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Full text of "Völkerrecht : die Fortbildung des Völkerrechts auf dem Gebiete des Prozess- und Landkriegsrechts durch die II. internationale Friedenskonferenz im Haag 1907"

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DAS OEFFENTLICHE HECHT 

DER GEGENWART. Herausgegeben 
von J e 1 i i n c k , L a b a n d und V i 1 o t y. 

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JAHRBUCH 

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( )EFFENTL1 ( H E N B EC HTS 

Hand II 

1908 




T ü b i ng e n 
Verlag von J. C. B. Mohr (Pa? 



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DAS OEFFKNTLICHE RECHT 

DER GEGENWART. Herausgegeben 
von Jellinck, La band und Pilot y. 



JAHRBUCH 

des 

OEFFENTLICHEN RECHTS 

BAND II 
1908 

XII u. 669 Seiten Lex. 8°. M. 18.-. Gebunden M. 20.—. 
Bei Subscription auf daa ganze Sammelwerk (Systematischer Teil und Jahrbuch) 

M. 16.20. Gebunden M. 18.20. 

Dem itn Sommer 1907 erselüenenen 1. Bande des Jahrbuchs des öffent- 
lichen Rechts reiht sich der 2. Band (1908) mit noch reicherem Inhalt als 
sein Vorgänger an. 

Das Programm des Jahrbuchs darf als bekannt gelten. Die äusserst 
günstige Aufnahme, welche der erste Band gefunden hat und die günstige 
Kritik, die ihm von sachverständigen Seiten zu Teil wurde, bestätigen in reichem 
Masse die Berechtigung und den Wert des Programmes. 

Ueber dieses äussert sich einer der berufensten Kritiker, Geh. Ober- 
regierungsrat Dr. Ferdinand von Marti tz, ord. Professor für Staats- und 
Völkerrecht an der Universität Berün, in der deutschen Literaturzei- 
tung 1908 Nr. 12 folgendermassen : 

„Das Hauptinteresse erregt dessen zweiter Punkt, eine planmässige, 
soweit zu erreichen, periodische Berichterstattung Uber die im 
Staats- und Verwaltungsrecht der Kulturvölker sich vollziehende 
Entwicklung und Umbildung. Es wird sich hiernach darum handeln, die 
Darstellungen des systematischen Teils möglichst auf dem laufen- 
den zu erhalten und vor allzuschnellera Veralten zu bewahren. 
Und zwar sollen die Berichte über den Fortgang der Landesgesetzgebungen 
in der Regel von den Verfassern der Einzeldarstellungen im systematischen 
Teil geliefert werden. Ein solches Unternehmen ist mit Freude zu begrüs- 



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sen. Seine Ausführung würde eine Lücke ausfüllen, die jeder, der sich mit 
öffentlichen Dingen befasst, immer wieder empfindet. 

Wie schwierig und umständlich ist es noch immer, sich einen authen- 
tischen Aufschluss auch nur über die wichtigsten gesetzgeberischen Vorgänge 
zu verschaffen, welche das innere staatliche Leben der Nachbarnationen er- 
füllen, deren Kenntnis auch für die Fortbildung unseres eigenen jRechtszu- 
standes von hohem theoretischen wie praktischen Interesse ist. Wie müh- 
sam ist es z. B. selbst für uns Deutsche, die wir gegenwärtig im Zeitalter 
der Wahlreformen stehen, auch nur für die deutschen Einzelstaaten das in 
den letzten Jahren aufgehäufte gesetzgeberische Material, das die Organisa- 
tion der Landtage betrifft, zusammenzubringen, zu übersehen und zu wissen- 
schaftlichem Verständnis zu bringen. Wird das Unternehmen programmge- 
mäss durchgeführt — und dass die3 geschehen wird, dafür bürgen die an 
der Spitze stehenden Namen - , dann wird es für Deutschland im Bereiche 
des öffentlichen Rechtes etwa die Stelle ausfüllen, die das Pariser Annuaire 
de legislation etrangere für Frankreich bedeutet. 

Schon der reiche Inhalt de3 vorliegenden ersten Bandes ist wohl 
geeignet, die an die buchhändlerische Ankündigung des Jahrbuchs geknüpf- 
ten Erwartungen zu erfüllen. Ohne mich an die äussere Scheidung zwischen 
Abhandlungen und Berichten zu halten, die sich inhaltlich, bei der wissen- 
schaftlichen Bedeutung der letzteren, an dieser Stelle nicht füglich durch- 
führen lässt^ möchte ich vornehmlich aufmerksam machen auf den wesent- 
lichen Gewinn, den unsere Kenntnis ausländischen Staatsrechte schon aus 
diesem Bande zieht 14 . 

Der zweite Band soll zeigen, dass die Herausgeber bemüht gewesen 
sind, den Inhalt des Jahrbuches vor allem nach der Seite der Berichter- 
stattung über die Gesetzgebung der einzelnen Staaten zu erwei- 
tern. Es ist in diesem Jahrgang über eine Reihe von Staaten berichtet wor- 
den, für welche im ersten Jahrgang Berichte noch nicht zu erlangen waren. 
In den folgenden Bänden soll in noch höherem Masse Vollständigkeit der 
Berichte erstrebt werden. Insbesondere wird auch über Frankreich, England 
und Nordamerika zu referieren sein. 

Abhandlungen sind in diesem Jahre fast nur von ausserdeutschen 
Mitarbeitern geliefert worden, da die Herausgeber sich in der Werbung von 
Beiträgen, die in diese Abteilung des Jahrbuchs passen, ihren deutschen Kollegen 
gegenüber einige Zuriiekhaltung auferlegen mussten, um nicht mit den beiden 
Festschriften für Paul Laband in Konkurrenz zu treten. 

Für den III. Band ('1 !)(){>) sind dagegen jetzt schon einige bedeutende 
wissenschaftliche Abhandlungen über besonders wichtige Gegenstände des öffent- 
lichen Rechtes und seiner Entwicklung im Inlande und Auslande in Aussicht 
gestellt. 



a™To». J- C R M0HR < Paul Siebeck >" 



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JAHRBUCH 
DES OEFFENTLICHEN RECHTS. 

BAND II. 1908. 

INHALT: 
Deutschland. 

1. LABAND-Strassburg, Die Reichsgesetzgebung des Jahres 1907. 

2. DOCHOW-Heidelberg, Die Gesetzgebung Preussens im Jahre 1907. 

3. GRASSMANN-München,Aenderungeni. d. bayerischen Behördenorganisation. 

4. NAEGELE-Mlinchen, Das Wassergesetz für das Königreich Bayern vom 
23. März 1907. 

5. HAFF-München, Der Stand des Grundentlastungsrechtes in Bayern mit 
einem geschichtlichen Ucberblick. 

6. GOEZ-Stuttgart, Gesetzgebung Württembergs im Jahre 1907. 

7. WALZ-Heidelberg, Die Gesetzgebung in Baden während der Jahre 1906 
und 1907. 

8. W. van CALKER-Giessen, Die Entwicklung der hessischen Verwaltungs- 
organisation im 19. Jahrhundert. 

9. SEELIG-Hamburg, Das Hamburgische Wahlgesetz zur Bürgerschaft vom 
5. März 1906. 

Ausland. 

1. ERRERA-Brüssel, Belgiens Gesetzgebung im Jahre 1907. 

2. HANSEN- Kopenhagen, Dänemarks Gesetzgebung im Jahre 1907. 

3. FARDIS-Paris, Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich. 

4. SARIPOLOS-Athen, Griechenlands Gesetzgebung im Jahre 1906 und 1907. 

5. SIOTTO-PINTOR-Perugia, Die bemerkenswertesten Wandlungen und Er- 
eignisse des Verfassungsrechtslebens in Italien in den letzten 15 Jahren. 
(1893-1907). 

6. ULBRICH-Prag, Die Reichsratswahlreform in Oesterreich. 

7. ULBRICH-Prag, Die Neuordnung der wirtschaftlichen Beziehungen 
zwischen Oesterreich und Ungarn. 

8. STEINBACH-Wien, Staatsrechtliche Wandlungen in Ungarn. 

9. LUKAS-Czernowitz, Territoriali täts- und Personalitätsprinzip im österr. 
Nationalitätenrecht. 

10. SCHLESINGER-Breslau, Die Verfassungsreform in Russland. 

11. ERICH-Helsingfors, Ein Blick auf die neueste politische Gesetzgebung 
Finnlands. 

12. POSADA-Madrid, Die politische Reform Spaniens. 

Völkerrecht 

MAX HUBER-Zürich, Die Fortbildung des Völkerrechts auf dem Gebiete des 
Prozess- und Landkriegsrechts durch die II. Intern. Friedenskonferenz im 
Haag 1907. 



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Vkhlao von J. C. B. Moub (Paui. Sikbeck) in TOhinoen. 



Jahrbuch des Oeffentlichen Rechts. 

Band I. 

1907. 

Preis: 11 Mark, geb. 12 Mark 60 Pf. 
(In der Subskription uiiF das ganze Sammelwerk Mk. 9.90, geb. Mk. 11,50). 

Inhalt: 

1. Die geschichtliche Entwicklung der Reichsverfassung seit der Reichsgründung. 

Von Laban d. 

2. Die Entwickelung der Staatsrechtswissenschaft seit 1866. Von Zorn. 

:t Die Haager Konferenz von 1899 und die Weiterbildung des Völkerrechts. Von 

K. von U i 1 m a n n. 
4. Jurisprudenz und Gesetzgebung. Von F r e u n d-f' Iiit ag.). 
• r » Justizreform. Von M e n d e 1 » s o h n - B a r t h o 1 d v-Wiiiv.lmrg. 

6. Gesetzliche und parlamentarische Regierung in Ungarn. Von G. Steinbac Ii- 
Wien. 

7. Die amerikanische Präsidentenwahl. Von John W. Ji u i g c s s -New- York. 

Berichte Uber Preussen, Bayern, Württemberg, Baden, Braunschweig, Mecklenburg, 
Belgien, Dänemark, Schweiz und Spanien. 



BESTELL - ZETTEL. 

D Unterzeichnete bestellt bei der Buchhandlung 

au» dem Verlag von J. C. B. MOHR (Paul Slebeck) in Tübingen : 

Jahrbuch des Oeffentlichen Rechts. 
Band I. 
Band II u. ff. 

bruscliiert — gebunden. 
Betrug wird vorher eiugtBanrtt — im durch Nachnahme! zu erhoben. (Nicht Zutreffen- 
des bitte zu durchstreichen.) 

Ausführliche Prospekte über „Das öffentliche Recht 
der Gegenwart". 

Ort und Datum : Name : 



liruck von 11. L a u p j> jr in Tübingen. Nr. 161. 



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Verlagsbuchhandlung J. C. B. MOHR (Paul Siebeck) in Tübingen. 



Das öffentliche Becht der Gegenwart. 

In Verbindung mit einer grossen Anzahl hervorragender Schriftsteller des In- und Auslandes 

Dr. Georg Jelliuek, Dr. Paul Laband, Dr. Robert Piloty, 

Professor an der Profenor an der Profetior an der 

Universität Heidelberg. Universität Straaibnrg. Universität Würsburg. 



Das öffentliche Recht der Gegenwart 

hat sich die Aufgabe gesetzt, das in den meisten seiner Teile veraltete und 
in kurzer Zeit sich abschliessende „Handbuch des Oeffentlichen Rechts der 
Gegenwart" von Marquardsen und Seydel zu ersetzen. Während das „Hand- 
buch 14 nur aus systematischen Darstellungen der einzelnen Staatsrechte und 
der andern Wissensgebiete des öffentlichen Rechts bestand, ist bei dem neuen 
Unternehmen als besonders wertvoll hervorzuheben, dass hier ausserdem in 
einem 

Jahrbuch des öffentlichen Reehts 

unter anderem Beiträge überdenFortgang derGcsetzgebung 
in den einzelnen Staaten von den Verfassern der Einzel- 
darstellungen selbst gebracht werden. 

Ausführliche Prospekte iklter das Sammelwerk sind erhältlich. 



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Die Redaktion des „Oe. R. d. G." hat vorlaufig die folgenden Mitarbeiter gewonnen: 



Anachüt* (Heidelberg) 


Prcussen 


Band I Verfassung 




Band II Verwaltung 


Aßhworth (London) 


Britische Kolonien 


Blomberg (Upsala) 


Schweden 


Bockel (Jena) 


Thüringische Staaten 


Brückner (Schwerin) 


Beide Mecklenburg 


van Calker (Giessen) 


Hessen 


Errera (Brüssel) 


Belgien 


Fardis (Paris) 


Frankreich (Verwaltung) 


Fleiner (Tübingen) 


Schweiz 


Fleischmann (Halle) 


Anhalt, Schauniburg-Lippe, 


Lippe und Walaeck 


Freund (Chicago) 


Amerika 


Goos und Hansen (Kopenhagen) 


Danemark 


von Qox (Stuttgart) 


Württemberg 


Grassmann (München) 


Bayern (\erwaltung) 


Inowye (Kioto) 


Japan 


Lab and (Strasburg) 


Deutsches Reich 


Lebon (l'ans) 


Frankreich (Verfassung) 


Marczali (Budapest) 


Ungarn (Verfassung) 


Markus (Budapest) 


Ungarn (Verwaltung) 


Morgenstierne (Christiania) 


Norwegen 


Orlando (Rom) 


Italien 


Piloty (Wurzburg) 


Politik 


r n 


Bayern (Verfassung) 


Posada (Madrid) 


Spanien 


Rhamm (Braunsehweig) 


Braunseliweig 


Roraeyn (Haag) 


Niederlande 


Saxipolos (Athen) 


Griechenland 


Sehücking (Marburg) 


Oldenburg 


Seelig (Hamburg) 


Hansestädte 


ülbricb (Prag) 


Oesterreich 


Ullmann (München) 


Völkerrecht 


Wals (Heidelberg) 


Baden. 



Mit Gelehrten des Auslandes schweben Unterhandlungen über die Staatsrechte aller 
in obiger Uebersicht nicht aufgeführten Staaten. 



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•c / X) 

Das öffentliche Recht der Gegenwart. 

In Verbindung mit einer grossen Anzahl hervorragender Schriftsteller des In- und Auslandes 

herausgegeben von 

Dr. Georg Jellinek, Dr. Paul Laband, Dr. Robert Piloty, 

Professor an der Professor an der Professor an der 

Universität Heidelberg. Universität Strassburg. Universität Wttrsbnrg. 



V 



Jahrbuch 

des 

öffentlichen Rechts 

der 

Gegenwart 

Band II. 

1908. 




Tübingen 

Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 
1908. 



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Alle Rechte vorbehalten. 



Druck von H. Laupp jr in Tübingen. 



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III 



Vorwort. 

Das Programm, nach welchem der erste im Jahre 1907 erschienene 
Band «dieses Jahrbuchs angelegt und eingeteilt worden ist, hat auch diesem 
zweiten Bande zu Grunde gelegen. Es haben Beiträge in den Formen der 
Abhandlung und des Berichtes Aufnahme gefunden. Die Redaktion war be- 
strebt, die Akte der Gesetzgebung in ihren wichtigsten Ergebnissen in mög- 
lichst zahlreichen und eingehenden Berichten, nach Staaten und Ländern 
gruppiert, für In- und Ausland übersichtlich zusammenzustellen. Hinsichtlich 
derjenigen Staaten, über deren Gesetzgebung geeignete Berichte bisher nicht 
erlangt werden konnten, wird die Redaktion in künftigen Bänden solche Be- 
richte, die auch die wichtigeren Akte der Gesetzgebung der letztvergangenen 
Jahre berücksichtigen, zu bringen besonders bestrebt sein. Die für diesen 
Jahrgang eingelaufenen Abhandlungen wurden, da dieselben sich fast durch- 
weg nur auf je einen bestimmten Staat beziehen, nicht wie im ersten Bande 
in eine besondere Abteilung zusammengestellt, sondern wie die Berichte nach 
Staaten und Ländern gruppiert. Die Veranstaltung der grossen, zweibändigen 
Festschrift für Paul Laband hat es in diesem Jahre mit sich gebracht , dass 
die Zahl der für dieses Jahrbuch erreichbaren Abhandlungen eine verhältnis- 
mässig nicht sehr grosse sein konnte. 

Juli 1908. 

Die Redaktion. 



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V 



Inhaltsverzeichnis. 



Seit« 

Deutschland. 

I. Deutsches Reich, Professor Paul Laband, Strasburg : Die Reiehsgesetz- 

gebung des Jahres 1907 1 

H. Preussen , Privatdozent Franz Dochow, Heidelberg : Die Gesetzgebung 

Preussens im Jahre 1907 13 

III. Bayern, 1. Ministerialrat Dr. Josef Grassmann, München : Aenderungen 

in der bayerischen Behördenorganisation 38 

2. Dr. Otto Nägele, München : Das Wassergesetz für das Königreich 

Bayern vom 23. März 1907 43 

3. Privatdozent Dr. Karl Haff, München: Der Stand des Grundent- 
lastungsrechtes in Bayern mit einem geschichtlichen Ueberblick ... 68 

IV. Württemberg, Geheimrat K. von G ö z , Stuttgart : Gesetzgebung in Würt- 

temberg im Jahre 1907 86 

V. Baden , Bürgermeister und Professor E. Walz, Heidelberg : Die Gesetz- 
gebung in Baden während der Jahre 1906 und 1907 91 

VI. Hessen, Professor Wilhelm van Calker, Giesseu : Die Entwicklung der 

hessischen Verwaltungsorganisation im 19. Jahrhundert 125 

VII. Hamburg, Rechtsanwalt Dr. Geert Seelig, Hamburg : Das Hamburgische 

Wahlgesetz zur Bürgerschaft vom 5. März 1906 132 

Anstand. 

I. Belgien , Professor Paul Errera, Brüssel : Belgiens Gesetzgebung im 

Jahre 1907 163 

II. Dänemark, Henrik Hansen, Kopenhagen : Dänemarks Gesetzgebung im 

Jahre 1907 170 

III» Frankreich, Georges Fardis und Dr. Job. Prost, Paris: Die Trennung 

von Staat und Kirche in Frankreich 178 

IV. Griechenland, Privatdozent Dr. Nikolaus Saripolos, Athen: Griechen- 
lands Gesetzgebimg in den Jahren 1906 und 1907 250 

V. Italien, Professor Dr. Manfredi Siotto-Pintor, Universität Perugia : 
Die bemerkenswertesten Wandlungen und Ereignisse des Verfassungs- 
rechtfllebens in Italien in den letzten 15 Jahren (1893—1907) 259 

VI. Oesterreich-Ungarn, 1. Professor Josef Ulbrich, Prag: Die Reiehsrats- 

wahlreform in Oesterreich 285 

2. Professor Josef Ulbrich, Prag: Neuordnung der wirtschaftlichen 

Beziehungen zwischen Oesterreich und Ungarn 297 



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VI 



Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

3. Dr. Gustav Steinbach, Wien: Staatsrechtliche Wandlungen in 



Ungarn 317 

4. Professor Josef Lukas, Czernowitz : Territorialität*- und Personali- 
tätsprinzip im österreichischen NatioualitRtenrecht 333 

VII. Ru99land-Finnland, 1. Dr. M. L. Schlesinger, Gerichtsassessor in Bres- 
lau: Die Verfassungsreform in Russland 406 

2. Privatdozent Dr. K. Erich, Uelsingfors : Ein Blick auf die neueste 

politische Gesetzgebung Fiunlands 431 

VIII. Spanien , Professor Adolfo Posada, Madrid : Die politische Beform 

Spaniens 444 

Völkerrecht. 

Professor Dr. Max Huber, Zürich : Die Fortbildung des Völkerrechts auf dem 
Gebiete des Frozess- und Landkriegsrechts durch die II. internationale 
Friedenskonferenz im Haag 1907 470 

1 % 

Ans Band I: 

Profeasor Ernst Freund *), Chicago : Jurisprudenz und Gesetzgebung .... 651 
Register 665 



Besondere Inhaltsübersicht 

zu 

Max Huber, Die Fortbildung des Völkerrechts. 

(S. 470—649.) 

Einleitung 471 

A, Wesen und Aufgaben der Konferenz 471 

B. Die Quellen 474 

I. Die Schlussakte 474 

Inhalt und rechtliche Natur S. 474. — Entstehung der Konferenzbe- 
schlüsse S. 475. — Veto gegen Aufnahme von Beschlüssen in die 
Schlussakte S. 47 H. 

II. Die Konventionen 478 

Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 



S. 478. — Konvention betr. die Beschränkung der Gewaltanwendung 
zur Geltendmachung vertragsrnässiger Sehuldforderungen S. 479. — 
Konvention betr. Errichtung eines internationalen Prisengerichts S. 479. 
— Die kriegsrechtlichen Ankommen im allgemeinen S. 4S0. — Die 
für Land- und Seekrieg gemeinschaftlichen Abkommen (Eröffnung 
der Feindseligkeiten, "Werten von Geschossen aus Ballons) S. 481. — 
Die Konvention betr. die Regeln und Gebräuche des Landkrieges 
S. 482. — Die Konvention betr. die Rechte und Pflichten der neu- 
tralen Staaten und Personen im Landkriege S. 483. — Adhäsionen 
S. 483. — Das Geltungsbereich der Konventionen S. 484. — Ratifi- 
kation, Formalien 8. 485. 

Das Prozessrecht 485 

A. Friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 

ausserhalb des Rechtsweges 495 

Gute Dienste , Mediation S. 48">. — Voraussetzungen und Wesen der 
l'ntersucbungskommissionen 8. 485. — Zusammensetzung der Kom- 
missionen S. 487. — Verfahren S. 487. — Beweiserhebung S. 487. — 
Kommissionalbeschlüsse S. 488. — Kosten. Sprachen S. 488. — Ver- 
kehr mit Regierungen S. 489. 

*) Ans Band I des Jahrbuchs in verbesserter l'ebersetzung wiederholt, bei der Preis- 
festsetzung des Bandes aber ausser Betracht gelassen. 



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Inhaltsverzeichnis. 



VII 



Saito 

B. Der Rechtsweg in internationalen Streitigkeiten . . 489 

T. Die Begründung internationaler Gerichtsbarkeit 489 

Gerichtsbarkeit (Gericht und Zuständigkeit) durch ein einziges zweisei- 
tiges Hechtsgeschäft begründet (spezielle Schiedsabkommen ad hoc, 
internationales Prisengericht , italienisch - argentinischer Vertrug von 
1907) 8. 490. — Verträge, welche die Gerichtsbarkeit nur partiell be- 
gründen (Grundvertrag und Nebenverträge) S. 492. — Das Kompromiss 
(Kompromissvertrag, abstraktes Kompromiß , spezielles Kompromiss) 
S. 493. — Zwangskomproiniss S. 495. — Staatsrechtliche Voraus- 
setzungen des Komprounssab*chlurtses S. 497. 

II. Das materielle Recht unter internationaler Gerichtsbarkeit 500 
Konvention betr. friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 8. 500. 
— Konvention betr. Beschränkung der Gewaltanwendung bei Geltend- 
machung vertraglicher Schuldforderungen S. 500. — Konvention betr. 
Errichtung eines internationalen Prisengerichts S. 503. 

III. Internationale Gerichte und mit solchen zusammenhängende Institutionen 506 

1. Der Ständige Schiedshof, das Internationale Bureau und der Aufsichts- 
rat im Haag S. 50t». — 2. Die von Fall zu Fall gebildeten Schiedsge- 
richte für das ordentliche und das summarische Verfahren S. 507. — 
3. Die Cour de justice arbitrale, der nissische und amerikanische Vor- 
schlag S. 508. — Gleichheit und Ungleichheit der Staaten bei Be- 
setzung des Gerichts S. 510. — Organisatorische Bestimmungen des 
Konventionsprojektes S. 512. — 4. Das internationale Prisengericht, 
Grundsätze der Besetzung S. 514. — Organisation S. 516. 

IV. Voraussetzungen und Umfang der Zuständigkeit internationaler Gerichte 518 

Schiedsverträge ad hoc und Schiedsklauseln S. 518. — Generelle Schieds- 
verträge und die Grenzen ihrer Anwendbarkeit S. 518. — Begriff der 
Rechtsstreitigkeiten, sog. Interessenklausel S. 519. — Ausschliessung 
der peremptorischen Einrede der vitalen Interessen flir gewisse Kate- 
gorien oder unter gewissen Bedingungen S. 521. — Die Konferenz von 
1899, seitherige Entwicklung des Schicdswesens , die Idee des Welt- 
schiedsvertrages S. 522. — Die Projekte der II. Friedenskonferenz: 
Vorschläge für Schiedsgerichtsbarkeit unter der Intereseenklausel (Ver- 
einigte Staaten, Brasilien, Griechenland) S. 523. — Unbedingte Schieds- 
gerichtsbarkeit für enumerierte Fälle (Serbien) S. 523. — Kombiniertes 
System (Portugal, Schweden, Grossbritannien) S. 523. Die Intercsscn- 
klausol im portugiesisch-britischen Projekt S. 524. — Das Listensystem 
S. 524. — Der österreichisch-ungarische Vermittlungsantrag S. 525. — 
Der schweizerische Vermittlungsantrag des abstrakten Schiedsvertrags, 
Reziprozität»- und Notifikationssystem S. 525. — Das Reziprozitäts- 
system im amerikanischen und britischen Projekte S. 527. — Der Kon- 
ventionsentwurf der Kommission, dessen Schicksale S. 528. — Die Zu- 
ständigkeit der Schiedsgerichte nach der Konvention betr. die fried- 
liche Regelung internationaler Streitigkeiten S. 529. 

Konvention betr. Beschränkung der Gewaltanwendung bei Geltendma- 
chung vertragsmässiger Schuldforderungen, die Konvention begründet 
keine Gerichtsbarkeit S. 530. — Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit, 
Begriff der ,dettes contractuelles", Drago-Doktrin S. 530. — Voraus- 
setzungen des Interveutionsreehta S. 533. — Kompetenz des Schiedsge- 
richts S. 535. 

Konvention betr. Errichtung eines internationalen Pri Kengerichts , Zu- 
ständigkeit als Berufungsgericht S. 530. — Zuständigkeit als erst- und 
letztinstanzliches Gericht S. 537. — Verschiedene Zuständigkeit hin- 
sichtlich neutralen und feindlichen Gutes S. 537. — Freiheit des Be- 
rufungsgerichts gegenüber den Entscheiden der nationalen Priscnge- 
richte und den nationalen Prozessorduungen S. 538. — Das Urteil S. 539. 

V. Parteien und Parteivertreter vor internationalen Gerichten 5-10 

Wesen internationaler Prozesse , Parteifähigkeit in solchen S. 540. — 
Konvention betr. friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 
S. 540. — Konvention betr. Errichtung einer Cour de justice arbitrale 
S. 541. — Konvention betr. Errichtung eines internationalen l'risetige- 
richts, Parteifähigkeit, Parteivertretung S. 542. 



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VIII Inhalteverzeichnis. 



Belle 

VI. Vorfahren vor internationalen Gerichten 545 

Konvention betr. friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten , or- 
dentliches und summarisches Verfahren S. 545. — Konvention betr. 
Beschrankung der Gewaltanwendung bei (Jeltendmaehung vertrags- 
mäßiger Schuldforderuugen S. 547. — Konvention betr. Errichtung 
einer Cour de justice arbitrale 8. 547. — Konvention betr. Errichtung 
eines internationalen Priserigericbts. Ueberleitung der Prozesse von der 
nationalen an die internationale Instanz S. 548. — Das Verfahren S. 549. 

— Beweislast 8. 550. — Urteil S. 550. — Delegation und deren Kom- 
petenz S. 550. 

VII. Die 7 Kosten internationaler Rechtspflege 551 

Parteikosten und allgemeine Gericbtskosten 8. 551. — Konvention betr. 
die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 8. 551. — Cour 
de justice arbitrale S. 551. — Internationales Prisengericht S. 551. 

VIII. Die Rechtskraft von Urteilen internationaler Gerichte 552 

Formelle Rechtskraft S. 552. — Revision von Schiedssprüchen S. 552. 
Materielle Rechtskraft: Wesen internationaler Urteile 8. 553. — Wirkung 
des Urteils auf den Staat als rechtliche Einheit S. 554. — Kollision 
von Staats- und Völkerrecht S. 554. — Bedeutung der Frage für die 
obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit S. 555. — Unmittelbare und mit- 
telbare, konkrete und abstrakte (interpretative) Rechtskraft S. 556. 

A. Kollision internationalen und nationalen Rechts : a) Kollision mit Vcr- 
fassungsnormen S. 557. — b) mit gewöhnlichen Gesetzen S. 558. — 
c) mit dem Budget S. 558. — d) Kollisionen auf dem Gebiete der Ver- 
waltung S. 558. — e) Kollisionen mit der Rechtssprechung: Vor der Ur- 
teilsfüllung S. 558. — Urteile, die nicht auf Staats vertragen beruhen 
S. 559. — Urteile, die eine Anwendung eines Staate Vertrags involvieren 
S. 559. — Versuche der Lösung des Problems S. 560. 

B. Rein völkerrechtliche Kollisionen : a) Verhältnisse zwischen den Par- 
teien: Interpretative Kraft des Urteils S. 562. — b) Verhältnisse zu 
dritten Staaten: < JrundsiUzliche Beschränkung des Urteils auf die Par- 
teien S. 563. — Kollektivverträge S. 564. — Litisdenunziation und 
Intervention S. 564. — Verhältnis des Weltschiedsvertrags zu speziellen 
Sehiedsstipulationen S. 565. — Spezialgerichte für Kollektjy Verträge 
S. 565. 

Die Rechtskraft nach dem Konventionsprojekt betr. obligatorische Schieds- 

? Gerichtsbarkeit S. 566. — Die Rechtskraft nach der Konvention betr. 
Jewaltanwcndung bei Geltendmachung von Schuldforderungen 8. 5C.7. 

— Die Rechtskraft nach der Konvention betr. Errichtung eines inter- 
nationalen Prisengerichts S. 568. 

Das Landkriegsrecht 570 

A. Die Kriegführung 570 

Das Wesen des Krieges. Kriegsgewalt und Kriegsrecht 8. 570. — Drei- 
fache Richtung der Kriegsgewalt S. 571. 

I. Die Verhältnisse der kriegführenden Staaten zu einander 572 

Konvention betr. die Eröffnung der Feindseligkeiten : Klärung des bis- 
herigen Reehtszustandes, zulässig.« Formen der Kriegsankütidung S. 572. 

— Begründung der Kriegserklärungen 8. 573. - Das Ultimatum S. 573. 

— Ent-chädigungspflieht wegen Verletzung des Landkricgsreglements 
S. 574. — Imputierbarkeit der Verletzung S. 574. — Der Entschädi- 
gungsanspruch in subjektiver Beziehung S. . r i75. — Arten von Rechts- 
verletzungen, die zu Entschädigung Anlass geben können S. • r >75. 

II. Die Beziehungen zwischen den kriegführenden Armeen 576 

Massenaufgebote, Requisite für deren Anerkennung S. 576. — Die Kriegs- 

Sefangenen S. 577. — Auskunftsbureaux S. 577. — Beschiessungen von 
ertlichkeiten. Deklaration betr. Ballons S. 57S. 

III. Beziehungen zwischen den Kriegführenden, bezw. deren Armeen und der 

Bevölkerung 579 

Die Stellung des Kriegführenden im eigenen und im fremden Gebiet 
S. 579. — Persönliche Freiheit der feindlichen Bevölkerung im Gebiet 



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Inhaltsverzeichnis. 



IX 



des Kriegsführenden, Internier ungen und Mas.senausweisungen S. 579. 

— Unverletzlichkeit feindlichen Vermögens ausserhalb des Kriegsschau- 
platzes S. 581. — Verbot der Verwendung von Personen zu militäri- 
schen Operationen gegen deren eigenes Land S. 581. — Stellung des 
Kriegführenden im feindlichen Gebiet, Verbot der Verwendung der ein- 
heimischen Bevölkerung S. 581. — Begriff der militärischen Operation, 
Auskunftserteilungen und Führerdienste S. 582. — Beschlagnahme von 
Verkehrsmaterial S. 584. — Kabelschutz S. 584. — Entschädigung für 
Requisitionen S. 585. 

B. Die Neutralität 585 

I. Das Wesen der Neutralität 585 

Eintritt des Neutralitateverhältnisses , Interprctationsregeln S. 585. — 
Territoriale Neutralität S. 586. — Extratcrritoriale Neutralität S. 587. 

— Das Prinzip der Gegenseitigkeit S. 588. — Das Prinzip der Parität 
S. 589. — Neutralität im Seekriege S. 590. 

II. Der Beginn der Neutralität 590 

Notifikationspflicht nach der Konvention betr. Eröffnung der Feindselig- 
keiten S. 590. — Wirkung der Notifikation S. 591. 

III. Die territoriale Neutralität 592 

Die Stellung des neutralen Staats im allgemeinen S. 592. — Unverletz- 
lichkeit des neutralen Gebiets , Verbot von Truppentransporten etc. 
S. 593. — Nachrichtenverniittlung mit Hilfe des neutralen Gebiets S. 593. 

— Bildung von Trtippenverbänden, Werbebureanx S. 594. — Pflicht 
des Neutralen zur Bestrafung von Neutralitätsverletzungen S. 594. — 
Einschränkungen der Haftung der Neutralen S. 585. — Privater Handel 
mit „Kontrebande", der Binnenhandel im allgemeinen S. 595. — Kriegs- 
anleihen S. 597. — Benützung von Telegraphen und Telephonen auf 
neutralem Gebiet S. 597. — Anwendung des Prinzips der Parität S. 598. 

— Erlaubte Selbsthilfe zur Aufrechterhaltung der Neutralität S. 598. 
Beziehungen kriegführender Armeen und deren Angehöriger zu den neu- 
tralen Staaten S. 599. — 1. Kranken- und Verwundetentransporte S. 600. 

— 2. Internierung von Truppenkörpern S. 000. — 3. Kriegsgefangene 
internierter Truppen S. 600. — 4. Flüchtige Kriegsgefangene S. 601. — 
Kriegsmaterial internierter Truppenkörper S. 602. — Freilassung In- 
ternierter S. 602. 

IV. Die extraterritorialo Neutralität 602 

Ihr Verhältnis zur Territorialnentralität S. 602. — Definition der neu- 
tralen Person S. 603. — Untergang der neutralen Eigenschaft und 
dessen Wirkungen S. 603. — Feindselige Handlungen und Begünsti- 
gungen S. 605. — Dienstleistungen der Neutraleu S. 605. — Das Eigen- 
tum der Neutralen S. 607. — Neutrale Verkehrsmittel S. 608. 

Literatur Ober die Zweite Friedenskonferenz 611 

Anhang. 

Acte final de la Deuxieme Conference de la Paix 611 

Annexe au premier voeu emis par la Deuxieme Conference de la Paix. Projet 

d'une Convention relative ä retablissenicnt d'unc Cour de justice arbitrato 616 
I. Convention pour le reglement paeifique des confüts internationaux . . . 618 
II. Convention concernant la liinitation de l'emploi de la force pour le re- 

couvrement de dettes contractuelles 625 

III. Convention relative ä l'ouvcrturc des bostilites 625 

IV. Convention concernant les lois et coutumes de la guerre sur terre . . . 626 

V. Convention concernant les droits et les devoirs des Puissances et des per- 

sonncs neutres en cos de guerre sur terre 631 

VI. Convention relative au regime des navires de commerce ennemis au debut 

des hostilites 633 

VII. Convention relative ä la transformation des navires de commerce en bati- 

ments de guerre 634 



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X 



Inhaltsverzeichnis. 



Seit« 

VIII. Convention relative a la pose de tninea sousmarines automatiques de 

contact 635 

IX. Convention concernant le homhardement par des forces uavales en temps 

do guerre 636 

X. Convention pour l'adaptation a la guerre maritime de« principe» de la 

Convention de Geneve 637 

XI. Convention relative ä certaines restrictions ä l'exercice du droit de cap- 

ture dans la guerre maritime 640 

XII. Convention relative a l'etahlissement d'une Cour internationale des prises 641 

XIII. Convention concernant lea droits et los devoirs des Puissanccs neutres en 

cas de guerre maritime 646 

XIV. Deklaration relative a Tinterdiction de lancer des projectiles et des ex- 

plosifs du haut des hallons 648 



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470 



Völkerrecht. 



Die Fortbildung des Völkerrechts auf dem Gebiete 
des Prozess- und Landkriegsrechte durch die II. in- 
ternationale Friedenskonferenz im Haag 1907. 



Nachfolgende Darstellung der Resultate und wichtigsten Beratungen der Friedens- 
konferenz auf dein Gebiete des Friedens- und Laudkriegsrechts beansprucht nicht mehr, 
als eine vorläufig orientierende Uebersicht zu bieten. Teils wegen der Kürze der für diese 
Berichterstattung zur Verfügung stehenden Zeit, teils weil die Konferenzprotokolle zur Zeit 
noch in keiner dein Publikum zugänglichen Ausgabe erschienen sind , wurde von einer 
Zitierung der einzelnen Anträge und Voten l'mgang genommen. Die Abhandlung selbst 
beruht indes auf den Originalakten. 

Die von der Konferenz abgeschlossenen Abkommen werden mit nachfolgenden Ab- 
kürzungen zitiert : 

A. F. = Acte final de la Donxieme Conference internationale de bi Faix. 
C J. A. = Annexe ;iu premier voeu ifmis par la Deuxieme Conference de la Paix : 
Projet d'une Convention relative ä retablisseiuent d'une Cour de justice 
arbitrale. 

R. P. = Convention pour le Reglement pacitique des conflits international». 
R. P. (1899) = Die gleiche Konvention vom 2!>. Juli I81)f>- 

D. C. = Convention concernant la limitation de lVmploi de la force pour le re- 

couvreinent de dette* contractuelles. 
C. P. = Convention relative ä IVtablissement d'une Cour internationale des prises. 
C. P. A. = Die gleiche Konvention: Annexe de l'article 1">. Distribution des Juges 
et .Fuges Suppleants par pavs pour chaque iinnee de la periode de six ans. 
O. H. = Convention relative a rouverture des hostilites. 



I i Hcit Professor Dr. Max Huber, welcher dir II. Haagcr Konferenz als bevoll- 
mächtigter Delegierter der Schweiz anwohnte, hat dem Jahrbuch die nachfolgende Abhand- 



Von 



Professor Dr. Max Haber, Zürich 1 ). 



Vorbemerkung. 




Die b'edaktion. 



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Völkerrecht : Huber, Die Fortbildung des Völkerrechts etc. 



471 



Deklaration relative ä l'interdiction de lum er des projectiles et deti ex- 
plosifs du haut de ballons. 

Convention toncerriant les lois et coutumes de la guerre sur terre. 
Die gleiche Konvention: Annexe ä la Convention : Reglement coucemant 
les lois et eoutumeH de la guerre sur terre. 
Die gleiche Konvention vom 29. Juli 1899. 
Reglement zur gleichen Konvention vom 29. Juli 1899. 
Convention conceruant les Droits et les Devoirs des Puisxances et des 
personnes neutres en cas de guerre sur terre. 

Projet de Convention relative a l'arbitrage obligatoire (von der 1. Kom- 
mission angenommener Konventionsentwurfl. Abgedr. S. 489 Anra. 5. 

Einleitung. 

A. Wesen und Aufgabe der Konferenz. 

Die I., im Jahre 1899 abgehaltene Friedenskonferenz dankte ihr Dasein 
dem Bestreben der russischen Regierung, durch ein internationales Abkommen 
eine Beschränkung der Kriegsrüstungen herbeizuführen. Der Konferenz war 
damit eine politische Aufgabe gestellt. Wohl sah das zweite russische Zir- 
kular vom 30. Dezember 1898 auch die Ausdehnung der Genferkonvention 
auf den Seekrieg, die Wiederaufnahme der in Brüssel begonnenen Kodifika- 
tion des Landkriegsrechts und die Einführung friedlicher Mittel zur Beilegung 
von internationalen Streitigkeiten vor. Aber diese Gegenstände waren zunächst 
von sekundärer Bedeutung; erst das Scheitern der Verhandlungen über die 
Abrüstung brachte es mit sich, dass die Kodifizierung des Kriegsrechts und 
insbesondere die Schaffung eines ständigen Schiedshofs sowie die Aufstellung 
einer subsidiären Prozessordnung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt 
wurden und für die heutige Beurteilung jener Konferenz massgebend gewor- 
den sind. 

Ganz anders die zweite Konferenz. Das russische Zirkular vom 21. 
März / 3. April 1906 erwähnt als Aufgaben der zweiten Konferenz lediglich 
die Revision der 1899 abgeschlossenen Konventionen und die Ausarbeitung 
neuer Verträge zur Regelung des Kriegsrechts. Politische Fragen sollten 
grundsätzlich ausgeschlossen sein. Die Abrüstungsfra ge_ t zur Diskussion zu 
stellen, behielten, bei Annahme des russischen Programms, sich lediglich die 
Vereinigten Staaten, Spanien und Grossbritannien vor. Die Konferenz hatte 
demnach die Bestimmung, völkerrechtliche Normen zu vereinbaren, d. h. den 
Frieden durch die Ausbildung des Rechts zu festigen. Dass dies zu wenig 
beachtet wurde, das hat für die Fernerstehenden der irreführende Name 
Friedenskonferenz grossenteils verschuldet. Und dieses Missverständnis erklärt 
die weitverbreiteten und überaus ungerechten Urteile über die Ergebnisse der 
Konferenz. 

Wird, was allein zutreffend ist, die Konferenz bewertet nach dem, was 
sie für die Fortbildung des Völkerrechts geleistet hat, so wird kein Einsich- 
tiger leugnen können, dass Bedeutendes erreicht worden ist. Die 14 in der 
Schlussakte aufgenommenen Abkommen, von denen allerdings vier lediglich 



D. B. = 

G. T. = 
G. T. R. = 

0. T. (1899) = 
G. T. R. (1899) = 
N. T. = 

P. A. 0. = 



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472 



Völkerrecht: Huber, 



Revisionen von 1899 abgeschlossenen Verträgen sind, stellen nach Umfang und 
Inhalt, und zwar nach prinzipieller wie praktischer Wichtigkeit die bedeutendste 
vertragsmässige Fixierung allgemeiner Völkerrechtssätze dar. Die Prisenge- 
richtskonvention allerdings überragt weit alle anderen Abkommen an Be- 
deutung und würde für sich allein genügen, das Jahr 1907 zu einem der wich- 
tigsten in der Geschichte des Völkerrechts zu machen. Aber auch die 
andern Konventionen, die nicht etwas völlig Neues schufen, bedeuten nennens- 
werte Fortschritte. 

Die Aufgabe der Konferenz war nicht so sehr die Koüdifikation i. e. 3., 
d. h. die schriftliche Fixierung ganzer Gebiete des Gewohnheitsrechts, als viel- 
mehr die Weiter- und Neubildung des Rechts. Bei der Unsicherheit des bis- 
herigen Rechts bedeutet* fast jede vertragsmässige Festlegung einer Norm ein 
Kompromiss widerstreitender Auffassungen. Und die Lückenhaftigkeit des 
Gewohnheitsrechts hatte zur Folge, dass der Abschluss von Konventionen, die, 
um Streitigkeiten für die Zukunft ausschliessen zu können, einer gewissen 
Vollständigkeit bedürfen, die Aufstellung neuer Rechtssätze bedingte. Grosse 
von der Konferenz bearbeitete Gebiete waren völlig Neuland; es galt Recht 
zu schaffen, wo das bisherige Recht allgemein anerkannter Normen entbehrte: 
so im ganzen Prozessrecht, wo das Recht von 1899 weiterzubilden und das 
Prisengericht völlig neu zu schaffen war. 

Gewiss, eine Reihe von Problemen von grösster Bedeutung, das obliga- 
torische Schiedsgericht, der ständige Gerichtshof, das Seebeute- und materielle 
Prisenrecht haben im allgemeinen keine Lösung gefunden. Doch das erklärt 
sich leicht genug. Auf dem Gebiete des internationalen Prozessrechts han- 
delte es sich um Bestrebungen, die grundsätzliche Neuerungen betrafen, über 
deren Wert mit Recht sehr verschiedene Auffassungen bestehen können; im 
Seebeuterecht scheiterte die Verständigung an den gleichen Umständen, welche 
bis heute die allgemeine Anerkennung positiver Rechtssätze veruninöglicht 
haben : die durch die geographischen, wirtschaftlichen und militärischen Ver- 
hältnisse bedingten antagonistischen Interessen einzelner Gruppen von See- 
staaten. Wie sollte in vier Monaten das getan werden, was Jahrhunderte 
nicht vermochten? 

Aber auch diese Arbeit, welche ihren Niederschlag nicht in Staatsver- 
trägen gefunden hat, ist nicht fruchtlos. Die langwierigen Debatten über die 
obligatorischen Schiedsgerichte haben dieses wichtige Problem ausserordentlich 
vertieft. Skeptiker und Gegner der Idee waren gezwungen, einer mächtigen 
Majorität von Freunden eines Weltschiedsvertrags gegenüber ihren Stand- 
punkt zu verteidigen. So sind neue Gesichtspunkte aufgestellt, die Ansichten 
beider Parteien vertieft und gereift worden. Und im Seekriegsrecht hat 
die Konferenz die Staaten veranlasst, ihre Stellung, wie noch nie, zu präzi- 
sieren und so die Grundlagen zu einer früheren oder späteren Verständigung 
zu schaffen. 

Doch ganz abgesehen davon, ob die Konferenz viel erreicht hat oder 
nicht, ist die Tatsache, dass eine von sozusagen allen Staaten beschickte Kon- 
ferenz eine grosse Zahl verschiedener und wichtiger Gebiete des Völkerrechts 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die Tl. Friedenskonferenz im Haag. 473 



vertragsmässig zu fixieren unternehmen konnte, ein Ereignis, dessen Bedeu- 



Diese~tf iiibildu ng desHeclits ist ein Beweis " für (Tie ihm innewohnende Ent- > 
wicklungskraft. 

Schon auf dem Boden des Landesrechts ist der Uebergang zum geschrie- 
benen Recht, wenn auch nicht eine Voraussetzung, so doch ein Hauptmoment 
für die juristische Durchbildung des Rechts. Für das internationale Recht, 
dem wenigstens zur Zeit eine die Rechtseinheit sichernde Rechtsprechung 
fehlt, ist dieser Prozess geradezu notwendig, um die Völkerrechtsnormen zu 
reinen Rechtsnormen zu erheben und sie einer obenso vollkommenen juristi- 
schen Behandlung zugänglich zu machen wie die Normen des Landesrechts. 
Mit dem Uebergang zur geschriebenen Norm streift das positive Völkerrecht 
das Politische ab und drängt dieses, gleich dem Landesrecht, auf die Bildung 
der Normen zurück. 

Gerade die, zum Teil unüberwindlichen, Schwierigkeiten, welche sich der 
vertragsmässigen Festlegung der völkerrechtlichen Normen entgegenstellten, 
sind der Beweis, wie unsicher bisher das Recht, wie wenig es eben anerkannt 
und damit positiv war. Gelingt es, eine Regel zu vereinbaren und in einer 
Konvention niederzulegen, so ist dies meist nicht nur ein formeller Fort- 
schritt geltenden Rechts, sondern häufiger, als man allgemein geneigt ist 
anzunehmen, eine Umwandlung einer bloss postulierten in eine positive Norm. 

Nicht vom Standpunkt der heutigen politischen Situation, auch nicht 
von demjenigen des Pacifismus aus kann das Werk der Friedenskonferenzen 
richtig gewürdigt werden. Für die Weiterbildung des Völkerrechts sind sie 
berufen, nicht zur Regelung konkreter Verhältnisse oder Reformierung der 
Welt. Damit ist ihreru Wirken auch eine bestimmte Grenze gezogen. Ist 
schon das Landesrecht im wesentlichen nur die Form gegebener sozialer 
Verhältnisse und nur in geringem Masse fähig, diese selber zu gestalten, so 
gilt dies noch vielmehr vom Völkerrecht. Da dieses auf der freien Zustim- 
mung der Rechtsgenossen der Staatengemeinschaft beruht, kann es nur in dem 
Masse positive Norm werden, als die Verhältnisse des internationalen Lebens 
und der Geist der Internationalität in der Politik dies zur Zeit gestatten. 
Auf dem Gebiete des internationalen Rechts ist die Norm stets nur der Aus- 
druck bestehender Interessensolidarität oder der Ausgleich widerstreitender In- 
teressen. Nichts könnte für die Zukunft der Konferenzen verhängnisvoller 
werden als das Bestreben, das Recht zu forcieren und da Normen aufzustellen, 
wo kein wahres Bedürfnis nach solchen vorhanden ist oder wo die Verhält- 
nisse dafür nicht reif sind. 

Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass auch das Recht gestaltend und 
weiterbildend auf die internationalen Verhältnisse wirkt, aber nicht dadurrh, 
dass es das Leben in neue Bahnen zwingt: es wirkt durch seine blosse Exi- 
stenz. Jemehr das internationale Leben eine Ausbreitung des positiven ge- 





474 



Völkerrecht: Huber, 



schriebenen Rechts, Schritt um Schritt, zulässt, uiu so sieghafter wird die Idee 
des Rechts in immer weitero, ihr bis dahin verschlossene Gebiete vordringen. 
Diese mittelbare Wirkung fordert notwendig grosse Zeiträume. Doch jemehr 
die Volkswirtschaft sich zur Weltwirtschaft ausweitet, um so intensiver wird 
die Wechselwirkung zwischen Politik und Völkerrecht. Im letzten halben 
Jahrhundert hat die Weltwirtschaft auf dem Gebiete des Verkehrs- und Frem- 
denrechts ein ganz neues Recht entstehen lassen und, was vor einem Men- 
schenalter als jeder vertraglichen Regelung verschlossen galt, kann heute oder 
in naher Zukunft Gegenstand einer allgemeinen Vereinbarung werden. 

Auf diesem Standpunkte stehend, werden wir bei der Betrachtung der 
Völkerrechtsentwicklung und damit auch bei der Beurteilung der II. Friedens- 
konferenz uns in das Gegebene bescheiden, in die Langsamkeit und Un Voll- 
kommenheit der Entwicklung, wir werden aber auch nicht verzweifeln an dem 
Recht, dem die Zukunft gehört. 

B. Die Quellen. 

I. Die Schlussakte. 

Entsprechend den Präzedentien der Konferenz von 1899 sind die Be- 
schlüsse der II. Friedenskonferenz nicht in einem einzigen Vertragsinstrument 
vereinigt, sondern bilden 14 durchaus getrennte Abkommen. Sie sind aber 
äusserlich in einer Schlussakte (acte final) zusamuiengefasst, die sich rechtlich 
als ein Schlussprotokoll da rstellt. 

Die Schlussakte enthält dreierlei: 

1. Eine rein historische Konstatierung der Tätigkeit der Konferenz, eine 
Aufzählung der auf ihr vertretenen Staaten und deren Repräsentanten sowie 
der von der Konferenz angenommenen Konventionen 1 ). Dazu gehört ferner 
die Deklaration betreffend die obligatorischen Schiedsgerichte, welche aussagt, 
dass duHKonferenz einstimmig den Grundsatz des obligatorischen Schiedsge- 
richts anerkenne und" für~gewisse Arten von Streitigkeiten das vorbehaltslose 
Obligatorium als möglich erachte. 

2. Die Fristansetzung 2 ) für die Unterzeichnung der Konventionen. Bis 
zum 30. Juni 1908 können die auf der Konferenz vertretenen Staaten die 
Verträge unterzeichnen mit der Wirkung, dass die unterzeichneten Staaten 
als Signatäriuächte gelten. Nach diesem Datum ist nur noch Adhäsion 

möglich. C/ y z C r / < ^ . 

3. Beschlüsse ohne Rcclilsverbindlichkeit s ), d. h. solche, die ni cht be - 
s timmt sin d, ratifiziert zu werden und alsdann Rechte und Pflichten der Sig- 
natärstaaten zu begründen. Dahin gehören die ..Resolution" betreffend die 
Beschränkung der Rüstungen, die Wünsche (, Voeux") *) bezüglich einer Cour 
de justice arbitrale, der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bevölke- 

1) A. F. al 1-3 und :>-(*>. 2t A. F. al 4. 3) A. F. ;il 7-11. 

4) Die 4 „Voeux 4 sind einzeln einstimmig angenommen worden. dasjenige betreffend 
die Cour de justire arbitrale allerdings nur unter Hofhaltungen und zahlreichen Vorbe- 
halten. Die Aufnahme der vier Voeux in die .Schlussakte ist mit der Abstimmung über 
den Acte tiiml selbst einstimmig erfolgt, doch unter dem Vorbehalt der Schweiz, dass sie 



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Die Fortbildung des Völkerrecht« durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 475 



rimg neutraler und kriegführender Staaten, der Militärpflicht der niederge- 
lassenen Ausländer und der Ausarbeitung eines Keglements über die Gebräuche 
des Seekriegs, sowie endlich die „Recommendation" der Einberufung einer 
III. Konferenz. 

In rechtlicher Beziehung ist hier zu sagen: 

Zu 1. Der Konstatierung der Tätigkeit der Konferenz, auch der Erklä- 
rung über die obligatorischen Schiedsgerichte kommt an siclikei ne rec ^tj ^c ^ e 
TTeiTt'utung bei, es steht aber damit im engsten Zusammenhang die Frage, 
unter welchen Bedingungen ein Beschluss der Konferenz in die Schlussakte 
aufgenommen werden kann, bezw. aufgenommen werden muss. 

Ohue weiteres steht fest, dass kein Konferenzbeschluss — ausser viel- -v 
leicht wenn er die Geschäftsordnung "betrifft und ~nTch~tTein positives HäTTdelTI \ 
fordert -- — ^die an der Konferenz teilnehmenden Staaten verpflichten kann. \ 
c£ft T)as~ Wesen des Völkerrechts bedingt, dass jede völkerrechtliche Verpflichtung \ 
auf dem Willen des Verpflichteten beruhe^ eine Majorisierung ist deshalb auf 
> O' einer Konferenz ausgeschlossen^ . UnmöglicHkeit der Bindung durch fremden 
Willen ist aber nicht identischrmit dem Erfordernis der Einstiin- 



* Willen ist aoer nient laemi sc^rn m ne m arioraernis aer Sinsum- 
~ ' Giftigkeit. Vielmehr kommTdas Me hrheitsprinzip praktisch in weitem 
/ C / Umfange zur Geltung. 

Für die Entstehung einer Rechtsnorm auf der Konferenz sind drei Pha 



*^san auseinanderzuhalten, nämlich : 



O \^ a ) Die Kommissionsarbeit, selber zerfallend in die Arbeit in 
den weiteren und. engeren Kommissionen, bezw. Prüfungs- und Redaktions- 
Cs'i ausschüssen. Im wesentlichen kommt nur diese Tätigkeit in Betracht; hier 
- y» wird über Eintreten auf einen Antrag, über das Grundsätzliche sowohl wie 
* über das Detail der Konventionen entschieden. In den späteren Stadien ist 

rAdtc^ eine Veränderung des Textes, jedenfalls soweit sie nicht in einer blossen Strei- 
', chung besteht, fast ausgeschlossen. 
' i*A In diesen Kommissionen und Ausschüssen gilt ganz allgemein das Mehr- 

heitsprinzip ; anders wären positive Resultate überhaupt nicht zu erzielen. 
Allerdings kommt einem Mehrheitsbeschluss nur eine bedingte Bedeutung zu. 
Da kein Staat zur Annahme einer Konvention gezwungen werden kann, die 
Konventionen aber im allgemeinen nur Wert haben, wenn sie von sehr vielen 
und jedenfalls von den politisch am meisten ins Gewicht fallenden Mächten 
angenommen sind, ist die Stärke und Zusammensetzung einer Kommissions- 
mehrheit in allen wichtigeren Fragen dafür massgebend, ob der Mehrheits- 
beschluss festzuhalten oder ein Kompromiss anzustreben sei. Die Entschei- 
dung darüber ist eine Sache der politischen Taktik. Immerhin ist in einer 
wichtigen neuen Frage Einstimmigkeit kaum möglich. Völlige oder annähernde 
Einstimmigkeit wird nur da gesucht, wo der Entscheid über eine Einzelheit 
die Stellungnahme zum Ganzen wesentlich bestimmt. In untergeordneten 
Punkten entscheidet ausschliesslich die Zahl. Nicht zu übersehen ist in die- 

den Wunsch betreffend die Cour de justice arbitrale nicht annehme. Kntgegen den Prä- 
zedentien von 1899 ist im Acte hnal nicht angegeben worden, ob die einzelnen Yoeux ein- 
stimmig angenommen worden sind oder nicht. Eine solche Konstatierung wäre notwendig, 
weil die Yoeux nicht wie die Konventionen einzelnen unterzeichnet werden können. 



yf . . ,_ . J< ' £ is/ Vi' * — • • \ Digitized by Google 



476 ".'.'(l • . V ölkerrecht: UuWr. 'j^. , 

sen Fällen, dass starke Mehrheiten oft nur scheinbar sind und die Opposition 
sich in Vorbehalten verbirgt, um äusserlich einen starken Mehrheitsbeschluss 
zustande kommen zu lassen. 

b) Die Plenarbeschlüsse, welche nur die formelle Bestätigung 
der Kommissionsbeschlüsse zu sein pflegen. In diesem Stadium sind Abän- 
derungen des Textes, ausser etwa untergeordnete Abänderungen auf Antrag 
des grossen Redaktionskomitees, kaum mehr möglich, wohl jedoch unerwartete 
Ablehnungen und Vorbehalte. Auch bei den Plenarbeschlüssen kommt das 
Mehlheitsprinzip zur Anwendung: eine Konvention ist angenommen, wenn sie 
von der Mehrheit der vertretenen Staaten angenommen ist, selbst dann, wenn 
diese Mehrheit den Annehmenden zu verdanken ist, welche nur bedingt, d. h. 
unter Vorbehalten zustimmen. 

lieber die Majoritäten, sowohl in den Kommissionen wie im Plenum, 
bestehen keine bestimmten Rechtsregeln. Die Praxis hat sich aber dahin ge- 
neigt, dass für wichtige Beschlüsse und dahin gehören alle Plenarbeschlüsse 
die absolute Mehrheit aller an der Konferenz vertretenen Mächte nötig ist. 

Die Annahme einer Konvention im Plenum bewirkt für niemanden eine 
Bindung, auch die annehmenden Staaten sind nicht zur Unterzeichnung der 
Konvention verhalten. Das geht daraus hervor, dass die Konventionen zur 
Unterzeichnung längere Zeit, eben zum Zweck weiterer Prüfung, offen bleiben. 

c) Die Aufnahme in die Schlussakte. Der Beschluss, eine 
Konvention in die Schlussakte aufzunehmen und damit als endgültigen Kon- 
ferenzbeschluss zu charakterisieren, ist rein formal, d. h. er betrifft weder die 
Rechtsvorschriften der Konvention selber noch spricht er eine rechtliche Bin- 

, dung aus. Und doch ist für diese Beschlüsse und nur für diese das Einstim- 
migkeitsprinzip gefordert und durchgesetzt worden. 

. -^ c ^ t nur ]., um kein Staat gegen seinen Willen, d. h. durch eine Mehr- 
heit verpflichtet werden, es hat auch kein Staat die Pflicht einen Mehrheits- 
i beschluss über eine Konvention als Konferenzbeschluss anzuerkennen. Aus- 
gearbeitet und im Plenum angenommen werden die Konventionen auf Grund 
von Mehrheitsbeschlüssen, aufgenommen in die Schlussakte, d. h. den vertrete- 
nen Staaten zur Unterzeichnung vorgelegt nur auf Grund einer völligen Über- 
einstimmung. 

Diese wichtige Prinzipienfrage ist aufgerollt worden bei der Schlussab- 
stimmung über die Konvention betreffend die obligatorische Schiedsgerichts- 
barkeit. Eine starke Majorität (32 Staaten) hatte sieh für eine Konvention 
ausgesprochen, welche unbedingte Schiedsgerichtsbarkeit für gewisse Fälle, für 
die übrigen Rechtsstreitigkeiten dagegen eine bedingte vorsah. Ein Teil der 
Minorität (9 Staaten) widersetzte sich der Aufnahme dieser Konvention in die 
Schlussakte, selbst in der Form einer blossen Anlage zu der revidierten Kon- 
vention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten. 

Das Vetorecht jedes einzelnen Staates, das wohl zu unterscheiden ist 
von der Ablehnung einer Konvention in der Plenarschlussabstimmung, wurde 
namentlich damit begründet, dass ohne dieses das Bestreben sich auf eine 
allgemein annehmbare Formel zu verständigen verschwinden müsste und Ma- 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die 11. Friedenskonferenz im Haag. 477 



joritäten, unter der Form von Konferenzbeschlüssen, tatsächlich partikulare 
Vereinbarungen treffen würden. Gegen eine derartige Präjudizierung von 
Fragen von allgemeinem Interesse sollen Minderheiten sich schützen können. 
Das Vetorecht, das überall, vor allem in den Staatenbünden, sich als ein 
zweischneidiges Schwert bewiesen hat, bedeutet auf einer von 44 Staaten be- 
schickten, mit der Kodifikation des Völkerrechts betrauten Konferenz etwas 
ganz anderes als auf einem kleinen, mit konkreten politischen Angelegenheiten 
sich befassenden Diplomatenkongress. Es ist deshalb jedenfalls als ein Recht 
gedacht, dessen sich ein Staat und tatsächlich wohl kaum ein einzelner, son- 
dern eine Minderheit, nur in Ausnahmefällen bedient. Die Ablehnungen der 
Konventionen sind in der Plenarabstimmung zwar regelmässig in der Form 
blosser Stimmenthaltung oder der Ausschliessung einzelner Artikel (reserves) 
erfolgt, aber auch da, wo einzelne Staaten mit Nein gestimmt haben, haben 
sich diese der Aufnahme der betreffenden Konvention in die Schlussakte nicht 
widersetzt. So ist die Deklaration betreffend die Ballons, die nur von 29 ', ^ ] } 
Staaten angenommen wurde, als Konferenzbeschluss aufgenommen worden, 
während in der Schiedsgerichtsfrage eine stärkere Mehrheit dies nicht errei- 1 
eben konnte und die Frage nicht einmal bis vor das Plenum kommen Hess. 

Das Vetorecht ist als absolut zu betrachten. Eine Qualifizierung der 
Minderheit oder gar die Nachprüfung der Begründetheit des Vetos würde 
nicht nur eine formelle Besiegclung des Majoritätsprinzips bedeuten, sondern 
dem Wesen des Völkerrechts geradezu widerstreiten. 

Zu 2. Die Fristansetzung für die Unterzeichnung der Konventionen 
bindet die auf der Konferenz vertretenen Mächte, aber nicht als Vertrags- 
nonn, denn in diesem Falle bedürfte es auch einer Ratifikation der Schluss- 
akte, was nicht der Fall ist. Die Befristung kann ihre rechtliche Grundlage 
nur in der Kompetenz der Konferenz zur Aufstellung einer Geschäftsordnung 
haben. Es ist dies also eine völkerrechtliche Norm sui geueris. 

Zu 3) Die oben aufgeführten Beschlüsse ohne Rechtsverbindlichkeit sind 
trotz der verschiedenen Benennun g aTs Toetrs, Resolution und Recommenda- 
tion und der damit versuchten Nuancierung rechtlich vollständig gleich d. h. 
rechtlich unerheblich. Auch der Entwurf einer Konvention für die postuliert«* 
CöTIr de justice arbitrale 1 ) hat keinen anderen Charakter. Von einer ge- 
wissen Bedeutung ist nur die Aufnahme solcher „Wünsche" u. s. w. in die 
Schlussakte. Da im Gegensatz zu den Konventionen die Wünsche und Re- 
solutionen nicht selbständige Abkommen bilden , die einzeln unterzeichnet 
und ratifiziert werden können, sondern in den Text der Schlussakte aufge- 
nommen werden, sollte in dieser, wie es 1899 geschehen, erkennbar gemacht 
sein, welche Beschlüsse dieser Art die Einstimmigkeit erlangt haben. Sonst 

1) Angenommen in der Plenarversamnilung am 10. Oktober 1907 mit Einstimmigkeit 
bei 6 Enthaltungen (Belgien. Dänemark, Griechenland, Rumänien, .Schweiz und Uruguay). 
Da weder der Entwurf der Konvention noch das „Voeu* die Respektierung der Gleichheit, 
der Staaten bei der Zusammensetzung des Gerichts garantieren, machten die Delegationen 
folgender Staaten Erklärungen, wonach sie nur unter dieser Bedingung mit Ju stimmten: 
Mexiko, Brasilien, Columbien. Salvador. Peraien, Guatemala. Haiti. Venezuela, Paraguay, 
San Domingo, Ecuador, Panama, Uruguay, China, Bolivien, Nicaragua. 



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478 



Völkerrecht: Huber, 



könnte die Unterzeichnung der Schlussakte als eine Anerkennung eines Wun- 
sches seitens des Staates erscheinen, der sich ihm nicht angeschlossen hat. 

II. Die Konventionen 1 ).- 

Die Tätigkeit der Konferenz zerfällt in zwei Teile: der eine die Kodi- 
fikation des Völkerrechts, der andere konkrete Angelegenheiten unifassend, 
wie die Abrüstungsfrage und die Einberufung einer dritten Konferenz. Mit 
den letzteren haben wir uns nicht zu befassen. Hier kommt nur die Auf- 
stellung allgemeiner Rechtsvorschriften in Betracht. 

Die Arbeiten der Konferenz-) auf dem Gebiete der vertragsmässigen 
Feststellung allgemeiner Rechtssätze umfassen einerseits das Friedensrecht 
und zwar speziell die friedlichen Mittel zur Beilegung internationaler Streitig- 
keiten, andererseits das Kriegsrecht. 

Unter den friedensrechtlichen Konventionen ist zunächst 
zu nennen die Konvention zur friedlichen Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten 3 ), welche lediglich auf einer Ausge- 
staltung des gleichnamigen Abkommens vom 29. Juli 1899 beruht. Die Re- 
vision dieses Vertrages war an letzter Stelle im russischen Programm vorge- 
sehen. Die Erfahrungen, welche man seit 1899 mit dem damals geschaffenen 
Ständigen Schiedshöfe gemacht hatte und besonders der Umstand, dass diese 
Institution so wenig in Wirksamkeit getreten war, Hessen eine Revision jener 
Konvention wünschbar erscheinen. An prinzipielle Umgestaltungen dachte 
man anfänglich nicht. Erst im Verlauf der Konferenz wurden Anträge ge- 
stellt, welche grundsätzliche Neuerungen bezweckten, nämlich die Begründung 



1) Das Abkommen betr. die Ballons ist allein als „Deklaration* und nicht als „Con- 
vention* bezeichnet, ohne dass jedoch deshalb eine rechtliche Verschiedenheit bestünde. 

2) Die Arbeiten der Konferenz wurden auf vier Kommissionen verteilt-, deren Tätig- 
keit folgendermassen abgegrenzt war: 

I. Kommission: Schiedsgerichte und üntersuehungskommissionen. Dieser Kom- 
mission wurde auch die Behandlung der deutschen und britischen Anträge betrettend ein 
Oberprisengericht sowie der amerikanische Vorschlag bezuglich der Voraussetzungen ge- 
waltsamer Eintreibung von Schuldforderungen gegenüber fremden Staaten überwiesen. 

II. Kommission: Landkriegsrecht und zwar speziell folgende Materien: Verbes- 
serung der Konvention vom 29. Juli 1899 über die Gebräuche des Landkrieges, Eröffnung 
der Feindseligkeiten, Deklarationen von 1S99. Rei hte und Pflichten der Neutralen im Land- 
kriege. Von den dieser Kommission überwiesenen Aufgaben bezogen sieh nur die Rege- 
lung der Eröffnung der Feindseligkeiten und die Deklarationen von 1S99 zugleich auf den 
Land- und Seekrieg. 

III. Konimission: Seekriegsrecht und zwar ausschliesslich soweit es Rechte und 
Pflichten der kriegführenden und neutralen Staaten betrifft, nämlich Bcschiessnng von Hä- 
fen. Städten und Ortschaften. Verwendung von Seeminen. Rechtsverhältnisse von Kriegs- 
schiffen in neutralen Häfen und Gewässern sowie Revision der Konvention betr. Anpassung 
der Genferkonvention an die Verhältnisse des Seekriegs vom 29. Juli lflM) . soweit eine 
solche Revision durch die neue Genferkonvention von 1906 bedingt war. 

IV. Kommission: Seekriegsrecht , speziell mit Bezug auf die Verhältnisse des 
Seehandels, insbesondere: Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe; Privateigen- 
tum im Seekrieg (Seebeute, Konterbande und übrige Fragen des Prisenrechtsl Die An- 
passung der Regeln der Landkriegskonvention «an die Verhältnisse des Seekrieges wurde 
den vereinigten Hednktionskomitees der III. und IV. Kommission überwiesen. 

8) Convention pour le reglement- paeifique des eonflits internationaux . einstimmig 
angenommen in der Plenarversammlung vom Di. Oktober mit folgenden Reserven: zu Art. 
■IS: Vereinigte Staaten, Japan und Türkei; zu Art. '»2 nl 2: Brasilien : zu Art. *>3 al 2: 
Griechenland Ziff. 1 und 2. Schweiz Ziff. 2. Türkei Zitf. 2. Japan Ziff. 2. Brasilien; Art. 5-4 
Japan und Brasilien. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts dureh die II. Friedenskonferenz im Haag. 479 



einer internationalen Gerichtsbarkeit und die Schaffung eines nicht auf dem 
Grundsätze des Schiedsgerichts basierten ständigen Gerichtes. Die Debatten 
über diese beiden Gegenstände bilden unzweifelhaft die Haupttätigkeit der 
mit dem Friedensrecht betrauten ersten Kommission, da die Prisengerichts- 
konvention im wesentlichen als ein Ganzes, wie es aus dem engsten Prüfungs- 
ausschusse hervorgegangen war, angenommen wurde. Weder in der einen 
noch in der andern Frage ist ein positives Resultat erreicht worden, lediglich 
die Erklärung über das Prinzip des Schiedsgerichts und der „Wunsch und 
Konveutionsentwurf" bezüglich der Cour de justice arbitralc. Gleichwohl ist 
diesen Verhandlungen eine erhebliche Bedeutung beizumessen und sie sollen 
deshalb im folgenden in ihren Hauptmomenten dargelegt werden. 

Wenn auch in die Konvention keine prinzipiellen Neuerungen, über- 
haupt keine Neuerungen von grösserer Tragweite Eingang gefunden haben, 
so ist diese doch in beträchtlichem Umfange durch Einzelbestimmungen er- 
weitert worden. Das Verfahren vor den Untersuchungskommissionen ist ganz 
neu, dasjenige vor den Schiedsgerichten ist erheblich eingehender geordnet 
worden. Die Zahl der Artikel ist dadurch von 58 auf 97 gestiegen. 

Dieser Konvention über die friedliche Regelung internationaler Streitig- 
keiten schliessen sich zwei andere friedensrechtliche Konventionen an, die 
ihrerseits den Uebergang zu den kriegsrechtlichen Abkommen bilden : die eine, 
indem sie die Voraussetzungen gewaltsamer Geltendmachung von Forderungs- 
rechten betrifft, dio andere, indem sie aus dem Kriegs- und zwar speziell aus 
dem Neutralitätsverhältnisse sich ergebende Streitigkeiten einem internationalen 
Gerichte unterwirft. 

Die Konvention betreffend die Beschränkung der Gewalt- 
anwendung zur Geltendmachung vertragsmässiger Schuld- 
forderungen 1 ) schafft direkt weder eine Gerichtsbarkeit noch ein Gericht. Sie 
statuiert zunächst nur ein Verbot gewaltsamer Selbsthilfe. Sie lüsst aber dieses f 
Verbot zessieren für den Fall internationaler Rechtsverweigerung. Das hat die 
indirekte Wirkung, dem reklamierenden Staat die Pflicht der Anbietung eines 
Schiedsgerichts aufzuerlegen, wenn er sich die Möglichkeit legitimer gewalt- 
samer Selbsthilfe offenhalten will und andererseits zwingt es den belangten 
Staat mittelbar zur Annahme des angebotenen Schiedsgerichts, wenn er sich 
dem Vorwurf der Rechtsverweigerung entziehen will. Die Konvention gehört 
daher materiell doch zu der Schiedsgerichtskonvention, indem sie eine, wenig- 
stens eventuelle Gerichtsbarkeit schafft. 

Die wichtigste friedensrechtliche Konvention ist die Konvention 
betreffend die Errichtung eines internationalen Prisen- 
gerichts*). Dieses Abkommen ist nicht nur das bedeutendste Resultat der 

1) Angenommen in der Plenarversammlnng vom 1(5. Oktober 1907 mit Einstimmig- 
keit bei fünf Enthaltunge n (3elgh; n, , 11uniiL 1 'jt!lU-^ rl ' w ''^ , ' l 'j Schweiz und Venezuela). Rc- 
«erven machten Griechenland, Argentinien. Peru. Columbien, San Domingo. Paraguay. Ni- 
caragua, Guatemala, Ecuador, Uruguay. 

2) Angenommen in der l'lenarversammlung vom 21. September 1907 mit 37 Stimmen 
gege n 1 Nein ( Brasilien) bei 6 Enthaltungen (San Domingo. Japan. Bu&sland, Siam, Türkei, 
Venezuela). Reserven machten zu Art. "D> (Chile. China, Columbien. Cuba. Ecuador, Guate- 
mala, Haiti [dieses auch zu Art. 4 § 2J, Persien. Salvador, Uruguay). 



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480 



Völkerrecht : Huber, 



Konferenz, sondern wohl einer der für die Entwicklung des Völkerrechts 
wichtigsten Verträge überhaupt. Nicht nur ist die Errichtung des Prisenge- 
richts ein völliges Novuin für den Seehandel in Kriegszeiten, eine Reform 
von gewaltiger ökonomischer Tragweite, die Konvention bildet geradezu eine 
Revolution auf dem Gebiete des Völkerrechts. Das internationale Prisenge- 
richt ist das erste internationale Gericht, das nicht auf der Grundlage der 
Schiedsgerichte, sondern, derjenigen nationaler (Berichte Organisiert ist. Es 
Hat eine ständige, von den Parteien unabhängige Besetzung. Diesem Prisen- 
gericht steht sodann "eme^wirkliche Jurisdiktion über die Staaten zu und zwar 
in Angelegenheiten, die in hohem ^^ s(L-'lie J Interessen i _J;L_ selbst die Ehre 
der beteiligten Staaten berühren und zwar sind der Zuständigkeit des Prisen- 
gomhls keinerlei Einreden, wie sie von den Schiedsverträgen vorgesehen sind, 
entgegenzuTiäTten. Ein drittes Moment von allergrösster Tragweite ist die 
B^stranmrng tler Prisengerichtskonvention, welche dem internationalen Gerichte 
die Kompetenz gibt, nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechts und der 
Billigkeit zu entscheiden, wo es an einer allgemein anerkannten völkerrecht- 
lichen Norm fehlt. Angesichts des Zustandes des internationalen Seerechts 
kommt dieser Befugnis eine ungeheure Bedeutuug zu. Gerade in den 
wichtigsten Fragen wird das Gericht zwischen keineswegs bloss theoretisch 
weit auseinandergehenden Auflassungen zu wählen haben. Eine derartige 
normschaffende Tätigkeit eines Gerichts hat gewiss ihre Gefahren und es ist 
wohl möglich, dass die endgültige Annahme der Prisenkonvention solange von 
einzelnen und gerade sehr ins Gewicht fallenden Staaten herausgeschoben 
wird, bis internationale Abkommen über das materielle Prisenrecht die Rechts- 
schöpfung des Prisengerichts auf Fragen von sekundärer Bedeutung begrenzt. 
Aber auch in diesem Falle bleibt eine Institution übrig, die einen Markstein 
erster Ordnung in der Geschichte des internationalen Rechts bedeutet. 

Die k r i e g s r e c h 1 1 i c h e n Abkommen regeln die materiellen 
Rechtsverhältnisse, die sich aus dem Kriegszustande ergeben, also nicht nur 
die Beziehungen zwischen den Kriegführenden unter sich , sondern auch 
zwischen diesen uud den Neutralen. Auf dem Gebiete des Kriegsrechts ist 
durch die I. und II. Friedenskonferenz eine Gesauitkodihkation von annähernder 
Vollständigkeit durchgeführt worden. Für das Landkriegsrecht trifft dies fast 
vorbehaltslos zu. Die fallen gelassenen Teile des Projekts einer Konvention 
über die Rechte und Pflichten der neutralen Personen betrafen nicht geltendes, 
sondern völlig neu zu schaffendes Recht. Für den Seekrieg fehlt es aller- 
dings noch an der vertiagsmiissigen Regelung wichtiger Gebiete. Das See- 
kriegsreglement figuriert nur unter den „Wünschen". Doch sind durch die 
Konventionen über die Seeminen, die Bombardierung durch Seestreitkräfte 
und die Verwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe die Kriegsmittel 
für den Seekrieg ähnlich wie für den Landkrieg beschränkt worden. Das 
Seebeuterecht, das übrigens unbezweifclt ist und einer vertraglichen Aner- 
kennung nicht bedarf, ist beibehalten , aber in einzelnen Punkten, in denen 
allein Meinungsverschiedenheiten bestanden, durch die Konvention betreffend 
gewisse Beschränkungen des Seebeuterechts abgeklärt worden. Grosse Lücken 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz ira Haag. 481 



allerdings weist die vertragliche Formulierung desjenigen Teils des Seerechts 
auf, der sich auf den neutralen Handel bezieht. Die eben genannte Kon- 
vention regelt nur wenige und untergeordnete Fragen dieses Gebietes. Dafür 
bietet die Prisengerichtskonvention einen überaus wertvollen Ersatz für die 
Ordnung des materiellen Rechts. Dieses Abkommen wird so oder anders in 
absehbarer Zeit zu einer Feststellung des Prisenrechts führen. Entweder 
durch die Rechtssprechung des Gerichts oder, wenn die Konvention nicht 
sollte ratifiziert werden, dadurch dass die Staaten, um sich die grossen Vor- 
teile des Prisengerichts zu sichern, dessen Verwirklichung durch eine Ver- 
ständigung über das Prisenrecht anstreben würden 

Die kriegsrechtlichen Konventionen lassen sich in drei Gruppen scheiden : 
Gemeinschaftliche Bestimmungen für den Land- und Seekrieg, Sonderbe- 
stimmungen für den Landkrieg und solche für den Seekrieg. Für uns kommen 
nur die beiden ersten Gruppen in Betracht. 

Gemeinschaftlich für beide Formen der Kriegs- 
führung sind nur die Konvention betreffend die Eröffnung 
der Feindseligkeiten 2 ) und die Deklaration bezüglich des 
Verbotes Geschosse und Explosiv kör per aus Ballons zu 
werfenj^^u der Hauptsache stehen Kriegführung zur See und Krieg- 
führunj^zu Lande unter verschiedenem Recht. Diese weitzurückgehende 
Diflerenzierung erklärt sich teils aus der notwendigen Verschiedenheit der an- 
gewendeten technischen Kampfmittel , mehr aber noch aus der Verschieden- 
heit des Kriegstheaters. Im Landkriege ist der eine Kriegführende immer im 
Besitz von, einem andern Staate, normaler Weise dem Gegner gehörenden Ge- 
biet. Dort kann er vorübergehend oder dauernd seine Staatsgewalt aufrichten 
und kraft seines Imperiums die wirtschaftlichen Kräfte des Gebietes für sich 
verwenden. Nur ausnahmsweise muss er auf das Eigentum der Bevölkerung 
des okkupierten Gebietes unmittelbar greifen. Im Seekriege, der sich auf der 
staatenlosen See abspielt, muss der Kriegführende, um eine schliessliche Ent- 
scheidung erzwingen zu können, die wirtschaftliche Kraft des Gegners in dem 
Eigentum von dessen Angehörigen an Schiffen und Gütern treffen können. 
In noch höherem Grade zeigen sich die Unterschiede im Neutralitätsrecht. 
Die Freiheit des Meers erlaubt , dass Streitkräfte sich weit vom heimat- 
lichen Küstenwasser entfernen. Dabei sind sie aber meistens gezwungen, für 
Verproviantierung und ähnliche Zwecke sich fremder Häfen zu bedienen, in 
Friedens- wie in Kriegszeiten. Das Neutralitätsrecht für den Landkrieg ruht 
dagegen auf der unbedingten Unverletzlichkeit neutralen Gebiets. Die Staaten- 
losigkeit des Meers gestattet sodann den Kriegfülirenden auch die Verfolgung 
unerlaubten Handels der Neutralen über die Zone der eigenen Gebietshoheit 



1) Bereits hat die britische Thronrede vom 29. Januar 1908 eine auf das Spätjahr 1908 
nach London einzuberufende Konferenz der grösseren Seemächte angekündigt 

2) Angenommen in der Plenarversammlung vom 7. September 1907 einstimmig und 
vorbehaltlos. 

3) Angenommen in der Plenarveri-ammluug vom 17. August 1907 mit 29 Ja bei 8 Nein 
(Deutschland, Argentinien, Spanien. Frankreich, Montenegro, Persien, ■ft m n fln icn. Rnssland) 
UntlTTainialfmigcn (Chili/" Columbien, Japan. Mexiko,' Peru, Schweden und Venezuela).' 

Jahrbuch des Oe. B. d. <>. II. 1908. 31 



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482 



Völkerrecht: Huber, 



hinaus und rückt damit das Problem der Rechte und Pflichten der neutralen 
Personen in den Mittelpunkt des Interesses. Für die Neutralität im Land- 
kriege kommen die neutralen Personen ausserhalb des neutralen Gebiets nur 
wenig in Betracht; die Bestrebungen, sie unter besonderes Recht zu stellen, 
haben nur zum kleinsten Teil ein positives Resultat erbracht. Immerbin muss 
betont werden, dass die Konferenz sich mit einer Reihe von äusserst wichtigen 
Vorschlägen eingehend befasste, die dahin gingen , wenn auch nicht formell, 
so doch tatsächlich Land- und Seekriegsrecht einander gleichzustellen: die 
Aufhebung des Seebeuterechts und die Abschaffung des Konterbandeverbots. 
Diejenigen Staaten, die über ein ausgedehntes Netz eigener Flottenstützpunkte 
. verfügen oder ihre Operationsbasis stets an der eigenen Küste haben, finden 
in einer möglichst strikten Interpretation des Neutralitätsbegriffs, d. h. in 
einer üebernahme der Grundsätze der Neutralität zu Lande einen grossen 
strategischen Vorteil. Die Konvention über die Rechte und Pflichten der 
neutralen Staaten im Seekriege stellt ein Kompromiss zwischen der strengen 
und der weiten Auffassung der Neutralität dar, steht aber der letzteren be- 
deutend näher. 

Die Sonderbestimmungen für den Landkrieg sind nie- 
dergelegt in zwei Konventionen: 

Die Konvention betreffend die Regeln und Gebräuche 
des Landkrieges 1 ) ist lediglich die revidierte gleichnamige Konvention 
vom 29. Juli 1899, die jedoch einige erhebliche Umänderungen und Er- 
weiterungen erfahren hat. Dieses Abkommen zerfällt auch in seiner heutigen 
Form wieder in zwei Teile: in dio eigentliche Konvention und das dieser an- 
geschlossene Reglement. Nur erstere richtet sich direkt an die Staaten , das 
Reglement ist, allerdings nicht konsequent, gedacht als Instruktion an die 
Truppen der Signatare. Die Konvention selber enthält nur eine und zwar in 
jeder Beziehung neue Bestimmung materieller Natur: die Entschädigungspflicht 
des Staates, dessen Truppen das Reglement verletzten. 

Aus diesem bisherigen Reglement sind Art. 54 und die Sektion IV 
(Art. 57 — 60) ausgeschieden und ausser Art. 54 unverändert in die neue Kon- 
vention betr. die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten und Personen 
im Landkriege übernommen worden. Dies geschah, teils um das ganze Neu- 
tralitätsrecht zu vereinigen, teils weil die ausgeschiedenen Bestimmungen als 
an die Staaten gerichtet nicht in das für Truppen bestimmte Reglement 
passten. 

Die Revision der Landkriegskonvention von 1899 ist scheinbar gering- 
fügiger als diejenige der sog. Schiedsgerichtskonvention, deren Umfang nahezu 
verdoppelt wurde. Während es sich aber dort fast ausschliesslich um sub- 
sidiäre Normen handelt, sind in die Landkriegskonveution eine Reihe für die 
Signatare zwingender Normen von erheblicher praktischer Tragweite aufge- 
nommen worden. 

1) In der Plenarversammlung vom 17. August 1IH»7 einstimmig angenommen: Reserven 
machten zu Art. 44 des Reglements Deutschland. Oesterreich-Ungarn. Montenegro. Rumänien. 
.Japan. liulgarien: /.u Art. H der Konvention (Entschädigung) machten Reserven Grosshri- 
taunien und die Türkei. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Uaag. 483 



Das zweite auf den Landkrieg sich beziehende Abkommen ist die Kon- 
vention betreffend die Rechte und Pflichten der neu- 
tralen Staaten und Personen im Landkriege 1 ). Dieser Ver- 
trag besteht im wesentlichen aus drei Teilen: 1. dem ursprünglich als 
selbständige Konvention gedachten, von Erankreich ausgehenden Projekt betr. 
die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten 2 ), 2. dem ebenfalls als selb- 
ständigen Vertrag formulierten, von Deutschland eingebrachten Vorschlag einer 
Konvention über Rechte und Pflichten der neutralen Personen in den Gebieten 
der Kriegführenden 3 ), 3. den aus dem Reglement von 1899 übernommenen 
Bestimmungen 4 ). Diese Zusammenschmelzung war geboten ausser aus den 
schon erwähnten Gründen, weil von dem ursprünglich umfangreichen und ein 
systematisches Ganzes bildenden deutschen Antrage nur zu einer selbständigen 
Konvention ungeeignete Fragmente übrig geblieben waren. 

In einer im wesentlichen übereinstimmenden Weise ist Adhäsion, 
Ratifikation und Geltung der Verträge geregelt. 

Die Konventionen sind mit Ausnahme derjenigen betr. die friedliche j 
Regelung internationaler Streitigkeiten , der Prisengerichtskonvention 8 ) und 
des Konventionsentwurfs betreffend die Cour de justice arbitrale offen 1 ); 1 
d. h. allen Staaten, sowohl denjenigen, die an der Konferenz teilgenommen , 
haben, aber bis zum 30. Juni 1908 nicht unterzeichnen, wie auch den an der 
Konferenz nicht vertretenen Mächten steht die Adhäsion frei. Die Adhä- 
sionen erfolgen durch schriftliche Notifikation an die niederländische Regierung. 
Von diesem Grundsatze wird, wie schon 1899 ft ), nur abgewichen bei der Kon- 
vention betr. die friedliche' Regelung internationaler Streitigkeiten °). Die 
Zulassung von an der Konferenz nicht vertretenen Staaten kann nur auf Grund , 
einer Verständigung unter den bisherigen Kontrahenten erfolgen. Eine prak- 
tische Bedeutung kommt dieser Unterscheidung nicht bei angesichts der Tat- 
sache, dass zu der II. Friedenskonferenz nahezu alle Staaten der Erde geladen 
waren, somit allen Unterzeichnung oder Adhäsion freisteht. Die Unterschei- 
dung rechtfertigt sich auch — die politischen Gründe sind liier nicht zu er- 
örtern — dadurch, dass diese Konvention nicht wie die andern wesentlich 
allgemeines Völkerrecht ausspricht, sondern neue, keineswegs schon existie- 

1) Diese Konvention ist nicht als einheitlicher Vertrag, sondern als zwei getrennte 
Abkommen angenommen und erst vom Grossen Redaktionsansschuss äusserlich zu einer 
Einheit gemacht worden. 

2) In der Plenarvcrsaninilung vom 7. September 1907 mit Einstimmigkeit vorbehalt- 
los angenommen. 

3) In der Plenarversanimlung vom 21. September 1907 einstimmig angenommen mit 
Ausnahme eines Vorbehaltes von Argentinien zu dem jetzigen Artikel 19. 

4) Die betreffenden Artikel, als nicht der Revision unterworfene Teile des Regle- 
ment« von 1899. sind keiner besonderen Abstimmung unterworfen worden. 

5) ('. P. Art. 53. Die Prisengerichtskonvention kann nicht offen sein wegen der un- 
gleichen Beteiligung der Staaten an der Zusammensetzung des Gerichts , die nur durch 
gemeinsame Verständigung verändert werden kann. Da aber in der Tabelle (C. P. A.) 
44 Staaten figurieren, hat die Beschränkung geringe Bedeutung. 

6) Die C. J. A. enthält keine Bestimmungen über Adhäsion ; solange die Zusammen- 
setzung des Gerichts in der Schwebe bleibt, kann die Erweiterung des Kreises der Kon- 
trahenten auch nicht geregelt werden. 

7) D. C. Art. 4; O. H. Art. 5: G. T. Art, 6; N. T. Art. 22: D. B. al 9. 

8) R. P. (1899) Art. 59-60. 9) R. P. Art. 93-94. 

31* 



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484 



Völkerrecht: Huber, 



rende und als allgemein verbindlich anerkannte Regeln aufstellt. Das System 
der offenen Konventionen dagegen erscheint geradezu geboten, wo es sich um 
vertragsmässige Kodifikation des Völkerrechts handelte und es ist auch allein 
imstande, sich den mit der Zeit immer eintretenden politischen Umgestaltungen 
durch staatliche Neubildungen gerecht zu werden. 

Der Geltungsbereich der Konventionen ist durch den Grundsatz 
bestimmt, dass die Konventionen nur gelten zwischen den Kontrahenten. 
Aber auch zwischen den Kontrahenten treten die kriegsrechtlichen Abkommen l ) 
sowie die Prisengerichtskonvention 2 ) für solange ausser Wirksamkeit, als ein 
Nicht-Kontrahent an dem Kriege teilnimmt. Diese Bestimmung erklärt sich 
daraus, dass alle diese Konventionen eine Beschränkung der kriegerischen 
Aktionsfreiheit bedeuten und deshalb nur unter der Voraussetzung vollkom- 
mener Parität der Parteien annehmbar sind. Die Teilnahme eines Nicht- 
kontrahenten an einem Kriege hebt indessen die durch die Konvention betr. 
die Eröffnung der Feindseligkeiten aufgestellte Pflicht zur Notifikation des 
Kriegsbeginns an die Neutralen nicht auf 3 ). Denn das Verhältnis des Krieg- 
führenden zum Neutralen ist etwas ganz anderes als dasjenige zum Kriegs- 
gegner; hier handelt es sich so wie so nicht um eine gleichartige Rechts- 
stellung auf beiden Seiten , aucli beschränkt die Notiiikationspflicht den 
Kriegführenden in seiner Handlungsfreiheit auf dem Kriegsschauplatz nicht 
und hat im wesentlichen nur zur Folge, die Stellung des Kriegführenden durch 
Verschärfung der Neutralitätspflicht des Neutralen zu verbessern. 

Die Ausserkraftsetzung der kriegsrechtlichen Konventionen durch Teil- 
nahme von Nichtkontrahenten erfolgt ipso jure, die aus dem Vertrage resul- 
tierenden Pflichten und Rechte können nur durch ein Abkommen zwischen 
den Parteien für den betreffenden Krieg wieder Geltung erlangen. Im Gegen- 
satz hiezu lässt die Prisengerichtskonvention es zu, dass ein Kriegführender 
auch dann, wenn wegen Teilnahme eines Nichtkontrahenten am Kriege das 
Prisengericht nicht zuständig ist, dessen Zuständigkeit sich gegenüber einseitig 
begründen kann *). 

Die zeitliche Geltung der Konventionen ist folgendermassen be- 
stimmt : die Konventionen werden rechtskräftig 6 | für die Kontrahenten 
60 Tage nach Austausch der Ratifikationen im Haag, bezw. 60 Tage nach 
dem Zeitpunkt, in welchem die niederländische Regierung die Anzeige der 
Ratifikation oder Adhäsion erhalten hat. Ausser Kraft treten die Kon- 
ventionen nur durch Kündigung °) und zwar nur für den kündenden Staat in 
seinen Beziehungen zu den bisherigen Mitkontrahenten : ) und , sofern nicht 



1) 0. H. Art. 3 al 1; D. B. al 4-5: Ci. T. Art. 2; N. T. Art. 20. 

2) V, P. Art. 51. 3) 0. H. Art. 3 al 2. 
4) C. P. Art. 51. 

:.| K. P. Art, 95; D. C. Art. 5; V. P. Art, 52; O. H. Art, 6; (i. T. Art, 7; N. T. 
Art. 23. Bei der C. .1. A. dagegen erst nach <> Monaten 0. .1. A. Art. 35. 

6) H. P. Art, 9(5; C. .1. A. Art, 35 t 2 Jahre vor Ablauf der Frist); D. C Art. 6: C. P. 
Art. 55 (1 Jahr vor Ahlauf der Frist i: O. Ii. Art, 7; D. B. al 10-11 ; (I. T. Art.«: N. T. Art. 24. 

7) Kino Besonderheit in Bezug auf die Kündigung bot P. A. O. Art, 1(5 1 al 1, wo- 
nach jene Konvention sowohl generell wie auch nur einzelnen Staaten gegenüber sollte 
gekündet werden können. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 485 



eine Kündigungsfrist angesetzt ist, erst 1 Jabr nach Eingang der schriftlichen 
Kündigung bei der niederländischen Regierung. Befristet sind die Konvention 
betr. die Cour de justice arbitrale (12 Jahre, mit stillschweigender Erneuerung 
auf die gleiche Zeit) 1 ), die Prisengerichtskonvention (12 Jahre, mit still- 
schweigender Verlängerung um je 6 Jahre) 2 ), die Deklaration betr. die Bal- 
lons 3 ), welche nur bis zum Schluss der Friedenskonferenz gilt, und die Kon- 
vention betr. die Seeminen 4 ), deren Dauer auf 7 Jahre festgesetzt ist, aber 
durch Nichtkündigung beliebig verlängert werden kann. 

Was die Formalien betrifft, so ist mit Rücksicht auf die grosse 
Zahl der Konventionen und Kontrahenten ein vereinfachtes Verfahren vorge- 
sehen. Ueber die Ratifikationen 5 ) findet nur beim erstmaligen Austausch 
eine Protokollaufnahme in Anwesenheit der Vertreter der ratifizierenden Staaten 
und des niederländischen Ministers des Auswärtigen statt. Alle späteren Ra- 
tifikationen a ) erfolgen durch blosse Notifikation an die niederländische Regie- 
rung unter Beigabe der Ratifikationsurkunde. In entsprechender Weise wird 
bei Adhäsionen verfahren. 

Die Originale der Konventionen sowie die Ratifikationsprotokolle und 
schriftlichen Anzeigen über Ratifikation , Adhäsion und Kündigung befinden 
sich bei der niederländischen Regierung. Dieser liegt auch die Pflicht ob, 
den an der II. Friedenskonferenz vertreten gewesenen , sowie anderen adhä- 
rierenden Staaten von dem Eingang von Ratifikations-, Adhäsions- und Kün- 
digungsnotifikationen sowie vom Zeitpunkt dieser Notifikationen Kenntnis zu 
geben. Sie hat auch darüber ein Register zu führen 7 ). 

Das Prozessrecht. 

A. Friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten ausserhalb des 

Rechtsweges. 

Als durch Staatsvertrag vorgesehene friedliche Mittel zur Beilegung von 
Anständen zwischen Staaten kommen ausser internationalen Gerichten in Be- 
tracht Gute Dienste, Vermittlung und Untersuchungskommissionen. Die 
beiden ersteren Formen 8 ) sind bei der Revision der Konvention von 1899 
unverändert geblieben, d. h. die Mediation ist nach dem neuen Texte 
nicht nur „utile", sondern auch „desirable" 9 ). Eine obligatorische Vermitt- 
lung wurde nicht in Diskussion gezogen. 

Der dritte Titel der Konvention betr. die friedliche Regelung internatio- 

1) C. J. A. Art. 35. 2) C. P. Art. 55. 3) D. B. al 3. 

4) Art. 11—12. 

5) R. P. Art, 92; D. C. Art. 3; O. H. Art. 4; G. T. Art. 5; N. T. Art. 21. 

6) Eine Ausnahme besteht für die Cour de justice arbitrale C. J. A. Art. 34. bei 
welcher über jede Ratifikation eiu Protokoll aufgenommen wird , ebenso für die Ballon- 
deklaration (D. B. al 6 — 8). Abweichend von der allgemeinen Regel sind auch die Bestim- 
mungen der Prisengeriehtskouvention. Hier erfolgt der Austausch der Ratifikationen, sobald 
die hiezu bereiten Staaten das Gericht mit 9 Richtern und Ersatzmännern besetzen können. 
C. P. Art. 52. 

7) R. P. Art. 97; D. C. Art. 7; 0. H. Art. 8: G. T. Art. 9 ; N. T. Art. 25. 

8) R. P. Art. 2-8. 9) R. P. Art. 3. 



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486 



Völkerrecht: Iluber, 



naler Streitigkeiten vom 29. Juli 1899, welcher von den Untersuchungs- 
komniissionen handelt, ist nicht so sehr umgestaltet, als vielmehr er- 
weitert worden. In grundsätzlicher Beziehung ist alles — und zwar sehr 
bewusst — beim Alten belassen worden. Die Untersuchungskommissionen sind 
ausschliesslich mit der Untersuchung und Feststellung von Tatsachen 
betraut, sie haben keine Urteile zu fällen , auch keine Verantwortlichkeiten 
zu konstatieren J ). Die beteiligten Staaten sind absolut frei in ihren Mass- 
nahmen, die sie ergreifen wollen, nachdem die Kommission ihren Bericht er- 
stattet hat. Dieser prinzipielle Unterschied gegenüber den Schiedsgerichten 
ist in Art. 35 in der bestimmtesten Form ausgesprochen. 

Auch in der zweiten Prinzipienfrage hat die Konferenz von 1907 an den 
1899 gelegten Grundlagen festgehalten: die Einsetzung einer solchen Unter- 
suchungskommission kann nur durch den völlig freien Willen der beteiligten 
Staaten erfolgen. Ein Antrag, der auch nur scheinbar eine Pflicht zu sta- 
tuieren schien, wurde abgelehnt. Der Wunsch, jeden Schein von Zwang aus- 
zuschliessen, hat dazu geführt, dass schon 1899 eine Fassung gewählt wurde, 
die ni cht einwandfrei ist und die entgegen einem Antrage v. Martens' von der 
II. .rkonieren'z beibehalten wurde. In Art. 9 2 ) wird erklärt, dass die Mächte 
die Einsetzung einer Untersuchungskommission „soweit die Umstände es er- 
lauben" für nützlich (jetzt auch noch für „ wünschbar ") halten, wenn es sich 
um internationale Streitigkeiten handle, die auf einer verschiedenen Würdigung 
von Tatsachen beruhen und weder die Ehre noch die wesentlichen Interessen 
der Staaten berühren. Nun wird aber gerade eine Kommission, die streitige 
Tatsachen abklärt und dadurch Zeit zur Beruhigung der öffentlichen Meinung 
gewinnen lässt, die wertvollsten Dienste leisten in wichtigen Konflikten, die 
bedrohlich werden können, weil sie eben Ehre oder wesentliche Interessen der 
beteiligten Staaten zu tangieren scheinen. Selbstverständlich steht der jetzige 
Wortlaut niemals der Einsetzung einer Kommission entgegen und es lässt 
sich zu gunsten der Beibehaltung der bisherigen Redaktion sagen, dass gerade 
für die schwierigen Situationen eine formelle Bindung oder auch nur eine zu 
allgemeine oder zu eindringliche Aufforderung nicht nur zwecklos, sondern 
vielleicht geradezu schädlich sein würde. 

Die alte Konvention von 1899 hatte es fast vollständig unterlassen, Be- 
stimmungen über die Zusammensetzung der Kommissionen sowie über das 
Verfahren vor diesen aufzustellen. Es blieb alles den Parteien überlassen 3 ). 
In dem einzigen Falle, in welchem eine Untersuchungskommission eingesetzt 
wurde, in der sog. Doggerbank-Angelegenheit, zeigte sich, dass die Aufstellung 
von — eben unentbehrlichen — Regeln für das Verfahren der Kommission 
schwierig und zudem zeitraubend ist und eine dadurch bewirkte Verzögerung 
der Durchführung und dem politischen Nutzen der Untersuchung nachteilig 
werden kann. So kam man dazu, gestützt auf die Erfahrungen der Pariser 
Kommission von 1905, ausführliche Bestimmungen über Organisation und Ver- 
fahren der Kommission aufzustellen. Diese Bestimmungen haben, mit einer 

1) K. P. Art. 9 u. 35. 

2) Ii. P. Art. 9. 3) K. P. (1899) Art. 10-14. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz iin Haag. 487 



einzigen Ausnahme subsidiären Charakter: sie gelten soweit die Parteien sie 
filchT adsschliessen oder durch andere ersetzen. Eine Verletzung dieser Vor- 
schriften kann auch nicht als Nichtigkeitsgrund gegenüber den Konstatierungen 
des Kommissionsberichts geltend gemacht werden, da der Bericht keinerlei 
Rechtskraft hat und zudem jeder prozessuale Formalismus dem Wesen der 
Institution widerspräche. 

Die Zusammensetzung der Kommission. Die Bildung der 
Kommission und die Umgrenzung der Aufgabe dieser bilden naturgemäss den 
Hauptgegenstand des Abkommens, durch welches die Kommission überhaupt 
ins Leben gerufen wird 2 ). Sollte dieses aber die Kommission nicht organi- 
sieren, so erfolgt die Bildung analog derjenigen eines Schiedsgerichtes s ). Ist 
das Untersuchungsobjekt nicht oder ungenau bestimmt, so wird die Kommission 
untersuchen, was an streitigen Tatsachen von den beteiligten Staaten vorge- 
gebracht wird. Eine Regel hierüber ist nicht aufgestellt. 

Trotz des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen Kommissionen und 
Schiedsgerichten sind beide einander äusserlich nach Möglichkeit assimiliert. 
So ist der — ohne Zustimmung der Parteien nachträglich nicht verlegbare — 
Sitz 4 ) einer Untersuchungskoramission im Zweifel stets der Haag, das Bureau 
des Ständigen Schiedshofs 5 ) im Haag bildet präsumptiv das Sekretariat des 
Gerichts und in seinen Räumen kann die Kommission tagen. Das Bureau 
bewahrt stets die Untersuchungsakten in seinen Archiven auf. AVenn die 
Kommission ausserhalb des Haag tagt, bestellt sie einen eigenen General- 
sekretär, dem ein Bureau unterstellt ist 6 ). 

Ausser den Kommissionsmitgliedern können durch das Abkommen der Par- 
teien auch Assessoren (Sachverständige) der Kommission beigegeben werden 7 ). 
Daneben kann jede P ar tei 1 '^ron sich aus, d. h. auf Grund der allgemeinen 
Konvention, Delegierte oder spezielle Agenten bezeichnen, die als ihre Ver- 
treter vor der Kommission und als Vermittler zwischen dieser und ihr fun- 
gieren , ebenso Anwälte zur Geltendmachung und Darlegung des Partei- 
standpunktes 8 ). 

Sehr ausführlich geregelt ist das Verfahren. Die Beobachtung der 
in der Konvention aufgestellten Regeln wird den Signatärstaaten empfohlen '*'). 
Soweit es an Vorschriften der allgemeinen Konvention oder des speziellen 
Abkommens fehlt, ist die Kommission von sich aus berechtigt, die Einzelheiten 
des Verfahrens zu ordnen ,0 ). 

Das Verfahren ist kontradiktorisch Alle Dokumente, Beweisstücke und 
sonstigen Akten, ebenso wie die von einer Partei angerufenen Zeugen und 
Sachverständigen sind der Gegenpartei mitzuteilen I2 ). Alle Feststellungen, 
Augenscheine usw. haben in Gegenwart der Parteivertreter zu erfolgen u ). 

Bei der B e w e i s e r h e b u n g ist zu unterscheiden zwischen den Pflichten 
der Staaten und denjenigen der Einzelpersonen. Die Parteien selbst sind. 



1) R. P. Art. 24 al 2. 

2) K. P. Art. 10. 
5) R. P. Art. 15. 
8) R. P. Art. 14. 

11) R. P. Art, 19. 



3) R. P. Art. 12. 

fi) R. P. Art. IG. 

II) R. P. Art. 17. 

12) ibid. 



4) R. P. Art. 11. 

7) R. P. Art. 10 al 4. 
10) R. P. Art. 18. 
131 R. P. Art. 21. 



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488 



Völkerrecht: Huber, 



wie schon nach der alten Konvention, — auch unaufgefordert — verpflichtet, 
der Kommission alle Aufschlüsse und sonstigen Erleichterungen zu verschaffen, 
welche ihres Erachtens gegehen werden können und die zur genauen Fest- 
stellung und Würdigung der zu untersuchenden Tatsachen notwendig sind *). 
Da der Kommission keinerlei Gerichtszwang zusteht, sind die beteiligten Staaten 
durch die Konvention verpflichtet, das Erscheinen der auf ihrem Gebiete sich 
befindenden, von der Kommission als Zeugen zitierten Personen nach Mass- 
gabe ihrer eigenen Landesgesetzgebung zu sichern 2 ). Die Konvention statuiert 
keinen besonderen Zeugniszwang. 

Dritte Staaten sind selbst nicht zur Erteilung von Aufschlüssen an die 
Kommission verpflichtet, wohl aber zur Rechtshilfe, d. h. sie sind gehalten, 
Zeugenvorladungen zu vermitteln, wohl auch, wenn nötig, Einvernahmen durch 
ihre eigenen Behörden vornehmen zu lassen und Augenscheine zu gestatten 
auf ihrem Gebiete. Solche Rechtshilfebegehren können nur dann abgewiesen 
werden , wenn deren Erfüllung Souveränität oder Sicherheit des requirier- 
ten Staates bedrohen sollte. Auch ist kein Staat zu einer Rechtshilfe ver- 
pflichtet, die nicht im Rahmen der bestehenden Landesgesetzgebung geleistet 
werden kann 8 ). Dieser letztere Vorbehalt ist erst in der letzten Beratung 
aufgenommen worden, dann aber auch für die Schiedsgerichte und für das 
Verfahren vor dem Prisengericht nachträglich aufgestellt worden 4 ). 

Die Vorschriften ') über Zeugeneinvernahme und Befragung von Ex- 
perten bieten kein besonderes Interesse. In Bezug auf erstere ist das konti- 
nentale System der Befragung durch die Gerichts- d. h. Kommissions- 
mitglieder gegenüber dem englischen der cross-examination durchgedrungen 

Die Verhandlungen sind nur öffentlich, wenn die Kommission, unter Zu- 
stimmung der beteiligten Staaten dies beschliesst. Das Gleiche gilt von den 
Protokollen 7 ). Die Beratungen sind stets geheim w ). 

Die Kommissionalbeschlüsse werden mit Mehrheit gefasst Das- 
selbe gilt auch für die Abstimmung über den Schlussbericht, für dessen Ab- 
fassung sich die Kommission nach Beendigung des Untersuchungs- und Be- 
weisverfahrens vertagt. Stimmenthaltungen bei Beschlüssen sowie die Weige- 
rung, den Schlussbericht zu unterzeichnen, werden am Protokoll vorgemerkt 10 ). 
Der mit Mehrheit angenommene Bericht ist der Bericht der Kommission, 

L Minderheitsberichte oder Begründung des Minderheitsstandpunktes zu Protokoll 
scheinen ausgeschlossen zu sein"). 

"^"Analog den Vorschriften für die Schiedsgerichte ist der Kostenpunkt 12 ) 
und die Sprachenfrage geordnet: das Abkommen, welches die Kommission 
einsetzt, bezeichnet die offizielle Sprache oder Sprachen der Kommission bezw. 
sonst, z. B. bei Zeugeneinvernahmen , zulässigen Sprachen ; andernfalls ent- 
scheidet die Kommission ,s ). 

1) K. P. Art. 22-23. 2) K. P. Art. 23 al 2. 3) R. P. Art. 24. 

4) R. P. Art. 7<>: C. P. Art, 27. Da»s ein analoger Vorbehalt in C. J. A. Art. 25 
fehlt, beruht lediglich auf einem reduktioneilen Versehen. 

5) R, P. Art. 25-28. 

6) R. P. Art. 2(5. 7) R. P. Art. 31. 8) R. P. Art. 30. 
9) ibid. al 2. 10) ibid. al 3. U ) R. P. Art. 33. 

12) R, P. Art. 30. 13) R. P. Art. 10 al 3; Art, 11 al 3. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Huag. 489 



Der Verkehr der Kommission mit den beteiligten Regierungen ') erfolgt 
regelmässig direkt durch deren Vertreter, derjenige mit dritten Staaten 2 ) ent- 
weder direkt oder durch Vermittlung der Regierung desjenigen Staates , auf 
dessen Gebiet die Kommission tagt. Einen Gerichtszwang gegenüber Einzelper- 
sonen steht der Kommission nicht zu , sie hat sich immer an den Staat zu 
wenden, dessen Gewalt die betreffende Person untersteht 3 ). Für Vornahme 
eines Augenscheins bedarf es der vorgängigen Erlaubnis des Staates, auf des- 
sen Gebiet er statthaben soll 4 ). 

B. Der Rechtsweg in internationalen Streitigkeiten 5 ). 

I. Begründung internationaler Gerichtsbarkeit 

Alle internationale Gerichtsbarkeit muss, nach dem Wesen des Völker- 
rechts, auf Vertrag beruhen. Die Begründung der Gerichtsbarkeit kann sich 
mannigfaltig gestalten und die von der Konferenz angenommenen Konventio- 
nen oder doch eingehend beratenen Konventionsprojekte stellen sozusag en alle 
möglichen Typen der Begründung internationaler Gerichtsbarkeit dar oder 
regeln" \^mgstenli^soTcTü? Abkommen subsidiär.' 



1) R. P. Art. 14, Art. 21. 

2) R. P. Art. 24 

3) R*. p! Art] 24 al 1, Art. 25. 4) R. P. Art. 20. 

5) Das für eine ganze Reihe neuer Schiedsgerichtsvertrüge typische, in der I. Kom- 
mission mit 32 gegen 9 Stimmen angenommene Projekt einer Konvention betreffend obli- 
gatorische Schiedsgerichte , das aber nicht vor das Plenum gebracht und nicht in die 
Schlussakte aufgenommen worden ist, gelangt hier zum Abdruck, damit im folgenden bei 
der Darstellung der hierauf bezuglichen Beratungen auf die von der Kommissionsmehr- 
heit gebilligten Formulierungen verwiesen werden kann. Das Projekt wird zitiert : P. A. 0. 
(= Projet de Convention concernant l'arbitrage obligatoire). Die Nummerierung 16a ff. 
rührt daher, das« diese Bestimmungen ursprünglich als Bestandteile der Konvention betr. 
die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten gedacht waren (R. P. (1889) Art. Hiß.). 

l'arbitrage »ans les reserves mentionnees dans 



Projet vote par la Commission. 

Article 16 a. 

Les differends d'ordre juridique et, en 
premier lieu. ceux relatifs ä l'interpretation 
des Traites existant entre deux ou plusieurs 
des Etats contractants, qui viendraient desor- 
mais ä se produire entre eux. et qui n'auraient 
pu fitre r^gles par la voie diplomatique, ser- 
ont soumis a l'arbitrage, ä la condition toute- 
fois qui'ila ne mettent en cause ni les inter£ts 
vitaux, ni rindependance ou l'honneur de Tun 
ou l'autre des dits Etats, et qu'ils ne touchont 
pas aux inWrets d'autres Etats ne partieipant 
pas au litige. 

Article 16 b. 
II appartiendra ä chacune des Puissances 
signataires d'apprecier si le differend qui se 
sera produit met en cause ses interets vitaux. 
son independance, ou son honneur, et, par 

:ompris par- 



l'article 16 a. 

Article 16d. 
Dans cet ordre d'idces. Elles conviennent 
de soumettre a l'arbitrage saus reserve les 
differeuds suivants: 

I. Contestations concernant rinterpretation 
et l'application des stipulations eouvention- 
nellcs relatives aux matteres suivantes: 

1. Assistance gratuite reeiproque des ma- 
lades indigents. 

2. Protection ouvriere internationale des 
travailleurs. 

3. Moyens de prevenir les collisions en mer. 

4. Poids et mesures. 

5. Jaugeage des navires. 

6. Salaires et successions des marins de- 
eedes. 

7. Protection des «euvres litteraires et ar- 
tistiques. 

II. Reclamations pecuniaires du chef de 



consequent, est de nature ä etre coi 

mi ceux qui, d'apres l'article precedent, sont 1 dommages, lorsque le principe de rindemnite 
exceptes de l'arbitrage obligatoire. I est reconnu par les Parties. 

Article 16 c. Article 16 e. 

Les Hautes Parties coutractantes recon- ; Les Haute« Parties contractantes decident 
naissent que certains des dilKrends vises a en outre d'annexer ä la presente Convention 
l'article 16 sont de nature ä elre soumis a , un Protocole enume>ant : 



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490 



Völkerrecht : Huber, 



Die zugleich primitivste und vollkommenste Form ist dadurch charakteri- 
siert, dass derselbe Vertrag sowohl ein Gericht einsetzt als diesem auch eine 
bestimmte Zuständigkeit verleiht. Der Vertrag, wie er bis vor kurzem auf 
dem Gebiet internationaler Gerichtsbarkeit fast allein existierte und wie er 



1 •. les autres inatieres qui leur paraissent 
actuellement susceptiblea de faire l'objet d'une 
stipulation d'arbitrage saus reserve; 

2°. les Puissances qui des ä presertt con- 
tractent eutre elles et sous conditioii de reci- 
procite cet engagement pour toutes ou une 
partie de ces matieres. 

Le Protocole fixera egalement les condi- 
tions dans lesquelles pourrout etre ajoutees 
les autres matieres reconnues pur la suite 
tomiue pouvant faire l'objet de stipulation» 
d'arbitrage »ans reserve, ainsi que lex condi- 
tions dans lcsquelles les Puissances non-signa- 
taires serout admises ä adherer au present 
aecord. 

Artiele 16 f. 

Si toua le« Etats signataires d'une de« 
Conventions visees par les articlcs 10c et 16d 
sont Parties dans un litige concernaut l'inter- 
pretation de la Convention, le jugement arbi- 
tral aura la meuie valeur que la Convention 
elle-meme et devra etre egalement observe. 

Si, au contraire, le litige surgit entre quel- 
ques-uns seulement des Etats signataires, les 
Parties en litige doivent avertir en temps 
utile les Puissances signataires , qui ont le 
droit d'intervenir au proces. 

Le jugement arbitraü sera communique aux 
Etats signataires qui n'ont pas pris part au 
proces. Si ceux-ei declarent ä l'unanimile ae- 
cepter l'iuterpretation du point en litige adop- 
tee par la sentenee arbitrale, cette Interpre- 
tation sera obligatoire pour tous et aura la 
nie nie valeur que la Convention elle-meiue. 
Daus le cas contraire. le jugement n'aura de 
valeur qu'entre les Parties en litige. ou pour 
le« Puissances qui auront formellcment ac- 
cepte la decision des arbitres. 

Artiele 1(5 g. 

La procedure ä suivre pour constater l'ad- 
hesion au principe etabli par la senteuce ar- 
bitrale dans le cas vise par l'alinea 3 de l'ar- 
ticle nrecedent, sera la suivante: 

S'ii s'agit d'une Convention etablissant 
une Union avee un bureau special, les Parties 
qui ont pris part au proces transmettront le 
texte de la setitenee au bureau special pur 
rintermediaire de l'Etat dans le territoire du- 
quel le bureau a son siege. Le bureau redigera 
le texte de l'article de la Convention confor- 
mement a tu sentence arbitrale. et le com- 
niuniquera par la meine voie aux Puissances 
signataires qui n'ont pas pris part au proces. 
Si celles-ci aeeeptent ä l'unaniiuitc le texte 
de l'article, le bureau constatera l'assetitiinent 
au nioyen d'un protocole qui sera trausmis 
en copie conforme ä tous les Etats signataires. 

S'il ne s'agit pas d'une Convention etabli*- 
sant une Union avee un bureau special, le* 
dites foiictions du bureau special seront exer- 



cees, ä cet egard, par le Bureau International 
de I*a Haje par l'intermediaire du Gouverne- 
ment de« Pays-Bas. 

11 est bien eutendu que la presente stipu- 
lation nc porte aueune atteinte aux clause« 
d'arbitrage dejä contenues dans les Traites 
existants. 

Artiele 16 h. 
Dans chaqne eas partieulier. les Puissances 
signataires etabliront un acte special (coni- 
promis) eonformement aux conBtitutions ou 
aux lois respectives des Puissances signataires, 
deterniinant nettement l'objet du litige, l'eten- 
due des pouvoirs des arbitres, la procedure 
et les delais ä observer. en ce qui concenie 
la Constitution du Tribunal arbitral. 

Artiele 10 i. 
II est entendu. que les stipulation« visant 
un arbitrage qui figurent dans des Tratte» 
dejä conclus ou ä conelure. resteront en vi- 
gueur. 

Artiele 16 k. 

La presente Convention sera ratifiee dans 
le plus bref delai possible. 

Les ratifications seront deposees ä La Haye. 

La ratifieation de ehaque Puissance Signa- 
taire speeifiera les cas enumeres dans 1'article 
16e*) dans lesquels la Puissance ratifiante ne 
sc prevaudra pas des provisions de l'article 16a. 

II sera dresse du depöt de ehaque ratifi- 
eation un proces-verbal dont une copie. cer- 
tifiöe conforme, sera reiuise par la voie diplo- 
matique a toutes les Puissances. qui ont ete 
representees ä la Conference Internationale de 
la Paix ä La Haye. 

L'ne Puissance Signutaire pourra ä n'iin- 
porte quel moment deposer des ratifieation« 
nouvelles comprenant des cas additionnels iu- 
clus dans l'article 16 d. 

Artiele 161. 
Chacune des Puissances Signataires aura 
la faculte de denoncer la Convention. Cette 
denonciation pourra etre faite. soit de fayou 
ä üupliquer le retrail total de la Puissance 
denonciatrice de la Convention, soit de facon 
ä ne produire ses ett'ets qu'ü l'egard d'une 
Puissance designee par la Puissance denon- 
ciatrice. 

Cette denonciation pourra egalement etre 
faite relativeinent ä Tun ou plusicurs des cas 
enumeres dans l'article 16 d ou dans le pro- 
tocole vise ä l'article 16 e. 

La Convention continuera ä subsister pour 
autant qn'elle n'aura pas ete denoneee. 

*) In dem von der Koiuuiissiou votierten 
Text und im Kommissiomilbcricht lieisst es 
irrtümlich 16 d statt 16e. (Vgl. unten S. 527 
An m. 21. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 491 



auch heute noch in sehr vielen Füllen zum Abschluss kommt, ist der Schieds- 
vertrag, der, in enger Anlehnung an das zivilrechtliche Comp rom issum , für 
ei nen konkreten Fall ei nen Richter einsetzt, dessen Zuständigkeit, über 
TPn'en diesen RTRfi uSeileü^illie "Parteien in dem Vertrage anerkennen. In 
diesen Fällen dankt die internationale Gerichtsbarkeit nach allen Seiten hin 
ihre Entstehung einem einzigen und zwar zweiseitigen Rechtsgeschäft, einem 
Vertrage. 

Im Grunde ist die Lage dieselbe bei einer Konvention, die, wie die Pri- 
sengerichtskonvention , ein für die Dauer des Vertrages ständiges , von dem 
Willen der Parteien in jedem Einzelfalle un ab hängiges Gericht erri chtet und 
diesem die Kompetenz gibt, auf Anrufung einer Partei jede Streitigkeit, die 
in seine materielle Zuständigkeit fä llt, zu entscheiden . Auch hier ist nur ein 
einziges zweiseitiges Kechtsgeschäft Grundlage der Gerichtsbarkeit. 

Rechtlich muss diesen Verträgen, die durch ein einziges Geschäft die 
Gerichtsbarkeit begründen, jener Vertragstypus beigezählt werden, der z. B. 
durch den, anlässlich der Konferenz am 18. September 1907 zwischen Italie n 
und Argenti nien ab geschlossenen Schiedsgerichtsvertrag repräsentiert wird. 
Danach wird für gewisse, unter Umstunden für alle Streitigk eiten die Zustän- 
digkeit eines Schiedsgerichtes statuiert, die Bildung des Gerichts aber einem 
weiteren Rechtsgeschäft zwischen den Parteien , dem sog. Kompromiss vorbe- 
halten, doch immerhin so, dass das Zustandekommen des.KouiprqumseSj^selbst 
w enn die Parteien s ich darüber nicht vers tändigen, gesichert ist . Auch hier 
ist letztenfalls die Gerichtsbarkeit nach allen Richtungen durch die Konven- 
tion begründet 



La denonciation, soit totale soit particu- 
liere, ne produira ses effets que six mois apres 
que notitication en aura ete faite par eerit au 
Gouvernement des Pays-Baa, et eonimuniquee 
immediatement par celui-ci ü toutes les autres 
Puissances contractantcs. 

Protocoleviseä 1 ' a r t i c 1 e 1 G e. 
Article 1. 



tocole 

les contestations concernant Interpretation 
et l'application des stipulation» conventiou- 
nelles relatives ä Celles des matieres enuine- 



Gouvernement des Fays-Bas qui signaleracette 
acceptation au Bureau International de La 
Haye. Apres l'avoir inscrite au tableau vis*? 
a Tarticle precedent, le Bureau International 
communiquera aussitöt la notification et le 
tableau amsi coniplete, en copies confornies, 
aux Gouvernements de toutes les Puissances 
eignataires. 

Article 3. 

Deux ou plnsieurs des Puissances signatai- 
conimun aecord, nourront 
au Gouvernement des Pays- 
Bas pour lui deinander d'ajouter au tableau 
des matieres additionnelles pour lesquelles 
elles sont pretes a aeeepter 1 arbitrage 



Chaque Puissanee signataire du present Pro- ', res, agissant d un commun aecord , pourront 
cole aeeepte l'arbitrage sans reserve pour outre s'adrcsser 



rees au tableau ci-annexe, qui sont indiquees reserve dans les termes de l'artielc 1. 

L'inscription de ces matieres additionnelles 
et la communication aux Gouvernements des 



par la lettre A dans la colonne portant son 
nom. Elle declare contracter cet engagement 
vis-a-vis de chacune des autres Puissances 
signataires dont la reeiprocite ä cet egard est 
de la meme maniere signalee au tableau. 

Article 2. 

Chaque Puissance aura toujours la t'aculte 
de notitier son acceptation des matieres qui 
sont enumerees au tableau. et pour lesquelles 
eile n'aura pas prealublement aeeepte l'arbi- 
trage sans reserve dans les termes de l'article 
precedent. 



Puissances signataires de la notitication ainsi 
que du texte corrige du tableau se feront de 
la maniere prevue ä l'article precedent. 

Article 4. 

Les Puissances non signataires sont ad- 
mises ä adherer au present Protocole en no- 
tifiant au Gouvernement des Pays-Bas les ma- 
tieres inscrites au tableau pour lesquelles elles 
sont pretes ä aeeepter l'arbitrage sans reserve 
dans les termes de l'article 1. 



A eettc tin ., eile s'adressera au 
1) Als typisch und technisch besonders vollkommen seien hier die einschlägigen 



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492 



Völkerrecht: Huber, 



Diese Art von Konventionen bildet den Uebergang zu dem zweiten und 
verbreitetsten Typus von Verträgen über internationale Gerichtsbarkeit. Diese 
unterscheiden sich von den vorerwähnten dadurch, dass zwei oder mehr zw ei» 
seitige Rechts geschäfte notwendig sind , um die Gerichtsbarkeit definitiv f ür 
einen konkreten Fall zu begründen, und zwar deshalb, weil der Grundvertrag 
eiuweder" nur eine Zuständigkeit eines Gerichtes begründet, odeF weil er nur 
ein Gericht einsetzt, ohne diesem eine bestimmte Zuständigkeit zu geben. Das 
erstere trifft zu bei den seit 1899 in grosser Zahl abgeschlossenen Schieds- 
gerichtsverträgen, welche die Kontrahenten verpflichten, alle oder gewisse Ar- 
ten von Rechtsstreitigkeiten e inem erst noch zu bildenden Schiedsgerich te 
unter gewissen Bedingungen oder vorbehaltslos zur Entscheidung zu unter- 
wriTt'n^. rr T)eT^^'ite^Täll,'\Tr n*. die blosse Organisation eines Gerichtes liegt 
vor bei der von der Konferenz empfohlenen allerdings fragmentarisch geblie- 
benen Konvention betreffend die Cour de justice arbitrale. 

Beide Klassen von Verträgen dieses zweiten Typus weisen nun aber For- 
men auf, welche die an sich schon lediglich partielle Begründung einer Ge- 
richtsbarkeit noch mehr beschränken. So verlangen die meisten Schiedsge- 
richtsverträge, welche die Zuständigkeit eines erst zu bildenden Schiedsgerichts 
begründen, dass in jedem einzelnen Falle die Parteien das Streitobjekt noch 
in einem sog. Kompromiss festlegen*). Eine volle Zuständigkeit schaffen nur 
che V erträgeT~weTche~ ~wuT "zTTBT' der schon erwähnte italienisch-argentinische 
Vertrag 3 ) bestimmen, dass nötigenfalls das Gericht selbst die von ihm zu ent- 
scheidenden Streitfragen formuiieren kann. Auf der andern Seite stellt die 



Artikel des zitierten Allgemeinen .Schiedsgerichtsvertrags zwischen Italien und Argentinien 
vom 18. September 1907 wiedergegeben. 



compose de trois membres. Les deux Parties 
noininent chacune un arbitre. pris de prefe- 
rence dans la liste des membres de la Cour 



Article 2. 

Dans chaque cas particulier , les Ilautes 
Parties contractantes si gnent un compr omis 

special diHe rniinant l°<Hnet du lilige, et. s"71 permanente etablie par ladite Convention de 

y a "neu, ie ~si«*'ge «Iii tribunal. la langue dont la Haye. et s'entendent sur le choix du sur- 

ll fera usagc et Celles dont l'emploi sera au- arbitre. Si l'accord ne sc fait paa sur ce point. 

torise devant lui, le montant de la somme que les Parties s'adresseront ä uno tierce Puissance 



chaque Partie aura ä deposer a titre d'avance pour qnKlle fasse eette designation, et, a de- 
pour les frais, la forme et les delais ä observer taut d'aecord nieme a ce sujet. une requete 
qu ce qui concerne la Constitution du tribunal . aera adressee ii cette fin a SaMaj est«' Ja ftfti iie 
et l'echange des memoires et des documents, ' des Pays- Bas ou ä Ses SuCcessenrs. 
et generalement toutes les conditions dout, Lg BnTarbitre e9t choisi d ans la liste des 
Elles seront convenues. membres de ladfte CßuT l^rnianente. II ne 

A defaut de compromis. les arbitres, nora- i peut etre le ressortissant d'aucune des Parties, 
mes d'aprc* les regle» etablies dans les artic- | ni etre domicilii» ou resident dans leurs ter- 
les 3 et 4 du present traite, jugent »nr_Ja , ritoires. 

base de« pn'tentions qui leur sevoiil sominses. ' La mfine personne ne peut pas siegercom- 
ATT "surplus et e"n '{'absehee' (Teiitehte spe- ' m« surarbitn» dans deux affaires sucecssives. 
ciale, les uispositions «Hablies par la Conven- — Artich 1 1. ~~ 
tion pour le reglement paeifique des conflits Dans le cas oü les Partie* ne s'entendrai- 
internationaux, sigm-e ä la Haye le 29 juillet ent pas pour la Constitution du tribunal, les 
1899, seront appliquees. sous reserve des ad- fonetioiis arbitrales seront conferees ü un ar- 
ditions et des modilications contenucs dans 
les articles suivants. 

Article 8. 

Sauf stipulation contraire, le tribunal est arbitre . 

1) P. A. 0. Art. 16a-16e. 2)"P A. 0. Art, 16h. 

3) Art. 2 al 2. 



bitre unique. qui, sauf stipulation contraire. 
sera nomine d'aprcs les regle« etablies dans 
l'article precedent p^our la noiniinition du,ftU U 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 493 

Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten einen 
Vertrag dar, welcher nur eine unvollkommene Organisation eines Gerichts be- 
wirkt. Der von ihr geschaffene Ständige Schiedshof ist überhaupt kein Gericht, 
sondern lediglich eine Institution , welche die Bildung von Schiedsgerichten 
erleichtern soll ! ). 

"TJeberall da, wo ein Vertrag die Gerichtsbarkeit nicht vollständig, d. h. 
Gericht und Zuständigkeit schafft, bedarf es zur Vervollständigung noch eines 
weiteren Rechtsgeschäftes. Begründet der Grund v ertrag, wie wir dieses erste 
Rechtsgeschäft bezeichnen wollen, keine Rechte und Pflichten der Kontrahen- 
ten, sondern enthält er lediglich eine mehr oder weniger vollständige Organi- 
sation eines Gerichtes, so bedarf es zur Begründung der Gerichtsbarkeit stets 
noch eines Vertrages, denn nur ein solcher vermag rechtliche Bindung unter 
Staaten zu erzeugen. Wenn die Konvention zur friedlichen Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten sowohl in der ursprünglichen wie in der heutigen Re- 
daktion sagt: „Les Puissances qui recourent ä l'arbitrage signent un acte spe- 
cial (compromis) dans lequel sont nettement deterraines l'objet du litige ainsi 
que l'etendue des pouvoirs des arbitres" *) , so ist damit vom Standpunkte 
dieser Konvention aus auf einen wirklichen Vertrag verwiesen ; denn diese 
Konvention erklärt lediglich, dass die schiedsrichterliche Entscheidung für ge- 
wisse Streitigkeiten wünschbar, nicht aber dass ein Schiedsgericht für gewisse 
Fälle zuständig sei und dass eine dementsprechende Pflicht der Parteien zur 
Unterwerfung unter ein solches bestehe 3 >. Hier ist das Kompromiss unzwei- 
'? f~ felhaft Vertrag, gerade wie der zivilrechtliefrö SchieTIs vertrag, das eigentliche 
fvompromiss. 

p ^ Etwas ganz anderes ist es aber , wenn der Grundvertrag Pflichten und 

' ^Rechte tür die T^LontraTiienten "schafft, wenn er die Pflicht zur Auiiühnie eines 

y Schiedsgerichts, bezw. das j Rech t, ein solche;, .zu. lonteui- ausspricht. Wenn 
ein solcher Grundvertrag die Bildung des Gerichts den Parteien üherlässt 
C ? oder wenn er, falls bereits ein Richter vorhanden, doch ein sog. Kompromiss 

. verlangt zur Bestimmung der Streitfrage und zur Festsetzung prozessualer 

Vorschriften, so kann die Gerichtsbarkeit für den konkreten Fall nur durch 
ein weiteres Rechtsgeschäft ausgewirkt werden. Es ist aber fraglich, ob die- 
sem zweiten Rechtsgeschäft auch unter solcb^n^Tmständen der Charaktej eines 
Vertrages zukommt, ob auch es ein wirkliches Kompromiss sei. Diese Frage 
bWeiü ÜMT "Gegenstand eingehender Erörterungen , sie wurde dadurch noch 
kompliziert und in den Debatten verwirrt, dass die Vereinigten Staaten von 
Amerika sich auf den Standpunkt stellten, dass der Abschluss des Kompro- 
misses ein Akt der Staatsverwalt ung sei , bei welchem der Senat neben dem 
Präsidenten mit/u \vnTu>n habe. 

Die Frage, ob das sog. Kompromiss ein Vertrag sei oder nicht, hat eine 
praktische Bedeutung, denn von ihrer Beantwortung hängt die staatsrechtliche 
Behandlung des Geschäftes ab, und die rechtliche (Qualifizierung dieses Kom- 

1) K. P. Art. 41-45. 

2) R. P. (\m>) Art. 31 : R. P. Art. 52. 
3| R. P. (1899) Art, 16; R. P. Art. 38. 



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494 



Völkerrecht: Huber. 



promisses ist entscheidend für diejenige des Grundvertrages. Ist es selbst ein 
Vertrag, so kommt dem Grundvertrag, also beispielsweise einem Vertrag über 
obligatorisch'e SchiedsgericITleV r mir"" der "Qfä ralcfer"* efnes Vorvertrages , eines 
pactum de contrahendo zu. Die Gerichtsbarkeit im konkreten Fall wird 
unter diesen Umstanden "nicht durch den Grundvertrag, sondern erst durch 
das sog. Kompromiss begründet. 

Es scheint, dass die Schwierigkeiten, welche sich in diesem Punkte er- 
geben haben, davon herrühren, dass der Begriff' Kom promiss für zwei recht- 
lich durchaus verschiedene Dinge verwendet wird. In das Völkerrecht ist die- 
ser Begriff in Analogie zum Zivilrecht aufgenommen worden zu einer Zeit, 
als allgemeine Schiedsverträge noch kaum zum Abschluss gelangten. Da war, 
wie oben ausgeführt, das K ompromiss unzweifelhaft ein Vertrag , bei dessen 
Abschluss die Parteien nach allen Richtungen völlig freie Hand hatten, nicht 
nur in bezug auf die Besetzung des Gerichts und dessen Kompetenz, sondern 
auch hinsichtlich der Vorbehalte zu gunsten von staatsrechtlich zur Mitwir- 
kung berufenen Organen der kontrahierenden Staaten. 

Seit der I. Friedenskonferenz sind die Schiedsgerichtsverträge mehr und 
mehr aufgekommen , welche für eine unbestimmte Zahl in der Zukunft sich 
vielleicht ereignender Streitfälle generell die Unterwerfung unter ein Schieds- 
gericht auf Verlangen einer Partei vorsehen '). Soll ein derartiger Vertrag 
eine rechtliche Bedeutung haben, so kann es nur die sein, dass er ein gene- 
relles, abstraktes Kompromiss an Stelle einer Reihe von vereinzelten 
konkreten Kompromissen setzt. Dadurch soll aber nicht nur eine Einladung 
zu Spezialkompromissen erfolgen, sondern ei ne wahre Re clitsp flicht für die 
Kontrahenten geschaffen werden. Diese Pflicht ist aber nicht nur eine generelle, 
sondern wird unmittelbar wirksam in jedem Streitfall, in dem die Gegenpartei 
die schiedsrichterliche Beurteilung beansprucht. Sie muss dann nicht erst 
noch durch einen neuen Vertrag, ein zweites Kompromiss begründet, werden. 
Der Anspruch aus dem ursprünglichen generellen Schiedsverträge geht nicht 

auf Abschluss eines Kompromisses, sondern auf Erfüllung der VertragspUicht, — 

d". h. Unterwerfung unter das Schiedsgericht untT unter dessen Ürteil. Wurde 
ein Schiedsvertrag nur ein pactum de contrahendo sein , so wäre er wenig 
tauglich für die Erfüllung derjenigen Aufgabe, die sein Hauptzweck ist: ~Tfe 
Sicherung der guten und friedlichen Beziehungen zwischen den Kontrahenten. 
Dem Vertrag, ganz besonders dem völkerrechtlichen Vertrage mit Rücksicht 
auf die Souveränität der Staaten, ist die diskretionäre Freiheit der Kontrahen- 
ten wesentlich. Eine Pflicht einen Staatsvertrag abzuschliessen enthält eigent- 
lich einen Widerspruch in sich selbst. Die privatrechtlichen Begriffe von 
pacta de contrahendo lassen sich auf das Völkerrecht kaum übertragen, denn 
soweit keine unbedingte und vollständige internationale Gerichtsbarkeit besteht, r 
ist eine richterliche Substitution des Kontrahierungswillens oder ein Anspruch K/ 
auf Schadensersatz ausgeschlossen oder un realisierbar. 

' Gewiss ist es wahr, das abstrakte Kompromiss, wie es die Schiedsgerichts- / 
vertrage meistens darstellen, ist ein unvollständiges Kompromiss. Es fehlt der o 

X) Typisch hiefür P. A. O. Art. 16a-16c. ^ 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 495 



Richter, es fehlt dessen Kom petenz über die eigene Kompetenz zu ents chei- 
den, es fehlen zumeist auch prozessuale Einzelheiten , doch alle diese Dinge 
D"eFreffen nicht die Substanz der in dem Schiedsverträge übernommenen Pflich- 
ten. Was noch fehlt, geht lediglich die Erfüllung der Pflicht, nicht diese selbst 
an. In dieser Weise scheinen auch die Kompromisse, die auf Grund von 
generellen Schiedsverträgen in jedem einzelnen Falle herbeizuführen sind, bis- 
her in Praxis und Wissenschaft ziemlich allgemein aufgefasst worden zu sein. 
Als eine Sache der Vertragse rfüllung, nicht des Vertrags abschlusses sind sie 
zustande gebracht worden durch diejenigen ( Jrgane 7 welche für die Durch- 
setzung und Erfüllung staatsvertragsmässiger Rechte und Pflichten kompetent 
sind. Die Organe aber, welche zur Genehmigung von Staatsverträgen berufen 
si nd, treten bei dem sog. Ko mpromiss nicht mehr in Wirksamkeit : sie haben 
bei der Genehmigung des Schiedsvertrages , des generellen, abstrakten Kom- 
promisses auf die Mitwirkung in jedem speziellen Fall verzichtet. 

Es ist allerdings nicht zu bestreiten, dass ein Vertrag, der die Möglich- 
keit der Verwirklichung seines Inhaltes in einer Reihe von Punkten abhängig 
sein lässt vo n Anordnungen, die nur von beiden Ko ntrahenten, also bei Schieds- 
verträgen von beiden Parteien g emeinsa m^ vorgenommen werden köimejkJ jjj^hst 
unvollkomme n ist : unvollkomitf&ftTTlIJeT nicht gegenstandslos. Diese Unvoll- 
TonifnenheTl ist mehr oder minder gross, je mehr oder weniger der Vertrag 
ungeregelt lässt. 

Um diese Lücken zu beseitigen gibt es nur ein Mittel: das Zwangs- 
kompromiss 1 ). Der Schiedsvertrag muss dafür sorgen, dass, wenn die 
Parteien sich über das sog. Kompromiss nicht einigen können, d. h. über die 
Erfüllung der vertraglichen Pflicht nicht gleicher Meinung sind, das sog. Kom- 
promiss doch herbeigeführt werden kann. Eine derartige Sicherung des sog. 
Kompromisses ist gerad ezu als ein Korrelat jedes Vertrags über obligatorische 
Schiedsgerichte zu b~eträ~cTiten.~'~'Der von <Te r^euls che n De leg ation ausgehende, 
Antrag betreüehd* die Bildung des sog.Tvompromisses durch Vermittlung des 
Ständigen Schiedshofes ist als ei ne der wi chtigsten Neiieimngen , die zur Re- 
vision der Konvention von 1899 vorgeschlagen wurden, zu betrachten und nicht 
weniger bedeutungsvoll als diejenigen Vorschläge, die dahin gingen, eine be- 
dingte oder bedingungslose Unterwerfung unter nicht zum voraus bestellte 
Schiedsgerichte für gewisse Klassen internationaler Streitigkeiten zu fordern. 
Nur wo beides, Gericht und Zuständigkeit durch einen Vertrag zum voraus 
gesichert sind, kann von wirklicher Gerichtsbarkeit gesprochen werden. 

Der deutsche Antrag ist in seinem wesentlichen Inhalte unverändert in 
die revidier te Konvention über gegangen 2 ). Artikel 53 der IvonventioiTTTe- 
Iretfend ^ie inecTFieTTe Regelung internationaler Streitigkeiten bestimmt folgen- 
des in Bezug auf die Zuständigkeit des Ständigen Schiedshofs im Haag zur 
Aufstellung des sog. Kompromisses: 



J 



. .s 



: ' 



1) R. P. Art. 53 — 54. Materiell gleich und wohl noch zweckmässiger sind Bestim- 
mungen, wie sie die oben zitierten Art. 2—4 des italienisch-argentinischen Vertrages ent- 
halten. 

2) Der ursprüngliche Antrag unterscheidet sich von R. P. Art. 53 hauptsächlich in 
Bezug auf die Bildung der mit der Feststellung des Kompromisses beauftragten Kommission. 



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496 



Völkerrecht: Huber, 



Der Ständige Schiedshof ist stets kompetent, wenn beide Kontra- 
henten eines Schiedsvertrages ihm diese Mission zuweisen, sei es durch den 
Schiedsvertrag selbst ein für alle Mal, sei es durch ein Abkommen für einen 
bestimmten Fall. Diese Bestimmung ist lediglich eine Kompetenznorm für den 
Ständigen Schiedshof und versteht sich im Grunde von selbst. 

Wichtig dagegen ist, dass der Ständige Schiedshof, d. h. eine aus ihm 
entnommene Kommission zur Bildung des Kompromisses befugt ist auch auf 
Anrufen einer Partei. Dies ist der Fall unter folgenden Voraussetzungen: 

1. Wenn zwischen zwei Staaten ein Schiedsvertrag abgeschlossen ist, 
welcher für gewisse Fälle die Pflicht zur Annahme schiedsrichterlicher Be- 
urteilung von Streitigkeiten zwischen den Kontrahenten aufstellt , aber für 
jeden Anwendungsfall ein sog. Kompromiss vorsieht, so kann jede Partei, wenn 
ein gemeinschaftliches Kompromiss auf dem Wege diplomatischer Unterhand- 
lungen nicht zustande kommt, die Intervention des Ständigen Schiedshofes an- 
rufen. Es wird dann eine Kommission gebildet zur Aufstellung des sog. 
Kompromisses und zwar in der gleichen Weise, wie dies der Fall ist, wenn 
sich die Parteien nicht über die Zusammensetzung eines Schiedsgerichts eini- 
gen können. Die Intervention einer solchen Kommission ist aber ausgeschlossen 
in folgenden Fällen: 

a) wenn es sich um Schiedsverträge handelt, die älter sind als die revi- 
dierte Haager Konvention, ' - 

b) wenn der allgemeine Schiedsvertrag ausdrücklich oder stillschweigend 
eine solche Kompromissbildung ausschliesst, , » * 

c) wenn die Gegenpartei behauptet, die Frage, um deren Entscheidung 
es sich handelt, falle nicht in den Rahmen des Schiedsvertrages. 

Die Komission , bezw. das aus ihr hervorgehende Schiedsgericht ') sind 
nicht kompetent, ihre eigene Zuständigkeit zu beurteilen, doch kann eine 
solche Kompetenz einem Schiedsgericht durch die Schiedskonvention übertragen 
sein. Dies ist auch in einigen Verträgen geschehen *). 

2. Der zweite Fall, in welchem eine solche Kommission auf Anrufen 
einer Partei zur Bildung des sog. Kompromisses kompetent ist, ist den Be- 
stimmungen der Konvention über Gewaltanwendung bei der Geltendmachung 
von SchuldforderufigTn angepasst. WentTetfT Anerbieten, einerr Sütchen Streit 
einem Schiedsgericht zu unterbreiten, von dem belangten Staate angenommen 
wird, so ist, mangels eines gegenteiligen Vorbehalts bei der Annahme, die 
vorerwähnte Aufstellung des Kompromisses zulässig. 

Diese Vorschriften, die weder rückwirkend noch zwingend sind, lassen 
dem Staate, welcher sich auf das Schiedsgericht nicht einlassen will, immer 
noch zwei Möglichkeiten die Gerichtsbarkeit auszuschliessen: entweder die Zu- 
ständigkeit eines Schiedsgerichts in dem pendenten Streitfalle zu bestreiten 
oder die wcigerun gT seine Schi edsrichter ni bezeichnen. Im ersteren~Falle 
handelt es sich um eine peremptorische Einrede, im letzteren um Vertrags- 
bruch. Die erstere Eventualität liisst sich durch die Bestimmung, dass~~das 

1) R. P. Art. 58. 

2) /.. B. Schiedsvertrag zwischen Schweden uud Norwegen vom '2ß. Okt. 1905 Art. 2. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 497 



Gericht Uber die präjudizielle Frage der Anwendbarkeit des Vertrags ent- 
scheidet, ausschliessen, letzterer ist jeder Vertrag ausgesetzt, er mag sein, wie 



Inhalt der Kor 



<9/z 



A. 



9 Ar 



er wolle. 
Der 

Setzungen, von denen es ausgeht. Das eigentliche Kompromiss hat_j>Ues zu ^ ^ , 

bestimmen, weil erst durch es das rechtliche Band zwischen den Parteien ent- 



ompromlsses richtet sich nach den rechtlichen Voraus- */ f A' 



steht Es bezeichnet Gericht und Zuständigkeit eben so wie das Verfah ren, wenn 2/Z f//^ 
nicht bereits ein früHerer Vertrag, wie es jetzt für alle Staaten der Fall ist, — " . 
ein subsidiäres Prozessreclit aufgestellt hat. Dasun e igen tl i che Kompromiss 
dagegen, das nur zur Erfüllung einer bereits ü^eTnom menen PfTi rn" t ' cfa ls t^ TuS^ 
nur noch Lücken auszufüllen. Diese sind verschieden, je nachdem die zwi- 
WlU'ft 'fft , l! v 'l*Äl i U i fc!! bWU'hftiden Verträge mehr oder weniger zum Voraus 
geordnet haben. Der Art. 52 ') bezeichnet als vom Kompromiss zu regelnde 
Fragen: das Strei tobjekt, die Fristen für Bezeichnung der Schieds richter und 
für Zustellung der Parteischriften, den Vorschuss an die Gerichtskasse; ferner, 
wenn notTg;~ote~"ATt'(IeF Bezeichnung der Richter, die allfälligen Sondgjjcoin- 
petenzen des Gerichts, dessen Sitz und die von ihm amtlich gebrauchten oder 
vor ihm zugelassenen Sprachen sowie irgendwelche weiteren von den Parteien 
vereinbarten Bedingnisse. 



Eine nicht unmittelbar völkerrechtliche Frage, die aber in der Diskus- 
sion über das sog. Kompromiss eine wichtige Rolle spielte, betrifft die 
staatsrechtlichen Voraussetzungen des Kompromiss- 
abschlusses. 

Das eigentliche Kompromis s ist zwar unzw eifelhaft _ein JVertrag ; es kann 
aber fraglich erscheinen, ob es gleichwohl als Staatsvertrag in staatsrechtlicher 
Beziehung zu behandeln und demnach den Parlamenten gegebenenfalls vorzu- 
legen sei, wo diese ein allgemeines Genehmigungsrecht besitzen. Eine Ver- 
neinung der Kompetenz der Parlamente würde sich darauf stützen können, 
dass die Einsetzung eines Schiedsgerich}^_^eine materiellen Rechte und Ptiich- 
/ ten für die Kontrahenten statutiert nVeni} die Regierungen kompetent sind, 
auf dem Wege diplomatischer Verhandlungen einen Streit beizulegen" und 



Ansprüche eines "ändern" Staates anzuerkennen, |^wmxnr-soHtcn 
Entscheidung einer unabhängigen Instanz übertragen, die gerade nur die be- 
stehenden Rechte und Pflichten zur Anerkennung zu bringen hat. Die Ein- 
setzung eines Schiedsgerichts lässt sich sehr wohl als ein Akt der überall den 
Regierungen anvertrauten auswärtigen Verwaltung betrachten. Und doch 
dürfte dies der herrschenden Praxis nicht entsprechen. Durch die Annahme 
eines Schiedsgerichtes begibt sich em Staat seiner Freiheit in der Behand- 
lung eines Streitfalles einem andern Staat 'gegenüber." TeberbihtTeT fhiiPdas 
rKo mprÖTmss~äucTf n ichT~*e1n"e~ TTene~Prlicht , so beschränkt es ih n doch in 
d er Wahrung seiner Rechte. Die überall für die allgemeinen Schiedsge- 

K. d. (>. II. 1908. X 32 

//:-• 




1) R. P. Art 

Jahrbuch de« Oo 



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498 



Völkerrecht : Huber, 




richtsverträge befolgte Praxis ist deshalb auch zutreffend für ein Einzelkom- 
promiss. 

Das sog. Kompromiss auf Grund eines Schiedsvertrages dagegen kann 
nach vorstehenden Krörferungen /l icht als Vertrag gelten und deshalb nicht 
staatsrechtlich als solcher behandelt werden. Das entspricht auch dem von 
den europäischen Staaten im allgemeinen auf der Konferenz eingenommenen 
\A? 7 Standpunkt. Die Regierungen können demnach /das Kompromiss unter sich^t}^ 
'"v abschliessen, ohne dass die Ratifikation eines Parlaments dabei vorbehalten 

wäre. Wenn das sog". rTömpTÖmiss zustande '"kommt,' so bat" jode "Regierung 
^das getan, was zu tun sie im Schiedsverträge versprach, und beide Parteien 
sind übereinstimmender Ansicht über die Anwendbarkeit jenes Abkommens. 
P Auch wenn eine solche Verständigung erst nach Verhandlungen zustande 
kommt, ist doch die Einigung über die Tragweite eines Vertrages kein Vertrag. 
cl\i>/ fc *£*2 sun na t aDer der amerikanische Senat, als bei ihm im Jahre 1904 der r± J 
Präsident einige Schiedsverträge zur Genehmigung einbrachte, beansprucht, ' ' 
da«S ihm in jedem Einzelfalle das Kompromiss vorgelegt werde. Und tmt/ffy 
der Konferenz wurde von den Vereinigten Staaten beantragt, dass in den, '/ 
schliesslich fallen gelassenen, allgemeinen Vertrag über obligatorische Schieds- 
gerichte folgende Bestimmung aufgenommen werde: „Dans cbaque cas parti- 
culier, les Puissances signataires etabliront un acte special (compromis) con- 
forme'ment aux constitutions ou aux lois respectives des Puissances signataires, 
determinant nettement l'objet du litige . . . w '). Die Verweisung auf die 
nationale Verfassung oder Gesetzgebung bezieht sich nun gerade auf die 
staatsrechtliche Mitwirkung von Faktoren ausserhalb der Regierung und war 
j bestimmt, jeden Zweifel über die Zulüssigkeit der Konkurrenz solcher Organe 
auszuschliessen 2 ). 

U - 




v - 1 



/ 



1) R. A. 0. Art. l«h. 

2) Seit der II. Friedenskonferenz hüben die Vereinigten Stauten mit verschiedenen 
Staaten, so mit Frank reich und der Schweiz, Schiedsverträge abgeschlossen , in denen sie 
den auf der ~F r !« 'de n sTc o n fe re n z eingenommenen Standpunkt zur Anerkennung brachten. 
Da aber die andern Staaten die ('tMcIrtYrlt'tvolder Kontrahenten gewahrt wissen wollten, 
wurde ein entsprechender Vorbehalt in diese Vertrage aufgen omme n. Der französische 
Vertrag" bestTininfT'das.s der Abschluss des" TTömpTOTniwpf'gVnijsy UerVerfussung und den 
Gesetzen der beteiligten Staaten erftilm», kalifend' der schweizerische Vertrag vom 29. Fe- 
bruar 1908 ausdrücklich bestimmt: «Art. II: In jedem Einzelfalle sollen die hohen Ver- 
tragsschliessenden Teile, bevor sie den ständigen Schiedshof anrufen, eine besondere Ver- 
einbarung (eompromis special, special agreement) abschliessen , die den Streitgegenstand 
bestimmt Ks ist vereinbart, dass solche besonderen Vereinbarungen sei- 
tens der Schweiz v om B undesrate der .schweizerischen. Eidgenossenschaft . mit dem Beirat 
und der Zustimmung dcFTlundes Versammlung, und seitens der Vereinigten Staaten vom 
Präsidenten der Vereinigten Staaten", mit «lern Beirat und der Zustimmung des Senats ab- 



'T vtreiiu^ic i 
geschlossen werden. 

Als dem Senat im Februar 19Ö"> 



der 



schweizerisch-amerikanische Schiedsvertrag von 

mit 




1904 zur Ratifikation vorlag, wollte dcT~Seiiät. ^wie auch In den 'nualogen Vertrüge!» mit 
andern Staaten den Ausdruck .compromis special' durch die Worte „special 4*eaty" er- 
setzen, wodurch implicite die Mitwirkung des Senats als Allteilhaber am .treaty making 
power" 1 anerkannt worden wäre. Präsident Hoosevelt zog darauf die beim Senat einge- 
brachten Verträge zurück. Nun werden diese Verträge wieder hergestellt, aber so, das* 
der Ausdruck .treaty- zw ar durch das zweideutige . agreement • ersetzt, dafür aber die 
Mitwirkung des Senats ausdrücklich' anerkannt' wird. (Schweiz." Bnndo»blatt 1908 Nr. 24.) 
- Es ist natürlich ohne weiteres zulässig, dass solche Vorbehalte zugunsten von in- 
ternen Organen in Staatsverträgen gemacht werden : das hindert aber nicht, dass auf diese 
Weise staatsrechtlich abnorme Verhältnisse geschaffen werden , indem einem Parlament 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 49<) 



Die Mitwirkung von internen Organen, Parlament, Senat, Bundesrat 
u. s. w. wird in den meisten konstitutionellen Staaten notwendig sein, wenn 
das Kompromiss als ein Rechte und Pflichten begründender Staatsvertrag be- 
trachtet wirdi Wehli eine r/artei sieiräür diese"iT"5läii(rpüiiEr slellt7"wird, j a 
TnnSSnflTT andere es auch tun. Es kann etwas nur nach zwei Seiten hin Ver- 
trag sein, Bindung auf de r einen . Freiheit auf der- andern Seite ist auch bei 
einem pactum de contrahendo unmöglich. 

Ks Ist nun" aber hiclit völlig Tclar geworden, ob das Komprouiiss, deshalb 

nicht von der Regierung allein abgeschlossen werden kann, weil es ein eigent- 
licher Staatsvertrag ist, oder weil diese überhaupt an die . KcKmeration eines 
andern Staatsorgans für die Akte der auswärtigen Ve rwaltung gebun den ist. 
T M einen Wie im ande r n Palte Ist Bs " e l fle äVli nTTur "sich fiir das Völkerrecht 
belanglose Frage, welche Staatsorgane zusammenwirken müssen, damit das 
Organ, dem der direkte Verkehr mit fremden Staaten obliegt, staatsrechtlich 
gültige Erklärungen gegenüber dem Ausland abgeben kann. Ueberall ausser 
in Autokratien haben mehrere Personen mitzuwirken, aber die Bedeutung sol- 
cher Mit wirk ung ist _sehr verschi eden , je nach Zahl und Art ""der mitwirken- 
den Organe und nach den Voraussetzungen solcher Kooperation. Je mehr 
Personen beteiligt sind, um so schwieriger wird die Herbeiführung des end- 
lichen, rechtlich erheblichen Willens sein, und es bedarf gar keiner Illoyalität 
in der Vertragserfüllung, um das Zustandekommen des erforderlichen Be- 
schlusses zu vereiteln. Wenn es sich um die Erfüllung von internationalen 
Pflichten handelt, ist ein komplizierter staatsrechtlicher Mechanismus aber 
bedenklich. Scheitert ein Handelsvertrag oder ein anderes derartiges Ab- 
kommen an der Genehmigungsbefugnis eines Parlamentes, so mag das politisch 
bedauerlich sein, aber niemand wird von Rechtsverletzung reden können. 
Kommt jedoch aus solchen Gründen ein Komprouiiss nicht zustande, so wird 
die eine Partei der andern Vertragsbruch und Rechtsverweigerung vorwerfen 
und die politische Situation wird dadurch nur verschlimmert. Auch der Um- 
stand, dass die Voraussetzungen des Abschlusses des Kompromisses in dem einen 
Staate sehr einfach sind, während in dem andern grosse innere Widerstände 
zu überwinden sind, bedeutet eine tatsächliche, wenn auch nicht rechtliche 
Ungleichheit zwischen beiden Parteien. Ganz besonders trifft dies zu, wenn 
bei der einen Partei das Kompromiss abhängig ist von einem Parlament oder 
einer Kammer eines solchen. Ein Parlament, das stets unverantwortlich und 
regelmä ssig berufen ist , völlig diskretionär über ^ie Annehmbarkeit der ihm 
für Genehmigung vorgelegten Staatsverträge zu entscheiden, wird nicht leicht 
andere Abkommen wie das sog. Kompromiss unter einem ganz verschiedenen 
Gesichtswinkel betrachten und als Erfüllung bestellender Vertragspflichten be- 
handeln können. 

Der Hinweis darauf, dass dies alles Fragen des internen Rechtes seien, 
die fremde Staaten nichts angeben, löst zwar die rechtliche Seite der Frage, 

völkerrechtlich eine Kompetenz zugesprochen wird , die es staatsrechtlich nicht besitzt. 
Es ist nicht möglich, dass das Kompromiss unter wörtlich übereinstimmenden Schiedsver- 
trägen den einen Staaten gegenüber Vertrag und andern gegenüber Nichtvertrug ist. 
- 32"* — 



Y 



/ 



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500 



Völkerrecht : Huber, 



nicht aber die politische. Das Problem des Kompromisses ist ein fast unent- 
wirrbarer Knäuel juristischer und politischer Schwierigkeiten. Seine Lösung 
ist das Zwangskompromiss. Wer aber dieses annimmt, gibt auch zu — was 
eben richtig ist — , dass unter allgemeinen Schiedsverträgen das Kom- 
promiss kein Vertrag ist. Denn die Abschliessung eines Staatsvertrags einem 
ausserhalb des Staates stehenden Organe zu delegieren ist doch wohl nicht 
möglich. 

II. Das materielle Recht unter internationaler Gerichtsbarkeit. 

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, hier das Problem des materiellen 
Rechts im Völkerrecht zu erörtern und zu untersuchen, was für Recht inter- 
nationale Gerichte anzuwenden haben. Es ist hier nur auf die Fälle einzu- 
treten, in denen die Haager Konventionen von 1907 sich mit diesem Gegen- 
stande befassen. 

Die Konvention betr. die friedliche Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten sagt es nicht ausdrücklich, doch ist es 
selbstverständlich, dass das Kompromiss auch die der Entscheidung zugrunde 
zu legenden Normen aufstellen kann. Es ist dann , in den rechtssetzenden 
Teilen wenigstens, stets wirklicher Vertrag. 

Einen Hinweis auf materielles Recht dagegen enthält Art. 73 der ge- 
nannten Konvention 1 ). Ein Schiedsgericht ist befugt, seine Kompetenz zu 
bestimmen auf Grund des Kompromisses und der andern etwa angerufenen 
Akten und Dokumente unter Anwendung der Grundsätze des Rechts. 

In der bisherigen Fassung liloss es „en appliquant les principes du droit 
international", nunmehr ist das letzte Wort gestrichen. Was damit bezweckt 
vvurde, Ist aus den Protokollen nicht ersichtlich. 

Zwischen Staaten als solchen gilt nur Völkerrecht. Ein anderes allge- 
meines Recht an sich gibt es nicht, ausser für diejenigen, die auf dem Boden 
des Naturrechts stehen. Wenn auf die Beziehungen zwischen Staaten Nor- 
men angewendet werden, die nicht als besondere völkerrechtliche Normen an- 
erkannt sind, die aber in einem konkreten Fall als das richtige Recht er- 
scheinen, als die den zwischenstaatlichen Verhältnissen adäquate Ordnung, 
so sind dies doch Normen des internationalen Rechts, denn dieses — wio 
jede Rechtsordnung — trägt in sich das Streben nach Vollständigkeit und 
den Befehl an dun Richter, die Lücken des Rechts zu ergänzen. 

Eine Bestimmung des materiellen Rechts wäre von besonderer Wichtig- 
keit gewesen in der Konvention über die Beschränkungen der 
G e w a 1 1 s a n w e u d uug z u r G e 1 1 e n d m a c h u n g von S c h u 1 d f o r- 
d e r u n g e n. Doch gerade hier ist nicht gesagt, welches Recht zur An- 
wendung kommt, wenn ein Staat einem andern gegenüber eine Schuldforde- 
rung, die einem seiner Angehörigen zusteht, geltend macht. Für ein Schieds- 
gericht, das über einen solchen Kontlikt zu entscheiden hat, erscheint dreierlei 
Recht allenfalls anwendbar: 



1) K. i\ Art. 73. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 501 



I 



1. das nationale materielle Recht des belangten Staates. Das interna- J o/£^ 

tionale Schiedsgericht würde prüfen, ob bezw. in welchem Umfange die For- » 

derung, die von dem klägerischen Staate vertreten wird, nach dem Rechte des 
beklagten Staates gültig ist. Hier würde das Schiedsgericht einfach an Stelle 

einer nationalen Entscheidungsinstanz treten ; 

2. das nationale formelle Recht des belangten Staates, wobei zu prüfen 
wäre, ob dem ausländischen Gläubiger alle diejenigen Möglichkeiten, welche 
nach diesem Rechte ihm zur Geltendmachung seiner Forderung zustehen, auch 
tatsächlich gegeben waren; 

L, 3. das Völkerrecht, das den Massstab dafür bildet, ob die Anwendung 
des nationalen Rechts nfchl~ willkürlich"' "ge~weseif 'unrI~somit "efne'lteclitsver- o / 
Weigerung darstelle," öfter ob "das RecKt des belangten Staates nicht mit den (J 
(^TuT^ifzen des Rechts und damit aucTT des Völkerrechts in Widers pruch steh e. 

JNur diese dritte "Eventualität kann wohl in Betracht kommen. Staaten 
können gegenüber Staaten nur völkerrechtliche, nach Völkerrecht zu beurtei- 
lende Ansprüche geltend machen. Auch wenn sie sich einer privaten Forde- 
rung eines ihrer Angehörigen annehmen, so treten sie nicht in dessen Rechte 
ein. Nicht die Forderung selbst, sondern den~A~nspruch auf Rechtssch utz 
machen sie geltend, aber nicht auf den Rechtsschutz, den der Private anruft, 
sondern den_ein_ Staat von einem andern für seine Angehörigen beanspruchen 
kann. Aus den Debatten 'ümT' speziell "3en Anträgen, die wegen obligatorischer 
Schiedsgerichte gestellt werden, geht aber hervor, dass von einzelnen Staaten 
diese Schiedsgerichtsbarkeit betreffend Schuldforderungen von Ausländern so 
aufgefasst wird, dass das Schiedsgericht nicht so sehr als Instanz zur Beur- 
teilung eines zwischenstaatlichen Konflikts betrachtet wird,~äls v7eImeTir~ins 
eine "unaMTä ngjge Inst an z für Anstände zwischen Ausländern und fremden 
Regierungen. Eine derartige Auffassungsweise, die vorwiegend von amerika- 
nischen Staaten vertreten wurde, hängt damit zusammen, dass der ordentliche 
Rechtsweg gegenüber dem Staat, der Prozess gegen den Fiskus, nicht überall 
besteht. Ferner mag die Bestimmung der amerikanischen Verfassung*); tlie 
aucITln anderen Bundesstaaten Annahme gefunden hat, mitgewirkt haben, 
wonach Streitigkeiten zwischen einem Gliedstaate und dem Bürger eines an- 
deren Gliedstaates vom Bundesgericht zu entscheiden sind. Unter solchen 
Voraussetzungen bedeutet das internationale Gericht lediglich ein besonderes 
Forum für Ansprüche der Ausländer, für den Fall wenigstens, dass der Hei- 
matstaat des Klägers interveniert. Eine derartige Sonderstellung der Frem- 
den kann aber nicht vermutet werden. Jedenfalls werden alle Staaten, die 
den Privaten und unter diesen auch den Ausländern, den ordentlichen Rechts- 
weg zur Geltendmachung von Forderungen gegenüber dem Staat offen halten, 
eine derartige Nachprüfung der letztinstanzlichen Urteile ihrer eigenen Ge- 
richte sich verbeten 2 ). Aber auch da, wo nicht ein Gericht, sondern eine 
Adrainistrativbehörde über die Ansprüche eines Ausländers entscheidet, ist 



1) Constitution of the United States, artiele III. seot 2. \ 

2) Ausdrücklich ausgeschlossen z. B. in dem niederländisch-dänischen Vertrag vom 
12. Februar 1904, welcher für alle .Streitigkeiten V^TTtJelmlttose ychiedsverpfrnrhtung aus- 
spricht. Art.. 3: ,11 est bien entendu que T'articlc premier n'est pas applicable aux ditte- 



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502 



Völkerrecht: Huber, 



dies eine interne Angelegenheit, die dadurch noch nicht einen internationalen 
Charakter erhält, dass ein Fremder daran heteiligt ist. 

Eine F.innn'sp.hiinfr oinp.s Staate _' n die Beziehungen eines seiner Ange- 
hörigen zu einem andern Staate setzt eine Iteebteverietzung dem Intervenien- 
ten gegenüber voraus. Willkürliche Behandlung~elnes Ausländers , Rechts- 
verweigerung gegenüber eiuem solchen ist anerkanntermassen eine Verletzung 
eines völkerrechtlichen Grundsatzes, bezw. begründet eine Intervention des 
Staates, in dessen Schutz der Verletzte steht. Die Frage, ob Rechtsverwei- 
gerung oder "Willkür vorliege, kann zunächst allerdings nur auf Grund des 
Rechts des belangten Staates entschieden werden, aber dieses Recht ist nur 
indirekt die Entscheidungsnorm, da es nicht selbst den Massstab für die Ver- 
letzung der völkerrechtlichen Nonn gibt. Es kommt gar nicht in Betracht, 
wenn es selbst als wiUMrlkb_,juig«feehten wird. "ETne derartige Anfechtung 
kann allerdings nur in ganz ausnahmsweisen Fällen zulässig erscheinen. Eine 
Haftung des Staates für mangelhafte Gesetzgebung ist wohl kaum annehmbar. 
Dagegen würde ein Gesetz, das unter der Form einer allgemeinen Vorschrift 
tatsächlich nur einen Einzelfall zu Ungunsten eines Ausländers regelte, gewiss 
von dessen Heiraatstaat angefochten werden können. 

Für die Beurteilung von Willkür oder Rechtsverweigerung bestehen keine 
allgemein anerkannten Grundsätze. Die Begriffe sind so vag, dass selbst das 
Landesrecht hiebei im wesentlichen auf das richterliche freie Ermessen ab- 
stellt. Die Konvention hat diese Lücke nicht ausgefüllt und nur gewisse 
Fälle formeller Rechtsverweigerung seitens des belangten Staates gegenüber 
dem andern erwähnt: Nichtannahme eines angebotenen Schiedsgerichts , Ve r- 
eitelung des Kompromisses oder Nichtvollziehung des Urteils 1 ). Unter welchen 
Voraussetzungen aber ein Staat intervenieren und ein Schiedsgericht anbieten 
darf und dieses, wenn konstituiert, die von dem beklagten Staat erlassenen 
Verfügungen, Urteile und Gesetze kassiere n kann, diese äusserst schwierigen 
Fragen hat dieses Gericht riacirüngesclirieb'enen, höchst diskutierbaren allge- 
meinen Rechtsgrundsätzen zu beantworten. 

Die oben zurückgewiesene Auffassung, dass das materielle Recht des 
belangten Staates unmittelbar für die Entscheidung massgebend sei, hat aber 
doch eine indirekte Anerkennung in der Konvention gefunden. Das Schieds- 
gericht ist nicht nur kompetent, sondern, mangels anderer Abrede unter den 
Parteien, auch verpflichtet, die Höhe der streitigen Forderung und die Zah- 
lungsmodalitäten zu bestimmen. Es entscheidet also materiell über den An- 
spruch des Privaten und hat dabei, sofern der Vertrag zwischen diesem und 
dem belangten Staate nichts anderes bestimmt, bei der Beurteilung des An- 
spruchs dasjenige Recht anzuwenden, welches nach den Grundsätzen des. inter- 
nationalen Privatrechts in concreto anwendbar ist. Insoweit ist das interna- 
tionale Schiedsgericht einfach eine ausserstaatliche Instanz für die Entschei- 
dung von Streitigkeiten, die ihrer Natur nach durchaus innerstaatlich sind. 

rends entre let? reHsortismmts de Inn des Etats eontrnetants et lautre Etat eontractant. 
que les tribunaux de ce dernier Etat seraient, d'apre* la legislation de eet Etat . eompe- 
tents de juger*. 

1) D. C. Art. 1 al 2. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 503 



Darauf aber kommt es bei der Konvention praktisch heraus: eine unparteiische 
internationale Instanz soll an Stelle oder über eine von dem Gläubiger be- 
argwöhnte nationale Instanz des belangten Staates gesetzt werden. Wenn 
ein Staat im Kompromiss eine solche Intervention in seine iiinern Angelegen- 
heiten annimmt, so beruht dies formell auf seinem Willen, tatsächlich hat 
aber ein solcher Staat dadurch den Boden des reinen Völkerrechts, in dein 
stets Souveränität gegen Souveränität steht, verlassen. Dem entspricht auch, 
dass diese Art Gerichtsbarkeit als Surrogat gewaltsamer Geltendmachung von 
Schuldforderungen eingeführt worden ist. 

Von ganz besonderer Bedeutung ist die Frage des materiellen Recht* 
in der Konvention betreffend Errichtung eines interna- 
tionalen Prisengericht s. Sie ist in diesem Abkomme n in une rhört 
radikaler Weise gelöst worden; so kühn, dass alsbald aus dem meistbeteiTigten 
.Lande, dessen Regierung selbst einer der Antragsteller war, der Ruf laut 
wurde: NoLaw T , no Court. In der Tat steht man im materiellen Prisenrecht 
vor einer Lücke im Völkerrecht. Gerade die Unmenge hier um Geltung 
ringender Rechtsnormen und Theorien sind der Beweis dafür, dass es hier in 
vielen und gerade den allerwichtigsten Fragen an positivem Völkerrecht, d. h. 
allgemein anerkannten Nonnen fehlt. Ein von allen Staaten eingesetztes 
Gericht hat aber auch zur Voraussetzung ein von allen Staaten anerkanntes 
Recht. Ein solches ist in den hier in Betracht kommenden Dingen nicht auf 
Grund allgemeiner Uebung vorhanden. Es muss deshalb erst begründet wer- 
den und kann geschaffen werden entweder durch Vereinbarung von Normen 
oder durch Delegation der Normsetzung an den Richter. Der erstere und in 
Anbetracht der Tragweite solcher Rechtssätze gegebene Weg wäre die Ver- 
einbarung. Es war auch die vertragsweise Ordnung des Prisenrechts wohl 
der Hauptgegenstand des Konferenzprogramms und diese Fragen haben die 
IV. Kommission während vier Monaten intensiv beschäftigt. Das Resul- 
tat — wenigstens an konventionell festgelegten Beschlüssen — war äusserst 
spärlich. Gerade die Hauptprobleme, Kontrebande, Blockade, Prisenzerstö- 
rung, blieben ungelöst und ihre Erörterung deckte die Tiefe der Gegensätze 
völlig auf. Wohl ist durch den Gedankenaustausch auf der Konferenz dieses 
wichtige Gebiet des Völkerrechts abgeklärt und Material für weitere Ver- 
handlungen geschafl'en worden, zur Zeit aber stehen sich noch weit ausein- 
ander gehende Auffassungen gegenüber. Allerdings sind ja bereits einige 
Fragen konventionell geregelt, vor allem durch die Pariser Seerechtsdekla- 
ration, einige wenige, mehr nebensächliche Dinge durch die Konventionen der 
II. Friedenskonferenz, anderes wieder durch partikuläre Verträge. Im grossen 
ganzen aber bleiben die Hauptfragen in der Schwebe. 

Der andere Weg, die Delegation der Normsetzung an den Richter, ent- 
spricht einem allgemeinen Grundsatze der Rechtssprechung. Er ist in der 
Prisenkonvention auf Antrag Grossbritanniens aufgenommen worden und lautet: 
Si des regles griieralenient reconnues n'existent pas, la Cour statue d'apres 
le^L juincipes ge'nera ux de la justice et de l'equite '). Diese Vorschrift erhält 

1) C. P. Art. 7. 



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504 



Völkerrecht : Huber. 



dadurch, dass eine Kodifikation des materiellen Prisen rechts nicht zustande 
gekommen ist, eine ganz une rmessliche Trag weite. Hier handelt es sich we- 
niger darum, dass, wie es in der nationalen Rechtssprechung der Fall ist, der 
Richter verhältnismässig sel tene Lücken eines Rechtssystems ergänzt, als dar- 
um, dass er ein solches System in seinen TTauptTiestandfeTIen erst zu schaffen 
hat. Oh eine genügende "ZahT von Staaten und ob namentlich alle massgeben- 
den Seemächte dem Prisengericht eine solche Kompetenz zuerkennen wollen, 
solange der gegenwärtige Rechtszustand weiter dauert, wird die Zukunft ent- 
scheiden. 

Die Konvention, betr. Errichtung eines internationalen Prisengerichts, 
hat ausser der schon erwähnten Norm folgende Vorschriften aufgestellt: 

Es ist zu unterscheiden zwischen denjenigen Fällen, in denen es sich um 
einen Streit zwischen einem krieg^ührenejeft ,imd . einem., nnut ralan. Staat, bezw. 
einem Angehörigen eines solchen handelt, und solchen Fällen, in denen es 
sich um Klage eines Angehörigen der einen Kriegspartei gegen den anderen 
kriegsführenden "Staat handelt. Tn beiden Fällen — das ist ganz natürlich — 
islTn allererster "Linie auf die Verträge zwischen den an dem Streite unmittel- 
bar oder mittelbar beteiligten Staaten abzustellen, gleichviel ob es allgemeine 
oder partikuläre Verträge sind Die Privaten, die sich an das internationale 
Prisengericht wenden, leiten ihr Recht stets aus dem Rechte des Staates ab. 
dem sie angehören, auch wenn dieser — falls selber Kri"^'' 11 " 1 " 11 »' — v v n 
de r Klag eführung ausgeschlossen ist. Die Privaten können also keine Sätze 
des allgemeinen "Völkerrechts gegenüber partikulären Verträgen anrufen. 

Abgesehen von den Staatsverträgen ist aber das anzuwendende Recht 
in beiden Klassen von Fällen durchaus verschieden. Rufen neutrale Staaten 
oder solchen zugehörige Private das internationale PriseTTgeiTHiTTihT" so kommen, 
soweit lveiiie zwischen den Parteien bestehende Verträge anwendbar sind, die 
allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts zur Anwendung 2 ). Dabei wird wohl 
innerster' Linie auf eine allfällige übere instimmende Praxis der beteiligten 
Staaten abgestellt werden und erst Mangels einer solchen auf die tieiisdiende 
Doktrin. Ist eine solche nicht feststellbar, so hat, wie schon ausgeführt, das 
Gericht nach den allgemeinen Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu ent- 
scheiden 3 ). FiS ist also unter allen Umständen eine überstaatliche, internationale 
Norm vorhanden. Hier gilt der Satz : Völkerrecht bricht Landesrecht. , 

Anders da, wo ein Angehöriger des gegnerischen Staates Partei ist. 
Hier kommt neben den Staatsverträgen kein Völkergewohnheitsrecht "oTTeFTlTTe— 
noch allgemeinere Rechtsnorm zur Anwendung, sondern ausschliesslich das 
Landesrecht des beklagten Kriegführenden. Wenn ein Kriegführender durch 
"Gesetz oder Verordnung für seine Organe bindende Vorschriften über die Be- 
handlung feindlichen Gutes im Seekriege aufgestellt hat, so kann er von den 
Angehörigen des Gegners für die Beobachtung dieser Vorschriften vor denTinter- 
nätionalen Prisengericht haftbar gemacht werden, soweit es sich um Fälle 
handelt, die zur Kompetenz dieses Gerichtes gehören. Fehlt es aber au ge- 
ll C. P. Art, 7 al 1. 

•Jl ('. P. Art. 7 al 2. S) il>id. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 505 



schriebcncm Recht, sei es konventionellem oder nationalem, so ist die Zustän- 
digkeit des internationalen Gerichtshofes ausgeschlossen / 

Die Zulassung der Angehörigen eines Kriegführenden als selbständige 
Kläger — denn der kriegführende Staat kann nie selber klagen - und ins- 
besondere die Beurteilung solcher Fälle nach Massgabe des nationalen Rechts 
des Beklagten scheint eine Anomalie im internationalen Recht zu bedeuten. 
Sie scheint es, jedenfalls ist diese Jurisdiktion des internationalen Prisenge- 
richts weniger anormal als diejenige eines internationalen Schiedsgerichts zur 
materiellen Entscheidung über eine Schuldforderung eines Privaten und zwar 
aus folgendem Grunde: Die Ausübung der Kriegsgewalt, auch gegenüber 
den Angehörigen des Gegners, ist beschränkt durch das Völkerrecht. Da nun 
eine allgemein anerkannte völkerrechtliche Regel fehlt, tritt das Landesrecht 
an die Stelle des Völkerrechts. Das ist nicht vereinzelt. Die Konvention betr. 
die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten im Seekriege enthält z. B. 
eine Reihe von Bestimmungen *), welche nur subsidiäre völkerrechtliche Normen 
gegenüber dem Landesrecht enthalten. Unter solchen Verhältnissen schrumpft 
der völkerrechtliche Anspruch zusammen auf eine gleichmässige, nicht will- 
kürliche Anwendung des das Völkerrecht ersetzenden Landesrechts und eine 
Entscheidung auf Grund des letzteren ist dem Wesen nach doch eine inter- 
nationale Entscheidung und bedeutet keine anomale Kompetenz eines inter- 
nationalen Gerichts (völkerrechtliche Blankettnormen). 

Die Prisengerichtskonvention statuiert sodann noch einen andern wich- 
tigen Grundsatz hinsichtlich des anzuwendenden materiellen Rechts. Das 
Prisengericht ist nämlich berechtigt, die Verwirkungsfristen, welche die Ge- 
setzgebung des Nehinestaates in Bezug auf das Verfahren vor dessen Instanzen 
aufgestellt hat, zu igno rieren, wenn solche Vorschriften den Grundsätzen des! 
Rechts und der Billigkeit widersprechen 3 ). Die Signatärstaaten, welche in den 
Fall kommen, Prisen zu nehmen, unterwerfen damit einen Teil- ilifö* -Pmcn- 
prozessrechtes der Nachprüfung durch das internationale Prisengericht und 
anerkennen damit die allgemeinen Rechtsprinzipien, wie diese von dem inter- 
nationalen Gerichtshof ausgelegt werden, als eine ihrem eigenen Rechte vor- 
gehende Norm an. Auch dieser Eingriff in die Autonomie der Staaten ist 
aber in der gleichen Weise zu begründen wie die Anwendung des nationalen 
Rechts des Nehmestaats durch das internationale Prisengericht. 

III. Internationale Gericht« uod mit solchen zusammenhängende Institutionen. 

Das Konfercnzprogramm hatte keine organisatorischen Neuerungen auf 
diesem Gebiete vorgesehen. Auch sind, mit Ausnahme der Errichtung eines 
internationalen Prisengerichts , die von der I. Friedenskonferenz im Haag 
ins Leben gerufenen Institutionen noch heute die einzigen ständigen Ein- 
richtungen, welche der internationalen Justiz dienen. Die hierauf bezüglichen 
Teile der Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitig- 
keiten haben nur sehr wenige Veränderungen erfahren, von denen allerdings 

1) C. P. Art. 3, 2»c: Art. 4. 3»; Art. 7 al 1 und 4. 2) Art. 12. lö, 19. 27. 

3) C. P. Art. 7 al :». 



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506 



Völkerrecht: Huber, 



einige nicht ohne Bedeutung sind. Trotzdem es — von dem Prisengericht ab- 
gesehen — zu tiefgreifenden Neuerungen nicht gekommen ist, hat die Konfe- 
renz sich intensiv mit der Frage der Weiterbildung der internationalen Ge- 
richte befasst. Während für die Prisengerichtsbarkeit ein ständiges Tribunal 
geschaffen werden konnte, scheiterten die Versuche, auf ähnlicher Basis ein 
Gericht für die übrigen internationalen Streitigkeiten zu errichten. Die Dis- 
kussionen, die schliesslich in den Wunsch betr. die Cour de justice arbitrale 
ausmündeten, haben gezeigt, welche Schwierigkeiten und welche Gegensätze 
zu überwinden wären, ehe ein permanentes, nicht auf der Basis der striktesten 
Gleichheit der Staaten organisiertes Gericht mit allgemeiner Zuständigkeit 
Annahme tinden könnte. 

1. Der Ständige Schiedshof, das Internationale Bureau 



Diese drei in engstem Zusammenhang stehenden Institutionen, welche 
von der I. Friedenskonferenz begründet wurden, haben sozusagen keine 
Aenderungen erfahren. Entsprechend der bei der Revision der Konvention 
betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten hervorgetretenen 
Tendenz, den 1899 geschaffenen Einrichtungen noch etwas mehr Stabilität zu 
verleihen und die für einzelne Fälle eingesetzten Untersuchungskommissionen 
und Schiedsgerichte mit diesen Institutionen enger zu verbinden, hat der 
Ständige Schiedshof nunmehr seinen festen Sitz im Haag 2 ), während es früher 3 ) 
nur hicss, dass die einzelnen Schiedsgerichte gewöhnlich daselbst tagen. Das 
Quorum des Aufsichtsrats ist mit Rücksicht auf die bedeutend gesteigerte Zahl 
der Signatäre von 5 auf 9 erhöht worden '). 

Im Gegensatz zu diesen mehr formellen Aenderungen, zu denen noch 
einige betreffend die Berichterstattung des Aufsichtsrates 5 ) und die Verlegung 
der Kosten 0 ) des Internationalen Bureaus hinzukommen, kann unter Um- 
ständen eine dem Bureau neu zugeschriebene Kompetenz von praktischem 
Werte sein. Nicht nur können wie bisher die Signatännächte als „guten 
Dienst" zwei streitende Kosignatäre auf die internationalen Justizinstitutionen 
hinweisen, sondern auch diejenige Partei, welche einen Streitfall schiedsrichter- 
lich beurteilen lassen will, kann ihre Geneigtheit den Rechtsweg zu beschreiten 
durch das Internationale Bureau der Gegenpartei notifizieren • ). Eine solche 
Notifikation wird aber kaum ein erstes Angebot schiedsrichterlicher Behand- 

^ : hing des Falles sein, sondern erst dann erfolgen, wenn die Gegenpartei sich 
dieser entziehen will. EinTsolche Notifikation erlangt durch den internationalen 
' Charakter des Bureaus mittelbar eine allgemeine Publizität und kann so als 

. . Protest gegen eine Rechtsverweigerung Tlienen, ohne die äussere Schärfe eines 
Protests von Partei zu Partei zu besitzen. 



und der Aufsichtsrat im Haag 1 ). 



ll K. P. Art. 41- r,0. 

•2» H. P. Art, 4:1 al 1. 

4> K. P. Art. 4!» al <>. 

7> K. P. Art. 4S. 




6^ K. P. Art. 00. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Hang. 507 



2. Die von Fall zu Fall gebildeten Schiedsgerichte für das 
ordentliche und das summarische Verfahren 5 ). 

Für die Schiedsgerichte im ordentlichen Verfahren kommt 
nur in Betracht die Bestimmung über die Bildung des Gerichts mangels un- 
mittelbarer Einsetzung seitens der Parteien oder einer sonstigen Einigung 
unter diesen. Schon die Konvention von 1899 2 ) hat für solche Fälle vorge- 
sorgt. Konnten sich die Parteien nicht einigen, so bezeichneten sie eine, nöti- 
genfalls jede von ihnen je eine Macht, der bezw. denen die Bezeichnung des 
Obmanns zukam. Bei der letzteren Eventualität war das Nichtzustandekommen 
einer Einigung unter den beauftragten Mächten und damit ein Scheitern des 
Gerichts möglich. Nun 3 ) wird auch einer solchen Eventualität vorgebeugt da- 
durch, dass, wenn die zur Bezeichnung des Obmanns angegangenen Staaten -^f 9 ^ Je?'* 
sich binnen zwei Monaten nicht einigen können, diese je zwei, nicht bereits 
als Schiedsrichter gewählte Mitglieder des ständigen Schiedshofs bezeichnen, & f t 
unter weIcYien~~vieren dann das Los en tscheidet. Es ist demnach wie beim , ~^/ ., 
Kömpromisirtlatür gesorgt, dass~~die Einleitung des Schiedsverfahrens nicht . £ 
dadurch vereitelt werden kann, dass eine Einigung unter den Beteiligten nicht f V / * - 
zustande kommt. Nur durch passiven Widerstand kann die Bildung des Ge- ~ ^ 
richts unmöglich gemacht "werden. 

Wertvoll dürfte auch die Neuerung 4 ) sein, dass die Parteien, von denen 
im Zweifel jede zwei Schiedsrichter bezeichnet, jeweilen nur einen aus den 
eigenen Staatsangehörigen oder den von ihnen für den Ständigen Schiedshof 
präsentierten Richtern wählen kann. In gleicher Weise dürfen die zur Be- 
zeichnung des Obmanns berufenen Mächte , wenn sie zum Los in der oben 
bezeichneten Weise greifen müssen, keine solchen Mitglieder des ständigen 
Schiedshofs auf die Viererliste setzen, welche Angehörige der Parteien sind 
oder diesen ihre Zugehörigkeit zum Ständigen Schiedshof verdanken. Es soll 
dadurch verhindert werden, dass das Schiedsgericht zu gleichen Teilen aus 
solchen Personen zusammengesetzt ist, von denen je die eine Partei eine ihr 
günstige Stellungnahme erwartet. In einem so besetzten Gericht liegt ge- 
wöhnlich die Entscheidung beim Obmann allein. Diesem fällt damit eine ganz 
übermässige Verantwortung zu, die seine Unbefangenheit auf eine schwere 
Probe setzt und ihn zu einer Yennittlung verleitet , zu welcher er weder be- : 
rufen noch vielleicht"" auch geeignet ist. Es könnte überhaupt erwogen werden, 
trt) nicht ein SysteTn~vrnr Rejnrsatinnerr mehr als die positive Wahl der Richter 
durch die Parteien Gerichte liefern würde, denen besondere Unbefangenheit 
zugemutet werden dürfte. 

Die Schiedsgerichte für das summarische Verfahren, 
deren Einführung auf einen französischen Antrag zurückgeht, sind ad hoc ge- 
bildete Schiedsgerichte. Die Zuständigkeit solcher Gerichte i st in keiner 
Weise zwingend für die Parteien bestimmt 5 ). Diesen steht es frei, für Fälle, 



1) R. P. Art. 4Ö-47 und t»6-U0. 

21 R. P. (1899) Art. 24 al 2 ff. 3) R. P. Art. 45 al 2 ff. 

4) ibid. al 6. 5) R. P. Art. 8G. 



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r>os 



Völkerrecht: Huber, 



die sieb zu summarischer Behandlung eignen, ein kleines Schiedsgericht zu 
bilden, das ein vereinfachtes, schriftliches Verfahren befolgt. Statt der prä- 
sumtiven fünf Richter sind deren nur drei I ). Jede Partei bezeichnet einen 
Schiedsrichter, diese wählen den Obmann. Einigen sie sieh nicht, so bilden 
sie aus den Mitgliedern des Ständigen Schiedshofs eine Viererliste, indem jeder 
Richter zwei Personen bezeichnet, die aber nicht Angehörige der Parteien 
Tlböh ron- diesen für den Ständigen Schiedshof präsentiert sein dürfen. Unter 
den vier entscheidet das Los. 

3. Die Cour de justice arbitrale. 

Die im Vorhergehenden besprochenen Aenderungen der Konvention von 
1899 sind ebensowenig wie die von der Konferenz angenommene revidierte 
Prozessordnung imstande die internationale Rechtssprechung sehr wesentlich 
gegenüber früher zu erleichtern. Die Grundlagen von 1899 sind unberührt 
geblieben, es sind vorwiegeud Einzelheiten, an denen geändert worden ist. 

Aus dem Umstände, dass nur vereinzelte Fälle dem Ständigen Schieds- 
hof bis jetzt unterbreitet worden sind, während im gleichen Zeitraum eine be- 
trächtliche Zahl von Entscheidungen dufcu"andere Schiedsgerichte herbeige- 
führt VUrdPirrscliloss' man, dass die Schöpfung der T. Konferenz nicht allen 
Bedürfnissen und Wünschen entspreche. Umständlichkeit und Kostspieligkeit 
wurde nicht nur dem Haager Schiedshof, sondern den Schiedsgerichten über- 
haupt vorgeworfen. Namentlich wurde an dem Ständigen Schiedshof ausge- 
setzt, dass er keineswegs als das gelten könne, was seine Benennung aus- 
drückt: ein Gericht, da er lediglich in einer Liste von möglichen Richtern 
bestehe. 

Um diesen Mängeln abzuhelfen, wurden von Russland und von den Ver- 
einigten Staaten auf der Konferenz Vorschläge~gemachF, welche däliffi ^ngen 
lnTT>ezw. 'neben dem Ständigen Schiedshof ein wirklich ständiges, jederzeit 
leicht zugängliches Gericht zu schaffen. Die Veränderung oder Abschaffung 
des 1899 Ständigen Schiedshofs war nicht bezweckt. 

Der russische Antrag hätte dieser letzteren Institution dadurch we- 
nigstens eine äusserliche korporative Existenz verliehen, dass sie eine alljährlich 
im Haag zusammentretende Plenarversammlung sämtlicher Mitglieder vorsah. 
Diese Plenarversammlung wäre eine Art Aufsichtsbehörde gegenüber dem Auf- 
sichtsrat '-), dem Internationalen Bureau 3 ) und den Schiedsgerichten überhaupt 
gewesen, ohne indessen wirkliche Kompetenzen zu besitzen. Sie hätte sodann 
jährlich eine Delegation von drei Mitgliedern zu wählen gehabt, die den 
„Tribunal Permanent d'Arbitrage" innerhalb der „Cour Permanente d'Arbi- 
trage* gebildet hätte. Die Mitglieder dieser Delegation hätten während ihres 
Amtsjahres jederzeit bereit sein sollen, sich im Haag als Gericht zu ver- 
sammeln. Eine bestimmte Kompetenz hätte diese Delegation nicht gehabt. 
Die Staaten wären ihr gegenüber eben so frei gewesen, wie gegenüber dem 
Ständigen Schiedshof. Es lag aber dem Vorsehlag die Idee zu Grunde, dass 

1) H. P. Art. 87. 

2) K. 1\ Art. 41). 3) R. P. Art. 43. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 509 



sich die Staaten eines solchen jederzeit bereiten und wenig zahlreichen, für 
ein Jahr fest bestellten Gerichts häutiger als der bisherigen Organisation be- 
dienen würden, namentlich auch_tiir Fülle von geringerer Bedeutung. Dieser 
rassische Antrag 'wurde im Verlauf der Verhandlungen bald zurückgedrängt 
durch einen Vorschlag der Vereinigten Staaten, welcher viel weiter ging und 
neben dem bestehenden ständigen Schiedshof eine neue Organisation ins Leben 
rufen wollte; das russische Projekt wirkte aber dadurch nach, dass sowohl für 
die Cour de justice arbitrale wie für das Prisengericht eine dreigliedrige, aus 
dem Plenum zu bildende Delegation vorgesehen wurde. 

Der amerikanische Antrag lautete anfänglich sehr allgemein und 
war mehr ein Postulat als ein Konventionsprojekt. Sein Ziel war die Schaffung 
eines internationalen Gerichtes, welches im wesentlichen den Charakter und 
damit die Vorzüge der in den einzelnen Staaten bestehenden Gerichte haben 
sollte. Es musste zu diesem Zweck eine dauernde Besetzung erhalten und 
nicht erst von den Parteien von Fall zu Fall gebildet werden. Das Richter- 
kollegium aus 15 Mitgliedern sollte die wichtigsten Rechtssysteme und Sprachen 
repräsentieren; in welcher Weise aber diese Zusammensetzung erfolgen könnte, 
war nicht gesagt. Die Richter waren auf Kosten aller Signatärstaaten zu be- 
solden, sodass die Rechtssprechung vor diesem Gerichte erheblich billiger als 
vor gewöhnlichen Schiedsgerichten hätte sein sollen. Eine bestimmte Kompe- 
tenz war diesem Gericht nicht zugeschrieben, die Parteien konnten jede inter- 
nationale Streitigkeit zwischen souveränen Staaten vor dieses Forum bringen: 
ein Gericht, aber kein Gerichtszwang. 

Dieser Vorschlag fand im allgemeinen lebhaften Anklang. Immerhin 
fehlte es nicht an Stimmen, welche sofort gegen die Schaffung eines solchen 
Gerichts Einwände erhoben. Die wichtigsten dieser sind folgende: Es wurde 
zunächst die Bedürfnisfrage verneint. Die seit 1890 gesammelten Erfahrungen 
genügen nicht, um einen Neubau auf gänzlich veränderten Grundlagen zu 
rechtfertigen. Schlechte Erfahrungen sind mit dem ständigen Schiedshof nicht 
gemacht worden. Dann wurde das Bedenken erhoben, dass ein solches Ge- 
richt in völligem Gegensatz zu den Prinzipien der Schiedsgerichte stehe. Die 
Staaten haben bisher ihre Angelegenheiten nur solchen Gerichten anvertraut, 
welche durch die Parteien selbst gebildet werden, und deren Besetzung den 
Beteiligten Garantien dafür bieten, dass der Standpunkt jeder Partei wenigstens 
von dem einen Teil der Richter richtig gewürdigt wird. 

Das amerikanische Projekt hatte diesen Grundgedanken des Schiedsge- 
richts dagegen abgelehnt und eine Loslösung des Gerichts von den Parteien 
angestrebt. Vor allein aber wurde sofort auf eine damit eng zusammen- 
hängende Schwierigkeit hingewiesen, an der schliesslich die ganze Sache 
scheiterte: Sollte das Gericht arbeitsfähig und seine Tätigkeit nicht zu kost- 
spielig werden, so durfte die Zahl der Richter nicht zu gross sein. Das hatte 
das amerikanische Projekt berücksichtigt und 15 Richter vorgesehen. Wie 
aber sollte in einem Gericht von 15 Mitgliedern die Gleichheit der Staaten 
eiue tatsächliche Berücksichtigung finden? Die Durchbrechung der Grund- 
sätze schiedsgerichtlicher Organisation und die ungleiche Behandlung der 



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510 



Völkerrecht : Huber, 



Staaten würde dadurch nicht ausgeglichen worden sein, dass dieses Gericht 
nur auf Grund eines Abkommens zwischen den Parteien kompetent sein sollte. 
Bestände es einmal, so wäre es für einen Staat schwierig, sich ihm gegen den 
Wunsch der Gegenpartei zu entziehen und es läge so die Gefahr nahe, dass 
mit der Zeit doch durch die neue Schöpfung das Werk der I. Konferenz in 
Vergessenheit kommen und die Bildung freier Schiedsgerichte immer schwieriger 
werden würde 1 ), ein Resultat, das für die Ausbreitung internationaler Justiz 
kaum förderlich wäre. 

Der amerikanische Antrag bildete zunächst den Gegensta nd un oftizieller 
Verhandlungen, über welche liier nicht berichtet werden J;ann. Ein von "3er 
f. Kommission für das Studium dieser Frage gebildete Sonderausschuss hatte 
sich im weiteren Verlaufe der Behandlung dieses Geschäftes fast ausschliesslich 
mit einem ihm von der deutschen, amerikanischen u n d b r i t i - 
sehen Delegation gemeinsam unterbreiteten Projekte zu befassen. Dieses 
fusste auf dem amerikanischen Antrage, enthielt aber nicht nur Bestimmungen 
über die Organisation, sondern auch eine ausführliche, an diejenige der Kon- 
vention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten angelehnte 
Prozessordnung. 

Der Punkt, auf den sich fast alles Interesse konzentrierte, war die Art 
der Besetzung des Gerichts. Nachdem verschiedene, niemals ofti- 
ziell zu r Erörterung gelangte Systeme als unannehmbar erkani^voi Jcn waren, 
schien zunächst das Rotationsprinzip als geeignete Grundlage für die Zu- 
sammensetzung des GenclVts Anklang finden zu sollen. Dass aus praktischen 
und finanziellen Rücksichten die Zahl der Richter unter zwanzig gehalten 
werden musste, schien gegeben. Die Zahl der vertretenen Staaten war aber 
44: gleiche und ständige Vertretung aller Staaten im Gericht war dadurch 
ausgeschlossen. Eine Reduktion dieser Zahl in der Weise, dass wenigstens 
aus den kleineren und mittleren Staaten Gruppen mit gemeinschaftlicher oder 
alternierend bestellter Repräsentation gebildet würden, war eine politische Un- 
möglichkeit. So blieb zunächst nichts anderes als eine Teilung der Amtszeit 
übrig: jeder Staat bezeichnet einen Richter, aber nicht alle Richter sitzen 
gleichzeitig im Gericht. Da die Grossmächte für sich eine ständige Ver- 
tretung als gegeben beanspruchten, hätten die übrigen Staaten nur für Bruch- 
teile der Normalperiode, auf welche das Gericht bestellt wurde, in diesem 
sitzen können. War man anfänglich davon ausgegangen , die Verteilung 
mathematisch, d. h. nach einem für alle Staaten an sich gleichen objektiven 
Massstab, wie demjenigen der Bevölkerungszahl, durchzuführen, so kamen 
im weiteren Verlaufe , zunächst für die Zuteilung der Sitze an die Gross- 
mächte, später auch bei der Klassifizierung der übrigen Staaten subjektive 
Momente zur Berücksichtigung. Dem deutsch-amerikanisch-britischen Entwurf 
war eine Tabelle -) angefügt, in welcher die Verteilung der Sitze unter die 
44 beteiligten Staaten für eine Normalperiode von 12 .Jahren niedergelegt 
war. Während darnach einzelne Staaten für die ganze Dauer durch einen 

II Dii-scm Bedenken trägt C J. A. Art. 1 Rechnung. 

•J) Oiiiiz ähnlich derjenigen der l'risenge riehtxkonvrntion. C. F. A. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht« durch die II. Friedenskonferenz im Hang. 511 



Richter vertreten waren, sollten andere sich mit der Stellung eines vielleicht 
gar nie zur effektiven Teilnahme berufenen Ersatzmannes für die Zeit eines 
Jahres begnügen. Einen allgemeingültigen Verteilungsmassstab gab der Ent- 
wurf der Konvention nicht an. 

In dem Prüfungsausschu9s, an den die Vorlage gekommen war, und 
ebenso ausserhalb dieses Kollegiums erhob sich von Seiten sozusagen aller 
nicht ständig im Gerichte vertreten sein sollender Staaten eine lebhafte Oppo- 
sition. Ausgehend von dem völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichheit aller 
souveränen Staaten verlangten sie absolute Gleichstellung in dem internatio- 
nalen Gerichtshofe. Dass alle Signatärstaaten einen Richter oder Ersatzmann 
bezeichnen könnten, konnte in Anbetracht der ungeheuren Differenzen in der 
tatsächlichen Teilnahme an der Institution nicht als Anerkennung der Gleich- 
heit aller Staaten gelten. Die offiziellen und offiziösen Erörterungen drehten 
sich zunächst fast nur um diesen Kardinalpunkt der Vorlage, dessen prin- 
zipieller Bedeutung gegenüber die materielle Seite des Projektes fast ganz 
zurücktrat. Verschiedene Versuche wurden gemacht, die Schwierigkeiten zu 
überwinden: freie Wahl durch die Konferenz; drei Schichten, eine jede in 
Funktion für ein D"ntteV~deiF Xörniälpenödc ; Wahl der Richter durch ein 
von allen Staaten gleichinässig bestelltes Wahlmännerkol legium . Diese Vor- 
schläge hätten allerdings "der "OleichTieir"der Staaten "entsprochen, dagegen der 
Einheitlichkeit des Gerichts und der Gleichmässigkeit seiner Zusammensetzung 
Abbruch getan. Vor allem aber bot eine solche Art der Zusammensetzung 
des Gerichtes den einttussreichsten Staaten keine Sicherheit für eine ihrer 
politischen Bedeutung entsprechende Teilnahme an dein Gerichte Je grösser • 
die Schwierigkeiten der Organisation sich herausstellten, um so mehr trat auch 
die Bedürfnisfrage wieder in den Vordergrund. So begnügte man sich schliess- 
lich damit, die Zusammensetzung des Gerichts, bezw. die Art der Bestellung 
der Richter und Ersatzmänner in der Schwebe zu lassen, die übrigen Teile 
der Konvention aber, die Organisation des Gerichtes und das Verfahren vor 
diesem, zu regeln und den Wunsch auszusprechen, dass diese unvollständige 
Konvention durch eine Verständigung der interessierten Staaten über die Zu- 
sammensetzung verwirklicht werden möge 2 ). Ob dies möglich ist? Es besteht 

1) Dieser Standpunkt kommt unvcrhitllt zum Ausdruck in dem britischen Blaubuch 
vom Januar 1908 (Miscellaneous No. 1, 1908). Brief des britischen Botschafters Sir. E. Fry 
an den Staatssekretär des Auswärtigen Sir. E. (Jrey vom 16. Oktober 1907 (8. 21): „The 
claim of many of the smaller States to equality as regards not only their independance, 
but their share in all international institutions, waived by most of them in the case of the 
Prize court, but suecessfully asserted in the case of the proposed new arbitral court . is 
one whieh may produee greut difficulties. and may perhaps drive the greater Powers to 
aet in many cases by themselves*. 

2) Das jetzige Konventionsprojekt spricht sich nicht über die Gleichheit der Staaten 

aus. C. J. A. Art. 1 enthielt in der der I. Kommission zuerst zugegangenen Redaktion die J / 

Worte: .Cour de justice arbitrale bastte sur IV^lir.' ^^»lu|uc 7 dpi.l lui^ *. f c • ' 

Der letztere Satzteil war aber aus Versehen" hineingekommen und wurde, weil vom PrQ- § 
fungsausschuss nie beschlossen, wieder entfernt. Er konnte auch durch die Plenarversamm- f 
lung nicht wiederhergestellt werden. Daher erfolgten eine Reihe von Vorbehalten bei der * 
Schlussabstimmung. Die durchaus nicht authentischen Worte „basee sur l'egalite juridi- 

3ue des Etats* finden sieh in einer Reihe von Drucken der Konferenzakte, so in der Revue 
e droit international et de legislation comparee (1907, No. 6) und in der Revue de droit 
international public (1907, Nr. Ii). Der richtige, von der niederländischen Regierung defi- 
nitiv festgestellte Text tindet sich im Anhang. 



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512 



Völkerrecht : Huber, 



ein Widerspruch zwischen den politischen Machtverhältnissen und dem for- 
malen juristischen Prinzip der (Gleichheit aller Staaten, an dem die mittleren 
und kleineren Staaten als unverrückbarer Grundlage des internationalen Rechts 
festhalten müssen. Dieser Gegensatz bleibt ausserhalb der Sphäre des Rechts, 
solange die Staaten sich als völlig selbständige, nur durch das Band eines 
Vertrages verbundene Einzelpersonen gegenüberstehen. Sobald aber eine Ge- 
meinschaft mit gemeinschaftlichen Institutionen gebildet wird, tritt der Kon- 
flikt auf und verschärft sich in dem Verhältnis, in dem diesen internationalen 
Institutionen reelle politische Bedeutung zukommt, und ihrer Wirksamkeit 
nicht mehr ganz bestimmte vertragsmässige Grenzen gezogen werden können. 
Hier kommt die Völkerrechtsentwicklung zu einem Wendepunkt, oder zu einem 
Stillstande. Ein Stillestehen an den Fundamentalsätzen des internationalen 
Rechts bedeutet aber nicht eine Stagnation des internationalen Lebens : in 
dem Rahmen des heutigen Völkerrechts, welches auf der formellen Gleichheit 
aller Staaten beruht, ist noch eine mächtige und gesunde Entfaltung möglich. 

Der Konventionsentwurf, der dem ersten, von der Konferenz in der 
Schlussakte ausgesprochenen Wunsch angefügt ist, sieht ein Gericht auf 
folgenden Grundlagen vor: 

Die Cour de justice arbitrale besteht aus Richtern und Ersatz- 
männern '). Diese haben die Qualifikationen zu besitzen, die in ihren be- 
treffenden Heimatsstaaten für die Zulassung zu den hohen Beamtuijgen ge- 
fordert werden, oder es müssen Juristen sein, deren Kompetenz in völker- 
rechtlichen Fragen notorisch ist. Sie sind, soweit möglich, aus dem Kreise 
der Mitglieder des Ständigen Schiedshofs zu nehmen. 

Die Amtsdauer beträgt zwölf Jahre. Die Richter sind unbeschränkt 
wieder wählbar 2 ). Sie sind unter sich gleich und rangieren nach der An- 
ciennetät ihrer Ernennung, d. h. der Notifizierung ihrer Ernennung an den 
„Aufsichtsrat 4 - im Haag. Die Richter haben den Vorrang vor den Ersatz- 
richtern 3 ). Alle haben während der Dauer ihrer Tätigkeit im Gericht, aber 
nur wenn ausserhalb ihres Heimatsstaates sich befindend, Teil an den diplo- 
matischen Privilegien'). 

Die Richter sind fest besoldet und zwar erhalten sie eine fixe jährliche 
Besoldung von 6000 holl. Gulden und ausserdem während ihrer Wirksamkeit 
in den Sessionen ein Taggeld von 60 Gulden; ferner Reiseentschädigung *). 
Diese Beträge sind so festgesetzt worden, dass die finanziellen Vorteile des 
Richteramtes einerseits hinlänglich bescheiden sind, um dieses vor der Ambition 
eintlussrcicher Politiker zu sichern, anderseits aber doch beträchtlich genug, 
um die Annahme des Amtes nicht zu einem Opfer für die meisten geeigneten 
Kandidaten zu machen. Jedes Mitglied des Gerichts darf für diese richterliche. 
Tätigkeit keinerlei Bezahlung von seiner heimatlichen Regierung annehmen'). 

Absolute Inkompatibilitäten bestehen nicht, jedenfalls können die Mit- 
glieder der Cour de justice arbitrale auch im Intern. Prisengericht sitzen '). 

1) C. J. A. Art. ± V. .1. A. Art. 3. 3) C. J. A. Art. 4. 

•Ii C. J. A. Art. •">. :.| C. J. A. Art. !». Üi C. J. A. Art. 10. 

7i C .1. A. Art. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht» durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 513 



Dagegen kann kein Richter oder Ersatzmann an einer Verhandlung teil- 
nehmen, wenn er in gleicher Sache schon vorher als nationaler oder inter- 
nationaler Richter, als Mitglied einer Untersuchungskommission oder als Partei- 
vertreter tatig gewesen ist '). 

Während die Mitglieder des Ständigen Schiedshofes wenigstens als Par- 
teivertreter für diejenige Macht, der sie ihre Ernennung verdanken, vor einem 
Schiedsgerichte auftreten können 2 ), sind die Richter der Cour de justice arbi- 
trale unter allen Umständen als Anwälte, Agenten oder Beistände vor irgend 
einem internationalen Gerichte oder einer internationalen Untersuchungs- 
kommission für die ganze Dauer ihres Mandates ausgeschlossen 3 ). 

Das Gericht hat seinen Sitz im Haag; für einzelne Verhandlungen 
kann es diesen, mit Zustimmung der Parteien, temporär verlegen 4 ). 

Das Gericht wählt seinen Präsidenten und Vizepräsidenten 5 ), 
ferner jährlich einen Ausschuss (Delegation) 6 ), die ihren Präsidenten 
seiher bezeichnet. Die Delegation besteht aus drei Mitgliedern und drei Er- 
satzmännern. Sie sind wiederwählbar. Sie treten in Ausstand, wenn der 
Staat, dem sie angehören oder der sie ernannt hat, Partei ist. Die Dele- 
gation, welche auf den oben erwähnten russischen Antrag 7 ) zurückgeht, hat 
folgende Funktionen : Sie ist kompetent zur Durchführung des summarischen 
Verfahrens nach den Bestimmungen der Konvention betr. die friedliche 
Regelung internationaler Streitigkeiten 8 ). Sie kann ferner als Untersuchungs- 
kommission fungieren 0 ); in diesem Falle dürfen die Mitglieder des Gerichts, 
in Abweichung von dem oben erwähnten Grundsatz des Art. VIT, auch als 
Richter funktionieren, wenn c» die Parteien zulassen und die Angelegenheit 
vor die Delegation oder das Plenum gelangt. In diesen beiden Fällen ist die 
Kompetenz der Delegation durch die Parteien vertragsweise zu begründen. 
In gleicher Weise kann auch die Delegation mit dem Abschluss eines Kom- 
promisses beauftragt werden 10 ). Ueberdies u ) aber kann auch auf Anrufen 
bloss einer Partei die Delegation das Kompromiss aufstellen und zwar unter 
den gleichen Bedingungen, wie der Ständige Schiedshof, d. h. eine aus diesem 
gebildete Kommission. Es besteht hier eine Konkurrenz beider Gerichte mit 
der Möglichkeit unlösbarer Kompetenzkonflikte. 

Das Gericht hält jährliche S es s i o n e n ,2 | ab, beginnend mit dem dritten 
Mittwoch des Juni jeden Jahres. Die Session dauert, solange Geschäfte vor- 

1) C. J. A. Ad. 7. 2> K. P. Art. «2 al 3. 

:\) C. J. A. Art. 7 ul 2. 4) C. .1. A. Art. 11. 

h) C. J. A. Art, K L rsprQnglich war bestimmt, dass die Cour de justice arbitralc, 
wie die Cour des prises (C. 1\ Art, 19) alle drei Jahre ihren Präsidenten und Vizepräsi- 
denten wühle. Erst in den Schlussabstiinninngen über die Konventionen ist auf Antrag 
des Grossen Ucdaktionskomitecs in beiden Konventionen die dreijährige Frist fallen - 
lassen worden, damit Staaten, die weniger als drei aufeinanderfolgende Jahre in diesen 
Gerichten vertreten sind, nicht de jure vom Präsidium ausgeschlossen seien. Die Gerichte 
haben nunmehr selbst, von Fall zi i all zu entscheiden, auf wieviele Jahre sie das Präsi- 
dium wählen. 

Ii) C. J. A. Art. (5. 7| Vgl. oben S. .">08. 

Sl C. .1. A. Art. 1» Ziff. 1. in C. .1. A. Art. 18 Ziff. 2. 

10) C. .1. A. Art. 1». lh ibid. al 2 Ziff. 1^2. 

12> C. .1. A. Art. 14. 

Jahrbuch dr, Oe. R. d. O. I f. 190S. 33 



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514 



Völkerrecht: Huber. 



liegen. Die Delegation kann das Gericht zu ausserordentlichen Sessionen 
einberufen. 

Die ordentliche Session fällt aus, wenn die Delegation den Zusammen- 
tritt — wegen Mangels an Geschäften — für nicht notwendig halt'). Da aber 
das Gericht jährlich seinen Präsidenten, Vizepräsidenten, sowie die Delegation 
zu wählen hat 2 ), wird diese jährliche Sitzung entweder jedesmal stattfinden 
oder durch eine Abstimmung auf dem Korrespondenzwege ersetzt werden 
müssen. 

Das durch die Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler 
Streitigkeiten geschaffene Internationale Bureau im Haag*), 
ebenso wie der Aufsichtsrat 4 ) haben der Cour de justice arbitrale gegen- 
über die gleichen Funktionen als Gerichtskanzlei , bezw. als Ueberwachungs- 
behörde wie gegenüber dem ständigen Schiedshof. Das Hilfspersonal, das für 
die Cour de justice arbitrale dem Generalsekretär des Internationalen Bureaus 
beigegeben wird, ist von dieser zu bezeichnen und zu vereidigen 5 ). 

4. Das internationale Prisengericht. 

Während die Cour de justice arbitrale ein Torso geblieben, ist durch die 
Konvention betr. die Errichtung eines internationalen Prisengerichts ein Ge- 
richt auf ähnlichen Grundlagen, wie es dort hätte geschehen sollen, geschaffen 
worden. Die beiden Projekte sind zwar unabhängig von einander entstanden, 
haben sich aber gegenseitig stark beeinrlusst und die beiden Konventionen 
sind, soweit es die Verhältnisse erlauben, in die grösstmögliche Uebereinstim- 
raung zu einander gebracht worden. 

Die Prisengerichtskonvention ist aus zwei Gründen besonders bedeutungs- 
voll : einmal, weil in ihr die Schwierigkeiten, an denen die Cour de justice 
arbitrale scheiterte, überwunden wurden, und sodann, weil dem internationalen 
Prisengericht auf Grund der diesen Gerichtshof begründenden Konvention 
in einem bestimmten Umfange eine unbedingte Zuständigkeit zukommt. 

Der erste diesen Gegenstand betreffende Entwurf, welcher der Konferenz 
vorlag, ging von der deutschen Delegation aus. Darnach hätte zu Beginn jedes 
Seekrieges für je zwei sich gegenüberstehende kriegführende Staaten ein Ober- 
prisengericht errichtet werden sollen, das als internationale Appellationsinstanz 
den nationalen Prisengerichten erster Instanz übergeordnet gewesen wäre. 
Die Bildung des Oberprisengerichtes würde durchaus von den für internatio- 
nale Schiedsgerichte massgebenden Prinzipien beherrscht gewesen sein : das Ge- 
richt sollte aus fünf Mitgliedern bestehen, von denen zwei Admiräle und drei 
Mitglieder des Ständigen Schiedshofs im Haag hätten sein müssen. Die beiden 
Admiräle wären von den beiden Kriegsparteien bezeichnet worden, die Mit- 
glieder des Ständigen Schiedshofs so, dass jede Partei eine neutrale Macht 
um Bezeichnung je eines Richters ersucht, während die beiden ersuchten neu- 
tralen Mächte einen dritten neutralen Staat um Bezeichnung des fünften 
Richters angehen und äusserstenfalls das Los entscheiden lassen. 

1) C. J. A. Art, 14 al 2. 2) C. J. A. Art, ö. 

:il C. J. A. Art. 18. 4) C. .!. A. Art. 12. 5) C. J. A. Art. 13 al 3. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 515 



Das zweite, britische Projekt dagegen stellte sich auf einen ganz anderen 
Boden. Hier sollte ein ständiges Gericht geschaffen werden, das nicht für 
jeden Krieg und für je zwei Kriegsparteien erst hätte gebildet werden müssen. 
Die Gleichheit der Staaten war in dem britischen Vorschlage von vornherein 
verneint dadurch, dass nur die Staaten, welche eine Handelsflotte von mehr 
als 800 000 Tonnen besitzen, einen Richter sollten bezeichnen können. Die 
britische Vorlage hatte manches gemeinschaftlich mit dem amerikanischen 
Projekt der Cour de justice arbitrale: Ständigkeit des Gerichts, beschränkte 
Richterzahl, Isolierung des Gerichts von den Parteien. 

Zwischen dem deutschen und dem britischen Entwurf bestanden aber 
nicht nur hinsichtlich der Organisation grosse Gegensätze, sondern namentlich 
auch in der Umschreibung der Zuständigkeit und der Klageberechtigung. 
Zwischen den beiden Initianten kam unter Mitwirkung anderer Mächte ein 
Kompromiss zustande, das in einem gemeinschaftlichen, einen ausführlichen 
Konventionsentwurf enthaltenden Antrag Deutschlands, der Vereinigten Staaten, 
Frankreichs und Grossbritanniens bestimmte Gestalt annahm. 

Während in Bezug auf die Kompetenz des Gerichts die von dem deut- 
schen Antrag verkörperten Ideen im wesentlichen durchdrangen, überwogen 
die britischen Forderungen in den organisatorischen Fragen. Zwar wurde der 
Tonnengehalt der Handelsflotten als Kriterium fallen gelassen und dafür Ge- 
danken Geltung verschafft, die für die Cour de justice arbitrale eine Zeitlang 
schienen Beifall zu finden : ein Gericht, in welches alle die Konvention unter- 
zeichnenden Staaten einen Richter oder Ersatzmann oder beides entsenden, 
jedoch so, dass die Gerichtsmitglieder für verschieden lange Zeit, regelmässig 
Bruchteile der Normalperiode, im Gerichte sitzen. Auch hier wurde von vorne- 
herein eine ständige Vertretung der acht Grossmächte angenommen ') : eine 
Privilegierung, die sich überdies keineswegs mit derjenigen deckt, welche von 
Grossbritannien anfänglich zu gunsten der Staaten mit grossen Handelsflotten 
gefordert worden war. Da für die übrigen 36 Staaten bei einer Besetzung 
des Gerichtes mit 15 Richtern nur 7 Sitze zur Verfügung stehen, ist die 
Funktionsdaucr der Repräsentanten dieser Staaten meist eine sehr kurze. 
Immerhin bestehen auch unter diesen erhebliche Differenzen: während z. B. 
Spanien für vier Jahre einen Richter und zudem für zwei von diesen auch 
noch einen Ersatzmann entsendet, ist Guatemala nur während eines Jahres 
durch einen Ersatzmann vertreten. Auch hier ist die Verteilung nicht nach 
einem in der Konvention aufgestellten Massstab durchgeführt *). 

Es ist begreiflich, dass die gleichen Einwände gegen die Zusammen- 
setzung dieses Gerichts erhoben und bei der Schlussabstimmung teils in einem 
negativen Votum, teils in Vorbehalten zum Ausdruck gekommen sind 3 ), wie 
bei dem Konventionsentwurf betr. die Cour de justice arbitrale. Immerhin 
war die Opposition hier nicht so allgemein und nicht so prinzipiell, und in 
der Tat sind auch die Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit in Prisensachen 
und andern internationalen Streitigkeiten sehr verschieden : 

l) C. P. Art. 1'.. -2) c. P. A. 

'S) Vgl. oben S. 479 Anm. 2. 

33* 



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516 



Völkerrecht: Huber, 



Die nationale Prisengerichtsbarkeit ist völkerrechtlich unzweifelhaft zu- 
lässig und damit ist eine nationale Gerichtsbarkeit in Fällen, die ihrer Sub- 
stanz nach international sind, gewohnheitsrechtlich begründet. Wenn nun über 
diesen nationalen Gerichten eine internationale Instanz anerkannt wird, so 
bedeutet dies eine ganz erhebliche Einschränkung der Handlungsfreiheit des 
Nehmestaates. Prisen können aber tatsächlich nur Staaten nehmen , die 
einen Seekrieg zu führen im Stande sind und dies sind im Grunde nur wenige, 
nämlich die Seemächte. Alle andern, namentlich diejenigen, deren Handels- 
flotte unverhältnismässig gross zur Kriegsflotte ist oder die als Binnenstaaten 
nur Interesse an Gütern, nicht aber an Schiffen haben, kommen im Prisen- 
recht tatsächlich nur als Objekt, nicht aber als Subjekt in Betracht. Für 
sie bedeutet deshalb die Errichtung keinerlei Einschränkung, sondern lediglich 
eine wertvolle Steigerung der Sicherheit ihres Eigentums. Die Seemächte 
haben ein solches Interesse im wesentlichen nur in Hinsicht auf ihre gegen- 
seitigen Beziehungen, nicht aber den zur See schwächeren Staaten gegenüber. 
Wenn sie sich nun auch zu gunsten dieser einem internationalen Prisengericht 
unterwerfen, so verzichten sie damit teilweise auf einen ihren günstigen Status 
quo und es ist eine begreifliche Forderung, dass sie insofern eine Kompensation 
hiefür fordern, als sie einen massgebenden, wenn auch ausserordentlich ver- 
minderten Einfluss auf die Rechtsprechung in Prisensachen beizubehalten 
wünschen. 

Die Zusammensetzung des internationalen Prisengerichts ist ganz analog 
der bereits geschilderten der Cour de justice arbitrale. Das Gericht besteht 
aus Richtern und E r s a t z m ä n n e r n r ). Die normale Besetzung des 
Gerichts sind 15 Richter; das Quorum beträgt 9 2 ). Die acht stets im Gericht 
vertretenen Staaten bestimmen ihre Ersatzmänner selbst :H ), die übrigen Staaten 
sind in der Regel nicht durch einen eigenen Ersatzmann ersetzt, sondern 
meistens durch den Vertreter eines andern Staates. Ein allgemeines Prinzip 
für diese Stellvertretung wird nicht ausgesprochen; eine einen integrierenden 
Bestandteil des Vertrages ausmachende Tabelle legt die Verteilung der Richter 
und Ersatzmänner auf die sechsjährige Periode fest 4 ). Immerhin ist dieses 
Schema nicht völlig starr. In den Schlussbestimmungon der Prisengerichts- 
konvention ist vorgesehen, dass die Tabelle durch den internationalen Auf- 
sichtsrat im Haag revidiert weiden kann v ). Die jetzige Tabelle umfasst alle 
auf der Konferenz vertretenen Staaten. Da es aber ganz unwahrscheinlich 
ist, dass alle diese Staaten unterzeichnen und ratifizieren werden und da, im 
Interesse einer raschen Verwirklichung des Prisengerichts, die Konvention in 
Kraft gesetzt werden soll, sobald das Gericht mit 9 Richtern und ebenso vielen 
Ersatzmännern tatsächlich besetzt werden kann ist es notwendig, dass eine 
Instanz kompetent sei, die Zusammensetzung des Gerichts den Verbältnissen 
anzupassen. Die jedem Staate durch die Konvention zuerkannte Funktions- 

n C P. Art, 10. 

•J\ ('. P. Art, 14. Ist die Zahl der Richter unter 11 (Art. *>2 al iij. *o betragt da« 
ljuorum 7. 

M> ('. P. Art. K>. 41 </. P. A. ,Yi (.'. l\ Art. .Vi. 

Gl C. P. Art. .V_> al 2. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 517 



dauer bleibt unverändert, lediglich die zeitliche Aufeinanderfolge der einzelnen 
Staaten wird so abgeändert, dass die Zald der Richter soweit möglich stets 
die gleiche bleibt In analoger Weise wird verfahren wenn der Bestand 
der Kontrahenten durch Adhäsionen oder Kündigungen sich verändert. Auch 
die Kontrahenten können eine Revision 4 ) der Tabelle verlangen je zwei Jahre 
vor Ablauf der Dauer, auf welche die Konvention gilt. Der Aufsichtsrat 
hat solche Begehren den Signatäruiächten sofort mitzuteilen. Eine Aenderung 
der Art und Länge der effektiven Teilnahme eines Staates am Gericht kann 
aber offenbar nur durch allgemeine Verständigung erfolgen, da sie eine mate- 
rielle Veränderung des Vertrages darstellt. 

Obwohl die erstmalige Dauer der Prisengerichtskommission auf 12 Jahre 
angesetzt ist, beträgt die Amtsdauer der Richter, nicht wie bei der Cour de 
justice arbitrale, 12, sondern nur 6 Jahre. Auch hier sind die Richter wieder- 
wählbar 8 ). Die Zusammensetzung des Gerichts bleibt grundsätzlich die gleiche 
für alle Prozesse. Immerhin hat jede Kriegspartei, d. h. jeder kriegführende 
Kontrahent, das Recht zu verlangen, dass der von ihr ernannte Richter im 
Gericht sitze , auch dann , wenn sie seihst nicht Prozesspartei , d. h. Be- 
klagte ist. Es kann sich dabei nur um Staaten handeln, die nicht stets ver- 
treten sind. Durch das Eintreten eines Richters ausserhalb der ordentlichen 
Kehrordnung erhält das Gericht einen Richter zu viel ; um es wieder auf seine 
normale Besetzung zu bringen, wird von den nicht ständig sitzenden Richtern 
einer durch das Los für die aus dem betreffenden Kriege herrührenden Pro- 
zesse ausgeschlossen, niemals jedoch der Vertreter der andern kriegführenden 
Macht '). 

Die Verhältnisse der Richter und Ersatzmänner unter sich *), deren di- 
plomatische Privilegien 6 ) und die Inkompatibilitäten 7 ) sind völlig übereinstim- 
mend für das internationale Prisengericht und die Cour de justice arbitrale 
geordnet. 

Da das Prisengericht nur anlässlich von Kriegen in Funktion tritt, wird 
eine feste Jahresbesoldung den Richtern nicht gewährt. Sie erhalten ausser 
der Reiseentschädigung, wie die Richter der Cour de justice arbitrale, ein 
Taggeld von 100 holl. Gulden 8 ) und dürfen von keiner Regierung, weder der 
eigenen noch einer fremden für ihre richterlichen Funktionen eine Vergütung 
annehmen "). 

Das Gericht wählt seinen Präsidenten und Vizepräsiden- 
ten' 0 ). Auch bestellt es aus seiner Mitte eine Delegation 11 ) von drei 
Mitgliedern, welcher ausserhalb der Sessionen gewisse Funktionen der Pro- 

1) C. P. Art. r ,rt al 2—3. 2) C. P. Art. 57. 

3) C. P. Art. 11. 4) C. P. Art. 1«. b) C. P. Art. 12. 

(V| C. P. Art. 13. 7) C. P. Art. 17. t#) C. P. Art. 2<J. 

9» ibid. al 3. 

. 10) 0. P. Art. 15). Wie bei der Cour de justice arbitrale, so war auch bei der Cour 
des prises vorgesehen . dass das Gericht den Präsidenten und Vizepräsidenten auf drei 
Jahre wühle. Ks wurde dann in beiden Konventionen in der Sehlussabstimmung auf An- 
trag des Grossen Uedaktionskomitees dieses Zeitmass weggelassen und dem Gericht die 
Festsetzung der Amtsdauer überlassen, damit die Staaten, welche nicht drei aufeinander- 
folgende .lalire iiu Gericht vertreten sind, nicht de jure vom Präsidium ausgeschlossen seien. 
11) C. P. Art. 48. 



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518 



Völkerrecht: Huber, 



zessleitung zukommen. Im übrigen ist dieser Ausschuss ohne selbständige 
Kompetenzen und hat nur eine äusserliche Aehnlichkeit mit der Delegation 
der Cour de justice arbitrale. 

Das Gericht hat selbst ein Reglement 1 ) für seine innere Ordnung zu 
erlassen und dieses den kontrahierenden Staaten mitzuteilen. Es kann auch 
durch Vermittlung der niederländischen Regierung den beteiligten Staaten Vor- 
schläge 2 ) zur Abänderung der Konvention machen, wenigstens hinsichtlich der 
Bestimmungen über das Verfahren. Die Verwirklichung dieser Anregungen 
ist Sache freier Vereinbarung unter den Kontrahenten. 

Das Prisengericht hat wie der Ständige Schiedshof und die Cour de 
Justice arbitrale seinen Sitz 3 ) im Haag. Temporär kann es an einen andern 
Ort übersiedeln, jedoch, ausser bei höherer Gewalt, nur mit Zustimmung der 
beiden Kriegsparteien, nicht Prozessparteien. 

Das Internationale Bureau 4 ) im Haag steht zum Prisengericht 
im gleichen Verhältnis wie die Cour de justice arbitrale. Das besondere 
Hilfspersonal wird vom Prisengericht ernannt und beeidigt. 

Auch die Aufsicht wird vom A u fs i cht sr at 5 ), der durch die Konven- 
tion betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten eingesetzt ist, 
ausgeübt, jedoch wirken hier nur die diplomatischen Vertreter derjenigen Staa- 
ten mit, welche sich der Prisengerichtskonvention angeschlossen haben — eine 
übrigens auch für die Cour de justice arbitrale selbstverständliche, wenn auch 
nicht ausgesprochene Voraussetzung der Mitwirkung im Aufsichtsrat. 

IV. Voraussetzungen und Umfang der Zuständigkeit internationaler Gerichte. 

Vor der Aera der allgemeinen Schiedsgerichtsverträge wurde die Schieds- 
gerichtsbarkeit und damit die Zuständigkeit des Gerichts entweder nur für 
einen konkreten Streitfall wie z. B. im Washingtonervertrage vom 8. Mai 1871 
oder in einer materiellrechtlichen Konvention wie dem Weltpostvertrag nur 
für die aus dem betreffenden Abkommen herrührenden Anstände begründet. 
Unter solchen Verhältnissen konnte die Frage der Zuständigkeit in der Regel 
nicht zu Meinungsverschiedenheiten Anlass geben, im erstem Falle gar nicht, 
weil die Schiedsgerichte ihre Zuständigkeit auf Grund des Kompromisses zu 
beurteilen berechtigt sind 8 ), im zweiten Falle nur dann, wenn von dem Belang- 
ten die Einrede erhohen wird, da.ss der Streitfall nicht internationaler Natur 
sei. So z. B. in dem Anstand zwischen der Schweiz und Italien, der dadurch 
hervorgerufen wurde, dass die Schweiz, auf Grund der Schiedsklausel des da- 
maligen schweizerisch-italienischen Handelsvertrages, die Beurteilung einer 
nachträglich erlassenen italienischen Vorschrift betr. die Zahlung der Zölle 
in Gold einem Schiedsgericht unterwerfen wollte, während Italien sich auf den 
Standpunkt stellte, dass dies eine interne Angelegenheit sei und nicht unter 
die kompromissorische Klausel falle. 

Solche Differenzen in beziig auf den Umfang der Schiedsgerichtsbarkeit 

ll C. P. Art. 4!). 2) (.'. P. Art, r >0. 3) ('. P. Art. 21. 

4) f. P. Art. 23. .Vi C P. Art. 22. 

Üt K. P. <l*fli» Art. 48: Ii. p. Art. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 519 



können in grosser Zahl und Mannigfaltigkeit auftreten und ernste Kollisionen 
hervorrufen, sohald die Gerichtsbarkeit begründet wird für ganze Kategorien 
von Streitigkeiten, ohne Beschränkung auf solche , die aus einem bestimmten 
Rechtsgeschäft herrühren. Da fordert die Politik eine doppelte Abgrenzung: 
einmal nach oben, um eine den Parteien unannehmbare Gerichtsbarkeit aus- 
zuschliessen, und sodann nach unten, um die von dem Vertrage gewollte Ver- 
pflichtung zu sichern. Zwei Wege sind möglich: 

Entweder kann die Gerichtsbarkeit so bestimmt sein, dass durch Vertrag 
die Fälle aufgezählt werden, in denen stets — jedoch nur in diesen — das 
internationale Gericht kompetent ist. Der Vertrag hat Streitigkeiten ganz 
bestimmter Art im Auge , doch unterscheidet sich eine solche Umgrenzung 
von den Schiedsklauseln materiellrechtlicher Verträge dadurch, dass nicht auf 
die Rechtsquelle, den Vertrag, sondern auf die Art des Streitverhältnisses ab- 
gestellt wird. Dieser Typus ist vertreten durch die Prisengerichtskonvention, 
in welcher die Anrufung des Gerichts unter bestimmt aufgezählten Voraus- 
setzungen stets, ohne Zulassung von peremptorischen Einreden seitens des be- 
langten Staates, gestattet ist '). 

Oder es kann die Gerichtsbarkeit für alle Streitigkeiten vertragsinässig 
stipuliert sein, welches auch immer die rechtliche Grundlage oder der Gegen- 
stand des Streites sei. Einer der ersten Verträge dieser Art ist der von der 
Schweiz*) den Vereinigten Staaten voxgeschlageiui., foix den letzteren jedoch 
nicht akzeptierte Schiedsvertrag , welcher bestimmte : „Les deux Etats con- 
tractants s'engagent ä souinettre ä im tribunal arbitral toutes les diflicultes 
qui pourraient naitre entre eux pendant la duree du present traite, quels que 
puissent etre la cause, la nature ou l'objet de ces difficultes. " Dieses Ver- 
tragsprojekt enthielt in seinen weitern Stipulationen keinerlei Einschränkung 
der allgemeinen Verpflichtung und stellt das Maximum dessen dar, was in der 
Krage der Zuständigkeit internationaler Gerichte möglich ist '). Die neueren 
Verträge schränken aber die Verpflichtung regelmässig in dieser oder jen ex- 
Weise ein 

Die allgemeine Einschränkung ist diejenige auf Rechtsstreitigkeiten, 
„diflerends d'ordre juriclique" 5 ). Was sind aber Rechtsstreitigkeiten? Sie 
bilden "TteTT~'G?geiiKalz zu "-blossen Interessenkonflikten. Diese Antwort ist 
praktisch bedeutungslos. Es lässt sich jede Streitigkeit irgendwie auf eine 
Rechtsformel bringen: es gibt staatliche Interessen, die völkerrechtlich ge- 
schützt sind und deshalb subjektive Rechte darstellen, und solche die rechtlich 
nicht anerkannt sind und deshalb ausserhalb der Möglichkeit richterlicher Be- 

\) C. P. Art. 3. 

•J ) Vom sc h^ei^eriselien Rnn.Wrnf. IihhcIiIii sse q um ^4 , J ul i 1? J, 

3) *, Ihm iso der däniscli-niederländisrhe Schiedsvertrag vom L*. Februar 1*)04. Art. 1: 

, tous les difl'ercuds» et tous les litiges entre Elles (d. h. den Kontrahenten), qui 

n'auront pas etre resolut pur les voiea diplomatiques". 

■1) Die iillgeiueine Form („tous les ditterends, de quehjue nature qu'elles soient") 
findet sieh z. Ii. in dem schon zitierten italienisch - argentinischen Schiedsvertrag vom 
18. Sept. 1007. Ausgenommen sind aber die Fälle, in denen die Yerfassungsbestimmungen 
oder die Staatsangehörigkeit eines Individuums in Frage kommt (Art. 1 al 1 und -Vi. 

•*>) P. A. O. Art. Pia. So namentlich der französisch-britische Schiedsvertrag vom 
11. Oktober 1003; ebenso der deutsch-britische Vertrag vom 12. Juli 11)04. 



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-V- 

^ \ 520 Völkerrecht: Huber. 

V .N ~ " 

r 



c^V urteilung liegen. Es gehört zum Wesen jeder Gerichtsbarkeit — und so auch 
^ der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit — , dass sie sich im Gegensatz zur 
Vermittlung nur auf Rechtsstreitigkeiten beziehen kann. Ist nicht eine rein 
v . rechtliche Beurteilung einer Streitigkeit gewollt, so liegt Zwangsmediation vor ; 
der Schiedsrichter hat die ihm unterbreiteten Ansprüche der Parteien aus- 
schliesslich an völkerrechtlichen Normen zu prüfen. Nun gibt es aber Dif- 
ferenzen zwischen Staaten, bei denen die rechtliche Seite neben der politischen 
ganz zurücktritt und wieder andere, bei denen die Rechtsfrage im Vorder- 
grunde steht: Das ist aber eine politische und keine juristische Unterschei- 
dung. Während z. B. die Frage, ob ein bestimmter Deliktsbestand unter eine 
Stipulation eines Auslieferungsvertrages falle oder nicht, in den weitaus mei- 
sten Fragen von den Parteien als eine rein juristische Angelegenheit betrachtet 
werden wird, kommen die politischen Gesichtspunkte allein zur Geltung, wenn 
z. B. zwei Mächte auf dem Gebiete eines dritten Staates mit ihren sog. In- 
teressensphären kollidieren. Soweit nicht durch Verträge begründete wohler- 
worbene Rechte der Parteien vorliegen, besteht zwischen ihnen hinsichtlich 
des umstrittenen Gebiets keinerlei Rechtsverhältnis. Auf Grund des positiven 
Völkerrechts könnte ein in einem solchen Falle angerufenes Schiedsgericht 
nur die Legitimität der freien Konkurrenz, vorbehaltlich der Rechte Dritter, 
anerkennen. Es ist offensichtlich, dass eine solche Entscheidung keine Lösung 
des Konflikts bedeutet. Das Gericht würde in einem solchen Falle nicht als 
Rechtsinstanz, aber als Friedensmittel total versagen. Aus dem Gesagten geht 
hervor, dass der Begriff Rechtsstreitigkeiten , wie er in sehr vielen heutigen 
Verträgen erscheint, ein durchaus unklarer ist. Kr bietet gar keinen Anhalts- 
punkt für die Klassifizierung der internationalen Anstände. Die Kritik, die 
in dieser Richtung von der deutschen Delegation an den der Konferenz unter- 
breiteten Anträgen geübt wurde, dürfte schwer zu widerlegen sein. 

Um sich gegen eine ihnen unannehmbare Ausdehnung des unhaltbaren 
egri (Ts .. 1 (echtsstreitigkeiten u zu schützen, haben die Staaten in sehr vielen 
neueren Schiedsgerichtsverträgen nach dem Vorbilde eines schon auf der I. 
Friedenskonferenz erörterten Antrages 1 ) und insbesondere des am 14. Oktober 
1903 zwischen Grossbritannien und Frankreich abgeschlossenen Vertrages 2 ) 
eine Klausel aufgestellt, wonach auch Rechtsstreitigkeiten und Differenzen we- 
gen Auslegung von Verträgen 3 ) dann nicht einem Schiedsgerichte unterworfen 
werden müssen , wenn diese die Lebensinteressen , Unabhängigkeit oder Ehre 
der betreffenden Staaten berühren '). Die Beantwortung der Frage, ob ein 
"Streitfall unter diese Ausnahmen falle, wird in einer Reihe von Verträgen 
ausdrücklich in das freie Ermessen der Parteien, d. h. des Kontrabenten, ge- 
gen den das Gericht angerufen wird, gelegt, was sich im Zweifel übrigens von 



•s. * 




1) Annexe 9 l IVopositioiis flu Comite d'examen prescnt.'es le .% Juiltet 1*99 ü la III me 
Comniission) l'ode de l'arbi trage international. Art. S--9. 
•Jti Art. 1. 

3t Dies»- hantige Nebeneinanderstellung von Kechtsstreitigkeiten und Streitigkeiten 
über Auslegung und Anwendung v«m Verträgen i*t widersinnig, weil alle Streitigkeiten 
über Auslegung und Anwendbarkeit von Verträgen l{eehtsstr«-itigkcileu sind. 

•Ii Dazu kummt bisweilen not Ii , l'exerciie de la souveraiiiete * und ähnliche* und 
regelmässig ein Vorbehalt zu (iunsten der Hecht«- dritter Staaten. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 521 



selbst versteht 1 ). Durch diese sog. Interessenklausel wird der Unklarheit in ,'- <* 
bezug auf den Begriff „Rechtsstreitigkeif* noch eine weitere hinzugefügt. Was 
bedeutet die Klausel ? Soll sie den Kontrahenten gestatten , mit der einen 
Hand zu nehmen, was sie mit der andern gegeben haben? Offenbar nicht. 
Die in der Klausel gemachten Vorbehalte sind im Grunde jedem Völkerrecht- / 
liehen Vertrage inhärent und die durch sie beschränkte Vertragspflicht ist, ' 
bei loyaler Interpretation dieser, alles, was billigerweise von einem Staate 
verlangt werden kann. Während aber nach völkerrechtlicher Theorie bei einem 
Konflikt zwischen der Vertragstreue und den höchsten Interessen des Staates 
nur Rücktritt vom ganzen Vertrage möglich ist, hat die Interessenklausel in 
den Schiedsverträgen die Bedeutung, dass eine Partei, ohne den Vertrag preis- 
zugeben, dessen Anwendung in einem Einzelfalle ausschliessen kauu. Die Ver- 
bindlichkeit des Vertrags an sich wird dadurch nicht gemindert , wohl aber 
sein tatsächlicher Wert. Zwar ist nicht zu übersehen, dass in den Verhand- 
lungen der Konferenz häufig die Ansicht zu Tage trat, dass die Gerichtsbar- 
keit unter der Interessenklausel keine rechtliche Bindung bewirke und dass 

„ nur die bedingungslose Zuständigkeit eines Schiedsgerichts ein Obligatorium 
bedeute. Bedingungslosigkeit und Obligatorium sind zwar nicht Synonyma, 
für die Praxis jedoch sind sie eng mit einander verknüpft, und es ist deshalb 
begreiflich, dass diejenigen, welche eine Ausdehnung und Befest igung de s inter- 

?_ nationalen Schiedsgerichtswesens anstr eben, den Hauptfortschritt in der Ein- 
führung bedingungsloser oder doch wenigstens dem Ermessen des Belangten 

f entzogener Gerichtsbarkeit erblicken. 

Um die Unsicherheit der Anwendbarkeit eines Schiedsvertrages zu be- 
seitigen, sind zwei Wege eingeschlagen worden: einmal kann die Frage, ob 
ein Fall die Lebensinteressen u. s. w. einer Partei berühre oder nicht, dem 
Schiedsgerichte , das also auf alle Fälle wenigstens zur Entscheidung dieser 
Präjudizialfrage zusammentritt, unterbreitet werden. Der schwedisch-norwe- 
gische Vertrag vom 26. Oktober 1905*) und der italienisch-argentinische Ver- 
trag vom 18. September 1907 a ) haben diese Lösung gewählt. Unzweifelhaft 
ist eine derartige Bestimmung geeignet, die Gerichtsbarkeit der Parteiwillkür 
völlig zu entrücken, sie bedeutet aber auch eine ganz gewaltige Bindung der 
Parteien, wenn alle Streitigkeiten oder, was im Grunde das Gleiche ist, alle 
Rechtsstreitigkeiten in irgend einer Form einem Schiedsgericht unterbreitet 
werden müssen. In einem Vertrag zwischen Staaten, die in den Fall kommen 
können, wichtige politische Interessen äussersten Falls gegeneinander kriegerisch 
zu vertreten, ist eine solche Stipulation kaum möglich. AVer wollte, wenn er 
bereit ist zu den Waffen zu greifen, sich zuerst durch ein Schiedsverfahren hin- 
halten oder zu offenem Vertragsbruch zwingen oder gar durch einen Schieds- 
spruch vielleicht ins Unrecht setzen lassen? Eine solche Lösung ist deshalb 
auch nicht angängig in einem Weltschiedsvertrag ; ihre Anwendbarkeit ist auf 
partikuläre Abkommen und auf Staatenverbindungen beschränkt. 

1) P. A. O. Art. 16h enthalt die stereotype Formel. 2) Art. 2. 

3) Art. 1. Dieser Vertrug enthält /war die Intere.sseukluusel nicht expressis verbis: 
kennt aber doch zwei Kategorien von Fällen, in welchen ein bedingungsloses Obligatorium 
ausdrücklich stipuliert ist. 



i 



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522 



Völkerrecht: Huber, 



Eine andere und viel verbreitete Art , ein wirkliches Obligatorium zu 
schaffen, ist die Aufstellung einer Liste von Fällen, in denen, weil voraus- 
sichtlich niemals Lebensinteressen der Staaten betreffend, die Geltendmachung 
der Interessenklausel ein für allemal ausgeschlossen wird. Schon die erste 
Friedenskonferenz hat sich mit einem auf einem ähnlichen Gedanken beruhen- 
den Projekt 1 ) befasst; sodann sind seit 1899 einige Verträge, speziell von 
Schweden-Norwegen' 2 ! und Dänemark abgeschlossen worden, welche bedingte 
und bedingungslose Schiedsgerich tsbärkeit neben einander haben und endlich 
hat die interparlamentarische Konferenz in ihrer Session in London im Juli 
1906 einen Mustervertrag aufgestellt, den sie den Staaten zur Annahme em- 
pfiehlt und der dieses System in besonders ausgedehntem Masse verwirklichen will. 

* * 
* 

Obwohl es im russischen Programm nicht ausdrücklich vorgesehen war, 
und der Abschluss eines Weltschiedsvertrages mehr als eine „Verbesserung" 
der Konvention von 1899 ist, hatte sich die IT. Friedenskonferenz eingehend 
mit der Frage der Einführung allgemeiner, obligatorischer und zwar speziell 
bedingungsloser Schiedsgerichtsbarkeit zu befassen. Die I. Konferenz war 
nicht dazu gekommen, eine Verpflichtung der Staaten zur Annahme von Schieds- 
gerichten für alle oder gewisse Streitigkeiten aufzustellen. Die Konvention 
zur friedlichen Regelung internationaler Streitigkeiten von 
1899 3 ) begnügte sich damit zu konstatieren, dass in Rechtsstreitigkeiten und 
insbesondere solchen über Auslegung und Anwendung von Staatsverträgen ein 
Schiedsgericht das wirksamste und gleichzeitig gerechteste Mittel zur Beilegung 
eines Konfliktes sei , der nicht auf diplomatischem Wege beseitigt werden 
könne. Weiter 4 ) behielten sich die Signatärstaaten das Recht vor, Verträge 
unter sich abzuschliessen, um die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit auf alle 
diejenigen Fälle auszudehnen, die sich hiefür eignen. Eine Verpflichtung war 
damit für niemanden ausgesprochen , aber der Aufforderung zum Abschluss 
partikulärer Verträge sind die damaligen Konferenzstaaten sowie auch andere 
Länder in reichem Masse nachgekommen. Mehr als 50 Stautsverträge über 
Schiedsgerichtsbarkeit für alle oder gewisse Streitigkeiten sind seit 1899 ab- 
geschlossen worden. Voraussichtlich wird diese Bewegung anhalten und es 
steht ausser Zweifel, dass ein zwischen zwei Staaten abgeschlossener Vertrag, 
dessen Tragweite von den Parteien mehr oder weniger vollständig überblickt 
werden kann , viel weitergehende und genauere , der Willkür eher entzogene 
Bestimmungen enthalten kann , als ein eine grosse Zahl von Staaten umfas- 
sendes Abkommen. Noch mehr den Besonderheiten der allenfalls sehiedsrich- 

I Ii Annexe 1) (vgl. oben S. .V20 Anm. 1) Art. x— 11. In Art. tnul 9 wurde der 

Grundsatz der Schiedsgerichtsbarkeit, jedoch als etwas rein Fakultatives aufgestellt und in 
Art. In ei ne L is te von Fallen gegeben. TTTHT-ii erf e ilt . jedoeTi der Interoscuklansol unter- 
worfene" OM!gätnr1u"iu~Tje*leheii sollte. Die ""Skalfl TOTfVTTrtiirtflHeli'keifeti war um eine 
Stufe tiefer im Vergleich zu dem Projekt der II. Konferenz. Dieser Vertragstypu* wird 
repräsentiert dureli den schweizeri>eh-helgischeii Schiedsvertrag vom K>. November l'.KM^ 
Art. 1— ,Ö. Man vergMcTi'c damit T. A. O. Art, IHa — TT» d. 

"Jl /. B. der st ■hwei/.eriseh-Keliwediseh-norwegisehe Vertrag vom 17. De?.. 1U04 (Art, 3>. 

Hi K. P. llStt!l, Art. IC; ebenso R. 1\ Art. 3S. 

4t K. P. Art. 9. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 523 



terlich zu beurteilenden Rechtsverhältnisse kann sich die in die materiellrecht- 
lichen Verträge aufzunehmende Schiedsklausel anpassen, die das Schiedsge- 
richtsprinzip gewissermassen von der Peripherie aus das internationale Leben 
durchdringen lässt. 

Trotz aller Schiedsverträge und Schiedsklauseln unterliegt heute doch 
erst ein kleiner Teil internationaler Rechtsverhältnisse der Schiedsgerichtsbar- 
keit, bedürfte es doch an die tausend Verträge , um alle Staaten durch das 
Band der partikulären Schiedsgerichtsbarkeit zu verbinden. Es ist deshalb 
begreiflich, dass versucht wird, mit einem Schlage durch einen AV eltsc hieds- 
vertrag dem Gedanken rechtlicher Austragung der Staatsstreitigkeiten ein 
wenigstens räumlich universelles und dabei auch inhaltlich ausgedehntes An- 
wendungsgebiet zu verschaffen. Der I. Kommission, bezw. zunächst deren I. 
Subkommission wurden eine Reihe von Anträgen unterbreitet, die alle dahin 
gingen, unter sämtlichen, auf der Konferenz vertretenen Staaten in mehr oder 
weniger weitem Umfange die Zuständigkeit von Schiedsgerichten zu begründen. 

Diese Vorschläge lassen sich in drei Klassen teilen : eine erste Gruppe, 
hauptsächlich repräsentiert durch einen Antrag der Vereinigten Staa- 
ten, wollte alle Streitigkeiten rechtlicher Xatur Schiedsgerichten unterbreiten, 
behielt jedoch die Fälle vor, welche die Lebensinteressen, Unabhängigkeit oder 
Ehre der Parteien — nach deren freier Beurteilung — berühren sollten. Das 
amerikanische Projekt, mit dem ein brasil ia~n~isch es im wesentlichen über- 
einstimmte, hätte den durch den britisch-französischen Vertrag von 1903 ge- 
schaffenen Typus zum allgemeinen Schiedsvertrag erhoben. Zu dieser Klasse 
gehört auch die Anregung Griechenlands, den Art. 10 des 1899 fallen 
gelassenen Komitee-Entwurfs 1 ) Mieder aufzunehmen, wonach sich die Staaten 
für eine Reihe spezifizierter Klassen von Rechtsstreitigkeiten (Auslegung und 
Anwendung gewisser Verträge , Schadensersatzforderungen bei anerkannter 
Haftbarkeit) zur Annahme von Schiedsgerichten, verpflichteten jedoch ebenfalls 
unter Beifügung dor sog. Intcressenklausel. 

Die zweite Gruppe ist durch einen serbischen Antrag dargestellt, 
welcher alle aus Handelsverträgen sowie aus sonstigen, auf ökonomische, ad- 
ministrative oder gerichtliche Angelegenheiten bezüglichen Abkommen herrüh- 
renden Streitigkeiten, ferner gewisse pekuniäre Fragen schlechthin der Schieds- 
gerichtsbarkeit unterwarf -). 

Die dritte Gruppe verband die Ideen der beiden ersten. Hieher gehört 
ein portugiesischer und ein mit ihm prinzipiell identischer schwe- 
discher Antrag. Der portugiesische Antrag zerfällt in zwei Teile : 

1. Zunächst wird das Prinzip der Zuständigkeit der Schiedsgerichte für 
alle Rechtsstreitigkeiten , insbesondere Auslegung und Anwendung von Ver- 
trägen betreffend, aufgestellt, jedoch mit der Interessenklausel wie im ameri- 
kanischen Antrage a ). 



1) Annexe 9 (vgl. oben S. .VJO Anm. 1). 

2) Dieser Antrag wurde nachträglich revidiert in der Weise. da<- er auch eine Liste 
Obligatorischer Fülle enthielt, jedoch nur eine solche. 

3) P. A. 0. Art. Hin. 



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Völkerrecht : Huber, 



2. Die Anrufung der Interessenklausel wird ausgeschlossen für gewisse, 
in einer Liste aufgezählte Arten von Streitigkeiten 1 ). 

Dieser portugiesische Antrag , der sich eng an den Entwurf der inter- 
parlamentarischen Konferenz anschliesst, wurde, wenigstens was die Zustän- 
digkeitsfrage anbetrifft, unverändert 2 ) von der britischen Delegation auf- 
genommen und im späteren Verlaufe mit dem amerikanischen Antrage, soweit 
er dessen Inhalt nicht schon enthielt, verschmolzen. Dieser kombinierte An- 
trag bildete in der Hauptsache den Gegenstand der Beratungen des Unter- 
ausschusses, der speziell sich mit den Fragen der obligatorischen Schiedsge- 
richtsbarkeit zu befassen hatte. Er ist, noch dur ch ein zuerst von der schwei - 
zerischen Delegation aufgestelltes Prinzip "erweitert, als Antrag des Urüfungs- 
*a"usschusscs deT"Tf"KöTiihiIssi<>ii ~~rrgclegt , von dieser angenommen, schliess- 
lich aber fallen gelassen worden *). 

Die unter die Interessenklausel gestellte allgemeine Gerichtsbarkeit bil- 
dete verhältnismässig wenig den Gegenstand von Erörterungen. Sie wurde 
allerdings beanstandet wegen ihrer allzuweiten Ausdehnung und wegen ihrer 
Unbestimmtheit. Es ist nicht zu leugnen, dass eine solche allgemeine unklare 
Stipulation ihre Gefahren hat. Wohl wird gesagt, dass die öffentliche Mei- 
nung einen Missbrauch der Interessenklausel in den meisten Fällen werde ver- 
hindern können. Aber eine Regierung ist, wenn überhaupt, in erster Linie 
von der öffentlichen Meinung des eigenen Landes abhängig und diese wird in 
der Regel diese Klausel in höchst subjektiver Weise auslegen. Auch werden 
schwächere Staaten in wichtigen Fällen kaum in der Lage sein , gestützt auf 
einen so vag~formulierten Anspruch, die Einsetzung eines Schiedsgerichts ge- 
genüber einem anderen Staate durchsetzen zu können; ihrerseits dürften sie, 
wenn von einer grossen Macht belangt, kaum im Falle sein, sich dem Schieds- 
gericht zu entziehen, auch wenn sie sich auf die Klausel glaubten berufen zu 
| können. Das ist die pessimistische, jedenfalls nicht ohne weiteres widerleg- 
bare Auffassung der Frage. Es kann die Sache aber auch von einer andern 
Seite aus betrachtet und gesagt werden, dass eine so allgemeine Klausel einer- 
seits geeignet ist, die Idee der Schiedsgerichtsbarkeit einzubürgern, ohne dabei 
v anderseits den Staaten eine Rechtsprlicht von [übersehbarer und gefährlicher 
Tragweite aufzubürden. Die Formel hat sich eingebürgert und man hat bis 
jetzt weder grossen Nutzen noch Schaden von ihr gehabt. Die Stellung für 
oder gegen die Schiedsgerichtsbarkeit^ bedingte übrigens wie bedingungslose 
ist vielfach Stimmungssaclie : auf der einen Seite Optimismus oder wohlwol- 
lender Indifferentismus , auf der andern Seite misstrauischer Skeptizismus. 
Beides ist erklärlich, weil mit den allgemeinen Schiedsverträgen bis jetzt noch 
viel zu wenig Erfahrungen gemacht worden sind, gute und schlechte, als dass 
ein abschliessendes Urteil über Wert oder Unweit der Institution und vor 
ailcin eines Weltsehicdsvertrags gefällt werden könnte. 

Das Hauptinteresse konzentrierte sich aber auf den zweiten Teil des por- 



l i P. A. O. Art. Km- und 16d. 

'_') ("nwest.'iitli<.lie Aenderungeu der Liste ausgenommen. 
'S) Vgl. oben 8. 4S'.> Anm. ö. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 525 



tugiesiseh-britischen Antrages : die Liste. Sobald man daran ging, die ein- 
zelnen Vertragskategorien einer Prüfung zu unterwerfen, stellte es sich heraus, 
dass fast bei jeder, nicht vollständig untergeordnete Materien betreffenden Art 
von Konventionen der eine oder andere Staat die Interessenklausel nicht 
glaubte entbehren zu können, entweder weil der Gegenstand für ihn von gröss- 
ter Bedeutung ist, oder weil er sich einem ganz bestimmten Staate gegenüber 
nicht binden wollte, sei es, weil bereits eine Streitigkeit pendent ist, sei es, 
weil er in den politischen Grundanschauungen nicht mit seinem Gegenkon- 
trahenten harmoniert und von der Annahme obligatorischer Schiedsgerichts- 4 
barkeit eine Intervention in seine Politik fürchtet. Auch da, wo man sich im 
allgemeinen über die Möglichkeit eines bedingungslosen Obligatoriums hätte 
verständigen können, scheiterte die einstimmige Annahme daran, dass es nicht 
möglich war , die den Schiedsgerichten zu unterwerfenden Fragen genügend 
scharf zu umschreiben. So enthalten beispielsweise Handelsverträge neben 
einer Menge von mehr technisch-juristischen, s ehr wohl dein Oldijgatoriunj zu 
unterstellenden Materien auch Punkte von so grosser politischer und ökono- 
mischer Tragweite, dass kaum ein Staat sich hierin allen übrigen , mit ihm 
durch Handels- und Reziprozitätsverträge verbundenen Staaten gegenüber 
binden wollte. 

Die Bedenken, die gegen die einzelnen Vertragskategorien geltend ge- 
macht wurden, rührten aber nicht nur daher, dass bei jeder Art von Verträ- 
gen unter Umständen die Lebensinteressen eines Staates auf dem Spiele stehen 
können, vielmehr bot die Frage d er Rechtskraft der S chiedssprüche die gröss- 
ten Schwierigkeiten. Von diesem Gegenstand wird jedoch erst in AnscTinftt Till 
zu sprechen sein. Die Aufstellung einer allgemeinen und bedingungslos an- 
nehmbaren Liste, die nicht fast bis zur Lächerlichkeit^ J^leutungslos sein 
sollte, war eine Unmöglichkeit und wird" es vielleicht noch lange bleiben . So 
mussten neue Wege gesucht werden. Es wurden zwei Vermittlungsanträge ge- 
stellt: einer von ( )esterreich-Unga rn , das anfänglich der Liste nicht grund- 
sätzlich abgeneigt war, ein anderer, zeitlich vorgehender von der Schw eiz, die 
erklärte, in einem Weltschiedsvertrag auf die Interessenklausel nicht verzich- 
ten zu können. Der ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e Antrag betraf eine 
Resolution , wonach die Konferenzstaaten bis zu einem bestimmten Termin, 
durch die Vermittlung der niederländischen Regierung , sich gegenseitig die- 
jenigen Materien notifizieren sollten , über welche obligatorische Schiedsver- 
träge abzuschliessen sie geneigt wären. Bis dahin sollten die Regierungen sich 
über die Anwendbarkeit obligatorischer Schiedsgerichte ins Klare setzen. Da 
durch diese Notifikationen aber keine recht liche Bmdung beAvirkt worden wäre, 
es sich vielmehr lediglich um unverbindliche Vertragsofferten gehandelt hätte, 
bedeutete der österreichisch - ungarische Kes<"u r uTTonsantragsvorschlag einfach 
einen Verschiebungsantrag. Er wurde als eventuelle Lösimg der Frage von 
dem Prüfungsausschuss mit geringem Mehr •angenommen. 

Einen neuen , bisher auf dem Gebiete des Völkerrechts nicht eingebür- 
gerten Gedanken versuchte der schweizerisch« 1 ) Antrag zu verwirkli- 

1 ) M o d i f i c n t i o n h ü a p p o r t e r ii 1 n C o n v e n t i o n p o n r 1 e r e g 1 e tu e u t 



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526 



Völkerrecht: Huber, 



chen. An Stelle eines konkreten, eine unmittelbare und gleichinässige Bin- 
dung der Kontrahenten bewirkenden Vertrages sollte ein abstrakter Ver- 
trag errichtet werden, der die Vertragschliessenden nur dann und nur so- 
weit binden würde, als sie, jeder nach freier Wahl, unter dem Vorbehalt der 
Reziprozität für diese oder jene Art von Rechtsverhältnissen die obligatorische 
Schiedsgerichtsbarkeit anzunehmen erklären. Diese durch das Medium der 
niederländischen Regierung allen Signatärmächten zu übermittelnden Notiii- 
kationen Hessen d as vincu lum juris zwischen je zwei Staaten insoweit jind so- 
bald entstehen , "als diese für die gleiche Materie optiert hatten. Um eine 
üebereinstinnnung zwischen den Notifikationen zu sichern, sollte die Konven- 
tion eine Liste aufstellen, aus welcher die Staaten auswählen könnten. Auf 
diese Weise wäre das Prinzip der universellen obligatorischen Schiedsgerichts- 
barkeit i n der allgemeinen Konvention niedergeleg t, dabei aber den Staate n 
eine völlige Freiheit gelassen worden. Diejenigen Staaten, welche sich durch- 
aus negativ verhalten wollten , hätten keinerlei Notifikation erfolgen lassen 
müssen, diejenigen aber, die für das Obligatorium eingenommen wär en, hätte n 
f ür ei ne mehr oder weniger_g ro^se Zahl von M »ter ipn optieren können. 

~T)er "Vorzug eines solchen Systems liegt einerseits in seiner Einfachheit, 
anderseits in seiner Plastizität. Die partikulären Verträge sind allerdings im 
höchsten Masse geeignet, sich den besonderen Verhältnissen der einzelnen 
Staaten anzupassen, aber ihr Mechanismus ist zu kompliziert und zu schwer- 
fällig. Statt der 946 Ver träge, welche nötig wären, um die Schiedsgerichts- 
barkeit zwischen den 44 aü? der Konferenz vertretenen Staaten zu begründen 
— und welche Unsumme diplomatischer, administrativer und parlamentarischer 
| Arbeit bedeutet dies! — hätten ein einziger Vertrag, d. h. ein Artikel der 
Konvention betreffend friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten und 
eine Reihe einseitiger durch Korrespondenz er folgende r_^tijikationen an die 
niederländische Kegierung genügt. Sodann böte dieses System den Vorteil 
nahezu unbegrenzter Anpassungsfähigkeit, während die Liste des portugiesisch- 
britischen Antrags vollkommen starr, d. h. nur durch Vertragsrevision und 
nur für alle Kontrahenten gleich abzuändern ist. Dadurch stellt sie sich vor 
die Alternative, entweder sich auf ein Minimum von Anwendungsfällen zu be- 
schränken, um möglichst vielen Staaten annehmbar zu sein, oder aber den 
Umfang ihres räumlichen Geltungsgebietes dem Bestreben nach materieller 



p a c i f i q u c des e o n f 1 i t s intern ationaux, du '2 9 j u i 1 1 e t 1 S 9 9. 

Artirle l'»a. 1. commerce et navigation; 

Indcpendamment des traiten generalis ou 2. protection internationale des travail- 
partkuhers qui stipulent actucllement on sti- lours : 

puleront a l'avcnir l'arbitrage obligatoire entre 3. ponten. telegraphe et telephone; 
les Ktats contraetant.«, les Puis.^anees signa- | 4. protection de cäbles sous-marius : 
tiiirt*s de lu presente Convention qui . sous \ ~>. elieinins de fer 
condition de reeiprocite. seraient disposees a 1 etc. etc. etc. 

acccptcr l'arbitrage obligatoire pour Fensem- I L'arbitrage obligatoire sera etabli pour 
Ijle ou pour l'uue ou 1'autre des matteres une Piiissance signataire vis-a-vis d une autre. 
eniiinerees ci-dessous, pourront faire connaitre uussitöt et ]>our autant riuc ces Puissanees 
leur decision. par l'intermediaire du «Jouvor- auront notine l'adoption de l'arbitrage pour 
nement de» Pays-Ba.s. aux autres Puissauces des matieres identiquea tigurant danslali.sle 
idgnatairejs de la presente Convention : etablie ci-destsua. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 



527 



Geltung zu opfern. Es war von der norwegis c h e n Delegation die An- 
regung gemacht worden, dass innerhalb des Kreises der Signatärstaaten der 
Konvention vom 29. Juli 1899 engere „Unions arbitrale s u gebildet werden 
sollten. Dieser Idee leistete der schweizerische Antrag in vollstem Masse Ge- 
nüge, indem er, mehr als es ein stets einheitlicher Unionsvertrag tun kann, 
den Staaten möglich macht, der Schiedsgerichtsbarkeit die ihnen zulässig er- 
scheinende Ausdehnung für sich zu geben. Da die Notifikationen nicht alle 
auf einmal erfolgen müssen, können Staaten, die zunächst sich negativ ver- 
halten, nachträglich beitreten und solche, die bereits notifiziert haben, durch 
weitere Notifikationen der Schiedsgerichtsbarkeit eine immer grössere Ausdeh- 
nung geben 1 ). So würde, ohne dass ein Artikel der allgemeinen Konvention 
revidiert werden müsste, das Schiedsgerichtsprinzip sozusagen automatisch in 
dem Masse in geltendes Vertragsrecht umgewandelt werden können, in welchem 
dieses Prinzip, in hundertfacher Abstufung und Variation, den Staaten als 
durchführbar erscheint. Eine derartige Form der Vertragsschliessung schein 
überhaupt^ da angezeig t, wo eine se hr grosse Zahl von Staaten sich über das 
Grundsätzli che einer Angelegenheit verst än dige n können, aber der Anwendung 
dieses l'rinzips eine individuell verschiedene Geltung geben wollen. 

Der schweizerische Antrag wurde zwar von dem Ausschuss nicht akzep- 
tiert, sein Gedanke dagegen von zwei Mächten aufgenommen. Die Vereinigten 
Staaten nahmen eine Liste nach dem Vorbild des portugiesisch-britischen An- 
trages in ihr Projekt Jäuf, gestatteten jedoch den Signatärmächten bei der Ra- 
tifikation des Vertrages sowie auch in irgend einem späteren Moment diejenigen 
in der Liste aufgeführten Materien, für welche sie das bedingungslose Obli- 
gatorium annehmen, zu spezifizieren, ja sogar hiebei noch zwischen den ver- 
sehiedenen Kosignatären zu differenzieren : es wäre dies eine Liste gewesen, 
deren Ueltung~~durck eine rückschreitende Auslese bestimmt worden wäre 2 ). 

1) Kine noch grössere Plastizität erhielt der abstrakte Vertrag und seine bewegliche 
Liste durch einen griechischen Zusatzantrag folgenden Inhalts : ,Toute restriction ou 
reserve, qu'une des Pnissances signataires ajouterait au sujet des matieres pour lesquellea 
Elle declare vouloir aeeepter l'arbitrage, pourra etre invoquee vis-ä-vis d'Elle par toute autre 
Puissance meine n'ayant pas fait dans sa notificatiou de reserve ou de restriction au sujet 
des dites matieres*. 

2) Teilweise erhalten in P. A. O. Art. 10k al 3, nur dass sich die Bestimmung auf 
Art. 16e statt 16 d bezogen haben würde. In dem von der Kommission votierten Text ist 
diese Verschiebung irrtümlicherweise nicht berücksichtigt worden, sodass sich das ameri- 
kanische S3'stem auf die starre Liste des portugiesisch-britischen Antrage« bezöge, was 
aber nicht die Meinung der Kommission war. Wurde dies der Fall sein . so hätte tat- 
sachlich keine Liste im Sinn des ursprünglichen portugiesischen und britischen Antrages 
bestanden, indem bei der Ratifikation jeder Staat beliebig viele, ja alle Punkte der obli- 
gatorischen Liste für sich hätte ausschliesseu können; ein für alle Staaten uniformes Obli- 
gatorium wäre dann kaum denkbar gewesen; und doch war dieses der Zweck der Liste 

Ebenfalls auf den amerikanischen Antrag, welcher den Kontrahenten gestattete, die 
bei der Ratifikation aeeeptierten Punkte «1er Liste allgemein oder nur gt'geuüLu^bwiUmm- 
t en Staaten wieder »n kfl ndigen , geht Art. 101 P. X. 0." zurück, wonach einem Staat 
aiiSRel 1 dem riecht der Kündigung des ganzen Vertrags die Freiheit zustehen sollte, einzelne 
oder alle Punkte der obligatorischen Liste oder des Protokolls zu kündigen. Dadurch 
wäre die Liste ganz prekär geworden ; auch wenn sie schliesslich angenommen worden 
wäre, hätte sie nachträglich jederzeit wieder durchbrochen werden können. Dieser ('in- 
stand beweist, mehr noch als die materielle Begrenztheit der Liste, die Unmöglichkeit, 
die Gesamtheit der Staaten auf ein bedingungsloses uniformes Obligatorium dauernd zu 
verpflichten. Betreffend die Kündigung des Vertrages gegenüber einzelnen Staaten vgl. 
ölten S. 484 Anm. 7. 



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528 



Völkerrecht: Huher. 



Grossbritannien nahm d agegen das P rinzip des schweizerischen Antrages, die 
bewegliche Liste, im "wesentlichen unverändert auf und gestaltete dieses noch 
nach der formellen Seite aus. Dem Hauptvertrage sollte ein Proto koll bei- 
gefügt werden, in welchem die Bestimmungen über die bewegliche Liste auf- 
genommen worden wäre n. Ein Tableau, in dem einerseits die Signatärstaaten 
in der Horizontalen, anderseits die auszuwählenden Materien in der Vertikalen 
figurierten, veranschaulichte in der denkbar einfachsten Weise die mannig- 
faltigen Geltungsbereiche der Schiedsgerichtsbarkeit zwischen den einzelnen 
Staaten. 

Der britische Antrag hatte vorgesehen, dass zwei oder mehr Staaten, 
die sich über obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit für eine nicht im Tableau 
figurierende Materie einigten, die Aufnahme jlieser und damit die Möglichkeit 
des Anschlusses anderer Staaten sollten fordern können i ). War dies eine 
begrüssenswerte Weiterbildung, so hatte die britische Formulierung des Systems 
der beweglichen Liste den Nachteil, dftss sie dessen juristischen Grundgedanken 
durch detaillierte Regelung der kan/Jeimässigen ^ Ausführung, der haclie ver- 
dunkelte. JJie l\otiHkationen~sind völkerrechtliche Angebote von Staat zu 
Staat, bezw. wo bereits eine Option erfolgt ist, auch Annahme einer solchen 
Offerte. In der Form *), wie die Institution in der Kommissionalvorlage ge- 
regelt ist, konnte ihr aber von der Opposition vorgeworfen werden, dass sie 
von den Regierungen verlange, mit einem Tableau Verträge zu schliessen. 
Dieses ist aber nichts für sich Bestehendes, sondern lediglich ein Register der 
Notifikationen in einer durch das Wesen des Reziprozitätssystems notwendig 
gegebenen Ausführung. 

Das Kommissionalprojekt umfasste nunmehr — was die Zuständigkeit 
der Schiedsgerichte betrifft — drei Teile: 1. allgemeine Schiedsgerichtsbarkeit 
für all e Rechtsstreitigkeiten, unter Vorbehalt der Jjebensintert'ssiii.TnTddiängig- 
keit und Ehre*) f~:T~enie~Liste von Rechtsverhältnissen, die bedingungslos in 
die Zuständigkeit der 'Schiedsgerichte faTTen *) und B. eine Liste von Rechts- 
verhältnissen, für welche die Kontrahenten mir unter der Voraussetzung der 
Reziprozität gebunden sind 6 ). Da die letztere Modalität nicht nur für be- 
stimmte Materien, sondern für alle Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden, 
kein Staat aber zur Annahme eines Vertrages und damit der starren Liste 
gezwungen werden kann, bot das Reziprozitätssystem alles Erreichbare und 
liess die gesonderte Regelung der bedingten und bedingungslosen allgemeinen 
Schiedsgerichtsbarkeit als überflüssig erscheinen. An einem, alle Staaten, 
gleichmässig und sofort bindenden Weltschiedsvertrag kann im Grunde nur 
ein sentimentales Interesse bestehen, denn anpassungsfähig ist er fast gar nicht 
und damit auch nur wenig lebens- und entwicklungsfähig. 

Schienen anfänglich die Aussichten für einen allgemeinen Schiedsgerichts- 
vertrag nicht ungünstig, so verschlechterten sich diese, als eine Einigung über 

1 P. A. 0. (Trotoiokö Art. 3. P. A. O. Art. 1« e (Protoeo)e) Art. 1- 4. 

Ü) P. A. O. Art. Hin— lob. 4i P. A. (I. Art. 10c— Kid. 

*>j Die auf der List*' von Art. 10 d figurierenden Materien .sind diejenigen, welche im 
Prüfungstusachuss und im Plenum der Kommission die absolute Majorität erhalten sollen. 
F\ A. o. Art. lOe u. Protoeole. 



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Die Fortbildung de« Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 529 



eine Liste obligatorischer Fülle und eine allgemein befriedigende Lösung der 
Rechtskraft- und Kompromissfrage nicht erzielt werden konnten. Eine ziem- 
lich kompakte Majorität, geführt von Frankreich, den Vereinigten Staaten und 
Grossbritannien, numerisch stark durch einige europäische Mittelstaaten, ins- 
besondere aber durch die lateinisch-amerikanischen Staaten, vertrat das por- 
tugiesisch-britisch-amerikanische Projekt mit Erfolg im Prüfungsaussehuss und 
in der Kommission. Obwohl in letzter Linie mit einer starken Mehrheit an- 
genommen, musste das Projekt, ehe es an das Plenum kam, vor dem Veto der 
hauptsächlich von Deutschland und Oesterreich gebildeten Minorität fallen 
gelassen werden. JJic Gruppierung der Staaten TüTYnd~~gegen die einzelnen 
Vorschläge, die Schiebungen und die bis in die letzte Stunde angestrebten 
Kompromisse zu schildern, gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit. 

Das gescheiterte Projekt des Prüfungsausschusses und der Kommission 
war als selbständiges Abkommen gedacht. An der Konvention vom 29. Juli 
1899 wurde nur insofern etwas geändert, als, analog den Modinkationen in 
den auf die Mediation und l'ntersuchungskommissionen bezüglichen Artikeln, 
zu dem alten Artikel 16 '), welcher die Vorzüge des Schiedsverfahrens er- 
wähnt, hinzugefügt wurde: „En consequence il serait desirablg_ que, dans les 
litiges sur les questions susmentionm'es, les Puissances signataires eussent, le 
cas echeant , recours a l'arbitrage, en taut que les circonstances le permet- 
tront u 2 ). Ebenfa lls ohne jede^rechtliche Bedeutung ist die in die Schlussakte 
aufgenommene Deklaration 3 ), wonach die Konferenz einstimmig den Grund- 
satz der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit und zwar auch der bedingungs- 
1 osen, wenigstens für gewisse Arten von Rechtsstreitigkeiten , anerkenn t. Dies e 
Erklärung entspricht aber nur deshalb den Tatsachen, weil sie die Grundfrage: 
partikuläre Verträge oder Weltschiedsvertrag übergeht. 

1 Es TsTlilso nach wie vor die Zuständigkeit der Scliiedsgerichte durch 
die Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten nur 
in der Weise formell geregelt, dass die Schiedsgerichte alle Streitfragen ent- 
scheiden können, welche ihnen von den Parteien unterbreitet werden, — je- 
doch nur diese. Eine Zuständigkeit haben sie nur auf Grund eine s spezie llen 
oder generellen Schiedsvertrages, nuVauf Grund einer partikulären, nicht aber 
einer allgemeinen v7flk~errechtlic hen JNor iu. 

JNach der Konvention Laben die Schiedsgerichte, welche in Funktion ge 
treten sind , zwei aus einer einmal begründeten Zuständigkeit abgeleitete se- 
kundäre Zuständigkeiten : 

1. Sie sind kompetent, das Kompromiss, durch welches in concreto ihre 
Kompetenz begründet worden ist, zu interpretiere n 4 ). 

2. Sie sind ohne Zweifel allein ko mpetent, Streitigkeiten über Auslegung 
und Erfüllung des Schiedsspruchs zu en tscheiden s ). 

' Ein Antrag, den Schiedsgerichten "die Kompetenz zu geben, für die Voll- 

— _ _ — ' 

1) R. P. (18011) Art. VI 2) R. P, Art. SS al 2. 

:t) A. F. al :.-«. 4) K. P. Art. 73. 

h) R. P. Art. X'2. 

Jahrbuch de« Oc. B. .1. (1. II. 1U09. 34 



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530 



Völkerrecht: Huber, 



Streckung Fristen und Modalitäten vorzuschreiben, wurde verworfen; sie können 

al^im Zweifel nur die Rechtsfrage entscheiden 1 ). 

* * 
* 

Scheiterte somit der Versuch,- obligatorische Schiedsgerichte zu einer 
universellen Institution zu erheben, so hat dieser Gedanke eine, wenn auch 
nur teilweise und mittelbare Verwirklichung in der Konvention betr. 
d i e B e s chränkung von Gewaltanwendung bei der Gel- 
t endmach ung Vertrags massiger Seh uTd forcierungen gefun- 
den. Diese Konvention, die im wesentlichen mit einem von den Vereinigten 
Staaten gestellten Antrag identisch ist, sollte anfänglich einen Bestandteil der 
Schiedsgerichtskonveution bilden, wurde nachträglich als besonderes Abkommen 
behandelt. Und in der Tat ist sie etwas durchaus eigenartiges, von allen 
andern Konventionen wesentlich verschiedenes. Diese Konvention bestimmt 
folgendes 2 ): Grundsätzlich soll keine bewaffnete Intervention (recours ä la force 
armee) statthaben zum Zweck der Eintreibung von vertragsmässigen Schuld- 
forderungen, welche eine Regierung gegenüber derjenigen eines andern Staates 
a ls einen» ihrer Staatsangehörigen gege n den bela ngten Staat zustehend geltend 
macht Dieses Verbot gilt nicht 3 ), wenn der belangte Staat ein ihm zur Be- 
urteilung des Falles angebotenes Schiedsgericht zurückweist oder ein solches 
Angebot überhaupt unbeantwortet lässt oder, nachdem er zugesagt, das Zu- 
standekommen cl53 KonTprb Misses "vereitelt oder endlich den Schiedsspruch nicht 
v ollzieht. Es ist also dadurch niemandem weder Gläubiger noch Schuldner 
ein Recht gegeben, ein Schiedsgericht zu To r de r n , wie es in den Schiedsver- 
tragelTTter-Fatl ist *) ; auch hat niemand eine Pflicht, ein Schiedsg ericht a n- 
zunehmen; nur ein Schiedsgericht' anzubieten, ist" der Staat verpflichtet, der 
ährVoraussetzungeu für legitime Gewaltanwendung zur Geltendmachung von 
Schuldforderungen der genannten Art schaffen will. In allen Fällen ist dem- 
nach die Gerichtsbarkeit erst zu begründen durch einen Vertrag, durch ein 
Kompromiss im vollen Sinne des Wortes, es sei denn, dass zwischen den Par- 
teien ein allgemeiner Schiedsvertrag bestehe, der Konflikte solcher Art mit- 
betreffe. 

Die Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit und damit der 
Zuständigkeit dos Schiedsgerichtes sind doppelter Art: einmal ist zu prüfen, 
unter welchen Voraussetzungen die Konvention überhaupt anwendbar ist, d. h. 
der belangende Staat ein Schiedsgericht anbieten in u s s und darf, und so- 
dann bleibt in zweiter Linie zu untersuchen, wieweit die Zuständigkeit des 
eingesetzten Schiedsgerichts reiche. 

Die erste, die Präjudizialfrage, erscheint unter zwei Gesichtspunkten: 
1. Welches sind die Ansprüche, die unter „dottes contractuelles 1 * verstanden 
werden und die nur unter den in der Konvention liezeiclineTen Voraussetzungen 

1) Eine Ausnahme hievon bildet D. V. Art. 2. 

2) D. C. Art. 1. 3) ibid. al '2. 

Ii Ks ergibt sieh muh aus den Verhandlungen, das* die Staaten gegenüber ihren 
Angehörigen völlig frei sein .sollen, ob sie auf iJrund der Konvention intervenieren wollen 
oder nicht. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 531 



allenfalls gewaltsam gegenüber dem Schuldner-Staat geltend gemacht werden 
können? und 2. unter welchen Voraussetzungen kann ein Staat sich solcher 
Ansprüche seiner Angehörigen annehmen? Auf die erste Frage gibt die Kon- 
vention eine unklare, auf die zweite gar keine Antwort. 

Die erste Frage: was sind „dettes contractuelles"? ist ihrerseits wieder 
nach zwei Seiten hin zu beantworten. Einmal: wann liegt ein solcher An- 
spruch, bezw. eine solche Schuld vor und wann muss deshalb der Gläubiger- 
Staat die ihm durch die Konvention auferlegten Beschränkungen sich gefallen 
lassen? Und zweitens: Hat die konventionelle Ordnung der Betreibung wegen 
„dettes contractuelles" die Bedeutung, da ss die Geltendmachung vo n allen 
andern oder wenigstens gewissen Forderungsrechten, die nicht unter diesen 
liegritf Tnltrn, von den Schrankeli~Jer Jvonvention frei sei oder aber, dass in 
diesen Fällen die Gewä7tanwe7rdm'ig~scneTT»nim ausgeschlossen wird? 

* Was nun zunächst die Begriffsbestimmung der „dettes contrac- 
tuelles" betrifft, so steht zweierlei fest : es fallen hierunter nich t vertrag- 
liche, wenn auch rein finanzielle Forderungen von Staat zu Staat, auch nicht 
solche von Fiskus zu Fiskus. Ferner sind ausgescTilossen durcTT den Wortlaut 
Ansprüche, welche Ausländer gegen eine Re gi erung aus unerlaubten Ha nd- 
lungen, z. B. wegen ungerechtfertigter Verhaftung u. dgl. etwa geltend machen 
konnten. Es ist stets notwendig ein Vertragsverhältnis zwischen dem privaten 
Gläubige r und dem fremden Schu ldn er-Sta at. Der "Gläubiger muss für" den 
belangten Staat ein~Aus!ander sein ; ein sujet mixte, das neben einer andern 
auch die Nationalität des Schuldner-Staats besitzt, kann sich jedenfalls nicht 
auf die Konvention berufen. Dagegen kann ein Staat auch für solche private 
Gläubiger intervenieren, die zwar nicht im staatsrechtlichen Sinne seine Bür- 
ger oder Untertanen, wohl aber seine völkerrechtlichen Schutzgenossen sind. 
Es wäre nicht einzusehen, weshalb eiiTSläät" "eine derartige Vertretung von 
Interessen Angehöriger fremder Staaten, die jetzt unbezweifelt ist, weniger 
sollte ausüben können unter den Beschränkungen der Konvention als unter 
dem bisherigen System, das weniger Garantien der Unparteilichkeit und Ge- 
rechtigkeit bietet. 

Die Zweifel beginnen aber, sobald der Begriff „dettes contractuelles" 
näher analysiert wird. Namentlich ist es fraglich, ob darunter die Staats- 
schulden fallen, die einen besonders wichtigen Fall von Schuldve>hälthissen 
z"wTscn"en"~i3ftäaten und auswärtigen Gläubigern darstellen. Die Verhandlungen 
der Konferenz geben hierüber keinen Aufschluss, es sind lediglich verschiedene 
Standpunkte vertreten worden, aber eine Verständigung ist nicht erfolgt, ja 
nicht einmal versucht worden, indem die STaäWH, diu als IllimcnTenten oder 
Gegenintervenienten am ehesten in Betracht kommen, sich in diesem Punkte 
völlig ausschwiegen — und vielleicht nicht alle aus dem gleichen Grunde. Die 
Frage, was unter „dettes contractuelles" zu verstehen sei, ist aufs engste mit 
der auf der Konferenz namentlich von Argentinien vertretenen sog. Drago- 
Doktrin verknüpft. Nach dieser Doktrin wird unterschieden zwischen den 
Schulden, die ein Staat in den Formen privatrechtlicher Geschäfte „jure ge- 
stionis" kontrahiert — z. B. bei Kauf-, Dienstverträgeu u. s. w. — und den 

— bl* 

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Völkerrecht : Huber, 



Schulden, die „jure imperii", durch Akte der Staatshoheit — wie z. B. bei der 
Ausgabe öffentlicher Schuldverschreibungen — konstituiert werden. Während 
bei der ersteren Art von Schuldverhältnissen eine, wenn auch nicht zwangs- 
weise, so doch diplomatische Geltendmachung iui Falle offenbarer Rechtsver- 
weigerung zulässig wäre, sollen die eigentlich en Staatsschulden unter allen Um- 
ständen als Gegenstand völkerrechtlicher Intervention ausser Betracht fallen. 
Rainung und Nichtzahlung von~Staärs^cTIuTu^irTsi^i{e~Fem Interne Angelegen- 
heit und nur nach dem öffentlichen Rechte des Schuldner-Staates zu beur- 
teilen ; die Sanktion der Schuldverpflichtung läge für den Staat nur in seinem 
Interesse an einem guten Kredit. Politisch wird diese These damit begründet, 
dass so allein die Kreditfähigkeit eines Staates für die Möglichkeit der Auf- 
nahme äusserer Anleihen massgebend wird, während da, wo Aussicht auf staat- 
liche Intervention besteht, einem finanzschwachen Staate zu wucherischen_Be- 
dingungen Geld zur Verfügung gestellt wird, was leicht zu finanziellen und 
schJiesslicITiiiplölnatischetrÄnständen führt. Diese Unterscheidung zwischen 
Staatsschulden i. e. S. und privatrechtlichen Schuldverpflichtungen ist aber 
deshalb unsicher, weil die Regelung von öffentlichen Anleihen häutig durch 
fremde Baukkonsortien erfolgt, mit denen der Schuldner-Staat offenbar in ein 
Vertragsverhältnis tritt, das einen privatrechtlichen Charakter hat. Sind auch 
die Beschlüsse von Parlamenten, Anleihen aufzunehmen, als hoheitliche Staatsakte 
zu betrachten, so sind die Finanzoperationen der Regierungen zu deren Durch- 
führung keine solchen. Aber auch abgesehen von den Staatsschulden, kann es 
noch bei andern Rechtsverhältnissen sehr fraglich sein, ob sie „jure gestionis" 
oder „jure imperii" entstehen, so bei den Eisenbahn-, Minen- und \Y ässerkonzes- 
s1oTTeTi"ünrt Jthnlicheu verwaltungsrechtlichen, Vermögensrechte lvonstiüÜ*eTeTTden 
TnTeln. Wenn man berücksichtigt, aus was für Gründen bisher Interventionen 
zum Schutze des V ermögens von Personen in fremden Staaten erfolgt sind, 
sollte man meinen, dass die Konvention alle diejenigen Ansprüche umfasst, 
die entweder aus einem Vertrage unmittelbar als Vertragsobjekt entstehen oder 
als Schadensersatz forde'riingen wegen Nichteinhaltung von Vertrügen geltend ^ v 
genlacht werden; woTh-T unter Vertrag "'jedes "Rechtsgeschäft zu verstehen ist, ^ 
das auf einer Willensübereinstimmung des Staates und eines fremden Privaten" 
beruht. Diese extensive Interpretation des Begriffs der „dettes contractuelles" ^ '"j 
darf auch deshalb angenommen werden, weil in der Konvention nur dieser ^ <£? j< 
allgemeine Ausdruck gebraucht wird, während der ursprüngliche amerikanische x 
Antrag wenigstens im Titel von .dettes publikes ordinaires ayant leur ori-^C ^ • 
gine dans des oontrats* sprach. Für eine s olche ex tensive Auslegung spricht 1? • 
auch die Erwägung, dass eine Intervention wegen Aiispriichen Privater gegen 
einen fremden Staat zwar nur im Falle von Rechtsverweigerung oder Willkür 
zulässig ist, dass aber diese beiden völkerrechtlichen Delikte die gleichen sind, 
ob es sich um St aatsschuld en oder andere Verpflichtu ngen handelt. Mag auch 
der^Massslab"" (Ter "rseu iTeiiuTl£' z f5eT*rh*Ti niclir pri\;if ivchTTicheii und den mehr 
öffentlichen Schulden eines Staates verschieden sein, so kann doch auch ein 
Staat dolus nicht wegbedingen. 

Der zweite Punkt, der mit dem Begriff „dettes contractuelles" zusammen- 



r 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 533 

hängt und die indirekte Wirkung der Konvention auf andere Rechtsverhält- 
nisse betrifft, ist sehr schwierig 7.11 entscheiden; die Konvention bietet für die 
Beantwortung keine sicheren Anhaltspunkte. Man könnte zunächst davon aus- 
gehen, dass da, wo die Konvention nicht anwendbar sei, das bisherige Recht 
gelte. Da aber dieses äusserst bestritten ist, ist diese Lösung unbefriedigend. 
Es sind zwei Standpunkte denkbar und beide werden in der Praxis einge- 
nommen: entweder stellt man sich auf den Boden, dass da, wo die Konvention 
und damit die unter die Bedingung des vorherigen Angebots eines Schieds- 
gerichts gestellte militärische Exekution nicht vorgesehen seien, die mit jdem 
Wesen der staatlichen Souveränität unvereinbare Einmischung fremder Staaten 
in die 1 nn enVl^ir^e ^eliTh el ten emes* andern Staates durch die Konve ntion in- 
direkt ausgescldossen werde, die letztere somit das Maximum zulässiger "Tnter- 
venTwn darstell e. In gleicher \v elseTcänn argumentiert werden von dem Ge- 
sTchtspunkte aus, dass eine Einmischung wohl da möglich sei, wo es sich um 
Verträge handle, die zu halten Treu und Glaube des bürgerlichen Verkehrs 
fordern, dass aber da, wo spezifisch staatliche Hoheitsakte in Betracht kommen, 
die Souveränität jedes Staates unbedingt zu respektieren sei. 

Von einem andern Standpunkte aus aber kann gesagt werden, dass die Vy) 
Staaten sich in ihrem Recht zur Intervention wegen Verletzung der Rechte / 
ihrer Angehörigen nur da durch die Konvention beschränken lassen wollen, wo 
es sich um Ansprüche handelt, die wegen ihrer rein pekuniären Natur die 
Anwendung völkerrechtlicher Zwangsmassregeln nicht rechtfertigen würden. 
Für eine solche Auffassung spräche auch die im amerikanischen Antrage ent- 
haltene und noch im Kommissionalantrag an das Plenum beibehaltene Prä- 
ambel: „Dans le but d'eViter entre nations des conflits armees d'une origine 
p urer nen^jiecuniaire, provenant de dettes co^tractuelTes • • . . Diese Worte" 
sind allerdings vom Redaktionsaussehuss johno Begründung in der Konvention 
fallen gelassen worden, h^ w . ^~ r'X ~~ <~\fri < \ * ^ " CO / a«- - 

AVenn der Konvention eine limitierende Wirkung auf das Interventions-/ 
recht zugeschrieben werden könnte, so hätte die Feststellung, ob eine „dette 
contractuelle" vorliege oder nicht, massgebende Bedeutung für die Zulässigkeit, 
ein Schiedsgericht mit den in der Konvention angedrohten Wirkungen anbieten 
zu können. Das Gericht hätte dann zuerst festzustellen, welcher Art das 
streitige Rechtsverhältnis ist. Gilt aber ausserhalb der Konvention das freie 
Interventionsrecht, so ist ein Schiedsgericht als friedliches Mittel a fortiori in 
den von der Konvention nicht betroffenen Fällen zulässig, jedoch kann der 
Ablehnung eines angebotenen Schiedsgerichts im Zweifel nicht die Wirkung 
zugeschrieben werden, dem anbietenden Staat einen Titel auf gewaltsame Voll- 
streckung zu geben. 

Die zweite Seite der Präjudizialfrage betrifft die Voraussetzungen, 
unter denen ein Staat die Ansprüche seiner Angehörigen einem andern gegen- 
über vertreten darf. Es ist von vorneherein klar, dass die Verhältnisse von 
Privatpersonen zu einem fremden Staate nicht ohne weiteres internationale 
Bedeutung haben, und dass offenbar gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen, 
damit eine Intervention wegen derartiger privater Angelegenheiten gerech t- 



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534 



Völkerrecht : Hubcr. 



) fertigt erscheint. Es ist wohl ein allgemein anerkannter Grundsatz , dass 
eine solche Einmischung erst nach Erschöpfung des normalen nationalen In- 
stanzenweges und nur für den Fall willkürlicher Behandlung eines Ausländers 
insbesondere für den Fall der Rechtsverweigerung zulässig ist. Es sind auch 
von einigen Staaten dahingehende Anträge gestellt und Vorbehalte gemacht 
worden. Wäre dem nicht so, so läge es im Belieben jedes Staates, sich in die 
von dem nationalen Recht eines andern Staates beherrschten Beziehungen 
zwischen letzterem und seinen eigenen Angehörigen einzumischen. 
I Nun ist diese Konsequenz zwar nicht beabsichtigt von der Konvention, 

aber sie wird auch nicht durch sio ausgeschlossen. Diese spricht nur von 
Rechtsverweigerung von Staat zu Staat, von der Nichtannahme eines Schieds- 
gerichts oder der Vereitelung der durch Annahme erwachsenen Pflichten. Das 
setzt aber voraus, dass bereits das Angebot erfolgt ist, dass der Schuldner- 
staat bereits vor die Alternative gestellt worden ist, entweder das Schiedsge- 
richt anzunehmen und diesem es zu überlassen, dass es seine nationalen Ge- 
setze, Urteile und Verfügungen in Bezug auf gewisse Ausländer an dem Mass- 
stab ungeschriebener und vager Normen über Rechtsverweigerung prüfe, oder 
aber das angebotene Gericht abzulehnen und damit, gemäss der Konvention, 
eine offenbare Rechtsverweigerung zu begehen. Die Konvention bezieht sich 
somit nicht auf die interne, den Anlass zur Intervention bietende Rechtsver- 
weigerung, sondern auf eine erst in zweiter Linie eintretende internationale 
von Staat zu Staat. Vor Bestehen der Konvention konnte ein Staat aller- 
dings auch sich tatsächlich jederzeit wegen solcher Forderungen an einen an- 
dern Staat wenden, es lag auch ganz in seinem Ermessen zu bestimmen , ob 
die Voraussetzungen zu einer Einmischung bestehen oder nicht. Nach der 
Konvention aber hat eine solche Intervention, wenn sie durch Anbietung eines 
I ^ (;'" / S chiedsger ichts eröffnet wird, eine Folge, die sie früher nicht hatte: si e zwi ngt 
«i ^ den Belangten zur Annahme des Gerichts oJer'"zur Rechtsverweigerung. Im 
leTzferen Falle aber ist die Lage des Belangten ausserordentlich viel ungün- 
^ stiger, als sie ohne die Konvention wäre. Seine Situation wird dadurch noch 
■ i' weiter verschlechtert, dass die Rückweisung des Schiedsgerichts Gewaltmass- 
p £ .j regeln des Intervenieren legitimiert: Massregeln, die dieser zwar nur in ausser- 
( 1 ordentlichen Fällen tatsächlich ergreifen wird, die aber, wenn auch nur als ent- 



X ( £ fernte Möglichkeit, in sehr vielen Fällen geradezu einen Zwang zur Annahme 



r : , . des angebotenen Gerichts darstellen. Ohne die Konvention kann der inter- 
^ ' v venierende Staat zwar auch mit Gewalt drohen, aber eine solche Drohung hat 
/ ♦ , nicht den Stempel der Legitimität und wird, wegen der politischen Verwick- 
lungen, die sie immer im Gefolge haben kann, nur selten erfolgen. 

Welches ist demnach, nach der Konvention, die Stellung des Gläubiger- 
und Schuldner-Staates zu einander? Der Schuldner hat, sofern gegen ihn 
nicht Gewaltmassregeln ergriffen werden~w ollen, keinen Anspruch auf schieds- 
richterliche Beurteilung eines Anstandes mit deni~Staat, der die Forderungen 
seines" Angehörigen vertritt. Dagegen, wenn letzterer ein Angebot macht, hat 
der Schuldner nur die Wahl zwischen Rechtsverweigerung und Anerkennungeines 
ausserstaatliehen Forums für die an ihn gerichteten Ansprüche der Ausländer. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 535 



deren sich ihre Regierung annimmt. Dies ist das Korrelat zu der durch die 
Konvention gewährten Sicherheit vor gewaltsamer Exekution schiedsgerichtlich 
nicht anerkannter vertraglicher Sehuldforderungen. Kann aher, so muss man 
sich fragen, ein Staat einen Vertrag eingehen, in dem er einem andern Staate 
unter gewissen Voraussetzungen, minilich für den Fall einer Rechtsverweigerung, 
d. h. eines völkerrechtlichen Deliktes, seinerseits ein Recht auf gewaltsame 
Exekution einräumt. Das ist jedenfalls ein sehr singulärer Vertrag zwischen 
Schuldner- und Gläubiger-Staat. Er findet aher seine Erklärung ganz leicht, 
wenn er als Vertrag zwischen Intervenient und Gegenintervenient betrachtet 
wird, d. h. wenn die politischen Verhältnisse, aus denen er erwachsen ist, be- 
rücksichtigt werden. Die Situation, wie sie 1902 —3 durch die Intervention 
Grossbr itanniens und Deutschlands in Venezuela zwischen diesen Mächten und 
den Vereinigten" Staaten von"Amern<ä 'geschXfien wurde, zeigte die Notwendig- 
keit, dass das Verhältnis der modernen Monroedoktrin zu allfällig von Staaten 
der Alten Welt gegeniiher solchen der "Neuen Welt zu ergreifenden Zwangs- 
massregeln Idar gesTeUT werfle. Die neue Konvention stellt in^einer "allge- 
meinen, ausserlich nicht auf bestimmte Verhältnisse zugeschnittenen Form eine 
Regelung dar, welche die Anwendung der Monroedoktri n für e ine Art ziem- 
lieh häutiger, unter Umstünden für den Friedende fährlich er Konflik te aus- 
wliaHeX" Oer Vertrag würde kaum etwas von seinem Werte verlieren, wenn 
er lediglich von denjenigen Mächten unterzeichnet würde, welche selber in 
den Fall kommen, zu intervenieren, oder als Gegenintervenienten aufzutreten. 
Für Staaten, die weder in der einen noch in der andern Eigenschaft in Be- 
tracht kommen, bedeutet die Konvention nur insoweit eine Verbesserung ihrer 
Stellung, als es sich um solche Staaten handelt, gegen welche Interventionen 
der gedachten Art zu erfolgen pflegen, JuraHe andern dagegen bewirkt sie, 
wenn natürlich auch nur als ungewollte und mittelbare Folge, eine unklare 
und in ihren Konsequenzen gefahrvolle Situation. 

Wenn ein angebotenes Schiedsgericht angenommen worden 
ist und in Funktion tritt, so hat es zunächst die Präjudizialfrage, ob eine In- 
tervention des Staates, dem der Gläubiger angehört, gerechtfertigt ist, zu 
prüfen. Aus der Annahme des Schiedsgerichts kann u. E. nicht gefolgert 
werden, dass damit der belangte Staat schlechthin das internationale Forum 
für die hängige, bezw. nach internem Recht erledigte Rechtsstreitigkeit zwischen 
ihm und dem privaten Gläubiger annehme. Ist die Streitigkeit von irgend 
einer nationalen Instanz des belangten Staates endgültig entschieden worden, 
so ist vorerst zu prüfen, ob der belangte Staat nicht in völkerrechtlich unan- 
fechtbarer Weise die exceptio rei judicatae geltend machen kann. Und diese 
Einrede ist stichbaltig, solange keine Tertragsnorm, die den Schuldnerstaat 
gegenüber dem Gläubigerstaat bindet, verletzt worden oder eine Rechtsver- 
weigerung, bezw. ein Akt der Willkür vorliegt. Kann eine internationale 
Rechtsverletzung nicht nachgewiesen werden, so muss angenommen werden, 
dass das internationale Schiedsgericht lediglich dies konstatieren und die na- 
tionale Ordnung des Verhältnisses durch den Schuldnerstaat bestätigen kann. 
Eine Berufungsinstanz ist es in diesem Falle nicht. Eine gegenteilige An- 



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Völkerrecht : Hubor. 



nähme wäre ein durch nichts gerechtfertigter Eingriff in die Selbständigkeit des 
Schuldnerstaates. Der Wortlaut der Konvention lässt allerdings die letztere 
Konsequenz fast als gegeben erscheinen 

Wenn die Präjudizialfrage bejaht wird, d. h. wenn die von dem belangten 
Staate dem ausländischen Gläubiger gegenüber eingenommene Haltung als 
völkerrechtswidrig erklärt wird, dann entsteht die Frage, ob auch damit die 
Aufgabe des internationalen Schiedsrichters beendigt ist oder nicht. Im Zweifel 
sollte dies vermutet werden, weil der Streit, der dem zwischenstaatlichen Kon- 
flikt zu Grunde liegt, selbst nicht internationaler Natur ist. Die Konvention 
betr. die Beschränkung der Gewaltanwendung ermächtigt aber ausdrücklich 
— mangels gegenteiliger Parteiverabredung — d as Schie^g erIc1^;"iltPir3BS^tg- 
streit zwischen dem belangten Staat und dem von seiner Regierung geschützten 
Auslander se lber zu en tsdigjdenj und zwar auch das Quantitati v» sowie den 
Zeitpunkt und Modalitäten der Zahlung festzusetzen 2 ). Das entspricht übrigens 
a Seil der bisherigen PlUXts frrder schiedsrichterlichen Behandlung von Streitig- 
keiten, die auf einer Intervention eines Staates zu gunsten seiner Angehörigen 
beruhen. 

* * 

Eine Zuständigkeit im Sinne, des nationalen Rechts besitzt von den inter- 
nationalen Gerichten nur das Prisengericht. Die Konvention betr. die 
E r r i c Ii tun g eTh es internationalen Prisengerichts schafft 
ein für den Einzelfall von dem Willen der Parteien unabhängiges, rechtlich 
ständiges Gericht, welches in gewissen, von der Konvention bezeichneten 
Fällen auf Anrufen einer Partei, des Klägers, ohne Rücksicht auf die Zu- 
stimmung d es Beklagten den ihm unterbreiteten Rechtsstreit entscheiden kann 
und enfachenTcn uiuss. 

Das Prisengericht hat eine doppelte Funktion : 

1. Vor allein ist es eine Berufungsinstanz. Grundsätzlich wird 
die Prisengerichtsbarkeit erstinstanzlich von den Prisengerichten des Nehme- 
staates ausgeübt Diese Gerichtsbarkeit ist durch die Konvention aus Ge- 
wohnheitsrecht zum Vertragsrecht erhoben worden. Die Staaten sind ver- 
pflichtet solche Gerichte einzurichten , und zwar überall da, wo es sich um 
die Wegnahme von neutralen oder feindlichen Handelsschiffen und der auf 
solchen verfrachteten Waren handelt. Was feindliche Schiffe und Güter an- 
betrifft, so kommen hiebei nur die privaten in Betracht, diejenigen, welche 
dem feindlichen Staate gehören, unterliegen dein Seebeuterecht. Die Frage, 
ob gewisse Kategorien feindlichen Staatseigentums analog dem Privateigentum 
zu behandeln und deshalb dem Prisen-, statt dem Beuterecht unterworfen 
sind, hat vom Standpunkt der Prisengerichtskonvention aus keine Bedeutung 
da der feindliche Staat unter allen Umständen von der Parteifähigkeit aus- 

l l Itetr. da* anzuwendende materielle Keelit vgl. oben S. .*>U0 tf. 
■Ji 1). <'. Art. 2 i. f. :U C. P. Art. 1 und 

■i) Aneh die neutralen und tViudlielieu privaten Inhalier abgeh-iMer Rechte an dem 
Eigentum des teindliehen Staate* können sieh nieht an das internationale Pri^entroricht 
wenden. C. P. Art. '». 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 537 



geschlossen ist. Die Konvention enthält auch eine formelle Vorschrift betr. 
den nationalen Prisenprozcss : die Urteile der Prisengerichte sind in öffent- 
licher Sitzung zu verkünden und von Amtswegen den Parteien zuzustellen '). 
Das nationale Prozessrecht hat sodann nur eine bedingte Gültigkeit insoweit, 
als das internationale Gericht die Verwirkungsfristen des na tion alen R echts 
ignorieren kann, wenn Tieren Wirkungen mit den Grundsätzen der Gerechtig- 
Eeit und Billigkeit unvereinbar sind •). 

Während der britische Antrag, im Gegensatz zum deutschen, die Be- 
rufung erst nach Erschöpfung aller nationalen Instanzen zulassen wollte, hat 
jetzt der Nehmstaat zwar das Recht, die Berufung an das Prisengericht erst 
von der zweiten nationalen Instanz aus zu gestatten, eine dritte 
Instanz aber kann den Klägern innerhalb des Zuständigkeitsbereiches des 
internationalen Prisengerichts nicht vorgeschrieben werden 3 ). Dagegen kann 
der Nehmstaat für alle Fälle, in denen eine Weiterziehung an das inter- 
nationale Gericht ausgeschlossen ist, einen beliebigen Instanzenweg einrichten, 
vorbehaltlich der schon erwähnten Pflicht, jede Prise durch ein Prisengericht 
beurteilen zu lassen. Die Konvention scheint auch die Zulässigkeit eines Op- 
tionsrechts für die Parteien zwischen einer dritten nationalen Instanz und 
dem internationalen Gericht auszuschliessen , eine zwingende Vorschrift in 
dieser Beziehung ist notwendig, weil konkurrierende Klagerechte bestehen, die 
Angelegenheit aber nur von einem Gericht in gleicher Instanz beurteilt werden 
kann. Welches aber auch die Zahl der von den nationalen Gerichten zu 
durchlaufenden Instanzen sei, eine oder zwei, so bleibt die Jurisdiktion des 
internationalen Prise ngerichts stets dieselbe. Auch ist es für diese gleich- 
gültig, ob die zweite nationale Instanz Appellations- oder Kassationsgerichts- 
barkeit hat'). 

2. Durch Devolution : ') erlangt das internationale Prisengericht aus- 
serordentliche Berufungs-, bezw. erst- und letztinstanzliche Kompetenz, wenn 
die nationalen Gerichte nicht binnen zwei~Tähren, vom Tage der W T egnahme 
an gerechnet," ein (TefihittvW Urteil "gefallt "haben, d. h. ein Urteil, gegen das 
der Xehmestaat selbst in jenem Zeitpunkt keine Weiterziehung fordern und 
die Kläger keine solche mehr vor nationalen Instanzen zu durchlaufen haben. 
Je nach dem Stadium, in dem sich der Prozess vor den nationalen Instanzen 
nach Verlauf von zwei Jahren befindet, bedeutet die Anrufung des inter- 
nationalen Gerichts entweder Ueberspringung aller nationalen Instanzen oder 
Ueberspringung einer allfällig vorgeschriebenen zweiten Instanz. 

Diese beiden Bestimmungen sind von höchstem praktischem Wert , sie 1 
schützen den Kläger davor, dass die Berufung an das internationale Gericht 
durch Zwischenschiebung mehrerer nationaler Instanzen verteuert und ver- 
langsamt oder durch schleppende Behandlung selbst vor wenigen Instanzen 
illusorisch gemacht werde. 

Die Zuständigkeit des internationalen Prisengcrichts, gleichviel ob es sich 
um ordentliche Berufung, bezw. durch Devolution begründete ausserordent- 

ll V. F. Art. 2 al 2. 2) C. P. Art. 7 al '>. 3) C. T. Ar». 6. 





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538 



Völkerrecht: Huber, 



liehe Kompetenz handelt, findet eine wesentlich verschiedene Umschreibung, je 
nach der neutralen oder feindlichen Eigenschaft des Klägers. 

Da wo es sich um die Wegnahme neutralen Gutes 1 ) handelt, ist 
stets die Weiterziehung möglich, und zwar gibt es keine Ausnahme, voraus- 
gesetzt, dass die Konvention für den betreffenden Fall mit Rücksicht auf die 
Kriegsparteien und die Nationalität der Kläger Anwendung finden kann. 

Handelt es sich aber um feindliches Gut-), so ist das internationale 
Prisengericht nur in bestimmten, limitativ aufgezählten Fällen kompetent. 
Diese Fälle sind folgende: 

a) Wegnahme von feindlichem Gut unter neutraler Flagge. 

b) Wegnahme eines feindlichen Schiffes i n" den T erritorialgewässern eines 
neutralen Staates, sofern der letztere aus dieser Verletzung der Neutralität 
nu llt aen gegenständ einer diplomatischen Reklamation gemacht hat. 

c) Wegnahme feindlichen Gutes unter angeblicher Verletzung von Rechts- 
sätzen, welche entweder kraft .Vertrags zwischen den Kriegführenden gelten 
oder durch den""Nehuiestaat landesrechtlich verkündet worden sind. Da aber 
in dem unter b) TTTrtttmten Falle imr^Tterircutreie Staat 3 ), dessen Gebiets- 
hoheit verletzt worden ist, klagen kann, somit nicht so sehr das feindliche 
Gut als die staatliche Neutralität im Vordergrund steht, kann der Fall b) 
ebensowohl unter die erste Kategorie von Zuständigkeit (Schutz der Neutralen) 
gebracht werden. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Kompetenz der nationalen 
Prisengerichte, wie solche durch die Konvention vorgeschrieben ist, nicht co ex- 
tensiv mit der Kompetenz des internationalen Priseng erichte s ist Letztcro 
ist, zwar nicht soweit neutrale Interessen in Betracht kommen, jedoch in Be- 
zug auf gegnerisches Gut enger. 

Die Zuständigkeit des internationalen Prisengericbts setzt stets eine Zu- 
ständigkeit und ein dementsprechendes Tätigwerden nationaler Prisengerichte 4 ) 
des von dem internationalen Gerichte belangten Nehraestaates voraus. Wo 
keine nationale Instanz angerufen werden kann, kann auch nicht eine Weiter- 
ziehung an das Prisengericht erfolgen. Es ist deshalb von Wichtigkeit, dass 
die Landesgesetzgebung der Vertragsstaaten überall da wenigstens den Rechts- 
weg vor nationalen Prisengerichten offen halte, in denen eine Anrufung des 
internationalen Gerichtshofes möglich ist. Die Pflicht zu entsprechender Ge- 
setzgebung ist durch die Konvention ft ) unzweifelhaft festgestellt, und es ist 
fraglich, ob nicht mangels eines nationalen Richters Devolution an das inter- 
nationale Gericht eintrete <; ). Man wird geneigt sein, dies zu bejahen. 

Gleichviel welcher Art das von dem nationalen Richter gefällte Urteil 
war, in welcher Instanz es erfolgte, oder selbst wenn binnen der zweijährigen 
Maximalfrist kein oder kein definitives Urteil gefällt worden ist, stets ent- 
scheidet das internationale Prisengericht als eine Instanz, vor welche die na- 

Ii C. P. Art. 3 Ziff. 1. 2) V. P. Art. 3 Ziff. _\ 

3i C. P. Art. 4 Ziff. 1 und 3. 

4f Kino Ausnahme von C P. Art. 3 bildet Art. fi al "2. 
•m C. P. Art. 1. (V) tiemii.ss Art. t> nl _\ 



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Die Fortbildung des Völkerrecht!? durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 539 

tionalcn Entscheidungen, bezw. eine richterlich, allenfalls noch nicht sank- 
tionierte Wegnahrae sowohl wegen Verletzung materiellen Recht» 
als wegen unrichtiger Feststellung oder Würdigung von Tatsachen ge- 
zogen werden können '). Das nationale Prozessrecht kann als solches an- 
gefochten und seine Verwirkungsrechte ignoriert werden, wenn die letzteren 
der Gerechtigkeit und Billigkeit zuwider sind *). Eine Revision nationaler Ur- 
teile durch das internationale Gericht wegen Fehlern des Verfahrens in 
Fällen, in denen eine Berufung ausgeschlossen ist, besteht nicht, denn die 
Kompetenzen des internationalen Prisengerichts und die Klagerechte sind in 
der Konvention limitativ aufgezählt. 

Das Urteil des internationalen Prisengerichts kann einen dreifachen 
Inhalt haben: 

a) Bestätigung des nationalen Urteils 3 ). In diesem Falle 
bleiben die Massnahmen der nationalen Organe des Nehmstaates in vollem 
Umfange aufrecht erhalten; es ist, als ob eine internationale Instanz nicht 
bestünde. Jedenfalls aber ist anzunehmen, dass das internationale Prisenge- 
richt dem Nehmstaat nicht mehr zusprechen kann, als er sich durch seine 
nationalen Richter hat zusprechen lassen. Der Prozess vor der internationalen 
Instanz ist, wie derjenige vor den nationalen Gerichten dieser Art, ein vom 
Geschädigten zu führender Reklaniationsprozess. Der Nehmestaat selbst er- 
scheint nie als Kläger, er hat lediglich die Entscheidung seines eigenen Ge- 
richts, von dem aus der Kläger an das internationale Gericht sich wenden 
konnte, zu vertreten. Unter allen Umständen ist die Verfügung über die 
zu Recht verurteilte Prise durch das nationale Recht des Nehmestaates be- 
stimmt. 

b) Nichtigerklärung der Wegnahme 1 ). Diese Nichtiger- 
klärung bezieht sich nicht notwendigerweise auf den ganzen Nehmeakt, die 
Wegnahme kann z. B. für das Schiff nichtig, für alle oder gewisse darauf ver- 
frachtete Waren giltig sein und umgekehrt. Auch ist anzunehmen, dass der 
internationale Richter nur über das Eigentum des Klägers entscheidet, bezw. 
über das von diesem vertretene Eigentum. Klagt z. B. ein neutraler Staat, 
so hat das Urteil Wirkung für all das Eigentum, auf welches er es erstreckt 
wissen will, d. h. regelmässig auf verschiedene unmittelbar Interessierte. Ist 
der Kläger dagegen ein Privater, so bezieht sich das Urteil nur auf sein 
Eigentum und andere Geschädigte, deren Rechtslage prima facie die gleiche 
ist, können, soferne die Fristen zur Berufung an das internationale Prisen- 
gericht nicht abgelaufen sind, nur durch eine eigene Klage ihr Recht geltend 
machen. 

Erfolgt eine Nichtigkeitserklärung, so ordnet das internationale Prisen - 
gericht die Rückgabe der Prise an und, sofern hierfür die Voraussetzungen 
gegeben sind, auch Schadensersatz. Verfügt der Nehmestaat wegen Zerstörung 
oder Verkauf der Prise nicht mehr über sie, so spricht das internationale 



1) C P. Art, 3 i. f. C. P. Art. 7 al :.. 

8) C. P. Art. 8 al I. 4t C. P. Art. rt al 2. 

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540 



Völkerrecht : Huber, 



Gericht dem Eigentümer der nicht restituierbaren Ware, bzw. Schilfes eine 
Entschädigung zu. 

c) Zuerkennung von Schadensersatz 1 ) in Fällen, in denen 
schon das nationale Gericht, welches sich mit der Sache befasste, die Nichtig- 
keit der Wegnahme aussprach. Hier sind trotz der Freigabe noch Schadens- 
ersatzansprüche denkbar und nur über solche kann unter diesen Umständen 
der internationale Richter erkennen. 

Unter welchen Voraussetzungen solche Schadensersatzforderungen geltend 
gemacht werden können, ist nicht klar. Zu vermuten ist, dass sie schon vor 
dem nationalen Richter zu stellen sind, es sei denn, dass sie sich aus dem 
Verfahren vor der zweiten, letzten Instanz des Nehmestaates herleiten. Solche 
Ansprüche können über nur auf völkerrechtswidriges Verhalten des Nehme- 
staates begründet werden; ist nur eine interne Form verletzt und dadurch 
ein Schaden verursacht worden, so ist anzunehmen, dass dem Geschädigten 
nur diejenigen Rechtsmittel offen stehen, welche das nationale Recht des 
Nehmestaates kennt. Die Tragweite dieses Schadensersatzrechts ist, da die 
Verhandlungen der Konferenz keinen Aufschluss geben, nicht leicht zu be- 
stimmen und es wird Sache der Praxis des internationalen Prisengerichts sein, 
hier feste Grundsätze herauszuarbeiten. 

V. Parteien und Parteivertreter vor internationalen Gerichten. 

Es liegt im Wesen internationaler Gerichtsbarkeit, dass Staaten die 
Parteien sind. Andere Rechtssubjekte, insbesondere auch Einzelpersonen, 
können nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen sich an ein internatio- 
nales Gericht wenden, nämlich nur dann, wenn die Staaten, denen die be- 
treffenden Personen angehören, eine Einrichtung geschaffen haben, welche 
ohne weiteres Dazwischentreten der Regierungen funktionieren kann. Das ist 
beim internationalen Prisengericht der Fall, weil hier die Gerichtsbarkeit nach 
jeder Richtung vollständig durch die Konvention bestimmt ist. In den andern 
Fällen, auch wenn — wie bei der Konvention betr. Beschränkung von Ge- 
waltanwendung — Ansprüche Privater gegen einen Staat in Frage stehen, 
kann die Prozesshandlung nur von den Staaten selbst eingeleitet und auch 
nur von ihnen durchgeführt werden. Internationale Gerichte in dem hier ge- 
meinten Sinne sind nur solche Gerichte, welche Streitigkeiten zwischen Staaten 
entscheiden, nicht solche, welche auf Grund von Verträgen, Kapitulationen usw. 
errichtet sind und Streitigkeiten Privater unter sieh oder gegenüber einem 
Fiskus zu beurteilen haben. Ein internationales Gericht verliert aber seinen 
Charakter nicht, wenn die Beurteilung des zwischenstaatlichen Streites auch 
von einem interessierten Privaten in Konkurrenz mit dem interessierten Staate, 
ja sogar unter Ausschluss dieses herbeigeführt werden kann. Massgebend für 
das Wesen eines Gerichts ist nicht die Person des Klägers, sondern der 
Charakter der zu beurteilenden Streitigkeiten. 

Die Konvention hetr. die friedliche Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten bestimmt nichts über die Parteien, sie 

~1) 0. i\ Art. s «I 3. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 54 J. 



setzt voraus, dass nur Staaten als solche auftreten 1 ). Es ist Sache der 
Schiedsverträge, bzw. der sog. Kompromisse festzustellen, unter welchen 
Voraussetzungen allenfalls interessierte Private an dem Verfahren teilnehmen 
können; durch die allgemeine Konvention ist aber nur die Intervention von 
dritten Staaten vorgesehen. Es hätte nahegelegen, in der Konvention 
betreffend Beschränkung von Gewaltanwendung bei der 
Geltendmachung Vertrags massiger Schuldforderungen 
etwas darüber zu sagen, in welcher Weise der von dem klägerischen Staate 
vertretene Private an dem Prozesse teilnehmen kann. Es wäre dessen Herbei- 
ziehung eigentlich eine notwendige Folge der Bestimmung gewesen, dass das 
Gericht nicht nur über die Frage der völkerrechtswidrigen Rechtsverweigerung, 
sondern auch über den Anspruch des Privaten selbst zu entscheiden habe*). 
Die Konvention 3 ) verweist indessen einfach auf die Konvention betr. die fried- 
liche Regelung internationaler Streitigkeiten als auf die das Verfahren subsi- 
diär beherrschende Norm, und da diese keine Privaten als Intervenierten oder 
Parteien kennt, sind letztere wohl gezwungen ihren Anspruch vollständig in 
die Hände des Staates zu legen, dessen Schutz sie beanspruchen. 

Was nun die Parteivertreter vor den internationalen Schiedsgerichten 
anbetrifft, so hat die Konvention betr. die friedliche Regelung internationaler 
Streitigkeiten die Bestimmungen des gleichen Vertrages vom 29. Juli 1899 
beibehalten 4 ), d. h. die Parteien können beim Schiedsgericht Spezi a lagenten 
ernenne n, die als Mittelglied zwischen ihnen und dem Gerichte dienen, ebenso 
Rechtskonsulenten und Anwälte. Neu ist nur die Vorschrift 5 ), dass als Partei- 
vertreter irgendwelcher Art ausgeschlossen sind die Mitglieder des Ständigen 
Schiedshofs, es sei denn zugunsten des Staates, der sie in dieses Richter- 
kollegium entsandt hat. Für die Mitglieder der Cour de justice arbitrale und 
des internationalen Prisengerichts ist selbst diese Parteivertretung ausge- 
schlossen 

Im summarischen Verfahren ist die Zahl der Parteivertreter auf einen 
festgesetzt : ). 

1)1 e" Konvention betr. die E r r i c h t u ng einer Cour de 
justice arbitrale sagt , dass nur die Vertragsstaaten von ihr Ge- 
brauch machen können *); es muss auch aus einzelneu Bestimmungen 9 ) ge- 
schlossen werden, dass nur Staaten Parteien sein können. Das würde aber 
nicht hindern, dass auf Grund eines besonderen Vertrages die Staaten ihren 
Angehörigen das Recht einräumen könnten, die Anrufung der Cour de justice 



1> K. P. Art. 37 al 1. 2) D. C. Art. 2. 3) ibid. 

4) K. P. (18»!»» Art. 37: K. F. Art. <»2. In der neuen Fassung ist der Ausdruck .<le- 
legucV neben „agents spcciaux" weggelassen. 
•Vi K. P. Art. «2 al 3. 

(>) C J. A. Art. 7 al 2 und 0. P. Art. 17, die Mitglieder des Prisengerichts sind nur 
von jeglicher Parteivertretung vor dem Prisengericht ausgeschlossen , also nicht vor allen 
internationalen Berichten, wie die Mitglieder der Cour de justice arbitrale. Letzteren ist 
dem Wortlaut der Konvention nach, doch wohl aus Versehen, die Parteivertretung vor 
dein Prisengericht nicht unterlagt. 

7» K. P. Art. 09. 8) C. J. A. Art. 21. 

9) C. J. A. Art. 19, 20 u. a. 



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542 



Völkerrecht: Huber, 



arbitrale unter bestimmten Voraussetzungen fordern zu können, sodass dann 
die Staaten nur noch pro forma als Parteien figurierten. 

Ueber die Parteivertretung sagt diese Konvention nichts, es gelten des- 
halb für sie die Bestimmungen der Konvention betr. die friedliche Regelung 
internationaler Streitigkeiten '). Eine Parteivertretung eigener Art , wie sie 
vor Schiedsgerichten nicht besteht, ist indessen für die Cour de justice arbi- 
trale vorgesehen 2 ). Die Parteien haben nämlich das Recht," einen Richter zu 
bezeichnen, der mit beratender Stimme an den Verhandlungen derDelegation 
teilnimmt/* Die ßelegationsmitglieder, die von den Parteien ernairnffSraTlISer 
"ltnTerPäTs Bürger bzw. Untertanen angehören, treten ipso jure in Ausstand^ 



Wichtig und ausführlich geregelt ist die Parteifähigkeit in der Konven- 
tion betr. die Errichtung eines internationalen Prisen- 
gerichtes. Der britische Entwurf wollte nur Staaten und zwar nur neu- 
trale als Parteien 'zulassen, das Gericht sollTe~eTfien™Töin zwischenstaatlichen 
Charakter haben und lediglich internationale, durch nationale Prisenurteile 
hervorgerufene Anstände" rcg^InTT)ie präHisehc Bedeutung des internatio- 
nalen Prisengerichts für den Handel würde, wenngleich nicht zu unterschätzen, 
so doch in diesem Falle ganz ausserordentlich geringer sein, als sie es jetzt, 
wegen des unmittelbaren Klagerechts der geschädigten Privaten ist. Abgesehen 
davon, dass sich dann der Schutz des Gerichts in keinem Falle auf die feind- 
lichen Privaten erstreckt hätte, wäre es für einen geschädigten Neutralen oft 
schwierig gewesen, seine Regierung zu veranlassen, sich an das internationale 
Gericht seinetwegen zu wenden. Diese hätte wohl häufig, um Umtriebe zu 
vermeiden oder den Nehmestaat nicht zu verstimmen, sich geweigert Klage 
zu führen oder sie hätte wenigstens nur dann sich an das Gericht wenden 
wollen, wenn sie die Ueberzeugung gewonnen hätte, dass ein Erfolg wahr- 
scheinlich sein würde. Dazu müsste sie die Sachlage genau kennen, wäre 
aber selber nicht imstande und wohl auch nicht geneigt, ihrerseits eine vor- 
läufige Beweiserhebung durchzuführen. Erst dadurch, dass der geschädigte 
Private selbst, ein Vetorecht seines Staates vorbehalten, klagen kann, wird 
(Tie Pri sengen' ch tsbark ei t soweit möglich von politischen Verhältnissen losgelöst 
und als reine Jnstizsache behandelt. Diese Ausgestaltung der Jurisdiktion 
beruht auf dem deutschen Antrage. 

Parteifähigkeit vor dem internationalen Prisengericht besitzen : 

I. In der steten und ausschliesslichen Rolle des Beklagten: der 
Nehmestaat ; 

II. In der Rolle des Klägers: 

a) der neutrale Staat 4 ), dessen Eigentum weggenommen worden 
ist, oder dessen Angehörige durch Wegnahme ihres Eigentums betroffen 
sind, oder in dessen Territorialgewässern ein feindliches Schiff weggenommen 
worden ist Ä ). Der neutrale Staat ist der normale Kläger, der stets, wo seine 
Interessen direkt oder indirekt betroffen sind, aus eigenein Rechte sich an 
das Gericht wenden kann. 

1) V. .1. A. Art. -2-2. 2) 0. .T. A. Art. 20. 3) C. J. A. Art. 6 al 2. 

4) C. P. Art. 4 Ziff. 1. -V) Vf?l. aueh V. V. Art, 3, 2° b. 





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Die Fortbildung de« Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 543 



b) der geschädigte neutrale K i g e n t ü m e r Sein Klagerecht er- 
streckt sieb auf alle Fälle, in denen durch den Spruch eines Prisengerichts 
des Xehmestaates seine Vermögenssphäre verletzt worden ist. Die Konven- 
tion sagt zwar „si la decision des tribunaux nationaux a porte atteinte ä ses 
proprieteV ; da aber das internationale Gericht nicht nur über die Prise selbst, 
sondern auch über mit der Wegnahme zusammenhängenden Schadensersatz- 
ansprüche, selbst im Falle der Freigabe der Prise durch die nationalen Ge- 
richte'), urteilen kann, so ist die erwähnte Bestimmung der Konvention nicht 
wörtlich zu interpretieren. 

Der geschädigte neutrale Eigentümer klagt aber nicht aus eigenem Recht. 
Der Staat, dem er angehört, kann ihm den Rechtsweg verlegen, d. h. entweder 
an seiner Stelle das internationale Gericht anrufen oder die Berufuug schlecht- 
hin untersagen 3 ). Es können wichtige politische Gründe eine solche Inter- 
vention wohl rechtfertigen. Das wird aber nur selten der Fall sein und diese 
Bestimmung bedeutet keine sehr wesentliche Einschränkung des Klagerechts 
des Privaten, dessen Situation gegen heute, wo nur eine diplomatische Rekla- 
mation möglich ist, sich auf alle Fälle ausserordentlich verbessert hat. 

c) der geschädigte feindliche Eigentümer 4 ) unter den oben 
aufgeführten Voraussetzungen: Wegnahme feindlicher Waren unter neutraler 
Flagge, Verletzung konventionellen oder nationalen Rechts des Nehmestaates, 
Der Begriff propritfte ist auch hier extensiv zu interpretieren. 

d) die neutralen und feindlichen Inhaber abgeleiteter 
Rechte 5 ) an den Schiffen und Waren, welche Gegenstand einer Berufung 
an das internationale Prisengericht bilden können, und zwar- ist es gleich- 
gültig, ob sich diese abgeleiteten Rechte auf neutrales, staatliches 6 ) oder pri- 
vates Eigentum oder auf feindliches Privatgut beziehen. Voraussetzung dieser 
Klagerechte ist, ausser dass der Anspruch des Eigentümers selbst in die Zu- 
ständigkeit des internationalen Prisengerichts falle, die, dass der Inhaber ab- 
geleiteter Rechte schon vor den nationalen Instanzen interveniert ist. Sein 
Recht kann durch den Eigentümer nicht preisgegeben werden. Wenn dieser 
vor der nationalen Instanz nicht erscheint oder sonstwie sein Berufuugsrecht 
verwirkt, so kann der Inhaber des abgeleiteten Rechts dennoch sein Recht 
sowohl vor dem nationalen wie dem internationalen Richter wahren. Dasselbe 
gilt, wenn der Staat, dem der Eigentümer angehört, diesem die Berufung an 
das internationale Gericht verwehrt. Wenn aber die nationale Gesetzgebung 
nur die Eigentümer, nicht auch die Inhaber abgeleiteter Rechte vor den 
Prisengerichten zulässt, so können diese sich nach dem Koniniissionalbericht 
keinesfalls an das internationale Gericht wenden. Das ist eine grosse Härte 
und macht es den Vertragsstaaten möglich, die Zuständigkeit des internatio- 
nalen Prisengerichts in eingreifendster Weise mittelbar zu verkürzen. Man 
sollte vielmehr meinen, die Konvention wolle diesen Inhabern abgeleiteter 
Rechte, deren Interessen als Pfandgläubiger oder namentlich Versicherer oft 

1) C. P. Art. 4 Ziff. 2. 2) C. P. Art. * a l 3. 

:») C. P. Art. 4 Ziff. 2. 4) C. P. Art, 4 Ziff. 3. 

5) C. P. Art. ">. i\) ibid. al 2. 



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544 



Völkerrecht : Huber, 



grösser als diejenigen der Eigentümer sind, unter gleichen Voraussetzungen 
wie" letzteren den »Schutz des internationalen Prisengerichts sichern, und es 
ergebe sich für die Vertragsstaaten daraus die PHicht , diesen Klägern aus 
abgeleitetem Recht vor den nationalen Prisengerichten Parteifähigkeit zuzu- 
erkennen. Der Text der Konvention gibt in dieser Frage keinen sichern 
Aufschluss. 

Wenn es dem neutralen Staate gestattet ist zu klagen, wenn das Eigen- 
tum seiner Angehörigen verletzt ist, so ist zu vermuten, dass er es auch tun 
kann, wenn zwar nicht das Eigentum selbst, sondern die aus diesem abge- 
leiteten Rechte seiner Angehörigen in Frage stehen. Ueberhaupt ist die 
Stellung der neutralen Eigentümer wie der neutralen Inhaber abgeleiteter 
Rechte auch in der Beziehung die gleiche, dass ihr Verhältnis zum neutralen 
Staate das gleiche ist, dieser kann unter den gleichen Verhältnissen von sich 
aus ihretwegen klagen oder an ihrer Stelle den Prozess führen oder ihnen die 
Anrufung der internationalen Instanz schlechthin verbieten. Der neutrale 
Staat, welcher wegen Eigentums oder abgeleiteter Rechte seiner Angehörigen 
den internationalen Richter anruft, kann eich an diesen unmittelbar wenden 
und ist nicht wie die Privaten gezwungen, schon in der nationalen Instanz 
zu intervenieren. Er kann also das Urteil des nationalen Gerichts abwarten. 

Ueberaus wichtig ist, dass jeder Inhaber abgeleiteter Rechte selbständig 
für seinen Teil seine Rechte vor dem internationalen Prisengericht wahrnehmen 
kann. Voraussetzung der Zuständigkeit dieser Instanz ist nur, dass beide 
Kriegführende , sowie die Staaten, denen der geschädigte Eigentümer, und, 
falls der Inhaber abgeleiteter Rechte als Kläger auftritt, auch dieser angehört, 
Kontrahenten der Konvention seien. Da nun häutig, namentlich im Falle 
der Versicherung, mehrere Inhaber abgeleiteter Rechte vorhanden sind, die 
häutig nicht sämtlich Vertragsstaaten angehören, oder unter denen sich solche 
betiuden, welchen ihre Regierungen die Anrufung des internationalen Prisen- 
gerichts verboten haben, ist es wichtig, dass die mangelnde Parteifähigkeit 
des einen Co-Interessenten diejenige des andern nicht ausschliesse l ). Das 
Urteil wirkt aber immer nur für die Parteien, d. h. nur für ihre Rechte und 
ihren Anteil am Ganzen. 

Der Fall, dass auch die Eigentümer weggenommenen Gutes z. T. partei- 
fähig sind, z. T. nicht, kann so gut wie bei den Inhabern abgeleiteter Kochte 
eintreten. Ob auch hier die parteifähigen Interessenten individuell Berufung 
an das internationale Gericht einlegen können, ist durch die Konvention nicht 
ausdrücklich geregelt, man wird aber geneigt sein die Frage bejahend zu be- 
antworten, da, was für die Inhaber abgeleiteter Rechte gilt, a fortiori für die 
Eigentümer gelten wird. 

Ausgeschlossen sind unter allen Umständen von der aktiven Partei- 
fähigkeit : 

a) die kriegführenden Staaten 2 ), es sei denn in der ihnen immer zu- 
fallenden Rolle des Beklagten. Sie können weder gegen die ihnen nicht be- 



1) ('. P. Art. ul 1 i. f. 

■Ji Krgil.t sie!) indirekt uns Art. I. :5 und t. 



)IC|lt 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 545 

hagenden Urteile ihrer eigenen Prisengerichte appellieren, noch wegen Ver- 
letzung ihres Eigentums oder der Rechte ihrer Angehörigen klagen. Es ist 
also ausgeschlossen, dass zwei Staaten, die sich als militärische Gegner gegen- 
überstehen, mit Rücksicht auf eben diesen Krieg als Prozessparteien vor dem 
internationalen Prisengericht erscheinen. 

b) die Angehörigen des Nehmestaates. Nach der Konvention sind die 
Vertragsstaaten in keiner Weise verpflichtet hinsichtlich der Behandlung der 
eigenen Angehörigen '). Es kann aber sehr wohl eine auf die letzteren bezüg- 
liche Jurisdiktion den nationalen Prisengerichten eingeräumt werden, doch ist 
in jedem solchen Falle eine Anrufung der internationalen Instanz ausge- 
schlossen, auch wenn neutrale oder feindliche Personen Rechte an dem Eigen- 
tum der Angehörigen des Nehmestaates hätten. 

Die Partei Vertretung vor dem Prise ngericht ist ver- 
schieden, je nachdem es sich um Staaten oder um Private handelt. Was die 
Vertretung der Staaten betrifft, so ist zu unterscheiden zwischen der Ver- 
tretung i m Gericht und der Vertretung vor dem Gericht. Eine Vertretung 
durch einen Richter kann nur ein Kriegführender 2 ) beanspruchen, dagegen 
hat sowohl der Nehmestaat, d. h. der Beklagte als auch der neutrale Staat, 
der selbst Kläger ist, das Recht einen höheren Marineoffizier zu bezeichnen, 
der als Assessor (Fachexperte) an den Verhandlungen des Gerichts mit be- 
ratender Stimme teilnimmt. Das gleiche Recht steht demjenigen Staate zu, 
dessen Angehöriger von sich aus Berufung an das internationale Prisengericht 
eingelegt hat. Wenn in einem Verfahren mehrere Staaten als klägerische 
Partei interessiert sind, so können sie nur gemeinschaftlich einen solchen 
Assessor bezeichnen. Dessen Wahl erfolgt nötigenfalls durch das Los 3 ). 

Ausser dieser Vertretung im Gericht sind die Staaten auch durch Spezial- 
Agenten, Rechtskonsulenten und Anwälte repräsentiert in gleicher Weise wie 
vor den Schiedsgerichten 4 ). 

Die Privatpartei 4 ) ist notwendigerweise — die Staaten haben keine 
Pflicht sich vertreten zu lassen — vor dem Gerichte durch einen Mandatar 
repräsentiert, welcher besonders qualifiziert sein inuss. Zugelassen werden 
können nur Personen, die entweder als Advokaten (avocats) vor einem Ap- 
pellationsgericht oder höchsten Gericht eines Vertragsstaates zugelassen sind 
oder als „avoueV vor einem solchen Gerichte praktizieren oder eine Stellung 
als Professor der Rechte an einer höheren Unterrichtsanstalt eines dieser 
Länder einnehmen. 

VI. Das Verfahren vor internationalen Gerichten. 

Die Konvention betr. die friedliche Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten von 1899 hat schon in ihrem 3. Kapitel 
eine ziemlich ausführliche Prozessordnung aufgestellt, der jedoch nur subsidiäre 
Geltung") zukommt. Die Bestimmungen dieser Konvention als bekannt voraus- 

1) ('. P. Art. I. 2) V. P. Art. 1K. S) V. P. Art. 1H. 

4) C. P. Art. iU. :»l ('. P. Art. 2«. 

«) R. P. Art. 51; R. P. (180!*) Art. 30. 

Jahrbuch de» Oe. 11. U. O. II. iw. 35 



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546 Völkerrecht: Huber, 

gesetzt, ist über das Resultat der Revision durch die II. Friedenskonferenz 
das Folgende zu sagen: 

Es ist zu unterscheiden zwischen dem ordentlichen Verfahren, das nur 
in verhältnismässig wenig Einzelbestimmungen abgeändert, bzw. ergänzt worden 
ist und dem summarischen Verfahren, das neu ist. 

Gemeinschaftlich für beide Verfahrensarten sind die Bestimmungen betr. 
den Sitz des Gerichts und die Gerichtssprachen. Mangels anderweitiger Ver- 
einbarung hat das Gericht seinen Sitz im Haag'), den es nur mit Zustim- 
mung der Parteien verlegen kann. Auf dem Gebiete eines dritten Staates 
kann das Gericht nur mit dessen Zustimmung tagen 2 ). Die Sprache Ä ) des 
Gerichts wird durch das Kompromiss, andernfalls durch das Gericht selbst 
bestimmt. 

Das ordentliche Verfahren zerfällt in zwei Hauptphasen 4 ) : in 
ein schriftliches Instruktionsverfahren und in eine mündliche Hauptverhand- 
lung, lieber die Zustellung der Parteischriften an die Gerichtsmitglieder und 
an die Gegenpartei sind etwas eingehendere Bestimmungen aufgestellt worden. 
Diese Zustellungen können entweder direkt oder durch das Internationale 
Bureau im Haag erfolgen. Die Fristen werden in der Regel durch das Koni- 
promiss bestimmt, sie können durch Verständigung der Parteien auch ver- 
längert werden, selbst einseitig vom Gericht, wenn dieses eine Erstreckung für 
notwendig erachtet. 

Das Gericht tritt zur flauptvcrhandlung erst zusammen, wenn die In- 
struktion geschlossen ist; Ausnahmen sind zulässig 5 ). Von den wenigen Ab- 
weichungen gegenüber den Vorschriften der Konvention von 1899 über das 
Hauptverfahren ist nur zu nennen, dass die Kompetenzen des Gerichts hin- 
sichtlich der Parteileitung vermehrt worden sind ; so kann es nicht nur die 
Fristen, sondern auch die Reihenfolge vorschreiben, in welcher die Parteien 
ihre definitiven Entschliessungen dem Gericht anzugeben haben G ). 

Die Beweiserhebung ist ähnlich wie für die Untersuchungskommissionen 
geregelt. So sind die Bestimmungen, welche sieb auf die Pflicht der beteilig- 
ten und dritten Staaten zur Gewährung von Rechtshilfe bezichen, fast wört- 
lich übernommen worden. Die Parteien : ) haben im weitesten, ihnen möglich 
erscheinenden Masse dem Gerichte alle zur Entscheidung nötigen Mittel zur 
Verfügung zu stellen. 

Dritte Staaten s ) sind nur nach Massgabe ihrer eigenen Gesetzgebung zur 
Vermittlung von Notifikationen seitens des Gerichts an auf ihrem Gebiet be- 
findliche Personen verpflichtet, doch kann solche Rechtshilfe nur versagt wer- 
den, wenn der requirierte Staat eine Bedrohung seiner Souveränität oder 
Sicherheit vorschützen kann. 

Der Verkehr 1 ') des Gerichts mit den Parteien erfolgt durch deren Spe- 
zialagenten ; mit dritten Staaten entweder direkt oder durch Vermittlung der 
Regierung des Staates, auf dessen Gebiet das Gericht tagt ; mit Privatpersonen 

Ii K. 1». Art. «o. ->i ibid. al ii. :\\ Ii. l\ Art. r.l. 

4t K. 1». Art. r.:i. .V It. I\ Art. r,:,. Ii) R. I». Art. 74. 

7| R. P. Art. "•">. S) |{. V. Art. 7«. Sh R. l\ Art. 7(>. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht« durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 547 

endlich durch die Regierung des Staates, dessen Territorialhohcit die Betreffen- 
den dann zumal unterworfen sind. 

Nicht unwichtig sind die Abänderungen der alten Konvention in Bezug 
auf die Schlussverhandlung und das Urteil. Die Beratungen des Gerichts sind 
nicht nur nicht öffentlich, sondern sie bleiben geheim 1 ), d. h. alle beteiligten 
Personen haben eine Schweigepflicht. Von einer Vormerkung der Weigerung 
eines Gerichtsmitgliedes, an der Abstimmung teilzunehmen, ist nicht mehr die 
Rede 2 ). Das Urteil ist .anonym und kollektiv, d. h. es nennt alle Richter ohne 
Unterschied und wird nur vom Vorsitzenden und vom Gerichtsschreiber unter- 
schrieben, d. h. es ist eine einheitliche Kundgebung des Gerichts 3 ). Nach der 
alten Konvention wurde das Urteil von allen Richtern unterschrieben, dafür 
aber konnte die Minorität ihre abweichende Meinung zu Protokoll geben 4 ). 
Dies ist abgeändert worden, um dem Urteil einen abschliessenden Charakter 
in jeder Beziehung zu geben und weitere Erörterungen abzuschneiden. 

Das summarische Verfahren unterscheidet sich in der Haupt- 
sache vom ordentlichen Verfahren nur dadurch, dass es in allen Stadien schrift- 
lich ist 5 ). Indessen kann doch jede Partei das Erscheinen von Zeugen und 
Sachverständigen verlangen. Auch das Gericht kann mündliche Aufschlüsse 
von den Parteivertretern sowie von den Sachverständigen und Zeugen, deren 
Erscheinen ihm nützlich erscheint, verlangen"). Die Fristansetzung zur Ein- 
reichung der Parteischriften ist im Zweifel Sache des Gerichts 7 ). Wie im 
gewöhnlichen Verfahren wird auch hier das Urteil mit Mehrheit gefasst 8 ). 
Soweit diese Sonderbestimmungen nicht in Betracht kommen, gilt für das 
summarische Verfahren, was für das ordentliche durch die Konvention vor- 
geschrieben ist"). 

Die Konvention betr. Beschränkung der Gewaltan- 
wendung zur Geltendmachung vertraglicher S c h u 1 d f o r- 
d e r u n g e n hat keine besonderen Vorschriften für das Verfahren aufgestellt, 
sondern sie verweist einfach auf die Konvention betr. die friedliche Regelung 
internationaler Streitigkeiten ,0 ). 

Die Konvention betr. die Cour de justice arbitrale 
enthält einen Abschnitt prozessualer Vorschriften. Soweit diese nicht sehr 
zahlreichen Rechtssätze keine besondere Ordnung enthalten, ist die Konvention 
betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten massgebend 11 ). 

Da das Gericht nicht in jedem Falle von den Parteien zusammengesetzt 
wird, entscheidet es über die Gerichtssprache und die sonst vor seinem Forum 
zulässigen Sprachen '*). Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht für jedes 
Verfahren eine besondere Anordnung treffen kann. Sämtliche Zustellungen 
an die Richter während des schriftlichen Instruktionsverfahrens erfolgen durch 
Vermittlung des internationalen Bureaus im Haag 13 ). 

Die Bestimmungen über die Beziehungen des Gerichts zu dritten Staaten 

1) Ii. P. Art. 78 al 1. 2) R. P. <1H99| Art. 51 al 3; R. F. Art, 78. 

3) K. P. Art. 79. 4) R. P. (181)9) Art. M n. 52. 5) R. P. Art. 90. 

<>) ibid. 7) R. P. Art. 88. 8) R. P. Art. 87 al 2. 

9) R. P. Art. 86. 10) D. C. Art. 2. 11) C. .1. A. Art, 22. 

12) t\ J. A. Art. 23. 13) C. .1. A. Art. 24. 

35* 



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548 



Völkerrecht : Huber, 



sind die gleichen wie in der Konvention betr. die friedliche Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten, mit dem Unterschiede, dass hier ausdrücklich gesagt 
ist, dass für die von solchen Staaten geleistete Rechtshilfe nur Ersatz der 
wirklichen Auslagen verlangt werden kann '). 

Das Urteil wird in gleicher Weise wie bei den Schiedsgerichten behan- 
delt, d. h. es ist eine Kollektivkundgebung des Gerichts*). 

Für das Verfahren vor der Delegation der Cour de justice arbitrale gelten 
analogieweise die gleichen Regeln wie für das Verfahren vor dem Plenum 3 ). 

Eine ausgebildetere Prozessordnung ist in der Konvention betr. 
Errichtung eines internationalen Prisengerichts ent- 
halten. Sie ist zwar enge angelehnt an diejenige für die Schiedsgerichte, aber 
doch ein aus sich selber zu konstruierender Komplex von Rechtssätzen. 

Da es sich bei der Prisengerichtsbarkeit regelmässig nicht um originäre, 
sondern um Berufungsjurisdiktion handelt, sind Bestimmungen betreffend die 
Ueberleitung des Prozesses von der nationalen an die internationale In- 
stanz nötig. Berufung ist einzulegen binnen 120 *) Tagen gerechnet von dem 
Zeitpunkt, in welchem das definitive nationale Urteil verkündet oder den Par- 
teien notifiziert worden ist. Wird das internationale Gericht angerufen, weil 
das nationale Gericht nicht binnen 2 Jahren ein definitives Urteil gefällt hat, 
so beträgt die Berufungsfrist 30 Tage, gerechnet vorn^ Ablauf der 2 Jahre a ). 
Die Berufung erfolgt durch eine schriftliche Erklärung sei es an das erken- 
nende Gericht sei es an das Internationale Bureau im Haag"). Der letztere 
Weg ist allein zulässig, wenn die nationalen Gerichte binnen zwei Jahren kein 
endgültiges Urteil gefällt haben *). Ist vor dem nationalen Prisengericht die 
Berufungserklärung erfolgt, so hat dieses binnen sieben Tagen ohne weiteres 
die Akten dem Internationalen Bureau zuzustellen 8 ); erhält letzteres dagegen 
die Erklärung, so hat es sofort von dem Gericht, gegen dessen Spruch die 
Berufung erfolgt, die Akten einzufordern 0 ). Wird das internationale Gericht 
von einem neutralen Privaten angerufen, so hat das Internationale Bureau, 
sobald es von der Berufung Kenntnis erhalten hat, die betreffende neutrale 
Macht hiervon sofort zu benachrichtigen, um dieser Gelegenheit zu geben, 
den Prozess vor der internationalen Instanz an sich zu ziehen oder zu ver- 
bieten 10 ). 

Die Frage, ob die Berufung innerhall) nützlicher Frist erfolgt ist, entschei- 
det stets das internationale Prisengericht. Es weist ohne Verhandlung jeden 
zurück, der nicht binnen der 120, bzw. 30 Tagen Berufung erklärt hat 11 ). 
Immerhin kann das Gericht nach Anhörung der Gegenpartei eine Wieder- 
einsetzung bewilligen, wenn der Kläger nachweist, dass er durch höhere Ge- 
walt an der rechtzeitigen Berufung verhindert war, und dass seit dem Weg- 
fall des Hindernisses nicht mehr als GO Tage verllossen sind ,s ). Lässt das 
Gericht die Berufung als rechtzeitig erfolgt zu, so benachrichtigt es von Amts 

1) V. J. A. Art. 

•2} C. .1. A. Art. •27-2*. 3) C. .1. A. Art. 3a 4) C. P. Art. 28. 

■">i C. P. Art. 30. <i> An letzteres auch auf telegroplmidiei» Wege. ('. P. Art. 30. 

7> C. P. Art. 30. s, C. 1\ Art. 29 al 1. " Ol ibid. al 2. 

IM.» ibid. al 3. 11) C. P. Art. 31 al 1. 12i ibid. a) 2. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht« durch die IL Friedenskonferenz im Haag. 549 



wegen sofort die Gegenpartei '). Das Verfahren wird aber, wenn ausser der 
klägerischen Partei noch andere Interessenten vorhanden sind, welche in der 
betreffenden Sache ebenfalls zur Berufung berechtigt wären, oder wenn die 
zur Intervention berechtigte neutrale Macht sich noch nicht entschieden hat, 
erst eröffnet, wenn die Fristen von 120, bzw. 30 Tagen abgelaufen sind, d. h. 
es wird der Zeitpunkt abgewartet, von welchem an keine neuen Intervenienten 
mehr auftreten können 2 ). 

Das Verfahren selbst zerfällt wie vor den Schiedsgerichten in ein 
schriftliches Instruktions- und in ein mündliches Hauptverfahren *). Das erstere 
besteht in der Eingabe und Auswechslung der Parteischriften, denen alle 
Beweisstücke, deren sich die Parteien bedienen wollen, beigeschlossen werden 
sollen. Jedes von der einen Partei produzierte Aktensück soll durch das 
Gericht in beglaubigter Kopie der andern Partei zugestellt werden. Ist das 
Instruktionsverfahren beendigt 4 ), so wird vom Gericht eine öffentliche Ver- 
handlung zur Eröffnung des Hauptverfahrens angesetzt, in welcher die Parteien 
die Tatsachen und den Rechtsstandpunkt darlegen. Die Verhandlungen sind 
öffentlich, sofern nicht eine Partei — jedoch nur ein Staat — Ausschluss 
der Oeffentlichkeit beanspruchen 5 ). Die Verhandlungen werden vom Präsi- 
denten bzw. Vizepräsidenten oder durch den rangältesten Richter geleitet, 
die Vertreter der Kriegführenden sind von der Leitung des Prozesses aus- 
geschlossen r '). 

Auch nach Beginn der Hauptverhandlung kann das Gericht, sei es von 
Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neue Beweiserhebungen vornehmen 
und zu diesem Zweck die Parteivorträge verschieben 7 ). Zur Beweiserhebung 
stehen dem internationalen Prisengerichte zwei Wege offen: entweder mittel- 
bar durch eine Regierung oder unmittelbar durch seine eigenen Mitglieder. 
Im ersteren Falle entsprechen die Bestimmungen ziemlich genau den analogen 
Normen, welche für die Untersuchungskommissionen, Schiedsgerichte und die 
Cour de justice arbitrale gelten 8 ). Zustellungen an die Parteien, Zeugen und 
Sachverständigen erfolgen durch Vermittlung der Regierung, auf deren Gebiet 
die Zustellung erfolgen soll. Dasselbe gilt für andere Beweiserhebungen. Die 
Grenzen dieser Rechtshilfepflicht und die Ersetzung der effektiven Kosten 
sind gleich wie für die Cour de justice arbitrale geregelt. Das Gericht kann 
aber auch selbst die Beweise erheben °), entweder vor dem Plenum oder vor 
einem oder mehreren Richtern; Zwangsmittel irgendwelcher Art sind dabei 
ausgeschlossen. Hat die direkte Beweiserhebung ausserhalb des Staats, inner- 
halb dessen das Gericht sitzt, zu erfolgen, so ist die vorgäugige Zustimmung 
des Staates erforderlich, auf dessen Gebiet die Erhebung vor sich geht. Das 
ganze gerichtliche Beweisverfahren erfolgt kontradiktorisch 10 ), wenigstens sind 
stets beide Parteien zu laden "). Alle in ihrer Abwesenheit getroffenen Zwi- 
schenentscheide und Verfügungen werden ihnen von Amts wegen mitgeteilt ,s ). 



1) C. P. Art. 32. 2) C. P. Art, 83. 3) C. P. Art, 34. 

4) C. P. Art. 35. 5) C. P. Art. 39. 6) C. P. Art. 38. 

7) C. P. Art. 85 >d 3. 8) C. P. Art. 27. 9> C. P. Art. 36. 

10) C. P. Art. 34. 11) C. P. Art, 37. 12) (.'. P. Art. 41. 



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550 



Völkerrecht: Huber, 



Von ganz besonderer Wichtigkeit sind aber folgende beiden Sätze : 

a) Das internationale Prisengcrieht kann auch verhandeln und entschei- 
den, wenn eine richtig geladene Partei nicht zur Hauptverhandlung erscheint 
oder die vom Gericht angesetzten Fristen unbenutzt lässt. Das Urteil wird 
dann gefällt auf Grund des gesamten dem Gericht zugänglichen Beweis- 
materials '). 

b) Das Gericht ist in jedem Falle völlig frei in der Würdigung der Ge- 
samtheit der Akten, Beweise und mündlichen Erklärungen 2 ). 

Obwohl in der Kommission auf die Bedeutung der Regelung der Be- 
weis 1 a s t hingewiesen wurde , enthält die Konvention keine näheren Vor- 
schriften s ) über diesen so wichtigen Punkt. Sie erklärt lediglich, in strikter 
Analogie zu den Sätzen über das materielle Recht, dass mangels konventio- 
neller Bestimmungen in bezug auf Vorbringen der Beweise und die Beweis- 
mittel überhaupt das Völkerrecht und speziell die allgemeinen prozessualen 
Grundsätze Anwendung finden sollen. Es ist also hier dem Prisengericht ein 
ausgedehntes Gebiet schöpferischer Rechtssprechung eröffnet; auch gehört 
das Beweisrecht zu den Materien, in denen dem Gericht die Initiative zur 
Weiterbildung der Konvention zu ergreifen, besonders wichtig erscheinen wird 4 ). 

Wenn schon der Prisenprozess eiu Reklamationsprozess ist, so ist es 
doch nach den in der Kommission gefallenen Voten nicht selbstverständlich, 
dass die Beweislast stets dem Geschädigten obliegt. Es kann nicht angenom- 
men werden, dass eine Präsumption zugunsten der Rechtmässigkeit des Nehme- 
aktes in allen Fällen bestehe, und es sollte in den projektierten, aber schliess- 
lich gescheiterten Konventionen über Konterbande und Blokade diese Frage 
der Beweislast gerade eine Regolung finden. 

Für das Urteil gelten die gleichen Bestimmungen wie im Falle von 
Schiedsgerichten. Die Beratung erfolgt geheim und bleibt geheim *). Das 
Urteil wird mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Richter gefällt, 
bei Stimmengleichheit zählt die Stimme des rangjüngsten nicht % Das Ur- 
teil : ) muss begründet werden, es nennt alle daran beteiligt gewesenen Richter 
und eventuell Assessoren. Es wird vom Vorsitzenden und Gerichtsschreiber 
unterzeichnet, Minderheits- Standpunkte werden nirgends vorgemerkt. Der 
Spruch wird öffentlich verkündet und den Parteien zugestellt , ebenso dem 
Gericht, gegen dessen Urteil die Berufung erfolgt war, letzterem gleichzeitig 
mit einer Ausfertigung der Gerichtsbeschlüsse und einer Kopie der Instruk- 
tionsprotokolle H ). 

Die Delegation hat, falls das Gericht nicht versammelt, folgende Funk- 
tionen der Prozessleitung: Benachrichtigung der beklagten Partei vom Ein- 
gang einer Berufung, Durchführung des Instruktionsverfahrens, Ansetzung der 
Hauptverhandluug, Festsetzung der vom privaten Berufungskläger zu leisten- 
den Kaution '•■). 



I i C. P. Arl. 10. 

4i C. I». Art. 50. 

~>) C. P. Art. 43. 

K) C. 1*. Art. 4:.. 



2) P. Art. 4-_\ 



6) ibid. 

9) C P. Art. 4«. 



7| C. P. Art. 44. 



31 C. P. Art. 7 al 3. 



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Die Fortbildung dos Völkerrechts durch die IT. Friedenskonferenz im Haag. 551 



Vll. Die Kosten i uternationaler Rechtspflege. 

In dieser Beziehung ist zu unterscheiden zwischen den Parteikosten und 
den allgemeinen Gerichtskosten. Die Parteikosten, wie Honorare der Partei- 
vertreter u. s. w. fallen stets zu Lasten der Parteien '). Die allgemeinen Un- 
kosten sind entweder Koston des besonderen Verfahrens oder Kosten ständiger 
Institutionen. 

Bei Schiedsgerichten sind nach der Konvention betr. die fried- 
liche Regelung internationaler Streitigkeiten die allge- 
meinen Unkosten, zu denen vor allem die Gehälter der Richter, die Auslagen 
des Kanzleipersonals und ähnliches gehören werden, hälftig zwischen den Par- 
teien zu teilen 2 ) und es wird zu diesem Zwecke eine Gerichtskasse gebildet, 
in welche sie eine im Kompromiss zu bezeichnende Summe vor Beginn des 
Verfahrens vorschiessen :t ). 

Eine Entlastung können sich die Parteien dadurch verschaffen, dass sie 
sich der Institution des ständigen, im Haag errichteten Internationalen Bu- 
reaus bedienen, das als Gerichtskanzlei fungiert und das seine Räume dem 
Schiedsgericht zur Verfügung stellt. Die durch das Bureau verursachten 
Kosten werden, wie schon nach der Konvention von 1899, von den Vertrags- 
staaten nach dem vom Weltpostverein aufgestellten Massstab getragen. Die 
adhärierenden Staaten unterliegen der gleichen Bestimmung vom Zeitpunkt 
des Inkrafttretens der Adhäsion *). 

Erheblich verschieden gestalten sich die Verhältnisse in den beiden auf 
dio Errichtung wirklich ständiger Gerichte zielenden Konventionen. Der 
Hauptunterschied ist der, dass die allgemeinen Gerichtsunkosten und vor allem 
die festen Besoldungen und weiteren Entschädigungen der Richter nicht mehr 
von den Parteien, sondern von der Gesamtheit der Vertragsstaaten getragen 
werden. Das Konventionsprojekt betr. die Cour de justice a r b i t r a 1 e 
bestimmt, dass die Gehälter, Taggelder und Reiseentschädigungen der Richter 
durch Vermittlung des Internationalen Bureaus ausbezahlt werden 5 ). Wie 
diese Auslagen, zu denen noch die weiteren allgemeinen Gerichtskosten hinzu- 
kommen, von den an dem Gericht beteiligten Staaten getragen werden sollen, 
kann solange nicht wohl geordnet werden, als nicht festgesetzt ist, in welchem 
Masse die einzelnen Staaten an der Institution partizipieren. Die speziellen 
Kosten jedes einzelnen Verfahrens (Zeugen, Sachverständige etc.) werden wie 
bei Schiedsgerichten hälftig von den Parteien getragen *). 

Eine eingehendere Regelung hat die Kostenfrage in der Konvention 
betr. die Errichtung eines internationalen P r i s e n g e - 
richts gefunden. Hier ist dreierlei zu unterscheiden: 1. die Parteikosten, 
sie fallen wie überall zu Lasten jeder Partei '). 2. Die besonderen Unkosten 
des einzelnen Verfahrens (Vorladung und Entschädigung von Zeugen, Sach- 
verständigen, Uebersetzern, soweit solche nicht zum ständigen Personal ge- 

1) R. P. Art. :U> (für Untersuchun^s-Koiumissionen) . Art. 8. r > (für Schiedsgerichte! ; 
C. J. A. Art. 29; C. F. Art. 46. 

2\ R. P. Art. 3G u. 8ö. 31 R. P. Art, W al 1. 4) R. P. Art, 50. 

5) C. J. A. Art. 31 u. 9. 6) C. J. A. Art. '29. 7» C. P. Art. 4«. 



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552 



Völkerrecht : Huber, 



hören). Diese werden der unterliegenden Partei auferlegt '). Ist der Kläger 
ein Privater, so hat er — wie auch für den gleich zu erwähnenden Beitrag 
an die allgemeinen Unkosten der Institution — Kaution •) zu leisten und es 
ist das Gericht zur Eröffnung des Verfahrens solange nicht verpflichtet, bis 
diese Kaution geleistet ist. Die Höhe der Kautionssumme wird vom Gericht 
in jedem Falle bestimmt, kann aber wohl auch durch das autonome Gerichts- 
reglement festgesetzt werden. 3. Die allgemeinen Kosten des internationalen 
Prisengerichts. Diese werden aus zwei Arten von Einnahmen gedeckt : a i jede 
unterliegende Partei hat 1% des Streitwertes in die allgemeine Gerichtskasse 
zu bezahlen s ) ; den Streitwert bestimmt das Gericht, b) Soweit diese Ein- 
nahmen nicht reichen, haben die Vertragsstaaten die nötigen Mittel aufzu- 
bringen 4 ). Der Aufsichtsrat verlangt von den Staaten diejenigen Summen, 
die er für das Funktionieren des Gerichts als nötig erachtet 5 ). Die Kosten 
werden auf die einzelnen Staaten in der Weise verlegt , dass jeder im Ver- 
hältnis zur Teilnahme am Gericht — als Richter, nicht als Partei — belastet 
wird. Ist das Gericht normal mit 15 Richtern besetzt, so haben die 8 stets 
vertretenen Staaten je V« beizutragen; ein Staat, der z. B. nur während 
eines Jahres der 6jährigen Periode einen Richier entsendet, nur ein Sechstel 
eines Fünfzehntels. Für die Jahre , während welcher ein Staat nur einen 
Ersatzrichter stellt, erwächst ihm keine Beitragspflicht 

VIII. Die Rechtskraft von Urteilen internationaler Gerichte. 

Formell rechtskräftig wird ein Schiedsspruch : ) oder ein Urteil 
der Cour de justice arbitrale *) oder ein Erkenntnis des internationalen Pri- 
sengerichtes °) , wenn es den Parteien eröffnet und zugestellt ist. Berufung 
oder Revision des Urteils ist überall da ausgeschlossen, wo solche Recbtsjuiittel 
nTcFt durch besondere Vereinbarung der Parteien vorbehalten sind. 

" Die R e v i s f o n s f r a g e , welche die I. Friedenskonferenz lebhaft be- 
schäftigte, wurde damals durch eine vermittelnde Lösung entschieden, wonach 
die Parteien das Recht haben sollen, im Kompromiss die Revidierbarkeit vor- 
zusehen. Vermutet wird diese nie. Für den Fall der Zulässigkeit der Re- 
vision hat die Konvention betr. die friedliche Regelung in- 
ternationaler Streitigkeiten einige subsidiär geltende Regeln auf- 
gestellt. Ohne lange Diskussion entschied sich die II. Friedenskonferenz für 
die Beibehaltung der 1899 angenommenen Bestimmungen ,0 ). VerUeten kann man 
den Parteien nicht, eine Revisionsinstanz vorzusehen, es sei denn, dass man 
eine entsprechende Verpflichtung in die Konvention aufnähme, der man sich 
nur durch Kündigung des ganzen Vertrages entziehen könnte. Als allgemeine 
Regel lässt sich die Revidierbarkeit der Schiedssprüche auch nic ht behandeln, 
da der Zweck der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur eine objektive Feststellung 
des Rechtes ist, sondern oft in erster Linie eine endgültige, jeder weiteren 



1) 0. P. Art. *> al 2. 2i ibid. al 3. 3) ibid. al 2. 

■\) 1\ Art. -17. *.» ibid. al 2. 0) ibid. al 1. 

7| K. 1'. Art. 81. 81 <'. J. A. Art. 22. 9) 0. 1'. Art, 9 u. 4b. 

10) K. T. <1899) Art. Tm; 11. P. Art. s;{. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 553 



Erörterung entzogene Entscheidung eines Streites. Dieser letztere Gesichts- 
punkt lässt jedenfalls die Berufung, d. h. eine Nachprüfung nach jeder 
Richtung 1 ) Uberall da ausgeschlossen erscheinen, wo eine solche nicht aus- 
drücklich vorgesehen ist. 

Die Urteile der Cour de justice arbitrale unterliegen den gleichen Re- 
geln wie diejenigen von Schiedsgerichten, die ad hoc gebildet sind. Das folgt 
daraus, dass die Konvention betr. Errichtung einer Cour de 
justice arbitrale über die Revision nichts sagt , somit die Vorschriften 
der Konvention betr. friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten Platz 
greifen. Auch ist die Cour de justice arbitrale lediglich als Surrogat von 
Schiedsgerichten gedacht. 

Die Konvention betr. Errichtung eines internatio- 
nalen Prisengerichts sagt nichts über die Revidierbarkeit der Ur- 
teile. Daraus ist zu folgern, dass eine solche ausgeschlossen wird. Sind beide 
Parteien Staaten, so ist es denkbar, dass der obsiegende auf seinen Anspruch 
auf Vollstreckung des Urteils verzichtet und den Fall auf Grund eines Kom- 
promisses einem Schiedsgericht unterbreitet. Obwohl die Konvention es nicht 
ausspricht, kann doch aus Analogie zu den Regeln über die Schiedsgerichte s ) 
vielleicht angenommen werden, dass das internationale Prisengericht befugt ist, 
seine Urteile zu erläutern und Streitigkeiten über deren Inhalt und Voll- 
streckung zu entscheiden. Gegen eine solche Kompetenz spricht allerdings die 
limitative Aufzählung der Kompetenzen des internationalen Prisengerichts, 
doch handelt es sich bei der letzteren um die originäre Zuständigkeit des Ge- 
richts, bei der Erläuterung aber bloss um eine abgeleitete. 

Gestaltet sich die formelle Rechtskraft der Urteile internationaler Ge- 
richte einfach, weil es sich Regelmässig um letztinstanzliche , bezw. erst- und 
letztinstanzliche Urteile handelt, so bildet die materielle Rechtskraft 
den Gegenstand der mannigfaltigsten und schwierigsten Kontroversen. Das 
Problem der materiellen Rechtskraft im internationalen Prozesse stellt sich 
in einer ganz andern Weise dar als z. P>. im Zivilprozess. In letzteren be- 
deutet das Urteil die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Gewalt in der unter- 
geordneten Sphäre des Privatrechts, alles hat sich ohne weiteres dem Spruche 
unterzuordnen. Das internationale Gericht leitet aber seine Zuständigkeit 
nicht aus einer den Parteien übergeordneten Rechtssphäre ab, sondern viel- 
mehr aus dem Willen der Parteien selbst 3 ). Eine Ausnahme hievon machen 
nur die Urteile des internationalen Prisengerichts gegenüber privaten Klägern. 

In dem zwischen Staaten gefällten Urteil verwirklicht sich lediglich der 
Wille jeder Partei. Dieser als der vertragsmäßig gebundene prävaliert gc- f , 
genüber dem vielleicht-Tttrwdchenrlen, den die Parteien zur Zeit, da das Ur- 
teil VM VöllZlelreirtst-hftbeTrr -aber der unterliegend* Staat, der den Schieds- 
spruch vollzieht, führt stets nur seinen eigenen Willen aus. Er hat sich durch 

1) K. P. Art. 83 al 2 zählt die Revisionsgründe auf. 

2) H. P. Art. 82. 

3) Ein von Privaten vertraulich errichtetes Forum leitet zwar seine Zuständigkeit 
aus dem Willen der Parteien ab : die Rechtskraft der Urteile dagegen beruht auch hier 
auf der staatlichen Zwangsordnung. 



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554 



Völkerrecht : Huber. 



Annahme der Gerichtsbarkeit, der er nur kraft freien Entschlusses untersteht, 
verpflichtet, bona flde_sich dem Urteil zu unterwerfen '), d. h. es zu vollziehen, 
soweit sein Sandeln erforderlich ist, es zu dulden , soweit es die obsiegende j T t 

Partei zu einem Tun ermächtigt, oder endlich ihm gemäss eine untersagte ' 

Handlung, die er beabsichtigt oder begonnen, zu unterlassen. Die Pflicht, die 
der unterliegenden Partei aus einem internationalen Schiedssprüche erwächst, 
ist derjenigen, die ihr unmittelbar aus einem Vertrage entsteht, an sich durch- 
aus gleichartig, alle völkerrechtlichen Verpflichtungen beruhen unmittelbar 
oder mittelbar auf dein Willen des Verpflichteten. Aber die Verpflichtung 
ist doch praktisch verschieden bei Vertrag und bei Urteil. Beim Vertragsab- 
scbluss lässt sich die Wirkung der zu übernehmenden Verpflichtung meist ge - 
nau übersehen und die Kontrahenten sind frei , abzuschliessen oder nicht. 
Das Urteil dagegen bindet die Parteien, sie sind ihm gegenüber nicht mehr 
frei. Sie müssen deshalb seine möglichen Wirkungen prüfen, ehe sie im L\ 
Schiedsvertrag die Pflicht der Unterwerfung unter das Urteil auf sich nehmen. 

Das Urteil trifft den Staat als solchen, als rechtliche Einheit. 
Wenn auch stets die Regierung den Prozess führen wird, so ist nicht sie die 
vom Urteil betroffene, in der Weise, dass lediglich sie verpflichtet wäre, aber 
nur im Rahmen ihrer staatsrechtlichen Kompetenz 2 ). Für . das Völkerrecht 
ist vielmehr der Staat stets eine Einheit, seine Organe und deren Kompetenz 
gehen das Völkerrecht nur insoweit etwas an, als es sich um die Vertretung 
des Staates nach aussen handelt. Das ist vom Standpunkt des modernen 
Staatsbegriffs aus selbstverständlich und müsste nicht erwähnt werden, wenn 
nicht in den Verhandlungen der Konferenz das Prinzip der rechtlich einheit- 
lichen StaatMpersönlichkeit wiederholt gegen die patrimoniale Staatsidee sich 
zu behaupten gehallt hätte, wonach der Staat in selbständige Rechtspersonen, 
als Träger bestimmter Hoheitsrechte, aufgelöst erscheint. Aus der Einheitlich- 
keit des Staates als Völkerrechtssubjekt folgt, dass die durch das Urteil be- 
gründete Verpflichtung nicht einem bestimmten Staatsorgan obliegt, sondern 
dem Staat als solchen. Wie sich staatsrechtlich «He Erfüllung der völker- 
rechtlichen Pflicht vollzieht, liegt jenseits des Völkerrechts. Dieses könnte die 
staatsrechtliche Wirk u n g völkerrechtlicher Akte einfach ignorieren, 
aber es muss dieser doch seine Aufmerksamkeit schenken, wenn es gilt, Staaten 
zur Schiedsgerichtsbarkeit zu verpflichten, zu der sie sonst nicht verpflichtet 
wären. Diese werden sich nur binden , wenn sie im klaren darüber sind, 
welche Wirkung die internationalen Urteile auf ihr nationales Recht haben. 

Weil sich in einem solchen Urteil nicht eine höhere Rechtsordnung of- 
fenbart, sondern sich lediglich der gebundene dem ungebundenen Staatswillen 



\ \ R. l\ Art. !17 al V. V. Art. 1». 

•J) Ks ist behauptet wurden, dass eine Regierung, welche die in einein Vertrag zu- 
gesagten «der durch ein Urteil notwendig gewordenen gesetzgeberischen Erlasse oder die 
zur Uezuhhing von Schulden erforderlichen Kredite heim Parlament nicht durchsetzen 
könne, sich auf vis major oder uuf den Satz: impossibilium nnlla est obligatio berufen 
könne. Kine solche Auflassung ist unhaltbar und sie ist auch von keinem Staat festge- 
halten worden. Ktwas anderes ist es. wenn ein Staat, um jedem Konflikt auszuweichen, 
für seine Regierung nur die I'tlieht der lieaniragung von tiesetzen iihernimmt ; so Kon- 
vention betr. Anpassung" "der «Senfer Konvention im den Seekrieg (1007) Art. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 555 

gegenüberstellt, ist es nicht von vornherein gegeben, dass die nationale Rechts- 
ordnung ipso jure der internationalen weiche. Für den Staat besteht nur die 
Pflicht, die erstere mit der letzteren in Einklang zu bringen , das ist seine 
eigene interne Angelegenheit. Diese Herbeiführung der Uebercinstimmung der 
beiden Rechtsordnungen gestaltet sich aber staatsrechtlich je nach dem In- 
halt des Urteils und den zu seiner Vollziehung berufenen Staatsorganen ver- 
schieden. 

Verpflichtet das Urteil den verurteilten Staat zu einem Handeln , so 
bietet die Vollziehung keine Schwierigkeit, wenn die Erfüllung der Pflicht in 
den Bereich der freien administrativen T ätigkeit fällt ; lautet es z. B. auf 
Zahlung einer Summe, über welche die Regierung ohne Bewilligung eines Par- 
lamentes verfügen kann, so wird /lieso bezahlen, sie betrachtet sich durch den 
Spruch gebunden wie durch ein internes Gesetz. Wenn aber die Ausführung 
des Urteils einen Widerspruch mit einem Gesetze herbeiführen würde oder/ein : 1 - 
rechtskräftiges, nationales Urteil umgestossen werden sollte, so steht die vor 
dem Auslande für die Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten in erster Linie y= 
verantwortliche Regierung vor dem Dilemma, sich entweder mit dem nationalen A - . r 
Recht oder dem internationalen Urteil / ni Widerspruch zu setzend Geht das 7 ' 
iTrteil auf Erlass oder Abänderung einer gesetzlichen Bestimmung, d. h. auf y''^ 
Erzeugung völkerrechts-konformen Landesrechts, so ist zwar der Gesetzgeber 
grundsätzlich frei zu legiferieren , aber es tritt die Anomalie ein, dass ein C}£/ ,{ j ■ 
Staatsorgan, dessen Wesen Unabhängigkeit ist, in einer ganz bestimmten Weise ( 
legüerieren muss. A y \ 

EristTgesagt worden, dass solche Konflikte aller Schiedsgerichtsbarkeit p 
innewohnen und dass bisher, trotzdem eine grosse Zahl von Schiedssprüchen J- * '* '•• • 
erfolgt sind, ernstliche innere Konflikte nirgends entstanden seien. Die . ? 
Schwierigkeiten, um die es sich beim Problem der materiellen Rechtskraft 
handelt, sind aber nicht nur Gebilde juristischer Konstruktion, sondern sie / /" ; t 
betreffen Fragen von grösster praktischer, politischer Bedeutung, deren Ab^ / ( 
klärung notwendig ist, wenn man mit der ernsten Absicht strikter Erfüllung ^ 
der Schiedssprüche einen Schiedsvertrag eingehen, aber kein Experiment von 
unübersehbaren Folgen machen will. Der Hinweis auf das Ausbleiben von ..,-// 
Kollisionen zwischen internationaler und nationaler Rechtsordnung in der ( , ; 

Vergangenheit ist nicht stichhaltig, da bis vor kurzem nur Schiedsverträge ad - 
hoc oder allgemeine Verträge unter der sog^ InteressenkJiiu^el abgeschlossen 
wurden. Unter solchen Umstünden konnte in jedem einzelnen Fall, weil die 
Parteien nicht oder nur bedingt gebunden waren, der Absc hluss des Kom- 
promisses verweigert werden, wenn die jedesmal v or ausse Ii b a re u Folge h eines 
Schiedsspruchs zu unlösbaren inneren Konflikten zu führen drohten. Wenn 
aber eine bedingungslose SchiedsverpÜiehtung für ganze Kategorien erst in 
der Zukunff vielleicht entstehender Streitigkeiten und gar unter allen Staaten 
der Erde stipuliert werden soll, dann ist es gewiss geboten, die rechtlichen 
Konsequenzen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zu Ende zu denken. Es 
war vor allem die deutsche Delegatio n, welche auf der zweiten Friedens- 
konferenz diese verwickelten juristischen Probleme aufwarf und damit zwar 



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556 Völkerrecht : Huber. 



• t^emei 




deu Weltschiedsvertrag zu Falle gebracht hat, dafür aber deinem vertieften 
Studium des Schiedsgerichtswesens gerufen hat. Die Verhandlungen zeigten, 
dass über alle diese Fragen völlige Unklarheit herrschte. Anerkannt war nur, 
dass der Staat durch den Schiedsspruch gebunden sei ; wie er sich aber mit 
diesem auseinanderzusetzen habe und wie das Urteil überhaupt auf den Staat 
wirke, in diesen Fragen gingen die Meinungen weit auseinander und die auf 
die Rechtskraft bezüglichen Artikel des Konventionsprojekts, soweit sie nicht 
aus Opportunismus schliesslich ganz fallen gelassen wurden, sind nicht Aus- 
druck allgemeiner Rechtsüberzeugung oder juristischer Logik, sondern reine 
Kompromissbestimmungen. 

Ehe auf die Wirkung der Schiedssprüche auf die einzelnen Teile der 
nationalen Rechtsordnung eingetreten werden kann, ist zu untersuchen, als 
was sich ein internationaler Schiedsspruch dem nationalen Rechte gegenüber 
darstellt. Es sind zweierlei Auffassungen möglich: entweder ist er und bleibt 
er eine rein völkerrechtliche Vorschrift, die sich nur an den Staat als inter- 
^nationale Persönlich keit wendet u nd nur als "Reflex in den einzelnen Staats- 



)rgan en die Ptiieht zur Herbe iführung^ eines mit dem Urteil übereinstimmenden 
^ V P ,/ Rechtszustandes entstehen lässt, oder aber das Urteil ist, weil auf den Schieds- 
('ä vertrag, also auf einen Staatsvertrag zurückgehend, selbst die Ausfüllung_einer 
f., ' '«'vertraglichen Blankettnorm und teilt mit dem Vertrage, dessen integrierender 
.Bestandteil es ist, die staatsrechtliche Wirkung. Es würde demnach das Ur- 
$ vJ&V teil gleich einem St aats vertrag durch Publikation im Staat, der dadurch be- 
troffen ist, Gesetzescharakter erlangen und demgemäss auf die innere Rechts- 
ordnung wirken. Tficse Auffassung, welche die meisten Schwierigkeiten beseitigen 
würde, ist wohl neben andern vertreten worden ; von einer allgemeinen An- 
erkennung dieser Konstruktion kann so wenig gesprochen werden, wie von 
derjenigen einer andern Theorie. Sie würde übrigens nur in den Staaten 
ausreichen, in denen eine Staatsvertragsnorm durch Publikation in Landes- 
gesetz umgewandelt wird. 

Noch eine andere Frage von grösstcr präjudizieller Bedeutung ist auf- 
getaucht. Ist es Aufgabe eines Schiedsspruchs einen Streitfall a ls isolier te 
Rechtsfrage zu behandeln oder schafft er zwischen den Parteien au ch ob jek- 
tives Recht für die Zukunft? Die bisher fast allein vorkommenden Schieds- 
gerichte entschieden meist Streitfragen , die sich auf einen konkreten Fall 
bezogen : Staatsgrenzen , Entschädigungsansprüche und Aehnliches. In den 
allgemeinen Schiedsverträgen, die eine unübersehbare Reihe von Streitigkeiten 
dem Schiedsgericht zuweisen, wird die Frage nach der Tragweite des Spruches 
von grösster Bedeutung, insbesondere weil diese Abkommen die richterliche 
Beurteilung von Streitigkeiten über Staatsverträge vorsehen. In djesem Falle 
ist es von höchster Wichtigkeit zu wissen, ob der Spruch nur /""oder auch /~ 
interpretative Wirkung für die Zukunft habe. r ~ 

Die erste Kommission, insbesondere der mit dem Studium der obligato- 
rischen Schiedsgerichtsbarkeit betraute Prüfungsausschuss hat sich eingehend 
mit. der Frage der Kollision von internationalen Schiedssprüchen minder 
nationalen Rechtsordnung, .befasst. Das Komitee bat schliesslich nur eine, 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 557 



den Gegenstand bloss in einem Punkte regelnde Bestimmung (Verhältnis zur 
nationalen Rechtsprechung) in das Projekt aufgenommen und auch diese ist 
im Plenum der Kommission unterdrückt worden. Das ganze Problem blieb 
üngelust, d. h., wenn jenes Konventionsprojekt Annahme gefunden hatte, wäre 
es jedem Staat überlassen geblieben, sich mit den ihn betreffenden Urteilen 
abzufinden. 

A. Das Problem der Kollision internationalen und na- 
tionalen Rechts hat sich in der Hauptsache unter folgenden Formen 
der Konferenz dargestellt: 

a) Kollision zwischen dem Urteil und den Vcrfassungsnormeu 
des betroffenen Staats. Dieser Konflikt, als von demjenigen mit nationalen 
Gesetzen verschieden, kann nur in den Staaten auftreten, die eine der Gesetz- 
gebung übergeordnete Verfassung haben, die auf anderem Wege als gewöhn- 
liche Gesetze zustande kommt. Diejenigen Organe, welche in solchen Staaten 
zum Abschluss von Schiedsverträgen und Spezialkompromissen zuständig sind, 
sind stets der Verfassung untergeordnet. Sie würden deshalb ihre Zuständig- 
keit überschreiten, wenn sie in einem Vertrage in Widerspruch zur Verfas- 
sung träten oder in einem Schiedsvertrag die Möglichkeit einer solchen Kol- 
lision zuliessen. Diese Frage wird namentlich da von praktischer Wichtigkeit, 
wo die Gerichte verfassungswidrige Verträge ignorieren können. Aus diesen 
Rücksichten ist von einer Reihe von amerikanischen Staaten verlangt worden, 
dass die Verfassungsbestimmungen vorbehalten bleiben '). Zwar kann sich ein 
Staat gegenüber seinen internationalen Verpflichtungen nicht auf seino Ver- 
' fassung berufen, auch diese ist ein Internum, aber eine Regierung oder ein 
1 Parlament werden sich davor hüten, durch einen Schiedsspruch in die Lage 

^ 7y Cv~C versetzt werden zu können, den oft äusserst komplizierten und in seinem Effekt 
meist unberechenbaren Mechanismus einer Verfassungsrevision in Bewegung 
setzen zu müssen. So lange aber ein Schiedsvertrag über diesen Gegenstand 
nichts sagt, ist ein Schiedsspruch deshalb nicht weniger rechtskräftig, weil er 
mit den bestehenden Verfassungsvorschriften des durch ihn betroffenen Staates 
in Widerspruch steht. Der Schiedsspruch begründet ja keine neuen Rechte 
für die Parteien, sondern stellt lediglich klar, was schon vor Abschluss des 
Kompromisses Rechtens war. 

Die Scbwierigkeiten, welche aus einer Kollision zwischen formellen Ver- 
fassungen und Staats Verträgen, bezw. den auf solchen beruhenden internatio- 
nalen Urteilen entstehen können, würden dahin fallen, wenn man davon aus- 
ginge, dass eine Verfassung nur die interne Rechtsordnung beherrsche und 
unanwendbar sei auf die internationalen Beziehungen. Ks ist dies für einzelne 
Staatsrechte, z. B. das schweizerische lJuudesstaatsrecht behauptet worden ; 
diese Auffassung entspricht aber jedenfalls nicht der Rechtsanschauung der 



1) Der brasilianische Antrag (vgl. oben S. 523) behielt sogar die internen Institutionen 
schlechthin, gleichviel ob auf Verfassung oder Gesetz beruhend, vor. — Italienisch-argen- 
tinischer Schiedsvertrag vom 1*. September 1907. Art, 1: u l'exeeption de Celles 

[t\. h. controverses) «iiii touchent aux dispositions constitutionnelles 011 vigueur dans Tun ou 
lautre Ktat*. 



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558 



Völkerrecht : Huber. 



amerikanischen Staaten und diese legen der Frage der Vereinbarkeit von 
Verfassung und Schiedsspruch deshalb grosse Bedeutung bei. 

b) Eine ähnliche Kollision wie diejenige mit der Verfassung ist 
die viel häufigere mit der ordentlichen Gesetzgebung, sei es dass 
nach dem Spruch ein neues Gesetz zu erlassen oder ein bestehendes ab- 
zuämkrn ist^ Derartige Verpachtungen werden häufig in Staatsver- 
trägen ') übernommen; wenn sie durch einen Schiedsspruch begründet 
werden, sind sie gleich zu behandeln, wie wenn sie auf Vertrag beruhen; 
allerdings besteht der politisch sehr erhebliche Unterschied, dass beim Ab- 
schluss eines materiellrechtlichen Vertrages die übernommene Verpflichtung 
genau bestimmt und dem sich verpflichtenden Staat erkennbar ist, bei einem 
Schiedsvertrag aber erst durch das Urteil in ihrer materiellen Wirkung er- 
kennbar wird. In fast allen Staaten werden derartige zur Gesetzgebung ver- 
pflichtende Verträge — und zu diesen gehören, wegen der eben genannten 
möglichen Wirkung der Urteile, auch die Schiedsverträge — nur mit Geneh- 
migung des Gesetzgebers abgeschlossen; doch ist dies eine rein staatsrechtliche 
Frage. Da der Gesetzgeber, gleichviel wie er organisiert sei: Parlament, Mo- 
narch und Parlament oder das Volk in der Demokratie, immer frei ist, so 
steht dem Frlass des vom Urteil geforderten Gesetzes nichts entgegen. Die 
Erfüllung einer solchen Urteilsverpflichtung ist an sich nicht schwieriger als 
diejenige, die von der Verwaltung selber vorgenommen werden kann. Es ist 
einfach eine Sache des guten Glaubens, dass die zuständigen Organe das tun, 
was von den internationalen Pflichten des Staates gefordert wird. 

c) Das Gleiche gilt, wenn nicht eine Rechtsnorm zu erlassen ist, sondern 
lediglich ein formelles Gesetz in Betracht kommt. Lautet das Urteil auf 
Zahlung einer Summe, die nicht schon im Budget vorgesehen ist, so haben 
die das Budget recht ausübenden Organe schlechthin die Pflicht, den 
erforderlichen Budgetbeschluss zu fassen. 

Kann die Gebundenheit eines Parlaments zu Budgetierung von Ausgaben, 
die auf Gesetz oder privatrechtlichem Titel beruhen, bestritten werden, so ist 
die Gebundenheit unzweifelhaft, wenn der Staat als internationale Person in 
seiner Totalität verpflichtet ist. 

d) Ist zur Vollziehung des Urteils lediglich ein Tätigwerden der Ver- 
w a 1 1 u n g erforderlich, so ist zu unterscheiden, ob die vorzunehmende Handlung 
in die freie oder die gesetzlich gebundene Wirkungssphäre der administrativen 
Behörden fällt. Im ersteren Falle steht dem sofortigen Vollzuge nichts ent- 
gegen. Tm letztem jedoch, d.h. nur dann, wenn eine bestehende Vorsch rift mit 

>£"s» ^ dem ¥rtrit unvereinbar ist, entsteht die Frage, ob Tunlichst ^ler^Gesetzgeber 
das Hindernis zu beseitigen habe oder ob rlas fcrtgjl durch seine Publikation 
auch im Inland Gesetzeskraft erhalte und damit für den Verwaltungsakt ohne 
weiteres die rechtliche Grundlage schalle. Hievon war schon oben die Rede. 

e) Die schwierigste Kollision ist diejenige zwischen nationaler und inter- 
nationaler Rechtssprechung. Dies deshalb, weil ein rechtskräftiges 
Urteil weder von dem erkennenden Gericht noch von der Verwaltung aufge- 

l) Ii. T. K. Art. 1: C. I*. Art. 1—2. , , (|/ ,* , / >• 

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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 559 



hoben werden kann, somit der aussergewöhnliehe, in vielen Staaten durch ^ 
eine formelle Verfassung fast ungangbar gemachte Weg der Sondergesetz- * 
gebung betreten werden muss. Solange kein nationales rechtskräftiges Urteil 
ergangen ist, würde die Fällung eines internationalen Urteils einen Gesetzes- 
konflikt, eiue Durc hbrechung der Prozessord nung, weil eine Abweichung vom 
ordentlichen kechtsweg bedeutend, darstellen.!H\'un kann aber aus den schon 
oben in Bezug auf die Intervention zugunsten Staatsangehöriger ausgeführten 
Gründen ein Schiedsgericht normaler Weise solange nicht angerufen werden, 
als nicht der ordentliche Kechtsweg vor den Instanzen des belangten Staates 
erschöpft ist 1 ), es sei denn, dass ein Staat überhaupt die Zuständigkeit der 
nationalen Gerichte eines andern Staates bestritte. 

Die Kollision der beiden Rechtssprechungen wird also regelmässig in 
der Weise erfolgen, dass ein Schiedsgericht angerufen wird, weil ein n ationales 
Urte il di e völkerrechtlichen Rechte des einen Staates angeblich verletzt. DltTÄn- 
rufung eines Schiedsgerichts unter solchen Umständen kann, auT"Grund eines 
allgemeinen Schiedsvertrages, regelmässig nur erfolgen, wenn das n ation ale 
Gericht in seinem Urteil eine Vertragsnorm nicht oder nicht richtig ange- 
wandt Lat."Äuf die' FiiHe-7" in denen ein Tii 3er "Sache eines Ausländers ge- 
fälltes nationales Urteil von dem Heimatsstaat des Betreffenden angefochten 
wird, lediglich, weil es willkürlich sei, ist nach den bisherigen Schiedsverträgen 
die bedingungslose Schiedsgerichtsbarkeit nicht anwendbar 4 ). Der Staat, 
dessen Rechtssprechung Gegenstand der Reklamation ist, wird in den meisten 
Fällen einem solchen Schiedsbegehren gegenüber sich auf die sog. Interessen- 
klausel berufen und sagen, dass die Weiter /iehung seiner "end gültigen Ur teile 
"vor em internationalelfHForum im Widerspruch zu seiner Unabh ängig keit 
siehen wurde. Kin Kompromiss wird in solelien Fällen wohl nur äussersten 
r*rrrrs — alS'ÄTtSweg aus einem akuten Konflikt angenommen werden und es 
werden in solchen Fällen ^aücF) meist die Voraussetzungen der Konvention 
' betr. Beschränkung der Gewaltanwendung zutreffen. 

Wichtiger und häufiger sind die Fälle, in denen ein nationales Urteil 
von einem fremden Staate diplomatisch angefochten wird, weil es einen von 
'. i hm mit dem _Staate de s erkennende n Gerichtes abges^ln^ssem'n^ Vei trag^ver"- 
■-> /f^leHe! Da die modernen Schiedsverträge gerade die Streitigkeiten über Aus- 
legung und Anwendung von Staatsverträgen in die Zuständigkeit der Schieds- 
gerichte verweisen und viele Abkommen ihre Anwendung in der Rechts- 
sprechung der Vertragsschliessenden Staaten finden, sind Konflikte leicht 



1) So z. B. im italienisch - argentinischen Schiedsvertrag vom 18. September 1007 
Art. 1 al 2: .Dans les difFerends pour lesquels, d'apres la loi territoriale, l'autorite ^judici- 
aire serait competente, les Parties contractantes ont le droit de ne soumettre le litige an 
jugement arbitral qu'apres que la juridiction nationale aura statue definitiv emenf. 

2) So die in verschiedenen Vertragen (u. a. auch P. A. O. Art. 16 d II) bei der Auf- 
zählung der Fülle obligatorischer Schiedsgerichtsbarkeit wiederkehrende Formel: recla- 
mations pecuniaires du chef de doiumagcs. lorsque le principe de i'indeuiiiite' est reconnu 
par les Parties. ■ 

Der dänisch - niederländische Schiedsvertrag vom 12. Februar 1904 schliesst alle 
Streitigkeiten, worauf immer sie beruhen, von der Schiedsgerichtsbarkeit aus. wenn sie 
zwischen dem einen Staat und einem Angehörigen des andern Staats entstanden sind und 
nach dem Landesgesetz in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen (Art. X). 

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560 



Völkerrecht : Huber, 



möglich, in denen die nationale Rechtssprechung Gegenstand eines internatio- 
nalen Schiedsverfahrens werden könnte. 

Diese Frage stellt sich in zweifacher Gestalt : einmal ist zu untersuchen, 
wie sich der Schiedsspruch zu einem bereits ergangenen rechtskräftigen Ur- 
teil^ verhalte und sodann wie erlauf die künftige Rechtssprechung wirke. Die 
letztere Frage ist später bei der Erörterung der VirklMg~rtef~llTternutionalen 
Urteile auf die internationalen Rechtsverhältnisse zu untersuchen, die erstere 
dagegen ist eine Frage des internen Rechts. Die Kommission, d. h. der 
Prüfungsausschuss hat zwischen zwei Lösungen geschwankt. Zunächst hatte 
sie ein sehr radikales Mittel angewandt, indem sie die Schiedsgerichtsbarkeit 
liberall da ausschliessen wollte, wo di e Anwendung der Staats verträge in die "fr/^fc 
Kompetenz der nat io nalen Gerichte fällt (z. Ii. internationales Privatrecht, , t 
Urheberrecht etc.). Dadurch wäre ein weites und wichtig* Gebiet der —W*" 
Schiedsgerichtsbarkeit entzogen gewesen, und es in das Ermessen der Kon- nti^^ 
trahenten der Verträge gestellt worden, durch Erweiterung der Zuständigkeit / i/*) 
ihrer Gerichte diejenige der internationalen Instanz zu verengern '). TJiese 
L7>su iig f des Prot! ems~ w ürde TTu rch eine andere ersetzt, die dahin ging, den 
Schiedssprüchen jede rück wi rk eiul e K raft l \ auf rechtskräftige Urteile abzu- 
sprechen, ihnen aber interpretatiye Kraft für die Zukunft ziizuerkejinen n ). 
Auch diese Formulierung wurde dann im Plenum fallen gelassen. 

Da eine konventionelle Regelung dieser Seite der Rechtskraft gescheitert 
ist, das Problem sich aber in der Praxis doch jederzeit stellen kann, muss seine 
Lösung aus den allgemeinen Sätzen des Völkerrechts versucht werden. 

Die internationale Anfechtung nationaler Urteile ruft in den meisten 
Staaten mit formellen Verfassungen einen staatsrechtlichen KonÜikt hervor. 
Die Kompetenz der Gerichte und ihre Unabhängigkeit ist verfassungsmässig 
festgelegt und auch dem Gesetzgeber ist regelmässig der Erlass von Gesetzen 
mit rückwirkender Kraft/untersagt Kommt unter solchen Umständen dem 
internationalen ITrteil auch Gesetzeskraft) £u, so genügt diese nicht, um ein 
rechtskräftiges nationales Urteil umzustossen. Aber auch da, wo der Gesetz- * ^ £^ 
geber oberste Instanz ist, wäre, wenigstens wenn der Schiedsspruch selbst nicht 
als Gesetz angesehen würde, zur Vollstreckung des Urteils e rst der kom plizierte /— 
Weg der Landesgesetzgebung zu hcschrciten._J& i- der K o ll ifeMmJnternationalcr { ^~ 
und nationaler Urteile stehen sich z^y*'r''Avj(jji«p"r^^ Ideen v ^_, 

gegenüber: das Interesse an einer" unabhängigen uiuA-*'ndgüfti£en Nationalen 

C f -/> ~ ; 

Ii \ gl. den in der vorhergehenden AiunerKirnijf ^zluerteii • ■ ■ r - niederländischen ^ 
\ ertrag. Ks war sogar vorgi'sehlugen worden, die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit über ^ 
Streitigkeiten wegen Verträgen auf diejenigen Fällt' zu beschränken, die .sc referent k des ^ ^» ^ 
engagements qui doivent etre directement executes par les Gouvernements ou par leurs 
organes administratifs*. Auch eine Verpflichtung zur Gesetzgebung durch einen Schieds- 
spruch sollte dadurch ausgeschlossen werden. ^ * u£- 

•Jl Ks war auch beantragt wurden, die Wirkung der Schiedssprüche auf den konkreten, 
das Verfahren veranlassenden Fall zu beschränken. 1 * - < 'i- 

8) F. A. 0. Art IG f gilt jetzt nur für Konventionen . für welche nach P. A. 0. 
Art. l*'»c und d das Obligatorium besteht. In dein Vorentwurf des Prüfungsausschüsse» 
iprojet unglo-amerieain) lautete ein auf alle Urteile bezüglicher Art. 16 f: .11 est entendu '"V^* 
tpie les sentences arbitrales, en taut qu'elles sc rapportent aux questions rentrant dans la 
eompetenee de la justice nationale, n auront qu'une valeur interpretative sans aueun effet^/y" 
retroactif sur les decisions judicaires anterieures*. 

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T\* I* il 'I I 1 1*1(11 I L J I 1 ' IT * ], 1 Ä f . .. * TT v ~ 



Die Fortbildung des Volkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 561 * 

Justiz und das Interesse, durch einen Schiedsspruch jede Vertragsverletzung ^ ^ 
Z 7 /^^ e ^'"^ v Dese itigen zu können. Dem letztern Standpunkt kann man nur gerecht 
l t^fl Jierden, wenn man dem Schiedsspruch eine unmittelbare Wirkung auf das^/^% 7 
^ nationale Urteil zuschreibt , d. h. wenn die internationale Instanz wirkliche 
Berufung»- oder Kassa tionsinstanz ist Ks ist auch von einer Delegation 
'/■^nuf die Errichtung eines internationalen Kassation sgcrichts 



3 



, als auf den zur Lösung des Problems gegebenen Ausweg hingewiesen worden, 
)** ff ein Gedanke der eine Erweiterung des vom internationalen Prisengericht ver- 




rn wie die nationalen urteile am dem u il 
betreffen. /Der verurteilte Staat als intern; 
i. diejenigen Massnahmen zu treffen, die i 



itionale Persönlich- 
notwendig sind, um 



,^7^ wirklichten Prinzips bedeuten würde. Solange aber eine derartige Kassations- 
loder Berufungsinstanz nicht geschaffen wird, kann den internationalen Urteilen 
J) \ in terne staatliche Rechtskraft nicht be igemesse n _wgrdj;n./"* Natürlich ist es <Jl y& 
c / möglich, dass in einem Schiedsvertrag die unmittelbare Rechtskraft stipuliert Jf , 
^ L c ' I oder dass sie durch Landesrecht vorgesehen wird, vermutet wird sie aber nicht. ^ ^ 
Den Urteilen internationaler Gerichte kann keine unmittelbare interne Rechts- 
kraft zukommen, weil diese Urteile nicht aus eine r höheren Re chtsordnung 
stammen, sondern wie die nationalen Urteile auf dem Willen des Staates be 
LC ° ? , O ruhen L den sie beti 

z^ceit ist gehalten, diejenigen 
— V^^dTe Rechtslage nach nationalem Recht dem Spruche der internationalen In- 
stanz anzupassen; ob dies nun durch Gesetz oder durch einen Verwaltungs- 
i-.tr/ akt möglich ist, entscheidet sich nach internem Recht 
, j? Kann somit aus allgemeinen Grundsätzen nicht auf eine unmittelbare 

A <' ° interne Rechtskraft der Schiedssprüche geschlossen werden, so ist anderseits 
. ' nicht ein zusehen, \ ^hjUjj^lej L zicjg_kcin e rückwirkende Kraft haben sollte n. 
/ ^ Rückwirkend sind sie natürlich nicht in dem Sinne, dass alle nationalen Ur- 
teile, von denen ein Staat behauptet, sie seien einem mit ihm abgeschlossenen 
Staatsvertrage widersprechend, zu beliebiger Zeit zum Gegenstand eines Schicds- 
begehrens gemacht werden können. Wenn ein Staat, sobald er von einem 
Urteil eines Gerichts des Gegenkontrahenten Kenntnis haben kann, sich nicht 
an den andern' Staat hält, scheint er das Erkenntnis stillschweigend anzuer- 
kennen, zwar nicht im Prinzip, aber doch für den konkreten Fall. Anderseits, 
wenn ein bestimmtes Urteil, nachdem es rechtskräftig geworden, eine diploma- 
tische Reklamation und schliesslich ein Schiedsbegehren veranlasst, so sollte 
nicht nur das Recht für die Zukunft klar gestellt, sondern auch das durch 
dieses Urteil vielleicht begangene Unrecht durch einen Schiedsspruch beseitigt 
werden können. Warum soll die SchiedsverpHichtung vor den rechtskräftigen 
nationalen Urteilen unbedingt Halt machen? Die Irreformabilität der Urteile 
ist ein aus dem Prinzip der Gewaltentrennung abgeleiteter staatsrechtlich er 
^ Grundsatz ohne irgendwelche Geltung für das Völkerrecht. Ein nationales 
Urteil sciiattt keine" res "jüiTicata im völkerrechtlichen Sinne >). Wohl kann die 

1) Ks kann deshalb auch nicht angenommen werden, dass ein völkerrechtswidriges 
Urteil eines nationalen Gerichts zwar irrei'ormabcl sei, aber den fehlbaren Staat dein Ver- 
letzten gegenüber schadensersatzpflichtig mache. In erster Linie ist das rechtswidrige Ur- 
teil zu beseitigen: Schadensersatz tritt erst dann ein. wenn das durch das Urteil zuge- 
fügte Unrecht an sich irreparabel ist. Die Gewährung von Schadensersatz wird in der 
Regel da genügen , wo der von dem Gericht widerrechtlich verletzte Anspruch in einer 
Geldf'orderung bestand. 



< 



Jahrbuch dei Oo. K. <1. G. II. 1909. 



36 



üigiti^eci Q&Qgte 



562 



Völkerrecht : Huber, 



Beseitigung eines durch Schiedsspruch als völkerrechtswidrig erklärten nationalen 
Urteils dem verurteilten Staate Schwierigkeiten bereiten, aber Unrecht bleibt 
Unrecht, durch welches Organ es auch begangen sei. Die blosse Bindung 
für die Zukunft ist unter Umständen nicht genügend, ein konkreter Fall ver- 
langt so gut eine rechtliche Entscheidung wie eine Prinzipienfrage. 

B. Die Rechtskraft internationaler Urteile bewirkt nicht nur Kollisionen 
mit dem Landesrecht, sondern auch mit dem internationalen Ree h t. 
Hier gilt vor allem der Grundsatz, dass das Urteil nur zwischen den Parteien 
Recht schatft '). Dritte Staaten und, wo auch Private intervenieren, die am 
Prozess nicht beteiligten Privatpersonen werden von dem Urteil nicht betroffen. 

a) Vorerst die Wirkung auf die Rechts Verhältnisse zwischen 
den Parteien: hat das Urteil lediglich Wirkung für die Rechtsverletzung, 
welche den Spruch veranlasst hat, oder gilt es für die Zukunft? Wer jede 
Wirkung auf rechtskräftige Urteile bestreitet, muss eine Bindung Tur die Zu- 
kunft annehmen, soll das Urteil überhaupt einen Zweck haben. Wird aber 
der entgegengesetzte^STaiHTp imkl veiTreteiV, so"T7f nTi^Uäs TTrteil neben der 
unmittelbaren Wirkung auf ein ergangenes Urteil auch für die Zukunft als 
bindende Interpretation gelten. Eine solche interpretative Wirkung war eine 
Zeit lang im Entwurf des Prüfungsausschusses vorgesehen 2 ). Die Wirkung 
für die Zukunft, welche ein Schiedsspruch haben kann, ist aber nicht immer 
die gleiche, sie ist bedingt durch die Natur des zu Grunde liegenden Rechts- 
verhältnisses. Beruht dieses auf einem rechtsgeschäftlichen Vertrage oder auf 
Besitzstand, so schafft das Urteil ein für alle Mal Recht, z. B. ist durch 
Schiedsurteil eine Grenze festgelegt worden, so ist es selbstverständlich, dass 
dieses Urteil eine immerwährende Geltung hat. Ist der Streitgegenstand aber 
eine auf Vereinbarung beruhende oder durch Gewohnheitsrecht gebildete Norm, 
so ist zweierlei möglich : entweder handelt es sich um eine Anerkennungsklage, 
dann hat die schiedsrichterlich anerkannte NöTm~dauerh"def GetTung — 'oder 
es* liegt eine Klage vor7^7tcHeT g< : gen~"e7ne Terlelzüng der^Norm, dann kann 
das Urteil entweder nur die konkrete Verletzung der Norm oder die Norm an 
sicb__oder beides betreffen. Zu dieser Kategorie von Streitigkeiten gehören 
zum grössten Teil diejenigen, welche sich auf die nationale Rechtssprechung 
beziehen. Der Gegenstand einer Klage wegen unrichtiger Anwendung völker- 
rechtlicher Normen durch die Gerichte des belangten Staates ist nicht der 
durch das Urteil verletzte Anspruch des Privat e^ sondern die Norm, ""welche 
falsch angewendet wurde. Nur diese geht die Staaten unmittelbar an. An- 
erkennt nun das Schiedsgericht, dass ein nationales Urteil im Widerspruch zu 
einem Staatsvertrage stehe, so ist, wie schon oben ausgeführt, nicht, nur das 
den Anlass des Prozesses bildende nationale Urteil in irgend einer Weise dem 
Schiedsspruch entsprechend umzuwandeln, sondern die Auslegung des Vertrags, 
wie sie durch das Schiedsgericht _erfolgt, ""bleibt ebenfalls bestehen, indem sie 
einen bestimmten Anspruch des obsiegenden' Staates darstellt. Die gleiche 
Frage kann kein neues Schiedsgericht mehr beschäftigen, sie ist für die Par- 



2) Der oben (6. 560, Anm. 3) zitierte Art. 16 f den Antrags des Prüfungsausschusses. 



1) H. V. Art. 84 al 1. 




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Die Fortbildung des Völkcrrechtsjdiirch die II. Friedenskonferenz im Haag. 563 



y. 



teien des ersten Verfahrens res judicata. Eine Analoge zum nationalen Pro- 
zess ist ganz unzulässig. Dort bindet mangels besonderer Vorschrift ein Ur- 
teil den Richter für einen späteren analogen Fall nicht, weil die Parteien nur 
wegen ihrer subjektiven Ansprüche, nicht aber wegen der objektiven Norm 
klagen können. Im völkerrechtlichen Prozess dagegen kann die objektive Ver- 
tragsnorm selb er~~Tregen st a n <T de r ""Klage sein und der Grundsatz der res 
judicata greift auch für sie in gleicher Weise wie für ein subjektives Recht 
Platz. Die interpretative Kraft der Schiedssprüche') folgt notwendigerweise 
aus der^atür des internationalen "Rechts. -- 

Wenn gesagt wird, dass der Schiedsspruch eine interpretative Wirkung 
besitze, so ist damit n icht gesagt, dass er für die nationalen Gerichte den 
Charakter einer authentischen Interpretation an sich trage. Das trifft nur zu, ^ 
wenn der S'ehleö'sspruch durch landesrechflTche Publikation selber nationales ' 
Recht wird. Mangels einer solchen unmittelbaren Wirkung auf die Gerichte 
der Parteion, bezieht sich die interpretative Wirkung nur a uf die i nternationalen 
Verhältnisse, auf das Verhältnis der Parteien zu einander umT auf künftige 
Schiedsgerichte. Indirekt wirkt aber der Spruch notwendigerweise auch auf 
die nationale Rechtssprechung der Vertragsstaaten; für diese hat es keinen 
Zweck Urteile zu fällen, die nachher als völkerrechtswidrig erklärt werden. 
Das Urteil hat, gegebenenfalls, für den Kläger die Wirkung einer siegreichen 
Anerkennungsklage, für den Beklagten schafft es, von der eventuellen Pflicht 
zur Unterwerfung unter den Spruch abgesehen, eine exceptio rei judicatae. 

b) Eine Wirkung der Schiedssprüche auf die Beziehungen der 
Parteien zu dritten Staaten ist im Zweifel nicht anzunehmen. 
Diese rein negative Lösung des Problems der Rechtskraft internationaler Ur- 
teile hinsichtlich der Rechte dritter Staaten ist indessen nicht in allen Fällen 
genügend. Das Urteil kann mittelbar doch von Bedeutung für einen andern 
St:iat sein und die Parteien können, wenn sie den Spruch vollziehen, dritten 
Staaten unter Umständen haftbar werden. Noch häutiger als eine mittelbare 
Berührung der Rechte dritter Staaten wird eine Beeinflussung der Interessen 
der letztem sein, wodurch auf die am Verfahren beteiligten Staaten wenn 
auch keine rechtliche, so doch eine politische Verantwortung fällt. 

Eine radikale Lösung dieser Schwierigkeiten bietet der typische britisch- 
französische Vertrag vom 14. Oktober 1903, indem er vou der Schiedsver- 
pflichtung ausschliesst, was die Interessen dritter, am Streite nicht beteiligter 
Staaten betrifft -). Diese Formel hat vielfach Nachahmung gefunden und ist 
auch in das Konventionsprojekt s ) betr. obligatorische Schiedsgerichte, mit dem 
die erste Kommission .der II. Friedenskonferenz sich beschäftigte, aufgenom- 
men worden '). Wo aber — wie in einer Reihe von Schiedsverträgen — nichts 

1) Betreffend die abweichenden Verhältnisse der Rechtsprechung des internationalen 
Prisenge rieht« siehe unten 8. 568 ff. 

•I) Art, 1. 3) P. A. O. Art. 16 a. 

4) Das Obligatorium würde immerhin wohl dann entstehen, wenn sämtliche in ihren 
Interessen berührten Staaten sich am Prozess beteiligten oder, wenn die in Betracht kom- 
menden Interessenten erklärten, dass sie aus dem Verfahren die Parteien nicht verantwort- 
lich macheu werden. Während bekanntlich die Parteien selber entscheiden, ob ihre Un- 

36* 



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564 



Völkerrecht: Huber, 



über die Rechte oder Interessen dritter Staaten gesagt wird , da kann aus 
solchen Beziehungen kein Recht auf Ablehnung der Schiedsverptlichtung ab- 
geleitet werden. Die Parteien sind wie für die interne Durchführung der 
Schiedssprüche, so auch für deren Aufrechterhaltung gegenüber andern Staa- 
ten einander haftbar. 

In einem ganz andern Lichte aber zeigt sich diese Frage, wenn die Be- 
ziehungen der Parteien einerseits unter sich und anderseits zwischen ihnen 
und dritten Staaten nicht auf einer verschiedenen rechtlichen Basis beruhen, 
sondern formell einheitlich sind. Das ist der Fall, wenn ein Streit entsteht 
über einen Vertrag, an dem ausser den Parteien noch andere Staaten betei- 
ligt sind. Das trifft bei einer grossen Zahl von Konventionen, den sog. Kol- 
lektivverträgen zu. Solche Verträge erwachsen aus dem Bedürfnis 
einer einheitlichen rechtlichen Ordnung zwischen mehreren Staaten; es besteht 
deshalb auch ein Interesse an der Erhaltung dieser rechtlichen Einheit. Ver- 
träge mit mehreren Kontrahenten sind fast immer Verträge zur Hervorbringung 
objektiven Rechts, also Verträge, die zu Urteilen mit sog. interpretativer Wir- 
kung Anlass geb en wer den. Wenn in einem solchen Falle an dem Satz fest- 
gehalten wird, dass das Urteil nur zwischen den Parteien Recht schaffe, dann 
stellt es auch nur für diese eine authentische Interpretation auf. Die, wenn 
auch nicht notwendige, so doch jederzeit mögliche Folge hievon ist, dass durch 
verschieden lautende, zwischen verschiedenen Parteien, aber über den gleichen 
Gegenstand gefällte Urteile der ursprünglich einheitliche Vertrag in eine Reihe 
ungleicher Verhältnisse aufgelöst wird. Eine solche Durchbrechung der Ein- 
heit auf dem Wege der Schiedsreehtssprechung ist, weil die Urteile die Par- 
teien binden, etwas anderes als die freie, wenn auch divergierende Handhabung 
des Vertrages seitens der einzelnen Kontrahenten; denn im letztem Fall ist 
die Rückkehr zur Einheit jederzeit möglich. 

Schon die erste Friedenskonferenz bat sich mit dieser Frage befasst und 
den nicht von vornherein am Prozess beteiligten Mitkontrahenten das Recht 
der Intervention *) gegeben. Ein solches Interventionsrecht ist im inter- 
nationalen Prozess — für das Prisengericht kommen andere Grundsätze zur 
Anwendung — sonst nicht anerkannt. Diese Bestimmung ist im wesentlichen 
unverändert in die revidierte Konvention betr. die friedliche Regelung inter- 
nationaler Streitigkeiten Ubergegangen -). Eine kleine, doch nicht ganz b<- 
! j •. deutungslose redaktionelle Abänderung des neuen Textes besteht darin , dass 
' es jetzt heisst, das Urteil sei nur für die am Streit verfahren (litige) beteiligten 

Parteien verbindlich, wählend früher nur von den Parteien, welche das Kom- 
promiss abgeschlossen haben, die Rede war. Es ist dadurch die Möglichkeit 
einer nachträglichen Intervention anerkannt; die Intervention ist aber, ausser 
wenn es sich um einen gemeinschaftlichen Vertrag handelt, nicht ein Recht 
der Intcrvenienten. Sind dritte Staaten nur mittelbar durch die einem Schieds- 
gericht vorgelegte Frage berührt, so müssen sie selber ein neues Verfahren 

ubhäugigkeit. Ehre oder Lebensinteressen auf dem Sinele stellen. i*t von einem unbedingten 
Hecht /.in- Ablehnung eines Schiedsgericht* wegen dritter Interessen nicht gewährleistet. 





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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonterenz im Haag. 



565 



verlangen, wenn die Hauptparteien nicht die Intervention annehmen. 

Handelt es sich aber um einen Vertrag, an dem ausser den Hauptpar- 
teien noch andere Staaten als Kontrahenten beteiligt sind, so haben letztere 
ein Interventionsrecht. Um dieses zu sichern, müssen die Hauptparteien den 
Mitkontrahenten von ihrem Streite binnen nützlicher Frist Kenntnis geben ; 
im Text von 1899 hiess es, dass sie ihnen das abgeschlossene Kompromiss zu 
notifizieren haben. Wenu dann solche Mitkontrahenten intervenieren, so gilt 
das Urteil für sie gleich wie für die Hauptparteien. Eine einheitliche Aus- 
legung eines Kollektivvertrags ist dadurch aber nicht gewährleistet, da kein 
Staat zur Intervention gezwungen und kein Nicht-Intervenient gebunden ist. 

Die II. Friedenskonferenz suchte diese im Jahre 1899 aufgestellten 
Normen , die im wesentlichen unverändert in der neuen Konvention sich 
wieder finden, weiter auszubauen, um eine einheitliche Interpretation der Kol- 
lektivverträge, wenigstens im Bereich der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit, 
zu sichern. 

Ehe diese Bestrebungen erörtert werden, ist eine Präjudizialfrage zu ent- f 
scheiden: Können allfällig bestehende Vorschriften von Kollektivverträgen be- 
züglich der Entscheidung aus solchen hervorgehender Streitigkeiten durch 
Schiedsver träge abgeändert werden? Diese Frage ist zu bejahen, weun der 
Schiedsvertrag selber Kollektivvertrag ist und alle Kontrahenten des materiell- 
rechtlichen Kollektivvertrags umschliesst. Wollen aber nur einzelne von diesen 
einen Schiedsvertrag abschliessen, dessen Normen abweichen von den in dem 
materiell-rechtlichen Kollektivvertrag aufgestellten Vorschriften über die Bei- 
legung von Streitigkeiten, so . ist zu unterscheiden, ob letztere Vorschriften aus- 
schliesslich Freiheiten der Parteien betreffen oder ob sie diesen eine für alle 
Kontrahenten gleiche Pflicht auferlegen. Im ersteren Falle kann der Schieds- 
vertrag den Kollektivvertrag für die betreffenden Kontrahenten ergänzen , im 
letzteren Falle aber nicht abändern. So kann zwischen einzelnen Kontra- 
henten eines Kollektivvertrags sehr woliT die bedingungslose Schiedsgerichts- j 
Hb7uk*elt begründet werden, auch wenn jener Vertrag nur die fakultative keffftt. 
Wenn aber meser emeTf bestimmten Weg für die Beilegung der aus ihm fb'" 
sultierenden Streitigkeiten vorsieht , so scheint ein Abkommen , wonach sich 
einzelne Staaten zu einer andern, vielleicht sie stärker bindenden Art der 
Austragung ihrer Anstände verpflichten, kaum zulässig^ ). ' 

Die von dem Prüfungsausschuss vorgeschlagenen und wenigstens zum 
Teil von der Kommission angenommenen Bestimmungen über die Rechtskraft 
von auf Kollektivverträge bezüglichen Urteilen wollten keine radikale Lösung 
des Problems bieten. Eine solche wurde zwar auf der Konferenz nicht vor- 
geschlagen, aber doch ausserhalb der Sitzungen besprochen. Sie bestünde im 
wesentlichen darin, dass — wie es jetzt schon für einzelne Kollektivverträge 
der Fall ist — für diese im allgemeinen eine internationale Instanz geschaffen 
würde, welche die aus solchen Verträgen entstehenden Streitigkeiten in völlig 
einheitlicher Weise für alle Kontrahenten entscheiden könnte. Dafür aber ist 



1) Die besonderen Schiedsklauseln bestehender oder künftiger Verträge sind dem- 
entsprechend vorbehalten. P. A. 0. Art. Itig al 4 und 16 i. 



5GG 



Völkerrecht: Huber, 



ein Schiedsgericht, das von einzelnen Parteien eingesetzt wird, ja auch eine 
Cour de justice arbitrale, an der vielleicht alle Kontrahenten des Kollektiv- 
vertrages beteiligt wiiren, nicht geeignet. Es bedarf eines Gerichtes, bei dessen 
Zusammensetzung nicht nur alle Vertragsstaaten beteiligt sind, sondern das 
Gericht muss für jeden der Kollektivverträge eine besondere Komposition 
besitzen, damit auch die technischen Bestimmungen dieser Abkommen eine 
genügende Berücksichtigung finden. Schiedsgerichte-, aus Juristen und Diplo- 
maten gebildet, sind durchaus nicht immer in der Lage, Streitigkeiten admi- 
nistrativer und technischer Natur zu entscheiden. Die Errichtung einer sol- 
chen internationalen Instanz aber bedingte in erster Linie die Revision zahl- 
reicher Verträge und böte in ibrer Durchführung im allgemeinen die gleichen 
Schwierigkeiten, wie sie sich bei der Cour de justice arbitrale zeigten. Es ist 
aber nicht zu verkennen, dass die wachsende Bedeutung, welche den Kollektiv- 
verträgen für das moderne Leben zukommt, die Schaffung einer einheitlichen 
Rechtssprechung in den — stets ga nz unpolitischen — Streitigkeiten, die aus 
solchen Konventionen sich ergeben können, ein erstrebenswertes und im Be- 
reich des politisch Möglichen liegendes Ziel ist, 

♦ 

Die II. Friedenskonferenz hat eine Neuerung der gedachten Art nicht 
versucht. Sie hat daran festgehalten, dass ein Urteil an sich nur zwischen 
den Parteien gilt, dass aber im Interesse der einheitlichen Auslegung von Kol- 
lektivverträgen die Ausdehnung der subjektiven Rechtskraft angestrebt werden 
soll. Die von der Kommission angenommenen Bestimmungen sind reine Kom- 
proniissnormen, die nicht Ausdruck an sich geltenden Rechts sind. 

In dem der Kommission vorgelegten Projekt e i n e r K o n v e n t i o n 
betr. o b ligatorisc heSc h iedsgerichts barkeit wurde zunächst 
das wiederholt, was in der Konvention betr. die friedliche Regelung interna- 
tionaler Streitigkeiten gesagt ist : die PHicht zur Notifikation des Streites an 
die Mitkontrahenten eines Kollektivvertrages 1 ). Aus dem Grundsatz, dass 
einerseits den Urteilen interpretative Kraft zukomme, anderseits, dass sie nur 
die Parteien binden, wird ausdrücklich die Folgerung gezogen, dass. wenn alle 
Kontrahenten eines Kollektivvertrages an einem Verfahren als Hauptparteien 
oder Intervenienten beteiligt 2 ) sind, das Urteil zum integrierenden Bestandteil 
der Konvention wird 3 ). 

Sind aber nicht alle Kontrahenten am Prozess beteiligt, so ist den bisher 
Unbeteiligten das Urteil zu notifizieren. Acceptieren sie es alle, so ist die 
Wirkung die gleiche, wie w enn alle am Verfahren beteiligt gewesen wiiren : 

11 I*. A. O. Art, UM ul 2. Iii ibid. al 1. 

;>| I*. A. O. Art. Di f. Diese Folgerung hat aber zur Voraussetzung, dass dem Urteil 
interpretative Kraft zukomme. Der hierauf bezügliche Artikel der Vorlage des Ausschusses 
(früherer Art. DJ f. vgl. Aiun. ;J S. .*>t>0) war zwar von der Kommission gestrichen worden: 
gleichwohl wurde der jetzige Art. lt> f (früher lob) unverändert gelassen, somit also wenigstens 
für bestimmte Fälle die interpretative Kraft der Urteile anerkannt. Ks ist dies einer der 
nicht wenigen in dem Projekt einer Konvention betr. obligatorische Schiedsgerichte ent- 
haltenen Widersprüche, die daher rühren, dass verschiedene, von ungleichartigen Grund- 
lagen ausgehende Projekte miteinander verschmolzen und. um der Vorlage die Kiustimmig- 
kelt zu sichern, heterogene Vennittlungsantriige gleichzeitig angenommen wurden. 



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Dil' Fortbildung de* Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 5fi7 



das Urteil wird Bestandteil der Konvention. Andernfalls, wenn auch nur ein 
einziger Kontrahent die vom Gericht gegebeue Auslegung des Vertrages nicht 
annimmt, erhält das Urteil nur für die Parteien und die es ausdrücklich akzep- 
tierenden Staaten Rechtskraft 1 ). 

Die Notifikation des Urteils an die unbeteiligten Kontrahenten erfolgt 
nicht durch die Parteien unmittelbar, sondern durch das internationale Bureau 
im Haag 2 ) oder, wenn es sich um eine Union mit einem eigenen Bureau 3 ) 
handelt, durch das letztere. Das Bureau formuliert den Vertragsartikel, der 
Gegenstand des Prozesses gewesen, gemäss dem Urteil neu und diese Redaktion 
wird den Vertragsstaaten vorgelegt. Der Verkehr der Parteien mit den Bureaux 
und dieser mit den unbeteiligten Kontrahenten erfolgt durch Vermittlung der 
Regierung, auf deren Gebiet sich das Bureau befindet. 

Durch diese Bestimmungen sind lediglich die Vorschriften der Konvention 
betr. die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten amplifiziert, aber 
nicht inhaltlich erweitert worden. Alle auf Zugestehung wirklicher Rechtskraft 
gerichteten Anträge wurden, wenn auch vorübergehend angenommen, schliesslich 
fallen gelassen : so die Bestimmung, dass wenn drei Viertel der Kontrahenten 
der vom Schiedsgericht angenommenen Auslegung zustimmen, diese für alle 
verbindlich sein solle, oder dass diejenigen, die nicht binnen Jahresfrist auf die 
Notifikation des Urteils antworten, als zustimmend betrachtet werden sollen 
und durch Verschweigung gebunden wären *). 

Eine Lösung, die unter allen Umständen zu einer einheitlichen Auslegung 
hätte führen können, war vorgeschlagen worden, wurde aber, weil zu einer 
endlosen Ausdehnung des Verfahrens rührend, nicht näher in Erwägung ge- 
zogen. Es sollten die an dem Verfahren nicht beteiligten Staaten ein zweites 
Schiedsgericht anrufen können, sei es weil sie das für andere Parteien gefällte 
Urteil grundsätzlich nicht anerkennen wollen, sei es wegen eines neuen unter 
ihnen selbst entstehenden Streits. Lautet das zweite Urteil gleich wie das 
erste, so wird es ipso jure integrierender Bestandteil der Konvention und bindet 
alle Kontrahenten. Andernfalls sind die Prozessparteien allein gebunden, bis 
von irgend einem der Kontrahenten ein drittes Schiedsgericht über die Prin- 
zipienfrage angerufen wird. Das Urteil dieses dritten Gerichts ist unter allen 
Umständen für alle bindend. Dieser Vorschlag wollte, was sonst nirgends be- 
absichtigt war, eine bezw. zwei wirkliche Berufungsinstanzen innerhalb der 
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit errichten. 

Die Konvention betr. Beschränkung der Gewaltanwen- 
dung zur Geltendmachung von vertraglichen S c h u 1 d f o r - 
d e r unge n enthält keine Bestimmungen über die Rechtskraft der gestützt 
auf diese Konvention gefällten Urteile. In formeller Beziehung gilt ohne wei- 
teres das, was über die Schiedssprüche gesagt worden ist. Die materielle 
Rechtskraft dagegen erscheint mittejbar durch die eigentümliche Zuständigkeit 



Ii I\ A. O. Art. Kif al 2) P. A. O. Art. lüg al 8. 3} ibid. al 2. 

4i Art. IG i al S des Antrags des Ausschusses lautet: .Les Etats dont la reponse ne 
eerait jms parvcmie au burcau dans le delai d un an a partir de la dato de la eoimnuni- 
tatiou t'aite par le bureau liicme, seront cense* avoir doiinö. lt-ur assentinunt'. 



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5G8 



Völkerrecht: Huber, 



des Gerichts bestimmt. Da das letztere über den Anspruch des von seinem 
Staate vertretenen Privaten in allen Punkten — soweit die Voraussetzungen 
hier vorhanden sind — entscheidet 1 ), ist anzunehmen, dass der Spruch un- 
mittelbar rechtskräftig sei, d. h. dass, auch wenn er mit einem definitiven Ur- 
teil oder einer Rechtsvorschrift des verurteilten Staates in Widerspruch steht, 
er innerhalb der von dem Schiedsgericht festgesetzten Frist zu vollziehen sei. 

Als zweifellos kann die unmittelbare Wirkung der Urteile des inter- 
nationalen Prisengerichts, wenigstens nach gewissen Richtungen 
hin, gelten. Die Frage der materiellen Rechtskraft stellt sich bei der Prisen- 
gerichtskonvention in verschiedener Form. Die Urteile des internationalen 
Prisengerichts schaffen sowohl Recht zwischen Staaten wie auch Recht zwischen 
Nehmestaat und Privaten. Im ersteren Fall handelt es sich stets um einen 
Streit zwischen einem Kriegführenden und einein Neutralen; ob der Neutrale 2 ) 

— was selten der Fall sein dürfte — wegen seines verletzten Eigentums oder 

— was die Regel sein wird — wegen einer seines Erachtens unrichtigen Aus- 
legung völkerrechtlicher Sätze bzw. wegen einer Neutralitätsverletzung das 
internationale Prisengericht anrufen wird, stets handelt es sich — wenn auch 
nicht ausschliesslich — um die Feststellung oder Anerkennung einer völker- 
rechtlichen allgemeinen oder partikulären, vertraglichen oder usuellen Norm. 
Soweit es sich um Interpretation von Staatsverträgen oder um Feststellung 
gewohnheitsrechtlicher Sätze handelt, könnte es zunächst scheinen, dass für die 
Erkenntnisse des Prisengerichts hinsichtlich der interpretativen Kraft der Ur- 
teile das Gleiche gelte wie für die Schiedssprüche 5 ). Aber es drängen sich 
in diesem Punkte neue Gesichtspunkte auf. Handelt es sich um einen parti- 
kulären Vertrag zwischen den Parteien, so ist es wohl klar, dass das Urteil 
auf sie beschränkt bleibt und nur für jenen Vertrag eine authentische Inter- 
pretation schafft. Kommt aber ein Kollektivvertrag, wie die Pariser Seerechts- 
deklaration oder die Haager Konventionen von 1907 zur Anwendung, so 
scheint es den Intentionen, welche bei der Errichtung des internationalen 
Prisengerichtes obwalteten, eher zu entsprechen, wenn angenommen wird, dass 
das Gericht durch ein einmal gefälltes Urteil nicht gebunden sei, nicht nur 
für Streitigkeiten zwischen andern Parteien, sondern auch für solche zwischen 
den gleichen Parteien. Das Gericht soll sich zwar in der Regel au die Prä- 
zedenzfälle halten, aber es kann auch einer andern Auffassung zur Anerkennung 
verhelfen. Die von ihm vertretene Interpretation des Gewohnheitsrechts und 
allgemeiner Verträge soll dafür aber für alle Staaten, welche sich an das 
Gericht wenden, die gleiche sein. Einheit und Weiterentwicklung sind die 
Ziele solcher Rechtsprechung. Diese verschiedene Art der interpretativen 
Wirkung der Urteile des Priseugerichts im Vergleich zu denjenigen der Schieds- 
gerichte beruht darauf, dass die Rechtsprechung des Prisengerichts eine in sich 
geschlossene P^inheit ist, während in derjenigen von Schiedsgerichten jedes 
Verfahren etwas für sich selbständiges ist. Die Schiedsgerichte wurden bis- 
her immer nur für einen ein/einen Fall eingesetzt, und auch wenn eine dauernde 

1) H. (.'. Art. 2. 2) (\ P. Art. 3. 1 " und >2'h und Art. 4. 1 *. 

3,1 Vtfl. oImüi s*. :»«!•_» f. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 569 



und universelle Organisation in der Art der Cour de justice arbitrale geschaffen 
werden könnte, würde deren Zuständigkeit in jedem einzelnen Verfahren doch 
auf einem speziellen oder generellen Abkommen der Parteien beruhen. Die 
Schiedssprüche bleiben in ihren Wirkungen deshalb notwendigerweise auf die 
Parteien beschränkt. Die Gerichtsbarkeit des Prisengerichts dagegen beruht 
nicht auf dem Willen speziell der an einem Verfahren beteiligten Parteien, 
sondern es ist ein dauerndes in seiner Organisation und Kompetenz unab- 
hängiges Gericht, dem die an der Konvention beteiligten Staaten die Auslegung 
des Rechts in einem bestimmten Umfang kollektiv delegiert haben. Ein Welt- 
schiedsvertrag, in der Art des von der Konferenz behandelten Projekts, begrün- 
dete zwar auch eine einheitliche Zuständigkeit, aber noch kein einheitliches 
Gericht. Die Cour de justice arbitrale anderseits wäre wohl ein einheitliches 
Gericht, aber ohne selbständige Zuständigkeit. Erst durch die Verbindung 
von Gericht und Zuständigkeit und zwar zwangsweise Verbindung wird die 
internationale Gerichtsbarkeit aus der Sphäre der blossen Gerichtsbarkeits- 
gemeinschaft zur Ree lits - und Gerichtsge mein schaft erhoben und 
erst dann können die für die staatliche Rechtssprechung geltenden Grundsätze 
analogieweise Anwendung auch auf die internationale Justiz linden 1 ). Dieser 
Fall trifft zu beim internationalen Prisengericht ; er würde wohl auch bei einem 
internationalen Kassationsgericht eintreten. 

Bei den Urteilen des internationalen Prisengerichts handelt es sich indessen 
niemals nur um die Feststellung oder Anerkennung völkerrechtlicher Normen. 
Es kann immer nur geklagt weiden, wenn ein individuelles Rechtsgut, Eigen- 
tum oder aus solchem abgeleitete Rechte von neutralen Staaten, bezw. neu- 
tralen oder feindlichen Privatpersonen verletzt worden sind 2 ). Jedes Urteil 
betrifft entweder einen von einem nationalen Prisengerieht gefällten Spruch 
oder eine binnen zwei Jahren nicht definitiv abgeurteilte Prise a ). Hinsichtlich 
der nationalen Urteile, bezw. einer gerichtlich nicht beurteilten Prisenannahme 
haben die Urteile des internationalen Gerichtes unmittelbare Rechtskraft, Das 
Urteil ') kann gehen auf Anerkennung des vom nationalen Gericht gefällten 
Spruchs, auf Freigabe der Prise, d. h. Aufhebung des Urteils und endlich auf 
Zuerkennung von Schadenersatz. Im ersten Falle besteht die Wirkung des 
internationalen Urteils darin, dass das nationale Urteil in Rechtskraft erwächst, 
im zweiten Falle, dass es durch ein anderes ersetzt wird und der verurteilte 
Staat unmittelbar zur Freigabe der Prise verhalten ist, im dritten Falle end- 
lich befindet sich der letztere in der gleichen Lage, wie wenn sein Fiskus von 
einem eigenen letztinstanzlichen Gericht verurteilt wäre. Ob er ohne Nach- 

1) Es ist allerdings zu bemerken. dass die Frage der Rechtskraft von Urteilen de» 
Prisengerichts noch besondere Schwierigkeiten bietet , wenn die Entscheidung sich auf 
einen, nicht von allen am Bericht beteiligten Staaten angenommenen Vertrag stützt, wenn 
also die PechtHgemeinschaft enger ist als die (terichtsgemeiuschaft. 

Wenn ein Privater Kläger ist, so ist jedenfalls eine interpretative Wirkung des Ur- 
teils gegenüber dem Staat, dem der Privatkläger angehört, nicht anzunehmen. Die Frage 
der Interpretativwirkung ist auch von Bedeutung für die Ueweislast. 

Kine erschöpfende Darstellung der mit. der Rechtskraft der Urteile des internationalen 
Prisengerichts zusammenhangenden Fragen ist weder beabsichtigt noch möglich , es soll 
lediglich auf die Mannigfaltigkeit, und Neuheit des Problems hingewiesen weiden. 

•21 C. P. Art. 3. 3) C. P. Art. (5. 4) U. P. Art. 8. 



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570 



Völkerrecht: Huber. 



suchung eines speziellen Kredites die Entschädigung zahlen kann, entscheidet 
sich ganz nach seinem eigenen Finanzrecht. Das Parlament wäre jedenfalls 
ohne weiteres verpflichtet, die Auszahlung zu bewilligen. Wenn es auch nicht 
ausdrücklich gesagt ist, so kann darüber kein Zweifel sein, dass die Urteile 
des internationalen Prisengerichts unmittelbare Rechtskraft in den beteiligten 
Staaten haben sollen. Daraus folgt auch, dass die das Prisengericht errich- 
tenden Staaten allfällige Widersprüche in ihrer nationalen Gesetzgebung be- 
seitigen, d. h. landesrechtlich den Urteilen des Prisengerichts den Charakter von 
letztinstanzlichen, rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteilen verleihen müssen. 

Das Landkriegsrecht. 

A. Die Kriegführung. 

Unter Kriegführung sind im Folgenden alle zur Erreichung des Kriegs- 
zweckes von den kriegführenden Staaten gegen einander ergriffenen Mass- 
nahmen verstanden. Kriegführung ist Betätigung der Kriegsgew alt. 
Kriegsgewalt ist grundsätzlich schrankenlose Gewalt, sie ist an sich die Nega- 
tion des flephts. Die Kriegsgewalt unterscheidet sich von der inhaltlich eben- 
falls unbegrenzten Gebietshoheit dadurch, dass sie auch — und zwar haupt- 
sächlich — ausserhalb des Staatsgebiets, nämlich auf fremdem und staaten- 
losen Boden ausgeübt wird und alsdann ihre Schranken gegenüber dem feind- 
lichen Staat und allem , was zu diesem gehört , nicht durch das allgemeine 
Völkerrecht, sondern durch das spezielle Kriegsrecht gezogen sind. Während 
das Völkerrecht in Friedenszeiten, d. h. unter normalen Verhältnissen, auf 
die Selbständigkeit jedes Staates und die Unverletzlichkeit seines Gebietes 
begründet" ist, achtet die Kriegsgewalt weder das Gebiet des gegnerischen 
Staates noch dessen staatliche Existenz. Sie lässt ganz neue Beziehungen 
zwischen den~T<riegfülirendcn Mächten an die Stelle der bisherigen friedlichen 
treten, Machtverhältnisse an die Stelle von Rechtsverhältnissen. 

Das Kriegsrecht ist nicht wie das Prozessrecht bloss formelles Recht, 
welches allein die Austragung von Streitigkeiten über materielles Recht regelt; 
es betrifft vielmehr die Kriegführenden in ihren gesamten völkerrechtlichen 
Beziehungen zu einander. Die Kriegsgewalt an sich bedeutet schlechthin die 
Negation dieser völkerrechtlichen Beziehungen. Nicht nur bei primitiven 
Völkern ist der Krieg der Bruch jeder Rechtsgemeinschaft, auch in unserm 
modernen Kriegsrecht zeigen sich genug unverkennbare Spuren solcher Auf- 
fassung: die Aufhebung oder Suspension der zwischen den Kriegführenden 
bestehenden Verträge, die bisher prekäre, jedenfalls unsichere Lage der feind- 
lichen Bevölkerung im Gebiete der andern Kriegspartei, das Seeheute- und 
Priseurecht und anderes mehr. Völlig schrankenlos ist allerdings die Krieg- 
führung unter zivilisierten Völkern — wenigstens nach dem Reehtshewusst- 
sein — nie gewesen. Der Kriegsgewalt sind aus Rücksichten der Humanität 
und im Interesse der Kriegführenden selbst gewisse Grenzen gezogen worden. 
Diese Beschränkungen der Kriegsgewalt bilden in ihrer Gesamtheit das Kriegs- 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 571 



recht. Durch sie erst erhält die Kriegsgewalt einen rechtlichen Inhalt, wird 
seihst ein Rechtsbegriff ; an sich ist sie nur eine Tatsache. Aber auch ihre 
weitgehendste Beschränkung macht das Völkerrecht in Kriegszeiten noch nicht 
zu einein dem Friedensrecht gleichartigen Recht. Das Kriegsrecht hat nur 
eine relative Geltung, es gilt nur solange der gegnerische Staat tatsächlich 
existiert, es hat nicht die absolute Existenz der Staaten zur Voraussetzung. 

Ausgehend von der grundsätzlichen Schrankenlosigkeit der Kriegsgewalt, 
tragen die kriegsrechtlichen Normen im allgemeinen den Charakter von Ver- 
boten an sich, die den Kriegführenden in der Betätigung dieser Gewalt be- 
schränken. Solche Normen, als Durchbrechungen einer Regel, sind restriktiv 
zu interpretieren, allerdings nicht in engem Sinne ; aber wo nicht ausdrücklich 
oder stillschweigend eine Schranke anerkannt ist. ist der Kriegführende in 
seinen Massnahmen frei. Die Präambel der Konvention betr. die Regeln und 
Gebräuche des Landkrieges gibt Aufschluss über das Verhältnis von Kriegs- 
recht und Kriegsgewalt. Die vereinbarten Normen sollen nicht den Inbegriff aller 
Schranken der Kriegführung darstellen, diese soll schlechthin durch die Grund- 
sätze des Rechts und der Humanität begrenzt sein 1 ). Doch sind diese Prin- 
zipien rechtlich nicht näher bestimmbar, und das nicht kodifizierte Kriegsrecht 
bleibt unsicher. Dazu kommt, dass die Punkte, in denen eine Einigung nicht 
möglich gewesen, regelmässig kein allgemein anerkanntes und deshalb kein 
wahrhaft positives Recht betreffen. Aber anderseits ist es gewiss, dass da, 
wo Uebereinstimmung nicht erzielt werden konnte, es sich nicht handelt um 
die Alternative : Willkür oder rechtliche Schranken, sondern lediglich um das 
Mass der Beschränkung 4 ). Die Verhandlungen zeigten auch, dass in diesen 
Fragen sehr verschiedene Standpunkte eingenommen werden können und ein- 
genommen werden. Während die einen aus den bestehenden Regeln weit- 
gehende Konsequenzen durch eine Argumentation a fortiori zugunsten der 
Einschränkung der Kriegsgewalt zogen, wurde von andern im wesentlichen 
das, was nicht verboten ist, als zulässig erachtet. 

Die Kriegsgewalt kommt in der Hauptsache nach drei Richtungen hin zur 
Geltung: zwischen den Kriegführenden als völkerrechtlichen Personen, zwischen 
den kriegführenden Armeen und endlich zwischen den kriegführenden Staaten 
bezw. deren bewaffneten Macht und den Bevölkerungen. Die Stellung eines 
kriegführenden Staates zu seiner eigenen Bevölkerung hat völkerrechtlich 
kein Interesse, dagegen diejenige zu fremden, d. Ii. feindlichen oder neutralen 
Privaten. Die Beschränkungen der Kriegsgewalt , welche durch Gewohnheit 
und Vereinbarung geschaffen worden sind, sind um so weiter reichend, je 
weniger die Gewaltbetätigung den Staat als solchen trifft. Der Krieg ist ein 
Verhältnis unter Staaten und sie als solche sind innerster Linie vom Kriege 
betroffen: ihre Existenz ist rechtlich nicht mehr garantiert, der diplomatische 
Verkehr ist abgebrochen, die Verträge fallen dahin, soweit sie nicht ihrem 
Wesen nach gerade im Kriegsfall in Wirksamkeit treten. Die Beziehungen 
zwischen den beiderseitigen Armeen als Organen der Staaten erfahren eine 
zwar weiter gehende, aber mit Rücksicht auf die Natur des Krieges doch nur 

1) <;. T. Präambel al 8; ferner 0. T. Ii. Art. 22. 2) ibid. ul 7- 9. 



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572 



Völkerrecht: Iiiiber, 



sehr unvollständige Regelung. In den Verhältnissen der kriegführenden Staaten 
zu den Privaten aber kommt, unter dem Einfluss der modernen humanitären 
Ideen, ein anderer Grundsat/, zur Herrschaft : gegenüber der Bevölkerung be- 
steht die Kriegsgewalt nur, soweit sie anerkannt ist. Dieses umgekehrte Ver- 
hältnis hat seinen Grund darin, dass die Bevölkerungen, weil nur mittelbar 
zu den kriegführenden Staaten gehörend, ausserhalb des Krieges stehen sollen. 
Die Tendenz des modernen Kriegsrechts ist die Eingrenzung des Krieges. 
Räumlich ist der Landkrieg durch die Neutralität auf die Gebiete der Krieg- 
führenden und in subjektiver Beziehung auf die Staaten und ihre speziellen 
kriegerischen Organe beschränkt. Die Isolierung des Krieges gegenüber der 
Bevölkerung ist allerdings eine Tendenz , die nach der Natur der Sache nie 
zu einem völligen Siege gelangen kann. 

Die Kriegführung hat, nachdem der Versuch der Brüsseler Konferenz 
gescheitert war, durch die erste Friedenskonferenz eine annähernd erschöpfende 
koditikatorische Ordnung gefunden. Die zweite Konferenz hat nur noch er- 
läutert und ergänzt, an den Grundlagen des Reglements von 1899 hat sie 
nichts geändert. Im Folgenden wird die Konvention betr. die Regeln und Ge- 
bräuche des Landkrieges als bekannt vorausgesetzt und nur auf die neuen 
oder abgeänderten Artikel eingetreten. Schöpferisch hat die zweite Friedens- 
konferenz nur auf dem Gebiete des Neutralitätsrechts gewirkt. Soweit nach 
dem bisherigen Rechte die Kriegsgewalt gegenüber neutralen Personen zur 
Geltung kam, bezw. auch seit der zweiten Friedenskonferenz heute noch kommt, 
wird jedoch, um Wiederholungen zu vermeiden, das einschlägige Recht in dem 
zweiten, die Neutralität betreffenden Abschnitt behandelt werden. 

I. Die Verhältnisse der kriegführenden Staaten zn einauder. 

Hier kommt in erster Linie in Betracht die durch die neue Konven- 
tion betr. die Eröffnung der Feindseligkeiten aufgestellte 
Pflicht, dass der den Krieg beginnende Staat der Eröffnung der Feindselig- 
keiten eine unzweideutige Erklärung vorausgehen lasse. Ob eine solche Pflicht 
bisher bestand, war streitig. Wichtige militärische Gründe sprachen dagegen, 
starke juristische Argumente dafür. Die Ereignisse des .Jahres 1904 zeigten, 
dass die Streitfrage mehr als theoretische Bedeutung hatte: daher der Wunsch 
nach einer die Rechtslage abklärenden Vereinbarung. Das diesen Gegenstand 
betreffende, von der zweiten Friedenskonferenz angenommene Abkommen stellt 
ein Kompromiss dar zwischen den militärischen Interessen des Angreifenden, 
dem eine rasche und unvermutete Offensive von grossem Wert sein kann, 
und den Interessen des Angegriffenen, die einen plötzlichen Uebergang vom 
Friedens- zum Kriegszustand nicht erlauben. Die Konvention hat, um beiden 
Standpunkten soweit möglich zu geniigen, von der Aufstellung einer l'eber- 
V'angsfrist, die von einer Seite verlangt worden war, abgesehen, dafür aber 
einen überraschenden Kriegsbeginn durch formlose Eröffnung der Feindselig- 
keiten verboten und eine formelle und unzweideutige Ankündigung des Krieges 
durch ein l'ltimatum oder eine Kriegserklärung vorgeschrieben 

1) O. H. Art. 1. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 573 



Es sind demnach zwei Wege möglich, auf denen ein Staat, der einen 
Krieg zu eröffnen beabsichtigt, seinen künftigen Gegner hiervon in Kenntnis 
setzen kann. Einmal kann die Form einer eigentlichen Kriegserklärung ge- 
wählt werden. Eine solche Erklärung muss begründet sein. Zweck der Moti- 
vierung ist, dem einen Krieg beginnenden Staat die Eröffnung der Feind- 
seligkeiten zu erschweren für den Fall , dass er keinen vor der öffentlichen 
Meinung vertretbaren Grund geltend machen kann. Müsste ein Staat einen 
Krieg mit offenbar unwahren oder unzulänglichen Gründen motivieren, so 
könnte seine Situation dadurch unter Umständen in einer Weise beeintiusst 
werden, dass er mit Rücksicht auf die möglichen politischen Folgen vielleicht 
eher zu einer friedlichen Austragung des Streites seine Hand bieten wird. 
Insbesondere, wenn die Gegenpartei ein Schiedsgericht oder dritte Staaten eine 
Vermittlung anbieten, kann die Motivierung der Kriegserklärung Schwierig- 
keiten verursachen. Im allgemeinen ist aber der Vorschrift, eine Kriegs- 
erklärung müsse begründet sein, keine sehr grosse praktische Bedeutung bei- 
zumessen. 

Die Begründung der Kriegserklärungen hat in den Beratungen der 
Konferenz auch zur Aufwerfung staatsrechtlicher Fragen geführt. In vielen 
Staaten ist den Parlamenten durch die Verfassung die Zuständigkeit zur 
Kriegserklärung gegeben. Es wurde nun behauptet, dass die Konvention eine 
Beschränkung dieser verfassungsmässigen Kompetenz der Parlamente bedeute 
und deshalb nicht von allen Staaten akzeptiert werden könne. Dieser Einwand 
beruht auf der gleichen Begriffsverwechslung wie die gegen die Rechtskraft von 
Schiedssprüchen erhobenen Bedenken. Die staatsrechtliche Entscheidung über 
Krieg und Frieden und die völkerrechtliche Ankündigung des Krieges sind 
scharf auseinander zu halten. Die Pflicht zur Begründung der Kriegserklärung 
liegt dem Staat als Subjekt des Völkerrechts ob, nicht dem, den Krieg staats- 
rechtlich anordnenden Parlament, auch nicht der Regierung als solcher, soli- 
dem dieser nur mittelbar als dem den Verkehr mit fremden Staaten vermitteln- 
den Organe. Die Konvention verlangt nicht, dass ein allfälliger Parlaments- 
beschluss begründet sei, das ist auch gar nicht nötig, denn eine Regierung 
wird stets im Falle sein, eine Kriegserklärung mit wirklichen oder Schein- 
gründen, zu motivieren, wenn sie von einem Parlament ermächtigt oder be- 
auftragt wird den Krieg zu erklären. 

Will ein Staat einer begründeten Kriegserklärung aus dem Wege gehen, 
so steht als zweite Möglichkeit der Anzeigung des Krieges die Form eines 
Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung frei. Ein solches Ultimatum ent- 
hält mittelbar auch eine Begründung, es gestattet aber einem Staate weit 
eher den Grund des Krieges zu verheimlichen und hinter der Form eines 
bestimmten, an sich vielleicht unwichtigen Begehrens das wahre Kriegsziel zu 
verbergen. Wichtig an dem Ultimatum ist, dass es notwendigerweise eine Frist- 
ansetzung in sich schliesst; dem Empfänger des Ultimatums muss eine, wenn viel- 
leicht auch sehr kurze Deliberationsfrist gewährt werden. Bei der Kriegserklärung 
dagegen darf die Eröffnung der Feindseligkeiten unmittelbar der Uebergabe 
der Kriegserklärung folgen. Immerhin sollte sich der Absender, will er seine 



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574 Völkerrecht: Huber. 

PHicht gewissenhaft erfüllen, wohl stets des Empfangs von Kriegserklärung 
und Ultimatum vergewissern. 

Sowohl für Kriegserklärung als für Ultimatum ist es genügend, dass die 
Regierung des künftigen feindlichen Staates Kenntnis von der Mitteilung 
habe. Der Empfänger kann nicht verlangen, dass erst dann die Erklärung 
als erfolgt oder die Ultimatumsfrist als abgelaufen gelte, wenn die Kunde über 
das ganze Staatsgebiet verbreitet sein kann. 

Eine zweite neue Norm, die, wenn schon sie sich materiell auf die Ver- 
hältnisse der Kriegführenden zu der Bevölkerung bezieht j( in erster Linie) einen 
Anspruch von Staat zu Staat begründet, betrifft die Entschädigung, 
die für Verletzung des Landkriegsreglements 1 ) zu leisten 
ist. Dass die hierdurch begründeten Forderungsrechte als zwischenstaatliche 
gemeint sind, geht schon aus der systematischen Anordnung der Nonn hervor : 
sie figuriert als neuer Artikel in der Konvention betr. die Regeln 
und Gebräuche des Landkriegs und nicht in dem , dieser ange- 
hängten Reglemente. 

Die neue Entschädigungspthcht geht auf einen von der deutschen Delegation 
in der zweiten Kommission eingebrachten Antrag zurück. Dieser betraf in 
erster Linie die neutralen Personen, die sich auf dem Kriegstheater befinden. 
Wenn diese durch Verletzung des Reglements seitens der Angehörigen der 
bewaffneten Macht des einen oder andern Kriegführenden Schaden erlitten, 
sollten sie von der betreffenden haftbaren Kriegspartei, wenn möglich sofort, 
entschädigt werden. Weiter bestimmte der Antrag, dass, wenn Angehörige 
des feindlichen Staates betroffen wären, die „question de rindemnisation" 
beim Friedenssrhluss geregelt werden würde. War es auch die Absicht der 
Antragsteller, für beide Fälle eine Rechtspflicht zur Entschädigung zu sta- 
tuieren, so war doch die Lage für den Neutralen bedeutend günstiger. Dies 
entsprach der Tendenz des deutschen Projektes einer Konvention betr. die 
Stellung der neutralen Personen im Gebiete der Kriegführenden und der 
Antrag betreffend der Entschädigungspflicht rief die gleichen grundsätzlichen 
Bedenken wie das allgemeine Projekt hervor. Die Bestimmung ist jedoch ohne 
eingehende Diskussion angenommen worden, aber in der Weise, dass kein 
Unterschied zwischen neutraler und feindlicher Bevölkerung gemacht wird. 

Während der deutsche Antrag es klar erkennen Hess, dass die Ent- 
schädigungspflicht sich nur auf Fälle bezieht, in denen einzelne Personen 
geschädigt sind, so ist die nunmehrige Bestimmung vier allgemeiner gefasst, 
indem sie die Entsehädigungspllicht allgemein als Folge der Verletzung des 
Reglements hinstellt. Allerdings wird die Bedingung ^'Hj a lieu u beigefügt. 
Unter TKeier Einschränkung ist wohl zweierlei zu verstehen : die Imputierbar- 
keit einer Verletzung gegenüber einer Kriegspartei und die sich zu einer 
Entschädigung eignende Art der Rechtsverletzung. 

Was die Imputierbarkeit anbetrifft, so ist notwendig, dass die Truppen 
der einen oder andern Partei verantwortlich gemacht werden können, und 
zwar dass der Staat, welcher die Entschädigung begehrt, die Rechtsverletzung 

ll G. T. Art. :>,. 



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Die Fortbildung dos Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 575 

nachzuweisen imstande sei. Ein solcher Nachweis dürfte überall da, wo Ge- 
fechte stattgefunden haben, wo also Truppen heider Parteien beteiligt sind, 
äusserst schwierig zu erbringen sein. Was nun die Haftbarkeit anbelangt, so 
ist nach den Verhandlungen anzunehmen, dass ein Staat schlechthin für jede 
Verletzung haftet, die von den Angehörigen seiner bewaffneten Macht be- 
gangen wird, sofern es sich überhaupt um eine Verletzung handelt, die sich 
zu einer Entschädigung eignet. Der Staat haftet nicht nur für culpa in eli- 
gendo oder in instruendo '), sondern schlechthin. Der Antrag wurde richtiger- 
weise damit begründet, dass eine Verweisung der Geschädigten auf die Geltend- 
machung ihrer Ansprüche gegenüber den einzelnen delinquierenden Offizieren 
oder Soldaten die Entschädigungsansprüche tatsächlich als illusorisch erscheinen 
liesse; ebenso wäre es, wenn ein Verschulden eines Staates erst nachgewiesen 
werden müsste. Dagegon ist die Haftbarkeit eines Staates beschränkt auf die 
Handlungen derer, die seiner bewaffneten Macht angehören. Oh unautor isierte 
Freiwillige dazu zu zählen sind, ist fraglich. * 

I)7c i EnTscliädigungspHicht ist nicht nur durch die Imputierbarkeit be- 
stimmt, sondern auch durch die Art der Rechtsverletzung und die Person des 
Betroffenen. Aus der Entstehungsgeschichte des neuen Artikels 2 geht hervor, 
dass nicht Verletzungen des objektiven Rechts an sich Forderungsrechte von 
Staat zu Staat entstehen lassen; es handelt sieIT~nicht um eine Art inter- 
nationaler Konventionalstrafe. Wennschon es sich um Ansprüche von Staat 
zu Staat handelt, so kann ein solcher doch nur dann von seinem Kriegs- 
gegner Entschädigung verlangen , wenn seine Angehörigen einen Schaden 
an ihren persönlichen Rechtsgütern erlitten haben. Ob hiebei nur Private 
oder aber auch Angehörige der bewaffneten Macht in Frage kommen, ist 
nicht diskutiert und in der Konvention nicht ausgesprochen worden; mau 
wird aber trotz des allgemeinen Wortlauts der Yertragsbestimraung, mit Rück- 
sicht auf den Sinn des ursprünglichen deutschen Antrages, sich im Zweifel 
eher für die erstere Eventualität entscheiden. Dagegen ist sicher, dass die Vor- 
schrift sich nur auf internationale Verhältnisse bezieht, d. h. es kann nur eine 
Kriegspartei gegen die andere, bezw. ein neutraler Staat gegen einen Krieg- 
führenden einen Entschädigungsanspruch erheben. Die Entschädigung von 
Privaten, die durch reglementswidriges Handeln der Truppen ihres eigenen 
Landes geschädigt werden, richtet sich ganz nach nationalem Recht. Der 
deutsehe Antrag unterschied zwischen neutralen, also der bewaffneten Macht 
jedenfalls nicht angehörenden Personen und den Angehörigen des feindlichen 
Staates; die jetzige allgemeine Form wurde gewählt um eine differentielle 
Behandlung dieser beiden Klassen von Personen zu vermeiden, nicht aber 
um alle Personen auf dem Kriegstheater, Militär- und Zivilpersonen, Staats- 
augehörige und Fremde, einer Entschädigung allenfalls teilhaftig werden zu 
lassen. 

Als Rechtsverletzungen, die sich materiell für eine Entschädigung eignen, 
sind solche zu betrachten, die auch nach den allgemeinen Grundsätzen des 
Privatrechts Schadenersatzansprüche entstehen lassen: Tötung, Körperver- 

l)~Nach G. T. Art. 1. 



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576 Völkerrecht: Huber, 

letzung, Eigentumsverletzungen, auch die persönliche Ehre und Freiheit. 
Solche Ansprüche können auch von den Staaten für sich selbst erhoben 
werden, wenn staatliches Eigentum betroffen wird, z. B. bei Ueberschreitung 
des Beuterechts, oder des Xutzniessungsrechts seitens des Okkupanten. 

Ueber die Feststellung der Verantwortlichkeit, die Bemessung des Scha- 
dens und die Bezahlung der Entschädigung ist nichts gesagt. Tatsächlich 
dürfte der von der deutschen Delegation vorgeschlagene, aber aus prinzipiellen 
Gründen bekämpfte Weg, eingehalten werden: möglichst rasche Barentschädi- 
gung der neutralen Personen und Regelung der an den Gegner zu bezahlenden 
Entschädigung beim Friedensschluss. Was man vermeiden wollte, war eine 
vertragsmässig festgelegte differentielle Behandlung der neutralen und gegne- 
rischen Personen. 

Gegen die neue Vorschrift ist auch der Einwand erhoben worden, dass 
dadurch das Reglement in denjenigen Fällen, in denen eine Entschädigung 
nicht eintreten könne, der Sanktion entbehre. Dies ist unzutreffend; die Ver- 
bindlichkeit des Reglements ist in allen Teilen die gleiche, die Entschädigungs- 
pfücbt bildet nur für gewisse Fälle noch eine spezielle Sanktion, die zu der 
allgemeinen Haftung aus dem Vertrag hinzutritt. 

Der Entschädigungsanspruch der Landkriegskonvention ist eine für die 
Weiterentwicklung des Völkerrechts vielleicht bedeutungsvolle Neuerung und 
ein Beispiel der auch in andern Konventionen, insbesondere derjenigen betr. das 
internationale Prisengericht hervortretenden Tendenz, auch dem Privaten wirk- 
same Garantien für die Beobachtung der ihn materiell betreffenden Normen 
des Völkerrechts zu geben. 

II. Die Beziehungen zwischen den kriegführenden Armeen. 

Hatte die Bestimmung dessen, was zur kriegführenden Armee gehört und 
was nicht, die Brüsseler und die I. Haager Konferenz intensiv beschäftigt, so 
trat auf der II. Friedenskonferenz diese Frage ganz zurück. Obwohl die Be- 
schränkung der Massenaufgebote 1899 von einzelnen Staaten heftig 
bekämpft wurde, war bei der Revision der Landkriegsreglements ein Zusatz zu 
dem viel erörterten Artikel 2 ') ohne Opposition beschlossen worden, der die Be- 
dingungen für eine Anerkennung kämpfender Volksmassen noch zu verschärfen 
scheint. Allerdings ist die Verschärfung nur scheinbar," nur eine selbstver- 
ständliche Auslegung des bisherigen Artikels. Es wird nunmehr ausdrücklich 
gesagt, dass eine beim Herannahen des Feindes sich spontan erhebende Be- 
völkerung eines unbesetzten Gebietes nur dann als kriegführend betrachtet 
werde, wenn sie die Waffen offen trage und die Kriegsgebräuche beobachte. 
In der bisherigen Redaktion des Artikels war von dem offenen Tragen der 
Waffen nichts gesagt; es versteht sich aber von selbst, denn die Kriegführung 
nach Völkerrecht hat den offenen Kampf zur Voraussetzung. Es ist auch in 
den Verhandlungen festgelegt worden, dass die Neuerung keine Verschärfung 
bedeuten solle. Anträge, die Kriegführenden zur gegenseitigen Notifikation 
der Erkennungszeichen ihrer Truppen zu verpflichten, wurden abgelehnt. 

Ii i.i. T. H. und ii. T. K. (1899) Art. ♦> ; (J. T. Präambel al 9. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 577 



Eine Reihe von Zusätzen wurden zu den auf die Kriegsgefangenen 
bezüglichen Artikeln des Reglements gemacht. Diese Neuerungen sind jedoch 
alle von untergeordneter Bedeutung, womit aber nicht gesagt sein soll, dass 
sie nicht Schätzungswerte Verbesserungen darstellen. Die Einschliessung der 
Kriegsgefangenen ') war schon bisher nur zulässig als Ausnahmemassregel, nun 
ist hinzugefügt worden, was der bisherige Text schon in sich schloss, dass eine 
allfällige Einschliessung nicht länger ausgedehnt werden dürfe, als die Umstände, 
welche die Massregel veranlassten, zuträfen. 

Neu ist ferner das Verbot, kriegsgefangeno Offiziere zu Arbeiten anzu- 
halten *). Die Entschädigung für die von andern Kriegsgefangenen ausgeführ- 
ten Arbeiten erfolgt nach den Ansätzen, die in dem Staate, dem die Ge- 
fangenen zur Zeit unterworfen sind , für die gleichen Arbeiten der eigenen 
Armee bezahlt werden. Mangels eines solchen Tarifs soll eine angemessene 
taritierte Entschädigung gewährt werden 8 ). 

Bisher bezogen die kriegsgefangenen Offiziere von der Regierung, in deren 
Gewalt sie gefallen, den Sold nach Massgabe der in ihrer heimatlichen Armee 
bestehenden Vorschriften. Nunmehr aber sind die Soldansätze des Staates an- 
zuwenden, der die Gefangenen gemacht hat 4 ). Das entspricht auch den Vor- 
schriften der neuen Genferkonvention 5 ). Es besteht indessen nicht nur ein 
Unterschied in der Ansetzung des Soldes zwischen den Reglementen von 1899 
und 1907, sondern die Besoldung der gefangenen Offiziere ist nun eine Pflicht 
des gefangen nehmenden Staates^ während früher diese Zahlungen nur einen 
fakultativen Charakter hatten. 

Gestützt auf die in den letzten Kriegen gemachten Erfahrungen sind die 
Vorschriften über die Auskunftsbureaux vervollständigt worden. Das 
Reglement von 1899 schrieb die Herstellung von Personalblättern (fiches in- 
dividuelles) für die einzelnen Kriegsgefangenen vor ; diese Blätter sollen eine 
Kontrolle über die Gefangenen und die Möglichkeit zuverlässiger Auskunfter- 
teilung bieten. Heber diese Personalblätter sind nun nähere Bestimmungen 
getroffen worden, damit liier Einheitlichkeit und eine gewisse Vollständigkeit 
herrsche 8 ). Jedes Blatt soll enthalten : eine Matrikularnummer, Name und 
Vorname des Gefangenen, Alter, Heiinatsort, Grad, militärische Einteilung, Ort 
und Zeit der Gefangennahme und Intenüerung, Verwundungen, Tod u. s. w. 
Das Blatt wird nach dein Friedensschluss dem Staat, welchem der Gefangene 
angehört, zugestellt ; schon vorher aber wird diesem Staat Nachricht von allen 
Mutationen, Zu- und Abgängen, Entlassungen auf Ehrenwort, Entweichungen, 
Evakuatiouen in Spitäler und Todesfällen gegeben. Die Auskunftsbureaux 
hatten bisher sich nur mit den Effekten der auf dem Schlachtfeld, in Spitälern 
und Ambulanzen verstorbenen Gefangenen zu befassen, d. h. diese Gegenstände 
den Interessenten zukommen zu lassen. Dies wird nun auf die Habe der auf 
Ehrenwort frei Gelassenen, ausgewechselten und entwichenen Gefangenen aus- 
gedehnt 7 ). 

1) G. T. K. Art. 5. 2) G. T. R. Art. 6 nl 1. 

3) ibid. al 3. 4) G. T. R. (1899) und G. T. R. Art. 17. 

•j) Genfer Konvention von 1907 Art. 18. 

ü) G. T. R. Art. 14 al 1. 7) ibid. al 2. 

Jahrbuch den Oe. 11. ü. (i. II. 1S08. 37 



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^ 578 **" VölkemÄüit: HuWr. 

Die Vorschriften über Kampfmittel und Kampf weise sind nur 
in einem Punkte, nämlicli in Bezug auf die Belagerung ergänzt , oder 
vielmehr authentisch interpretiert worden. Von den drei Deklarationen von 
1899 waren zwei, nämlich diejenige betreffend die Verwendung von Geschossen, 
die Stickgase verbreiten, und diejenige betr. sich abplattende oder ausdehnende 
Geschosse nicht auf das Programm der II. Friedenskonferenz gesetzt worden, 
weil diese Abkommen unbefristet sind und von niemandem gekündigt worden 
waren. Sie sind "deshalb' auch keiner Ttevision unterzogen worden. Dagegen 
war die Deklaration betr. das Verbot Geschosse aus Bal- 
lons zu werfen nur auf 5 Jahre abgeschlossen worden und bestand des- 
halb im Jahre 1907 nicht mehr in Kraft. Sie ist nun durch die II. Friedens- 
konferenz erneuert worden mit Gültigkeit bis zum Schluss der III. Konferenz; 
der Text ist unverändert geblieben 1 ). Während diese Deklaration von 25 der 
26 auf der Konferenz von 1899 vertretenen Staaten unterzeichnet wurde, 
haben nur 29 der 44 Konferenzstaaten von 1907 der Erneuerung zugestimmt 2 ). 
Es ist deshalb' von Wichtigkeit, festzustellen, wie sich für die ablehnenden 
Staaten sowie überhaupt für den Fall jedes Krieges, an dem solche teilnehmen, 
die Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Verwendung der Ballons gestalten. Der 
Gebrauch aeronautischer Fahrzeuge für Beobachtung«- und Transportzwecke 
ist niemandem verwehrt. Auch zum Kampf können solche gebraucht werden 
von allen Staaten, welche die Ballon-Deklaration nicht unterzeichnen und ra- 
tifizieren. Anderseits unterliegt der Kampf, in welchem Ballons zur Verwen- 
dung kommen, den ganz gleichen Kegeln wie der mit den an den Erdboden 
gebundenen Waffen geführte Krieg. Die Luftschiffahrt kann keine weiter- 
gehenden Freiheiten beanspruchen. Daraus folgt, dass eine Beschiessung aus 
Ballons nicht zulässig, wo eine solche mit gewöhnlicher Artillerie verboten ist. 
Um dies völlig klar zu stellen, ist auf Antrag der französischen Delegation 
der Artikel 25 des Reglements dahin abgeändert worden, dass Angreifen und 
Besohiessen von Städten, Dörfern, Wohnstätten und Gebäuden, sofern diese 
unverteidigt sind, unzulässig ist, gleichviel welches Kampfmittel angewendet 
würde 3 ). Damit ist ausser allen Zweifel gestellt, dass eine Beschiessung un- 
verteidigter Oertlichkeiten aus Ballons verboten ist. Es ist" auch' anzunehmen, 
dass dieses Verbot sich auf Küstenstädte bezieht, indem nur deren Beschiessung 
durch Seestreitkräfte besondern Regeln unterworfen ist. Der Unterschied in 
rtCT— tfrehiindenhcit der Staaten, welche die Ballondeklaration angenommen 
haben, und derjenigen, welche sie nicht gezeichnet haben, besteht darin, dass 
die letzteren die Ballons zum Angriff' auf verteidigte Plätze sowie auf Truppen 
gebrauchen können. 

"Die Schutzbestimnuingen, welche Art. 27 für den Fall von Beschiessungen 
aufstellt, sind noch in der Weise erweitert worden, dass nicht nur auf die 
dem Kultus, den Künsten, der Wissenschaft, Wohltätigkeit und Krankenpflege 
gewidmeten Gebäuden eine besondere Rücksicht genommen werden soll, sondern 
dass auch die historischen Monumente in gleicher Weise geschont werden müssen 4 ). 

I> I». It. al H. 2) Vgl. oben P. 481 Amn. 8. 

ät (.;. T. U. Art. 4) Ii. T. K. Art. 27. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 579 



III. Die Beziehungen zwischen den Kriegführenden bezw. deren Armeen und 

der Bevölkerung. 

In diesem Zusammenhange kommen nur die Beziehungen zur Bevölkerung 
der feindlichen Partei in Betracht. Diejenigen zur eigenen Bevölkerung sind 
völkerrechtlich irrelevant und diejenigen zu den Neutralen werden in dem Ab- 
schnitt über die Neutralität behandelt werden. 

In r ii u m 1 i c h e r B e z i e h u n g ist zu unterscheiden zwischen den Ver- 
hältnissen im eigenen Gebiet und denjenigen im feindlichen, invadierten 
oder besetzten Gebiet 1 ). In seinem eigenen Gebiet herrscht auch der Krieg- 
führende nicht kraft besonderer Kriegsgewalt, sondern kraft seiner Gebiets- 
hoheit. Es entsteht aber die Frage, ob diese Gebietshoheit, der — abgesehen 
von den besonderen Bestimmungen von Niederlassungs- und Handelsverträgen 
— hinsichtlich des Verhältnisses zu den auf dem Territorium weilenden Frem- 
den gewisse Schranken gezogen sind, im Kriegsfalle wenigstens den Angehö- 
rigen des feindlichen Staates gegenüber noch erweitert werde. In früheren 
Zeiten, als die Fremden in den meisten Staaten nur in sehr geringer Zahl 
vorhanden waren, und überhaupt wenig wirtschaftliche Beziehungen zwischen 
den Bevölkerungen verschiedener Staaten bestanden, hatten rigorose Massregeln 
gegen die Untertanen des einen Kriegführenden, die sich auf dem Gebiete des 
andern befanden oder die dort Ansprüche geltend zu machen hatten, verhält- 
nismässig geringe Bedeutung. Heute aber, bei der Häufigkeit der Nieder- 
lassung in fremden Staaten und der Intensität der privaten Rechtsbeziehungen 
von einem Staate zu einem andern, würde der im älteren Völkerrecht aner- 
kannte Grundsatz, dass mit dem Kriege nicht nur die Beziebungen zwischen 
den Staaten, sondern auch diejenigen zwischen den Staatsangehörigen beider 
Teile unterbrochen werden, ausserordentliche Härten im Gefolge haben. Wenn 
für die Kriegführung im engem Sinne d. h. für die militärischen Operationen 
der Grundsatz gilt, dass die Privatpersonen dem Kriege aktiv und passiv fern 
stehen, so kann mit um so mehr Grund angenommen werden, dass diese Per- 
sonen ausserhalb des Kriegstheaters keinen besondem Massregeln wegen des 
Krieges unterworfen werden dürfen. Solche Massregeln könnten sich gegen 
die persönliche Freiheit oder gegen das Vermögen der Angehörigen des feind- 
lichen Staates richten. In Bezug auf beide Punkte sind Anträge gestellt 
worden. 

Die persönliche Freiheit der Fremden könnte durch Internie- 
rung oder durch Wegweisung aufgehoben oder beschränkt werden. Sind der- 
artige Massregeln zulässig ? Bestehen darüber irgendwelche Vorschriften '? In 
Betracht könnten kommen die Artikel 5 und 43 des Reglements von 1899, 

1) Die Ausdrücke , invadiertes Gebiet" und , okkupiertes* bezw. .besetztes Gebiet* 
werden hier in folgendem .Sinne gebraucht: al Invadicrt ist ein Gebiet, wenn es von einem 
fremden Kriegführenden betreten, aber noch nicht in faktischem Besitz genommen ist, es 
bildet die Zone; der eigentlichen kriegerischen Operationen, b) Okkupiert oder besetzt ist 
das bis dahin bloss invadierte Gebiet erst, wenn der Invasor eine tatsächliche Herrschaft 
darin ausübt. Normalerweise wird in dieser Zone nicht mehr gekämpft. (G. T. R. Art. 42 ff.) 

37* 

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580 



Völkerrecht: Huber. 



wonach Kriegsgefangene ausnahmsweise interniert werden dürfen »), und ein 
Okkupant soweit als möglich die in dem okkupierten Gebiet vorgefundene 
Rechtsordnung beobachten soll '). Letzterer Artikel kann aber wohl kaum 
herangezogen werden, da er sich ausdrücklich auf feindliches okkupiertes, nicht 
auf eigenes Staatsgebiet bezieht. Die Gewalt des Okkupanten ist eine Aus- 
nahmegewalt und die für sie geltenden Regeln können nicht analogieweise auf 
den Xonnalfall, dass ein Staat innerhalb seines eigenen Gebietes Anordnungen 
treffen will, ausgedehnt werden. Der Artikel 5, der überhaupt nicht von der 
Bevölkerung, sondern nur von den kriegsgefangenen Angehörigen einer feind- 
lichen Armee spricht, ist nur in dem Sinne anwendbar, dass die Bestimmung 
über die Iuternierung der Kriegsgefangenen d. h. die ausdrückliche Gestattung 
der Interuierung als Ausnahmemassregel ein argumentum a contrario zu Gunsten 
der Nicht- Internierbarkeit der Zivilbevölkerung darstelle. Diese Argumentation 
ist aber nicht absolut zwingend. Es ist deshalb von der japanischen Delega- 
tion ein Antrag gestellt worden, der einen neuen Artikel in das Reglement 
einfügen wollte, durch den die Situation klar geworden wäre. Darnach sollte 
ausdrücklich gesagt werden, dass die Angehörigen eines Kriegführenden, welche 
das Gebiet der gegnerischen Partei bewohnen, nur im Falle besonders zwin- 
gender Umstände sollten interniert werden können. Schärfer noch wurde diese 
Idee in einem italienischen Antrag formuliert in der Weise, dass diese Per- 
sonen auch im Falle eines Krieges weiter den Schutz der lokalen Gesetzgebung 
in Bezug auf ihre Person, ihr Vermögen und ihre Geschäfte geniessen, dass 
indessen gestattet sei, sie unter Ansetzung einer angemessenen Frist von Oert- 
lichkeiten wegzuschaffen, an denen ihre Anwesenheit der staatlichen Sicherheit 
oder den militärischen Interessen gefährlich werden könnte. Unter gleichen 
Voraussetzungen sollte die Wegweisung aus dem Staatsgebiet erlaubt sein. 
Während der japanische Antrag hauptsächlich die Masseninternierungen, wie 
solche im spanisch-amerikanischen und im Transvaal-Kriege vorgekommen, ver- 
bieten wollte, bezweckte der italienische Antrag auch die nach dem Herkommen 
wohl nicht völkerrechtswidrigen Massenau sw eisungen auszuschliessen. Die An- 
tragsteller zogen aber ihre Antrüge zurück, nachdem stillschweigend von der 
Kommission dem Artikel 5 des Reglements die Interpretation gegeben worden, 
dass die ausdrückliche Zulassung der Internierung der Kriegsgefangenen aus- 
gehe von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Interniernng der Zivilbevöl- 
kerung des feindlichen Staates und dass der Umstand, dass bloss von Inter- 
nierung die Rede sei, die Massenausweisung nicht als erlaubt erscheinen lassen 
soll. Es ist also hier dem Art. 5 eine ausserordentlich extensive Auslegung 
gegeben worden, die, weil sie ausdrücklich im Protokoll der ersten Unterkoni- 
mission der II. Kommission vorgemerkt ist, bis zu einem gewissen Grade als 
authentisch zu betrachten ist. Das nach allgemeinem Völkerrecht jedem Staate 
zustehende Recht der Wegweisung lästiger Fremder, das er schon in Friedens- 
zeiten besitzt, ist begreiflicherweise im Kriege nicht beschränkt oder gar auf- 
gehoben, es soll nur nicht grösser oder gar völliger Willkür auheim gegeben sein. 

Ii T. I!. uml (J. T. II. (18'JSM Art. .">. 
•_») G. T. U. und Ci. T. K. (IH'M) Art. 43. 



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Die Fortbildung de« Vulkerrerhts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 581 



Während es in der Frage der persönlichen Freiheit der feindlichen Staats- 
angehörigen nicht zu einer vertragsmässigen Feststellung des geltenden Rechts 
gekommen ist, erfolgte eine solche hinsichtlich der rechtlichen Lage des Ver- 
mögens solcher Personen. Bis ins XVIII. Jahrhundert, ja vereinzelt bis 
ins XIX. Jahrhundert hinein, sind Konfiskationen von Privateigentum und 
Forderungsrechten der feindlichen Privaten erfolgt. Die Gesetzgebung einiger 
wichtiger Staaten lässt eine solche Massnahme heute noch als landesrechtlich 
möglich erscheinen. Auf Antrag der deutschen Delegation wurde zu den in 
Art. 23 a ufgezahlten Formen verbotener Kriegsmittel eine neue littera hinzu- 
gefügt, wonach es untersagt ist, die Rechte und Forderungen der Angehörigen 
der feindlichen Partei als erloschen, suspendiert oder uneinklagbar zu erklären. 
Diese Bestimmung ist ohne weitere Diskussion allgemein angenommen worden 

Die Frage, ob ein Kriegführender die Bevölkerung seines Gegners für 
seine eigenen militärischen Operationen verwenden darf oder nicht, 
ist allerdings hauptsächlich für das Kriegstheater und die okkupierten Gebiete 
wichtig, sie ist aber auch für das übrige Gebiet von Belang. Da die Verhand- 
lungen über das Neutralitätsrecht 2 ) ergeben haben, dass viele Staaten sich für 
berechtigt halten, die auf ihrem Gebiet domizilierten Ausländer zum Militär- 
dienst heranzuziehen, so wäre der Fall denkbar, dass ein Staat die auf seinem 
Gebiet befindlichen dienstfähigen Angehörigen der Gegenpartei gegen letztere 
verwenden würde. Ausdrücklich verboten war dies nicht; es hätte auch hier 
höchstens Art. 44 des Reglements von 1899 zu analoger Anwendung angerufen 
werden können. Auf Antrag der deutschen Delegation ist zu dem Verzeichnis 
der durch Art. 23 u ntersagten Kriegsmitteln noch ein weiteres Verbot hinzu- 
gekommen, nämlich die Ausschliessung jeder Verwendung von Angehörigen 
eines Staates gegen diesen selbst, auch für den Fall, dass 'solche "Personen 
bereits im "Dienste des Staates, der sie gegen ihr Vaterland verwenden wollte, 
gestanden hätten. Dieses Verbot 3 ) ist räumlich nicht beschränkt, gilt also 
unzweifelhaft auch für das vom Kriege nicht unmittelbar betroffene Gebiet 
der Kriegführenden. Wieweit dieses Verbot materiell reicht, wird sogleich in 
einem andern Zusammenhang erörtert werden 4 ). 

Die beiden neuen Bestimmungen, jedenfalls diejenige über den Fortbe- 
stand der Privatrechte in Kriegszeiten, sind ihrer Natur nach gar nicht auf 
den Landkrieg beschränkt, sie haben mit der speziellen Kriegführung zu Lande 
gar nichts zu tun. Da fast alle Kriege gleichzeitig zu Wasser und zu Lande 
geführt werden, ist eine verschiedene Behandlung der Bevölkerung ausserhalb 
des Kriegstheaters, je nachdem See- oder Landkrieg in Betracht kommt, be- 
grifflich gar nicht möglich. 

Was nun das V erhältnis der Kriegführenden Staaten und insbesondere 
ihrer Armeen zu der Bevölkerung des feindlich enGebietes anbetrifft, 
so ist zu unterscheiden 5 ) zwischen dem okkupierten, d. h. in der tatsächlichen 
Gewalt des Feiudes befindlichen Gebiet und dem Gebiet, um das noch ge- 



2) Vgl. unten .S. 60«. 
4) Vgl. unten S. :»>Ci ff. 



582 



Völkerrecht : Hnb«>r, 



kämpft wird, welches also das Kriegstheater bildet, üeber das o k k u p i e r t e 
Gebiet sind schon im Reglement von 1899 eine Reihe von Bestimmungen auf- 
gestellt worden Unter anderm war durch den bisherigen Artikel 44 des 
Reglements verboten, die Bevölkerung des okkupierten Gebietes zur Teilnahme 
an den Operationen gegen ihr eigenes Land zu zwingen. Es konnte unter 
der Konvention fraglich sein, ob dieses Verbot auch für das noch nicht ok- 
kupierte, d. h. den Gegenstand des Kampfes bildende Gebiet gelte. Es 
liesse sich für die Bejahung der Frage das argumentum a fortiori anrufen, 
dass der Invasor da, wo er noch nicht in unbestrittenem Besitze ist, nicht 
mehr Recht haben könne, als da, wo er tatsächlich die Staatsgewalt als Ok- 
kupant ausübt. Diese Betrachtungsweise entspräche aber, wie die Verhandlungen 
ergeben haben, durchaus nicht der allgemeinen Anschauung; es wurde vielmehr 
von einzelnen Staaten der Standpunkt eingenommen, dass das Verbot des 
alten Artikels 44, die Bevölkerung zur Teilnahme an den militärischen Ope- 
rationen gegen ihr eigenes Land zu zwingen, entsprechend der Stellung des Ar- 
tikels im Reglement, nur für okkupiertes Gebiet gelte, nicht aber für die Ope- 
rationszone. In dieser befinden sich die Kriegführenden in der Tat oft ganz 
andern und momentan zu befriedigenden Bedürfnissen gegenüber, sodass es 
verständlich ist, wenn man für die unmittelbaren Bedürfnisse der Kriegführung, 
* speziell für die Nachrichtenbeschaffung und die Kampfvorbereitung auch die 
Zivilbevölkerung heranziehen will. Nach deui deutschen Antrag aber, bezw. 
dem darauf fussenden Zusatz zu Art. 23 2 ), in welchem die Verwendung einer 
Bevölkerung zu militärischen Operationen gegen ihre Heimat unter die schlecht- 
hin verbotenen Kriegsmittel eingereiht worden ist, kann nun kein Zweifel mehr 
bestehen, dass überall, d. h. in der Ope rationszone, in dem okkupierten Ge- 
biet und in dem vom Kriege nicht uiiiuittelhar in Mitleidenschaft gezogenen 
Territorium (Ter "Kriegführenden ein Kriegführender die Bevölkerung seines 
Gegners nicht verwenden darf. 

War es nicht schwierig, den räumlichen Geltungsbereich dieses Verbotes 
zu erweitern, so traten sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten über den 
materiellen Inhalt der Bestimmung zu Tage. Der alte Artikel 44 und 
der neue Art. 23 sprechen von „prendre part aux Operations dirigees contre 
leur propre pays." Darunter kann Verschiedenes verstanden werden und es 
sind auch diametral entgegengesetzte Ansichten zu Tage getreten. Während 
die einen in extensiver Weise interpretierten und jeden Zwang zu „unmittel- 
barer oder mittelbarer, kollektiver oder individueller Teilnahme, einschliess- 
lich der Erteilung von Nachrichten" untersagen wollten , wurde von anderer 
Seite das Verbot so formuliert, dass es sich nur auf die Verwendung der Be- 
völkerung als Kombattanten beziehen sollte. Diese Gegensätze traten schon 
in der 1. Friedenskonferenz hervor, der Gegensatz zwischen grossen Militär- 
mächten einerseits und Klein- und Mittelstaaten andererseits war aber diesmal 
nicht so markant wie 1874 und 1899. 

I i G. T. K. (1*09) Art. 42—50 und G. T. R. [die gleichen Artikel», speziell Art, 42 
bis 45, 4s-49 und 55. 

2) G. T. R. Art. 23 al 2. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 583 



Zu einer vertragsmässigen Umschreibung des Begriffs „militärische Ope- | 
rationen" ist es nicht gekommen; eine solche wäre auch nicht wohl möglich, 
sie würde entweder zu eng oder zu umfassend sein, entweder eine Verschlech- 
terung des bisherigen Zustandes bewirken oder aber Gefahr laufen, Undurch- 
führbares zu verlangen. Als sicher kann indessen jedenfalls gelten, dass 
unter den Begriff der Teilnahme nur eine solche Mitwirkung fällt, die unmittel- 
bar mit den militärischen Operationen im engern Sinne Kampf, Vertei- 
digungsvorbereitung u. s. w. zusammenhängt. Dienste polizeilicher und admini- 
strativer Art dagegen, obschon sie für die Kriegführung auch wertvoll sein 
können, scheinen nicht als unzulässig betrachtet zu werden 1 ). Eingeschlossen 
in das Verbot ist jede aktive Teilnahme dieser Art, auch als Nichtkombattant, 
nicht aber die blosse Erteilung von Auskünften, die kein eigentliches 
Handeln des Requirierten bedingt. Ein dahin gehender Antrag ist zwar an- 
genommen worden 2 ). An Stelle des alten Art. 44, der durch die Verallge- 
meinerung des in ihm enthaltenen Verbots als Sonderbestimmung für das ok- 
kupierte Gebiet überflüssig geworden war, ist ein neuer Artikel 44 eingefügt 
worden, welcher dem Kriegführenden, der ein Gebiet okkupiert hat, verbietet, 
die dortige Bevölkerung — und zwar die gesamte 3 ), nicht nur die einheimische 
— zu Mitteilungen über die andere Armee zu zwingen. Dieses Verbot bezieht 
sich aber nur auf die Okkupationszone, nicht aber auf die Operat ionszone ,, in 
welcher vor allem eine Armee Veranlassung bat, von Privaten Nachrichten 
über den Gegner zu verlangen. Im okkupierten Gebiet wird die Bevölkerung 
in der 'Reget ganz von der ~ Verbindung mit der Armee ihres Landes abge- 
schnitten sein und deshalb auch keine Nachrichten geben können. Doch auch 
in dieser räumlich beschränkten Geltung ist der Artikel von einer Reihe von 
Staaten nicht angenommen worden, so von Deutschland, Oesterreich-Ungarn 
und Japan 4 ). 

Anderseits hat das Verbot des Art. 44, jetzt Art. 23 eine inhaltliche 
Erweiterung erfahren. Die Frage, ob Führerdienste gefordert werden 
dürfen, war von der I. Friedenskonferenz offen gelassen, bezw. eher negativ 
entschieden worden. Nunmehr sind derartige Requisitionen als unzulässig zu 
betrachten. Es hat sich über diesen Gegenstand eine lebhafte Diskussion ent- 
wickelt und die entgegengesetzten Standpunkte erklären sich leicht durch den 
Umstand, dass die Kriegführung nicht nur in verschiedenen Erdteilen, sondern 
selbst in verschiedenen Teilen von Europa die Requirierung von Führerdiensten 
in ganz verschiedenem Masse als militärisch notwendig, bezw. wünschbar er- 
scheinen lässt. Da aber der österreichisch-ungarische Antrag, der das Verbot 
des Art. 44/23 auf die Ver\ven3üng Einheimischer " aTs~~Kombattanten be- 
schränken und gerade die Führerdienste implicite als zulässig erklären wollte, 
nicht durchdrang; da vielmehr von einer ganzen Reihe von Staaten solche Re- 
quisitionen, wenigsten für die Zukunft, als völkerrechtswidrig bezeichnet und 

1) Solche Dienste sollten nach den fallengelassenen Bestimmungen der Neutralität*- 
Konvention (G. T. N.) auch von Neutralen gefordert werden dürfen (vgl. unten S. t>UÜ). 

2) G. T. It. Art. 44. 

8) Man vergleiche den neuen Art. 44 mit dem alten sowie mit Art. 23 al 2. 
4) Vgl. oben S. Anm. 1. 



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584 



Völkerrecht : Huber, 



von keiner Seite entgegengesetzte Vorbehalte gemacht wurden, kann nun als 
positives Recht betrachtet werden, dass ein Kriegführender nirgends von der 
einbeimiseben Bevölkerung des von ihm invadierten oder okkupierten Gebietes 
1 verlangen kann, dass sie ihm FüHrerdienste in seinen gegen ihr eigenes Land 
gerichteten Operationen leiste. Ein Kriegführender kann solche Dienste wohl 
durch Bestechung sich verschaffen, er kann aber nicht seine Kriegsgewalt zu 
diesem Zwecke zur Geltung bringen, d. h. die Verweigerung der Dienste mit 
irgendwelchen Strafen bedrohen. 

In Bezug auf das in einem okkupierten Gebiete befindliche Eigentum 
sind nur drei Aenderungen am Texte der Konvention von 1899 vorgenommen 
worden: Einmal ist der Artikel 53 des Reglements, welcher vom Beuterecht 1 ) 
des Okkupanten handelt, in seinem zweiten, auf die Beschlagnahme 
auch privaten Verkehrsmaterials bezüglichen Absatz in dem 
Sinne umgestaltet worden, dass die bisherige Aufzählung von Eisenbahnmate- 
rial, Telegraph, Telephon und Schiffen ersetzt worden ist durcli eine generelle 
Form 2 ), indem jetzt alle Einrichtungen und Gegenstände, welche dem Trans- 
port von Personen oder Sachen oder der Vermittlung von Nachrichten, sei es 
auf der Erde, zu Wasser oder durch die Luft dienen, vorbehaltlich der Rück- 
gabe und Entschädigung, beschlagnahmt und gebraucht werden können. Es 
ist zu Protokoll festgestellt worden, dass bei den Fuhrwerken nicht nur die 
Wagen, sondern, analog den Bestimmungen der neuen Genferkonvention 8 ), 
auch die Bespannung dieser Beschlagnahme unterliegt. 

An Stelle des in die Xeutralit-ätskonvention eingereihten alten, auf das 
Eisenbahnmaterial der Neutralen bezüglichen Art. 54 ist auf Antrag Däne- 
marks eine neue , auf die unterseeischen Kabel betreffende Bestim- 
mung gesetzt worden 4 ). Darnach dürfen diese Kabeln nur im Falle absoluter 
Notwendigkeit — eine Beschränkung, welche für die übrigen Kommunikations- 
mittel nicht gilt — zerstört, also hauptsächlich zerschnitten oder auch nur 



1) Die Landkriegskonvention gebraucht an verschiedenen Stellen die Ausdrücke .saisir" 
und „saisie* in abweichendem .Sinne. Obwohl in dem Begriff .saisir* die Idee einer dauern- 
den Aneignung ohne Rückerstattung an sich nicht enthalten ist. sondern .saisir* lediglich 
eine temporäre Besitzergreifung, d. h. Beschlagnahme bedeutet, ist wohl kaum zu bezwei- 
feln, dass es in einzelnen Fällen mit Wegnahme lim Sinne von Aneignung) wiederzugeben 
ist, so jedenfalls in G. T. H. Art. 23 g und G. T. R. <1«>!>) Art. 23 g. In Art. 53 al 1 {Staats- 
eigentum an Bargeld. Wertbeständen, liquiden Forderungen, Waffenniederlagen . Beförde- 
rungsmitteln etc.) wird der Ausdruck „saisir* sowohl von der amtlichen lebersetzung des 
Hciehsgesetzblattes 11)01 wie der amtlichen Gesetzessammlung der schweizerischen Eid- 
genossenschaft (A. S. n. F. XXIII» durch .mit Beschlag belegen" wiedergegeben, während 
diese beiden Quellen in Art. 28g von .Wegnahme" sprechen. Ks kann aber fraglich er- 
scheinen, ob in Art. 53 al 1 nur von einer temporären Besitzergreifung die Hede ist und 
nicht vielmehr von einer Aneignung kraft Beuterechts. Dafür spricht, dass in Art. 53 al 2. 
der von dem Verkehrsmaterial handelt, ausdrücklich die Rückerstattung vorgesehen ist. 
In dein neuen auf die Lindungskabcl bezüglichen Art. 54 bedeutet „saisir* zweifellos blosse 
Beschlagnahme: in Art. •">'> (Eigentum von Gemeinden und öffentlichen Anstalten) kann es 
sowohl Wegnahme wie Beschlagnahm«; bedeuten. In den beiden zitierten offiziellen l'eber- 
setzungen wird der Ausilruck „saisir" in diesem Artikel durch das juristisch unklare Wcirt 
. Entfernung* wiedergegeben. 

Auch in den Konveiitionsprojekteu betr. die Hechte und Pflichten der neutralen Per- 
sonen im Gebiet der Kriegführenden kommt der Ausdruck „saisir* in zweideutigem Sinne 
vor. Vgl. unten S. (»08 Anin. 2. 

2) G. T. Ii. Art. 53 al 2. 3) Genfer Konvention von 1S»06 Art. II u. 17. 
•1) G. T. Ii. Art. 51. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Hafig. 585 



beschlagnahmt, d. h. vom Kriegführenden entweder für seinen ausschliesslichen 
Gebrauch reserviert oder überhaupt ausser Funktion gesetzt werden. Rück- 
gabe und Entschädigung erfolgen in gleicher Weise wie für die übrigen pri- 
vaten Kommunikationsmittel. Diese Bestimmung bezieht sich aber nur auf 
Eingriffe, die vom Lande aus erfolgen können, also hauptsächlich auf die sog. 
„cables d'atterrissage' und nur auf Kabeln, die ein neutrales Gebiet — und 
zwar unmittelbar — mit okkupiertem Gebiet verbinden. Unter okkupiertem 
Gebiet ist in diesem Falle nicht nur solches Gebiet verstanden, welches in dem 
spezifisch kriegsrechtlichen Sinne okkupiert ist, sondern auch in der Opera- 
tionszone können solche Schädigungen von Kabeln durch Streifkorps oder 
sonstige kleine Detachements vorgenommen werden. In keiner Weise wird 
indessen durch diese neue Bestimmung in die Seekriegsführung eingegriffen. 
Dort fehlt es vorderhand noch an einer auf die Rechtslage der Kabel im Kriege 
bezüglichen Konvention. 

Die dritte Aenderung betrifft die E n t s c h ä d i g u n g, welche f ü r R e- 
quisitionen in natura zu leisten sind. Diese sollen, wenn möglich, in 
bar und zwar sofort vergütet werden. Wenn dies nicht angeht, so sind Gut- 
scheine auszustellen. Diese sollen — und das ist neu hinzugekommen — so- 
bald als möglich bezahlt werden ') und zwar, wie sich aus der Stellung des 
Artikels in der Konvention ergibt, durch den okkupierenden Kriegführenden. 

B. Die Neutralität. 

I. Das Wesen der Neutralität. 

Neutralität ist das Verhältnis eines im Friedenszustande befindlichen 
Staates zu einem kriegführenden Staate. Das Verhältnis ist zunächst ein rein 
tatsächliches, ein blosser ReHex des zwischen zwei oder mehr andern Staaten 
bestehenden Kriegszustandes. Während der Krieg immer durch den Willen 
der einen Kriegspartei oder beider Parteien herbeigeführt wird, beruht das 
Neutralitätsverhältnis — abgesehen von dem singulären Fall der sog. ewigen 
Neutralität — nicht auf einem auf die Herbeiführung dieses Verhältnisses 
gerichteten Rechtswillen, sondern ergibt sich eo ipso aus einer, von dem Willen 
der neutralen Staaten unabhängigen und ihnen überhaupt fremden Tatsache: 
dem Krieg zwischen dritten Staaten. 

Aus diesen Erwägungen folgt zweierlei : erstens, dass das Neutralitäts- 
verhältnis seinen zeitlichen Anfang unabhängig von dem Willen des Neutralen 
nimmt, also nicht erst durch diesen oder mit dessen Zustimmung begründet 
werden muss, und zweitens, dass die Neutralität nur insoweit die Rechtslage 
des Neutralen verändert, als eine Abweichung gegenüber dem gewöhnlichen 
Friedenszustande statuiert ist. Grundsätzlich, soll der Neutrale von dem zwi- 
schen dritten Staaten geführten Kriege völlig unbehelligt bleiben, der Krieg 
ist und bleibt für ihn res inter alios acta. Da aber das rechtliche Unbeteiligt- 
sein ein verschiedener Auslegung fähiger Begriff ist und namentlich durch 
Personen, die nicht Organe des neutralen Staates sind und daher unabhängig 

1) Ii. T. K. Art. :>> al 3. 



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580 



Völkerrecht: Huber, 



von ihm, aber doch von seinem Gebiet aus zu handeln in der Lage sind, 
etwas getan werden kann, was für die Kriegführung erheblich ist, so besteht 
die Notwendigkeit, den Neutralitätsbegriff rechtlich zu umgrenzen. Man spricht 
dann von Rechten und Pflichten der Neutralen '). Diese Ausdrucksweise ist 
ungenau. Die Sätze, welche das Neutralitätsrecht aufstellt, bedeuten sämtlich 
Pflichten der Neutralen, denen allerdings als Korrelate Pflichten der Krieg- 
führenden gegenüberstehen*). Die Pflichten der Neutralen sind Durchbrech- 
ungen des Grundsatzes, dass der neutrale Staat durch den Krieg keinerlei 
Veränderung in seiner Rechtslage erfahre. Die sog. Rechte der N eutral en 
bestehen lediglich entweder in der Konstatierung des Nichtvorhandenseins 
einer unter Umständen zu vermutenden Pflicht 3 ) oder in dem Anspruch auf 
Integrität des neutralen Territoriums gemäss den entsprechenden Pflichten der 
Kriegführenden 4 ). Aber neue Rechte, die der Neutral e nicht jschon im Frieden 
hätte, erlangt dieser durch den Krieg zwischen dritten Staaten nicht. 

Es ergibt Sich aüs diesen Erwägungen" aueh~ eine wichtige Polgerung für 

die Interpretation der auf die gegenseitigen Verhältnisse der neutralen und 
kriegführenden Staaten bezüglichen Rechtssätze. Abgesehen davon, dass die 
von der Konferenz geschaffene Konvention keine _ersehöpfende Kodifikation 
zu sein beansprucht und nur einzelne besonders wichtige und zu Zweifeln 
Anlass gebende Fälle regelt, kann das, was in dem Abkommen nicht erwähnt 
ist, deshalb nicht als erlaubt, bezw. als _veTTmten betrachtet worden. Die luter- 
pretation des geschriebenen Neutralitätsrechts zur Konstruktion des unge- 
schriebenen Rechts ist von zwei verschiedenen Grundsätzen geleitet, je nach- 
dem es sich um die Neutralen oder um die Kriegführenden handelt. Den 
letztern steht der absolute Grundsatz der L'nverletzlichkeit des neutralen 
Gebiets entgegen und es ist ihnen deshalb nichts zu tun gestattet, was nic ht 
ausdrücklich erlaubtjsK Der "Neutrale dagegen, der dem Kriege fern steht und 
durch diesen nur Lasten erhält, ist zu nichts verpflichtet, was ihm nicht aus- 
drücklich auferlegt ist. bezw. was 'sich nicht aTs~Pflicht aus dem "Wesen der 
NeülFalität notwendig ergibt. DuTYermutung streitet immer für die Freiheit 
fies Neutralen. 

Die Friedenskonferenz hat sowohl die zeitliche Ausdehnung der Neu- 
tralität als deren materiellen Inhalt zu regeln unternommen. Der erstere Punkt 
hat seine Ordnung in der Konvention betr. die Eröffnung der Feindselig- 
keiten erhalten, der letztere dagegen in der Konvention betr. die Rechte und 
Pflichten der neutralen Staaten und Personen im Landkriege. 

Die Frage nach dem materiellen Inhalt der Neutralität ist unter zwei 
durchaus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, je nachdem man den 
Staat als einen Gehjcts_vyrband oder als einen Personenverband betrachtet. 
Iiis dahin ist im Völkerrecht — wenigstens, was den Landkrieg betrifft -- 
fast nur die eine und zwar die erstgenannte Seite berücksichtigt worden. 
Der neutrale Staat ist als Gebietsverband neutral, aus der Neutralität der 

1) Ausdruekswe isc der Konvention X. T. 

X. T. Art. :» und i». :ti X. T. Art. <>-K. 10. 

4| X. T. Art. 1-4. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 587 



Staatspersönlichkeit folgt, dass das neutrale Staatsgebiet unverletzlich ist, dass 
keine kriegerischen Massnahmen der Kriegführenden auf oder von diesem 
Gebiet aus vorgenommen werden können und dass alle darauf befindlichen 
Personen und Sachen von der Kriegsgewalt der Kriegführenden befreit sind. 
Die Neutralität kommt demnach unmittelbar nur dem Staate zu, einzelnen 
Personen und deren Sachen dagegen nur mittelbar dadurch, dass sie sich 
innerhalb des neutralen Gebietes befanden. Unter diesen Umständen kann man 
nicht in dem Sinne von neutralen Personen sprechen, dass darunter die An- 
gehörigen d. h. die durch ein dauerndes rechtliches Band mit einem neutralen 
Staate verbundenen Menschen zu verstehen wären; neutral sind vielmehr — 
und zwar nur mittelbar neutral — alle, welche sich auf dem neutralen Staa ts- 
grfnet befanden; auch wenn Trte^Angehörige eine r der K riegsparteien sind. 
Diese streng t"e r fitonal e N e u t r a 1 i t ä t hat sich ausgebildet mit dem 
modernen Staat," der über ööin Gebiet kraft seiner Souveränität eine schranken- 
lose und ausschliessliche Herrschaft beansprucht. Man konnte sich auch mit 
einer solchen Neutralität begnügen, solange fast die Gesamtheit der Staats- 
angehörigen sich im eigenen Staatsgebiete aufhielten und dadurch wegen der 
Territorialneutralität von den Wirkungen des Krieges verschont blieben. 

Neben dieser territorialen Neutralität ist aber noch eine extraterri- 
toriale oder personale denkbar, welche nicht bloss ein Staatsgebiet für 
neutral erklärt, sondern den neutralen Staat als Personenverband betrachtet 
und dessen Glieder, auch wennsie ausserhalb des neutralen Territoriums slcIT 
befinden, als neutral, d7K anders als die Angehörigen der kriegführenden 
Staaten behandelt. Eine derartige Neutralität, obwohl im Mittelalter Ansätze 
dazu vorhanden waren, war dem bisherigen Völkerrechte fremd, wenigstens 
dem gemeinen Gewohnheitsrecht. In Staatsverträgen ist wiederholt von den 
Kontrahenten für den Kriegsfall den gegenseitigen Staatsangehörigen eine 
bevorzugte Stellung zugesichert worden. Aber ohne solche besondere Stipu- 
lationen waren diese Personen im Gebiet der Kriegführenden deren Staats- 
gewalt auch im Kriege vollständig untergeordnet und im invadierten und 
okkupierten Gebiet kam ihnen gegenüber die Kriegsgewalt in gleicher Weise 
wie den Einheimischen gegenüber zur Geltung. Das Landkriegsreglement von 
1899 hatte, von einer Ausnahme abgesehen 1 ), für sie keine differenzielle, 
d.h. günstigere Behandlung vorgesehen, im Gegenteil eine bestimmte Immunität 2 ) 
nur den Einheimischen ausdrücklich zugesichert. Die Bevölkerung im Kriegs- 
gebiet sollte ohne Rücksicht auf ihre Nationalität gleiehmüssig behandelt 
werden und für die Rechte und Pflichten der neutralen Ausländer in den 
vom Kriege nicht betroffenen Landesteilen bestanden überhaupt keine Vor- 
schriften 3 ). 

Auf dem Gebiete dieser extraterritorialen Neutralität wollte ein deuts c her 
Antrag ein völlig neues Recht entstehen lassen. Er wollte die herkömmliche 

1) G. T. R. (1899) Art. 5t (betr. das neutrale Eisenbalmmaterial). 

2) G. T. R. (1899) Art» 44 (Zwang zur Teilnahme an militärischen Operationen gegen 
das eigene Land). 

3) Vgl. hierüber die Ausführungen unten S. tiÜT. 

r c • f ?< ■ ' * • <- - - > - <S { ; .: J, :/ 



588 



Völkerrecht : Huber. 



Neutralität, deren Regeln auf Grund eines französischen Antrages kodifiziert 
wurden, um eine neue personale, extraterritoriale erweitern. Zu diesem 
Zwecke stellte der deut sche Entwurf eine D efinitio n der neutral en Perso nen 
auf, reihte daran Bestim mungen über die Dienstleistungen , welche von solchen 
Personen nicht gefordert, bezw. trotz der neutralen Eigenschaft doch verlangt 
werden können und vervollständigte das System durch eine grosse Zahl von 
Bestimmungen, die sich auf das im Gebiet der Kriegführenden befindliche 
Eigentum neutraler Personen bezogen. Ein Teil der Sätze wurde von den 
Initianten als Ausdruck geltenden Rechts bezeichnet, die Verhandlungen er- 
gaben aber, dass in Bezug auf die Stellung der neutralen Personen im Gebiet 
der Kriegführenden die verschiedensten Ansichten bestehen, dass also, mangels 
einer übereinstimmenden Rechtsüberzeugung, schlechthin die aus der staatlichen 
Souveränität abzuleitenden Grundsätze zur Anwendung kommen. Eine Einigung 
konnte nicht erreicht werden, nicht nur weil die bisherige Rechtslage unsicher 
war und über die Opportunität eines solchen extraterritorialen Neutralitäts- 
systems verschiedene Ansichten möglich sind, sondern weil auch die bestehende 
Gesetzgebung vieler Staaten auf einer dem deutschen Antrag geradezu ent- 
gegengesetzten Grundlage beruht. Es ist nämlich bei der extraterritorialen 
Neutralität zu unterscheiden zwischen dem Verhältnis des Kriegführenden 
zu den in seinem Gebiet domizilierten Ausländern und demjenigen zu den im 
Gebiet des andern Kriegführenden niedergelassenen Fremden, über die er 
durch Invasion oder Okkupation eine tatsächliche, momentane oder vorder- 
hand dauernde Verfügungsmacht erlaugt hat. Während in letzterem Falle es 
sich um rein völkerrechtliche Beziehungen handelt, liegt im ersteren Falle ein 
von der Landesgesetzgebung geregeltes Verhältnis vor, und diese Regelung ist 
in der Tat mancherorts in dem Sinne erfolgt, dass ein Staat die auf seinem 
Gebiete wohnhaften Ausländer sogar zum Kriegsdienste heranziehen kann. 

Von diesem ganzen extraterritorialen Neutralitätsrecht sind nur zwei 
Dinge übriggeblieben : die Definition ') der neutralen Person und die Ver- 
hältnisse des neutralen Eisenbahnmaterials. Letztere Bestimmung ist eine 
modifizierte Wiederholung eines jetzt gestrichenen Artikels des Landkriegs- 
reglements von 1899 2 1. Die Definition ist, obwohl fast die ganze auf sie auf- 
gebaute Rechtsordnung nicht zur Verwirklichung gekommen ist, doch, wie 
unten auszuführen ist, nicht gegenstandslos und überdies ist der Torso des 
deutschen Antrages, der in dem dritten und vierten Kapitel der Neutralitiits- 
kouvention enthalten ist, für die künftige Rechtsbildung als Kristallisations- 
punkt von Bedeutung. 

Abgesehen von der Hauptfrage: nur territoriale Neutralität oder auch 
extraterritoriale, sind noch zwei andere allgemeine Grundsätze des Neutralitäts- 
rechts zu erwähnen: die Gegenseitigkeit und die Parität. Unter der Gegen- 
seitigkeit des Xeutralitätsverhältnisses ist zu verstehen, dass, wie der 
neutrale Staat verlangen kann, von dein Kriege völlig unberührt zu bleiben, 
er auch seinerseits in keiner Weise in diesem beteiligt sein darf, weder aktiv 

Ii N. T. Art. 1(5 \$. 

■>) <4. T. K. (1*9!>) Art. M; N. T. Art. 19. 



■ 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Hiiag. 589 



noch passiv'). Da die Interessen der Kriegführenden immer antagonistisch 
sind, bedeutet auch das Gewährenlassen des einen Kriegführenden bei Ein- 
griffen in das neutrale Gebiet eine positive Benachteiligung des andern und 
damit eine Neutralitätsverletzung. Dieser Grundsatz der Gegenseitigkeit ist 
auch für das extraterritoriale Neutralitätsrecht aufgestellt worden und zwar 
so, dass sowohl der neutrale »Staat seinen Angehörigen die Teilnahme am 
Kriege versa geil sollte, als auch die letztem seihst sieh ihrer neutralen Eigen- 
schaft begeben würden, wenn sie sich feindliche Handlungen gegen die eine 
Knegspä'flei,' beziehungsweise' Begünstigungen der andern zu Schulden kommen 
liessen. Die erstere Form der Gegenseitigkeit 2 ) ist zwar fallen gelassen worden, 
weil ein Staat den ausserhalb seines Gebietes befindlichen Angehörigen wirk- 
sam nicht befehlen kann. Die Wahrung der extraterritorialen, d. h. Privaten 
zukommenden Neutralität soll diesen überlassen bleiben 3 ). Eine extraterritoriale 
Verantwortung kann ein Staat nicht übernehmen, der neutrale Staat kann 
deshalb allerdings auch keinen so weit gehenden Neutralitätsschutz für seine 
ausserhalb seines Gebiets befindlichen Angehörigen verlangen und auch diesen 
nur dann, wenn sich diese Personen ihrer neutralen Stellung nicht selber 
begeben haben. Bei der territorialen Neutralität ist die Verantwortung da- 
gegen eine absolute; der neutrale Staat haftet für alles, was auf oder von 
seinem Gebiet aus geschieht und es ist dabei gleichgiltig, von wem, ob von 
einem Staatsangehörigen, oder dem Angehörigen einer andern neutralen Macht 
oder der Kriegführenden neutralitätswidrige Handlungen begangen werden. 
Diese absolute Haftung des neutralen Staats, auf Grund der territorialen 
Neutralität, ist das Korrelat der Unverletzlichkeit des neutralen Gebiets, welche 
den Kriegführenden jede Repression daselbst begangener rechtswidriger Hand- 
lungen verbietet. 

Der zweite Grundsatz, derjenige der Parität, besteht darin, dass der 
Neutrale in völlig gleicher Weise sich gegenüber beiden Parteien verhalte. 
Eine solche äusserliche Gleichheit kann allerdings, je nach der geographischen 
Lage, den ökonomischen Hilfsmitteln der Kriegführenden und den Sympathien, 
die letztere bei der neutralen Bevölkerung gemessen, eine weitgehende Ungleich- 
heit bedeuten. Da aber eine materielle Parität kaum durchführbar ist, so hat 
sich die Konferenz auf den Boden gestellt, es sei eine formelle, dafür aber 
strikte und unzweideutige Parität zu verlangen 1 ). Jeder neutraltTStaat weiss 
nun genau, was er zu tun bezw. zu lassen hat. Hält er sich an diese Vor- 
schriften, so kann ihm kein Vorwurf gemacht werden. Das Interesse an wirk- 
licher Gleichbehandlung beider Kriegsparteien muss zurücktreten vor dem- 
jenigen der Rechtssicherheit und der Unzweideutigkeit der Normen. 

Die Parität ist aber ein Grundsatz, der demjenigen der Gegenseitigkeit 
nachgeht. Vor allem soll der Neutrale dem Kriege völlig fern bleiben, das 
ist das Wesen der Neutralität. Begünstigt er beide Parteien gleich, lässt er 
z. B. beide Parteien in gleicher Weise sich seines Gebiets bedienen, so liegt 




2) Vgl. unten 8. G\>4. 
4) N. T. Art. 9. 



• 



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Völkerrecht: Huber. 



darin eine Neutralitätsverletzung. Eine Achtung seiner Neutralität kann nur 
der Staat fordern, der sie wirksam behauptet. 

Die von der Konferenz geinachten Kodifikationsversuche, bezw. die von 
ihr zustande gebrachten Konventionen auf dem Gebiete des Seekriegs- 
rechts betreffen sowohl die territoriale wie die extraterritoriale Neutralität. 
Die Konvention betr. die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten im 
Seekriege bezieht sich ausschliesslich auf die territoriale Neutralität, die extra- 
territoriale dagegen, die im Seekrieg eine ganz besondere Wichtigkeit hat, ist, 
wie oben ausgeführt, nur zu einem sehr kleinen Teil vertragsmässig geregelt 
worden. Uebrigens kommt in das Neutralitätsseerecht ein besonderes Moment 
dadurch, dass, was im Landkriege heute tatsächlich ausgeschlossen ist, der 
Krieg sich grösstenteils ausserhalb jedes Staatsterritoriums abspielt. 

II. Der Beginn der Neutralität. 

Es ist schon bemerkt worden, dass das Neutralitätsverhältnis als Reflex 
eines Kriegszustandes ohne weiteres eben durch den Kriegsbeginn seinen An- 
fang nimmt. Da aber die Neutralität, trotzdem sie an sich die neutralen 
Staaten zu nichts verpflichtet, doch mittelbar ihnen Lasten und Verantwort- 
lichkeiten aufbürdet, ist es für sie nachteilig, wenn sie keine unzweideutige 
Anzeige der veränderten Rechtslage erhalten. Diesem Zustande ist durch die 
Konvention betr. die Eröffnung der Feindseligkeiten 
abgeholfen worden. Darnach ist den neutralen Staaten der Kriegszustand — 
und wohl von allen Kriegführenden — unverzüglich zu notifizieren '), eine 
Pflicht die auch dann besteht*), wenn nicht alle am Kriege beteiligten Staaten 
zu den Kontrahenten der Konvention betr. Eröffnung der Feindseligkeiten 
gehören. Erst mit der Notifikation beginnt — wie die Konvention nicht ganz 
zutreffend sagt — der Kriegszustand für die neutralen Staaten Rechtswir- 
kungen zu erzeugen 5 ). Diese Notifikation kann auf telegraphischem Wege 
erfolgen 4 ), also nicht notwendigerweise auf dein Wege des normalen diploma- 
tischen Verkehrs. Die Notifikation wirkt für den Empfänger sofort. Es war 
vorgeschlagen worden, dass erst 48 Stunden nach Empfang der Mitteilung der 
neutrale Staat zu den besondern aus der Neutralität sich ergebenden Pflichten 
angehalten sei. Eine solche Frist wurde aber fallen gelassen, weil sie für die 
einen Fälle zu lang, für andere dagegen viel zu kurz ist. Soweit die neutrale 
Haltung eines Staates unmittelbar von der Zentralregierung abhängt, kann 
die Beobachtung der Neutralität sofort in vollem Masse erfolgen. Es wäro 
geradezu unnatürlich, einen Zwischenzustand anzunehmen, während dessen 
eine Regierung sich zwar als neutral betrachtet, aber doch nicht zu den mit 
der Neutralität verbundenen Pflichten angehalten ist. Anderseits ist es klar, 
dass die Zentralregierung des neutralen Staates zwar die Pflicht hat, auf die 
rascheste Weise die Notifikation weiterzugeben an alle Punkte des Staats- 
gebiets — einschliesslich ihrer Aussenstationen (diplomatische Agenturen, 
Kriegsschiffe) — , dass sie aber nicht für neutralitätswidrige, im Friedenszu- 

l! (). H. Art. 2. 2) O. II. Art. 3 !il 2. 

:$) 0. II. Art. J. Ii ibid. 



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Die Fortbildung den Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 591 



stund jedoeh erlaubte Handlungen, die in ihrem Gebiet oder durch ihre Organe 
erfolgen, verantwortlieh ist, wenn die Kenntnis von dem Kriegszustand noch 
nicht an den Tatort hat dringen können. Es kann deshalb gesagt werden, 
dass mit dem Notifikationsempfang seitens des Neutralen dessen Neutralitäts- 
pflichten beginnen rechtswirksam zu werden, jedoch nicht schlechthin in Kraft 
bestehen. 

Durch die NotifikationspHicht ist indessen das Wesen der Neutralität 
nicht verändert worden. Die Neutralität beginnt gleichwohl, wie bisher, mit 
dem Ausbruch eines Krieges zwischen dritten Staaten. Sie wird nicht erst 
begründet durch die Notiiikation, diese hat nur deklaratorische, keine kon- 
stitutive Bedeutung. Nicht durch ein Rechtsgeschäft, d. h. durch Notifikation 
wird das Verhältnis der Neutralität zwischen dem notifizierenden Kriegführen- 
den und dem Neutralen begründet, es entsteht immer noch ipso jure. Wenn 
nämlich der Kriegführende, der noch nicht notifiziert hat, glaubt sich über 
eine Neutralitätsverletzung beschweren zu sollen, so kann ihm gegenüber vom 
Neutralen das Ausbleiben der Notifikation nicht als Entlastungsgrund oder 
peremptorische Einrede geltend gemacht werden, wenn auf unzweifelhafte Weise 
festgestellt werden kann, dass der Neutrale von dem Kriegszustande auf andere 
Weise Kennt nis gehabt hat Dies wird bei der heut igen Nachrichten Ver- 
mittlung wohl meistens der Fall sein. Die Notifikation ändert somit an dem 
bisherigen Zustande nur insoweit etwas, als sie für den Fall der Neutralitäts- 
vcrletzungeti die Beweislast in der Frage der Haftbarkeit bestimmt. Ist die 
Notifikation erfolgt, so ist der Neutrale unbedingt haftbar. Ist sie nicht er- 
folgt, so muss der verletzte Kriegführende zuerst beweisen, dass, wenn die 
Verantwortung bestritten wird, der Neutrale in Kenntnis der ihn zur Neu- 
tralität verhaltenden Rechtslage und im Widerspruch mit dieser gehandelt 
habe. In allen Fällen ist das Neutralitätsverhältnis nach der bona fides zu 
beurteilen. Trotzdem die Notifikation ein formelles Moment hineingetragen hat, 
ist die Natur der Neutralität im wesentlichen dasselbe geblieben. 

Eine kaum beabsichtigte Wirkung der Notifikationspfiicht ist die durch 
sie bedingte Qualifizierung der Gewaltanwendung. Die Konvention bezieht sich 
nur auf den Krieg. Wenn die Notifikation erfolgt, so erklärt der Notifizierende 
damit, dass er in ein Kriegsverhältnis zu einem andern Staate eingetreten ist. 
ünterlässt er die Anzeige, so können die unbeteiligten Staaten annehmen, es 
handle sich um Gewaltanwendung ausserhalb des Krieges, um Friedensblokade 
und ähnliche Massregeln. Sie sind dann auch nicht zur Beobachtung der 
Neutralität verpflichtet. Der Staat, welcher nicht notifiziert hat und sich doch 
über eine Neutralitätsverletzung beschwert, hat demnach nicht nur nachzu- 
weisen, dass der Neutrale doch von dem Kriege Kenntnis gehabt habe, son- 
dern auch dass dieser die bisher vorgefallenen Gewaltmassregeln als einen 
Krieg im eigentlichen Sinne habe erkennen müssen. Erst wenn diese Unter- 
scheidung zwischen Krieg und nichtkriegerischer Gewaltanwendung gemacht 
wird, kann der Konvention in Bezug auf ihre Wirkung hinsichtlich der Neu- 
tralen eine wirkliche praktische Bedeutung beigemessen werden. 

1) 0. II. Art. 2. 



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592 



Völkerrecht: Huber, 



III. Die territoriale Neutralitat 

Das Wesen der territorialen Neutralität ist oben bereits erörtert worden. 
Sie umfasst alle Beziehungen zwischen den Kriegführenden einerseits und dem 
Gebiete der neutralen Staaten und allem, was sich darauf befindet, anderseits. 
Schon das Landkriegsreglement von 1899 hatte einige in diese Materie ein- 
schlagende Fragen geordnet '). Eine umfassende und systematische Regelung 
hat diese Art der Neutralität erst durch die zweite Friedenskonferenz in der 
Konvention betr. die Rechte und Pflichten der neutralen 
Staaten und Personen im Landkriege erfahren. Die Grund- 
luge dieser Bestimmungen bildet, wie schon bemerkt, ein französischer Antrag, 
welcher in der Beratung noch beträchtliche Zusätze erhalten hat. 

Die territoriale Neutralität ist ein Verhältnis ausschliesslich von Staat 
zu Staat, auch da, wo es sich materiell um Private handelt. Der ganze 
hierauf bezügliche Komplex von Reehtssätzen ist begründet auf das Prinzip 
der Unverletzlichkeit des neutralen Territoriums. Mit Recht ist deshalb auch 
dieser Grundsatz au die Spitze des Abschnittes über die Rechte und Pflichten 
der neutralen Staaten gestellt 2 ). Die weiteren Bestimmungen enthalten ledig- 
lich eine Ausführung dieses Prinzips sowie die Auwendungen der beiden 
Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Parität. Hiebei geht man stets davon 
aus, dass der neutrale Staat, der an und für sich mit dem Kriege gar nichts 
zu tun hat, kraft seiner Souveränität machen kann, was ihm beliebt. Er kann 
die Neutralität bis zur völligen Abschliessung gegenüber den Kriegführenden 
steigern, er ist in dieser Beziehung völlig frei und ist zu gar keiner Leistung 
an diese gezwungen. Eine solche Haltung aber wird ein Neutraler wegen 
der damit für ihn verbundenen wirtschaftlichen Schädigung und der kost- 
spieligen und umständlichen Massregeln zur Durchführung einer derartigen 
Isolierung kaum einnehmen, vielmehr werden die neutralen Staaten geneigt 
sein, so wenig als möglich sich um den Krieg zu kümmern; aus diesem pas- 
siven Verhalten entsteht dann die Gefahr, dass der eine oder andere Krieg- 
führende unter dem Schutze des unverletzlichen neutralen Territoriums Vor- 
kehrungen treffe, die ihn direkt oder indirekt in seiner Kriegsführung unter- 
stützen. Sie zu verhindern ist die andere Kriegspartei nicht in der Lage ; die 
Abstellung muss sie von dem neutralen Staate fordern. Eine solche Situation ist 
aber für die Beschränkung des Kriegs auf das Gebiet der ursprünglichen 
Kriegführenden nicht günstig; ein durch neutralitätswidriges Verhalten eines 
neutralen Staates geschädigter Kriegführender wird in wichtigen Fällen nicht 
den Weg der diplomatischen Reklamation betreten und die Abstellung der 
Misstäude durch den Neutralen abwarten, sondern sich selber Recht machen. 
Es ist deshalb von Bedeutung, dass sich die Staaten verpflichten, einerseits 
für den Fall eines von ihnen geführten Krieges Neutralitätsverletzungen zu 
vermeiden sowie anderseits für den Fall der Neutralität von sich aus, nicht 
erst auf Aufforderung hin solche gegen ihr Gebiet gerichtete oder von 

I) Ii. T. K. (1*911.1 Art. 57 -j, X. T. Art. 1. 

X) X. T. Art. 1-4. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 593 



diesem aus vorgenommene Aktionen zu unterdrücken '). Es besteht also in 
diesen Neutralitätsbeziehungen eine Korrelativität von Rechten und Pflichten. 
Die Neutralen haben nicht nur einen Anspruch, ausserhalb des Krieges zu 
sein, sondern auch eine Pflicht es zu bleiben. Die Pflicht ist aber in der 
Konvention nur nach der Seite des Minimums bestimmt. 

Die Artikel 1—3 der Konvention betr. die Rechte und Pflichten der 
neutralen Staaten und neutralen Personen im Landkriege beziehen sich auf 
die Unverletzlichkeit des Territoriums der Neutralen 2 ). 
Zu dieser Unverletzlichkeit gehört vor allem, dass die Kriegführenden das 
neutrale Gebiet nicht zum Kriegstheater machen. Tragen sie den Krieg dort- 
hin, so ist der von den Kriegführenden invadierte Staat nicht notwendigerweise 
Kriegsgegner der einen oder beider Parteien. Der mandschurische Krieg 
bietet hiefür ein Beispiel. Allerdings ist ein Zustand, wie er dort vorlag, 
anormal: eine chronische Neutralitätsverletzung. Derartige Verhältnisse sind 
in der Konvention nicht geregelt. Eine Normierung durch die Konvention 
erfahren dagegen die mannigfaltigen Verletzungen des neutralen Territoriums, in 
denen es sich nicht um unmittelbare kriegerische Aktionen, sondern um die 
Vorbereitung zu solchen handelt. So sind verboten durch Art. 2 alle Trans- 
porte von Truppen, Munition oder Verpflegungsmitteln 
durch das neutrale Gebiet hindurch 3 ). Dieses Verbot betrifft aber nur die 
Sendungen, welche erfolgen auf Rechnung und im Auftrag eines Kriegführen- 
den. Es sind diese, einen amtlichen Charakter besitzenden Transporte scharf 
zu unterscheiden von den Sendungen, welche Private aus dem neutralen Staate 
oder durch diesen hindurch an eine Kriegspartei machen. Solche Lieferungen 
beeinträchtigen nach Art. 7 4 ) die Neutralität des Staates nicht, aus dessen 
Gebiet heraus oder durch welches hindurch sie erfolgen. Verboten sind nur 
Sendungen von einer Stelle der Kriegsverwaltung eines Kriegführenden zu 
einer andern. Die Durchführung von Verwundeten und Kranken seitens eines 
Kriegführenden durch neutrales Gebiet ist in Art. 14 5 ) besonders geregelt. 
Dieser Artikel 14, identisch mit dem jetzt dahingefallenen Artikel 59 des 
Landkriegsreglements von 1899, sprach schon implicite das nun ausdrücklich 
in Art. 2 U ) formulierte Verbot der Durchfuhr von Truppen oder Kriegsma- 
terial aus. 

Einem Antrage, die Anlegung von Verproviantierungsmagazinen und an- 
derer Kriegsdepots ausdrücklich als unzulässig zu erklären, wurde keine Folge 
gegeben, da derartige Massnahmen a fortiori unstatthaft sind, wenn der blosse 
Durchtransport ausgeschlossen wird. Auch der Art. 4. welcher die Errichtung 
von AVerbebureaux verbietet, kann als Analogie dienen. 

Als eine Verletzung des neutralen Gebietes bedeutend ist durch Art. 3 
den Kriegführenden verboten die Errichtung von Stationen für drahtlose Tele- 
graphie und die Aufstellung sonstiger Apparate zur Vermittlung von 
Nachrichten von und nach den Streitkräften T ). Ist eine derartige Ein- 

ll N. T. Art. 5. 2) N. T. Art. 1. 

3) N. T. Art. 2. 4> N. T. Art. 7. 5) N. T. Art. 14. 

6) N. T. Art. 2. 7) N. T. Art, 8. 

Jahrbuch de. Oe. R. d. O. U. 190*. 38 



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594 



richtung bereits vor dem Kriege von einem Kriegführenden auf neutralem Ge- 
biet geschaffen worden, so kann sie, was einigerinassen überraschend scheint, 
von ihm auch während des Krieges benutzt werden, insofern wenigstens diese 
Installation auch der allgemeinen privaten Nachrichtenverniittlung schon ge- 
öffnet war 1 ). Handelt es sich aber um eine rein militärische Einrichtung, 
die auch vor dem Kriege dem Publikum nicht offen stand, so gilt das Verbot, 
wie wenn es sich um eine während des Krieges ausgeführte Installation han- 
delte. Die Zulässigkeit der Benutzung von Staatstelegraphen, die über fremdes 
neutrales Gebiet gehen — unter der Bedingung, dass sie nicht rein militärische 
Einrichtungen sind — ist nötig, da sonst eine Reihe der wichtigsten Verbin- 
dungen von Mächten mit unzusammenhängendem Staatsterritorium abgeschnit- 
ten wären. 

Verboten ist sodann durch Artikel 4 die B i 1 d u n g von Verbänden 
von Kombattanten (im Gegensatz zu den freiwilligen Ambulanzen) so- 
wie die Einrichtung von Werbebureaux zu Gunsten eines Kriegführen- 
den 2 ). Während die Verbote der Art. 2 und 3 sich direkt an die Kriegführen- 
den richten, lautet der Art.4 unpersönlich; jede Organisation von Truppenkörpern 
und jede organisierte Werbetätigkeit ist verboten, auch wenn es sich nicht um 
offizielle Unternehmungen, sondern um maskierte Machenschaften der Krieg- 
führenden handelt. Die Tragweite des Artikels 4 ist näher bestimmt durch 
Artikel 6, welcher von Personen handelt, die einzeln das neutrale Gebiet ver- 
lassen, um sich einem der Kriegführenden anzuschliessen. Aus der Zusammen- 
stellung der beiden Artikel ergibt sich, dass Art. 4 nur die Organisation von 
Truppeneinheiten und Banden im Auge hat, d. h. Ansammlungen einer grös- 
seren Zahl von Personen, die bereits auf neutralem Gebiet zu einer gewissen 
Einheit zusammengefasst werden. 

Die an die Kriegführenden gerichteten Verbote gelten wegen des Grund- 
satzes der Gegenseitigkeit sekundär auch für den Neutralen selbst. 
Diese Gegenseitigkeit kommt in der Konvention zu bestimmtem Ausdruck, 
indem Art. 5 sagt, dass der Neutrale die den Kriegführenden verbotenen 
Unternehmungen auch seinerseits auf seinem Gebiet nicht dulden dürfe, und 
zwar ist er gehalten, neutralitätswidrige Handlungen zu bestrafen, soweit 
solche auf seinem Territorium begangen werden. Die territoriale Neutralität 
macht den neutralen Staat für alles haftbar, was auf seinem Gebiet geschieht, 
aber auch nur dafür 3 ). 

Die Konvention richtet, abgesehen von dem Gebot der Parität keine 
Verbote an den Neutralen, die sich auf ein positives Handeln seinerseits be- 
ziehen; es wird lediglich gesagt, was der Neutrale nicht dulden darf. Ver- 
fehlungen eines neutralen Staates werden übrigens wohl immer nur in Unter- 
lassungen, in Vernachlässigungen der Aufsichtspflicht bestehen, kaum aber in 
positivem Handeln. Jede militärische Hilfe, in welcher Form sie auch sich 
darstellen sollte, würde einen besonders schweren Fall der durch die Artikel 
2 und ;i der Konvention verbotenen Neutralitätsverletzungen bedeuten. Andere 

ll N. T. Art. 3 lit. h. •>» X. T. Art. t. 

3) N. T. Art, 5 al 2. 4) X. T. Art. i>. 



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Die Fortbildung des Völkerrecht* durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 595 

Formen der Begünstigung aber erscheinen durch die Konvention nicht aus- 
geschlossen. 

Der zweite Teil ') des auf die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten 
bezüglichen Kapitels der Konvention besteht in der Beschränkung der 
Haftbarkeit, d. h. in der negativen Umschreibung der Neutralität. Ge- 
wisse Vorgänge, die — mit Rücksicht auf das den Kriegführenden und Neu- 
tralen Verbotene — unter Umständen auch als neutralitätswidrig betrachtet 
werden könnten, werden ausdrücklich als für die Neutralität unerheblich er- 
klärt. Es wird in Art. 6 festgestellt, dass ein Neutraler nicht dafür verant- 
wortlich gemacht werden kann, dass einzelne Individuen — isoliert — die 
Grenze überschreiten, um sich einer der kriegführenden Armeen anzuschliessen*). 
Es ist dabei gleichgültig, ob diese Personen aus nicht neutralem oder fremdem 
neutralen Gebiet herkommen und dabei das eigene neutrale Gebiet nur zum 
Durchzug benutzen, oder ob sie bisher ihren Wohnsitz daselbst gehabt haben. 
Ebenso ist es unerheblich, ob es eigene Staatsangehörige oder solche irgend 
eines andern Staates sind 3 ). Diese Bestimmung ist nicht wörtlich auszulegen. 
Wenn von dem Ueberschreiten der Grenze durch einzelne Personen die Rede 
ist, so soll damit nicht auf das vereinzelte Auftreten das Hauptgewicht gelegt, 
sondern der Gegensatz zu der in Art. 4 verbotenen Organisierung von Ab- 
teilungen und Banden markiert werden. Es liegt nichts Neutralitätswidriges 
darin, wenn Dutzende, ja noch eine bedeutend grössere Menge, die Grenze 
passieren. Wäre dies unzulässig, so müsste man dem Neutralen eine äusserst 
schwierige und kostspielige und für den Verkehr lästige Kontrolle zumuten. 
Allerdings ist die Grenze zwischen dem, was in Art. 4 verboten, und dem, 
was in Art. 6 zulässig erklärt wird, fliessend. Es kann vorkommen, dass sich 
in einem neutralen Staate Banden heimlich zusammentun, die sich zwar nicht 
als Einheit über die Grenze begeben, die sich aber auf neutralem Boden doch 
schon so weit organisiert haben, dass sie, nachdem sie vereinzelt die Grenze 
passiert haben, sich im Gebiet der Kriegführenden sofort als Einheit bewegen 
können. In einem solchen Fall wird meistens eine offenbare Vernachlässigung 
der Aufsicht seitens der Neutralen vorliegen und die Verantwortung ist dann 
dieselbe, wie wenn die Aufstellung von Truppenverbänden geduldet worden 
wäre. Auch im Landkriege haftet der Neutrale für „duo diligence", doch ist 
dieser Begriff mit Rücksicht auf den Art. 6 jedenfalls restriktiv zu inter- 
pretieren. 

Es ist in den Verhandlungen zu Protokoll festgelegt worden, dass die 
Neutralität eines Staates dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, dass 
die auf seinem Gebiete befindlichen Angehörigen der Kriegführenden, selbst 
in Massen, in ihre Heimat zurückkehren, um daselbst dem Aufgebote zum 
Kriegsdienst zu folgen. 

Sehr wichtig ist auch die Bestimmung des Art. 7, dass die Neutralen 
nicht verpflichtet sind, die Aus- und Durchfuhr von nach dem Ge- 
biete der Kriegführenden bestimmten Waffen, M u n i t i o n und sonstiger 

1) N. T. Art. (5-10. 2) N. T. Art. C. 

3) Vgl. unten die Ausführungen betr. die Dienste der neutralen Personen S. (3<Jö ft'. 

38* 



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59(> 



Völkerrecht: Huber, 



für Heer oder Flotte dienlicher Waren zu verbieten 1 ). Wie Art. 6 zu Art. 4, 
so bildet dieser Art. 7 zu Art. 2 ein Gegenstück. Alle Transporte durch und 
für eine Verwaltung eines Kriegführenden sind verboten, nicht aber die Lie- 
ferungen jmvater Händler und Fabrikanten an einen Kriegführenden. Ob 
dabei ein Unterschied gemacht wird zwischen Lieferungen direkt an die Armee 
und solchen an Private, wird nicht gesagt. Es ist zu vermuten, dass auch 
direkt an eine Kriegspartei geliefert werden kann, da eine gegenteilige Be- 
stimmung ohne weiteres umgangen werden könnte. Die Freiheit der Neutralen, 
solchen Handel dulden zu dürfen, ist erklärlich aus dem Grundsatz, dass den 
neutralen Staaten, die dem Kriege fern stehen, nicht mehr Lasten wegen des 
Krieges aufgebürdet werden dürfen, als unvermeidlich sind. Nun würde eine 
Kontrolle über den Handel zum Zwecke, alles das, was im Seekriege als 
Konterbande angesprochen würde, an der Ausfuhr zu verhindern, eine der- 
artige H emmung des Handels bedingen, dass solche Massnahmen einem Neu- 
tralen billigerweise nicht zugemutet werden können. 

Es ist vielmehr auf der Konferenz das Bestreben hervorgetreten, nicht 
nur auf dem Kriegsschauplatz die durch den Krieg hervorgerufenen Schädi- 
gungen zu vermindern, sondern auch dessen nachteilige Wirkungen in der 
nicht minder schutzwürdigen Zone der Neutralen zu verringern. Ein luxem- 
burgischer Antrag des Inhalts, dass im Falle eines Krieges die wirtschaft- 
1 i chen^ Beziehungen zwischen der Bevölkerung der"neufralen und krieg- 
führenden Staaten einen besonderen Schutz seitens der Zivil- und Militär- 
Beliorden gemessen sollen, ist zwar nicht als Artikel in die Konvention auf- 
genommen worden — dazu war sein Inhalt viel zu vage — , er ist aber unter 
der Form eines Wunsches einstimmig angenommen worden 2 ). 

Es ist selbstverständlich, dass die Kriegführenden ein Interesse daran 
haben, dass, nachdem sie schon durch den Abbruch des Verkehrs mit dem 
feindlichen Staate ungeheuren Schaden erleiden, in ihren wirtschaftlichen 
Beziehungen zu den neutralen Ländern möglichst wenig gehemmt werden. 
Sie werden den Verkehr mit den Neutralen sogar intensiver gestalten müssen 
und von diesen erwarten, dass sie ihrerseits den Handelsbeziehungen keine 
unnötigen Schranken auferlegen. Wogegen ein Kriegführender sich aber wehren 
wird, ist der Handel der Neutralen mit seinem Gegner. Im Seekriege kann 
ein Kriegführender solchen Handel durch die Blokade abschneiden oder 
wenigstens erschweren. Kann er auch im Landkriege eine Art Blokade an 
geeigneten Punkten des Festlandes, insbesondere in invadiertem und okku- 
piertem Gebiete errichten? Der den luxemburgischen Antrag wiedergebende 
Wunsch der Konferenz scheint eine derartige wirtschaftliche Kriegführung 
auszuschliessen. In der Tat, wenn die friedliche Bevölkerung vom Kriege so 
wenig als möglich betroffen werden soll, so ist es gegeben, dass sie, auch 
schon um der neutralen Interessen willen, nicht vom Verkehr mit den neu- 
tralen Gebieten mehr, als es die militärischen Verhältnisse durchaus erfordern, 
abgeschnitten werde. Einem Kriegführenden aber kann der Schutz des Handels 
des feindlichen Staates mit den Neutralen nur insoweit zugemutet werden, als 

1) N. T. Art. 7. -J) A. F. voeu Nr. _\ 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. B97 



der besagte Handel nicht direkt zu seinem Schaden erfolgt. Wenn der Krieg- 
führende im Seekriege auf der hohen See und in den Küstengewässern der 
Kriegführenden solchen Handel seihst unter neutraler Flagge als Konter- 
bande verfolgen darf, so ist nicht einzusehen, warum er ihn nicht in seinem 
eigenen oder dem von ihm invadierten oder okkupierten feindlichen Landgebiet 
sollte bekämpfen können. Während das Seekriegsrecht in dieser Frage eine 
umfassende Rechtsordnung hervorgebracht hat, fehlt es an entsprechenden 
Normen für den Landkrieg. Aus dem Stillschweigen der Landkriegskonvention 
bezw. ihres Reglements kann aber nicht wohl angenommen werden, dass Sen- 
dungen von Waffen und anderem Kriegsmaterial, die für eine Kriegspartei 
bestimmt sind und von der andern angetroffen werden, von letzterer nur dann 
als Beute betrachtet werden dürfen, wenn die betreffenden Waren als Eigen- 
tum des Gegners erkennbar sind, und dass in den übrigen Fällen nur das 
Requisitionsrecht nach Art. 52 und 53 Platz greifen könnte. Diese Bestim- 
mungen des Reglements beziehen sich auf das Eigentum, das sich ohnehin 
im feindlichen Gebiet vorfindet, nicht aber auf das, welches zum Schaden 
einer Kriegspartei dorthin verbracht wird oder von dorther einem Krieg- 
führenden zugeführt wird. Der Okkupant kann die von ihm erlassenen Kriegs- 
gesetze, die gewöhnlich die Förderung des Feindes durch Lieferung vorsehen, 
auch im okkupierten Gebiet anwenden und dem entsprechend mit der Land- 
konterbande verfahren. Aber auch im bloss invadierten Gebiet wird der 
Kriegführende besondere Massnahmen ergreifen dürfen. Es ist dabei nicht 
zu verkennen, dass das Landkriegsrecht, das sonst gegenüber dem feindlichen 
Eigentum weniger rigoros ist als das Seekriegsrecht, in diesem Punkte viel 
weniger Garantien für die Wahrung privater Interessen bietet als das letztere 
mit seinen Prisengerichten. 

Obwohl es nicht in dem Abschnitt über die territoriale Neutralität 
gesagt ist, kann aus den Bestimmungen über die extraterritoriale geschlossen 
werden, dass die Neutralität eines Staates nicht verletzt wird dadurch, dass 
dieser duldet, dass in seinem Gebiet A n fei Fe n zugunsten einer ~T£r1e£s- 
parleT~auTgelegt und gezeichnet werden 1 )! 

Ein dritter Fall, welcher nach der Konvention (Art. 8) keine Beein- 
trächtigung der Neutralität darstellt, besteht darin, dass ein neutraler Staat 
die ihm gehörenden oder von Privaten auf seinem Gebiet eingerichteten 
telegrap bischen und telephonischen Einrichtungen 
irgendwelcher Art dem Gebrauch der Kriegführenden offen hält 2 ). Der neu- 
trale Staat kann den Nachrichtenverkehr abschneiden oder kontrollieren, aber 
er muss es nicht. Auch hier ist ihm durch die Konvention eine für den 
Zivilverkehr lästige und für die Staatsverwaltung umständliche Kontrolle er- 
spart, in gleicher Weise wie beim Personen- und Handelsverkehr. Dem Krieg- 
führenden, der glaubt, dass die neutralen Telegraphenlinien etc. zu seinem 
Nachteil gebraucht werden, bleibt nichts anderes übrig, als diese auf seinem 
eigenen Gebiet oder demjenigen seines Gegners — vorbehaltlich der Ent- 



1} N. T. Art. 18. 



2) N. T. Art. 8. 



5<>H 



Völkerrecht: Hnber, 



Schädigung — abzuschneiden, eventuell zu zerstören 1 ). Auch dieser Artikel*) 
hat ein Gegenstück unter den Vorschriften der Konvention, welche Verbote 
an die Kriegführenden und neutralen Staaten richten. Das Verbot des Art. 3 
bezieht sich auf Einrichtungen eines kriegführenden Staates auf neutralem 
Gebiet, die Erlaubnis des Art. 8 dagegen auf Installationen des neutralen 
Staats oder der seiner Jurisdiktion unterworfenen Personen. 

Wie bei den an die Staaten gerichteten bedingungslosen Verboten aus- 
drücklich der Grundsatz der Gegenseitigkeit aufgestellt ist, so reiht sich in 
der Konvention an die den Neutralen erteilte Erlaubnis, gewisse Dinge ge- 
schehen zu lassen, der andere Grundsatz, derjenige der Parität 3 ). Dem- 
nach muss ein neutraler Staat, welcher die Beziehungen zwischen seinem 
Gebiet und demjenigen der Kriegführenden mehr beschränkt, als er nach der 
Konvention tun müsste, jede Beschränkung in gleicher Weise gegen beide 
Kriegsparteien zur Anwendung bringen. Lässt der Neutrale einfach geschehen, 
was er geschehen lassen darf, so kann die Wirkung einer solchen passiven 
Haltung eines Neutralen sich sehr verschieden für die Kriegführenden ge- 
stalten, doch daraus entsteht crstereni keine? Verantwortlichkeit. Sobald er 
aber sich einmischt und die Privaten nicht mehr frei gewähren lässt, ist 
er zu strikter Parität — allerdings auch nur formeller Parität — verpflichtet. 
Diese Vorschrift ist grade nur ausgesprochen für die dem Handelsverkehr 
und der Nachrichtenvermittlung auferlegten Schranken ; sie ist aber sinngemäss 
auch auf die Gestattung des Eintritts in die Dienste der Kriegführenden und 
den Personenverkehr anzuwenden, wenn schon bei letzterem mit Rücksicht 
auf die Grenzverhältnisse und die Lage des Kriegstheaters ungleiche Vor- 
kehrungen gegenüber den Kriegsparteien mit der Neutralität vereinbart sein 
mögen. 

Die Parität gegenüber beiden Kriegsparteien in Bezug auf den Nach- 
richtenverkehr ist ausdrücklich auch für den Fall gefordert, dass die Tele- 
graphen und Telephone und Radiotelegraphen nicht im Staatsbetrieb, sondern 
in demjenigen von Privatgesellschaften oder Einzelpersonen stehen 1 ). Das 
versteht sich übrigens von selbst. Wenn ein neutraler Staat den Telegraphen- 
verkehr mit den Kriegführenden kontrolliert, beschränkt oder aufhebt, so tut 
er das nicht als fiskalischer Unternehmer , sondern jure imperii und in 
diesem Falle ist es ganz gleich, ob Staatsangestellte oder Private dem staat- 
lichen Befehl zu gehorchen haben. Aber auch da, wo ein Staat den Verkehr 
in keiner Weise beschränkt, darf, wie auf Verlangen der britischen Delegation 
zu Protokoll festgestellt wurde, das Gewährenlassen nicht derart sein, dass es 
auf eine offenbare Begünstigung einer Kriegspartei herauskommt. 

Eine letzte, dem Neutralen in Art. 10 gewährte Ermächtigung bezieht 
sich auf das Recht der S e 1 b s t h i 1 f e *). Wenn ein neutraler Staat einen 
Angriff auf seine Neutralität — und zwar handelt es sich hiebei nur um die 
territoriale Neutralität — sogar mit Waffengewalt zurückweist, so kann ein 



1 1 <;. T. lt. Art. 
_'l N. T. Art. s. 
4) \h'\<\. al 



:<l X. T. Art. 9. 
X. T. Art. 10. 



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Di»; Fortbildung den Völkern'dits durch di<> IL Friedenskonferenz im Hang. 599 



derartiger Akt der Selbsthilfe nicht als eine feindselige Handlung, als einen 
casus belli von dem die Neutralität verletzenden Staat betrachtet werden, 
d. h. wenn es unter solchen Umständen zu einem Kampf zwischen neutralen 
Truppen und solchen eines Kriegführendtin kommt, so tritt damit der Kriegs- 
zustand nicht ein. Das ist namentlich bei dauernd neutralen Staaten von 
Bedeutung wegen der auf deren Neutralität bezüglichen Garantieverpflichtungen. 
Diese Bestimmung hat hauptsächlich den Zweck, dem Neutralen eine wirk- 
same Behauptung seiner Neutralität zu gestatten und zu verhindern, dass aus 
vielleicht geringfügigen, keineswegs von der obersten Instanz des kriegführenden 
Staats beabsichtigten Neutralitätsverletzungen ein Krieg entstehe. Dieser 
Art. 10 besteht aber im wesentlichen nur im Interesse der Neutralen; diese 
haben bei jeder Neutralitätsverletzung freie Hand zu entscheiden, ob sie den 
Vorfall ihrerseits als casus belli betrachten wollen oder nicht. 

Als überflüssig, weil etwas Selbstverständliches aussprechend, wurde ein 
Antrag abgelehnt der bestimmte, dass die zum Zweck der Neutralitätsbehaup- 
tung vor oder während eines Krieges von einem Staate durchgeführte Mo- 
bilisation nicht als unfreundliche Handlung betrachtet werden dürfe. 

In dem zweiten Kapitel der Konvention betr. die Neutralität im Land- 
kriege ist von den bei den Neutralen internierten oder dort 
verpflegten verwundeten Angehörigen der kriegführen- 
den Armeen die Rede. Die Bestimmungen dieses Kapitels sind mit Aus- 
nahme eines einzigen Artikels aus dem Landkriegsreglement von 1899 ') ent- 
lehnt. Dieser neue Artikel 2 ) betrifft die auf neutrales Gebiet sich flüchten- 
den oder von einer flüchtigen Armee dahin mitgebrachten Kriegsgefangenen; 
er bildete, allerdings etwas anders formuliert, einen Bestandteil des fran- 
zösischen Antrages, bezw. der darauf basierten Vorlage einer Konvention 
betr. die Rechte und Pflichten der neutralen Staaten. Er ist dann aber bei 
der Verschmelzung verschiedener Bestandteile zu der jetzigen Neutralitäts- 
konvention aus seiner früheren Umgebung herausgelöst und mit den aus dem 
Landkriegsreglement herübergenommenen, auf die Internierten sich beziehenden 
Artikeln zusammengestellt worden. Er bildet in der Tat auch mit diesen eine 
rechtliche Einheit. Unzweifelhaft ist beim Uebertritt einer kriegführenden 
Armee auf neutrales Gebiet und bei Durchführung und Kvakuation Kranker 
und Verwundeter die territoriale Neutralität allein in Frage. Aber es bandelt 
sich in diesen Fällen doch um eine anormale Situation. Der Grundsatz der 
Unverletzlichkeit des neutralen Gebietes bedingt eine gänzliche Ausschliessung 
der Streitkräfte der Kriegführenden. Wenn nun grössere oder kleinere Teile 
dieser Streitkräfte auf neutrales Gebiet gelangen, so ist dadurch eine Situation 
geschaffen, die einer ganz strikten Neutralität widerspricht, denn die auf neu- 
trales Gebiet gelangten Personen gemessen dank der Territorialneutralität 
unbedingten Schutz und sind der Kriegsgewalt des feindlichen Staates ent- 
zogen. Die Gewährung solchen Schutzes ist jedenfalls nur dann, auch mit 
einer nicht absoluten Neutralität vereinbar, wenn die so geschützten nicht 

1) <;. T. R. (1899) Art. Ü7-G0 N. T. Art. 11-12 und 14— lß. 

2) N. T. Art. 13. 



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600 



Völkerrecht: Huber, 



durch den Uebertritt auf neutrales Gebiet in eine wesentlich günstigere uud 
der gegnerische Kriegführende in eine ungünstigere Lage kommen. 

Der Uebertritt von Angehörigen der Streitkräfte der Kriegsparteien 
kann unter vier verschiedenen Umständen erfolgen: 

1. Es kann eine Armee mit Zustimmung eines neutralen Staates Trans- 
p o r t e Kranker und Verwundeter über neutrales Gebiet leiten Mit 
Rücksicht auf die Kampfuntauglichkeit der Transportierten wird eine Aus- 
nahme von der Unbctretbarkeit des neutralen Territoriums statuiert und den 
Neutralen die Erlaubnis zur Gestattung des Durchpasses ausdrücklich gewährt ; 
von selbst verstünde sie sich nicht. 

2. Eine Armee kann selbst übertreten wollen, weil sie sich auf dem 
Gebiet der Kriegführenden nicht mehr zu halten vermag 2 ). Da es sich hier 
um Personen handelt, die jederzeit wieder in den Kampf eingreifen könnten, 
müssen sie, um durch den Schutz des neutralen Gebiets keinen Vorteil gegen- 
über ihrem Gegner zu erhalten, von dem Neutralen interniert werden. 

3. Es können Angehörige der einen Kriegspartei als Kriegsgefan- 
gene mit Bestandteilen der Armee der andern Partei unter den sub 1) und 
2) erwähnten Umständen auf neutrales Gebiet gelangen. Welches ist in die- 
sem Falle die rechtliche Lage dieser Personen ? Bei ersterer Eventualität, d. h. 
wenn in einem Kranken- und Verwundetentransport Kriegsgefangene der diesen 
Transport leitenden Macht sich befinden, so muss der neutrale Staat diese 
Kriegsgefangenen bei sich zurückhalten und bewachen, damit sie nicht wieder 
an den Feindseligkeiten teilnehmen s ). Wenn solche Gefangene aber von einer 
auf neutrales Gebiet sich flüchtenden Armee mitgeführt werden, so ist der 
neutrale Staat nicht verpflichtet, sie bis zum Schlüsse des Krieges festzuhalten. 
Er lässt sie frei, bezw. er kann die Duldung ihrer Anwesenheit auf seinem 
Gebiet von der Anweisung eines Aufenthaltsortes abhängig machen; die Kriegs- 
gefangenschaft aber hört jedenfalls auf 1 ). Diese verschiedene Behandlung er- 
klärt sich dadurch, dass der Kriegführende, welcher kriegsgefangene Verwun- 
dete über neutrales Gebiet transportiert, bis zur Betretung des neutralen Ge- 
bietes eine tatsächliche und sichere Herrschaft über diese Gefangenen hat. 
Auf neutralem Gebiet, auf dem der Kriegführende weder die Gebietshoheit 
noch die besondere Kriegsgewalt ausüben kann, vermag er die Kriegsgefangen- 
schaft nicht mehr aufrecht zu erhalten, weil dieser mit dem Wegfall der staat- 
lichen Gewalt des Kriegführenden der rechtliche Boden entzogen ist. Er tritt 
diese Gewalt deshalb ab an den Neutralen, der die Festhaltung der Gefange- 
nen, will er den Durchpass gestatten, mit Rücksicht auf die andere Kriegs- 
partei aufrechterhalten muss. Es erfolgt hier eine Abtretung, nicht ein völli- 
ger Untergang der Gewalt über die Kriegsgefangenen, weil der Kriegführende 
die Gewalt nicht tatsächlich verloren hat. Würden die über neutrales Gebiet 
transportierten kranken und verwundeten Kriegsgefangenen auf neutralem Bo- 
den frei, so würden sie mit diesen Transporten nicht mitgenommen und des- 
halb eine vielleicht weniger gute Verpflegung erfahren. Diese Bestimmung der 

1) X. T. Art. 14. 2) X. T. Art. 11. 

3i X. T. Art. 11. 4) X. T. Art. 13 al *_'. 



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Die Fortbildung de* Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 601 

Konvention beruht auf Motiven der Humanität. Sie ist analog der Bestim- 
mung der Konvention betr. Anpassung der Genfer Konvention an den See- 
krieg nach welcher ein Schiff Kranke, Verwundete und Schiffbrüchige in 
einem neutralen Halen mit Zustimmung der Ortsbehörde an Land bringen 
kann, der neutrale Staat aber die so auf sein Gebiet verbrachten Angehörigen 
der Armeen der Kriegführenden nur mit Zustimmung letzterer frei lassen, d. h. 
unter Umständen wieder am Kriege teilnehmen lassen darf. Auch hier ist es 
die humane Rücksicht auf Kranke, Verwundete und Schiffbrüchige, aus wel- 
cher den Kriegführenden die Benutzung neutralen Gebiets gestattet wird. Aus 
demselben Grunde müssen die von einem neutralen Kriegsschiff aufgenomme- 
nen Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen soweit möglich an der späteren 
Teilnahme am Kriege verhindert werden a ). 

In der zweiten Eventualität aber, d. h. wenn eine auf neutrales Gebiet 
sich flüchtende Truppe Kriegsgefangene mit sich führt, werden diese frei, weil 
der Uebertretende nicht nur auf neutralem Gebiet jede Gewalt rechtlich ver- 
liert, sondern die tatsächliche Gewalt schon beim Uebertritt verloren hat. Liesse 
der Neutrale den Uehertritt nicht zu, so würde die bedrängte Kriegspartei 
voraussichtlich selbst kriegsgefangen werden oder wenigstens ihre Kriegs- 
gefangenen an den nachdrängenden Gegner verlieren. Die auf neutrales Ge- 
biet sich rettende Truppe soll deshalb durch den Schutz der Neutralität auch 
nicht mittelbar eine Gewalt über die Kriegsgefangenen aufrechterhalten kön- 
nen, die sie selber auf dem Gebiet der Kriegführenden nicht mehr imstande 
ist zu behaupten. 

4. Eine vierte Situation, die sich darbieten kann, ist die, dass Kriegsge- 
fangene, die schon auf dem Gebiet der Kriegführenden aus der Gefangenschaft 
entwichen sind, sich auf neutrales Gebiet flüchten 3 ). Da sie schon bei Be- 
treten des neutralen Bodens keiner tatsächlichen Gewalt mehr unterworfen 
sind, können diese Personen auch vom Neutralen nicht mehr als Kriegsge- 
fangene behandelt werden. Welches ist nun aber die Stellung des neutralen 
Staates solchen Flüchtlingen gegenüber? Es gilt hier, wie übrigens ganz 
gleich für die von einer übertretenden Truppe mitgeführten Gefangenen, dass 
der neutrale Staat die Flüchtlinge aufnehmen und auf seinem Gebiet dulden, 
aber ebenso wohl auch abweisen oder nachträglich ausweisen darf. Dieses 
Recht hat ein Staat schon im Frieden nach gemeinem Völkerrecht und es 
wird nicht durch den Krieg, etwa aus Rücksicht auf die Neutralität, ver- 
ändert. Lässt der Neutrale die Flüchtlinge sein Gebiet betreten, so kann er 
die Duldung ihres weiteren Verweilens auf seinem Territorium davon abhängig 
machen, dass sie sich an einem ihnen angewiesenen Orte aufhalten. Es ist 
dies nicht eine wirkliche Internierung, denn der Flüchtling kann sich dieser 
Anweisung jederzeit durch Verlassen des Territoriums entziehen ; der Gehor- 
sam ist nur Bedingung der Duldung. Solche bedingten Internierungen von 
Flüchtlingen sind zwar als Ausnahmemassregeln gedacht, sie können sich aber 
rechtfertigen, wenn ein neutraler Staat aus Humanitätsrücksichten die Flüeht- 



1) Konvention betr. Anpassung der Genfer Konvention an den Seekrieg (1907) Art. 15. 

2) ibid. Art. 13. 3) N. T. Art. 13 al 1. 



G02 



Völkerrecht: Huber, 



linge zwar nicht abweisen, aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung diese 
Personen auf bestimmte Plätze beschränken oder z. B. wegen seiner Neutra- 
litätspflichten von den Grenzgebieten fern halten will Es handelt sich hier 
überall nur um Freiheiten des Neutralen, Freiheiten gegenüber den Krieg- 
führenden und gegenüber den Flüchtlingen. 

Es war auch der Antrag gestellt worden, nicht nur Bestimmungen über 
die von einer Truppe mitgerührten Kriegsgefangenen, die auf neutrales Gebiet 
gelangen, aufzustellen, sondern auch über das dorthin verbrachte Kriegsma- 
terial. Ein niederländischer Antrag wollte den neutralen Staat, auf dessen 
Gebiet eine Truppe übertritt, verpflichten, das von dieser erbeutete Kriegs- 
material nach dem Friedensschluss dem Staate abzuliefern, dessen Armee es 
als Beute abgenommen worden war. Dieser Antrag ging davon aus, dass das 
Eigentum an der Beute, gleich wie die Gewalt über die Kriegsgefangenen, nur 
auf dem Gebiet der Kriegführenden, sei es kraft der Gebietshoheit, sei es kraft 
der Kriegsgewalt, bestehen könne und dass mit dem Uebergang auf neutrales 
Gebiet auf Grund einer Art jus postliminii das Eigentum an den ursprüng- 
lichen Eigentümer zurückkehre. Ein bezüglicher Artikel ist aber nicht auf- 
genommen worden, weil erstens die Frage des Eigentumswechsels vollständig 
unabgeklärt ist, und weil zweitens auch gar kein praktisches Bedürfnis vor- 
liegt, dem Neutralen die fast unmögliche Auseinanderscheidung des von dem 
Uebertretenden mitgebrachten Materials zuzumuten. Da dieses Material auf 
alle Fälle bis zum Friedensschluss auf neutralem Boden bleibt, kann es füg- 
lich den Kriegrührenden überlassen bleiben, sich im Friedensvertrag über das 
Schicksal dieser Objekte zu verständigen. 

Ein weiterer ebenfalls auf die Verhältnisse einer internierten Truppe be- 
züglicher japanischer Antrag ist fallen gelassen worden. Dieser bezweckte, 
die Bedingungen festzustellen, unter welchen die Offiziere einer solchen Truppe 
ermächtigt werden können, das neutrale Gebiet zu verlassen. Nach bisherigem 
und jetzigem Recht kann ein Neutraler sie auf Ehrenwort innerhalb des neu- 
tralen Gebiets freilassen. Der japanische Antrag wollte die völlige Freilas- 
sung, bezw. Gestattung der Rückkehr in die Heimat von der Zustimmung der 
andern Kriegspartei abhängig machen. Eine derartige Bestimmung wäre über- 
flüssig, denn nach geltendem Recht ist eine solche Freilassung unzulässig, es 
sei denn, dass — was jetzt nicht ausdrücklich gesagt, aber wohl selbstver- 
ständlich ist — der an der Festhaltung allein interessierte gegnerische Staat 
hiezu seine Zustimmung gebe. Volenti non tit injuria, die Internierungsptlicht 
ist ihrem ganzen Wesen nach eine Pflicht gegenüber dem Kriegführenden, vor 
dem sich die internierte Truppe geflüchtet hat. 

IY. Die extraterritoriale Neutralitat. 

Die extraterritoriale Neutralität ist die Neutralität, welche den Ange- 
hörigen eines Personenverbandes, nämlich eines neutralen Staates zusteht. 
Diese Art Neutralität kommt nur zur Geltung ausserhalb des neutralen Ter- 



l i Z. B. mit Rücksicht auf N. T. Art. 4. 



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Die Fortbildung de» Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. (J03 



ritoriums, auf dem Gebiete der Kriegführenden '), und bedeutet eine teilweise 
Exemtion "von der - dortigen Territorial- und Kriegsgewalt. Im neutralen Ge- 
biet kommen die durch extraterritoriale Neutralität den neutralen Personen 
auferlegten Pflichten und gewährten Befreiungen nicht als solche zur Erschei- 
nung, weil sie durch die Verantwortlichkeit, bezw. Unverletzlichkeit des neu- 
tralen Staates absorbiert sind. 

Die extraterritoriale Neutralität ist nicht ein Anhängsel der Territorial- 
neutralität, sondern etwas subjektiv und inhaltlich Verschiedenes, Selbständi- 
ges und Abgegrenztes. In subjektiver Beziehung 8 ) erstreckt sich diese Neu- 
tralität nur auf die Angehörigen des neutralen Staates, die sich im Gebiet der 
Kriegführenden befinden, bezw. daselbst Vermögensobjekte haben, nicht aber 
auf das im Gebiet der Kriegführenden belegene Eigentum von Angehörigen 
der kriegführenden Staaten, die im neutralen Gebiet ihren Wohnsitz haben. 
In inhaltlicher Beziehung besteht die extraterritoriale Neutralität in bestimmten 
Rechten und Pflichten, und es streitet die Vermutung gegen die Rechte der 
neutralen Personen, weil diese Sonderrechte Durchbrechungen der ordentlichen 
Territorial- und Kriegsgewalt darstellen. Aber auch besondere Pflichten der 
neutralen Personen werden nicht vermutet, es sei denn, dass solche durch das 
Wesen der Neutralität bedingt sind. 

Die extraterritoriale Neutralität stellt eine besondere Rechtsordnung für 
gewisse Personen und Sachen im Gebiet der Kriegführenden dar. Es muss 
deshalb in erster Linie das Kriterium aufgestellt werden, nach welchem diese 
Personen und Sachen von den übrigen unterschieden werden. Die Defini- 
tion der neutralen Person ist an sich sehr einfach : neutral ist, wer 
einem neutralen Staate und zwar dauernd durch das rechtliche Band des In- 
digenats angehört 3 ). Bei Personen, die sowohl einem neutralen wie einem 
kriegführenden Staate angehören , prävaliert natürlich die letztere Natio- 
nalität. 

Analog der territorialen, ist auch die extraterritoriale Neutralität nicht 
eine formale Eigenschaft, die einer Person wegen ihrer Staatszugehörigkeit ein 
für allemal zukäme. Es müssen hier wie dort auch die tatsächlichen Vor- 
aussetzungen fortwährend zutreffen. Diese Voraussetzungen sind bestimmt 
durch den Grundsatz der Gegenseitigkeit. Verlangt der Angehörige des neu- 
tralen Staates eine besondere Stellung, d. h. eine möglichst weitgehende Im- 
munität gegenüber dem Kriege, so muss er sich auch selber diesem vollstän- 
dig fern halten. Die Definition der Neutralität hat deshalb anzugeben, unter 
welchen Voraussetzungen die Sonderstellung einer Person, trotz deren neutraler 
Nationalität, aufhört. 

Die Artikel 16 — 18 der Konvention betr. die Rechte und 
Pflichten der neutralen Staaten und Personen im Land- 
kriege geben diese Definition und zwar im wesentlichen gleich, wie diese 



1) Dementsprechend war auch das als Sektion des Landkrieg*regleinent* gedachte 
deutsche Projekt betitelt: ,Du traitement des per*onnes neutre* dun* les territoire* de* 
Partie* billigerant.es''. 

2) N. T. Art. 1«. 3) ibid. 



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604 



Völkerrecht : Huber, 



schon im deutschen Antrag lautete. Die Sonderstellung des Angehörigen einer 
neutralen Macht hört auf, wenn dieser entweder feindselige Handlungen gegen 
einen Kriegführenden begeht oder einen solchen begünstigt, insbesondere durch 
Eintritt in dessen bewaffnete Macht '). In diesen beiden Fällen — aber nur 
in diesen beiden — wird der Angehörige des neutralen Staates trotz seiner 
Nationalität nicht mehr als der extraterritorialen Neutralität teilhaftig be- 
trachtet. Welches ist dann aber seine rechtliche Stellung? Der deutsche An- 
trag sprach von dem Verlust der Eigenschaft als neutraler Person. Dabei 
blieb aber die Stellung des Betreffenden unklar. Es hätte darnach z. B. ein 
Kriegführender eine solche Person, wie es bisher wiederholt geschah, als keiner 
Nation mehr angehörig behandeln und die Neutralitätsverletzung als ein de- 
lictum sui generis erklären können. Der seiner Neutralität verlustige Ange- 
hörige eines neutralen Staates wäre dann für den Kriegführenden recht- und 
heimatlos, und jedenfalls ungünstiger gestellt als die Angehörigen des feind- 
lichen Staates, deren rechtliche Lage durch das Landkriegsregelement geordnet 
ist. Auf Antrag der schweizerischen Delegation wurde die Wirkung der Neu- 
tralitätsverletzung in der Weise bestimmt, dass diese lediglich in dem Verluste 
der Sonderrechte des Neutralen besteht. Letzeres kann sich also gegenüber 
dem von ihm benachteiligten Kriegführenden nicht mehr auf seine neutrale 
Nationalität berufen 2 ), der letztere aber darf ihn auch nicht strenger behan- 
deln, als ein Angehöriger des feindlichen Staates unter gleichen Umständen 
behandelt würde 3 ). Durch diese Formulierung hat die Definition, trotzdem 
alle auf die neutralen Personen bezüglichen Artikel bis auf einen einzigen 
fallen gelassen worden sind, einen materiellen Inhalt und ist nicht bloss eine 
in der Luft stehende Begriffsbestimmung. 

Ein Verbrechen der Neutralitätsverletzung kann jetzt ein Staat nur noch 
für seine eigenen Angehörigen und die seiner Gebietshoheit unterworfenen Per- 
sonen statuieren und zwar muss er ein solches Delikt kreieren, um die auf 
seinem eigenen Gebiet begangenen Ncutralitätsverletzungen bestrafen zu kön- 
nen 1 ). Für das jedoch, was seine Angehörigen ausserhalb des eigenen Landes 
tun, ist der neutrale Staat nach geltendem Völkerrecht nicht haftbar. In dem 
deutschen Antrag war dagegen die Pflicht dem neutralen Staat auferlegt wor- 
den, seinen Angehörigen zu verbieten, in der Armee eines der Kriegführenden 
Dienste zu tun. Der neutrale Staat sollte also Garantien dafür bieten, dass 
seine Angehörigen nicht von der Neutralität abwichen; nicht nur die An- 
drohung des Verlusts der Sonderrechte der Neutralen, sondern auch das Straf- 
gebot der heimatlichen Staatsgewalt sollte sie vor neutralitätswidrigen Hand- 
lungen, wenigstens Kriegsdiensten, abhalten. Diese Bestimmung ist fallen ge- 
lassen worden, weil ein solches Verbot abgesehen von den ethischen und 
politischen Momenten, die dagegen in Betracht fallen könnten — in den mei- 
sten Fallen undurchführbar wäre. Das Delikt wäre erst konsumiert und über- 
haupt erkennbar, wenn der Schuldige das heimische Territorium verlassen hätte, 
eine Sanktion würde der Strafbestimmung deshalb meistens fehlen. Die ein- 



1) N. T. Art. 17. 
8) ibid. al J. 



'_») X. T. Art. 17 al 1. 
4) N. T. Art. ■> al ± 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 605 



zige Pflicht, die dem neutralen Staate obliegt, ist die zu verhindern, dass sich 
auf seinem Gebiet Banden organisieren oder Werbebureaux auftun. wobei es 
aber gleichgültig ist, welcher Nationalität die Schuldigen sind '). 

Die Definition der neutralen Person wäre aber sehr unzulänglich, wenn sie 
sich damit begnügte zu sagen, dass derjenige nicht mehr als neutral betrachtet 
werde, der gegen einen Kriegführenden feindliche Handlungen begehe oder 
einen solchen begünstige. Diese Begriffe bedürfen der Präzisierung und eine 
solche wird, wenigstens zum Teil, in der Konvention, Art. 18, gegeben. Was 
feindselige Handlungen sind, ist allerdings nicht bestimmt ; jeden- 
falls sind es — mit Rücksicht auf die Gegenüberstellung des Begriffs der Be- 
günstigung — nur direkt gegen einen Kriegführenden gerichtete Handlungen, 
Teilnahme am Kampf und sonstige Angriffe. Immerhin können, nach einer 
Feststellung im Kommissionalbericht, Zeitungsartikel, welche in einem einer 
Kriegspartei feindlichen Sinne verfasst sind, nicht als feindliche Handlungen 
betrachtet werden. Eine negative oder positive Umschreibung des Begriffs ist 
unterblieben; auch ein Antrag, unter feindseligen Handlungen „actes prevus 
par la legislation penale" zu verstehen, wurde abgelehnt. 

Der Begriff der Begünstigung erfährt dagegen in der Konvention 
eine, allerdings nur negative, Umschreibung. Keine Begünstigung stellen dar: 

a) Lieferungen oder Darlehen 2 ), die einem Kriegführenden gemacht wer- 
den ; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Lieferant oder Geld- 
geber nicht im Gebiet des Staates wohne, dessen Gegner das Geld oder die 
Ware zukommen soll. Die in dem von einem Kriegführenden okkupierten Ge- 
biet niedergelassenen Neutralen werden in dieser Beziehung gleich behandelt, 
wie die im eigenen Staatsgebiet des Okkupanten wohnenden. Eine Neutrali- 
tätsverletzung seitens des Lieferanten besteht auch darin, dass aus dem Staats- 
gebiet oder der Okkupationszone einer Kriegspartei Lieferungen an die Gegen- 
partei erfolgen. Der Neutrale darf demnach der Kriegspartei liefern und Geld 
vorstrecken, bezw. aus deren Gebiet Lieferungen erfolgen lassen, unter deren 
tatsächlicher Herrschaft er sich befindet, bezw. in deren Gewalt die zu lie- 
fernde Ware ist. Erfolgt aber eine Lieferung oder ein Darlehen gegen das 
Interesse der Partei, welche über den Lieferanten oder die Ware gebietet, so 
liegt eine neutralitätswidrige Handlung vor. Wie in letzterem Falle gegen 
eine solche Person vorzugehen, bezw. die Lieferung zu behandeln sei, ist nicht 
gesagt. Gewiss ist nur, dass die Repression nicht schärfer sein darf, als wenn 
es sich um Lieferungen von Angehörigen des feindlichen Staates bandelt. Wie 
aber in diesem Falle zu verfahren ist, lässt das Landkriegsreglement leider 
unbeantwortet. Es ist also hier offenbar eine Lücke vorhanden. 

b) Dienstleistungen polizeilicher und zivil-administrativer Art 3 ) ; dabeiist 
es gleichgültig, ob solche Dienstleistungen schon vor dem Kriege auferlegt, 
bezw. übernommen wurden, oder ob diese erst seit dem Kriege bestehen. 

Der deutsche Antrag behandelte in einem besondern Kapitel die Dienst- 
leistungen, welche den neutralen Personen verboten sein sollten oder 

I i N. T. Art. 4. 2) N. T. Art, 18 lit. a. 

8j N. T. Art. 18 lit. b. 



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606 



Völkerrecht : Huber, 



welche von ihnen seitens der Kriegführenden nicht verlangt, bezw. verlangt 
werden könnten. Darnach sollten die Kriegführenden von den neutralen Per- 
sonen keinerlei Kriegsdienste, auch nicht freiwillig übernommene, fordern kön- 
nen. Und zwar sollten unter Kriegsdiensten nicht nur Dienste als Kombat- 
tanten verstanden werden, sondern alle Personen, die unter militärischer Ord- 
nung stehen, sollten als Kriegsdienste leistend betrachtet werden, also auch 
blosses gewerbliches und anderes Hilfspersonal. Eine Ausnahme wurde nur 
für kirchliche und Sanitätsdienste gemacht. Dieses Verbot sollte, wie schon 
ausgeführt, noch durch eine entsprechende Strafsanktion des neutralen Staates 
ergänzt werden. Aber noch weiter sollten die Ansprüche der Kriegführenden 
an die neutralen Personen, die entweder auf deren eigenem oder von diesen 
invadiertem, bezw. okkupiertem Gebiet sich vorfänden, beschränkt werden. Es 
sollten überhaupt von letztern wegen des Krieges keine Dienstleistungen er- 
zwungen werden können, auch wenn solche nicht als Kriegsdienstleistungen 
betrachet werden könnten. Annehmen zwar, aber nicht fordern dürften die 
Kriegführenden solche Hilfe. Nur ausnahmsweise sollte gestattet sein, die 
Mitwirkung der Neutralen für Sanitäts- und Sanitätspolizeidienste ausserhalb 
des Gefechts — und zwar wenn möglich gegen Barzahlung — zu requirieren. 

Diese, eine nahezu vollständige Exemtion der Neutralen statuierenden 
Bestimmungen sind in den Beratungen erheblich reduziert worden. In dem 
der Plenarversammlung vorgelegten Konventionsprojekt war den Kriegführen- 
den nur verboten Dienste zu fordern, die direkt auf den Krieg Bezug haben, 
mit Ausnahme von gewissen Sanitätsdiensten. Annehmen können sollten sie 
aber alle ihnen freiwillig angebotenen Dienste, andernfalls wären die Rekrutie- 
rungen von Söldnerheeren aus Ausländern faktisch unmöglich geworden, wenig- 
stens wäre die Verwendung von Ausländern im Kriege unstatthaft gewesen. 
Eine besondere Schwierigkeit jedoch bot der Umstand, dass in gewissen Staa- 
ten nach der nationalen Gesetzgebung die im Lande niedergelassenen Aus- 
länder dienstpflichtig sind. Solche Dienstpflicht ist teils sehr alt, herstammend 
aus einer Zeit, in welcher der moderne Begriff des Indigenats noch nicht be- 
stand, teils entspringt sie den Bedürfnissen der neuen Staaten und Kolonion, 
in denen eine sehr zahlreiche fremde, nicht naturalisierte Bevölkerung vor- 
handen ist. Auf alle Fälle aber steht die Erzwingung von Militärdiensten 
neutraler Personen in unlösbarem Widerspruch mit der Idee der extraterri- 
torialen Neutralität. Der Prüfungsausschuss wollte deshalb auf diese Gesetz- 
gebungen keine Rücksicht nehmen, schon um nicht den Schein grundsätzlicher 
Anerkennung ihnen gegenüber aufkommen zu lassen. Die Kommission hat 
dann aber, auf Antrag Grossbritanniens und Belgiens, die Gesetzgebung, welche 
die niedergelassenen Ausländer zum Militärdienst verpflichtet, ausdrücklich 
vorbehalten. Damit war ein unlöslicher Widerspruch in die Konvention berein- 
getragen worden. Es wurde zwar der Grundsatz ausgesprochen, dass ein 
Kriegführender die neutralen Personen nicht zu direkt auf den Krieg bezüg- 
lichen Diensten heranziehen dürfe, aber in einein folgenden Artikel dem Krieg- 
führenden erlaubt, eine die Neutralen zum Kriegsdienst verpflichtende Gesetz- 
gebung aufrechtzuerhalten, bezw. einzuführen. Angesichts dieses Widersinns 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 607 



wies die Plenarversammlung auf Antrag Deutschlands, des Initianten der gan- 
zen Vorlage, diese an diu Kommission zurück. Da in letzterer eine Einigung 
nicht erzielt werden konnte, wurde der ganze Abschnitt über die Dienste der 
neutralen Personen gestrichen. An seine Stelle trat der Wunsch ') der Kon- 
ferenz, dass die Mächte durch einzelne Staatsverträge unter sich die Stellung 
der Ausländer hinsichtlich der Militärlasten regeln möchten. 

Welches ist nun die Lage der Neutralen gegenüber den Kriegführenden? 
Die Antwort scheint gegeben : diese werden im eigenen Staatsgebiet des Krieg- 
führenden — auch auf dem Kriegstheater — von diesem wie die Staatsange- 
hörigen nach Landesrecht behandelt, d. h. der Kriegführende kann von ihnen 
fordern, was nicht durch gemeines Völkerrecht oder Vertragsrecht verboten 
ist 8 ). Dass die Forderung von Kriegsdiensten völkerrechtswidrig sei, kann 
nach den Verhandlungen der Konferenz kaum behauptet werden. Im inva- 
dierten und okkupierten feindlichen Gebiet sind, wie in den Verhandlungen 
anerkannt worden ist, die Neutralen vom Kriegführenden gleich wie die ein- 
heimische Bevölkerung gemäss dem Landkriegsreglement zu behandeln. Nun 
ist aber eine Bestimmung dieses Reglements nur für die Einheimischen er- 
lassen ; das Verbot *), diese gegen ihr eigenes Land zu militärischen Opera- 
tionen zu verwenden. Können deshalb die neutralen Einwohner, bei denen 
durch die Dienstleistung ein gleicher Gewissenskonflikt nicht entsteht, zur Teil- 
nahme an den militärischen Operationen angehalten werden? Die Frage ist, 
obwohl nicht unzweideutig durch die Verträge geregelt, doch aus allgemeinen 
Gesichtspunkten in dem Sinne zu beantworten, dass von den Neutralen nicht 
mehr als von den feindlichen Einheimischen gefordert werden darf. Dies folgt 
einmal aus dem Prinzip der extratcrritorialen Neutralität, das als solches von 
der Konferenz anerkannt worden ist. Im weitern gelangt man zu diesem 
Schlüsse deshalb, weil hinsichtlich des Verbots , die Neutralen zu auf den 
Krieg direkt bezüglichen Diensten heranzuziehen, Einstimmigkeit bestand und 
der Widerspruch sich nur gegen eine Norm richtete, welche die gesetzliche 
Militärpflicht der Ausländer ausschliessen wollte. Eine solche Dienstpflicht ist 
eine von dem Kriegführenden schon in Friedenszeiten, kraft seiner Gebiets- 
hoheit auferlegte Pflicht. Aus ihrem Bestehen kann demnach nicht ge- 
schlossen werden, dass der Kriegführende ausserhalb seines Gebietes, lediglich 
kraft seiner Kriegsgewalt weitergehende Befugnisse gegenüber den Neutralen 
ausüben wolle, als er sie aus der gleichen Kriegsgewalt gegen die gegnerische 
Bevölkerung ausübt. 

Der deutsche Antrag hatte endlich eine Reihe von Vorschriften aufge- 
stellt, die sich auf das im Gebiet der Kriegführenden belogene Eigentum 
der Neutralen bezogen. Diese Bestimmungen sind vom Prüfungsaus- 



1) A. F. voen Nr. 3. 

2) Eh kann nicht angenommen werden . dass im Kriegsfalle die im Gebiet eines 
fremden Staate» niedergelassenen neutralen Personen der dortigen Staatsgewalt gegenüber- 
stehen wie einem fremden Invasor. Auch in Kriegszeiten übt ein Staat innerhalb Keine* 
Gebiets gegenüber jedermann — mit Ausnahme der Angehörigen des feindlichen Staates 
— Gebietshoheit und nicht Kriegsgewalt ans. 

3) G. T. K. Art. 23 al 1; G. T. R. (1{J99) Art, 44. 



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Völkerrecht : Huber, 



8chuss teilweise modifiziert, aber doch fast sämtlich beibehalten worden. Hin- 
zugefügt, in etwas veränderter und erweiterter Form, wurde der inhaltlich diesen 
Bestimmungen analoge Art. 54 des Landkriegsreglements von 1899, welcher 
von dem neutralen Eisenbahnmaterial handelt. Nach der Vorlage des Prü- 
fungsausschusses wäre die rechtliche Lage des neutralen Eigentums im Gebiet 
der Kriegführenden folgende geworden: 

Die Neutralen, bezw. deren bewegliches Vermögen und liegendes Gut 
hätte nicht zu Kriegskontributionen herangezogen werden dürfen. Unter Kriegs- 
kontributionen wären alle speziell für Kriegszwecke erhobenen Steuern, nicht 
nur die Kontributionen im speziellen völkerrechtlichen Sinne ') verstanden ge- 
wesen. Die Immunität sollte sich jedoch nicht auf eine durch den Krieg be- 
dingte Erhöhung der allgemeinen Steuern beziehen, auch nicht auf die von 
einem Kriegführenden im okkupierten Gebiet auferlegten Abgaben für Zwecke 
der bürgerlichen Verwaltung. 

Das im Gebiet der Kriegführenden gelegene Eigentum der Neutralen 
sollte von den Kriegführenden nicht zerstört (dltruire), beschädigt (deteriorer) 
oder mit Beschlag belegt, bezw. weggenommen (saisir) 2 ) werden dürfen, es sei 
denn, dass militärische Verhältnisse dies gebieterisch fordern. Schon das 
Landkriegsreglement 3 ) spricht dieses Verbot aus, nur ist dort von blosser Be- 
schädigung nicht die Rede, sondern nur von Zerstörungen und Wegnahme. 
Die Verbesserung der Lage der Neutralen sollte aber hauptsächlich darin be- 
stehen, dass im Falle der Beschlagnahme oder Wegnahme neutralen beweg- 
lichen Eigentums stets Entschädigung zu gewähren gewesen wäre*). Diese 
EntschädigungspÜicht auch auf die Fälle der Beschädigung sowie der Zerstö- 
rung auszudehnen, wurde von der Schweiz beantragt, der Antrag fand jedoch 
wegen seiner finanziellen Tragweite keine Unterstützung. Es wurde vielmehr 
nur der Grundsatz ausgesprochen, dass, wenn ein Kriegführender sei es in 
seinem eigenen, sei es in dem von ihm invadierten oder okkupierten Gebiet 
Entschädigungen gewähren will, er die Neutralen nicht schlechter als die eige- 
nen Angehörigen stellen darf und alle Neutralen gleich behandeln muss. Den 
Neutralen ist er allerdings nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn de- 
ren Staaten Gegenrecht halten. 

Neben diese für die gesamten Gebiete der Kriegführenden gleichmässig 
geltende Hauptregel traten zwei spezielle Vorschriften betr. Benutzung von Im- 
mobilien und betr. Expropriation und Benutzung von Mobilien. Mit, Neutralen 
gehörenden Immobilien, die im Gebiet des sie benutzenden oder expropriieren- 
den Staates liegen, sollte nach Landesrecht verfahren werden; im Feindesland 



I i 0. T. H. Art. 51. 

•Ji Hier bedeutete nach »ler Erklärung des Koinmissionalberichterstatters . Oberst 
Ilorel. .saisir" sowohl Wegnahme wie Beschlagnahme. Vgl. oben 8. 5^4 Anm. 1. 

3) T. It. Art. -J3g. 

4) Der durch diese Bestimmung den Neutralen zugedachte Vorteil ist jetzt durch 
die Entsc liädiguiigspHicht (li.T. Art. 3) im Fall der Heglementsverletzung allen Bewohnern 
des Kriegsgrbiets wenigstens mittelbar zugesichert, allerdings mir für den Fall, dass Eigen- 
tum ohne Not zerstört oder weggenommen worden sein sollte. Die Neutralen hatten aber 
in allen Fällen, wenigstens von Beschlagnahme und Wegnahme, ohne weiteres Entschädi- 
gung und zwar direkt fordern können. 



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I 



Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 609 



dagegen hätte der Kriegführende die nach seiner eigenen Landesgesetzgebung 
vorgesehene Entschädigung den dortigen Neutralen nur zu bezahlen gehabt, 
wenn deren Staaten Gegenrecht gewähren, und auch in letzterem Fall nie- 
mals in weiterem als dem durch die lex rei sitae vorgesehenen Umfange. Was 
die Expropriation und Benutzung von Mobilien im feindlichen Gebiet betrifft, 
so ist diese als für Angehörige der noutralen und der kriegführenden Staaten 
gleichmässig durch die Art. 52 und 53 des Landkriegsreglements geregelt 
betrachtet worden ; es wurde deshalb lediglich bestimmt, dass der Kriegfüh- 
rende die in seinem eigenen Gebiet befindlichen Mobilien Neutraler für mili- 
tärische Zwecke nur gegen Barentschädigung benutzen, bezw. expropriieren 
dürfe. 

Gegen diese Sonderstellung der Neutralen hinsichtlich ihres Vermögens 
machte sich eine lebhafte Opposition geltend. Es wurde sowohl die Oppor- 
tunität wie die Durchführbarkeit dieser Neuerung bestritten und gesagt, dass 
der Neutrale, der meistens vom Kriegsdienst frei ist, dadurch schon einen 
grossen Vorteil vor dem Einheimischen habe, und dass es daher ungerecht- 
fertigt sei, ihn, der sich im fremden Lande um seines eigenen Vorteils willen 
niedergelassen, dazu noch von den Lasten und Risiken zu befreien, die im 
Kriegsfall dieses Land treffen. Auch wurde darauf hingewiesen, dass in den 
neuen Staaten und den Kolonien eine zahlreiche, zwar landesfremde, aber 
doch mit ihrer neuen Heimat eng verwachsene Bevölkerung existiere, welche 
die ihr zugedachten Befreiungen gar nicht wünsche. Femer wurde gegen diese 
Sonderbestimmungen zu gunsten der Neutralen eingewendet, dass ihre Durch- 
führung auf grosse tatsächliche Schwierigkeiten stosse, Schwierigkeiten na- 
mentlich für den Kriegführenden, der nicht in der Lage sei, zwischen den ver- 
schiedenen Arten von Eigentum zu unterscheiden. Zu Gunsten des Sonder- 
rechts der Neutralen wurde dagegen — abgesehen von der ihm zugrunde lie- 
genden humanitären Tendenz — hervorgehoben, dass, wenn irgendwo, so in- 
bezug auf die Neutralen eine weitere Eingrenzung des Krieges möglich und 
wunderbar sei. 

Schon im Prüfungsausschuss wurden die auf das neutrale Vermögen be- 
züglichen Artikel nur mit knappem Mehr angenommen, in der Kommission 
dann, allerdings ebenfalls nur mit geringer Mehrheit, sämtlich unterdrückt; 
sie sind also nicht bis zur Abstimmung im Plenum gekommen. Eine an- 
nähernd vollständige Uebereinstimmung wäre übrigens in keinem Falle erreich- 
bar gewesen. 

Etwas günstiger gestaltete sich das Schicksal der auf die neutralen Ver- 
kehrsmittel bezüglichen Bestimmungen des deutschen Antrages und der Vor- 
lage des Prüfungsausschusses. Letztere reproduzierte vor allem — in aller- 
dings bedeutend erweiterter Form — den Artikel 54 des Landkriegsreglements 
Nach jenem Artikel sollte das aus neutralen Staaten stammende, staatliche 
oder private Eisenbahn material den Eigentümern so rasch als mög- 
lich zurückgesandt werden. Nach Ansicht der Kommission sollte damit nur 

lj ü. T. R. (1899) Art. 54. jetzt N. T. Art. 19. 
.i*i,ri, .u. n« •» ,t r»_ ir 3J) 

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610 



Völkerrecht: Huber, 



die Wegnahme dieses Materials, nicht aber dessen Requirierung, allerdings 
nur für kurze Zeit, verboten werden. Da in dieser Frage übrigens die ver- 
schiedensten Meinungen zu Tage traten, einigte man sich auf eine Formel, die 
jetzt als Art. 19 in der Konvention betr. die Neutralität im Landkriege figu- 
riert. Nach diesem Artikel gestaltet sich die Lage des aus neutralem Gebiet 
herstammenden 1 ) und als neutral erkennbaren Eisenbahnmaterials neutraler 
Staaten und auf deren Gebiet domizilierter Gesellschaften und Privater fol- 
gendermassen : 

a) Das neutrale Eisenbahnmaterial darf von den Kriegführenden nur im 
Falle einer gebieterischen Notwendigkeit und nur, solange eine solche besteht, 
benutzt werden. Auf alle Fälle ist es so rasch als möglich an den Ursprungs- 
ort zurückzusenden 2 ). 

b) Der neutrale Staat, dessen Bahnmaterial sei es wegen Requisition, sei 
es wegen Verkehrshemmnissen im Gebiet der Kriegführenden zurückgehalten 
wird, darf das auf seinem Gebiet befindliche, aus dem Gebiet der Kriegführen- 
den herrührende Material koinpensationsweise, d. h. in entsprechendem Umfange 
zurückbehalten und für seine Zwecke verwenden 8 ). Es ist diese Zurückhal- 
tung nicht als Ausübung einer Art Pfandrechts gedacht, sondern als ein Not- 
gebrauchsrecht. Das Mass der Ausübung dieses Requisitionsrechts der Neu- 
tralen ist rechtlich nicht einfach zu bestimmen ; es kann zweifelhaft sein, ob 
sich die Zurückhaltung richtet nach dein, was auf einem Staatsgebiet, gleich- 
viel durch wen, festgehalten wird, oder aber nach dem, was jeder einzelne 
Kriegführende selbst gebraucht. Man wird sich wohl für die erste Beantwor- 
tung entscheiden müssen, da nicht auf den Grund der Zurückhaltung des neu- 
tralen Materials abgestellt wird. In der Praxis wird sich die Requisition sei- 
tens des Neutralen wohl so gestalten, dass dieser in dem Masse sein Recht 
ausübt, als es dem bei Kriegsausbruch auf den Gebieten der Kriegführenden 
befindlichen, ihm gehörenden Material entspricht. 

c) Während das Landkriegsreglement von 1899 die Entschädigung der 
Neutralen einfach auf den Friedensschluss verwies, wird nun eine gegenseitige 
Entschädigung der Eisenbahnmaterial requirierenden neutralen und kriegfüh- 
renden Staaten und zwar im Verhältnis zu Umfang und Dauer des Gebrauchs 
stipuliert '). Für die Entschädigung werden, nach Auffassung der Kommis- 
sion, die schon in Friedenszeiten massgebenden Ansätze zur Anwendung 
kommen. 

Dieser auf das Eisenbahnmaterial bezügliche Artikel der Vorlage des 
Prüfungsausschusses ist in den verschiedenen Wandelungen, welche das Pro- 
jekt im allgemeinen durchmachte, beibehalten und deshalb in die Konvention 
aufgenommen worden. Er bildet jetzt den einzigen Artikel des IV. Kapitels, 
da die andern auf das neutrale Eigentum bezüglichen Artikel fallen gelassen 
wurden: die auf das Privateigentum im allgemeinen bezüglichen, wie bereits 

h Die He*tiinnnin<j findet als« keine Anwenduuj; in dem allerdings nicht sehr häu- 
tigen Fall, dass ein Angehöriger eines neutralen .Staut«, bezw. eine in einem solchen do- 
mizilierte (Je<elbchaft im Gebiete der Kriegführenden eine Eisenbahn betreibt. 

2) N. T. Art. 19 al 1. 3} ibid. al i> 

4) ibid. al 3. 



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Die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag. 611 



bemerkt, schon von der Kommission in der ersten Beratung; zwei andere 
speziell die Verkehrsmittel betreffende Artikel erst nach der Rückweisung der 
Vorlage seitens des Plenums. Diese beiden in der Hauptsache auf den deut- 
schen Antrag zurückgehenden Artikel der Vorlage des Prüfungsausschusses 
handelten von der Requisition von Fahrzeugen der Binnenschiffahrt und von 
der aussergewöhnlichen, zu einer Extraentschädigung verpflichtenden Abnutz- 
ung von requiriertem Eisenbahn- und Schiffsmaterial. Was die Requirierung 
und Expropriation von Schiffen betraf, so hätte eine solche nur gegenüber 
Fahrzeugen ausgeübt werden können, die der Flussschiffahrt im Gebiete eines 
der Kriegführenden dienen. Die Entschädigung bei Expropriation oder Be- 
nützung sollte dem vollen Wert, bezw. dem ordentlichen Frachtsatz, jedesmal 
mit einem lOprozentigen Zuschlag entsprechen. In gleicher Weise sollte ge- 
genüber der Fracht von solchen Schiffen das Expropriations- und Benutzungs- 
recht ausgeübt werden können. 

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Seit Beginn des Drucks vorstehender Abhandlung hat die II. Friedenskonferenz lite- 
rarische Bearbeitung gefunden durch A. H. Fried. Die zweite Haager Konferenz, ihre 
Arbeiten, ihre Ergebnisse und ihre Bedeutung, Leipzig 1908; 0. Nippold, Die zweite 
Hauger Friedenskonferenz in Bd. XVII, Heft 4—6 von Niemeyers Zeitschrift für inter- 
nationales Privat- und öffentliches Recht; E. v. Ulimann, Völkerrecht, 2. Auflage, Tü- 
bingen \W8; Lemonon, La Seconde Conference de la Paix. Paris 1908; Zorn, Die 
Fortschritte des Seekriegsrechts durch die zweite Haager Friedenskonferenz (in der Fest- 
gabe für Laband) 1908. Diese Publikationen konnten im Texte keine Verwendung mehr 
finden. 



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