nehme 3b*en 
Eintrag im Warnen meiner ütoebter in aller $orm an." 

3)er WUnifter niefte einige Wiale mit bem .Raupte; 
fein Sot)n ftarrte mit fuufetnbem Wuge auf feinen 5)effert* 
telter nieber. 



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■ ^« ■ A. ,aiwgL 



Vornan non 6arl 6b. Klopfer. 



87 



„ 3 <h braune Sbnen moht nicht alle fünfte unferer 
Vereinbarung in’S ©ebädjtnife äurücfyurufen," fuhr Xrenner 
langfam fort, inbem er unter ben halbgefenlten 9lugen= 
Xibern herbor feine SSIicfe bont Vater nabt) bem ©ohne 
fcijmeifen liefe. „3>iefe #eiratl} mirb unter alten jenen 
Srormatitäten gefdjtoffen, bie bem 2 tnfehen 3 h*cr f^amtUe 
entfpredfjen. 28ir motten bon biefem 2 lugenbtid£ ab, mo 
mir 31 t einanber in ein bermanbtfdhafttidjeS Verhältnife 
ju treten im Vegriffe fielen, nidljt mie — -ßaufteute mit 
einanber feil fdjen ; ©ie, meine Herren, finb ©enttemen — 
ich audh, unb ferner bin ich ber Vtitmijfer eiltet 3famitien= 
geljeimniffeS, beffen Offenbarung nodf) immer in meiner 
|>anb liegt . . . ©ie berftetjen!" 

„VoWommen, botlfommen," ermieberte ber alte ©raf. 
,,©ie motten biefe Verbinbung ganj fo bott^ogen miffen, 
a(3 ob 

„©ehr richtig," unterbrach ihn ber 9totar mit betjag= 
tichem ßädjetn, „gan<j fo — als ob... baS tooltte idT; 
eben eiit= für allemal genau feftftetten. $dh tarnt midi) 
barauf bertaffen, bafe ©raf Herbert feine Verbtnbung 
als — für immer gefdjtoffen betrautet, bafe er ficfj nicht 
nach ber Vermählung auS ber ©efettfcfjaft auriltfjieht, 
fonbern bielmehr — an ber ©eite feiner ©emahlin — in 
ber Stefibena ober hoch menigftenS in ber 9Whe bermeilt, 
um 31 t feinerlei ©erüdhten 3tntafe 3 U geben, als t)ätte 
biefe @h e cinbere ©rünbe, als bie einer mähren, innigen 
Neigung jurn Qrunbamente." 

Herbert tnirfdhte mit ben gähnen unb h^tt fidh bie 
geballte fjauft an bie ©tirne ; er märe in biefem Vtoment 



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88 



t$rami(ienefyre. 



beut SlbBofateu am lieBfien an bic $ehle gefaxten. 5)er 
*ÜUnifter, ber feinen ©ofen nicht auS ben Slugen liefe, er= 
riet!) beffen ©ebanfen unb Ijielt eS für angejeigt, bie un= 
erquieftidje ©ituation 311 Beenben. @r ftanb auf. 

„2>aS märe alfo abgemacht," fagte er, ftdj au einem 
natürlichen .ffonberfattonStone amingenb. „©ie toerben 
Sfere 2od)ter noch heute Bon unferer UeBereinlunft in 
Äenntnife fefeen, £err Srnftor 1 ?" 

„©emife," entgegnete ber Hausherr, fid; gleichfalls er= 
feeBenb. „Unb ich ^offe, bafe toir Bei bem Äinbe auf feine 
Befonberen ©chmierigfeiten ftofeen." 

„3n fedjS Monaten, nachbem bie Sraueraeit aBgelaufen, 
mag bie öffentliche Verlobung ftattfinben," fagte ber alte 
©raf geprefet, „um berfelBen bann in fünfter f?rift bic 
.^ochaeit folgen au laffen." 

„(Sana einöerftanben , ©rcellena," lächelte Brenner. 
„Unb am Sage ber Srauung erhalten ©ie auS meinet; 
$anb bie getoiffen Rapiere — fo toie mir eS geftern Be= 
reitS ausgemacht hoBen." 

SBernSljaufen Berneigte fich fchmeigenb unb beraBfchiebete 
ftch bann mit feinem ©ofen. 

S)ie Beiben ©rafen ftiegen morttoS bie Sreppe hinunter, 
©elbjt als fie Bereits im Söagen fafeen unb nach Bern 
9Jtinifterfjotel fuhren, fdjmiegen fie geraume $eit. 

„$ch banfe SDir," fagte enblich 2BemSf}aufen unb 
brüdtc leicht ben Slrnt feines ©ohneS, „ich banfe S)ir, 
bafe 25u ber ©a<he biefe SBenbung gaBft! 3<h fürchtete 
fchon, 3)u mürbeft im entfeheibenben Momente baS Opfer 
Berfa gen." 



Römern von @av( @b, itlopfer. 



80 



Der fcfjmeralidje ©eufjer, ber aug beut 2Jhmbe .§er* 
bert’ä brang, lief} erlernten, toie febtoer iljm biefeS Cpfer 
in ber üTfjat getoorben toar. 

9tl§ bie Equipage an ber Auffahrt beä Calais 2 öerti§= 
tjaufen ^tett, toertiefjen 2kter itnb ©obn fhtmm ben Sßagen 
unb traten, Oon bem portier ebrerbietigft begrübt, in baä 
Söeftibüle. 

„Unb toie bentft Du Didj Deinen SBefannten gegen* 
über ju bemalten ?" begann ber alte @raf enblidj, al£ 
fie lattgfam bie breite Freitreppe emporftiegen. 

„9tun, febon burdj mein anfängliche^ ^eivafblprojeft 
mit — Ftau b. fJMblboff if* eine getniffe Ätuft atoifcbeit 
mir unb meinen F*ennben entftanben, bie idj nun 3 U be* 
feitigen um fo loeniger llrfadje ^abe, al§ midi) biefelbe 
babor febiibt, ali^u oft über bie SSetoeggrftnbe 3 U meiner 
^ermöbtung auägefragt 3 U toerben." Herbert lachte bitter 
puf. „D, ba§ toirb ©enfatiou machen, h a ^» a h a - tnenn 
man meinen neueften ©enieftreich erfährt!" 

„Unb toenn man Dieb bennoeb fragen foüte?" 

„Dann mögen fie fetbft eine paffenbe drfläruttg fudfjen. 
UebrigenS toerbe ich müßige ©ebtoäber Oon mir ferne 3U 
batten toiffen. 9Jtan toirb ftch an ba§ Foftum getoöbnen 
tote — nun, toie auch ich ntith bielteicfit baran getoöbnen 
toerbe." 

„Unb toie toitlft Du Dieb mit ber TOblboff aus* 
einanber fefeen?" fragte ber fötinifter teife unb ängftlich- 

(Eine bunfte Otötbc flammte bei biefer (Erinnerung in 
-fperbert’S ©efichte auf. 

„Da§ toirb fich finben," fagte er nach furaem SBefkt* 



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00 t$amüiene(rc. 

neu; „bis id) ntid) mit bcm Unbermeiblicben bertrauter 
gemacht habe!" 

„ 9 lb, geftebe, Herbert, Du ^aft nod) einen Runter» 
gebanfen Du bielleicht bod) noch, baß bis 31er 
3eit ber Söermäblung eine jeßt nicht borber 31t fe^enbe 
Söenbung in ber Sadje eintreten !bnne, Du llammerft 
Di cf) an bie fc^tuac£)e Wtüglicbfeit, baß ©da Drenner bis 
ba^in auS eigenem Wntrieb aurüdtreten Werbe, Du b°fffi 
bielleidjt auf irgenb ein außergewöhnliches ©reigniß!" 

„Sie irren ftch, Söater," entgegnete Herbert entfd^toffen, 
„id? boffe nicht mehr, fonbern Werbe mich bem llnbermeib* 
lidjen ohne SBiberftreben unterbieten !" 

311 S er bie ©äffe bis in’S Söoraimmer hinaus geleitet 
batte, ging Drenner nach beut Salon. Wber baS ©efübl 
beS DriumpbeS über baS ©elingen feines flaues, fo Weit 
berfelbe WenigftenS ben jungen SöernSbaufen betraf, würbe 
ftarl beeinträchtigt burdj bie bange Ungewißheit, tuie fid; 
ber anbere Dbeit, ber an ber Wngelegenbeit beteiligt war, 
feiner Eröffnung gegenüber bemalten Würbe. 

3 jnt Salon traf er ©da, bie in ber Orenfternifdje ftaub 
unb bem Söagen beS WtinifterS nadjblidte, Welker eben 
babou rollte. Sie bemerkte bie SlnWefenbeit ibreS 23 aterS 
uid)t eher, bis biefer bie |>anb auf ihre Schulter legte. 

„ 3 lb, Du bift’S!" fagte fie, leicht 3ufammenfabreub. 
„3fcb bewerte eben 31t meinem ©rftaunen, baß bie Herren 
unS berlaffen fy*ben, ohne fidb mir 311 empfehlen." 

„Wimm eS ihnen nicht übel, mein Jfinb. ©raf Herbert 
ift ein eigeittbümlidjer Äauj, Wie Du bielleicht fdjon 



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Vornan non Sari Gb. Klopfer. 



91 



beobachten fonnteft. Gr bentt unb fühlt ettoaä anberS als 
bie übrigen Seute. 3K 25« toürbeft erftaunen, luelch’ feit* 
fame Sanieren er hot, um — hm! — feine Sympathien 
für getoiffe ^erfonen anS<jubrücfen; er ift Dielleicht fehüdj* 
tern, rauh 

35er 9iotar lächelte Derlegen unb hielt inne. Gila fal) 
il)n erftaunt an; in folch’ ^örtlichem, milbent Sone hotte 
er noch feiten jju ihr gefprodjen. 

„3)u hoft 9ted)t, 5Jlapa," fagte fte unb fam anS ber 
^enfternifche fjerbor, „baS ift ein gana eigenartiger ®ho= 
ralter — gar nicht toie bie anbern jungen Herren, bie 
idj bisher fennen gelernt ljobe, bie mir immer nur fabe 
Komplimente ju !often gaben." 

„sticht toahr? 9tun, ba hötteft S5u ja gleid> einen 
9)tenf<hen gefnnben, ber fi(h über ba§ alltägliche 9tibean 
erhebt, ba§ SDit fo berljafst erfdjeint. Kommt er bielleidht 
jenem ^beale nahe, baS 35« 35ir biSTjer als fo unmögtid) 
geträumt hofH" 

Gila hol» überrafcht ben Kopf, um fich bann fchnell 
«b^umenben, als fie betit lädhelnben 33tid beS ÜaterS be= 
gegnete. Sie fttthte fich auf bie Sehne eines SeffelS unb 
fah nachbentlid) bor fidh hin- 2)ie bäterlidjen äöorte 
hatten eine berbovgenc Saite in ihrem <£>er<}en angefdhlagen, 
einen 3on, ber fo tounberfam erllang unb burdj ihr ganzes 
Snnere bibrirte. 

Srenner madhte toieber einen (Sang burdj baS 3immer, 
um fidh HJluth 3U berfdhaffen ; er tootlte nun ohne SöeitereS 
mit feiner Gröffnung beginnen, bie er nicht lange mehr 
berfchieben tonnte. 



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02 



Soniilienc^re. 



„.fröre, mein Äiitb," fagte er bann im oberftädjlicbften 
s $laubertone , „mir mürben eigentlid) burdj ben $efud) 
ber (Strafen SQBern^aufen in einem 3mtegefprftdbe unter* 
brocken, meldjeS mich febr interefftrt ^fttte — " 

„2öie meinft Du, S -Jkipa?" fragte (Sita. 

„Du fagteft borbin, Du mürbeft Did) — ba§ fjeifit, 
meitn id) mit einem ^rojefte für Deine 3 l dunft an Didj 
beranträte — at§ folgfame Docfjter in meine beffere 
@infid)t fügen — mar e§ nidjt fol" 

„Du ^aft Dir toobl nur einen ©djerj gemacht — " 
mar bie jögernb gegebene 9lntmort. 

„9tein, nein — c3 fönnte ja immerhin <£rnft barauö 
gemacht merbeu. 3d) fpradfj bon einer freiratb, bie Dir 
ja bodj nidjt erfpart bteiben mirb, obgleich Du in deiner 
2öei8^eit eine foldje ftoibmenbigfeit nicht recht einfeljen 
mottteft. 9tun, menn id) Dir atfo fofort bemeifen mürbe, 
bafj id) mit meinen 93orf<bIägen nicht gefdfjerjt ^abe . . . 
Du mürbeft bo<h bie brabe Docbter, bie in ihrem Sßater 
ben beften 9tatbgeber ancrtennt, nicht ßügen ftrafen 1 ?" 

„Wein, allein, $apa — ba§ mirft Du bocb fetbft ein* 
feben — baS gefdjab bocij nur im gleicbgittigen ©efprcidj, 
in ber 53orau§febung, bafj Du nur im Scherbe — " 
„ßarifari! 3öa§ ftnb ba§ nun mit einem 9Jtale für 
Sertbabrungen unb SBerfdfjanjungen, b^ n ^ r tbetctje Du 
Didj ber!rie<hen millft?" 

@tta moflte etmaä entgegnen, fdfjien aber nicht bie 
paffenben SBorte ^u finben. ®ie ftampfte mit bem 5ttfj= 
d)en auf ben Deppid) unb ging miebet an’§ ftenfter. 

Da§ ©efidjt Drenner’S nahm plötjlicb einen überaus 



üRotnan t»on Sari Sb. $lop[er. 



93 



pfiffigen Musbrucf Qit. St fniff abtoedjfelnb halb bas! 
eine, halb ba§ anberc Sluge au, fpitjte ben 2Jtunb uitb 
rieb ftdj febt bebaglicb bie fetten $änbe. 3b m fehlen eine 
gatta nterfmütbige $bee gefommen. Sr näherte [ich feiner 
Docbter unb pang ficb jetjt au einem faft zornigen Don. 

„2f(b toitt eine Bünbige 2lntmort buben. SBiUft Du 
alfo Deine früheren SOßorte miberrufen? ©laubft Du 
mirflicfj 2tu£fi<bt au buben, einen *Dtann au gemimten, ber 
ficb über bie Piaffe feiner Äameroben ergebt unb ben Du 
mürbig befinben fönnteft, mit Deinem Sofort, mit Deiner 
emigen Neigung au beglfidfen?" 

„Spotte nur, $apa! Dodtj i<b mitt Dir gefteben, bafj 
icb etmaä übereilt mar. $cb rnüjjte boeb erft überlegen — 
ma$ tüiEft Du micl) überhaupt brängen ; icb bin boef) noch 
jung genug, um $eit au buben. $cb bube nod? nie an 
baä gebadet, ma§ Du all eine ,9totbmenbigfeit‘ betraebteft ; 
lafj alfo mit biefern ©ebanfett mich in ber SBelt, in ber 
©efellfdbaft untfeben, 2Jtenf<benfenntnijj famnteln, ebe icb 
Dir auf Deinen Söorfcblag eine Slntmort geben famt." 

„Slucb gut," fagte Dtenner febr gelaffen unb nabnt 
miebet feine 5ßromenabe bureb ba§ 3ünnter auf. „Du 
foUfi Deinen SBitten buben ; icb miH Dieb in feiner SDßeifc 
beeinfluffen. Sinftmeilen über famt idb Dir fo gana neben- 
l)cr bie 2Jtittbeilung machen, bafj foeben Sjcellena @raf 
2öern§buufen im tarnen feinet ©obneö um Deine -ftattb 
angebalten bat." 

Diefe furae SSenterfung rnufjte gerabe bureb ben ruhigen, 
gefcbftftSmäfjigen Don, mit toelcbem jte öorgebraebt mürbe, 
um fo überrafdbenber mitten. Slla fonute einen furaen 



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94 



$ütiiilicnef)re. 



Muf beS ^ödjften GrflaunenS nid^t unterbrücfen. 2)ann 
bifj fie bic 3ähnc aufeinanber uub manbte ficij langsam 
nach bcm 93ater um. 

„2>u bift ^cute aufjerorbentlidj mitjig, 5J3apa!" fagtc 
fic leife, ihre Stimme gitterte. 

„911), 25u glaubft, ich rebc nicht im Grnfte? 2!a3 
märe ein fetjr fchledfjter Spaf$, mein Jfinb! 9iein, cS 
ift fo, mie idt) 25ir fage : Graf Herbert hat mich in aller 
Oform um 2)eine $anb gebeten — burdj ben 9Jtunb feinet 
93ater8, mie e8 gute alte Sitte ift." 

„SQßaä fott baS l)eijjen ? (Sr falj mich heute aum erften 
fötale 

„2Öer mcife !" lächelte ber 9iotar mit einem Vergnügten 
9(ugeuatointern. „(Sr fcfjeint 2>idj länger au fennen, als 
2>u glaubft. Vielleicht hatte er Gelegenheit, 2)idj ^eim= 
lieh 3« beobachten, ^ebenfalls fant er fdhon mit bem 
Vorfape hierher, ben er nun, mie 2)u h&rft, auSgeführt 
hat. 25er Vefudf) ber beiben Grafen h^ttc nur biefen 
ßtoetf." 

„Unb 2)u mufjteft um biefen 3roecf?" 

„9toch ehe fte famen. i3dj mürbe bereits geftern burdt) 
ben OTinifter barauf Vorbereitet. 2)eShalb auch meine 
9lnfpielungen vorher. 2)u fiehft alfo, bah ich feinen 
Grunb autn Scheinen hatte. 3<h Qeftehe allerbiugS felbft, 
bah biefe SBrautmerbung unb bic $orm, in melchc fic 
gefleibet mürbe, eine fehr feltfame, ja befrembliche ift, 
aber — ber junge Graf ift eben ein auherorbentlidjev 
Vtenfdj, ber 9llleS I;a%t , maS Schablone ift. 2)och bas 
fann 25ich hoch nicht geniren — 2)u fchmärrnft ja für 



JHoman uon Gart (Sb. Älopfer. 



95 



bas Ungemöbnlidje. $a l)aft SDu nun cnblid) etmaS 2>er= 
artiges, baS fid^ über baS Slßtäglidjc ergebt!" 

„Seltfam!" ftüftevte (Sita fopffdjüttelnb mit finfterem 
)ölid. „35abei meint biefet .fperr ®raf mobt, idj mürbe 
mid) o^ne SöeitereS in feine 9lrme merfen unb itjm banfen, 
bajj er mid) für mürbig befunben, bie ©emablin beä 
abeligen |>errn b. SBernSbaufeit 3 U l^et§cn ! 9lber er fönnte 
fidh täufeben, ber $err ®raf." 

„3Du irrft, mein Äinb," lentte ber ^Jatcr ein, „er ift 
burdhauS noch nicht bon deiner (Sinmiltigung überzeugt, 
bietmebr bat er ntidj, 2 >ir gan$ bie (Sntfdjeibung 311 über« 
taffen." 

„|mft 2 )u bielleicbt fdhon SDein $amort abgegeben?" 

„töerubige 2 )i<b," entgegnete ber Stbbotat, „bas ift 
nicht geftbeben, aber ich f*b e in be* ^bat nicht ein, maS 

2 ) id) beftintmen fönnte, '.Hein p fagen." 

(Stta fdjmieg unb prefjte bie feinen -£>änbe an bie 
(Schläfen, als motte fie ihre fdjmirrenben (SJebanfen feftbatten. 

„3>dh fann fe|t nid)tS fagen," rief fie enbtidh, „taffe 
mir 3eit pr Ueberlegung, $Papa, morgen — übermorgen 
mill idh S)ir unb ihm eine beftimmte Slntmort erteilen!" 

35amit rijj fie bie portiere am Eingang beS (Salons 
prüd unb eilte mit rafdhen Schritten itadh ihrem 3 immer. 

3) er 9iotar fab ihr, mit auf ben fHüdeit gelegten .fränben, 
noch lange nadj; ein bergniigteS fächeln umfpiette feine 
Sippen. 

„Sie mirb!" murmelte er für fich- „Sie mirb Gräfin 
HöernSbaufen — unb id) habe baS lepte 3«l meines 
StrebenS erreicht!" 



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96 



Familiencbre. 



Dicräditttcs 'Kapitel. 

3>er neuere ^ßattbaf. 

$Wei Jage fpäter War SlbenbgefeHfcbaft bei ber 33a= 
roititt OTblljoff. 2We bie befragten unb uniformirten 
©cbmetterlinge, bie eS als eine Lebensaufgabe betrachten, 
ben jeweiligen „©lern" ber (SefeUfcbaft p umflattern, 
fanben fidj pünltlidj bap ein. 4jjerrn b. Ubelbadj’S ge= 
fälliger Sanier uub überfcbwänglicben (Salaitierien War 
nicht anpmerlen, baB erft öor Wenigen SEagen fein tefjteS 
(Snt fub^aflirt Worben war. ©eine SJUene War fo b^ter, 
feine Laune fo rofenfarbig, Wie ungefähr bie ©einer $of)eit 
beS ^rin^en Dtbenio Sßantillare^ ber beute Wie geWöbn= 
litb baS fabelbaftefle (Slücf am grünen Ütifcbc p ber^eicb 2 
nen ^attc. (Seneral ©cblingbeint fluchte Wie gewöhnlich, 
baB er feine unbepjinglidje Vorliebe für baS 5Pb orao 
Wieber einmal mit einem febr beträchtlichen (Selbberluftc 
bepb^b gemuBt, unb 33aron Limbacb brängte ftcb bureb 
bie Reiben ber (Safte, überall bi«b ö ^enb, halb ^Ur, halb 
bort ein (Sepiauber anfnüpfenb, Wie eS feine (SeWobn* 
beit War. 

(£r batte bergeblidj nach feinem Steunbe Herbert auS-- 
geflaut unb wu^te nicht, ob er baS auffällige Fernbleiben 
bcffelben in feinem ©inne günftig ober ungünftig aufp= 
faffen habe. UebrigenS batte er bereits bemerlt, baB bie 
-jperrin beS jpaufeS über baS rätbfelbafte Verhalten beS 
(Srafen nicht Weniger im Unllaren War, benn F*au ö. 90Wibl= 
boff erfebien gegen ben EroB ihrer Anbeter b eu te un= 
gnäbiger als jemals, ©ie batte fi<b in ganj Heiner <Se= 



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iftoman non ßart 6 b. fttopfer. 



07 



fettfchaft an ben 5t^eetifc^ im testen ©aton aurüdfgeaogen, 
utib übetliefj eS ihrer ©efeltfchaftSbame, 3 frau b. ©pohr, 
einer alten, fehr lur^ftdjtigen äöittme, bie |>onneut§ 3 « 
machen. 

3u bem Keinen ÄteiS ber SluSermähtten, bie in ber 
näcfjften 9iähe bet SSaronin bertoeilen burften, gehörte 
auch — at§ bornehmfter ©aft — ber orientaXifc^e $rin 3 , 
ferner ber .gmfarentieutenant ö. pranget, melier biefe 
©unfi lebiglich feiner bertrauten Äenntnifj aller pifanten 
Slffairen toerbaufte, bie fich bie JHatfdjbaJen ber 9 tefibeit 3 
in’S Ohr flüfierten. 2 BaS aber ben dritten in biefern 
33unb ber befonberS 33eglücften anbelangte, fo mar ntan 
über beffen 5))erfönlichfeit nur oberfläd^Xic^ unterrichtet, 
©inige mollten miffen, eS fei ein junger SJtater, ber bon 
irgenb einer auStänbifdjen Slfabemie nach ber 9 tefiben 3 
getommen fei, um fich mahrfcheinlich bei <£>ofe borftetten 
3 U taffen. 3 mei ober brei befonbetS ©ingemeitjte mußten 
fogar ben tarnen biefeS jungen ÄttnftlerS: ©tephan 33ranbt, 
unb festen htn 3 U, biefer 9iame höbe in ber Äunftmett, 
nach ber 33erftcherung ber Saronin fDlühthoff, einen guten 
JHang, maä nicht be^tüeifeXt merben tonnte, ba bie SBenig* 
ften ber hi« 2 tnmefenben in eben biefer Äunftmett fo be= 
manbert fein mochten, um biefeS für 4 ?erm Söranbt fo 
günftige ©erücht 3 U bementiren. — 

,,©ieh’ ba, fteh’ ba," meinte £imbath, fi<h tächetnb 
an feinen $mmb, ben ©rafett ©oSmiji, menbenb, ben er 
eben bemerft hotte, „hier treffen mir unS mieber! |>ören 
©ie, mein lieber fffreunb, ich fange nach «ob nach an 3 U 
glauben — " 

Sibliotyfl. 3al>rfl. 1889. Sb. X. 7 



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Ofi ftamilieiteljre. 

„2Ba3, mein beftcr S3avon?" 

„35a jj ber gemaltige 9Jlagnetiämu6, beu eine gelüiffc 
2 )amc in biefem |>aufe auSftrömt, aud) ouf ©ie feine 
äÖirlung äufcert." 

„ 2 Benn ©ie baä bloä auS meiner Slmoefenljeit l)icr 
fdjliejjen, fo fönnte idj mol)t audj auf ©ie einen folgen 
SBerbacfjt lenten." 

„9tein, mein Söertljefter, ba§ glaubt felbft bie böfefte 
Söerleumbung nidjt ; bie ©efttljle, bie idj für bie Mljtfjoff 
liege, finb ju belannt. ©ie miffen ja, bafj id) nur im 
Sntereffe meinet 3?reunbe§ Herbert Ijier meine 33eobacf)= 
hingen anfteüe." 

„Unb eine äljntidje Urfadje liegt audj meinem 23efudje 
in biefem «fpaufe 511 ©runbe; idj !am nämlidj foeben an, 
um ©ie aufaufudjen, ba idj beftimmt mujjte, bafj idj ©ie 
Ijier treffen !5nne. äöiffen ©ie nodj nidjt, ma§ man ftdj 
in jüngfter $rift bon ben SBernäljaufenä eraäljtt'?" 

„2öie, Don 2)ater unb ©otju? SOßaä meinen ©ie 1 ?" 

„ 2 >er SJtinifter fott bei ©einer 9Jtajeftät fein ©nt= 
laffungSgefucl) eingereidjt Ijaben." 

„ 2 öa§ ©ie fagen!" rief ber SBaron auf § |>odjfte über= 
rafdjt. „$)a§ ift ba§ erfte 2 öort, ba§ iä) babon Ijöre. 
Slber mer toeifj, ob etmaö Sßaljreä baran ift. Söoljer Ijaben 
©ie biefe fenfationelle ^adjridjt?" 

„9lu§ bent 9Jtunbe be§ CberljofiägermeifterS ©raf 9teu= 
felb, ber bireft au§ ber ^offanfllei fam, mo er bie ©e= 
fdjidjte au§ erfter |janb, brttljmarm, erfahren Ijatte. 3 fdj 
traf iljn bor bent Calais beä 9Jtinifter8; er mar felbft 
beim alten ©rafen getoefen, um ftdj bie 9teuigfeit beftätigen 



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- — - -. ** - ... 




Vornan 0011 @ar( 6 b. Stopfer. 



00 



311 taffe». Söeint 9ttinifter tonnte et nicht borfomnten; 
cs fycfj, ©jeettenj fügten fi<h untoohl. Dafür aber tonnte 
Weufelb ben ^rciljcrrn b. SBIant fptecheti, ber ben 9iücf= 
tritt fetneä 33etter§ bon ben ©efdjäften ihm toirflich be= 
fräftigte. — llnb toiffen ®ie, toaS ber Sägermeifter noch 
erfuhr? ©raf Herbert mirb fidj bemnäctjft berloben." 

„SBabr^aftig 1 ?" Xad^te £imbach , „nun, baS ift bodfj 
feine ftteuigfeit mehr." 

„Ser meib," ermieberte ber ©raf mit pfiffiger hielte, 
„benn biefe SSertobung fott eine ganj überrafdfjenbe ^ointe 
haben. Sch toürbe eS nicht magen, baran 3 U glauben, 
toenn mich ® ra f fReufelb nicht berfid^ert hätte, biefe 9ladj= 
rieht birett aus bem 3Jtunbe beS Notars Drenner erfahren 
ju hot>en, ber bei ber unbermutheten 323enbung in 3ßernS= 
haufen’S <£jeitatb3projeften in ber Dhat ftarf interefftrt 
märe." 

„aBiefo? Der Dottor Dtenner'?" 

„9tun, gerabe heraus gefagt — aber lachen Sie mich 
nid^t aul! — Herbert foll fich mit — mit einer anbereit 
Dame berloben." 

Simbacf) fuhr juriief unb ftarrte ben Sprecher eine 
©efunbe lang morttoS an. 

„aSaS?" rief er bann, „Herbert miß bie 35aronin 
Mühlhoff aufgeben, unb eine anbere ©h e cingehen?" 

©oStoib juefte bie 9fchfetn. „So behauptete toenigftenS 
Drenner." 

„5tber fagen Sie mir hoch um beS Rimmels mitten, 
toaS baS bebeutet? DaS überfteigt ja atte Segriffe!" 

„9lun, man tritt ja groben ha^n, bajj bie @nt= 

27534B 1 



100 ftamüienetjre. 

fc^ltiffe be§ «§etrn ©rafen oft ebenfo nnmberbar al£ blötj» 
tid) finb." 

„Unb auf tuen foß bentt jeijt mit einem Wate feine 
Stahl gefaßen fein? Sten miß er benn je^t 31 « ©räfin 
Sternhaufen machen, ber fjeillofe Wenfcf) ?" 

„Fräulein — @ßa Drenner, bie Dodjter be§ Stotar£!" 
flüfterte ©oämib. 

„$aba," tad^te ber SBaron auf. „©inb mir benn im 
Äarnebal, in ber 3eit ber tollen fötaSfenfcberae? — Stenn 
fitb aber," fuhr er ernftbaft fort, „mit!li<b be*au$fteHen 
fottte, bafj bie§ S5ertobung§gerü(bt mabr ift, bann ^ätte 
aßerbingä fein Fernbleiben am blutigen Slbenb eine bin» 
reidjenbe ürflärung gefunben. ©oßte e§ jmifeben Herbert 
unb ber Wäbt^off etloaä gegeben höben? Die S^aronin 
fiebt mir gau^ barnadj au§." 

„#m, bießeidjt haben ©ie 9te<bt," meinte ©oämitj. 
„Der junge Water , ber fidj ba brinnen an ihrer ©eite 
breit macht, foß ja im fßabißon ibre§ ©artend fein Sltelier 
aufgefebtagen haben." 

»3a, Ftau b. Wübtboff täfct fi<b bon |>errn S3ranbt 
borträtiren, toie fie felbft borbin erftärtc," lachte ßimbadj ; 
„fie tüitt biedeicht ihren SSräutigam mit ihrem S9ilbnifj 
tiberrafchen!" \ 

„Stäre nicht übel, ©(habe, bafj ber ©raf für eine fotdhe 
Heberrafdhung menig ©iitn unb Danlbarleit au haben fdjeint. " 

„ 3 ebcnfaߧ miß ich nod) b cu * e nttferett F^nnb auf» 
fud)en. 3 <h Inerbe mich nicht abtneifen ~ laffen , menn er 
fich auch, toie fdjon einige fötale, berleugnen läfct — er 
foß mir enblid) reinen Stein einfdjenfen!" 



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Vornan uott ©avl @b. Stopfer. 



101 



$amit berabfdhkbete fid) Varon Lintbad) bon ©osmih 
uitb berliefj in <5ile baS -f?auS bcr 3fvau b. Mühlhoff- — 

9ludj bon anbcrcn Herren tuurbc iit^toifd^cn bereits 
bcr beborftetjenbe ÜHidtritt bcS ÜJlinifterS SOBernShaufett 
befprodjett, bcr fein ©eheimttifi mehr tbar. Slitbcrc mufjteu 
hittfluflufügen, bafj ©raf Herbert plötzlich berietet fei, uitb 
nun begab utau fich baran, 311 foutbintren unb Vermuthun* 
gen aufflufteHen, bie halb bic beiben Xhatfadfjeu mit ein* 
anber in Verbinbuug brachten. Man mar halb barüber 
einig getoorbett, bafj bic Vermählung <£)erbert’£ boit aller* 
fyödjfter Seite ^intertrieben fei, toeäljatb fich ber Miuifter 
genötigt fa^e, auf feinen Voftcn flu belichten, mährettb 
©raf Herbert, um fid) allem ©crebe flu entfliegen, $nall 
unb gatt bie 9iefibettfl bertaffen habe. 

Mehrere ber ©äfte näherten fich jej}t ber Varonitt, 
um 2tbfchieb flu neunten; baran märe aflerbiitgS nichts 
Auffälliges gemefen, benn bie 3eü mar fdjon fo rneit bor* 
gefdjritten, aber 3rene tonnte eS nicht entgegen, bafj bic 
an fie gerichteten AbfchiebStoorte etmaS ©igenthümlichcS, 
faft Verlegenes halten. $n allen ©dien hatten fich ©rup* 
pen gebilbet, bic etmaS Angelegentliches flu biStutireu 
fchienen, babei fah bie Varonin bon allen Seiten bcr* 
ftohlcne Vlidfe auf fich gerichtet; fie tonnte nicht länger 
in 3l°eifel bleiben — eS tbar irgeub eine Aachricht auf* 
getaucht, bie mehr ober meniger auf ftc Veflug ha^en 
inufjte. Unb bafj biefe Aadhridjt leine für fie befonberS 
erfreulidhe fein modhte, baS tonnte fie aus bent beutlitf) 
fichtbaren Veftrcben entnehmen, ihr biefelbe flu berbergeit. 

Lieutenant b. Mangel hatte felbftberftäublich mit bent 



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102 



Fumilienehre. 



ihm befonberö eigentümlichen Feingefühl füt 2lEe§, trag 
nur entfernt einer ^ifanten 9leuigleit ähnlich fah, fofort 
gebuttert, bah ba hüben ltnb brüben — auf allen ©eiten 
„etma§ lo§" fein muhte. @r rüdte unruhig auf feinem 
©tnljle hi« unb Ijev, nach einer gefdjidten Sluäflucht 
fudjenb, bie eä ihm ermöglichen fönnte, ba brauhen 6r= 
funbiguitgcn eiitauaiehen, ohne ba§ Sefremben ber fchönen 
$auäfrau $u erregen. 2llä ihm enblidj $err b. ^üEnifj, 
fein Sufenfreuub, boit ber ©djtueEe bc§ 2Jtittelfatonä hev 
einen heimlichen, aber fehr bebeutfamen äöin! gab, tonnte 
er feine bremtenbe Neugier nicht länger aurüdhalten. @r 
raffte fich fdjon au irgenb einer entfchulbigenben ^p^rafe 
auf, ba !ant ihm bie 23aronin felbft ju |)ilfe, inbent ftc 
fich ih« toanbte. 

„3lth, fperr b. pranget, moEten ©ie nicht bieEeidjt 
bie ©üte h^eit, im anberen gimnter Fr«« b. ©poht 
aufaufudjcit? 3)ie gute 2)ante bernachläffigt uitä gana, 
unb ©ie, meine «Herren, toerben tä hoch getoih nicht ber= 
fdfntähen tooEen, mit mir noch eine letzte £affe Ühee 
au trinfen?" 

,,©ie entlüden uns," flötete 5}kina 33antiEarea mit 
feinem fühlidjen 2lccent, in toelcheni er feiner beutfdjeit 
Wuäfprache ein gemiffeä ejotifdjeä ^arfüm berlieh- „2Bir 
merben un§ — bei ©an 3tago ! — gana befoitberS glüd= 
lieh fühlen, toenn ©ie un3 geftatten, noch einige Minuten 
in Sth^er himtnlifchen 9tähe ju bertoeilen." 

SSranbt fenfte ben S3lid, alä er bie Slugeit Irenens 
auf fid) gerichtet fal). 3h ! « ü»ar überhaupt nicht gana 
mohl in biefer ©efeEfchaft. 6r muhte, bah er hiev nicht 



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5Roman oon (Jarl ($b. Jllopfer. 



103 



tuefyr galt, als irgenb eine äöanbbeqietung, ja bafj mau 
if>n bon mehr als einer ©eite auS als einen ©inbring* 
ling Betrachtete , gegen melden man jt<h nicht referüirt 
genug bemalten tonnte. SDieje ©rtenntnifi hätte cS ihm 
Setoife unleibtidh gemacht, h^t auSjuharren, loeitit nicht 
fein Gegenüber, bie Btenbcnbe |>auSfrau, ber Magnet 
getoefeit märe, ber ihn h^r Wie mit ^auBerträften feft= 
hielt. Sfn ihren SlnBlict berloreit, mar ihm baS gan^e 
betriebe rings umher gteichgiltig ; aber fonberbar, er ber* 
mochte nicht bie immer mieberfehrenben ©ebanten au ber= 
fdheudjen, melcfje ihm neben ber glänjenben ©rfchemung 
ber SBaronin immer unb immer mieber ein anbereS ütaum* 
bilb bor ben feetifdjeu Stic! fdhoben. $5aS fumntenbe 
Öeplauber, baS an fein Cljr fä^g, XuXtte ihn in eine 
9lrt geiftigen Schlummers, in meinem er auS ber ober 
jener entfernteren ©ruppe eine betanntc Stimme, bie 
Stimme Dttcharb SoHBrecht’S h erauö 3 u1 h ören bermeinte. 
Cft fuhr er auf unb tauf^te gefpannt bahin, boit too ber 
fonore 2on hctÄutommen fdjien. 3>amt mertte er freilich 
feinen Sfrrthum unb bann iibertam eS beit fötaler fo feit* 
laut bebtücfenb, er fühlte fleh hoppelt bereiufamt, meil eS 
ihm fchien, als häbe er felbft einen Xheil ber eigenen 
Seele berloren unb mit ihm alle feine frühere fjreube am 
S?cBcn — an feiuer fchönen, geliebten Äunft. 

@r fuhr faft aufaittmen, als bor feinem gefenften 2luge 
bie magere £anb ber ©efellfdhaftSbame ftrau b. ©pohr 
auftauchte, bie ihm feine !Xheetaffe füllte. 

„€i, $err SBranbt," brang im felben Moment bie 
Stimme Irenens an fein Ohr, „Sie feljeu ja fo an« 



104 



SantiUenebre. 



geftrengt auf beu ©runb Sbrer Staffc, alö tooEten Sie 
barauä, toi e bie aöabrfagetinnen auö bent Äaffeefajjc, ftcf> 
ettoaä pro^e^eien." 

Söranbt läd^elte trüb. (Sr §atte eine unbeftimntte 
3t$nung , bafj eine fold^e ^rop^ejeiung für Uju teilte 
günftige getoefen toäre. 

biefern atugenblidf tarn #err b. pranget toieber 
an ben Ütjeetifcf) ^nrüd. Srene fa^ fofort, bafj er ettoaä 
3Bicbtige3 erfahren ^atte, benn feine aitiene ftralpe fßnn= 
tidfj unter bent (Stande ber tjocbbebeutenben ©efd()id(jte, Don 
ber er foeben Äenntnifj ermatten, ttr ärgerte ficfj jtoar 
int tiefftcn ©runbe feines ^er^enS barüber, bafj er, ber 
fonft aEe s Jteuigteiten auerft toufjte, bie fenfationeEe ©e= 
fd)idf)tc,erft au§ fünfter ober fester ^anb erfahren batte, 
fonnte fidj jeboc^ in ber (Srtoartung ber bebeutenbeit 2öir= 
tung, bie er mit biefer 9tad£jricbt in anberen, bisher ba= 
Don noch nidjt unterrichteten Greifen unfehlbar eraielen 
mufjte. Seijt toar er lebigli<b bon bem Streben befeelt, 
bic SSaronin unb i^r $au§ fo fd(jneE atä möglich au ber* 
taffen, um feine grofje 9icuig!eit nadt; aEeit SEßinbrid^tungeu 
au berbreiten. 



(3ort)efeu«fl folgt.) 



Sec ttorntunb. 

ItooeUc 

von 

X (6. u. Suttner. 



(9Jad)brud Daboten.) 

1 . 

„Äairo, 13. Februar 1880. 

|>errn 9lübiger ©tafelt ftranfenfteiu. äöieit. ©ranb*.f?otet. 
Sieber 9iübiget! 

freute haben mir deinen armen Ctjeint ju ©rabe ge= 
**■/ tragen. ^dj fonn mir benfen, mein Sfunge, mie Sief; 
meine Sebefdhe erfd^üttert haben toirb, toenn Su audj 
batauf gefaxt getoefen fein mufeteft , Seinen leijten S3er= 
Wanbten nicht mehr 3 u fehen. Su ftehft jefjt allein auf 
ber Söelt, unb i<h fürchte, biefeä Meinftehen toirb für 
Sich noch aßerhanb SSitterteiten im ©efolge haben ; bereite 
Sich auf ioeitere fchlintme Nachrichten bor, Su meifjt: 
ein Ungtfitf tommt nie allein! 

Soch i<h toitt nicht feilte fefjon mit meinen Eröffnungen 
fommen ; ba§ SSöfc erfährt man nodh immer jeitig genug. 
3dh berlaffc morgen $aito ; in 3 ehn Sagen bin idh bei Sir. 
Ntit ©rufj Sein ^ollbadh." 



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106 



Xct Jöormunb. 



2 )iefer iörief erßößte bie Aufregung Dtübiger’ä, in bcr 
er ftcf) befaitb, feitbem iljnt bet £elegrapl) bie Sladjricßt 
bom 2 lblebeit be§ Iranfett Cßeimä gebracht ßatte. SBor 
brei 2 ageit mar e§ gemefen. ©beit bon einer luftigen 
©efeßfdjaft ßeimgefeljrt, too inan biel Gljantpagner ge= 
trunfen, Sluftern uitb £rüffelpaftete gegeffen, gefpielt, uitb 
tbo er auänaßntätoeife einmal tücptig gewonnen — alfo 
in ber beften Saune — ßatte er auf feinem Üifcße bie 
Unglücfäbotfcßaft gefuttben. 2)er gute fütann, ber ben 
Neffen mie einen eigenen ©oßn geßätfdfielt unb betrogen, 
ber ju beffen oft red^t tfjöridjten ©treidfjeit immer ein 
9luge augebrücft unb nur ein „aber, aber!" gefprocfjeit, 
toenu eö geheißen, bringenbe ©Bulben befaßten — biefer 
liebensMmrbige fötann toar nun nicßt nteßr. 

Unb jcßt, taum baß ber erfte ©cßmerj überftanben 
mar, jeßt fcßrieb tljm ber alte 3 ?reunb beä Cßeintä, baß 
er fidj nodfj auf meitere fcf)limme 9tadjridjten gefaßt madfjeit 
foltc! 

(Sr überflog nochmals ba§ eben empfangene Schreiben, 
legte e§ mit einem ©eufoer auf ben Xifcß aurütf unb 
uafjm ein paar anbere SBriefe pr £>anb, melcße bie $oft 
gebraut ßatte. ^err Sffibor Slcdj, ber ©djneiber nach 
bcr fDlobc, erlaubte fiel), ©einer Ijocßgeboren in ©rinne* 
rung ^u bringen, baß fid^ nodf) in feinem .ftauptbucfje ein 
Heiner Sßoften bon nur 1250 ©ulbeit borfanb, beit er nun* 
meßr löfcßen ju bürfen Ijoffe. ©djufier unb äßäfdjeljanb* 
lung mahnten ebenfalls. 3)er ^Pferbe^änbler bat um 33e= 
gleicßuttg feiner 3 ro*berung, ber 2 lgent Sfofepß ©d^medfer 
enblidj crfudjte beu |>erru ©rafen, nidjt 311 bergeffen, baß 



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Siooefle t)on 3t. ©. v. Suttner. 



107 



in bierjeBn Xageu ein SöecBfelcBen ju prolongiren, ober 
nodj beffer eiit^ulöfen fei. 

üJtifjmutBig fctjleuberte Milbiger biefe 3 wfd^riftcn bon 
fid). $alt, ba tag nodj ein Srief, ober bietntef>r ein 
Sriefdjen, 3 art=rofa angeljau<f)t, buftenb, mit einer ^ärt» 
liefen 2)ebifc in ftimmernbem OrarBenbrud ©r toar bon 
ber fteinen ©ba, ber Sängerin bc§ SorftabttBeaterä, ber 
er au feuern bctpugnifcboften 9lBeubc ben $of gemadjt, 
nur auä 9ieib unb fDtifjgunft, al§ er erfahren, ba§ fid; 
ein reifer SantierSfoBn uni ifjte ©unft BetuatB. 3ef}t 
nat)m fie Ujn Beim SBortc : tjeutc trat fie ^um erften 2 ftale 
in ber neuen Operette auf, unb er fottte feinem Scr= 
fpredfjen geniäfj in her erften Parterreloge etfdjeinen, um 
iljr itadj betn Slutrittäliebe eine Slumeufpenbe äu^utoerfett. 
So Batte er e§ berfprodjen. 

Unfinn! ©r toat jc^t in Xrauer, unb bann gefiel fie 
ifjut gar nidjt, biefe ©ba. 3fn ber ©Bampagnerlautte toeifj 
man ja oft nidjt, toa§ man fpridjt unb tBut; auf bent 
#ßitutoege fdjon Batte er ettoaS toie ©etoiffeuäBiffe ber« 
fpört, benn feit bent $arttebal toar er ernfilidj berlieBt in 
eine SSfttbigere, bie fcBBnc Sfngtib, bie Xocfjter be§ Saronä 
3UiBaufen ; mit ber er auf bem Salle Bei £ofe ben $ 0 * 
titton getankt Batte, bie tfjn in feinen Xräumen unt= 
gaufeltc unb ber er auf ber fRingftrafje ftetä 31 t Begegnen 
tourte, toenn ftc mit ber 2Jtutter tfjre Promeuabc mad^te. 
$ajj audj er tfjr nidjt gleid^giltig fei, fdjlofj er auä ber« 
fcBiebenen lleinen 9Jterfmalen. 

2>a§ SiHet ber rotBen ©ba Batte iBn auf bie Btonbc 
Sngrib geBra<Bt, unb er fd^toelgte ein Siertelftünbdjen in 



108 



$>er SSormunb. 



ben angenehmften Staunten, bann aber !am baä Semußt= 
fein beä gefächenen UnglütfeS baamifeßen unb ^erfiörte 
bic Silber, «nt ihn aur UBirllichfeit aurüdt ju bringen. 

3feßt mürbe bie 23)ür leife geöffnet, unb ein Heiner 
©room erfchieu in berfelben. 

„5Der ^err Saron ©rilling läßt burdj ben portier 
anfragen, ob ber <£>err ©raf au £aufe fei." 

„freilich bin ich an .fpaufe!" 

25aä mar gefcheibt; ber §reunb unb luftige Sruber 
bradl)te bodf) etma§ Leben in ben heute fo biiftereu Saunt. 

Sad) menigen Siitiuten warb Sporenllttrcn Pernehm* 
bar, unb ber Sefudfjer trat einigermaßen polternb in’ö 
3intnter. ,,©rüß SDidj, Sübiger!" er fcßlug mit bem linlen 
Seine feittuärtö au§, um nicht burdj ben Säbel gehemmt 
au merben. „|jabe eben bie Xobeäanaeige erhalten, tßut 
mir unenbtidj leib; mar ein braber Staun, ber Dnfel." 

Sübiger brüefte bie bargebotene $anb. 

„Sa, mäffen einmal 9111c in’3 ©raä beißen," nahm 
ber Lieutenant feine Sebe mieber auf. „Schon einmal fo 
bumm eingerichtet. So ein lumpiger Papagei überlebt 
Sfahrßunberte, unb mir, bie Herren ber Schöpfung, finb 
auf ja unb nein taput; au blöbe!" 

„Äarl, Zigaretten!" befahl ber ©raf bem bienenben 
ÄnirpS, ber an ber 2hüre fielen geblieben mar- unb jeßt 
iit’ä Sdjlafgemach eilte, um ba§ ©emünfehte au h°fen. 
Zr öerfah bie beiben Herren mit freuet unb berließ hierauf 
ba§ 3immer. 

„3fa, £>ans," nahm Sübiger ba§ 2Bort, „eine traurige, 
recht traurige ©efchidhte. freilich mußte ich, baß ber 



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9!oi>eUe non 2(. ©. u. Suttner. 



100 



amte Cnfel nicht mehr lange ju leben batte, aber trofc* 
bent bat ntidb bie Nachricht getnaltig erfcbfittert." 

„^Begreife eä, armer $ert. Slber maS Ijitft ba§ 3 am= 
tttern? Daburcb mirb er nicht lebenbig. 9 Jtujjt 2)idfj 
etmaS jerftreuen, Milbiger; bie Heine (Stoa bat beute ihr — " 
„2Bo benfft 2>u bin ! $cb tarnt bodb nicht im Sweater 
erfdbeinen." 

„ 9 ta, fo madfjen mir ma§ 2 lnbere 3 , fommen beute 2lbettb 
3U 5Dir ju einet ^ßart^ie; ift’S S)ir recht fo?" 

„©emifj mirb e§ mich freuen, euch 3U fe^en." 

„ 9 ladj bem Xbeater erft, natürlich- 2 )u meifjt, Stuben= 
beim, Äirdbberg uttb fyriebegg haben Tjeute SJattetbienft ; 
müffen erft bie fleinen hatten nach $aufe fahren, fonft 
gibt’S ein SdbntoHen unb Xrofsen. ftetbing ermattet eine 
alte Xante, mit ber er bett Zfye hinten ntufi, ’S ift eine 
ßrbtante; unb i(b — idb — " 

„S)u mirft bielleicht bie ©fite haben, meine Stelle im 
Äarltbeater 3U bertreten, ja?" 

„SBenn 2)ir ein ©efaflen bamit gefdfjiebt — " 

9 tübiger batte bie Heine SBerlegenbeit beS 2 ?efucberS 
bemerft. 

„ 3 a, eS gefcbiebt mir ein großer (SefaHen, menn SDu 
bem erften Auftreten ber kleinen beimobnft," ermieberte 
er, fdEjmacb löd^elnb. „3<b mödbte menigftenS nicht mort* 
brüchig merben." @r 30g feine SBrieftafcbe unb entnahm 
berfelben eine SBantnote. „Sei fo gefällig, einen S 3 tumen= 
forb 3U beforgen unb benfelben an feine Slbreffe gelangen 311 
taffen; bergifc auch nicht, ber Heilten Gba 31t fagen, baf} 
mir uns nun lange nicht fehen merben." 



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110 



Ter 3'orniunb. 



„©<$ 011 , fdjön, mill’g in Drbnung Bringen." SDer 
Lieutenant er^ä^lte nodfj in feiner ntobernen abgeljadften 
Sanier einige ©knurren, bie er im ßaffeeljaufe ober 
hinter ben <£ouIiffen gefammelt Ijatte, unb madjte fidfj 
fobann mieber auf ben Söeg. 

9iübiger berBradfjte ein paar langmeilige ©tunben allein, 
Big er fiel) enblidtj pm 9luggeljen umfteibete. SEBie getüöljnlid; 
naljm er feinen Söeg über bie 9tingftra|c, Bei ber Ober borBei 
Bi? pm Äaifergarten, unb auclj tjeute Begann il)m mieber 
bag «fperj p Hopfen, alg er ber erlbarteten SDamen anfidfjtig 
tourbc. Sefjt Bog 3>ngrib eBen mit itjrer fDhitter um bie Gde, 
fo bafj er bidjt an itjnen borüBerfam. @r pg ben |>ut unb 
rnollte borBei gelten, aber bie Weitere rief iljm p : „©uten 
3Eag, lieber ©raf! 2Rit grofjem SSebauem Traben mir bon 
bem falberen Söerlufte bernomnten, ber ©ie getroffen Ijat." 

©elBfiberftänblidl} Blieb er ftetjen, grüßte nodjmatg 
unb ergriff bie bargeBotene -fpanb, um glcidj barauf nod) 
eine atocite p brüden, bie fidj il>m entgegengeftrerft ^atte. 

„2öar mein fötann nid&t Bei Sinnen ?" frug bie 33aro= 
nin. „@r rnollte Sffjncn fein unb unfer SSeiteib perfönlidt) 
augbrüdeit." 

„3u licBengloürbig bom |>errn 33aron," berfepte 9tit= 
biger gerührt, „ßg tpte mir fep leib, tnenn idf) feinen 
Sefuclj berfäumt ptte." 

„SöoHen ©ie ung ein ©tüd Begleiten?" 

9tatürlid) tooHte er bag. ©r lieft fidj’g nidjt pjeimal 
fagen unb fdjtoft fid) ben Beiben ©paprgängerinnen an. 

„SJleiBen mir lieber $ier auf bem 33urgting; briiBen 
mirb eg Bei bem fdjBnen SBetter bon SSelannten mirnmeln." 



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'JiooeUe »cm ?(. $. v. Suttner. 



111 



„@Qti3 einberftanben." Sr bertiefte fidf) in ein ©efpräch 
mit ber Butter unb fanb babci Vtufje, bie Stochtet 31t 
betrachten. äöic hübfch fie heute toieber au§fah! 2)iefe 
bunfle Toilette mit ber anliegenben ^elaiacfc, bem futa= 
gefdjüraten Äleibe, unter bem bie fdjmalen $üfjchen in 
fdjmaraen 2mdjgamafcfjen herauägucücn — alte§ baä ftanb 
ihr bortrefftich. SDaau ber Heine mit aufgebogenen 

Ärenipen unb Qrafanflügel — bie ganae Stfcheinung machte 
ben Sinbrucf einfacher, aber mirtlidljer Vornehmheit. 

3meirnal fchritten fie plaubernb auf unb niebet, bann 
meinte bie Vtutter, e§ fei nun 3 eit, bie Sinläufe 31t be= 
forgen, bie fie borhatten. Stmaä ängftlich frag er, ob 
feine ©egentoart babci ftörenb fei, unb freubig leuchtete 
fein Vlicf, als $ngtib rafch einfiel: „Vtama, @raf Sfranfen* 
ftein lönnte un§ bei ber kuämaht bon Schlittfdjuhen be= 
hilfli^h fein." 

Ohttc 3 toeifel lonnte er ba§, benn er mar felbft ein 
bortrefflicher Säufer. 

„§llfo haben Sie fich hoch entfdjtoffen, ben Verfuch 31t 
machen 1 ?" frug er mit banfbarem Vlicfe. 

„freilich. Vtan mufc boch mit ben Slnbereit mit= 
thun." 2Merbing§ fei e§ langmeilig, erft 3U lernen, aber 
ba mufjte 9 tübiger fogletch 9 iath: 

„SBenn Sie mir geftatten moHen, 3 h n en bie 9 lnfang 3 = 
griinbe beiaubringen — ich habe fdjon einige Viole mit 
Schülern Sr folg gehabt." 

„SDa§ ift mohl fehr liebenimtttbig bon 3haen, aber 
e§ märe boch eine arge 3wmrfhung, menn mir 3haen 
biefe Vürbe auflaben moHten," fiel bie Vtutter ein. 



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112 



"Der IBomiunb. 



„SSürbe?" mar bie PormurfSüollc Slntmort. „können 
Eycetlenz baS crnfttich meinen? 3fch mürbe mich gtüdflidh 
fchäjjen, menn fich SSaronin $ngrib meiner Orüfpmng an= 
öertranen mollte." Er fdjmieg ptöijtich, benn er fptirte, 
bafj er zu marm mürbe. 

Tie ©chtittfchuhe mürben getauft, aber ber Unterricht 
follte erft anfangs nädjfter Söoche beginnen, unb fo be= 
ftimmte man benn Tag unb ©tunbe, um fich hierauf zu 
tjerabfc^ieben. 

Tie SluSfidjt, bem jungen Stäbchen als £ef)rmeifter 
( ]u bienen, gefiel Stübiger fo ausgezeichnet, bafj er in Er= 
martung biefcr beöorftehenben Stnnehmlidhfeit auf eine 
halbe ©tunbe feinen Kummer bergafj; erft als er jenen 
Xtjeit ber Stingftrafje betrat, mo fich bie elegante Söelt 
erging, unb mo eS nun zmifdjen allerlei fragen unb 33ei= 
leibSbetheuerungen ©piefjruthen taufen hiefi, erft jetjt mürbe 
er feinen angenehmen Träumereien mieber entriffen. 33atb 
begab er fich nach <£aufe. 

Tie 3eit bis zum Slbenb mottte fein Enbe nehmen; 
fie fdfjien ihm um fo länger, meil ihm mieber ber SBrief 
beS alten fJfreunbeS in Erinnerung tarn unb ©toff zu 
alterhanb unerquicftichen ©rübeleien gab. ^atte ber 
©ctjreiber lieber gleich gefagt, maS noch 9ltleS beöorftanb, 
märe eS beffer gemefen; fo zermarterte er fich mit 9}er= 
muthungen ben $opf, ohne natürlich z u einem beftimmteu 
©chtuffe fommen zu tönnen, menn er auch annehmen mufcte, 
bafe fich bie SBortebeS Sitten auf ©etbangetegenheiten bezogen. 

Ter Heine Tietter brachte bie £ampe unb frug feinen 
£errn, ob er etmaS befehle. 



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■JtoueUe oon 21. ©. r>. Suttner. 



113 



faß* unten, bafc man für fed)ö s ^erfonen ein 
2lbenbeffen bereit Ijaltc; toir »erben c§ l)ier einneljmen." 

Um bie $eit tobt au fdjtagen, nafjm 9iiibiger ein Spiel 
harten unb legte einige Patiencen auf. 8*age: „Söirb 
nod^ 9llle§ gut enben?" Spaffig! ©ine nad§ ber anbereu 
ging glatt auf, fclbft jene, bie ficlj bisher immer Ijart* 
ltäcfig gezeigt Ijatte. 35a mufjte er bod^ noclj eine be= 
foitbere 3?rage ftetlen, bie in ber früheren eigentlich nicht 
genau enthalten »ar: „Söirb Sngrib einft mein »erben'?" 

9tein, nein, unb nodj breimal nein! 35a§ »ar bodf) 
beutXich- 

„35umml" brummte er unb »arf bic harten ntifj* 
ntutljig Ijin. „Unb nun gerübe!" entfdjieb er auffpringenb. 
„Sie »irb, fie mufj!" 

Stimmen »urben hörbar unb Stritte, bie fidj näherten. 
3ept rifj $arl bie £ljttr auf, unb bie ©enoffen traten ein. 

SJtan fetjte ftch um ben Äainin. Anfangs »ar baö 
ÖSefprach fdf)leppenb unb tourbe in gebümpftem £one ge= 
führt, um bie Stimmung be§ |>auät)errn au e^ren, nad) 
unb itadj lam aber meljr ßeben in bie Heine ©efeHfdjaft 
unb halb »ar »ieber ber alte ü£on gefunben: haltet, 
©efettfdfjaftättatfdj, Spiel unb bcrgleidjen »idjtigc 2)iugc 
gaben ben Stoff ab. 

•Dtittlertoeile erfdjienen a»ei Kellner, »eiche bie £afcl 
bedften, unb ba§ Slbenbeffen »urbe auf getragen; man »ufjte 
fchon im .$otel, mie ber ©raf ba§ liebte. 

2!ie Herren »aren !aum beim 9tachtifch angefomnteit, 
als fetjon Steron Stuben^eim frug : „9ta, madjen »ir eine 
^Parthic 

Sibliottjet. 3ot>rg. 1889. Sb. X. 



8 




114 



Ser Sormunb. 



Selbftberftänblidj! 2Ba§ patte inan fonft attbetö ttjun 
fömten, nadpbem ber Sageäftatfdp beenbet toar? Siafcp 
tourbe bie Safel abgeräumt, Söein unb Zigarren fanbcn 
auf einem Seitentifcpdfjen 5)ßtap, unb nacpbent bie Muer 
piuau§gepu[dpt toaren, ging ba§ 39accarat lo§. 

Um brei Upr trennten fidp bie fjreunbe. SUibiger patte 
tiid^tig bertoren, unb nodp baju bom SBein unb ©igarren* 
barnpf Äopffcpmerjen mit in ben $auf betommen. 

So patte er toieber einen Slbenb „nupbringenb" ber* 
bradpt, toie bieS feit ^toei Sauren bei ipm bie Sieget ge* 
toefen toar. 



2 . 

„2Ilfo ba bin idp, mein lieber Siübiger!" SJlit biefen 
2öorten trat @raf |>ottbadp, ber ffreunb beä beworbenen 
■DpeimS, in’3 3immer. „Sßie gept e§ Sir? $aft Su 
Sicp bon bent Scptage fdpon ein toenig erholt?" ©r patte 
beit jungen SJlann bei beibcn |)änben ergriffen unb an’ä 
fünfter gezogen. „Sla, idp ntufi fagen, befonberä ftepft 
Su gerabe nidpt au§." 

Äein Söunber ; am Slbenb borper patte er einer Spiet* 
partpie bei Stubenpeim beigetoopnt, bie erft um ftebeit 
Upr SJlorgenS ipr ©nbe gefunben. Seine ©elbbörfe toar 
teer toie ein au§gebtafene§ ©i. 

„3a, armer Siiibiger, e§ ift traurig, redpt traurig/' 
fagtc ber 23efucper topfnicfenb, ba jept bie T^erbe ©rinne* 
rung toirtlidp bem Stnberen einen Seufzer entprefjte. „3cp 
toeifj nidpt, fott idp Sir fdpon peute baä datiere mittpeiten, 
ober nodp ein paar Sage — " . 



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SRooette ütm 31. ©. ü. ©uttner. 



115 



„9lein, bitte, lieber gleich 1 " unterbrach ihn 9tübiger, 
ber enblich toiffeu toollte, tooran er fei. 

„Sßor 9lHent bie Nachricht, bajj mich Sein Oulet au 
feinem Seftamentgbollftreder unb au Seinem SBormunb 
ernannt hat." 

Sa leine Slnttoort erfolgte, fuhr ber ©raf fort: „Seiber 
mufj ich ®it bie Eröffnung machen, bafj eg mit bem 9iadj= 
laffe fdjlecht befteüt ift. 2 luf bem ©ute ©djönbüchl haften 
©thulben, bie faft bem Söerthe beS SBefi^eS gleich lommen." 

„©o biel?" 

„Söunbert Sid; bag? 3<h meine, Su haft felbft 
einigeg baju beigetragen, unb Sein Ontel mar fdjtoad) 
genug, jebegmal ohne füturren au aahlett." 

„Sa bürftc moljl ein ^rrthum borliegen, ©chöitbüdjl 
mag immerhin einen Söerth bon biermalhunberttaufenb 
©ulben haben." 

„©efefjt, eg toäre fo ber gatl, obtoohl bag nach meiner 
2lnjt<ht hoch gegriffen ift — meifet Su genau, mit toie* 
biel eg für Sidj belaftet mürbe?" 

,,©o gana genau toeifj ich eg toohl nicht," ftammelte 
ber ^Befragte, „inbefj — " 

„9lber ich toeifj eg." Ser ©raf 50 g ein Rapier aug 
feiner SBrieftafdje unb lag: „3m Januar 1878 für $ü= 
biger: aehntaufenb ©ulben; Oltober beffelben 3at)reg: 
fünftaufenb; ÜRära 79: amölftaufenb; Sluguft: fieben* 
taufenb; Seaembcr: ameitaufenb; 9Jtai 80: adjttaufenb; 
9iobember: fech§taufenb. Sag macht aufammen fünfzig» 
taufenb ©ulben; bie recht hohen 3 infen hierbon betragen 
breitaufenbfünfhunbert ©ulben. ferner laftcten auf bem 



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110 



Xcr Sßormunb. 



33efifje «^pot^efcn bon adjtaigtaufenb ©ulben, als bcr 
Sßerftorbcne bcnfetben übernahm ; babon ntadjen bie 3tnfen 
biertaufenb, mithin SlEeS in Ment fiebentaufenbfünffjun* 
bcrt ©ulben. DaS ©ut trägt ncuntaufenbfünfljunbert 
©ulben, bleiben fomit jtoeitaufenb ©ulben für Didj au 
bekehren." 

9tübiger fdjminbelte bor ben unb als fejjt bet 

Slitbere fdjtoicg, Tratte er fobiel begriffen, bafj er mit einer 
©umnte im Satjre auSaufommen habe, bic er manchmal 
in menigen ©tunben berfpielt tjattc. 

„|)aft Du berftanben 1 ?" frug ber 2lnbere, ba nodj 
immer feine Stntmort erfolgt toar. 

„Sdj glaube — fo atemltdj." 

„'Jtuu aber nodj ©ins. 3fdj ^abe alten ©runb, au ber* 
mutten, bafj Du in ber testen $eit toieber meljr bcr* 
braudjt $afi, als Du auSaugeben ^atteft. Cber foEte idj 
11 t id) tauften'?" 

Stfibiger Rüttelte niebergefc^lagen ben Äopf. „ßeiber 
ntufj idj gefielen — " 

„Da fjuben mir’S!" rief ber Slnbere. „3a, Ijätte Dein 
Cnfet meine $att)fcf)töge befolgt unb bamatS, als eS nodj 
3eit mar, ber ©ad§e energifdj ein ©nbe gemadjt! 9tü= 
biger, Siübtger, idj fürste, Du bifi mit atoeiunbatoanaig 
Sauren an bem ©nbe deiner SL^ätigfcit angetangt. Du 
Ijaft in bierunbamanaig Monaten baS genoffen, toaS Slnberen 
für iljre ßebenSacit gemöbrt ift. Deine ©djulb aEein ift 
eS, menn Du jefjt arbeiten unb entbehren ntufjt, um baS 
Dafein au ermöglichen." 

„Arbeiten? ©chtimmften SaES müjjte man ©djön« 




Siooefle non $1. ©. o. Suttner. 117 

büdjl gut au Verlaufen trauten," toagte bet funge SJtann 
3 U bemerfen. 

„SJteinft SDu*? Stun, fo biene S)ir au toiffen, bafi ber 
Söerftorbene biefen Verlauf auSbrüdElidtj in feinem ütefta* 
mente berboten Ijat. SDiefe «ftintertfjür bleibt 35it nidjt 
offen, um ben lebten 9ieft au PetfcJjleubern. Stein, mein 
Soljn, fcijtage S)it betlei ©ebanlen au§ bem Aopf unb 
bequeme 2>iclj jefjt, mit Gruft unb Vernunft an bie 3u r 
funft au benfen. 93or SlKem: toa2 bift SDu nodj fdjulbig 1 ?" 

„25aä toeift idj nictjt fo genau; idfj mfifjte erft meine 
Siedlungen aufammenftellen." 

„@ut, biefeS ©efdjäft tooHett mit fogleidfj in Eingriff 
nehmen." 25er ©raf fdjob einen Stüljt an ben ütifdj unb 
lief} ftdj nieber. „So, jefct gib mit Rapier unb SSteiftift 
unb fage mit bann bie 5)3often an." 

Sifibiget, ntufjte ftd^ tooljl ober übel Ijerbeilaffen, feine 
33eicf)te abaulegen. 

„Stedjt fdjön," fagte bet 93ormunb, nadjbem et bie 
Sagten aufammengefteHt Ifatte, „aeljntaufenb ©ulben bei* 
nal)e! 25a§ madfjt ettoa ffinflfimbert an 3in!fn, bleiben 
3Dit atfo tunb ffinfäel)nt)unbert jäfjtlitJj, ober t)unbert= 
fiinfunbatoanaig monatlidj." 

„Slbet baS ift ja gana unmöglich, baS lann bodj nidjt 
einmal auSteidjen, um 

„Söeifjt 25u tooljl, toie öiele SSeamte bon einem foldjen 
©eljalte leben, babei fjtau unb Einher erhalten miiffen? 
G8 lommt eben batauf an, toie man fictj bie Sadje ein* 
ttjeilt. — <£>ör’ micfj an, Siübiget! GS bleibt $)ir nur 
eine 2öal)l: enttoeber eine Augel burdj ben Aopf, toenn 



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118 



Der SBormunb. 



Du ein Feigling bifi, ober ben -hanbfdjul) mutljig auf» 
neunten, ben Dir baS ©djiiffal tjiugeWorfen l)at. Denfe 
ein wenig über Deine Bisherige SebenSWeife nadj unb 
frage Did) felber: $aft Du Didj in biefen atoei Sfaljren 
alä ein nüfclidjeS ©lieb ber menfdjlicben ©efellfdjjaft ge= 
füljlt? ^aben Dir Deine nftrrifdjen Ausgaben tuirftid^en 
©enufj bereitet? $ft Dir au manchen ©tunben nicht ein 
geWiffer ©lei bor einer foldjen fdjalen, nu|lofen, tljöricbten 
©jiftena aufgeftiegen? ©ei eljrlicb unb aufrichtig gegen 
Dich felbft! SBiSljer tannteft Du nur ben ©enufj beS 
©elbeS, unb biefer ©enufj war ein rei^lofer , oft mit 
bitterem Stacbgefdjmatf. SSie ganj anberS fchmedt baS 
berbiente! Da ntunbet ein ©tfi dt Stob beffer, als Drüffel» 
paftete unb berlei Secferbiffen , an benen man fid§ Iran! 
ifjt. $ch, ber ich in meinen jungen Sauren auch bumme 
©treibe begangen unb bann ein SHertelmenfdjenalter lang 
bafür au bü^en f)atte, bis eS mir gelang, mich wieber 
auf bie Oberfläche a u ringen, ich Weif} babon au eraö^len. 
3cf) ^atte bie Sßiftole fdjon in ber $anb, aber ba fam 
ber Wahre SJiuth über mich: ich fchleuberte bie 3Jlorb* 
Waffe au S3oben unb raffte bie baut ©ulben, bie mir noch 
blieben, aufammen, um über ben Ocean au gehen. Dort 
habe ich mich Wie ein Sieger abgeplagt, bin bor leiner 
Slrbeit aurüdgefcl)eut, bie mir SSerbienft brachte, unb 
fchliebü<h behielt ich bie Cberljanb. Diefe 3«ten bort 
brüben fittb jefjt Wohl botbei, aber ich Weif}, man tarnt 
ftch auch im alten ©uropa mit ©nergie unb gutem Söillen 
fortbringen, -hier !ann aÜerbingS Deines SSleibenS nicht 
fein; ©raf fjranlenftein Würbe bon feinen ©tanbeSgenoffen 




RooeHe t»on 91. ©. o. Suttner. 



119 



berladfjt toerben, toenn er plötjlidfj ben ©lub unb ba§ 
©ranb=.£>otel mit einem ©omptoir unb einem befdjeibenen 
3immet bertaufcfjte, aber nichts feffeXt SDidj an Söien unb 
on bie engere |>eimatfj ; fcfjnür’ SDein Sünbel unb gef)’ auf 
bt’e Söanberfdfjaft, lafj ben ©rafen au |>aufe, ein ©raf 
oljne ©elb ift toie ein $fau oljne Scfjtoeif. — 2)a§ ift 
ber einzige Ratlj, ben idj 2>ir au geben toeifj, unb idj 
Ijalte iljn für gut." 

RidjtS feffelte iljn an bie $eimatl) unb inSbefonbere 
an bie Stabt, too er lebte 1 ©raf .fpoEbadj Ijatte gut 
reben; n>a§ tourte er, ob ein 33anb ejiftirte ober nidjt, 
ba§ ju aerreifjen e§ größerer $raft beburfte, als Rübiger 
fidj autraute. Unb arbeiten! 3a, toa§ foUte er arbeiten, 
bamit er jtdj fein Seben berbiente? (Sr, ber Ijier in einem 
getoiffen Greife ben £on angegeben, er, ber allen noblen 
Sßaffionen geljulbigt, ber ba§ Ijödjfte Raffinement be§ Sehens 
fennen gelernt — er füllte jept toie ein armfeliger -£>anb* 
lung^ge^ilfe au tfujj laufen unb mit SBurft unb SSrob 
feine Rbenbmaljlaeit galten? ©3 toar gana unmöglidfj! 

„Run?" frug |)ollbadfj, ber feinen Sc£)upbefot)lenen 
nid^t au 8 ben Rügen gelaffen. „3dj lefe S)ir’S bom ©e= 
fidf)te ab, bafj eS mit deinem Rtutlje nidjt Weit tjer ift." 

„Rtutlj!" rief Rübiger bitter. „Söenn man au ettoaS 
gana Ruberem exogen toorben ift, als aum Stagelöljner, 
mufj man bodp fdjliefjlidf) einfeljen, bafj eS überflüffig 
toäre, ben SSerfudj au machen." 

,,©i, idj glaube, ein 2 agetöljner brauet nidjt erft baau 
exogen 31 t toerben. UebrigenS fprad^ idj audp nidfjt ba* 
bon, bafj S)u ben Spaten ober bie §ade in bie $anb 



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120 



©er 23 ormunb. 



nehmen follft. Mit ber Keinen fKente, bie ©ir bleibt, 
bift ©u bor Mangel gefdjüpt; e£ Ijanbelt fid) nur nodj 
barum, ba§ 3U gewinnen, womit ©u ©ir gewiffe Keine 
2u?u§au§gaben geftatten fannft." 

„SuyuSauggaben? Gin fronet fiujui, wenn id) biel= 
leidjt nodj ben gleichen Setrag berbiene!" 

,,©o gtaubft ©u alfo, bem Keinen Mann fc^eine bie 
©djWefgerei nid^t grofj, Wenn er ©onntagg einen 9 lug* 
fing madjen unb fid) eine beffere Gigarre ober ein ©lag 
Mein erlauben fann? fjreilid), Wer fietg ben ©urft mit 
Gbatnpagner löfdjt unb fRegalia raucht, beffen ©aumett 
bat ben richtigen ©efdjmad berloren. — Kebertege ©ir 
bie ©acbe. 3 cf) laffe ©ir noch brei Stage 0 tube ; fo lange 
Werbe id) brauchen, um ©eine Sßribatangetegenbeiten iit 
Crbnung 3U bringen. 3dj berlange l)eute nichts alg ©ein 
Mort, bafj ©u big ©onntag feinen entfd)eibenben Stritt 
ol)ne mein Miffen tbuft. ©ibft ©u eg mir?" 

„ 2 [d) gebe eg, fürdjte aber, bafj in brei Stagen bie 
©ad)lage biefelbe fein Wirb." 

,,©a§ boffc icb nid^t , borauggefebt, ©u gibft ©ir bie 
Mfilje, bie gufunft ernftlidj in GrWägung 31t sieben. 2 ebe 
Wobl für beute; ©onntag früh feben wir un§ Wieber." 

©er ©raf ftecfte bie berfcbiebenen fKedjnungen 311 fidj 
unb ntad)te fid) auf ben Meg. 

©ie ©timmung, in ber ffttibiger surüdblieb, ftreifte 
an Stroftlofigfeit. Morin beftanben feine Äenntniffe, bafj 
er fid) jefct burd) eigene Arbeit fortbringen follte ? ©aritt 
bietteidjt, bafj er nod) im 9 totl)fafte ein paar lateinifdje 
ober gried)ifd)e ©äfje Ijolprig 3U überfein wufjte, ober bafj 



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üfioüeHe oon 91. ©. ®. (Suttner. 



121 



er eine fdjmacfje 9ll)nung tont römifdjett unb beutfdfjen 
9ted&te Ijatte, in ba§ er jtdj mäfjrenb biefer beiben 3 at)ie 
Ijätte tertiefen foHeit, um gu Sommeranfang bie Staate 
Prüfung abplegen? -gmtte man itjn lieber ein .£wnbmerf 
lernen laffen, tjätte man iljn lieber aum nädfjftbeften 
Sdjufter, als auf bie UniterfitiU gefd^itft. 

So llagte unb feufete er ben 9ieft be§ £agel l)in= 
burdj, um ftd^ fdjliefjtidj in berjjtoeifelter Saune p Söett 
31 t legen. 

SDer nädjfte borgen braute bodj einen Keinen <£>off= 
nungäfdjimmer. 9ladjbem Üiübiger fictj bi§ jeljn llljr im 
Bette umljer gemäht, mar er auf eine Sfbee gefommen. 
Söarum foIXte er fid) nid§t nadfj SdfjönbüdE)t aurüd^ie^eu 
unb bort in alter Befd&eibenfjeit leben, um feine Stubien 
p toHenben ? SöenigftenS mar er ba p |>aufe, unb Ijier 
unb ba fonnte er ftdj ja bodj tietleidjt einen Keinen 91b* 
fted^er nadj SSien geftatten, um bie alten greunbe unb — 
Sfrtgrib mieberpfeljen. SBenn er erft fein Gramen hinter 
fidj l)atte, bann fjief} e3 eben in ben Staat3bienft treten, 
unb in einigen Starren fonnte er ja fdjon tiel beffer 
baran fein. 

So Kügette er fidfj bie Sacfje au§ unb bertiefj in ter= 
Ij&ltnijimitjjig gefaxter Stimmung ba3 Säger, um fidj 
rafetj anauKeiben. |>eute foHte er ben erften Unterridjt 
auf bent (Sifc erteilen; ein ptöplidj eingetreteneS ü£ljau= 
metter ^atte ben 9luffd£jub terfdfjulbet. 

Sßfinfttidj um (Hf mar er 3 ur Stelle, unb menige 
Minuten fpäter fam fie in Begleitung ber Blutter elafti* 
fd^en Sdjritteä baljer. ©ern Ijätte er ba3 9lnfd>rauben 



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122 ' $5er Sßormimb. 

ber Scblittfcbub* felbft beforgt, aber ber ßafai War au 
biefem Btoecfe mitgenommen worben, unb fo fonnte $ü= 
biger nur barüber Wachen, bajj ber 5Jtann bie nötige 
Sorgfalt anWanbte, bamit 3ngrib fictjer auf ben fdjarfen 
Stabifchienen ftanb. 

„So, jefct bitte i<h um 3b™ $änbe." (Sr begann 
langfam nach rü<fwärt§ au gleiten, Wäbrenb jte ibm aag= 
baft folgte unb jtdj oft ängftlicb an ibn anflammerte. ®a§ 
War ibm gana recht fo, er hätte biefe aarte, fchmiegfame 
©eftatt gerne Stunben lang babin getragen. 

9Jtit tuet Mbe unb SSefcbWerbe war man am ßnbe 
ber S3abn angelangt; jebt fonnte ein Wenig geraftet Wer* 
ben. Sie lief} feine ^ftnbe loS unb febte bie Sßefamtitse, 
bie fi<h berfchoben batte, aurecbt. 

„3<h glaube, itb Werbe e§ nie lernen," fagte fte ent= 
mutbigt. 

„£> botb! 3« Wenigen Sagen Werben Sie fdfjon $ort= 
fdfjritte fpüren ; man barf nicht ängftlicb fein, nur mutbig 
borWärtS, auch Wenn man einmal fallen füllte, wa§ liegt 
baran. 3$ bespreche 3bnen, bafj i<b in brei Söocben — " 
(Sr OoHenbete feinen Sab nicht, fonbern blicfte auf einmal 
finfter au SBoben. 

„Sie betfprechen — Wa§?" frug jte, ihre Slugen er« 
ftaunt auf ihn rid§tenb. 

„3<b toottte 3bnen bie SSerftcberung geben, bajj ich in 
brei Sßocben eine gana gute Scfjlittfchubläuferin au3 3bnen 
gemalt haben Würbe, aber leiber bürfte meine SBirffam* 
feit als Sebrer früher ein (Snbe haben." 

„3ch berftebe Sie nicht," berfebte 3ngrib, bon feinem 



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UiooeHe oon ®. <S. u. Suttner. 



123 



traurigen $one Betroffen. „Sitte, fagen Sie mir, ift 
Stjnen ettoaS Unangenehmes augeftofjen? 68 fdjien mir 
gleich, als feien Sie gebrüdt unb — " 

„%a, ettoaS feljr, fehr Unangenehmes fleht mir bebor. 
3dj fürchte toenigflenS, bafc eS nicht au bermeiben fein 
toirb." 

„3<h toitt mich nicht in 3h* Vertrauen brängen," 
fagte fie ängftlich, „aber Sie tönnen überjeugt fein, bafj 
3h«en meine jDjeilnahme getoifj ift." 

„3ch baute Sh^en, baute 3hnen bon ^erjen; glauben 
Sie mir, ber 9R>fthieb bon 2öien toirb mir unenblid) 
fdjtoet toerben." 

„Sie berlaffen Söien?" 

„3ch toerbe toohl müffen. 68 finb Serljältniffe ein* 
getreten, bie mich atoingen bürften, ber Sefifcung, bie mir 
mein armer Ontel hinterlaffen hot, auf längere 3eit meine 
ganae Slufmertfamteit au fdjenten." 6r brachte e8 nicht 
über fid), ein boIteS ©eftänbnifj abaulegen, unb gebrauchte 
baher biefe Heine 9lothlüge. 

„9tun, Schönbüchl liegt ja nicht au8 ber Söelt, glaube 
ich," berfe^te fie erleichtert. „Sie fpradjen mir ja öfters 
bon biefer Seftfcung unb fagten, man fönne fte in einigen 
Stunben erreichen." 

„3a, in einigen Stunben." 

„25a toerben Sie toohl hin unb toieber 3h re ^reunbe 
in Söien auffuchen." 

„3<h hoffe, bafj bieS möglich fein toirb." 

„9tun alfo! SDann ift ja tein ©runb au folcher Xrauer 
borhanben; ich fürchtete biel Schlimmeres. — 2öoEen toir 



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124 



ÜDer Ißormuitb. 



jefct toieber einen Söerfudf) madjen ?" Sie Batte bie Bi§* 
Teerige 33orfidjt aufjer Sldjt gelaffen unb Balte mut^ig 311 
einem (Stritte au§, eBe fie an iljrem ^Begleiter nodj eine 
Stiijje gefugt; bie Stelle toar zufällig Befonberä glatt, 
unb elje er fie 3 a fangen toermodjte, tag fie ba. Sonett 
toar er an Üjrer Seite, um itjr aufsuBeffen. 

„Sie BaBen fiel) bodj nid^t toeB getBan?" 

„9iein," fagte fie öertoirrt unb errötljenb. 

,,©er 3 eiben Sie meine UngefdjidflicBfeit, idj Bütte Sie 
tjieUeid^t nodj toor bem Stur 3 e Bemalten fönnen. Sinb 
Sie mir böfe 1 ?" 

3e£t tadjte fie, ba er ein fo 3 erfnirfdf)te§ ÖJefid^t macBte. 
„9tein, idj Bin nidjt B5fe; lontmen Sie." 

3. 

9tübiger toar an jenem borgen, für ben ber $or* 
munb feinen SSefudfj angefagt Batte, fefjon Bei £age3grauen 
tuadj. 2 )ie Aufregung tiefj i^nt leine DtuBe; er erBot» 
fiel), foBatb ber Heine Wiener f^euer angemacBt, unb fet}te 
fidf), natBbem er mit bem Sinfleiben fertig getoorben, an 
ben Äamin. @r Bereitete fidf) im ©eifte auf bie tommenbe 
Sfu&inanberfejjung bor, toappnete fidB mit allerlei 2fer= 
nunftgrünben , legte fidj bie 5ßB rQ fen aured^t unb fudjte 
im 93orauä auf jebe möglidje ©intoenbung be§ 33ormunbe3 
eine paffenbe, fd^lagfertige Slnttoort. 3 a, nm getoifj nidfjt 
in ber #if|e be 8 ©efedfjteS in’3 Stodfen 3 U geratBen, fefcte 
er ein paar SdBlagtoorte auf ein SSlatt Rapier, ba§ er 
in’S 9 teBen 3 immer auf ben Üifdj legte, tt jo bie SBefpredjung 
ftattfinben füllte. -fpin unb toieber gerietBen feine ©ebanfen 



9ioücüc oon ©. t). Suttner. 



125 



auf Srrmege, eine fdjlanfe ©eftalt taufte Por i$m auf, 
ein paar glänaenbe, blaue klugen blidten ilju frcunbXid) 
an, uitb eine liebe Stimme fagte fanft: „©3 mirb nodj 
2We3 gut merbeu." Slber bann rifs er fidj bodj mieber 
gemaltfarn au§ biefeu Träumereien, .um aur Süirtlictjfcit 
3 urüdaufeljren. 

Gmblidj mürbe bie Tljür geöffnet unb fogleicfj mieber 
fyinter bem ©rmarteten gefcljloffen. „§öre, mein Sieber, 
unter foldjen 33er$ältniffen möchte idj nidjt lange bie 
5ßorntunbfdjaft führen!" l)ob ber ©raf brummig an. „9Jiit 
einem <f?errn jEfibor Sledj unb einem SEofeplj Sdjmeder 
öfter als einmal au öerfeljren, ginge über meine Mfte unb 
meine ©ebulb. Sllfo biefe leibigen Slngelegenfjeiten mareu in 
Crbnung gebradjt, audj Seine .gmtelredjnung ift beglidjeu. 
©igentlidj unerhört! Sie beiben 3intnter toften monatlidj 
Ijunbertfünfaig ©ulben, breifeig nodj für baS Stüddjcu 
Gebienten. Äoft : acfjtljunbertbieraig, ba tommen auf beit 
Tag toieruitbbreifeig ©ulben! 3fa, ma3 fjafi Su nur ba 
effcit unb trinfett fönnen?" 

„Siefe bermüufdEjte Slrt beS SöormunbeS, alle Balten au 
acrlegen unb auf Tage au öertfjeilen!" badjte 9iübigcr. 
Sann antmortete er: „9tidjt3 SSefoitbcreS. ffreitidj Ijattc 
idj ntandjmal ffreunbe au Sßefud^ unb ba muffte idj ilpien 
bodj etmaä anbieten." 

„9latfirlidj! Unb fte? -gmben fie Sir aud§ etmaS 
augeboten, ober fidfj mit bem Sdjmarojjen begnügt?" 

„©etoife; idj pflegte feinen Umgang mit SdjmarDtjcrn." 

„9ta, bann mar ber felige Sucuttuä ein Sttrnp gegen 
eudj. — UebrigettS gefdjeljen ift gefdjeljen ; taffen mir alfo 




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126 



$er Sormunb. 



bte ©adje ritten unb gefeit toir au unfern* Hauptfrage 
über: ^aft S)u 2)idj entfdjieben?" 

„3ö," ertüieberte Milbiger feft. 

„ s -8rab. 3)u bift alfo aut ©rlenntnifj gefommen, bafj 
eS mit bem luftigen, umtü^en Seben abfdjltefjen unb at* 
beiten Reifet?" 

„3$ bin aur Grfenntnijj gefommen, bafs icf) bon nun 
au ernftlidj bem SSerufe obliegen mufe, au bem idj eraogeu 
toorben bin." 

„35ßie?" frug Hottbad(j gebeljnt. 

„GS toitb not^toenbig fein, bafj ich meine ©tubien 
mit Gifer betreibe unb biefelben fo fchnett als möglich 
beenbe, um in ben ©taatSbienft au treten. Saturn meine 
idj, baS SBeftc ift, id£) fieble nad) ©djönbüchl über; bort 
faitn idj mit Sßenigem auSfommen unb bann — " 

„3a, unb bann?" 

„Sann toerbe ich eine paffenbe ©teile als Beamter 
finbeit." 

„Unb toobou toirft Su, toenn i<h fragen barf, als 
^Beamter leben?" 

„53on meinem ©ehalte." 

„3a, mein lieber föübigcr, toeifjt Su benn nicht, bafj 
eS 3af|te bauern toirb, bis Su ein ©ehalt bon ein 
paar Ijunbert ©ulben beaiehft? Ser ©taat Ijat eS nänt* 
lieh fo ptaltifd) eingerichtet, bafj ftdfj bie jungen Seute ein 
Vergnügen barauS machen, ihm einige 3u^e hiuburdh 
i^re 3*it unb ihre Kräfte umfonft au toibmen. Su toirft 
alfo mit Seinen Ijunbertfünfunbatoanaig ©utben tote 
auSaufommen haben." 



StooeHe oon 3t. ©. o. ©uttner. 



127 



©as hatte Stübiger atterbingg nid^t gettmfjt. „316er 
eg ift bodj unmöglich, bafj man Beamte nicht befolbet!" 
rief er betroffen. 

„©8 ift aber leibcr fo, mein Sreunb. Sriinf $ahtc 
bauert eg minbefieng , big ©u ein fogenannteg Slbjutum 
beaieljft, ein ©afdjengelb, mit bem fidj nicht biel an= 
fangen läfct. ©u ftehfi alfo, ©u haft ©ich arg berrechnet." 

„SlUerbingg," betätigte Stübiger entmutigt. 

„SQSie ich ©ir fdjon neulich fagte, ©u müfcteft ©ich 
entfd^tie^cn, ein befcheibeneg 3intmer au miettjen unb im 
SBierijaufe ©ein SJtittagmaht au Ratten, bann fönnteft 
©u ©ich al8 ©tubent aur Stoth burchfdfjlagen. Stein, 
Dlixbigcr , ©u $aft bie ©athe nicht bon ber praltifchen 
©eite angepadCt ; hier, too ©u big jefct eine herborragenbe 
Stolle unter — nimm mir’g nicht übel — unter ©age= 
hieben gefpielt Ijajt, fannfi ©u unmöglich bleiben; ober 
ertrügft ©u eg, bon nun an bie StoHe eineg armen ©eufelg 
au fpielen ? — ©ag !ann man in ber Qfrembe leidster, ©ort 
fd^eert fid) Stiemanb barum, ob ©u Stübiger Sranlenftein 
ober Sßeter 3&bfl hei&eft; fobalb ©u arbeiteft unb ©ir 
©ein 35rob Oerbienft, bift ©u ein geachteter SJtamt. 3« 
$aufe toürbeft ©u unmöglich; ©u toäreft ber unglücf= 
lichfle SJienfd) ber 3Belt, toenn ©u nur einen SJtonat hier 
ein untergeorbneteg ©afein au führen h^tteft, toenn ©u 
fehen müfeteft, mie ©eine einftigen ßameraben in eigenen 
(gquipagen batjinfaufen ober auf eblen Sßferben Oorbei= 
fprengen, toährenb ©u fchön befcheiben au ftufc ©einen 
2öeg aurüdlegft. «^abe ich Stecht?" 

Chue 3toeifel tjatte er Stecht, aber — aber — „3öfj 



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128 



Der Sormunb. 



!ann nidjt tu bie grcinbe geljcn, id) famt midfj nid^t bon 
ber «fteintatlj logreifjcn!" !otn eg mie ein Auf bet $er= 
jmeiflung aug Aiibiger’g gepreßter SBruft. 

„Du laitnft nid^f? Sott icfj Dir lagen, toarum? Du 
Ijaft ein 23erljältniji, bag Dicfj l)ter feftljält." 

Milbiger füllte ben burcfjboijrenben SBIxtf , ber unter 
beit bufdfjigen Augenbrauen lauerte, unb tourte nicljt, mag 
er anttoorten foHte. 

„@g Ijanbett fid§ nur baruni, ju miffen, mie biefcg 
2 Jer$ättni|j befc^affen ift," fuljr ber ßuätgeift fort. „ 3 ft 
cg eine Beater* ober eine ©alonbrinjeffin, ber Du Deine 
Dienfte gemeint? glaube, bag Cetjtere, benn man 
fpridjt babon, bafc Du fe^r befliffen bift, einer jungeu 
Dame Danaunterridjt auf bem (Sife au geben. Dag ift 
Dtjorljeit unb ßeidjtfinn, Aflbiger. 9)on bem Augenbliefe 
an, too Du mufjteft, toie bie Dinge fielen, ptteft Du 
Didj aurüdtaietjen füllen, toenn nidf)t aug Sßflidjtgeffi^l, fo 
bodj aug Achtung bor ben ©efiiljlen beg jungen 2Jtäb= 
djeng. 2Do jum Deufet Ijatteft Du nur $opf unb <£>era? 
Du aroeiunbatoanaig Sialjre, bift nidfjtg unb Ijaft 
nid^tg; gebadjteft Du alfo, auf biefe Augftattung $in bor 
ben Sßater 3 U treten unb 31 t fagen : ,|>err, idt) ntöd^te Sföre 
Dodjter TOeirat^en?* " 

Afibiger ftarrte mit einem gemifdjten ©efiiljte bon 
Drotj unb bon Aeue bor ftdf) l)in. Der Httann naljm 
maljrtjaftig lein 33latt bor ben HJtunb, aber Ijatte er im 
(Srunbe nicf)t Aedfjt ? 2fa, mie fatj er bie gulunft eigent» 
lidij bor ftd&? (htoartete er, bafj eg plöfjlidfj iljm auliebe 
©olb bom Fimmel regnen mürbe? 



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9looefle t)on 91. ©. t>. Suttner. 



129 



4?ottbadb »artete eine Söeite, bann ljuf> er »ieberan: 
„liefen unfeligen ßeic^tftnn mubt 2>u mit ber Suraet 
auSaurotten trauten, er mürbe fonft in Äürje 2)ein 33er= 
berben »erben. fann mir gana gut benfen, bajj SDir 
unb ibr ba3 £erj bluten mirb, allein ber Stritt mub 
gemalt »erben; e3 gibt feinen anberen 9lu3»eg, unb 
foldje Sunben öernarben fdfjnetter, at3 man glaubt." 

„lieber frembe ©efüljle fpridtjt man immer leister, 
als über bie eigenen," murmelte Stübiger öor jtcb bin. 
„63 gibt eben Sunben, bie nie — " 

„Sarifari!" unterbradt) ibu ber SÖormunb. „3<b habe 
felbft im Seben Diel burcbgemacbt, auch fo einen Saft, 
unb itb b fl fo auf meinen SBanberungen burcb bie Seit 
Diele *tttenfcben fennen gelernt. Ser feine fünf Sinne 
beifammen bat, »er fidtj ber 5ßfIidE)ten gegen ficb unb bie 
Sittoett betoubt ift, ber überfielt alle Schläge be3 S<bicf= 
fal8. Äranfbeit ift ber einzige Seinb, ber bie @eifte3= 
unb ßörperfraft fdjmäcbt, ber bie SiberftanbSfäbigfeit 
labm legt, unb bodj bin idb audb genug armen Teufeln 
begegnet, bie mit bem 3»be8feime im fieibe »adter fäntpf= 
ten unb rangen. 3?ür einen gefunben Surften in deinem 
Sitter gibt e3 feine <£>inberniffe. Unb nun, benfe idb, 
hätten mir uns aur ©enttge auSgefprocben. Siebft S)u 
iefct ein, bab 2>ir feine anbere Sat)t bleibt, als in bie 
fjrrembe au sieben?" 

63 mar, als ob ber alte <£>err ibm mit feinen burdb* 
bringenben 33lid£en ben eigenen Sitten in bie Seele pflanate ; 
faft unbemubt ermieberte föübiger: „3tdb febe e§ ein." 

„Unb mann gebenfft 2)u S)ein Söünbet a« fdjnüren?" 

SBiWioltift. 3o^rg. 1889. 58b. X. 9 



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130 



©er Vonrnmb. 



toeiB nodf) fetBfi nidjt recijt," ermieberte Milbiger 

un fidler. 

„ 2 fd§ rnadfje ©idfj barauf aufmertfam, bafj mit bcnt 
morgigen ©age ©ein 9Jtonat ju Gnbe ge§t ; Bi§ batjin ift 
bie |jotetred(}nung geregelt." 

„Mfo bieKeid^t nadj — StBtauf be3 nöd^ften SJtonatS?" 
fdfjtug Sftübiger fdjüd§tem bor. 

„©o fott id§ bietteidjt biefe Verlängerung au§ meiner 
lafdje Befreiten? Verlangt ©u biefe§ — Sttmofen bon 
mir“? ©ut, e§ mag ©ir gemätjrt toerben." 

©a Bäumte fid§ aBer enblictj 9tübiger’§ ©tol 3 auf. 
„3>d£j, ein Sltmofen Begehren?" rief er, unb feine klugen 
Büßten. „9tein, id) reife übermorgen." 

„Dtedfjt fo; biefe Slnttoort tjabe i<$ ermattet. Vtorgen 
StBenb fetjen mir un§; id§ Bringe ©ir ©ein VtonatSgelb 
unb für unbortjergefetjene ?lu§tagen einen Vetrag, ben 
idj Bei ^Begleichung ©eines SGöed^fetS erfpart ^aBe. 2113 
borläuftgeä Siet mürbe idf) ©ir bie ©d(jmei 3 anembfetjten ; 
bort mirb ©ein ©totjj meniger auf bie SßtoBe gefiettt 
merben, als in irgenb einem anberen ßanbe, mo man auf 
tarnen unb ©itet mehr giBt; auch mirfi ©u bort am 
fdfjnettften bon ©einen ariftolratifchen Stnftdjten Belehrt 
merben unb einfehen lernen, bafj e§ fi<h gan 3 gleicf) BteiBt, 
oB man ein ,bon‘ bor Bern tarnen führt ober nicht, 
©ie 9?atur fümmert fidfj menig barum; fie fdjtägt ben 
Springen eBenfo gut 3 U Voben mie ben Änedjt, unb mir 
leben heute in einer Seit, mo ©tanbeäborurttjeile, im 
©efdjäftg* unb ©rmerBSteben menigften§, 3 um alten ©ifen 
gehören. 9tüfte ©ich alfo, 9iübtger; ein 2Jtann ein SBort!" 



SlooeUe turn ?(. ©. t*. Suttner. 131 

3 Bie ber Serurtheitte, bem eben berffinbet Worben, 
baf} er nach 3Weimat bierunb3Wan3ig Stunben baä Schaffet 
3U bezeigen höbe, blieb 9 iübtger 3ufammengebrochen fi^en. 
Gr war unfähig, .SufammenhängenbeS p benlen; 9 ille 8 , 
WaS er wufcte, war, ba| in Äiirje SltteS mit einem fötale 
ju Gnbe fein Werbe. 

2 Öö8 hotte ber SSormunb untängft gefagt ? Gntweber 
eine Äuget burch ben Äopf ober ben Äampf aufnehmen! 
Brauchte er eigentlich bie 9 toße beS gelben 3U fpieten? 
äöar e§ nicht einfacher, ba 2 Ule 8 in bie Brüche ging, 
ben entfcheibenben Schritt 3U thun, ber biefem Stummer 
ein Gnbe machte? 

2 >er eintretenbe SDiener ftörte ihn in feinen ©rübeleien ; 
er überbrachte feinem #erra ein Briefchen: 

„Sieber ^reunb ! 

S)ie ganje Banbe ift bei mir berfammeft; ©rifling 
hat ©ba mitgebracht, bie fich bereit erltärt, einige GoupletS 
3um Beften ju geben. Unbftnbig luftig! Äomm, Wirft 
2 )ich jerftreuen; machen jum Schluffe ein Heines Spiel. 

S tubenheim. 

P. S. Bitte um SlntWort." 

SDiefe Ginlabung !am eigentlich gan^ im rechten Slugen» 
blicfe; eine treffliche ©elegenheit, um ftch noch einmal in 
ben Strubel 3U ftüt3en unb bie fdjwar3en ©ebanfen 311 
berf ehelichen. 

Gr ging 3um Sdjreibtifch , blieb aber auf halbem 
äöege ftehen. Spielen — bießeicht auf GhrentoOTt ber- 
lieren unb bann feine Sdjutb nicht einlöfen iönnen! Unb 
überhaupt, noch einmal ba8 @an3e burchloften wie ber 



132 



S)er SSortnunb. 



gemeine Sump, bet Por ber ^inridfjtung ein auSgieBigeS 
Gffen, Sein unb gute Gigarten begehrt? 9tein, ba§ burfte 
nidfjt fein! 

Gr f elfte ftd§ fjin unb fd^rieB, bafj et leibet butdj Per* 
fdljiebene Umftänbe PerBinbert fei, gu lammen. Um fidB 
öot jebem UeBerfaHe gu fidlem, Befahl et bem 2)iener, 
Bei einet etwaigen fpäteren Anfrage gu fagcn, fein .fperr 
fei md§t gu $aufe. 

2ll§ et fid§ früB gu 33ett legte, tBat et eS mit einem 
gang eigenen ©efütjl bet GrteicBterung. 



Gr erWacBte nadj gefunbem Sdjtafe. 2lBet feine Stirn* 
mung War ttrieber eine trübe; ein fdfjweret £ag jtanb i^m 
Benot, $atte er bodf) Sngtib für Beute feinen 23efud(j 
angefagt, unb biefet Sefudj fottte ber le^te fein; morgen 
mar er ftBon üBer alle SBerge. 

Älopfenben $etgen§ trat er gegen ein UBt feinen (Sang 
an; et Wollte etwas friiBer lommen, eBe no(B anbete 
fieute im Salon Perfammelt Waten. SSetlommen bur<B= 
fcBritt er ben fleinen Sintergarten, in ben man Pom 
«§ofe be? üeinen Calais gelangte, um toon bort ba§ 23or= 
gimmet gu crreid^en ; bie grofjen GmpfangSräume Waten 
nur geöffnet, wenn itgenb eine 3?efitid(jteit ftattfanb. 

Sefct ftanb et ber Sutter unb XocBter gegenüber. 

„Siebet ©ott!" tief bie SBatonin Betroffen, „finb Sie 
unWoBl? Sie feljen fo Blajj unb leibenb au8." 

Gr PerfudEjte gu lüd&eln, aber eä gelang gang unb gar 
nicBt. „3fa, idj füBle mid£j etwas aBgefpannt unb erregt, 
benn idfj fomme, mi(B Pon SB^n gu PetaBfdfjieben." 



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I 



9?oodle oon $1. ©. o. Suttner. 



133 



„So feiten fdjon? Sfrtfirib eraöljlte mir babon, bafj 
Sie bie Slbfidjt gälten, bie 23ertoaltung ©uteS 

felbfi in bie <£>aub -ju neunten ; Sie tljun feljr toofjl baran, 
nur ber <£jerr allein lattn ba bie richtige Orbnung — " 

„9lein, ffrau SBaronin, iclj mufj meine 5fJläne ünbern, 
id) ^abe eine toeitere Steife bor, eine ©efdjäftSreife — " 
er ftodte unb füllte, toie ifjm biefe Untoaljrljeit bie Stöt^e 
in bie SBangen trieb. „SDaS t)ei|t, idj toerbe midj auf 
längere 3eit entfernen milffen — ja, auf feljr lange 3eit 
biclleidjt." 

2>ie Saroniit atjnte fogleid), bafj cttoaS nidjt in ber 
Crbnung fei, unb auch Sngrib errietl) fjalb unb halb ben 
©runb feines berftörten SöefenS. 

„Scpen Sie fid^ bodj," fagtc bie SBaronin, betn 23e= 
fudjer einen 5ßlap antoeifenb. „3dj teilt nur hoffen, bafj 
3fl)re ©efdjafte ftd^ nadj Söuitfdj abtoideln. Sllfo eS ift 
gan^ unbeftimmt, toann mir Sie teieber feljeu?" 

„©anj unbeftimmt. ©S toirb tootjl lange bauern, bis 
id) toieber bie ffreube tjaben toerbe, biefe 9täume au be* 
treten, toenn eS überhaupt je gefdjiel)t." 

„Sie erfdjreden midj, lieber ©raf! @S Hingt toaljr= 
tjaftig ettoaS toie Strofttofigfeit auS Stimme. Äantt 
Sfljnen biettcic^t mein 9Jtann irgenbtoie mit guten 9tatl)= 
f flögen beljilflidj fein?" 

„Sie finb ju gütig unb freunbfdjaftlidj, ffrau SBaronin. 
Stein , mir !ann 9tiemanb als idj felbft betjilflidj fein." 
(Sr toar nalje baran, bie Söaljrijeit mitautljeilen, als bie 
ütljür geöffnet tourbe unb einige SSefud^er eintraten. S)a 
teoCCte nun Stübiger eS überhaupt bermeiben, bon feiner 




134 



$cr SSormunb. 



Slbreife au fpredjen, uub Ijielt eS baljer für baS 33efte, 
aufaubredjen. 

„8eben <5ie Wot)t," faßte bie 33aronin, als er fid& er* 
Ijob. „Xradtjten Sie, halb Wieber ju tarnen; Sie wer* 
ben unS Sitten ljier red^t fehlen." 

(Sr führte bie bargebotene |)anb an bie Stybm unb 
Wanbte fidj bann Sfagrib au, bie ebenfo btafj geworben 
war, toie er felbft. „($S tljut mir unenblict) leib, bafj 
uitferc Se^rftunben auf fo ptßfjtidjc Slrt abgebrochen teer* 
beit." 25ieSmat gelang iljm ein gelungenes Südjeln. 
„(SS bürfte 3huen iebodfj nicfjt fd^toer Werben, einen 
befferen Sezier ju ftnben — unb einen glfidttidfjeten," 
fügte er leife t)inau. 

„Seben Sie Woljl," antwortete fie fura, faft raut}, unb 
er bertiefj mit einem (Befühle unenblid^en 2öel)cS baS 
©ernadfj. 

3m SSorjtmmer angetaugt, braute itjm ber Safai 
bienftfertig ben Ueberrocf; er fdjlübfte hinein unb naljui 
wieber feinen 28eg bur<Sj ben Söintergarten. (Sben als 
er bem StuSgange aufdtjritt, l^örte er hinter einer 33 turnen* 
grita baS knarren einer Xl)ür, bann bemannt er au 
feiner üeberrafdtjung ben leifen 9tuf: „(Sinen 2lugenbti<f, 
©raf fjranfenftein!" 

3Bar eS möglich? Sie ^atte iljm nodt) etwas au 
fagen, nactjbem fte ihn eben fo !ura, ja unfreunbtidj ent» 
taffen? (Sr folgte ber Slufforberung unb begab fidj nadfj 
ber Stelle, wo fie iljn erwartete. 

„3$ Weit nidt)t, WaS Sie bon mir benten Werben," 
fagte fie in erregtem £one. „Slber ich tonnte fo nidjt 



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^tooelle oon 51. o. Suttner. 



135 



bon Sitten fcheiben. 3<h — ich ahne Schlimmes, idj 
meifj, ein ferneres Uttglücf hot Sie getroffen. Sie motten 
öiefleidjt ba§ ©eheimnifj für fich bemahreit, finb au ftola, 
Sernanb in’3 Vertrauen au aie^en, aber — ich !amt 
nichts bafür, e§ ttjut mir toeh — furchtbar met), unb — " 
„Sngrib!" unterbrach er fie, inbent er nach t^rern 
^änbehen ^afchte. „£), Sngrib, Shoen miE ich SlHcö 
fagen; tljöricht, unfinnig märe ber Stola Stjuen Ö e S cn= 
über, bie mir bie befte £röfterin fein fann! So, ein 
fdjmereä Unglücf hot mich getroffen, benn ich ntufj meinen 
heifjefien SBünfcheit entfagen, bem Streben, Sie einmal — 
5ßeraeil>ung, Sngrib, ich bitte Sie, beleihen Sic mir, 
bafj ich Shuen je genagt bin, ba ich io fträflichent Seid)t= 
finn in ben £ag hiueintebte unb mein (Slücf bieEeicfjt für 
immer aerftört höbe. §ätte ich Seotjut, bafj eä fo lommcu 
mürbe, fo märe gemijj SttandjeS ungefdjehen geblieben, 
unb ich ftünbe heute nicht bor Sh nen , um biefe t^eure, 
theure <gmnb autn lebten Male au lüffen." 

„3tein, iJtübiger, nicht aum testen 2Jtate! 2öo§ bliebe 
bem 9ttenfchen in fchmeren Stunben, menn er nicht hoffen 
bürfte. Sie fehen bielleicht au fc&mara, <5ie ftetteu fich 
bie 3)inge ärger bor, al§ fie finb." 

@r fchüttelte mel)müthig ben $opf. „3teiit, ich hin 
leiber nur au genau in bie unfeligen SOerhättniffe eiit= 
gemeiht. S«h ntuf} fort bon hier, ich lonn nicht anberä. 
93on morgen an geht ber $ambf um ba§ S)afein an, unb 
elenb, recht elenb mirb biefeä SJafein merben! 3<h mufj 
au ber nächftbeften Arbeit greifen, bie ftch mir bieten 
mirb; fehen Sie ein, bajj ich ba§ unmöglich hie* berfuchen 



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136 



55er 93ormunb. 



Jan« 1 ? $n ber grembe, too mich fHientanb !ettnt, toitb 
e§ eher gelingen, toenn mich nicht Äraft unb SJhttfj ber- 
taffen. C, beffer märe e§ bieEeidfjt, ich machte btefem 
(Stenb auf anbere Söeife ein dnbe." 

,,©tiE, Milbiger! DaS ift ein tjftjstidfjer SluSfpruch, 
mit bem ©ie 3h rc mannhaften Söorte befdhlie&en. 3frt 
ber ©efaljr jeigt jid§ ber mahre, ber echte ßcble; toenn 
baä ©chicffal mit feinen Schlägen über Sie hereingefaEen 
ift, fo thuit ©ie recht, fidh mit aller Äraft bagegen ju 
toehren, au fämpfen, ju ringen, jju fiegen. ©o mitnfdhe 
idfj mir ben 2Jtann, ben — ben — nun ja, ©ie miffen 
eS ja ohnebieS — ben ich liebe." 

„Sfngrib, ifi’S maljr?" <£r hielt fre sütemb um- 
f(hlungen, mährenb jte ihr Äöpfdjen an feiner SSruft ber- 
barg. „3a, mein 2lEe§, meine Königin, baS 23emu|tfein, 
Deine fiiebe ju befipen, foE mich ftärlen unb ftählen! 
3<h ünE meine Äraft, mein 2eben baran fefcen, Dich au 
geminnen! Sange, lange Beit mag eS bauern, aber lein 
Bogen barf über mich lomrnen, immer foE ber ©ebanle 
meinen fötuth aufred^t halten, meldh’ h°he* fßreiS au er- 
ringen ift." @r beugte fi<h hetab unb brttefte einen Äufj 
auf ihr blonbeS $aar. 

3h*e 2lrme fanfen bon feinen ©dhultern, unb fte bliefte 
fchmeratidj au 23oben. „SDßirft 5)u bie Jhaft unb 2lu8- 
bauer hoben? SBirft Du, fern bon hier, 3ener gebenfen, 
bie Dir ihr heiligfteS ©eheimnijj preisgegeben hat? SRübiger, 
ich bitte Dich, ben!’ nicht f Riecht bon mir, aber ich lonnte 
nicht onberS, idh muffte Dir’S fagen — ich glaubte, Dir 
fo einen Drofi mit auf ben ferneren Söeg au geben." 



9toüeQe oon 51. @. o. ©uttner. 



137 



„DaS tljuft Du auch, meine Sugrib; ich fdhmöre eS 
Dir: id) filmte midj erleichtert uub ermutigt. 9JUt bem 
flogen, erhebenben äBemufjtfein berlaffe ich bic Deimatfj, 
bafj baS Siebfte, baS Ebelfie meiner in Siebe gebenft, bafc 
eS mir geftattet ift, nad) bem tbeuren S3eft^e $u ringen." 
Er 30g einen (Bolbreif bom ginger. „Da, meine (Beliebte, 
bieS fott unferen S3unb — unfere Verlobung feftigeu." 

©ie nahm ben 9teif. „hiermit ^aft Du Didh mir 
berfdjrieben, 9tübiger, ich Ijabe Dein ttttort, bafj Du nidjt 
besagen, bafj Du nicht in einer unfeligen ©tunbe ber 
Sßerameiflung einen mahnfinnigen ©djritt unternehmen 
mirft?" 

„Du haft eS." 

9tafdh fcbritt fie 3U einem Difdjdjeu unb ergriff eine 
©djeere; bann löste fie eine ihrer btonben gledjten unb 
fdjnitt haftig ein Eitbe ab. „9timm ein ©ttid bon mir 
felbft, trag’ eS immer mit Dir; in ©tunben ber Drauer 
unb ber Serjagtheit fott eS bie Erinnerung an ben heu* 
tigen Dag auffrifdjeu uub Dir bie Äraft berieten, um 
unferer Siebe mitten 2ltteS ju ertragen. Unb nun geh’, 
(Beliebter; id? barf nicht länger bon briiben fortbleiben." 
jJlodjmalS fchlang fie bie Slrme um feinen |>aiS. „D 
Milbiger, eS ift furdjtbar! $amt benn 9tiemanb helfen? 
ÜJlein S3ater bietteidjt, menn Du — " 

„9tein, gitgrib, 9tiemanb, am menigften Dein Später." 
„2öie tobt merben mir für einanber fein. $eiu SebeitS* 
3eidjen, feine Nachricht, nichts!" 

,,©o barf ich Dir nicht fdjreiben?" 

„ES geht nicht. 9tiemanb fott unb barf je^t unfer 



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138 



$)er Stormunb. 



©eheimnifj erfahren. 33ittere Seiten mögen ba§ nun 
toerben, nicht adein für SHch, audj für mid). 2Jtir fann 
baä Söohlleben Oon je^t an feinen ©enufj Bereiten, too 
id) 2)id) in 2)ürftigfeit toeifj, faft fdjeint mir ^ier ber 
£uj;u§, ber un§ nmgiBt, eine SSerfünbigung gegen ade 
3'cnc, tueldje mit fRotf), Entbehrung unb Elenb fäntpfen!" 

Ein ©todenfchlag ertönte, ba§ Seiten, bajj neue S3e= 
fnd§er angelangt feien. 

9todj ein |ei§er $ufj, unb 9fübiger rifc ftd) log. Ofjne 
auf^uBIiden, eilte er an ben Stngefommeneit Oorbci, ^um 
Stl^or hinauf, too ber portier ehrerbietig feinen $ut 30g. 
3et$t erinnerte er ftd), bafj er für ben aBtuefenben 33aron 
eine ßarte jurüdlaffen müffe; bann haftete er toeiter, 
feiner 2öohnung au. 

4. 

E§ fdjneite in biden, fdjtoeren Dioden, al3 ber 3ug 
jur S3ahnhof§hnde hinauäbampfte. fRübiger Befanb fich 
in einem jener fieberhaften 3uftänbe, in betten man feine 
©ebanfen gan,} unb gar nicht ju fantmein berntag, unb 
too man, nicht toiffenb, toaä mit Einem gefehlt, iu 
ftumpfer ©leidjgiltigfeit ba§ Setoufstfein ^alb Oerloren 
hat. Er hatte nur ba§ unBeftimmte ©effihl, baji er ber 
unglüdlichfte fütenfeh auf ber Söelt fei. 

2)er Süormunb ^atte ihm in feiner DrbnuttgSlieBe aut 
SIBenb Oorher fogar bie §ahrfarte gebradjt, eine fold^e 
^toeiter klaffe, benn bie <£>errlid)feit ber erften mufjte ein 
Enbe nehmen. 3)a fafj er benn jejjt atoifdjen einem 
fchnardjenben alten |>ertn jur Rechten, einem hnftenben 
unb fpudenben jur Sinfen, gegenüber brei jüngeren ßeuten, 



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9?ot)eKe oou St. ©. o. Suttner. 



139 



ohne Steifet ©efdl)äft8reifenben, benn fie fptacben öon 
lieber», ÄBein* unb Stmbpreifen uub erfüllten bett Kaum 
mit beut ätjenben Kampfe ihrer SSirginiacigarren. 

9tad§ unb nach tarn er aunt 33etouf$tfein, bajj btefe Slrt 
^u reifen für itjn unerträglich fei; baä ununterbrochene 
©efebtoät} ber Slnberen begann itjm au bie Keröen au 
geben, ba eä ihn in feinen eigenen ©ebanleit ftörte; über» 
tjaupt füllte er fi<b in feiner unglüctlidjen Stimmung 
unter biefen fffrentben noch fdjlimmer baran. frier unb 
ba batte ber ©ine ober ber Slnbere febon einen neugierigen 
23litf herüber getoorfen. S)iefe beobaebtenben SBtidfe toaren 
ibnt läftig, toeil er fi<b in feinem Stotze Perlest fübtte; 
er meinte, bie ßeute müßten auf ben erften 33tic£ feine 
ganae ©efebiebte erraten unb abnen, bafj ba ein „herunter» 
gefointnener" Slbeliger mit ihnen fuhr. 2)aau gef eilte fid) 
auch nodj fcbliefjticb ber ©ebanle: „Söentt Mcb Sugrib 
hier fäbe! 2Ba3 müjjte fie bon bir benten!" 

SJiefeä törichte Schamgefühl tourbe f<bliefjlicb fo ftarl, 
bafj er auf ber näcbften Station, too länger gehalten 
tourbe, auSftieg unb aur $affe eilte. „3cb bitte, toiebiel 
ift auf eine ftabrlarte atoeiter Älaffe nach 3üri(b barauf 
au aabfcn, um erfter an fahren 1 ?" frug er ben Beamten, 
»^ünfaebn ©ulben." 

©r aog bie SBörfe unb legte ben betrag btn. So, 
ie|t fühlte er fi<b erleichtert, al§ er auf ben Schaffner 
aufdEjritt: „fraben Sie ein ©oupe erfter klaffe frei?" 

©in rafeber 33lid be§ Gefragten belehrte biefen, bafs 
er mit einem „Äatmlier" au thun habe, er griff fomit 
höflich an bie OT^e unb öffnete eine üHjür : „.frier, bitte." 




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140 



$er SBotmunb. 



„aOÖottcn Sic auch fo gut fein, mein ^mnbgebäcf, 
baS — baS auä SSetfe^en in bie atoeite bort gegeben 
toorben ift, herüber au bringen?" 

„Sogleich." 

9ladj einigen Minuten !am ber fDtamt aurfief unb brachte 
bie £af<hcn nebft 5piaib unter. „So, bitte einaufieigen." 

9?übiger tonnte nicht umhin, bem gefälligen ^Beamten 
einen ©ulben in bie |>anb au brüdEen. 

„S)anle beftenS, -fperr ©raf." 

S5er „©raf" that mohl, unb auch ber fd^tüeKenbe Sifc, 
auf bem er ftch iefct hinftreefte; ein erleichtertes „2lh!" 
tarn aus bolter SBruft. 

9tuit fonnte er ftch ungeftört feinen ©ebanfen hingeben, 
unb augenblidflidEj flogen fie nach bem Crte aurüdE , beit 
er laum bor einer Stunbe bertaffen hatte. ©rft je^t fanb 
er bie richtige Stimmung, um bie ©rlebniffe bon geftent 
im ©eifte an ftch boriiberaiehen au taffen, beim als er 
bott feinem SlbfdhiebSbefucbe nach |>aufe gelommen toar, 
hatte er fogteidtj aix’S $adEen gehen mitffen, unb ba§ hatte 
bie Stunben auSgefüttt, bis ber Sormunb erfchien, um 
ihm bie testen SBerhaltungSmafjregetn au erteilen. 

©in furchtbarer 2Jtantt, biefer SSormunb! ©igentlich 
hatte er allen ©runb, ihn au halfen, ben UnglüdEäraben, 
ber mit feinem erften Auftreten einen böHigen Umftura 
in ben bisherigen ruhigen 33erbaltniffen tjerborgerufen 
hatte. SlbenbS toar er noch mit allerlei guten 9tatb s 
fdjtägen gefommen. „#ier, atoeihunbert ©ulben, bie ich 
bon deiner Sßechfetfchulb abgeljanbett habe ; geh’ fparfam 
um bamit, betraute biefe unter Umftänben bebcutenbe 



PigitistfLji iWigle 



SfooeUe oon 91. ©. o. Suttner. 



141 



Summe als einen 9iothpfennig, falls S)u franf unb eine 
■Seit lang arbeitsunfähig toerben follteft." 2 )ann: „93er= 
toahre biefen Srief gut; er enthält ein paar @infüh= 
rungSaeilen an einen $reunb, bem i<h fd^on Por mehreren 
2 agen gefchrieben h^e, unb ber 2 )ir behitfli(h fei« toirb, 
eine Stelle 3 U ftnben." $5er Umfchlag trug bie Slbreffe : 
„^errn Sßrofeffor 3Jterj in .Sürich-" Sdjliefjlidj ttoth bie 
feierliche Ueberreichung beS DieifebilletS mit ber Semer* 
fung, bat Pon morgen an ber erfte Schritt jur Setretung 
beS ÄreuatoegeS gemalt toerben müffe. Söenn ihn fett 
ber Sormunb fälje, toie er ba in ber erften JJlaffe lag 
unb eine ber lebten DtegaliaS raubte, bie ihm geblieben 
toaren! 2llj, jum Teufel mit bem Sormunbe! SOßaS 
brauste er an ihn au benlen , too 3«nanb gana SlnbereS 
auf Grinlat toartete! 

Gr gab jtch ein paar Stunben lang feinen £räunte= 
reien hin, bann raffte er ftch auf, um auch bie 3 u= 
funft ein toenig in’S 9luge au faffen. SöaS mit ihm in 
Zürich gefchehen toürbe, tourte er abfolut nicht, aber er 
hoffte, ba| ber Stamt, bem er anempfohlen toar, alle 
£ebel in Setoegung fe^en toürbe, um ihm eine paffenbe 
unb einträgliche Stelle au Perfdjaffen. 

|>atte er bodj fchon öfters gehört, bat „biefe 9tepu= 
blifaner" burchauS leine Slriftolratenfreffer feien, im (Segen» 
theil: Stubenheim’S fetter toar beifpielstoeife inSlmerila 
getoefen, unb bort hotten bie groten ©elbpropen um bie 
SBette ben Umgang mit bem „Saron" gcfucht, um ihm 
au dhven prächtige (Saftmähler, Sätte unb Soireen au Per» 
anftalten, ja Siele Pon ihnen foUten in Seto=9)orl auf 



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142 



2>er SSormunb. 



iljren Söagenfd&lägen SCßappen eigener ©rfinbung unb S3er= 
leiljung führen. Sn ber ©dfjtoeia toar e§ bermuttjlid& nidjt 
tote! anberS, alfo ftanb au ertoarten, bafj ein ©raf Oranten- 
ftein nidjt, toie ber SSormunb gemeint, angetoiefen fein 
merbe, um tärglicfjen 2ot)n au bienen. 

S)er ©djaffner rifj iljn au§ feinen ^Betrachtungen, in= 
bem er berfiinbete, bafj man ber 5Jtittag§ftation natje fei ; 
ber Slufenthalt bauere atoanaig Minuten, um ben Steifen- 
ben 3eit aum ©peifen au geben, toenn aber ber $exx 
©raf befehle, fo fönne er, ber ©ctjaffner, ein ©ebedt in 
ben SCßagen bringen. 

Stübiger fürchtete , fidj ettoa§ a u bergeben, toenn er 
biefen Slntrag nicht annähme, unb fo erfuctjte er benn ben 
SJiann, ba§ Stößige au beforgen unb auch eine ffflafdfje 
SSorbeaur au befteEen. 

©r afj mit Stppetit, toenn auch bie 3ubereitung nicht 
ber be§ @ranb=^otet ober ©adjerä gleich tarn; ben S5or- 
beaii£ befielt er bei fich, um nach unb nach bie ^lafctje 
3 U teeren. SDie Seche belief fich auf hier ©utben unb 
einige Äreuaer; felbftberftänbtich überliefe er ben Steft ber 
Srfinfgutbenbantnote bem gefäEigen SJtann, ber ftctj feiner 
fo freunblidh annahm, unb aum SDanf frug berfetbe ben 
Ijerrn ©rafen, ob er für itjn einen 5piafe im ©djlaftoagen 
bormerfen taffen folte. 

Sept tjiefj e§ fcfjon auch au biefer Sluälage noch Sa 
unb Stmen fagen; biefe Steife toenigftenS foEte noch in 
boEer Söequemlid^feit unb Söeljaglicfjfeit gemacht toerben, 
toenn audfj ein Xtjeit be§ „StothPfennigä" babei ftart in 
SJtitteibenfchaft geaogen tourbe. 



9?ooeHe oon 91. @. o. (Suttner. 143 

Dev ftarfeSBein toecfte bie SebenSgeifier; Diübiger fa^ 
gufehenbS feinen 2Jtuth unb feine Hoffnungen toachfen; in 
feinem tljeilS angeborenen, theitS aner^ogenen Dünfel er* 
ioartete er, halb in feinem neuen JöeftimmungSorte oben* 
auf 3U fchtoimmen. Söarum fottte er nicht 311m 33 eifpiel 
in ben Dienft jenes «Staates treten, um in tftr^efter 3 eit 
einen angenehmen unb einträglichen ^often 3U betteiben, 
etwa im auswärtigen 9 lmte, ober als 23 eboHmächtigter 
ber IRepublif im 3 tuSlanbe. Diefe Siepublifanet mußten 
fidh ’3 ja jur Öhre regnen, einen ©tafen ^ranlenftein jttm 
Vertreter 3U haben. 

©r muffte eben nicht , Welcher Sörief ihm borauSge* 
gangen War. 

„Sieber 3 ?reunb ÜJler^ ! 

9 llS Du mir bor 3toei iahten Deinen Wettmübeu 
Neffen fanbteft, bamit ich in unferem teid^ther^igen Söien 
einen Sebemann auS ihm mad£>e, fchriebft Du mir, baff 
Du 3U ©egenbienften jeberjeit bereit feieft. Der 9 lugen* 
blidf, mir einen ©egenbienft 311 leiften, ift nun gelommen. 
Der junge fDiamt, ben ich 3 >« in’S HauS fenbe, ©raf 
fjranlenftein, ift mein OTnbel, ein iöfirfchchen bon 3Wei= 
unb3toan3ig Sahnen, baS infolge ber bebauernSwertheu 
Schwäche feines CheimS bereits mit ben Daufenben herum* 
ge wirthf «haftet hat» tote ber SBirbelWinb mit ben bürren 
SSlättern. 

So ift er benn jept glücflid) am ©nbe angetangt, unb 
eS heifct hüben. ©r befitjt Wohl ein ©infontmen bon 
hunbertfttnftmb3toau3ig ©ulben monatlich, baS genügt aber 
nicht, um hier ftanbeSgemäji 3U leben, unb er fott baljer 



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144 



2) er 33®nmmb. 



arbeiten, um ficfj feine 3u!unft au ftd&ern. 2)u mirft 
hoffentlich etmaS SßaffenbeS für ihn finben, eBenfo mie ich 
ertoarte, bafj er Bei euch Bon feinen etmaS h°<httaBenben 
$been geteilt toerben mirb. $<h Bitte 2)idj baljer, gleich 
Bon Anfang an ben ©rafen Bei ©eite au laffen, ihn als 
ftmplen Sfrantenftein au Behanbetn unb bemgemäjj unter= 
auBringen. 

2)ich ^ier unb ba um Sadtjridjt Bittenb S)ein 

£ollbach." 



Sübiger liefj jtch, am 3iele angelommen, nach einem 
erften ©aft^ofe - fahren- SDort machte er erft forgfältig 
Soilette, elje er feinen ©ang nach ber Söotjnung beS 
ffJtanneS unternahm, mit bem er Bon nun an in 3}er!etjr 
treten fotCte. 

5$or einem Keinen 4?äuS<hen angelangt unb Bon einer 
2)ienftmagb empfangen, überreichte er biefer baS Schreiben 
mit bem Gebeuten, bem |>errn $ßrofeffor feinen SBefudf) 
au rnelben. 

Sach furaer 3eit !am fie aurücf unb führte ben S5e= 
fudfjer in ein Keines ©emacf), baS in ber SJtitte einen 
ÜEifdfj unb an ben SGßänben ©tüljle neBft einem Ärebena* 
tifdfj hatte» fomit ohne .Btoeifel als ©peifeaimmer biente. 

„©o, ©ie foKen hi« nur märten/' Bebeutete ihm bie 
©dfjmeiaerht. „S)er $err ift noch Befchäftigt." 

Sun, auBorlommenb mar ber ©mpfang gerabe nicht. 
Sehnlichen SBefdfjeib hatte Sübiger feinem Wiener gegeben, 
menn biefer gemelbet, baff ber ©chufter ober ber ©chneiber 
braufjen fei. 



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I 




Stooelle oon S(. @. o. Suttner. 



145 



( 5 t fanb Stufje genug, ben tangtoeitigen fteifen Staunt, 
in bem er fafj, einer einge^enben ^Beobachtung 3U unter* 
3iel)en unb au® bemfelben auf ben Setoobner 3U fdjlieficn; 
eine Siertetftunbe berging, unb nod) eine, unb fdjon be= 
gann ber Slnföntmling ärgerlich ba® ©emactj 3U burct)= 
ineffen, ermägenb, ob er nid§t lieber geben unb ein anber* 
mal botfprecljen fotte, al® ju feinen «ftäupten ba® buntpfe 
©epolter bon gerüdten TOöbetftiicfen, bann Stritte (jötbat 
mürben. hierauf fnattie eine Ütreppe, unb bie übür 
mürbe geöffnet. 

©in SJiann, ettoa im Sitter bc® Sormunbe®, trat in’® 
3immer. ,,^err Sfranfenftein, nicht mabr 1 ?" fagte er in 
etma® gemeffener Slrt. 

Siübiget ^atte Suft, ben „©tafen" jur ©eltung 3U 
bringen, aber er begnügte fiel), fcfjliefjtidj 311 fagen: „3« 
bienen." 

„Sie fudjen eine SlnfteKung, mie mir mein $reunb 
fcfjtteb. 3 )a® ift Ijeutautage leine leiste ©adtje, too e® 
mehr SSittfteÜer al® freie $täpe gibt." 

$E>a® mirfte mie ein fatter Sßaffcrftrat)t auf bie ( 5 r= 
martungen, bie fxc^ Stiibiger bon feiner Stufnabme ge* 
macht batte. 

„$ier, in 3üricb, ift für ben StugenbUtf nidht® 311 
finben," fuhr ber Sßrofeffor fort. „ 3 )odh ift e® mir ge* 
lungen, bon einem Sefannten in Sern eine 3 ufage 31t er= 
mitten : .jpert ftrifdh, einer ber bebeutenbften ©rof bänbler 
jener ©tabt, bat fich bereit erflärt, ©ie in fein ©omptoir 
auf3uneT§men. Sefitjen ©ie einige .ffenntniffe in ber .fpanbet®* 
miffenfdhaft ?" 

«ibliotfitf. Oabi'fl. 1889. 33b. X. 10 



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146 



3)er 33omtunb. 



3fa, glaubte benn ber gute 9Jtann, baß in Söien bie 
Äabaliere au ©ttenreitern in bie Seßre gingen 1 ? „3dj ßabe 
an ber Uniber jität ftubirt," fagte er in einigermaßen ent= 
rüftctem £one, „unb midj nie um baS |janbel§facß be= 
lümmert, außer menn icß für midj Osinfäufe au machen 
ßatte." 

„(So! 2)a§ ift bebauerlicß," berfeßte ber Sßrofeffor feT^r 
rußig, „bann toeiß icß nicßt, ob ©ie $errn ffrifcß ent= 
fprecßen toerben. 33ietleicßt mirb eS mögticß fein, baS 
Sßerfäumte nacßaußolen, toenn ©ie ficß fütüße geben unb 
bie freien ©tunben, bie übrigens !arg bemejfen fein bürften, 
aum ©elbftunterricßte bermenben. 2öie gefagt, icß müßte 
für ©te augenbtidticß feine anbere Untertunft; audj ßabe 
id) bem betreffenben .jperrn umgeßenb bie 3nfage gemacßt 
unb außerbent für ©ie eine 9Jtietße bort abgefcßloffen : 
ein 3intmer bei einer braben alten ftrau, ber Söittme 
beS einftigen ßieftgen UniberjttätSbienerS. 3hnmer unb 
5ßenfion foften monatlicß ßunbertatoanaig Oranten, ©te 
merben ermartet; mann motten ©ie abreifen?" 

„©onft märe mirflicß nicßtä — SeffereS an finben?" 
frug 9tübiger unfcßlüfjtg. 

„S5effere§? ©eien ©ie überaeugt, junger 3Jtann, fo 
utancßer ©tettefucßenbe märe glüdflicß, in jenem <§aufe 
aufgenommen au merben. ^err ftrifcß macßt nur mir au 
Siebe eine 5lu§naßme, ba fein 5ßerfonat eigentlich boU= 
3 üßlig ift. ßrfunbtgen ©ie ficß ßier nacß bem ©efcßäftc, 
man mirb ©ie überall beleßren, baß baffelbe au ben erften 
be§ Sanbeä geßört." 

,,©ut, fo mitt ich nticß morgen auf ben 2öeg tnacßen." 



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Wooette uon 91. o. Suttner. 



147 



„Schön, ich Werbe Sitten nod^ ein paar @inf übrungS» 
aetlen fenben; Wo Wohnen Sie?" 

„ 3 nt $otel 33eltebue." 

„@i ber SEaufenb ! 2>aS ift Wobt ber bornebmfte, ober 
auch ber tbeuerfte Slufentbalt. Wun, baS ift 3b« Sache, 
ich glaube Sie aber bodj aufmerlfam mailen 3 U müffen, 
bafj eS ratbfam fein Wirb, in S3ern biefen erften ®aft» 
böfen fern ju bleiben; fdfjon 3 b*er @omptoirgenoffett 
Wegen." 

„Wein, nein, idj Werbe mich bort borauSficbtticb mit 
ber SBobnung begnügen, bie Sie fo freunblidfj waren, mir 
3 U beforgen." 

„SltterbingS träten Sie gut baran. 3cb Will ©ie nun 
nicht länger aufbatten, e§ bürfte Sie ja interefftren, fidf) 
unfere Stabt näher an^ufeben. S)a ich febt befebäftigt 
bin, nerabfdjiebe icb mich lieber jefjt gleich bon 3 bneit 
unb erfudje Sie, mir gelegentlich 3 U fdjreiben, Wie bic 
SJittge geben. Wtein 23riefcben an |>errn Srifdb Witt ich 
3 b«en beute noch jubmmen laffen." — 

9lm fotgenben SJtorgen war Wübigcr wieber unterwegs, 
um nach Wenigen Stunben an feinem oorläufigen giele 
anjulangen. S)ie§mat tief* er fidfj fogteicb nach ber S 8 e= 
baufung ber fjrau SGBatterli fahren. 

dr rnufjte fidf) fdjon fetbft bequemen, fein .£janbgepädf 
bont SBagen 3 U nehmen unb hinein 31 t tragen, benn Wie= 
rnanb bot ihm bierau feine 3)ienfte an. 35ie hauSWirtbin, 
eine behäbige Sitte, empfing ihn mit ©önnermiene unb 
meinte febmunsetnb, bafi ba§ Sintnter febon bereit fei. 

3)ajfetbe War ein Heiner Waurn mit einem einigen 



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148 



$er 58orntimb. 



Ofenfier unb fo befdjräntt, bafj gerate eine 23 ettfteEe, ein 
©djran!, ein £ifd) nebft brei ©tüljlen unb ein SBafcIjtifdj 
barin 5 piaij Ratten. 9 ln bem fünfter meifje ©arbinen, 
an ber Söanb ein ©piegeldjen — bag mar aEer Sujuä, 
ben eg bot. 

Siübiger l)atte 9 )tülje, ein ©efüljl ber ©mpörung 31t 
beljerrfdjen, alg er über bie ©d§meEe trat. 9 Jtifmutl>ig 
toarf er fein ©epäd auf bag S 3 ett unb ging an’g fünfter, 
um trotjig in ben büfteren |>of tfinab 3U ftarren. 

„Sdj miE Sinnen ein menig $euer anmadfjen," fagte 
0 ?rau Eöatterli gutmütig. „Stber menn ©ie effen moEen, 
müffen ©ie fdjon in bag ©aftljaug gelten ; id§ mufete nid^t, 
bafj ©ie ^eute fomrnen mürben." 

Sa, ja, nur tjeraug aug biefem Sodje ! SDag mar $Ee§, 
mag er für ben Sfugenblid Oerlangte. 

Siadfjbem er biEig, aber fdjtedjt gegejfen, irrte er eine 
Seit lang 3iellog burdj bie ©tragen. @g mar iljm fo 
melj unb beängftigenb 3U 9 )tutt)e, menn er badete, bafj 
mit bem üebertreten jener ©djmeEe ein neueg, erbärm= 
lid§eg Seben feinen Slnfang nehmen mürbe. 3 )arum fdjob 
er ben garten Slugenblicf Ijinaug, um red£)t fpät, unb nadfj- 
bem er meljrmalg feljl gegangen, feine Söeljaufung auf= 
3ufucfjen. 

„$err ^ranlenftein," empfing il)n 0*<tu Söatterli im 
SEone beg 33 ormurfg. „Unt 3eljn Uljr mirb 3ugefdjloffen 
unb in ber Stegei nidjt rnelfr geöffnet. Sd£) bitte, ein 
anbermal ben |>augfdjlüffet mit3unel)men." 

@r nafjrn bag fiidjt in ©mpfang unb ftieg bie £rep£e 
3U feiner Kammer hinauf, ohne ein Söort 311 ermiebern. 



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s J?ooeHc oott 31. ©. u. ©uttncr. 



149 



s Jtoch lange blieb er am £ifd)e fitjen, in ’8 Jdeere ftierenb 
uitb grübelitb. S5ann ging er enblidj au 33ett, ohne aber bie 
erhoffte Stube 31 t finben ; eilt (Befühl ber SJtutbtofigfeit, bcr 
33 cr^toeif tung überfiel ihn plö^tid^, eine 33eraagtbeit, gegen 
bie er bergeblich anlämpfte, benn tocnn er auch bie Raufte 
baßte unb bie 3 äbne aufeinanber bifj, fo rannen ihm bod) 
unaufbaltfam bie bitteren 3 öb rel t über bie Söangen herab. 

SJtit bem anbred&enben Xage legte ftcb ber ©türm in 
feinem Innern; er fefjte jtcb im 33ctte auf unb breite 
eine Zigarette, um bann bie 25inge toieber mit ettoaä mehr 
SJtutb in ’8 Sluge au faffen. Um fiebenUbr erfdjien fjrau 
SBatterli mit bem ^rühflüdf. 

„ 2 Bie, ©ie finb noch im SSett ? 3 <h badete, ©ie feien 
bei -fperrn Sfrifcb angefteßt unb — " 

„ 3 <h bitte, beruhigen ©ie ftcb," unterbrach er fie 
ärgerlich. „SBenn ich irgenbtoo angefteßt bin, toerbe ich 
toohl felbft toiffen, um toelcbe ©tuube ich mich bin 3 « 
begebeu höbe." 

„Shtn, nun, ich nteinte nur — " 

„3ch staube 3 buen, bat* ©ie ettoaS meinten — aber 
ich nmji ©ie ein* für aßemal erfucben, meine 2 lngetegeu= 
beiten mir p überlaffen." 

„ 4 ?err ^ranlenftein, ich batte in meinem Seben mit 
fehr bieten jungen Leuten au thun; mein Sßaitn toar 
Uniberfitätgbicner unb erfter Sßebeß — " 

„35 aä toeifj ich, tfrau ßöatterli, aber ba§ berechtigt 
©ie noch nicht, 3 b*em Sftietber gegenüber ben Rebelt au 
fpielen. Ober bießeicht ift e§ 3b ne n lieber, ich fudje mir 
eine anbere SBohnung." 



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150 



'Ser ^ormunb. 



©ie fteßtc ben Kaffee auf ben £ifd& unb berliefc be^ 
leibigt bie Kammer. 

SBorberljanb befdljlofj er, feine 2 )roljung nidjt au§= 
aufüfjren, bemt ba ftdfj 5fkofeffor ÜJler^ in feinem Flamen 
für einen 9)tonat berpflidfjtet ^attc, fo märe ber 3 in§ oljne 
3 toeifet berf alten getoefen, unb ba§ Ijätte bodfj eine arge 
23refdje in feine befdjeibene $affe geriffen. 

©egen neun Ufjr madjte er fid^ auf ben 28eg nadj bem 
Comptoir, um -fperrn ^rifd§ bon feiner 2 tnfunft 31 t benad}= 
richtigen. @r betrat einen grojjen, eigentfjümtidl} naclj ben 
aufgefpeidtjerten Söotttoaaren buftenben 9taum, too mehrere 
Seute befdjäftigt toaren, grofje Giften au berpatfen unb au 
bcritageln. 

2 luf feine 3 ?rage toieä man ifjm eine üLtjür, bie in 
ein jjtoeiteä ebenfo grofjeä ©elajj führte, too be§ trüben ’ 
£ageäticf)te§ toegen bie ©aätampen ange^ünbet toaren. 
<f?ier befanben ftcfj atoei ffteitjen bon ©oppetpulten, über 
toetdje jüngere unb ältere ßeute in entftger Arbeit gebeugt 
fafjen. 2 lm (Snbe bemertte er einen ©ta§berfd£)Iag, in bem er 
ba§ SlrbeitSfabinet be§ @Ijef3 bermutljete. 9tiemanb beaefj* 
tete iljn, at§ er borbeifcfjritt; nun tourbe aber bie Stjür 
aum Söerfdfjtage geöffnet unb ein ältlid^er fütann trat IjerauS. 

„(intfcfjulbigen ©ie," frug ber Slnfömmting, „ift J£>err 
9 -rifd^ antoefenb?" 

„^atoofjl; ©ie toünfcfjenr 

„ 3 >dj tjabe Ijier ein ©cfjreiben für ifjn abaugeben." 

2)er Slnbere nat>m ben SBrief be§ 5profeffor8 in ©mpfang 
unb berfdfjtoanb in ber ©ta§tajüte, um naefj toenigen fÖtinu» 
ten toieber an erfdfjeinen. 



Siooelle oon 21. ©. u. Suttner. 



151 



„Sitte eiitpfteten." 

Milbiger getjordjte ber Slufforberung unb fattb fid) nun 
einem beleibten ^errn mit feljr rotljem ©efid&te gegenüber. 
63 fiel bemfelben nidjt ein, fid) ju ergeben, ober bem 
gfremben einen ©tuljl anaubieten, toie e3 bodj fRübiger 
ertoarten p bürfen glaubte, fonbern er lernte fid) breit 
in feinem 2lrmfhd)l gurüd unb mufterte ben Slnfömmling 
feljr genau; bann fagte er: ,,©ie finb alfo ber |>err 
granfenftein'?" 

Siübiger öerbeugte fid^ bejaljenb. 

„Sprofeffor Sttera, bem idlj au3 perfönlidfjer ©efäHigfeit 
eine ^ufagenbe Slnhoort gegeben Ijabe, bemerft Ijicr in 
feinem Sriefe, baf* ©ie eigentlich in «gmnbelSfadjen nod) 
feine Äenntniffe befifcen," fuljr ber ©rofjljänbler fort, mit 
ben fetten Ringern ber redjten .fpanb auf ben Sifdj tront= 
ntelnb. „Sa3 ift freilich fdjlimm, benn idj braudjc 
Seute, bie fidj im ©efd^äfte hoch toenigftenS ettoa3 au3= 
fennen; ljm, ljm." 6r brüdte nadjbenflidj bie Unterlippe 
atoifdjen Saumen unb Zeigefinger aufamnten. „Sta, idj 
toitl’S txerfudjen; müffen fidj eben für einige Zeit mit ber 
©teile eine3 SolontärS begnügen; möglicher SBeife fauxt 
ja bie ©adje nadj unb nadj geljen. Stt ber Siegel bezieht 
ein folcfjer fein ©eljalt, ba aber «£>err SJtera betont, bafj 
©ie bebürftig feien, fo mag eine 2lu3naljme gemalt 
toerben." Ser 6ljef brüdte an einen Selegrapljenfnopf, 
unb halb barauf erfchien berfelbe Seamte, melier Stübiger 
angemefbet hatte. 

„Sa3 ift |>err Malier, mein ^rofurift, unb 3tljr un= 
mittelbarer Sorgefetjter," toanbte fich ber @rofjfjänbler an 



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152 



$er Sßormunb. 



bett jungen s Dtamt; hierauf pnt Slnberen : „$err .§aEer, 
idj fteHe S^ncit Ijier $errn ftranlenftein bor, ber bon 
morgen an feinen $ienft antreten fann. ©eijen ©ie i^n 
auf bie Sifte als Volontär mit fünfzig grauten monatlidj 
SluSnabmSgebalt. ©o, junger 9Jtann, alfo morgen tönnen 
©ie beginnen. 25ie ©tunben finb: bon adjt bis jmölf 
llljr JBurmittagS; bann, nach einftünbiger 9JtittagSpaufe, 
bis fedEjS; in 9luSnabmSfällen Reifet eS mobl audj bis 
fieben ober acht ll^r bleiben. 33efleifjigen ©ie ficb ftrenger 
!pün!tlicb!eit unb riiften ©ie ficb mit (Sifer für bie ©acbe ; 
je früher ©ie ftd^ bie notfjtoenbigen $enntniffe aneignen, 
um fo beffer für ©ie. 9luf Söieberfe^en." 

2IIS 9tübiger baS ©omptoir bertieb, tjörte er noch beu 
Gpef pm ^rofurafü^rer fagen: „(Sr berfte^t nodj gar 
nichts bom ©efebüfte; eS gefdbiebt auS reiner ©efälligleit 
für einen SBefannten, bab icb ipn jur $robe anne^me." 

fßun, baS ging ja bortrefflidj ! ©nabenmeife aufgeuom« 
men mit fünfzig Uranien fJJtonatSgebalt, nicht biel mehr, 
al§ er feinem ©room gegeben Ijatte. 2Bo maren feine 
bräunte, feine (Srmartungen, bab man ben Ijodjgebomeu 
•fperrn mit (SntbufiaSmuS aufnebmett mürbe! (Sr begann 
jept allmäpig einpfeljen, bab man hier fepr toenig fjebet* 
lefenS mit ibm machte, nicbtSbeftomeniger moEte ftcb aber 
fein 2)üu!el nodfj nicht recht in bie 33ert)ältniffe fügen. 
33ieEeicbt §atte ihm ba ber SBormunb einen ©treicb ge* 
fpielt. S3om 5Profeffor an Ratten ihn bis jept 2lEe als 
^Bürgerlichen bebanbelt, eS mar fomit mögtidp, bab eS 
Sener für überflüfftg gehalten, ipn als fütitalieb ber 
böcbften Söiener Slriftolratie einpfübren. 



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Aooetle üon A. @. t>. Suttner. 153 

3it $aufc angelomnten, fefctc er ficb alfo fogleidb au 
bett üTifdj unb fdjrieb an ^tofeffor SJtera, bafj er amar a»t= 
genommen fei, ba{j er eS aber bocb traurig finbe, toenn 
ein ©raf 3?ranfenftein nichts löeffereS crrcid^ett !önne, als 
eine SBolontärfielte in einer Söollbanblung, mit einem 
©nabengetjalte, baS nicht einmal auSreicbte, um fi<h fatt 
au effen. 

Am näcbften SJtorgen mar er übrigens pfinftlidf) in 
feinem Amte, um bon $errn patter bie nötigen Au= 
meifungen unb Anleitungen au erbalten, ©eine Arbeit 
beftanb barin, ^Briefe, melcbe ber @bef mit SBleiftift auf= 
gefeijt batte, in’S Steine au fdjreiben. 

AIS er AbenbS nach «f?aufe !am, mübe uttb mie ge= 
räbert bon bcm ununterbrochenen ©iijen am 5J}ulte, fattb 
er eine Anttoort beS SprofefforS bor; fie lautete einfach, 
bafj bie Aufteilung feinen Äenntniffen entfprecbenb fei unb 
bafc man in ber ©chioeia leinen Unterfcbieb amifeben einem 
©teile fuebenben ©rafen ober ^Bürgerlichen madbe; 33eibc 
feien angemiefen, auf gleidbe Söeife ibt 35rob au bcrbicucn. 

5. 

2>aS ©dbreibett beS 5ßrofefforS batte ibm fd^liefelidf> 
bie Augen geöffnet, je^t mufjte er alfo bodb, mie er barau 
mar. löon £ag au Xag febmanb ein ©tücfcben £>ocbmutb 
unb ©itelfeit babin, unb er begann immer mehr au fühlen, 
bafj er bisher bon Anficbten befangen getoefen fei, bie er 
nur mit einem febr Keinen Zfyilt ber 99tenfcbbeit gemein 
batte. Sßeber fein unmittelbarer SBorgefefcter, noch ber 
@bef bebanbelten ibn anberS, als bie übrigen Angeftettten, 




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154 



$>er Sormunb. 



bie mittbeflend eBeitfo biet trifteten, toie er, unb baßer 
biefelben Siedete Beattfpruchett fonnten. Sa, oft erhielt er 
Aufträge, toelcße meßr an „^auäfnedfjtäarBeit" ftreiftcn, 
toenn e§ Äifteit jur 33aßn Bringen unb öon bort aBfenben 
hieß, ober toenn irgenb ein SlBne^mer in ber Stabt 
toiinfdfjte, baß man ißm SJtufter üBerBringe. 2)a mußte fid^ 
cBen ber Volontär ^erBeilaffen, hinter bem Safitoagen ein* 
^equfd^reiten, ba§ SlBtoagen unb bie StufgaBe ju Beauf= 
fidjtigen, ober bie 33tufterfarten borautegen, um bie 9luf= 
träge be§ Äleinljänbterä in Empfang ju nehmen. 

Slttmähtig getoöhnte er ftdh auch an folcße SHttge, unb 
e§ ging ein 2Jionat baßin, oßne baß in feinem einförmigen . 
SeBen eine SSeränberung eingetreten toäre. Sßünftlicß toar 
er äur fefigcfeßten Stunbe im ßomptoir, pünftlidß im 
töett, SlEeS ging nach ber Minute, unb bie Söitttoe fonnte 
mit 23efriebigung Behaupten, baß #err granfenfiein ein 
recht Braber junger 9Jiann fei. 

SCßaS nun feinen Srobljerrn Betraf, fo toar biefer mit 
ben Seiftungen feines 33olontär§ nur mittelmäßig au= 
frieben. 5Der junge Sftann fcßtoeBte tßeiltoeife in ben 
SBolfen, toie ber ßßef entbecfte; er faß oft in ©ebanfen 
bertieft iiBer feinem ^apierBogen, fraßte allerlei Schnörfet 
auf bie Unterlage, auto eilen auch ein geßeimnißboIteS SGßort 
ober biefteicßt einen tarnen; baneBen toieber 3lnfangS= 
geilen bon ©ebidßten, unb fo laut eS öfter bor, baß bie 
SSriefe meßr 3^it Brauchten, at§ notßtoenbig toar, ober 
baß fie fehlerhafte StngaBen enthielten, toa§ unter Um» 
ftänben fehr fcßtimme folgen ßaBen fonnte. 

©ineä *0torgen§ trat ber ßßef noch röther at$ getoößn» 



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Slouelle oon Sl. ©. o. Suttner. 



155 



lid) aus feiner Sabine ; er hielt ein Rapier in ber ^attb, 
büdte forfdjenb butdj ben StrbeitSfaat unb tief bann mit 
überlauter Stimme : „SBer Ijat biefe (Sfetei gemalt? 333er 
hat an bie ©ebtüber gimmetmann gefchrieben?" 

Sille blidten auf, auch Stilbiger, ber ebenfalls fetjr rotlj 
mürbe unb bann ermieberte: „3$ b a ^ e bor fünf £ageu 
einen 33rief an jene Sirrna abgefanbt." 

|>err ffrifd) fd^ritt auf bie Stelle au, mo fein Volontär 
fafj, fchleuberte ihm baS SBlatt bin unb fdjric: „9tun, 
baS mag eine fdjöne SDuntmheit gemefen fein, bie Sie ba 
au Fabier gebracht h^en! fefen 3tntmort 

unb — " 

„$err £$frifcb, icb mufj bitten — " unterbrach i$n 
Stübiger mit bebenber Stimme. 

„6i toaS, Sie brauchen gar nichts a u bitten! 3Q3aS 
ich bon Sh^en berlange, ift Slufmerlfamleit unb gute Slrbeit. 
Sabberment, ich bezahle bafür unb beanfbruche baher eine 
entfbrechenbe ©egenleiftung ; ich b a & e fein (Mb bap, um 
cS für unbrauchbare ßeute hiuauSaumerfen." 

Stübiger fühlte bie 33lide alter Uebrigen auf fich ge= 
richtet unb gitterte fo bor Erregung, bor gom, bafj er 
fich ®etoalt anthun mufjte, nicht bem SJtanne ben nä<hft= 
beften ©egenftanb an ben $obf au metfen. 

„S)a lefen Sie bie Stnttoort fetbft!" henfehte ihn ber 
(Hjef an* „3$ »erbe nicht llug barauS." S)amt ging 
er grottenb in fein $abinet aurüd. 

Stübiger martete ein baut HJtinuten, bis er fühlte, bafi 
er bie Sbrache mieber gemonnen, hinauf ging er gerabe* 
megS auf ben 33erfchtag au. 



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156 



2)er Sßormunb. 



„Alfo ttms ift ’S?" frug ber eh c ?* ber glaubte, bafj 
bcr Anbere ben Srrtfyum aufauflären laut. „SSaS haben 
Sie in Sfhrent SSviefc — " 

„53<h fomme nic^t tu bicfer Angelegenheit, |>err ifrifch," 
unterbrach ihn Aübiger. „3<h möchte bor AEent ben 
Stanb$mnft flat fteEen. (Sie haben mich gröblich bc= 
leibigt, ich bin ebelmann unb !ann eine foldje SBefcbimpfung 
nicht auf mir ruhen taffen." 

„Sie ftnb ebelmann? Sagen Sie mir gefäEigft: 
habe ich Sie als ebelmann ober als Schreiber in meinen 
SHenft genommen? Sinb Sie in elfterer Meinung be= 
fangen, fo tnuf} ich ertoiebern, bafj ich Irin gefröntes ^au))t 
bin, um mir einen folgen 2u|uS ju geftatten, für alle 
ffäEe bin aber ich ber |)err in meinem <£>aufe." 

„25aS beftreite ich nicht," berfehte Aübiger, nach 
ringenb. „AEein eS gibt getoiffe fonbentionelte @efefje, 
toelchen zufolge man fich für eine 33eteibigung au ber= 
anttoorten hat." 

„Aha, fo ift baS gemeint!" 25er eifef brüefte an ben 
Xelegrabhm , unb ber Sßrofurift erfchien fogleich in ber 
£hür. ,,^err 4>aEer, mein £>err Volontär, ber nebenbei 
©belmann ift, fühlt fich in feiner ehre gefränft, toeit ich 
mir erlaubt habe, feine Aachläffigfeit ju rügen. 6S fcheint, 
bafj er ertoartet, ich toerbe atoei 3eugen fteEen, mit benen 
bic feinen au berljanbeln haben, toie, too unb toann mir 
uns fchlagen foEen. — Seien Sie fo gefäEig, mit ihm 
abaured§nen unb ben Aamen auS ber Sifte ber AngefteEten 
au ftreidhen. So, <£jerr ffranfenftein, Sie haben in meinem 
eomptoir nichts mehr au fuchen. Abieu!" 



HF* — 



Diooelte oon 91. ©. o. Suttner. 157 

„Vorerft tuitt ich 3 I;nen aber bod^ noch eine Seition 
erteilen!" fuhr nun Diübiger ou|er fidj auf. „Sch toerbe - " 

S)er Vrofurift nahm ihn Saftig beim Dlrme unb fCilfterte 
ihm Begütigenb ju: „kommen Sie, ich Bitte; Betoeifen 
Sie, bab Sie ein DJiann bon Vitbung finb." Unb er 
^errte iljn mit fidj fort. 

^Draußen angefommen, fagte er: „Saffen Sie bie @e= 
fd^ic^te auf ftch Beruhen; ber ßljef ift eben manchmal jäh = 
Sornig, eS toar nicht fo Böfe gemeint, toenn Sic ihm biel- 
leicht auch bieSmat ©runb jur ünpfriebenl)eit gegeben 
haben. Sch toerbe DttleS toieber in’S ©eleife 3U bringen 
trachten." 

„Sd} banfe Shtten, ,£jerr patter. Diur Sh nen 3« Siebe 
lieb i<h wich abhalten, ben ungefchliffenen DJlenfdjen 31t 
Süchtigen, toie er eS berbiente. Von meinem VleiBen ift 
feine Diebe ; lieber berhungern, als baS Vrob eines folchen 
Vienfchen ejfen." ßr padte heftig feine Sachen sufammeu 
unb bertieb baS |>auS. 



5 )a ftanb er alfo jefct auf ber Strabe. DWerbingS 
fonnte bon Verhungern feine Diebe fein, benn toemt er eS 
aud; berfdtjmähte, ben Dieft beS ihm sufommenben SohneS 
Su nehmen, fo blieb ihm ja noch ber Dieft beS „Dlotfj* 
Pfennigs" unb feine monatliche 3 ulage, aber auf biefc 
DBeife fal) er fein Qfortfommen bor fid). ltnb toaS baS 
Schlimmfte toar, er ntubte jugeben, bab er bem Dtnberen 
bie (Gelegenheit 31t bem gansen Dluftritte geboten h a tte ; 
fchon mehrmals toar er in ruhigen Söorten für fleine 
Diachläffigfeiten gerügt toorben, bie baburch berfchutbet 



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158 



2)er SBormnnb. 




morben maren, bafj er jtch nicht mit bem gehörigen ßifer 
feinen Slrbeiten Angegeben Tratte. ©dhliefjlich mar e§ alfo 
nicht fo unerhört, menn ber Kaufmann für fein ©elb eine 
orbentlicfje ßeiftung berlangte, ingbefonbere ba er muffte, 
baff eg Äiele alg ein ©lüd betrachteten, bei it>m auf* 
genommen 3U merben. 

ftrau Sßotterli mar feljr unangenehm überrafdjt, alg 
ihr ber 5 JHether mittheilte, baff er entlaffen fei. 

„ 3 )u lieber Fimmel!" rief fte bebauernb. „SDa haben 
©ie einen fdjönen $often berloren; fo ein angefeljeneg, 
bornehmeg <£>aug!" 

ßr gab meiter leine Slntmort, fonbern ging fogleich 
auf fein 3immer, um fßrofeffor 9Jter3 bon bem ©efdhehenen 
Nachricht 31t geben. SOÖotjl geftanb er 3U, baff er nidht 
ganj ohne ©djulb fei, aber hoch bellagte er ftch babei 
andh bitter über bie rohe SBeljanblung, bie ihm 3U Slheit 
gemorben, unb er bat ben ^rofeffor, ihm eine S 3 efdhäftigung 
augfinbig 3U madhen, bie mehr feinem ©efcfjmacfe unb 
feiner Sßorbitbung entfpräche. 2luch frug er ihn um Dtatlj, 
ob eg nicht bietleicht beffer märe, feine ©tubien in 3üridj 
fort3ufehen, um bann bietleicht bie SBeamtentaufbahn ein* 
3nfchtagen. 

S)ie Slnttoort lief* nicht lange auf fidj märten. S)er 
fßrofeffor bebauerte, baff #err Sranfenftein einen mahr= 
fdjeinlidh berbienten STabet in ber 2lrt eineg ßorpgftubenten 
aufgenommen. 2luf foldhe 2lrt madhe man ftch nur tächer* 
lidh unb gan3 unmöglich; menn bie ©efdhidhte in SBern 
betannt mürbe, lönnte £)err ^rantenftcin fidler fein, überall 
gefdhloffene 'Iljüren 3U finben. Gebern 2)ienfttjerrn ftänbe 




Stooeltc »on 31. ©. b. Suttner. 



150 



fdjliefjlid? ba§ Stecfjt au, feine Stngeftettten au tabetn, unb 
tuet bie unglüdtidje 9latur fjabe, fid^ nid^t fügen au !önnen, 
ber müffe eben fefien, toie et fidj ofjne frembe SSeitjitfe 
burcfjbringe. Sen Sdjlufi biefet Strafprebigt bilbete bie 
9lufforberung , nadj Bfiridj a« fommen; e§ tterbe eben 
bort ein gtofjeS .fpotel gebaut, unb bet SBaumeifter, ein 
näherer SSefanntet beS SßrofefforS, fei beteit, ben jungen 
9Hann anaunefjmen, toenn berfetbe ftc^ einbetftanben et= 
Hüte, bie Sluffidjt übet bie Slrbeiter au fügten. — 

Sa begann benn nun eine fieberhafte 21jätigfeit für 
9iübiget. Ser Neubau, bet fdjon unter Sach ftanb, be= 
fanb ftcfj eine aiemlidje Streife toeit außerhalb ber Stabt, 
unb e§ fant öfter als einmal bor, bafj 9tübiger in einem 
Sage ben Söeg hiu unb aurütf a^nmal au matten hatte, 
benn nicht genug mit ber 33eaufftcf)tigung ber Slrbeiter, 
mufjte er auch bie ^Jtateriallifte führen unb halb bieS, 
halb jene§ auS ber 9ticbertage Traten, um eS ben Seuten 
gegen S3eftütigung auSaufolgen. Sa fanb er feine $eit 
mehr, auf „ftanbeSgemäfjeS" Sleufjere au fetjen, auch ftmren 
bie ftaub= unb f d^utterf üHten Sftäume nicht ber geeignete 
£)rt, um Äleiber au fronen. Sein Söerfe^r befdjränfte 
fich faft gana auf ben Umgang mit ben StrbeitSleuten ; 
ben Sienftgeber fal) er toohl täglich, aber biefer hatte ben 
Äopf boU bon feinen ©efdjäften unb fanb feine 3eit, mit 
feinem Untergebenen bon anberen Singen au föredjen, als 
bon foldjett, bie mit bem S3aue in gufammen^ang ftanbett. 

biübiger fügte fich in’S Unbermeiblicfje ; gana unbetontst 
fam er aUmä^fig in’S ©leithgettücht , unb je mehr bie 
bergangenen feiten in bie fterne rücften, je mehr if>m 



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IGO 



$er SSorniunb. 



baS Einfi traumhaft, faft untoahrfcheinlich fchien, um fo 
ftetiger nahm feine moralifche Kraft au. Er glaubte fchon 
gar nicht mehr baran, baß er eS getoefen, ber bor nicht 
au langer 3eit noch mit Xaufenben um fich getoorfen, 
mäljrenb er je^t allmonatlich bie fjranfen ^ä^tte unb einen 
Üfjetf feines 93erbienfteS a u ben Erfparniffen legte; er 
glaubte nicht, baß er in reich auSgeftatteten ©peifefälen 
faft täglich in Sedferbiffen unb feinen äöeinen gefdjtoelgt, 
ba er jeßt, auf einem ©teinblotf fißenb, haftig fein lalteS 
Effen begehrte, um erft nach bem fjeierabenb in einem 
befcheibenen ©aftljofe ein ebenfo befcheibeneS Ntahl au ft<h 
au nehmen. Unb ioenn er auf feine Kleiber herabblidfte, 
fo mußte er über ben Darren lächeln, ber gemeint, ein 
anftänbiger Ntenfdj fönne einen Nodt nicht länger als 
eine ©aifon ^tnburch tragen. Slber Eines glaubte er troß 
aKebent noch: nämlich, baß ihm ein ttmnberlieblicheS, 
ebleS Söefen treue Siebe augefchtooren, unb baß biefeS 
SBefen feft an feinem ©chtoure ßtett, ebenfo toie er noch 
bie toeiheboUe ©tunbe beutlich in Erinnerung ^atte, too 
fie ihm ein ©tttdf bon fich felbft aum Nnbenfen, aunt £rofte 
unb aur Kräftigung auf ben bomenboUen 2Seg mitgegeben. 

$ier unb ba an freien Nachmittagen fuchte er 5ßro= 
feffor Ntera auf, ber {ich nun etioaS augänglicher unb 
toeniger gemeffen a« aetgen begann. 3)er bielbefchäftigte 
©eleßrte liebte eS, bon feinem Sache a« fp wehen, unb 
toenn auch bem Nnberen anfangs ber Stoff einigermaßen 
troefen erfchien , fo begann hoch ber Eifer beS Natur» 
forfdfjerS fich Nübiger mitautheiten, unb er nahm ben Nn= 
trag beS ^rofefforS, ihm SBttdfjer au leihen, banlenb an. 




Vorteile mm Sl. ©. u. Suttner. 161 

2)a öffnete ftd^ ihm öttmä^lig eine ganj neue SSelt. 
SJtit feinen Äanteraben l^atte et oft über bie »eltbetoegeit* 
beit Steuerungen gelabt unb gemeint, bafj e§ feine $unft 
fei, auf feiner ©tube aÜertei SDinge auäauhecfen, um fic 
bann al§ £f)atfacfjen ^in^uftelten ; jejjt aber mujjte er er= 
fennen, baf} 2ltte§ auf ©efefcen aufgebaut toar, auf nicht 
au leugnenbett ^batfai^en , unb bafj gerabe $ene au ber= 
lai^en unb au bebauent toaren, bie nid^tö babon toiffen 
unb toie bie ftrampelnben Äiitber ihr alteä, morfd^eä 
©bielaeug alä ba§ SSeffere hinftetten tooßten. 

Sluch SPtofeffot SJtera toar mit feinem ©djüjjting au= 
frieben; fein legier SSrief an Stfibiger’ä Sßormunb lautete: 

„(B mac^t fidj, lieber fffreunb! 3öir höben ihm fo 
ziemlich ben ÄrebS h^°uägefchnitten ; ba§ SBrennen ber 
SBunbe thut noch toeh, aber jef}t ift fte in guter Reifung 
begriffen. @r arbeitet tüchtig, fpart unb beginnt fid) für 
bernünftigere $>inge au intereffiren, aB für jene, bie ihn 
ju einer getoiffen 3eit in Slihern hielten. SGßenn er auf 
ber neuen SBahn rüftig fortfdjreitet, fo fattn noch ein tüch= 
tiger SOtenfdj au§ ihm »erben. " 

S)er Steubau toar au @nbe be§ frühjahrs fertig, unb 
bamit h a ^te auch Stübiger’ä 3^hötigfeit fein @nbe, beim 
fein SDienfigeber fah ftch genötigt, für einige 3eit alle 
©efchüfte auf^ugeben, um bor Sittern Teilung bon einem 
fchmerahaften ßeiben au fuchen. 

S)iefe Eröffnung toar für Stübiger ein 2)onnerf<hlag. 
©o fottte er je^t toieber befchäftigung§lo3 »erben unb bie 
befdjeibenen (Bfbarniffe aufaehren, bie er mit fo biel @nt* 
fagung aurüif gelegt hatte? 

Sibliottjet. 3ot)rg. 1889. Sb. X. XI 




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162 



3>cr Sormunb. 



2)er Jöaumeifter bemerlte ben nieberfdfjmetternben (Sin* 
brucf, ben feine SJlittljeilung hetborgebradjt ^attc, uttb 
fagte ttjeilnehmeub : „(S3 thut mir toafjrljaftig leib, bafj 
ich augenblidftich fo gar feine 93ertoenbung für ©ie habe, 
aBcr ich toill berfucfjen, S^nen meine (Srlenntlichfeit für 
bie geteifteten SDienfte au geigen; bietlcicht mache hoch 
ettoa3 auSfinbig, toa 8 ©ie borberhanb annehmen fönnen, 
Bis idf) toieber arbeitsfähig getoorben Bin. SSefudjen ©ie 
mich in *>en elften Stagen ber nächfien Söodhe." 

SDer 5ttann hielt Söort. 9113 9tübiger toieber bor* 
fpradj, benachrichtigte ihn $ener, bafj er mit bem SBeft^er 
be3 neugeBauten Rotels föücffprache genommen hübe, unb 
bafj biefer Bereit fei, #errn 3?ran!enftein al3 SSudjhalter 
anauftetten. „(Sntfpricht ba3 Sh r en Sßünfchen?" 

SBarum nicht? $eute toar er nicht mehr tüählerifdj, 
unb al3 ber 9lrchiteft noch hinaufügte, bafj ihm ein @e= 
halt boit atoeihunbert hänfen monatlich nebft freier 
SBohnung unb SBeföftigung BetoiÜigt toerbe, meinte 9tü= 
biger, bafj er ba einen herrlichen Streffer gemacht hübe. 
(Sr fagte alfo auf ber ©teile au, unb bie ©adje tourbe 
fcijon am nächften Stage fo toeit abgemacht, bafj er au 
^Beginn ber ©aifon cintreten tonnte. 

9lrbeit gab e3 bon ba an in $üHe unb Drütte : boit 
früh bis fpät fafj er am Sßulte, unb oft hiefc e 8 einen 
Stljcil ber 9tad£jt opfern, toenn eben 9teifenbe bie 9lbficht 
hatten, früh am SJtorgen ihre ftaljrt fortaufepen. S)er 3 u= 
brang tourbe bon Stag 311 £ag ftärler, ber 2ßirth rieb fiel) 
immer bergnügter bie .fp&nbc, toährenb ber SBuchhalter bor 
Ueberarbeitungoft launt noch bief^eber au hallen bermochte. 



StooeUe oon 2t. ©. v. Suttner. 



163 



$eht fanb er auch nur hä<hft fetten geit, ben $fko= 
feffor aufaufudjen, benn in feiner gegenwärtigen ©teEung 
gab eä für ihn Weber Sonn* nodj Qfeiertage. SJtit bem 
Vormunbe War ber briefliche SSerfe^r niemals ein be= 
foitberS reger gewefen, unb nun fah er ft«h genötigt, 
beffen ©treiben nur mit ein baar furzen 3 eilen ju be= 
antworten, ©raf £)oEba(h unterlieft eS übrigens nie, ber 
aEmonatlichm ©elbfenbung einen Vrief besiegen, ber 
in ber Siegel Stadjridjten über Söiener ©reigniffe enthielt. 
S)a erfüllt auch Stübigcr über fich fetbft VerfdjiebeneS, 
benn fein ptö^tid^eö Verfdhwinben hatte immerhin einiges 
Sluffehen erregt. Stach ber Vehaubtung ber meiften Seute, be= 
fonberS feiner genaueren fjreunbe, war er ©dhulben halber 
burdhgegangen, um fich ber Verfolgung feiner ©laubiger 3 U 
entziehen. SlEerbingS War ber Vormunb ju feiner ©hren* 
rettung eingetreten, aber fo eine borgefafjte SMitung ift 
nicht fo leicht auSjurotten, unb fontit blieb eS bei ber Segeitbe. 

©ineS SJtorgenS brachte ber portier wie gewöhnlich 
bie ßifte ber am lebten Slbenb angetommenen Steifenben 
in’S ©ombtoir. Stübiger nahm fogleich biefetbe toor, um 
bie Stummem in’S Vudh 3 U übertragen, als er blöfjlich 
betroffen in feiner Slrbeit innehiett unb auf ben Stamett 
hinftarrte, ber ben eben gef chriebenen folgte: „Varon 3llt= 
häufen auS Söien mit Qfrau unb Tochter." 

S5aS |>er 3 begann ihm fo gewaltig 3 U bo<hea, bafi 
ihm faft ber Slthent auSging, unb er mufjte ftd) bon 
feinem ©ifcc erheben, um ein baarmat ben fteinen Staunt 
auf unb ab 3 U fehreiten, fo eigentümlich bellotnmen unb 
brücfenb War ihm 31 t SJtuthc. 



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164 



$er Sormunb. 



Sie ^icr! s Jtur burdfj eine Xreppe boit üjm getrennt 
unb nicht abnenb, bafj er ihr fo nabe mar! SöaS foßte 
er tbun? <£>inaufeilen unb — unb maS? (£tma melben 
taffen, bafj ber Sucbbalter beS Rotels ben borne^men 
Seifenbeit einen freunbfcbaftticben Sefucb abpftatten 
münfdEje?! 

SBebmütbig fd^ütteXte er ben Äopf. „S)u gebörft nicht 
ntet)r p ihnen," murmelte er fcbmeralicb öor ftcb hüt. 
„2)iefe Greife finb 2)ir berfd^toffen, feitbent SDu pr Ätaffc 
ber bicnenbeit Scute pblft." 6r mufjte ja, toie biefe 
hochgeborenen ftcb in @iS p büßen berftanben, toenn jte 
mit Semanbem p bertebren batten, ber unter ihnen ftanb. 
(£r felbft batte eS einft nicht beffer gemacht fo Ständlern 
gegenüber. $ngrib — freilich, toenn er fie aßein träfe, 
fie mürbe bießeid^t ben Stann, ber ftcb rebticb bureb* 
fämpfte, freunbticb unb tbeilnebmenb empfangen, aber ihre 
ßltem, befonberS ber als b°<$ m ütbi9 betannte Sater — 
nein, niemals! 

dnbticb fanb er bie nötige Stube, um feine Arbeit 
mieber aufpnebmen, aber bie ©ebanten febmeiften boeb 
aße Sugenblicfe fort nach einem anberen Orte, als ben, 
mo er in Sergen bon papieren eingefeilt fab- 

So berging ber Sormittag, unb als bie 3frübftüdtS= 
ftunbe gefebtagen batte, febtieb er betauS, um einen 
forfdhenben Stic! bureb bie ©laStbür beS SpeifefaaleS p 
merfen. 3b m toar ber Eintritt b^r bermebrt, bie Stabt* 
feiten mürben ibm nach einem lleinen ©emacbe gebracht, 
baS an fein Sureau anftief}. 

SCÖirttidh! 3)ort fafjen bie üDrei an bem ber &bür 



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9tooe0e oon 9(. ©. r>. Suttner. 165 

junäcbft ftebenben Tif<be, $ngrib gerabe ibm gegenüber, 
unb at§ fein ©efidjt ant fünfter auf taufte, ^ob fie eben 
ben Vticf nnb — mar e§ Täufcbung? 6§ batte t^m ge= 
fcbienen, at§ ob fie plöttticb jufamntengefabren märe, al§ 
ob fi<b i^re SBangen purpurn gefärbt batten. Slber ba 
börte er Stritte bie Treppe berauffommen unb tjaftig 
30g er ficb 3urii(f. 

Ten ganzen 9iacbmittag über burcbfreujten bie när= 
rifdjeften ©ebanfen fein ©ebim, unb einige Vtale toar er 
nabe baran, it;r ein Vittet burdj Vermittelung eine§ ber 
©tubenmäbcben aufommen ju laffen, aber bie Vernunft 
bebielt fdjliefjticb bie Cberbanb. 2öie, toenn ba§ Vrief= 
eben in unredjte ^anbe gerietb, toenn ein ©fanbat ent= 
ftanb, unb fein Tienftgeber erfuhr, bafj ber Vudjbalter 
e8 getoagt, ftcb ber Tochter eine§ augefebenen SJteifenben 
in fo unberfebämter SBeife p näbern? Unb überbauet, 
toie burfte er eine bon ben Stngeftetlten in’3 Vertrauen 
Rieben unb babei Sfagrib blojiftelten'? @3 btefe, feine 
©ebnfudjt bemeiftern, entfagen, aufjer toenn bietteid^t ber 
3ufatt xbm p ^»itfe fant unb ein Söieberfeben unter hier 
Stugen ermöglichte. 

(?r toar fo in Träumereien berfunfen, bafj ein £>otet= 
gaft, ber bor toenigen Vtinuten eingetreten toar, fein @r= 
fmben um 2tu§foIgung be§ ^brepudjeä atoeimat toieber= 
boten mujjte. Ter ^rembe nahm ba§ Vu<b enblidj in 
©mpfang unb fepte ficb an’3 ftenfter, um ba§ ©etoünfebte 
aufpfueben unb in fein Tafcbenbucb 3« notiren. 

föübiger toottte ficb einfttoeilen toieber an bie Arbeit 
machen, als nochmals bie Ibür geöffnet mürbe, unb ein 



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ICC Der Sonrnmb. 

atoeiter ^err tjereintrat, bet beffen ©rfcbeinen ber Sucb= 
Raiter tote eteltrifirt entporfprang. 

erfudje, mit meine Rechnung botaulegen; ich 
toerbe biefelbe hier begleichen, ba ich fogleid^ abreife," 
fagte Saron Slltljaufen, Ütiibiget faum eine§ Slicfeä 
toiitbigcnb. Da leine 9tnttoort erfolgte , 50g et einiget» 
mafjen ärgerlich bie 5lugenbtauen in bie .fjöhe, unb jet}t 
jeigte ftch in feinet 3Jtiene ettoa§ toie Uebertafchung, abet 
auch nut für toenige ©elunben, bann lehrte bet getoöhn* 
liehe gleichgittige §lu§brucf aurücf. 

,,.£>etr Saron , fennen (Sie mich nicht?" ftantmelte 
9iübiget befangen. 

„3ch glaube, ich hohe um meine Rechnung etfucht," 
ertoieberte Sllthaufen mit eiftget -Hätte. 

Milbiger fenfte befcljämt ba§ -§aupt. 2Bie hotte et ficb 
nut fo toeit betgeffen fönnen! 5Jtit aittember $anb fdjrieb 
et bie Seträge h^tau§ unb überreichte bann bem Saron 
ba§ Statt. 

£ef}terer a^S tuhig fein Dafdjenbuch h erau §, toühtenb 
et bie einaetnen $often burchfal) unb fogat bie (Summe 
noch einmal aufammenaählte. Dann legte er eine gröbere 
Sanlnote auf ben Difdj unb toartete, bi§ ihm bet 9ieft 
hetau§gegeben tootben toar. Die Srieftafclje tourbe be» 
bädjtig öerforgt, bet #ut ergriffen, bann toanbte ftch ber 
9teifenbe aum ©eben; an bet Dhüt angelommen, blieb er 
ftehen, mab ben jungen Stamt mit ftrengem Stiele unb 
fagte: ,,©raf gfranfenftein , e8 ift recht bebauetlich, bab 
e§ mit 3fh«en fo toeit lornmen ntubte." Ohne toeiteren 
©rub berlieb er ba$ Comptoir. 



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^looefle von *}(. t>. ©uttner. 1G7 

Üiiibtger toar toie bernidhtet in feinen ©tuljl prüd= 
gefunfen; ben $opf in bie $anb gefüllt, blidte er fiier 
ju 33oben, unb in feinem ©dfjmerae bergeffenb, bafj bort 
am 3?enfter ein Stember fafj, feufete er ein paarmal 
ferner auf. 

5)a erhob fidh ber 3?rembe Bon feinem 5jJla|e unb ging 
auf ben 9iiebergefchmetterten ju. „3dj toar unfreitoiltiger 
3cuge einer Ijödjft peinlichen ©eene," ^ub er an, toährenb 
fein 23lid mit bem SluSbrude beS 2ftitleib§ auf bem 
jungen 3Jtanne ruhte. „©ie toerben e§ mir ^offentlid^ 
nid^t Oerübetn, toenn ich Sonett tneine £Ijeilnaf)me be= 
jeuge." SDer ©precher, ein ältlicher 2Jtann, bem man eS 
auf ben erften 33lid anfatj, bafj feine Söiege in feinem 
5ßalafte geftanben, nidte bor fidh hin. „3fa, ja, bei ben 
©rofjen gibt e§ nur ein gufammenhalten , fo lange bie 
golbene Äette nicht geriffen ift. $dh möchte nidjt auf= 
bringlidj fdjeinen, lieber iperr, aber — " 

„?luf bringt id^ 1 " unterbrach iljn 9tübiger, beffett ©timme 
bor Erregung unb ©dhmerj bebte. „Xheilnaljme ift nie 
aufbringlidj, toenn fie eljrtidh ift, unb Shnen mu | {<§ lim 
fo banfbarer fein, ba ich Shnen böEig fremb bin; ©ie 
fönnen ja nicht toiffen, ob ich biefelbe überhaupt berbiene." 

„3n meinen Slugen berbient fie Sfeber, ber bor ehr= 
lieber 9ltbeit nicht prüdfehridt. Sfener fteife alte |?err 
gab 3h ncn ^ en SKtel @raf; nun, ich toitt Shnen auf= 
richtig gefielen , bafj gerabe biefer Umftanb midh betoog, 
©ie anpfprechen, benn fotoeit id& 3h re ©tanbeSgenoffen 
bisher fennen gelernt hd6e, toürben ftdh nicht Söiele p 
foldher Arbeit bequemen. 3)er gemeine 9Jtamt, toie idh, 



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1G8 



(Der SSormunb. 



ift bon Äinb^eit aiif getoöljnt, feine -fjäitbe atä Söerfaeuge 
au Betrauten, mit benen er fein 33rob au berbienen f)at; 
in 3 fcen Greifen fjerrfdjt bie gegenteilige Sfnjxtt: ba 
folten bie fieberen arbeiten, bamit bie |>of>en babon leben 
unb iljre 3 eit mit allerlei £l)orf)eiten bergeuben lönnen. 
Söotlen (Sie mir ettoaä Vertrauen ftenfen, junger SJtann ? 
(5§ ift nid§t ffteugierbe, bie au§ mir fpritt; it lönnte 
3 |nen biellei tt mit 9tatfj unb X^at au ©ienften fein." 

SDie ftlitten SSorte be§ SJtannel brachten auf fbtübiger 
eine unenblit tooljttfiuenbe Söirfung fjerbor; er füllte fit 
in eigentljümliter Söeife au bem ^fremben fjingeaogen, 
unb fo gögerte er benn feinen Slugenblid, in furzen ^Sorten 
feine ©eftiti* au er^ä^len. 

Slufmerffam Ijörte ber Stnbere au, um bann, als 9tii= 
biger geenbet, au ertoiebern: „ 3 t glaube, l)ier auf biefem 
Sßoften toerben (Sie e§ faum fo halb au ettoaS bringen; 
in einem |)otet ift ber Kellner toeit beffer baran, al§ ber 
S 3 ut^alter. fommt nic^t fetten bor, baf (Srfterer ber 
9 tatfolget be§ SBefitjer! toirb, toäljrenb Setjterer nie 9lu§= 
fitt l)at, fit eine (Setbftftänbigfeit au erringen. 3b* 
(Stidfat interefftrt mit, #err — $err — " 
„granfenftein," ergänjte Ütübiger. 

„9Jtit ober otjne ©raf?" frug ber klettere lütetnb. 
„D^ne, bitte; ber ©raf fjat ^ier nitt§ au futen, unb 
beute bebaure it ft 0 « nitt «tt*/ ba| er begraben ift." 
„93iefteitt feiert er bot not fei«e Stuferfieljung." 
„9Jtag fein; bann aber toirb er befliffen fein, fit in 
befteibenen ©renaett au betoegen unb o^ne 9tttdfitt auf 
bie (Stanbe3genoffen feine eigenen 2Bege 3 U geben." 



Siooette non 91. ©. o. Suttner. 



IGO 



„Sltfo, |>err ^anfenftcin , ich möchte 3^nen einen 
Süorfchlag machen. Sftein 9tame ift S3ranb, unb ich Bin 
einer Bon ben Unternehmern ber ©ottharbbahn. Ätein, 
feljr Uein h a ^ e i<h Begonnen, h eu * e Beft^e i<h aber jum 
©tüdf genug ©inftufj, um mich Solchen nützlich 3 U machen, 
bie ehrlich auf ihr 3W loSftreben. (Sagen (Sie mir Bor 
Sittern: Befi^en Sie irgenb toelche ©rfpamijfe, ober jtnb 
Sie ganj mittellos?" 

„3n Sh^en Slugen mag eS lächerlich erfdjeinen, menn 
ich Pon meinem Kapitale fpreche: eS Beläuft fi<h auf 
fiinfaehnhunbert Oranten." 

„Söarum lächerlich? 3<h felhft tjaBe mit bem britten 
Xheil ben ©runb p meinem Vermögen gelegt. £>ie 
Summe, bie Sie genannt, genügt Pottfommen, um ben 
Slnfang p machen. SBürben Sie fich getrauen, Bei uuS 
eine Strecfe p übernehmen 1 ? 2)ie SlrBeiten fotten im 
fommenben Sfahre Bottenbet fein, unb mir Brauchen thä= 
tige, energifche ^artieftthrer, auf bie mir unS Berlaffeu 
tonnen." 

„©etrauen? $ch Bin pr UeBeraeugung getommen, 
bah Be* SJtenfch mit gutem SBitten, menn auch nicht 
SltteS, aber hoch baS SJteifte burchführen tann, maS er 
pch Porgefefct hat. 2öenn ich alfo mühte, bah ich mein 
StuSfommen fänbe — " 

„3{«h flehe $h ne n gut baftir, bah Sie biefeS 2luS= 
tommen finben merben, menn Sie bie Sache praftifch unb 
mit alter Äraft anpaefen. ©enügt Shitcn baS, menn idt) 
ffinen bie $erfi<herung gebe, bah ©ie Bis p @nbe beS 
SBaueS 3h T Kapital Perjehnfacht haben tönnen?" 



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170 



Xer SBormunb. 



„$>a§ märe allerbingS meljr, at§ idfj mir tjätte träumen 
taffen. S)a griffe idfj mit greuben au." 

„ 2 opp, eS gilt; idf) bin nicfjt ber 9Jknn, ber metjr 
berfpridfjt, atS er galten fann; idfj berfpredje Sfljnen biefen 
ßrfotg unb aufjerbem nodfj, bafj idfj batb nadfj ber S3ott= 
enbung biefer ßinie eine ätjntidfje Söefdfjäftigung für ©ie 
finben merbe, falls ©ie ©efatten an ber ©adfje tjaben." 
-fperr Sranb ergriff feinen $ut. „©plagen ©ie ein?" 

„Unb ob idfj einfdfjlage! fOtit ftreuben unb 3Danfbar= 
feit; idfj merbe nie bergeffen — " 

„@i, reben mir nicfjt meiter barüber; glauben ©ie, 
einem fötenfcfjenfreunbe mad§e eS nicfjt fetbft Vergnügen, 
einem SGßürbigen unter bie 9trme au greifen? 3dj tjabe 
nticfj nocfj fetten in meinen ©cfjü|Iingen betrogen gefeiten, 
©o, unb nun taffe idfj ©ie bei Sfjrer Arbeit; idfj reife 
morgen ab; tjier meine Slbreffe. ©obatb ©ie mit Syrern 
Gtjef in’S Steine gefommen finb, fd^reiben ©ie mir, unb 
©ie merben midfj bereit finben, mein SBort einaulöfen." 

2)ie3mal tjätte Stübiger ©runb getjabt, 31 t fagen: 
„Studfj ein ©tttef fommt nie allein," benn am nädfjften 
borgen fanb er unter ben eingetaufenen Briefen einen, ber 
bie Sluffdfjrift trug: „9tn ben 33ucijtjatter beS Rotels $agen." 
Saftig rt| er ben Umfdljtag auf unb ta§: 

„'iRtc^t besagen, Stübiger! 2 öemt man audfj in unter= 
geovbneter ©tettung oft Buriicffebungen ertragen mufj, fo 
finb boefj nicfjt Sitte ungeredfjt; eS gibt audfj SJtenfdfjen, bic 
baS mutige Kämpfen unb Gingen unter maS immer für 
einer ftorm mit Sldfjtung erfüllt. Sfngrib." 



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Wooetie von 91 ©. v. Suttner. 



171 



2 )rei SSoten nather erhielt ©raf |joltbat bon feinem 
greunbe 5Jleta folgenbcä ©treiben: 

„Sieber ffreunb! 

2 )ein 9)tünbet ift mir burtgegangen ; er miß, mie 
el fteint, auf eigene §auft ben iYarnpf um’3 SDafein 
auäfetten. ©an«j urplöijlit ^at er feine SudjljatterfteHe, 
bie gar nid^t f dftedjt mar, aufgegeben, um feine (Sieben* 
fadjen 3 ufammen 3 ubacfen unb auf bie SBanberfcfjaft 31 t 
gehen. 9Jtir fanbte er nur ein paar Seiten be§ Snljattä, 
bafj er borhabe, fit mit feinen befteibenen ©rfparniffen 
an einem Unternehmen 31 t beteiligen; menn ber S5erfucf> 
gelänge, fotle ich meiter üon ihm höten. St h°ffe, bofi 
i _h halb in ber Sage fein merbe, 2)ir 9iähe,re§ 3 U berichten. 

9Jtit ©ruf S)ein 

3Jter3." 



6 . 



£>a§ 3 tt»eite Sahr, feitbem Ütübiger SBien bertaffen, 
ging feinem @nbe entgegen. £>ie SSahnarbeiten auf feiner 
©trede maren bottenbet unb er hotte bie S9efriebigung, 
3 U fehen, bajj bie ^robtjeaeiung feine§ ©ömterä richtig 
gemefen: er befanb ftch im 2$eft eines Keinen 3Sermögen3 
bon 3 toan 3 igtaufenb Uranien, ba§ burch Umficht unb fjrleift 
noch mit ber Seit bergröjjert merben tonnte. 

$err SSranb, ber ben jungen 9Jtann lieb getoonnen, 
hatte bemfelben gaftfreunbttd) fein ^au§ geöffnet, unb 
bort berührte Oiiibiger nun faft tägtit, um mit bem 
Wetteren aUertei Sufunftöpläne 31 t beraten, mährenb tut 
bie ©attin be§ reiten Unternehmer^, eine fetjr gebilbete 



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172 



Ser Aormunb. 



ftrau, ©elegenheit bot, bie mit Sfkofeffot 9Jtera Begonnenen 
©tubien mieber aufaunehnten. 

Sem 5]3rofeffot ^atte et über feinen ©rfotg ^Bericht 
erftattet, unb bon biefem mar auch ©raf $oEbach auf 
bem Saufenben erhalten morben. Sen lebten Aadjrichten 
zufolge mar Aübiger in ©efeEfdjaft be§ ihm befreunbeten 
©hepoareS auf eine !urae ©rholungSreife nach Italien 
gegangen. 

Ser Aufenthalt bortfelbft mürbe übrigens abgelürjt, 
ba ein großes ^ßrojeft aufgetaucht mar, unb $err SSranb 
eS für nötljig ^ieXt , fidj bei 3eiten ju melben. Aübiger 
befcf)toß, einftmeilen ben Abfdjluß beS ©efdjäfteS in 3ütidj 
abjjumarten. $aum angetommen, empfing er aber ein 
Schreiben bon feinem SSormunbe, baS borläufig aEe feine 
$läne über ben Raufen toarf. ©S lautete: 

„Sa Su in menigen Sagen Seine ©roßjährigfeit er* 
reicht haben mirft, forbere ich Sich auf, behufs ©infichtS* 
nähme in Seine Angelegenheiten unb ©ntlaftung meiner 
5ßerfon in bie £eimath aurücfyulehren. Aadjhet magft Su 
felbft entfdjeiben, maS Su in ber 3uftmft ju tljun für 
baS SSefte hältft. 

3um ©dhluffe noch einige Aadjridjten , bie Sich in* 
tereffiren bürften. Sein einftiger 3e<h = unb ©pielgenoffe 
©ritting tj<*t fi<h brüefenber ©djulben falber erfdjoffen. 
©tubenheim, mit bem Su ja auch auf befreunbetem ftußc 
ftanbeft, h^trathet morgen bie einigermaßen abgetragene 
Sochter beS nicht gerabe gut beleumunbeten Armeelieferanten 
Leiter. 39aron Althaufen ift bor menigen Sagen einem 
©E)lagßuffe erlegen. ©S fteEt fidj jeßt h^auS, baß ber 





■DtooeUe üon ©. «. Suttner. 



173 



fteife 2lrifiofrat ti nicht üerfchmaht hat, au ber iBörfe 
grofjeS ©piet p treiben, uub bafj habet fein gan^eö 33er= 
mögen in bie 33rüche gegangen ift. ©eine $rau uub 
Dodjter füllen in fehr mißlicher Sage aurücfbleiben. 

3n ber Hoffnung, Dich balb 3U fefjen, grii^t Dich 
Dein Sßormunb |>o Ubach." 

Diefe lejjte Nachricht toar für Stübiger entfdjeibenb. 
Sitgrib in bebürftiger Sage ! Da burfte er feinen 2lugett= 
blicE aögern, ihr Droft unb f)itfe au bringen, $ilfe? 
©rofjartig fonnte fie aÖerbingä nicht auSfalten, toenn aber 
feine ßrfparniffe genügten unb toenn fie fich entfdjliefjen 
fonnte, ilpn in bie ^rembe 31t folgen, toar fte tocnigftenä 
Oor 9toth gefiebert, ©in neueä Unternehmen in ©enteilt» 
fc^aft mit feinem ©önner ftanb ihm jebenfatU in 2ltt§» 
ficht, uttb mit befdjeibenen Slnfprüchett toar baä 2lu3fontmen 
möglich, fefbft toenn auch noch Sngrib’3 Butter mit 
ihnen 30g. 

Diefer ©ebanfe h a t^ e fo Oiet 93erheifjenbe§ , fo Piel 
33eglücfenbe§ , bafj 9tübiger mit fieberhafter Ungebulb 
feinen Äoffer padfte, um fich ohne 3eitberluft auf beit 
2öeg 3U machen. 

Diesmal fuhr er jtoeiter Älaffe. 

Daä @oup6, in bem er $Iah gefunben, feilte eine 
alte Dame mit ihm, bie fich bie 3eit mit 5patiencetegen 
Pertrieb. Da3 brachte ihm untoittfürlicf) jenen Slbenb in 
©rinnerung, ba er ba§ Äartenorafel befragt hafte. 2öaS 
mar bamalä bie Stnttoort getoefen 1 ? ^ngrib 1 ? 9tiemat§! 
$ah, h^wte glaubte er fchon lüngft nicht mehr an berlei 
Dinge; heute toieberhofte er ftch ohne llittetlafj: „3ngrib, 



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174 



Xer 33ormunb. 



»ott Sir allein füll eg abhättgen; in Seine .fränbe lege 
ich unfere 3 ufunft!" 

„Sta, bag nenne ich Site!" fagte ber SJorntunb, alg 
ber 2 in!ömmting in fein3tuttner trat. „SGBeifjt Su, bafc 
ich noch brei Sage lang bag ©cef)ter p führen Beredt* 
tigt Bin?" 

,,©ut, fo toitt i<h in brei Sagen toieber borf Brechen." 

„<$i, .fooau? 3dh Bin auf mein 2lmt nicht fo feljr 
berfeffen, um eg nicht heute fdfjon au§ ben $dnben au 
geben, toenn Su toiHft; jebenfallg ^aBen toir eine SJienge 
Singe au Befpredjen, bie ebenfo gut augenblicflid^ in’g 
Steine gebraut toerben fönnen. S3or Slllem : toag gebenlft 
Su nun au thun?" 

„ 2 öag ich au thun gebenle? Slun, ettoa eine Söodfje 
fynburcfj ^ier au§auru^en unb bann einen Soften anau* 
treten, ben mir ein bortreff lieber SJtann angeboten hat." 

„8o, fo; alfo fejfelt Sich nichtg mehr an bie^eimatt)?" 

„D ja, ettoag getoijj, aber biefeg @ttoag, hoffe ich, 
toerbe ich mir mitnehmen. SWerbingg toäre eg mir lieber, 
hier mein fjrortfommen au ftnben, allein ba biefe 5Rög= 
lid^feit au3gefd§loffen ift — " 

„Vielleicht ftnbe ich Ijier bod^ eine annehmbare ©teile, 
ja, bieEeidfjt todre fte fd§on gefunben. Sod§ fage mir auerfl, 
mag eg mit biefem ,(Stmag‘ für eine Vetoanbtnifi hat." 

„SBarum folt ich ein (Seheimnifc baraug madhen? 
Söenn 3 ngrib Sllthaufen meine SeBenggefdhrtin toerben 
tuiE, fo !ann ich fagen, bafj mir 31 t meinem ©lücfe nur 
noch toenig fehlt." 



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ÜRooeHe wrn 91. ©. o. Suttner. 



175 



„Unb ©u glaubft, bafj fte fidfj fo leicht in biefe neuen 
iüerbältniffe finben mirb 1 ? 

„ 3 ch glaube unb baff* eS." 

©er ©raf lachte unb Hopfte 9tübiger auf bie Schulter. 
,,©a tpuft ©u red^t baran; fte mirb fi<h barciit fhtbeu." 

„Söobet öermutbeft ©u baS?" 

„ 3 <h braune eS nid^t 3 U berntutben, icfj meifj eä, beim 
fie bat mir felbft geftanben. 25a ihr ber S3ud^^alter 
nicht 3 U gering getoefen ift, märe ipr ber S3auunter= 
nebmer gemifj auch recht." 

,,©u baft fie alfo lennen gelernt^" 

„®emif 3 . Unb ba ich au§ ©einen ^Briefen oft genug 
berauStaS, mobin ©eine ©ebanlen flogen, fo glaubte idj 
©ir einen ©ienft ju ertoeifen, toenn id£) ben SSoben einft* 
loeilen borbereitete." 

„©amit ift mir auch ein unenblicher ©ienft ermiefen," 
berficherte IRübtger mann. „ 3 <h banfe ©ir bon ganzem 
^erjen bafiir." 

„$eine Urfacbe, gern gefcheben; fie ift in ber ©bat ein 
bergiges ©ing ! — ©a§ märe fomit abgemacht. 2öir moHen 
nun, menn e§ ©ir recht ift, 3 U ben ©efebäften übergeben." 

,,©ie merben mobl nicht biet 3 *it in Slnfpruch nehmen ; 
ober baft ©u mir bieUeidtjt bie 9Jtittbeilung 3 U machen, 
bafj meine bunbertfünfunbatoanaig ©ulben 9ftonatSrentc 
eingefteUt merben müfjten?" 

„ 3 a, fo etmaS ähnliches." 

„ 2 Rir auch xed^t ; ich ftebe je^t auf eigenen Srnfjen 
unb merbe mich mobl ohne .Sufchujj behelfen fönnen." 

©er ©raf blidte bem Slnbereu böd^lich befriebigt in’§ 



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176 



2er Sormunb. 



©efidjt. „33rab, 9tübiger," fagte er beifällig, „Su Ijaft 
Sich toacfer herauSgetounben. ©eftehe aber, Su toarft 
einmal ein gan<j fchänblicher Sump." 

„SJtit boÜfter Ueberaeugung lege id) biefeS ©eftänb= 
nij} ab." 

„Unb hätte Sir Sein Cnfel eine ■SDtiflion ^intertaffen , 
fie toare benfelben 2öeg gegangen, beit bamalS bie 2au= 
fenbe genommen haben, toie?" 

„Saä ift mehr als toahrfcheinlich." 

„.jpeute fäfjefi Su bann ba ohne geller in ber Xafche 
mit einem ©fei bor ber SBelt unb bor Sir felbft im 
.fjeraen, ober Su h^tteft nach bent SBeifpiele jenes ungliicf* 
feligen ©riHing bie Söfung in einem Sßiftolenfchuffe gefugt." 

„Sehr möglich." 

„9llfo gibft Su au, baf ich nach beftem Söiffen ge= 
hanbelt habe, als ich ber Sache energifdj ein ßnbe machte, 
als ich — " 

„3<h feige gana offen unb aufrichtig: ich banfe eS 
aum guten Sheile Sir, bafj ich eia 2Jtenfch getoorben bin, 
ber eine ^Berechtigung h Q t, bie SBohlthöt beS £eben3 au 
geniefen. freilich, ben 2Jtuth, bie StuSbauer, bie — ich 
möchte fagen — SobeSberachtung hat mir Sfngrib ein= 
geflößt." 

„Sehr fchön. 2BaS mürbeft Su aber jept fagen, toenn 
ich Sit geftdnbe, bafj Seine Serhättniffe nicht gana fo 
armfelig feien, als ich fie Sir gefdjilbert habe, toenn ich, 
um Sich bor bem Serberben au retten, einen @etoalt= 
ftreich auSgeftthrt hätte?" 

iMbiger blicfte überrafcht auf. „SprichftSu im ©mfte?" 




■JioueUe oon 21. ©. u. Suttner. 177 

„3m bottfieu ©rnfic." 

„Dann iöunte id) nur ertuiebern, bafj Du berbienteft, 
ber ad)te Söeife genannt au tuerben. Dod), bitte, fagc mir 
offen, toie fielen bie Dinge? 5Du tbirft begtcifcit, bafj 
mich D eine Stnfpietung auf’8 4?ödjfte gekannt gemadjt 
bat." 

„©etoijj begreife id) baS; böte alfo, mein ©obn: ba 
Du Dich um ©djönbüdjl nur infotoeit befümmerteft, als 
cS für Did) eilte Duette toar, auS ber Du ©etber fd)öpfeit 
tonnteft, ift mir bie 2luSfübrung meines SßtaneS nid)t au 
febtoer getuorben. Du fd)äfcteft bamatS, meint Du Did) 
erinnerft, ben S3efife auf bicrmalbuitberttaufeub ©ulbeit. 
3dj tiefe Did) gerne bei biefem ©tauben, berminberte 
in meiner 'Jiedjnung bie ©infünfte uitb erhöhte bie 3infcit 
für Deine ©cbulben; baS mar atfo eine recht einfadje 
©ad)e." 

„©ehr einfad)." 

„Die Dinge ftet;en aber aitberS, mein 3unge." ©t ging 
an ben ©djrcibtifd), toiifelte eine 3eit taug unter ©djrift* 
fadbeu uttb brachte enblid) ein großes berfdjtoffeneS Gou= 
bert aum 93orfdjein. „DiefeS b^r ift mein tKedjcnfdjafts* 
bericht, ©efee Dich bortbin au ben $amin, jünbe Dir 
eine Gigarre an, unb UeS bie ©adje mit 33el)agen burd). 
Du toirfi freilidj toieber biet Bahlen a u fdjtuden be!om= 
men, aber heute bürfteft Du bie ©acbe gemöhnt fein; ba= 
utalS Ijahe ich Dich bamit überrumpelt, Dir mit bcn= 
fetben fo ben $opf brummen gemacht, bafj Du froh toarft, 
AtS bie ©ache ein ©nbe batte." 

9?übiger tbat, toie ihm gebeifeen, ©r machte fidj’S im 

$ibtiothtf. aflfirg. 1889. Sb. X. 12 



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178 



$cr SJormunb. 



großen Jfaminftufjte bequem, ailnbete eine Gigarre an unb 
öffnete beit Untfdjlag. 

2)er ©raf naljm ein 3eitung§btatt jur «£>aub unb 
fd^ien jtdj in baffelbe au Vertiefen , aber in SBBirflid^feit 
fdjiettc er mit einem ©entifcf) bon (Spannung unb§reube 
jju SJiübiger hinüber. 

ßefcterer begann au lefen; plöijticfj aber legte er bie 
Gigarre toeg, fufjr fidj über bie Slugen unb begann bann 
toieber bon Anfang: 

„$5aS ©ut Scfjönbüd&l ift auf rttnb 600,000 ©utben 
gefdfjäpt. 2)er berftorbene ©raf ftranfenftein, ein bortreff* 
lidjer Sanbmirtt), mujjte au§ bemfelben ein jäfjrlidjeS 
9ieinerträgnifj bon 24,000 ©utben au aieljen. 2>a er felbft 
feinen befonberett Stufmanb trieb, fo fiel e§ iljm nidjt ferner, 
in ben erften a^u Sfaljren bie barauf laftenben 80,000 
©utben .gippotfjefenfdjutben abauaaljlen unb in ben folgen* 
ben elf ein Kapital bon 150,000 ©ulben aurüdfaulegeit. 
$on biefer (Summe mürben für 9fübiger (Sdjulbeit in ber 
«Ipölje bon 50,000 ©utben beaaljlt. 

33alb, nadf;bem idj bie $ormunbfcf)aft übernommen 
Ijatte, gelang e§ mir, burdj Skreinfadfjung be§ SSermal* 
tung§apparate§ unb Ginfüljrung bon Skrbcfferungen bic 
Ginnatymen auf 28,000 ©utben au erfjöljen. G§ blieben 
fomit nadj Slbaug ber atueijäljrigen 'Jtente für föübiget 

53.000 ©ulben, ferner bom Saarfapitate ginfen 8000 ©ul= 
ben, ober mit Gnbe bc§ ^tneiten SatjreS SltteS in silent 

161.000 ©ulben baar." 

„|>aft 5Du etma§ gefagt," frug ber ^ormunb, ba er 
einen 9tuf ber Ueberrafdjung bernommen. 



\ 






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Stooellc uoit ?l. IS. u. Suttner. 179 

Siefe 3öorte Wedten Ruhiger aus feiner halben 33e= 
täubung ; er fprang auf unb eilte auf bett Jöormuub au. 
„So mujj einem armen Teufel au SJlut^c fein/' rief er, 
„ber eben gelefen tjat, bafj er baS grofje 2 ooS gewonnen! 
D, wie foE, Wie lann id) Sir banfen!" 

„Su nimmft mir alfo ben Streif nicht übel? So 
!omm’, mein Suitge, unb faE’ mir in bie Sinne. Sie 
Sehre war bieEeidji hart, aber — " 

„Slber fyülfam ! llnb Su foEft feljcn, bafj id) fie mir 
für immer gemerft habe. Unb fo wie id) auf meinen 
garten SBegen §reunbe unb theilneljmenbe SJtenfcfjen gc= 
funben Ijabe, fo WiE auch ich ben SBürbigen nach beften 
Äräftcn äur Seite fielen. Sie Städjfienliebc lernt man 
erft bann recht, wenn man felbft in ber Sage gewefen ift, 
fie 3 U beanfprudjen. SBiEigft Su biefe 2)orfäpe?" 

Ser @raf reidjtc betn jungen SJtanne bie £>anb, Wäl)= 
reub ^eEe ftreube fid) auf feinem ©cfidjte geigte, „^a, 
id) biEige fie bon ganzem <£>eraen. Unb je^t ? ©cbenlft 
Su nodj immer, ^Bauunternehmer au Werben?" 

,/Jtein, jept ^abe id) meine eigenen Unternehmungen 
au leiten. Slber borerft ntuf$ id) nodj baS Eöidjtigfte in 
Crbnung bringen." 

„SUja, idj berftelje." Söiebcr fdjritt er rafd) abtu 
Sdjreibtifdje unb fdjrieb ein paar feiten auf ein SSlatt 
Rapier. „§icr, ihre Slbreffc; cS ift eine befdjeibene 2 öoI)= 
nuug in einer finfieren ©affe; gel), a e tÖ c b«tt Sonnen« 
ftrahl ben SCßeg bortljin, unb bring’ fie mir halb autüd — 
Seine Sfngrib!" 



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(gttt ünmyrim als fjodiücrriitljer. 

Itarij arrijtualifdjen (BUieUeu mitgetljeUt 

t)OU 

Hittjarb Jtard). 



(91ad)brud berbotcn.) 

TSie ©cfdjidjte melbet un§ alle erbentlidjen ©reue! Don 
^ beit <£>öfen BatBarifdjet unb T§alBciöilifirter, toie bon 
beneit tnieber itt 33erfatt gerätsener Sßölfer, inbcffen ftel)t 
eä faft einzig ba, bajs in einem cibilifirten Sanbe (üuropa’ä 
ber tonprina beS Oieidjeä bom eigenen $ater, bem Serr= 
fdjenben Äönige, at§ <§od)berrätljet erllärt mirb. Unb 
bodj iffc bie§ in Onanien in ber neueren Seit atoeimal 
gefd;etjen. SDa§ erfte ÜJlat Sanbelte e§ jtdj um beit burd) 
©djiller’§ SDidjtmtg unfterBIidj geworbenen SDon darloä 
(geB. 1545), ben ©ol)n $önig II., ber Slnbere 

aber War £)on ^ernanbo (geB. 1784), ber ©oljn be§ 
j?önig§ Äarl IV., ein $rina, Bet im DftoBer 1807 als 
©taatSberBredjer erllärt Würbe unb nur mit genauer 9totfj 
bem £obe entging, ben jener unglüdlidje SDon SarloS am 
24. $uli 1568 im ©efängnifj auf Biäljet unaufgeflärt ge= 
BlieBene Söeife erlitt. 

©inb nun bie 9lnfic£)ten bariiBet berfdjieben, dB 2)on 
@arlo§ in Bemustern ober unaured)nung§fäl)igem guftanbe 



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93on JRidjarb HJiard). 



181 



gegen feinen Skter feinbfetig getjanbelt unb fomit fein 
traurige^ @efcf)id£ berbient Ijabe, fo ftimmen fie hingegen 
in betreff $erbinanb’S botttommen überein. @r mar, 
ebenfo mie 5lte£iS, ber am 14. 3uni 1718 aurn Stöbe ber= 
urteilte unb brei Söodjen fpäter im Werter „unbetannt 
mie" berftorbene ©otfn Sßeter’S beS ©rofjen bon Otufjlanb, 
unbebingt ein ©taatSberbredjer ; er T^at, gleidj bem eben 
genannten 3ciretoitfd^, ben Eintritt feines SSaterS mit ber 
größten Ungebutb ermartei, unb bei bolter Vernunft unb 
Sietbemufjtljeit „bertoegene 9lnfd£)läge mibcr feinen 2anbeS= 
f)errn, fomie ben ©taat" geplant unb in’S Söer! au fejjen 
gefudjt. — 9tudj tjinfictjtlicf) ber 33emeggrünbe au biefeni 
2)erbred£)en beftetjt amifctjen bem fpanifdjen unb bem ruffi= 
fdfjen Sttjronerben eine gemiffe ©leidjartigteit. 33eibe maren 
bon ^errfd^fuc^t unb einem fxnfteren, fortfcfjrittSfeinblidljen 
©eifte befeett, aber mätjrenb SllejtS, eine rotje Statur, bic 
man bergebenS au berebeln gefügt tjatte, eS flar auS= 
fpradj, bajj er nadfj ber ßrone ftrebe, um bie itjm in 
tieffter ©eele berljafjten Reformen feines SSaterS tüieber 
rücfgängig au machen, mufjte ber bon feinem erften £et)r= 
meifter, Manuel ©oboi, £eraog bon 5ttcubia, fctjmerlidj 
ol)ne 9lbficfjt fd^ted^t eraogene unb fpäter bon bieten mit 
ber beftetjenben Drbnung ber 2)inge unaufriebenen 
fönlidjteiten als ber einzige Sürge einer gtänaenben 3u= 
funft ©üanienS gepriefene tjeuctjlerifcfje fterbinanb feine 
matjren 9lbfid(jten au bemänteln unb im 33olfe ben ©tauben 
au erregen, er fei nur burdfj bie .Surtidffejjungen unb 3)e= 
müttjigungen, metctje er auf betreiben beS in 3 mifctjen 3 unt 
„9lEeS leitenben" itinifter unb attmncfjtigen ©ünfttinge 



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182 



Gin Äronprinj all .^ocfwerrätfjer. 



borgeriidten Sllcubia 3U erbulben Ijabe, 311 bent Gntfcftluffe 
getrieben Worben, bie ^errfdjaft an ftd(j 3U reiften. 

Sn ber Xljat wuftte fcljon im Saläre 1806 gan3 Btabrib 
bon biefer .Surüdfeftung bei 5 ßrinjjen bon 2lfturien, wie 
ber Xitel bei fpanifdjen Xljronfolgerl lautet, fotoie barum, 
baft bie 3Wifdjen iljm unb bem ^er^oge fdjon längft be* 
ftanbene ©paunung ben Gljaralter unberföljnlidjer 3?einb= 
fdjaft angenommen Ijabe. Xan! ber woljlberecfjneten ®e= 
fdjwäftigfeit ber 3aljlreidjen Slnljänger fJerbinanb’S Waren 
im Bolle fogar bie Giwjclfjeiten ber im föniglidfjcn 5 pa= 
lafte borgefaüencn Ijcftigen Auftritte bclannt, beren leiben* 
ber Xfteil ber 5ßrin3 bon 2lfturien gewesen, unb allgemein 
würbe bie ©djulb baran bem <£er3oge beigelegt. Sind) 
l)ieft el, er fdjicbe fidj wie eine ©c^eibewanb 3Wifc§en 
Bater nnb ©oljn, unb el fei nidjt unmöglich, baft er ben 
iljm blinblingl ergebenen Jfönig nodj bewegen Werbe, 
Sferbinanb bon ber Xljronfolge 311 feinen, bei >£>er3ogl, 
©unften anl3ufdjlieften. 

.(fein Söunber baljer, baft bal mit ber bal £anb be= 
brüdenben nnb fdjäbigcnbcn .fperrfdjaft bei ©ünftlingl 
längft un3ufriebene Bolf in Serbinanb einen Btärtprer 
erbliden 31t muffen glaubte, unb Ijodj erfreut War, all 
Wlcubia im Cftober 1806 eine fd)Wcre politifdje Bieber* 
tage erlitt. Gr Ijatte nämlidj, all ^reuften mit ©adjfcu 
im Bunbc Napoleon ben $rieg erltärte, unb biefer mit 
feiner galten Bfadjt gegen bie Xeutfdjen sieben muftte, 
bie ©elegenljeit Waljrgenommen, feinen längft gehegten 
^tan, eine Bereinigung ber Blädjte gegen Sranfreidj 31t 
©taube 311 bringen, bevWivUidjt unb, ol)ne bal mit left* 



Digi 



j bv vjOOqIc 



uztx) uy njuv. 




3>on föidjarb 9Kardj. 



183 



ierem Staate 1796 311 San Stlbefonfo abgefchloffene Sd;ut}= 
wnb Srutjbünbnifj 3 U achten, Portugal, fotoie ©rofjbritam 
nien für feine Sbee 3 U geminnen geltmfjt. Sie fffolge 
babon maren jene überaus eifrig betriebenen 3hiegS= 
rüfiungen Spaniens, bon beren eigentlichem 3mccfe bie 
hodjtrabenben Sßrottamationen Sllcubia’S bom 9. unb 
11 . Cftober 1806 nichts 3 U fagen tourten, bie aber 9la= 
poteon fofort als gegen fidfj gerichtet erfannte unb als 
eine Sreulofigfeit erllärte, toelcbe gerächt merben folle. 
Slorerft jeboch begnügte er ft<h bamit, feinem ©efaubten 
in fDtabrib, SSeauharnaiS, gleichzeitig mit ber Nachricht 
bon feinem am 14. Oltober bei $ena unb Sluerftäbt über 
bie Seutfdjeh errungenen Siege, Aufträge julommen 3 U 
laffen, in beren ^Befolgung $ener fcott flflrl’S IV. Regierung 
9luffchlufj über beren friegerifche SJtafinabmen begehrte. 
Unb als ber «^erjog bon Sltcubia herauf in ©egentoart 
beS ÄönigS berficherte, bie Lüftungen hätten mit Stücfficht 
auf bie feinbfelige «Haltung Portugals unb ©rofjbritan» 
niettS — feiner heimlichen SSerbünbeten — fomie auf eine 
fchou lange befürchtete Sanbung ber fDtaroftaner in ?ln- 
balufien erfolgen müffen, ba fchritt ber ©efanbte zur @r= 
füllung beS ameiten XheileS feiner Slufgabe. @r mieS 
nach, bafj alT biefe ©efahren eingebilbete feien, unb for= 
berte mit |nntoeiS auf ben Vertrag bon San Slbefonfo, 
Spanien folle bon ben 40,000 in 3 mifchen mobiliftrten Ärie* 
gern 24,000 Napoleon 3 ur Verfügung fteUen. 

SöaS toar 3 U thun 1 ? — Sie 24,000 9Jtamt bermeigern, 
biefj bie Sreulofigfeit 3 ugebeu unb fiel) einer .üriegS- 
erllärung auSfepen. Sie $ilfe mu|te alfo bemiUigt toer* 



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184 



Pin ^ronyrinj als .^ocboerrötber. 



ben, unb bie Gruppen tourben bon Napoleon alSbalb nadj 
©cljtoeben gefdjidt, baS bcr Eroberer gerabe bamalS be= 
brängte. 

2DaS toar, toie fdjon gefagt, eine fdjtoere ©ieberlage, 
imb man gab ftdj im ©olfe ber Hoffnung Ijin, ber Äönig 
merbe einen fo fdjtedjten 9tatljgeber, mie Sltcubia, enblidj 
bodj entlaffen. Sillein biefe ßrtoartung erfüllte ftdj nidjt, 
benn ber «^er^og Tratte ben $önig nidjt nur ju bem ©Iau= 
ben betoogen, an bem ©tifjerfolge trage einzig unb allein 
ber ©erratlj ber mit Portugal geführten geheimen ©er= 
Ijanblungen fcfjulb, fonbern in iljm aucfj ben ©erbacfjt 
erregt, ber ©errätljer lönne nur ber $ßrin 3 bon Slfturien 
getoefen fein. @r felbft toar bereits überaeugt babon, 
• 3 ?erbinanb unb fein Slnberer $abe Napoleon ©etoeife für 
ben ©eftanb jenes geheimen ©ünbniffeS geliefert. 

$5aS toar nun aHerbingS ein ©taatSberbredfjen, allein 
bie ©etoeife hierfür fonnten nidjt befdjafft toerben. Unb 
bodj Ijätte Sllcubia gerne Staclje an bem feine Sßläne burdj= 
freu;jenben Äronprinjen genommen. (Ir beantragte baljer 
anfangs beS ^aljreS 1807 in ber toofjlertoogenen Slbfidjt, 
bie flluft 3 toifdjen ©ater unb ©oljn 3 U ertoeitern, bajj 
ber feit ©tai 1806 bertoitttoete Äronprin^ mit feiner, beS 
.fper^ogS, ©djtoägerin ©tarie Suife bon ©ourbon ficlj ber= 
ntäfjlen foüe, unb rechtfertigte biefen ©orfdjtag mit bem 
gfüljenben ©erlangen, bie 3 toifdjen iljm unb ^erbinanb 
fjerrfdjenbe fjeljbe beigelegt ju feljen. 

Äarl IV. ging hierauf mit ftreitben ein, ber $ronprin 3 
aber toieS, toie Sllcubia gehofft hatte, biefen ©orfdjtag mit 
©eradjtung jurüd unb tourbe 3 ur ©träfe bafttr bom ^ofe 




3?on Dfic&arb 5Dtard). 185 

in ben einige Steilen bon 9)tabrib im ©uabaramagebirge 
gelegenen Spataft (Säforiat berioiefett. 

£!er Jfönig liimmerte fidf nunmehr ioenig um feinen 
©ol)it, unb aucf) 9llcubia fdjiett bemfelben feine 91ufmerf= 
famfeit 31 t fdjenfen. $n ber SEfjat aber tourbc $erbiuanb 
fo fdfarf beobachtet, bafj ber ^er^og um jeben feiner 
©djritte nntfjte. Sfnbejj mufj ber 5 ßrin 5 feine auf be? 
üEffrone? Umfturj ab^ielenben 5pläne fe^r borfidjtig ge= 
förbert ^aT 6 en , benn fDtonate bergingeit, unb ber «fperbft 
1807 toar bereite in’3 £anb gefommen, offne bafi fid) 
Sllcubia Slnlafj ju einem neuen ©dhlage gegen ba? „©djrerf= 
bilb feiner Sufunft" geboten ^ätte. @nblidf aber, al§ 
ihnt feine ©pione bon einem ebenfo ^ibilidjen al? ge= 
fdfaftigen 3$erfef)re be? Äronbrinjen mit bem franjbftfdjen 
©efanbten 3 U berieten toufjten, al? fie e^äfflten, fotoof)! 
Serbinanb al? audf ber ihm auf £eben unb Stob ergebene 
©eneral -^erjog bon Snfantabo feien berfleibet in 33eau= 
harnais’ 5|3alafte getoefen, ba fanb er ba? $orn reif 311 m 
Schnitte, unb fdfon am anberen fDtorgen, e? toar ber be§ 
29. Oftober, entbedte $arl IV. unter ben ifjm 3 ur Sturdj» 
fid)t oorgelegten papieren auch einen mehrfad) berfiegelten 
SSrief, auf beffen Umfdjlage mit grojjen, in bie Slugen 
fatlenben Sögen bie Söorte: „9ln ben $önig" gefdjriebcn 
ftanben. Saftig öffnete ber fDtonardj ba? Goubert unb 
la? £5?olgenbe§: „(Sure 3Jtaieftöt fd)toeben in ernfter ®e= 
fahr. ©eine |>offeit ber 5 ßrin 3 bon Slfturien langt nadj 
Sl’hrer Ärone, ja mehr nod), er bebroljt 3 fj* geheiligte? 
£eben unb erfreut fid) in biefem rudjlofen ^Beginnen, toie 
e§ fdjeint, ber Unterftüfcung ber ftranjofen. (Sure 9Jtajeftät ! 



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18G Gin ßronprinj oI§ .ftocboerratfjer. 

©ernten ©ic tafdj unb cnergifch 31t Ijanbeln. Bertreten 
©ie ber ©djtange ba§ |)aupt unb belohnen ©ic fo bie 
2 Badjfant!eit eines ©tamteS, bcr fidf) nennt Guter fDlajeftät 
attergetreueftcn Untertan." 

S 5 a§ mirlte. $arl geriet^ in grofje ©eforgnifj unb 
fanbte fofort nadj feinem feiten 3$, nach Sllcubia. $E>er= 
felbe toar inbeffen gerabe in ber ©tunbe fo ernfter ©efaljr 
nirgenbS 3U finben, unb fo fab fich benn ber $önig ge= 
3tmmgen, anbere iljm ergebene Sßetfonen in’S ©ertrauen 
31t 3ietjen unb 3U befragen, ma§ in biefer SlngeXegen^cit 
gettjan merben miiffe. Unb fiefje ba, bie Stnfidjten ber 
Staatsmänner gingen bieSmal nicht tote fonft auSeinanber, 
fonbern ftinintten bolltommen überein, $eber ber ohne 
3cugen insgeheim ©efragten mufjte nur ben einen SKath'. 
©eine ©lajeftät ber Äönig möge fi<h in Slnbetradjt beffen, 
bafj bie ^Inftage gegen ben grinsen bon Slfturien bon 
einem 9 iamenlofen auSgehe, borerft über beffen ljodjber= 
rät^erifc^e ©efinnungen ©emifjfjeit betfdjaffen. Unb 3mar 
empfehle fich 3U biefem .Bmecfe feineStoegS bie ©efangen= 
nähme unb ein ©erhör beS $ronprin3en, fonbern bielmehr 
eine gtünbliche, bon ©einer ©tajeftät felbft borsuneljmenbe 
£)ur<hfuchung ber prin3tichen SBohnung. 

3 )er Äönig mar bamit bottfommen einberftanben unb 
alSbalb auf bem SBege 3U feinem ©ohne, ©iehrcre ©ii= 
nifter unb 3ahlreiche ©arben gaben ihm bahin baS ©e= 
leite, bcr <£>er3og bon Sltcubia aber begnügte fiih bamit, 
bem glän3cnben hinter ben ©orhangen feiner 2öoh= 
nung berborgen, mit ben klugen 3U folgen. SDiefe Gnt= 
haltfamfeit mufjte jeboch eine mohlermogene fein, benn ber 



3 ?on föicparb ÜDinrd). 



187 



•fperjog blidte fo Vergnügt barein, mie Sfentanb, bem ein 
großer 2öurf gelungen ift. Unb al§ fidj einer jener 
Staatärätfje, meldje ben' Äönig in ^Betreff ber gegen ben 
ipriujjen bon Slfturien au ergreifenben 9 ttafjnal)men be= 
ratzen ^atte, einfteHte nnb freubig erregt nietbete, ma§ 
gcfcfjeljen fei, ba flog ein bämonifdje§ ßädjetn über fein 
glattes Slngefidjt. 

üDer tonprina Tratte feine Sl^nung bon ber i^nt broljen» 
ben ©cfaljr. 6r befpradj fidj foeben fe^r angelegenttidj 
mit bem at§ mifjbcrgnügt befannten Snfantabo, alä ber 
$önig im ©§forial erfdjien. Snfantabo fonnte fidj nidjt 
meljr entfernen, er mürbe gefangen genommen, bem 5 ßrin= . 
jeu non 3 lfturien aber tourbe bebeutet, alle bie in feinem 
2trbeit§3immer befinblidjen ©djränfe, Xifdjc unb fßulte 31t 
öffnen. 2)ie§ gcfctjalj w ©egenmart fämmtti^er ©taat§= 
mürbeuträger. ©ine fOtenge bon ©Triften fant 311m 23 or= 
fdjeine, ©Triften, meld^c auf be§ 9 ttonarcfjen ©ebot ber $u= 
ftijminifter mit Sefdjlag belegte unb fofort 31t prüfen begann. 

2 )a§ Girgebnifj mar für ben ^rinjen feljr bclaftenb. 
3 )lan fanb ben S 5 emei§ bafür, baff er fidj ben Dtang unb 
Xitel eines $öuig§ bon (Spanien miberredjttidj beigetegt 
unb al§ Serbinanb VII. in aller fjorm bem ^er^oge bon 
Snfantabo ben Cberbefeljl über bie gefammte fpanifdjc 
.(iricgSmadjt berlict;en Ijß&c. S)er $ronprin3 fudjtc fid; 
au§jureben, inbem er erllärte, ba§ iljn fo fdjtocr belaftenbe 
Sdjviftftücf fei unterjeidjnet morben, al§ fein SJater 'am 
Ofanbe be§ ®rabe§ fdjmebte, unb er befürchten muffte, in 
bem .fper^ogc bott Stlcubia einen ©egner feiner Xl)ron= 
befteigung 311 fiuben, allein ber Äönig mollte biefe s Jiedjt= 



18 Ö Orin ßronprinj als Eotfmerrätljer. 

fertigung nidjt gelten taffen, unb als fidf) ferner ber (£nt= 
murf eine! SriefeS borfanb, meldjien ber $ronprins erft 
bor Äursem an Napoleon gefdfjrieben Tratte, unb toorin er 
bem Verlangen, ftd^ mit einer franjofifd^en ^rinjeffin, 
ber ÜLodfjter £ucian Sonaparte’S, bermäljten 31t lönnen, 
lebhaften 9 tuSbrurl gab, ba fdfjteuberte Äart IV. feinem 
6oijne bie Slnltage in’S Slngefidjt, er Ij'abe auf dmpörung 
gefonnen, fdjtauer SBeife einen frembcn Stonardjen in fein 
Sntereffe 31t sieben gefugt unb nur bcffen SEntmort ab= 
getoartet, um feine rudjlofen ^täne 31t bermirttidljen. 

5 Der Äronprin3 leugnete, allein ba unter feinen 5 pa= 
pieren audj in einer nur (Singetoeitjten lesbaren ©eljeim* 
fdjrift abgefafjte 25 ofumente borgefunben mürben, über 
beren Sntjatt er jebe Slufftärung entfliehen bertoeigerte, 
nahm ber «ffönig fein Sßerfctjutben als ermiefen an, for= 
berte itjrn ben SDegen ab, tiefj ihn in Eaft nehmen unb 
erltärte ihn mittelft Srollamation bom 30 . Cltober 1807 
als einen StaatSberbredjer, ber bom ^en 9 tat$e bon 
Äaftitien abgeurt^eitt merben fülle. 

SDamit mar nun baS SmbeStooS über ^erbinanb ge= 
morfen, hoch niemanb SlnberS als ber <§er3og bon Sllcubia 
entriß ihn bem Serberben. SltterbingS höchft unfreimiltig, 
benn obmoht er ängftlich bemüht getoefen, felbft ben teifeften 
Schein einer ßinflufjnaljme auf beS Äronprinsen ©efd§idE 
31t bernteiben, mürbe er bom Solle hoch als ber Urheber 
beS S^seffeS beseitiget, unb Ijatte allen ©runb, für ben 
£ 5 ?aU ber Einrichtung beS Äronprin3en ben 9 luSbruch einer 
9 tebotution 311 beforgen, beren Sßogen bor Ment ilpt hin* 
megfpüten mußten. 



Sou Dtidjarb 9Jlard). 



189 



©ana natürlich bapr, bafi er befdjlofj, als fetter beö 
ßronprinaen aufautreten, unb fo nicp nur beit (Sbelmutlj 
beä f$?einbe£ ju bctoeifen, fonbern fid^ audj ben Beinamen 
„ber griebenäfürft", ber ifpn jurn 2 )an£ für bie gXücfttdjc 
Sermittelung be§ f^riebenS atoifdjen fjranfreidfj unb ©pa* 
itten 1795 berlieljen morben mar, auf 3 Bleue $u berbieuen. 
3m Verfolge biefer Slbfidjt Begab er fidj am 5. Blobentber 
1807 nad) einer längeren Sefprecpng mit betn Könige 
3 U bem ©efangenen unb teilte bemfelben mit, bafj Äarl IV., 
puf’3 -^öd^fte erbittert, ben Sob aller iitamifdpn entbedtten 
Serfdjmörer forbere, unb bafj e§ nur ein einjigeä Stittet 
gebe, baä ©cpedlidjfte ju berpten. Unb ^mar müffe ber 
SPtina, „um fein unb feiner Slnpnger Seben au retten", 
ein botte§ unb reumütpgeä Selenntnifj feiner ©d^utb au 
ber iüngften Serfdfjmörung oblegen, be^iepttgämeife bie 
boit bem «^er^oge fcpn fertig mitgebradjten Sriefe unter* 
fdjreiben. 

^erbinanb luar mutljtoä unb gebroden, er unterfdjrieb 
baljer ope Bbgern ;jmei moljl ntep atä bie 2 Bapt)eit 
entpUenbeu Sriefe, bereu einen Bllcubia als „mertpoHeä 
S)olument" für fid§ bepelt, mäpenb ber anbere Äart IV. 
borgelegt mürbe. Biber obmoP berfelbe bötlige 3er* 
fnirfcpng atptete unb mit ber Sitte um ©nabe fdjloji, 
beburfte eö bodj nodj ber Qrürfpradje ber Königin, um 
ben BJtonarcpn ju beftitnmen, bem $ronprinaen ju bcr= 
3 cipn unb fidj mit ber Serbannung einiger feiner Btatp 
gebet — barunter be§ |>er 3 og 3 bou Snfantabo — 3 U be= 
gnügen. Blut Sage ber fjreilaffung bc§ Äronprinjen aber 
mürben in allen Äircpn ber ^auptftabt, ja be§ ganzen 



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190 (5iu Äronprinj als «ftodwerrätBer. 

£anbcS für bic Rettung beS ÄönigS aus großer föefaljr 
feierliche DanlgotteSbicnfte abgeBalten. — 

Unb nun put 9tacBfpiele biefer Greigniffc. Napoleon 
Batte btefelben fd^arf BeoBacBtet unb War, fd^on WdBtenb 
fie im ®ange waren, in Portugal eingebrungen, Batte am 
13. 9tobentBer mit ber turnen Grllärung: „baS 4?auS 
23raganp Bat aufgeBört in Portugal p regieren," bon 
biefem Äönigreidje 23efit} ergriffen, unb nadjbem ber por= 
tugiefifcBe -fpof am 29. 9tobentBer mit 17,000 £anbeS= 
ünbern nacB 33rajtlien aBgefegelt War, Siffabon Befefjt. 
9tun Wenbete fidj ber Gröberer, eingebenf ber bon 911cubia 
an iBm begangenen Sreulofigleit, gegen (Spanien, inbent 
er im geBruar 1808 in 9Jtabrib ben Antrag fteßen liefj, 
$önig Äarl IV. möge fitB unberWeilt nadh ^ßejifo ein= 
fdjiffen unb fürberBin nur „als $aifer bon Slmerila" bort 
regieren. 9llcubia überrebete ben iBm BünblingS ergebenen 
Äönig audt), auf biefe guntutBung einpgeBeit, unb traf 
Bereits alte ülnftalten pr SIBreife, als ein bon SJturat, 
bent nachmaligen Könige bon Neapel, BefeBligteS fran= 
3 Öfifd§e§ .jpeer bor fültabrib erfdjicn. GS Bt e Ü WoBl, biefe 
ÄriegSmacBt fei pr 33erftär!ung ber in Portugal fteBcn= 
ben Slrmee Beftimmt, aßein 9iiemanb Wüßte baran glauben. 
SielmeBr meinte Sebermann, ber $erpg bon Sllcubia 
Babe Spanien an Napoleon berlauft unb berratBen. Äeiu 
SBunber baBer, bafj, als eS am 16. fDtärj 1808, waBr= 
fcBeinticB burcB 91nBänger bcS Äronprin^en, rucBBar Würbe, 
ber Äönig ftelje auf bem Sßunlte, feine UntertBanen iBrent 
Sdjidfale ju üBetlaffen, jener brei Sage wäBrenbe 2luf= 
ftanb auSBradh, in beffen Verlaufe bor Mcm ber Sßalaft 



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$on '«Ridjutb ÜDiard). 



191 



Sllcubia’S 31 t Slraitjuej bon bem empörten '.ßöbet unter 
'Btitmirfung ber löniglidjen ©arbe geftürmt unb -bermüftet 
mürbe. ©ein 23efi|er entzog fiel) nur mit genauer 9totlj 
ber SRadje beä $olfe§, ba§ feinen £ob begehrte. SDiefe 
bringenbe fyorbetung erfüllte ber Honig audj fpäter nidjt, 
mie benn überhaupt 9Me3, toa§ er tljat, barin beftanb, 
bem injmifcljen behafteten ^er^oge bie „mieberljolt er= 
betene ©ntlaffung" $u geben. 

5Die§ gefdjal) am 19. 9 ftär 3 unb mar bie lepte 9te= 
gicrunghöbbtung beä Hönigä, benn an bemfelben £age 
erfdjiett jene SßroHamation, mittelft bereit Hart IV. „feiner 
cingehmrjetten ©ebredjtidjleiten falber ber ferneren Saft ber 
'«Regierung 3 U ©unften feinet Soljneä fferbinanb entfagte." 

(So beftieg benn biefer, genau fünf Monate, nadjbent 
er auf Seben unb Xob angeflagt gemefen, als fferbinanb VIT. 
ben üUjron feiner SMter, unb ba3 ©rfte, maä er tljat, mar 
bie ©in^ie^ung bc§ grofjen, unredjtmäfjig ermorbenen 33er= 
mögeit§ Sllcubia’ä 3 U ©unften ber tone. 2 )a§ 5öolt mar 
über feine ülljronbefteigung erfreut, allein feine bisherigen 
franaöjtfdjen ffreunbe, 33eaul>arnai3 an ber Spipe, ber= 
fagten iljm bie Stnerfennung. Sie beriefen fiel) babei auf 
ein born 21. 9 Jtär 3 batirteS Sdjreiben Harl’ä IV., morin 
berfelbe, otjne 9iamcn 3 U nennen, erHürte, nur bie blutigen 
Sccnen be§ 19. fßtärj unb bie ©efaljr, morin fein Sebeit 
unb ba§ be§ „SrriebenSfürften" gefdjmebt, Jütten djin bie 
Xfjronentfagung abgenötfjigt. 6 r proteftire fontit ba= 
gegen unb lege bie ©ntfdjeibung feines SdjidfalS, beä 
©efdjideS ber Königin, fomie 9ttcubia’§ in 'Jtapoleon’ä 
hänbe. — 



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IÜ2 ©iit Kronpriuj als JpocpoerrcUhcr. 

4 

hierauf erfolgte feine Slnttoort. Napoleon liejj fotoohl 
Karl 1Y. als auch 3?erbinanb VII., auf beffeu ^eirat^S» 
projeft er übrigens fdjeiitbar eingegangen toar, im Un* 
ftaren, toen er für beit redjtmäfjigcn König ^altc; SScibe 
aber tourben beranlafjt, bem auf bem 2Begc nach (Spanien 
begriffenen granjofenfaifer bis über bie ©renac, nad) 
33at)onnc, entgegen a« teifen, tooljin fcfjon früher ber auf 
„brittgenbe Skranlaffung" 9iapoleon’S iljm „übergebene" 
<£>eraog bon 2ltcubia gebraut toorben toar. itnb bicS nid)t 
oljne ©tuttb, beim Napoleon beburfte biefeS „treulofcu 
9Jteitfdjen" bet Ausführung beS großartigen KunftftüdcS, 
ein getoaltigeS Königreid) auf fc^eittbar rechtliche Söeife 
au fid) au bringen. Kein Söunber halber, bafj er fid) mit ihm 
feljr angelegentlich unterhielt , bebor er Karl IV. uitb itt 
beffett 58eifein ^erbinanb VII. empfing. @S toar eine Art 
Konfrontation atoifchen Slater unb <Soljn, eine Koitfron= 
tatiou, toobei ber drftere bett Seßteren befchulbigte, ihn 
burd) Erregung beS AufftanbeS getoaltfam bont Sprotte 
geftoßcu au h Q fon, unb bie utibebingte Burüdftelluttg ber 
AegicrungSgetoalt begehrte. 2>a Napoleon fich Karl IV. 
geneigt aeigte unb außerbem beutlidj au berftehcti gab, 
burdj „Atcubia’S ©üte" im Jöefiße beS bott Qrerbinattb 
feiiteraeit im ©efängttiffe unter fd)ri ebenen 3ugeftänbniffeS 
einer (Schulb 311 fein, toorauS bie fühnften fjolgerungctt 
gcaogen toerben fönitteit, aeigte fid) ber junge König, ber 
int ©runbe ein Feigling toar, bereit, feine fauttt ein paar 
Sage alte Krone toieber nieberaulegett, unb Karl IV. hatte 
nichts SiligereS au tpun, als feinen getreuen Alcubia toieber 
in Amt unb SCÖürben einaufeßen, fotoie auch aunt Abfcßluffe 



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58on SRtdjarb 9)inrc(j. 193 

jeher 9lrt hon Unterhaltungen mit ftranlreuh 31 t er* 
mastigen. 

2)aS mar eS, maS Napoleon, her ©effigigfeit 9ltcu= 
bia’S fieser, gemotlt hatte. 2)enn nadjbem ^erbinaitb VIT. 
am 6 . 2 Jtai erttärt hatte, bie Regierung micber in bie 
$änbe feinet STaterS 3 urüd 3 utegen, mieS Napoleon einen 
jmifdjen feinem SBeboltmächtigten 2)uroc unb SIXcubia £agS 
bortjer abgefdhtoffenen Vertrag öor, fraft beffen ÄartlV. 
ade Rechte feines |>aufeS auf (Spanien unb Söeftinbien 
unter ben SBebingungen in ^apoteon’S $änbe nieber* 
legte, bafj baS Königreich Spanien als fotdjeS befielen 
unb bie römifdj=fatIjolifd)e Religion bafetbft bie einzige 
bleiben folte. 

König Kart IV. mar fornit „ohne ßanb", aber er fanb 
fammt ©entahlin unb Familie, fomie bem unaertrennlid^en 
Sllcubia „Zuflucht in Sranfreich", b. h- nebfi betriebenen 
Sdjtöffern eine (Jibitlifte bon 30 2Jlitlionen 9ieaten iäljr* 
tidj, mährenb bem nunmehr mieber jjum ^Prin^en bon 
Slfturien gemorbenen Qferbinanb, ber fich meigerte, biefem 
Vertrage belüfteten, bie Söa^l smifepen feiner Unter* 
fcfjrift unb bem Xobe gelaffen mürbe. 

Unb mie einft im Werfer beS ©Sforiat, fo tfiat er aud) 
jept ben rettenben f^eberjug, unb Napoleon „erneuerte", 
nadjbem er ^erbinanb baS ©djlofj SBatcncap 311 m 2luf= 
enthalte angemiefen hatte, „bie alt gemorbene 5Ttonard;ie", 
inbem er feinen S3ruber $ofeph 33onaparte, ben bisherigen 
König bon Neapel, auf ben £t)ron Spaniens feijte. SDiefcr 
Stjron hmlt inbefj nid^t lange feft; fdjon nadj fünf fahren, 
1813, brach er, mie fo biele 5ftapoleonifdjc Schöpfungen, 

58iblioll)eI. 3aljrfl. 1889. 58b. X. jg 



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194 Gin ^ronprinj al§ Jpohücrrfitber. 

3 ufammen, unb bcr Äorfe felbft bot gerbinanb VII. bie 
Söiebereinfetjnng an. 

infolge beffen fe^rte ber ehemalige ©taat§Perbrecher 
im OTrj 1814 al§ $önig nach Spanien 3 urücf, bodj 
nicht, um, feie fo SBiete gehofft, fein iolf einer gtürflidjen 
3u!unft entgegen^ufithren, fonbern um äunädjft ben Gib 
auf bie freiheitliche Äonftitution Pon 1812 3 U bertoeigern, 
biefe umjuftolen unb — obtooljl er ben bßfen Ginflufj 
ber ©ünftlingäherrfchaft genugfam fennen gelernt — Pon 
Sfinfterlingen geleitet in einem ©eifte 3 U regieren, ber, 
einem mittelalterlichen 3)e§poten alle Ghre machenb, ba§ 
SSolf miebcrholt 3 ur Gmpörung trieb. UeberbieS befcheerte 
^ferbinanb feinem Pielgeprfiften Reiche baburch, bafj er ba£ 
Grbfolgegefetj, bemäufolge fein S3rubcr 2)on Garlo£ unb 
beffen 9ta<hfommen jur Thronfolge berufen toaren, 31 t 
©unften feiner ein 3 igen Tochter SfabeKa aufhob, auch noch 
bie Garliftenfriege. Gr ftarb 1833, Manuel ©oboi, $er 3 og 
Pon Sllcubia, aber Perfcfjicb erft 1851 3 U 5ßari§, too er, ba 
ihm Napoleon 3 ur ©träfe für feine Treulofigteit bie in 
JSahomte geleiftete <£>ilfe nicht mit ftingenber 3 Jtün 3 e ge* 
lohnt, bi§ 3 U ber 1847 erfolgten 9tücffteIEung feiner Pon 
^erbinanb VII. fonfiS^irten ©iiter in SJürftigfeit gelebt hatte. 



Sic ßufdjmäniter. 

i3 i 1 b r r ans S> ü t> a f r t h a. 

Von 

$). flctcrfni. 

(9lftt^bru5 Verboten.) 

^Zu ben fogcnamtten „toilben" SMfexftämmcn Siib= 
C^/ afxifa’ä, bic in ben Sattbftxidjcn, metdje bem bortigen 
beutfdjen $otoniaIgcbict benadjbaxt ftnb, ifjxe Sßoljnfitie 
£)a 6 en, gehören aud) bie Shtfdjmännex, bie beStoegen ioof)l 
eine ettoa£ eingetjenbcxe ©djtfbexung bexbienen. 

^iefelben finben fid) nämtidj öjttidj unb nöxbUdj bott 
9lnqxa=5J3equena in ©xofj=9tamaquaIanb 31 t beiben ©eiten 
be£ ®xofjen $ifdjf(uffe§, fexner in gxöjjcxex gotyt in bcx 
Söüfte Matjaxi unb noxbloäxt§ bt§ übex ben 9tgamifee 
ljinaU§. 

3 t)te x§aitytfi|c exftxeden fid) bon bex ^affexugrc^e 
im ©üboften quex buxdj bie $apMomc bi§ in ben 9toxb= 
loeften bexfelben, atfo im ©üben bc§ Cxanjeftxome§. 

3Öa£)xenb bex 9tame „Sßufdjmann" itjnen bon ben $oto= 
niften beigelegt ift, nennen fte ftdj fetbft snn unb sagua; 
bod) ift man über ben ©inn biefcx ^Benennungen nidjt 
xeäjt ttax. Xfj. $afjtt füt;xt 3 toei SDeutuugen an, inbem 
ex fie einmal „(Mjebtc" obex „SBextooxfene" unb bann aud) 



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196 



$5te öitjc&männer. 



„ßnedjte" unb „Unterwürfige" nennt. SBatlmann bagegen 
Reifet fic bic „©epaften". 

Cbgleid) fte bon ben Hottentotten in Sprache unb 
ScbenStoeife grunbberfdjieben finb, fo finb fie bodj mit 
i(jnen bon berfelben föaffe. 9ln ©röfje ftetjen fte ganj er* 
beblid) tjinter biefen jurüd. ©ie matten ben Öeinbrud 
be§ Stoerg^aften unb Sßerfümmerten, neigen toenig 3 ur 
3?ettleibigfeit, unb il)re Höbt ift bon leberartig trodener 
Söefdjaffcnbeit, toenig etaftifdj unb ftarf <jur ^altenbilbung 
geneigt; ber ©runbton ihrer Hautfarbe ift bem Äupfer* 
rotbett jjuncigenb. SDen übrigen Vlet^iopiern gegenüber 
finb fte Ijdt 3 U nennen. 35ie (Jnttoideluug ber ^Behaarung 
ift febr gering, bod> ift $ablföpfigfcit eine ©eltenbeit; 
bie feinen ftlaumbaare am Körper fehlen jebodj gänzlich; 
ber Söart ift meiftenS nur fdjtoadj angebcutet. 6ine ^erbor= 
tretenbe ©igentbümlicbfeit ift ber Hängebaud), bon ben 
Itapfoloniften „2trtnoeb=5ßenä" genannt. S)a§ ©efidjt ift 
breit, bie Hugcn fteljen toagercdjt, unb ber 33lid bat ettoaS 
©cbcue§, Söilbe§, Qfunfelnbeä., SDie gebogene 9iafe ift bon 
ber SBur^el an eingebrüdt mit aufgeftiitpter ©pifje, toie 
bei ben Hottentotten. S)er 2Jtunb ifi breit, bie Sippen 
finb ntäjjig aufgetoorfen. $>ie $ieferpartbie ftebt jebodj 
ftarf b^bor, fo bafj ba§ ganae ©efidjt eine fdjnauaen* 
förmige ©eftaltung bat ; auch tragen bie groben, abfteben* 
ben Obren biel bap bei, ben (Sinbrud be§ Snjierifdjcn 
3U erhöben. 

3Der 33uf<bmann beftp eine ganj befottbere SluSbauer, 
befonberS 3 eidjnet er ftd) al§ S)aucr= unb ©cbneltläufer 
au§ unb erhielt al§ foteber eine berbältnif}inäf}ig gro|e 




i'Oit t*. ^etcrfeu. 



197 



3}urd)t'cbuittsgcfd)tbinbigleit. ©o Tjager bie 23ufd)mämicr 
audj ftnb, bafj fie auSfehen U?ie burdj baS Riebet herunter 
gefommenc Sitbibibuen, fo laufen fie bod) „mit bei* ©e= 
fehtoinbigfeit eines Vogels". ©etoiffc Söilbarteu erjagen 
fie fid) mit Erfolg, inbem fie biefelbcit 311 ftufjc ntübe bereit, 
mobei ihnen bie (Bd^ävfe her ©inne, befonberS ber Slugeit, 
itub bie ausgezeichnete ©pürlraft 31 t <£>ilfe loitimt. Slu 
junger nnb 25urft, überhaupt an Entbehrungen ift ber 
33ufchmann bon Sugenb auf getoöljnt. 

©eine ganze £cbenStoeife ift menig bazu geeignet, be= 
foubere Eigenfchaften beS ©eiftcS nnb beS ©emütljcS zu 
Zeitigen nnb zu enttoidcln. ©0 macht 23urdjell über beu 
bolltommcnen Mangel an Söernunft btefer SJtenfdjeu bie 
abeuteuerlid)ften Sttittheitungen ; bod) geht er bariit zu 
mcit, toeit feine SSeobadjtuugcn nid)t eingchenb genug finb. 
©0 biel läfjt fid) aber mit ©idjerbeit behaupten, bafj ihre 
geiftigeu ftähigleiten fid) nur auf baS erftrerfen, maS zum 
Unterhalte unb ©enuffe beS £ebeuS ihnen uubebingt u5tl)ig 
ift. 2 )ie rcligiöfen 33orftcHungen finb h ö <hfi mangelhaft 
unb bertoorren. „S)cr SBufdjmauu ift baS uuglüdfclige 
Zliub beS StugcnbtidS," fagt ©. £5?ritfd), unb fajjt in biefeu 
bezcidjncnben SBortcn fein ganzes Urtheil über beu Et)a= 
ratter biefcS Golfes zufammeu. Er ift bis zum haften 
©rabe uubebadjtfam unb labt fid) zu einer 2 l)üt burd) 
bie augenbtidtiche Steigung beftintmen, ohne bie barauS 
entfpringenben folgen zu ertoägen. 

Stuf ber niebrigften ©tufc ber Äultur ftehenb, ift er 
ein ^äger, nnb in biefer Beziehung toofjt ber cntfchiebcu 
gefdjidteftc SJteufdj, beu man fid) nur zu beulen bermag. 



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198 



Sie SBufdjmätmer. 



33on bcr Statur fdjeiut er fd§on gan<$ bcfonbcrS $u bicfer 
ScbcnStocife inbibibualifirt. SSebeuIen toir nur bie 2luS= 
bauer, toelcfje beut flehten, fdfjmäcfjtigen, feljnigen Körper 
innetooljnt; bie 3?ät)igfeit, junger unb Surft j}u ertragen, 
bie ungeheure Sdjärfe ber Sinne, toie toir fte bet feinem 
aitberen 93olf ber Grrbe fennen, fo läjjt fidj leidet begreifen, 
bafj er ein boEenbeter Säger fein rnufj. Slbljättgig botn 
Sßilbe, mu| er feinen Slufentljalt öftere toedfjfeln, unb 
bafjer lebt er aucf) nur fantilicntoeife ober in flehten SruppS 
beifantmen, ba nur immer SBettige ftd) auf einem getoiffeit 
Staunte bon ber Sagb 3 U nähren bermögen. Sic grauen 
unb ßinber finb gelungen, aEe Strafen ber Sftänncr 
mit^umac^en, unb eS fel|lt iljnen fomit bie nötljige Stulje 
gattj unb gar. 

Cbgleid) ber SBufdjmann, toie bereits ertoäfjnt, in 
manchen Scaieljungen bieEcid^t auf ber niebrigften Stufe 
unter ben Sßölfertt Slfrifa’S ftel)t, fo ift er bodfj burdj 
feine unbcugfame SreilicitSliebe bor iljnen auSge,jeidjnct. 
6 r beugt fidlj feinem Sflabcnjoclje, unb felbft in ber ©e= 
fangenfcfjaft bcrläfjt iljn ber toilbe SreifjeitSbrang nidjt. 
Sn toilbem .fpaffe füfjrt er $ricg gegen SlEeS, toaS feine 
Srreifjeit einfcfjränfcn toiE. 23efonberS fudfjt er bie S3ie^= 
fjeerben <ju jerftören, burcfj toetd^e er immer ntefjr aus 
feinen Sagbgrünben jurüdEgebrängt toirb. So fange man 
bon 33ufdjntännern toeifj, fennt man fie aucfj als 3?iefj= 
bicbc. Sdjon aus älteren Säuberungen toiffen toir, bafj 
cS Sitte ber 23ufc£jntänner ift, baS geraubte 33icfj ju 
töbten, ober cS clcub berfcfjmadjten 311 laffctt, nadjbcnt fie 
bemfelben bie Seinen bcr f^erfert burdjgefdjnittcu fjabett. 



3?oii % 'licterfen. 



199 



2>a aber bie Söeifjeit mtb ebenfo bic Hottentotten Ijier 
ausfcbliejjlicb bon Söieljaudjt leben, fo ift beftäitbig $aieg 
3 Wifcbcn biefen unb ben Söufdjmännetn. 

33on einer eigentlichen gefetCfd^afttic^cn Crganifation 
Weifj ber S3ufdjmann fe^r Wenig. Sttteö, WaS eine anbere 
Spraye, anbere (Sitten unb Gebräuche bat, als er, ift 
fein §einb. ©ein einziger S3cfib ftnb feine äöaffen. ©ein 
Familienleben ift ein äufjerft lotteret, ja oft mufj man 
bei iljnt an jeher menfcblidjen Regung jmeifeln. ©o cr= 
3 äblt £ibingftone bon einem alten S3ufdf)inann: 2llS uttfere 
Gefdjenfc an Fleifd? fein He*3 erwärmt Ratten, erzählte 
er beim Feuer feine früheren Slbenteuer, unb unter 2tnbe= 
rent auch bie Grntorbung boit fünf 33ufchutäitneru. „ 8 wei," 
fühlte er an feinen Fingern, „Waren Söetber, einer ein 
UJtann, unb 3 Wei Äiitber." 

„Söetcf)’ ein ©eburfe feib 3 b*» bn& 3 b* Such rühmt, 
Söeiber unb Äinber GureS eigenen SSotfeS getöbtet 31 t 
haben! 2öaS wirb Gott fagen, toenn 3b* bür ihm cr= 
fdjeinU" 

„Gr wirb fagen, baji ich ein tüchtiger Äcrt War!" 

SDiefer 9Jtenfcb erfebien boWommcn gcWiffcnloS unb 
boit Statur jebeS Gefühles ber Verantwortung bar 31 t 
fein ; als ich ihn aber burdj Weitere Gefpräcbe auf^utlärcu 
f uchte, entbeette ich, ba& er, WieWobt baS SÖort an= 
Wcitbenb, Welches bie Vufcbntänner für Gott haben, immer 
nur bie 3 bce eines Häuptlings im ©imte hatte unb 3 toar 
bcS ©efontiS, bott Welchem er gegen eine ©djaar auf= 
rübrerifcher Vufctjmänner gefanbt toorben War. 

SDer Vufdjmann beweist nicht nur eine unerhörte Grau= 



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200 



Die SJufcOmfinner. 



famtcit, fonbcrn auch einen ^ot;en förab bon -Dtuth, bet- 
au Jobcäberachtung grenat. O^ne aßc 33ctoaffuung treiben 
fic beit ßötoen, um itjn in einem Hinterhalte au über= 
faßen. 2 öie oft fjofan niefjt (Sinaelitc mit ihrem ärmlichen 
33ogen fich gegen ganae ©djaaren bon SGßcifjen 31 er Söehrc 
gefegt. ©0 hat ba§ Surchtgefüljl bor ben SJufcIjmännem 
3 ur (Sntmalbung ©übafrüa’3 bicl beigetragen, inbcnt bie 
SBeifjcn 2lße3 um ihre Slnfieblungen au§robeten, um baö 
unbemerlte Rnfchteichcn ber toilben fteinbe au berhütcit. 

©eiten geht ber SBufchmann in einen cibilifirtercn 3 u= 
ftanb über, noch fcltcner berharrt er in bemfetben, fo bafj 
man annehmen barf, bafj biejenigen bon ihnen, toctchc fich 
beit ßöcifjcn angefthloffen halben, gemachten 33lnte8 finb. 
SBiele -äJtiffionäbcrfuche finb mit ihnen angcftcflt toorben, 
bie aber uteifienS fcheiterten. S3alb toaren eä bie geinb^ 
feligfeiten ber milben 33ufcfjmänner, halb Reibereien mit 
ben Slnfiebfern ber Radjbarfcfjaft, ntciftenä aber bie Un= 
Geneigtheit unb Söiberfpenftigleit ber au SSclehreubeu, 
toelcheä aßc Rlülje fruchtlos machte. 

2 )er SSufcljmann beftätigt ben ©ah, bafj bei ben Ratur= 
bölfern bie Äleibung ftch nicht in erftcr fiinie nach kein 
Ätima unb ben SBebürfniffen richtet, fonbent nach ber 
Äulturftufe ; bal)er er fich auch in fehr unboßfommener 
3Bcifc fleibet. 3 hnt genügt ein breieefigeä ©tücf ^eß, 
ba§ mit einer ©chnur um bie Hüften befeftigt toirb. S)a= 
gegen trägt er über bent ganaen Körper eine tüchtige 
©chmuijlrufte, toeähulb auch Sichtenftein bon ihnen fdfjreibt: 
..2)ic ?Varbc ihrer flaut mar mir an meniaen ©teßen er* 




SHon ty. ^etcrfen. 



201 



mie eine iRinbe, baä ©efidjt unb bie mageren ©lieber. 
s Jtur unter ben Slugen, bie non bent Stauch beä qualmen* 
ben geuerS, an meldjent fie <ju fißen lieben, oft tfjränen, 
mar ein Heiner gled rein gemäßen, an meldjent man 
bie cigcitthüntlidje , gelbtidje garbe ber .fpaut crbtitftc." 
Ser SBufdjntann liebt c§, fich mit SSudjufalbe ^u be= 
firmieren, unb ba er fein 9iadjttager läufig auö am geucr 
crmärrnten <Sanb nnb 2lfd£je bereitet, fo ift bie «Sdjmutj* 
Irufte halb ^crgcfteHt. Sie grauen tragen einen größeren 
£enbcnfdjura al§ bie Männer, ber mit lebernen graitfcit 
ber<jiert ift, nnb um bie (Schultern ben Sragmantcl, mor* 
unter and) bie «Säuglinge Söärme Ijabcn. 5?iänner nnb 
grauen tragen bielfad) (Sanbalen Don geU ober S3aft= 
gefled)t ; bod) fteht man fie auch tjaufig barfuß beit glühen* 
ben (Saitb burdjmaten ober Sorncngeftrüpp burd)bringcit. 
2$icte (Scfjuiucfgegenftänbe finbet man nicht bei ihnen ; 
hödjfteitä einige SJieffing* ober ©ifenringe, ober eine ftctte 
bunfler perlen, bie fie Don (Europäern für geleiftcte Sienftc 
empfingen unb montit fie .fpaare unb «£>al§ fd)ntüdcn ; ober 
fie bereiten fidj Sagbtrop^äen au§ gebern uitb £>afeu= 
feijmänaen, bie fie in ben paaren tragen, ober folche aus 
gähnen, Älaueit, Körnern unb fDtufdjclit, bie ben <£>alä 
gieren. $n giegetthörnern unb beit tleinen (Skalen ber 
Jdanbfcljilblröte tragen fie ihren Saba!, ihre Salben unb 
Slmulette an bett lüften ober am ^>alfe. 

5totl)tocnbiger, at§ bie Üteibung, finb bem 93ufdjmanuc 
feine Söaffen. Sie JHeibung entbehrt er gern, benn er ift 
geitügfam unb abgehärtet, aber feine SBaffen muß er 
haben; nur fie ermöglidjen ihm ba§ £ebctt, auf fie Der* 



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202 



$ic Sufdjmänner. 



toeubet er alle (Sorgfalt unb fie finb baljer auch faft bie 
einzigen Erjeugniffe feiner Äunfifertigfeit. Er befitjt 
Sogen, 5ßfeit unb Söurffeute ($irri). Erftere finb feine 
nationalen Skiffen, bie er bon alten ©übafrifanern ant 
gefcf)icEtcften ^erpftetten unb <ju Bernden toeifj. S)er Sogen, 
1,5 Sieter lang, ift tjötjer als bet Staun felbft unb bc= 
ftct)t au§ einem ntäfjig gebogenen, in ber Stitte berbicften 
Barten .fpolaftabe, mit einer ftro^atmbidfen ©ebne, bie auS 
Ubierfebnen äufammengebreht ift. 2)ie 5ßfeile finb bon ber= 
fdjiebenfter fform, unb ihre ©pifee befteht au§ Änochen, 
Eifen ober ©taä. Sm Stünchener Slufeum befinbet fidj 
ein Sufchmannäpfeil, beffen ©pifje au§ ©taäplättcheu be= 
ftcbt. Sefonberä gefährlich toerben biefe Pfeile baburcfj, 
bafj fee mciftenS Vergiftet finb. 

55a§ ©ift ber Sufdjmannäpfeite ift fefjr ftart. Eä 
tobtet felbft größere SE^iere nach Wenigen ©tunben. Ueber 
bie Sereitung be§ ©ifteä toeifj man nicht ©icijercä an^u» 
geben; hoch fott ber fpauptbeftanbtheit nach Uebereinftint* 
ntung ber meiften Serichterftatter (Schlangengift fein. SDiefcä 
toirb mit bem ©afte einer 3toiebel, ber ©iftamarpttiS, in 
beftimmter Söeife angemacht. 2)afj aber bie ©iftamarpttiä 
ungefährlich ift, geht barau§ hetbor, bafj bie Sufdjmänner 
mit bemfelbett ©afte itjre ©efchirre ^ufammentitten. Sur 
gegen Saubthierc bebienen fie ftch ber ©iftpfeile, fetten 
gegen Slenfchen; e§ fei benn au§ Sothtoehr ober um in 
ben Sefitj ihrer beerben jju gelangen. 

2>er Sufchmann ift ein Sleifter in ber -fmnbhabung 
beS Sogenä ; auf 60 bi§ 80 ©chritt Entfernung trifft er 
ganj ficher, toaB für einen Säger bon folcher gein^eit be§ 



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üloit s tt. ^eterfen. 



203 



©eljörS unb fotdjjer ©eräufcfjfofigfeit ber 33etoegungeu bott= 
ftanbig genügt. Sü* feine Pfeile I)at er einen Äödjer aus 
ber SRtnbe ber Aloe perfoliata («ttoferbaunt ber 33oereit), 
mit einem ©oben unb SDecfeX auS Seber, auch toohf gan 3 
mit Seber überzogen, ©in fotd^er Köcher fafjt gegen 
30 Pfeile, einen WinJet jutn Aufträgen bcS ©iftcS unb 
bie ^euertjötaer. 

Eigentliche 2öol)nungen befitjt ber SSufcfpuanit bei feinem 
unftüten SBanberleben nicht; ja er hat feiten ein .Seit, 
toie bie anberen Söanberft&ntme. Er begnügt fiel) mit 
Selfenfpalten unb Höhlen, ober mit einem überhängeubeu 
©teine, ber ihm notljbürftig ©djuh gegen bie Unbilben 
ber SBitterung bietet. 33iSmeilen bilbet er fiih auch tooht 
einen Jffiinbfdjirm, inbem er einige Stocige jufammenbiegt 
unb mit anberen Stoeigeu unb 9JiooS berffechtct, um bar= 
unter fich ein Säger Don 9JtooS unb Saub aufpfchütteu. 
9tur in gan^ fettenen Salten, menn er ein recht ergiebiges 
Sagbgebiet antrifft, berfteigt er fidf; 3 um £)üttenbau, inbem 
er einige pfähle in bie Erbe treibt unb biefc mit .8tueigcu 
unb Setten befleibct. Sn fofehen Satten flechten auch bie 
Söeiber rohe hatten aufammen. 9tur in ben felfigcit 
©egenben ber Soerenfreiftaaten fotl er fiel) eine 9trt Ärat 
bauen, inbem er bie Jütten mit einem 9iing aus locfer 
aufeinanber gelegten ©teinen unb mit Sanggruben unt= 
gibt. Sarroto bcfcfjreibt einen folchen $rat als auS ärm= 
liehen ©trohhütten beftefjenb. 

©elbftöerftänblich fann boit $auSgeräth faum bie Siebe 
fein, beim toaS .ber 33ufdf)mann nicht mit fich führen fann, 
baS fann er auch nicht gebrauchen, ©elbft ^auSthiere, 



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204 



$ic Öufdjmftnner. 



fo oft er fic auch raubt, fdjeiueit iljiii eine üiaft, bcSpalb 
. tobtet er fie unb begehrt fie fo fdjnetl als ntöglid). Um 
feine fDtatjlaeit 511 bereiten, braudjt er nur fjeuer, iucldjcS 
er, toie attbere fftaturbölfer, burd) Slneinanberreiben eines 
garten unb eines tueidjen StüdeS -£jola erzeugt. (Sr bc= 
reitet fein Steift, inbem er bie einzelnen Streifen in’S 
(Jener toirft, um fie gar ju matten, ©ana roh geniest er 
nur ^ufeften, befonberS Säufe, unb bie fetjr beliebten (Sicr 
ber tocifeen 2lmcife. Sludj (Sibedjfen, Schlangen, fjröfdjc, 
Söürnter, 9iaupett unb Farben begehrt er mit SSebagcn. 
.$onig ift feine SieblingSfpeife. 2)aS Sßflanacnreich liefert 
tl)m Stuiebcln unb Söuraeln; trop i^rer 33ittcr!eit geniest 
er aud) bie loilbe SBaffermclonc, beren Saft i$m oft baS 
einzige SJtittcl aunt Söffen feines SJurfteS bietet. (Sr ift 
ein leibeufdjaftlicher fRaudjcr unb baljer für £abal leicht 
311 ÜDicnftlciftungen Ijerbeiauaiehen. 

Äenntniffe bon ber fftatur bat ber SBufdjmatm in cr= 
ftaunlicber fjütte, fo bafj man ftdj tounbern mufj, bafs 
er biefe nicht beffer bertoerthet. Slucfj eine merftoürbige 
WadjabmungSgabe befipt er. Vermöge feiner au eine 
biegfamc, h ö <hft formenreidjc Sprache getoöbntcu 3unge 
bertnag er bie Sogcllaute, fotoie auch bie bcrfdjiebeneu 
Stimmen ber 23ierfüf$lcr auf's Üaufdjenbfte toieberau* 
geben, toobureb ihm bie $agb mit feinen primitiben Söaffett 
bebeuteub erleichtert toirb, ba bicfcS Talent ihm au §ilfc 
fommt beim 33efd)lei<hen ber SLbterc. 9Jterftoürbig ift in 
biefer 58eaiebung bie Straupenjagb, bie er bermittelft 
eines fattelartigen, mit Straufjenfcbern befe^ten 5PotfterS, 
baS er auf ben Schultern trägt, unb tooran fich born ber 



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SSon % ^eterfen. 



205 



auägeftopfte $opf uttb ber <f?al§ eine§ ©traujjeä befinbet, 
auäübt. 9ftit ben SBaffen in ber linten £>onb ficf) unter 
folget 9Jtaäfe anfchleichenb, tueifs er ben Strauß in einer 
SBeife p tiiufdbeu, bafj er leidet auf ©dbujjmeite an ihn 
heranaufommen berntag. ©eine 9tacbabmung§fertigfeit er= 
ftrecft ficb fogar auf eine leibliche ftacbbitbung bon 
9)tenfd§en unb Spieren. finb biefelben burdj ben 

^infel mit ben hier färben 2 öei|, ©djtüar,}, 9toth unb 
£<fer auf Reifen ^ergefteltt, ttjeit§ finb fie eine 9lrt 33ilb= 
hauerarbeit, mit einem (Stift in toeidjem ©anbftein au§= 
gefragt, ober gar in t>arte§ ©eftein eingemeifjelt. ^3ferbe 
foßen häufig in ihren 3 eithnungen t, 0 r f 0 mmen, aufjerbent 
ber ©traufj, berfchiebene Sintitoben, Ouagga§, Fabiane 
unb Siinber. 

23om Familienleben be§ 23ufdjmanne§ toeif} man fet)r 
toenig. Wer mannbare Suicbmann fudjt fich ein Söeib, 
rnobei berföntietje Zuneigung mafjgebenb ^u fein fcheint. 
SDie Söerbung gefc^iefjt burdj Sßertoanbte beö FüngtingS, 
bie feine ©efehenfe mitbringen. Wie Annahme ber ©efdjenfe 
gilt al§ 3 ufoge. ©in ©djntauä unb ©efdjente ber 9tn= 
gehörigen unb F*eunbe befiegett ben SSunb. SMtoeiberei 
ift geftattet. Stur bie uädjften 33attbe ber 33tut§bermanbt= 
fdjaft biXben ein $inbernifi ber ©h e - Söeiber nehmen 
eine fehr niebrige Stellung ein, fie ftehen auf ber ©tufe 
ber Wienerinnen unb beS 8 afttt>iere§. Stuf ber SOßanbermtg 
miiffen fie neben ihren Äinbern einen großen Wh e ^ ber 
S3orräthe tragen, bamit ber SJtann unbehinbert feine Söaffen 
führen !ann ; fte hoben für Feuer, Nahrung, Söaffer, fttr^ 
für Mittel 31 t forgen. Sßirb ein Söeib auf ber SBauberuug 



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206 



Sie Sufc&männer. 



franf unb fdjmacfj, fo toirb e§ oljne 2 ßeitere§ 3 urüdgetaffen 
unb neben ifjm eine (Schale mit äöaffer, einige Söui^eln 
unb ettua§ f^Ieifd^ geftettt. Ctjne Reinigung, äöartung 
unb pflege toadjfen bie JKnber tjeran, bie lange gefäugt, 
babei aber fctjon in ben erften Sagen audj mit Mügeln, 
Sfteifdj unb anberen feften 9tatjrung§ftoffen gefüttert toerben. 
$aum !ann ber Änabe laufen, fo foirb er Pon bem Später 
in bie ©eljeimniffe be§ ©dtjiefjenä, ber Sßitbfpuren unb be§ 
Honigfucf)en§ eingetoeiljt. Sie Mutterliebe fott redjt grofj 
fein, unb Sf). Halm eraäfjU babon merftoürbige SBeifpiele, 
toie bie Mutter mit Sobeäberadfjtung itjr $inb 3 U fdjitfcen 
toeifj. 

Sie Sufdfjmänner tjaben too^l religiöfe S3orfteKungen, 
aber feine eigenttidfje bogmatifdf;e Religion. Sille ofjne 
SluSnatjme tragen Slmutette, um böfe ©eifter abjutoeljren 
ober ba§ ©tüd fidj untermürfig 3 U macfjeu. Um ben 
SBitten ber ©eifter 31 t erfahren, toürfeln fie. ©in 33ufdj= 
mann, ber ßibingftone begleitete, toarf feine Söürfet unb 
erflärte, ber ©eift gebiete iljnt, um 3 ufet)ren. 3n ben Senf= 
malern fjerborragenber Sobten laffen fidfj getoiffe ©puren 
bon bem ©tauben an eine ftortbauer nad) bem Sobe er= 
btiden. Man mirft auf bie ©räber ber Häuptlinge, fo 
lange itjr Slnbenfen toätjrt, ©teine, bie 3 U ©rabljügeln 
antoadjfen, unter metdjen bann fpätere ©efdjtedjter böfe 
©eifter Permutljen, bie ifjnen ben Hals umbreljen, toenn 
fie nicfyt ebenfalls ©teine ba 3 u toerfen. Sie Sufdjmänner 
ber Statuliberge Ijabcn ein ©pridtjmort: „Ser Sob ift nur 
ein Sdjtaf." Sind) bie 2?cgräbnifcmeifc beulet auf einen 
©tauben an eine 5orteriften3 nad) bem Sobe t)in. Sie 



2km ißeterfen. 



207 



ganje Familie bertäfjt bcn Crt, an bem Semanb geftorben 
ift, nai^bem fie feine <£)ütte -jerftört tjat. 25er £obte mirb 
am Raupte gcfalbt, bann einer 9täudjerung unterworfen 
nnb in ein gegrabenes ©rab gelegt. 2 )ie lobten toerbcn 
nadj Gampbell mit nadj ber Sonne getoanbtem ©efidjt 
begraben. SDie ©egenftänbe bei tägtidjen ©ebraudjS werben 
iljnen mit in’S ©rab gelegt, fo bem Spanne befonberS 
feine SCÖaffen. 

2ludj geWiffe mptljifdje 33orftettungen fommen bei beit 
23ufdjmännem bor. ihin afrifanifdjeS 23olE tjat einen 
reicheren Sdjafj bon 21jiermptljen. GbenfattS fdjeineit Sonne 
unb TOonb eine ijerborragenbe Stellung einaunetjmcn unb 
3 toar finb fie ©egenftänbe ber retigiöfen 33ereljrung. 23teeE 
zweifelt gar nid^t baran, bafj bie SBufdjmänner jur $er= 
eljrung ber |>immelStörper fortgefdjritten feien. $on ber 
Sonne erjäljlen fie, bafj fte als 9Jtann auf ber Grbe lebte 
unb Sidjt au§ ber 2ldjfelf)öljle auSftrat)lte, baS aber nur 
einem Heincn 9iaum um bie |>ütte ju ©ute !am ; beSljalb 
fanbten bie SBufdjmänner einige Äinber auS, um fie in 
ben |>immel 3 U werfen, Wo fie feitbem 9lEen fdjeint. 25er 
ERonb tritt ebenfalls in itjren Sagen als ein jJJiann auf, 
bon bem bie Sonne in i^rem 30 m mit bem 9)teffer 
(ifren Strahlen) Stüde abfdjneibet, bis er bittet, fie möge 
nod) ein Wenig für iljre $inber übrig taffen. 25iefeS Stüd 
wädjSt bann wieber, bis eS SßoEmonb Wirb. 9Jtit bem 
9Jtonbe wirb ber llrfprung beS 2wbeS in 2$erbinbung ge= 
brad;t. ?ludj $enntniffe bon ben Sternen fjabcn fte. 25aS 
Sternbitb Äaftor unb jpoltuj nennen fie bie Glenfüpe, 
^tageUan’S SBolfe nennen fie ben Steinbod. 



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208 



ÜRittelalterlicfie $?rieg§liften. 



9tadf) ollen biefen 9lnfüljrungen toirb man 3 U ber lieber* 
3 eugung gebrängt, bafj bie SBufdjmänner, obtool)l auf ber 
niebrigften $ulturftufe fteljenb, bodj ein feljr intereffanteä 
tßotf finb. finben fidfj bei iljnen religiöfe 33orfteltnngen, 
fo 3 iate ©tieberungen, Äunfttriebe, Jura alte bie Anfänge 
jener Kultur, auf beren 2 lu§bilbung mit felbft fo ftolj finb 
unb bie in ifjren urfprünglidfjften formen toieber au finben 
unä fo lebhaft intereffirt, bafj ber 33ufdjmamt nocfj lange 
eine§ ber fjerborragenbften 33cobad§tung§obje!te für ben 
ftorfdfjcr fein toirb. 



ÜtiHelaltfrlidje & riegsli|ltn. 

jßnltnrgefitjidjtUrije S>kine 

UOR 

tö. jHcfjlmamt. 



(Sladjbrutf Verboten.) 

5 djon bie berühmten ftelbljerren be§ 2 lttertljum 8 ljul* 
bigten bem ©runbfafc, bafj man aur fiift greifen müffe, 
toenn man mit ©etoalt nidjt burdjlomme, unb fo ifl eS 
bi§ Ijeute geblieben. 2)ie $unft be§ Strategen befielt öor 
SIKem barin, bie 3 )i§pofitionen be§ ©egnerS ju erlernten 
unb 3 U burdjfdjauen unb üjn über bie eigenen nad§ *Dtög= 
lidjfeit 31 t täufetjen. 3 m 3 Rittelalter toar biefe „Jhieg3= 
funft" iu SDeutfdjlanb toeiter üorgefdtjritten, al3 in aßen 
anberen Äulturlänbern, beutfdje ©ölbuer fdjlugen fidt) im 






93ou iß. ^iebtmamt. 



209 



SDienfte frember dürften auf allen ©chladhtfelbern, beutfdje 
«Heerführer fommanbirten faft überall frembe Heere unb 
berfchafften ihnen ben ©ieg, fein SGßunber alfo, toenn gerabe 
in jener 3*it, in toetcfjer auch Teutfchlanb felBft beftänbige 
innere Kriege führte, bie ÄriegSliften eine grofje Nolle 
fpielten. 

E3 gibt eine Literatur au3 bem 16. unb 17. 3fahr= 
fjunbert, tüeld^e un§ gar getreulich über biefe «ffriegäliften 
berietet, unb au§ biefer Siteratur toolten toir ben Sefern 
intereffante Ntittheilungen machen, au3 benen biefelben 
erfehen bürften, bafe befonberä ztoei ©achen in ber mittel= 
alterlichen Ärieg§funft feljr au§gebilbet toaren: bie Qfelb= 
telegraphie unb ba§ Nachrichten» unb ©pionentoefen. 

Natürlich Ijnnbelt e3 fidi) ^ier nicht um eine Selb» 
telegraphie in unferem ©inne, fonbern um ein optif<he3 
©ignalmefen, toetdheä fo feljr auSgebitbet erfcheint, bafj 
man billig erftaunen mufj, toie man in jener 3ät ntdht 
fdhon auf eine optifche Telegraphie auch für SriebenSztoecfe 
gefommen ift, toeldhe toir in Europa erft bei beginn beä 
19. 3ahthunbert3 eingefü'hrt feljen. 

SSor mir liegt ein Sud): „Ntagifcher Traftat", bon 
einem SBerfaffer, toeldjer fich ba3 5pfeubonpm 3an. Hercul. 
ba ©unte beilegt, unb barin erhält man erfchöpfenbe 9lu3« 
funft, toie über bie $öpfe bon gruben hintoeg auf toeite 
Entfernung 3ct(^en gegeben toerben lönnen. 25er 33et* 
faffer nimmt immer an, e3 hnnble fich barum, in eine 
belagerte ©tabt hinein Nachrichten gelangen zu laffen, unb 
bezeichnet ben Niamt, ber in ber belagerten ©tabt bie 
Nachrichten empfängt, mit bem Namen Ntar3, ben Ntann 

SBibliottjd. 3afyrg, 1889. Sb. X. 14 



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210 



SHittelalterlidje Ätrieggliften. 



aufjerBalB ber ©tabt mit bem tarnen fDtercuriug. 9tatiir= 
lic^ ntiiffen bie Beiben Äorrefponbenten , int EinberneBmen 
mit einanbet fein unb 33eraBrebungen getroffen Baben, Bei 
großen Entfernungen ift aucB bie Stnmenbung bon ftern* 
rosten notBtoenbig. 

3fntereffant ift bag 3eicBengeBen mit ber „©cBeiBe", 
Bei toeldjem eg ficf) um 33ifiren Banbelt. 3luf einem 
^Burme in ber Belagerten ©tabt fteHt 2Jtarg magerecBt 
eine BalBrunbe ©cBeiBe auf, beten Ütunbung nacB aufjer* 
BalB geBt, unb fcBlägt in ber fUtitte beg 2)urdBmefferg 
einen ©tift ein. 2tufjerBatB ber Qfeftung unb jenfeitg beg 
feinblicBen ßagerg fteEt fütercuriug ad^t ©teine in toeiten 
StoifcBenräumen auf, ober fd^Iägt adjt grofje *ßfäBle ein. 
StatürlicB mufj er bieg fo tBun, bafj ber Qfeinb nicBtg 
babon merlt. 2>iefe acBt ©teine ober ^fäBle BleiBen un= 
berriicft fteBen, unb 33targ bifirt bon feinem ©tift auf 
ber ©cBeiBe nacB iebem ber ^UterfyeicBen unb jieBt auf 
ber ©cBeiBe mit |)ilfe eineg ßinealg in ber S3ifirridBtung 
febeg föterfaeicBeng eine gerabe Sinie. Eg entfteBen bem* 
nacB adjt fäcBerförmig bon einanber auggeBenbe ßinien, 
toeldBe bon ltn!g na<B xed^tg gejäBlt folgenbe 33udBftaBen 
Bebeuten: 1) b unb c, 2 ) d unb g, 3) h unb k, 4) a 
unb e, 5) i unb o, 6 ) u unb 1, 7) m unb n, 8 ) r unb s. 

2 Jtercuriug, ber ©ignalifirenbe, nimmt nun einen auf* 
faEenben ©egenftanb in bie |>aub, 3 . 33. einen meinen 
©taB, ber oBen eine fcBtoarje ©cBeiBe trägt, unb beutet 
bamit auf bie einzelnen ©teine unb SßfäBle, inbent er bon 
einem jum anberen geBt. 9Jtarg bifirt mit bem ßineal 
nacB Bern ^Dtcrf^eicBen. 



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33on 2S. ^He&lnmnn. 



211 



(Sr Brauet infolge beffeit nidijt jebeemtal auöauaäljlen, 
baä miebielte 5Jterfaeicf)en, bon ItnfS ober red^tö ^er ge= 
rechnet, Berührt ift, toaä a u feljr oiel 3frtl)ümetn Slnlafj 
geBen mürbe, fonbern fteljt fofort auf bet SdjeiBe, toetd^c 
£iitie born ßineal BebedCt ift, unb famt bie bort auf* 
gejeidjneten 33udjftaBcn aBlefen unb pajjt auf, oB 2Jter= 
curiuä baä SJlerf^eid^eu einmal ober «jtoeimal Berührt, 
benn einmalige Serüljrung Beaeidjnet ben erften, amei* 
malige ben atoeiten SBudjftaBen ber Betreffenben 33ifirlinie. 
9luf biefe 2Beife laffen fiel) aiemtidj fd^nett Söorte Budfj* 
ftaBiren unb 2Jtercuriu§ pat nur nötljig, jebegmal in bem 
löerüljren ber 5Jterfaeidfjen eine längere Sßaufe au machen/ 
menn er anbeuten miH, bafj ein SBort au (Snbe Budij* 
ftaBirt ift. 

33ei 9tadfjt ift biefeä optifeije Xelegrapf)iren nadj 9ln= 
gaBe beä „9ttagifdfjen Xraftat" nodj Oiel leidster, maljr* 
fc^einlid^ fonnte man audj auf Weitere (Entfernungen 
fignalifiren. Söir geben ljier mörttidf) eine§ ber Signal* 
ftyfteme für bie 9tad§t: 

„9Jtercuriu§ mufj ftd^ gefaffet madfjen, mit einem hier* 
ecfidtjten ober runben Mafien ober aut nopt mit einer 
gönnen ober §afj, ba§ bomen ein S3rett borljaBe, meldjeS 
baä gajj nett (bollftänbig) Bebecfe, ba8 man gefdjminbt 
auff unb au tljun !ann. 3um aubern ntufi man beä 
Qfaffeä ober gönnen Spunt mit Bledj Befcfjtagen. gum 
brüten mufj man aum Spunt hinein einen etjfenpadfen 
IjencEen Bifj ungefetyr in bie EJtitte ber Xljonnen, unb toeil 
ba8 Qrafj ober Xfyonnen fornen offen, fann man aum 
bierbten an ben Ijadfen etliche SBedjlränp pängen. ferner 



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212 2)tittela(terlict)e &rieg3liften. 

müffen ftcb Seibe, 9Jtarg unb 2Jtercuriug, mit fiatbernlein 
berfeben, bic ^alB bermacbt, bafj einem jeben feine fiatbern 
allein nu|e, unb ber anbei ganfj feinen fd^ein babon febe. 
Söann nun foldljeg atleg orbentXic^ berridjtet, nehmen 
beljbeg, fUlarg unb 2Jtercuriug, für fid^ folgenbeg Säflein, 
bag fte pbor mit einanber erweblet: 



1 . 


2. 


3. 


4. 


5. 


6. 


7. 


8. 


a. 


e. 


i. 


0 . 


u. 


d. 


h. 


m. 


9. 


10. 


11. 


12. 


13. 


14. 


15. 


16. 


n. 


g- 


k. 


1. 


r. 


b. 


s. 


c. 



9lacb biefem jünbet 9Jlercuriug bie aSedjfränfc an, macbet 
bag Sljürlem am gab (bag S3rett bor ber Ceffnung ift ge= 
meint) p unb toann er bem Üttarti folgenbe toort wollte 
3 U berfte^en geben: 

borgen toirb ein einfatt gefcbeben umb Pen utjr 

bormittag 

fo t^ut 2Jtercuriug fürg m bag Sl^ürlein achtmal auff, 
weil über bem m bie 8 fteljt, fo fahren achtmal grobe 
flammen raub, toelcbe 2Jtarg feben unb jeblen, auch 
baraub ben Sud^ftaben m erlernen fann. 3um anbern 
beit fütercuriug ein Wenig ftill, bamit 2Jtarg febe, wann 
ein budjftab angebeutet fet). Bum britten für bag o Hpt 
9Jtercuriug bag £bflrlein am biermal auf, für bag r 
brei^ebitmal, fürg g jebnmal unb fo fortbin, bib er alle 
bucbftaben bem ÜJlarti p berftebcn geben, unb 2ttarg feine 
meinung ritbtig bernontmen." 

Sine noch praftifcbere 2lrt war aber Wobl bag ©igna= 
lifircit mit gadfeln, weldfjeg man auch baau berwenben 



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93on 2B. ißieljfmann. 



213 



tonnte, um aus her Belagerten ©tabt 91adjridjten nadj 
aufjerljalb ju geben. 

5Jtan fann l)ier mit berfdjiebenen ©pfiemen nadj ge* 
fdjeljener 33erabrebung , unb jmar mit 10, 8, 5, 4, 3, 2 
ober einer Sattel ftgnalifiren. 5)iefe 2lrt beä ©ignali* 
firen§ ift nebenbei Bemerlt uralt unb fdjon bie Eroberung 
£roja’3 (1184 b. 61)r. ©cb.) foll burdj ^acEelfignale bon 
ber fliifte Äleinaftenä nad) ©riedjenlanb hinüber gemelbet 
toorben fein. 9tel)men mir ba§ ©pftem mit 10 fyadelti, 
fo miiffen jmei ©ignaliften auf berfdjiebene Stürme etmaS 
bon einanber entfernt aufgeftettt merben, im SBefifj ber 
^Belagerten aber unb beä üöertrauten braunen, meldjer bic 
9iadjridjt au§ ber Qreftung empfangen foE, miiffen fidj 
folgenbe iibereinftimmenbe 5£afeld)en befinben: 





1 


2 


3 


4 


5 


1 


a 


f 


1 


q 


w 


2 


b 


g 


m 


r 


X 


3 


c 


h 


n 


s 


y 


4 


d 


• 

l 


0 


t 


7 


5 


e 


k 


P 


u 





„Söann nun 9Jtar§ bem 5Rercuriu3 molte au entbieben : 
<$ä ift Stieb, 

Ijelt 9Jtarg eine Sadel, bafj fie Eftercuriuä feljen fönne, 
meit e auf ber erften jeil nacfj ber obern jaljt fielet, 



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214 



9RittetaltfrIicf)e .ftriegSHften. 



feinen ©efeHen (b. h- auf bem Racf)baithurm) aber läffet 
er filnff Sradeln auffreden, toeil baS e auf bet fünfften 
unb unterften jeit flehet. 28ann nun SttercuriuS erfitidj 
eine Sfadel erftehet, merdet er, bafj 2JtarS einen aufj ben 
fünff 33udhftaben a b c d e metjne, unb toeil befj fötartiS 
©efeCC fünff Sfadeln auffgeredet, fpüret er, bafj baS e ge= 
meinet fep. $üt 8 s 3 et?gct 9JtarS bier Radeln, fein ©efell 
aber nur bret). ftfirS i aetjget er 3*00 Radeln, fein ©efell 
aber bier unb alfo forthin bijj p enbe." 

2 öir übergeben bie mannigfaltigen anberen Strten, um 
mittelft Sintern auS beftimmten ©dhiefjf (harten einer 
Heftung ober mit ßaternen ju ftgnaliftren, unb ermähnen 
nur noch ber afuftifdfjen SEelegraphie, bie Uebermittelung' 
bon Nachrichten burch baS ©eljör traf} toeiter (Sntfernungen. 
hierher gehörte baS Nnfdhtagen bon ©loden in beftimmten 
Raufen unb nach berabrebeter Reihenfolge, bann bie Ntit= 
theilungen burch .jpammerfchläge auf ben Nrnbofj. Solche 
hört man fehr toeit, unb toenn man ein Sllphabet ber- 
abrebet h 0 *r fattn man burdj ©ruppen bon Jammer- 
fdfjlägen fehr bequem Nachrichten 3 . 35. auS einer be= 
lagerten Heftung IjinauSbuchftabiren. 

©ana befonberen ©dharffinn aber bertoenbete man im 
Ntittelatter barauf, geheime SSotfdjaften auf noch anberem 
als bem telegraphifchen Söege burch baS ©efidht ober 
©ehör 3 U übermitteln. 3 fr ber fdhlimmen ^ehbeaeit jener 
Sfrhrhunberte toa* & bon grofjer 3ßi<htigfeit, einanber 
heimlidh 3ßarnungen, Ntittheilungen, |>ilfSberfprechungen 
augehen 3 U laffen, fo bafj bod) fein Nnberer als ber rich- 
tige Empfänger babon Nachricht erhielt. Sa man burfte 



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33on 2 B. ^Hc^lmann. 



215 



fogar bem 33oten, bcrt man fenbete, nicht trauen, fetbft 
memt gar nic^t anauneljmen mar, bafj er in bie -fjjänbe 
beS ^einbeä fallen mürbe. (B gab ba^er öerfdfjiebene 
Slrten, um 9tadf)ridbten burcf) 33oten au beförbern, oljne 
bafj fiefjtere etmaä bon ber heimlichen 9tadjricf)t mußten, 
bie fie bei ficfi Ratten. 

9Jtan nahm 3 . 35. bom ©cfjmert be§ IBoten, ohne fein 
SCÖiffen, bie untere Swinge ber ©treibe, ba§ fogenannte 
„£>rt§banb" ab, ftetfte bort einen Bettel bon fefjT bünnem, 
fogenanntem „Bungfernpergament" hinein unb befeftigte 
bie Bringe mieber. Üiatürtidf) rnujjte derjenige, 3 U bem 
ber 33ote ging, borljer burcb Sßerabrebung erfahren haben, 
mo bie heimliche Nachricht au fhtben fei. SDie ©chmerter 
Ratten ^bljerne ©Reiben, bie mit fieber überzogen maren. 
3Jtan fcfjrieb baljer auf ba§ ^> 0 X 3 ber neuen ©djeibe, bebor 
fte noch mit fieber überzogen mar, bebedfte bann bie 
©d^rift mit bem fieber unb fdfjentte bem 33oten ba§ 
©djmert aum ©ebtaudh unb aur 35ertljeibigung auf ber 
Steife. ^Derjenige, 3 U bem ber 35ote fam, fanb bann fcfjon 
Gelegenheit, ba§ ©chmert 3 U bertaufdfjen ober fleh auf 
anbere SQÖeife feiner au bemächtigen. SDie 33oten, melc§e 
meift „reifige Änecbte" maren, trugen aufjer ben ©dhmertern 
auch nodh ©piefce ober $ettebarben. fiebere Söaffen pflegen 
inSbefonbere an ber ©teile, mo bie ©pi|e auf bem ©dhaft 
befeftigt ift, mit fieberriemen ummunben au fein. $)iefe 
fieberriemen nahm man beimtief) ab, fdjrieb bie 9tadfjtid(jt 
auf bie Bnnenfeite ber Sfiiemen unb befeftigte bann biefe 
mieber an ber Söaffe. 2 Iudh unter ben SEBappcnjtegeln 
mürben geheime 35otfd£jaften berborgen, ohne bafj e 8 ber 



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216 



2ftittelalterlidje Äriegsliften. 



33ote tourte, dürften, Herren, ©täbte unb ßlöfter füfjrten 
grofje SBappenfiegel, toeldje in ©iegeltoadjä abgebrüdft an 
Urfunben angepngt ober bireft auf bie 5|3ergamentbriefe 
gefegt tourben. 2 )tan fdjrieb beSljalb einen fjarmlofen 
33rief, bon beffen 3frri)att ber 33ote, ebenfo toie iebe anbere 
$Perfon, Äenntnifj nehmen fonnte, 3 . 33. eine (Sinlabung 
3 U irgenb einem Sfefte. Stuf ein ©tücf Sfungfernpergament 
aber tourbe mit Keinen 33ucf)ftaben bie geheime 9iacf)ridjt 
getrieben, bann ber Zettel jufammengefattet unb mit 
©eife beftricfjen, auf eine beftimmte ©teile beS 33riefe3 
gelegt unb bann ©iegettoad^ö auf il)n geträufelt, worauf 
in festerem baS ©iegel abgebrüdft werben fonnte. S)a 8 
33cftreidE)en mit ©eife berf)inberte, bafj ba§ ©iegeltoa<f)3 
an bem .Bettel Heben blieb. 

(Sine anbere originelle 2lrt, geheime Siad^ridfit fortp* 
bringen, flirrt ber 33erfaffer toie folgt an: 

„5Jtan fann audj in einem Celglafj einem Verborgen 
ettoaä aufdjidfen, alfo: 9Umb ein ©<f)toein» ober halber* 
blafen in ber gröffe eines @Iafj, ba§ bu fjaben magft, fo 
oben ein eng locf), blafj bie blafen auff fo ftarf bu fannft, 
binbS oben au, bafj fein lufft Ijeraufj fann, lajj trodfnen 
unb fdfjreib barauff toaä bu teilt mit einer hinten, fo mit 
fieimtoaffer gemalt, lafj alfo trodfnen. 9lacf) biefent binbe 
bie blafen oben auff, ba3 ber lufft Ijeraufj fomme unb 
bu bie blafen bei bem unteren tljeit fönneft alfo in ba§ 
©lafj fliehen, bafj nur ber blafen lodfj über beS ©tafeö 
lodf) Ijeraufj fürgefje. 33tafj alfo bie blafen toieber auff, 
geufj Cet barein unb berfiopff baS lodfj mit 2 öact )8 ober 
einer anbern SJtateri, baß nichts Ijeraufj Iauffe, unb binb 



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9$on 2S. $ie^Imatin. 



217 



ba§ ©tafj atfo 3 U, fo toirb man bon aujjen feine ©djrifft 
fpüren unb nur ein blofeä Cef gefetjen toerben. Süann 
nun einem foldjeg überantwortet toirb, fo ttjut er ba§ 
©lafj atfo auff, ba js itjme bie btafen nidtjt gar in ba§ 
©tafj hinein fdjluffe, geufet ba§ £)et au§ unb bläfet bie 
btafen toieber auff, fo fanit er tefen, toa3 barauff ge= 
fcfjrieben ftetjet." 

Studj ba§ 9iactjricf}tengeben burdf) ©pieget toar fctjon 
im 9JUttetatter befannt. 9Jterftoürbiger Söeife t)at man 
in ben europäifdljen feeren, befonber§ in ben Äotoniat* 
feeren Engtanbä unb f^ranfreidjS, in ben testen Sauren 
toieber eingetjenbe 23erfudf)e gemalt, um burcf) ©pieget 
(toobei man al§ Söermittelungäfpiegetung bie Söotfen p 
bertoenben fuctjte) ÜJtitt^eitungen auf grofje Entfernungen 
3 U geben unb $u empfangen. 9Jtan fd^eint aber biäfjer feine 
günftigen Erfolge gehabt ju fjaben. 

2)er S3erfaffer be§ „9Jtagifcfjen Sraftatä" behauptet 
bagegen, ein 9Jtönd) fjabe eine Äonftruftion bon brei 
©piegetn erfunben, mit toetdjer man bei 33ottmonb 5t tleS 
fe^en fönne, toa§ auf ber bom 3Jtonbe befctjienenen Erb* 
Ijatbfuget borgefje. 2Jtan fönne mit biefen ©piegeln ,,bep 
bem ^Jionbfdjein in $onftantinopel tefen, toa§ p Sunben 
in Engetanb getrieben". Er befd£)reibt audj genau bie 
Stufftettung unb Äonftruftion biefer ©pieget nad) ben 
Angaben be§ erfinberifdljen SJtöndjeS, fefd aber bann tjinp : 
„2>ie gröffefte fütüfje aber ift, bafj man ba§ ort ftnbe, 
batjin man ju feljen begeret, toie offt einer in 3 unb 
4 Sagen ba§ Ort nicfjt finben fönnen unb bietteicfjt fann 
man’§ gar nidjt finben." 



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218 



Ü)littetolterlic§e ftriegdliften. 



35a§ fiebere »oEen »ir bem guten SJtanne gerne glauben. 
<$ine8 ber intereffanteften SBotfchaftengeheimniffe beS 
SttittetalterS ift bie Uebermittelung toon Siachrichten burdj 
einen gaben. SBei 3ln»enbung biefe§ geheimen Stiftern^ 
ift eä noth»enbig, bafc bie beiben ßorrefponbenten jtoei 
gleichförmige iörettdjen befifjen, »eiche einige lang, 
fdjmal unb an ben ßangfeiten mit 24 (Jinferbungen in 
unregelmäßigen Slbftänben berfehen ftnb. Siebe ©inferbung 
bebeutet einen toerabrebeten, beftimmten SBudjftaben. 35er* 
jenige nun, ber eine Stachricht übermitteln toitt, nimmt 
einen langen, »eifen gaben unb legt baä @nbe an bie 
untere, linfe @cfe beS eingeferbten SBrettchenä. Sin biefer 
Stelle be§ gabenä, »o berfelbe bie @cfe berührt, macht 
er einen Änoten, bamit fein Äorrefbonbent ein Stterfaeidjen 
für ben Slnfang habe, 3eßt toicfett er ben Stoben fo um 
ba§ Frettchen Ijctum, baß berfelbe immer in biejenige 
©interbung fommt, beren SBuchftaben er beaeicßnen foltt, 
unb jebeämat erhalt ber gaben an ber Stelle, »o er bie 
ßinferbung berührt, mit Xinte einen fcßtoaraen Strich. 
Sluf biefe Sßeife »irb ba§ Frettchen toollfiänbig be»idelt, 
ober e£ fann berfelbe gaben noch einmal aufge»idelt unb 
bie betreffenben Striche mit rother Xinte gemalt »erben, 
ßrljätt ber Slbreffat biefen gaben, fo nimmt er fein 
SBrettdjen «}ur -fpanb, fteht nach, »o ber knoten am Sin* 
fang beä gabenS ift, unb »idelt ihn auf ba§ SBrettdjen 
auf, inbem er probirt, in »eiche (Sinferbungen (t>. h- in 
»etcbe SBuchftaben) bie mit Strichen toerfehenen Stellen 
beä gabenä paffen. Sluf biefe Söeife buchftabirt er fid) 
bie einzelnen SBörter ber Stadjricht jufammen. Sßer nicht 




33ou 2 B. SSietpmaim. 



219 



im SSepp beg lorrcfponbirenben SSrettcpeng ift, fann bon 
bem ffaben nid^tS ablefen. 

2 >amit aber ber S3eft^ eineg foldjen gabeng, toenn bet 
SSote in gfeinbegljanb pet, nidjt SSerbadjt ertoeden ober 
bem SSoten ©djaben unb ben Xob bringen tonnte, ^atte 
man ein fdjlaueg 93tittel etfonnen. ®g tourbe in bie 
©djale einer {leinen .fpafetnup ein feineg £odj gebohrt 
unb burdj biefeg ber $ern entfernt. 3)ann tourbe burcp 
baffelbe £ocl) ber f^aben in bag Ijolile innere ber |>afet= 
nup gebraut, bie Ceffnung mit einem {leinen 5)}pod ber= 
fd)toffen unb bie |)afelnup bann bem SSoten übergeben. 
$am biefer nun in ©efaljr, fo berfdtjludte er bie 9lup, 
{am er glüdlicf) an fein 3 «l, fo tonnte er biefelbe auf 
natürlichem SQßege toieber bon ficfj geben unb ber Schale 
ben Snben mit ber Sßacljtidjt entnehmen. 

2 Jtan {onnte inbep aud) mit bem fabelt tftadjridjteu 
geben, oljne bap bic 3 toei gleid&mäpig eingeterbten S3rett= 
cfjen borljanben toaren. 9ttan madjte bann an ben Slnfang 
beg Sabeng 3 toei ettoag bon einanber entfernte knoten, 
unb ber ©mpfänger trug nun ben gtoifdjenraum jtoifd^en 
ben beiben Änoten fünfunb^ttjan^igmal auf eine gerabe 
£inie auf, bie er 3 . SS. auf einen XifdEj ge 3 ogen Ijatte. 
6 g toaren bann bie fünfunb 3 toan 3 ig SSudtftaben beg Sllplja* 
betg beaeid^net, unb er map nun mit bem Oraben, ber 
natürlich toieber mit fd^toaraen ©trieben berfe^en toar, 
bie SSud^ftaben auf ber betreffenben Sinie ab. SÖBenn ein be* 
fonbereg Sllphabet berabrebet toar, toetdjeg eine anbere 9luf= 
einanberfolge ber SSudjftaben Ijattc, alg bag getoöljnlidje, fo 
toar natürlich aud) bag ©epeimnip in biefem ftalle gepdjert. 



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Ute jFriro im Ücrbrcdjeit. 

Ärtmtnaltfttfrtfe iBeiraiijtung 

Don 

31. ©shar ^laußmann. 

(Wadjbrud öerboien.) 

TNie SSebeutung ber fjrau für Staat unb ^amitie, iljre 
toidjtige Stellung im gefeEfdjafttidjen unb foaialen 
Seben ift eine fo b^öorragenbe, bafj man fidj untoiltffit* 
Xiä) fragen mufj, toelcfjen Stntbeit b a * benn bie grau auc§ 
an benjenigen ^anbtungen, bie eine Sdjübigung ber ©e= 
feUfdjaft in fidj fcfjtiefjen? äöeldjen Sintbert b fl t fie am 
Söerbredjen ? 

S)te SÖeanttoortung biefer ftrage ift eine fo ^odb>toic^tige, 
bafj man fief) fetjr toobl barüber tounbern mufj, bafj man 
biöT^er noch nicht baran gebaut bat, biefe 33eanttoortung 
in einer erfeböpfenben SBeife 31 t geben. freilich ift biefe 
33eanttoortung an unb für ftdj aujjerorbentticb fc^toer, 
meil fidj ber Stntfjeil, ben gerabe bie grauen an faft 
fümmtlicben <£janblungen be§ öffentlichen unb priüaten 
fiebeni nehmen, toeniger auf eine attiöe Sbeilnabme, al§ 
auf einen anfpornenben ober abtoetjrenben ©influfj beaiebt. 
2 fa, menn nur tbeoretifcb fcftgeftettt toerben fottte, toie 
biet na<b fiatifiifcben SDaten bie ffrau mehr ober toeniger 



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)OQ 




Von £>§lar Klaufjmann. 221 

Verbrechen Begeht, alä ber ÜJlantt , fo ift biefc Slntiaort 
leicht 3U geben, benn ber SDurdjfdjnitt aller ftatiftifd^en 
3a^len ergibt, bafj auf fünf männliche Verbrecher erft 
eine toeibtic^e S3erbred^erin lommt, b. t>. bie Anlage unb 
Veranlagung 3unt Verbrechen ift Beim Vßeibe um fünf= 
mal toeniger borhanben, al§ Beim Vtanne, ebenfo taie 
auch — toaä ^ier’ gleich ermähnt toerben mag — Bei ben 
grauen bie Neigung $um ©elbftmorb breimal geringer ift, 
als Beim 2Jtanne. (53 !ommt nämlich auf brei männliche 
6elBftmörber nur ein toeiblidjer. 

2)ie Kriminalität ber grauen berhält ft<h bemnach im 
Surdjfdjnitt 3U berjenigen ber Vtänner ettoa mie 5 jul; 
in ben öerfdjiebenen Sänbern ift fie fdjtoanfenb, unb e8 
lammen 3. 23. auf 100 männliche Verbrecher in ©rofj= 
Britannien 21 toeibliche, in S)änemar! unb 'ftortaegen 20, 
in $otlanb 19, in Velgien 18, in granfreidj 17, in 
Cefterreidj 17, in 3)eutfchlanb 15, in ben beutfdj*rufjtfcf)en 
Sänbern 14, im eigentlichen fRufjlanb 9. S)ie ©tatiftit 
le^rt un3 auch, bafj ebenfo toie Bei ben Männern, auch 
Bei ben grauen bie 3aljt ber Unbertjeiratheten unter ben 
Verbrechern Bebeutenb größer ift, al3 bie ber Verheirateten ; 
bie ifolirte Stellung ber grau mirlt alfo ftet§ fehr un= 
günftig auf biefelbe ein. 2)ie Statifti! ber hreufjifchen 
Kriminalgefängniffe gibt 3. V. in V*03enten an, bafj bie 
Kriminalität be3 2öeibe3 ergebe Beim berheiratljeten 13 
Bi3 14 $ro3ent, Beim unberheiratheten 16 5ßro3ent, Bei 
bem gefchiebenen 31 $ßt03ent. 

2öir erfehen fchon au§ biefer Statiftit, trenn tair un3 
bie gjtühc geben, au3 ihren trodfenen fahlen nur ettoaö 



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222 



T^ie ^ratt tut Verbrechen. 



IjerauSaulefen , baff aEerbingS für bie fjfrau eine getoiffe 
©efahr borfjcnben ift, eher bent 93erbrecijen au öerfallen, 
toenn fte allein in ber Söelt haftest, als toenn fte burdh 
baS |jera an getoiffe Sfntereffen gebunben ifl. SQßir er* 
feljen, bafj, too fein binbenbeS Sntereffe borhanben ift, bafj ba 
bie ©efahr beS 93erbrecf)enS eine bü|j^eXtc unb breifache toirb. 

2>iefeS pftjchologifche Vtotib ift für bie Veurttjeilung 
ber 2öeiber*Äriminalitüt aufjerorbentlidj toidfjtig. @S aeifit 
unS, toie baS 2Beib biel leidster bergifjt, toaS Qttyct, Pflicht 
unb ©efeij Reifet, toenn eS allein haftest, toenn eS fich 
unt Aiemanben au füntntern brautet, ber feinem <£>eraen 
nahe fteht. 

2roh attebem toäre baS ftatiftifdfje ©rgebnifc, toonath 
bie 9Seiber*Äriminalität fünfmal geringer ift als bie 
ber Vtänner, ein feljr günftigeS au nennen, toenn nicht 
getoiffe Dtücffithten bei ber Veurtfjeilung biefer 3uht c n in 
Vetradjt geaogen toerben müfjten. S5er größte Vtoral* 
ftatiftifer, ben toir in hu&en, ^rofeffor Ateranber 0. Det= 
tingen, äußert fich gerabe über biefeS ftatifiifche ©rgeb* 
itifj, toie folgt: „93ei ber ©ntfeheibung ber bietfach auf* 
getoorfenen Srage, ob bie geringere Vetheiligung ber 
Söeiber ein VetoeiS ihrer fittlich hörten ©nttoicfelung 
unb Feinheit ift, mufj auf 3tueierlei Aücfficht genommen 
toerben, toaS nicht für Bejahung berfelben fpricht. 3<h 
gehe hier nicht auf üfgcfjologifche Momente ein, toie bie, 
bajj baS Söeib oft ber inteHeftueße Sttiturljeber ber 93er* 
brechen beS VtanneS ift, ohne bie ühhfifdje Äraft ober bie 
äufjere ©etegenheit, ja man fönnte fagen, ben 9Jtuth aur 
Ausführung beffetben au hufon. $ch toifl mich h«r nur 



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2$ou 31. 03far jtlaufsmann. 



223 



auf ©tatiftifdjeS Berufen. (IrftenS erfdjeint baS SBeiB Bei 
mannen BefonberS grauenhaften Verbrechen relatib feljr 
ftar! Beteiligt, fo Beim Vertoanbtenmorb unb ber Ver= 
giftung, beä ÄinbeSntorbeS gar nicht j$u gebenlen. 9tid)t 
BToS bie relatibe Vetheiligung Bei ben Bramebitirten, nid^t 
mit p^fifc^er ©etoalt auSjuitBenben Verbrechen ber Voi= 
heit ift eine toeit größere, als nach ^ em allgemeinen 2)urch= 
fdjnitt ber SBeiBerBetheiligung , fonbern Bei ben Vergif= 
tungen hält ftdj bie Sah* ber Männer unb grauen faft 
bie 2öage, fo bafj bie VJahrfcheinlichleit, burdj einen Vtann 
ober burch eine $rau bergiftet au toerben, Beinahe gleich 
ift, toahtenb bie Vtohrfcheintichfeit, bon einem 2Jtann ober 
einer f^rau irgenb einen fdjtoeren Eingriff auf SeBen unb 
©efunbljeit, @hre unb ©igenthum au erteiben, fich toic 
6 : 1 Bertolt. 3DaS ift nicht BloS in Sßreufjen , fonbern 
nach ©uebrh genau eBenfo in ffranfreich ber Qdß. Sfn 
©nglanb ift bie berBrechetifdje Steigung beS toeiBlidjen 
©efchlechteS bon 3»ttgenb auf eine intenfibere, als irgenbtoo 
fonft. 2tm ftärlften unter ben aßgemeinen fchtourgeridjt* 
liehen Beaten bafelBft erfcheint bie 2h c ^ na hme ber SßeiBer 
an ben ftälfehungen, am fdjtoächften an ben ©igenthumS* 
berlehungen mit ©etoalt ober auS VoSheit. Unb Bei bem 
ftarlen ^roaentfaij ber ganj jugenblidjen Verbrecher in 
©nglanb toerben toir an baS toahre Söort Valentini’S er= 
innert: „2)aS toeibliche ©efchledjt ift bon üBertoiegenbem 
©influfj auf bie ©r^iehung ber Äinber. 2je unmoralifdher 
unb fittenlofer baS SöeiB, befto fchlechter toirb bie (£r* 
jiehung ber Äinber fein, befto leichter toerben jene bem 
Verbrechen anheimfaßen." 



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224 



$ie ^rau im Verbrechen. 



916er (Sngtanb gerabe meigt ung Ijin auf ben atoeiten 
fßunft ber für bie toeiblidje Kriminalität bon Söebeutung 
ift unb nicf)t gerabe als ein günftigeg ©ümptom erfdjeint. 
Sd) meine bie furchtbare 3 ä^igfeit ber Söetber im 33er= 
brechen. Sßä^renb fonft ber meibliche 9lntheil an ber 
Kriminalität in (Sngtanb gegen 21 fßroaent augmadht, 
fanben fidj unter ben Snbibibuen, bie angeltagt toaren 
unb fid§ bisher menigfteng bürgerlich eineg guten fftufeg 
erfreuten, nur 11,8 fßroaent unbefcfjottene Söeiber gegen* 
über 88,2 fßroaent Männern bon berfelben Kategorie. 
SDaljer auch unter ben fRüdfäßigen immer bag 33erhält= 
nifj ber 3Beiber ein ungünftigeg ift. dg betrug 3 . 35. 
ber 9tntl)eil ber Söeiber bei ben in ben breufjifdhen Krimi* 
nalgefängniffen erftmatig fJtetinirten nur 16 fßroaent, bei 
ben 3 um erften fötale fRüdfäßigen 17 fßroaent, 3 um atoeiten 
bi§ fünften fötale 18 big 19 fßroaent, aum felgten fötale 
24 fßroaent, aum fiebenlen fötale unb mehr gegen 30 fßro* 
3 ent aller föerurttjeitten Sa in ©achfen hat ftch ^eraug* 
gefteßt, bafj nicht btog bie 3ahl ber rüdfäßigen 33er* 
brecherinnen bon 1840 big 1859 aßiäljrlidj lonfiant fid? 
bcrmeljrte, fonbern bafj bie 3Beiber bei ber fJhibrif „fünf* 
mal rüdfäßig" fo fehr borautoalten begannen, bafj fte bie 
Saht ber in biefe Kategorie gehörigen fötänner abfotut 
überftiegen, obgleich fonft, im 9lßgenteinen betrautet, in 
©achfen bie fötämterbetheiligung in relatibem 3Ba<hgthum 
begriffen mar." 

©eben mir nunmehr nach biefer tljeoretifdjen 33etracfj= 
tung aur fß rasig über, b. b- feljen mir 3 «, toie fidh bie 
Sfrau altib am 33erbred)en beteiligt. 



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93on 91. D$lar ftfauftmatin. 



225 



SBie Bereite ermätjnt, beteiligt flcB bie grau fetten 
an bem fdjmerften aller 58erbredjen, am 53torbe, menig= 
ftenä nicfjt an bem 9}iorbe, bet mit ciufjerer ©ematt ber= 
übt mirb. SDagegen ift bie ©iftmifctjerei ein SBerbredfjen, 
beffen fidj bie grauen oft f^utbig machen. Stufcerbem ift 
ba§ Söeib aber tootjt im Staube, au einer Mutigen Stjat 
3U fdjreiten, menn e§ ftd) in einem befonberen 9lffeft, in 
einer befonberen Aufregung befinbet. 

Sßenn mir ferner bie getoattfamen SJerbredjett betrauten, 
bie nidjt gegen ba§ Sebeit, fonbcrn gegen bal (£igentt|um 
ber ^Mitbürger gerietet finb, fo ftnben mir §ier attib 
nur tfödjft fetten grauen beseitigt. Unter ben 6in* 
bredjem finb au3natjmMo3 5Jtänncr bertreten, ttnb bie 
ganje preufjifdje Äriminaliftif tjat nur eine einzige 
©inbredjerin aufcjumeifen, metdje in ben fünfziger 
$aljren in S3ertin „arbeitete" unb ber man nocfj tjeute 
nadjfagt, bafj fie ganj befonberä „faubere SIrbeit" p 
tiefem berftanb. Sotdje ©rfctjeinungen aber finb aufjer= 
orbentlicfj feiten. 2>ie 2d)ätigfeit ber grauen auf ber= 
bre^erifd&em ©ebiete, itjre attibe SMjeilnatjme , beginnt 
bietmetjr erft beim 2)iebftatjl otjne ©ematt, b. tj. bei bem 
3ufalt§biebftat)l, beim £afdjen* unb £abenbiebftat)t. 

S3eim SDiebftatjt ift bie grau teiber fetjr oft bie beftc 
©eljilfin beS 5Jtanne§. Sie <jeigt fid^ ftüger, gemanbter 
unb berfdjmijjter at§ er, unb für ben £afcfjenbiebftatjt 3. $8. 
t)at fie eine meit leidjtere |>anb, alä ber 5Jtann unb fann 
infolge beffen um fo gemanbter unb ficfjerer „arbeiten". 

Um p jeigen, melier Ätugtjeit unb metdjer Stiftungen 
auf berbredjerifdjem ©ebiete eine grau fiitjig ift, mag in 

Sibliotlje!. 3af)rg. 1889. 33t>. X 15 



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226 



$ie $rau int Verbrechen. 



ben fotgenben feiten ein 9lu3pg auä einem frimtnalifU» 
fcfjen SBevfe *) gebracht toerben , ber ftd) auf eine Ver= 
bredjerin Ramena Henriette ober Sette ß. bepljt. 25iefer 
SBeridjt ftammt au3 bem ^a^re 1842 unb tautet: 

„Henriette ober Sette ß. ift 34 Satjte alt, 4 gujj 
7 $ott grofj, bon Heiner, fct)lanfer Statur, t>at ein Heine§, 
obale§, btüljenbeä ©eftetjt, freie Stirn, braunes «£>aar, 
btonbe uttb fcfjmadhe Stugenbrauen , grofje unb lebhafte 
bunfetbtaue Olugen, Heine Olafe, Heinen OUtunb, bottftänbige, 
grojje unb meifjc 3äljne. Stuf ber tinfen Söange, in ber 
Otäije ber Olafe, tjat fie eine Heine Söar^e. 

Sie ift eine äufjerft burcfjtriebene unb bcrfdjmifjte 
SJkrfon, ma§ fidj audj unbertennbar in itjren @efid)t^ügen 
au§brüdt. Otuäneljmenb freunbtictj unb gefpräetjig, ber* 
ftef)t fie bie ßeute beim erften ^Begegnen fofort für fid) 
einpnetjmen. Von einem borttjeittjaften Oteujjern begünftigt, 
toinbet fie fiel), einer tjübfcfjen Solange gleich, burdfj alte 
Verlegenheiten Ijinburdf) unb meifj befonber§ bie Sdhmfldjen 
ber OJtenfdjen mit einem Sdjarffinn ^erau§ 3 ufinben , ber 
bem erfahrenden 5f)ft)d)otogen <5^re matten mürbe. Sie 
mufjte namentlich öftere burdj ihre Schlauheit, burdj ihre 
ßarbe unb burdj ©olb pm Vorteile ihrer Vermanbten 
p mirfen, menn biefe behaftet ober berfotgt maren, unb 
fet6ft ntand^er ^Beamter, ber nicht unerfdjütterlidh in feiner 
Vflidjt mar, ift ein Opfer ber Verführungäfünfte biefe§ 
Heinen Xeufelö gemorben. — Syrern ©aunergemerbe nach 
ift fie ScfjottenfeÜerin (ßabenbiebin). 



*) 31t)iele, „$te ©auner in $eutftblanb." 



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3>on ?(. 0 «far ßtaupmann. . 



227 



Sette ß. ifi bic £$rrau Don Safob eine Socfjtcr bon 
31. ©chm. Sb* 33ruber ift fötorip ©cbm. ; burdj Unter» 
bringung geftoblenen ©uteä u. f. m. bat fie befonberä tbätig 
an ben 35tebfta^ten iijreä 33ater§ Streit genommen, ©onber» 
bar genug bat pe ihren fdjtedjten 9tuf ju einträglichen 23e= 
triigercien benupt. SöaS pe bertaufte, babon mupte Seber 
fdjon im Voraus, bap e§ gefiepten fei. ©teicbmobt fauftc 
man gern bon tpr, meil man ba meift um billigen 5Prei3 
3 U mertbbollen ©adjen gelangte, darauf fpefulireitb, be» 
fcpäftigte pe pdf) eine ganje 3 eü lang bamit, neuptberne 
©egenftänbe für echte fitberne 3 U bertaufen, toobei pe eine 
hübfche ©umme ©etbe§ berbiente unb noch basu unBejtraft 
blieb; benn bie geprellten Käufer hüteten fich mopt, bon 
ber ©ache ettoa§ bei ber ©epörbe anju^eigen, meil pe in 
bcr Meinung ftanben, geftopteneä ®ut getauft 3 U haben, 
©rft in ber S.’fcpen Unterfucpung tarnen mehrere foldjer 
fjälle jur ©pracbe, meäpatb pe, fomie megen SMebäbepterei, 
mit breimonatiger ©trafarbeit belegt marb. 

1833 mürbe pe mit ihrer ©chmiegermutter Ütperefe 2-, 
fomie mit ihren ©dpmägern megen fDtarftbiebftaptä in 
Qrranffurt a. £>. berhaftet unb 3 U breimonatiger 3 udjt= 
pauäprafe berurtheilt, bie pe in ber ©trafanftalt ju fjftamiq 
berbüpt hat. 1835 ftanb pe megen ^Betrugs unb 33e= 
fiedpung eineä 9fti<bter§ beim Snquiptoriat 3 U fjrauftabt 
in Unterfuchung unb mürbe 3 U hier SCÖochen ßinfperrung 
berurtheilt. 

Sb* ©ater hatte in ber 9tacpt 3Utn 27. 5lpril 1828 
bie SBlutegelpänbter ©ebrüber ©obion au§ 3?*anfrei<b in 
9tatmip um eine bebeutenbe ©umme in ©olb beftobten, 



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228 



2)ie ^rau im Verbrechen. 



bag toat cbenfo allgemein befannt, alg man glaubte, bafj 
er turn biefern 2)iebftal)l tjer noch eine tüchtige ß^atourc 
(berborgene SBeute) irgenbtoo liegen ^abe. 2)ieg @erüdf>t 
machte fid§ Sette ß. in ©emeinfdhaft mit ihrem SBruber 
5 Jbrit 3 ©cpm. 3 U nufce, um ßeidhtgläubige, bie nach bent 
©dfjaf}e liiftern toaren, um bebeutenbe ©ummen ju prellen. 
2)a§ fran^öfifd^e ©olb, toeldjeg fte, toie fte angaben, ohne 
93erbadjt au erregen nicht auggeben tonnten, foKte näm= 
lidj getoedhfelt, ober, beffer gefagt, für ettoa bie fpalfte 
beg Söertljeg berfauft merben. 3)ag toar für ben lieben 
Gigemtup, ber nun einmal bie SJtenfctjen plagt, ein guteg 
©efdfjäft, unb barunt ging benn auch mehr alg Güter in 
bie ftalle. 33eibe ©efdjtoifter tarnen atoar begtoegen 1838 
beim ßanb= unb ©tabtgeridtjt au Söollftein in Unterfucfjung, 
Sette ß. tourbe auch in erfter Snfiana 3« adjtaehnmonatiger 
©trafarbeit berurtljeilt , in a^eiter Snftana jebodfj bor» 
läufig loggefprodfjen. 

1839 trieb fte fidj mit ihrem ©ctjtoiegerbater , ihrem 
©dhtoager unb ihrer ©d£)toägerin iRofalie ß. in ©Rieften 
umljer unb geriet^ mit ihnen toegen ©djottenfelteng (ßaben= 
unb 2ttarttbiebfial)tg) beim tfürftenthumggeridjt au £elg 
in Unterfucfjung unb 4?aft, aug toetetjer fte jebodf) auf 
tjödjft berfdhmipte SGßeife ant 12. Sonuar 1840 a« ent= 
fpringen toufjte. ©ie fanb ftdfj halb mit itjrem 2Ramt 
aufammen, ber, toegen 2)iebftaljtg bom t. Suquifttoriat au 
SBreglau berfolgt, fidf) auf flüchtigem Qrufje befanb, unb 
tarn mit iljm unb Suliug fp. noch in bemfelbeu SRonat 
au Gilenburg itt .£>aft. ©ie aeidjnete fidj Ijier burdj auper» 
orbentticlj fredjeg ßiigen attg, inbent fte beftritt, bafj ipr 



Sott $1. Osfut* Ätaufsmanit. 



229 



SJlann fdfjon früher in Slrreft gemefen fei; audfj tooltte fte 
benfeXBen nur unter bem kanten Sfofepl) ©. !ennen. Um 
nad> CelS 3 urüdgefcfjafft 3 U toerbett, mürbe fie bon @iten= 
bürg aus auf ben Transport gefegt; in ©örlifj lief fie 
jebocfj fammt intern Transporteur babon, meil fie audfj 
biefent ioieber bon i^ren bergrabenen ©ctjäfjen etmaS bor= 
gefdjminbelt batte, bie fie mit ifjm teilen moEte." — 

9Xocb SebeutenbereS teiften aber oft feljr jugcnblicljc 
meiblidje Setbredjerinnen als £abenbiebinnen unb nodj 
mebt* als |jodjftapletinneu unb ^Betrügerinnen. ©elbft un= 
gebilbete grauen beftjjen eine getoiffe gefeEfdjaftlidf)e ©e* 
manbtljeit, fte Ijaben angeborene Slnlagen, um fidj beliebt, 
um ftcb angenehm 3 U machen, unb feljr oft buffen burdj= 
aus ungebilbete flauen ein 58cnel)men 3 U fjeudjeln, toomit 
fie felbft ernft unb Iritifdj benfenbe fütänner berblenbcn 
unb täufdjen. ©o mirb eS 3 . 58. immer mieber möglich, bafj 
^Betrügerinnen faft oljne jebe mirflidje SÖilbung unb Pom ge* 
ringften |>erfommen in ber beften ©efeEfdjaft fötonate lang 
bie fRoEe bon Ijodjfteljenben Tarnen fpiclen fönnen, um in 
biefer fBtaSfe bie unglaublichen ^Betrügereien ju üerüben, 
bie getoöb^litb nid)t einmal an baS TageSlidjt fommen, 
meil bie ^Betrogenen butdj bie Sl^eige unb burdj ©eftänb* 
itiffe fid^ biel 3 U feljr Jompromittiren mürben. 

2öo eS fidfj um ^Betrug, mo eS ftdj um bie feineren 
Sitten beS ©ctjminbelS Ijanbelt, bort pflegen nodj Ijente bie 
toeiblidjen 93erbredjer, bie meiblidjen ^Betrüget bie größten 
©rfolge 3 U erzielen, meil fie eine angeborene Serfcfjmibttjeit 
unb ein aufjerorbentlidj großes fdjaufpiclerifcfjeS Talent 
befifcen unb fo itjre fRoEe natürlich biel beffer fpielen 



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230 



$5ie $rau im ©erbrechen. 



fönnen, al§ ©tänner. S)iefe eben ertoähnten ©igenfdhaften 
ber Söeiber matten fie aber auch $u ben toerthbottften 
«jpelferähelferinnen unb ©enoffinnen ber männlichen ©er* 
bredfjer unb baburdh, toenn aud) nur ^u inbireften, hoch 
getoiffermafjen ju aftiben 5L^eitne^mern am ©erbrechen. 

|>ier ift andh ber Crt, über ba§ berühmte „cliereliez 
la femrne!“ b. b- „ 2 öo ift bie 3 ?rau?" ftoudhe’ä $u fprecfjen, 
burdh toetc^eS jener grofje ^olijeimann auäbrücfen toottte, 
bajj man, fobatb ein ©erbrechen entbedft fei, bor 9lttem 
nach einer fjrauenäperfon fudjen müffe, meil jebenfattä 
eine foldje ba§ ©erbrechen berantafjt, berfdjulbet unb, 
toenn auch nidht felbft auägefüfjrt, fo bodh 3 U feiner 2 lu§* 
führung angefpornt unb bei berfel&en burdh atterlei ßiftcn 
geholfen habe. liefet frattjöfifdhe Äriminalift fott über* 
bie§ nidht einmal ber ©rfinber biefeä Söorteä fein, toeldjeg 
bielmehr fogar bi§ auf $arl III. bon (Spanien (1759—1788) 
prüdfgeführt toirb, toeldher jebeSmal, toenn ihm ein ©er* 
brechen gemelbet tourbe, fofort gefragt hoben fott: „9Bo 

ift fie?" 

©tan fann toohl ohne jebe Uebertreibung behaupten, 
bafj e§ nidht einen einzigen toirflidhen ©erbrechet gibt, 
b. h- feinen ©tenfdhen, ber in offenem Ärieg fidh mit ber 
©efellfdhaft befinbet, ber nidht alä ^elferShelferiit ein SBeib 
hätte, ©teift ift eä feine ©eliebtf unb für ihn eine gan$ 
unfdhähbare ©enoffin, toeit fie nidbt nur treu an ihm hängt 
unb ihn um feinen $Prei§ berräth, fonbern toeil jte ihm 
audh oft mit ber raffinirtefien ßift beS SBeibeä ein fidjere$ 
Unterfommen bei fidh felbft $u berfdhaffen toeifj, toenn er 
berfolgt toirb, ober inbem fie ©adhridhten für ihn beforgt 



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93on s 31. 0«fur J$laufjmann. 



231 



unb fo bie Vermittlerin ^toifc^en ihm, bent Verfolgten, 
unb feinen ®enoffen bitbet unb e§ bielleicht noch fertig 
bringt, bie ^Poti^ei auf eine falfdje Fährte au tocfen. 

Vei ben 9täuberbanben, toetc^e im 16., 17. unb 18. 3af)r» 
tjunbert 2)eutfcf)lanb unjtdjer machten unb oft ganje ßänber= 
ftreden in eine 2lrt bon Ärieggauftanb berfeijten, befanben 
fid) ftetä grauen, Welche nic^t nur ebenfo treue ®e» 
fäbrtinnen ber Ütäuber, als auch in SöirHichfeit Weitlj= 
bolle SJtitglieber ber Vanben Waren. ©ie leisteten ©pionen* 
bienfte, fie beforgten bte fcfjtoierigften ©efdjäfte, au benen 
fid} bie Vtänner oft gar nicht eigneten, toie ba§ f?inein= 
wagen in ©täbte unb Crtfd^aften, ben (Jinfauf bon ßebenä» 
mittein, baä Sluäfpioniren bon guten (Megenheiten au 
Otäubereien unb 5)iebftählen, enblidj ba§ ©urdjbringen 
bon Nachrichten bon Vanbe au Vanbe, oft unter ben un= 
glaublid}ften ©djwierigfeiten. 

NUerbingö fornrnt ben grauen bei biefcr eigentljüm* 
litten Sbätigfeit ber Umftanb au ©ute, bafj e3 in beS 
Vtanne§ Natur liegt, einer $rau biel Weniger ein Ver* 
bredjen auautrauen, al§ einem Ntanne, unb Wenn fidj eine 
berfchmihte ©aunerin nur red^t harmlos a u betragen ber» 
ftebt, Wenn fie fidj autraulidj unb freunblidj benimmt, 
nodj bielmehr, Wenn fie fich baS Nnfehen einer tjilflofen 
Verfon gibt unb ba§ Ntitleib rege au machen Weifj, bann 
Wirb fte i^re gaunerifdjen ^Ibfidjten ftetS erreichen, Weil 
biefeS Ntitleib Weber Niifjtrauen noch irgenb Welchen Ver* 
badjt gegen fie auftommen läjjt. 

2)ie fffrau befi^t alfo natürliche Qeigenfdjaften, welche 
fie gana befonberS aut Verbrecherin qualifiairen unb, wenn 



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232 



Die f5frou im Verbrechen. 



auch nidfjt jur felbftftänbigen Ausübung toou Verbrechen 
beranlaffen, fo boc^ ifjr bic Vtöglicbfeit gewähren, eine 
aufjerorbentlicf) toid£)tige VUtbelferin für bie männlichen 
Verbrecher au fein. 

9ta<h biefen borftefjenben SluSführungen aber toirb ber 
Sefer toohl fehen, toie fdjtoer e§ ift, ftatiftifch ben toirf* 
licken Stntljeil ber grauen am Verbrechen Be» 
ftimmt feftaufteßen, tueldfjer gan<j entfliehen ein aufter* 
orbentlidj großer ift, ja fogar ein toeit größerer, at§ man 
gewöhnlich glaubt unb annimmt. Vielleicht fomrnt man 
auch einmal gu ber ßinfidjt, ba| bie Srau, bie man in 
rechtlicher unb gefefclidjer Schiebung noch nic^t als t>oH= 
fommen felbftftänbig betrachtet, nicht nur auf ba§ Ver= 
bred^ertbum, toaä mir hier fpcaiell berücffichtigten, fonbern 
auch auf ba§ ©taatäleben, auf bie dmttoicfelung ber ©efeU» 
fdjaft unb auf bic fokalen fragen einen toiel größeren 
@influ| auätibt, als man bi§h cr angenommen hat. 



JUUrlet uotn Cflejijiaittett. 

öciträge jur ©Ijlcrhunbc. 

ttfou 

Htdjarb /rttfdff. 



(9ta<f)brud berboteit.) 

^\er fötenfdj, als l)öd)ftenttoidelteS ber irbifdjen £cbc* 
^ toefen, nennt fid) mit Stola bcn -fperrn ber @rbe, unb 
leitet barauS baS 9ted)t Ijer, über bie 2f)iere gatta ttadj 
©utbünfen p berfügen, fie au tobten, 3 U martern, au 
fdjiuben, tfjeilS aus (Sigennufj, tfjeilS aus Vergnügen, mit 
aitbern ^Sorten, fie toie Sadjcn au beljanbeln, bie toeber 
SBetoufjtfein nodj ©efüljl Ijaben. 

Sn tote toeit ein foldjeS 3?erfaljren fotooljt ber ©eredjtig* 
feit, al§ bent fUtitleib; biefen ©runbqueEen aEer magren 
fDtenfdfjlidjfeit, toiberftmdjt, foE Ijier unerörtert bleiben, 
ba toir feine Slbljaitblung über 33toralität au fdjreiben 
beabftdjtigen, bafj aber ber .£>crr ber ($rbe ba, too iljm 
uidjt baS ©efefc bie $änbe binbet, oftmals nic^t nur als 
graufamer Sdjlädjter unb 33ertoüfter, fonbern audj als 
blinber, gegen ben eigenen SBortljeil toütljenber Slljor ljan= 
beit, aeigt uns am beutlidjften ber 33ernid)tungSfrieg, bcn 
er gegen ben afrifanifdjen dle^anten füljrt. 

55enit toie gering ift ber Sßortljeil, bcn er aus bcn 



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234 



Allerlei ootu ©lepljaiiten. 



Sännen ber ©etöbteten jiefjt, gegen ben 9tutjen, toeldjen 
er burdj bie Stimmung biefeä aufjerorbentlidjen Xf)iereg 
erlangen fönnte; toie leicht toäre biefeg ftar!e unb !tuge 
©efcfjöpf, toenn man eg, toie bieg in alter Seit borneljm» 
lief) bie Jfartljager traten, <ju aäfjmen berftänbe, alg bag 
boraüglidjfte Safttljier <ju Oertoenben! 3m tropifdjen Slftifa 
fommt toebcr bag Äameel, nocf) ber @fet, nod§ fDiaultljier 
ober ^ferb fort. 5)ie tfaratoanen, bie bon ber $üfte in’g 
innere beg Sanbeg bringen, um Ijicr im Xaufcfjljanbel für 
Tupfer, ©ifen, ©lagperlen unb bergleicfjen ©IfenBein ober 
©flaben au erhalten, Befielen Ijiet nur aug fDtenfd^en, 
toeldfje, bie fernere äöaare auf bem Äopfe unb fftücfen 
fd)leppenb, Bei ber enormen <£>ifje nur beg fDtorgeng mar» 
fcfjiren unb trop Sßoffenreifier unb lärmenber SJtufif bureij» 
fcfjnittlidj nur atoei fDteilen täglidfj aurüdtegen !önnen. 
Slnbere SJtittel beg 3}erfeljrg finb ba nicfjt au IjaBen, auclj 
nicf)t bor Äarrett gefpannte Ceijfen ober SSüffel ober Sänften» 
träger. Unb trotjbem fteltt man bem einzigen Xfjiere, 
bag Ijier aum Safttragen Oertoenbet toerben fönnte, auf 
bag Unfinnigfte nad^ unb Beraubt ficfj fo beg einigen 
9lu|tl)iereg biefer Sänber. Unb toarum? SDamit toir 
«ftlabiertaften, iBittarbfugeln, ©tocfgriffe, SSrod^en, Äämme, 
gäcijer, ^apiermeffer, gebet» unb SBleiftiftljaltet unb ber» 
gleiten ©egenftänbe aug ©IfenBein IjaBen. ©in großer 
Xljeil beg ©IfenBeing, bag man in ben fDtagaainen am 
XBemfeftranb in Sonbon auf gehäuft fieljt, ftammt aller» 
bingg tooljl bon ben borgefdljicf)tlicf)en ftBirifc^en ©lepljanten, 
bie bort in großer 3&ljl aufgefunben toerben, bod§ ein 
aiemlidjet ^ro^entfa^ begjenigen, bag auf ben eutopäifdjen 




2*on üHic^arb T^ritfc^e. 



235 



9Karlt fommt, toirb aug 3lfrifa bezogen, too eine ungeheure 
Singabt ber ebten unb nützlichen Siliere begljalb iljr £eben 
Xaffen mujj. 

2)ie (Slfenbeinbönbter unb ©lepbantenjäger, bie beim 
Slufbrucb bie rotbe gähne beg gglam mit bem meinen 
(Stern unb Halbmonb entfalten, unb biefe in bag 33 lut 
beg Samnteg tauchen, bag nach allgemeinem 33raucb ge= 
opfert toirb, hoben toobt bag 33erbienft, bag CueHgebiet 
beg toeifjen unb blauen Stitg burdh ihre immer toeiter 
borgerütften Slnfiebelungen erfdjlofjen gu haben, aber fie 
rotten bag einzige Stuijtbier ßentratafrifa’g aug, unb ftc 
^aben auch ben Sftabenhänbtern ben 28cg gebahnt, bie nun 
gu 2aufenben über Äorbofan unb 3)afd^ur bie Slegerlänber 
beg Innern überfchtoemmen, um ^ier ihre grauenhaften 
93ienfdhenjagben gu beranftalten, an benen auch bie die* 
ptjantenjäger nur gu gern tbeilnebmen. 

|)ören mir einmal, toie eg bei einer folgen dtepbanten* 
jagb gugebt. 

3nt ©ebiete beg ©agellenfluffeg, im Canb ber 9liam= 
9liam in 9Jiittelafri!a, toerben toeüe flächen, Welche mit 
©räfern beftanben finb, bie big gu fünfgeljn gufj $öfje auf* 
fd^iefeen unb fingerbidfe Stengel hoben, bor bem Steppen* 
branbe forgfam behütet, um in biefelben bie dtepbanten* 
beerben, bie in ber ©egenb auftaueben, bineiif gu treiben unb 
hier mit geuer unb fiange gu bernichten. Sobalb dtepbanten 
gefehen toerben, taffen bie Häuptlinge mit großen Hotg= 
trommeln alleg Süolf auf fUteilen hin gufammenrufen, in 
lurger 3*it ftnb üTaufenbe bon S(htoargen auf ben SSeinen, 
gu ihnen gefeiten ficb bie 33etooljner ber Seribag, bag ift 



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236 



SlUerlei uom ©leohanten. 



ber mit 5J3aliffaben umftcllten 3ettbörfer, aus beiten bie 
S5iener ber reifen (Slfenbeinhänbter mit Sliuten utib 
©chmertent herborftüraen, mit Höllenlärm jagen fte bie 
(Stephanien in jene ©raSpläße, umringen fte bon alten 
©eiten, ftecfen baS ©ra§ an unb brängen bie Spiere, bie 
auSbredben motten, mit Scuerbränben aurücf, fo baß biefe 
unfehlbar etenb ju ©rmtbe gehen ntüffen. 3n STobeSangft 
unb rafenber SSutß flüchten bie üteptjanten brüttenb bor 
bem reißenb um ficf) greifcnben Seuer, bod^ jeher StuStoeg 
ift berfperrt, ein Entrinnen ift unmöglich ; bom föaucß faft 
erfticft, bott ben Stammen bermunbet, fucßen bie SBeibcßen 
ihre jungen mit ihrem Seibe bor bem furchtbaren (Slement 
5 u fcßüßen, bebedfen fte mit @ra§, befprengcn jte mit 
SBaffer, baS jie auS ihrem Büffet pumpen, bis fie enbließ, 
mit SSranbmunben bebedft, über ihnen aufamntenbredben, 
unb ber £anaenftoß ber Söitben ihrer harter ein ©nbc 
macht. SDaS Steifch föttt ben Treibern an; fie fdhneiben 
cS in Streifen unb braten eS bann über bem Seuer, 
loorauf fie eS bei großartigem ©dbmauSfefte heißhungrig 
bekehren. 2)aS Elfenbein gehört natürlich ben Häuptlingen. 

Sßiete (Stephanien merben auch burcb Saßen getöbtet, * 
bie man auf ben bott ben Steren begangenen Sßfaben beS 
SBatbeS ftettt unb bie au pafjtren baS Xhier baburch ge= 
amungen mirb, baß ber SBatb au beiben ©eiten beS 233egeS 
burch SÖerhaue, ©eftrüpp unb fünfttich berfeßte 33äumc 
uitburdßbringlich gemacht ift. ©obalb ber fdbtoere Suß 
beS (Stephanien ben Hebel ber Säße betritt, löst fid§ ber 
aufgeftellte 9tiefenftamm in ber Höhe unb ftürat mit fotdb’ 
ungeheurer äöucbt herunter, baß baS Slhier, baS unter 



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93on ffiidmrb ftritfdfje. 



ihm bintoegfcblttpfen toilt, unfehlbar au ©oben gefdfjmettert 
unb aerquetfcht toirb. (Snblich toerben bie ©lepljunten in 
bicraig biä fünfaig tiefen ©ruben gefangen, bereit 
Ceffnung fo gefcf)i(ft berbetft ift, bafc ba§ S^ier bie ©e= 
fahr, ber e 8 entgegen gebt, unmöglich au erlernten berntag. 

93ornet)tntic£j burcb bie erftgenannten Xreibjagben toer* 
ben nicht nur bie Männchen, fonbern auch bie SBeibcben 
nnb jungen, bon benen man fein ©Ifenbein getoimtt, auf 
unerhört graufame SBeife getöbtet, unb ba§ 2 ^iet fo fpfte= 
matifcb auägerottet. Smmer tiefer in’§ innere be§ 2 Belt= 
tbeilS jie^en ftcb bie ©lepljauten anrüdf; im SBongolanbe, 
too fie noch bor atoanaig Sagten häufig fid^ zeigten, fom= 
men fte nicht mehr bor, am toeifjen unb blauen 9ül toerben 
fie immer feltener, unb bei bem graufigen 33ernicfjtung§= 
fampfe, ben ber ^Jtenfcb gegen ba§ Steter führt, fann man 
aiemlicb genau berechnen, toie lange e§ noch bauern fann, 
bi§ ber afrifanifcbe ©lepbant au§ ©egenben, in benen er 
jebt noch beimifcb ift, gänaticb berfcf)tounben fein toirb. — 
©ana anberS ift e§ mit bem inbifctjen (Hepbanten be= 
ftellt, ber bem afrifanifdjen an ©rö£e nnb an Sßilbbeit 
nacbftebt, bafür aber feit alter 3 eit au ben nujjbarften 
©ebilfen be§ 9Jtenfcben gehört. $n Snbien gilt ber @le= 
Pbant al§ Sinnbilb ber SSeiS^eit, toie benn ja auch ©a= 
nefa, ber ©ott ber SCßeiS^eit , mit einem ©lepbantenfopfc 
bargeftettt toirb. 5ln ben alten fjelfentempeln unb allen 
heiligen Stätten ift fein 39ilb in Stein gemeißelt, in 
3JtetaE gegoffen ober in ^ 0 X 3 gefthni^t au feben. 9111= 
befannt ift ferner, bafj bie fogenannten toeifjen Stephanien 
ber Könige bon Siam unb S3irma atä Sinnbilb beS 



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238 



Merlei oom Glepljanteu. 



58ubbt>a gelten, unb baljer bont Sotfe Ijeilig gehalten 
merben. S)iefe tüci^cn ©leppanten finb 9llbinoS, unb ber* 
bauten bie lidpte Färbung ber Sßupille beS Elcinen, aber 
feelenbollen 9lugeS, fotüie ber |)aare beS ftelteä bent Stängel 
an ^igmentftoff. SÖirb ein folc^cr ©lepljant entbedft, an 
bent bie ermttnfdpten Sterfinale, boriteljmlicf) bic licfjte 
Färbung ber Slugen, fiel) borfinben, fo fontmt er in bie 
©tallungen ber <£>errfdjer beS Raubes, ber fdpönfte ber 
toeijjen ©tepljanten erhält ben Xitel „itönig". X>ie anbe* 
ren Xpiere erhalten nadp bem ©rabe ber SoHfommenpeit, 
ben fie erreichen, ben Xitel Xfdfjau=fia, OieicpSminifter, 
ffta, ©ouberneur, 3£ang=pralat, Söunberbarer, bann ben 
cineä ©rofjofftaierS unb anberer tjoljer äöitrbenträger beS 
9teid(jcS. 3n Sangfof, ber 4?auptftabt bon ©iam, paben 
bie meifjen ©tepljanten in ben ©ebäuben ber Eönigtidfjen 
^alaftftabt ipre Käufer, über bereu ©ingang auf rotljer 
Xafel ber Xitel ber Xtjiere beqeidjnet ift. 

3m mitben guftanbe fommt ber ©lepljant in ^inboftan 
nur nocl) in größerer Sln^a^l in ben Xarai, bem fumpfigen 
ßanbe, baS fidj fiiblidj bom $imatapa teilen meit er= 
ftreeft, fomie in ben Sergen Pon Slffam bor. 1874 fing 
man nodj in ben Söälbern ber ©IjatS bon Äurg unb boit 
Staifur an einem Xage 55 ©leppanten, bodt) Eommt ber* 
gleichen peute nidjt mepr bor. 9ludf) auf ©epton nimmt 
bie 3atjl ber ©leppanten jufepenbs ab. 3n ben fünf 
3apren bon 1858 bis 1862 mürben 1600 ©leppanten aus 
©eplon eyportirt, aber bon 1863 bis 1880, alfo in acpt* 
3 epn 3atjren, nur nodp 1685. — Söeiter nadp Often pin, 
mopin bie Kultur SorberinbicnS noep niept gebrungen ift, 



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S3on SRidjarb ftvitfdje. 



230 



ift ber loilbe ßtepfyant nod) häufiger 31 t finben. ©djoit 
im SUnamalal), baS ift im drlepljautengcbitge, bcffcu (Gipfel 
bereits in ben ©taaten üoit (Sodjindjina unb Xratoanforc 
liegen, ift er nodj aaljtreid) borljanben. 3 n ben pfablofcn 
Söätbern unb 25fdjaugeln bon 2 )fdjittagong unb Slrafan 
in ^interinbien merben alliäljrlid) Ijunbert unb metyr 
Xljicre gefangen. Slm Orluffe Äljorapof, einem 9tebenfluffe 
beS SJtenam in ©iant, ftöfjt man häufig auf @tepljanten= 
beerben bon atoanaig bis fünfunbatoanaig gieren, bie, toie 
bieS if)re ©emoljnfjeit ift, längs beS SBafferS Ijinaieljcn unb 
fjier, toie am meinen unb blauen 9tit in Slfrifa, bie ©trafjen= 
bauer beS llrtoatbeS finb. Sin einigen ©teilen beS Genant, 
befonberS aber in ben bitten Söälbern bon ßaoS, gibt eS 
nod) biete (Slepljanten. — 

3tm mitben guftanbe liebt ber ßleptjant baS fumpftgc 
ßanb unb bie ©tröme ber Söilbnif, Ijält fidj ben %a% 
über im 2Batbe berborgen unb fomntt beS StadjtS an ben 
3rtufj, um fid^ mit Ijödjfter ßuft in’S Söaffer 311 ftüraen 
unb baS erquidenbe Sab 3 « neunten. ftrifdjeS faftigeS 
ÖSraS unb baS junge ßaub ber Säume finb bon it)tn fetjr 
begehrt, bod) fällt er aud) in bie fReiSfelber — foioeit 
biefe nicf)t eingelegt finb — ein unb ridjtet ba grojjen 
©djaben an. ©onft tljut er aber feinem 2öefen ein Seib, 
aud) bie Heineren SL^iere beS SöalbeS ljaben itjn nidjt au 
fürdjten. 

S)aS ftärffte £ljier ber beerbe ift if)r |>aupt unb Sin* 
fütjrer bei ben nädjtlidjen (Srpebitionen, bem bie anbcrn 
folgen, ©ie geljen babei ungemein borfidjtig a u SBetfe 
unb berfdjttnnben auf baS fleinfte ©eräufdj t)in toicber im 



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240 



Merlei t)om ©(eptjanten. 



SBalbe. ^rembe SC^iere toerben in bie beerbe nidjt auf* 
genommen. 3ft ein Glepljant bDn ben anbem bei ber 
Üreibjagb getrennt toorben, fo mufj er bon ba an ein 
einfameS SeBen führen. SHefe berfprengten Spiere toerben 
metandjolifch, mürrifdj unb ^eimtüdtifd^, bertoüften bie 
gelber, greifen fogar attenfdjen an unb toerben baljer ohne 
©nabe gefdjoffen, too man fie antrifft. 

3um ©infangen ber ©lephanten haben juerft bie 5ßortu* 
giefen in 3nbien bie XreiBjagben eingeführt, toorin bie 
-fpoßänber ihnen folgten unb bie nun bie ©it glaub er fort* 
fefjen. S)ie Treiber umfleßen ba§ ©ebiet, in Bern bie 
©lephanten ftdj aeigen, rüden ihnen mit $antpfgefdjrei 
immer nä^er an ben fieib unb brängen fte enblidj in bon 
flarlen ^aliffaben umfchloffene ©etjege, too fie burdj junger 
unb ge^mte ©lephanten gebünbigt toerben. ßetjtere brän= 
gen bie eingefangenen Spiere an bie S3äume, an bie fie 
bann angebunben toerben, unb fdjütjen augleidj ihren |)errn 
gegen bie 28uttjau§brfidje ber gefeffelten ©efäfjrten. 9tur 
feefjä Monate bauert bie Oreffur; fobalb ba§ Silier 3 h* 
neigmtg ju feinem «£>errtt jeigt, fann e§ nach unb nach 
3 ur ?lrbeit ^erangegogen toerben. ©3 ift nun aber ein 
anbereä Söefen getoorben, ba§ bie berfdjiebenften S)ienfte 
toißig berridjtet unb niemals in bie Söilbnijj au entfliegen 
fut^t. 

3m ge^ä^mten 3uftanbe toirb ber ©lephant bornehmlich 
3 ur ©rljöhung be§ ©lan 3 e§ bei ben im Oriente fo beliebten 
pomphaften aiufaügen, bei religiöfen ober 33olf§feften ber* 
toenbet. S5ei toeldjer ©elegenheit auch immer bie 9tabfcha§, 
bie eingeborenen dürften, öffentlich bem SSolfe fid) geigen 



: 

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\ V 




5?oit Üiidjarb $rititi)c. 



241 



mögen, niemals festen bte bann mit golbumfäunttcr, 
fammetner ober feibettcr ©djabradEe prädfjtig aufgeräumten 
(Stephanien, ja bte ©taat§elept)anten be§ ÄonigS toott ©tarn 
tragen bann fogar an bctt ©toferähnen in Slbfäijen fcfjtoere 
gotbeite 9tinge. ?ludj bei bcr Xigerjagb ftoX^irt ber (£te= 
pljant, auf beffen föücfett bte Säger SiöjJ genommen, in 
ber Stitte bc§ SagbrugeS eitler. SDodf) aud) bei allen 
®eiücrbeu unb bet ber SefteKung beä 5tdferö teiftet bcr 
(Stepljant borjüglid^e E£>ieitfte. (Stephanien geifert bern 
ittbifdfjen ^eepflanrer bet ber $elbarbeit, fte tranäporüren 
au§ bem |>olrfcl)tag beä ©ebirgeä bte gefällten ©tämmc 
Gleiten tueit in bie Säge, auf itjren 9iüdfen labet mau 
tu beit Slrfeitalen ba§ fdEjtoere 9tol)r ber Kanonen, um eä 
nach ben Sßerfftätten ru fdjaffen. Unb toie biet attbere 
ÖJefdjäfte Traben fte ru beforgen ! Sie ejpebtren bie Sßaarc 
beä Kaufmanns, ^etroleuntfäffer, $afao, 9?ei3, gebörrte 
Srifdje, ÖJeft^irre, nad^ ihrem Seftimmungiorte unb bringen 
anbere Sßaare tuiebcr nach $aufe jurüif. ©ie ftttb S3rief= 
träger, toeldje bie Srtefe rur nädjften ©tation beförberit 
unb bie neue Soft bafelbft an fich nehmen, ©ie finb 
Settier für Sagoben, bie iljre berfdjloffene Äaffe bor 
jebent .jpaufe flirrettb fdjütteln, ob nicht ein ©laubiger 
eine ntilbe (Babe ^tneintoerfett tootte. Sit ber grofjett 
SDantpffäge ru 9tangun in Sirma fielet man bie (Sie* 
planten inmitten be§ raffelnbett 9täbertoerf§ unb beä 
fdjtüirrenben 9tiemenreug§ unb ber puftenben Staudjfängc 
bie Satfen ftcher ^erbeitragen , fie gerabe an ber redeten 
©teile unter bie ©äge bringen, bte Sretter forgfant in 
ben Jpof l§inau^fdjaffen unb fte Ijier regelrecht berfcljränft 
23i&lioif)et. 1889. 33b. X. 10 



I 



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O AO 



filiertet turnt ©lepfjanten. 



auffteßen. Stuf Cietjtou finb bie (Stephanien bte ©trajjen* 
unb Srücfenbauer. ©ie fd^teppen ba§ $013 unb bte ©tein« 
tjcvbei uttb fdjidjten fie auf baä ©efd^irftefte am Sau^Ia^e 
auf. Sn Sirtna märe bie |>crbeif(baffung be§ foftbaren 
£catf)otäeä au§ ben bitten SBälbern of)ne bte .£)ilfe ber 
(Stephanien eine Unmögticbfeit. 

Sei ber inbifdjen ©tabt Sltapatti, einem ber befudjteften 
<£mfen auf Stataüa, ftnb bie beiben (Seftabe ber fpatbinfet 
burtf) eine Port (Stephanien gezogene (SifenBahn mit ein* 
anber berBunbett. Sei ben £ao§ am oberen Stenam in 
©iant unb am Sief bong, mo Biel $onbet getrieben mirb, 
Bat jebeS SDotf fünfzig bis hnnbert £aftetepbanten. 

2tu<b im Kriege ift ber (Stepbant ein febr nii^Iid^eä 
Stb^r. SlntiocbuS ber ©rofje bon ©prieit, |jannibat unb 
SPhrrbuS fiettten befanntlidj bie (Stephanien, beren Stiltfen 
einen bott ©otbaten befe^ten SLburm trug, in ihren 
©cbtadjtreiben gegen bie 9tömer auf, uttb mit .fpannibal 
mußten fie über bie SUpen fteigen, mobei biete bott ihnen 
■ju ®runbe gingen. Sb rel 'f e ^§ tbaten bie 9tömer baä 
(SJteidje bem ffeinb gegenüber, unb ^mar junt erfien State 
gegen 5PbWW bon Slafebonien, um bie berühmte Sßbotans 
bcS Königs bon ben (Stephanien burd£)brecben 3 U taffen. 
Sn ber Strmee ber inbifeben dürften mürben ben (Sie* 
Pbattten fogar CfftjierSgrabe juerfannt. SDen (Snglänbertt 
bienen fte b e nte beim £raitt, mo fie bie ©efd^ü^e über 
bie Serge febteppen. ©türgt babei ein Äanonenmagen um 
ober rutftbt ein 9tobr bon ihrem tttücfen herab, fo ruhen 
fie nicht, bis StHe§ mieber in Orbnung gebracht ift. Sn 
biefer SDÖeife benüfjten bie (Sngtänber bie (Stephonten bei 



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93oit Stidjarb ffcitfdje. 



243 



tpren gelbaügen gegen Slfghanifian, im inbifdjen Stufftanb 
bott 1857, gegen ©hina, gegen 2l6effinieit unb in neuefier 
$eit gegen SBtrmo, ja ber Ärieg gegen 31^eobor boit 
Hbeffiniett märe ohne bie ©tephanteu gar nicht ntöglid) 
gcmefen, ba nur fie baä fernere ©efchüfj in ba§ $od)taitb 
fc^lep^en lonnten. 

2tudj at§ Kämpfer in ber Strena mufjte ber ßlephaut 
fidj oft gebrauten taffen. S3ei beit Römern ber $aifer= 
^eit , mo bie blutigen 33jierlämpfe bei bem entarteten 
Solle immer beliebter mürben, lämpffen bie (Stephanien 
häufig mit ßömen unb Sären ober mit ©tabiatoren. 3fu 
Saroba, ber |jauptftabt eine§ iitbifdjen Staate^, beffeit 
9tabfdja moht bie Dberherrfdjaft ©ngtanbä anerfeunt, 
aber bod) fomeit feine Unabhängigleit bemahrt Ijat, bafj 
er leinen Tribut an (Sitglanb aaljlt, gibt e§ nodj immer 
am #ofe Kämpfe amifdjen (Stephanien unb St^tnoeeroffeu. 
Ulucf) in <Siam mirb ba§ friebticlje SL^ier, menn aud) nur 
fcljr feiten, in biefer Söeife noch miffbraudjt, hoch mujj 
e§ bann einige Monate hinburcp burcb aufregenbe Mittel 
förmlich moratifdj unb geiftig öerborben merben. 

(Snbtidj ift ber (Slephant auch Zünftler, ber bei feiner 
fdjeiubaren Plumpheit hoch fehr gcfdjidt ift, inbem ihm 
fein IRüffei unb beffen fingerartiger 9tnfap al§ Slrnt unb 
f?anb unb Merl^eug bient. (Schon bie Sitten richteten 
ba§ 2djier $u allerlei ftaunenämerthen Äunftftitden ab. 
So erzählt 5ßliniu8, baf} bie (Stephanien in ber römiftheti 
Slrena auf einem fdjräg gefpannteit unb am Soben be= 
feftigten Seite auf unb ab fpa^ierten, bafj fie beim 9luf= 
marfch im Sweater einen atlerbingä etmaä plump auä= 



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244 



einerlei oom ßlepljanten. 



feljenbcn Slan^ auffüljrten, bafj einer fid) Iran! fieltte unb 
auf eine SBaljre fiel) legte, mäljrenb hier anbere iljn babon 
trugen, ja bafj einer eS bermocljte, einen griectjifctjen ©at$ 
auf eine £afel <ju fcfjreiben. Sludf) bei unS führen ja bie 
flugen $l)iere im GirluS nodj ätjnlidje $unftftüc£d(jen auf. 

23on ber ©ctjarfjinnigleit beS Glepljanten geben eine 
Stenge 6raö|lungett Seugnifj, bie bietteicfjt manchmal 
etmaS übertrieben finb, im (SJanjen aber bodj maljr fein 
bürfteit. ©o tbirb eraüljlt, bafj ein ßlepljant, ber, mit 
&0I3 beloben, auS bem SCßalbe auf fdfjmafem ^Pfabe nad; 
.^aufe ging, tjöflidj auSmicfj, als iljm ein Leiter be= 
gegnete, fictj beifeitS in bie S3üunte brücfte, unb als 
baS $ferb fidfj fcljcute, meiter ju gelten, freuitblid^i er» 
munternb fein „urm^, urmp^" grunzte, bis 9tofj unb 
Leiter herüber mareit. @in anbereS £l)ier fannte genau 
ben Strjt, ber iljm feinen bertounbeten Qmjj gereinigt, 
berbunbcit unb geteilt Ijatte, unb brüdfte immer tbieber 
in broltigfter SBeife feine Ofreube unb S)an!bar!eit auS, 
menn eS fo glücflid§ mar, feinen 2öol)ltljäter mieber^u» 
feljen. StlS beim Ueberfefjen über bie 5urt eines SluffeS 
ein 9Jiann in ber 2Jlitte beS ©trombetteS bon ben SCßelteu 
ergriffen unb fortgeriffen mürbe, ftürjte fidj ein (Siebt)ant, 
ber born Ufer auS 3euge beS Unfalls gcmefen mar, fofort 
in bie fflutl), fjob ben (Srtrinfenben mit bem fftüffel auf 
feinen 9iücfeit unb rettete if)tt bom fidleren £obe. 

5E)octj aucl) $üge bon ber 9taä)fud(jt beS ßlepljanteu 
finb aEbefannt. (Sin ©Habe, ber ein Xtjier öfters oljne 
©runb gefdtjlagen Ijatte, mürbe bon biefem eines üEageS bei 
baffeuber (Megenljeit blöjjlidt) ergriffen unb in ben naljeu 






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$ort ffiidjarb ^ritfcfie. 



245 



£eid) gefd&leubert, mo er fo lange umfjetfdjmimmen mufjte, 
Big auf feinen Hilferuf fieute fyrBeigefommen maren, 
benen eg gelang, bag aürnenbe 2l)ier p Begütigen, 
©dfjliefjlidj fei l)ier nod) eine luftige ©efdjidjte angeführt, 
©in ©lepljant ging al§ ber SBärter ber $inber eineg 
«Kaufes mit biefen pm naljen 33adje unb lernte Bon iljnen 
bie $unft beg fjifdljeng. (Sie Befeftigten iljm bie 2lngel= 
fcfjnur am 9iüffel, er martete ruljig, Big ber auf bem 
SÖaffer tan^enbe $orf pdte, unb fcfjnellte bann mirflidj 
unter bem Saucen ber $inber ben an ber 2 lngel püpeln= 
ben Snfdj an’g Ufer. 

©ebenlen mir fo noctjmafg beg grofjen fftutjeng, ben 
ber ©lepljant, biefer föiefe ber £f)iermelt, bem SJtenfdjen 
Bringt, unb mie er gleidj bem |mnb unb bem 5ßferb 
burdj ©elel)rigfeit unb 33erftänbnifj für 2 llte§, mag ben 
SJtenfdtjen angelt, tjodj über ben anberen Spieren fteljt, 
fo fann man faum Begreifen, bafj ber SJtenfctj Berl)ätt= 
uijjmäfjig geringer Stortljeile megen bag eble 5E^ier in 
9lfrifa mit unfagBarer ©raufamfeit augrottet, unb fann 
nidjt genug Bebauern, bafi eg audj in $nbien Bebenflidj 
ftd) Berrtngert, unb bafj alfo Borauäfidtjtlidfj bie Seit 
fomrnen mirb, mo eg 311 ben auggeftorBenen 2lrten ber 
2 fjiermelt gehören mirb. 



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'gtanmgfaffißes. 



$ie üffentUdrjcn Suftbarfciten i» ^attd tuäbrenb 
bet ©djrerfcttSjeit. — Jer.ffrranaofe tanjt auf einem Stil* 
fan, über ©räbern unb um bie ©uiUotine. Sn ben furd^tbnrften 
Jagen ber SReuolution erflangeit flöten unb ©eigen, unb bie 
berühmten ftübdjen ber ^ariferinnen ruhten nicht. Snt ©egen« 
tbeil febien mit betn junebmenben ©cbredeit au<b bie Suft am 
Janjeu ju maebfeu. 2Bftb**nb bie ©uiUotine arbeitete, fanbeu 
beftänbig Sülle in Jrianon, in ber Eremitage, fomie faft in 
allen Vierteln non Saris ftatt. Sn Slettbon mürbe gerabe ge* 
tan^t , als bie ©efaitgenen au§ Orleans por bem Jreppenbaufe 
ber Orangerie ermorbet mürben. Sb r ©efdfjrei mub rottbrenb 
ber Slufifpaufen in ben ©aal gebnntgen fein, allein baS mar 
für bie entmenfebten Ißarifer fein ©runb, ben SaU ju unter* 
breeben. 

©egen bie Siitte beS Sab«? 1793 aber febien biefe SJlanie 
plöblifb ju ermatten, ja bie ßuft am Janje mar fo gänjlicb vor* 
bei, bab nur noch „auf böseren Sefebl" Jünjer fub fanben. 
Xiefe offijieKen Sülle mareit baber meift fo büfter, mie ber Jobten* 
tanj auf ben $ir<bbof3freSfen beS SftittelalterS. 2>ie Jänjer 
roaren gröbtentbeilS Sünglinge unb SJläbcben, bereu ©Item noeb 
im ©efüngniffe febmaebteten ober febon bingeriebtet maren. ©ine 
©inlabung ju biefen Süllen abäulebneit, mar inbeb gerabeju un« 
möglich, benn man fefcte ft<b baburdb ber ©efabr aus, am nädbften 



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3Rnnnigfaltige?. 



247 



Doge felbft als „oerbädjtig" in eines bcr ©efängniffe unb von 
bort sur ©uiUotine gefdjleppt ju werben. 

GineS DageS feierten bie ^krifer ben Sieg tum glettruS mit 
Gängen auf bent Saftiüeplab. Sei einer OuabriCe fehlte itod) 
ein Dänjer. ©iner ber fyeftorbner manbte ftcf) baher an einen 
iungen 2Rann, ber ntüfjig unter ben gufchauern ftanb, unb for* 
berte ihn auf, mit anjutreten. 

„?[tb fann nicht tanjen," mar bie Antwort. 

„DaS foH wohl ^eifien: Du millft nicht." 

„3<h füge Dir: ich fann nicht." 

„Dann bift Du ein 9Iriftofrat !" fc^rie ber tfeftorbner. „Du 
uerachteft bie fffreuben beS 93olfe§ unb ärgerft Dich über unfere 
Siege. SorwärtS, folge mir nach ber SJiairie! 2Bir wollen 
fehen, wer Du bift." 

Som Säbel unterftüfct, pacfte er ben jungen SRann unb 
fchleppte ihn nach ber ÜRairie, wo man jebenfalls, wenn er ftcf) 
nicht al§ guter Patriot, felbftoerftänblidj im Sinne ber Diepubli« 
faner, hätte auSmeifen fönrten, furgen ^rogeft mit ihm gemacht 
haben würbe. — 

5Rad) bent Sturje fRobeSpierre’S trat abermals eine fReaftioit 
ein. Die Danjluft erwachte non ffieuent. UeberaU in Soris 
würben wieber SäUe arraitgirt. Der erfte öffentliche SaU faub 
bei ber ©inmeihung oon „Diooli" ftatt. Unter biefem fRatneit 
nftmljch würbe ber prächtige ©arten be§ ©eneralpächterS Soutitt, 
bent ber Serfauf feuchten Rabats ben $opf gefoftet, bem Solfe 
übergeben, ©in ähnliches ©tabliffement würbe in ben ©hampS» 
©lifdeS unter bem fRarnen „bie ©ärten tton -URarboeuf" ein* 
gerichtet. 2Bemt bie Jänjer fröhlid) über ben fRafen fchwebten, 
bauten wohl nur wenige baran, bah an biefem ©runb unb 
Sobett baS Slut ber früheren Seftfceriu haftete. Die 9Rarqttife 
ü. ORarboeuf war nämlid; lebiglicf) beShalb guiUotinirt worben, 
weil fie in bie Umwanbluttg ihrer hf^rlidhen ©artenanlagett in 



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248 2Jlannigfaltigel. 

5?artoffeXfelber jum Söefteu bei „fouoeränen Bolfel" nicht Ijatte 
einwilligen wollen. 

Balb waren bie öffentlichen Satijlofale nicht mehr ju jählen. 
Sa waren IRanelagh unb Bauj-hall, $ralfati unb ber ^Jamllon 
oon Ipannooet. Sa war enblich ber $rabo mit einer 90113 
neuen 2lrt uon 2Jhtjtfaufführungen , ben eoncerts miaufciques 
ober „2Jliau*$onäerten". 

Siefe $onjerte waren jener 3 e ü nmrbig. Etliche Hafcen 
würben nämlich ber 9ieil?e nach in eine $lrt Planier geftedt, fo 
bah nur ber $opf heraulfah- $ebe Safte bei ^nftrumentl war 
mit einem $abenfdjroanj oerbunben. 2Benn nun bie Safte an» 
gefdhlagen würbe, brang eine fdjarfe Spifce in ben Schwaß ein, 
worüber bal Shier natürlich einen Schtnerjenlfcbrei aulftieji. 
3mar hatte man bie Stimmen fo gut all möglich nad) ber Son* 
leitet abgepajit, leiber war aber ber Schmerj ber gequälten 
aujjer aller Berechnung unb belhalb eine „harmonifche" 2Bir» 
fttng biefel finnreidjen Snftrumentl nicht ju erjielen- 

Ser toÜfte Einfall aber war bie Berwenbimg bei alten $iv<h» 
hofl non ©t. ©ulpice all BaWofal. Ueber bem ©ittertljor, bal 
bie Embleme ber urfprünglichen Beftimmung bei Drtel trug, 
prangte ein Sranlparent mit ben Sßorten : „Bai des Zöphyrs“. 
$ltif ben ©rabfteineit, bie man nicht entfernt hatte, ruhten bie 
erhiljten Baare nont Sanj aul. Erft Napoleon machte biefem 
grnuennollen ©cherje ein Enbe. 

Sie nach bem ©turje fflobelpierre’l jurüdgetehrten unb theil» 
weife in ben Befifc ihrer eingejogenen ©üter wieber eingefefcten 
Slbeligen grünbeteit eine gefchloffene ©efeUfdjaft jum 3 loe( fe 
Bergnügenl, bei welcher nur Serjenige SKitgtieb werben tonnte, 
welcher Bater ober HJhitter, Bruber ober ©d)Wefter, ober min» 
beftenl Dnfel ober Sante bitrch bie ©uillotiue nerloren hßtte. 
Ser Elub würbe bemjufolge „le Bai des Victimes — ber Ball 
ber ©djlachtopfer", genannt. Siefe Bälle fanben im JÖinter 



V 



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2Jtannigfattige?. 



249 



1794 im erften Stocf be§ fpotet IRic^elieit ftatt. Sämmtticbe 
©aUgäfte rcaren in tiefe Trauer getteibet, bie 2öänbe fcbrcarj 
au§gefcblagen, bie Scuc^ter, ÜRufifiuftrumente itnb ©erätbfcbafien 
mit fcbrcarjem $tor umrounben. Slnftatt ber Verbeugung rcar 
eine Neigung be3 <$aupte§ üblich, ähnlich ber be§ Opfer§, roenit 
e§ ben Kopf in bie ftöbtung fhob, über welcher bo» 9Jteffer ber 
©liillotine |ing. 

S)ie S<brecfen§männer fetbft wollten teine§rceg§ jurüdEbteiben. 
Sie oeranftalteten im zweiten Stocf beffetbeu fjaufe» „bie Väfle ber 
genfer". 3 U biefen nmrbe mau nur jugetaffen, rcenn man feine 
perfönliche Vetbeiligung an ben 2baten ber S<brecfen§berrfcbaft 
nachweifen fonnte. tpier erfd&ienen fämmtlicbe ©aügäfte in fRotb, 
bie Säle waren rotb auSgefd&tagen, bie 2eu$ter, ^nftrumentc 
unb ©erätbfchaften mit rotfjfeibenen Vänberit umrounben. fDian 
follte beuten, baf? e3 su fjänbeln gefommen märe, rcenn Schwarje 
unb Diotbe ft<b begegneten, ^tber e3 gefdfiab gerabe ba§ ©egen* 
tbeil, man oerbeugte ftcb unb fnijte auf ba§ §öfli<bfte unb medj* 
fette Komplimente im prunfooEften 9teooIution§*„59ruberftpt". 

©ine Heine ©pifobe, bie auf einem „Vati ber Opfer" fid) 
begab, mag jum Schlufj ben entfebtichen .fpumor biefer fyefte 
fenn 3 eichnen. Sßenn mäbrenb ber S<bredfen§tage eine $ur ©uil* 
totine oerurtbeilte Verfon nicht gefunbeu rcerben fonnte, nahm 
man fetjr oft ftatt ihrer irgenb einen anberen ©efangenen, ber 
iffr oerroanbt roar ober auch nur einen äffnlicb ftingenben fftameu 
batte, ftricb jebod) ben Flamen jener erften Verfon oon ber ßifte 
unb machte ihren offiziellen 2ob befannt. 2)ie§ rcar auch zwei 
Scbmeftern begegnet. Veibe batten fidb ben öenfern ju entziehen 
geraubt, ba aber Veiber tarnen auf bie Sifte ber ©uittotinirten 
tarnen, roäbnte jebe nur fid) gerettet unb bie ?tnbere tobt. 9tuf 
einem „Vati ber Opfer" trafen fie jufammen. Subelnb fanfen 
fie fub in bie 9trme. 9iber roäbrenb fie noch fcbtudbjeub fiel) 
umfangen bitten unb fiel) gegenfeitig ihre fieiben unb bie ©e* 



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250 



ßftannigfaltige«. 



fehlte ihrer Rettung ersten, trat ein ©orftanbSmitglieb ju 
ihnen. Skr 2ob ber Schroefter roar für jebe ber beiben Sdjroeftem 
ber SßechtStitel geroefen, fraft beffen fie bie ©intrittSfarte erlangt 
hatte. Ste nun roeber bie ©ine noch bie 9tnbere guiUotinirt 
roorbeit roar, fo roaren fie laut ber ©aflftatuten jur ©fitglieb* 
fchaft nicht mehr berechtigt. 

„©leine Steinen," fagte alfo ber .fterr nom ßomitd, „ich muh 
Shnen 51 t meinem größten ©ebauern mittheilen, bah Sie unferetn 
©alle nicht länger beimohnen lönnen." 

㩤 ift jroar fehr erfreulich, eine tobtgeglaubte Schroefter ju 
finbeu," fagte nach einer ©aufe bie keltere ber tarnen, „aber 
barum auf biefe fchöuen ©äße per, pichten ju müffen, ba§ ift hoch 
mirtlich etroaS ju hart!" 

Unb nur fehr ungern imb roiberroißig perliehen bie beiben 
„Opfer" ba§ ©aßlolal. Sd>— t. 

cifcrfttd^tifie 9Jlo$art. — Siebe macht befanntlich 
crfinberifdh, Siebe mar unb ift bie 9lmme jebeS ^ö^eren ©efüljl§ 
unb roecft ben ©eniuS. Steh aber auch bie ©iferfucht anfeuernb 
auf bie $raft be» ©eifteS ju mirfen permag unb einen ähnlichen 
9luffchroung erjielen faun, bafiir bietet eine ©pifobe aitS bem 
Seben be§ größten SonfchßpferS, ber piefleicbt ju aßen Seiten 
erftanben, einen fräftigen ©eieg. 9luch ©tojart’S melobienreiche 
©ruft blieb nicht pon ben ©feilen ber Siebe oerfchont. ©ben 
mit ber $ompojition feines „Sbometteo" befchäftigt, roar fein 
£>er 5 in perjehrenber Siebe ju ber bamals fehr gefeierten Sängerin 
9lloifia Söeber (feine fpätere Schwägerin, nachmals $rau beS 
£>offchaufpieler§ $ofeph Sange) am I. f. ,£>ofoperntheater ju 2Bien 
entbrannt. 91 Bein er rourbe perfchmäfjt. ©in 9lnberer roarb ihm 
uorgejogen. 

SieS roirlte fo aufregenb auf fein ©emütb, bah er auf ©acbe 
faun, unb biefe beftanb barin, bah et jroei 9lrien »oß ber raun* 
berbarften Schfinheiten, aber 3 ugleich mit ungeheuren Schmierig* 




Mannigfaltige?. 



251 



feiten überhäuft, fomponirte unb für bie graufame Schöne be» 
ftimmte. Sie mar bisher fein ©efd)öpf. (Sr batte fte auf bem 
ffrittig feiner Meifterfdjaft mit ficb jur £>öhe be? DiubmeS empor» 
gehoben. f)lun rooKtc er fie faden taffen, mollte ba§ 2Berf5eug 
feiner Melobien oerberbenb gegen fie lehren. Sie follte einfetfen 
ternen, baff fte nicht? ohne ihn mar. 

Mein ber Meifter batte ficb perrecbnet. Statt mit ben neuen 
ßompofitionen $ia?fo 51t machen, erntete 2)emoifetIe Söeber einen 
beifpiettofen ©rfolg. Selbft ber eiferfücbtige Sonbidjter mar 
burcb biefen unerroarteten 9lu?gang gerührt, perjiefj, refignirte, 
unb al? er ein Sabr barauf (im Mai 1781) ficb bei ber alten 
Mabame döeber, 9lloifia’S Mutter, einquartierte, verliebte er 
ftcb in bie ältere Scbroefter $onftanje, bie er benn auch am 
4. Huguft 1782 ^eimfü^rte. 

^lloifta , ber Mojart’S (Siferfudbt einen Triumph bereitete, 
ben ihr bie Siebe vielleicht nicht gemährt batte, trat 1784 eine 
längere Urlaubsreife an, mürbe 1788 au? bem 93erbanb be? 
SBiener Dpernbaufe? entlaffen, 1791 (bem Sterbejahre Mojart’S) 
bafelbft neuerbing? angeftellt, um erft 1795, nach Scbeibung 
ihrer unglüdtlicben ©be mit bem Scbaufpieler Sange, 2Bieu enb» 
giltig ju petlaffen. 3 un äcbft roirfte fie brei Sabre in Hamburg, 
1798 bi? 1801 in $lmfterbam, bann in Bremen unb Sranf* 
furt a. M., verlief 1808 ba? Theater unb lebte al? peufionirte 
f. f. .ftoffängerin bi? ju ihrem am 8. Suni 1839 erfolgten 2obe 
in Salzburg. Sie liegt bafelbft in einem ©rabe mit ihrer 
Scbroefter Sophie, verehelichten £>aibl (bie jüngfte ber Pier 
Scbroeftern 2Beber), auf bem St. SebaftianS«Sriebbofe. Ri 

Sfcer als SjÄäufejäger. — fHeinefe ift al? virtuofer 

Mäufejäger roeniger anerfannt unb geachtet, roie er al? kühner« 
bieb beim Sanbntann, al? .^aienliebhaber unb diebfibbefcbleicber 
bei bem Säger perhabt unb perfolgt ift. Unb bennoeb ift fein 
ffierbienft al? Mäufejäger Pom Sanbmirtl) fehr hoch anjufcblagen, 



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252 



ÜRaitnigfaltigeS. 



wenn er auch juroeiten auS unoerwahrtem ©eflügelftafl fich ein 
Huhn als Sagbredfjt beilegt. 3 um ®emeiS feiner SDiäufejäger« 
oirtuofität tfjeile ich folgenbe Beobachtung mit, bie ich nicht nur 
einmal, ionbern fchon öfter gemalt habe. 

Stuf freiem, fchneebebecftem f^elbe trottet SRetnefe gemächlich 
unb gemütlich bahin. Seht fefct er fuh unb f<haut mit oer» 
gnögten Sinnen auf ben ebenen Schneeplan hin. (Sin hüpfenber 
Blagegeift fcheint ihn in feiner ruhigen Erwägung, welche fRich* 
tung er auf feinem Bürfchgange nehmen fott, ju ftöreit. (Sr hebt 
ein Hinterbein unb bringt ben Keinen Störenfrieb hinter bem 
Dhr jur fRuhe. $)ann trabt er behaglich weiter über bie 
Scbneefläche. 

Stuf einmal fteljt er ftiH, ftrecft bie Sunte gerabeauS, unb 
plöhlich macht er einen bogenförmigen, jiemtich hohen Spmng 
in bie £uft, bie Borberläufe unb bie Sdfjuauje auf eine be* 
ftimmte Stelle beS fcfmeebebecften BobenS gerietet. Der Sprung 
hatte jebenfaÜS einer 2Rau§ gegolten; er fcheint fte aber nid>t 
erwifdjt ju haben, benn er geht fogleich weiter. Seht fteht er 
wieber ftiU unb eS erfolgt berfelbe gewanbte Sprung. Diesmal 
aber hat er feine 93eute richtig erhafcht. Sei eS nun, bah er 
bereits gefättigt war, ober bah er wegen feines SlppetitS um fo 
gröbere ffreube an feinem §ange hatte, item, er oerfpeiSte ben 
iBiffen nicht fogleich, fonbent machte nach Slrt ber $ahen allerlei 
luftige Sprünge. Er warf ben $ang mit ben Borberläufen unb 
ber Schnauje in bie Höhe unb fprang bann, als gälte eS einen 
SBettfampf, mit größter Sdtjnelligfeit barauf loS. Dann legte 
er ftch bucfenb in ben Schnee unb lieh bie 2RauS über benfelbeit 
hufchen, um fie unter oerfdjiebenen Burjelbäumen wieber einju* 
holen. So trieb er fein Spiet mit bem SDjier, bis eS fchachmatt 
war; bann erft würbe eS getöbtet unb oerfpeist. 

SBunberbar ift eS, wie eS bem Such» möglich ift, auf einige 
Schritte Entfernung bie 9RauS wahrjunehmen. Sehen fonnte er 



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2Jlannigfaltige§. 



253 



fic nicht wegen beS Scbnee’S. Ohne 3»oeifcl bat ihn fein äufjerft 
fd^acfer ©erucb uub fein fetiteö ©ebör geleitet. 

$a Reinete biefe 'JRäufcjagb nidjt nur jur Stillung feinet 
.ftungcrS, fonbern oft auch lebiglicb jutu Vergnügen betreibt, fo 
bürfte ber fianbmann burcb biefe feine „noble $affion" fidjer 
uon manchem läftigen Rager befreit werben. äo*. 

$aartrad)tcn bet ^Römerinnen» — S)cr berühmte, alt* 
römifd^e Siebter Coib b fl t e§ nid)t uerfebmäbt, in eleganten 
Werfen über bie bamaligen «<paartrad)ten ber frönen Römerinnen 
SU fdjreibcn : 

„Guer .spaar fei ©egenftanb eurer gaitj befonberen Sorgfalt. 
Gure Rnmutb ^ängt uon ber ©efcbidlicbleit eurer .ftänbe ab; 
jeboeb gibt e§ ber Rrten uiele, jene in immer neuem 2Öed)fel jur 
(Geltung ju bringen. Rlöge eine 3ebe ibreit Spiegel um Rath 
fragen! Gin längliches ©efidjt erforbert, bafc ba§ $aar einfad) 
über ber Stirn geteilt werbe. Gin loderet knoten oben auf 
bem topf, ber bie Obren unbebedt läfet , ftebt beit runben ©e* 
fiebtertt beffer. S)ie Giite wirb ibr §aar auf eine Schulter fallen 
iaffen, gleich bem RpoH, ber bie £yra hält, bie Rubere wirb es 
in flechten auffteden, wie $iana es tbat, wenn fic wilbe Spiere 
rcrfolgte. S)ie Gine entjüdt unS burcb ihre wallenbett Jadeit, 
bie Rnbere bureb eine fefte $rifur, bie fidj glatt an bie Schläfe 
febmiegt. $>er Ginen gefällt eS, iljr £>aar mit glänjenbem Sdjilb* 
patt ju jierett, ber Rnberen, baS ihrige in bie $orm fanft 
flutbcnber SLÖeUeit ju bringen. Rlan lönnte eher bie Giebeln eines 
bidjt belaubten GicbbautneS jäblett, ober bie dienen uon .^>i;bla, 
ober bie Obrere, welche bie Rlpen berölfern, als bie neuen .fpaar* 
trachten, weldje feben 2ag ftcb entfalten. — G§ gibt uiele grauen, 
benen eine fdjeinbar naebläfftge ^rifur gut ftebt ; mau fömtte fie 
für bie beS geftrigen 2ageS halten, unb boeb ift fie eben erft 
bergerkbtet worben. 3>ie tunft foll baS Zufällige uadjabmen. 
derartig war bie liebreijettbe Unorbttuitg bei Sole, als §erlule§ 



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254 



2Rannigfaltige$. 



fie jum erften s iMc in einer mit flürmeuber £)anb genommenen 
Stabt erblicftc uttb auSrief: , 3 $ liebe Sieb! 1 So fah bie 
^ürftin aus, melche auf bem ©eftabe oou MjoS ucrlaffeit mürbe, 
a(§ SacchuS fie auf feinem 2Bageit entführte." (£. 2. 

iöouchct in ®i. ^Jetctätmrg. — ‘Der berühmte Piolin* 
uirtuofe SSoucher befafi in ©eftalt unb ©eftcbtSjüflen eine nterl* 
mürbige Slehnlichfeit mit bem $aifer Napoleon I. $ur$ nach ber 
jroeiten 9 teftauration hatte er ficb nach Petersburg begeben, um 
bafelbft Stöberte 311 oeranftalten. ©iiteS MenbS fpielte er uor 
einer auSerlefeneit ©efellfchaft bei bem dürften MriSfin. Mch 
Jtaifer Myanber mar anroefenb. 3 ?on feinem piafce au§ beob* 
artete berfelbe ben Zünftler längere Seit fcharf, unb nachbent 
biefer fein Spiel beenbet, f<hritt er auf ihn 311 unb bat ihn mit 
grober .fpöflichfeit, ihm eine ©efälligfeit 311 ermeifen unb am 
nädhften Sage um bie unb bie $eit fich im Söinterpalafte ein* 
finben 3U roollen. pünftlich 31er beftimmten Stunbe mar Poucher 
3ur Stelle, ©r mürbe fogleich pon einem Wiener in ©ntpfang 
genommen unb in ein Stromer geführt, mo er 3U feiner Per* 
munberung auf einem Sioan einen Keinen £mt ohne Treffen, 
einen Segen, eine Ober ftenuni form ber franäöftfdjeu ©arbejäger 
unb ein Offi3ierSlreu3 ber ©htfmlegion liegen fanb. Mch menigeit 
Mgenblicfen erfdjien ft'aifer Slleyanber, begrüßte ben ßünftlcr 
frcunblidj unb fagte: „Mn miU i<h Sh»cn mittheilen, um toaS 
es fid) hßtibelt. Me biefe ©egenftänbe haben bem $aifet Napoleon 
gehört unb mürben in ÜDioSlau gefunben. fDton hat mir uon 
Sh«r ^lehnlichfeit mit bemfelben erjä^lt, unb ich finbe biefe faft 
noch auffallenber, als man mir gefaßt. Pteine ÜJiutter bebauert 
nun nichts fo fehr, als bah fie Ponaparte niemals gefehen hat; 
menn Sie baher bie ©iite haben mürben, biefe Sachen anjulegen, 
fo lönnte ich Sie meiner fDtutter als baS getreue ©benbilb 
unfereS großen ©egnetS oorftellen, unb fie mie ich mürben Shneu 
311 San! oerpflichtet fein." 



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ÜJlannigfaltigeS. 



255 



©oucber war natürlich fogleid) bereit , wecbfelte bie Siteiber 
unb würbe barauf oon Slleyaitbcr in ba§ Sfabinet bet 3 arin 
geführt, wcldjer ihr Sohn wieberbolt ucrfidjerte, bie däufdjitng 
fd)ieuc ihm ooHfommett, unb fie fönnte nunmehr gctroft glauben, 
Napoleon felbet gefehlt 511 haben. 3 m. 

3h>ei üöricfe oon ^^rifto|)lj (Solumbutf unb einen oon 
Slntertgo ©eSpucci, bie für ade diejenigen, welche fid) mit geo* 
grapbifdjen Stubien befdjäftigen, oon ^»tcreffe fein bürften, bat 
flluguft 3«n in 8 ®ont betauSgegebeu. der erfte ©rief beS ©nt* 
becferS oon $lmerifa trägt fein datum unb ift an „ 3 bte fatbo* 
lifcbc .fpobeit gerbinanb, Slönig oon Spanien, unb an Sfabella, 
beffeit ©entablin" gerichtet. ©olumbuS gibt in biefem ©d)tciben 
einen auefiibrlidjen ©ericht über bie ©ntbecfiing oon £>iSpaitiola 
(fjayti), unb bet geniate ©enuefe jeigt ficb barin nicht nur als 
tüdjtiger Seemann, fonbern amh als umftchtiger ©olitifer. der 
jmcitc ©rief ift am 6 . fyebruar 1502 in ©ranaba gefchriebeit 
worben; ber 2lbreffat ift unbefannt, hoch fcheint eS, bafi biefer 
©rief ebenfalls an $önig ^erbinanb gerichtet ift. derfelbe ent- 
hält eine gebrängte darfteUung ber ©chifffabrtsfunbc. fdierf* 
würbig ift biefer ©rief beSbalb, weil ©olumbuS in bemfelben 
noch Steifet an ber fpbärifcben ©eftalt ber ©rbe attSfpracb. der 
britte ©rief ift oon ber £>anb 2lmerigo ©eSpucci’S. ©r ift, wie 
wir unS beute auSbrüdfeit würben, eine Hrt „$onfularberid)t". 
©eSpucci febreibt an beit Sfarbittal .l'itnenej, ©rjbifdjof oon do* 
lebo, über bie ©ebeutung ber neuentbedten Sänber für beit fpa* 
nifchen £)attbel. ©r gibt auch bie Söaaren an, bie nach feiner 
^luficht auf ben Antillen rafchen Slbfajj finben würben. SR. 

Diojeniultur in <£b*urt. — 3 »n Ipimtnlifcben ©eiche mibntet 
man ber ©ofenfultur cbeitfo oiel ©flege unb Sorgfalt, als in 
ber dürfei unb ©erfieit. die ©ofengärten beS ®aiferS oon ©bina 
follen pracbtooU fein, unb berfelbe bitreh ben ©ewittn beS ©ofen* 
Öls unb ©ofcnwafferS ganj enorme Summen jährlich in feine 



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256 



ERannigfaltige?. 



Staffen fließen laffen. Elur bie oorncljmftcn C^iitejen, al§ ba 
finb: bie faifcrlicfje (Familie, b<>bc Eftilitär?, ERanbaritten unb 
attbere Eöürbenträgcr be? Eieicbe?, bitrfeit biefe ©ffeitäcti im £>aufe 
haben , ein gemöbnlicbet (S^inefe mürbe barte Strafen erleiben, 
menn ftcb ein Stopfen baoon bei ihm oorfänbe. Urfprünglid; 
fanntc man nur jmei Eiofenforten in ß^ina, bie roeibe unb rotlje 
EEoosrofe. 3c Heiner biefelbe ift, befto gröberen Eöertb bat fie. 
3brc ©lütter bienen auch al? Elmulet. Eftan fie oielfadj 
in einem Sftddjen oor ber SdjroeEe be? .fraufe? auf unb glaubt 
fid) bann gegen jebe? Unbeil gefeit. — Sie SHofe fdjeint in ®bi«a 
fdjott int grauen Elltertbum eine grobe 9loEe gefpielt ju haben, 
bcmt in ber faiferlidjeu ©ibliotbef foEen fid) an 500 Eftanu* 
fcripte befinben, roeldje au?fcblief5lidj biefe ©turne bebaitbeln. 

• ®. 3B— r. 

3tud) eine 3'ü^bittc. — (Sin preSbyterianifdjer ©rebiger, 
ber unter $önig EBilbelm III. ooit ©nglattb in ber ^oflirdje ju 
(Sbiuburg beit öffentlichen ©otteebienft oerfab, brauste folgenbe 
ttterlnmrbige Formel am Schluffe feine? ©ebet§: „.fterr, bab’ 
©rbarmeti mit aEen geiftig Elrmeit unb ©infaltigen, oorjügticb 
aber mit bent rooblmeifen Stabtratb ooit ©binburg." e. It. 

tolle ©ctteral. — EU? man in ©egeuroart ^riebricb’3 
be§ ©roben auf beit tapferen unb oerbienftooEen öfterreichifdjm 
©eiteral Saubon su fpretben laut, fagte ber ©eneral o. S., ber 
beut Ä?öitifl burd) taftifd&e Rebler fdjoit mebrfad) ©runb jur 
Uiigufriebeiibeit gegeben batte, Saubon fei toll. 

„3dj habe nid)t? baoon gemerft," meinte ber Jftöttig mit 
einem Seiteitblid auf ben Sprecher, „aber toemt e? roirllid) ber 
$aE märe, fo mürbe ich febt jufrieben fein, roetttt er einige 
meiner ©eiteräle biffe!" — 3. 

&erau$gegebert, gebrudt unb oerlegt ooit £>ermattnScbönlein§ 
Ela cb folg er in Stuttgart. 



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