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Full text of "Verhandlungen der ... Versammlungen deutscher Philologen und Schulmänner"

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Verhandlungen 
der ... 

Versammlun... 
deutscher 



Philologen 




Verein Deutscher 
Philologen und 
Schulmänner 




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Perhandlungen 

der 49. Perfammlung 
deutscher Philologen und Schulmänner 

in Bafel Pom 24. bis 27. September 1907 




Drudt und P crIafl pon B ' G * Teubner ,n ÜC,pZ,fl 



Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berli n. 

Universität und Schule. 

Vortrage auf der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner 
am 2o. September 1907 zu Basel gehalten von 
F. Klein, P. Wendland, AI. Brandl, Ad. Harnack. 

Mit einem Anhang: 

Vorschläge der Unterrichtskommission der Gesellschaft deutscher Naturforachpr 
und Arzte, betreffend ^Mm**«* Ausbildung i»ÄÄS 

Mathematik und Naturwissenschaften. 

[88 §.] gr. 8. 1907. geh. JL 1.50, in Leinwand geh & 

^QSSStoa^MJ^i 1 ^ 4 «" DL N f uere 8 I**»« AI. Brandl. - 
lachte und Religion von Ad. Harnack. - Anhang. - Schluß bemerk nng 



Der Inhalt dur vorliegenden Belnif 1, 
Zustandekommen« ist in einem gewissen Maß 
hier hinauanfngen, daß du große Thema üi 
J ~htlich nicht nach seiner Vielseitigkeit' * 



tatehung and die Art ihre« 
—- --**-* «•»» gekennao lohnet; m genug.- 

«tat and Schale" in den Tier Paiallelvortragan 
Linie interessierende Frag« I der" ww^ha'ftiTchen'A 3SÜ1 Jpfl " ch T 1 » «"»blick öl« ü» eriter 
wird. E« liegen hier bok*5nüich ZZSSZtZZffi behandelt 
Autoren beizutragen wOnachen, Indem jeder PiumtSn" ^m^S.a r w* * u . deren Klarung die rler 
Ihaciplluen argumentiert. Es ist ein kollektive* und rineh «r..,i 7 3 u °* r Ton U"» vertretenen 
F. Klein knflpft in «einom Vortrage an UmAA^SluJVS^ SS^Ä Vorgehen. 
aelUohaft Deutscher Naturforscher and Ara£ £J£ vlrÄt JSh «? k0m f ^ der °* 

Hohn Auabildung der JiehramUkandidat-n Z Z ,. ,1. »odonn über die wkaen«ohaft- 

geectat auf dea eben L^^^^fZh^ ,^ ? nd Na^rwi^nachaft, indem er fort- 



ein kUnathch konatruierte. 
Praxi« abaorlchton, aber da« 
gemacht werden «oll, keine 
issauschaft liehe Durchbildung 
»tweudig auch der Schale au- 
^".«i!1^^7V. c j d '* neuM »n Gebiete, deren Berück - 
•suitsunterrioht durch die ungeahnte Erweiterung der 
Sprach Wissenschaft, die Archäologie und der Hellenie- 



sben, aber durch grü 
au entwiol 



sprachgesel 

ndnia für das Le 
:hOo!ogie bedarf« 
der griechisch* i 
ttitellen hatte, i 
iuultftt der ira*d 



»r, »proc„ 
der Sprache uad ih 
un die Aufgaben da 
lachen Kultur, da« i 
Augen xu «teilen, 



1 :i 



skli 



Wi*.enschaft und Schale aaf dem Gebiet der Alt.rtam~.wls 
w^ . , üniYcralUt.unterricht die Aufgabe habe, nicht 
W.Ulndnii dea Altertum« aa lehren, da« spater vertieft 
Beaepte für den Schulunterricht a 
■iio geistigen Kräfte und Fchigke.i 
gute kommen. Voa diesem 8t*n< 
«ichtlgang der Wiaseaachaft and di 
Altertumswissenschaft eugewachse: 
mua. Kr aeigt, wie da« Zu mm tri 
physiologischer Forschung unser V 
empfinden vertieft hat, wie wir de 
aohoft aa orftlllon, am das Gesam 
aammenhang mit der modernen 
Erforschung des Hellenisniaa die ' 
geistigen Arbeit, die die alte Zelt 

hinge, die Altertum und Gegenwart verbinden niV r kT". * 
modernen Kultur au* ihrer Entstehung im hell'eui.ti l •/ ■« V k' 
AI. Brandl teilt mit vielen Lehrern die Oberaeuaun« doSd» 
Unterricht nicht blofl auf t^raeiaen und Erklären, sondern «u«l»iehau 
sowie auf einige« Wissen vom fremden Volke selbst abliefen niü««e M 

Sie Un S 0l rL!l 4rk0re B " to ? un « dOT »oderuen Seite, wa. .«gleich im ' 
J nnd fr8i . e » 7 0n > Profe«»or eingelegte Zwischenprüfungen Au« 
Kandidaten, wie sie in Österreich und Frankreich lanu»t 27* 
nnujprauhlioheu aad dann erat aluprauhllchen Lehrbetneb ohne V«nn 
endlich ein möglichst enges Zusammengehen der Schul 'und ITntve' 
Fertenk^en wia«en.chafülch,,n Lehrervereinen und fachlichen Versa. 
H«.h.,i- n Bebt von der Forderung au«, dal dar Oeachlchui 

Schulen, eo «ehr der Staat dar aentrale Faktor desselben bleiben m ü 
Tataachenmaterial and im einzelnen stucken bleib« .„„j„„ .„„ 

gelatigeu Entwicklang werde, and wünaabt dan » a^nkXTan den ^ vertaten oir 
^SS£T£xSL A u "f.'r d " Altertum« ZZnlT^tn et T^^^ 

^^%£X^\5Ei ffl^nÄt n"i d .Hervorb^ngnngen^n" get^ 

al. Zeit de. Abachluaae. d?« SheVun^cs^dl^Ktumf ' ÄftS SS 5 V ?f*"«. .ondern 
Neuzeit aber halt er ein Kolleg SS Rürgerkuna« f? ZuhörVr SftESLft B8hj V» dlan « *» 

In dem Schulunterricht fordert sr endlich Einführung in die Bc^nrfln^^uliSLK 2^ Hlah - 
Probleme an ausgewählten Beispielen, üeüandlaug historisch -kri tische r 



1 eilender, sprach - 
: lebendige« Nach- 
• Altertumswisaen- 
ugleich ihren Zu- 
und wie uns die 
, die Summe der 
L die Zuaammen- 
lie Grundlage der 
hrt. 

me und englische 
r achbeherrichung, 
a: beim Univerai- 
iltlicheu Lnteroase 



g der Lehrstundon ; 
rei»e in Form von 

iht an den höhereu 
doch nicht im politischen 
Utes und der 



VERHANDLUNGEN 



DER NEUNUNDVIERZIGSTEN VERSAMMLUNG 
DEUTSCHER PHILOLOGEN UND SCHULMÄNNER 

IN BASEL VOM 24. BIS 27. SEPTEMBER 1907 



IM AUFTRAGE DES PRÄSIDIUMS ZUSAMMENGESTELLT VON 

Dr. G. RYHLETER 

BIBLIOTHEK AB AN DER UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK BASEL 




DRÜCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER IN LEIPZIG 1908 



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ALLE RECHTE, 

EINSCHLIESSLICH DES CBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN. 



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Inhaltsverzeichnis. 



I. Allgemeine Sitzungen. 

Sfttw 

Erat« allgemeine Versammlung 1 

Münzer: Eröffnungsrede. — Geschäftliches. — H. David: Be - 

§ ^-üßungim Auftrage der Regierung von Bahelstadt. — .1. Meier: 
egrüßung namens der Universität. - Totenschau. — Stiftuug 
der Weidmannachen Huchhaudluug — Finaler: Horner m der 
Renaissance. Schwarty. : Das philologische Problem des 
vierten Evangeliums. 



Zweite allgemeine Versammlung 2i 

Parallelvorträge über Universität und Schule Klein: Mathe - 
matik und Naturwissenschaft. Wendland: Altertums - 
wissenschaft. — Brandl: Neuere Sprachen. — Harnack: 
Geschichte und Religion. 

Dritte allgemeine Versammlung 3" 

Kluge: Die deutsche Schweiz und die Mundartenforsehung. — 
Morf: Die romanische Schweiz uud die Mundartenforacliung, — 
Perdri/et: Les fouillcs de Delphcs. — - Schuchhardt: llöf\ 
Burg und Stadt bei < iermanen und Griechen. — - Geschäftliches: 
Weulniannsche Stiftung. Resolution der mathematisch-natur - 
wissenschaftlichen Sektion. Resolutionen der pädagogischen 
Sektion. Zusatzantrag Münzer Einladung nach Graz, — 
RclTäublin: Schlußwort. Brütt : Schlußwort. 

H. Philologische Sektion. 

Erste Sitzung 42 

Diels: Corpus medicorum antiquorum. — ReitzenBtein: Horaz 
und die hellenistische Lyrik. — Körte: Neue Komödien-Papyri. 

Zweite Sitzung 40 

Lietzmann: Die klassische Philologie und das Neue Testament. 
- Hei hing: Die sprachliche Erforschung der Septuaginta. 

Dritte Sitzung r>(> 

Boll: Die Ergebnisse der Erforschung der antiken Astrologie. — 
Bitter: Piatos Ideenlehre nach den späteren Schriften. — 
Föhlenz: Die erste Ausgabe des platonischen Staates - 

III. Pädagogische Sektion. 

Erste Sitzung 57 

Thumser: Anforderungen der Gegenwart an die Mittelschulen. — 
H i r z e 1 : Einseitigkeiten und Gefahren der Schul teformbewe- 
ing. — Frankfurter: Das Gymnasium im Kampfe der 



gm 

Gel 



jiegenw r art. 

Zweite Sitzung 66 

Diskussion zu den Parallelvorträgen über Universität und Schule. 



4 > *"> 



1988 



IV Inhaltsverzeichnis 



Dritte Sitzung 

Resolution der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion. 
Resolution der pädagogischen Sektion. — Aly: Stellung des 
Lateins im Lehrplan des Gymnasiums. — Planck: Die 
mTinanistische Bildung der MädchenT" 



IV. Archäologische Sektion. 

Erste Sitzung "7 

Mykenische Frage. Karo: Mykcnisches aus Kreta, v. Bis sing: 
Die mykcniBche Kultur in ihren Beziehungen zu Ägypten. 
TTulle: Die Ausgrabungen von Ürchomenos und das Verhältnis 
(leg griechischen Festlandes zu Kreta. — Schmidt: Die Be - 
deutung des altägäischen hailturkreises für Mittel- und Nörcl - 
eüropa. - Geschäftliche Mitteilungen^ - 

Ausflng der archäologischen und der historisch -epigraphischen 

Sektion nach W inaisch (Vindonissa) ........ T 88 

/weite Sitzung 89 

Thiersch: Zur Tholos von Epidauros. — Vollgraff: Die Aus - 
grabungen in Argos. — v. Salis: Die Ausgrabungen in 
Milet. — - Geschäftliehe Mitteilungen. — Resolution. 



V. Germanistische Sektion. 

Erste Sitzung . 



Meier: Eröffnungsrede, Totenschau. — lleusler: Metrischer 



Stil in stabreimender und endrciniender Zeit. 


Brandl: 




Die Gotenaage bei den Angelsachsen. 










91* 


Voretzsch: Die neueren Forschungen über die 


deutschen 




Rolandbilder. Bohnenberger: Mundartgrenzen. 


- Pf äff: 




Tann häusers age. 










107 


Wilhelm: Über fabulistische Quellenangaben bei einigen mittel- 




hochdeutschen Schriftstellern. 










108 


Meier; Referat über das Deutsche Wörterbuch. 


Uran il- 





stetter: Die Schicksale der Wuotansage in Luzern. — Er- 
niatinger: Das Romantische bei Wieland. 



VX Historisch-epigraphische Sektion. 

Erste Sit/ung 111 

Wilhelm: Über die Öffentliche Aufzeichnung von Urkunden im 
griechischen Altertum. — Soltau: Fehlerhafte Methoden der 
jetzigen vergleichenden Religionsgeschiehte. Bormann: 
Die Erforschung des römischen Limes in Österreich. 

Zweite Sitzung. Bericht siehe: Archäologische Sektion. Ausflug 
nach Windisch (Vindonissa) S. 88~ 



Stitf 

69 



Inhaltsverzeichnis. V 

Dritte Sitzung 116 

Schult ließ: Die Bauinschrift der Köinerwartc beim Kleinen 
Laufen bei Koblenz in der Schweiz, — Lamprecht: Aus - 
gestaltung des kultur- und universalgeschichtlichen Unter - 
richts an den Hochschulen 

VII. Romanistische Sektion. 

Erste Sitzung 12S 

Tappolet: Eröffnungsrede, Totenschau. — Gauchat: Über 
die" Bedeutung der Wortzonen. — Bertoni: La poesia francö^ 
italiana. 

Zweite Sitzung. Bericht siehe: Germanistische Sektion, 2. Sitzung 
(S. 99). 

Dritte Sitzung 127 

Bai st: Arabische Beziehungen vor den Kreuzzügen, Wechßler: 
Mystik und Minnesang. 

Vierte Sitzung . . 12'J 

Wetz: Die Aufgaben des neusprachlichen Unterrichtes in der 
Sfihulft und an der I nivprsitiU 

Fünfte Sitzung 131 

Schneegans: Die neuere französische Literaturgeschichte im 
SftminRrhetrieh. 

VIII. Englische Sektion. 

Erste Sitzung. Bericht siehe: Germanistische Sektion, 1. Sitzung 
(S. 07). 

Zweite Sitzung l-"."> 

Iinelmann: l>ie Chronologie altenglischer Ibchtuug. Kern: 
Zur Geschichte der kurzen Heimzeile im Mittelcnglisehen. - 
.Jordan: Die Heimat der Angelsachsen. 

Dritte bis fünfte Sitzung. Bericht siehe: Komanistische Sektion. 
3. bis 5. Sitzung (8. 127, 129, 131). 

Sechste Sitzung 141 

Greg (Priebsch;: The Aims and Work of the Malone 8ociety. -- 
Hecht: Shenstone und T. Percys Keliques of Ancient Engüsh 
Poetry. — Vetter: Shakespeare und die deutsche Schweiz. 

IX. Indogermanische Sektion. 

Erste Sitzung 146 

Konstituierung des Bureaus. 

Zweite Sitzung 146 

Niedermann: Ein rhythmisches Gesetz des Lateinischen. — 
~Meltzer: Basse und Sprache in (ler griechischen Urgeschichte. 
Thurneysen: Beiträge aus der keltischen Philologie zur 
indogermanischen Grammatik! 

Dritte Sitzung 165 

Haie: Indoeuropäische Modus-Syntax: eine Kritik und ein System. 
-Osthoff: Regenbogen und Götterbotiu. — Wackernagel: 
Probleme der griechischen Syntax. 



VI 



Inhalts ver/.ei chn i s . 



ftcitf 

Vierte Sitzung 169 

Hoffmann -K r a y e r : Ursprung und Wirkungen der Akzentnation . 
~Thiimb: Zur Psychologie der Analogiebildungen. — Ost - 
hoff: Zur Technik des Sprachforsehungsbetricbes. 



X. Orientalische Sektion. 

Feetversammlung des Deutschen Palastinavereins 166 

Kautzsch: Geschichtlicher Rückblick. — Furrer: Wert der 
Palästinakunde für das Verständnis der Bibel. — Steuer - 
nagel: Ausgrabungen des Deutschen Palästina-Vereins an der 
Ttuinenstätte des alten Mcgiddo dem heutigen Teil el-MutosellimT 
~ Hölscher: Über die englischen Grabungen auf dem Teil 
Dachezer. 

Erste Sitzung 167 

Iselin: Syrische Aufschlüsse über den Ursprung der Grallegende. 
^Littmann: Sagen und Märchen aus Nord-Abeesinien. — 



Marti: Jahwe und seine Auffassung in der ältesten Zeit. — 



Marti: Eine rätselhalte Inschrift auf einer Fahne vom Jahre 1540. 

Zweite Sitzung 175 

Fischer: Plan eines zeitgemäßen Wörterbuches des alteren 
Arabisch. — v. Orelli: Zur Metrik der hebräischen Propheten - 
echriften. — VV'irz: Tähirs Tod. 



TCT. Mnt.ho matiBCh-naturwiasoriRoriaftliohe Sektion. 

Erste Sitzung 181 

Rndio: Nachruf auf F. Hultsch. — Brocke: Die neue Schnl - 

mathomatik in methodischer Hinsicht. = Huber: Mathe - 

matische Behandlung der Elektronentheorie im Gvmnaeiai- 
unterncht 

Zweite Sitzung 187 

Resolution. - Grimsehl: Die Behandlung der elektrischen 
Wellen im Unterricht. Gruner: Über Verwertung von 
Theorien und Hypothesen im physikalischen Unterricht. 
Geißler: Beiträge zur Vertiefung und Verbindung des exakten 
Unterrichtes durch Unendlichkeit und Kontinuität. 



Dritte Sitzung 194 

Lippmanu: Geschichte der ( 'hemie bis Lavoisier mit besonderer 
Berücksichtigung den Paracelsus. Beck: 1 )as wissenschaft - 
liche Experiment in der Ilippokratisehen Büchersammlung~ 

Featbericht 202 

Festschriften 210 

Teilnehmern*!« , . , , , 2JJ3 



Erratum: 

Die auf S. 37/38 abgedruckte Resolution der mathematisch-natur- 
wissenschaftlichen Sektion ist nach den auf S. 69 '70 vermerkten Vor- 
schlägen zu ändern. 



Vorstandsliste. 



Präsidenten: 

Prof. Dr. F. Münz er (Basel). 
Rektor Dr. F. Schäublin (Basel). 



Schriftführer: 

Dr. G. Ry hiner (Basel). 

Priv.-Doz. Dr. A. Schaer- Krause 'Zürich). 

Dr. A. Schiff (Berlin). 

Dr. P. Usteri (Burgdorf). 



Obmänner der Sektionen. 

1. Philologische Sektion t 

Prof. Dr. H. Schöne (Basel). 

Geh. Rat Prof. Dr. G. Wisaowa (Halle). 



2. Pädagogische Sektion: 

Prof. Dr. F. He man (Basel). 
Dr. E. Probst (Basel). 

3. Archäologische Sektion: 

Dir. Prof. Dr. H. Dragendorff (Frankfurt a. M.). 
Dr. Th. Burckhardt-Biedermann (Basel). 

4. Germanistische Sektion: 

Prof. Dr. J. Meier (Basel). 
Prof. Dr. A. Geßler (Basel). 

5. Historisch-epigraphische Sektion: 

Prof. Dr. A. Baumgartner (Basel). 
Priv.-Doz. Dr F. Stä heiin (Basel). 



6. Romanistische Sektion: 

Prof. Dr. E. Stengel (Greifswald). 
Prof. Dr. E. Tappolet (Basel). 



VIII 



Vorstandsliste. 



7. Englische Sektion: 

Prof. Dr. G. Binz (Basel). 
Dr. E. Thommen (Basel). 

8. Indogermanische Sektion: 

Prof. Dr. F. Sommer (Basel). 
Priv.-Doz. Dr. E. Schwyzer (Zürich). 

». Orientalische Sektion: 

Prof. Dr. A. Mez (Basel). 
Dr. H. Keller (Basel). 



10. Mathematisch -naturwissenschaftliche Sektion: 

Prof. Dr. H. Veillon (Basel). 
Priv.-Doz. Dr. 0. Spieß (Basel). 



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Allgemeine Sitzungen 



Erste allgemeine Versammlung 

im Musikeaal des StadtkasiDos. 

Dienstag, den 24. September 1907, vorm. d 1 ^ Uhr. 
Vorsitzender: Der 1. Präsident Prof. Dr. F. Münzer. 

Außer den zahlreichen Mitgliedern wohnten viele Gäste der ersten 
Versammlung bei. Sie wurde eröffnet durch folgende Ansprache des 
Vorsitzenden: 

Hochansehnliche Versammlung! 

Die Wanderversammlung Deutscher Philologen und Schulmänner 
feiert heute, nur um drei Tage zu spät, ihren siebzigsten Geburtstag. 
In ihrem bisherigen Leben hat sie sich überall im deutschen Lande 
umgeschaut und begann nun vor anderthalb Jahrzehnten auch solche 
Stätten aufzusuchen, an denen sie schon einmal geweilt hatte. Sie 
ist seitdem in Wien und in Dresden, in Halle und in Hamburg zum 
zweiten Male eingekehrt und schenkt heute unserer Stadt ihren zweiten 
Besuch. SechzigJahre liegen zwischen Einkehr und Wiederkehr, ein 
längerer Zeitraum als bei irgendeiner jener anderen Städte; von den 
Mitgliedern der ersten Basler Versammlung sehen wir heute nur einen 
einzigen unter uns als werten Ehrengast, Herrn Pfarrer D. Samuel 
Preiswerk. 

Im Jahre 1837 war der Plan zur Gründung unseres Vereins in 
Gotha gefaßt und in Göttingen ins Werk gesetzt worden; in Gotha 
aber aufgewachsen und in Göttingen ausgebildet war der Leiter der 
Basler Versammlung von 1847. Franz Dorotheus Gerlach, fast 
sechs Jahrzehnte lang in Basel an Universität, Gymnasium und 
Bibliothek tätig, machte alljährlich seit der Begründung der Philo- 
logenversammlung die damals nicht leichte Reise, gewöhnlich mit 
einem Vortragsmanuskript in der Tasche. Weniger durch sein wissen- 
schaftliches Ansehen, als durch seine urkräftige Persönlichkeit gelang 

Verhandlungen d. 49. Vers, deutscher Philol. u. Schulm. 1 



2 . Erste allgftmeine Versammlung. 

: r ' :"• : 

es ihm, dabei die Fäden zwischen der deutschen philologischen Wissen- 
schaft und seiner zweiten Heimat immer fester zu knüpfen. Neben 
ihm und geistig über ihm stand als langjähriger Amtsgenosse ein 
trefflicher Sohn Basels, der nicht nur in seiner Vaterstadt, sondern 
auch in der Altertumswissenschaft noch jetzt mit Ehren genannt wird, 
Wilhelm Vischer. 

Diese beiden, Gerlach und Vischer, überbrachten gemeinsam 
in Jena die Einladung ihrer Basler Freunde und wurden nach deren 
Annahme selbstverständlich zu Vorsitzenden der Basler Tagung be- 
stimmt. Die Annahme ward rasch beschlossen; hatten ja doch die 
Philologen bisher stets in einem andern der nur locker geeinigten 
Staaten des Deutschen Bundes getagt und dazu stets in deutsches 
Ausland reisen müssen; so folgte man auch dem Rufe nach Basel, 
da alles deutsch sei, wo deutsche Sprache und deutsche Gesinnung 
herrsche. Und die Erwartungen, mit denen die Gäste — darunter 
auch Ludwig Uhland — die Schweizergrenze überschritten, er- 
füllten sich in reichem Maße; denn in ihren Dankesworten hieß es: 
„Basel wird durch das, was uns geboten wurde und wie es geboten 
wurde, von keinem anderen Orte, der uns bisher aufnahm, übertroffen. 44 

Wenige Monate später brauste der Frühlingssturm von 1848 
durch die deutschen Gauen; dann legte sich wieder der Frost auf 
die Blüten, dann keimte neue Hoffnung auf, und dann erstand in 
herrlicher Vollendung das neue Deutsche Reich. Da galt es, die 
Menschen und die Herzen im Norden und im Süden des Mains zu- 
sammenzubringen, und immer neue Städte öffneten sich im Vaterland 
gastlich den Philologen und den Schulmännern, die beim Werk der 
nationalen Einigung wacker das Ihrige getan hatten. So kam es, 
daß sie erst nach vollen vierzig Jahren, 1887, wiederum den Weg 
über die Schweizergrenze, nach Zürich, fanden. Aber heute erfüllt 
sich der dort ausgesprochene Wunsch, daß nicht aufs neue eine so 
lange Frist bis zu dem nächsten Besuch vergehen möge. 

Willkommen, deutsche Philologen und Schulmänner, in Basel 
und in der Schweiz! Wir bieten den Willkommensgruß mit derselben 
Freude und Herzlichkeit, wie es 1847 geschah; doch ein geheimes, 
leises Bangen mischt sich vielleicht in unseren frohen Gruß. Damals 
zog der Philologentag in Basels Mauern ein als jugendfrischer, leicht 
empfänglicher und leicht befriedigter Wanderer; heute kommt er — 
gottlob und den Feinden zum Trotz jugendfrisch wie je, — doch 
wie ein älterer und verwöhnterer, vielerfahrener und kritisch drein- 
schauender Reisender. Damals begrüßte ihn als Rechtfertigung der 
Wahl seines Wanderzieles eine Rede über Gang und Richtung der 
philologischen Studien in Basel während der ersten Hälfte des 



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Eröffnungsrede. 



3 



16. Jahrhunderts. Heute geben wir Ihnen auch noch als Festabzeichen 
das Bild des darin verherrlichten Erasmus, aber müssen der Frage 
gewärtig sein, ob wir denn nur vom alten Ruhme weiterzehrten und 
nichts Neues geleistet hätten in der Fülle der Arbeiten und Errungen- 
schaften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Damals gab der 
folgende Vortrag eine Einführung in die Sammlung mexikanischer 
Altertümer im Museum zu Basel; wollten wir heute — ganz ab- 
gesehen von der Richtung Ihrer Interessen — Ihnen die paar, freilich 
überfüllten Zimmer unserer ethnographischen Sammlung als Erstes 
weisen, Ihnen, denen zuletzt die bedeutendste Hafen- und Handels- 
stadt des Kontinents ihre Schätze wies, — 

spectatum admissi risum teneatis, amici? 

Noch in demselben Jahre 1847, in dem die zehnte Philologenver- 
sammlung in Basel tagte, machte die schweizerische Eidgenossen- 
schaft im Sonderbundskrieg ihre letzte schwerere Krisis durch; seit- 
dem schritt ihre Entwicklung ruhig und stetig fort, innen und außen. 
Je mehr die großen Mächte Erhaltung des Gleichgewichts als sicherstes 
Unterpfand der allgemeinen Kulturentwicklung erstreben, desto mehr 
erkennen sie in der Schweiz ein Vorbild im kleinen für den fried- 
lichen Ausgleich von Unterschieden der Nationalitäten und ein wert- 
volles Mittelglied für ihren eigenen friedlichen Verkehr miteinander. 
Infolgedessen ruft auch die Wissenschaft, die ihrem Wesen nach 
international ist, gern ihre Jünger verschiedenen Stammes und ver- 
schiedener Zunge auf Schweizerboden zusammen, so daß z. B. wir 
Basler mit lebhafter Befriedigung des zweiten internationalen Kon- 
gresses für allgemeine Religionsgeschichte gedenken dürfen, der 1904 
T>ei uns getagt hat. 

Im Innern der Eidgenossenschaft schleifen sich die historisch 
begründeten Besonderheiten der Kantone nur allmählich ab, da keine 
umstürzenden Begebenheiten ihren Untergang beschleunigen; daher 
herrscht auf dem Gebiete des Unterrichtswesens noch große Mannig- 
faltigkeit. Vermutlich erfahren es manche von Ihnen erst aus der 
vom Erziehungsdepartement überreichten Darstellung des Basler 
Schulwesens, daß die Sorge für die höheren Schulen und für die 
Hochschulen ganz und gar den einzelnen Kantonen überlassen bleibt; 
die einzige Ausnahme bildet die Technische Hochschule in Zürich, 
weil sie gleich allen ihren Schwestern erst in neuerer Zeit entstanden 
ist, als das Streben nach Einheit erstarkte. Dagegen sind die Ver- 
suche zur Schaffung einer eidgenössischen Universität oder einer 
schweizerischen Akademie der Wissenschaften bisher gescheitert und 
wohl auch in absehbarer Zeit aussichtslos. Ansätze zur Förderung 
unserer Wissenschaft durch den Bund fehlen nicht; Landesmuseum 

1* 



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4 



Erste allgemeine Versammlung. 



und Landesbibliothek sind entstanden; für die Erhaltung geschicht- 
licher Denkmäler wird eifrig gesorgt, und im Anschluß daran wird 
die einheitliche Erforschung des Landes zur Römerzeit allmählich in 
Angriff genommen, wie die Archäologen in Windisch hören werden; 
mit kräftiger Unterstützung des Bundes wird auf dem Gebiet der 
Dialektforschung in den deutschen wie in den welschen Kantonen 
fruchtbare Arbeit geleistet, wovon Ihnen die berufensten Kenner am 
Freitag Kunde geben werden. Daß die Vertreter des Gesamtvolkes 
mit der Zeit auch solche Aufgaben des Staates zu den ihrigen rechnen 
werden, die nicht unmittelbaren praktischen Nutzen versprechen, 
dafür bietet eine wertvolle Bürgschaft die bereitwillige und reiche 
Unterstützung, die der Hohe Bundesrat unserer heutigen Tagung 
gewährt hat. Ihm dafür öffentlich zu danken, ist eine gern erfüllte 
Pflicht. 

Im ganzen aber sind es ausschließlich die einzelnen Kantone, 
denen die Sorge für das höhere Schulwesen und für unsere Wissen- 
schaften obliegt; daraus ergeben sich helle wie dunklere Seiten ihrer 
Lage. In Basels Geschichte erstrahlt besonders hell ein Ereignis, 
das beinahe gleichzeitig mit der Gründung der Philologenver 
Sammlungen ist: Wie nämlich Basel, durch die Trennung von Stadt 
und Landschaft aufs schwerste getroffen, im Jahre 1835 den tapferen 
Entschluß faßte, an seiner altehrwürdigen Universität in aller Not 
festzuhalten. Herabgedrückt zu einem der denkbar kleinsten Staats- 
wesen, beschränkt auf die eigene Bannmeile, auf kaum ein Zehntel 
des bisherigen Gebiets und auf nur ein Drittel des bisherigen Staats- 
vermögens, eine Stadt von 23 000 Einwohnern, faßte es diesen Ent- 
schluß noch dazu in denselben Jahren, in denen Zürich und Bern 
ihre Universitäten gründeten, die doch den Bedürfnissen der deutschen 
Schweiz allein schon völlig zu genügen versprachen. Nur aus seiner 
eigenen Kraft hätte der Staat die Erhaltung und zugleich zeitgemäße 
Umgestaltung der Universität kaum durchführen können, wenn sich nicht 
auch auf diesem Gebiete die Opferwilligkeit der Bürger betätigt hätte 
in einer vorbildlichen Weise, die an die antike Polis in ihrer besten 
Zeit erinnert. Bis zum heutigen Tage wäre Basels geistiges Leben, 
soweit es von der Universität ausgeht, undenkbar ohne die starke 
materielle Hilfe der damals entstandenen Freiwilligen akademischen 
Gesellschaft; auch wir sind ihr zu Dank verpflichtet und freuen uns, 
sie unter unseren Ehrengästen vertreten zu sehen. Wie kräftig sich 
unmittelbar nach der politischen Katastrophe in Basel geistiges Leben 
regte, zeigt die Gründung eines anderen Vereins in denselben Jahren, 
der Historischen und antiquarischen Gesellschaft. Gern gedenke ich 
auch ihrer, zumal wegen ihrer Verbindung mit der Altertumswissen- 



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Eröffnungsrede. 



5 



Schaft; dem Philologentag von 1847 hat sie davon Bericht erstattet, 
wie weit die Erforschung der Mutterstadt Basels, Augusta Rauracorum, 
gediehen sei; wenngleich noch nicht der heutigen, so kann sie viel- 
leicht einer künftigen Philologenversammlung davon berichten, daß 
sie im Frühling 1907 den Spaten dort wiederum kräftig und erfolg- 
reich angesetzt hat. 

Die Erneuerung der Universität im Jahre 1835 mußte natür- 
lich mit den knappen Mitteln rechnen. Es ging nicht an, die höhere 
und die höchste Bildungsanstalt voneinander zu trennen, sondern die 
Lehrer mußten sich für beide verpflichten. Schon vorher waren 
Gerlach und Wilhelm Wackernagel aus Deutschland zunächst als 
Lehrer ans Basler Pädagogium berufen worden; die Universität 
stand neben dem Gymnasium beinahe in zweiter Reihe. Noch jetzt 
ist die Bestimmung unseres Universitätsgesetzes nicht förmlich auf- 
gehoben, daß den Professoren der philosophischen Fakultät ein Teil 
ihres Unterrichts am Pädagogium oder an der Gewerbeschule an- 
gewiesen werden könne. Wenn kürzlich einer von unseren Amts- 
vorgängern wegen seiner Doppeltätigkeit an Universität und Schule 
als ideale Verkörperung ihres Bundes gerühmt wurde, so darf ähn- 
liches von jedem ordentlichen Professor philologischer Fächer in Basel 
bis gegen 1890 gesagt werden. Gerlach, Vischer, Wackernagel, die 
durch Dezennien die Mittelpunkte des wissenschaftlichen Lebens 
waren, bildeten als ihre Schüler hier heran zu ihren Kollegen und 
Nachfolgern Männer wie Karl Ludwig Roth, Jakob Mähly, Heinrich 
Geizer, Franz Misteli, Albert Socin, Wilhelm Vischer den Sohn und 
vor allem Jakob Burckhardt. Aus Deutschland kamen für kürzere 
oder längere Zeit an die Seite dieser Basler Adolf Kießling, Otto 
Ribbeck, Gustav Teichmüller, Moritz Heyne und, der hier aus dem 
Philologen zum Philosophen wurde, Friedrich Nietzsche; sie alle und 
manche der Lebenden haben des doppelten Amtes gewaltet. 

In ihren Namen offenbart sich Basels dauernde Verbindung mit 
der deutschen philologischen Wissenschaft; von vielen anderen Namen, 
deren Träger entweder von hier an deutsche Hochschulen gegangen 
oder von dort hierher gekommen und wieder dorthin zurückgekehrt 
sind, nur drei: Gekommen, aber nicht zurückgekehrt, weil vorzeitig 
für immer weggegangen, sind Rudolf Kögel, Ferdinand Dümmler, 
Johannes Töpffer. Die übrigen weilen zu unserer Freude noch unter 
den Lebenden und zu unserer besonderen Freude meistens sogar heute 
wieder in unserer Mitte, um zu bekunden, daß sie gern in Basel ge- 
weilt und gewirkt haben. 

Und doch sind sie gegangen, weil ihnen Basel nicht das bieten 
konnte, was die Hochschulen des Deutschen Reiches bieten können. 



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6 



Erste allgemeine Versammlung. 



Gewiß, Basel ist in den letzten 70 Jahren gewachsen und gediehen, 
so daß sich seine Bevölkerung inzwischen verfünffacht hat. Aber 
entsprechend stiegen auch die mannigfachen Ansprüche und For- 
derungen der neuen Zeit mit erschreckender Schnelligkeit, während 
der sprichwörtliche alte Basler Reichtum zu seinem Wachstum Jahr- 
hunderte gebraucht hat. Das Unterrichtswesen ist des Staates vor- 
nehmste Sorge und beansprucht den vierten Teil seiner gesamten 
Einkünfte. Auch auf diesem Gebiete steigen die Ansprüche unauf- 
haltsam. In der Gegenwart wird ja so vielfach fast alles Bestehende 
im Schulwesen als veraltet und verrottet bekämpft und hier diese, 
dort jene Änderung, Neuerung, Verbesserung als unumgänglich 
empfohlen oder gefordert. Wo die Mittel in reichster Fülle zuströmen, 
da darf und da muß man es wagen, Vorschläge zu hören, Versuche 
zu machen und Verluste zu tragen, wenn es auch immer die höchste 
Verantwortung bleibt, zu experimentieren mit dem Stoff, der als der 
edelste wie als der bildsamste der Menschheit anvertraut ist, mit dem 
eigenen kommenden Geschlecht. Bei beschränkten Mitteln und auf 
engem Raum ist die Verantwortlichkeit doppelt groß. Da ist es 
nicht möglich, erst alles zu prüfen, um schließlich das Beste zu be- 
halten; da ist es oft geboten, das Langerprobte, Altbewährte zu 
stärken und auszubauen, nicht jedem ungestümen Drängen nach Um- 
sturz des Alten eilig nachzugeben und in der schnellen Aufnahme 
des Neuen, auch des vielverheißenden Neuen, mit anderen zu wett- 
eifern, die einen Fehlschlag leichter verschmerzen. „Es macht sich 
ja zurzeit" — so las ich kürzlich in einer weitverbreiteten Zeit- 
schrift — „eine gewisse Strömung bemerkbar gegen das Philologen - 
tum als einen zu überwindenden Bestandteil im Wesen deutscher 
Kultur, und eine andere Strömung mehr für praktische Bildung einer- 
seits und für künstlerische Erziehung anderseits." Ob dem so ist, 
das werden unsere deutschen Gäste uns sagen können; doch wenn es 
selbst so sein sollte, so brauchen wir in Basel noch nicht der Strö- 
mung der Zeit voranzueilen, sondern müssen ihre Stärke und ihre 
Dauer ein wenig abwarten. Denn vorläufig ist in den Umwälzungen 
des wirtschaftlichen Lebens, des Erwerbs und des Verkehrs Basels 
Handel und Industrie gesund und aufrecht geblieben, obgleich seinen 
führenden Männern die Vaterstadt kaum eine praktischere höhere 
Bildung zu bieten vermochte, als die des humanistischen Gymnasiums 
und der Aulavorträge Jakob Burckhardts. Und vielleicht steht der 
künstlerisch gebildete moderne Jüngling, der droben im Böcklinsaal 
unseres Museums vor der Rückenansicht eines Mannes im blauen 
Mantel klug von Zeichnung und Farbe zu reden versteht, doch 
nicht gar zu hoch über dem altmodisch erzogenen, dem vielmehr 



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Eröffnungsrede. 7 



beim ersten Anblick eine Reminiszenz an die Schulbank durch den 
Sinn geht. a faccQ 'OdvGOtvg 

Üptvog *cci vxmvhv ccno&Qcbaxovttt vorjGca 

r^g yalt\g ftctvUiv tfisigstcci. 

Zurückbleiben soll und wird die Entwicklung des höheren Schul- 
wesens in Basel gewiß nicht; kein Stillstand, aber auch keine Über- 
stürzung ist das Rechte. Wenn beispielsweise vor einigen Jahren 
versucht wurde, neben der einen alten Hochschule eine zweite zu er- 
richten von einer Gattung, die auch im Deutschen Reiche erst seit 
einem Jahrzehnt erprobt wird, so war die Sparsamkeit des Volkes, 
die das Gesetz verwarf, am rechten Platz. Daß sich damals aber 
die alte Hochschule erbot, den neuen dringenden Bedürfnissen ihrer- 
seits abzuhelfen bei einer verhältnismäßig geringen Stärkung der 
eigenen Kraft, das ist ihr freilich bis heute nur ins Guthaben ge- 
schrieben worden; und doch war und ist gerade diese Kräftigung 
zugleich für ältere dringende Bedürfnisse unerläßlich, für die der 
Lehrerbildung. 

So viel, verehrte Gäste, glaubte ich Ihnen von meinem Stand- 
punkt aus über die hiesigen Verhältnisse andeuten zu dürfen, um 
unsern, des Ortsausschusses Dank für Ihr Erscheinen zu begründen. 
Für die Wahl unserer Stadt oder überhaupt einer Schweizerstadt 
zum Ort eines internationalen Kongresses fallt stark ins Gewicht die 
geographische Lage inmitten der großen Nationen. Eine deutsche 
wissenschaftliche Versammlung stellt durch dieselbe Wahl unserer 
Stadt ein ehrenvolles Zeugnis aus, daß in ihr, wo Desiderius Eras- 
mus und Hans Holbein, wo Arnold Böcklin und Jakob Burckhardt 
gewirkt haben, auch weiterhin in bescheidenen Grenzen, doch in red- 
licher Pflichterfüllung gearbeitet werde für deutsche Wissenschaft 
und deutsche Kultur. Die Wissenschaft kennt allerdings keine poli- 
tischen Grenzen, aber die Schule ist national und muß es bleiben; 
gerade dadurch, daß unsere Versammlungen Schulmänner und Philo- 
logen umschließen, vereinigen sie auch von alters her Deutsche und 
Angehörige anderer Nationen, so daß gleichartige internationale Kon- 
gresse bis in die neueste Zeit kaum vermißt wurden. Allen unsern 
werten Gästen, deutscher und fremder Zunge, sei darum schon mit 
dem ersten Gruße auch unser Dank dargebracht, am meisten denen, 
die nicht nur zum Hören, sondern auch zum Lehren gekommen sind. 
Von hier werden ihre Worte und Lehren ins Land hinausgehen und 
gleich dem Samenkorn, das der Wind davonträgt, in der Ferne 
Wurzel schlagen und Frucht bringen; wir hoffen, daß auch auf unserm 
eigenen Boden recht viel davon haften bleibt. 



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8 



Erste allgemeine Versammlung. 



Als wir daran gingen, für unsere heutige Zusammenkunft zu 
werben, da kam uns die ganze Schwöre der übernommenen Aufgabe 
erst klar zum Bewußtsein. Trotz ihres Alters hat die Philologen- 
versammlung ein gar lockeres Gefüge; keinerlei Akten und Anwei- 
sungen wandern von der einen zur andern außer denen, die in den 
gedruckten Verhandlungen niedergelegt oder durch die Liebenswürdig- 
keit der letzten Vorgänger zur Verfügung gestellt werden; ohne Er- 
fahrung muß der vorbereitende Ausschuß seine Maßnahmen treffen. 
Die Aufgabe ist für uns dadurch nicht leichter geworden, daß gerade 
nach der Hamburger Tagung beachtenswerte Vorschläge zur Reform 
der Philologenversammlung laut wurden; indem wir als die ersten 
solche Vorschläge auf ihre praktische Durchführbarkeit zu prüfen 
hatten, erwuchs uns eine weitere Verantwortlichkeit. Nicht jeder 
Anregung und jedem Rate konnten wir Gehör schenken; manche 
wohlerwogene Anordnung wurde durch bedauerlichen Zufall, durch 
unvorhergesehene Absage in letzter Stunde durchkreuzt. Wir haben 
jedes Zusammenfallen von allgemeinen und Sektionssitzungen aus- 
geschlossen und die Zahl jener verringert, die Zeit für diese ver-i 
längert; ob die Anstrengung für die Teilnehmer dadurch zu groß 
wird, muß sich zeigen. Wir haben, da die Zahl der Vorträge 
für die allgemeinen Sitzungen nun ebenfalls vermindert werden 
mußte, nur solche zugelassen, die den aufgestellten Forderungen zu 
entsprechen, der Mannigfaltigkeit der hier vertretenen Wissenschaften 
und der Einheitlichkeit der Bestrebungen Rechnung zu tragen schienen. 
Daß wir bei solcher Beschränkung manchem in allgemeiner Sitzung 
das Wort versagen mußten, hat uns schwere Vorwürfe, sogar in der 
Öffentlichkeit, zugezogen; darum erklären wir, daß nur streng sach- 
liche Gründe in allen solchen Fällen uns geleitet haben, und daß 
wir berufenen Richtern, von Ihnen berufenen Richtern, Rechenschaft 
davon zu geben uns nicht scheuen würden. 

Uns selbst ging mehr zu Herzen als solche Beschuldigungen 
eine andere Klage und Frage, die aus Lehrerkreisen seit einem Jahre 
zu uns dringt: der Terrain der Basler Versammlung. Seien Sie alle, 
die Sie diese Klage und Frage erhoben oder vernahmen, dessen ver- 
sichert, daß uns keine zweite häufiger und gründlicher beschäftigt 
hat, daß es an unserm guten Willen nicht gelegen hat, wenn viele 
Wünsche unerfüllt geblieben sind. * Wir danken daher aufrichtig den 
Hohen Kultusministerien und Unterrichtsverwaltungen von Preußen 
und Österreich, von Sachsen und Württemberg, Baden und Elsaß- 
Lothringen, die unsere Bitte, durch Urlaubserteilung außerhalb der 
Schulferien den Besuch unserer Versammlung zu begünstigen, aufs 
entgegenkomm enste gewährt haben; wir bitten die hier anwesenden 



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Eröffnungsrede. 



9 



Herren Vertreter der beiden Nachbarstaaten, diesen Dank zugleich mit 
dem für ihr persönliches Erscheinen entgegenzunehmen; unsern Nach- 
folgern aber wünschen wir, daß sie bei der Lösung des Problems 
„Termin der Versammlung" glücklicher sein mögen, als wir — und 
manche der Vorgänger, mit denen wir uns trösten müssen. 

Zum Schluß der größte Dank, den jetzt schon auszusprechen 
Ehrenpflicht ist, der Dank an die, die uns bis jetzt am meisten ge- 
holfen haben, an die Hohe Regierung und die Bürgerschaft der Stadt 
Basel! Was beide für uns getan haben, die Behörden, deren höchste 
Spitzen uns heute die Ehre persönlicher Teilnahme schenken, und 
die vielen Freunde der Wissenschaft und der Schule aus den ver- 
schiedensten Kreisen der Bevölkerung, das braucht jetzt nicht aus- 
führlicher gesagt zu werden, weil es jedem bald offenbar werden soll. 
Wir rufen nur zu des Tages Arbeit; sie aber laden abends die Gaste 
und rüsten das Fest. Mit dem Wunsche, daß wir zur guten Stunde 
uns finden in Arbeit und in Geselligkeit, erkläre ich die 49. Ver- 
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner für eröffnet. 

Übungsgemäß schloß sich an diese mit warmem Beifall auf- 
genommene Rede die Wahl der Schriftführer für die allgemeinen 
Sitzungen; als solche wurden nach dem Vorschlag des Präsidiums 
bestimmt: Bibliothekar Dr. Ryhiner aus Basel, Privatdozent 
Dr. Schaer- Krause aus Zürich, Dr. Schiff aus Berlin und Gym- 
nasiallehrer Dr. Usteri aus Burgdorf. 

Darauf sprach Regierungspräsident Dr. H. David folgende 
Worte: 

Der Regierungsrat hat mir den ehrenvollen Auftrag gegeben, 
die Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, Sie alle, 
geehrte Herren, als die hervorragenden Vertreter deutscher Wissen- 
schaft, im Namen der Behörden auf das herzlichste in Basel will- 
kommen zu heißen. Wir glauben in der liebenswürdigen Entschei- 
dung, in unserer Vaterstadt zu tagen, die Erwartung ausgesprochen 
zu finden, daß Sie bei uns einer der Ihren verwandten und gleich- 
gearteten Begeisterung für die Ziele, die Ihre Vereinigung verfolgt, 
begegnen werden. 

Ich hoffe gern, daß Sie in dieser Erwartung nicht getäuscht 
werden. Deuten Sie es wohl als Uberhebung, für diese Hoffnung 
auf die Gegenwart die Vergangenheit als Zeugen aufzurufen und 
darauf hinzuweisen, daß Sie in Basel auf einen während Jahrhun- 
derten durch Gelehrsamkeit und Fleiß wohlgepflegten Boden treffen 
werden, weshalb die Möglichkeit gegeben ist, daß die Anregungen, 
die Sie ausstreuen, auch bei uns bald zur reifen Frucht werden ? 
Doch wohl nicht. Denn Ihr forschender Geist liebt den Nachweis 



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10 Erste allgemeine Versammlung. 



solcher Zusammenhänge; Ihnen ist es geläufig, in der Gegenwart die 
Spuren großer Vergangenheit und in der Zeit nur den äußeren 
Rahmen zu sehen, der die Üherfülle gesetzmäßigen Geschehens um- 
spannt. Gerade Sie, geehrte Herren, Sie, die Vertreter der Wissen- 
schaft des Wortes, der Sprachwissenschaften, sehen in allem, was 
Sie beschäftigt, Werden, Wandeln und Vergehen. Für Sie ist das 
Wort, das gleichgültig von den Lippen fällt, Leben, Leben, dessen 
Ursprung aus weiter, dunkler Ferne Sie zu erforschen suchen, dessen 
im Strome der Sprachgemeinschaft sich ändernde Formen Sie nach- 
zubilden wissen, dessen Schicksale im heimeligen Winkel einer stillen 
Mundart Sie uns zu erzählen verstehen. ' 

Für Sie wird das Wort zum bedeutsamen Ereignis, das Sie 
deuten, werten und wägen, wägen im eindringlichen Gedankengang 
des Denkers, im tiefsinnigen Gleichnis des schöpferischen Dichters. 
Und unvermerkt führen Sie den, der Ihnen folgt, in die Werkstatt« 
des wirkenden Menschengeistes. Wer Ihnen folgt, zieht mit Ihnen 
die steilen Wege zu klarer Erkenntnis, wandelt mit Ihnen auf den 
blumigen Pfaden im Reiche unvergänglicher Schönheit. 

Wohl dem Staatswesen, das Ihre Arbeiten zu fördern das Glück 
hat und zu fördern weiß! Denn Sie errichten über dem unvermeid- 
lichen Getrieb und Getu des täglichen Marktes die ehernen Tafeln, 
auf denen mit unauslöschlichen Lettern die unvergänglichen Ideale 
der Bildung eingegraben sind. 

Seien Sie uns daher willkommen als Vertreter der deutschen 
Wissenschaft! Glauben Sie uns, daß Sie hier Geistesverwandtschaft, 
daß Sie hier Männer finden werden, die allen Eifer daran setzen, Sie 
und Ihre Arbeit zu verstehen ! Die deutsche Wissenschaft, — neidlos 
ist dies anerkannt — hat stets, bei aller Wahrung und Pflege deutscher 
Eigenart und Wissenskraft, die Universalität wissenschaftlicher Er- 
kenntnis festzuhalten gewußt, und festzuhalten gewußt, daß auf allen 
Gebieten die Wahrheit, soviel wir von ihr zu erkennen vermögen, 
allgemeines Gut aller auf das Gute gerichteter Menschen ist. 

Um so willkommenere Gäste werden Sie daher uns Schweizern 
sein, die wir gewohnt und verpflichtet sind, auf drei Sprachen zu 
hören, also aus praktischen Gründen uns genötigt sehen, täglich und 
im kleinen uns mit einem Stück Universalität abzufinden. 

Unser Willkommgruß gilt nicht weniger den geehrten Vertretern 
der deutschen Schule, der getreuen Schwester der deutschen Wissen- 
schaft Sie ringen mit denselben Problemen wie wir. Auch Sie 
müssen immer auf das neue die Elemente prüfen, abwägen, gegen- 
seitig ins Gleichgewicht oder in das richtige Verhältnis setzen, die 
dem jungen Mann als Voraussetzung allgemeiner Bildung nötig sind. 



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Begrüßungsreden . 



11 



Auch Sie werden immer wieder vor die schwierigen Entschei- 
dungen gestellt werden, wie das Alte und Gute erhalten, das Neue 
und Notwendige mit Gewinn eingefugt und vor allem dafür Sorge 
getragen werden kann, daß die geistige, moralische und körperliche 
Kraft des heranwachsenden Geschlechtes harmonisch zur Entwicklung 
gelangt. Die deutsche Schule gilt als die Mitbegründerin deutscher 
Einheit und Größe. Wir glauben es. Wir haben keine ähnlichen 
machtvollen Ereignisse in unserem Staatenleben zu erwarten. Allein 
wir hoffen, daß, ähnlich wie Ihrer Heimat, auch unserem Lande 
durch die Fürsorge für Wissenschaft und Schule die geistige und 
moralische Kraft in der Zukunft erhalten und gemehrt werde. 

Im Namen unserer Behörde, für die ich zu Ihnen zu sprechen 
die Ehre habe, wünsche ich, daß die Arbeit auf dem Boden einer 
Ihnen befreundeten Stadt Ihren heimischen Einrichtungen zum Segen 
gereichen und daß Sie auch für uns Anlaß zu mannigfaltigen frucht- 
baren Anregungen werden möge. Ich wünsche, daß Sie Männer 
treffen mögen, die Sie Ihrer Freundschaft würdig finden und vor 
allem, daß Sie, in Ihre Heimat zurückgekehrt, unserer Vaterstadt 
mit freundlichen und dauernden Erinnerungen gedenken mögen. 

Den Gruß der Universität entbot deren Rector magnificus Prof. 
Dr. J. Meier in folgender Ansprache: 

Hochansehnliche Versammlung! 

Aus berufenem Munde ist Ihnen schon der herzliche Willkomm 
entgegengebracht worden, den Ihnen Regierung und Volk von Basel 
entbietet. Aber ich glaube, in diesem vielstimmigen Chor hat Basels 
Universität doch Recht und Pflicht, sich noch gesondert vernehmbar 
zu machen; ist Basel doch die erste deutsche Hochschule gewesen, 
die eine ständige bezahlte Professur der Philologie dem Lehrkörper 
der Universität einverleibte, als sie im Jahre 1474 Johann Matthias 
von Gengenbach die Aufgabe übertrug, täglich eine Stunde in den 
freien Künsten und eine in der Poesie zu lesen. Und Basel hat auch 
weiter eine wichtige und bedeutsame Rolle in der Entwicklung des 
Humanismus, in der Begründung der Philologie als Wissenschaft, 
wie Ihnen allen bewußt ist, gespielt. Daß auch in späteren Jahr- 
hunderten, in moderner Zeit die Hochschule ihren alten Traditionen 
treu geblieben ist, hat Ihnen die Reihe bedeutender Namen bewiesen, 
die Ihnen eben erst aus dem Munde Ihres Präsidenten entgegen - 
geklungen ist 

Wenn jede wissenschaftliche Versammlung, einerlei welchen 
Faches sie ist, aut das Interesse einzelner Fakultäten und Glieder der 



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12 



Ente allgemeine Versammlung. 



Hochschule Ansprach machen darf, so ist bei Ihrem Kongreß die 
Universität als Gesamtkorporation in hervorragendem Maße in- 
teressiert. Wohl ist ja seit langem die alte Artistenfakultät, die als 
propädeutische Fakultät den Durchgang für Studierende aller Fächer 
bildete, untergegangen. Aber zum Teil sind ihre Aufgaben doch noch 
der philosophischen Fakultät geblieben, zum Teil von den obersten 
Klassen der Mittelschulen übernommen. Für die Lehrerbildung kommt 
immer noch die Philosophenfakültät ausschließlich in Betracht, und 
durch die mehr oder weniger genügende Erfüllung dieser Auf- 
gabe wirkt sie bestimmend auf die Bildung des jungen Nachwuchses 
ein, der zum Studium der verschiedensten Fächer die Universität 
bezieht. Die Gesamtuniversität aber hat das stärkste Interesse daran, 
gut vorgebildete Schüler als Studierende zu erhalten. Es ist dies 
lür sie eine Sache der größten Wichtigkeit, und deshalb sind es ge- 
rade die Fragen der Lehrerbildung, denen Sie ja einen großen Teil 
Ihrer Verhandlungen widmen wollen, an denen auch die gesamte 
Hochschule aufs lebhafteste interessiert ist, während die Lösung der 
verschiedenartigen wissenschaftlichen Probleme mehr die Teilnahme 
der speziellen Fachgelehrten in Anspruch nimmt. 

Wir haben den lebhaften Wunsch, daß Ihre Verhandlungen 
glücklich und erfolgreich sich gestalten mögen, und erhoffen vor allem 
auch, daß das Band zwischen Wissenschaft und Schule durch sie 
noch immer fester und inniger geknüpft wird. Denn auf dieser 
engen Verbindung mht die Zukunft der deutschen Schule. 



Der Vorsitzende sprach beiden Rednern den Dank der Ver- 
sammlung aus und fuhr fort: 

Nach alter guter Sitte gedenken wir, bevor wir an unsere Arbeit 
gehen, der Arbeitsgenossen, die seit unserer letzten Zusammenkunft 
von uns geschieden sind. Lang ist der Namen Reihe, und der sie zu 
nennen hat, kann nicht jedem den Ruhm geben, der ihm gebührt. 
Doch dem einzelnen Hörer wird dieser oder jener Name besonders 
zu Herzen sprechen und liebe Erinnerungen wecken; auch manches 
Ungenannten Andenken wird sich dabei denen erneuern, die ihn 
kannten und schätzten. 

Unter den klassischen Philologen stehen mit Fug und Recht an 
der Spitze vier Männer, deren jeder einmal eine unserer Versamm- 
lungen geleitet hat: Hermann Usener (21. X. 05), Präsident der 
Wiesbadener Tagung von 1877, Wilhelm von Christ (8. II. 06), der 
Münchener von 1891, Wilhelm von Härtel (14. I. 07), der Wiener 
von 1893, Wilhelm Dittenberger (29. XU 06), der Hallenser von 



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Nekrolog. 



13 



1903. Härtel ist einer der Unsern geblieben, auch als er den Lehr- 
stuhl mit dem Ministersessel vertauscht hatte; Usener steht uns le- 
bendig und unvergänglich vor Augen, hier in Basel noch vor drei 
Jahren beim internationalen religionswissenschaftlichen Kongreß 
unser wertester Gast aus deutschen Landen. Nur wenige Monde 
nach Dittenberger sank sein nächster Hallenser Kollege Friedrich 
Blaß ins Grab (3. IQ. 07) und nicht lange nach Christ in jüngeren 
Jahren sein Münchener Genosse Ludwig Traube (19. V. 07). Zu 
diesen Universitätslehrern seien aus den Kreisen der Schulmänner 
gestellt Friedrich Hultsch (6. IV. 06), dessen Andenken der erste 
Vortrag der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion gewidmet 
sein wird, und Hugo Stadtmüller (25. I. 06). 

Die Archäologie beklagt vor allem den Tod Otto Benndorfs 
(2. 1. 07), eines der großen Organisatoren wissenschaftlicher Arbeit 
in Österreich; sie gedenkt August Preuners (15. IX. 06) und Karl 
Diltheys (5. in. 07), sowie Hans Grävens (4. XI. 05), der noch vor 
seinem Lehrer Dilthey uns, seinen Freunden, und der Wissenschaft 
allzufrüh entrissen wurde. Sprachwissenschaft und orientalische 
Philologie vertraten Theodor Aufrecht (4. IV. 07), Friedrich van 
Spiegel (15. XII. 05), Moritz Steinschneider (1. II. 07) als ehrwürdige 
Veteranen, außerdem Ferdinand Justi (17. II. 07) und Konrad Keßler 
(2. Xn. 05), der auch an unserm religionsgeschichtlichen Kongreß 
lebhaften Anteil genommen hat. Fast zu den Söhnen unserer Stadt 
darf der dahingegangene Vertreter der alten Geschichte in Jena ge- 
zählt werden, Heinrich Geizer (11. VII. 06); neben ihm sei Georg 
Friedrich Unger genannt (12. X. 06), dann der Philosoph Jakob 
Freudenthal (3. VI. 07) und die Juristen Moritz Voigt (6. XI. 05) 
und Wilhelm Leist (31. XII. 06), die mit liebevollem Fleiß an der 
Erforschung des klassischen Altertums teilgenommen haben, und der 
von der Theologie ausgegangene Geschichtschreiber des Volkes Israel 
Bernhard Stade (6. XII. 06). 

Wollen wir aber hier auch einen Blick auf die Kirchengeschichte 
werfen, die gerade infolge vielfacher Wechselbeziehungen zur Philo- 
logie herrlich aufblüht, so erscheinen kaum anderswo die Reihen in 
diesen Jahren stärker gelichtet: Es genügt, an Oskar von Gebhardt 
(10. V. 06), Adolf Hilgenfeld (12. 1. 07), Wilhelm Wrede (22. XI. 06) 
und Otto Zöckler (9. IL 06) und an Franz Xaver von Funk (24. m. 07) 
zu erinnern. Aus der großen Zahl der Historiker des Mittelalters 
und der Neuzeit seien nur wenige genannt: Ernst Berner (12. X.05), 
Wühelm von Heyd (19. II. 06), Theodor Ludwig (16. X. 05), 
Friedrich von Weech (17. XI. 05), Hans von Zwiedineck-Südenhorst 
(22. XI. 06), ferner der Numismatiker Hans Riggauer (5. IV. 07) 



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14 



Erste allgemeine Versammlung. 



und die berühmten Geographen Ferdinand von Richthofen (6. X. 05) 
und Alfred Kirchhoff (8. VI. 07). 

Unter den Vertretern germanistischer Wissenschaft und deutscher 
Literaturgeschichte steht in Basel vornehmlich in gutem Andenken 
Moritz Heyne (1. III. 06); sein Los teilten in diesem Biennium 
Oskar Schade in Königsberg (30. XII. 06), Ernst Wilhelm Förste- 
mann (6. XI. 06) und Adolf Stern (14. IV. 07) in Dresden, der Vor- 
kämpfer für die noch junge Wissenschaft der Volkskunde Adolf Strack 
in Gießen (16. VI. 06) und die Lehrer der romanischen Philologie 
Eduard Böhmer, früher in Straßburg (5. II. 06), und Jakob Ulrich 
in Zürich (6. IX. 06). 

Nicht unerwähnt sollen bleiben die unzünftigen Gelehrten Eduard 
Grisebach (22. III. 06) und Eduard von Hartmann (5. VI. 06), nicht 
Kuno Fischers glänzende Erscheinung (5. VII. 07) und nicht — 
einer für viele aus den Kreisen des uns so vielfach verbundenen 
deutschen Buchhandels — Karl Trübner (2. VI. 07). 

Zum letzten Male erstattete in Hamburg Karl Kehrbach 
(21. X. 05) seinen regelmäßigen Bericht über die Monumenta Ger- 
maniae Paedagogica; gleich ihm ist auch der eine Vorsitzende der 
Hamburger pädagogischen Sektion noch in demselben Jahre dahin- 
gegangen, Ernst Schlee (6. XII. 05). Von anderen Schulmännern und 
Pädagogen nur eine kleine Auswahl: Hermann Deiters (U.V. 07), 
Peter Dettweiler (11. VI. 07), Viktor von Kraus (3. XI. 05), Karl 
Leimbach (30. XII. 05), Paul Eduard Vogt in Kassel (24. XI. 05) 
und Theodor Vogt in Wien (10. XL 06), Oskar Weißenfels (4. VII. 06 ). 

Genug der Namen! Sie sind für uns kein leerer Schall, sondern 
sie leben fort. „Vita enim mortuorurn u , rief Cicero kurz vor dem eigenen 
Ende, „in memoria est posita vivorutn". Und so bitte ich Sie, sich zu 
erheben in treuem Gedenken zu Ehren unserer Toten. 

Ferner machte der Vorsitzende davon Mitteilung, daß die Weid- 
mannsche Verlagsbuchhandlung der Versammlung eine Gabe 
von 1000 Mark für wissenschaftliche Zwecke gestiftet hat. Eine 
Kommission, bestehend aus den Herren Diels, Leo, Reitzenstein, 
Schwartz, Wendland, Wissowa, aus den beiden Obmännern der 
philologischen Sektion Schoene und Oeri und den beiden Vor- 
sitzenden Münzer und Schäublin, wird über die Verwendung Be- 
schluß fassen. Der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung soll tele- 
graphisch der Dank der Versammlung ausgesprochen werden. (Das 
Telegramm hat folgenden Wortlaut: Weidmannsche Verlagsbuch- 
handlung Berlin Zimmerstraße 94. Die in Basel tagende 49. Ver- 
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner spricht Ihnen für 
Ihre hochherzige Stiftung, die im Geiste der wissenschaftlichen Tra- 



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Vortrag Finaler. 



15 



dition Ihres Verlages Verwendung finden wird, herzlichsten Dank aus. 
Münzer. Schäublin.) 

Der erst« Redner Rektor Dr. G. Finsler (Bern) sprach hierauf 
über das Thema: „Homer in der Renaissance". 1 ) Den Ruhm, 
den dem Mittelalter unbekannten Homer für das Abendland wieder- 
gewonnen zu haben, nahm im 15. Jahrhundert das gebildete Florenz 
der Mediceer in Anspruch. Zwar waren schon im 14. Jahrhundert 
Petrarca und Boccaccio bestrebt gewesen, sich Über den Inhalt der 
Gedichte zu unterrichten. Die lateinische Prosaübersetzung des Leonzio 
Pilato war eine Frucht dieser Bemühungen. Aber in der Tat wurde 
Homer in Italien erst heimisch, als man Griechisch zu lornen begann; 
Leonardo Bruni und Carlo Marsuppini begannen Homer zu über- 
setzen, letzterer auf den Wunsch des Papstes Nikolaus V. Eine voll- 
ständige Prosaübersetzung besitzen wir von Lorenzo Valla und Fran- 
cesco Aretino. Von besonders eifrigem Studium Homers zeugt Ba- 
sinis großes Gedicht Hesperis, in dem der junge Dichter, gleich 
Virgil, Italien ein homerisches Epos schenken wollte. Am Hofe Lo- 
renzos weilte der Dichter Polizian, in dem sich die Liebe zur Antike 
mit edler italienischer Form verband. Er setzte Marsuppinis Arbeit 
fort. Seine Ambra ist ein wahres Preislied auf Homer. 

Das 16. Jahrhundert kennzeichnet das Eindringen der poetischen 
Theorie. Hieronymus Vida schrieb eine „Poetica" im Anschluß an 
Horaz, eine Anleitung zur Abfassung eines lateinischen Epos. Auf 
Leos X. Wunsch verfaßte er selbst das schöne Epos Christias, eine 
Verherrlichung der Passion mit stark kirchlicher Färbung, in dem 
Homers Einfluß überall hervortritt. Zu gleicher Zeit wird Aristoteles' 
Poetik bekannt und erringt die unbedingte Herrschaft. Die lateinische 
Poesie der Humanisten und Kleriker stirbt ab. Trissino in seiner 
„Italia liberata da' Gotti", das den Sieg der Rechtgläubigen über die 
Ketzer verherrlicht, bedient sich des Italienischen, folgt aber sklavisch 
den aristotelischen Regeln und dem homerischen Vorbild. Seine Miß- 
achtung des italienischen Rittergedichts, besonders Ariosts, rief eine 
herbe Polemik zugunsten der nationalen Poesie hervor, in der die 
ersten Angriffe auf Homer, das von Aristoteles aufgestellte Muster, 
laut wurden. Eine Versöhnung der verschiedenen Standpunkte voll- 
zieht sich bei Tasso, der den Homer zum Vorbild nimmt, aber einen 
historischen christlichen Stoff in der Form des Romanzo behandelt. 
Der Streit über den Wert seines Gedichts, verglichen mit Ariost, er- 
streckt sich nach und nach auf alle Epiker und endet in Paolo Benis 

1) Der Vortrag wird vollständig in den Neuen Jahrbüchern für 
das klassische Altertum erscheinen. 



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16 



Erste allgemeine Versammlung. 



Urteil, daß Tasso und Ariost die Alten, besonders den Homer, weit 
überragen. Noch weiter geht Tassoni, der Homer als Muster einfach 
verwirft. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts lebt in Italien die Be- 
schäftigung mit dem Dichter wieder auf. 

Nach einer halbstündigen Pause hielt Prof. Dr. Ed. Schwärt z 
(Göttingen) seinen Vortrag über „Das philologische Problem de* 
vierten Evangeliums"; er fahrte etwa folgendes aus: 

Daß die beiden Zebedäussöhne, Johannes und Jakobus, den 
Märtyrertod gestorben sind, ist durch die Weissagung im Evangelium 
(Mc. 10, 35 ff.) sicher bezeugt. Der Bischof Papias von Hierapolis 
kannte die Überlieferung, daß Johannes und Jakobus von den Juden 
getötet seien, und noch im vierten Jahrhundert beging die Gemeinde 
von Älia-Jerusalem den gemeinsamen Todestag der beiden Märtyrer 
am 26. Dezember. 

Jakobus Zebedäi fiel nach den kanonischen Apostelakten, die 
mehrfach überredigiert sind, als Opfer der Verfolgung, mit der 
Agrippa I. im Frühjahr 44 die Urgemeinde zersprengte. Damals ist 
auch Johannes gestorben; sein Name ist bei der letzten Überarbei- 
tung der Apostelakten getilgt. Kurz vorher war Paulus mit ihm 
und den beiden anderen „Säulen" der Urgemeinde, Petrus und dem 
Herrenbruder Jakobus, zusammengekommen, um über die Frage der 
vom Heidentum Bekehrten zu konferieren. 

Der Apostel Johannes, der bis in die Zeiten Trajans in Ephesus 
gelebt haben soll, ist ein Produkt der kleinasiatischen Legende; 
die Epheser haben das längst verstorbene Mitglied des Zwölferkolle- 
giums ebenso als Schutzpatron annektiert, wie die Christen von 
Hierapolis Philippus, den Missionar von Cäsarea, der ebenfalls zu 
den Zwölf gehört hatte. Die kirchliche Tradition ist im Recht, 
wenn sie den „Apostel" und den „Diakon" identifiziert. Ebenso 
wie die Philippuslegende würde auch die von Johannes über Klein- 
asien nicht hinausgegangen sein, wenn sie nicht mit dem literar- 
historischen Problem der sog. johanneischen Schriften sich ver- 
schlungen hätte. 

In den Kanon des Neuen Testamentes sind fünf Schriften auf- 
genommen, die von Johannes geschrieben sein sollen, das Evangelium, 
die drei Briefe und die Apokalypse: keine einzige dieser Schriften 
kann wirklich von dem Apostel Johannes geschrieben sein. Der 
zweite und dritte Brief sind wirkliche Briefe, die aus einer individu- 
ellen Situation heraus an ganz bestimmte Personen geschrieben sind. 
In der Adresse ist vom Namen des Absenders nichts stehen geblieben 
als der kirchliche Titel 6 itQEGßvxeQog. Die Vermutung ist kaum ab- 
zuweisen, daß der Name gestrichen wurde, um die Briefe dem 



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Vortrag Schwarte. 



17 



Apostel zuzuschreiben; der erste Petrusbrief zeigt, daß man auch 
Uraposteln den Titel Presbyter gab. 

Der erste Brief ist dagegen kein wirklicher Brief; doch ist die 
Form des Briefes noch festgehalten. Um so mehr fällt auf, daß die 
Adresse im Eingang fehlt. An ihre Stelle ist eine Einleitung ge- 
treten, die den Absender als den Verfasser des vierten Evangeliums 
und zugleich als einen Herrenjünger charakterisieren will: sie will 
den Brief mitsamt dem Evangelium dem Apostel Johannes vindizieren. 
Eine nähere Untersuchung lehrt, daß diese Einleitung dem Brief 
später vorgesetzt ist und die ursprüngliche Adresse verdrängt hat. 
Andererseits steht der wirkliche Verfasser des Briefs in irgendeinem 
Zusammenhang mit den beiden kleinen Johannesbriefen; er wird 
ebenso wie der Interpolator des Eingangs, der den Brief auf Johannes 
stellt, nach Kleinasien zu setzen sein. 

Für die Apokalypse hat Wellhausen nachgewiesen, daß ihr 
letzter Herausgeber sie dem Autor des vierten Evangeliums zu- 
schreibt; er nennt diesen ausdrücklich Johannes. Auch in diesem 
Falle müssen sowohl der Bearbeiter, der die in der Apokalypse 
vorliegenden verschiedenartigen Stücke zusammenschweißte, als der 
Herausgeber nach Asien gesetzt werden. 

Ein Herausgeber meldet sich auch im vierten Evangelium, am 
Ende, in dem später zugesetzten 21. Kapitel, das am Schluß unver- 
kennbar auf den dritten Johannesbrief anspielt Er ist es gewesen, der 
„den Jünger, den der Herr liebhatte," mit dem Apostel Johannes 
und zwar dem der ephesischen Legende identifiziert hat. Alles spricht 
dafür, daß im zweiten Jahrhundert ein Klein asiat — noch vor Papias 
von Hierapolis, dessen Zeit genauer nicht fixiert werden kann — die 
fünf „johanneischen" Schriften dem Apostel Johannes vindiziert hat, 
der nach der Legende in Ephesos gelebt und ein ungewöhnlich hohes 
Alter erreicht haben sollte. Tatsächlich ist das Evangelium durch 
die Kleinasiaten aufgebracht und von dort aus, nicht ohne erbitterte 
Kämpfe, in den Kanon gelangt. Papias, der allem Anschein nach 
für das Evangelium gegenüber den synoptischen Propaganda gemacht 
hat, war Kleinasiat; der römische Presbyter Gaius, der seine Authen- 
tie wie die der Apokalypse energisch bestritt, kämpfte gegen die 
„Phryger": gerade diese Sekte hat das Evangelium zwar nicht ent- 
deckt und aufgebracht, aber doch sich seiner am eifrigsten ange- 
nommen, den Parakleten kühn umdeutond. 

Aber das vierte Evangelium ist nicht nur durch den letzten 
Herausgeber um das Schlußkapitel vermehrt, es war schon vorher 
überarbeitet. Das Verdienst dieser Entdeckung gebührt Well- 

Verhandlnnk'eü d. 49. Vers. deutBohor Philol. n. Schulni. 2 



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18 



Erste allgemeine Versammlung. 



hausen; 1 ) seine Hypothese muß ausgeführt und vertieft werden: aller 
Hypothesen Probe ist, daß mit ihnen gearbeitet werden kann. 

Der Bearbeiter des vierten Evangeliums, der von dem letzten 
Herausgeber in einer Reihe von Fällen sicher unterschieden werden 
kann, hat die kleinen Johannesbriefe gekannt und steht dem Ver- 
fasser des ersten in Gedanken und Sprache so nahe, daß man immer 
wieder in Versuchung kommt, ihn mit jenem zu identifizieren, wenn 
auch kleine Differenzen sich in den Weg zu stellen scheinen. Das 
Problem würde erheblich vereinfacht, wenn angenommen werden 
könnte, daß der Verfasser der beiden kleinen Johannesbriefe auch 
den ersten geschrieben und dem vierten Evangelium die Gestalt ge- 
geben hat, die jetzt für es charakteristisch ist. Ein gewichtiges Argu- 
ment dafür ist, daß die „johanneischen" Begriffe der lU^fta, der 
fictQTVQla, der x a Q^ rajrA^oiöfeav»?, sowie das Gebot der gegenseitigen 
Liebe in den beiden kleinen Briefen eine große Bolle spielen. Wie dem 
aber auch sein mag, der Bearbeiter hat mit seiner Redaktion jeden- 
falls tießüp, das ursprüngliche Evangelium eingegriffen, und ich habe 
mich durch 'wiederholte, z. T. mit Wellhausen gemeinsam unter- 
nommene Versuche davon überzeugt, daß sich von dem ursprüng- 
lichen Evangelium nur Spuren wiedergewinnen lassen. 

Die Gestalt des Lieblingsjtingers ist eine Schöpfung des Be- 
arbeiters. Sie bildet den Mittelpunkt der Abendmahlsszene, und 
diese ganze Szene ist in dem Evangelium ein Fremdkörper. Zwei- 
mal macht sich der Satan mit Judas zu schaffen, vor der Fuß- 
waschung und beim Abendmahl: die Dublette ist deutlich. Jesus 
sagt zu dem Verräter, nachdem er ihn den Jüngern offenbart hat: 
„Was du tust, das tue bald!" Das verstehen die Jünger nicht, sie 
ahnen plötzlich nichts von dem Verrat, der ihnen eben entdeckt ist: 
die Abendmahlsszene zerstört den Zusammenhang. Daß der Lieb- 
lingsjünger unter dem Kreuz und der „andere" Jünger bei der Ver- 
leugnung dem Bearbeiter angehören, für den Wettlauf dagegen zum 
Grabe und die Identifikation des anderen Jüngers mit dem Lieb- 
lingsjünger Johannes der letzte Herausgeber verantwortlich gemacht, 
werden muß, kann wegen der Kürze der Zeit hier nicht ausgeführt 
werden. 

Nach dem vierten Evangelium reist Jesus dreimal zu einem 
Fest nach Jerusalem, der dritte Aufenthalt dort wird durch zwei 
kürzere Abwesenheiten unterbrochen, zwischen denen das Lazarus- 
wunder liegt. Dieser Aufbau ist nicht ursprünglich. Vor der dritten 

1) Erweiterungen und Änderungen des vierten Evangeliums. Berlin, 
G. Reimer 1907. 



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Vortrag Schwartz. 



19 



Reise sagen die „Brüder" zu Jesus: „Ziehe von hier fort und gehe 
nach Judäa; niemand tut etwas im verborgenen und will, daß es 
öffentlich sei/ 4 Hier ist nicht von einer Festreise, sondern von einer 
definitiven Übersiedelung die Bede; außerdem wird vorausgesetzt, daß 
Jesus in Jerusalem noch nicht öffentlich hervorgetreten ist. Nach 
dem jetzigen Evangelium aber ist er schon zweimal dort gewesen, 
hat Wunder und Zeichen getan und die Juden durch sein öffentliches 
Auftreten im Tempel (Kap. 2) aufs schwerste provoziert. Diese Wider- 
sprüche sind durch keine Umstellungen zu beseitigen: der jetzige 
Aufbau des Evangeliums bricht rettungslos zusammen. 

Im ursprünglichen Evangelium muß Jesus, als er in Jerusalem 
öffentlich aufgetreten war, vor der Feindschaft der Juden fliehen. 
In seinem Versteck erhält er die Nachricht von der Krankheit des 
Lazarus, seines Freundes. Da eilt er nach Bethanien, das dicht bei 
Jerusalem liegt, die Jünger warnen ihn vergeblich, bleiben aber 
nicht zurück, als er doch geht: „Auf, laßt uns gehn, damit wir mit 
ihm sterben!" sagt Thomas. Unmittelbar auf Lazarus' Erweckung 
folgt die Beratung des Synhedrions, die mit dem Beschluß endet, 
Jesus zu töten. 

Hier ist eine dichterische Handlung nicht zu verkennen, die zur 
tragischen Peripetie drangt; der Tod Jesu hat ein ethisch-heroisches 
Motiv erhalten und ist zum Heldentod geworden. Es kann nicht ur- 
sprünglich sein, daß Jesus von Bethanien aus noch einmal wieder 
einen Versteck aufsucht: das ist nur eingeschoben, um den synopti- 
schen Einzug in Jerusalem anbringen zu können. 

Nur selten gelingt es, die aus der Bearbeitung herausgelösten 
Bruchstücke zu einem größeren Zusammenhang zu vereinigen; die 
Aufgabe ist zunächst nicht, Xvaeig zu ersinnen, sondern ivaxuoeig 
aufzufinden. Die Redaktionshypothese ist entstanden aus der Inter- 
pretation und ihr Zweck ist Interpretation; steht doch die Exe- 
gese des vierten Evangeliums erst am Anfang. Zum Verständnis 
seiner Gedanken und Bilder gehört, wie für das der altchristlichen 
Urkunden überhaupt, eine gegenseitige Durchdringung von griechi- 
scher, aramäischer und hebräischer Philologie, wie sie bis jetzt nicht 
vorhanden ist: wir von der alten Generation haben für diese Auf- 
gaben zu wenig gelernt und müssen die Jugend aufrufen, damit sie 
sich dingen lasse, das Korn zu schneiden, das weiß zur Ernte ist. 
Es werden sich nicht viele dazu drängen und sollen es auch nicht. 
Der Schematismus der Fakultäten und Berufe sorgt schon dafür, daß 
jeder hübsch in der Zunft bleibe; und, was schwerer wiegt, die 
meisten Menschen verlangen nicht nach Hypothesen und Problemen, 
sondern nach Lösungen und Dogmen, bei denen sie sich beruhigen 

2* 



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20 



Erst« allgemeine Versammlung. 



können: ob diese von rechts oder links kommen, ist ziemlich einer- 
lei. Die Welt kann nun einmal nicht stehen ohne Ausgleichungen; 
aber die Wissenschaft vergeht, wenn sie die Probleme nicht scharf 
herausarbeitet und von ihren Antithesen sich etwas abdingen laßt. 
Sie bringt nicht den Frieden der Prediger und löst die Herzen nicht 
wie die Poeten, aber die wenigen, die das Joch des faaqrfv auf sich 
nehmen, sorgen dafür, daß Leben und Bewegung bleibt im Geiste 
der Menschheit und das unendliche Streben und die unendliche Sehn- 
sucht nach Erkenntnis nicht einschläft. Das ist nicht alles, aber es 
ist immerhin so viel, daß jene wenigen nicht klagen dürfen, wenn 
sie ein Leben voll Zweifel und Unrast, voll Entsagung und Einsam- 
keit dafür einsetzen. 

Schluß der Sitzung ll 8 / 4 Uhr. 

Mittwoch, den 25. September, 12 Uhr fand die Sitzung der 
Kommission zur Beratung der von der Weidmannschen 
Verlagsbuchhandlung gestifteten 1000 Mk. statt. 

Anwesend waren: die beiden Vorsitzenden Prof. Münzer und 
Rektor Dr. Schäublin; die beiden Obmänner der philologischen 
Sektion Prof. Schöne und Dr. Oeri sen., die Herren Prof. Diels, 
Prof. Leo, Prof. Reitzenstein, Prof. Schwartz, Prof. Wendland, 
Prof. Wissowa. 

Außerdem als Protokollführer: Dr. Schiff. 

Der Vorsitzende Prof. Münzer verliest nach Eröffnung der 
Sitzung den die Stiftung betreffenden Brief der Weidmannschen Buch- 
handlung. 

Prof. Schöne teilt mit, daß der wissenschaftliche Ausschuß 
die Angelegenheit bereits besprochen habe und in Anregung bringe, 
die Summe zur Herstellung eines Wortindex zu Diels Vorsokratikern 
zu verwenden. Er verliest zugleich einen Brief der Weidmannschen 
Buchhandlung, der er von dieser Anregung Kenntnis gegeben hat. 

Prof. Diels berichtet ausführlich über die Indices, die für seine 
zweite Ausgabe der Vorsokratiker vorbereitet oder vorgesehen sind. 
In letzter Linie würde die Angelegenheit auf eine Personenfrage 
hinauskommen, da er selbst zu einem solchen Index nicht mehr Kraft 
und Zeit habe. Er glaube aber, daß cand. phil. Kranz für diese 
Arbeit der rechte Mann sei. Zugleich bemerkt Diels, daß er, da er 
als Autor in Betracht käme, sich der Abstimmung enthalten würde. 

Andere Vorschläge werden nicht gemacht. 

Nach einer abschließenden kurzen Debatte (Leo, Schwartz, 
W issowa, Wendland, Diels, Münzer), in der über die Verwendung 
der in analoger Weise früheren Philologenversammlungen geschenkten 



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Geschäftliches. 



21 



Summen berichtet wird und eine allgemeine grundsätzliche 
Aussprache erfolgt, wird beschlossen, der Plenarversammlung 
vorzuschlagen: 

die gestiftete Summe zur Anfertigung eines Wort- 
index zu Diels' Vorsokratikern unter besonderer 
Berücksichtigung der Terminologie zu verwenden. 

Schluß: 12 Uhr 15 Minuten mittags. 



Am gleichen Tage 12 Uhr 20 Minuten tagte die Sitzung der 
Kommission zur Beratung über Ort und Zeit der nächsten 
(50.) Philologen-Versammlung (1909). 

Anwesend waren: die beiden Vorsitzenden Prof. Dr. Münzer 
und Rektor Dr. Schäublin; von Präsidialmitgliedern der vier zu- 
letzt vorangegangenen Philologenversammlungen Prof. Dr. Schwartz 
(Göttingen), Schulrat Dr. Sander (Bremen), Schulrat Prof. Dr. Brütt 
(Hamburg), Prof. D. Dr. Wendland (Breslau); ferner Prof. Dr. Schenk 1 
(Graz). 

Außerdem als Protokollführer: Dr. Schiff. 

Der Vorsitzende Prof. Münz er berichtet über den Stand der 
Dinge. Es liegt nur eine offizielle Einladung vor: von Seiten der 
Stadt und Universität Graz, die neben der Basler schon in Hamburg 
vorgelegen hatte. 

Prof. Schenkl überbringt diese Einladung auch mündlich, und 
zwar zugleich im Namen des österreichischen Unterrichtsministeriums. 

Der Antrag des Vorsitzenden, der Versammlung vorzuschlagen, 
die Einladung von Graz anzunehmen, findet allseitig Zustimmung. 

Als Zeit schlägt Prof. Schenkl die letzten Tage des September 
1909 vor. Auch dem wird zugestimmt. 

Das Präsidium wird bestehen aus: 

I. Prof. Dr. Schenkl 
II. Direktor Dr. Adamek vom 2. Staatsgymnasium in Graz. 

Zum Schluß wird verhandelt über die Verwendung eines Betrages 
von etwa 1400 Mark, der als Überschuß der Hallenser Versamm- 
lung (1903) noch vorhanden ist, da Hamburg (1905) und Basel 
(1907) ihn nicht gebraucht haben. Der Betrag soll der Grazer pro- 
visorischen Leitung als Vorschuß für Vorbereitungsauslagen über- 
geben werden mit dem Anheimstellen, bei der 50. Philologenver- 
sammlung Vorschläge für eine endgültige Verwendung zu machen. 

Schluß: 12 Uhr 35 Minuten. 



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22 



Zweite allgemeine Versammlung. 



Zweite allgemeine Versammlung 

im Musiksaal des Stadtkasinos. 
Mittwoch, den 25. September 1907, 3% Uhr. 
Vorsitzender: Der 2. Präsident Rektor Dr. F. Schäublin. 

Die Parallel Vorträge 1 ) über Universität und Schule, ins- 
besondere die Ausbildung der Lehramtskandidaten hatten außer 

den Teilnehmern auch sehr viele Gäste herbeigelockt. 

Geh. Regierungsrat Prof. Dr. F. Klein (Göttingen) sprach zu- 
erst über Mathematik und Naturwissenschaft. 

Zuerst skizziert der Vortragende, inwiefern zwischen den Red- 
nern der vier angekündigten Parallelvorträge ein Einverständnis, 
eine Verabredung bestehe. Er erinnert daran, daß, nachdem 1900 
von entscheidender Stelle Gleichwertigkeit der verschiedenen Gattungen 
höherer Schulen grundsätzlich proklamiert war, die Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Ärzte auf ihrer Breslauer Tagung 1904 
eine zwölfgliedrige Unterrichtskomraission eingesetzt und ihr die 
Fragen des mathematisch -naturwissenschaftlichen Unterrichts all- 
seitig bis zu abgeglichenen Vorschlägen durchzuarbeiten tibertragen 
habe. Die Zusammensetzung dieser Kommission wurde derart ge- 
wählt, daß sie nicht nur Männer der verschiedenen bezüglichen 
Wissensgebiete, sondern auch Vertreter von Schule, Hochschule und 
Praxis umfaßte. Diese Kommission trat schon 1905 bei der Natur- 
forscherversammlung zu Meran mit ausgearbeiteten Reformvor- 
schlägen für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht an 
den höheren Schulen — Gymnasien, Realgymnasien und Oberreal- 
schulen — hervor, die von einheitlicher Gesamtauffassung getragen 
sind. Eine Durchführung dieser Ideen war aber nur zu erhoffen, 
wenn auch im Kreise der Schulmänner und Philologen Verständnis 
für diese neuen Ziele zu finden war. So vertrat der Redner auf der 
Hamburger Tagung der Schulmänner und Philologen persönlich die 
Meraner Vorschläge und fand dabei nicht nur nicht den befürchteten 
Widerspruch, sondern vielfach Übereinstimmung oder doch den Wunsch 
zur Verständigung. Prof. Wendland, damals zweiter Vorsitzender, 
hat in seinem Schlußworte zu den Hamburger Verhandlungen aus- 
geführt, wie die Rivalität zwischen den einzelnen Gebieten, und damit 
der lärmreiche Schulstreit ausgeschaltet, dafür aber eine Quelle neuer 

1) Die Vorträge sind unter dem Titel: „Universität und Schule". Vor- 
träge auf der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner am 
26. September 1907 zu Basel gehalten von F. Klein, P. Wendland, AI. 
Brandl, Ad. Harnack. Leipzig 1907 bei Teubner erschienen. 



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Vortrag Klein. 



23 



Fragen und belebender Momente dem Schulunterricht durch unmittel- 
bare Beziehung zwischen Hochschule und Schule eröffnet ist Jene 
Ausführungen zeigen klar, wie ähnlich im Grunde die Bedingungen 
für die verschiedenen Fächer liegen. 

Dies stellt der Redner als die gemeinsame Basis der 4 Vorträge 
hin, wobei als spezielles zu besprechendes Problem die wissenschaftliche 
Ausbildung der Lehramtskandidaten an der Universität ins Auge ge- 
faßt ist, ein Problem, das erneuten sorgfältigen Nachdenkens bedarf 
namentlich von seiten der beteiligten Universitätslehrer, das aber 
keine weiteren Verabredungen unter den Rednern bedingte. 

Zum engeren Gebiete der mathematisch-naturwissenschaftlichen 
Studien hinlenkend, berichtet der Redner über die weitere Tätigkeit 
der Unterrichtskommission, wie sie 1906 auf der Naturforscherver- 
«aramlung in Stuttgart die Meraner Vorschläge ergänzt hat, so hinsicht- 
lich der Frage des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts 
an den Reformschulen und namentlich auch an den Mädchenschulen, 
und wie sie vergangene Woche (15. Sept.) auf der Versammlung in 
Dresden eben an die Frage der Lehrerbildung herangegangen ist. Den 
hierüber erstatteten Bericht, der zugleich den Abschluß der Tätig- 
keit der Unterrichtskommission bildet, legt der Vortragende zur 
Verteilung vor und tritt auf denselben als Hauptaufgabe seiner Dar- 
legung ein. 1 ) 

Der Bericht bezieht alles, der übersichtlichen Fixierung wegen, 
Auf die preußischen Verhältnisse, ohne diese damit als Norm auf- 
stellen zu wollen. Dem Einwände, ob denn von einer derartigen 
Darstellung überhaupt Erfolg zu erwarten sei, ist zu erwidern, daß 
-die Kommission durch Heranziehen einer großen Zahl Fachgenossen, 
von Hochschule und Schule, nach allen Seiten Fühlung und Anregung 
gesucht hat, daß aber auch heutzutage eine gemeinsame Normierung 
gemeinsamer Angelegenheiten mehr als zur Zeit des reinen Indivi- 
dualismus auf allgemeines Verständnis und Entgegenkommen rech- 
nen kann. 

Der Kernpunkt der Vorschläge besteht darin, die mathematisch 
naturwissenschaftlichen Studien in 2 Gruppen, Mathematik-Physik 
und Chemie-Biologie, zu zerlegen, von denen der Kandidat normaler- 
weise eine wählt. Innerhalb der Gruppe unterscheiden sich die ge- 
nerellen Studien, verbindlich für alle Studierenden der Gruppe, von 
den individuellen Studien, der Ausgestaltung nach besonderer Richtung. 
Für erstere wurden 6 Semester in Ansatz gebracht und geradezu be- 



1) Der Bericht ist in der vorgenannten Schrift (Universität und 
.Schule) als Anhang abgedruckt. 



24 Zweite allgemeine Versammlung. 

Stimmte Studienschemata zur Diskussion gestellt, wobei jedes Fach 
mit Rücksicht auf die anderen und die für den Studierenden auf alle 
Fälle notwendige Bewegungsfreiheit sich gewisse Einschränkungen 
gefallen lassen muß. Vom ersten Semester an setzen Praktiken und 
Übungen ein, für die in allen Fächern, auch in Mathematik, aus- 
reichende Institutseinrichtungen verlangt werden. 

Die Vorschläge stehen mit der heutigen Praxis des Vorlesungs- 
betriebes an den Hochschulen in einigen Punkten im Widerspruch. 
Sie tadeln das Prävalieren einzelner Fächer, z. 6. der reinen Mathe- 
matik, in Spezialvorlesungen, und das Zurücktreten anderer, z. B., um 
bei derselben Gruppe zu bleiben, der angewandten Mathematik, und 
zwar nicht nur des numerischen Rechnens, Zeichnens und Messens, 
sondern beispielsweise auch der Astronomie. Waren für die hiermit 
angedeuteten Mißstände im heutigen Hochschulbetriebe oft einseitige 
Examenvorschriften verantwortlich, die jetzt gemildert sind, so be- 
stehen noch Wünsche für die zusammenfassenden Vorlesungen; sofern 
sie als einleitende Kollegia gelesen werden, sind sie vielfach zu ele- 
mentar, und nach obenhin, beim Abschluß der Studien, treten sie zu 
sehr zurück, oder fallen gar vollständig aus. Ebenso verlangen die 
Vorschläge Änderungen im Betriebe der Übungen und Praktiken, 
Einschränkungen zum Teil, zum Teil nach anderer Seite wieder 
wesentliche Erweiterung, wenn es nicht anders sein kann auf Kosten 
der theoretischen Vorlesungen. Die Absicht konnte dabei nicht sein, 
neue Gedanken zu entwickeln, sondern im Vordringen begriffene zu 
unterstützen und ihnen Nachdruck zu geben. 

In bezug auf die Bemerkungen über den Schulbetrieb ist ein 
theoretischer Unterschied zwischen den Herren von der Schule und der 
Kommission nicht vorhanden ; die Kommission stimmt der Forderung 
der Einordnung des Lehrers ins Schulganze zu, verlangt aber, daß die- 
Lehrer nur in solchen Fächern unterrichten, die sie auf Grund wissen- 
schaftlicher Studien wirklich verstehen, und daß nur in Notfällen hier- 
von abgewichen wird; sie wünscht auch Vermehrung der Gelegen- 
heiten zu fachwissenschaftlicher Fortbildung. 

Zum Schlüsse spricht sich der Vortragende noch über die all- 
gemeine Auffassung von dem Wesen und der Aufgabe der Universi- 
täten aus, wie sie dem Berichte und dem ganzen Vortrage zugrunde- 
liegt. Wie im politischen Leben das kollektive, soziale Moment hat 
hinzukommen müssen über die unabhängige Betätigung des einzelnen 
hinaus, so auch im akademischen Leben. Die Kommission verlaugt 
hier nicht nach obrigkeitlicher Regulierung für die Ausbildung der 
Lehramtskandidaten, auch nicht ein Studium, das von Anfang an 
ängstlich nur an den späteren Beruf denkt, vielmehr, daß die Do- 



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Vortrag Wendland. 



25 



zenten von sich aus das Zweckmäßige überlegen und miteinander ver- 
einbaren. Nicht einfach die Wissenschaft in abstracto ist vorzutragen, 
noch ist die Heranbildung späterer Forscher das einzige würdige Ziel 
des Universitätsunterrichts, sondern jede Kategorie von Studierenden 
soll die ihr zukommende Förderung ei'halten; nicht, wie gefordert 
wurde, besondere Dozenten für Lehramtskandidaten, sondern Forscher- 
tätigkeit mit Lehrtätigkeit verbunden tut not, Änderung der Ge- 
sinnung, in der die Lehraufträge gehandhabt werden; nicht wie es 
früher hieß: Freiheit und Gleichgültigkeit, nein Freiheit und Ge- 
meinsinn. 

Prof. D. Dr. P. Wendland (Breslau) referierte über die Alter- 
tumswissenschaft: a) Sprach wissenschaff, b) Archäologie, c) Hel- 
lenismus. 

In der klassischen Philologie bedarf es nach meiner Überzeugung 
keiner durchgreifenden Änderung der äußeren Organisation des Uni- 
versitätsunterrichtes. Der Lehrbetrieb hat sich seit längerer Zeit 
schon gewandelt und der gesunkenen Vorbildung angepaßt. Die 
Klagen und Anklagen, die auch von älteren Schulmännern gegen 
unsern Universitätsunterricht gerichtet werden, beruhen auf Erfah- 
rungen einer vergangenen Zeit und auf ungerechter Verallgemeinerung 
und Übertreibung. Einem lebensvollen Unterrichte gegenüber ist die 
unnötig zugespitzte Frage, ob er Schulmanner oder Philologen bilde, 
rein akademisch ; ein pedantischer Unterricht bildet so wenig tüchtige 
Philologen, wie gute Schulmänner. 

Die große Fülle neuer Aufgaben, die unserer Wissenschaft durch 
ihre ungeahnte Erweiterung zugewachsen sind, ladet dazu ein, den 
jetzt wünschenswerten und möglichen Umfang des philologischen 
Studiums zu betrachten. Es wird dabei als selbstverständlich vor- 
ausgesetzt, daß die Blütezeiten der alten Literatur und die Erklärung 
ihrer Erzeugnisse nach wie vor im Mittelpunkte des Unterrichtes 
stehen und daß das Studium der Philologie von dem der alten Ge- 
schichte nicht zu trennen ist. 

Die scharfen Grenzen, die einst die klassischen Philologen 
zwischen Philologie und Sprachwissenschaft ziehen wollten, lassen 
sich heute nicht mehr aufrechterhalten. Die Gleichartigkeit der das 
sprachliche Leben aller Zeiten bestimmenden Faktoren und Kräfte 
aufgezeigt, die psychischen Vorgänge, die allen sprachlichen Erschei- 
nungen zugrunde liegen, erkannt zu haben, das ist das unvergäng- 
liche Verdienst der anfangs auf andere Ziele gerichteten modernen 
Sprachwissenschaft Der Philologe, der ein tieferes Verständnis der 
Sprachentwicklung gewinnen will, bedarf der beständigen Hilfe der 
sprachwissenschaftlichen Grundanschauungen; in diese kann und soll 



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Zweite allgemeine Versammlung. 



er, auch ohne Voraussetzung der Kenntnis anderer indogermanischer 
Sprachen, von dem Linguisten eingeführt werden. Solcher Einführung 
bedarf er besonders auch im Interesse seines künftigen Berufes. 
Denn die Sprachwissenschaft ist, wie einer der besten Kenner sagt, 
der Jungbrunnen, aus dem der Schulunterricht je eher je besser neue 
Belebung schöpfen muß. 

Als einst die moderne Philologie, von den Gedanken Herders 
und der Romantik angeregt, sich das Ziel steckte, das Gesamtbild 
des antiken Lebens wiederzugewinnen, war die Kunst nur ein Glied 
dieses Gesamtlebens, die Archäologie nur ein Teil der allgemeinen 
Altertumswissenschaft. Dann ist die antike Kunst aus der Umklam- 
merung der Philologie losgelöst und in den Zusammenhang der all- 
gemeinen Kunstgeschichte hineingestellt worden. Dadurch sind die 
feineren Methoden der künstlerischen Würdigung und der Stilanalyse 
ausgebildet, die antiquarischen Gesichtspunkte zurückgedrängt worden. 
Dennoch bedarf auch jene Betrachtungsweise, die die Kunstgeschichte 
aus dem Zusammenhang des nationalen Lebens zu begreifen sucht, 
beständiger Erneuerung. Ohne archäologische Bildung kann kein 
Philologe ein Vollbild antiker Kultur gewinnen. Und der Schulmann 
hat sie besonders nötig, um den Unterricht mit Kunstanschauungen 
zu beleben. Unter den modernen Bestrebungen, die der einseitigen 
Verstandesbildung durch Erziehung des Auges ein heilsames Gegen- 
gewicht schaffen und die Kunstpflege in die Schule einführen wollen, 
ist die Einführung in das Verständnis einiger Meisterwerke antiker 
Kunst ein für das Gymnasium besonders naturgemäßer Weg. 

Weiter wird die Bedeutung der hellenistischen Kultur, die durch 
das hellenisierte Rom und durch die hellenisierte Kirche der modernen 
Welt eine Fülle sittlicher, religiöser, politischer Gedanken vermittelt 
hat, gewürdigt. Sie allein erschließt das geschichtliche Verständnis 
des Zusammenhanges von Altertum und Gegenwart, der Grundlagen 
der modernen Kultur. Die Einführung in den Hellenismus ist darum 
eine wichtige Aufgabe des Universitätsunterrichtes. 

Zum Schluß wird auf die Mittel hingewiesen, durch die auch 
nach der Universitätszeit die Verbindung und Fühlung mit der Wissen- 
schaft zu fördern ist. 

Prof. Dr. A. Brandl (Berlin) behandelte das Kapitel der neueren 
Sprachen. 

In den Schulbetrieb der neueren Sprachen ist Unruhe gekommen 
durch die Notwendigkeit, nicht mehr bloß übersetzen zu lehren, son- 
dern freies Sprechen, Schreiben, Verstehen. Das ist eine Folge der 
gesteigerten Verkehrsmittel und Verkehrsbedürfnisse. Da wir keine 
Weltsprache mehr besitzen, wie es das Mittelalter am Latein hatte, 



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Vortrag Brandl. 



27 



«o müssen die beiden wichtigsten Fremdsprachen als Verständigungs- 
mittel gelernt werden, und dazu eine Menge fremden Lebens, Schaffens 
und Kulturringens. Das ist eine ungeheuere Aufgabe, die auf die 
Schule um so mehr drückt, als der nächstbeste Franzose oder Eng- 
. länder als überlegener Prüfer auftreten kann. 

Die Wirkung auf die Universität, die hierzu die Lehrkräfte zu 
liefern hat, besteht darin, daß die Fertigkeit gegenüber der reinen 
Wissenschaft stark betont werden muß und die Neuphilologie nicht 
bloß zu einer angewandten Wissenschaft wird wie die Medizin, son- 
dern in Gefahr kommt, an Gründlichkeit und Sauberkeit der Arbeit 
zu verlieren, was sie an Masse des Zuspruchs gewinnt. Dennoch darf 
«ich die Universität der Doppelaufgabe nicht entschlagen, sowohl die 
wissenschaftliche wie die praktische Seite des Faches zu pflegen; 
schon um nicht alexandrinisch zu werden und Lebensinteressen unseres 
Volkes zu vernachlässigen. 

Allerdings müssen ihr mancherlei Verbesserungen der Universi- 
tätspädagogik zu Hilfe kommen. Der ursprüngliche Gelehrte darf 
nicht mehr den Wert einer Forschung nach dem Alter ihres Gegen- 
standes einschätzen, darf sich also nicht bei einer Arbeit über das 
9. Jahrhundert vornehmer vorkommen als bei einer über das 19. Jahr- 
hundert. Auf dem modernen Gebiete sind ebenso kritische Probleme 
zu lösen, sogar für das Wesen der Sprache und Dichtung die tief- 
gehendsten. Gegenüber den Studierenden empfiehlt es sich, ein System 
von Zwischenprüfungen einzuführen. Diese sind elastischer und wirk- 
samer als es Studienpläne sein könnten. 

Von den Regierungen werden erbeten mehr Lehrkräfte für den 
praktischen Universitätsunterricht und zwar solche von wissenschaft- 
licher Art; Auslandsstipendien bereits für Studierende, da diese im 
empfänglichsten Alter sind ; und bessere Vorbildung der Gymnasiasten 
auf diesem Gebiete. Ohne die Stundenzahl des Faches auf dem Gym- 
nasium zu vermehren, könnte man viel gewinnen, wenn man Eng- 
lisch und Französisch, die ein elastischeres Ohr und weniger Re- 
rlexionsvermögen erheischen, vor dem Latein lehrte, dessen Aneignung 
•dadurch viel leichter und interessanter würde. Daß der Schüler in 
späteren Jahren die moderne Sprache nicht vergesse, könnte man 
wohl erreichen, indem man sie in naheliegenden Fächern, wie Geo- 
graphie und Geschichte, teilweise als Unterrichtssprache benutzte, 
wozu die Not der Zeit wohl allmählich die Lehrkräfte heran- 
ziehen wird. 

Am wärmston appelliert der Redner an die Lehrer der Schule, 
sie möchten sich trotz ihres aufreibenden Berufes mit der Wissen- 
schaft in Fühlung halten. Praxis und Forschung müssen nicht bloß 



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28 



Zweite allgemeine Versammlung. 



ein Kompromiß, sondern ein herzhaftes Bündnis schließen; der ein- 
zuschlagende Weg werde sich bei der Arbeit des näheren von selbst 
ergeben. 

Vor ganz besetztem Saal endlich forderte Wirkl. Geh. Ober- 
Reg.-Rat Prof. D. Dr. Ad. Harnack (Berlin) als Vertreter der Ge- 
schichte für die Universität die allgemeine Einführung 1. einer Vor- 
lesung über Weltgeschichte als Abschluß der spezialgeschicht- 
lichen Vorlesungen und als direkte Vorbereitung der Lehramtskandi- 
daten für die Aufgabe des geschichtlichen Unterrichts auf den Gym- 
nasien, 2. einer Vorlesung über Bürgerkunde, d. h. einer kurzen, 
zusammenfassenden Darstellung der geltenden Verfassung und des 
öffentlichen Rechtes, für Zuhörer aller Fakultäten, die den zukünftigen 
Lehrern der Geschichte besonders zugute käme. 3. Speziell machte 
er in bezug auf die Darstellung der alten Geschichte auf den schweren 
Mangel aufmerksam, der noch immer in der Behandlung der Kaiser- 
zeit und der Urgeschichte des Christentums herrscht und suchte zu 
zeigen, wie diese als wirklicher Abschluß der alteu Geschichte zu 
bebandeln sind. 

Für das Gymnasium fordert der Redner, daß die Geschichte des 
Staates und die politische Geschichte als der Rahmen des allgemeinen 
Geschichtsunterrichtes beizubehalten sei, daß aber die treibenden 
Machte der Entwicklung deutlicher herauszuarbeiten seien und die 
Geschichte zugleich als die Geschichte des Geistes (Logos) zur Er- 
kenntnis komme. Das Einprägen von Jahreszahlen ist noch mehr 
einzuschränken; dagegen solle sich der Schüler gewöhnen, sich die 
Geschichte in Menschenaltern, etwa in Zeiträumen von 30 Jahren, 
vorstellig zu machen und sie in diesen Abschnitten zusammen zu 
schauen. Bei dem Unterricht in der neuesten Geschichte ist alles 
Gewicht darauf zu legen, daß den Schülern auch die Grundzüge der 
gegenwärtigen Staatsverfassung und die Grundlinien des öffentlichen 
Rechts und der Verwaltung bekannt werden. Endlich wurde ver- 
langt, daß die Schüler in den obersten Klassen mit einigen über- 
lieferungsgeschichtlich-kritischen Fragen bekannt gemacht und selbst 
zur Lösung leichterer Probleme dieser Art angeleitet werden, damit 
der Geschichtsunterricht nicht ein rein autoritativer bleibe und damit 
die Schüler lernen, was geschichtliche Kritik ist und von der Be- 
deutung dieses hohen Bildungsmittels selbsttätige Kenntnis erhalten. 
Geschichtsunterricht, Lektüre der alten Historiker und deutscher 
Unterricht könnten hier zweckmäßig teilweise kombiniert werden. 
Speziell könnten überlieferungsgeschichtlich-kritische Themata für den 
deutschen Aufsatz mit ästhetisch-kritischen (literaturgeschichtlichen) 
wechseln. Die Abfassung eines Hilfsbüchleins, in welchem die Texte 



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Vortrag Harnack. 



29 



för leichtere überlieferungskritische Probleme aus der alten Geschichte 
zusammengestellt wären, ist sehr zu wünschen. 

Mit Bezug auf Religion führte der gleiche Vortragende folgendes 
aus: Es ist Ernst damit zu machen, daß der Religionsunterricht in 
den oberen Klassen der Gymnasien in wirklich geschichtlicher und 
nicht in unkritisch-autoritativer Weise gegeben wird. Nur in dieser 
<5estalt kann er den Gymnasien erhalten bleiben. Da ,es in der Ent- 
wickelung der Jugend eine Stufe gibt, in der sie für diesen Unterricht 
noch nicht reif ist, während der autoritative Unterricht auf sie keinen 
Eindruck mehr macht, erscheint es zweckmäßig, den Religions- 
unterricht in den mittleren Klassen zwei Jahre hindurch überhaupt 
auszusetzen. Für die vier oberen Klassen ist sodann ein Lehrgang 
zu entwerfen, der der vierten Klasse die Geschichte der israelitischen 
Religion und das Alte Testament, der dritten die Geschichte Jesu und 
des Urchristentums (das Neue Testament), der zweiten die Ein- 
fuhrung in den Katholizismus und den alten Protestantismus und 
der ersten die Darlegung des Wesens der Religion und des Christen- 
tums mit besonderer Beziehung auf die Lebensfragen der Gegenwart 
zuweist. Kirchengeschichte als solche den Schülern vorzutragen er- 
übrigt sich, wenn der Lehrer in der zweiten Klasse seine ganze Kraft 
darauf verwendet, den Schülern den Katholizismus und alten Pro- 
testantismus verständlich zu machen. Das aber ist hier die Haupt- 
sache — denn mit den Kirchen hat es der Schüler im Leben zu tun; 
sie soll er kennen — , und dazu wird dasjenige Maß kirchengeschicht- 
licher Kenntnis zuzuführen sein, welches wünschenswert ist. Darüber 
hinaus aber hat die Schule kein Interesse an der Kirchengeschichte. 
In der obersten Klasse soll weder professionelle Dogmatik noch auch 
Apologetik getrieben werden, sondern das Wesen der Religion im 
allgemeinen und der christlichen Religion im besonderen ist ans 
Licht zu stellen mit Bezug auf die Verkündigung Jesu einerseits 
und unter Berücksichtigung der Darstellung der christlichen Religion 
in der Gegenwart, insbesondere bei den großen Führern und Denkern, 
andrerseits. Auch die Spannungen mit den „modernen" Weltan- 
schauungen sind dabei zu berücksichtigen. 

Diese Forderungen machen neue Vorlesungen auf der Univer- 
sität für die Lehramtskandidaten nötig. Zwar eine Vorlesung über 
Konfessionskunde (Symbolik) ist schon vorhanden und muß nur 
stärker in den Vordergrund geschoben werden; aber die drei übrigen 
jenen Forderungen entsprechenden Vorlesungen fehlen fast überall 
noch. Eine zusammenfassende vierstündige Vorlesung über die Ge- 
schichte der israelitischen Religion, zugleich eine Einführung in das 
Alte Testament umfassend, ist nötig, ferner eine solche über das 



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30 



Dritte allgemeine Versammlung. 



Urchristentum im Zusammenhang mit der religiösen Zeitgeschichte, 
endlich eine Vorlesung über das Wesen der Religion und des Christen- 
tums mit besonderer Beziehung auf die Lebensfragen der Gegenwart. 

Der Vorsitzende spricht allen Vortragenden den warmen Dank 
der Versammlung aus und schließt die Sitzung um 6 Uhr. 

(Das Referat über die Diskussion siehe Pädagogische Sektion, 
Sitzung vom 26. September.) 

Dritte allgemeine Versammlung 

im Musiksaal des Stadtkasinos. 
Freitag, den 27. September 1907, Uhr. 
Vorsitzender: Der 1. Präsident Prof. Dr. F. Münzer. 

Als erster Vortragender sprach Geh. Hofrat Prof. Dr. F. Kluge 
(Freiburg i. B.) über die deutsche Schweiz und die Mundarten* 
forschung. 1 ) 

Die Schweiz — frühzeitig ein günstiger Nährboden deutscher 
Sprachwissenschaft — bringt im 16. Jahrhundert das erste deutsche 
Wörterbuch hervor (Maalers teutsche Sprach 1561) und im 19. Jahr- 
hundert reiche mundartliche Arbeiten. Stalders schweizerisches 
Wörterbuch 1806 sichert die Vorherrschaft Oberdeutschlands in der 
Mundartenforschung für das ganze 19. Jahrhundert. Dieses Werk, 
dessen 2. Auflage der Verfasser lange vorbereitete, fahrte durch all- 
seitige Betätigung in der schweizerischen Mundartenforschung 1862 
schließlich zu dem großen Plan des schweizerischen Idiotikons, von 
dem jetzt nahezu 6 Bände vollendet sind. Sammlungen des 18. und 
19. Jahrhunderts sind darin verarbeitet und durch weitere systema- 
tische Arbeit ergänzt und vervollständigt. Eine glückliche Zentrali- 
sierung und Organisation in Zürich ist der Mittelpunkt des Werkes. 
Bundesrat und Kantone sichern die Lebensbedingungen für dieses 
eidgenössische Sprachamt, in welchem auch bedeutende mundartliche 
Zukunftspläne von langer Hand vorbereitet und in Angriff genommen 
werden. Das intimere Verhältnis, in welchem der Schweizer zu seiner 
Mundart steht, gewährleistet auch für die Zukunft dieselbe Fülle bedeu- 
tender Dialektarbeiten, wie sie das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts 
gezeitigt hat. Die Gediegenheit des Idiotikons und seine gleichmäßige 
und sichere Fortführung beruhen auf dem vaterländischen Geist, mit 
dem alle Beteiligten an dem Werke schaffen. 



1) Der Vortrag ist vollständig gedruckt in der Beilage zur „Allge- 
meinen Zeitung" Nr. 178 vom 4. Oktober 1907. 



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Vortrag Morf. 



31 



Prof. Dr. H. Mor f (Fiankfurta. M.) berichtete über die romanische 
Schweiz und die Mundartenforschung. 1 ) 

Der Vortragende gibt ein Bild des romanischen Sprachgebietes, 
das wie ein Kranz das deutsche Mittelland der Schweiz umschließt, 
dessen Mundarten aber angesichts des Vordringens mächtiger Schrift- 
sprachen gefährdet und im Verschwinden begriffen sind. Er skizziert 
einige der Probleme, die dieses reichgegliederte Sprachgebiet für den 
Forscher bereit hält und betont die Bedeutung der Mundartenstudien 
für die gesamte Sprachwissenschaft, für die sie ein wahrer Jung w 
brunnen geworden sind. Dann handelt er von den drei romanischen 
Idiotiken, die mit Unterstützung des Bundes und der Kantone für 
die französische, für die rätische und die italienische Schweiz 
in Arbeit sind und von denen das Unternehmen des „Glossaire des 
patois de la Suisse romande"das älteste (seit 1899) und am weitesten 
fortgeschrittene ist. In einem Überblick über die achtjährige Sammel- 
arbeit dieses Glossaire wird gezeigt, wie die drei Bedaktoren Proff* 
Gauchat (Zürich), Jeanjaquet (Neuenburg), Tappolet (Basel) durch 
ihre 450 phonetischen Aufnahmen die breite und sichere lautliche 
und morphologische Grundlage gelegt haben; wie sie den Wortschatz 
durch „Questionnaire8 w bei ihren getreuen Korrespondenten sammeln; 
wie die Redaktion selbst für regionale und Spezialwörtersammlungen 
sorgt; wie für die Sprachgeschichte die bandschriftlichen und ge- 
druckten Quellen ausgebeutet werden und wio das Eigennamenmaterial 
zusammenkommt. Das „Bureau du Glossaire" birgt heute schon reich- 
lich eine Million Zettel, die nun der Verarbeitung harren. Am Wego 
dieses Glossaire blüht die Vorarbeit zu einem „Dictionnaire topo- 
nymique". Eine „Bibliographie des Patois romands" ist im Druck und 
die Probelieferung eines „Atlas linguistique" steht bevor, für den ein 
opferwilliger Verleger in der Person von Dr. U. Hoepli (Mailand) ge- 
funden worden ist. Linguistische Monographien, z. B. über die Ter- 
minologie des Weinbaues und der Milchwirtschaft, wachsen aus der 
Glossairearbeit heraus. Ein jährlich viermal erscheinendes Bulletin 
bringt fesselnde Mitteilungen aus der Werkstatt dieses Glossaire, um 
während der Jahre des stillen Sammeins das Interesse für das Unter- 
nehmen wachzuhalten und gibt eine Ahnung von dem reichen Inhalt 
des zukünftigen Werkes, das im Spiegel der Sprache die ganze Kultur 
der Westschweiz zeigen und ein nationales Werk sein will. 

Die beiden andern romanischen Glossare verfolgen für ihre Kan- 
tone das nämliche Ziel. Sie stehen noch in den Anfangen. Ihre 



1) Der Vortrag wird abgedruckt in dem Archiv für das Studium 
der neueren Sprachen, herausgegeben von AI. Brandl und H. Morf. 



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32 



Dritte allgemeine Versammlung. 



Sammelarbeit ist nach dem bewährten Vorbild des „Glossaire romand" 
eingerichtet. Die Ausführung liegt in den Händen von Gelehrten, 
die unbestrittene Sachkunde mit strenger wissenschaftlicher Methode 
vereinigen. Der Engadiner Dr. F. Melcher (Chur) bearbeitet das 
rätische Gebiet; die Redaktion des italienischen „Vocabolario" wird ge- 
bildet durch Prof. C. Salvioni ans ßellinzona und die Lombarden 
Guarnerio und Merlo. 

Trotz der hingebenden Tätigkeit des einen rätischen Redaktors 
(seit 1905) und der Unterstützung durch die verdienstvolle „Societad 
Raetoromanscha" schreitet die Arbeit in Graubünden viel zu langsam 
und ungleichmäßig vorwärts. Es liegt auf alle Fälle ein Organi- 
sationsfehler vor, da, soviel man sieht, Dr. Decurtins — und mit ihm 
eine ganze Partei — dem Unternehmen fernsteht, das als ein na- 
tionales Unternehmen die Mitwirkung aller tauglichen Kräfte er- 
fordert und nicht durch politischen oder konfessionellen Partikularis- 
mus Schaden leiden darf. Auch ist die staatliche Subvention (4000 Fr.) 
viel zu gering, da sie nicht gestattet, dem einen Redaktor die Hilfs- 
kräfte an die Seite zu stellen, ohne deren Mitarbeit ein Rätisches 
Idiotikon in absehbarer Zeit nicht unter Dach zu bringen ist. Viel- 
mehr wird vorher der „lungatg romontsch" verklungen sein. 

Die Tessiner haben unter glücklicheren Auspizien ihre Arbeit 
in diesem Jahre mit einer kantonalen Subvention von 5000 Fr. be- 
gonnen. 

So arbeitet man in der Schweiz gegenwärtig an vier Idiotiken: 
einem deutschen und drei romanischen. Zusammen sollen sie ein 
Denkmal wissenschaftlichen, aber auch nationalen Geistes bilden, und 
ihr Nebeneinander soll ein Symbol des sprachlichen Friedens sein, 
der unserem deutsch-romanischen Vaterland immer erhalten bleiben 
möge. 

Nach halbstündiger Pause hielt Prof. Dr. P. Perdrizet (Nancy) 
im verdunkelten Saale seinen Vortrag über Les fouilles de Delphes: 
principanx resultats. 1 ) 

La haute antiquite que le Mythe attribuait a l'oracle pythique 
permettait de prevoir que sous les ruines de la periode historique, 
des fouilles completes decouvriraient a Delphes des vestiges de la 
periode prehistorique. Les cultes de Ge, de Poseidon, du heros 
Pyrros, qui persisterent, plus ou moins atrophies, a cöte du culte 
triomphant d'Apollon, paraissaient a priori dater d'une epoque tres 



1) Der Vortrag wird ganz erscheinen in den Neuen Jahrbüchern 
f. d. klass. Altertum und in der Revue des Etudea anciennes, hg. v. 
G. Kadet (Bordeaux). 



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Vortrag Perdrizet. 



33 



ancienne. Les fouilles ont confirme pleinement ees previsions. Elles 
ont donne des monuments myceniens en grande abondance, quelques 
objets importes de la Crete minoenne, et meme des instruments ne- 
olithiqucs. Un fragment de sculpture en pierre, aussi singulier 
comme style que comme matiere, decouvert en 1894 dans les fon- 
dations du temple d'Apollon, provient d'une tete de lionne analogue 
a celle trouvee par Evans dans le palais de Cnossos. II y avait donc 
une äme de verite dans les traditions concernant les rapports de la 
Crete et de Delphes a l'epoque mythologique. L'hymne a Apollon 
Pythien raconte que le dieu avait prepose a la garde du temple de 
Delphes une colonie de Cretois de Cnossos, Xp^rcg catb Kvaaov 
Mivtötov: la decouverte dans les fondations du mystique adyton 
4'une sculpture minoenne confirme d'une facon vraiment saisissante 
le temoignage de l'hymne homerique. 

A l'epoque mycenienne, Delphes etait deja, comme a l'epoque 
«lassique, a la fois un sanctuaire et une ville, une ville sans mu- 
railles; et deja les habitants enterraient leurs morts dans la partie 
occidentale du xoiXov dont le sanctuaire d'Apollon occupe a peu pres 
le centre. La plus grande partie des tessons myceniens decouverts 
a Delphes datent de la fin de la periode mycenienne, et proviennent, 
soit du sanctuaire d'Athena Pronaia, soit du sanctuaire d'Apollon, 
et plus precisement de la partie du sanctuaire d'Apollon qui s'etend 
devant la facade E. du temple, aux abords de l'autel. Pres de l'autel 
et dans les fondations du temple, ont ete trouvees quelques sta- 
tuettes myceniennes de terre-cuite, qui, toutes, sont des images fe- 
minines; l'une represente une deesse trönant. Peut-etre a-t-on le 
droit de supposer que ces statuettes, anterieures a l'etablissement du 
culte apollinien a Delphes, representent ou bien Ge, l'antique di- 
vinite pelasgique, qui la premiere rendit des Oracles a Pythö, ou bien 
la fille de Ge, Themis, a qui le sanctuaire passa et qui en fut de- 
possedee par Apollon. II est remarquable que les divinites qui ont 
possede Delphes avant Apollon aient ete des divinites feminines. 
Les Myceniens semblent avoir adore surtout des deesses, probablement 
des deesses agraires, chargees d'assurer la fecondite du champ, du 
troupeau et de la famille. 

Sur la couche mycenienne qui s'etend devant le temple, se sont 
rencontres en grande abondance, par stratitications regulieres, des 
tessons ge'ometriques, protocorinthiens et corinthiens, meles a des 
fragments de bronze tres archai'ques. Tessons et bronzes proviennent 
des vases qui servaient au culte. Les petits animaux votifs de terre- 
cuite et de metal, dont on a trouve un si grand nombre dans d'autres 
sanetuaires, sont a Delphes en quantite infime. Le dieu, apparemment, 

Verhandlungen d. 40. Vers, deutscher Philo!, u. Schulm. 3 



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34 



Dritte allgemeine Versammlung. 



ne 8e contentait pas d'offrandes si petites, et surtout, il ne s'interessait 
pas a l'agriculture et a l'eleve des troupeaux. 

La question de la topographie delphique est liee etroitement a 
celle de l'autopsie de Pausanias. Pausanias a vu Delphes, et il Ta 
decrit avec les notes qu'il y a prises. 

Si Pausanias avait decrit Delphes a l'aide des livres, il en aurait 
donne une description complete. Or il a omis des monuments im- 
portants, qui sont connus soit par les fouilles (chasse d' Alexandre, 
ex-voto de Daochos, »Bouleuterion«) soit par les temoignages lit- 
teraires (tresors de Massalia, d'Agylla, de Spina, d'Acanthe, de Clazo- 
mene). La raison de ces omissions, c'est tout bonnement que les 
monuments en question ne se trouvaient pas sur le chemin que Pausa- 
nias a suivi dans son tour a travers le sanctuaire. De la grande 
entree du temenos jusqu'a la facade E. du temple, Pausanias a suivi 
la Yoie Sacree; du parvis oriental a la Lesche, il a suivi une route 
en forme d'S, ayant aux deux extremites le temple et la Lesche, 
aux deux boucles l'heroon de Pyrros et la fontaine Kassotis. 

De tous les addenda et corrigenda que les fouilles ont faits 
a la description de Pausanias, le plus important concerne le temple 
d'Apollon, exhume en 1893. Ceux qui procederent au deblaiement 
s'attendaient a retrouver l'^difice du VI 6 siecle , dont Herodote a 
parle et dont Euripide, dans Tlon, a decrit les metopes. La sur- 
prise fut grande de trouver, au lieu d'un temple du VP siecle, uo 
temple du IV e siecle. On avait eu le tort d'ignorer les textes de 
Xenophon, d'Eschine et de Diodore qui, joints a une inscription 
connue depuis 1882, attestaient que le temple du VI e siecle, detruit 
vers 373 par un tremblement de terre suivi peut-etre d'incendie, fut 
reconstruit au IV e siecle. Les fouilles ont livre un grand nombre de 
textes epigraphiques concernant la comptabilit^ du sanctuaire py- 
thique au IV e siecle. La plupart de ces documents ont rapport a la 
reconstruction du temple. ü fut rebäti a l'aide de revenus extra- 
ordinaires, souscriptions des particuliers et des villes, puis, a partir 
de 346, amende payee par les Phocidiens, en punition du pillage 
du sanctuaire. Les Phocidiens furent tenus quittes envers le Dieu^ 
apres 10 versements semestriels de 30 talents et 12 versements d© 
10, soit 420 talents en tout, dont 300 en cinq ans. C'est surtout 
avec Tarnende des Phocidiens que les Amphictyons purent recon- 
struire le temple; les souscriptions des particuliers et des villes n'y 
auraient pas suffi; pourtant on avait fait appel a la piete des fideles, 
d'un bout a l'autre du monde hellenique. Les documents financiers 
du IV* siecle n'interessent pas seulement l'histoire de l'architecture, 
mais aussi la metrologie, la Chronologie et meme l'histoire generale. 



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Vortrag Perdrizet. 



35 



Iis font mieux comprendre notamment, comment le pillage du sanc- 
tuaire par les Phocidiens a permis a Philippe de s'immiscer dans 
les affaires de la Grece. 

Les fouilles ont prouve que le sous-sol de l'adyton ne cachait 
rien de merveilleux; que la bouche prophetique de la Terre n'a jamais 
existe que dans l'imagination des devots et des poetes. Une inscrip- 
tion du IV e siecle a appris que l'oniphalos se trouvait dans l'adyton 
et qu'il etait entoure" d'un portique. L'omphalos exterieur, Signale 
par Pausanias sur le parvis oriental pres du grand autel, a ete re- 
trouve a peu pres a l'endroit oü l'avait vu le Periegete. 

Entre tant de sculptures archaYques trouvees a Delphes, les seules 
qu'il faille inscrire au compte de l'art dorien sont deux statues 
pareilles, oeuvres d'un sculpteur argien du d^but du VI 6 siecle, et les 
me'topes de tuf du tresor de Sicyone. CeUes-la exceptees, toutes 
les sculptures archaiques exhum^es a Delphes sont d'art ionien. Ce 
resultat ne semble paradoxal que si l'on ignore la prodigieuse expansion 
de l'art ionien; et les fouilles faites a Delphes anterieurement aux 
nötres le laissaient pressentir. Ni le sphinx de Naxos, decouvert par 
Wescher et Foucart, ni le portique d'Athenes, decouvert par Haus- 
soullier, n'£taient des moDuments doriens. II j faut ajouter main- 
tenant, outre les sculptures du temple des Alcmeonides, trois tresors 
de marbre blanc, un dans le sanctuaire de la Pronaia, deux dans le 
sanctuaire d'Apollon, grace auxquels ont ete elargies et precisees 
d'une facon inesperee les donuees encore si insuffisantes que l'on 
possedait, meme apres les fouilles d'Ephese, de Delos et d'Athenes, 
sur l'architecture et la sculpture ioniennes du VI e siecle. La frise du 



plus riche de ces tresors a des qualit^s de narration brillante et 
animee, d'imagination ample, aisee et feconde qui rappelle l'epopee 



Deux de ces tresors avaient en guise de colonnes des statues 
feminines. Sceurs, par le style, des statues ioniennes de l'Acropole, 
les koqw des tresors ioniens de Delphes annoncent, cent ans a 
l'avance, les x6(>at de l'Erechtheion, de meme que les cavaliers 
qui defilent sur la frise S. du tresor de Cnide ou Tassemblee des 
dieux sur la face E. sont comme une premiere pensee de la frise 
du Parthenon. L'art de Phidias plonge par ses racines dans l'art 



La chaine qui relie l'art ionien a l'art phidiaque se compose 
de plusieurs anneaux, dont les fouilles de Delphes ont rendu l'un: 
c'est le tresor d'Athenes et ses trente metopes. Malheureusement, on 
n'est point parvenu encore a determiner avec certitude la date de 
ce monument. De meme, on ne sait pas encore quelle place attribuer 




ionien. 



3* 



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36 



Dritte allgemeine Versammlung. 



dans le developpement de la plastique grecque a la statue du Gocher, 
le plus beau bronze que nous possedions de l'antiquite. 

Le succes des fouilles de Delphes a depasse l'attente. On pen- 
sait qu'elles ne donneraient guere autre chose que des inscriptions : 
c'est le contraire qui est arrive. Quelle que soit leur importance pour 
l'epigraphie, elles ont profite encore davantage a rhistoire generale 
de l'art. 

Museumsdirektor Prof. Dr. C. Schuchhardt (Hannover) be- 
schloß die Reihe der Vorträge mit: Hof, Bnrg und Stadt bei Ger- 
manen nnd Griechen. 1 ) 

Der Vortragende zog eine große Parallele zwischen ältestem 
germanischen und ältestem griechischen Siedelungswesen und gewann 
damit für das griechische eine Reihe überraschender Aufklärungen. 
So wie im Sachsenlande, nach den archäologischen Feststellungen 
der letzten Zeit, die älteste fürstliche Wohnform der Herrenhof am 
Fuße einer Fluchtburg ist, erst später der Herr unter Zurücklassung 
seiner Scheunen und Ställe eine kleine feste Burg bezieht, an deren 
Fuße sich dann ein offener Weiler und schließlich die Stadt ent- 
wickelte, so ist es auch in Griechenland gegangen. In der besonders 
durch Schhemanns Ausgrabungen uns erschlossenen mykenischen 
Kultur herrscht schon die Herrenburg mit der offenen Siedelung 
(Troja, Tiryns, Mykenä); aber wir erkennen, wie sie aus älteren Zu- 
ständen herausgewachsen ist und in spätere übergeht. Odysseus 
wohnt noch auf dem einfachen Gutshofe; bei seiner Heimkehr findet 
er seinen alten Hund vor dem Herrenhause auf dem Miste. Eben- 
so ist die Fluchtburg im Süden nachzuweisen. In Italien gehört sie 
zu den Einrichtungen des Servius Tullius und heißt pagus (Dion. 
Hai. IV. 15), welcher Name sich erst nachher auf das „Burggebiet", 
den „Gau", ausgedehnt bat. Ebenso bezeichnet in Griechenland Polis 
ursprünglich die Burg und dann erst den Gau und den Stadtstaat. 
Das klassische Beispiel für dies alles ist die Entwicklung von Athen. 
Keineswegs ist dort, wie die bisherige Auffassung will, die Akropolis 
die älteste „Stadt" gewesen, die sich dann zunächst nach Süden zum 
Iiissos, wo die alten Heiligtümer Olympieion, Pythion, Delphinion 
und die Kalirrhoe liegen, ausgedehnt hätte, sondern umgekehrt: hier 
am Iiissos war der Keim der ältesten Siedelung, hier hat der alte 
Königshof des Ageus gelegen (Plut. Thes. 12) und jene Heilig- 
tümer neben sich geschaffen, während die Akropolis nur Fluchtburg 

1) Der Vortrag wird vollständig in den Neuen Jahrbüchern für das 
klaäB. Altertum erscheinen. 



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Vortrag Schuchhardt. 3? 

war. Theseus hat dann die alte Fluchtburg zur Herrenburg gemacht 
und die Adelsgeschlechter von ganz Attika haben sich nun um sie 
herum ihre Winterhäuser gebaut, wie die Meder um Ekbatana, die 
Hannoveraner um die Burg Lauenrode. Ähnliche Parallelen zum 
Germanischen lassen sich an vielen anderen Plätzen leicht erkennen. 
In Olympia stand auf dem späteren Festplatze der Königshof des 
Oinomaos, von dem zu Pausanias' Zeit noch eine geborstene Holz- 
säule, mit einem Schutzdach versehen, gezeigt wurde; der Kronos- 
hügel daneben war die Fluchtburg. Wie in ganz Elis hat sich hier 
keine Herrenburg entwickelt; der Eronoshügel ist leer geblieben und 
auf dem Hofplatze ist die Altis entstanden. In der pergamenischen 
Landschaft sind viele stolze Herrenburgen erhalten, Teuthrania und 
Halisarna an der Spitze, an deren Fuße nur Höfe und Weiler ge- 
legen, Städte sich nie entwickelt haben. Auch der Unterschied zwischen 
den kretischen Palästen (Knossos, Phaistos, Hagia Triada) und den 
eigentlich „mykenischen" Troja, Tiryns, Mykenä erklärt sich nun 
einfach : der mykenische Palast mit dem auf weiter Fläche mehrfach 
wiederkehrenden Einzelhause ist aus dem Gutshofe entstanden; der 
kretische Palast aber mit seinen unzähligen, um einen großen Hof 
gedrängten Bäumen ist die Wohnung eines asiatischen oder ägypti- 
schen Herrschers, der längst dem Landleben entwachsen ist und ganz 
vom Tribute seiner Untertanen lebt. 



Nachdem wie alle vorhergehenden, so auch dieser Vortrag lebhaft 
applaudiert worden war, nahm Prof. Münzer das Wort zu geschäft- 
lichen Mitteilungen. Zuerst gab er Kenntnis von einem aus Gmunden 
eingelaufenen Sympathietelegramm (Farinelli). Dann berichtet er 
über den Beschluß der Kommission, die über die A r erwendung der 
von der Weidmannschen Buchhandlung gestifteten 1000 Mark zu be- 
raten hatte. Darnach soll dank der Summe ein Index zu Diels' 
„Fragmente der Vorsokratilar" mit Berücksichtigung der Termino- 
logie angefertigt werden. In Zukunft jedoch sollen mit solchen 
Stiftungen Klassikerausgaben gefördert werden. Das Plenum stimmt 
beiden Beschlüssen zu. Hierauf verliest der Vorsitzende folgende 
Resolution der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion: 

Die mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion begrüßt lebhaft 
die in den vier Parallel vortragen der Herren Proff. Klein, Wend- 
land, Brandl und Harnack begründete Forderung einer Ergänzung 
des Hochschulunterrichts im Sinne einer vermehrten Berücksichtigung 
der Bedürfnisse der Schule. 

Sie hält aber auch für dringend wünschenswert, daß den bereits 



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38 



Dritte allgemeine Versammlung. 



im Amte stehenden Lehrern vermehrte Gelegenheit zur Weiterbildung 
geboten wird. Als ein wirksames Mittel zur Erreichung dieses Zieles 
erachtet sie die Einrichtung periodischer Ferienkurse. 

Den Behörden wird der Wunsch ausgesprochen, den Lehrern den 
Besuch von Ferienkursen zu erleichtern 

durch Bewilligung von Urlaub, 

durch Gewährung angemessener finanzieller Unterstützung 
zur Bestreitung der Kosten der Reise, des Aufenthaltes 
und der Kursteilnahme, 

durch prinzipielle Durchfuhrung und Übernahme bezahlter 
Stellvertretung. 

Den Behörden, die schon jetzt den Lehrern in diesem Sinne ihr 
Entgegenkommen erweisen, wird der beste Dank ausgesprochen. Die 
mathematisch -naturwissenschaftliche Sektion unterbreitet die vor- 
stehende Resolution dem Plenum der Philologenversammlung mit dem 
Wunsche, es möchte diese Versammlung sich der Resolution an- 
schließen und dieselbe zu der ihrigen erheben. 

Der Schriftführer: Dr. 0. Mautz. 

Daran schließt sich die Resolution der pädagogischen Sektion: 
Nachdem die pädagogische Sektion von dem Beschluß der ma- 
thematisch-naturwissenschaftlichen Sektion Kenntnis genommen hat 
betreffend die Ergänzung des Hochschulunterrichts im Sinne einer 
vermehrten Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schule, so erklärt 
die pädagogische Sektion nicht bloß ihre vollkommene Zustimmung 
zu diesem Beschluß, sondern fügt die Bitte an das Plenum der Philo- 
logcnversammlung hinzu, diesen Beschluß auch als von der pädago- 
gischen Sektion ausgehend ansehen zu wollen. 

Ferner erklärt die pädagogische Sektion, daß, um den Erfolg 
jener Anträge zu sichern, von dem Ausschuß der Philologen versammlung 
diese Beschlüsse zur Kenntnis aller deutschen Unterrichtsverwaltungen 
gebracht werden mögen. 

Der Obmann der pädagogischen Sektion: F. Heman. 

Eine dritte Resolution, ebenfalls von der pädagogischen Sektion 
ausgehend, lautet: 

Die pädagogische Sektion beschließt, daß die Herren Geh. Hofrat 
Prof. Dr. Uhlig und Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Klein sich mit Vertretern 
der Hochschullehrer und der Mittelschullehrer aUer, auch anderer 
als der in Basel besprochenen Unterrichtsfächer in Verbindung setzen 



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Resolutionen. Schlußwort Schäublin. 



sollen, damit an die nächste Versammlung deutscher Philologen und 
Schulmänner weitere Vorschläge zur Lehrerbildung gelangen können. 

Der Obmann der pädagogischen Sektion: F. Heman. 

Dazu beantragt der Vorsitzende den folgenden, ebenfalls schon 
von der pädagogischen Sektion gebilligten Zusatz: • 

Die Herren Geh. Hofrat Uhlig und Geh. Reg.-Rat Klein sollen 
alle Schritte zur Gewinnung von Referenten im Einverständnis mit 
dem Vorsitzenden der nächsten Versammlung tun, da dieser allein 
die gesamte Organisation der Versammlung zu übersehen vermag und 
zu leiten hat. 

Die Versammlung heißt Resolutionen und Zusatz gut. 

Es folgt der Beschluß über Ort und Zeit der nächsten Ver- 
sammlung. Der Vorsitzende berichtet über die Sitzung der Kom- 
mission, die vorschlägt, die Einladung nach Graz anzunehmen, und 
fugt hinzu, daß nachträglich noch eine Einladung von Ulm einge- 
laufen sei, das aber mit Graz nicht konkurrieren wolle und nur um 
Berücksichtigung für 1911 bitte. Prof. Dr. Schenkl (Graz) wieder- 
holt die Einladung und zwar sowohl im Namen der Stadt Graz als 
auch der K. K. Österreichischen Unterrichts Verwaltung. Das Ple- 
num beschließt, die 50. Versammlung im Jahre 1909 in Graz ab- 
zuhalten. Die Vorsitzenden werden Prof. Dr. S e h e n k 1 und 
Dr. Adame k sein. 

Dann erhob sieh noch der 2. Vorsitzende, Rektor Dr. F. Schäub- 
lin, zu folgendem Schlußwort: 

Wenn ich mir am Schlüsse unserer Verhandlungen noch für 
einige Augenblicke Ihre Aufmerksamkeit erbitte, so geschieht es 
nicht, um in den Strauß herrlicher Geistesblüten, den in diesen Tagen 
die deutschen Philologen und Schulmänner dargeboten haben, noch 
ein bescheidenes Blümlein zu stecken, sondern um diesen Strauß 
noch einmal in die Hand zu nehmen und den Gefühlen Ausdruck 
zu geben, die mich bei seinem Anblick bewegen. Es sind die Ge- 
fühle des Dankes und der Freude. Meinen Dank auszusprechen 
drängt es mich als Philologe und als Schulmann. Als Philologe, 
weil es mir während dieser Tage vergönnt war, das lebendige Wort 
der Meister unserer Wissenschaft wieder zu hören und auf mich 
wirken zu lassen. Daß viele wie ich das Bedürfnis empfinden, sich 
immer wieder von neuem durch den Mund der großen Lehrer unserer 
Wissenschaft für ihre Aufgabe begeistern zu lassen, das beweist die 
große Zahl derer, die das Programm bewogen hat, die Reise nach 
Basel zu unternehmen. Und es lohnte sich wahrlich nach Basel zu 
kommen. Während der vergangenen Tage habe ich viele schmeichel- 



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40 



Dritte allgemeine Versammlung. 



hafte Komplimente über die Reichhaltigkeit und Gediegenheit der 
wissenschaftlichen Darbietungen entgegennehmen dürfen. Daß unser 
Programm aber so reich geworden ist, das ist nicht unser Verdienst, 
es ist das Verdienst der Herren Vortragenden, welche unserer Auf- 
forderung mit der größten Bereitwilligkeit Folge geleistet und uns 
aus ihrem reichen Schatze das Beste gegeben haben. Wir Schul- 
meister müssen in unserem Berufsleben so oft zensieren, daß es uns 
leider auch auf anderen Gebieten des Lebens zur Gewohnheit wird. 
Heute möchte ich aber von dieser schlechten Gewohnheit nicht ab- 
gehen; denn gute Zensuren zu erteilen gewährt Freude. Nehmen 
Sie also, geehrte Herren Vortragende, von unserer großen Konferenz 
das Prädikat „summa cum laude" entgegen. 

Als Schulmann fühle ich mich sodann verpflichtet, einen doppelten 
Dank abzustatten. Der erste gilt den Vertretern der Universität 
die in diesen Tagen ihr warmes Interesse für die Schule bekundet 
haben. Sie haben uns die Hand geboten zu gemeinsamer Arbeit im 
Dienste der Jugendbildung und Jugenderziehung. Wir ergreifen diese 
Hand mit Freuden und werden sie nicht mehr loslassen. Ich stehe 
nicht an, den Kontakt, der zwischen Universität und Schule durch 
ihr Verdienst hergestellt wurde, als einen Hauptgewinn der dies- 
jährigen Tagung zu bezeichnen. — Mein zweiter Dank gilt den 
Kollegen, welche mit Mannesmut und feuriger Begeisterung die 
Sache des humanistischen Gymnasiums verfochten haben. In dem. 
nun schon seit Jahrzehnten tobenden Kampf haben wir uns immer 
mehr in die Verteidigungsstellung drängen lassen. Mit bloßer Ab- 
wehr wird aber nichts Positives geschaffen. Daß diese Einsicht bei 
den Freunden des humanistischen Gymnasiums sich immer mehr 
Bahn bricht, daß nun endlich an die Stelle der Defensive die Attacke 
treten müsse, das beweist die Gründung der großen Vereine in Berlin 
und Wien, das hat uns aber in diesen Tagen ganz besonders die 
frisch-fröhliche Kampfesstimmung bewiesen, welche in den Verhand- 
lungen des deutschen Gymnasialvereins und der pädagogischen Sek- 
tion herrschte. Möge sie anhalten und damit die 40. Versammlung 
deutscher Philologen und Schulmänner zum Wendepunkt werden im 
Kampfe um die uns allen teure Schule. 

Und nun noch das Gefühl der Freude. Es ist die Freude an 
dem uns allen durch das Programm wieder deutlich sichtbar gewor- 
denen Wachsen und Blühen der zehn Äste des Baumes der Wissen- 
schaft, deren Pflege die Mitglieder imseres Vereins sich widmen. Beim 
Anblick des Blühens und Gedeihens der Wissenschaft, beim Rückblick 
auf die nun hinter uns liegenden Tage reichen wissenschaftlichen 
Lebens, wem sollte sich da nicht der Ruf des tapferen Humanisten 



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Schlußwort Brütt. 



41 



auf die Lippen drängen, mit dem ich die 49. Versammlung schließe, 
der Ruf Huttens: „Es ist eine Freude zu leben." 

Schulrat Prof. Dr. Brütt (Hamburg) endlich wollte die Tagung 
nicht zu Ende gehen lassen, ohne nach gutem altem Recht als 
früherer Vorsitzender für die geleistete Arbeit zu danken. Er gab 
der Organisation das beste Zeugnis und betonte, wie nicht nur Basel 
volle Befriedigung über das gute Gelingen haben dürfe, sondern wie 
auch alle Teilnehmer dankbar der hier verlebten fruchtbaren Tage 
gedächten und schloß mit einem freudig unterstützten dreifachen Hoch 
auf Basel. 

Der Vorsitzende schließt die Sitzung und den offiziellen Teil der 
Versammlung um 7 Uhr. 



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Philologische Sektion. 



Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907. 

Die Sitzung beginnt um 9 Uhr 25 Minuten. Herr Professor 
Dr. Schöne eröffnet sie, indem er die Versammlung um Vorschläge zur 
Präsidentenwahl bittet. Es werden gewählt die Herren Professoren 
Schöne und Herr Geheimrat W i 8 s o w a. Schriftführer sind die Herren 
Priv.-Doz. Dr. Laqueur (Göttingen), Dr. Preiswerk (Waldenburg) 
und Dr. Vonder Mühll (Basel). Herr Schöne macht die Mit- 
teilung, daß der Nachtrag zu der Festschrift des philologischen 
Seminars den Mitgliedern später werde zugestellt werden. 

Die Reihe der Vorträge eröffnet Geheimrat Prof. Dr. H. Diels 
(Berlin) mit einem Berichte über das neue Corpus medicorum anU- 
quorum, 1 ) das unter den Auspizien der Internationalen Assoziation 
der Akademien erscheinen und von den drei derselben angehörigen 
Akademien von Berlin, Kopenhagen und Leipzig bearbeitet werden 
wird. In den Jahren 1901 — 1906 wurde ein das große Unter- 
nehmen vorbereitendes Verzeichnis aller Handschriften der antiken 
Arzte teils nach den Bibliothekskatalogen, teils durch Aufnahme des 
Materials an Ort und Stelle beschafft. Auf Grund dieses von der 
Berliner Akademie (Abhandlungen 1905 und 1906) herausgegebenen 
Materials wurde die Gesamtausgabe der griechischen Arzte, die zu- 
nächst in Angriff genommen werden, auf 32 Bände gr. 8°, jeder zu 
etwa 800 Seiten, veranschlagt. Die Kosten sind (abgesehen von den 
Druckkosten) auf 150000 Mk. berechnet. Eine große Anzahl von 
Mitarbeitern sind in und außerhalb Deutschlands für diesen Zweck 
gewonnen. Den Verlag hat die Teubnersche Buchhandlung in Leipzig 
übernommen. Der Druck hat bereits begonnen. Ein Probebogen 
wurde vorgelegt. Das Corpus soll das Fundament für eine wissen- 
schaftliche Geschichtsforschung und Geschichtsdarstellung der antiken 
Heilkunde geben. Man hofft es in 15 bis 20 Jahren zu vollenden. 



1) Der Vortrag ist in den Neuen Jahrbüchern für das klassische 
Altertum erschienen. 



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Vortrag Reitzenatein. 



43 



Es findet keine Diskussion statt Als zweiter Redner spricht 
Prof. Dr. R. Reitzenstein (Straßburg i. E.) über Horaz and die 
hellenistische Lyrik. 1 ) 

Adolf Kießling, dessen wunderbarer Fähigkeit, sich in Stimmung 
und Situation der einzelnen Oden des Horaz einzuleben, wir alle 
unendlich viel verdanken, hat gleichwohl in seiner bestechend feinen 
Studie über das dichterische Schaffen des römischen Lyrikers (Philo- 
log. Unters. II) nachzuweisen gesucht, daß das Verständnis der meisten 
Lieder davon abhängt, ob es gelinge, unter dem Schutthaufen, der 
uns von der klassischen Lyrik allein übrig geblieben ist, noch das 
Vorbild ausfindig zu machen, an welches sich Horaz, sei es in 
umnittelbarer Übertragung, sei es in freier Nachbildung, anschloß. 
Er gab damit einem älteren Urteil scheinbar die wissenschaftliche 
Begründung; allgemein hieß es jetzt: was gelungen ist, gehört der 
klassischen Lyrik, was mißlungen ist, dem Römer. Allein gerade 
die Beispiele, an welchen Kießling sein Urteil zu erläutern suchte, 
sprechen gegen ihn, so I 24, welches nicht Klagelied, sondern ein in 
modernster Technik gebautes, vollkommen einheitlich empfundenes 
naQccfjiv&iov ist, oder HI 9, das nicht als Ständchen, sondern nur als 
lyrische Nachbildung der Gesprächsepigramme Philodems verstanden 
werden kann. Liederarten wie TtgonefutziKov und itcc(HxxXaval&vQov y 
die Technik der Ballade, die Form der Becusatio (I 6 und IV 2), 
die eigentümliche Kunst der Lieder 127 und III 19 zeigen, daß 
Horaz zunächst aus der seinerzeit modernen, d. h. überwiegend 
hellenistischen Lyrik gedeutet werden will. Sie ist ja durch keine 
brückenlose Kluft von der klassischen Lyrik geschieden. Das zeigt 
Theokrit, die alexandrinischen Hochzeitslieder, die kleinen Polymetra, 
endlich das Epigramm, das diesen Polymetra entspricht und sie 
spiegelt. Freilich hat Horaz den von Catull behandelten Teil dieser 
Lyrik beiseite gelassen, aber sein Empfinden ist hellenistisch und 
gern wetteifert er mit hellenistischen Liedern. Durch einen Ver- 
gleich der einzig genauer bekannten Epigrammatik mit den kleineren 
Oden, z. B. HI 22, III 13, I 30, III 26 können wir nicht nur das 
Verständnis der Technik und der Einzelstelle fördern : Stimmung und 
Bedeutung der ganzen Lieder kommt uns erst durch ihn voll zur 
Empfindung. 

Für Horaz ist die klassische Lyrik ein Ganzes und mußte es 
nach der ästhetischen Theorie seiner Zeit für ihn sein. Sie bot ihm 
die Möglichkeit über den unsäglich eng gewordenen Kreis des helle- 



1) Der Vortrag wird unverkürzt in den Neuen Jahrbüchern für daa 
klassische Altertum erscheinen. 



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44 



Philologische Sektion: Erste Sitzung. 



nistischen Empfindungslebens auch hinauszugehen; den Drang dazu 
gab die Neubildung des römischen Volkstums. Das gerade in den 
Mittelschichten wiedererwachte Interesse für das Staatsleben weckt 
das Empfinden für das politische Lied; das durch Cicero mächtig 
geförderte Eindringen der Philosophie in die Gedankenwelt der 
Nation läßt in Pindar und Simonides die Vorläufer der Philosophen 
ahnen und den Dichter wieder zum Lehrer seines Volkes werden. 
Aber Form und Inhalt sind modern. Daß er das gesamte Fühlen 
und Denken der eigenen Zeit im Liede zu spiegeln weiß, macht 
Horaz zum Erben der alten Lyrik; darum kann die volle Erklärung 
nur von jenem, nie von der Einzelnachahmung ausgehen. 
Eine Diskussion fand nicht statt. 

Als dritter berichtet Prof. Dr. A. Körte (Gießen) über Hene 

Komödien -Papyri. 1 ) 

Die Hoffnung des Vortragenden, den neuen glänzenden Menan- 
der-Fund Lefebvres behandeln zu können, schlug fehl, da sich 
die Veröffentlichung der sehr umfangreichen Reste (rund 1300 
Verse aus vier Stücken) verzögert hat. So beschränkt er sich auf 
die beiden stattlichen Papyri aus Ghorän, welche Jouguet BCH 1906 
mitgeteilt hat. Beide enthalten je einmal die Notiz %oqov, ohne 
daß ein Chorlied folgt. Dieser Vermerk ist genau so zu beurteilen 
wie der gleiche in unsern Aristophanestexten (Wolken 888, Ekkle- 
siazusen 729, 876, Plutos 770) und ist somit ein neues wertvolles 
Zeugnis dafür, daß auch die neue Komödie den Chor nicht ganz hat 
fallen lassen, obwohl er für sie ein störendes Anhängsel war (vgl. 
Neue Jahrb. für Alt. V 81). Zwei auf der Rückseite des zweiten, 
besser erhaltenen Papyrus von anderen Händen wie der Komödien- 
iext, aber sicher im 2. Jahrh. v. Chr. niedergeschriebene Prologe 
werfen ein überraschendes Licht auf die Entstehung der metrischen 
Hypotheseis, die wir zu zehn aristophanischen und zwei sophokleischen 
Stücken besitzen. Beide rühren nicht vom Dichter der Komödie 
her, sind auch nicht zum Vortrag auf der Bühne bestimmt, sondern 
geben in künstlicher Versspielerei den Inhalt des Stückes an. 

Sodann ging der Vortragende unter Vorlegung eines hekto- 
graphierten Textes ausführlich auf die besterhaltene Szene des zweiten 
Papyrus ein, deren Aufbau er wesentlich anders gestaltete, als es 
Jouguet in Verein mit Blaß und Croiset getan. Aus der drama- 
tischen Technik und der Sprache läßt sich nachweisen, daß dies 
Stück keinenfalls, wie Blaß anzunehmen geneigt war, von Menander 



1) Der Vortrag wird in veränderter Gestalt im Hermes XLIII er- 
scheinen. 



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Vortrag Körte. 



4» 



herrührt, sondern von einem jüngeren, wesentlich geringeren Dichter, 
der schwerlich geborener Athener war. Der Wert des Fragments 
liegt für uns gerade darin, daß wir an diesem mittelmäßigen Werk 
die individuelle Größe Menanders abschätzen lernen. 

In der Debatte ergreift Herr Di eis (Berlin) zuerst das Wort. 
Er macht Mitteilung von Lefebvres Fund mehrerer Stücke aus 
Menander, über welche Maspero im Journal des Debats (7. Sep- 
tember 1907) vorläufig berichtet hat. Das Wichtigste darunter sind 
größere Partien aus den 'EmtQinovtsg und der TleQixetQOfiivri, woraus 
Herr Diels inhaltliche Proben gibt. 

Herr Leo (Göttingen) bringt in Erinnerung, daß die terenzische 
Hecyra nach der Didaskalie auf Apollodor zurückgeht. Der neue 
Fund macht wahrscheinlich, daß die 'EniTQinovreg das Vorbild des 
Apollodor sind. Die von Herrn Körte behandelten Stücke rühren 
jedenfalls von einem mittelmäßigen Dichter her. Ob sie der mittleren 
(Blaß) oder der neueren Komödie angehören, ist nicht ausgemacht. 
Die drei Epheben sprechen eher für die spätere Zeit Die von 
Herrn Körte ausgesprochene Vermutung, daß die metrischen Prologe 
unmittelbare Vorgänger der üno&iGeig seien, ist unwahrscheinlich. 
Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, daß die Prologe von späteren 
Aufführungen herrühren. Was die Anmerkung %oqov in den Hand- 
schriften anlangt, so ist die Verbindung mit den Vermerken in des 
Aristophanes Wölken und Ekklesiazusen deshalb unwahrscheinlich, 
weil bei Aristophanes der Chor eben auftritt, während er hier fehlt. 
Das %oqoH kann eine konventionelle Note sein. Hier bedoutet sie 
nur noch die Zwischenaktsmusik. Daß Komödienchöre bis ins zweite 
Jahrhundert vorkommen, ist inschriftlich bezeugt. Die großen Dichter 
der mittleren Komödie haben den Chor im Interesse der Ökonomie 
des Stückes zurückgedrängt. Nicht alle Komödiendichter brauchen 
ihnen darin gefolgt zu sein. Jedenfalls hat der Staat das Recht, 
einen Chor zu verlangen, noch eine Zeitlang gewährt und denselben erst 
endgültig beseitigt, als die literarische Entwicklung ihn vollständig 
ausgeschaltet hatte. Die uns auf Delos und in Delphi begegnenden 
■jPQtvxuL t>ind eine sakrale Institution mit archaisierender Tendenz. 

Herr Körte antwortet: Die Bemerkung %oqov deutet eben doch 
das Vorhandensein eines Chores an. Ein organischer Teil des 
Dramas ist derselbe nicht mehr; er kann aber so gut wie die Maske 
aus Konvention beibehalten worden sein. Die Hecyra geht sicher 
unmittelbar auf Apollodor zurück, der das Motiv der menandrischen 
^EmtQinovxeg vergröbert hat. 

Herr Diels: Das %oqov steht in den Leseexemplaren an den 
Stellen, an denen in den Schauspielerausgaben die Musik folgte. 



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46 



Philologische 8ektion: Zweite Sitzung. 



Herr Diels fragt Herrn Leo, ob nicht diese Musik identisch sei mit 
der von ihm als Grundlage der plautinischen cantica und der helle- 
nistischen Lyrik erkannten. 

Hen* Leo glaubt in diesem Augenblick die Frage offen lassen 
zu müssen. 

Zweite Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September. Beginn 9 Uhr 5 Min. 
Vorsitzender: Herr Schöne. 

Prof. Lic. H. Li etzmann (Jena) spricht über die klassische 
Pliilologie und das Neue Testament. 1 ) 

Noch vor wenigen Jahren würde eine prinzipielle Behandlung 
der Frage, was die Wissenschaft des Neuen Testamentes und die klas- 
sische Philologie miteinander zu tun hätten, und der Nachweis, daß 
sie sich gegenseitig nicht entbehren können, nicht überflüssig gewesen 
sein. Jetzt ist nicht durch theoretische Erörterungen, sondern durch 
Taten der führenden Gelehrten die Überzeugung von der untrenn- 
baren Zusammengehörigkeit beider Wissenschaften bereits zur Herr- 
schaft gelangt und statt allgemeiner Auseinandersetzungen ist ein 
kurzer Überblick über das, was bisher geleistet worden ist, und die 
nächsten unser harrenden Aufgaben am Platze. , 

Auf dem Gebiete der neutestamentlichen Textkritik, welches 
sehr zu Unrecht von manchen Philologen als vernachlässigt ange- 
sehen wird, ist seit etwa hundert Jahren das Streben der meisten 
Forscher auf die genauere Erkenntnis der aus Hieronymus erschlos- 
senen drei Rezensionen, der des Lucian, Hesych und Origenes-Euse- 
bius, gerichtet, und diese Aufgabe besteht auch noch für die nächste 
Zukunft, obwohl sie nicht das Ende der Arbeit bedeutet. "Vorbild- 
lich in der Selbstbeschränkung war Lachmanns Ausgabe, Tischendorf ^ 
trug reiches Material zusammen, der Schwerpunkt der im Erscheinen 
begriffenen Ausgabe H. v. Sodens beruht in der Verwertung der Mi- 
nuskelhandschriften und dem Versuch einer schärferen Umgrenzung 
der genannten Rezensionen. Für die Zukunft sind vorbereitende 
Untersuchungen über den Septuagintatext und Detailarbeiten das 
notwendige Desideratum. 

Die Formenlehre der neutestamentlichen xoivij hat in der 
letzten Zeit die ausgiebigste Beleuchtung erfahren und die Resultate 
dieser intensiven Arbeit sind in vorzüglichen Hilfsmitteln bequem 

1) Der Vortrag wird vollständig in den Neuen Jahrbüchern für daß 
klass. Altertum, 1908, Heft 1 erscheinen. 



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Vortrag Lietzmann 



47 



zugänglich gemacht worden. Dagegen stellt die Lexikographie 
noch große Probleme, ja sie befindet sich erst in den Anfängen: 
Die Arbeiten Deißmanns haben da in erster Linie Bahn gebrochen. 
Die bisherige Forschung hat uns eine Reihe vorzüglicher Hilfsmittel 
in den Wortregistern zu einzelnen Schriftstellern und Papyruspubli- 
kationen 1 ) geliefert Spärlich sind aber die Register zu den In- 
schriften, für die Dittenberger in der Neubearbeitung der Sylloge und 
den „Orientis Inscriptiones" das Beste getan hat : genaue Wortregister 
zu den einzelnen Inschriftenbänden sind für uns ein Hauptdesiderium, 
daneben bedürfen auch verschiedene Schriftsteller (Diogenes Laertius, 
Stoiker, Philo) der Indices. Die schwersten Aufgaben vielleicht 
liegen auf dem Gebiete der Syntax sowohl wie der Stilistik. 
Besonders die Lehre von den Präpositionen und Konjunktionen und 
die Verbalsyntax müssen in Angriff genommen werden, um für die 
Interpretation der neutestamentlichen Texte ein sichereres Fundament 
zu schaffen, als wir es heute besitzen. Für die Stilistik ist so ziem- 
lich noch alles zu tun. 

Das reizvollste von allen diesen Gebieten ist natürlich das der 
sachlichen Erklärung, des kultur- und religionsgeschichtlichen 
Verständnisses des Neuen Testamentes Die Vorbedingung für die 
Bearbeitung dieses Gebietes ist auf philologischer Seite das Erwachen 
des Interesses an religiösen Problemen und die Entdeckung des Hel- 
lenismus gewesen. Männer wie Hugo Grotius und Johann Jakob 
Wetstein (1751) haben die Aufgabe bereits erkannt und mit staunens- 
werter Gelehrsamkeit Material herbeigetragen. Die theologische For- 
schung des 19. Jahrhunderts hat im großen und ganzen diese An- 
regungen nicht weiter verfolgt, die höchst respektablen Arbeiten ein- 
zelner Gelehrter fanden keine Nachahmung. 

Erst gegen Ende des Jahrhunderts hat dann die Bewegung 
eingesetzt, welche zu einem gemeinsamen Arbeiten philologischer 
und theologischer Forscher geführt hat, und die hoffentlich dazu bei- 
tragen wird, den kulturellen Hintergrund der neutestamentlichen 
Religion zu beleuchten und zugleich ihre besondere Eigenart schärfer 
zu erkennen. 

Zu wünschen ist dabei, daß die philologischen Mitarbeiter es 
nicht versäumen, sich mit der bereits geleisteten theologischen Arbeit 
gründlich bekannt zu machen, und daß das heranwachsende Theo- 
logengeschlecht mit soliden griechischen Sprach- und Sachkenntnissen 



1) Während des Kongresses erschien das vortreffliche Hilfsmittel 
„Repertorium griechischer Wörterverzeichnisse und Speziallexika" von 
Hermann Schoene. Bibl. Teubneriana 1907. 



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48 



Philologische Sektion: Zweite Sitzung. 



ausgerüstet wird. Die theologischen Fakultäten sind da fast aus- 
schließlich auf die Arbeit der Schule angewiesen; sie selbst haben 
nicht die Macht, die Verhältnisse zu bessern. Möge das Gymnasium 
in den Stand gesetzt werden, uns Studenten zu schaffen, die diesen 
Problemen gewachsen sind! 

In der Diskussion ergreift zuerst Herr Deißmann (Heidel- 
berg) das Wort. Er betont die Bedeutung des Vulgärgriechischen 
für die neutestamentliche Gräzität. Er wehrt sich gegen die Be- 
zeichnung „Degeneration*'. Es handelt sich um Volksgriechisch, 
nicht um entartetes Literargriechisch. Dadurch erklären sich die Be- 
ziehungen zwischen der attischen Komödie und dem Bibelgriechisch. 
Herr D. möchte auf die Einheitlichkeit der Kultur in der griechisch- 
semitischen Welt nachdrücklich hingewiesen haben. 

Herr Harnack (Berlin) erklärt, daß die Behauptung, erst die 
moderne religionsgeschichtliche Forschung habe die Beziehungen 
zwischen dem Christentum und dem Hellenismus aufgedeckt, einseitig 
sei: der Einfluß der griechischen Spekulation auf das christliche 
Dogma ist schon lange vorher erkannt worden. Die gegenwärtige 
Richtung religionsgeschichtlicher Forschung ist folkloristisch' und 
beschäftigt sich nur mit den äußeren Formen der christlichen - Reli- 
gion, die in den ersten drei Jahrhunderten gegenüber dem Dogma 
von ganz untergeordneter Bedeutung sind. 

Herr Schwyzer (Zürich) bemerkt, daß eine Syntax der neu- 
testamentlichen Gräzität erst auf Grund einer solchen des mittel- 
alterlichen und Neugriechischen geschrieben werden könne. 

Herr Lietzmann stimmt in der Beurteilung des Vulgär- 
griechischen mit Herrn Deißmann überein. Herrn Harnack gegenüber 
erklärt er, daß die dogmengeschichtliche und folkloristische Forschung 
sich erst zur wirklich religionsgeschichtlichen Forschung ergänzen: 
der Hellenismus ist in die Objekte beider Gebiete gleichermaßen ein- 
gedrungen. Daß noch nicht die dogmengeschichtlichen Untersuchungen, 
sondern erst die von Usener inaugurierte Epoche religionsgeschicht- 
licher Arbeit das gegenwärtige Einvernehmen zwischen Theologen 
und Philologen herbeigeführt hat, ist in dem persönlichen, weit- 
reichenden Einfluß üseners begründet. 

Herr Reitzenstein (Straßburg) macht darauf aufmerksam, 
daß sich der Philologe in der Erklärung heidnischer religiöser Vor- 
stellungen vielfach auf christliche Quellen beziehen muß, ohne des- 
halb in die Gebiete der Theologie grundsätzlich übergreifen zu wollen. 

Gymnasialprofessor Dr. R. Helbing (Karlsruhe) spricht über 
die sprachliche Erforschung der Septnaginta. 

Die ungeahnte Fülle der Papyri und Inschriften bewirkte, daß 



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Vortrag Helbing. 



49 



die Philologen die richtige Stellung zur hellenistischen Sprache fanden 
und einsahen, daß auch die griechische Sprache den Gesetzen der 
historischen Entwicklung unterworfen ist. Es gibt keine graecxtas 
fatiscens, keine Degeneration der Sprache der Hellenen, vielmehr ist 
das hellenistische Griechisch ein frisch sich entwickelndes Reis am 
alten Stamme. Die sprachlichen Beobachtungen in den Papyri und 
Inschriften veranlaßten dann weiterhin die Philologen, sich auch um 
andere vulgare Texte, die als eine Art Domäne der Theologen ge- 
golten hatten, zu kümmern, nämlich um das Neue Testament und 
die Septuaginta. Das Neue Testament, dem man ja auch sonst 
größeres Interesse entgegenbrachte, kam dabei am besten weg. Blaß, 
also ein Philologe, hat uns eine neu testamentliche Grammatik be- 
schert. Thumb hat in seinem Buch „Die griechische Sprache im Zeit- 
alter des Hellenismus" zum erstenmal die Frage aer sog. biblischen 
Gräzität als Philologe in großzügiger Weise behandelt. Von der 
anderen Seite halfen die Theologen selbst die Brücke bauen; man 
vergleiche Deißmanns Bibelstudien, durch die wir belehrt werden, daß 
in 4er griechischen Bibel Männer des Volks in der Sprache des Volks 
zu uns reden, oder Schmiedels Neuauflage der neutestamentlichen 
Grammatik des alten Winer. Der Sonderbegriff einer biblischen Grä- 
zität ist zugleich mit dem Inspirationsdogma, mit dem er stehen und 
fallen mußte, in ein Nichts zerflossen. Recht wenig ist aber bisher 
die Sprache der LXX behandelt worden. Diese Hauptquelle der ersten 
xo*vi/-Epoche ist zu erschließen. Schon der große Umfang der Über- 
setzung des A. T., worin alle Lebenssphären berührt werden, bürgt 
dafür, daß große Schätze grammatischen und lexikalischen Materials 
zu heben sind. Die Forschung hat dabei zu beachten, daß die LXX, 
die uns ein hellenistisches Buch sein müssen, in der Sprache ihrer 
Zeit, also in der xomj, schreiben, ferner daß sie eine Übersetzung 
sind. Zunächst sind für die sprachlichen Phänomene bei den LXX Pa- 
rallelen aus den Ptolemäerpapyri, den vorchristlichen Inschriften aller 
Axt, sowie aus der hellenistischen Literatur der ersten xotvi)-Zeit zu 
suchen, damit die Sprache der LXX mitten in die Welt des Vulgär- 
griechischen hineingestellt wird. Aber in vorchristlicher Zeit soll 
man nicht stehen bleiben, einmal wegen der Beziehungen zum N.T., 
zu Philo und Josephus, sodann auch weil man die Handschriften in 
bezug auf Einflüsse späterer Sprachentwicklung an den nachchrist- 
lichen Papyri und Inschriften kontrollieren kann. Die Literatur vor 
Aristoteles darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, vor allem auch 
wegen der Wortbildungslehre; viele Beziehungen der LXX finden sich 
in dieser Hinsicht zur attischen Komödie, woraus man vielleicht auf 
den Zusammenhang zwischen %oivi\ und attischer Volkssprache Schlüsse 

Verhandlungen d. 49. Vera, deutscher Phllol. u. Scbulm. i 



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50 



Philologische Sektion: Dritte Sitzung. 



ziehen könnte. Die Frage der biblischen Wörter kommt sodann eben- 
falls in Betracht. Man kann nur solche Wörter allenfalls als biblisch 
bezeichnen, die einen jüdischen oder (im N.T.) einen christlichen 
Begriff bezeichnen. Schließlich sind aber auch sie schlechthin griechisch, 
wenn sie in ihrer Bildung dem hellenistischen Sprachgeist entsprechen, 
und wenn wir die griechische Bibel einfach als hellenistisches Buch 
nehmen. Auch Ausblicke auf die byzantinische Zeit und auf das 
Neugriechische sind nötig. Eine Darstellung der Sprache der LXX 
muß aber auch kritische Ergebnisse liefern und eine künftige philo- 
logische Ausgabe der LXX vorbereiten. Dabei kommen für unsern 
Zweck vor allem die ältesten Handschriften in Betracht, B, Sund A. 
Da sie sprachlich so ziemlich gleichwertig sind, so ist bei der Kritik 
ein eklektisches Verfahren geboten. Vielfach wird es aber leider nur 
möglich sein, ungefähr das Bild zu gewinnen, das die Sprache der 
LXX geboten haben mag. Das dritte Ziel, das der LXX- Forscher 
zu verfolgen hat, ist die Erklärung der einzelnen Erscheinungen, wo- 
bei man auf die Prinzipien der xotvij-Frage eingehen muß. Schließ- 
lich ist die Hebraismenfrage sehr in Betracht zu ziehen. Es ist zu 
untersuchen, ob syntaktische Konstruktionen, die man bisher lediglich 
aufs Konto des hebräischen Originals setzte, wirklich ungriechisch 
sind. Dabei stellt es sich heraus, daß die xoiviJ-Forschung viele sog. 
Hebraismen beseitigt, öfters zeigt es sich, daß eine Konstruktion 
zwar griechisch ist, aber sehr häufig Anwendung findet infolge me- 
chanischer Übertragung des Urtextes. Selbst zum Stil im allge- 
meinen lassen sich Parallelen im hellenistischen Griechisch finden. 
Jedenfalls waren die LXX dem hellenistischen Leser nicht unverstand- 
lich. Ja man kann sogar sagen, daß die griechische Sprache auch 
im Gewand der Übersetzer noch schön ist. 

Eine Diskussion findet nicht statt. Da die Zeit stark vorgerückt 
ist, wird schon nach dem Vortrag von Herrn Helbing die kombinierte 
Sitzung der philologischen und der indogermanischen Sektion eröffnet 
und der Vortrag von Herrn Haie in diese hinübergenommen. 
(Siehe Indogermanische Sektion, dritte Sitzung.) 

Dritte Sitzung. 

Freitag, den 27. September. Beginn 9 Uhr 15 Min. 
Vorsitzender: Herr Prof. Dr. Schöne. 

Professor Dr. F. Boll (Würzburg) bespricht Die Ergebnisse 

der Erforschung der antiken Astrologie. 1 ) 

1) Der Vortrag ist vollständig in den Neuen Jahrbüchern für das 
klassische Altertum 1908 erschienen. 



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Vorträge Boll und Ritter. 



51 



Der Verfall der Astrologie, deren Macht erst seit dem 18. Jahr- 
hundert zusammengebrochen ist, hat lange ihre geschichtliche Wür- 
digung aufgehalten. Ihre Bedeutung liegt darin, daß sie nicht wie 
etwa Vogelschau oder Blitzdeutung bloß eine spezielle Form der 
Voraussagung war, sondern ein einheitliches Weltbild von strenger 
deterministischer Geschlossenheit aufstellte, das auf orientalischem 
Gestirnkultus beruht, aber mit den Mitteln orientalischer Stern- 
beobachtung und griechischer Wissenschaft aufgebaut ist. Daher 
war die Durchforschung des in Hunderten von griechischen Hand- 
schriften, Papyri und Kunstdenkmälern massenhaft vorliegenden 
Materials eine Notwendigkeit für die Geschichte der antiken Religion, 
Philosophie und Wissenschaft. Die Ergebnisse erstrecken sich gleich- 
mäßig auf den Orient, wie auf Griechenland, bereichern vielfach auch 
unser Verständnis der antiken Astronomie und Chronologie und sind 
daneben auch für unsere Kenntnis der griechischen Sprachentwicklung, 
wie des antiken Lebens, namentlich der Völkerbeziehungen, von 
Wichtigkeit. Astrologie als Sterndeutung hat es bei den Griechen 
vor der hellenistischen Zeit nicht gegeben ; aber mit den Grundlagen 
der Astronomie sind ihnen auch einzelne Voraussetzungen der Astro- 
logie im 6. Jahrhundert bekannt geworden, deren Spur sich bei den 
Pythagoreern nachweisen läßt. Vereinzelt begegnen in der astro- 
logischen Überlieferung auch Parallelen zu Elementen der kretischen 
Kultur. 

In der Diskussion weist Herr Deißmann (Heidelberg) auf die 
Bedeutung der demnächst zu erwartenden Edition des Vettius Valens 
für die Probleme der jcotviJ-Forschung hin. 

Gymnasialprofessor Dr. 0. Ritter (Tübingen) spricht über 
Piatos Ideenlehre nach den späteren Schriften. 

Wir sind gewöhnt an das Urteil, daß Plato der Philosophie 
zwar mächtige Anregungen gegeben, die konkreten Verhältnisse der 
Erfahrungswelt aber vernachlässigt habe. Ihm als dem Begründer 
des Idealismus stellt man den großen Realisten Aristoteles gegen- 
über, der erst die zum Gedeihen wahrer Wissenschaft notwendigen 
Grundlagen festgestellt habe. Das Urteil wäre richtig, wenn die 
ontologischen Lehren Piatos wirklich den Sinn gehabt hätten, der 
ihnen in der Darstellung des Aristoteles untergelegt wird. Trotz 
Zeller und Bonitz, deren Wort nicht ohne Grund namentlich bei den 
Philologen außerordentlich schwer in die Wagschale fallt, ist dies 
aber sehr lebhaft bestritten, seit Lotze seine bekannte Erklärung ab- 
gegeben hat, daß man entweder den Glauben an den philosophischen 
Tiefsinn Piatos aufgeben oder die hergebrachte Auffassung der 
Ideenlehre berichtigen müsse. G. Teichmüller und H. Cohen traten 

4* 



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52 



Philologische Sektion: Dritte Sitzung. 



Lotze zur Seite mit dem Verlangen einer Neudarstellung der Philo- 
sophie Piatos ausschließlich nach seinen eigenen Schriften. Luto- 
slavski und Natorp haben eine solche Neudarstellung gegeben. 

Zu den inneren , philosophischen Bedenken, welche gegen die 
von Aristoteles beeinflußte Darstellung sich erhoben hatten, waren 
inzwischen auch äußerliche, in dem Sprachgebrauch wurzelnde hinzu- 
gekommen. Ihre Urheber sind L. Campbell und W. Dittenberger, 
dem bald eine Reihe von anderen deutschen Sprachstatistikern sich 
anschloß. Sogleich fiel in die Augen, daß die chronologischen 
Sohlüsse, die diese Forscher aus ihren Beobachtungen ableiteten, in 
den Grundzügen völlig übereinstimmten, während die bisher auf Ver- 
wendung inhaltlicher Merkmale gegründeten Ansätze eine geradezu 
verzweifelte Mißhelligkeit der einzelnen Gelehrten ergeben hatten. 
Dem tiefer Blickenden war aber außerdem bald offenbar, daß wer 
nun der Sprachstatistik trauen wollte, eben damit auch von der an 
Aristoteles orientierten Auffassung Piatos sich lossagen mußte. Ent- 
scheidend ist der zeitliche Ansatz des Sophistes. Die Sprach- 
statistiker sind alle darüber einig, daß er die Reihe der Schriften 
des Alters einleite und daß nur Politikos, Timaios, Kritias, Nomoi 
nach ihm verfaßt sein können, höchstens vielleicht auch noch der 
Parmenides. Die Definition der ovötcc, welche der Sophistes heraus- 
arbeitet und mit allem Nachdruck hinstellt, ist dvva^itg zov itouiv 
%c(l itaGyiw. Die Tatsache, daß Aristoteles sie ignoriert, mochte man 
damit entschuldigen, daß Plato eben, wie Zeller sagt, von diesem 
kühnen Versuch einer Lösung des ontologischen Problems, der offen- 
bar „nur Piatos früherer Zeit angehören" könne, „sich immer weiter 
zurückzog". Diese Auslegung wird unmöglich, wenn der Sophistes 
die letzte Reihe der Schriften Piatos einleitet, da die in ihm ent- 
wickelte Lehre dann eben vor den Ohren des Aristoteles von Plato 
in der Akademie vorgetragen worden ist. Aber auch der Ausweg, 
den z. B. Windelband einschlägt, ist ungangbar. Er will den So- 
phistes samt seiner Fortsetzung, dem Politikos, und samt dem Par- 
menides Plato absprechen: womit er einen „dem Eleatismus nahe 
stehenden . . in der platonischen Gedankenwelt durchaus heimischen" 
Philosophen sich konstruiert, der an Gedankentiefe dem echten Plato 
völlig ebenbürtig gewesen sein muß, genau dieselben Stileigentümlich- 
keiten zeigt, wie der Verfasser des Philebos, Timaios, Kritias und 
der Nomoi, auch vor Aristoteles schrieb, welcher auf Sophistes und 
Politikos Bezug nimmt, — uns aber gänzlich unbekannt ist! Die 
Polemik gegen die ylXot itö&v, welche der Sophistes außer jener 
merkwürdigen Definition des Seins enthält, kann bei spätem Ansatz 
dieses Dialogs nicht anders verstanden werden, als daß Plato ent- 



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Vortrag Ritter. 



53 



weder Beine eigenen früheren Satze über die tiSy berichtigen und 
zurücknehmen oder daß er gegen ein Mißverständnis sich verwahren 
will, au dem er durch sie Lesern und Auslegern Anlaß gegeben hatte. 
Jedenfalls ergibt sich bei genauer Durchforschung der dem Sophistes 
nachfolgenden Schriften, daß jene Definition des 8eins, die es der 
Wirklichkeit gleichsetzt, deren Wesen eben in Wirkungen sich be- 
kundet, von Plato fernerhin immer festgehalten worden ist. Einige 
Sätze des Timaios freilich (aus Kap. 18) scheinen hiegegen zu zeugen 
und die Aristotelisch-Zellerische Auffassung der Ideenlehre zu be- 
stätigen; und dieser Schein ist durch Herbeiziehung von Ausführungen 
aus dem 7. Buch der Politeia befestigt worden. Aber gerade aus 
jenem Zusammenhang heraus läßt er sich auch auflösen, wenn man 
die Lehren Piatos über die Mathematik scharf ansieht. Ich nehme 
keinen Anstand, Plato mich so völlig anzuschließen, daß ich erkläre: 
das Dreieck, mit dessen Winkelsumme oder Winkel- und Seiten- 
beziehungen es die Geometrie zu tun hat, und das Quadrat, von 
dessen Diagonale sie handelt, ist in der Tat ein anderes Objekt, 
als die gezeichneten Figuren, die es versinnbildlichen. Nur von 
jenen nichtsinnlichen Gebilden gibt es intcx^fit}. Auch für mich 
iBt dabei imci^ftri (aX^euc) und ovda ein Korrelatbegriff: nur jene 
sind wirklich genau so wie wir sie uns vorstellen, während unsere 
Vorstellung des sinnlichen Objekts dieses niemals in all seinen un- 
endlichen zufälligen Besonderheiten und Abweichungen von der Norm 
erfassen kann. Schon 1897 habe ich in meinen Bemerkungen zum 
Sophistes 1 ) es ausgesprochen, daß wenigstens in den späteren Schriften 
Piatos für mich keine Äußerung erfindlich sei, die den Ideen irgend- 
welches phantastische, wunderliche Sein und Wesen beilege. Die 
damals gegebenen Ausführungen möchte ich ergänzen durch den 
Hinweis auf Sätze moderner Denker, die nahe an die Worte an- 
streifen, die Plato früher von den Ideen gebraucht hat: ohne daß es 
jemand einfällt, sie in dem albernen Sinne zu nehmen, den Aristoteles 
den platonischen Sätzen unterzulegen beliebt. Was Goethe 1825 in 
dem „Versuch einer Witterungslehre" gleich zu Beginn schreibt, was 
er am 17. April 1787 in sein Tagebuch notiert hat; was wir in 
Schuppes Erkenntnistheoretischer Logik 8. 107 lesen oder in Oham- 
berlains Grundlagen des 19. Jahrhunderts I, 294 und 311 f. ist dem 
Wortlaut nach nicht weniger phantastisch, als was Plato jemals über 
die Ideen behauptet hat. Und doch haben diese Sätze ihren sehr 
guten und vernünftigen Sinn für den, der sie richtig verstehen will. 
— In den letzten Jahren seines Lebens hat Plato den empirischen 



1) Archiv, f. Gesch. d. Philos. XI S. 26 ff. 



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54 



Philologische Sektion: Dritte Sitzung. 



Einzelheiten große Sorgfalt zugewandt. Als Instrument ihrer Be- 
arbeitung und Erfassung hatte er, wie besonders deutlich im Poli- 
tikos und Philebos ausgesprochen wird, die Mathematik erkannt, und 
das war der Grund, warum er sich den Pythagoreern näherte, von 
denen er namentlich in der Astronomie fruchtbare Keime übernehmen 
konnte, die er, zusammenwirkend mit den für solche Studien be- 
gabtesten seiner Schüler, einem Eudoxos und Herakleides, weiterent- 
wickelte. Wer diese Tatsachen beachtet, wird zu der Erkenntnis 
kommen, daß Plato der Ergänzung und Berichtigung durch Aristoteles 
nicht bedarf. 

Auf Antrag des Vorsitzenden wird die Debatte über den zweiten 
Vortrag hinter den dritten verlegt. 

Professor Dr. M. Po h lenz (Göttingen) redet über Die erste 
Aasgabe des platonischen Staates. 

Mit Recht ist neuerdings darauf hingewiesen worden, daß das 
Gebäude des platonischen Staates in allen seinen Teilen einen ein- 
heitlichen Plan erkennen läßt. Das schließt aber keineswegs aus, 
daß der Architekt Bauglieder verwertet hat, die früher eine selb- 
ständige Bedeutung besaßen, und wir sind nicht etwa der Not- 
wendigkeit überhoben, die Indizien genau zu prüfen, die für eine 
solche Annahme sprechen. 

Nun erweist sich Gellius' Nachricht von einer ersten Ausgabe 
des Staates bei genauer Prüfung durchaus als glaubwürdige Über- 
lieferung. Für sie sprechen auch psychologische Erwägungen,- zumal 
der siebente Brief ausdrücklich berichtet, daß Plato mit den Grund- 
zügen seiner politischen Theorie schon vor der ersten sizilischen Reise 
fertig war, für sie ferner der Anfang des Timäus. Denn die Be- 
denken, die von Usener, Rohde u. a. gegen eine Beziehung dieses 
Dialoges auf die uns vorliegende Politeia erhoben worden sind, 
werden auch durch die neuesten Erklärungsversuche nicht hinweg- 
geräumt. 

Zu demselben Ergebnis führt vor allem aber auch eine Be- 
trachtung von Isokrates' Busiris. Denn der Redner spielt in §§ 15 
bis 23 zweifellos auf Piatos Staatslehre an, kann aber nur eine von 
unserer Politeia verschiedene Ausgabe meinen. Diese muß namentlich 
schon eine ähnliche Anerkennung der ägyptischen Einrichtungen ent- 
halten haben, wie wir sie später im Timäus S. 24 finden. Das 
läßt sich auch durch den Vergleich des Busiris mit dieser Darstellung 
und durch andre Erwägungen wahrscheinlich machen. Da der Busiris 
Anfang der achtziger Jahre verfaßt sein muß, so ist das Erscheinen 
von Piatos erster Politeia in dieselbe Zeit oder früher zu verlegen. 

Damit wird aber der Gedanke, daß Aristophanes in seinen 



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Vortrag Pohlenz. 



55 



Ekklesiazusen auf Plato anspielt, von vornherein nahegelegt. Die 
Gründe, die man gegen diese Beziehung vorgebracht hat, berück- 
sichtigen weder den eigentümlichen Charakter des Stückes, das zwei 
Motive lose miteinander verwebt, noch auch die Tatsache, daß die 
Berührungen, die der Dichter mit Plato aufweist, keineswegs all- 
gemeine kommunistische Ideen, sondern Einzelheiten eines genau 
durchdachten Programmes betreffen. Von einer Polemik gegen Plato 
ist aber bei dem Dichter keine Rede. 

Wir müssen danach annehmen, daß Plato 392 oder 391 einen 
Dialog veröffentlichte, der die praktischen Vorschläge für die Ge- 
staltung des Staatslebens enthielt. Durch geschichtliche Anknüpfungen 
wies Plato dabei auf die Ausführbarkeit seines Projektes hin. Später 
ließ er diese fallen, weil er seine Staatstheorie durch den Zusammen- 
hang mit der Psychologie und der Ethik glaubte viel besser sichern 
zu können. Er tat dies in unsrer Politeia, in die er an verschiedenen 
Stellen die praktischen Vorschläge des ersten Entwurfes einarbeitete. 
Von diesem wurden jetzt keine Exemplare mehr ausgegeben, die 
alten verschwanden bald aus den Händen der Besitzer. Als Plato 
nach 367 den Plan faßte zu zeigen, wie der Idealstaat unter ge- 
gebenen Verhältnissen sich bewähren würde, wollte er allerdings an 
den ersten Staat anknüpfen, da dieser von geschichtlich gegebenen 
Einrichtungen ausgegangen war und durch seinen geringen Umfang 
sich für die Einfügung in die beabsichtigte Tetralogie empfahl. Der 
Plan wurde aber nicht ausgeführt. So fiel der erste Staat der Ver- 
gessenheit anheim. 

Den Vorsitz während der Debatte übernimmt Herr Geheimrat 
Prof. Dr. G. Wissowa (Halle). 

Herr Schöne zeigt an dem Beispiel der bei Plato vorkommen- 
den ionischen Dative auf -oiai die Schwierigkeit richtiger Interpretation 
der Sprachstatistik. Gegenüber Herrn Pohlenz legt er Gewicht auf 
den Ausdruck ex eo bei Gellius. Der Wortlaut kann nur besagen, 
daß aus dem uns vorliegenden Staat ein Stück im Umfang von etwa 
zwei unserer Bücher separat veröffentlicht war. 

Herr Wendland (Breslau) möchte in Basel an Dümmlers 
Verdienste um die vorliegende Frage erinnern. 

Herr Siebeck (Gießen) erkennt eine Entwicklung in Piatos 
Auffassung der Ideen an. Anfänglich sind dieselben Wertnormen und 
Piatos Philosophie wesentlich ethisch orientiert. In den späteren 
Schriften sind die Ideen Gesetze (atrial). Aristoteles gibt eine mangel- 
hafte Schilderung der ersten Auffassung. 

Herr Boll bemerkt, daß der Philebus die aristotelische Philo- 
sophie vorbereite. 



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56 



Philologische Sektion: Dritte Sitzung. 



Herr Rittfer verteidigt die Sprachstatistik. Er stellt die Ver- 
mutung auf, unter den duo libri des Gellius könnten die zwei ioyot 
des ersten Buches des Staats verstanden sein. 

Herr Pohlenz möchte die Sprachstatistik nicht auf den Staat 
angewendet wissen. Er verteidigt die Authentizität der Gelliusnotiz, 
die nicht auf tendenziöser Erfindung beruhen könne. 

Herr Beitzenstein dankt den Vorsitzenden. 

Auf den Vorschlag von Herrn Oeri wird beschlossen, an 
den in seiner Vaterstadt Basel weilenden erkrankten Herrn Geheimrat 
Professor Dr. Ed. von Wölfflin folgendes Telegramm zu senden: 

In dankbarer Erinnerung an Ihre hohen Verdienste um die 
philologische Wissenschaft sendet Ihnen die philologische Sektion 
der Philologenversammlung nach Ihrem Krankenlager herzliche 
Wünsche auf Genesung. 

Im Auftrag 

H. Schöne. 

Herr Schöne schließt die Tagung mit dem Dank an die Vor- 
tragenden und dem Wunsch, es möchte bei den folgenden Ver- 
sammlungen das lateinische Literaturgebiet stärker berücksichtigt 
werden. 

Schluß der Sitzung 12 Uhr. 



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■ 



Pädagogische Sektion. 
Erste Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, vormittags 9 Uhr. 

Nach einem kurzen Eröffnungswort des 1. Obmannes werden 
zum 1. Vorsitzenden Prof. Dr. F. Hern an, zum 2. Vorsitzenden 
Dr. E. Probst und zum Schriftführer Dr. H. Frei, alle von Basel, 
ernannt. 

Damit den Mitgliedern die Teilnahme am Ausflug der archäo- 
logischen Sektion nach Vindonissa möglich werde, wird die 2. Sitzung 
(Donnerstag) erst um 4 Uhr abgehalten und der Vortrag von Gyra- 
nasialdirektor Dr. Aly auf den Freitag verschoben. 

Den ersten Vortrag hielt Reg.-Rat Direktor Dr. V.Thumser (Wien) 
über die Anforderungen der Gegenwart an die Mittelschulen. 1 ) 

Er hob zunächst hervor, daß mit vollem Rechte die Freunde 
des humanistischen Gymnasiums für die Aufhebung des Gymnasial- 
monopols eintraten und die Gleichberechtigung aller höheren Schulen 
hinsichtlich des Übertritts der Abiturienten an die Universität an- 
strebten. Wenn diese Frage in Österreich noch immer nicht gelöst 
worden sei, so gehe dies sowohl auf die große Zahl der Nationen 
des Landes als insbesondere auf die Tatsache zurück, daß die Gym- 
nasien acht, die Realschulen sieben Jahrgänge zählen und die Or- 
ganisation der ersteren lediglich Sache des Zentralparlaments und 
des Ministeriums für Kultus und Unterricht ist, während bei jener 
der Realschulen auch die einzelnen Landtage mitzureden haben. Doch 
setzt eine gedeihliche Entwicklung des österreichischen Mittelschul- 
wesens eine Lösung der Frage in der Weise voraus, wie sie im 
Deutschen Reiche durchgeführt wurde. Ist die Gleichberechtigung 



1) Der Vortrag erscheint vollständig im „Pädagogischen Archiv", 
auszugsweise ist er im „Humanistischen Gymnasium" 1907, S. 189—192 
abgedruckt. 



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58 



Pädagogische Sektion: Erste Sitzung. 



den Realanstalten zugestanden, dann muß auf die Wahrung und Aus- 
gestaltung der Eigenart aller höheren Schulen, im besonderen auch 
der des humanistischen Gymnasiums das größte Gewicht gelegt 
werden. Die von so vielen gewünschte Einheitsschule fuhrt nicht 
so sehr zur Einheitlichkeit, als vielmehr zu einer bedenklichen Ein- 
seitigkeit der Bildung des deutschen Volkes. Im übrigen ist sie aus 
inneren Gründen unmöglich, da sie entweder durch Überfülle des 
Lehrplans zur Überbürdung der Jugend führte oder durch Oberfläch- 
lichkeit in der Behandlung der einzelnen Disziplinen den Aufgaben 
einer höheren Schule gar nicht mehr gerecht werden könnte. Haben 
die Realanstalten die Gleichberechtigung zuerkannt, so können die 
Eltern mit Rücksicht auf die Eignung der Söhne die verschie- 
denen Schulgattungen wählen, ohne damit schon eine Vorentschei- 
dung über deren Beruf zu treffen. Die Betonung der Eigenart der 
einzelnen Schultypen wird ferner bei aller Beobachtung hygienischer 
Grundsätze dazu fuhren, das Wissensniveau der Schüler möglichst zu 
lieben und die derzeit vielfach auf ein bedenkliches Minimum herab- 
gesunkenen Anforderungen dem Charakter der höheren Schulen gemäß 
strenger zu gestalten. Von diesem Gesichtspunkte aus sind die weite 
Ausdehnung der Kompensationen und die Vermischung von Klassen- 
und Fachsystem entschieden zurückzuweisen und die freiere Aus- 
gestaltung des Unterrichtes in den obersten Klassen ist lediglich an 
jenen Orten gerechtfertigt, wo es nur eine einzige höhere Schule gibt, 
oder in jenen Ländern, wo, wie in Österreich, die Berechtigungsfrage 
noch nicht gelöst ist. Die Organisierung von Sonderklassen zugunsten 
der sogenannten einseitig veranlagten Schüler gibt einen Hauptvorzug 
des Gymnasiums auf, die Geisteskräfte der Jugend nach verschiedenen 
Seiten hin möglichst kräftig zu wecken und zu fordern. Berechtigt 
ist hingegen die Forderung, den Unterricht mit dem Leben, mit der 
Gegenwart in Verbindung zu bringen. Dies läßt sich methodisch 
einerseits dadurch leicht erreichen, daß die Vertreter der einzelnen 
Fächer die ungesuchten Beziehungen, welche ihre Disziplinen zum 
Leben zeigen, beim Unterrichte aufdecken, indem z. B. der Philologe 
und der Germanist, sowie der Historiker den Schülern das Verhältnis 
des Altertums, der Vergangenheit zum modernen Leben, zur Gegen- 
wart sowohl an Einzelheiten als auch in zusammenfassender Dar- 
legung zu veranschaulichen sucht und auch die Vertreter der realen 
Disziplinen an einzelnen, besonders charakteristischen Fällen die Be- 
urteilung, welche verschiedene Objekte und Probleme im Altertums 
gefunden haben, jener gegenüberstellen, die heutzutage maßgebend 
ist. Der Germanist oder Historiker wird aber auch den Unterrichts- 
stoff, soweit dies eben die Abgeschlossenheit und Sicherheit des Ur- 



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Vortrag Thumser. 



r>9 



teils zuläßt, bis auf die Gegenwart herabfähren. Daneben wird gleich- 
zeitig der Lehrstoff von gedächtnismäßig festzuhaltenden Einzelheiten 
immer wieder aufs neue entlastet werden müssen. Die eben an- 
gedeutete Ausgestaltung des Unterrichts setzt aber bei den Lehrern 
eine Weite des Blicks voraus, die sich diese schon während des 
Studiums an den Hochschulen zu erwerben die Gelegenheit haben 
müssen. 

Zum Schlüsse des Vortrags wies der Referent darauf hin, wie 
vorteilhaft es wäre, wenn bei dem so lebhaft entwickelten Mittelschul- 
streite Schule und Haus einträchtig zusammengingen. Ein geeignetes 
Mittel hierzu findet er nach seiner eigenen Erfahrung darin, daß an 
den sogenannten Elternabenden auch aufklärende Vorträge über 
strittige Schulfragen gehalten würden. Seine Anschauungen formu- 
lierte Herr Thumser in folgenden Thesen: 

1. Nach Zuerkennung der Gleichberechtigung an die verschie- 
denen Mittelschultypen hängt die gedeihliche Entwicklung des Mittel- 
schulwesens von der Betonung und Ausgestaltung der Eigenart der 
einzelnen Schulgattungen ab; daher darf an den Gymnasien beim 
Unterricht in den altklassischen Sprachen neben dem realen Gesichts- 
punkte der formale schon im Hinblick auf die sprachlich-ästhetische 
Würdigung der Lektüre nicht in den Hintergrund treten. 

2. Die Einheitsschule ist aus inneren Gründen unmöglich, aus 
äußeren Gründen unnötig, da die Eltern mit der Wahl der einzelnen 
Schulgattungen, sobald diesen die Gleichberechtigung zuerkannt ist, 
keineswegs mehr eine Vorentscheidung Über die Berufswahl ihrer 
Söhne treffen. 

3. Nur wo die Gleichberechtigung der verschiedenen Mittel- 
schulen nicht durchgeführt ist und soweit es an der erforderlichen 
Zahl von Realanstalten mangelt, ist in den beiden obersten Jahr- 
gängen eine freiere Gestaltung des Unterrichts gerechtfertigt. 

4. Die Vermengung von Klassen- und Fachsystem und die aus- 
gedehnte Verwendung der Kompensationen gefährdet das Ziel der 
Mittelschule, die Jugend an ernste Pflichterfüllung zu gewöhnen, und 
drückt ihr Bildungsniveau herab. 

5. Der Rücksicht auf die Praxis des Lebens kann die Mittel- 
schule, das Gymnasium im besonderen, in ausreichendem Maße dienen, 
indem der Unterricht den Zusammenhang der einzelnen Disziplinen 
mit dem Leben methodisch ausnützt und den Lehrstoff in der Mutter- 
sprache, sowie in Geschichte bis auf die Gegenwart herabführt. Diesen 
beiden Zielen sollte schon die Vorbildung der Mittelschullehrer an 
den Hochschulen Rechnung tragen. 

6. Eine günstige Lösung der Mittelschulfrage ist am sichersten 



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fcO Pädagogische Sektion: Erste Sizung. 



bei einträchtigem Zusammengehen von Schule und Haus zu erzielen. 
Daher empfiehlt es sich, an den sogenannten Elternabenden auch auf- 
klärende Vorträge über streitige Schulfragen zu halten. 

Oberstudienrat Rektor Dr. C. Hirzel (Ulm) sprach über die 

Einseitigkeiten und Gefahren der Schnlreformbewegung. 1 ) Er 

Stellte folgende Thesen auf: 

1. Der Vorwurf, daß der gymnasiale Unterricht der Gegenwart 
dem Geiste der Zeit widerspreche, ist einerseits sachlich nicht be- 
gründet, andererseits begrenzt er die Aufgaben des Gymnasiums zu 
eng. Demgegenüber ist als die wichtigste Aufgabe zu bezeichnen 
die Schaffung eines auf der Höhe seiner Aufgabe stehenden Lehrer- 
standes. 

2. Der Ton, in dem die Polemik gegen das Gymnasium sich zu 
äußern pflegt, entspricht vielfach den Anforderungen an eine sach- 
liche Auseinandersetzung nicht, ihr Inhalt aber läßt Kenntnis der 
tatsächlichen Verhältnisse in weitem Umfange vermissen. 

3. Die wachsenden Ansprüche der organisierten schulhygienischen 
Bestrebungen an die Einschränkung des Unterrichts sind mit einer 
erfolgreichen Führung desselben nicht mehr zu vereinigen. 

4. Der Vorwurf, das Gymnasium sei nicht national und ver- 
säume die Pflege vaterländischer Erziehung, ist nicht begründet und 
beruht auf einer Überspannung des Wertes einseitig nationaler 
Bildung. 

6. Die Beseitigung der Vorschulen als Voraussetzung der Ein- 
heitsschule läßt sich aus den Forderungen einer gesunden Sozial- 
politik nicht begründen. 

6. Der Einfluß künstlerischer Bildung auf den Gymnasial- 
unterricht ist als ein berechtigtes Element desselben anzuerkennen. 
Art- oder Umfang dürfen aber seine übrigen Aufgaben nicht beein- 
trächtigen. 

7. Die Zurückdrängung des grammatischen Unterrichts und der 
ihn erst zu voller Wirkung bringenden Übungen in den alten Sprachen 
hat die richtigen Grenzen jetzt schon überschritten, da dieser sowohl 
an sich wie als Stütze der Einführung in die Literatur einen durch 
nichts zu ersetzenden Wert hat, darum ist die Rückkehr zu einer 
stärkeren Pflege desselben anzustreben. 

8. Das Grundübel des Gymnasialunterrichts, wie er sich im 
letzten Menschenalter gestaltet hat, ist die wachsende Überfüllung 
mit Lehrfächern und Wissensstoffen. Mit Rücksicht auf die nun- 
mehr im wesentlichen durchgeführte Gleichberechtigung der ver- 

1) Der Vortrag wird in den „Grenzboten" veröffentlicht werden. 



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Vortrag Hirzel. 



61 



schieden en Wege höherer Schulbildung ist — ohne völligen Aus- 
schluß anderer Elemente, namentlich der mathematischen, eine Ver- 
einfachung und Konzentrierung auf das Gebiet der altsprachlichen 
und der auf vaterländischer Grundlage ruhenden historischen Bildung 
anzustreben. 

9. Im Bewußtsein dessen, was das Gymnasium in der Ver- 
gangenheit dem deutschen Volke geleistet hat, wird es auf Grund 
einer so gearteten Reform in gleicher Richtung wie bisher, aber mit 
gesammelter und verstärkter Kraft, seiner Aufgabe auch künftig ge- 
recht werden können. 

10. Zur Durchführung der in den obigen Sätzen bezeichneten 
Ziele, wird eine ünterrichtskommission niedergesetzt, die der nächsten 
Versammlung Einzelvorschläge zu praktischen Maßnahmen und 
Schritten vorlegen soll. 

Die Diskussion 1 ) über die beiden Vorträge benutzten die Herren 
Aly (Marburg), Uhlig (Heidelberg), Stählin (München), Lasson 
(Berlin), Lange (Solingen), Lück (Steglitz) und Thumser (Wien), 
im großen und ganzen in zustimmendem Sinne. Herr Stählin spricht 
auch zugleich im Namen derjenigen bayrischen Gymnasiallehrer, die 
nicht mit allen gehörten Ausführungen einverstanden sind, folgende Ge- 
danken aus: Wir glauben nicht an den Wunsch der Reformer, das huma- 
nistische Gymnasium zu schwächen und zu vernichten. Tatsächliche 
große Schwierigkeiten nach der Gewährung der Gleichberechtigung 
an die drei Mittelschulen haben manche der Reformvorschläge ge- 
zeitigt. Solche Schwierigkeiten sind z. B. der durch den eigenartigen 
Ausbau der drei Mittelschulen bedingte erschwerte Ubergang von 
einer Lehranstalt in die andere, ungleiche Vorbildung beim Bezug 
der Hochschule; auch daß die meisten neunklassigen Schulen (in 
den meisten kleineren Städten ausschließlich) humanistische Gymnasien 
sind. Billigen wir auch nicht Reformvorschläge, Reformgymnasien 
und Einheitsschule, so möchten wir doch weitgehende Umwandlung 
von humanistischen Gymnasien in Realanstalten und die „freiere 
Gestaltung" des Unterrichts in den Oberklassen, wodurch ein Wechsel 
der Schule und ein Verfolgen des von den Schülern erst in späteren 
Jahren erkannten Zieles möglich wird. — Von anderen Punkten 
sind uns wichtig die Turnspiele (nicht Sport), die wir obligatorisch 

1) Infolge der summarischen Abfassung des Protokolls können nur 
die Diskussionsvoten derjenigen Redner eingehender wiedergegeben 
werden, welche sie selbst aufgezeichnet und dem Herausgeber eingesandt 
haben. Einige Ergänzungen bietet das Referat über die Sitzungen der 
pädagogischen Sektion in der Zeitschrift für das Gymnasialwesen, Jahr- 
gang 61, Dezember 1907. 



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62 



Pädagogische Sektion: Erat« Sitzung. 



haben möchten, da sonst erfahrungsgemäß die Schüler, die sie am 
nötigsten haben, wegbleiben; die Beseitigung des Nachmittags- 
unterrichts (die in München nur gute Erfahrungen gezeitigt hat); 
die allgemeine Volksschule statt Privatschulen (wir befürchten dadurch 
eine Förderung der Einheitsschule nicht). Für Kunst sollen an 
Gymnasien besondere Stunden eingesetzt werden. 1 ) — Die wichtigste 
Abweichung von der allgemeinen Ansicht bezieht sich auf das 
lateinische Skriptum; wir glauben mit Budde 2 ), daß die Beseitigung 
desselben keine Revolution, sondern eine Evolution ist. — Ich schließe 
mit dem Dank dafür, daß ich diese Abweichungen betonen durfte, 
Abweichungen, welche auch bei warmen Freunden des humanistischen 
Gymnasiums und der Kenntnis des klassischen Altertums möglich 
und vorhanden sind. 

Herr Uhlig (Heidelberg) konstatiert zunächst, daß aus der un- 
genügenden Anzahl niederer und höherer Realschulen in Bayern den 
humanistischen Gymnasien Gefahren erwachsen müßten, und betont 
Herrn Stählin gegenüber, daß auch in Bayern viele Gymnasiallehrer 
keineswegs auf dessen Standpunkt in der Frage der Anwendung der 
alten Sprachen ständen. Redner hat während vieler Jahre manche Blicke 
in den Latein- und Griechischbetrieb an deutschen und außerdeutschen 
Gymnasien tun können und sich von dem durch starke Beschränkung 
der Übungen in diesen Sprachen entstandenen Schaden fest über- 
zeugt; das Verständnis der Autoren wird unsicherer, der Fortschritt 
der Lektüre langsamer, triviale grammatische Erörterungen werden 
notwendig. Der schon jetzt — und nicht nur von Philologen — 
beklagte Rückgang des Schriftstellerverständnisses wird bei weiterer 
Reduktion der Übungen eklatant werden. Wohl ist in der Art der 
Anwendung der antiken Idiome gesündigt worden, aber bei rich- 
tigem Verfahren (wie es z. B. auch am Frankfurter Goethegym- 
nasium herrscht) sind die Übungen den Schülern auch durchaus 
keine Plage. 

Herr Lange 8 ) sieht in § 7 der Hirzelschen Thesen eine Über- 
schätzung der Grammatik, die wohl Fundament, nicht aber Selbst- 
zweck sein soll; der von der Hygiene geforderte freie Nachmittag 
werde sicher kommen, und die sexuelle Belehrung in der Schule sei 
nicht zu verwerfen. 



1) Vgl. A. Rehm, Blätter für bayr. Gymnasialwesen 1906. 42, 43 ff. 
und Ipfelkofer, Programm des Luitpoldgymnasiums München 1907. 

2) G. Budde, Geschichte der fremdsprachlichen schriftlichen Arbeiten 
an den höheren Knabenschulen von 1813 bis auf die Gegenwart. 

8) Vgl. Ztschr. f. d. Gymnasialwesen Dez. 1907. 61, 803 f. (Lange 
zur Diskussion über Aly ebd. 807 f.) 



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V ortrag Frankfurter. 



Der dritte Vortragende, Bibliothekskustos Dr. S. Frankfurter 
(Wien) sprach über das Gymnasium im Kampfe der Gegenwart. 1 ) 
Er führte ungefähr folgendes aus: 

Mannigfach sind die Gründe, die in unseren Tagen den Kampf 
gegen das humanistische Gymnasium, der ja schon lange währt, zu 
einem so heftigen machen, daß er eine entschiedene Abwehr dringend 
erheischt. Längst hat die Frage, um die es sich dabei im wesent- 
lichen handelt, aufgehört, das zu sein, was sie von Haus sein sollte, 
eine pädagogisch-didaktische, sie ist eine soziale und neuer- 
dings eine politische geworden, so daß sie in den Kampf politischer 
Parteien gezogen wurde, ja sie ist auch eine nationale geworden. 
Dadurch ist die Frage, die an sich schwierig genug ist, nur um so 
verwickelter geworden, dadurch ist aber auch ein leidenschaftlicher 
Zug in die Behandlung einer Schulfrage gekommen, deren Lösung 
mehr denn andere große Sachkenntnis und vor allem leiden- 
schaftslose Besonnenheit erfordert. 

An der Hand der neuesten Reformliteratur zeigt Redner, daß 
der Kampf gegen das humanistische Gymnasium bereits weit über 
die Grenzen einer Kritik des Bestehenden und des Strebens nach 
Reformen hinausgediehen sei, sogar vielfach die Existenz des Gym- 
nasiums selbst durch Leugnung der Berechtigung der klassischen 
Bildung in unserer Zeit bedrohe. Zur Kennzeichnung dieser Literatur 
bespricht er eine Reihe charakteristischer Züge, die ihr gemeinsam 
sei. Sie verkenne oder ignoriere absichtlich die große Veränderung, 
die sich in Inhalt und Umfang des Lehrstoffes und in der Methode der 
Behandlung auch auf dem Gebiete des klassischen Unterrichts wie 
überhaupt des Gymnasialunterrichts vollzogen habe und immer- 
fort vollziehe. Da werde die Vorstellung erweckt, als herrsche auf 
dem Gebiete des Gymnasialunterrichts eine Art Friedhofsruhe und 
völliger Erstarrung, während auch hier wie sonst alles im Flusse sei; 
ja man könne sogar ohne zu starke Übertreibung sagen, vielleicht 
auf keinem Gebiete herrsche stärkere Bewegung, als auf dem der 
Pädagogik im allgemeinen und der Gymnasialpädagogik im be- 
sonderen, wie sich aus der schier unübersehbaren Literatur — in 
selbständigen Schriften, in Aufsätzen in Zeitungen und Zeitschriften, 
in Verhandlungen von Lehrervereinen und Lehrerversammlungen — 
ergebe und zwar begreiflicherweise, seien doch die Objekte, der 
Lehrinhalt und die Methode so wandelbar. Ein ferneres Kennzeichen 
der Reformliteratur sei ein Arbeiten mit großen Worten, die vielfach 
bloße Schlagworte sind, berechnet, auf den weiten, mit dem Wesen 

1) Ein etwas ausführlicherer Auszug erschien in der Zeitschrift „Das 
humanistische Gymnasium 11 19. Jahrg., 1908, Heft 1, S. 30—84. 



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64 Pädagogische Sektion: Erste Sitzung 



der Sache weniger vertrauten Leserkreis Eindruck zu machen, große 
Worte, die bei kritischer Prüfung entweder als ohne innere Be- 
rechtigung oder als alte Wahrheiten sich erweisen und die in 
schillernder Form als neue Heilsbotschaften verkündigt werden. Ein 
gemeinsamer Zug sei auch, daß an sich richtige Forderungen, 
deren Berechtigung von keiner Seite bestritten und deren Verwirk- 
lichung auch von Freunden des Gymnasiums lebhaft gewünscht 
werde, mit Angriffen auf den eigentlichen Grundcharakter des Gym- 
nasiums verbunden werden. Eigentümlich ist der Literatur weiter 
ihr widerspruchsvoller Charakter: nicht nur widersprechen die 
Schriften einander, indem sie in ihren Forderungen unvereinbar sind, 
sondern sie leiden auch fast jede für sich an inneren Widersprüchen. 
Endlich werden Vorwürfe, die, gleichviel ob sie berechtigt oder un- 
berechtigt sind, alle höheren Lehranstalten oder die Schule an sich 
treffen, gegen das Gymnasium erhoben und dadurch beim Publikum 
der Gedanke geweckt, als sei das Gymnasium und im besonderen der 
Philologe der Feind, der bekämpft werden müsse. 

Wie sehr das Gymnasium darunter leidet, liegt auf der Hand: 
es hat die frühere allgemeine Wertschätzung eingebüßt und wird in 
seinem Wirken gehemmt, das mangelnde Vertrauen lähmt auch seine 
Erfolge. Allein nicht nur das Gymnasium wird bekämpft, sondern 
auch der humanistische Bildungsgedanke, dem es dient, und deshalb 
handelt es sich in diesem Kampfe um eine allgemeine Bildungsfrage, 
ja um eine Eulturfrage. Deshalb tut Abwehr dringend not. Daß 
in diesem Kampfe, der sich vornehmlich gegen die Philologen richtet, 
diese, als die meistangegriffenen, im Vordertreffen auch in der Ab- 
wehr stehen müssen, sei klar; allein diese kann nicht lediglich Sache 
der Philologen sein. Denn es gibt viel mehr Freunde der klassischen 
Bildung und ihrer Erhaltung, als man gemeinhin glaubt. Es ist 
ferner unrichtig, wenn man vielfach meint, der Kampf gehe nur 
die Männer der Schule an. Vielmehr sollten die Männer der Wissen- 
schaft mehr, als es bis jetzt geschehen ist, die Männer der Schule 
in diesem schweren Kampf unterstützen, denn auch für sie kann 
die Frage der Jugendbildung nicht gleichgültig sein, auch vom 
Standpunkt ihrer Aufgabe, Jünger der Forschung und Männer heran- 
zubilden, die in verschiedenen führenden praktischen Berufen wirken 
sollen. 

Der Kampf gegen das Gymnasium und im besonderen gegen 
den altklassischen Sprachunterricht hat auch in den Kreisen der 
Schulmänner selbst Zaghaftigkeit, ebendeshalb, weil sie sich isoliert 
sahen, hervorgerufen; es stellte sich vielfach bei ihnen das Gefühl 
ein, als stünden sie auf verlorenen Posten, da ja auf die Dauer die 



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Vortrag Frankfurter. 



65 



Dinge sich nicht halten ließen. Das zeigt sich auch in manchen 
Reformschriften, die ans diesen Kreisen hervorgingen. 

Daß in dem schweren Kampfe, den das Gymnasium jetzt zu 
führen hat, die Tagespresse eine große Bolle spielt, hat bereits 
Herr Hirzel hervorgehoben, doch kann Redner ihm darin nicht 
völlig beipflichten, daß gerade der Tagespresse der Vorwurf wegen 
des Tones gemacht wird, in dem die Polemik geführt wird. Es 
ist das eine Verkennung des eigentlichen Gegners. Mit Recht hat 
man gelegentlich die Tagespresse das Thermometer der öffentlichen 
Meinung genannt, und in der Presse erscheinen ebensowohl freund- 
liche wie feindliche Artikel. Man muß daran festhalten, daß heute 
-die Zeitungen nicht nur von den eigentlichen, den Berufsjournalisten, 
gemacht werden, sondern daß die wirksamsten Artikel von außen- 
stehenden Mitarbeitern herrühren. Und die schärfsten Angriffe gegen 
das Gymnasium werden nicht von den „Zeitungsschreibern", sondern 
von Männern erhoben, die durch ihren Namen auf das Publikum 
Eindruck machen: es sind darunter Universitätsprofessoren und 
Männer, die selbst am Gymnasium gewirkt haben und deshalb als 
Kronzeugen gegen das Gymnasium gelten. Redner braucht hier 
nicht Namen zu nennen, sie drängen sich jedem auf. Auch hier 
muß gesagt werden, daß die Verteidiger des Gymnasiums nicht 
den Gegnern die Zeitungen überlassen und, wenn auch unsachliohe, 
Angriffe sachlich, aber entschieden und jederzeit zurückweisen sollten. 

Endlich, vielleicht schon zu spät, ist die Erkenntnis gereift, daß 
hier wie sonst Organisation und Zusammenfassung der Kräfte 
not tun. So sind in Berlin und in Wien — es verdient festgehalten 
zu werden, unabhängig voneinander — Abwehrvereine ins Leben ge- 
rufen worden in den „Vereinen der Freunde des humanistischen 
Gymnasiums", deren Vorläufer der rühmlich wirkende „Deutsche 
Gymnasialverein" in Heidelberg ist." 

Redner berichtet dann eingehend über die Entwicklung und die 
Tätigkeit des Wiener Vereins, der in kaum mehr als Jahresfrist es auf 
-die Zahl von 750 Mitgliedern, unter denen sich außer Schulmännern, 
und zwar Lehrern aller Fächer, auch Angehörige aller Berufsstände 
und Vertreter beider Häuser des Reichsrates befinden, ferner 16 grün- 
dende Mitglieder, die die hervorragendsten Namen von Staatsmännern, 
Industriellen, Kirchenfürsten aufweisen, gebracht hat, und legt die 
von ihm bisher veröffentlichten drei Hefte der „Mitteilungen" vor, 
deren zweites und drittes er an die Mitglieder der pädagogischen 
Sektion im Namen des Vereinsvorstandes zur Verteilung bringen ließ. 

Schließlich zeigt er, daß die Abwehrbewegung ebenso wie der 
Kampf gegen das Gymnasium, der sich ja nicht auf Deutschland 

Verhandlungen d, 49. Vera, deutscher Philol. u. Schulm. 5 



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G6 



Pädagogische Sektion: Zweite Sitzung. 



und Österreich beschränke, international sein sollte, denn die 
Ziele und Aufgaben der humanistischen Bildung seien überall die 
gleichen. Es müsse jedoch dafür gesorgt werden, daß sie un- 
beschadet alles Strebens, die Schuleinrichtungen zu ver- 
bessern und die Gymnasien den berechtigten Forderungen 
der Gegenwart anzupassen (gerade die Freunde des huma- 
nistischen Gymnasiums müssen entschieden dafür ein- 
treten), im wesentlichen unverkümmert bleiben. Würden in den 
einzelnen Landern solche Vereine geschaffen werden, die auf die Mit- 
wirkung der Schulmänner und natürlich auch der Philologen nicht 
verzichten dürfen — der Schwerpunkt muß jedoch auf die Teilnahme 
von Freunden aus allen Gesellschaftskreisen und Berufsschichten, 
namentlich auch der praktischen, gelegt werden — und die bei aller 
Differenzierung im einzelnen in den Hauptzielen zusammengehen und 
deren Leitung in irgendeine, wenn auch lose, Verbindung treten, so 
würde damit der Sache der Bildung und der Wissenschaft ein großer 
Dienst geleistet werden. Dazu wollte der Vortragende durch seine 
Ausführungen anregen. 

Eine Diskussion findet nicht statt. 

Über die anfangs gestellten Anträge von Herrn Aly, den Thesen 
der beiden ersten Vortragenden vollständige Zustimmung zu erteilen 
und eine Unterrichtskommission zu ernennen, soll in der Freitags- 
sitzung verhandelt und beschlossen werden. 

Zweite Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, nachmittags 4 Uhr. 
Vorsitzender: Dr. E. Probst 

Diskussion zu den Parallelvorträgen über Universität 
und Schule, gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung (vgl. 
S. 22 ff.) von den Herren 

F. Klein (Göttingen): Mathematik und Naturwissenschaft. 
P. Wendland (Breslau): Altertumswissenschaft: a) Sprach- 
wissenschaft, b) Archäologie, c) Hellenismus. 
AI. Brandl (Berlin): Neuere Sprachen. 
Ad. Harnack (Berlin): Geschichte und Religion. 

Zum ersten Vortrag ergreifen nur die Herren Maurer (Saar- 
brücken) und Witting (Dresden) das Wort. Des letzteren Antrag: 
„Alle anwesenden Vertreter der Schule sind mit den Ausführungen, 



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I 



Diflkuasion zu den Parallelvorträgen. $7 

des Herrn Klein vollständig einverstanden", wird einstimmig an- 
genommen. 

Zum zweiten Vortrag wünscht Herr Imelmann (Berlin) einen 
obligatorischen Kurs über römisches Recht an den Gymnasien, den 
jedoch die Herren Wendland und Uhlig (Heidelberg) nicht für 
richtig halten. Herr Aly (Marburg) schlagt zur Entlastung der 
Universitätsprofessoren die Einrichtung von Assistentenstellen vor. 
Die Assistenten wären die gegebenen Berater der Studenten; aus 
ihnen ließen sich die Privatdozenten heranziehen. Er ist gegen einen 
Studienplan, aber durchaus für einen Lehrplan. Herr Wendland 
erwidert, daß auch bei Einrichtung solcher Assistentenstellen der 
Verkehr der Studenten mit den Professoren nicht zu umgehen sei. 
Nach einem weiteren zustimmenden Votum von Herrn Hausrath 
(Karlsruhe) begründet Herr Löschcke (Bonn) seinen Antrag: „Die 
philologischen und archäologischen Mitglieder der pädagogischen 
Sektion befürworten dringend, daß ein volles Zeugnis erteilt werde, 
wenn der Kandidat die Prüfung in Griechisch und Latein für alle 
Klassen und eine Prüfung in Archäologie, die deren Vertreter ab- 
zunehmen hat, bestand." Derselbe findet die Zustimmung der Ver- 
sammlung. 

Zum dritten Vortrag: Herr Uhlig stellt fest, daß das zweite 
und dritte Referat die Grenzen des Themas überschreitend auch über 
Gestaltung des Unterrichts gehandelt haben, nennt dann eine Reihe 
von Punkten des Vortrags Brandl, mit denen wohl jeder einver- 
standen sein werde, und hebt besonders die Zweckmäßigkeit der in 
Berlin üblichen Zwischenprüfungen (in Latein) hervor. Dagegen läßt 
er die vorgeschlagene Folge der Fremdsprachen im Gymnasium nicht 
gelten. Im übrigen scheint ihm die Orthoepie im fremdsprachlichen 
Unterricht jetzt ebensosehr Überschätzt, wie früher unterschätzt zu 
werden. Man findet hübsch, den Ostpreußen, Deutschrussen, Wiener 
gleich an seiner Aussprache zu erkennen; warum soll der Deutsche 
nicht auch an seiner Aussprache des Französischen und Englischen 
erkannt werden dürfen? Man verliert zuviel Zeit mit der Aussprache. 
Im Gegensatz zu Herrn Brandl beweist dann Redner an einem Bei- 
spiel das Unbegründete der Meinung, daß die Zunge im Verlauf der 
Schuljahre wesentlich steifer werde. 

Herr Stengel (Greifswald) mahnt zur Geduld der erst im Aus- 
bau begriffenen Neuphilologie gegenüber. Sie werde trotz großer 
Schwierigkeiten kraftvoll sich entwickeln; man solle nur Front machen 
gegen jede Einmischung Unberufener und der ganzen Sache mehr Kräfte 
und mehr Geld zuwenden. Herr Leo (Göttingen) wendet sich gegen 
die Zwischenprüfungen und gegen die Scheidung in alte und neue 

6* 

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68 Pädagogische Sektion: Zweite Sitzung. 



Philologie; es gebe überhaupt nur eine Philologie. Zum Schluß 
verteidigt Herr Brandl seinen Standpunkt. 

Zum vierten V ort rage bemerkt Herr U h 1 i g : Besond ers einleuchten d 
in dem belehrenden und erhebenden Vortrage war die Forderung an 
die Lehrer des Geschichtsunterrichts, daß die Epoche, in welcher 
dem antiken Lebensideal das so verschiedene christliche gegenübertrat 
und herrschend wurde, eindringender zu behandeln sei. Zweifellos 
richtig war auch die Forderung historischer Kritik auf oberen Schul- 
stufen. Das Unterlassen von solcher ist zum Teil schuld daran, daß 
bisweilen Männer der exakten Wissenschaften, die auf ihrem Ge- 
biet die schärfste Skepsis üben, gegenüber höchst anfechtbaren Über- 
lieferungen eine merkwürdige Vertrauensseligkeit zeigen. Gegenüber 
den von Harnack angeführten eklatanten Beispielen von Unkenntnis 
der gegenwärtigen öffentlichen Einrichtungen möchte ich aber bitten 
nicht zu generalisieren: in der Schweiz und verschiedenen deutschen 
Staaten werden bürgerkundliche Kenntnisse in höheren Klassen ge- 
lehrt, und vom Erfolge habe ich mich an badischen Abiturienten- 
examina wiederholt überzeugt. 

Sehr billigenswert ist der Wunsch für den Religionsunterricht, 
daß die protestantischen Schüler höherer Stufen klarere und wür- 
digere Anschauungen vom katholischen Glauben und Kultus bekommen 
möchten, auch wenn von katholischer Seite nicht vollständig Gegen- 
recht geübt werden sollte; das ist pädagogische, wie politische Pflicht. 
Die Forderung Harnacks, in den mittleren Klassen den Religions- 
unterricht zu unterbrechen, ist sehr berechtigt; denn in diese Zeit 
fällt der Konfirmanden Unterricht. Dadurch wird das zeitweilige Zuviel 
von religiöser Belehrung und das gleichzeitige Einwirken auf die 
Konfirmanden vom Geistlichen und Lehrer vermieden, die oft in ihren 
Ansichten stark auseinandergehen. Schließlich sind noch zwei Haupt- 
schwierigkeiten des protestantischen Religionsunterrichtes zu erwähnen. 
Nach der Ansicht vieler Theologen hat die an den Berichten der 
Evangelisten geübte Kritik die Dogmatik wesentlich erschüttert, und, 
um den theologischen Streit nicht in die Schule zu tragen, ist ver- 
langt worden, die Dogmatik ganz wegzulassen; allein das ist in der 
Geschichte Jesu (z. B. in der Auferstehungsgeschichte) unmöglich. 
Die andere, oft übersehene Schwierigkeit entspringt aus der Verschie- 
denheit der religiösen Überzeugungen bei den Eltern verschiedener 
Schüler. Der Umstand, daß liberale Theologen, an das Vorhandensein 
streng gläubiger Familien nicht denkend, die sogen. Aufklärung von 
seiten der Lehrer befürworten, hat schon zu ernsten Beschwerden 
geführt, so daß es vielleicht nötig werden kann, den Religionsunter- 
richt auf oberen Stufen fakultativ zu erklären oder doch Dispensation 



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Diskussion über die Parallelvorträge. 



69 



in weitestem Maße zu gewahren. Ich spreche hier nicht einseitig für 
das Recht der Bibelgläubigen, aber ich behaupte allerdings, daß auch 
ihr Reoht anerkannt und gewahrt werden muß. 

Herr Deißmann (Heidelberg) spricht für eine Entlastung des 
Lehrstoffes von den rein doktrinären Materien, für eine stärkere 
Heranziehung der originalen Schöpfungen christlicher Frömmigkeit 
und für Sprechstunden vertraulich-privater Natur, in denen besonders 
die Weltanschauung zur Sprache zu bringen wäre. Herr Aly will 
den Religionsunterricht nur während der Zeit des Konfirmanden- 
unterrichts missen; die Ansichten über die Entstehung des Alten und 
Neuen Testaments gehören nicht in die Schule. Herr Neubauer 
(Frankfurt a. M.) ist für möglichste Einschränkung der Geschichts- 
zahlen und möchte lieber eine schriftliche Geschichtsprüfung. Herr 
Hirzel (Ulm) wendet sich gegen die Erteilung der Bürgerkunde in 
der Schule wegen sonstiger großer Inanspruchnahme der Schüler der 
obersten Klasse. 

Herr Harnack erklärt zum Schlüsse, daß er Bürgerkunde nicht 
als Lehrfach aufgefaßt wissen wolle, aber vernachlässigen solle man 
sie auch nicht. Er wünscht, daß in geschichtlichen Aufsätzen selbst- 
tätig von den Schülern kritisch gearbeitet werde. Die Schilderung 
des Katholizismus und des alten Protestantismus habe mit all der 
inneren Teilnahme zu geschehen, die man aufbringen könne, sonst 
unterbleibe sie besser. Es sei möglich, sowohl im Alten wie im 
Neuen Testament die Erscheinungen des Katholizismus und alten 
Protestantismus so darzustellen, daß man alle Teile befriedige; es 
sei das Objektive, nicht die Meinung der Gelehrten zu geben. Ein 
durch zwölf Jahre fortgesetzter Religionsunterricht wirke jedenfalls 
erschlaffend. 

Dritte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, vormittags 9 Uhr. 
Vorsitzender: Prof. Dr. F. Heman. 

Herr Aly zieht seinen Antrag betr. Diskussion über die Ein- 
setzung einer Unterrichtskommission in Ubereinstimmung mit Herrn 
Hirzel in Rücksicht auf die beschränkte Zeit zurück. Die Angelegen- 
heit soll der nächsten Versammlung unterbreitet werden. 

Die Resolution der mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion 
(siehe dort) wird mit einigen Anderungs- und Ergänzungsvorschlägen 
[Hirzel (Ulm): „notwendig" statt „wünschenswert" ; Lück (Steglitz): 
„wissenschaftliche Fortbildungskurse" statt „Ferienkurse"; Uhlig: es 



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70 



Pädagogische Sektion: Dritte Sitzung. 



werde beschlossen, daß diese Resolution an sämtliche Unterrichts- 
verwaltungen Deutschlands geschickt werde; es sei der Dank aus- 
zusprechen auch für teilweise Erfüllung dieser Wünsche, damit 
diejenigen Behörden, die schon etwas getan haben, sich nicht stoßen 
können] durch folgenden Beschluß gutgeheißen: 

Nachdem die pädagogische Sektion von dem Beschlüsse der 
mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion Kenntnis genommen 
hat betr. die Ergänzung des Hochschulunterrichts im Sinne einer 
vermehrten Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schule, erklärt 
die pädagogische Sektion nicht bloß ihre vollkommene Zustimmung 
zu diesem Beschlüsse, sondern fügt die Bitte an das Plenum der 
Philologen Versammlung hinzu, diesen Beschluß auch als von der 
pädagogischen Sektion ausgehend ansehen zu wollen. 

Der Vorsitzende: Prof. Dr. Heman. 

Herr Klein regt an, zur Weiterleitung der an der Basler Ver- 
sammlung nicht behandelten Probleme zur Lehrerbildung an die nächste 
Versammlung eine kleine Kommission zu wählen. Herr Lück schlägt 
vor, für dasselbe Fach zunächst einen Vertreter der Universität und 
einen der Schule zu ernennen und mit der Vorbereitung dieser An- 
gelegenheit die Herren Klein und Uhlig zu betrauen. Herrn Münz er s 
Zusatzantrag, den Präsidenten der nächsten Philologenversaramlung 
mit in die Kommission zu wählen, wird angenommen. 

Direktor Dr. F. Aly (Marburg) referiert über die Stellung 
des Lateins im Lehrplan des Gymnasiums. Sein Vortrag gipfelt 
in folgenden 7 Thesen: 1 ) 

1. Die lateinische Sprache hat aus historischen wie aus didak- 
tischen Gründen ein Anrecht auf die Stellung, die sie zurzeit im 
Lehrplan des humanistischen Gymnasiums einnimmt. 

2. Der Betrieb der lateinischen Sprache erfordert eine ange- 
messene Anzahl von Wochenstunden; es sind im ganzen auf den 
unteren und mittleren Stufen je 8, auf den oberen je 7 Wochenstunden 
zu verlangen. 

3. Der Unterricht in der lateinischen Grammatik dient als 
Grundlage für die grammatisch-logische Bildung. 

4. Die Übersetzungen in das Latein sind auf allen Stufen und 
auch in der Reifeprüfung festzuhalten. 

5. Als Voraussetzung einer ergiebigen Lektüre ist ein einjähriger 
Kursus in der römischen Geschichte zu fordern. 



1) Der Vortrag ist im Humanist. Gymnasium 1907 Nr. 6. erschienen. 



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Vortrag Aly 



71 



6. Der Kanon muß reichhaltig und elastisch sein; dem Lehrer 
ist die größte Freiheit in dieser Hinsicht zuzubilligen, jedoch mit 
der Beschränkung, daß die Lektüre den erziehlichen Grundsätzen 
entspricht. 

7. Der Kanon: 

für VI und V ein Lesebuch mit Einzelsätzen (lateinischen 
und deutschen) und zusammenhangenden Stücken sagenhaften oder 
historischen Ähalts, auch Fabeln; 

für IV ein Nepos plenior, der aus Justinus, Cicero, Curtius 
Rufus u. a. ergänzt ist, wie der von Lattmann, in chronologischer 
Folge, aber mit anekdotenhaftem Charakter, dazu leichtere Fabeln 
des Phaedrus; 

für III 2 Caesar De hello Gallico I — VI und leichtere sowie 
kürzere Abschnitte aus Ovids Metamorphosen (Delectus Sibeli- 
sianus); 

für III 1 Caesar Tt— VH, dafür auch Abschnitte aus De hello 
civili (Belagerung von Massilia, Curio, Schlacht bei Pharsalus), 
umfangreichere Stücke aus Ovid, griechische Sagen; 

für 112 Cicero in Catilinam I und HE, De imperio Cn. 
Pompei, Pro Archia, Pro Ligario, Philippica I; Livius aus der 
ersten Dekade (besonders V und VH, 29 — VIH); Virgil Aeneis I 
und H, Auswahl aus Elegikern (Seyfferts Lesestücke); 

für II 1 Sallust Bellum Catilinae, Bellum Iugurthinum; 
Cicero, Cato maior, Laelius; Livius dritte Dekade (XXI, XXn); 
Virgil Aeneis IV und VI, Abschnitte aus der zweiten Hälfte, be- 
sonders Nisus und Euryalus, Elegiker; 

für I 2 Cicero, eine größere Rede (Pro S. Roscio, In Verrem 
IV, V, Pro Murena, Pro Sestio, Pro Plancio, Pro Milone) oder 
Auswahl aus den philosophischen Schriften, besonders die zweite von 
Weißenfels (Somuium Scipionis, Tusculanen I und V, De natura 
deorum, Deofficiis), Briefe in Auswahl, historisch geordnet; Tacitus 
Germania 1 — 27; Horaz Oden I und II, Epoden 2, 16, Satiren I, 
6, 9, n, 1, 6; 

für 1 1 Tacitus Annalen I — III, Historien IV — V, Dialogus, 
Agricola; Cicero Orator, Auswahl aus De oratore und Brutus; 
Horaz Oden UI und IV, Episteln I, auch n, 2. 

Mit seinen Ausführungen einverstanden sind Herr T h u m s e r (Wien) 
und Herr Schmidt (Wiesbaden). Herr Hirzel (Ulm) hätte lieber 
noch mehr Lateinstunden (These 2). Herr Lange (Solingen) ver- 
urteilt die schroffe Ablehnung alles Neuen. Für die Anhänger des 
humanistischen Gymnasiums gebe es gar verschiedene Wege zur 



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72 Pädagogische Sektion: Dritte Sitzung. 

Erreichung desselben Zieles. Man sei verpflichtet, den Schülern auf 
die Universität etwas mitzugeben, was sie befähige, frei zu urteilen. 
Die meist geistlosen Übersetzungen ins Latein auf der Oberstufe 
müssen fallen. Aus der Übersetzung vom Deutschen ins Lateinische 
sei die Akribie des Geistes eines Schülers nicht sicher zu erkennen, 
da Drill und Routine bei manchen nachhelfen. Ein Jahr für die 
Geschichte des Altertums genüge, weil die spätere, ungleich wich- 
tigere Geschichte mehr Zeit in Anspruch nehmen dürfe. Im Reform- 
gymnasium bilde mit Recht das Französische, da es den Jungen näher 
stehe als Latein, die Grundlage, zum Vorteil der alten Sprachen. 
Der Referent weist unter Zustimmung der Mehrheit die Einwendungen 
Langes zurück. Auf eine Abstimmung wird verzichtet. 

Herr Stählin (München) führt aus: Wenn Herr Lange vom 
Standpunkt des Reformg) r mnasiums aus Bedenken und abweichende 
Ansichten geäußert hat, so möchte auch ich es zugleich im Namen 
einer großen Zahl bayrischer Kollegen von dem des humanistischen 
Gymnasiums tun. Wir haben auf den Generalversammlungen unseres 
Vereins 1901 — 1905 die Frage des Lateinunterrichts, 1907 in der 
Münchener Gymnasiallehrer- Vereinigung genau das heutige Thema 
(Referent Gymn.-Prof. Flierl e 1 )) behandelt. Da hat sich das Urteil 
über die historische Stellung des Lateins mit der Zeit zugunsten 
des Griechischen verschoben, nachdem ersteres jahrhundertelang dem 
Abendland griechische Kultur und Literatur vermittelt hat. Auch 
wird der didaktische Wert des Lateins von uns nicht so hoch ge- 
schätzt. Nicht einmal Ciceros Sprache (von den andern im vor- 
geschlagenen Kanon genannten Schriftstellern ganz zu schweigen) 
stimmt mit den Gesetzen der Grammatik ganz überein, deren Beach- 
tung wir von den Schülern verlangen. Ebenso halten wir die Über- 
setzungen ins Lateinische nicht für so wertvoll, da die geistigen 
Fähigkeiten, die dabei bewiesen werden, nicht der Inbegriff der zu 
weckenden Geisteskräfte sind; denn solbst auf der Oberstufe wiegt 
oft das rein Gedächtnismäßige vor. Flierle will infolgedessen 12 
von den 66 Lateinstunden dem Griechischen und andern Fächern zu- 
weisen. — Schon 1888 traten fast drei Viertel der bayrischen Gym- 
nasiallehrer für eine Ergänzung der Reifeprüfung durch eine latei- 
nisch-deutsche Übersetzung ein, ein kleiner Bruchteil wollte sie an 
Stelle der deutsch-lateinischen setzen; seitdem hat letztere Anschau- 
ung immer mehr Anhänger gefunden. Vom vorgeschlagenen Kanon 
möchten viele von uns zugunsten der griechischen Lektüre Abstriche 

1) Sein Vortrag ist veröffentlicht in den Blättern für das Gymnasial- 
Schulwesen 48 (1907), S. 041—662. 



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Vortrag Planck. 



73 



vornehmen (z. B. von Ciceros philosophischen Schriften). — Damit 
glaube ich gezeigt zu haben, daß die vorliegenden Thesen über die 
Stellung des Lateins im Lehrplan des humanistischen Gymnasiums bei 
einer großen Zahl meiner bayrischen Kollegen nicht Zustimmung 
finden würden. 

Nach einer Bemerkung von Herrn Decker (Kornthal) gegen das 
Reforragyranasium bemerkt Herr Aly in seinem Schluß votum, daß er 
nicht den Untergang des Reformgymnasiums wolle; nur verwahre 
er sich gegen den Zwang, der von reformgymnasiumfreundlicher Seite 
ausgeübt werde. Er wolle die preußischen Lehrpläne von 1901. 
Eine Abstimmung findet nicht statt, da solche Fragen nicht durch 
Majoritäten entschieden werden. 

Professor Dr. H. Planck (Stuttgart) spricht über die huma- 
nistische Bildung der Mädchen. 1 ) 

Die Frage, ob Mädchen überhaupt Anteil an der humanistischen 
Bildung erhalten sollen, ist nach dem heutigen Stand der Dinge er- 
ledigt; jedoch kann es sich nur um eine Auslese von solchen handeln, 
welche die erforderliche Gesundheit und Nervenkraft, gute Begabung 
und die nötigen Charaktereigenschaften besitzen — vor allem darf 
es nicht bloße Modesache werden! Dagegen ist es kein Unglück für 
ein Mädchen, diese Bildung in einen nichtakademischen Beruf mit- 
zunehmen (z. B. den der Gattin und Mutter). Aber wie und wo 
soll sie geschehen? Durch Koedukation, wie in den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika, wo 93% der Jugend mit gutem Erfolg 
geraeinsam unterrichtet werden? oder durch selbständige Mädchen- 
gymnasien, wie z.B. in Stuttgart? oder durch Angliederung 
von Gymnasialklassen an die Höhere Töchterschule (Gabelung 
oder Aufbau)? 

Koedukation ist das Billigste und zugleich ursprünglich ger- 
manische Sitte, die aber in den höheren Schulen durch den Ein- 
fluß der romanischen Klostererziehung verdrängt worden ist. Zwar 
Württemberg nimmt seit lange bis zum 14. Jahre und seit einiger 
Zeit auch in die oberen Klassen von Vollanstalten Schülerinnen auf, 
in Baden ist dies noch mehr der Fall, seit diesem Jahre auch in 
Sachsen und Elsaß-Lothringen, 2 ) ebenso in der Schweiz da und dort. 
Aber Preußen und Bayern wollen davon nichts wissen. Allein wir 
müssen von Billigkeit und Vorbildern fremder Staaten mit ganz 

1) Der Vortrag ist abgedruckt in den Neuen Jahrbüchern für das klass 
Altertum, XXII, 1908, Januarheft. 

2) Ein genaues Verzeichnis der höheren und mittleren Schulen 
Deutschlands mit gemeinsamem Unterricht gibt der Jahresbericht des 
Vereins „Frauenbildung— Frauenstudium 41 1907. 



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74 



Pädagogische Sektion: Dritte Sitzung. 



anderen Verhältnissen absehen und selber Erfahrungen gewinnen. 
Diese sind bis jetzt für kleinere Schulen bis zu 14 Jahren, nament- 
lich landliche, günstig. Für die oberen Klassen hat Württemberg 
noch zu wenig Erfahrung, dagegen sind die Ergebnisse in Baden 
(Mannheim, Heidelberg) gute. Die Mädchen sind meist begabter 
und ihre Anwesenheit legt dem Lehrer heilsame Selbstbeherrschung 
auf, nur ist da, wo kein Reformgymnasium besteht, die Notwendig- 
keit der Wahl zwischen Gymnasium und Höherer Töchterschule schon 
mit neun Jahren mißlich. In der Lektüre müßte eine sorgfältige 
Auswahl getroffen werden, andrerseits wäre der Herzensanteil der 
Mädchen beim Unterricht ein gutes Gegengewicht gegen die Nüch- 
ternheit oder Blasiertheit vieler Gymnasiasten. Vom erziehlichen 
Standpunkt gibt es schwerere Bedenken ; die ausschließliche Einwirkung 
von männlichen Lehrkräften bis hinauf in die obersten Klassen wäre 
zu beseitigen, besonders geeignete Lehrerinnen müßten ihnen zur 
Seite stehen, in der ganzen Anstalt und in den einzelnen Klassen muß 
der Geist der Zucht und Ordnung herrschen, wenn das Zusammen- 
sein der beiden Geschlechter, namentlich in den oberen Klassen, nicht 
zu Unzuträglichkeiten führen soll. 

Die Angliederung weiblicher Gymnasialklassen an 
die Höhere Töchterschule (wie z. B. in Karlsruhe) in Form von 
Abzweigung nach dem 6. oder 7. Schuljahr sieht einen Lehrgang von 
sechs Jahren voraus und ist sehr empfehlenswert, wo die rechten 
Männer an der Spitze stehen und der Unterricht nicht bloß in den 
alten Sprachen, sondern auch in Französisch, Mathematik, Geschichte 
und Literatur gesondert von der Höheren Töchterschule durch aka- 
demisch gebildete Lehrkräfte erteilt wird (das Karlsruher Mädchen- 
gymnasium wird staatlich unterstützt und erteilt seit 1904 eigene 
vollgültige Reifezeugnisse). Größer ist die Zahl der Anstalten, die 
statt der Gabelung den Aufbau gewählt haben, fast alle nach dem 
Vorbild des Realgymnasiums mit einem Lehrgang von 4( — 5) 
Jahren. Dies ist günstig für solche Mädchen, welche sich erst nach 
Absolvierung der Höheren Töchterschule zum Studium entschließen. 
Aber verkehrt wäre es, diesen Weg für den einzig richtigen auszu- 
geben, denn die Erziehung zum wissenschaftlichen Denken kommt zu 
spät, das Überhasten ist fast unausbleiblich, und es ist unnatürlich, daß 
die Auslese von Mädchen erst 9 — 10 Jahre in der Töchterschule 
mit dem großen Haufen schwimmen muß. Die Frage muß viel- 
mehr lauten: Was ist erforderlich, damit die Auslese von Mädchen, 
die eine tiefergehende wissenschaftliche Vorbildung erstreben, dieser 
ganz teilhaftig werde ohne unbillige Erschwerung und ohne den Nach- 
teil der Schnellbleiche? 



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Vortrag Planck. 



75 



Zum Schloß wird noch das Stuttgarter Mädchengymna- 
sium geschildert, das 1899 mit drei Schülerinnen gegründet, erheb- 
liche Staats- und Stadtbeiträge erhält, aber als reine Privatanstalt 
von einem Aufsichtsrat mit voller Selbständigkeit geleitet wird. Ein 
Reformgymnasium mit sechsjährigem Lehrgang, nimmt es vom drei- 
zehnten Jahre ab Mädchen aus einer Töchter- oder Lateinschule auf. 
Der Lehrplan weicht darin vom Karlsruher Mädchengymnasium ab, 
daß er auf Ubersetzungen aus der Muttersprache stärkeres Gewicht 
legt. Die Form des humanistischen Gymnasiums haben wir ge- 
wählt, weil uns Latein ohne Griechisch als eine Halbheit erschien, 
und weil wir den Mädchen, die im allgemeinen mehr sprachlich-ästhe- 
tisch-literarisch veranlagt sind, gerade die Meisterwerke der dem 
weiblichen Empfinden näher als die römische stehenden griechischen 
Literatur nicht vorenthalten wollten. An der Spitze steht eine Vor- 
steherin; die Lehrerinnen und die meist im Nebenamt Unterricht er- 
teilenden Lehrer beziehen ihr Honorar nach gleichem Satz. Die ver- 
hältnismäßig kleinen Klassen (7—15 Schülerinnen) und der Eifer 
der Lehrkräfte ermöglicht die Korrektur fast der doppelten Anzahl 
schriftlicher Arbeiten und Bewältigung von mindestens gleichviel 
fremdsprachlicher Lektüre als an den Knabengymnasien. Bisher 
haben 18 Schülerinnen ihre Reifeprüfung an einem humanistischen 
Gymnasium mit Erfolg, teilweise mit Auszeichnung bestanden, drei 
die Apothekerprüfung. Das 9. Schuljahr ist im September 1907 
mit 63 Schülerinnen in 6 Klassen angetreten worden. 

Bei der Mannigfaltigkeit der Bedürfhisse und der dem weib- 
lichen Geschlecht geöffneten Studienwege darf zurzeit von einem allein 
seligmachenden Weg noch nicht gesprochen werden; als Humanisten 
freuen wir uns, wenn dem Gymnasium in den Reihen deutscher 
Frauen und Töchter begeisterte Anhängerinnen erstehen und grüßen 
alle Mitstreiterinnen mit einem herzlichen ccya&y vbf$. 

(Aus dem Referat gekürzt.) 

Herr Uhlig spricht seine freudige Zustimmung zum eben ge- 
hörten Vortrag aus und ergänzt ihn durch Mitteilungen zuerst über 
italienische Verhältnisse. Seit etwa 25 Jahren werden auch Mädchen 
an Ginnasi und Licei unterrichtet und gehören zu den besten Ele- 
menten der Schulen. Mißstände sind nicht vorgekommen. Der 
Sprechende kennt nur eine Anstalt, das Ginnasio und Liceo Ennio 
Quirino Visconti zu Rom, wo die Mädchen (der ungemein großen 
Anzahl wegen) gesondert und von sehr tüchtigen Lehrerinnen (sämt- 
lich Dottoresse der Universität Bologna oder Rom) unterrichtet 
werden. Das Zuströmen der Mädchen zu den humanistischen Lehr- 
anstalten kommt nach der Meinung des Redners durchaus nicht von 



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76 



Pädagogische Sektion: Dritte Sitzung. 



einem niedrigen Stande der höhern italienischen Mädchenschulen; An- 
stalten wie die Scuola Adelaide Cairoli in Florenz seien vorzüglich. 
— Dann kommt Redner auf die den Knabengymnasien vollkommen 
gleich gestaltete, vom Verein für erweiterte Frauenbildung gegründete 
und von Dr. Bitter v. Kraus in Wien ausgebaute Anstalt zu sprechen. 
Besonders günstig waren die Eindrücke von einigen altphilologischen 
Lehrern mittlerer und oberer Klassen; speziell berührte neben dem 
Eifer und der Begabung der Schülerinnen die fast allgemein zutage 
tretende körperliche Frische und Gesundheit wohltuend. — Schließlich 
wird ausdrücklich zwei Äußerungen Plancks zugestimmt, daß die 
humanistische gymnasiale höhere Mädchenbildung einen selbständigen, 
von Berufsabsichten unabhängigen Wert habe, und daß bei der huma- 
nistischen Mädchenbildung nicht der Zeitfolge, aber der Wertschätzung 
nach der griechische Unterricht dem lateinischen vorantreten muß, 
da die griechische Literatur in vielen hervorragenden Zeugnissen 
geradezu geschaffen scheint, den weiblichen Geist zu erfreuen und zu 
bilden, während die lateinischen Schulautoren sich zum geringsten 
Teil zur Lektüre für Mädchen wirklich eignen. 

Herr Lüning (St. Gallen) konstatierte auf Grund langer Er- 
fahrung, daß Unzuträglichkeiten im Verkehr der Mädchen mit den 
Knaben sich nur ganz selten zeigen; dafür sei der gegenseitige Ein- 
fluß ein durchwegs günstiger. Herr Helbing (Karlsruhe) findet eine 
Auslese in der Lektüre bei den Mädchen dank dem feinern Takt der- 
selben eher weniger nötig als bei den Knaben. Herr Lück (Steg- 
litz) warnt davor, Organisatorisches von den Mädchengymnasien 
auf die Knabengymnasien zu übertragen und glaubt, daß das Inter- 
esse für Mathematik und Naturwissenschaften bei den Mädchen groß 
sei. Schuld an etwa zutage tretender Interesselosigkeit ist nach 
Herrn Kl eins (Göttingen) Überzeugung besonders eine Überspan- 
nung der Mathematik, bei der sich eben nichts forcieren lasse. Herr 
Jantzen (Königsberg) betont die Gefahr der Heranziehung von 
Mannweibern, der man rechtzeitig begegnen müsse. Eine Ent- 
scheidung des Studiums schon mit 12 Jahren sei verfrüht und hy- 
gienische Gründe sprechen eher für vier statt sechs Gymnasialjahre. 
Für die Mädchen genüge eine Vermittlung des geistigen Lebens der 
Antike durch gute Ubersetzungen. Das Latein sei aber gut für die 
Bildung des historisch- wissenschaftlichen Sinnes, der bei Erlernung 
der neueren Sprachen nützlich sei. 

Hofrat Dr. Mathy (Karlsruhe) hat zugunsten einer ausgiebigen 
Diskussion seinen Vortrag zurückgezogen; er wird ihn auf Antrag 
von Herrn Lück (Steglitz) in der nächsten Versammlung halten. 

* 



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Archäologische Sektion. 



Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907, 
nachmittags 3 Uhr 15 Minuten. 

Als Vorsitzender wurde gewählt — nachdem Prof. Dr. C. Bobert 
(Halle) die Wahl abgelehnt — der erste Obmann Prof. Dr. H. Dragen- 
d orff (Frankfurt a. M.), als zweiter Vorsitzender Dr. Th. Burckhardt- 
Biedermann (Basel) und als Schriftführer Dr. Goeßler (Stuttgart), 
Dr. Barthel (Freiburg i. Br.) und Dr. von Salis (Basel). 

Die Sitzung war ganz der mykenischen Frage gewidmet. 

Dr. G. Karo, Sekretär des Deutschen archäologischen Instituts 
in Athen sprach zuerst über das Thema: Mykenisches aas Kreta. 
(Mit Lichtbildern.) 

L Kuppelgräber. 

Während bisher Kuppelgräber nur aus reif „mykenischer" Zeit 
(= Evans' Late Minoan II/III) bekannt waren, ist diese Form auf 
Kreta schon in der Epoche der „Kykladen"-Kultur (= Early Minoan) 
voll entwickelt. Im Gegensatz zu den kleinen Bundgräbern, die 
Tsuntas auf Syra entdeckt hat, sind die kretischen großen Stammes- 
grüfte von 8 — 9 m Durchmesser, in denen bis zu 200 oder mehr 
Leichen lagen. Ein Dromos führte zu der niedrigen, mit einer 
großen Steinplatte verschlossenen Tür des Grabes; die Anordnung 
im Innern ist unsicher, da alle bisher gefundenen Kuppelgräber (eines 
bei Hagia Triada durch Halbherr, drei durch Xanthudidis bei Ku- 
masa, südöstlich von Gortyn, ausgegraben 1 )) eingestürzt und zum 
Teil ausgeraubt sind. Der Einsturz ist bei diesen mächtigen Bauten 
aus kleinen unregelmäßigen Steinen sehr begreiflich. In H. Triada 
beweisen Reste von Tonsärgen, daß hier die vornehmen Toten schon 
gerade so beigesetzt wurden wie in den folgenden Perioden auf Kreta. 
Tönerne und steinerne Sarkophage (Larnakes) sind ja besonders in 

1) Memorie d. Inet. Lombardo 1905, 236. BSA. XII, 10. 



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78 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



der spätminoischen Zeit häufig. Das Grab von H. Triada liegt allein, 
in Kumasa bilden drei runde und eine rechteckige Gruft einen kleinen 
Friedhof; ein gepflasterter Platz daneben konnte zu Leichenfeiern, 
Opfern, Wettspielen dienen. 

Die Beigaben in allen diesen Gräbern sind einheitlich, altertüm- 
lich. Monochrome Tongefäße mit geritzten Ornamenten, zahlreiche 
Steingefäße und -geräte, Bronzedolche, die in der Form von den 
alten Feuersteinmessern abhängen, wenig Goldschmuck, steinerne 
Idole, steinerne und elfenbeinerne Siegel. Also ähnliches Totengerät 
wie auf den Kykladen, nur reicher und (bis auf einige aus einer 
jener Inseln importierte Marmoridole) im Stile durchaus verschieden, 
viel weiter fortgeschritten. Besonders schön ist ein Siegel aus Elfen- 
bein in Gestalt eines Adlerweibchens, an das sich zwei Junge 
schmiegen (Kumasa). Einige der bunten kretischen („Kamares-") 
Gefäße fanden sich in der obersten Schicht von H. Triada. Sie be- 
weisen, daß die Gruft bis in die „mittelrainoische" Zeit hinein benützt 
wurde. Als sie dann voll war, legte man neben ihr kleine recht- 
eckige Kammern an (im ganzen 12, mit gegen 50 Toten), die sich 
an das große Heroon anlehnen: ein bedeutsames Zeichen für die 
Kontinuität in Kultur und Totenkult. 

Aus entwickelt „mittelminoischer" Zeit stammt ein benachbartes 
Kuppelgrab von H. Triada. Nahe dabei finden sich wieder kleine 
Kammern für die einfacheren Bürger (ein Massenfriedhof für die Armen 
in Palaikastro, BSA. IX, 352: die Toten liegen hier, zwischen paral- 
lelen Mauern, mit ärmlichen Beigaben einfach in der Erde). Diese 
beiden Typen der Gruft bestehen auf Kreta weiter durch die ganze 
„spätminoische" Epoche bis in die geometrisohe Zeit hinein. Jedoch 
sind die Kuppelgräber selten gerade in der Zeit der prachtvollen 
Tholoi von Mykenä und Orchomenos, und an Schönheit und Kunst 
kann sich mit diesen kein kretisches Grab auch nur entfernt messen, 
höchstens das „Königsgrab" von Isopata bei Knosos (Evans, Pre- 
historic Tombs of Knosos), das jedoch rechteckigen Grundriß besitzt. 
Anderseits sind die dekorativen Elemente der festländischen Kuppel- 
gräber direkt von Kreta übernommen, ebenso wie das konstruktive 
Prinzip auf Kreta zuerst ausgebildet wurde. Man wird annehmen 
dürfen, daß kretische Künstler, nach der Zerstörung der großen 
Paläste, um 1400 v. Chr. ihre verarmte Heimat verließen und Lehr- 
meister der „mykenischen" Architekten wurden, auch selbst wohl auf 
dem Festlande Bauten errichteten, die alle kretischen Gräber an 
Pracht weit übertrafen. Denn jene mykenischen Kuppelgräber fallen 
zeitlich in die unmittelbar auf den Znsammenbruch der kretischen 
Hegemonie folgende Periode (Late Minoan IH). 



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Vortrag Karo. 



II. Stadtanlagen. 

Es ist für das Verständnis der altkretischen Kultur von höchster 
Bedeutung, daß keine ihrer Städte, keiner der prächtigen Paläste die- 
geringste Spur einer Befestigung zeigt (auch keine Lehmziegel- 
mauern!), ja daß sogar die Städte ohne Rücksicht auf strategische 
Position angelegt sind. Man kann dies verfolgen: in Knosos, wo der 
Berg östlich und die höheren Hügel westlich vom Palaste diesen be- 
drohen; in Phaistos, wo westlich vom Palasthügel ein höherer an- 
steigt, der ihn beherrscht; in H. Triada, das am unteren Abhang 
eines Berges unbe wehrt liegt; in Gurnia, wo höhere Hügel die Mulde, 
in der die Stadt liegt, einschließen; in Palaikastro, dessen Städtchen 
südlich von einem zur Burg wie geschaffenen Berge frei in der Eben* 
erbaut ist. Nirgends sind die starken, bedrohlichen Positionen be- 
setzt. Es herrschte Frieden im Innern Kretas, und kein Feind droht* 
von außen. Ein solcher in der Antike einziger Zustand ist nur mög- 
lich unter einem einheitlichen, starken Königtum, das seine Insel 
durch eine übermächtige Flotte zu schützen weiß: die sagenhaft» 
Thalassokratie des Minos zeigt sich als Abglanz historischer Wahrheit. 

Von der Bedeutung der Flotte zeugt die kleine Stadt, die Seager 
im Sommer 1907 auf dem Felseneiland Pseira in der Mirabello- 
Bucht ausgegraben hat. Der öde, wasserlose Felsrücken ist zu 
menschlicher Behausung so ungeeignet wie möglich. Aber er besitzt 
den einzigen gegen den Nordsturm geschützten Hafen in dieser 
Gegend, und so erwuchs hier ein Schifferstädtchen, dessen Blüte die 
erstaunlich reichen Funde beweisen (Ton- und Steingefäße schönster 
Kunst, sogar Stuckreliefs mit lebensgroßen Figuren). Auf dem 
Meere lag im 2. Jahrtausend v. Chr. Kretas Macht und Reichtum. 

An die Zuhörer wurden verteilt: 

ein gedrucktes Schema der Epochen altkretischer Kultur 

(nach Evans und Mackenzie) 
und eine gedruckte Karte der Insel Kreta, östliche Hälfte. 

Als Illustration zu dem Vortrag diente die Ausstellung einer 
Reihe von galvanoplastischen Nachbildungen kretischer Altertümer 
von E. Gillieron in Athen (Fabrikaten der „Galvanoplastischen Kunst- 
anstalt" zu Geislingen, Württemberg). 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Nach diesem Vortrage behandelte Prof. Dr. Fr. v. Bis sing (Mün- 
chen) das Thema: Die mykenische Kultur in ihren Beziehungen 
ZU Ägypten (mit Lichtbildern). 1 ) ~ 



1) Erscheint ausführlich in den Schriften des Deutschen archäo- 
logischen Instituts. 



80 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



Der Vortragende führte aas, daß die relative Chronologie der 
kretischen Funde dank Evans', Mackenzies, der Italiener und Amerikaner 
Forschungen feststände; nicht so die absolute Chronologie. Bei dem 
einstweiligen Mangel sicherer Nachrichten über das Verhältnis Meso- 
potamiens und Syriens zu Kreta können allein die ägyptischen Denk- 
mäler die Grundlage zu einer absoluten Chronologie geben. Sie sind 
denn auch seit langem von Petrie, Evans und anderen herangezogen 
worden, allein nicht immer dürfte bei diesen Versuchen Sicheres und 
Unsicheres, Mögliches und Unmögliches genügend geschieden sein. 

Etwas verzwickt wird die Frage durch die Verschiedenheiten in 
der modernen Auffassung der ägyptischen Chronologie. Bis zum 
Beginn des neuen Reiches herrscht, von ganz unbedeutenden Diffe- 
renzen abgesehen, Einhelligkeit: Amosis I. setzt E. Meyer von 1580 
bis 1557, die großen Könige der 18. Dynastie Tuthmoses HI., Ame- 
nophis III., Amenophis IV. sterben 1447, 1380, 1363, der erste 
König der 20. Dynastie BamessesIII. 1179, die 21. Dynastie herrscht 
um 1100. 

Die Hyksoszeit, die Amosis L unmittelbar vorausgeht, will Meyer 
auf etwa 100 Jahre zusammenstreichen, die antike Tradition läßt sie 
viel länger, bis höchstens 800 Jahre dauern. Sie umfaßt die 15. 
bis 17. Dynastie. Ein Ereignis, das unter einem der ersten Hyksos- 
könige vorfiel, hat also nach Meyer nach 1700, nach der antiken Tra- 
dition nach 2400 v. Chr. stattgefunden. Viel schlimmer wird aber 
die Differenz, wenn wir höher hinauf, bis zur 12. Dynastie, steigen. 
Nach Meyer erreichen wir damit etwa das Jahr 2000, nach Petrie 
und der antiken Tradition die Zeit um 3400. Solange wir also iu 
den kretisch-ägyptischen Gleichzeitigkeiten über die 15. Dynastie 
nicht hinauskommen, haben wir einigermaßen festen Boden unter den 
Füßen, darüber hinaus gelangen wir ins Uferlose. 

Steigt man nun von unten hinauf in der Reihe der ägyptischen 
Denkmäler, die zu Kreta in Beziehung stehen, so zeigt sich, daß die 
Funde aus der 21. und 20. Dynastie (Bügelkanne in London aus Deir 
el Bahri, Bilder im Grab Ramesses' III.) der letzten Phase der my- 
kenischen Kunst angehören, daß die in Teil Amarna gefundenen 
Scherben dem entwickelten dritten Stil, den Funden aus den Häusern 
in Mykene entsprechen, daß der eigentliche „Palacestile" in dem unter 
Tuthmoses III. datierten Maketgrab auftritt. Die Funde in Ägypten 
weisen also die gleiche relative Folge auf wie die Funde in Kreta 
und gestatten den Ausgang der mykenischen Kunst nach 1100, den 
jüngeren dritten Stil um 1380, den „Palacestile" um 1450 zu setzen; 
der jüngere kretische Palast, in dem Scherben des späteren dritten 
Stils nicht vorkommen, ist also vor 1380, nach 1450 zerstört worden. 



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Vortrag v. Bissing. 



81 



Die Funde von Enkomi stimmen dazu, denn die angeblich dort vor- 
kommenden Namen von Königen der 22. Dynastie erweisen sich bei 
genauerem Zusehen als Ramessidisch. An den Anfang der 18. Dy- 
nastie gehört nun auch das Fürstengrab von Isopata. Samtliche Formen 
der gefundenen Steingefäße lassen sich in der 18. Dynastie nachweisen, 
in der man zum Teil auf Formen des alten Reichs zurückgegriffen, 
oder auch, wie der Fund der Königin Aahotep lehrt, archaische 
Gefäße wieder verwandt hat. Die Herleitung des in Ton noch an- 
fangs der spätem minoischen Periode häufigen, auch im sechsten Grab 
von Mykene gefundenen Gefäßes S. 12 aus dem Wasserkrug der 
Ägypter ist sehr problematisch, die an sich archaische Form überdies 
im Kult auch im neuen Reich gebraucht worden. 

Daß der jüngere Palast nicht allzu lange vor 1600 erbaut wurde, 
beweist nun der unmittelbar unter einem Zimmer des jüngeren Palastes 
gefundene Steingefaßdeckel mit dem Namen des Hyksoskönigs Siaan 
(höchstens um 2300, spätestens nach 1700), der wohl aus dem Schutt 
des älteren Palastes stammt und älter als der jüngere Palast sein 
muß. Auch das Bruchstück einer ägyptischen Statuette, das unter 
dem Pflaster des Osthofs des jüngeren Palastes in einer mit Kamares- 
vasen durchsetzten Schicht sich fand, gehört, wie Griffith auf Grund 
der Inschrift vom Anfang an gemeint hat, in die Zeit zwischen Dy- 
nastie 13 und 18, höchstwahrscheinlich in die Hyksoszeit. 

Denn in diese gehören die Kamaresvasen von Kahun, nicht in 
die 12. Dynastie. Zu den früher in der Strena Helbigiana gegebenen 
Beweisen kommt die durch Petries neueste Funde gesicherte Da- 
tierung der auch auf Kypros gefundenen schwarzen Kännchen mit 
weiß gefüllten Ornamenten in die Hyksoszeit. Solche Kännchen sind 
mehrere mit den ägäischen Scherben von Kahun gefunden. Hingegen 
enthielt keiner der großen Funde aus dem mittleren Reich (Assuan, 
Assiut, Dachur, Beni Hassan, El Bersche usf.) auch nur eine ägäische 
oder mykenische Scherbe. 

Auch die Geschichte des Spiralornaments bietet keinen Anlaß, 
Beziehungen Ägyptens zu Kreta vor der Hyksoszeit anzunehmen. Die 
Spirale erscheint in Ägypten überhaupt erst in der 12. Dynastie 
(von archaischen Vasenmalereien abgesehen), entwickelt sich üppig 
in der Folgezeit und beherrscht die ornamentale Kunst der ersten 
Hälfte des neuen Reichs. Nicht an den Gräberdecken und Geräten 
des mittleren Reichs, sondern der 18. Dynastie finden wir sie immer 
wieder, gerade von diesen Decken zu my kenischen Mustern führen 
zahlreiche Fäden hin und her. Wohl möglich, daß die Spirale wie 
der Mäander im mittleren Reich von Osten zu den Ägyptern ge- 
wandert ist. Allein nichts weist gerade auf Kreta, und allen von 

Verhandlungen d. 49. Vera, deutscher Philol. n. Schulm. 6 



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82 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



Evans vorgeschlagenen alten Parallelen lassen sich gleichwertige 
oder bessere aus der Zeit nach der 13. Dynastie bis zur 19. gegen- 
überstellen. 

Was nun für das mittlere Reich gilt, gilt noch vielmehr für 
das alte. Weder die bekannte Opfertafel mit der kretischen In- 
schrift, noch die angeblichen ägäischen Scherben aus der 1. Dynastie 
(die mit keiner außerägyptischen Vasenklasse wirklich überein- 
stimmen), und die Formen der Steingefäße liefern uns irgend zwin- 
gende Beweise für einen Zusammenhang Kretas mit der Kultur de» 
alten Reichs. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Prof. Dr. H. Bulle (Erlangen) berichtete über Die Aus- 
grabungen von Orchomenos und das Verhältnis des griechi- 
schen Festlandes zu Kreta. 1 ) 

Die Ausgrabungen auf dem Stadtberg von Orchomenos, die 
1903 und 1905 im Auftrage der Bayerischen Akademie unter Ober- 
leitung Furtwänglers von Bulle, Reinecke und Riezler vorgenommen 
worden sind, haben mehrere alte Kulturschichten zutage gefördert. 
Die älteste Schicht, neolithisch, ins 3. Jahrtausend v. Chr. hinauf- 
reichend, hat runde Hütten aus Lehm, die durch Überkragung kuppel- 
fb'rmig nach Art eines Bienenkorbes geformt sind (technische Vor- 
bilder der mykenischen Kuppelgräber); die Keramik ist fein poliert, 
und zwar teils monochrom, teils rot- weiß. Die zweite Schicht hat 
ovale Hütten aus Lehm und eine Keramik mit primitivem Firnis,, 
sogen. „Urfirnis"; sie ist annähernd gleichzeitig mit der kretischen 
Kamareskultur (erste Jahrhunderte des 2. Jahrtausends v. Chr.). Die 
dritte Schicht ist die ältermykenische, gleichzeitig etwa mit den 
Schachtgräbern von Mykene (etwa 1700 — 1500 v. Chr.). Sie hat 
rechteckige Häuser mit mehreren Zimmern (keine ,,Megaron"form) ; 
die einheimische Tonware ist monochrom, daneben wird mykenische 
Mattmalerei spärlich importiert. Die Toten werden innerhalb der 
Ortschaft, wahrscheinlich sogar innerhalb der Häuser bestattet, in 
kleinen rechteckigen Lehm- oder Steinkisten, und zwar in der 
Stellung der „liegenden Hocker". Die vierte Schicht, die jünger- 
mykenische, ist stark zerstört. Baureste sind außer dem bekannten 
Kuppelgrab nicht vorhanden, hingegen sind zahlreiche Reste von be- 
maltem Wandstuck gefunden worden. Die Malereien gleichen in 
Gegenständen und Stil völlig den kretischen und sind wahrscheinlich 
von eingewanderten Kretern gemacht. Die einheimische Keramik ist 

1) Der Vortrag wird ausführlich in den Jahrbüchern f. d. klase. 
Altertum abgedruckt werden. 



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Vorträge Bulle und Schmidt. 



83 



monochrom, daneben wird massenhaft die mykenische Firnisware 
eingeführt. 

Nach der ersten und der zweiten Periode hat jedesmal ein neuer 
Volksstamm die verlassene Stätte besetzt, was durch Untersuchungen 
an einigen Punkten der Umgegend zur Gewißheit wurde. Von der 
dritten (älterniykenisehen) Epoche ab ist Kontinuität des Volkstums 
anzunehmen. Der mythische Stamm der Minyer ist mit der dritten 
und 4. Schicht in Verbindung zu bringen. 

Während des ganzen 2. Jahrtausends v. Chr. haben auf dem 
Festland Stämme gesessen, die nach und nach aus dem Norden ge- 
kommen und mit den Schöpfern der mykenischen Kultur auf Kreta 
nicht rasseverwandt sind. Die Festlandsstämme nehmen seit 1 700 v.Chr. 
(Mykene) und in steigendem Maße seit 1500 (Orchomenos, Thessalien) 
die kretische Kultur an, jedoch nur äußerlich, so wie Japan die euro- 
päische Zivilisation, behalten aber ihre eigene Bauweise (Megaron 
typus) und ihr Volkstum bei (keine Spuren von Kreta im mykenisch- 
homerischen Sagenkreis). Die Schöpfer der altkretisohen Kultur sind 
vermutlich die Karer; die Bewohner des Festlandes hingegen sind 
die älteren Brüder der historischen griechischen Stämme (Achäer). 

Ausgestellt waren zahlreiche Photographien und Pläne. Ferner 
wurde vorgelegt der erste Band des Ausgrabungsberichtes: „Orcho- 
menos. I. Die ältesten Ansiedlungsschichten. Von H. Bulle. (Ab- 
handlungen der Kgl. Bayer. Akademie d. Wiss. I. Klasse. XXIV. 
Bd. IL 1907.)" 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Nach einer Pause beleuchtete Privatdozent Dr. Hubert Schmidt 
(Berlin): Die Bedentang des altügäischen Kulturkreises für Mittel - 
und Nordenropa. 1 ) (Mit Lichtbildern.) 

Bei einem Überblick über die Kulturentwicklung von Mittel- 
und Nordeuropa während der Dauer der sogenannten klassischen 
Kulturen lassen sich die Einflüsse des Mittelmeergebietes, im beson- 
deren Griechenlands und Italiens, von der Zeit der römischen Kaiser- 
herrschaft (Blütezeit der provinzial-römischen Industrie) bis an den 
Anfang des ersten vorchristlichen Jahrtausends (La Tene- und Hall- 
statt-Kultur) etappenmäßig zurückverfolgen. 

Für das zweite vorchristliche Jahrtausend tritt die Frage der 
Bedeutung des altägäischen Kulturkreises in den Vordergrund des 

1) Eine ausführliche Behandlung der hier kurz zusammengefaßten 
Daten mit den zugehörigen Literaturnachweisen behält sich der Vor- 
tragende für eine größere Arbeit (Zeitschr. f. Ethnologie) vor, in der auch 
andere „ägäische" oder „mykenische" Probleme der Lösung näher geführt 
werden sollen. 

6* 



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84 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



wissenschaftlichen Interesses, zumal da sie mit dem vielfach allzu 
einseitig behandelten Probleme der Priorität des Orients im engen 
Zusammenhange ist (vgl- 0. Montelius, Sophus Müller; im Gegensatz 
zu ihnen Sal. Reinach, M. Much). 

Auffallenderweise ist das Verbreitungsgebiet sicher bestimmter, 
altägäischer Produkte auf europaischem Boden innerhalb der beiden 
fraglichen Perioden — der jüngeren, kretisch-mykenischen und der 
alteren, vormykenischen, sogen. Inselkultur — verhältnismäßig be- 
schränkt. 

Der „mykenische" Handel hat die Nordküste des Schwarzen 
Meeres wahrscheinlich überhaupt nicht berührt und ist in westlicher 
und nördlicher Richtung nicht hinausgegangen über eine Zone, die 
von der Ostküste Spaniens, von der Ostküste Siziliens (zweite siku- 
lische Periode oder Bronzezeit Siziliens), der Küste Unteritaliens (Oria, 
Molfetta, Scoglio del Tonno in Tarent), allenfalls noch von Sardinien 
(Kupferbarren in Form von ausgebreiteten Tierfellen mit my kenisch- 
kretischen Schriftzeichen) und dem Nordrande der Adria (spätmyke- 
nische Vasen auf der Insel Torcello in den Lagunen von Venedig) 
begrenzt wird, letzteres jedoch, ohne das Festland im wesentlichen 
zu treffen. 1 ) 

Wie weit etwa trotzdem im Binnenlande von Mitteleuropa my- 
kenische Einflüsse zur Geltung gekommen sind, läßt sich nur aus 
einer strengen Analyse der Waffen- und Gerättypen erschließen. 

Etwas weiter ausgedehnt waren die älteren, vormykenischen, 
also bis in den Anfang des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu- 
rückreichenden Beziehungen des südöstlichen Mittelmeergebietes zu 
Mitteleuropa; sie lassen sich über Sizilien (verzierte Knochenbelag- 
stücke aus Castelluccio und Troja) hinweg in das Herz von Europa 
bis nach Südfrankreich (geflügelte Perlen; vgL M. Much, P. Reinecke), 
der Schweiz (geflügelte Perlen und kyprische Dolche), Ungarn 
(kyprische Dolche) und Böhmen, bzw. Saalegebiet (kyprische 
Schleifennadeln in der Unetitzer Kultur) verfolgen. 

Umgekehrt hat ein zentraleuropäisches, wahrscheinlich in Sieben- 
bürgen ursprünglich lokalisiertes Fabrikationszentrum sowohl in vor- 
mykenischer Zeit, als zur Zeit der Stufe der Schachtgräber gewisse 
Kulturelemente (goldene Hängespiralen in Troja, Mykene und Ungarn) 
dem ägäischen Kreise vermittelt. 

Solche Übertragungen werden wohl in einen kausalen Zusammen- 
hang mit dem Bernstein- und Zinnhandel zu bringen sein, der 



1) Der Inselstein aus Corneto in der Slg. Castellani (Rom) dürfte 
Unikum geblieben sein; vgl. Milani, Studi e Materiali II S. 24 Fig. 147. 



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Vortrag Schmidt. 



85 



sicher schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. seine Bedeutung für 
Südeuropa erlangt hatte (Bernstein in mykenischen Schachtgräbern 
und Troja). 

So bringen die Funde selbst bestimmte Phasen der altägäischen 
Kultur in ein enges Verhältnis zur bronzezeitlichen Entwicklung von 
Mittel- und indirekt auch von Nordeuropa und liefern uns die chrono- 
logischen Fixpunkte für die absolute Datierung der letzteren. 

Zugleich kehrt sich damit unser Problem in die Frage um, 
welche nordischen Elemente in der altägäischen Kultur sich geltend 
gemacht haben, und zwingt uns zu einer Prüfung und Modifizierung 
der einseitigen Beurteilung der einschlägigen Funde, wie sie in der 
Literatur vielfach zu finden ist. 

Aus der Fülle der so sich aufdrängenden Probleme greift der 
Vortragende zwei interessante Streitfragen heraus, um die Selb- 
ständigkeit der mitteleuropäischen Entwicklung gegenüber dem alt- 
ägäischen Kreise zu beweisen. 

I. Die Herkunft der Fibel. 

Von den fünf, im altägäischen Kreise auftauchenden Fibel- 
formen ist die „Fibula ad arco di violino" die älteste. Über ihren 
Ursprung sind die Meinungen geteilt. Die einen führen ihn auf 
den ägäisch-raykeniscehn Kreis zurück und sehen überhaupt in den 
ältesten Fibeln Siziliens, Italiens, der Schweiz, Ungarns und der nörd- 
lichen Balkanländer nur Nachbildungen mykenischer Vorbilder 
(Orsi u. a.). Die anderen schwanken zwischen der Pfahlbau- und 
Terramarekultur Oberitaliens und den nördlich des Balkans gelegenen 
Gebieten als Heimat der Fibel (Montelius u. a.). Da typologische 
Untersuchungen zu keinem Resultat führen, müssen Erwägungen 
allgemeiner Art die Frage entscheiden: a) Das verschiedene Ver- 
halten Siziliens und Italiens gegenüber den Einflüssen der myke- 
nischen Kultur. In Sizilien rufen sie wahrend der zweiten sikulischen 
Periode eine völlige Veränderung des äußeren Lebens hervor, in 
Italien finden sie während der Dauer der Terramarekultur keinen 
Eingang. Wenn also trotzdem beiden Kulturgruppen die ältesten 
Fibelformen gemeinsam sind, können diese nicht in der mykenischen 
Kultur ihren Ursprung haben. Bestätigt wird das durch die Schichten- 
folge am Scoglio del Tonno in Tarent: hier ist die Pfahlbauschicht, 
in der auch die F. ad arco di violino und a foglio vertreten sind, 
durchaus frei von eigentlich mykenischen Einschlüssen. Erst in der 
über den Pfahlbauablagerungen befindlichen Schicht kamen my kenische 
Vasenscherben und ein my kenisches Tonidol zum Vorscheine. — 
b) Gegen den ägäisch- mykenischen Ursprung der Fibel spricht vor 



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86 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



allem die nationalmykenische Tracht. Sie schließt mit ihren ge- 
nähten Ärmelgewändern ebenso, wie die spätere ionische Tracht, den 
Gebrauch von Fibeln und Nadeln aus. Im ägäischen Kreise war die 
Fibel an die dorische Tracht gebunden und hat daher niemals dort 
für ihre Existenz und weitere Entwicklung einen fruchtbaren Boden 
gefunden. Deswegen ist auch die Annahme hinfällig, daß die grie- 
chischen Stämme im ägäischen Kreise sie erfunden hätten, da ebenda 
im zweiten Jahrtausend v. Chr. der Einfluß der mjkenischen Kultur 
vorherrschte. Sie sind nur die Veranlassung gewesen, daß die Fibel 
auch hier trotzdem Eingang gefunden hat. Für ihre Entstehung 
sind aber günstigere Bedingungen vorauszusetzen; diese sind eher 
im Bereiche der oberitalischen Pfahlbaukultur, als in den nördlichen 
Balkan- oder unteren Donauländern zu suchen. 

II. Die Ornamentik. 

Weder die geradlinig-geometrischen Ornamente auf nordischen 
Tongefäßen der Steinzeit (0. Montelius), noch die Spiralsysteme in 
Mittel- und Nordeuropa sind auf Einflüsse des ägäischen Kreises 
bzw. des Orients (0. Montelius, S. Müller) zurückzuführen. 

Die ersteren gehören zu den einfachsten Zierformen der alt- 
europäischen Horizontal- und Vertikalornamentik. Spiralsysteme er- 
scheinen in zwei verschiedenen Epochen: 

A. Die steinzeitliche Spirale ist in Mitteleuropa älter als 
alle Fundgruppen des ägäischen Kreises, in denen sie bisher auf- 
getaucht ist. In den unteren Donau- und Balkanländern, ihrer mut- 
maßlichen Heimat^ wird sie — eingetieft, plastisch und aufgemalt — 
als selbständig entwickeltes Dekorationselement in bestimmt um- 
grenzten, lokalen, jungneolithischen Kulturgruppen verwendet. Sie 
bildet also die Voraussetzung für gleichartige Entwicklungserschei- 
nungen späterer Zeit auch im ägäischen Kreise und reiht sich hier 
an andere, alteuropäische Kulturelemente an, wie die figürliche 
Plastik, die weiße Inkrustation in der Keramik und vielleicht auch 
die Weißmalerei. 

B. Die bronzezeitliche Spirale gilt ebenso mit Unrecht als 
Entlehnung aus der Mykene-Gruppe (S. Müller, Montelius u. a.) oder 
aus der Inselkultur (P. Reinecke). 

Das Stilmerkmal dieser Spiralornamentik — die Verbindung 
von Spiralreihen mit Zickzackstreifen, die in der Kerbschnittmanier 
und Stempeltechnik ihren Ursprung haben — finden wir in sehr 
verschiedenen Epochen und Gegenden. 

a) Auf Steinbüchsen und Tongefäßen der ägäischen Insel- 
kultur im Anfange des zweiten Jahrtausends v. Chr. 



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Vortrag Schmidt. 



87 



b) Auf Bronzen der zweiten Periode der nordischen 
Bronzezeit (Montelius). 

Zwischen diesen Kulturgruppen eine direkte Verbindung anzu- 
nehmen ist unmöglich. Vielmehr weisen andere Funde auf ein 
mitteleuropaisches Kulturzentrum. 

c) Im altillyrischen Gebiete auf Kalksteinplatten von Nesazio 
bei Pola (Istrien), allerfrühestens dem Ende des 8. Jahrhunderts 
v. Chr. angehörig. 

Nachwirkungen mykenischer Technik und Dekoration sind wegen 
des Zusammenhanges mit älteren Traditionen hier auszuschließen. 
Auf diese weist im besonderen die Ä-förmige Doppelspirale, die ihre 
Analogie in der vormykenischen Keramik und in der Golddraht- 
technik der Schatzfunde von Troja hat. 

Aber es geht noch weniger an, diese späten Skulpturen mit 
dem alttrojanischen Kreise in direkte Verbindung zu bringen. 

Für alle drei genannten Fundgruppen haben wir eine gemein- 
same Quelle zu suchen. Ihren Ursprung deutet die mäander- 
artige Umbildung der Spiralmuster an, die gleichfalls auf den Stein- 
platten von Nesazio zu finden ist. In Mitteleuropa hat nämlich die 
Spiralmäander-Ornamentik schon in der jüngeren Steinzeit ihre Aus- 
bildung erfahren Deutliche Spuren eines so vorauszusetzenden 
binnenländischen Quellgebietes für unseren Formenkreis zeigen: 

d) die Funde von der wahrscheinlich in der Hauptsache bronze- 
zeitlichen Wobnstätte bei Wietenberg in der Nähe von Schäß- 
burg (Siebenbürgen): eine Herdplatte mit konzentrischen Ringen 
von Spiralreihen und Zickzacklinien, ganz analog dem Bronzedekora- 
tionsstil der nordischen Bronzezeit, aber im engen Zusammenhange 
mit der einheimischen Keramik, die Spiralmotive und Kerbschnitt- 
muster reichlich und vielseitig verwendet 

Die Urkeime dieser Kunststufe sind aber schon in der mittel- 
europäischen Steinzeit ausgebildet worden einerseits durch die reich 
entwickelte Spiraldekoration der Balkan- und unteren Donauländer 
(Butmir, Jablanica, Cucuteni, Lengyel, Tordos, Bukowina, Ost- 
galizien» Bessarabien, Gouv. Kiew), in der auch der Mäander schon 
als Variation erscheint, andererseits in der Kerbschnittverzierung der 
jungneolithischen Keramik Slawoniens. 

Der innere, ideelle Zusammenhang zeitlich und räumlich weit 
auseinanderliegender Kulturgruppen äußert sich auch im Festhalten 
einzelner Ziermotive, die ursprünglich die Bedeutung von Symbolen, 
also religiöse Kraft gehabt haben müssen. Ein treffendes Beispiel 
ist die hängende Doppelspirale (Keramik und Goldzierkunst 
von Troja II, spätmykenische Nekropole von Enkomi auf Zypern, 



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88 



Archäologische Sektion: Erste Sitzung. 



Grabstele von Mykene, Altarbau von Hadschar-Kim auf Malta, Grab- 
stele und Bronzesitula von Bologna, Steinbasis von Nesazio, Bronze- 
drahtschmuck in bronzezeitlichen Gräbern Mitteleuropas). Ihr Urbild 
ist schon in der Steinzeit Mitteleuropas auf Schalen der sogen. Band- 
keramik vorgebildet, wo es als Hängeschmuck zu deuten, also wohl 
auf ein Amulett zurückzuführen ist. 

Analogen Sinn scheint auch die S-Spirale auf thraki sehen Ton- 
figuren zu beanspruchen. Und der Herdplatte von Wietenberg 
(Siebenbürgen) steht die Opfertischplatte im Palaste von Phaistos 
(Kreta) mit plastischen S-Spiralen zwischen sechs aufrechtstehenden 
Opfergefaßen durchaus parallel. 

In diesen Einzelspiralen ist also nicht der Einfluß des Orients, 
sondern der Ausdruck des ureignen, religiösen Bewußtseins der Alt- 
europäer zu erkennen. 

Ebenso erklärt sich in tieferem Sinne, aber am einfachsten die 
großartige durchaus selbständige Entfaltung der Spiralornamentik in 
der Stein- und Bronzezeit von Mittel- und Nordeuropa. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Geschäftliche Mitteilungen: 

Dr. Gropengiesser (Heidelberg) empfiehlt die neue „Zeitschrift 
für Geschichte der Architektur" (erscheint im Verlag von Carl Winter» 
Universitätsbuchhandlung in Heidelberg). 

Zur Verteilung gelangt als Probenummer Heft 1 des ersten 
Jahrganges (Oktober 1907). Die Zeitschrift erscheint monatlich. 
Schluß der Sitzung: 6 Uhr 20 Min. 

Ausflug der archäologischen und der historisch- 
epigraphischen Sektion nach Windisch (Vindonissa). 

Donnerstag, den 26. September 1907. 
141 Teilnehmer. 

Abfahrt von Basel 7 Uhr 55 Min. früh. Ankunft in Brugg- 
9 Uhr 3 Min. f 

Zuerst hielt Rektor S. Heuberger (Brugg) angesichts der frei- 
gelegten Ruinen des Amphitheaters einen kurzen orientierenden Vor- 
trag über die Geschichte von Vindonissa und über den Gang der bis- 
herigen Grabungen, welche von der Gesellschaft „Pro Vindonissa 41 
betrieben werden, und erklärte das Amphitheater. Dann besichtigten 
die Teilnehmer gruppenweise unter Führung von Rektor S. Heuberger, 
Direktor Dr. L. Frölich, Pfarrer E. Fröhlich, Dr. Th. Eckinger, 
sämtlich in Brugg, und Professor Dr. H. Dragendorff (Frankfurt a. M.} 



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Vortrag Thiersch. 



89 



die Ausgrabungen auf dem Plateau „Breite" in der Nähe von Win- 
disch, wo im ersten nachchristlichen Jahrhundert das Standlager der 
21. Legion war, das Lagertor am Nordrand der Terrasse und die 
Schuttbalde am Hang des sog. „Kalberhügels", ferner die reichhaltige 
und interessante Sammlung von Fundgegenständen in der Kirche des 
Klosters Königsfelden. Das gemeinsame Mittagsessen im „Roten 
Haus" war durch verschiedene Reden belebt. 

Abfahrt von Brugg: 3 Uhr 5 Min. nachmittags. Ankunft in 
Basel: 4 Uhr 12 Min. 

Zweite Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, 
vormittags 10 Uhr 15 Min. 

Vorsitzender: Prof. Dr. H. Dragendorff. 

I 

Der erste Vortragende, Prof. Dr. H. Thiersch (Freiburg i. Br.), 
sprach Zur Tholos von Epidanros. 1 ) 

Der Aufbau des polykletischen Rundbaues stellt sich nach ge- 
nauer Beobachtung der Baureste in einem wesentlichen Punkte anders 
dar als bei den bisherigen Rekonstruktionen. Der Mittelraum hatte 
Fenster, deren senkrechte Pfosten mit antenartigen Kapitellen nach 
einer brieflichen Mitteilung Dörpfelds sogar zum Teil noch existieren. 
Die feinen Marmoi simsstücke, die man bisher unrichtigerweise viel 
zu hoch oben unter dem Wandkopf ansetzte, sind die etwas vor- 
tretenden Fensterbänke und die xarakoßeig der Bauinschrift. (Der 
Versuch Haussoulliers (Revue de Philologie 1899, S. 28 ff.), diesen 
Ausdruck den ncc^mlöeg der Didymaioninschrift gleichzusetzen und 
als Konsolen am oberen Türrahmen zu deuten, ist aufzugeben. H., dem 
die Existenz der Fenster an der Tholos noch unbekannt war, ging 
dabei von der falschen Voraussetzung aus, daß jene Partie der epi- 
daurischen Inschrift sich nur auf die Türe der Cella beziehen könne.) 2 ) 
Die Tholos hatte kein Oberlicht, der Mittelraum war in Holz ein- 
gedeckt; nur ob innen in Form einer Kuppel, ist fraglich. Die offene 
Mitte des Bodens war vermutlich mit einem Holzpodium überdeckt, 
für das der künstlich hohl gelegte Unterbau einen erweiterten Re- 
sonanzboden abgab. Auf dem Holzpodium, der eigentlichen „Thymele", 
die dem ganzen Bau den Namen gab, spielte die Instrumentalmusik; 
die aoiöot des Hierons standen ringsum. Die Tholos war tatsächlich 

1) Erscheint in „Zeitschrift für Geschichte der Architektur", heraus- 
gegeben von Dr. Hirsch. 

s ) Zusatz. Vgl. die Diskussion. 



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90 



Archäologische Sektion: Zweite Sitzung. 



der Musikpavillon des Kurortes. Hier wahrscheinlich wurden dem 
Gott die Päane angestimmt, die Morgenchoräle, deren sehr häufiges, 
vielleicht tägliches Spielen Kabbadias, To 'Icqov S. 215 ff. wahrschein- 
lich gemacht hat. Vermutlich diente der Rundbau auf der Marmara- 
terrasse in Delphi — sein archaischer Vorläufer lag unter dem 
Schatzhaus der Sikyonier — ebenfalls musikalischen Aufführungen; 
desgleichen der wiederum eng mit dem Apollotempel verbundene 
Rundbau der Vollgraffschen Ausgrabungen in Argos. Der Rundbau 
als das typische Lokal für musikalische Darbietungen ist für die 
archaische und klassische Zeit außerdem festgelegt durch die Skias 
in Sparta und das Odeion des Perikles in Athen. Ein dekorativer 
Auszug aus dem letztgenannten Bau scheint erhalten im Denkmal des 
Lysikrates, der seinen choragischen Sieg eben in jenem Odeion des 
Perikles erfochten haben wird. Dieses hatte also hochgeschlossen 
aufgehende Wände, an deren Innenseite sich die überlieferten Sitzreihen 
anlehnten. Erst höher oben, wie bei unseren heutigen Zirkusbauten, 
saßen die Lichtquellen. Verwandt damit ist das Arsinoeion inSamo- 
thrake. Unregelmäßigkeiten im unteren Teil der Wandinnenseite 
dieses Baues lassen vermuten, daß auch hier Sitzreihen von Holz oder 
«ine Art Balkon ringsum liefen. Sicher sind nicht wie in Niemanns 
Rekonstruktion alle Felder zwischen den Pila9tern im Oberteil der Wand 
geschlossen gewesen, dagegen besaß das Dach kein Oberlicht. Es hatte 
augenscheinlich die elegant geschweifte Form der spitzen Frauenhüte 
hellenistischer Zeit (doUcc). — Das „hadrianische" Pantheon reicht 
in Entwurf und Baubeginn vielleicht noch in trajanische Zeit hinauf 
(endgültige Zerstörung des älteren Baues unter Trajan; trajanische 
Ziegelstempel außer den hadrianischen). Damit steigert sich die 
Wahrscheinlichkeit von Michaelis' Vermutung, daß Apollodor von 
Damaskus der Architekt war. Das „Odeion" des Apollodor bei Dio 
Cassius LX1X, 4 ist vielleicht eben das Pantheon; seiner äußeren 
Ähnlichkeit wegen mit jenen griechischen, der Musik geweihten Rund- 
bauten sowie der in seinem Innern nachweislich nicht ohne musi- 
kalische Begleitung erfolgten kultlichen Dienste wegen von dem 
griechischen Autor so bezeichnet (vgl. sein „Gymnasion" = Trajans- 
thermen). Die Statuen der julischen Stammgötter im älteren Pantheon, 
die bekannte Absicht des Agrippa, den Kult des Augustus (IldvdEtog ?) 
zum Mittelpunkt darin zu machen, sind die römische Fortsetzung 
hellenistischer, zuerst im Philippeion von Olympia, zuletzt im 
„Hymnodeion" des Kaiserkultes in Pergamon ausgesprochener Ten- 
denzen. 

In der dem Vortrage folgenden Diskussion bezweifelt Herr 
Robert (Halle a. S.) die Deutung der dvftiil»? als hölzerner Tisch, 



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Vortrag Vollgraff. 



91 



die ganze Literatur des 5. Jahrhunderts kennt sie nicht. In der 
attischen Tragödie vor allem müßte sie nachgewiesen werden. 

Herr Loeschcke (Bonn) stellt fest, daß der dreifußige Tisoh 
nach Blümners Darlegung der Speisetisch ist; die (hölzerne) Stufe 
neben dem Altar ist die #vfi&ij. Die Rekonstruktion der Tholos 
büligt L. 

Herr Wolters (Würzburg) bemerkt: warum die für die Akustik 
notwendige konzentrische Fundamentmauer des Gebäudes einen Irr- 
gang darstellt, bleibt bei der Annahme von rein konstruktiven Gründen 
unerklärt. 

Herr Bethe (Leipzig) fragt nach den Dimensionen des Ganzen, 
da der Bau doch eine Anzahl von Zuhörern aufzunehmen hatte. 

Herr von Duhn (Heidelberg) äußert ebenfalls Bedenken gegen 
die vorgeschlagene Bedeutung der Tholos. 

Herr Keil (Straßburg) erklärt: Haussoullier habe die Bauinschrift 
kürzlich für eine ganz andere Rekonstruktion verwertet. 

Herr Engelhardt (Saalfeld) sieht in den Irrgängen eine An- 
lage für die Lüftung des Raumes. 

Hierauf referierte Priv.-Doz. Dr. W. Vollgraff (Utrecht) über: 
Die Ausgrabungen in Argos (mit Lichtbildern). 

Es erschien richtig, zuerst die prähistorischen Altertümer der 
Stadt zu untersuchen. Die Reste der ältesten vormykenischen Burg 
auf der Aspis können mit ziemlich leichter Mühe aufgedeckt werden. 
Eine Reihe mykenischer Felsgräber am Fuß desselben Hügels beweist, 
daß Argos auch im mykenischen Zeitalter besiedelt gewesen ist. So- 
dann wurde danach gestrebt, ein allgemeines Bild der Topographie 
der Stadt im klassischen Zeitalter zu gewinnen. Ihre Lage stimmt 
ungefähr mit derjenigen der modernen Stadt überein. Ihre beiden 
Burgen, die hohe Larissa und die niedrigere Aspis, sind immer nur 
Festungen gewesen. Im Innern der Burgmauer des klassischen Zeit- 
alters der Aspis liegen Fundamente eines kleineren, archaischen 
Tempels. Auf der Larissa erkennt man die Fundamente zweier Ge- 
bäude, die wahrscheinlich mit den von Pausanias erwähnten Tempeln 
des Zeus Larissaios und der Athena identisch sind. Die Funde auf 
der Larissa reichen vom geometrischen Zeitalter bis in das Mittel- 
alter hinein. Die venezianische Zitadelle, deren Ruine sie jetzt trägt, 
würde schon an sich eine genaue Untersuchung und Beschreibung 
verdienen. Den Lauf der Mauern, welche die Stadt mit ihren beiden 
Burgen verbanden, kann man größtenteils noch deutlich erkennen; 
in der Ebene ist die Stadtmauer aber noch nicht aufgefunden worden. 
Aus Pausanias' Beschreibung der Stadt geht hervor, daß der große Markt- 
platz, an den die meisten wichtigen Heiligtümer der Stadt grenzten, 



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92 



Archäologische Sektion: Zweite Sitzung. 



in der unmittelbaren Nahe des antiken Theaters lag. Die Wieder- 
gewinnung der Agora wäre in Argos die wichtigste Aufgabe. Voll- 
ständig aufgedeckt und aufgenommen sind bis jetzt: 

1. der Bezirk des pythischen Apollon mit dem angrenzenden 
Bezirk der Athena. Die Stätte liegt am SW.- Abhang der Aspis. 
Die Fundamente der Hauptgebäude sind zerstört, doch lassen die 
Stützmauern der Tempelterrassen und die Ausarbeitungen im Felsen 
ihre Lage noch erkennen. Von zwei Nebengebäuden, einem kleinen 
Bundbau und einem rechteckigen Gebäude, welches wahrscheinlich 
das fiavrijov war, sind die Fundamente teilweise erhalten. In by- 
zantinischer Zeit sind an die Stelle des Apollontempels nacheinander 
zwei christliche Kirchen getreten. Der Grundriß der jüngeren von 
beiden ist noch bis in Einzelheiten erkennbar. Sie war 46 Meter 
lang und 23 Meter breit. Die Münzfunde reichen von der Regierung 
Justinians bis in das zehnte Jahrhundert. 

2. das monumentale Brunnenhaus der argi vischen Wasserleitung. 
Nördlich vom Theater liegt ein recht gut erhaltenes Gebäude aus 
Ziegelstein, welches den Endpunkt des am Abhang der Larissa ent- 
lang laufenden römischen Aquäduktes bildet. Es war überwölbt und 
an der Fassade mit ionischen Marmorsäulen geschmückt. In der 
hinteren Felswand befindet sich eine Nische, in der eine überlebens- 
große Marmorstatue gestanden hatte, welche der auf Delos gefundenen 
Statue des C. Ofellius durchaus ähnlich ist. Auch die östlich an 
diese römische Anlage grenzende Terrasse, welche von der zu den 
Sehenswürdigkeiten von Argos gehörenden schweren Polygonalmauer 
gestützt wird, ist vollständig aufgedeckt worden. Es hat sich dabei 
gezeigt, daß hier nur ein kleineres, archaisches Gebäude gestanden 
hat, welches genau die Mitte der Terrasse einnahm. Es wird hier 
also im Altertum irgendein Vorgang in freier Luft stattgefunden 
haben. Dieser Tatbestand bestätigt die von Eduard Meyer begründete 
Ansicht, nach der an dieser Stelle der uralte Gerichtshof der Stadt 
gelegen haben soll, der den Namen hqix^qiov oder ttqcov führte. 

Mit der Aufdeckung der Gebäude der Agora, deren Lage bereits 
im Jahre 1903 durch eine kleinere Versuchsgrabung festgestellt worden 
war, könnt« erst kurz vor dem Abschluß der vorjährigen Arbeiten 
angefangen werden. Östlich von einem großen Kaufmarkte (un- 
gefähr 100 X 24 Meter) lag ein prostyler Tempel aus Kalkstein 
(33 X 15,2 Meter). Erhalten ist etwa die südliche Hälfte des Unter- 
baues des Tempels; die nördliche Hälfte ist bei der Errichtung eines 
byzantinischen Gebäudes abgetragen worden. Die Orthostaten der 
Südwand stehen teilweise noch in situ. In der Mitte der Südwand 
war eine Tür. Die jetzt innerhalb des antiken Tempels liegenden 



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Vortrag Salis. 



93 



byzantinischen Grundmauern sind aus den Trümmern der Gebäude der 
Agora aufgebaut. Sie enthalten auch nicht wenige Inschriftenstelen, 
die zum größten Teil aus dem Temenos des Apollon Lykeios stammen. 

Eine wichtige im Tempel gefundene Inschrift des 5. Jahr- 
hunderts enthält einen Teil eines zwischen Knossos und Tylissos ge- 
schlossenen Vertrages. 

Von zwei im Temenos des pythischen Apollon gefundenen In- 
schriften bezieht sich die eine auf die Feier der Mysterien von An- 
dania im 1 . Jahrhundert v. Chr., und die andere auf die Einführung 
des Kultes der Leto in Argos, welche erheblich viel später fällt, als 
man bis jetzt allgemein annimmt. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Dr. A. von Salis (Basel) teilte schließlich über Die Aus- 
grabungen in Milet folgendes mit (mit Lichtbildern). 

Die Ausgrabungen, welche von der Generalverwaltung der 
Königlichen Museen in Berlin unter der Leitung von Theodor Wiegand 
seit 1899 in Milet und seit 1906 auch in dem drei Stunden 
weiter südlich gelegenen Didyma betrieben werden, haben mit 
großen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Uber- 
schwemmungen des Mäander, welcher im Laufe der Jahrhunderte 
den ganzen 15 Kilometer breiten Golf mit seinen Ablagerungen in 
festes Land umgewandelt hat, setzen einen großen Teil des alten 
Stadtgebietes monatelang unter Wasser; an vielen Stellen erschwert 
das beständig sickernde Grundwasser die Untersuchung oder macht 
sie gänzlich unmöglich. Die hochragenden Ruinen der Monumental- 
bauten aber sind durch die Wirkung gewaltiger Erdbeben in Trümmer- 
berge verwandelt, deren Abtragung große Anstrengungen und be- 
trächtliche Mittel erfordert, besonders wenn die Reste, wie beim The- 
ater, dem größten in Kleinasien, oder beim Orakeltempel zu Didyma, 
von mittelalterlichen Bauten oder modernen Ansiedlungen überdeckt 
sind; in Didyma mußten erst sechzig Häuser des Griechendorfes 
Jeronda enteignet und abgerissen werden. Die wissenschaftliche 
Arbeit aber wird bedeutend beeinträchtigt durch einen überaus kom- 
plizierten Befund. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung hatte 
sich das alternde Milet gegen zwei übermächtige Gegner zur Wehr 
gesetzt: gegen die Barbaren des Orients und gegen den immer näher 
schleichenden Mäander mit seiner Hochflut. Die letzte, unter der 
Regierung Justinians errichtete Stadtmauer hat die Werkstücke älterer 
Bauten und die Denkmäler des Friedhofs in tollstem Durcheinander 
in ihren Verband gefügt, und die ebenfalls in spätantiker Zeit ver- 
suchte Erhöhung des Niveaus, zum Schutze gegen die Überschwem- 
mungen, durch ein primitives Pflaster aus vorhandenem Material, 



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94 



Archäologische Sektion: Zweite Sitzung. 



darunter zahlreichen Inschriftstelen, hatte eine vollständige Ver- 
schleppung und Verwirrung der Überreste aus der Glanzzeit von 
Milet zur Folge. Das mühsame Zusammensuchen und Sondieren der 
versprengten Reste läßt die Arbeit, welche sich eine gründliche Auf- 
klärung der Stadtgeschichte zum Ziele setzt, nur langsam fortschreiten. 

Die Ausgrabung der altionischen, von den Persern eroberten 
Stadt, die sich nach den neuesten Entdeckungen teilweise über die 
Grenzen der späteren Anlage hinaus erstreckt, ist eben erst begonnen 
worden. Freigelegt sind in größerem Umfange erst die Reste des 
hellenistisch-römischen Milet. Die ganze Periode der Stadtentwicklung 
von Alexander d. Gr. bis zum Ausgang der Kaiserzeit läßt sich im 
höheren Sinn als eine Einheit fassen; denn alle späteren Zutaten, 
wie die großartigen Brunnen- und Thermenanlagen aus den beiden 
ersten nachchristlichen Jahrhunderten, fugen sich leicht und anspruchs- 
los in den sehr regelmäßigen und übersichtlichen Grundplan, der sich 
als ein Werk des früheren Hellenismus herausstellt und den lokalen 
Bedingungen in verständnisvoller Weise Rechnung trägt. Bestimmend 
für die ganze Anlage der Stadt und ihrer Kommunikationsmittel war 
ihr Charakter als See- und Hafenstadt, die recht eigentlich in das 
Meer hinausgebaut war und mit dem Hügelmassiv der Küste nur 
durch eine schmale Landenge zusammenhing. Die Häusermassen 
reichen bis dicht ans Meer, und vier große Häfen schneiden tief 
hinein in das Weichbild der Stadt. Unmittelbar um die Anlege- 
plätze gruppieren sich die ansehnlichsten und wichtigsten Bauten, 
und die Märkte haben direkte Verbindung mit dem Quai. Die späteren 
Um- und Neubauten nehmen Rücksicht auf die Intentionen der Gründer, 
und im allgemeinen stellt sich uns die Stadtgeschichte von Milet dar 
als eine beständige Steigerung ins Kolossale. Gegen Ende des ersten 
Jahrhunderts n. Chr. erwacht die Freude am starkbunten Außen- 
schmuck der Gebäude: die Fassaden des Nymphäums und des Bühnen- 
hauses sind aus verschiedenfarbigem Material erbaut. 

Charakteristisch für diese Stadt ist die ausgesprochene Vorliebe 
für eine monumental ausgestattete Öffentlichkeit — das Theater, der 
große Stadtbrunnen, das Rathaus sind von gewaltiger dekorativer 
Wirkung — und für eine unbeengte Weiträumigkeit im Plan, breite 
gerade Straßen und große, stets viereckige Platzanlagen. Das alles 
findet seine Erklärung in der großzügigen Gestalt der Umgebung, wo 
das Auge darauf eingestellt wird, die Dinge in Distanz • zu sehen. 
Das Verständnis der ionischen Kultur und ihres eigenartigen Kunst- 
stils wird wesentlich erleichtert und vertieft durch das Studium der 
lokalen Verhältnisse. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 



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Resolution. 



95 



Geschäftliche Mitteilungen: 

Der Vorsitzende, Prof. Dragend orff, fordert auf zur Teilnahme 
an einer Exkursion nach Äugst (Augusta Baurica), Samstag, den 
28. September vormittags. 

Professor von Bissing (München) verliest die folgende Reso- 
lution, betreffend den internationalen Archäologenkongreß, der im 
Jahre 1909 in Kairo stattfinden soll: 

Die archäologische Sektion der Basler Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner spricht den Wunsch aus, es möchten 
auf dem Archäologenkongreß zu Kairo die Sektionen I und II (Ar- 
cheologie prehistorique et classique), IV und V (Archeologie religieuse 
et byzantine) regelmäßig in gemeinsamen Sitzungen tagen, so daß 
statt vier Sektionen nur zwei entstehen. Auch sollte soweit möglich 
vermieden werden, daß diese zwei Gruppen gleichzeitig Sitzungen 
abhalten. 

Der dritten Sektion 'Papyrologie' möchte die Epigraphik zu- 
geteilt werden. 

Dann bedauert die archäologische Sektion der Basler Ver- 
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner, daß man für den 
Kongreß in Kairo die Sektion 'fouiües et monuments, conservation 
des monuments' gestrichen hat. Sie wünschte diese Sektion wieder- 
hergestellt zu sehen oder vielmehr diese Dinge ausdrücklich als Ver- 
handlungsgegenstände der Sektion I und II zuzuweisen. 

Endlich gestattet sich die archäologische Sektion der Basler 
Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner das vorbereitende 
Komitee des Kongresses von Kairo darauf aufmerksam zu machen,, 
daß sehr vielen Teilnehmern des Kongresses vor allem daran gelegen 
sein dürfte, die ägyptischen, hellenistischen, römischen, koptischen 
und arabischen Denkmäler in den Sammlungen und im Lande unter 
sachkundiger Führung kennen zu lernen. Sie hielte es also für gut, 
solche Führungen, womöglich in verschiedenen Sprachen, vorzubereiten 
und eigentliche Sitzungen nur in Kairo und am Vormittag abzuhalten. 

Die Resolution wird angenommen. 

Schluß der Sitzung: 12 Uhr 45 Min. 

Zu der Exkursion nach Äugst stellten sich wegen der am selben 
Tage stattfindenden Fahrt nach dem Vierwaldstätter See leider nur 
etwa 10 Altertumsfreunde ein, welche unter Führung und Erklärung 
von Herrn Dr. Th. Burckhardt-Biedermann die alte Römerstadt 
und vor allem das Theater einer genauen Besichtigung unterzogen. 
In derselben Weise war schon Montag, den 23., nachmittags von einer 
ungefähr gleichen Zahl die Stätte besucht worden. 



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Germanistische Sektion. 



Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907, 2 Uhr 45 Minuten. 

Herr Prof. Dr. John Meier eröffnete die Sitzung. Er gedachte 
der Männer, die der deutschen Sprachwissenschaft seit der letzten 
Tagung in Hamburg entrissen wurden, vorab Moritz Heynes, der 
in Basel erfolgreich auf dem durch Wilhelm Wackernagels Tod ver- 
waisten Lehrstuhl für germanische Philologie amtete. Der Vorsitzende 
erwähnte die weiteren Verdienste des Verstorbenen: die Gründung des 
historischen Museums zu Basel, die Arbeit am Grimmschen Wörter- 
buch, die Forschungen über die Realien des deutschen Altertums. 
Von anderen verstorbenen Gelehrten nannte er: Adolf Strack, einen 
Förderer der Volkskunde, Robert Pilger, Hermann Althoff, 
Ernst Förstemann, Oskar Schade — die beiden letztern Vete- 
ranen der germanischen Philologie — , Ferdinand Justi, den Orien- 
talisten und Sprachforscher, der wie Kuno Fischer auch der ger- 
manistischen Wissenschaft wertvolle Anregungen gab, SophusBugge, 
Felix Bobertag, Adolf Stern, Karl Kehrbach, den Heraus- 
geber der Monumenla paedagogica. Mit der klassischen Philologie 
betrauert die germanische Sprachforschung den Tod Hermann 
Useners und Ludwig Traubes. Die Versammlung ehrte das An- 
denken der Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen. 

Hierauf wurde zur definitiven Konstituierung der Sektion ge- 
schritten und auf Vorschlag von Prof. Dr. Martin (Straßburg) der 
provisorische Vorstand bestätigt. Herr Prof. Meier und Prof. Geßler 
dankten für die Wahl. Als Schriftführer wurden ernannt Dr. E. Jenny 
und Dr. E. Geiger (beide von Basel). 

Der Vorsitzende teilte alsdann mit, daß die Herren Proff. 
E. Schröder (Göttingen) und R. Wörner (Freiburg i. Br.), die 
Vorträge zugesagt hatten, leider am Erscheinen verhindert seien. 
Nach einigen privaten Mitteilungen eröffnete er 3 Uhr 15 Minuten die 



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Kombinierte Sitzung der germanistischen und englischen 

Sektion. 



Vortrag Heusler. ff i)NlVER SVTY #97 




Prof. Dr. A. Heusler (Berlin) sprach über Metrischen Stil in 
stabreimender und endreimender Zeit. 

Die eigentliche Mittelpunktsfrage der Versforschung: Wie 
sprechen wir die Verse? kommt in den schriftlichen Abhandlungen 
nicht immer zu ihrem Rechte, so daß man wünschen möchte, die ver- 
schiedenen metrischen Standpunkte einmal in mündlichen Vorträgen 
hören und beurteilen zu können. Ein dahingehender Plan ließ sich 
an diesem Philologentage nicht verwirklichen. 

Der Vortragende zieht aus der deutschen Versgeschichte drei 
kenntlich verschiedene Familien heran, drei metrische Stile, die in 
der Formung und Auswahl des Sprachstoffes getrennte Wege gehen 
und ein ungleiches Formgeftihl bekunden. Der „jambisch-trochäische" 
Stil bedeutet dem Rhythmus der Prosa gegenüber Ausgleichung, 
Schmeidigung, Herabsetzung der natürlichen Kontraste; die Empfin- 
dung des Gleichbleibenden von Vers zu Vers ist hier besonders stark. 
Der lateinisch -romanische Versbau, der diesem Prinzip seit alters 
folgte, hat schon im neunten Jahrhundert auf den deutschen Reim- 
vers eingewirkt. Aber es entstand zunächst keine Kopie, sondern 
eine charakteristische metrische Familie, die in der Mitte stehen blieb 
zwischen dem Exültet cdelum läudibüs und den älteren germanischen 
Formen: der „altdeutsche Vers", der füllungsfreie Viertakter. An 
Knüttelversen aus Goethe und Hartmann von Aue wird seine Sprach- 
stilisierung mit der der jambisch-trochäischcn Verse verglichen: man 
nehme die Zeilen: Und dieses Herz fühlt wieder jugendlich; Wären 
gran und(e) brä || lanc, räch unde grd einmal als Prosa, dann als 
alternierende Rhythmen, dann als füllungsfreie Viertakter: diese letzten 
stilisieren den Prosarhythmus nach Seiten der Steigerung, sie ver- 
stärken die zeitlichen Gegensätze. 

Was diesen zweiten Stil von dem ersten abhebt, ebendiese 
Eigenschaften, in erhöhtem Grade genommen, zeichnen den dritten 
Stil, den altgermanischen aus. Wie in diesem ein eigenes Formgefühl 
waltet, ist gut zu verdeutlichen an Sprichwörtern wie: Wenn der 



Wein niedersitzt, so schwimmen die Worte empor; Wenn der Hund 



wacht, mag der Hirte scJilafen (vgl. altn. j>ars mer ülfs vdn, er ek eyru 

Sek); der Mensch denkt, Gott lenkt (vgl. altn. deyr fe, deyia freendr). 
Der viergliedrige „altdeutsche Vers" ist schmiegsamer als der zwei- 
gliedrige altgermanische, an vier Stellen kann er einen vollen Nach- 
drucksgipfel aufnehmen. Die eigentliche Marke des altgermanischen 

Verhandlungen d. 49. Vor«, deatschor Philol. a. Schalm. 7 



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98 



Germanistische Sektion: Erste Sitzung. 



Versstiles ist die schroffe Rangabstufung, die höchst ungleiche Auf- 
teilung der Versdauer an die einzelnen Silben; sie kommt namentlich 

in den Überlängen des ersten Verstaktes zur Geltung: Statt und Stunde 

heißen dm JHeb stehlen (vgl. ahd. hina miti Deotrthhe). Der Stabreim 
selbst, der nicht ein aufgeklebter Zierat ist, sondern ein Gipfel- 
bildner, stärkt diese herrische zeitliche Kontrastierung. Die gestei- 
gerte, erregte Sprache der episch -hymnischen Dichtung, aber auch 
der scharfe Nachdruck der Spruchpoesie kommen erst bei dieser 
Rhythmisierung wahrhaft zum Ausdruck. Der häufige logisch -syn- 
taktische Gleichlauf heischt diese Gliederung; man nehme: at skips \ 
borti ok at \ skialdar \ rqnd, at \ tnars \ bcegi ok at \ makis egg 
(Vkv. 33) mit notwendig gleichem Zeitwert für die einsilbigen skips, 
mars wie für die zweisilbigen skialdar, makis; oder die Priamel- 
strophe Hav. 81: At | kveldi skal \ dag leyfa, \ konu, er \ brend er, \ 
merkt, er | reyndr er, | mey, er \ gefin er, | is, er | yftr kemr, \ gl y er 
drukkit er: Verse, die diesen altgermanischen Rhythmenstil unserm 
Gefühle mit einer unmittelbaren Selbstverständlichkeit nahe bringen; 
auch eine Übersetzung würde ganz von selbst in ebendiesen Rhyth- 
mus fallen. 

Der Vortragende bringt mit Völuspastrophen die getragen-sang- 
bare Art, mit Heliandzeilen die rhetorisch bewegte Art des epischen 
Maßes zu Gehör. Das Hildebrandslied steht in der Mitte. Trotz 
seinen Formfreiheiten ist dieser deutsche Dichter ein besonders aus- 
drucksvoller Rhythmiker: mehrere Verse (z. B. htver sin fater wäri) 
bringen den besonderen Sinn ihrer Stelle zu schlagender Wirkung, 
sind zugleich typisch für den Gegensatz zwischen altgermanischem 
und altdeutschem Versstile. Durch ausgewählte Teile des Gedichtes 
wird die stimmungsvolle Abwechslung und der Wohlklang dieser 
mächtigen Rhythmen dem Hörer vermittelt. 

Die Diskussion wurde nicht benutzt. Der Vorsitzende dankte für 
den Vortrag und gab der Hoffnung auf eine Besprechung der neuen 
Gesichtspunkte in der Fachliteratur Ausdruck. 

Prof. Dr. AI. Brandl (Berlin) hielt darauf seinen Vortrag über 
Die Gotensage bei den Angelsachsen. 

Bisher herrschte die Ansicht, die Engländer hätten nur geringe 
Kenntnis der Gotensage nach Britannien mitgebracht und diese noch 
bald vergessen. Brandl sucht durch Kritik der altenglischen Eigen- 
namen, durch genaues Studium der einschlägigen Denkmäler und 
durch einige bisher unausgebeutete Fragmente darzutun, daß die 
Gotensage bei den Angelsachsen wie bei allen Germanen im Mittel- 
punkt der Heldenüberlieferung stand und in der Hauptsache bereits 



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Vorträge Brandl und Voretzsch. 



99 



mit den heidnischen Eroberem im 6. Jahrhundert über den Kanal 
gelangte. Daraus ergibt sich auch einiges Licht für den Zustand der 
Gotensage auf dem Festland in jener Zeit: die Gestalt Dietrichs von 
Bern, der 526 starb, muß bereits wenige Jahrzehnte nach seinem 
Tode ins Übermenschliche gesteigert und mit dem Keim zu jenen 
Drachen- und Elfengeschichten ausgestattet worden sein, mit denen 
sie im 15. Jahrhundert im „Heldenbuch" bekanntlich erscheint. Jeder 
Einblick in die Phantasie des gewaltigen Gotenvolkes — so schließt 
der Vortragende — ist geeignet, dem deutschen Volk den Mut zu 
heben und zu wecken. 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren F. Kluge (Frei- 
burg i. B.), AI. Brandl (Erwiderung), G. Binz (Basel), K. Meyer 
(Liverpool), H. von Fischer (Tübingen), A. H eu sler (Berlin). Nach 
einer kurzen Entgegnung von Herrn Brandl und dem Schlußworte 
des Vorsitzenden wird die Sitzung um 5 Uhr geschlossen. 

Zweite Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, 9 Uhr 30 Minuten. 
War kombiniert mit der romanistischen Sektion. 

Vorsitzender: Prof. Dr. A. Geßler. 

Auf die Begrüßung der romanistischen Sektion und geschäftliche 
Mitteilungen folgte der Vortrag von Prof. Dr. K. Voretzsch (Tü- 
bingen) über Die neueren Forschungen über die deutschen 
Rolandbilder. 

Die deutschen Rolandbilder oder genauer Rolandstandbilder, 
welche sich in einer Anzahl niederdeutscher Städte (Bremen, Ham- 
burg, Magdeburg mit dem sogenannten Kolonisationsgebiet, Harzgegend, 
Halle u. a.) befinden oder befunden haben, locken den Philologen durch 
ihren Namen zur genaueren Betrachtung, bieten aber ihrem Wesen 
nach nicht ein philologisches, sondern ein historisches, speziell rechts- 
historisches Problem dar. So haben sich denn auch in erster Linie 
Juristen und Historiker, außerdem noch besonders Mythologen, nur 
vereinzelt auch Philologen mit der Lösung des Problems be- 
schäftigt. 

Erst durch den Archivrat Georg Sello ist die Forschung über 
die Rolandbilder auf festen Grund und Boden gestellt worden. Er 
hat in seinem Rolandkatalog (1890) eine kritische Sichtung des 
Materials vorgenommen und alle diejenigen Bildwerke ausgeschieden, 

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100 



Germanistische Sektion: Zweite Sitzung. 



welche den Namen zu Unrecht tragen und die Forschung nur irre- 
leiten können. Nach seiner Meinung sind die Rolandbilder ursprüng- 
lich Königshilder, speziell Bilder des Städtegründers Ottos L, die 
unter verschiedenen, besonders literarischen Einflüssen den Namen 
Roland nach dem Paladin Karls d. Gr. erhalten haben (Roland eu 
Bremen 1901, Vindiciae Rulandi Bremensis 1904). Nach dem Rechts- 
historiker R. Schröder (vgl. Beringuier, Die Rolande Deutschlands 1891 
u. sonst) sind die Statuen an Stelle ehemaliger Marktkreuze getreten, 
also Symbole der Marktberechtigung. Eine Umwandlung aus einem 
gegenständlichen in ein figürliches Symbol nimmt auch F. Keutgen 
( Untersuchung über den Ursprung der deutschen Städteverfassung 1895) 
an, jedoch sind als ursprünglich die sogenannten Friedekreuze, Sym- 
bole des den Städten vom Stadtherrn verliehenen Stadtgerichts, an- 
zusehen, die an ihre Stelle getretenen Figuren also als Gerichts- 
rolande aufzufassen. Ahnlicher Meinung ist auch der Rechtshistoriker 
S. Rietsehl (Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis 1897), 
nur daß er die Figuren selbst als ursprünglich ansieht, als Verkör- 
perung der dauernden Gerichtsherrschaft des fürstlichen Stadtherrn 
über die Stadt. Auch der Historiker G. v. Below hat sich dieser 
Auffassung angeschlossen (Das ältere deutsche Städtewesen und Bürger- 
tum 1898, 1905). — Mythologische Deutung wird auch jetzt noch 
von Paul Platen (verschiedene Programme 1899 — 1903) vertreten, 
welcher darin alte Donarbüder, neuerdings Tiu-Sahsnotbilder erblickt; 
auch C. Höde (Roland zu Zerbst 1902) ist, trotz energischer Betonung 
der juristischen Bedeutung der Standbilder, am letzten Ende mytho- 
logischem Ursprung der Bilder nicht abgeneigt. 

In ein völlig neues Stadium ist die Forschung durch die sog. 
Spielrolandtheorie getreten, welche gleichzeitig von dem Historiker 
Held mann und dem Germanisten Jostes aufgestellt wurde. Ge- 
meinsam ist beiden die Herleitung des Wahrzeichenrolands seiner 
Darstellung wie seinem Namen nach aus der im Rolandspiel als Ziel 
dienenden Drehfigur, gemeinsam auch die Erklärung für diese auf- 
fällige Umwandlung durch die kecke Fälschung des Bremer Rats- 
herrn Hemeling, welcher 1404 an Stelle des alten, 1366 verbrannten 
Holzrolands, eines Spielrolands, den neuen, steinernen errichten ließ 
und durch den auf dem Schild aufgezeichneten Freiheitsspruch im 
Verein mit Fälschung von Urkunden und Stadtchronik zum Träger 
städtischer Freiheiten machte. Während aber Heldmann (Die 
Rolandbilder Deutschlands 1904, Rolandsspielfiguren, Richterbilder 
oder Königsbilder? 1905) das Rolandsspiel als eine genaue Nach- 
ahmung der Sterbeszene Rolands im Epos betrachtet, erblickt Jostes 
(Roland in Schimpf und Ernst 1904, 1906) darin vielmehr das fran- 



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Vortrag Voretzach. : /;. ) \ {• ''} [ f\ 

zÖsische Quintainespiel und erklärt den Namen der Spielfigur aus 
ihrer Drehbarkeit (rotulare, rouler, rollen), aus einer volksetymo- 
logischen Anlehnung an den Namen Roland. 

Hier wird also Sache und Name als zusammengehörig betrachtet 
und erklärt. Der Name Roland kann aber zufällig, äußerliche Zutat 
sein, und so wird man, wenn man vorurteilslos an die Frage heran- 
treten will, die Erklärung des Wesens unserer Rolande nicht von 
vornherein im Namen zu suchen haben, sondern eins vom anderen 
trennen müssen. Das Wesentliche sind die Standbilder selbst und 
ihre Bedeutung. Und wenn diese schon in den ältesten Überliefe- 
rungen nicht mehr deutlich erkennbar ist, so bleibt uns für die ur- 
sprüngliche Bedeutung in der Hauptsache nur die Wahl zwischen 
Seilos Königsbildern und den von Rietsehl, Keutgen u. a. an- 
genommenen Gerichtssymbolen. Für letztere spricht vor allem der 
Sachsenspiegel, der teils mit seinen Vorschriften über die Kleidung 
der Richter und Schöppen, teils mit seinen Richterbildern auffällig 
zu dem Typus der Rolandstandbilder stimmt. Hierzu paßt auch 
manches, was von Gegnern der Gerichtsrolande, von Heldmann 
über das Burggrafenbild zu Halle, von Sello über das Fehlen der 
königlichen Insignien gesagt worden ist. Die Wahrzeichenrolande 
aus den Spielfiguren abzuleiten verbietet schon der bei beiden total 
verschiedene Typus. Nachdem aber jüngst durch Walther Stein 
(Hansische Geschichtsblätter 1906) nachgewiesen worden ist, daß die 
Hemelingschen Fälschungen erst nach 1419 möglich waren, also zeit- 
lich 15 Jahre hinter die Errichtung des neuen steinernen Roland zu 
Bremen fallen, verliert die angebliche Umwandlung der Spielrolande 
in Wahrzeichenrolande allen Grund und Boden. 

Der Name der Gerichtsrolande bedarf noch der Erklärung. Daß 
hierbei der epische Roland in Frage kommt, ist gewiß, aber hier er- 
hebt sich die Schwierigkeit, daß Handschriften deutscher Roland- 
dichtungen — Buolandes Liet des Pfaffen Konrad, Karl d. Gr. vom 
Stricker — in Niederdeutschland offenbar nicht häufig genug waren, 
um eine weit- und tiefgehende Popularität des Helden Roland gerade 
hier zu erklären. Neben dem niederrheinischen Karlmeinä kommt 
ja auch noch die lateinische Chronik des sog. Pseudoturpin in Be- 
tracht, aber gerade in den letztgenannten Quellen fehlt jede speziellere 
Beziehung zwischen Roland und dem Sachsenlande. Daß im Renaut 
von Montauban (niederländisch 13. Jahrh., niederrheinisch 15. Jahrh.) 
Roland sein Schwert Durendal im Sachsenkrieg gewinnt, erscheint 
hier mehr als ein nebensächlicher Zug. Man sollte eher eine besondere 
Dichtung über einen Krieg Rolands mit den Sachsen erwarten, aber 
gerade die französischen Dichtungen lassen die Sachsenkriege erst 



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ID2 : - Germanistische Sektion; Zweite Sitzung. 



auf Rolands Tod folgen. Auch Namensforschungen ergeben nichts 
Greifbares über die Popularität des Rolandnamens, da der Name 
von Haus aus deutsch ist und hier auch vor und unabhängig von 
der literarischen Überlieferung weiter fortgepflanzt wurde. 

Auch die Theorien von Heldmann und Jostes bieten keine 
genügende Erklärung, falls man etwa eine Übertragung des bloßen 
Namens von den Spielrolanden auf die Wahrzeichenrolande an- 
nehmen wollte. Vielmehr hieß zunächst das Spiel selbst Roland, und 
wann die Spielfigur den Namen Roland bekam, wissen wir nicht 
Jedenfalls kann man nicht mit Heldmann die Stelle aus Walther 
von Rheinau anziehen, bei welcher zudem die Lesart (ob rolande 
oder rolonde) unsicher ist. Heldmanns Deutung der Spielfigur 
direkt auf den sterbenden Christenhelden ist psychologisch mehr als 
unwahrscheinlich, auch die Volksetymologie von Jostes begegnet 
lautlichen und formalen Bedenken. 

So ist die sekundäre Frage, wie die Richterfiguren zu dem Namen 
Roland kamen, noch nicht völlig befriedigend gelöst. Vermutlich aber 
bildeten das Mittelglied, wie schon Sello annimmt, die der Stadt 
Bremen von Karl d. Gr. angeblich verliehenen, durch eine echte Ur- 
kunde von 1186 bestätigten Privilegien. Man erblickte andrerseits 
in der Richterfigur ein Symbol städtischer Gerichtsfreiheit, und so 
lag es wohl nahe, diese auch als Träger jener Privilegien anzusehen. 
Das Standbild als dasjenige Kaiser Karls selbst zu betrachten, ging 
aus äußeren Gründen nicht an, aber sein erster Paladin mochte wohl 
als sein Vertreter gelten. Die Bezeichnung der Figur als Roland setzt 
nicht unbedingt eine Popularität der Rolandsage in Bremen und 
Niedersachsen voraus, sie kann auch auf gelehrter oder halbgelehrter 
Deutung und Übertragung beruhen. 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren E. Seelmann 
(Bonn), E. Martin (Straßburg), G. Baist (Freiburg i. Br.) und dem 
Vortragenden. 

Prof. Dr. K. Bohnenberger (Tübingen) sprach über Münd- 
artgrenzen. 

Aus den eingehenden mundartgeographischen Untersuchungen 
auf dem Gebiete des Alemannischen lassen sich allgemeine Er- 
gebnisse über Mundartgrenzen gewinnen. Die Grenze des Ale- 
mannischen gegen die Nachbarmundarten erscheint in ihren genau 
untersuchten Teilen (Norden, Südostecke, teilweise auch Westen) als 
einheitliche Linie oder als Zone (letztere gebildet durch Linien- 
bündel oder mit weiterer Zerstreuung der Linien). Die Ursachen 
des Grenzverlaufs lassen sich in weitgehendem Maße aufzeigen, Grenz- 
linien wie Zonen stimmen z.T. mit heutigen Konfessionsgrenzen, 



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Vortrag Bohnenberger. 



103 



zu allermeist mit ehemaligen Besitzgrenzen überein. Die Über- 
einstimmung ist z. T. eine völlige, so daß beide Grenzen zusammen- 
fallen, z. T. eine annähernde mit paralleler Richtung beider Grenz- 
züge. Das weitgehende Maß der Übereinstimmung erweist ursäch- 
lichen Zusammenhang, die Mundartgrenzen sind also durch die 
geschichtlichen bestimmt. Letztere lassen sich zumeist in zwei Gruppen 
zusammenfassen: eine jüngere Gruppe aus der Zeit des ausgehen- 
den Mittelalters, welche zumeist durch die folgenden Jahrhun- 
derte bis zur Auflösung des alten Boichs fortbestand, z. T. noch 
in der heutigen Konfessionsgrenze fortlebt, und eine ältere Gruppe, 
bestehend in den Grenzen der Herzogtümer (bzw. Stämme) und 
der zunächst daraus erwachsenden Gebilde. Die Mundartgrenzen zeigen 
in ihrer Einzelgestaltung genauere Übereinstimmung mit 
ersteren. Als die zeitlich näherliegenden sind diese auch als die 
zuletzt wirkenden Ursachen der heutigen Mundartgrenzen anzusehen. 
Bei der Vielgestaltigkeit dieser jüngeren Besitzgrenzen läßt sich aber 
die Bevorzugung derjenigen unter ihnen, welche mit der älteren 
Gruppe übereinstimmen, nur erklären, wenn letztere zugleich an der 
sprachscheidenden Wirkung mitbeteiligt ist. Es hat zuerst die 
ältere Gruppe (Herzogtumsgrenze mit ihren nächsten Fortsetzungen) 
als einschneidende Verkehrsgrenze eine Sprachscheide gebildet. Mit 
deren Erlöschen haben benachbarte jüngere Besitzgrenzen die Sprach- 
grenze an sich gezogen und forterhalten, im allgemeinen die nächsten 
unter diesen jüngeren Grenzen, Weiterverrückung an fernere ist aber 
ebenfalls zu beobachten. Die heutige Grenze der alemannischen Mund- 
art, soweit untersucht, folgt im allgemeinen der Herzogtumsgrenze 
recht genau. Ein Beispiel weiterer Abrückung unter dem Einfluß 
jüngerer Besitzgrenzen bildet die nördliche Ausbiegung der Mundart 
um den Neckar bis gegen Brackenheim -Heilbronn, veranlaßt durch 
die entsprechende, im 14. Jahrhundert erfolgte Ausdehnung der Graf- 
schaft Wirtenberg. Wie unter den verschiedenen Grenzlinien einer 
Zone Linien älterer Spracherscheinungen, die ehemals notwendiger- 
weise mit den älteren Besitzgrenzen zusammengehen mußten, heute 
an junge Besitzgrenzen hinübergetreten sein können, während in der 
gleichen Gegend die Linien jüngerer Spracherscheinungen der Herzog- 
tumsgrenze ganz nahe geblieben sind, zeigt das Grenzstück an Selz 
und Lauter im Elsaß. — Die untersuchten Sprachgrenzen inner- 
halb der Mundart zeigen in ihrer Einzelführung gleicher Weise 
wie die Außengrenzen genaue Ubereinstimmung mit jüngeren Besitz- 
grenzen, sichere Ursachen für ihre Gesamtrichtung waren aber nicht 
erkenntlich. Neben den geschichtlichen Ursachen erwiesen sich natür- 
liche Verkehrshindernisse (G ebirge, Talschluchten, Flüsse, Wälder) 



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104 



Germanistische Sektion: Zweite Sitzung. 



deutlich als bei der Entstehung der Mundartgrenzen mitwirkend. Im 
einzelnen ist ihre Beteiligung aber viel schwerer bestimmbar und ab- 
meßbar. — Proben auf außeralemannischem Gebiet haben volle 
Übereinstimmung mit dieser Gesamtlage gezeigt und daher die all- 
gemeine Bedeutung der hier gewonnenen Ergebnisse gestützt. 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren H. von Fischer 
(Tübingen), L. Gauchat (Zürich) und dem Vortragenden. 

Nach der kombinierten Sitzung trug Prof. Dr. F. Pf äff (Frei- 
burg i. Br.) über die TannMusersage l ) vor. 

Die entwickelte Tannhäusersage ist in den verschiedenen Fas- 
sungen eines alten Volksliedes und in der Volkssage vom Venusbergr 
bei Uffhausen im Breisgau überliefert. Den besten Text des Liedes 
bietet ein Druck von Jobst Gutknecht in Nürnberg aus dem Jahre 151 5 r 
den Unland in seinen Alten hoch- und niederdeutschen Volksliedern I r 
2, 297 wiedergibt. Dieser Text ist erheblich Älter als der Druck. 
Auch niederdeutsch, niederländisch und dänisch ist das alte Lied 
überliefert. In neuerer Zeit wurde es gefunden in der Schweiz (Ent- 
lebuch, St. Gallen, Aargau, Wallis) und Österreich (Steiermark, Kärn- 
ten, Tirol). Die neueren Texte sind teils durch Auslassungen, teils 
durch Zusätze entstellt. Auch der Name des Sagenhelden ist vielfach 
entstellt oder ganz vergessen. Selbst die Venus fehlt, und an Stelle 
des Erlebnisses mit ihr werden nur „große Sünden" erwähnt. Die 
Romfahrt des Sünders steht im Vordergrund. So ist auch auf alten 
Drucken des Liedes Tannhäuser als Pilger abgebildet. Das Lied war 
sehr beliebt. Wie mit Neidharts Namen leichtfertige Gesänge, so 
wurden mit dem Namen des Tannhäuser altfränkische sagenhafte 
Geschichten bezeichnet. Das alte echte Lied gehört zu den besten 
deutschen Balladendichtungen und steht über allen späteren Bearbei- 
tungen der Sage. 

Die Sage von Uffhausen erzahlt Heinrich Schreiber in seinem 
Taschenbuch für Geschichte und Altertum in Süddeutschland 1839. 
Eine Vorhöhe des Schönbergs bei Freiburg i. Br., nahe Uffhausen, 
heißt der Venusberg (Fenisberg). Ein Ritter von der nahen Schnee- 
burg zog nach Rom, um Lossprechung von seinen schweren Sünden 
zu erlangen. Diese wird vom Papst verweigert: eher soll dessen 
dürrer Stab Rosen tragen. Der Ritter kehrt heim und stürzt sich 
verzweifelnd in den offenstehenden Venusberg. Nach zwei Jahren 
trägt der Stab Rosen, der Papst sendet der Witwe Bericht; man 
gräbt im Berg und findet den Ritter tot. Zum Saal der Venus ist 
man aber niemals gelangt. 

1) Eine eingehende Darstellung in Buchform ist in Vorbereitung. 



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Vortrag Pf äff 



105 



Also auch in der Sage fehlt, wie in den neueren Liedern, die 
Einleitung im Venusberg und sind andere Züge zugesetzt. 

Die vollständige Sage zerfällt in drei Grundstoffe: 1) Erleb- 
nisse des Tannhäuser, 2) Sage vom Venusberg, 3) Legende vom 
Stabwunder. 

Der Held ist ohne Zweifel der Minnesinger Tannhäuser, ebenso 
wie Heinrich von Morungen, Gottfried von Neifen, Reinmar von Brennen- 
berg, Burkart von Hohenfels u. a. Tannhäuser dichtete um die Mitte 
des 13. Jahrhunderts. Er stammt wohl aus Salzburg. An den Grab- 
stein eines Konrad Tannhäuser in der Maria-Pfarrkirche im Lungau 
hat sich eine verwandte Sage angeknüpft Sein Leben kennen wir 
nur aus seinen Gedichten. Er führte ein Wanderleben, war auch im 
hl. Land, auf Zypern, erlitt einen Schiffbruch vor Kreta. Er war 
ein Nachahmer Neidbarts, doch selbständig, vielseitig gebildet und 
begabt, aber unmäßig und leichtfertig. Spätere Gedichte wurden ihm 
zugeschrieben: er war also in seiner Art eine Berühmtheit. Er nennt 
Venus, Pallas, Medea, Sibylla und kennt eine Lehrstätte der schwarzen 
Kunst Er führte ein üppiges Liebesleben und dichtete auch ein Buß- 
lied. Was man von ihm weiß, genügt aber nicht, um die Anknüpfung 
der Sage zu erklären. Da er jedoch auf Zypern, dem Heiligtum der 
Venus, war, kann er wohl eine Grotte der Göttin besucht haben, 
konnte Abenteuer erlebt und erzählt haben, die in der wundersüchtigen 
Zeit übertrieben und umgedeutet wurden. Die Bilder der Lieder- 
handschriften , die nur z. T. Phantasiegebilde und Nachahmungen 
sind, stellen verschiedene Minnesinger in Lagen dar, die wir geschicht- 
lich nicht kennen. Der im Liede erwähnte Papst Urban IV. stimmt 
zeitlich zu dem Minnesinger Tannhäuser. Spätere Erzählungen, wie 
die Hermanns von Sachsenheim und einiger Meisterlieder, gehen auf 
das alte Tannhäuserlied zurück. 

Die fahrenden Schüler des späteren Mittelalters pflegten sich 
damit zu brüsten, daß sie im Venusberg die schwarze Kunst gelernt 
hätten. Von diesem Venusberg wissen viele Schriftsteller des 15., 
16. und 17. Jahrhunderts. In Hexenprozessen erscheint er als Hoch- 
schule der Zauberei. Paracelsus erwähnt ihn ungläubig und spöttisch. 
Äneas Sylvins hatte gehört, daß er bei Norcia im Herzogtum Spo- 
leto liege und bat seinen Bruder Nachforschungen anzustellen. 

Auch in Deutschland gibt es verschiedene Venusberge und Fenes- 
löcher, in denen die weiße Frau wohnt und die Fenesleute (Zwerge). 
Der letzteren Name und Wesen wird durch den Hinweis auf die 
Venediger nicht genügend erklärt. In Deutschland war die antike 
Venus durch die Vagantendichtung früh bekannt, auch kannte man 
alte Venusbilder, wie das zu Trier vom hl. Eucharius umgestürzte 



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106 



Germanistische Sektion: Zweite Sitzung. 



und das zu Antweiler. Der echte Venusberg aber war in Italien bei 
Norcia, der Monte della Sibilla. Von ihm erzählt zuerst Pietro Ber- 
suire (f 1362), dann Andrea dei Magnabotti in seinem Roman Gue- 
rino il Meschino (1391) und besonders eingehend Antoine de la Salle 
(geb. 1387) in seiner Salade, einer Erziehungsschrift für Johann 
von Anjou, den Sohn des Königs Rene. Er hat den Sibyllenberg 
und den nahen Pilatussee selbst besucht. Auf der Insel des Sees 
wurden Zauberbücher geweiht. In der Grotte der Sibylle fand er 
Namen von Besuchern, darunter den eines Deutschen, angeschrieben. 
Man erzählte ihm von einem deutschen Ritter ein Abenteuer ganz 
ähnlich der Tannhäusersage, auch mit der Verdammung durch den 
Papst und der Rückkehr in den Berg. 

Deutsche Berichte, wie der des Felix Hemmerlin von Zürich 
(1410—13), des Felix Fabri (1480) und des Arnold von Harff(l497) 
schließen sich an. 

Auch von Zypern wird Ahnliches berichtet. 

1897 hat der Romanist Pio Rajna den Sibyllenberg bei Nor- 
cia besucht. 

In Italien war Venus mit den großen Göttern untergegangen; 
dagegen hatte sich die Sage von der weissagenden, zauberhaften 
Frau im Berg, der Sibylle, erhalten. Dagegen war in Deutschland 
der Name der Venus als einer alten Abgöttin erhalten geblieben; 
auf sie waren die Eigenschaften der Holda, Berchta, der bergentrückten 
weißen Frau übertragen worden, die an unendlich vielen Orten ge- 
sehen wurde, so z. B. auch am Hörselberg bei Eisenach. Reisende 
hatten die Erzählung vom Sibyllenberg aus Italien mitgebracht. Dieser 
ferne zauberhafte Berg ward nun in der deutschen Überlieferung mit 
allen Eigenschaften des Venusbergs ausgestattet. Von hohlen Bergen, 
die in heidnischer Zeit als Wohnung gedient, ja von in den Fels ge- 
hauenen Burgen wußte man ja auch genug. 

Die Strenge des Papstes gegen Tannhäuser hat oft Verwunderung 
erregt. Sie ist aber nur ein Ausfluß der uralten, z. B. auch biblischen 
Auffassimg, daß der Anblick des Heiligen dem Menschen ver- 
derblich sei. Auch die Gemeinschaft mit götterhaften unterirdischen 
Gewalten galt daher für unheilvoll. Beispiele aus der Sage sind der 
Graf von Lusignan und Melusine, der Staufenberger und die Wald- 
minne, der Wassermann und die schöne Agnese, Siegfried und Brun- 
hild. So hat sich auch Tannhäuser dem elbischen Wesen ergeben 
und ist darum nach menschlicher Auffassung verloren: nur ein gött- 
liches Wunder kann ihn retten. Aber es geschieht kein beliebiges 
Wunder, sondern ein ganz eigenartiges, bedeutungsvolles, das Stab- 
wunder. 



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Vorträge Pfaff und Wilhelm. 



107 



Das Stabwunder erscheint in unzähligen Sagen, genau wie in 
der Tannhäusersage als Zeichen der göttlichen Erwählung. Es muß 
an Aarons Priesterwahl und an Josephs, des Zimmermanns, grünende 
Rute erinnert werden. Sehr wahrscheinlich ist der Ursprung dieses 
Zugs in der biblischen Überlieferung zu suchen. Auch die Sagen 
von den dürren Bäumen, die einst grünen sollen, wenn der richtige 
Kämpfer oder gar der Jüngste Tag kommt, gehören hierher. 

Alle diese Bestandteile der Tannhäusersage — der Minnesinger 
Tannhäuser, die Venusbergüberlieferung, die Stab wunderlegende — 
waren im 14. Jahrhundert vorhanden und bekannt: aus ihrem Zu- 
sammenschmelzen ergab sich die Tannhäusersage, die, von einem 
geschickten Dichter in die Form des packenden Tannhäuserlieds ge- 
gossen, alsbald ganz Deutschland eroberte und durch Venusberg- 
sucher auch nach Italien auf den Sibyllenberg getragen ward. 

Am Venusberg von Uffhausen lebte noch vor kurzem die Über- 
lieferung, daß darin die alten Heiden gewohnt haben, viele Leute 
"hinein-, aber nicht mehr herausgegangen seien. Auch hier bildete 
die weiße Frau im Berg neben der Erzählung von Untaten der 
Schneeburger Rittersleute den Urgrund der örtlichen Sage. Die 
fertige Tannhäusersage brauchte nur als Lied oder Erzählung in 
die Gegend zu dringen, um sich mit Leichtigkeit hier anspinnen 
zu können. 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren H.Jantzen (Königs- 
berg), R. M. Meyer (Berlin), R. Priebsch (London), H. von Fischer 
(Tübingen), E. See 1 mann (Bonn). 

Schluß 1 Uhr. 

Dritte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 9 Uhr 15 Minuten. 

War kombiniert mit der romanistischen und der englischen Sektion. 
(Bericht siehe Romanistische Sektion, 3. Sitzung.) 

Nach Schluß der kombinierten Sitzung berichtete Privatdozent 
Dr. F. Wilhelm (München) Über fatalistische Quellenangaben 
bei einigen mittelhochdeutschen Schriftstellern. 1 ) 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Schluß 12 Uhr 45 Minuten. 



1) Der Vortrag ist erweitert in Paul und Braunes Beiträgen 
Bd. 83, Heft 2, S. 286—339 erschienen. 



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108 



Germanistische Sektion: Vierte Sitzung. 



Yierte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, 9 Uhr 15 Minuten. 
Vorsitzender: Prof. Dr. A. Geßler. 

Zuerst referierte Prof. Dr. John Meier (Basel) Über das 
Deutsche Wörterbuch. Die Diskussion wurde benutzt von den 
Herren F. Kluge (Freiburg i. Br.), H. Wunderlich (Berlin), R. Meißner 
(Königsberg) und von den Herren Kluge und Wunderlich zur Er- 
widerung. Nach einem Schlußwort des Referenten stellte Herr Kluge 
folgenden Antrag: 

Die Sache des Deutschen Wörterbuches bildet ein Haupt- 
interesse der germanistischen Sektion der Versammlung 
deutscher Philologen und Schulmänner; es ist deshalb 
auf jeder Tagung über den Stand des Werkes Bericht zu 
erstatten. 

Die Abstimmung ergab einstimmige Annahme. 

Prof. Dr. R. Brandstetter (Luzern) schilderte darauf Die 
Schicksale der Wuotansage in Luzern. 1 ) 

Der Vortragende hat die Luzerner Archive auf alte Volkssagen 
hin untersucht und ein reiches Material an Sagen gefunden, die zum 
Wuotan-, Pontius Pilatus- und Rolandzyklus gehören. Der Vortrag 
hat nur die Wuotansage zum Gegenstand. Im ersten Teil wird der 
Stand dieser Sage im alten Luzern des 16. Jahrhunderts geschildert; 
im zweiten Teil die wechselnden Schicksale derselben bis auf den 
heutigen Tag. 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren H. von Fischer 
(Tübingen), E. Seelmann (Bonn), 0. Lüning (St. Gallen) und dem 
Vortragenden. 

Den letzten Vortrag hielt Prof. Dr. E. Ermatinger (Winter- 
thur) über Das Romantische bei Wieland. 2 ) 

Die Anfange der deutschen Romantik, durch die um die Wende 
des 18. Jahrhunderts die humanistische Weltanschauung des Klassi- 
zismus abgelöst wird, dürften im Pietismus des 17. Jahrhunderts 
liegen. Schon in der Sturm- und Drangbewegung hat sich die 
mystische Welle, die übrigens als Nebenströmung neben dem Huma- 
nismus durch das ganze 18. Jahrhundert läuft, bedeutsam erhoben; 
aber erst in der sogen. Romantik hat der Mystizismus die gesamte 

1) Ist ungekürzt im „Geschichtsfreund", Bd. 62. S. 101—158 erschienen. 

2) Die Arbeit wird, in erweiterter Fassung, die dann auch die Be- 
ziehungen des älteren Wieland zur romantischen Ideenwelt enthält, in 
den Neuen Jahrbüchern f. d. klass. Altertum erscheinen. 



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Vortrag Ermatinger. 



109 



Bildung der Zeit beseelt. Im Mittelpunkt steht Novalis, dessen Dich- 
tung und Philosophie die deutlichste Verkörperung der romantischen 
Ideenwelt ist. Ihm ist das Romantische das Unbewußte; es an die 
Schwelle des Bewußten zu rücken, ohne daß es den Beiz des Un- 
bewußten verliert, ist die Aufgabe der romantischen Poesie. („Der 
Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren.") 
Wieland, der von der Romantik später so heftig angegriffene, 
wurzelt in den Anfangen der Romantik, im Pietismus. Aber schon 
frühe drang die Aufklärung in sein Geistesleben. Der Zwiespalt 
zwischen den beiden Weltanschauungen scheidet die Schriften des 
Jünglings ziemlich deutlich von den Werken der späteren Zeit. Die 
Grenze bezeichnet das Jahr 1760. Auch in den späteren Schriften 
ist jedoch Wielands Verhältnis zu der romantischen Lebensbetrach- 
tung nicht stets das gleiche gewesen. Zwei Abschnitte lassen sich 
auch hier wahrnehmen, deren Scheidelinie durch das Jahr 1775 aus- 
gedrückt wird. In den Schriften, die vor diesem Zeitpunkt entstanden, 
wird das romantische Wesen („die Schwärmerei") bald mit heftigem 
Tadel, bald mit geistreicher Ironie abgelehnt. Später hat Wieland, 
unter dem Einfluß der Sturm- und Drangbewegung, wieder eingelenkt 
und ist durch erneute Erörterung des Problems zu tieferem Verständ- 
nis gelangt. 

Die romantische Stimmung des jungen Wieland hat durch seine 
Liebe zu Sophie Gutermann einen mächtigen Antrieb bekommen. 
Das durch sie angeregte Lehrgedicht „Die Natur der Dinge" enthält 
manche wichtige Ideen der späteren Romantik; z.B. erinnert Wielands 
evolutionistische Metaphysik an Novalis' Doppelsystem von Natur 
und Geist. Auch Wieland denkt sich die Gestirnkörper als beseelte 
Wesen, und ebenso wie Novalis hält er den Tod für „eine Selbst- 
besiegung, die . . . eine neue, leichtere Existenz schafft". Die Wollust 
des Schmerzes, wie sie uns in den „Briefen von Verstorbenen an 
hinterlassene Freunde" und, von Young angeregt, vor allem in den 
„Sympathien" entgegentritt, erinnert wiederum an Novalis (Hymnen 
an die Nacht), mit dem der junge Wieland (nach dem Verlust der 
Geliebten) auch die Lüsternheit in der Askese gemein hat. Der ir- 
rationale, also romantische Begriff Sympathie, der aus dem Jugend- 
werk in die spätere Schriftstellerei Wielands übergegangen ist und 
von ihm oft verwendet wird, ist auf Leibnizens prästabilierte Har- 
monie und auf das Aristophanesmärchen im Platonischen Symposion 
zurückzuführen. 

Den besten Aufschluß über den Seelenzustand des jungen Schwär- 
mers geben einige Romane, vor allem Don Sylvio von Rosalva, Aga- 
thon und Peregrinus Proteus. Don Sylvios Jagd nach dem blauen 



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110 



Gennanistische Sektion: Vierte Sitzung. 



Schmetterling, dem Sinnbild der Geliebten, erinnert an Ofterdingens 
Streben nach der blauen Blume. „Blau" war für Wieland die Be- 
zeichnung für das Wunderbare, Unglaubliche, ein uralt schwäbischer 
Sprachgebrauch, in dem Wieland wohl durch die von ihm vielbenutzte 
französische Marchensammlung, die Bibliotheque bleue, bestärkt 
worden ist. 

Die Diskussion wurde nicht benutzt. 

Nach kurzen Worten des Vorsitzenden und Prof. Dr. H. v. Fischers 
(Tübingen) wurde die Tagung um 12 Uhr 30 Minuten geschlossen. 



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Historisch-epigraphische Sektion. 



Erste Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, 
Beginn 9 Uhr 25 Minuten. 

Herr Prof. Dr. A. Baumgartner als erster Obmann begrüßte 
die Sektion. Als Vorsitzende wurden gewählt Prof. Dr. Baum- 
gartner (Basel), Privatdozent Dr. F. Stähelin (Basel); als Schrift- 
führer Dr. W. Hünerwadel (Winterthur) und Dr. A. Barth (Basel). 

Darauf hielt Prof. Dr. Ad. Wilhelm (Wien) einen Vortrag 
Üher die öffentliche Aufzeichnung von Urkunden im griechi- 
schen Altertum. 1 ) 

Wenn Beschlüsse griechischer Gemeinden die icvayQtupri eines 
Proxenos oder eines Neubürgers und außerdem die avayqacpi) de» 
Beschlusses auf einer steinernen Stele in einem Heiligtum fordern, 
oder die avayqa<pri einer Urkunde in einem Heiligtum and überdies 
irn Kathause anordnen, hat man früher irrig an zwei Aufzeichnungen 
auf Stein, neuerdings an doppelte Aufzeichnungen auf Papyrus ge- 
dacht. Dabei ist, von anderen Bedenken abgesehen, unberücksichtigt 
geblieben, daß eine Inschrift aus Amorgos die avayqacpr] des Be- 
schlusses in einem Heiligtum und in dem Rathause mit dem Zu- 
sätze iv xolg inupavtoxaxotg xöitoig aufträgt. Es ist also auch die 
Aufzeichnung im Bathause als eine sichtbare, öffentliche vorausgesetzt, 
und daß auf eine solche auch das Wort avayqaiput, deutet, scheinen 
namentlich die Stellen zu zeigen, an denen ctvayQcctyau z. B. e ig OTr\\i\v 

1) Die Untersuchung, deren wesentlichste Gesichtspunkte hier allein 
mitgeteilt sind, hatte schon im Frühjahr 1902 im Beiblatte der Jahreshefte 
des österreichischen archäologischen Instituts erscheinen sollen, ist aber 
liegen geblieben, weil ich mit meinen durch den kleinen Druck ermüdeten 
Augen die Korrektur nicht zu erledigen vermochte. Sie wird nun, als 
anspruchslose Vorarbeit zu einer Darstellung des griechischen Urkunden- 
wesens, demnächst unter dem Titel 'AvayQcuprj Srifioetmv yQCtpfi&Ttov in 
meinen „Beiträgen zur griechischen Inschriftenkunde" erscheinen. 



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112 



Historisch-epigraphische Sektion: Erste Sitzung. 



ki&lvrjv, oder tig Xev*(ö{ux, tig xbv rot^ov, tig xbv ntvccxa, daneben 
yottya* von der Niederschrift schlechtweg, oder iyyodilnxi, z. B. tig 
xovg vopovg von einer Eintragung, gesagt ist. Es handelt sich dem- 
nach in jenen Bestimmungen nicht um eine Eintragung im Archive, 
neben der eine Veröffentlichung (oder richtiger Verewigung) auf einer 
Stele erfolgt, sondern um eiue andere Veröffentlichung der Beschlüsse, 
der Namen neuer Proxenoi und Bürger, z. B. durch Eintragung in 
öffentlich ausgestellte Listen, um eine Veröffentlichung, die nicht auf 
Stein erfolgt, wie z. B. der Auftrag einiger delischer Inschriften: 
avctyqd^ai öl xoöt xb tpr t (ptafia ttjv (tiv ßovXrp tig xb ßovXevxrjffiov, 
xovg de Ugonoiovg tig xb ieobv tig öx-qXijv lehrt, sondern auf Xtvxcbfuxxct, 
auf Tafeln, die in oder vor Amtsgebäuden, auf dem Markte usw. auf- 
gestellt werden (f xri&evat, 7TQoyQutpeiv, iWepa, nqöyqu^a usw., Br. Keil, 
Athen. Mitt. XX, 37), oder auf „Wänden" (rof^oi), die für diesen Zweck 
besonders hergerichtet sind. So lassen sich manche bisher nicht ge- 
hörig beachtete Inschriften verstehen oder auch ergänzen, in denen 
neben der dvayoatpri auf Stein, der Verewigung, die Veröffentlichung 
auf einem 7t/vo|, einem „schwarzen Brett", oder auf dem xoixog in dem 
di)(i6aiov verlangt wird; und mit der avayQccq>^ von Urkunden tig xag 
ßaödixug ygatpdg ist nicht ihre Aufnahme in das königliche Archiv 
gemeint, sondern ihre Aufzeichnung unter den Bekanntmachungen der 
königlichen Regierung. Jede Beschlußfassung einer Körperschaft for- 
dert nicht nur die Niederschrift im Archiv, sondern auch eine Ver- 
öffentlichung in herkömmlicher Weise: weder jene noch diese bedarf 
ausdrücklicher Anordnung; eine Verewigung auf Stein oder Erz wird 
dagegen nur den Urkunden zuteil, an die sich bedeutendes, dauerndes 
Interesse knüpft, und ist stets Gegenstand besonderer Verfügung. 
Wörtlich getreue, vollständige Wiedergabe in der dvayquvpri auf dem 
Xtvnuiuc war nur bei Gesetzen und Verordnungen notwendig; für 
viele Beschlüsse reichte eine Veröffentlichung ihres wesentlichen In- 
haltes in der Form kurzer Konstatierung des Geschehenen aus. Diese 
Form zeigen tatsächlich die dvayqacpal avfißoXalcov usw. auf den 
Papyri und die gelegentlich erfolgten Verewigungen solcher ava- 
y^arpal auf Stein, z. B. die Verzeichnisse der ■kqoiy.ö)v doottg aus 
Tenos und Mykonos. Auszüge aus Beschlüssen sind in der kurzen 
Form, die sich zur Veröffentlichung auf den Xtvntofiaxa und der 
Buchung in den avayqatpttL, den Sammellisten, eignet, auch auf Stein 
erhalten, besonders aus Nordgriechenland. Dieselbe Fassung zeigen 
die Ehreninschriften: '0 öijuog ixL^i]<siv xbv öeivct, f) ßovXi} tml 6 
öftfiog IxlfiifGtv xrA.., die in hellenistischer und römischer Zeit auf den 
Basen der Ehrenstatuen an die Stelle eigentlicher Weihinschriften 
treten, und die Überschriften oder Summarien, die z. B. den umfang- 



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Vortrag Wilhelm. 



reichen Ehrenbeschlüssen aus Priene vorangestellt sind, z. B. 108 als 
kurze Inhaltsangabe des folgenden 383 Zeilen umfassenden Psephisma 
für Moschion — aber auch die Inschrift 13: IJQUjvHg edonuxv Kal- 
XusxQaxcai Nlwovog evegyixrn ysvofävac xo$ ör)(M>v 7t^oeÖQiav iv xoig 
&ycbci y.cci ifi npvTavttm sixrfiiv xccl axlUuxv xoü c6(iaxog, neben der 
kein längerer Text, mit Datierung, Begründung usw., steht. Man 
wird noch weiter gehen und diese kurze Fassung als Inhaltsangabe 
und scriptum exterior neben der vollen Wiedergabe der Urkunde als 
scriptum interior auf Papyrus, den Diptycha usw., den buchähnlichen 
yQaniutxsut , voraussetzen dürfen. Die größere oder geringere Aus- . 
fahrlichkeit der Verewigung auf Stein hängt aber nicht nur von ört- 
lich und zeitlich verschiedener Gewohnheit, sondern bei ihrer Kost- 
spieligkeit wesentlich von den für diesen Zweck zur Verfügung 
stehenden Mitteln ab. Die Verewigungen von Reihen von Beschlüssen, 
wie sie z. B. aus Kreta erhalten sind, zeigen, selbst wenn diese aus 
einem und demselben Jahre stammen und ihre Redaktion demselben 
Beamten verdankt wird, die größte Mannigfaltigkeit; neben ganz 
kurzer Beurkundung des Geschehnisses steht die ausfuhrliche Mit- 
teilung des Beschlusses mit eingehendster Begründung und umständ- 
licher Erwähnung aller, auch der selbstverständlichen Ehrenrechte. 
So erklärt sich auch, daß die auf Stein oder Bronze erhaltenen Ehren- 
beschlüsse im allgemeinen um so größere Ausführlichkeit zeigen, je 
ausschließlicher die (piloxifitcc des Geehrten, nicht die Gemeinde die 
Kosten trägt und je mehr der Antragsteller auch seinerseits auf die 
volle Verzeichnung seiner Rede rechnet. Bei älteren Beschlüssen 
vermag ich mich des Verdachts nicht zu erwehren, daß von der Be- 
gründung und näheren individuellen Beweisführung oft nur die all- 
gemeine, der gesetzlichen Forderung entsprechende Formel imtöri avi^ 
leya&og icxi negl xxL übrig geblieben und auf Stein übernommen 
«ei. Die Würdigung der auf Stein erhaltenen Urkunden, auch in 
bezug auf ihre Form, hat bisher darunter gelitten, daß Verwahrung 
im Archive, Veröffentlichung und die nur gelegentliche Verewigung 
nicht genau genug geschieden und mit der Veröffentlichung auf 
Xswuofitcxa überhaupt nicht gerechnet worden ist. So werden irrtüm- 
lich auch Steinurkunden in Archiven vorausgesetzt, „wesentlich pa- 
pierne" Archive erst jüngerer griechischer Zeit zugeschrieben — die 
ältere Zeit soll ihre Urkunden auf Tempel und Amtsgebäude verteilt 
haben — die ccvayQcccpr} eig xa dtjtioaia yQccfipccxcc wird als Eintragung 
in das Archiv erklärt, und das Marmor Parium als Beispiel einer angeb- 
lich durch Polybios V 33 bezeugten Sitte der Aufzeichnung von Chro- 
niken auf Stein angeführt. Die pansche Marmorchronik hat aber, 
wie ihre ganze Anlage, ihre sprachliche Fassung und ihr Inhalt be- 

Verhaodlnngen d. 49. Ver» deutscher Philol. u. Schulm. 8 



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114 Historisch-epigraphische Sektion: Erßte Sitzung. 



weist, gar nichts zu tun mit den von Amts wegen fortlaufend geführten 
XQOvoyQcc<piai y auf die sich Polybios bezieht, wenn er von den nur die 
hauptsächlichsten Ereignisse berücksichtigenden, sie schlicht und knapp 
verzeichnenden Chroniken der ol xcc xarcc rovg xatgovg iv rccig %qovo- 
yQcctplccig vno(ivt](ittxtt6fUvoi noXtxix&g (ig rovg Toiypvg spricht; diese 
XQovoyQacpiai auf den Tot^ot, auf AfvxwfiorT«, entsprechen vielmehr 
vollständig den römischen Annalen. 

In der Diskussion wies Herr E. Bormann (Wien) auf die Über- 
einstimmung im Urkundenwesen zwischen Rom und Griechenland hin. 

Prof. Dr. W. Soltau (Zabern) sprach über Fehlerhafte Me- 
thoden der jetzigen vergleichenden Religionsgeschichte mit be- 
sonderer Berücksichtigung neutestamentlicher Probleme. 1 ) 

In der Einleitung seines Vortrages gab der Redner eine ver- 
gleichende Übersicht über die Methode und die Ergebnisse der ver- 
gleichenden Religionsgeschichte seit den letzten 50 Jahren. Nament- 
lich hob er hervor, daß weniger an eine originäre Fortpflanzung 
volkstümlicher Mythen, als vielmehr an eine spätere mündliche Über- 
tragung einzeluer Sagenmotive, sowie an literarische Entlehnung zu 
denken sei. Als Musterbeispiel verwies er auf die Romulussage, 
welche nicht alt, sondern erst durch Naevius (der Sophokles' Tyro 
folgte) in Rom eingebürgert ward. 

Der Redner wandte sich dann den neueren Versuchen (von 
Kalthoff, Jensen, Smith, Seydel u. a.) zu, die Tradition des Neuen 
Testaments aus babylonischen, persischen, buddhistischen, hellenisti- 
schen Mythen herzuleiten. Diese Ergebnisse verwarf er, zumal sie 
vielfach durch eine fehlerhafte Methode gefunden wären. 

Dem gegenüber betonte er, daß derartige Versuche hinfällig 
werden müßten, wenn die Schriften des Neuen Testaments nach den 
Gesichtspunkten, wie sie Philologen und Historiker sonst zu beachten 
pflegten, betrachtet würden. „Das Neue Testament darf nicht als 
eine einheitliche Quelle ohne Berücksichtigung der verschiedenen Ver- 
fasser und der verschiedenen Abfassungszeit einzelner Bücher an- 
gesehen werden. Und ebensowenig dürfen die einzelnen Schriften als 
schriftstellerische Einheiten verwandt werden. Vielmehr zeigen sie 
vielfach Spuren späterer Überarbeitung." 

Auch ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ähnliche Formen 
der Tradition, wie Parabeln, Fabeln, Anekdoten, entweder selbständig 
entstanden, oder, falls sie Gemeingut der verschiedensten Völker 
waren, sich selbständig weiter entwickelt haben könnten. 



1) Vgl. den Abdruck in den Preußischen Jahrbüchern 1908. 



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Vorträge Soltau und Bormann. 



115 



Weder die Lehre Jesu, noch selbst ihre Interpretation und Fort- 
führung durch Paulus geben Anlaß zu dem Schluß, daß das Christen- 
tum eine synkretistische Religion gewesen ist. 

Anders ist zu urteilen über die johanneische Auffassung des 
Christentums, über die Apokalypse oder die nachpaulinischen Schriften 
des Neuen Testaments, sowie über einige spätere Einlagen in die 
Evangelien (Matth. 1 — 2, Luc. 1 — 2 u. a. m.). 

In der Diskussion grifF Herr Harnack (Berlin) das in letzter 
Zeit viel besprochene Problem „Jesus und Paulus" heraus. Ein 
isoliertes Problem „Jesus und Paulus" aufzustellen ist methodisch un- 
richtig. Das Problem muß so gestellt werden: Wie hat sich von Jesus 
aus der Glaube der Urgemeinde entwickelt? Dabei muß man auf das 
gemeinsame Zeugnis der ersten christlichen Generation und (in Über- 
einstimmung mit Wellhausen) auf das palästinensische Judentum 
zurückgehen, und zwar auf das gesetzestreue Judentum und die Ein- 
flüsse, die es schon früher erfahren und zur Zeit Christi in sich auf- 
genommen hatte. Die Septuaginta zeigt da schon sehr starke neue 
Seiten im Judentum, trotzdem sie nur eine Übersetzung ist. Diesen 
Gesetzlichen mußte der Beweis geliefert werden, daß der am Kreuz 
Gestorbene der verheißene Messias sei. Für diese Leute redete auch 
Matthäus, er wollte ihnen diesen Beweis führen. In der Überzeugung 
aber, daß Jesus der Messias sei, war eine solche Fülle von An- 
schauungen und Lehren, vor allem aber das starke Motiv zu solch 
einem Stimmungswechsel enthalten, daß sich der Abstand der ersten 
Verkündigung über Jesus von der Lehre Jesu von hier aus größten- 
teils erklärt. 

Hofrat Prof. Dr. E. Bor mann (Wien) berichtete über die Er- 
forschung des römischen Limes in Osterreich, die in größerem Um- 
fang vor einem Jahrzehnt, Herbst 1897, begonnen hat, indem mit der 
Leitung der Arbeiten durch den Verein Carnuntum und die Limes- 
kommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften der Oberst 
d. R. Max von Groller betraut wurde. Jetzt nähert sich die Er- 
forschung der Lagerfestung Carnuntum, für deren Aufdeckung bisher 
regelmäßig die eine Hälfte des Sommers verwendet wurde, ihrem 
Abschluß, und zwischen Carnuntum und dem Weichbild von Wien 
sind die Straßen- und Befestigungsanlagen einschließlich zweier 
Kastelle bei Höflein und bei Wilmersdorf (letzteres wohl sicher mit 
dem antiken Ulmus identisch) im wesentlichen ermittelt. Mit Über- 
springung von Wien und den westlich anschließenden Strecken hat 
Oberst v. Groller als zweiten Mittelpunkt der Grabungen und 
Forschungen das gegen Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. bei 
der jetzigen Stadt Enns angelegte Legionslager (Lauriacum) ge- 

8* 



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116 Historisch-epigrapbische Sektion: Zweite u. dritte Sitzung. 

wählt. Hier galt die Arbeit der letzten Jahre diesem Lager selbst, 
ferner einem neu zum Vorschein gekommenen in der Nahe der 
Mündung der Enns, jetzt auf dem südlichen Donauufer, im Altertum 
wohl auf einer vom Strom gebildeten Insel gelegenen großen Lager, 
weiter einem Kastell bei Mauer -öhling, schließlich den von Enns 
oder dessen Nahe aus donauabwärts führenden Straßen. Von 
wichtigeren Einzelergebnissen rührte der Vortragende aus dem Car- 
nuntiner Grabungsbereiche an: die überraschende Ausdehnung antiker 
Sitte, die dauernde Sicherstellung als gemeinnützig angesehener 
Zwecke durch Übertragung des Eigentums an eine diesen Zwecken 
nahestehende Gottheit zu erreichen, ferner die allmähliche Um- 
wandlung der Legionssoldaten in bewaffnete Grenzer, die nach epi- 
graphischen Funden aus dem Lager und dessen Nähe mit Septimius 
Severus beginnt und in der Carnuntiner Baugeschichte sich bereits 
deutlich ausprägt. Von den Einzelfunden im Lager Lauriacum ragt 
das 1906 gefundene Stück einer Bronzeplatte hervor, das zu einem 
unter Caracalla (211 — 218) abgefaßten Stadtrechte, wohl der Ort- 
schaft Lauriacum, gehörte. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Zweite Sitzung 

Donnerstag, den 26. September 1907 

war kombiniert mit der archäologischen Sektion und wurde in Vin- 
donissa abgehalten. Siehe den Bericht darüber in den Verhand- 
lungen der archäologischen Sektion (S. 88). 

Dritte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, 
Beginn vormittags 9 Uhr 5 Min. 

Vorsitzender: Privatdoz. Dr. F. Stfthelin. 

Nach einem Hinweise des Vorsitzenden auf die universal- 
historische Ausstellung, die Geh. -Rat Prof. Dr. K. Lamprecht ver- 
anstaltet hatte, folgte der Vortrag von Prof. Dr. 0. Schultheß 
(Zürich) über Die Baninschrift der Römerwarte beim Kleinen 
Laufen bei Koblenz in der Schweiz. 1 ) 

1) Der ganze Vortrag mit sämtlichen Belegen und einem Faksimile 
der Inschrift ist im „Anzeiger für schweizerische Altertumskunde" N. F. 
Bd. IX (1907), Heft 3, S. 190—197 erschienen. 



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Vortrag Schultheß. 



117 



Im August 1906 wurde von J. Heierli im Auftrag der „Römer- 
kommission" der Schweizerischen Gesellschaft; für Erhaltung histo- 
rischer Kunstdenkmäler beim Kleinen Laufen oberhalb Koblenz die 
bereits von Ferdinand Keller erwähnte römische Warte, ein Turm 
von quadratischem Grundriß von 8 Meter Seitenlänge, 1,6 Meter 
Mauerdicke, erhalten bis auf eine Höhe von 2% — 3 Meter, freigelegt. 
Am ersten Tage der Grabung fand man auf der dem Eingang ab- 
gekehrten Südseite des Turmes eine oben und links unten vollständig 
erhaltene Tuffsteinplatte von 0,36 Meter Höhe und 0,34 Meter größter 
Breite mit einem schwalbenschwanzförmigen Dübelloch auf der Rück- 
seite zur Befestigung der Platte am Bau. Sie trägt in ziemlich un- 
regelmäßiger und flüchtiger Schrift die Bauinschrift des Turmes, 
die sich mit Hilfe der engverwandten Inschrift von Etzgen (nicht 
Schwad er loch; 8. B. Pick, Anz. f. Schweiz. Altertumskunde 1893 
S. 269 f. und J. Stizenberger, ebenda 1895, S. 441 f.) und der 
in Umm-el-Djemäl in Arabien gefundenen Inschrift CIL III n. 88 
(= Dessau n. 773) aufs Jahr 371 n. Chr. datieren und so ergänzen 
läßt: salvi[s ddd nnn]; Valenti [niano]| Valente e[t Gratiano]| per- 
(petuis) [t}r(iumfatoribus) senp(er) [Aug(ustis)] 5 summa rapida. . . .) 
fecit sub cur(a) . . .j consul(ibus) d(omino) n(ostro) Gratian(o) [iterum 
et Fl(avio) Probo v(iro) c(larissimo)]. Die Lesung des Anfanges 
von Zeile 4 PERTR ist beinahe gesichert und die Auflösung per- 
(petuis) tr(iumfatoribus) geboten, obgleich triumphator im 
allgemeinen nicht mit TR abgekürzt ist und kein adjektivisches 
Attribut bei sich hat; doch sei für TR = triumphator verwiesen 
auf CIL XII 5648, für die übrige Formulierung auf III 213 und 
HI S. 2 n. 6730, und für das Asyndeton auf III S. n. 7494 (= Dessau 
n. 770). 

Das Interessanteste an der Inschrift von Koblenz ist die Orts- 
bezeichnung Z. 5 Summa Rapida, zu der die Präposition in am 
Schluß von Z. 4 zu ergänzen ist. Summa Rapida (sc. aqua) 
ist „die oberste Stromschnelle", eben der sogen. Kleine Laufen 
ein wenig oberhalb der Einmündung der Wutach in den Rhein, und 
setzt eine Media Rapida — diese war der „Große Laufen" bei 
Laufenburg — und eine Infima Rapida, das „Gewild" mit dem 
„Höllenhaken" bei der Saline Rheinfelden, voraus. Daß diese Strom- 
schnellen in der antiken Literatur, z. B. bei Amm. Marcell. XV, 4, 
2 ff., nicht erwähnt sind, darf uns um so weniger stutzig machen, 
als auch der mächtige Rheinfall bei Schaffhausen im Altertum nie 
Erwähnung gefunden hat. Freilich fehlt ein lateinisches Substantiv 
rapida, die Stromschnelle; aber die romanischen Sprachen weisen 
mit Sicherheit auf dieses lateinische Substrat hin. Zwar fällt franz. 



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118 Historisch-epigraphische Sektion: Dritte Sitzung. 



le rapide als erst im 17. Jahrhundert belegtes Lehnwort und ital. 
la rapida, das nach Petrocchi lediglich wissenschaftlicher Terminus 
ist, außer Betracht; aber arbed. ravia (= la rapida del fiume) und 
franz. la rade, sowie zahlreiche andere romanische Formen (vgL 
Körting 5 7763 und Puscariu, Etym. Wörterb. d. rumän. Sprache n. 
1432 und 1455) bezeugen das Fortleben des Adjektivs rapidus 
[Gütige Mitteilung von Prof. K. Jaberg in Bern]. Für die Be- 
zeichnung Summa Rapida sei verwiesen auf Summo loco, Sume- 
locenna, Summo lacu und Summus vicus (j. Somvix im Kanton 
Graubünden). Für die Verwendung von Rapida, bzw. Rapid um 
als Ortsbezeichnung hatte E. Ritterling die Güte, mich auf die Station 
Rapidum in Mauretania Caesariensis zu verweisen. Dort treffen wir 
im Jahre 167 n. Chr. unter Mark Aurel als Erbauer der Mauer 
veterani et pagani apud Rapidum consistentes (CIL VIII 
20834. 20835; dieselbe Bezeichnung auf Meilensteinen S. 2159 n. 
22 548), während unter Diokletian die Station municipium wurde 
und nunmehr municipium Rapidense hieß n. 20836, Z. 6 ff. 

Im Anschluß an die Besprechung der Inschrift wurden einige 
Fragen prinzipieller Natur erörtert, zu denen die Inschrift von 
Koblenz und die von Etzgen den Anstoß gaben, z. B. über den Anteil 
Valentinians an der Rheinbefestigung, über die Spuren von zwei oder 
mehr Bauperioden an den burgi und über Zweck und Bedeutung 
der ganzen Anlage überhaupt. 

In der Diskussion bestätigte Herr E. Bormann (Wien) die vor- 
geschlagene Lesung mit dem 1899 im Legionslager Carnuntum ge- 
fundenen Stücke, einer durchaus entsprechenden Bauinschrift der- 
selben Kaiser, in welchem das Wort triumphatores ausgeschrieben 
ist. Außerdem teilte er aus einem tagsvorher von der österreichischen 
Grabungsstätte im Legionslager Lauriacum bei Enns erhaltenen ' Be- 
richte zunächst den wie zur Begrüßung der Philologenversammlung 
auf Schweizer Boden in diesen Tagen gemachten Fund eines Denk- 
mals aus der römischen Schweiz mit, eines nach der Inschrift aquis 
Hel(vetiis), also zu Baden an der Limmat gearbeiteten Bronze- 
beschlags eines Schwertes. Wichtiger ist die etwa gleichzeitig ge- 
fundene großenteils erhaltene gewaltige Bauinschrift des Lagers 
Lauriacum oder eines hervorragenden Baues darin, mit den Namen 
der regierenden Kaiser, Septimius Severus, Caracalla und Geta, des 
norischen Statthalters und der den Bau ausführenden Legion. Eine 
sorgfältige Abschrift konnte den Versammelten vorgelegt werden. 

Prof. Dr. H. Scherrer (Heidelberg) sprach über das Thema: 
Die urgesellige Gemeinschaft der Menschen war die Sippe nnd 
nicht die Familie. 



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Vortrag Scherrer. 



119 



Die neue naturwissenschaftliche Auffassung der Entstehung der 
Wesen der Erde verwirft die Schöpfung der Einzelwesen der Bibel 
und lehrt dagegen die Umgestaltung der niederen zu höheren. Die 
angenommenen Faktoren von Lamarck und Darwin erscheinen un- 
zureichend und setzen in richtiger Betrachtung andere kosmische 
Kräfte voraus. Nehmen wir die Transformation als richtig an, so 
handelt es sich nicht um Paare, sondern um ganze Kategorien, die 
umgewandelt wurden. Darnach müssen gewisse Gruppen Vierhänder 
in die Vermenschlichung übergegangen sein. Die Menschen- ge- 
wordene Gruppe hat sich von ihren Tierahnen getrennt und in 
blutsverwandten Sippen vermehrt. Da die Zahl der Geschlechter 
in den Geburten gleich war, so war die Paarung der Geschlechts- 
reifen von selbst gegeben, wie sie auch bei den nächststehenden 
Affen vorkommt. Die Materialisten wie Letourneau und Zenker, 
welche hier auf eine allgemeine Promiskuität schließen, stehen mit 
den Tatsachen in Widerspruch. Trotzdem das Kind seiner Mutter 
Kind war, das sie jahrelang säugte, und der Vater zur Mutter hielt, 
herrschte doch die Lebensansicht, daß alle Glieder groß und klein 
der Sippe gehörten. Die Sippe war die natürliche Blutsgemeinschaft. 
Die Volksvermehrung war eine Vermehrung der Sippen, in der Zahl 
je nach Bedürfnis der Jäger oder Hirten. Die vermehrten Sippen 
gelangten zu einer Wechselheirat der beiden Geschlechter, so daß 
die Jünglinge der A die Mädchen der Sippe B zu Frauen nahmen 
(Totemismus). Die Bedeutung des Mannes trat sogleich hervor, vor 
allem durch seine physische Kraft und eigenartigen geistigen, männ- 
lichen Eigenschaften, die ihn zum Verteidiger und Richter bestimmten. 
Als die Nomaden fremdes Stammvolk kennen lernten und die Männer 
Gelüste zu Frauen von ihnen empfanden, war die Erlangung nur durch 
Entführung und Raub möglich. Das geraubte Weib trat nicht in die 
Sippe des Mannes über, sondern blieb, wie jede erworbene Sache, 
sein Eigentum. Die Sippschaften hatten Schwierigkeiten der Sache 
zu ordnen. Sie versuchten verschiedene Wege. Erst später kam es 
zu einer rechtlichen Ordnung durch Verträge. Die rechtskundigen 
Römer schufen bekanntlich mit den Sabinern ein jus connubii et 
commcrcii, ein Vertrag, der auch bei allen semitischen und arischen 
Völkern als Brautkauf bekannt geworden ist. War die Frauennahme 
durch Vertrag und entsprechende Heiratsprämien geordnet, so wurde es 
eine legitime Ehe, ahd. etca, welche bei Kulturvölkern die Regel bildete, 
.sie trat aber noch nicht sichtbar als Sonderfamilie hervor; dies geschah 
erst mit der festen Siedelung, dem eigenen Wohnhaus, dem zugehörigen 
Vieh und dem Ackerlos bei selbständig gesinnten Völkern. Das war 
die patriarchalische Familie unter dem Oberhaupt des Hausvaters. 



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120 HiBtorisch-epigraphische Sektion: Dritte Sitzung. 

Es ist hier zum Schluß einer Vermutung des Basler Juristen 
Bachofen entgegenzutreten, welcher in seinem Buch: „Mutterrecht", 
Stuttgart 1861, als erstes Farailiensystem eine Weibervorherrschaft 
annahm, wovon er Spuren hei zivilisierten historischen Völkern zu 
finden glaubte. So sehr belesen Bachofen auch war, so müssen wir 
den jeweiligen Bestand eines Weiberregimentes leugnen. Wenn auch 
einige Vorrechte für das Ackerland bei Bearbeitung durch Weiber 
vorkamen, so hat es doch keine solche Weiberherrschaft gegeben. 

Den letzten Vortrag hielt Geh. Rat Prof. Dr. K. Lamprecht. 
(Leipzig) über Die Ausgestaltung des kultur- und universal - 
geschichtlichen Unterrichts an den Hochschnlen. 

Er ging davon aus, daß er über dies Thema schon vor kurzem 
auf dem Historikertag in Dresden gesprochen und dort drei Forde- 
rungen aufgestellt habe: die einer bei weitem stärkeren Vertretung 
der Universalgeschichte, insbesondere auch der Geschichte Amerikas 
und der ostasiatischen Kulturen ; die der Ausbildung der Anschauungs- 
methode für diese Vorlesungen zur besseren Verdeutlichung des 
fremden Milieus; und endlich die der Begründung von Seminarien 
für Kultur- und Universalgeschichte wenigstens an einigen größten 
Universitäten (zunächst in Leipzig, wo die formelle Eröffnung eines 
solchen besonderen Seminares für den 1. Oktober 1908 in Aussicht 
steht). Diese Forderungen haben in Dresden Anlaß zu lebhafter 
Debatte und zahlreichen privaten Aussprachen des Redners mit an- 
wesenden Vertretern des geschichtlichen Faches gegeben; sie sind 
auch in der Presse der letzten vierzehn Tage an sehr vielen Stellen 
und zum Teil sehr gründlich erörtert worden. Dabei hat sich über 
die ersten beiden Punkte eine weitgehende Übereinstimmung er- 
geben. Darüber daß Universalgeschichte bei weitem mehr als bis- 
her gepflegt werden müsse aus wissenschaftlichen Gründen wie aus 
Gründen der praktischen Politik, herrscht beinahe Einstimmigkeit. 
Und auch die Betonung des Anschauungsunterrichts, durch 
Skioptikonbilder und Verwandtes, hat grundsätzliche Gegner kaum 
gefunden; nur über das Maß der Anwendung der Anschauungsmittel 
gehen die Ansichten auseinander. Eine volle Einigung hierüber 
wird ja naturgemäß nie zu erreichen sein, ist auch keineswegs ein 
erstrebenswertes Ziel. Festgehalten werden muß nach dem Redner 
an der grundsätzlichen Forderung, daß Professoren, welche über 
außereuropäische Geschichte lesen, im allgemeinen auch die Schau- 
plätze dieser Geschichte persönlich kennen gelernt haben, wie es ja 
vom Historiker der antiken Geschichte heute als selbstverständlich, 
gilt, daß er die Mittelmeerländer kenne. Mindestens aber sei zu ver- 
langen, daß ein Historiker, der über Universalgeschichte lese, einige 



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Vortrag Lamprecht. 



121 



Länder verschieden hoher Kultur bereist habe. Ist diese Forderung 
einmal erfüllt, so wird sich das Maß der Anwendung des Anschau- 
ungsunterrichts ganz von selbst ergeben. Im übrigen zeigte der 
Redner eingehend, wie die beiden Forderungen durchaus im Einklang 
mit dem stehen, was die eingehenden Erörterungen der pädagogischen 
Fragen, insbesondere über die akademische Vorbereitung der Mittel- 
schullehrer für ihren Beruf ergeben haben: hier hat Harnack für die 
Historiker gänzlich widerspruchslos universalgeschichtliche Vorlesungen 
gefordert, wie Brandl für die Philologen den allergrößten Wert auf 
den Besuch fremder Länder gelegt hat. Man darf also sagen: Uni- 
versalgeschichtliche Vorlesungen und Anschauungsunterricht für 
solche Vorlesungen sind eine schon heute kaum noch bestrittene 
Forderung. 

Zu eingehender Diskussion stand nach alledem nur noch die 
dritte Forderung: die von Seminarien für Kultur- und Universal- 
geschichte. Sie ist in Dresden und in der Presse bisher überhaupt 
weniger und vor allem weniger durchsichtig behandelt worden, weil 
dem Redner bei dem auf ungünstige Stunde angesetzten Vortrage 
in Dresden die Zeit mangelte, auf sie des genaueren einzugehen. 
Dies eben geschah nun jetzt. Der Vortragende gab eine eingehende 
Schilderung der für das Leipziger Seminar beabsichtigten Studien- 
einrichtungen, und führte an einzelnen zur Ausstellung gebrachten 
Beispielen von Lehrmaterial durch, wie sich der Unterricht gestalten 
würde: dies alles auf Grund schon mehrjähriger Erfahrungen vor- 
nehmlich in amerikanischer und ostasiatischer, besonders japanischer 
Geschichte. Dabei betonte er ausdrücklich, daß die Studien auf 
diesen Gebieten immer nur kleinen Kreisen Studierender zufallen 
würden. Da aber außereuropäische wie europäische Universalgeschichte 
vorwiegend nur als Kulturgeschichte denkbar sei, so müßte mit ihr 
— und so sei die Sache auch in Leipzig geplant — ganz über- 
wiegend die Forschung auf dem Gebiete deutscher Kulturgeschichte 
Hand in Hand gehen; ja es sei noch tiefer bis in die Landesgeschichte 
hinein zu fundamentieren: weshalb denn das Leipziger Seminar in un- 
mittelbarer räumlicher Verbindung mit einem Seminar für sächsische 
Geschichte stehen werde, derart, daß die Bibliotheken beider Semi- 
nare durcheinander benutzt werden können. 

Auch dieses Zusammengehen von Landes-, National- und Uni- 
versalgeschichte sei schon erprobt, und die Ergebnisse für die Stu- 
dierenden seien so günstig, daß auf Grund der bestehenden Erfah- 
rungen auf dem eingeschlagenen Wege fortgefahren werden könne. 
Dabei handle es sich natürlich nicht um rasche und gleichzeitige Er- 
füllung aller etwa denkbarer und sogar auch nur aller als notwendig 



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122 Histor.-epigraph. Sektion: Dritte Sitzung. Vortrag Lamprecht. 

empfundener Forderungen; vielmehr müßte der Fortschritt des Aus- 
baus des Seminars und seiner Übungen von den jeweils sich dar- 
bietenden Personen und Mitteln abhängig bleiben. Im übrigen ver- 
wies der Redner für die organisatorischen Fragen auf seine in der 
„Zukunft" vom 21. September 1907 gedruckten Bemerkungen. 

Was die im Seminar zu betreibende Methode angehe, so sei sie 
nur die allgemein übliche und werde sie in ihren Anfangsgründen in 
einem besonderen Proseminar gelehrt werden. Anders dagegen als 
bisher muß die Vorbildung des jungen Historikers in den gleich- 
zeitig zu betreibenden synthetischen Hilfswissenschaften geregelt 
werden. In den frühesten Zeiten systematischer Durchbildung von 
Historikern, in den dreißiger bis siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, 
habe man ganz allgemein eine philologische und zwar vornehmlich 
klassisch -philologische Vorbildung zur Erlernung der Kunst der 
Kritik und Hermeneutik für notwendig erachtet. Der Redner steht 
auch jetzt noch auf diesem Standpunkt: die Vorbildung müßte klassisch - 
oder neuphilologisch bzw. germanistisch sein, da die Wissenschaft der 
mittleren wie der neueren Geschichte keine Philologie des Mittel- 
lateins bzw. der Quellen der späteren Zeit entwickelt habe. Den 
Zeiten philologischer Vorbildung des jungen Historikers sei dann, in 
der Waitzschen Schule vornehmlich, eine Periode juristischer Vor- 
bildung gefolgt, als Konsequenz der auf die Kantsche Metaphysik 
zurückgehenden voll entwickelten Staatengeschichte; und dieser wie- 
derum, mit dem Auftauchen der wirtschaftlichen und sozialen Fragen 
seit den siebziger Jahren, eine Zeit kombiniert juristischer und national- 
ökonomischer Vorbereitung, wobei allmählich die ökonomische Seite 
in den Vordergrund getreten sei. Der Redner will diese Wissenschaften 
nicht missen, betont aber daneben die Notwendigkeit auch philoso- 
phischer, insbesondere aber psychologischer Vorbereitung. 
Eine Diskussion findet nicht statt. 



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Romanistische Sektion. 



Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907, nachmittags 3 Uhr. 

Der erste Obmann, Prof. Dr. E. Tappolet (Basel) eröffnet die 
Sitzung. In seiner Begrüßung betont er die Bedeutung Basels als 
Vermittlerin zwischen romanischem und germanischem Wesen und 
freut sich, auf diesem Boden die Romanisten willkommen heißen zu 
können. 

Pur remenbrer des ancessurs, 
Les diz e les faie et les murs. 

Er nennt sodann zuerst die in den zwei verflossenen Jahren 
verstorbenen Gelehrten romanischer Zunge: Ascoli, den Schöpfer der 
modernen Linguistik jenseits der Alpen, Gründer des ausgezeichneten 
Archivio glottologico und Verfasser der vorbildlichen Saggi 
ladini und Schizzi franco-provenzali, Brunetiere, den vor- 
züglichen Literarhistoriker, und Carducci, den größten Dichter des 
modernen Italiens. In Deutschland hat die romanistische Wissen- 
schaft große Verluste erlitten durch den Tod von E. Böhmer, 
R. Schröder, K. Hetzer; in der Schweiz durch den Tod von J. Ulrich 
und J. Muoth; Frankreich hat den Hinschied von E. Bire und 
A. Delboulle zu beklagen, und in Italien ist Graf Nigra seinem 
Meister Ascoli bald gefolgt. Holland hat Van Hamel, Rußland 
A. Wesselofsky verloren. 

Zur Ehrung der Genannten erhebt sich die Versammlung von 
ihren Sitzen. 

Die Reihenfolge der Vorträge, wie sie im Programm vorgesehen 
ist, findet den Beifall der Versammlung. Auf Vorschlag von Prof. Dr. 
Morf werden als Vorsitzende gewählt: 1. der Senior der Versammlung 
Prof. Dr. E. Stengel (Greifswald), 2. Prof. Dr. E. Tappolet (Basel); 
als Schriftführer: Prof. Dr. Suchier (Höchst) und Prof. Dr. Jud 
(Zürich). 



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124 



Romanistische Sektion: Erste Sitzung. 



Den ersten Vortrag hält Prof. Dr. L. Gauch at (Zürich) Über 
die Bedeutung der Wortzonen. 1 ) 

Die frühere Ansicht von vollkommener Unregelmäßigkeit der 
Ausbreitung der Wörter muß revidiert werden. Der Attas Unguisfique 
de Ja France, von Gillieron und Edmont, ermöglicht jetzt ein tieferes 
Eindringen in die Probleme, welche sich an die Wortzone knüpfen. 
Die vorwiegend lexikologische Anlage des herrlichen Werkes fördert 
moderne Tendenzen der Romanistik, die der Untersuchung des Wortes 
und des Begriffes gewidmet sind. Der Atlas zeigt, welche Wort- 
kategorien sich in lateinischer Benennung erhalten (Abstrakta, Ver- 
kehrswerte, Grundbegriffe), welche dem Neologismus rufen (subjektive 
Werte). Er weist z. B. Vereinheitlichungstendenz in den Namen für 
die Berufe nach. Aus den Karten geht häufig der Zusammenhang 
der Neubenennung mit provinziellen Lebensbedingungen hervor. Dem 
Kartenblatt sieht man an, ob ein Wort eine einfache oder wechsel- 
volle Geschichte durchmachte. Die Größe und Lage der Wortzonen 
verdeutlicht den Existenzkampf der Wörter. Das Nebeneinander der 
Karten läßt sich in ein chronologisches Verhältnis bringen und die 
Aufeinanderfolge der Wortschiebten erkennen. So treibt man Sprach- 
geologie. Gillieron selber hat (mit Mongin und ßoques) methodisch 
wichtige Proben solcher Untersuchungen geliefert. Der Atlas lehrt 
die Wortgeschichte perspektivisch anschauen, er zwingt zu zusammen- 
fassender Betrachtung der Vertreter eines Begriffes und zum gleich- 
zeitigen Studium der Wörter und der Dinge, die sie benennen. Aus 
der Vergleichung verschiedener Karten ergibt sich die Abhängigkeit 
der Wörter voneinander, der Grund vieler Umprägungen, Umdeu- 
tungen, des Werdens und Vergehens. Unter anderem erscheint die 
Homonymie als zerstörender Faktor. Die Lage der Wortzone gibt 
deutliche etymologische Winke. Interessant ist das Auftreten gleich- 
artigen Wortersatzes an weit auseinanderliegenden Punkten, wie 
spiare für regarder in der Gascogne und in Lothringen. Das Studium 
allgemeiner Sprachverhältnisse muß da zu genetischen Zusammen- 
hängen führen. Ein im Atlas oft wiederkehrendes Bild ist die Bei- 
behaltung altertümlicher Bestandteile an der Peripherie des Landes, 
so auf den Karten: abeille, renard, soir, souper, soleil usw. Dies lehrt 
nachdrucklich, daß der lateinische Ausdruck einst in Frankreich be- 
stand und im etymologischen Studium von ihm auszugehen ist. In 
stier steckt ein Stück serrare. Französisch tSte stammt nur als 
äußerliches Zeichen von testa, das wahre Grundwort ist Caput, von 



1) Der Vortrag wird im Archiv für das Studium der neueren Sprachen 
erscheinen. 



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Vorträge Gauchat und Bertoni. 



125 



dem t&e den größten Teil des Inhalts erbte. Der Atlas zeigt die 
Wege des Vormarsches des Französischen in die Mundartgebiete. 
Das Zentrum war meist Paris. Selten und aus verschiedenen Gründen 
differiert der mundartliche Ausdruck des Seinedepartements von der 
Schriftsprache. Der Vorstoß war am kraftigsten im Westen und un- 
mittelbar im Süden der Hauptstadt. Der provenzalische Süden wird 
von Westen und Osten angegriffen. Der französische Ausdruck ge- 
währt oft das Bild einer Klammer. Bordeaux, Lyon und Marseille 
sind wichtige Verbreitungsfilialen. Die Wasserwege waren bei der 
Propagation sehr förderlich, so besonders die Rhone. Die Karte re- 
gain zeigt deutlich Verschleppung des französischen Wortes durch 
die Garonne und den Ganal du Midi. Der Norden besitzt noch große 
lexikologische Selbständigkeit. Das Wort Gasars: „Galliaestomnis 
divisa in partes tres" hat immer noch sprachliche Gültigkeit. Das 
in der Burgunderzeit konstituierte franko-provenzalische Sprachgebiet 
ist noch heute in seiner Südgrenze (Südrand der Dep.: Savoie-Isere) 
deutlich vom Provenzalischen geschieden. Viele Wörter erreichen 
hier ihr Ende. Die Wortzone hat auch in der Dialektgrenzenfrage 
mitzureden. Wir haben in der Wortzone ein neues Arbeitsinstrument 
erhalten, durch das die französische Wortforschung in ein neues 
Stadium eingetreten ist. Methodischer Gewinn ergibt sich daraus 
auch für die allgemeine Erforschung der romanischen Sprachen. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren Seelmann (Bonn), 
Morf (Frankfurt a. M.) mit dem Hinweis auf die methodische Schu- 
lung, welche durch das Studium der Karten des Atlas UngitisUque 
den zukünftigen Neuphilologen im Seminar vermittelt werden kann, 
Baist (Freiburg i. Br.) mit einigen Bemerkungen über die Geschichte 
von foresHs > forSt. 

Prof. Dr. G. Bertoni (Freiburg i. S.) sprach über La poesia 

franco-italiana. 1 ) 

Meglio che «franco-veneta», potremo chiamarla «franco-italiana*, 
in quanto che non fiori solamente nel Veneto, ma nell' Italia supe- 
riore, ivi compresa Y Emilia. Vero e tuttavia che al Veneto spetta 
il posto d' onore. 

La denominazione di «franco-italiana» ha un puro e semplice 
valore letterario e indica cioe che codesta poesia, fiorita nell' alta 
Italia, deriva in tutto, o in parte, dalla poesia di Francia; ma non 
ha valore linguistico. In fatti, gli autori dei secc. XTTT e XIV pro- 

1) Riassumo qui con la maggior brevita che mi sia possibile le 
tesi da me illustrate nel Congreeso di Basilea il 24 Settembre 1907. 
Parte della conferenza trovasi nel cap. I del mio recente libro L' Attila 
di Nicola da Casola, Fribourg (Suissc), 1907. 



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126 



Romanistische Sektion: Erste Sitzung. 



ponevansi una di queste due cose: o ridurre in dialetto italiano mo- 
delli francesi, o scrivere in francese. Nel primo caso i documenti 
spettano alla letteratura dialettale italiana del Nord e sono interes- 
santi ancora per quel che conservano di francese; nel secondo caso 
essi spettano alla Francia, benche redatti in cattivo francese- In vece 
di una zona linguistica franco-italiana, noi abhiamo due demizone, 
di cui V una e italiana, Y altra e francese. II gergo risulta dalla 
maggiore o minor conoscenza della lingua da parte degli autori e dei 
rimanipolatori; ma sta serapre il fatto che, in fondo, essi volevano 
adoprare 1' una o 1' altra lingua: la francese o Y italiana. Vi riusci- 
vano piü o raeno, a seconda della loro abilita, della loro coltura e 
del loro ingegno. Ogni opera adunque presenta caratteristiche lin- 
guistiche sue proprie; ma i fenomeni non possono erigersi a legge 
generale, essendo essi medesimi un fatto individuale. Nicola da Ve- 
rona, a ragion d' esempio, intendeva scrivere in pretto francese e lo 
proclamava altamente. Per comprendere il problema dell' ibri- 
dismo, bisogna invero rappresentarsi lo stato della coltura francese in 
Italia nel sec. XIII e nel seguente. Eran scesi e scendevano pelle- 
grini e giullari di diverse regioni della Francia, della Normandia, 
della Piccardia, ecc. ecc. e il primo esempio di ibridismo dialettale 
lo portavano essi medesimi nella penisola. 

Parmi che la letteratura franco-italiana sia suscettibile di una 
classificazione, qualora ci fondiamo sulla lingua. Avremo cioe: 

I. Poemi franco-iialiani scritti in dialetto italiano (quasi sempre 
venäo) con intromissione piü o meno considerevole di elementi fran- 
cesi, che possono anche mancare del tuito. 

Abbiamo: il codice marciano IV della Chanson de Roland; il 
cod. marciano XIII, cioe: Beuve ä" Hanstone, Berte au grand pied, 
Berte et Milon, Ogier le Danois, Macaire; le redazioni torinese e pa- 
dovana dell' Huon d'Auvcrgne, il Rainardo e Lesengrino, il Bavo 
laurenziano e anche quello udinese. 

II. Poemi franco-italiani scritti in francese da itahani: il poema 
su Antechrist nel cod. 3645 dell* arsenale; il trattato di Enanchet; 
la Consolacion di Boezio in prosa contenuta nel cod. francese 821 
della Biblioteca nazionale di Parigi; 1' Entree en Espagne, la Prise 
de Pampelune, la FarsagUa e \&Passione di Nicola da Verona; 1' Attila 
di Nicola da Casola e 1' Aquilon. 

III. Poemi francesi copiati in Italia da amanuensi non dili- 
genti, che si sono permesse alcune alterazioni, o da amanuensi dili- 
genti, che si sono proposte alcune alterazioni. Abbiamo: 1' Huon 
d'Auvergne del ms. della collezione Hamilton a Berlino; 1' Aspremont 
e 1' Ansets del cod. parigino 1598, scritto- forse dal padre di Nicola 



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Vorträge Bertoni und Baist. 



127 



da Casola; il Gui de Xanteuil e il Fölqucs de Candie della Marciana, 
e certamente altri poemi. Importantissimi il V 7 della Chanson e il 
ms. di Chäteauroux. 

IV. Inline, spetta il quarto posto a poemi franco-italiani perduH, 
da classificarsi piuttosto nella prima che nella seconda o terza sezione, 
perche attestati da altri poemi toscani che ne dipendono. E i poemi 
della classe I sono quelli che oltre passarono gli Apennini. Apparten- 
gono a questa classe: un Einaldo di Montalbano, un altro Ogier, un 
poema, che fu il modello della Spagna in prosa e in rima, un poema 
su Fiorio e Bianäfiore, ed altro ancora. 

Questa classificazione e fondata su ragioni linguistiche e non su 
fatti letterari. Le due prirae classi sono separate da un ahisso; nella 
prima rientrano poemi che hanno, ad es., conservate le finali lat. -o, 
-u e -a; alla seconda spettano invece poemi, che essendo scritti in 
francese, se bene cattivo, lascian cadere -o ed -u e mutano -a in -e. 
Ma una grammatica franco-italiana non potra mai farsi per la sem- 
plice ragione che non si puö scrivere una grammatica di una lingua 
che non e mai esistita, se non nelT imaginazione di qualche erudito; 
e dovremo percio tenerci ognora paghi a una descrizione di ogni sin- 
golo testo, senza permetterci di estendere ad altri le caratteristiche 
trovate in undocumento. Goncludo: franco-italiana chiameremo adun- 
que la letteratura, in quanto si riattacca alla Francia; ma non franco- 
italiana la lingua, che fu invece o italiana, con intrusione di elementi 
francesi, o francese con ibridismo dialettale. Preferibile poi alla de- 
nominazione di letteratura «franco-veneta» e quella piü generale di 
«franco-italiana». 

Zweite Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, 0 Uhr 30 Min. 

War kombiniert mit der zweiten Sitzung der germanistischen Sektion. 

Bericht siehe dort (S. 99). 

Dritte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 9 Uhr. 
War kombiniert mit der germanistischen und der englischen Sektion. 
Vorsitzender: Prof. Dr. E. Stengel (Greifswald). 

Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. G. Baist (Freiburg i. Br.) 
über Arabische Beziehungen vor den Krenzzügen. 

Was das Mittelalter von den Arabern erlernt hat, ist fast durch- 
weg unabhängig von den Kreuzzügen. Zwei Hauptzentren kommen. 



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128 



Romanistische Sektion: Dritte Sitzung. 



für die orientalischen Wortentlehnungen in Betracht: Sizilien« und 
Spanien; Wesentliches ist durch Vermittlung der Byzantiner ins 
Abendland gelangt. Byzantinisch ist die Azurfarbe, in Italien der 
Bau der Seide (10. Jahrh.) und wahrscheinlich der Baumwolle 
(it. bambascia, dtsch. Wams). Der Zucker war im 11. Jahrh. als 
Droge gekannt. Das Papier kam über Sizilien und Spanien, eben- 
so die Pomeranze. Das Schach aus Spanien, schon im 10. Jahrh. 
inLeon.. Maschenpanzer und Armbrust sind früh mittelalterlich, 
letztere abendländische Erfindung. Spanisch-französisch sind mesquin, 
adouber, hoqueton, aucube, almasour usw., aus Palästina kam vor dem 
dritten Kreuzzug nur muserat und tarquais. Die Vermittlungsstelle 
ist für Frankreich die Spanische Mark. 

Der zweite Redner, Prof. Dr. Ed. Wechßler (Marburg) sprach 

über Mystik und Minnesang. 1 ) 

Der erste Kreuzzug, der das asketische Lebensideal in seiner 
höchsten Ausbildung zeigt, brachte zugleich die erste Befreiung vom 
Zwang der kirchlichen Lebensanschauung. Zuerst in Sildfrankreich 
wandten sich die breiten Volksmassen von der Kirche ab. Und die 
Kreise der feudalen Hofhaltungen wurden religiös indifferent. Dort 
formulierten die Dichter ein anderes Lebensideal, mehr Sitte als 
Sittlichkeit in sich schließend: die Cortezia, Gourtoisie, höve- 
s che it. Fürstliche Frauen, die an ihren Höfen feine Gesellig- 
keit übten, waren Gesetzgeberinnen dieser ältesten Laiendichtung 
der neueren Zeit. Diese Fürstinnen werden von den Dichtern als 
Erzieherinnen zur höfischen Zucht gepriesen. Das Minnelied an die 
Herrin war nach Sinn und Zweck ein politischer Panegyrikus, der 
Frauendienst dem Herrendienst parallel. Die Trobadors und Minne- 
singer waren gelehrte Dichter, bewandert in der Grammatik und 
Musik, Psychologie und Dialektik der Schule. Ihre wertvollste An- 
regung empfingen sie Dicht sowohl von dort, sondern von der mysti- 
schen Grundstimmung der religiös erregten Zeit. Den ältesten Minne- 
singern gingen Bernhard von Clairvaux und Hugo von St. 
Victor unmittelbar voraus. Mystik ist das Hinausstrebon der Seele 
aus dem Endlichen ins Unendliche durch die Kraft der Liebe. Das 
mystische Erlebnis an sich ist allen Zeiten und Völkern gemein, und 
stets im höchsten Sinne poetisches Erlebnis. In der Psychologie 
der Mystik finden wir überall gewisse Stadien, von der mystischen 
Sehnsucht bis zur Ekstase. Diese Stadien zeigen sich auch im Minne- 



1) Noch im Jahre 1908 wird vom Redner im Verlag von Max Nie- 
meyer in Halle a. S. erscheinen: „Minnesang und Christentum. 44 Studien 
zur Geschichte der mittelalterlichen Weltanschauung. 



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Vorträge Wechßler uud Wetz. 



129 



sang. Der Frauendienst wurde gesteigert zur Andacht, zum Frauen- 
kult. Frauenminne wurde der christlichen Caritas gleichgestellt und 
als Eardinaltugend und Quelle alles Guten gepriesen. Beine Frauen- 
minne ist nicht Sünde, sondern Tugend und erzieht zur Keuschheit. 
Nur der Gute ist der Minne fähig. Dantes mystische Frauenverehrung 
war keine Neuerung, Sondern in Südfrankreich vorbereitet. Dante ver- 
söhnte Kirche und Frauendienst, indem er seine Beatrice als Symbol 
kirchlicher Begriffe auffaßte, in der Vita Nuova als Engel -intelli- . 
genza, in der Commedia als sapienza divina. Nach ihm war sich 
Petrarca, der Mann der Renaissance, des Gegensatzes wohl bewußt 
und litt schwer darunter. Von ihm führt dann die geschichtliche 
Entwicklung bis zu Goethe. 

Am Schluß der Sitzung regte Prof. Dr. E. Martin (Straßburg) 
die Sammlung bildlicher Darstellungen der Tiersage an. 

Nach Worten des Dankes an die Vortragenden schloß der 
Vorsitzende die dritte Sitzung, indem er zugleich mitteilte, daß der 
Vortrag von Prof. Piaget (Neuchätel), infolge Krankheit am Freitag 
ausfallen werde. 

Vierte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 11 Uhr 30 Min. 
War kombiniert mit der englischen Sektion. 
Vorsitzender: Prof. Dr. E. Stengel (Greifswald). 

Der Vorsitzende erteilt Prof. Dr. W. Wetz (Freiburg i. Br.) das 
Wort zu seinem Vortrage über Die Aufgaben des nensprachlichen 
Unterrichtes in der Schnle nnd an der Universität. 1 ) 

Der Redner geht aus von der in den letzten Jahren erfolgten 
großen Neuerung auf dem Gebiet des höheren Schulwesens, durch die 
die Oberrealschulen als gleichwertige Bildungsanstalten neben den 
humanistischen und den Realgymnasien anerkannt und ihre Schüler 
zum Studium aller Universitätsfächer zugelassen wurden. Wenn die 
von den Oberrealschulen überlieferte Bildung, die zu einem guten 
Teile wenigstens durch die Beschäftigung mit den neueren Sprachen, 
mit Französisch und Englisch, erzielt werde, der Gymnasialbildung 
gleich stehen solle, so erwachse für jene Anstalten auch die Pflicht, 
dem Bildungswert des neusprachlichen Unterrichts erhöhte Aufmerk- 
samkeit zuzuwenden und dafür zu sorgen, daß dieser seiner Aufgabe 

1) Der Vortrag ist unverkürzt erschienen in der „Zukunft" 1908, 
Nummern vom 4. und 11. Januar. 

Verhandlung«!! d. 49. Vera, deutlicher Philol. u. Schnlm. 9 



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130 



Romanistische Sektion: Vierte Sitzung. 



in der Hauptsache auch gerecht werde. Dieser Gesichtspunkt aber 
tritt nach der Ansicht des Redners in dem heute auf unseren Schulen 
herrschenden neusprachlichen Lehrbetrieb allzusehr zurück. Dieser 
sei vor allem auf die Entwicklung der Sprachfertigkeit und auf Über- 
lieferung eines Bildes von dem fremden Volke berechnet; er bevor- 
zuge daher in der Lektüre vielfach Autoren, die nur einen unter- 
geordneten literarischen Wert besäßen oder überhaupt nicht zur 
m Literatur gehörten und sich nur dadurch empfahlen, daß sie mancher- 
lei Notizen über das fremde Land und Volk brächten und sich be- 
quem zu Sprechübungen darböten. Der Redner ist durchaus für Bei- 
behaltung der Sprechübungen, ja er hält sie für ganz unentbehrlich 
und betrachtet es auch als das Natürliche, daß diese sich überwiegend 
mit dem fremden Land und Volk beschäftigen: aber ebenso ent- 
schieden ist er auch der Ansicht, daß wir nicht in jener matter -o f- 
fact- Literatur den Zugang zu der Seele eines Volkes haben, sondern 
vielmehr in der großen Literatur, der dichterischen wie der prosa- 
ischen, in der die bedeutendsten geistigen Vertreter eines Volkes ihre 
gewaltige Persönlichkeit, ihr Denken und Fühlen ausgesprochen haben. 
Nur die Beschäftigung mit dieser wirkt nach ihm wahrhaft bildend, 
nicht aber die mit jener untergeordneten Literatur, die uns abgeris- 
sene Notizen über das fremde Land vermittelt, noch auch die mit 
der Gebrauchssprache, die ausschließlich in den Sprechübungen zur 
Geltung kommt. 

Es genügt nun aber nicht, daß die Schule den großen fremd- 
sprachlichen Autoren mehr Beachtung schenkt als seither, sie bedarf 
vor allem auch der Lehrer, die sie für die Bildung ihrer Schüler 
wahrhaft nutzbar zu machen wissen. Der Redner geht nun auf die 
Vorbildung der neusprachlichen Lehrer ein und findet, daß sie für 
ihre Aufgabe mangelhaft vorbereitet seien, weniger gut z. B. als die 
klassischen Philologen. Ungünstig wirke schon ein, daß neun Zehntel 
ungenügende Vorkenntnisse auf die Universität mitbringen. Die Ober- 
realschüler und z. T. auch die Realgymnasiasten seien im Latein 
und in der alten Literatur und Kultur nicht gut beschlagen, die 
Schüler des humanistischen Gymnasiums wüßten meist kein Englisch. 
Seien nun die jungen Studenten glücklich so weit, daß sie die größten 
Lücken ihrer Bildung ausgefüllt hätten, was meist ein Jahr in An- 
spruch nehme, so könnten sie keineswegs ihre ganze Kraft auf die 
lebende Sprache und die Literatur, die darin niedergelegt sei, werfen, 
sondern müßten sich vor allem den früheren Sprachstufen und der 
historischen Grammatik, kurz der sprachwissenschaftlichen Seite ihres 
Faches zuwenden. Viele gingen beinahe ganz darin auf, und das 
erkläre sich daraus, daß die ältere Sprache und Literatur in unserm 



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Vorträge Wetz und Schneegans. 



131 



akademischen Unterricht ganz und gar im Vordergrund stehe, von 
einzelnen Professoren sogar ausschließlich behandelt werde, während 
die neuere Sprache und Literatur dem fremdsprachlichen Lektor 
überlassen bleibe. Der Redner hält diesen Zustand für ungesund 
und glaubt, daß vielmehr die neuere Sprache, die jetzt gegen die 
ältere durchaus zurückstehe, in unserm akademischen Unterricht zur 
Hauptsache werden und dieser immer von ihr ausgehen und immer 
wieder zu ihr zurückkehren müsse. Auch für die Literatur genüge 
der fremdsprachliche Lektor nicht ganz, weil die fremde Literatur 
nicht bloß mit den Augen des Eingeborenen betrachtet werden dürfe, 
sondern wir sie auch in ihrer Bedeutung für unser eigenes Geistes- 
leben würdigen müßten. Wenn es das Ziel des akademischen Unter- 
richts sein solle, daß er die Philologen lehre, in die Tiefe einer 
fremden Sprache und Literatur einzudringen, so müsse man zuge- 
stehen, daß diese Aufgabe von den Altsprachlern weit besser als von 
den Neusprachlern gelöst werde. Der Redner deutet dann an, wie 
eine Besserung des jetzigen Zustandes erzielt werden könne, und 
schließt: wenn man für den neusprachlichen Unterricht die nötigen 
Lehrer habe, nämlich ernste, wissenschaftlich gerichtete Männer, die 
tief in den Geist der fremden Sprache und Literatur eingedrungen 
seien, dann werde dieser Unterricht nicht bloß Fertigkeiten und ein- 
zelne Kenntnisse über das fremde Land und Volk, sondern auch 
wirkliche Bildung zu überliefern vermögen. 

Dr. E. Thomm en (Basel) übernimmt den Vorsitz und spricht 
dem Vortragenden den Dank der Versammlung aus. 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren Stengel (Greifs- 
wald), Schneegans (Würzburg), Winneberger (Frankfurt), Buska 
(Heidelberg), Ries (Colmar), Tappolet (Basel), Dick (Basel), 
R. Jordan (Heidelberg) und der Vortragende. 

Schluß der Sitzung 1 Uhr. 

Fünfte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, 9 Uhr 15 Min. 
War kombiniert mit der englischen Sektion. 
Vorsitzender: Prof. Dr. E. Tappolet. 

Prof. Dr. H. Schneegans (Würzburg) hält seinen Vortrag über 

Die neuere französische Literaturgeschichte im Seminarbetrieb 
unserer Universitäten. 1 ) 

1) Der Vortrag ist in der Februarnummer 1908 der Ztechr. „Die 
Neueren Sprachen" S. 513 erschienen. 

9* 



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132 



Roinanistische Sektion: Fünfte Sitzung. 



Der neusprachliche Unterricht will zwar als höchstes Ideal den 
Zweck verfolgen, in das Verständnis der Kultur des fremden Volkes 
einzuführen. Die Art und Weise, wie aher auf den Oherklassen 
unserer Mittelschulen die französischen Klassiker gelesen und inter- 
pretiert werden, entspricht diesem Zweck nur in den seltensten Fällen. 
Statt den Autor aus der psychischen Atmosphäre seiner Zeit und 
seiner Umgebung heraus in seiner historischen Bedeutung zu er- 
klären, wird er oft nur als Unterlage zu Übungen in Grammatik 
und Konversation oder zur Einprägung der sogenannten Realien ver- 
wertet. Einer eigentlich literarischen Erklärung neuerer Texte 
stehen die meisten Lehrer hilflos gegenüber. Schuld ist daran z. T. 
der Umstand, daß sie nach dieser Richtung auf der Universität zu 
wenig vorgebildet werden. Auf unseren Seminarien treiben wir zwar 
sehr gründliche historisch und vergleichend grammatische sowie text- 
kritische, hie und da auch literarische Übungen im Anschluß an 
ältere Texte. Die Bedeutung dieser Übungen erkennen wir zwar 
rückhaltlos an. Wir werden uns aber die Frage wohl vorlegen 
dürfen, ob die neuere französische Literaturgeschichte, die doch vom 

16. Jahrhundert ab als Kulturfaktor erst ihre ganze Bedeutung er- 
hält, nicht dabei zu kurz kommt. Im Kolleg wird zwar das 16. und 

17. Jahrhundert von den meisten Universitätsprofessoren noch be- 
handelt. Nur selten wird aber über das 18. und 19. Jahrhundert ge- 
lesen. Meistens sind es nur die Lektoren, die über diese wichtigen 
Perioden lesen. Der Lektor ist aber in den meisten Fällen ein Aus- 
länder, der nicht Romanist von Fach ist. Ausnahmen bestätigen die 
Regel. So bekümmert sich die deutsche Wissenschaft als solche im 
Hochschulbetrieb recht wenig um die Perioden der französischen 
Literaturgeschichte, die für die Kultur die wichtigsten sind. Im 
Seminar ist das noch weniger der Fall wie im Kolleg. An der Hand 
der Vorlesungsverzeichnisse der letzten Jahre läßt sich sehr leicht 
der Nachweis führen, daß eigentlich nur selten rein literarhistorische 
Übungen über die neuere französische Literaturgeschichte abgehalten 
werden. Eine Ausnahme machen nur die wenigen Universitäten, an 
denen Doppelprofessuren bereits bestehen oder die Akademie Frank- 
furt a. M., wo selbstverständlich auf die neuere Zeit mehr Gewicht 
gelegt wird. So sind denn die Klagen, die sich in Lehrerkreisen er- 
heben, über die nicht genügende Vorbereitung in literarischer Hin- 
sicht auf der Universität begründet. Soll das Studium der neueren 
Sprachen auf der Oberrealschule wirklich mit dem der alten am 
Gymnasium wetteifern, so muß nach dieser Richtung hin mit großem 
Nachdruck gearbeitet werden. Sonst wird das „moderne Kultur- 
ideal", das dem alten klassischen so gerne entgegengesetzt wird, 



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Vortrag Schneegans. 



133 



einem jämmerlichen Fiasko entgegengehen. Daß die neuere Zeit im 
Seminar nicht wissenschaftlich betrieben werden könnte, ist unbe- 
gründet. Die Probleme, die es zu lösen gibt, sind, weil sie mit der 
Geschichte, Philosophie, den sozialen Fragen, kurz der Kultur über- 
haupt vielleicht noch enger verknüpft sind als die mittelalterlichen, 
nur noch komplizierter. Abgesehen von dem Quellenstudium, das 
bei neueren Texten selbstverständlich ebensogut betrieben werden 
kann wie bei alten, wären im Seminar Aufgaben vergleichender Art 
besonders fruchtbringend. So z. B. der Vergleich der Theorie einer 
Dichterschule (Plejade nach der Defense et Illustration von Dubellay, 
Klassiker nach Boileaus Art poe'tique, Romantiker nach Victor 
Hugos Preface de CromweU) mit den Leistungen der Dichter selbst, 
oder der Vergleich der Lehren Boileaus, sein Hinweis auf das Wahre 
(JRien n'est beau que le vra'i) oder auf das Natürliche (Qar la nuture 
donc soit votre e'tude unique) mit den Bestrebungen der Realisten 
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Untersuchung, 
wie zu verschiedenen Zeiten Wahrheit und Natur aufgefaßt 
werden und warum ein Wandel in dieser Auffassung zu bemerken 
ist, die Erklärung, ob und inwiefern Boileaus und seiner Anhänger 
Stellung zu den Preziösen mit der realistischen Reaktion der 2. Hälfte 
des 19. Jahrhunderts gegenüber der Romantik verglichen werden 
kann. Auch die Behandlung derselben Stoffe durch verschiedene 
Dichter zu verschiedenen Zeiten eröffnet sehr interessante Ausblicke 
auf die Entwicklung von Literatur und Kultur (so z. B. die Kritik 
der gelehrten Frauen bei Moliere und Pailleron, das Nachäffen des 
Adels durch das Bürgertum bei Moliere und Augier, die Art etwa 
Napoleon zu besingen bei den verschiedensten Dichtern des 19. Jahr- 
hunderts usw.). An Aufgaben fehlt es gewiß nicht. Es fragt sich 
nur, ob wir Zeit haben neben dem Studium der altfranzösischen 
Sprache und Literatur, neben dem der übrigen romanischen Sprachen, 
der Dialektkunde, der Textkritik, die natürlich nicht zu kurz kommen 
dürfen, auch diese neue Aufgabe zu übernehmen. Um dies alles 
gründlich zu betreiben, müßten mit der <Seit die deutschen Universi- 
täten überhaupt Doppellehrstühle errichten wie jetzt schon in Wien, 
Zürich und einigen anderen. Nicht bloß für die Entwicklung der 
Wissenschaft ist das notwendig. Auch in pädagogischer und sogar 
politischer Beziehung ist es von Wichtigkeit. Die Bedeutung der 
Oberrealschule als „moderne Schule" steht oder fällt mit der höheren 
oder geringeren Beachtung der modernen Literatur. In Frankreich 
wird ferner von Seiten der Germanisten das moderne Deutschland 
mit allem Nachdruck studiert. Wollen wir unserem Volke auch 
die Kenntnis des modernen Geisteslebens unserer Nachbarn über- 



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134 



Romanistische Sektion: Fünfte Sitzung. 



mittein, so dürfen wir nicht zaudern, dem Beispiele der Franzosen 
zu folgen und nicht bloß „nebenher", sondern gründlich und wissen- 
schaftlich das Studium der modernen Literatur auf der Hochschule 
zu betreiben. 

Der Vorsitzende spricht dem Vortragenden den Dank der Ver- 
sammlung aus. Auf Antrag von Direktor Dr. Winneberger (Frank- 
furt a. M.) findet die Diskussion im Sitzungszimmer der romanistischen 
Sektion statt. 

Dort eröffnet nach kurzer Pause Herr Tap polet (Basel) die 
Verhandlungen von neuem. An der Diskussion beteiligen sich: 
Herr Morf (Frankfurt a. M.), Brandl (Berlin), Stengel (Greifs- 
wald), Voretzsch (Tübingen), Wetz (Freiburg i. B.), Dick (St. 
Gallen), Schneegans (Würzburg), Winneberger (Frankfurt a.M.), 
This (Markirch i. E.). 

Es werden folgende drei Thesen von der Versammlung ein- 
stimmig angenommen: 

I. Die Frage des Betriebs der neueren Literatur ist 
wichtig, nicht bloß aus wissenschaftlichen, sondern auch 
aus pädagogischen und allgemeinen kulturellen Gründen. 

II. Es ist durchaus notwendig, dieses Studium durch 
Vorlesungen und besonders durch Übungen zu erweitern 
und zu vertiefen. 

m. Zu diesem Zwecke ist die Errichtung von zwei 
romanistischen Professuren an jeder Universität zu er- 
streben. 

Die Versammlung beschließt, diese Thesen dem im nächsten 
Jahre in Hannover tagenden Neuphilologentage einzusenden und be- 
auftragt Herrn Prof. Dr. Schneegans (Wtirzburg), sie dort zu ver- 
treten. 

Nachdem Herr Tap polet (Basel) den beiden Schriftführern, 
ferner Herrn Stengel (Greifswald), besonders auch den Vor- 
tragenden, Herrn Morf (Frankfurt a. M.) eingeschlossen, herzlichen 
Dank ausgesprochen hat, erklärt er die Sitzungen der romanisti- 
schen Sektion für geschlossen. 

Herr Stengel (Greifswald) gedenkt noch der Verdienste der 
beiden Obmänner, Tappolet (Basel) und de Boche (Basel), und 
dankt ihnen im Namen der Versammelten, die diesem Danke durch 
Erheben von den Sitzen Ausdruck geben. 

Schluß: 11 Uhr 40 Minuten 



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Englische Sektion 



Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907, 2 Uhr 45 Minuten. 

Nach der Begrüßung durch den ersten Obmann Prof. Dr. 6. Binz 
( Basel) erfolgte die Wahl der Vorsitzenden. Als erster Vorsitzender 
wurde gewählt Prof. Dr. G. Binz, als zweiter Dr. E. Thomm en 
(Basel). Zu Schriftführern wurden ernannt: Dr. K. E.R ei nie (Basel) 
und cand. phil. K. Jost (Basel). 

Das Arbeitsprogramm wurde genehmigt. 

Nach kurzer Unterbrechung fand 3 Uhr 15 Minuten der weitere 
Verlauf der Sitzung gemeinschaftlich mit der germanistischen Sektion 
statt. (Den Bericht darüber siehe Germanistische Sektion, 1. Sitzung, 
S. 97.) * 

Zweite Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, 9 Uhr. 

Nach der Eröffnung der Sitzung durch den ersten Vorsitzenden wurde 
das Protokoll der konstituierenden Sitzung verlesen und genehmigt. 

Dann sprach Privatdozent Dr. R. Im el mann (Bonn) über Die 
Chronologie altenglischer Dichten ^. 

Die möglichst genaue, wenn nicht absolute, so doch relative 
Chronologie aller Denkmäler ist die Voraussetzung einer wirklichen 
altenglischen Literaturgeschichte. Solange die Datierung zwischen 
Jahrhunderten schwankt (Widsid) und einzelne Texte in umgekehrter 
Reihenfolge ihrer Entstehung vorgeführt werden (Deor vor den vier 
Klagen und der Botschaft), herrscht ein primitiver Zustand; ihn zu 
beseitigen darf vielleicht als gegenwärtig die dringendste Aufgabe 
altenglischer Forschung bezeichnet werden. Warum sie bisher so 
unzulänglich gelöst wurde, das zeigt ein Blick auf die übliche Me- 
thode. Die einseitig linguistische Durcharbeitung der Texte, neben 
der das Studium der Metrik einherging, hat Hilfsmittel zur Datierung 
geliefert: syntaktische, lautliche, formale, lexikologische, metrische. 
Sie alle aber sind ihrer Natur nach relativ und von beschränkter 
Anwendbarkeit. Die Form flodn kann nicht das Alter des 01er- 
monter Runenkästchens entscheiden und sollte dazu auch nicht be- 



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Englische Sektion: Zweite Sitzung. 



nutzt werden , solange sonst noch Unverstandliches auf dem Denk- 
mal sich findet. Nur vom Inhalt aber ist Aufklärung zu gewinnen. 
Dom gisl hilft nicht, die „Zerstörung Jerusalems" auf der Rückseite 
des Schnitz Werkes besser zu verstehen; vielleicht lehrt das Bild, daß 
dorn gisl seine Unterschrift ist und heißt: „das Gericht Jerusalems". 
Gisl wäre dann gar kein altenglisches Wort, sondern Abkürzung des 
Namens. Die Metrik hat öfters dazu geneigt, mehr logisch als psycho- 
logisch zu sein, d. h. zu lehren, wie ein guter ae. Vers aussehen muß, 
nicht, einen wie mangelhaften ein Dichter seinem Publikum zumuten 
durfte. Es gibt Fälle, wo der Inhalt nur klar wird, wenn man einen 
schwachen Vers der Überlieferung beibehält oder gar einen korrekten 
durch Besserung verschlechtert; z. B. Vers 48 der „Botschaft", wo nur 
die Änderung der S- in die C-Rune, also Annahme eines Stabes auf dem 
Verb statt dem Adverb, die endgültige Lösung aller Runen ermöglicht. 

Den Anfang zu einer mehr auf inhaltliche Erwägungen gegründe- 
ten Chronologie hat Brandl mit dem Gedicht vom Traumgesicht und 
mit Gudlac A gemacht. Dessen Datierung nahm Morsbach als tcrminus 
ad quem für den Beowulf, den er nach 700, vor 730 ansetzt, nur aus 
sprachlich-metrischen Gründen. Ihnen kommt zu Hilfe die literar- 
historische Forschung, die zeigt, daß für Beowulf in der vorliegenden 
Gestalt die biblische Dichtung des Caedmon-Kreises, sowie die gleich- 
zeitig einsetzende klassische Bildung Voraussetzung ist; anderseits ist 
Beowulf, wie es scheint, Voraussetzung des epischen Liederzyklus, den 
die Odoakergedichte repräsentieren. Sie gehören in die Zeit 740 — 750, 
wie das Zeugnis des Runenkästchens vor allem bestätigt. Deor, ein 
weiteres Zeugnis, ist wohl eine Generation später (775). Auf die 
größeren christlichen Epen wie Genesis A, Andreas, Phönix und die 
nicht-cynewulfischen Crist-Partien ist durch Binz' und Sarrazins jüngste 
Untersuchungen viel Licht gefallen. Von kleineren Dichtungen sind 
Wanderer und Seefahrer auf Grund genauer Prüfung ihres Inhalts 
datierbar: sie sind gleichzeitig mit den Odoakerliedern, denn sie 
scheinen zu ihnen zu gehören, wie das noch an andrer Stelle ausführ- 
lich zu begründen sein wird. 1 ) Und über die altenglische Weland- 
d ichtun g sind wir aus dem Runenkästchen, Deor, der Analogie der 
Odoakerlieder und der Völundarkvif>a, wie in bezug auf Inhalt, Form 
und Verbreitung, so auch in bezug auf ihr Alter unterrichtet 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren AI. Brandl (Berlin), 
F. Kluge (Freiburg i. B.), R. Jordan (Heidelberg), J. H. Kern 
(Groningen), W. Wetz (Freiburg i. B.) und der Vortragende. 

1) Inzwischen geschehen : Verf., „W anderer und Seefahrer im Rahmen 
der altenglischen Odoakerdiehtung." Springer. Berlin 1908. Hierin 
einiges aus dem Vortrage. 



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Vortrag Korn. 



137 



Prof. Dr. J. H. Kern (Groningen) lieferte darauf Beiträge Zur 

Geschichte der kurzen Reimzeile im Mittelenglischen. 1 ) 

Von den verschiedenen den englischen Dichtern des ausgehenden 
12. Jahrhunderts zur Verfügung stehenden Kurzzeilen, meinte er, 
komme als Quelle für die englische kurze Reimzeile zunächst der 
Alliterationsvers gar nicht, die Zeile der ambrosianischen Hymnen 
höchstens für die Eule und die Nachtigall, der französische Vers octo- 
syllabe, welcher ja u. a. feste Silbenzahl und regelmäßige Betonung 
der achten Silbe zeige, nicht als direkte Quelle in Betracht. 

Auch als einfache Nachbildung der anglonormannischen Reim- 
zeile könne, trotz verschiedener Anklänge an die englische, letztere 
nicht gefaßt werden. Erstens kämen im Englischen längere Verse 
vor; zweitens kürzere, welche sämtlich einheimischen Gesangsvers- 
typus aufwiesen (wie es der Vortragende näher ausführt und mit 
Beispielen erläutert); drittens begegneten normallange Zeilen mit 
einsilbigen Takten (aneinanderstoßenden Hebungen), welche anglo- 
normannisch unmöglich seien und sich ebenfalls als Gesangsvers- 
zeilen erkennen lassen, dadurch daß die einsilbigen Takte an denselben 
Stellen vorherrschen wie im englischen Gesangsvers. Sodann seien 
bei den romanisierenden hochdeutschen, niederländischen und nieder- 
deutschen Dichtern genau dieselben Zeilen ohne anglonormannischen 
Einfluß, und zwar nachweislich aus dem einheimischen Gesangs vers 
entstanden. 

Der Vortragende meint, daß der Entwicklungsgang im Englischen 
ähnlich gewesen sei, und erörtert die teilweise schon von Saintsbury 
angenommene Entwicklung verschiedener Versarten, von denen die 
kurzzeilige im King Horn -Vers vorliege, die langzeilige nicht zu einer 
Sonderexistenz gelangt sei, die mittlere sich unter den Schutz des 
französischen Verses gestellt habe und durch diesen beeinflußt und 
in seiner Fortentwicklung gefördert worden sei. 

Es wird sodann ausgeführt, in welcher Weise sich etwa die Än- 
derung vollzogen habe, namentlich bei den ursprünglich klingenden 
Versen, indem vor allen Dingen Gewicht gelegt wird auf die Ab- 
neigung des Genesis-Exodus-Dichters, den klingenden Ausgang anzu- 
wenden, und Anzeichen für den Kampf zwischen der alten und der 
neuen Vortragsweise angeführt werden. 

Die Eigentümlichkeiten des mit Schipper als Viertakter zu be- 
zeichnenden Verses und sein allmählicher Ubergang zu einem dipo- 
dischen Vers mit zweisilbigen Takten wird besprochen, die Eule als 



1) Der Vortrag wird in anderer Gestalt einer Arbeit über den Have- 
lok-Text einverleibt werden. 



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138 



Englische Sektion: Zweite Sitzung. 



eine ähnliche vereinzelte Erscheinung wie im Mndl. die Sintc Lutgari 
hingestellt. 

Der Vortragende endet mit dem Wunsche, man möge kein ideales 
„jambisches" Schema aufstellen und nicht von „Lizenzen" oder der- 
gleichen reden, indem das den Blick verdunkle und zu falschen Text- 
änderuugen verleite. Von rein metrischen Änderungen solle man sich 
grundsätzlich enthalten. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Der dritte Redner, Privatdozent Dr. R. Jordan (Heidelberg), 
behandelte Die Heimat der Angelsachsen. 

Redner geht zuerst auf die wichtigsten historischen Zeugnisse, 
dann auf die den Philologen besonders interessierende sprachliche 
Seite des Problems ein. 

Die drei Hauptstämme, auf die wir unser Augenmerk zu richten 
haben, sind die Angeln, Sachsen und Jüten. Die Angeln er- 
wähnt zuerst Tacitus (Germ. c. 40) nach den an der unteren Elbe 
wohnenden Langobarden unter einer Gruppe von sieben Völkern, 
welche die Göttin Nerthus verehren. — Deutlicher nennt sechs Jahr- 
hunderte später der Nordhumbre Beda (Hist eccl. 115) als Heimat 
der Angeln das Land Angulus zwischen dem Gebiet der Jüten und 
Sachsen; damit identisch oder jedenfalls ein Teil davon ist die heu- 
tige Landschaft Angeln zwischen Schlei und Flensburger Föhrde. Die 
Sitze der Angeln, deren Name sich wohl über die meisten der von 
Tacitus genannten Nerthusvölker ausdehnte, erstreckten sich min- 
destens über das heutige Schleswig; wahrscheinlich kommen aber 
auch die später dänischen Inseln, wenigstens zum Teil, in Betracht 
(vgl. Aelfreds Bericht über Ohtheres Reise nach Schleswig, Orosius 
ed. Sweet S. 19). — Redner geht auch kurz auf das Zeugnis des 
WidsiJ) ein. — Die allen übrigen übereinstimmenden Zeugnissen wider- 
sprechende Angabe des Ptolemäus (Geogr. II 2, 8; 2. Jahrh. n.Chr.), 
daß die £vfjßot AyyuXoi im Binnenlande westlich der Elbe wohnten, 
verdient keinen Glauben. Der Irrtum des Ptolemäus erklärt sich 
aus falscher Konstruktion der Völkerkarte aus verschiedenen Quellen, 
im besonderen aus seiner falschen Ansetzung der Langobarden (Aay- 
yoßdgöoi) am östlichen Rheinufer, auf die er die Angeln in nordöst- 
licher Richtung folgen läßt. 

Die Wohnsitze der Sachsen verlegt Ptolemäus (112,7) '«rl 
xbv avyiva ryg KifißQixT]g XtgGoiniaov 1 ', also nach Holstein. Dies Zeug- 
nis ist glaubhaft, weil gestützt durch Aelfreds Notiz (Oros. ed. Sweet. 
S. 16), wonach die Altsachsen (die nach Beda nicht von den englischen 
Sachsen zu trennen sind) östlich der Elbmündung wohnen. Von hier 
aus hat sich der Sachsenname nach Westen über die zwischen Elbe 



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Vortrag Jordan. 



139 



und Ems wohnenden Chauken aasgedehnt, und so sind auch Chauken 
nach Britannien gewandert. 

Am meisten Schwierigkeit macht der dritte Hauptstamm, die 
Jüten, die nach Beda in der alten Heimat nördlich der Angeln, also 
in Jütland wohnten und in England Kent, die Insel Wight und das 
Wight gegenüberliegende Gebiet besetzten. Daß sie Westgermanen 
waren, ist nicht zu bezweifeln; ihr Name muß also, wenn Beda recht 
haben soll, in Jütland von Zurückbleibenden bewahrt worden und 
dann auf die einrückenden Dänen übergegangen sein. Nun hören wir 
aber noch von einem ähnlichen Namen, den Euten (Saxones Eucü 
— Eutii in einem Brief Theodeberts an Justinian ca. 540, Euthio bei 
Venantius Fortunatus). Dieser Name deckt sich mit einer ae. Namens- 
form von Bedas Jutae oder Jutii merc. Eote, ws. Yte Beda -Übers. 
IV 16, Yte Widsif) 26, Ytene foresta = New Forest bei Flor. v. Wor- 
cester ed. Thorpe II 45* *). Diese Formen vereinigen sich mit Eutii, 
Eutiones auf Grund von *euti->*iuti (-jan). Bedas Form Juti, ae 
wird auf altnordh. pl. *iuti beruhen. 

Möller (zuletzt IF. 7, 293) trennt nun die Euten von den dä- 
nischen Jüten wegen des dän. Jyder, indem er hierfür, falls es echt 
dänisch sei, anlautendes *Jeu-, *Ju- voraussetzt; er verwirft schon 
deshalb Bedas Zeugnis. Allein wenn echt dänisch = echt nordisch 
ist, wäre der Ansatz mit anl. j unmöglich, und tatsächlich lassen sich 
Euten- und Jütenname sehr wohl auf Grund eines anl. eu- vereinigen. 
Ein a- oder an-Stamm *euta(n) ergab das aisl. Jötar, im Dänischen 
adän. Jude, pl. Jüder und pL Juti bei Saxo; daraus entwickelte sich 
etwa im 16. Jahrhundert Jyder mit Übergang itt > iy. Während 
i. a. im Dänischen iy zu y vereinfacht ist (vgl. dyb), hat sich in 
Jyder — vermutlich wegen des Anlauts — iy bewahrt. Also sind 
der Euten- und Jütenname identisch, wodurch Bedas Zeugnis eine 
starke Stütze erhält. — 

Redner ging nun zur sprachgeographischen Seite des Pro- 
blems über. Das Angelsächsische stellt sich zwischen das Friesische 
und Skandinavische. Mit dem Friesischen hat es zwar besonders zahl- 
reiche und enge Berührungen („ingväonische" Eigentümlichkeiten), 
es zeigt aber auch Beziehungen zum Nordischen, die das Friesische 
nicht teilt. Was die Stellung der einzelnen Dialekte des Angelsäch- 
sischen betrifft, führt Redner einige Kriterien des Wortschatzes an 
aus seiner Untersuchung über „Eigentümlichkeiten des angl. Wort- 
schatzes" (Anglist. Forsch, ed. Hoops 17). Erwähnt seien die Glei- 
chungen angl. los „Verderben, Untergang" = aisl. los „Auflösung", 

1) Dazu Ytingas Binz PBB. 20, 185. 



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140 Englische Sektion: Zweit« bis fünfte Sitzung. 



ws. (for) lor — as. ahd. farlor; angl. teftcn (neben efm) = aisl. optann, 
dän. aßen, schwed. afton, ws. äfen = afries. etvend, as. äband, ahd. 
äband „Abend". Das Anglische zeigt ajso Beziehungen zum Nordischen, 
das Sächsische zum Friesischen und Altsächsischen. Wie stellt sich 
nun das Kentische? Während nach Bedas Zeugnis, das durch die 
Identität des Euten- und Jütennamens bekräftigt wird, die Euten das 
nördlichste Volk der Angelsachsen sind, zeigt auffallenderweise ihr 
Dialekt, das Kentische, enge Beziehungen zum Friesischen. Diese 
sprechen mit einiger Wahrscheinlichkeit gegen Bedas Zeugnis von 
<len nördlichen Sitzen der Jüten oder Euten. 

Eine Lösung dieser Schwierigkeit läge in der Annahme, daß die 
von Jütland kommenden Euten -Jüten vor der Invasion Britanniens 
längere Zeit in enger Berührung mit den Friesen wohnten und so 
sprachliche Eigentümlichkeiten derselben annahmen. Diese Vermutung 
wäre zugleich eine Ergänzung der von Hoops („Waldbäume u. Kultur- 
pflanzen im germ. Altertum" Kap. XIV) eingehend begründeten Theorie, 
wonach die Sachsen, wahrscheinlich auch ein Teil der Angeln vor 
dem Übergang nach Britannien in Nordfrankreich, am 'litus Saxoni- 
cum' bzw. am Niederrhein sich niederließen. — Was aber die Ur- 
sitze betrifft, so sind wir nun auch in bezug auf die Jüten in der 
Lage, trotz neuerer Skepsis an der Überlieferung Bedas festzuhalten. 

An der Diskussion nahmen teil die Herren W. Keller (Jena), 
F. Kluge (Freiburg i.B.), R. Imelmann (Bonn) und der Vortragende. 

Der Vorsitzende sprach den Vortragenden den Dank der Ver- 
sammlung aus. 

Schluß der Sitzung: 12 Uhr 30 Minuten. 

Dritte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 9 Uhr. 

War kombiniert mit der germanistischen und der romanistischen Sektion. 
Bericht siehe bei der dritten Sitzung der roman. Sektion. (S. 127.) 

Vierte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 11 Uhr 30 Minuten. 

War kombiniert mit der vierten Sitzung der romanistischen Sektion. 

Bericht siehe dort. (S. 129.) 

Fünfte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, 9 Uhr 15 Minuten. 

War kombiniert mit der fünften Sitzung der romanistischen Sektion. 

Bericht siehe dort. (S. 131.) 



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Vortrag Greg. 



141 



Sechste Sitzung. 
Freitag, den 27. September 1907, 10 Uhr. 
Vorsitzender: Dr. E. Thommen. 

Nach einigen geschäftlichen Mitteilungen verlas Prof. Dr. R. 
Priebsch (London) einen Aufsatz des Herrn W. W. Greg (London) 
aber The Aims and Work of the Malone Society. 1 ) 

The Malone Society, which has for its object to render acces- 
sible materials for the study, textual and historical, of the early 
English draraa and stage, has been founded to meet the requirements 
of a difficult Situation which has arisen in connection with the me- 
thods employed by modern editors of English dramatic literature. 
These have endeavoured in their critical editions to supply the needs 
at once of the philological and of the literary Student, and have there- 
fore sought to include not only the completed text produced by the 
application of critical method to the extant material, but also that 
material itself. It seemed to the founders of the Society that in thus 
strivtng after a double object the editors had failed to achieve either; 
that their texts never fully met the demands of those wishiDg to do 
original work themselves upon the play in question, or satisfied the 
reader approaching the play from a purely literary point of view. 
They therefore hoped that it might be possible to benefit either clan 
of students by dissociating the work done with special regard to one 
from that which appealed particularly to the other. They also feit 
that whereas in the production of facsimile texts suited to the philo- 
logian finality of a practical sort was not unattainable, it must be 
left for each generation to produce its own critical texts according 
to the state of its own knowledge. 

The chief publications of the Society will therefore be accurate 
reproductions and collations of the early editions or manuscripts of 
the plays themselves. After careful consideration it has been decided 
that these shall take the form of facsimile-reprints and not of Photo- 
graphie facsimiles. But the Society will not in any way limit its 
activity to this particular line. Especially it will devote attention to 
the printing of documents illustrative of the history of the stage and 
of papers adding materially to our knowledge of the subject. On 
the other hand speculative, controversial , and aesthetic discussions 
will be avoided. 



1) Der Aufsatz wird voraussichtlich in der Zeitschr. „The Library" 
im Auszug erscheinen. 



142 



Englische Sektion: Sechste Sitzung. 



So far the Society has issued four plays during the first year 
of its existence and it is hoped that a volurae of collected documents, 
and possibly another play, raay still be included in the year's publi- 
cations. The first President of the Society is E. K. Chambers, and 
the Hon. Secretary Arundell Esdaile (British Museum, London); 
the paper at the Congress was communieated by the General Editor 
W. W. Greg. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Darauf sprach Privatdozent Dr. H. Hecht (Bern) über Shen- 
stone und T. Percys Reliqnes of Ancient English Poetry. 

Die Entstehungsgeschichte der unter dem Namen Percys in 
den Besitz der Weltliteratur eingegangenen lleliques of Ancietit Eng- 
lish Poetry ist noch in vielen Punkten der Aufhellung und Ergänzung 
bedürftig. Vor allem sind die Akten über das Zustandekommen der 
Sammlung selbst zu vervollständigen und zu untersuchen, und im 
Zusammenbang damit muß die eigentümliche Zeitstimmung, die solche 
Plane zur Reife bringen konnte, genauer als bisher klargelegt werden. 
An Material herrscht Überfluß. Allein die Percy- und die Shenstone- 
Papcrs des Britischen Museums, besonders die Mss. Additional 28221 
und 28222 und 32323 — 39, verbreiten eine kaum erwartete Fülle 
von Licht und zuverlässiger Belehrung über schwer zu entwirrende 
literarische Beziehungen. Der Vortragende beschränkt sich auf die 
Darstellung des Einflusses Shenstones auf die lleliques unter Zu- 
grundelegung der Percy-Shenstone-Korrespondenz (Ms. Add. 2822i) y 
die ein in der Vorrede Percys nur angedeutetes Verhältnis zeitlich 
und inhaltlich vollkommen einwandsfrei feststellt. Der Briefwechsel 
beginnt, nach vorhergegangener persönlicher Bekanntschaft, im Spät- 
herbst 1757 und findet durch den Tod Shenstones im Februar 1763 
seinen Abschluß. Auf seiner frühesten Stufe begegnet uns Shenstone 
als eifriger Anreger zur Veröffentlichung von ausgewählten und zurech t- 
redigierten Stücken der großen Percyschen Balladen- und Romanzen- 
handschrift. Die doppelte Rolle des Ermutigers und des Revisors 
geht schon zu dieser Zeit von Sam. Johnson ungeteilt auf ihn über, 
während Johnsons anders gerichtete Tätigkeit und allmählich erkal- 
tendes Interesse ihn seinem Versprechen persönlichen Mitwirkens bei 
der Gestaltung der Sammlung untreu werden ließ. Wir erfahren, 
daß Shenstone in einem Falle eine andere Fassung einer Ballade 
(Gü Morrice) aus Eigenem mitzuteilen vermochte, sonst aber Percy - 
sche Abschriften mit oder ohne Veränderungen zur Begutachtung 
und Bearbeitung zugestellt erhielt (z. B. Gentte Herdsman, Edom of 
Gordon, Boy and Mantle, John de Iieeve). — Die zweite Periode 
des Briefwechsels erscheint als Übergangszeit. Auf beiden Seiten 



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Vorträge Hecht und Vetter. 



143 



macht sich ein Nachlassen des Interesses an dem Unternehmen be- 
merkbar, dessen Ursachen z. T. persönliche Erlebnisse, — die Ver- 
ehelichung Percys, eine heftige Erkrankung Shenstones — z. T. das 
ablenkende Hervortreten neuer literarischer Pläne sind, so besonders 
Percys Übersetzung der heroischen Episteln Ovids und seine Runischen 
Fragmente (erschienen 1761). — Erst eine Aussprache der beiden 
Freunde, veranlaßt durch einen Besuch Percys bei Shenstone im 
Sommer 1760, fuhrt zu einer energischen Wiederaufnahme der zurück- 
gestellten Arbeit an den Bdiques, die von nun an entschieden in den 
Mittelpunkt des Briefwechsels drängen. Percy durchbricht jetzt die 
durch sein Folio- Ms. gezogenen Schranken und beginnt seine Sammel- 
tätigkeit in weitestem Umfange. Bei aller Förderung dieses uner- 
müdlichen Tatendranges spielt hier Shenstone die Rolle des Warners, 
nicht selten mit übertriebener Vorsicht. Er verliert über der Freude 
an der Materie nie den Geschmack des literarischen Publikums aus 
den Augen; die Veröffentlichung soll nicht auf Philologen und Alter- 
tumsforscher, sondern auf die anspruchsvolle Leserwelt der Haupt- 
stadt zugeschnitten werden: Qualität, nicht Quantität! Unter diesen 
Voraussetzungen bewahrt er sich und Percy einen festen Glauben 
an den Erfolg der Sammlung, deren Erscheinen er nicht mehr er- 
lebte. — Die Beliques tragen in vielem die Spuren Shenstonescher 
Mitarbeiterschaft und verdanken seinem treuen und klugen Rate einen 
Teil ihres großen Einflusses, der nicht aus dem Kampf gegen den 
Zeitgeschmack, sondern aus der Beugung unter ihn zu erklären ist. 
Darum bleibe neben Percys Namen der Shenstones mit dem epoche- 
machenden Werke aufs engste verbunden. Durch seinen Briefwechsel 
mit Percy lernen wir seine geistige Potenz höher bewerten, die literar- 
historische Linie, die an ihm vorüberführt, kann in mehreren wesent- 
lichen Punkten berichtigt, der Geschichte der volkstümlichen Be- 
strebungen in der englischen Literatur reiches neues Material zu- 
geführt werden. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren AI. Brandl 
(Berlin) und W. Wetz (Freiburg i. Br). 

Prof. Dr. Th. Vetter (Zürich) trug dann vor über Shakespeare 

und die deutsche Schweiz. 

Von den Reisenden aus der deutschen Schweiz, die nach Eng- 
land zogen, um dort Bildung und Gesichtskreis zu erweitern, und 
die uns Berichte über ihre Fahrten hinterlassen haben, vernehmen 
wir über Shakespeare nahezu nichts. Beat Ludwig v. Muralt weiß 
nur, daß „67*., un de leurs meilleurs anciens pottes, a min une grande 
partie de leur histoirc en tragcdies" (Ausgabe von 0. v. Greyerz 1897, 
S. 35). Haller erwähnt ihn nicht. Bodmer trat Shakespeare zum 



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144 



Englische Sektion: Sechste Sitzung. 



ersten Male näher durch den Spectator-, er besaß die Dramen im 
Original seit 1724, erwähnte sie von da ab, wenn auch selten, ja er 
machte den verunglückten Versuch, den Namen den Dichters phone- 
tisch wiederzugeben. Bis um die Mitte des Jahrhunderts war Haller 
.ebenfalls in die Reibe der Shakespearekenner vorgerückt. 

Die erste Übersetzung eines Shakespeareschen Stückes auf 
Schweizerboden erschien in Basel 1758, eine verhältnismäßig recht 
gute Wiedergabe von Romeo und Julia in fünffüßigen Jamben. Der 
Ühersetzer ist unbekannt. — Ziemlich klar dagegen liegt vor uns 
die Tätigkeit, die der junge Wieland Shakespeare widmete und die 
Neuausgabe seiner Werke durch die Berliner Akademie wird wohl 
alle Lücken unseres Wissens in dieser Hinsicht ausfüllen. Seine 
Wiedergabe von 22 Dramen Shakespeares wurde von Orell, Geßner 
& Komp., Zürich 1762 — 66, gedruckt und in Verlag genommen, was 
sich die Schweiz auch als Verdienst um Shakespeare anrechnen darf. 
Die harte Beurteilung der Wielandschen Übersetzung durch Gersten- 
berg wurde wesentlich gemildert durch Lessing (Hamb. Dramat., 
19. Juni 1767). — Salomon Geßner hat insbesondere die drei ersten 
Bände mit sehr feinen Titelvignetten geschmückt 

Eine zweite Auflage der Wielandschen Shakespeareübersetzung 
wurde schon 1773 notwendig, doch wollte Wieland deren Besorgung 
nicht übernehmen; für ihn trat Job. Joach. Eschenburg, Professor 
am Carolinum in Braunschweig, ein, der seine Aufgabe vortrefflich 
löste und auch die fehlenden Dramen — Richard III. in Versen — 
beifügte. So hat die Schweiz die erste vollständige deutsche Shake- 
speareausgabe (1775 — 77 in 12 Bänden, mit einem Nachtragsbande 
pseudoshakespearescher Dramen 1782) auf den Büchermarkt gebracht. 
Gierig stürzten sich die deutschen Nachdrucker auf die Beute, welche 
Orell, Geßner, Füßlin k Komp. zu verteidigen suchten (177t<). 

Auch das literarhistorische Werk Eschenburgs über Shakespeare 
ist in Zürich (1787) herausgegeben worden. 

Zum letzten Male war die Schweiz Druckort für Shakespeares 
Werke 1798 — 1806, als Eschenburgs „neue, ganz umgearbeitete Aus- 
gabe" erschien mit Titelbild und Vignetten von Joh. Heinr. Lips. 

Wie Shakespeare auf den „Dichter" Bodmer gewirkt, hat Bächtold 
in seiner Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz und 
Gust Tobler im Bodmergedenkbuche nachgewiesen. Es erscheint fast 
unbegreiflich, auf wie blöde Art der Zürcher Diktator den größten 
Dramatiker ausplündern konnte. 

Einen eigenartigen Versuch, Shakespeares Cymbeline auf die 
Höhe des Gesetzes der drei Einheiten zu korrigieren, machte Joh. 
Georg Sulzer 1771, den es schmerzte, „daß ein so fürtreffliches Genie 



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Vortrag Vetter. 



so gar nichts von der Kunst und dem Geschmack der Alten, die 
Handlung auf die einfachste, natürlichste Art vorzustellen, besessen 
hat". Der Mißerfolg ist vollkommen. 

Aus aufrichtiger Begeisterung für Shakespeare sind die Bilder 
hervorgegangen, die der Züricher Joh. Heinrich Füßli (1741—1825) 
geschaffen und die in England, seiner zweiten Heimat, so viel An- 
klang gefunden haben, während die Skizzen, die der junge Joh. Martin 
Usteri (ca. 1783) zu Shakespeare gezeichnet, nicht an die größere 
Öffentlichkeit getreten sind. 

Auf keinen Schweizer dürfte Shakespeare je eine tiefere Wir- 
kung ausgeübt haben als auf den armen Toggenburger Weber Ulrich 
Bräker (1735 — 98), dessen Shakespearebüchlein Ernst Götzinger im 
12. Bande des Shakespearejahrbuches veröffentlicht hat. 

Im 19. Jahrhundert haben der St. Galler Rietmann und der 
Berner Professor Hebler sich mit Shakespeare beschäftigt; in Zürich 
wurden von Priedr. Theod. Vischer die anregenden Vorlesungen über 
Shakespeare gehalten. 

K. F. Meyers Shakespearelekttire verdanken wir das schöne Ge- 
dicht „Tag, schein' herein! und Leben, flieh hinaus!" Gottfr. Keller 
hat sich früh und beharrlich in Shakespeare versenkt, wie sich nament- 
lich aus seiner Korrespondenz mit Hettner ersehen läßt; noch deut- 
licher erkennen wir seinen Zusammenhang mit Shakespeare in dem 
dramatischen Bruchstück Therese und vor allem in seiner Erzähler- 
kunst, die ihm von Paul Heyse das Lob eines „Shakespeare der No- 
velle" eingetragen hat. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren AI. Brandl 
(Berlin) und W. Wetz (Freiburg i. B.). 

Nachdem der Vorsitzende den Vortragenden seinen Dank und 
Herr Prof. Brandl den Obmännern den Dank der Versammlung aus- 
gesprochen hat, schließt die Sitzung um 12 Uhr 30 Min. 



Verhandlangen d. 49. Vera, deutacher Philo 1. u. Schulcu. 10 



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Indogermanische Sektion. 
Erste Sitzung. 

Dienstag, den 24. September 1907, 
nachmittags 2 Uhr 30 Min. 

Zu Vorsitzenden werden gewählt: Prof. Dr. F. Sommer 
(Basel) und Dr. E. Schwyzer (Zürich); zu Schriftführern Gym- 
nasialprofessor Dr. H. Meitzer (Stuttgart) und Dr. A. Dehrunner 
(Basel). 

Zweite Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, 
vormittags 1) Uhr. 

Vorsitzender: Prof. Dr. F. Sommer. 

Dr. M. Niedermann (Zug) hält seinen Vortrag über Ein 
rhythmisches Gesetz des Lateinischen. 1 ) 

Das vom Vortragenden begründete rhythmische Gesetz bezieht 
sich auf die Verteilung der Suffixstufen und -l- in der "Präsens- 
flexion der primären lateinischen Verba auf -io. Es erhebt den An- 
spruch, das Prinzip zu formulieren, nach dem diese Verba teils der 
dritten und teils der vierten Konjugationsklasse zufallen. Weder die 
Thurneysen - Berneker - Meilletsche Theorie, noch diejenige 
Skutschs hat das verwickelte Problem befriedigend gelöst, wie im 
einzelnen durch Hervorhebung der gegen beide geltend zu machen- 
den Bedenken gezeigt wird. 

1) Der Vortrag wird erweitert in einer im Laufe des Jahres 1908 
erscheinenden Festschrift zum Abdruck gelangen. Der Vortragende hat 
seitdem erkannt, daß das hier in das Sonderleben des Lateinischen ver- 
legte rhythmische Gesetz in leicht modifizierter Form als proethnisch 
in Anspruch genommen werden kann, was in jener Festschrift im ein- 
zelnen begründet werden soll. 



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Vortrag Niedennann. 



147 



Der Vortragende nimmt mit der Mehrzahl der Forscher, die in 
die Diskussion eingegriffen haben, an, daß der indogermanische Zu- 
stand durch die gotische Doppelheit nasfis: sökeis widergespiegelt 
werde, d. h. daß ursprünglich auf kurze Silbe kurzvokalisches, auf 
lange langvokalisches Suffix folgte. Dieser proethnische Zustand er- 
scheint im Italischen in der Weise modifiziert, daß hier das Suffix -i~ 
eine kräftige Tendenz zeigt, auf Kosten von -t- über sein ererbtes 
Gebiet hinauszu wuchern. Im Oskisch-Umbrischen, wo diese Tendenz 
keinem Hindernis begegnete, hat sie zur fast völligen Verdrängung 
der kurzvokalischen Suffixstufe gefuhrt. Im Lateinischen liegen 
Spuren davon vor in plautinischen Messungen wie cupis, facti, per- 
cipit. Im übrigen konnte sich hier der Verallgemeinerungsprozeß 
der langvokalischen Suffixstufe nicht bis zu Ende ungestört voll- 
ziehen, sondern er geriet mit einem rhythmischen Gesetz in Konflikt, 
das etwa im Beginn der literarischen Periode aufgekommen sein 
mag und dessen Formel folgende zu sein scheint: 

Die kurzvokalische Suffixstufe trat ein, wo das präsuffixale 
Wortstück eine ungerade Anzahl von Moren umfaßte, die lang- 
vokalische, wo dem Suffix eine gerade Anzahl von Moren voranging. 

Beispiele: 

A. cap-e-rc 1 ), cup-e-re, fac-e-re, jac-e-re, rap-e-re, mp-e-re 
cönspic-e-re. depuv-e-re, desip-e-rc, Wic-e-re, porric-e-re 

B. aud-l-re, fulc-i-re,glöe-i-re, söp-l-re, vine-i-re und amic-i-re, aper-i-re, 
reper-i-re, resip-l-re, seprt-i-re. 

Man werfe nicht ein, daß Beispiele wie cönspicere, desipere, üli- 
cere, porricere nicht beweiskräftig seien, da diese Komposita im Suffix 
einfach den entsprechenden Verba simplicia angeglichen sein könnten. 
In der Tat wurde porricio gewiß ebensowenig als Kompositum von 
jacio empfunden wie amieio. Die Simplicia von cönspicere und Mi- 
cere y nämlich specere und lacerc, waren so gut wie ganz ungebräuch- 
lich, desipere könnte ja allerdings an und für sich als im Suffix 
durch sapere beeinflußt gehalten werden, aber diese Annahme ver- 
bietet das durch bestimmt lautende Grammatikerzeugnisse gesicherte 
resipxre. Die bisher nicht beachtete Dreiheit sap-e-re, resip-i-re, 
desip-e-re ist sehr charakteristisch und bildet ein Argument, das der 
Vortragende für die Würdigung seiner Theorie ganz besonderer Be- 
achtung empfiehlt. 

Für die Erklärung der Ausnahmen fer-i-re, sal-i-re, pol-i-re, 
ven-l-re, pav-i-rc, ferner fod-i-ri bei Cato, tnor-i-mur bei Ennius und 
mor-l-ri bei Plautus, or-l-retur neben or-e-rrtur und or-i-ri gibt die ex- 

*) t ging vor r in offener Mittelailbe lautgesetzlich in i über. 

10* 



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148 



Indogermanische Sektion: Zweite Sitzung. 



perimentalphonetische Forschung der letzten Jahre einige schätzbare 
Fingerzeige, insbesondere die 11)03 in Upsala erschienene Studie von 
Ernst A. Meyer über „Englische Lautdauer 41 , deren Verfasser ex- 
perimentell folgendes festgestellt hat. Im heutigen Englisch ist ein 
Vokal vor einem stimmhaften Konsonanten bedeutend länger als vor 
einem stimmlosen und innerhalb dieser beiden Kategorien wiederum 
vor einem Engenlaut bedeutend länger als vor einem Verschlußlaut. 
Vor Liquidae und Nasalen, für die keine stimmlose Entsprechung 
existiert, ergibt sich ungefähr dieselbe Länge wie vor stimmhaftem 
Verschlußlaut. Diese Beobachtung nun stimmt vortrefflich, zu der 
abweichenden Behandlung von ferire, salire, venire, fodiri usf. im 
Lateinischen, denn in all diesen Beispielen ist der Vokal der Wurzel- 
silbe von einem solchen Konsonanten gefolgt, vor dem seine Sprech- 
dauer im heutigen Englisch um rund 40% größer ist als vor stimm- 
losem Verschlußlaut, wie er in capere, ciipere, facere, jacere usf. vor- 
liegt. War aber die Wurzelsilbe von salio länger als die von facio, 
so bekam der Typus salio eine Mittelstellung zwischen dem Typus 
facio und dem Typus sopio; es traten somit die kurzvokalische und 
die langvokalische Suffixstufe hier in Konkurrenz, wobei der letzteren 
dank ihrer eingangs erwähnten expansiven Tendenz der Sieg von 
vornherein sicher war. purere, das lautgesetzliches panrc verdrängt 
hat, läßt sich ungezwungen als Analogiebildung deuten, etwa nach 
der Formel ceeidi, cecini, pepuli : codiere, canere, pelUre = peperi : x. 
Beduplizierende Perfecta von Verben der vierten Konjugation gab 
es ja sonst nicht. Schwierigkeiten scheint fuger e zu bereiten, für 
das, da stimmhafter Verschlußlaut den vorangehenden Vokal im 
gleichem Maße längte wie Nasal oder Liquida, "fugire zu erwarten 
stünde. Indessen verhelfen auch hier wieder die instrumenteil ge- 
wonnenen Ergebnisse der Untersuchung von E. A. Meyer zu einer 
befriedigenden Erklärung. Als Hauptgesetz der englischen Laut- 
dauer hat dieser nämlich ermittelt, daß unter sonst gleichen Ver- 
hältnissen ein Vokal um so kürzer ist, je höhere Zungenstellung er 
erfordert, u und t sind also die kürzesten Vokale und zwar ist der 
für jenes sich ergebende Durchschnittswert ganz besonders niedrig. 
Im Hinblick darauf wird man das Auftreten des kurzvokalischen Suf- 
fixes in fugere damit rechtfertigen, daß in diesem Verbum die län- 
gende Wirkung des stimmhaften Verschlußlautes kompensiert wurde 
durch die unternormale Kürze des w. fodere endlich statt des zu er- 
wartenden und ja tatsächlich z. B. bei Cato überlieferten fodire wäre 
wiederum Analogiebildung , etwa nach der Proportion fügi : fugere 
= födi : x. 

Was das Schwanken von morior und besonders von orior zwischen 



Vortrag Niederm&im. 



149 



der dritten und der vierten Konjugation anlangt, so ist zu beachten, 
daß bei den Deponentia das auf die Wurzel folgende Wortetück viel- 
fach länger war als bei den Verben aktiver Flexion. Nun ist es eine 
schon vor längerer Zeit von Sweet, Sievers, Jespersen u. a. an 
verschiedenen lebenden Sprachen gemachte und durch Vietor, Rous- 
selot und Gregoire experimentell erhärtete Beobachtung, daß die 
Sprechdauer eines Vokales um so kürzer ist, je mehr Laute darauf 
folgen, indem der Redende das Tempo um so mehr beschleunigt, 
eine je längere Lautreihe er sprechen soll. So ist nach Rousselot 
a in frz. habituellement ungefähr viermal kürzer als einzeln gesproche- 
nes a. Die schwankende Flexion von morior und orior beruht also 
wohl auf der partiellen Kompensation der längenden Wirkung ihres 
r durch den einen Teil der Formen des Deponens von denen des 
Aktivums unterscheidenden größeren Umfang des postradikalen Wort- 
stückes. Schließlich ist noch folgendem Einwand zu begegnen. Da 
in ferire, salire, venire, pavire die Wurzel als zweimorig behandelt 
erscheint, so müßte man a priori meinen, daß in haurire, repcrirc, 
sepelire u. ä. das präsuffixale Wortstück als dreimorig und in depu- 
vere als viermorig empfunden worden wäre, und daß es somit *hau- 
rere, *reperere, *sepeUre und 'depuvire heißen müßte. Demgegenüber 
muß nochmals auf die schon erwähnte starke Tendenz des Suffixes -i-, 
sich zu verallgemeinern, hingewiesen werden. Das Suffix -t- hielt 
sich gewissermaßen auf der Defensive, während -l- überall die Offen- 
sive zu ergreifen bereit war. So kam es, daß, wo immer das prä- 
suffixale Wortstück zwischen einer ungeraden und einer geraden 
Morenzahl die Mitte hielt, dieses, d. h. das langvokalische Suffix die 
Oberhand gewann. Dies gilt für haurlre, aperire, operire, repervrc, 
sepelire u. ä. In depuvere liegt wiederum ein ganz ähnlicher Fall 
vor wie in fugere; v längte den vorangehenden Vokal, aber da u von 
Natur bedeutend kürzer war als a, so machte in depuvere die Wurzel 
nicht wie in pavire mehr als eine More aus und demnach das prä- 
suffixale Wortstück nicht mehr als drei Moren, weshalb hier das 
langvokalische Suffix keinen Angriffspunkt fand. 

An der Diskussion beteiligen sich die Herren R. Thurneysen 
(Freiburg i. B.) und F. Sommer. Letzterer vermißt genauere Paral- 
lelen zu dem aufgestellten Lautgesetz aus anderen Wortkategorien. 
Herr Niedermann führt zwei Parallelen aus dem Lateinischen 
an und betont, daß sein rhythmisches Gesetz sich dem Rahmen einer 
so streng quantitierenden Sprache, wie das Latein ist, sehr gut 
einfüge. 

Gymn.-Prof. Dr. H. Meitzer (Stuttgart) spricht über Rasse 
und Sprache in der griechischen Urgeschichte. 



150 



Indogermanische Sektion: Zweite Sitzung. 



Trotz mannigfachen Auseinandergehens stehen Rasse und 
Sprache doch in einem inneren Zusammenhang und beide müssen 
berücksichtigt werden bei der Lösung der für die gesamte mensch- 
liche Kulturgeschichte überaus bedeutsamen Frage nach der Ent- 
stehung des Hellenentums. Von den drei Hauptrassen Europas, der 
mittelmeerischen, der nordischen und der alpinen, kommt zunächst in 
Betracht die erste. Schädelfunde, Abbildungen (in Knossos), alte Nach- 
richten, Überreste in Lebensweise und Religion, die besonders von 
Engländern wieRidgeway, Hall, J.E.Harrison, Evans gesammelt 
und gedeutet worden sind, weisen ebenso nach dieser Richtung wie vor 
allem die Sprache, die vorzüglich P. Kretschmer und A. Eick be- 
handelt haben. Nach ihnen haben wir einen vorarischen Grundstock 
von Wörtern, in erster Linie Ortsnamen, anzuerkennen, der sich über 
Kleinasien und die ägäischen Inseln mitsamt dem Festlande hin- 
erstreckt und einer Vorrasse zuzuschreiben ist, in welcher viel- 
leicht mehrere Abteilungen wie Eteokreter, Karer, Leleger, Pelasger- 
Tyrsener unterschieden werden dürfen. Kennzeichnend für dieses 
Bevölkerungselement sind nicht bloß manche Einzelwörter, besonders 
für Pflanzen, Tiere und Gebrauchsgegenstände, sowie zahlreiche Eigen- 
namen wie liiHjvcu, ©fj/Soct, "Olvfiitog usw., sondern auch ganze Gruppen 
von solchen, die gebildet sind mit den Suffixen vO, o"o*(tt), rjvog 
wie EQvpav&og, KoQtv^og^ Ttgvvg, AccQio(a)cc, ^Riö^og^T^i^rtog^ Tvq- 
arjvol u. a. m., deren zahlreiches Vorkommen in Attika besonders 
merkwürdig ist. Eigentlich Phönikisches dürfte sehr wenig vor- 
handen sein, was zu den archäologischen Ergebnissen stimmt, nach 
denen dieser Einfluß erst nach der mykenischen Zeit erheblichere 
Bedeutung erlangt. Von großer Tragweite wäre es. wenn sich Ficks 
bestechende Ansicht bestätigte, daß mit ®olvixeg ursprünglich über- 
haupt nicht die Phöniker im engeren Sinn , sondern die brünette 
Rasse überhaupt bezeichnet worden sei (Kurzform cpoivög rötlich, 
vgl. Poeni). 

Dagegen scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß sich zu 
diesem Bestandteil, der wohl immer den Zettel der griechischen Be- 
völkerung gebildet hat, im Laute des zweiten vorchristlichen Jahr- 
tausends als ein nicht allzu schwacher Einschlag Einwanderer von 
nordischer Abstammung hinzugesellten, mag man nun ihr Aus- 
strahlungsgebiet mit 0. Schräder in Südrußland oder mit E. de 
Michelis an der Donau oder vielleicht am besten mit M. Much. 
Hoops, Hirt u. a. an der Ostsee suchen. Dafür sprechen zwar 
keine Erinnerungen der Griechen, wohl aber das so ziemlich für alle 
achaiischen Helden außer etwa Hektor und Odysseus gebrauchte 
Beiwort £ccv&6g, blond, und wiederum eine ganze Reihe von Spuren 



Vortrag Meitzer. 



151 



in Wohnung, Kleidung, Nahrung, Bewaffnung, Leichenbestattung, 
Religion, Geistesrichtung und Sprache. Diese ist in Lautgestalt und 
Flexion überwiegend arisch, im Wortvorrat, was besonders Modestov 
betont hat, z. T. nichtindogermanisch, ihrem ganzen Geiste nach auch für 
eine nüchternere Betrachtung, als sie einstmals W. Bosch er geübt 
hat, von hoher Vollkommenheit, zumal in künstlerischer Hinsicht. Ein 
solches Ergebnis weist uns ebenfalls auf Bassenmischung hin und es 
entsteht für uns die Aufgabe, eine lebendige Anschauung von den 
Vorgängen zu gewinnen, die sich dabei abgespielt haben mögen. 
Durch die großenteils an Sprachen und Zuständen der unmittelbar 
zugänglichen Gegenwart angestellten Beobachtungen von Forschern wie 
Sarasin, Schuchardt, Windisch, Morf, Hempl und Finck sind 
wir in die glückliche Lage versetzt, uns ein auf die Vergangenheit über- 
tragbares Bild davon zu machen, welche Kräfte hier wirksam auftreten 
und in welcher Weise. Danach wird die Überlegenheit einer Sprach- 
gemeinschaft über die andern nicht etwa entschieden durch innere 
Vorzüge der einen Sprache vor der anderen, und auch die höhere 
Kultur ist in der Regel weit weniger, als man gemeinhin annimmt, 
der ausschlaggebende Faktor, sondern da wir es hierbei ja stets 
genau genommen mit einem Kampfe von sprechenden Menschen 
gegen sprechende Menschen zu tun haben, so spielen die entschei- 
dende Bolle weit realere und härtere Gesichtspunkte: Zahl, staat- 
liche Macht, Wille zur Herrschaft, Bassenstolz, wirtschaftliche Un- 
abhängigkeit auf der einen, Menschenmangel, Kraftlosigkeit, Nach- 
ahmungssucht, Notwendigkeit demütigenden Broterwerbes auf der 
anderen Seite. Auch ist es nicht dasselbe, ob Erwachsene zu ihrer 
alten Sprache hinzu eine andere lernen müssen oder ob Kinder mühe- 
los die fremde von Anfang an wie eine eigene annehmen: dort er- 
folgt nur teilweise Bewältigung durch Lautsubstitution, hier völlige 
Nachbildung. Im allgemeinen gilt das Gesetz, daß die aufnehmende 
Sprache stärker verändert wird als die abgebende; dabei verhalten 
sich die verschiedenen Bestandteile verschieden: am stärksten pflegt 
das einheimische Idiom einzuwirken auf die Lautgestalt und die so- 
genannte innere Sprachform, schwächer auf die Flexion und den 
Wortschatz. Legt man diese Maßstäbe an die Sprache der Griechen 
an, so gelangt man zu dem Schlüsse, daß sie wohl sicherlich weniger 
durch einmalige Überflutung, als durch langdauernde Einsickerung 
allmählich die Oberhand gewonnen haben, bis es am Ende zu 
einer völligen Bassen- und Sprachenverschmelzung kam, deren 
in der gesamten Menschheitsgeschichte einzigartig dastehendes Er- 
gebnis eben das Hellenentum ist; neuerdings glaubt man drei arische 
Zustimmungen unterscheiden zu können, die ionische, achäische und 



152 



Indogermanische Sektion: Zweite Sitzung. 



dorische. Der Vortragende wies noch darauf hin, daß die enge Ver- 
bindung von Sach- und Sprachforschung die schönsten Früchte er- 
warten lasse und daß künftighin die griechische Etymologie in er- 
höhtem Maße auf die vorindogermanische Unterschicht werde Rück- 
sicht nehmen müssen, wie dies auf einem verwandten Gebiete jüngst 
J. E. Harrison in den „Prolegomena to the study of greek religion" 
mit beachtenswertem Erfolge durchgeführt hat. 

In der Diskussion bemerkt Herr H. Osthoff (Heidelberg), 
man müsse nach wie vor bei Etymologien griechischer Wörter zu- 
nächst vom indogermanischen Sprachgut ausgehen als vom Be- 
kannteren. Herr J. Wackernagel (Göttingen) macht auf das Ge- 
ständnis Ficks aufmerksam, daß er sprachliche Verschiedenheiten 
innerhalb der Autochthonen nicht nachgewiesen habe und seine 
Unterscheidung verschiedener Stamme sich nur auf die Nachrichten 
der Alten stütze. Redner betont dann die Wichtigkeit der Zigeuner- 
sprachen für die Frage der Sprachmischung und verweist auf Finckhs 
Darstellung der Sprachen der armenischen Zigeuner. Herr Schwyzer 
weist auf die Möglichkeit hin, daß die klein asiatischen Ortsnamen- 
suffixe -v&og, -ttoc, -aaog im Griechischen produktiv wurden, also 
auch an echt griechische Stämme getreten sein können. Nicht jeder 
Ortsname auf -v#oc, -6<Sog ist also auch in seinem stammhaften Teile 
ohne weiteres als nichtgriechisch zu betrachten. Redner greift dann 
noch das Homerische Epitheton $av&6g heraus und stellt fest, daß 
nicht zu viel daraus geschlossen werden dürfe; auch in neugriechi- 
schen Volksliedern und -sagen erscheine die blonde Haarfarbe als 
besonders schön. Herr Meitzer betont in seiner Antwort, daß durch 
die modernen Funde in und auf dem Boden der Mittelmeerländer 
der frühere einseitig philologisch begründete Skeptizismus einge- 
schränkt worden sei; die Frage nach der zeitlichen Bestimmung der 
verschiedenen Schichten beantwortete er dahin, daß man sich die 
nordischen Zuwanderungen wohl etwa zwischen 2000 und 1500 v. Chr. 
denken müsse. Endlich räumte er ein, daß die Neigung, den Ariern 
eine überfetischistische Religionsform zuzusprechen, bis zu einem 
gewissen Grade gefühlsmäßig beeinflußt sei, meint jedoch, daß ins- 
besondere die Achaier mit ihrem Zeuskult geradezu den Eindruck 
der Gegensätzlichkeit gegenüber jener niedrigeren Kultstufe machen. 

Prof. Dr. R. Thurneysen (Freiburg i. B.) liefert Beiträge 
ans der keltischen Philologie znr indogermanischen Grammatik. 

1 . Der Wechsel von p und 6 in ind. pibati 'trinkt* (= ir. ibid) 
hat seine Parallele im altirischen reduplizierten Futurum *ebraid f er 
wird geben' zum Konjunktivstamm era- (Sarauw, Irske Studier § 153), 
vgl. gr. %0Qtlv. Es weist auf einen Stamm pibrä-. Diese eigentüm- 



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Vortrag Thurneysen.X^CAUFO^^^ 153 

liehe Reduplikationsweise, zusammen mit der Seltenheit von an- 
lautendem b in altindogermanischen Wortstammen (abgesehen von 
onomatopoetischen Bildungen), läßt die Vermutung entstehen, daß 
in einer früheren Periode anlautendes b sich zu p verschoben hatte, 
während es im Wortinnern, z. B. nach der Reduplikationssilbe, seinen 
ursprünglichen Klang bewahrte. Die Wurzeln von potare und von 
nogeiv hätten also ursprünglich mit b angelautet. Vielleicht ist auch 
uinibuas — uinölentas bei Lucilius so zu verstehen, daß es im 
älteren Latein Komposita auf -butts aus *bitws oder eher *batios gab; 
die antike Erklärung aus dem Substantiv bua (Nonius 81) ist äußerst 
bedenklich. Dann hätte die Wurzel auch als zweites Glied der Kom- 
posita ihr b bewahrt. Zu unsicher zur Verwendung ist dagegen die 
Glosse Paul Fest. 79: exbnres exinteratas sive exburae quae exbibe- 
nmt, qtiasi epotae. 

Ähnlich ließe sich verstehen dc-bilis neben pollere; ind. bcUdm 
und aksl. bolij hätten ihr b- aus den Komposita verallgemeinert. 

Auf dieselbe Weise ließe sich b neben p erklären in: lat. pasco 
gr. ßoetuo; lat. pedus ahd. ppuol ags. pol lit. bald aksl. blato\ lat. 
pinguis gr. naxvg ai. bafiuh lit. bitigüs. 

2. Eine genaue Parallele zur epischen Zerdehnung (nach der 
Wackernagelschen Erklärung) bietet die Tradition altirischer Ge- 
dichte in einigen mittelirischen Handschriften (s. Kuno Meyer, 
Eriu H 85; Stokes, Feiire p. XXX). In Wörtern, die nach der 
älteren Aussprache zweisilbig, nach der späteren einsilbig waren, 
wird im Vers der Vokal doppelt gesetzt; z. B. für altir. coir coair, 
mittelir. coir ( einsilbig) wird cooir geschrieben, für triar siur ähnlich 
triaar siuur. 

3. Eine gewisse Parallele zum historischen Infinitiv des Latei- 
nischen und mancher romanischer Sprachen findet sich in keltischen 
Sprachen des Mittelalters. 

Im Mittelkymrischen steht in koordinierten Sätzen oft nur im 
ersten ein Verbum finitum, weitererzählt wird im Infinitiv, z. B. 
'Peredur stand auf und gehen zu spielen mit dem braunen Burschen 
und die Hand erheben gegen ihn und ihm einen gewaltigen Streich 
hauen' (Peredur § 17). Ausgangspunkt waren die häufigen Sätze, 
in denen der Ausdruck für die Verbalhandlung zerlegt wird in das 
Verbum 'tun' als Träger der Beziehungen und Bezeichnung der Zeit- 
stufe und in den Infinitiv des bedeutungsvollen Verbs, z. B. 'Auf- 
stehen tat Peredur und sein Pferd nehmen und mit Erlaubnis seines 
Onkels aufbrechen' (ebd. § 18), vgl. Gr. Celt. 2 934. 

Im Kornischen tritt ein ähnlicher Infinitiv in konjunktionellen 
Nebensätzen auf (Gr. Cell 2 , ib.), z. B. c Als seine Mutter ihn auf- 



154 



Indogermanische Sektion: Zweite Sitzung. 



gezogen hatte und sein zu Jahren gekommen sein' für r und er zu 
Jahren gekommen war*, Pass. 10 a. Er scheint von präpositionalen 
Ausdrucksweisen ausgegangen zu sein, wie 'nach seiner Erziehung 
durch seine Mutter und seinem zu Jahren gekommen sein*. 

Ferner ab liegen mittelirische Beispiele des Yerbalabstraktums 
mit do wie: 'Wenn dieses Tor (des Auges) geöffnet wird und der 
Teufel dort hineinzulassen ' (für 'und zwar so, daß der Teufel dort 
hineingelassen wird') Atkinson, Passion s a. Homilies, p. 656. Der 
Brauch hängt mit der mannigfaltigen Verwendung dieser Verbalform 
als Infinitivus explicativus zusammen (vgl. Windisch, Ir. Texte p. 488 ). 

Der Unterschied der britannischen Infinitivsätze von den latei- 
nisch-romanischen besteht darin, daß ihnen immer Parallelsätze mit 
einem Verbum finitum vorangehen. Sie beruhen auf einer gewissen 
Bequemlichkeit, die es unterläßt, scharf bestimmte Wörter zu ge- 
brauchen, wenn auch unbestimmtere genügen. Dagegen die latei- 
nisch-romanischen entspringen der Hast, in die auch der Erzähler 
gerät, wenn er eilige Ereignisse schildern will. 

In der Diskussion spricht Herr Osthoff (Heidelberg) seine 
freudige Zustimmung zu der Hypothese von der urindogennanischen 
Verwandlung von anlautendem b in p aus. Herr Sommer ver- 
mutet satzphonetische Einflüsse (b zu p im absoluten Satzanlaut). 
Herr Meitzer (Stuttgart) fragt an, ob die keltische Neigung zu 
infinitivischer Ausdrucksweise an Stelle der finiten in Zusammen- 
hang zu bringen sei mit der Vorliebe vieler Völker für die gegen- 
ständliche Ausdrucksweise gegenüber der zuständlichen. Herr 
Sütterlin (Heidelberg) verweist auf das Notkersche Gesetz als auf 
ein wirkliches Beispiel der von Sommer für pibati vermuteten 
Konsonantenverhärtung im absoluten Anlaut. Gegenüber Meitzer 
warnt er davor, dem Unterschied zwischen nominalem und verbalem 
Prädikat zuviel Gewicht beizulegen. Jedenfalls müsse man auch 
bei den nominalen Gebilden unterscheiden zwischen der vorliegenden 
Form und der in einer gegebenen Zeit ihr innewohnenden Bedeutung. 
Lateinisch ferimini habe wohl kein Römer als unterschieden emp- 
funden von fertur, fcruntur. Russisch citai 'ich las* stehe ebenso 
gleich neben öitaju 'ich lese'. Am allerwenigsten dürfe man in 
solchen Formen ohne weiteres bewußte Überbleibsel aus einer früheren 
Zeit oder von einer früher getrennt vorhandenen Rasse erkennen, 
wie es Meitzer auch in seinem vorhergegangenen Vortrage habe tun 
wollen. Herr Thurneysen erwidert Herrn Meitzer, daß die große 
Verschiedenheit in der Anwendung dieser Infinitive in den verschie- 
denen keltischen Sprach/.weigen es unwahrscheinlich mache, daß hier 
etwas gewissermaßen Proethnisches sich erhalten habe. 



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Vorträge Thumeysen und Haie. 



155 



Dritte Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, 
vormittags 10 Uhr 30 Min., 
War kombiniert mit der philologischen Sektion. 

Vorsitzender: Dr. Ed. Schwjzer (Zürich). 

Prof. W. G. Haie (Chicago) spricht über Indoeuropäische 
Modus-Syntax: eine Kritik und ein System. 

Um die Entstehung der verschiedenen heutzutage vorherrschenden 
Ansichten über Modus-Syntax klarzulegen, müßte man über bedeu- 
tenderen Raum verfügeu können, als für diesen kurzen Umriß zu 
Gebote steht. Es kann hier nur gesagt werden, daß die Erklärungen, 
•welche dem Konjunktiv oder Optativ Kräfte wie Zufälligkeit, Vor- 
stellung, Subjektivität, Bedingtsein, Unbestimmtheit und Abhängig- 
keit zuschreiben, alle auf der Anwendung des Wölfischen oder des 
Kantschen Systems beruhen, unter Einwirkung des alten griechischen 
Irrtums, daß der Konjunktiv ein abhängiger Modus sei. Die Anwen- 
dung und Entwicklung wurde besonders von Hermann, Matthiä, 
Dissen und Thiersch in den Jahren 1801 — 1812 durchgeführt. Das 
System wurde zuerst nach Kantscher Auffassung auf das Griechische 
angewandt, dann auf das Lateinische, hauptsächlich in Form der 
Lehre, daß der Konjunktiv Vorstellung ausdrücke. Diese Lehre 
wurde dann auch auf das Deutsche und Englische übertragen, z. B. von 
Jakob Grimm und Mätzner. Sie ist heutzutage die vorherrschende. 
Selbst Delbrück erklärt in seinem epochemachenden Buch von 1871 
(Gebrauch des Konjunktivs und Optativs im Sanskrit und Grie- 
chischen) einen großen Teil der abhängigen Satzbildung des grie- 
chischen Optativs durch den Begriff der Vorstellung, obwohl er da- 
für eine andere Ursprungserklärung gibt In seiner kürzlich 
erschienenen Monographie „Der germanische Optativ im Satzgefüge" 
findet er sogar in diesem Begriff fast ständig die Erklärung des 
Modus, indem er ihn offenbar als eine Einheit betrachtet, trotz seiner 
früheren Befürwortung der vergleichenden Methode. Seine Behand- 
lung des germanischen Optativs und des germanischen Dativs sind 
demnach einander direkt entgegengesetzt: denn den letzteren be- 
handelt er nicht als Einheit. 

Wir sind genötigt, die Modi als Ausdrücke von Geistesdisposi- 
tionen zu betrachten, wie dies Delbrück größtenteils in dem oben- 
genannten Buche auch tut. Wir sind ferner genötigt, die Satzgebilde 
des Konjunktivs oder des Optativs in den Sprachen, welche nur eine 



15li 



Indogermanische Sektion: Dritte Sitzung. 



Serie entsprechender Formen besitzen, als aus konjunktivem und 
optativem Gebrauch hervorgehend zu betrachten. Demnach müssen 
wir bei unseren Forschungen von denjenigen Sprachen ausgehen, 
welche zwei getrennte Modi darbieten, nämlich Griechisch, San- 
skrit, Altpersisch und Avestisch. Unter diesen ist Griechisch am ge- 
eignetsten, weil es jeden der beiden Modi tatsächlich wieder in zwei 
Gebrauchsgruppen einteilt, je nach der An- oder Abwesenheit der 
Partikel. Delbrück gebrauchte diese Partikel im allgemeinen, wenn 
auch nicht immer richtig, für unabhängige Satzbildungen, leider aber 
gab er dieselbe als Unterscheidungsmittel irrtümlicherweise für ab- 
hängige Satzgefüge auf. Außerdem hat weder er noch sonst jemand 
daran gedacht, die sich aus dem Verhalten der Negation ergebenden 
aufklärenden Schlüsse zu ziehen. 

Ein Beispiel von der Wichtigkeit des Gebrauches oder Nicht- 
gebrauches von üv oder m liefert der Fall des griechischen Optativs 
der Modusverschiebung, des Optativs der unbestimmten Wiederholung 
in der Vergangenheit und des Optativs in der Oratio obliqua in Ge- 
meinschaft mit dem Modus der Oratio obliqua im Lateinischen und 
Deutschen. Der vorherrschenden Ansicht nach, die Brugmann, Be- 
haghel und Delbrück vertreten, sind diese Konstruktionen Poten- 
tialen Ursprungs. Aber die Erklärung ist unmöglich für das Grie- 
chische und wird dadurch um so unwahrscheinlicher für Lateinisch 
und Germanisch. Der griechische potentiale Optativ hat gewöhnlich 
uv oder tu bei sich, während dies bei den in Rede stehenden Satz- 
bildungen gewöhnlich nicht der Fall ist. 

Das Studium der griechischen Modi bringt uns bei einer natür- 
lichen Interpretation der Literatur und nicht beeinflußt von ererbten 
Vorurteilen zur Annahme folgender leitenden Kräfte für die Modi: 
für den Konjunktiv, Wille und Erwartung, wie bereits Thiersch ein- 
gesehen hat, trotz seiner sonstigen Urteilsweise a priori, und wie es 
Delbrück in seinem Buch von 1871 dartut; für den Optativ, Wunsch, 
Verpflichtung oder Angemessenheit, natürliche Wahrscheinlichkeit, 
Möglichkeit und ideale Sicherheit (d. h. Sicherheit in einem ge- 
dachten Falle, wie in der gewöhnlichen Optativen Schlußfolgerung). *) 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Prof. Dr. H. Osthoff (Heidelberg) spricht über Regenbogen 
und Gdtterbotin. 8 ) 



1) Die Rechtfertigung dieses neuen mit gleichzeitiger Prüfung des 
bedeutendsten bisher aufgestellten Schemas, des Delbrückscben, wird in 
den „Neuen Jahrbüchern für das klass. Altert. 41 erscheinen. 

2) Der Vortrag ist in seinem ausführlichen Wortlaut in Dieterichs 
Archiv für Religionsgeschichte 11, 44 ff. erschienen. 



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Vorträge Osthoff und Wackernagel. 



157 



Der Vortrag versucht es wahrscheinlich zu raachen, daß die 
griechische Bezeichnung des Regenbogens l$tg aus *ftQig als 'Streifen' 
oder auch 'Weg, Pfad' etymologisch zu deuten sei, indem sie wurzel- 
haft zu lat. via 'Weg' sowie weiterhin zu gr. olfiog 'Streifen', 'Strich, 
Landstrich', 'Weg, Pfad, Bahn' aus *£ol (io-g und zu den Sanskrit- 
wörtern vitä 'Reihe nebeneinanderliegender Gegenstände', vttdh Adj. 
'gerade, schlicht, geradlinig', vUhi-h und vithi 'Reihe', 'Straße, Weg' 
zu stellen sei. Es werden viele Zeugnisse dafür angeführt, daß in 
den verschiedensten Sprachen sowohl der Regenbogen wie die Milch- 
straße und andere streifenartig sich hin erstreckende Lichtglanz- 
erscheinungen am Himmel und im Luftraum eben als 'Streifen' oder 
auch 'Straße, Weg' aufgefaßt und sprachlich benannt werden. Der 
Name der Götterbotin in der Ilias 7pt? ist dieselbe Wortstammbüdung, 
es hat aber bei ihm metonymische Übertragung des Begriffes 'Gang, 
Weg, via 9 stattgefunden, wodurch das alte Wort zu der abgeleiteten 
Bedeutung 'wer einen Gang oder Weg macht, Botengängerin, 
viätrix 1 kam. 

Von E. Maaß, Indog-Forsch. 1, 157 ff. ist dem Nomen proprium 
*I(>ig mit Anknüpfung an das Verbum homer. tsfiai 'ich eile, strebe 
eifrig' die Erklärung gegeben worden, daß es eigentlich 'die eilende, 
flinke, hurtige, schnelle' bedeutet habe; diese Etymologie rückt jetzt 
nur in ein etwas anderes Licht der semasiologischen Betrachtungs- 
weise, wird in ihrem Grundkern nicht angetastet, insofern als iepai 
aus *J-i(i)efiai nebst homer. i-efoaxo stCaxo Aor. c ging geradewegs, 
fuhr los, drang durch' und dem altindischen Verbum ved. veti 'geht 
gerade aus, geht darauf zu, strebt hin' derselben Wurzel mit den 
Substantiven lat. via, gr. ol(iog, aind. vitä usw. angehören. 

In nachhomerischer Zeit hat infolge des alten Znsammenfalls 
in der Wortform die mythenschaffende Volksphantasie zwischen dem 
Namen der göttlichen Botengängerin und dem gleichlautenden Appel- 
lativum lytg ein neues Band geschlungen, wodurch die homerische 
Götterbotin zu einer Personifikation des Regenbogens geworden ist. 

In der Diskussion bekämpft Rektor Finsler die Auslegung einer 
Homerstelle; der Vortragende verteidigt sie. 

Nach der Mittagspause wird die Sitzung um 3 Uhr fortgesetzt. 

Prof. Dr. J. Wackernagel (Göttingen) bespricht Probleme 
der griechischen Syntax. 

1. Werden beim Futurum Passivi durch die Ausgänge -öofim 
einerseits, -drjGonai, -ijffo^at anderseits durative (imperfektische) 
und aoristische Aktionsart unterschieden? Nach älterem Vorgang 
behauptet dies namentlich Blaß in seinen Demosthenischen Studien 
(Rhein. Museum 47, 269 ff.) und in seiner Neubearbeitung der 



158 



Indogermanische Sektion: Dritte Sitzung. 



Kühnerschen Grammatik. Ausdrücklich widersprochen hat ihm bloß 
Stahl; dagegen Streitberg, Indog. Forsch. 21, 195, an einen schein- 
baren Beleg des N. T. (ccQtvotzai: aQTv&r)OErai) die Vermutung an- 
geschlossen, Ulfilas habe den Unterschied noch empfunden und mit 
Hilfe des Präfixes ga- wiederzugeben versucht. Doch ist itQxvöBxai 
falsche Lesart für aktivisches aQxvaixt. Seit zirka 300 a. Chr. ist 
-drjüoiiai (und -rjöofiat) so gut wie ausschließliche Endung, 
das passivische -co(tai der Kaiserzeit attizistische Künstelei. Um- 
gekehrt gab es vor Äschylus noch kein -dijoopcci und war -eopat 
die normale Endung für das Passivfuturum, entsprechend dem sonstigen 
Passivgebrauch der medialen Formen. Um 500 a. Ch. trat -^aofuci 
daneben und wurde dann immer häufiger, so daß es schließlich 
allein üblich wurde. Vom Passivfuturum auf -tfoucrt, solange dieses 
daneben gebraucht wurde, unterschied sich das auf -&i)ao(iai nicht 
durch aoristische Bedeutung, sondern einfach als die modernere Form, 
die bei einigen Formkategorien früher eindrang. — (pavovfiat vereinigte 
in sich ursprünglich beide Aktionsarten. Im 5. Jahrhundert trat 
(pavtjaofMci daneben, überwiegend, doch nicht ausschließlich, im Sinne 
von „ich werde sichtbar werden" gebraucht, was Bevorzugung der 
durativen Bedeutung „ich werde scheinen" bei (pavoüfiat nach sich 
zog. Hier ist Einfluß von icpuvtjv auf die Funktion des ihm formal 
nächst stehenden Futurums anzuerkennen. 

2. Warum hat im Griechischen durch eine im N. T. fast schon 
zum Abschluß gelangte Entwicklung der Optativ vor dem Konjunktiv 
weichen müssen, während in allen verwandten Sprachen der Optativ 
den Konjunktiv überlebt? Das Attische begünstigt den Optativ; die 
entgegengesetzte hellenistische Tendenz nach dessen Beseitigung 
stammt wohl aus dem Ionischen, ebendaher der spätgriechische Ge- 
brauch des Konjunktivs. Aber die letzten Gründe der Erscheinung 
sind noch unklar. 

3. Der vokativische Gebrauch von dem, der durch die Christen 
aufgekommen ist, stammt aus dem 6 faog der griechischen Bibel, 
das selbst Hebraismus ist wie Xaog pov (ebenda) als Anrede. Andere 
Fälle von Nominativus pro vocativo sind ihrer Wurzel nach uralt; 
die Adjektiva scheinen zum Teil besonderer Vokativform unfähig 
gewesen zu sein : <plXog w MeviXas. Durchaus gilt dies von gewissen 
Possessiven: yapßQbg ifiog und oculus meus als Anreden gehören 
zusammen. 

4. Daß die Dativ- und Lokativfunktion in der zweiten Dekli- 
nation durch eine ursprüngliche Dativform, in der dritten durch eine 
ursprüngliche Lokativ form gegeben werden, ist nicht ganz griechische 
Neuerung. Gerade so wird im Armenischen and „mit" zwar im ganzen 



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Vorträge Wackernagel und Holtmann. 



159 



mit dem Lokativ konstruiert; aber die «-Stämme haben dabei die 
Dativform. Vielleicht sind auch im Latein die Formen auf -ö von 
-o-Stämmen, wenn mit Präpositionen verbunden, zum Teil dem Dativ, 
nicht dem Ablativ zuzuweisen. 

In der Diskussion ergreift zuerst Herr Thumb (Marburg) 
das Wort. Er sieht in der Entwicklung der beiden subjektiven Modi 
wie in der der beiden Futurformen einen weiteren Beweis dafür, daß 
zwischen Attisch und Hellenistisch ein Bruch zu konstatieren ist, 
der wahrscheinlich auf das Ionische zurückgeht. Herr Sütterlin 
(Heidelberg) vermutet, daß die von Wackernagel erwähnte voka- 
tivische Verwendung des Nominativs auch in älterer Zeit schon 
häufiger war, als die Belege verraten. Die neuere Sprache weist 
darauf hin, daß der Vokativ überhaupt verschiedene Gestalten an- 
nehmen kann: schriftsprachlichem: Karl, komm steht gegenüber: 
komm, Karl (mit nachfolgendem Karl) und mundartlich, (alem. 
niederd.) heißt es: Ihr Herren, Guten Abend, aber daneben Guten 
Abend, die Herren. Der von Wackernagel erwähnte Nominativ 
könnte die nachgestellte, halb appositionell gedachte, vielleicht auch 
minder stark betonte Nebenform des Vokativs überhaupt darstellen. 
Herr Osthoff bringt Parallelen zum vokativisch gebrauchten No- 
minativ aus dem Keltischen bei. Herr Diehl (Jena) wirft die 
Frage nach der eventuell zu erwartenden Form des Vokativs von 
deus auf. Der Vortragende verweist auch noch auf den Gegensatz 
zwischen Xvtj und Xvsi im Ionischen gegenüber Xvei (Indikativ und 
Konjunktiv) im Attischen des 4. Jahrhunderts oder auf la nuit. la 
m<re als französische Anrodeform seit Moliere. 

Vierte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, vormittags 9 Uhr. 
Vorsitzender: Prof. Dr. F. Sommer. 

Prof. Dr. Ed. Hoffmann-Krayer (Basel) hält seinen Vortrag 

über Ursprung uiid Wirkungen der Akzentuation. 

Eine abschließende Behandlung des Gegenstandes ist heutzutage 
noch unmöglich. Im folgenden sollen hur einige Ideen ausgesprochen 
sein, wie die Akzentforschung psychologisch und physiologisch etwa 
in Angriff zu nehmen wäre. 

Um den Ursprung des Akzents zu ergründen, dürfen wir zu- 
nächst nicht bei dem traditionellen Akzent der Kultursprachen anfragen. 
Das, was wir gewöhnlich als Akzent einer Sprache bezeichnen, ist 
nur eine seelenlose Starrforra des ursprünglich psychologisch freien 



160 Indogermanische Sektion: Vierte Sitzung. 



Akzents. Die spontan aus einer seelischen Stimmung ent- 
springenden Akzente müssen wir beobachten. 

Wir unterscheiden drei Arten von Akzenten: den dynamischen 
(Stärke), den musikalischen (Höhe), den quantitativen (Lange), 
je nachdem eine Silbe durch den Exspirationsdruck, durch die relative- 
Tonhöhe oder durch die relative Dehnung akzentuiert wird. 

Von diesen drei Akzentarten kamen in den Verhandlungen wegen 
der knapp zugemessenen Zeit nur die beiden ersten zur Sprache. 

Der dynamische Akzent verdankt seine Entstehung dem Be- 
dürfnis, einen Redeteil deutlich hörbar zu machen. Das geschieht 
am besten durch Verstärkung der Stimme. Der musikalische Ak- 
zent dagegen will einen bestimmten seelischen Affekt zum Ausdruck 
bringen. (Beispiel: Der Imperativsatz „so geh doch!" läßt sich in 
aufforderndem, höhnischem, bittendem Sinne usw. modulieren). 

Diese Akzentarten müssen ursprünglich völlig unein- 
geschränkt gewaltet haben. Die Ursprache bedurfte ihrer um 
so eher, als ihr die reiehen flexivischen, syntaktischen und stilistischen 
Mittel der Kultursprachen noch nicht zur Verfügung standen. Das 
Kind spricht heute noch die beiden Wörter „Papa fort" je nach Be- 
dürfnis in behauptendem, fragendem, aufforderndem, bedauerndem Tone 
aus, während die ausgebildete Sprache diese seelische Stimmung durch 
die Syntax und den Stil wiedergibt („Papa ist fort"; „ist Papa fort?" 
„Papa, geh fort"; „schade, daß Papa fort ist" usw.). So suchte man in der 
Ursprache durch den Akzent das auszudrücken, was man später durch 
Flexion, Syntax und Stil ausdrückte. Durch die Entwicklung der 
Sprache aber wurde der Akzent mehr oder weniger überflüssig und 
erstarrte. 

1. Es wird daher zunächst beim dynamischen Akzent die 
Betonung eine um so energischere sein, je primitiver die Ausdrucks- 
mittel sind. (Beispiele aus der lebenden Sprache.) 

Als Wirkung des dynamischen Akzentes kann 1. Verkürzung 
des Satzes, des Wortes, ja der betonten Silbe eintreten. 
(Satzverkürzungen wie nhd. behüte! Gnade! frz. gare! Wortver- 
kürzungen bei Vokativen, Imperativen und Interjektionen. Vielleicht 
gehören hierher auch die verkürzten Eigennamen und die Rufformen 
von Appellativen). 

2. Verschärfung des Anlautskonsonanten bei starkem 
Exspirationsdruck (T h onnerwetter! L) aushübe!) Von bleibenden 
Wirkungen vielleicht die ahd. Lautverschiebung der Anlauts- 
konsonanten A>Äx, p>pf, t>z, die nhd. anlautenden Aspiraten 
und die Glottisexplosiva; möglicherweise ist auch die Alliteration 
hierher zu stellen. 



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Vortrüge Hottmann und Thumb. 161 



II. Auch der musikalische Akzent muß, da er ursprünglich 
eine seelische Stimmung zum Ausdruck brachte, in der Ursprache 
völlig frei gewesen sein. Da es nun physiologisch feststeht, daß eine 
hohe Tonlage nach einem geschlossenen, eine tiefe nach einem offenen 
Vokal hinneigt, so müssen daher entsprechende Wirkungen auf 
den Vokalismus zu erwarten sein. Ebenso ist beim steigenden 
und beim fallenden Ton eine Differenzierung bis Diphthon- 
gierung der alten Monophthonge zu erwarten. (Akzidentelle Bei- 
spiele aus den lebenden Sprachen. Von bleibenden Wirkungen werden 
angeführt: der idg. e — o-Ablaut und die nhd. Diphthongierung 
der mhd. Monophthonge). 

In der Diskussion macht Herr Thurneysen (Freiburg i. Br.) 
darauf aufmerksam, daß die Erstarrung des ursprünglich lebhaften 
musikalischen Akzentes unerklärlich ist. Herr Sütterlin (Heidelberg) 
nennt Parallelen aus dem Französischen und Englischen. Herr Maas 
(München) weist auf eine Parallele aus dem Neugriechischen hin und 
führt die vokativischen Verkürzungen auf die Unwichtigkeit der un- 
betonten Silben zurück. Herr Sommer vermutet, daß die Gemi- 
nation der Eigennamen überhaupt vom Anruf ausgegangen ist. Herr 
Thumb (Marburg) berichtigt die Angaben von Herrn Maas über das 
Neugriechische. Herr Reisch (Frankfurt a. M.) versucht die von 
Herrn Thurneysen konstatierte Kluft zu überbrücken. Herr Wacker- 
nagel (Göttingen) erklärt einige emphatische Diphthongierungen des 
Baseldeutschen aus der Schriftsprache. 

Prof. Dr. A. Thumb (Marburg) spricht zum Thema ZuT Psy- 
chologie der Analogiebildungen. 1 ) 

Wenn ein lateinisches rvddire zu einem französischen rendre 
italienisch rcndcrc geworden ist, so liegt hier eine sogenannte „Ana- 
logiebildung" nach dem begriffsverwandton prendere (prendre) vor: 
sie beruht auf der Assoziation der Begriffe geben und nehmen. 
Welche Eigenschaften besitzen nun die Assoziationen, die sprach- 
liche Analogiebildungen hervorzurufen imstande sind? Die Antwort 
vermag durch die experimentelle Psychologie gegeben zu werden. 
Frühere Versuche des Vortragenden zeigten, daß den betreffenden 
Assoziationen eine gewisse „Geläufigkeit" (Auftreten bei den ver- 
schiedensten Individuen) und Stärke zukommen: letztere ist zu be- 
stimmen durch die Schnelligkeit, mit welcher eine Assoziation wie 
geben — nehmen auftritt. Neuere Versuche ergeben fernerhin, 

1) Der Vortrag ist ein Auszug eines in den Indogermanischen For- 
schungen, Bd. 22, erscheinenden Aufsatzes. Ein kürzerer Bericht ist in 
den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Heförderung der gesamten 
Naturwissenschaften zu Marburg 1907, Nr. 2, veröffentlicht. 

Verhandlungen d. 49. Vor«, deutscher Philnl. u. Schuim. 11 



162 Indogermanische Sektion: Vierte Sitzung. 



daß die sprachlich wirksamen (d. h. Analogiebildung hervorrufenden) 
Assoziationen durchaus spontan eintreten, d. h. daß sich zwischen 
den assoziierten Worten keinerlei Bewußtseins Vorgang einschiebt. 

Es ist bemerkenswert, daß sich spontane und geläufige Wort- 
assoziationen wie geben — nehmen bei Versuchen um so häufiger 
einstellen, je mehr die Versuchsperson von der Tätigkeit des Asso- 
ziierens abgelenkt ist (wie das ja beim natürlichen Sprechen der Fall 
ist). Jedoch zeigen Kinder nur teilweise in ihrer Assoziationstätig- 
das Verhalten der Erwachsenen, so daß sich hier die Möglichkeit 
bietet, den Einfluß der Kindersprache auf die Sprachentwicklung 
überhaupt mit Hilfe des psychologischen Experiments zu untersuchen. 
So gibt also die experimentelle Psychologie Mittel und Wege an die 
Hand, Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft in dem Sinne 
einmal zu losen, wie dies W. Wundt für die verschiedenen Gebiete 
der „Völkerpsychologie" angebahnt hat. 

In der Diskussion stellen Herr Sütterlin und Herr Reisch 
Fragen über Einzelheiten der vom Vortragenden vorgelegten Tabellen. 
Herr Bohnenblust (Zürich) reproduziert eine Beobachtung, die den 
Einfluß allgemeiner Erregung auf die Bildung kompliziert motivierter 
Assoziationen speziell bei Kindern beweist. 

Prof. Dr. H. Osthoff (Heidelberg) unterbreitet in seinem Vor- 
trag Zur Technik des Sprachforschnngsbetriebes eine Reihe von 
Vorschlägen, die sich auf verschiedene im Laufe der Zeit eingerissene 
Mißbräuche bei sprachwissenschaftlichen Darstellungen beziehen und 
auf Herbeiführung eines gerneinsamen korrekteren Verfahrens der Fach- 
genossen abzielen. Es werden vornehmlich folgende sieben Punkte, 
welche teils die Schreibung von Sprachformen, teils die grammatische 
Terminologie sowie Stil und sprachlichen Ausdruck in linguistischen 
Publikationen betreffen, zur Erörterung gebracht: 

1. Die besonders durch Brugmann (vgl. Indog. Forsch. 7, 174 
Anm. und Brugmanns Grundriß 1 * Vorw. S. XV) herrschend ge- 
wordene graphische Unterscheidung der drei indogermanischen 
Gutturalreihen durch die Schreibungen k g, q g und q'i g'i ist dahin 
abzuändern, daß hinfort für die mittleren oder reinvelaren k- und 
^-Laute schlechthin k g, für die labio volaren aber einfach q g ge- 
geschrieben wird; für die verhältnismäßig selten eintretenden Fälle, 
daß es darauf ankommt, die ünbestimmbarkeit der grundsprach- 
lichen Artikulation eines k- oder //-Lautes zum Ausdruck zu bringen, 
mag dann zu den Zeichen k* tf gegriffen werden. Es ist unrationell, 
in der Brugmannschen Weise einen A-Laut, den der reinvelaren Reihe, 
durch q zu bezeichnen, der einzelsprachlich nirgends lautgesetzraäßig 
durch q vertreten wird. 



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Vortrag Osthoff. 



165 



2. Die Anführung von einzelnen Sanskritwörtern hat, wie es 
schon von Bartholomae Indog. Forsch. Anz. 20, 171 nachdrücklich 
gefordert wird, durchweg in der Setzung der Pausa form oder 
„Form des absoluten Auslauts" zu geschehen, also daß hinsichtlich 
des konsonantischen Wortauslauts gilt, daß -h (Visarga) für etymo- 
logisches -s und -r, die Tenues -f, -fr, -p auch für etymologische 
Mediae und Mediae aspiratae sowie Tenues aspiratae zu erscheinen 
haben. Zu verwerfen ist insbesondere nicht nur die früher allgemein 
übliche Setzung von -s für jedes wortschließende indogermanische -s, 
sondern auch die Schreibung des Zeichens des zerebralen Zischlauts 
-5 oder -s hinter Nicht-ä-Vokalen , der letztere Schreibgebrauch 
darum, weil er, von ganz wenigen vedischen Fällen abgesehen, die 
Verwendung historisch unbezeugter, nur grammatisch erschlossener 
Wortformen mit sich bringt, beispielsweise bei der altindischen Ent- 
sprechung des lit. mirtis c das Sterben, Tod' und des lat. mors, wenn 
man das erst nachvedisch belegte Wort als mrtis oder «nr/ts, anstatt 
mrtih. schreiben zu dürfen meint. 

3. Als Vertreter altindischer Verbal- und Nominalsysteme hat 
man für die Verba nicht die nackte Wurzel, sondern in der Regel 
die 3. Sing, praes. ind. act., also z. B. nicht budh(-), sondern bodhati, 
für die Nomina nicht die Stammform, sondern den Nom. sing., z. B. 
nicht nka(-), sondern trkah, zu schreiben, letzteres in Überein- 
stimmung mit dem entsprechenden Verfahren, das man bei An- 
führung von Nominan der übrigen indogermanischen Sprachen all- 
gemein innehält. 

4. Im Griechischen ist davon abzugehen, daß man die sogenannten 
Verba contracta in der offenen Form anführt, vielmehr für rt^aco, 
(pikiuti ÖovX6(o hinfort, was auch für den griechischen Schulunterricht 
zu gelten hätte, rtjtuö usw. zu setzen, da es ja sonst das übliche ist, 
den Wortformen dieser Sprache die attische Lautgestalt zu geben; 
um die Klassenzugehörigkeit in dem besonderen Falle, daß dies er- 
forderlich erscheint, zu markieren, könnte man bei schriftlichen Dar- 
stellungen den Verbalcharakter in Parenthese hinzufügen, mithin 
rtfiö(ft), <jp*A.cd(»j\ dovAcä(w) schreiben. 

5. Der von Brugmann (Indog. Forsch. 14, 1 Anm. und Kurze 
vergl. Gramm. 285) in Umlauf gesetzte Ausdruck Formans als zu- 
sammenfassende Bezeichnung für die Unterbegriffe Suffix, Präfix, 
Infix und Wurzeldeterminativ ist entschieden verwerflich, da dieser 
Ausdruck nebst dem zugehörigen Adjektiv formantiscli eine sprach- 
liche Mißbildung ist, die des genügenden oder breiteren analogischen 
Rückhalts entbehrt; vorzuziehen ist der von Brugmann früher (Grund'- 
riß l 8 , 39 f.) vorgeschlagene, darnach bereits von Wackernagel (Alt- 

11* 



164 



Indogermanische Sektion: Vierte Sitzung. 



ind. Gramm. 2, 1, 10) aufgenommene Terminus Formativ(um) mit 
dem hieraus zwanglos abzuleitenden Adjektiv formativisch. 

6. Ein weiteres Desiderium, das der Vortragende aussprach, war 
an die Syntaktiker gerichtet, des Sinnes, daß diese bald dazu ge- 
langen möchten, die sogenannten Aktionsarten der Verba einheitlich 
zu benennen, damit die verwirrende Buntheit der Termini, wobei der 
eine momentan nenne, was bei dem andern perfektiv, bei einem 
dritten punktuell heiße u. dgl., aufhöre. 

7. Als eine stilistische Unart, ein Solözismus, wird es gerügt, 
daß in sprachwissenschaftlichen Darstellungen öfters die Präposition 
mit in Verbindung mit einem Eigennamen bei passivischem Verb 
fälschlich gesetzt wird, z. B. nach einem „man kann dies griechische 
Wort mit Fick zu jenem altindischen stellen", auch „das griechische 
Wort kann mit Fick . . . gestellt werden" gesagt wird, femer selbst 
derartiges vorkommt, wie Indog. Forsch. 21, 193 Fußnote: „Die . . . 
Namen. . .machen. . . mit Prell witz . . .Entlehnung. . .nicht sehr wahr- 
scheinlich", oder vollends das groteske Bild eines „für jeden auf der 
Hand liegenden" Gelehrten bei Hirt, Indog. Forsch. 22, 81: „Daß 
das kein Zufall sein kann, dürfte mit Delbrück für jeden außer 
Schräder auf der Hand liegen". 

In der Diskussion spricht sich Herr Wackernagel zu den Vor- 
schlügen, betreffend Auslautschreibung im Altindischen zustimmend 
aus, er protestiert gegen die Verwerfung der Stamm- und Wurzel- 
schreibung im Altindischen, er empfiehlt für die griechischen Verba 
contracta Setzung des Infinitivs. Ferner stimmt er etlichen Äuße- 
rungen des Vortragenden über die Terminologie bei und macht einige 
Bemerkungen zur Transskription. Herr Osthoff bleibt bei der Be- 
kämpfung der Wurzelschreibung im Altindischen. Herr Sütterlin 
macht verschiedene Einzelbemerkungen. Herr Thurneysen spricht 
über die Schreibung der Gutturale, über die Bezeichnungen der Aktions- 
arten, über den Ausdruck „Formans". Herr Ost hoff repliziert auf 
die Voten. Herr Meitzer gibt als Grund für das Schwanken der 
Bezeichnungen der Aktionsarten die Unsicherheit der Anschauungen 
von den Aktionsarten sowie deren eigene Mehrdeutigkeit an. Herr 
Thumb schlägt vor, griechische inschriftliehe Formen möglichst nach 
der Orthographie der Inschriften selbst zu schreiben. Herr Wacker- 
nagel schlägt vor, ein Protokoll des Vortrags und der Diskussion 
an Herrn Brugmann zu schicken. Herr Osthoff möchte nur die Auf- 
zeichnung und Übersendung der für Brugmann besonders wichtigen 
Punkte vorschlagen. 

Bei der an den Vortrag sich anknüpfenden Diskussion kommt 
es auch zu Abstimmungen über die einzelnen Osthoffschen Vor- 



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Osthoffsche Vorschläge. 



165 



schlage. Dabei werden die Punkte 1, 2 und 5 einstimmig an- 
genommen und zu Beschlüssen erhoben, von denen Brugmann brief- 
lich Kenntnis gegeben werden soll mit dem Ersuchen, sich den von 
der Sektion gutgeheißenen Änderungen des technischen Verfahrens 
anzuschließen. 1 ) Über Punkt 3 gelangte man nicht zu einer Einigung 
der Ansichten. Bei Punkt 4 stellte man sich zwar einhellig auf den 
Standpunkt, daß man mit Osthoff sich gegen die Beibehaltung des 
bisherigen Brauches, griech., d. ist att.-griech., Tt^aw, cpiXia, dovkoa 
zu schreiben, aussprach, im übrigen aber gingen die Meinungen dahin 
auseinander, daß ein Teil der Sektionsmitglieder dafür war, vielmehr 
die Infinitive auf -av, -£tv, -ovv zu Vertretern der betreffenden Verbal- 
systeme zu machen, in Konsequenz davon aber dann überhaupt nicht 
mehr die 1. Sing, praes. ind. act. oder med., sondern allgemein die 
Infinitivformen, auch bei den nichtkontrahierenden griechischen 
Verben, an die Spitze der Paradigmata zu stellen. Zu Punkt 6 
wurde vereinbart, daß man dafür eintreten wolle, die beiden Haupt- 
aktionsarten der Verba künftighin einfach als imperfektische und 
aoristische Aktion zu unterscheiden. 

Der Vorschlag Herrn Osthof fs, daß sich die Sektion das Recht 
des Nichtbestätigung der vom wissenschaftlichen Ausschuß jeweilen 
vor dem Kongreß provisorisch gewählten Obmänner ausdrücklich 
vorbehalten solle, findet allgemeine Zustimmung. 

Herr Kuno Meyer (Liverpool) teilt den kürzlich erfolgten Tod 
der Keltisten Strachan (Manchester) mit; die Anwesenden erheben 
sich zu Ehren des Verstorbenen. 



1) Herr Brugmann wünscht dazu die Anmerkung: Brugmann 
wird laut Mitteilung vom 11. Oktober 1907 zu diesen Vorschlägen im 
nächsten Hefte des „Anzeigers der Indogermanischen Forschungen 1 * Stel- 
lung nehmen. 



Orientalische Sektion. 

Festyersammlnng des Deutschen Palästinavereiiis. 

Mittwoch, den 25. September 1907, abends 8 Uhr. 

Prof. D. E. Kautzsch (Halle) eröffnete die Versammlung mit 
einem geschichtlichen Rückblick auf die literarische und Ausgrabungs- 
tätigkeit des Vereins seit seiner Gründung in Basel im Jahre 1870 
und erinnerte auch an die Verdienste von Prof. Dr. Alb. Socin und 
Rektor Zimmermann. 

Prof. Dr. K.Furrer (Zürich) behandelte den Wert der Palästina- 
kunde für das Verständnis der Bibel. Die Bibel weist in ihren ge- 
schichtlichen Bestandteilen sehr oft auf ihre Heimat hin, bietet eine 
Menge topographischer Aussagen und erwähnt Hunderte von Orts- 
namen. Ihre poetischen und didaktischen Schriften lassen in ihren 
Gleichnissen eine reiche Fülle von Bildern an uns vorbeiziehen, die alle 
aus der Heimat der Bibel stammen. Aus dieser Tatsache ergibt sich, 
daß die Bibelwissenschaft von einer genauen Runde der Bibelheimat 
wertvolle Dienste erwarten darf. Wir fragen zuerst: Wie stellt sich 
die gegenwärtige Kenntnis der biblischen Länder zu den geographischen 
Angaben der Bibel? Die Antwort lautet, daß die biblischen Erzähler 
eine konkrete Auschauung des Bodens gehabt haben müssen, auf dem 
sich die von ihnen berichtete Geschichte vollzog; denn ihre diesbezüg- 
lichen Angaben werden von der modernen Forschung bestätigt. Hier- 
für wird an Hand von Beispielen in geschichtlicher Reihenfolge der 
Beweis geleistet. Die biblischen Bilder, die teils der Natur, teils den 
Lebensgewohnheiten des einfachen Volkes entlehnt sind, kann man 
heute noch an Ort und Stelle wiederschauen. Sie zeigen, daß die 
Israeliten fein und scharf beobachtet und ein zartes, eigenartiges 
Naturgefühl besessen haben. Kennen wir die Wirklichkeit, die in 
diesen Bildern sich abspiegelt, dann gewinnen sie für uns eine neue 
Frische, dann verstehen wir erst recht ihre Sinnigkeit, dann zieht 



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Palästinaverein. 



167 



für uns ein neuer Hauch des Lebens durch die biblische Poesie. Ein- 
zelne Beispiele sollen auch diese Tatsache illustrieren. 

Prof. Dr. Steuernagel (Halle) berichtete über die Aus- 
grabungen des Deutschen Palästinavereins an der Ruinenstätte 
des alten Megiddo, dem heutigen Teil el-Mutesellim. Es finden 
sich hier übereinanderliegend die Ruinen der Städte verschiedener 
Zeiten von dem 4. Jahrtausend an bis etwa 500 v. Chr.; der Bau- 
schutt bedeckt den Felsen in einer Höhe von 10 — 27 m. Nur ein 
Teil dieser Ruinenmassen konnte untersucht werden. Der Vortragende 
hob aus der großen Fülle der Funde eine Anzahl hervor, die aus 
irgendeinem Grunde allgemeines Interesse beanspruchen konnten, 
schilderte ihre Beschaffenheit und erörterte kurz ihre kultur- oder 
religionsgeschichtliche Bedeutung. Er schloß mit dem Wunsche, daß 
dem Verein bald reichlichere Geldmittel zufließen möchten, die ihm 
eine Fortsetzung seiner Arbeiten ermöglichen würden. 

Dr. G. Hölscher (Halle) sprach über die englischen Grabungen 

auf dem Teil Dschezer. Der aus sieben Schichten aufgebaute Schutt- 
hügel zeigt in seinen zwei untersten, der neolithischen Zeit angehören- 
den, als Urbewohnerschaft eine vorsemitische , höhlenbewohnende, 
Ackerbau und Viehzucht treibende Rasse mit Glauben an ein Fort- 
leben der Seele. Die Kultur der Kananäer (dritte und vierte Schicht) 
zeigt einen bedeutenden Fortschritt, während die spätere hebräische 
Zeit in mancher Hinsicht eher einen Rückschritt bildet. Die griechische 
Zeit (oberste Schicht) kennt die Totenspeisung nicht mehr in der 
der früheren völlig realistischen Art. Das wichtigste Ereignis für 
die Kulturgeschichte des Ostens war die Eroberung des Orients durch 
Alexander den Großen. Palästina war in ältester Zeit viel eher eine 
Domäne griechischer als babylonischer Kultur. 

Erste Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, morgens 9 Uhr. 

Vorsitzender: Prof. Dr. A. Mez, 
nachher Dr. H. Keller. 

Der erste Vortragende, Pfarrer L. E. Iselin (Riehen bei Basel), 

sprach über Syrische Aufschlüsse über den Ursprung der Gral- 
legende. 

Die verschiedenen Fassungen der Gralsage, die wir kennen, 
sind alle schon ein Gewebe von verschiedenen Sagenmotiven. Der 
Vorstellung vom Gral als dem Behälter von Christi Wundenblut oder 
der Hostie liegt ohne Zweifel die mittelalterliche Vorstellung vom 



168 



Orientalische Sektion: Erste Sitzung. 



Mysterium des eucbaristischen Mahles zugrunde. Aber die Aus- 
prägung derselben in Form einer Legende von einer wunderbaren, 
geistliche und leibliche Speise bietenden, auch Recht und Gericht 
schaffenden Gralschale oder Graltafel hängt zusammen mit einer 
alten, in der morgenländischen Christenheit verbreiteten legenden- 
haften Erzählung vom Grabe Christi und dessen Wunderstein. Auch 
hinter der Schilderung des geheimnisvollen Gralwächters und der 
paradiesischen Gralburg liegt die Sage von einem wunderbaren 
Wächter eines heiligen Grabes am fernen, halbwegs überirdischen 
Orte. Einzelheiten („Wunschgefäß vom Paradies", „Obst aus dem 
Paradiese 14 , „Holz des Lebens", „Eden") der Gralsage beweisen, daß 
sie von einer Paradiesessage inspiriert worden ist. Die Literatur 
der syrischen „Schatzhöhle", die seit dem sechsten Jahrhundert sich 
entfaltet hatte, vermittelt uns die Einsicht in jene christliche 
Legendenbildung, die sich vollzogen hat auf Grund des Bestrebens, 
für alle Gestalten und Einrichtungen des christlichen Glaubens Typen 
und Vorbilder in ältester Zeit zu suchen. Dem Abendlande sind 
diese Gedankenkreise wahrscheinlich weniger durch schriftliche als 
durch mündliche Mitteilung bei Anlaß der Kreuzzüge bekannt ge- 
worden. In einem Fall kann man zur Zeit des fünften Kreuzzuges 
an einem Beispiel kontrollieren, wie die morgenländische Legende 
im Kreuzheer bekannt wurde. Gerade das fremdartige, exotische 
Wesen derselben mochte der dichterischen Phantasie Anlaß und An- 
regung zur Umformung im Geiste der Romantik darbieten. 
Eine Diskussion fand nicht statt. 

Prof. Dr. E. Littmann (Straßburg) sprach zum Thema Sagen 

und Märchen ans Nord-Abessinien. 

Der Vortragende hat im Jahre 1905/1906 zuerst in amerika- 
nischem, dann in deutschem Auftrage Nord-Abessinien bereist in der 
Absicht, archäologische, epigraphische und linguistische Studien zu 
machen, sowie Handschriften zu sammeln. Vorläufige Berichte über 
die erzielten Resultate sind: „Preliminary Report of the Princeton 
University Expedition to Abyssinia", in Zeitschrift für Assyriologie, 
Bd. XX, S. 151—182; Vorbericht der Deutschen Aksum-Expedition, 
aus dem Anhang zu den Abhandlungen der Königl. Preuß. Akademie 
der Wissenschaften vom Jahre 1906. 

Die linguistischen Studien erstreckten sich auf die traditionelle 
Aussprache des Ge'ez oder der altäthiopischen Literatursprache und 
auf die beiden semitischen Sprachen Nord-Abessiniens, d. i. Tigre 
und Tigrina. Das Tigre", die altertümlichste der beiden Sprachen, 
ist von Wichtigkeit für die Erforschung des älteren Äthiopisch und 
für das Studium der Beziehungen zwischen den afrikanischen und 



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Vortrag Littraann. 



169 



den asiatischen semitischen Sprachen. Grammatisch und lexikalisch 
ergeben sich aus ihm mancherlei neue Aufschlüsse; es sei hier nur 
auf die Deminutiva, die Pauzitäts- und Intensiv-Plurale, die mas- 
kulinen und femininen Nomina unitatis u. dergl. hingewiesen. Um 
zuverlässiges Material zum Studium der Grammatik und des Wort- 
schatzes, aber auch der Kultur und Literatur zu haben, wurde eine 
große Anzahl von prosaischen und poetischen Texten gesammelt. 
Die prosaischen Texte sind: Tierfabeln und Tierlegenden, Erzählungen 
und Anekdoten aus dem Leben der Menschen, Rätsel-Erzählungen, 
Legenden über Maria, heilige Bäume, Berge, Quellen, Steine, über 
die Rieseu, die früher im Lande geherrscht haben, und über ihren 
Untergang, über das Tun und Treiben der Sterne, Überlieferungen 
aus dem Leben der Stämme, Beschreibungen der Sitten und Ge- 
bräuche bei Geburt, Namengebung, Hochzeit und Tod, Berechnungen 
der Konstellationen usw. 

Das Gesamtmaterial in der Ursprache sowie englischer Über- 
setzung soll erscheinen in den „Publications of the Princeton Uni- 
versity Expedition to Abyssinia", die Sternensagen in deutscher 
Übersetzung in einem der nächsten Hefte des Archivs für Religions- 
wissenschaft. 

Zur Illustration dieser Literatur werden in dem Vortrage mit- 
geteilt: 

1. Die Geschichte von all den wilden Tieren, den eßbaren und 
nichteßbaren. 

2. Die Geschichte vom Löwen, der Hyäne und dem Schakal. 
Der Schakal spielt in Abessinien die Rolle des Reineke Fuchs. 

Die in diesen Fabeln vorkommenden Tiere sind natürlich nur die im 
Lande bekannten, namentlich Elefant, Löwe, Leopard, Rind, Ziege, 
Schaf, Affe, Esel, Wildschwein, Schlange, Hund, Katze, Maus, Huhn, 
Rabe usw. Eine Anzahl von Erzählungen weisen auf Totemismus 
hin: Affe, Mistkäfer, Wespe, Fliege, Eidechse, Frosch, Schakal, 
Hyäne, Weißgeier sollen früher Menschen gewesen sein und werden 
noch jetzt als zu bestimmten Stämmen gehörig gerechnet. Die Eule 
ist der Seelenvogel. 

3. Die Geschichte der beiden Eseltreiber. 
Diese sei hier in extenso mitgeteilt: 

„Zwei Leute trafen sich unterwegs, und jeder von ihnen hatte 
einen Esel. Da begrüßten die beiden Leute einander; die Esel aber 
steckten ihre Nasen zusammen und beschnupperten sich. Und der 
eine Mann fragte seinen Gefährten, indem er sprach: „Wir haben 
einander begrüßt. Aber warum haben die Esel ihre Nasen zusammen- 
gesteckt?" Jener aber antwortete ihm und sprach: „Weißt du das 



170 



Orientalische Sektion: Erste Sitzung. 



Dicht V Die Esel haben einen tapferen Esel zu Gott geschickt, damit 
er ihm ihr Leid klage, das heißt, damit Gott sie von der Tyrannei 
der Menschen befreie. Nun fragen die Esel einander, indem sie 
sprechen: 'Ist der abgesandte Esel schon zurückgekehrt?'" Und es 
heißt, daß alle Esel, wenn sie ihre Nasen zusammenstecken, einander 
über diese Sache befragen. — Aus dieser Geschichte sieht man, daß 
alle Kreatur sich nach Freiheit sehnt. 44 

4. Die Geschichte vom Ehrlichen und Unehrlichen. 

5. Die Geschichte vom Propheten Moses und Propheten Mo- 
hammed. 

6. Von dem „Großen Stern 4 ' (auch „Herz" genannt, d. i. Antares, 
« Scorpionis). 

7. Von Kemä (d. i. Plejaden) und ihrem Sohne f Ali (d. i. Alde- 
baran, a Tauri) und ihren Ziegen (d. i. Hyadenj. 

8. Von den Sieben (d. i. der Große Bär) und Gah (d. i. Polar- 
stern) und Qeren (d. i. zwei Sterne im Schwanz des Drachen, zwischen 
dem Großen Bären und dem Polarstern). 

9. Ein Lied des Polarsterns. 

10 u. 11. Lieder des r Ali Gänge, von den Habsb, über die 
„Sieben" und die anderen Sterne. 

12. Über die vom Himmel gefallenen Sterne. 

13. Was beim Aufgange des Neumonds geschieht, 

14. Was man vom Tode des Mondes glaubt. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren Proff. A. Mez 
(Basel) und A. Fischer (Leipzig). 

Der dritte Redner, Prof. J). K. Marti (Bern), trug vor über 
Jahwe und seine Auffassung in der ältesten Zeit. 1 ) 

Die Ansichten über die Bedeutung Jahwes in der ältesten Zeit 
gehen weit auseinander: greifen die einen auf die primitivsten Vor- 
stellungen zurück, so verknüpfen andere mit dem Namen Jahwe von 
Anfang an sehr hohe, ja selbst die höchsten Anschauungen. Der 
Lösung des Problems kommt man näher durch genaue Sichtung und 
Beurteilung des vorhandenen Materials. 

Der Jahwename ist nicht der ureigenste und ausschließliche 
Besitz der Israeliten. Man findet ihn am Ende des dritten Jahr- 
tausends v. Chr. in Babylonien: Die Eigennamen auf Geschäfts- 
urkunden der Hammurabizeit Ja-u-um-ilu und Ja--PJ-ilu (gelesen 
Jaaue-ilu) erinnern mit dem ersten Element an Jahwe; Jahwe 



1) Der Vortrag erscheint in extenso in Theol. Studien und Kritiken 1908. 



Vortrag Marti I. 



171 



scheint zwar, weil ihm das Götterdeterminativ fehlt, noch kein 
Gottesname zu sein, bildet aber doch eine Aussage über einen 
Gott (Uli), aus der leicht ein Gottesname werden konnte. Bereits 
in der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. jedoch ist Jahwe als 
Gottesname zu belegen: Mag die Erklärung des in Kanaan (bei den 
Grabungen in Ta'annek) auf einer Keilschrifttafel gefundenen Achi- 
jamt = Acliijahwe (entsprechend hebräischem AchtyjaJni, d. h. 
Jahwe ist Bruder) fraglich sein, so ist für dieselbe Zeit auf Tafeln 
aus der Kassitenperiode im Tempelarchiv von Nippur (Babylonien) 
Ja-u als Gottesname nachgewiesen, was um so weniger zu bezweifeln 
ist, als daneben sich auch die ganz entsprechende weibliche Gottheit 
Ja-ütfumJ ebendort findet. Sicher ist ferner der Name in den aus 
dem achten Jahrhundert stammenden Namen: Azri-ja-a-U und 
Ja-u-bi--di (mit der bedeutsamen Variante Ilu-bi--di) für Nord- 
syrien belegt. 

Dazu kommt noch, daß die nie recht ansässig gewordene, son- 
dern meist nomadisierende Völkerschaft der Keniter zu den Jahwe- 
verehrern gehörte. Das Jahwezeichen, das sie trugen (vgl. Gen. 4, 15 
mit V. 1: Kain = ein Träger des Jahwezeichens, 1. V. 1 y isch 'öt 
Jahwe statt 'i. 'et /.), wies sie als solche aus und schützte sie trotz 
ihrem Nomadisieren bei den Israeliten. Dagegen darf, obschon 
Bileam als Prophet Jahwes gilt, das Volk seiner Heimat (sei diese 
in Aram, Ammon, Edom, Kedem oder Midian zu suchen) nicht zu 
den Jahweverehrern gezählt werden; denn die naive fromme Auf- 
fassung konnte gar nicht anders als dem Volke Israel günstige Er- 
scheinungen und besonders zum Heile Israels wirkende Persönlich- 
keiten auch außerhalb Israels mit Jahwe in Beziehung setzen, eben 
weil Jahwe der Spezialgott Israels war. 

Nach der Spärlichkeit der vorhandenen Notizen über das Vor- 
kommen des Jahwenamens außerhalb Israels und schon vor der Ent- 
stehung des Volkes Israel ist zu schließen, daß Jahwe nirgends einer 
der Hauptgötter gewesen ist; näheres über seine Art läßt sich leider 
nicht feststellen. Vielleicht ist aber doch der Ausgangspunkt des 
Jahwenamens zu bestimmen. Die Keniter haben ihre Heimat im 
nordwestlichen Arabien in der Nähe des Sinai, und dort will doch 
auch Israel mit Jahwe in engste Beziehung getreten sein. Dort wird 
daher der Ausgangspunkt des Jahwenamens zu suchen sein, von dort 
haben ihn aus Arabien auswandernde Stämme oder einzelne An- 
gehörige derselben in ihre neuen festen Wohnsitze, die die einen in 
Babylonien, andere in Kanaan und wieder andere in Syrien fanden, 
mitgenommen. 

Eine hohe Bedeutung hat Jahwe nur bei den Israeliten be- 



172 



Orientalische Sektion: Erste Sitzung. 



kommen. Welches war aber die Auffassung, die sie von ihm in der 
ältesten Zeit besaßen V Die herrschende Meinung geht dahin, daß 
man dieser frühesten Auffassung näher komme, wenn man in den 
ältesten alttestamentlichen Erzählungen auf Elemente und Züge 
achte, die deutlich einer niederen Stufe der Gottesvorstellung an- 
gehören. Aber diese Methode ist abzulehnen: 

Denn sie führt erstens zu den allerverschiedensten Resultaten, 
je nachdem diese oder jene Darstellung vorgezogen wird (Jahwe soll 
ursprünglich ein Nachtdämon, ein Wettergott, ein Vulkangott, eine 
Pestgottheit, eine Schlangen- oder sonstige chthonische Gottheit usw. 
gewesen sein). 

Zweitens verkennt sie den Ursprung dieser alttestamentlichen 
Darstellungen. Denn die niederen Züge und Elemente in denselben 
stammen nicht aus einer Periode einer niedereren Auffassung Jahwes 
in früherer Zeit. Es handelt sich vielmehr um Übertragungen 
von Erzählungen über andere göttliche Mächte auf Jahwe. Ein 
Wandel des Subjekts liegt in diesen Erzähluugen vor, nicht ein 
Überbleibsel einer früheren Auffassung von demselben Subjekte. 
Jahwe hat alle die niederen Gottheiten (Dämonen, Lokalnuinina usw.) 
verdrängt, ihre Funktionen und auch ihre Züge übernommen. Diese 
Erzählungen sind also Dokumente der Absorptionskraft Jahwes 
einerseits und der religiösen Anschauungen, die vor der Verehrung 
des israelitischen Jahwes herrschten, andrerseits. 

Die Richtigkeit dieser Beurteilung der alttestamentlichen Er- 
zählungen wird durch die Analogie bestätigt, welche sowohl die 
Religionsgeschichte überhaupt als auch die spätere Geschichte der 
israelitischen Religion aufweist. So haben die olympischen Götter 
Griechenlands im Kampf gegen die vorgriechischen lokalen Götter, 
die zum großen Teil chthonisch waren, den Kult und die Funktionen 
der verdrängten Götter absorbiert; Zeus, der höchste der Olympier, 
hat die Züge eines finsteren Unterweltgottes angenommen, und Zeus 
lisdlxiog wird sogar als Schlange dargestellt (vgl. Sam. Wide, Chtho- 
nisclie und himmliscJie Göttrr im Archiv für Religionswissenschaft, 
1907, S. 257 ff.). Und bei Jahwe ist dieser Prozeß der Absorption 
der anderen Gottheiten ganz bis zum Ende durchgeführt. Längst 
ist erkannt, wie er Baal aus dem Felde geschlagen und aufgesogen 
und wie er schließlich dank der religiös-ethischen Gotteserkenntnis 
der Propheten den universalen und definitiven Sieg über alle Götter 
der Heiden davongetragen hat. 

Dieser Sieg Jahwes auf der ganzen Linie berechtigt zu der An- 
nahme, daß im Glauben der Israeliten von Anfang an Jahwe nicht 
nur eine besondere Macht und Energie, sondern eine besondere Art 



Vortrag Marti II. 



173 



innewohnte. Läßt sich diese auch nicht genau definieren, so kann 
doch gesagt werden: Jahwe ist von Anfang an bei den Israeliten als 
etwas Höheres aufgefaßt worden als ein gewöhnlicher Dämon, oder 
eine chthonische Gottheit, oder ein bloß lokales Numen, auch als 
Baal und Astarte, die Spender des Segens in Natur und Familie. 
Es dürfte auch nicht so verfehlt sein, wenn man als altes israeli- 
tisches Bekenntnis betrachtet: Jahwe der Gott Israels und Israel das 
Volk Jahwes, und wenn mau dasselbe dahin interpretiert: Jahwe 
galt den Israeliten von Anfang an als eine geistige Gottheit, die da- 
her auch die sozialen Ordnungen und die politischen Schicksale 
seiner Verehrer bestimmte. Was Jahwe vorher war, ehe er der 
Gott Israels wurde, läßt sich vom Alten Testament aus nicht er- 
mitteln. Wie Jahwe zu seiner überragenden Bedeutung kam, ist 
der Tatsache gegenüber, daß er sie bei den Israeliten von Anfang 
an, von dem Zeitpunkt an, da sie ein Volk waren, hatte, eine unter- 
geordnete Frage. Jedenfalls trägt zur Beantwortung derselben der 
imaginäre altorientalische Monotheismus nichts bei, von dem man 
im nordwestlichen Arabien und im Süden Palästinas zur Zeit, da 
das Volk Israel sich bildete, keine Ahnung hatte. Zudem ist auch 
der Gott Israels, so sehr er die Dämonen und andere Gottheiten 
überragte, am Anfang noch lange nicht der eine Gott gewesen. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren E. Kautzsch 
(Halle), E. Littmannn (Straßburg), A. Mez (Basel), C. v. Orelli 
(Basel), A. Fischer (Leipzig) und der Vortragende. 

Derselbe Redner sprach ferner Vermutungen aus über Eine 
rätselhafte hebräische Inschrift anf einer Fahne vom Jahre 
1540. 

Das Berner historische Museum besitzt eine Fahne aus ein- 
fachem Stoffe, über deren Herkunft sich bis jetzt keine urkundlichen 
Nachrichten gefunden haben, deren genaues Abbild aber die Schuh- 
macherzunft in ihrem jüngeren Wappen führt. Die Fahne fällt be- 
sonders deshalb auf, weil sie neben dem Bilde eines Schuhes und 
der Jahrzahl 1540 eine Inschrift in hebräischen Buchstaben auf- 
weist. Die Bemalung auf der Rückseite stimmt mit der Vorderseite 
aufs genaueste überein, und zwar so, daß man auf derselben nur die 
Rückansicht der Bemalung * erhält , also z. B. die hebräischen Buch- 
staben der Inschrift nun von links nach rechts gerichtet sieht. Die 
Farbe der Bemalung für den Schuh ist schwarz, für Jahrzahl und 
Inschrift rot. 

Ein Zweifel, daß die Inschrift wirklich hebräische Buchstaben 
enthält, ist unmöglich; die Buchstabenformen stimmen durchaus zu 
der Jahrzahl 1540, da sie dem damals in deutschen Landen 



174 



Orientalische Sektion: Erste Sitzung. 



üblichen hebräischen Typus entsprechen. Auch kann man im ganzen 
über die Lesung der einzelnen Buchstaben nicht streiten; sie sind zu 
lesen: mbn TT EX TO "X. Nur sind dem Maler das erste "\ das 
bald darauffolgende 1 und das r übel geraten, so daß man bei letz- 
terem gar wohl auch an die Lesung als n denken kann. Gleichfalls 
ist nicht sicher, ob bei dem zweitletzten Buchstaben nicht vielleicht 
ein 2 geraeint sei. 

Trotz dieser großen Sicherheit in der Lesung der einzelnen 
Buchstaben bleibt die Deutung der Inschrift schwierig, vor allem 
deshalb, weil mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß sich hinter 
den hebräischen Buchstaben eine Inschrift in anderer, vielleicht 
deutscher Sprache verbirgt. Ferner können Abkürzungen vorliegen, 
auf welche Punkte zwischen einzelnen Buchstaben hinzuweisen 
scheinen. 

Herr A. L. Frankenthal, Konsul der Vereinigten Staaten in 
Bern, der sich für die Fahne lebhaft interessierte und an eine Menge 
von Philologen die Bitte um Lösung des Rätsels richtete, hat daher 
auch die allerverschiedensten Antworten erhalten. Sie lassen sich in 
drei Gattungen gruppieren: 

die erste deutet die Fahne als Jahrmarkts- oder überhaupt 
als Geschäftsschild eines jüdischen Schuhmachers mit ent- 
sprechender Aufschrift; 

die zweite sieht darin die Fahne einer Schuhmacherzunft und 
sucht demgemäß auch die Inschrift zu deuten; und 

die dritte legt der Fahne eine historische Bedeutung bei. 
Meiner Ansicht nach sind die beiden ersten Erklärungsversuche 
unbegründet und darum aufzugeben. Gegen die erste Gattung spricht 
schon das Vorhandensein einer Jahrzahl; dann aber ist auch nicht 
einzusehen, wie ein Kaufmann oder Schuhmacher außerhalb eines 
jüdischen Ghettos dazu kommen sollte, einen Schild in hebräischen 
Lettern zu wünschen. Für die zweite Gattung spricht nichts als die 
späte Tradition der Schuhraacherzunft in Bern, dagegen aber alles, 
sowohl die Form des Schuhes als auch die hebräische Inschrift. Die 
Lösung wird nur auf dem Wege, auf dem die dritte Gattung sich 
bewegt, zu finden sein. Denn das Bild des Schuhes zeigt deutlich 
den Bundschuh, und es ist bekannt, däß die Bauern in den Auf- 
ständen am Anfang des 16. Jahrhunderts auf ihren Fahnen neben 
dem Bundschuh bisweilen hebräische Inschriften anbringen ließen, 
wohl in dem Glauben, daß von den geheimnisvollen Buchstaben eine 
besondere Kraft ausgehe und den um die Fahne sich Scharenden 
zum Siege verhelfe. Die Jahrzahl scheint allerdings dieser An- 
nahme nicht günstig: doch sind für das Jahr 1Ö40 größere täuferische 



Vortrag Fischer. 



175 



Unruhen im bernischen Münstertal nachgewiesen, mit denen vielleicht 
die Fahne in Verbindung gebracht werden kann. Aber auch so ist 
eine allseitig befriedigende Lösung noch nicht gelungen. Ich habe in 
Analogie zu einer Fahneninschrift aus den Bauernkriegen, welche 
in hebräischen Lettern und Worten „Käse und Brot" lautet, die 
Lesung vorgeschlagen: [□"'Ja 32n "p"0 Ü55 133 "IE, d. h. „Rind, 
Kleid, Feuer wie Wein, Milch, Wasser". Aber den Sinn dieser Worte, 
der irgendwie die Forderungen der Aufständischen angeben sollte, 
kann ich nicht sicher enträtseln, und ich gebe zu, daß meine Lesung 
den Punkten zwischen einigen Buchstaben keine Rechnung trägt; 
auch halte ich es natürlich nicht für ausgeschlossen, daß vielleicht 
einer deutschen, eventuell lateinischen Lesung der Buchstaben 
PRBGD.A.S (ev. Sch). KIINT (oder Ch) LB (oder K) M. die glück- 
liche Lösung des Rätsels gelingt. 

Die Diskussion über das vorgelegte Thema wurde wegen vor- 
gerückter Zeit auf die folgende Sitzung verschoben. 

Zweite Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, morgens 9 Uhr. 
Vorsitzender: Dr. H. Keller. 

An der Diskussion zu Herrn Prof. Martis Vortrag über Eine 
rätselhafte Inschrift auf einer Fahne vom Jahre 1540, beteiligten 
sich die Herren C. v. Orelli (Basel), Ed. Mahl er (Budapest), 
C. Steuernagel (Halle a. S.), L. E. Iselin (Riehen), A. Fischer 
(Leipzig), K. Marti (Bern). 

Prof. Dr. A. Fischer (Leipzig) spricht über den Plan eines zeit- 
gemäßen Wörterbuchs des älteren Arabisch. 1 ) Er zeigt, daß die 
vorhandenen abendländischen Wörterbücher des Arabischen, besonders 
auch die der älteren Sprache, berechtigten Ansprüchen in keiner Weise 
genügen, schon deshalb nicht, weil sie nicht auf der vorhandenen 
Literatur selbst, sondern auf den, an sich allerdings sehr wertvollen, 
einheimischen Wörterbüchern aufgebaut sind. Unter „älterem 44 Ara- 
bisch versteht er im wesentlichen die Sprache der Poesie bis zum 
Untergang der Omaijaden, die des Korans, des Hadith (der Über- 
lieferung über den Propheten und die vier ältesten Kalifen) und die 
der ältesten Historiographie. Er verlangt ein bloßes Wörterbuch und 
keinen erschöpfenden Thesaurus, weil für einen solchen weder die 

1) Der Vortrag wird in ausführlicher Gestalt in der Zeitschrift der 
Deutschen Morgenländischen Gesellschaft erscheinen. 



176 



Orientalische Sektion: Zweite Sitzung. 



nötigen Kräfte noch die nötigen Geldmittel vorhanden sein würden. 
Zeitgemäß würde ein solches Wörterbuch nur sein, wenn es, ab- 
gesehen von anderen, die folgenden Erfordernisse berücksichtigt: 

1. jedes Wort und jede Bedeutung muß aus der Literatur belegt sein; 

2. gleichlautende Etyma müssen sorgfältig unterschieden werden und 
die Anordnung der verschiedenen Bedeutungen eines und desselben 
Etymons muß nach genetisch-historischem Prinzip erfolgen: 3. der 
Ursprung der Fremdwörter muß nach Möglichkeit festgestellt werden. 
Prof. Fischer denkt das Wörterbuch nicht allein, sondern in Ver- 
bindung mit anderen Gelehrten ins Leben zu rufen, und zwar unter 
Verwertung der von früheren Arabisten (in erster Linie Fleischer und 
Thorbecke) hinterlassenen lexikalischen Sammlungen. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren E. Kautzsch 
(Halle a. S.), E. Littmann (Straßburg), H. Keller (Basel). 

Den folgenden Vortrag hielt Prof. D. C. vonOrelli (Basel) über 
das Thema Zur Metrik der hebräischen Prophetenschriften. A ) 

Der Schlüssel zur Metrik der alttestamentlichen Gesänge und 
Gedichte ist seit Jahrhunderten gesucht worden. Aber erst in den 
letzten Jahrzehnten kam man der Wahrheit näher durch die Erkennt- 
nis, daß der hebräische Sänger zwar nicht eine sorgfältig abgezählte 
Reihe von langen und kurzen Silben zur Verszeile zusammengestellt 
hat, wie der arabische oder griechische oder lateinische Dichter, wohl 
aber einen regelmäßigen Wechsel von Hebungen und Senkungen, be- 
tonten und unbetonten Silben, beabsichtigte. Dabei darf aber nicht 
übersehen werden, daß nicht die Zahl der Silben überhaupt, sondern 
nur die der Hebungen ins Gewicht fällt, indem beim Singen wie beim 
Lesen eine kleine oder größere Zahl von Silben und Wörtern in der 
Schwebe bleiben, bzw. zur Senkung gehören kann. Gerade diese 
Fähigkeit der Zeilen, sich zu dehnen oder zusammenzuziehen, bewahrt 
den Vortrag vor einer ermüdenden Eintönigkeit. 

Noch anders verhält es sich bei den Sprüchen und Reden der 
Propheten. Auch diese zeigen mehr oder weniger lyrischen Charakter. 
Von alters her waren Prophetie und Poesie verwachsen, die alten Gottes - 
und Schicksalssprüche hatten meist poetische Fassung. Auch in den 
eigentlichen Prophetenreden begegnet uns poetisch gehobene Sprache, 
es erscheint das Wahrzeichen hebräischer Lyrik: der „Parallelismus 
membrorum", es herrscht ein melodischer Tonfall. Allein es liegt in 
der Natur der Sache, daß diese Volksredner sich freier bewegten als 



1) Der Vortrag ist ausführlicher gedruckt als Anhang zum Kom- 
mentar des Genannten zu den Zwölf Kleinen Propheten, 3. Aufl., 
München 1908. 



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Vortrag v. Orelli 



177 



die an eine Melodie gebundenen Sänger oder die Kunstdichter wie die 
Verfasser des Hiob oder der Klagelieder oder des Hohenliedes. Eine 
Parallele bietet in dieser Hinsicht Mohammed. Seine Koransprüche, 
namentlich die aus der ältesten Zeit, sind auch in einem gewissen 
Rhythmus geschrieben, d. h. die Sätze bewegen sich in einer feier- 
lichen Gemessenheit und klingen oft sogar in Reim aus. Mohammed 
selbst wie seine Verehrer haben auf die poetische Schönheit dieser 
Sprüche das größte Gewicht gelegt und darin ein Kennzeichen höherer 
Inspiration erblickt. Allein an die komplizierten Metren der da- 
maligen arabischen Dichter hat er sich nicht gehalten. Selbst wenn 
er es gekonnt hätte, würde er es unterlassen haben. Er verwahrt 
sich ausdrücklich dagegen, ein Dichter zu sein, da sonst seine Aus- 
sprüche als Kunstprodukt erschienen wären. 

Abzuweisen sind daher die neueren Versuche, den israelitischen 
Prophetenreden ein strenges Metrum aufzunötigen. Dadurch wird 
man genötigt, zusammenhängende Reden in lauter kleine Segmente 
zu zerschneiden (so Giesebrecht, Jeremias Metrik 1905) und über- 
dies sonst unmotivierte Textänderungen vorzunehmen. Läßt man 
vollends dem Jeremia nur ein Metrum wie Prof. Duhm (Komm, zu 
Jeremia 1901, Übersetzung 1903), so fallen oft die wichtigsten und 
wuchtigsten Worte der kritischen Schere zum Opfer und es bleibt 
statt des Propheten nur ein Elegiendichter. Aber auch das neuer- 
dings beliebte metrische System von Prof. Sievers ist bei aller An- 
erkennung der Anregungen, die dieser geniale Metriker durch seine 
ausdauernde Arbeit auf dem ihm von Haus aus fremden hebräischen 
Sprachgebiete gegeben hat, nicht imstande, eine befriedigende Lösung 
zu geben. 

Dies weist der Vortragende speziell an dem Beispiel der me- 
trischen Konstruktion des Arnos nach, welche Sievers und Guthe 1907 
gegeben haben. Nicht nur entsteht nach dieser Theorie keine ein- 
leuchtende metrische Harmonie, sondern es wird auch die unver- 
kennbare hebräische Rhythmik (Parallelismus membrorum u. dergl.) 
durch ein fremdartiges System zerstört, die Texte werden willkürlich 
geändert, die Silben und Wörter unnatürlich betont, die zusammen- 
gehörigen Satzglieder unerträglich auseinandergesprengt usf., wie es 
bei einem ernsthaften Vortrag ganz unstatthaft war. Die Propheten 
sind nicht in erster Linie Schriftsteller, sondern Volksredner, welche 
frei vor der Menge ihre Sache ausfochten; da darf ihnen eine solche 
Zwangsjacke nicht angelegt werden. Jede Theorie, die ihnen verböte, 
von einem Tonfall in den andern, von Poesie zu Prosa überzugehen 
und umgekehrt, ist unbrauchbar. Daß Sievers (wie übrigens auch 
Giesebrecht) ganz prosaische Sätze und Abschnitte in seinem Metrum 

Verhandlungen d. 49. Vera. dentBcher Philol. u. Schulni. 12 



178 



Orientalische Sektion: Zweite Sitzung. 



zu lesen vermag, erweckt zu diesem wenig Vertrauen. Seltsam wäre 
auch, daß nicht erst die Masorethen von dieser Betonung keine 
Ahnung gehabt hätten, sondern schon die Schriftkundigen, die im 
Text Erweiterungen angebracht haben sollen, nichts davon wußten. 
Denn diese Zerstörung der Gedichte müßte schon lange vor der 
alexandrinischen Übersetzung begonnen haben, also zu einer Zeit, 
wo die hebräische Poesie noch in Blüte stand. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren K. Marti (Bern), 
E. Kautzsch (Halle), A. Fischer (Leipzig). 

Der letzte Vortrag, von Pfarrer J. Wirz (Benken b. Basel ge- 
halten, galt Tähirs Tod. *) 

Der Perser Tähir b. al Husain war von dem 'Abbäsidenchalifen 
Ma'mün, dem er seinerzeit durch Besiegung und Tötung seines Bruders 
und Gegenchalifen Emln auf den Thron geholfen, zum Statthalter über 
Chorasan gesetzt worden, und zwar auf die Fürsprache des von ihm 
bestochenen Wesirs hin, der dem mißtrauenden Chalifen für ihn 
garantierte. Aber wenig über ein Jahr in seinem Amte in Merw, 
kündete Tähir dem Chalifen den Gehorsam, indem er an einem Freitag 
in der Moschee das Chalifengebet ausließ. Er wurde aber an seinem 
Vorhaben, Persien unabhängig zu machen, durch plötzlichen Tod ver- 
hindert, im Alter von kaum 47 Jahren, i. J. 207/822. 

Die gewöhnliche Darstellung seines Todes ist die Erzählung des 
Postmeisters Kultüm b. Täbit, der, nachdem er jenem Gottesdienst 
beigewohnt, sich auf seinen Tod durch Tähir vorbereitet und sodann den 
Bericht von der Auslassung des Gebets an den Hof nach Bagdad ab- 
schickt. Nach dem Nachmittagsgebet wird er von Tähir gerufen, 
sieht aber, wie er eintritt, diesen tot umfallen, und meldet dann in 
einem zweiten Schreiben seinen Tod. Diese Darstellung, in den 
meisten der größeren arabischen Geschichtswerke enthalten, stammt 
aus dem Kitäb Bagdad des Ahmad b. abi Tähir Taifur (wird eben 
herausgeg. von Hans Keller, Basel). 

Sie ist nicht zu halten — ein unwahrscheinliches, theatralisch 
aufgeputztes Sensationsstück. Wäre Tähir in dieser auffälligen 
Weise gestorben, so wäre es undenkbar, daß alle die anderen Be- 
richte rein nichts davon wissen. Und warum soll Tähir, der leiden- 
schaftslose, kalt berechnende Realpolitiker, den Postmeister töten, 
nachdem dieser seinen Bericht abgeschickt? Wenn er einen solchen 
hätte verhindern wollen, so hätten ihm gescheitere Mittel zu Gebote 
gestanden. 

1) Der Vortrag ist ein Stück aus einer Dissertation: „Zur Geschichte 
der Tähiriden", die demnächst der philos. Fakultät der Universität von 
Basel eingereicht werden soll. 



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Vortrag Wirz. 



179 



Das Kitäb Bagdad selbst bietet noch drei andere Darstellungen 
über den Tod Tähirs: Zunächst eine zweite vom selben Postmeister, 
wonach dieser seine Meldung an Ma'mün genau im Moment des Todes 
Tähirs will geschrieben haben — im Widerspruch mit seiner ersten 
Darstellung. Aus der zweiten geht auch hervor, daß der Postmeister 
oder seine Familie sich durch ihre Erzählung den spätem 'Abbäsiden 
einfach als treue Anhänger und Märtyrer empfehlen wollten, um ein 
Amt zu bekommen. Dann noch zwei sehr glaubwürdige Berichte 
aus der tshiridischen Familientradition, wonach Tähir an einem 
Morgen unerwartet tot auf seinem Bette gefunden wurde. Dadurch 
wird die ganze Darstellung des Postmeisters widerlegt. Aber selbst 
dessen Persönlichkeit ist sehr fraglich. Im Kitäb al Agäni hat er 
einen ganz anderen Namen und wird auch die Sache ganz anders 
erzählt, obschon dessen Verfasser das Kitäb Bagdad gekannt und 
benutzt hat, und zwar viel natürlicher. 

Höchst beachtenswert sind die zwei Umstände, daß — auch 
nach dem Bericht des Kitäb Bagdad — der Wesir, als der erste Brief 
des Postmeisters mit der Nachricht von der Rebellion Tähirs an den 
Hof kommt: 1. sofort von Ma'mün nach Chorasan geschickt wird, 
um die Sache wieder in Ordnung zu bringen, und 2. den Chalifen 
inständig und lange bittet, die Abreise noch ein wenig aufschieben 
zu dürfen — bis dann die Todesnachricht kam. Er muß also auf 
baldigen Tod Tähirs haben hoffen können, d. h. er muß dafür vor- 
gesorgt haben für den Fall der Empörung. Überhaupt, wenn man 
am Hofe den Tod Tähirs nicht sicher hätte erwarten können, so hätte 
es keinen Sinn gehabt, . nach erfolgter Empörung den einzigen Wesir 
— und nicht etwa ein Heer — nach Chorasan abzuschicken. Die 
genannten beiden Angaben sind deshalb so bedeutsam, weil sie in 
diese Darstellung, die nichts von einem vereinbarten gewaltsamen 
Tod Tähirs sagt, gar nicht passen. Sie sind also festgebliebene Über- 
bleibsel des wahren Sachverhalts. Schon aus dieser Darstellung er- 
gibt sich darum der zwingende Schluß, daß der Tod Tahirs vom 
Wesir, im stillschweigenden Einverständnis des Chalifen, vorbereitet 
war und dann wohl durch seine Werkzeuge in Chorasan bewerk- 
stelligt wurde. 

Zum Überfluß haben wir dafür aber noch direkte Zeugnisse. 
Vor allem das des bei den Tähiriden in Chorasan lebenden und mit 
deren Geschichte sehr vertrauten Ibn Wadih al Ja'kübi, dessen Ge- 
schichtswerk noch etwas älter ist als das Kitab Bagdad. Nach ihm 
ist Tahir vergiftet worden auf Veranlassung des Wesirs Und ähnlich, 
aber aus anderen Quellen, dann alle Geschichtsschreiber aus der Zeit, 
wo die 'Abbäsiden nicht mehr zu fürchten waren. Sämtliche Nach- 

12* 



180 



Orientalische Sektion-. Zweite Sitzung. 



richten über die Art des Todes Tähirs haben die Vergiftung, mit der 
einzigen Ausnahme des Kitab Bagdad, dessen Darstellung dann aller- 
dings — durch den Hofhistoriographen Tabari — die größte Ver- 
breitung erlangt hat. 

Die Motive, die Vergiftung zu verschweigen, liegen auf der 
Hand. Die Darstellung ist einfach die offizielle. Die 'Abbäsideu 
und die Tähiriden hatten später einander bitter nötig, und so mußte 
beiden alles daran gelegen sein, jenen bösen Fleck in dem Verhältnis ihrer 
Vorfahren zu vertuschen. So bemüht sich denn der ebenso c abbäsiden- 
wie t&hiridenfreundliche Verfasser des Kitäb Bagdad auch noch in 
anderen Partien, das Verhältnis Ma'müns zu Tähir, gegen alle ver- 
bürgten Tatsachen, als ein freundliches und vertrauensvolles darzu- 
stellen, und noch mehr Tabari. In Wahrheit war aber schon lange, 
bevor Tähir durch List Chorasan erhielt, das Verhältnis zwischen 
ihm und Ma'mün das gegenseitigen Mißtrauens und völliger Ent- 
fremdung (dies gegen M. J. de Goeje in einem Vortrag über die 
„Geschichte der 'Abbäsiden von al Ja'kübi" am Internat. Orienta- 
listenkongreß in St. Petersburg 1876), so daß es von vornherein 
höchst unwahrscheinlich wäre, daß Ma'mün dem Tähir den wichtigen 
Posten sollte anvertraut haben, ohne zugleich Maßnahmen zu seiner 
eventuellen Unschädlichmachung zu treffen. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 



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Mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion. 

Erste Sitzung. 

Mittwoch, den 25. September 1907, vormittags 9 Uhr. 

Prof. Dr. H.Veillon (Basel) eröffnete die Sitzung. ZuVorsitzen- 
den wurden gewählt: Prof.Dr.H-Veillon, Priv.-Dozent Dr. 0. Spieß; 
zu Schriftführern: Dr. 0. Mautz, M. Knapp (sämtlich aus Basel). 

Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. F. Klein (Göttingen) machte einige Mit- 
teilungen über die Vorschläge der Unterrichtskommission deutscher 
Naturforscher und Ärzte für die wissenschaftliche Ausbildung der 
Lehramtskandidaten der Mathematik und Naturwissenschaften. 

Darauf hielt Prof. Dr. F. Rudi o (Zürich) einen Nachruf anf 
Priedr. Hnltsch. 1 ) 

Er gab darin eine kurze Übersicht über den Lebenslauf dieses 
um die Geschichte der griechischen Mathematik so hochverdienten 
Gelehrten, der von 1833 — 1906 in Dresden gelebt und gewirkt hat 
und 1868 — 1889 Rektor der altehrwürdigen Kreuzschule gewesen 
war. Bei der erstaunlichen Vielseitigkeit von Hultsch und der 
Fülle seiner Arbeiten auf dem Gebiete der Philologie, der Metro- 
logie und der Geschichte der Mathematik beschränkte sich der Vor- 
tragende auf eine eingehende Würdigung der klassischen von Hultsch 
besorgten Ausgabe des Alexandriners Pappus. Der Vortragende 
schloß seinen Nachruf mit folgenden Worten: „Das Urteil, in das 
einst Moritz Gantor seine Besprechung der Pappusausgabe zu- 
sammengefaßt hat, darf auch heute wiederholt werden: Hultsch 
hat uns mit einer klassischen Ausgabe eines klassischen Schriftstellers 
beschenkt. Und so glaube ich auch keinem Vorwurfe zu begegnen, 
wenn ich mich so lange bei diesem Meisterwerke aufgehalten habe. 

Es geschah übrigens auch nicht ohne eine gewisse Nebenabsicht: 
Wir leben, meine Herren, in einer Zeit des pädagogischen Kampfes. 
„Hie klassische Sprachen!" tönt es auf der einen, „hie Mathematik 

1) Der Vortrag bildet nur einen Bestandteil einer ausführlichen 
Biographie, die im 8. Bande der Bibliotheca mathematica erscheinen wird. 



182 Mathematiach-naturwigsenschaftl. Sektion: Erste Sitzung. 



uud Naturwissenschaften!" auf der andern Seite. Aber wir leben 
nicht nur in einer Zeit des Kampfes, sondern auch in einer Zeit des 
Ausgleiches und der Verständigung. Und der Verständigung sollen 
namentlich auch die großen wissenschaftlichen Kongresse dienen und 
ganz besonders vielleicht die diesjährige Basler Versammlung. Es 
ist nun kein geringes Verdienst von Friedrich Hultsch, ein großes 
und schönes Gebiet erschlossen zu haben, auf dem sich Philologen 
und Mathematiker zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden können, 
zur Arbeit auch im Dienste der Schule. Die Gegensätze zwischen 
humanistischer und realistischer Bildung werden in dem Maße 
schwinden, in dem die Erkenntnis wächst, wie sehr einerseits die 
Kultur der Griechen in den Realien begründet war und wie anderer- 
seits unsere mathematische Wissenschaft, und zwar nicht nur die 
sogenannten Elemente, griechischem Geiste entsprungen ist. 
Daß diese Erkenntnis sich immer mehr Bahn bricht, dafür darf ich 
vielleicht als Beispiel auf das Lesebuch von Ulrich v. Wilamowitz 
hinweisen. Aber die Gegensätze müssen von beiden Seiten her aus- 
geglichen werden. Und die Mathematiker werden das können, wenn 
sie in erhöhtem Maße nicht nur der Geschichte ihrer Wissenschaft, 
sondern auch der Sprache, die sie darin reden, ihr Interesse zuwenden. 
Die Wege hierfür geebnet zu haben, das ist auch ein Vermächtnis, 
das uns Friedrich Hultsch in seinem Lebenswerke hinterlassen hat." 

Oberlehrer E. Brocke (Zabern) besprach sodann Die neue 
Schul matheinatik in methodischer Hinsicht. 

Der Vortragende begann mit einer kurzen Darstellung des bis- 
herigen Verlaufs und des gegenwärtigen Standes der Diskussion über 
die Vorschläge der Breslauer Unterrichtskommission der Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Arzte. Er hob insbesondere die Wen- 
dung hervor, welche diese Diskussion durch das Eingreifen von Pro- 
fessor Dr. Max Simon genommen hat. Dann überreichte er den 
von ihm verfaßten Artikel : „Die Frage der Neugestaltung des mathe- 
matischen Unterrichts und die Straßburger Vorschläge von 1895" 
(Zeitsdir. f. math. u. nat. Unterr., 38. Jahrg. 1907, S. 375 — 384), 
worin die genannte Wendung festgestellt, auf die Bedeutung der 
Straßburger Vorschläge von 1895 als Vorläufer der 
Meraner Vorschläge hingewiesen und zugleich der Versuch ge- 
macht wird, für die Weiterentwicklung der Reformbewegung eine 
gewisse Orientierung zu gewinnen. Als Straßburger Vorschläge von 
1895 werden vom Verfasser die Vorschläge von Max Simon be- 
zeichnet, welche in dessen „Didaktik und Methodik des Rechnen- und 
Mathematikunterrichts" enthalten sind. Dieselbe erschien als Sonder- 
ansgabe aus Dr. A. Baumeisters „Handbuch der Erziehungs- und 



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Vortrag Brocke. 



183 



Unterrichtslehre für höhere Schulen", München 1895. Es sei hinzu- 
gefügt, daß von diesem Werke Simons inzwischen die zweite, um- 
gearbeitete und vermehrte Auflage herausgekommen ist (München 1908). 

Auf Grund des Ertrags der bisherigen Diskussion formulierte 
der Vortragende sodann das Problem eines einheitlich gestal- 
teten Aufbaues des mathematischen Unterrichts und be- 
zeichnete als das Ziel der methodischen Arbeiten die Auf- 
stellung eines Systems der Schulmathematik. In diesem Sinne 
kann man sagen: Die neue Schulmathematik besitzen wir 
noch keineswegs. 

Eine genauere Betrachtung der Lösbarkeit des aufgestellten 
Problems ergibt die Notwendigkeit einer Neugestaltung von 
Grund aus. Die allgemeinen Prinzipien der Meraner Vorschläge 
der genannten Breslauer Unterrichtskommission bedürfen, wie näher 
ausgeführt wurde, noch weiterer Ausgestaltung, insbesondere in grund- 
legender Hinsicht. Der Vortragende empfiehlt hierfür dasfunktions- 
erzeugende Prinzip der Abbildung oder des Entsprechens. 
Dieses Prinzip umfaßt, ebenso wie das Funktionsprinzip selbst, Geo- 
metrie und Arithmetik; für die Geometrie spezialisiert es sich als 
das der Benutzung symmetrischer Beziehungen, in der Arithmetik 
als das der Benutzung der Beziehungen zwischen Größen (Mengen) 
und Zahlen. Das Symmetrieprinzip hat der Vortragende vor 
kurzem im Zusammenhange mit den aktuellen Unterrichtsfragen und 
den Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie hinsichtlich 
seiner Bedeutung für den genetischen Aufbau, insbesondere dessen 
Grundlegung, einer eingehenden Untersuchung und Würdigung unter- 
zogen. Diese Abhandlung „Über die Benutzung symmetrischer Be- 
ziehungen im geometrischen Unterricht", welche als Programmbeilage 
erschien (Münster i. Eis. 1907), wurde ebenfalls vorgelegt. Was 
den arithmetisch-algebraischen Unterricht betrifft, so ist der Vor- 
tragende den Fachgenossen t eine nähere Darlegung des angeführten 
Prinzips vorderhand noch schuldig. 

Nach einigen Bemerkungen über den weiteren Aufbau der 
Schulmathematik faßte der Vortragende das Ergebnis in einem Aus- 
blick auf die Arbeiten der nächsten Zukunft zusammen. 

„Hatte bei der Abfassung der Meraner Vorschläge die Hoch- 
schule die Führung — und, ich will es ausdrücklich hervorhebe^ 
ihrer Initiative bleiben wir Schulmänner stets aufrichtigen Dank 
schuldig — , so heißt es nunmehr für die Schule, Herr im eigenen 
neuen Hause zu werden." 

Die Diskussion wurde benutzt von den Herren: F. Klein (Göt- 
tingen), P. Bode (Frankfurt a.M.), Weill (Gebweiler), M. Groß- 



184 Mathematisch-naturwissenschaftl. Sektion: Erste Sitzung. 



mann (Zürich), K. Von der Mühll (Basel), K. Geißler (Ebikon 
b. LuzernV 

Dann sprach Dr. E. Huber (Bern) über Mathematische Be- 
handlung der Elektronentheorie im Gymnasialunterricht. 

Noch vor etwa zehn Jahren mußte die Einführung der magne- 
tischen Kraftlinien in den physikalischen Unterricht eigentlich er- 
kämpft 1 ) werden. Heute dürfte die Erklärung z. B. der Dynamo- 
maschine mit Ringanker ohne Zuhilfenahme der magnetischen Kraft- 
linien kaum mehr vorkommen, wenigstens auf der Stufe des Gym- 
nasiums. Ich meine nun durchaus nicht, daß für die Behandlung 
der Elektronentheorie in der Schule auch schon, geschweige denn so 
zwingende, Gründe vorhanden seien, wie es für die Lehre von den 
Kraftlinien der Fall ist. Im Gegenteil, diese neue Theorie gehört 
noch nicht in das Pensum des Gymnasiums. Aber bei dem Interesse, 
das viele junge Leute heute der Elektrizitätslehre entgegenbringen, 
ist es für den Physiklehrer wünschenswert, gelegentlich, etwa als 
Beantwortung einer Frage, auf Grund der neuen Anschauungen eine 
plausible Antwort mit Hilfe der in der Schule zur Verfugung stehen- 
den mathematischen Mittel geben zu können. 

Daß eine solche Behandlung auch dieses Gebietes möglich ist, 
hat der geniale Förderer der Elektronentheorie, Herr Professor 
H. A. Loren tz in Leiden, selbst gezeigt in seinem Vortrag 8 ) vor 
dem elektrotechnischen Verein in Berlin (20. 'Dez. 1904) „Ergeb- 
nisse und Probleme der Elektronentheorie" und nun auch in dem 
kürzlich deutsch erschienenen zweiten Band seines Lehrbuches der 
Physik. 

Die Wirkung eines elektrischen Feldes auf ein Elektron; die 
Erklärung der Induktionswirkung in einem Draht, der sich durch 
ein magnetisches Feld bewegt; die Ladung und Masse eines negativen 
Elektrons; die verschiedenen Strahlenarten; die Zeemannsche Er- 
scheinung. Diese Kapitel behandelt Herr Lorentz in dem Lehrbuch, 
wenn auch nur kurz skizzierend, so doch recht anschaulich. In seinem 
erwähnten Vortrage hatte er auch die Formel für die Leitung der 
Elektrizität in Metallen elementar abgeleitet, nicht jedoch die Formel 
von Drude 8 ) für die Wärmeleitung. 

Nun gehört aber gerade das Verhältnis dieser Leitfähigkeiten 
in Metallen zum Wunderbarsten, was die Elektronentheorie, im 
Gegensatz zu den bisherigen Theorien, abzuleiten vermag. 

1) Zeitschrift für den phys. u. ehem. Unterr. VIII, S. 233. 

2) Elektrotechn. Zeitschrift 1905, S. 656 ff. und S. 584 ff. 

3) Annalen der Physik, IV. Folge I, S. 574. 



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Vortrag Huber. 



185 



Ich möchte mir daher den Versuch erlauben, die Drudesche 
Formel mit einfachen Mitteln abzuleiten: 

AB CD stelle ein Metallstück dar von der Länge AB = X, 
und dem Querschnitt 00 = 1 cm 2 . 

In A herrsche die Temperatur T u in B die Temperatur 2',, 
so daß das Temperaturgefalle auf der Strecke X den Wert T 4 — T a hat. 

Wir nehmen nun an, daß die Wärmeleitung in dem Metall- 
draht nur durch die Stöße der Elektronen vermittelt werde, daß die 
ponderablen Atome bei ihrer Bewegung um ihre Gleichgewichtslagen 
sich nicht stoßen, also keine Energie übertragen. Dagegen die 
Elektronen werden mit großen Geschwindigkeiten zwischen den 
Metallatomen hin- und herfliegen und zwar in zickzackförmigen 
Linien, da sie immer wieder von den Metallatomen angehalten, nach 
einer anderen Richtung getrieben werden: und so geben sie nach und 
nach Energie ab, wegen des Temperaturgefälles von A nach B mehr 
als von B nach A. Sie sind also die Veranlassung zur Wärme- 
leitung. Zur Vereinfachung werde angenommen: die Stöße erfolgen 
in gleicher Zahl parallel den drei Hauptrichtungen der Jt-, der Y- 
und der Z- Achse. Dann entfallen normal auf den Querschnitt 00 
nur \ der ganzen Zahl Elektronenstöße in dem betrachteten Metall- 
stück AB CD. 

N sei die Anzahl der Elektronen in 1 cm 5 , also entfallen auf 
AB CD total NX Elektronen. 

Setzt man die in der Zeit % zurückgelegte mittlere freie Weg- 
länge der Elektronen (AB) — A, so trägt noch folgende (mir von 
Herrn Dr. A. Einstein in Bern empfohlene) Annahme sehr zur Ver- 
einfachung bei, nämlich: die Elektronenstöße sollen nur zu den 
Zeiten <>, t, 2r, 3r, . . . erfolgen. 

Danach gehen in der Zeit r durch den Querschnitt 00, von 

NX 

links und von rechts gleich viel, im ganzen — Elektronen hindurch. 
Die Anzahl der in einer Richtung in der Zeit r durch den Quer- 
schnitt transportierten Elektronen ist also ~ '• 

Dabei besitze jedes Elektron im Raum AOOD die mittlere 
Energie L ly im Raum BOOC die mittlere Energie i 2 , wobei 
L x > L s (wegen des Temperaturgefälles). 

Es ist also die lebendige Kraft wirksam nach rechts -f — ^— 1 , 

nach links — ^ • 

Die in der Zeit x zur Wärmeleitung dienende Energie durch 
den Einheitsquerschnitt 00 geführt ist folglich %NX(L t — L t ). 



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186 Mathematisch-naturwissenschaftl. Sektion: Erdte Sitzung. 



In der Zeiteinheit (l Sek.) ist diese Energie 

g = 4 4- <») 

Hierbei ist die für die Wärmeleitung im Gegensatz zur Elek- 
trizitätsleitung notwendige Voraussetzung 1 ) innegehalten, daß die in 
dem betrachteten Metallstück (AB CD) überhaupt vorhandene An- 
zahl der Elektronen durch die Erwärmung nicht geändert wird, und 
also die Wärmeleitung nach den Grundsätzen der kinetischen Gas- 
theorie berechnet werden kann. Diese Grundsätze lauten: 

In jedem Gas ist die mittlere kinetische Energie eines Moleküls 
der absoluten Temperatur proportional. 

Bei einer bestimmten Temperatur T hat diese mittlere Mole- 
kularenergie 8 ) für alle Gase denselben Wert aT. 

Bezeichnet man das Temperaturgefälle für 1 cm mit T\ so ist 
offenbar T x — T, — X • T und 

L x - L t - a • X • T\ (2) 

Aus (1) und (2) folgt 

Qt = ~N- aXT ■ (3) 

x 

- , die mittlere Geschwindigkeit der Elektronen, wird mit u be- 
zeichnet, also kommt 

e = j^ar«. (4) 

Nun ist die Wärmeleitfähigkeit (x) diejenige Wärmemenge (in 
Erg), welche pro Sekunde durch 1 cm 2 durchfließt, falls in der 
Richtung senkrecht zu dem betrachteten Flächenelement ein Tempe- 
raturgefälle von 1 0 C pro 1 cm besteht. 

Es ist also 

x-i-Nlatt (5) 

(Wärmeleitfähigkeit). 
Nach der Ableitung 8 ) des Herrn Lorentz ist die elektrische 
Leitfähigkeit 

laT • W 

wenn s = Elektrizitätsmenge, welche in 1 Sekunde 1 cm 2 durch- 
fließt, wenn in der Richtung der Normalen eine elektrische Kraft 1 
wirkt. 



1) Annalen der Physik, IV. Folge I, S. 573. 

2) L. Boltzmann, Gastheorie I, S. 77. 

3) Elektrotechn. Zeitscbr. 1905, S. 586 (wurde mündlich vorgetragen). 



Vortrag Huber. Resolution. 



187 



t Ladung eines Elektrons, 
N Anzahl der Elektronen in 1 cm 



3 



Aus (5) und (6) folgt: 



Diese Formel enthalt nur noch von den speziellen Eigenschaften 
des Metalles unabhängige Größen, und sie besagt: 

Das Verhältnis der thermischen und elektrischen Leitfähigkeiten 
für verschiedene Metalle ist stets gleich. 

In der Formel (5) ist x = ^Nalu anstatt wie bei Drude 
x — \NaXu. Dieser Fehler im Koeffizienten rührt von der nicht 
einwandfreien Annahme her, daß £ der Elektronenstöße normal durch 
den Querschnitt gehen. 

Eine Diskussion findet nicht statt. 

Die Diskussion über Fragen des mathematischen Unterrichts 
und der Ausbildung der Lehramtskandidaten wird auf eine Abend- 
Sitzung im Anschluß an die Tagung der Mathematiklehrer -Vereini- 
gung an schweizerischen Mittelschulen verlegt. 

Referate über diese Diskussion sollen in: „L'enseignenient mathe- 
matique" und „Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaft- 
lichen Unterricht 14 erscheinen. 

Zweite Sitzung. 

Donnerstag, den 26. September 1907, vormittags 9 Uhr. 
Vorsitzender: Prof. Dr. H. Veillon. 

Es wird folgende Resolution gefaßt: 

I. Die math. -naturwissenschaftliche Sektion begrüßt lebhaft die 
in den vier Parallelvorträgen der Herren Proff. Klein, Wendland, Brandl 
und Harnack begründete Forderung einer Ergänzung des Hochschul- 
unterrichts im Sinne einer vermehrten Berücksichtigung der Bedürf- 
nisse der Schule. Sie hält aber auch für dringend wünschenswert, 
daß den bereits im Amte stehenden Lehrern vermehrte Gelegenheit 
zur Weiterbildung geboten wird. Als ein wirksames Mittel zur 
Erreichung dieses Zieles erachtet sie die Einrichtung periodischer 
Ferienkurse. 

IL Den Behörden wird der Wunsch ausgesprochen, den Lehrern 
den Besuch von Ferienkursen zu erleichtern: 



188 Mathematisch-naturwissenschaftl. Sektion: Zweite Sitzimg. 
durch Bewilligung von Urlaub, 

durch Gewährung angemessener finanzieller Unterstützung 
zur Bestreitung der Kosten der Reise, des Aufenthaltes 
und der Kursteilnahme, 

durch prinzipielle Durchführung und Übernahme bezahlter 
Stellvertretung. 

III. Den Behörden, die schon jetzt den Lehren) in diesem Sinne 
ihr Entgegenkommen erweisen, wird der beste Dank ausgesprochen. 

IV. Die math. -naturwissenschaftliche Sektion unterbreitet die 
vorstehende Resolution dem Plenum der Philologenversammlung mit 
dem Wunsche, es möchte diese Versammlung sich der Resolution 
anschließen und dieselbe zu der ihrigen erheben. 

Prof. E. Grimsehl (Hamburg) spricht dann über Di© Be- 
handlung der elektrischen Wellen im Unterricht 1 ) 

Die praktische Wichtigkeit der sogenannten drahtlosen Tele- 
graphie zwingt die Schule dazu, im physikalischen Unterricht auch 
die elektrischen Wellen zu behandeln. Dazu genügt aber nicht die 
mündliche Besprechung, auch nicht die Vorführung einer Station für 
drahtlose Telegraphie; vielmehr muß auf die Grundlagen für die Ent- 
stehung der elektrischen Wellen experimentell und theoretisch ein- 
gegangen werden. Der Unterricht muß davon ausgehen, daß die 
Funkenentladung eines Kondensators oszillatorisch erfolgt. Es muß 
auch die oszillatorische Entladung selbst vorgeführt werden. 

Es wird ein vom Vortragenden konstruierter einfacher Apparat 
demonstriert, bestehend aus einem einfachen Schwingungskreise von der 
Art, wie er in der 'Physikalischen Zeitschrift', Jahrg. 8, Seite 483, Fg. 6 
schon veröffentlicht ist. Dieser Apparat hat als Zusatz eine Konveilinse 
zur Projektion des Funkenbildes und einen rotierenden Spiegel er- 
halten, durch den das Funkenbild in eine Serie von Oszillationen 
aufgelöst wird. Auf diese Weise ist sowohl die objektive Projektion 
der Teilentladungen, wie der elektrischen Schwingungen mit solchen 
Mitteln möglich, wie sie im Schulunterricht gebraucht werden können. 
Der Apparat erfordert so gut wie gar keine Vorbereitung zur Aus- 
führung des Versuchs (Demonstration). Ferner gestattet der Apparat 
sofort eine photographisehe Aufnahme des Funkenbildes, aus dem 
die Schwingungsnatur der Funkenentladung noch klarer hervorgeht^ 
als aus der direkten Projektion. Es werden einige Photographien, 
die mit dem Apparate während des Unterrichts angefertigt sind, vor- 
gezeigt. 

1) Der Vortrag ist veröffentlicht in „Monatshefte f. d. naturwissen- 
schaftlichen Unterricht" 1908, Heft 2. 



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Vortrag (Jrimgehl. 



189 



Aus der Schwingungsnatur der Funkenentladung folgt un- 
mittelbar die Entstehung eines Wechselstromes in der im Schwingungs- 
kreise vorhandenen Spule, die auf eine in die Spule gesteckte 
Sekundärspule induzierend einwirkt und hier Wechselströme hoher 
Spannung und hoher Frequenz erzeugt (Demonstration der Tesla- 
ströme). 

Auf einer laugen sogenannten Seibtschen Spule bilden sich 
stehende Wellen aus, die in einer mit der Seibtschen Spule paral- 
lelen evakuierten Glasröhre durch Aufleuchten sichtbar gemacht 
werden. Jetzt kann durch Änderung der Kapazität und der Selbst- 
induktion die Lage der Knoten und Bäuche geändert werden. Es 
wird nachgewiesen, daß für die Wellenlänge das Produkt aus Kapa- 
zität und Selbstinduktion maßgebend ist, und daß eine Vervier- 
fachung und eine Verneunfachung der Kapazität eine Verdoppelung 
und Verdreifachung der Wellenlänge zur Folge hat (Demonstration). 
Hierdurch wird experimentell nachgewiesen, daß die Wellenlänge, 
also auch die Schwingungszeit der Quadratwurzel aus der Kapazität 
und Selbstinduktion proportional ist. 

Endlich ist noch nachzuweisen, daß sich die Wirkungen der 
elektrischen Schwingungen durch den Raum fortpflanzen und daß die 
elektrischen Wellen im Baum imstande sind, Resonanz zu erzeugen, 
wenn zwei Schwingungskreise aufeinander abgestimmt sind. Das 
geschieht mit Hilfe der a. a. 0. Fg. 5 abgebildeten Versuchsanord- 
nung (Demonstration). Kur dann tritt volle Resonanz ein, wenn so- 
wohl die Kapazität, wie auch die Selbstinduktion beider Schwingungs- 
kreise übereinstimmen. 

Nach diesen grundlegenden Versuchen erst sind die Schüler im- 
stande, das Wesen der drahtlosen Telegraphie zu erfassen. Wenn 
man jetzt noch zwei vollständige Stationen für Funken telegraphie 
vorführen kann und will, so ist in wenigen Stunden das wichtige 
Gebiet der elektrischen Wellen, einschließlich ihrer Anwendungen, 
so weit durchgearbeitet, daß die Schüler die Funkentelegraphie nicht 
bloß anstaunen, sondern ihr mit Verständnis gegenübertreten und die 
stetigen Fortschritte auf diesem Gebiete verfolgen und begreifen 
können. 

Eine Diskussion fand nicht statt. 

Prof. Dr. P. Gruner (Bern) erörterte die Frage Über Ver- 
wertung von Theorien und Hypothesen im physikalischen 
Unterricht. 1 ) 

1) Dieser Vortrag ist erschienen in den „Monatsheften für den 
naturwissenschaftlichen Unterricht 4 ', Dezember 1907, und ist außerdem 
als Separatabdruck bei B. G. Teubner, Leipzig, erhältlich. 



190 Mathematisch-nafcurwissenschaftl. Sektion: Zweite Sitzung. 

Der Referent geht aus von der Erfahrung, daß sogar bei natur- 
wissenschaftlich Gebildeten oft eine ziemliche Unklarheit in bezug 
auf die Begriffe von Theorie, Hypothese und Tatsache bestehe. Da 
diese Begriffsverwirrung zum Teil durch den Unterricht selber hervor- 
gerufen wird, so spricht er den Wunsch aus, es möchte im Physik- 
unterricht, anfangs oder zu Ende, stets eine kurze Darlegung über 
Ziel, Grundlagen und Methoden der physikalischen Forschung ge- 
geben werden. 

In bezug auf die Grundlagen sind die Schüler darauf auf merksam 
zu machen, daß alle naturwissenschaftliche Erkenntnis auf gewissen 
Voraussetzungen beruht. Die Naturforschung hat als einzig sicheres 
Wissen die Resultate sinnlicher Wahrnehmung. Dieselben geben 
keinen Aufschluß über das Wesen der Wirklichkeit an sich, sondern 
können nur in Form eines Weltbildes in Zusammenhang gebracht 
werden. Dieses Weltbild muß sich stets in den Rahmen von Raum, 
Zeit und Substanz einpassen lassen und unseren Denkgesetzen ent- 
sprechend aufgebaut sein. Zu letzteren gehört insbesondere auch 
das Kausalgesetz, das demnach nicht als Aufschluß über den tiefsten 
inneren Zusammenhang der Dinge angesehen werden darf. Der will- 
kürliche und zum Teil hypothetische Charakter der Begriffe Materie, 
Atom, Äther, Kraft und die rein utilitaristische Bedeutung des Be- 
strebens, alle Erscheinungen auf mechanische Prinzipe zurückführen 
zu wollen, wird kurz berührt. 

Als ausschließliche Methode wirklicher Naturforschung wird die 
Empirie hingestellt. Dieselbe bedarf aber unbedingt der Theorien 
und Hypothesen. Wahrend die Empirie das tatsächliche Erfahrungs- 
material liefert und die Hypothesen die ihnen untergeschobenen An- 
nahmen bilden, sorgt die Theorie für den logisch korrekten Ausbau 
beider. Als „reine Theorie" ist jedes richtige System zu be- 
trachten, das sich auf Grund bestimmter Annahmen ableiten läßt. Der 
„allgemeinen Theorie" ist die wichtige Aufgabe gestellt, zunächst aus 
den empirischen Daten eine Hypothese, ein sogenanntes physikalisches 
Gesetz, herauszuarbeiten, sodann die darin befindlichen Begriffe scharf 
zu definieren und endlich die darin enthaltenen Annahmen in Form 
einer „reinen Theorie" in allen ihren Konsequenzen auszubeuten. 

An dem einfachen Beispiele des Reflexionsgesetzes werden diese 
Gedanken erörtert und die Schwierigkeiten ihrer Durchführung be- 
rührt. Zum Schluß wird betont, daß nun wiederum die Empirie die 
gezogenen Konsequenzen zu prüfen hat und daß erst dadurch der 
Theorie ihr richtiger Wert gegeben wird. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren: E. Brocke 
(Zabern), A. Wittin g (Dresden-Strehlen), E. Hagenbach- Bischoff 



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Vortrag Geißler. 



191 



(Basel), P. Epstein (Straßburg), K. Geiß ler (Ebikon, Luzern), 
E. Lippmann (Wien), 0. Spieß (Basel), R. Flatt (Basel), A. Maurer 
(St. Johann-Saarbrücken). 

Dr. K. Geiß ler (Ebikon, Luzern) lieferte Beiträge zur Ver- 
tiefung und Verbindung des exakten Unterrichtes durch Un- 
endlichkeit und Kontinuität 

Das ideale Ziel des höheren Schulunterrichts ist die harmonische 
Verbindung aller Schulfächer anstatt der Zersplitterung. Nachträg- 
liche Verbindung großer Wissensmengen ist nur hochstehenden Geistern 
möglich. Die Schule kann nach einer Verbindung streben, die schon 
in den Anfangen, in den Grundbegriffen liegt, und auf sie zurück- 
kommen, soll nicht etwa solche Grundbegriffe formal erstarren lassen. 
Solche Verbindung und Vertiefung ist zwar philosophisch, kann und 
soll aber nicht als Philosophie bestimmter Art betrieben werden. Ist 
auch der Lehrer möglichst philosophisch gebildet, so will er doch 
den jungen Schüler nicht zum Philosophen machen. Aber er will 
seinen Geist für tiefe Bildung vorbereiten. 

Die exakte Wissenschaft zeigt, daß überall Beschränkung vor- 
liegt; sie arbeitet mit Begriffen und Grundanschauungen, aber in ihnen 
liegen Rätsel, schwere Probleme. Das Kind fühlt dies von vorn- 
herein, fragt allgemeiner als der fachmännisch Gebildete; es soll be- 
wahrt werden vor zu frühzeitigen, einseitigen Schlüssen. Die Grenzen, 
welche sich überall bei der Bildung von Begriffen zeigen, sollen nicht 
chinesische Mauern sein; sie bieten Berührungen; ein Uberschauen 
ermöglicht die harmonische Verbindung der Wissensgebiete, eine Art 
von Kontinuität. 

Ich kann hier nur einige Beispiele andeuten, zunächst aus dem 
Gebiete der Mathematik, aber möglichst mit Beziehung zu anderen 
Schulfächern, und muß im einzelnen auf meine Bücher und Spezial- 
aufsätze verweisen, in denen die Lehre von den Weitenbehaftungen 
entwickelt ist. Der Begriff der Einheit ist nicht bloß in der Mathe- 
matik 1 ) von grundlegender Wichtigkeit, sondern in allen Wissen- 
schaften. Darum soll man ihn schon im Anfange nicht zu einseitig 
fassen. Zur Einheit gehört Begrenzung. Man muß immer fragen: 
Was gehört zu dem betreffenden Einheitsbegriffe z. B. Haus, Mensch, 
Ich 8 ), Wald, Atmosphäre, Erde, Welt? Aus dem anfänglichen zu 
engen oder zu allgemeinen Erfassen des Begriffs wie Ich entstehen 
oft verkehrte Fragen wie: „Entstehe ich?" „Sterbe ich?" und daraus 

1) Vgl. Pädagog. Rucks, beim math. Studium und die Frage der 
phil. Propädeut. Neue Jahrb. 18. H. 6. 1906, Abt. II. 

•2) Bewegung und Geschehen, Werden und Vergehen, Philos. 
Wochenschrift V. N. 7—11, 1907. 



192 Matheniatisch-naturwissengchaftl. Sektion: Zweite Sitzung. 

einseitige Antworten. Unter Welt versteht man oft die sinnlich 
kennengelernte und sinnlich vorgestellte, oft auch etwas Unsinnliches, 
etwas aus Sinnlichem und Übersinnlichem Gemischtes. Besonders 
wichtig ist es zu fragen, ob gewisse Kleinigkeiten zu dem Inhalte 
eines Begriffes gehören. Der alte Satz, daß das Einzelne nichts sei 
vor dem All, wird jedem Kinde bekannt; ähnliche Gedanken ent- 
stehen in der Seele jedes Kindes, obwohl sie die größten Schwierig- 
keiten enthalten. Ist es ein wirkliches Nichts? Gibt es ein wirk- 
liches Nichts? 

Besonders in der Größenlehre spielt die Beziehung des so- 
genannten verschwindend Kleinen zum Endlichen eine wichtige Rolle; 
oder wie ich sagen würde: des sinnlich Vorstellbaren, des unter- und 
übersinnlich Vorstellbaren. Es sei mir erlaubt aus dieser Lehre 1 ) 
einiges hierher Gehörige anzudeuten. Die Streckeneinheit wie jede 
Strecke bedarf der Begrenzung. Was ist diese Begrenzung? Sie 
ist nicht dasselbe wie die vorher vorgestellte Strecke endlicher oder 
sinnlicher Ausdehnung. Ist der Punkt nicht räumlich? Ist die end- 
liche Strecke, die gegenüber der unendlichen verschwindet, nicht 
räumlich? Jedes Kind muß der Gedanke befremden, daß der Punkt 
eine so große Rolle in der Raumlehre spielen soll und doch nicht 
räumlich ausgedehnt sein soll. Nach meiner Lehre ist der Punkt 
immer nur für ein bestimmtes Gebiet zu definieren, z. B. für das 
Endliche, besser sinnlich Vorstellbare als etwas Räumliches, aber 
grenzenlos Kleines. Eine endliche Strecke AB ist für die unendlich 
lange Linie wie ein Punkt, ist geradezu ein Anfangspunkt für dies 
Übersinnlichgroße, natürlich wenn man die bestimmte endliche Aus- 
dehnung, die ja für das Unendliche verschwindet, nicht mitberück- 
sichtigt. Sie hat nur Sinn im Vergleich zu anderen endlichen Größen. 
Ebenso hat eine unendlich kleine Große eine bestimmte Länge nur 
im Verhältnis zu anderen untersinnlich vorstellbaren Größen. Für 
ein Kind hat die Beschäftigung mit solchen unendlich kleinen Strecken 
weniger Fremdes wie für den älteren, dies nicht gewohnten Mathe- 
matiker. 

Die Erweiterung der Zahlen zu Null, negativen, irrationalen 
usw., macht den Schülern Kopfzerbrechen und befremdet sie sehr. 
Wenn man den Einheitsbegriff von vornherein allgemeiner faßt, 
die Begrenzung nur für ein bestimmtes Gebiet, z. B. das sinnlich 
Vorstellbare gelten läßt, so verschwindet das Sonderbare und formal 
Abstoßende. Man sage dann nicht: a — a sei eigentlich nichts und 
solle nur definiert werden als eine Zahl. Die Gleichheit von a 

1) Die Grundsätze und das Wesen des Unendlichen, B. G.Teubner 1902. 



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Vortrag Geißler. 



und a gilt ebenfalls nicht absolut oder allgemein, 1 ) sondern z. B. 
zuerst nur für sinnlich vorgestellte Größen, die bei Heranziehung des 
Untersinnlichgroßen auch verschieden sein können. Minister und 
Bauer sind gleich als Menschen und doch sehr verschieden; die bei 
A beginnende unendliche Linie ist um AB verschieden von der ein 
endliches Stückchen weiter, bei B beginnenden und doch für das 
bloß Unendliche gleich. Das eine a kann um unendlichwenig größer 
vorgestellt werden als das andere a, ihre Differenz ist Null für das 
Endliche, aber eine unendlich kleine Größe für Berücksichtigung des 
Untersinnlichen. Ähnlich steckt in der Bildung einer einfachen Zahl 
schon eine Ordnung, die man umkehren kann. Berücksichtigt man 
dies nur gleich zur rechten Zeit, so hat die Einführung der negativen 
Zahlen nicht mehr das Befremdende und es ist keine Definitions- 
schaffung nötig. Ebenso ist die Vorstellung der Reihe schon bei 
der ersten Zahlenbildung vorhanden. 0,9999 . . . aufzufassen als 
1 — was für das Endliche 1 ist, hat dann nichts Sonderbares 
mehr. Daß (1 + falls 6 = 1 : oc, die irrationale Zahl e geben 
soll, hat für den Schüler etwas höchst Befremdendes an sich, falls 
er die Weitenbehaftungen nicht kennt*, es ist nach dieser Lehre, 
welche den Grenzbegriff 1 ) überflüssig macht, 1 • 1 • 1 • 1 • • • oder 
1°° = 1, hat aber ganz andere Werte, sobald man die d-Größen mit- 
berücksichtigt. 

Führt so die Vorstellung der Begrenzung zu Verbindungen 
zwischen den Zahlen, so vermag auch das Unendlichgroße Ver- 
bindungen zwischen solchen endlichen Figuren zu liefern, welche in 
das Unendliche weisen. Es ist z. B. möglich gewesen, 8 ) die Ellipse, 
Parabel und Hyperbel, deren Verschiedenheit infolge des Unter- 
schiedes vom Endlichen und Unendlichen (zwei Zweige der Hyperbel!) 

1) Kritik des Grenzbegriffes; Philo». Wochenschrift Bd. 2, Heft 
11 — 13, Neue Darstellung de» Grenzüberganges und Grenzbegriffes durch 
Weitenbeh. Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaft 
1907, Nr. 1. Über Notwendigkeit, Wirklichkeit, Möglichkeit und die 
Grundlagen der Mathem. Archiv für System. Philos. XI, 1, 1906. Über 
Begriffe, Definition und mathem. Phantasie, ebenda XII, 1900, Heft 1. 
Identität und Gleichheit, Zeitschrift für philol. und philos. Kritik, 126, 
1906; Gleichh. nach Behaft. Saccheri, Gauß und nichteuklid. Geometrie, 
ebenda, Bd. 128. Ist die Annahme von Absolutem in der Anschauung 
und dem Denken möglich? Archiv 1903. 

2) Die Kegelschnitte und ihr Zusammenhang durch Kontinuität 
der Weitenbeh. H. W. Schmidt, Jena 1906. Aufsuchen von Punkten 
geradliniger Kegelschnitte, Zeitschrift für lateinl. höh. Schulen, 18, Heft 1, 
Oktober 1906. Projektiv. Schnittkurven auf unendlicher Kegelschnitt- 
kugel, ebenda 16, Heft 2. Asymptote der Parabel und unendliche Ellipse, 
Pädagog. Archiv 47, 3, 1906. 

Verhandlungen d. 49. Vers, deutscher Philol. u. Schulm. 13 



194 Mathematisch-naturwissenschaftl. Sektion: Dritte Sitzung. 



den Schüler sehr wundert, auf dasselbe Gesetz zurückzuführen, z. B. 
die Ellipsenpunkte durch Differenz, die Hyperbelpunkte durch Summe 
der Radien zu definieren, je nachdem man den einen Radius durch 
das Endliche oder nach der anderen Seite durch das Unendliche zum 
Brennpunkte hinzieht. Die Kontinuität erhält dadurch eine Er- 
weiterung oder einen viel allgemeineren Charakter. Anfange im 
Endlichen (der Zeit nach), Unterbrechungen und Aufhören für end- 
liche Zeiten spielen nun aber auch in der Biologie, überhaupt in der 
sich schon jedem Kinde aufdrängenden Betrachtung des Lebens eine 
große Rolle. Die Entstehung des lebenden Wesens, die eigentüm- 
liche Unterbrechung durch Schlaf und Ohnmacht, der Tod sind rätsel- 
hafte Fragen, von denen wir vergebens suchen würden, die Kinder 
zurückzuhalten. Tun wir es zu sehr, indem wir uns z. B. der Neu- 
gierde der Kinder in sexueller Beziehung zu sehr verschließen, halten 
wir überhaupt die Jugend zu sehr fern vom Rätselhaften, Philo- 
sophischen, so verlieren wir das Zutrauen und treiben die Schüler 
dahin, sich anderweit Kenntnis zu holen. Zwar kommen in gewissen 
Unterrichtsfächern, in der Religion, Fragen wie die vom Unendlichen, 
vom ewigen Leben, von Gott vor, und in der Biologie die Fragen 
von Seele und Leib, Leben und Tod, Kampf ums Dasein, von der 
Lebensgemeinschaft; wenn wir aber de einzelnen Fächer zu sehr von- 
einander abschließen, treten wir einer Grundlage für eine tiefere 
Weltauffassung hindernd entgegen. Der Zusammenhang z. B. 
zwischen der Biologie und jenen allgemeinen Fragen ist da. Wenn 
wir aber stets absichtlich nur das durchnehmen, was „sonnenklar 
erscheint", so macht der Schüler im Innern doch nicht Halt, er 
bildet sich auf eigene Faust eine verfrühte Weltanschauung, eine 
flache Philosophie. Er möge lernen, daß nicht bloß bei diesen Fragen 
Rätsel vorhanden sind, sondern für den tiefer Denkenden überall, 
daß wir immer nur vorläufig Halt machen durch Wortbildung, daß 
wir stets auf die einfachsten Begriffe zurückkommen müssen. Nicht 
durch die Masse des einzelnen Wissens wird man klug, sondern trotz 
der einzelnen Fächer, trotz der vielen Einzelheiten der Schule — 
hoffentlich heißt es einmal: dank auch der Einzelheiten der Schule! 
Eine Diskussion findet nicht statt. 

Dritte Sitzung. 

Freitag, den 27. September 1907, vormitt. 10 Uhr 30 Min. 
Vorsitzender: Prof. Dr. H. Veillon. 

Prof. Dr. E. Lippmann (Wien) gab einen überblick über die 

Gesell ich te der Chemie bis Lavoisier mit besonderer Berfiek- 



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Vortrag Lippmann. 



195 



sicütigung des Paracelsus. Der Begriff und die Aufgaben der 
Chemie haben im Laufe der Jahrhunderte vielfache Wandlungen 
durchgemacht. Aristoteles meinte, daß seine fünf Elemente, Erde, 
Wasser, Feuer, Luft und Äther, das Weltganze bilden und ineinander 
überführt werden können. Hieraus entwickelte sich die spätere Al- 
chemie, welche die Transmutation der Metalle bezweckte, also aus 
unedelm Metall Gold machen wollte. Bereits den alten Ägyptern, 
beziehungsweise den ägyptischen Priestern, war schon die Alchemie 
bekannt und wurde deshalb vom Volke als heilige Kunst verehrt. 
Die alchemistische Zeit erstreckt sich vom 4. bis 16. Jahrhundert, 
dieselbe war nicht allein auf die Goldgewinnung gerichtet, sondern 
bezweckte auch die Herstellung einer Wunderarznei (Panacee), um 
das menschliche Leben zu verlängern. 

Aus den Mitteilungen des Plinius, Homer und anderer Klassiker 
wissen wir, daß die Alten das Quecksilber, Silber usw. kannten, das 
Glas war bereits den Phöniziern bekannt. 

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnt eine neue 
Richtung der Wissenschaft, indem dieselbe sich mit der Herstellung 
wirksamer Heilmittel beschäftigte, welche der Medizin als Grundlage 
dienten, die latrochemie. Die Krankheiten wurden von Paracelsus, 
einem der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, auf chemische Vorgänge 
im Organismus zurückgeführt, so daß durch Einwirkung chemischer 
Präparate der normale Gesundheitszustand hergestellt werden konnte. 

Die Geschichte der reinen, selbständigen Chemie beginnt im 
17. Jahrhundert durch Robert Boyle, der als ihre Hauptaufgabe die 
Kenntnis der Zusammensetzung der Körper bezeichnete. Derselbe 
bringt die Chemie durch das nach ihm genannte Gesetz in nahen 
Zusammenhang mit der Physik, und jetzt erst kann man die Chemie 
als selbständige Wissenschaft bezeichnen, welche von nun an ideale 
Ziele ohne Rücksicht auf praktische Zwecke verfolgt. 

Stahl stellt im 17. Jahrhundert seine Phlogistontheorie auf, der 
zufolge alle Substanzen einen gemeinsamen Bestandteil, das Phlo- 
giston, enthielten. Nach dieser Hypothese würde bei der Verbrennung 
und Verkalkung das Phlogiston entweichen. Je leichter eine Sub- 
stanz verbrennt, desto reicher ist dieselbe an Phlogiston, so daß Kohle 
als reines Phlogiston zu betrachten wäre. Die Anhänger dieser 
Theorie bezeichnete man als Phlogistiker. Unter diesen müssen 
Priestley und Scheele besonders genannt werden, da dieselben un- 
geachtet dieser irreführenden Theorie die Chemie um hochbedeutende 
Entdeckungen bereicherten. 

Beide Forscher entdeckten unabhängig voneinander den Sauer- 
stoff; daß derselbe in der organischen Welt durch den Stoffwechsel 

13» 



196 Mathematisch-naturwisgenschaftl. Sektion: Dritte Sitzung. 

der Tiere und Pflanzen einem Kreislauf unterliegt, die Kenntnis dieser 
für die pflanzenphysiologische Chemie so fundamentalen Tatsache 
verdanken wir Priestley. Sein Zeitgenosse Scheele (1742 — 1786) 
zeichnete sich durch seine wunderbare Gabe der Beobachtung aus. 
Demselben verdankt man die Auffindung manch analytischer Me- 
thoden. Seine grundlegende Arbeit über den Braunstein führte zur 
Entdeckung der wichtigen Elemente: Sauerstoff, Chlor, Mangan und 
Baryum. Erst Lavoisier war es 1772 vorbehalten, durch seine die 
Verbrennung aufklarenden Versuche die phlogistische Theorie zu 
stürzen. Indem er Schwefel, Phosphor, Kohle im Sauerstoff ver- 
brannte, beobachtete er mit Hilfe der von ihm angewandten Wage eine 
Gewichtzunahme von Sauerstoff, indem sich Kohlensäure, Schwefel- 
säure, Phosphorsäure bildeten. Beim Erhitzen von Zinn in einem 
verschlossenen Gefäße beobachtete er eine Zunahme des Gewichtes 
des Zinns, die ihren Ursprung in der Verkalkung des Metalls findet 
und einer Gewichtabnahme der Luft entspricht. Durch solche und ähn- 
liche Beobachtungen wurde Lavoisier der Reformator der Chemie, 
indem er dem antiphlogistischen System zum Siege verhalf, so daß 
er noch heute als der Schöpfer der modernen Chemie bezeichnet 
werden muß. 

Doch kehren wir zu dem Begründer der Iatrochemie, dem 
großen Paracelsus, zurück. Derselbe, Philippus Aureolus 
Theophrastus Bombastus Paracelsus von Hohenheim, wurde 
zu Einsiedeln in der Schweiz geboren. Frühzeitig lernte er als Arzt 
die damaligen scholastischen Theorien eines Galenus und Avicenna 
kennen. Dieselben beruhten nicht auf Beobachtung, sondern auf 
scharfsinniger Spekulation, so daß die erstere durch aprioiistische 
Konstruktionen zurückgedrängt wurde, die man wie Kirchendogmen 
lehrte. Durch die Entdeckung von neuen Heilmitteln wie: Kupfer- 
vitriol, Sublimat, Bleizucker, Antimonverbindungen, Laudanum, 
Eisentinkturen usw., sowie durch glückliche Heilerfolge gewinnt er 
bald ein großes ärztliches Ansehen. Auf Anraten von Erasmus 
von Rotterdam folgte er einem Rufe des Rates der Stadt Basel als 
Stad,tarzt und Universitätsprofessor. 1526 erscheint seine polemische 
Streitschrift gegen die galenische Schule und das damalige Apotheker- 
wesen. Die von ihm entdeckten neuen Heilmittel zwangen die 
Apotheker, diese kennen zu lernen, so daß Paracelsus als Begründer 
der Pharmazie bezeichnet werden muß. 

Mit mutvoller Begeisterung kämpft er für alle seine reforma- 
torischen Ideen, die ihn in Gegensatz zu allen Kreisen der Stadt 
Basel bringen, so daß er bei Nacht aus Basel flüchten muß, um in 
Salzburg bald nach kurzer Krankheit zu sterben, wo heute noch sein 



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Vortrag Beck. 



197 



Bildnis an einem alten Gebäude am Platz neben der Salzachbrücke 
angebracht ist. Die Erinnerung an diese Lichtgestalt, diesen wissen- 
schaftlichen Winkelried, welcher die Befreiung der Medizin von 
scholastischen alten Grundsätzen siegreich durchführte, regt den 
Wanderer zum Nachdenken an über die Wandelbarkeit wissenschaft- 
licher Doktrinen. 

Eine Diskussion findet nicht statt. 

Dr. med. Th. Beck (Basel) behandelte Das wissenschaftliche 
Experiment in der Hippokratischen Buchersammlung in folgen- 
der Weise: 

Die Geschichtschreibung über die Experimentierkunst behandelt 
das Corpus Hippocraticum, dessen Entstehungszeit in das fünfte 
und vierte vorchristliche Jahrhundert bis zum Beginne der Aristo- 
telischen Zeit zu verlegen ist, mit Unrecht in stiefmütterlicher 
Weise und versetzt die Anfänge der Experimentierkunst in viel 
spätere Zeiten; folgende Experimente, die dieser Büchersammlung 1 ) 
von verschiedenen Autoren — den „Hippokratikern" — entnommen 
sind, beweisen, daß eben schon im vorhin genannten Zeitalter das 
methodisch ausgebildete Experiment mit teilweise daran anknüpfen- 
den theoretischen Betrachtungen der Forschung gedient hat: Die 
Verdunstung, des Wassers aus dem festen Aggregat- 
zustande, dem Eise, wird folgendermaßen behandelt: 



Ei yctQ ßovXti oxav y zeipiov, 
ig ayyeiov (lixQO) iy%(ag Odcoo 
d-avcu ig xqv ai&Qlr\v, tva nr\- 
£ct<u fiahcxa, titeixa ■uor«- 
oa/17 i<Stvty%tov ig äki^v, oxov 
yukxau (luXiCta 6 Ttaytxog, 6xo • 
zccv öi Xvdrj f avccfiezQSiv xb ßdaQ, 
eÜQtiOug ikccaoov <sv%vü*) 



Wenn man zur Winterszeit 
in ein Gefäß Wasser eingießt 
vermittels eines Meßinstruments 
und dasselbe unter freien Himmel 
setzt, an einen Ort, an welchem 
es am ehesten zum Gefrieren ge- 
langt, dann aber am folgenden 
Tag das Eis an einen warmen 
Ort bringt, wo es möglichst leicht 
auftauen kann, und es dann nach 
erfolgter Verflüssigung wieder 
nachmißt, so wird man finden, 
daß es bedeutend weniger ist. 



1) Über die sog. Echtheitsfrage, welche diese Büchersammlung 
betrifft, siehe meine „Hippokrates-Erkenntnisse", Verlag von E. Diedersens, 
Jena 1907. 

2) Jlfp} äiQcav vSartov röxoov, Kap. 8; Beck, Erkenntnisse des Hippo- 
krates, S. 63, Verlag von E. Diederichs, Jena. Im folgenden wird „Beck. 
Erkenntnisse des Hippokrates" abgekürzt durch B. E. bezeichnet. — 



198 Mathematisch-naturwissenschaftl. Sektion: Dritte Sitzung. 



Ferner die Verdunstung des Wassers aus dem flüssigen 
Aggregatzustande. Diesem Versuche schließt sich die Beob- 
achtung an, daß ein und dieselbe Stoffmenge verschiedene Ver- 
dichtungskapazität besitzt, je nachdem dieselbe eine größere oder 
eine kleinere Gesamtoberfläche darbietet: 



Et xtg vmQ tidaxog - 
ifjtfQCcg xai övo evaygovag 



övo 

ei'gta xu&agä xai H(ia xa&aobv 
xai ßeßvo^ivov evCxd&fuog töov 
xotöt ctptottftv, dveXcbv BvgrjGst 
axriCag txoXXxo ßaovxega rä etgta 
tj xo Ufia — xa fitv etgia — 
dvaSi^exat xov cazoywgiovxog (ßöa- 
xog) nXiov. 1 ) 



Wenn man während zweier 
Tage und Nächte über Wasser 
reine Wolle einerseits und an- 
dererseits ein reines dichtes Ge- 
webe von genau gleichem Ge- 
wichte wie die Wolle bringt, dann 
beim Wegnehmen abwägt, so wird 
man finden, daß die Wolle viel 
schwerer ist als das Gewebe, denn 
die Wolle nimmt viel mehr von 
dem verdunstenden Wasser auf. 



Ein weiterer Versuch beschäftigt sich mit der Hydrostatik, 
und zwar mit dem Gesetze über kommunizierende Röhren oder 
Gefäße, so daß also Vitruvius Pollio, der Baumeister des Kaisers 
Augustus, sein Gesetz über kommunizierende Röhren schon in seinem 
„Hippokrates" hätte lesen können: 

Et xtg ig %aXxna xgia xai Wenn mau in drei oder mehr 

7t Wovor — avXovg ivagftoöag — Kessel (verbindende) Röhren an- 



xai iy%ioi r)Gv%fj ig'tv xä>v iaXxu(av 
$dß>Q — gtvOExat ig xa txega 
%aXxtta ti(%Qtg oxov xai xä äXXa 
iimhiadrj*) 



bringt und langsam in einen der 
Kessel Wasser eingießt, so wird 
dasselbe auch in die andern 
Kessel fließen, bis auch die übrigen 
angefüllt sind. 

Ein weiterer Versuch betrifft das spezifische Gewicht im 
ersten Buche über die fötale Konstitution. 8 ) Es wird dieser Versuch 
durch folgenden Satz aus der Schrift negi ccigav*) ins richtige Licht 



denn wie dieselben (die Wässer) 
Unterschiede im Geschmacke zei- 
gen und im Gewichte . . . 



&<Sit€Q yäg iv tcö GxofxaxL ötatpi- 
govOt (xa ßöccxa) xai iv x& 
axad-(ia> . . . 



1) rvvaixBitov itQätxov, Kap. 1, B. K., S. 288 

2) Jltpl vovöcov tö rexuQxov, Kap. 34, B. E., S. 281. 
8) Jleoi rpvötog natSiov zonuv, Kap. 17, B. E., S. 277 
4) Hfoi cUqiov vädxtov, Kap. 1, B.E., S. 61 



Vortrag Beck. 



199 



Die Hippokratiker kannten somit verschiedene Gewichte ver- 
schiedener Wassersorten, somit spezifische Gewichte. 

Aber auch das Verhältnis der Dichte eines Körpers zu 
seiner Temperatur glaubten die Hippokratiker durch die ihnen 
bekannte Selbstentzündung folgendermaßen erklären zu können: 

Kai [pdxia avvÖ£Ös(iiva xcu Fest zusammengebundene 

xorrf a<pr)voiii va iüivQ&g öoqI naxa- und mit einem Stocke (als Hebel) 



%aUxai vTtb ocptcov avxtbv &aneo 
xmb nvQog iKxaevxa' xat xälka 
et xig &iXoi iv&vnr)&fivai) ndvxa 
8occ nsnUiSxttt vnb 0<pcbv avxayv^ 

^SQflOXSQO SVQTjÖH 7j XCt CCQ<Xl&Q 

xtlpevcc. 1 ) 



festgeknebelte Stoffe entzünden 
sich von selbst, als ob sie durch 
Feuer angezündet wären; und im 
übrigen, wenn jemand der Sache 
auf den Grund gehen will, wird 
er finden, daß alles, was durch 
sich selbst einen Druck erleidet, 
wärmer sei als locker gelagerte 
Substanzen. 



Allen diesen Versuchen ist nicht viel beizufügen, sie sprechen 
durch sich selbst; so ergeht es auch dem folgenden, der an sich 
interessant und wichtig genug ist, der aber meines Wissens nie mehr 
besonders erwähnt worden ist: 



Et xig ki}xv&ov — aztvo- 
<Sxo(iov i^nkrjaag alsltpaxog xera- 
öxgitL>eiev inl xb tfröfia xertf'' i&v 
— ov övvijCtxui avxfig icagietv 
xb iXatov — 6h imxXivy — 
(jevGtrcu £§ avxf\g xb aXsupu' xb 
avxb no^ösie Kai inl xQani^g 



Wenn man ein Ölfläschchen 
mit engem Halse mit Öl anfüllt 
und dann senkrecht auf seine 
Mündung umstülpt, so wird das 
Öl aus demselben nicht heraus- 
fließen können; wenn man es hin- 
gegen neigt, so wird das Öl aus 
demselben herausfließen. Den 
gleichen Vorgang bietet jeweilen 
ein auf einen Tisch (umgestülpter 
Becher) Wasser dar (welcher auch 
nicht ausläuft wegen des Luft- 
druckes). 

Dieses embryonale Stadium des Toricellischen Versuches 
scheint zu damaliger Zeit recht bekannt und beliebt gewesen zu sein, 
sonst würde es nicht seinen Terminus technicus mit „vdop inl xqw 
niti\g" erhalten und geführt haben. — Diesen physikalischen Ver- 



1) TliQl (pvoiog naiSLov, Kap. 24, B. E„ S. 277. 

2) IIbqI vovOtov xb xIxccqxov, Kap. 51, B. E., S. 288. 



200 Mathematiseh-naturwissenschaftl. Sektion: Dritte Sitzung. 



suchen verwandt ist folgendes Verfahren zur Sterilisation des 
Wassers durch Kochen: 



(t6 ÜSuiq) ötixai cuplrptG&ai %al 
jtnoGrpitG&cci,' h 6$ fiij/, odft-rjv 
i<fya 7toveQi)v. 1 ) 



(das Wasser) muß abgekocht und 
(entfault) sterilisiert werden; 
geschieht dies nicht, so behält es 
einen schlechten Geruch. 



Ebenso die Sterilisation des Honigs durch Kochen: 

cupiXoixo av yccy fytjOig xä>v xa- Das Kochen dürfte wohl das 

xox^xcov avrov (xov fitkixog) xb hauptsächlichste Verdorbensein 
nXitov xov ctiGxtog.*) (des Honigs) aufheben. 

Aber auch auf anderem Felde, z. B. auf dem physiologischen 
Gebiete, finden sich Experimente im Corpus Hippocraticum, so der 
bekannte Versuch, welcher fälschlicherweise das Eindringen des 
getrunkenen Wassers in die Lunge beweisen soll.*) Ferner das 
physiologische Experiment, das den Verschluß der Semilunar- 
klappen der Aorta und der Arteria pulmonalis betrifft; der 
Verschluß der Semilunarklappen wird hier durch Eingießen von 
Wasser oder Einblasen von Luft von der Seite der Sinus Valsalvae 
aus demonstriert: 



li£(trj%avi}vxat XQStg vfxiveg ixaGxi}, 
TttQKpeQtsg i| axqov nsg oxotfov 
r}(iixo(ia xvxAov, of xe l-vviövxtg 
^avfucßiov ag xXslovat xcc 6x6- 
o«Ta, x&v aoQtitov niqag' — oirrf 
vdcoQ av diiX&oi sig xfjv xccQÖlrjv 
ovxs cpüoa ifißaXXofiivr}*) 



Es besteht ein Paar (Aorten) 
(Arteria pulmonalis und Aorta), 
an deren Ostien jederseits drei 
häutige Klappen angebracht sind, 
deren freier Rand halbkreisförmig 
ausgerundet ist; beim Verschluß 
dieser ist es wunderbar anzusehen, 
wie (genau) sie die Ostien, das 
Ende der Aorten, verschließen; 
denn weder Wasser, das man (in 
das Arterienrohr) hineingießt, 
wird in das Herz eindringen 
können, noch Luft, die man 
hineinbläst. 

Zu bemerken ist, daß sich dieses physiologische Experiment 
direkt an eine Beobachtung am lebenden Tiere anschließt, nämlich 
an den Satz: 



1) ÜHfl Sctgtov vSdtfov xöitov, Kap. 8, B. E., S. 61. 

2) IIsqI dtaLxris 6&tov, Kap. 57, B. E., S. 73. 

3) JI«*1 xapdujs, Kap. 2, B. E., S. 323. 

4) Tle^l »aitfwjs, Kap. 10. B. E., S. 327. — Littre* IX, p. 88. 



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Vortrag Beck. 



201 



jTt)v fihv yoro naq6ly]v i'öoig 

oücna xor' idin]v ava<pv6(b(A€va 
tb nal 1-vuithttovTct. 1 ) 



Denn man kann sehen, wie 
sich einerseits das Herz in seiner 
Totalität kontrahiert (pulsiert), 
die Herzohren dagegen (die Vor- 
höfe) sich gesondert aufblähen 
\md wieder zusammenfallen. 



Eine sehr richtige physiologische Beobachtung, gewonnen durch 
einen Tierversuch über den Modus der Herzkontraktion. 

Solcher Versuche ließen sich noch weitere anfuhren; die bei- 
gebrachten mögen jedoch genügen, um zu beweisen, daß schon in 
dem Corpus Hippocraticum das methodisch ausgebildete 
Experiment teilweise mit daran anknüpfenden theoreti- 
schen Betrachtungen der Forschung gedient hat. 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren: H. Veillon (Basel), 
F. Rudio (Zürich), 0. Spieß (Basel), Th. Beck (Basel), M. Roth 
(Basel). 



1) ÜSQi xapd/ijf, Kap. 8, B. E., S. 325. 



Festbericht. 

An der im Jahre 1847 in Basel abgehaltenen Versammlung 
deutscher Philologen und Schulmänner wurde den Veranstaltern das 
schmeichelhafte Lob zuteil, die Versammlung stehe hinter keiner der 
bisher abgehaltenen zurück. Als es nun galt, die Vorbereitungen 
für die Tagung von 1907 zu treffen, war es kein Wunder, daß es, 
wenn auch mit ungeteiltem Eifer, so doch mit geteilten Gefühlen 
geschah. Würde unsere Stadt ihre Anziehungskraft wie 1847 aus- 
üben, und würden wir unsere freudig erwarteten Gäste auch diesmal 
befriedigen können? Diese beiden Fragen, vorab die erste, welche 
namentlich bei der Bestimmung des Termins von größter Bedeutung 
war, dürfen wir jetzt nachträglich zuversichtlich bejahen. Die statt- 
liche Zahl von 468 von auswärts erschienenen Teilnehmern und der 
oft kundgegebene Ausdruck ihrer Befriedigung sind uns dessen 
Zeugen. Und befriedigt waren auch wir darüber, daß die Bemühungen 
der Geschäftsausschüsse um eine gute Organisation und der Sektions- 
obmänner um hervorragende Kräfte für die Vorträge von so gutem 
Erfolge gekrönt waren. Mit besonderem Dank sei auch des bis zum 
letzten Tage anhaltenden prächtigen Festwetters gedacht. 

Nachdem schon im Laufe des 23. September die 16. General- 
versammlung des deutschen Gymnasialvereins in der Aula des 
Museums stattgefunden hatte, 1 ) trafen sich, wie gewohnt, die Gäste 
mit den Einheimischen zum Begrtißungsabend, diesmal in den oberen 
Sälen des Stadtkasinos ; belebte und wechselnde Gruppen bildeten sich, 
die Stimmung war sehr gehoben. Besonders bemerkt und geschätzt 
wurde die Anwesenheit Pfarrer J). S. Preis werk s, des einzigen 
hier lebenden Veteranen der ersten Basler Versammlung. Doch 
leerten sich schon bald nach 11 Uhr die Räume; man wollte sich 
nach langer Fahrt durch langen Schlaf für die Verhandlungen stärken. 

Dienstag, den 24. September eröffnete der erste Vorsitzende, 
Prof. Dr. F. Münz er, den Kongreß. Der Nachmittag wurde 

1) Vgl. darüber: Das humanistische Gymnasium. 1907, 18. Jahrg. 
5. Heft. 



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Featbericht. 



203 



teils zur Konstituierung der Sektionen, teils zur Besichtigung der 
Stadt und ihrer Umgebung verwendet. In der öffentlichen Kunst- 
sammlung und im Historischen Museum waren die Konservatoren 
zur Führung der Besucher bereit, auf der Universitätsbibliothek hatte 
der Oberbibliothekar eine sehr interessante Ausstellung alter Hand- 
schriften und Drucke veranstaltet, Abends 7 Uhr fand das vom 
Ortsausschuß dargebotene Festessen im Musiksaal des Stadtkasinos 
mit gegen 700 Gedecken statt. Die Reihe der Toaste eröffnete der 
1. Vorsitzende mit den Worten: 

Wie es Brauch ist bei den Versammlungen deutscher Philologen 
und Schulmänner, gilt das erste Glas dem Vaterlande und dem 
Haupte des Vaterlandes. Die Oberhäupter der Staaten, deren An- 
gehörige hier vornehmlich vereinigt sind, die oberste Behörde und 
Vertretung unseres Landes, der Hohe Schweizerische Bundesrat, Seine 
Majestät der Deutsche Kaiser, Seine Majestät der Kaiser von Öster- 
reich und König von Ungarn, sie leben hoch! 

Bald nachdem der freudige Widerhall dieser Worte verklungen 
war, erhob sich der Präsident der Festkommission, Herr Dr. E. Köch- 
lin, zum offiziellen Willkommgruß in folgender Ansprache: 
Hochverehrte Anwesende! 

Vom Ortsausschuß ist mir, dem nicht zu Ihrer Zunft Gehörenden, 
der höchst ehrenvolle Auftrag geworden, Sie, werte Ehrengäste und 
Gäste, willkommen zu heißen. 

Ich danke unserer hohen Regierung für die Ehre, die sie uns 
durch Entsendung ihrer Vertreter erwiesen hat, und begrüße ihre 
Delegierten in unserer Mitte. 

Ich begrüße den Herrn Rector magnificus unserer Alma mater 
Basiiiens is und den Vertreter unserer Akademischen Gesellschaft, der 
Gehilfin unserer Universität. Mit Genugtuung begrüße ich unter uns 
die Vertreter der Schulbehörden des nachbarlichen Badens und Elsaß- 
Lothringens, und freue mich, Vertreter des Kantons Zürich, wo 
Ihre Versammlung in der Schweiz zuletzt getagt hat, bei uns zu 
sehen. 

Ihr alle aber, die Ihr zu uns nach unserm lieben Basel ge- 
kommen seid, „seid uns gegrüßt! 1 ' 

60 Jahre sind vergangen, seit Ihre illustre Versammlung der 
alten Konzilstadt die hohe Ehre ihres Besuches geschenkt hat. 60 J ahre, 
eine kurze Spanne Zeit in der Erscheinungen Flucht, und doch, wer 
möchte es unternehmen, von all dem zu reden, was seit dem Jahre 
1847 erstrebt und errungen worden ist! Tausend begnadete Geister 
haben auf allen Gebieten menschlicher Bestrebungen neue Wege ge- 
sucht und gefunden, auf denen ein neues Geschlecht neuen Zielen zu- 



204 



Fcstbericht. 



strebt. Die engen Mauern sprengend, haben die Städte selbst- 
bewußt ihre Grenzen gedehnt. Zersplitterte Staatengebilde sind 
unter dem ehernen Hammer der drängenden Zeit zu machtvollen 
Einheitsstaaten geschmiedet worden. Männer der Praxis haben dem 
Körper Flügel gegeben und der menschlichen Stimme ihre Grenzen 
genommen. Helden des Geistes haben der freien wissenschaftlichen 
Forschung die Bahn gebrochen und ihre helle Leuchte in die Welt 
getragen. Die Sprachforschung hat die Schätze des klassischen Alter- 
tums gesichtet und vergleichend ge wertet. Unerbittlich und wohl- 
tuend trennt der Historiker Sage und Geschichte. — Was die Minne- 
sänger sangen, ist Samtgut geworden, und des Volkes Lieder klingen 
wieder. Die Blüten der Literatur aller Völker finden ihre kundigen 
Bewunderer. Die alten Städte, die mit ihren Tempeln und ihren 
Toten längst versunken waren, sind wieder ins Licht des Tages ge- 
rückt worden, und aus den Gräbern seit Jahrhunderten schlafender 
Fürsten liest man ihre Geschichte. Wo Ströme des Wissens fließen, 
da sind geisteskühne Forscher an der Arbeit, den Ursprung und die 
Quelle zu finden. Und was auch auf den reichen Gefilden der Wissen- 
schaft aufblüht, das alles soll einer lernbegierigen glücklichen 
Jugend zu bleibendem Besitze dargebracht werden. Und wahrlich, 
die Gewebe, die Sie, hochverehrte Gäste, am Webstuhl der Zeit ge- 
woben haben, sind von den besten. Es war ein Adlerflug, den die 
vergangenen 60 Jahre uns zeigen. Wird es so bleiben? Das Firma- 
ment ist weit und des Adlers Auge verträgt die Sonne. Der Flug 
wird lichtwärts führen! 

Basels Bürger sind stolz, Sie bei sich aufnehmen zu dürfen. Der 
Geist, der je und je in Basel lebte, der ehrfurchtsvoll der Wissen- 
schaft und der Kunst huldigte, der durch alle Zeiten von berufenen 
und vorbildlichen Lehrern gelehrt und gepflegt worden ist, er ist 
auch heute noch wach und versucht seine Flügel zu regen, Ihnen 
entgegen. Mit Freuden haben wir den Kampfplatz gerüstet, auf dem 
Sie, die edle Garde der Wissenschaft, sich mit den blanken Waffen 
des Geistes messen wollen in einem Kampfe, in dem es keine Be- 
siegten gibt. Und mit Freuden trachten wir, Ihnen die Kampfes- 
pausen zu erquickenden Ruhestunden zu gestalten, von denen wir, 
die nicht zur Garde gehören, hoffen, daß uns aus dem Zusammensein, 
das Sie uns mit Ihnen gestatten, reiche Anregung erwachse. Offen 
ist das Haus der Gastfreundschaft und offen sind die Herzen, Sie 
zu empfangen. Und wenn Sie auch rauschende Feste nicht finden 
werden, so nehmen Sie, bitte, das Dargebotene mit warmem Herzen, 
wie es mit wannem Herzen dargeboten wird. 

Wenn aber, wie wir hoffen, unter Ihnen die rechte festliche 



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Featbericht 



205 



Stimmung Platz greift, so wollen wir nicht vergessen, daß heute 
viele unter uns in Sorge sind und bangen, ob unserem Nachbarland 
der edle Fürst erhalten bleibt. Sie seien versichert, daß wir mit 
ihnen fühlen; ist doch der königliche Herr von Baden unserm Land 
und insbesondere unserm Basel allezeit ein guter und lieber Nach- 
bar gewesen. 

Möge Ihre Versammlung von hohem wissenschaftlichen Wert 
für Sie alle sein, möge es uns aber auch gelingen, Ihren Aufenthalt 
bei uns in Basel so zu gestalten, daß Sie Sich stets mit Freuden an 
diese Tage erinnern mögen. 

Verehrte Ehrengäste und Gäste S Mein Auftrag, Sie zu begrüßen, 
hätte sich in drei Worte, die alles umschließen, fassen lassen: „Seid 
herzlich willkommen!" Meine werten Hiesigen, die Ihr diese drei 
Worte mit mir fühlt, erheben Sie Ihr Glas und lassen Sie unsere 
verehrten Ehrengäste und Gäste dreimal hoch leben. Sie leben hoch ! 

Im Namen der Gäste antwortete Wirkl. Geh. Ob. -Reg. -Rat 
Prof. Dr. D. Harnack (Berlin) mit einer glänzenden, geistsprtihenden 
Rede auf unser Basel. Nach einem Rückblick auf die Geschichte 
und Kultur der baslerischen Vergangenheit, in die der vor wenigen 
Stunden gemachte Fund einer Bischofsleiche des 12. Jahrhunderts 
im Münster unmittelbar zurückversetzte, kam er auf die Gegen- 
wart zu sprechen. Alle Gebildeten verbinden mit dem Wort „Jena" 
einen bestimmten gleichen Begriff, ebenso mit dem Worte „Bonn" 
oder irgendeinem Städtenamen. Mit dem Worte „Basel" verbinden 
wir einen Begriff wie: Matrone mit jugendfrischem Gesicht. Man 
darf Ehrfurcht haben, nicht nur vor Basels Vergangenheit, sondern 
auch vor seiner Gegenwart; diese Ehrfurcht ist noch schöner. Basel 
ist klein unter den Großstädten. Aber auf allen Gebieten der Wissen- 
schaft und Kunst tut es das Seine. Seine Universität hat es trotz 
aller erforderlichen Opfer erhalten und wird sie auch in Zukunft er- 
halten. Auf sozialem und charitativem Gebiet leistet es Außerordent- 
liches. Möge ihm unter allen Zwängen der Zukunft — Zwänge, die 
wir nötig haben — Luft, Kraft und Spielraum bleiben zur Hervor- 
bringung von Menschen eigenen Wesens. Mit Hilfe der Universität, 
der Bürgerschaft und aller guten Geister der Vergangenheit möge es 
seine Ideale erhalten und bleiben, was es war: eine Vorstadt deut- 
schen Wesens, vorbildlich für andere! 

Für die Basler Regierung sprach der Vorsteher des Erziehungs- 
departements Reg.-Rat Prof. Dr. Albert Burckhardt. Er sprach 
im Namen der Basler Zuhörer seine wärmste Freude darüber aus, 
daß wir von solcher Seite solche Worte haben hören dürfen, wie sie 
der Vorredner sprach, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß wir der 



206 



Festbericht. 



guten Worte uns werden würdig erweisen können mit Gottes Hilfe 
und unterstützt vom Mitstreben großer Männer, wie sie jetzt als 
Gäste unter uns weilen. Die Herren Philologen haben eine gewisse 
Seelenverwandtschaft mit den Baslern : die Philologen und die Basler 
sind Kritiker und lieben auch manchmal die subjektive Kritik mehr 
als die objektive. Möge es ihnen gut unter uns gefallen dank den 
Bemühungen der vorbereitenden Kommissionen, und mögen sie den 
Eindruck behalten, daß unter dem Basler Krummstab gut wohnen 
sei. Das Hoch des Redners gilt der gemeinsamen wissenschaftlichen 
Arbeit. 

Mit feinen, launigen Worten toastierte Prof. Dr. Ed. Schwartz 
(Göttingen) auf die Damen, indem er namentlich ihre philologische 
Befähigung, d. h. ihre Kunst im Reden und Rechtbehalten pries. 

Schließlich ergriff noch Hofrat Prof. Dr. Bormann (Wien) das 
Wort, um zur nächsten Philologen Versammlung nach Graz einzu- 
laden. Seine Rede ging indes in der animierten Stimmung den 
ferner Sitzenden leider teilweise verloren. 

Zwischen den einzelnen Ansprachen ließ sich die Basler Lieder- 
tafel mit einem ausgewählten Programm schwieriger Männerchöre 
hören, die sie, fein nuanciert, zum Ausdruck brachte; besonders sei 
der Zugabe, einer Komposition des Kapellmeisters Suter, rühmend 
gedacht. Womöglich noch wärmeren Applaus errangen die Schüler- 
eliten des Gymnasiums; sie trugen mit ihren frischen Stimmen gut- 
eingeübte Chöre vor, unter anderm ein von Dr. Jenny gedichtetes 
und vom Dirigenten Dr. Low komponiertes „Wanderlied des Gym- 
nasiasten 41 ; man hörte nur eine Stimme des Lobes über diese aus- 
gezeichneten Leistungen und mehr als ein Festteilnehmer sprach 
mit Tränen im Auge seinen Dank für diesen seltenen Genuß aus. 

Der übrige Verlauf des Abends war ein sehr gelungener und 
gemütlicher; viel trugen dazu das vom Wirt gut arrangierte und 
flink servierte Mahl und der allseitig wohlgewürdigte Ehrenwein bei, 
der eine immer kleiner werdende Schar bis 1 / i 2 Uhr zusammenhielt. 
Die künstlerisch ausgestattete Tischkarte wird mancher Teilnehmer 
als Andenken bewahren. 

Der Mittwochabend war nach den Sektionssitzungen des Vor- 
mittags und der zweiten allgemeinen Versammlung des Nachmittags 
dem ungezwungenen Beisammensein zur Pflege der persönlichen Be- 
ziehungen in den Stammlokalen gewidmet. Auch hatten die Ob- 
männer mehrerer Sektionen manche Mitglieder in ihren Häusern ver- 
sammelt. 

Nachdem der Donnerstagmorgen eine ungewöhnlich große Zahl 
Festteilnehmer mit der archäologischen und historisch-epigraphischen 



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Festbericht. 



201 



Sektion nach Windisch (Vindonissa) zur kombinierten Sitzung ent- 
führt hatte und fdr den Nachmittag die Damen vom Daraenkomitee 
zu einem hübsch arrangierten Kaffee im St. Margarethengut ein- 
geladen waren, trafen sich um % 7 Uhr die Gäste und ein zahl- 
zeiches Publikum im herrlichen Münster, um Berlioz' Requiem, vom 
Basler Gesangverein dargeboten, anzuhören und auf sich wirken zu 
lassen. Die Münchener Neuesten Nachrichten melden darüber unter 
dem 12. Oktober: „Vor allem war die musterhafte Aufführung von 
Berlioz' Requiem in dem prachtvollen Münster ein Genuß höchstea 
Ranges. Das mächtige Werk kam unter Kapellmeister Suters Lei- 
tung mit der ganzen Wucht seiner Tonsprache und, trotz aller Kom- 
pliziertheit seines Baues, in voller Klarheit der Grundlinien zur Er- 
scheinung." Und der Musikreferent der „Basler Nachrichten' 1 , Priv.- 
Doz. Dr. K. Nef, schreibt in seinem Referat u. a.: „Doch es soll 
hier nicht noch einmal das Requiem im einzelnen besprochen 
werden, sondern nur die schöne Aufführung durch den Gesangverein 
dankend quittiert sein. Es schien, daß die Philologen und Schul- 
männer in großer Zahl der Aufführung beiwohnten und man darf 
wohl daraus schließen, daß auch heute noch ein Fünkchen Musik- 
liebe in ihnen glimmt. Im Mittelalter und bis zur Zeit des Ratio- 
nalismus waren alle Schulen, hoch und niedrig, der Musik in herz- 
licher Liebe zugetan; im 19. Jahrhundert haben sie ihr diese Neigung 
leider vielfach entzogen. Man darf wohl bei dieser Gelegenheit den 
Wunsch aussprechen, sie möchte in früherer Stärke wiederkehren 
und die modernen Philologen möchten auch in diesem Punkte, wie 
die musikbegeisterten Humanisten, ihrem Vorbild, den Griechen, 
nachahmen. Den Idealismus zu fördern, woran es uns heute so not 
tut, ist die Tonkunst ein starkes Hilfsmittel." 

Nach dem Konzert folgten verschiedene Teilnehmer einer Ein- 
ladung des Rector magnificus zum Nachtessen im Sommerkasino. 

Für den Freitag war ein Bierabend vom Ortsausschuß ange- 
boten. Noch einmal füllte sich der Musiksaal bis zum letzten Plätz- 
chen. Ein gemütliches Leben an kleinen Tischen, beim Trunk und 
kalten Imbiß, entwickelte sich schnell, ernsthafte Fachgespräche 
mischten sich mit heiteren Scherzworten, die Befriedigung über das 
Geleistete und Gehörte klang aus allem heraus. Allgemeine Heiter- 
keit aber erregte ein von Dr. W. Vischer gedichtetes Festspiel. Es 
versetzte uns zuerst in eine Beratung der olympischen Götter über 
die Frage, wie der Basler Philologentag unterstützt werden könnte. 
Nachdem sich gezeigt hatte, daß weder ein Gott noch Geld zu diesem 
Behufe verfügbar sei, wird der Entschluß gefaßt, die Basler Huma- 
niston Erasmus, Amerbach, Platter und Froben aus der Unter- 



208 



Feßtheticht. 



weit zu berufen und zu entsenden, die dann ziemlich scharfe Kritik 
an Ausstattung und Gehalt der Festschriften üben. In launiger Bier- 
rede stattete Prof. Dr. Wolters (Würzburg) dem Dichter den Dank 
der Versammlung ab. Einige gemeinsame Studentenlieder vermochten 
auf kurze Zeit noch den Zusammenhang der Corona aufrecht zu er- 
halten, dann wurden die Lücken größer und größer, galt es doch am 
folgenden Morgen %8 Uhr im Eisenbahnwagen zu sitzen. Eine kleine, 
größtenteils von Studenten gebildete Bierrepublik hielt zusammen, 
bis um V« 2 Uhr der Wirt unerbittlich Schluß erklärte. 

Zum Ausflug an den Vierwaldstättersee stellten sich rund 200 
Personen ein, die, von einem Extrazug gegen 1 / a 10 Uhr nach Luzern 
gebracht, dort den unter Dampf liegenden prächtigen „Schiller" 
betraten. Ein zeitgemäßer Imbiß versetzte die Gesellschaft alsbald 
in die richtige Stimmung, der sich sogar das Wetter anzupassen ver- 
stand; denn mehr und mehr umzogen sich Himmel und Berge mit 
Wolken und kräuselte sich der See mit schaumgekrönten Wellen, 
und kaum waren wir auf der Höbe von Brunnen am Eingang des 
Urnersees angekommen, da setzte mit einemmal ein kräftiger Föhn 
ein, der im Nu seine Opfer in Gestalt mehrerer Hüte wirbelnd davon- 
trug. Nach kurzem Aufenthalt an der Teilskapelle und Besichtigung 
der Stückelbergschen Fresken landeten wir an der Notbrücke in 
Brunnen, wo unser im Waldstätterhof ein treffliches Mittagessen 
wartete. Unter den vielen ausgebrachten Toasten, die die Damen, 
die akademische Freiheit, die Schweiz leben ließen, aber leider großen- 
teils nur von den Nächstsitzenden verstanden wurden, sei die humor- 
volle Rede Prof. D. Kautzschs (Halle) erwähnt, der der Organi- 
sation seinen Dank aussprach und seiner früheren vorübergehenden 
Heimat Basel gedenkend feststellte, daß der Basler Charakter auch 
diesmal wieder sich dadurch gezeigt habe, daß Basel mehr gehalten habe, 
als es versprochen hatte. Einen ernsten Ton schlug Prof. Dr. Münzer 
an, dessen Rede in die Bitte an die Vertreter deutscher Universitäten 
ausklang, dem steten Streben der Basler Alma mater, nicht hinter 
den deutschen Kolleginnen zurückzustehen, Anerkennung und Unter- 
stützung zu leihen. So verging die Zeit im Fluge, und bald rief uns 
die Schiffsglocke wieder an Bord. Zunächst wurde dem Rütli noch 
ein Besuch abgestattet. Mit kurzen und kernigen Worten wies 
Dr. Köchlin darauf hin, daß man hier auf einem jedem Schweizer 
heiligen Boden stehe; wie auf Verabredung entblößten sich alle 
Häupter, und mit Ergriffenheit hörten die Gäste aus dem Munde der 
jungen und alten Schweizer Studenten Gottfried Kellers Lied: „0 
mein Heimatland, o mein Vaterland, wie so innig, feurig lieb' ich 
dich!" In ein Hoch auf die Schweizer Brüder klang das Ganze aus. 



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Festbericht. 

Dann führte uns der „Schiller 4 ' nach Luzern. Manche Teilnehmer 
folgten gern der Einladung von Herrn Oberst Bircher zum Besuch 
des Kriegs- und Friedeosmuseums, die übrigen durchkreuzten die 
Stadt oder taten sich gütlich. Zum letztenmal vereinigte der Bahn- 
zug die ganze Schar und brachte sie gegen 9 Uhr wohlbehalten nach 
Basel zurück. 

Der wissenschaftliche Ausschuß (d. h. die provisorischeu Ob- 
männer der Sektionen und einige andere Herren) besorgte die Vor- 
bereitung der Versammlung im allgemeinen. Daneben bestand 

Die Wohnungs- und Empfangskommission aus den Herren: 
Dr. H. Burckhardt-Passavant, Präsident, Dr. M. K. Forcart, 
Dr. E. Preiswerk, Dr. A. Silbernagel, Dr. F. Vischer, Dr. F. 
Vonder Mühll. 

Die Festkommission setzte sich zusammen aus den Herren: 
Dr. E. Köchlin, Präsident, Dr. C. Chr. Bernoulli, Dr. M. Bö- 
niger, Dr. A. Burckhardt, E. Fischer-Eschmann, Dr. F. Hol- 
zach, Prof. Dr. H. Rupe, Dr. H. Stumm. 

Die Finanzkommission wurde gebildet von den Herren: 
A. Sarasin-Iselin, Präsident, M. Ehinger, Kassierer, W. Christ- 
Iselin, Dr. A. Fischer-Nienhaus, E. Müry-Dietschy. 

Dem Preßausschuß gehörten an: Als Vertreter der Presse: 
Red. Dr. A. Oeri, Präsident, Red. F. Brändlin, Red. H. Schulz, 
G. Reiner, Lehrer. Als Vertreter im Zontralbureau: Dr. G. 
Ryhiner. Als weitere Mitglieder: G. Helbing, Buchhändler, 
Dr. G. Steiner. Als Vertreter in den Sektionen: Dr. G.Walter, 
Dr. H. Frei, Dr. A. v. Salis, Dr. E. Jenny, Dr. A. Barth, Dr. 
P. Roches, cand. phil. K. Jost, Dr. Th. Gubler, S. Flury, V. 
D. M., Dr. 0. Mautz. 

Außerdem hatten eine Anzahl hiesiger Damen, sowie viele Stu- 
denten und Schüler der obersten Klassen ihre Dienste angeboten; sie 
wurden vornehmlich der Empfangskommission und dem Zentral- 
bureau zugeteilt. 

Während der Versammlung wurden vom Preßausschuß, haupt- 
sächlich von dessen Präsidenten, vier Nummern eines „Tageblatts" 
herausgegeben, das vor allem das Festprogramm jedes Tages, ge- 
schäftliche Mitteilungen und die Mitgliederliste enthielt Dem Zentral- 
bureau war die Aufgabe zugewiesen, Anmeldungen entgegenzunehmen, 
Festschriften und Ausweise abzugeben, Auskünfte zu erteilen und die 
Mitgliederliste zusammenzustellen; außer einer kurzen Mittagspause 
stand es den ganzen Tag offen und wurde vielfach benutzt. 

Verhandlungen d. »9. V«r«. deutscher Philol. u. Scbulm. 14 



210 



Festschriften und Festgaben. 



Festschriften und Festgaben. 

a) für alle Teilnehmer. 

1. Festschrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen und Schul- 
männer in Basel im Jahre 1907 (Basel). 

Inhalt: 

Barth, Albert: Le fabliau du Büffet. 

Binz, Gustav: Untersuchungen zum altenglisolien sogen. Crist. 
Bruckner, Wilhelm: Über den Barditus. 
De Roche, Charles: Une Source des Tragiques. 
Geßler, Albert: Franz Knitters Bernauerdrama. 
Hoffmann-Krayer, Eduard: Ferndissimilation von rund 1 im 
Deutschen. 

Joel, Karl: Zur Entstehung von Piatons „Staat". 
Körte, Alfred: Der Kothurn im 5. Jahrhundert. 
Luginbühl, Rudolf: Die Anfänge der Kartographie in der 
Schweiz. 

Meier, John: Wolfram von Eschenbach und einige seiner Zeit- 
genossen. 

Münzer, Friedrich: Zur Komposition des Velleius. 

Oeri, Jakob: Die MEPH THZ TPArQIAlAI in der Tragödie des 

5. Jahrhunderts. 
Plüß, Theodor: Das Gleichnis in erzählender Dichtung. 
Rabel, Ernst: Elterliche Teilung. 

Rossat, Arthur: La poesie religieuse patoise dans le Jura ber- 
nois catholique. 

Schöne, Hermann: Markellinos' Pulslehre. 

Sommer, Ferdinand: Zum inschriftlichen NY E0EAKYITIKON. 

Spieß, Otto: Die Mathematik auf dem Gymnasium. 

Stähelin, Felix: Zu Ciceros Briefwechsel mit Plancus. 

Tappolet, Ernst: Zur Agglutination in den französischen Mund- 
arten. 

Thommen, Emil: Aus Seb. Fäschs Reisebe^chreibung (1669). 
Thommen, Rudolf: Die Einführung des gregorianischen Kalen- 
ders in der Schweizerischen Eidgenossenschaft. 

2. Das Schulwesen des Kantons Basel -Stadt, von Rektor Dr. 
J. Werder, überreicht vom Erziehungsdepartement. 

3. Die Entstehung des Amerbachschen Kunstkabinets und der Amer- 
bachschen Inventare, von Prof. Dr. P. Ganz und Dr. E. Major, 
überreicht von der Öffentlichen Kunstsammlung. 

4. Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Jahrg. 11, Heft 3, über- 
reicht von der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde, Basel 1907. 

5. Führer durch Basel und Umgebung, herausgegeben vom Verkehrs- 
verein Basel und dem Verein Basler Gastwirte. 

6. Verlagsverzeichnis B. G. Teubner, Leipzig-Berlin 1907, über- 
reicht von der Verlagsbuchhandlung. 



Festschriften und Festgaben. 



211 



7 Deutsche Geschichtsblätter, Bd. 9, Heft 1, überreicht vom Heraus- 
geber Dr. A Tille. Gotha 1907. 

8. Handbuch für Lehrer höherer Schulen, Auszug aus der Besprechung 
von G. Siefert. Sonderabdruck aus den Neuen Jahrbüchern für 
das klassische Altertum, Jahrgang 1907, Abteilung II, Heft 8, 
überreicht von der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner. 

9. Proben aus der Zeitschrift „Glotta", Bd. 1, Heft 1, 1907, über- 
reicht von der Verlagsbuchhandlung Van den hoek u. Ruprecht, 
Göttingen. 

b) für bestimmte Sektionen und Teilnehmergruppen. 

10. Die deutschen Handschriften der öffentlichen Bibliothek der Uni- 
versität Basel, beschrieben von Bibliothekar Prof. Dr. G. Binz. 
Bd. 1, Abteilung A. Basel 1907. 

11. Iuvenes dum sumus. Aufsätze zur klass. Altertumswissenschaft, 
von Mitgliedern des Basler klassisch - philologischen Seminar- 
1901—1907. Helbing u. Lichtenhahn, Basel 1907. 

Inhalt: 

A. Rüegg: Das Verhältnis Plutarchs und Arrians zur ungünstigen 
Auffassung Alexanders des Großen in der Geschichtsschreibung 
des Altertums. 

A. Hartmann: Lucian und Juvenal. 

R. Preis werk: Griechische Gemeinplätze in Ciceros Beden. 

M. Geizer: Zwei Einteilungsprinzipien der antiken Traumdeutung. 

W. Altwegg: Zum Aias und Odysseus des Antisthenes. 

A. v. Salis: Studien zu den attischen Lekytben. 

F. VonderMühll: Zur Lebensgeschichte des A. Gabinius cos. 68. 

A. Debrunner: PQTAKIZß. 

P. Vonder Mühll: Zum ersten Buch der Nikomachischen Ethik. 
Diogenis Laertii vita Piatonis recensebant H. Breitenbach, 
F. Buddenhagen; A. Debrunner, F. Vonder Mühll. 

1 2. Die Statuten der philosophischen Fakultät der Universität Basel, 
herausgegeben von Oberbibliothekar Dr. C. Chr. Bernoulli, dar- 
gebracht von der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft 
zu Basel 1907. 

13. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 7, 
Heft 1, 1907, überreicht von der Historischen und Antiquarischen 
Gesellschaft zu Basel. 

14. Die Gipsabgüsse in der Skulpturhalle zu Basel, beschrieben von 
Prof. Dr. J. J. Bernoulli und Dr. Rud. Burckhardt. Helbing 
u. Lichtenhahn, Basel 1907, überreicht von Prof. Dr. J. J. 
Bernoulli. 

14* 



212 



Festschriften und Festgaben. 



15. Wochenschrift für klassische Philologie, 24. Jahrgang, Nr. 39, 
1907, überreicht von der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung, 
Berlin. 

16. Mitteilungen des Vereins der Freunde des humanistischen Gym- 
nasiums, Wien 1907, Heft 2 u. 3, überreicht vom Vereinsvorstand. 

17. Prospektheft aus: Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte, 
herausgegeben von Prof. Dr. K. Lamprecht. Voigtländers 
Verlag in Leipzig. 

18. Probebogen aus: Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch von J. M. 
Stowasser; 3. umgearbeitete Auf läge von M. Petschenig, Ein- 
leitung und etymologischer Teil neu bearbeitet von F. S kutsch. 
Verlag Tempsky in Wien und Freytag in Leipzig. 

19. Br. Keil: Pro Hermogene (S.-A. a. Nachrichten der K. Gesellsch. 
d. Wissensch. Göttingen Phil. Kl. 1907). 

Die im ganzen 701 Mitglieder und Ehrengäste verteilen sich 
ihrer Provenienz nach wie folgt: Aus Basel 231, aus der übrigen 
Schweiz 121, aus Deutschland 310, aus Österreich-Ungarn 15, aus 
Großbritannien 7, aus Frankreich und den Vereinigten Staaten von 
Nordamerika je 4, aus Italien und den Niederlanden je 3, aus 
Dänemark, Griechenland, Schweden je 1. Von den 131 Damen ent- 
fallen auf Basel 67. 



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Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste 

der 

49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. 



Adami, Dr., Oberlehrer, Frankfurt 

a. M. 

Alt, C, Privatdoz. Dr., Darmstadt. 
Aly, Fr., Prof. Dr., Gymnasialdir., 

Marburg i. H. 
Aly, Frau Prof., Marburg i. H. 
Aly,W.,Privatdoz. Dr., Freiburg i.B. 
Aly, Frau Dr., Freiburg i. B. 
Andler, Ch., Prof., Paris. 
Ankel.P., Oberlehrer, Frankfurt a M 
Anstein, H., Pfarrer, Basel. 
Anthes, E., Prof. Dr., Darmstadt. 
An, 0. v., Prof. Dr., Winterthur. 
Atorf, Dr. Oberlehrer, Gebweiler. 

Bachmann, A., Univ. -Prof. Dr., 
Zürich. 

Bachmann, E., Frau Prof., Zürich. 

Baier, Dr., Reg.- u. Schulrat, Col- 
mar i. E. 

Baier, Frau Reg -Rat, Colmar i. E. 

Baist,G.,Univ.-Prof.Dr.,Freiburgi.B. 

Barth, A., Hilfslehrer, Zürich. 

Barth, A., Dr., Lehrer, Basel. 

Barth-Burckhardt, Frau Pfr., Basel. 

Barth, H., Dr., Bibliothekar, Winter- 
thur. 

Barthel, W., Dr., Ass. bei d. Reichs- 
limeskommission, Freiburg i. B. 

Bauer, St., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Baumgartner, A., Univ.-Prof. Dr., 
St. Jakob b. Basel. 

Baumgartner, M., Fräulein, St. Jakob 

b. Basel. 

Beck, B., Rektor, Zürich. 
Beck, C. F., Buchhändler, Leipzig. 
Beck, Th., Dr. med., Basel. 
Beckurts, Dr., Gjmn.-Dir., Holz- 
minden a. d. Weser. 
Beiart, C, Reallehrer, Basel. 



Below, G. V., Univ.-Prof Dr., Geh 
Hofr., Frei bürg i. B. 

Benz, G., Pfr., Basel. 

van Bereitem, M., Dr., Crans b. Genf. 

Berger, A. E., Prof. Dr., Darmstadt. 

Berger, A. E., Frau Professor, Darm- 
stadt. 

Berger, K., Prof. Dr., Darmstadt. 

Bernays, Dr., Lörrach. 

Bernoulli, C. Chr., Dr., Oberbiblio- 
thekar, Basel. 

Bernoulli, E., Dr., Zürich. 

Bernoulli, J. J., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Bertholet, A., Univ.-Prof. D., Basel. 

Bertoni, G., Univ.-Prof. Dr., Frei- 
burg i. S. 

Bethe, E. , Univ. - Prof. Dr., Geh 
Hofr., Leipzig. 

Bethe, M., Frau Geheimrat, Leipzig 

Bieber, E., Dr., Oberlehrer, Frank- 
furt a. M. 

Biedermann, A., Dr., Lehrer, Basel. 

Binz, G., Univ.-Prof. Dr., Bibl., Basel 

Binz, E., Frau Professor, Basel. 

Bissegger, J., Fräulein, Zürich. 

Bissing, F. W. v., Univ.-Prof. Dr., 
München. 

Björkman, E., Univ.-Prof. Dr., Göte- 
borg. 

Blaum, R., Prof. Dr., Straßburg. 
Blocher, W., Lehrer, Basel. 
Blümner, H., Univ.-Prof. Dr., Zürich. 
Blum, Fr., Dr., Realschuldirektor, 

Mannheim. 
Bode, P., Dr., Oberrealschuldirektor, 

Frankfurt a. M. 
Boeckel, E., Dr., Heidelberg. 
Boehm, M., Prof., Oberlehrer, Geb- 

weiler. 

Boelte, F., Prof. Dr., Frankfurt a. M. 



214 



Alphabeiische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



Boesch, F., Dr., Oberlehrer, Wilmers- 
dorf-Berlin. 

Boesch, P., Dr., Zürich. 

Bohnenberger, C, Univ.-Prof. Dr., 
Bibl., Tübingen. 

Bohnenblnst, G., Dr., Gymnasial- 
lehrer, Zürich. 

Boll, Fr., Üniv.-Prof. Dr., Würzbarg. 

Bonhöffer, H., Prof., Bibl., Stuttgart 

Boos, H., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Bormann, E., Üniv.-Prof. Dr., Hotr., 
Wien. 

Bosch, J., Oberlehrer, Zillisheim i.E. 
Bovet, E., Üniv.-Prof. Dr., Zürich. 
Bovet, P., Prof. Dr., Neuchätel. 
Brandl, A., Univ.-Prof. Dr., Berlin. 
Brandstetter, R., Prof. Dr., Luzern. 
Brandt, S., Univ.-Prof. Dr., Heidel- 
berg. 

Braunholz, E. G. W., Prof. Dr., Cam- 
bridge. 

Brenner-Eglinger, H., Bibliothekar, 
Basel. 

Breßlau, H , Univ.-Prof. Dr., Straß 
bürg. 

Brinkmann, A., Univ.-Prof. Dr., 
Bonn. 

Brocke, E., Oberlehrer, Zabern. 
Brooks, N. C, Univ.-Prof., Urbana 
(III.). 

Bruckner, W.. Univ.-Prof. Dr., Basel 
Brütt, M., Prof. Dr., Schulrat, Ham- 
burg. 

Brütt, Fräulein, Hamburg. 
Brunner, J., Prof., Zürich. 
Brust, Oberkandidat, Hagenau. 
Buchenau, A., Dr., im Verlag von 

B. G. Teubner, Leipzig. 
Bührer, 0., Dr., Schulinspektor, 

Liestal. 

Bürger, C. Dr., Langenburg a. H. 
Bulle, H., Univ.-Prof. Dr., Erlangen. 
Burckhardt, A., Kaufmann, Basel. 
Burckhardt- Biedermann, Th., Dr., 
Basel. 

Burckhardt - Burckhardt, A., Dr., 
Basel. 

Burckhardt -Burckhardt, H., Frau 
Dr., Basel. 

Burckhardt-Ecklin, Frau Dr., Basel 

Burckhardt-Fetscherin, H., Dr. jur , 
Bankdirektor, Basel. 

Burckhardt-Finsler, A., Univ.-Prof. 
Dr., Reg.-Rat, Vorsteher des Er- 
ziehungsdepartements , Vertreter 
der Regierung von Basel -Stadt, 
Basel 



Burckhardt, F., Univ.-Prof. Dr., Alt- 
rektor, Basel. 

Burckhardt-Heußler, A., Kaufmann, 
Basel. 

Burckhardt-Heußler, J., Frau, Basel. 
Burckhardt, J., Fräulein, Basel. 
Burckhardt-Passavant,H R.,Dr.jur., 
Basel. 

Burckhardt- Passavant, Frau Dr., 
Basel. 

Burckhardt, R., Dr , Konservator a. 
Histor. Museum, Pratteln. 

Burger, R., Prof., Freiburg i. B. 

Busse, Prof. Dr., Gymn.-Dir., Frank- 
furt a. M. 

Busse, Krau Direktor, Frankfurt a. M. 

Busse, A., Fräulein, Frankfurt a. M. 

Caminada, D. , Kantonsschullehrer, 
Aarau. 

Carlsohn, Buchhändler, Leipzig. 
Carpenter, E., Prof., Oxford. 
Christ-Merian, H., Kaufmann, Basel. 
Christ-Merian, M., Frau, Basel 
Christ- de Neufville, R., Kaufmann, 
Basel. 

Christ- de Neufville, N., Frau, Basel. 
Clapp, E , Univ.-Prof ,Berkeley(Cal.). 
Clavel, G., Kleinhüningen-Basel. 
Corning, H. K., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Dadelsen, H. v., Prof. Dr., Gebweiler. 
Dalitzsch, M., Prof. Dr., Freiburg i. B. 
David, H., Dr. jur., Präsident des 

Reg.-Rates,Vertreter d. Regierung 

von Basel-Stadt, Basel. 
Debrunner, A., Dr., Basel. 
Decker, E., cand. theol., Kornthal 

(Württ.). 

Decker,G., Rektor, Kornthal( Württ.). 
Degen, E., stud phil., Binningen. 
Degen, H., Sek.-Lehrer, Basel. 
Deißmann, A., Univ.-Prof. Dr. D., 

Heidelberg. 
Derenbourg, H , Prof. Dr., Mitglied 

des Institut de France, Paris. 
Derenbourg, Frau Professor, Paris. 
Dessoulavy, P., Univ.-Prof. Dr., Neu- 

chätel. 

Dick, A., Dr , Rektor, St. Gallen. 

Dick, Prof., St. Gallen. 

Dick, E., Dr., Basel. 

Diehl, E., Univ.-Prof. Dr., Jena. 

Diels, H., Univ.-Prof. Dr., Geh. Reg.- 

Rat, Berlin. 
Dietschy, Ch., Lehrerin, Basel. 
Dissel, *K., Prof. Dr., Hamburg. 



Alphabetische Liste «1er Mitglieder und Ehrengäste. 



215 



Doehle, Prof. Dr., Strasburg. 
Dohmann, Th., Prof., Schopf heim. 
Dorfeid, K., Dr., Realschaldirektor, 
* Oppenheim a. Rh. 
DragendorfF, H., Prof. Dr., Direktor 

der röm.-germ. Kommission des 

archäol. Instituts, Frankfurt a. M. 
Dreyfus- Brodski, J., Bankier, Basel. 
Dreyfus-Brodski, Frau, Basel. 
Dreyfuß, Oberlehrer, Mülhausen i.E. 
Dürr, E., cand. phil., Basel. 
Duhn, F. v., Univ. -Prof. Dr., Geh. 

Hofr., Heidelberg. 
Dworski, E., Landesschulinspektor. 

Lemberg. 

Ecklin, W., Pfarrer, Basel. 

Egen, Prof. Dr., Gymn.- Direktor, 
Warendorf. 

Eglinger, R., Fräulein, Basel. 

Ehrisinann, G., Univ. - Prof. Dr., 
Heidelberg. 

Ehrismann, Frau Professor, Heidel- 
berg. 

Engelhardt, 0., Dr., Saalfeld. 
Kngeli, A., Prof. Dr., Winterthur. 
Epstein, P., Privatdoz. Dr., Straß- 
burg. 

Ermatinger, E., Prof. Dr., Winter- 
thur. 

Euting, J., Univ.-Prof. Dr., Direktor 
der Kais. Univ.- u. Landesbiblio- 
thek, Straßburg. 

Ewig, M., Fräulein, Basel. 

Fehr, B., Prof. Dr., St. Gallen. 
Fehr, H., Prof. Dr., Genf. 
Fimmen, D., stud. phil., Hüningen. 
Fink, P., Dr., Lehrer, Winterthur. 
Finsler, G., Dr., Rektor, Bern. 
Finsler, G., Dr., Lehrer, Basel. 
Fischer, A., Univ.-Prof. Dr., Leipzig. 
Fischer- Eschmann, E., Kaufmann, 

Fischer, H. v., Univ.-Prof. Dr., Tü- 
bingen. 

Flatt, R., Dr., Rektor, Basel. 
Flury, S., V. D. M., Lehrer, Basel. 
Forcart, C, Dr. med., Basel. 
Frankfurter, S., Dr., Kustos a. d. 

Üniv.-Bibl., Wien. 
Frei, H., Dr., Gymn.-Lehrer, Basel. 
Freivogel, L., Dr., Lehrer, Basel. 
Frey, E., Prof., Winterthur. 
Frey, J., Dr., Geh. Reg.-Rat, Münster 

i. W. 



Fricke, K., Prof. Dr., Gymn.-Direk- 

tor, Bremen. 
Friedmann, A., Prof., Lörrach. 
Friedrich, F., Prof., Waldshut. 
Fritz, F., cand. theol., Basel. 
Fritz, J., Prof. Dr., Straßburg. 
Froeling, J., Prof., Homburg v. d. 

Höhe. 

Ganz, P., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Gauchat, L., Univ.-Prof. Dr., Zürich. 
Gautier, L., Univ.-Prof. Dr., Genf. 
Gautier, L., stud. phil., Genf. 
Gebhardt, A., Privatdoz. Dr., Er- 
langen 

Geiger, E., Dr., Lehrer, Wohlen. 
Geißler, K., Dr., Ebikon (Luzern). 
Geißler, Frau, Institutsvorsteherin, 

Ebikon (Luzern). 
Gerig, W., Bern. 

Geßler, A., Univ.-Prof. Dr., Arles- 
heim. 

Geßner, Dr., Lehrer, Aarau. 

Giesecke, A., Dr., Verlagsbuchhänd- 
ler, Leipzig. 

Gisi, J., Fräulein Dr., Basel. 

Goeßler, P., Dr., Direktorialassistent, 
Stuttgart. 

Goeßler, Frau Dr., Stuttgart. 

Goez, Prof., Frankfurt a M. 

Gonser, P., Dr., Basel. 

Gonser, Frau Dr., Basel. 

Grimsehl, E., Prof., Hamburg. 

Groppngießer, G., Dr., Heidel- 
berg. 

GropiuH, R., Prof. Dr., Weilburg 
a. Lahn. 

Gropius, H., Fräulein, Weilburg 
a Lahn. 

Gropius, M., Fräulein, Weilburg 
a. Lahn. 

Großmann, M., Prof. am Polytechn. 

Dr., Zürich. 
Grube, Prof. Dr., Lübeck. 
Grobe, Frau Professor, Lübeck. 
Grüninger, A., Dr., Lehrer, St. Croix 

(Waadt). 

Grüninger, K., Dr., Gymn.-Lehrer, 
Basel. 

Grünwald, E., Prof. Dr., Oberlehrer, 
Berlin. 

Gruner, P., Univ.-Prof. Dr., Bern. 
Grunsky, Prof, Göppingen. 
Gschwind, Dr., Basel. 
Gubler, Th., Dr., Sek.-Lehrer, Basel. 
Gudeman , A. , Univ. - Prof. Dr., 
München. 



216 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



Gunning, J. H., Privatdoz. Dr., Reg.- 
u. Schulrat, Amsterdam. 

Guyer, S., Dr., V. D. M., Bern. 

Gysel, J., Dr., Kantonsschuldirektor, 
Schaffhausen. 

Haas, J., Prof., Freiburg i. Br. 
Hadorn, W., Dr., Gymn.-Lehrer, 
Zürich. 

Häfliger, E., Bezirkslehrer. Ölten. 
Hägler -a Wengen, A., Dr. med., 
Basel. 

Hägler-ä Wengen, Frau Dr., Basel. 
Hägler- Gutzwiller, A., Dr. med., 
Basel. 

Hagenbach, A., Univ. -Prof. Dr., 
Basel. 

Halenbach, Frau Prof., Basel. 
Hagenbach -üerri, F., Univ. -Prot". 

Dr., Basel. 
Hagenbach- Bischoff, E., Univ.-Prof. 

Dr., Basel. 
Hagenbach-Burckhardt, J., Frau Dr., 

Basel. 

Hagenbach, M., Fräulein, Basel. 
Haie, W. G., Univ.-Prof., Chicago 
Harnack, A., Univ.-Prof. D. Dr., 

Wirkl. Geh. Oberreg.-Rat, Berlin. 
Hasse, Th., Dr., Oberlehrer, Mar- 

kirch. 

Haug, E., Prof., Schaffhausen. 
Hausrath, A., Prof. Dr., Karlsruhe. 
Hecht, H., Privatdoz. Dr., Bern. 
Hecht, Frau Dr., Bern. 
Hediger, St., Dr., Basel. 
Heege, Prof. Dr., Blaubeuren. 
Heinze, R., Univ.-Prof. Dr., Leipzig. 
Helbing, A., Dr., Bezirkslehrer, 
Aarau. 

Helbing, <»., Buchhändler, Basel. 

Helbing, R., Prof. Dr., Karlsruhe. 

Helm, K., Univ.-Prof. Dr, Gießen. 

Heman, F., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Henze, Prof. Dr., Blaubeureo. 

Hepding, H., Dr., Hilfsbibl., Gießen. 

Hermann, J., Luzern. 

Hessen, J., Hauptmann a. D., Basel. 

Heusler, A., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Heusler, A., Univ.-Prof. Dr., Berlin. 

Hirzel, A., Dr., Rektor, Aarau. 

Hirzel, C, Dr., Oberstudienrat, Rek- 
tor, Ulm. 

His, E., stud. jur., Basel. 

Hitzig, H., Univ.-Prof. Dr., Zürich. 

Hoefer, U., Prof. Dr., Saarbrücken. 

Hoelder, K., Gymn.-Oberpräzeptor, 
Stuttgart. 



Hölscher, G., Privatdoz. Dr. Lic, 
Halle. 

Hoffmann-Krayer, E., Univ.-Prof. Dr., 
Basel. 

Hoffmann,E.,Dr.,Oberlehrer,Breslau. 
Hoffmann, W., Lehrarotupraktikant, 
Lörrach. 

Holzach, F., Dr., Schulinspektor, 
Basel. 

Homberger, R., Frau, Florenz. 
Hotz, R., Dr., Gymn.-Lehrer, Basel. 
Huber, R., Dr., Lehrer, Bern. 
Hünerwadel, W.. Dr., Winterthur. 
Hug, J., Prof., Zug. 
Hultzsch, E., Univ.-Prof. Dr., Halle. 
Hultzsch, Frau Professor, Halle. 

Ilberg, J., Prof. Dr., Leipzig. 

Imelraann, J., Prof. Dr., Geh. Reg - 
Rat, Charlottenburg. 

Imelmann, S., Frau Geh.-Rat, Char- 
lotte nburg. 

Imelmann, R., Privatdoz. Dr., Bonn. 

Imelmann, M., Frau Dr., Bonn. 

Imhof, G., Dr., Lehrer, Basel. 

Imhoof-Blumer, F., Dr., Winterthur. 

lseli,G., Sek -Lehrer, cand phil., Bern. 

Ißelin, L. E., Pfr., Riehen. 

Iselin, Th., S. M. C, Basel. 

Jacobsthal, H., Dr., Straßburg. 
Jantzen, H., Dr., Schuldirektor, 

Königsberg i. Pr. 
Jeanjaquet, J., Prof. Dr., Neuch&tel. 
Jenny, E M Dr., Gymn.-Lehrer, Basel. 
Jenny, Frau Dr., Basel. 
Jordan,R.,Privatdoz.Dr., Heidelberg. 
Jost, K., cand. phil , Basel. 
Jud, J., Prof. Dr., Zürich. 
Juret, K., Prof. Dr.. Altdorf (Uri). 

Kägi, F., Dr., Reallehrer, Basel. 
Kahle, Dr., Mülhausen i. E. 
Kai bei, J., stud. phil.. Göttingen. 
Kapp, Lic, Oberlehrer, Mülhausen 
i. E. 

Karo, G., Sekr. d. deutschen arch. 

Inst., Athen. 
Karo, H., Frau, Florenz. 
Kaufmann, Prof. Dr., Mülhausen i.E. 
Kautzsch, E., Univ.-Prof. D., Halle. 
Keil, B., Univ.-Prof. Dr., Straßburg. 
Keil, Prof. Dr., Stolp. 
Keller, A., Lehrerin, Basel. 
Keller- Hürlimann, W., Dr., Zürich. 
Keller -Hürlimann, C, Frau Dr., 

Zürich. 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



217 



Keller, H., Dr., Sek. -Lehrer, Basel. 
Keller, W., cand. phil., Basel. 
Keller, W., üniv.-Prof. Dr., Jena. 
Kern, J. H., Univ. -Prof. Dr., Gro- 
ningen. 

Keger, J., Prof., Freiburg i. B. 

Kinzler, G. A., Pfr., Lehrer a. Mis- 
sionshaus, Basel. 

Kirchhofer, K., Prof., Schaff hausen. 

Klein, F., Üniv.-Prof. Dr., Geh Reg.- 
Rat, Göttingen. 

Klepl, G., Dr., Oberlehrer, Dresden. 

Klotz, A., Privatdoz. Dr., Straßburg. 

Kluge, F., Üniv.-Prof. Dr., Geh. Hof- 
rat, Freiburg i. B. 

Kluge, Frau Geheimrat. Freiburgi. B. 

Klüt imann, R., Prof. Dr., München. 

Knapp, M., Ingenieur, Basel. 

Koch, K., Dr., Oberlehrer, Eisenach. 

Köchlin, A., stud. theol., Basel. 

Köchlin, E., Dr. jur., Basel. 

Koepp, F., Üniv.-Prof. Dr., Münster 

Koepp, Frau Professor, Münster i.W. 

Körbler, G., üniv.-Prof. Dr., Agram. 

Körner, W., Prof. Dr., Geh. Reg.- 
Rat, Gr.-Licbterfelde. 

Körner, Fräulein, Gr. -Lichterfelde. 

Körte, A., Üniv.-Prof. Dr., Gießen. 

Körte, F., Frau Professor, Gießen. 

Koldewey, F., Lic. Dr., Progymn.- 
Direktor, Bad Harzburg. 

Koldewey, Frau Direktor, Bad Harz- 
burg. 

Kollmann, J., Üniv.-Prof. Dr., Basel. 
Krebs, A., Dr., Bern. 
Kroll, W., Üniv.-Prof. Dr., Münster 
i. W. 

Kropatschek, G., Dr., Assistent der 
röm.-germ. Komm., Trier. 

Krüger, E., Dr., Museumsdirektor, 
Trier. 

Kubli, L., Dr., Lehrer, Basel. 
Kümpel, E., Prof. Dr., Hamburg. 
Kündig, G., Lehrerin, Basel. 

Laemmel, R., Dr., Zürich. 
Lambel, H., Üniv.-Prof. Dr., Prag. 
Lamprecht, K., üniv.-Prof. Dr., Geh. 

Reg.-Rat, Leipzig. 
Landmann, Dr., Oberlehrer, Zillis- 

heim. 

Lange, A., Dr., Gymn.- Direktor, 
Solingen. 

Langkavel, Fräulein Dr., Zürich. 

Laqueur, R., Privatdoz. Dr., Göt- 
tingen. 



■ 

Lasson, A., Üniv.-Prof. Dr., Berlin. 

Leau, Prof., Freiburg i. B. 

Leman, Prof., Mülhausen i. E. 

Leo, F., Üniv.-Prof. Dr., Geh. Reg.- 
Rat, Göttingeu. 

Leuze, 0., Dr., Tübingen. 

Lewy, Prof. Dr., Mülhausen i. E. 

Lietzmann,H., Üniv.-Prof. Lic, Jena. 

Lietzmann, E., Frau Professor, Jena. 

Linden, E., Prof. Dr., Lörrach. 

Linder, H., Fräulein, Basel. 

Lindsay, W. M., Üniv.-Prof., St. An- 
drews (Schottland). 

Lippmann, E., Üniv.-Prof. Dr., Wien. 

Lippmann, Frau Professor, Wien. 

Lisco, Dr., Oberlehrer, Frankfurt a.M. 

Littmann, E., Üniv.-Prof. Dr., Straß- 
burg. 

Loeschcke, G., üniv.-Prof. Dr., Geh. 
Reg.-Rat, Bonn. 

Loew, R., Dr., Gymn. -Lehrer, Basel. 

Loew, Frau Dr., Basel. 

Lohr, Prof. Dr., Wiesbaden. 

Lorentz, P., Dr., Gymn. - Direktor, 
Friedeberg (Neumark). 

Lück, R., Dr., Gymn.-Direktor, Steg- 
litz-Berlin. 

Lüning, 0., Prof. Dr., St. Gallen. 

Luginbühl, R., Üniv.-Prof. Dr., Basel. 

Lutl amer, Dr. , Oberschulrat, Vertreter 
des Oberschnlrats von Elsaß-Loth- 
ringen, Straßburg. 

Lutz, A., Lehrer, Basel. 

Lutz. J., Pfr., Illzach. 

Lyall, C, K. C. S. I., London. 

Maas, P., Dr., München. 
Maehly, C, Fräulein, Basel. 
Mahler, E., Prof. Dr., Delegierter 

des Ungar. National - Museums, 

Budapest. 
Maier, G., Frau, Basel. 
Mangoldt, H. v., Prof. d. techn. 

Hochschule Dr., Geh. Reg.-Rat, 

Langfuhr- Danzig. 
Marold, K., Prof. Dr., Oberlehrer, 

Königsberg i. P. 
Marti, K., Üniv.-Prof. D., Bern. 
Marti, L., Lehrerin, Bern. 
Marti, M., stud. phil., Bern. 
Martin, E.,üniv.-Prof.Dr., Straßburg. 
Marx, A., Prof. Dr., Karlsruhe. 
Masberg, J., Prof. Dr., Direktor, 

Düsseldorf. 
Masberg, Frau Direktor, Düsseldorf. 
Mathe", Probekandidat, Mülhausen 

i. E. 



218 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



Mathy, L., Dr., Oberschulrat, Hof- 
rat, Karlsruhe. 
Maurer, A., Dr., Oberrealschuldirek- 
tor, St. Johann-Saarbrücken. 
Maurer, Frau Direktor, St Johann- 
Saarbrücken. 
Mautz, 0., Dr., Gymn. -Lehrer, Basel. 
Meier, J., Univ. -Prof. Dr., Rektor 

d. Univ., Basel. 
Meier, S., Frau Professor, Basel. 
Meier, 0., Prof., Solothum. 
Meinecke, F., Univ.-Prof. Dr., Frei- 
burg i. B. 
Meisinger, Prof. Dr., Lörrach. 
Meißner, R., Univ.-Prof. Dr., Königs- 
berg i. P. 
Meitzer, H., Prof. Dr., Stuttgart. 
Merian, J., Fräulein, Basel. 
Merian-Preiswerk, Frau, Basel. 
Merian, W., Kaufmann, Basel. 
Merk, C, Rektor, Basel. 
Metzner, R., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Meyer,C.,Univ.-Prof Dr., Bibl., Basel 
Meyer, C, Prof., Liverpool. 
Meyer, P., Dr., Rektor a. Gymn., Bern. 
Meyer, R., Bezirkslehrer, Therwil. 
Meyer, R. M., Univ.-Prof. Dr., Berlin. 
Meyer, Frau Professor, Berlin. 
Meylan, H., Prof. Dr., Lausanne. 
Mez, A., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Miescher, E., Pfr., Basel. 
Möller, A., Dr., Oberlehrer, Hamburg. 
Molin, A. de, Univ.-Prof Dr., Lau- 

Morf, H., Prof. Dr., Frankfurt a. M. 
Morf, Frau Professor, Frankfurt a. M. 
Mücke,R.,Dr.,Gymu.-Direktor, Ilfeld. 
Müller, A., stud. phil., Baspl. 
Müller, C. H., Dr., Göttingen. 
Müller, H.F.,Prof.Dr.,Gymn.-Direkt., 

Blankenburg a. Harz. 
Müller, H., Rektor, Basel. 
Müller, H., Prof. Dr., Darmstadt. 
Münzer, F., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Münzer, C, Frau Professor, Banel. 

>'ägeli, Th., Dr., Gymnas.-Lehrer, 
Schiere. 

Naville, E., Univ.-Prof. Dr., Genf. 
Neefe, F., stud. phil., Basel. 
Nef, K., Privatdoz., Dr., Basel. 
Nef, W., Dr, St. Gallen. 
Nestle, W., Prof. Dr., Schöntal 

(Württemb.). 
Neubauer, F., Dr., Gymn.-Direktor, 

Frankfurt a. M. 
Nicolai, W., Prof. Dr., Eisenach. 



Niedermann, M., Dr., Zug^ 
Nienhaus, K., Privatdoz. Dr., Apo- 
theker, Basel. 
Noetzlin -Wertbemann, R., Basel. 
Nufer, Fräulein, Basel. 

Oeri, A., Dr., Redakteur, Basel. 

Oeri, G , Fräulein, Basel. 

Oeri, J., Dr., Gymn.-Lehrer, Basel. 

Oeri, Frau Dr.. Basel. 

Oeri, S., Fräulein, Basel. 

Oldfather, W. A., Evanston (Illinois). 

Oltramare, P., Univ.-Prof. Dr , Genf. 

Orelli, C. v., Univ.-Prof. D., Basel. 

Orelli, C. v., V. D. M., Basel. 

Osse, Verwalter, Basel. 

Osthoff, H., Univ.-Prof. Dr., Geh. 

Hofrat, Heidelberg. 
Osthoff, Frau Geheimrat, Heidelberg 
Ott, W., cand. theol. et phil., Basel. 

Pagenstecher, R., cand. phil., Ham- 
burg. 

Pekrun, R., cand. phil., Freiburg i.B. 
Pekrun, Frau. Freiburg i. B. 
Perdrizet, P., Univ.-Prof. Dr., Nancy. 
Pestalozzi, R., Dr., Gymn.-Lehrer, 
Zürich. 

Pfaff, F.,Univ.-Prof. Dr., Freiburg i.B. 
Planck, H., Prof. Dr., Stuttgart. 
Pohl, M.,Oberlehrer, Steglitz(Berlin). 
Pohlenz, M., Univ.-Prof. Dr., Göt- 
tingen. 

Poppen, H., cand. phil., Karlsruhe. 

Poulain, L., Dr., Basel. 

Poult,C, Gymn .-Lehrer, Znoz (Grau- 
bünden). 

Pörtner, Dr., Mülhausen i. K. 

Preiswerk, E. , Dr., Gymn.-Lehrer, 
Basel. 

Preiswerk, R., Dr., Bezirkslehrer, 

Waldenburg. 
Preiswerk, S., Pfr. Basel. 
Preuschen,E.,Prof.Z).Dr.,Darm8tadt. 
Priebsch, R., Univ.-Prof., London. 
Priebsch, Frau Professor, London. 
Probst, A., Fräulein, Basel. 
Probst, E., Dr., Gymn.-Lehrer, Basel. 
Probst, Frau Dr., Basel. 

Habel, E., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Räber, S., Dr., Reallehrer, Basel. 
Räder, H., Dr., Kopenhagen. 
Raillard, R., Prof., Aarau. 
Rebmann, Oberschulrat, Vertreter 

des badischen Oberschulrats, 

Karlsruhe. 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 219 



Reichenberger, Prof. Dr., Karlsruhe. 
Reimers, J. W. F., Hamburg. 
Reinle, E., Dr., Reallehrer, Basel. 
Reinle. Frau Dr., Basel. 
Reisch, F., Dr., Frankfurt a. M. 
Reiter, S., Privatdoz. Prof. Dr., Prag. 
Reitzenstein , R., Univ. -Prof. Dr., 

Straßburg. 
Reitzenstein, Frau Professor, Straß- 

burg. 

Renfer, A., Gymn .-Lehrer, Bern. 
Richter, H., Prof. Dr., Stuttgart. 
Ries, J., Prof. Dr., Colmar i. E. 
Riggenbach, E.,Univ.-Prof D., Basel. 
Riggenbach, R., Dr., Basel. 
Ritter, K., Prof. Dr., Tübingen. 
Robert, K., Üniv.-Prof. Dr., Halle. 
Roche,C.de, Dr.,Gymn.-Lehrer,Basel. 
Roches, P., Dr., Lehrer, Basel. 
Römer, cand. theol., Basel. 
Rosenhagen, G., Dr., Oberlehrer, 

Hamburg. 
Rossat, A., Dr., Reallehrer, Basel. 
Roth, K., Dr., Basel. 
Roth, M., Üniv.-Prof. Dr., Riehen. 
Rudio, F., Prof. a. Polyt., Dr., Zürich. 
Rudolf, F., V. D. M., Zürich. 
Rüegg, A., Dr., Lehrer, Basel. 
Rühl, F., Üniv.-Prof. Dr., Staatsrat, 

Königsberg i. P. 
Rümpler, F., Direktor, Hofrat, Gotha. 
Rüsch, E., cand. phil., Mülhausen i. E. 
Rupe, H., Üniv.-Prof. Dr., Basel. 
Ruprecht, W., Dr., Verlagsbuchhdl., 

Göttingen. 
Ruska, J., Prof. Dr., Heidelberg. 
Ryhiner, G., Dr., Bibl., Basel. 
Ry hiner, H., Fräulein, Basel. 
Rzepinski, St., Gymn.-Direktor, Neu- 

Sandez (Galizien). 

Sailer, Direktor, Gera. 
Salis, A. v., Antistes, Basel. 
Salis, A. v., Dr., Basel. 
Salis, R. v., Fräulein, Basel. 
Sander, F., Schulrat, Bremen. 
Sander, Frau Schulrat, Bremen. 
Sarasin-Iselin, A., Bankier, Basel. 
Sarasin-Iselin, Frau, Basel. 
Sarasin-Iselin, W., Kaufmann, Basel. 
Sarasin, W., Dr., Basel. 
Sarasin-Warnery, R., Kaufm., Basel. 
Sarasin -Warnery, Frau, Basel. 
Saxer, A., cand. theol., Basel. 
Schaer - Krause, A., Privatdoz. Dr., 
Zürich. 

Schaer-Krause, Frau Dr., Zürich. 



Schaller, W., Dr., Oberlehrer, Frei- 
berg (Sachsen). 

Schaub, S., Dr., Basel. 

Schäublin, F., Dr., Gymn.-Rektor, 
Basel. 

Scheindler, A., Landesschulinspekt. , 
Wien. 

Schenkl, H., Üniv.-Prof. Dr., Graz. 
Scherrer, J., Üniv.-Prof. Dr., Heidel- 
berg. 

Schiff, A., Dr., Berlin. 
Schild, P., Dr., Lehrer, Basel. 
Schlachter, L., Dr., Bern. 
Schmid, J., Prof., St. Gallen. 
Schmidt, A., Dr., Gymn.-Direktor, 

Wiesbaden. 
Schmidt, Frau Direktor, Wiesbaden. 
Schmidt, E., stud. phil., Heidelberg. 
Schmidt, H., Privatdoz. Dr., Berlin. 
Schmidt, 0., Dr., Kantonsschullehrer, 

Solothurn. 
Schmidt,P.W.,üniv.-Prof.Z).,Riehen. 
Schmidt, Frau Prof., Riehen. 
Schneegans, F., Ünivers.-Prof. Dr., 

Heidelberg. 
Schneegans, H., Ünivers.-Prof. Dr., 

Wurzburg. 
Schneider, G., Dr., Gymn.-Direktor, 

Frankfurt a. 0. 
Schneider, J., Üniv.-Prof. Dr., Bibl., 

Basel. 

Schneider, R., Prof. Dr., Heidelberg. 

Schönauer, H., Dr. jur., Basel. 

Schöne, H., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Schöne, 0., Frau Professor, Basel. 

Schönemann, J., Dr., Oberlehrer, 
Frankfurt a. M. 

Schönemann, FrauDr., Frankfurt a.M. 

Schuchhardt, C, Prof. Dr., Museums- 
direktor, Hannover. 

Schütz,E.,Fräul., Homburg v.d.Höhe. 

Schultheß, C. v., Kaufmann, Basel 

Schultheß, 0., Üniv.-Prof. Dr., Zürich. 

Schultz, H., Dr., Hilfsarbeiter a. 
Deutschen archäol. Institut, Rom. 

Schulz, W., Pfr., Lörrach. 

Schumacher, A., Prof., Stetten. 

Schumacher, H., Fräulein, Stetten. 

Schwabe, B., Buchhändler, Basel. 

Schwartz, E., Üniv.-Prof. Dr., Göt- 
tingen. 

Schwartz, Frau Professor, Göttingen. 
Schwyzer, E., Privatdoz. Dr., Zürich. 
Schwyzer, H., Frau Dr., Zürich. 
Seelmann, E., Dr., Oberbibl., Bonn. 
Seith , K. , Oberrealschuldirektor, 
Freiburg i. B. 



220 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



Senn, H., Ffr., Sissach. 

Senn, Frau Pfarrer, Sissach. 

Siebeck, H.,U niv.-Prof. Dr., Geh. Hot- 
rat, Gießen. 

Sübernagel,A.,Dr.jur.,Gericht8präsi- 
dent, Basel. 

Simons, W., Fabrikant, Elberfeld. 

Sitzler, J., Dr., Gymn.-Direktor, Frei- 
burg i. B. 

Socin-His, R., Frau Professor, Basel. 

Soltau, W., Prof. Dr., Zabem. 

Sommer, F., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Sommer, Frau Prof., Basel. 

Speiser, A . stud. math., Basel. 

Speiser-Strobl, W., Kaufmann, Basel. 

Speiser-Strohl, Frau, Basel. 

Spieß, 0., Privatdoz. Dr., Basel. 

Sprengel, J. G., Prof. Dr., Frank- 
furt a. M. 

Stähelin, F., Privatdoz. Dr., Basel. 

Stähelin, H., Fräulein, Basel. 

Stähelin, M., Fräulein, Basel. 

Stähelin-Merian, E., Pfr., Basel. 

Stählin, 0., Prof. Dr., München. 

Steinberg, H., Prediger, Basel. 

Steiner, G., Dr., Sek.-Lebrer, Basel. 

Steiner, P., Dr., Frankfurt a. M. 

Stengel, E., Univ.-Prof. Dr., Reichs- 
tagsabgeordneter, Greifswald. 

Stern, J., Fräulein, Lörrach. 

Stern, W., Gymn.-Direktor, Lörrach. 

Steuernagel,C.,Univ.-Prof. Dr., Halle. 

Steuernagel, Frau Professor, Halle. 

Stöcklin, A., Fräulein, cand. phil., 
Basel. 

Strack, M. L., Univ.-Prof .'Dr., Gießen. 
Strack, L., Frau Professor, Gießen. 
Stromboli, Frau Professor, Florenz. 
Stückelberg, E. A., Univ.-Prof. Dr., 

Stulz, F., Prof., Freiburg i. B. 
Stumm, H., Dr. jur.. Basel. 
Stumm, L., Frau Dr., Basel. 
Suchier, E., Prof. Dr., Höchst a. M. 
Sütterlin, L., Univ.-Prof. Dr., Heidel- 
berg. 

Tappolet, E., Univ.-Prof. Dr., Basel. 
Tappolet, Frau Professor, Basel. 
Thiersch, B., Fräulein, cand. phil., 
Basel. 

Thiersch, H., Univ.-Prof. Dr., Frei- 
burg i. B. 

This, C, Prof. Dr., Gymn.-Direktor, 
Markirch. 

Thommen, E., Dr., Reallehrer, Basel. 

Thommen, A., Frau Dr. med., Basel. 



Thumb, A., Univ.-Prof. Dr., Marburg. 
Thumser, V., Dr., Gymn.-Direktor, 

Reg.-Rat, Wien. 
Thüring, Prof., Luzern. 
Thurneysen, R., Univ.-Prof. Dr., Geh. 

Hofrat, Freiburg i. B. 
Tobler, C, Fräulein, Zürich. 
Trott, J., stud. phil., Basel. 

ühlig, G., Univ.-Prof. Dr., Geh. Hof- 
rat, Heidelberg. 

Unbehaun, J., Dr., Oberlehrer, Dillen- 
burg i. H. 

Usteri, P., Dr., Gymn.-Lehrer, Burg- 
dorf. 

Teil, H., Dr., Gymn.-Direktor, Straß- 
burg. 

Veillon, H., Univ.-Prof. Dr., Basel. 

Vetter, Th., Univ.-Prof. Dr., Zürich. 

Viseber- Bachofen, F., Bürgerrats- 
präsident, Basel. 

Vischer, B., Kaufmann, Basel. 

Vischer, E., Univ.-Prof. D., Basel. 

Vischer, F., Dr., Bibl., Basel. 

Viacher-Heußler, S., Frau, Basel. 

Vischer-Iselin, W., Dr. jur., Basel. 

Vischer-Iselin, H., Frau Dr., Basel. 

Vischer-Sarasin, E., Architekt, Basel. 

Vischer-Sarasin, Frau, Basel. 

Vischer-Speiser, C. E., Fabrikant, 
Basel. 

Vischer-Speiser, E., Frau, Basel. 
Vodoz, J., Prof. Dr., Zürich. 
Voeilmy, stud. phil., Basel. 
Vogelbach, H., Dr. med., Basel. 
Vollgraff, W., Privatdoz. Dr., Utrecht. 
Vonder Mühll, F., Dr., Basel. 
Vonder Mühll, K., Univ.-Prof. Dr., 
Basel. 

Vonder Mühll, K., Frau Professor, 
Basel. 

Vonder Mühll, P., stud. phil., Basel. 
Voretzsch, C, Univ.-Prof. Dr., Tü- 
bingen. 

Wacker -Waldmeier, 0., Frau, Basel. 

Wackernagel, J., Univ.-Prof. Dr., 
Göttingen. 

Wackernagel, M., Frau Professor, 
Göttingen. 

Wagner, R., Prof. Dr., Eßlingen. 

Walleser, Prof. Dr., Säckingen. 

Walter, G., Dr., Lehrer, Zürich. 

W T alter, Frau Dr., Zürich. 

Wartensleben, Gräfin G., Dr., Frank- 
furt a. M. 

Waser, 0., Privatdoz. Dr., Zürich. 



Alphabetische Liste der Mitglieder und Ehrengäste. 



221 



Waßmer, J., Prof., Luzern. 
Weber, W., Dr., Heidelberg. 
Wechßler, E., Univ.-Prof. Dr., Mar- 
burg. 

Wechßler, A., Frau Prof., Marburg. 
Wedemann, Prof., Frankfurt a. M. 
Weill, Dr., Gebweiler. 
Weise, P., Dr., Oberlehrer, Hamburg. 
Weizenecker, H., Gymn.-Lehrainta- 

praktikant. Lörrach. 
Weizsäcker, P., Dr., Realprogyinn.- 

Bektor, Calw. 
Wendland, J , Univ.-Prof, Lic, 

Basel. 

Wendland, Frau Professor, Basel. 
Wendland, P., Univ.-Prof. D. Dr., 
Breslau. 

Wendt, G., Dr., Gymn. -Direktor, 
Geh.-Rat,Oberschulrat, Karlsruhe. 

Wenger, L , Univ.-Prof. Dr., Graz. 

Wenger, Frau Professor, Graz. 

Werner, M., Dr., Oberlehrer, Frank- 
furt a. M. 

Wernle, P., Univ.-Prof. D., Basel. 

Weth, R., Dr., Reallehrer, Basel. 

Wetterwald, X., Dr., Schulinspektor, 
Basel. 

Wetz, W., Univ.-Prof. Dr., Frei- 
burg i. B. 

Wiesmann, Frau Dr., Herisau. 

Wilcken, U., Univ.-Prof. Dr., Leipzig. 

Wild, Prof., Konrektor, St. Gallen. 

Wilhelm, A., Univ.-Prof. Dr., Wien. 

Wilhelm, F., Privatdoz.Dr.,München. 

Winneberger, 0., Dr., Realschul- 
direktor, Frankfurt a. M. 



Winter, 0., Verlagsbuchhändler, 
Heidelberg. 

Wirz, H., Prof. Dr., Zürich. 

Wirz, J , Pfr., Biel-Benken b. Basel. 

Wissowa, G., Univ.-Prof. Dr., Geh. 
Reg. -Rat, Halle. 

Wissowa, Frau Geh.-Rat, Halle. 

Wittig, H., stud. phil., Basel. 

Witting, A., Prof. Dr., Dresden- 
Strehlen. 

Wolters, P., Univ.-Prof. Dr., Würz- 
burg. 

Wolters, A., Frau Prof., Würzburg. 
Wunderlich, H., Dr., Bibl., Berlin. 
Wyß, B., Dr., Kanton sschullehrer, 

Solothurn. 
Wyß, Frau Dr., Solothurn. 

Zähringer, Prof., Gebweiler. 

Zamponi, H., Bürgerschul -Vorstand, 
Schönau i. W. 

Zellweger, C, Fräulein, Basel. 

Zellweger, H., stud. med., Basel. 

Zellweger, 0., Redaktor, Basel. 

Zellweger, L., Frau, Basel. 

Zellweger, U., Bankier, Basel. 

Zellweger, M., Frau, Basel. 

Zickendraht, Dr., Basel. 

Ziesenitz, Dr., Oberlehrer, Hamburg. 

Zimmerli, J., stud. phil., Schiers. 

Zimmermann, M., Pfr., Basel. 

Zingg, F., Fräulein, Basel. 

Zinkernagel, Privatdz. Dr.,Tübingen. 

Zutt, R., Dr. jur., Reg.-Rat, Ver- 
treter d. Regierung von Basel- 
Stadt, Basel. 



Druck von B. Q Trabner in Leipzig. 



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Versammlung deutscher 
Philologen. 




YC 25142 




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