Beiträge zur
Literaturgesc
Schwabens
Hermann Fischer
ROM THE- LIBRARY- OF
- KONRAD - BURDACH -
0 t i t r ä 0f
Citf erat u viurd|id|f t % £> dj Ut a Imt
Jhuritr flfiljf.
Digitized by Google
jur
fitteratnrgefdjtdjte SdjumbeuB
von
Hermann Jifdjer.
•
Sulingen, 1899.
Vertag bei* «£>. £aupp'fd)en SJudjtyan btung.
Sortoort
@3 finb balb ad)t Safjre üerfloffen, feit id) bie erfte s Jieif)e
biefer beitrage meinem Sater 311 feinem fünfunbfiebaigften ®e*
burtatag jugeignet ^abe. s Jtun eröffne id) bie jmeite mit feiner
^eben§gefd)id)te. £>iefe ift fd)on oor sioei fahren aU eigenes
s -8üd)Iein erfdnenen; id) muß nur bitten, bag man auf Seite
62 ftatt beS 28. SlprilS ben 27., auf Seite 65 ftatt beä 4. 9tf ära
ben 3. lefe.
9Kit griebrich $ifd)er höbe id) eine laug fo gut nue
täglichen, ein gutes ^aljraefjnt hindurch oft roieberholten Um«
gang pflegen bürfen. 2ßa3 ich fjier über ihn gebe, let)nt fid) an
bie beiben Slrtilel an, bie id) jit feinem adjtjigften ©eburtstag
in „lieber Sanb unb SWcer" 1887, 9lr. 39 unb 40, unb nach
feinem £obe im „ Sitterar ifc^en afterfur" 00m 20. unb 30. $e*
jember 1887 oeröffentlidjt t)abe. foH lebiglid) ein Dpfer
meinet Banfes für ben fettenen, unoergeftfichen SDtann fein.
®ie brei weiteren 21uffäfce finb noch nirgenbä oeroffentiicht
morben. Sie finb hervorgegangen auö ben Stubien, bie id) feit
mehreren Sauren über jene ©ruppe fchtoäbifdjer dichter gemalt
habe, bereu befanntefteS Sftitglieb Hermann ^urj getoefen ift.
$3ie gorfdmng über biefe 3Md)ter ift erleichtert, feit bie ®. öffent*
lid)e 23ibliotf)ef in (Stuttgart fid) in ben SBefifc oon Sfurj' ^anb=
fc^rtftücr)cm s Jlachla&, namentlich feiner ^orrefponbeng, gefegt hat.
tiefer Slnftatt, bereu Beamter ich über gmolf %a§xc gemefen bin
unb mit ber mich öiete liebe (Erinnerungen oerbinben, habe ich
Digitized by Google
änljalt.
©ette
. . . . 71
. ... 101
!L'itbti)iq Seeaei
• ... 170
. . . . 217
Google
Johann Cöwg £ifött.
Qof)ann ©eorg giftet ift am 25. Dftober 1816 in
bem proteftantijd)en ÜDtorftflecfen ©rofcSüfjen an her $il3
geboren morben. <S3 ift ber norbroeftlidjfte Drt be$ alten
Ulmifcben ©ebietS , fatf)olif<$e Drte reid^^ritterfc^aftlid^er
unb proteftanttfdje altroürttembergifdier £erfunft grenzen im*
mittelbar an ; unb id) meine faft, biefe neuroürttembergifd)e
«öerfunft fei für meinen Qkter immer djarafteriftifd) ge=
blieben: obgletd) er feine beiben grauen fpäter aul alt;
nnirttembergtf djen gamilien geholt fyat, ift er bod) mit ben
2rabitionen be3 (Stuttgarter ^Beamtentums unb feiner Dlt=
gardjte niemals in irgenb eine güfjlung getommen. Süfien
liegt feljr freunblid) unb fruchtbar in einer ^tieberung, bie
in md)t weitem Slbjtanb uon ben äu&erften bergen unb
23orbergen ber 2llb im $albfreis umfd)loffen ift; mehrere
Später münben jufammen, unb ber 2Sed)fe( oon £öf)e unb
gläcbe fteflt fid) fo reijoofl bar roie leiten an einem Drte
beS 2llbtraufS. ©in empfängliches ©emüt fonnte ba 9?a^rung
idjöpfen. Unb eS mar aud) eine geiftig regfame gamilie,
aus ber mein 3Sater ftammte ; einfache, ja arme £eute, uon
benen bod) mehrere es 511 bebeutenbem Slnfe^en im Orte
3fif $er , «eiträge II. 1
Digitized by Google
3
in ber Odntle, fonbern aud& nebenher etiuaS l'atein unb
(Singen, befonberä aber fud)te er and) bürde) perfönlidje
<£inroirfung tym ben SÖIicf über ben engen Äreie be$ banait-
ftfeten Berufs IjinauS 3U roeefen. Sie liebe jur üiatur,
jenen i£)m ganj eigenen faft erotiiefy gemaljneuben 2)rang
nad) iljr l;at er trom ^ater gehabt, ber ebenfo gerne auf
bem ljöd)ften halfen eine* nengejiminerten «ganfe^ ftanb,
oon bem fid)ä nad) bem 2Salb hinüber fel)en ließ, roie ber
<5of)n nod) im fpäteren s ))Janne3alter mit 2Bonne auf bem
^\ird)enturm ftanb unb ftd) am Ölocfenfeil fdjroang. 2Iber
and) bie järtlidje Neigung für ba* Wtljrenbe tu ber Dlatux
ift uäterlidjeä Erbtet! geroefen. SDieiu &ater ift ntd)t mübe
(jemorben 511 erjagen, rote er al£ ganj fleiuer fterl, roäljrenb
fein £>ater an ber Arbeit roar, ba$ erfte 2lmfelneft entbeefte
unb ber $kter, guerft ungläubig, baburd) 3U £l;ränen ge=
rü^rt rourbe. 2Iber e3 roar beut brauen SWanne nur t-er^
flönnt, ben 6o^n ein (Cetil roeuig über bie ©djroelle ber
(Schule gu geleiten, ©ine ©rfaltung im Söeruf raffte il;n
fetyon am 29. s J)fai 1826 mit fedjsunbbrei&tg Qafjren l)in«
roeg ; feine legte 3)ta£nung an ben ftnaben foll geiuefen fein,
er foüe fid) unterfd)eiben lernen, (*r hinterließ fetner SBitroe
auöer bem (Srftgebornen, ber bie Aufregung bes 33egräbni*=
tage« baju benujte, auf einen 3roetfd)geubaum 311 fteigen
unb baS Sein §11 brechen — e$ rotiroe aber uollfommeu
{je^etlt unb im klettern roar er nod) fpäter feljr geroanbt — ,
noc^ einen jroeiten Solna $afob, 1819 geboren, ber fpäter
in feinet Dl)ehu$ 8pur nad) granfretdr) gteng unb in ^ari*
um 1867 geftorbeu ift. deines Katers Butter 2lnna tfa=
1*
Digitized by Google
tfjarine, geborne (Sramer, mar sehn Qahre älter als ber
Sßater, mit bem fie nach bcm 3eugntS beS Sohnes in glütf=
lichfter (Sl;e gelebt fyat ©ie war fränfltd) unb mußte fich
hart fein unb ben Pfennig sufammenhalten, eine tfunft, in
ber mehrere aubere 3Seiber ber SSerroanbtfchaft ganj Uns
glaubliches geletftet ^aben; baS Vermögen mar fe^r fnapp
unb fie mußte ftch burd) ^äl;en ©rot erroerben. 2lud) fie
hat ihren erften Sofyn, ber immer nur mit ber größten
^ietät r?on iljr gefprocben hat, roacfer erlogen, fie ^at ihn
noa) ins £eben hinaus fd)tcfen bürfen, aber nur bie bürftigen
Anfänge feiner öffentlichen £aufbahn erlebt, benn fie ftarb,
faftauf ben^ag3meiunbfed)3ig3ahre uorihm, am 5. 1835.
£üchtigfeit unb gleifj fonnte ber Solm von beiben ©Item
lernen; bie eigentliche Dichtung beS ©etfteS, baS poetifd^e
Talent fcheint hier einmal t)om $ater ererbt geroefen ^u fein.
2>er ßnabe wudyS alfo in feljr einfachen SJerhältniffen
auf unb mußte ftch nach ber $>ecfe ftreefen. S)aS ift ihm
nid)t fchledjt befommen, benn jene äußerftc ©ettelarmut, bie
ben Körper fiech macht, ift auf bcm fianbe nicht befannt.
(£r mar meiftenS gefunb, wenn auch ^efttge ^ieberfranf--
heiten ihn 51t manchen 3«ten feines fiebenS gefchüttelt haben ;
bie 3«G a ^ e feinerer Organismen, neroöfe SHeijbarfeit, machte
fid) in ber Sngenb unb noch in ben mittleren fahren öfters
burd) heftiges $opfrcel) geltenb. 9tobuft unb fleifdjig ift er
nie getoefen, fonbern h^ger unb fehuig, eine s ^atur, nidjt
für grobe 3lrbett unb groben ©enuß, um fo mehr aber für
elaftiidje ©eroeguug unb rafcheS 2Iuffaffen ber feinften Singe
ber 3nnen= unb Außenwelt organifiert; bie (Sinnesorgane,
Digitized by Google
5
Dor allem ba3 Sluge, waren von feltener Sd)ärfe. 5htf
bem £anb aufjuiuadjfen ift moljl immer ein ©lücf, unb mein
Vater fjat e$ gemußt, @r märe olnte ba$ nie ju ber ge*
nauen Vertrautheit mit allen Vorgängen im üRaturleben
gelangt, meiere bie ©runblage feiner ^oefte bilbete. 3Bie
oft f)at er gefpottet über bie, meld)e fid) fo etroaS anempfinben
moUen, ofme 511 roiffen, mie e£ mirflid) braußen 3iigef)t,
meiere e$ besfyalb nie ju einem ooüen Sdjauen unb ®e=
itiefeen, fonbern nur §u einem platonifd)en .piubämmern nadj
bem üerlornen Slrfabien bringen-; roeldjen e*3 nicbt$ barauf
aufommt, „Oiacfytigallnefter mit Giern im $erbft bei Melonen
unb Xrauben, glieber unb Slfter jugleid), wenn e3 nur reist
unb gefällt" $u malen unb $u befingen ! 2öie fjabe td) al£
$nabe, geborneS ©tabtfinb mit ftumpferen unb für fold)e
S)inge mentg geübten Sinnen, mid) abgequält, bie Vögel
unb Vogelnefter alle 511 fetjeu, bie uerfdjiebenen Öefänge
unb 8lufe $u unterf Reiben, raenu id) mit tl)m bura) bie
®artengelänbe um Stuttgart fpasieren burfte; ber Refrain
mar immer: ja, bu bift fyalt ein Stabtfinb, bie fe^en unb
*>ören nid)t$ ! ®rft fpät Imbe id) ein menig nacbgelernt oon
bem, roa£ er als fleiner Vurfdje, „barfuß, nur in «pemb
unb &ofe", fd)on mußte. 2lber ßennerfd)aft ift oljue Siebe
$ur Sad)e md&t möglid). Sdjon aus ber tfnabenseit raeiß
fid) mein Vater bee leibenfdjaftlid^en $rang$ in bie freie
s 3iatur jju erinnern: „2£enu bie Vilser $ufammengefd)lügen
maren — jefjt l)inau$ $um 3Balb ! Sat; id) aud) unterroegS
einem Stord) ober einer Serdje fo lange nad), bis ber eine
nur nod) mie ein s ßuuft am öeroölf eridneu, ober bie anbere
Digitized by Google
6
ganj barin oerfdjroanb, ober watete id) bnrd)3 SBiefengraS,
ba3 mir bis unter bie Sinne reifte, fo locfte bod) in$ge=
lieim nod) ein ftärferer, ber ftärffte $unft, benn be$ SÖalbeä
bunfle ÜNünbimg faf) herein roie ba3 Ifjor, ba$ 5ur (5nt=
jüdung ffi$rt, unb burd; baS id) viel letzter fjinein als
lieber herauszubringen mar. Sdjon oon fern grüßte ftufuf
unb 2Imieldjorat. $ie 2tmfel mar mir ja fdjon com $ater
in$ fierj gefdjriebeu, meil „bie fingt, roie'« feiner Fann".
Unb nun ifjr inä SReB ju flauen mit l)er$flopfenber greube
— bie üertjeißungöooOen (£ier, bann bte nutfelnben jungen!
2lber um nid)t flu ftören, barf man nid)t ju lange bei beiu
tiefte bleiben. 2)od) in einiger Entfernung fid) in ben
äßalb legen, baS barf man. Unb auf einmal — roa$ buftet
fo rounberbar, fo unfäglid) fd)ön? 3^, ba3 f)ab' id) erft aU
9Kann erfahren, aU id) bie erfte 33orole mit SBalbmeifter
fennen lernte, benn efyebem f)at mir' 3 üiiemanb getagt".
Slber aud) jener mnftifdje 3«9 $um SSeibe, beffeu 3neinanber=
fliegen mit beut 9iaturgefüf)l ber ßern feiner l'nrif ift, ge()t
idjon auf bie Sdmljeit juritct. „3n ber ©d)itle, SBubcn
unb 5Jiäbd)en in berfelben klaffe, fafe al3 bie erfte eine
Schülerin, ^mei Safere älter aU tcf) , burd) ü)re Stimme,
il)r Sluge, ifjren ®ang foldje 2lnbad)tfd)auer ermecfenb, bafe
id) faum aufjiifeljen roagte, wenn fie fam unb gieng, unb
id) fa| fie bod), fal) fie im SBadjen unb träumen. £)a
aber biefe 3Kargaret^a nun fonfirmiert mürbe (unb id) mußte
bei ber Schulfeier nod) mitfingen), ba mar mir, ate fie ben
Segen empfieng am erften 9JJaiionntag : „So, jejjt fjat ber
Gimmel smifeben bir unb il)r bie %fyüx jugeidjlagen". . . .
Digitized by
7
2ld)t £age nadjljer feierte fic if)re erfte Kommunion, unb
am Slbenb bietet £age3 prte id) fie nod) oon fern hinter
ben ©arten mit itjren ©enoffinnen fingen, batj mir bie
£f)ränen oon ben Warfen liefen unb id) in ben fläftg nad)
meinem 2>ogel griff, ob roenigftenS ber mir geblieben' 7 . $lo6)
bei unferem legten SBefud) in Sü&en fjat mir mein $ater
it)r§au3 gegeigt, unb in einem ©ebidjte fetner legten Samm=
lung Ijat er bie afjnungsöoile Stimmung jener 3 eit er -
greifenb reben laffen.
2lber ba3 £eben 30g ir)n weiter. $m 3 a () r 1830 mürbe
er jelbft fonfirmiert. (Sr mar in ben legten Sd)uljat)ren
iaft immer ber (Srfte geroefen unb fjatte fid) nod) nebenher
einige ftenniniffe enoorben. £a£ roieS ilm auf ben $eruf
be3 Syrers t)in. 3m grü&ja&r 1831 trat er in ba£ Sd)ul=
(eljrerfeminar in (Sulingen ein. „3m Seminar §ogen mid)
ü)cufif, 9iaturgefd)id)te unb ber Vortrag au$ Stiller», teil-
meife ©oetfje*, $ürger£, Sd)ubart3, ^agebontsS 2c. ©ebidjten
befonber* an; bie botanifdjen (Srfurftonen aber maren mir
am atlermeiften nad) bem fersen" — unb, barf man oiellei<$t
t)in$ufe($en, bie 33eobad)tung ber Singoögel, bie bamit oer-
bunben werben formte. 3m§erbft 1833 rourbe mein SSater
nad) tuofjlbeftanbenem ^rotriforat^CSyamen au3 bem Seminar
entlaffen unb bxafyte nun mehrere 3at)re auf Sdnügebilfen;
ftetten }u: Sejember 1833 bis 3uli 1836 in 5ffe<far$attfen
bei Nürtingen, Sttuguft 1836 bis aWartint 1837 in (Sttten*
föie§ bei Ulm, Martini 1837 bis 19. SDejembct 1838 in
2ftet)rftetten bei SDiünfmgen , bann bi3 Martini 1840 in
Eningen bei Reutlingen. Sein 2lufentt)alt Imt fid) nad) Horben
Digitized by Google
8
unb ©üben nie aßjutüctt von ber heimatlichen 2Ilb entfernt.
©er Liebhaberei für Blumen unb Vögel ift er t»on ber
ßnabenseit an befiänbig treu geblieben. 3n ber Pflege
blühenber ©emächfe war er fo gefchicft wie unermüblid).
©eine VräutigamSbriefe aus ben üierjiger Qa^ren finb voll
von Angaben unb 9tatfchlägeu über (harten* unb Slurnen-
p<ht ; bis in bie fpäteften Safere waren bei it)m alle paffem
ben — bie £auSfrau fagte, auch bie unpaffenben — Schmie
beS Kaufes mit grünenben unb blüf)enben ^ffanjen vofc
geftellt. Df)ne jebe Jbefonbere Vorrichtung bat er es bajun
gebraut, baj? er mit jebem ©ärtner in ber Pflege fötaler
©emächfe fonfurrieren fonnte, bie fein SBarmlmuS brausen.
(Später t)at er längere 3eit namentlich buntblättrige ^elar=
gonten gezüchtet, beren er auf ber (Stuttgarter ©artenbau-
SluSftellung oon 1870 ein ganjeS Veet voll ^atte ; unD bis
äulefet tjat er Die Kultur ber Slurifeln als 2tteifter geübt.
®abei mar er, trog aller ßunft, für baS einfache ; gefüllte
SBlumen mancher 2lrten mie ber ©aljlien liebte er nicht, roeil
ihnen „baS 2luge" fel;le, aus bem bie einfachen in bie 2ßelt
fet)en. Unübertroffen meuigftenS in ber fcbwäbijchen £eimat
mar feine Kenntnis ber Vögel, inSbefoubere ber ©inguügel.
3m &aufe hat er nur wenige, Qahre lang gar feine Vögel
gehalten unb, fooiel ich weiß, immer folche, bie ben 9iach=
tigaHen unb ©raSmücfen üerwanbt finb ; benn ihnen mar er
ganj befonberS gewogen. 3n feinen jungen fahren unb
noch als Sflann hat er meit in bie Ütunbe alle ©iuguogeU
nefter gemufjt, manchen Saum erftiegen unb manche $ofe
babei jerriffen; aber genommen h a * mx '°^ e "^iefter.
Digitized by
9
bie oon ben Sitten nerlaffen waren, @r Imt in ben fiebriger
Qafjren allmäljlia) eine redjt fd)6ne unb oottfommene ©amm^
fang von -Heftern unb ©elegeu gefammelt unb e3 mar tfnn
eine greube, fte §u geigen; mit ber fttii mürbe i£)m bie 9flüf)e
ju groß unb er gab fte meg. £>ie £aupti"ad>e aber mar
iljm bie ßenntnte ber lebenben Sögel. @3 ift feiner unferer
einfjeimifdjen ©ingoögel, ben er nic^t nati) s 2lu$fef)en, ©efang,
l'o<J= unb 2Barnung3rufen unb aflen £ebenägerool)nf}eiten aufs
genauefte gefannt f)ätte. ©ein 2luge erlaubte i^m, fie im
glug 5U erfennen, unb feine geübte Slufmerffamfeit liefe if)n
SDinge roaljrnefjmen , an benen Rimberte ad)tlo£ r»orüber=
giengen. Slld ea^ter Kenner mar er nur mit menigen lit-
terarifd)en SBe^anblungen be3 ©egenftanbeä aufrieben, unb
bie jejjt fo fcr)r beliebten Slbbilbungen tum Sögelajen mußte
er fofort aU unroa&r, gegiert, in fid) unmöglich 311 erfennen ;
Mo& für ba3 große gunbamentalmerf ber trüber Naumann
§atte er nad) £ert unb Slbbilbungen ungemifd)te 23emunbe=
rung, unb ein ober ein paar SBänbe baoon lagen faft immer
auf feinem <5d)reibtifa). @r felbft Ijat fid) roeniger, al$ ju
roünfdien geroefen märe, f<$riftfteüerifd) über biefe ©tubien
üerne^men laffen. (Srft im 3af)r 1856 tarn er ba$u, für
einen Vortrag im herein für oaterlänbifdje ükturfunbe $0=
tijen „au3 bem £eben ber Sögel" aufsugeidjnen ; fte crf<^ie=
tten im felben Qa&t im „2Jcorgenblatt", aber erft 1863 fam
bie ©d&rift bebeutenb oerme^rt, bod) immer nod) als ein
fdnoadjeö 33änbd)en r»on einunbfea^jig Seiten, bei Skanb*
ftetter in Seipjig fjerau*. 2ln eine neue Auflage i?at mein
Sater nod) in feinen legten Qaljren gebadjt, unb in feinem
Digitized by Google
10
|>anberempliu Hub oiete 3"f^§e in uöüig brucffertiger gönn
gemacht, ülber bie ®unft ber Käufer war nicht mit beut
23ud)e gercefen, unb fo begnügte er fid), in feinem legten
£ebenämonat für bie „(Gartenlaube" feine Oiotijen 511 einem
3(rtifet $ufammenjuftellen, ber uor furjem bort erschienen
ift. ©erabe bie gadnnänner finb an bem 23üd)lein jumeift
oorübergegangen. 2öie fam ©aul unter bie Propheten, ber
dichter unter bie 9toturforfc$er? Unb bod) ift fein 3roeifel,
bafe nicht nur ben meiften poetifchen Siebhabern ber Statur,
fonbern aud) Bielen ^aturforfdjem bie genaue JtenntniS ber
Iebcnben Diatur fehlt ; unb bod) fann eine leben^oolle SBiffen-
fdjaft nur gebeiben, roenn ba3 Stttfroffop unb ba3 unbewaff-
nete 2luge, ber rechnenbe SBerftanb unb bie uorau$ei(enbe
^3t)antafie einanber Reifen, „-Wicht erft bann", Reifet e$ im
Anfang ber Schrift, „wenn ba$ ^ier bem Keffer be3 2tna^
tomen oerfiel, h ö * bie 2Biffenfd)aft angefangen, fid) feinet
tieften XeüS $u bemächtigen ; fie muß bem febenben öefdjöpf,
feinen Verrichtungen, Neigungen, gäfu'gfeiten, ber gansen 3lrt
unb SBeife, mit ber e$ bei lebenbigem &eibe in feinen ^8e-
fonbertjetten fid) gibt, 5um minbeften fo aufmerffam nach-
gegangen fein, als ber SBefttmmung be3 $aue3 feiner $ähne
unb güfee"; unb am S$tufj: „3<$ ^ n geioife fet)r weit oon
bem ©(auben entfernt, bafe bei 53etrarf)tungen, mie bie im
Vorfteljenben angefteüten, nidU eine 9)ienge oon £äufdningen
mit unterlaufen fönne, bafe man nicht gar Vieles in bie
s Jfatur lege, roa3 mir gerne barin finben mödjten, roaä unfere
Meinung unb ^Oantafie iiuinfcht. Slber aud) unfere $h an =
tafie über bie Diaturuorgänge hat ihr 9ied)t, it>rc günbe
Digitized by Google
11
fönnen fo erbauenb unb f)er$bilbenb fein al3 reale $etoeife;
imb toer toill e3 beftreiten, bafc, toaS bie $f)antafie ber Wa*
tiir unterlegt, gar oft unb twufig gerabe in ben ioid)tigften
fünften, mit ber realen 2Baf)rf)eit tu (Sind jufainmenfalle
3e weniger S -Bea$tung aber bie Arbeit bei tljrem (5rfd)eiuen
Qefunben f)atte, um fo l;er3lia^er freute eo ben $erf affer,
als ber Xübinaer 3oologe, felbft ein tüd)tii]er $8eobad)ter
beä lebenben SterS, oon bem 23üd)lein ergriffen, tym 511111
adjtjiiiften ©eburtätag bie Sßürbe be$ 'Softorä ber s 3?atur=
roifienfdfiaften bei feiner gafultät enoirfte unb üjm in ®e=
meinfdjaft mit unferem SBotanifer, ber ftd) oon eigenen $er-
fudjen fjer für meines 23ater3 Söeobadjtungen bei feineu
^fla^enfulturen intereffterte, ba* @f)renbiploiu überbrachte.
9teben folgen ^aturbeobadjtungen befd)äftigte ben jungen
£ef)rer aud) fdjon bie s $oefte. Seine älteften ^erfucbe reiben
nacft feiner eigenen Angabe minbeftenS bi£ in fein neun--
3ef)nte3 Qal;r junicf. (Eine fleine Sammlung ,,©ebid)te"
liefe er 1838 bei fiotjlocf) in ^anfingen erfdjeinen. ©ine
^orrebe, battert oom 2Wai, gef)t oorau3. Sie fagt, einige
greuitbe — ioof)l in 9)?ünfingen felbft, oon bem fein bama-
liger SBofjnfifc 9)?el)rftetten taum mefjr aU eine Stunbe mU
fernt ift — Ijätten ifm ju ber $erbffentlidmng getrieben;
mit jugenblidjer 9ftifd)ung oon s -8efd)eibenf)eit unb Selbft=
gefügt entfd&ulbigt er fidj, bafe er ol;ne bösere s Mbung mit
©ebicf)ten f)eroor$utreten toage; erlabe nur oerfudjen fönnen,
„bie heften dufter beutfd)er ^oefie nadjjuafjmen". 3n3=
6efonbere nennt er Spider, unb in ber £f)at, aud) außer
einem beutlid) geiooüten Seitenftücf 31t ßeftorS 2lbfd)ieb tritt
Digitized by Google
12
Schillers (Sinftufj überaß unb mit ßänben $u greifen heroor
— ein onberer nicht, aufjer bem ber moralifch unb fattrifd)
gerichteten S)urchfchnittSpoefie ber üorromantifchen ßeit über=
Ijaupt. $5ie ^e^rja^t ber ©ebichte ift eptgrammattfd), be=
trad)tenb, fntifd), auch fatirifch unb mitunter etwas oon
oben ^erab, nrie es baS 2I(ter oon ätoanjig fahren liebt.
Eigentliche Snrtf fte^t nur im &intergrunb, unb oon einer
fpejifijch lurifdjen Begabung märe tyiev noch gar nichts maijx--
junefmien geioefen; auch bie 53crfe , meiftenS $ifticha, finb
oft recht holprig. 2luS bemfelben 3ahr unb 5ioar oom
2. Quli höben mir einen Vrief Urlaubs an meinen Vater,
tiefer hatte, offenbar fur$ $uuor, ein 9Hanuffript ©ebid&te
an ihn gefchieft; Urlaub riet aber nur jur Veröffentlichung
ausgemalter Stüde in einer 3 ß iU4rift — roie [ich jebod)
jene Sftanuffriptfenbung gu bem fo gut mie gleichseitigen ge--
brueften Häubchen oerhält, ift mir ein Üiätfel ; in UfjlanbS
Nachlaß, aus bem alle fpäteren s ^ublifationen meines Vaters
MS 1862 in bie Tübinger UntoerfitätSbibliothef gefommen
finb, finbet fich bie Ausgabe oon 1838 nicht.
©leid) stoei Qahre fpäter ^atte mein Vater eine t>iel
größere Dftenge neuer poetifcher ©rjeugniffe beifammen, unb
Anfang 1841 erfchien ein ziemlich ftattlicher Vanb „$ich--
tungen" bei ©rieftnger u. (Somp. in (Stuttgart, «gier ift nun
fchon baS Reifte reine finrif: Statur, Religion, griebhof=
ftimmung; nur menige 3eitgebid)te , bie politifchen stemlidt)
allgemein gehalten, ein paar ©ebichte jur Verherrlichung
oon QuftinuS ferner, lUjlanb, ©filier, ©utenberg; ba$it
einige VaHaben, balb mehr Vürgerifd) balb mehr romantifdh,
Digitized by Google
13
feierlich unb gcftaitloö büfter; and) fed)3 SRätfel, eine ®aU
tung, bie ber X>id^ter in feinen legten fahren roieber ge=
pflegt fcat, aber olme etwas bat)on in eine fpätere Samm-
lung aufzunehmen. SfleiftenS ift bte gewöhnliche einfache
Siebform gemäht, baneben SDifttchen, £eyameter, Sonette.
@3 ftnben fid) immer noch manche Slnflänge an ©filier, fonft
nichts üon ausgeprägterer ©eftaltung nad) frember ober eis
gener 2lrt. Die ganje Sammlung ift noch p^nfiognomie-
unb farblos, ferne von ber fpäteren beS Richters ; er ftecft
noch ganj in ben 53anben ber ftonoention, rcie auch 2lnbere
in ihren Anfängen, nur ba& ein ©oethe ober Urlaub biefe
Affeln fchon früher abgeftreift haben, bie er jufolge feinem
fonoenttonell gebunbenen SBilbungSgang nod) mit tnerunb;
$iuanjig %al)xtn trug. 2lm flüfftgften unb eigentümlichen
finb ein paar Epigramme unb etliche ©ebichte in freierem
^erSmafe; nur eins, baS oft citterte Epigramm „£ohen=
ftaufen", mürbe gemürbigt, in bie fpätere Sammlung auf:
genommen ju werben. £ie 9?atur fpielt fchon bie erfte
ÜRofle unb iljre genaue Kenntnis ift leicht ju fpüren, aber
bie eigentümlichen £öne bafür fehlen noch, bte (Srotif ift nod)
feljr $a$m unb forrefMentimental; oon beut geueratem fpä=
terer 9htur; unb £tebesbegeifterung ift nod) feine Spur.
SBenn baljer aud) im engften £reiS biefe ©ebtchte fid)
greunbe errcarben, fo ift eS bod) fein SBunber, bafe fic
ben Tanten ihres Q3erfafferS nicht in bie gerne getragen
haben ; er felbft hat ftd) fpäter nicht gefreut, raemt er fie in
SemanbS £anb nm&te.
Digitized by Google
14
2U3 bie „^idjtungen" erfctyienen, mar bie eutfdjjeibenbe
Gpocbe in meine« 33ater3 Seben fdjon eingetreten. 9to$bem
er im ^erbft 1840 bie ©djntlbienftprüfung gut beftauben
tjatte, tarn er im Diouember al« Unterleder nad) 23ernftabt
bei Ulm. £ort Raufte als Pfarrer ber 9)?agtfter Subroig
Slugufi 9£eubert. (Sr mar 1772 als ©o^n be$ (Sragte&ere
in SubmigSburg geboren, beffeu ©locfen nodj jefct auf manchem
Jftird&turm be* £anbe£ ertönen; 1804 t)atte er neb mit (£*rne-
ftine Sauberer, einer r>on ben elf £ört)tem be* Oberamt=
mann« in £id)tenftern, uermär;lt, mar Pfarrer in 2Bain ge^
mefen, bann in Oberbolheim unb nun feit ad^efni 3ar;ren
in Sernftabt. ©r muß ein 3Kann oon uebantiidjen ©erooljn*
Reiten, aber gelegentlid; nicfjt otjne Junior geroefen fein, in
allem nod; ganj aus ber 3 cit oe§ ÄttttonaliSmu« ; nidjt
lauge uor feinem £obe, er ftarb 1857, Ijat mein Söater it)n
in beut ©ebicfyt „beim alten ßerrn" uereroigt, bas it)m nod)
oiel greube gemad)t haben foH. $>er eigentlidje s JJhttelpunft
be3 ,gaufe3 mar bie ^farrfrau, eine grau uoH Seben unb
bod) oon feiner ©emtitSart, liebenSroürbig, beweglichen ©eifte*
unb mannen ^er^en^. Dieben jmei ©öfcnen unb ben jmet
jüngften Söchtern, bie afle früh ftarben, finb fedh« Töchter
aus biefer ©he hervorgegangen, ftattlicb uon SBuchS, gum
Seil mit roirflicher Schönheit begabt, „9)iäbchen rcie bie
Sannen" foH fie ein benachbarter ©eiftlidjer gepriefen ^aben.
3um ©lücf mar bamal« baS heiraten noch ebenfo Sftobe mie
ber ßiuberretchtum. 2113 mein $ater nad) Söernftabt fam,
waren oon ben fecfjS Pächtern }a)on fünfe mit früheren (ober
Damaligen) SBifaren bes ^ßfarrherrn teiU verheiratet teils
Digitized by Google
15
nerlobt. Kur bie jroeitjüngfte, Slugufte mit tarnen, am
21. 2lpril 1811 geboren, mar nod) lebig. Sie ift meine
•üflutter gercorben, unb ich barf fie be«f)alb nicht loben ; aber
ich barf fagen, baj} in ben Erinnerungen an fie, bie ich aue
meiner Änabenjeit beroahre, mir alles eingefchloffen ift, roas
e£ non jarter unb bod) ba£ £eben tf)ätig erfaffenber ülöeib=
lidjfett gibt. £>te Parrtöd)ter Jjaben alle nid)t mehr als
bie ^orffdmle burd)gemad)t, aber fie haben e» mit ben nor-
nehmer gefcbulten 3J2äbd)en ber Stabt aufnehmen formen,
benn fie Ratten flaren ^erftanb, guten $umor unb praf=
tifchen Sinn, ben ba* £eben auf bem £anb unb bie bamall
nod) in ben *pfarrhäufern uorherrfdjenbe ^aturaliüirtfct)aft
fd)ärfte. SBenn bie gro&e gamilie unb bie beftänbige 9ln-
iDcfen^eit eine* fßitaxi fdjon Seben genug ine &au3 brauten,
io tarnen noch bie oerfd)iebenen Settern namentlich oou
mütterlidjer Seite , bie tauberer unb £artmänner t)inju.
Unb im Ulmifchen ift munterei gefelligel Seben immer üb;
lich gemefen; mein Sßater t;at einen Pfarrer gefannt, ber
ft<$ fein £ebeu lang immer im Ulmer &anb herum oerfefcen
liefe, weil el bort feine ^tetiften gebe. 2>ie ©emeinbe mar
roohlhabenb unb bie (Sinfünfte, all ber Pfarrer noch ben
lehnten bejog, reichlich- -Iftan fonnte bequem unb auS=
fömmlich leben, unb roenn e$ nicht fo feubal gugieng wie
auf ben Schroetter ^Pfarrt^öfen im grünen £einrid), fo hatte
man boch jroei ^ferbe im Stall, futfdjierte tym unb her,
empfieng fröhlichen SBefud) unb oerfchmähte roeber eine,
auch ^ohl mehrere gleichzeitige Sarofpartien noch eine aus^
gtebige 33ter= ober ^unfdjfnciperei. s Hon oerjärteltem 2Befen
Digitized by Google
16
war nicht«; SRewen waren noch nicht fo red)t erfunben,
jebenfall« nicht gebulbet; jur frühen Sagesarbeit unb jur
abenbltd^en ©efelligfeit mufete man gleich munter unb
willig fein.
2Rem SBater fam rafch in nahe Berührung mit bent
Pfarrhaus, namentlich auch mit bem Sifar Stoß, bem
Bräutigam ber jüngften £o<f)ter; fie beibe ()aben gleich im
Sinter auf 1841 einen ©efanguerein eingerichtet, beffen
wohltätige 2Birfung auf bie jungen Seute man mo$l vtv-
fpürte. $5em alten £errn, ber fdjon etwa« nerfnöchert war,
ift er langfam unb nie nöllig nahe gekommen, um fo rafd&er
unb inniger ber immer jung gebliebenen Sßfarrerin. ©djou
am 8. gebruar 1841 fjat er um bie Xofytex Slugufte ge=
worben unb ift erfjört worben; ber sßater wu&te uielleidjt
anfangt nid)t^ baoon, fyat jebenfall« längere 3^it bie 53er^
öffentlichung nidj)t gewünfcht.
Wlit ber Verlobung Ijieng ber Uebertritt in eine neue
&eben«laufbaf)n gufammen. 2lu« ber 33efd)ränfung be» 'Schul*
lefjrerftanbeS ^tau^jutreten , mar meine« $ater« Sßttttfö
fchon länger, (£r ^atte an ba« ©tubium ber 5Tr)eoIogie ge^
bafyt unb ift noch 1842 flüchtig auf biefen ©ebanfen jurü^
gefommen — ich fann ihn mir freilich al« Pfarrer mit bem
beften SBitten ntctjt benfen. 2lber er f<hten fidf) bo<h $u alt
unb $u unbemittelt ju einem längeren ©tubium unb mochte
bie S^iefenenergte, mit ber ber eine unb anbere feiner Stanbe«=
genoffen alle fofdtje &inbemiffe burdf)brochen hat, nicht in fich
fühlen, ©in 2lu«weg bot fich fo b* m bamal« lebhaft be=
günftigten Sfleallehrfad). Siefe $ßrar>3 fyat in unferem £anb
Digitized by Google
17
eine roechfeloolle unb ber jroiefchlächtigen Diatur be£ ga<h$
unb feiner Vertreter jufolge nicht immer gan$ erquicfliche
©efdjichte. £>amal$ mürbe eben nadi 9Ritte(n gefugt, bie
3leallef)rer, bie mie nocö fpäter meift am ben ftrcbfomften
dementen bes SBolföfdjullehrerftanbeä ^eroorgiengen, burd)
bie 2lrt ihrer Bilbung }u Geben. 3m 3ahr 1838 mar baS
WeaÜefjrer-Seminar in Bübingen gegrünbet roorben, bas
nun eben in feiner furjroä^renben Blüte ftanb. £ie Sekret
umreit mit 2lu$nabme bes DieligionelehrerS Umoerfttät^
profefforen, unb bie ßw^örer Ratten nicht nur Gelegenheit,
burd) ben ©eminarunterrtd)t (für ben freilich bei ben ge=
ringen Slufnahmebebingungen bie Unioerfttätälehrer nid)t
recht an ihrem ^lafce rooren) t)ö^er hinaufgeführt ju werben,
al$ oorher möglich geroefen mar, fonbem auch außerhalb
beä Seminars* $orlefungen als ßofpitanten gu hören. 2luf
ben $at mehrerer, uor allem ber 53raut felbft, liefe fidt)
mein Sßater im fierbft 1841 in ba£ Seminar aufnehmen.
<Sr hat e3 im SBinter auf 1841 unb im Sommer 1842 als
3uhörer, im Sinter auf 1843 al$ orbentlidje§ SDfttglteb be=
iud)t, befam auch im legten Semefter ein Stipenbium unb
üon bem Seminaroorftanb $aug ba§ 3*ugni3 ummteD
brochenen §leifee3, regen n>iffenfd)aftlichen %ntext$t&, be-
friebigenber gortfdjritte in üerfdjiebenen fächern unb burch=
au3 tabellofen fittltchen SenefmtenS. SDer fchon fünfimb-
jroanjigiährige Stubent arbeitete fleifeig unb mit 53egeifterung
brauf lo3. @r mar burch fein 2l(ter unb feine Verlobung
baoor gefchügt, alljutief in ben «Strom bes Stubentenleben*
3U geraten. 2Iber ein Kopfhänger ift er nie geroefen unb,
ftif d)ex, Beiträge II. 2
Digitized by Google
18
wenn auch einfach, fo fyat er nicht ärmlich gelebt. (Sr hat
in Bübingen manche greunbfdjaft gefc^toffcn, nicht nur mit
Angehörigen beS eigenen StanbeS imb Seminare, fonbern
auch mit anbern Stubenten, leite mit Stiftlern, befonberä
bem liebenSnnirbigen Auberlen, ber mit oierjig fahren al£
s #rofeffor in 23afel geftorben ift, teils auch mit Singehörigen
beS GorpS ber äöeftfalen — fein alter Stuoienfreunb, ber
^ßräftbent ©unjert ift ihm nur um weniges im Xobe uoran=
gegangen, oon i'ebenben will ich f)kx unb weiterhin nicht
teben. 2)ie $erbmbungSoerhältniffe waren ba^umal m'el
flüfftger als jefct, ein behaglicher fiumor mar allgemein,
foftfpielige s Jienommifterei nicht für notmenbig angefehen.
Manche Mitternacht ^at ihn am Schreibepult gefunben, aber
auch mancher fröhliche Abenb in ber Kneipe. $ormittag$
mar ber 2BirtShauSbe)ud) ben Stubenten oerboten ; nur ein-
mal an einem hei&en Vormittag beS warmen Sommers 1842,
gönnte er üch ein ©las 33ier, aber ber oorbeifommenbe
Rebell meinte: ÜKun, (Sie fenne id), Sie finb ein fleißiger
Mann, Sie geige id) nicht an. Abwechslung boten, neben
ben gerien, bie jebeSmal in 33ernftabt ^gebracht mürben,
bie SBefudtje bei bem Pfarrer Sdmetber in teuften, ber bte
ältefte Schroetter meiner Mutter jur grau ^atte. ©inen
tiefen (Sinbrud ^at bie 23efanntfa)aft £ölberlinS auf meinen
üßater gemacht; er h«t auch t« fpätern fahren in 9tebe unb
Schrift beffen öfter? gebaut unb ift bei ber (Sinmetfmng ber
©ebenftafel in £auffen am 20. 9tfär$ 1870 als £id)ter auf;
getreten, ju ber beS 2)enfmalS in Hornburg am 28. 3uli 1883
als Dtcbncr berufen roorben. Auel) einen (Sinflufc £ölberlinS
Digitized by Google
19
auf feine eigene ^Dichtung glaubte er ju ftnbcn ; wenn in feinen
fpäter entftanbenen ©ebbten uiel leibenfchaftlicöe Smpftn*
bung, eine eigentümliche 2lrt ber faft inbrünftigen Eingebung
3U finbeu ift, fo ftnb ba3 immerhin auch roefentlidje @igenfd)af=
len üon £ölberlin$ Snrif, aber bod) folche, bie in erfter Sinie
auf ber ^erfönlidjfeit, nicht auf frembem SBorbilb beruhen.
$ie 3öglinge be£ ©eminarS waren peinlich angefpannt.
%\)T £ehrp(an umfaßte Religion, beutfehe (Sprache unb
&itteratur, fransöfifd^e Spraye, ©efdjichte, (Geographie,
3)Jatf)ematif, Pjnftf, ^iaturgefchichte, alfo eine ähnliche Sftaffe
ganj heterogener «Stoffe wie bie Schullehrerfeminare, nur
auf höherer (Stufe. 2Rem #ater fyat ^orlefungen unb
Uebungen befugt bei bem Theologen ©ifenlohr (bem tyofy
tferbienten fpäteren ütürtinger Dieftor unb |jiftorifer be£
roürttembergijchen ©chulroefeuä) , bei bem «giftorifer §aug,
bei $efd)ier, griebrid) «ifcher unb Velbert «eller, bei
£ugo Wlofyi — feine befte fpätere (SramenSnote ift bie in
ber SBotanif — unb Buenftebt, bei bem 9ftathematifer £ohl
unb bem ^9f^ er 9iörrenberg. Stfor ber wiffenfchaftlkheu
33lafieriheit anberer (Stubenten mar er burd) feinen SBübungs;
<jang gefiebert. $ch habe üjn von allen feinen Tübinger
£ef)rern nie anber$ als mit größter Achtung reben hören.
Wit einigen, bejonber* Detter unb §8ifd)cr, ift er in längereut
93erfef)r geblieben. Senem fyat er zahlreiche Beiträge für
fein fchroäbifcheS gbiotifon geliefert, mit iüfeher über bie
poetifdje ^robuftion beiber forrefponbiert , iöoüou er nad)
S3ifcl)er$ Zoo in ber „Seutfchen 9*eoue" groben gegeben
hat, eine weitere gebe ich fpäter. 3u W)d)tx* i'nrif fonnte
2*
Digitized by Google
20
er, obrool)l er mand&eä liebte unb felber in feinen testen
Sachen nafje an $ifdjer3 Slrt ftreifte, feine gang rechte
Stellung geroinnen; um fo unbebingter vetterte er ben
2leftf)ettfer unb ben Gr^ä^ler, ben beutf^franjöfif^en Ärieg
unb ,,$ucf) (Einer" tyat er re^enfiert unb 58ifdf>er ^ödt>fidt>
bamit erfreut. 33ei ber geier oon $ifd)er£ ad&tjigftem ©e=
burtstag am 28. 3imi 1887 mar er unter ben Ülebnenu
^erfönlid) f)aben fie nidjt feljr niel mit eiuanber oerfe^rt.
!Ra$ SJeenbigung bc^ furgen StubiumS fe^rte mein
33ater im grüljjaljr 1843 in« ^Bernftäbter ^farr&auS ^urücf.
3« ^ejember beSfelben $a1)xZ machte er ba§ 9teallel)rer=
Gramen mit Erfolg. 2lber e3 foUte bem Brautpaar lange
nid)t glütfen, in ben £>afen ju laufen; fieben Safere finb
fie uerlobt geiuefen unb waren bod) beibe md)t mel)r aüju
jung. 3unädf)ft fonnten fie fi<$ menigften<S räumlid) nalje
bleiben. Senn feit ^eujaljr 1844 mar mein Sßater Unter=
Iet)rer an ber 5)Httelirfjule in Langenau, vom 1. Quli an
SSifar an ber Ütealfdfoule in Ulm. ©r ftanb bort unter bem
r-erbienten Dieftor ütagel, ber große Stüde auf ilm ge=
galten Ijat. Slber gu ßnbe 1845 fam er als £e()rer an
bie (5lementarfd)ule in Stuttgart, für bte er im gangen
reidjlid) grcangig Qafjre tfyätig fein fodte. @r tarn fo in
ben grofsen 3ufammenl)ang bes Ijauptftäbtifcben £eben£, baS
nad) jeßigen Segriffen nod) fet)r etnfad) mar, aber menigftenä
in litterartfdier, bramatifdjer unb mufifalif^er 33e3ief)uu&
fid) mit beut heutigen füglid) meffen fonute. £er lebenbige,
geiftooOe Wlann rourbe in ft'tnftlerifdje Greife gegogen, er
f)at mit mannen TOtgliebern be3 Sweaters fd)on frül) 93e-
Digitized by Google
21
jiefjungen anknüpft, bie tym fpäter für feine eigenen
bramatifd)en Arbeiten nüfclid) würben; in ^on^erten iß er
mit fetner flangoollen Ra&ftimme a(3 Soltft aufgetreten.
23efonber£ wichtig unb bauernb mar feine SBerbinbung mit
bem (Stuttgarter £ieberfraua. Gr l;at if)m von 1847 an
etroa jmei Qal^efmte als C^orfänger angehört unb war
feit 1865 (SfjrenmitgUeb ; aud) f)at er eine 3eit lang bie
bamate nodj fef)r befd)eibene SBibliottyef ber ©efeUfdmft
oermaltet. @r f)at in biefem herein unb ju feinem £ob oft
genug ba$ SBort ergriffen, ift balb fein berü^mtefter Diebner
unb $>id)ter geworben, unb biefe Regierungen Ijaben fort=
gebauert, nactybem er ftd) von ben gefelligen 23eranftattungen
attmä^lid) 3urücfge$ogen Ijattc.
3m Slnfang be* QaljreS 1848 mürbe meinem $ater
feilte Stelle an ber jroeiten klaffe ber (Slementarf<$ule be=
finitio übertragen. 9iun fanb aud) bie .Jpod^eit in SBernftabt
am 25. SIpril, bem Dfterbienftag, ftatt. Gine £od)$eit3reife
t)at e£ mo^l uid)t gegeben, außer nad) Stuttgart. £>a*
neue $aar naljm in ber Sluguftenftra&e, in ber mein $ater
fdjon lebig geruofmt jjatte, Numero 14 b feine SMnumg.
<S3 ift nod) je(3t eine fülle Straße; bamate mar fte nur
menige fiäufer lang, bie ©arten fiengen ein paar Sdjritte
oon unferem £au£ an unb sogen fia) in faft ununterbrochener
SMaffe oon SBaumroipfeln bis an ben §afenberg hinauf ; lu'er
fonnte man bie Sßogelftubieu fortfegen. (Srft 1862 fügten
meine ©Item eine neue SBofjnung in 9Zr. 36 ber ©über-
burgftra&e auf (balb in SRv. 136 umgetauft) ; a(3 aber unten
eine 2fte(3gerei fjineinfam, rourbe 1864 ntajt meit oon ber
Digitized by Google
22
erften eine etwas geräumigere ÖemiannSftrtt&e 3 belogen.
2)ort rjat mein Sßater aud) nad) bem Stob metner Wutter
gewohnt unb feinen neuen ^aueftanb begrünbet, bis im
griUjjatyr 1672 bie Söoljnung s Jir. 42 ber 9leinSburgftra§e
gemäht würbe, in ber er bis ju feinem Xob geroofmt Ijat
unb bie er au$ itid&t üerlaffen tooHte, als fie ju groß für
U;n geworben mar: „£)enn eine 2£olmung ^at eine Seele,
2>ie atmet unb mäd)ft mit bes Wenfdjen Seele, 2Xu^^ält
mit ilmi unb uou bannen getyt". So finb mir immer un=
gefäfjr im felben Stabtteil eiul)eimifd) geroefen; i$ fmbe als
ftnabe mandje 3ö^te lang bie anbere £f)alfeite am 53opfer
faum gefannt, unb id) glaube, aud) mein $ater f)at fid>
bort nie fo uollfommen jured^t gefunben.
2)ie ©rünbung bcS neuen |jauSftanbeS fiel in baS
erregtefte Qa^r unferer moberuen beutfdjen ©efdu'cfrte. Wein
Söater mar Ms baljin nie in ber polttifdjeu Oeffentlidjfett
aufgetreten. %üx einen Wann ber ^nitiatioe, für einen
Seiter ber Waffen mar fein Temperament ju fanguinifd),
ju meid) unb neruöS. (Srtreme 5lnfid)ten irgenb einer 2Jrt
fyat er nie gehabt, fo meuig als er ein Wann ber $om=
promiffe mar, er überliefe lieber bie ©egenfä^e fid; felbft
unb ifjrer 2luSeinanberfe$ung. Slber in jenem frühzeitigen
grül)ltng, als alles feimte unb blühen roollte, ba mürbe
aud) er ju afttoerer Teilnahme f)ingeriffen. ©leid) r»on
Anfang an mu§ er ber Stuttgarter $ürgermel)r angehört
fyaben, meldte bie Drbnung gegen bie Singriffe oon unten
f)er ju oertetbtgen beftimmt, aber aud) nad) oben als eine
Sd)u£roe[)r beS SBürgertumS fd&mcrlid) feljr beliebt mar. (£r
Digitized by Google
23
hat e$ $um Lieutenant in biefer Gruppe gebraut, unb
mehrere Seile fetner Sluörüftung haben noch lange ihr £a=
fein in unferer SBofjnung gefriftet, am längften ber Säbel,
ber 1863, als man eine populäre Erhebung für Sdjle3nng=
fiolftein hoffte, bafür ^ergefd&enft mürbe — ©ott roeife, mo
er ^ingefommen fein mag ! üftoch üor feiner Verheiratung,
im 2lprtl, trug mein SSater in einer 3Be^rmänner^erfamm=
lung ein ©ebidjt mit ungeheurem Beifall cor, ba3 atebalb
in fünftaufenb (Syemplaren gebrueft marb ; beim ©djiHerfeft
be$ fiieberfrange^ am 8. 3Wai fprach er fein ©ebicht „«Schillers
2luferftef)ung", meines bie Erfüllung uon 6d)iQer3 $rei=
hettSroünfchen feiert, unb bei bemfelben $eft am 19. 9M 1849
hielt er feine erfte ©chiller^ebe. 3$ beft&e fie im SWanu:
ffript. ©ie nimmt beutlid) auf bie Ablehnung ber beutfeheu
ßaiferroürbe SBejug, ift aber für ben Moment, in bem fie
gehalten mürbe, noch redjt hoffnungSooH ; ein SBallenftetn
roirb com Schief fal erbeten, ber aber mit ber ©rö&e beS
gelben auch feböne 3)tenfd)Hchfeit oerbinbe — energischer
hatte ber 9iebner benfelben ©ebanfeu, baß nur bie rücfficht$=
lofe Xfyat „eines Cannes aus Millionen" helfen fönne, in
bem bekannten, auch in ben SHenolutionSjahren entftanbenen,
aber erft 1865 veröffentlichten ©ebichte auSgefprodjen ; —
reüolutionäre Haltung tonn man ber Sftebe burchauS nicht
nachfagen. Srofcbem mürbe mein SBater burch feine Haltung
in jenen fahren üerbächtig unb 3roar, mie e$ fcfjeint, beim
ßönig SBilhelm felbft, ber nicht leicht oerjieh, mie er c£
Uhlanb gegenüber beraiefen hat. „34 marb mißliebig, ob;
mof)l ich im Volfsoerein bae eine^ bei einem Stra&en=
Digitized by Google
24
auf (auf ba3 anberemal entfd^teben mitgeholfen hatte, un-
finnige SluSfchreitungen aurücfjuhalten. SDer $ater eine«
meiner Schüler ^at mir vertraut, eä feien an ma&gebenbfter
Stelle 5ix»ei ©ebichte uon mir eingefanbt morben, meldte
fehr gegen mich nerftimmt Ratten. @£ mar mir nicht In
ben Sinn gefommen, fie hierhin ju begehen, a6er fie mürben
fo aufgefaßt."
So blieb ber für höhet* £ehrfteHen gefd&affenc SRann
über ein ^ahr^ehnt i» ber üiieberung feiner erften Stutt;
garter Slnfteüung, obwohl ber Stubienrat ihm bie beften
£ehrerfolge nachrühmte, obroohl tiefer, ber Dteftor ber
9ttealf(f)ule, ben er hoch nerehrte, feine mieberholten Reibungen
um SRealfdmlflaffen mit günftigen 3eugniffen unterste,
ihm lebenbigen, anregenben Unterricht, gute ©isjiplin ohne
Slnioenbung r>on Schrecfmitteln bezeugte unb babet betonte,
bafc er feinen gät>töfeiten nach an eine höhere klaffe gehöre.
(£0 mürben SBerfuche gemacht, ^ebeneinnahmenju fdmffen,
unb glücften. Schon feit 1847 ^at mein ^ater ben Sing=
Unterricht an ber fechften, fpäter an ber fünften Älaffe beä
(BnmnafiumS gegeben unb erft 1857 biefeS Nebenamt nieber*
gelegt; eben foldjen gab er auch in ber 9^ealfd>ule. Seit
1853 unterrichtete er in beutfcher Sprache unb &itteratur
an ber faufmännifdjen gortbilbungsfchule. @ r mürbe 1859
Sßorftanb biefer Schule unb h a * biefeä 2lmt, obroohl bie
Stunben abenbliche Arbeit unb bie $orftanbfchaft manche
Unluft mit fich brachte, erft im JJafjr 1872 niebergelegt.
Sluch litterarifdje einnahmen flößen, aber nicht reich-
lich- ©chon bantab rcie fpäter hat mein 33ater feine ftets
Digitized by Google
25
gerne gehörte (Stimme aud) in 3 e ^ un 9 en un0 3 c ^W r if teu
oerne&men laffen. @r (jat für ben ©djroäbifdfjen hierfür,
fpäter aua) für ben SBürttembergifdjen ©taatäanjeiger unb
bie ungemeine 3 e ^ un 9 33erid^te über ^Büd^er unb £(jeater=
auffü&rungen, 9iefrologe u. ä. getrieben, in ben fiebriger
unb adliger $afyxen bann audfj für anbere, feitfjer entftan=
bene 3 eit fünften ; allem aber für ba£ 9Jtorgenblatt,
jene ftmbt be3 (Sottaifdjen $erlag$, ba3 leiber 1865 unter
bem UeberfdfjroaH ber feidjteren iUuftrierten 3eitfdj)riften er=
brürft roorben ift. Slber biefe S&atigfeit ift nie ausgebest
geroefen; mein SBater fdjrieb nid&t otjne befonbern Stnlaft,
regelmäßiger 53ertct)terftatter ober fo etroaä ift er nie ge=
roefen, fd&on feine gehäuften Unterric^täftunben ptten ba»
unmöglich gemalt, nod) mefjr feine Abneigung gegen jeben
äußeren $man$. 2lucr) feine als $ücf)er erfdnenenen 2Berfe
f)aben raeber i^n nodt) feine Verleger reidf) gemalt. $opu=
lär gu f^reiben mar roeber feine 2Ibfid)t nod) aud) feine
giujigfeit; baju mar einerfeitS fein Temperament gu rafd),
511 leidet ju feuriger ©egeifterung ober jcfjroffer Sible^nung
geneigt, aubererfeitS bie Neigung 511m <3pefulieren unb gur
Slbftraftion ju groß bei ifjm. 60 wenig er bie Oeff entließ
feit freute, fo gern e3 l)örte, wenn er anerfannt nmrbe, fo
eiferfüd&tig er auf feinen litterarifdfjen iRuf fein fonnte, fo
empfinblidf) iljn bie (grroä&nung r»on roirfUdjen Mängeln
berührte, bie er unberoufet füllen mod&te : bie 9iücffid)t auf
ben 33eifall üon oben ober oon unten f)at i(;n niemal»
geleitet.
Sie 3a^l ber Sorgen rourbe burdf) bie öeburt be*
Digitized by Google
2G
erften imb einzigen ßinbes oermefjrt. $)iefeä $inb mar td),
ber tdt) am 12. Oftober 1851 geboren raorben bin. Weine
Butter mar fd)on als SHäbchen non garter ©efunbljeit ge=
roefen ; i^re Sungen gaben gu Söeforgniffen Slnlafj ; bei meiner
Geburt war fie fd&on üierjig Qafjre alt, unb e3 fehlte nidf)t
oiel, fo ptte icf) ü?r ba3 Seben gefoftet, längere 3eit mar
e3 in ©efafjr unb bie ©efunb^eit mar tief erfdr)üttert. Unb
bodj) Fann idt) fie mir nid)t anberS alö rüftig unb (iebeoott
tf)ätig benfen, unb e£ Ijat mir, ber ich ein recht jartee $inb
mar, an allen SBebürfniffen beS £eben* unb an ber treueften
Pflege niemals gefehlt.
ÜUJetn 3Sater fonnte fid& für feine -Nichtbeachtung üon
Seiten ber Regierung nicht nur mit feinem häuslichen ©lücf
tröften, fonbern auch einen Sporn ftnben in ber großen 2ln*
erfennung, bie ifmt fein öffentliche^ Auftreten als dichter
unb als 9teDner eintrug. SDer erfte unb bebeutenbe Erfolg
feiner Ii;rijdt>en Dichtung unb bie fruchtbare £l;ätigfeit für
baS litterarifche unb fünftlerifche Seben ber <Stabt unb beS
Sauber fallen fdjon in bie fünfziger 3ahre.
lieber meines Katers poettfdt)e ^hätigfeit in ber
nach bem @rfdf)einen beS ©ebichtbanbeS r-on 1841 weife ich
fo gut tuie nichts; benn er fyat nie — außer bei etlidjen
®ebidf)ten gu geften — eine ^ahreSjahl beigelegt, unb ge-
rabe bie für feine Slrt bebeutfamften ©ebichte finb ihrem
Qnhalt nach settloS. Qn Bübingen hat er, roie er felbft er*
jä^lt, nur $roei ©ebtdt)te oerfafet unb äußert fid) einmal in
Digitized by Google
27
einem SBrief, roo er mit naioer ^efriebigung erjagt, roie
er einen Stubenten fagen (jörte „$u, ba ftfct ein famofer
Sidjter" : e3 fei tym baju nod; gegenwärtig ntdrjts weniger
aU poetifd) ju s JJtute. £>ie lebhaftere Söteberaufno^me ber
poetifd)en X^atigfeit wirb etwa mit ber SBerljeiratung $u-
fammenfaOen. 3m Sttorgenblatt, in bem mein ^8ater früher
nur einmal brei ©ebidjte, jur Qtxt ber SJtebaftion be$ von
i()m ftetg \)oä) oereljrten ©uftat) ^pjer, ueröffentlidjt ^atte,
ftanben 1851 mehrere, unb von ba an tyat biefe 3*üfä)rift
bis 3U i^rem eingeben immer nrieber neue groben feiner
£nrif gebraut. 2Xn Robert Sßruj fanbte er eine größere
2In$af)l üon ©ebidjten, bie 1852 im SDeutfd&en SRufeum er=
fd)ienen, aud) bie 3a^rgänge 1853 unb bann nueber 1856
^at er mit einzelnen bebaut. $)ie in beiben 3eitfd)rifteu
bis 1854 gebrucften finb etwa bie $älfte ber ganzen neuen
Sammlung, bie im 3 n () r 1854 bei Gotta roieber unter bem
Sittel ,,©ebid)te" erfdjienen ift. 2luf bieier Sammlung be-
ruhte fein 9hi$m, ber »ou ba an faum £;ö^er fteigen, nur
weiter fid) uerbreiten fonnte; äfmlid) roie bei U^anb^ ©c-
bid)ten fonw mau fagen: wenn er bamalS $u bieten auf*
gehört f)ätte , fo mürbe un£ 2)?andje3 fehlen, roa$ fdjmerj;
Iid) ju üenuiffen märe, aber bie ©efamtd&arafteriftif feiner
Snrif unb fein s Jtang unter ben anbern Snrifern mürbe
fid) nidjt oeränbern. Statt ber garblofigfeit ber früheren
©ebidjte auf einmal ein f)öd)it d)arafteriftifd)er, energifdjer
unb äugleid) elaftifdt)er Stil ; man tonnte oon ba an faft bei
allen ©ebid)ten ben SBerfaffer erraten. £>ie Sammlung $er=
fällt in brei Abteilungen „lieber ber liebe", „Ointur unb
Digitized by Google
28
l'eben", „Silber vom $oben)ee". 3ftehr als fd;on in ber
jroeiten Sammlung tyexxfötn bic rein Inrifchen gönnen cor,
^änfig finb oon jefct an auch freiere, reimlofe Oi^ot^mcn.
SDer energifdjere 3^9 jctgt ftch fdt)on in ben ©ebbten über
3eitfragen unb Itttcrarifc^e ober fünftlerifdje ©rö&en; man
fieht, baf$ baS grühUngSgeroitter von 1848 fd)on ausgebrochen
ift, aber man fielet auch, ba& bie großen gragen ©eutfty
IanbS noc^ immer ohne 2lntiuort finb. 2)ie pofitioe Seite
jebod) ift Damals unb immer bie £auptfad;e bei bem dichter.
@r liebt, er berounbert, unb wenn er tabelt, roenn er flagt,
fo ift eS nic^t ©runbftimmung bei ihm; bem ^efftmiSmuS
unb jmar bem echten, notroenbigen, charaftevuoHen mie bem
unwahren, felbftgefäHigen ber üiirroana^oeten ift 9tfemanb
fo weltfern geroefen als er. Seicht ent$ünbbar, mit bem
£erjen fet)enb unb börenb, geht er ben fingen entgegen
unb finbet mit ber Spürfraft beS 9kturfinbeS baS Schöne
unb fteraberoegenbe an ihnen heraus. 33alb ift es mehr
baS oerrounberte Staunen über ben Reichtum ber Schorn
heit, mie eS ber erfte 2)ienfch im ^arabieS empfunben t)at,
balö mehr baS leioenfchaftliche Verlangen nach QneinSf Chinesen
mit bem ©egenftanbe, balb auch ber Qubel ber gelungenen
Bereinigung; aber immer ift ein ^auch ber feiigen 5trunfen=
heit beS noch jugenblich^feurtgen unb boch fdjon jur oollen
ßraft gereiften Cannes ju fpüren. S)aS ©ebiet, baS feine
eigenfte Domäne ift, erfcheint fchon jefct mit aller Sicher -
heit umfchrieben; er hat auf oerfchiebeneu (Gebieten Schönes
gesoffen, ganj Eigentümliches nur auf bem ber reinen
£urif: 9totur unb @roS. SDenn feine Starte ift nicht Sin--
Digitized by
29
f$auung unb £<hilberung, fonbern ©mpftnbung unb ©efü^Us
ergufe. Selten ftnb -ftaturgefüfjl unb (Srotif bei ifjm ooll=
ftänbig getrennt; ber eigentliche 9ict^ feiner ©ebtchte liegt
$um Seil eben in ihrem unauflöslichen Qneinanber. (5r felbft
fagt barüber : „Slud) erinnere tdc) mich noch f)eute aufs leb-
haftefte baran, wie mir biefe unb jene $lume ba£ S3ilb ober
ein SBort jener Sorffonfirmanbin in baS ©ebächtnis rief,
wie ic^ eines <wf anbere begehen mußte, ober wie ©e^
ftalt, garbe unb SDuft biefer unb jener anbem 23lume mir
©leichntS für biefe unb jene neue weibliche ©rfcheinung in
bem jtäbtifd&en 2lufentl)att würbe. Qct) fönnte ganje Steigen
oon Stummem aus meinen ©ebbten anführen, bei bereu
@ntftef)ung mir ein beftimmter Ort, eine beftimmte Dtatur--
erinnerung, ein beftimmter 33lütenbuft, biefe ober jene Suft-
unb Sichtftimmung uorfdjwebte; aber immer mufjte ich fie
auch Dergleichen mit ber ^orftellung einer weiblichen 2lnmut,
nach ber bie Siebe fich felmte. Darum werben unter meinen
eigentlich lurifchen ©ebtchten wenige fich finben, welche biefen
3ug nicht atmeten. . . . Unb baS ift ber Äernpunft, auf
welchen biefe 2luf jeichnungen fielen : $)ie 9kturfumbolif ift
bie einsig wahre fiinfUeriföe (Srfaffung beS ©eheimniffeS
ber Siebe unb beS Sebent. 3<h bin W r üon oer Meinung
entfernt, als ob meine ^oefien muftergültige ©rjeugniffe
biefer Gnnftcht wären ; aber eingegeben ftnb fie oon ber <8tou
pfinbung, nermöge welcher ich nicht anberS fonnte, als aus
ber Dtatur bie SJJenfchenfeele, unb aus ber Sflenfchenfeele bie
-JJatur empfangen." Der &u3brucf Snmbolif fann l)ier leicht
ju eng uerftanben werben, unb mein $ater felbft hat fpäter
Digitized by Google
30
manchmal fmnbottfcf) im engern Sinn gebietet. 2lber rich-
tig unb fdjou für bie ©ebid)te oon 1854 burd&auS bejeid);
nenb ift ber 2luSbrucf, roenn man i^n im Sinn eines na*
turaliftifd)cn ^antfjeiemuS, ber eckten Religion ber Snrifer,
faßt, für ben alles f)in unb l;er mögt, alles ^eru, 9ftuSfel,
§8lut an einem großen flörper ift, alles SMüte unb alles
gni^t, für ben £ebeu ntd)tS als Siebe, Siebe nidfjtS als
Seben ift. 2Benn ©oet^e ber eigentliche 5kter biefer bid)=
terifd)en 2Beltanfd)auung unb nad) it;m 3)iörtfe ifjr bebeu^
tenbfter Vertreter ift, fo ift biefe ©runbftimmung am au*-
fd)ließlid)ften, üieHetd)t am reinften bei meinem Sßater oor^
fjanben. SDen S^eij jener älteren ©ebicf)te bilbet eS nun
aber, baß biefe mnftifdje ©runbempfinbung nid)t in fpefula;
tiuer, fonbern in edt)t Inrifdjer, mitunter faft finblid) naioer
gorm oorgetragen ift. (Sine ©efaf)r (;atte bie ganje 9Ud>:
tung : bie ber Sa^roeroerftänblidjfett. Söenn bie große Stenge
fiel) mitunter befragen mochte, baß meines Katers ©ebid)te
uid)t letzter nerftänblicr) feien, fo fonnte er ja füglid) anfc
morten, wie jener 9)iufifer, bem mau fagte, feine Sieber
feien fo ungefd)irft juin (Singen: bic ßerle follenS eben
fingen tonnen. 2lber immer fonnte man baS nid)t fagen
unb namentlia^ oon ben fpäteren ©ebicf)ten nidjt immer,
g-ür größere £id)tungen {ebenfalls mar biefe ganje ©eifteS^
rerfaffung roenig geeignet, ©in ©pifer fonnte biefer 5J)icr)ter
nidf)t werben, obwohl er noa) im 3>a§r 1856 einmal angab,
fett längerer 3eit befdjäftige ifm ber SBerfudfj einer größeren
epifd)en £>id)tung. 2lber ber betrad;tenben ©attung größeren
UmfangS ift er nicf)t gang aus bem 2Bege gegangen; if)r
Digitized by Google
31
gehören bie „Silber oom Sobenfee" an, bie au* einer Kobern
feereife vom Sommer 1852 heroorgegangen finb unb ur=
fprünglich ben etroaS abgegriffenen, aber für bie 2lrt ber
Dichtung gan$ d) arafteriftifdjen tarnen gata 3Jiorgana führen
füllten. S)ie SHeife bient nur äußerlich jur Slnreihung ber
Silber ; an biefen gaben finb aber bie üerfchiebenften ^^an=
tafien über 9tatur, Siebe, philofophifche ©pefulatton unb
patriotische (Smpfinbung angereiht; ba$ leidjtgefchürjte Sere*
ma& ertaubte folcbe freie Seroegung. $)er dichter felbft
bat bie „Silber" fpäter oenuorfen unb in bie britte 2luf=
läge ber ©ebic&te nicht mehr aufgenommen. (Sr mochte enu
pfinben, ba& ba£ eine fchiHernbe ©attung mar, bie leidjt
junt Unflaren unb Nebelhaften führen fonnte. 3a) möchte
bie eine ^robe bod) nicht miffen; e3 finb Sfijjen, ungeorb^
net unb miHfürlio), aber fie finb cmpfunben unb haben eine
gemiffe filberne £eud)ttraft. — ©ine üerme^rte 2Iu$gabe ber
®ebichte, etroa fünf Viertel ber erften, erfdjien 1858. 2Be=
nigeä ift hier geftric^en, wenige* leicht umgearbeitet, manage
bebeutfame GJebtchte neu hinzugefügt; bie erften jioei s ilb=
teilungen, bie ihrem Qn^alt nach boa) nicht recht ausetnanber
5U ^Iten roaren, finb in eine jufammengemorfen, bie britte
hat jefct bie lleberfchrift „(Sjfurfionen am Söobenfee". —
3m 3ahr 1883 erfa^ien bie britte Auflage, bie nun freilich
meit mehr als baS mar; fie nennt ftch felbft „uermehrt unb
aus ben Derfdn'ebenen Sammlungen üeroottflänbigt". 8)ie
3ahl ber einzelnen ©ebichte ift balb triermal fo groß als
1854. Manches Sllte ift überarbeitet, nicht immer mit ©lücf,
wie eS fo oft geht: bie neue Segart ift öfters richtiger, aber
Digitized by Google
32
weniger anfpredjenb inib flüffig. hieben bem, was aus ben
$wei erften Auflagen unb ben jwifdjen 1858 unb 1883 er-
fd)ienenen fünf weiteren 6ammlungen aufgenommen ift, ent=
^ält bie britte 2luf(age aud) einiget gan$ neue.
3m Qa^r 1865 trat mein $ater mit einer neuen Samm^
hing f>ert>or; bie „9teuen ©ebidjte" erfötenen mieber bei
(Sotta, in bret Unterabteilungen ,,(5rlebte3", „23lumen auf
©räber", „%üx unfere 3eit". 3n bcr legten Abteilung fianb
unter anberem ba$ alte „ s Jiur einen 3)iann aus SWitttonen ",
außerbem eine ^In^n^l non SBallaben InTiorifcfcpoltttfdjer 2lrt,
weld)e ganj be3 SDid)terö befonbere SBeife folgen ©egen=
ftänben gegenüber jeigen. (Spiid) finb fie ganj unb gar nid)t,
motten e3 aud) nid)t fein: ,,3d) f)atte aus biefer ©attung fo
mandjeS wie mir fdnen ju trocfen ÜieferierenbeS oon anbern
gelefen, baS bie gorberung au^ubrüden fdjien, unb auf baS
man bie öetjauptung baute : fo müffe es fein. 3)Mne 6d>eu
fyieoor liefe mid) alfo minber $u 93alIabenfioffen greifen. 2Bo
id) e3 aber bennod) tl;at, ba fc^ien mir bebeutfam, ba3 äußer=
lidj Stoffliche in ber (£r5äf)lung burd) ben Gfjarafteräug ber
pftjc^ologifccjcn ftaufalität 3U pertiefen." $)af)er finb nad)
ber 2lrt oon Sdbiller3 ßaffanbra mef)r ©elbftgefpräd)e, £)ta;
löge unb ät)nti<^e pfnd)ologtfd)e ©ituationSbilber barauS
geworben, bie wirfli^ f)eroifd)er ©röße unb bämomfdjcn
dUifö nid)t entbehren; nur bie atemlofe, fahrige j£>aft be$
2lu*brud£ jeigt ^ier , wie in mannen anbern fetner $e\U
gebidjte, baß wir uns nidjt im 3«ttrum be$ fpejifif^en 2a=
(etitl biefe^ 3)id)ter3 befinben. — Tiefe ©attung, bie üb=
rigen3 1854 fdjon angebeutet erfdjeint, ift bann nod) befon=
Digitized by Google
33
berS gepflegt in ber 1869 im felben Verlag erfajienenen
Sammlung „$)en beutfd&en grauen", mit ben mer Abtei-
lungen „SBom eignen £er$en", „grauengeftalten", „ßenau
in äBien", „grembeS unb eignet 2oo&". Sdf)on bem Xitel
naä) ift In'er bie 3Serf)errlid)ung beS 2BeibeS ber Angelpunft
be3 ©angen. 216er häufiger als juoor ift bie ßlage uer^
jid()tenber Neigung, aud) bie ßlage um ben %ob ber ©eliebten,
wie benn au<f), rote mir feigen werben, bem £5id)ter sroei
^af)re 3uoor feine grau geftorben roar. 2lm meiften fyavaU
teriftiia) finb bie jroeite unb bie britte Abteilung, in melden
mit bid)terifdf)er $enetration3fäf)igfeit einer 2Injaf)l fjiftorifdf)
bebeutenber grauen unb bem am Problem beS ©efdf)led)te3
$u ©runbe gefjenbeu fienau i^re (Sebanfen unb (Smpfinbungen
abgehört finb. $ieHei$t barf man bei ber üer^ältniSmäfjig
großen %a\)i foldjer ®ebid)te, bie frembeS ©efd&ttf fdjilbern,
baran erinnern, ba& in berfelben 3eit, in roeldje bie beiben
Sammlungen t>on 1865 unb 1869 fallen, aud) bie brama=
ttfdjen Arbeiten meines SBaterS entftanben finb. Seutlidf)
geigt fid) aber in beiben Sammlungen, bafj ber 3)idj)ter jegt
— ni$t auf ber £öf)e feines Dörntens, benn bie ift f$on
1854 erreidfjt unb nodj immer behauptet — , aber auf ber
9ftittag3l)öf)e be£ Gebens angefommen ift, an jener Sonnen*
roenbe, „2Bo bie ©rbe umljer fo feltfam fd)roeigt, 2In bes
-$ad)e«§ oerblüt)ten Horben $>ie Seele il)r Antlifc rounbernb
neigt, 2Bie es fo fülle gemorben." (SS ift etroaS mittäglid), Ijod^
fommerlidf) fdfjroüleS in biefen ©ebicfjten, in benen beaeid)nenber=
meife bie 9kturfreube, bie aud) fjier burd) manches &ieb uer=
treten ift, bo<$nid)t mefjrfo bie Hauptrolle fpielt roie früher.
* if d>e r , »eiträjc II. 3
Digitized by Google
34
SDiefe alte l'iebe fommt roieber Dotier jum Auäbrud in
ber näcfeften Sammlung „Aus frifdjer Suft", roelche 1872
bei Üarl ©rümnger erfc^ienen ift. Sßon ben brei Abteilungen
„Aus eigenem Seben", „Au3 ber 3eit. 1870" unb „Som
$>orf. Silber au$ ber |>eimat" beroegt fi<h bie erfte im
©an$en in benfelben Sönen unb (Stimmungen rote bie älteren
©ebict)te. 2)ie jroeite enthält jumeift HriegSlieber, beren
mein SBater fdjon 1870 in bem mit geobor £öroe unb 5larl
©chönfjarbt pfammenüeranftalteten^efte^^rei^ameraben",
foroie in SipperheibeS Sammlung „3" ©dmfc unb Xrufc"
eine An$al;l hatte ertönen laffen. Sfteu aber ift ber Inhalt
ber brüten Abteilung. (53 ftnb fieben ibuüifdje ©ebichte,
meift im anfpruchslofen SerSmafj trod)aifd)er 2)tpobien. £)er
dichter hatte fdjon früher ibnüifche Xöne gelegentlich an-
gefchlagen. griffe, fröhliche Silber aus ber Qugenbjeit auf
bem 2>orf roaren fdjon 1854, ba3 früher ermähnte „beim
alten ßerrn" in ben Stetten (#ebid)ten, ein retjenbeä ^äue=
licheS gbntt 1869 üeröffentlicht. Aber in ber (Sammlung
uon 1872 tritt ba§ Qbnll in etroaS breiterer üKaffc uor uns
unb jumeift aU eigentliche, mehr ober roentger erjä^lenbe
ober bod) berichtenbe ©dnlberung be3 £anbleben3 unb ber
s }$erfonen, roetdje bie Qugenb be3 S)ichter3 begleitet haben.
@3 liegt ja bartu an fid) fdjon ein Moment retroipeftiüer
Betrachtung, 511 ber bie aufftrebenbe ^ugenb weniger geneigt
fein lüirb al$ ba3 fülle fteljenbe fytytxe 9)?anneSalter ; unb
eine* ber ©ebichte, „£ud) unb £eber", ift großenteils be=
ftimmt, ben ©egenfafc jnnfehen früher unb jefct jur roarnem
ben Äritif ber ©egemoart aufstellen. Aber non grie3s
Digitized by Google
35
grantiger flulturfhidjt ober ioef)leibiger 2ßeltfd)eue ift nid)t$
511 finben. 5)a3 3buU ift burdjauS gefunb, |mmor unb Grnft
äufammenfledjtenb in einer toaljrljeitagetreuen Sdjilberuug
ber «peimat. 30re 3uftänbe unb Sttenföen finb mit bem
2luge ber Siebe gebaut, aber oljne jebe $erfd)önerung fei
e$ na* ®ef$nertfd)em fei e* nadj 2luerbad?ifd)em dufter
gc$eid)net. 9)?ein $ater war ein guter Kenner roie ber £et=
mat überhaupt fo aud) ifjrer üttunbart, unb er Ejat über
bereu litterarifdjen ©ebraud) fefjr nüchterne 2lnfid)ten gehabt *
nur feiten fei fie im Elementaren oljne geiler unb juglei* fo
gebraust toorben, ba& nid)t fcfyriftbeutfdje (Smpfinbung unb
fogar fdjriftbeutfdje SBörter in munbartlicbe gönn geprejjt
roorben wären. @r felbft f)at fid) ber 3Jiunbart §um Iit=
terarifdjen ©ebraudj gar nie bebient, aud) in biefen 3bntten
ntd)t, 100 er etioa oevfafjren ift mie 9)?eld)ior 3Jlei;r in feinen
meifierfjaften Erklungen aus bem 91ie3: er fmt nur ge--
legentlid) mnnbartlidje SluSbrücfe, aber in f$riftfpra$ltdier
gorm, eingeftreut. Qbnllen toerben nie QebermannS ©e^
fdjmacf fein, unb bag in biefen anfprud^lofeu ©ebilben
toeber bie 3"bioibualität nod) bie Äunft i^reö $)id)ter$ auf
iljrer f)öd)ften ©taffei ftefje, mirb mein $ater felbft gemußt
fjaben. 3lber er fonnte oerlangen, bafc man bie 2öaf)rf)eit
unb in ifjr bie ©djön^eit ber 6ad)e §u fid) reben Iaffe unb
ba& man ber fd)lid)ten ©dn'lberung bie Bewegung beS ©e=
müts anfüfjle. gür bie ©tnf eitigfeit , bie fid) über biefe
23auernpoefie luftig gemacht t;at, fonnte er fid) mef)r als
cntfd)äbigt füllen burd) ben Beifall eines oon ben 33erufenften.
griebrid) Söifd&er fdjrieb ifjm: „Wn miß es flehten, 3*>r
3*
Digitized by Google
30
Talent rufe Sie $ur JSbnHe. 3ene Silber haben mich fyofy
lid) erfreut unb eben nun bieten ©ebanfen in mir aufge^
werft. 2Ufo roa* meinen 6ie ju golgenbem: ein größere^
Sbuü, eine roirtltdje ßompofttion ; bebeutenber $mtergrunb A
ber ba3 Sbnüifdje in bie 9Jaf)e beä G;po£ fyebt, nrie in
$ermann unb Dorothea, tiefer £intergrunb : unfer ßrieg ! . . . .
2Ufo: ein fterl nrie 3£;r prächtiger 3<>hanne3 (in bem
Qbntt „Sehn Äitd&enbaner") ; — SDotf*3b9tt; ein Sdja^
Dann ber ßrieg, mächtig intoniert! ©erottterhimmel ! 2U>=
f<f)ieb, ätomarfd?. $>ann ^eimfe^r mit bem etfernen ßreuj
. . . . SdjtufcSlccorb nrieber ibnüifd), bann grofce Sd)lu&=
roenbung mit weitem SBltcf .... 3Jtan fönnte auch einen
franjofifchen ©miffär einführen, beffen $erlorfung3^erfud}
am feften$8rufttafc bc§ 3o^anne^ fc^eitert 2c. 2c." — $iid)er£
53rief hat geroife baju beigetragen, bafe mein 2kter ba3 t)or=
()in genannte 3bt;II „93eim ßirchenbauer" fpäter in* breitere
ausführte unb ju einem noUftänbigen £eben3bilb geftattete,
ba$ aber erft 1881 unter bem £itel „$er glürfltche ßnecbt"
bei Slbolf 23on$ erfd)ien. SBifcherS Programm ift hier nur
311m Seil aufgeführt, ber Jpelb ftirbt eines frühen %obe£
in Slueübung treuer 2Henfd)enliebe, ähnlich rote beS $k&ter&
$ater. £a$ mollte 5Bifd;er nicht recht h^wnter: „9cun
muffen Sie", fchrieb er, „3h* e ©rünbe haben, roarum fie
bann ba3 Sftotbacfige nadj unb nach in ba3 bleiche (nidjt
Gvbfahle 5tuar, fonberu jart bleiche), baä 33aftante in ba3
mehr transparente, 3bnH in (Siegte, baS <5pifd)e tnS Sprifcrje
überführen. Unb ehe ich bie\c $rünbe gehört, glaube id>
mein Urteil nid)t feftficOcn 31t bürfen." SSifcher hatte Utecht
Digitized by Google
37
unb Unrecht dütfyt : benn jene^ Sdjlujjfapitel, in fid) fdjün
unb rüfjrenb, fiefjt nad) bem $orau$gef)enben faft rote eine
$erlegenljeit3wenbung au3; llnredjt: benn wa3 wäre nad)
ber gan3en Vorlegung länblidjen £eben$ unb ber Entfaltung
friegertfdjer Xüd)tigfeit nod& mel anberä mögltcf) gewefen
aU etwa eine glücflidje .god^eit, entroeber trioial moralifcf)
ober berb nieberlänbifd) gefd;tlbert, was beibeä 311m grüneren
md)t gepa&t f)ätteV 3Rem Sater wirb ba$ gefügt Ijaben
unb au&erbem aud), baß epifd&e Erfinbuug£gabe ifnu ner=
fagt mar. (Sie f)ätte fid) bei weiterer gortfpinnung be3
gabenS ntd&t entbehren laffen; fo weit aU er erjagte,
fonnten bie eigenen Erinnerungen, in freier ©ruppierung
natürlich, ilnn ben Stoff geben. So wirb aud) roo^t mancher
fein, ber bie furzen Sh^en non 1872 bem angeführteren
Söerfe r>or$ie&t.
9tafd) hinter einanber erfc^ienen bann 1876 „9?eue
Sieber" (bei Slbolf SBonj ; in fiebert Abteilungen „Maifeier",
„3n ber ßranff)ett", „Sefenntniffe" , „Qafjr unb Sage",
„2)em Sßerbienfte", „ Schief fale", „2)ie Äonfirmanbin") unb
1877 „Berlin" (mit einem Anfang; bei £aHberger), ber
Untoerfitöt Bübingen 311 it)rer werten 3>al)rhunbertfeier
gewibmet. 2)ie jroeite ber beiben Sammlungen enthält ganj
überwiegenb s Jtaturbetrad)tung. „Berlin ift, wer ntd)t fein
unb leben, s JJid)t ru^en unb gebeten fann, $i£ bafe ber
©eift xljx inn'reS SÖeben $)en fpröben Stoffen abgewann".
Sd^on biefe SBorte be3 3Btbmung$gebid)te£ jeigen, bafj Ijier
bae Spefulatioe im eigentlichen Sinn eine größere 91oUe
fpielt aU früher. 2le^ulid) in ben Weueu Siebern, hieben
Digitized by Google
38
reinen SRaturbilbern unb lurifd&en Stimmungen in ber alten
2(rt finbet ftdf) mandfjeä gauftifdje unb f)inroieberum aud)
einige ^Bcrfud^c dfjriftlidjer Slpologetif. (Seit ben Steilen ©es
bieten ift ba3 nic^t gan$ ofjne Seifpiel, aber erft je&t tritt
e3 beutlid&er ^eroor. $ene ©emütäuerfaffung, roeldje, beS
alten ,§aber£ mübe, mit ber SBelt unb mit bem überlieferten
©lauben sugletd) ftd) auäemanberfefcen , baS Sd)öne an
beiben empftnben unb rein fjerau^ieljen möchte: fie 3eigt
fid) am rüfjrenbften in bem ©ebidjt $>ie Äonftrmanbin, ba$
ber $td)ter oorauefdjauenb an fein fleineS £ödf)tercf)en ge=
richtet fjat. (*3 erinnert in ber %oxm an bie alten Silber
uom Sobenfee, ift aber im 3nf)alt oon ftrafferer ©infjeit ;
benn e3 gef)t ber ©ebanfe fjinburd), ba& ber £5id)ter mit
feiner £o<$ter uor ifjrer Konfirmation bie Silber unb
Stimmungen jener 3 e ^ £eben$früf)ling$ burdnuanbere.
Sonft aber fommt mit bem (Grübeln, bem SMSfutieren, bem
fingen nacf) Objeftioierung manchmal ein frember unb er=
fältenber $ug in bie ©ebid&te herein, roo früher üoße^ be=
raupte« ©lücf ober uoffer S<$mer$ rebete. @3 ift baS be=
ginnenbe Sllter, ba$ feine Sdjatten (jereinroirft , ba§ um=
ftänblicfyer, jagrjafter, wecfyfelnber in ber Stimmung macf)t.
$arf iä) an ©oett)e erinnern? es foll ja feine ©leidjftelhtng
fein, nur eine $ergleid)ung ber nämlichen Vorgänge in jroet
gan$ auegefprodjen Intifdjen ^erfönltcf)fciten. 2lud> $oetf)e
f;at ja eine foldje 3eit be3 £;atben 3llter3 gehabt, bie maunig-
fad) uuercmicflid) ift, bie befifcen möchte unb bod) nidjt mel)r
redjt beftfct, jung fein möchte unb bod) md&t mefjr jung ift.
Sind) bie £arfieflung in ben beiben Sammlungen oon 1876
Digitized by Google
30
unb 1877 l)at barunter manchmal gelitten, ©infame ©lätte
unb populäre Haltung ift fdjon guoor ntd&t bie ©tärfe
meinet SBaterS geroefen. Aber jefct wirb er teils umftänb;
lieber. teils gebrängter; er f)at immer uiel oom £efer t>er=
langt, je&t erjer noef) me^r ; er gefällt ftd) mefjr als früher
in Sßerfoniftfationen, Anrufungen, etroaS bunfeln ^Beübungen.
3df) fann baS nidt)t oerfd&roeigen, toaS bamals mancher em^
pfunben $at. Aucf) bei ©oetfje täfet fidt) ja baSfelbe be=
nierfen ; bie natürliche, birefte Ülebe ber 3ug,enb gef)t in
eine fnmbotifdje, orafulofe Lanier über.
3J?ein 2>ater ift alt genug geworben, um jene ^eriobe
fnnter fid& jubringen; baS geigen bie beiben Säuberen, bie
naa) langer ^aufe in ben neunziger ^afjren erfdfjienen finb.
2Bof)l jeigt bie (Sammlung „Auf bem fieimroeg" (1891,
bei (Sotta ; in fieben Abteilungen „£eben unb &iebe", „93al=
laben", „ftunft unb 53erroanbteS", „(Sin £otenfrans", ,,^er^
fönlidj) feiten" , „Sprüdje") bie genannten ©igenfjeiten beS
Stils noä) immer, fie finb audf) nad^er nid&t gan$ abge-
ftreift roorben; auef) ber elegifdje Xon, roie er fd&on im
Xitel erflingt, ift nidbt feiten, oor allem naturgemäß in ben
rüljrenben, fjerjlid&en Biebern auf ben £ob ber jmeiten
$rau ; aber jenes ©rübeln , $of)ren , auef) roof)l Spieren
ift nidfjt metjr. 3Man fte^t, baS ßreifenalter mit feiner
9iuf)e unb ©leiebmüttgfeit ift eingetreten. Auf baS erfreu-
liche aber $eigt fidf) btefer XnpuS ber gefunben AlterS=
poefie in ber legten Sammlung „2)iit acbtjig $af)ren",
1896 bei Gotta erfcf)ienen. TaS Epigramm ift l;ier ganj
befonberS ja^lreid) oertreten, überhaupt faft lauter furje
Digitized by Google
40
©ebtdjte; bie jroeite £älfte führt bie Ueberfchrift „^erjenl;
gefpräche" imb ift größtenteils bcm alten Ztytma ber Siebe,
bei* Verehrung beS (Simg* weiblichen gewibmet. fettere 2BeiS=
fjeit unb ^Behaglichkeit beS Alters fommt neben unoermitt:
berter ©tut ber (Smpfinbung fo erfreulich pm ©orte, bafj
es t»teUetdt)t feine 2krme)fenheit ift/ wenn ich fage : man
wirb nicht fo feiten an ben weftöftlichen $twan erinnert,
©in fonft galliger flritifer ^at angeftchtS biefeS bünnen,
aber inhaltsreichen SBänbdjend gefchriebeu:
ftrifä unb tuarm erfltnget bein ßieb, gern laufet)' id) btm
SBo^llaut ;
2Senn bie Sugeiib »ergreift, jeige ba3 Hilter fitf> jung.
%xo§ ber erwähnten SBeränberungen ift bod), glaube
ich, bie ©efamterjeheinung beS Richters immer bie alte
geblieben. @r felbft mar ftch, wie bie früher angeführte
©teile über 3caturfnmboltf beroeifen fann, beS fpringenben
fünftes in feinem Söefen roohl bewufjt. ßbenfo hat er
feinen eigenen 2Bert recht gut gefannt unb fich leicht ärgern
fönnen, raenn gefmltlofere, aber leichter oerbaulichere SBare
oorgejogen würbe. Slber Ueberbebung ift ihm fremb ge*
roefen. Wahrhafte ©röjje h a * er anerfannt unb fich
ihr willig untergeorbnet.
©S legt fich mir nahe, h^r gleich oon meines Katers
Urteilen über anbere beutfehe dichter gu reben, welche fo
häufig fich au^) 3U ©ebichten unb Sieben oerbichtet haben.
3n ber 2Hitte ftefct hier unbebingt (Schiller. Qch fyabe fchon
Digitized by Google
41
üon bcm Stuttgarter £ieberfran3 unb ber Sdjiflerfeftrebe
oon 1849 gefprod&en unb roenbe mid) mit tbr roteber um
uier Qal^efmte rüdhoärtS. @£ mar bie crfte oon otelen —
nid&t gerabe oon ueununbjroanaig, rote e3 fd&on ^ie&; fein
eigenes ©ebäd&tnte l)at ü)n ba, fo oorjügltd) e£ fonft roar,
etroa§ im Stidj gelaffen — aber bodf) oon roof)lge$äf)lten oter--
unb$roan$ig. 2lufcer ben allgemeineren Jeiern uon 1859 unb
1876 in Stuttgart unb 3)Jarbad), auf bie id) nac^er fomme,
fjat er beim SduHerfefte be£ £ieberfran$e$ einunb$roan$igmal
bie^ebe gehalten, unb jtuar in ben 3al)ren 1849 btd 1853,
1855, 1857, 1863, 1864, 1867 bte 1870, 1872 bis 1875,
1877, 1880, 1883 unb 1893. <5r $at feine Sieben, ent-
gegen bem früheren ©ebraud), alle felbft oorgetragen, unb
toenn er fprad), fonute man fid) in bem weiten ©arten ober
fpäter in bem großen Saal nad) belieben »erteilen, feine
Stimme brang überaül)tn burd). 3« Slnfe^ung Sd&illerS
roar er, mit Seifing ju reben, ein magrer irrenber bitter
unb ftetä bereit, feine i'anje für ifjn ju oerftedjen. Selten
wirb ein SHann an einem anbern, ben er felbft nie oon 2üige
2luge gefeiert, mit foldjer Alraft unb Eingebung gegangen
Ijaben, unb Eingebung an anbere roar fonft gerabe ntcf)t
feine Sadje. ©ele^rt (mt er fidf) nie mit Sdjnüer befebäfttgt ;
aud) bte ißuftrierte Sdfjiller^uSgabe, bie er 1877 für £>aBU
berger beforgte, gibt nid&ts s JJeue3. 2lber er tjatte fia) fd&on
frfi$ fo oollfommen in Stillere äöerfe eingelebt, bafj er
nifyt nur ©ebtd&te, fonbem ganje Partien au£ ben Dramen
auätoettbtg tou&te ; einer 2lu*gabe beburfte er fattm unb f)at
in ber £l)at nur eine ganj geringe alte geljabt. Stiliftifd)
Digitized by Google
42
ift er ja nur in feinen Qugenboerfud&en oon «Spider ab;
gängig, fpäter audf) in ben Dramen nidjt — außer fofern
jeber moberne 2)ramatifer (Schiffers ©djüler ift. Slber er
f)at ©dritter als ben oereljrt, non bem er am meiften ge=
lernt fcabe, ofme ben er fid& felbft fid& gar nid&t oorfteHen
fönne. ©eine ©cfyllerreben finb uncrfd^öpftidE) in bem greife
beS Unuergleid&lidjen, mannigfacf) unb immer neu nadj) ©toff
unb 2lnorbnung, oollfommen gleicf) in jünbenber Sßerebfam;
feit, ber bodf) bie Unterlage beS ©ebanfenS, eines poetifd&en,
fpefulatiuen, etf)ifcf)en ober polttifcf)en SljemaS niemals abgebt;
etroaS }U oft gerät er auf bie gefährliche $ahn beS ©chiller*
Apologeten; aber immer ^at er gepnbet, benn er fpradj) 511
einem ßreiS oon ©trebenben — aus bem &erjen fam es,
$um £erjen ging eS. SDa^ Rehagen im SBeftfc beS SDafeinS
mar nicht feine ©ad)e unb §at ftch im Seben unb in ber
^ßoefie erft fpät bei ihm eingeteilt.
©o auch bie greube an ©oethe. Smmer fyat er ihn
— brauet man baS eigentlich ^u fagen? — oereljrt; er
fonnte erjagen, wie bei ber Nachricht üon ©oetljeS £ob
ein ©chauer burdj bie ©eele beS günf§el)njäljrigen ging.
3lber in ifni hineingeroachfen ift er, rcie fo m'ele anbere, nur
allmählich, unb erft im fjöfjeren 2llter mar es, als er 1882
,5um fünfzigjährigen ©ebächtniS »on ©oetheS Xob ftch in
einem bithnrambifchen ©ebicht oerne^men liefe. @in intimeres
$eqenSt)erf)ältniS ^at er nie ju ihm gewonnen, unb manche
äBerfe beS alten .gerrn waren ihm etwas anttpathifch ; na=
mentlid) in ber Verwerfung beS ^weiten £ei(S gauftS mar
er mit SBiidEjer burcfjauS einig. — SBon ^»ölberlin mar fchon
Digitized by Google
43
früher bic föebe. — gür ilf)(anb f>atte mein Sßater eine
unbegren$te SBerefjrung unb tarn, angefid)t3 ber Nennungen
anberer Snrifer, gerne barauf 3urütf, roa§ baS bod) für
ein ganj anberer £erl fei, bei bem alles ftetä in fdjönfter
Drbnnng, ftet<3 ber 9tage( auf ben Äopf getroffen fei. 6$
mar babei oielleidjt nid&t nur bie 53erounberung be$ SnriferS
gegen ben £nrifer, fonbern nodE) mefjr bie ueiblofe §ofy
adjtung gegen einen 2)?ann, ber in jeber $e$ielmng grunb^
mä&ig oerfdjieben von if)tn felbft mar, burd)au§ beroußter,
feiner URtttet ftets mächtiger, über feine $\tk ftetä flarer
ßünftler. Sie fyaben fid) perfönlid) gefannt, roenn aud)
nid&t oft gefefjen. 2lud) für Uf)lanb3 5lnbenfen mar mein
s ^ater bemüfjt. @r r)at am 16. Dtooember 1862 an Urlaubs
©rab ein ©ebid)t gefprodjen, am 1. Wat 1863 bie ll()lanb=
linbe am 2lmeifenberg bei Stuttgart, am 21. September 1865
Uf)(anb£ <Sr$büfte im ©arten ber Stuttgarter Steberfjalle
burd) feine Siebe eiugeroeif)t, am 14. %ul\ 1873, bem Sag
ber <5ntf)üllung oon Uf)Ianb$ Stanbbilb in Bübingen, beim
gefttnafjl unb beim $ommer$ gerebet unb enblid) am
26. Slpril 1887 ba3 geftfon$ert $u Uf)lanb3 Säfularfeter
in Stuttgart burd) fein ©ebidjt eröffnet, ein $roeite$ mürbe
in bem ßonjert gefungen. — 2lud) an ber (Sinroeüjung be3
£)enfmal$ für 3uftinu3 ferner in 2Bein3berg am 18. Oh
tober 1865 unb an ßernerä Säfularfeier am 18. Septem--
ber 1886 fyat er fid) burd) bidjterifdje ßulbigungen beteiligt.
— 2lin näcfyften oon allen neueren beutfdjeu £nrifern ift
roofjt 3)iörife meinem SBater geftanben; in ifnn mar bie ed)t
lt)rifd)e ^erfönltdjfeit mit oofler Äunft gepaart. Q3eibe
Digitized by Google
44
waren einanber aud) perfönltd) nafje bcfrcunbct unb längere
3ett 9ta<f)barn. $oetifd)e ©rü&e unb 2lufmerffamfeiten
giengen herüber unb hinüber, tiefem Sfteifter, mit beffen
tarnen man einmal „bte ©d)ön^eit benennen roerbe", gab
mein SBater gerne ben ooüen Lorbeer; bag tfm fo üiele
nt$t rannten, tJjat il;m fo wer)e, nrie wenn itjm felbft fotd^eS
roieberfutjr, unb es Ijat it)n ganj oon £er$en gefreut, waljrs
äunet)men, wie mit ber 3*U SflörifeS Stern immer geller
unb ephemere ©rö&en oerbunfelnb leud)tete. Sei 9ttörifeS
Begräbnis am 6. 3uni 1875 unb bei ber für 2)Jörife unb
greiligratl) gemeinsam oeranftalteten geier am 14. Slpril 1877
l)at er ©ebicijte gefprodjen unb, als am 4. 3uni 1880 beS
Sn'ctjterS nmnberbar gelungenes ^ilbmS in (Stuttgart ent=
l;üHt würbe, im tarnen beS Komitees ben ßrans baran
niebergelegt.
2lud& manchem anbem greunbe, manchem £eroS ber
SDtdjtung unb ^unft in neuer unb alter Seit t)at er poe=
tifct) ober rrjetorifdj ein SDenfmal gefegt. 3$ flirre nur
einiges an, was iö) weife; es wirb mir baS eine ober
anbere wof)l entgangen fein. 1851 t)at er Gonrabin ftreugerS,
1856 £inbpaintnerS ©ebäd)tnis gefeiert, 1859 an gerbinanb
gellnerS ©rab ge)proa;en, beS ©d)ülerS »on Kornelius, ber
in Stuttgart fein Talent leiber nid)t jur sollen ©eltung
bringen fonnte. $mi ©enoffen in ber ©ictjtung, bie ju
bem engeren greunbeSfreiS meines Katers gehörten, £ubwig
Seeger unb ^ermann $ur$, t)at er, ben einen 1864, ben
anbem 1873, am ©rabe gefeiert unb wenig SWonate uor
fturj ben 3U früt) wblicrjenen Slbolf öocmeiftcr; bem
Digitized by
45
9ttatf)emattfer SReuföle, ben ein llnglürfäfall aus noHer ©c=
funbheit 1875 wegraffte, hat er bie (Brabrebe gehalten.
Wlit greiligratf) war er wäbrenb beffen legten Lebensjahren,
bie er in Gannftatt jubradjte, befrennbet unb fyat 1878 fein
£>enfmal mit eingeweiht. 33ci ©hafefpeareS breifjunberts
jährigem QubUäum 1864, bei ber Enthüllung von Wepler«
&enfmal in 2öeilberftabt 1870, bei ber Einweihung von
Schuberts £>enfmal im Sieberhaffegarten 1878, oon fiauff*
auf bem ßafenbcrg 1882 ^at er feine Seier geftimmt unb
nod) 1883 baS Sutljerfeft burch fein ©ebid)t nerfchönert.
ES mar in ben früheren fahren feines Lebens nod)
allgemeine ©itte bei uns, bie SCbenbe in Sftännergefellfchaft
jusubringen, unb mein SSater ift bei bieler ©ewolmheit bis
Siilefct geblieben. $n bem Heineren Stuttgart ber fündiger
unb fechjigetQahre mar eSleidjt, geiftig SSerroanbte häufiger
um fidt) $u fehen. (Sine litterarifche (Sefelligfeit im engem
©inn gab ed aber nicht unb mein SBater ^ätte and) nid)t
•
hinein getaugt benn er mar gegen jeben 3 roa ng. ® in ^ re ^
r»on ßünftlern hatte bie ©efeüfchaft „SBergwerf" gegrünbet.
Wlein SSater hat ihr nur wenige 3af)re, um 1860 herum,
angehört. 3ene ©efeüfdjaft h«t ein äu&ereS Ritual, baS
eben bem SöergmannSwefen entnommen ift; einem folgen
ftd) auf bie Länge 51t unterwerfen , hat ih m tiidt)t behagt,
fo hat er auch niemal* einer freimaurerifchen ^erbinbuug
ftrifterer ober lauerer Obferoanj angehört. 3Me 2)hifeumS=
gefellfchaft in (Stuttgart hat ihn 1856 311m Ehrennütgliebe
ernannt. Ein fleinerer ßreis litterarifch tf)ättger SWönner
oerfammelte fid& mehr als swanjig Qafjre r)inburd) mit ihm
Digitized by Google
46
ade oieraefyn Sage ©onntag 9?od)mittag$ beim Kaffee; bie
meiften finb fcbon oor iljm balun gegangen.
(Sine befonbere greube (jaben meinem $ater bie SBe=
müfnmgen für bie ©rünbung ber allgemeinen beutfd)en
©djillerfttftung gemacht, roeldje ifjm audj im Qaljr 1864
bie Ernennung jum 2Reifter beS greten £>eutfd)en §od()ftiftS
in granffurt eingetragen ^aben. 3m Sd>mäbifcf)en Stterfur
oom 8. Qanuar 1856 erfdfjien ein Slufruf beS tDürttem-
bergifdf?en ßomiteeS, ber von xl)m mit unterzeichnet mar;
einen SDhnat oor ©d&iHerS (Sentenarfeier, oom 8. bis 10.
Oftober 1859, mürben in Bresben bie Statuten beS ©e=
famtoereiuS enbgiltig feftgeftellt, unb mein $ater mar baju
com Stuttgarter Komitee abgeorbnet. (Sr ift bann von
1860 bis 1865 unb mieber von 1875 bis 1880 Sflitglieb
beS SBertoaltuugSratS gemefen; in ber jmeiteu ^eriobe f)at
er fid) ftetS burdj) einen anbern oertreten laffen, in ber
elften aber fmt er bie SSerfammlungen in Sßeimar flei&ig
befucbt unb babei aud& feine SBefanntfdfmft mit £änbern unb
9Wenfd&en erroeitert.
2lud(j fonft ift er um jene Seit ntdfjt ganj menig ge^
reift, ©eine (Syfurfionen erftrecften ficf) nadf) ©üben bie
ins Serner Oberlanb unb bis nadf) äRailanb , nadf) Dften
bis SBien unb Bresben, nadf) Horben bis Berlin unb bis
in bie ^ieberlanbe. 2ludf) im £anbe felbft Ijat er mannen
23efud) abgeftattet, bei ben eigenen Söermanbten in ©ü&en,
bei ben ©djmägern unb ©d&toägerinuen in Eningen unb
©immerSfelb, bei benen meine Butter faft alle gerien mit
mir jujubringen pflegte, ober bei einem alten 93emftäbter
Digitized by
47
$tfar unb treuen i'ebensfreunbe, bem Pfarrer ©bewarb in
SBartf) bei 2lltenfteig, fpäter in Oppelsbohm, ober bei bem
Pfarrer gaber in ©fdjroenb, mit bem er aud) mehrere feiner
größeren Steifen gemacht f)at, ober bei fHubolf $au£ler,
bem Pfarrer in (Stötten, fpäter in ftlein*8t*ßitgen, bem
2llter£genoffen unb greunbe oon ^ermann $ur$ , ber
unter bem tarnen Ä. föubolf ein paar feinfiunige unb
metleidjt eben belegen faum beamtete 9tooetten oeröffent-
li$t f)at
3n ber jtüeitcn £älfte ber fünfziger Qa^re foüte e3
mit ber äußeren Stellung aHmäfjüd) auftoärts gefjen. 3)cetn
$cter fud)te bei ber pf)ilofop^tfd)en gafultät in Bübingen
ben 2)oftorgrab nad), in ber bamaU uod} oielfad) üblichen
SSetfe burd) gleidjjeitige ©inreidjung. mehrerer Arbeiten:
feiner ©ebtdjte, feiner 3ttorgenblatt;2Iuffäfce aus bem Sieben
ber sßögel unb etne$ nidjt junt Drude gelangten Sluffages
über ba3 SSert;ältniö ber mobernen §ur flafftfdjen ^oefie;
er erlangte bie SMrbe unterm 12. Januar 1857. @m
Qafjr fpäter legte tiefer bie SBorftanbföaft ber elementar-
fdjule nieber unb ftarb einige SBocfcen barauf. Die 3Sor-
ftanbfdjaft mürbe meinem SBater am 13. gebruar 1858
prooiforifa), am 29. 3uni befxnitio mit bem £itel eine«
Sdjulmfpeftorä übertragen, meil fie roegeit be£ größeren
SBad^tum* ber 3iealfd)ule oon bem 9lealfd)ulreftorat ge=
trennt roerben follte. Der ftadrfolger tfieferä als SReftor
ber 2teatfd)ule rourbe (Sljrfmrt. Wein $ater bat fdfcon ba^
maU, ben beutfdjen, gefa)i$tücf)en unb geograpl}if<$en Unter-
rid&t an ber obem ftealfdjule, ben (Sl^art bis ba^tn ge=
Digitized by Google
48
habt f)atte, übernehmen $u Dürfen; er foüte aber noct) ein
paar 3af)re märten.
DaS 3afyr 1859 ftanb unter einem boppelten &tityn,
bem beS italienifchen Krieges unb bem ber (Sentenarfeier
oon ©chillerS ©eburt. £te Dkchricht t>on bem ^Präliminar*
trieben oon Sßtüafranca am 12. 3uli erhielt mein Vater,
als er eben mit gaber auf einer SUpenreife begriffen mar ;
fie raaren höchlich entrüftet barüber. ©ine getoiffe guneigung
ju Oefterreid) mar bem ©übbeutfehen im Vlut, unb $reu§en
^atte nid^t baS miubefte gethan, fie $u erfchüttern. SBährenb
jeboch gaber bis 51t feinem £obe pofitio öfterreidufch ge=
ftnnt mar unb baS als s Jtebafteur beS ©taatSanjetgerS im
3ahr 1866 oiel ju beutlich unb leibenfcbaftlid) gejeigt hat,
mar bei meinem Vater baS Mißtrauen gegen bie öftere
reidjifdje Dlegterung nicht nünber grofc als gegen bie preu&ifche.
©in ehrlicher ©rofjbeutfcher ift er geblieben, bis bie (Sreig;
niffe oon 1866 eS unmöglich machten; ein greunb beS
fpe$ifiid)en ^PreuftentumS ift er niemals geroorben, roohl
aber mit ber %eit ein großer Verehrer ViSmardS. (Sr hat
fich in biefen fingen nicht oiel anberS oerhalten als Vifcher,
ber ja in mehreren fetner fritifchen ©änge bie Probleme
oon 1849, 1859, 1866 unb 1870 fehr äutreffenb entroidelt
hat. £>ie Söfung oon 1859 fonnte SRiemanb beliebigen.
Oesterreich rourbe gefdjroädjt, Stalten fam nicht 3U feinem
natürlidjen Utecht unb ber Sieger mar Diapoleon, ben eS
gar nicht angteng.
Die ganje nationale (Smpftnbung flüchtete fich ctuS ber
©egenroart in bie Vergangenheit, 3U bem großen Sftanne,
Digitized by Google
49
ber nie ein praftifdjer Sßolitifer mar unb bod^ ooll oon
Politikern Siefblidf unb politifd&em ^at^oS. 2lm 10. Sfto*
oember 1859 fanb in Stuttgart ba§ „grofje Sd)iöerfeft"
ftatt, rate e3 oon ba an fnefe, bei bem bie ältere £)td)ters
generation burdj ben £rinffprud& tlf)lanb§, bie jüngere burdf)
meinen SBater oertreten mar. $)ie geftfantate, oon ^tiefen
fomponiert, mar oon tym gebietet; er tyielt bie geftrebe
im 9ieitf)auS unb am näcfjften £ag bie Sftebe jur @imoeif)ung
beS <5d)ifferf)aufe3 in Wlaxbaä). 2U3 §u jenem geft eine
2lu$toalu* au« Sd&illerS ©ebid&ten für bie 3ugenb unb etroaS
fpäter eine foldfje au$ Sdjtller* ^>rofa oerattftaltet mürbe,
mar er mit im 9tebaftion3auSfdmj3. @r felbft fjat oon ber
Stuttgarter geftrebe bie SBenbung feinet (Sefdn'cfä batiert:
„Qdj ^atte in ber SHebe felbftoerftänblid) einen SDanf auS=
gufpredfjen an flönig 2Büf)elm, fo bafe ber anroefenbe £anbeS=
fürft, ber ba3 fönigtidf)e SfteitfjauS $ur 2lbf)altung be3 $aupt=
fefte$ eingeräumt unb ba3 £oftf)eater roie bare bittet 3ur
Verfügung gefteßt Ijatte, mit ttürmifdjem 3ubel begrüfet
mürbe."
Seit Anfang 1861 (mtte mein $ater 2)eutfd), ©efd&id&te
unb ©eograp^ie an ber obern Abteilung ber 9tealfd)ule ju
lehren unb am 28. Qanuar 1862 rourbe i^tn biefe Stelle
mit bem S£itel a(3 ^profeffor beftnttio übertragen. „,£jier
mar e£, mo idf) midf) in meinem Elemente befanb. @£ be=
ftanb ein ferjöner Rapport gtoifdien mir unb ben 3üng=
lingen, unb id& barf miefy nodfj fjeute ber Slnfyänglidjfett
i^rer beften erfreuen." Qn ber $fjat Ijat er bort reiben
Samen ber 23i(bung auSgeftreut, an einer Slnftalt, too ge=
3r i f d>er , »eiträ^c II. 4.
Digitized by Google
50
robe feine £etyrfäd)er für bie allgemeine, befonberS für bie
gemütliche unb Gf)arafter=33ilbung toeitauS bie tmd)tigften
finb. 3$ fönnte Rimbert 3eugntffe aus bem SJiunb alter
©etiler anführen ober auf ben t)er5lidt)en £>anf ^inroeifen,
ber itym bei s )tieberlegung ber 6teHe nad) faft einem IßietttU
jatjrfjunbert Seil geworben ift. Sie SBorftanbfdjaft ber
(Slementarfcfjule behielt er baneben nod) bis 1866, bie ber
(aufmämttftyen gortbilbungäfcfyule, toie f<$on ermähnt, nod)
bis 1872 bei.
©anj 3u berfelben $e\t, ftÖ mein Sater burd) biefe
Ernennung in öffentlicher Stellung emporgeftiegen mar, ge=
lang e$ itym, auf einer anbern 23üf)ne ber Deffentlidjfeit
Seifall $u ftnben. ©r mar unter bie Sramatifer gegangen.
3m llnterfd)ieb oon anbern Snrifern, bie fdjon frülje unb
nod) fpät bramatifdje bleute gefdjmiebet Ijaben, tyat er fid)
erft in ber Sttitte be3 Sebent bem Urania jugeraanbt unb
fiel) auf eine Heine lu^a^t oon ©tüden befctyränft, bie bann
auö) toirflid) ju Btanb famen. @r begann mit einem ©toffe,
ber au3 innem ©rünben unb, roeil er fd)on metyrfadj be--
fjanbelt mar, für ba$ größte SSagntS gelten mußte, „©aul,
ein $)rama" erfdjjien 1862 bei Gotta; im nämlid&en Verlag
ein Satyr fpäter „griebrid} ber ftmite oon ^otyenftaufen,
fjtftortfd&e Xragöbie" unb 1866 „glorian ©ener, ber Bot!**
tyelb im beutfdjen Sauernfrieg, Srauerfpiel" ; 1868 enb=
U<$, bei g-randlj in (Stuttgart, „Äatfer SRartmiltan oon
2Jterifo, Xrauerfpiel". Slußerbem tyatte mein Sater furje
Digitized by Google
51
3eit im Sinne, bie ©efd)id£)te ber Qafobäa uon ^otlanb
(1401 bi3 1436) 3U bramatifieren ; id) f)abe in feinem Oiad^
tag nur einen 3^tel mit genealogifd&eu 9ioti5en gefuuben
unb glaube, baß er nie roirflid) bie $anb an biefen $lan
gelegt Ijat. Wltfyx im ©<$er$ al3 im ©ruft fprad) er ge-
legentlid) uon einem mobemen £uflfpiel, bas in bie Greife
be3 SBürgertumä Ijinein leuchten follte; ber auSgefprod&ene
Qbealift, bem Junior unb realifttfdje ßritif, fo roenig er
itynen im £eben abljolb mar, in ber ^oefie ntcfyt §u ©ebotc
ftanben, märe für fo ettuaS nicfjt ber redjte s J)iann geroefen.
$>ie ßrttifer finb barüber einig, uon ben bramatifd&en
Stiftungen meinet Katers als uon ettuaS in fid) eigentlid)
$erfefjltem 51t reben, bas freiließ burdf) poetifdjje <Sd)ön=
Reiten — man barf roof)l aud) ljtn$ufügen, burd) bramatifdje
Momente — e£ mit mandjem anbern aufnehmen fönnte,
ba3 me()r unb länger uon ber 3^itgunft getragen mürbe.
@3 uerfyält ftd), ba3 fjaben fcf)on anbere gefeiten, äfjnlid)
roie mit ben giuei Dollenbeten Dramen llfjlanbä, fo menig
bie pofüiuen poetifd)en §f)araftere beiber 3)id)ter unb iCjrer
&ramen bireft uergleicfjbar finb — nur bie Sdjbnfjeit ber
Spradje unb manche fcemfdfje @in$eltuirfungen finb beiben
^emeinfam. S)af3 Urlaub im ©runbe fein £)ramattfer mar,
$eigt fid) weniger an ben bramattf<$en Mängeln feiner
(Stüde — Äubtuig ber 33aier ift bramatifd) gar uidjt fo
f<$ledf)t aufgebaut — , alö barin, baß er nur roäljrenb brei
3a^ren feinet Sebent ba$u gelangt ift, bramattfdje Sd&öpf*
ungen $u ooUenben, unb bajj baS eben in ber Qtit feiner
erften politifdjen £()ätigfett unb in 53e3tel;ung auf Stoffe
4*
Digitized by Google
52
von entfd)iebenem politifdjem ©ehalte ber gaß mar. Kur
biefeS äu&ere Moment, ba$ $atf)03 beS $erfaffung*fampfe£
gab U)m bic nad)fjaltige Energie $ur SßoHenbung ber jroet
(Stüde; alle anbern ernft^aftcn $ramenpläne Imt er nad>
furzen Anläufen Tüteber aufgegeben. Ctnetn edjteu 3)rama=
tifer werben ftü) gan^ oerfdjiebenartige 6toffe jur brama*
tifdjen ©eftaltung jufammenbatten ; id) erinnere nur an
Sl;afefpeare, aber auet) ber «reit mefjr aufs ^raftifcH auf
SMalefttf unb Gljarafter gefteßte Stiller, bei bem be^^alb
bie politifcfyen ©toffe ooranfte^en , fjat tu mehreren feiner
Dramen biefe^ (Clement gar nietet ober nur nebenf ablief)
befyanbelt. 2ßa3 aber roid)tiger ift: Schiller fjat aud) in
benjentgen ©lüden, bie ooH oon t)iftorUct>politifcbem (Mjalt
finb, ba3 ©eroidit gan§ unb gar auf bie (Sntnutflung ber
bramatifdjen ^erfonen unb £anbhmgen gelegt; Senbens,
von ber feine Inrtfdjen ©ebictjte doH finb, ift in feinem
Urania, als feiner £auptbomäne , nirgenbä. ©ie ift bei
llljlanb bcutlidt) oorbanben, wenn audf) nid)t plump f)erDor=
brütgenb, fo bod) latent burd) bie ganzen beiben Dramen
^inburet), mitunter fei)r oernef)mlid) unb mdjt immer ganj
gefdjicft angebracht, ©benfo bei meinet Sßater^ Dramen.
9liemanb wirb behaupten, baß fie £enbenj$ftücfe im Bulgaren
Sinne feien, meber auf SBtlbenbrud^ifc^e nodj auf |jaupt=
ntannifdje Slrt. 5lber fie finb gan^ unb gar au3 polittfdjer
Betrachtung unb Stimmung heraus geboren; neben bem
$at§o$ be3 politifdjen ^nljalts tritt uodt) bie rein poetifdje
©d)Önljeit ber Sprache unb einselner Partien fjeroor; bie
pfncbologifdje Cntnridlung ber gelben ift bie f$roäd)fte ©eite„
Digitized by
53
oerabe rote bei Urlaub. Sßeiter aber barf ber Sßergleidt),
wenn er md)t ^infen foff, nidjt geführt werben.
£)ie grofee .godjfiutf) von 1848 unb 1849 roar längft
verlaufen unb uerfanbet. £)ie liberalen 3been mit republu
fanifdjer gärbung waren in Sübbeutfd)lanb E)errfdjenb ge=
blieben. Kit bem $al)t 1862 würbe bie grage uad) ber
@eftaltung SDeutfdfclanbS roteber bremtenb. £)ie bie baf)in
einige bemofrattfdje gartet SBürttembergS fpaltete ftd) in
jroei Sager ; balb waren alte greunbe 31t fettigen (Segnern
geworben. 216er wenn aud; oon ben greunben Greußen*
bie ©inljeit, uon feinen ©egnern bie greil;eit in ben $Borber=
grunb gehoben würbe: liberal wollten beibe fein. tfon=
feroatio war nur bie von beiben betampfte mürttembergifdje
SBüreaufratie, bie mef;r öftcrreidt)ifdt; als preufcifd), cor allem
aber württembergtfd) war. Sie war ber alte ©egner beiber,
ber noä) immer lebte, aber feine s 33efämpfung war nid)t
mef>r neu unb intereffant. (Sin ©egner 00m aftuellften
Qntereffe war bagegen ber ftlerifaltemuS, beffen S -Mämpfung
fd&liefelid) nod) ba3 einzige (SinljeitSmoment be$ beulten
£iberali$mu$ geblieben ift. (§r f)errfd)te in Defterreid) unb
roar in Greußen fe^r begünftigt. 3n SBürttemberg war
um 1860 bie firdjenpolttifdje grage ber 2lngelpuuft ber
polttiidjen Qntereffen. 2)a3 ajfimfterium 9tümelin Ijatte 1857
bie Konvention mit ber fturie üeretnbart, gegen bie fid)
ber Slnfturm in ber öffentlichen Meinung, in treffe unb
Cammer erfjob ; bie Stäube uerroarfen am 12. 3uni 1861
bie ßonoention, ©oltljer würbe Äultminifter unb fd)on am
30. .3<wuar 1862 wuroe ba* ©efefc erlaffen, ba* nun ba3
Digitized by Google
54
SBer&ältniS be£ Staate jur fatljoltfdjen ßirdje befinitit) regelte.
3n jener 3*tt unb SBcroegung murmeln bie erften jroei Dramen
meines SßaterS. (5r felbft wußte religiöfe Csmpfinbung in
jeber gorm }U Träfen unb fjat fie in freier, nid)t befennt=
nt^mäf)iger gorm fo gut gehabt rote einer; er mar au£
einer ©egenb, roo ^roteftanten unb ^at^otifen friebli<$ neben
einanber tuolmen, unb fjat nie etroaS t>on fonfeffioneller
5eütbfd)aft gemußt unb geroollt — $ßrtefterl)errfd)aft roar
e3, roaS er fmfjte unb roaS tlnn im proteftantifct)en ©eroanb
ebenfo roiberroärtig fd^ien nrie im fat Ijolif djen. ßirdje unb
Staat: ba3 ift ba3 Sljema feiner jroei erften Dramen.
3m „Saut" roerben bie ©egenfäfce felbft üorgefufjrt
in i^ren 9iepräfentanten Samuel unb 6ouL SDafe Samuel
unfjtftorifd) 511m §or)enpricfter gemacht roorbeu ift, §at ber
£)id)ter burd) Sd)iHer3 Vorgang im $)on Gartow 51t redjt^
fertigen gefugt. @3 fann un$ jebenfaUS gleid)giltig fein,
ob ba£ ganje SBerfyältnte f)iftotifd) richtig gejeicfynet ift ober
nidjt; beunbemSefer ber altteftamentlidjen ©rjäfjlung brängt
fid) mit ^otroenbigfeit bie SBorftelhtng bes ®egenfafees ber
£f)eofratie unb be3 uon tyx fid) löfenben Königtums auf;
rocnn tiefer ©egenfaß bort üom Stanbpunfte ber £f)eofratie
bargefteüt ift, fo tonnte ein 9)?obevner ben Stiel umbre^en.
Wldn SSater f)at ba3 übrigens nid)t einmal fo ganj getrau.
(£r ift burd)au$ unparteiiid). Samuel ift nur ber Vertreter
be3 großartigen $runbgebanfen3 ber £f)cofratie, pfäfftfdje
föerrfucfyt unb Fanatismus ift if;m fremb unb nur ben
jiingern unter ben $riefter$öglingen eigen — roie man ben
nämlid)eu Unterfdjteb jroifdjen ben älteren, in 2Beffeuber=
Digitized by
55
giften Ueberlieferungen exogenen unb ben jungem fat^o=
Iifd^en @eiftti$en wahrnehmen fonnte — ; ebenfo fief>t neben
bem aufwaflenben, aber gered)tigreit3liebenbcn Saul ber
rücfficbtlo» burdjgretfenbe ^riefterfeinb Slbner. Witten inne
ftefjt SDaoib, ber jwar ©auU ©ibam, aber juoor fchon üon
Samuel jum ßönig gefalbt ift. (Sr geht am (£nbe wie ein
gortinbraS au3 bem 3 u fa mm enbrud) ber $)inge fytxvox,
um beffere Seiten fjeraufäufüfjren. 5Die überlieferte £)ar=
fteüung l;at ber dichter ^ter nidt)t ganj befeitigen mögen;
unb fo ift au£ biefem $at)ib bie fchwächfte gigur be3 galten
StüdS geworben, ein Wann, ber, wenn er bewu&t fo Ijan--
beln mürbe wie er tljut, nur ein oollenbeter Schürfe fein
fönnte. SBenn ba$ Stüd in feinem ©efamttljema an ben
$)on (SarloS erinnern mag, fo gemannt e3 aud) an ©ruft
uon Schwaben, cor allem in bem ©runbfel;ler , baß ber
Äonfttft fchon im erften 2lft fo gut wie fertig bafteht unb
alles golgenbe nur ein weiteres hinabgleiten ift. $)ie Sprache
beS StüdS mar ein fchwierigeS Problem; ich glaube aber,
eS ift gut gelöft; ber altteftamentltche Son mar nicht gan$
umgeben, f>ätte aber, burd)£ ©an^e burd) geführt, ge=
jungen roirfen muffen unb ift baher auf ein paar Inrtfdje
Partien fot^entrtert worben.
©ntfchiebener ift bie Parteinahme bei bem ^weiten
Stüd, ba£ eine bcfannte $fmf e be£ Kampfs ber beiben
mittelalterlichen 3" l P^^^« barftelit, ben Untergang grieb=
rid)S IL tiefer ßampf ift aber ^ier nur bie ©runblage,
baS treiben ber $ird)e nur bie bunfle golie beS ©ai^en,
roeil e£ an einem Sßuuft angelangt ift, wo e£ burdjauS
Digitized by Google
56
unberechtigt unb üerroerflich roirb; alles l'idjt fättt auf bie
Vertreter ber StaatSibee. 2)enn es futb ihrer groei, bereu
Verhältnis $u einanber baS eigentliche £h*ma be* ©tücfeS
ift, griebridh unb fein ßan$ler ^ietro. tiefer, nicht griebrich,
ift in 2ötrflichfeit ber 3flittelpunft beS ©tücfeS. 3n ihm,
beut ©ehilfen beS ßaiferS, erroacht allmählich ber SBiber-
ftreit beS Italieners gegen ben $>eutfchen, ber fnftorifchen
ÜtechtSjuftänbe gegen ben aufgeflärten 2)efpotiSmuS, bie ab-
folutiftifche SDemofratie. griebrich, ber fränfelnbe Sftann
mit ber an bie 2Jtoterie gefetteten geuerfeele, rührt ttltä
menfchlich; baS bramatifche*3;ntereffe ift bei s ^ietro, ber,
ättrifchen bie ©egenfäfce hineingeftellt, raie ^BaHenftein mit
ihnen fpielen, sroifchen ihnen vermitteln roiü — freilich nicht
mie jener jum eigenen, fonbern jum allgemeinen heften —
unb ben nun bie Strafe für biefe Ueberhebung, biefen 21U=
machtebünfel beS ©enieS ereilt. 60 hat baS Stücf mehr
perfönlicheS, menfchlicheS Qntereffe als Saul, benn feine
^erfonen finb mehr als blofe bie Präger von ^rinjipien;
auch im @tn$elneu finb bie garben reicher unb prächtiger,
manchmal faft ju üppig; auf mittelalterliches Kolorit ift
mit gutem Stecht reichtet roovben.
®as .(lirchenpolitifche tritt im „glorian ©euer" ganj
prücf; benn ber ©toff ift bem großen fokalen Kampfe beS
fechjehuten ^ahrfjunbertS entnommen. $>er populäreren
©phäre halber ift baS ©tücf in ^rofa gefchrieben. 2ftein Vater
hat, roie mir ein tfonuolut oon 2luSjügen beiueift, in ber
bamals uorlmnbenen Sitteratur über ben Vauernfrieg ganj
grünbliche etubien gemacht; mag feine ibcale Slujfaffung
Digitized by
57
©euerS, bie in ber §auptfache auf 3immermannS $>ar;
fteHung beruht, richtig fein ober nicht, roaS üerfchlägt baS
bem SDi^ter ? Um fo weniger, als baS <5tücf t>on jeber
Senbenj ganj unb gar frei ift. 9Rem $ater füllte berno*
fratifdt) im beften ©inn unb rannte gmifchen £och unb
lieber feinen Unterfdn'eb; aber er war, wie wohl bie
meiften, bie fid) burdj eigene Straft emporgearbeitet fyabtn,
ein abgejagter geinb jeber Demagogie unb jebeS ©trebenS,
baS ©rojje um ben einen ßopf fürjer ju machen, burch
ben eS über baS kleine ^tnau^ragt. So ift baS Stücf
alles anbere mehr geworben, als ein moberneS fojialiftifcheS
ober auch antifosialiftiicheS 9)kd)merf. @S ift bem (&er)alte
nach nicht mehr unb nicht weniger als baS SBilb einer
großen, berechtigten, aber 3U ihrer eigenen Leitung unfähigen
unb uon ber tlnbübung ber einen, ber Lerneinheit ber
anbern in bie $rre unb ins Söerberben geführten Bewegung.
£)ie giguren in biefem Silbe fiub reich unb bunt gemalt
unb geben bie uerfdnebenften Xnpen öffentlicher Gharaftere
in mannigfacher Slbftufung wiber. $)er £elb felbft er=
meeft reinem menfcblicheS Qntereffe, baS burcr) bie ©eftalt
feiner heldenmütigen Begleiterin Sftarie SBeiganb noch mehr
ins rührenbe gebogen wirb. £>afj ©ö§ uon Serlidnngen
unb (Signum! in oielen fingen baS dufter abgegeben haben,
hat nidht anberS fein fönneu; aber baS ©tücf wirft bodt)
nicht als blo&e Nachahmung, jonbern i)at eigenes, natür=
licheS £eben. Ohne ftraffe bramattfdje SSerfnotung läuft
aücS flott weiter, unb ich h a & e b* e (Smpftubung, als ob
glorian @ener in feiner aniprudhsloferen 2lrt jwar nicht
Digitized by Google
58
ba§ bebeutenbfte , ober baS gelungenfte unter ben uier
Stücfen fei.
3J?cin $ater felbft hielt mehr oon bem eierten, bem
roieber in Qamben gebichteten „SDtarJmiltan oon 9J2cyifo",
ben er nach fleißigen geographifäen unb hiftorifdjen 6tubicn
am 14. Januar 1868 begann unb fchon am 5. 2lpril fertig
£;atte. $)ie ^olitif ber tfurie ift f)ter nrieber ein roejentlidjeS
2lgen£, aber ioie in griebrid) II. bloß negatio, oerroerflid)
geuhilbert; ihr ^anbelnber Vertreter, ber ^ßater gifcfyer,
fpielt im faautyalte be3 ©tücfeS eine ähnliche 9ioHe wie
bort ^ietro, nur baß er nicht fo uoHfommen in ben SSorber^
grunb tritt unb man nie ganj flar wirb, roo ber ©churfe
anfängt unb ber auf feine SBeife bal fechte woQenbe Sflenfd}
aufhört. @an$ unb gar bunfler £tntergrunb ift bie fran=
3öfifd>e ^olitif Napoleons III. unb feines 2Berf$eug3 $3a=
jaine. 3n ben ^auptgegnern 3)Jarimilian unb 3uare$ treten
nrieber nrie im ©aul sn>ei gleich berechtigte ^rinjipien unb
Qntereffen einanber gegenüber; bie Teilnahme be$ £ei"er$
würbe aber größer fein fott>ot)t für ben unglücflicben ty^an*
taften auf bem Xfyxon aU für ben SBorfampfer ber ameri^
fanifchen Unabhängigfeit, wenn nicht bie s $olttü jenes burch
fernere geiler unb noch mehr burd) bie fofort ftd) auf-
brängenbe ©mpfinbung einer in fidt) unmöglichen, niemals
5u roollenben Aufgabe, bie ©adje be3 (enteren aber burd)
bie ©churferei anberer 3Kitt)anbeInber getrübt mürbe ; man
befommt fo baS ©efühl be$ oon 2lriftotele3 oerpönten
jxtapov, be3 ©räßlichen, eine eigentlich tragifche CSmpfinbung
fommt nicht auf. 3»ch glaube mich aud) nid&t ju täufchen,
Digitized by
59
wenn td) meine, ber ©rfolg biefea StücfeS fei ber germgfte
oon allen geroefen; um fo geringer, aU eben bamatä grofee
europäifdje gragen ba$ ^ntereffe an bem Opfer oon Ottere-
taro fefjr fdmell abgeftumpft ^aben.
dagegen tyabtn bie beiben erften Stüde, befonberS
griebrid) IL, e3 aud) jur fcenifd)en £)arfteüung gebraut,
wenn aud) ntd)t für lange Qeit Saul rourbe am Stutt=
garter £oft$eatet am 28. Februar unb 26. Stfai 1862 unb
am 7. Oftober 1863 aufgeführt; üon anbem SBüfmen roeife
id) nur, ba§ ba$ Stüd bem SBicncr SBurgtfjeater angeboten,
aber üou £aube jurücfgemiefen roorben ift, teiU, roeil ber
tf)eatralifd)e 3ufammen()alt in ben legten Elften nidt>t ftraff
unb ftarf genug fei, teils weit ber ßarnpf gegen bie ©eift=
Hdt>fcit in Sßien unmöglich auf bie 23üf)ne gebraut roerben
fönne. griebrid) II. mürbe juerft am ^oft^eater in Weimar
gegeben am 25. September unb 2. Oftober 1862 unb am
12. 2Wär$ 1863; fobann in Stuttgart, unb jmar mit Ieb=
(jaftem SeifaH, am 21. September unb 3. Oftober 1864,
bann in neuer ©inftubierung am 17. September 1867, am
18. TOrs 1868 unb am 5. Slprit 1869. £)ie Hauptrollen
ber beiben Stüde Ratten in Stuttgart ßöroe unb ©runert ;
griebrid) IL fonnte als eine ber ©lanjrollen £öroe$ gelten,
bem fo!dt)e eble, angefränfelte Träumer gan3 befonberS
gelangen.
Tiein $ater ift bura? feine bramatifdjen Slrbeiten in
fieberhafte ^Ijätigfeit unb Aufregung oerfefct morben. 3d)
Digitized by Google
60
weife, rote oft er gegen feine frühere unb fpätere ©eroofm=
l;cit bis nad) 2Jtitternadf)t baran gearbeitet fyat. Au<$ bei
ber ßinftubierung für baä Später war er eifrig t^ätig;
er fefcte feinen ganzen @&rgei$ barein, auf biefem neuen
$3oben ©rfolge ju erringen. Der s Jiücffdf)lag blieb nid)t
au3; nad) ber erften Aufführung be3 ©aul oerfiel er in
einen lebensgefährlichen 3 u ftanb ber Depreffton, ber aber
ebenfo rafch oöllig oorübergieng , wie er erfchreefenb aufs
getreten toar. Auch fonft roar er in jenen fritifchen Sauren
um bie fünfunboier$ig tyerum, bie fcfjon manchem übel mit*
gefpielt haben, öftere franf, jumal ba fie für ihn Safere
angeftrengtefter Arbeit unb gefpanntefter Erregung waren.
3<h erinnere mich einer ferneren Sungenentsünbung unb
zahlreicher Anfälle ooit heftigem ßopfweh- ©ein Wagen
roar längere Qeit feljr empftnbticb, bie leid£)teften ©peifen
befamen übel, wäljrenb er fpäter gerabe in biefem $unft
oon manchem jüngeren beneibet toerben formte. Die grünb;
liehe Hebung biefer 23ef<hwerben fd)rieb er bem ©enu& be$
herrlichen neuen 3ünfunbfech$tger3 ju.
kleine 9JUitter tyat jene Qahre ber Aufregungen, ber
©rfolge, aber auch ber (Snttäufchungen, bie augleich an
politifcfyen $rifen fo reich waren, noch erlebt unb innerlich
mit erlebt. Die einfad) erjogene, aber für alles ©rofje
empfängliche grau nahm an ber getftigen Arbeit beS Cannes
lebhaften Anteil, unb ich fann mir, wenn ich mich in bie
atemlofe ©paunung jurücfüerfe^e , mit ber mir bei ben
erften Aufführungen ber Dramen in einer oerfteeften £oge
beS Sweater* fa&en, bie ©mpfinbungen einer bis jum @nbe
Digitized by
61
jugenblid) gebliebenen grouenfeele oergegenroärttgen. 3h re
©efunbf>eit roar empfinblid) geblieben, aber fie war R<$
hart unb hat nie nachgegeben, %reuflei§ig fjat fie bie Heine
^au^^altung in mufterhafter Drbnung gehalten unb ift jeben
borgen mit bem früfjeften auf geroefen. 3m Satyr 1866
traten '&\<f)tn c * ner rafctyeren 3^ftörung ber Hungen auf;
aber erft im Quni 1867 rourbe fie an baS Bett gefeffelt
unb ift nach jetyn-Xagen doU 2lngft unb uergeblicher £off;
nung am 2lbenb beS 15. 3uni entfdjlafen. 2lm 18. rourbe
fie ber @rbe übergeben.
So ftanb mein SBater mit mir allein. 3$ ^atte 1865
baS £anbejamen gemacht, mar aber im Stuttgarter ©nm-
nafium geblieben. Qe&t mußte mein Bater eS Borthen,
ben Haushält aufjulöfen. 3$ km nadt) Blaubeuren unb
für i^n fteng nach faft jroanjig 3atyren ba£ alte 3nngge=
fetlenleben roieber an. $)ie Beforgung ber 2Bofjnung roar
in ben |jänben ber grau beS Hauseigentümers, bie mit
treuer Slnhänglichfeit an meiner ÜHutter ^icng. 2lud) an
einem $reiS trefflicher greunbe fehlte es nicht, bie ttym
gemütliche Anregung gaben, unb mancher fchönen £age aus
meinen gerien roeif? id) mich ju erinnern. 2lber bie SBer-
öbung beS .gaufeS fonnte ber auf ben lebenbtgen SluStaufd)
ber ©efütyle angeroiefene 3)fann, bem eS in ber (Sinfamfeit
nie fo recht roohl roar unb ber auch in äußerlichen fingen
beS Gebens ber Hilfe anberer etroas bebürftig roar, auf bie
&änge boch nicht ertragen.
Stillere banfbarer Schatten half ihm aus. @S roaren
gegen @nbe ber fechjiger 3<*tyre bie Bemühungen um ein
Digitized by Google
62
Senfmal in <5cf)ilIerS ^aterftabt s ^arba4 lebhaft im ©ange.
Wein $ater ftanb felbftoerftänbüd) mitten brin unb Oatte
öftere ben 2Beg nad) 3)iarbad) gu machen. Sort mar e$,
u)o er in $8ertl)a geuc^t, ber jüngften £od)ter aus bem roeit=
befannten .jpaufe jur $oft, feine 3tt>eite grau unb id) eine
zweite, treulich beforgte Butter finben füllte. Sie uerlobten
)id) am 28. Df tober 1869 unb am 15. gebruar 1870, bem
Sage oor bem fünfunbjTOanaigften ©eburtStag ber $raut,
fanb bie £od)$eit in bem ©aale ju 9)?arbad& ftatt, ber
meinen 2kter tyernad) nod) mehrmals als geftgaft unb geft=
rebner gefetyen I)at. 6o Ijatte ber bem 2Uter entgegen*
gefjenbe 9)tann nrieber eine &eimat unb eine ©eele, bie er
fein nennen burfte, eine grau, bie ilnn tfjre eigene 3ugenb
ins &au3 brachte unb mit forgenber Siebe ifm umgab. Sie
ift mit unermübltd)er $reue um tf)n tf)ätig geroefen, if)m
nid)t nur ba$ Verlorene 511 erfefcen, fonbem neues ©lücf
51t fdjaffen. SKuntere $inber, benen fie eine liebeooüe,
ängftltd) beforgte Butter mar, muffen fjerauf unb belebten
baS ftiüe £au3. <Bo 50g bie greube unb junges Seben
wieber ein; aud) bie Prüfung, baS £etb fottte md)t aue-
bleiben.
Sie Sonner bcs grof3cn Krieges fällten in baS erfte
3af)r bes neuen £ausftanbeS fjerein unb über ber SBiege
bes erften Sohnes griebrid), ber am 27. s 3iotoember 1870
geboren rourbe. 3lm 10. Slpril 1874 (am bie einzige
Softer 93ertf;a, am 28. 2lpril 1878 ein sroeiter Soljn ©eorg
baju. 3m Qa^r 1873 l;atte id) meine 6tubien beenbigt
unb fmbe oon ba an ein 3>a^r laug mieber im elterlichen
Digitized by Google
63
§aM gewohnt, fpäter roenigftenS ben aflittagätifd) bort
geteilt. 3* l;abe 3*uge sroeier frönen gefte, aber aud> tiefer
Trauer fein fönnett. 2lm 9. 2J?ai 1876 rourbe baS ©d)iller:
benfmal bei 3Jtarbad) enthüllt; mein $ater fjielt bie 2Beit)c=
rebe unb eine Kantate von i^tu, burd) gai&t fomponiert,
eröffnete bie fjcter. 2ludt) fein eigener fed^tgfter ©eburt^
tag würbe ©egenftanb einer großen f eftlidjen Qkranftaltung
im £ieberfranj. 2lber biefen greubetttagen folgte ferneres
£eib, nainentlid) für bie ©attin, auf bem gufje. 3^r 33ater
ftarb ju @nbe beS %ai)T$, alt ttnb nad) fef>r fdjmerjlid)er
ßranff)eit, unb am 30. Sanitär 1877 erlag mein Sruber
griebrid), ber blüfcenb Ijerangeroadjfen unb fdron in ba£
erfte (Sdjuljaljr eingetreten mar, einem tücfifd&en <Sd)arladj=
fteber. 3$ t)abe ein paar Monate fpäter meinen eigenen
§au3ftanb gegrünbet unb bin fo bem elterlichen £au3 etroaä
ferner gerücft roorben.
3m 3a^r 1883 erteilte bie Stabt Wlaxbaä) meinem
ütfater, ber fidt) ttteljr als triefe anbere um fie uerbient ge^
mad)t fjatte, ba3 (Sfjrenbürgerredjt $u feinem Geburtstage;
er roteS in feiner $)anfrebe barauf Inn, roie nur bie §Ber=
eljrting ©d)iHerS, von bem er fid) roie oon einem geiftigen
$ater abhängig filmte , ba$ treibenbe URoment in ifjm ge=
roefen fei unb roie er alles 33erbienft auf biefeS r>eref)rte
^paupt roeitergebeu tnüffe. ftmti %afyxt fpäter legte er nad)
über fünfzigjähriger ^Dienftjeit fein £e!jrantt nieber. @r
mar 1879 tttdjt gan$ unbebenfltd) franf geroefett, aber t?oH=
tomnten roieber genefen. Qefct famen entjünblic^e Vorgänge
in ber ßeljle, bie aud) fdjon früher bann unb mann ba
Digitized by Google
64
geroefen raaren, öftere f;tntereinanber, unb bic Stimme rourbe
leidet mübe uttb Reifer. SBom Mai 1885 an mufcte ein
2tmt£nerroefer für meinen $ater eintreten, unb im £erbft
faf) er fid) genötigt, feine SBerfefjung in ben SRu&eftanb nad);
jufud&en. Sie erfolgte am 17. SRooember 1885 mit ben
rübmenbften 9hi3aeid)iumgen oou Seiten be$ ßönigS, ber
SBetyörbe, ber Kollegen unb ber ©tobt, in beren $)ienft er
üier^ig Qafjre tfjätig geroefen mar. 9Wan fonnte fürchten,
ber lebhafte 9Jknn mürbe unter bem 2Jtongel einer feften
S^ätigfeit leiben ; aber es mar ni$t ber gaff. Seine Blumen,
feine $ögel, bie eigene $id)tung unb bie £cftüre frember
(Srjeugniffe füllten neben ben geroofniten unb nod) lange mit
alter 9tüftigfeit fortgefegten gelbgängen feinen £ag jur
©enüge aus. £)ie frühere ©efunbfyeit fefjrte roieber, aU
bie Slnftrengung ber Sdnile aufgehört ^atte, unb aud) bie
Stimme, ntd)t mef)r Stunben lang augeftrengt, geroann balb
roieber ifyren ehernen $lang. So fwben mir am 25. Df=
tober 1886 ben ficbgigflen ©eburtltag eines jugenbfrifdjen
©reifes begangen, ber mit frohem SERut fagte: wenn if)m
bic £uft an 2Balb unb gelb erhalten bleibe, „roof)lan, fo
mögen au<$ ad)tjig fommen".
SBalb follte e3 freilid) ftiHer unb einfamer um ifjn
roerben. £)ie ©attin verliefe u)n juerft, um nifyt roieber$u=
teuren. 3$ felje fie nod) al» fjocfygeroacfyfeneS , blüljenbeS
9ftäbd)en unb als junge grau üou impofanter @rfd)einung
cor mir; ^iemanb fjätte geglaubt, ba& fie bem faft breifjig
^af)re älteren Wann im Sobe t)orangef)en mürbe. 3lber
fie mar fd)on in jungen 3af)ren üou empfinbltd&er ^onftitution ;
Digitized by Google
G5
freubige unb fd^merglid&e Erregungen Imben fie leicht ange=
griffen, unb ber Stob beS erften $tnbe3 ift i&r lange nafy
gegangen, ©egen Gnbe ber adliger 3>af)re traten heftigere
93efd)roerben auf. (Sine Operation im Söinter oon 1888
auf 1889 fduen gelungen, im Wlai fonnte fie ftd) ber $on=
firmation ber Softer roentgftenä non i&rem Sager aus
erfreuen unb im Sommer mit ber gamilie einen Kurauf-
enthalt in Urad) nehmen. Slber ba3 Uebet fefjrte balb t>er=
fd)ärft nrieber, unb fcfjneller, als erwartet mürbe, ift fie am
14. 5luguft 1890 nerf Rieben unb im ©rab ifjre3 Söf>ndf)en3
am 16. beigefegt morben.
2)ie Softer mar jum ©lud bem ttnbeSalter fäon
entroadjfen unb t)at ben 3Sater in ben folgenben Sauren
mit £reue gepflegt.
3m 9ttai 1893 fd&ien eS freiCidt), aU ob feine Sage
gejagt mären, ©ben um bte $eit, aU er feine legte
<5d)tllerrebe galten foHte, befiel rtjn eine Sungenent^ünbung,
bie i()n ferner gu 53ett legte unb langfam, aber boef) uoGU
ftänbig geseilt mürbe; ja er meinte nad$er gefünber ju
fein als guoor. Die SSer^eiratung ber Softer am 4. 5Jiär§
1894 madfite §roar bem 3ufammenleben im .£jau$ ein @nbe;
aber fie behielt tljren SBoljnfig in Stuttgart, unb fo fonnte
mein SSater fid& ni<$t nur be3 |>eranblüf)en3 eine3 munteren
(Snfel<$en3, fonbern aud) ber fortbauernben gürforge ber
Softer, roo fte 3flot tf)at, erfreuen. So mar e3 i^m benn
im &au3 nid)t }U füll, roenn er e3 aud) nur mit bem jüngften
Sofnt unb einer treuen Wienerin teilte.
Slucf) an neuen ©fjren fehlte e» tf»m in feinen legten
gif cfier, «eiträije If. 5
Digitized by Google
(58
Sahren nicht. Sie £eimatgemeinbe ©rofc©ü&en erfreute
ifm feinem (Mntrt^tag 1894 mit bent ©hrenbürgerrecht.
Unb wenn er fo in ber engften $eimat bie alte Slnerfennung
burd) eine jüngere (Generation beftätigt fanb, fo burfte er
e$ erleben, bafe fein Stuf auch im Horben $eutfcf)lanb3 fid^
mehr unb mehr oerbreitete. Schon früher mar @. Penning
bort mit feinem £ob hervorgetreten; jefct liefe fich auch
^acoborosfi über ifm oernehmen, unb in $arl SBuffe fanb
er einen jungen Verehrer, ben er um feiner eigenen Surrt
willen Ijodjfdjäfcte.
3d) mu& fagen, ich oergegenroärtige mir meinet SBaterä
93Ub am liebften fo, roie er in feinen legten Qa^ren mar,
als bas Söilb eines grünenben Altera, ©eine forperlidje
(Srfcheinung mar ungebrochen, £)a3 £aupt mit ber mächtigen
©chäbelroölbung, mit bem leuchtenben gelblich-grauen 2luge
faß aufregt auf einem fchlanfen Körper, ber ben hohen
2Buch3 alter Qeit behalten ^atte ; nur auf ber ©tra&e, roo
er feit ber ftttmtyeit r»on 1893 langfam 3U gehen liebte,
fonnte er ben ©inbrucf be3 SUterä machen, ber fofort roieber
fchroanb, wenn er einem feiner oielen 53efannten begegnete
unb ihn in alter £ebhaftig(eit anrebete. ®a$ 2luge, ba§
$um £e)en unb Schreiben fchon lange eine3 ©lafeS beburfte,
fah in ber gerne noch ba3 tleinfte; ba£ Ohr nahm noch
bie leifeften ©eräufche mahr; bie (Stimme mar flar unb
metallen roie immer. (Sbenfo frifd) unb ungebrochen, nur
ruhiger unb heiterer, roar fein Snnereä geroorben. <5r mar
oon auSgefprochen fanguinifcher ©emüiäart, leicht erregbar
unb reijbar; heftige Ausbrüche eines lebhaften Temperaments,
Digitized by Google
67
bie freiließ nie in anhaltenben Ö5rott übergiengen, waren
nid) t feiten. £a3 Slfter ^at ihn ruhiger, gleichmütiger ge=
macht, ohne ihn ab^nftumpfen. SBie er mit unoerminberter
$raft fortbichtete, fo ift er aud) als OTenfdt) finrifer ge^
blieben. @r ftanb bem praftifdjen geben nicht femblid)
gegenüber, aber er lebte in feiner eigenen Sphäre. 2öa3
er aufnahm, erfaßte er mit ben Gräften ber (Smpfinbung;
ber redjnenbe Sßerftanb nnb ber f)arte, unbeugfame 2Biüe
waren (Sigenfchaften, bie er lieber au3 ber gerne oere(;rte.
<$r l)atte feine 2lnfd)anung von ben fingen unb 3Jienfd&en,
unb ba fte burdj ba3 s 3ftebtum ber gefühlsmäßigen (Smpfin--
bung, nicht ber falten, objeftiuen Beobachtung gegangen
war, fo war fie leicht einfeitig, olme Abwägung be$ $lu§
unb 3tttnu3; baljer war er für frembe 2Infd)auungen nicht
ganj leicht jugänglich; aber er lieg fid) überseiigeu, wenn
auch sunäd&ft mit ärgerlichem SBiberftreben, unb hielt e3
für feine SBerflemenmg feiner felbft, auf anbere Meinungen
3U fommen. (Sr seigte fidt> gerne am guten Sag bequem
tjefellig unb liefe ben fd)led)ten nicht 3U nahe an fidt) heran.
<§r ^atte Qntereffe für Tttte! unb warme ©mpfinbung für
ba$ s Bol)t anberer; nur mußte man ihm jur getieften
<5tunbe fommen, beun mit gan3er (Seele in feinen Greifen
(ebenb, wünfehte er nicht fte geftört $u fehen. @r war ein
3)tenfd), ber nidtjt uoEfommen fein wollte, aber ein 3ttann
üoÜ Seben unb Äraft; er war eine 9ktur unb wünfehte
auch um fid) Dktur 311 haben, bei aller (Srnpfjafe, 31t ber
er in ernfthaften fingen neigte, war ihm boch ba3 ©te^en*
gehen ebenfo wie alles ßriecheiüVJtiebrige jumiber. $a£
5*
Digitized by Google
68
2llter fjaite alle biefe (Sigenfcbaften au t^itt oerflärt unb
il;nen ein bef)aglid>e$ Aufrufen ^in3ugefügt. Da3 mar baä
SBilb, ba$ mir im legten 3al)r$ebnt feinet Sebent von ilmi
befamen. 2Bie mandje gute Stunbe fmbe i<$ ba mit $nt
nod) gufammen uerbringen bürfen, wenn bie gerien mtd>
nad) (Stuttgart ober — (eiber r»iel feltener, beim e3 30&
ifjn fett beut £obe ber grau jebe£ %a\)x nad) Urad) —
if)n na$ Bübingen brauten! Unb bie fd)önften waren bie
ftiden 9iad)tftunben / wenn tuir 311 £au$ nod) um bie £ampe
f)erum faöen unb oon biefem unb jenem, er immer am
(iebften oon ben (Großen im öeift, rebeten, wenn wir ba
aud) öftere au etuanber gerieten unb uns fd)lief$lid) mit
£ad)en unb mit bem ^ewujstfein gute s Jtad)t boten, bafe bie
$erfd)tebenl;eit ber Meinungen neben ^lieber Siebe unb
gegenseitigem ^erftänbnte roof)l 9iaum t;abe. „Borbet ift
nun ba3 2lfle3 unb fe^rt nimmer 10."
Der $erbft 1896 unb ber aa)t$igfte ©eburtstag tarn.
fjerau. Die unerfd)öpflid)e $>rifd)e ber legten ©ebtd)tfamm=
hing, bie im grüljjaljr erfdjieneu mar, lag and) auf biefer
geier, bie ben ©reis mit Blumen unb ^Beinen, mit greunb=
fcbaftSgrü&en unb e^renbeseugungeu oon allen (Seiten über*
fdjüttete. @3 wollte un$ bange werben, ob if)m bie 2Renge
ber Aufregungen nid)t fdjabeu föunte. 3lber er Ijat tapfer
aufgehalten. Der SSiuter mar gut, unb feine 2Nilbe ge^
ftattete fleißigen ®ebraucb ber frifd)en £uft. 3m grüfjjabr
warb mein v 4kter noeb überrafd)t burd) bie SJHtgliebfdjaft
be* s $egnefifcben 23lumeuorben$ in Dürnberg, ber einigen
jener Dtd)tergefellfd)aften alter ^tit, am -eben
Digitized by Google
69
ift. 2lm (£nbe be$ 2lpril3 erfaltete er fidö ; eine ganj letzte
(hitjünbung ber £unge fteUte ftdh ein. Sie fd)ien bereite
lieber gehoben 3U fein, als iljn am 9]ad)mittag beS üierten
•äftaies in ©egenraart ber Softer, bie feine £anb in ber
irrigen hielt, ber £ob (eis unb unmerfltd) überfd)attete,
Don s Jiiemanb erwartet, von ihm felbft nid)t gefüllt; er
tarn tym „wie ein leidjter £raumgefang, vom 9lbenbrot
gefungen. "
2lm SIbenb beS fed)flen 9)laie3 raurbe mein ^ater non
einer unzählbaren -äftenge 31t ©rabe geleitet, £)te Siebe
unb SBereljrung Vieler tlmt fid) noch einmal in rül;renben
Korten funb. (Sr mürbe 3U SBeib unb flinb in* ©rab
geteuft. $)ie $ögel fangen ihm in bie ©ruft nad), Sonne
unb leidster Sprühregen eines raechfeluoHen grüljlingStageS
ergoßen fid^ barauf. 2Ber bort oben an bem ©rabhügel
fteht, ber fic^t weit im SBogen baS fdt)öne Stuttgarter Xfyal
unb bie 9iecfarberge oor fid) unb mag fid) gerne beffen
erinnern, ber für biefe Sdjönheit manches ^ichterroort ge=
funben hat.
©0 ift ein reifes £eben fd)ön 3U (£nbe gegangen. 2öir
hatten uns gebadjt, es gehe noch ein paar $>a1)xt, möglidjft
uiele fogar, fo weiter. 2lber es ift wahr, raaS uns jum
£roft gefagt raurbe: wenn es einmal fein muß, lieber §u
früh fpät.
„2Benn bie ©reife finfen, jum ©rab gereift,
„2)a3 ift ein fanfteS klagen,"
fo hat er felbft gefagt, unb mir bürfen es uns auch fagen,
bie mir ihn immer oermiffen werben unb bod) mit ber
Digitized by Google
70
(Summe feines Sebent aud) fein (£nbe glüdfUd) greifen
muffen: tu vero felix non vitae tantum claritate, sed
etiam opportunitate mortis.
Digitized by Google
$or mef)r alä einem Sn^rje^nt &at fidj ferne non ber
fd^roabifd^en Heimat ba£ £eben eiltet fömäMföett $Denfer3
unb £)id)ter3, eines beutfdjen $aterlanbäfreunbes gefdjloffen,
ba3 an ^nfjalt unb an bramatifd) pacfenbem äußerem Ver-
lauf gleid) retd) roar unb burd) innere unb äufcere ©türme
ju einer rooljltfjuenben, frieblidjen 9M)e unb Ülarr;eit ge^
fü^rt rjat. ©3 foH ^ier in fur$en 3"9 en bitftä £eben ge=
fc^itbert werben.
griebridf) £f)eobor 3iifd&cr würbe am 30. Quin 1807
ju £ubrotg3burg als Sorjn be$ Ober^elfersS geboren; burcb
feine Butter roar er mit ber gamüte bcä $)id)ter§ Stäub;
lin , etroaä entfernter aud) mit llfjlanb r»erroaubt. 2>er
$ater roar ein liberaler Geologe im Sinne jener 3eit be$
SftattonaltSmuS unb ein ÜJlanu non glüljenber S?atertanb^-
liebe. @r ftarb, als fein Sof>n erft fieben 3al;re alt roar,
aU ein Opfer ber pflichttreue, mit ber er fidt) in ein %T)\*fyu&
fpital geroagt §atte. $)ie Butter 50g nad) Stuttgart. 3n
bem lebhaften ftunfttretben ber Stabt gab e3 für griebrid)
(benn fo rourbe ber So(m genannt, nid)t £f>eobor, roie jefct
Digitized by Google
72
oft 51t lefen ift) fünftlerifd&e Anregungen genug; aber bie
bilbenbe Äunft, wie er roof)l bamalS roünfd&te, $ur Sebents
aufgäbe 3U mad&en, reiften bie Littel ntd&t ju. $er ilnabe
mürbe für bie &aufbaf)n feinet Katers beftimmt. 3»m Safyxe
1821 tarn er in ba3 niebere tfjeologifcbe (Seminar QMau=
beuren. 2Benn irgenb einer „Promotion" junger Geologen
ba3 ®(üdt in ifjrer ©cminarseit fegenSreid) unb oorbebeu;
tenb geleu^tet tyat, fo ift e$ bie geroefen, roeldjer $ifd)er
angehörte. ®* mar in ifyx eine aud) in ben roürttember;
giften ©eminarien, bie bod) immer fd&on eine geiftige ©Ute
in ftd) fdjliejjen, feltene >$a1)l Don bebeutenben Talenten,
bie ifjr ben oftge^örten Hainen ber „©enie^romotion" ein=
getragen Ijat. fteben SBifdjer ift oor allem griebrtd) Strauß
ju nennen, ber fein £ubimg3burger Sanbämann mar unb
fpäter fo oft in gemeinfamem Kampfe neben t&m geftanben
ift; ferner G&riftian Wläxüin, bem ©traufc ein rü^renb
fdf)öne3 £)enfmal ber greunbeeliebe gefefct [jat, unb ©uftao
$ft§e«, ber ate ©enior ber fdjroäbiföen £id)ter SBifd&er
noä) um brei Qafjre überlebt f)at. SluBerbem Ratten bie
Qünglinge ba3 (BIM, jtoei roirfltd) bebeutenbe Sttänner ju
Seffern ju baben, bie ^rofefforen SBaur unb lern, beibe
fpäter ^ßrofefforen ber Geologie in Bübingen. SBaur fmt
feine tfjeologifcHritifcbe SL&ätigfeit erft beträchtlich foäter
begonnen ; aber burd) 2Biffen, £efyrgabe unb einen @()arafter
oon feltener ©röfje mar er fd&on feinen SBlaubeurer ©Eitlem
ein glüljenb oeretjrter fie^rer. ^aju bie gefunbe SRafjrung,
meiere eine romantifdje ©egenb mit rauher, aber frifc&er
SBergluft bem ©emüte ber Jünglinge gab: fein Söunber,
Digitized by Google
73
wenn biete ftets mit freubiger ©rinnenmg an bie wer Qa^re
in SBlaubeuren $urücfbad)ten. Unter $8ifäerS ©ebbten ift
eines ber ergreif enbften jenes, in welchem er beS „Qugenbs
tf>alS" gebenft. 2lud) in Bübingen hatte bie Promotion
baS ©lücf, bie t>eref)rten früheren £ef)rer nad) einiger Seit
lieber als Sßrofefforen begrüben ju bürfen. 33ei ^Sifd^er
unb {einen greunben, unter benen cor allen ©traufe unb
9)?ärflin <m nennen finb, bitbete übrigens bajumal baS pfyilo--
f opfnfc&e ©tubium ben Sttittefpunft aller tfjrer 23efd)äftigungen
unb Qntereffen. £egels SBerfe brangen eben bamalS in
baS Tübinger Stift ein, in roeldjem }<$on burd) bie offizielle
Slnorbnung beS ©tubiengangeS bie spijtlofophte eine bebeu-
tenbe Spotte fptelte ; biefer lefcte unb grofeartigfte SBerfudjj
einer einheitlichen SBeltanfdmuung , einer plnlofophiichen
3ufammenfaffung alles menfchlidjen SBiffenS unb $>enfenS
l)at auch auf bie jugenblidjen greunbe einen tiefen, be=
geifternben ©inftufe geübt unb für längere 3 eit *(J rem SDenlfen
unb gorfchen Dichtung unb Qki gegeben. £)ie ^l)i(ofopl)ie
unb $nmr in biefer hofften fpefulatioen SluSbilbung ift aud)
für $ifcher nod) lange ber roefentliche (Begenftanb feiner
©tubien geroefen. @r ift nicht nur ber plnlofophifdjen £eiU
roiffenfdjaft ber Steft^etif zeitlebens treu geblieben unb einer
ihrer bebeutenbften Vertreter geworben, fonbern h at ftch
auch mit ber eigentlichen phüofophifchen ©pefulation öfters
unb mit 2luS$eid)nung befd)äftigt; in fpäteren Sauren lag
eS ihm namentlich am #er$en, bie roenig gelaunte tieffinnige
^ilofop^ic feines SanbSmannS S\axi ^land gu ©Ijren ju
bringen. $on ber %f)toio§it, meldte bie greunbe anfangs,
Digitized by Google
74
*
nur nicht im Sinne ber Drtfjoborie, fonbern in fyfytxex
fpefulattoer SluSbilbung, noch für oereinbar mit ihrem
philofophifdfjen Streben gehalten Ratten, entfernten fie fich
weiter unb weiter.
^ifcherS äußerer Lebenslauf nad) einer glängenben
gangSprüfung mar noch für ein paar Qa^re ber ^erge-
brachte theologifche. Rachbem er ein %al)x als Sßfarroifar
auf bem £anbe tierbracht hätte, würbe er 1831 Repetent
in bem theologifdjen (Seminar HWaulbronn, jugleich erwarb
er fidt> ben ^Doftorrjut burch eine 2Ibf)anblung über bie
($lieberung ber $)ogmatif. $ann machte er oon 1832 auf
1833 bie wiffenfcfmftliche 9ietfe, bie ilm weiter herumführte
als anbere / nach Böttingen, Berlin, Bresben, -»München,
unb ihm nicht nur bie 53efanntfcf)aft mancher bebeutenben
Männer üerfdfjaffte , fonbern auch ben @ntfd)luß in ihm
reifte, fich ber Sßiffenfdtjaft ber Slefthettf ein für allemal
SUjuwenben. 9kch Schwaben rjeimgefe^rt trat $ifcber in
bie ©teile eines Repetenten am Tübinger Stift ein, wo er
nun wieber mit ben gteidfjftrebenben Strauß unb 3?Zärf(in
fdf)öne Qa^rc geiftiger ©emeinfehaft lebte unb fchon nach
höheren glügen bes ©eifteS auSfchaute. £)a3 theologifche
3lmt h^tte er immer mehr als eine feinem (Seifte nicht
paffenbe geffel anfehen gelernt ; fo bemühte er ftdt) mit (5r;
folg, eine 1835 ihm gu £eil geworbene geiftlicfje 2lnfteHung
rüdgängig ju machen, unb ließ fich 1836 als ^rbatbogent
für beutfehe fiitteratur unb Slefthetif in Bübingen nieber.
3>aS 3ahr 1837 brachte gunächft bie aufeerorbentliche, baS
3>ahr 1844 bie orbentliche Sßrofeffur für biefe gächer. gaft
Digitized by Google
75
ein 3ar)rgehnt uerfCofe unter erfolgreicher £ehrt£)ätigfeit unb
eifrigem <Stubium, au§ meinem manche bebeutenbe fdr)rift=
ftellerifche Seiftungen ^eroorgingen unb in welchem ba3
große Sebenäroerf, baS £ehrgebäube ber Slefthetif, üorbereitet
würbe. SDte $orlefungen 23ifd)er3 erftrecften fidt) bamatö
wie fpäter auf nerfchiebene Xeile be3 äfthetifdjen unb
litterarifchen ©ebietS; er gehört gu benen, welche guerft
©ötheS gauft gum ©egenftanb afabemifcher 58orlefungen
gemacht haben; auch praftifdje Ue6uugen hat er nad) Uhlanbä
Vorgang eingerichtet. Sine Dieife nad) Statten, bem nad)-
her oft mteber aufgeführten, unb nad) ©rted)enlanb, 1839
unb 1840 unternommen, vermittelte bie birefte 2Infd)auung
alter Slunft unb eines $8olf3tum3, ba$ in oielem noch e»9
mit ber autifen 2Belt gufammenhängt. Sine fchmergliche
£üde in bem glüdlichen SBirfen trat ein, a($ $ifd)er, Dx-
binariuS geworben, am 14. gebruar 1844 feine 3fatritt&
rebe hielt, in ber er mit bem ifmt eigenen greimut feine
äßeltanfdjauung barlegte. SDie ortljobore tljeologifdje Partei
fiel mit ©rimm über biefe ^ebe fax, auch anbere fanben
bie ©rengen be£ afabemifchen Vortrags überfdjritten, unb
es gelaug in ber %1)ai, ben berebteu SWunb auf einige $z\t
ftumm 511 machen : SBifdjer mürbe für gwei 3af)re be3 Rechts,
^orlefungen gu r)attcn, beraubt ; eine ShiSfrinft, burd; welche
ba3 ihm nicht übelwoflenbe SRimfterium es erreichte, ihn
menigftenS in 5lmt unb SBürben (äffen gu fönuen.
£)a£ bewegte Qahr 1848 brachte auf größerem ©d;au=
plafc neue, anbereartige, aber aud) nicht ftetä erfreulidje
Arbeit. SBifdjer mürbe gum Stbgeorbneten in bie granf--
Digitized by Google
76
furter Rattonaloerfammlung geroählt unb ^at als ©rofc
beutfcher, als s J)titglieb ber gemäßigten Stufen, in einer &(n*
liehen Stellung etwa roie Uhlanb, bort bis julefct ausgeharrt.
6r gehörte mit mehreren £anbsleuten bem ßlub bes 2Bürt=
tembergcr £ofeS an, h a * aber in wichtigen fingen eigene
Stellung genommen unb ftd) bei ber tiefgretfenbften grage,
ber über bie ßrblid&feit beS ReichSoberlmuptS , ber 2Ib=
ftimmung enthalten. (£s mar ihm in grauffurt nicht monier
als anbem; ^flidjtenfonflifte unb Aufregungen oon allen
Seiten. Söifdjer hat baS bort angebrachte $ahr fein harter;
jähr genannt, aber bie Pflicht in fiap gefüllt, auSjuhalten ;
aud) nach Stuttgart ift er mit bem Rumpfparlamente ge:
gangen, roo er von Anbeginn an machtlos in Oppofition
gegen ben immer weiter linfs brängenben Taumel ber großen
Majorität ftanb.
AuS ben Sifcungsfälen beS Parlaments, mit ferneren
(Snttäufchungen belaben, fehrte SSifdjer ju feinem Tübinger
£ehrftuht jurücf, aud) bort fid) unbehaglich fühlenb ange-
ftd)ts ber ftetgenben Reaftion, bie, roie er malzunehmen
glaubte, fein treiben als £ehrer mit ArguSaugen beob=
artete.
©in Ruf nach 3ünd), als profeffor an ber Umoerfttät
unb bem ^olutechntfum, bem er 1855 folgte, oerfefcte ihn
in eine sufagenbere Atmofphäre, in bie angenehmen, freien
unb lidjten SBerhältniffe eines bebeutenben SBilbungSjentrumS,
roo ungehemmte ^Bewegung unb Aeufjerung beS ©eifteS
möglich unb erroünfdjt mar. (Slf Qahre ^at SStfcher in
3üritf) 3ugebradht. Auch bort fanb er fich md)t in allem
Digitized by Google
77
bef riebigt, feine fenftttoe Dktur na&m an mand&em Slnftofe,
roa£ anbere gleid&giltig geladen f)ätte. Slber er &at e$ nie
bereut, in ben eigenartigen, bie Energie be3 2BilIen$ an-
fpannenben $erl)ältniffen ber Üiepublif gelebt su fjaben.
2)ie immer lebhafter roerbenben Bewegungen ber beutfdjen
«geimat ^ogen tyn enblid) $urütf. @r würbe 1866 in ber
alten (Sigenfdjaft nad) Bübingen jurndberufen unb naf)m an.
(Sr trat unter ganj anberen 9Serl)ä(tmffen, mit ber Dollen
3Jtöglid)Feit unge^inberten 2£irfen3, in feine alte Mjrfteüe
mieber ein; aber aud) fn'er ftedten ftcf) «gemmniffe tu ben
2Beg. 211$ Slnge^öriger ber gro&beutfd&en Partei mar $i)d)er
im engften afabemifd)en Greife etroaS ifoltert; ber Setrieb
ber SBtffenfdjaft fmtte fid) geänbert, bie $pi)ilofopl)ie mar
an tfjrem alten Sifce feine (Srofemadjt mef)r; bie Heine
Stabt beengte ifjn. Sieben ben SBorlefungen in Bübingen
roaren aud) oon 3*i* 5« 8*ü fold&e am ^oh)ted)nifum in
Stuttgart gu galten; mit ber 3eit mürbe biefe SBerbinbung,
roeldje oftmaliges Reifen notioenbig machte, aQ^u läftig; im
^perbft 1867 rourbe ausgemacht, bafj s XUfd)er im Sommer
in Bübingen, im SBinter in Stuttgart lefen füllte, ©in
9hif nad) 9J?ünd)en oerurfad^te neue S^eifel, unb enblid)
entfdjieb fid& SBifdfjer, feine X^ätigfeit auf ba$ Stuttgarter
^olnted&nifum $u befebränfen. $5ort fyat er im ©anjen jiuei
^afirje^nte lang als Jjod^oere^rter £e^rer einer banfbaren
Qugenb unb eines ausgebeizten ßreifeS nid)tsafabemifc^er
3uf)örer geiuirft.
25er 2lu3gang3punft oon $ifd)er3 litterarifd&er £f)ätig=
feit mar bie $)}f)ilofopf)ie. 2luf ba£ ©ebiet ber Geologie,
Digitized by Google
78
imb jroar nur bcr hiftorifdjen, h at er ftch blofe in feiner
erften Qtit einmal begeben, inbem er 1834 gemeinfam mit
einem älteren ©ruber bie ^Derfe be3 mittelalterlichen Xf;eo-
logen Berengar oon SourS (be$ nämlichen, beffen ^Bieber--
auffinbung eine ber befaimteften gelehrten Stiftungen £effing3
geroefen war) fjerau3$ugeben unternommen ^at. (Sin p^ilo-
fopfjifcher 3ug, ein lebhaftes SBeheu fpefulatioen ©etfteS,
fauftifcheu (SrfenutnilbrangeS burd)$tel)t alle feine Sßerfe;
auch ba£ <2tubtum ber £itteratur, bie eigene £itf)tung, bie
3ntereffen uub Strebuugen be* £age$ betrautet er gern
unter Ederen ©eficht^punften, ftellt fie gern in p^t(ofopr)ifdi)e
Beleuchtung. Weht freilief) fo, ob er nun ben lebend
Dollen ©eftalten beä roirflichen S)afeiu3 bie Bläffe be3 ©es
oanfena aufräufeln mürbe ; ju jener gä^igfeit, ba3 ©ro&e,
Mgemeine, ßroige auch im kleinen, (Sinjelnen, 2lHtäglichen
511 finben, gefeilt fleh vielmehr ein fd)arfe$ 2luge, ein feiner
Tmv für ba3 ©egenftänbliche, für bie plaftifche uub farbem
reiche güfle be3 Realen. $Dtefc Bereinigung jroeier (£igen=
fchaften, bie fidh nur bei roenigeu gorfchern in fo feiner
uub bebeutenber 9lu3bilbuug jufammenfinben, mufite faft
notmenbig auf ba$ äfthetifche ©ebtet führen, alz auf meinem
beibe sufammentreffen, auf welchem bie Bereinigung betber
eine uuabiDeteliche gorberung für gebeihliche£ ^orfchen ifc
3n ber Xljat maren fchon bie früheften fchriftftetlerifcheu
Arbeiten Btfcher3 ber 2leftf)etif genribmet, unb noch feine
fpäteften haben Anteil an ihr. 2luf wa$ er fein energifd)e$
teufen juerft geroenbet hat, ba$ mar bie eigentlich philo*
fophifdje, fpefulatioe ^lefth^tif, bie ^^ifofop^ie be3 Schönen.
Digitized by Google
79
Sn ifjr würbe er nid&t allein burd) feine perfönlid&e gein-
fü^igfeit für ba<S ©df)öne fjingeflogen, fonbern aud) burd)
ba3 begeifterte ©tubium ber ^ß^ilofop^ie £egel3, in roeldfjer
bem ©d&önen eine befonberä ^ofje ©teilt angeroiefeu ift.
3>n ber Xfyat fyat er and) im ©eifte £egel£, nicbt aU
fflatnfcber 9Zadf)af)mer, fonbern als felbftänbiger gortbilbner,
fein eigenes äft^ettfdt)e^ 6t)ftem entworfen. @r|l gab er
1837 einen meloerfjet&enben Vorläufer beSfelben in ber
gtän^enben ©d&rift: „lieber bal <Srf)abene unb tfomifclje";
bann folgte üon 1846 bis 1857 ba3 mächtige, fiebenbänbtge
s 2ßerf : „2leftf)ettf ober 2Biffenfd)aft beä ©d&önen", in roeld&em
er in ber burdjbadjteften gorm bie Siefnltate langjährigen
gorfd)en3 gegeben f)at. 9ttan barf e3 rooljl fein Sebent
werf nennen; {ebenfalls ift e3 baSjentge, roeld&em er am
nteiften feine ©tettung in ber 9Biffenf<$aft oerbanft. ^Bifd^er
mar in fpäteren Qaljren mit ber pfjilofopljifd&en gaffung
beSfelben in mannen fünften nidjt mefyr einoerftanben unb
bat felbft Beiträge $ur Äritif berfelben gegeben, ^ebenber
an £egel gebilbeten äußeren gorm beS fpefulatioen 2luf«
bauS fteljt aber nodfj ber aufjerorb entlief) reiche ®ef)alt beS
fac&lidjen SöiffenS, ber feinften Bemerkungen über ba3 ©d&öne
unb bie einzelnen fünfte, unb biefer mirb nifyt veralten;
üielmefjr mirb SBifdjer roof)l ju jeber Qtit, beren SDenfen
mit bem unfereS Qa^r^unbertS nod) in einem inneren
fammentyang flehen mirb, unter bie leitenben ©eifter auf
btefem ©ebiete ber gorfdjung geregnet roerben.
$n fpäteren ^fafjren f)at ftdfj SSifdt)er üon ber fpefuta=
tioen 5left^etif meljr ber angeroanbten jugefefjrt, ber ner=
Digitized by Google
80
ftänbniSöoflen Betrachtung ber bilbenben fünfte, nodf) me^r
aber ber fdjönen l'itteratur. Um Heinere Arbeiten ju tiber--
get)en, mufj cor allem an bie tief einbringenben, uon wa\)X'~
t)aft funftlerif$em unb pr)tlofoptnfd)em ©eift erfüllten über
©oetf)e$ gauft — baS SBerf, in bem wie in feinem jroetten
s $oefie unb Sptjüofoptjie eins geworben finb — erinnert
werben, <5<$on in fetner erften Qtit l)at SBifdjer bie £ttteratur
über ben aufmerffam oerfolgt unb frittfd) befprodjen;
wenn er fiel) bamalS gegen bie oerfdnebenen Sftobetoüfjeiten
in ber ©rflärung be3 ©ebicf)t3 mit feiner fdjarfen (Satire
gewenbet r>at , fo fjat er ein 9)?enfcf)enalter fpäter, 1875,
in feinen „bleuen ^Beiträgen" 5ur Jtritif beS gauft befonberS
bie innere ©ef$id)te be$ SBerfS verfolgt. $er zweite Xtil
war tym ftet3 antipattjifd), fo wenig er aud) große <5d)ön=
tjetten im ©injelnen rerfannte. (Sr Ijat 1862 in feinem
berühmt geworbenen „brüten Seil" be£ gauft bie mnftifdjen
SBunberlid&feiten beä ^weiten parobiert, unb 1886 ift biefe
Sßarobie in jweiter Auflage erfd&ienen, bereichert namentlid)
burd) vortreffliche fatirtfcfye Silber au* bem politif^en
Seben ber $e\L 2lber aud) pofttioe Angaben Imt 3Sifct)er
barüber oerfucht, wie ein roirflicr) bramatifetyer ^weiter Seil
beS gauft 5U geftalten gewefen wäre.
SSifdjer ift auef) in feinen litterarifd^en Stubten ftetS
non bebeutenben, über ba3 einzelne unb kleine fyinaufr
gefjenben Slnfd&auungen getragen, ©ewiffenljaft im (Srwägen
aud) be3 Unwefentlidjeren, ba3 immerhin $um ©ro&en fidt>
wie ber Stein jum ©ebäube uerhält, ift er ein greunb jeber
grünblidtien unb pofitio förberfamen gorfdmng. 2lber er
Digitized by Google
81
fief)t ftetl barüber ^inaul; er §ält el — unb wer roürbe
if)m, angefid&tl monier grenflenlofen SBertrrungen uuferer
mobernen Sitteraturforfd&ung in bal 2Wereingelfte , nid^t gar
p oft 9led)t geben müffen? — er Ijält el bei Slufroanbl
oon ©etft unb Qtit mä)t für roert , aßen JMemigfeiten, bie
iljrer Statur nadj) feinen Settrag 3U bem Söerftänbnil bei
©angen geben tonnen, mit ernftfmftefter 23efliffen()eit nadj=
pjagen, unb faum tft er irgenbroo geiftreidjer geroefen all
in bem föftlid&en „©efang ber Gräften", ber bie -äftifrologen
unter ben ©oetfjeforfd&ern aufl präd)tigfte uer^ö^nt. 3$m
fd&einen fol<$e an ber ©d&olle flebenbe gorfd&ungen um fo
üerbcrblirfjer, all er felbft gu ben bemunberuben Serefjrern
©oetfje! ää^lt, beffen grofjel SBtlb burd; foldje Slmeifenarbeit
inl kleine unb Unbebeutenbe Ijerabgejogen §u werben bro^t :
©oetfjel unb ©f)afefpearel, meiern lederen er gerabe in
ben legten Qa^ren einen befonberen £eil feiner afabemifd&en
^ätigfeit geroibmet f)at. ©old&e berounbernbe $eref)rung
ift jebodt; feinelroeg! blinbe Eingabe; benn niemanb ^at bie
Sdbroädjen ber ^oefie bei alternben ©oetfje fo rüdl;altllol
bargelegt wie $ifd)er, unb nodfj wenige 3af)re uor feinem
@nbe fmt er im ©oetl)e=3>al)rbua) fjödfjfl bebeutfame Söinfe
§um allgemeinen Sßerftänbnil bei 9JZeifter! gegeben.
(Sin Wann oon fo frifcfjer ßraft, bie ättelt 31t erfaffen,
fann bei einer $8efd)ränfung auf bal ©djöne, auf bie ber
raupen 2Birfltdtfett eutrüdte 2Belt ber ßunft unmöglich ftefjen
bleiben; er imifj and) in bie prafttfd&en gragen ber $eit
fein 2ßort breinrcerfen. ©0 au<f) 3Sifdr)cr. 3n feinen brei
Sammlungen t)ermifd)ter 2luffä(je : „$rttifd(je ©äuge", 1844;
% i f d> e r , 93eiträge II. 6
Digitized by Google
82
neue golge berfelbeu, 1860—1873; „2Ilte3 unb 9ieue§",
1881—1882, fyat er, neben ben fragen ber ßunft, ber
fiitteratur, ber Söeltanfd&auung im ©rofcen, anti) ben 2lnge=
legenOetten ber $eit fein fraftooßeS 2Bort gelteren. @3
finb nidf)t allein bie jebe£ £erj erregenben fragen nadf) ber
enblicijen ©eftaltung ber oaterlänbifd&en £inge, nad) ber
Umgeftaltung ber theologifdfjen ^orfteliungen unb ßtnridf):
tungen, welche ihn jum hieben bringen; audf) bie S8crfe^rt=
Reiten ber (Sitte haben ihm, julcfet nod& in bem befonberS
erfdn'enenen ©dfjriftchen : „9)iobe unb (SrmtemuS", 1879,
grimmige ©pottrebeii enllocft, auch bie Ungezogenheiten
gefelligen $erfehr3 roeife er 5U gei&eln, unb oor allem hat
ber warme greunb ber £ierroelt [ich mehr aU einmal ge=
trieben gefüllt, bie in uuferer occibentalifchen SBelt jo oiel
verbreitete STierfchinberet mit ©forpionen ju süchtigen. $)a3
ift fein ^erabfteigen von ber ,£jöhe pfjilofophifcher 2lnfchau=
ung, feine ßrniebrigung be£ fpefulatioeu DenferS ; beim im
(Sittlichen gibt es fein Äleine3, fein ©leidfjgiltigeä, aud) ba£
kleine ift ©nmptom ober 2Burjel einer allgemeinen ©efinnung
im ©rofeen.
SBifdfjer ift nun aber nidht blofe Genfer unb gorfcher,
er ift auch dichter; er ift in biefem Zeil feinet SBefenä
ben meiften erft in fpäteren Sauren befannt geworben, unb
in ber Xfyat gehören bie eigentümlichften unb grofjartigften
(Schöpfungen feiner $idjterinbioibualttät erft feinem legten
3af)räel)nt an. Slber fchon in jungen Qa^ren fyat er ber
a)tofe geopfert; ba3 3af)rbudh fchroäbifdfjer ^Did^tcr unb 9io--
uelltften, welches -äflörife unb $imm ermann für 1836 herauf
Digitized by Google
83
gaben, brad&te unter bem angenommenen Tanten 21. £reuburg
mehrere ©ebtd&te unb 9]ooellen oon il>m, raeld)e ben
Sterben biefeS Sllmanaajs gehörten. £eiber &at berfelbe
fein großem Sßubüfum gefunben unb ift o^ne -ftadjfolger
geblieben.
SDem größeren Sßublifum ift junä^ft unb jumeift ber
$umorift SSifcfyer befannt geroorben; ü>m oerbanft e3, ab=
gefe&en oon ber fdjon genannten gauft-Sßarobie, bie berühmt
gemorbene $ref)miabe „6djartenmater£" unb ben unter bem
gleiten ^feubonnm tut nämlidjen, unoergtetdjbar föftlidjen
$l)ilifterftil oerfa&ten„3)eutfc&en ßrteg 1870/71", in meinem
burdj ben barocfen £umor ber fittü^e (£rnft be3 mannen
$aterlanb8freunbe£ oft genug beutlid) f)inbur$ bricht, einiget
anbere ift erft nad) feinem £obe burd) bie Sammlung „Slllotria"
befannt geworben.
&umor ift freiließ überhaupt ein, oielleidjt fann man
fagen ber ®runb$ug oon SBifdjerS ^oefte ; «gumor aber eben
nid&t in bem gan^ trtoialen ©inn ber ©pa&mad&erei, fonbern
in bem tieferen unb tiefften, melden bie Sleft^etif biefem
2Borte beilegt. 3Bol)l besagt ifjm audj ber einfädle ©pafe
of)ne ^intergrunb unb £enbenj ; es roiH i|m nidt)t hinunter,
tuenn bie £eute fo grämlid) finb, wenn fie ju flug jum
Ijarmlofen Sad&en fein motten, unb bie rufu'gen ^Ijilifter ber
SBierfneipe mit ifjrer breit-gemütlichen £uftigfeit finb tfjm,
roie Wlöxiteä „©ommerroeften", einSabfal nad) bem ©efdunafc
be3 <Streber3, ber ifm aud) in ber Sftu&eftuube nodj mit
^odt)ftilificrteu Sieben oerfolgt. Mein einen tieferen Unter*
grunb be3 £umor$ unb 2öifce3 oerlangt er nrie oon anbem,
6*
Digitized by Google
84
wenn fte £5id)ter feigen wollen, fo oor allem von ft<$ felbft.
(Sine fetner banfenSroerteften litterarifd&en X&aten ift es ge-
roefen, aU er ©ottfrieb Heller au$ fetner Unbefanntfjeit
^eroorjog ; ntd&t §um roenigften f)at i§m an ßeller gefallen,
bafe er fo ^erjl;aft luftig fein famt, ba& er ben Wut Ijat,
ftcf) um bie (Sinroürfe eines p^tliftröfett s 3teali3mu£ bann
unb wann einmal gar nidjtö 511 fummern; aber er wäre
ifmt bod) nid)t ber bebeutenbfte (Srjäfjler ber ©egenroart ge=
ruefen, wenn nidt)t ein tiefer (Srnft, eine uia^aft ftttlidje
SBeltanfdjauung unb eine poctifdt)e ©eftaltungSfraft ofme
gleiten baf)inter ftäfe.
SBtfd)er $at aud) ber einfadjen, ^armlofen £uftigfett
feinen Tribut gebrad&t in bem fletnen, fc^iüäbifd^ gefdjriebenen
Suftfpiele „SKid&i I a" (1884), ba$ fi<f) in ber föraäbifdjen
Heimat, aus beren ^erfjältntffen e3 fo red)t fjeroorgegangen
ift, fdmeü jafjlreid&e greunbe gewonnen &at. Sonft fef)lt
aud) bei tym niemals jener tiefere lintergrunb. $ieHeid>t
am fdjärfften tritt er fjeroor in ben oon einer juüenalifdjeri
(Sntrüftung eingegebenen, im SDienfte ber <5tttlid)feit unb
be3 Patriotismus bie SBaffe be£ unbarntfjersigften $of)n3
fdjrotngenben „(Epigrammen aus 93aben=$3aben", roeldje 1867
Sucrft erf<$ienen unb red^t ein (Schnitt ins faule gleifd) ge=
roefen fütb. (Sine bebeutenbe Atolle fpielt ber $umor auc £
in $ifd)erS lurifd)eu ©ebid)ten, bie er unter bem Xitel
„£nrifd)e ©äuge", an bie fritijdjen ©äuge früherer 3al)re
erinnemb, 1882 herausgegeben Ijat. 3)te (Sammlung ift
aber aud) reid^ an klängen anberer 2lrt; fie enthält eine
9?eif)e ber fdjönften perlen, beren 33eftger ftd) fedlid) in bie
Digitized by Google
85
norbere fitnie unferer mobernen £id)ter [teilen barf. Selten
wirb man unter ber 9ttaffe fonuentioneller £nrifer einen fo
originalen ^oeten futben, ber fo ganj er felbft ift unb fein
null, ber oom luftigen 6dnoanf bis jur f)öd)ften SBegeifterung
unb bis ju fauftifdjer ^erfenfung in bie unentwirrbaren
Sßelträtfel fid^ fo immer neu, immer offen unb mannhaft
barftefft.
9tod) in feinem £obe£jaf)re 1887 fjat SBifd)er mit fei=
nem $üf)nenfeftfpiel §u U^lanbg ©äfularfeier in ergreifenber
2Beife bie Saiten angefdjlagen — raer Ijätte benfen mögen,
ba& ba3 bie Seiftung eines Sldu^tgerS gemefen fei?
2lm meiften in beu 2Jiittelpuuft feiner $latux bringt
man, wenn man ben im Qa^re 1879 guerft erfd)ienenen
Cornau: „2Uu$ (Siner, eine 9teifebefanntfd)aft" lieft. 9tt$t
unrid&tig f)at man bei biefem Sud) an Qean $aul erinnert,
beffen Ijalboergeffenen tarnen $ifd)er in feinen äft^etif^eu
€>d)riften be3 öfteren roieber in ©rinuerung gerufen f;at.
2)er Junior be* 2Berf* ift bem Qean ^aute ebenbürtig;
nidjt miuber bie gülle mannigfaltiger Sejie^ungen, nidjt
niinber bie in fdjeinbareni 2)urd)einanber unb frummen
SBegen fid) befjagenbe Anlage be3 ©an$en. 216er man barf
lüoljt ofyne Unbilligfeit gegen ben älteren §umoriften fagen,
ba§ ber geiftige «gintergrunb be3 $hi<$e5 ein bebeutenberer
ift al3 bei 3ean ^aul. @3 ift l;ier in einem millfürli^en,
frei gemähten 9ftaf)men, in einer gorm, bie frei genug ift,
um fid) ber reid&ften güUe be$ 3nf)alt3 $u bequemen, ein
23 üb ber kämpfe, ber 2öiberfprüd)e, ber mannigfaltig oer-
f djiebenen unb serfefcten Qntereffen unb 3uftänbe ber ©egem
Digitized by Google
86
wart gegeben, rote e3 faum ergreifenber gegeben roerben
fonnte. $er £etb be3 Stomanä ift, gleicf) bem SBerfaffer
beäfelben, mit einer ilm oft quälenben feinften Cmpfhtbßffc
feit für bie taufenb llnüollfommen^eiten be3 $)afein§, für
bie 9tabelftid)e ber gemeinen SBirflic^feit begabt unb oft
genug ba3 Opfer biefer (Smpfinblidjfeit. Slber baneben ift
er ber 9ttann, fiel) mit einem mutigen ©prung über biefe
©lenbigfeiten $u ergeben, von einer füfjnen ^fjantafte, einer
leicht entjünbbaren Seibenf<$aft ftd) baljin retten ju Iaffen
unb borf), ben $olarftern be3 Sittlichen, baä ftd), roie er
fagt, „von felber üerftefjt", nidjt auä bem Sluge oerlierenb,
ftd) $u einer raatjrr)aft großen (Srfjabenljeit über bie Seiben
ber SBelt hinaufzuarbeiten, ©o roenig eS richtig roäre, in
bem frei, gum £eil ^öd&ft pf)antaftifd) erfunbenen äu&eren
3ufamment)ang ber ©ef<^idt)te überall perfönlidje (Srlebniffe
finben ju wollen, fo wenig fantt zweifelhaft fein, baf$
$ifd)er bie ©rjä^lung benugt l;at, um in fie unb in bie
gigur beä «gelben bie tiefften (Smpftnbungen feiner eigenen
Seele ju gießen. @3 ift ein mit poetifdjer Saune oft frauS
geformtes 2Berf, aber ein SBerf, ba» t»on ber Siebe ju höd)fter
Schönheit unb ©ittlichfeit burd>glüf)t ift; e$ ift feine Kaffee-
tifd)leftüre, e3 ergibt fid) nur bem ernft nacfybenfenben Sefer
üollfommen — bem aber bereitet eä ©tunben ljo£;en, geiftigen
©enuffe».
Tlit ber unoerminberten geiftigen 91üftigfeit, welche in
ben ©djöpfungen be3 ©reifet h*™ortrat, Ijielt bie förperltdje
Digitized by Go
87
gleiten <Stanb. £ro$ ber Steigung gu (Srfältungäfranf Ivetten,
meld>e ber £efer be3 SftomanS unb ber £t)rifdjen ©änge jur
©enüge fennt, mar $8ifd)er3 ©efunbfjeit bi£ ju feiner töb=
liefen ©rfranfung fef)r feft. 9tur ba3 Sluge mar in ben
legten 3af)ren erfranftunb bro^te immer fdjroädjer $u werben.
Slber bie anbern Organe blieben gefunb. $ifd)er f)ielt fe^r
mel auf förperltd)e £üd&tigfeit unb mar befliffen, fie ftd)
ju erhalten. 3>em flott bafjinfdjrettenben, faft elegant auf*
tretenben 3Wann tjätte man bie adjtjig $af)re nod) btö jus
lefct ni$t angefe^en. 2lud) bei öffentlichen §8eranftaltungen,
gumal bei ben £ulbigungen, welche Daterlänbifdjen ©röfeen
bargebradjt mürben, fehlte er nidjt leid)t. 2Bie er in 3ürid&
beim Sd)iHerfeft unb bei ber Totenfeier für Ufjlanb bie
geftrebe gehalten ^atte, fo faf) man tyn am 6. ^uni 1875
an WoxiteZ ©rab fielen. $Den wetfieüollen Söorten, bie
er bort fprad), liefe er fünf 3afjre fpäter bei ber (Snt^üffung
be3 Stuttgarter Sftörife^enfmals bie Sftebe nachfolgen,
weldje, ein Sttufter ebelfter !8erebfamfett , allen Syrern
unüergefelidj geblieben tft. 9U* im gebruar 1882 ^Bert^olb
2luerba$ geftorben mar, liefe SSifd^er fid) nid)t abgalten, ber
23eftattung auf bem fjod&gelegenen ßird^of non Dlorbftetteu
bei rcibrigem SBtnbe beizuwohnen unb bem greunbe 2Borte
be3 2lnbenfen3 nad^urufen. 3^ei ^afjre fpäter mürbe
bie ©ebenftafel an ©traufe' ©eburtäfjauä in SubroigSburg
enthüllt. £>ie alten greunbe, bie fo lange miteinanber ge=
gangen waren, waren in ©ntjweiung gefd&ieben. 5113 Straufe
feinen „Sitten unb neuen ©lauben" ueröffentlid&te , fonnte
$Bif<$er baS glauben3ftd)ere »efenntnid be$ «Materialismus
Digitized by Google
88
unb ben $a6erfüHlen Stampf gegen bie Uberale Geologie
nid)t mitmadfoen, fo ferne er au<f) felbft ben tfjeologifd&en 2lu=
fd&auungen blieb. @£ tarn furj oor ©traufe' Xobe ju einem
23ru<J)e; 2$ifcf)er l)at ferner baran getragen unb war gerne
bereit, als bie gamitie beS alten greunbes i(n 1884 einlub,
bie 2Seiljerebe ju Ijalten. ß* mar, als ob eine gälte in
feinem £>afein geglättet märe.
Ueberf)aupt — es mar ein erfreulicher Sllnblicf, nrie
ber -Dtann beS leibenfdfjaftlidjen (SmpfinbenS, ofynean lebenbiger
Alraft einjubü&en, in ben ©reifenja^rcn fein Söefen milber
dlutyt unb Weisheit ausgeglichen unb oerflärt geigte. Sie
f neblige Stimmung beS leibenfdfjaftstofen SllterS, bie manche
feiner fpäteften ®ebtd)te jeigen, mar auch if}iu felbft immer
mehr geworben. Verehrt unb geliebt, bem ftampf entrücft,
hat er feine legten Lebensjahre augebracht. 2IIS fein
jtgfter ©eburtStag fjeranrücfte, mar eS feinen greunben ein
SBebürfntS, ihn feftltd) §u begeben, unb 33ifcr)er entsog fid)
nicht. 2lm Slbenb beS 28. 3uni 1887 fanb fidt> eine geft=
oerfammlung jufammen, für meiere ber herrliche ^onjertfaal
ber £tebcrt)atte faft 3U flein mar. $ifcf)er mar in ber ge=
hobenften (Stimmung unb ift , urie ©ofrateS, oon feinem
©nmpofion als einer ber Sefeten heimgegangen. SDie ©tubenten
feierten ihn am 30. 3uni felbft in bem frönen ©arten ber
©ilberburg. 2tuf bie gefttage folgte ber ©emefterfchlufc
beS ^olntechnihuns. Sßifcher gebaute in ben gerien SBenebtg
ein lefcteS 3)ial 311 befugen. (Sinige 3eit ^ clt er M mit
feinem ©oljn in Piesbach auf. Sßon bort ging er, fdf)on
franf, nach ©munben, unb ift bort am 14. ©eptember fanft
Digitized by Go
89
entfchlafen. @r würbe am 17. September auf bem prote=
ftanttfcfyen griebhof von Smunben beigefe&t.
SWgemein war bie $8eftür3img unb ber ©d&merj ber
greunbe, alä bie Nachricht oon feinem Xobe in bie Heimat
gelangte. 2Iber audh eine unauSfprechlicf; t>erjöhnltche Snu
pfinbung mar babei: er ift baf)ingegangen fdjmerjloä, mit
feftem ©emüte, au£ ungebrochener ©eifteäfraft heraus; nach
einem gefte, ba3 if)n bie Verehrung unb $)anfbarfeit einer
ungezählten Schar oon geiftig SBerbunbenen in r>oHen Qü%tn
hotte trinfen (äffen, ift er ber dlMtefyx in ba3 graue Einerlei
be3 £age3 uberhoben roorben : ein paar frohe 2Bod)en noch
im Greife feiner gamilie unb bann friebltdje 9tu$e am Ufer
be» £raunfee3, in ben Sergen Defterreichä, bie fein $er$
fo oft erfreut hatten.
2öa3 fyat 33ifdt)cr^ Xob uns geraubt? ^Bewegte er noch
neue ©ebanfen §u fchöpferifdjer Xfyat in feinem raftlofeu
(Reifte, beffen lefcte ©eburt noch aller früheren uöllig mürbig
gemefen ift? blühen noch Schäle in feinem $ulte, bie mir
bereinft ju genießen fyaben werben? £)ie ^ietät feinet
<5ohne3 h at un ^ feit $ifd)er3 £ob mehrere Sßubüfationen
gegeben: au&er einer uermehrten Auflage ber „Snrifchen
©änge" eine neue golge feiner legten Sammlung „2llte£
unb SfleueS", welche nüllt'onimene (Srgänsungen, aber nur
wenig nicht ferjon oon ihm felbft oeröffentltcbteä geboten
hat; ferner bie 311 ihrem größten unb wertooHften £eil
aus Weiterem, meift |>umorifüfchem unb Sattrtfchem, befter)enbe
(Sammlung „Allotria" (1892); fobaun bie Sßorlefungen über
„$a<S Schöne unb bie ftunfi," 1898 oeröffentlicht als erfte
Digitized by Google
90
Steide ber „ Vorträge ". 2lm meiften DteueS werben bie
SBorlefungen über ©oetl)e, ©dritter unb <Sfmfefpeare enthalten ,
raeldfje im $)rucf finb. gür uns, bie wir mit i|m perfönltd)
oerbunben roaren, fielen foldfje (Sin^elleiftungen , fie mögen
nodf) fo bebeutenb fein, nidf)t im SBorbergrunbe. Uns ift
ein -ättann genommen, beffen $)afein fogufagen ju unferem
geiftigen Qnoentar gehörte. $)a£ machte in erfter i'tnte:
SBifc^er mar ein ©d&roabe t>om Sßtrbel bis jur 3*0*/ unb
er mar eine ber glänjenbften SBerförperungen ber 6d&raaben=
natur ; ja es bürfte ferner galten, je&t uo$ einen 3U finben,
oon bem man baS mit ebenfo üoUem SRedfjt fagen fönnte.
(Sr f)at fein Sdjraabenuolf gefannt ; ju mehreren SRalen
fjat er 6df)ilberungen oon bemfelben gegeben, bie faft fano=
nifd^ geworben finb unb unter benen einem bie 2Baf)l roef)
tfiut, melier man ben $reiS geben folle. (Sin ©runbjug
feinet SöefenS: energtfdfje ©mpftnbung in ber Siebe unb im
«Jpafe unb baneben eine aus innerfter, tiefftbegrünbeter 2Baf)r=
^eit^Uebe hervorgegangene Neigung, fein Urteil olme 23e=
grünbung, in ber einfeitigen, ber Äe^rfeite aller $)inge
nid)t adjtenben 2Betfe, nrie eS gemeiniglich gefd&ie^t, absu=
geben: baS ift ein ecfjt fc^mäbifc^er ©ruubgug, unb er ift
biefem ©efeg feines SBefenS unerfdfjütterltd) treu geblieben.
£aS 30g an if)m oteUeic^t in erfter Sinie an, bafc er fid>
nie mit einem lauen, aber auö) nie mit einem apobiftifdf)=
einfeitigen Urteil aufrieben gab, meber bei anberen, nod)
bei fid) felbft; eS 50g an unb — ftiefe üieUeid^t ab. 9?ur
ferner, oft fdjmerfällig, burd) eine 9teif)e Don (Srroägungen,
Antinomien, ßmetfeln gelangte feine (Srörtenmg jum Qid,
Digitized by Google
91
unb baä war ein geiler ba, reo für fold&e SDialeftif fein
55tafe, too nur eine gerablinig auf^3^ eilenbe $)arftellung
baS ftic&tige war. 3n rein fd&riftftellerif$er £infid&t Ijat •
er ft<$ bamit bieSöirfung mand&er feiner 2Berfe gefdfjroädfjt;
in anberer £infid()t ift bamit eine f)of)e £ugenb au3gefpro<$en.
SBtfdjer mar ju ef)rlidf), 511 geroiffenf)aft, um bie ©egengrünbe
ju üerfd&raeigen, audj roenu er am £efer unb £örer fein
Unrecht mit if)rer $erfdf)roeigung begangen fjätte, ba er ber
üöüigen 2öiberlegbarfett berfelben üerfid&ert war; er fd&enfte
uns fein ©lieb in ber flette be3 bialeftifdjen ^rogeffeS.
2Iber raaS er aU red)t erfannt I^atte, baS mu&te er burdfj*
führen ober in feinem Seil burdfoufüfjren Reifen. @3 gab
für tf)n feine Sftütffid&ten, fein roeltfluge» ^aftteren mit bem
SBöfen, mit bem galfd&en; neben ber ftrengen ©ered&tigfetts*
liebe ftanb eine leibenf<$aftlid£)er Eingabe unb grimmigen
paffes gleich fähige warmblütige ©emütSanlage. 2öir lieb-
ten beibeä in tf)m, aber mir liebten üor ädern bie burcf)
unb burdfj mannhafte (Sfjrlid&feit, mit ber er beibe ©eiten
feines reiben SBefenS ju erfennen gab. Darin lag au<$
ber erjte^erifc^e Söert feiner ^erfönlicfyfett unb feiner ©df)rift=
fteßerei.
& giebt Sdfjriftfteller, bie mit einem bebeutenben SBiffen
unb bebeutenber gäl)igfeit ber s iluffaffung unb Unterfdfjeb
bung jug(eidf) bie ©abe einer glatten, fliefcenben unb bo<$
fräftigen Darfteflung uerbinben, meldte rate fptelenb über bie
Dinge ^inroeggleitet unb bodf) ftets ba3 9li$tige treffenb
fagt. $aum ift im neunzehnten ^afyrfjunbert ein bebeutenbereS
SJhifter folgen f$riftftellerifcf)en Talents auf beutfdfjem SBoben
Digitized by Google
92
gu nennen all ©traufj, an ben man immer imeber gemannt
nrirb, roenn man von feinem greunbe rebet. Slnberl
Sßifd&er. SDte $orjüge fetner 2lrt ju reben finb gan$ anbere.
(Sr ringt mit bem ©ebanfen, preßt ifm herüber unb hinüber,
bil er in bie tauglidbe gorm gebraut ift; er fcfjeut üor
neuen SBortbilbungen, vox ^ßrotringiaUlmen, uor Häufungen
nicf)t jurücf, er null feine ©ad&e red&t unb ganj fagen.
£)arum lefen ftdf) feine ©Triften ni$t leidet ; er jroingt ben
£efer gu ftrengem Slufmerfen, ju Ilmraegen unb atemrauben=
ben iUetterpartien. $ber er f)at eine ungeheure öeraalt,
einen ftd) nad^jt^roingen; man fie^t aUejeü, roie ber ganje
Storni — unb roal für ein 2ftann ! — mit £etb unb Seele
auf bem s $la(}e ift. ßein Umgeben einer ©d&nrierigfett
fein glängenbcr girniö über f)ot)leu ©teilen, feine ©d)ön=
fjett auf Soften ber 2Bafjrf)ett. ©eraife, ein fold&er 9Wann
unb ©c^riftfteHer muß eine päbagogifdje SBirfung aulüben.
@r rairb nie eine ©djule im übUd^en ©inn bei Söortel
madjen ; er giebt feinen 6d)ülern — unb bereu finb im*
enbltd) üiel mefjr, all gerabe förperlid) 31t feinen güfeen
gefeffen finb — fein fertige! ^anbroerfljeug in bie ^panb,
bal ibnen bal ©elbftbenfeu erfpart ; aber er tfjut me^r an
i^nen: er lefyrt fie ben fingen energifcf) unb bocf) mit felbft-
lofer Siebe nur jur 2Baf)rf)eit auf ben £eib rüden unb nic&t
ruben, bil bie SMnge von ©runb aul erfannt finb unb ein
richtiger 2lulbrucf für if)re (Srfenntnil gefunbeu ift.
$)iefe (Stgenfdjaften nacf) i^ren £id&t= unb ©d^attenfeiten
§aben bei §8ifd^er tfjre tiefere 23egrünbung in feiner gefamten
geiftigen (Stgentümlid&fett. Söifd^er gehört nid&t 51t ben ein*
Digitized by Go
93
fad&en Staturen, er weift nad) meljr als einer ©eite eine
3ufammenfegung aus oerfd&ieb'enen, n\6)t immer naf) üer-
roanbten, fonbern oft im ßampf liegenben Elementen auf.
2)er ©toff, aus bem er gemalt ift, ift forintfnfdfjeS @r$, aber
es ift fein unlauteres Metall barunter ; jä^flüffige ©locf en-
fpeife, bie aber §ule$t in um fo eblerem, vollerem £on er*
flingt. 2öie in feinem menfd&lidfjen, fo ift audf) in feinem
nnffenfcf)aftlid)en unb füuftlerifd&en GOarafter ein ©egenfafc,
aus beffen (Sin^eit bie eigentümliche SBebeutung beS Cannes
^eroorfpringt : eine ungemeine ©c&ärfe beS S>enfenS, bie
überall ben tieferen ©iun, aber aud& ftetS bie Antinomien
unb SBiberfprüdfje ber 3)inge ^erauSfinber, unb 5U gleicher
3eit eine mächtige QntuittonSfraft, bie mit ber ©id&erl)eit
eines ^nftinftes bie ©mfjeit unb 2öa^rl;eit ber $>inge er=
fafct. @in Genfer unb ein $ünfüer fuib in i$m Bereinigt,
roie nid^t leicht in einem anbern. 3 um bilbenben ßünftler
freiließ, fehlte bie tedjnifd^e SluSbtlbung, §um 3Jiufifer bie 33e^
gabung überhaupt — benn biefe eine ftuttft f)at fief) bem
9ietd)begabten nie erfdfjloffen. $Ran tarnt fagen, baS mar
ein ©lücf, unb er felbft fmt baS Dfcdjttge getroffen, wenn
er oon ber in ber 3ugenb gepflegten 9lbficf)t, ein ßünftler
gu werben, roieber abgelaffen f)at. S)enti bie£uft am £)enfen,
am (Grübeln, bie bialefttfdje Unruhe mar ju grofj in tym,
als bafj er fo leidet jene 33ef^ränfung gefunben ^aben mürbe,
burd) meldte allein ein ma^rljaft grofceS 2Berf ber bilbenben
£unft entfielt, gür bie Ausübung blieb feinem ftetS leben»
bigen ScfjaffenSbrang nur btejenige $unft übrig, in melier
ber ©ebanfe am meiften fein 9ied)t unb fein &errfd(mftSger
Digitized by Google
94
biet fyat, bie ^oefic. Unb biefe fjat er burdj eigentümliche
unb tiefe Schöpfungen bereichert.
Slttein bie £uft be£ Schaffens fonnte fich ja au ben
geliebten ©egenftänben unb Problemen ber Äunft unb beS
Schönen auch noc & hl onberer SBeife betätigen, unb e3 ift
fein QwaU, wenn biefer Genfer eben bie 2Biffenfd)aft be£
Schönen fich frühzeitig &um eigentlichen ©ebiete feiner
Xhätigfeit gewählt fyat (53 mar mehr al3 bloft bie oon
bem feurig begeifterten Hegelianer balb gemachte 33emerfung,
ba& £egel für bie Slefthetif noch Sttaum 41t ooller Sitttilbuitg
gelaffen hatte, roaä $ifcber jum Stubium ber Slefthetif ge=
trieben hat; e$ roar innerer 33eruf, Söethätigung unb 33e--
roährung feiner tiefften Begabung. £)ie 2lef*hetif ift ja in
ber Xfyat feine rechte 33eruf£nriffenfchaft oon feinen erften
fchriftftellerifchen Seiftungen au geroefen unb er hat fie bis
ju feinem @nbe gelehrt unb praftifch angeroenbet. 2öie t)iel
er für biefe 2öiffenfchaft geteiftet §at, wer weife e3 nidht?
Mannigfaltig finb bie ©egenftänbe feiner äfthetifchen gor=
fchung; unb ba£ grofee £ehrgebäube roie bie faum minber
roertuotten fleineren Schriften laffen nicht gum minbeften bie
gähigfeit be«3 $ritiferS berounberu, fich in bie vertriebenen
Sluffaffungäroeifen ber Mnftler unb dichter einzuleben,
ßein 3 rDe *f e ^ a & er % Wne Sorfchung, analog feiner
eigenen 9?atur, fich mit Vorliebe benjentgen JhmfterfcheU
nungen juroenbet, welche bie SÜaleftif eines inneren ©egen*
fageS an fich tragen. Qene fünftlerifche Einheit, bie nur
au» ber engen SBefchränfung be3 Talents unb ^rogrammg
hervorgeht, ift ihm aUguleicht erfauft, größer fcheint ihm jene
Digitized by Go
95
Harmonie, roel<$e au3 bem flampfc l)erDorgel)t. 2öic £ume
einmal mutmaßt, bie erhabene Drbnung ber £immeUförper,
bic Harmonie ber ©paaren, rote ein poetifd) p&ilofopf)ieren--
be3 geHaltex genannt l)at, möchte nur baä Ergebnis
langer furchtbarer kämpfe fein; rote bie mt)tf)ologifcf)en 23or=
Rettungen ber SBölfer ben ßoSmoä ber Söelt au<S bem (SljaoS
f)eroorgef)en laffen: fo liebt e£ audf) SBifd&er befonberS, ba£
Sßirfen ber ©egenfäfce in ber Äuiift unb i^re Sluflöfung in
eine f)öl)ere ©infjeit $u betrauten, SRid&t umfonft ift ba£
Sßerf, mit bem er feinen 9iuf als 2left^etifer begrünbet Ijat,
ba£ über ba3 (Srfjabene unb Äomifd&e. 2tu$ beut fingen
ber ©egenfä&e ge^t entroeber tragif<$e ©r^aben^eit ober be=
fretenber #umor fjeroor, ober beibeä ineinauber. Leibern,
gumal bem |jumor, ift SBifd&erä Neigung entfe^ieben juge=
roanbt. @r roeifj bie Naturen ju lieben unb baS ©rofee in
i&nen ju finben, meldte burdjauä im Elemente reiner, unge=
trübter Harmonie leben; fein Sluffafc über Urlaub gehört
§u bem 2Werüor$üglid)ften, roa3 er gefd&rieben f)at. 3lber
am liebften madjt er fidfj bod) mit ben fämpfenben ©eiftem
ju tf)un, roeldje ^ätfel aufgeben, 2öeltprobleme in ben galten
t§re$ ©eroanbe£ tragen. Oft genug fjat er auf Qean ^aul,
ben $u roenig gekannten, fjingebeutet ; Satire unb |juntor
in ber bilbenben ßunft entlocft ifjm einen roertooUen Sluffafc,
unb in Sllfreb SRetfjel, bem ©Töpfer ber großen l)iftorifdfjett
©emälbe roie be3 von bämonifd&em «gumor fcfyroangeren
SotentanjeS, f)at er ben größten £iftorienmaler beS Qaljr:
ljunbertä mit fixerem 23licf f)erau£gefunben. 2lm metften
jiefjt i^n jeboc§ ber ^Dtd&ter an, beffen ^oefie ein roafjrer
Digitized by Google
96
s J)iifrofo3muS von tieffter £ragtf unb freieftem ßumor ift:
©f)afefpeare ftcHt er nod& über ©oetlje, „er würbe unb blieb
mein Liebling" faßt er felbft.
@3 ift ttid) t anberS mit Sßifd&erm eigener ^oefie. SBefc^er
£)idf)ter §roar £ätte nid)t auä) ganj einfache, aum einem be=
fd&ränften ©ebanfen unb ©efüfjl gesoffene ©ebid&te? unb
roie fönnte e£ fein, ba§ foldfje in $ifdf)er3 ^ßoefie fehlten?
9Iber d&arafteriftifd) finb fie nicbt für tyn. SDer ©ebanfe,
ber Söille, bie &eibenfd)aft finb üiel ju mächtig in i$m, als
baf$ fie nid)t aud) feinen lurifd&en ©ebid&ten ifiren Stempel
oufbrücfen müßten, ©in gewaltigem kämpfen, ein männ=
lid&er &oxn ober ein balb berb breinfd&lagenber, balb freunb*
lid£) milber £umor fennjeidfonen feine $oefie ; unb roenn ba$
eine unb bam anbere biefer Elemente oft für ficf) allein auf=
tritt, fo toirfen fie bodj am bebeutenbften in iljrer $er=
einigung, roie in ben Oumoriftifd&en unb fatirifd&en Sßerfen
com britten Seil bem gauft bim §u „Sludf) Giner". $ätte
aber Qemanb jroeifeln wollen, ob biefer 2)icf)ter auä) ein
Runflroerf bem f)öd&ften, reinften ©ttlm, ein ©ebid()t von
flaffifdjer Formgebung unb Ijarmonifdjer SHunbung 5U fdjaffen
im ftanbe fei : man f)ätte if)n fd&on früher auf manche $erle
unter ben Inrifd&en ©ebid)ten, nid&t )Utn minbeften unter ben
in bem Montan oerftreuten, Ijtnroeifen fönnen, unb man formte
i^m $ule$t noä) bam Ufjlanbfeftfpiel geigen, mit bem SBifcfier
auf bie f)errlid)fte Sßeife von ber poetifd&en £l)ätigfeit 2lb=
fd&ieb genommen Imt.
2>ie JOcfer bem ,,2lud) ©iner" fennen bie bort mit Sßor*
liebe gepflegte mnttjologifd&e $orftellung oon ben jroei Sto<£
Digitized by Go
97
werfen beä menf$U$en £)afein3, oon beneu ba£ untere ade
bie plagen unb 9tabelfticf>e be3 gemeinen Sebent enthält,
ber ©ßauplafc für bie „%üät be3 Dbjeftä", roeldje burd)
$ifd?er gum geflügelten SBort geworben ift, mäf)renb im
obern bie reinen $been be£ ©gölten unb ©uten iljren ©ifc
Oaben. S)iefe3 39tlb ift fefjr cf>arafteriftif(^ für feinen Ur=
fjeber. ^iemanb mar reizbarer gegen ßletnigfeiten aU
SBifd^er. ©eine sarte, meifje &aut, bie ben leid&teften 3*ig
empfanb, mar nid)t empftnblißer al£ fein ®efüf)l für bie
geiftige unb gefellige 2ltmofpf)äre ber Umgebung. 2Ber, ber
il)n gefannt ^at, f)at tyn nid)t allabenblid) aufgebraßt ge=
feljen über impertinent lautet kleben ober gar $artenfpte=
len am 9tebentifcf) / über Störungen im ©efpräd), aud) menn
fic in fjarmlofer Söetfe begangen mürben? Unb al3 er bie
Unfitte be3 „$oboböoti3mu3" eines eigenen polemifdjen
9lrtifel$ roürbigte, ba ift rool;l mannen ba3 SBort vom
^anonenfdjiefeen naß ben ©patjeu in ben 9Jhmb gefommen.
@ä ift fein ßmtfel, ba mar eine natürliche unb burd) ©e=
roötynung gefteigerte D^eijbarfeit üorfjanben ; e3 ift be^eicfinenb,
menn $ifd>er fiß gang befonberS an ber ©teile in feinem
3ean ^aul erbaut fjat, mo ©iebenfä'3 nidjt nur burd) ba§
Slbroifßen feiner £enette, fonbern audj burdj bie bfofee $or=
ftellung biefe£ SlbroifdjemS geftört rairb. Slber foldje (Smpftnb=
lißfeit f)at bod) aud) einen f)öf)eren Urfprung; fie ift, mie SBifdjer
von feinem 21. <S. fagt, ber 2lu3flu& einer f)od)begeifterten
(Smpftnbung für ba3 $armonifd)e; mie ber 9)?ufifer noß
bie feinften ©djmingungen roa^rauneljmen unb ju unter-
fdjetben vermag unb baljer auß oon ben leifeften 2lbraeiß-
Stfc^er, Beiträge II. 7
Digitized by Google
98
ungen uom 9tid&tigen gequält rottb, fo fjatte $tfd&er ein
fold&e3 Vermögen ber ©mpfinbung nadf) ben üerfd&iebenften
Seiten l)in, unb feiner 9totur nnberfprad& e§, eine @mpftn=
bung unau3gefprodf)en ^u laffen. 2tber noä) ine^r : e$ f ommt
aufy ein fttttid^eS Moment herein. (53 giebt für Sßifd&er im
©ittlidfjen feine ßleinigfeiten unb feine fittlicJ) gleid&giltigen
2)inge. ©5 ift für il)n ni<f)t blofe unfdjön, bie gü&e auf
bie $an£ §u legen ober bie Unterhaltung anberer burd& Särm
ju ftören: es ift unfittlid), benu e£ beroeift einen Langel
an 2ld)tung vor bem 9ied)te anberer, cor ben <Sct)ranfen,
bie gerabe in unferer bemofrattfd)en, mbiüibuaUftifdjen 3«t
fid) Qeber felbft gießen muß. @r hätte ftdO freilief) in fo
nebenfädjlidjen fingen mit 03oetfje fagen fönnen: t^örtd&t
auf Söefjrung ber Sporen 311 Marren; aber ba3 liefe fein
leibenfd&aftltd&er 2öaf>rf)eit3brang nid&t ju. Unb ift e3 nid&t
bem 2leftf)ettfprofeffor europät)d£)en 9iufe3 $um (jofyen 9iuf)m
ansuredjnen, baß er fid) nid)t 311 gut bünfte, gegen bie SDWji«
Ijanbluug be3 Siere3 immer unb immer roieber feine ©timme
5U ergeben?
£>a3 ©anje ift bei SBifdfjer immer grofj, bebeutenb,
ebel. 2)a3 -Jfloralifd&e t»erftet)t fid& tum felbft, wie fein 21. (S.
jagt. (Sr ift ftets bereit, über bie Lumpereien be3 SageS
fi$ in bal ^eidj ber reinen ©dj)önl;ett unb $8af)rf)ett empor=
§ul)eben. ©r ift bei aller SBe^rlofigfeit gegen bie Unbtlben
ber empirifd&en Söelt ein burd) unb burdf) freier 9Renf$.
grei üon gurd)t unb ol;ne einen Saut ber ßlage ift er, nrie
Ulbert (Sin^art, bem £obe entgegen gegangen, er, ber nid&t
minber als fein |jelb bal fleiufte llnroofylfein al£ uner-
Digitized by Go
99
träglid) empfunben fjatte. grei unb fetner Autorität oer=
pfCid^tct ift er in feinem SDenfen gemefen ; frei t>on fird^iid^em
2lntorität£glauben, beffen ßüftern er bte grtmmigfien £iebe
r>erfe|t f>at, aber ebenfo frei von Sntolerans gegen bte gut*
mutigen SBefenner ber Religion, beren ganatifer ifmt ba3
SBort von bem afabemtf^en £ef)rftuf)le oerfümmert unb if)n
mit nieberträd)tiger 6dmtäf)ung beehrt Ratten; frei von
politifd^em Dogmatismus, foroo^l bem bcmofratifcfyen als
bem monard)ifd)en. grei mar au<§ feine 9tebe, mit bem bei
greien mürbigen 9)?af3 in ben felbftgesogenen ©d)ranfen
ebler 2luSbru<fSmeife fid) Ijaltenb, aber ofme feige 9tü<fftcf)t
baS gerabe, berbe SBort auSfpredjenb, mo ©Zweigen fooiel
al§ ©nt^eifeen beS 6df)ledf)ten gefdfjienen tjätte. SDenn bie
wännlid^e ©ntfdjiebenfyett fyat ifjm nie gefeilt. @S gibt
S)inge, mo eS für feinen ©bleu meljr eine 2ßaf)l gibt. 2)er
grübelnbe ^üofopf), ber fo gern baS gür unb 2Biber
prüfenb f)in unb f)er warf, oft lang unb fd)mer$li<§ fämpfeu
mußte, bte er fid) entf<f)ieb, er mar in großen fingen feft
entfd)loffen unb rücfftd&tStoS waffr. (Sr f)at burdt) ein
2Bort, aus freiem SffiafjrfjeitSfüm gerebet, fic^ ben fiafe ber
Drt^oboren oerbient unb feinen 6d)ritt getfjan, um fid& ifjnen
in angenehmerem £i(f)te ju seigen ; er l;at foroof)l ben (Srb=
faiferltd&en in ber ^aulSftr<f)e all ben ^Heoolutionären im
Stuttgarter 9teitf)au3 berb bie SReumng gefagt ; er fjat bie
freiwillige Verbannung aus ber £eimat auf fid^ genommen,
mit ber feiner inniger t>ermad)fen mar als er; er §at unter
ferneren kämpfen, aber mit nid)t manfenber ©idtjer^eit ber
(Sinpftnbung, baf3 baS sßaterlanb baS $ö($fte fei, in ben
7*
Digitized by Google
100
potitiföen äßirren ber fed&atger 3a§re feinen 2Beg gefunben,
um bic fd&eelen SBlicfe uon red&t^ unb Hnfö unbefümmert
3n biefer ©eftalt, al3 ein ganjer -äflann, frei, roafjr^aft unb
im ©Üi^en für ba3 ©ute nie ermübenb, mtlb geroorben
burcf) ba3 Sllter, aber nid)t mürbe geworben, fonbem nocf)
immer jugenöltd&fter (Smpfinbung fäfyig: fo ftefjt er unau^
löfölid) in ber Erinnerung ber ©einigen. 2Bir werben i^n
nie oergeffen.
Digitized by Google
töubolf lausler.
3n ben Sauren 1837 tmfa 1838 eisten in Stuttgart
eine „3eit)d)rift für litterarifd)e Unterhaltung unb ßritif"
mit bem £itel „$)er Spiegel". Sie enthielt in ihrer 3tüölf=
ten Plummer einen flehten Slrtifel über Sdjnmbifche 2)id;ter=
freife. £>er Söevfaffer mar ber nemliche, bem bie folgenben
Seiten gemibmet fein foHen. (Sr roieä barauf Ijin, rote
häufig gerabe in Sd^maben roährenb ber folgenreichen Qahre
beä Unit)erfität£ftubium3 ftd) Greife von jungen Männern
gebilbet fyaben, bie burdj bie Pflege ber ^oefie einen mehr
ober weniger 3ufammenfd)luf3 erhielten: um Schiller, um
(Sonj, um &ölberlin gruppierten fid) befreunbete junge dichter,
unb ben berühmteren biefer Greife, ben um Uljlanb gefdjarten,
pflegt man gar als f<$u)äbtjd)e £)ichterfchule 5U bejeichnen,
fo fehr aud) ferner bagegen proteftiert ^at. „$>ie lefcte
Sßerbinbung, oon ber fchon öffentlich bie s Jlebe fein fann,
bilbeten in ben jroanäiger 3>ah ren bet in dlom üerftorbene
£)td)ter Wilhelm SBaiblinger, ber geniale (Sbuarb 3Körtfe,
£ubroig Sauer unb anbere". ($£ Ratten auch noch etwas
jüngeren ©uftaü ^ßfiser, grtebrid) SBifcher, griebrid) Strau§
genannt werben fömten, toeldje mit Söilhelm 3ü" mermami
Digitized by Google
102
imb QuliuS RxaiZ bcrfelbcit Tübinger Promotion uon 1825
biä 1830 angehörten; in beut „3al>rbud) fd)mäbifd)er 5Did^ter
unb 9loi>eBifien", baS e£ leiber nur auf ben einen 3a^r=
gang 1836 gebraut fjat, Ratten -JJtörtfe unb 3immermann
ein Organ fc&roäbiföer ^oefie [Raffen wollen unb neben
ifjren ßettgenoffen aud; fd)ou ein paar längere, ber Uniüerft-
tat faum enttuad)fene Talente um fid) gefammelt. %m füllen
aber Ijat ber ^erfaffer jcne^ SIrtifete aud) nodj an einen
ganj neuen fdfjwäbiföen ^oetenfreis gebaut, jti bem er
felber gehörte, einen ßrete, von bem fret(id) faum je „offent
lid^ bie 9tebe gewefen ift", ber es aber fefjr woljl üerbient,
ber Sßergeffen^eit enttiffen 51t werben.
(SS famen im Stnfang ber brei&tger 3a^re üerfd)iebeue
Umftänbe jufammen, um ein fefjr lebhaftes getftigeS £eben
an ber Uniuerfität Bübingen ju erzeugen, Sie \)attt fid)
eben von ben Uebelu er&olt, reelle burd) bie ftrengen tylafc
regeln bes au&erorbentlid&en DtegierungSfommiffärS über fie
gefommen waren, unb burd) bie SBerorbnung vom Qa^rc
1830 Ujre afabemiföe SBerfaffung in neuer gorm mieber
erhalten. 2)ie Stubentenfdjaft mar burd) bie burfd)enfd)aft-
lidje ^Bewegung in lebhafte ©äfjrung gefommen; bebeutenbe
3been, f)ol;e 3iele waren it;r cor Slugeu getreten. Seit
1826 waren »mit unb £ern ^rofefforen ber Geologie ge=
worben unb ein neues £eben in baS Stubium biefer äBiffem
fcf>aft gefommen, weldje in Bübingen, wo baS Stift jäf)r=
lid) eine Stnja^t ber beften JWpfe aufnimmt unb anbereu
Berufen entjteljt, immer eine befonbere 9iolle gefpielt ()at.
$ege(3 $f)ilofopf)ie bewegte, wie überall, fo namentlich auf
Digitized by Go
103
bem ber ©pefulation günfiigen Bobeu feiner alten «getmat,
atte ©elfter, ©traufe unb Söifc^er mürben, jener 1832, biefer
ein 3af)r fpäter, Repetenten am ©tift unb bewegten ben
großen unb fur^ebigen ©ebanfen, auf ber ©runbtage ber
&egelifcf)en ^^ilofop^ie einen glänjenben Neubau ber tfjeo*
logifdjen ©pefulation aufzuführen. 2Bie aber um ba§ 3afjr
1790 bie Qbeen ber franjöftfd&en SReoolution unb bie Ran-
tifdje $l)ilofopf)ie mit bem ©inflfaffe von ©d)iüer£ unb ©oe-
tfjeS Sßoefte jufammeu rairften, um bie ©elfter £ölberlin3,
.gegete unb if)rer ©enoffen ju erroecfen, fo trafen je|3t in
Bübingen mit ben wiffenfd)aftlid)en Bewegungen bie Poli-
tiken unb bie litterarifd&en sufammen. 9lod) e^e bie @fi=
ften§ eines „jungen £>eutfc$lanb£" bem Bunbe benunjiert
mar, giengen im Horben be$ Baterlanbe3 bie Söogen hod).
2Cu3 ber anfänglichen Dppofition gegen ©oetf)e, in ber burd)
einen SBifc be£ ©c&icffalS bie Sobfeinbe Börne unb 9ttenjel
jufammentrafen, rangen ftd) bie jungen £>idjter unb Genfer
ju einer ©rmtf)efe be3 ©d)önheit<Sfult3 unb be3 greif)eit3=
ftreben^ empor, beren (Srgeugniffe benn aud) balb bie polu
ttföe unb bie ftttenpoli$eilid)e 2öei3fjeit ber (Sfdjenfjetmer
©äffe äugleid) in 2lufruf)r brauten. 9ttan ftanb im ©üben
biefen fingen ferner ; bie ganje jungbeutfdje Bewegung ift
immer ein ßtnb be3 Horbens geblieben. 2lber über bie
ßaffeefrai^ unb ^ieberfran$4igrif, in welche man in ©tutt?
gart fo gerne bie ^oefie feftgebannt f)ä'tte, ftrebten bod) aud)
bei imS junge, frifd)e ©eifter hinaus unb etroaS ©röterem
3U. ©a3 ©äfcd&en, ba3 ben oben angeführten SBorteu über
SSaibltnger, ^örife unb Bauer folgt: „Dppofition gegen
Digitized by Google
104
bie beutfd&tümlicfye £enbenj, $erer)rung ©oetfje'ä unb ber
anttfen ^oefie d&arafteriftereu biefen $rei$", gilt eigentlich
ftillfdjroetgenb für bie Dtad^folgcr imb jüngeren greunbe
jener mit — man müßte nur nod) etroa bie Verehrung
SDiörife^ lu'njufügen.
^ermann ßur$ f)at in ber Sfi^e „35a3 SöirtSrjauS
gegenüber", meldte 1837 in feinen „©enjianen" erfdjien,
eine gläusenbe ©d&ilberung einer übermütigen ftubentifd&en
Xafelrunbe gegeben, @r gat fner mit ber uotlen gretyeit
beä 3>i<$ter3 gefdmltet; aber nid&t nur bte SIrt bes $erfef)r3
unter ben <£tiftlern mit if)rer Neigung jur 2)ialeftif, jum
^arobieren, jum ©eiftreidjjtfjun ift mit treueftem pnfel ge=
malt, aud) einjelne ^erfönltdjfetten finb beutlict; ju erfennen.
2lber jur SBerrjerrlid&ung ber bionnfifd^en £runfenf)eit roetf*
ßurj fein beffereS Sieb anäufü&ren, aU Wöxih'Z ,,^erbft=
feter", meldte unter bem Xitel „2)a£ 93acdj)u3feft" in bem
3arjrbud) auf 1836 erfcf)ienen mar. (Siner ber greuube
bringt ba$ ©ebicf)t in baS Stjmpofion mit unb lieft e3 üor:
„S)a3 ift nun einmal triebet* bie reine $oefie, bie gar feine
anbere Slbfidjt l;at, als eben ^oefie §u fein; id) empftnbe
eS als ein roaljreS ©lud, biefen föftlidje ©ebidf)t fennen ge=
lernt }u t)aben, unb werbe in Subtttft uad) allem greifen,
was mir biefer S)id)ter bietet, er fann gar nichts fdjreiben
roaS nidjt uortrefflid; ift, alles uerroaubelt ftd) unter feiner
£anb in ©olb". ^Derjenige, bem ßur§ biefe Sßorte in ben
SRiinb legt, ift fein auberer, als ber, t>on bem baS golgenbe
Ijanbeln foll; unb wenn Shirj, ber bie ^egetfterung für
9ftörife nidbt mübe geworben ift an ben £ag §u legen,
Digitized by Go
105
wefentlid) feine eigenen ©ebanfen au§fprid)t, fo ift fein 3wcif ei,
bajj er sugleicf) bie (Brunbftimmung feiner Tübinger greunbe
roibergibt. <5o aud) in ben nacf)folgenben ©äfcen: „8113
äleyanber geftorben war, rauften fi<$ feine l)interfaffenen
gelbmarfd^älle, unb wenn er alt geworben märe, fo Ratten
ftc e3 ofme Bweifel fd^on 31t feinen £eb$etten getrau. 2Ber
an biefen Balgereien feinen Anteil nafmi, fonnte nid&t auf«
fommen". £>a balgen fie fic& um bie gefcen aus ©oetf)e»
©rbfd&aft, foweit fie if)m ntd&t ben 9iücfen fefjren, wie ber
gudfjs, ber bie Xraubeu fauer fanb; ber ^injige, ber in
engeren (Srenjen, in biefen aber üoUfommen würbig roäre,
beS 9ftetfter£ 9{ad&folger 5U Reißen, ber $)id)ter ber fünften
Sieber unb be3 fd&icffalfdfjwereu holten, verbirgt fiel) in bem
SBinfel eine« roeltfremben £)orfe3; „e$ werben au&er unS
niä)t üiete fein, bie ben retten Sorbeer auf bem Raupte
biefeS £>tcf)ter3 fd()auen" — aber bie jungen Tübinger greunbe
gehören ju biefen wenigen, fie bürfen fid) felbft al£ 2lu3er=
wählte uorfommen.
3u ber (Srmecfung eineä poetifdjen (Sifer3 unter ben
Tübinger ©tubenten trugen bamate no$ wettere Umftänbe
bei. Einmal waren utimifd&e SDarfteEungen fd&on in "etwas
früherer $e\t unter ben ©tubenten gepflegt worben unb
würben aud& bamalS fultbiert. 9Koria 9*app, ber feit 1832
$rioatbo$ent in Bübingen war, liefe feine eigenen unb frembe
Dramen burdb ©tubenten aufführen, 9fodf> tiefer wirfte
Uf)lanb3 Anregung. (Sr war eben bamal<S, dou 1830 bi£
1833, ^rofeffor unb f)at nidfct nur burd) feine wiffenfd&aft:
liefen SBorlefungen ein in Bübingen ungewöhnlich 5luffef)en
Digitized by Google
106
erregt, fonbern noch mehr burch ba3 „©tiltfticum", baS er
gnnfcrjen grühjahr 1830 unb $erbft 1832 in oter Semeftern
gehalten hat. &ier finb namentlich poetifdje SBerfuche ber
©tubenteu oorgetragen unb beurteilt worben, unb e£ finb
mehrere ber gleich 511 nennenben Tanten unter ben %z\U
neuntem an biefeu Uebungen aufgeführt.
@3 jcheint feine eigentliche ^erbinbung ju poetifdt)en
3 werfen üorhanben gewefen 311 fein, tote ber ©öttinger
^ainbunb eine foldje gewefen war. 9tidjt nur bamate, fori«
bern noch weit fpäter waren auch bi* feft fonftituierten,
farbentragenben Sßerbinbungen in Bübingen nicht fo ftreug
gegen einanber abgefdjloffen wie heutzutage. ©0 ift 23ert=
holb Auerbach, ber t)on 1832 auf 1833 jucrft 9iecht3wiffen=
fd;aft r bann jübtfche Rheologie in Bübingen ftubterte, ein
Sftitglieb be£ weiteren $erbaube3 ber Burfchenfchaft gewejen,
aber mit ben anbern, namentlich mit$au$ler, in bauernber
greunbfchaft geftanben. Db bie fünften SHeinrjolb ßöfUin,
Johann gaHati unb (Sbuarb uon ©ecfenborff Beziehungen
3U ben anbern gehabt haben, ift mir nicht begannt; in Uljlanbs
Stilifticum finb fie thätige 3)iitglieber gewefen. Unter ben
Stiftlern, bie fchon räumlich unb burch ba3 gleiche ©tubium
enger auf einanber angewiefen waren, war ber ältefte £ub=
wig Seeger, ber fchon 1828 bie .gochfcfmle belogen hatte;
gleich alt war $arl ftlüpfel, ber fpätere ^iftorifer. ©in
3ahr jünger war griebrkh dichter, ber mit 6eeger be[on=
ber3 nahe befreunbet war unb auf beffen poetifcheä Talent
grojje Hoffnungen gefegt würben ; er üerfafjte aÜ ©tubent
eine Sragöbie „ s Jiero", bie it;n mit ber 2)i£$iplin be3 6tift3
Digitized by Go
107
in Äonflift unb §um 8ta$tritt aus bemfelben brad&te; fpäter
Ijat er nur nod& bie ibnllifd^gemütlidfje Seite ber gSoefie
gepflegt, namentlid) ift er ber SSerfaffer mehrerer burdfj
<5tl<§erS ßompofitionen in aller 3J2unb gekommenen fiieber
infdf)roäbifd&er 2Jhmbart unb Ejat fotdjer anfprudf)SloS §umori=
ftifdjen £>ialeftgebid)te nod) 1862 eine Heine Sammlung
oeranftaltet ; er ift als ©tabtpfarrer in ^Opfingen 1865
geftorbeu. bemfelben 3at;rgaug roie 9Hd)ter gehörte neben
hausier aud) noef) £erma nn Högling an, ein 9)fenfd) vom
feinften ©efüge beS ©eifteS — ^ur§ fd)rieb über i$n:
„man fann mit all ben weifen unb begriffSprobuftioen
Seilten nid)t fo fpredf)en roie mit if)m unb friegt nichts
fo jurücf" — ; ben greunben ift er fdjon 1835 äufierlid)
unb innerlidj ferner gerüeft roorben, inbem er s J)iifftonar
tourbe, erft in fpäteren Sauren ift er in bie «geimat jurüdts
gefefjrt unb 1881 als Pfarrer in ©ruppenbadfj geftorben.
(Sin weiterer Geologe, Soofe mit Manien, erfd&eint in
UfjtanbS (Stilifticum unb in ben 3ugenbbriefen ber greunbe
gelegentlid) ; er ift in Stmerifa oerfd&ollen. ©in $afyx
jünger war 3lbelbert Detter, b"er, e&e er fid& ber ftrengeren
SBiffenfdjaft in bie 2lrme warf, als Uebetfefcer frember
^ioefien oielfadj tfjätig geroefen ift. Qm 3af)r 1813 ge^
boren waren ^ermann £ur$ unb ber fd&on 1833 aus
bem 6tift ausgetretene grtebridS) ©ottlob ginf , ber längere
3eit eine frudj)tbarelleberfefcertf)ätigfeit ausübte; im „2BirtS--
fjatiS gegenüber" tritt er unter feinem (SereoiSnamen „Dft=
jäd" auf. Qn weniger engen SBejie^ungen ftanb 311 bem
poetifdfjen treiben ber anbern ©buarb 3^r, ber balb
Digitized by Google
108
feine Stiftung auf pf)ilofopf)if<f)e unb tfjeologtfdfje %ox--
fdmng genommen fjat. derjenige, ber am längften in %\u
btngen bie ©emeinfdjaft mit ben anbern pflegen fonnte, mar
hausier, ba er furj na$ feiner Stubienjeit roieber bortljin
üerfefet mürbe. (Sr, bei ßurj „Stoalb" genannt, mar unter
allen rjielleidjt bie tief ft unb feinft angelegte üRatur; unb
mä^renb bie anbern, fomeit fie fidj einen 9kmen in ber
£itteratur gemalt fmb en, (Seeger, Sluerbad), $ur$, in iljren
poetiferjen ^robuftiouen fid> d>araftcrtftifd^ von ifjrem Xu&
gangSpunft unb oon einanber entfernten, ift 5!nu^ler ftetS
in bem fefteften geiftigen 3ufammenfjang mit ber £itteratur=
periobe geblieben, in ber bie 2öur$eln feiner Sugenbbtlbung
gelegen maren.
Dtubolf ßauäler ift am 26. Süiguft 1811 tu ©öppingen
geboren morben. Gr ftammte au« einer gamilie, bie bem
£aube SSürttemberg ferjon mef)r als einen tüdjttgen -Ufann
beS öffentlichen £eben3 gefteüt r)atte. ©ein SSater (Sfjriftian
hausier mar Oberamtmann in (Göppingen, fam 1819 als
DtegierungSrat itad) (Stuttgart, ftarb aber fd&on 1822. ©in
©ruber unb brei (Sdjmeftern maren fd)on vox 9hibolf ge=
boren. £)er ©ruber (Sbuarb, sc^n Saljre älter als er, t)at
fid; in ber geteerten SBelt einen (Sfjreunamen erraorben.
(Sr mürbe 3urtft, fam aber f$ou in frühen 3al;ren an ba3
Stuttgarter Slrdjiü unb ift lauge Qa^re beffen ©orftanb
gemefen. Gr geljörte mit bem etwas jüngeren (Stalin gu--
Digitized by Go
109
famnten ben loürbigftcn Vertretern ber imirttembergifchen
®ef4id^t«forf4unö. gür bie mittelalterliche @ef$ichte bei
Sanbel hat er ben foliben ©ritnb gelegt burch bie «§eraul=
gäbe ber bret crftett Vänbe bei 2öürttembergifd)en Urfun-
benbud^ö unb audj jur fpäteren ®ef chtdjte XreffCi^ed gegeben.
@r gehörte aber ju ben bamall häufigen (Mehrten, bie
fidj nicht engherzig in bie pfähle threl SBeruflftubiuml ein«
fchloffen. (Sr mar fdjon ein falber Süngling, aü bie Ve*
freiunglfnege lolbradjen; er mar ucm bem geuer ber
litterarifdjen Vegeifterung jener 3eü bex fpäteren Stomas
tifer angeweht, benen Vaterlanb, Volflpoefie unb (Srforfd)ung
ber ^eimifd&en ^orgeit aHel waren. 21(3 1839 ber £itterarifd)e
herein in Stuttgart gegrünbet rourbe, war er unter ben
©rimbern unb ift aeitlebenl im 3luj3fdr)ii6 bei Verein! ge=
roefen. Qm hemltcheu Sahre gab er ben erften Vanb ber
2lffifeu bei Königreiche Qernfalem heraus, eine franjofifche
^ublifation belfelben Sttedjtlbuchl uerhinberte ben gorfgang
feiner Slulgabe. ©leid) barauf $at er bie mittelnieberlän--
bifchen ©ebtdjte ber großen ßomburger .ganbfchrift herauf
gegeben unb etroal fpäter ben Cancioneiro geral, bie alt=
portugtefifche £ieberfammlung bei ©arcia be Dtefenbe. (Sein
lefctel Söerf, mit bem er jur roürttembergifchen ©efd)id)te
Surücff'ehrte, mar bie Veröffentlichung bei Vriefroechfell
§mifd;en bem £jerjog Ghriftoph unb ^etrul ^aulul Verge*
riul, roeldje erft nach feinem £obe burd) Sljeobor 6d;ott
üollenbet roorbeu ift. (Sbuarb Kauller erinnert burch biefe
Verbinbung üon Jitriftifd^ =^iftor if c^er ©Übung mit aulgebehn^
tem 6tubium bei beutfdjen unb romanifchen Mittelalter!
Digitized by Google
110
gar feljr au feine großen Vorgänger, bie trüber ©rimm
unb U&lanb; er war, rote mit ben anbem ©ermaniften fetner
3eit, fo befonberS mit if)nen nahe befreunbet, ebenfo ftill
anfpruchSloS nach außen, roie innerlich reich an fruchtbarer
Beifüget Arbeit. (Sbuarb l;at im £eben feinet SBruberS
eine große, ja bie roichtigfte Stelle eingenommen. SBenn
fie in i^rer Qugenb 5itmeift auf brieflichen SluStaufd) an=
geroiefen waren, fo fjaben fie fpäter einige Qeit in ©tutfc
gart neben etnanber gelebt unb namentlich in ihren legten
fahren ftch fo oft als nur möglich gefehen. (53 mar jroifchen
ihnen bie järtlichfte Siebe bei einer vielfachen SBerftf)ieben=
heit ber Statuten. 93eibe waren ernfte, tiefgrünbige 3)ien-
fchen, feine faftigett flraftnaturen ; aber ber fräftigere mar
(Sbuarb, ber meichere unb auch roof)l feinere Sftubolf ; jener
mit nachhaltiger Energie ber Sirbett b^abt, mit einem
echten ©elefjrtenetfet ber gorfchung, biefer nur bem &öchften
unb Diefflen in ben fingen jugeraanbt, eine reine $oetem
natur. Sie tonnten in ihrer $erfcf)iebenheit unb in ihrer
engen 3ufammengehörigfett roohl an Qafob unb 2ßilhelm
©rimm erinnern, unb ich entfinne mich, baß ich, als ich
fur§ nach einem 3ufammentreffen mit ben bzihen ba3 fchöne
23ilb ber 53rüber ©rimm im ©eutfd&en SBörterbuch $um
erjlen 3)iale ju fehen befam, fofort biefen Vergleich gefttn=
ben habe unb namentlich üon ber Eehnltdtfeit 9htbolf3 mit
Wilhelm ©rimm frappiert mar, laug ehe ich mußte, roie
meit beiber geiftige ^ermanbtfchaft gieng.
Söeim £obe beS SSaterS mar 9iubolf erft elf Qahre
alt. S)ie 9)httter 30g mit ben jroei älteren Töchtern nach
Digitized by Go
111
SBinneitben; oon 1834 au teilte audj bie brüte Sodjter,
bie an ben £eilbronner ^rofeffor (Safpart oerljetratet ge=
roefen war, nadf) bem £obe it)re§ 9ftanne£ bie SBoljnung.
©o ift ber toerbenbe Jüngling bie meifte unter oor=
jug^tueife rcetblid^em ©influfe aufgetoadf)fen ; benn ©buarb
roeitte in jenen Sauren meift in ber gerne. 3iubolf£ ge=
mütlidfje 2Betd)f)eit, feine ©d&eu oor energifdfjem Stuftreten
in ber Deffentlidtfeit mögen baburdf) oerftärft morben fein,
äfmlid) tote bei ,£jölberltn, mit bem er bie §arte geifttge
Drgauifatton unb ben unroiberfteftfid&en Srieb nad) innerer
grei^ett unb Dietnfjeit teilt, mä^renb i&m felbft ba$u nodf)
bie jenem oerfagte ©abe bei £umorl »erliefen mar.
3m #erbft 1825 begog ßauller, für baS tfjeologtfdfje
©tubium beftimmt unb getoiß aud) gef Raffen, ba<8 ©eminar
Slaubeuren; bort fjat er, mie er felber unb mit mefjr ©runb
als otele anbere fagte, bie glücflid&ften %afyxz feines £eben3
gugebradjt. ©eine Promotion mar bie näd)fte nad) ber
burd) ©trauf*' SDarftellung berühmt geroorbeuen; bie ge-
feierten Se^rer Söaur unb Rem tyat fie Ieiber nur noef) ein
Safjr §u genießen gehabt, hausier Jjat fid& in Briefen an
fetneu SBruber fefjr fdjmerslidfj barüber geäußert. S)iefe
Briefe geben überhaupt ein fo fd£)öne3 unb oollftänbigel
$ilb etnel aufblüfjenben reiben Qünglinglgemütel , baß
man fie in i^rer reigenben 9)iif<$ung oon fuabenfjafter Un=
fdjulb unb früljer ©eiftelreife nur gleich gang f)erfe($en
möd&te. ©eine ©efunb&eit mar gart unb ift e£ geblieben,
er §atte Neigung ju ©cf)ioinbel, §u Ruften unb ^ruftfd&mer*
jen. So ift e3 fein Söuuber, menn er ben berberen ftraffe
Digitized by Google
112
äufjerungen ber ßameraben feinen (Befallen abgewinnen
f onnte ; ein ftopff)änger mar er md)t unb er trifft ben 9tagel
auf ben tfopf, wenn er einmal dou einer ber in ben nie:
beren ©emtnarten üblichen ©yfurfionen fd&reibt: „e3 nmr
aber nicbt fonberlicf) luftig, weil bie meiften bei folgen $er;
anlaffungen bejoffen finb unb in ifjrer gabfjeit nie red)t
toll unb luftig roerben". ßbenfo eifert er gegen ba3 längs
roeilige (Metyrttfjun auberer ^itfd^üler, bie fid) ni$t „in
bem ^rütjlingSleben ber ßunft freuen" fönnen. lieber feine
offizielle unb prioate Seftüre f)at er getreulief) an ben SBruber
berietet unb man muß ftaunen, ntc^t nur nrie üielfeittg unb
5itgleidj geroäljlt fie geroefen i% fonbern aud), roie früf) ber
&albfnabe feinen feften ©tanbort gefunben fjat, nid)t in
einer oerfnöd&erten, fd^abloneu^aften ©cfculmeinung, aber
in einem unuerrüäbaren ©runbjug feiner Dktur. ©rieben
unb Börner fmt er aud) au§erf)atb ber Sdjule gelefen ; aber
roeber üoUenbete gorm nodj politifdje S3ebeutfamfeit fonnten
e3 tf>m antfnm; nur bie p^ilofopfjifdje Xiefe unb ber 3<*uber
ber SBolföfage roirften nad)l)altig auf ifjn ein. @r lieft 2U
t>iu3, ©attufl, £acitu3, ^lutard), ©emoft&eneS, aber neben
3$ucgbibe* ift $m „faft alle* bummes beim ©o=
pf)ofle§ ift if)tu, al* ob ein SBorljang baoor l)inge ; an $la;
ton* Sßfjäbon finbet er etroaS, woran er fid) galten fann;
am liebften aber ift it)m Horner unb swar bie Obt;ffee.
SBenn er ^erobot liebt, fo ift ümt ber nid&t ber 6d)itberer
be3 griecf)ifd)en greif)eitä£ampfe3, fonbern ber ßrjäfjler rouu=
berbarer SDinge au* fernen 3*iteti unb Golfern: „SMe
(Sitten unb ©ebräud&e eineö Sßolfe* §u fjören ift gewiß nocf)
Digitized by Go
113
angenehmer als feine ©efd&id&te" ; a(£ 33aur fortfam, be=
bauerte er t>or allem bie Ijiftorifc&e Unterroeifung in beffen
|>erobotftunben ju verlieren, bie bem ©d&üler, melleidfjt all-
gufrü&e, ^perfpeftitjen in uralte $8or$ett unb mntljifd&e 3 Us
fammenfjänge eröffnet Ratten, ©dfjon mit fünf§e&n Qafjren
äußert er bei ber Seftüre oon 36enopl>on3 ©nmpofion (nrie
otele ©efunbaner wo^l fjeutjutage biefeä 33udj lefen mögen V),
baS atttfd^e Söefen mit feiner geinfjeit fei ifmt red&t beliebt
geworben, „aber immer behauptet ba3 ©efallen an frönen
unb alten ©agen unb Siebern ben Vorrang"; unb wie er
balb barauf ftd) aud& mit ben ^falmen unb §uglei<$ mit
ben Nibelungen ju t^un mad&te, ba fdjrteb er ganj na<$
Berber: gefiel mir, bie Stimmen, greuben unb Reiben
ber Hellenen, Stalifer unb 9ftorgenlänber in i^ren fd^onften
Siebern gu f)aben." SBalb geminnen bie Sßoefien ber mo«
bernen SSölfer ben $8orjug. (Sr lieft ©oet&e unb begehrt
immer meljr t>on i&m gu bekommen. @r lernt (Sngltfci) bei
einem Repetenten unb treibt e3 weiter jufammen mit 9ttög=
ling, ber iljm in ber ganzen Promotion am näd&ften fteljt.
(Sr lieft ©^afefpeare unb äußert, er möchte nifytä anbereS
al£ üm lefen; aber e$ ift fdnoerlid) bie £ragif unb ^fu=
d&ologie be£ 2Bett= unb 2flenfdf)en£enner3 , roaS tf)n an ifm
feffelt, fonbernba§ ©pejififd^^oetifc^e, £prifd&=9iomantifdje.
$on einzelnen Stücfen erwähnt er Romeo unb Qulie unb
ben ©ommernad&tätraum ; unb roenn er f<$on in früherer
3eit bie grage ängftlitf) aufgeroorfeu f)at, ob benn eigene
lief) bie ©df)ilberung ber gemeinen Ratur geftattet fei, wie
fie bei ©^afefpeare unb bei £iedf oorfomme, fo fmt er ba-ut
gif$er, »citräge II. 8
Digitized by Google
114
im .gerben zeitlebens Uteta gefagt. (Sagen unb üttärd&en
gießen tlm unroiberftef)lidf) an. (Sr fdfjroärmt für Dffian, er
erjäf)lt im $3ette feinen Slameraben Märien unb meint
einmal, er märe im ©tanbe, „Legionen üon 9ttärd&en auS=
äufenben"; er bittet feinen trüber, ber eine Steife nad) ©ng;
lanb ma<$t, if)iu „alte ©ebtdOte ober bergleid&en" oon bort
mitzubringen. Neigung jum Mittelalter mit feiner „frtfdf)en ,
£ebenSluft unb grommljeit" oerrät fidf) aud&, wenn er bie
ßreu^üge unb .gofjenftaufen jum ©egenftanb einer öffent*
lid&en 9tebe roä^lt. 2Bel<$er $)idf)ter fonnte mefjr ju biefem
ganj in ber romantifd)en ftaubevmelt lebenben 3ünglingS=
fielen reben, als localis, ber Jüngling unter unfern £idjs
tern? Högling fjat i^m §u feinem fiebjeljnten ©eburtstag
^oualiS' Sßerfe gefd&enft : nie f)at il)m etroaS fo gefallen.
Um aber ben Sftomanttfer unb jünger |>arbenbergS ju t>ott=
enben, fommt er au<$ einmal auf feinen „alten unb älteften
©ebanfen" jurücf, ©ergmann roie fein üDfeifter ju werben.
Mineralogie mar ja ein £ieblingSgegenftanb ber romanti=
fd^en 9kturft)mbolif , unb id) f)abe bei hausier nod& oiele
Qatyre fpäter prächtige ©Kliffe oon Mineralien gefe&en, bie
er in feiner 3ugenb gefammelt Imtte. 2lm tljeologifdtjen
Berufe ftiegeu tfjm 3roetfel au f : getüife ntd&t fold&e beS Un-
glaubens, rooljl aber foldje, mie fie tief angelegten, $ur 3Jh);
ftif neigenben ©emütern öfters fommen. gür bie ®elef)r=
famfeit ift er oerloren. @r fyat fein £eben lang tuet unb
gut gelefen; aber bas Sßiffen um feiner felbft mitten fjat
if)n nie gereift, es mar if;m ftets nur um ben innern $ern,
ben tieferen 3 u f ammen !) an g btv £)inge ju t^un. „@S ift
Digitized by Go
115
etroaS SdjeibenbeS $mifd)en mir unb ber 2Biffenfd)aft" —
roenigftens ber künftig betriebenen; bie rattonaliftifdje unb
fupranaturaliftifdje Geologie feiner Jugenbseit, ber prote=
ftantifdje Äonfefftonalt*mu3, in feinem £anbe r»ieHeidE)t ftärfer
als anberSroo, ift ifjm fremb geblieben unb l)at ifjn mit«
unter gu fd&arfer Äritif gereift : t)on fersen fromm unb
babei innerlich frei nrie fein 9iooali§ ober Sd)teiermacf)er
ift er fein £eben lang geblieben.
3)ian \)at feiten Slnlafc, ft<$ bei ben Sauren üor ber
UniüerfitätSjett fo lange aufhalten. Slber bei biefem Jüng-
linge finb fid)tlid) bie SBlaubeurer 3af)re für ba3 £eben be;
ftimmenb geroefen. Soldjen Naturen pflegt bie Untoerfttät
roenig me^r §u bieten. Slud) bei flauster ift e£ fo geroefen.
@r bejog im Dftober 1829 bie Untoerfttät Bübingen, um
als Stiftler Geologie ju ftubteren. lieber fein eigentlich
gad)ftubtum erfährt man aber wenig, So eine Slnftalt
mit baS Stift mufj für bie pfjilofopfjifdjen unb t^eologifd^eu
Stubien einen feft georbneten Se^rgang Ijaben ; ber Scalen*
briau biefem fjerfömmlidjen Betriebs besagt feinem Sinne
nidjt. (5r lann es ^temanb Dled^t machen. fann mit
aller erbenflidjen SJtüfje mid) nidjt in bie 2luffa^3Wanter
hineinarbeiten. @3 fällt mir jebeSmal bie SBorrebe beS (5er;
Dantes jum £)on Butyote ein. 3)a3 üorige Wlal gelten
fie ftd) barüber auf, bafe id) ben 2tuffa§ na$ £egltfd)em
Schema gemalt habe; biennal wollt' iü) üjn nur red)t
machen: id) gab, ben (Mehrten fpielenb, einen Raufen
üerfc^iebener 2lnftd)ten, unb um nid)t in bie üer^afete Atolle
&u fallen, gab id) fein beftimmteS SRefultat, fonbem fagte,
8*
Digitized by Google
116
e3 f)abe jeber auf feine 2lrt 9lecf)t. Qefct muß idj fjören,
es fef>le bie fnftemattfdje ©in^ett in btefem Siuffafce". (2llte
Stiftler mögen fid) an biefer ßlage mitfüfjlenb ergö|en.)
greube äußert er an 33aur£ ©mnbolif unb Sogmengefd&idjte,
überhaupt an bem $iftorifd)en in ber Geologie. $loü) mef>r
jie^t tyn bie p^itofop^ifc^e ©pefulation an : nodj in feinem
inerten unb fünften ©emefter fjat er bei ©tranß über $eg=
lifdje £ogif unb über ©efdn'd&te ber ^fu'lofopfjie gehört unb
^at aud) baran gebaut, felbft einmal SBorlefungen 3U galten,
er fief)t bie ^üofopln'e eigentlich als feine £ebeu<Saufgabe
an. Diefer ©ebanfe mag ifm aud) beim tf)eologifd)en <5tu=
bium feftget)alten ^abeu ; „umfatteln roäre iti$tö für mid)".
@r roirb erfannt f)aben, baß feine geringe Neigung unb
gä^igfeit für baS praftifdje Seben tfmi in jebem anbern
Berufe nod) f)tnberlid)er geroefen märe, unb ift roofjl, rote
£effing, gegen ba3 äußerliche ber $8eruf3tf)ätigfeit immer
3iemlid) gletdjgtltig geroefen. 2lud) p^ilologifd&e Sorlefungen
f)at ßauller gehört über ©uriptbe», SlriftoplmneS, Xfyvicx)*
bibeä, bei ©trauß über ^laton3 ($$aftmaf)l ; baneben eine
über 5htnftgefd)i<§te; bei Urlaub fmt er bie ©efdu'd&te ber
beutfdjen ^oefie im Mittelalter gehört unb ba3 ©tiliftifum
befugt — baß er ftcfj aftio baran beteiligt fjätte, gefjt aus
Uf)lanb3 3tuf3ei(^nungen nid)t fjerüor. ©igene poetifd&e WzU
gung l)at ifm, außer mit Högling, mit Subroig ©eeger
unb 9iid)ter üerbunben; bie Jreunbfdjaft mit 2tuerbad) ift
auef) fcfum in ber ©tubenten^eit gefd)loffen roorben, ebenfo
mit ^ermann ßurj; mit Slbelbert Heller üerbanben ttjn
poettfcf)e unb roiffenfd)aftlid)e Neigungen. 2Benn jebod) $ur$
Digitized by Go
117
feinen Kuwait guin eigentlichen 2lufül)rer be3 litterarifc^en
©tnupofton ntad^t unb ifjm bie feurigften Sieben bacd)ijd>er
Segetfterung unb bac<f)ifd)en SöifceS in ben SJiunb legt, fo
fjat er roofjl einen jiemlidb weit getyenben ©ebraudj oon ber
bid)terifd)en gret^eit gemalt. $em ©enufe ber ©efelligfeit
beim freifenben SBedjer burtf)au3 ni<$t aSfetifd) ttriberftrebenb,
fjat hausier bod& im ©angen ein fe^r ftilleS unb surücfge=
jogene» ©tubentenleben geführt. @£ roirb ein befonberS
üerbriefclidjer Slugenblicf geroefen fein, in meinem er bie
Tübinger Qa^re feine üerbrießlid)fte Sßeriobe nannte; aber
e3 mufc manä)e3 gegeben §aben, ma3 fie Ujm ©erbitterte,
unb mären es aud) nur bie förperltdjen Hebel, 9ttattigfeit,
©d^mergen, SRfjeumattemen, $erbauung3nöte, geroefen. 33e=
fonberä üeretnfamt füllte er fid), aU Högling bie öo$=
fd&ule, ein fjalbeä igaljr üor if)tn, verliefe, uon bem er nod)
fpäter fcfyrieb: „e3 roirb rvofyl faum groet 2ftenfd)en geben,
bie einanber fo uerfte^en wie wir".
2ln Dftern 1834 erftanb hausier bie erfte tl)eologifd)e
Prüfung. 3flit ber .goffnuug auf eine ^ofmeifterei war
e£ uifyfö. @r gieng im Slpril alä ^ßifar gu feinem Dfjeim,
bem Pfarrer Hausier in Oberrotl) bei ©ailborf, unb blieb
bort big jum Januar 1835, juerft ungerne, bann mit feinem
S3eruf au£geföf)nt, ber ifnn für fein ©ebanfenleben bie nö=
tige ©infamfeit gemährte, nur bann unb mann burdj 3 U:
fammenfünfte mit bem mer ©tunben entfernt in ©eiferte
Jjofen fjaufenben ©eeger unterbrochen. $om grül)iaf)r 1835
aber bi£ (Snbe 1836 uerfal) er bie ©teile be3 Miliotl;efarS
am Tübinger ©tift unb fefjrte fo gu einer Slrt oon Ijalber
Digitized by Google
118
©tubentenertftenj jurücf. (Sr traf ßurj nod) in Bübingen,
bcr im £erbft 1835 fein Dramen machte unb ben 9feft be3
3afjre$ bei feinem Ohetm, bem Pfarrer in ©Eningen, baS
folgenbe 3ahr in Stuttgart oerlebte; im 3uli 1835 fam
2lbelbert Äettet oon feinem ^arifer Stubienaufenthalte ju-
rücf unb liefe fid) im £erbft beSfelben 3ahre$ aU Sßrtoat*
bojent in Bübingen nieber. ^aju fam nod) ber geiftreiche,
für litterariföe 8eföäftigung empfängliche ©ottfrieb Söeigle,
ber bann fpäter feinem SBerroanbten Högling in ber £auf^
bahn als SDitffionar gefolgt unb in if>r auch geftorben ift;
er ftubierte feit 1834 in Bübingen. Viel machte ben $reun=
ben eben ber Uebertritt ^Höglings in feine neue Xljätigfeit
ju fchaffen; namentlich bem allem ^irc§en= unb Äonoentif el=
roefen grünblich abgeneigten Jlurj, ber ganj aufcer fid) ba=
rüber mar, baf3 biefer freie, eble ©eift fidt> nun auch bem
3od)e be£ 53a<$lertum£ raerbe beugen müffen. hausier backte
freier unb fixerer aU ber fanguinifd) aufroaffcnbc unb bann
nrieber Derjagenbe ßur$. tiefer fdjrieb ihm bamate: „3$
erinnere mid) gar roohl noch einer 3eit, roo ich in unruhigen
Suchen bie 9iut;e überall eher finben fonnte al3 bei mir
f elber; ba fam td) häufig ju bir unb lehnte mid) an bein
genfter, ohne fiel §u fagen, aber in ber Dollen Sicherheit,
mid) an eine überroölbenbe Subftanj anlehnen 3U fönnen";
unb nid)t lauge nachher fchrieb ihm ÄauSler: „Vielleicht
fommft bu ja auch noch meinem ©lauben herüber, in
bem ich je länger je mehr bie alleinige £öfung finben fann
unb bie einzige ^oefie .... £>er chriftlidje ©laube allein
fann bie 3^it, bie ein halber £eid)nam ift, jum Öeben bringen
Digitized by Go
119
— man foHte anfangen $u merfen, bafj man bifyex (roaä
man gortfchritt, SSeiterentroicflung nannte) ben franfen £eib
nur roieber auf eine anbere (Seite gelegt hat, bie in 23älbe
auch gu f<hmer$en anfangen wirb ; mir graut wenn ich an
ben 2Bal)nfinn benfe, ber bie Seute fo umnebelt \)<xt, bafc
fid) ba£ s Jtäcbfte, ©infachfte ihren 33licfen entfteflt unb ba$
p^ilofop^ifd^e unb poetifche gtoblifum fid& rote ein Starren«
Kollegium aufnimmt". ßurj fdfjeint gefürchtet ju haben,
auch ßau£ler fönnte ftdfj an Högling anfdfjliefjen, unb ber=
artige SBorte, üielleicht auch burch bie bamate von flauster
öfters geäußerte Unjufrieben^eit in feinem 5lmte mit ^er=
oorgerufen, mochten ihn in biefer gurd&t beftärfen; er fonnte
aber roiffen, bafe laudier tljeologifch feine eigenen Söege
gieng unb feine innere greifjeit roeber an ein ßonfiftortum
noch an einen ßonoentifel uerfaufte.
ßauSler hat baä bibliothefarifche 3lmt ju fleißiger £ef=
türe unb §u eigener Arbeit auSgenufct. ©r gab fid^ mit
Ethologie ab, lobt Dtfrib SflüllerS Arbeiten unb tabelt
an Qafob ©rimmS eben erschienener Ethologie, ba& fein
leitenber ©ebanfe barin heroortrete. $on eigenen Arbeiten
ift aber bamalä nichts erfchienen. @r foüte fich an t^eoto=
giften unb p^i(ofop^ifdt)en Unternehmungen beteiligen, rooüte
mit Mer §ufammen Petrarcas lateinifcbe ©ebicf)te l;erau3=
geben unb rebete baoon, bü §um £erbft 1836 mit jroet
flehten Schriften 3U erfcheinen. <S3 ift aber bajumal noch
nichts barauS geworben, hausier fchetnt e$ auch geroefen
ju fein, ber ben poetifch begabten Sanbmann 93aur in £aik
fingen bei SKottenburg 1836 entbecfte unb an $ur$ empfahl.
Digitized by Google
120^
SMefer §at ifjn mit ©d&roab befannt gemacht unb e* ift üon
ihm eine ffeine Sammlung tprifd>cr ©ebichte erfdjieneu.
2In 2Beifma<hten 1836 verliefe Äauäler feine Xübinger
©teile unb ging al£ SBifar nach 23uoch ju feinem mütter^
liehen Oheim, bem Pfarrer fReiufelber, ber alt unb einer
Beihilfe bebürftig mar. ©r ift bort big jum £erbft 1838
geblieben, ^ermann Shirj mar vom 3uni 1837 bis 511m
Qanuar 1838 unb roieberum üom 2Iuguft 1838 an eben=
falls in 33uo<h, mit ber 2lbfid)t, in ber länblid&eu 2Hu&e feinen
Heinrich Voller auszuarbeiten. £)ie greunbe Ratten auch
SBerfehr mit bem äroanjig $af)xt älteren Pfarrer ©lücf in
Schornbach, einem etroaS unftäten ©efeHeu, bem Ditoalen
©il<her£ in ber Äompofüion oolfstümlicher Sieber, ber nicht
lange nachher, 1840, geftorben ift. 9cur eine gute ©tunbc
2öege3 mar SBinnenben entfernt, roo bie 3)hitter mit ben
©djroeftern lebte. Slber fie mar f$on fehr leibenb unb ift
nach längerem ©chroeben groifchen ^Befferung unb $erf<hlim=
merung am 27. ©eptember 1837 geftorben. 3h* Eingang
hat bem §ärttt<^ liebenben ©ohn einige ©ebidjte eingegeben,
in benen eine ftarfe unb nachhaltige (Smpftnbung fich Suft
macht; er fann eö nicht begreifen, ba§ fein thöricht bltnbe»
$erj oft Ijat »erjagen mollen, ba er boch noch eine Butter
hatte, er glaubt nicht genug Siebe an ifjr geübt ju haben,
ber unheimliche Kirchhof ift il)m gu einem lieben Aufenthalte
geworben, roo man ber 3roMprache mit ©efchtebeneu als
roie mit ©egenroärtigen pflegt unb ohne ©chauer fich felbft
feine 9tut)e bereitet fehen fönnte.
(Sin 3at)r fpäter hol ßauäler SBuodf) uerlaffen. ©in
Digitized by Go
121
neues (Ereignis, ba<S if)m f)art ans fierj griff, muß ilm
fortgetrieben fjaben. @r hoffte Befreiung oon ben (Sin*
brücfen ber großen SBeli. £)ie grage, ob er nad) 39ern
gu Seeger gelten foüte, ber feit jroei Sauren bort roirfte,
ober 311 Sluerbad) nad) granffurt am 3Jfam, entfd&ieb fid)
für ba3 jroeite. 3m jraeiten drittel be3 September 1838
Um hausier in granffurt an. @r genoß ben anregenben
Umgang 2luerbadj3, machte bie 53efanntfd)aft £öroentf)al3,
£einri<$ Königs unb anberer SdjriftfteHer unb Mnftler.
3)ian fudjte if>n bnrcfy ba3 Anerbieten ber 9ftitarbeiterf<$aft
für eine granffurter 3eitfd)rift 511 feffetn, baS fd)lug er aber
aus. 3 m ro e ^in gebaute er ben Sötnter in granffurt,
.gjanau, SBonn unb £)üffelborf $u5itbringen. 2lber föon im
^Oüember erfd)ien er unerwartet roieber bei ben Sdjroeftern
in SBinnenben. SBarum er feinen Pan fo rafd) aufgegeben
f)at, roeiß id) nid&t; bie erften (Sinbrüdfe uon bem bewegten
£eben granffurtä waren bie be[ten geroefen, aber lange
füllte ft$ ßauSler fd&roerlid) in ber großen SBelt )ti &aufe;
er war ftets ein 3ttann ber ©infamfeit unb ber ©efeHigfeit
int fleinften Greife.
Slußer bem rein gemütlichen 9Hotto f)atte bie granf=
furter Steife wofjl aud) ben^merf gehabt, mit bem littera=
rifd)en äßefen in eine bireftere ^erbinbung )u fommen;
benn granffurt mar bamalS in ber frönen £itteratur nic^t
ofjne Skbeutung. hausier ftanb um jene 3eit in feiner leb;
fjafteften Utterarifd&en Xfjätigfeit unb wollte offenbar ben
SBerfud) machen, feine ($?iften$ auf fold&e §u grimben — er
fott fpäter gejagt fjaben, e£ märe if)m ba3 auf bie Sänge
Digitized by Google
122
gauj unerträglich geroefen. 3Me gewöhnliche Beobachtung,
bafe bie 3ugenb ber $oefie, baS ^ö^cre 2Uter ber SSiffem
fchaft geroibmet fei, trifft bei ihm rote bei gar manchem an=
bern nicht 3U. Seine erften 2trbetten finb burdjauS Criti*
fcher unb ^iftorifd^er ^atur. Schon feit bem 3ahre 1836
befd)äftigte ihn ein 2luffa$ über £iecf , in bem er fich über
feine eigene (Stellung $ur SRomantif jur Klarheit bringen
rooüte. 35er langfam unb gaghaft 9lrbeitenbe ^at bie Arbeit,
bie er fd)on im Sommer 1836 jur Beurteilung an #ur$
gefd&icft hatte, immer roieber oorgenommen unb umgeftaltet.
Sie in Buchform t)erauS$ugeben gelang nicht; bann foUte
fie in £eroalb£ (Suropa erfchetnen. (Snbltch erfchien fte 1839
unter bem Xitel „Subrotg £iecf unb bie beutfehe Stomantif"
in bem oon Sfjeobor 9Jhmbt herausgegebenen „$reif)afen" ;
fafl ein ^abr ju fpät, nachbem 1838 £arl $ofenfran$ In
ben ©aller Jahrbüchern baS %\)tma ausführlicher unb mehr
im einzelnen behanbelt hatte. Surch «gaqmS 3)?eifterroerf
finb ja heutig £ageS alle älteren Arbeiten über bie $0 =
mantif ins 2)unfel gerüeft. ßauSlerS Sluffafc oerlohnt e£
fich aber immer noch ju lefen, wenn auch 2luSgangS= unb
ftdjtSpunft nicht bie ber mobernen gorfchung finb. @r geht
oon beut ©egenfafc jroifchen natürlicher unb fittlicher ^oefie
aus unb finbet bie 9tomantifer, beren ©auptrepräfentant
ihm burdjauS Zkä ift, ganj auf ber Seite ber erfteren.
@S jeigt fich tytx bie mehr jufammenfaffenbe, barfteßenbe
als hiftorifch enttoicfelnbe 3lrt älterer £itteraturbetrad)tung.
Sie äfthetifche Xfytoxk ber 9tomantifer, bie eben oon bem
Schtüerifchen ©egenfaße ber naioen unb fentimentalen ^oefie
Digitized by Go
123
auSgieng unb of)ite bie bie romantifdje $ßra£i£ nid)t oerftanben
roerben fann, fommt babei ju fur§; warum bie SHomantif
fo oöHig morallos, fo reine Darftellung be£ fubjeftioen
8eKeben3 beS genialen 3nbit)ibuum3 ift, ba3 oerftet)t man
nur bann oollfommen, wenn man roeifc, ba& fte eben eine
fixufyt tfjeorettfdjer Erwägungen ifjrer erpcn Sorfämpfer
ift, au benen fid& bie romantifd&e ^robuftion ebenfo vtxfyält
roie ber moberne Uebermenf^emUnfug in ber $oefie ju ber
Spefulation SRiefcfdjeS. gaffen mir aber ÄauSlerS Dar-
fteHung ber romanttfd&en ^oefte in fid) unb üergltdjen mit
früheren ©tabien ber beutföett £)id)tung ins s Jtuge, fo ent=
fyält fte eine 2tnjaf)l ber feinften ^Bemerkungen unb groar in
einer fcf)önen, oft glänjenben DarfteHung; bie üou einem
mü Späteren gemalte SBemerfung, bag e3 einem SBerfe
über Sßoetif am roenigften anfiele, im ÄoHeftaneen* unb
©runbrifeftilc abgefaßt ju fein, f)at ßauller mit feiner feineu
©mpftnbung ftd^ felbft üon Anfang an gemalt. SBefonberS
au rühmen ift bie grei&eit, mit ber er bem ©egenftanbe
unb genufc audf) feiner eigenen ©mpfinbung gegenüber fte^t.
Xa% er ju XkäZ S3etüunberern gehörte, brauet man nid)t
anber^roofjer 31t nriffen, jebe ©eite be3 2luffa§e3 5eigt e3.
Slber ba3 ^inbert tyn nitf)t, bie ©infeitigfeit unb bie ©efa^ren
biefer Sftidjtung $u erfennen. (Sine fo rein inburibualiftifdje,
oon ber $^)antafte allein biftierte ^oefie fann 511 ber 2Sirf=
lidjfeit bei Gebens fein $8er§ältni3 fjaben; „mit bem 3ett=
punft, wo bie £itteratur tfjren einfamen ©tanbpunft üerltefc
unb in bie Dteifje ber Stampfer für SebenSintereffe trat,
f)örte %ud auf Dtepräfentant feiner 3 eit S u f e w"- ®o
Digitized by Google
124
gewinnt $au3ler aud) ben Stanbort ber objeftioen 33etraa>
tung gegenüber ben 6trebungen be$ jungen Seutfdfjlanbä:
„Sie £etf)argie ber Dleftauration^^eit ift oerfd&wunben, man
fit^It wieber ßraft anf bem (Sroberungäsug fortjufd&reiten
unb %\td fjat fid) abermals in ber beutfdjen i'itteratur über;
lebt. Seinen SBerbienften aber wirb burdf) eine neue 9iia>
tung ber ©egenwart nidjts entzogen, %kd ift unter ben
jefct Iebenbeu Poeten ber bebeuteubfte .... aber bie 2lrt,
wie Siecf baä Slbfolute gefunben Imt, fann un£ jefct nimmer
genügen unb barum intereffteren wir un£ meljr für bie
Kämpfer ber (Gegenwart als für ben Sieger ber Vergangen;
f>eit, wenn aud& unfer äft^ettf d^eö ©ewiffen biefem ben ^5reU
juerfennen mujj". Später, aU hausier ba$ fritifdje £>anb;
werf aufgegeben tjatte unb gur eigenen poettj^en Schöpfung
übergegangen mar, finben fiefy etwa nod) in feinen Briefen
fritifd&e Söemerfungen über alle möglichen ©egenftänbe feiner
auSgebelmtcn Seftüre, bie oon ber Sd&ärfe feinet Urteile
unb von feinem weiten ©efid)t$frei3 3eugni3 geben; in
feiner SHdjjtung ift er um fo reiner gum romantifdfjen 3beal
unb 511m £iedifdf)en 2>orbilbe jurüefgefe^rt.
3ur felben 3ett wie oon bem £ie<f-2Iuffafc ift in $au3ter»
Briefen aud) oon einem Seben ^effingä bie 9iebe; aud& 311
biefem gan§ embrtjonifdf) gebliebenen s 4$lane fjatte mo&l ein
2öerf ber Stomantif ben Slnftofc gegeben, griebrid) Sd&legete
£effüig, beffen üielfadf) falfd&e Slnfdjauungen bod) ben größten
gortfd&ritt 51t einem tieferen SöerftänbniS £effing$ bejetd&neu.
(Sin anberer $u wenig unb falfdf) gewerteter $>id)ter, in beffen
Sdf)ät$ung Ütomautifer unb 3uugbeutfd)e übereinftimmeu
Digitized by Go
125
formten, mar «§einfe; ßausSler f)at feine große SBebeutung
frfi| erfannt unb, ab 1838 Sauber 2lu3gabe von £einfe$
SBerfen erfdjien, bebauert, baß biefe einem SieblingSgebaufen
von tym felbft juüorgefommen fei. gleißig war er in jenen
Sauren als Äritifer für mehrere 3 e ttf$ r tft e, t/ b* e a ^ e * n
ber aufftrebenben litterarifcheu, philofophifchen, auch politifchen
^Bewegung ber &\t *w* 2Me gefpielt fyabtn. 2lm ephe==
merften unb im ganzen auch von fetner großen SBebeutung
mar ber im Eingang ermähnte „Spiegel", ber im 3a^r
1837 non ©rharb, 1838 von griebricf) (55ier)nc rebigiert
würbe. %xo§ feinet Ütebentitels mar ba3 SBlatt faft au&=
fchließlid; ber ßrittf gemibmet, imb biefe mürbe mitunter
recht in bem f rtfchen, fcharfen £one jener ßampfjeit geübt,
ßauäler, ßeöer unb ßurj gehörten ju ben fletßigften WiU
arbeitern ; namentlich ber erfte muß eine große 2ln§a^l oon
9Jecenftoiten geliefert haben. (53 ift leiber nicht möglich,
bte SBerf affer aller Slrtifel §u erraten; beim fic finb nur
mit $af)U\\ ftgniert unb jroar fyabtn einige S8erfaffer fich
mehrerer 3 a ^ en bebtcnt. 3Son ßauller finb nachweislich
bte mit 15 unb bie mit 21 unterzeichneten, vielleicht aber
auch noch anbere. (S£ finb jum Xeil rein referierenbe 2lr=
tifel über litterarifche^euigfeiten, mitunter aber auch siemlicr)
boshafte Semerfungen, einerfeitä gegen 3)?unbt£ „ßuuft ber
^rofa", anbererfeits aber auch gegen bie fpiritiftifche
fofoprjie SBaaberS unb gegen Werners 2ftr)ftagogie. £)iefe
Hrt von 9iomantif besagte Äauäler ganj unb gar nicht,
ebenfo wenig ati bie platte Lanier mancher SBalb; unb
SBtefen^oeten ; e3 h ei 6t oie Herren, Schwab ooran, feien
Digitized by Google
126
über fein Auftreten tjerfdjnupft gewefen — e£ war auch
nicht fefjr angenehm, fid& jagen (äffen ju müffen : „£>er £umor
ber SRomanttfer wirb jufehenbs mürrifd)er unb grämlicher;
ihrer Jronie fehlt bie Sftuhe be3 guten ©eroiffenS. @3 ift
freilich feljr uerjeihlich, wenn fie fidj noch nicht in bie Flotte
alter Herren ju finben wiffen, benn fie fjaben faum erft
aufgehört, bie Dppofition ber Jugenb gegen bie alte auf=
geflärte $rofa ber Afantifchen Qext W bilben, üon ber jefct
nod) bebeutenbe (SiSfd&oHen in £)eutfchlanb umherliegen.
5Dte Sftomanttfer giengen oou ber Jugenb faft unmittelbar
inä SHtet über ; fie fannten nur einen Moment ba£ behagliche
ÖJefüfjl anerfannter ^errfdjaft. Sie finb übrigen^ 3U fein,
als baf? fie nicht balb ben Xanjplafc oerlaffen foHten, um
von ber (Sftrabe ehrenoott auSgebienter ßlaffifer herab wof^
meiuenbe 3ufchcwer abzugeben, »or benen bie Jugenb ef)r=
furchtSooll ben £ut sieht".
SBeit bebeutenber waren bie $aUer Jahrbücher, für
welche ^uge ÄauSler §u mehreren 5lrtifeln ju gewinnen
fud)te. hausier war bereit, über ©örreä unb 33örne 311
fchreiben ; ich ^be aber feinen folgen Slrtifel finben fönnen.
dagegen ^at er für §wei gleichseitige, einanber nah ^tx*
wanbte 3eitf Triften, bie „3eitung für bie elegante SBelt"
unb bie „Europa", in ben Jahren 1839 bis 1841 SBerf<hte=
beneä gefchrieben; leiber höbe ich mehreren Sibliothefen
nur etn$elne SBänbe biefer gan$ feiten geworbenen 3eitfchriften
erhalten fönnen, fenne alfo oon Stauelerä 2lrtifeln nur ein
paar. Jn ber 3^ung für bie elegante 2öelt ftanb 1839
fein Sluffafc „©efdjichte ber Siebe" ; e3 finb geiftoolle, fdjön
Digitized by Go
127
gefchriebene, eigentlich mehr poetifch anmutenbe <St\fötn,
beren ©runbthema baS Verhältnis ber ^Beziehungen groifchen
ben beiben ©efdfjlechtern juni fonftigen Xfyun unb treiben
beS 3Renf$en ift. 3m Jahrgang 1840 ber (Suropa h at
hausier ben litterarifchen £eil be£ geutUetonS burd& eine
Slnjahl oon Sftecenfionen uub anbere flehte 2luffä$e jur
beulen £ttteraturgefchichte bereichert. 2ht£ bem Jahrgang
1841 fenne ich nur ben Sluffafe über ^mmermannS 9ftemo=
rafalien, ber fid& als erfte ber „23efprechungen oon Ütubolf
hausier" einführt, hausier mar, rote fein greunb fturj,
ein großer, aber feineSmegS blinber Verehrer ^Hintermanns
unb fyat bie ©röfje biefcö Richters früher unb flarer als
manche anbere erfannt. SDer 5Utffa§ will nachroetfen, bafj
Qmmermann nach nid^t ganj glücflicheit früheren Verfugen
in ©^afefpcarifierenber unb ©oetf)ifierenber Lanier fchlie&lich
feinen richtigen Seruf, ben eines beutfchen SBalter ©cott
gefunben unb im Dberhof ein roirflicheS 3Jleifterroerf ge=
fc^affcn habe. @S ift baS fchroerlich gan§ geredet gegen bie
älteren Sßerfe ^nunermannS, namentlich bie Epigonen ; aber
es ift fpmptomatifch intereffant, roeil eS bie £enben$ ber
3eit jur $8olfS= unb gamiliengefchichte geigt, ©erabe in
ßauSlerä Greife mar biefe 2enben$ in jenen 3etten ftarf:
5?ur$ fyattt f<h on f eu " 1836 mit Siebe unb ©lücf bie gami=
lien gefliehte mit ftarf lofaler gärbung gepflegt unb mar
eben bamals im begriffe, feinen Heinrich Voller in bie
SBelt gehen ju laffen, in bem bie gamtltengefchtchte in ben
größeren Gahmen einer ©chilberung auS ber ©ef<hi<hte beS
£etmatlanbeS gefteHt mar. Auerbach liefe auf feinen Spinoza
Digitized by Google
128
unb @pf)ratm ßuh feine 25orfgefcf)icf)ten folgen. Seiber finb
mir ÄauSler'S fpätere Slrtifel in ber Europa nicht befannt;
fidler ift mir nur, baf$ er einen über bramatifche £)tdf)ter
üerfa&t l;at.
3>n benfelben Qafjren hat fidh ßauSler auch mit gefd^ic^t=
liehen Stoffen befd)äftigt. Sein trüber ^atte, roie fd)on
berichtet ift, 1839 ben erften unb einzigen $8anb ber 2lfftfen
üon Sevufalem oeröffentltcht. 2ln biefe Arbeit fd^(o§ fid&
eine nah oerroanbte an, bie »on beiben trübem gemeinfam
aufgeführt mürbe, Sie überfefcten jufammen bie (Befeuchte
ber ßreu§3üge unb be£ ßönigreichsS Qerufalem uon bem
@r§bifdt)of SBüfyelm t>on %x)tu$, bie 511 ben bebeutenften
mittelalterlichen ©ef$icf)t3roerfen $ählt; ber ftattlicfje 33anb
erfdhien 1840 bei Ärabbe in Stuttgart. fRubolf ift eä t)or=
nehmlich, bem biefe Ueberfefcung ju banfen ift; fie fyält
fidf) fo treu a(3 möglich an ba3 Original unb hat ben %on
einer mittelalterlichen ©efd^id^t^erjä^lung mit ber rounber=
liehen SHifchung antif=römtfcher fttytoxit unb annaliftifcher
^aioetät recht gut getroffen. ßauSler ift jutn Qmd be3
3ufammenarbeiten3 mit feinem 33ruber im Sluguft 1839
na$ Stuttgart gebogen unb hat längere Qeit bort gewohnt,
ftiH unb §urücfgesogen ; ßurj, ber bamals in Stuttgart mit
feiner 3lrioft-Ueberfe^ung befchäftigt mar, melbet im Sftärj
1840 an Heller: „2Bir fehen uns feiten, treffen £ie unb
ba im ^önig üon ©nglanb jufammen, unb gehen bann,
Schief fal unb ©emüt befpredjjenb, wie nächtliche SDämonen
bi£ ein Uhr am Sdfjlo& auf unb ab". 9flit bem ©egen=
ftanbe, meldhen ba3 2Berf 2Bilhelm§ behanbelt, unb ben
Digitized by Go
129
von ba au£gel)enben Anregungen Jjängt inbireft ntd^t nur
ber fpäter befprechenbe Stoff eines Sragöbien^ntnmrfeS
Mammen, fonbern roohl auch bie 3bee, bie jübifche ©efd^id^te
be3 3ofep^u0 su bearbeiten, meldte hausier 1843 gefaßt,
aber al^balb roteber oerroorfen hat.
£>te litterarifche ^hötigfeit, roeld&e er um ba3 3afjr
1840 cntiüicfett hat, hatte roohl auch ben $mtd, bte Sub=
fiften$mittel für einen £eben3plan gu gemimten, ben er ba=
maU ernftlich betrieben ^at. ©ine burdjauS innerliche,
fpefulatioe ^atur, ^atte er oon jeher bie ^^Uofop^ie in ben
2Wtttetpunft feinet getftigen 3ntere|fe3 gefteHt. (Sr fcatte,
wie wir fa^en, fd&on in 93laubeuren ficf) burch SBaur'3
^erobotftunben angeregt mit ben Anfängen ber s Iftenfd)f)eit
befaßt unb gelejen, roaS oon ©cheHtngianern barüber ge-
trieben roorben mar; bann ^atte er im (Stift fid) mit
§egel befdmfttgt, aber fid) von ihm befreit. Al3 Stifte
6tbltotf)efar mar er, roenn auch oergebüd;, aufgeforbert roorben,
fid) an ber von bem jüngeren gidjte bamate gegrünbeten
3eitfdE)rift für ^^ilofop^ie $u beteiligen; mit ßttorbano
23runo, mit Abälarb ^at er ftch noch fpäter befdjäftigt.
2)en ©ebanfen, ^orlefungen über ^^ilofop^ie ju Ratten,
hatte er mehrmals gehegt unb immer roieber fallen gelafjett.
3m Sommer 1840 gebachte er ihn in Bübingen su oer=
roirflidhen. @r reichte ben Auffafc über £iecf ein unb fech=
je^n tyanbfchriftliche Siefen in tateinif<^er Spraye, meiere
in einer fehr an ©cheHiug erinnernben Art ben Unterfd&ieb
üon Watm-- unb ©etfte^p^ilof op^ic behanbeln. $)a$ genügte
$u einer Habilitation freilich nicht. 3m nächften April er=
ftifc^er , Beiträge U. 9
Digitized by Google
130
neuerte ßauSler in Bübingen feine SBeroerbung um bie
£>oftornriirbe bur$ eine gebrucfte 6<$rift, roteber aus fedfj=
je^n Siefen beftefjenb, aber r>on größerem Ilmfang unb in
beutfd&er ©pradfje: „£)er begriff ber Sßiffenfdfjaft". (Sr fyat
fid) mit biefer Sdjrift am 21. SWai 1841 ben SDol torgrab
an ber ^eimifdjen ,§od&fd)ule erroorben. S)te 6d>rift zeigt
i^ren Urfprung aus ber 2)taleftif Tegels unb feiner $eit
ganz beutlid^. gormeE ift fie ganz in ber 9lrt Tegels ge=
galten; in^altlidg aber fott eben bie abfolute $f)tlofopf)ie
überrounben werben 311 ©unften einer ©pefulation, bie mit
Bellings 3bentitätSpf)ilofopf)ie naf) oerroanbt ift unb jeben=
falls in bem ßernfafce, ba& mir baS Unenblidtje finb, roenn
mir uns als fold&eS betätigen, ganz aus ber romantifd&en
$l)ilofoprjie l)eroorgegangen ift. Sefjr c^arafteriftifdt) ift für
ben SBerfaffer jene -ättifd&ung r>on ßritif unb 2)tt)fticiSmuS,
bie bie SRomantif ans ^piato gefdjöpft unb felber — man
barf an 9tot>aliS erinnern — gerne gepflegt fyat. lauster
f)at aber mit biefer (5<$rift bie Habilitation ntd&t in %ü=
bingen nad&gefudfjt. Keffer fd&ienen ifjm bie 2luSftd)ten in
greiburg i. 33. 51t fein; ein Slrtifel über biefe Unioerfttät,
ber 1839 in ben Kaller 3al)rbüd^ern ftanb, fjatte barauf f)in=
geroiefen, baft bort im gad)e ber $f)ilofopj)ie eine Sücfe
auszufüllen roäre. Sic auszufüllen tonnte hausier hoffen,
beffen ganze 2lrt zu benfen unb 511 empfinben r>on bem
fpegififd) $roteftanüfcf)en entfernt lag unb beffen p^ilofop^ifa^e
3Ridf)tung ber 6d)eHingS unb ber großen SJtyfttfer beS fpäteren
Mittelalters nafje nerroanbt mar. @r fdfjetnt aber, als er
im SBorfommer 1841 felbft nadf) greiburg reifte, um ben
Digitized by Go
131
Robert gu unterfud&en, bocf) auf weit mef)r fpejiftfd&en $a=
tf)olici3mu$ ö^ftofeen fein, ati er erwartet f)atte, unb fctjrte
roieber um, oljne einen weiteren Stritt §u feiner geftfe&ung
get^an gu Jjaben. £)ie „pl)i[ofop()ifdf)e gata 9)Zorgana"
fajwanb rafdf) baf)in unb fet)rte mdjjt lieber. (53 wirb fein
Unglücf für ßaueler gewefen fein. 6ia) in ber Deffentlia>
feit geltenb ju machen, war ganj unb gar nid)t feine 6adj)e;
unb für ben le^r^aften Vortrag wäre feine ganje 2lrt ju
wenig bogmattfcf) angelegt gewefen.
5lau£ler fefjrte von biefem 2lu3f(uge wieber 311 feinen
6d)weftern nadf) SBinnenben surüdf, wo er feit ber SBoUeiu
bung be3 2Bitf)elm uon Xt)ru3 wieber gelebt E)atte. @r war
entfdf) [offen, wieber ©eiftltd&er ju werben, Ijat fi<f> in ber
Stille auf bie aweite $ienftprüfung vorbereitet unb fie an
Ottern 1842 gemad)t.
@r war nun al£ 2lmt3üermefer an cerf fieberten Drten
bei württembergifcfjen Unterlanbeä werwenbet : 00m Septem=
ber 1842 bis Januar 1843 in ßnittlingen, bis jum äRai
in ^Benningen bei Sftarbaclj, bi§ Qanuar 1844 in ©ro&fadfjfen;
fjeim, bann in .god&borf bei 9Jiarbacf) ; com 1. Quni an
enbüdj in bem SMbenferborfe ^eroufe, wo ifim bie Pfarrei
im ^ooember 1844 bauemb übertragen würbe. SDort fjat
er feine üermitwete Sdf)wefter mit ifjrer einjtgen £od&ter
in fid) genommen; fie fjaben brei Qa^rje^nte feinen £auS*
f)alt geteilt, wäfyrenb bie anbern (Sdfjweftem mit bem SBruber
©buarb in (Stuttgart jufommen wohnten. (£3 war eine
fleine unb arme ©emeinbe, bie erft wenige %al)xe felbftänbig
beftanb unb nodf) baju com %a\)tt 1846 an unter groger
9*
Digitized by Google
132
Seurung ferner 5U leiben hatte; fern oom $crfet)r gelegen
in ben SMbern, bie fid) längs ber Strafee uon £eonberg
nad) $foY)(eim ausbeuten, gür bie Seelforge fyat es fyitx
an Gelegenheit nicht gefehlt, unb auch nicht an ©infamfeit
für nachhaltige 9trbeit. hausier fanb balb, ba& er roeit
mehr greube am geiftlidjen Seruf fyabt, als er geglaubt
^atte. 2öiffenfd)aftlid)e Sßläne tyat er noch eine Stit
gehegt. 3m 3af)r 1844 wollte er eine p^üofop^ifd)e Arbeit
herausgeben unb glaubte feine Stimmung für etroaS anbereS
ju befommen, el;e er fie fid) Dom fersen geschrieben §abe.
3m nämlichen Sarjre brachte ©buarb hausier ein rceitauS=
fehenbeS gelehrtes Unternehmen auf bie 23ahn, eine attge^
meine 3 e itid)riit für l'itteraturgefcbichte, beren $lan von
Üiubolf auf baS Mittelalter, roenn auch in fefjr roeitem Um«
fang, eingefchräuft mürbe; eS mar babei üor allem an füb;
beutfehe Mitarbeiter gebaut unb barin fyattt ber ©ebanfe
mit ber ^feifferifchen Germania Slehulichfeit, bie ein $)ufcenb
Qahre fpäter ins £eben getreten ift. 2)er Sßlan mar aber
rjiel 3U umfaffenb unb ein Verleger hat fid), fehr begreiflicher
SBeife, nicht finben laffen.
Mehr Früchte h<*t bie poetifd&e £r)ätigfett getragen,
bie fid) an bie (Stelle ber roiffenfd)aftlidjen gebrängt h<*t.
©ine feltene geinfüf)ligfeit für baS ^oetifche mar fchon aus
Häuslers fritifchen Arbeiten 3U erfennen, unb bie fprach-
liche $>arftellung ift burchauS mit fünftlerifchem Sinne ge*
tränft. 5lHein Don eigener Dichtung ift bis in bie Diesiger
3ahre nichts 3U finben. 9tur eine 2lnjal)l uon lurifchen
Gebieten fyaU ich oor mir gehabt, beren feines ben 2Beg
Digitized by Go
133
in bie Deffentlid&feit gcfunben f)at. <5ie finb etiuaä farblos
unb weiften« in ber SBeife ber jüngeren Slomantiler ge=
galten; ber ßinfluß Uf)lanb£ unb ber engüfdjen SBaHaben ift
unnerfennbar. ©d&on im 3af)r 1841 aber mufc £au$ler fid^
ber erjäljlenben ^oefie jugemanbt fjaben unb ifyx ift er aud&
am treuften geblieben. (Sin paar anbere Pane flogen Ujm
burdf) ben ^opf : 1843 rebet er von einem fd&wäbifd&en %oit&
ftütf in ber gorm be3 Singfpiete, tuortit bie 3ufrmtmen=
fünft Sßrins ßugend unb 9JJarlborougI}3 im Saturn in ©rofa
£eppad) mit t»erfd&iebeneu Sotaltnpen fomtjcf) bargeftellt
werben fotttc ; ber $tan ift an ^ermann ßur$ abgetreten
unb t»on i£m liegen gelaffen roorben. ßbenfo ftüd&tig taud)t
ein Qa^r fpäter ber ©ebanfe auf, bie -ättetamorpljofen bes
SHpulejuS al£ ßinberleftüre $u bef)anbeln. 2lu£ ben @r*
^hingen aber ift etwa« geworben. Um ba<3 3afjr 1850
§atte hausier iljrer fo üicle beifammen, ba|3 ein beileibe ner
23anb bamit gefüllt werben tonnte. (Sr wählte ben einfachen
^itcl „(Srscrt) fangen" ; ob er feineu tarnen nennen foUte,
barüber fdjwanfte er, bann wollte er ben üftamen „Submig
SRubolf" wählen; e* war ba$ ja eine beutlid&e ^ulbigung
für SiecT, ber wie geiftig fo aud) burd; biefe ^Benennung
*ßate fteljen fottte; aber fonnte ba§ nidf)t aud& aU title 3(n--
ntafeung miftbeutet werben? fo würbe fd)liefjli$ ber £itel
„(Srjäljlungen r>on St. SRubotf" gewählt. Unter iljm erfd&ieu
bie Sammlung 1851 bei tfrabbe in Stuttgart aU$ ein bünneS
23änbd)en. (53 finb neun v JJoueKen, üon beueu §wei in
Herfen finb, bie anbem in $rofa, aber sunt £eil mit ein=
geftreuten ©ebid&ten gefdfjmücft, bie balb in ber fd^lid^ten
Digitized by Google
134
2lrt Uf)lcmbifd)er £'nri£ unb 53aUabenpoefie gehalten finb,
balb reichere, fantatenartige formen geigen; id) möchte dcp
muten, bafj and) ein Sftufifer ein paar baoon brausen föiinte,
fie ftnb ganj mufifalifcf) gebaut unb fdjeinen sur tfompo;
fition eingaben. Sie ©egenftänbe ber (S^ä^lungen finb
mannigfaltig genug ; frei erfunben ift l)öd)ften3 bie nioberne
©efd)td)te „Sie freunblidjeu trüber", eine Sdn'lberung aus
ber gebilbeten ©efellfdjaft, in eblem, roeltmännifd)em Xone ;
ba3 Motiu entfagenber Neigung möchte aber bod) roof)l ben
eigenen fierjenSerlebniffen be3 Sid)ter£ entfprungen fein.
9iod) jroeünal tefyxt biefeS 3Wottt) roteber, in ber erften 9*0*
Delle „Sa3 geftgebiebt", in ba3 Öeroanb ber italiemfd^en
SHenaiffance gef leibet, unb in ber (Sraäfjlung „MaamS ^eidjem
feier", meiere ebenfalls in Italien fpielt, äugleid) aber mit
bem frembartigen Dfteije orientalifcber SRomantif $u roirfen
fudjt. S3ei ber Umgenannten ©rgä^lung mag $au*(er aud)
an feinen Högling $zbad)t fjaben, benn fie f)anbelt von einem
Söoten be£ @oange(ium$ im Orient, ber bort feine §rau ge-
mannen unb verloren fjat. Mittelalterliche SRomanttf be-
f>errfd)t bie (Srjä&Iungen „3mi ©eftd)te", einer beutfdjen
SRittergefd)id)te von ber Untreue unb 23efef)rung eines uor-
nehmen Mannes nad)er$äf)lt, unb „Sie $Bettlerstod)ter",
roorin bie @ef$i$te von ber Verbannung unb 9lü<ffef)r
be» Königs Savib 33ruce erjäfjlt wirb. Siefe s Jlitterge=
fd)id)ten tjaben i(;re $eit gehabt unb werben wof)l nid)t fo
balb wteber in 2(uf nannte t'ommen; mit mefjr poetifdjer
©<$ön$ett aU in biefer fdjottifcben ®efd)td)te f'önnen fie
nid)t mot)l vorgetragen werben. Sie in reimlofe gamben
Digitized by Go
135
gefaßte <5fi$se „©djlofc getled" Ijat nad) einer brieflichen
Angabe $au<Sler3 i^r £ofal im roürttembergifdjen Sngtljal,
ein paar ©tunben üon Sßeroufe entfernt; e3 finb roman*
ttfdje 3been, roie fie in bem SBefudfjer einer ©dtfofjruine
auffteigen unb fid) ju einer furjen gamiliengefd)id)te t>er*
bieten, in ber — für hausier ganj besetdjnenb — ber
burdf) bie ©laubenStrennung entftanbene gamilienprift bie
Hauptrolle fpielt. (Sin nicblid^eS, fdjtttewbeS £)ing iffc „S)ie
Ringeltaube", in mittelalterlichen Reimpaaren: eine sier=
Itd;e, Ijalb märchenhafte £iergefd)icf)te ; man möchte benfen,
es fei eine 2(rt von ©elbftbefenntnte bei $td)ter3: ber
(Stnfiebler, ber fid; mübe au£ ber Söelt jurüctjie^en roiU,
fie^t, nrie auch in ber Statut ber flampf feinblicher ©eroalten
tobt unb bie £ilfe guter greunbe ft<h geltenb machen fann,
unb roirb fo getrieben, in bie SBelt jurüd^ufe^ren. gür
bie jroei bebeutenbften, zugleich auch bie mobernften, unter
beu (Stählungen halte ich „■ättafftngeriS 58egräbni3" unb
„Xaä fchraar§e Schlofj". 2ttan tonn, wenn man null, beibe
all eine 2lrt t?on ßonfeffton anfehen. £>ie erfte RooeHe
erjä^lt, mie nach ^^ilipp SRafjtnfjerS Xobe 6$apman, fein
2Ir§t unb greunb, bie £eben<3erinnerungen bei £oten lieft
unb f)ier eine Xragtf finbet, bie er nicht erwartet Rätter
bie £ragöbie eines SJtanneS, ber ohne tiefgerourselteS @enie
Sßerfc machen unb ©mpftnbungen barin heucheln muß, barnit
3Beib unb ßinber leben f önnen ; als ©atyrferiel fommt &fa§u,
nrie ein vornehmer «gerr, ber bem Seidjjensug be» armen
Poeten begegnet, in ber ©önnerlaune bie mürbigften @£fe=
quien auf ben folgenben Sag beftellt, um aUbanu — nicht
Digitized by Google
136
§u erfd&einen, fo bog bie Dlefte beS Sinnen faft fjehnltd&
eiugefdfjarrt werben muffen. 3dfj roüfjte nic^t, roo baS (§lenb
beS ^oetentumS ergretfenber unb bod^ mit einem fo Der*
föfmlidjen, roetymütig läd&elnben 3uge gezeichnet wäre roie
fner. Sie £ofalfarbe ift aufs fd&önftc getroffen; üielleicf)t
aber erhält bie ganje ©rjählung bodfj nod) einen anbern
Hintergrund roenn man ftdj erinnert, bafr ü)r SBerfaffer,
begabt mit ber feinften (£mpfinbung, aber nicht mit ber
gertigfeit, nad) ber @lle 31t arbeiten unb fich burcf) D^eflame
5ur ©eltung 3U bringen, felber eine 3*it lang gebadet ^atte,
üon bem (Srtrag feiner geber gu (eben, unb nun mit einem
©eufjer ber Erleichterung barauf jurüdblicfen mochte. £)a3
„Schroarje Schlo&" ift bie längfte, bie in ftch reichfte unb
für bie Sperfou be^ SöerfafferS intereffantefte ber neun 9*0*
tjeHen. $)er äujjere Umrtfj ber ©rjä^lung unb manches
©injelne ift bem £eben beS Dffultiften Kornelius 2lgrippa
non Nettesheim entnommen, insbefonbere bem $efmten ^Briefe
feinet erften SöriefbuchS. Slgrippa, ber von ftch felbft er=
jä^lenb eingeführt ift, berietet rote er um baS Qaf)r 1507
in Montpellier bie Magie ftubiert, bort in bie ©efeHfchaft
eines föniglidjen ©ouoerneurS fommt, beffen 6chlof$ gegen
aufftänbifche dauern uerteibigt unb enblich, burch baS treiben
anberer $bepten an ber magifchen $unft irre gemalt, ftch
rafdf) nad) &aufe roenbet, um bie Stelle eines Kölner (5tabt=
argtes als Nachfolger feines eben üerftorbenen SßaterS an=
ptreten. Manche ber prächtigen fonfreten Qü^e ber @r-
5ä^lung ftammen aus bem Original, ebenfo üiele anberc
oon hausier felbft. SBaS aber bie (Srjäfjlung befonbers
Digitized by Go
137
roertooH macht, ift, bafe fie t>oÜ von perfönlichen 23efennt=
niffen ift. @£ finb üerfdjiebene $erfönlid£)feiten gcfdjtlbert,
bic jcbenfattö nur bem tarnen nach — unb ba$ auch nur
teüroeife — au$ Slgrtppa» Briefen entnommen finb, in
SBirfUdjfeit aber SKitglieber be3 ftubentifdjen ßreifeä bar*
[teilen, ber fi<h in Bübingen um Slauäler gebilbet ^atte.
|>ermann $ur$ tjat baS gan$ au^brüdlid) begeugt, roenn er
auch fid) felbft unb feinem „2ßirt3haue gegenüber" grofjeä
llnred)t antrat, inbem er 1857 in ber an hausier gerid)=
teten 2öibmung be» erften SBanbeg feiner (Stählungen fchrieb :
hausier ^abe in biefer Sonette geseigt, „bafj man ben <5tu=
beuten be» neunzehnten 3ahrf)unbert3 nur bann erträglich
fdjilbern fann, wenn man il;n gerabeju um breiljunbert
3>ahre älter macht". Slber e3 ift ßauSlern äroeifeHoä nicht
eingefallen, in biefer Sraoeftieruug ftubentifcher Erinnerungen
ben <5<hroerpunft be3 ©ansen ju finben. 52Dic (Stählung
hat eine mel tiefere perfönliche SBebeutung. 2i>er ift biefer
3ögling ber 3)Jagie anberä als ber Sßerfaffer felbft, ber e3
auch mit bem afabemtfchen betrieb ber ^öd^ften unb ge=
heimften SBiffenfchaft ^at nerfudjen wollen unb nun, nad)
bem 2htf = unb Slbwogen jmif^en ber Begeiferung be3
<5d)üler£ unb ben gmetf ein be£ ehrlichen SKenfdjen, eines
■äJJorgenä bem 3)h;ftagogcntum ben Diüden roenbet unb, mit
einem tiefen Itemsug fid) bie (Stinte roifdjenb, flaren 2luge3
in bie uon bem ehrlichen £age3geftirn beleuchtete £anbfd^aft,
in ba3 fdE)lid^te £eben be£ praftifcfjen Söerufeö t;ineinmar)d)iertV
@£ ift ba§ 3 ei( h e " wahren ^oeten, bafe und biefe per=
fönlid)e Ziehung nirgenbä aufbringlich entgegentritt, fon=
Digitized by Google
138
bern baß bic (Stählung gelefen unb genoffen werben fann
auch von bem, ber von biefen perfönlichen 3ufammenhängen
feine 2lfmung fjat; dou fich felbft ^ot ber feufch fid^ t>er=
hütfenbe Stchter nur fo oiel gegeben, als erforberlich war,
ber (Stählung bie innere, pulfierenbe SSärme ber fubjeftioen
2Baf)rheit gn geben.
Sie Stärfe biefer ^ooellen inSgefamt ift nicht bie ©r^
finbung, beS rohen ftofflichen Dteijc^ entbehren fie ganj.
3Wan muß fich fdjwn entfchließen, 9toüeHeu als fünftlerifche
©rjeugniffe unb als SJknifeftattonen beS Seelenlebens eines
Sichters, nid^t als UnterhaltungSleftüre aufjufaffen, wenn
man biefen näher fommen will. Sann wirb man aber be=
lol;nt werben. Sann offenbart fich nicht nur ein finniges,
3art unb boch ftarf empftnbenbeS Sichtergemüt, fonberu
auch eine güUe uon Schönem in ber Sarftellung. Sic
Sprache fliegt in reinem (Sbenmaß baJjiu unb ift oon einer
milben, gleichmäßigen äBärme befeelt. (SS ift wohl felbft=
üerftänblid), baß berartige (Stählungen nicht für ben großen
Wlaxtt fein fönnen. Silber eS fommt weiter hut$u, baß fie
in ü)rer gangen 2lrt burchauS ber romantifchen (Battung an=
gehören, mit feinem anbern Siebter mehr Qkrmanbtfdfjaft
jeigen, als mit Siecf. (SS jeigt ftch ba ein eigentümlicher
SBiberftrett jwifchen bem fritifc^en SBerftanb unb bem Sinters
herben, wie er bei foldjen alljufein organifierten Staturen
oft üorfommt unb ihren ©rfolg in ber Deffentlid)feit be=
einträdjtigt. Ser üritifer flauster hatte fcfjon ein Su&enb
3>ahre früher gefehen, baß bie 3eit ber Slomanttf um war,
baß bie SBelt benjenigen gehörte, bie ihre Sichtung in ben
Digitized by Go
139
$>ienft ber $e\t [teilten, unb er §atte e£ an 3mmermann
gerühmt ba& er jur £)arftelhmg beS 2>otf3leben3 überge=
gangen mar. £>er £)id(jter $au3ler war ganj im alten ro=
tnanttfd&en £anbe geblieben ; roenn er im „6d)ioar3en 6d()lo&"
Tagt: „2lu<f> jefct fd&roanfte td), wie in früf)efter Sugenb,
jnjifd^en bem Verlangen nad) ber roeiteften gerne, um alle
2Bunber ber 9ktur 511 flauen, unb jpoiföen bem Sßorfafe,
mid) einfteblertfdf) in ein enges ©ebirgStljal abjufdKtefeen,
benn e<3 roar mir oft, bie Statur lönne au<$ l)ier bem aiu
bärtigen gorfdfjer iljre ganje £errUdt)feit offenbaren, ja,
bie 9tuf)e ber Betrachtung fei nur in einem folgen fieben
ju finben", fo ift ba3 gut romantifd), aud) 3ean=$aulifcf),
t>or allem aber gut fd)n)äbifd&. ©afj bei folgern ©dfjroanfen
ber enblid&e (Sntfd&tufi nur auf bie sroette «Seite fallen fann,
fid) in ba£ ®ebtrg3tf)al einjufd&liefcen, üerfte^t fid) oon felbft,
@3 ift f$on biefem unb jenem unferer fd;n>äbifd;en £anb$;
leute in feiner SBeltfrembfjeit rotberfafjreu, mit ben ebelfteu
(Srjeugniffen feinet ©elftem 3U fpät an3 ^ageslidjt 5U treten ;
roeldf)e£ Sluffe^en mürben bie gelehrten Arbeiten UljlanbS
gemalt tyaben, roenn fie ni<$t, mit 2fo3nal;meu, erft nad)
feinem £obe ber 2BcIt befannt geworben mären ! ®te 3ett,
welche Xiedte, SÄrminä, Brentano^ erklungen genofe unb
liebte, mürbe audf) für ft. Dlubolf ein $ß(ä$$en gehabt f)aben,
ein befdjeibeneS, aber fein unrüljmlidjeä. £)emt an SBeite
unb geinfjeit ber Bilbung fte^t er jenen ©eifteSoerroaubten
miiibeftenS gleicfj. ©ine fpätere 3eit, bie uom Dieter oer-
langte, baß er tn3 moberne aJtenfd&enleben greifen, ba3 $olt
bei ber Slrbeit geigen foHe, fanb ben 2öeg in ba3 fülle ©e-
Digitized by Google
140
birg$tf)at ntd;t meljr. Einige ber heften nahmen waljr, ba&
§ier ein bem SWciftcr Subwig nidjt unebenbürtiger (Srjä^er
aufgetreten mar; aber es waren wenige. 31U £et>fe uub
Äurg jroanjig Qafyre fpäter i^ren beutfd&en 9Zot>eUeiifc^a§
Verausgaben, wollten fie baS ©d&war^e ©d)lofj barin auf;
nehmen; eine Umarbeitung be3 ©djluffeä würbe gewünfdjt;
lauster, fdjon leibenb geworben, tarn nicf)t mefjr baju, ^at
fid) wofjl aud) gefreut, ben intim perfönlid&en unb nur fo
üerftänblid&en 3nl;alt be3 ©d)luffe3 preisgeben, ©o blieb
bie Novelle unb mit ifyx bie ganje Sammlung in ifjrer Sßer=
geffenljeit.
3n ber ©infamfeit be$ armen SIBalbenferborfeä f)at
hausier jel;n Qaljre gewirfi, er fjat bort ba$ $olf fennen
unb lieben gelernt. 2luf bie Sänge fonnte iljm bie ärm=
Itd;e Stellung nid)t genügen. Slber in eine grofce SBirfs
famfeit, in einen ber Orte an ber großen ^eerftrafee unb
nafje ber Mefibenj wollte er md)t : „man ift in biefen größeren
Orten be3 Unterlanbeä genötigt, mit allen neu üorgefdjlagenen
geiftlidjen ßomöbien eine Sßrobe )u madjen". (S3 gelang
tl;m, im $erbft 1854 eine neue, feinen SBünfd&en burdjauä
entfpredienbe ^farrfteüe in Stötten bei Reislingen $u be=
fommen. 2>a<3 &orf liegt fyoä) oben auf ber 3Ub, in frtfdjer
£uft, wie fie für ßauSlerS ÄonfHtution paßte, uom $erfef)r
entfernt ; bie ©emeinbe war ruf)tg unb georbnet ; ber 3)efan
in ©eieltngen ein früherer Se^rer ßau3ler§, ein 9)fann ber
ariftofratifdjen öilbung unb ©itte, ein liebenSmürbiger,
humaner ^orgefe^ter fetner ^farrfjerren. hausier war in
Stötten wieber beinahe gel;n 3af)re. ©ein 2lmt war an=
Digitized by Go
141
geneljm unb Itejj tym freier getftiger $efd)äftigung Qtit.
SDen engften ßrete ber £f)ätigfeit, £au3 unb SDorf, (;at
er m'djt oft uerlaffen. ©einer sarten ftonfütutioti mar größere
förperlidje 2lnftrengung roeber ein SebürfnU nodj eine 2Bol)l-
tf)at, im ©egenfage ju feinem roof)l faum üiel robufteren
öruber, ben faft jeber Sommer irgenbroo im ßodjgebirge
umberflettern gefefjen §at. 2lber einfam mar er nid&t.
£ie 6d)roefter unb bie -ftid&te, oft aud) bie Neffen, teilten
fein |>au3 ntdjt nur, fonbern aud) feine geiftigen 3utereffen.
2ln Sefudj »on greunben fehlte e$ nid)t, oon alten wie
ßurj ober ©eeger unb üon neu erworbenen. 2£ie mol)l
e3 einem unter feinem gaftltdjeu SDadje werben fonnte, fjabe
in etwa3 fpäteren Seiten id) felbft aU angeljenber 3i'mg=
ling erfahren bürfeu. SDkndjeS anfprud)3üollere unb ge«
räufdjuollere £au3 f)at weniger ®eift beherbergt, a(£ ba£
$farrl)au3 in ©tötten. $or ädern mar Sluerbad), mie fc^ou
in ^eroufe (ober äBalbfjaufen, mie er e$ nennt), ein fleißiger
©aft; er ift in feinen Briefen an JJafob Suerbadj nidjt
mübe geworben, ba£ £ob $au3ler3 §u üerfünbigen: „2)ftr
tfjut fein Siefen wal^aft wo£)t, mie bie frifdje Sllbluft §ier,
unb mir liegen mit einanber im 2Balbe ober flauen oon
£>öl)en in ba3 Serggewimmel. 2>a3 £au§ ift eine waf)re
griebeuäinfel, unb fdjon ba$ &afein eines folgen grieben^
fjaufes in einem 2)orfe ift bie befte ßtrd&e unb |>eil3lef)re".
2lud) für feine eigenen 2öerfe l)at 2luerbad), mie er felber
angibt, mand)e3 auä bem Umgang mit $au$ler gefdjöpft.
Man roetjs ja, mie begierig er überall Ijerum §örte, inte;
reffante Angaben, geiftreid)e 2Ui3brüde auffing unb feiner
Digitized by Google
142
Brieftafche einverleibte. 2lud) mit mancher auf bem ßeben
geköpften Beobachtung fonnte laudier feinem greunbe bie=
nen. Die von ihm gegebene 3bee eines Bauern=£ear (jat
Auerbach nicht aufgeführt, aber biefef unb jenes anbere.
Daf rührenbe 9)totiv im „Barfüfjele", bafj bie ßinber am
£aufe ber toten ©Item anHopfen, ftammt auf einer roirf;
liefen Begebenheit in Sßeroufe, roeldje ßauflerf Schroetter
erjähft ^atte; ja ich erfahre, baß baf Barfü&ele felbft eins
mal bei ihm ^farrmagb geivefen fei. 2lm meiften Be$ie=
hungen ^at ßaufler 311 „Qofeph im Schnee" gehabt. Die
ganje öefchichte von bem im (Schnee verirrten Ktnbe ftammt
auf ^eroufe, tvo ein Jtinb im Sßalb verirrt unb erfroren
war; bie frönen Berfe, bie Kaueler alf 3nfchrift auf baf
©rab biefef Kinbef gebietet J^atte, hat Auerbach feiner @r=
jählung vorangeiMt ; noch mehr : ber Pfarrer, ber in ber
©efchichte eine Hauptrolle fpielt, ber einige proteftantifdje
©eiftliche, ben Auerbach, in fatholifcher Umgebung aufge-
warfen, in feinen Dorfgei<hicf)ten gefd&ilbert fyat, ift baf
treue 2lbbilb ßauflers — nur bafe biefer nicht 2öeib noch
üinber hatte. Gr lebte in Stille unb £rcue feinem Beruf ;
jum gewaltigen Donnerer, jum auferlefenen Kirchenmann
mar er nicht geboren — er backte ivohl an bie Bibelftelle
vom Sturmroinb, vom ©rbbeben, vom geuer unb von bem
fanften Säufein, in bem ber |>err mar. Seinem echten
(Ehriftentum hätte s )tiemanb am 3eug fliefen fönnen; aber
von Dogmattemus, von Befenntnifchriftentum, von 3ftetf)o--
btfmuS mar gar nichts in ihm. 2Benn er in feinen Briefen
bem UmviUen über baS laute unb vorlaute ©hriftentum un &
Digitized by Go
143
ßirdjentum 2lu3brud gibt, auf ba3 nodj immer £efftng$
SBort pagt, bag man am mciften oon bem rebet, was man
am roenigften f)at; fo gefd)ief)t e£ nid)t triel anberä, als
2Iuerbad) feinen Pfarrer fpred)en lägt: man f)at tf)tn bie
erfte offene ©teile oerfprodjen — „G& märe mir ernrimfd)t,
ben Altern nafje ju fein, unb iä) f)abe aud) oft einen magren
Surft nad) guter 3Wufif; aber ity tauge nidjt in bie neue
Drtfjoboyie unb in ba§ Slufpaffen, ob man aud) ftreng ftrd)=
lidj prebige. Unb ba ift unter meinen StmtSbrübern ein
eraigel ©eforge für ba£ Seelenheil ber Sßfarrfmber, ein
gegenfeitigeS ^eaepte=geben, ba3 triel von $ral)leret f)at.
(£» ift bamit, wie mit ber (Srgiefjung ; je weniger üon @r=
3tef)ung (Sltern anroenben, um fo meljr luiffen fie feljr ge=
fdjeib baoon 51t fpred)en. Seib brat), unb ifyx erjie^t o^ne
t)iel $unft unb o^ne beftänbige 2lngft unb gürforge eure
eigenen tinber unb eure ^farrünber. 3$ roeiß, id& ftefje
auf bem 33oben ber reinen Sef)re, foroeit meine ftraft retdjt."
SBenn man bie Sejeidjnung eineä „(Stillen im £anbe" i^reö
pietiftifdjen $etgefd)macf£ entfletbet — benu alles pettftifdje,
6eftiererifd)e, ilonDentifelmäBige mar il;m als banauftfd),
als unbefdjeibene Ueberfjebung jumiber — , fo pafrt fie auf
hausier üortrefflid), ber in aller ©titte unb £reue feinet
SlmteS mattete unb e£ nid)t liebte, mit täppifd)er ^anb in
ba£ innere £eben anberer hinein ju greifen.
©r felbft märe am liebften in bem fleinen, georbneten
3lIbborfe geblieben. Sie ©efa^roifter in Stuttgart roünfdjten
aber, baft er in größere 9M^e ju i§nen jöge; benn Stötten
mar nur in einer SEagreife ju erreichen. So übernahm
Digitized by Google
144
Hemeler im September 1863 bie Pfarrei in ßlein^tSltngen
bei ©öpptngen, in bem anmutigen gilsthale, im 9lngeficf)t
bes SRed&bergS, ber §u ben genftern herein griijätc ; ein
freunblidjer, wohlgepflegter (harten umgab baS Pfarrhaus.
Slber bie ©emeinbe war fechSmal fo groß als Stötten; es
fehlte nicht an gabrifbeoölferung, nicht an einer großen
2Jienge üon ßinbern, bie bem garten, altemben 9Hann oiel
2)?ülje oerurjachten. ©eine Gräfte finb wohl baburch noch
rafd&er üerbraucht worben. (5S fiel in bie (Sulinger Sa^re
oiel Slufregenbes im öffentlichen Seben ; namentlich bie Um»
Weisungen unb Kriege, bie im Saufe oon adjt Qahren fäliefc
lieh jur ©rünbung beS neuen beutfcfjen Meiches geführt
haben, hausier war ein Wann beS Beharrens unb beS
frieblichen StoSreifenS, nicht beS £>anbelns. (Ex gehörte ju
ben unpolitifchen ober antipolitifchen Naturen, welche in ihrer
menfehlichen, moraliich-'äfthetifchen Betrachtung ber Singe
burch lebhafte Bewegungen unb Weiterungen ber Weltlage
geftört unb geregt werben; ein ^bealift im deiche beS ®eifteS,
trug er, wie Seffing, biefen Realismus nicht etwa auf bie
$)inge beS politischen Sebent über, fonbern war fchon früh
geneigt, ftd) biefem als etwas llneblem, Unreinem gegenüber
jufteden, als einer wüfteu Bewegung ber nieberen Elemente,
oor ber man froh fein mu& fich su £alberonS unb SopeS
^Poefie flüchten ju fönnen. Solche ©eifter — unb eS finb
in ber Siegel bie feinften — werben ftets in ber Dppofttton
fein, wenn auch in fetner lauten unb thätigen, fo bodf) in
einer um fo oerftimmteren latenten. (5S tarn ^in§u, bajj
hausier nach feiner ganzen 2lrt 311 empfinben meljr Sijnts
Digitized by Go
145
patfn'e für Defterreid; aU für Greußen empfinben nuifete.
60 trieben bie (Sretguiffe ber fecfoigcr 3af)re ifnt nur immer
meljr in fid) felbft gurücf. 2lud) an ber Gntwicflung ber
fir$lid)en £inge ^atte er feine greube; mit aU bcn 9ieu;
organifationen jur Stärfung be3 ftrd)Iid)en 1'ebenS werbe
bod) bie $raft nid)t gewonnen, weldje ber fatfjolifdjen ßirdje .
in iljrer feften, alten ©lieberung innewohne; bie $erfönlid>=
feit unb 3nnerlid)feit be3 religiöfen Sebent aber, in beren
4?od£)f)altung er ber aüerentfdjiebenfte ^roteftant mar, leibe
unter foldjer Veräu&erlidjung unb es werbe einem oielge=
idjäftigen Saitaufeiu unb (Strebertum bie 23af)it bereitet,
ba§ „©öttlidjeS wie ein ©ewerbe treibt", um mit ^ölberlin
§u reben. gür ba£ Verhältnis ber ftonfefftonen fannte er
feine anbere Sftid&tfdjnut als bie £effingifd)e : „@S eifre jeber
feiner unbeftodjnen , oon Vorurteilen freien liebe nad)".
1
@r fjat eS erlebt, bafj infolge ber ©rünbung beS beutfdjen
föeid&eä ber ©egenfafc ber ^onfeffionen fid) oerfdjävfte; bie
idjlünmften 2luSwüd)fe beS ftonfefftonaliäimiS 3U flauen ift
if)in erfpart geblieben.
3n bie erften Saljre von Stötten fällt ein Verfud)
ftau£(er£ auf bem bramatifdjen ©ebiete. ©r äufeerte felbft,
er fei einmal in bie bramatifdje gorm verliebt unb (efe
alles, wa3 an neuen Dramen erfdjeine; freilid) fei fd)on
lange nidjtS fjalbwegS Grträglid)eS erfcfjienen. 3(13 bie (Sr=
3äf)Iungen balb fertig gebrudt waren — es muß im SBinter
üon 1850 auf 1851 gewefen fein — , fdjrieb er au feinen
SBruber: „3$ mödjte gerne ben SBinternod) etwas ©röfeereS,
von meinen bramatifd)en Entwürfen einen anfangen, wa^r-
9t f Qtt, Beiträge II. 10
Digitized by Google
146
fdjeinlid) ben ^ringen von Xrapejunt, uon bem id; bir ja
fdjon gefagt habe". 3m 1857 erfährt man meljr
banon. hausier f;attc ba$ 9)Januffnpt bes Drama* ine
Dieine gebracht unb e§ auf Slnerbacf)* drängen an ihn nad)
Dre*ben getieft. 2(uerbad; bot e$ einem Verleger an, ber
aber erflärte, er fönne aufgeführte Stüde nid;t nehmen,
ir> eil jie nidht befannt genug mürben ; ebenfo lehnte Mrabbe
ben Verlag ab. Schabe: e£ hätte fich gelohnt, bie greunbe
ebler s #oefte bamit befannt ju machen. 3$ t;abe ba$ 9Wanu=
ffript üor mir gehabt. Der SStel Reifet : „(Sta flaiferljau*,
Drama in fünf Slufsügen von ß. 9iubolf". Der Stoff ift
Der (SJefdhidjte beS mittelalterlichen KaifertumS Srapejunt
entnommen, unb hausier bürfte burdj) feine mit bem &>il=
heim uon %\)xu$ sufammenhängenben Stubien barauf uer=
fallen fein ; ich fyabt aber feine dueKe ntdtjt auSfiubig machen
tonnen. Der ^nr)alt ift tiefer. SMdfjuä, ber flanier be*
$aifer3 StleriuS r>on £rape3unt, J?at beffen Sohn Demetrius
befeitigt, um feinem eigenen Soljn £ucian auf ben Ztyxon
$u r)elfen. Sudan foU sum Thronfolger ernannt werben,
unb um bas 5U befcf)Ieunigen, t)at 3)Ja(drju^ einen falfdjen
fenthifdhen tfriegSlärm erregt. Demetrius, gerettet, lehrt
heim, ©r wirb uom SBater erfannt, aber betbe fiub tief
enttäufd)t: ber $ater mad^t fidh Vorwürfe, ben Sohn, ehe
fein Dob bemiefen mar, uergeffen }u haben, ber Sohn ift nieber=
gebrüdt uon ber Ghnpftnbung, baft ein ÜJJenfdf) fo ganj uer=
geffen unb auögeraifdht fein fönne. Dem $ater rebet fein
Söeichtoater, bem Sohn bie Sdhmefter Srene }u; beibe motten
fich einanber nähern, ber Sohn, erfchüttert, läuft baoon, ber
Digitized by Go
147
$ater ftirbt. Demetrius uerfäüt üöttiger Sdjwermut unb
Derfdfjwinbet uon ber Su&ne. 3Rald&u3 tüitt feinen 3o(;n
überreben, bieje gute Gelegenheit 511t ©rringung be3 Grones
auSjunufcen. Sudans geraber Sinn uerfdnuätjt ba3. Tk
3ntrigue bei ßanälerä wirb burd) einen $ufäfligeu Saugen
ber llnterrebung rud)bar. SDaS 33olf ift wegen ber geinbe3=
gefa^r in Slngft. 9Ral$u$ gie^t fid) in ein ftlofter juntd,
ber 9)ieinuug, ba3 $olf werbe ifnt als (Erretter barau» fjolen.
Sa3 $8off fc^art fid) aber um Sudan unb bringt üor ben
-Jtelaft, um $emetriu3 al» $öntg Ijerau^ufjoleu. Semetriu*
erwacht aus feinem 3eelenfd;(ummer unb wirb freubig be=
grü&t. ©eu fajtfnfdjen GJefanbten ftellt er bie 2öa()l jwifcfyen
^ernid&tungäfrieg unb ef)rlicf)em 53ünbni3 gegen ben 3$lam;
fte wählen baS Se&tere. 9)ialdfju3 fommt reuig. Sudan
unb ftxent werben eiuanber anoerlobt. — £)ie Verfettung
ift uid)t gan3 feft unb fidjjer. 9)fan weife bei 9Mdju3 nidf)t
red&t, wo ber 8d)urfe anfängt. £)ie ptyd&ologifcfyen Situa-
tionen jwifd&en bem tfaifer unb feinem Sollte finb fefjr
roa^r; aber baS nad()l)ertge (Srwad&en fommt etwas aU
deus ex machina. £)ie (v^arafter^eie^uung ift nid;t fefjr
bramatifdO, baS ®att3e me^r h)rif^*befd)autic^; aud) eigene
lidf) ujrifdfje Partien von wirfli<f)er Sdf)önfyeit finben fid).
$ie Spraye ift ebel, ofjne ^f)rafe, aber aud) of)ne f)tn--
reifjenbe Alraft ; bem (Srsäfjler unb Si;rif er gel;ord)te fte mef)r
aU bem SDramatifer. JJit ben populären Scenen fjerrfdfjt
Sßrofa, in ben meiften ber 3ambu3 — aber nicfyt fünf-,
foubem trierfüjjtg. £>a3 ift ein edjt romantifd&er Ziä unb
wofjl aurf) etwas Dppofttion gegen Stiller, ben hausier
10*
Digitized by Google
148
nid)t liebte ; biefeä 2>eremaf3 ift für bie Gntiuidlung eines
tragiid)en tyatf)o$ gu furj — unb oljne ba3 ed&te $at$o$
an ber regten Stelle feine tragifdje SBirfung! dagegen
ift mandje fdjöne Situation«*, Katur* unb Seelemualeret
gelungen. Xex ^octjgebilbete 9)iann ift nid)t gu üerfemten,
ber überall f)er feppft : am ber $ibel, aus ber'2lnttfe, aus
8^afefpeare, aud teJoetfje, au3 ber 9loniantif, atleö oljne
fd)üler^afte ÜRad&aljiuung, aber aud) oljne burdjfd)lagenbe
SBirfung. So ift e£ beim aud; uid)t eben gu oernmnbern,
ba& bie S8erfud)e, baS Stürf auf einer $üf)ne anzubringen,
welche 2luerbad) in Stettin, ßbuarb flautet in Stutt-
gart niadjte, gefd)ettert finb; feine $orgüge finb am aller;
roenigfien tfjeatralifdjer 2lrt, unb e3 roitrDe if)m bei einer
etwaigen Sluffüfjrung fd&roerlidj anberS ergangen fein, alz
bem in geiftiger £ol;eit mit Slaueler üerroanbten Dotter mit
feinen Johannitern, bie bie £Mil)nenprobe fein groeiteS Wal
gemacht l;aben.
@3 finb mir noch groei anbere bramatijche ^>läne ftau&
ler3 befanut, bie beibe unausgeführt geblieben ftnb. 3«
feinem 9iacl)laft befinbet fid) ein fleineS ßonüolut oon QnU
würfen gu einem fünfaftigen Suftfpiel „3ufaH unb ©emüt",
ba3 in ber mobernen Slriftofratie an einem SBabeorte fpielen
fällte. 9Kttn fann an baS in ber t)iä()e üou Stötten ged-
iegene SBab Gnbad) benfen, ba£ ben ©rafen non Tegenfelb
gehörte unb wo hausier au*s unb einging. Tie erhaltenen
Zotigen finb aber gu unoollftänbig, um einen Schlufe auf
ben gefainmten $lau gugulaffen. 3 U Slnfang beS Jahres
1870 fpridjt ein Sörtef an Gbuarb uon einer gang anberen
»
1
Digitized by Go
149
3bee, einer „anti=antifen" 9e$anblung be» 9)?ärd)en3 von
prjdje unb Gupibo. ,,©ott öro3 erfleht für fic Unfterblid^eit.
£>er $ater ber (Götter will bieten SBunfd) gewähren, wenn
fic felbft barnadj verlangt; geflieht bie* aber, fo ift if)t
Qttüä üerfdjwunben, fic mu& im (Slenb umljer irren, bis
fie bie il;r auferlegte Prüfung beftanben (;at. $iefe beftefjt
bariu, bafe ibr, wäljrenb fie in ber tief ften ^erjmeifdtng ift,
ein Nüttel angeboten wirb, woburd) fie ifjr luUjere* geben
- üergijst unb mieber in$ befdjeibene 9)ienfd)euleben surücf tritt.
2113 fie biefev uerfd)mäl)t unb lieber eleub fein, als if;re*
einftigen (Äilücfev vergeffen null, wirb fie ber 2(ufnaf)nie in
ben Gimmel für würbig ert'Iärt. 3$ fjabe mir barauS ben
Sßlau 3U einem fleinen breiaftigeu Urania entnommen, ba£
in einigen Stunben verläuft unb nur brei ^erfonen fyat,
$ft)d)e unb i^re jwei 2d)weftern, uon beueu bie eine
^riefteriu ber SIbraftea, bie jüngere oiefer für einige jatyxt
für ben Sienft ber ©öttin beigegeben ift. 91m Sd)luffe
bann bie (Göttin felbft unb im ßintergrunbe tu priefterlidjer
ftteibuttg bie anberu ©öfter. 2>a$ 3tücf würbe am $or;
abenb bes Jyeftev ber 3lbraftea ipielen. £ie ältere 3d)wefter
wäre bie Ijerbe, um fdmierjlidjer Erfahrungen willen refig=
nierte ^riefterin, bie jüngere ein liebevolles SBeltfinb. £er
Hauptinhalt ber <#efpräd;e würbe ber 6treit $ßig$e3 mit
ber ^Sviefterin fein, weldje ifjre Sdjwefter, wie A)iob5 Jreuube
biefen, für eine Sünberiu erflärt unb fie fid) bemütigen
Reifet, wäljrenb ^fi)d>e auf tfjrer Unfdjulb beftefjt unb bie
(Götter ber Ungeredjtigfeit auflagt." s ^3em fallen babei nidjt
Berbers Sßaramijtljieu unb, roaS ben (ikunbgebanfen, bie
Digitized by Google
150
innere SDialeftit" ber Qbee betrifft, ©oetfjeä gauft ein V
Siefe Umroanblung einer antifeu Gr$äf)huig erinnert
an eine anbere, bie fd)on älteren Datums ift. (53 war
oben üon $auc>ler3 Bedungen ju 2Iuerbad) bie Siebe. $Me
2üterbad) burd) Grlcbniffe nnb CStnbrüde in ÄauSler3 £aufe
mef)rfad) beeinflußt war, fo fjat umgefefjrt er ben greunb
gelegcntlid) uermocbt, aus feinem Stillfctymeigen f)err>or$u=
treten unb U;m fleine Slrbeiten für 3*it?d)rifteu, mit benen
er in $erbinbitng ftanb, 511 fdjiden. So fd)retbt Sluerbad)
am 11. November 1857 an ßauäler, er Ijabe ben „Siebet
apfel" in ba3 „granffurter 2Mufeum" gegeben. 3 n biefer
3eitfd)rift ift aber fein berartiger Beitrags finben. Tem
Titel nad) fann root)l nifyfö anbreS gemeint fein, alz baS
OJebidjt, ba3 1863, olnie ßauMerS Riffen unb Sollen,
unter ber Ueberfdjrift „$er 2lpfcl" in Submig SeegerS
3)eutfd)em £id)terbud) abgebrudt morben ift. (53 ift eine
freie Bearbeitung jmeier £eroibeu be» Doib, roeldje bie
®efd)idjte be£ Slcontiu^ unb ber (Snbippe erjagen, in rehu--
lofen fpanifcfjen Xrodjäen. $er Brief be3 2lcontiu3 ift be=
beutenb gefürjt, bie Antwort ber Gtjbippe, uon ber bei Düib
nur jroötf Berfe überliefert finb, roeiter au3gefponnen ju
ber rüf)renben |>er,5en3gefd)id)te eine» 3Räbd^end / ba§ ber
©eroalt feiner Neigung nidjt länger 51t unberftefjen uennag.
später nod) I;at hausier ein paar Beiträge gu 2luerbadj3
eigenen Beröffentlid)uugeu geftiftet. $n Sluerbad)* Softe«
falenbcr auf ba£ 3aljr 1863 ftefjt eine fur$e, rüfjrenbe ©e^
fdjidjte von einem armen Quben, im flehten eine mirfunge--
uofle Toleransprebigt: ,A'eberf)er$ (auS ben (Erinnerungen
Digitized by Go
151
be3 $rarrer3 00m $3erge)". Sie ift befttmmt con ttauSler,
tcäfjrenb man con ben jroölf fleinen Sf^en aus bem
^otfsleben, toeldje fdjon in bem 3al;r^ang 1858 als „2lu§
bem ®ebenfbud)e be3 Pfarrers com ^öerge" ftanben, roofjl
ef>er annehmen barf, bafe fie rt;rem 3n^alt nad) con JtauSler
flammen, bie äuftere gorm aber con 2tuerbad) basu gegeben
ift. 3n ben „S)eutf<$eii blättern", bie 3tuerbad) als 8efc
läge gnr ©artenlaubc Verausgab, ftef>t 1863 au3 JtauSlerä
gebet ber Shtffafe: „£ubtoig Urlaub als ^e^rer. (Sine
Sttitteifang au» ©d)roabeu". ©» mar bie erfte 3Witteilmtg,
bnrd) meldte bie Seit ettcaS ©enauereä über Urlaubs fur$e,
glä^enbe &e&rtf)ätigfeit erfuhr. Qd) roill einen 8a§ au&
f)eben, nid)t teert er für ben Sdjretber befonberS bejeidjnenb,
fonbem teert fein Qnljalt ntdjt ofjne Qntereffe ift: „Urlaubs
Stdjterruljm J)atte in langfamem, aber unauffjaltfamem
&>ad)»tum branden im 9teid) eben feine coffe ßö$e erreicht
unb brang mm con außen in feine fcfytüäbiid)e £eimat ein.
Toxi tearen bte gegen ©nbe ber sicansiger ^aljre llf)(anb*
(#ebid)te in teenigen Käufern $u finben. 2(bcr jefct brachten
bie Stubierenben, bie nad) bem beutfdjen Horben gepilgert
waren, um 6aoignt) ober 8d)leiermad)er tmb .£>egel 51t l)ören,
bie ßunbe mit, bafj U&tanb ber trefflid)ften £>id)ter einer
fei". Db ßauSler nod) anbere Arbeiten burd) 2luerbad)
in bie Oeffentlidjfeit gebradjt f)at, weife id) uidbt, e§ (an«
bejtceifelt werben.
dagegen ift e3 f)öd)ft wafjrfdjeinlid), ba& ein „ s Dtärc&en"
Käufers, ba£ im 3af)re 18G5 brieflich ermähnt ift unb
beffen $eröffentUd)ung er m$t wiundjte, weil er au$ aller
Digitized by Google
152
ißerbinbuug mit ber Ceffentlidjfeit fidj ^urü(f3e3ogeH ^abe,
baSfelbe xft mit bemjenigen, ba3 er für 9taer6a$£ ©o$n
Rubolf uerfafjt Ijaben f oll , uub mit bemjenigen, bai nd)
uollftänbig im 9iad)laffe uorfinbet. (*e füljrt ben £tte(
„3aubcr um 3 au & er " un *> beljanbelt, in bemfelben $>er3=
mafe rote ber „Liebesapfel", eine ©pifobe aus ber ®efdjid)te
be$ 3auberer3 Berlin, t»ou fetner Liebe ju ber fdjelmifdjen
Siitujane. 3$ fönu nidjt umt)in — abgejeljeu »ort beut
nidjt red)t befriebigeuben, etiuaS aUju geiftreidjen Sdjtufie —
e$ mit ^ermann &ur3, ber eä 311 lefen befommen batte,
ganj reijenb 31t finben: „e3 fpielt fo ctnfad) anmutig imb
geiftreid), baft id) lauge ntdjt^ fo Weiteres gelefeu tyabe".
2>ie Ijijpodjonbrifdjen 53ebenfen be3 Stüter» fönnen für
und nid)t me^r mafjgebenb fein. 3$ bringe ba$ 3)tärd)eu
unten jum Slbbrud unb t;offe, ben greunben romanttfdjer
4>oefte bamit greube 31t mad;en.
2)ie legten $a1)ve t>on hausier* Leben waren bur$ fernere
Skrlufte ber nad&ften Slngeljürigeu getrübt. 3m 3Wai 1870
ftarb bie eine ber Stuttgarter ©djroeftern nad) qualvollem
ßranfenlager. ^ie Grregung ber ftrieg^eit unb if)re Gr--
folge lonntett tf)u au« feiner 3uriidge3ogeul)eit wenig mcl;r
aurftoreu. Gr felbft begann 311 fränfeln ; er fjatte ja, o^ue
emftlid) franf gercefen 311 fein, oft fdjon biefe unb jene Hebel
311 beflagen gehabt. 9iad)bent er bereite im 6ommer 1871
roegen neuralgifdjer 53efd)merbeu einen Urlaub genommen
fjatte, brad) im Cftober 1872 eine lange vorbereitete, aber
3Uuor nie erfannte ftranff)eit ber Bieren plöfcltd) bei if)tn
aus. 2öäl)reub er auf bem 5ltrd>f;of einem $tnbe bie Leid&eit;
Digitized by Go
153
rcbe f)ielt, üerfagte if)m auf einmal bte Spraye. Gr bradj
ab unb ging f)etm. 3)as SBenmßtfeiii fjat er nie üerloren,
ber ®etft blieb üöllig flar, aber im ©ebraud) ber <3pradje
blieben fdjroere (Störungen, bie ben $erfef)r mit anbem
fef)r erfdnuerten unb fid) nur langfam belferten. 6r mußte
fid^ eiltet SBtfarä bebienen unb ^atte ba£ ©lütf, nadj ein«
anber ^met Scanner von fünftlerifdjem Sinne ju ©efjtlfen
ju befommen, bie e3 fid) ni<$t oerbrießen ließen, bie Sd}H)ierig=
feiten be3 SBerfeljrä 511 überrciuben, um burd) reiche Sliu
regung unb görberung il)re3 inneren Sebent belohnt ju
werben. 9tod) immer muß ber s J)iann, ben id)nur in gefunben
Sagen gekannt fjabe, einen mädjtigen 3 a "^ r ausgeübt
l)aben, tute t§n nur berjenige ausüben fann, ber mit großer
©eifteSbilbung bie tmuerroüftlidje Sd)önl)ett ber Seele
tjerbinbet. $d) roitt nur bie ©orte fjerfefcen, bie mir einer
feiner ©efjilfen getrieben f)at. $au3ler fjatte c3 gerne,
roenn man bis Mitternacht bei ifjm faß, roeil er, fd>on in
früheren 3^ten ein fpäter 3ubettgefjer, nidjt efjer emfdjlafen
fonnte; „e3 finb mir bie Slbenbe roieber lebenbig geworben,
roo td) bei feinem guten neuen gellbacber bei bem in feinem
einfachen 91oIjrfeffel gebeugt bafifcenben Wtann mit oem
feinen Profil, ber Ijoljen, eblen Stirn, bem geiftoott auf-
bli^enben 2luge faß, beffen lebhaftes unb gartet (Smpfinben
eine oft Saftige, ftürjenbe 2lrt 31t fpred)en unb ein f)äuftge*
Grröten bis unter bie «gaaritmrseln uerriet: ein ©oet^e=
$ropf)et mit einem Sd)tllerfopr". 2)ie Slefntlidjfeit mit
Stiller mar fd)on t>or langer 3«t aufgefallen, ber
einmal in 33aben= s 3aben mit £au*ler sufaiumentraf.
Digitized by Google
154
(Sine bauernbe £erfteHung ber ©efunbfjeit ift ntdjt ein-
getreten, ahn 27. Sluguft 1873 ftorb ber trüber ttuatb
nad) längerer l'eibenljeit ; bie eine ber beiben Scfjroeftern,
bie bei ifjm geioofjnt Rotten, roar allein. 3m ^ejember be3
nämlidjen Safere! ftarb aud) bie Sdjiuefter (Safpart. 9iun
entfdjlo& fid) ßauller im Safjre 1874, feine (Sntlaffung aus
bemSlmte ;u nehmen. (Sr erhielt fie unb fiebelte 311 feiner
Sdforoefter nad) Stuttgart über, in ba$ «£>au$ , ba3 bie (#e=
fd>roifter brei 3a&rjel)nte lang bewofmt Ijatten. 2lber er
follte nur ganj furj bort wohnen. Sd)on nad) brei Sodjen
fjat ir)n ein erneuter SnfaB feine« Reiben! am 27. 9ioüem=
ber 1874 baljingerafft.
Stein ^efrolog l;at bal @ebä$tni£ be$ liebenlioürbigen
Cannes, bei reiben (Seifte* unb warmen ©emütel ber
Seit beiuat)rt. 2luerbad) fyat bauon gerebet, fein i'eben
]u betreiben, ift aber nid)t baju gelangt; nur ein paar
Stellen feiner ^Briefe an Qafob Sluerbad) haben ben greunben
bal ^öilb ftauäler* neu belebt. (*r wäre ber Aufgabe beffer
geroad&fen geroefen all id), ber uiei^ig 3al;re jüngere, ben
bie banfbare Erinnerung an fdjöne Sage in ber s M1)e bei
trefflichen nidjt ^at ruhen laffen.
(53 fann an fchroäbifdjen Sanbdlettten, oorjügtic^ an
alten Stiftlern, oft beobachtet unb bebauert werben, baß
fie nicht baju gelangen, ben 9teid)tum ihre! inneren fiebenl
ber Seit mitsuteilen. £al trifft auf ßaueler ganj befonberl
311: „er ift nie 31t einer sollen äufeern £arftellung feinel
feinen unb hoh e " SBefenS gefonunen", fdjreibt Auerbach oon
ihm. 2lud) ba$, roaä ftauäler nnrt'lidj 31t £age geförbert
Digitized by Go
loa
fjat: e£ gef)t äu&erlid) naf)e äufammen; unb ba3 (Sinjige,
mas ifm ber SBcIt ^atte befannt madjen fönnen, feine Igt*
geklungen, tyat nid)t $u ben fielen, fonbern, roaS freiließ
me|t ift, 31t ben SBenigen gefprodjen. (Sr fetbftunb feine
greunbe fonnten ftcfj be£ Sänüerifcfjeu äöorteS getröften:
gemeine Staturen johlen mit bem, roa£ fie tf)un, eble mit
bem , roaS fie ftnb. SBenn e3 genug ift , ben heften etroas
geroefen §u fein, in ifjrem ©ebädjtnte aU eine fd)öne ©eele
fortzuleben, fo wirb i^m fein eljrenuoKeä ^lä^cn in ber
©efdjidjte unferer fdjttmbifdjen £itteratur unb ©eiftelge--
fd)td)te gefiebert fein ; if)tn, uon bem 2luerbadj gefdjrieben l)at:
„ SBenn man »on $au»ler fpridjt, wirb man immer gut
unb frof>".
$ie folgenden Seiten geben ba* SRardpn, mie e» firf) im 9Jad)laö
äauslerS öorgefunben Ijat. $ie äußeren Elemente für bie @rsaf}tung
lagen in bem mittelalterlichen Üioman 3iobert^ t?on ©orron üor. %xA
ilmt ober auet) nur auS <3an*9ftarte J $ 33ucf) über bie Sagen mm SDterlüi
mirb laudier geköpft fyaben. 6r fjat aber bie ©r$äl)lung gleichseitig
verfeinert unb pjt)d)ologi)d) öertieft.
Digitized by Google
Zauber um 3auber.
<£in JMärrfjrit.
Gnblid) nun gelang'^ bem $unfel,
N 2lu35ulöjdjen all ben l'idjtglanj,
$er ftcf) weithin in bic Ütunbc
Mu§ ftarbeuil ergoß, bcm fto^en
ftönigajcfyloffe. (Scfymarj nnb crnft
$crrjd)t bic s JZad)t jefot. (*ine einige
2eud)te, oon ben tanfenb Üidjtern
s J?ocf) ein ü&ermad)ter SReft,
Söirft bort Don be3 Sctjloffeä ütompe
Warf) be3 Warfes ©ittertf)ore
5^ren matten <2d)ein.
(Meenbet
3u ber 9iacf)t beS fec^ften Sage*
3ft bad ^e[t ber ©onnenroenbe,
$a3 ber $önig Don Britannien,
Uter s 4$enbragon, be§ eblen
3üngp gefdjieb'nen Uter§ Sof)n,
Äuf iiarbeuil mit feinem Jpofc
5rof) begangen. Sötet ber Suft
2öar ben ©äften ba berettet.
Sei ber Ütttterfpiele s £rad)t,
Bei ber ^vagb 33elu[tigungen,
Sei bem Zeigen, bei bem 9Haf)(e
Staren utöner gfnut'n io Diele
3u erblicfen, bafj ber Kittet
3Ran$em ferner e§ bünfte, rafd)
3u entfdjeiben fid), rool)in
157
(£r um ©unft fi cf) menben foHtc.
$od) oon Xintci)oI bie ftol^c
$erjogin s ))gueme roar'3,
55>ie ber eble Köllig fetbcr
bcn Stent ber (Sterne prie£.
Stets mit if)r fiifjrt' ei* ben Zeigen,
3f)r jur Seite ritt ^ur ^agb er,
Weben ifyr fafe er beim 9Jcaf)Ie.
$urft' er nennen fie fein eigen,
Seine äönigäfrone biinft' tfyn
©in geringer $rei§.
33erraufd)t
3ft ba« fteft jefct. $iefc§ Schweigen
holtet über Schloß uub ©arten.
9hir ber ©pringqueH in be§ £ofe§
TOttte plaubert fort unb fort.
%od) gfift in bem ©orten roo
9h>d) ein Später fief) oerborgen,
So mag toof)t bewähren fid)
Jftm fein Mrgtoofyt, bafc bie Siebe
9tud) im tiefften Tuntel roadjt;
Unb ber Sommernad)tluft Sdjiotngen
Wögen au§ mancher fiaube toof)t
heitrer Siebe frofjeS Werfen,
Sichrer £reue traulid) ®ofen,
Seifet Srlüftern jarter ©litt
Seinem Cfyr entgegenloefyen.
Irinnen audj im weiten Sdjfoffe
$ört man burd) bie nädjt'ge Stille
SBunberbare, leife Jöne.
2Sie mit ©eifterfdjritten fmfd)t e3
3)urd) bie Sorribore. /pier iefet,
3>ort jefct läfet gefyeimnisoolleä
9taufd)en, läfet ein fyeimlirf) ft'ntftern
©inem Ofjre fid) ücrncljmen,
®a3 nod) toad) erljält bc3 ßioeifetö
Sdjarfe $ein. ©3 ift Werlin,
$er mit angeljaltnem 5ltljem
2ln ber Xfu'ire feiner Cammer
lüS
$en ucrfto^tncit Sönen laufdjt.
6r, ber gaufterfttnb'ae Sfteifter,
2(lt an 2Bei3f)eit, jung an 3a()ren,
$er bic (finfamfeit ber ttiltmift,
Seinem Könige gu bienen,
9Jiit be* .ftofeS üppigem grünte,
$er ber Siebe fnfje tfnedjtfäaft
Um bie ftreifjeit Ijat oertaufdjt.
$a ben Ruberer, ben SSeifen,
Jg>ält ein ftinb, ba§ beut 9Iprit gleid)
iJaunentjaft in föiner otunbe
Xrofyt unb f c^meic^ert, ladjt nnb grollt,
§ält bie fdjlanfe, golbgetoefte,
ÄinbifdHd)eImifd)e 92int)ane
Wim in 3 a »oerbanben feft.
93angen .£>ersenä ^orcf)t er jefco.
«klopft fie, eV ber borgen graut,
Wecfenb nod) an feine $f)üre,
Um bann fidjernb ju entfliegt?
Söirb fie — ftnrfer fd)lägt bad £era ifyn,
- 2Bie er'3 benft — fid) reueüott
Unter ftüffen, unter greinen
2(n bie 93ruft ifjm tuerfen, ifym,
2Sa3 fie ljeuf an ifjm gefrtnbigt,
§tb5ubitten? &at roie Ijeute
2)od) fie niemals iljn gefranft.
$f)rer golbnen Soden jebe
9ßad)te fie sunt gauberfäbdjen,
$ran ein £era gefeffelt fyng.
©$meid)eltüort unb fntlbDoü Säbeln
<pat an jeben fie oerfdjroenbet,
9lber iljm, bem treuen ftreunbe,
©alt ber ©riifje, galt ber Söinfe
$lud) nid)t einer. Uebermütfj'ger
Srieb fie nur ba3 lofe ©piel,
9Beun fein finftrer »lief an it)re
$ftt$t fie mahnte. 28irb fte jefet
kommen nod) unb i^n oeriötmen?
„$a fie fommt, fie iffl, e3 ift inr
159
ßeifer, letzter Stritt" fo fortcfyt er
Stfcu Belebt, um neu getäufd)t
©itf) §u fefjn, fo oft eä brausen
2luf bem föorrtbore ranfdjt.
$od) fobalb be§ Borgens erfte§
Std)t in feine Cammer bringet,
Waä)t in tränen, 3orne3tt)ränen
2) em gefcrefjten .§erjen Suft er,
Unb in Söorten bittrer 9ieue
(Sct)tt)brt er ab ber Siebe SHenft.
5Xn bem offnen ^enfter ftefyt er,
Säfct ftet) oon bem £aud) ber grü^e
$ie ersten ©cfjläfe füllen;
SluS ben buft'gen 9iofenfeldjen,
3) te ben ®im§ umranfen, Rüttelt
6r ben rounbertf)ät'gen Sfjau,
©eine rotgeroeinten Slugen
3u erquiclen. Gunter raufdjenb
©rüfet ber Strom $n au§ ber Xiefe,
©rüfjenb minien tym beS Warfes
$of)e SBtöfel, unb au8 ber f^erne
SBtnfen buftumfuitlt bie 93erge,
2He er feine Heimat nennt.
O bu $imr, bu £f)or, beginnt er
Sief) $n freiten, marb bir barum
ftunft unb 2Bei$f)eit, mie ftc feinem
£vn Britannien je oerlietm mar,
$af$ ein fpröbeä grauenfjera bu
deinem Könige be^niingeft,
3u erljöfm ifnn ©ineS fiüdjt'gen
(SommerS eitle Suft? Sur ©träfe
gür ben Sftifebraud) beiner Gräfte
Sßarbft bu felber nun bedungen
$on bem launenreidjften aller
SÖSeibertjeraen. D ber ©dmtaef),
2)u, Berlin, ber bu beä ftembeS
©tärffte Söurgen oft mit (Sinem
SSunbertptgen SBorte bradtfr,
160
.fraft mit taufenbcn üon bitten
Stets umfonft um [täte Jreuc
6ine§ $Beibe§ &er$ befctimoreu.
$u, ber in be3 Speere* t tef fte
Xiefen fdjaueft, fannft ben Sinn
l£iner £f)örin nid)t ergrünbeu.
91 fl bic iträfte, bie bu bein uennft,
SBeifc ein fd)lanfe$, roctterroenb'fdKS
&inb mit Einern $Micf 511 bannen.
2(uf! bettor bc§ gaubcrS straft,
$ie biv täglid) mefjr entfd)ti>inbet,
$ir üerfiegt, tpfrf ab bic bunte
2xa6)t beS .§ofe#, ab bie 3:f)orljeir.
©ibt es geinbe ju befämpfen,
$rad)en gu üertilgen, bann
.«pore beine? ftönigS 9iuf.
Xodj ©enoffe feiner ftreuben
ftannft it>m bu, ber Sotm ber SitbniS,
Limmer fein. So fpridjt SRerlin
Unb üerläfjt, biemeil ber $of
Sreubenfatt im 9florgenfd)lafe
Wort) fid) mieget, Sdjlofe SlarbeuU.
ftafd) burdjeilt er $of unb ©arten,
Sdjaut junief nidit nad) be3 Sd)loffe3
3innen, bie mit golbneu Silbern,
SScrfen feiner 3auberfünfte,
3n bem 9ttorgeulid)te glänzen; -
SBürbigt feine« «lief« bie Nofen,
$ie, ?)guernen $u erfreuen,
©r in einer 9?ad)t ba3 meite
Sd)lofj umranfen liefe, &inab
Stürmt bie Stufen er, bie marmorn
3*on be§ £ügel* fdjroffer .frötje
2?on ^erraffe ju ^erraffe
9ücberfül)rcn in ba§ %fya\.
Stürmt baljin — nid)t $ranf norf) Speife
Sabt i!)n — , bi3 er fpät am 2tbenb
©ebirgeä Stamm erflommen,
161
2So fid) um ben Haren SBergfcc
3roan$ig Steilen weit ber nrilbe
SSalb oon Sraceltanbe betjnt.
$ret ber £age, brei ber ftädjte
Schläft er nun ununterbrochen
3n beS SSalbeS ftiflem ©Ratten.
©einen Schlaf ftört feines Bogels
Stimme, feines SBilbeS Schrei.
SautloS Marren fie, fie Hüffen,
Safj ber £err beS SBalbeS fc^Iäft.
51IS am eierten borgen enblid)
©r ertuadjt, nrie freubig grüfjt er
Gimmel unb Sonne, SBatb unb See!
2öaS am £ofe SßcnbragonS
(£r erlebt, itjm tftS jum nädjt'gen
Traume roorben, ber im golbnen
Öicfjt ber ^rüfje nun jerrinnt.
3frci bon Hoffnung, frei t«on ffrtrdjt,
Selten nur ber SBelt gebenfenb,
üßur um feiner ©infamfeit,
Seiner neu errung'nen ftreitjeit
StifleS Gflüef ftetS neu ju preifen,
Sebt er nun ber griebenStage
SBiele. 28o unnahbar faft
$n beS ftcitften SBergfangS HÄitte
lieber ber queflburd)rauf$ten Sdjtud)t
Sief) oon Sannen überhattet
©ine |>öf)te mölbet, bort
£at er fid) aus meinem 9Jeoofe
(Sine Sagerftatt bereitet
gür bic 9&ad)t. $enn wenn bie $ämmrung
©rauet, fteigt er auf bie .$öf>e,
Um beS Sonnenaufgangs geier
3u begeben. ®ann burcf)ftreift er,
SSon ben munteren ©efcfyöpfen
Seines SBalbeS frof) begrübt,
&öf)n unb Sd)Iud)ten unb erforfdjet
3)ie ©efyeimniffe ber Sctjöpfung.
28aS er finnenb, maS er laufetjenb
$if d&er, Seiträge II. 11
Digitized by Google
162
3)ann crfunbct §at, bo8 fchreibt er
lieber in ein gro&eä iöue^.
Oft gejdn'eht e$, wenn er alfo
$on ber (Siehe bunfeln 3 roc iö cn
Uebertüötbet finnt nnb jdjreibt,
3)aj3 fief) ring§ um ifjn bie Xiere
Magern unb tu ftummem Staunen
3hn betrachten. 9cur bie fleinen
Jöögelchen, bie er bor allen
S&xtüd) liebt, fifet allju lange
3n ^Betrachtung er öerfunfen,
SSagen fte'3 unb fliegen neclenb
Stuf baS 93uct) i^m. SSeun bie ©onne
$>ann jur 9^aft geht finbä bie ©terne,
bereit 5^ract)t fein $uge mach $ält.
(Spät erft fehrt in feine £ö!jte
(Sr jurücf, in leid)tem Schlafe
fteue traft $u neuen ftreuben,
$ie ber borgen bringt, ju finben.
$och als mählich nun ber Sßalb
©ich mit buntem £aube fchmücfet,
Unb am borgen träumerifche
Sßebelftreifen feinet SBergeS
3fufj umfchleichen, melch ein fettfam
9teue§ fieben mitl be3 SJceifterä
©ich bemeiftern? SSelche 9Jcad)t
£at umtooben ihm bie Haren,
Örrifchen 2lugen, bie fo rafdt) fonft
SebeS SScfeuö Signatur
©djarf erfannten? ©einer 93ergmelt
braute, h^imijche ©eftatten,
©ie oerroanbeln fith in immer
Steuer, mechfelnber ^ermummung.
J3?ft ein ftetä, tft eine 93urg e3,
3fP3 ein SHiefenmeib, ba§ fytt
Db ber mitben ©djlucht fo brohenb
©ich erhebt? 28a§ bort auf fchroffen,
^unfein flippen fich gen Gimmel
163
(Schwinget, ift e3 ein ©ebicfjt
SBunter Wbenbioolfen, ift e§
(£in Sßalaft nidjt, bet mit golbnen
Sinnen pranget? 2ßie fo fanft
©ict) ba§ 9Jceer in roftger ©lut
Ilm bie fd^arjen Reifen fömteget !
9Käd)ttg atef)t e§ il)n bafyn,
Unb er eilet fd)on im ftluge
(Seiner ©elmfncf)t fel'geS 3tet
3u gewinnen, ba jerrinnet
3)a8 ©ebtlbe unb befdjämt
SBirb er feiner $äufd)ung inne.
©elbft trenn er am f)of)en Sage
$ur$ bie SBälber ftreifet, freuten
ftämmrig fdjroanfenbe ©eftaftert
©eifterfyaft öorü&erlutfcfjenb
©eine s 45fabc. $n ber 9?act)t bann,
#at ben (Schlaf, ber fonft fo willig
(Sief) genagt, er fpät unb fdjwer
Sfam gefunben, fo umfängt iljn
(Sine munberbare £raumroelt,
$eren flare Silber langfam,
SSenn be3 9Jforgen§ er ermaßt,
2ln ben SBänben feiner ^>ötjfe
©icf) in leichtem $>nnft oerjietm.
3a, al§ einft er in ber ^rrtfje
SBieber aufblicft, tritt ba3 Xraumbilb
9ftcf)t meljr meinen. 3)ie ®rt)ftat(e,
3)eren Sßunberpradjt im Traume
31)n entlieft, fie gieren ringsum
©eine SBanb. 25a fättt'3 ioie ©puppen
SSon ben 9tugen iljm : ju lange
Siefe er raften feine ®raft.
6eine§ SBinTeS fonft gewärtig,
3P beS 3auber§ Ueberfülle
31)m jefct meifterloä entftrömt.
®a befcfjlie&t er bnref) bie ftraft
$er geheimen tunft ein ©djlofe fiel)
164
$u erbauen. 3 U & em © ee >
35er auf be3 ©ebirgeS $>öt)e
3n be3 SSalbeS SDiitte ruf>t,
i'enft er feine Sdjrttte. $ort
9(n bem moof'gen Ufer täfet er
Sid) auf einer ftelöbanf nieber,
Um ,,<2d)lof} ©infamfeit" im ©eifte
9luf$urid)teit, benn wenn reidjlid)
Styl bie Sauberfraft erfüllt,
<stet)t jebroebeä äöerf, fobalb er'S
92ur im ©eifte t)at »oflenbet,
Sichtbar unb tebenbig ba.
SGBic er finnenb nun, bie 2(ugen
93on ber 9ied)ten überbedt,
Än bem Ufer fifct, fo fieljt er
2Hit be3 ©eifte* flugen plöfetid)
(Sinen 6odel t-on ©ranit
fteingefdjliffen au§ beä <See3
SJJitte tauten. $rauf ergebt fid)
©in frtoftatlneS SRimbgebäube,
Uebermölbt mit einer Büppel
$on XopaS. Unb um bie Munbe
SSinbet ring§ fid) fyer mit golbner
Söaluftrabe ein SUtan.
Sßom Eltone leiten weifte
3J?armortreppeu, bereu Stufen
Söreit unb [onft fid) Jjeben, trier
9?od) ben 9iid)tungen be§ £tmmetö,
3u ben Sörüden, feft unb jierlid)
2tu§ metatlnem ©ufj gebilbet.
9ttfo fct)aut er e§ im Innern,
Unb, mie er'3 gefelju im ©eifte,
Stetjt e3 tüirflicr), als bie ?(ugeu
@r nun öffnet, toor ifjm ba.
$od) nur einen flüdjt'gen Söticf
Jtann er feinem Söerfe gönnen,
^äd)tig brängt ber innre 9ieid)tum,
165
$a§ ^Begonnene ftu förbctn;
3)enn ben bergfrüftaüuen SBänben
fyefjtet nod) ber Sdjmucf ber bunten
SBlumen, £aub* unb $rud)tgettnnbe,
Steine (Srjgcbilbe gieren
SRodj Söalfon unb Steppen, leer
(Stetm nod) bie ©emädjer, öbe,
Unfruchtbarer Sßoorgrunb breitet
©id) ba$ Ufer um ben ©ee.
Unb fo f c^aff t er unermübet
SBeiter, bid aud) baS ©eringfte
<B\ä) be3 ©rofeen mürbig aeiget,
93t § ftd) atle§ rooljt vereint $at,
Slbjubtlben fein ©emüt.
$113 er nad) ber Xage breien
9?un baS ganje SBerf ooflenbet,
$13 nun aud), toa8 oon be£ SBalbeS
Bieren fein unb frommer 2lrt ift,
3n be3 blumenreichen ©artenä
9?euer $etmat fliegt unb flattert,
Äricctjt unb tjüpft, oon neuem jefct
^ann er mieber fid) ber StiHe,
©id) ber ©infamfeit erfreuen,
©djarf unb ljetle nrie auoor
3ft fein $uge, Aar unb fjelle
28ie ber Sergfee fein ©emüt.
ftrot) burdjmanbelt er ber fetten
Xage mannen nun, fobalb ber
#öf)ern ©onne ©lanj unb #aud)
Eüftrer SKorgennebet ©rauen
Sanft beatoingt, bafc fie alä meiner,
£id)ter 2)uft bie fernen #öljen
£ei3 umljüHen, frol) burd)jtreift er
©eine ©djöpfung, bis ber blaffe
©lanj beä 2lbenb3 freubenmäbe
3n ba£ 93Iau ber 9iad)t oerglimmt.
£>erbftlid) flarer Xage oiele
166
©djtoanben fo baljin, ba fteijt er
(SineS 2florgen3 — um bic neunte
©tunbe mar es — auf beS ©d)loffe3
SKeit umfdjauenbem 93al!one
Unb betrachtet, tote bie föunbe
Sie fein 8K<f befcrrfäet, jefet
©id) entfd)letert, jefct auf« neue
©id) üer^üHet. ©euerer ringen
$eute ©onnenlidjt unb $unft.
2U8 ein 2fteer umwogt ber ftebel
$eS Gebirges ftufe. SSie med)fetnb
@r fid) f)ebt unb fenft unb raftfoS
©td) aus #öf>n unb liefen neue
$ämmerbilber fd)afft, fo bränget
2(ud) im inneren SRerlinS
3n d)aottfd)em ©etuirre
SBilb an SBilb fid). 3ft eS Stynung
ÜReuen SebenS, ift8 (Jrinn'rung
(Sinft genoffnen ©InrfeS? Seife
Söefjmut äberfd)(eitt)t fein £er$,
2öie bie bämmernben ©eftatten
^albüerpaten 2lngeftd)t3
©d)üd)tern grüfjenb unb oertraut bod)
9tafd) an ifmt üorüberfliefm.
SBirbS fie feftfluljalten nimmer
3$m gelingen? %n fein ©innen
Sief üerfuufen, mit ber Steckten
©eine ^ugen beefenb, fteljt er
Sin bie golbne S3aluftrabe
Stngelefjnet. 3fleljr unb meljr
£id)tet fid) baS innre S3ilb unb
2JceI)r unb meljr enttoötft bie fiunenb
©rnfte ©tiene fieft. 3Ba8 mag er
SBoIjt im ©eifte fa^au'n? (Sin fel'geä
Säbeln fpielt um feine Sippen.
2)a mit einmal fdjrerft er auf.
eines £üftljorn'S fetter ftlang
£at if)m feinen £raum tierfd)eucf)t.
9lber nein — erbltdt er nidjt
167
mit ben offnen, machen Slugen,
SBa§ er mit gefdjloffncn fal)?
SSlifct ntd)t «erg unb Sdjal im f)eüen
©onnenföeine? 2Ba3 fein offnes
91uge buref) beä SBalbeä Sidjtung
3n ber gerne bort erblicft,
3ft'3 ni$t ^enbragon ber ßönig,
9(1'* bon Stinteüol bie ftolje
^eraogin $guerne nid)t?
Unb bie gierige ©eftalt,
$ie ben meifjen fetter jefco
$)en ©eleitern weit ooranfürengt,
9ft fie ftemb benn bem ®efid)te,
3)a8 nod) eben ifjn entaitefte?
®eunt er benn bie meinen, golbnen
Sorten nid)t meljr, bie fo fröfjltd)
$n bem SKorgentoinbe flattern?
®ennt fie iljn bodj! ©rüfeenb föroenft fie
6d)on ben Stfgerfmt.
2öie ift if>m
%oä) gefdjeljen? Ijat benwfjtloS
gr bie Bauberfunft geübt?
3a fo ift e3, länger md)t
$ann er zweifeln, länger nidjt
ßäfet ba« tmnfne £erft ifm fäumen.
©eine 2lrme weit geöffnet
(Silt er nieber. (Sin äftoment nod),
Unb fie Ijängt an feinem &alfe,
Unter Xljränen, unter Hüffen
Hbsubitten, ma« im £eid)tfinn
©ie gefünbigt, unb geläutert
$ur# ber SReue $ein gelobt fie
Sßcue, manbellofe Streue.
D wie gerne laufet Berlin ben
©üfjen SBorten, wie fo gerne
Säfet er i^re fanfte Jpanb iljn
3u bem Könige geleiten,
168
$er $guernen an ber Seite
9iun be3 SBalbe« ©aum erreicht fjat.
Unb meld) freubigeS ©rftaunen,
211« ber Äönig ben fo felmlid),
Xen fo lange fdjon ®efud>teu
2(n ber ftreunbin #anb erblicft!
©ilenb fdjroingt ba8 !)of)e ^aar
©id) jur (Srbe; jtürmifö fdjliefct ber
Äönig ifjn in feine 9Irme,
Unb $guerne reidjt, bie ftol$e,
3f)m jum ftufc bie SSange bar.
Sangfam, benn ber «fragen Diele
Saften auf beS Königs $er$en,
Schreiten fie, bieroeil bie Liener
2(n be8 SöalbeS Eingang Marren,
-i(uu bem ©djloffe $u, ba$ gaftlid)
3fn ber tjerbfttid) bunten ^Blumen
Steider 3^r entgegen roinft ;
&üju langjam für bie Neugier
9iintoanen3, bie ben anbern
©tetS üoraneilt unb bei jebem
Sfteuen 2Inblid finblid) jubelnb
3n bie Meinen £änbe fdjlägt.
S)a§ roaS fjemmt mit einmal ifyre
Seilten ©dritte? SBie gefeffelt
©tet)t fie feft, bann ringt fie fdjmeräüofl
Styre #änbe unb ein breifad)
SSkfce tönt üon if)ren Sippen.
2lud) ben ftönig, au$ ?)guernen
fta&t ein f^mer^li^eS (Srftaunen,
#13 erfdjredt öon STCintoanenS
Stufe fie ben 931icf ergeben,
2)enn ber nmnberüoüe SBau
2>e3 ßrttftattpalafteä gittert,
SSogt unb fc^manft gleich bem SJcetafle,
in fteuerägtut aerftiefct.
Smmer bitter tuirb ber rötlich
©raue 2)unft, in ben e3 mäfjltd)
169
Sich gu löfen f cheint : in immer
SSeitern Greifen behnt er fict>,
93i§ aulefet nur eine 2Bolfe
3>üfter ob bem Söaffer fchmebr,
2)ie ein frifrfjer §auch beS SBinbeS
SSatb jerftreuet.
SBeincnb ftürjt fid)
ftinüane an bie SSruft
3h*e8 tfreunbeS, fc 0( jj gfterlin
Sprint mit Sädjeln: 2Ba3 fo fchmerjlich
2)u beroeinft, mein $inb, bu felber
.§aft e£ ahnungslos üoflführt.
^em bem Qaühtt beiner SReije
.§ab' ic^ biefeS SBerf erfc^offen,
$ab r ich biefeS 2Berf erhalten,
Unb bich felbjt mit meines ÖJeifteS
Äraft in biefen $rei£ gebannt.
9cun bu ihn betreten, meicht fie,
llebertuunben oon bem gauber,
2) er, ©eltebte, bich umftrömt.
3) enn ber mächtigfte ber Qanhtx,
®em fid) jeber Sann beftegt gibt,
3ft bie Schönheit. 2öoht mir, ber ich
Sieger erft, nun ein SBefiegter
Söuibe, benn bezaubert fein,
Seet'ger ift e§ als besaubern,
SBenn bie Schönheit in bie tfette,
5)ie mit fünftem gauberbanne
UnS umjchlingt, ber treuen Siebe
Säglich neue föofen flicht.
i'ubrouj Seeger.
©röfcere ©cgenfä^c finb ntdjt roof)l benfbar als gnrif$en
JtauSler unb feinem treuen greunbe Seeger. SDort bie
ariftofratifd^e getn^ett, $ter bie üolfstümlidfje ßraft; bort
fd&eue 3utü(fgejogenf)eit, fcier fü&neS hineingreifen ins prak
tifd&e £eben. Qn it)rer poetifd&en $l)ätigfeit nidfjt anberS :
bort eine üom 3ftarfte ftd) fern Ijaltenbe, geitlofe romantifd&e
$>idf)tung, §icr eine fecfe (Srfaffung ber ßettfragen unb ber
SBebürfniffe beS SBolfeS. Slud^ bie äußere (Srfd&einung war
fo t>erf(f)ieben, als garte SBiegfamfeit unb marfige flraft nur
fein tonnen. (SineS ^aben beibe gemein gehabt: es mar
tynen mit üjrer ^oefie (Srnft, für müßige Stunben Ijaben
fie nid&t getrieben; unb nocf) eines, baS §art baneben liegt:
fie finb beibe früf) üergeffen morben, ber eine, nad&bem er
nur wenigen befannt geworben, ber anbere, nad&bem
fein 9iame in oieler 9Jtunb geroefen mar ; ber eine, weil er
ni<$t für bie $tit unb 2Belt gefcfjrieben Ijatte, ber anbere,
roeil rafdfje unb glänjenbe (Sntroicflung ber Dinge audfj baS
©efeiertfte bem Statten übergeben f)at.
Subroig griebridj) 2Bil|eIm Seeger mar ein Sofjn beS
SdfjroaräroalbS, energifcf), ftraff unb berb mie feine £anbS;
Digitized by Go
171
Icutc. äßemt ßauSlerS $orfal;ren fett längerer bem
Sanb als Beamte jum £eil in leeren ©teilen gebtent
fjatten, fo war ©eegerS SSatcr juerft aus ber länbltdjen Um-
gebung herausgetreten, als ber 6o$n eines SBirteS in bem
Dorfe ©d&roann bei Neuenbürg. 3m $afjre 1776 geboren,
Ijatte er fhibiert unb war ^ßräjeptor unb ^eatte^rer im
Silbbab geworben, als roaS er 1843 aud) geftorben ift;
er hat oon ber litterar ifdljen £ljättgfeit beS ©offnes nod(j
einen nid&t unbebeutenben £eit mit erlebt. $on feiner grau,
ber %oä)tex beS SBilbbaber DiafonuS 3cHer, hatte er fieben
flütber, worunter mer ©ö^ne. Den älteften ©ofjn, ber ihm
am 30. Dftober 1810 geboren rourbe, f)at er nadfj fich felbft
Subroig genannt; förperlidfj unb geiftig erinnerte biefer an
ben Sater, baS poettfche Talent aber fott mütterliches (Srb*
teil geroefen fein. §8on ben brei jüngew ©öhnen, unter
benen ber jüngfte fdjon als ©tubent geftorben tfl, mar ber
mittlere 2Ibotf, fünf %ai)xe jünger als Subroig, ihm geiftig
befonberä oerroanbt; er ^at bie fechte ftubiert unb ift fchon
in jungen Sauren einer ber gefeiertften Quriften unb ber
einflu&reichften Parlamentarier in Stuttgart geworben; nach
einer mehr als fünf3ehnjährigen gemeinfamen politifd&en
^^ätigfeit ift er, üon ßrantyeit unb raftlofer Arbeit oer-
Sehrt, bem älteren SSruber im £obe balb nachgefolgt, gür
Subroig l)atte bie SJhitter baS theologifd&e ©tubium gewählt.
Der SBater felbft unb ber DiafonuS ©egbolb erteilten bem
Jtnaben ben erfien Unterricht; im zwölften 3>af>re fam biefer
in bie £ateinf<hule Galm ju bem ^räjeptor ©chroara unb
1824 in baS ©eminar ©dfjönthal. Dort fiel er bereits burch
Digitized by Google
172
feine Vorliebe für ba$ ©ried)ifdje auf. Tübinger 6ttft,
ba3 er 1828 bejog, fegte er bie pf)ilo(ogifdjen Stubien fort;
er fjörte neben ben üorgcfd&rtebenen tl)eologifcf) en SBorlefungen
fold£)e über <Snci)flopäbte ber römifcfjen unb ber gried)ifdjeu
Utaffifer bei Safel, über beS (Surtpibeä $f)ömffen unb bie
Sßöget be$ 2Iriftopf)ane£ bei bent Repetenten Subnrig; er
f)at baneben franjöftfdfjen Unterrid&t genommen unb fidjj im
©ommer 1832 in Uf)Ianb3 ©tiltftifum mit einem Igrifdfjen
(#ebidf)t oerne^men (äffen, ba3 ber Stfetfter if)tn gelobt §at:
„e£ gibt un3 ben magren unb frifd&en (Sinbrucf einer ©djroarj-
malbgegenb mit iljrem f)eimlidj)en Innern unb i^ren weiten
2lu3blicfen". $on ben früher genannten ftreunbeu mar
il)m Sßicfjter bamals perfönlid) unb bid&terifdf) am engften
uerbunben, föum roeniger ßauäler, ber ifm nod& fpäter
feinen beften greunb genannt fjat ; in 6eeger3 lefctem ©tubien--
jaljre fam .germann ßurj baju. 6eeger3 gerabe, über;
fprubelnbe ü)tatur fam mit ber bantate nodf) fc^r engen
3ud)t beS ©tiffe mannigfach in ßonfttft. Waffen wir ü>n felbft
reben. „Vertieft in pf)ilofopf)ifcije Stubien, benen feine ba=
maltge (SntmicflungSftufe nod) nidj)t geroaefrfen mar, ein ir=
renber bitter im ©arten ber ^tomanttf, t)ermod^te er oft
beim beften SBiflen Uebertretungen ber £)i3jiplinargefefce
nid&t au^uroeiiijen. 2)a<3 ©efüfjl, fidf) häufig geftraft unb
fäarf getabelt §u fefjen, ofme ftd& boc$ einer moralifd&en
Scfmlb bercujlt ju fein, legte in i^iu ben ©runb gur 2tb=
neigung gegen eine 2lnftalt, auf bie er jefct in mand&er $Qe~
jiefmng banfbar jurücfMicft". (Ein regeä geiftigeä Qntereffe
unb fleißige Arbeit Ijaben ifjm audf) feine SBorgefefcten nad^
Digitized by Go
173
gefagt, wie er benn fchon im Sommer 1829 eine afabemifche
$rei£aufgabe über ba3 £eben ©amuete gemacht ha*/ bie
feiber ju fpät fertig würbe. (Sommer 1830 entjog fidf)
Seeger weiteren 2fta®elungeu burdf) freiwilligen Slu^tritt
oul bem ©tift ; „ich glaubte, alle @£ jeffe würben ein (Snbe
haben, meine frühere greubigfett jum ©tubieren, bie mir
immer einen ber erften $läfce in meiner Promotion fid&erte,
werbe wieberfehren, wenn ich nur oom äußerlichen $olijei=
reglement befreit mich meiner lebenbigen 9tatur gemäß be=
roegen fönnte". freilich nötigte ihn nun feine finanzielle
Sage, bie erfte theologifd&e Prüfung fo rafcf) ate möglich,
ein $ahr vox feinen SllterSgenoffen gu machen, ©r beftanb
fie im (Sommer 1832.
33i3 jum grühjahr be£ nächften Jahres lüar ©eeger
$tfar in bem ©chwar$walbftäbtcf)en Sßilbberg, nahm aber, a(3
er bie bortige 2lmt3oerweferei nicht erhielt, ba er noch nicht
ein 3ahr im £>ienfte gewefen war, einen Auftrag an, ber
ifm fd&on jefet in bie fpäter mit großem ©lücf oon tf)m üer=
folgte £aufbafjn be3 £ehrer3 hinein braute. 25er Pfarrer
SeUaxiuä in ©eifertshofeu bei ©ailborf gewann ihn als
§au3lehrer für feinen achtjährigen ©of)n. 3>n biefer ©tel=
fang, 3ugleich in ber Sßaftoration be3 Drteä mit auS^elfenb,
»erbrachte er, in ber SBalbeinfamfeit eines abgelegenen
$orfe<3, brei Saljre bi£ jum 2Kai 1836; brei Vierteljahre
lang, üon 1834 auf 1835, hatte er feinen greunb $au3ler
in einiger 9?ähe unb fonnte gelegentlich auf rüftiger gufc
wanberung mit ihm ein paar ©tunben {itfammett fein. (Sine
launige <£piftet in Herfen, bie er an ihn gerichtet hat, gibt
Digitized by Google
. 174
Seugniä oon biefem Sßerfehr. @r tft im Siegen nach ®aiU
borf gewatet imb fyat flauster nicht getroffen; ohne ben
hat ihm nichts recht gefchmecft unb e3 märe ju wünfchett,
bajs fie ftd) balb beftimmt treffen würben. (Sinftweilen teilt
er ihm mit, baß er bie $oftormürbe ju erwerben roünfdje.
2lufjerbem ^at er an Ueberfefcungen be3 ^(aton unb bei
Boykottes gearbeitet. (Sr war für bie £all&ergerifd)e 23er*
lag^hanblung thättg unb fjat in mehreren Stummem beä
Gottaifchen 9)torgenblatt3 1835 feine erften ©ebichte, nach*
bem fie flauster^ (Senfur beftanben, veröffentlicht; in ben
folgenben fahren finb Urnen in berfelben 3^itfc^rift noch
manche anbere nachgefolgt. S)a3 waren aber greiftunbem
arbeiten, ©ein wohl nicht immer gan$ leichtes 3)oppeIamt
hat er mit glei&, ^ünftlid^feit unb jufriebenem Sinne ge-
führt, wie ihm fein Brotherr nachrühmte.
2)iai 1836 ficbcltc Seeger nach Stuttgart über
unb brachte bort ben Sommer 5U in ©efettfdjaft oon ^er-
mann ßurj, ber feit Anfang be£ QahreS bei £allberger als
Ueberfefeer befchäftigt war. ©r gab in Stuttgart $rioat=
Unterricht, ben ihm ©uftao Schwab oerfdmfft h<*tte, unb
nahm folgen im ©nglifchen. $)aS gute 3 eu 9 n ^/ *h m
fein Pfarrer auSgeftellt fyattt, unb gemife auch Schwabs
mächtige Empfehlung oerfdtjaffte ihm glänjenbe Anträge
oon ^ofmeifterfteUen. ©inen baoon hat er im nämlichen
Qahre angenommen unb bannt wenigftenS tnbireft feine
3ufunft für mehr als ein Sahrjehnt benimmt. @r trat im
s Jiooember 1836 bei einem £erw gifcher = ©raffenrieb in
labern bei 23ern atö Hauslehrer ein. £>ie gamüte
Digitized by Go
175
gifcher war eine ber angefehenften tum Sern; er hätte, fo
jagte man ihm in ber Stabt, nicht leidet in eine angenehmere
Stellung fommen fönnen ; einen Knaben hatte er untere
rieten unb baneben geit für eigene Slrbeit. 2öic überall
in ber 2Belt, fo famen auch in Sern bie Sdjroaben wöchent-
lich einmal jufaminen ; Seeger rühmte namentlich 9iubolf
Äoljbauer, ber im felben Qfahr als glüdjtling nach Berti
gefommen mar unb längere 3ei* als ^rofeffor ber Militärs
wiffenfchaften bort lehrte.
3$ ^abe nicht erfahren fönnen, wie lange Seeger in
feiner £auslehrerftelle geblieben ift. @S fdjeint, ba& er
von Slnfang an baran backte, als öffentlicher Sehrer in Sern
eine Stellung ju finben. 2Bie in ber übrigen Schweif fo
haben bamals in Sern üerfc^iebene Schwaben mit 2luS*
Zeichnung gewirft, namentlich aö Sehrer. Seit Dftem 1838
war ©eeger von ber Stabt Sern angeftellt als £ehrer
ber lateinifchen unb griechifchen Sprache an ber obern
Slbteilung ber föealfchule, welche als SorbereitungSanftalt
für ba$ höhere ©taatSgpmnaftum biente; fpäter ift ihm
auch ein Seil beS beutfehen Unterrichts übertragen raorben.
S)aS war ein für ihn roie für wenig anbere geeigneter $Iafc ;
benn er ^atte nicht nur bie grünbliche Sorbilbung unb bie
pljifologifche Segabung für ben Unterricht in ben alten
Sprachen, fonbern auch ben guten SBiUen, feine ßraft ganj
in ben SDienft ber Silbung beS SolfeS ju fteHen; noch an
feinem (Brahe ift ihm nachgerufen roorben: „Sludj er mar
ein Sßrofeffor, aber er wollte baS Seben nicht mit Schul=
metSheit meiftem. <£r oerachtete baS 2Biffen, baS bem Sehen
Digitized by Google
176
nt(Jt bient, unb (ja&te, roa$ bem SSolf nid&t frommt. (Sr
roar ein fpred&enber $eleg bafür, bag ©eifi unb f)of>e 23il=
bung bem Sßolf nid&t ju entfremben brausen, bag fie in
ifjrem ßerne nid&t oornefjm finb". £)a3 3 c "9"te, *> a 3 ijw
feine 6d)ulbireftton wenige 3afjre na<§ bem Antritte be3
2lmte3 auSgefieHt §at, ift ba3 befte unb wirb beftätigt
non bem einzigen ßottegen, ber nodj) am Seben ift ; fd^öne
ßenntntffe, gute Sefjrmetfjobe werben an ifjm gerühmt unb
bie Hoffnung auägefprodfjen, bag bie <5<f)ule feinen ltnter=
rid&t noä) lange ju genie&en fjaben möge. Seine gerieu
aber l;at Seeger gerne in ber alten §eimat jugebrad&t unb
fidf) bort audj) feine grau geholt. 3m grüf)jaf)r 1842 t)er=
heiratete er fi$ mit $auliite, ber £odj)ter be3 2Kebijinal=
affefforä, fpäteren SJicbisinatratö 3eHer in Stuttgart. £)a£
©lü<f feiner (5f)e t)at er in einigen £tebern t)on männlich
ftarfer (Smppnbung befungen.
$Der unermüblidf) fleifeige SRaim, beffen gleiß burdj
eine eiferne ©efunbfjeit unterftüfet rourbe, fanb neben ber
Sd&ularbeit aud& Qtit 3 U auSgebefjnter unb bebeutenber lits
terarifd&er £f)ätigfeit. @£ roar ifjm von ber Statut ein
§en>orragenbe£ latent ber gorm unb be3 treffenben 2lu3*
bruefö gegeben, unb biefeä roieS it)n jufamt feiner ftarfen
pljilologifdfjen Begabung unb Neigung, bie aus ber nänts
lidjen 2Bur§el flammte , üor allem auf bie Ueberfe&erarbeit
f)in. @3 tarn aber ju biefen perfönlidfjen $orbebingungen
audf) nodf) ein ftarfer 2lnrei$ aus ben (Sinbrfidfen ber faxt
unb ber £eimat. (£3 ift ja in 2)eutf<i)lanb immer üiel unb
f)äufig gut überfegt roorben. Slber roie anbere Seile ber
Digitized by Go
177
fdjönen Sitteratur, fo Ijat aud) biefer geitlidje ^erioben unb
räumlid&e 3Rittelpunfte feiner befonberen 33Iüte gehabt. (53
waren immer fold&e 3dten, luelc^c burd) ftarfe gönnten*
benj unb Itjrtfdie Haltung auSgejeidmet waren. 60 f)at
mit bem Greife ber (Böttinger 2)id)ter, cor allen mit $80(3,
eine bebeutenbe Ueberfcgert^ätigfeit begonnen; eine sroeite
*
große Söelle fällt in ben Anfang unfereS 3af)rl)unbert3, als
bie Sftomantifer ben SBlicf auf bie Sitteraturen aller Golfer
geteuft, ba3 Df)x für ben ßlang fübltdjer formen gefd^ärft
Ratten, als Zitä unb Sluguft SSityelm ©Riegel als SBtr--
tuofen glänzten ; eine brüte in bie breiiger Qafyre unb uad)
Stuttgart, meld&eS bamals ein litterarifdjer SRittetpunlt mar
rote nie junor unb nie fpäter. SDort Ijatte ©uftau Sdforoab
fd)on 1827 bie bte jefct uod) uerbreitetfte Sammlung von
Ueberfefcungen gried)ifd)er unb römifd&er SdjriftfteHer be=
gönnen, unb ei^elne Uebertragungen wie gan§e 33ibliott)efen
dou folgen aus neueren ©prägen fd)offen roie tyiiie aus
bem SBoben f)eroor. Sieben kelteren, wie Dotter, DJtörife,
$fijer, ftnb aud) mehrere aus SeegerS afabemifdjem greun*
betrete, ginf, Heller, Äurj, mit Ueberfefeungen befd&äftigt
gemefen. 2)a3 erfte, was Seeger als Ueberfefcer oeröffent-
ltd)t l;at, waren 33erangerS Sieber, „in ben SBerSmafeen beS
Originals oerbeutfd&t burd) 8. ©. Stuben*", reelle bei Gjjr.
gifd)er in $ern von 1839 bis 1841 in bret Sßänben er*
)ä)ientn unb jroanjig 3a^re fpäter mit bem rechten tarnen
beS Ueberfe|erS neu aufgelegt roorben finb. Seeger mar
nid)t ber erfte beutfdje Ueberfefcer beS franjöfifd&en Sieben
bid)ter$, ber auf ben $lan trat. (Sine 2luSroaf)l feiner ©e=
$if $er , Beiträge II. 12
Digitized by Google
178
biegte Ratten 1838 (Sljamiffo unb ©aubu überfefct, unb im
3atjr 1839 felbft finb fjunbertunbbret lieber SöerangerS in
ber Ueberfefcumj t>on Pjüipp Gngelfjarb üflatf)ufiu£ erfdne=
nen. 2IHein <5eeger3 lleberfe^iing mar oor ädern einmal
bie uoUftänbigfte, fte enthielt über boppelt fo siele lieber
als bie 3ule($t genannte. SRitt ganj wenige ber bamalS fd&on
befannten ©ebid&te SBerangerS Ijat (Seeger meggelaffen. (Sr
fagt : „3u ber 2luSroaf)l aus biefen Stebern, bie man fo
t)oUftänbig als möglich geben mollte, mären üteüei^t anbere
nod) ftrenger geroefen. 2öir aw$, menn mir nidfjt beforgt
Ratten, buret) all^uuieleS Surften unb Reiben mit gierten?
feife bem ^olfSpoeten feinen alten, elirli^en 9tod 311 Sd&am
ben 3U rieten" ; unb unter ben rceggelaffenen ®ebi$ten
finb gerabe fold&e, mo Oranger eben nidf)t $ol£Sbid)ter tft,
mo bie Sinnlid&feit mfyt in ber erlaubten Öeftalt ber dla--
türlid^feit auftritt, mo fte, um jenen treffenben franjöfifd^en
SluSbrucf 311 gebraudjen, nid)t nadt, fonbern auSgefletbet ift.
Xa unb bort ift audf) in ben überfegten ©ebid&ten ein 9IuS=
brurt ber ^ecenj 3U &iebe gemilbert — genufe nid)t gerne,
benn bie gefunbe $lah\r ©eegerS liebte eS, baS Diatürlidje
gerabe auS3ufpre<f)en. Slu&erbem ift bie Ueberfefcung in
ftrengem 2Infd)lu& an bie SBerSma&e beS Originals gemadjt ;
nur ganj feiten in befonberS fd&roierigen gönnen , bie ber
franjöftfdjen (Spraye mit tf)rer £eidf)tigfeit beS Neimens
unb Ujrer bloßen B^hing ^ er ©üben leidster als ber
beutfdjen fallen, fjat ©eeger fidt) unbebeutenbe 2lbänbe=
mngen geftattet. ©S ift für ben einfad&en, liebmä&igen
Gtjarafter ber beutfd)en £t;rtf feit Bürger unb ©oetfje, für
Digitized by Go
179
if/re äßwettbung vom Dbenmä&igen unb 9lf)etortfdjen gauj
beseidntenb, ba& Oranger faft ber ein3tgc franjöftfdje £n=
rifer war, ber bei im* wirflid) Eingang gefunben Ejat ; felbft
^ermann ^ur3, ber als Ueberfefcer fid) mit ©rjeugniffen
pd)fter Stilformen befonberS Diel befd^äftigt fjat, meinte
einmal, ba$ fei bo<§ eigentlich bie einzige SRatur unter ben
fran3öfifd)eu Poeten, Seegern felbft l;at {ebenfalls bie volH:
tümlicf)e grtfdje an ilnn befonbere ange3ogen. (Sr meint,
geroifc im «ginblicf auf bie bamalS fo eifrig gegürtete -äftufens
almanacppoefie, bie er fcf)on fünf 3al;re uorljer „miferabel
unb (aufig" gefunben fyatte: „Die beutfdje £ijrif ift nad)=
gerabe etroaS bufeltg geworben. SBerfen wir roieber etroaS
guten, berben Pfeffer in bie breite, fabe Sauce, womit fid)
bie 2)eutfcf)en feit Qa^ren ben 9J?agen nerfd)lammt §aben M .
9hm ift aber ber populäre fransöfifd&e Sieberftil wefent=
lid) uerfd)iebeuer 2lrt uon bem beutfdjen: nidjt fenti=
mental, fonbern frifd) unb luftig, ber UmfreiS feiner 3Sor-
ftelluugen unb Silber ift ein auberer, bie gorm, bei 23e=
ranger großenteils uorfjanbenen SSolfSmelobien angepaßt,
eine mannigfaltigere, bewegtere. @3 ift beSljalb jmeifellol
nichts weniger als leidet, Oranger in unfere Sprache 511 über;
fegen, unb 31t ben Schwierigkeiten beS IgnljaltS unb ber metri=
fdjen gorm fommt uod) bie einer Sprache üon gan$ abweisen;
bem grammatifdjem 23au. Sßenn eS alfo aud) in SeegerS
Ueberfefcung «Stellen gibt, bie fremb berühren tonnen, fo ift baS
feiten, meit feltener als 311 erwarten gewefen märe; man Ijat
meift nur 3U ftaunen, welche £eid)tigfeit unb ütatürlidfjfeit
ber 2Iu3brucf aud) in ber Ueberfefcung nod) bemalt Ijat.
12*
Digitized by Google
180
Seeger jagt: „28eim auch biefer reiche £erbft von füjsen
unb herben, feinen nnb groben, frifcheu unb mürben grüd):
ten, wenn $8eranger'3 Sieber in einer be3 3Mdf)ter* nidf)t
ganj nnroürbigen Jorm in bie beulte Sitteratur eingeführt
fein neue*, belebenbeä germent barin roerben tollten, immer=
hin ift e3 ber 9)tühe wert, bie Sohtfcüität, ben gönnen*
retd)titiu unb Söofjlftang ber beutidfjen Sprache an biefen
biefjer im ®an$en faft für unüberfefcbar gehaltenen Siebern
jU erproben", £a3 ift ihm gelungen, foroeit e3 nur ge--
lingen fonnte. 2lud) fpäter J)at ftdf) (Seeger noch mit $8e=
rauger beschäftigt (Sr rjat im s JJlorgeublatt 1857 eine
biograplnfche Sd)Uberung be3 Richters, im folgenben 3ahr
eine Ueberfefcuug feiner ^rofaer$ählung von ber SMutter
3arrn, 1859 non ben „Siebern be3 2Uter£" gegeben.
SBeit leidster, roohl auch banfbarer mußte bie lieber;
fe(}ung eine» anberu fremben £r>rifer^ fein, meldte Seeger
um biefelbe 3 eit °^ er öleid; hernad) unternommen fyat.
§ä) habe ein ganjeä #eft Ueberfefcungen r>on Siebern Z\)o=
ma3 -3ftoore'3 cor mir gehabt aus ben Abteilungen ,,^n-
genbgebidjte", „ <5>ebtdt)te in 23e$tehung auf Amerifa" unb
„Oben an 9iea", welche au&erorbentiidh gelungen finb unb
bei genauem 2lnf$lu§ an bie Driginalien fich boef) gang
beutfdj lefen. £a3 4peft ift nicht batiert; ich weife aber,
bafe .germann ßurj 1841 biefe Ueberfefcung bei (Sotta an;
jubringen üerfudjt hat: oergeblich, nur in jmet Stummem
be£ 2)?orgenblatt$ mürben ein paar groben aufgenommen.
ߣ glüefte audh weiterhin nidht, einen Verleger ju Rnben.
Äurj ermähnt aber jugleich noch einen anbem $lan SeegerS.
Digitized by Go
181
(Sr felbft ^atte bamals ben Arioft übertragen unb fd&rieb:
„Setb tft mirS, baß Seeger einen ©efang be£ Artoft über
fegt fjatte, aU ber meinige erfcfjien. @r f>ätte beffer baju
getaugt".
Otadj biefen Verfudjen an frember ^oefte mar e3 an
ber 3 e **/ Seeger mit feinem eigenen ©ute Ijeroortrat,
uon bem ja man$ed fd&on in ber Vereinzelung befannt ge;
rcorben mar unb Seifatt gefunben l;atte. (Sr aeröffentfidjte
1843 im Verlag beS Sitterarifdfjen Gomptoir3 in SBintertfjur
bie lurifc&e Sammlung „2)er Solnt ber 3*it. greie ftid&tung",
biefesmal, roie in 3 u ^ lIl ft immer, mit feinem eigenen Stallten.
(Sine Süelauflage erfd)ien oier Safere fpäter in Setpjig. Sie
Sammlung gerfättt in brei Abteilungen: „Sieber ber Däm-
merung", „Sieber be3 9ttorgen$", „Sieber be3£age3"; bie
5roet erften enthalten 9iatur* unb Stebeslnrif, bie brüte p<N
Iitifdf)e ©ebidjte. Qu ber legten 3eit feines Sebent f)at Seeger
au3 ben etwa anbertljalbljunbert ©ebbten biefer Sammlung
unb boppelt fo tnel neuen jroei befonbere Sammlungen ge=
bitbet, meiere in jierlic^en Dftaubänben bei (Sinil (Sbner in
Stuttgart erfcf)ienen finb. Sie eine, „Sieberbud)", entfpridjt
ben jroei erften Abteilungen ber alten Sammlung unb Ijat
bie Safn-e^afjt 1863; bie anbere, bie jraar bie 3af)l 1864
fjat, aber aufy fdjon 1863 erfdjienen ift, fü^rt ben (aum
*
oeränberten alten Xitel „(Sin Sofni ber $tit" unb entfpridfjt
ber britteu Abteilung ber früheren Sammlung, meldte fn'er
gan§ befonberä ftarf oerme^rt erfd&eint. SBie fdjjon bie äußere
3a^l, fo ift and) ber innere Sßert biefer lnrifcf)eu @ebtd)te,
unter benen nur ganj raenige er$äf)lenbe finb, nitfjt uube=
Digitized by Google
182
bcutcnb. Site Seeger feinen Oranger ^erau^gab, fdjrteb
er: „ftäm' er je einmal ba$u, feine eigenen Sieber 511 fam=
mein, man würbe balb fehen, bafe fie ben Söeranger'fchen
raeber im guten noch im f glimmen Sinne oermanbt finb".
3m fd)ltmmen fdjon gar nicht; im guten — ja ober nein,
wie man'3 nimmt. 9)tit ber gewöhnlichen Salonlnrif, bie
überall ihren Cbolu3 entrichtet unb einsieht, fyabtn fie gar
nichts ju t^un. 3()re gorm ift flar, lebenbig, aber ganj
einfach, fie ift nie auf magtfdje SBirfung unb Betäubung
ber Sinne beregnet. 2lu$brud unb ©ebanfe ftnb eigen=
tümlich, manchmal neu, aud; roof)l fchroierig unb frembartig,
tueber fede -Jteubitbungen noch einfache, ungewollte 33c5eid>-
nungen finb oermieben; fo ftö&t man alle Slugenbltde auf
Stellen, wie fie in ben ftd) immer im ßreiä ^erumbre^enben
tfaletboffopeu ber gewöhnlichen £nrifer nicht oorfommen,
bie burd) gefchidte ©ruppierung un£ ein paar bunte ©la*=
ftüd(hen |U einem großen ßunftroerf cor^ulügen rciffen.
möchte fagen, ba3 (Sharafteriftifum oon Seeger^ $oefte fei
gefunbe, männliche ßraft, balb ma&ooll jurüdgehalten, balb
mit Sonnern ober Rubeln henwrbrechenb. 3n ber ein;
fachften gorm unb im fünften SluSmafc ehte3 ©ebid)te£
fel;lt nie ein energifcEjer ©ebanfe. Ueberalt regiert eine
ftarfe Seele, ein reidjer ©eift mit foliber Slu^rüftung, ttef=
grünbiger (Smpftnbung unb fräftigen, aber in gefunbem
(Sbenmafe gehaltenen trieben. Selten ftnb bie trüben Stirn*
mungen be3 SBersagemS, ber ^eftgnatton, häufiger bie beS
uerbiffenen ©rollS ober feurigen $otx\$, am Ijäufigften bie
be3 lachenbeu £umor3 ober ber hellen, jubelnben greube.
Digitized by Go
183
tiefer Srunbjug unb bie »olfötümlidjc ©efinnung beä Sid);
terä fann ja redfjt wof)l an Oranger erinnern ; um fo beut
lidjer unter fdfjeibet ftcf) Seeger von jenem .burd) ben gei=
ftigen ©eljalt, tdf) möd&te fagen bie 23ilbung, unb burcf) bie
jletS eble gorm unb Sprad&e. @r mar ein großer $er=
ef)rer ©oetljeä, man fann fagen ein tfjätiger; benn er ift
md)t mübe geworben, Stellen au« ©oet^eS ©ebid£)ten unb
anbern äßerfen al£ Seitfprüdfje einzelnen feiner ©ebidf)te
unb ganjen Abteilungen üoranjufteüen. 216er in feinem
(Eigenen erinnert er an ©oetf)e nid)t me§r al3 jeber beutfäje
Surtfer unfereä SaljrfninbertS, am meiften an ba3 SJolfe
tümlicfje, rein Siebmäfeige im jungen ©oetfje unb an bie
tjumoriftifd^e, weife 33efd&auHc§feit be3 alten £errn. SDtft
Urlaub, in beffen Spuren er in feinen politifdjen ©ebidjten
etwa einmal roanbelt, fyat er gar feine $erroanbtfdf)aft; üon
Urlaubs fünftlerifd&er, eptfcf>er Sttufje entfernt fidj feine burdf)
unb burcf) Inrifdfje Sebenbigfeit unb Subjeftuntät meilenweit.
2ln SHücfert, ben unenblid) mannigfaltigen, fann man wofjl
aucf) einmal gemannt werben ; häufiger an £eine, aber ntdf)t
an ben 2Mtfd)mer$bidf)ter, ben 2Beid;lidfjen, 3etnffenen,
fetten, woljl aber an ben rosigen Spötter, beffen «£iebe
wie Ueffeln brennen, unb an ben Sänger nieblid&er Heiner
lieber, bie einen anfe^en wie Sßöglein, bie ba3 $öpfd&en
aus bem SRefte ftrecfen. 2tm meiften Söerwanbtfd&aft glaube
id) mit §wei gleidf^eitigen Snrifem §u ftnben, mit bereu
erftem Seeger in feinen fpäteren Qa^ren eng uerbunben
war. -äflit meinem Sßater berührt er fidf) in bem gan$ fpe--
giftfd; hjrifdien, ba3 Reifet innerlich erregten, leibenfdjaftlicf)
Digitized by Google
184
pulfterenben %on feiner ©ebid&te, in ber innigen ^erbim
bung uon 9kturgefüf)l nnb perfönlidfjer £eben3äu&erung ;
aber er fyat nichts ober roenig von bem betragenen, fmlb-
mgftiföen an fid) — feierlid) ift er ganj nnb gar ntdjt.
2ln ©oltfrieb Heller, beffen hjrtfdfje ®ebi<f)te ja nur brei
Safere nad) ben feinigen erfd)tenen finb, gemannt nid&t nur
ba3 £ofal oieler ©ebid&te, fonbern audf) bte Vorliebe für
lanbfdjaftlid&e SituationSbilber , bie £ecff)eit in ber 2£af)l
be$ SluSbrud*, bie ötlblid&feit, PafHjttftt ber SDarfteüung;
nnb in biefen fünften mag ber fonft roenig oerroanbte Sßifdjer
aud) herangezogen werben. $a& fo roenig, ja nichts meljr
oon <Seeger3 ©ebtd&ten befannt ift, möchte jum Seil baran
liegen, bafe mandfje oon ifjnen, in ber §roeiten SlttSgabe bte
ootte ßälfte, politifd^en Qnfjalt ober bodfj eine poltttfdfje Spike
^aben. @3 ift ja unter ganj oeränberten politifdjen 3>er=
f)ältniffen nur fdfjroer mögltdj, bie gange Stimmung in ftd)
neu ^u erroeden, bie aus älteren polittfdfjen unb polemtfdjen
©ebidjten fprid)t. Seeger ift ein guter £>emofrat unb ein
ebenfo guter beutfdf)er Patriot ; aber oon ber Salbung unb
bem ©lodengetöne fpäterer Sßaterlaubäbid&ter ober gar oon
bem fcfynarrenben unb trompetenben Stone nodjj fpäterer l;at
er ntd&tä an fidfj. 2lm beften ift er im ftoxn unb im 2Bi§
ba fliegen bie Junten nur fo baoon. 2)er getragenere %on
Urlaubs, ber r^etorifd^-funfelnbe £erroegfj3 unb greiligratl)»
ift ntdfjt feine Saclje. 2lm beften roerben roo^l nodfj immer
biejentgen ©etod)te roirfett fönnen, in benen nadf) ber 2lrt
fd;roet3erifcher ^oeten &anbfd)aft unb SBaterlanb, 9faturge=
füf)l unb gretf)eit3gefül)l oerbunben finb. ©er ganje, üolle
Digitized by Go
185
2)i$ter ftecft, wie bei allen anbern £t;rifern, in ben unpo*
litifchen Siebern, unb von ihnen würben es nicht gang wenige
oerbienen, t»on ber -»Nachwelt gerannt 511 fein. @3 get)t btftdj
unfere Iprifc^en @hreftomathien fo unenblid) üiel <5dmnb,
ben einer ber bequemen Äompilatoren bem anbern entlehnt :
fo ein £>u§enb ober auch ein paar Stofcenb von Seeger£
Biebern würben in bie „SDufeligtot" einen frifchen ®erud)
nad) bem befonnten grünenben gelbe hineinbringen, baS
weber nad) „weifen Dtofen nnb Gamttleblumelein'', nod) nad)
japanifchnnbifchmormegifdjem ^ßatfdtjuli buftet.
SSenn in Seeger eine ftarfe patriotifche (Smpftnbung mar,
fo Jjat ftc fid) jtetS nur ganj natürüdt) unb ungezwungen als
ein fel6ftDerftänbIid^er Xrieb ber 9Jatur gegeben, ot)ne jebe
$erfjimmelung be3 beutfdfjen SBefenS, beffeu get)ler in ben
©ebidjten manchmal ganj gehörig mitgenommen ftnb, unb
o^ne &erabfe§ung frember 2lrt unb Söeife. ©erabe fo, wie
e3 ftd) üon felbft oerfteht, baf? ein braoer 9ttann feine grau
unb feine ßinber lieb ^at. 2)eutfd) fein Reifet bei ihm :
einfach, gerabe, natürlich fein. Unb biefe 2lrt uon S)eutfd)-
heit — nidt)t mehr bie einjige bei ben beuten von heutzu-
tage — verträgt fid) fo ootlfommen mit ber $od)fcr)ä§uug
alles (Schönen, was brau&eu in ber SBelt gewachfen ift unb
wa<§ cor taufenbeu oon fahren geworfen ift, baß ÜRtemanb
fo fehr wie eben ©eeger befliffen war, bie fd&önften ©iiter
frember Golfer bem feinen juguführen. l;at babei feine
Slrbeit an einer Sdjule mitgewirft, welche eben biefe» 3lb=
fehen h^tte. <£o hat er in 23em ben alten ^plan ber Ueber=
fegungen am bem ©riedjifdjen wieber aufgenommen unb
Digitized by Google
186
menigftenl tertmeife üernurflidfjt. Gr giebt im $atyr 1843
an, bafj er fett jroölf Sauren an einer metrifdjen Ueber-
fe§ung ber grted^if^en l'mrifer, bej§ Sopfjoflel nnb bei 2lrtfto=
ptjanel arbeite. £)af$ baoon gunädfoft einselne groben in bie
£>effentlid)feit fameu, ba§u uerlmlf il;m ein befreunbeter ftot
lege. $arl Söorberg , ^rofeffor ber @3efd}idf)te unb ber la-
teinifdjeu Sprad>e an ber ferner Dtcalfdjule, gab unter bem
£itel „|jeUa£ unb dlom" eine „Söor^aUc bei flafftfdjen
Slltertuml in einer organifdjen 2hilroal;l aul ben 9Jteifter;
werfen feiner Sinter, ©efd)td)tfd)reiber unb ^üofop^en"
fjeraul, bie 1842 bil 1847 in acf)t 33änben bei £arl ©öpel
in Stuttgart erfd)tenen ift. 3 U cmer ^arfteüung ber
©efd)id)te ber einzelnen £itteraturgattungen würben f)ier
§ug(eid) größere groben berfetben in beutf<$en Ueberfefcungen
gegeben. $\\ bie jroei erften Söänbe, we(d)e bie grtedf)ifd)en
5Did&ter enthalten, ift einige! von Seeger aufgenommen
roorben. SBon Itjrifdjjen ©ebidjten l)at er groölf Slnafreonteen,
bie erfte olpmpifd&e unb bie fiebte pptf)ifd)e Cbe ^inbarl
beigefteuert, in gönnen, bie fid) frei an bie Driginalmetra
anfd)(ie§en; SBorberg ^at fid& ben Spafc gemalt, bie fiebte
ptjt^tfd&e Dbe au$ in £f)ierf<$l Uebertraguug abaubrucfen,
bie fid) in if)rer fflat)ifd)en 2Börtlid)feit ungefätjr wie einel
ber fyalb tieffinnigen fjalb finnlofen (SJebidjte bei franfen
£ölberliu aulnimmt. Slu&erbem (;at SBorberg bie gan^e
Gleftra bei SopfjoHel in Seegerl Ueberfefcung gegeben unb
beigefügt, el fei eine üoUftäubige Ueberfe^ung bei Sopfyoftel
burdfj 6eeger §u erwarten. S)iefe ift aber nieniall erfd^ie-
uen; el f)aben ftd& in Seegerl 9kdf)(af3 nidjt unbebeutenbe
Digitized by Go
187
Seile bauon gefunben, bie aber meffeid)t bod) nid)t vo&
ftänbig genug waren, um bte SMenbung burd) einen an=
bern gu lohnen. Heber feine ^ringipien bei ber lleberfegung
gleich nad&fjer; fie finb biefelben in feiner Ueberfefcung beS
2lriftopfmneS.
liefen Stüter hatte Bürberg teils nad) SBoft teils nad)
tropfen mitgeteilt, aber hinzugefügt : „bafj inbeS aud) no$
auf anbere SBeife, als biefe -Diänner eS getrau haben, 2lri=
ftophaneS auf beutföen SBoben t)erpflan$t, unb jroar fo t>er;
pflanzt werben fönne, bajs er feftere SBurjeln auf bemfelben
fdjlageu bürfte, als eS bis je£t gesehen, beraeift mir bie
nod) ungebrudte Ueberfefcung ber gröjdje üon <5eeger, welche
id) in ßänben habe". dl\6)t lange nad^er mar 6eegerS
uottftänbige Ueberfefcung beS 2lriftophaueS üoüenbet unb er-
Übten 1845 bis 1848 in brei täuben bei Kütten in granf?
furt. @S ftedt in biefen brei Sänben eine fe^r grofce 2lr=
beit. Stüter ber Ueberfefcung felbft enthalten fie auSfül;r=
lid)e Einleitungen unb sahireiche, etngefjenbe 2lnmcrfungcn
ju ben einzelnen ©tüden. lieber bie 2lbfid)ten beS Ueber=
fegerS unterrichtet feine „©ptftel an einen $reunb als $or=
wort", fter Slnfang biefeS Vorworts mutet faft wehmütig
an, wenn man Üjn heutzutage lieft, ©er SSolfSmann ©eeger
ift ein großer SBewunberer beS (Griechentums; fein gmd
ift fein anberer, als bem eigenen SSolfe burd) bie Aneignung
be3 SBeften aus bem grembeu §u btenen, nicht eine „burch
&änbet unb Speere, burd) ade ©ebiete ber $unft unb 2Biffen=
fdjaft fdhweifenbe äft^etif<^=romautifc§e ®enuf$fud&t" }ii be=
friebigen, fonbern bie geiftige unb politifdje Silbung feines
Digitized by Google
188
SBolfe! 511 förbcm. „9)foberne, babei umfaffenbe, nationale
SBilbung unb ßrjteljung ju einem menfd)enroürbigen Dafein
iffc für un! ba! lefcte 3iel. Der 8ttbttng*ftoff, ben bie neue
unb neuefte &'ti gebrad&t Imt unb täglich bringt, Fönnte
£)ie$u l;inreidf)enb fd&etneu, er ift e! in ber %f)at ntd&t. $u
einer umfaffenben SBilbung gehört nidjt nur ^f)ilofopf)ie unb
$oefte ber Üieujeit ; roa! mir roiffen unb Ijaben, ift fein au!
ben Söolfeu gefallene! ®efdfjenf be! mobernen ©eniu!, unfere
33ilbung ift ba! ^robuFt aller 3a&rf)unberte, aller gefd)i$t=
liefen Golfer. Sllle 2Berfe be! 3Jfenfcf)engeifte! finb
ba! ©rbe ber Stationen, uor allem ber beutfd&en. Denn
feine f)at e! fid) fo fauer werben laffen, wie biefe, fidf) $u
einer greiljeit 3U erjietyen, für bie man fie bo<$ immer nod;
nidjt für reif galten mill". Da! £auptelement aber and?
ber mobernen Söilbung bleibt ba! Flaffifcbe, ba! grie$if<f)e.
„„Sann wirb, rufft bu au!, manu roirb einmal bie &it
fommen, roo mir bie Ärücfen oon un! werfen unb auf ei=
genen güjsen fielen?"" „Der Gimmel oer^üte e!, bafc biefe
$eit je fommt! Der £ag, an bem mir biefe treuen gül)rer
unb Begleiter auf unferm 33ilbung!roege in unbanfbarem
@igenbüufel oon un! ftie&en, märe ber Sßorabenb einbre-
djenber $erroilberung unb Barbarei. 3a, auf eignen gü&en
foHen unb Fönnen mir fielen, Brüden brausen mir gottlob
nicfjt, aber auf eigenen gü&eu fielen ift nid&t ifoliert, auf
einer Säule fielen, egoiftifdfj borniert fidf) abfdjjlie&en".
Da! rotrb nun meber ber bemofrattfdfjen SSanaufie noef) bem
nationaliftifd&en Dünfel unferer Sage gefallen. Die beiben
l;aben feine 2If)nung, mie üiel ed)te gretl)eit!liebe unb mie
Digitized by Google
189 _
m'el ed)ter Patriotismus aus ber £eftüre ber Sitten in untere
Qugenb, in unfer $olf übergegangen ift, wie an ber als
Utopie ober SBaterlanbSloftgfeit gebranbmarften £ellenen=
begeifterung unfere Qugenb fid& mit bem Skterlanbsfinne
uollgetrunfen f)at, ber fie auf bie ©<$lad)tfelber üou 1813,
1815 unb 1870 begleitet $at. (SS ^ängt mit biefer päba=
gogifdjen 2lbfid)t unb mit bem ganjen 9latürlid)feitSgefüf)l
SeegerS jufammen, wenn er nun für bie SluSfüfjrung einer
folgen Heb erfefcung oor allem forbert, bafe fie aud) nrirflid)
beutfd) fei. s JMd)tS dou bem „Ueberfefcerrotroelfd)" , baS
fdjon 8L 2B. Stiegel an ben SBofjifäen llebertragungen
gegeißelt f)at ! SJeutfd) unb poettfdt) — baS ift für einen,
ber in beutfdjer ©pradje SScrfe mad)t, ein unb baSfelbe;
freilid) nid)t für bie, roeld)e Sßofftfdje SBortungetüme beraum
bern. „Streng muffen mir fein roie 58ofe, aber nidr)t pe=
bantifd), frei tote SBielanb, aber nidjt roiflfürlid)''. 2luS
biefem ©runbfa(3 ift cor allem bie 2öaf)l ber SBerSma&e l;er=
vorgegangen. Die lurifdjen 3)kfee finb roiebergegeben, fo-
meit bie gorberung eines oerftänblidjen SluSbrucfS unb einer
überfidjtlidjen r>&mifdjen gorm eS suließ; roo baS nidjt
möglidj festen, mußte ber ©runbfafc gelten: „^ßoefie gefjt
über $rofobie". Qeber, ber fidt> etroa mit Bonners 6o=
pfjofleS abgeplagt £at — fei eS als ^omponift roie 2Hen;
belSfofm, ber fdjliefelid) aus ben griedjifd)en Vetren bo$
nur einen meber gried>ifd&en nod) mobernen Sragelapfjen
machen fonnte, fei eS als blofeer Sefer ober aud) als Sefirer,
ber feinen Sdjülern ben gaben burdj biefeS Sabnrintfj geben
fott — roirb mit ©eeger füllen fönnen, roenu er auf einen
Digitized by Google
190
gans (flammen 2lnfc$Iii& an ba£ Original üerjid^tet ijat
3m Dialog ift bcr Xrimeter burd) ben fünffüßigen Jambus
erfefct. Sie ©rünbe jwar, welche 6eeger gegen ben Sri--
meter anführt, werben nicht burd)au3 einlenkten; wenn
23orberg gegenüber ber metrifdjen SBehanblung ber Gleftra
einwanbte, e3 „möchte ba^felbe bei weiteren gortfchritten
ber Ueberfefcerfunft unb be3 UeberfefcerS aud) 3U erreichen
fein, ohne gerobe fo tuet von ber gorm $u opfern", fo
hätte er ftch auch auf bie beutfcr)en Srimeter in ©oetfjeä
£elena=<Scenen, in Schillert Jungfrau unb 33raut berufen
fönnen, um 51t bemeifen, bafj ber beutfdje Xrtmeter feljr
roo^l mit ausgezeichneter SBirfung möglich war. 2Iber bod)
nur, fonnte (Seeger barauf ermibern, in Momenten ober
ganzen ©ebichten oon befonberer geterlichfett. (Sr hat bar=
auf hingewiesen, ba§ wir nun einmal im 3)rama weniger
feierlich, fenten$iö3, ftatuarifd) finb als bie ©rieben unb
bie granjofen. derjenige 8et$, ber in unferem SDrama bie
MoUt beS Srimeterä fpielt, ift eben nicht biefer, fonbern
ber $er3 ShafefpeareS ; 3<*™<f e , ber feinfühlige, fjat auch
barauf ^ingewiefen, bafe ber Xrimeter in ben gällen, wo
©oetfje unb ©filier u)n bramatifch nerfuefct haben, biefelbe
Kotte eines gehobeneren SDiafceS fpielt, bie im gried)ifdjen
Srama bem trochaifchen £etrameter jufommt. ©eeger ift
in ber 2öaf)l feinet Metrums benfelben 2öeg gegangen, wie
SBilamowifc, unb wäre wofjl auch mit ber Sleu&erung biefeä
berufenen SBortführerS beS ^«^9™ £eHem3muS einoerx
ftanben gewefen, baj$ man ben ©uripibeö im $lanfr>er£, ben
Stefd&gluS im £rimeter überfein muffe; benn er trifft mit
Digitized by Googl
191
n)m in ber trcffcnben 2leuj3erung gufammen, ber Ueberfefcer
muffe fud&en, „ben gleiten ober bodfj einen ä$ttli<$en (Situ
brud ^eroorjubringen, ben ber 9t§ntf)mu3 be3 Originale
auf ba£ Df)r be§ ®ried&en Oeruorbrac§te". $u biefen me=
triften Sc&mierigfeiten famen aber audj nod) §al)llofe unb
wol)i ungletd) größere fprad;lidj)e. 2lriftop§ane3 operiert mit
niti)U fo ^dufig al£ mit Slnfpietungen, Söortroifcen u. bgl.
unb ba3 in einer Spraye oon ganj außergewöhnlicher ^e*
roeglid&feit. 2öenn nun aud) bie beutfdje Spraye ef)er als
anbete im <5tanb ift ba3 nad^ubüben, fo gef)t e£ bod) ofyne
große ©dbroierigfeit niä)t ab unb einzelnes bleibt unfiber«
fegbar. gier mar eine ©pradjgemanbt^eit unb ein ©prad)=
finn üou ungeroölmlidjer <5idj)erf)eit nötig, um hinter bem
Original nid)t gar ju meit jurücf 511 bleiben, unb o^ne grofee
greu)etten gegenüber bem Original, of)ne 33ettaufd&ung grte=
d)if($ier 2Bi§e burd) ganj anbere beutfd&e fonnte e» nic&t
abgeben, wenn bie Ueberfejuug md&t ungenießbar werben
follte. 3lriftopf)ane3 ift neben ^inbar unb 2lefd)i)lu3 ber
fdfjroerfte, ütelletd&t überhaupt ber fd^roerfte ber grted^if^en
Poeten, ©elingt es, i§n beutfcf) fo roieberjugeben, ba§ er
nid&t in allem @in$efoen — benn auf ben erften <5ifc werben
aud) feine Slt^ener nid&t alle bie göttlidfjen Kalauer »erftanben
l;a6en — aber im gangen flie&enb unb natürlid; mirft, fo
wirb ber Ueberfefcer fidE> barauf redjt mel 311 gute tfmn
bürfen. ©eeger ift in biefem galle; ein $ergleidj mit ber
üerbreitetften lleberfe^ung t)on Dronfen, bie felbft fcfjon ber
S8offifdfjen gegenüber ftdjj greu)eüen mit bem Original ge=
ftattet f)at, jetgt, baß ber alte ßomifer in ©eegerä Ueber=
Digitized by Google
_J92
feßung bod) weit natürlicher unb bamit überjeugenber wirft.
1*3 geigt fidE> ba3 aud) in einem untergeorbneten fünfte.
2lrtftopl)aneä lägt frembe Sßerfonen bie SDiunbarten if)rer
(tfegenben fpred)en. Sronfen f)atte bafür ein gang feltjameä
SWittclbing 5n>ifdr)en älteren fd>riftbeutfd)en unb munbartlidj
alemamiifdjen 2öortformcn gewählt, ba$ fo, roie e3 bafter)t,
nie unb nirgenbä gu |>au$ geroefen ift. Seeger bagegen
t)at iuirf lidt) e niobeme SMalefte, für ben 3)iegarer bie SRunb»
art be$ fcfyroäbifdjen UnterlanbeS, für ben SBöotier bie be3
Dberlanbeä, für bie Spartaner ba3 ferner Seutfcr;, ge-
wählt unb bamit ben Sinn be3 2l!tiferS getroffen, ber btefe
fremben 3biome nid)t nur al* frembe, fonberu gugleid) aU
roI;e SBauernfpradjen gegenüber ber Sprache feinet (Sen=
trumS ber feinden Silbung in SBtrfung gefegt bat.
Seegerä 2iriftopljane£ ift bie legte unb reiffte grudjt
fetner Söefdjäfttgung mit bem Altertum. ift für Umgang
d)arafteriftifd), baß er al£ Ueberfefcer fid) nur mit ©rieben
unb (roenu mir oon ben Slnafreonteen abfegen, bie bafür xnu
mefentlid) finb) nur mit foldjen aitS ber fttit ber griedufdjen
SelbftänMgfeit befetjäftigt fjat; £efleniften unb Börner lägt
er liegen. ©3 ift djarafteriftifd) für ben Äünftler, ber nur aul
ber alten, autod)tf)onen, mit bem Seben üerroac^fenen^oefie,
nid)t aus ber meltfremb geworbenen Sidjtung ber fpäteren
Reiten fdjöpfen null ; nod) mefjr aber für ben 3)ienfdt)en unb
^olttifer, gu bem bie großartige, gielberou&teStaatSflugrjeit
be$ meltbe^errf^enben SßolfeS nidjt rebet, fonbern nur ba3
uaturroüd)ftge, ftolge greirjeit$= unb $aterlanb£gefüf)l ber
gried)ifd)en ßleinftaaten. DJur ber gange üttenfd), in bem
Digitized by Google
193
fcenfen, güfjlen, SBoüen eins ift, gefaßt i§m unb locft $tt gur
SDarfteflung. $ern ift <5eeger gum ^otitifer geraorben.
2öenn bie ©ef d£) id)te©riedf)enlanb3 eroig ba3 9Jhifter patriottfd&er
Hebung unb oolfötümlid&er grei^cit bleiben rotrb, fo f onnte er
in feiner nädtften 9^ä^c bie llmroäl$ungen moberner ^epublifen
ftubteren. 3« Keinen ©taat^toefen von republifanifdjer S8er=
faffung faden bie 9Jtifjftänbe, bie jebe£ Regiment, oon ber
autofratifd&en 9Jionard£)ie bis gur £>emofratie nad) ber 2lrt ber
Urfantone, mit fidf) füf)rt, fo lange Sftenfd&en 2ftenfc§en finb,
jebent (Sinjelnen beutlidfjer ins 2luge, bie ÜHöglid&feit, felbft
£anb anzulegen, ift größer, bie ©efafjren, bie au3 einer
Hmroaljung für bie äußere ©id&erfjeit be3 ©taats erroadjfen
fönnen, finb geringer aU in größeren Sänbern. <So (jat
man ja gerabe in ber ©d&roeij ein beftänbigeä, für ba3 ©e=
famtrcefen im ©anjen bodf) ntd)t gefäfjrlid(je3, öftere förbers
Udf)eS Dfciflieren jroifdjen alttiberalem unb bemofratifd)em
Regiment ju beobadfjten. ©eeger mar aU fed&Sunbsroanjig:
jähriger 9)Jann nadfj Sern gekommen ; er mar ©enoffe etneä
reiben, patricifd&en .gausroefenS geraorben, ftanb aber audj
mit anbern Männern in $8e$ief)ung, unter benett 2lngef)örige
ber £infen oielfadf) tonangebenb raaren. %n feinem gleidf)
nacf) ber Slnfunft an ben SBruber 2lbolf getriebenen SBrief
äußert er fidj oon ben ©inbrücfen ber republifanifdfjen greis
Ijett feme3roeg3 fef)r entjücft unb meint, beibe Parteien
^aben ifjre geiler gemalt, er möchte lieber oon einem
SBureauf raten feiner £eimat al£ t>on fo einem republifantfdjen
©nabenaulteiler abfangen. @r ift aber bann bodf) red&t
feft angeroad^en unb burdf) feine Aufteilung aud) mitten in
3rif d)ev, Beiträge II. 13
Digitized by Google
194
bie ©efeflfdjaft imb 23ercegung ber Qeit hinein gefommen.
©r perfekte mel im $ogttj$en £aufe, baS ein Sammefe
punlt tjeroorragenber ÜDfänner mar. 2Bie gerne er an freien
Sagen baS i'anb burd&roanbert unb mit welkem ,§eimatS:
gefüfjl er feine Saubtx gefoftet fjat, fagen safjlreidjje unter
feinen ©ebbten. Unter anberem beteiligte er ftdf) a\i$ als
£aie an beu üielgenannten ÜHeffungen beS StargletfdjerS
burd) Slgafftj unb anbere unb naf>m mit feiner grau für
einige 3^* 2lufentljalt auf ber ©rimfel, reo bie ©eleljrten
if)r Hauptquartier aufgefcf)lagen Ratten. 2tlS grud&t biefer
Säuberungen ift ein eigenes 23u$ entftanben, baS mit bem
Xitel „$ie Sd&n)ei$" 1844 bei ^öalj in Stuttgart er;
friert, als britter Seit beS SammelroerfeS 㣟e SBanberer
um bie 2i5elt. £änber= unb Sßölferfunbe in 9teifebefdf)rei=
billigen". SeegerS 9Jame ift nirgenbS genannt; bafe aber
ber 23anb von tfjm ift, wirb nidjt nur burd) baS 3 eu 9 n ^
eines SBerroanbten benriefen, fonbern audf) burd) baS SBudj)
felbft, üor allem burd) mehrere ©ebidjte, bie uon Seeger
finb, unb burdt) bie üerfjältntSmäfeig ausführlichen Angaben
über Slgaffij unb bie Seimgen. £)aS Söerf ift ein ^arer-
gon, baS mit ben anberen ©rjeugniffen feines SBerfafferS
nid&t in einer Sinie ftef)t, aber ifjm aud& ganj unb gar feine
Unehre madf)t. $ie Sammlung, für bie es gefdjrieben rourbe,
gibt fid) als beftimmt „für bie Qugenb unb i^re greunbe".
SeegerS Arbeit ift feine eigentliche Qugenbfdjjrift: aber fic
ift burdfjauS in bem Sone freunblicf)er, unter^altenber 23e*
le^rung gefd&rieben unb mit ©efc^tcf ift baS baburdf) eqielt,
bafe ber SBerfaffer fidj) felbft als Sernenben barfteltt, als
Digitized by Google
195
einen, ber ben Soben ber ©<$mei$ $um erften !ERale betritt.
®$ ift eine Steide Don Briefen, bie üom Sobenfee burdj baS
21ppcit3cller £anb tta(§ Süxiä), ©<$ äff Raufen, $aben im 2lar=
gau, nadf) 53ern unb ins ferner Dberlanb, nacf) $reiburg
unb ©olotljurn, auf ben SBeigenftetn, burcfjs (Sntltbudf) an
ben SBierroalbftätter ©ee unb über (Sinjtebetn bis §ur Uf;
nau führen: nur ein Zeil ber ©d&ioeij, aber einer, ben
Seeger felbft, gum Seit mehrmals, bereift f)atte — bie
Hutopfte ift nirgenbä ju »ernennen. Sieben ber ©d&itberung
be3 £anbe£ ift be3 $olfe<S unb feiner ©efdjid)te nie oer^
geffen, unb man befommt fo ein fatteä, mit frifdjer £uft
unb öftere mit «gumor gejeidEmeteä $uftänbü<$e§ Süb. $a3
Urteil über bie ©cf)roet3er, baä einer gemütlichen 2Bärme
ntd^t entbehrt, ift geregt unb roofjt abgewogen; roie f)äufig
bie S)cutf(^en felbft fd&ulbig ftnb, raenn fie ftdE) bort nidf)t
^eimifd) fügten, ift feineSroegS üerfdfj wiegen; aber roenn e3
§et£jt: „£)eutfd&e, bie 3. S. in Sern jahrelang leben, fjaben
mief) oerfidfjert, bafe fie fidf) faft fo fremo bier füllen, aU
bei ifjrem Eintritt in bie ©d^roet^", fo ift leicht ju fef)en,
roofjer biefe Angabe rüfjrt.
(£3 ift aber fein Steffel, bafe ©eeger, raenn aud) nidjt
in ber üorberfteu 9teif)e, fief) an ben politifcfjen ^Bewegungen
beteiligt f>at, meiere furj nacf) bem @rf feinen feiner 9^eife=
falber einen afuteren Gf)arafter annahmen ; unb gtoar ftanb
er auf ber ©eite ber bemofratifd&en Partei, bereu Häupter
in SBern, rote an anbern ©d&roeijer Drten, großenteils 2)eutfdf)e
waren, üornetymüdf) unter ber gütjrung be3 Unioerfität^
profefforS SBityelm ©nell. ©erabe in ben üterjiger Qa^ren
13*
Digitized by Google
196
haben ja bie wichtigften $eränberungeu in ben Serhältnijfen
ber Sdjwei§ fiattgefunben, bie fett ber $eit ber £elöetif
ju oerscid&nen ftnb. Der SonberbunbSfrieg bereitete fidj
um bie 9)ittte bc^ ^ahrjehnts t>or, imb ber Danton Sern
würbe in biefe SBirren ^ineingejogen. ^ermann Äurj gibt
in einem Sriefe üom 13. ;}ult 1845 ba$ ©erücht roteber,
Seeger habe feine grau nach Stuttgart geflüchtet. $aä mag
übertrieben gewefen fein. 2lber ba ba3 alte liberale Regiment
in Sern noch am Diuber mar, fo tonnte immerhin ©efahr
für 2lngehörige ber $)emofratie befürchtet werben, menn auch
von einer bewaffneten Erhebung feine Siebe mar. ^id)t
lange nachher errang bie Semofratie in Sern ihren Sieg.
2lm 31. 3uli 1846 mürbe bie neue Serfaffung beä $anton3
proflamiert. ftur$ barauf, unterm 11. September, bewilligte
ber ©rjiehungörat Seegerä ©efudj, fich an ber llnioerfität
aU ^rbatbojent für alte unb neue £ttteratur, namentlich
aber für beutfdje Sprache unb Sitteratur habilitieren 311
bürfen, welche SefugniS am 17. gebruar 1847 auch noch auf ben
Vortrag ber Slefthetif auägebehnt worben ift. S)ie SSer=
fettung ber Umftänbe läjst annehmen, baß bamit nicht b(o&
ber bewährte Lehrer, fonbern auch ber oerbiente 9ttann ber
2)emofratie geehrt werben foEte.
Seeger ^at an ber ttniüerfität Sern vom ^erbft 1846
bis jum grühjahr 1848 Sorlefungeu über alte unb neue
Literatur gehalten: über SophofleS, SlriftophaueS, ®emo--
fthene^; über beutfehe £itteratur= unb $ulturgefchichte, Slefthe-
Hl, ©oetheS gauft unb ba3 Wbelungenlieb. 2luch für ben
Sommer 1848 ^atte er noch folche angefünbigt. @r muß
Digitized by Google
197
aber fchon im grüfjjahr 1848 von 93ern fortgegangen fein.
Die näheren Umftänbe fennt niemanb mehr. Schmierig^
feiten unb 3)H^eHigfeiten fönnen fieb aus feinem boppelten
2lmt, baS er bis gule^t beibehielt, ergeben ^aben, um fo
leichter als er feine Dojententhätigfett fc^r weit auSgebehnt
unb jmifeben fechs unb elf Stunben im Semefter gelefen
^at. 5Iud) politifebe Reibungen fann eS gegeben fyabtn.
2lufeerbem wirb bie SnfteDttng an ber Sfoalfcbule bod^ wohl,
wie in ber Sdjweij üblich, nicht lebenslänglich geroefeu fein.
Stropem wäre er, ba er auch anberSwo feine befferen 2luS=
fixten gehabt hätte, wohl geblieben, wenn nicht bie 9leoo*
lutton in Deutfchlanb baäwifcben gefommen wäre. @r fetbft
lagt in bem ©ebid)t „91ücffehr aus ber Schweis": „Der
Freiheit &aud) hat mich entführt unb folgen mu&t' ich ih rcm
Stern". (Sr hätte baS aber fchwerltch gethan, wenn er
nicht gehofft hätte, in ber neuen $ent auch in feiner $etmat
mteber eine fefte Stellung 511 finben. Da& er baran benfe,
nrieber nach SBürttemberg ju gehen unb ber Schule feines
©eburtSlanbeS feine Dienfie ju wibmen, h ft t er oon 53eru
aus fdhon früher mehrmals ausgebrochen, ©uftao Schwab,
ber ihm, wie nur faheu, mof)l wollte, war feit 1845
ÜJtitglteb beS StubienratS. SRachbem im 2)Mr3 1848 ein
liberales 9Winifterium eingefegt morben mar, fd)ien für Seeger
2luSficf)t üorhauben ju fein. Durch bie Vermittlung Slbolf
SeegerS, ber inprifchen Stabtbireftor oon Stuttgart ge=
roorben mar, machte Schwab ihm einige Hoffnung auf ein
roürtteinbergifches Sehramt. SJtafch entfchloffen ging Seeger
von 23ern fort unb erfchien gum Schrecfen feines SBruberS
Digitized by Google
198
unb feines ©önnerS mit gamilie in Stuttgart. 2lber baS
Lehramt — wer roei& auch, ob gerabe eins jur Verfügung
ftanb — lieg auf fid) warten unb rooflte fid& auch nach ein
paar Monaten noch nicht jeigen.
60 nahm beim Seeger ben Antrag beS Ulmer SBer*
legerS 9iübliug an, bie Siebaftion ber „Ulmer Sdmettpoft"
3U führen, unb fiebelte nad) Ulm über. Qn ber Kummer
Dom 5. $)e$ember 1848 ift er 511m erften ÜDJale als r>er;
antroortlicher Dßebafteur genannt, ftmti Qaljre lang f)at er
bie oielgelefene 3*itung in ber jroeiten Stabt beS SanbeS
rebigiert, im Sinne ber ©emofratie; er ^at au<h bie üb-
lichen folgen einer folgen X^ätigfeit 3U tragen gehabt, im
benx er roegen Slufnahme eines fremben 5lrtifelS ber Wlait*
ftätsbeleibigung fchulbig erflärt nmrbe unb fechS ^Bochen auf
bem ben OppofttionSpolitifern mo^lbefannten, bamals aller=
bütgS unter einer recht gemütlichen 2luffid)t ftehenben SlSberg
3ubringen mußte. £)iefe Erfahrung unb bie weitere ZfyaU
fac^e, baß Seeger vom 15. 9Härj bis 3. Quli 1850 ber
„oerfaffungberatenben SBerfammlung beS Königreichs SBürt-
temberg" (fürjer „SanbeSoerfammlung" genannt) als 2lb;
georbneter für Ulm angehörte, alfo com Drte ber SRebaftion
längere Qtit abroefenb fein mußte, fcheint ben ängftltdhen
3eitungSeigentümer ftu&ig gemadjt 51t h a ben; er fünbigte
SeegerS Stellung auf. 21m 29. ^egember 1850 oerließ
Seeger Ulm. @r oerabfchiebete ftch von ben fiefcrn feines
Blattes mit ben SBorten: „3ch that, fo hoffe ich, meine
Schulbigfett auf meinem Soften als SRebafteur eines $olfS^
blatteS, wie in ber öffentlichen $erfammlung, oor bemSSolfS«
Digitized by Google
199
geriet roie auf ber Tribüne al«3 $olf3t>ertreter". £)a3 ift
ihm bejeugt roorben in ber ftarf befugten Hbfdu'ebäfeter,
bie ihm am 27. Dezember gegeben roorben ift unb bei ber
unter anbern auch ein fonferoatio gefinnter Schuhmacher;
meifter ba3 SBort ju feinem $rei3 ergriffen l;at.
(Seeger ging roieber nach Stuttgart. Er ift bis §u
feinem Enbe ohne amtliche Stellung geblieben; in ber 9leaf=
tion^geit mar für ben beroährteu Sehrer ber ^ugenb in ber
eigenen Heimat fein Pa£, unb er felbft märe geroife ju ftolj
geroefen, einen 311 oerlangen. Er t)at ftch in ber freien,
aber färglichen Stellung aU Schriftfteller fein $8rot uer*
bient. ®eroi& nicht ohne Sorgen; benn e3 waren ihm in
33ern jroei Söhne geboren roorben, für beren 3 u f un ft 3 U
forgen mar. Er fdjrieb $orrefponben$en für beutfdje unb
amerifanifd^e 3eitungen; oon feiner eigentlichen litter arifd^en
Arbeit foll fpäter bie 9iebe fein. Ein inbuftrtetfeS Untere
nehmen, in ba$ er fich einlief mifcglücfte burch bie Schulb
feinet ©enoffen unb f)at ihm otel Xlnhift, feiner grau jal)re=
lange Arbeit unb Stfühfal uerurfacht. 2Iber er mar nicht
ber 3ttann, fid) beugen ju laffen; er §at, al£ eine 9?atur,
ber ber ßampf eine greube mar, fich burchgeruugen unb
fidf) unb ben Seinigen in aller Einfachheit unb Schlichtheit
einen geachteten $tafc in ber 2Mt erobert.
2öenn ihn etroaä noch befonberä aufrecht Ratten unb
feine Energie ftählen fonnte, fo roaren e3 bie politifchen
kämpfe feiner Stuttgarter 3eit, in bie er mit Dotier ßraft
eingetreten ift. $on feiner 2öa^l für bie jroeite £anbe3=
t)erfammlung ift fchon bie $ebe gemefen. 2>er fur§mäh=
Digitized by Google
200
rcnbcn brüten im Dftober unb Dtooember 1850 fjat er nidfjt
angehört, dagegen würbe er nom Dberamt^bejir! SBalbfee
in ben erften £anbtag unter ber erneuerten ©erfaffung ge«
roä<, ber vom 6. 2)tai 1851 bis jum Sluguft 1855 gewährt
f)at. 5Dic Wogen ber ^olemif gingen in biefem £anbtag
f)od>; bie Dieoftion (jatte bas ©piel gewonnen, aber bie be=
mofratifdjje Partei war ja^lreid^ vertreten unb blitfte „tief
gefränft, bod) mutig unb ftolj auf ba3 gewahrte 9ied)t".
Unter ben auSgejeid&neten Parlamentariern biefer SRid&tung,
roeldfje Württemberg bamate fjatte, mar ©eegerS ©ruber
2lbolf einer ber fjeroorragenbften burdj Begabung unb 2luf=
Opferung für bie <Sadt)e. $ie beiben ©rüber ftnb polittfd)
faft immer jufammen gegangen. Subroig ©eeger f>at ju ben
regelmä&igften ©efudjern ber ßammeroerljanblimgen gehört
— übrigens fd&etnt ba$ ©d&roänjen bamafc Überhaupt nodjj
nidjt ©itte geroefen 31t fein, ©erebet fjat er nic^t attju
häufig. Qu ben fü^renben ^erföulid&feiten f)at er überhaupt
nidjt gehört, ift aud) nur einmal in eine Äommifjion gewählt
roorben unb gmar in bie ©d&ulfommiffion , für bie er eine
8ef)njäf}rige (Srfafjrung mitbrad&te. 3n ben rein gefd^äft^
mä&igen, tedfmifdjen ©erroaltung3= unb gtnan$fragen fjat er
faft nie unb jebenfalB nidfjt mit befonberetu ©lütf ba3 Wort
genommen. 2lber er mar auf feinem ^la&e, roo größere
allgemeine gragen §ur Spraye famen; Ijier Ijat ifjn feine
energifd&e, gcrabe 2)enfa>eife, fein rü<ffid(jt£lofer ©ered&tig*
feitSfimt, feine manne £tebe für ba3 Söolf gehoben unb er
f)at mit roud&tiger, vuxä) feine umfaffenbe litterarifd&e 23iU
bung gefräftigter ©erebfamfeit nnrhmgSüol! in bie Debatten
Digitized by Google
201
eingegriffen. „SBenn nad) langer Debatte", fo rourbe if)tn
an feinem ©rabe nachgerufen, „in unferem ©tänbefaal ber
Stoff fid) fd&roer gehäuft unb geballt fyatte, wenn bumpfe
Sd)toüle auf ben ©elftem ju laften anfing, ba teilte fein
fd)lagenber 2Bifc ba§ finftere ©eroölf, erfrifd)t füllten mir
un$, bis er enbete". „(Sr liebte e3, wenn bie 2Bogen hodj
fingen, bann fanb er fidj in feinem ©lement". So $at
Seeger ba3 Söort ergriffen in einer Slnja^l uon fragen ber
inneren ^olttif, roo ftarre Sdjranfen §u burepredjen, alte
gärten ju milbern waren, balb mit balb ofme ©rfolg: gu
©unftert einer befferen Stellung ber SßolfSfd&ulleljrer, ju
©unften ber 9tealfdmlen, gegen fird&lid&e £errfd)aft$gelüfte,
$egen ba3 ©ebot ber SonntagSfjeiltgung, für Slnerfennung
bet SteutfötaQoKten unb Emanzipation ber 3uben; für
greiljett ber ©eroerbe unb gegen bie Sefdjränhmg ber greu
^ügigfeit; gegen uülitärifd&e Ausgaben, bie boa) nifyt sur
Erfüllung patriotifd)er 2Bünfd)e bleuten ; gegen äBiebereim
fü§rung ber im 3al)r 1849 aufgehobenen £obe$ftrafe, aber,
nadjbem fie roteber eingeführt mar, gegen bie geheime $otf;
jiefjung berfelben; gegen Steuereyemtion beS 2lbet3, gegen
<£rf)öf)ung ber ©ehalte für bie ©efanbten, gegen Verlange;
rung be£ 6ottaifd>en $rit>ileg£ auf ©oetfjeS unb Schillers
Söerfe; gegen rtgorofen (Sinjug ber Steuern unb ^arte SBe=
ftrafung be£ Settels, enblid) für ba3 2lnred)t ber ©emeinben
auf Sßalbroeibe unb SBalbftreu, unter Berufung auf bie $er;
^ältniffe be3 ^eimatltd&en SdjroaräroalbS unb feiner armen
£eute. SBenn bie sülefct genannten 2öünf<f)e unb klagen
mit ben Notjahren in ber erften £älfte ber fünfjiger 3a$re
Digitized by Google
202
im 3ufamment)ang fte^en, fo erfennen mir in ben anbcrn
letd)t bie gorberungen bcr Semofratie jener 3eiten. Seeger
ift auch in fetner Slbftimmung ftetS mit ber £tnfen gegangen
unb bei Spaltungen in berfelben auf bie Seite ber ep
tremeren Meinung getreten. @S finb biefe innerpolitifchen
fragen bei ihm wie bei anbern fpäter mehr in ben hinter*
grunb getreten r»or ben gragen ber beutfchen Sßolittf. £)a&
er ober bis julefct auf bem Stanbpunfte ber uuuerfälfchteit
bürgerlichen 3)emofratie, auf bent (Stanbpunfte £ubtmg Vfy
laubS geblieben ift, geigt noch im Qahr 1863 eine 9iecenfion
von meines Katers 25rama griebridj II., in welcher er ben
abfolutiftifdjen Stanbpunft beS gelben — roahrltch md&t
beS Richters — mit unmotioierter Schärfe getabelt fyat.
lieber manage fragen ber inneren Sßolitif mögen manche
je(jt anberS urteilen; ber (Srnft, bie lautere @()rlid)f eit, baS
warme, lebhaft emppnbenbe unb lebhaft fid^ äufjernbe ©es
iniit beS SDichterS wirb man auch in beut ^olitifer gerne
roieber erfennen unb liebgewinnen.
3n ben nächften württembergtfchen fianbtag, von 1856
bis 1861, würben bie trüber Seeger nicht gewählt. Schabe;
benn eS entgeht uns baburch manches fräftige Sßort, baS
Subroig gerabe bamalS gtt reben gehabt hätte, giel bod)
in jene Satjre nicht nur ber italienifdje ßrieg, ber ganj
Sübbeutfchlanb in fieberhafte Aufregung uerfe&te, fonbem
aud) int £anbe felbft ber ftegreiche $ampf ber ßammer=
majorität gegen bie von ber Regierung mit ber ßurte ge*
fd)loffene ßonuentton. 2lber in ben folgeuben Sanbtag, ber
von 1862 an mit größeren Unterbrechungen tagte, würben
Digitized by Google
203
beibe trüber itueber geroäl)lt unb fjaben ifjm jeber biä gu
feinem Xobe angeljört, Subroig als Slbgeorbneter roieber für
Ulm, Slbolf für greubenftabt. £>er Sanbtag trat am 3. 9Rai
1862 gufammen unb tagte junädjft nur beinahe brei 2Boct)en
lang. 9?ur einmal, am 7. 9Jtat, l)at Submig ©eegcr ge--
fprodjen unb jmar bafür, ba& bie Sfjronrebe beä ßönigS
mit einem £inroei3 auf bie beutfd&e grage beantwortet werben
fülle : fein ©ro&^reufeen, fein ©rofcDefterreidj, fonbern ein
©efamt=2)eutfd)lanb ! darauf folgte eine anbertfjalbjäfyrige
parlamentarif<$e $aufe. 3n biefe Qeit fallen bie gmei roid);
tigften (Sreigniffe ber beutftf)en ©efd)td)te jener 3a^re: bie
Ernennung 23i3marcf£, bie beu preuf$ifd)en $erfaffung3fon=
flift, unb ber £ob griebricp VII. von SDänemarf, ber ben
bänifd&en $rieg jur golge $atte. 2Bie bie Stimmung roä(j=
renb be3 preufcifdjen $onflfft£ unb vor ber Slufrolhmg ber
fcrjle3tt)ig4offteinifrf)en grage in SBürttemberg mar, läßt
ftd) ntrgenbä bcffer verfolgen aU in bem gebrückten SBeridjt
über bie Sanbe^oerfammlung ber gortfd&rittSpartei, bie im
Sejember 1862 in (Eßlingen ftattfanb. Sßer^aubelt rourbe,
von fragen ber $partei=örgamfation abgefe^en, nur über
bie beutf^e grage. Sitte Slnmefenben waren einig barüber,
bafj bie preufcifd&e Dppofitiou 311 irjrer Haltung im $er-
faffungsfampfe ju beglücfnriinfd&en unb barin §u beftärfen
fei; ebenfo einig in ber gorberung, baf$ nunmehr, ba ein
frifdjerer 3^9 mieber ju gelten angefangen fjabe, bie Einigung
£)eutfcr)lanbs unb bie .gerftellung einer allgemein beutfdjen
Sßolf^üertretung lebhaft ju betreiben fei. Slber über bie
Littel basu mar man nid)t einig. ©<f)on Raiten fid& bie
Digitized by Google
204
beiben gegnerifdjen Vereine, ber fleinbeutfdje -ftationaluers
ein unb ber grogbeutfd^c 9teformoereiu, burdf) ganj ^Dcutfd)^
lanb oerbreitet unb reichten mit i&ren SJiitgliebern aud& in
bie SReUjen ber württembergifd&en 5Bolf-3partei hinein. 9fo$
wollte fetner von ben in ©klingen 33erfammelten, ba& Defter^
reid) au3 bem 33unbe IjinauSgebrängt würbe; aber wäfjrenb
niedrere SInmefenbe auf ber Carole beirrten: ba3 ganse
$eutfcf)lanb foll e$ fein, unb ben ©d&atten be$ üor wenigen
2Bod)en oerftorbenen Urlaub ctliertcn, wollten bie anbern,
bag einmal o^ne SRücfftd&t auf Oefterreidf) vorgegangen werbe,
biefeä werbe baburdfc fcfion jum 5fiitttyun gezwungen werben.
SMefe 3meüe 2lnfidf)t fanb in ber SBerfammlung große 9ftajo=
rität, unb ifjr gehörten audf) bie beiben SBrüber ©eeger an.
6rft bie (Sreigniffe von 1864 bis 1866 f)aben ben 5?eil tiefer
eingetrieben unb bie preu&tfdfje Partei au« ber $)emofratie
hinaus, biefe aber ins öfterretd&ifdbe Sager gebrängt. 2Jtan
ift oerfucf)r, bie grage aufjuwerfen, ob e§ ni$t möglich ge=
wefen wäre, ba& ^reufeen fic^ f<$on 1862 unb 1863 an bie
©pi^e be3 beutfd&en SiberaltemuS gefteüt ^ätte : bie
neigung §u Defterrei<$ wäre bann in unterer fdfjmäbifd&en
Sßolf^partei uidf)t 2fteifter geworben. Slber ba$ ift eine un=
nüfce grage.
2113 ber Sanbtag am 24. ^ooember 1863 wieber
jufammentrat, ftanben feine SBerfjanblungen gleidf) ganj unter
bem Stifyen ber f<$le3mig^olftetnifd)en grage, ba am a$t=
jeljnten (Sfjriftian IX. bie neue Söerfaffung unterjeid&net fjatte.
$on fpegififd) württembergifd&en Angelegenheiten war nur
bie 3ulaffung ber 3uben ju allen bürgerlichen Diesten unb
Digitized by Google
205
jur 23erf)eiratung mit Triften von größerem Qntereffe; aud)
(Seeger ftimmte unb fpraa) bafür — feine legte ßammerrebe
am 23. gebruar 1864 mar $u ©unften ber @§efd)Ueßung
gwiföett Triften unb 3uben. 3mmer roieber fam bie <5ad)e
ber ©tb^ergogtümer auf bie SageSorbnuug unb üerfd&lang
f'ebeä anbere 3>ntereffe. SDic Slbgeorbnetenfammer faßte
mehrmals rafä) Ejintereinanber gans ober nafjesu einfüllt
mige SRefolutionen ju ©unften üon ©$le£roig;£olftein: ber
Sluguftenburger foßte anerfannt unb burd) 9Jtobilmad(mng
com SBimbe in fein (Srbrea;t eingefefct merben. 2lud£) Subroig
©eeger mar öfters unter ben Sftebnern, nod) in feiner nor=
legten $ammerrebe am 18. Qamtar 1864 fprad) er ftä)
gegen ba£ eigenmächtige Söovge^en ber beiben ©roßmäd)te
au3. 2luä) außerhalb ber Cammer mar er für bie @lb=
Herzogtümer bemüht unb ift in Württemberg mof)l ber eifrigfte
i8orfämpfer ü)rer Sadje gercefen. (Sr mar mä)t nur 2ttit=
qlieb be3 Stuttgarter Komitees für ©cfyleäroig^olftein, fott«
bern aud) Sftitglieb be3 ©e<$3imbbreißiger*2luSf<&uffe3, ber
üon ber granffurter SBerfammlung aller beutfd)en £anbe^
Vertretungen im Dejember 1863 aU ftänbtgeS allgemein
beuifrf)e3 Komitee $ur Söa^rung ber Ungertrennlid^feit ber
^erjogtümer unb be3 2utguftenburgi|a)en (Srbred&tS einge=
fe£t rourbe. ©eeger Ijat nod) ben 2lu3brudf) beä $rteg3,
aber mcfjt fein ©nbe erlebt; fünf £age uor feinem £obe
fanb ba3 für bie Greußen fiegreidje ©eetreffen bei ©tral=
fitltb ftatt, unb als am 28. 9flär§ 1864 in oerfdfjiebenen
tt)ürttembergifd)en $Be$irfen große 23olf3t>erfammlungen für
Sdjfe3nng:£olfiem gehalten mürben, ba mar er nidjjt me^r.
Digitized by Google
206
©o f ollte ba£ geben auch biefe^ Patrioten in Uuge=
roi&f)eit über bie £öfung ber gro&en unb unerträglich brän;
genben fragen nach ber 3ubmft $aterlanb3 ju (5nbe
gehen. 2öie er ftch ju ben folgenben (Sreigniffen geftellt
haben roürbe, »et roill e3 Hüffen? (Sr war in ben fräftigften
9)Janne3iahren in baS öffentliche £eben einer 9lepublif h m:
eingefaßt geroefen unb backte republifantfch im beften ©inne:
nichts üon fc^eucr @^rfurd&t oor bem ©lang ber $öfe, ton
Ergebung in bie befehle oon oben. @r mar ein richtiger
£)emofrat, für ben es jroifchen ©ro&en unb fliehten feinen
Unterfchteb gab, fyat er bodr) in ben legten Sauren feines
Sebent im «Stuttgarter 9lrbeiterbilbuug3üerein oft unb oiel
gerebet. (Sr war ein greunb freier Bewegung, ein ©egner
aller polt3eilidr)en Söeoormunbung, ein Wann be$ ftrengften
©ered)tigfeit£gefühl3. 216er er mar auch ein leibenfd&aft=
lieber SBaterlanbSfreunb, ein Wann ber rücfftchtslofen 2B&
lenäfraft, unb wenn er ben 2Bahlfpru<h ber $)emofratie
feiner Sage: alles für ba3 SBolf unb alles burd) ba3 §8olf,
mit jäher @ntf<hiebenheit feftln'elt, fo war i^m ba3 anbere
2Bort mtnbeftenS ebenfo heilig: $)eutfchlanb über aHeS. ©r
gemahnt in allem biefem am meiften an Uhlanb; aber er
ift üiel leibenfchaftltcher, aftioer als btefer, baher auch neuen
Sbeen jugänglicher — lieber aU bie t>on Uhlanb gemähte
D^otle be3 gähnrich^, ber „nmnb unb blutig fein SBanner
rettet im ©efecht", ift ihm bie be£ feefen DieiterführerS, ber
im ©alopp ben ©einen ooran auf ben geinb einfprengt
unb einhaut.
mx muffen ben gJolitilet ©eeger uerlaffen unb fönnen
Digitized by Google
207
mir einen f(üdf)tigen SBlicf* auf eine furjroä^renbe journaliftifd^e
Sljätigfeit feiner legten Qext werfen, bie ju ben fernerer
nnegenben unb bauernberen poetifd;en Seiftungen ben Ueber=
gang ma<$en mag. 3« ben 9teüolution3jaf)ren mar aU ittu=
ftrierteä 2Bifcblatt ber fd&roäbifd&en SDemofratie ber „(Men-
Riegel" erfd&ienen. 3)er (§bnerifd)e Verlag in Stuttgart,
ber audE) bie poeite Auflage von SeegerS ©ebic^ten über=
nafnn, *>at in ben bewegten SEagen von 1862 unb 1863
biefe$ 2Bip(att roieber aufleben laffen; e3 erfdfu'en vom 15.
9büember 1862 bis @nbe 1863 aün)öd)entHd&. 2ludf) Seeger
war unter ben Mitarbeitern biefer oft red&t wiegen, oft
aber audf) aüju reidf)lid) gepfefferten 3 e üung. SD^ai
1863 an fjatte ber ©uleufpiegel regelmäßig ein „£itterarifdjje£
2Bocfjenblatt" ate Beigabe, ba3 gunäd^ft nur Utterarifc&e 33e=
fpred&ungen unb litterarifc^=fünplerif$e XageSnottsen ent=
f)ielt. $om 4. 3uli 1863 an bis jum 3a^re3fd&lu& erfd&ieu
baä 2Boä)enblatt in erweiterter ©eftalt unb aU Herausgeber
nannte fidE) Seeger, ber e3 rooljl aud& fdfjon guüor geroefen
mar. Slufcer ben früheren Seftanbteilen enthielt bie 3ettung,
bie fidf) neben anbern tyreS gleiten fügltd& fe^en laffen fann,
aud) ©ebidjjte, 9tooellen unb anbereS. Seeger felbft rjat eine
Slnsar)! Inrifd&er Sßoefien beigefteuert. $)er Qn^alt biefer
2öoä)enblatt3 ift ganj unpolittfdE).
SBit größeren SBerfen mar Seeger feit feinein 2lrifto=
pfjaneS nt<$t merjr rjerüorgetreten. 2lu3 ben fündiger Sauren
ift nur bie burcfygefefjene jroeite Auflage beS Söeranger uon
1859 an nennen. 3" berfelben 3eit aber arbeitete er fcf)on
roieber an ©rö&erem. @r fjat ftd&ä nie Ieidfjt gemalt. Qmn
Digitized by Google
203
britten ÜDJale griff er nadfj bem ©djwerften in bcn Stttera-
luren be£ 2luManbe£, als er e3 unternahm , bie poetifdhen
2ßerfe S3ictor |mgoa 31t überfein. £>iefe llebertragung ift
1860 in ber Stiegerifd^en $erlag$hanblung 511 Stuttgart in
brei 33änben erfdhienen. £>er erfte SBanb enthält gleich ba§
incalculabelfte ©ebidjt be3 gran3ofen, bie wunberlidh tief-
finnige, erhoben tuafmnnfcige „äöeltlegenbe", unb tyat bie
Jlunfi be3 Ueberfe&erä fofort auf bie aUerfdhroerfte Sjkobe
gefteüt. 3m sroetten SBanbe folgen bie „Oben", „SaHaben"
unb „ Orientalen", im britten „ßerbftblätter", „Sieber ber
Dämmerung", „innere Stimmen", «Straelen unb Statten".
2lu$ in biefer Ueberfefcung ift ©eeger bem metrifc^en Gtyfe
raltct beS Originale fo treu als möglidj geblieben, tuieber
mit einer DoUfommen berechtigten 2lu3nahme. £)en im gran=
5öft(a)en fo au&erorbentlid) häufigen SÜeranbrtner ^at er
beibehalten, roo er Igrifdh ift, ba£ ^ci§t roo er als SBeftanb--
teil hjrifdjer ©tropfen erfd^eint; bagegen §at er ifm ba, roo
er in längeren, fortlaufenben Ükiljen auftritt, burdf) ben
reimlofen fünffüßigen 3ambu3 erfegt, lieber ben Srimeter
fonnte man ftreiten, über ben Slleranbriner ni$t; er ift uns
al3 SBerSmafe längerer ©ehielte fo ootlftänbig fremb ge*
worben, baß mir un§ niemals mehr in it)u hinein füllen
fönnen; mir ertragen ihn im (SpoS ober £rama höd&ftenS
noch jur (Sharafterifterung soppger geierlkhfeit unb 2ßohl 5
rebenheit, roie er etroa fdf?on in ßörnerS ©ouoernante üer=
wenbet ift. SBeranger unb ^ugo finb oieUeic^t bie sroei
aHeroerfdhiebenften fitjrifer granfreicH auf bie ein Ueber--
fefcer verfallen fonnte, mag ihnen audf) bie ftarfe politifdfje
Digitized by Google
209
Slber gemein fein, xoa$ ba^u mitgeroirft fjoben fönnte, ©eeger
ju iljnen ^injujie^cn. £)a6 er mit feinem Oranger mefjr
@(üd gehabt I)at, liegt an unferem beutfdjen ©efd)macf in
U}rifd&en fingen; bie Slrbeit war bei £ugo nid)t fleiner,
ionbern größer. 9Ud)t sroar in metrifdjer unb elementar^
jpradi)licf)er SBejie^nng, ober in SBegielmng auf ben galten
fjod&getragenen Dbenfttl be3 granjofen. £)enn wenn e3
etroaS giebt, roa3 un3 feit bamals fjunbert Qa^ren fo §iem=
lid) abljanben gefommen ift, fo ift e3 bie (Smpftnbung für
biefen Itjrifdjen Stil leerer Drbnung. (§3 gehörte bie
größte ßunft baju, unl ben bem SDeutfdjen ütelleidjt frem=
beften franjöftfdjen $Dtd)ter näf)er ju bringen, ofme ifm 311
üerfälf<$en. ©eeger §at ben §8erfudj wagen fönnen. 3n
weitere Greife freilidj fonnte biefe Ueberfefcung feinen Tanten
itirf)t tragen.
£)en Sßann, ber ftdj an folgen Aufgaben erprobt fjatte,
tonnte nur bie größte nod) retjen. ©$on im SSinter 1857
auf 1858 fc&rieb SJiubolf hausier an feinen SBruber: „SBenn
bu mit ©eeger jufammenfommft, fo ermahne Um bod) audj
in meinem Tanten, er fotte ben $lan einer neuen ©fjafe=
fpeare*Ueberfe&ung ni$t aufgeben unb einmal ein ^robeftücf
bruefen laffen. @r fjat in feinem SlrtftopJjaueiS betmefen,
baß fein Ueberfefcer in ber ©egemxmrt e3 tfmt gleid) t$itn
fann, roenn e» fid) barum ^anbelt, einen fremben ^oeten
$u einem beutfd&en §u machen". Sind) bie ©teile in einem
oier 3a£re fpäteren Briefe oon ^ermann $ur$ wirb )\6)
auf nid)t3 anbereä be^iel)en: ,,©eeger£ ©elingen freut mid)
iefyv unb nod) mef)r fein $orfa§, ein 3Keiftermerf ju liefern,
% i f d> e r, Beiträge ir. 14
Digitized by Google
210
roaS er ja bloft 311 wollen braucht". Nad) ber ^ollenbung
beS Victor £ugo na&m Seeger bie neue Arbeit, bie uim
fänglid)fte uon allen, ernftltd) $ur £anb. Am 30. Wlai 1863
las er im Saale beS SftufeumSgartenS bie Ueberfefcung beS
Äöntg $of)ann öffentltd) oor; er fjatte, rote berietet roirb,
btefeS Stücf juerft ooßenbet, roeil ber Sd&aufpteler 2)aroiion
eS bei feinem $efud) in (Stuttgart geroünfdjt l>atte, um eS
nacfy ber neuen Ueberfefcung auf bem S)reSbener ^oft^eater
fpielen $u laffen. Als Verleger für bie Ueberfe&ung war
Dtto 2ßiganb in £eip3ig gewonnen. 3 ur Unterftüfcung ber
Arbeit beantragte ein na&er greunb SeegerS bei ber beutfdjen
Sdn'llerfttftung bie (Seroä&rung eines (Sl)renfolbeS. Sie er;
folgte im gebruar 1864 für brei 3a^re; als Seeger bie
Diac^rid&t empfing, roar er fd^on franf; feine SBitroe fjat
ben (Sljrenfolb nod) bis 1866 belogen.
©ine Nebenarbeit roar eS, als Seeger im %a$x 1863
eine ftattli<f)e An$af)l oon f$roäbifd)en unb anbem beutfd&en
$id)tern 311 bem „5>eutfd)en SDic^terbud^ aus Sdjroabeu"
Bereinigte, baS $u gleicher 3ett mit feinen jroei eigenen
lt;rifd)en täuben bei (Smil (Sbner in Stuttgart erfd&ienen
tft. @S roar offenbar als ©egenftücf 511 ©eibelS 9ftünd)uer
2)id)terbud) gebaut, baS ein 3>a|jr üor^er erf<$ienen roar.
Qu brei Abteilungen folgten epifd)e, lnrifd)e, bramatifdje
Sachen auf einanber. Seeger felbft roar nur in ber erften
Abteilung üertreten mit bem Sd)roanf „£)ie ©olbfafanen",
ber aus bem $af)re 1862 ju ftammen fdjetnt unb ein redjt
üolleS, grünblidjeS 33ef>agen am menfd)(td)en Dafein oerrät.
@S tft eine tolle ®efdnd)te aus Neapel, in ber einem S$ufj=
Digitized by Google
211
machet gur Diadje für feine öoe^eit etngerebet roirb, baß
bie uon ifjm 51t -ättarfte getragenen 6d)u(;e ©olbfafancn
feien. $a£ 2J?otio ift ganj äfmlid) wie in ©etbeU betraf
lief) älterem „9Keifter SInbrea" unb mit ni$t geringerer
ajiunterfeit unb 2lu3gelaffenf)eit burd&gefüljrt. Q[n formeller
$e$ief)ung bagegen bebient firf) ber ©d&roanf ber reimlofen
Srod&äen, meldte #erber3 (£ib guerft aufgebracht unb Sdfjef;
fel£ Trompeter für berartige 3roecfe fjarmlofer parobie^
renber ftotntl mit ©rfolg üerwenbet Ijatte.
bitten au» ber SBaljn, au£ ber Döllen, geübten Alraft
ber rüftigften 2ttanneSjaf)re würbe Seeger weggeriffen. @r
hatte über ein 3 a ^Se^nt mütyfam ringen müffen, um feine
©fiftenj 51t friften, unb er fyattt e3 getfjan, o^ne je 51t ben
beliebten SKitteldjen feister Unter^altung^fajriftftellerei $u
greifen. @r trotte fid& bie Sluerfenmmg unb 2öertfd&ä(3ung
erworben, bie gerabe ber Sdnoabe unb befonberS ber We-
mo^ner ber Söeamtenftabt Stuttgart einem Statin o^ne 2lmt
unb Sßütbe niäjt fo leicht ju Seil werben läfet. 9hm backte
er mofyl, ber Sorgen um be£ Sebent üftotburft balb quitt
$u fein, na<$bem bie Söfme bem @lternl)au$ entmadfjfen
waren unb beginnen fonnten, auf eigenen güfeen $u fte^en.
2115 £>i$ter ^atte er ftcf) einen gearteten tarnen unb einen
gefiederten 91ang gefd&affen unb ftanb in feinem SSofntort
fetbft mitten in einem Greife bid&terifdfjer greunbe, unter
benen mein Sßater unb ber 9tomanbid&ter Dtto Füller ifjm
am nädjfteu oerbunben waren, ^ebermann erwartete eine
lange, fruchtbare £f)ättgfeit für if)n, ber im begriffe ftanb
burdj ein weiteres 9)?etfterwerf ber Ueberfefcerhmft §u bem
14*
Digitized by Google
212
alten Bühnte neuen 31t fügen. 2Iuch fein politisches Sßtrfen
fd)ien in ber fchle3roig ^olftctnifdjen grage einen feften Wlil
telpunft gefunben ju ^oben. 2lnftrengenbe Arbeit mar ihm
eine greube. <&v tyattt einen fraftooH gebauten Körper,
bat er burch llebung roader erhielt — and) fchriftftellerifch
hat er ftch gelegentlich mit ber Sumfunft su ttjuu gemacht,
©in Naturfreunb üoH be§ feinften 6inne3 für bas Schöne
ber SBelt, war er noch immer ber rüftigen gu&roanberung,
etroa mit feinen f)erantuac^fenben ©binnen, eifrig jugethan.
s )iad) bem eifemen gleiß beä £age£ mar er einer frohen
©efeüigfeit nicht abgeneigt unb btlbete einen TOttelpunft
geiftreidjer Safefnmbe; er, bem alles ©efpreijte, ©eledte,
©efalbte grünblich jumiber mar. $ie 9iäume ber 2öer=
nertfehen ©artenttrirtfehaft an ber ^flarienftrafee, meiere £er:
mann ßurj buref) feine ^ooettc von ben beiben XubuS uns
fterblid) gemacht fmt, ^aben mannen fernigen 2öifc, manche
in3 Schmarre treffenbe ßritif (SeegerS üernommen ; ba£ (Sine
unb SInbere banon lebt noch jefct im SJhmbe ber Nachwelt.
£>a (am ba$ ©d)id)al. SBom 26. gebruar 1864 an
hat ©eeger in ber 2lbgeorbnetenfammer gefehlt. ^atte
ihn ein Unmol)tfein befallen, ba3 junächft leicht 51t fein
fdjien, auch bie Arbeit geftattete. 3lber nach einiger Qtit
geigten fid) tnphöfe ©rfcheinungen unb ba3 rafch anraachfenbe
gieber ^at in ber Morgenfrühe be3 22. 2ttär$ bem fraft-
rollen £eben ein erfchütternb rafd^cö (Snbe gemalt. Gr,
bem man im Sd)er$ ein Qahr^unbert gegeben £atte, fyat e£
nicht auf oiel mehr ati bie &älfte gebraut. 2lm Nachmittag
be3 24. TOrj ift er auf bem frieblid) am gufj beS Berge*
Digitized by Google
213
gelegenen gangelsbachfirchhof beftattet ruorben, bei f)exx-
ltd)em, fonnigem grühlingäroetter. ($3 war eine mächtige
Totenfeier, beren (Sinbrücfe ich, ber ich al£ jroölf jähriger
ßnabe jufehen burfte, mdjt üergeffen fann. Der 2lu3fchu&
be3 ^rbeiterbilbungäüereinS , bie 5Jtitglieber ber 2lbgeorb=
netenfammer — „Prälaten unb bitter nicht aufgenommen" — ,
eine Deputation von Ulm eröffneten ben Seichenaug, in bem
fu&, n)ie nicht oft nrieber, bie balb nacper burdf) bie 3 eit:
ereigniffe jerrtffene bemofratifche gartet 2Bürttemberg3 31^
fammenfanb. 2lm rührenbften mar e£, bem ©arge ben jün=
geren 33ruber Slbolf folgen äu fehen, ber fdjroer leibenb
lange vox bem trüber bem Tobe verfallen gefeierten hätte
imb nur anberthalb Safjre nach ilmt, am 15. September
1865, aud) bahingegangen ift. Sluf ben ©efang beS £ieber=
franjef unb ba3 ©ebet bei ©eiftlichen folgte ein ©ebidfjt
meinet $ater£ unb eine Siebe 23echer3, be<3 gefeiertften 9teb=
ner3 ber Demokratie. Die Trauer rourbe jur füllen (£r=
Hebung burd) ben ©ebanfen, bafc ber ©efchiebene nun in
ungebrochener $raft in ber Erinnerung ber ©einigen forfc
lebe. „(Sr mufete aufregt von bannen gehen. Sied)tum
unb Sllter Ratten ihn bei feinen 5lnf prüfen an ben ©eift,
feinem SötrfungSbrang boppelt unglücflid) gemalt. 9tur fo
ftef)t er, ein 23ilb ber Äraft, oor bem fommenben ©efchlecht."
(Sin einfacher ©rabftein fc^mücft ba3 ©rab be3 Dichter^ unb
Patrioten unb erinnert baran, ba& ihm nicht üiel weniger
als brei 3ahr$e()nte fpäter, am 15. 9ttär$ 1892, bie ©attin
ins ©rab nachgefolgt ift. 53eibe ©öf)ne $aben ben ^öeruf
be3 ©efd)äft3mann$ ergriffen; ber jüngere ift noch in ftö*
Digitized by Google
214
fjerem 2Üter als ber $ater baljingegangen, ber ältere lebt
als angefeilter ©efd)äft£mann unb pielbefdjäftigter ßünftlct
tn Stuttgart.
$ie erfte (Sorge ber greunbe nad) ©eegerS Sobe war,
rt>aö üou feinem legten unb größten 2Bcrf , bem beutfdjen
©fjafefpeare, für bie Dkdjroelt gerettet werben fönnte. GS
war leiber nid)t mel. $on ben fedjäunbbreifetg ©tüden
waren nur brei ooUftanbig überfefct : flömg ^oljann, Simon
Don 2(t^en unb $amlet; ber Othello mar gebieten bis in
bie erfte ©cene be£ fünften 2lfteS, nad) ben Söorten „ba
liegt (Saffio ferner oerrounbet" Ijatte ©eeger am 5. 9ftär$
bie geber niebergelegt. Otto SERüHer mußte einen Verleger
gu gewinnen. £)a$ SBibliograptjifdje Snftitut in ßübburg;
Raufen, ba$ bamalS feine 33ibliotf)ef auälänbifdjer ßlaffifer
Verausgab unb um biefelbe Qtit aud) ^ermann $ur$ bafür
gewonnen l)at, fonnte für bie unter ber güfjrung 2öilf)elm
3orban3 unternommene Ueberfejung ©fjafefpeareS bie ©ee>
gerifa^en Stüde brausen, ©leid) im &erbft 1864 gingen
fte in ba3 Eigentum biefeS Verlags über unb finb im 3af)r
1867 als Söeftanbteile ber gefamten ©^afefpeare^Ueberfe^ung
erfdjienen: $önig 3of)ann im erften, |jamlet im fiebten,
Simon im neunten 33anbe; ber Othello bagegen erfdjien in
ber Uebertragimg QorbanS. (53 fönnen aber bie brei ©tütfe
genügen, um oon ©eegerS $erfal;ren einen Segriff ju geben
unb baS S3ebauem 511 ermeden, baß ifjm nur fo wenig 311
geben oergönnt gewefen ift. ©eeger war bei biefer Ueber-
fefnmg uou üorn^erein günftiger unb ungünftiger gefteHt als
bei feinen früheren, (künftiger, benn eS galt aus einer
Digitized by Google
215
uafje oerroanbten Spradje gu übertragen, au£ ber iuo^I ein=
mal ein $er£ wörtlich unb mit bemfelben Tonfall in$ $5eutfd)e
fjerüberfommen mag; ungünftiger, benn e3 fcanbelte ftd) um
ben ©rö&ten ber ©rofcen, ber alle $raft ber Seele auf$u=
bieten juungt. künftiger, benn bie Sd&legel^iedifdje lieber
fegung hatte fjier mehr aU trgenb eine bei einem anbern
S)id)ter vorgearbeitet; ungünftiger, benn e3 galt mit btcfer
bebeutenben Slrbeit su ringen imb fie übertreffen. 3f)r
Worbilb ganj «nbcnuftt ju laffen, fjat feiner ber fpäteren
Ueberfefeer verantworten motten. 2lu<$ Seeger trifft in man=
d>en 2Benbungen, bie gar nid)t anberä überfefct roerben
tonnten, an mannen längft jum ©emeingut geworbenen
©teilen mit ber älteren Ueberfe^ung 3ufammen. Slber auf
Sdjritt unb Sritt meiert er aud) von tf)r ab unb feiten ju
feinem -ftadjteil, oiele feiner Slenberungen finb entfd)iebene
SBerbefferungen. 9tid)t feiten ift ber Sinn be3 Original»,
mitunter aud) ber SBortlaut, getreuer roiebergegeben. 3n£=
befonbere aber fjat aud) in biefer lleberfeguug Seeger einen
flieg enberen, natürlicheren, beutfdjeren Stu^brucf augeftrebt.
2>a3 ju erreichen, ift aber roieber nur burd) eine beftimmte
gretfjeit in SBejug auf ba3 33er3maf3 möglich geworben. SDer
bramatifd)e $er$ fonnte ja fjter ohne jebe SIbroeichung bci=
behalten roerben; aber roährenb bie Sd)legelifd)e ileber-
fefcung bie Söeräjahl unb Werkabteilung be3 Originale bei=
begatten hatte, ^at ftch Seeger erlaubt, roo bie beutfeheu
SBorte mit ihrer meiftenS größeren Silbengahl fich nicht in
benfelben SRaum brängen liefeen, über bie Originalst ber
Jöerfe etroak l)inau^uge^en unb bamit auch bal SSer^ältni^
Digitized by Google
216
von s I*er3 unb Sag gelegentlid) ju t>erfd)teben. (§3 ift n\a)t
feine Sdjulb, wenn trog ber SSorjüge feinet 6l>afefpeare
ber 2lriftop(iane3 bod) als bie größere, überhaupt ale feine
größte £eiftung erfd&einen mu&; ntdjt nur ift biefer voh
ftänbig erfd)ienen, e$ war aud) bie Arbeit an bem griedn^
fdjen £omifer gewifs bie atterfduüerfte unb bie SSergleidumg
mit anbern ileberfe^ern fällt t)ier nod) entfd)iebeuer 511m
Vorteil 6eeger£ au3.
(Seeger ift nid)t nur als ileberfefcer ber uorjüglicfcfte
unter feinen nidjt gan$ wenigen fdjroäbifdjen 3 e ^9 en °ff en ^
fonbern audj al« Styrifer eine pd)ft erfreuliche unb roof)l=
tfjuenbe (Srfd)einung, ganj abgefeiert nod) oon ber erquick
liefen griffe unb ßraft feiner ^erfönltdtfeit , bie auf ein
triel fpätereä ©efdjledjt ja bocr) nid)t me^r mit ber ganjen
©emalt mirfen fann, von ber idj nod) ein freilid) nod? lange
nia^t eibe3fäl)iger 3 c «9 e %tm\tn bin. S)a& er fo ganj oer--
geffen bleiben foltte, t)at mir ntd)t ^inuntergerooHt; i)ier ift
feine anfprud)3lofe £eben$ffi§se, ber man Ijoffentlidnoemgften*
bie £er§en3freube über einen fo ganjen üftann nachfühlen fann.
Digitized by Google
Sdjtllerß ijdmatjaljre
von fgtvmnnn futrj.
£>ie litterarifdfjen, politifd^en unb fokalen Belegungen
unb Sd&tuanfungen fjaben fidf) immer im 9toman befonber$
r>ernef)mlidf) geltenb gemalt. SDie Sßorfämpfer be3 jungen
2)eutfd)lanb3 waren e£, bie am lauteften bie gorberung auf;
ftellten, bie Sitteratur müffe fidf) ber ßtit bienftbar mad&en.
(Sine 2lnja^l von Romanen mit auägefprocfjener £enben$,
mit me&r ober roeniger flarem Programm trat an ben
£ag. klarer unb fd)öner alz irgenb ein Slnberer ftettte
^Hintermann in feinen Epigonen, wenn au<$ cerbrämt mit
einzelnen ganj romantifd&en 3 u $ aten > ben $ampf ber
®elmrt£ariftofratte unb Qnbuftrie bar; roeit frttifdfjer unb
fatirifd&er würbe er jiüci 3af)re barauf in feinem Wlünä)--
rjaufen, in welchem er aber aU $erle in abftedjenber gaffung
bie roeftfälifd&e $orfgefd)id()te untergebracht &at. 2lucf) in
<&d)wabtn Ijat ber 3ett= unb £enben$roman in ben breiiger
^atyren feine Blüten getrieben unb aud^ f)ier ift rafdf) ber
Uebergang 3ur %oit& unb gamüiener§ät)lung t>ou>gen roor-
ben. 9ia$bem im Stobe^ja^r ©oetf)e3 ber 3Mer holten
9ttdrife3 nod) mit ben SMomanen be$ 9Keifter3 um ben $rei£
in fünftlertfd&er SBolIenbung unb pfndfjologifd&er Xiefe ge=
Digitized by Google
218
ritngeti ^atte, Ijat SUterbadb fünf unb lieben ^aljre nad^er
feine beiben Subenromane unb 1843 ben erften 53anb feiner
S$mar$wälbcr 2>orfgefcfnd)ten erfdjctnen (offen.
3m nämlid&en 3afcr 1843 f)at ^ermann $ur$ ben
erften feiner 3tt»ci großen Romane aus ber ®ef$i$te Söürt;
tembergä t>eröffentlid)t : „Scbillerä «geimatjaljre. Söateriän=
bifd&er Vornan''. $er Montan hat viele unb banfbare Seier
gefunben unb id) fann nüdf) begnügen, burdt) eine furje 9toa>
erjäljlung feinen 3nfmlt ben fcefern biefer 3eilen wieber in«
©ebäd&tnte $u rufen.
£einri<f> Voller, württembergifäer ßanbibat ber £{?eo;
logie, uerlobt fid) mit Sottcfyen, ber jüngeren Softer be3
Pfarrers in Illingen. (Sr foll in Stuttgart um eine ^farr-
ftetle nad&fud&en, fommt aber sufällig mit bem ^erjog ilarl
Rammen, ber tym ben <ßlan auSjureben unb i&n in feinen
3)ienft ju sieben fudjt. Gr nimmt ben Antrag RaxU an,
uad) Ulm 311 Sd)ubart 311 reifen, um btefeu oor ben yiatyteh
lungen be<S Liener &ofe3 ju warnen; auf ber Steife »er;
weilt er in Reutlingen bei bem ^Bürgermeister, beffen 58e-
fanntfdjaft er in Stuttgart gemalt fjat. @r ift in Ulm
3euge non Sdfmbartä populärer ^ubliaiftenttjätigfeit, aber
audö bei bem SluSflug nadj Sölaubeureu 3 eu 9 e feiner %$ex-
(jaftung. (Sr fefjrt tum bort nad) Stuttgart aurücf, wirb
ju ben gefilidf)feiten in ber JkrlSafabemie jugelaffen unb,
obfdt)on er burd& ba3 33erfa^ren be$ £erjog$ mit Sd^ubart
gewarnt fein fönnte, nimmt er ben Antrag an, £ef)rer an
ber 3Jfabemie ju werben. Qn biefer Stellung eine gamifie
$u ernähren, ift nidjt möglich ; bie Verlobung wirb twrerft
Digitized by Google
219
aufgehoben.
3m feiten £eil (Sanb) lernen mir junäd&ft baS £reU
Den Sd&illerS unb feines JlreifeS rennen, ju bem auch ber
jugenbliche, nadjfichttge $orgefe£te 9Mer gehört: bie nächt-
liche SBorlefung ber 9iäuber, bie burcf) ben «gerjog geftört
wirb, nächtlichen Unfug mit bem Mannten Slitffeher ^Jiefe.
Voller pnbet in Stuttgart eine mit ihm fühlenbe weibliche
Seele, bie frühere ©eliebte beS «joerjogS Slurora, bie ihm
auf einer Spazierfahrt ihre ©efdjtchte crjä^tt. Sei biefer
Spa3ierfahrt tuerben beibe von Sötte gefehen. Sötte ift in
Stuttgart |it ^Befudt) bei ihrer älteren Sd)roefter Slmalie, bie,
aud) ein Opfer ber Saune beS ^jerjogS, mit einem (Srpe-
bitionSrat oerhetratet ein freubenarmeS Safein führt. Voller
fieht Sötte in ©efellfd&aft eines Barons, ben er als ©ecfen
fennt. Setbe fet)en ihre SBerbinbimg aud) innerlich als ge-
löft an. Sötte wirb auf ber heimfahrt oom Sweater burd)
ben SBaron nriber ihren SBiHen auf fein Schlofe entführt,
uermag aber t>on bort ju entweichen. Schillers geniale
2Birtf<fcaft in fetner Sturmperiobe als SWegimentSmebifuS
mirb gefd&ilbert. (Sine ßntelin bes $er$ogS, Saura, wirb
tRolIerS Schülerin unb fe($t fein roehrlofeS $erj abermals
in flammen. 3Kit einem jungen Remter geht biefe aben=
teuerluftige Schönheit nach einem SftaSfenball burch unb ju
ber Q3anbe «gannifelS, bie eben auf bem Sdf)roar§rcalb ^auft.
Voller übernimmt bie Aufgabe, fie uon bort roieber $u
holen. (Sr toirb aber, ba er fid) in ©efeflfdfjaft eines be=
freunbeten Pfarrers a^u fefjr ben ftubentifäen 3ugehb^
erinnerungen Angegeben §at, im Schlafe felber won ben
Digitized by Google
220
3igeuneru geraubt, muß längere Qtit bei iljnen imb tu
SauraS ©efellfcrjaft bleiben, uerläfet fie bann, wirb als vtx--
bärtig na<§ Suis transportiert, burdf) ben Pfarrer refog=
notiert unb befreit: allein bie (Borge um SauraS ©e-
fd)id läßt i&n nid&t ruf)en, er gef)t wieber ju ber 53anbe.
3m britten £cit pnben mir ifnt bei ben 3iö eunern ^ nut
beneu er im <5crjönbu<$ in eine l;er$oglid)e hineinge-
rät. Saura wirb con ben Sägern ergriffen unb im SBagen
nacfj (Stuttgart gebraut, wo fie, wie man fpäter erfährt,
einem ^koalier unb 3 ö 9^ n 9 ^ $^^og^ oermä^lt wirb,
©egen Voller, ben er im Komplott glaubt, fdnejjt ber £er=
30g feine g*iftole loS, feljlt U)n aber. Voller gierjt mit ben !
3igeunern bis in bie Räfje »on Reutlingen unb entflieg
ifnten, wie fie eben bie furd&tbare Ra<$e an einem tjersog*
lid&en ©renabter ausüben, infolge beren ftärfer auf fie ge=
fa&nbet unb ber große Räuber fd<e<d) burd) ben ge^
fürd&tetften ©egner beS ©aunermefenS, ben Dberamtmann
6d)äffer in Sul$, gefangen genommen wirb. Roller erfjolt
fid) in Reutlingen bei bem iöürgermeifter tum feinen 3ftüf)=
falen unb erfährt, bafj ber ^erjog, BerföfjnUd) geftimmt,
it)n in £ofjenI)eim erwarte. £>ort aber lägt if)n ßarl, ber
iljn nod) immer mit feiner ©nfeltn im Komplott glaubt,
uerfjaften unb auf ben SISberg führen. 2)aS Seben auf
ber Sefhmg wirb gefdfnlbert: ber wiberlidje grömtnler
Rieger, ber nod) immer swifc^en SBeltfinn unb Söufce fcf)roan=
fenbe Sdjubart, ber statin ber eckten ^erjenöreligion ^fjtlipp
3)Jattf)äuS &a(m, oon bem Roller für bie Vertiefung feines |
Seelenlebens lernt. 2luf bem SlSberg erfjält er burd)
Digitized by Google
221
Amalie einen $rief, her iljm Sottet wroeränberteS &ers
unb ben gangen SReid&tum if;rer (Seele ent&üHt. SauraS
©emaljl fünbigt ifjm enblirf) feine Befreiung an; nadfjbem
er eben nocf) 3 eu 9 e üon DiiegerS jäfiem £obe gemefen ift,
eilt er nadfc (Stuttgart unb auf bie (Solitübe, üon wo er
mit 2Imalie in berfelben 9iad)t, in ber Sattler mit feinem
Streicher au$ Stuttgart entfliegt, nacf) abenteuerlid&er ga^rt
in SHingen anfommt. @3 ift il)m bie (Stelle eine3 ^ringener^
jic^er^ an einem fremben &ofe burd) ben mieber umge=
ftimmten ßerjog angetragen; er rairb fie antreten. 2lber
erft wirb er nodj) mit Sötte burdf) ben greifen 3Sater füre
Seben üerbunben. — (Sin Sln^ang „Söieberfefjen in ber
|jeimat" fü^rt elf 3af)re weiter fjerab. Dotter ift sunt 23e-
fudf) in Schwaben, er ftefjt ben «gerjog nodf) einmal, oerlebt
mit Stiller, ber eben aucf) ju 33efudfj ift, fro^e 2ßod;en unb
bie greunbe f)aben aud) uod) Gelegenheit, nadf) bem £obe
be-S gürften if)ren 2lnfid^ten über ben 2>af)ingefd)iebenen
SBorte gu leiten.
3Jlan wirb fagen fönnen, bafc Sd&tllerä £eimatjaf)re,
roenn man aHe§ jufammeu nimmt, unter ben jroei f)tftori=
fd&en Romanen be3 £>idf)ter3 am meiften befriebigen.
beutenber ift sroeifelloä ber Sonnenroirt; neben bie Siefe
ber Gfjarafterjeidfmung unb bie tragifdfje Seibenfdfjaft biefe*
9toman£ fann fidO fein Vorgänger nidf)t ftellen. 3lber fein
3n§alt ift mannigfaltiger, giebt ein uolIereS 5Mlb be3 £e=
benS unb ber 3uftänbe, unb bem ©ounenrturt haftet ba$
Digitized by Google
222
23leigemid)t ber Inftorifd) = frtminaliftifdfocn Delation am
8d)luffe fcfjwer au.
2lm Deutlichen fpritigen sunädjft bie rein poctifdien
(£igenfd)aften be£ 9toman8 in$ 2tuge. 9)Jobcrnen ftmtffe
jüngern wirb er woljl ju normale Säfce, ju wenig ©ebanfeiv
ftrid;e unb 511 große Slbfä&e Gaben ; Seilte, bie i^re beutle
Spraye lieb l)aben, werben um fo gerner nad) fo einem
alten £errn greifen, ber beutfd) l;at fd&reiben fönnen. Unb
wie! $ur$ fjat üon jefjer über eine bebeutenbe Spränge-
walt oerfügt; gu ber Spülung burd) bie großen Stteifter
ber ©qäfylungs fünft fommt bie gülle oon £ofalanfd)auungen,
bie Kenntnis ber örtlichen SRebeweife f)iuju, bie ifui für
jebeä SDing ben treffenben tarnen finben läßt, o^ne bafe
er einen wie bie SßolfsfcPberer fpäterer unb heutiger £age
mit einem gan§en Steffel uon Qbiotiämen §u überfdjütten
brauet; bie pointierte unb pricfelnbe Lanier feiner legten
3eit, bie überhaupt nur in furjen erklungen gut wirfeu
tamt, ift nod) ferne üou il;m. 3 U oer oortrefflidjen Spraye
fommt eine lebhafte (Smpfinbung, bie bod) nie jur Seiben^
fdjaft wirb, fonbern immer bie 3)inge felbft reben läßt
unb eine eminente gäfn'gfeit ber s 2lnfd)auung. Sebent, ber ben
Montan gelefen fjat, mufc of)ne S3efinnen eine 2lnjal;l ber
lebenbtgften Silber unb Vorgänge gegenwärtig fein, bie mit
ber wollen ßraft ber urfprünglid&en garben in ilun naa>
wirfeu. ^>or allem finb bie s Jiaturfjenerien, namentlich bei ber
Säuberung be3 ©aunerlebenä, gerabeju entjücfenb. SBenn
mir un§ aber fragen, woburd) biefe leud)tenben Silber ht-
wirft finb, fo muß bie Antwort lauten: nidfjt burdj pein*
Digitized by Google
223
lidje SHneinanberreujung einzelner aWofaifftäbd&en, nidjt burd)
r^etortfd^e S)ef(amattonen, fonbern burd) lebenbige .gjanb*
lung unb Veroegung. SBoUte man für SefftogS Verwerfung
ber befdjreibenben s #oefte, für feine gorberung, baß ber
£i<f)ter bie Vefdjreibung in £anblung auflöfen müffe, neben
ben f;omerifd)en Veifpielen ein paar neue: man bürfte nur
anführen, wie bie SBinfel- unb SJJauerroerfe ber 9ieid)*ftabt
bei bem ©ange Stottert jum £idjtfar$ ober bie ©d)lud)ten
beo ©d&roarjroalbea beim $urd)jug ber Stöger in uoüer
2Birflidjfeit t)or einem fielen.
gragen mir nad) ben tiefer liegenben Vorzügen ber
(Srfinbung unb Verfettung ber fianblung, fo wirb auä) fjier .
bie Slntroort gunädjft bie günfttgfie fein. ßurj mar nicfyt
ber erfte, ber bie Vraudjbarfeit ber württembergifdjen ©e=
fcf)tdc)te für nouelliftifdje 2)arfteHungen erfannt fjatte. @S
fott nidjt bie 9tebe oon .^auff^ £td)tenftein fein , über ben
bie meiften bloß be3f)alb lächeln, meit fie ifjn, mie ©Ritter
unb U^Ianb, fa)on fe^r früt) rennen gelernt Ijaben unb be3=
l)alb tief unter fid) erblufen ju bürfen glauben; jene 3eit
bes au<3get)enben SttttertutwS unb be£ anger)enben ntobernen
(Staate unb ßtrdjenroefenS ift eine ffiett für fid). 2lber
auct) au£ bem ad&tjelmteii Qaljrtjunbert tjatte berfelbe £auff
einen ©rsätjlungSftoff gemäht; er t)atte in feinem „Qub 6ü&"
bie berüd)tigtfte (Spifobe aus ber ©efd&idjte unfereS 2lbfolu=
tiSmuS gefdulbert; er ift alfo t)ier geroifferma&en ber Vor *
gänger uou ßurj. Slber bie 2lrt unb SBeife ber 9looeHe
«gauff^ ift fet)r djarafteriftifdj üerfdjieben üon ber 2lrt bee
fpäteren @r$ät)ler3. (Sine polittfd&e ßaupt- unb (Staate
Digitized by Google
224
oftion ift ber Untergrunb beö ©anjen, bcr Äampf bcr £anb=
ftänbe unb ber £anbe3firct)e gegen ben $efpoti3mu£ unb
3efuiti$mu$ mit ihren Sikrfjeugen. $ie XooeVe ift coli
oon politifchem $atho£, aber bod) oon red^t unreifem, ba£
gegen bie Diel reifere 2lrt be^felbeu @rjähler$ in ber 9io=
ueüe „£a3 3Mlb be3 ®aifer£" merfroürbig abfliegt. S>ie
l'iebe£gefchicbte ber ©djroefter be$ 3uben unb be£ ©ofnteä
oe3 Äonfulenten ift barauf rote ein himmelblauer Wappen
auf ^ßurpurgrunb aufgetragen: 3Rar unb X^efla im ®e=
manbe be$ achtsehnten 3ah*bunbert3. 2)iefe ^ooeUe tonnte
alfo &ur$ etroa beftimmen, auch ta bie ©toffoorräte bcr
fpäteren &er$og3$eit SBürttembergS hinein 3U greifen, aber
zugleich e£ {ebenfalls piel beffer 3U machen. £a3 hat er
Denn auch 9etr)an. $or ädern hat er einmal aüeä politifche
s £atho3 roeggelaffen, ba£ bei folgen älteren Stoffen über;
haupt eine mißliche ©acfje ift. £>te roürttembergtfche Sank
fchaft, roelche $auff im ©inne Uhlanb<S alö ba3 SBoüroerf
ber oerfaffungSmäjgigen greir)eit t>ert)errlicht hatte, ift
hübfeh bei ©eite gelaffen, unb nur fo gelegentlich ift ^inge-
roorfen, ba& man an ihr bod) nicht ben minbeften ©d)uf>
gegen bie fcerjoglidhe SBiflfür haben roürbe, fobalb biefe
SBiHfür fich nicht gegen bie fechte unb Qntereffen ber
ftänbifd&en Dligardjie richtete. 5lura hat es bamit nicht
allen recht gemacht, @r hatte, als 1856 bie groeite SBear--
beitung bes 9ioman3 erfd)ien, baS SebürfniS, fich gegen
grobe Stigbeutungen r>on feiten ber tenbenjiöfen ^re&mei*
nung 311 fichern, welche ju rjergeffen geneigt fein bürfte, ba&
„barin feine moberne politi}"ch=fritifche $t\t, fonbern eine
Digitized by Google
225
patriardmltfdje Vergangenheit gefd;itbert fei". (£r ift barin
StoeifeHoS nid)t nur mit fünftlerifdjem £aft, fonbern aufy
mit J)iftorifd)er ©ered£)tigfett 5U SBerfe gegangen.
(§3 5eigt fidf) ba£ t>or allem in ber (S^arafterifierung
beä #eraog3 ßarl felbft. SRatt ftnbet bieten im Sanbe noa)
immer Diel genannten gürften balb gang einfeitig in SBorten
gefdf)ilbert, roie fie für irgenb einen graufen SBüterid) irgenbtuo
paffen mürben, balb f)at er unb noü) mef)r feine granjiefa
(bie bei ßurj gan§ mit 9h$t im Jpintergrunb gelaffen ift)
unglaublid&e Verljimmelungen erfahren bürfen. $urj befafc
$enntniffe unb ©djmrfblicf genug, um in feinen biefer geiler
ju uerfallen. Sein 33ilb $arte ift non aßen, bie id& fenne,
ba3 befte ; nur am Scfjlujs, nacf) Rax\$ £obe, ift ber apolos
getifdje Xon im 3Hunbe Schillert unb feiner greunbe nid)t
fo redf)t paffenb — jener Schluß ift aber auch ba3 fd>it)äc^fte
am ganzen Vornan; wie beim folche (Spiloge, roelche auf eine
21 rt oon partifularem {ängftem ©ericht mit möglichfter
SBieberbringung aller 2>tnge hinauslaufen, noch feiten roof)l
gelungen ftnb. 3" btx ©rjählung felbft ift bie fdharfe 3eid;=
nung btefeS (Sharafter3 nicht genug 511 berounbern; er ift
fo redjt sine ira et studio entworfen. 3 ro ei ©runbeigetu
fcfjaften namentlich, bie if)n erft recht oerftänblich machen,
eine ungeroö^nli^e VorurteiUlofigfeit auf ber einen unb
eine tafd&enfpielerartige SBerfatilität, eine fchaujptelerhafte
(fttelfeit auf ber anbern «Seite, machen ihn erft oerftänblich.
Unb nun folgt au3 biefer objeftioen Säuberung einer be£:
potifdhen s $erfönlichfeit unb ©eroalt ganj ungejroungen bie
politiidje ©runbftimmung, roeldje mit ben feurigften Stella*
gif<$ er, Beiträge II. 15
Digitized by Google
226
mationen ntcfjt ju erjielen geroefen roäre: „(5r ift ein glän=
jenbeä Söeifpiel, bafe e$ md)t gut ift, bie ©eroalt unb bie
$Berantroortlidt)feit in bie £änbe @ine$ 2)Janne3 ju geben''.
9ief)men roir ferner fiin^u, mit rote genauer &enntni$
unb 6i$ed)eit bie 5$erf)ältniffe unb £ofalitäten gejeid^net
finb, rote abäquat ber Xon ber ©rjäljlung unb ber Dialoge
ben fingen unb ^erfonen ift roeldje bargeftellt roerben,
unb rote ba$ boc§ ofjne jeben Slufpufc uon ardjäologifdjer
(5tilgemäfif)eit errctd^t ift unb üoüfommen natürlich am
mutet, fo bürfen roir roo^l fagen: bie roürttembergtfdt)en
3uftänbe in ber fpäteren ficrjog 5larl£ finb nirgenbs
fo rid&ttg unb lebenbig bargeftellt roie in biefem Vornan.
Sludt) roenn man nad) ber Defonomic ber (Srjä^lung
flicht, rotrb man leidet einen befrtebigenben 3ufammenf|ang
beä ©anjen l;erauefinben. $n ber ©efdn'djte ber ^ßerfon, i
bie nun einmal bie ^auptperfon be£ ©anjen ift, jeigt ftdj
poettj^e $ered)tigfeit. £er junge SJfagtfter ift auf bem I
fünfte, feine ^erjorgung unb bamit bie $anb feiner @e--
liebten ju geroinnen; bie ©efaf)r f)ängt, üjm unb tt)r
unberouBt, über i&nen, baß beibe entroeber verbauern ober
ungiücfTidt) roerben mü&ten, roenn fie ntdjt erft bie SBelt
fennen lernten. 2>a roeift bie gauft be3 OTgeroaltigen t^nt
einen anbem 2öeg ; bie £iebe3neigung fommt in £onflift
mit ben äuneren $ed)ältniffen, aber im felben Momente
jeigt fidj, roie fefyr ju befürchten geroefen roäre, baß ber I
bei einem jungen, talentooHen 2)?anne ungefunbe Duietil--
mu3, ber nur möglidjft rafdfj in ben $afen einfahren möd&te,
oor ben Sodfungen ber SBelt nid;t ©tanb gehalten tyätte.
Digitized by Googfe
227
SEBic ber £erjog Voller in ba£ Seben In'nausfdricft , ba ift
biefer rafd) bereit, fidj brausen 3U laffen; unb nidjt nur
ba<S praftifd&e Seben in ber großen SBelt reijt if>n, aud) ben
SBirfungen roeiblidjer 6d)önf)eit nnb 23ilbung fteljt er roefjr=
los gegenüber. @r mufe ben ganzen ftaubtt be3 toilben
StaturlebenS foften unb üon bem 9)tonne, ber bie Drbnung
im Sanbe vertritt, aufs fd)mäl)lid)fte unb unoerbtentefte ge=
fräitft roerben, um nod) im regten SugenMid bie 6d)eu&=
lieferten ju erleben, bie jenes Dtaturleben in fid) birgt, unb
$u erfennen, bafc fein $la§ nur in ber siuilifierten 2öelt=
orbnung fein fann. N ^un rotrb er im Stanbe fein, fünftige
Regenten 311 erjiefjen, nun wirb er geroeiljt fein, in bie
(Segnungen be3 f)äu3lid)en Sebent einzugehen; unb ebenfo
feine $raut, benn aud) if)r ift im SBetterfd&ein bie ßraft
geroadjfen. £>er $er$og, ber aus retner Saune in betber
©efdjicf eingegriffen fjat, fyat fdjliefjlid) , rote ein Seil von
jener ßraft, bie ftet* bas 23öfe roitt unb ftetö ba$ ©ute
fdjafft, i^nen hinaufgeholfen; er hat Unten nur roie ein 2öerf-
aeug ihres eigenen ©eniuS bie Gelegenheit geben muffen,
fidf) mit bem Seben auSeinanber 5U fefcen. $erfönltd)es unb
3uftänblidje3 finb fo aufs engfte unb glüdfltchfte üerbunben.
2tud> bie 2Bat)l beS gelben ift recht glüältch. Koffer ift
ein alter Sttftler roie $ur$ felbft, ber feine eigene ritten
Iid>e, feinfühlige 2lrt, feine raffen Smpulfe, feine entjünb--
lidhe unb beftimmbare ^oetennatur auf ihn übertragen hat.
SSon einem Spanne feiner 2lrt unb feiner SBilbung ift bae
alles benfbar, roaS r>on ihm erjählt ift unb rooju ein minber
fein gebilbeter Wann ju ftumpf, ein 2Beltfinb §u fing roäre.
15*
Digitized by Google
228
SMertft fo nicht nur ber Snpuä be3 gebilbeten, aber roclU
unerfahrenen Statute*, an bem alle biefe Singe oor fidj gefeit,
fonbern aud) ber beS £id)ter3 unb £efer3, ber fidj au$ ber
gerne ber 3*it mit ihnen befd)äftigt. Qrgenb ein bebeu
teuber 9Jiann al£ 3)Httelpunft würbe nicht getaugt haben;
er hätte bie reine Sdnlberung be$ 3uftänblichen unmöglich
gemadjt.
NUftt ebenfo wirb man urteilen muffen über ben 3" :
fammenhang im Einjelnen. Sftan fann fyitt an manchem
Slnftofe nehmen. Xie unfreiwillige Entführung unb gluckt
£ottchenl ift eine $war gan$ gut erjagte, aber boch nicht
fo gan5 neue ©efdjicbte; fie hat ja ben 3wecf, ba3 Räbchen
aud) etwas erleben unb babura) innerlich gefräftigt werben
$u (äffen ; aber ber 3roecf fonnte beffer erreicht werben all
burd) eine ®eid)id)te, bie man unwiüfürlid) als parallele
511 ber nadhherigen #lud)t £aura$ auffaffen muß, als wa*
fie bod) gar nicht gebaut fein fann. Störenb für bie fönt-
pafte Einheit beS ©aujen ift aud) manches, was mit (Schiller*
Erlebniffen ju thun hat. Tie ©eniefireiche ber ülfabemifteit,
baS treiben beS DtegimentSmebifuS unb feiner greunbe
ftehen ab blofe anefbotifdje 3»ge ber .ipanblung ferne ; unb
fo ift ber §wette Seit berjenige geworben, ber am menigften
innere Einheit befifct. 2Xud^ noch Segen ^ en ©^luft ift &
für ben flaren Ueberblicf ber ^anblung nidjt vorteilhaft,
wenn neben ber §eimfehr 2lmalien3 unb SRoHerS audh bie
gleichseitige 3d)iüerS erzählt ift. ftidjt nur, baß uns
bei biefer lederen immer Streichers unübertrefflich braue
Erjählung üor 3Iugen fchwebt unb bie geiftreic^er auSge;
Digitized by Google
229
führte bei $ur$ in Statten ftettt: e» ift au<j nicht eben
getieft, wenn in oerfchiebenen Kapiteln berietet ift, baß
Schiller imb Streicher bie fürche in ^Hingen beleuchtet
fefjen, in ber natürlich Dloller getraut wirb, unb baß 9lotter
unb bie (Seinigen einen SBagen roden hören, in bem natür-
lich Schiller unb Streiter figen. 9)tit einem SBort : wo
wir un^ t>on bem Reiben felfift entfernen, ift bie @r$äf)lung
ininber gut gefügt; unb e3 ift fein 3ufaU, wenn ber oorbere
5^ett beä erfreu Raubes unb ber Mite in ihrer flott fort=
(aufenben (Stählung am beften finb.
Gin Ueberblicf über bie Duellen unb bie @ntftehung3--
gefchtchte be£ 9foman3 wirb am beften seigen fönnett, wo^
f;er ber 3n0aft unb bie gelegentlichen Schwächen be3 SöerfeS
ftammen.
2Ba3 bie ©efd&tc&te Rollers felbft betrifft, fo ift fie
offenbar frei erfunben. Ob $ur$ irgenb meiere Inhalt»;
punfte bafür hatte, weiß ich nicht. ©3 wirb §war behauptet,
ein Voller fei Schillert £ehrer gewefen, aber ba3 ift falfd) :
meber ift ein 9toHer Sel;rer ober 5luffeher an ber 5lfabemie
gewefen, noch hat e§ überhaupt in Württemberg einen Zfyeo--
logen Voller gegeben, ber bem 2llter nach nur entfernt
paffen würbe, ^ebenfalls ift bie 2lrt, wie Voller in Schillert
3ugenbgefchichte oerflochten tft, uollfommene poetifche ^icenj.
2öa£^bie gelegentlichen Slnbeutungen befagen foHen über
bie Slehnlichfeit 9toller3 mit bem ©enerat SBimpffen, ift
nicht recht flar, benn nach bem Schlußabfchuitt foU er
ber rechte Sohn eines Pfarrers gewefen fein; e» finb auch
jene Slnbeutungeu in ber sweiten Auflage mit stecht ge=
Digitized by Google
230
ftriohen worben. 53ei Amalie imb bem Gypebitionärat brausen
mir feine beftimmten Originale ju fucfjen; fold)er Unglück
liehen, beten Sugenb trgenb ein ^Beamter burch eine Ron-
oentionäehe 3U reparieren bereit war, gab e3 mehr als
genug. (Sbenfo hat £urj für feine Aurora roo^l fein be=
fonbereä SWobett gebraust ; beren fanben fich im Seben unb
in ber Dichtung feit Drfina unb 9)?ilforb nicht ganj wenige;
ebenfo foldje ©eden unb SBüftlinge rote ber 93aron, beffen
£t)pu$ au&er bei Stiller im «JpofmarfchaU £alb namentlich
bei SBilhelm &auff ju finben mar. 3>er SDIpftifer , ber in
£ottd?en3 gluckt eine Nolle fpielt, roirb fein anberer fein
als ber befannte $f)eofopl) Detinger, ber in 9)furrharbt 1782
geftorben ift; benn bie ganje Sefchretbung pafet auf ben
SBelsheimer SBalb, melden ßurj oon SBuoch Ijer fannte.
gür ben «^ergog unb feine ßarläfchule ftanb bem 3Md)ter
nicht nur eine giemlich auägebefjnte, ba unb bort jerftreute
Sitteratur ju ®ebot, fonbern noch jroei weitere mistige
Duellen. (Srftlid) fonnte er eine Spenge münblicher SCtt«
gaben unb Anefboten benufjen, benn eS mar feit üarU
Xobe noc^ ^in fyaibt* Qahrhunbert uerftrichen. Namentlich
mufete er bie alten Angehörigen ber Afabemie ausfragen,
bie „5larliften", mie er fie fcherjenb nannte; er nennt in^
befonbere 3cf)lotterbecf, ben befannten $afualbi<hter, ber oon
1788 an £ef)rer an ber Afabemie geroefen mar unb erft
1840 in (Stuttgart geftorben ift. 3roeiten3 aber ftanben
ihm bie im Gottatfchen 33efi($ befinblichen Aufzeichnungen
$eterfen£, be^ befannten Qugenbgenoffen Schillers , ,$ur
Verfügung; Ruv^ hat fich aus biefen papieren be£ unermüb;
Digitized by Google
231
liehen Diotijcnträmer« unb Sfanbalf)iftoriferl zahlreiche 2ht&
jüge gemacht, bie in feinem -Rafylab noch üorhanbeu finb;
fie betreffen namentlich bie Übeln «Seiten bei ^er^ogl, nnb
fturj fonntc hier reiche Ernte galten — feine ftünfUerfd&aft
hat er bamit bemiefen, bag bal 23i(b b el gürften nirgenbl
$ur Äarifatur aulgeartet ift , all real el bei ^eterfen
oft genug erfcheint. 2luch über Schiller lag ihm )ä)on eine
uid)t ganj unbebeutenbe Sitteratur oor ; bie Sugenbfreunbe
^eterfen, «Scharffenftein, (Son$ Ratten in mehreren QeiU
fünften, bie $ur$ ju ©ebote ftanben, ihre Erinnerungen
niebergelegt; jute^t fam noch ^ooen'l 1840 erfd)ienene Selbft=
biographie hiiW aul ber ßurj bie in bie «Situation paffen=
ben, aber mit ben nrirflichen ©mpftnbungen Sd)illerl faum
fo recht übereinftimmenben Dieben <Sd)ilIerl über ben toten
£e**og gefcf)öpft hat. 2Jm nrichtigften aber war Streicherl
33eri<f)t über bie gluckt. Er war 1836 erfd)ienen; ßur§
hatte i^n in ber 3eitförtft „2)er Spiegel" recenfiert unb
Sioar etroal fcfjnöbe; beim er hatte nur für bie ©rfcheinung
Schillerl all bei ^egafu! im Qodhe ein Sluge gehabt, feinl
für bal eble, unenbli<h liebenlroürbige |jer$, für bie Streue
einel |mnbel, bie Streicher an ben £ag gelegt hat. Qm
Dioman hat er bal ein roenig gut gemacht, aber ein paar
Söorte mehr hätte er fdjon haben bürfen für ben auf=
opfernbften unb felbftlofeften greunb, ben je ein ^Dichter ge=
habt hat.
$)ie 33efchreibung ber berühmten Anlagen in Hohenheim,
bei munberlichften 2)enfmal! einel jroifchen Sentimentalität
unb Hoheit ofciüierenben Selpotengefcfnuacfl, fonnte 5lur§
Digitized by Google
232
aus mebr als einem 2öerfe fd&öpfen; ber (Srnft bereiten
hatte fd)on längft mit rauher, aber geredeter &anb biefe
S^eatertuUffen unb 6cpnhcitSpfläfterd)en beteiligt. Jvür
bie Ssenen mit Sdhubart gab t^m befielt (S^ronif unb Selbft=
biograplu'e genügenbe Ausbeute ; ja er meinte ftd) entfd)ul=
bigen 31t nn'iffen, baß er manches roörtlid) entlehnt habe.
Xit tftgur Siegers ift redt)t nach bem £eben gezeichnet. 2ln
ein paar Orten mar feine l'eben^gefc^idrjte fchon erzählt;
am befannteften ift bie Sarfteffung Schillers in ber (£r$äh=
(ung „Spiel beS SchicffalS", auö melier aber faum etroaS
511 entnehmen gewefen märe, als ber Xob bes ®enerals
zufolge einer 3onteSaufmalIung gegen einen Untergebenen,
^ür baS feböne $ilb beS ebeln &afm fonnte fturj etwa aus
feiner Autobiographie fchöpfen, bie 1828 erfchienen mar.
£>ie Reiten, welche Schubart mit bem ©chieferbeefer SBaur
im 2lt>ler in Stuttgart aufführte, waren burch munblidhe
Ueberlieferung unb burd^ einen $rucf non 1792 in aller
3Wunbe. ©in £apfuS ober eine a(ft$t(t$e Freiheit ift es,
wenn ßurj bie greunbe noch 1793 oon ben beiben als
Sebenben reben läßt, mährenb fte beibe im 3afu* 1791 ge=
ftorben waren. Gin paar gute fattrifche 3üQ e konnten $ern=
ritterS „Söirtembergifdje Briefe" non 178(5 hergeben, welche
.fturj mit großer greube gelefen hatte. S)ie mi;ftertöfe
deichte beS (3d)tniebS gegen ben 6chlu& entftammt ben
münblid&en (Gerüchten, meldte im £anbe umliefen unb noch
je£t gebort werben tonnen, baß tfarl Aleranber ermorbet
worben fei.
£)ie ^äuberfjenen, mit einer beS bellen 8d)ilbererS mür--
Digitized by Google
233
btgen Äunft bargeftellt, finb in ihrer (Bchattenfeite nur %u
roirfliche SBafjr^eit geroefen. £)er große ^annifel (Qafob
Sfteinharb) war Saljre lang ber Breden be3 SanbeS ; feine
Gefangennähme unb Einrichtung, welche erft 1787 ftatts
fanb, ^at £urz nodj in bte Gegebenheiten von 1782
hineingezogen. $ur§ fonnte für biefe £)arftellungen in^be-
fonbere ben v ortreff liehen, 1793 erfd)ienenen /f 5X6ri§ bes
Gauner? unb SBettlerraefenä in Schwaben" benufcen, ber bte
eigentlich flafftfche Storftellung biefer $)inge giebt unb au3
bem er nachher für feinen (Sonnennnrt mit noch DoQerer
£anb fdhöpfen fonnte. Saura aber ift feine $erfon be^
achtzehnten Sa&rhunbertS , fonbern foH nach einer @tutt;
garter Sterne geformt fein, bie im Qafjr 1833 bem elter-
lichen &au3 entlaufen unb eine 3ett lang mit Vaganten
herumgezogen mar. Sie föftliche ©efd)id)te mit bem Kaffee,
ben bie bäurifd&e Sßfarrfrau fdimäl^t, um bem <53affc eine
befonbere (St)rc anjuthun, fotC nrirflid) paffiert fein, £ie
beiben 3^euttinger ©genen finb eine 2lrt s J?ad)flang ber fd)on
üorher üou fturz retzenb erzählten gamiltengefdjidjten. ftann
man bei ber erften zweifeln, ob fie nid)t ein etroaS über=
flüfftgeä, wenn auch «och fo gut aufgefallenes Erzeugnis
beS £ofalpatrioti3mu3 fei, fo ift bie zweite um fo mel;r an
ihrem ^la§. Sie bilbet ein ganz treffliches retarbierenbeS
Moment zrotfdjen ben ©reuein ber £annifelsbanbe unb ben
©zenen in Hohenheim unb auf bem SlSberg. 3 u 9^ e ^ aDet:
foll fie moht aud) burchbliden laffen, bafe Rollers $la£
weber bei ben SluSgeftofeenen ber menfehlichen ©efeHuhaft
ift, uod) in bem banauftfehen Rehagen reich#ftäbtifd)en $a=
Digitized by Google
234
triard&entumS, fonbern — trofc allem, roaS geföeljen ift
unb nod) gefdf)ef)en nrirb — in ber großen 2Eelt, in beu
Greifen ber gebübeten ©efellfd&aft, in ber fortfdjreitenbeu
©ntnrictlung ber $)Ur\)ü)\)tit
$)te (Sntftefmng3ge|d)idf)te beS Cornaus ift eine roatjre
£eiben3gefd&id)te, wie fie fnnter biefem aud) in feinen büftern
Partien nodf) von einer lebenbigen, Weiteren griffe burefc
weiten SBerfe niemanb fud&en würbe; eine £etben$gefd)idf)te,
ju ber ber 2)i$ter felbft unb anbere in einer nid)t meljr
uöHig entroirrbaren $ermif$ung beigetragen &aben. Qn
ber SBorrebe, bie bem erften 53anbe üorauSgefd&idtt ift, fjat
er baS angebeutet, unb aus ben Briefen unb 2lftenftücfen,
bie in meiner £anb gemefen finb, läfet t& fid^ genauer nad);
weifen.
3?ad&bem $ur$ 1832 mit ber ileberfefeung englifd&er
©ebtd&te unb 1834 mit ber Verausgabe be£ alten gauft-
bud&e fd)on als Stubent feine erften litterartfäen ©änge
gewagt fjatte, entfd^lofe er pdf) im Anfang be$ 3 a ^ reö 1836,
üon ber 6d()riftfteIIerei ju (eben unb 30g au3 feinem Sifarfe
ibnll in (Slntittgen nad) Stuttgart in bie laute Oeffentlidtfett. (53
fehlte bort nid&t an unternefjmenben §8ud>f)änblern. &allberger
bekräftigte if;n al* Ueberiefcer. 9)itt bem Saturn 1837
auf bem Titelblatt, aber bem 4. Diooember 1836 unter ber
23orrebe, erföienen bei Äarl @rf)arb bie „©ensianen", ad&t
nooetliftif^e 6fi§§en, bie alle bem Seben ber &eimat enU
nommen maren unb fofort baS gro&e Talent für' bie
■Säuberung beS 3uftänblidf)en, für bie Suffmbimg beS
wannen SofaftonS befunbeten. 3m nämlidfjen 3>al;r 1836
Digitized by Google
235
mar Jtuq aud) fd&on mit bem gürften bcS Stuttgarter
$udf$anbel3, mit Cotta, in SScrbinbung gefommen. 9ttcf)t
nur Ratten mehrere 9ioüetten ber genannten Sammlung in
biefem Qaljr i^reu erften 2lbbru<f in Cotta'« „9ftorgenblatt"
erfahren; e3 f)at fid& aucf) im Sommer unb &erbft längere
3eit barum geljanbelt, bafj $ur§ in Cotta! £)tenften nadf)
2lugSburg überftebeln fottte. Sarau! ift nun nidf)t£ ge;
morben. 2ln Stelle biefel SßlanS trat ein anberer, ben
ebenfalte bie Cottaifd&e 23uc$l)anblung üerroir fliegen foHte,
unb ba3 mar eben ber $lan unfereä Vornan«.
3fn ber Söorrebe r»om 11. gebruar 1843 fagt 5lur§:
„£einrid& Voller ober üor fedfoig 3»af)ren, fd&roäbif<f)e ©e*
fdfjid&ten, fo lautete ber Sitel, ben ber SBerfaffer ^eute t>or
fedf)S Sauren, an ^er^og ÄarlS (Geburtstage, fo fäuberltdt)
aU ifym gegeben ift auf bie erfte afmung3r»oUe roeifee Seite
malte". SBirflidf) ift in ben nid&t ganj wenigen Briefen,
bie in meiner $anb gemefen ftnb, voxfyex nie bie 9tebe üou
bem Vornan; aber im gebruar 1837 fd&rieb Äurj in feinem
baro&nrifcigen SBriefftil an 2Ibelbert MIer: „Sann fdt>retbe
idE) (honny soit qui mal y pense !) einen breibänbigf)iftorifd(j:
Äarlfiersoglid^S^illerSd&ubartifd^Sd^teferbedferif^national -
fed&jigbogigen Vornan". $on ba an oerfdjrotnbet ber $lan
nidf)t tuteber. Cotta liefe burd) ©uftat) Sd&roab, ber fid& be£
jungen £)idjter£ ftetS freunbüdf) anuafjm, bei ifmi anfragen,
ob er ben Vornan nid)t befomme. tfurj überfanbte im Wlai
einen „SBaurifc" ju ber ßrjä&htng. £)er SDidfjter glaubte,
eine fo roeitgreifenbe Slrbeit bebürfe einer reinen, ungeftörten
^age, einiger Reifen unb jeitraubenber $orftubien ; er glaubte
Digitized by Google
236
aber, raenn er burd) pefuniäre Sicherung feiner Sage in
wolliger 3)iufje leben tonnte, fo würbe er ju Anfang bee
3a^re3 1838 mit ber Aufarbeitung fertig fein fonnen.
(Sotta gemährte ihm einen 55orfdr)u6 unb eine halbjährige
^enfion für bie Arbeit, unb ßurj 50g im 3uni 1837 nach
23uod), wo fein greunb SRubolf hausier Vifar mar. Gr
führte bort ein angenehmes Seben, lernte Sanb unb Seilte
fennen unb fonnte ba3 bort ©efehene namentlich fpäter für
feinen Sounemuirt üerroenben. Aber baä (SrträgniS jener
3eit für ben 91ofler mar fel;r uubebeutenb. s Jiad)bem fturj
im 9fouember trierjehn Sage in Stuttgart geroefen unb ooti
bort nach 23uoch gurücf geteert mar, fdjrieb er an Heller:
„2>er hinter treibt unb fd)iebt an meinem Dloman; id) fehe
jebodt), bafe biejenigen fehr im Irrtum ftnb, bie ba glauben,
um }u arbeiten müffe man aufs Sanb ger)en; £oraj fyat
ba3 beffer gemußt — ba3 procul negotiis ift unzertrennlich
banon. £te mer^elm Sage, bie id) in Stuttgart mar, habe
id) aus Sangerroeile unb Ueberbrufj mehr gearbeitet als ben
gangen Sommer &iet". Unb im Januar 1838 mufete er
gegen Cotta geftehen, er fyabe bei biefem Olomau fein gutes
Sehrgelb bejahen müffen; bie Neuheit ber $orm, bie 9Jäf)e
oer behanbelten 3eit, bie ein ganz freiem ^Balten ber @in-
bilbungsfraft auSfchloß unb „jebeS Kapitel gleidjfam mit
Realität 31t tränfen gebot", hätten hemmenb geroirft; aber
biefe Verzögerung habe jugleidh gebleut, „bem 33uche einen
©el;alt jpt geben, ben es roenigftens auf ben erften 2Burf
md)t befommen hätte"; bie uodj ungefchriebenen Kattien
feien innerlich fo gut wie fertig. Auf ben 9ttai follte ber
Digitized by Google
237
Vornan uollenbet fein, ©inftroeilen mürben im üDlärj jroei
$rud)ftü<fe au3 ,,|>einrid) Voller ober uor fed^ig 3a£ren"
im 9)?orgenblatt abgebrucft: „Sd&itler al£ Sdjaufpieler"
unb „(Sin 9ftittag0maf)l in ber £ol;eu (SarlSfdjute", roeldje
fpäter, mit ganj geringen 2tbroei<f)ungen, ba3 je^nte, jroötfte
nnb breiseEjnte Kapitel be3 erften £eil3 bitbeten. 3m 2lpril
1838 berietet bann fturj, baS erfte 23u$ be3 fRomanä fei
grofj geworben, fünf je&n mitunter feljr bicfe ftapitcL „Söenn
ßotta nur tyalb nriff, fo laff' idfj $ud& für 23udf) brucfen,
J;auptfäct)ttdö roeit id) »on ber £eilnal)me bei ^ublifumä
auf ^otijen Ejoffe." 2lnbertf)alb Äapitel, bie in Reutlingen
fpielen, ^at er mit großem Erfolg §roei £anb§leuten üorge=
lefen. 3 roar reoe * ^ ur 3 ta oem ^Briefe oon üier mal fünf«
3er)tt, muß aljo üorübergefjenb an m'er $ücf)er gebaut fjaben;
allein bie anbern Angaben ftimmeu alle $u ber 2lnnalmte,
bafi ba§ bamals oollenbete erfte 23udf) gleidj bem erften Söanbe
uon 1843 geroefen ift.
211$ nun aber (Sotta ba3 ^anuffript be3 erften Seils
in ber $anb ^atte, machte er ©djroierigfeüen. 6t ^atte,
rote e3 ßurj fd&ien, jroar 3utrauen ju bem Erfolg be§
^ud&eä, aber „große $ebenf lieferten in puncto loyalitatis".
3$ unb anbere I)aben ba3 früher auf bie £aura=©efdf)id&te
belogen. $a3 ift aber nid)t möglid). Safe ßurj au ben
6cenen mit ßanntfel erft 1842 gearbeitet fjat, gef)t au3
einem feiner bamaligen Briefe beutli<$ Ijeroor ; uon ber
gan3en 9täubergefd)id)te ift 1838 nocf) feine ©übe fallen
getaffen. SHufjerbem f)at 5lur$ 1842 angegeben, e3 f)abc
urfprüngli<$ ein gan$er $8anb auf ©$iller$ S)id)terleben
Digitized by Google
238
fommen foüen. -ftad) allem bem totrb anjune^men fein, bafe
Gotta allgemeinere politifcfje Vebenfen liatte. flurj felbft
jagte fpätcr, er f)abe „anfto&erregenbe Sachen" geftridfjen,
unb fd)on 1838 fdfjreibt er: „Wafy GottaS ©rflärung fann
man entrceber eine Slpotfjeofe ber gegenwärtigen Regierung
ober aber eine Veleibigung ber £nnaftte barin finben. (Sin
Vernünftiger, roie unfereinS, wirb über beibes lad&en". äRan*
d)er wirb ftd) erinnern, baß audj) £aube£ Jtarl£fd()üler , in
betten ßarl bodf) weit günftiger befjanbelt ift als bei ßurj,
3U £eb3eiten flönig 2Billjelm3 I. in Stuttgart nidjt aufge--
füljrt werben burften. Hermann £auff, ber Sftebafteur be£
9}torgenblatt3, wollte jroar adfot Qa^rc fpäter nriffen, ßotta
f)abe bie SonalitätSbebenfen bloß üorgefcfjoben, in SBa^r^eit
§abe er 311 bem budf$änblerifcf)en (Srfolg fein 3«trauen ge=
f)abt. Db ba3 nun richtig ift ober nid&t: ßurj unterwarf
fid) einer uertraulid&en 3^nfur be£ SDJanuffript^, an ber fidfj
jwet fyöfyext Beamte beteiligten. 2)a3 ^efultat war, bafe
(Sotta im 9ttai ben Verlag ablehnte, gormetl muß er bagu
berechtigt gewefen fein, materiell mar e3 furdfjtbar f)art —
nid&t nur gegen ba3 Vudf), ba£ un3 wenigftenä in feiner
fpäteren ©eftalt redfjt wenig infriminierbar fdfjeinen will,
fonbern no<$ mefjr gegen ben Verfaffer. £)ie Vorfd&üffe,
bie ßur3 oon ßotta bekommen hatte, mufcte er, ba nie ein
2öer! oon if)m bei Gotta erfdf)ien, langfam unb roiberroiHig
bur<$ Slrtifel für gotta'S 3eitfd&rif ten aboerbienen.
2öa3 nun weiter ? (Sin ©ebanfe, ben nur bie Verjweif;
hing eingeben fonnte, war ber, ba3 9ftanuffript an bie fö-
niglid&e £anbbibliotf>ef ju oerfaufen; erwürbe nur flüchtig au3-
Digitized by Google
239
gefprod&en. ®egen weitere Söeröffentlidjungen im 2Jtorgen=
blatt hatte ßotta nidfjts, unb fo würbe ein weiterem Kapitel,
„<Sd£)itter3 Sraum", fpäter ba£ ad^te Kapitel be£ jweiten
23anbe£, borten gegeben, aber lieber jurücf gebogen unb
erft 1839 in ber 3eitfd&rift „(Suropa" oeröffentlid&t. gür
ba$ ®anje würbe ein anberer Verleger gefud&t; unb
gwar hatte #ur$, ba fein 3ttanuftnpt offenbar notf) ntd&t
weiter reifte unb er bie 2lengftlid£)feit ber SBu^^änbler ge-
genüber einem mebrbänbtgen Vornan fürchtete, ben ©ebanfen,
wenn einer nicr)t alle s -8änbe übernehmen motte, gunäd&ft nur
ben fd)on fertigen erften 3U publizieren. Slufeer biefem fei
©djitterS Xraum unb bie ©efd)icf)te mit bem ©djwargwälber
Pfarrhaus fertig; biefe beiben fönnten aud& jebe für fidf)
gegeben werben. (Stgentltch genüge ber erfte 33anb für fidf),
man brause ja nur auf ben Sätet §u fegen „S<$wöbifdf)e
©efd^ichten", ber Plural geige bann fdfjon an, ba§ man feine
organifdfje ©infjeit §u erwarten fjabe; ba$ ^ublifum werbe
Wyipttit naä) meiterem befommen, unb bann fönne man ihm
ben Sfteft auch noch oorfefcen. ©enau genommen war ba«
etwas ütterartfcher Selbftmorb, aber $urj mußte leben unb
brauchte Honorar, e£ fomme woher e§ motte; in feiner
gangen SBitterfeit fdt)rteb er am 2. September 1838 an
Schwab: „Qch fchwöre 3h nen / ich fyabe biefen ungtücf feiigen
Vornan blofc angefangen, weil ich glaubte, ein beutfd&er
3lutor fei uerpflichtet, feiner ^rooinj auch einen Tribut ab-
gutragen. 2öof)lfeiler wenigftenS ^ab' ich mir biefen Tribut
aorgeftettt".
$ein Verleger wollte etwas oon bem Vornan ; in ©tutfc
Digitized by Google
240
gart fonnte man fitglid) troffen, bafe Gotta bauon jurüd;
getreten war, füllten bie Heineren ^eute if)re $aut $u ÜJiarfte
tragen? &aHberger, Keßler, Sdjeible lehnten ab. gür 2lu3;
wärtige mochte ber 3n^alt be^> SftomanS wenig Sntereffe
bieten ; Sauerlänber in granffurt, an ben fid) ßaueler wanbte,
Der bamalS bort mar, wollte nidn% audf) mit &ömentf)al
(Üöning) »at'$ ni$t* ; nnb Srocf f)au3, an ben Schwab ben
Roman empfahl, wollte fid) nur auf ba3 ©anje einladen,
^urj madjte SJerfudje, ben Vornan fort3ufefcen; aber basu
fehlte bie 9)fuf3e unb bie ruhige Stimmung. (5r mar ge=
nötigt, 3unäd)ft wteber uon ber &aub in ben 3)iunb ju leben.
(Ex ftellte einen sroeiten 3fot»ellenbanb §ufammen, ber unter
bem Xitel „Sidjtungen" 1839 in ^forsljeim erfdf)ien. Gr
liefe fidf) uon bem rührigen $3ud)f)änbler £offmann in «Stutt-
gart sur Xcilnafnne an einer Ueberfefcung ber SBerfe $8uron'3
anwerben, für meiere er 1839 eifrig arbeitete, unb machte
für benfelben Verleger oom Sommer 1839 bi$ jum Januar
■
1841 feine Ueberfefcung be3 Slrioft.
3n§roifdjen fjatte ftd) wieber 2lu3ftcf)t ge3eigt, ben Voller
lo$ 3U werben. 2lm 9. ^uli 1840 manbte fidf), utetleid^t
buvdf) Heller aufmerffam gemacht, ber Tübinger 33udf)f)änbler
gueä an Kurs, ob er m$t Suft fjätte, ben Vornan 3U üoU-
enben unb it)m in Verlag §u geben. Äurj antwortete, er
müffe erft ben Slrioft oollenben, fei aber bann bereit, ben
3weiten unb brüten SBanb ju fd&reiben. gueä gab einft=
weilen einige ^Bewertungen 3U Stellen be£ erften Sanbeä, bie
tfurj banfbar annahm, ^nswifdjen aber madf)te biefer ben
$orfd)lag, bod) einmal ben erften 33anb für fidf) ju geben; gue3
Digitized by Google
241
erflärte fid) im September bannt etnuerftanben. SBeitere
5ßer()anblungeu breiten ftdj um 9tebenfadf)en. ^löfclidf), Hal-
bem gue3 im ÜJfärj 1841 nod) ein paar fad&lidjje Seiner-
hingen jum erflen Seil gemadfjt tyatte, fd)rieb er am 17.
2Ipril: er fönne ben Vornan nidjt nehmen, ba3 ©anje mürbe
beu £efer ntdtjt befriebigen; e3 fei ba^ nidjt blofe feine 31 n-
\i$t, fonbern auä) bie „ieljr kompetenter Ütid&ter" — man
fagt, e3 feien ba3 jmei Stubenten geroefeu, roa§ in %fc
bingen fef)r roofjl mögli<f) mar. ßurj beftanb auf feiner
Abmachung unb bat gue3, fid^ bod) mfyt fo beforgt für feinen
ütterarifdjen 9tuljm $u 3eigen; ein Anerbieten mit niebri=
gerem Honorar unb ben üon britter Seite gemalten $or=
fd&lag, bie brei SBänbe in einen jufammensujie^en, fd&lug er
im Söerou&tfein feines 9ied)t£ ab. (£3 tarn jum $ro§e§;
am 23. gebruar 1842 mürbe gue3 jur 58eröffentli$ung beS
erften 23anbe3 unb ^onorarja^tung oerurteilt. @r appel=
lierte an ba» $rei3geri$t; bort ift e«3 aber $u feiner 2>er=
Imnblung gefommen, bie Sad&e mu& irgenbmie beigelegt
roorben fein. ^ebenfalls ift ber Vornan nid)t bei #ue£ er-
fd)ienen. Sd&on im Sflai 1841 fmtte Sd&roab Hoffnung ge^
madf)t, (Eotta merbe ben Dioman bodr) nehmen; bie $orrefpon=
benj brid&t aber o^ne SRefultat ab, nur oier Stüde, „Sdfm=
bart", „©d^iaer^^äuber^^^a^^farr^au^auf bem Sdf)roars=
roalbe", „SdE)iller3 glu$t aus Stuttgart", finb 1843 im
SDtorgenblatt mitgeteilt roorben. 9tidf)t lange jebod(), naa>
bem ftutj in feinem ÖJalgenfmmor an Heller gefd&rieben
f)atte: „(Sin ©remplar be3 Voller miß icf) bir in meinem
Xeftament Dermalen, benn ben erleb' idf) nicfjt mefjr", fotlte
3rif$er , Beiträge II. 16
Digitized by Google
242
bie ^ublifatton bo$ Stanbe tommen. £er Stuttgarter
Verleger grancfl), ber vor ein paar Sauren wegen poli-
tischen 2krgefc)en3 verurteilt roorben mar, fam burcr) bie
2tmneftie nad) bem s Jiegierung$jubiläum roieber gu einem
©efd^äft unb iüünfd&te ben Voller ju befommen. #ur$ ootf=
enbete nun ba3 ®an$e, unter ftarfen Umarbeitungen im
erften SBanb, unb mar am 4. ^ejember 1842 mit ber Gv-
jctylung felbft fertig. $m Januar 1843 mürbe ber Vertrag,
freilich ein weit ungünftigerer als ber mit gueS, gefchloffen
unb im Sommer tonnten bie brei 53änbe erscheinen.
2)er unglücf liehe frühere $lan, nur ben erften SBonb
311 geben, fpuft auch in ber breibänbigen 2lu$gabe noch in
einer mir nicht recht begreiflichen 2Irt. S)er erfte S3anb
nämlich rjat nid)t nur ein SBorroort, au$ bem man unter
anberem erfährt, ba& ber Verleger ben jefct gemähten £itel
„Schillers ,<peimatjahre" 3ur SBebinguug gemalt ^abe —
feltfamer 3 u f a ^ benn auf bie gefamten brei SBänbe paBte
ber alte Sitel „£einrich Voller" iriel beffer als auf ben
erften allein — , er rjat auch einen höchft eigentümlichen
Epilog, „gefchrieben im 3Kai 1841". tiefer fagt: „Selt=
fame Segebniffe, bie r)ier au3einanber$uiet$en nicht ber Crt
ift, haben bie Grfchemung biefeö SBudjS feit mehreren 3a^en
üerjögert, unb noch in bem 2lugenblicfe, ba i<h biefe 9kch=
fchrift fdjreibe, raeiß ich nicht, mann unb unter meinem
£itel eS rjerau3fommen nrirb". Söoju hat Äurj biefen an=
tiquierten (Spilog in ber fertigen SluSgabe mit abgebrueft?
(5r fchien ir)m rool;l beSfjalb nicht antiquiert, weit er immer
noch befürchten fonnte, eS möchte bei bem einen SBanbe
Digitized by Google
243
bleiben. 2>e3l)a(b nämlich unb nun fd&lagen mir ein lefcteä
SBlatt biefer £etbem3gefdj)i<f)te auf:
©leidj narf) Slbfcijlufc be3 Vertrags munfelte man, grancfl;
fei §aljtungsunfä£ig ; e3 fei auf ben größten £eit bei £0=
norarS 33efd^tag gelegt, ©in $onfur3 ift bamalä nt<f)t er=
öffnet roorben; aber etmaS mu& an ber ©adje fein; benn
5?ut3 mufjte im ©ommer 1843 einen ßitrilprojef, gegen
graneff) anftrengen unb augletä) eine Qniurienflage gegen
tyn ergeben, Setber eyiftieren bie Elften ni$t mefjr. ©i$er
ift nur, bafc ba3 SBerf nodf) 1843 §erau£fam; aber aud),
ba& £ur$ im Quli 1844 fd&rteb, er befomme „auef) biefe
9fteffe nid&tsS"; für ben ganjen !Rcft ber Auflage, für ben
Tantieme ausgemacht war, über 500 ©yemplare, bot ifjm
%xanäl) bantab 100 ©ulben! Qm ©ommer 1845 fdjreibt
$ur$ frof)tocf enb , e£ feien 570 ©jemplare abgefegt; bem
mar aber nicf)t fo. 3roei nacf)f)er erfcf)ien eine Sttel*
auftage. £amtt f>atte biefer Slbfäjnitt von ßünftlerS @rben=
mallen ein (Snbe; e3 mar ein ©lücf im Unglücf, ba& $ur$
oon @nbe 1844 an eine fefte ©teUung fjatte.
$Die ©reigniffe ber fd)tt>äbifd)en Sßorjeit f)aben unferem
$id)ter nie Sftufje gelaffen. ©d)on im Januar 1838 backte
er an einen lonrab 2ötberl)olb: fein Unglücf, ba& er ba<S
bat fallen raffen; ber Stoff tjätte ein patriotifdje<S <pat£)o3
oerlangt, ba3 bem Itjrifd&en ©ebtdjte fefjr gut, bem ®rama
mitunter, ber 6f)&$luttg ganj unb gar ntc&t §u ©efid&te
fte&t. 3m 3Rärj 1838 fdjrieb er an flauten „3$ f)abe
meine ©toffe überfeinen, unb bie ^aben fid) bann gletd) ganj
fjübfcf) abgeteilt. 3)te rcürttembergifcben laffen fief) niebt aus
Digitized by Google
244
ber s $rofa l)erau$ rieben, fjier mag'3 benn beim 2ßalter
Scott bleiben. Tit ^oJ)enftaufifd)cn Dagegen laffen ftd? ber
xragöbte md)t rauben, benn fie finb inbioibucDL dagegen
bleiben mir jmei große Staffen übrig, ber SBauernfrieg unb
ber breimgjäfjrige, unb ba3 wären meine Epopöen" — in
Herfen nämlidf). 8<m allen biefen 9)iögli<i)feiten §at fid)
aber 5tur3 feine $erau3gefudf)t, fonberu eine bamals nod)
gar uidjt erwogene. $ur nämlidjen 3 e ^/ °^ °i e Heimat-
jafjre im S>rud fertig waren, Sommer 1843, rebet er 511m
erftenmal uon bem Sonnenmirt, unb biefer ©egenftanb l;at
i£)ix nun feftge^alten. $er jraeite Cornau ift freiließ bur$
bie anftrengenbe Stjätigfeit, bie tfurs erft in Slarlsrulje,
bann t)otlenb£ in Stuttgart am 23eoba$ter au^uüben fmite,
nod) länger aU ber erfte fjinauägeaogen worben ; erft 1854
fonnte er erfreuten. £)ie$mal fjatte Äurj ba£ ©lücf, an
9)Jeibinger in granffurt einen opferwilligen Verleger $u pn«
ben, ber i(m gleich aud) §u weiteren Unternehmungen an=
fpornen wollte, üftun follten bie 23auernaurftänbe be3 fe(fe=
jefjnten Qa^r^unbert^ baran fommen ; e£ ift balb 00m Firmen
tfonrab balb oon „1525" bie Siebe. ^Btatt beffen fam eä
aber p ber prädjtigen SDorfgefdjtdjte „$er 2öeilmad)t$funb'',
bie im Sommer 1855 gef<$rieben würbe. 2luf Stoffe au3
ber württembergüd^en @efd)icrjte ift Hurj nur in einer an=
bern gorm jurüdgefommen, welche bloß bie £)arfteflung$s
gäbe be3 Sdf)rift|Mer£, nifyt bie (Srfinbung3fraft be$ SDid>=
terS in Slnfprudfj nafmi: in ben „Silbern au3 ber ©efdfn'djte
Schwabens", welche 1859 im 3)Jorgenblatt erf<$tenen finb.
£)er unermüblidfje 9)teibinger fotttc audj ben Step ber
Digitized by Google
245
Auflage be3 erften 9tomcm$ anfaufen imb eine neue oeran=
ftalten. (5r fanb ba£ aber nicht prattifabel. ^Dagegen Iie§
fich 2eitt$, ber neue Eigentümer bes granef hiföen 2>erlag3,
auf eine neue Auflage ein. SDiefe ift im ^ahr 1856 ju
(Staube gekommen unb mit bem £e$ember mar fdjon ber
legte Sogen gebrueft. 2luf bem Stitet ift ber 3"fafc „$ater=
tänbifd^er Montan" getilgt; mit ehrlicher Ignorierung ber
Dieftauflage oon 1847 Reifet e£ „S^eite burchgefehene 2Xuf=
läge"; aus ben brei Sänben finb jroei geworben, tiefer
£)rucf oon 1856 liegt auch ber weiteren 2lu3gabe ju ©runbe,
meiere «genfe im smeiten, brüten unb eierten 23anb feiner
Ausgabe ber ©efammelten SBerfe oeröffentlicht hat, mieber
in brei SBänben, aber mit etroa$ anberer 2lbgren§ung al£
1843; ebenfo ber 2lu3gabe, roeldje am (Snbe ber fiebsiger
3laf)re in ßotta'3 „Deutfcher Sßolföbibliothef" erfdjienen ift.
Sie durchficht in ber SluSgabe oon 1856 erftreeft fich
auf alle Seile beä 9toman3, wenn auch in oerfchiebenem
9)k&e. <5ie ift in ber feiten, fpäter entftanbenen £älfte
weniger burchgretfenb als in ber erften. (Bie beftcht nur
5itm geringeren £cil in rebafttonellen SBeränberungen. SMdjt
nur bie ©efamtentroief lung , fonbem auch bie Reihenfolge
ber ein$elnen Kapitel ift oollfommen unoeränbert geblieben;
nur finb ein paarmal in ber S^lung jmei Kapitel in ein*
5iifammenge3ogen morben. Vielmehr ift bas 2Befentttdt)ftc
an ber Bearbeitung eine burdjgehenbe 23erfür$ung, nicht
eben oon erheblichem 23elang, aber bod) überall angeroanbt.
Eine -äftenge oon tfürsungen, namentlich ber Dialoge, finb
ol;ne jebe Söebeutung. daneben finb aber ein paarmal auch
Digitized by Google
246
etroaä größere ©tücfe, aber immer nur Teile uon Kapiteln,
ausgeworfen. Trei baoon f)at flurj gerettet, inbem er fie
bem Vornan als §8orruort ooranftellte : „Ter f)ü"torifd)e
Hornau", „ßersogflar^^igeunerunb Vaganten''. Stabere*
ift einfad; roeggelaffen. Teils ftnb e£ Heine Slnefboten,
loctd&e bem prüfenben 2luge überflüffig erfdjienen, giguren
aus ber 3eit, von benen münblid&e ober fdf)riftlid&e £unbe
fid) erhalten f)atte, roie bie ©efdjid&te Dorn ©erberfjeiner
öou SBeil^eim an ber Tetf (roo Jturj öftere bei einem trüber
wohnte), bie gtguren ber ^ofroäfdjerin unb ber <5über=
fämmerlingiu, beS alten 6d)aufpielerS ^rofeffor Uriot, beS
SatiriferS 23crnritter unb beS ©artenmfpeftorS 2Baltl)er,
beffen geinbfd)aft gegen <SdjiHer ber Montan auf eine roiber=
roärtige Begegnung beim tfegelfd)teben gurücfgefü^rt Ijatte.
(Sin Traum Rollers rourbe als unnüfceS ^enbant ju bem
Traum ©d)tllerS befeitigt. 3um anbem Teil l)at aber $ur$
aud) foldje Partien entfernt, roeldje mit feiner eigenen 53er=
gangenljeit unb SBilbung 311 eng jufammenljingen unb als
Rängen gebliebene <5ierfd)alen gemafmen fonnten: einige
Stellen über Geologie unb über baS Tübinger Sttft; aud)
eine, bie man blofe oerfte^t, roenn man feine Briefe fennt:
eine nämlid), reo bie tyomöopatf)tfd)e Theorie anadjroniftifd)
angebeutet war; längere ©yfurfe über Slftrologie im 3 Us
fammenfjang mit &a§n unb Rollers apofa(nptifd)en <5tubien
auf bem Asberg; leiber aua) eine fcpne Apologie beS erfjteu
^ietiSmuS — $ur$ mar in feinen jungen Qafjren jroar ein
abgejagter geinb alles ftirdjentumS, aber burd)auS ma)t ber
Religion, ja er mar fpiritifttfdjen Tingen fogar jugeneigt;
Digitized by Google
247
fpäter wirb ihn bie SRiid&ternfjeit beS höheren SllterS unb
cor allem bie polttifd&e Shätigfeit härter unb einfettiger in
folgen Sachen gemacht hoben. 2lm meiften ift bcr Schluß;
abfdjnitt gefürjt, in bcn auch etwas gar ju tjtel retrofpefs
tbe 2BeiSheit äufammengebrängt gewefen mar. Sachliche
Sßeränberungen finb an ber ßr$ä$(ung nur im befcheibenften
2ftaß vorgenommen worben. 91otwenbig mar faum eine
ber 2luSlaffungen unb Slbroeicfnmgen, aber auch feine fchäbltcf).
3mmer^in finb bod& biefe unb jene unnügen SluSwüchfe
befchnitten worben. 9ftan mag, wenn man jum erften Wied
an ben Vornan herantritt — benn bie gute alte Sitte, gute
SBüd)er mehrmals ju lefen, ift ^öffentlich noch nicht ganj
tot — , il;n in ber fpäteren gorm lefen; wer ihn aber fdjon
fennt, namentlich wenn er ein Schwabe ift unb fich für
fonfrete 3üge aus ber Vergangenheit feinet SanbeS unb
SßolfeS intereffiert, ber wirb gerne nach ber erften SluSgabe
in ihrer größeren gülle naioer ©injelheiten greifen; unb
wäre eS auch nur, weil fie im ®rucf oiel fchöner unb opu=
lenter ausgefallen ift als alle folgenben.
@S fönnte ja nun f<$einen, als ob bie ®efchi<f)te eines
foldjen JlunftwerfS bloß aus folgen 2leußerlid)feiten beftehen
follte, welche freilich großenteils boef) mehr als bloße Sleußer-
lichfeiten finb. S)aS märe eine faltfinnige Slnfdjauung, bie
mir nicht einfallen fann. ^Böllen mir ein größeres $unft=
merf verfteljen, baS fertig oor uns fteht, fo werben wir
nicht anberS »erfahren fönnen, als inbem mir feiner äußeren
Digitized by Google
248
©efd)id)te na$gef)en. $>a fefjen wir bann, ma3 ber £id)ter
von anbcrn entnommen f)at, ma$ burd) äufeere Umftänbe
bewirft mar. Sßenn mir ba$ aber entfernen, fo bleibt nod)
ein Dieft, ber bei bem einen größer, bei bem anbern fleiner
ift — unb ba$ ift feine bü&teriföe «Petfönlid&feit. Sie ift
bei $ur$ überaß bebeutenb unb intereffant, jmeifelloS im
Sonnentuirt bebeutenber entroicfelt al$ in unferem Vornan,
aber audj f)ier fd)ön unb liebenSwürbig genug ausgeprägt.
SBftre ber Vornan ntd)t$ meiter als ba3 fattefte unb roafjrfte
$ilb ber mürttembergifd&en SMnge unb -Jftenfdjen um 1780,
fo fjätte er Sobeä genug bafür an$ufpred)en. (Sr ift aber
mel)r. 2öer bie $olf Svenen, mer bie 3i9cunermanberungen
in ©Rittet« #eimatjaf)ren gemad&t l;at, ber ift ein ed)tcr
$>id)ter vom Sdjeitel bis jur 6ol)le geroefen.
Digitized by Google
14 DAY USE
RETURN TO DESK FROM WHICH BORROWED
LOAN DEPT.
This book is duc on the last date stamped bclow, or
ifki the date to which rcnewed.
Renewed books axe subject to immediate rccalL
1
General Library
LD 21 A-50m ll,'62 Universiry of California
(D3279slO)476B Berkeley
Fischer,, H.
beitrage
atoirggasni
zfur Liter-
r Y^ ft Snhwabenft
von
F584
Digitized by Google