Moderne Meinnungsverschiedenheiten über Methode Aufgaben und Ziele der Kirchengeschichte Rede gehalten beim Antritt des Rektorats am 13. Oktober 1901

Moderne

Meinnungsve.
über Methode
Aufgaben und
Ziele der ...

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GIVEN BY

THE SOCIETY

FOR PKOMÜT1NG

THEOLOQICAL EDUCATION

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über

Prtjjo&e Jltifgaben wto Jiele $itd|mgrfil|id|tr.

gtljaltttt fcetm Antritt ht* QtkUvat*

am 13. Dftober 1901

— — ococ^-c»

Harburg.
<R. ®. eiwert'f^c HerlagSbudjfianblunQ.

1901.

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§od)anfefjnlid)e SSerfammlung!

(Sin guter alter S3raud) legt e§ bei un§ bem neu antretenben
SReftor al§ erfte 2lmtäpflid)t auf, baß er in einer afabemifdjen
9tebe 3 eu 9 ni§ 1)011 ocm ©eiftc ablege, in bem an beutfdjen Uni=
oerfitäten bie SSiffenfdjaft betrieben wirb, oon bem ©eifte, in
bem aud) im neuen 5lmt§jaf)r an unferer §oO)fd)ule gelehrt unb
gelernt werben fott. @in SÖZitglieb bcr tf)cologifd)en gacultät wirb
bie Gelegenheit, bie (Sinljcit bicfe§ ©eifte§ öffetitlict) ^u bezeugen,
befonber§ gern ergreifen, weil gerabe ber tfyeologifdjen Söiffenfdjaft
gegenwärtig oon ber einen (Seite biefe @inf)eit fdjroer oerbaajt
wirb, wäfjrenb man fie auf ber anberen ©eite geringfdjätug in
Slbrebe [teilt; bort wirft man un§ cor, mir fdjämten un§ $J)eo=
logen 5U f)etjjen, l)ier bezweifelt man offen ober insgeheim unfere
93orurteil3lofigfeit, wenn nia)t gar unfern 2öal)rf)cit§mut. — 3)abei
ift e§ beäeid)nenb für ben (Sfjarafteu unferer ^Jeit, bog fold)e SJor^
würfe, bie ehemals in erfter ßinie ben $ogmati!er trafen, fjeute
am Ijeftigften gegen bie Vertreter bcr t)iftorifd)eu $i§ciplinen in
ber Geologie gefd)leubert werben; fein nod) fo rabifaler $>og=
matifer ift bem §afj ber firdjlidjen @d)arfmad)er in gleid)em
äRafje ausgefegt wie bie Bannerträger ber fn'ftorifdjen ftritit an
93ibel unb ßirdje, ein Söaur, 2öeÜf)aufen, -£>oltunann, §aruarf;
ebeufo trifft e§ am peiulid)fteu bie §iftorifer in unferen yteifyen,
wenn f)od)angefef)ene Vertreter anberer SCÖiffenfdjaften fid) if)t Urteil
3. 93. über bie Urgefä)td)te be§ ©fjrifteutumS lieber auf ©runb
friooler ftabeteien eines unwiffenben @enfation§fcribenten bilben
als an ber §anb ber ernften Arbeiten unferer au§gegeid)netften
5orfd)er.

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3<cf) bin aber weit baoon entfernt, mid) I)ier mit einem t>on
biefen ©egnern auSeinanberfefcen gu motten; menn nid)t bie ©arfje
fo ferner litte unter tf)rem 9Jhßtrauen ober ©roß, müßten mir
ifjnen fogar banf bar fein : it)r Söiberfprud) behütet uns oor Über*
ftt)äfcung beffen, roa§ mir bereits erreicht Jjaben. 9Jtan fönnte
nämtirf) bei einem Überblid über bie ßetftungen ber f)iftorifd)en
Geologie in ben legten 3af)rgef)nten Ieict)t oon einem §od)gefüf)l
ergriffen roerben, gumal menn man, ma§ für mid) felbftoerftänb=
litt) ift, bie Vertreter ber neuteftamentlidjen ®i§cuolinen ben
®ird)enf)iftorifern guredmet; mer ©efdjmacf an fird)engef.l,icfytlitt)en
(Säcularerinnerungen finbet, ber brauchte um ba§ ©rgebniS feiner
93ergleid)ung gmifcfjen bem ©tanbe unferer SBiffenfdjaft im $af)te
1801 unb bem oon Ijeute mafjrlid) nid)t beforgt gu fein.

(Serabe an eine foldje ©äcularerinnerung möchte id) an=
htüofen, menn id) Qf)nen Jjeute gu geigen oerfud)e, baß man fid)
bei un§ feineSroegS in felbftgufriebener ®id)er!jeit miegt; ein leb=
fjafter ßampf ber Meinungen über bie richtige 9ftetf)obe, bie
f)öd)ften Qiele unb über neue Slufgaben ber fird)engeftt)id)tlitt)en
3öiffenfd)aft ift entbrannt; ftürmifd) äußert fid) ba§ Verlangen
nad) Reformen, immerhin ein 2ßerfgeid)en frifd)en ßebenS: ge«
ftatten (Sie mir, Sfynen bie ©treitpunfte fnapp gu befd)reiben unb
mein Urteil über ben 2öert ber oorgebrad)ten Argumente gu red)t=
fertigen.

$ein ©eringerer als ber Herausgeber ber $reußifd)en Qa^r=
büd)er fjat oor QafjreSfrift oerfünbigt: „Söenn bie 2öiffenfd)aft
beS 19. QaljrljunbertS ein Ergebnis gehabt l)at, baS alle anbem
an SBebeutung übertrifft, oor beffen Söud)t alle 2t)atfad)en ber
9ßaturforfd)ung Hein erfd)cinen, fo ift eS, baß baS (5l)uftentum
nid)t eine, fonbern bie Religion, bie abfolute Religion ift."
3)iefe Söa^eit aber, oon ber eS bann meiter nod) l)eißt, baß fie
ben ©djlüffel gur 2Beltgefü)id)te mie gur @eftt)id)te ber 2Biffenfd)aft
im 19. Qafjrfmnbert barbiete, fott erhoben morben fein aus einem
93ud)e, beffen Sßerfaffer auSbrücfltd) er!lärt, er fjabe feine Aufgabe
als eine rein f)iftortfd)e fid) geftellt unb beljanbelt : eS ift #arna<f S
Söefen beS (SljriftentumS.

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9hm fennt man ^toar an bem §iftorifer $)elbrücf, ber jenes
entt)ufiaftifcr)e Urteil über baS in bcr Stjat einzigartige SBud) eines
großen ©efcr)icf)tSfd)reiberS fällt, eine gereifte Steigung ^um
centrifdjen unb Auffallenben, aber offenbar gilt ifmt bod) bie
95t öglid) fett, mit ben Mitteln ber ©ef<$icrjtSrotffenfd)aft abfolute
©rößen natfföuroeifen, als etroaS ©elbfroerftänblidjeS. Unb biefe
Anfajauung fa>int §arnacf jit teilen, ba er jüngft, unb nidjt
etroa als ein Urteil feinet ©laubenS fonbern als ftefultat feiner
gefd)itf)tlia)en gorfdmng, ben ©afc oorgetragen f)at, baß baS
(Sr)riftcntum in feiner reinen ©eftalt nicrjt eine Religion neben
anberen, fonbern bie Religion fei, fo roie 3efuS ber 9Jceifter unb
nid)t ein SJcetfter neben anberen, ober baß bie gefct)ict)tlid)e @r=
fenntniS ben Anfprud) biefer Religion bejahe, baS fjödjfte ©ut
ju fein, baS bie 9ftenfd)r)eit befitje, baS ^eilige ©ut, baS fie über
bie Söelt ergebt.

greilid) r)at #arnad foUfje Siefen aufgefteHt im S?ampf
gegen eine tfyeologifdje 9licr)tung, oon ber er eine fimftlicr)e @nt=
roertfmng beS ©fjriftentumS befürchtete; baneben betont er: „Söir
fönnen unb bürfen bei unferer gef(t)icf)tlicr)en Arbeit nicr)t an bie
ßerjren unb Sebürfniffe ber $ira> benfen, mir roären pfltdjt=
oergeffen, roenn mir in jebem einzelnen gall etroaS anbereS im
Auge rjätten als bie reine ©rtenntniS ber <3ad)e." Qubem ift
eS bloS baS (£f>rtftentum in feiner reinen ©cftalt, oon bem er,
ber $>iftorifer, baS $>öd)fte auSaufagen toagt, alfo nid)t eine be=
ftimmte tirct)Iicr)c Ausprägung beS (£r)riftentumS, fonbern feine
erft oon ber Söiffenfdjaft reconftruirte Urform. Aber eS bleibt
babei, baß aud) §aruacf ber £iftorie bie 9ttad)t unb baS fterfjt
jutraut, ben Aufprud) beS (SrjriftentumS, bie abfolute Religion
3U fein, ju bejahen, roärjrenb anbere aufrieben roaren mit einem
9cid)t=oemeinen.

3)ie ©ruppe nun oon ebenfo geifteSfrifdjen n)ie rücfficfjtSlofen
SUlännem, bie §arnatf rjerauSgeforbcrt rjaben ju jenem geroagten
@d)ritt, fetjt fid) aus aiemlict) oerfdjiebenen Elementen jufammen.
2)ie einen fjaben aller $r)eologie ben ßrieg erflärt als einem
^arafiten am ßörper ber Religion — bie $irrf)engefcr)icr)te roolleu

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fic bann groar roof)l nid)t jur Geologie geregnet rjaben — , bie
SInberen erflären ein S3err)ältni§ ber Spannung groifdjen Geologie
unb ßird)c für ba§ roenigftenS im $roteftanti§mu§ normale, unb
empfinben in bem ^Begriffe M r)iftorifct)" etroaS rote eine bie ßirdje
auflöfenbe ©uoftang, roieber Rubere proclamiren eine religion§=
gefd)itf)tlid)e 3Jictt)obc als bie für bie gefamte Geologie allein
gültige unb oerfpredjen ficr) oon iljrer 5lnroenbung auf bie $ird)en=
gefd)idjte unb auf bie biblifdje 5öiffenfrf)aft bie Söirtung eines
©auerteigS, ber alles oerroanbelt unb fdjlicfelid) bie ganse bis*
tjerige 5orm tr)eologifd)er 9ttetf)oben aerfprengt.

liefen (Stürmern unb Prangern fann man fdnoerlid) ein«
fad) guftimmen. @ine gefct)i(t)tlicr)e Religion ofyne Geologie ift
ein Unbing; je f)ör)cr eine Religion fteljt, um fo unentbefyr*
lidjer roirb tl)r bie ©elbftbefinnung ; fogar roenn alle irjre 93er*
fudje, ifyr SGßefen gu erfennen, im oolltommeneu 9IgnofticiSmuS
enben fotlten, märe eS nitf)t ber föird)enf)tftorifer, ber bieS Urteil
gu fällen f)ätte. $)afe ferner ber 93egriff „fjiftorifcrj", an bem bie
Qbee eroigen SöerbenS unb 93ergef)enS unabtrennbar fyängt, einer
ftct> infaHibel bünfenben $trd)e unerträglid) fein fann, ift augu*
geben, allein foldjer $ünfel gehört boct) nia)t gum Söefen ber
$ira)e. Söer bie Arbeit, bie er als tf)eologifd)er §iftortfer oer*
richtet, al§ eine unfird)lid)e empfinbet, ber tfiut ber ßirdje baS
fdjroere Unred)t an, fie mit ben Sftenftfjen ju oerroecfrfeln, bie
fällig Jjeute baS Regiment in ifjr führen. $ie £ird)e ber «Re-
formation roenigftenS, an bereu Söiege fa)on r)iftorifdt)c ßritif
geftanben t)at, barf md)t oergeffen, ba& it)r bie 9öat)rr}cit über
baS §erfommen ger)t, fie roirb fomit ioar)rr)aftige Üritif an allem
ir)r Überlieferten, unb fjierau gehört nun einmal baS Söort
©otteS audj, grunbfätjlid) begünftigen.

2BaS enblid) bie oielgepriefene religtonSgefd)id)tlidje Sftetljobe
angebt, fo fann id) oon iljrer 9lnnaf)tne fo roenig einen erfjeblidjcn
©eroinn für unfere 3)iSciplin roie etroa eine ©efafjr erroarten.
2)ie llmroanblung ber tfyeologifdjen JJacultäten in religionSroiffen*
f<r)aftlid)e, bie eine ©onfequeng aus jener gorberung fein mödjte,
fommt ernftlia) nid)t in grage gu einer Qtit, roo nod) niajt ein=

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mal ber ©egcnfatj oon fatfjolifch = theologifdjcn imb eoangelifcf) 5
tfjcologifchen £Jacultäten übermunben ift, too bie (Srfetumg eines
fatholifdjen $trehenf)iftorifer§ bmd) einen »roteftantifdjen ober
umgefcfjrt ungeheuerlich erfci)iene, roo man aber auch in anberen
gacultäten ooll Zartgefühl „mit ber 93erfdjiebenf)eit ber Beurteilung
gefchiö)tlia^er $hatfacr)en bura) bie Singehörigen ber beiben djrift=
liehen Sefenntniffe" rechnen — mufe. Mein felbft menn bie§ einmal
anbcrS mirb, barf ber ftircfjenhiftorifer nicht bem Religton§=
hiftorifer feinen $lafc räumen; reicht boct) bie ßraft eine§ ge=
möhnlichen 9Jcenfcf)en fdE)on bagu faum au§, ba§ riefenhafte ©ebiet
ber ©efchichtc be£ ©hriftentumS oom erften bi§ gutn 19. Qar)r=
hunbert gleichmäßig grünblich fennen 3« lernen ; eine (Snoeiterung
biefeS 2lrbeit3felbe§ in§ ©rengenlofe t)cifet un§ miffenfdjaftlich
begrabiren. dagegen mürbe ein ßehrftuf)! für ReligtonSoerglcichung
ober ReligionSgef Richte neben benen für 2llt= unb 9ceuteftament=
liehe Söiffenfchaft unb bem für 5tirct)engefcr)ict)te bie theologifcfjen
gacultäten ebenfo gieren, mie in ber ^ßt)ilologic längft ber (Sprach*
oergleicher neben bem ©räciften unb bemßatiniften feinen rühmlichen
93latj ermorben hat. 93ei ber unenblichen SJcamüchfaltigfctt ber
Beziehungen unb SBermifdjungen oon ©hriftentum unb anberen
Religionen, bie oon ben Reiten feiner ©ntftehung an bi§ fycute
gu beobachten ift, bei ber (Schnrierigfeit ber Aufgabe, ba§ fpecififcf)
©h^ftlithe oom Qübifcrjen ober §ellenifchen fct)arf abgufonbern, bei
bem unabläffigen 5lu§taufO) oon BorfteUungSformen unb Qbeen
ift bie Vertrautheit mit ben bem ©hnftentum gemifferma&en be=
nachbarten Religionen gur ßöfung ber r)öct)ftcn Aufgaben ber
Stirchenhiftorie , manchmal auch fa) on rea )* befcheibener , 93.
litteraturgefchichtlicher Probleme, gang unentbehrlich; unb mit je
mehr oerfchiebenen gormen ber Religion jemanb mirflich 93cfcheib
meife, um fo ficf)ererer unb gerechter mirb er im Urteil über bie
normalen unb abnormen @rfcf)einungen im fachlichen Seben ber
©hriftenheit merben. 5lber bie ReligionBgef Richte bleibt für ben
ßirchenhiftorifer barum boch eine $ülf§miffenfchaft mie bie
tlaffifche ^pfjtloloQtc ober bie ©eltgefchtcfjte, unb ein Religion§=
ocrgleicher ohne Kenntnis be3 ©hriftentumS märe mahrlich eine

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nod) t)icl unglücflidjere gtgur als ein ^rd^cn^iftorifer # ber oon
ben anbeten Religionen nid)tS roüfjte. 28er oon ber angeblid)
entfd)loffenen $urdjfüf)rung ber r)iftorifcr)en üttettyobe eine unfre
URetfjoben unb unfre ©rgebniffe umroanbelnbe Söirfung enoartet,
ber überfielt, bafj ©noeiterung beS ©efid)tSf reifes nid)t fo oiel
ift als @infüf)rung einer neuen 9ftetf)obe. 3)afj man nur auf
bem |>intergrunbe beS ©pätjubentumS unb all ber nmnberlidjen
ReligionSmengerei in ber bamaligen l)ellentftifd)en Söelt baS
aufleud)tenbe (Soangelium Qefu unb feines 9lpoftelS red)t roürbigen
fann, §aben uns nid)t erft bie neueften SReltgionSl)iftorifer gelehrt ;
roaS unS oielfad) fef)lt, ift nicfjt bie 9ftetf)obe, fonbern bie $ennt*
niffe unb bie Iebenbige 3lnfd)auung. 3)cn $ird)enl)iftorifer im
engern (Sinn tonnte ein neroofeS ©püren nad) 9lnalogieen in
fremben Religionen leidjt abgießen oon roid)tigeren Qntereffen,
unb für bie 93ibelforfd)uug gerabe mürbe id) oon bem Saaten*
nnb |nmotf)efenbrang unferer mobernen tf)eologifd)en Religion^
l)tftorifer ef)er SBenoirrung unb SBerfanbung befürchten als auf
baS fräftige Söegfegen unnüfcer ©preu f)offen.

Söenn id) foroeit mid) oerpflid)tet füf)le, bie Partei ber
(Gegner jener Reformberoegung in unfrer 2öiffenfd)aft gu nehmen,
fo fann id) bod) feineSmegS alle iljre (Simoenbungen gegen bie
religionSgefa)id)tlid)e üJcettyobe, ober beffer, gegen bie hinter bem
unglücflidjen SRamen fteefenben Senbengen gutljeifcen. @S f)at
fid) bei biefem Slnlafj ein l)öd)ft bemerfenSroerter .ßnriefpalt in
einer grunbfätjlid)en 3 ta 9 e offenbart, ein gtoiefpalt aud) unter
ben ^rcfjenljiftorifern , für bie eS aujjer aller ©ontrooerfe ftel)t,
bafj in ben Ijiftorifdjen 3)iSciplinen ber Geologie uid)tS als bie
fn'ftorifdje Sftetljobe angumenben ift. Unb über ben (Sfyarafter
unfrer 2öiffenfd)aft , über bie ©renken it)rcr ßeiftungSfäfjigfeit
bürften bie Sftobernen fid) beffer !lar geworben fein als ifjre
2Biberfad)er. gür uns ftnb oon Qntercffe oier oon ben im Streit
oorgebrad)ten Argumenten.

1) 9Jton toirft ber reIigtonSgefcf)id)tlid)en 9ttctf)obe oor, fte
oenoenbe nid)t eine gefdjid)tlid)e (SrfenntniS, fonbern ein bog*
matifdjeS Sßoftulat, menn fie behaupte, alle @rfa)cinungen beS

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religiöfen ßeben§ al§ relatioe ©röfjen uerftefjen gu tonnen; ber
föelattoi§mu3 oerfd)liefje , ba er abfolute SCßertEje be§ inneren
2eben§ anguner)men oerroeigere, bem grotfdjer ben 2öeg gur
(3cclenfrcir)cit unb gur ^eilSgeroifcfjeit. 2) $)ie religion§gefdjid)t=
Uct)e SDßetfjobe oerfaüe in ben geiler be§ @oolutioni§mu§ , ber
für jebe gcfct)icr)tli(f)c £f)atfad)e roie für einen ftaturoorgang bie
gorberung einer Ableitung ftetlt unb ba§ ftet§ gefjeimniSoolle
SSefen ber $erfönlid)feit oerfennt. 3) Qene SMfjobe oergeffe,
ba& e§ in ber SBiffenfrfjaft fo oiele oerfd)iebene 9ftetf)obcn roie
Objcfte giebt; nur ein Vorurteil fei e3, ba& ba§ ©f)riftentum,
roeldje§ boä) ben 2lnfr>rud) ergebe, eine befonbere unb bagu fupra=
naturale Religion gu fein, nad) ber gleiten 9ftetf)obe befjanbelt
roerben müffe roie alle anberen ^Religionen. 4) ^ene 9Jtetf)obe
fönne aud) bei glängenber ®erroertr)ung ben ßird)enr)iftorifer nid)t3
9teue3 lehren ; in ber (Sntroirflung be§ ©f)riftentutn§ roteberfjolten
fia) ja alle früheren @rfd)einungcn ber Religion in eigentüm=
ticr)er Umformung unb gefteigert ; bie gülle ber 9Röglid)fetten für
bie 93erbinbung oon Religion mit anberen formen mcnfdjlidjen
©eifte§leben§ fei innerhalb ber ct)riftltcr)cn $ird)engefdjid)te natjegu
erfd)öpft.

Qeber biefer ©inroänbe birgt ein ßorn 2öal)rr)cit , aber ein*
gefüllt in fräfttge Qrrtümer. 2öo ift beim ber §iftorifer, ber
alle früheren @rf Meinungen ber Religion fo gut rannte, bafj er
behaupten barf, fte rjätten fid) fämtlid) in bcr ©cfa)iä)te be§
(£f)riftentum§ roicbcrrjolt? 9öer fann, el)e bie ®efd)idjte ber 2öelt
abgelaufen, miffen, mo bie gülle ber aRöglidjfetten erfdjöpft ift?
— $er ©a$ fobann, baß c§ fo oiel SRctrjoben roie Objefte für
bie SEBiffenfc^aft gebe, fütjrt au ben rounberlid)ften ©onfequengen.
9Ufo brausen roir für bie ©rforfdnmg ber ©efd)idjte ber fatf)o=
lifcr)en $ird)e ober be§ ©noftici§mu§ eine anbere Sftetrjobe al§
für bie be§ ßut£)ertum§? Unb roofjl eine anbere 9ttetr)obe für
bie ©efd)id)te be§ SBeid)troefen§ al§ für bie ber Qnquifition ? $)en
Hnfprud), eine befonbere auf Offenbarung berurjenbe ^Religion gu
fein, teilt ba§ ©fjriftentum %um SBeifpiel mit bem ,3§lam: er=
achten roir un§, bie roir folgen Slnfprud) be§ 3§lam ignoriren,

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beSfyalb für unfäfjig, il)n famt feinet gefa)icfjtlia)en ©ntnutflung
ooHfommen begreifen? Söer Ijat benn bie toafjre ©efä)id)te
bc§ 3§lam gefdnHeben , 9ftuf)ammebaner ober ©fjriften? 9tidt)tig
ift aUerbingS, ba& ein ©elefjrter oljne religiöfen Sinn fd)lett)t
befähigt fein nrirb bie ©efä)iä)te be§ (£f)riftentum3 31t erforfdjen;
ooHenbS madjt geinbfeligfeii gegen bie ßirtfje , auSbrüo? tief) füge
id) {jingn, gleidjoiel um meldte ßiraje e§ fid) fjanbelt, immer
blinb gegen bie listen 3üge in ifjrem 93ilbe. Slbcr gilt ba§
©leiaje benn nidjt aud) von ber Religion ber Börner ober be§
99ubb^a? Söem ba§ 93erftänbni3 für bie <3d)önf)eit ber gormen
mangelt, ber nrirb nie ein rüstiger 5lunftt)tftorifer roerben; bie
Religion ftettt aber nod) f)öf)ere 2lnfprüd)e al§ bie ßunft. —
Srofcbem enthält bie $f)efe, baß ba§ llrd)riftentum nur ber uer=
ftefyen tonne, ber felbft ein Sßrobuct feiner gefä)id)tlicr)en @nt=
nridlung ift ober bafj bie ^ugeprigfeit gur d)riftlid)en ©emeinbe
ber ©egenmart eine nottoenbige 93ebingung für oerftänbniSoolle
(Srfaffung aud) ber Urfprünge be§ @^riftentum§ fei, eine ftarfe
Übertreibung. 90Ut biefer 23ef)auptung , bie änrifcfyen bem 9loU
roenbigen unb bem SCÖa^rfd)einlid)en (ober Natürlichen) nidjt unter*
fdjeibet, erfennt man ja bem römifdjeu ßatfjolifen feierlia) ba§
9ted)t i\x, ba§ 23erftänbni§ für edjte§ ©Ijriftentum , jule^t für
jebe§ Stütf @efd)id)te, bei bem bie ßirdje beteiligt ift, auSfdjliefj*
lict) ben 9Jcitgtiebem feiner ßirdje ooräitbeJjalten. Unb follte
anbrerfeit§ bie 9öar)rr)aftigfeit ber religiöfen ©rfafjrungen unb
SSorfteaungen etne§ £ird)enf)iftorifer§ baburd) gefidjert fein, bafj
biefer äufjerlid) al§ ©lieb einer d)riftlid)en ©emeinbe auftritt?
9cein, roa§ man mit 9ted)t oon bem Äirdjenljiftorifer gu oer=
langen ^at, ift tftefoect oor bem ©egenftanbe feines gorfdjenS,
ßiebe gu d)riftlid)em SÖefen unb innere S3erroanbtfd)aft mit U)tn;
ßeute, beren 2Jfttf)ineinreben mir un§ oerbitten, finb foldje, bie
alle Religion für ein Hngftprobuct ober ^ßfaffentrug galten, für
ein erbärmlidjeg Überbleibfel einer längft übcrnmnbenen (5nt=
nritflungSfrufc be§ 9ftenfdjengetfte§ — genau ebenfo mürbe man
in jeber anberen 2öiffcnfd>aft ©erfahren — , aber barauS folgt
nid)t, bafc man feft umfdjriebene religiöfe ©rfaljrungen unb

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eine eigenartige SRetfjobe im SBorauS befitjen müjjte, um ber
ftrdjengefc^tltdjen 2öiffenfd)aft erfolgreich bienen 311 föttnen.
99ei ber S3el)anblung biefeS Problems bie Antittjefe formuliren:
entroeber perfimlid)eS Miterleben ber Gräfte einer gefa)id)tlid)en
Religion ober innerlid) unbeteiligte Analrjfe, Reifet einen fonber-
barcu 3)ualiSmuS in ber ÜRenfdjenfeele einführen; ernfte roiffen-
fcr)aftlidt)c Arbeit of)ne innere Anteilnahme an bem Object ber
Arbeit mbtf)te id) als etroaS gerabe^u TObernatürlid)eS bezeichnen.
$cne Theorie barf fict) äroar auf baS Söort be§ ApoftelS 1. (£or.
2, 14. 15 berufen: 3)er natürliche Sftenfd) erfajjt baS uiOjt, roaS
oom ©eifte ©ottcS ift; ber geiftlidje 9ttenfd) bagegen ergrünbet
alles, roährenb er felber oon 9ttemanb ergrünbet roirb. Aber
roaS einft bem $auluS als $roft gebient h a * gegenüber ber
frf)tner5lidjen ©rfahnmg oon §offnung§lofer Unempfänglichfeit
ber ^Reiften, ift barum nod) nid)t geeignet, ^eut bie 9lorm gur
@ntf Reibung über ein roiffcnfchaftlicr)eS Problem abzugeben, eS
fei benn, bafj mir bereit mären, ben einer anberen Söeltanfdjauimg
entnommenen ©ebanfen eines auSfchliefeenben ©egenfafceS oon
natürlichen unb geiftliO)en 9flenfd)en uns anzueignen.

@in überaus fernerer SBonourf für einen §tftorifer märe ber,
bafj er er fid), uneingebenf ber ©renjen unferS 2SiffenS, anmafee,
alle gefa)ia)tlid)en ©rfdjeinungen aus gegebenen ©röfjen abgu*
leiten, bajj er bie fa)affenbe Iftaft ber bie großen ßebenScomplere
be^errfdjenben $erfönlid)feiten beftritte unb unter bem 93ann eines
öben ©aufalitätSfcr)ematiSmuS baS ©efüfjl oerloren hätte für baS
Originale in ben Qnbioibuen. 9hm, einem foldjen SBerbadjt mag
ber Anmalt ber religion§gefa)id)tlid)en SDiethobe oerfallen, roenn
er fortroärjrenb mit einem ©efamt^ufammenrjang in ber 9tcltgionS=
gefd)ia)te operirt, ben er bod) nod) nicht nachgenriefen t)at, menn
er a priori bie ©efdnchte als eine georbnete befinirt, in

ber bie centrale 3öal)rr)eit unb $icfe beS menfchlidjen ©eifteSlebenS
au§ bem tranScenbenten ©runbe beS ©eifteS mit ber notroenbigen
©onfequeng einer normal begonnenen ©ntmieflung emporfteigt,
ober roenn fid) ifjm bie ©efdjichte ber ^Religionen als ein in ihren
oerfd)iebcnften $t)afen einheitliches, aufmärtS fid) entroidelnbeS

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(Sanges, al§ eine ununterbrochene ftettc reifenber ©otteScrfenntmS
barftellt. 23ollenb§ ©ätje rote ber: „3)te Unterfcfjicbe finb mef)r
äußerlidt) unb gufälltg, im Söefen unb $ern finb bie llnterfcf)iebe
ber großen r)iftorifcr)en ©ebilbe gar nidjt fo errjebliä)", f orbern
ben 9Biberfprua) l)erau§, oor allem ben be§ §iftori!er§. Allein
ba§ finb ja blo§ ©rgüffe religion§pr)ilofophifcr)er ©peculation, nia)t
©onfequengen ber religion§gefa)iä)tlia)en SRetrjobe ; ba§ Vorurteil,
baß „bie 3^n ifjre großen SUcänner machen, nicr)t bie großen
9ttämter ir)re Seit, am roenigften auf religiöfem ©ebiet", ftammt
mat)rlicr) nicf)t aus ben Greifen ber föeligton§r)iftorifer. $er
©cf ct)id)t§f orf ct)er , bem feine ArbeitSrocife forrroärjrenb ba§ Auge
fdjärft, roirb efjer geneigt fein, bie Unterfcrjiebe gu rjodj angu=
fd)lagen al§ gu niebrig, unb roo immer er auf feinem ArbeitSfelb
großen Sßerfönlitfjfeiten begegnet, mögen e§ nun große ^eilige
ober (Staatsmänner, große ^ünftler ober ©ntbetfer fein, fie roerben
itjn fogar feinen £t)eorteen 511m $rotj gnringen, it)re Überlegenheit
über ir)re ^eit, it)rc Unableitbarfeit anguerfennen, fie fpotten eben
be§ 93erfiuf)§, ba§ Originale an irjnen in feine ÜBeftanbteile gu
gerlegen unb für jebe§ ©tütfcfjen fein fäuberlid) bie Quelle aufgu=
geigen. (Streng gefa)id)tlid)c§ ©tubium ift ba§ befte Heilmittel
gegen einen eoolutioniftifcfjen Aberglauben.

©nblict) aber roenbet fidt) ber Angriff gegen bie Sftelatioirung
aller religtöfen ©rfcrjetmmgen burtf) ben $ReligionSl)iftorif er ; e§ fei
ba§ ein Iebiglidj bogmatiftf>e§ Urteil, ftn ber Sljat märe e§
ba§, menn e§ bie Annahme abfoluter Söertfje be§ inneren Sebent
oerböte. Allein e§ finb groei oerfdjtcbene 2)inge, bie ©jifteng ab=
foluter äöert^e beftreiten unb biefe Sßertlje ber geftt)i(f)tlidjcn @r=
fenntniS entzogen finben. $>a£ erfte märe bie Verneinung be§
©r)riftenglauben§, oa § ift D * e ?fftd)t jebe§ unbefangenen

§iftorifer§. 2Bir fefjren f)ier gu unferm Au§gang§punfte gurütf,
bem ^riumprjgefcrjrei ber Sßreußtfäjen 3af)rbüa)er, roonari) e§ ber
ßira)engefd)id)te gelungen märe, ba§ (££)riftentum a ^ 0 * e Religion,
bie abfolute Religion gu erroeifen. 3)ie ^rdjengefdndjte muß
bie§ 2ob runbmeg ablehnen, benn menn e§ gebührte, tjütte
fie geleiftet, roa§ nur ©ort gu leiften fäljig ift. ©ie tjat bie

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(Sdjöofer bc§ ©f)riftentum§ fcnnen gelehrt al§ religtöfe (Semen
oon einzigartiger @rf)abenl)ett unb S£iefe, t)at in bcr ©efd)td)te biefcr
Religion eine ftüHe rounberbarer JMftc anf gegeigt, namentlid)
aua) eine foftlia^e griffe, bie ©abe, au§ ber tiefften Entartung
fitt) bod) roieber gu ergeben unb in jebcr Verjüngung neue @eg=
nungen über bie Sööclt auSguftreuen, — aber oon bem (Sinzigs
artigen bi§ 311 bem Slbfoluten ift'§ ein weiter 2Beg, unb fo lange
fid) bie Äririf be§ ®ira)enr)iftorifer§ unbefümmcrt um bogmatifd)e
ober reltgion§geftf)id)tltdf)e Vorurteile lebiglidt) an bie 9ftetf)obc
f)ält, bie al§ bie f)ijtorifdje fct)Iect)tr)in 51t erad)ten ift, unb bie id)
oor biefem ^ßublifum nid)t gu befiniren brause, erreicht fie auf
irjrem ^ßfabe niemals ba§ Slbfolute. 2Ba§ id) al§ (£r)rift hinter
bcn $r)atfad)en ber @efdnd)te unb meine§ eigenen 2cben§ finbe,
ift eine Sad)e für fid): al§ §iftorifer bin id) außer ©tanbe,
etroaS al§ überirbifd) unb unoergänglid), eine $fjatfad)e al§ §eil§=
tf)atfad)e gu erroeifen. Qa) nefjme neue roeltumgeftaltcnbc Qbecn
roarjr, id) fto&e auf $erfönltd)fetten, bie nid)t entfernt au§ bem,
roa§ fonft tr)re ^eit unb Umgebung bietet, begriffen roerben
fönnen, aber g. 93. ba3 ©eligroerben einer gläubigen (Seele, Qefu
©ünblofigfeit, bie S3erföf)nung @otte§ al§ SBirfung oon 3efu $ob
finb $inge, bie bem gefd)idjtlid)en ©rfennen oorentr)alten bleiben,
unb aud) ber@d)lu&, ba& ofjne bie r;rrootf)etifd)e Slnnarjme biefer
$ingc anbere groeifellofe $r)atf ad)en, all bie grogartigen grüd)te
bc§ ©laubenS, unbegreiflid) mürben, ift nid)t groingenb.

9hm ift groar bie Oppofition gegen bie Überfettung ber 93c=
roeisfraft ber ©efdnd)te fo meit gegangen, ifjr unb bamit aud)
ber $ird)engefd)id)te bie 93efugni§ SSertfjurtetle gu fällen einfadj
abgufpredjen; fie tonne nur auf ©runb it)rer fritifdjen ^Bearbeitung
be§ Überlieferten (ScinSurteile abgeben, alfo fagen, roa§ gemefen,
aber nidjt roic r)oct) ba§ ©eroefene gu fdjätjen fei: ja fclbft in bcn
Scin§urteilen bringe fie e§ günftigften $aü$ gu einem r)oI)en
©rabe oon 2öarjrfd)einlicr)feit , nie gu abfolutcr <3id)err)eit. 3)a
meine id) benn bod), mir befäfjen eine große Ulci^c gefd)id)tlid)cr
Sfjatfadjen, bie genau fo feft ftefjcn roic bie meiften ©rgebniffc
ber Iftaturroiffenfdjaft; ia; meine aua), auf 9öertf)urteile bürften roir

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fo roenig Oermten mie auf bie Serfudje, ba§ ^folirte in ,3u-
fammenf)ang 31t bringen unb bic (äKn-jelerfdjeinungen 3ufammen=
aufbauen in bcm lebenbigen ftlujj einer oiclftuftgen ©ntroicflung.
3)ie 93ef)auptung, öüge unb Unroaf)rf)cit feien feine f)iftorifä>en
fonbern bogmatifdjc ßategorieen, n>ie itf) nculid) la§, bünft mia)
franffjafte 95orfid)t; eine ®efcf)id)t§frf)reibung, bie bie 2)inge nitt)t
beim regten Tanten nennt, mürbe ber färben unb jebeS feiges
entbehren: mit folgern (Sntfdjtufe fjört bie ®efd)id)tc grunbfätjlidj
auf, eine ßefjrmcifterin ber 9flenfä)en 3U fein. Slber aüerbing§
©öttlicr) unb Ungöttlicf), ©roigeS unb SergänglidjeS finb £ate=
gorieen, bie aujjcrljalb ber Suftänbigfcit aud) be§ 5?irrf)enl)ifrorifer§
liegen, meniger meil mir 93eibe§ in bem einen ©trorn f)iftorifdjen
©efdjefyenS immer untrennbar gemifdjt erblitfen, als meil uns bie
Slnalogieen fehlen, um ba§ ©öttlidjc unb (£mige flar unb über=
jeugenb 3U befinireu.

©öttltdjeS ba annehmen, mo unfer Stegreifen auf ©renken
ftö&t, 5. 93- göttlirfjen Urforung für ba§ Selbftberoufjtfein 3efu
pofruliren, meil cS nod) SUiemanbcm gelungen ift, Qefu ©elbft*
bemufetfein in gleicher Söeife mie etma baS eines 5ßaulu§ ober
eines ©aoonarola befriebigenb gu erflären, fjcijjt eine Prämie
fefcen auf bie ÜDlangelfjaftigfeit unfrei Quellen, unb bcm ©eljeim*
niSoollen, bem Unergrünblidjen princtpiell feine Stätte in ber ©c=
frf)ia)te ber 9flenfa)en rauben.

2öir merben atfo in ber ©efd)id)te auf Söerturteile nitt)t r>er=
3id)ten. 9Bir oergleidjen bie ocrfdjtebenen Venoben in ber ©e=
fd)icr)te bc§ ©fjriftentumS ober einer fird)lid)en gr.ftitution, 3.
beS 9ftöndjtum§, mit einanber; unroitlfürlid) brängen fict) ba ^um
©ebraud) ftategoriecn auf mie 93crrof)img unb SBerbüfterung aber
aurf) Verfeinerung unb Söerinnerlidjung. $)od) ba§ finb immer
93erl)ältni€beftimmungen, ber £>iftorifer barf gaEjllofe ©omparatioe
in feinen Urteilen uerroenben, bagegen, ftreng genommen, nie einen
©uocrlatio: roetfc er benn, ma§ bie 2ftenfd)f)eit in ,3uhmft nodj
erleben mirb? $)en peinlidjen ©inbrudf bc§ §in unb §er, be§
©omof)l — al§ aud), ben biefe 3urütff)altung oielleta)t fjeroorruft,
rann man aber aua) nia)t oermifd)en, inbem man, mie gute

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greunbc ratfjen, grunbfätjliä) alle @rfd)einung§formen be§ ©E)riften=
tum§ an bem eingtgen $anon be§ @oangelium§ mt&t. $)a§ @oan=
gelium ift nid)t breit unb nid)t geitloS genug, unt für jebe ber &(ü)U
lofen Reubilbungen im ßeben ber ßiretje olme SöettereS eine fixere
Rorm bieten; ^ubem ift ba§ abfolute (Soangelium roieberum nur
ein $beal, bie JHrd)engefd)id)te finbet fdjon im Reuen Seftamente
oerfd)iebene gormen be§ @oangelium§ oor, oon Anfang an über
2UIe3 nur relatio guoerläffige 93erid)te! gür ba§ apologetiftf)c
93ebürfni§ fann bie Religion3geftt)id)te beinahe befferc ©ienfte al§
bie ihrtt)engefa)id)te leiften; man ftetle nur ba§ (£f)riftentum unb
feine ßirdjen mitten unter bie anberen Religionen, fo roirb if)m
eine glängenbe SBürbigung 5U Xeil roerben. 3lber roa§ ol;ne ©n*
fdjränrung anerfannt roirb al§ bie oornetmiftc unb t)öct)ftc gorm
oon Religion, bie in ber (Sefdfn'rfjte bisher oorgefommen, ift be§=
t)alb noa) uia)t al§ bie abfolute Religion, al§ bie enbgültige
Offenbarung @otte§ erroiefen. SGÖir oerfügeu aud) nid)t über
ba§ befajeibenfte gragment einer ©efa)ia)te ©otteS, ba§ SIbfolute
fann eigentlid) feine ©efdn'djte öaben. ©erabe al3 Objeft ber (&e=
fd)id)te, ba§ in jebem Sttoment feiner langen unb reiben @nt=
roidlung ein anbereS 3lu§fet)en $eigt, ift ba§ ©rjriftenrum einge=
orbnet in bie ßategorie ber Relatioitäteu. 2öem biefe @infid)t
bie #eil§geroi|3r)cit unb ben Seelenfrieben gefäf)rbet, ber r)at oon
einer gefd)id)tlid)en 2öiffenfd)aft 5U oiel oerlangt. $ie ®efd)id)te
allein füt>rt noa) nid)t einmal ^ut 2öei3f)eit, gefdjroeige benn ^ur
©eligteit.

Sonaa) bürften aud) bie ueueften Debatten nur beftätigt fjaben,
bafc bie $irä)engefdnd)te gut rljun roirb, auf bem feit ljuubert
3at)ren oon il)r beroanbelten SSegc fortäufd)reiten, ofmc conoulfi=
oifdje ©elbfrüberfdjätutng, al3 roäre fie berufen ba§ ©fjriftentum
5U retten, ofme jene mürrifd)e Refignation, bie fo tr)ut, al§ roäre
e§ unfre einzige Aufgabe, bie fd)road)cn Seiten ber ßirdje au§3U=
fpiontren, ooll Siebe 3U ifyrem 2lrbeit§objeft unb bod) ofme 2$or=
urteil ju feinen ©unftcu, in ber firitif bc§ Vergangenen burd)

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10 -

feine Autorität ber ©egenroart beeinflußt, banfbar für jeben ßidjt-
ftraf)l, ber uon braußen, au§ ber ©efd)id)te ber Staaten, ber
Kultur, ber anbcren Religionen auf ifjr ©ebtet fällt, aber unbe=
flimmert um bie mobenxe ©inbilbung, baß ber 2öeg gum 93er=
ftänbniä ©fjrifti notroenbig über ^o^after für)re # furg, lebiglidj
nad) ber 9ttetf)obe forfdjenb unb componirenb, bie fid) längft al§
bie rjiftorifdje burdjgefefct t)at. SSir bürfen bie abfolute greifet!
für unfere 2öiffenfcf)aft eben beäfjalb ©erlangen, weil mir un§
nid)t anmaßen, ba3 letjte Sßort über $irtf)e unb (£t)riftentum gu
foredjen, unb ma§ mir nötig f)aben, finb nidjt neue üftetfjoben
unb neue Siele, fonbern metjr augleid) befdjeibene unb fadjuer*
ftänbige Arbeiter in uufre (Srute.

$amit foll inbeß nia)t gefagt fein, baß unfer 9lrbeit§betrieb
f einerlei S3erbcfferung oertrüge. @ine geroiffe (Sinfcitigfeit in ber
2öafjl unfrer Aufgaben unb in ber 33et)anblung unfrer Seemen
mag fid) eingebürgert fjaben. JJm oorigen ftafyxe t)at ein 33afeler
Geologe, ©fjriftiau £ifd)f)aufer, eine ©efdjitfjte ber eoangelifd)en
&Hrd)e in ber erften §älfte be§ 19. QafjrljunbertS ocrbffentlidjt.
3n ber Storrebe ergebt er gegen unfre 2Biffenfa)aft eine laute 3ln=
flage. $ie r)iftorifct)e Geologie merbe feit Qarjrgefjnten oorroiegeub
in ariftofratifdjer 5lrt befjanbelt. $)ie in ber föird)e Ieitenben $er=
fönlia)feiten, meift ftnfjaber afabemifdjer ßelirftüfjlc, mürben auf§
2lu§füt)rlicr)fte befprodjen, it)re Geologie, it)re ©djriftftellerei, it)r
etmaiger ©influß auf bie ßirdje; roa§ bagegen meiter unten im
ftird)enleben be§ 93otfe§ oorgelje, roa§ bort an ßraft unb ©inflüffen
fid) geltenb mad)e, roerbe ignorirt ober f)öd)ften§ geftreift. Unb
bod) bilbeten nid)t bicfe oberen günfrjunbert allein ba§ Reia) ©otteS!
QnSbefonbere bettagt ber SBerfaffer, baß bie Hirct)engefa)id)te in
ber 2)arfteHung ber Reformation gang einfeitig ariftofratifd) oer*
fahren fei, mit ben Reformatoren befaffe fict) faft bie gefamte ein=
fdjlägtge ßittcratur bi§ -mm Überbruß, aber mie bie Reformation
in ein-jelncn SBe^irfen guß gefaßt, roeldje oolf§tümlid)e ©Triften
ba mitgemirft fyätten, melier 9lrt bie gerabe oortjanbene 93olf§=
ftimmung in focialer, fira)lid)er, religiöfer §infid)t mar, baoou
fdjroeigc bie ©efd)ia)tc. — 2>cr SBormurf ift übertrieben unb roirb

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— 17 —

mangelhaft begrünbet; bie eigene 3)arftellung, bic Sifdjljaufer
für bie 3eit oon 1800 bi§ 1848 in ben betreffenben 5lbfdjnitten
liefert, ift nidjt etma mnftergültig in ©rgängung beffen, ma§ er
bei Slnberen oermifjt. 9lber er ftefjt mit feiner ©mpfinbung nidjt
allein, ä'hnlidje Stimmung ift aud) anberSmo, felbft bei Männern,
bie oomriegenb für ba§ ältefte ©f)riftentum fid) intereffiren, flu bc=
obadjten, unb biefe (Smpfinbung oerbient e§, re^tgeitig berürffidjtigt
5U roerben.

(Senrife ^at bie $ftrd)engcfd)id)te auf ben oon ü)r mit Vorliebe
bearbeiteten ©ebieten nodj gar)lIofe Aufgaben gu erlebigen; an
lohnenbem (Stoff mürbe e§ für ein halbes 3af)rhunbert nia)t fehlen,
audj.menn mir bloS fortführen, roie bisher bie Cmellen ooH=
ftänbiger unb guoerläffiger herauszugeben, bie litterar=, bogmen-
unb oerf affung§gefd)id)tlid)en ©pegialftubien $u oerooHftänbigen, oor
OTem bie nod) ftarf oernad)läffigten Reiten groifa^en bem nicäni-
fdjen ©oncil unb ber gregorianifd)en ©oodje fnftematifdj burd)äu=
forfdjen. ^Roct) reiferen (Ertrag inbeffen mürbe bie geroünfdjte
„3)emofratifirung" ber $irdjengefd)id)te abroerfen, redjt reiben fo=
gar für bie Zeitalter, n>o ihre $>urd)führung roegen ber 2)ürftig=
feit be§ OueUenmaterialS mie ein utopifdjer (Einfall au§ficf)t.

9JHr fd)mebt bei bem @rid)toort „$emofratifirung" ^mar ein
etroa§ anbere§ Qbeal oor als bem ©chmeiger Kollegen, ber nur
bie $inber ©otteS h m ^r bem 2öebftuf)l unb bie namenlofen SBoten
beS §immelreid)S ebenfo geroürbigt fyabm roiH mie gelehrte
Sinologen, $ird)enfürften unb köpfte. 9lud) er forbert mir noa)
5U menig. @S genügt bodj noa) uidjt, bafj mir ber unfidjtbaren
5?ird)e im oollen Umfange unfre Slufmerffamfcit mibmen, ben
^eiligen jebeS ©tanbeS, bie irgenbmo in einem ftiHen Söinfel ber
ftirdje fraftooll mitgearbeitet haben an ^irdje unb ©oangclium;
gerabe aud) bie ßirdje im meiteften ©inne oerbient unfcr 3fn=
tereffe, bie ©paaren oon ©etauften, bei benen unter ber d)riftlia)en
2)cc£e ftarfe Unterftrömungen roiberd)riftüd)en (SharafterS fid) ucr=
bergen, ja alle ÖebenSäufjerungen ber gangen 2Renfä)heit, bie
irgenbroie d)riftlid)en Hinflug oerrathen. ©in 99ud)ftaben5cid)en
für ©f)riftu§ auf bem ©rabftein eines alten Reiben ober ein Xfyon*

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18 -

fdjerbcu mit eingefritjeftcm 93aterunfer fann für bic (#efd)id)te ber
Religion lehrreicher fein al3 ba§ offizielle l?ird)cngebet ber anti*
odjenif djen ©emeinbe um 400, bic baroeffte 9Jcifd)ung oon uraltem
Aberglauben mit naioem 93ertraueu auf ben §cilanb, roie fie
etroa ein §immel§brief barftellt, beffen Söefifc i)kb= unb fugelfeft
machen foU, roerthooller al3 ba3 gelehrte 93ud) eines tf)eologifd)en
?Rhetoren über bie (Seheimniffc ber £rinität. $a§ merbeubc (Stjriften*
tum, ober nrie man c§ aud) nennt, bas ©hriftentum aroeiter unb brittcr
Orbnung, hat für bic ®efd)itf)te biSmeilen größere 93ebeutung al§ ba§
nad) eoangelifdjen Segriffen echte. Söcnn mir it)m mehr ©crea)tigf eit
roibcrfafjren, eS überhaupt mel)r mit in bie Söagfdjale fallen ließen,
mürben mir balb 31t einer Rcoifion mancher heut faft unbeftrittenen
Urteile über gange ^crioben in ber ßird)cngefd)id)tc gelangen.
So ftefjt ba§ 2. Qal)rf)unbert, bie nad)apoftolifd)e Qtit, bei ben
^roteftanten feit lange im fd)led)tcftcn Ruf. 93egreiflid)er SBeife:
benn ba§ fdjroffc SBcrbift ber Reformatoren über ba3 foätere
^Mittelalter al§ bie Qeit be§ Abfalls 31t rol)em Aberglauben unb
gemeinem SRcnfcfyenbienft mar balb befferer Sinfidjt geroid)cn,
nämlid) ber, bajj biefer Abfall meit früher begonnen, baß am
Üötofjftab ber 93ibcl gemeffen bie .ftirdje eigentlich in allen QciU
altem r)öd)ft mangelhaft befdjaffen gcroefen fei — nur ba3 apo=
ftolifa)e, ba3 biblifdje aufgenommen. Dann aber trug ba§ nad)=
apoftolifd)e Qahrhunbert bie ©drnlb an bem 93erfaH; e§ fyattc
ba§ böfe SBeifpiel gegeben, in ifjm beobachtete man ben $roccfj
ber Degeneration, ber ßatholifirung, ber §ellcnifirung be§ (Shriften=
tum§; bamal§ fei bie ©hriftenheit oon ber ©infjeit, Einfalt unb
Klarheit be3 @oangclium§ h er öbgcfunfen 5U ben ßünfteleien einer
halbf)eibnifd)en *ßfcubotheologic, 311 neuem ©cfefceSrocfen, gur Auf=
ridjtung cinc§ <ßrtefterftaat3. Die %f)at\ad)m finb aud) nid)t
gang 311 beftreiten ; 3mifdjen ber hohen ©djlichthcit be§ 9Jlattr)äuS=
eoangcliumS ober bem beftriefenben Reichtum ber ^orintherbriefe
brüben unb fyiev ber faben ©efd)mat}igfeit be§ §erma§ ober ber fteifen
SJcouotomc ber QgnatiuSbriefc flafft ein Abgrunb ; ftntellectualiSs
mu3, 9Jcorali3mu§ , CegalifmuS, JHciifali3mu§ finb lauter @rt=
fetten, bie man nid)t ohne ©runb bem in ber nad)apoftoIifa)en

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ßittcratur oertretcnen ©fjriftentum anheftet. 9Ran fürchtet fid)
faft. ba§ religiöfe 9ttoeau biefer cf)riftlid)en Tutoren mit bem eines
frommen ^eltemfcEjen $enterS rote ©ptftet Dergleichen.

Slber fönnte nid)t bie aroeite ©cneration ber d)riftltd)cn
©emeinbe baS Unglücf haben, oor ber 9kd)roelt fdt)Iedt)t oertreten
fein? 2BaS mir oon ir)r befifcen, ftnb ©tubenarbetten oon
ÜJcaunern geringer Söilbung unb nod) geringerer Originalität;
roer roeife, ob nicr)t bie ©chriftfteHerei bie fd)roäd)fte ©eitc an ber
©l)riftenf)eit jenes 3 c ^ aIter§ roar? dagegen liegt bie Urzeit oor uns
ba gang überleuchtet oon bem Sidjt, baS bie eingigartigen (Seifter,
bie ©djöpfer unfrer ^Religion unb ^tirdje auSftrahlen : meint man im
(Srnft, baß im apoftolifdjen 3^italter alle ©läubigen ähnlich freie unb
ftarfe Sftenfchen geroefen roären roie 3. 33. SßauluS? 3)a§ erhabene
Söort biefeS HpoftclS (2. ©or. 5, 17) : Jjfft Qemanb in ©hriftuS, fo ift
er eine neue ßreatur, baS Sllte ift oergangen, fiefje eS ift alles
neu geworben, befdjreibt ja nict)t bie oon einem Unparteiifdjcn
aufgenommene Sßirf licr)feit , fonbern eS ift r rote roiber SBiHen
gerabe bie ©riefe be§ $auluS begeugen, ber begeifterte SluSbrud
für ein Qbeal. 9JHr fommt eS fdjon unoorfia)tig oor, roenn man
inSgemein über bie Qünger Qefu fid) fo panegnrifd) äußert, baf$
man gule^t ir)rc ©hriftuSoorftellung für roahrer galten roiH als
bie, bie roir aus Qefu eigenen Sßorten geroinnen. 9tur in einem
alten $ogma ftellen bie Stpoftel eine einheitliche ©rö&e oor; roie
ihre ©hataftere fet)r oer[cf)iebcn roaren, werben fie aua) roof)l
nicht alle oon ©hriftuS baffelbe empfangen ha&en. Unbebingt
oerfehrt aber ift eS, bei allen SJcitgliebern ber oon ben Slpofteln
geftifteten ©emeinben bie religiöfe unb fittliä)e Umroälgung gleich
hoch 3U tajiren unb bie ©dntler fogleich neben ben SJleiftcr 511
fetjen. (SnthuftaSmuS , eine ftüUe oon ©hari§men, rounberbarc
53ethätigung beS neuen ©eifteSbefitjeS finb geroifj nicht fo auS=
nafnnSloS, roie man nach einigen ©teilen in ben paulinifd)cn
Briefen glauben möchte, im ©efolge oon ©efeljrung unb £aufe
eingetreten. $n ber Siegel roirb aud) bamalS bie Umroanblung
bcftettfaHS eine allmählich fortfehreitenbe geroefen fein ; ber SJtenfd),
ber fich feines ©laubenS roegen als geiftltd)cr 9Jcenfd) fühlte,

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- 20 -

l)örte barum nod) lange nid)t auf flu bleiben, roa§ er geroefen
mar, Qubc ober @ried)e, 93arbar, ©cntfje. (Steine finb natürlid)
aud) bamalS fogar au§ niebrigen Sftotioen ber neuen Religion
beigetreten, au§ 9leuerung§fud)t ober au§ 99erecr)nung, roeil tc)nen
f)ier trofc ttjrcr 93erroorfenl)eit unter leisten 23ebingungen ein
eroigeS feligeS ßeben oerljeijjcn fct)icn ober roeil fie auf bie 93ruber=
liebe ber (SlaubenSgenoffen für it)re irbifdjen <Kötf)e fpeculirten.
9lber benfen roir einmal blo§ an bie große 3flerjrl)eit ber ©efferen,
bie ftdj um baS @oangelium fdjaarten, roeit fie nid)t roieber oon
ir)m laffen tonnten, nad)bem e§ fie einmal erquidtt tjatte, roeil e§
ir)re ©ef)nfud)t nad) ©rlofung befriebigte: auet) fie roaren bod)
feiten im Staube fid) bie ganze SJülle neuer ^been unb Meinungen,
bie ifmen ba§ (Soangelium barbot, fofort anzueignen, aud> für
fie fetjte e§ oiel $u oiel oorau§: roie bie 9Jtenfd)l)eit , fo ift aud)
ber einzelne 2Henfdj nur fet)r langfam in ba§ ©r)riftentum r)in-
aufgeroadjfen, oft roujjten bie erften ©Triften nierjt einmal, roa§ fie
beten f oHten nad) ©ebüfjr. pr f oldjen gaH tröftet ^auluS (9*öm. 8, 26)
bamit, bafc ber ©eift felber eintrete mit unauSfpredjlidjem Seufzen,
roir roerben e§ fo au§brüden: bie 9Jter)rf)eit beburfte ber uner=
müblidjen unb liebeooHen @rzief)ung oon Seiten ber ©ereifteren,
ber roa^rfjafl ©ciftlidjen, beburfte ber fortroäfjrenben 93eter)rung
fpecieHer 3lnroeifung zumal in ben fragen nad) ©ut unb 93öfe. —
@in t)ä&liä)e§ Sprüdjroort lautet: mundus vult deeipi, bie Söelt
roitt betrogen fein; in ber Umroanblung: mundus vult dirigi, bie
SBelt roitt geleitet roerben, ift e§ leiber nid)t unrichtig. 2>ie Wlefc
l)eit ber 2TCenftt>n bringt e§ nia)t zur Selbftänbigfeit; nid)t blo§
im benfen unb Urteilen, felbft im güfjlen bleiben fie abhängig
oon anbeten SDtenfd)en; unb, roa§ ba§ ©djlimmfte ift, fie fefjnen
fict) gar nirfjt nad) ©elbftänbigfeit. Sid)ert)eit ift e§, roa§ ifjnen
imponirt; burdj unangreifbare Autoritäten roollen fie gang be*
ftimmt unb immer betaillirter oorgef abrieben fjaben, roa§ fie
beuten, glauben, roie fie in jebem möglidjen ftaVie l)anbeln foHen.
§ätte fict) ba§ ©rjriftentum auf biefe Sdmiadjfjeit ber Söelt nitr)t
eingerichtet, fo roäre e§ nid)t Söeltreligion geroorben, r)ätte e§ fid)
ben 9öeg oerfdjloffen bie 2öelt aHmäf)lia) oon biefer Sdnoadjfjeit

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gu feilen. UnnriHfürliä) f)at eS bamalS nachgegeben unb in
Söudjftaben feftgelegt, n>a§ immer neu in jeber gläubigen ©eele
ber unfichtbare ©eift hatte fünben follen: nur bie golgen baoon
erblicfen mir in ber firä)licr)en gum Seil ja auct) in baS
gelangten ßitteratur ber nachapoftolifchen Reit, für unfer 2Iuge
barum befonberS fct)merglich oerlctjenb, roeil eS auf biefe lUein*
Reiten unmittelbar nact) bem ©enufc ber geroaltigen ©röfjen beS
erften QahrfmnbertS trifft. $lber gefehlt hoben bie kleinen auct)
im erften Saljrfyunbert niä)t, ber Unterfcf)ieb ift bloS ber, ba& fie
ba gang im ©Ratten fielen, in ber folgenben Sßeriobe aber füllen
fie ben Söorbergrunb.

2)iefe übrigens bloS leife anbeutenben Semerfungen mache
id) niä)t, um Qemanbem bie greube gu oerberben an ber if)m
geläufigen SJorftetlung oon einer l)crrlia)en Qeit ber erften ßiebe
— benn auch biefe SSorftellung ift relatio berechtigt — fonbern
als ein SBeifpiel bafür, roie ict) mir bie t)eilfamen Söirfungen ber
,,$emofratifirung'' ber ^ira)engefd)i(f)te benfe. Söenn man nia)t
bloS bie oberften ©ipfel mifet, nid)t bloS auf bie Wortführer r)ört r
nicht bloS bie Programme fritifirt, fo oerlteren bie ©egenfäfce
groifchen ben oerfct)iebenen ®rfcr)einung§formen beS ©r)riftentum§
niel oon ir)rer «Schroffheit, eS geigt fict) aflerroärtS ein ÜJcefjr ober
Weniger oon bemfelben ©eift, SllteS neben Beuern, eingelerntes
neben greiergeugtem , aHerroärtS tytrfä)t bie 9telatioität. $er
ßirchenfjiftorifer fann mit ber ibealen gorberung beS d)riftlia)en
Hriftofraten: „bie Pflicht jebe& S^rtftcrt ift bie ©rroerbung einer
fittlid)en, perfönlichen , freien tibergeugung" nietjt oiel anfangen,
©out) ein fömon ftreidjt erbarmungslos bie ungeheure Sücehrgahl
ber ©lieber aller $irä)en auS ber föeirje ber Sänften, unb nicht
bloS bie 6cr)lea)teften ; er ift oc)ne Sftücfficf)t auf bie gähigfeiten
beS sanetum vulgus aufgefteHt. ©eitbem eS eine (Sf)riftenl)eit giebt,
hat eS in ihr güfjrer unb ©eführte gegeben, ^errfdjer unb ©e-
horchenbe, SJcenfchen, bie feiige ©eheimniffe erlebten unb SJcenfdfjen,
bie fict) höchftenS fuggeriren ließen, fie hätten folctje erlebt, fittlidj
greie unb Abhängige. ®ie ©rengen groifchen biefen klaffen finb
immer fliefjenb, geitroeilig ift bie £af)l berer, bie auch nur mit

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einem 6d)ein von SRedjt fjreic rjeifjen Dürfen, minimal gewefen,
aber bie 9JieJ>rt>eit r)at immer au§ 2Ibf)ängigen beftanben, aud)
in ber Qtit %c\u roar e§ nid)t anber§. 3)ie ßatfjolifirung be§
©fjriftentum§, bie man im ^weiten Qaljrfjunbert wahrnimmt, ein
Sßrocefj, für ben bie 93iibung fefter Snftitutionen, bie Slufftellung
beftimmter Autoritäten, bie gormulirung neuer ©ebote unb 93er=
böte, fur^, ba3 ÜJH&trauen gegen bie 5Jäl)igfett be§ ©internen,
felbftänbig mit feinem ©ort unb feinem ©ewiffen fertig %u werben,
d)ararterifti(d) ift, mar eine gefd)id)tlid)e ittotwenbigfeit ; nur in
biefer SJorm founte ber ©eift ber fd)öufcrifd)eu religiöfen ^er=
fönlid)feiten au§ einer größeren Qeit fid) auf roeit entlegene
(Generationen eine umfaffenbe Söirfung fidjern.

$)er <|3roteftanti3mu§ fyat genau rcic ba3 Llrd)riftentum unb
mit gleid)er Srfjnelligfeit feine $atl)nlifirung erlebt; wie grünb*
lid), ba§ foüren mir ja nod) fjeute fo fdjmeräfyaft ; ba§ 23e=
bürfniS einer äufjerlid) garanttrten ©emifebeit liegt eben mit bem
£rieb nad) perfönlidjer greir)eit gerabe im religiöfen fieben un=
ablöffig im Stampf. 28er bie§ beadjtet, mirb bie ^ßfjrafcu oon
ber §errfd)begier ber Pfaffen unb bem red)tf)abcrifa)en ©röfjen*
mafyn ber Geologen al§ ben treibenben Gräften bei ber S -Ber=
rocltlidjung be§ ©oangeliumS grünbltd) abtfmn ; er mirb entfdjul*
bigen, weil er begreift, aud) wo er SSertoolleS, gerabe ba§
Söerroollfte au uufrer Religion in weiten ©treefeu trjrer ©efd)id)tc
befummelt ücrmijjt. 3« düriten beginnt er blo3, falls bie $)efccte
fitt) al§ bie 3}ollfommenf)eit auffpielen unb bie SBerfümmcnmg
mit ben heften be§ @d)teu aufräumen will. Qu foId)em ^om
bietet il)m aber ba§ ©tubium ber 93olf§frömmigfeit feiten 9lnla6 ;
aud) baö SBort „außerhalb ber tfirrije fein §cil", ba§ un§ al§
ein mit nollem Semu&tfem um alle ©oufequenaen forwulirteS
3)ogma bie entfe^lid)fte Anmaßung barftellt, wirb un§ tief er*
greifen, wo ein 9)Uittcrd)cn bamit il)re ^er^cnöangft um ein oon
ber Slirdje abgefallene^ STinb cntfdjulbigt.

©dnoer ift freilid) bie Arbeit, bie un§ guwäd)ft, wenn wir
ernftlid) f)ineinlcud)ten wollen in alle (£tfen be§ SÖölferlebenä, wo

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oon jenem „§eÜ" eine Spur aufzutreiben fein tonnte, toenn e§
gilt ba§ 9)iaterial aufammeuäufdjaffen au§ bem täglichen ßeben
be3 gemeinen 9)taune3, au§ ben öffentlichen $ebräud)cn uub aus
prioater (Sitte. @ntfd)loffen muffen mir bie Sd)ranten ber tf)eo=
logifdjen, ber fird)lid)en, ber erbaulichen ßitteratur überfchrettcu ;
Leitungen unb Romane, Briefe unb Selbftbiographicen, bie ©rab*
fteiue auf bem griebljof, fogar bie Statuten oon fünften uub
freien Vereinen merben unö mandmtal beffer über ba§ ©hriften*
tum im Solfe aufflären al§ gvojjc Sammlungen oon s ßrebigtcn
unb oon Söefenntni&fdjriften. JJJe weiter mir unS in bie S3er=
gangenheit äurücf bewegen , um fo fpärlicrjer werben berartige
Quellen, um fo forgfältiger mn|3 jebeS Übcrbleibfel bamaliger
(Sultur für unfre ^werfe auSgenu^t loerben. So häufen mir in
ftilfer, befcheibener, bem Streit um 9Jed)t unb Jftedjtgläubigfeit
entrüefter Arbeit SBaufteinc für eine ($efd)id)te zwar nicht bei
offiziellen ftirdje, mand)mal el)cr ber UntHrct)lict)(eit , bod) immer
be§ ©hriftentum§ , geugniffe f ur f eme ©faftidtät, für feine im*
erfd)öpflid)e ßraft fidt) anjitpaffeu, fid) umzubilben, fidt> 5U ben
fiebrigen herabjjulaffen unb bas ÖJemöhnlidje 511 abeln.

$ e n 23 e m e i 3 alfo, bafc ba§ ©hriftentum bie abf olute, bie allein*
feligmachenbe Religion fei, fann bie Älird)engefd)id)te al§ fola)e nia)t
führen, ebenfomenig ben 23ewcU, bafc e§ als reife %md)t am
Saume ber Religion gcrabe in jener s 4$eriobe ber 9ieligion3*
gefchid)te, wo Qefu§ auftritt, hat crtoad)fen müffen. So lange
bie fttrdje jenen, bie 9teligion3wiffenfd)aft biefen Anfprud) au
unfre 2)i§dplin ftellt, fommt e3 gur Spannung, aber nidjt buret)
unfre Schulb ; bie (Frenzen unfrei* ßeiftuugSfähigfeit liegen in ber
Sache unb hängen nid)t ab oon uuferm SBiUen. 2Jou einer
rabtfalen M *2)emofratifirung," in gewiffem Sinn SJermeltlidmng
ber ilird)cugefd)ichtc glaube id) aber einen, oielleicht unerwarteten
©ewinn in $lu§fid)t [teilen $u tonnen, mit bem aud) jene unfre
jetjt mistrauifdjeu Auftraggeber aufrieben fein follten: bie JJeft*
ftellung be3 ariftofratifchen Üfyaxattexä wcnigftenS ber d)riftlid)en
Religion, $ier, büntt mid), fräftiger als auf fouft einem (Gebiete
bc§ ©eifte§leben3 wirb eine tcilnchmeube uub oerftäubuteooüc

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99efd)äftigung mit bem Milieu in allen feinen ©raben bie 9Ib=
fyängigfeit ber SRaffe oon wenigen 2Iu8erroäf)lten an§ Öidjt bringen,
bie anftetfenbe unb bef)errfd)enbe $raft ber originalen $er*
fönlid)feiten, bie Unentbel)rlia)feit ber roenigen ©rofjen für bie
grengenlofe güHe ber kleinen. 9)löd)te bie $trd)engefa)icr)te im
20. Qafyrfmnbert, inbem fie fid) aroar nene unb fernere Aufgaben
fteHen läfct, aber feine Aufgaben, burd) beren ßöfung fie aufhören
mürbe entroeber ©efd)id)te gu fein ober @efd)id)te be§ (£fjriften*
tum§, ifyr $eil bagu beitragen, bafj bie Slnerfennung ber @igen=
art gefd)id)tlid)er (SntroidPlung gegenüber bem Üftaturoerlauf enb=
giltig innerhalb ber ©efamtmiffenfcfjaft fid) burdjfefct unb bamit
bie ©runboorauSfetmng befeftigt roirb für eine gefunbe, eine
raaf)rf)aft fromme, eine ed)t d)riftlicr)e Söeltanfdjauung.

SKotburfl. 9f. ^ricbrlcO'fi lliiipnfilätö SUidjMudm'l (Orabet flarl fflleijcr).

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